Louis Begley Schmidts Bewährung Roman Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger
Suhrkamp
Umschlag: Hermann Michels und...
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Louis Begley Schmidts Bewährung Roman Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger
Suhrkamp
Umschlag: Hermann Michels und Regina Göllner Umschlagfoto: Justin Pumfrey/ SPL/ Photonica
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Schmidt Delivered 2000 bei Alfred A. Knopf, New York. © der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001
In Louis Begleys neuem Roman taucht ein Bekannter wieder auf: der pensionierte New Yorker Anwalt Albert Schmidt, ein Don Juan mit Prinzipien. Vor der Einsamkeit durch seine Liebe mit der jungen Puertoricanerin Carrie bewahrt, führt Schmidt mit ihr ein abgeschiedenes Leben in Bridgehampton, Long Island. Das erste Mal seit dem Tod seiner Frau ist Schmidt glücklich. Nur die gemeinsame Zukunft mit Carrie bereitet ihm Sorgen, denn die Schöne weist alle seine Heiratsanträge zurück. Schmidts Befürchtungen bewahrheiten sich - Carrie verliebt sich in einen anderen Mann. Schlimmer noch: Schmidts Tochter Charlotte, eine Frau mit Prinzipien, steht vor der Tür und fordert Geld. Sie hat ihren Ehemann, Schmidts ehemaligen Protege und Kanzleikollegen Jon Riker, verlassen, der dabei erwischt wurde, wie er geheime Dokumente an seine Geliebte weitergab. Nun will sie sich mit einer dubiosen Geschäftsidee selbständig machen. In seiner Verwirrung und Ratlosigkeit findet Schmidt einen ungewöhnlichen Verbündeten: Michael Mansour, den geheimnisvollen Ägypter, der ihm ein verlockendes Angebot macht. In Schmidts Bewährung erzählt Louis Begley eine staunenswert leichte Geschichte darüber, wie schwer es ist, die Entfernung von Mensch zu Mensch zu überwinden - selbst wenn man liebt. Schmidts Bewährung ist ein Roman über die Illusionen der Jugend und die Weisheit des Alters - und umgekehrt. Louis Begley wurde 1933 in Polen geboren, studierte in den USA Literatur und Recht und lebt seit 1959 als Anwalt in New York. Bei Suhrkamp erschienen die Romane Lügen in Zeiten des Krieges, 1994, Wie Max es sah, 1995, Der Mann, der zu spät kam, 1996, Schmidt, 1997, Mistlers Abschied, 1998.
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Louis Begley Schmidts Bewährung Roman Aus dem Amerikanischen von Christa Krüger
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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel Schmidt Delivered 2000 bei Alfred A. Knopf, New York.
© der deutschsprachigen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2001 © Louis Begley Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vertrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Satz: TypoForum GmbH, Nassau Druck: GGP Media, Pößneck Printed in Germany Erste Auflage 2001 1 2 3 4 5 6 - 06 05 04 03 02 01
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Für N. und J., später einmal
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Vedrò mentr'io sospiro Felice il servo mio? Le nozze de Figaro
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I Ja, Schmidtie. Hallo, hallo. Ja, ich bin's, Schmidtie. Er hatte das Telefon vom Nachttisch gestoßen und tastete nun unter dem Bett nach dem Hörer. Einen Herrn im Ruhestand sollte man nicht vor neun Uhr morgens anrufen. Oder war etwas Schlimmes passiert? Charlotte! Ich hoffe, ich störe nicht. Die Stimme des Anrufers war angenehm dunkel, an den Rändern schartig und schwer zu verstehen. Sie wissen nicht mehr, wer ich bin. Tut mir furchtbar leid, aber ich kann Stimmen nicht gut wiedererkennen. Müssen Sie auch nicht, warum sollten Sie, obwohl: meistens kennt man meine Stimme. Ich bin Michael Mansour. Richtig, hierzulande sage ich Man-sauer, nicht Man-suhr! Man tut, was man kann, um es den Inländern leicht zu machen. Gestern auf der Blackman-Party haben wir uns unterhalten. Wissen Sie, wer ich bin? Jetzt war Schmidt im Bild. Natürlich, der milliardenschwere Investor, der Gils Filme finanziell unterstützt. Ägypter oder so, aber fest angesiedelt im obersten Bereich der Forbes MagazineRangliste der reichsten Wirtschaftsmagnaten Amerikas. Selbstverständlich. Ich habe Ihren Namen in der Zeitung gelesen, und nicht nur einmal. Der König der Preisdrücker. Haha! Das gefällt mir - das war ein Witz, oder? Aber es stimmt, genauso mache ich mein Geld. Ich bin ein Freund von Gil, er hat mir Ihre Nummer gegeben. Ich möchte Sie und Ihre Frau am Samstag zum Lunch einladen. In mein Haus, um halb zwei, oder früher, wenn Sie noch kurz ins Meer springen wollen, ehe wir mit den Drinks anfangen. Gil sagt, Sie sind sein bester Freund. Er hat
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mir erzählt, was für ein Anwalt Sie waren. Schade, daß wir nie zusammengearbeitet haben. Jedenfalls, Gils Freunde sind meine Freunde. Also, kommen Sie? Entschuldigen Sie, aber wissen Sie jetzt wirklich wieder, daß Sie mich auf der Party gesehen haben? Übrigens, ich habe auch einen Pool, falls Sie das Meer nicht mögen. Mr. Mansour war geradezu rührend bescheiden für einen Mann von soviel Macht und Glanz. Aber natürlich erinnere ich mich, erwiderte Schmidt, um ausgesuchte Liebenswürdigkeit bemüht. Elaine hat uns miteinander bekannt gemacht. Ach ja, die junge Frau, mit der ich dort war, ist meine Freundin, verheiratet sind wir nicht. Im Augenblick ist sie nicht hier. Darf ich zurückrufen, wenn ich mit ihr gesprochen habe? Er sagte nicht ganz die Wahrheit. Carrie war sehr wohl da, nur schlief sie tief und fest, den Kopf im Kissen vergraben. Wenn sie so im Schlaf versunken war, reichten drei Klingelzeichen des Telefons und Schmidts gedämpfte Stimme im Gespräch mit Mr. Mansour bei weitem nicht sie aufzuwecken. Ihre Freundin ist umwerfend. Und charmant. Ich habe sie für Ihre Frau gehalten, nicht etwa für Ihre Tochter, sie sieht Ihnen ja gar nicht ähnlich. Jedenfalls: Glückwunsch! Bringen Sie sie bitte mit! Und wenn sie was vorhat, kommen Sie ruhig allein. Zusammen kann ich Sie beide dann ein andermal einladen. Wir bleiben in Verbindung. Schmidt nahm nun zur Kenntnis, daß Mr. Mansour nicht mehr in seinem Wohnsitz in Fast Hampton zu erreichen sei, da er dieses Haus seiner zweiten abgelegten Ehefrau überlassen habe, und notierte sich dann die Telefonnummer, eine Geheimnummer. Keine Sorge, er würde sie für sich behalten. Aha, das CrusselHaus in Water Mill, in der Flying Point Road? Ja, den Weg kannte er gut. Ja, er würde in diesem Haus auch alten Erinnerungen begegnen, der Besuch mochte ihnen sogar eine neue Bedeutung verleihen, die nicht frei von neuer Bitterkeit war, aber so früh am Morgen hatte er nicht das geringste Bedürfnis, dieses Thema mit Mr. Mansour zu erörtern. Die ursprünglichen Eigentümer des besagten Hauses, Mr. und Mrs. Crussel, waren wichtige Mandanten der Kanzlei Wood & King
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gewesen, in der Schmidt bis zu seiner Pensionierung als Sozius gearbeitet hatte. Ein Kollege in der Trust- und Immobilienabteilung, Murphy, war zuständig für die Crussels, so wie er auch über die bescheidenen Vermögenswerte von Schmidt und seiner verstorbenen Frau Mary wachte, aber Schmidt, der ein anderes Spezialgebiet hatte - er vertrat die Interessen von Versicherungsgesellschaften in Darlehensfragen -, wohnte sozusagen Tür an Tür mit den Crussels und verkehrte gesellschaftlich mit ihnen. Deshalb fiel ihm die Aufgabe zu, als inoffizieller Emissär der Kanzlei die Beziehungen zu diesen Mandanten zu pflegen und auszubauen, indem er ihren Einladungen zum Lunch und Dinner häufiger und gewissenhafter folgte, als es sonst sein Stil gewesen wäre. Gelegentlich hatte ihn seine Pflichterfüllung so weit gebracht, mit Todesverachtung, wie bei einem Himmelfahrtskommando im Weltkrieg, eine kichernde, kreischende Olga Crussel in die Brandung zu treiben und mit beiden Händen hochzustemmen, damit sie gefahrlos in den Brechern auf und ab schaukeln konnte. Diese Heldentaten gaben ihm im Hause Crussel den Nimbus eines kühnen Schwimmers von unerschöpflicher Kraft und verliehen ihm auch darüber hinaus Autorität: Wenn Schmidt gelegentlich bemerkte, daß sein Kollege Murphy durchaus vertrauenswürdig sei und genau wisse, was er tue, wurde dies ganz nebenbei Gesagte wie die Offenbarung einer Wahrheit vernommen. Schmidt erinnerte sich mit Vergnügen daran, daß das Haus, das jetzt Mr. Mansour gehörte, eines der wenigen Objekte gewesen war, zu denen die Crussels ihn nicht um seine Meinung gebeten hatten. Ein brasilianischer Architekt, Gewinner eines Wettbewerbs und Freund einer Crussel-Nichte, hatte es entworfen. Er war einmal zur Feier des vierten Juli mit ihr übers Wochenende zu Besuch gekommen und hatte in dem geräumigen Schindelbau übernachtet, der auf dem Grundstück stand und Crussels Strandhaus war, seit sie in den Hamptons wohnten. Er taxierte seine Chancen für einen neuen Auftrag - das beträchtliche Vermögen wurde zwar nicht zur Schau gestellt, blieb dem geübten Auge aber kaum verborgen - und machte eine flüchtige Skizze eines Traumhauses, das er, wäre er Eigentümer des Grundstücks, an die Stelle ihres jetzigen phantasiearmen Heims setzen würde: eine großzügige, gefällig fließende aquatische Konstruktion, die Olga Crussels eigentlichem Selbst entsprach, samt Empfangs-
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räumen und Dachterrassen für größere Einladungen, mit freiem Blick über den Ozean und die Mecox Bay, die diesen erstaunlichen Grundbesitz umgrenzten. Olga schluckte den Köder. Jean Crussel, dessen Familie seit den Zeiten Calvins eine Säule des Genfer Patriziats war, konnte ein Wunder an Schnelligkeit sein, wenn er wirklich einen Entschluß fassen wollte. Außerdem war er seiner Frau ganz ergeben. Die Entscheidung fiel auf der Stelle, ohne daß Murphy oder Schmidt oder Olgas Lieblingsinnenarchitektin auch nur angerufen wurden. Das Cottage wurde in einer einzigen entsetzlichen Woche abgerissen, aber der Bau des neuen Hauses zog sich hin. Die Aufgabe, es bezugsfertig zu machen und den Einzug zu organisieren, wurde zum Wettlauf gegen Senilität und Tod. Das Greisenpaar gewann die erste Runde: Bevor die Truppe der rund um die Uhr arbeitenden Haushälterinnen und Krankenschwestern einquartiert werden mußte, hatten die beiden zwei Jahre Zeit, auf immer neuen Partys immer wieder das Modell des Brasilianers vorzuzeigen; Schmidt hatte das alte Cottage, dem sonst keiner eine Träne nachweinte, allmählich liebgewonnen und reagierte deshalb vielleicht etwas unangebracht: In seinen Augen glich das neue Machwerk am ehesten einer Mischung aus einem Motel und einem gestrandeten, von einem betrunkenen Steuermann achtlos auf Sand gesetzten Ozeandampfer. Jean und Olga waren kinderlos; ihre Erben, Verwandte in der Seitenlinie, besaßen vollkommen angemessene Sommerhäuser in der Nähe und anderswo. Sie schrieben den Besitz zum Verkauf aus und warteten jahrelang, denn sie waren, wie sehr Reiche meist, nicht willens, den Preis zu senken. Daß ein noch finanzkräftigerer Neureicher schließlich die Taschen der Erben mit Bargeld gefüllt hatte und vermutlich weitere Millionen in die verschandelte Düne zu stecken bereit war, mußte für das Baugewerbe vor Ort und für Unternehmer in New York, London und Paris sehr günstige Auswirkungen haben. Vielleicht sogar für die Weltwirtschaft. Schmidt stellte sich vor, daß Mr. Mansour verschiedene heimliche Verbesserungen bereits wieder rückgängig gemacht hatte, die Jean Crussel vornahm, sobald der Brasilianer, durch Aufträge für weitere Meisterwerke in Anspruch genommen, den Rücken gewandt hatte: ferngesteuerte Schalter zum Öffnen und Schließen der Jalousien in den Schlafzimmern und selbsttätige Vorrichtungen, welche die Lamellen ohne
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menschliche Mitwirkung je nach Einfallswinkel der Sonne mehr oder weniger schräg stellten; Aluminiumrampen und rutschfeste Auflagen, die an strategisch wichtigen Stellen auf dem Boden im Haus und auf der Pooleinfassung plaziert waren, um einem Sturz vorzubeugen, bei dem kalkarme Knochen in Scherben splittern könnten; der kleine Bühnenraum mit dem runden Tanzboden, auf dem Jean und Olga unter Aufsicht einer Arthur-MurrayTanzlehrerin im Teenageralter täglich Tango und Paso doble geübt hatten. Vielleicht hatte Mr. Mansour sogar einen Deckel auf den flachen Teil des Pools legen lassen, um die zweischläfrige rosa Jacuzzi-Wanne unsichtbar zu machen. Darin hatte das spindeldürre Ehepaar, manchmal in Gesellschaft anderer Achtzigjähriger, nackt im Wasser geruht und die strahlend glücklichen Gesichter der Morgensonne entgegengehoben. Die revolutionäre Veränderung im gesamten Ambiente mußte, so meinte Schmidt, in Augenschein genommen und bewundert werden. Sollte er Carrie stupsen und aufwecken? Er entschied sich dagegen. Statt dessen schob er seine Hand vorsichtig unter die Bettdecke, strich ihr über die Brust, tastete nach ihrer Achselhöhle, die feucht vom Schlaf war, ließ die Hand dort ruhen, rieb seine Nase an dem schwarzen Lockenschwall auf dem Kopfkissen und stieg leise aus dem Bett. Schade. Gerade jetzt fühlte er sich imstande, ohne die Hilfe, die Carrie ihm bereitwillig gab, auch wenn sie schon vor Ungeduld stöhnte. Versagen beim Schlafengehen, Ausgleich am Morgen danach: Die Symmetrie dessen und auch der Gedanke, daß sie, falls er sie weckte, die zufriedenstellende Situation eher seiner Blase als seiner Libido zuschriebe, entmutigten ihn. Er schlüpfte in Hemd und Hose, wartete aber mit dem Anziehen der Schuhe, bis er an der Treppe war, preßte vier Apfelsinen aus, damit Carrie ihr Glas Saft gleich trinken konnte, falls sie herunterkam, bevor er wieder da war, trank selbst nichts, weil er lieber bis zum gemeinsamen Frühstück warten wollte, fuhr dann zur Post und anschließend zum Kiosk, wo er jeden Morgen seit jener Zeit, als die arme Mary und er Bridgehampton für sich entdeckt hatten, die New York Times holte. Eins blieb noch zu tun: Croissants kaufen, eine wichtige Veränderung in Schmidts Routine. Bis Carrie zu Beginn seiner langen Genesungszeit entschieden hatte, frisch gebackene Croissants der Bäckerei
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Sesame, in der ihre Freundin und ehemalige Kollegin bei O'Henry's seit kurzem arbeitete, würden seine Moral heben, obwohl sie unverschämt teuer waren, hatte er zum Frühstück immer nur ein halbes, dünn mit bitterer Orangenmarmelade bestrichenes Muffin gegessen. Die andere Hälfte hob er für den nächsten Tag auf. Ganz fraglos war die neue Frühstücksordnung eine erhebliche gastronomische Verbesserung, die zur Gewohnheit werden konnte. Aus dieser Veränderung hatten sich auch häufige Zufallsbegegnungen mit Gil Blackman ergeben; Gil kaufte bei Sesame frische Scones, ohne die er am Morgen nicht sein konnte. Darüber hinaus war Schmidt nun täglich Zeuge eines Schauspiels, das in seinen Augen perfektes Material für einen der harten oder auch, wie manche Leute sagen würden, ätzenden Filme bot, die Gil drehte. Wäre Schmidt wagemutiger gewesen, hätte er Gil ein Treatment präsentiert: Es ist ein paar Minuten vor neun Uhr. Die Mercedes Kombis, Range Rover, BMWs und Jaguare sind auf dem Kies vor Sesames verschlossener Ladentür versammelt. Männer mit Zweitagesbärten küssen Frauen, die, wie es aussieht, Baumwollnachthemden und Strandschlappen tragen. Diese Frauen kommen gerade aus dem Bett, das kann man riechen, sie sind hierher gestürzt, ohne sich vorher die Zähne zu putzen. Auch ein Toyota steht da, er paßt nicht ins Bild. Der Kerl darin könnte genausogut unsichtbar sein. Er küßt niemanden, und keiner grüßt ihn. Er hat zwar an der Seite geparkt, steht aber den ändern im Weg, also bekommt er böse Blicke. Unmerklich bildet sich eine Warteschlange. Punkt neun Uhr geht die Tür auf. Jetzt ganz ruhig bleiben. Wehe, du machst den Eindruck, du wolltest dich vordrängen. Dieser Mob würde dir jedes Glied einzeln ausreißen. Sie meinen es ernst. Jetzt sind nicht mehr alle Frauen im Nachthemd: Inzwischen haben sich andere dazugesellt, in Reitkleidung, ohne Brüste und mit chlorgebleichten oder chlordurchweichten Haaren; Frauen in Jogginganzügen, die so schweißgetränkt sind, daß sie wohl tatsächlich gelaufen sind; Tennisweiß tragende, fette Männer mit dicken Brüsten und Bifokalbrillen in Hornfassung, die es vielleicht gerade noch zum Tennisplatz schaffen, vielleicht aber auch nicht. Kleine Mädchen, herausgeputzt wie Mini-Schlampen, mit abgeplatztem Lack auf Finger- und Fußnägeln, verlangen quengelnd Bagels. Tomaten:
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zwei davon kosten so viel wie acht gleich große am Obststand hundert Meter weiter; kleine Plastikbehälter zu fünf Dollar enthalten einen Schuß Öl und Essig und einen Bodensatz aus Salz und Pfeffer, man braucht nur zu schütteln und die Mischung über die Tomaten oder den Blattsalat und die Ruccola zu gießen, die ebenfalls für einen Dollar pro Blatt in kleinen Säckchen erhältlich sind; vorgebräunte Würstchen, die man zum Essen nur aufwärmen muß (vorausgesetzt, es finden sich zwei Hände, die sie in eine Bratpfanne legen und auf den Herd setzen; wenn nicht, auch kein Problem, serviert man sie einfach »bei Raumtemperatur«); Mineralwasser und Fruchtsaft in Piccolo-Flaschen; man kann sie im Geschäft oder im Range Rover beim Warten trinken. Bündelweise Hundertdollarnoten. Geben Sie mir drei Pfund hiervon, geben Sie einen Liter davon. Man schleudert den immerzu höflichen jungen Männern und Frauen Kommandos über den Ladentisch ins Gesicht, als sei die Befehlsform die einzige Möglichkeit der Anrede. Die jungen Leute notieren alles gewissenhaft. Ein hagerer alter Kauz mit schmalem Mund und blauen Augen, die bessere Tage gesehen haben - er könnte Schmidtie sein -, nimmt zaghaft zwei Croissants aus dem Korb. Er zögert. Der Kauf ist zu kümmerlich. Ob er die Ware einfach in die Tasche seiner Baumwolljacke stopfen und hinausgehen soll, statt die Verkäufer mit einer Transaktion von vier Dollar zu belästigen? Unfug, er wird keinen Ladendiebstahl begehen, sondern Achtung zeigen. Eine der knochigen Frauen zieht ihn zurück in die Warteschlange. Er legt die Croissants auf den Ladentisch, bittet um einen frischen Ziegenkäse aus Vermont und, des Geschmacks und des hohen Preises wegen, um ein Stück englischen Blauschimmelkäse. Aber Schmidt schreibt seine Version von Ali Babas Höhle nicht auf und erzählt auch seinem Freund Gil nichts davon. Denn dessen Bulligkeit ist nur Bluff, in Wahrheit ist Mr. Blackman sehr sensibel. Schmidt fürchtet, seine Sicht der allmorgendlichen Prozedur, an der sie beide so regelmäßig teilnehmen, könnte Gil verletzen. Wieder in der eigenen Küche, beim Frühstück mit Carrie. Ihre Gegenwart ist ein Wunder. Ihr Anbeter Schmidt weiß, daß sie nackt ist unter dem hinreißenden Männermorgenmantel aus
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rubinroter Seide, den ein von Schmidts Vater hochgeschätzter Hemdenmacher an der Place Vendôme für sie maßgeschneidert hat. Schmidt hatte ihr in den Frühjahrsferien in Paris Maß nehmen lassen. Alle Schätze ihres blaßbraunen, siegesgewissen Körpers hat er mit Augen, Mund und Händen erkundet, keiner ist ihm verborgen geblieben. Ihre Stimme, heiser und müde und doch zärtlich wie die einer Mutter, wenn sie ein Kind in den Schlaf summt und wiegt, diese Stimme besetzt sein Gedächtnis. Wenn der Jazz-Sender, den er in seinem Autoradio hört, einen Song von Billie Holiday spielt, ist Carrie so vollkommen präsent, daß ihm das Blut in den Kopf steigt. Kühlen Verstand bewahren, das vor allem. Aber nachdem er sie auf beide Wangen geküßt hat, stiehlt sich seine Hand irgendwie unter die Seide, berührt die Unterseiten und dann die Spitzen ihrer Brüste, die sofort hart werden. Die Hand will weiter nach unten gleiten, Carries flachen Bauch suchen. Aber Schmidt hält sie zurück; er hat seine Bestätigung schon. Wenn Carrie noch weiß, wie es letzte Nacht im Bett lief, hat sie ihm verziehen. Oder sie hat es schon vergessen - sie war längst vor ihm eingeschlafen. Hey, Schmidtie, eine Frau hat angerufen. Sie ist Mr. Mansours Sekretärin, hat sie gesagt, und sie wollte wissen, ob wir ein Fax haben. Sie möchte eine Wegbeschreibung schicken, wie man zu seinem Haus kommt. Du rufst zurück, habe ich gesagt. Wer ist Mr. Mansour? Ein steinreicher Mann, ein Freund von Gil. Du hast ihn bei Blackmans gesehen. Glatze, eher klein und braungebrannt. Ein ägyptischer Jude, glaube ich. Könnte aber auch Marokkaner sein. Ja, den habe ich gesehen. Der fast die ganze Zeit neben Gil stand? Der Typ, der alle Mädchen mit den Augen auszieht? Genau - und besonders dich. Er hat gleich heute morgen angerufen und uns zum Lunch am Samstag eingeladen. Ich sagte, ich würde dich fragen, ob du hingehen möchtest. Er ist frisch geschieden. Er wird sein neues Gesellschaftsleben mit ein paar neuen Gesichtern anreichern wollen; und vielleicht gehört diese Einladung dazu. Er hat so viel Geld, daß er sich Gäste beim Partyservice bestellen kann. Er denkt, wir sind verheiratet?
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Das dachte er. Ich habe ihm erklärt, daß es nicht so ist. Und er möchte uns immer noch beide? Mr. Schmidt und seine puertoricanische Freundin? Natürlich. Den öden Mr. Schmidt will er doch nur, weil der seine zauberhafte Freundin mitbringt. Er findet dich schön. Das hat er mir gesagt. Ihm geht es wie allen. Schön und zum Verrücktwerden bezaubernd. Verarsch mich nicht, Schmidtie. Er hat mich eingeladen, weil er glaubt, ich bin deine Frau. Ach, nein, das ist es nicht. Er will mich, damit ich dort bediene! Wie viele Variationen dieses Themas haben sie schon durchgespielt. Wie »Greensleeves«, die Melodie, die dir immer wieder von neuem ins Ohr gesäuselt wird, wenn du beim Zahnarzt anrufst und von der Sprechstundenhilfe in die Warteschleife geschaltet wirst. Carrie, sagte er, so darfst du nicht denken. Du bist eine entzückende junge amerikanische Bürgerin. Wenn du wirklich die törichte Vorstellung hast, daß die Leute dich von oben herab behandeln, weil du mit einem alten Knacker lebst, der nicht dein Ehemann ist, dann laß uns das in Ordnung bringen. Bitte, gib dir einen Ruck, und schon wirst du die schöne, bezaubernde und rechtmäßige Mrs. Schmidtie Schmidt sein. Du mußt nur ja sagen. Meine Leute und ich werden uns um alles andere kümmern. Sie wandte die Augen ab. Eines Nachmittags vor fast zwei Jahren, kurz nachdem er sich von seinem Unfall erholt hatte, saßen sie draußen auf der hinteren Veranda, und er nahm ihre Hand und flüsterte: Bitte, werde meine Frau. Alles schien dafür zu sprechen. Bryan, ihr Teilzeitliebhaber, war aus dem Weg, auf schlaue Weise weggeschickt; er hatte den Auftrag, das Haus in Palm Beach, Schmidts Erbe, wiederherzurichten. Schmidt hatte den widerlichen Burschen sozusagen langfristig ausgelagert. Weder er noch Bryans Vorgänger, Mr. Wilson, würden wieder Hand an Carries Körper legen. Todsicher nicht, dachte Schmidt im Falle von Mr. Wilson mit Vorliebe, denn der war von der Windschutzscheibe an Schmidts Auto abgeprallt - ein Unfall mit Totalschaden.
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Sie hatte ihn einfach nur angestarrt, damals wie jetzt, aber er hatte seine Sache trotzdem weiter verfochten. Schau, alles paßt zusammen. Charlotte hat ihren Jon Riker. Sie sind verheiratet. Er hat sie zur ehrbaren Frau gemacht - seine Worte, nicht meine! Ich habe ihr Geld und Möbel und Silber aus meinem Haus gegeben. Alles, was sie will - zumindest vorläufig! Sie werden mir mehr und mehr entgleiten. Warum sollen wir dann nicht auch heiraten? Komm, manchmal denke ich sogar, du liebst mich. Vielleicht fast so sehr, wie du Mr. Wilson geliebt hast! Wie immer, wenn er aus Mangel an Takt oder aus Geschmacklosigkeit Mr. Wilson erwähnte oder wenn sie selbst von ihm anfing, traten ihr dicke Tränen in die Augen und rollten an der Nase entlang. Er trocknete sie mit Küssen. Mann, sagte sie, was ist bloß mit dir? Du weißt, ich liebe dich. Von Anfang an habe ich dich geliebt. Hey, zuerst mußte ich dir ja echt Gewalt antun! Ja, ich will mit dir leben. Aber heiraten kann ich dich nicht. Mensch, du bist über vierzig Jahre älter! Sogar deine Tochter ist älter als ich. Was passiert, wenn wir's nicht mehr machen können? Soll ich dann vielleicht im Bett liegen und selber mit mir spielen, und du liest dein Buch dabei? Ich hoffe, das hat noch gute Weile, antwortete er. Weißt du noch, wie du mich gefragt hast, ob Leute einander lieben können, ohne es immer miteinander zu treiben? Ich habe dir erklärt, daß das geht. Sie gewöhnen sich daran, ihre Liebe ganz verschieden zu zeigen, einer verschafft dem anderen Lust. Wie denn? Mit Fingerficken? Danke vielmals, das hatte ich schon mal, mit Mr. Wilson, wenn er ihn nicht hochkriegen konnte, egal, was ich versuchte. Komm, Schmidtie, uns geht's gut. Laß es doch einfach dabei. Sicher, er nahm sich vor, es dabei zu lassen, und sei es auch nur, um nicht daran erinnert zu werden, wie sehr sie im Recht war und welche Trostlosigkeit ihn in späteren Jahren erwartete, falls er nicht das Glück hatte, bald zu sterben. Aber das Thema drängte sich seltsam beharrlich auf, zum Beispiel wenn sie über Geld sprachen. Gleich nachdem sie zu ihm gezogen war, hatte er ihr erklärt - und seither wieder und wieder -, daß sie nicht als Kellnerin zu arbeiten brauchte; es würde ja ewig dauern, bis sie genug Geld
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fürs College gespart hätte. Natürlich wußte er, daß er übertrieb. Ihm ging es um mehr, nicht nur um den Zeitpunkt ihres CollegeAbschlusses. Er flehte sie an: Laß mich für deine Ausbildung bezahlen. Warum weigerst du dich, meine Hilfe anzunehmen? Ihre immer gleiche Antwort: Dann machst du aus mir eine, die dein Geld heiratet. Worauf er ebenso monoton erwiderte, das sei doch Unsinn, schließlich lebten sie im selben Haus und äßen dieselben Mahlzeiten wie ein Ehepaar. Daß er ihr die Möglichkeit gebe, die Privilegien zu genießen, die seiner Frau selbstverständlich zustünden, sei doch wohl das mindeste. Darauf schüttelte sie den Kopf und sagte: Ich bin nicht deine Frau. Charlotte und dein Schwiegersohn werden sagen, daß sie mich von Anfang an durchschaut haben. Ich wäre hinter deinem Geld her! Am Ende einer dieser öden Auseinandersetzungen kam ihm die Erleuchtung. Er würde sie mit einem besonderen Geschenk an die Angel locken - einem schnuckeligen BMW Cabrio, dem für sie coolsten Auto der Welt. Der Autoverkäufer lieferte es persönlich zur Mittagszeit vor dem Haus ab und ließ, wie besprochen, die Schlüssel auf dem Sitz liegen. Sobald sie mit dem Essen fertig waren, sagte Schmidt: Sieh mal nach, in der Einfahrt ist etwas, das ich dir gern zeigen möchte. Zuerst stand sie einfach nur da und starrte das kleine Auto tiefernst an. Erst als er zweimal wiederholte, na los, es ist deins, sah sie ihn endlich, wie um Erlaubnis bittend, an, öffnete zögernd die Fahrertür, schob sich ganz behutsam hinein, als könnte das Chassis bei der kleinsten falschen Bewegung zerbrechen, und strich mit den Händen über das Steuerrad, das glänzende Armaturenbrett, das schwarze Leder. Möchtest du nicht eine Proberunde fahren? fragte er sie. Kaffee trinken wir, wenn du wiederkommst. Aber sie stieg wieder aus. Als sie ihn wieder und wieder geküßt hatte, auf Zehenspitzen, die Arme um seinen Hals, flüsterte sie, O Schmidtie, es ist so kraß, ich kann einfach nicht nein zu diesem Wagen sagen. Fahr mit. Komm, wir führen das Baby spazieren. Sie klappte das Verdeck auf. Irgendwo auf einem leeren Stück der Route 114, zwischen Sag Harbor und East Hampton, hinter
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der Straße nach Cedar Point, machte sie ein Gesicht wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum im Rockefeller Center und trat das Gaspedal ganz durch. Der Wagen schoß vorwärts. Schmidt wartete, bis die Tachonadel wieder auf neunzig gefallen war, und rückte dann mit seinem Vorschlag heraus: Hättest du nicht Lust, immer mit diesem Auto zum Southampton College und zurück zu fahren? Mich würdest du damit sehr glücklich machen. Ich möchte eine College-Studentin im Haus haben. So könnten wir weiter hier wohnen. Die Psychologiekurse sollen ziemlich gut sein. Du könntest im Hauptfach Psychologie studieren und das Diplom bekommen, das du brauchst, wenn du Sozialarbeiterin werden willst - falls du das noch interessant findest. Kurse für Schauspiel und kreatives Schreiben bieten sie auch an. Wie war's damit? Sie schnitt eine Grimasse, er hielt den Atem an. Langsam wurde aus der Grimasse ein Lächeln, und sie sagte: Hey, dann hättest du 'ne WG mit 'ner Studentin! Hört sich gut an. Besser als 'ne Kellnerin ficken, oder? Mist, Schmidtie! Klar, daß du mich ausgerechnet jetzt fragen mußt. Da kann ich doch nicht nein sagen, oder? Eine fabelhafte Idee, weil sie aufgegangen war. Carrie ging gern aufs College, ließ sich sogar bei ihren Hausarbeiten von ihm helfen. Eine Einladung von Mr. Mansour war allerdings nicht die denkbar günstigste romantische Ausgangslage zur Erneuerung seines Antrags. Trotzdem konnte er es nicht lassen, wieder damit anzufangen. Carrie, mein Liebes, sagte er und schluckte den letzten Bissen seines Croissants herunter. Ich habe dich gerade wieder gefragt, ob du mich heiraten willst. Willst du gar nichts dazu sagen? Doch, schon. Vielen Dank, Schmidtie, aber gib's auf, bitte. Wir sind doch ganz okay. Nichts hat sich geändert. Du bist zu alt. Ich bin zu jung. Charlotte würde wegen uns einen Herzanfall kriegen. Deine Freunde würden ausflippen. Die Blackmans finden dich wunderbar, wagte Schmidt einzuwenden. Und sie sind praktisch meine einzigen Freunde. Das stimmte. Alle anderen hatten ihn fallengelassen, nachdem Mary tot war, oder er hatte die Verbindung abgebrochen.
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Keine Antwort. Aber was machen wir nun mit dem werten Mr. Mansour? Soll ich zusagen? Es war ein Fehler gewesen, Carrie zu erzählen, daß Mansour sehr reich sei. Das hatte sie nur eingeschüchtert, nicht neugierig gemacht. Vielleicht war es weniger beängstigend für sie, diesem Menschen auf vertrautem Boden zu begegnen. Deshalb fragte er sie: Möchtest du ihn lieber zum Dinner hierher einladen? Oder zum Lunch, wenn du deinen kursfreien Tag hast? Schmidtie, was ist los mit dir? Hast du nicht alle Latten am Zaun? Einladen! Ich weiß doch überhaupt nicht, wie man so was macht! Wie ist sein Haus eigentlich? Es ist in Water Mill. Direkt am Strand, sehr modern und, wenn du mich fragst, zu groß und ziemlich albern. Ich kannte die beiden Alten, die es gebaut haben. Ehe sie senil wurden, bin ich oft bei ihnen gewesen. Jetzt sind sie tot. Okay. Wir gehen. Aber du mußt mir sagen, was ich anziehen soll. Schmidt wählte die Nummer. Eine Männerstimme mit erkennbar mediterranem Akzent teilte ihm mit, daß er mit dem Anschluß von Michael Mansour verbunden sei. Würden Sie bitte Mr. Mansour ausrichten, daß Mr. Schmidt und Miss Gorchuck - er hatte immer noch Mühe, das Kichern zu unterdrücken, wenn er ihren Namen buchstabierte, was meist nötig war - gern am Samstag zum Lunch kommen? Irgend jemand, vielleicht Mr. Mansours umsichtige Sekretärin, hatte den Mann vorbereitet. Ohne eine Spur von Lachen oder Überraschung zu zeigen, antwortete die Stimme: Ich werde Mr. Mansour unterrichten, und beendete das Gespräch. Auch Carrie redete nicht weiter. Sie brauchte kaum Zeit, sich anzuziehen, denn unter ihren Bluejeans und dem T-Shirt trug sie nichts, und ihre Haare kämmte sie nur mit den Fingern. Ah, »Der kühne Schwung, allerwege frei«! Sie lief die Treppen hinunter, nahm zwei Stufen auf einmal, deutete einen schmatzenden Kuß in
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Schmidts Richtung an und war schon aus der Tür. Filmseminar. Sie hatte sich für ein spezielles Sommerprogramm eingeschrieben. Der Kurs, den sie besuchte, war ein Workshop. Sie würde erst im Lauf des Nachmittags wiederkommen. Jede mögliche Veränderung in Schmidts eingespieltem Alltag türmte sich vor ihm auf wie ein Berg, den er zunächst nicht erklettern wollte, auch wenn die Mühe Verbesserungen zur Folge haben konnte, zum Beispiel mehr Komfort und Effizienz oder höhere Erträge für sein Geld. Das galt besonders, wenn er sich von einem Angestellten hatte trennen oder einen kleinen Händler enttäuschen müssen. So hatte er die polnische Brigade der redseligen, zutraulichen und fetten Raumpflegerinnen nicht entlassen, die jeden Mittwochmorgen in greller Freizeitkleidung, offenbar farblich auf den Lack ihrer benzinfressenden Autos abgestimmt, erschienen - als freundlicher Tornado, der dann zwei Stunden lang durchs Haus fegte, Staub aufwirbelte, aber sonst wenig mit Reinigung zu tun hatte - und in der Zeit zwischen Marys Tod und Carries Erscheinen sein Hauptkontakt mit der Außenwelt gewesen waren. Auch sein Obst und Gemüse kaufte Schmidt weiterhin bei dem Händler, dessen Kunde er »schon immer« gewesen war; die Taschenlampenbatterien, Nägel, Schrauben und kleineren Haushaltsgeräte immer noch in der Eisenwarenhandlung in der Main Street und den hochprozentigen Alkohol und Wein wie früher im Laden eines nicht mehr ganz jungen Mannes, dessen Eltern ehedem - vor ihrem Ruhestand in Florida - die besten Lebensmittel und das beste Fleisch in der Stadt geliefert hatten. Schmidt interessierte es nicht, daß die meisten Leute mit ständigem Wohnsitz in den Hamptons lieber die etwas frischeren Produkte von einem Stand an der Straße kauften, wo das lebende Abbild einer Fra-Angelico-Madonna, in T-Shirt mit aufgedrucktem »Hü«, Jeansrock und schmuddeligen Turnschuhen, die Tomaten und die neuen Kartoffeln abwog und freundlich lächelndhinter sauber aufgeschichteten Pyramiden von Melonen und dergleichen Früchten stand, die ihr Freund, ein dem Fitneßwahn verfallener junger Mann mit tiefen Ringen unter den Augen und eingefallenen Wangen, auf dem Feld neben dem Stand anbaute. Undenkbar, daß Schmidt einen Staubsauger oder eine Flasche Bourbon im Einkaufszentrum außerhalb von Bridgehampton kaufte; eher
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würde er an einem Samstagmorgengottesdienst in der Synagoge von Sag Harbor teilnehmen. Die Beispiele für diese Sturheit im Kleinen häuften sich. Als er den Frühstückstisch abräumte, eine Arbeit, die er durchaus nicht unangenehm, aber zeitraubend fand, sann er darüber nach, wie vorteilhaft es wäre, eine Wirtschafterin oder irgendwelche anderen Hausangestellten zu beschäftigen das Wort »Dienstboten« war inzwischen so nachdrücklich aus der Sprache verbannt, daß sogar Schmidt sich dem Bann beugte -, Hilfskräfte, die ihm das Geschirrspülen und andere Arbeiten abnehmen würden, sogar das Bettenmachen und Badaufräumen, wenn Carrie so wie heute morgen alles stehen und liegen ließ und aus dem Haus stürzte; auch einkaufen, Tisch decken und vielleicht sogar kochen sollten sie! Er konnte auch ein Paar einstellen. Der Mann würde die Zeitung und die Post holen, im Garten arbeiten, alle Messingteile putzen, jede unbemalte Holzoberfläche im Haus wachsen und wienern und überhaupt dafür sorgen, daß jener Eindruck vollkommener Beständigkeit erweckt würde, den Schmidt in seinem Haus und Grundstück noch nicht hatte erreichen können; es wäre dies eine Verfassung, die auch Betrachter mit den schärfsten, kritischsten Augen zu dem Eingeständnis zwingen würde, daß kein noch so winziger Schotterstein in der Einfahrt und kein Gartenmöbel je verrückt worden sei. Der Raum über der Garage konnte für so ein Hausmeisterpaar passend hergerichtet werden. Er räumte den letzten Teller in die Spülmaschine und ging hinaus, um den Zustand von Garten und Pool zu prüfen. Offenbar war mit dem Wasserfilter etwas nicht in Ordnung. Der Fächer kleiner Bläschen, die aus der Rückleitung aufstiegen, gefiel Schmidt gar nicht. Am besten, man ließe den Wartungsdienst kommen; der mußte dafür sorgen, daß nirgendwo Luft in die Umwälzanlage eindrang. Schon wieder ein lästiger Anruf, der Zeit kostete und den ihm jemand abnehmen konnte, möglicherweise so ein Haus- und Gartenmann. Das Problem dabei, falls es überhaupt eines gab, bestand nicht darin, daß eine ganztags arbeitende Haushälterin die Nase über die polnische Putzbrigade rümpfen würde und deren Entlassung verlangte - Schmidt hatte nicht die Absicht, sich unloyal zu verhalten. Er wußte, daß er jeder neuen Kraft, wer auch immer sie sein mochte, den wöchentlichen Besuch von Mrs. Nowak und ihren Kolleginnen aufzwingen konnte. Sie
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würden übernommen werden müssen wie eine Zusicherung beim Grundstückskauf, als Teil eines Sozialvertrages. Einzig und allein Carries Gefühle waren die Hürde. Ihr empfindliches Klassenbewußtsein: Es war dermaßen ausgeprägt, daß nicht einmal die Damen des Colony Clubs ihr das Wasser reichen konnten. Ein deutlicher Hinweis war für Schmidt zum Beispiel Carries Weigerung, das Lokal O'Henry's zu betreten oder in Bridgehampton einzukaufen. Das arme Kind: Ihre früheren Kollegen und das Heer von Einheimischen, die Carries und Schmidts Autos volltankten, den Rasen mähten, den Pool reinigten, Klempnerarbeiten machten, die Fensterläden am Haus strichen oder andere der stark überteuerten Dienstleistungen vollbrachten, die zu Schmidts Wohlbefinden nötig waren, alle diese Leute hielten nichts von Carries neuem Leben. Im Gegenteil, Carrie dachte - nicht ohne Grund -, sie sei in den Augen der Einheimischen eine Klassenverräterin. Das war ein Wort aus seinem Vokabular, wie Schmidt wußte; weder Carrie noch ihre Umgebung würde es je benutzen, sie hatten einen anderen Ausdruck zur Verfügung, irgendein heute übliches Synonym für Flittchen. Ist doch klar: Eine puertoricanische Kellnerin kommt aus Brooklyn in die Hamptons, um dicke Trinkgelder einzustreichen, und nach einem Jahr hat sie keine Lust mehr, Teller mit Essenresten, rotem Fleisch und liegengelassenen Pommes abzuräumen, und will auch nicht mehr mit Bryan oder einem anderen ortsansässigen Kraftprotz zusammenhausen. Also verschafft sie sich einen besseren Job -und legt einen reichen alten Zausel flach. Daß man so einen bis aufs Hemd ausplündert, finden die Einheimischen und das Lumpenproletariat der Wanderarbeiter ganz in Ordnung, aber nicht, daß man mit ihm fraternisiert. Anfangs hatte die polnische Putzkolonne sicher genauso gedacht. Aber in Schmidts Genesungszeit hatten die Damen sich allmählich an Carrie gewöhnt, und Carrie ging es umgekehrt genauso. Wie immer das ursprüngliche soziale oder moralische Urteil über Carrie ausgefallen war, jetzt mußten die Polinnen zugeben, daß sie eine gute Seele war und ihn anständig behandelte, davon war Schmidt überzeugt. Aber wie sollte er Carrie dazu bringen, sich als Hausherrin zu verstehen und andere von ihm angeheuerte Hilfskräfte ganz selbstverständlich zu beschäftigen, wie konnte das gehen, solange sie an diesem Ort
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wohnten und solange die Erinnerung an ihre Geschichte bei den Leuten noch so frisch war? Sobald er sich von seinem Unfall erholt hatte, ließ er eine anderthalb Meter hohe Mauer aus zartfarbigen, vom Wetter ausgeblichenen alten Backsteinen rund um den Pool bauen. Die Fliesen der Pooleinfassung wurden ebenfalls durch Backsteine ersetzt und innen an der Mauer rote und rosa Kletterrosen und Rosenstöcke gepflanzt. Ein Geschenk zur Genesung, das er sich selbst machte. Die Rosen gediehen und blühten üppig. Der Gärtner Bogard paßte auf, daß keine Wespennester entstanden. Bis jetzt hatten sie Glück gehabt: Weder Wespen noch Bienen waren zu Besuch gekommen. Schmidt prüfte mit der Hand die Wassertemperatur. Für ihn gerade richtig, aber für Carrie eher zu kalt. Es war Juli, ein schöner, aber kühler Juli. Widerstrebend teils weil er die Bemerkung eines Verlegerfreundes von Mary nicht vergessen konnte, der gesagt hatte, den Pool einen Morgen lang zu heizen koste so viel wie die teuersten Plätze in der Oper, teils auch, weil er selbst kaltes Wasser schätzte und nichts dagegen hatte, wenn alle anderen außer Carrie draußen blieben, und schließlich, weil er den Lärm haßte - schaltete Schmidt die Heizung an, zog sich in der Umkleidekabine seitlich am Poolhouse aus, tauchte ins Wasser und fing an, seine Bahnen zu schwimmen. Er zählte sie schon lange nicht mehr. Wenn er sich auf das Mitzählen konzentrieren mußte, konnte er an nichts anderes mehr denken. Statt dessen richtete er sich nach der Uhr an der Backsteinmauer. Er hatte sich vorgenommen, jeden Tag eine halbe Stunde lang schnell zu schwimmen, es sei denn, der Regen fiel so heftig, daß es absurd war, ins Wasser zu gehen, oder er hörte es in unmittelbarer Nähe donnern. Wirklich schade, daß Gil und Elaine Blackman die einzigen waren, die man einladen konnte, wenn man Lust auf Gesellschaft hatte, und für Schmidts und Elaines Geschmack gab sich Gil manchmal allzu vertraut mit Carrie. In alten Zeiten hatte Schmidt Marys Verleger- und Schriftstellermilieu sehr geschätzt, er war sogar stolz darauf gewesen. Auf jeden Fall war es ihm lieber gewesen als die genauso geschlossene Welt der WallstreetAnwälte; aber in Bridgehampton und Umgebung kannte er außer den ewigen Blackmans so gut wie niemanden. Lange vor Carries
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Zeit hatten ihm Marys Freunde das Gefühl gegeben, es sei allein dem Ansehen und der Beliebtheit seiner Frau zu verdanken, daß er als meist schweigender Gast mit eingeladen worden sei, ohne Mary aber hätten sie keine Verwendung mehr für ihn. Die meisten Anwälte, die er kannte, praktizierten als Sozii in führenden New Yorker Kanzleien, die seiner alten Firma vergleichbar waren, eine Handvoll lehrte Rechtswissenschaften an der Columbia oder New York University, und eine noch kleinere Gruppe, ein paar Studienfreunde und ein ehemaliger Sozius aus seiner Kanzlei, war Bundesrichter geworden. Die Verbindung zu ihnen hatte er nicht aufrechterhalten. Und die Ehefrauen, diese öden Ehefrauen! Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, jenen alternden Schönheiten mit dem Kapital an Selbstbewußtsein und heiterer Gelassenheit, das sie in der Jugend durch das Glück ihres sehr guten Aussehens gewonnen und nie aufgezehrt hatten, konnte man von den Gattinnen nur ein Gutes behaupten: Sie waren Frauen. Und Frauen zog Schmidt ganz entschieden Männern vor. Hatte er denn ehemalige Kollegen, aktive und pensionierte Sozii von Wood & King, die ihn mochten und mit denen er wieder Verbindung aufnehmen konnte? Er meinte, alles in allem seien sie ihm gegenüber freundlich und wohlwollend. Abgesehen natürlich von Charlottes Ehemann, Jon Riker. Wenn dieser Kerl Zugang zu einem Wunderwerk hätte und nur auf einen Knopf zu drücken hätte, um seinem Schwiegervater im eigenen Schwimmbecken einen tödlichen elektrischen Schlag zu versetzen, dann könnte ihn keine Macht der Welt, nicht einmal der oberste Chef der Kanzlei, davon abhalten, mit seinen dicken fetten Fingern auf den Knopf zu drücken. In Wirklichkeit stimmte das natürlich nicht. Seine alten juristischen Kollegen verbrachten ihre Ferien oder Wochenenden nicht in seiner Gegend, und als Schmidt Carrie vorschlug, zusammen mit ihm eine Wohnung in New York zu nehmen, war sie nicht interessiert; das überraschte ihn zuerst, aber dann dämmerte ihm, daß sie keinen Wert darauf legte, in nächster Nähe zu Brooklyn und ihren Eltern zu wohnen. Und wenn sie nun nach New York zögen, wie sollte er ihr Leben als Paar in Gang bringen? Mit einer Runde Cocktails, kleinen Abendessen und Theaterbesuchen? Mit seinen Sozii hatte er sich normalerweise zu Arbeitsessen verabredet. Die Ehefrauen sah er nur zweimal im Jahr, bei den großen Abendeinladungen der Kanzlei für die Gesellschafter
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und deren Begleitung - seit auch Frauen in die Sozietät aufgenommen wurden, waren die Begleitpersonen nicht mehr notwendigerweise Ehefrauen - und auf den Betriebsausflügen für alle Anwälte und deren Konkubinen bei freibleibender sexueller Ausrichtung; Ziel dieser Unternehmungen war die Pflege des Betriebsklimas durch einen gemeinsam bei Tennis, Golf und Trinken verbrachten Tag. Mary hatte gern eine gewisse Distanz zur Kanzlei gehalten, und Schmidt wußte nicht genau, ob er als Alleinstehender lieber geselliger gewesen wäre. Auch unabhängig von Carrie wäre es doch sehr schwierig, vielleicht sogar unmöglich gewesen, seine einstige Unnahbarkeit vergessen zu lassen und sich in Kameraderie zu üben. Man mußte sich nur vorstellen, Jack und Dorothy DeForrest - oder auch nur der W&K-Weltmann Lew Brenner und seine Frau Tina - würden zu einem kleinen Abendessen in Schmidts brandneuem Penthouse eingeladen, um Miss Carrie Gorchuck kennenzulernen. Das Essen sowie den Kaffee und den Kognak würden sie mit Anstand überstehen, obwohl die Männer vielleicht zu unschlüssig wären, um sich wie üblich in einer Wohnzimmerecke zusammenzustellen und über die Firmenfinanzen zu reden, aber danach dann, was für ein Aufstand! Schmidt mit einer Frau, die jünger als seine eigene Tochter ist, ja tatsächlich, jünger als Jon Rikers Ehefrau! Nein, Anwältin ist sie nicht. Ich habe sie nach ihrer Arbeit gefragt, und sie hat kein Geheimnis daraus gemacht: Kellnerin war sie, bis der alte Bock auf den Plan trat und dafür sorgte, daß sie was Besseres zu tun bekam. Schön ist sie, so schön wie der Tag lang ist, unbedingt und dann mochte, je nach Art dessen, der gerade redete, noch eine weitere bezeichnende Einzelheit folgen -, aber, na ja, einen Klecks Teer hat sie schon abbekommen. Eine Latina oder so. Ja, Puertoricanerin. Ganz gut, daß dieses Problem gar nicht erst aufkam. Die sehr jungen Sozii - und ganz bestimmt die Assistenten - würden finden, die neue Mrs. Schmidt sei spitze. Aber was war Schmidt ihnen, was waren sie ihm? Er machte eine äußerst korrekte Wende und sah zur Uhr hinauf. Fünfundzwanzig Minuten. Noch fünf Minuten länger Bahnen zu ziehen war unerträglich, nicht weil es anstrengte, sondern weil es langweilte. Wieder eine dieser täglichen Niederlagen. Das Schwimmen abkürzen, die Übungen zur Straffung der Bauchmuskeln aufgeben, über dem Verfall und Untergang des Römischen Reiches einschlafen. Er kletterte
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heraus, trocknete sich ab, wickelte sich das Handtuch um die Gürtellinie, aus alter Gewohnheit, obwohl keine Gefahr bestand, daß er von einem unangekündigten Besucher nackt überrascht würde, und legte sich in die Sonne. Einfacher konnte es gar nicht sein: Er war genauso declassé wie Carrie. Da er sich nichts weniger wünschte als die Wiedervereinigung mit seiner Klasse auch wenn der Verzicht auf Carrie dafür nicht der Preis gewesen wäre -, mußte er sich anderswo nach gesellschaftlichen Kontakten umsehen. Allerdings nicht unter den Kellnerinnen und Tellerwäschern im O'Henry's, auch nicht bei den zwitschernden Ecuadorianern und Dominikanern, die ihm die Hecken schnitten und die abgebrochenen Äste auflasen. Für die einen war er zu alt, und die anderen sprachen kein Englisch. Nicht geeignet waren auch die komischen Männer und Frauen mit dem überbreiten Lächeln, die in der Gegend Immobilien verkauften, Versicherungen vermittelten oder Zähne notdürftig reparierten, wenn man nicht in die Stadt fahren konnte. Sie waren zu unattraktiv. Er mußte Leute finden, die keiner Klasse angehörten und die ihn - entweder weil ihnen sein Statusverlust gleichgültig war oder weil sie nichts davon verstanden - allein wegen seiner Verfügbarkeit und seines Stils anziehend fanden. Das war ja wohl der einzige Vorteil eines komfortablen Rentnerdaseins. Sie möchten Schmidt zum Lunch einladen? Alles klar! Jemand hat Sie gebeten, bei einer GalaBenefizveranstaltung für die Oper einen Platz an der Tafel für fünfzehnhundert Dollar zu übernehmen? Schmidties Scheck ist schon unterwegs. Konnte Carries Aussehen ihnen nicht den Weg bahnen? In seiner Jugendzeit hätte die Schickeria sie beide vielleicht aufgenommen, Leute wie die griechischen Schiffseigner, die Mandanten seines Vaters gewesen waren. Gab es noch eine Schickeria, nachdem das El Morocco und das Copacabana verschwunden waren und der Club 21 wie ein Gebrauchtwagen ständig den Eigentümer wechselte? Schmidt setzte sich Artikeln über »Lifestyle« aus, die auf den Innenseiten der New York Times wie ein Gewächs wucherten, und warf gelegentlich auch einen verstohlenen Blick in ein New Yorker Wochenmagazin, dessen Spezialität Artikel über die vulgären Reichen waren - zu den Journalisten gehörten junge Leute, deren Väter er noch kannte -, und schloß aus seiner Lektüre, daß es gegenwärtig eine verwandte Untergruppe dieser Klasse geben mußte, vollkommen
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außerhalb der »Society« in seinem damaligen Verständnis, eine Unterklasse aus Parvenüs - weder besonders schön noch besonders müßig -, die in selbstgegründeten oder billig gekauften Handelsgesellschaften auf Bergen hochgehandelter Aktien saßen. Michael Mansour mit seinen Milliarden und dem Flair eines Levantiners gehörte bestimmt dazu. Vielleicht waren auch andere Freunde der Blackmans geeignete Kandidaten. Das würde man dann sehen. Im Haus klingelte das Telefon. Laß es klingeln. Einen Anrufbeantworter besaß er erst seit kurzem, seit Carries unbarmherziger Spott den Kauf erzwungen hatte, vorher hatte er sich geweigert, so ein Gerät anzuschaffen, mit der Begründung, daß jemand, der ihn wirklich erreichen müsse, leicht ein zweites Mal anrufen könne. Jetzt, da er einen solchen Apparat besaß, rächte er sich, indem er die Nachrichten nur selten abhörte - dann, wenn er meinte, daß Carrie eine hinterlassen hatte. Das Klingeln hörte nicht auf. Ein hartnäckiger Anrufer, der mit der Möglichkeit rechnete, daß Schmidt im Garten war. Wenn er sich eilte, kam er vielleicht noch rechtzeitig zum Telefon, aber vielleicht auch nicht. Also blieb er im Liegestuhl sitzen. Carrie würde nicht anrufen, sie saß in einem Kurs, und Telefonieren lag ihr sowieso nicht. Und wenn es nun Charlotte war? Er hatte sich vorgenommen gehabt, sie etwas später anzurufen. Sonst war niemand wichtig; mit einem neuen Auftrag war ja nun nicht mehr zu rechnen und schon gar nicht mehr damit, daß, Wunder über Wunder, ein nagelneuer Mandant sich meldete. Gern hätte er die traurige Bilanz seiner letzten Praxisjahre, bevor Marys Krankheit ihn zum Vorruhestand bewogen hatte, von der Schreibtafel gelöscht: die schwindende Arbeit, die Hilflosigkeit (es war nicht so, als hätte er sich selbst zuzuschreiben, daß die Mandanten wegblieben; daß sein Spezialgebiet aus der Mode gekommen war wie das Telex, hatte Folgen, die er nicht hätte verhindern können), das Schuldgefühl und die Scham, daß er nicht genug Verstand oder Energie oder Persönlichkeit besaß, Aufträge anderer Art aus dem Boden zu stampfen. Genau das war einer ganzen Anzahl anderer Wirtschaftsanwälte gelungen, die er kannte und achtete. Sie reorganisierten sich, hieß das im Fachjargon. Er war jetzt frei; die Einsamkeit und die Ratlosigkeit, was er mit seiner Zeit anfangen sollte, waren ein geringer Preis für den Vorruhestand. Außerdem
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hätte er in ein paar Jahren die Kanzlei sowieso verlassen müssen. Und ohne das Wunder, von Carrie getröstet zu werden. Es war ja nicht so, als hätte jemand in der Kanzlei Wood & King ihm nahegelegt, über den vorgeschriebenen Zeitpunkt der Pensionierung hinaus noch zu bleiben. Hatte eigentlich jemand daran gedacht, dies als Todesfallsdatum zu bezeichnen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten die jüngeren Sozii sogar auf seinen Hinauswurf hingearbeitet, wenn er nicht allen das Leben leichtgemacht und von sich aus die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand in die Wege geleitet hätte. Die Phantasielosigkeit der Menschen war wunderbar und überraschend: Diese vierzig- bis fünfzigjährigen Sozii, konnten sie sich denn gar nicht vorstellen, daß das, was sie den Älteren jetzt antaten, in nicht allzu ferner Zukunft auch ihnen angetan würde? Und sehr wahrscheinlich auf brutalere Weise. Schmidt und seine Generation waren noch - ganz traditionell - zu einer fast kindlichen Achtung vor den Älteren erzogen worden. Vielleicht hatten sie versäumt, der Folgegeneration von Sozii ein halbwegs wirksames Vorbild dieser Einstellung zu vermitteln, aber wenigstens hatten sie ihnen nicht das schmutzige Schauspiel des Vatermords vorgeführt. Aber die brillanten Anfänger, die heute in der Kanzlei waren, die Superstars, die alle Sperren vor der Zulassung zum Sozius niederrissen und die Zulassung dann als Geburtsrecht reklamierten, dieser Nachwuchs hatte schon reichlich Anschauung vom blutigen Geschäft des Vatermordes, und zwar mit bester Sicht, auf Plätzen in der ersten Reihe. Wenn er lange genug lebte, würde er mit Vergnügen zusehen, wie sie den selbstzufriedenen Schweinehunden, die es auf seine Eier abgesehen hatten, ihrerseits die Eier abschnitten. Vielleicht kam dann sogar Jon Riker unters Messer daß es ungehörig sein mochte, bei der Kastration des eigenen Schwiegersohns lachend zuzusehen, das kümmerte ihn wenig. Genug mit dem Sonnenbad. Noch ein Sprung ins Schwimmbecken, fünf Minuten lang Bahnen ziehen. Schluß mit dem Ärger. Er mußte lachen lernen und den Mißmut loswerden, der ihm den bitteren Zug um die Mundwinkel beschert hatte. Schließlich hatte er doch viel Glück. Er besaß eine Menge Geld. Ihm blieben die per Postversand angebahnten zweiten Ehen mit der Witwe eines Klassenkameraden oder einer durch Schönheitschirurgie aufgefrischten Geschiedenen erspart - sowie auch die Säuerlichkeit des
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Zölibats. »Schwarz, aber gar lieblich«: sein ungezähmtes Mädchen, seine Rose im Tal, Nacht für Nacht liegt er zwischen ihren duftenden Brüsten. Aber wie lange würde es noch dauern, bis seine wilde Rose ihm erklärte, nun habe sie von ihrem lahmen Liebhaber endgültig genug? Schon wieder das Telefon. Er stand an der Tür der mit Fliegengitter geschützten Veranda. Um Himmels willen, Schmidtie, laß die Tapergreis-Routine, mach dich auf, geh durch die Veranda ins Wohnzimmer und nimm den Hörer ab. Ah, Charlotte. So selten rief sie an, immer mußte er es tun. Gestelzte Konversationen; Schmidt wählte den Zeitpunkt jeweils so, daß er gleich danach etwas zu erledigen hatte - wenigstens einen doppelten Bourbon trinken konnte -, um die Trostlosigkeit zu ertränken. Habt ihr schönes Wetter? fragte sie. Das ist gut. In der Stadt ist es scheußlich. Einfach gräßlich. Nach einigen weiteren Bemerkungen zum Wetter begriff Schmidt, daß ihr Anruf einen Grund hatte, daß sie aber noch eine Weile drumherum reden mußte, bevor sie zum Punkt kam. Er wartete auf das Wort »übrigens«. Dad, hast du übers Wochenende Besuch? Nein, niemanden. Ich glaube, ich würde ganz gern kommen. Das alte, aber nie vergessene Gefühl, vor lauter Glück dahinzuschmelzen wie ein Schneeball, so daß von ihm nur noch eine Pfütze auf dem glänzenden Holzboden blieb. Das wäre ja ganz wunderbar, antwortete er. Ich meine, ich hätte im Radio gehört, daß das Wetter schön werden soll. Fahrt ihr nicht nach Claverack, Jon und du? Ich nicht. Was er macht, weiß ich nicht. Wenn es dir recht ist, komme ich allein. Mein Schatz, ist was passiert? Viel. Ich muß mit dir reden, aber nicht vom Büro aus. Ist gut, Kleines. Willst du wirklich bis Freitag abend warten? Du könntest den Freitag frei nehmen und Donnerstag nachmittag hierher kommen. Ich könnte aber auch in die Stadt fahren und mit dir Mittagessen.
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Danke, Dad, aber das ist zu kompliziert. Freitag ist schon gut. Ich nehme nach der Arbeit den Bus um sechs. Wohnt dieses Mädchen noch bei dir? Carrie. Ja natürlich. Dann möchte ich im Poolhouse wohnen. Wie du willst. Schweigen am anderen Ende der Leitung. Was sollte er machen? Schätzchen, wagte er zu sagen, laß mich wissen, wenn du deine Meinung änderst und früher kommen möchtest. Ach, da fällt mir ein: Carrie und ich gehen am Samstag mittag zum Essen aus. Zu einem Mann namens Mansour. Michael Mansour. Du weißt schon, der Finanzboß, der immer in der Zeitung steht. Er hat ausgerechnet das Haus von Crussels gekauft. Soll ich ihm sagen, daß du mitkommst? Nein, Dad. Eure Aktivitäten überlasse ich euch. Ich will nichts, nur etwas Sonne und mit dir reden. Okay? Aha! Was immer das Problem zwischen ihr und Jon sein mochte, ihre Standpunkte hatte es jedenfalls nicht erschüttert. Zur Hochzeit war Papas puertoricanische Tussi nicht willkommen gewesen, und jetzt wollte Charlotte auch nicht unter dem väterlichen Dach mit ihr wohnen. Dann eben nicht. Hatten die arme Mary und er nicht das Poolhouse eigens hergerichtet, um die Wochenendbesuche auf dem Land für junge Leute zu erleichtern? Selbstverständlich. Mach's gut! Er ging nach oben, um sich zu rasieren. Auf der anderen Seite des Treppenabsatzes, gegenüber dem Zimmer, das er mit Carrie teilte, lag Charlottes altes Zimmer, das Charlotte, nachdem Mary gestorben war, an den Wochenenden mit Jon teilte. Bis sie sich mit Schmidt zerstritt. Danach waren die beiden nicht mehr wiedergekommen, abgesehen von dem einen Mal, als sie ihn in der Klinik besuchten. Oder hatten sie bei diesem Aufenthalt vor allem den VW, den er Charlotte geschenkt hatte, aus der Garage holen und das Silber zählen wollen, dieses Silber, von dem er sich nicht trennen würde, solange er lebte, wie er deutlich gesagt hatte. Schmidt warf die Rasierklinge in den Mülleimer und setzte eine neue in den Apparat ein. Er schabte noch einmal langsam und
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vorsichtig übers Gesicht und prüfte ab und zu mit dem Zeigefinger, ob seine Haut schon glatt war. Dies war nicht der geeignete Moment zur Katalogisierung alter Kränkungen. Auch wenn Charlotte sich übel benommen hatte und die Rikers, mère, père et fils, ein bedauerlicher Mißgriff waren. Kam sie vielleicht jetzt zum ersten Mal, seit sie erwachsen war - falls es schon andere Gelegenheiten gegeben hatte, waren sie ihm entfallen -, mit einem Kummer zu ihm? Wenn da wirklich etwas nicht in Ordnung war es fiel ihm schwer, sich ein ernstes Problem vorzustellen, wahrscheinlich ging es nur um Jon, der zu hart arbeitete, oder darum, daß es »ihnen« nicht gelungen war, schwanger zu werden, aber soweit er wußte, wurde niemand mehr schwanger. Wenn ein Problem aufgetaucht war, dann mußte es an den alten Rikers liegen, den Schwiegereltern, die etwas an ihr auszusetzen hatten. In diesem Fall durfte er nicht die mindeste Andeutung von Befriedigung zeigen. Denn jetzt lag eine Möglichkeit in Reichweite, deren ganzes Ausmaß noch nicht zu erfassen war: Vielleicht konnte der Schaden wiedergutgemacht werden, den er und Charlotte einander zugefügt hatten. Wenn nur Carrie helfen würde. Im ersten Augenblick erschrak er über die Absurdität dieses Anspruchs. Derlei hätte er mit Recht von Mary erwarten dürfen, aber doch nicht von seiner kindhaften Geliebten. Aber er kannte keinen lebenden Menschen, der so viel angeborenen Takt und so viel Herzensgüte hatte wie sie.
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II Nehmen wir meinen Wagen. Er wollte ihr nicht sagen, daß sich eine finstere, in Bridgehampton noch unsichtbare Wolke über ihm zusammenzog. Nicht bevor er genauer wußte, wie sie aussah, nicht bevor er noch einmal mit Charlotte gesprochen hatte. Jetzt fuhr er mit Carrie zu ihrem täglichen gemeinsamen Spaziergang am Strand. Sie hielt den kleinen BMW so sauber, daß sie normalerweise lieber sein Auto nahm. Ein Kombi kann Sand vertragen, dazu hat man ihn schließlich. Und für Strandspielzeug, hätte er hinzufügen können. Aber der Abend war so wunderbar mild, daß sie mit offenem Verdeck fahren wollte. Hey, wisch dir aber vor dem Einsteigen den Sand von den Füßen, wenn wir nach Hause fahren. Nicht vergessen. Nimm das Handtuch. Versprochen. Carrie, die Obdachlose, Carrie, die an ihrem einzigen Besitz hing wie eine fürsorgliche Hausfrau. Wenn er sie so sah, gab es ihm einen Stich, er empfand traurige Freude, fast so wie in alten Zeiten, wenn eine Handlung oder eine Geste Charlottes ganz deutlich zeigte, daß sie ein wunderbares Kind war, daß sie Mary und ihm, obwohl sie beide Einzelkinder waren und Mary dazu noch Waise, doch gut geraten war. Daß Carrie viel zu schnell fuhr, wenn sie am Steuer des kleinen Cabrios saß, stand auf einem anderen Blatt; hätten sie seinen Wagen genommen, wäre sie maßvoll über die Straße gerollt, ganz wie es sich für eine Dame hinter dem Steuer eines großen dicken Volvos gehört. Das eine glich das andere aus. Deshalb, Schmidtie, keine Bemerkungen über Leute in kleinen roten Autos, bitte, die mit achtzig Stundenkilometern über Landstraßen rauschen. Die Reifen kreischten unter Protest, als sie beim Anblick des Ozeans auf die Bremsen stieg. Da lag er,
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blau und schwarz, gleichmäßige kleine Brecher dicht am Strand bildeten ein Muster, ähnlich wie die Furchen in den Kartoffelfeldern, die früher bis zur Düne reichten. Damals hatten die Bauern ihr Land noch nicht verkauft, um Platz für die Strandvillen der Reichen zu machen. Ein herrlicher Tag, ich bin froh, daß du so früh nach Hause gekommen bist. Der Sand war weich und uneben. Schmidt watete etwas mühsam zum Wasser und prüfte die Temperatur. Es ist nicht kalt, rief er ihr zu. Nach dem Spaziergang gehen wir schwimmen. Dies ist so gut, das darf man sich nicht entgehen lassen. Geh du. Ich würde ertrinken. Würdest du nicht. Ich halte dich fest. Keine zehn Pferde bringen mich rein. Carrie stapelte die Handtücher säuberlich aufeinander, wand sich aus ihrem Sweatshirt und nahm ihn an der Hand. Hey, worauf wartest du, kein Kuß? Sie trug den kleinstmöglichen Bikini. Bänder um die Taille und zwischen den Beinen, die ein rotes Tuchdreieck in Position hielten. Zwei kleinere Dreiecke aus demselben Tuch, an Bändern befestigt, bedeckten ihre Brustspitzen. Diese nirgends unterbrochene, gleichmäßige, üppige Bräune: eine aufreizende Einladung, von den Stunden zu träumen, da sie nackt in der Sonne lag. Er musterte sie stolz und stellte fest, daß sogar ihre Füße gebräunt waren. Eine jungfräuliche heidnische Göttin: nein, eine Tempelhure zur Freude der Meister östlicher Mysterien. Als sie das Baumwolltuch vom Kopf zog, das sie beim Fahren im offenen Auto getragen hatte, umrahmte ihr krauser Lockenschwall das Gesicht wie ein Heiligenschein. Vespernde Einheimische, zwei Paare in Schmidts Alter, der Rest jünger, wahrscheinlich der Nachwuchs samt Ehefrauen und Ehemännern: Alle sitzen gemütlich auf Klappstühlen und trinken Bier aus der Flasche. Die älteren Männer sind wuchtig, nicht größer, aber schwerer als Schmidt, mit dicken Bäuchen unter ihren T-Shirts und stumpfen, fahlen Gesichtern. Pensionierte Fern-
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meldetechniker oder Geschäftsführer aus den Supermärkten im Einkaufszentrum. Die Ehefrauen könnten zur Aufsicht an der Kasse stehen, um ordnend einzugreifen, wenn die Kassiererinnen, schwarze Teenager, beim Eintippen der Preise Mist gebaut haben. Grämlich sehen sie drein, aber sie sind die letzte Generation, die noch rechnen gelernt hat. Beutel mit Fritten und eine Schüssel mit grünem Dipp werden weitergereicht. Hoffen die jungen Leute auf ein Leben gleicher Art, auf Langlebigkeit in einer Gesellschaft, die immer weniger mit den Alten anzufangen weiß? Haben sie sich etwas Neues ausgedacht, um im Informationszeitalter ihren Weg zu machen? Neben ihnen steht eine Kühlbox mit Bier auf Eis und ein Barbecue-Grill. Die Holzkohle ist mit feiner weißer Asche bedeckt und bereit für die halben Hühner und die italienischen Rundwürste, die auf einem mit Plastikfolie bedeckten Tisch warten. Die guten Leute haben ihre Essensberge in dem Kleinlaster und den beiden Lieferwagen mitgebracht, die zwei Schritte weiter geparkt sind, viel zu dicht an der Düne und den Nestern der einst zahlreichen Sandpfeifer. Schmidt kennt Männer, rechtschaffene Mitglieder der Georgica Association, die diese Trottel mit Stentorstimme wegen ihrer Achtlosigkeit zurechtweisen würden. Schmidt tut das nicht; er fühlt sich den Beschimpfungen nicht gewachsen, die sie zurückbrüllen würden. Aber es gab einen Mittelweg: Er verstärkte seinen mißbilligenden Blick. Wie auf Kommando drehten sich alle Köpfe und starrten Carrie und ihn an. Sollen sie ruhig. Hier geht es um Klassenkampf, nicht um Umweltschutz. Vielen Dank für Ihr Interesse, Mrs. Mahoney und Mr. O'Toole, hoffentlich haben Sie Freude an Ihrem Platz in der ersten Reihe und können den Vater mit seiner Tochter, die ihm nicht im geringsten ähnlich sieht, genau beobachten. Machen Sie sich auf eine Überraschung gefaßt. Ich brauche sie nur um 45 Grad zu drehen und ihr meine Zunge in den Mund zu stecken. Dann passen Sie ganz genau auf: Sie wird an mir haften mit dem ganzen Körper, wenn ich die Hand über ihren Rücken und die Hinterbacken gleiten lasse und, jawohl, auch in den Spalt dazwischen. Er streckt die Hand nach Carrie aus. Sie stellt sich auf ihre außergewöhnlichen Zehenspitzen und pflanzt einen keuschen Kuß auf seine Lippen.
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Komm, Schmidtie, das war's, die Kerle da glotzen. Laß uns gehen. Ich liebe dich von ganzem Herzen. Ich verrate dir was. Ich dich auch. Dort, wo die Flut gerade nicht mehr hinkam, war der Sand besser: glatt, kühl und ganz hart. Sie gingen schnell, Hand in Hand. Hier wollte man am liebsten rennen. Weit vor ihnen, in ziemlich großer Entfernung, waren kleine menschliche Gestalten, und schwarze Pünktchen tanzten um sie herum, ihre Hunde. Charlotte hat angerufen. Gleich nachdem du weg warst. Sie kommt dieses Wochenende. Echt? Ja. Macht's dir was aus? Sie sagte, sie würde im Poolhouse wohnen. Es macht mir nichts aus. Mann, das ist ja was! Zum ersten Mal. Haben sie Hochzeitstag, oder wie? Nein, nein. Und sie kommen auch nicht beide. Nur Charlotte. Ich glaube, sie hat sich mit Jon gestritten. Am Telefon wollte sie nichts dazu sagen. Ach je, Schmidtie, vielleicht verziehe ich mich lieber, wenn sie da ist? Hm? Dann ist ein Problem aus dem Weg. Im Weitergehen zog sie seine Hand an ihre Lippen. Ach, wie er sie liebte! Wo willst du denn hin? Ich kann die Blackmans fragen, brachte sie vorsichtig hervor. Mit meiner Freundin weiß ich nicht so recht. Dabei handelte es sich um die Kellnerin bei O'Henry's, die in Springs wohnte. Vielleicht war ja deren Freund, der Carrie belästigt hatte und ihr zuwider war, inzwischen ausgezogen. Nur zu wahr: Sie hatten eigentlich niemanden, an den sie sich wenden konnten. Die Blackmans würden dich mit Freuden aufnehmen, aber wenn es dir wirklich nichts ausmacht, wünschte ich mir, daß du bleibst. Mir Gesellschaft leistest, aufpaßt, daß ich nicht alles verderbe. Sie ist ein großes Mädchen, sie sollte sich allmählich an dich gewöhnen.
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Ja, und auch an den Mist, den Jon Riker gebaut hatte. Besser nicht daran denken. Augen abwenden, Nase zuhalten und liegen lassen. Gott sei Dank hat noch keiner dich um deine Meinung oder Hilfe gebeten, aber das kann ja noch kommen. Charlotte wird alles wissen. Wenn es nur darum ginge, daß Jon eine Affäre hat, dann wäre Schmidt in Versuchung, ihr zu raten, sie solle die Sache einfach nicht ernst nehmen. Ungefähr so: Charlotte, Jon ist ein Idiot, ein Fachidiot mit viel Verstand für Juristisches, damit hat sich's. Es ist nicht das allererste Mal auf der Welt, daß so ein Bursche sich mit einer attraktiven Anwältin vergnügt, nachdem sie Hunderte von Stunden Tag und Nacht zusammen an einem Vertragsabschluß gearbeitet haben. Aber war es denn so? Fühlten diese Frau und Riker sich unwiderstehlich zueinander hingezogen, oder war er ständig in fremden Betten und unfähig zur Diskretion? Zuckten postfeministische junge Frauen wie Charlotte nur die Achseln über die Seitensprünge des Ehemannes? Ein moralisch unterbelichteter Idiot, der den Ast abgesägt hat, auf dem er saß, und womöglich auch der Kanzlei Schaden zugefügt hat. Unverzeihlich! Was folgte daraus für eine Ehe, an der man in guten und in schlechten Tagen festhalten wollte? Ob dieses altmodische Versprechen überhaupt Teil der bizarren jüdischen Zeremonie gewesen war, die Charlotte und Jon sich ausgesucht hatten, wußte Schmidt nicht so genau; er war zwar dabeigewesen, hatte aber, benommen von Schmerztabletten, die Braut, den Bräutigam und dessen Eltern nur wie aus weiter Ferne wahrgenommen. Tabletten gegen welchen Schmerz? Den, der ihm noch vom Unfall geblieben war, oder den wütenden Grimm über diese Heiratsprozedur? Es heißt, das Wahrnehmungsvermögen in den Seelen der zur Hölle verdammten Sünder werde erst beim Jüngsten Gericht völlig ausgelöscht; vorher sehen sie die Gestalt der fernen Zukunft noch verschwommen im Dämmerlicht. Danach wird nichts mehr zu erkennen sein. Deshalb ist die Hölle voller Gerüchte, und die Schatten suchen mit quälendem Eifer, den Neuzugängen neue Nachrichten zu entlocken. Genauso geht es den Eltern erwachsener Söhne und Töchter: Das Leben der Kinder wird undurchsichtig, unzugänglich für die Eltern, und sie haschen nach jedem Hinweis, mühen sich verzweifelt, etwas zu verstehen, und vergessen, daß sie das nicht können. Ein ungewohntes Krächzen
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lag in der Stimme von Jack DeForrest, der schon mit Schmidt an derselben Universität Jura studiert hatte, einst sein Sozius und bester Freund, jetzt im letzten Amtsjahr als Präsident der Kanzlei Wood & King - sein Ton ließ auf eine wachsende, gerade noch beherrschte Wut schließen. Schmidt hatte den großen Herrn angerufen, weil er hoffte, er könne ganz unverfänglich fragen, wie es in der Kanzlei gehe, um auf diese Weise alles, was womöglich mit dem Streit zwischen Charlotte und Jon Riker zu tun hatte, ganz natürlich und spontan an die Oberfläche kommen zu lassen. Freilich, die Chancen, etwas Hilfreiches zu erfahren, wenn er bei W&K auf den Busch klopfte, waren gering. Gleichzeitig stand er unter dem Zwang der alten Gewohnheit, nichts unversucht zu lassen, wenn es um das Wohlergehen eines Mandanten ging, also konnte er nicht untätig bleiben, konnte nicht bis Samstag warten und hoffen, daß Charlotte dann endlich mit der Sprache herausrückte - am Freitagabend würde sie kaum gesprächsbereit sein, und wenn er es noch so sehr darauf anlegte. Nicht gleich nach der Busfahrt aus der Stadt, nicht bevor er ihr Gelegenheit gegeben hatte, kurz ins Schwimmbecken zu springen, auch dann nicht, wenn sie bei einem späten Abendessen mit Carrie am Tisch saßen. Einen sauberen Schwiegersohn hast du dir angelacht, Schmidtie, orgelte der Potentat. Herzlichen Glückwunsch! Was hast du noch gesagt, als die Entscheidung anstand, ob wir ihn zum Sozius machen oder nicht? Brillante Intelligenz? Nie ein falscher Zug am Schachbrett? Killerinstinkte? Der letzte Sound Bite hat gesessen - ein Killer ist er, der bringt die gottverdammte Kanzlei um und mich mit! Du weißt ja, wir heben die schriftlichen Gutachten auf, wenn wir einen Kandidaten als Sozius zulassen. Um genau zu sein: Ich hebe sie auf. Chefsache, du weißt schon. Das kann ich jetzt wirklich brauchen. Du rufst ja wohl an, um dich bei mir und bei der Firma zu entschuldigen. Wovon redest du? Ich rufe an, weil ich mich wieder mal melden wollte, es ist schon ewig lange her seit dem letzten Mal. Jons Arbeit - da halte ich mich nicht so auf dem laufenden, wie ich sollte, aber du und Lew Brenner und alle, mit denen ich noch Kontakt habe, sagen immer, er macht seine Sache fabelhaft, baut wirklich etwas auf.
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Ah ja. War mir entfallen, daß du und Charlotte, die Mustertochter, euch nicht allzugut vertragt. Also steht es null zu zwei gegen dich, Schmidtie; du überschreitest die Toleranzgrenze für Fehler. Jack, ich finde es beleidigend und irreführend, wie du mit mir redest. Eine üble Kombination ist das. Was hast du gegen Jon? Weißt du das wirklich nicht? Na ja, auch egal. Warte nur bis nächsten Montag. Bekommst du noch das Wall Street Journal? Vor zehn Tagen hatten sie einen kleinen Kommentar zum WilcoProzeß, der hätte dich stutzig machen können. Der Artikel, den sie am Montag rausbringen, wird dir alles sagen, was du wissen mußt. Ab und zu kaufe ich das Journal am Kiosk. Montag werde ich es auf jeden Fall holen. Aber erkläre du mir jetzt bitte, wovon du eigentlich redest. Nichts Besonderes, Schmidtie, nur eine Kleinigkeit. Dir müssen sich dabei die Haare nicht sträuben, du Ruheständler mit deinen Millionen, du warst klug, du hast die Kanzlei im richtigen Moment verlassen, solange sie noch florierte. Wir waren - die Vergangenheitsform verwende ich bewußt - die Anwälte der Familie Baiser, der Mehrheitsaktionäre von Wilco. Ist dir klar, wer die Baisers sind? Entschuldigung, natürlich bist du im Bild, du triffst dich in deinem neuen Leben jetzt wahrscheinlich zweimal pro Woche mit ihnen zum Lunch. Sie sind Mandanten von Lew Brenner, halb Kanada gehört ihnen. Sie waren schon zu deiner Zeit unsere Mandanten. Suntech, der Laden, der letztes Jahr seine Firma für Navigationssysteme gegen Wilco-Aktien an Wilco verkaufte, prozessiert jetzt gegen die Baisers. Das übliche Zeug was man eben von so einem Verein wie Suntech erwartet. Die Klage lautet auf Betrug, Manipulation des Aktienpreises und obendrein noch auf sexuelle Nötigung und Inzest, bloß weil der Aktienkurs abgesackt ist. Er ist total im Keller, um die Wahrheit zu sagen. Dann haben sie die Börsenaufsichtsbehörde so aufgehetzt, daß sie eine Untersuchung eingeleitet hat. Wir haben den Fall deinem Jon Riker übertragen. Das Konkursgeschäft ist tot, deshalb ist er unser Allzweck-Anwalt für Handelsrechtsprozesse geworden. Weißt du noch? Du hast geschrieben, er sei uneingeschränkt qualifiziert! Und gegen die Qualität seiner Arbeit ist nichts zu sagen, das muß ich zugeben. Einen erstklassigen Schriftsatz hat
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er verfaßt, in dem er die meisten Suntech-Klagepunkte vom Tisch wischte; er bekam die gerichtliche Genehmigung, daß der Schriftsatz und die eidesstattlichen Erklärungen, die er als Belege beigefügt hatte, unter Ausschluß der Öffentlichkeit vorgelegt werden mußten. Begründung: Diese Unterlagen enthielten Geschäftsgeheimnisse und kompromittierende Aussagen über unbeteiligte Dritte. Die Gerichtsentscheidung, daß die Sache nichtöffentlich gehandhabt werden sollte, wurde natürlich veröffentlicht. Aber dein Schwiegersohn hatte was mit einer Anwältin, die eine unbeteiligte andere Gesellschaft verteidigte, und zwar ebenfalls gegen Suntech - in einem Prozeß, in dem Suntech ungefähr dieselben Klagegründe aufführt. Sie ist leitende Angestellte bei Wolff & Wolff. Soviel ist klar. Könnte ich ihn doch bloß zum Schweigen bringen, dachte Schmidt, könnte ich doch alles zurückdrehen bis zu dem Moment, bevor er mit dieser Geschichte angefangen hat. DeForrest fuhr fort: Ganz ansehnlich, die Dame, nehme ich an. Jüdin. Miss Vogel. Du weißt schon, Vögel aus demselben Nest! Darüber wirst du auch ausführlich im Journal lesen. Anscheinend hat er ihr eine Kopie des Schriftsatzes samt eidesstattlicher Erklärungen gegeben, und damit hat er - verstehst du, Schmidtie gegen genau die Gerichtsverfügung verstoßen, die er selbst erwirkt hatte. Wenn es nur bei jenem Bettgeflüster geblieben wäre, hätte kein Hahn danach gekräht. Aber Miss Vogel hat nun selbst einen Schriftsatz zusammengeschustert, ihre Beweisführung aus dem Schriftsatz abgeschrieben, für den Riker den Ausschluß der Öffentlichkeit erreicht hatte, und ihrerseits im Prozeß ihrer Mandanten gegen Suntech vorgelegt. Die Suntech-Anwälte - die Kanzlei Crumfeld immerhin, die Suntech im Wilco-Prozeß wie im Prozeß gegen Miss Vogels Mandanten vertritt - lasen ihren Schriftsatz, und dann platzte die Bombe. Kannst du mir folgen, Schmidtie? Diese Beweisführung hätte ohne Kenntnis des Schriftsatzes und der Belege von Riker nicht zusammengetragen werden können. Die Aussagen hätten nicht zur Verfügung gestanden. Woher Miss Vogel ihre Informationen hatte, war für die Crumfeld-Anwälte so offensichtlich, daß sie den Antrag stellten, das Gericht möge einen Richter eigens mit der Untersuchung dessen beauftragen, wo die undichte Stelle sei. Und was glaubst
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du? Dein Schwiegersohn hatte die Stirn, sich vor den Richter hinzustellen und glatt zu leugnen, daß er seiner Tussi den Schriftsatz gegeben habe! Miss Vogel ist ein besserer Anwalt als er. Sie erklärte dem Richter, ja, sie habe Gelegenheit gehabt, den Schriftsatz und die eidesstattlichen Erklärungen zu lesen, aber nicht gedacht, daß irgendwas daran nicht-öffentlich sei. Auf dem Deckblatt habe kein entsprechender Vermerk gestanden. Und weißt du was? Der Richter glaubte ihr. Und ich auch. Dieser Vollidiot Riker muß ihr die Akten ohne den Stempel »Unter Ausschluß der Öffentlichkeit« gegeben haben! Oh! Ja. Die Baisers haben W&K aus dem Bundesgerichtsprozeß gefeuert, in dem Riker sie vertreten hat - das war zu erwarten -, aber auch aus allen anderen Aufträgen Lews, und das sind Gesellschaften, denen es gutgeht. Einen ziemlichen Batzen haben wir damit verloren, von der Rufschädigung ganz zu schweigen. Lew ist kurz vorm Infarkt. Die Baisers haben erklärt, eine Schadensersatzklage gegen Wood & King erheben zu wollen, die Höhe werde vom Ergebnis des Prozesses abhängen, den Suntech gegen sie führt. Wir haben schon die Honorare zurückgezahlt, die sie uns bis jetzt überwiesen haben, die noch nicht verrechnete Zeit haben wir abgeschrieben und außerdem angeboten, die Kosten für die Beschleunigung der Arbeit von Ersatzanwälten zu übernehmen. Das Bezirksgericht muß im Fall Riker noch entscheiden. Wenn du mich fragst, wird der Richter ihn wegen ungebührlichen Verhaltens verwarnen. Und die Sozii treffen sich nächste Woche und werfen ihn aus der Kanzlei. Willst du nicht erst einmal einen Außenstehenden bitten, sich die Sache anzusehen? Einen pensionierten Richter, zum Beispiel Tony Dixon? Danke für den guten Rat. Naiv warst du schon immer, Schmidtie, und du hast dich nicht verändert. Buzz Williams berät uns. Dies war eine Aufgabe für einen ehemaligen Staatsanwalt. Er hält nicht viel von Rikers Darstellung. Man muß nur zwei und zwei zusammenzählen: Er schläft mit Miss Vogel, und Miss Vogel bekommt den Schriftsatz in die Hand. Ha, ha! Ein Prima-facie-Fall, wie er im Buch steht. So sieht es Buzz. Das tut mir wirklich wahnsinnig leid.
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Und mit gutem Grund. Mir war der Bursche nie sympathisch. Die falsche Herkunft, die falschen Werte, mir war nie wohl bei ihm. Nichts zu machen. Wenn DeForrest und genügend viele seiner Leute entschlossen waren und wenn sie jemanden wie Williams im Rücken hatten, dann war Riker für die Kanzlei gestorben. Nichts, was der naive Sozius im Ruhestand sagte, konnte da noch helfen. Außerdem hatte Buzz Williams ganz offenbar gute Arbeit geleistet, und die Entscheidung war richtig. Schau mal, sagte Schmidt zu Carrie, der Kran ist nicht mehr da. Wochenlang hatte die grazile Maschine mykenische Quadersteine aufeinandergetürmt und einen Wall hochgezogen, um das Jackson-Haus am Rand des Georgica Pond vor den anrollenden Brechern zu schützen, die den Strand und die Düne unterspülten, auf der das Haus gefährlich ausgesetzt thronte. Man konnte große schwarze, mit Steinen beschwerte Plastikplanen sehen, deren Ecken unordentlich in die Ritzen zwischen den Quadern gestopft waren. In den nächsten Tagen würde der Bulldozer kommen und den Berg Sand, der von Gott weiß woher angekarrt worden war, auf die Quader schütten, bis sie ganz unter einer glatten Sandfläche verschwunden waren, die dann mit Seegras bepflanzt werden konnte. Der Wall würde ewig oder bis zum nächsten großen Sturm halten. Mensch, der Typ gibt ein Vermögen aus. Was ein Blödmann! Warum setzt er sein Haus nicht zurück oder so? Das kann er nicht. Nicht genug Platz auf seinem Grundstück. Er hat gar keine Wahl. Mist, Schmidtie. Meinst du, der muß das einfach immer wieder machen, so wie die Kids, wenn sie Sandkuchen backen? Oder er gibt auf und läßt das Haus abrutschen. Was würdest du machen? In dein Haus ziehen, Dummy. Und wenn mein Haus zusammenbricht? Hey, was hast du nur? Ich breche zusammen, nicht dein Haus. Wollen wir eigentlich noch bis Montauk laufen? Sie waren an der Mole angekommen, die ins Meer hineingebaut worden war, bevor Schmidt diesen Strand zum erstenmal gesehen
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hatte. Sie bestand aus ebenso riesigen Quadern wie Mr. Jacksons Damm; die Stürme hatten sie stehenlassen, vielleicht weil sie nutzlos waren. So wenig Lohn für so viel Mühe. Er legte den Arm um Carries Taille, war plötzlich auch sehr müde und flüsterte: Komm, wir gehen nach Hause. Schwimmen können wir ein andermal. Und weil Veränderungen angeblich Kummer und Sorgen fernhalten sollen, fügte er hinzu: Ich möchte dich zum Essen einladen. Sie bestellt sich Shrimps mit scharfer Sauce, Pfeffersteak und Himbeertorte. Schmidt sieht ihr gern beim Essen zu. Woher hat sie nur dieses selbstverständliche, ganz natürliche gute Benehmen, diese vollkommene Eleganz? Den Schlemmern bei O'Henry's abgeschaut? Unwahrscheinlich. Abgesehen von ein paar komischen Käuzen - zu denen er sich zählt - sind die Leute dort ziemlich widerlich und können sich überhaupt nicht benehmen. Vielleicht hat sie alte Filme über altes Geld im Schnellkurs studiert, unter besonderer Berücksichtigung der beiden Hepburns, Katherine und Audrey, Leslie Carons und Ingrid Bergmans. Oder ist ihre Anmut eine Gottesgabe, so wie das absolute Gehör oder das Ballgefühl eines Jungen aus den Slums? Ihr unglaublich gesunder Appetit ist auch so ein Geschenk der Natur: Sie hat keinen Ernährungswahn und keine Angst vor zu vielen Kalorien. Die werden schnell verbrannt, unter anderem beim Liebemachen. Schmidt lehnt sich zurück. Den Augenblick genießen. Er wünscht sich, er könnte hier rauchen, aber obwohl es schon spät ist und das Restaurant sich geleert hat, würden die alten Glucken am Tisch dort drüben ihm ins Gesicht springen. Ein Kognak? Carrie könnte einen Schluck aus seinem Glas nehmen. Als Charlotte noch im College war, ja, schon damals lag Streit in der Luft, wenn er sie zum Essen in ein Restaurant einlud, nach Boston zum Beispiel, allein oder mit ihren Freundinnen. Mußte sie sich wirklich feinmachen? War sie denn auch um zehn Uhr wieder im Studentenheim, so daß sie die Hausarbeit für den nächsten Tag noch fertigschreiben konnte, und warum mußte er noch einen dritten Kaffee bestellen, obwohl sonst niemand einen wollte? Alles ohne Bedeutung und leicht auszuräumen, wenn er nur den Mund gehalten oder wenigstens weiter gelächelt hätte. Warum konnte er
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es nie dabei belassen? Schließlich ging es bei diesen Streitereien nie um wirklich Prinzipielles, sondern immer nur um ihre Weigerung, freundlich zu sein. Konnte er im Ernst behaupten, er sei immer ausgeglichen und gelassen gewesen? Er hätte sich gefreut, wenn sie kokett und verspielt mit ihm umgegangen wäre, wie manche Töchter in den alten Filmen, die er sich angesehen hatte, wie Carrie eben, nur ohne Sex. Ab und zu gelang es ihr, und dann waren sie auf einmal dicke Freunde. Meistens erweckte sie allerdings in ihm den Eindruck, daß er ihr auf die Nerven fiel. Und ging es ihm mit ihr in Wahrheit nicht genauso? In diesem Augenblick meldete sich das puertoricanische Küken: Schmidtie, möchtest du, daß ich am Freitag koche, oder willst du mit Charlotte hier essen oder im Automat? »Hier«, das war das Hotel in Sag Harbor mit einem Weinkeller, auf den Schmidt neidisch war, und einer Auswahl erstklassiger Zigarren, die er zu gern an Ort und Stelle geraucht hätte. Die Pest über die Tabak-Abolitionisten! Können diese verschrobenen Spinner nicht zu Hause bleiben oder Gasmasken aufsetzen, wenn sie ausgehen? Zweihundert Jahre lang hatte Zigarrenrauch zum Ende einer Mahlzeit gehört. Wo hatten sie gelernt, daß er den Geschmack des Essens verdarb? Der Automat war auch nicht das Gelbe vom Ei, seine Spezialitäten waren halbgarer Thunfisch, außen schwarz verbrannt, innen unter der Pfefferkruste halb roh und außerdem lauwarm - Schmidts bete noire, er war der festen Überzeugung, daß Thunfisch entweder roh oder aus der Dose gegessen werden müsse -, Shitaki-Pilze auf Spinatblättern und fünfzehn Sorten Mineralwasser. Die Stammkundschaft fett oder magersüchtig: ein lebender Beweis dafür, daß alles an den Genen liegt. Wenn dein Metabolismus nicht stimmt, kannst du's aufgeben. Spar dir die Mühe, ruiniere dir nicht weiter die Knie, indem du mit deinen dreihundert Dollar teuren Rennschuhen auf der Fernstraße in der Mittagssonne joggst. Dies Lokal hier wird laut und überfüllt sein, antwortete er. Der Automat und alle anderen genauso. Wollen wir nicht irgendwas Einfaches zu Hause essen? Ich hole ein gebratenes Hühnchen oder eine Ente und Käse. Früher hat sie gern Käse gegessen. Wer weiß? Vielleicht mag sie's ja immer noch. Wenn nicht, essen wir beide ihn.
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Das paßt nicht. Nicht an ihrem ersten Abend mit uns. Ich mache das Essen. Am Freitagnachmittag habe ich keine Kurse, da kann ich auf dem Heimweg einkaufen. Für 'ne Überraschungsparty oder so. Du bist lieb. Gräme dich nur nicht, wenn sie dann dies oder das nicht essen kann. Mäkelig war sie schon immer. Weiß der Himmel, welche Diät sie diesmal einhalten muß. Keine Sorge. Hey, Schmidtie, so traurig warst du noch nie. Ist es wegen dem Zoff zwischen den beiden? Muß wohl. Einen anderen Grund gibt es nicht. Sie haben keine Kids, und du bist auch nicht gerade verrückt nach ihm. Vielleicht sollten sie sich trennen. Das ist hart, aber dann hast du sie wieder für dich. So will ich nicht denken. Außerdem glaube ich es eigentlich nicht. Ich habe Angst, daß alles - ob gut oder schlecht - uns nur weiter auseinanderbringt. Sie wird meinen, daß ich heimlich schadenfroh bin, weil ich es ihr wieder einmal vorhergesagt habe. Vielleicht hat sie recht, vielleicht kennt sie mich in- und auswendig. Und außerdem: Wenn sie wieder zu mir kommt, was mache ich dann mit ihr? Alles, was ich tue, geht ihr gegen den Strich. Mit mir will sie am Telefon nicht reden, nicht sagen, wie es ihr geht, was sie so denkt, nicht ihren alltäglichen Kram besprechen. Mit ihrer Mutter hat sie das getan. Mit mir fängt sie immer gleich Streit an. Du hast auch nicht erlebt, daß sie sich einmal die Mühe macht, hierher zu kommen und nachzusehen, ob es dem Alten gutgeht. Das liegt an mir. Sie weiß, daß ich hier bin. Sie wird schon kommen, wenn ich gehe. Niemals. Du bist meine Liebe. Wenn du mich verläßt, dann nur, weil du mich nicht mehr oder weil du einen anderen mehr als mich liebst. Hey, weißt du noch? Wie ich wollte, daß du mir sagst, ich soll dir treu sein, und du wolltest nicht? Das hat mir echt weh getan. Schmidtie, es wird keinen anderen geben. Nicht, solange du mich willst. Dann zerbrich dir nicht den Kopf darüber, was Charlotte denkt.
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C'est moi pour lui, lui pour moi pour la vie... Das war Carrie für ihn, sein Spatz, der so unverhofft zugeflogen war. Er nahm die schmale Hand, die dicht neben seiner auf dem Tisch lag, und küßte ihre Innenfläche. Statt eine Träne, die sich gerade bilden wollte, abzuwischen, blinzelte er und schneuzte sich die Nase. Er war fassungslos glücklich an ihrer Seite, ein märchenhaftes Glück. Der Kellner, Profil wie ein Sioux-Krieger, das dicke schwarze Haar zum Pferdeschwanz gebunden, brachte die Rechnung und musterte Carrie mit einem begehrlichen Blick, während Schmidt Zwanzigdollarscheine abzählte. Der Ruf des Fleisches. Wird diese noble und loyale junge Frau noch meinen, daß er sie will, wenn er nichts mehr zu bieten hat als greisenhafte Liebkosungen? Falls der Überdruß, die Öde ihres Lebens an der Seite eines verknöcherten, in seinen Erinnerungen herumtapernden Ruheständlers nicht schon vorher das Seine tut. Sei froh, Schmidtie, noch hast du alles Glück: Lange kann es nicht mehr dauern, bis du wirklich allein bist.
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III Hey, willst du mal sehen, was ich gekocht habe? Das hatte sie ihm durch die offene Küchentür zugerufen, um ihn hereinzuholen, denn er war im Garten und schimpfte wortreich mit Jim Bogard, weil dessen Leute die Blumenbeete schlampig eingefaßt hatten: Schmidt wünsche saubere, schnurgerade Linien. Statt dessen sehe er aber lauter Bögen, als hätten die Männer die Zinsertragskurven einer wildbewegten Woche auf dem Rentenmarkt aufgezeichnet. Und warum hatten sie nicht gemulcht, obwohl er doch ausdrücklich erklärt habe, der Garten müsse frisch und gepflegt aussehen? Eigentlich gab es keinen Grund für die Aufregung. Charlotte würde kaum in der Stimmung sein, überhaupt etwas zu bemerken. Aber ihm war es wichtig, sein Auge freute sich am Anblick geordneter Dinge, und er brauchte sichtbare Beweise, daß er weder sich selbst noch Haus und Grund verkommen ließ. Schmidt ließ Bogard stehen, der eifrig in sein Notizbuch kritzelte und versprach, noch am selben Nachmittag alles richten zu lassen. Merkwürdig, wie dieser zähe, drahtige kleine Mann schrieb: Er malte riesige, in gewaltigen Schnörkeln ausufernde Anfangsbuchstaben und kritzelte dann in einer so winzigen Schrift weiter, daß Schmidt ohne Brille nichts mehr erkennen konnte. Aber wenigstens gehörte Bogard nicht zu jener unerträglichen Sorte von Gartenarbeitern, die nicht bereit sind, zu notieren, was der Kunde wünscht, sondern steif und fest behaupten, sie würden es im Kopf behalten. In seinem gesamten Berufsleben hatte Schmidt nicht geduldet, daß ein junger Anwalt ohne Notizblock und Stift zu ihm ins Büro kam. Warum hätte er sich die Mühe machen sollen, ein Problem zu erklären oder Anweisungen zu geben, wenn alles, was er sagte, fünf Minuten später schon wieder vergessen oder verzerrt war? Oder diese andere Unsitte: nicht mitzuschreiben, was auf einer Arbeitssitzung besprochen wurde. Träge Hände, träge Hände.
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Die Speisenfolge war: Fischlasagne, gefolgt von grünem Salat und einer Himbeermousse. Für ihn hielt Carrie eine Kostprobe Lasagne auf einem kleinen Teller bereit. Hier, probier mal. Aber paß auf, es ist sehr heiß. Carrie, es schmeckt wunderbar. Wenn du das selbst gemacht hast, bist du eine phantastische Köchin. Wie bist du auf die Idee gekommen? Die Lasagne schmeckten wirklich ausgezeichnet, ganz leicht nach Muskat. Das Schnellverfahren in der Küche, das er beobachtet hatte, wenn Carrie Hamburger oder Lammkoteletts im Herd grillte - mehr erlaubte er ihr nicht, und auch dies nur selten, denn er mißtraute ihren Kochkünsten und verließ sich lieber auf die erprobte, zuverlässige Qualität seines eigenen begrenzten Repertoires -, hatte in keiner Weise zu Tage gebracht, daß sie eine mit allen Wassern gewaschene Köchin war. Überraschung! Willst du die Mousse probieren? Auch davon hatte sie ihm eine kleine Portion bereitgestellt, die er nun kostete. Phantastisch! Warum hast du uns nicht jeden Abend so etwas gezaubert? Wie kommt's, daß du so kochen kannst? Mrs. Gorchuck. Meine Mama. Und woher hat sie's? Habe ich dir das nicht erzählt, Schmidtie? Bis sie mit der Arbeit aufgehört hat, war sie doch Köchin in einem italienischen Lokal an der Atlantic Avenue. Mann, kann die kochen, einfach alles. Aber warum hast du dein Licht so unter den Scheffel gestellt? Du Spinner, für dich habe ich nicht gekocht, weil du immer mit deiner Schürze hier stehst und für mich kochst. Und dazu noch den Abwasch machst. Der Deal ist doch gut. Warum soll ich mich da einmischen? Okay, damit ist es jetzt aber vorbei. Machen wir einen neuen Deal: Ich wasche weiter ab, und du sorgst für alles andere. Ins Restaurant gehen wir nie mehr. Ich lasse es lieber beim alten: ob ihr das schmeckt? Was meinst du, Schmidtie? Du kannst ihr ja sagen, das Essen wäre vom Partyservice. Wenn sie weiß, daß die dämliche puertoricanische
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Kellnerin gekocht hat, denkt sie nur, daß es gar nicht gut sein kann. Dann meint sie noch, ich hab hier überall die Hand drauf. Und flippt aus. Nein, aus alten Filmen hatte Carrie ihr gutes Benehmen nicht gelernt. Von Mrs. Gorchuck hatte sie es; auch die Rezepte und Kniffe, die sogar ein Brillat-Savarin bemerkenswert gefunden hätte, hatte ihr die Mutter gezeigt, wenn sie nicht in der Küche des Lokals stehen mußte, das an einer Straßenecke irgendwo in den sagenumwobenen, einst überwiegend von Juden bewohnten Slums der Latinos und Schwarzen lag, die sich endlos hinziehen, hinter Brooklyn Heights, dem einzigen Teil von Carries alter Heimat, den Schmidt je gesehen hatte. Oder vielleicht hatte sie die Tochter noch spätabends unterrichtet, nach der Rückfahrt mit der graffittiverschmierten U-Bahn, obwohl sie todmüde war von der Hitze des Küchenherdes, die ihr die Arme bis zum Ellbogen verbrannt hatte. Und nicht nur Kochkünste hatte Carrie von der Mutter gelernt, sondern auch die natürliche Bescheidenheit und den Takt einer Prinzessin, diesen Herzenstakt, der viel mehr wert ist als jeder Anstandsunterricht, falls man so etwas überhaupt unterrichten kann. Oder war für diesen Teil der beachtlichen Erziehungsarbeit an der einzigen Tochter Mr. Gorchuck zuständig, der pensionierte Angestellte der Schulbehörde, dessen früherer Arbeitsbereich im dunkeln blieb? Gelegentlich, wenn sein idiosynkratischer Humor sich zu Höhenflügen aufschwang, hatte Schmidtie sich ausgemalt, daß Mr. Gorchuck von Moskowiterfürsten und zaristischen Generälen abstamme und sich einer Mesalliance schuldig gemacht habe, so daß in den Adern, die sich zart unter Carries schattenbrauner Haut abzeichneten, tiefblaues Steppenblut, gemischt mit einem Puerto-Rico-Cocktail, flösse. Weniger phantastisch, aber ansprechend war die Vorstellung, Carrie sei ein Pflege- oder gar ein Findelkind, dessen angeborener Anmut dieses Paar liebevoll zur Blüte verhelfen habe. Die Lehrmeinungen zur relativen Bedeutung von Milieu und Genen befanden sich ohnehin wieder einmal im Wandel; schon der Begriff Milieu war strittig. Carries Fall schrie geradezu nach einer wissenschaftlichen Untersuchung, so schien es Schmidt jedenfalls. Seine persönlichen Nachforschungen hatten nicht sehr weit geführt. Dann und wann legte er nahe, mal in versteckten Andeutungen, mal ganz ausdrücklich, es sei nun wirklich an der
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Zeit, ihn den Eltern vorzustellen, und er sei gern bereit, sie in ihrem Haus zu besuchen (die Redewendung benutzte er aus Gewohnheit, obwohl ihm klar war, daß »Haus« in diesem Fall eine Wohnung in einem Mietshaus ohne Fahrstuhl sein mochte) oder zu sich einzuladen - bei der Aussicht, sie könnten ihn besuchen, war ihm allerdings nicht wohl -, aber Carrie ließ nicht mit sich reden, sie sagte nur vage: Jesses, Schmidtie, die sind ganz gut dran; das klang in seinen Ohren wie: Laß es. Na gut. Es war ihre Sache. Seiner Vermutung nach hatte sie Mr. und Mrs. Gorchuck zwar gesagt, daß sie mit einem Mann in den Hamptons lebe und nicht mehr für O'Henry's arbeite, aber es war nicht unbedingt anzunehmen, daß sie erzählt hatte, er sei reich und älter als ihr eigener Vater. Das mußte als einfache Erklärung für ihre Weigerung genügen. Er konnte nicht glauben, daß sie, seine mutige, leidenschaftliche Carrie, sich ihrer Eltern schämte. Aber er wußte nicht viel, nicht einmal, wie alt der Vater, und auch nicht, ob er Rentner war. Rentner! Natürlich, was sonst? Die städtischen Angestellten in New York City konnten sich praktisch mit dem Tag ihrer Einstellung schon bei voller Bezahlung pensionieren lassen. Dieses Thema schnitt man in Unterhaltungen mit Schmidt besser nicht an, sonst bekam man allerhand zu hören. Süße, ich habe dir doch gesagt, bei Charlotte weiß man nie. Ich habe so lange nicht mehr mit ihr gegessen, daß ich keine Ahnung habe, was zur Zeit auf ihrer Liste des Erlaubten steht. Früher waren Fisch und Pasta bei ihr hoch im Kurs. Keine Sorge. Ich esse alles auf, was sie übrigläßt. Quatsch, Schmidtie, das brauchst du nicht. Ich bin schon groß. Das stehe ich durch. Er zog sie an sich, legte die Hand auf ihre Brüste, wartete, bis die Spitzen hart wurden, und umschloß sie fest mit den Fingern. Himmelherrgott. Die Regung einer Erektion. Er rieb sich an Carries Hüfte. Später, Schmidtie. Laß den kleinen Freund in der Hose bis heute nacht, wenn wir im Bett sind. Hey, ich muß die Mousse in den Kühlschrank stellen. Die Pasta nicht, die lasse ich hier draußen abkühlen; dann wärme ich sie ganz langsam auf, und du kannst jederzeit essen, wann du willst. Oder soll sie Raumtemperatur haben? Mom findet das gut, wenn sie für eine Party kocht, oder so.
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Als Schmidt abends dann an der Bushaltestelle auf Charlotte wartete, versuchte er, nur an diese Unterhaltung zu denken und an den gedeckten Tisch - Carrie hatte sich für die Küche entschieden, weil man dort so gemütlich zu dritt sitzen könne. Neben ihm lauerten Taxifahrer, vorbestellt oder in der Hoffnung auf einen Fahrgast, den keiner abholte, außerdem standen da ein Mann mit haarigen Beinen in kurzen Hosen und schmuddeligen Turnschuhen, zwei übergewichtige Sekretärinnen mit schrillen New Yorker Stimmen und toupierten Frisuren sowie die üblichen Sommerhausmieter ohne besondere Merkmale, die er lieber nicht genauer betrachten wollte. Der Mut verließ ihn. Er hatte nicht mit Charlotte verabredet, daß sie anrufen solle, sobald sie angekommen sei, damit er nicht an der Haltestelle auf den Bus warten müsse. So war es unter den Ortsansässigen üblich, weil nie vorherzusehen war, ob der Bus pünktlich kam - alle hielten es so, ausgenommen vielleicht die ganz besonders heftig Verliebten und die, die ein Kind abholen mußten oder einen Fahrgast, der aus Schwäche nicht telefonieren und nicht auf seinen Abholer warten konnte. Aber da Charlotte diesen Brauch vermutlich vergessen hatte, würde sie ihm übelnehmen, daß er nicht bereitstand, die heimkehrende verlorene Tochter willkommen zu heißen. Das Risiko wollte er nicht eingehen. In diesem Moment kam ein Bus aus New York an, und bei seinem Anblick geriet Schmidt in heftige Unruhe. Der Fahrer schaltete die Innenbeleuchtung ein, so daß man umrißhaft Gestalten erkennen konnte, die aufstanden, ihre Habseligkeiten einsammelten und sich nach der Gepäckablage reckten. Schmidt musterte sie eine nach der anderen mit angestrengter Konzentration. Vor sehr langer Zeit - war das wirklich schon zwanzig Jahre her? - hatte er in einer Gruppe von Brearley-School-Eltern gestanden und auf den Bus gewartet, der die ganze Klasse von einem Ausflug zurückbringen sollte; als die Mädchen dann nacheinander ausstiegen, hatte er plötzlich festgestellt, daß er sich nicht mehr auf Charlottes Gesicht besinnen konnte. Es war, als hätte er es einfach vergessen. Im selben Moment war sie neben ihm aufgetaucht und hatte ihn umarmt. Er wußte, daß es jetzt etwas anderes war, wenn er sie in dem trüben Licht, durch die gefärbten Busfenster, umgeben von lauter Sommergästen, nicht ausfindig machen konnte; das alles war vollkommen verständlich, aber die Angst, er könne auf
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schreckliche Weise die Erinnerung an ihre Silhouette, am Ende sogar an ihr Gesicht, verloren haben, war dieselbe. Der letzte Fahrgast stieg aus. Keine Charlotte. Ist das der Sechs-Uhr-Bus? fragte er den Fahrer. Nö, der Fünf-dreißig. Der Verkehr ist wirklich heftig. Wann, schätzen Sie, kommt der Sechs-Uhr-Bus? Was weiß ich. Fünfzehn Minuten vielleicht, kann auch länger dauern. Das war die schlechteste aller Welten. Wenn er die Schätzung des Mannes für realistisch hielt und nach Hause fuhr, um in einer halben Stunde wiederzukommen, würde er durch den Weg fünfzehn bis zwanzig Minuten verlieren. Außerdem konnte der Bus schnell durchgekommen sein und in Bridgehampton eintreffen, bevor er wieder zurück war, und in diesem Fall würde Charlotte schäumend vor Wut auf dem Bürgersteig warten. Falls sie nicht bei ihm zu Hause anrief. Dann wäre ein erster giftiger Wortwechsel zwischen ihr und Carrie fällig, der Auftakt zu einer ganzen Serie. Andererseits hätte es einen erheblichen Vorteil, wenn er noch einmal nach Hause führe: Er könnte Carrie umarmen und sich von ihr umarmen lassen und einen großen Bourbon trinken. Aber schon der Gedanke an Carries Umarmung wirkte umgehend so wohltuend und beglückend, daß er sich stark genug fühlte, den Aufschub der physischen Verwirklichung noch ein Weilchen auszuhalten. Ein Bourbon war auch im O'Henry's zu haben. Er könnte sich ans Ende der Theke stellen und alle paar Minuten zwei, drei Schritte Richtung Bürgersteig gehen, um die Bushaltestelle und die Straße dahinter im Auge zu behalten. Aber er mußte Carrie anrufen und ihr Bescheid sagen, daß der Bus Verspätung hatte. Die heisere Stimme antwortete: Ist ja cool. Grüß Pete. Ich will mir noch die Haare waschen. Keine Sorge, Dummkopf, ich werd schon fertig. Ich spar mir nur das Föhnen, das ist alles. Pete, der Barmann, zwinkert Schmidt zu. Die alte Garde im O'Henry's zwinkert ihm immer zu - wenn er ins Restaurant kommt oder wenn man sich auf der Straße begegnet. Warum auch nicht? Schließlich ist er der alte Zausel, der den Hauptgewinn abgezockt hat. Dasselbe wie immer für Schmidt? Ja, einen doppelten sour
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mash, mit viel Eis. Der Alkohol wirkt wie das Eintauchen in eine hohe Welle, die Spannung wird weggeschwemmt. Reinigung und Vergebung. Ein Knoten nach dem anderen löst sich. Das Lokal ist überfüllt, der Lärm nicht auszuhalten, das Crescendo eines wahnsinnig gewordenen Chors. Das Gebrüll kommt von allen Tischen, schwappt nach draußen, auf den Bürgersteig. Pete stellt Schmidt noch eine Frage, aber man kann ihn unmöglich hören. Schmidt lacht zurück und zuckt die Achseln. Gesten funktionieren. Pete schenkt ihm einen Einfachen ein. Der kommt gerade auf die Theke, da sieht Schmidt den gewaltigen Umriß des Busses, der langsamer wird und an der Bordsteinkante anhält. Seine Tochter war unverkennbar, wie hatte er auch nur einen Moment lang daran zweifeln können. Ihr klares offenes Gesicht, ein wenig müde, aber wunderschön, das üppige blonde Haar, am Hinterkopf geknotet, der Gang einer Amazone, obwohl sie doch einen Matchsack und eine schwere Aktenmappe trägt; beides nimmt er ihr nun aus den Händen, in der Verlängerung der zärtlichen Geste, die mit einem Kuß begann. Ein kurzer verstohlener Blick auf ihre Kleidung. Beklagenswert: eine womöglich beabsichtigte Parodie auf den Zweireiher anthrazitgrau mit Nadelstreifen - ihrer männlichen Kollegen. Die Jacke mit den stark wattierten, viel zu breiten Schultern ist lächerlich lang und betont noch die Uneleganz des Rockes, der gut fünfzehn Zentimeter unter dem Knie endet. Dazu plumpe schwarze Schuhe mit hohen Blockabsätzen. Wie konnte man sich nur so anziehen, und das am herrlichsten aller Sommertage, an dessen Ende noch ein Ausflug aus der Stadt an den Strand vorgesehen war? Mysterien der Mode und unerfüllter Hoffnungen. Das ist ihre Sache, nicht deine, Schmidtie. Ich bin so froh, dich zu sehen, mein Schatz. Grüß dich. Der Wagen steht gleich gegenüber. Es tut gut, aus der Stadt herauszukommen. Aber du hättest mich nicht selbst abholen müssen. Ich hätte doch ein Taxi nehmen können. Auf den Gedanken bin ich gar nicht gekommen. Natürlich nicht, und wenn doch, dann hätte Schmidt ihn sofort ärgerlich beiseite geschoben. Gibt sie mir Zeichen einer ganz neuen Rücksichtnahme, die bedenklich an Unterwürfigkeit grenzt?
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Oder ist dies die erste Feuersalve, die den alten Knaben aufschrecken, zur Ordnung rufen soll? Wenn ja, wozu? Sehr wahrscheinlich steckt nichts dergleichen dahinter: Es ist ihr einfach gleichgültig. Sie hat den Bus genommen, weil sie etwas Bestimmtes mit ihm persönlich besprechen will, mehr ist es nicht, jedenfalls nichts, was ihr Herz schneller schlagen läßt. Irritiert von ihrem Schweigen und unwillig, als erster zu sprechen, schaltet er das Radio an. Rigoletto wird gesendet, seine Lieblingsszene, in welcher der alte Clown flehentlich bittet, Marullo und seine Komplizen möchten ihm sagen, was sie mit der entführten Gilda gemacht haben. Kannst du das abstellen, Dad? Natürlich. Sie heißt Carrie, stimmt's? Ist sie da? Carrie Gorchuck. Ja, sie ist zu Hause. Sie hat sogar ein sehr schönes Essen für uns gekocht. Ich weiß nicht, ob mir nach Essen zumute ist. Wie du willst. An deiner Stelle würde ich kurz schwimmen gehen, diese Al-Capone-Verkleidung loswerden und zu Tisch kommen ob du etwas ißt oder nicht. Andernfalls wäre ich wirklich verstimmt. Und vor allem: Bitte keine Widerworte. Selbstverständlich, Dad. Danke für das reizende Kompliment über meine Kleider. Die sind schon recht, Kleines. Ich wollte nur was Komisches sagen. Du kennst mich und meinen Humor doch. Ist schon recht. Das sagte sie, damit er nicht ihr Gepäck trug. Er nickte, obwohl sie sich nicht die Mühe machte, zu ihm hinzusehen, und wartete neben dem Auto. Eine wunderbare Nacht! Der Mond war irgendwo hinter dem Horizont verlorengegangen, so daß sein Licht den Sternen am schwarzen Himmel keine Konkurrenz mehr machte. Alle Sternbilder, die Schmidt kannte, waren in voller Schönheit zu sehen. Keine einzige Mücke war unterwegs, und die Brise vom Meer war so leicht, daß er sie kaum spürte. Ein Fliegengitter schlug. Es gehörte zur Tür am Poolhouse. Seine Bemerkung war verdammt überflüssig gewesen - warum hatte er nicht dieses eine
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Mal auf einen dummen Witz verzichten können? Es hatte keinen Zweck, ihr nachzugehen und um Frieden zu bitten - sie würde nicht zuhören. Er mußte sich in Geduld fassen. Wenn sie sich nicht im Bus an Erdnüssen und Salzstangen satt gegessen hatte - und das paßte gar nicht zu ihr -, dann konnte er darauf bauen, daß sie nach der Fahrt hungrig war. Der Hunger würde sie an den Tisch treiben. Zum Glück hatte er den Kühlschrank im Poolhouse nicht aufgefüllt. Und falls sie böswillig genug war, trotzdem nicht zum Essen zu kommen, würde er sie gleich am nächsten Morgen postwendend nach New York zurückschicken. Würde Carrie ihm dann erklären, er sei nicht bei Trost, oder würde sie ihm zu seiner Charakterstärke gratulieren? Ich bin da. Als Charlotte sich dergestalt in der Küche bemerkbar machte, hatten die beiden schon mit dem Essen angefangen. Für Charlotte war noch gedeckt, Schmidt hatte ihr Gedeck zwar abräumen wollen, aber Carrie war dagegen gewesen. Sie sagte: Mach ihr doch keinen Terror. Was ist, wenn sie badet, oder wenn ihr nicht gut ist, oder was weiß ich? Das Essen ist sowieso kalt. Schön, daß du da bist. Setz dich doch und nimm dir was. Ich gieße dir Wein ein. Carrie kennst du schon, glaube ich. Hi, Charlotte. O ja. Sie deckte die Hand auf das Weinglas, griff nach dem Wasserkrug und zögerte dann. Hast du noch Perrier oder anderes Mineralwasser? Im Kühlschrank. Du weißt, daß das Wasser hier immer noch aus unserem eigenen Brunnen kommt. Okay, dann trinke ich Leitungswasser. Seit wann ißt du in der Küche zu Abend? Schon immer, wenn wir nicht viele sind und keine Aufwartung da ist. Hast du was dagegen? Ich dachte, du magst diese Küche. Ja, ja. Was ist das da in der Auflaufschüssel? Soll das Pasta sein? Fischlasagne, Charlotte.
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Und das da drüben? Reis? Dann esse ich nur Reis. Pasta und Reis zusammen. Ziemlich merkwürdig, oder? Was ganz Neues? Ungewöhnlich, aber es schmeckt gut. Ich glaub's dir ja. Was sollte er machen? Sie schlagen? Vom Tisch aufstehen? Ihr erst ein Taxi nach New York bestellen und sie dann verprügeln? Carries Gesichtsausdruck war ihm vom Restaurant her wohlvertraut: ein träumerisches, abwesendes Lächeln, das ihr Gesicht erhellte, wenn sie Bestellungen von einer Handvoll Rüpel entgegennahm oder wenn ein ungeduldiger Essensgast mit den Fingern schnalzte, damit sie endlich die Rechnung brachte. Wenn Carrie diesen Ausdruck hatte, konnte ihr allenfalls ein hemmungsloser Lachanfall die Fassung rauben. Er glaubte, sie sei kurz davor, aber dann sprach sie statt dessen Charlotte an: Na ja, das ist eine Idee von meiner Mom. In dem Restaurant, wo sie gekocht hat, gibt es Reis als Beilage zu Lasagne. Eine italienische Spezialität oder so. Wirklich? Ist deine Mutter Küchenchefin? Chef? Nein. Sie hat in Brooklyn für ein Lokal um die Ecke gekocht. Eine Menge Italiener essen da. Nichts Feines, nicht so wie O'Henry's. Na ja, sie hat gearbeitet, bis die Venen in ihren Beinen echt schlimm geworden sind. Ihr Blutdruck auch. Deshalb bin ich vom College abgegangen. Als sie nicht mehr arbeitete, konnten Mom und Dad mir das nicht mehr finanzieren. Er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Carrie konnte für sich selbst einstehen. Genauso hatte sie ihm ihre kurze Lebensgeschichte auch erzählt, in ein paar knappen, nüchternen Sätzen, leicht auf die Rückenlehne eines freien Stuhles gestützt, während er die Hamburger und Pommes verzehrte, die sie ihm serviert hatte. Keine Spur Selbstmitleid, nicht der geringste Wunsch, anders zu erscheinen, als sie war. Sie wußte, wo der Ort war, an den sie nach eigenem Urteil gehörte, und schätzte ohne Umstände die Position anderer relativ zu ihrer eigenen ein. Nur war sie viel mehr wert, als sie in ihrer Bescheidenheit angab. Das tut mir leid. Und deshalb bist du nach Bridgehampton gekommen?
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Ja, genau. Nach einem Jahr ging ich vom Brooklyn College ab, und dann habe ich den Job im O'Henry's angenommen; ich wollte genug Geld machen, damit ich wieder zur Schule gehen kann. In ein paar Jahren oder so. Aber jetzt hilft Schmidtie mir, und darum gehe ich aufs Southampton College. Als Hauptfach habe ich Sozialarbeit, aber irgendwann möchte ich zur Filmhochschule. Als sie das gesagt hatte, errötete sie. Im nächsten Augenblick spürte Schmidt, wie ihr nackter Fuß, der unter dem Tisch langsam näher gekommen war, sich in sein Hosenbein schob und an seiner Wade rieb. Vorsichtig erwiderte er die Zärtlichkeit. Vielleicht hätte ich auch zur Filmhochschule gehen sollen. Manchmal kommt es mir vor, als ob mein halber Collegejahrgang inzwischen Arbeit in Hollywood hat. Die meisten schreiben Drehbücher. Für mich ist es zu spät, glaube ich. Dads Freund Gil Blackman müßte dir helfen können. Falls sie noch Freunde sind. Hm, ja, er hat davon gesprochen. Aber erst sollte ich meine Ausbildung zu Ende machen, glaube ich. Dann kann ich mir vielleicht alleine einen Job verschaffen. Das wäre doch was! Kommt in den Kreisen meines Vaters nie vor. Weißt du noch, Dad? Wie du mich zu Mr. Ogglethorpe geschickt hast, dem Mann, der mir Zutritt zur Arbeitswelt verschaffen würde! Anscheinend konntet ihr euch überhaupt nicht vorstellen, daß eine PR-Firma auch nur im Traum daran denken würde, mich einzustellen, ohne daß mein Vater, der großartige Mr. Schmidt von Wood & King, die richtigen Drähte zog! O Gott, wie habe ich das gehaßt. Genauso war's mit meiner Mutter; sie konnte nichts mir überlassen. Meine Ferienjobs durften immer nur Stellen sein, die sie vermittelte. Im Grund jedes Jahr wieder eine kleine Praktikantenstelle bei einer öden Provinzzeitung. Sie sah trübselig, aber auch siegesgewiß aus. Dir haben diese Jobs Spaß gemacht, Charlotte. Klar, ich hatte ja von Anfang an ein Schild um den Hals: Tochter von Freunden des Verlegers. Vorsicht, bloß kein Ärger, sonst fällt euch das Brot auf die Butterseite. - So wie in dem Sommer, als ich beim Verleger wohnte, mit einem von Mutters alzheimerverdächtigen Autoren.
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Ha! Das war ein Schlag unter die Gürtellinie. Den hatte Schmidt nicht erwartet. Sie spielte auf den Job in Pittsfield an, bei einer erstklassigen, damals liberalen Zeitung, die Jay Kane gehörte. Jay war bekannt geworden, als er sich für Ed Brookes Senatskampagne und Proteste gegen den Krieg stark machte. Die kleine Schlange war Hausgast von Jay und seiner Frau Sue, die mit Mary ein Zimmer im Milton College geteilt hatte. Mary hatte ein paar Jahre vorher Jays Dangerous Games herausgebracht, und in dem Sommer, als Charlotte bei der Zeitung hospitierte, stand das Buch immer noch auf der Bestsellerliste und machte Jay reicher und reicher. Wer hat, dem wird gegeben. Schmidt erinnerte sich an Charlottes Anrufe - sie klang ein wenig zu atemlos, das hatte ihm Sorgen gemacht - und ihre Schilderungen der glanzvollen Ereignisse im Haus der Kanes. Er hätte schwören können, daß sie selig war. Carrie sagte: Mann, die Probleme hätte ich gerne gehabt. Dieser Oggle-Sowieso hat dir also einen Job gegeben. Von wegen. Ich sah mich schon für alle Zeiten da festsitzen, als seine Assistentin, zuständig für die Glückwunschkarten zum Geburtstag an Kongreßmitglieder und ihre Gattinnen. Zu was anderem war Miss Schmidt doch nicht zu gebrauchen, sie konnte sich ja nicht mal selbst einen Job suchen. Nein danke! Ich habe meinen Job ganz allein gefunden, über die Stellenvermittlung im College, genau wie die anderen auch. Nur Dad findet ihn Scheiße, weil ich PR für Tabak mache. Aber Lobbys für Steuervergünstigungen zusammenbringen, wie Dick Ogglethorpe, das ist okay. Ach, ich habe meine Fühler eingezogen, das kannst du mir glauben. Jetzt, nachdem die Obmänner deiner Auftraggeber dem Kongreß alle erklärt haben, Zigaretten würden doch nicht süchtig machen, hast du vielleicht sowieso keine Arbeit mehr. Jeder wird von selbst einsehen, daß diese Herren nur liebenswürdige Geschäftsleute sind. PR werden sie gar nicht mehr brauchen! Sehr komisch. Du glaubst wohl, ich kenne mich nur mit Tabak aus und sonst gar nichts. Na ja, du warst immer sehr aufbauend. Durchaus nicht. Ich kann mir genausogut vorstellen, daß du Kampagnen für Imbißstuben machst - oder für den Sierra Club. Ist doch alles das gleiche. Arbeit an einem Fall, Interessenvertretung eines Kunden.
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Genauso hast du auch von deinen Mandanten gedacht, als du noch welche hattest. Hey, diese Lasagne sind phantastisch. Hast du sie wirklich ganz und gar selbst gemacht? Nur die Füllung, die Pasta nicht. Die habe ich beim Italiener im Einkaufszentrum geholt. Aber ich hätte den Teig auch selbst machen können, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte. Mama hat's mir gezeigt. Ist ja cool. Sie nahm sich noch eine Portion, machte sich aber nicht die Mühe, die Schüssel an Carrie oder Schmidt weiterzureichen. Dafür hielt sie ihr leeres Glas hoch. Carrie füllte es. Schmeckt er dir? Dein Dad hat die Flasche besorgt. Er sagte, wir müßten italienischen Wein dazu trinken. Typisch. Seinen guten Wem spart er immer für besondere Gelegenheiten auf. Dieser ist übrigens ganz okay. Das war auch ein Tiefschlag. Da der französische Wein aus ihrem Geburtsjahr Schmidts Ansprüchen nicht genügte, hatte er Kisten des nächsten großen Jahrgangs gelagert, der am Abend vor ihrer Hochzeit und zur Feier der Geburt ihres ersten Kindes hätte getrunken werden sollen. Den ersten Anlaß hatte er verpaßt. Entweder hatten die Rikers, die alle Arrangements übernommen hatten, kein Essen zum Polterabend gegeben, oder er war nicht eingeladen worden. Daß der Wein sich bis zum zweiten Anlaß halten würde, konnte man nur hoffen. Dies ist für mich eine besondere Gelegenheit, Charlotte, sagte er, und der Wein ist ein großer Chianti, nicht nur ganz okay. Morgen abend können wir Lammfleisch grillen und eine Flasche Burgunder köpfen. Wenn ich dann noch da bin. Es war Zeit für Carries Fuß, wieder Schmidts Bein aufzusuchen. Die Berührung war zärtlich, aber unruhig, bis Carrie aufstand, um den Tisch abzuräumen. Ich mache jetzt Kaffee. Wollt ihr zwei euch in der Bibliothek unterhalten, bis ich hier fertig bin? Ich bringe euch dann den Kaffee.
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Danke, Carrie, ich bin geschafft. Keinen Kaffee und keine Unterhaltung mit meinem Vater heute abend. Ich kann nicht mehr, muß mich erst ausruhen. Morgen früh, wenn es dir recht ist. Wirklich, Charlotte? Meinst du nicht, du schläfst besser, wenn wir uns ein bißchen unterhalten, bevor du zu Bett gehst? Dad, das hat Zeit. Er kam früh herunter und war ganz leise, um Carrie nicht im Schlaf zu stören. Das Bettzeug auf seiner Seite bestätigte seine mit Träumen durchwirkte Erinnerung an das Ende des Abends. Die am meisten exponierte, am wenigsten geschützte Flanke seiner Kampfstellung war im Augenblick sicher; er fühlte sich allem gewachsen. Charlotte war offenbar schon früher aufgestanden. Er hatte inzwischen seine morgendlichen Besorgungen erledigt und schlug gerade die Times auf, da kam sie im Jogginganzug in die Küche. Schweißflecken, das Haar zusammengebunden, schlank und fit. Genauso hatte er sie in Erinnerung, wenn er an jenen Morgen einer längst vergangenen Zeit seines Lebens zurückdachte, als sie ihm eröffnete, sie werde Jon Riker heiraten. Ich bin gejoggt. Das sehe ich. Ich habe dir Orangensaft gemacht. Er ist noch in der Saftpresse. Tee oder Kaffee? Der Tee steht hier auf dem Tisch. Wenn du Kaffee möchtest: Die Maschine ist vorbereitet, du mußt nur den Knopf drücken. Ich nehme Tee. Ein Croissant? Hast du einen Joghurt? Im Kühlschrank. Aber probier doch die Croissants. Sie sind wirklich gut. So was esse ich nicht. Ah. Ruhig bleiben. Zuhören, Mund halten. Den Artikel in der Zeitung weiterlesen. Blanker Unsinn, ihm Antisemitismus vorzuwerfen. Es gab Juden, die er gern hatte, und solche, die er nicht mochte, zum Beispiel einige besondere Angehörige der Rikerfamilie. Aber meistens nahm er sie nicht einmal wahr. Selbstverständlich wünschte er den Juden im allgemeinen und
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dem Staat Israel nur das Beste. In der gegenwärtigen Lage zog er den Hut vor Rabin - vielleicht paßte die Metapher nicht ganz -, der bereit war, sich in physische Nähe zu Arafat zu begeben, einem unrasierten, wahrscheinlich übelriechenden Großmaul mit schlechten Zähnen. Es war sicher kaum auszuhalten, mit ihm in einem Raum zu sein, und dann noch diese levantinische Sitte der Umarmungen. Sogar bei den Arabern machte Schmidt noch feine Unterschiede: Er hatte nur eine Abneigung gegen einzelne Personen, nicht Vorurteile gegen eine ganze Rasse. Gegen König Hussein war absolut nichts einzuwenden. Araber mußten einzeln betrachtet werden, ganz wie Juden und alle anderen eigentlich auch. Das hieß nicht, daß man Gruppenmerkmale wie zum Beispiel die hassenswerte arabische - und jüdische - Rhetorik übersehen sollte. Immer mußten sie übertreiben; konnten ihren Redefluß einfach nicht eindämmen. Dad, können wir reden? Natürlich. Wann kommt sie herunter? Carrie? Ich weiß nicht. Eben schlief sie noch fest. Klar. Ich meinte: Können wir woanders reden? Wie du willst. Aber Carrie ist sehr diskret. Wenn sie sieht, daß wir etwas besprechen, wird sie sich wahrscheinlich aus der Küche fernhalten. Wie auch immer, es wird ihr nichts ausmachen. Gehen wir nach hinten auf die Veranda. Der alte Rosenbusch am Rand des Rasens hatte nie schöner ausgesehen. Schmidt beschloß, den Blick unverwandt auf ihn zu richten, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Also, paß auf, ich möchte etwas Geschäftliches mit dir besprechen. Deine Investitionen entwickeln sich bei der gegenwärtigen Marktlage gut, nehme ich mal an. Stimmt das? Ich denke ja. Sie verstummte, also plapperte er weiter: Die Romberg-Leute kümmern sich immer noch darum, sie leisten gute Arbeit. Ich sehe zu, daß ich Herb Stein alle paar Monate besuche, um sicherzugehen, daß er seine fünf Sinne noch beieinander hat und nicht dem Suff verfallen ist. Davon abgesehen, widme ich nichts und
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niemandem besondere Aufmerksamkeit. Übrigens habe ich diese beiden kleinen Anteile an Fonds, in die ich auf eigene Faust investiert hatte, wieder abgestoßen. Weißt du noch? Ich habe immer im Wirtschaftsteil nachgelesen, wie sie standen. Sie haben einen ganz netten Gewinn abgeworfen, und davon habe ich das kleine Cabrio für Carrie gekauft. Schön für sie. Dann hast du nicht all dein Geld verloren - oder das Geld, das du von deiner Stiefmutter geerbt hast. Bonnies Geld? Aber nein, ganz und gar nicht. Obwohl ich dem Hospital in Palm Beach einen ganzen Batzen meines Erbes abgegeben habe. Unter anderem das Haus. Wäre ihm doch nur das Haus nicht eingefallen. Sein Anwalt Murphy hatte ihm dringend geraten, es einer gemeinnützigen Einrichtung zu überlassen, und geschäftlich gesehen war sein Rat gut gewesen. In Palm Beach gefiel es ihm nicht, deshalb hätte er das Haus nie genutzt, und die laufenden Kosten einschließlich des Gehalts, das er als Zeichen der Anerkennung an Bryan zahlte, waren sinnlos hoch. Das Haus sollte in ein Konferenzzentrum umgewandelt werden, und bei der Schenkung hatte Schmidt mit dem Krankenhausdirektor abgemacht, daß Bryan als Faktotum übernommen würde. Aber als er mit Bryan telefonierte und ihm die gute Nachricht überbrachte, schien der widerliche Wicht gar nicht erfreut. Arbeit für das Krankenhaus sei nicht das, was er sich vorgestellt habe. Aber woran dachte Bryan, und worauf mußte man bei ihm gefaßt sein? Wenn Schmidt nur einen Notizblock zur Hand hätte, würde er sich sofort aufschreiben, daß er die Lage prüfen müsse. Ach ja? Wieviel hast du weggeschenkt? In der Hauptsache habe ich behalten, was mein Vater ihr hinterlassen hatte, also alles, was er bei seinem Tod besaß, plus den Durchschnittserträgen aus ihren Investitionen. Dazu war ich berechtigt, fand ich. Aber das Geld, das sie von Sozon, ihrem ersten Mann, hatte, das war etwas anderes. Das wollte ich nicht haben, dabei wäre mir nicht wohl gewesen, also gab ich es dem Krankenhaus. Ganz schön großzügig, Dad. Ich wußte gar nicht, daß du unter die Philanthropen gegangen bist.
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Durchaus nicht. Ich fand es nur richtig, ihr zu Ehren so zu handeln, denn sie hatte viel für mich getan, obwohl sie keineswegs dazu verpflichtet gewesen wäre. Ich hoffe nur, daß du nicht zuviel weggeschenkt hast, denn ich muß dich um Geld bitten. Das heißt, ich soll dich und Jon über Wasser halten, bis er alles auseinanderdividiert hat? Mit Jon hat dies nichts zu tun. Über ihn können wir meinetwegen später reden, wenn es unbedingt sein muß. Himmel, du hast wirklich nur Jon im Kopf oder so. Dad, die Sache ist die, daß ich es einfach leid bin, für andere Leute zu arbeiten. Marden Bush ist in Ordnung, ich bin immer noch auf der Lernkurve, und glaub mir, als Repräsentantin von Tabakkunden lande ich nicht so in der Sackgasse, wie es Interessenvertretern gewisser anderer Institutionen ergangen ist. Hörten denn die unnötigen Seitenhiebe nie auf? Dieser letzte war wohl im voraus geplant gewesen. Vielleicht war ihr die Bemerkung aber auch nur herausgerutscht. Seit fünf - oder sechs Jahren lebte sie mit Jon Riker; da mußte sie immer wieder gehört haben, wie Schmidts Mandantenstamm – Versicherungsgesellschaften, die als Kreditgeber von Körperschaften fungierten sich verflüchtigte, dahinschwand, bis Schmidt nach Einschätzung von Riker und Konsorten zu jenen Senioren gehörte, die nur Ballast für die Kanzlei sind und anderen, vor allem den Jungtürken, das wohlverdiente Einkommen schmälern. Da Charlotte offensichtlich etwas von ihm wollte - eine große Summe, worauf er hätte wetten mögen -, hätte sie so klug sein können, einmal ihre Zunge zu hüten. Aber sie kannte ihn wohl gut genug, um zu wissen, daß es am Ende keine Rolle spielte, wie sehr sie ihn verletzt hatte. Womöglich hatte sie das Gefühl, daß sie sich als unabhängige, wirklich erwachsene Person behauptete, wenn sie nicht nett und nicht dankbar war und trotzdem bekam, was ihr zustand. Ich verstehe. Sie fuhr fort: Ich kenne da diesen tollen Mann in der Firma, mit dem ich bei PR-Kampagnen viel zusammenarbeite. Der ist sehr gut, gerade Geschäftsführer geworden. Wir haben besprochen,
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wie wir uns auf eigene Füße stellen könnten. Unseren eigenen Laden aufmachen, verstehst du. Klein anfangen und das Unternehmen oder so was Ähnliches aufbauen. Du hast das nie gemacht, aber eine Menge Leute tun es. Es ist nicht mehr die Regel, daß man ein Leben lang in derselben Firma bleibt. Sie hielt inne, als wolle sie Schmidt gleiche Redezeit geben. Ihm schien ein Grunzen in der Bedeutung irgendwo zwischen »Oh« und »Stimmt« als Entgegnung ausreichend und klug zu sein. Das scheint dich nicht besonders zu interessieren. Oh doch. Und was erhoffst du dir von deiner Idee? Daß du denselben Kunden dieselben Dienstleistungen anbietest wie jetzt? Ist das möglich? Ich könnte mir vorstellen, daß Marden Bush gewisse Klauseln gegen unlauteren Wettbewerb hat, die ein Geschäftsführer beachten muß - und du vielleicht auch. Harry hat sich kundig gemacht. So heißt mein künftiger Partner, Harry Polk. Wir wollen uns auf die Organisation von Special Events konzentrieren, also Veranstaltungen zum Organisieren von Geldern oder Seminare und so was, und das dürfen wir auch. Das haben die Anwälte ihm erklärt. Wir würden uns sowieso mit der Firma absprechen, um Aktivitäten zu koordinieren und um ihr das Gefühl zu geben, daß wir sie einbeziehen. Das ist eine gute Strategie, wenn wir wollen, daß sie Arbeit an uns delegieren. Das tun sie vielleicht auch. Marden Bush hat keine Kapazitäten für Special Events. Er lächelte sie an. Polk, Polk. Interessant, aber lieber keine voreiligen Schlüsse betreffs Familie und Herkunft ziehen. Der Name konnte eine Kurzform von Polski oder Pohlstein sein. Oder so, falls er sich erlauben durfte, Charlottes und Carries bezaubernde Redewendung einmal auszuleihen. Amüsant, wie verbindend die Zugehörigkeit zur selben Generation war, sie war stärker als Erziehungs- und Klassenunterschiede. Warum sollte man Neger nicht Schwarze nennen? Die Redewendung konnte man in gepflegten Unterhaltungen nicht mehr benutzen; das wußte Schmidt, aber er unterhielt sich ja nicht, er dachte nur. Also brauchen wir Geld für den Anfang. Für das neue Büro und als Betriebskapital. Willst du uns helfen?
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Mal langsam. Ich bin immer bereit, dir zu helfen, aber dazu muß ich ein paar Dinge wissen. Erstens: Wieviel Geld brauchst du von mir, zweitens, wieviel eigene Ersparnisse und wieviel von Mutters Erbe hast du noch, und drittens, wie steht's mit deinem Partner, Mr. Polk? Hat er das Geld, das er in dieses Unternehmen investieren müßte? Und wie paßt Jon in den Plan? Ich nehme an, dir ist klar, daß er bis zum Hals in Schwierigkeiten steckt. Auch in finanziellen. Sie nannte ihre Summe. Sie war noch um einiges höher, als Schmidt erwartet hatte. Das alles hat mit Jon nichts zu tun, fuhr sie fort, man tut ja nichts dem Feind zuliebe. Es hat sich ergeben, daß der Preis, den du mir gezahlt hast, als du mir meinen Anteil an diesem Haus abgekauft hast, nicht reichte, das Haus in Claverack samt Renovierungskosten und die Wohnung in der Stadt zu bezahlen, also habe ich das Geld von Mutter und meine Reserven fast ganz aufgebraucht. Die Unterlagen und Auszüge habe ich mitgebracht, falls du einen Blick darauf werfen willst. Harry hat noch etwas Bargeld. Den Rest hat er für eine Loftwohnung ausgegeben, die er vor ein paar Jahren gekauft und ausgebaut hat. Er meint, die kann er beleihen, aber nicht sehr hoch. Vorläufig muß ich der Partner mit dem Geld sein! Ich verstehe. Ich hoffe, dir ist klar, daß ich damals, als ich dir dein Anwartschaftsrecht abkaufte - das, was du deinen Anteil am Haus nennst -, einfach den Marktpreis bezahlt habe. Offen gesagt: Mir ist nie in den Sinn gekommen, daß diese Summe hoch genug sein sollte, um dir den Kauf und die Renovierung dieses Hauses auf dem Land zu ermöglichen, das du haben wolltest, um Tür an Tür mit den Eltern Riker zu sein, und dazu noch reichen sollte, um das Apartment in der Stadt zu kaufen. Wollten nicht die Rikers dir und Jon das Geld für das Apartment geben? Ich erinnere mich noch, wie du mir erzählt hast, daß das so geplant sei. Tja, aber er hat sich entschlossen, nicht so viel Geld von ihnen annehmen zu wollen. Du brauchst nicht das Gesicht zu verziehen. Renata meinte, er sei im Recht. Sie sagte, wenn er das Geld von seiner Mutter annähme - Myron hat nicht viel, deshalb hätte es von ihr kommen müssen -, dann würde er sich noch abhängiger von ihr
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fühlen. Also haben wir, soviel wir konnten, von der Bank geliehen, und ich habe Mutters Geld dazugegeben. Die Ausübung des Psychoanalytikerberufs barg Unmengen von Vorteilen. Wie ausgezeichnet dieser Beruf geeignet war, den Vater einer Frau zu quälen, die der Sohn einer Analytikerin heiraten wollte, hatte Schmidt bereits am eigenen Leib erfahren. Dies hier war ein neuer Aspekt: Die Dame konnte von einer finanziellen Verpflichtung gegenüber dem Sohn und dessen Frau zurücktreten und die beiden am Ende auch noch überzeugen, daß sie ihnen einen Gefallen damit tue. Ihnen dazu verhelfe, ›das Leben zu meistern«, war wahrscheinlich der Modebegriff dafür. Ich verstehe, erklärte er ihr. Im selben Augenblick bedauerte Schmidt, daß er sich wiederholt hatte. Höchste Zeit, sich diese automatischen Erwiderungen wieder abzugewöhnen. Sie beruhigten die Nerven, aber dazu konnte er ebensogut den Blick auf den Rosenbusch richten. Es half alles nichts. Er mußte weiterfragen, auch wenn es ihm noch so sehr widerstrebte. Und wie habt ihr es mit den Grundbucheintragungen gehalten, du und Jon - ich meine, wem gehört was? Ich nehme an, daß du als Eigentümerin des Hauses in Claverack eingetragen bist, aber was ist mit dem Apartment? Bürgt ihr beide für das Geld, das ihr von der Bank geliehen habt? Wir dachten, wir sollten beide als Eigentümer in Claverack und in der Stadt im Grundbuch stehen. Den Kreditvertrag habe ich unterschrieben, glaube ich. Himmel, Dad, man kann's auch übertreiben. Wir haben es so gemacht, wie Eheleute es eben machen, oder? Nicht immer, nicht wenn die Finanzen so ungleich verteilt sind. Das müßt ihr klären, denn ihr habt ja wohl Probleme miteinander. Das stimmt doch wohl? Was ist mit dir und Jon? Was gedenkt Jon zu tun? Ich verstehe nicht, wie du einem Thema ausweichen kannst, das wirklich ganz dringend besprochen werden muß. Dad, hat das nicht Zeit? Ich versuche mit dir über meine Arbeit und mein Leben zu reden. Schmidt hörte, daß sich im Haus etwas rührte. Erfreuliche, hochwillkommene Geräusche drangen an sein Ohr. Das Brummen
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des Entsafters. Das Küchenradio mit dem Sender der Southampton University. Carrie war aufgestanden. Seine rosenfingrige Eos, die über die Intuition einer grande dame verfügte. Sie hatte begriffen, daß auf der Veranda das Gespräch unter vier Augen zwischen Vater und Tochter stattfand, und würde sich nicht in die Nähe wagen, bis die Unterredung sich so lange hinzog, daß besagte Intuition sie bewog, ihm zur Hilfe zu kommen. Ausgeschlossen, demnächst mit dieser Hilfeleistung zu rechnen, aber er konnte vielleicht behaupten, ein Glas Wasser zu brauchen, und sich unter diesem Vorwand in die Küche stehlen, Carrie umarmen und seine Hand in die dunkle bettwarme Spalte zwischen ihren Brüsten tauchen. Ich bin dabei, mir ein Bild vom Ganzen zu verschaffen, und ich meine, was dir und Jon in eurer Rolle als Paar passiert ist, ist erst einmal die Hauptsache. Vor ein paar Tagen habe ich mich mit Jack DeForrest unterhalten. Was er mir erzählt hat, war nicht nur unerfreulich. Es hat mich erschüttert. Jon steckt in üblen Schwierigkeiten. Deshalb denke ich, früher oder später müssen wir darüber sprechen, und ich verstehe, offen gesagt, nicht ganz, wie du daran denken kannst, deine Stelle aufzugeben und ein eigenes Unternehmen zu gründen, ohne ihn in die Überlegungen einzubeziehen. Später, Dad. Kann ich dir das verständlich machen? Ja, das kannst du. Soviel habe ich schon begriffen. Also, was willst du eigentlich? Ein Darlehen, oder soll ich in die Sache investieren? In beiden Fällen müßte ich wohl erst einmal die Gelegenheit bekommen, deinen Partner - diesen Mr. Polk kennenzulernen und mir deinen Geschäftsplan anzusehen. Ich nehme doch an, du hast einen zur Hand. Mr. Polk wird mit Sicherheit einen brauchen, wenn er einen Bankkredit beantragt. Ich schätze mal, ich bin zum einen wie zum anderen bereit, wenn dein Projekt vernünftig ist. Wann sie ihm schon einmal so einen Blick zugeworfen hatte, fiel ihm nicht sofort ein. Ach ja, das war seinerzeit gewesen, als er ihr erklärte, Mary und er könnten es sich nicht leisten, ein Jagdpferd mit ernstzunehmenden Aussichten auf Preise zu kaufen, und ein solches Pferd in der Stadt zu halten sei für sie auch ganz ausgeschlossen. Und danach? Vielleicht nie mehr; vielleicht hatte
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er Charlottes Illusionen für alle Zeiten zerstört, als er ihr diese eine Bitte abschlug. Aber jetzt wollte er nicht nein sagen; er meinte sogar, ja gesagt zu haben. Was hatte sie denn nur? Das kann doch nicht wahr sein, Dad, ich glaube es nicht. Ich wollte hier keinen Bankfachmann konsultieren, so habe ich mir das jedenfalls nicht vorgestellt. Ich dachte, ich rede mit meinem Vater, der so reich ist, daß er BMWs verschenken kann. Na ja, ich war dumm genug, zu glauben, daß mein Vater - er hat schließlich nur ein Kind, und das bin ich, falls du dich erinnerst - mir das Geld vielleicht einfach so gibt, als Geschenk, ohne damit etwas zu kaufen, meinen Hausanteil zum Beispiel, ohne mir ein Darlehen zu geben oder in mein Unternehmen zu investieren. Ich verstehe dich nicht. Glaubst du, Harry und ich wollten, daß du Eigentümer unseres Betriebs wirst? Dann würden wir ja für dich arbeiten. Für Harry kann ich nicht sprechen, aber mir wäre dann Marden Bush als Arbeitgeber lieber. Ach. Tränen schossen ihr in die Augen. Aber, aber, Charlotte. Können wir das nicht ganz ruhig besprechen? Immerhin ist es eine Geschäftsangelegenheit. Vergiß es. Es ist, wie Renate gesagt hat. Du mußt unbedingt über mein Leben bestimmen. Wenn ich das zulasse, ist alles in Butter. Sobald ich mich wehre, kehrst du Schmidtie den Hunnen raus. Ja, Dr. Renata Riker. Warum hatte er sie nicht erwürgt, am Nachmittag mitten auf der Fifth Avenue, vor den Augen aller Leute, gleich nach dem ersten und einzigen gemeinsamen Lunch? Hilfe, Hilfe! Ich habe Stimmen gehört: Zertreten soll ich diese Psychoschlange, bevor sie mich zertritt. Jedes amerikanische Gericht hätte ihn innerhalb von fünf Minuten freigesprochen: Notwehr in höchster Bedrängnis. Nicht schuldig wegen Unzurechnungsfähigkeit. Vielleicht wäre es gar nicht zum Prozeß gekommen. Jetzt war es zu spät. Schau mal, sagte er. Du verlangst eine Menge Geld. Trotzdem hast du ganz recht mit der Annahme, ich könne es mir leisten, dir die Summe zu geben und dasselbe Leben zu führen wie bisher. Sie kicherte.
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Ruhe bewahren, riet Schmidt dem Hunnen Schmidtie. Achte gar nicht auf sie. Der Punkt ist der, daß die Schenkungssteuer noch nicht abgeschafft ist, sagte er. Wenn ich eine Schenkung mache, muß ich dem Bund und dem Staat New York über siebzig Prozent auf die Schenkung zahlen - zusätzlich zu dem, was du von mir haben möchtest. Auch das ist noch keine Katastrophe, obwohl doch eine Menge Geld zusammenkommt, wenn man Schenkung und Schenkungssteuer addiert; und das heißt, daß ich mich auf einmal und ohne jede Vorbereitung von einer großen Summe trennen muß. Andererseits bist du mein einziges Kind, und kein Mensch würde sich daran stoßen, daß du erwartest, mich zu beerben. Aber erst wenn ich sterbe - und nicht jetzt gleich. Und wenn ich dann in die Grube fahre, wird die Erbschaftssteuer fällig. Deshalb würden manche Steuerberater sagen, es sei klug, Schenkungen zu machen und Schenkungssteuer zu zahlen, weil dann das Geld, das ich für die Steuer aufgebracht habe, nicht mehr in meinem Vermögen ist und nach meinem Tod nicht mehr versteuert werden muß. Wow,Dad! Du brauchst nicht sarkastisch zu werden. Der steuerliche Rat ist gut, allerdings weiß ich nicht, ob er auf meinen Fall paßt. Ich bin gesund und schlage offenbar meinem Vater nach, der sehr lange gelebt hat. Womöglich brauche ich mein Geld bis auf den letzten Pfennig, um ein Pflegeheim bezahlen zu können! Ob sie zuhörte, war nicht zu erkennen. Die Verletztheit in ihrem Gesicht hatte sich in einen Ausdruck von Langeweile und Trübsinn verwandelt. Ach zum Teufel, dann konnte er seine Rede auch zu Ende halten. Er versuchte die eigenen Worte nicht zu hören - sie ödeten ihn ja selbst an - und fuhr fort: Vor allem dann, wenn der Betrieb, den du mit Mr. Polk gründest, ein Fehlschlag wird. Wenn das einträte und wenn ich dir ein Darlehen gegeben oder eine Einlage gezahlt hätte, dann hätte ich die Schenkungssteuer gespart und könnte den Verlust des Darlehens oder der Einlage abschreiben. So planen vernünftige Menschen ihre Finanzen. Schon kapiert. Lassen wir das Ganze einfach fallen. Ich werde mit Harry reden. Vielleicht bleiben wir doch, wo wir sind.
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Sprich mit ihm. Und laß dir noch einmal durch den Kopf gehen, was ich gesagt habe. Bitte, mein Schatz, begreif doch endlich: Wenn du dich entschieden hast, daß du kein Darlehen und keine Investition in deinen Betrieb von mir willst, sondern eine Schenkung, dann bekommst du das Geld, ob ich Steuern dafür zahlen muß oder nicht. Aber erst einmal möchte ich Harry Polk kennenlernen, und ich halte es nicht für unvernünftig, daß ich einen Geschäftsplan sehen will. Das verlange ich zu deinem Schutz. Mein Rat in solchen Fragen war anderen Leuten gewöhnlich eine Menge Geld wert. Du bekommst ihn umsonst. Sehr komisch. Ich muß mich wohl auch noch bedanken. Bitte, gern geschehen. Wann soll das Ganze denn stattfinden? Wir haben daran gedacht, nächste Woche oder so zu kündigen und dann Ferien zu machen. Ich bin geschafft. Möchtest du hierher kommen? Ich würde mich freuen. Dad! War nur so eine Idee. Er mußte sich wirklich das automatische Reden und die automatisch sich einstellenden Ideen abgewöhnen. Diese hier war ziemlich lausig. Wie konnte er sich einbilden, Charlotte würde ein paar Wochen mit ihm und Carrie Zusammensein wollen, und wie konnte er Charlotte einladen, ohne Carrie vorher gefragt zu haben? Wahrscheinlich würde sie sagen: Ist ja cool - aber angenommen, sie sagte etwas ganz anderes, nämlich: Ich glaub es nicht. Du willst mich wohl verarschen, oder? Was dann? Wie macht man einen Rückzieher, ohne Unheil anzurichten? Das mußte er Charlotte lassen, diese Peinlichkeit hatte sie ihm erspart. Schon gut, wir hatten daran gedacht, nach Aspen in dieses Tenniscamp zu gehen. Aber Harry weiß nicht, ob er wegfahren kann. Das hängt von seinen Kindern ab. Oh. Er ist geschieden und hat die zwei kleinen Jungen, sieben und fünf sind sie. Wenn seine Frau später im Monat etwas Urlaub nehmen kann, wird er mit den Kindern in dem Haus in den Berkshires bleiben, das ihnen gemeinsam gehört. Es sind süße
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kleine Jungs. Das ist natürlich noch ein Grund, warum Harry kein Geld hat: Er zahlt Unterhalt für die Kinder und für seine Frau. Und er weiß genau, daß es sinnvoll für ihn ist, eine Stelle mit festem Gehalt aufzugeben und als Geschäftsmann ganz von vorne anzufangen? Dad, das ist eine Riesenchance. Wir wissen, daß wir's schaffen können. Harry kommt nie aus dem Loch, wenn er nicht richtig Geld macht und etwas besitzt. Ich verstehe. Und ob er verstand. Ein geschiedener Mann mit zwei Kindern, mit Verpflichtungen gegenüber der Ehefrau und ohne nennenswertes Geld auf dem Konto, der Charlottes Geld für seinen neuen Betrieb braucht. Bis es soweit ist, kann man ja Ferien in einem Tenniscamp machen, warum denn nicht? Das schien eindeutig genug: keine Notwendigkeit der Nachfrage. Wer weiß, vielleicht entschloß sie sich sogar, ihm mehr zu erzählen. Allerdings machte sie keine Anstalten, weiterzureden. Deshalb fuhr er fort: Richtig, ich möchte ihn kennenlernen. Je eher, desto besser. Können wir denn jetzt von Jon reden, Charlotte? Ich habe dir gesagt, daß ich mit Jack DeForrest gesprochen habe. Ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll. Also gut, Jon ist ein Arschloch. Aber er hat diesem Miststück den Schriftsatz nicht gegeben, sie hat ihm die Papiere aus der Aktentasche geklaut, und er ist so durchgeknallt, daß er sie nicht verpetzen kann. Das ist das Problem in Kurzfassung, und es ist sein Problem. Ich will mich von ihm trennen. Oder was schlägst du vor? Willst du sonst noch was wissen? Du bist sicher froh, daß du recht behalten hast mit Jon. Nein, das war er nicht, Gott sei Dank. Zur bösen, rachedurstigen Fee war er nicht geworden. Hexenkünste hatte er nie angewendet und nicht auf eine derartige Vergeltung gehofft. Diesen Teil der Mahnung hatte er beherzigt, die ihm die Seelenklempnerin Renata im Rahmen jener absurden, unverzeihlich seine Privatsphäre mißachtenden Lektion erteilt hatte, gleich bei der ersten Begegnung, unmittelbar nach dem Thanksgiving-Essen der Familie Riker, an dem er teilgenommen hatte, weil seine Tochter und ihr schwachsinniger Verlobter ihn mit erpresserischen
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Methoden dazu gezwungen hatten. Ja, er hatte Jon Riker im Lauf der Zeit immer unausstehlicher gefunden. Renata ging nicht fehl, und Jon auch nicht, falls sie wahrheitsgetreu wiederholte, was Jon ihr gesagt hatte; sie gingen also nicht fehl in der Annahme, daß er insgeheim den Knaben immer verabscheut hatte - sogar als er bei Wood & King so eng mit ihm zusammengearbeitet und viel Druck ausgeübt hatte, damit Jon zum Sozius ernannt würde. Der Entschluß der Verlobten, die Trauung lieber in einem scheußlichen Restaurant in Soho als hier im Haus der Familie zu feiern, Charlottes Weigerung, das Hochzeitskleid ihrer Mutter zu tragen, Charlottes Hohn - wie sonst sollte man benennen, was sie getan hatte, als sie ihm erklärte, bei der Hochzeit werde nur ein Rabbi den Segen sprechen und sie plane, zum Judentum überzutreten -, Jons falsche Beschuldigung, die sie ihrem Vater frech ins Gesicht schleuderte: Er sei in der Firma allseits als Antisemit bekannt dies alles und anderes mehr nagte an ihm. Aber nichts davon konnte ihn dazu bringen, mit Jubel zu hören, wie Charlotte ihre Ehe ungerührt und eiskalt auf die leichte Schulter nahm und ihren Mann mit einer vulgären Bezeichnung abtat. Auf so viel Würdelosigkeit war er nicht im mindesten vorbereitet. Er mußte blind gewesen sein. Es tut mir so schrecklich leid. Arme Charlotte. Hast du Jon mitgeteilt, was du vorhast? Leid tut es dir? Du konntest ihn nicht ausstehen. Sag doch lieber: Gut, daß du den los bist. Nein, ich mußte es ihm nicht ausdrücklich mitteilen. Er ist ein Arschloch, aber er ist nicht doof. Die Sache ist nur, daß er nicht aus der Wohnung auszieht. Und ich muß im Gästezimmer schlafen, weil er auch mein Schlafzimmer nicht räumen will. Harry sagt, ich brauchte einen Anwalt, und zwar schnell. Meinst du, W&K würden den Fall übernehmen, da sie ihn doch sowieso aus der Kanzlei werfen? Er hat schon einen Anwalt, einen Mann mit einem italienischen Namen - Cacciatore oder so ähnlich. Schmidt seufzte. Ich glaube, es wäre für alle Anwälte der Kanzlei sehr unangenehm, dich gegen ihn zu vertreten. Nach allem, was du sagst und wie du es sagst und weil die Wohnung und das Haus in Claverack euch gemeinsam gehören, glaube ich nicht, daß dies eine einvernehmliche Scheidung wird, ihr braucht nicht nur einen
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Anwalt, der euch Auskunft über Steuern gibt und aufschreibt, worauf ihr euch geeinigt habt. Wenn du willst, kann ich Murphy anrufen und bitten, dir jemanden zu empfehlen. Du erinnerst dich sicher an ihn, er ist der Sozius in der Kanzlei, der Mutters und mein Testament abgefaßt hat. Er kennt eine Menge Scheidungsanwälte. Mr. Murphy kenne ich noch. Er ist jedenfalls nicht das, was ich will. Ich will einen richtig scharfen Juden, so daß Jon und Cacciatore nicht mit ihm Schlitten fahren. Ich würde Harrys Anwalt beauftragen, aber Harry meint, es sei nicht so toll, was der für ihn geleistet habe. Meinst du, ich kann zu Harry ziehen? Ich bin es unheimlich leid, immer über Jon zu stolpern, aber ich will nicht, daß er mir die Schuld zuschieben kann, wenn ich aus dem Apartment ausziehe und mit Harry lebe. Ich denke, daß so etwas heutzutage keine Rolle mehr spielt. Aber da müßtest du dich ganz genau erkundigen. Murphy wird es wissen. Ich kann ihn fragen, wenn ich mit ihm über einen Anwalt für dich spreche. Charlotte, ich wurde stutzig, als du das Tenniscamp erwähntest, aber jetzt scheint mir die Sache kristallklar. Du hast offenbar eine Affäre mit Mr. Polk. Hat das denn angefangen, bevor Jon sich mit dieser Frau traf? Du meinst Debbie Vogel? Die Anwältin. Die, um die sich der Ärger mit dem Schriftsatz dreht. Es hat vorher angefangen, aber was heißt das schon? Jon hat nach Dienstschluß eine der Assistentinnen genagelt, in seinem Büro, auf dem Fußboden oder auf dem Schreibtisch. Das hat mir Dennis' Frau erzählt. Alle haben es gewußt. Er hörte Carries Schritte in der Diele. Meine Süße, rief er. Charlotte und ich, wir sind fast fertig. Möchtest du Kaffee machen? Wir könnten hier draußen Kaffee trinken. Für mich nicht, sagte Charlotte. Meine arme Kleine. Du bist erst so kurze Zeit verheiratet, du und Jon, ihr kanntet euch so gut, wart jahrelang zusammen - habt ihr geheiratet, um euch dann mit anderen Leuten einzulassen? Du bist vielleicht witzig! Kannst du dir nicht eingestehen, daß Menschen Sex haben? Ausgerechnet du, und dabei lebst du mit
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diesem Girl! Jetzt will ich dich mal was fragen: Warum hast du Mutter betrogen? Meinst du, ich habe nicht gewußt, daß du meine vietnamesische Babysitterin flachgelegt hast, hier in diesem Haus, vor Mutters Nase? Würdest du mir das bitte erklären? Mein Gott, du hast sogar Renata angebaggert. Konntest nicht widerstehen, wie? Wenn du mich fragst: Männer sind Scheißkerle. Oh, toll, wie du mich anstarrst, gleich fallen dir die Augen aus dem Kopf. Schon kapiert. Jetzt eben habe ich wohl die Chance auf dein Geld verspielt. Dämlich, wie ich bin. Ihre Stimme drang von weit her an sein Ohr. Eine andere Stimme, viel leiser und näher, flüsterte: Reg dich nicht auf, laß das Geldzählen, bald gehört es ihr sowieso. Erstaunlich, wie müde sie ihn machte. Er bewegte den Kopf hin und her, wie um sich Wasser aus dem Ohr zu schütteln, und versicherte ihr: Das Geld steht dir zur Verfügung. Sag mir nur, auf welches Konto ich es überweisen soll, Charlotte. Und als er sah, wie sie strahlte und zum Reden ansetzte, vermutlich, um ihm zu danken, hob er die Hand und fügte hinzu: Bitte, keine weiteren Reden mehr. Ein Mann kann seine Nase, seine Augen, Haare, Zähne und seine Haut nicht abstreifen, und wenn sie noch so häßlich sind sie sind immer da, damit er nicht vergißt, woher er kommt, das ist der Fluch des Erbes. Es fehlte nicht viel, und Schmidt hätte geglaubt, auch die übelsten Charakterzüge von seinen Eltern geerbt zu haben. Er beobachtete sein Verhalten daraufhin und fragte sich immer, wenn er im Begriff war, dieses oder jenes zu tun, ob er wenigstens einmal den ständig wiederkehrenden Angsttraum abschütteln könne. Gewöhnlich gelang ihm das nicht. Genauso hatte er als Halbwüchsiger besorgt nach Pickeln in der Mundgegend gesucht, um sie zwischen den Nägeln der beiden Zeigefinger zu quetschen, bis Eiter und dann ein Tropfen Blut heraustraten. Den vorwurfsvollen Blick, dieses: »Da siehst du, was du mir angetan hast«, hatte seine Mutter besonders gut beherrscht und virtuos gegen Schmidts Vater wie gegen ihn eingesetzt. Todernst, bleich und zitternd - immer fing sie gerade erst an, sich von der einen oder anderen Krankheit zu erholen -, mit eiskalten, an den Gelenken geröteten Händen glitt sie von Zimmer zu Zimmer und schüttelte den Kopf in sprachloser Verwunderung.
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Man gewöhnt sich an gleichmäßige Hintergrundgeräusche - das Tropfen eines Wasserhahns, die Übertragung des Fußballspiels, die der Nachbar sich anhört - und nimmt sie bald nicht mehr wahr. Deshalb wurden die Seufzer der Mutter in ungleichmäßigen Abständen lauter und klangen wie unterdrücktes Schluchzen. Oh, sie stand aus dem Bett auf und hüllte sich wie üblich in einen der Morgenröcke, die sie trug, um die guten Kleider zu schonen, und sie nahm in diesem Aufzug an den Mahlzeiten teil, aber nicht etwa, um etwas zu essen oder gar ihr Schweigen zu brechen. Die Wunde - der eine oder der andere Schuldige, Schmidt oder sein Vater, saß mit ihr am Tisch und wußte nur zu gut, um welche Wunde es sich handelte und wie man sie ihr geschlagen hatte war zu tief. Das konnte tagelang so weitergehen, bis Schmidts Vater ihr, mit Absicht und nicht zur Versöhnung bereit, eine neue Kränkung zufügte, indem er zum Beispiel ein Weinglas aus Kristall in der Hand zerdrückte, so daß der Rotwein sich übers weiße Leinentischtuch ergoß - ein bewundernswerter Trick, denn er schnitt sich nie an den Scherben -, oder aber mit einem juristischen Schriftsatz oder einem Darlehensvertrag für ein Schiff zu Tisch kam und während der Mahlzeit an Korrekturen arbeitete, was er nur unterbrach, um vom angebotenen Essen zu nehmen. Ohne ersichtlichen Grund tauchte die Mutter irgendwann aus ihrem Trancezustand wieder auf. Dann redeten sie wieder miteinander, in einem Ton, der ebenso grau und gehässig war wie das Schweigen, das vorangegangen war. Schmidt mußte allerdings immer klein beigeben und um Verzeihung bitten. Sein normalerweise gelassener, überlegener Vater neigte zu jähen Wutanfällen; sie waren verletzend, weil sie plötzlich und aus heiterem Himmel losbrachen, weil er wüste Beschimpfungen ausstieß und im nächsten Augenblick schon wieder vergaß, was er gesagt und getan hatte. Die Mutter dagegen vergaß nie und verzieh nie. Jede Kränkung wurde wie ein Pflänzchen sorgsam gehegt und gepflegt, bis sie ihre giftigen Früchte trug. Und was konnte er nun zu seinen Gunsten anführen? Hatte er sich in Geldangelegenheiten gegenüber Charlotte fair verhalten, hatte er sie denn gut behandelt? Die Sache mit den Geldern, die er ihr gegeben hatte, als er ihr die Anwartschaft auf sein Haus abgekauft hatte, die Summe, die sie für das Haus in
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Claverack und das Apartment in der Stadt verwendet hatte, die Zahlung an sie, die ihm so hartnäckig im Kröpf steckenblieb - all das war schließlich ganz und gar seine Idee gewesen, Frucht eines nachtragenden Zorns, der seiner Eltern würdig war. Notwendig war keine dieser Transaktionen gewesen: Er hatte sich auf sie eingelassen, weil er seinen zukünftigen Schwiegersohn nicht leiden konnte. Wenn er schon Wochenenden und Ferien unter einem Dach mit diesem jüdischen Rechtsanwalt zubringen mußte, dann wollte er dem jungen Mann wenigstens zeigen können, wer Herr im Haus war - ein Ehrgeiz, der sich kaum ganz befriedigen ließ, solange des Juden Ehefrau, seine Tochter, Miteigentümerin des Hauses war. Die so aufwendige wie unnütze List hatte sich gegen ihren Urheber gekehrt. Aber wer weiß? Wenn er den Mund gehalten und nicht so auf Veränderung gedrängt hätte, wären Charlotte und Jon vielleicht an den Wochenenden in dieses Haus gekommen. Dann hätte er ihnen beiden vielleicht helfen können, besonnen zu bleiben. Schließlich kannte er W&K sehr gut. Aber auch da hatte sein Ärger über allzu deutliche Kränkungen die alten Freundschaften außer Kraft gesetzt, mochten sie auch nur lau gewesen sein, und die alten Gepflogenheiten blockiert, die Lew Brenner oder Mike Woolsay oder gar DeForrest hätten dazu bewegen können, ihm am Telefon oder nach dem Firmenessen einen Tip zu geben - aber er hatte sich ja nicht die Mühe gemacht, auch nur ein einziges Mal wieder hinzugehen, seit er türenschlagend seinen Abschied genommen hatte - und ihm vielleicht zu sagen: Schmidtie, ich weiß, es geht mich nichts an, man mischt sich nicht in anderer Leute Angelegenheiten, aber Jon muß vorsichtiger sein, die Leute reden schon, vielleicht solltest du mal nach dem Rechten sehen. Ein Wort zum Guten. Hätte er die Schriftzeichen an der Wand entdeckt, hätte er das Menetekel sicherlich gelesen. Aber was er las oder wußte, war ganz gleichgültig: Geschick und Geduld waren ihm nicht gegeben. Er hatte seine Tochter den Hunden vorgeworfen.
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IV Nein: Schmidt, der inzwischen seit über einem Monat in schöner Regelmäßigkeit Mr. Mansours Gast war, konnte nicht viele Veränderungen im Haus der Crussels dingfest machen, und doch wirkte es insgesamt verwandelt. Zwar hatte der Innenarchitekt der beiden Alten sich alle Mühe gegeben, Jean und Olga vor Exzessen zu bewahren, aber irgendwie hatten sie immer ihren Kopf durchgesetzt, so daß ihre Einrichtung ganz mysteriös Assoziationen an die Billigkaufhäuser vergangener Zeiten und an Versandhauskataloge neuesten Datums heraufbeschwor. Solche Geschmacksentgleisungen kamen nicht mehr vor, seit Mr. Mansour Herr des Hauses war. Das Sonnendeck, auf dem Schmidt stand, war für sich genommen noch dasselbe weiträumige Rechteck aus reinem gleißenden Weiß von makelloser, durch kein Sandkorn und keinen Kratzer verunzierter Oberfläche und thronte wie früher über einer mit Rugosa-Rosen und silbergrünen Gräsern bepflanzten Düne. Der Kunstgriff, der feine Unterschied, bestand womöglich nur in der Anordnung von zahllosen Stühlen in allen Größen und Formen, von Sofas, Tischen und Sonnenschirmen: Auf den ersten Blick wirkten diese Meisterwerke aus Stahl, Aluminium, Segeltuch und Leinen wie zufällig verstreut von Möbelpackern, die jeden Augenblick wiederkommen und sie an einen anderen Ort schaffen konnten. Bei näherem Hinsehen verrieten sie jedoch die sichere Hand und die genaue Kalkulation eines raffinierten Geschmacks. Und dasselbe galt für das ganze Haus samt seinen verspielten Anbauten. Der Strand ist natürlich etwas Dauerhaftes und verändert sich doch jeden Tag, und jetzt um die Mittagszeit zeigt sich, wie brutal die Stürme und Gezeiten der letzten Woche an ihm genagt haben. Schmidt nahm die Sonnenbrille ab und blinzelte wieder zum Meer, weil er dessen wirkliche Farben sehen wollte. Ein Mann in ausgebeulter schwarzer Kleidung, die nackten Füße manchmal vom Wasser überspült, stand immer noch in unveränderter
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Haltung an derselben Stelle, an der er Schmidt schon bei der Ankunft - vor einer ganzen Weile - aufgefallen war. Vielleicht war auch der Mann gebannt vom Anblick des Segelbootes, das in der Ferne, nur als zitteriger weißer Pinselstrich am Horizont erkennbar, gegen den Westwind zu kreuzen versuchte und kaum von der Stelle zu kommen schien. Wohin mochte es unterwegs sein? Zum Jachthafen im benachbarten bescheidenen Shinnecock, wo Indianer lange vor den Weißen schon eine Art Kanal angelegt hatten, die den Ozean mit der Bucht verband? Nach New Jersey? Zu den Säulen des Herkules? Ganz plötzlich zuckte der Mann die Achseln und ging schnellen Schritts in östlicher Richtung davon, als habe er beschlossen, das ferne Boot seinem Schicksal zu überlassen, und wolle nun versuchen, die beim Zuschauen verlorene Zeit wieder aufzuholen. Sehnsucht überkam Schmidt, vielleicht hing sie mit dem abrupten Handeln des Mannes zusammen: die Sehnsucht, weit weg zu sein, in einem Leben, das nicht mit selbstverschuldeten Fehlern übersät war. Er wußte, daß dies eine kindische Sehnsucht war, und trank seinen Gin-Tonic aus. Manuel, der Assistent mit dem mediterranen Akzent, hatte ihm erklärt, Mr. Mansour befinde sich schon seit Stunden in einer Konferenzschaltung mit London. Und Carrie hatte ihn versetzt. Sie hätte nach ihrer letzten Seminarübung direkt hierher kommen sollen, so war es verabredet. Statt dessen ließ sie Schmidt durch einen von Mr. Mansours allgegenwärtigen Leibwächtern ausrichten, sie sei auf dem Weg nach Brooklyn zu ihren Eltern und wisse nicht, wann sie zurückkäme. Es sei aber kein Notfall, und er solle sich keine Sorgen machen. Sie werde ihn am Spätnachmittag zu Hause anrufen. Schmidt schloß daraus, daß sie wahrscheinlich über Nacht fortbleiben würde. Nichts dergleichen war vorher besprochen worden. Warum hatte sie ihm nicht im voraus Bescheid sagen können, gerade weil es sich nicht um einen Notfall handelte? Warum hatte sie ihn nicht zu Hause erreicht, zwischen zwei Seminaren, bevor er weggefahren war? Eigentlich war ihm nicht nach einem Mittagessen mit Mr. Mansour allein zumute. Sowieso hatte man ihn länger warten lassen, als es die Höflichkeit erlaubte. Daß auch Manuel dieser Meinung war, fiel Schmidt ein, als der Assistent ihm einen neuen Drink brachte und bemerkte, er werde Mr. Mansour noch einmal eine Notiz zur Erinnerung an das Essen hinlegen. Die Besorgtheit
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dieses netten Angestellten war schon beinahe peinlich, und Schmidt fragte sich, ob er den Gin-Tonic nicht lieber ausschlagen und nach Hause gehen solle - vielleicht konnte er seinerseits eine Notiz hinterlassen und vorschlagen, die Verabredung auf einen anderen Tag zu verschieben, wenn Mr. Mansour nicht ganz so beschäftigt sei. Er bezweifelte nicht, daß es untunlich war, eine Telefonkonferenz mit London zu unterbrechen; dort war es schon beinahe sieben Uhr abends, und wenn Mr. Mansour sein Mittagessen beendet hätte, würden die Londoner zum Abendbrot zu Hause sein wollen, aber Schmidt kannte den Stil seines Gastgebers im Umgang mit Kollegen inzwischen gut genug, um zu wissen, daß Mansours Rücksicht auf sie ein Ende hätte, falls er Schmidt für einen wichtigen Gast hielte, den er warten ließ, oder falls Mr. Mansour etwas von ihm wollte, das nicht ohne Schmeicheleien, nicht ohne » Charmieren «, wie Mansour es nannte, zu haben war. Am Ende nahm Schmidt den Cocktail, den Manuel ihm angeboten hatte. Er wußte keinen Ort, der ihn jetzt besonders gelockt hätte. Auch war er nicht willens, den Unterhaltungswert aufs Spiel zu setzen, den ein Besuch bei Mr. Mansour für sich genommen und als Gesprächsstoff dann mit Carrie bot. Zwischen ihnen hatte sich eine Kameraderie entwickelt, die Michael Mansour sehr schnell Freundschaft nannte. Schmidt hatte Michael nie im Kreis von Freunden gesehen, jedenfalls nicht von Freunden in dem Sinn, in dem Schmidt das Wort verstand, und offenbar gehörte Michael auch zu keiner Schickeria-Clique. Vielmehr war er - zu diesem Schluß war Schmidt gekommen Mitglied einer unvergleichlich exklusiveren geistigen Bruderschaft, zu deren Insignien und Privilegien es gehörte, daß man die anderen Milliardäre in Nord- und Südamerika und Europa (und sogar in jenen Gebieten des Nahen Ostens, in denen es nicht als schwerwiegender Makel galt, wenn ein Mann mit dem Reichtum eines Golf-Scheichs ein in Ägypten geborener Jude war) beim Vornamen nannte, daß man ihre streng geheimen privaten Telefonnummern kannte und darüber hinaus - ganz unerklärlich sonst - mit Einladungen auf Karibikinseln in Privatbesitz und in Chalets in Vail und Gstaad rechnen durfte und natürlich zu den Hochzeiten und Beerdigungen der Mitbrüder geladen wurde. Es war Mitte August. Michael ließ sich von seinem Helikopter nur zu
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Kurzbesuchen in die Stadt einfliegen. Fast täglich wurden Schmidt und Carrie zum Lunch oder Dinner gebeten - Schmidt hatte den Eindruck, daß der beharrliche Gastgeber sie am Ende jeder gemeinsamen Mahlzeit gleich wieder einlud oder seine Sekretärin am nächsten Morgen früh anrufen ließ -, und Gäste und Gastmahl Mr. Mansours erinnerten Schmidt an die Klientel eines schwerreichen Römers - eines freigelassenen Sklaven, Trimalchio zum Beispiel -, die sich in Erwartung des unvermeidlichen Augenblicks, da er seine Gunst gewährt, um den Gastgeber scharte. Geld lag in der Luft wie der schwere Duft der Geißblatthecke, die Mr. Mansours Auffahrt einfaßte. Es tut mir leid, daß Carrie nicht kommen konnte, erklärte er Mr. Mansour, als sie sich endlich am kleinen Tisch im Eßzimmer mit Blick auf das Sonnendeck niederließen; der Wind hatte so aufgefrischt, daß Manuel vom Essen im Freien abriet. Der Hummersalat wurde dem Gastgeber mit zusätzlichen Mayonnaiseklecksen serviert. Mr. Mansour nahm eine zweite Portion, überlegte kurz und füllte sich noch mehr auf den Teller. Vergiß es. Sie ist große Klasse. Aber unter uns gesagt: Sie muß langsam verrückt vor Langeweile werden. Das ist auch etwas, worüber ich mit dir reden wollte. Aber erst mal das Dringendste, fuhr er fort, kaute, schluckte und redete dann weiter: Was hast du mit deinem Schwiegersohn vor? Ich habe meine Leute auf ihn angesetzt. Ich muß mich wohl mal mit ihm und deiner Tochter zusammensetzen und dieses Ding für dich in Ordnung bringen. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch, der das schaffen kann. Du möchtest vielleicht auch dabeisein, und ich kann euch dann wieder alle drei zusammenbringen, aber nicht beim ersten Treffen. Dies war nicht das erste Mal, daß Michael Jon Riker erwähnte, ganz zu schweigen von dessen Blamage. Er saß über sein Essen gebeugt da, und sein vollkommen ovales, für einen Mann von seiner untersetzten Statur vielleicht etwas zu schweres Gesicht verzog sich zu einem breiten Lachen, als hätte er gerade einen erstklassigen Witz erzählt oder gehört. Sein kahler Schädel glänzte. Er trug weiße Leinenhosen und ein weißes Baumwollhemd mit langen Ärmeln, das der Bequemlichkeit halber an den Handgelenken hochgekrempelt und über der Brust bis zum vierten Knopf geöffnet war; es gab den Blick auf kräftige Muskeln
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frei. Michaels Ähnlichkeit mit seinem Assistenten Manuel wurde nur durch Manuels Schnauzbart gemindert. Vielleicht hatte Mr. Mansour verlangt, daß Manuel sich einen Bart stehen ließ, genauso wie er ihn auch hätte auffordern können, seinen Namen zu ändern und sich nicht Michael, sondern Manuel zu nennen. Sehr freundlich von dir, daß du dir über ihn Gedanken machst. Vergiß es. Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ich verstehe dein Verhalten nicht, das sage ich dir dauernd. Der Mann hätte Zahnarzt werden sollen. Nein, mehr noch die Dame, die dir die Zähne mit diesem wasserspeienden Schleifrad abschabt. Wer sonst könnte Untersuchungen so erbarmungslos beharrlich wiederholen? Da gibt's nichts Neues. Nichts hinzuzufügen. Er mußte meine alte Kanzlei verlassen. Ich fürchte, da kann man nichts machen, zumindest ich nicht, und ich habe keine Ahnung, welche Pläne er inzwischen hat. Michael streckte die Hand über den Tisch, griff nach Schmidts Unterarm und drückte ihn lange und herzlich. Ich habe dafür gesorgt, daß ich so viel über dich weiß, wie herauszufinden ist, sagte er. Und nach einer Pause: Auskünfte von Gil Blackman eingeschlossen. Ich brauche den Kontext. Du machst es mir wirklich nicht leicht, dir zu helfen. An dem hast du einen echten Freund. Gil liebt dich, das muß man sagen. Ach, mach dir nichts draus. Meistens kann ich in dir lesen wie in einem offenen Buch. Instinkt und Gespür. Ah, Mr. Mansour und die Weisheit des Orients. Daß er sich mit Gil über Riker unterhalten hatte, war wohl ganz natürlich, dachte Schmidt. Wer würde nicht darüber reden? So unwichtig sie war, bot diese Geschichte doch ein gefundenes Fressen für Leute, die derlei interessant finden, also außer den Einheimischen, die für die Reichen arbeiten, so gut wie alle in den Hamptons. Schmidt hatte sich das Wall Street Journal besorgt und den gräßlichen Artikel, den Jack DeForrest avisiert hatte, durchgelesen. Er hatte sich einen Ruck gegeben und die Bibliothekarin der Kanzlei gebeten, ihm alle Zeitungsmeldungen über den Fall auszuschneiden und zuzuschicken. Aus Stolz, damit niemand sagen konnte, er verstecke seine Blamage, oder auch weil er wollte, daß Carrie
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etwas dazu sagte, eine Meinung äußerte, ließ er die Zeitungsausschnitte regelmäßig auf dem Küchentisch liegen, wo Carrie sie finden mußte. Er wußte, daß sie die Artikel las, auch wenn sie keinen Kommentar dazu gab. Kein Wunder. Er hatte ihr dafür gedankt, daß sie ihn und sozusagen auch seine Tochter heil durch diese vierundzwanzig Stunden gebracht hatte, und dies bis zum Schluß, bis zu jenem jetzt schon ferngerückten Samstagnachmittag, als er Charlotte endlich am Bus nach New York absetzen konnte. Aber er hatte seitdem kein Wort über Charlotte oder Jon verloren, nur einmal beim Abwasch, als Carrie praktisch schon auf dem Weg zu ihrem Übungskurs war, hatte er in seiner überzeugendsten Ich-bin-ein-Opfer-Stimme erwähnt, daß Charlotte Riker verlassen wolle und Startkapital für ein Unternehmen verlangt habe, an dessen Erfolg er, Schmidt, Zweifel habe. Trotzdem werde er ihr das verlangte Geld geben. Auf diese Weise hatte er es gegen alle Vernunft fertiggebracht, Carrie auszuschließen, als er sie am meisten brauchte. Und ebenso gegen alle Vernunft hatte er sich zum ersten Mal, nicht wie sonst bei Familienkatastrophen, ratsuchend an Gil Blackman gewandt. Er schämte sich Jons und Charlottes zu sehr. Hätte Gil, falls er das durchschaut hatte, auch dies Mr. Mansour gegenüber erwähnen müssen, um den Kontext abzurunden? Dieser redete weiter: Sieh mal, Schmidtie, wir sind sehr verschieden. Lach nicht! Daß wir verschieden aussehen, weiß ich. Ich meine damit, auch wenn wir wie Zwillinge aussehen würden, wären wir innerlich ganz verschieden. Trotzdem verstehe ich dich. Ich glaube, du weißt gar nicht, wie gut ich verstehe. Der springende Punkt ist, wir denken und fühlen nicht gleich, und du hast nie gelernt, dich selbst zum Ausdruck zu bringen oder mit anderen Leuten auszukommen. Wenn zufällig jemand deine Wellenlänge hat, läuft's soweit. Dann bist du nett. Aber zu den meisten Leuten nicht, denen zeigst du sofort, wie überlegen du dich fühlst. Wenn sie dich langweilen oder wenn du sie nicht leiden kannst, ist es dieselbe Geschichte. O ja, du reibst es ihnen unter die Nase. Hier in diesem Haus habe ich es beobachtet, an den Leuten, die zu mir kommen, und manche von ihnen sind sehr interessant und tragen wirklich was bei, denke ich. Du bist hochnäsig, himmelhoch erhaben. Wie andere Leute sich fühlen, ist dir egal. Mich behandelst du ganz gut, weil du mich bewunderst.
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Ha! Ha! Das ist kein Witz, das ist wahr. Und du hast märchenhaftes Glück mit Carrie gehabt. An ihr ist alles richtig. Du solltest dir genau ansehen, wie sie mit Leuten umgeht. Ich gebe dir recht. Ich habe schwere Mängel. Und jetzt denkst du: Wie kommt der Kerl dazu, so den Mund aufzureißen und zu behaupten, daß er mich versteht. Gott behüte. Ein Jude aus Kairo bildet sich ein, er kann denken und fühlen wie Mr. Albert Schmidt. Was für eine Chuzpe! Ach komm, Michael. Ich habe eine gute Nachricht für dich. Ich lerne, Juden gern zu haben. Das heißt, du wirst gescheiter. Aber Scherz beiseite, jetzt sage ich dir, was ich wirklich meine: Wir haben dieselbe Art von Intelligenz, nur daß ich im ganzen gescheiter und kreativer bin. Gräm dich nicht. Dich hat nicht meine Mutter großgezogen. Der wahre Unterschied ist: Du bist zugeknöpft, ganz verklemmt, ich dagegen, verstehst du, ich weiß, wie man mit Menschen umgeht, ich kann auf sie zugehen. Vielleicht, weil ich das mußte, als ich anfing. Vielleicht kommt' s auch davon, daß ich bin, der ich bin. Eins laß dir gesagt sein: In Ägypten, in Marokko und damals in den guten alten Zeiten, als wir ankamen, sogar hier, galt: Juden waren nicht aus Stärke umgänglich. In einem gleichst du mir. Du bist nicht mit dir zufrieden. Schmidt nickte. Siehst du? Ich müßte zufrieden sein mit dem, was ich erreicht habe - du sagst es: ich habe viel erreicht -, aber innerlich bin ich nicht zufrieden. Da liegt der Schlüssel. Glaub mir, als ich in dieses Land kam, hatte ich nicht viel Grund, zufrieden zu sein. Die Grundzüge der Mansourschen Familienlegende waren Schmidt nicht unbekannt. Michael hatte sie ganz schmucklos dargestellt, als er nach Carries und Schmidts erstem Besuch im Haus Mansour einen Strandspaziergang mit ihnen machte. Wie vollständig die Erzählung war, wieviel im Schatten blieb und womöglich unglaubwürdig war, das stand auf einem anderen Blatt. Anscheinend hatte die Familie wie alle ägyptischen Juden, deren Geschichten erzählenswert sind, mit Baumwolle gehandelt, nebenher eine Reederei betrieben und großen Reichtum angehäuft, war dann, als Nasser an die Macht kam, Hals über
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Kopf aus Kairo geflohen, und die Eltern Mansour, der kleine Michael und toute la smala hatten in Marokko, unter dem Schutz von Vettern der Mutter, Zuflucht gefunden. Dieser Zweig der Familie besaß das Privileg eines königlichen Hoflieferanten für Juwelen und war also fast genauso großartig. Auf Marokko folgte ein Aufenthalt in Paris, über dessen Dauer und Finanzierung Michael keine Angaben machte. Grund für den Wechsel aus dieser Stadt der für einen ägyptischen Juden so großen sprachlichen und kulturellen Affinität nach Amerika, genauer in die Bronx, wo die Eltern sich zum Nähen und Verkaufen von Gardinen herablassen mußten, war die nicht näher beschriebene Treulosigkeit zweier Onkel. Zur Einsicht gekommen, drehten die Eltern Mansour jeden Pfennig zweimal um, sparten eisern und bauten einen Gardinenund Polsterbetrieb auf. Die Pfennige häuften sich schnell, aber in diesem fremden Land begriffen weder die Eltern noch der Sohn, daß ein junger Mann von Michaels Begabung nach Harvard, Princeton oder Yale gehörte. Statt dessen ging er comme un con an die New York University. Hätten wir das nur gewußt, sinnierte Mr. Mansour. Dann hätte es Harvard oder Princeton sein müssen, das kann ich dir sagen. Sie wußten es nicht, also nahm er die UBahn von Forest Hills - die Familie war inzwischen umgezogen zum Washington Square und studierte Buchhaltung. Und das war nur gut so, denn als er Examen machte, war Mansour Curtains ein Großbetrieb geworden, dessen Diversifikation anstand. Den Rest der Geschichte konnte er sich sparen. Der Aufstieg der Familie Mansour, zuerst der Eltern und dann des Sohnes, war Teil der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, wurde in Fallstudien und Zeitschriftenartikeln abgehandelt und kam, im Zusammenhang mit Michael persönlich, auch in Zeugenaussagen vor Gerichten und Aufsichtsbehörden zur Sprache. Seit dem Autounfall auf der Corniche - sie waren mit ihrem Fahrer unterwegs zu ihrem neuen Haus in Cannes gewesen -, der die Mutter das Leben kostete und den Vater in ein Koma versetzte, aus dem er nicht mehr erwachte, waren die Aktivitäten des Sohnes garniert mit reichlich vielen Streitfällen, gerichtlichen Untersuchungen und Prozessen, die alle auf die eine oder andere Weise mit Urteilen zu seinen Gunsten endeten. Oh, er war kein Ivan Boesky, sondern nur unglaublich brutal und brillant. Auch waren die Reporter durch die Berichterstattung über Mr. Mansours neuerliche Scheidung und die
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Abfindung für Mrs. Mansour, die jetzt Michaels ehemalige Residenz in East Hampton in der Nähe des Maidstone Club bewohnte, in Atem gehalten und - hoffentlich - zufriedengestellt. Dieses Gespräch von Mann zu Mann, das Mr. Mansour gerade mit Schmidt führte, war rasch Teil ihrer Routine geworden. Ein Thema ohne Vorspiel. Mr. Mansour ließ gern durchblicken, daß er hinter der Szene, in den Kulissen arbeitete. Wenn er sein tiefes Verständnis zur Schau stellte, das er abwechselnd auf Gil Blackmans vertrauliche Mitteilungen, seine eigene Intuition oder auch auf Nachforschungen seiner Angestellten zurückführte, dann wollte er damit bekräftigen, daß er prinzipiell immer die besseren Karten habe. Schmidt hielt ihn für den einzigen ihm bekannten Mann, der zufrieden war, wenn alle Menschen in seiner Umgebung sich manipuliert fühlten. Ebenso gern und oft kam Mr. Mansour auf das Thema von der Überlegenheit seiner Intelligenz zurück, und das nicht nur, wenn er sich mit Schmidt verglich. Kurz, es hatte den Anschein, daß Mr. Mansour in Geschäftsdingen alles, was er erreichen wollte, auch erreichen konnte; dieser Einschätzung stimmte Schmidt bereitwillig zu. Die Frage sei, so erklärte Mr. Mansour gern: Wie verteile ich meine Energie? Wie nutze ich meine Macht? Ich habe mir Zeit genommen, ein Unternehmen aufzubauen; ich bin gut sechs bis acht Milliarden wert; wenn ich mein Unternehmen weiter ausbaue, könnte ich die Summe um den Faktor X vervielfachen. Setz eine Zahl ein. Pas de Probléme. Ich finde, das ist genug. Ich will nicht meine ganze Zeit in Geschäfte investieren, und ich will keine Vermögenswerte besitzen, wenn ich ihnen nicht die Aufmerksamkeit geben kann, die sie verdienen. Die Frage ist: Was mache ich mit meinem Reichtum? Das ist das große Fragezeichen. Meine Stiftung wird das meiste davon bekommen, und ich muß dafür sorgen, daß sie besonders gut geleitet wird. Auch das ist kein Problem. Mr. Mansour hätte »lähmende Beharrlichkeit« auf die Liste seiner wichtigsten Eigenschaften setzen können. Er fragte wieder: Was hast du vor mit deiner Tochter und deinem Schwiegersohn? Gar nichts. Meine Tochter sagt, daß sie Jon verlassen will. Das ist keine irrationale Entscheidung. Gefühllos ist es.
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Ach ja? Vielleicht vergißt du dabei ihre Gefühle. Wie auch immer, die Entscheidungen über ihr weiteres Leben muß sie selbst treffen. Was soll ich deiner Meinung nach in der einen oder anderen Richtung unternehmen? Ich erzähle dir, was mein Vater gesagt hätte: Gib ihnen das Gefühl, daß du auf ihrer Seite stehst. Ihr seid eine Familie. Nie im Leben hat Riker dieser Anwältin den Schriftsatz gegeben. Das ist doch Quatsch. Du kannst dich auf meine Intuition verlassen. Deine Firma hat ihn beschissen. Vielleicht, weil er Jude ist. Hast du darüber mal nachgedacht? So ein Unsinn! Lew Brenner ist Jude, er ist einer der einflußreichsten Sozii, und Jon hat für ihn gearbeitet. Warum würde Brenner zulassen, daß Riker so behandelt wird, wenn es nicht in Ordnung wäre? Kein Problem. Ich kenne Lew und seine Frau. Sie sind bei jeder Benefizgala. Aus meiner Sicht ist der Kerl ungefähr soviel Jude wie du auch. Wer weiß? Hast du Feinde in der Kanzlei? Könnte sein, daß sie dich treffen wollen, wenn sie deinem Schwiegersohn eins auswischen. Spielt keine Rolle. Die Frage ist, was du als nächstes tust. Du solltest den beiden Unterstützung anbieten und so viel Geld geben, daß sie zurechtkommen, bis er seinen Namen wieder sauber hat und seine Karriere in Gang bringt. Daß du bei Wood & King rausgeflogen bist, bleibt an deinem Namen kleben, das wirst du nicht mehr los. Glaub mir, er ist dumm oder verschlagen. Egal, ich denke, zwischen ihm und Charlotte ist es aus. Es gibt da einen Mann, mit dem sie eine neue Firma gründen will. Sie sind auch sonst zusammen. Ich gebe ihr Geld dafür, mehr als ich mir leisten kann. Er beschrieb die Verabredungen mit Charlotte und Mr. Polk. Richte ihnen aus, sie sollen mit Larry Klein in meinem Büro sprechen. Wenn der meint, daß die Sache Sinn hat, kann ich ihnen helfen. Du weißt ja, mich zum Kunden zu haben, ist eine Erfolgsgarantie. Eure Familienverhältnisse kann ich wohl nicht in Ordnung bringen, aber ich kann dafür sorgen, daß du kein Geld verlierst!
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Es wird ihr Geld sein, aber trotzdem: danke. Ich werde Charlotte vorschlagen, daß sie anruft und einen Termin verabredet. Aber du darfst dich nicht wundern, wenn du nichts von ihr hörst. Wovon redest du denn? Ich versuche nur zu helfen. Charlotte will Geld, Hilfe will sie nicht, jedenfalls nicht von mir. Wenn ich ihr vorschlage, sie solle dich anrufen, wird sie meinen, ich mische mich ein, und sie will um jeden Preis vermeiden, daß ich ihren Projekten zu nahe komme. So war es schon vor ihrer Heirat. Vielleicht schon seit dem Tod ihrer Mutter. Dann bist du Carrie begegnet und hast dich bald mit ihr zusammengetan. Dadurch wurde es noch schlimmer. Ja, sie hat sich sehr unfreundlich dabei verhalten, aber der Ärger begann und wurde schlimm, bevor sie das mit Carrie herausfand. Carrie war übrigens wunderbar mit Charlotte, als sie im letzten Monat zu Besuch kam. So, und jetzt hast du also ein Problem mit deiner Tochter und dazu eins mit Carrie. Que c'est bête. Was willst du wegen Carrie unternehmen? Der Assistent servierte eine Limettentorte, deren Herkunft Schmidt kannte: Sie kam aus der Bäckerei, in der er seine täglichen Croissants holte. Sie schmeckte ausgezeichnet. Schmidt wollte sich den Genuß nicht durch Mansours Fragen verderben lassen. Er zeigte auf sein Weinglas. Wein wurde nachgeschenkt. Ein Gutes hatte Mansour: Er trank Rotwein zu Fleisch und Fisch und sparte weder an der Qualität noch an der Quantität. Aber neben dieser Angewohnheit hatte er auch andere, weniger attraktive Eigenarten im Umgang mit Geld, die nicht ohne Auswirkungen auf Schmidts Zweifel an der Großzügigkeit des Mannes blieben. Waren seine Geschenke gratis, oder erkaufte er sich damit Ansehen und nützliche Verbündete? Schmidt betrachtete seinen Gastgeber durch das schöne, kostbare Getränk hindurch. Dieser Filter verbesserte das Gesicht. Vielleicht gab es eine einfache Erklärung: Mr. Mansour war ein stark beschäftigter Mann, hatte viel um die Ohren und mußte zahllose Ansprüche an seine Aufmerksamkeit erfüllen. Daß er feine Unterschiede machte, zum Beispiel einen Verbündeten nicht mit einem Parasiten verwechselte, durfte man nicht erwarten.
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Nach diesen Erwägungen zündete Schmidt sich ein Zigarillo an und fragte, ob sein Gastgeber die ganze Woche in Water Mill bliebe. Der aufmerksame Manuel trat auf und brachte einen Aschenbecher. Schmidt mutmaßte, daß dieser Tugendbold zu einem harten Urteil gekommen war: Wie kann ein Gast sich erlauben, bei Tisch zu rauchen, obwohl kein Aschenbecher dasteht? Dumm gelaufen. Heute nachmittag habe ich in der Stadt zu tun, aber am Sonntag bin ich wieder hier. Komm doch zum Lunch. Nein, lieber zum Dinner. Hillel soll vor dem Essen spielen. Du wirst schon sehen, wir bringen interessante Leute zusammen. Gefällt dir die Idee? Michael hatte sich angewöhnt, Hillel mit seinem Jet quer durchs Land und bis nach Kanada fliegen zu lassen, in alle Städte, in denen der große Cellist Engagements hatte; oft schickte er den Leibwächter Jason mit, der eine natürliche Begabung für ShiatsuMassage hatte. Manchmal reiste er auch selbst mit dem Künstler. Er erklärte: Ich helfe ihm beim Entspannen. Wir besprechen seinen Zeitplan. Meistens reden wir gar nicht, oder wenn, reden wir über seine Investitionen. Die machen ihm einiges Kopfzerbrechen. Bei mir kann er alle Sorgen abladen. Ich berate ihn auch bei seinen Engagements. Manche Städte sind ein Muß, andere kann er sofort vergessen. Danach, wenn ich ins Konzert gehe und ihm zuhöre, ist alles ganz anders. Die Idee ist phantastisch, antwortete Schmidt. Natürlich kommen wir. Entschuldige. Noch einmal zu Carrie. Die Frage ist: Was willst du tun, um sie zu halten? Hast du einen Plan? Nachdem der Kaffee serviert war, fühlte sich Schmidt gestärkt und bereit, energischer aufzutreten. Brauche ich denn einen Plan? fragte er. Wozu? Du nimmst mich auf den Arm. Du bildest dir ein, du kannst einfach so weitermachen. Natürlich. Wir sind glücklich miteinander. Das reicht doch. Da gibt es nichts zu planen oder zu reden. Wie lange noch? Das ist die Frage.
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Solange wir glücklich sind. Was denn sonst? Was stellst du dir denn vor? Na, viel Glück! Die Kleine wird bald ausrasten vor Langeweile! Das ist kein Problem für mich. Ich kann es vom Anfang bis zum Ende sehen. Gut, im Moment bin ich fast immer hier. Ihr kommt oft zu mir. Sie lernt die Leute kennen, mit denen ich arbeite. Sie machen wichtige Sachen. Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber es sind immer ein paar junge Leute dabei. Nur für sie. Und was tust du für sie? Das kann ich dir sagen: gar nichts. Null. Du gehst nicht mal mit ihr ins Kino oder ins Restaurant. Ich habe mich mit ihr über die besten Restaurants hier in der Gegend unterhalten. Sie kennt sie nicht, sie ist nirgends gewesen. Und im September, denkst du, soll sie dann wieder weitermachen mit der CollegeRoutine. Morgens Übungen, am Nachmittag Hausaufgaben, und nach einem frühen Essen dann ab ins Bett mit Schmidtie. Die Frage ist, machst du dir was vor oder ihr? Vielleicht meinst du ja, du wärst im Bett eine Art Michael Jordan. Schmidt hoffte, daß er nicht sichtbar die Farbe wechselte. Dieser Flegel und seine Sensibilität! Um es mit Mr. Mansours Worten zu sagen: das Problem seiner unglaublichen Grobheit war das Verhältnis zwischen Sadismus und gutgemeinter Einmischung. Nein, gutgemeint war die Einmischung doch nicht, sie hatte Motive: Eitelkeit und zwanghafte Angeberei. Natürlich brachte Michael nichts vor, was Schmidt sich nicht selbst wieder und wieder gesagt hätte. Aber Schmidt wollte seine schmutzigen kleinen Geheimnisse unter der Decke seiner habituellen Selbstkritik und Selbstironie verborgen halten. Dank Mr. Mansour erwies sich nun, daß es gar keine Geheimnisse waren. Für Mr. Mansour lag alles klar vor Augen. Und deshalb auch für seinen Klientenschwarm. Für die polnische Putzkolonne. Für Gil und Elaine Blackman. Eines wußte Schmidt mit Gewißheit: Carrie hatte ihn nicht verraten. Sie hätte sich nie und nimmer bei Mansour beklagt. Möglicherweise hatte sie nicht genug Selbstzweifel andererseits war ihre Weigerung, ihn zu heiraten, doch wohl ein Beweis für Selbsterkenntnis. Trotzdem meinte er, vorläufig - wenn auch vielleicht nicht für lange Zeit - sei das Leben, das sie führten, ein Leben nach Carries Willen, auch wenn Mr. Mansour dies anders beurteilte. Seine Carrie mitten unter Glückspillenhändlern
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und Models mit Kokaingesichtern, die zu Wochenendpartys in die neuen Clubs in Southampton geschafft wurden? Auf keinen Fall! War das die Art Unterhaltung, die Mansour im Sinn hatte? Schmidts Vorstellung von solchen Etablissements setzte sich zusammen aus Berichten der Lokalpresse und Erinnerungen an Bordellszenen auf Bildern von Degas. Folglich war er überzeugt, sich die entsprechenden kleinen schwarzen Kleidungsstücke leicht ausmalen zu können, die mit dem tiefen Rückenausschnitt, die zu höchst obszönen Zärtlichkeiten einluden, dazu unerträglich lange Beine im Knäuel mit haarigen Männerbeinen, behaarten Männerhänden und fetten Männerfingern. Niemals! Wirklich, Schmidtie, niemals? Und warum eigentlich nicht? Du sprichst beharrlich von Dingen, über die ich mich lieber nicht auslassen möchte, teilte er Mansour mit. Es war ein köstliches, aber sehr langes Essen. Ich glaube, ich gehe jetzt. Mr. Mansour trug bestimmt irgendwo an seinem Körper versteckt ein elektronisches Gerät, das ihm die Möglichkeit gab, einen Leibwächter oder auch Manuel zu rufen, ohne auf einen sichtbaren Knopf drücken zu müssen. Schneller als man es für möglich gehalten hätte - aber vielleicht hatte er schon die ganze Zeit im Durchgang zu Mr. Mansours Studio gewartet, dessen Tür offenstand -, erschien Jason hinter Schmidts Stuhl und knetete ihm die Schultern durch. Mr. Mansour sagte: Schmidtie, ich geb dir einen Rat unter Brüdern. Laß das Gezappel. Du kannst Jason nicht loswerden, bevor er dich ausläßt, also probiere es gar nicht erst. Und verkrampf dich nicht so. So ist es recht, entspanne dich, sonst tut er dir weh. Du solltest dir eine Wohnung in New York nehmen und der Kleinen ein Leben gönnen. Sie muß unter Menschen. Ich bin gern bereit, das für dich zu organisieren. Wie Klauen bohrten sich die Finger genau in die Schmerzpunkte. Michael, bitte sag Jason, er soll aufhören. Jason, hör auf. Ich weiß, es ist sehr wirksam, aber bitte hör auf. Ein Lidschlag von Mr. Mansour. Jason drückte Schmidts Nacken zum Abschied noch einmal kräftig und verschwand. Danke, Michael. Jason ist ein guter Masseur, aber im Augenblick möchte ich keine Massage. Weißt du, Carrie will nicht, daß wir ein
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Apartment in New York kaufen. Ich habe es ihr schon angeboten, aber sie hat nein gesagt. Du machst dir was vor. Das Problem ist doch das: Will sie ein düsteres Apartment mit zwei Schlafzimmern in der Park Avenue und zur Gesellschaft dich und deine ehemaligen Anwaltskollegen samt Ehefrauen, oder will sie ein richtiges Leben? Ein Leben, in dem was passiert? Was wettest du? Michael, Carrie lebt mit mir, nicht mit dir. Ich bin ich, nicht ein anderer, nicht du. Ich kann nur bieten, was ich habe. Kein Problem, das verstehe ich schon. Aber ich sage dir: Sie braucht mehr. Deshalb habe ich ihr erklärt: Schau, ich möchte dich ausführen, dir Lokale zeigen, dich mit Freunden zusammenbringen. Sie ist kein Dummerchen. Sie hat sofort begriffen, was ich meinte. Übrigens, du weißt, daß sie in New York ist, oder? Ja, in Brooklyn, sie besucht ihre Eltern. Das auch. Aber ich habe ihr gesagt, daß sie mich jederzeit in der Stadt anrufen kann. Würde mich nicht wundern, wenn sie anruft. Kein Problem für mich - ich muß zwar zu Sitzungen, bei denen ich die einzige Person bin, die den Handel abschließen kann, und das ist nichts, was Eric an meiner Stelle machen kann, aber die ganze Zeit werde ich nicht beschäftigt sein. Komm schon, mach nicht so ein Gesicht. Wir sind doch Freunde, alle drei. Du kannst immer mitkommen., wenn du willst. Mansour unterbrach sich, um seine Finger in der Fingerschale zu benetzen, einen Finger über die Lippen zu führen und dann die Finger und die Lippen sorgfältig trocken zu tupfen. Als er das zu seiner Zufriedenheit erledigt hatte, fing er an, mit seinen Betperlen zu spielen. Klick, klick. Und er fuhr fort: Jedesmal, wenn du in der Stadt bist, während ich dort zu tun habe, erwarte ich, daß du mich anrufst. Im Ernst, Schmidtie: Möchtest du mich nicht anrufen? Hey, komm mit nach New York. Ich schicke Fred oder Manuel zu dir nach Hause. Sie können alles zusammenpacken, was du brauchst, und es dir in die Stadt bringen. Das geht nicht. Carrie wird heute abend wiederkommen. Er glaubte nicht unbedingt, was er da sagte, und begriff, daß er einen Riesenfehler begangen hatte, den er sofort rückgängig machen mußte. Zur Not hätte er sich im Schlafanzug in das
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Flugzeug setzen sollen. Aber jetzt hatte er seine Chance verspielt. Mansour sprach als erster. Ganz wie du willst. Ich sehe dich dann am Sonntagabend. Auf dem Parkplatz hinter der Garage wartete der nicht weniger blonde Leibwächter, ein Riese, ein Berg in Menschengestalt, trat in die Sonne und hielt die Tür von Schmidts Volvo auf. Schmidt bemerkte, daß das Auto bewegt worden war, damit es im Schatten blieb. Anscheinend hatte er seine Besuchszeit fast überschritten. Man konnte sehen, wie Jason, der Masseur und Messagiero, Mr. Mansours Habseligkeiten in den Kofferraum des Rolls Royce packte. Der Zeitpunkt für die fünfzehnminütige Fahrt zum Flughafen und zum Abflug in die Stadt war gekommen. Zum Rendezvous mit Carrie. So konnte man das ja wohl nennen, nachdem Michael gemeint hatte, es offenbaren zu müssen. Derweil war Schmidt in eine Falle getappt, die so groß war, daß er sie nicht in ihrem ganzen Ausmaß überblicken konnte, obwohl er hörte, wie sie zuschnappte. Er fuhr aus der verdeckten Einfahrt auf die Landstraße und dann ganz langsam auf die Fernstraße 27, ohne zu wissen, welche Richtung er wählen sollte. Bestimmt nicht die nach Southampton. Nach Osten, nach Hause, das war das richtige. Nirgendwo anders hin, wenn er nicht mit einer lebenslangen Gewohnheit brechen und unangemeldet bei Gil Blackman auftauchen wollte. Er ging zu den Blackmans, wenn sie ihn zu Partys und Essen einluden, er traf sich mit Gil zum Lunch, wenn sie verabredet waren, aber nie ergaben sich Spontanbesuche mitten an einem herrlich goldenen Nachmittag. Also auf nach Hause, zu den eigenen Azaleen und Rosen und Apfelbäumen, zum Teich hinter der inzwischen hochgewachsenen Hecke, in sein und Carries Schlafzimmer. Ein Kleinlaster in seiner Einfahrt. Einer von Jim Bogards Leuten schnitt die welken Blüten in den Blumenbeeten ab. Dies und das Beschneiden der kleineren Bäume und das Einsetzen einjähriger Pflanzen waren Gartenarbeiten gewesen, die Schmidt früher gern selbst gemacht hatte. Genoß Carrie die Berührung seiner Hände auf ihrer Haut und in ihr mehr, seit sie so glatt und gut gepflegt waren? Auf dem Anrufbeantworter waren drei Nachrichten für ihn. Eine von ihr: Hey, Schmidtie, alles in Ordnung, ich bleibe über Nacht hier. Er fragte sich, ob die Nummer der Gorchucks irgendwo
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aufgeschrieben war, wo er sie finden konnte, aber warum auch, da Carrie sie ja auswendig wußte. Wenn er wirklich anrufen wollte, konnte er die Nummer von der Auskunft bekommen - schließlich gab es wohl kaum so viele Gorchucks in Brooklyn. Eine Nachricht von Gil Blackman: Bitte, ruf mich an. Und eine schlichte von Bryan: ich versuch's später noch mal. Schmidt wählte die BlackmanNummer. Wie geht's dir? Könnte schlimmer sein. Besser nicht? Hast du ein bißchen Zeit für Lunch, einen Drink oder Dinner? Wie war's mit heute abend? Könnt ihr heute abend herüberkommen, du und Carrie? Elaine ist mit der lieben Lilly in der Stadt, sie bleiben über Nacht. Carrie auch. Sie ist bei ihrer Familie. Dann komm um acht rüber. Keine Sorge, heute gibt's weder Chow-mein noch geblatene Nudeln. Mr. Blackman wurde es nie leid, den Akzent seiner chinesischen Köchin nachzuahmen oder sich über die blauen Filzpantoffeln zu mokieren, die sie beim Servieren trug. Er fuhr fort: Ich besorge eine gebratene Ente. »Filzpantoffel« wird sie servieren. Wir betrinken uns. Bis acht Uhr war noch viel Zeit. Ein Maker's-Mark-Bourbon und dann noch einer, den er etwas langsamer trank, draußen auf der hinteren Veranda. Bogards Gartenarbeiter war fertig und winkte zum Abschied. Schmidt winkte zurück. Nein, er brauchte ihm keinen Drink anzubieten. Schlafen kam nicht in Frage. Seine Haut war eiskalt und juckte. Ein Strandspaziergang kam auch nicht in Frage. Dann würde er vielleicht Bryan verpassen. Im Vorratsraum war ein schnurloses Telefon, das Charlotte ihm zum Vatertag geschenkt hatte, als Mary im Sterben lag. Seitdem hatte er es kaum mehr benutzt, aber es schien noch zu funktionieren, das Amtszeichen war da. Die Auskunft, die er anrief, nicht um Gorchucks Nummer herauszufinden, sondern um sich noch einmal zu versichern, daß diese Antiquität noch benutzbar war, gab Antwort. Sofort hängte er auf. Das machte nichts, da die Dame am anderen Ende keine Dame war, sondern nur ein netter, alles verzeihender Computer.
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Niemand würde jetzt einfach hereinschneien. Er zog sich in der Küche aus, ließ die Kleider in einem Knäuel auf einer Arbeitsfläche liegen und ging zum Schwimmbecken, die Flasche Bourbon und das Glas in der einen, das Telefon in der anderen Hand. Der Liegestuhl war so heiß, daß seine Haut brannte, als er sich hineinlegte. Um so besser, irgendwie mußte er wieder warm werden.
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V Endlich, als er immer noch Bahnen schwamm, um den Schlaf, der ihn übermannt hatte, ganz und gar loszuwerden, klingelte das Telefon. Sechs Uhr dreißig! Er stieg aus dem Wasser. Die verbrannte Haut schmerzte. Wenn er Kleider anzog, würde es noch schlimmer werden. Ein R-Gespräch. Bryan, unverkennbar, die säuselnde Stimme, die Diktion eines Mannes, der es nicht geschafft hatte, erwachsen zu werden, und der wie ein gräßlicher Zwölfjähriger redete, alles ganz wie immer. Mensch, Albert, vielen Dank, daß du den Anruf annimmst. Schmidt schweigt. Albert, bist du noch da? Hast du eine Minute Zeit? Höchstens. Albert, bist du sauer auf mich, oder wie? Was habe ich denn getan? Hey, tut mir leid, wenn ich dich geärgert habe. Komm, sag doch, daß du nicht sauer bist. Schweigen. Albert, ich rufe vom Flughafen Miami an. Ich hab einen voll billigen Flug erwischt. Ich bin heute abend in New York. Meinst du, ich kann morgen rüberkommen und dich besuchen? Wozu? Mensch, du bist sauer. Tut mir leid. Ich möchte dich echt gern sehen. Und Carrie möchte ich auch sehen. Läßt du mich im Haus wohnen, bis ich was geklärt habe? Nur ein paar Nächte? Ganz grundsätzlich möchte ich dich daran erinnern, daß ich dich gebeten habe, mir zu schreiben, wenn du etwas mitzuteilen hast außer in Notfällen. Was willst du klären? Ihm war kalt, er fing an zu zittern, holte ein Handtuch aus der Umkleidekabine und legte es sich um die Schultern. Mann, das war, als ich das Haus in Schuß gebracht habe und dein Okay für die Arbeiten brauchte. Dies jetzt ist was anderes. Ich
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muß irgendwo wohnen können, bis ich Fuß gefaßt habe. Du weißt doch, wie gern ich zurückkommen möchte. Dieses Krankenhaus ist heavy, Albert, echt heavy. Du glaubst es nicht. Voll deprimierend. Das heißt, du hast den Job verloren, den ich dir verschafft habe, du bist rausgeflogen, oder? Albert, ich wußte, du wirst sauer. Ich mußte gehen. Tut mir leid. Es war der Wahnsinn. Das muß ich dir erzählen. So ein Scheiß, das kannst du nicht glauben. Also hast du dich rauswerfen lassen. Das war nicht sehr gescheit. Jedenfalls merk dir: In diesem Haus kannst du nicht wohnen. Versuch gar nicht erst, mich umzustimmen. Es kommt nicht in Frage. Schmidt sagt diesen letzten Satz ganz langsam, so als versuche er, Bryan schläfrig zu machen. Dann fährt er fort: Ich muß jetzt Schluß machen. Du kannst anrufen, wenn du hier bist. Kannst du Carrie ans Telefon holen? Auf Wiedersehen. Klick. Umgehend bedauerte Schmidt, daß er aufgelegt hatte. Hätte er diesen Punk doch ausreden lassen. Wenn Bryan erst einmal in Bridgehampton war, würde man ihn nicht so leicht wieder loswerden. Vielleicht hätte es eine Möglichkeit gegeben, ihn vom Kommen abzuhalten. Aber welche? Er zuckte die schmerzenden Schultern. Ihm auf der Stelle Geld anbieten? Oder gut zureden, ungefähr so: Du hattest einen guten Job dort, du hast gut gearbeitet, ich will nicht, daß du so schnell aufgibst, ich schicke tausend Dollar für dich, c/o Krankenhaus, und wenn du das Geld willst, geh sofort zurück nach Palm Beach. Ich helfe dir, den Job wiederzubekommen. Aber vielleicht war er ja gar nicht rausgeflogen. Dann mußte man anders mit ihm reden, etwa so: Du mußt es ernsthaft versuchen, Junge, streng dich an, streng dich ehrlich an, du weißt doch, wie das geht. Unsinn, das hätte nicht funktioniert, und wenn es wie durch ein Wunder doch gewirkt hätte, dann sicher nicht lange. Bald würde wieder ein R-Gespräch kommen. Also, Schmidtie, keine Ausflüchte, bringen wir's lieber hinter uns. Wie hätte er ahnen können, daß Carries Abwesenheit ein glücklicher Zufall, ein wahres Wunder war. Jetzt mußte er
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sogar hoffen, daß dieses Wunder noch ein paar Tage anhielt, so lange, wie er brauchte, um dafür zu sorgen, daß das alte Dreieck nie wieder zustande kam. Er ging ins Haus und fand in seinem Schreibtisch den Aktenordner, in dem er seine Korrespondenz mit dem Krankenhaus abgeheftet hatte, und in dem Aktenordner die Durchwahlnummer des Direktors. Büro geschlossen. Natürlich, wer wird denn auch nach sechs Uhr abends noch arbeiten. Aber so schnell wird man Herrn Albert Schmidt nicht los. Die Privatnummer hatte er auch notiert. Da haben wir ihn. Ah, welche Freude, von Mr. Schmidt zu hören. Der wohltätige Mr. Schmidt versagte sich die Bemerkung: Die Freude werde ich Ihnen gleich verderben, Sie werden nie wieder einen Peso oder Dollar von mir sehen. Statt dessen fragte er in süßen Tönen nach dem jungen Mann, den er für die Stelle eines Faktotums im neuen Konferenzzentrum empfohlen habe. Machte er sich gut? Hörbare Bestürzung. Wie sollte der Direktor in seiner äußerst peinlichen Lage passende Worte finden? Es habe ein bestimmtes Problem gegeben, vielleicht könne Mr. Schmidt am nächsten Morgen wieder anrufen und mit der Personalabteilung sprechen, der Direktor sei sich nicht sicher, ob er die Einzelheiten zur Hand habe oder sie gar preisgeben dürfe. Nein, nicht einmal an Mr. Schmidt. Ah, Schmidt merkte, wie der arme Mann sich wünschte, er hätte das Telefon klingeln lassen und das verdammte Ding nicht angerührt. Die Polizei? Ja, die sei auch irgendwie beteiligt gewesen. Wie das Problem gelöst worden sei, wisse er nicht genau. Durch eine Kaution, und die hat er verspielt, so ist es gewesen, flüsterte Mr. Schmidt dem Mr. Schmidt ins Ohr. Ja, das Personalbüro konnte er anrufen. Auch die Polizei, aber das brauchte der Direktor nicht zu wissen. Die Polizei! Schutzwall der bürgerlichen Gesellschaft! Der Recht-und-Ordnungsjurist in Schmidt freute sich. Aber hatten die Ordnungshüter genug Interesse, um sich ihren guten kleinen Bryan von Bridgehampton zurückzuholen? Würden sie dafür so weit reisen? Schon recht. Er würde ihnen anbieten, die Kosten für den Flug zu übernehmen. Und wenn sie kamen und ihn holten, wie lange würden sie ihn festsetzen? Gerade lange genug, daß dieser sehr praktische
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Bursche sich überlegen konnte, wie er mit seinem Freund abrechnen würde, sobald man ihn laufenließe. Ihn zusammenschlagen, aber gründlich. Vielleicht holte er sich auch ein paar von seinen Bonaker-Kumpels zur Hilfe! Das Telefon klingelte wieder. Konnte das Bryan sein? Falls ja, würde er ruhig und besonnen mit ihm reden. Der Jähzorn: diese unbeherrschten Wutausbrüche zur falschen Zeit. Sie sind die bösen Vorzeichen seines Ruins. Natürlich! Das mußte Carrie sein; sie rief an, um zu erklären. Sie würde alles wieder zurechtrücken. So wie er jedesmal, wenn er an ihrer Seite aus einem Angsttraum hochschreckte, sofort danach über seine Angst lachen konnte. Nur, es war Charlottes Stimme und nicht die seiner blassen Zauberfee. Dad, ich habe so oft angerufen. Aber auf dem Anrufbeantworter war nichts von dir. Ich habe nicht darauf gesprochen. Es ist alles so furchtbar. Jetzt fing sie an zu weinen. Wann hatte er sie zuletzt weinen hören? Nicht bei Marys Begräbnis, da hatten sie nicht geweint, beide nicht, aber an dem Nachmittag, als er ihr gesagt hatte, es sei Zeit, Mary gehen zu lassen. Vier mittelgroße Pillen von den acht, die David Kendall verordnet hatte; das Rezept hatten sie in der Apotheke in East Hampton eingelöst. Er hatte sich nicht überwinden können, in die Apotheke in Bridgehampton zu gehen, wo sie in all den Jahren Hausmittel gegen giftigen Efeu, Bindehautentzündung und gegen Charlottes Bläschenausschlag gekauft hatten. Der Apotheker ließ ihn warten und rief den armen Dr. Kendall an, um sich die Verschreibung bestätigen zu lassen, setzte dann eine tröstende Miene auf; dieselbe Miene sah er am nächsten Tag im Gesicht des Beerdigungsunternehmers. Mein Schatz, was ist denn? Oh Dad, mir geht's so elend. Es ist wegen Harry Polk. Was ist denn passiert? Er hat mich verlassen. Einfach so. Er ist nach Egremont gefahren, es war sein Wochenende mit den Kindern, und deren Mutter sollte wie sonst fort sein, aber das Biest war nicht weggefahren, also haben sie über das Wochenende alle zusammen im Haus gewohnt. Dann nahm er diese Woche Urlaub,
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um dort zu bleiben, und heute, als ich gerade zur Gymnastik gehen wollte, hat er angerufen, um mir zu sagen, die Scheidung sei ein Fehler gewesen, sie wollten wieder zusammenleben. Der Scheißkerl! Er hat verlangt, ich soll mich für ihn freuen. Dad, ich liebe ihn. Ich habe alles getan, was er wollte, und er hat mir immer noch das Gefühl gegeben, ich sei eine Art Göttin. Und jetzt erzählt er mir, daß er glücklich ist mit ihr! Das tut mir so leid. Glaubst du, es ist ihm ernst? Ja, es ist ihm ernst. Weißt du, was er zu mir gesagt hat: Du kommst drüber weg, und du solltest dich für die Buben freuen. Du hast doch immer gesagt, du magst sie. Jetzt haben sie ihren Dad wieder. Also dann bis nächste Woche im Büro. Das ist bitter, mein Schatz. Aber du wirst darüber wegkommen, das verspreche ich dir. Dad, ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. Im Büro wissen alle Bescheid über uns. Wie sehe ich denn jetzt aus? Wie eine Dame, die Unrecht erlitten hat. Die sitzengelassen wurde, willst du sagen. Was mache ich denn jetzt mit dieser neuen Firma? Ich habe den Mietvertrag für das Büro unterschrieben. Und das ganze Geld! Das sollte jetzt deine geringste Sorge sein. Ich helfe dir, das bringen wir in Ordnung. Du hast doch deinen Job noch nicht gekündigt? Nein, das wollten wir nächste Woche zusammen machen. An deiner Stelle würde ich alles beim alten lassen. Jedenfalls vorläufig. Möchtest du hier herauskommen? Ich würde mich freuen. Sehr sogar. Ich ruf dich an. Vielleicht am Wochenende. Wenn ich mich aufraffen kann. Komm heute abend. Oder morgen. Du mußt dich jetzt verwöhnen lassen. Ich kann nicht, Dad. Ich habe Arbeit. Erinnerst du dich? Wegen des Wochenendes rufe ich dann an. Soviel zu Mr. Polk aus Virginia - oder woher er in Wahrheit kam. Dies schien kein guter Tag für den Rest der Familie Schmidt zu sein, aber zumindest auf Charlotte paßte offenbar der
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abgestandene alte Spruch: besser gleich als später; gut, daß du ihn los bist, und so weiter. Ödes Mantra der Narrenweisheit, das man herunterleiert, während das Herz bricht. Im Licht dieses vollbrachten Unrechts konnte man wohl sagen, Carries ungeklärter Ausflug nach New York verlange nach einem Aufschub des Urteils, man durfte behaupten, daß nichts geschehen sei. Nur, daß das nicht stimmte. Sie hatte die Fahrt lange genug im voraus geplant, um sich mit Michael Mansour zu verabreden. Das wiederum hieß, sie mußte es vor zwei Abenden längst schon gewußt haben, als sie mit dem Cellisten bei Mansour zu Abend aßen - es sei denn, Carrie und Michael hielten telefonischen Kontakt. Und sie hatte die Verabredung getroffen. Wessen Idee war das gewesen? Seine wenn du in New York bist, chérie, dann könnte ich dir allerhand zeigen. Ihre - hey, ich müßte mal meine Eltern besuchen, Mann, ich weiß nicht, vielleicht diese Woche. Können wir uns auch treffen? Wow! Mike, du verkohlst mich doch, meinst du, das können wir machen, echt? Von welcher Sorte mochten die Sehenswürdigkeiten sein, die Mr. Mansour Miss Gorchuck in der großen Stadt zeigen würde? Welche Amüsements? Natürlich die üblichen, vielleicht mit einer gewissen ägyptischen Würze. Jim Morgan, ein Veteran, der bei irgendeiner Truppe in Algerien gedient hatte und immer noch am Harvard Square herumhing, Jim Morgan hatte dem Erstsemester Schmidt erzählt, daß Araber gern die Schamlippen ihrer Frauen vernähen lassen, um sie enger zu machen, oder jedenfalls Alaun benutzen, damit sich innen die Haut zusammenzieht. Ah, Schmidt kann es genau sehen, sogar von Bridgehampton aus. Sie sind jetzt im Penthouse an der Fifth Avenue. Ein Leibwächter hat sich schleunigst auf den Weg gemacht und besorgt den Lachs und die Bagels, weil die Haushälterin vergessen hat, den Kühlschrank nachzufüllen. Sein Kollege lungert im Stock darunter herum, vielleicht in der Küche, die irgendwo neben dem Marmorfoyer liegt. Er sieht von seiner Zeitung auf und lacht meckernd über die immer lauteren Geräusche (Mansour das Schwein wird die Schlafzimmertür offengelassen haben, und mein Gott, wie Carrie schreit). Bevor Carrie und der Boß herunterkommen, wird der Leibwächter dem Überbringer der postkoitalen Delikatessen ein Licht aufgesteckt haben, und der eine wie der andere werden sich über das pflichtgemäß strenge Gesicht ein leichtes Grinsen huschen lassen,
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das deutlich genug ist, um ihr anzuzeigen, daß sie mehr als genug gehört haben. Willkommen im Team! Er wartete bis fast acht Uhr und hoffte auf das Klingeln des Telefons. Es gab Möglichkeiten, Anrufe vom häuslichen Apparat umzuleiten zu jeder beliebigen Nummer, unter der man erreicht werden wollte. Er wünschte, er wäre bei dem entsprechenden Telefondienst als Kunde angemeldet oder besäße wenigstens ein Handy, dessen Nummer Carrie versuchsweise wählen konnte, wenn sie ihn zu Hause nicht ans Telefon bekam und ihn unbedingt erreichen wollte. Er konnte freilich auch zu Hause bleiben; das wäre die andere Lösung. Er konnte Gil anrufen und die Verabredung absagen oder ihn zum Kommen überreden. Blauer Filzpantoffel war egal, und was Gil vorbereitet hatte, auch. Sollte er das Essen doch mitbringen. Sie konnten ja hier genauso essen und trinken. Dann müßte nicht Schmidt, sondern Gil volltrunken nach Hause fahren. Aber er wollte Gil nicht den Grund für die Änderung des Plans sagen, und belügen wollte er ihn auch nicht. Er stürzte aus dem Haus und ins Auto, so entschlossen und schnell, wie man sich eine Nadel in den Fuß sticht, um einen widerborstigen Splitter herauszuhebeln: nicht langsam und zögerlich, sonst verläßt einen der Mut. Den Champagner kannst du vergessen, erklärte Gil. Elaine schwärmt für das Zeug. Ich überhaupt nicht. Viel Volumen und eine Menge Kalorien, und was hat man davon? Luft im Bauch. Das ist alles. Für das zentrale Nervensystem und die höheren Hirnsphären taugt es nicht im geringsten. Majestätisch und soigniert in schwarzem Hemd und schwarzer Hose, entweder aus Seide oder aus einem der neuen Gewebe, die sich so weich wie Maulwurfsfell anfühlen - vorausgesetzt, man kann sich dazu überwinden, den Maulwurf zu befühlen, den der Hund gerade totgebissen hat -, mixte Mr. Blackman Martinis. Er trug schwarze Sandalen. Seine Martinis, die immer noch mit der gleichen Achtsamkeit zusammengestellt, umgerührt und dann geschüttelt werden wie bei der ersten Begegnung im Wohnzimmer der Suite eines Harvard-Studentenwohnheims für Erstsemester, trinkt Schmidt nun schon seit fast fünfzig Jahren. Damals war der Tag genauso strahlend gewesen wie der, der eben zur Neige ging und für Mitte September sehr warm war. Ihre Suite lag im
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Erdgeschoß, vom Wohnzimmer blickte man auf die Memorial Chapel, und sie hatten am offenen Fenster gestanden, um die Radcliffe-Studentinnen zu mustern, die so zahlreich waren, daß man meinen konnte, der Harvard Yard sei einer Invasion von Amazonen in Schottenröcken und Shetlandwolljacken zum Opfer gefallen. Ein Jude aus den besseren Wohnvierteln Brooklyns, Zögling einer staatlichen Highschool, die der Brutkasten für kleine jüdische Genies war, mixte Drinks, eine prinzipiell den weißen angelsächsischen Protestanten vorbehaltene Spezialität - und dies für einen Knaben, der zur Episkopalkirche gehörte und aus Sparsamkeitsgründen von Jesuitenpatres in der Park Avenue erzogen war. Gil war der erste Jude, den Schmidt je kennenlernte. In der Schule und im Ferienlager war ihm nicht einer begegnet. Wenn die Eltern in ihrem kleinen, aber geschichtsträchtigen Haus im West Village das erfahren, werden sie durchdrehen! Andererseits: Gab es einen besseren Grund, Freundschaft mit diesem redseligen Mitbewohner zu schließen, den die Wohnungsverwaltung der Universität ihm zugeteilt hatte? Wenn Mr. Blackman und Mr. Schmidt zusammenkommen, ist es nicht unüblich, zuerst Neuigkeiten über die Kinder auszutauschen. Also erfährt Schmidt sehr schnell, daß Lisa ihren letzten Job bei einer kleinen Zeitschrift wieder aufgegeben hat und jetzt Bildlegenden für Versandkataloge schreibt und daß Nina und der griechischorthodoxe Popensohn, mit dem sie nun schon länger zusammenlebt, als Gil wahrhaben möchte, heiraten wollen. Die Zeit ist reif dafür, weil die Stimme des einstigen Baritons endlich eine höhere Lage erreicht hat; jetzt ist er ein vierzigjähriger Tenor ohne erkennbare Aussichten auf öffentliche Auftritte, bei denen er seine Gabe vorführen könnte. Mit Ausnahme der Hochzeit selbst hat die Mutter der Braut die Organisation der Feier übernommen, und nachdem der orthodoxe Pope seinen Sohn und Nina zu Mann und Frau erklärt hat, wird der frischgeprägte Tenor in der großen Scheune auf ihrem Grundstück Schubertlieder singen. Mich wird sie vermutlich nicht einladen, spekulierte Schmidt. Du weißt ja, nach der Scheidung hat sie kein Wort mehr mit Mary und mir gesprochen. Als wir sie zum letzten Mal sahen, an dem Ballettabend, hat sie nicht einmal so getan, als erkennte sie uns nicht. Ein Bruch, glatt und schlicht.
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Da kannst du recht haben. Mich muß sie wohl schon einladen, da ich die Hochzeitsfeier bezahle, aber doch nicht meinen Anwalt! Die Schlange, die meine Scheidung arrangiert hat! Nicht verziehen und unverzeihlich! Du bezahlst für deine Loyalität, Schmidtie. Warte nur. Ich werde ihr erklären: ohne Schmidtie kein Champagner. Als Eröffnungszug. Mal sehen, wohin er uns bringt. Nirgendwohin. Ich werde mir die Hochzeitsphotos ansehen. Und was ist mit der schönen, übel beleumdeten Lilly? Gil gluckste. Stimmt ja, du bist ein Fan meiner Stieftochter. Sie läßt sich ein Brautjungfernkleid anpassen. Ihr Vater heiratet eine Kleine, die ganze zehn Jahre älter als Lilly ist. Das nennt man Fortschritt. Ihre Vorgängerin war so alt wie Carrie, mein Gott. Ich kann dir sagen: Elaine ist erleichtert. Ich glaube, sie wird ihnen etwas zur Hochzeit schenken. Ach ja. Dabei fällt mir ein: Wie geht's Carrie? Über dieses Thema wollte Schmidt nicht reden. Wenn er Gil sagte, was er dachte, dann brach er Carries Brücken zu Gil ab. Gil würde das Geheimnis nicht für sich behalten, sondern mit Elaine darüber reden, und dann wäre der freundschaftlich vertraute Umgang mit Carrie für alle Zeiten beendet. Und für Charlotte galt das gleiche, soviel war ihm klar. Er würde Carrie nicht verraten, und er würde seine Tochter nicht "Verraten - nicht an Gil. Gil würde erkennen, daß es sich um Verrat handelte. Aus Selbstverteidigung wies er auf sein leeres Glas und schwieg, während Mr. Blackman sich auf die Zubereitung der zweiten Runde Martinis konzentrierte. Ausgezeichnet! Nicht ganz schlecht. Das sagte Gil stirnrunzelnd, nach einer kleinen Pause, die wohl ein Zeichen dafür war, daß er mit den Gedanken woanders war. Ich mache mir Sorgen um dich, erklärte er, als sie sich zum Essen setzten. Es gab ein Rindfleisch-Stew, dessen Herkunft Schmidt kannte und das ihm lieber war als die angekündigte Ente. Ich mache mir schon seit einer ganzen Weile Sorgen. Du führst ein äußerst bizarres Leben. Du siehst keinen Menschen außer Carrie. Und Bruder Mansour natürlich, aber darüber möchte ich auch mit
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dir reden. Das Mädchen geht in ihre Kurse, das ist schön und gut, und dann kommt sie heim und macht ihre Hausaufgaben. Ich wette, die Hälfte der Zeit hilfst du ihr dabei! Nein, nein. Ist auch egal. Den Verstand hast du nicht verloren - noch nicht aber dein Horizont wird immer enger. Von Tag zu Tag. Und dabei solltest du dir gerade jetzt alle Mühe geben, ihn zu erweitern. Ich lese, weißt du. Wunderbar. Die Zeitung, jeden Morgen, nehme ich mal an, und im Fernsehen siehst du die Nachrichten und die Spiele der Yankees. Oh ja, und die der Giants auch, wenn die Spielzeit anfängt. Aber worüber unterhaltet ihr euch, du und Carrie? Worüber könnt ihr euch unterhalten? Sie ist sehr intelligent, weißt du. Ich bitte dich, Schmidtie. Hinreißend ist sie auch, und du bist ein alter Bock. Du weißt, daß ich sie sehr gut leiden kann - manchmal vielleicht zu gut für deinen Geschmack? Stimmt's? Aber das ist nicht der Punkt. Wie lange wart ihr verheiratet, Mary und du? Knapp dreißig Jahre, wenn ich richtig gerechnet habe. Spürst du nicht den Unterschied, begreifst du nicht, was ich meine? Schmidt putzte sich die Nase. Wirklich, Gil. Mein Leben mit Mary war genau das: ein Leben mit ihr. Und es hörte auf, als sie starb. Wiederholen kann ich es nicht. Mit Carrie bin ich glücklich. Zufällig fehlt uns nichts, wir wollen gar keinen Umgang mit anderen Leuten haben. Oder hast du Vorschläge, wie wir das ändern sollten? Dem Senioren-Bridgeclub im Gemeindehaus beitreten? Oder soll ich Inlineskaten lernen? Ich glaube, eine Gruppe Inlineskater trifft sich immer auf einem Parkplatz in Southampton. Vielleicht machen sie sogar Ausflüge. Schmidtie, du bist nicht ganz dicht. Statt dir klarzumachen, wo du stehst, streust du mir Sand in die Augen. Das ist ja im Moment ganz in Ordnung, aber früher oder später wird es zur Krise kommen. Laß uns über Mike Mansour reden. Du mußt wissen, daß ich ihn schon seit Jahren kenne. Er hat alle meine Filme mitfinanziert - und dabei meistens gut verdient - seit The Raven. Wie viele Jahre ist das jetzt her? Mindestens zwanzig. So lange kenne ich auch Judith - die Unterhaltskönigin. Die erste Mrs. Man-
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sour habe ich nie gesehen, aber die gehört zur Prähistorie vor dem triumphalen Aufstieg des Hauses Mansour. Ein nettes sephardisches Girl aus der Bronx, das er einfach beiseite schob. Vom Pascha Mansour verstoßen. Sie hat sehr schnell wieder geheiratet. Einen Hautarzt in Israel. Ein kluger Schachzug. Wie Mike jedem, der es hören möchte, bereitwillig erklärt, entsprach der Unterhalt, den er ihr zahlte, einem Mindestlohn. Wirklich! Oh ja. Aber Judith steht auf einem anderen Blatt. Erstens war sie reich und ließ Mike ihr Geld anlegen. Davon spricht er nie, obwohl er seine Sache sehr gut gemacht und ihr das Geld am Ende zurückgegeben hat und einen hübschen Anteil vom Gewinn dazu. Der Kerl ist kein Gauner. Er ist etwas anderes! Was denn, zum Beispiel? Das erkläre ich dir ja gerade. Ich habe dich mit ihm bekannt gemacht, und ich übernehme die Verantwortung dafür und habe nichts dagegen, daß du dich in Water Mill auf Spaß und Spiele einläßt. Aber du solltest doch mehr von ihm wissen, als du meiner Meinung nach bis jetzt weißt. Carrie ebenfalls. Die Nacht war windstill und mondlos. Einer alten Gewohnheit gehorchend, gingen sie hinter das Haus und dort auf den Rasen, der sich bis zum Georgica Pond hinunterzog. Sie urinierten gemeinsam und umständlich, wobei sie sich vom Gras abwandten und auf den Mulch unter dem Rhododendron zielten. Eine der großartigen unterschätzten Freuden, die dem Mann verfügbar sind, bemerkte Mr. Blackman. Schmidt widersprach nicht. Obwohl die Stunde der Mücken längst vorbei sein mochte, schlug er vor, sie sollten sich auf die durch Fliegengitter geschützte Veranda setzen. Zum Teufel mit der Risikobereitschaft. Auf Mückenstiche hatte er schon immer empfindlich reagiert; seit neuestem wurden aus ihnen sogar kleine infizierte Wunden. Die goldenen Jahre des besonnten Lebensabends und die unterschätzten Demütigungen, die sie bereithielten. Da hatte man klarerweise noch einiges zu lernen. Ich habe Mike Mansour besser kennengelernt, seit er künstlerische Ambitionen entwickelt, sagte Mr. Blackman. Das paßt zur Neuerschaffung der ägyptischen Vergangenheit seiner
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Familie. Das Gerede vom Baumwollhandel ist Blech. Sie waren arm. Und seit er das Alexandria Quartett gelesen hat, ärgert sich der Kerl, weil man weiß, daß er aus Kairo stammt. Kannst du dir vorstellen, was für eine Vergangenheit in Alexandria er sich erfunden hätte? Heiliger Moses! Jedenfalls hatte es sich so ergeben, daß er zur Finanzierung eines Films X hunderttausend Dollar an Planungskosten einsetzte, und wenn wir dann in die Produktion gingen, noch einmal, sagen wir, Y Millionen. Die Anwälte berechneten seinen Gewinnanteil - ich sollte erwähnen, daß dieser Typ namens Holbein, der ihm die Rechenaufgaben macht, regelmäßig mit neuen Ideen über die Aufteilung und Neufestsetzung der Anrechte des Geldgebers ankam -, und die Abmachungen waren hart, aber fair. Ich sah keinen Grund, mich zu beschweren, und Mike machte mir auch keinen Kummer, wenn wir keinen Treffer landeten. Denk an Beauty of the Hemlocks. Der Film war ein einziger Riesenfehler. Ich hatte noch an der Geschichte mit Katerina zu kauen - sie war meine Carrie-Version, n'est-ce pas, Schmidtie - und daran, daß sie mich einfach abgelegt hatte, sonst hätte ich diese Scheußlichkeit um nichts in der Welt verfilmt. Von Anfang an knarrte das Zeug wie ein billiges Bett, und die Arbeit mit Martin Quine war eine Katastrophe. Gut, er schrieb das Buch, aber ich sage dir, jedesmal, wenn er das Script anrührte, hätte ich ihn umbringen können. Ich war nicht ganz bei mir - nur deshalb hatte ich zugestimmt, daß er als Berater an dem Film mitwirkte. Übrigens, du wirst es nicht glauben, aber Katerina und der Schwachkopf Papachristou sind geschieden. Vorige Woche hat sie mich angerufen. Nur ein Kind. Ein Junge. Das könnte deine große Chance sein, bemerkte Schmidt. Auf keinen Fall, entgegnete Gil. Ich werde Elaine nie mehr untreu. Unsere Ehe war immer gut, aber jetzt fühle ich mich neu belebt in meinem Glück mit ihr. Anders kann man es nicht sagen. Trotzdem tat mir das Herz weh, als ich Kat am Telefon hörte. Ob man die Frau gewonnen oder verloren hat - daran ändert sich nichts in diesem Spiel. Reden wir lieber weiter von deinem neuen Busenfreund. Ich bitte dich, das ist er nicht. Das werden wir ja sehen. Jedenfalls wollte er bei meinem letzten Film auf einmal als Coproduzent genannt werden. Das war ein
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Schlag. Ich muß zugeben, Eric Holbein war mir eine große Hilfe, denn da ihm nur das Geld wichtig ist, kann er so einen Unsinn ganz objektiv betrachten. Er sah auch, welches Risiko für Mike und für sein Life Center - darin lag. Hey, du kennst doch seine Spinnerei mit dieser Stiftung? Die managt er sogar ziemlich gut. Und dann auch die Gefahr für seine Eitelkeit und so weiter, schließlich war zu erwarten, daß der Film sehr umstritten sein würde. Natürlich behielt Eric recht. Eine Zeitlang dachten wir, alle Vereine und Verbände gegen Diffamierung samt Jerry Falwell würden über uns herfallen. Schließlich fanden Eric und ich aber eine Formulierung, mit der alle glücklich sein konnten - dachte ich. Weißt du, den Abspann im Kino lese ich fast nie. Schon gut, das erwartet auch niemand von dir. Der Film, den ich jetzt machen will - bei dem verlangt er nicht nur, daß sein Name im Abspann genannt wird. Er will als verantwortlicher Produzent fungieren. Zuerst hätte ich ihm am liebsten gesagt, er soll sein Geld nehmen und es sich sonstwohin stecken. Natürlich habe ich mich beherrscht, denn es ist wirklich eine Menge Geld, und wir können es gut brauchen, und außerdem sind wir schon so lange miteinander im Geschäft. Also fragte ich, was das Ganze soll. Er war unverschämt genug, mir zu sagen, er fühle sich jetzt in der Lage, mir echten kreativen Input zu geben. Mein Werk auf eine höhere Ebene zu heben! Als erstes sollte ich Omar Sharif zum Berater nehmen. Ich aß gerade einen Chefsalat und verschluckte mich so, daß ich fast erstickt wäre. Ich fragte: im Ernst? Er antwortete: vollkommen im Ernst. Um es abzukürzen: Er setzte mir auseinander, daß ihm noch nie etwas mißlungen sei, was er wirklich habe schaffen wollen, und daß er auf der Geschäftsebene schon alles Erreichbare erreicht habe - ich habe mir übrigens die Frage verkniffen, ob er sich schon an Microsoft gemessen hat -, aber er habe noch immer nicht das Gefühl, daß seine Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Nun wolle er seine Erfüllung in der Filmkunst finden! An diesem Punkt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und fragte ihn, ob er schon einmal daran gedacht habe, daß man zum Kunstmachen Talent brauche. Wie kommst du auf die Idee, du hättest Talent? fügte ich noch hinzu, für den Fall, daß er begriffsstutzig war. Ganz ehrlich, ich dachte, er würde mir eine knallen - daß unter seiner Fettschicht ein Paket Muskeln sitzt,
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wird dir nicht entgangen sein - oder jedenfalls vom Tisch aufstehen und gehen. Aber nichts davon. Pas de Probleme. Er sagte, er habe immer künstlerische Fähigkeiten in sich gespürt, und nur weil er nach dem Unfall seiner Eltern das Familienunternehmen habe retten müssen, sei es zu einem Knick in seiner Lebensweise gekommen, aber er habe sich schon bewährt, indem er mich unterstützte und beriet. Und dann zählte er bis in alle Einzelheiten die Vorschläge auf, die er mir im Lauf der Jahre gemacht und die ich befolgt hätte. In neun von zehn Fällen: völliger Blödsinn. Außerordentlich! Und wo stehst du jetzt? Ich rede mit Holbein - er ist mein neuer Busenfreund. Und hier kommst du auch ins Spiel. Du mußt dir im klaren sein, daß Mansour echte Weltklasse ist - uff! Warum habe ich dieses Wort in den Mund genommen -, wenn es um das Manipulieren nicht nur von Geld, sondern auch von Menschen geht. Ich traue ihm ohne weiteres zu, daß er meint, wenn er dich mit seinen Einladungen und Schmeicheleien ködert (der Subtext: Du bist zwar ein idiotischer weißer angelsächsischer Protestant, aber er sieht in dir dennoch etwas Besonderes, das er liebt) - ich weiß, daß er dir diesen Kram serviert -, dann bist du womöglich bereit, mich zu beeinflussen. Weil er weiß, was du mir bedeutest, denkt er wahrscheinlich, es sei nicht ausgeschlossen, daß ich nachgebe. Du mußt verstehen: Er will unbedingt, daß ich ihm diesen Wunsch erfülle. Er weiß, daß er mich nicht dazu zwingen kann, indem er mir droht, sein Geld nicht mehr in meinen Film zu investieren, falls ich nein sage, denn daß ich mir auch anderweitig Geld verschaffen kann, weiß er. Jederzeit kann ich das. Er dagegen meint, zu jemand anderem könne er nicht gehen. Kapiert? Ich habe eine Alternative und er nicht! Er ist entschlossen, verantwortlicher Produzent für mich und nicht für einen beliebigen Schmock zu werden, den er in Hollywood kaufen kann. Er will Klasse. Geld spielt dabei für ihn, allerdings nicht für Holbein, eine untergeordnete Rolle. Nein, es war kein Traum. Gil hatte wirklich gesagt, ganz natürlich hatte es sich ergeben, die Worte schienen ihm einfach herausgerutscht zu sein, vielleicht waren sie es sogar auch, Gil hatte gesagt, daß er, Schmidt, ihm etwas bedeutete, ihm wichtig war, also einen Wert in jenen Regionen darstellte, in denen sich
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Gils tatsächliches Leben abspielte - und dabei hatte Schmidt immer geglaubt, aus diesen Regionen sei er ausgeschlossen, sein Platz sei in den Vororten der Zuneigung, die Gil aufsuchte, wenn ihn das Bedürfnis überkam, mit einem alten Mitbewohner über vergangene Zeiten, Kinder und Sex zu plaudern. Wie die plötzliche Lust auf ein Pastrami-Sandwich. So etwas würde ich nie tun, Gil. Ehrlich gesagt, kann ich mir auch nicht vorstellen, daß er das von mir verlangt. Es paßt nicht zu seinem Verhalten - in letzter Zeit. Aha, er hat Carrie angebaggert! Nein, nur beinahe. Du mußt mir nichts erzählen. Aber laß dir was erzählen. Ich weiß nicht, was zwischen ihm und Judith vorgefallen ist - in solchen Fragen halte ich es immer mit dem letzten Redner. Der Ehemann sagt mir A: also schön, es ist A. Die Ehefrau sagt mir B: na gut, dann ist es B. Aber ich habe Mike in New York und Los Angeles oft genug erlebt, um ziemlich deutlich zu sehen, daß er ein One-NightStand-Mechaniker ist - wenn auch einer von einer seltenen Sorte. Er pickt sich eine Frau heraus, und, Bingo, hält sie sich für Kleopatra. Er wird ihr ein Königreich geben, ihren jämmerlichen Sprößling zum Satrapen machen. Was er noch zu bieten hat, habe ich mich oft gefragt. Irgendwas muß es ja sein. Vielleicht nicht viel. Es scheint immer schon, gleich nachdem es angefangen hat, wieder zu Ende zu sein, und doch endet es nicht. Da tauchen seltsamerweise Frauen wieder auf, die, so glaubtest du, in einem schwarzen Loch versunken waren. Sie zeigen sich in dem Lokal, in dem du mit ihm zum Essen verabredet bist, er ruft dich an, damit du ihrer Schwester eine stumme Rolle in einer Sitcom-Serie verschaffst; du steigst in sein Flugzeug, weil er dir angeboten hat, dich nach Paris oder London zu bringen, und da sitzt wieder eine und spielt mit dem Leibwächter Romme. Das ist mir einmal passiert, als Elaine mich begleitete. Ihr Gesicht hättest du sehen sollen. Sie war eng mit Judith befreundet, weißt du. Die Art, wie dieser Kerl mit Frauen umgeht, hat nichts Einfaches oder Ungebrochenes an sich; das ist das Problem. Ein Mädchen wie Carrie ist verletzlich. Ich muß dazu sagen, daß er meist auf verheiratete Frauen aus ist - und von deren Ehemännern lungern einige in seinem Haus herum! Wenn ich mir's recht überlege, paßt
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die Beschreibung fast auf deine Lage. Scheiße, Schmidtie, hoffentlich bin ich jetzt nicht zu weit gegangen. Mach dir keine Sorgen. Carrie ist stark. Stärker als du denkst. Mag sein. Schmidt hörte seinen Anrufbeantworter sofort ab, als er ins Haus kam, zu ungeduldig, um zuerst zur Toilette zu gehen. Hey, ich habe mit Mike gegessen. In einem japanischen Lokal. Da geben sie dir zwanzig kleine Schüsseln, und du mußt raten, was du ißt. So wie sie ihn behandeln, muß er der Besitzer sein. Sicher in einem Separé, dachte Schmidt, keine Schuhe, Tatami-Matte, Füße und Beine begegnen sich unter dem Tisch. Meine Leute freuen sich echt, daß ich gekommen bin. Ich ruf dich morgen an. Ach Mist, Schmidtie, ich liebe dich, und ich denke an dich. Du weißt, was ich meine? Sie lachte. Die andere Stimme auf dem Anrufbeantworter war Bryans weinerliches Organ; es versprach, morgen vorbeizukommen, so früh wie er es einrichten könne.
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VI Früh am Morgen, zwischen Schlaf und Wachen, malte er sich aus, wie es kommen mußte: Penetrant zutraulich stellt Bryan seinen Rucksack auf den quadratischen Küchentisch im Poolhouse, dazu die Rolle, in der er seine Gemälde transportiert - in Florida hat er wieder gierig große Bögen Packpapier mit Acrylfarben in seinen Lieblingstönen Giftgrün, Magenta, Purpur und Pink zugeschmiert, wie damals, als er im Quartier seines Kumpels in Springs malte, ja, er ist nun entschlossen, auf Papier zu arbeiten, mit Leinwand und Spannrahmen hat man immer so viele Umstände - und führt auch den spiegelblanken Werkzeugkasten mit, von dessen Inhalt Schmidt sich bedroht fühlt, obwohl er ihn gar nicht kennt. Der Junge hat sich verändert. Ein gelblicher Ziegenbart ergänzt den langen gelben Pferdeschwanz, und fetter und schmuddeliger ist er geworden, man sieht es vor allem an seinen Händen und diesen scheußlichen Fingern mit den abgekauten Nägeln. Genau genommen ist an Stelle der Nägel nur noch nässender Schorf. Aber unter dem Fett seines schweren Körpers liegen noch dieselben Muskeln, gestählt wie nach der Ausbildung im Marinesoldatencamp, nur daß er nie Marinesoldat gewesen ist, sondern einfach ein Kerl, der einem den Arm so nebenher auskugeln kann, während er seinen Joint pafft. Stärker als Michael Mansour. Der wahre McCoy, jede Wette. Klar, sagt er, er bleibe jetzt hier, er sei daheim. Daheim ist, wo sie dich reinlassen müssen, wenn du kommst, weil's anders nicht geht, stimmt doch, Albert, oder? Heiliger Strohsack, denkt Schmidt, nur weg hier, der Kerl zitiert Lyrik, ich muß telefonieren. Aber es ist schwierig für Schmidt, sich zum Telefon zu retten, denn Bryan bleibt ihm dicht auf den Fersen, zuerst im Haus und dann im Garten, und wahrscheinlich gibt es nur eine Möglichkeit, ihn abzuschütteln: Schmidt muß sagen, daß er den Pizzadienst anruft. Wenn dann der Pizza-Lieferwagen schon in der Einfahrt ist, wird er hinausgehen, um mit seiner Kreditkarte zu bezahlen, und den Fahrer anflehen, ihn mitzunehmen und schleunigst zur Polizei-
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wache in Southampton zu bringen, das heißt, falls Bryan ihm nicht zum Lieferwagen folgt, was er bestimmt tun wird, wenn er nicht gerade auf dem Klo sitzt. Natürlich hätte er die Polizei in Southampton sofort anrufen müssen, als er erfuhr, daß Bryan auf dem Weg war, aber wie hätte das gehen sollen, ohne Kenntnis von Datum und Nummer des Haftbefehls, der in Florida gegen ihn vorliegt, also ist alles die Schuld des Krankenhausdirektors oder aber Schmidts Schuld, weil er ihn nicht danach gefragt hat. Andererseits ist noch nichts verloren, noch ist es nicht zu spät, denn Bryan wird niemals von der Bushaltestelle ein Taxi nehmen, er wird Schmidt anrufen und darum bitten, abgeholt zu werden, und das wird Schmidts große Chance. Dann fällt Schmidt ein, daß er im Bett liegt und daß Bryan im Augenblick Gott weiß wo sein mag, auch wenn es so sicher wie das Amen in der Kirche ist, daß er hier auftauchen wird - aber erst später, nicht schon jetzt. Der Wecker auf dem Nachttisch zeigt sechs Uhr früh. Also ist es nicht zu spät, die Polizei in Florida anzurufen, herauszufinden, ob es einen Haftbefehl für Bryan gibt, und wenn die Auskunft positiv ist, wenn der kleine Scheißer die Kaution verlorengegeben und sich verdrückt hat, dann ist es an der Zeit, die Bullen in Florida mit den Bullen in Southampton in Kontakt zu bringen und ihn hier schnappen zu lassen, bevor er weiß, wie ihm geschieht. Bis die Tage, schön, daß ich dich kennengelernt habe! Nur daß Bryan derjenige ist, der sich verabschieden muß. Mr. Schmidt wird sich nicht von der Stelle rühren; er bleibt in seinem gemütlichen Haus, in dem alles wie geschmiert läuft und gleichmäßig tickt wie eine Schweizer Kuckucksuhr. Das ist der Lohn der Tugend, wenn sie zusammengeht mit Reichtum und einer unangreifbaren Stellung im Gemeinwesen. Er gibt seinen Namen und Adresse an. Der Verteiler in der Zentrale verbindet ihn mit Inspektor Smith oder Inspektor Jones. Danke, mein Herr, daß Sie uns diese ärgerliche Angelegenheit zur Kenntnis gebracht haben. Wir werden einen Streifenwagen bereithalten. Jawohl, mein Herr, kein Grund zur Beunruhigung für Sie. Dafür sind wir ja da! Wie üblich hat die Sache einen Haken. Kurzfristig hängt alles davon ab, ob Bryan gegen das Rauschmittelgesetz verstoßen hat, ob er gegen Kaution freigelassen ist und sich der Meldepflicht
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entzogen hat, ob ein Haftbefehl gegen ihn vorliegt und so weiter und so fort. Andernfalls wird es nichts mit den Bezirkspolizeibeamten aus Southampton oder Suffolk; niemand wird Bryan in Handschellen legen und den Kollegen aus Florida übergeben, die mit ihrem großen dicken Flugzeug hier angekommen sind, um ihren Flüchtigen der Südstaatenjustiz zuzuführen. Was ist, wenn Bryan nur wegen Faulheit oder Frechheit gefeuert worden ist oder wegen einer Telefonistin, die sich beschwerte, weil er sie betatscht hat. Auf lange Sicht wäre so auch nichts gewonnen. Selbst wenn Bryan tatsächlich nach Palm Beach gekarrt wird: Wie lange wird er im Gefängnis bleiben? Nicht sehr lange. Er wird sich eines kleineren Vergehens schuldig bekennen, und noch im selben Jahr oder spätestens nach achtzehn Monaten ist er wieder da, mit dem Bus oder einem Flugzeug nach Bridgehampton. Nur zu einem einzigen Zweck: Schmidt umzubringen oder so zu verletzen, daß dieser sich wünschte, nie geboren zu sein. Deshalb der Werkzeugkasten aus Aluminium. Der Mann, der sich auf die Spezialbehandlung von Autos versteht, wird auch wissen, wie er Zangen, Bohrer und Scheren, die er immer für den Fall eines Falles bei sich hat, zur Spezialbehandlung seines alten Kumpels Albert einzusetzen hat. Diesmal ist er nicht deswegen gekommen. Jetzt will er nichts als Geld. Dann gib es ihm, gib es ihm so, daß er es erst irgendwann nach langer Zeit in Raten zurückzahlen muß. Oder vielleicht will er auch irgendwas Fieses, das mit Carrie zu tun hat. Kein Problem! Sie wird schon wissen, wie sie damit zurechtkommt, es sei denn, sie will es selbst. Siehe Mansour. Wie schäbig! Als ihm klar wurde, wie gemein die Gedankenverbindung war, die er da in seinem Kopf ausspann, trieb ihn der Abscheu vor der eigenen Überlegung aus dem Bett. Er ging ins Badezimmer, urinierte, ließ den Wind fahren, der seinen Bauch wie einen Fußball aufgebläht hatte, putzte sich die Zähne und stieg die Treppe zur Küche hinunter. Für die Zeitung war es viel zu früh, auf die Croissants mußte er noch Stunden warten, also kochte er sich am besten erst mal einen Tee. Dies ist keine Angelegenheit für die Polizei, und sie ließe sich auch dadurch nicht regeln, daß er vor Bryan auf die Knie fiel. In Hampton Bays oder vielleicht in Riverhead muß es Bars geben, in denen die einschlägig erfahrenen Ortsansässigen herumhängen. Nicht die »Ach Scheiße, für mich ist Schluß mit lustig«-Trottel,
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diese Fatalisten, die nur zu gern verkeimte Wassertanks leer pumpen, Müll zum Schuttplatz karren und eigenhändig mit der Schippe Gruben für die Grundmauern der Häuser reicher Leute ausheben, damit die Vegetation auf deren Grundstücken nicht von Bulldozern zerstört wird. Sondern Killer. Kerle mit Mumm und Handfeuerwaffen. Er wird eine dieser Spelunken finden und dasein, Abend für Abend, mit dem Barmann reden, vertraulich, aber laut genug, daß andere mithören können. Und über kurz oder lang werden sie sich an ihn gewöhnen. Ein alter Geldsack mit krummem Rücken, aber immer noch ganz stattlich. Fährt ein tolles Auto. Ist Kettenraucher, mag Zigarillos, die er sofort jedem anbietet, der sich interessiert zeigt. Mittlerweile hat der Barmann die Geschichte des alten Knackers geschluckt und meint, Schmidt sei reingelegt worden. Denselben Eindruck hat auch der eine oder andere der Burschen, die aufgepaßt haben. Eines Abends, ziemlich bald, wenn nicht viel los ist, wird es dann soweit sein: Der Barmann wird die Einladung zu einem Bourbon annehmen, den Schmidt ihm immer aufdrängt, und sagen: AI, von diesem Scheißkerl mußt du dir nichts gefallen lassen, verlaß dich auf mich. Komm morgen abend und sprich mit Vince. Zur verabredeten Stunde ist Schmidt da. Der Barmann begrüßt ihn: das Übliche, AI? Er weist mit dem Kinn auf eine Nische. Vince da drüben hat sich was überlegt. Mit Vergnügen sieht Schmidt, daß der Typ kräftig und schweigsam, ordentlich angezogen und höflich scheint, man würde sich nicht wundern, wenn er einer von Michael Mansours Leibwächtern wäre. Er erklärt, wie er sich die Sache denkt: Zwei Typen, die ich kenne, kommen extra aus der Stadt, und wenn Sie mir Bescheid geben, daß Sie abends lange wegbleiben wollen, gehen die in Ihr Haus, schlagen den Scheißkerl zusammen und passen auf, daß das Ganze wie ein echter Bruch aussieht. Sie müssen nur dafür sorgen, daß er da ist, und möglichst allein. Wenn noch jemand dabei ist, wird's kompliziert. Sie können ihm ja sagen, Sie erwarten einen Gast zum Übernachten, deshalb soll er zu Hause bleiben und den Gast reinlassen und so. Danach fahren die Typen wieder in die Stadt zurück, und das war's. Wieviel? Vince zuckt die Achseln und sagt: Hey, AI, du hast echt Klasse. Sagen wir mal, das überlasse ich dir. Nur eins merke dir: Vorkasse ist angesagt, genau wie wenn du mit einem Girl abhaust.
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Das wäre kein Problem. Schmidt hat sich ausgedacht, wie er an das Geld für Vince und dessen Freunde kommt. Keine großen Barabhebungen, die die Bank melden müßte, auch keine dubiosen Transaktionen, bei denen man zwangsläufig Verluste hat, zum Beispiel wenn man in New York einen großen Diamantring kauft, um ihn in Amsterdam oder Genf zu Bargeld zu machen; dabei handelt man sich auf jeden Fall das Problem ein, daß man dieses Geld undeklariert durch den Zoll bringen muß. Statt dessen wird er schlicht und einfach Goldmünzen kaufen und die Typen mit Gold bezahlen. Goldrichtig ist das. Vince ist gewieft. Den Wert des Krügerrands wird er auf den Pfennig genau kennen, und wenn nicht, so weiß er, wo er nachlesen kann. Überhaupt wird Schmidt eine beträchtliche Summe in Gold investieren, zur Freude des Mannes, der sich um sein Geld kümmert, und zur Wahrung des Scheins, falls jemand genauere Nachforschungen anstellen wollte. Eine Umverteilung der Vermögenswerte, eine kluge Vorsichtsmaßnahme zu einem Zeitpunkt, da der Aktienmarkt unsicher wirkt, jedoch nicht etwa ein kleiner Kauf zur Deckung einer besonderen Verpflichtung. Je intensiver Schmidt über diesen Plan nachdenkt, um so besser gefällt er ihm. Diese Burschen sind Professionelle. Sobald er gezahlt und Bryan seine letzten Prügel bezogen hat, werden sie sich nicht mehr melden, es sei denn, er braucht sie noch einmal für einen Job. Aber sie ein zweites Mal zu beschäftigen, hält er nicht für klug. Dies ist etwas ganz anderes als der Versuch, Bryan zu kaufen, denn Bryan wird sich nie ein für alle Mal kaufen lassen. Wetten? Aber tot sein wird er ein für alle Mal, das ist der Unterschied. Schade, daß man von Vince nicht verlangen kann, auch Mike Mansour um die Ecke zu bringen. An den Leibwächtern kämen sie nicht vorbei, dazu brauchten sie eine ganze Guerillatruppe. Das muß Schmidt allein erledigen, wenn es fällig ist. Wenn der Idiot noch wartend dasteht, breit grinst und winkt, schnell den Rückwärtsgang einschalten, Gas geben und das Schwein an der Garagenmauer platt quetschen. Jawohl, Unfälle kommen vor.
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VII Herrje, Schmidtie, sagte Carrie, nachdem er sie die ganze Zeit, beim Essen und auch vorher schon, als sie den Tisch deckten und das kalte Huhn und den Tomatensalat hinstellten, mit jener wortlosen, eisigen Höflichkeit behandelt hatte, die zu Marys Lebzeiten ein Teil seines Selbst gewesen war: Was ist denn mit dir los? Ich stehe extra früh auf, damit ich rechtzeitig hier bin und wir zusammen essen und einen Mittagsschlaf machen können, und du behandelst mich wie ein Stück Dreck. Das muß ich mir nicht bieten lassen. Er war nicht nur eingeschnappt. Er fühlte sich innerlich abgestorben. Recht hast du. Mußt du nicht. Wirst du wohl auch nicht. Vielen Dank. Dann geh ich unter die Dusche. Den Abwasch kannst du allein machen. Das kannst du ja so gut. Er hatte weder ihren Wagen in der Einfahrt noch das Schlagen der Autotür gehört. Er fiel also aus allen Wolken, als sie auf Zehenspitzen in die Bibliothek kam, ihn umarmte und sich zärtlich an seinem Ohr zu schaffen machte, zunächst mit der Zunge und dann mit ihrem Atem, als sei gar nichts geschehen. Im ersten Augenblick blieb er einfach reglos vor dem Stapel unbezahlter Rechnungen am Schreibtisch sitzen, denn reagieren wollte er nein, konnte er - nicht. Sie rüttelte ihn an der Schulter. Hey, Schmidtie, rate mal, wer hier ist, ich bin's, deine puertoricanische Süße. Ich bin wieder da. Er hatte mit dem Schlimmsten gerechnet. Nicht einmal anrufen würde sie, nichts würde sie von sich hören lassen. Statt dessen würden Jason oder sein Kollege, der Fleischberg, oder wahrscheinlich sogar Manuel kommen und sagen: Miss Gorchuck oder sagte er Carrie? - hat mich beauftragt, ein paar ihrer Sachen zusammenzupacken und sie rüberzubringen. Dabei würde er auf die Tasche für Übernachtungsgepäck zeigen, die er in der linken
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Hand hielt und die Schmidt ganz unbekannt war. Die Sachen sind sicher oben, im Doppelzimmer, oder? Dann auf dem Weg nach draußen: Schönen Tag noch, Mr. Schmidt. Möglich war auch, daß sie anrufen und abwechselnd lachen und lügen würde. Sie hatte ihn noch nie angelogen, dessen war er sich gewiß, also würde er es sofort merken, wenn sie damit anfinge. Aber einfach so wiederzukommen! Nur mit größter Mühe schaffte er es, aufzustehen und zu krächzen: Das sehe ich, das sehe ich. Völlig absurd schob er noch nach: Bitte, mach dir's doch gemütlich. Dann tat er so, als sähe er weiter seine Rechnungen durch, dabei zitterten ihm die Hände, und seine Augen brannten. Carrie war schon die zweite Überraschung an diesem Morgen, vielleicht war das der Grund dafür, daß ihn ein unglaublicher Stumpfsinn - nein, viel schlimmer, eine totale Erstarrung - befallen hatte; sein Denken, Fühlen, sein ganzer Körper war wie betäubt. Die erste Überraschung hatte auf ihn gewartet, als er morgens mit der Zeitung in der Hand wiederkam: Bryan war da, saß am Küchentisch und hatte den rechten Daumen im Mund. Kaute am letzten Nagelrest, genau wie in alten Zeiten. Der Melitta-Topf war halb leer, weil Bryan Kaffee gekocht und sich dann - ganz vernünftig - einen Becher voll eingeschenkt hatte. Sein Matchsack stand auf der Arbeitsplatte. Sonst nichts: keine Rolle mit tantrischen Bildern, kein Werkzeugkasten. Keine voreiligen Schlüsse, Schmidtie, vielleicht ist das Zeug in der Abstellkammer, nur außer Sichtweite. Und keine Spur von Bart. Nur der übliche Einheimische, dem du zuviel Vertraulichkeit im Umgang erlaubt hast; jetzt ist er mit dem Flugzeug den ganzen weiten Weg von Florida zum JFK gereist und mit wer weiß welchem Verkehrsmittel zu dir nach Hause gekommen, und sitzt da nun und ist schon auf dem Sprung, dich zu erpressen; ohne daß du eine Chance hast, erst einmal in Ruhe zu frühstücken. Der Pferdeschwanz war auch nicht mehr da. Doch Bryan hatte sich den Kopf kahlgeschoren; quer über seinen höckerigen Schädel zog sich eine häßliche Narbe. Ein Andenken an eine leere Bierflasche? Aber immer wohlerzogen. Kaum sah er Schmidt, stand er auf, warf einen verlegenen Blick auf den Nagel, trocknete sich den Daumen am Hosenboden seiner Jeans ab und streckte Schmidt die Hand entgegen. Immer langsam, Bübchen. Schmidt zog es vor, Distanz zu halten, und winkte ihm mit der Zeitung in seiner Rechten. Denn
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dies war wirklich unfair. Er hatte noch nicht mit Bryan gerechnet. Auf den Gedanken, daß Bryan zu dieser Morgenstunde mit dem Bus oder der Bahn hier eintreffen könnte, war er gar nicht gekommen. Hi, Albert, da bin ich. Voll gutes Gefühl, wieder hier zu sein. Nicht zu glauben: Bryan war richtig dünn geworden. Da er, solange Schmidt ihn kannte, kein Fett auf den Rippen hatte, mußten wohl seine Muskeln weniger geworden sein. Blaß war er auch und hatte gelbe Ringe unter seinen enttäuschenden unsteten Augen. Florida war ihm nicht bekommen. Vielleicht hatte er schon im Gefängnis gesessen. Sein Aussehen machte alles irgendwie noch schlimmer. Deshalb reagierte Schmidt nicht auf Bryans Gruß, sondern legte die Times auf den Tisch und setzte sich. Mit dem Tee, den er so gern getrunken hätte, mußte er nun warten. Er goß sich den restlichen Kaffee in den Becher, den Bryan hingestellt hatte. Albert, was ist denn los? Ich fasse es nicht. Willst du gar nichts sagen, nicht mal Hallo? Ich habe dir Bescheid gegeben, daß ich komme. Ich brauche eine Unterkunft. Du bist doch sonst nicht so. Sollte er ihm gleich jetzt und hier den Star stechen, egal was passierte, selbst wenn der kleine Mistkerl durchdrehte? Ha! Laut Carrie hat sie sich immer auf Kommando von ihm bumsen lassen, nur damit er nicht ausrastete. Wie wäre es zum Beispiel mit der Eröffnung: Du faßt es nicht? Ich verstehe sehr gut. Du sollst dich von diesem Haus fernhalten, habe ich dir erklärt, und du sollst mich anrufen und fragen, ob wir uns treffen können. Statt dessen machst du dich in meiner Küche breit. Das ist ein Riesenfehler. Du bist hier nicht zu Hause. Krieg das mal in deinen Schädel und verschwinde. Daraufhin würde er das unerträgliche Gewinsel zu hören bekommen: Mensch, Albert, das kann ich nicht ab. Du bist so wütend. Warum denn? Kennst du mich nicht mehr? Ich bin doch Bryan. Den ganzen Sommer lang habe ich dich gepflegt, gebadet, gefüttert und alles. Warum führst du dich so auf? Wo ist Carrie? Jemand muß mir doch erklären, was hier vorgeht. Und dann? Was sollte er machen? Zugeben, daß er nicht wußte, wo Carrie war und wann sie wiederkam? Unmöglich. Dann konnte er gleich Nägel mit Köpfen machen. Zum Beispiel: Jetzt hör mal gut zu, du kleiner Scheißer. Carrie wirst du nie mehr wiedersehen.
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Nicht, wenn ich es verhindern kann. Darum habe ich dich nach Florida geschickt, darum solltest du mein Haus dort in Ordnung bringen. Darum habe ich dir den leichten Job im Krankenhaus beschafft, nachdem ich das Haus weggegeben habe. Daß du sie gefickt hast, das ist deine Sünde. Und nur darum geht es. Jetzt verschwinde, bevor ich die Polizei hole. Die wird dich erst gründlich in die Mangel nehmen, so ist das nun mal. Ein solcher Abschaum wie du hat die Reichen nicht zu belästigen, nicht in den Hamptons. Dann wirst du ins Flugzeug verfrachtet und nach Florida zurückgeschickt, zu den Leuten, denen du dort entwischt bist. Die können es gar nicht abwarten, dich wiederzusehen, wetten? Aber Schmidt sagte kein Wort. Schweigend trank er den lauwarmen Kaffee. Albert, willst du gar nicht mit mir reden? Behandle mich doch nicht so. Kann ich Carrie sehen? Jemand muß doch mit mir reden. Carrie wirst du nicht sehen. Das stieß Schmidt hervor. Ach du Scheiße, Albert, das liegt dir immer noch im Magen? Carrie ist nur eine Freundin. Du weißt doch, bei uns läuft nichts mehr. Das ist aus und vorbei. He, Mann, sei doch mal menschlich, mach dir keinen Streß. Ich sitze in der Scheiße. Ich brauche Hilfe. Andere auch, hätte Schmidt sagen können. Aber das war nicht nötig. Bryans Begabung für Monologe reichte zum Erzählen einer Geschichte, deren Pointe Schmidt im voraus wußte. Zuerst kam vor, wie sehr er Bryan dadurch gekränkt hatte, daß er das Haus, dem Bryan wieder zum Glanz der dreißiger Jahre verhelfen habe, nur ein einziges Mal ansah, und auch noch ohne Carrie, daß er es mit einem Anwalt besichtigte und dann in einem Hotel übernachtete, obwohl zu Hause alles für ihn bereit gewesen sei. Nicht mal zum Essen habe er Bryan ausgeführt. War das der Dank für zwei Jahre Arbeit - für eine ganz und gar vergebliche Mühe noch dazu? Und als Schmidt das Haus der Klinik übergeben habe, konnte Bryan es nicht glauben. Dann habe so eine Sekretärin verlangt, er solle sich und seinen Kram aus seinem eigenen Zimmer räumen und ins Wohnheim der Pfleger umziehen. Da habe er sich geweigert. Und ehe er sich's versah, seien die Wachmänner über ihn hergefallen, hätten seine persönlichen Sachen, sogar sein Werkzeug auf den Boden im Flur geworfen
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und da bei - wer hätte das gedacht - sein Schatzkästchen entdeckt. Da habe er dann rot gesehen - sein Jähzorn! NaziÄrsche! Er zeigte auf seinen Schädel. Die waren das, die haben es gemacht! Dann hätten sie die Polizei gerufen, behauptet, Bryan habe gegen Gesetze verstoßen, und den Polizisten seinen kleineren Werkzeugkasten mit dem Stoff gezeigt! Es sei so gut wie nichts darin gewesen, versicherte Bryan, Schmidt könne ganz beruhigt sein, er sei kein Dealer, das habe er nicht nötig, da Schmidt ihm ja genug Geld gegeben habe. Nur eine kleine Reserve habe er sich angelegt, für sich und für Bonnies ehemalige Nachbarn, falls sie mal an einem Wochenende anfragten, ob er ihnen aushelfen könne. Mensch, so wie die Zeitungen über ihn geschrieben hätten, konnte man glatt denken, er hätte die beschissene Hialeah-Rennstrecke vermint. Da war's dann so weit, daß einer von den ganz Wichtigen, die den Fall verfolgten, ihn auf Kaution frei bekam und andeutete, Bryan könnte vielleicht eine Mitfahrgelegenheit zum Flughafen von Miami brauchen. Bryan kam zum Ende seiner Geschichte: Da habe ich geschaltet. Das hieß: Adios, Mann, mach 'ne Fliege. Und nun sei er hier. Sofort zu seinem einzigen Freund gekommen, zu dem Kerl, der ihn nach Florida geschickt habe, verdammt noch mal. Tut mir leid, daß ich das Haus nie benutzt habe, erwiderte Schmidt. Es ist am falschen Ort. Ich mag Florida nicht. Scheiß auf Florida. Wo ist Carrie? In der Stadt. Bei ihren Leuten? So ungefähr. Wann kommt sie wieder? Das weiß ich nicht genau. Vielleicht heute. Vielleicht später. Hey, Albert, laß mich doch hier bleiben, ja? Bis sie wiederkommt, meine ich. Du brauchst dir wegen mir keinen Streß zu machen, habe ich doch gesagt. Und ich habe dir schon erklärt, ich weiß nicht, wann sie wiederkommt. Solange sie weg ist, bin ich lieber allein. Und wenn sie wieder da ist, möchte ich nicht, daß du hier herumhängst.
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Du verstehst das ganz falsch, Mann. Ich helfe im Haus; wenn es was zu reparieren gibt, dann richte ich es, wie früher. Hey, ich pass' auch für dich auf sie auf. Das ist ein Ganztagsjob, das kannst du mir glauben. Vielleicht ist es mit dir anders, vielleicht bist du so 'n toller Liebhaber, kann ja sein, daß das alles ist, was sie braucht. Scheiße, das war' mal was anderes! Was meinst du damit? Was ich meine? Ich brauchte sie nur einmal aus den Augen lassen oder so, und gleich ging's rund, aber immer! Sogar mit meinem Kumpel Hollis, in Springs. Du kennst doch Debbie, die Rothaarige bei O'Henry's, die Freundin von Carrie - die hätte Carrie fast die Augen ausgekratzt. Deshalb mußte Carrie ausziehen. Da war dicke Luft, kann ich dir sagen, bis ich ihr geholfen habe, das Apartment in Sag Harbor zu finden. Mann, ich konnte es nicht glauben. Der Wachmann in Florida, der dir über den Schädel gehauen hat, muß kräftig zugeschlagen haben - falls die Geschichte wahr ist. Du weißt ganz genau, daß Carrie aus Springs weggezogen ist, weil dein Freund Hollis versucht hat, sie zu vergewaltigen. Sie wollte nie wieder dorthin. Und jetzt sieh zu, daß du weiterkommst. Diesen Blödsinn über Carrie will ich mir nicht anhören. Wow, Albert, das siehst du ganz falsch. Was glaubst du denn, wer Carrie ist? Eine verdammte Nonne? Als wir noch zusammen waren, hat sie die ganze Zeit jeden Kellner und jeden Laufburschen bei O'Henry's gebumst. Frag, wen du willst, das wird dir jeder sagen. Kennst du die Abstellkammer hinter der Küche? Dort ließ sie die Hosen runter, beugte sich vor, und dann ging's zu wie bei den Hunden. Der Wirt benützte die Abstellkammer nicht. Er hat sie im Stehen gefickt, gegen die Wand in seinem Büro gelehnt. Oder er hat sich auf einen Stuhl gesetzt, den Hosenschlitz aufgemacht, und dann hat sie sich auf ihn draufgepackt. Das war wie im Witz. Nach der Arbeit war sie manchmal so wund, daß sie mir nur einen blies. Eins muß ich dir lassen, Albert, als sie was mit dir anfing, hat sie sich beruhigt, als ob sie für alle anderen zu stolz wäre oder so, außer Hank Wilson. Der alte Penner hat sie genagelt, wann und wie er wollte. Mr. Wilson?
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Genau, der Typ, den du überfahren hast. Der kam in die Wohnung und stank wie ein Stück vergammeltes Fleisch. Mensch, Carrie hat mir immer in den Ohren gelegen, daß ich ihr Shit verkaufen soll, damit er beim Picken hart würde. Meistens habe ich ihr den Stoff umsonst gegeben. Nur eins hab ich verlangt: Sie sollten's auf dem Fußboden machen. Den Schwanz von diesem Typ würdest du auch nicht in deinem Bett haben wollen. Die Küchenmesser hingen ordentlich, alle Schneiden in einer Richtung, an dem Magnethalter links vom Herd. Das lange elegante Sabatier-Messer, das Schmidt gekauft hatte, als er noch in New York wohnte, und das er mit mütterlicher Fürsorge behütete, damit es ja keine Kerbe bekäme, und nur zum Tranchieren von Lammbraten oder Roastbeef benutzte; die kürzeren einfachen Stahlmesser mit den unpolierten Griffen aus Mr. Johnson's Eisenwarenladen, die besser waren und sich leichter rasierklingenscharf schleifen ließen, obwohl sie erheblich weniger kosteten; dann die ganz kurzen Gemüse- und Obstmesser, einige davon Sägemesser. Welches sollte er sich im Sprung schnappen und diesem Monster in den Bauch rammen, genau über dem tiefhängenden Gürtel? Reinstechen und umdrehen, und dann das Gesicht aufschlitzen. Den Boden mit Blut überströmen. Selbst von Blut triefen: Hemdsärmel, Socken, Schuhe. Dann die Polizei rufen. Möglichst noch bevor sie kam, die Sache zu Ende bringen. Das war zu schaffen, oben im Haus lagen ja noch die Tabletten. Blut über dies verfluchte Haus gießen, das Charlotte nicht haben will. Sie wird es verkaufen, wird das Geld nehmen, auch das andere Geld, das er besitzt - so viel mehr, als sie meint. Soll sie, wenn sie nur ihr Leben noch einmal neu anfängt. Du gottverdammtes Monster! Hier redete doch wohl ein anderer. Eine solche Stimme hatte Schmidt noch nie gehört. Das war nicht er, das mußte ein Alb sein oder der Vorbote eines Schlaganfalls. Wie bei seinem Vater. Welche Töne der alte Mann von sich gegeben hatte, bevor er mit dem Gesicht in die schwarze Bohnensuppe auf dem Eßtisch in der Grove Street gefallen war, das hatte er Bonnie nie gefragt. Vielleicht hatte der Alte, selbstbeherrscht und distanziert bis zum letzten Atemzug, gar kein Geräusch gemacht. Als Schmidt kam,
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hatten Butler und Köchin den Vater auf das Ledersofa im Arbeitszimmer gebettet, aber ganz vergessen, das Rinnsal aus braunem Schaum in seinem Mundwinkel wegzuwischen. Mensch, Albert, hast du echt geglaubt, Carrie wäre noch Jungfrau? Jetzt paß mal auf, Mann: Sie hat mir erzählt, wie sie dich angebaggert hat. Was glaubst du wohl, warum? Das weißt du nicht? Dann werd' ich's dir erklären. Sie hat dich flachgelegt, weil du alt bist. Sie wollte einfach mal sehen, was du machen würdest. So etwa. Das ist kein Verbrechen. Klar, sie liebt dich, Albert, aber nicht ausschließlich dich. Nichts ist ausschließlich. Was sagst du? Sind wir uns da einig? Es war zu spät. Umbringen konnte er ihn nicht mehr, den Moment hatte er verpaßt. Die Polizei wird dich schnappen, sagte Schmidt ganz ohne Zusammenhang. Hier werden sie zuerst suchen. Am besten, du gehst jetzt. Weit weg. Irgendwohin, wo du noch nie gewesen bist. Nö. Diese Geschichte in Florida ist doch Hühnerkacke. Wie ist es, Albert? Sind wir Freunde? Ich will dein Wachhund sein. Mir entgeht nichts, glaub mir. Mir wäre es wirklich lieb, wenn du gingst. Und dann blödsinnigerweise - fügte er hinzu: Daß sie mit den Kellnern bei O'Henry's geschlafen hat und auch mit dem Wirt, das hat sie mir nie erzählt. Fragst du sie denn so was? Nein. Albert! Warum sollte sie dir so was sagen, wenn du sie nicht danach fragst? Was hat sie wohl nach der Arbeit gemacht, was glaubst du? Die Füße in warmem Wasser weich werden lassen? Sie ist noch ein Kid, vergiß das nicht. Hey, fährst du mich nach Springs rüber? Anders komme ich nicht hin. Ich bin den ganzen Weg vom Bus zu dir gelaufen. Das ging über Schmidts Kräfte. Sollte er ihm anbieten, Marys Toyota zu nehmen, falls der Wagen ansprang? Ein Taxi rufen? Nein, Bryan sollte ruhig wieder bis in die Stadt laufen und sich dort ein Taxi nehmen. Dafür braucht er Fahrgeld. Natürlich. Also, gib ihm Geld - bevor er darum bittet.
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Aber Bryan lehnte ab und schüttelte den Kopf. Geld habe ich, sagte er. Ach Scheiße, Mann. Ich dachte, du bist mein Freund. Und das war's dann. Bryan hatte unbestreitbar einiges in ein neues Licht gerückt. Viel war nach dem gräßlichen wortlosen Essen nicht abzuwaschen. Früher oder später würde sie herunterkommen und dabei weder die Hintertreppe benutzen noch durchs Fenster fliegen. Natürlich hinderte Schmidt nichts daran, vorher in sein Auto zu steigen und wegzufahren - zum Strand, nach Montauk, zum Flughafen. Immer wieder verschwinden Männer spurlos und ohne Grund. Statt dessen trocknete er die beiden Kristallweingläser ab, verstaute sie und ging wieder in das Bücherzimmer, um Rechnungen zu erledigen. Sie bewegte sich immer geräuschlos, auch wenn sie nicht barfuß war, und ihre Gegenwart wurde ihm nicht etwa dadurch bewußt, daß er ihre Schritte gehört hätte. Eingehüllt in den weißen Frotteebademantel, den sie liebte, stand sie im Türrahmen. Ihre Haare glänzten naß. Liebling, sagte sie, du bist echt sauer auf mich. So habe ich dich ja noch nie gesehen. Warum denn? Du hast mich allein gelassen - ohne jede Vorwarnung. Schmidtie, ich bin zu meinen Eltern gefahren. Ich habe vom College aus angerufen, zwischen den Kursen, und meiner Mutter ging's nicht gut. Dann habe ich bei Mike Mansour zu Hause angerufen und Manuel gesagt, er soll dir das ausrichten. Dich konnte ich nirgends erreichen. Warum ist das schlimm? Du hast mich nicht aus der Stadt angerufen. Doch. Ich habe dir auf den Anrufbeantworter gesprochen. Ja, daß du mit Michael Mansour um die Häuser gezogen bist. Kümmerst du dich so um deine Mutter? Ich habe sie wegen ihres Beins ins Krankenhaus gefahren und dann wieder nach Hause. Sonst brauchte sie nichts. Ja, ich habe Michael angerufen. Was ist denn daran verkehrt? Nichts, wenn du dich mit anderen Männern verabredest. Ich wußte nicht, daß du das tust. Tue ich ja nicht. Mann, Schmidtie, wir sind dauernd mit ihm zusammen. Er ist dein Freund. Ich wollte mir sein Apartment
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ansehen. In so einer irren Wohnung bin ich noch nie gewesen. Dann hat er mich gefragt, ob ich gern Japanisch esse. Und so sind wir in das Restaurant gegangen. Das hast du auch auf deinem Anrufbeantworter. Und dann, später? Wie: später? Was meinst du damit? Was ihr nach dem Essen gemacht habt, meine ich. Wir sind in einen Club in Tribeca gegangen und haben getanzt. Mansour hat getanzt? Ja, hat er. Er tanzt ziemlich gut. Hey, er hat mir gezeigt, wie Bauchtanzen geht! Mit Jason habe ich auch getanzt. Mann, der Kerl kann sich total gut bewegen. Aha. Leibwächter immer und überall, sogar auf dem Tanzboden. Ist ja nett. Und was noch? Was passierte danach, meine ich. Michael hat gefragt, ob er mich nach Hause fahren soll oder ob ich in seiner Wohnung übernachten will. Und wie hast du dich entschieden? Junge, Junge, Schmidtie, du bist echt ein Anwalt. In seiner Wohnung wollte ich übernachten, habe ich gesagt. Die Gründe kann ich dir geben: Ich hatte mein Auto in seiner Garage, das hätte ich holen und dann morgens um drei den ganzen Weg nach Canarsie fahren müssen, und dazu hatte ich wirklich keine Lust. Aha! Mr. und Mrs. Gorchuck wohnten in Canarsie. Das war eine interessante Tatsache, die eines Tages von Nutzen sein konnte und die Schmidt bisher nicht bekannt gewesen war. Es war eine lohnende Aufgabe, die Lage von Canarsie relativ zum Stadtteil Brooklyn, in dem er sich auch nicht auskannte, genau zu erkunden. Zweitens wollte ich meinen Dad nicht aufwecken. Wenn Mom so krank ist, schläft er im Wohnzimmer. Und wo schlief Carrie dann? Auch im Wohnzimmer? Auf dem Fußboden oder auf einer zweiten Couch? Hatten sie kein zweites Schlafzimmer, wenigstens eine Kammer, oder schlief sie auf einem Klappbett in der Küche? Bei dieser Vorstellung blutete ihm das Herz: Warum traute ihm das arme Kind nicht so weit, daß sie
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ihn sehen ließ, wie ihre Eltern lebten? Warum erlaubte Carrie ihm nicht, Gorchucks aus ihrer Armseligkeit herauszuhelfen? Ich verstehe, sagte er. Aber daran hast du nicht gedacht, daß sie keinen Schlaf mehr finden würden, wenn einer von ihnen mitten in der Nacht aufwachte und merkte, daß du nicht wiedergekommen bist? An deiner Stelle hätte ich das schlimmer gefunden. Du willst mich wohl verscheißern. Die wissen doch, daß ich erwachsen bin. Wohl wahr. Und was passierte, als du dann im Schloß Mansour warst? Was denn, was meinst du damit? Was ich meine, ist ja wohl klar. Hat er was von dir gewollt? Hast du mit ihm geschlafen? Willst du das echt wissen? Nein, das wollte er nicht, aber er nickte. Na, rate mal. Er hat mich vergewaltigt. Jawohl, und Jason hat mich festgehalten. Zufrieden? Carrie, Bryan war heute morgen hier. Das kann doch nicht wahr sein. Doch. Aus Florida zurück. Er hatte mir auf den Anrufbeantworter gesprochen, gleich nach dir. Hat Mist gebaut. Ganz der alte Bryan, nur anders. Er hat eine Menge erzählt. Von dir. Was denn so? Daß du mit allen Kellnern bei O'Henry's geschlafen hast. Mit dem Wirt auch. Daß du als Kellnerin ganz zu Diensten warst - so was eben. Und was geht dich das an? Hast du gedacht, du wärst mein erster, Schmidtie? Nein, du hast mir erzählt, daß der Mann - Entschuldigung, Mr. Wilson - der erste war. Aber ich habe nicht gewußt, das du allein in Bridgehampton jeden Kellner und jeden Laufburschen an deinem Arbeitsplatz bedient hast, nicht nur den Wirt, Bryan und Mr. Wilson. Willst du damit vielleicht sagen, du wärst dir zu schade gewesen, mich zu ficken, wenn du das gewußt hättest? Ist es das? Leck
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mich doch, Schmidtie. Mr. Wilson hatte den totalen Durchblick. Hohl im Kopf bist du, das hat er gesagt, eingebildet und hohl. Hätte ich ihm doch bloß geglaubt. Sie weinte, wie immer, wenn von dem Mann die Rede war. Es tut mir leid, sagte Schmidt. Willst du mein Taschentuch? Wisch dir den Arsch damit, du Mistkerl. Wo ist dein Problem? Gefällt's dir nicht in meiner Möse? Ist sie nicht sauber genug für dich? Was du haben kannst, schmeckt dir nicht, wenn du nicht der erste bist? Und was ist mit mir? Frage ich dich, wo dein Schwanz schon gesteckt hat? Denk dran, ich habe dich gefragt, ob du willst, daß ich treu bin. Mann, hast du mich abserviert. Und jetzt bist du eifersüchtig! Ja, bin ich. Ich liebe dich, Carrie. Ich habe dich immer wieder gebeten, mich zu heiraten. Wir sind zusammen. Ich weiß nicht, wie ich ohne dich leben soll. Am Anfang, als du mir diese Frage gestellt hast, war es anders. Ach, Blech. Nein, es ist die Wahrheit. Komm her zu mir, bitte. Glauben konnte er es nicht, aber irgendwie hatte er es geschafft: Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben brach er tatsächlich aus dem Kasten aus, in den er sich selbst eingesperrt hatte, zum ersten Mal machte er ein Friedensangebot. Carrie ging erst einen, dann zwei Schritte in seine Richtung. Zitternd zog er sie auf seinen Schoß und streichelte ihr Haar. Es war naß wie das Fell eines jungen Hundes. Bitte, Carrie. Nein, nicht. Er hatte seine Hand auf ihr Knie gelegt, was Carrie ihm erlaubte, und sie dann versuchsweise höher gleiten lassen, der Mitte entgegen, wo sie, so dachte er, auch naß war. Carrie, mir geht es nicht um die Kellner und die Laufburschen. Das war Bryans Gerede; er wollte mich demütigen. Und das hat er auch geschafft. Ich will wissen, was jetzt ist, was mit dir und Michael Mansour los ist. Das kann ich nicht so gehenlassen, ich muß es wissen. Er ist doch nicht irgend jemand, der meint, er sei
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mein Freund. Er ist einer, mit dem wir beide ständig zusammen sind. Was ist passiert? Willst du das echt wissen? wiederholte sie. Er nickte, nahm die Hand von ihrem Knie und ließ sie statt dessen auf dem neutralen Gelände des Frotteestoffs ruhen. Okay. Seine Wohnung hat drei Stockwerke. Im zweiten Stock hat er sein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer oder so, mit einem großen Kamin, und dann noch ein Zimmer mit Matten und Maschinen - Tretmühle, Fahrräder und ein Käfig für Gewichte. Alles mögliche Zeug. Er läßt jeden Morgen einen Trainer kommen. Du glaubst es nicht. Morgens um sechs. Die Gästezimmer sind im dritten Stock. Er hat mich in mein Zimmer gebracht und mir gezeigt, wo das Licht ist und alles und das Bad, und ich dachte, jetzt gibt er mir einen Kuß oder so und sagt gute Nacht. Aber dann läßt er auf einmal die Arme hängen und sagt: Ich möchte deine Brüste sehen. Ich schau ihn ganz verdattert an, und diesmal sagt er: Zeig mir deine Titten, bitte. Ich hab nur gedacht: Laß mich raus hier, Mann! Ich hatte diese schwarze Bluse an, die du mir geschenkt hat, du weißt schon, die mit den kleinen Schulterträgern, die keine Knöpfe hat, die schiebe ich also einfach hoch und sag ihm: Da sind sie. Sag Hallo. Ich denke, jetzt grabscht er sie an oder leckt sie, aber nein, er fragt: Was wird Schmidtie dazu sagen? Ich konnte es nicht fassen, also sage ich: Der wird dir dein dämliches Gesicht einschlagen, versuchen wird er's jedenfalls. Weißt du, das war, als ob er kaltes Wasser über mich kippt. Ich hab ganz zugemacht. Dann sagt er: Schon gut, Schmidtie braucht es nicht zu wissen, und redet noch mehr Stuß, und ich geb zurück: Vergiß es, ich geh schlafen. Und dann? Morgens kommt er wieder in mein Zimmer und sagt, es tut ihm leid, er konnte die ganze Nacht nicht schlafen, hat gewichst und dabei an mich gedacht, und er gibt mir eine Million Dollar, wenn ich ihn ficke. Ich frage: jetzt gleich? Da sagt er, nein, jetzt nicht, ich krieg ihn nicht hoch, ich bin zu kaputt, aber bitte bald. Laß mich nicht zu lange warten. Oh, Carrie.
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Einen schönen Freund hast du da! Und willst du das Beste auch noch hören? Als ich gegangen bin, habe ich Jason tschüs gesagt, und da taucht Mike auf einmal auf, ich weiß nicht, von wo, und sagt doch: Vergiß nicht das Dinner am Sonntag. Hillel wird spielen. Ich erwarte dich und Schmidtie. Die Party wird fabelhaft. Carrie, ich gebe dir eine Million Dollar, wenn du diesen Mann nicht in deine Nähe läßt. Sie sah ihn sehr aufmerksam an und erwiderte: Daswäre nicht gut, Schmidtie. Wenn ich Geld von dir nehme, schlafe ich nie wieder mit dir. Dann nahm sie seine Hand, legte sie in Kniehöhe innen an ihr Bein, schob sie weiter nach oben und flüsterte: Hey, den Scheck für die Million Dollar hast du doch noch nicht ausgestellt, oder? Dann komm, du Spinner, wir vergeuden bloß Zeit. Laß uns nach oben gehen.
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VIII Am nächsten Morgen gab er Carrie, bevor sie sich auf den Weg zum Unterricht machte, eine goldene Brosche in der Form eines Skarabäus. Sie war sein Geschenk für Mary gewesen, zur Feier des Tages, an dem der alte Dexter King ihm mitteilte, daß die Kanzlei ihn zum Sozius gemacht habe. Das Schmuckstück war wunderschön, allerdings vielleicht ein wenig pompös - allzu kunstvoll hätte man auch sagen können -, so wie es typisch für den um die Jahrhundertwende in Boston gefertigten Schmuck ist. Zu seiner Überraschung trug Mary die Brosche nie. Es war nicht Schmidts Art, derlei Dinge anzusprechen oder gar genauer zu untersuchen, aber nach einer Weile kam ihm der Gedanke, daß sie womöglich die Rechnung gesehen hatte, die er mit anderen Papieren auf seiner Kommode bereitgelegt hatte, weil er sie ins Büro mitnehmen und seinem Versicherungsagenten schicken wollte. Der Preis war hoch und überschritt Schmidts Mittel bei weitem. Da er keines der wenigen Wertpapiere verkaufen wollte, die er damals besaß, hatte er zur Bezahlung einen Kredit aufgenommen. Seine unvorhersehbaren Anfälle von Extravaganz mißfielen ihr - ihm eigentlich auch -, und da sie beide sich nur mit größter Mühe überwinden konnten, über Geld zu sprechen, und dabei immer so verkrampft waren, als bekämen sie bei diesem Thema eine Gänsehaut, hatte sie das Schmuckstück beiseite gelegt und auf diese Weise eine Handlung, die sie tadelte, ungeschehen gemacht. Sie konnte darauf zählen, daß er verstand und schweigen würde. Diese Vorgeschichte war womöglich der Grund, warum er Charlotte die Brosche nicht angeboten hatte, als er ihr Marys übrigen Schmuck überließ, diese bittersüße, in Lederschatullen unterschiedlicher Größe und Form eingesargte Chronik seiner Verehrung und seines Sinns für Begleitumstände. Marys Mutter war sehr jung gestorben, ihr Vater schon davor im
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Maschinengewehrfeuer gefallen, als er auf einen Strand in der Normandie zuwatete; von diesen beiden hatte sie nichts geerbt außer den Eheringen und einem Verlobungsring, die Schmidt ebenfalls zurückhielt: die Eheringe, weil sie ihn verlegen machten, den Verlobungsring, weil er so rührend ärmlich war, daß Schmidt ihn lieber nicht den Augen und dem Kommentar Dritter aussetzen wollte. Der wertvolle Schmuck in Marys Familie stammte von Tante Martha; Mary hatte ihn gleich nach dem Tod der alten Dame in einen Banksafe gebracht und für Charlotte aufbewahrt. Die meisten Stücke, die Schmidt Charlotte anbot, nahm sie. Den Rest verkaufte er für mehr Geld, als er für möglich gehalten hätte, an einen Händler, mit dem er seit Jahren im Geschäft war. Aber nicht den Bostoner Skarabäus - an dem hing er zu sehr. Ihn zu behalten und ein zweites Mal herzuschenken, das war die richtige Entscheidung gewesen. Als Carrie den Schmuck sah - er hielt ihr die geschlossene Faust mit dem Skarabäus hin und sagte: Schnell, klopf an, sieh nach, was drin ist -, fragte sie ihn schüchtern: Mein Liebling, ist der für mich? Und als er nickte, küßte sie seine Hand, nannte ihn noch einmal Liebling und dann Bebop, steckte sich die Brosche ans Hemd und wollte das College schwänzen, um den Tag mit ihm zu verbringen, weil er sie so glücklich gemacht habe. Aber er sagte, geh nur, sieh zu, daß du nicht zu spät kommst und daß du vorsichtig fährst, hielt ihr die Tür des kleinen Autos auf und stand noch in der Einfahrt, als es schon lange nicht mehr zu sehen war. Bebop. Die Verkleinerungsform des Namens, den sein Pate trug, und das einzige Kosewort, das Schmidts Mutter in den Mund genommen hatte. Falls sie zufällig einmal nicht schlechtgelaunt war, hatte sie, wenn einer seiner Freunde anrief, während er im selben Zimmer saß wie die Mutter, eine merkwürdige Art, am Telefon zu sagen: Du willst bestimmt mit Bebop sprechen, warte, ich hol ihn dir, er muß irgendwo im Haus sein. Dabei zuckte er zusammen. Wenn Carrie das Wort sagte, hatte es einen ganz anderen Farbton. Es leuchtete bunt wie ein Regenbogen. Erst am späten Nachmittag würde sie wieder dasein. Bis dahin hatte er nichts, buchstäblich nichts zu tun. Es war unsinnig, das Bett zu machen oder den Tisch abzuräumen, weil die Polinnen im Lauf des Vormittags kommen würden. Carrie hatte gesagt, daß sie auf dem Heimweg Wurst und Obst und Gemüse zum Abendessen
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einkaufen würde. In der Speisekammer lagen so viele Dosen mit Thunfisch und Sardinen, daß der Haushalt für eine Belagerung gerüstet war, und Brot und Käse hatte er mitgebracht, als er die Frühstückscroissants geholt hatte. Also, für das Mittagessen war gesorgt. Der leichte Dauerregen, der fast unmittelbar nach Carries Aufbruch begonnen hatte - er war froh, daß sie das Wagendach geschlossen hatte -, verbot zwar nicht, ein paar Bahnen im Pool zu schwimmen, lud aber auch nicht gerade dazu ein. Gil Blackman war an die Westküste gefahren. Schmidt wußte nicht recht, ob er Gil angerufen hätte, wäre dieser in Bridgehampton gewesen, denn dabei hätte er entweder riskiert, daß Gil ablehnte, weil er keine Zeit für eine Mittagspause habe, oder aber, daß beim Essen das Thema der letzten Unterhaltung wiederaufgenommen würde; die Wahrscheinlichkeit dafür war hoch. Er konnte jederzeit Elaine zum Lunch zu sich einladen. Das war allerdings etwas, das er noch nie getan oder auch nur in Erwägung gezogen hatte. Ging Elaine je zum Essen aus, wenn sie nicht einer gesellschaftlichen Verpflichtung nachkommen mußte, die auch Gil einschloß? Schmidt bezweifelte das; sie hatte ihm erzählt, daß sie tief in den Vorarbeiten für ihr Buch über Waisenhäuser in der Kolonialzeit steckte. Der Bestand der Leihbücherei in Bridgehampton war geringfügig, Elaine mußte sich also Literatur zum Thema anderswo verschaffen, aber darüber hatte sie nichts gesagt. Vermutlich ließ sie sich Bücher aus der Society Library in New York schicken oder bekam sie über die Fernleihe, und jetzt, da Gil im HarvardAufsichtsrat war, vielleicht sogar aus der Widener-Bibliothek. Wie auch immer, warum sollte er sie zum Essen einladen? Die Unterhaltung würde nur zu problematischen Themen führen. Carrie war kein unverfänglicher Gesprächsgegenstand, ebensowenig wie Charlotte oder auch Gil, denn Elaine war überzeugt, daß Schmidt sich mit Gils geheimem Gefühlsleben bestens auskannte. Lohnte sich das zusätzliche Risiko, daß Elaine seine Initiative als Auftakt zu einem absurden romantischen Abenteuer verstehen mochte? Nein, es lohnte sich nicht, und er wußte auch sonst niemanden, den einzuladen er auch nur entfernt in Betracht zog. Also blieb ihm nur Trollope - er hatte vor kurzem angefangen, seine Lieblingsbücher wiederzulesen -, das Bezahlen von Rechnungen und das Warten auf Charlottes Anruf. Sie mußte ihm
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doch nun wirklich Bescheid geben, ob sie zum Wochenende kommen wollte. Wenn sie aus irgendeinem Grunde nicht fahren konnte oder wollte, würde er sie in der Stadt besuchen. Aber er war zu dem Schluß gekommen, daß er sich vor allem hüten müsse, ihr das Gefühl zu geben, er wolle sie ins Kinderzimmer zurückkomplimentieren und sozusagen selbst »die Regie übernehmen«. Deshalb war Abwarten das klügste. Sie würde schon anrufen. Es lockte ihn nicht, sich gleich morgens mit einem Buch hinzusetzen. Soviel war klar, daß er Gil Blackman eine geschönte Version seiner in ungestörtem Müßiggang verbrachten Stunden gegeben hatte. Die Rechnungen - besonders viele waren es nicht - mußten erledigt werden. Aber erst einmal wollte er sich rasieren. In der letzten Zeit hatte er sich dabei ertappt, daß er, besonders wenn Carrie Übungskurse hatte, seine Morgentoilette immer weiter hinausschob, und das war mit Sicherheit die glatte Rutschbahn bergab ins Dasein eines ungepflegten - ja, warum nicht deutlich sagen - schmuddeligen alten Mannes. Wie es dazu kommen kann, hatte er mitangesehen. Ein Literaturagent, einer der wenigen, deren Geschmack und Prinzipien Mary geachtet hatte - sie war sogar der Meinung gewesen, er hätte als Lektor mit einem eigenen Imprint in ein größeres Verlagshaus gehört -, ein Mann, mit dem sie sich regelmäßig trafen, hatte sich zur Ruhe gesetzt. Kurz darauf ließ sich seine wesentlich jüngere Frau von ihm scheiden - und zwar ohne ersichtlichen Grund, von einem anderen Mann wußte jedenfalls keiner etwas. Vielleicht war der Scheidungsgrund nur die Tatsache, daß er seine Zeit meist in ihrem gemeinsamen Haus in Georgica verbringen wollte, während sie die Woche über in New York sein mußte, weil sie als Partnerin in einer anderen Agentur arbeitete. Jedenfalls gab sie nie vor, sich über das Leben auf dem Land oder den Ruhestand ihres Mannes zu freuen. Kurz nachdem sie ihn verlassen hatte, konnte man sehen, wie Jake bei seinen Besorgungen in den Läden am Ort unrasiert, mit zwei Tage alten Bartstoppeln, in Schuhen ohne Schnürbänder - er hatte sie wohl herausgezogen, weil er sie überflüssig fand - und unnatürlich gebückt herumschlurfte. Irgendwann hatte er auch zwei untere Schneidezähne verloren. Es gab keinen Grund zu der Annahme, er habe sie bei einer Schlägerei eingebüßt; wahrscheinlich hatte er zu gierig in ein Lammkotelett gebissen und den Knochen getroffen. Die Zähne
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wurden nicht ersetzt, und innerhalb weniger Monate war Jake tot, an einem Schlaganfall gestorben; er hinterließ ein kompliziertes Erbe ohne ausreichende Liquidität zur Bezahlung der Erbschaftssteuer, das unter knapp bemittelten Neffen, Nichten und Stiefkindern aufgeteilt werden mußte. So wollte Schmidt nicht enden. Eine versäumte Rasur löst nicht notwendig eine Apoplexie aus, das wußte er, aber ein Vorbote könnte das Versäumnis wohl sein! Also die Treppe hinauf ins Bad. Er konnte sich nicht erinnern, wie oft er die auswechselbare Klinge seines Rasierapparats schon benutzt hatte. Er hatte die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: entweder die Klinge noch einmal verwenden und unter Umständen mitten in der Arbeit gegen eine neue auswechseln, weil die Rasur nicht mehr glatt ging, oder gleich eine neue einsetzen. Halbherzig, weil der nicht unbeträchtliche Preis von Klingen in Spitzenqualität doch allmählich zu Buche schlug, entschied er sich für die zweite Möglichkeit, trug Rasiercreme auf und begann zu schaben. Hallo! Durch das offene Fenster hörte er, wie ein Wagen in die Einfahrt fuhr, und zwar mit einem nach Schmidts Geschmack stark übertriebenen Tempo und Bremsmanöver. Die polnische Putzkolonne konnte es nicht sein, dafür war es noch zu früh. Er blickte aus dem Fenster und sah Mr. Mansours kleinen Rolls Royce. Die Tür zum Fahrersitz öffnete sich, und der Herr stieg aus. Eine andere Person - Jason, wie Schmidt annahm - blieb auf dem Beifahrersitz. Mr. Mansour stolzierte zur Haustür, stieg die Stufen hinauf und klingelte. Aha, Mr. Mansour besann sich auf sein gutes Benehmen. Sein übliches Verhalten, übrigens auch das der meisten Leute, die Schmidt kannte, war anders: Einfach ins Haus gehen und rufen: Jemand zu Hause? Diesmal standen Schmidt drei Möglichkeiten zur Wahl. Er konnte hinuntergehen und die Tür öffnen; er konnte durchs offene Fenster rufen: Komm rein, ich bin gleich fertig; oder er konnte so tun, als sei er nicht zu Hause. Diesem Flegel zuliebe würde er keinen Schritt von seinen Gewohnheiten abweichen; er dachte ja gar nicht daran. Also brüllte er das Übliche und hörte Mike Mansour noch lauter zurückrufen: Laß dir Zeit, ich warte auf der Veranda. Gut gesagt: Schmidt hatte nicht vor, etwas zu überstürzen. Er nahm sich Zeit, zwanzig Minuten nach der Uhr, bevor er sich seinem
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Gast näherte, der sich feierlich erhob und die Hand ausstreckte. Schmidt ging an ihm vorbei und lehnte sich an das Chintzsofa. Er forderte Mr. Mansour nicht auf, sich zu setzen. Carrie hat's dir erzählt? Von ihrem Abend - besser gesagt, von ihrer Nacht - in New York mit dir? Oh, tönte Mr. Mansour, verzeih mir, Schmidtie, bitte verzeih mir, kannst du mir noch einmal verzeihen? Ich habe mich so mies benommen, das wollte ich nicht. Kannst du mir verzeihen, kann es nicht wieder so zwischen uns sein wie vorher? Ich denke, die Frage ist die, ob ich weiter mit dir bekannt sein kann. Die Antwort weiß ich noch nicht. Obwohl ich schon gesagt habe, daß es mir leid tut? Ich habe den Kopf verloren. Schau, die Kleine ist fabelhaft und sexy. Man muß schon ein Heiliger sein, um die Finger von ihr zu lassen. Komm, Schmidtie, das weißt du doch selbst am besten. Unfug. Das war nicht so, wie wenn man auf einer Party die Frau eines Freundes küßt. Das hast du geplant. Im Kopf genau vorausgeplant. Du hast sie eingeladen, in deinem Apartment zu übernachten. Dann hast du sie bedrängt. Und am Morgen hast du ihr Geld für Sex geboten. Wie kannst du es wagen, mich um Verzeihung zu bitten? Weil es mir leid tut. Schmidtie, sei doch vernünftig. Hast du nie Scheiß gebaut und dich dabei erwischen lassen? Was hat das mit dir und mir zu tun? Weil wir beide menschlich sind, also Scheiß bauen können. Dann geht das Leben weiter. Schau, Schmidtie, wir haben uns stundenlang unterhalten. Du weißt, wie ich bin. Ich bin nicht ganz schlecht. Los, Schmidtie, sag schon, daß du nicht sauer auf mich bist. Wenn du das nicht machst, dann hole ich Jason, daß er dir Arme und Beine bricht. Er wird ganze Arbeit leisten, das kann ich dir sagen. Kein Problem. Das soll übrigens ein Witz sein. Okay. Hast du je Scheiß gebaut? Wenn du damit fragen willst, ob ich Freunde betrogen habe, dann ist meine Antwort: nein.
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Herrgott, Schmidtie, ich habe dich nicht betrogen. Ich habe versucht, deine Kleine rumzukriegen. Bist du Sizilianer, oder was? Hast du deine Frau nie betrogen? Auf diese Frage hatte Schmidt gewartet. Mary hatte auf so häßliche Art von der Sache mit Corinne erfahren, Charlotte hatte davon gewußt und erinnerte sich mit solcher Bitterkeit daran, wie er sich mit Corinne im Raum hinter der Küche vergnügt hatte, während sie in ihrem hübschen Kinderzimmer in ihrem hübschen weißen Bett schlafen sollte, und dann die Frauen, die er auf Geschäftsreisen in Bars auflas - was für ein Tartuffe war er eigentlich? Mansour zu hassen stand ihm frei, nur: Er haßte eigentlich gar nicht ihn, sondern diesen hochmoralischen Ton! Michael, wohin soll diese Unterhaltung führen? Dazu, daß du sagst: In Ordnung, ich habe dir verziehen, und hier ist meine Hand drauf. Begreifst du denn nicht, du Depp, daß du mein bester Freund bist? Kannst du das nicht in deinen Schädel kriegen? Dann tust du mir leid. So soll's auch sein. Ich bin sehr einsam, und dies tut wirklich weh. Ich hab's vermasselt - und dabei habe ich doch versucht, ein guter Mensch und dein Freund zu sein. Ich habe dir immer wieder erklärt: Carrie braucht ein Leben. Die Frage ist, wie kannst du ihr eins verschaffen, wenn du sie hier bei dir einsperrst? Und wenn der nächste Kerl, der hinter ihr her ist, es gescheiter anfängt? Was dann? Antworte mal darauf. Wie ich mit Carrie lebe, geht nur mich etwas an. Wie kannst du das sagen? Mich geht es an, weil ich jetzt zu deinem Besten rede. Verstehst du das nicht? Du bist mir wichtiger als Carrie. Es ist wohl besser, wenn du jetzt gehst. Das tue ich nicht. Ich gehe nirgendwohin, bevor dies geklärt ist. Wenn es geklärt ist, werden wir noch bessere Freunde sein, weil du dann nicht mehr so auf Abstand gehst. Du merkst es nicht, aber das ist dein Hauptproblem. Du läßt keinen an dich heran, außer Gil Blackman vielleicht. Und darum bist du auch so einsam, noch einsamer als ich, weil ich wenigstens alle diese Nullen in meinem Haus habe - du kennst sie ja, sie sind bereit, mir in den Hintern zu
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kriechen. Übrigens, ich will nicht, daß du Gil irgendwas von dem hier weitererzählst. Versprochen? Ich glaube, Gil ist in Los Angeles. Nein, ich werde ihn nicht dort anrufen, um mit ihm über dich oder dein Benehmen zu sprechen. Stimmt ja, er ist da draußen, ich weiß. Zum ersten Mal klang Mr. Mansour kleinlaut und setzte sich. Er suchte sich die Sitzbank aus, die zugleich eine Schaukel war, und brachte sie in Bewegung. Ich glaube nicht, daß du Bescheid weißt, fuhr er nach einer Pause fort, aber ich habe großen Einfluß auf Gils Karriere. Damit meine ich nicht bloß mein Geld und meine Investitionen in seine Filme. Ich rede von meinem künstlerischen Input. Er braucht in zahlreichen Fragen mein Urteil. Das Geld ist auch wichtig. Ich gebe ihm eine Freiheit, die er sonst nicht hätte. Die Konferenzen, zu denen er jetzt geflogen ist, habe ich organisiert. Ich wollte heute auch hinfliegen und mit ihm zusammen dort sein, aber hier bei dir zu sitzen war mir wichtiger. Ich will nicht, daß diese Geschichte mit Carrie mir bei Gil dazwischenkommt. Das mußt du mir versprechen. Ich sehe nicht, wie ich das kann. Du kannst wohl. Erzähl ihm nichts, oder wenn du ihm was erzählst, dann sag, du verstehst, wie es passiert ist, und daß wir jetzt engere Freunde sind als vorher. Weißt du, es kann sein, daß ihm das hilft, mit eigenen Problemen fertig zu werden. Schmidtie, du hast begriffen, daß ich ein ganz außergewöhnlicher Mensch bin, das weiß ich. Ich will mich nicht groß anpreisen, aber ich stehe wirklich einzig da, so einen wie mich gibt es nicht noch einmal. Mr. Mansour lehnte sich zurück, schaute zur Decke und rezitierte die Namen anderer bekannter Übernahmekünstler und -gangster, die Namen seiner Kollegen und Vorbilder. Und nun frage ich mich, wie ich meine Macht und meinen Reichtum nutzen soll. Das ist das, woran ich jetzt arbeite. Mein Plan ist unter anderem, daß du für meine Stiftung tätig wirst. Die intellektuellen Richtlinien würde ich weiter bestimmen, aber du würdest das Ganze leiten und dich mit einer neuen Welt auseinandersetzen müssen: mit sozialen Fragen, mit Wissenschaft, mit ganz großen Leuten. Was ich mit Gil mache, weiß ich
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schon. Ich habe mich entschlossen, daß wir beide als Partner zusammenarbeiten. Dann ist der Himmel unsere Grenze. Pas de problème. Was hältst du davon? Gar nichts. Das kommt davon, daß du immer noch durcheinander bist. Ich lade dich zum Lunch ein. Deshalb bin ich hier. Komm, so wie du bist. Nur wir zwei. Manuel kocht uns was Besonderes. Du wirst schon sehen. Kommt nicht in Frage. Ach verdammt, Schmidtie. Nein lasse ich als Antwort nicht gelten. Ich hab dich sehr um Verzeihung gebeten, und ich weiß, daß du mir im Herzen schon verziehen hast. Also hör auf mit dem Beleidigtsein. Jason holt dich um eins ab und bringt dich nach dem Essen wieder nach Hause. Der Regen hatte sich in ein Nieseln verwandelt, das den ganzen Tag und länger noch dauern konnte. Ob Charlotte anrufen würde? Die Stimmen, die von der anderen Seite des Hauses herüberklangen, sagten Schmidt, daß die Putzfrauen eingetroffen waren. Mansour hatte ihn dermaßen erschöpft, daß die Aussicht, Rechnungen zu erledigen, ihm wie eine lang herbeigesehnte Erholung vorkam. Aber der Mann machte keinerlei Anstalten zu gehen. Er hatte sich sogar häuslich eingerichtet und die Füße auf den kleinen Beistelltisch aus Glas gelegt. Zierliche Füße in weißen Slippers, die aussahen, als hätte er sie nie zuvor getragen - wie seine gesamte Kleidung. Gelbe Leinenhose und ein rotes Seidenhemd. Kleidungsstücke, wie man sie eher bei Gil erwarten würde. Kaufte Mansour die Hemden für Gil, oder umgekehrt? Mansours Knöchel waren sonnengebräunt, vielleicht aber auch mit Bräunungscreme behandelt. Zum Teufel mit ihm, seinen gelben Hosen, seinen Betperlen und seinem gelben Rolls Royce. Begreife bitte, sagte Schmidt, mein Verstand, meine Gefühle funktionieren nicht wie deine. Ich bin anders erzogen als du. Leute wie dich habe ich noch nie kennengelernt. Gesellschaftlich, meine ich. Ich erwarte einen Anruf. Von jemandem, der mir sehr wichtig ist. Ich will nicht, daß du dabei bist, wenn ich diesen Anruf annehme. Warum gehst du nicht endlich?
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Weil wir noch nicht fertig sind. So würdest du mich nicht behandeln, wenn ich einer deiner alten Freunde wäre. Das stimmt doch, oder? Eins will ich dir sagen. Ich wünschte, ich hätte alte Freunde, aber man hat mich aus meinem Land vertrieben. Ich hatte keine Zeit, Freunde zu suchen. Ich mußte meinen Vater und meine Mutter vertreten und das Geschäft aufbauen. Meine erste Frau war ein Fehler - kein so schlimmer Fehler wie meine zweite Frau, aber doch ein Fehler. Du weißt wohl nicht, daß ich zwei Kinder habe? Ungefähr so alt wie deine Tochter: Die hatte ich gleich zu Anfang der Ehe. Sie leben in Israel, kannst du dir das vorstellen? Wo ich ihnen so viele Chancen bieten kann! Aber was ich erreicht habe, ist ihnen egal. Begreifst du das, sie könnten sofort an der Spitze meines Unternehmens stehen, und trotzdem weigern sie sich, mit mir zusammenzuarbeiten. Also, ich habe kein Familienleben. Und das sage ich dir: Im nächsten Leben keine Kinder mehr. Und dann nimm Judy, meine zweite Frau. Mit ihr mußte ich jeden Abend ausgehen. Immer mit denselben Tunten. Ausnahmslos! Tunten, die Off-Broadway-Stücke für Tunten inszenierten. Tunten, die Unfalltote fotografieren. Ich kann das in meiner Position nicht brauchen. Ich habe nichts gegen Abendessen mit Gil Blackman und seiner Bande oder sogar mit dir, aber für Judy war das zu langweilig. Du hast ja Partys in meinem Haus mitgemacht. Was hältst du davon? Außer dir und Hillel wuseln da nur Schmocks herum, die für mich arbeiten oder arbeiten wollen oder Geld von mir wollen, ohne für mich zu arbeiten. Immer dasselbe. Brauche ich das? Verstehst du jetzt, wie ich den Kopf verlieren und mich danebenbenehmen konnte? Schau nicht so, ich weiß doch, daß du mich verstehst. Übrigens, was ich dir gerade von mir erzählt habe, das hast du noch nie von mir gehört. Siehst du? Wir sind schon engere Freunde. Bis dann beim Essen. Ausgeschlossen, daß ich mich auf dich einlasse oder gar dein Haus betrete, bevor ich mit Carrie darüber gesprochen habe. Das kann frühestens heute abend geschehen. Ein Mittagessen steht nicht zur Debatte. Schmidtie, wenn du glaubst, ich würde aufgeben, irrst du dich. Ich werde dich verändern - ganz umkrempeln werd ich dich. Vielleicht klappt das, wenn ich dir die Geschäftsführung meiner Stiftung übergebe. Schon recht, mach's gut. Zu meinem Abendessen am Sonntag kommt ihr beide, und ich lade dich auf morgen
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zum Mittagessen. Rede mit Carrie. Sie ist gescheit. Wir werden einen guten Wein trinken und das Ganze bereinigen. Er streckte seine Hand aus. Komm schon, Kumpel. Gib mir die Hand. Was sollte er tun? Er nahm die Hand, und Mansour umarmte ihn lang und heftig. Du bist ganz fabelhaft, rief er. Du hast ja keine Ahnung, wieviel du mir bedeutest. Die polnischen Damen waren nach überschwenglichem Abschied gegangen. Schmidt leckte den Klebestreifen des letzten Briefumschlags. Wie üblich, hatte er nicht genug Briefmarken. Der Regen hatte aufgehört. Sollte er an der Bar des Süßwarenladens eine Kleinigkeit essen, wenn er zur Post fuhr? Sich zwischen zwei Paaren von Großeltern niederlassen, die Kinder in Reithosen mit gerillten Käsesandwichs und Schokoladenmilchshakes fütterten? Das glaubte er nicht ertragen zu können. Die Schecks konnten auch am nächsten oder übernächsten Tag oder in der nächsten Woche weggeschickt werden, ihm war es gleichgültig. Charlottes Leben fiel so rapide in Scherben, daß er nie ein Enkelkind zum Essen ausführen würde. Sardinen und ein Bourbon in der Küche waren gerade richtig und danach ein Mittagsschlaf, bis Carrie wiederkam. Er würde nicht tief schlafen. Wenn Charlotte anrief, brauchte sie nicht zu merken, daß sie ihn geweckt hatte. Das Telefon klingelte, als er noch an seinem zweiten Whisky trank. Halb drei, Charlotte mußte im Büro sein, wenn sie nicht gekündigt hatte oder einfach nicht zur Arbeit gegangen war. Um Gottes willen: Hoffentlich hatte sie nicht überstürzt etwas Törichtes getan. Er nahm den Hörer ab und sagte: Ich habe schon auf dich gewartet. Das war, wie er sofort merkte, ein falscher Anfang für das Gespräch, aber er hatte gar nicht im Sinn gehabt, sie in irgendeiner Weise zu tadeln. Zum Glück nahm sie es nicht zu ernst. Mein Gott, Dad, ich glaube, ich habe nicht gesagt, wann ich anrufen würde.
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Ich weiß, ich weiß. Es ist ja alles in Ordnung. Hier hat es geregnet, deshalb hielt ich mich im Haus auf, das ist alles. Wie geht's dir? Was glaubst du? Scheußlich. Ich gehe heute morgen ins Büro, und er steigt mit mir in den Fahrstuhl. Er hatte die Frechheit, mich zu küssen. Beinahe hätte ich ausgeholt und ihm eine geknallt. Ich bin froh, daß du das nicht getan hast. Kommst du am Freitag? Ich freue mich sehr darauf. Dad, ich glaube nicht. Es ist etwas dazwischengekommen. Renata möchte mich sehen. Sie und Myron machen Ferien in Claverack, sie kommt also extra in die Stadt. Es ist wohl wichtig, nehme ich an. Oh. Warum es wichtig für Charlotte war, die Mutter des Mannes zu sehen, mit dem sie in Scheidung lebte, wichtiger jedenfalls, als ihren eigenen Vater zu besuchen, begriff Schmidt nicht unmittelbar, aber durch Fragen war wohl auch nicht viel zu gewinnen. Wieder einmal wurde ihm klar, wie wenig er wußte, und er fragte vorsichtig: Wo wohnst du eigentlich, fällt mir gerade ein? Doch wohl nicht mehr in Mr. Polks Wohnung? Machst du Witze? Als er mir die großartige Neuigkeit erzählte, bin ich sofort, am selben Tag noch, ausgezogen. Und wohin, mein Schatz? Ich glaube, das hast du mir nicht erzählt. Ich wohne bei einer Frau, die hier arbeitet. Marcia Schwartz. Du kennst sie nicht. Verstehe. Nicht in deiner eigenen Wohnung. Dad, das ist doch nicht dein Ernst. Da wohnt Jon. Meine Güte, sagte er, das heißt also, ihr habt euch noch nicht über die finanziellen Regelungen und so weiter geeinigt. Aber die Anwälte arbeiten daran? Wir sind überhaupt nicht vorangekommen. Ich will von Jon keine Unterhaltszahlung und so was, also ist das kein Problem, aber er will mir das Haus auf dem Land nicht überschreiben, und aus dem Apartment will er noch immer nicht ausziehen. Seine Eltern sind unsere Nachbarn in Claverack. Deshalb sagt er, wir sollten das
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Haus gemeinsam haben. Ich verstehe das nicht. Ich habe die Scheidung beantragt, was immer das heißen mag. Ich verstehe das auch nicht. Und die Darlehen, die ihr beide zusammen beantragt habt? Wer zahlt die zurück? Er kann jetzt nicht, sagt er. Also zahle ich wohl. Ich wollte dich bitten, mir dabei zu helfen. Verstehe. Und was hält dein Anwalt denn von dem Ganzen? Joe Black? Wir sollen vor Gericht gehen, sagt er. Deshalb hat er diese Papiere eingereicht. Ich denke mir, das ist der Grund, warum Renata sich mit mir treffen will. Hast du mit Mr. Black über dieses Treffen gesprochen? Hält er es für eine gute Idee? Normalerweise überläßt man derartige Verhandlungen dem Anwalt. Dad, es ist mein Leben, vergiß das nicht. Renata war immer eine Freundin für mich. Die beste, die ich je hatte. Als ich ihr erzählte, wie Harry mich abgeschoben hat, sagte sie sofort, ich sollte wieder in das Apartment einziehen. Um da mit Jon zu wohnen? Das nehme ich an. Sie sagte, es sei sein Vorschlag. Er habe immer gesagt, ich könne, wenn ich wolle, jederzeit wieder einziehen. Jedenfalls muß ich jetzt gehen. Mach dir ein schönes Wochenende. Schmidt hatte den Eindruck, daß sie mit diesen Worten aufhängen wollte, ohne ihm die Chance einer Entgegnung zu geben. Vielleicht war es ganz gut so. Die Worte, die ihm schon auf der Zunge lagen: Um Himmels willen, hast du immer noch nicht genug von den Rikers? waren nutzlos. Das wußte sogar er. Aber er wollte nicht aufgeben. Nicht so hastig, Charlotte, fiel er ihr ins Wort. Ich bin kein Schnüffler, ich versuche ja auch, mich nicht einzumischen, jedenfalls nicht sehr, aber wenn ich mir's recht überlege, ist es doch ganz ungewöhnlich, daß ich bis vor einem Moment noch nicht einmal wußte, wo du wohnst. Oder wie weit du mit deiner Scheidung bist. Daß die Scheidung mich nichts angeht, kannst du nicht sagen, und nicht nur, weil du mein einziges Kind bist. Im Zusammenhang mit der Scheidung müssen finanzielle Fragen
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geklärt werden, es geht um das Geld, das deine Mutter dir vererbt hat, und das Geld, das du von mir bekommen hast. Du hast mir kein Geld gegeben. Ach Gott, stimmt ja nicht. Entschuldigung, Dad, tut mir leid, wie konnte ich nur das Taschengeld vergessen, das ich von dir bekam, bis mein Gehalt erhöht wurde, und dann die Schecks zu Weihnachten und zum Geburtstag! Ich bin wirklich blöde. Oh! Hätte er doch zugelassen, daß sie den Hörer auf die Gabel knallte! Jetzt war es zu spät. Wenn er sagte, was ihm auf der Zunge lag: Ist ja gut, lassen wir das Zanken, und diese unangenehme Unterhaltung von sich aus beendete, dann konnte es lange dauern, bis sie wieder miteinander redeten. Dann würde er zulassen, daß sie Mutter und Sohn Riker in die Hände fiel. Komm, Charlotte, fuhr er fort, das hast du ganz falsch verstanden. Entweder beruhigst du dich jetzt, so daß wir weiterreden können, oder du nimmst dir morgen Zeit für mich. Ich komme in die Stadt, und wir treffen uns dort. Morgen paßt es nicht gut. Ich habe Besprechungen mit Kunden. Dann schließ die Tür zu deinem Büro und hör mir jetzt zu. Ein zustimmendes Brummen, eine Pause und noch ein mürrischer Laut, der nach einem Okay klang. Danke. Ich wollte dir meinen Anteil an diesem Haus geben, damit euch, dir und Jon, das Ganze gehört. So hätte es deine Mutter gewollt. Du hast dich anders entschieden: Du wolltest lieber Geld. Deshalb habe ich deinen Anteil gekauft. Hätte ich dir das Geld gegeben, dann hätte ich zusätzlich zu der Summe eine Schenkungssteuer in fast gleicher Höhe zahlen müssen. Damals hast du das verstanden. Und Jon erst recht. Ich hätte dir das Geld mit Freuden gegeben, und ich werde dir mit Freuden so viel vererben, wie ich kann, dieses Haus eingeschlossen. Das Haus, in dem ich wohne, worin du bis zu deiner Heirat alle Wochenenden und Ferien zugebracht hast. Du meinst wohl, daß du mir, wenn ich meine Karten geschickt spiele, vielleicht vermachst, was du nicht Carrie gibst oder sonst wem - was weiß ich, wen du noch aufsammelst.
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Es ist durchaus möglich, daß ich Carrie oder Harvard oder auch anderen je nach meiner Wahl Geld vermache, aber ich habe die Absicht, dafür zu sorgen, daß du mehr als nur ein gesichertes Auskommen hast. Hör mir genau zu, bitte. Es ist noch nicht lange her, da hast du mich um eine sehr große Summe gebeten, damit du und Mr. Polk ein neues Unternehmen gründen könntet. Besonders nett warst du dabei nicht, aber lassen wir das. Ich habe gesagt: In Ordnung. Dieses Geld habe ich dir nur deshalb nicht überwiesen, weil ihr beide, du und Mr. Polk, kein Überweisungskonto eingerichtet hattet. Auch gut, denn daraus wäre ein ziemliches Chaos entstanden. Gestern riefst du mich an und warst verzweifelt wegen Harry Polk, und was du mir erzählt hast, hat mich genauso mitgenommen wie dich. Natürlich nicht wegen Mr. Polk, sondern deinetwegen. Gestern hast du auch gesagt, du müßtest - oder wolltest; ich weiß nicht mehr, was von beiden - mich sehen, hier zu Hause. Heute erklärst du mir, es sei dir wichtiger, in der Stadt zu bleiben, um dich mit Renata Riker zu treffen. Das hat dir wohl den Rest gegeben! Ja. Ich wollte dich gern sehen. Damit du so mit mir reden könntest wie jetzt, nur länger? Vielleicht zwei Tage hintereinander? Ich bin fast fertig. Charlotte, du hast mir gerade erklärt, daß dein Rechtsanwalt mit seinem Versuch, Jon zur Rückgabe dessen zu bewegen, was eindeutig dein Eigentum ist, noch keinen Schritt weitergekommen ist. Das ist einfach unerhört. Er hat kein Recht auf das Haus oder die Wohnung, die du bezahlt hast. Allenfalls, aber nur im äußersten Fall, kannst du die Darlehen übernehmen, wenn es denn wirklich wahr ist, daß das Geld, das du geliehen hast, für den Kauf verwendet wurde. Ich bin mir sicher, daß Mr. Black daran gedacht hat. Ja, er hat davon gesprochen. Mit dir oder auch mit Jon? Mit Cacciatore. Und? Und nichts. Mein Gott, Dad, ich habe dir doch gesagt, sie sind nicht weitergekommen.
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Na gut, hiermit komme ich zum Ende meiner langweiligen Rede. Ich finde, du machst eine Dummheit, wenn du mit Renata Riker über die juristischen Vereinbarungen deiner Trennung von Jon oder über dein Eigentum sprichst, sobald sie das von dir verlangt. Das ist ein übler Trick. Sie fallen deinem Anwalt in den Rücken, und das ist auch unerhört. Niemand fällt jemandem in den Rücken. Das weise ich zurück. Hoffentlich hast du recht. Und außerdem hoffe ich, daß du nicht wieder zu Jon in die Wohnung ziehst oder, was wichtiger ist, dich wenigstens nicht mit ihm einläßt, bevor deine Eigentumsrechte gesichert sind - und damit meine ich, daß du dein Eigentum zurückbekommst. Hier geht es um eine Frage der Ehre. Vielen Dank, Dad, und tschüs. Und diesmal legte sie den Hörer wirklich auf. Der Regen hatte ganz aufgehört. Die Sonne war sogar herausgekommen. Schmidt öffnete die Küchenfenster und die Außentür des Windfangs hinter der Vorratskammer. Dann ging er mit einem neuen Drink in der Hand durch sämtliche Zimmer im Parterre und machte Vorder- und Hintertüren weit auf. Immer noch nicht zufrieden, öffnete er in beiden Stockwerken, sogar in den nie benutzten Gästezimmern und in Charlottes Zimmer, alle Fenster. Auch das Poolhouse konnte frische Luft brauchen. Er fand die Eingangstür verschlossen, ging wieder in die Küche, holte den Schlüssel und öffnete die Fenster der jetzt überflüssigen Behausung und zum guten Schluß dann noch das Garagentor. Sein Garten, das bemerkte er, sah ausgesprochen heiter aus, jedes Blatt und jeder Halm funkelte vor Regentropfen. Lachende Natur. Ein solches Haus zu besitzen und in so hervorragendem Zustand erhalten zu können war ein großes Glück, dachte er. Gleichzeitig spürte er in Armen und Beinen eine Schwäche, als sei er in schweren Kleidern auf hartem Boden sehr schnell gelaufen. Er merkte auch, daß seine Achselhöhlen naß waren. Das war ungewöhnlich bei ihm, da er kaum je schwitzte, aber nun sah er, daß sein Hemd feucht war und unter den Armen auf der Haut klebte. Er ging ins Haus, zog sich ein frisches Hemd an und einen Pullover darüber, weil ihm plötzlich kalt war, und kochte sich einen Kaffee. Gegen seine Gewohnheit trank er ihn mit Zucker. Er erinnerte sich, daß im Kühlschrank eine angebrochene Packung
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Hershey-Schokoladenküßchen lag, die Carrie für eine Mousse verwendet hatte. Er aß eine Handvoll davon und schrieb an Charlotte: Vielleicht entschließt Du Dich demnächst, mich anzurufen, aber wann das sein wird, weiß ich nicht, und bevor Du Renata Riker triffst, möchte ich Dir schreiben, was ich Dir gesagt haben würde, hättest Du mir die Gelegenheit dazu gegeben. Erstens hätte ich wiederholt, was ich schon einmal, ohne nennenswerten Erfolg, deutlich zu machen versucht habe: Die Beschädigung Eurer Ehe hat mir keine Genugtuung verschafft. Ich habe Euch nur Gutes gewünscht. Ich habe gehofft, Ihr würdet glücklich miteinander. Jons Scheitern in der Kanzlei wenn ich nicht unfair sein will, kann ich es nicht anders beschreiben, was da passiert ist - hat mich sehr bekümmert. Deshalb kann ich Dir versichern, daß ich froh wäre, wenn der Schaden sich wieder reparieren ließe - zu Bedingungen, die ich als ehrenhaft betrachten könnte. Nach Deinen Angaben zum Gegenstand Eurer, Deiner und Jons, finanziellen Auseinandersetzungen heißt das für mich nur eins: Jon muß den Besitz, der aus Deiner Familie kommt, zurückgeben, damit kristallklar ist, daß er, um es ganz hart auszudrücken, Dich und nicht Dein Geld und Dich dazu behalten will. Zweitens: Damit Du und die Rikers Bescheid wissen könntet, was Du als Erbschaft von mir zu erwarten hast, hätte ich Dir mitgeteilt, daß ich in der nächsten Woche Schritte unternehmen werde, um sicherzustellen, daß alles Geld oder sonstige Vermögen, das ich Dir eventuell hinterlasse, treuhänderisch verwaltet wird. Dabei werde ich zur Auflage machen, daß Du ein Anrecht nur auf jenen Teil des Einkommens aus dem Treuhandvermögen hast, den Dir der Treuhänder nach seinem Ermessen zur Verfügung stellt, und außerdem natürlich auch auf Hilfe in Notlagen, ebenfalls nach seinem Ermessen. Nach Deinem Tod wird das Vermögen unter denselben Bestimmungen weiter treuhänderisch verwaltet, zugunsten Deiner Kinder, bis sie das Alter von dreißig Jahren erreichen; dann wird das Vermögen unter sie aufgeteilt. Solltest Du keine Kinder haben, wird die Universität Harvard Erbin.
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Selbstverständlich werde ich mir die Möglichkeit vorbehalten, die Einschränkungen zu lockern, falls vor meinem Tod Deine Familiensituation und Dein Verhalten mich davon überzeugen, daß eine solche Änderung angemessen ist. Ich möchte Dich daran erinnern, daß Deine Mutter, als wir heirateten, fast kein Geld hatte. Mir ging es wie ihr, nur daß ich erwartete, meinen Vater zu beerben. Wie sich dann herausstellte, vermachte mir mein Vater kein Geld, sondern nur ein paar Kleinigkeiten. Er enterbte mich. Geld war für Deine Mutter und mich nie ein Thema - wir hielten es für selbstverständlich, daß man aufrichtig und unbedingt fair sein und handeln solle. Das Geld, das ich besitze, habe ich selbst verdient und gespart oder zum Schluß doch noch indirekt, dank der Großzügigkeit meiner verstorbenen Stiefmutter, von meinem Vater geerbt. Dies alles ist Dir bekannt, aber es noch einmal zu wiederholen kann nicht schaden. Gegen meine Erwartung bin ich jetzt, spät in meinem Leben, sogar reich, jedenfalls nach bescheidenen Maßstäben. Ich möchte nicht, daß dieser Umstand Deine Beziehungen zu Männern verzerrt und verkrampft. Zu Männern im allgemeinen, nicht speziell zu Jon Riker, auch wenn Ihr, Du und er und Renata, meine Absicht so interpretieren mögt. Es versteht sich von selbst, daß ich Dir zu meinen Lebzeiten keine größeren Geldzuwendungen mehr mache, falls ich Grund zur Vermutung habe, daß Du nicht die wahre Empfängerin dessen bist, was ich Dir gebe. Er unterschrieb: Dein Vater. Die langjährige Praxis des vielfachen Überarbeitens juristischer, von ihm oder seinen jüngeren Kollegen entworfener Schriftsätze hatte ihm die Fähigkeit geraubt, zwei Blätter Papier mit Schriftzeichen, die seine alte Sekretärin Mr. Schmidts säuberlichstes Gekritzel genannt hätte, einfach zusammenzufalten, in einen Umschlag zu stecken und zuzukleben. Er machte noch einen Spaziergang durch den Garten, der jetzt, da der Rasen wieder trocken war, nach frischem Gras duftete, und überlas dann das Geschriebene. Nur stilistische Änderungen fielen ihm ein. Aber dafür lohnte sich die Mühe einer neuen Reinschrift nicht. Weder Charlotte noch einer der Rikers würden sich diese Mühe machen. Jons Entwürfe waren nie ganz
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zu Schmidts Zufriedenheit ausgefallen, aber diesen Mangel hatte er nicht für so gravierend gehalten, daß er ihn erwähnt hätte, als er sich energisch für die Beförderung des Jungen zum Sozius einsetzte. Seit ungefähr einem Monat hatte niemand mehr Marys Toyota gefahren. Er tätschelte den Wagen wie einen Hund oder ein Pferd und versuchte ihn anzulassen. Die Maschine zögerte erst, sprang dann aber heftig an, als habe man sie aus einem leichten Schlaf aufgeschreckt. Marys Wagen war wirklich in hervorragendem Zustand. Er warf die Tür zu, fuhr nach Bridgehampton und steckte den Brief in den Nachtbriefkasten. Mary hätte ihm wohl empfohlen, seine Absichten anders auszudrücken, aber ob er wollte oder nicht, er saß in seiner Gußform fest; allein konnte er sie nicht sprengen. Und mit dem Gehalt des Briefes wäre Mary einverstanden gewesen - daran zweifelte er nicht. Carrie fragte: Ist dir schlecht oder was? Sie saßen beim Abendessen. Ich bin trübsinnig, erwiderte er. Das ist alles. Mensch, Schmidtie, ich dachte, ich hätte dir den ganzen Trübsinn ausgetrieben. Dein kleiner Freund war glücklich, das ist mal klar. Dafür hab ich doch eine Goldmedaille eingesackt. Sie zeigte auf die Skarabäus-Brosche. Sie trug ein altes Hemd von Schmidt und darauf die Brosche. Und zu dem Hemd schwarze Leggins. Er wußte, wie lang ihre Beine unter dem Tisch waren. Bestrumpfte Füße, die seine berührten; wackelnde Zehen. Mit aufgestütztem Ellbogen saß sie am Tisch, starrte ihn an und machte runde Augen, weil sie wußte, daß sie ihn damit zum Lachen bringen konnte. Verträge muß man einhalten. Er zwang sich ein kurzes Glucksen ab und schickte ihr einen Kuß durch die Luft. Sofort saß sie auf seinem Schoß. Schatz, sag mir, was los ist. Du bist noch sauer auf mich. Nein, bin ich nicht, ehrlich. Versprochen. Ich hab Kummer mit Charlotte. Du hast gesagt, sie käme am Freitag. Jetzt kommt sie doch nicht.
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Dann erzählte er ihr von dem Anruf, ließ aber alles aus, was sich auf sie bezog, weil er die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben konnte, daß es gut für später wäre, wenn sie und Charlotte sich miteinander anfreunden könnten. Außerdem wollte er Carrie nicht verletzen. Den Brief zu erwähnen, hielt er für unnütz. Es war wenig wahrscheinlich, daß dieses zauberhafte Kind sich den Kopf mit Sorgen über Vermögensverwaltungen aus den Träumen cholerischer Väter und ihrer Anwälte beschweren wollte. Wirst du sauer auf mich, wenn ich dir erzähle, was ich denke? Bitte sag's mir. Sie drehte sein Gesicht so, daß er sie ansah, und küßte ihn. Der Kuß war lang. Danach sagte sie: Ich denke, sie weiß nicht, wo ihr der Kopf steht. Sie ist durcheinander. Du mußt sie in Ruhe lassen oder so. Sie wird schon klarkommen. Danke, sagte Schmidt. Meinst du, ich hätte nicht so darauf bestehen sollen, daß sie die Scheidungsvereinbarungen vorantreibt? War das falsch? Nein. Sie tut so tough, aber ich glaube, sie hat irgendwie Angst vor ihm. Ich meine, vielleicht war es gut. Plötzlich sprang sie auf. Schmidtie, willst du tanzen gehen? In Southampton, da ist dieser coole Schuppen. Komm doch, der gefällt dir bestimmt. Ich schwor's dir. Herzchen, ich kann diese Tänze nicht. Twist war der letzte neue Tanzschritt, den ich gelernt habe. So einen alten Narren wie mich willst du doch nicht auf den Tanzboden zerren. Er wollte schon hinzufügen: Geh doch lieber mit einem dieser Bübchen bei O'Henry's, aber dann fiel ihm Bryan ein, und er sagte keinen Ton. Carrie verzog ein klein wenig das Gesicht, so daß es fast aussah, als schmolle sie, aber dann lächelte sie gleich wieder. Schmidtie, und was sagst du, wenn ich mit Jason gehe? Rastest du dann aus?
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IX Entschuldigung, sagte Mr. Mansour, aber genau da liegst du falsch. Weißt du, warum? Ich erklär's dir. Es ist das, was ich dir immer wieder sage. Weil du tief innen denkst, daß jeder reagiert wie du - nein, Entschuldigung, ich weiß schon, du hältst dich auch für besser als alle anderen, das kommt noch dazu, und so weiter und so fort, aber deine erste Regung ist, zu denken, daß Geld ihnen unwichtig sei. Genau wie dir. Glaub mir, das ist ein Irrtum. Den meisten Leuten ist es sehr wichtig. Nein, entschuldige. Geld ist mir wichtig. Ich habe immer hart gearbeitet, um genug Geld zum Leben zu haben. Nur weil ich dazu gezwungen war, habe ich die Arbeit aufgegeben. Ich werfe nicht mit meinem Geld um mich. Meine Ersparnisse und mein gesamtes Erbe habe ich schon immer von einem Anlageberater verwalten lassen. Ich achte auf mein Vermögen. Und bin sehr dankbar, daß ich mir das Leben leisten kann, das ich jetzt führe. Das du jetzt führst! Offenbar hatte Schmidt Mr. Mansours Lachmuskeln gereizt. Jawohl, genau das. Ich bin froh und zufrieden mit meiner Art zu leben. Deine Lebensweise, Mike, kann sich praktisch kein Mensch vorstellen. Wenn die Normalbevölkerung wüßte, wie du dein Geld zum Fenster hinauswirfst, verfeuerst, dann würdest du gesteinigt. Oder man ließe die kleinen Weißkittel kommen, dich abzuholen und für immer wegzusperren. Da irrst du dich. Weißt du, was die Amerikaner gut finden? Blondinen mit großen Titten und solche Kerle wie mich, mit unvorstellbar viel Geld. Willst du noch was wissen? Paß auf. Mein Vermögen wächst so schnell, daß es ganz egal ist, wieviel ich ausgebe. Du darfst sogar davon ausgehen, daß ich doppelt soviel wie jetzt verbrauchen könnte, bis ich hundert werde, und trotzdem noch reich bin, wenn ich dann sterbe - reicher als heute.
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Genau. Das ist der Grund, warum deine Lebensweise nichts mit mir zu tun hat. Aber darum geht es auch gar nicht. Ich denke doch, mein Brief an Charlotte zeigt, daß mir Geld wichtig ist. Daß ich es ernst nehme. Dein Brief ist okay. Ich bin froh, daß du ihn mir gezeigt hast, obwohl: Tatsache ist, du hättest ihn erst zeigen und dann abschicken sollen. Was wolltest du denn erreichen? Wir, du und ich, hätten die ganze Strategie besprechen sollen. Die Frage ist: Wo stehst du wirklich? Entschuldige, sagte Mr. Mansour und hob die Hand, weil er fürchtete, unterbrochen zu werden, entschuldige, das ist die Frage. So wie du deine Besprechung mit Jons Mutter, der Seelenklempnerin, beschreibst, warst du ganz ungeschickt. Wie heißt sie, Renata? Und weißt du, warum? Du hast dich schuldig gefühlt, weil du Charlotte diesen Brief geschrieben hattest, und es war dir peinlich, daß Renata ihn gelesen hatte. Punkt. Habe ich recht oder nicht? Es war dir peinlich, obwohl du beim Schreiben damit gerechnet hattest, daß Charlotte ihr den Brief zeigen würde. Und dann läßt du Renata sehen, daß deine Schuldgefühle wie Zahnstocher aus dir rausspitzen. Und was passiert? Renata nimmt weder dich noch deinen Brief ernst, und du verwirrst sie, Charlotte und Jon. Du hättest mir die ganze Sache überlassen sollen. Ich könnte ihnen klarmachen, was du deiner Meinung nach willst - deiner Meinung nach willst, sage ich, weil Tatsache ist, daß du eigentlich überhaupt nicht weißt, was du willst, du bist ganz aus dem Gleis - und ich könnte dafür sorgen, daß es paßt. Ich will dir was sagen. Wenn du nicht weißt, wohin du gehenwillst, kommst du nirgendwo an. Das ist meine Regel Nummer eins. Ich denke, es ist ganz klar, worauf ich hinauswill. Ich bin nicht gegen Jon, ich bin für Ehe, für Kinder und alles. Aber Zugriff auf mein Geld bekommen sie nicht, es sei denn, sie schaffen Ordnung in dem Durcheinander mit dem Geld, das ich ihnen schon gegeben habe. Genau das habe ich Renata gesagt. Und genau das denke ich auch -und dazu stehe ich. Nach dem, was du mir erzählt hast, ist das nicht rübergekommen. So wie ich es gehört habe, hast du der Seelenklempnerin zu verstehen gegeben, daß du alles tust, wenn sie dir nur erzählt, es mache Charlotte glücklich. Bloß daß du dir dabei
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die Nase zuhältst, wegen Jon. So sagt sich die Klempnerin, dieser aufgeblasene Goi ist kein Grund zur Sorge, der tut alles, was ich will, ich brauche nur zu sagen: Spring durch den Ring, sonst machst du deine Tochter unglücklich. Ich sprech's ungern aus, aber sie hält dich für ein Weichei. Einen Schwächling. Die ändern auch, wetten? Deine Tochter und Jon. Ich weiß nicht, ob Renata dich für dumm hält, aber für schwach hält sie dich, definitiv. So, und was hast du dann noch in der Hand? Gar nichts, außer erstens: Du bist wieder der Bösewicht, und zweitens: Du hast ihnen wieder gezeigt, daß du immer noch was gegen Jon hast. Warum? Weil du Juden nicht leiden kannst - das stimmt schon, mach nicht so ein Gesicht, so werden sie von dir reden - und weil er dich obendrein bei deiner alten Firma in Verlegenheit gebracht hat. So brauchen sie überhaupt nicht auf dich zu achten. Du willst Beweise? Okay. Haben sie eine Scheidungsvereinbarung unterzeichnet? Nein. Ist sie wieder in das alte gemeinsame Apartment eingezogen? Ja. Hat er ihr das Eigentum überschrieben? Nein. Hat er irgendeine Abfindung oder Entschädigung gezahlt? Nein. Das weiß ich nicht mit Sicherheit. Aber ich. Wetten wir? Um fünfzig Cents? Tausend Dollar? Na komm, ich gebe dir Chancen. Du willst nicht wetten? Hast recht, du würdest verlieren. Und was sollte Mr. Schmidt nun damit anfangen, daß Mr. Mansour hier bei ihm hockte und ihm in höchst privaten Angelegenheiten professionelle Ratschläge aus dem Erfahrungsschatz des überlebensgroßen Wirtschaftsmagnaten erteilte? Wenn Schmidt über sein Verhältnis zu Mr. Mansour nachdachte - und das tat er seit einigen Wochen immer wieder einmal -, dann mußte er sich eingestehen, daß er merkwürdigerweise Zuneigung empfand und, in gewissen Grenzen, die noch nicht klar festgelegt waren, auch Vertrauen zu ihm gefaßt hatte. »Zuneigung« war wohl der falsche Ausdruck: Zuneigung empfand er für Gil Blackman und wagte zu hoffen, daß Gil auch ihm zugetan sei. Oh, viel unverbindlicher natürlich, aus mehreren Gründen, zu denen Schmidt seine eigene, vergleichsweise geringere Anziehungskraft und die reiche Vielfalt von Gils Leben zählte. Das Ungleichgewicht bestand seit eh und je und war für Schmidt eine Quelle des
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Kummers. Er hatte sich damit abgefunden, aus Selbsterhaltungstrieb und Gewohnheit, um nicht in eine noch deutlicher untergeordnete Stellung abzugleiten. Er hatte gelernt, seine Erwartungen zu zügeln. Gil war mit vielen befreundet oder eng bekannt, aber Schmidt hatte nur ihn zum Freund. Meinte Schmidt jedenfalls. So gesehen, stand Gil im selben Verhältnis zu Schmidt wie dieser zu Mike Mansour, wenn Schmidt Mike Mansours wiederholten Beteuerungen glauben durfte. Eine unangenehme Symmetrie, da Schmidts Gefühle für Mr. Mansour nicht denen entsprachen, die er sich von Gil erhoffte, und deshalb stieß er prompt auf die offene Frage: Wie stark war Gils Zuneigung zu seinem alten Mitbewohner Schmidt? Das war unklar. Immerhin hatte Schmidt wenigstens Klarheit über seine Gefühle für Mike Mansour gewonnen. Er schätzte Mike Mansour so, wie er früher Mandanten mit aufreizend schwierigen Problemen geschätzt hatte. Bei all diesen war es so gewesen, daß sie Schmidt Befriedigung wegen seiner geschickten Verhandlungsführung verschafften und ihn gut unterhielten. Wie das Vergnügen beim Pingpong, wenn man den Ball über Tische verschiedener Größe und Form im Spiel halten kann. Er mußte zugeben, daß Mr. Mansour seine Position in der Partie gut behauptete. Er hatte einen sehr unangenehmen Aufschlag und eine ziemlich gute Rückhand. Außerdem hatte Schmidt sich nicht geirrt, als er zu Beginn der Bekanntschaft geglaubt hatte, Mr. Mansour könne Carrie und ihm eine Art gesellschaftlichen Umgangs verschaffen. Man konnte ihm trauen, in Grenzen, die man im Zusammenhang mit einer anderen Frage sehen mußte: Warum hatte sich Mansour ausgerechnet ihn unter allen Leuten zum Freund ausgesucht - bevor er entdeckt hatte, daß Schmidt noch viel mehr, nämlich Mansours »bester Freund« sei? Schmidt war, seinem Hang zur Selbsterniedrigung folgend, zu dem Schluß gekommen, daß es dafür nur einen Grund geben könne: Mr. Mansour fand ihn so kurzweilig, wie der spanische Hof zu Velázquez' Zeiten Zwerge kurzweilig gefunden hatte. Er war Mike Mansours neues Spielzeug! Zweifellos hatte Mr. Mansour als Unternehmer mit einem Dutzend Anwälten Bekanntschaft geschlossen und eng zusammengearbeitet, die mindestens so gut wie oder besser als Schmidt waren, wenn man juristisches Denkvermögen und berufliches Ansehen zum Maßstab der Beurteilung nahm, und dieses Kriterium hatte offenkundig eine
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ziemliche Rolle gespielt: Als er Schmidt kennenlernte, hatte Mr. Mansour ihn bei verschiedenen Gelegenheiten auf die Probe gestellt - seine beruflichen Qualitäten derartig geprüft, daß Schmidt sich vorkam wie auf dem Übungsplatz einer Hundeschule. Nach jedem Test fragte er sich, ob Mr. Mansour ihm nun einen Hundekuchen - oder vielleicht ein Stück Halva - auf der flachen Hand hinhalten und ihn hinter den Ohren kraulen wollte, weil er so viele Punkte gemacht habe. Wie gut er apportieren oder dem Kommando »Sitz« folgen könne, wurde nicht getestet; denn Mr. Mansour hielt sich zwar für einen großen Psychologen, aber er war sich nicht sicher, ob Schmidt gehorchen würde, und wollte es vielleicht lieber nicht darauf ankommen lassen. Aber womöglich zeichnete ihn in den Augen Mansours gerade diese vermutete Neigung zur Insubordination vor den anderen juristischen Apportierhunden aus, den Nicht-ganz-Schmidts, die er zwar gern in seinem Zwinger hielt, aber nicht auf dem Teppich am Ofen duldete. Ja, Mr. Mansour fand es der Mühe wert, einen Mann, so respektabel und vorzeigbar wie Schmidt, den er nicht in der Hand hatte, der aus eigenem Willen zu ihm kam, als engen Freund an seiner Seite zu haben. So weit war ihm zu trauen. Wie weit die Wirkung von Carries außergewöhnlicher Attraktivität ging, auf die Schmidt eine stillschweigende Wette gegen sich selbst hielt, das hatte Mr. Mansour deutlich genug vorgeführt. Aber nach Carries Auskunft hatte Mr. Mansour seit dem Fiasko in New York beschlossen, weiterhin auf einen neuen Vorstoß zu verzichten. Auf Schmidts Frage, ob sie die ständigen Einladungen annehmen sollten, sagte Carrie: Warum nicht? So was versucht er nicht noch einmal, eher würde der sterben. Ganz unlogisch fügte sie hinzu: Kannst du dir das vorstellen? Jason würde ihn glatt umbringen. Also antwortete Schmidt Mike von Freund zu Freund: Na gut, Professor. Welche Wundermedizin verschreibst du mir? Keine. Nur strenge Diät. Tu gar nichts. Laß sie kommen. Und dann? Hörst du zu und sagst, du mußt es dir überlegen. Das heißt, du und ich, wir besprechen alles, bevor du den nächsten Zug machst. Solche Ratschläge habe ich immer meinen Mandanten für ihre Verhandlungen gegeben. Mike, du wärst ein guter Anwalt
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gewesen. Aber dies ist keine Verhandlung. Hier geht es um Hilfe für meine Tochter, um ihre Gefühle, um meine Beziehung zu ihr. Du meinst, ich könnte ein guter Anwalt sein - der größte wäre ich. Was glaubst du denn, was ein Anwalt leisten muß im Vergleich zu mir, der ich ein Riesenunternehmen aufgebaut habe? Kein Vergleich. Als Anwalt brauchte ich nur einen winzig kleinen Teil meines Hirns, so winzig, daß man ihn gar nicht sehen würde und ich leicht darauf verzichten könnte. Die Frage ist, wie du Bewegung in die Sache bringst. Und das ist nichts Juristisches. Das ist das Leben. Eine Katze zwingst du nicht zum Fressen, indem du ihr Futter vor die Nase setzt. Du überläßt ihr die Entscheidung. Wenn sie Hunger hat, wird sie zum Freßnapf kommen. Genauso wie deine Tochter. Okay? Merk dir das. Pas de Probléme. Wie schön für Mr. Mansour. Als Renata anrief, hielt Schmidt gerade seinen Mittagsschlaf. Manchmal argwöhnte er, sie und Charlotte hätten irgendwo in seinem Haus Bewegungsmelder installiert, die ihnen Alarmzeichen übermittelten, sobald ihm die Augen vor Müdigkeit zufielen, also im Moment seiner größten Verletzbarkeit. Eine sexy Stimme, das mußte er zugeben, und dabei hatte er geglaubt, die Seelenklempnerin, der diese Stimme gehörte, fände er inzwischen abscheulich. So lange ist es her, sagte sie; sie hätten einander doch versprochen, Hand in Hand zu arbeiten, um den Kindern zum Glück zu verhelfen, und wie hätten sie das Versprechen gebrochen. Dafür seien sie beide gestraft worden, Schmidtie und sie, aber noch sei es nicht zu spät. Noch hätten die Kinder das Leben vor sich, nichts sei unwiederbringlich verloren oder beschädigt. Aber Hilfe brauchten sie, und die könnten nur Schmidtie und sie zusammen ihnen geben. So redete sie immer weiter, und er verkroch sich derweil unter die Bettdecke, drauf und dran, aufzulegen und den Hörer neben der Gabel liegen zu lassen - würde er später dafür getadelt, konnte er immer noch sagen, die Verbindung sei gestört gewesen -, und fragte sich, ob sie wohl immer noch so präkolumbianisch aussah, ob die unter den Wollstrümpfen verborgenen Krampfadern, die sie damals bei der ersten Begegnung so attraktiv massiert hatte, inzwischen schlimmer geworden waren. Ha! Zwei Krampfaderfälle in seinem Leben: Dr. Renata und Mrs. Gorchuck. Nicht daß er auf jedes ihrer
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Worte achten mußte. Die Frage, die sie schließlich stellte, hatte er erwartet: Können wir uns in der Stadt treffen, Schmidtie? Wir müssen reden. Ich arbeite wieder, aber donnerstags habe ich frei, wie früher. Schmidtie könne sie zum Mittagessen in seinen reizenden Club einladen, wo es diese kleinen Filterkaffeemaschinen gebe. Die passende Antwort konnte er sich freilich nicht versagen. Er erklärte ihr: Du wärst enttäuscht, die sind abgeschafft, der Club hat jetzt eine einzige große Espressomaschine, kein Unterschied mehr zu Starbucks. Wie schade! sagte sie. Aber sie hatte ihm ja nur zeigen wollen, daß sie sich an alle angenehmen Details ihrer letzten Begegnung erinnerte, während er sich so von Zorn und destruktiven Gefühlen bestimmen ließ, die das Gegenteil dessen waren, was sie beide für die wichtigste Aufgabe ihres Lebens brauchten. Ein Nein als Antwort werde ich nicht akzeptieren, kündigte sie an. Wenn du dich nicht in New York mit mir treffen willst, dann nehme ich den Frühbus nach Bridgehampton. Wir werden reden, und dann fahre ich wieder mit dem Bus in die Stadt, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß es wirklich dein Wunsch ist, mich so zu behandeln. Das war nun ein interessanter Hinweis, zumal aus dem Munde eines hochangesehenen Mitglieds der New York Psychoanalytical Society: Wenn es wirklich nach seinem Wunsch ginge, wie würde er diese Frau behandeln, die ihm seine Tochter entfremdet hatte, diese Frau, der er zu Recht oder zu Unrecht die Hauptverantwortung dafür zuschrieb, daß er sich so zerschlagen, so am Boden fühlte wie damals nach dem Tod seiner Frau? Ermorden würde er sie! In siedendes Öl mit der alten Vettel - das würde sein aufgestörtes Unterbewußtsein hervorstoßen. Aber die Gelegenheit war klar auf einen einzigen Fall beschränkt. Dr. Renata redete nur von Manieren, nicht von verborgenen Motiven. Da seine Manieren verlangten, daß er sie für eine Dame hielt, sah er nur zwei Möglichkeiten: Entweder konnte er sich weigern, sie zu sehen, auch wenn sie vor seiner Haustür stand, oder er konnte sich mit ihr in New York verabreden. Für das erste war er zu schwach und zu sehr in Angst vor der katastrophalen Wirkung auf Charlotte. Also antwortete er: Da es dein Wunsch ist, werde ich mich im Club mit
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dir treffen. Versuch bitte, um halb eins dazusein. An die Adresse mußte er sie wohl nicht erinnern. Höchstwahrscheinlich war dies ein falscher Zug. Erneut hatte er sich von den Rikers in die Defensive drängen lassen. Aber man mußte denselben Fehler nicht immer wiederholen. Diesmal nicht, schon gar nicht mit Mr. Mansour. Mike, fragte er, wie erklärst du dir eigentlich, daß du bei so viel psychologischem Fingerspitzengefühl und Verhandlungsgeschick nicht besser mit deinen Kindern und Ehefrauen zurechtgekommen bist? Er hob die Augen von seinem Teller mit der gebratenen Kalbsleber und versuchte festzustellen, wie gut er gezielt hatte. Ins Schwarze getroffen hatte er nicht. Ungerührt kaute, schluckte und lächelte sein Gastgeber. Dann richtete er das Wort an Schmidt: Du verstehst wirklich nicht, worum es geht. In der Richtung habe ich meine Begabung nicht arbeiten lassen. Als meine Kinder geboren waren und aufwuchsen, habe ich meine Unternehmen aufgebaut. Meine Unternehmen beweisen, was ich kann. Meine Frauen! Du willst mich auf den Arm nehmen. Ich habe dir doch erzählt, daß Nummer eins ein dummer Fehler war. Nummer zwei genauso. Dumm und dümmer. Okay, Sex finde ich gut. Ich bilde mir nicht ein, daß ich ein guter Liebhaber wäre. Bin ich nicht. Mir gefällt es nur, das ist alles. Das heißt nicht, daß ich Verheiratetsein gut finde. Es war beide Male beschissen. Jetzt begreifst du allmählich, das sehe ich dir an den Augen an. Geld ist dir egal - hör zu, ich weiß es -, und an diesem Punkt in deinem Leben hast du keine Arbeit und keine Berufsperspektive. Charlotte ist dir wichtig. Sie ist sogar das einzige, was dir wichtig ist. Siehst du den Anreiz? Warte, ich sag's noch deutlicher. Du hast allen Grund, dich gewaltig ins Zeug zu legen und das Ding mit Charlotte in Ordnung zu bringen. Das ist weiß Gott wahr. Wie kommst du darauf, daß ich es nicht tue? Das ist nicht das Problem. Dich ins Zeug legen heißt auch: gute Arbeit machen. Die Frage ist, wie packst du's an, ohne Mist zu bauen? Willst du den zweiten Teil meines Rezepts hören? Sieh zu, daß du ein eigenes Leben hast. Im Augenblick ist da gar nichts. Gruselig.
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Ein Leitmotiv - Blackman spielt es auf dem Fagott, Mansour bläst Tuba. Das haben die beiden Kerle geprobt. Als ob Schmidt nicht verzweifelt aus der selbstgebauten Falle herauswollte, in der er sich mit den Jahren immer enger verfangen hatte. Ach, weißt du, sagte er, ich lebe, so gut ich kann. Ich liebe Carrie. Sie macht mich glücklich. Sonst habe ich niemanden. Das ist mein Leben jetzt, und es ist nicht das schlechteste. Das ist noch mal ein Problem für sich, das ich auch im Auge behalte. Ganz ruhig, Schmidtie, ich tu ihr nichts mehr, das weißt du doch. Übrigens: Jason sagt, sie ist in Hochform. Die Frage ist nur: Hilft Carrie dir aus der Geschichte mit Charlotte heraus? Laß es mich mal so versuchen: Wenn Charlotte über dich und Carrie nachdenkt, kommt sie dann auf die Idee, sich zu fragen: Hey, will ich eigentlich irgendwann mal ein Wochenende mit meinem Vater verbringen? Die Antwort ist nein. Hab ich recht? Mag sein, aber sie hat unrecht. Sie sollte dankbar sein, daß ich mit einer Frau lebe, die gut zu mir ist, die mich glücklich macht und ihr den Rücken frei hält! Für ein Einzelkind ist nichts schlimmer als ein pensionierter verwitweter Elternteil, der nur dieses Kind und sonst niemanden hat, an den er sich wenden, an den er denken kann! Da hast du recht, aber du hast Charlotte zum Egoismus erzogen. Sie denkt nicht darüber nach, was gut für dich wäre. Du mußt ihr Eindruck machen, ihr das Gefühl geben, daß du stark bist. Ich habe an meine Stiftung gedacht. Hast du eine Vorstellung von unserer Arbeit dort? Schmidt nickte. Ja, im großen und ganzen schon. Du solltest dich kundig machen. Ich spiele mit dem Gedanken, dir meine Stiftung anzuvertrauen, dir die Leitung zu geben. Keine Sorge. Wie gesagt, die Visionen würden weiterhin von mir kommen, und das Geld auch! Wie fändest du das? Du müßtest keine Mittel beschaffen, und ich stünde dir zur Seite - als dein Seniorpartner sozusagen. Du bist gesund, also hast du noch wie viele... sagen wir: zehn Jahre Zeit, dich nützlich zu machen. Wie war's mit einem Zehnjahresvertrag? Dein Gehalt kannst du selbst festsetzen. Wenn du mir hilfst, die Stiftung so auszubauen, wie ich
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sie mir vorstelle, dann wird Charlotte mit einem Blick sehen, daß du wieder wichtig bist. Nichts Weltbewegendes, aber das ist doch verdammt viel attraktiver als der Anblick eines versauerten alten Schmocks, der sich mit letzter Kraft an ein Kid wie Carrie klammert. Habe ich recht? Du gehst kein Risiko ein. Also, ist das ein Angebot? Ein vertrackter Teufel im alten Tweedanzug seines Vaters sprang hoch, rote Funken im wirren Schöpf, starrte ihn aus blutunterlaufenen Augen an, preßte seine schwere, von dicken Venen durchzogene Hand auf Schmidts Mund und drängte die Worte zurück, die Schmidt auf der Zunge lagen. Was, diesem Mann zu Diensten sein! Ihm erzählen, daß er dir alles bietet, was du dir heimlich erhofft, aber immer für unerreichbar gehalten hast? Niemals. Dankbarkeit ist Sklaverei. Laß dir das Ding, das du von ganzem Herzen willst, zusichern, aber nicht als Herrengunst, sondern nur zu deinen Bedingungen - und erst nach einem Kampf. Nun gut, sagte er zu Mr. Mansour, ich bin gerührt, daß du daran gedacht hast. Sehr gerührt, weit mehr als du dir vorstellen kannst. Das Problem ist, daß ich nicht weiß, ob ich für dich arbeiten soll. Daß du mich magst und daß wir uns gut vertragen, liegt vermutlich daran, daß ich nicht für dich arbeite. Ich fürchte, unser Verhältnis würde sich ganz und gar ändern, sobald ich auf deiner Gehaltsliste stünde. Mr. Mansour trank seinen Wein, lehnte sich zurück und zeigte auf das leere Glas. Manuel schenkte ihm nach. Er trank wieder, ließ Manuel sein und Schmidts Glas noch einmal füllen und fing an zu lachen. Zuerst klang das Gelächter in Schmidts Ohren gezwungen, aber allmählich schien Mr. Mansour nicht mehr damit aufhören zu können, bis er sich schließlich die Augen trocknete und das Gesicht rieb, als wolle er sich einen ernsten Ausdruck aufzwingen. Dann fand er Worte: Willst du mir erzählen, du möchtest den Job nicht? Nein, ich fürchte nur, daß dieser sehr großzügige Einfall sich in eine Falle für dich und mich verwandeln könnte. Du bist mir vielleicht einer! Hör mal Schmidtie, Sorgen um mich mache ich mir schon selber. Was sagst du? Bin ich ein guter Freund?
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Meistens. Dann laß den Blödsinn und sag ja. Den Papierkram kann Holbein machen, ich gebe ihm Bescheid. Findest du nicht, du müßtest den Vorschlag erst einmal von Holbein und dem Aufsichtsrat deiner Stiftung billigen lassen, bevor wir uns gegenseitig verpflichtende Zusagen machen? Ich meine, wenn du wirklich willst, daß ich die Stiftung leite, dann solltest du dich an ihre rechtliche Struktur halten, um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden. Mr. Mansour nickte und schwieg, während der Tisch abgeräumt wurde. Dann lächelte er und sagte: Schmidtie, das muß ich dir lassen. Du denkst an alles. In Ordnung. Ich mache es auf deine Art. Ich werde Eric und dem Aufsichtsrat den Plan vorlegen. Holbein redet auch von rechtlicher Struktur und Verfahrensweisen. Dann wird die Frage sein, was er meint und welche Form die ganze Sache annimmt. Sagen wir mal, ich habe das jetzt mit dir probeweise besprochen. Wir werden darauf zurückkommen. Auf dem Weg nach Hause, wo Carrie erst zur Abendessenszeit sein würde, weil ihr Seminar spät lag und die Studenten und der Professor anschließend zusammen Kaffee tranken, fiel Schmidt ein, daß er Mansour nicht nach Jason gefragt hatte. Warum unterhielten diese beiden sich über Carrie? Eine dumme Frage. Mehr noch galt dies für eine andere Frage, und die konnte er leider beantworten: Warum hatte Schmidt auf die Einflüsterungen seines alten Inkubus gehört, statt über seinen Schatten zu springen, Mansour die Hand zu schütteln und den Job zu bekommen? Bis jetzt hatte ihm noch kein Mensch, nicht einmal Gil Blackman, ein derartig günstiges Angebot gemacht. Statt dessen hatte er es so gedreht, daß Mansour mit Recht Vorbehalte in einer Sache machte, die zunächst bedingungslos gewesen war. Er, Schmidt, hatte ihm auch noch ausdrücklich den Weg dahin gezeigt, hatte Mansour zu Ausweichmanövern und halben Rückziehern gedrängt. Was dabei herauskommen würde, war ziemlich vorhersehbar: Mansour würde ihm den Job nie wieder anbieten, nicht in dieser Form, nicht zu diesen Bedingungen, und er, Schmidt, würde sich nie überwinden, Mansour zu fragen, was Holbein gesagt habe oder ob die Aufsichtsräte - einer wie der andere willfährige Kreaturen Mansours, die darauf warteten, daß
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er ihnen einen Knochen hinwerfen würde - eine Meinung geäußert hätten. Als ob Mike den Wunsch oder das Bedürfnis hätte, deren Rat zu hören! Der vertrackte Teufel kam wieder hoch: Da ist also doch ein Silberstreifen am Horizont. Die Wahrscheinlichkeit, daß Mansour die rechtliche Struktur seiner Stiftung beachtete, war ungefähr so hoch wie die Wahrscheinlichkeit, daß er tatsächlich Wort hielte, ganz unabhängig von Schmidts Antwort. Deine Aussichten haben nicht gelitten, du Dummkopf. Mike Mansour würde ein so großzügiges Versprechen nicht erfüllen, würde dir nie - wie war doch seine absurde Formulierung? - ein Leben geben, nie, es sei denn, du säßest ihm rund um die Uhr im Nacken, rittest ihn und gäbst ihm die Peitsche wie ein Jockey. Sei doch froh, du hast deine Würde bewahrt. Dein Stolz, dein eigenes Geld und das Geld deines Vaters, alles unangetastet. Du brauchst diesen Prol und seine Stiftung nicht, Ansehen hast du auch so. Und Charlotte laß sie, soll die Hexe doch bumsen, wen sie will. Schnell, ein Zweig Minze von dem überwucherten Beet. Dazu ein Bourbon und Eis. Die Minze unter den Eiswürfeln zerdrücken und umrühren. Das kurbelt den Verstand an - und nun denkt Schmidt über den Rat von Old Nick nach. Der Mistkerl irrt sich, es geht nicht darum, ob Man-sour ein gegebenes Versprechen hält oder nicht. Klar könnte man sagen, daß Schmidt den dicken Fisch auf die verrückteste Weise von der Angel gelassen hat, aber am Haken saß ja kein Köder, nur sein ganzes Elend und Scheitern. Jede Wette, daß Mr. Mansour ihn ganz und gar durchschaut hatte und wußte, daß er bei dem Spiel mit Schmidt nichts riskierte. Schmidt würde ihn zuverlässig vom Haken lassen, bevor ein Angebot stand und ein Versprechen zu brechen oder zu halten war. Ein schwacher Trost: Mit Renata war er geschickter umgegangen als mit Mike und geschickter, als Mike begriff. Womöglich hatte Mike sich nicht die Mühe gemacht, Schmidt genau zuzuhören; wahrscheinlich hatte er es unterhaltsamer gefunden, eine eigene Version der Sache zu zimmern, die er Schmidt über den Schädel schlagen konnte. Auch das machte keinen Unterschied. Seine Version kannte er und konnte mit einiger Befriedigung an ihr festhalten. Am Ende hatte er es sich anders überlegt und eine Nachricht auf ihren Anrufbeantworter gesprochen: Sie möge bitte nicht in den
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Club kommen. Wenn er schon den Furien zum Opfer fallen sollte, dann lieber an einem unverbindlichen Ort, nicht auf diesem geheiligten Gelände. Er gab ihr die Adresse eines norditalienischen Restaurants, in das er Versicherungsagenten und Anwälte immer dann geführt hatte, wenn er einerseits annahm, sie würden ein Mittagessen im demokratischen Harvardclub als unzureichende Belohnung für die ihm zugeschanzten Aufträge ansehen, andererseits aber fürchtete, in seinem vornehmeren Club oder in dem französischen Restaurant, das er mit Mary oder solchen Mandanten aufsuchte, die zwar in den Club gepaßt hätten, aber das Essen dort nicht mochten, würden diese Herren nur unangenehm auffallen. Der Oberkellner, ein bulliger Sizilianer, war sein Freund. Er würde ihm einen Ecktisch reservieren, in größtmöglicher Entfernung vom Gebrüll der Investmentbanker, Anwälte und Mandanten, die sich beim Essen gegenseitig an Lautstärke übertrafen. Schmidt nahm an, daß dieser Sizilianer ihm notfalls auch den Gefallen tun würde, Renata auf die Straße zu werfen. Danach würde er dann mannhaft den Arm um Schmidt legen und etwas über die alte strega und deren bösen Blick murmeln. Sie wartete schon auf ihn. Da er gute fünfzehn Minuten zu spät kam, weil das erste Parkhaus, das er ansteuerte, besetzt war und der Weg zum zweiten erst nach Westen und dann nach Osten durch Seitenstraßen führte, in denen sich der chaotische Mittagsverkehr staute, hatte er von Anfang an schlechte Karten, obwohl er im Restaurant angerufen hatte, damit Renata wußte, daß er nur Minuten entfernt war und sie nicht versetzen wollte. Das hatte nichts geholfen. Sie nutzte ihren Vorteil prompt. Es sei nur zu verständlich, daß man durch das eine oder andere Hindernis aufgehalten werde, wenn man zu einer Verabredung gehe, die man ungern getroffen habe, erklärte sie ihm. Also sei Verständnis für das Motiv die empfehlenswerte Reaktion auf ein solches Verhalten, Ärger sei hier nicht angebracht. Woraufhin er wortlos für sich die Konsequenz zog: Hier werde offenbar kein Pardon gegeben, und deshalb stärke er sich am besten mit Gin. Sie verzichtete und trank Tomatensaft; daraus schloß er, daß sie hoffte, der Gin würde ihm die Zunge lösen. Der Effekt trat auch ein, jedenfalls so weit, daß er nach dem Ergehen des männlichen Dr. Riker fragen und seine Befriedigung zum Ausdruck bringen konnte, als er hörte, die Familie Riker habe über mangelnde
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Gesundheit nicht zu klagen. Weiter ging er nicht, er fragte weder genauer nach, noch kommentierte er Renatas Aussehen. Dabei hatte ihn überrascht, wie sehr sie gealtert war. Vielleicht lag es an ihrem Haar, das jetzt eisgrau und nicht mehr zu einem straffen Nackenknoten frisiert war. Statt dessen trug sie einen altmodischen Pagenschnitt, wie man ihn früher bei jungen Mädchen gewohnt war. Er registrierte die gelblichen Schatten unter ihren großen Augen, die den heiteren Ausdruck verloren hatten, die neue Hagerkeit des Aztekengesichts und die veränderte Haltung. Sie wirkte etwas zusammengesunken, ging sie womöglich gebeugt? Auch ihre Aufmachung hatte an Frische und Attraktivität verloren, obwohl sie wieder - darauf hätte er schwören können - ein Chanelkostüm trug, eines aus der Zeit vor ihrer Veränderung. Ihm kam der unangenehme Verdacht, daß diese Chanelkleidung nicht das war, was sie normalerweise trug, wenn sie donnerstags zum Essen ausging, sondern eine Anspielung auf das letzte gemeinsame Mittagessen sein sollte. Die Finger ihrer rechten Hand waren nikotinfleckig. Sie hatte viel durchgemacht, wohl mehr als er, aber bei dieser Beobachtung kam kein Mitgefühl in ihm auf. Vielleicht ganz gut so, denn nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, ging Renata sofort zum Angriff über und fragte ihn: Hast du mir gar nichts zu sagen? Darauf entgegnete er, ganz vernünftig, wie er fand, sie habe das Treffen vorgeschlagen. Er sei gekommen, um ihr zuzuhören. Also wirklich, sagte sie, ich hätte schon angenommen, daß du das dringende Bedürfnis hast, mit ein paar Worten auf die Art und Weise, wie deine Sozii bei Wood & King Jon behandelt haben, einzugehen. Ich hätte angenommen, du bedauerst es sehr, daß du ihn nicht verteidigt hast, und möchtest das vielleicht zum Ausdruck bringen. Ich weiß von der ganzen Sache nur, was in der Zeitung stand, und das paßte zu dem, was Jack DeForrest mir erzählt hatte. Weder du noch Jon habt mir auch nur andeutungsweise geschildert, was passiert ist, geschweige denn eine Darstellung gegeben, die anders, weniger belastend, für ihn gewesen wäre. Glaubst du immer alles, was du liest?
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Niemand hat mich nach meiner Meinung gefragt. Meine ehemaligen Sozii müssen allerdings eine ungewöhnlich klare Meinung von Jons Verhalten als Anwalt haben. Nach allem, was ich gehört und gelesen habe, war es abscheulich. Sonst hätten sie nicht einstimmig beschlossen, ihn aus der Kanzlei auszuschließen, anders kann ich es mir absolut nicht vorstellen. Gelyncht haben sie ihn. Jack DeForrest und seine Komplizen haben ihn vorweg auf blauen Dunst verurteilt, und die anderen haben sich angeschlossen. Das ist alles. Jon war der Sündenbock. Der Sündenbock wofür? Für die Idioten, die deine Kanzlei leiten. Für ihre bigotten, verfehlten Urteile. Für die Ungerechtigkeit. Für diesen senilen Mann mit dem lächerlichen Namen - Buzz Williams! -, der eine Untersuchung durchgeführt haben will. Schmidt gab keine Antwort. Es war nicht mehr seine Sache, sich für die Unfehlbarkeit DeForrests oder des Direktoriums von W&K einzusetzen. Generell hatte Renata recht, das wußte Schmidt, so funktionierte eben die Kanzlei. Aber in diesem besonderen Fall? Darüber dachte er lieber nicht nach. Es kam wirklich nicht darauf an, was er dieser Frau sagte: Sie würde ihm jedes Wort im Mund umdrehen und alles gegen ihn und seine alte Firma kehren - und Jon erzählen. Sie hatte ihren Wein ausgetrunken und drehte das leere Glas zwischen den Fingern. Das bot ihm die Gelegenheit, sich ihrem starren Blick zu entziehen. Er gab dem Kellner einen Wink, ihr Glas nachzufüllen; seines hatte er kaum angerührt. Du trinkst nicht mit mir, bemerkte sie. Das ist neu. Ich muß nach Bridgehampton zurückfahren. So einfach ist das. Und du weißt, daß ich recht habe: Sie haben Jon so behandelt, wie ich dir sage. Deshalb bist du so schweigsam - ganz gegen deine Gewohnheit. Renata, sagte er, ich dachte, du hättest mich hierher zitiert, um mit mir über unsere Kinder zu reden. Das heißt für mich: über das, was ihnen passiert ist, und über Jons beschämende Weigerung, Charlottes Eigentum herauszugeben. Wenn Jon meint, die Kanzlei habe ihm unrecht getan, dann ist oder war er jedenfalls als Anwalt versiert genug, um zu wissen, wie man Schadenersatz einklagen kann. Es hat keinen Sinn, mir damit in den Ohren zu liegen.
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Sie verstummte und fuhr sich durchs Haar. Dann sagte sie sehr leise: Ja, ich sehe aus wie eine alte Frau. Es würde dir nicht mehr einfallen, mir nahe zu kommen. Dies alles ist in der Woche passiert, als deine Kanzlei Jon rausgeworfen hat. Kummer und Scham. Das Haar meiner Urgroßmutter wurde während eines Pogroms weiß. Man hat ihren Vater auf der Straße vor seinem Haus zusammengeschlagen und ihm den Bart ausgerissen. Vom Dachboden aus hat sie zugesehen; dort war sie mit den anderen Kindern versteckt. Stell dir vor: Sie war erst neunzehn! Er fing an zu murmeln, wie leid ihm das tue, aber sie unterbrach ihn sofort. Dir geht es offenbar gut, Schmidtie, ich kann sehen, daß nichts in der Welt dir Sorgen macht. Eine bemerkenswerte Erziehung! Ist dir wirklich nie in den Sinn gekommen, daß du versuchen könntest abzuwenden, was sie Jon angetan haben? Für deinen Schwiegersohn einzutreten? Gegen die Ungerechtigkeit? Nein, nie, entgegnete er. Wie ich schon klargemacht habe, tat die Firma nach meinem Eindruck nichts, wozu sie nicht berechtigt war. So leicht kommst du mir nicht davon. Weißt du nicht tief innen, daß Jon dieser Frau niemals die Gerichtsakten gegeben hat? Der Richter hat es begriffen. Es gab keine Strafe und keinen Verweis für Jon. Der Fall ist abgeschlossen. Jon hat großes Glück gehabt. Seine Reue muß den Richter beeindruckt haben. Und, sollten diese Männer ihn nicht zurückholen? Wiedergutmachen, was sie getan haben? Du meinst, ihn wieder in die Sozietät aufnehmen? Zurück zu Wood & King? Das ist absurd. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er das wünschte. Warum? Er hat sich das Recht erkämpft, dort zu sein. Und es dann verloren. Es ist eine Sozietät, Renata. Wie gesagt, die Sozii haben gegen ihn gestimmt, weil er ihrem Urteil nach ausgeschlossen werden mußte. Das ist eine Tatsache, an der nichts zu ändern ist. Im übrigen sind nicht alle Teilhaber Männer. Wir haben jetzt viele Frauen in der Kanzlei.
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Daß er sich hatte zwingen lassen zu reden, als gehöre er noch immer zu Wood & King, ärgerte ihn. Er räusperte sich und fuhr fort: Das läßt sich nicht rückgängig machen. Wie könnte es wieder eine Zusammenarbeit zwischen ihm und den anderen Teilhabern geben? Wenn ich gewußt hätte, daß du über dieses Thema sprechen wolltest, hätte ich mich geweigert, dich zu sehen. Deine Sozii bei Wood & King haben die Ehe unserer Kinder ruiniert. Interessiert dich das nicht? Müssen wir nicht auch darüber reden, wenn wir über die Kinder reden sollen? Nach meinem Wissen waren Jons Liebeleien und Indiskretionen das Problem in der Ehe. Daher kommt alles Unglück, nicht von Wood & King. Oh, das soll nicht heißen, daß Charlotte ohne Fehler wäre. Mehr sagte er nicht, weil er den Eindruck hatte, wenn er weiterredete, würde er erklären müssen, daß die Ehe ebenso irreparabel sei wie Jon Rikers zerbrochene Karriere in der Kanzlei. Aber wer war er denn, sich so etwas anzumaßen? Zum Teufel mit der Nüchternheit. Er trank sein Weinglas leer, bestellte sich noch eines und wendete sich wieder seinem Essen zu. Ihm war danach, schnell aufzuessen und dann wegzulaufen. Auch sie wollte noch ein Glas Wein trinken. Sie sah ihn fest an und sagte: Also gut, bleiben wir bei den Kindern. Du hast Charlotte einen grausamen Brief geschrieben. Sie hat ihn mir natürlich gezeigt. Natürlich. Nimmt sie denn immer noch meine wenigen Unterhaltungen mit ihr auf Band auf, damit du sie dir zu Gemüte führen kannst? Schmidtie, du verzeihst ihr wohl nie etwas? Verzeihst du je irgendwem? Wie viele Jahre ist es her, seit sie die Bandaufnahme machte? Noch lange nicht so viele, daß ich das vergessen könnte. Aber ich habe dir doch erklärt, daß sie damals das Band nur aufgenommen hat, um sicherzugehen, daß sie all deine Ausführungen zur Geldfrage richtig verstanden hat. Diesmal hast du ihr's schriftlich gegeben: Sie hat die Wahl zwischen deinem Geld und Jon.
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Ganz und gar nicht. Sie hat die Wahl, entweder sicherzustellen, daß ihre finanziellen Abmachungen mit Jon oder einem anderen Mann fair und ehrlich sind, oder einen Treuhänder zu bekommen, der nach meinem Tod dafür sorgt, daß sie nicht beraubt wird. Das, glaube ich, könnt ihr alle drei, nein, Entschuldigung, ich habe deinen Mann vergessen, also alle vier mühelos verstehen. Ihr habt ja einen so geschliffenen Verstand. Das hattest du doch gar nicht im Sinn. Du hast auf Jon gezielt, und du wolltest verhindern, daß die beiden wieder zusammenfinden. Das hat sogar Myron gemerkt. Sie fuhr sich wieder durchs Haar. Natürlich, es ist ein schlauer Brief. Eines verstehe ich nicht. Die Farm, oder was immer es ist: Ich meine das Haus in eurer Nachbarschaft in Claverack, wurde mit Charlottes Geld gekauft. Das Apartment in der Stadt, das du bezahlen wolltest - so hast du wenigstens gesagt -, wurde am Ende ebenfalls mit Charlottes Geld gekauft. Weil Charlotte eine Romantikerin ist, stehen Charlotte und Jon als gemeinsame Eigentümer beider Erwerbungen im Grundbuch. Jetzt beschließen sie, sich zu trennen, warum auch immer. Wie ist zu rechtfertigen, daß Jon sich weigert, Charlotte zurückzugeben, was eindeutig ihr gehört? Da ist das Darlehen, murmelte sie. Richtig, das wird sie übernehmen - und Jon aus jeder Verpflichtung entlassen. Ich glaube nicht, daß für sie irgend etwas daran fraglich ist, aber falls doch, werde ich das Darlehen selbst übernehmen. Schmidtie, du verstehst wirklich nichts. Jon kann ihr das Eigentum nicht überschreiben. Nicht jetzt. Er kann es nicht. Es würde bedeuten, daß er Charlotte aufgäbe - endgültig. Außerdem ist es das einzige Eigentum, das er besitzt. Zu besitzen glaubt. Das Eigentum eines anderen Menschen! Das ist unwichtig. Es ist alles, was er hat. Das Wasser steht ihm bis zum Hals, Schmidtie. Deine Sozii, deine entsetzlichen, bigotten, selbstgerechten Sozii, haben ihn zu Grunde gerichtet. Er klammert sich an dieses Eigentum wie an ein Floß.
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Dann solltest du ihn zur Vernunft bringen. Wenn du als Mutter das nicht kannst, verschaffe ihm professionelle Hilfe. Oder gib ihm Geld! Zum Beispiel das Geld, das du den beiden für den Kauf des Apartments versprochen hast. Das können wir nicht - ausgeschlossen. Meine Praxis ist nicht mehr, wie sie mal war. Ich mache noch Analysen, so wie ich es gelernt habe und wie man sie meiner Überzeugung nach durchführen muß, aber solche Analysen können sich nur noch sehr wenige Patienten leisten. Und sie sind fast alle alt. Die Versicherungsleistungen für Analysen sind nicht der Rede wert. Myron hat Gruppentherapie gemacht. Es gibt Stellen für klinische Psychiater, die er bekommen könnte, wenn er nicht schon an der Altersgrenze wäre. Und alles wird schlecht bezahlt. Vor Jahren meinten wir immer, wir seien mehr als gut dran. Jetzt habe ich Angst. Das tut mir ehrlich leid. Nur so aus Neugier: Diese Geschichte, die Charlotte mir erzählt hat, daß du Jon kein Geld für das Apartment geben wolltest, damit er nicht zu abhängig von dir sei, ist das nur ein Humbug, den du dir ausgedacht hast, weil du damals schon das Geld für ihn nicht aufbringen konntest? Ja, die Geschichte habe ich mir ausgedacht. Also wirklich! Nein, Schmidtie, jetzt habe ich dich angelogen: Jon hat sie sich ausgedacht, weil er wußte, daß wir zu wenig Geld hatten. Er wollte nicht, daß Charlotte es erfuhr, nicht zu dem Zeitpunkt. Das war dumm von ihm. Nicht nur dumm. Unbegreiflich. Und unentschuldbar. Als W&KTeilhaber hätte er mehr Kredit aufnehmen können. Sie hätten den Kauf des Apartments aufschieben können. Sie hätten mit mir reden können. Aber das alles ändert nichts an Jons Pflicht. Ich bin wirklich entsetzt. Übrigens mußt du nicht soviel Mitleid mit ihm haben, er soll sich nicht an deiner Schulter ausweinen. Er müßte eine Position als Sozius einer anderen Kanzlei in New York finden können - nicht ganz auf dem Niveau von W&K, aber immer noch durchaus akzeptabel. Oder eine gute Stelle bei einer Gesellschaft. Es gibt einen Markt für erfahrene Anwälte, die Nachfrage ist groß. Woher weißt du das?
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Sie hatte ihn durchschaut. Er improvisierte und war nicht bereit, das zuzugeben. Das habe ich gehört, fuhr er fort. Viele Talentsucher spezialisieren sich auf die Vermittlung von Stellen an erfahrene Anwälte. Mit solchen Leuten müßte er sich in Verbindung setzen. Sie stocherte in ihren Ravioli, ließ es, kramte in ihrer Handtasche, zog ein winziges besticktes Taschentuch hervor, wußte offenbar nicht, was sie damit sollte, und steckte es wieder ein. Schmidtie, hast du begriffen, was ich dir gerade von Jons Lage, von seinen Gefühlen erzählt habe? Natürlich. Gestehst du den beiden die Möglichkeit zu, daß sie sich lieben? Davon weiß ich nichts. Und trotzdem bleibst du bei deinem Brief? Ja. In meinem Brief steht nichts, was die beiden daran hindern könnte, wieder zusammenzufinden, wenn sie das wollen vorausgesetzt, er schlägt sich aus dem Kopf, ihr Geld zu bekommen. Ganz einfach: Ich werde Charlotte keinen Pfennig mehr so geben, daß er Zugriff darauf hat. Es stehlen kann, meinst du. Das habe ich nicht gesagt. Damit machst du Charlotte bestimmt unglücklich. Wie kann sie mit deiner Mißbilligung vor Augen zurückkehren und glücklich sein? Du verachtest Jon. Du hast keinen Grund, an meinen Motiven zu zweifeln. Meine Einstellung zu Jon - ich meine zu Jons Weigerung, Charlotte ihr Eigentum zurückzugeben - ist, wie sie ist, aber ich kann dir und Charlotte, denn ohne Zweifel wirst du ja mit ihr sprechen, versichern - falls Charlotte diese Sicherheit braucht -, daß ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um sie glücklich zu machen. Aus freiem Willen. Aus Vernunft. Ohne daß du mich dazu drängen müßtest. Er winkte dem Kellner.
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Ich esse fast nie Nachtisch. Macht es dir etwas aus, darauf zu verzichten? Nein? Dann lasse ich mir die Rechnung geben. Als er bezahlt hatte, fragte sie ihn plötzlich: Schmidtie, vorhin, als wir anfingen zu essen, sagtest du, Jon habe sich abscheulich benommen. Hast du in deinem Beruf je etwas getan, von dem man dasselbe sagen könnte? Ich meine damit nicht, daß du deine Frau betrogen hast. Du weißt schon, zum Beispiel mit der Vietnamesin, die euer Babysitter war. Charlotte hat mir davon erzählt. Ich meine etwas anderes, etwas, das vergleichbar mit den Dingen wäre, die man Jon vorgeworfen hat. Etwas, wofür du dir Vergebung wünschst. Etwas von derselben Art? Niemals.
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X Eine geradlinige Frage, ausweichend beantwortet: »Von derselben Art? Niemals.« Wohl wahr. Niemals hatte er jemandem versiegelte Akten zugänglich gemacht, der nicht zur Einsicht berechtigt war, und niemals hatte er sich in eine Situation gebracht, aus der man auf ein dermaßen abscheuliches Verhalten hätte schließen können. Und sonst? Üble Niedertracht, hochriskanter Leichtsinn, unnötige Lügen aller Arten? Nie soll man die Antwort »Niemals« hinnehmen. Es war zu vermuten, daß Dr. Renata die Abgründe der menschlichen Seele gut genug kannte, um weiter zu bohren. Vielleicht hatte das Unglück ihr die Schärfe genommen. Als Schmidt auf dem Heimweg über den Long Island Expressway raste, der wochentags in der Zeit kurz nach dem Essen herrlich leer war, schob er das Thema beiseite wie einen Brief, dessen traurigen Inhalt man antizipiert, sobald man die wohlvertraute Handschrift auf dem Umschlag sieht. Er rührte nicht daran, während er seinen Wagen steuerte und am Autoradio drehte. Nur wenig Zeit verging, dann nahm er die wöchentlichen Anrufe bei Charlotte wieder auf, meistens mittwochs früh, damit sie die Gelegenheit ergreifen konnte, ganz nebenbei zu sagen, daß sie gerne am Wochenende zu Besuch kommen würde. Er konnte es nicht ertragen, den Kontakt zu verlieren. Sie redeten über Charlottes Arbeit - man hatte ihr zusätzlich den Auftrag eines reichen Indianerstamms anvertraut, der auf seinem Gebiet bald ein Casino eröffnen würde - und über das Wetter. Dies war Schmidts Thema. Teils trieb er damit Werbung für Long Island im Frühherbst - milde Tage, klare Luft am Strand, Fernsicht bis Montauk, lange, träge Brecher und ein Ozean, der noch so warm ist, daß entschlossene Schwimmer sich hineinstürzen können, die späten Rosen in seinem Garten -, und teils versuchte er auf diese Weise, ihr anzudeuten, daß er ständig an sie dachte. Zum Beispiel, wenn er sie vor dem heftigen Regen warnte, der laut Wettervorhersage der Stadt am Freitag bevorstand, ausgerechnet an dem Tag, da
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sie einen Präsentationstermin im Zentrum hatte; oder wenn er besorgt fragte, ob sie wohl ein Taxi, zunächst zu ihrem Büro und dann zu ihrem Kunden bekommen werde, damit sie nicht völlig durchweicht auftreten müsse; nach einer regenlosen Woche fürchtete er eine Dürre. Natürlich blieb Charlotte an all diesen verhalten und sehnsüchtig angepriesenen Long-Island-Wochenenden in der Stadt, wenn sie nicht Kurzreisen zu anderen Zielpunkten unternahm, ohne sich die Mühe zu machen, Schmidt eigens davon in Kenntnis zu setzen. Nach Claverack zum Beispiel. Oder fuhr sie in die Berkshires? Man konnte es nicht wissen: Womöglich waren sie und Mr. Polk wieder als Kollegen miteinander befreundet, so daß sie ihn und seine Frau vielleicht im Ferienhaus in Egremont besuchte. Den Brief, der Renata oder Jon Riker oder die Eltern Riker auf den Plan gerufen hatte, erwähnte sie mit keinem Wort. Die seltsame Tatsache, daß er nicht wußte, wo Charlotte wohnte - wo sie schlief, meinte er damit -, war Schmidt unangenehm gegenwärtig. Er fragte sich, ob ihr dies so bewußt war. Wahrscheinlicher schien ihm, daß sie meinte, sie habe es ihm erzählt. Da er nicht annahm, daß er sie dringend außerhalb ihrer Dienstzeit würde erreichen müssen, beschloß er, sie nicht nach ihrer Privatnummer zu fragen. Wie Mr. Mansour vielleicht sagen würde: Er konnte keine Probleme brauchen und auf die Beschimpfungen verzichten, die eine falsch verstandene oder zur falschen Zeit gestellte Frage auslösen mochte. Am zweiten Sonntag im Oktober - Carrie und Jason nahmen als Team an den Triathlon-Wettkämpfen des Polizeivereins Riverhead teil bekam Schmidt einen Anruf von Mike Mansour. Tut mir leid, daß ich dich in den letzten Wochen nicht erreicht habe. Geht's dir gut? Mir geht es bestens, wirklich wahr. Ich mußte nach L. A., die Aufträge häuften sich, und ich hatte mit den Jungs über Verteilung zu reden. Richtig, Chocolate Kisses ist der Hit! Das muß man ihm lassen. Seit ich sein Produzent bin, bringt er viel zustande und hört wirklich auf meinen Rat. Man merkt's, sage ich dir. Wann Gil wiederkommt? Ende des Monats. Übrigens werde ich alle Zentren meiner Stiftung besuchen. Stimmt. Alle zweiundvierzig. Das heißt, rechtzeitig zu Thanksgiving bin ich wieder da. Dich und Carrie erwarte ich zum Thanksgiving-Essen, in Ordnung? Übrigens will ich Jason bei mir haben. Dieses Wochenende habe ich ihm freigegeben, damit er das Triathlon mit ihr machen kann, aber
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dann wird sie es allein schaffen müssen, bis wir wiederkommen. Sieh zu, daß du sie in der Zwischenzeit gut in Atem hältst. Mike, was erzählst du mir da von Carrie und Jason? fragte er, trocken und heiser, unfähig, dies kommentarlos hinzunehmen. Nichts, was du nicht mit eigenen Augen auch sehen kannst. Entschuldigung, es ist schon komisch, Schmidtie. Wenn du mir ja gesagt und den Job in meiner Stiftung angenommen hättest, als ich ihn dir anbot, dann würden wir diese Reise jetzt zusammen machen. Vielleicht nächstes Mal! Richtig. Morgen ist auch noch ein Tag. Was der nächste Tag dann tatsächlich brachte, war ein Paket vom Mansour Life Institute, das ein Kurier brachte. Es enthielt einen »Willkommensgruß«: Jahresberichte, ein Bündel Zeitungsausschnitte aus einem ganzen Jahr, viele davon in Sprachen, die Schmidt nicht kannte, und Auftragsarbeiten von auswärtigen Gutachtern zur Verbesserung der Lebensbedingungen. Auch einen scharlachroten Umschlag mit dem Vermerk ÄUSSERST WICHTIG fand Schmidt in dem Paket; er enthielt einen Brief von Eric Holbein, der Schmidt für sein Interesse am Mansour Life Institute dankte und bestätigte, daß der Präsident des Institutes, Mr. Mansour, Mr. Schmidt aufgefordert habe, eine weitgehende Bindung an das Institut und Beteiligung an dessen Aktivitäten in Betracht zu ziehen. Entweder war der Brief auf die Woche rückdatiert worden, in der Mike Mansour Schmidt die Leitung der Stiftung angeboten hatte, oder aber er war auf Mr. Holbeins Schreibtisch unter einem Stapel noch wichtigerer, zur Unterzeichnung bereiter Korrespondenz verstaubt. Eigentlich spielte es keine Rolle, jedoch fragte sich Schmidt, wie weit Mr. Mansour ihn noch an der Nase herumführen wollte. Erst weitreichende Versprechen geben und sie dann vor dem Horizont der kahlen leeren Wüste anderer Menschen verschwimmen lassen. So spielen die Reichen. Üben könnte man das Spiel mit einem Hund. Man halte einen Knochen mit Fleisch hoch, das arme Vieh wird sich auf die Hinterbeine stellen und nach der Beute strecken - schweifwedelnd, mit glühenden Augen, lechzender Zunge, sabbernd vor Gier. Dann warte man, bis der Hund glaubt, er habe es geschafft. Nun bricht man in Gelächter aus und wirft ihm den Gegenstand des heißen Begehrens vor der
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Nase weit weg, über den hohen Zaun, der den Zwinger umschließt. Der Hund fällt verwirrt und jaulend auf alle viere. Dann ist es an der Zeit, ihn hinter den Ohren zu kraulen, zu versichern, er sei ein braver Hund, und zum nächsten Spiel überzugehen. Die erste Milliarde ist in den Augen der Leute die Erhebung in den Adelsstand. Sie sind nicht sehr verschieden voneinander. Dem einen Mann, der sich einbildet, er habe das heiße Wasser erfunden, wirst du sagen, er solle dein Partner beim Aufbau des Unternehmens sein, dem nächsten wirst du erzählen, er werde deine Stiftung leiten. Spaß daran macht dir nur, daß du einen lechzenden, keuchenden Idioten erst dazu bringst, der Fata Morgana nachzujagen, und dann davon überzeugen kannst, daß er selbst schuld ist, wenn sie sich als Luftspiegelung erweist. Hätte er sich doch früher in Bewegung gesetzt, schon vor Tagesanbruch, als die Luft noch frisch und kühl war, hätte er seine Kräfte besser eingeteilt, wäre er schneller gelaufen, dann wäre der Traum wahr geworden, der Preis sein gewesen! Und so geht es weiter: Die Milliarden häufen sich und mit ihnen die gebrochenen Versprechen, die sofort als Schabernack erkannt worden wären, hätte sich das Auge nicht vom gleißenden Geldberg blenden lassen. Pompöse Leute brauchen pompöse Namen. Es kommt die Zeit, da der Ruf des Milliardärs ins Wanken gerät. Ihn als großmäuligen Dummkopf bloßstellen zu lassen wäre nicht gut möglich. Hier haben dienstbare Geister wie Mr. Holbein ihre Funktion, umsichtige Untergebene, geübt in der Kunst, den schillernden Talmi des vom Boß gegebenen Ehrenwortes in sibyllinische Prophezeiungen umzuwandeln, die, richtig entschlüsselt, nur eines sagen: Umsonst ist nichts. Großzügigkeit hat ihren Anfang und ihr Ende in der Befriedigung dessen, der gibt. Renata hatte so viele Jahre den Patienten, die auf der Couch lagen, zugehört, ohne von ihnen gesehen zu werden, hatte auf Echos von Erinnerungen gewartet, die plötzlich hochkommen und dem Analysanden in einem Augenblick, da er unerschütterlich im Recht zu sein glaubt, Lügen eingeben; und trotzdem und trotz all ihrer Tonbandaufnahmen und Notizen zu dem, was das dritte Ohr gehört oder überhört haben mochte, ließ sie Schmidts »niemals« als Antwort gelten und hakte nicht nach; wäre er in dem Augenblick ins Nachdenken geraten, hätte er dies nicht im entferntesten zu hoffen gewagt. Und doch war er es gewesen,
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nicht der Zeiger der billigen Tischuhr, den die Analytikerin gerade noch aus dem Augenwinkel sehen kann, er hatte die FünfzigMinuten-Stunde beendet, er war unerbittlich und gerade noch rechtzeitig vom Restauranttisch aufgestanden, hatte Renata eilends auf die Straße geschoben, wortlos auf seine Garage gedeutet und sich ohne einen Blick zurück aus dem Staub gemacht. Ja, diesmal hatte er der subtilen Höhlenforscherin, in deren Händen er ehemals weich wie Wachs gewesen war, listig jede Chance genommen, der Spur des Pferdefußes bis zu der Moderhöhle zu folgen, in der seine Schande sich versteckt hält. Zum Beispiel Schmidts bewundernswert korrekter Umgang mit Geld: Er hätte ihr erzählen können, daß es einmal eine Verkäuferin mit weißen Armen, weichen Brüsten unter einer weißen Satinbluse, mit blauen Augen und schwarzem Haar gab; sie war Kassiererin in einem Herrenmodengeschäft am Harvard Square. Nähere Bekanntschaft mit diesen Armen, Brüsten und anderem schloß Schmidt auf der Rückbank von Gil Blackmans Nash, den er sich auslieh und am Memorial Drive oder in einer Seitenstraße der Brattle Street parkte. Die kleinen Perlmuttknöpfe öffnete er einen nach dem anderen, wobei seine kalten, beharrlichen Finger und die rundlichen, heißen, erst abwehrenden und endlich nachgebenden Finger der irischen Schönheit ineinander verschlungen waren. Schmidt fand es unterhaltsam, im Herrenmodengeschäft einen Fünfzigdollarscheck in Bargeld einzutauschen, besonders wenn er außerdem Jockey-Shorts kaufte, so daß er mit ihren Fingern spielen konnte, während sie den Kauf in die Kasse eintippte und ihm Wechselgeld herausgab. Einmal gab sie ihm bei dieser Gelegenheit in ihrer Liebesverwirrung eine Fünfzigdollarnote und seinen Scheck dazu heraus. Er bemerkte ihren Irrtum sofort, deckte Scheck und Geld mit seiner freien Hand zu und schob beides in seine Manteltasche. Aber wozu war so großes Geld gut? Kannst du mir drei Zehner und vier Fünfer dafür geben? fragte er und ließ ihre Hand los. Sie zählte die kleineren Scheine und, Wunder über Wunder, griff nicht nach dem Fünfzigdollarschein, den er nun wieder in der Hand hielt, allerdings zur Form einer Zigarette zusammengerollt hatte. Sehen wir uns heute abend?
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Ich hol dich um sieben ab, flüsterte er. Nein, um acht, ich muß mit meinen Leuten essen. Den Fünfzigdollarschein ließ er wie den Scheck in seiner Manteltasche verschwinden. Die anderen Scheine steckte er schön ordentlich in seine Brieftasche und nickte zustimmend. Diese Verabredung ließ ihm Zeit, im Speisesaal des Lowell House zu essen, sich auf den Geschichtstest vorzubereiten, die Zähne zu putzen und den Nash zu holen. Gil hatte am Abend Proben im Theater-Club. Sie wartete im Regen an einer Straßenecke, zwei Blocks vom Haus ihrer Eltern in Somerville entfernt. Gehen wir Eis essen? fragte er. Später. Ich will dich. Er sah einen Parkplatz, parkte, stellte den Motor ab und fand ihren Mund. Die Finger begannen ihr Spiel. Die Autofenster waren regenüberströmt. Verschwommene Silhouetten huschten vorbei. Dann kam er, zu schnell wie immer. Speedy Gonzalez! höhnte sie und stellte ihr Ächzen ein, obwohl er seine Hand weiter bewegte, bis ihm wegen der unbequemen Stellung das Gelenk weh tat und sie seine Hand endlich wegstieß. Sie wendete ihm den Rücken zu, damit er ihr den BH schließen konnte, schlüpfte wieder in ihren Slip, strich sich den Rock glatt und stellte dann die Frage, auf die er schon gewartet hatte: Spinnst du eigentlich, Freundchen, oder was ist los? Du hast den Scheck und den Fünfzigdollarschein eingesteckt! Du hättest mal Mr. Jacobs hören sollen, als er Kassensturz machte. Der war vielleicht wütend! Wovon redest du? Ich rede von dem Fünfzigdollarschein und den fünfzig Dollar in kleinen Scheinen und dem Scheck - alles hast du eingesteckt. Zeig mal deine Brieftasche. Er tat es. Hier, sieh nach. Die Zehner und Fünfer waren da, abzüglich der Summe, die er bezahlt hatte, nachdem er Gils Auto aufgetankt hatte.
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Sie durchsuchte die Brieftasche, zog das Geld, seinen Führerschein, den Einberufungsbescheid, ein Hochzeitsphoto seiner Eltern, seinen Studentenausweis und zwei Pariser heraus. Das war alles. Er hielt nichts von dicken Geldbörsen und ausgebeulten Taschen. Mist, da ist es nicht drin. Bert, was hast du mit dem Geld und dem Scheck gemacht? Sie redete ihn mit der Kurzform seines Namens an, wie er während seiner ersten beiden Jahre im College genannt wurde, bevor er Mut genug hatte, sich auszubitten, daß die Leute ihn Schmidtie nennen sollten wie seine Eltern. Gar nichts, das Geld ist noch da, bis auf das, was ich ausgegeben habe. Sie packte seine Jackenaufschläge und versuchte ihn zu schütteln. Bert, du mußt es hergeben. Sonst schmeißt der Mann mich raus. Der erschlägt mich. Und bringt dich ins Kittchen. Nein, das wird er nicht tun. Ich fahre gleich morgen früh bei ihm vorbei und erkläre ihm, daß ich dir den Scheck gegeben und das Geld bekommen habe, ganz ohne Probleme. Da gibt es nichts zu reden. Sie fing an zu weinen, dann schrie sie: Du Schwein, laß mich hier raus! und stürzte auf der dunklen Straße davon, in Richtung ihres Elternhauses, nahm er an. Das war seine letzte Verabredung mit ihr gewesen. Allerdings sah er sie am nächsten Morgen noch einmal, nach einer Unterredung mit einem sehr verärgerten stellvertretenden Geschäftsführer. Er blieb bei seiner Behauptung. Er habe weder den Scheck noch Geld, das ihm nicht gehöre. Was solle er denn tun? Das machen Sie mit Ihrem Gewissen aus, empfahl ihm der Geschäftsführer, oder mit Ihrem Herzen. Ich weiß es nicht. Sie müssen Jacobs einen neuen Scheck geben. Und wenn der eingelöst wird und mein erster Scheck dazu? Dann verliere ich fünfzig Dollar. Besprechen Sie das mit Mr. Jacobs. Er tat wie geheißen. Mr. Jacobs stand an der Kasse; sie war an einem Ladentisch im Hintergrund und tat so, als sähe sie ihn nicht.
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Er hatte sein Scheckheft bei sich und zeigte Mr. Jacobs, daß er die Transaktion auf dem Deckblatt eingetragen hatte. Er sei bereit, noch einen Scheck auszustellen, aber was werde geschehen, wenn der Scheck, den das Geschäft verloren habe, wieder auftauche? Nichts. Geben Sie der Bank den Auftrag, den Scheck nicht einzulösen, den wir angeblich verloren haben, Mr. Schmidt, sagte Mr. Jacobs. Das kostet Sie einen Vierteldollar. Hier, den schenke ich Ihnen, und lassen Sie sich hier nie mehr blicken. Er warf ihm die Münze zu und sagte dann: Das war ein fauler Trick, Schmidt. Sie haben dem Mädchen das Geld gestohlen. Ja, aber das konnten sie nicht beweisen. Die Stimme des Besitzers war weithin zu hören. Ein paar Studenten, die Schmidt alle nicht kannte, starrten ihn und Jacobs an. Vermutlich hatten sie alles gehört. Schmidt versuchte, beim Hinausgehen die Tür hinter sich zuzuknallen. Sie spielte nicht mit und schwang nur schwächlich hin und her. Schwer zu sagen, was als nächstes passieren konnte, ob ihn vielleicht die Universitätspolizei oder dieser Mann Jacobs beobachten würde. In dem Fall machte es einen ungünstigen Eindruck, wenn er die Sache mit dem Scheck auf sich beruhen ließe, nachdem er ein solches Theater aufgeführt hatte. Seine Bank, die Harvard Trust Company, war nur ein paar Straßen weiter. Er ging hin, gab erst dem Kassierer und dann einem leitenden Bankbeamten an einem Schreibtisch in der Schalterhalle wortreiche Erklärungen und ließ den Scheck sperren. Keine Frage. Als er begriff, daß er einfach nur zugreifen müsse, hatte er bei der Aussicht auf das Extrageld buchstäblich eine Anwandlung von Schwindel. Es war, als würde er einen Fünfzigdollarschein auf dem Bürgersteig finden. Auch den hätte er sicher nicht zum Polizeirevier gebracht und gesagt: He, Wachtmeister, sehen Sie mal, was jemand auf der Straße fallen gelassen hat. Als er aber in seinem Zimmer ankam, begriff er, daß das Verschwinden des Geldes entdeckt und das Mädchen dafür zur Verantwortung gezogen würde, selbst wenn niemand glaubte, daß sie eine Diebin sei, daß das Mädchen sich an die Transaktion mit ihm erinnerte und wissen mußte, daß er die fehlende Banknote genommen hatte. Er begriff, daß es ein verrückter Spielzug gewesen war, den Scheck zu nehmen, so verrückt, wie wenn man
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beim Poker den Einsatz verdoppelt, obwohl man nur ein einziges Paar in der Hand hat. Zugleich war es aber auch durchaus vorteilhaft, etwas so Haarsträubendes, so wahnsinnig Dummes getan zu haben. Falls er nämlich erwischt würde, könnte das Ganze genau so wirken: als ein verrückter, in Geistesabwesenheit begangener Unsinn, für den er heruntergeputzt, vielleicht auf die Finger geklopft werden mußte -aber Schlimmeres war nicht zu erwarten. Er wußte, was er hätte tun sollen: sofort wieder in das Geschäft gehen, Geld und Scheck zurückgeben und sagen, er wisse selbst nicht, was er sich dabei gedacht habe - also vor dem Mädchen und dem Ladenbesitzer auf die Knie fallen. Aber er wollte nicht. Er wollte die fünfzig Dollar behalten oder vielleicht sogar hundert, falls er doch keinen neuen Scheck ausstellen mußte. Am Ende würde sein Wort gegen das der Verkäuferin stehen, und ihr Wort konnte nicht soviel wiegen. Sie war nur ein Ladenmädchen mit großen Titten und breitem Mund, das sich bei Elsie's am Flipperautomaten von ihm hatte ansprechen und mitnehmen lassen und das gleich bei der ersten Begegnung mit seinem Schwanz gespielt hatte. Bevor sie die Stelle als Verkäuferin bekam, hatte sie bei Snow White gearbeitet und dort die Wäsche der Universität gereinigt. Deshalb kannte sie sich mit den Flecken auf den Bettlaken der Harvardknaben genau aus, und deshalb waren die Kuppen dieser rundlichen heißen Finger so seltsam glatt und weich. Brühheißes Wasser und Lauge hatten die Haut aufquellen lassen, bis keine Fingerabdrücke mehr zu erkennen waren. Mit diesem Mädchen wollte er nicht gesehen werden; das war ihm klargeworden, als er sie einmal mit Gil zusammengebracht hatte. Kurz und gut, er hatte das Geld behalten, und wenn er daran dachte, wie kümmerlich der Monatswechsel war, den seine Mutter ihm schickte, weniger als die Hälfte dessen, was Gil von seinen Eltern bekam, die nicht wohlhabend waren und nicht in einem so eleganten Haus wie seine Mutter und sein Vater wohnten, dann überkam ihn eine solche Wut über ihren Geiz, der schuld an seiner schäbigen Geldgier war, daß er darüber zeitweilig die Scham vergaß. Und dann war es ihm eigentlich gar nicht um das Geld gegangen. Schließlich hatte er nie etwas aus Gils Taschen geklaut, er hatte auch nie die Bücher, die er für die Seminare brauchte, gestohlen, sondern sie bei Coop oder Schoenhof
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gekauft, er hatte auch keine Bücher entwendet, um sie einem Händler am Central Square weiterzuverkaufen, was nicht unüblich gewesen wäre. Er hatte ganz impulsiv gehandelt. Nicht nur aus Geldgier, sondern mehr noch vor Ärger darüber, daß er nichts Besseres fand als diese kleine Schlampe aus der Stadt, die nicht bis zum Letzten gehen wollte. Aber als er schließlich begriff, was er angestellt hatte und welche Konsequenzen sich daraus ergeben konnten, übernahm die andere, stärkere Empfindung, die ihn weiter gedrängt hatte, endgültig die Oberhand: das Gefühl, unabänderlich einer Macht ausgeliefert zu sein, die er weder in Schranken halten konnte noch wollte. Die Karten waren verteilt und aufgenommen, nun mußten sie ausgespielt werden. Daß er bei dieser Geschichte und gewissen anderen Vorfällen, die auf den ersten Blick nicht mit ihr in Zusammenhang standen, womöglich zu viel aufs Spiel gesetzt hatte und tollkühn auf die Katastrophe zusteuerte wie ein Testfahrer auf eine Betonmauer, das ging ihm durch den Kopf, als er, gerade erst zum Sozius befördert, am Ende einer Geschäftsreise nach New York zurückflog. Er war für Wood & King auf Nachwuchssuche gewesen - an einer Südstaatenuniversität, wo die Kanzlei noch nie Mitarbeiter gesucht hatte. Wenn nicht seine Tollkühnheit den Zusammenhang zwischen den Vorfällen stiftete, dann konnte es nur Bösartigkeit sein, jene einzigartige Eigenschaft, die einen Menschen zum Feind seiner selbst, seiner Mitmenschen und natürlich Gottes macht. Was für eine Erleichterung! Er streckte die Beine aus, freute sich auf den zweiten doppelten Bourbon, der schon auf dem Klapptisch vor ihm stand, und genoß den Komfort seines Platzes in der ersten Klasse. Der Brummschädel vom frühen Morgen, Grund für seinen Anruf bei American Airlines und die Umbuchung auf einen späteren Flug nach New York, war jetzt nur noch als eine vage, nicht ganz unangenehme Empfindung geschärfter Sensibilität und Wachheit spürbar. Seine Unterlagen hatte er auf dem Nachbarsitz ausbreiten können, er sah die Bewerbungen der Studenten durch, mit denen er Gespräche geführt hatte, und verglich sie mit seinen Notizen. Laverna Daly! Ihr tabellarischer Lebenslauf mit der Überschrift »Biographie in Kürze« war professionell gedruckt, das beigefügte Farbphoto, ein Schnappschuß, rechts oben am Rand des Blattes angeheftet. Das Bild wurde ihr nicht gerecht. Sie hatte als Bühnenbildnerin in
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Sommer- und kleinen Repertoiretheatern gearbeitet, bis sie über dreißig war, und sich dann entschlossen, Jura zu studieren. Alles Weitere war wie zu erwarten. Hervorragende Ergebnisse in vagen Schwafelkursen windiger Dozenten über Menschenrechte, internationale Rechtsordnung, Frauenrecht und ein Seminar über die Zustände in Haftanstalten; ausreichende Noten in den Pflichtübungen zu den nüchternen, trockenen Themen, die für Schmidt und W&K zählten: Verträge, Steuern, Zivilprozeßrecht, Handelsgesellschaften, Wertpapiergesetze. Andererseits sprach zu ihren Gunsten, daß sie in Berkeley ein Examen über Renaissance-Studien mit Auszeichnung bestanden, ein Jahr an der Universität Grenoble studiert hatte und angeblich fließend Französisch und Italienisch sprach. Dies war sein letztes halbstündiges Interview nach einem Zweitagesprogramm von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends ohne Mittagspause. In einer fensterlosen Kabine im Verwaltungsgebäude. Das Interesse an einem Vorauswahlgespräch mit dem Nachwuchsanwerber von W&K war so groß gewesen, daß er sich bereit erklärt hatte, zusätzliche Interviews beim Frühstück und Lunch in der Cafeteria der Law School durchzuführen. Die Bewerbungsmappe Daly und auch die anderen hatte er in der Nacht zuvor gelesen. Sie hatte keine Chance: Die Noten waren ungünstig; bei W&K galt als Grundregel, daß Studenten, die ihr Jurastudium nach dem Abbruch einer anderen wirrköpfigen Karriere beginnen, als Rechtsanwälte ungeeignet sind; die »persönlichen Interessen«, die sie unten auf der zweiten Seite in Kursivdruck aufgelistet hatte: Kochen, moderner Tanz und Poetik, schreckten ihn ab. Das Ganze war Zeitvergeudung, Schuld daran trug das Losverfahren, das die Universität zum Einsatz brachte, wenn sich zu viele Studenten für ein Vorstellungsgespräch meldeten. Dieses Mädchen hätte sich geradesogut um eine Stelle beim Raumfahrtprogramm bewerben können. Und dann überraschte sie ihn, und darauf war er nicht vorbereitet. Während des letzten und des vorletzten Interviews hatte er die Augen kaum noch offenhalten können. Aber sobald sie anfing zu sprechen - sie schilderte auf seine Bitte die Fakten und die Entscheidung des interessantesten Falles, den sie in letzter Zeit studiert hatte -, wachte er auf, weil ihm deutlich wurde, daß sie ein bemerkenswertes Verständnis für die Struktur juristischer
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Argumentation und zugleich eine unaggressive Selbstsicherheit besaß. Im Verlauf des Gesprächs hielt sie sich so gut, daß er sie am Ende der zugeteilten Zeit nicht unterbrach, sondern darüber nachdachte, ob ihr besser damit gedient wäre, wenn er sie sofort auf eigene Verantwortung zum vollen Auswahlprogramm nach New York in die Kanzlei einlüde oder wenn er das Einstellungskomitee dazu bewegte, die Einladung auszusprechen. Theoretisch sollten nur die stärksten Kandidaten gleich vom Talentsucher eingeladen werden. Mit ihren schriftlichen Unterlagen qualifizierte Laverna Daly sich ganz sicher nicht, und womöglich würde es ihm nicht gelingen, das Komitee zu überzeugen, dessen Mitglieder ihre Zeugnisse mit denselben Vorurteilen lesen würden wie er; wenn er sie aber ins Haus brächte, machte sie ihre Sache möglicherweise hervorragend. Hören Sie, sagte er, ich werde ein kalkuliertes Risiko eingehen. Aufgrund Ihrer Noten und Unterlagen sollte ich Ihnen erklären, daß dies ein sehr gutes Gespräch war, daß ich meinen Partnern einen günstigen Bericht darüber geben werde und daß ich hoffe, wir können Sie zu einem Besuch einladen, obwohl die Konkurrenz an Ihrer Universität groß ist, und so weiter. Statt dessen riskiere ich etwas und lade Sie jetzt sofort nach New York ein, weil ich Ihnen die Chance geben möchte, besser zu sein als Ihre Zeugnisse, indem Sie mit den anderen Sozii so reden, wie Sie es mit mir getan haben. Machen Sie sich nicht zu viel Hoffnung, und enttäuschen Sie mich nicht. Es war kein flüchtiges Erröten. Sie wurde feuerrot und fing an zu beteuern, dies sei die Erfüllung ihrer kühnsten Träume und die erste Einladung von einer echten Spitzenfirma - bis er sie unterbrach. Rufen Sie einfach diese Dame an. Hier. Er schrieb Namen und Telefonnummer auf und gab ihr den Zettel - je eher, desto besser. Sie macht den Zeitplan für die Interviews. Es ist ein Vorteil, gleich in der ersten Gruppe der Kandidaten zu sein. Sie stand auf, gab ihm die Hand und fragte dann: Kennen Sie die Stadt? Sind Sie schon einmal hier gewesen? Er sagte ihr, es sei für ihn das erste Mal.
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Darf ich Sie dann zum Abendessen einladen? Sie wohnen wahrscheinlich im University Arms. Ich hole Sie in einer Stunde ab. Er sah sie mit anderen Augen an, als sie nun vor ihm stand. Alles in Ordnung, die Kleidung, die Studentinnen bei Vorstellungsgesprächen für geboten hielten, sah an ihr vernünftig aus, sie trug Schuhe mit normal hohen Absätzen. Er hatte mehr als genug von den Kreationen größenwahnsinniger Fußspezialisten. Pläne für den Abend hatte er nicht, und eine Essensverabredung mit einer Studentin, deren Eignung für eine Stelle man so hoch einschätzte, daß man sie zum Interview nach New York einlud, war durchaus im Rahmen des Üblichen. Da sie eine Frau war, hielt er es für besser, nicht mit ihr allein zu essen, auch wenn sie sich die Einladung so vorstellte. Deshalb antwortete er: Sehr gern, aber ich lade Sie ein. Übrigens, falls Sie noch jemanden dazubitten möchten: Die Einladung gilt natürlich auch für andere Studenten oder auch Dozenten. Sie stieß einen Laut aus, der klang wie uh, uh, und sagte: Nein, ich wüßte niemanden. Ich finde, zu zweit haben wir es schöner. Meinen Sie nicht? Ihm wurde klar, daß das Abendessen in ihrem Apartment stattfinden sollte. Nur Käse, Obst und Wein. Er habe doch nichts dagegen? Sie sei die aufgemotzten Lokale in der Umgebung des Campus und die miese Möchtegern-Südstaatenkost leid; wenn sie zum Essen ausgingen, dann müßte es ein Rasthaus weit außerhalb der Stadt sein, und sie sei nicht sicher, ob das seinem Geschmack entspreche. Vielleicht schon. Die Polizisten würden verdammt unangenehm, wenn sie Studenten, die etwas getrunken hatten, am Steuer erwischten, und überhaupt würde sie lieber in ihrer Wohnung mit ihm sein. Bei ihr zu Hause fanden sich dann, wie er schon geahnt hatte, Kerzen und marokkanische Kissen und Teppiche und übergroße schwere Weingläser. Sie entschuldigte sich, zog sich zurück und kleidete sich um: Bluejeans und ein Top, das hinten zu schließen war und oberhalb der Taille endete. Die Musik war Vivaldi. Nach dem Käse fragte sie ihn, ob er rauche. Ja, sagte er, am liebsten Zigarren, Zigaretten nicht. Sie mußte lachen. Ich meine echten Stoff, sagte sie. Sie wissen schon. Ich rolle Ihnen eine.
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Sie hatte gerade genug Marihuana für einen Joint. Es war Schmidts erster. Sie rauchten die Hälfte davon, Seite an Seite auf dem Teppich, mit dem Rücken an einen Puff gelehnt. Sie schmiegte den Kopf an seine Schulter. Schnell hatte er den Arm um sie gelegt, strich über die nackte Taille und kitzelte ihren Nabel. Nicht, daß der Joint bei ihm Wirkung gezeigt hätte, aber seine Lust auf sie war kaum noch auszuhalten. Er fürchtete eine Ejakulation. Hey, ich kann nicht, wenn ich nicht high bin, erklärte sie ihm plötzlich. Ich kann einfach nicht. Es tut weh. Hast du was im Hotel? Nein, antwortete er, können wir nicht was beschaffen? Kannst du nicht jemanden anrufen? Gibt es hier irgendwo was zu kaufen? In ihrem Adreßbuch hatte sie eine ganze Latte Telefonnummern mit rätselhaften Zeichen am Rand. Sie setzte die Brille auf und fing an zu telefonieren. Unterdessen wurde sein Kopf wieder klar, sein Glied schwoll ab, und er sah, worauf er sich eingelassen hatte: Da war er in einem Zimmer, das nach Hasch roch, hatte eine Hand im Hemd, die andere am Schoß einer halbnackten Jurastudentin, die sich um einen Job in seiner Kanzlei bewarb, geilte sie auf, während sie bei allen Pushern in der Stadt herumtelefonierte, um Nachschub zu besorgen. Das Musterbild eines W&K-Sozius auf der Suche nach Nachwuchskräften. Er mußte den Verstand verloren haben. Dazu kam, daß die Nummern, die sie wählte, entweder besetzt waren oder niemand abhob. Eines durften sie auf keinen Fall tun: durch Bars ziehen und nach einem Dealer Ausschau halten, das stand fest. Laverna, murmelte er, während sie immer weiter wählte, das ist doch Zeitvergeudung. Laß uns lieber was Richtiges trinken. Das war ihr recht, und während sie auf den Rückruf eines Gewährsmannes warteten, für den sie eine Nachricht hinterlassen hatte, trank sie Rum mit Cola, er Rum pur. Sie war aus ihren Jeans gestiegen, er hatte, da sie es so wollte, gar nichts mehr an, aber sie trug noch ihren Slip. Keine Chance, daß er sie vögelte, bevor sie high war. Mit jedem Schluck Rum wurde ihm dies unwichtiger. Die peinliche Erektion war irgendwo in weiter Ferne und ließ grüßen. Er hörte sich selbst zu, wie der Stimme eines Bauchredners, die ununterbrochen vom Geschmack und Geruch ihres Schweißes faselte. Hey, du sollst mehr schwitzen, krächzte er, womit er Eulen nach Athen trug, denn sie waren ohnehin schon
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beide schweißgebadet. Zu guter Letzt, als die Flasche leer war und sie abwechselnd in immer kürzeren Abständen für Augenblicke schnarchend in Schlaf versanken, spürte er während einer Verrenkung, die sie in die obere Position brachte, so daß ihr Torso zwischen seinen Beinen auf und ab glitt, endlich die Nässe, die Erleichterung und die klebrige Kälte. Er sorgte dafür, daß er zum Zeitpunkt ihres Besuchs bei W&K zwei Tage lang auf einer Geschäftsreise in Boston war, nachdem er Jack DeForrest, seinen damals engsten Freund, gebeten hatte, sie an seiner Stelle von Sozius zu Sozius zu geleiten. Damit war er auf der sicheren Seite: Jack war unglaublich begriffsstutzig in allen Fragen, die nichts mit rechtlichen Problemen oder Firmenpolitik zu tun hatten. Schmidt gab ihm einen kurzen Brief für Laverna, vorsichtig, herzlich und unpersönlich zugleich formuliert, so daß er sich nicht kompromittierte und sie trotzdem versöhnlich stimmte, falls das nötig wäre. Auf den Kriegspfad wollte er sie nicht treiben. Zu seinem Entsetzen wurde ihr eine Woche später ein Stellenangebot zugeschickt. Danach verstrich ungefähr ein Monat, und in dieser Zeit malte er sich die scheußliche Unannehmlichkeit aus, die ihre Anwesenheit in der Kanzlei bedeuten würde, auch wenn sie sich verhielte, als ob nichts vorgefallen wäre. Dann bekam er erst die Kopie eines Briefes, den sie an den für Stellenangebote zuständigen Personalleiter adressiert hatte - sie lehnte das Angebot ab -, und dann einen Brief von ihr, im Ton ähnlich unverbindlich wie sein Schreiben an sie; darin teilte sie mit, sie sei zu der Überzeugung gekommen, daß ihr Verwaltungsarbeit mehr liege, und habe deshalb eine Stelle im Justizministerium angenommen. Wenn er je nach Washington D.C. käme, würde sie ihn gern wiedersehen. Die Vorstellung, daß sie erreichbar war nicht in New York, aber nicht weit davon, und außerhalb des W&KBereichs -, regte ihn zu erotischen Tagträumen an. Dabei beließ er es dann aber auch. Er wünschte ihr viel Glück, machte jedoch keine Anstalten, sie wiederzusehen. Und seine vielgerühmte, alles überrollende Rechtschaffenheit? Sie war nach Schmidts Meinung eine Frage der Betonung, wenn nicht der Definition. Daß er Kollegen und Mandanten geradezu mit Forderungen erschlagen hatte, die er in seiner eifernden Rechtlichkeit an die Rechtspraxis stellte, das war nicht zu
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bezweifeln. Ob er das Recht hatte, den ersten Stein zu werfen, stand auf einem anderen Blatt. Falls je der Tag anbrach, an dem alle Sünden ans Licht kämen, dann wußte er eine, die in ihm den Wunsch weckte, sein Grab bliebe verschlossen noch über alle Ewigkeit hinaus. Die Finanzierung petrochemischer Anlagen an der Küste des Golfs von Texas führte zu einer ganzen Reihe von Verträgen mit einer riesigen Erdölgesellschaft, die Sicherheiten für ein Darlehen von mehreren Milliarden Dollar bot und sich als Gegenleistung für die Gewährung eines Kredits in dieser Höhe zur Lieferung ihres Produkts verpflichtete. Vertragsbestimmungen regelten im Detail, wieviel Erdöl jeweils in einem gegebenen Zeitabschnitt gekauft und bezahlt werden mußte und in welcher Höhe Zahlungen fällig wären, auch wenn das Produkt nicht mehr verfügbar sein sollte. Diese Bestimmungen allein füllten ungefähr hundert Seiten. Darin steckten, wie der Kern in einer Pflaume, mathematische Gleichungen, die auf eine Formel brachten, was während der Verhandlungen in Worten beschlossen worden war, und Definitionen von ausgesuchter Komplexität darstellten. Von ausgesuchter Schönheit, so behauptete Schmidt, der als Berater des Syndikats, das die langfristigen Kredite gewährte, die Hauptverantwortung für die Formulierung trug. Als die Zeit zur endgültigen Fassung der Vertragsdokumente gekommen war, reagierte er wohlwollend und entgegenkommend auf die in letzter Minute geäußerten Änderungswünsche der Ölgesellschaft; zwar waren sie seiner Meinung nach zum größten Teil unnötig, aber er vertrat die Theorie, es sei politisch klug, wenn man den Anwälten der Ölgesellschaft Gelegenheit gebe zu zeigen, daß sie nicht in jedem Fall vor den Kreditgebern und Schmidt kapitulierten. Ein Änderungswunsch - er bezog sich auf eine Formel und wurde mit großem Nachdruck vom Seniorpartner der Kanzlei, die Hauptberater der Ölgesellschaft war, vorgebracht - versetzte Schmidt in Erstaunen und Erheiterung. Er hörte sich die einleitenden, sehr persönlich gehaltenen Bemerkungen an: Der ausgezeichnete Anwalt berief sich auf die vielen schwierigen Fälle, die er und Schmidt so kollegial und wirksam bearbeitet hätten. Einen kleinen Haken hatte die Sache: Die Änderung würde sich, falls ein Gericht den Vertrag als lediglich modifiziert gelten ließe, auf unbillige Weise gegen die Interessen der Ölgesellschaft auswirken. Sein Freund, der Anwalt der Gesellschaft, war im
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Begriff, einen grotesken Fehler zu machen: Er hatte sich um hundertachtzig Grad gedreht und blickte nun in die falsche Richtung. Selbstverständlich wäre es unhöflich gewesen, ihn auf der Stelle darauf hinzuweisen, vor den Ohren der großen Gruppe der Konferenzteilnehmer am Tisch, zu der auch Geschäftsleute der Ölgesellschaft gehörten, aber Schmidt hätte immerhin etwas Aufschiebendes sagen können, zum Beispiel, daß er den Änderungswunsch prüfen werde, und dann erst seinen Mandanten und danach dem Freund unter vier Augen erklären sollen, warum die Änderung nicht zu empfehlen sei. Statt dessen strich sich Schmidt mit der Hand über die Augen, als wollte er einen beginnenden Kopfschmerz verscheuchen, und flüsterte dem Mitarbeiter, der die Änderungen genau verfolgte, die Anweisung zu, keine Einwände gegen diese Modifizierung zu erheben. Darauf entschuldigte er sich und verließ den Konferenzraum für ein paar Minuten, um mit Herzklopfen im Korridor auf und ab zu gehen. Prompt wurde die Änderung vollzogen und in die endgültigen Vereinbarungen aufgenommen, die am nächsten Tag feierlich unterzeichnet wurden. Schmidt wartete, bis er die Gewißheit hatte, daß nur er von dem Fehler wußte. Erst dann und nachdem er dem Hauptkreditgeber erklärt hatte, was er vorhatte, schrieb er dem Anwalt der Ölgesellschaft einen Brief, in dem er mitteilte, daß er der fraglichen Änderung aus Höflichkeit zugestimmt habe, obwohl ihm sofort Zweifel an ihrer Vernünftigkeit gekommen seien. Inzwischen habe er Zeit gefunden, sie gründlich zu studieren, und sei sich nun sicher, daß sie nicht der Absicht des Kollegen oder der Ölgesellschaft entsprechen könne. Er gab die Gründe dafür an und erklärte, er habe seinen Mandanten bereits empfohlen, einen Zusatz zu den Verträgen zu unterzeichnen, der den Fehler korrigiere und den ursprünglich beabsichtigten Text wiederherstelle. Ein solcher berichtigender Zusatz wurde dann auch unterzeichnet. Der hervorragende Anwalt der Gegenpartei sprach und schrieb beredt über die bemerkenswerte, ja beispielhafte Verbindung von analytischen Fähigkeiten und Rechtschaffenheit, die Schmidt auszeichne und die in der Zunft mittlerweile Seltenheitswert habe. Mehrere Mitglieder des Konsortiums der Kreditgeber ergriffen ebenfalls die Gelegenheit, ihm zu schreiben und dem alten Dexter King, der damals noch geschäftsführender Partner der Kanzlei war, Kopien ihrer Briefe zu schicken, damit
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aktenkundig würde, wie stolz sie darauf waren, Schmidt zum Anwalt zu haben. Wohl möglich, daß Dr. Renata nicht die Begabung oder die Ausbildung hatte, die man braucht, um einen Zeugen zum Reden zu bringen, ihn dermaßen unter Druck zu setzen, daß er alles sagt, so lange, bis auch die letzte Übeltat, die eine, die auf immer im dunkeln hätte bleiben sollen, ans Licht gekommen ist. Aber eines mußte Schmidt ihr lassen: Wenn es darum ging, ihn zur Gewissensprüfung zu zwingen, war sie nicht ungeschickt. Zugegeben, er war ein Abgrund. Vielleicht tiefer und schwärzer als Jon Riker. Aber er hatte den Eindruck, daß das keine Rolle spielte. Vor allem hatte er sich nie erwischen lassen. Er bemühte sich, Übeltaten zu vermeiden. Seine eigenen Sünden verboten ihm nicht, darauf zu bestehen, daß Jon Riker sich gegenüber Charlotte anständig zu verhalten habe. Allenfalls konnten sie seine Verachtung dämpfen.
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XI Sie waren im Bett, Carrie sah im Fernsehen das Spiel der Knicks, Schmidt las. Die Lektüre von Phineas Redux hatte er aufgegeben; zum ersten Mal war er nicht in der Lage, Trollopes Begeisterung für Phineas oder Lady Glen oder Mr. Plantagenet Palliser zu teilen, zum ersten Mal hatte er nicht das Gefühl, daß wahre englische Ladies und Gentlemen über Zeit und Raum hinweg seine Mitstreiter im Geiste seien. Statt dessen hatte er James' Das unbeholfene Zeitalter in Angriff genommen, und brütete Seite für Seite, wenn nicht gar Wort für Wort über dem Buch, weil er sich alle Mühe gab, sicherzugehen, daß er das diabolische Geplauder beim Tee richtig verstand und daß dieses Korruptionsvirus, das man sich in Mrs. Brooks' Salon einfing und überall einschleppte, wirklich niemanden verschonte, auch nicht die bezaubernde Nanda, auch Mr. Longdon nicht, mit dem er gerne Bemerkungen zu mehr als einem Thema ausgetauscht hätte. Und dazu füßelte er unter der Bettdecke mit Carrie. Seit einiger Zeit schon ging sie im Pyjama schlafen und war nicht bereit, das Kleidungsstück beim Liebemachen auszuziehen. Überhaupt nahm dabei alles jetzt einen anderen Verlauf. Sie war immer aufmerksam und ihm zugewandt, aber fast ausnahmslos zwang sie ihn dazu, daß er kam, bevor er Anstalten machen konnte, sie zu nehmen. So will ich's gern, Schatz, murmelte sie. Hey, mir gefällt's so, verdirb's nicht. Was ist denn? Dein kleiner Freund findet's doch gut. Oder sie hielt einfach ihre Beine geschlossen. Nichts zu machen. Was war eigentlich los? Das war die Frage, aber es drängte ihn nicht, sie zu stellen. Er schmiegte sich an Carrie und steckte seine freie Hand in ihre Pyjamahose. Dagegen hatte sie nichts; sie bewegte sogar ihr Becken, um ihm entgegenzukommen, und fiel in seinen Rhythmus. Sehr bald spürte er, daß sie kam. Im Fernsehen war gerade eine Pause für Werbespots. Sie drehte sich auf die Seite, sagte: Lies weiter, Dummkopf, legte ihren Mund auf seinen und erwiderte den Liebesdienst. War's schön für dich? Komm
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schon, sag doch, war's schön? Als er ein Ja stöhnte, meinte sie: Siehst du, ist doch gut so. Jetzt lies weiter. Ich will fernsehen. Carrie, sagte er, vielleicht sollten wir über Weihnachten und in deinen Ferien wegfahren. Ich habe mir gedacht, wir könnten nach Paris gehen, bis zum Jahresende dort bleiben und dann etwas Abenteuerliches machen. Ägypten zum Beispiel. Sie scheinen im Moment nicht auf Touristen zu schießen. Die Ruhepause könnten wir doch nutzen. Mike Mansour würde sicher alles für uns regeln. Er hatte nachgedacht über seinen Umgang mit Geld und darüber, daß Mike Mansour so wenig von seinem Lebensstandard hielt. Mike lag damit nicht ganz falsch. Schmidt hatte das Geld für Charlottes Trust beiseite gelegt, sich selbst zu dem Treuhänder ernannt, der befugt ist, über die Verteilung des Vermögens zu entscheiden. Gil Blackman hatte er zum Nachfolger bestimmt allerdings mußte er wirklich einen jüngeren Nachfolger finden, statt W&K die Entscheidung zu überlassen, falls Gil starb oder die Urteilsfähigkeit verlor. Die Summe, die er Carrie unmittelbar vererben würde, war auch gesichert, also bestand kein Grund, warum er nicht mehr ausgeben und Carrie - und sich selbst - ein Vergnügen gönnen sollte. Wüste Verschwendung würde er nie treiben, das wußte er. Auch wenn die Marktlage schlecht war, hatte er genug Wertpapiere, um sein Leben mit viel Komfort leben zu können. Die Frage war, ob Mr. Mansour Gils Nachfolger werden sollte. Im Trust war nicht so viel Geld, daß er Lust bekommen würde, es zu stehlen - was die Treuhänderbank ihm hoffentlich sowieso nicht gestatten würde -, und er konnte vielleicht sehr vernünftig mit Anlagestrategien umgehen und wußte, wann das Kapital angegriffen werden sollte. Das mußte er mit Mike besprechen. Ja, er war in der Lage, ein Leben mit leichtsinnigen Vergnügungen zu beginnen. Ach Mensch, antwortete Carrie, Weihnachten wollen sie doch alle auf diesem Besitz in der Dominikanischen Republik sein, den Mike zu kaufen versucht. Wir sind auch eingeladen. Oh, woher weißt du das? Hat mir Jason erzählt. Willst du nicht dahin? Das wird toll. Sie haben ein Schiff, damit wollen sie zu anderen Inseln fahren, und tauchen kann man dort auch. Ich würde echt gern tauchen lernen. Jason sagt, das ist das Größte.
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Michael wird eine Menge Leute da haben, denke ich mir. Das ist schon okay. Das Haus ist groß. Ach so. Auf einmal wollte er sich zusammenrollen, die Knie bis zur Brust hochziehen, den Kopf unters Kissen stecken und so tun, als wäre er nicht da und als würde ihm dies nicht zustoßen. Es war das Natürlichste von der Welt. Dieses leidenschaftliche Mädchen und der Wikinger in Gestalt eines Leibwächters mit den brutal kräftigen, riesigen Händen, die so überraschend zartfühlend sein konnten, wenn er nicht darauf aus war weh zu tun, keine Frage, er war ihr Traumpartner bei all den Dingen, die sie so brennend gern tun wollte: Tanzen, Tauchen, Triathlon, und bei anderen Vergnügungen, auf die sie noch gar nicht gekommen war, Drachenfliegen und Motorradrennen vielleicht. Und im Bett. Obwohl sie es vielleicht im Bett noch nicht getan hat ten, sondern nur auf einer Decke in den Dünen oder auf dem Rücksitz des Rangers, den er fuhr, wenn er dienstfrei hatte. Schmidt hatte keine Möglichkeit, sie von Jason fernzuhalten. Auf Geld war sie nicht aus, weder auf seines noch auf das von Mike Mansour, locken konnte sie auch keiner von Mike Mansours geschniegelten Bekannten, denen es nicht an Gelegenheiten gefehlt hatte, ihr auf Partys ins Ohr zu flüstern oder sich mit ihr auf eine der großen Sonnenterrassen zurückzuziehen und dort außer Sicht-und Hörweite in einem versteckten Winkel das Angebot mit einer überraschenden, kundigen Zärtlichkeit zu bekräftigen. Wenn sie tatsächlich mit Jason schlief, dann war schändlich, was sie gerade getan hatten, dann hatten die Liebesdienste, die sie nicht verweigerte, etwas Beschämendes. Aber vielleicht schlief sie gar nicht mit ihm; vielleicht spielte sich alles nur in ihrem und in seinem eigenen Kopf ab. Daß sie nicht nackt zu Bett ging, ihn nicht einließ, das mochte eine Form der Reinigung und des Gebetes sein und nicht ihre Weise, mit zwei Männern auf einmal ehrlich zurechtzukommen. Carrie, sagte er, du siehst Jason oft. Nein, tue ich nicht. Er ist gerade mit Mike Mansour unterwegs. Das weiß ich, meine Süße, ich meine: oft, wenn er hier ist. Und du redest viel mit ihm. Er hält dich auf dem laufenden, das kann
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man wohl sagen. Was ist zwischen euch? Sag es mir ruhig, hab keine Angst, dieses eine Mal gehe ich nicht in die Luft. Mensch, Schmidtie, bist du denn nie zufrieden? War wohl doch nicht so schön für dich eben, ich hab's nicht gut gemacht, oder was? Doch, mein Schatz, aber weißt du, wenn wir uns lieben, machen wir's nicht mehr wie sonst. Hm, ja, ich lass' dich nicht in mein Hinterteil! Das klang bedrückt. Sie rückte so weit von ihm ab, wie das Bett breit war; die Fernsehübertragung war nicht vorbei, trotzdem zappte sie, bis sie einen Frauenringkampf fand. Auf ihrem Nachttisch stand eine Schachtel mit Grahamcrackers. Sie stopfte sich einen nach dem anderen zwischen die Zähne und kaute dann mit offenem Mund. Oh Carrie. Was ist denn? Tut's dir weh, daß ich gesagt habe, was du wirklich gut findest? Man kann's machen, das ist schon okay, aber drüber reden soll ich nicht, sondern mich schämen, oder wie? Schatz, jedesmal hast du mir gesagt, daß du es auch willst. Du hast mir erzählt, daß du's so mit Mr. Wilson gemacht hast. Oder irre ich mich? Na ja - und jetzt will ich nicht. Willst du wissen, warum ich dich gelassen habe? Weil ich weiß, daß du nur das willst. Von meinem ganzen Körper nur das! Er holte vorsichtig Luft, der Selbstregulierung seiner Lungentätigkeit traute er nicht. Ein Moment Unaufmerksamkeit, und schon konnte er tot sein. Und wie war's mit dem Mann, mit Mr. Wilson? Mr. Wilson geht dich nichts an. Er hat mir gezeigt, wo's langgeht. Ich habe alles gemacht, was er gesagt hat. Jetzt laß mich in Ruhe. Dann fügte sie noch hinzu: Schon okay. Du kannst lesen, ich will schlafen. Er merkte an ihrer Stimme, daß sie weinte. Mitten in der Nacht, als er aufwachte, weil seine Blase ihn drückte, hörte er sie schluchzen und versuchte sie zu umarmen, aber sie stieß ihn weg und sagte: Du läßt mich jetzt in Ruhe, oder ich gehe aus diesem Bett weg. Also schlich er ins Bad und achtete
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darauf, möglichst kein Geräusch beim Wasserlassen zu machen, so als sei auf der anderen Seite der Tür ein fremder Gast, nahm sich dann eine Schlaftablette und hielt sie zwischen den Fingern, als er wieder ins Bett ging, denn er wollte sie erst schlucken, wenn er wußte, daß mit Carrie alles in Ordnung war und daß er nichts für sie tun konnte. Sie atmete jetzt ganz gleichmäßig. Falls sie ihm nichts vorspielte, schlief sie friedlich. Er schluckte seine Tablette und schlief bis acht Uhr durch. Zu dieser Zeit hätte sie längst aufgestanden sein müssen, denn sie hatte ein Seminar, das schon eine Stunde später anfing, aber er sah, daß ihr Wecker nicht an der üblichen Stelle stand. Sie hatte ihn also unters Kopfkissen gestopft, damit sie das Klingeln nicht hörte. Er wollte sich da nicht einmischen. Ein Seminar zu verpassen machte ihr meist nicht viel aus. Er mußte unbedingt mit ihr reden, ohne daß es wieder zu einem Ausbruch kam; für ihn ging es um Leben und Tod. So wie jetzt konnte er nicht weitermachen, nicht nach der vergangenen Nacht. Ein solcher Panzer aus Wut und Bitterkeit, und dabei hatte er geglaubt, sie seien Freunde und voll guten Willens füreinander. Er erledigte seine allmorgendlichen Arbeiten. In der Post lag zwischen Rechnungen und Kontoauszügen ein Brief von Charlotte. Mit dem Lesen wollte er warten, bis er sich hoffentlich wieder beruhigt hatte. Im Hinblick auf dieses Ziel preßte er die Apfelsinen aus und deckte den Frühstückstisch. Dann starrte er auf die Zeitung und wartete. Endlich erschien sie, mit mürrischem und verquollenem Gesicht, als hätte sie in der Nacht kein Auge zugetan. Du hast mich nicht geweckt, jetzt hab ich verschlafen. Ich weiß. Ich dachte, du brauchtest Ruhe. Schöne Ruhe! Ich müßte in mein Seminar gehen. Sie aß und trank wortlos. Er schwieg ebenfalls und rauchte eine Zigarre, bis sie fertig war. Mein Schatz, sagte er, glücklich waren wir gestern nicht beim Einschlafen. Du hast in der Nacht geweint. Können wir darüber reden? Versuchen, wieder in Ordnung zu bringen, was falsch gelaufen ist? Sie zögerte. Dann sagte sie: Ich weiß eben nicht, was ich machen soll, oder so. Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll. Du bist
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gut zu mir, und, Mensch, Schmidtie, ich liebe dich. Aber alles ist so ein Durcheinander. Du liebst mich? Eine dumme Frage, das wußte er wohl, aber er brauchte so dringend Trost, daß er nicht imstande gewesen war, diese Frage zu unterdrücken. Hm, ja, ich liebe dich. Komm doch mal her. Sie nahm die Ellbogen vom Tisch, drehte sich auf ihrem Stuhl, bis sie seitlich dasaß, und schüttelte sich den Bademantel von den Schultern, so daß sie bis zum Gürtel nackt war. Hier in der Küche ist es kuschelig. Komm, du kannst mich küssen und anfassen. Ist doch schon besser, oder? Sich zu ihr hinabzubeugen war ihm unangenehm, deshalb zog er sich einen Stuhl heran und setzte sich neben sie. Wenn er doch nur jetzt in ihr versinken, die Spitzen ihrer Brüste in sein Fleisch eindringen lassen könnte. Ihr Mund schmeckte nach den ReisCrispies mit braunem Zucker, dem Croissant, das sie sich gern bis zuletzt aufhob, der Orangenmarmelade. Du machst mich so glücklich, flüsterte er in ihre krausen Löckchen. Mir geht's mit dir auch gut. Scheiße, ich wollte dir nicht weh tun. Ich habe das alles nicht gewollt. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Was meinst du damit, mein Schatz? Wie mir zumute ist, oder so. Habe ich doch gesagt. Ich liebe dich, du bist gut zu mir gewesen, aber ich bin nicht wie du - und du bist alt. Ich meine, du bist schon okay und gesund und alles, aber, Mensch, Schmidtie, du bist älter als mein Dad. Dann treffe ich Jason, weil du mich zu diesem reichen Knacker mitgenommen hast, für den er arbeitet, und sofort funkt es. Er ist genau der Typ, mit dem ich wirklich Zusammensein könnte, und ihm geht's auch so, und was sollen wir denn jetzt machen? Ich weiß es nicht. Hey, willst du mal sehen, warum ich im Bett einen Schlafanzug anhabe? Sie steckte die Arme wieder in die Ärmel des Bademantels und knüpfte den Gürtel auf. Sieh mal, sagte sie und zeigte auf die Stelle, wo das Haardreieck anfängt.
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Da waren sie, genau über dem Schamhügel, zwei ineinander verschränkte Zeichen, ein blaues C und ein blaues J, mitten in einem roten Herz. Ich wollte nicht, daß du das siehst. Wir haben es von diesem echt coolen Typ in Riverhead machen lassen, nach dem Triathlon. Jason hat auch eins, nur größer, ungefähr hier. Sie zeigte auf eine Stelle oben am Bein. Ist doch süß, oder? Sehr, sagte er. Er fühlte sich seltsam fern von ihr und auch von sich selbst. Das wird man aber sehen, wenn du einen Bikini trägst, glaube ich. Ja, so ist das gedacht. So wie Ringe, verstehst du. Sie fing wieder an zu schluchzen und griff nach seinem Taschentuch. Es ist so schwer, Schmidtie, du glaubst es nicht. Was ist so schwer? Die Liebe? Was man machen soll - schnallst du das nicht? Also, wenn Jason und ich uns zusammentun wollen, und er hat doch den Job als Chef von Mikes Personenschutz, wie soll das denn mit mir gehen? Ich bin die Freundin von dem Typ, der der beste Freund von seinem Boß ist. Wie sieht das denn aus? Und außerdem, was ich dir schon gesagt habe, ich liebe dich ja noch. Langsam begriff er. Zwei Liebenden aus der Unterschicht kam ein Oberschicht-Unterschicht-Arrangement in die Quere. Wichtig war es eigentlich nicht, aber er fragte trotzdem: Seid ihr ein Liebespaar, du und Jason? Ich meine: Schläfst du mit ihm? Nach dem Blick zu urteilen, den sie ihm zuwarf, war er haargenau so begriffsstutzig, wie er gefürchtet hatte. Also echt, Schmidtie, ich bin jede Nacht in deinem Bett, oder nicht? Mit ihm mach ich's, wenn ich kann. Das ist nicht gerade oft. Sowieso will ich mit euch beiden nicht durcheinanderkommen. Verstehst du, was ich meine? Das verstehe ich. Liebt er dich denn? Wollt ihr im Ernst Zusammensein - zum Beispiel heiraten? Er sagt, er will, antwortete sie und senkte die Augen; er sah in dieser Geste einen Ausdruck jener Bescheidenheit, die man nicht lernen kann und die von derselben vollendeten Schönheit war wie ihre Anmut.
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Und du? Sie lächelte. Na gut, sagte Schmidt. Das ist alles sehr schwer, aber es wird sich wohl richten lassen, wenn ihr beide es ernsthaft wollt. Und möchtest du bis dahin weiter hier mit mir leben? Was meinst du? Kannst du das? Heißt das, ich kann? Ich hab gedacht, du würdest sagen, ich soll gehen. Schluß für mich mit dem Haus und so. Du weißt schon. Nichts mehr mit College und Auto. Meinst du echt, ich kann hier bleiben? Ja, das meine ich. Auch wenn ich mit Jason bin, so wie ich dir erzählt habe? Hey, Schmidtie, hör zu, wenn du mich hier bleiben läßt, dann können wir beide immer noch Zusammensein. Rumspielen oder so. Du weißt schon, wie heute nacht. Für mich ist das okay. Ich will auch nicht zickig sein, ich schwör's. Jason weiß, daß ich dich liebe. Es ist nur anders. Ich liebe ihn anders. Außerordentlich freudige Erregung und Unglauben: Er fragte sich, ob er noch klar denken könne. Deshalb, um Himmels willen, überstürze nichts. Und überhaupt, wofür hältst du dich? Bist du die Sittenpolizei? Greif zu, nimm das Angebot an. Du wirst sie in deinem Haus und in deinem Bett haben. Alles andere ist gleichgültig. Das, was dabei beschämend ist, geht dich nichts an. Auf jeden Fall kannst du bleiben, erklärte er ihr. Wir wollen's ganz natürlich nehmen und nett zueinander sein. In Ordnung? Als sie zu ihrer Übungsklasse gefahren war, betrachtete er den Rest Rotwein in der Flasche, die er am Abend zuvor geöffnet hatte, goß sich dann aber lieber einen Bourbon ein und griff nach einem Messer, mit dem er den Umschlag von Charlottes Brief aufschlitzen wollte. Seine Hände zitterten. Er legte das Messer hin, sah sich in der Küche um, wo alles am richtigen Platz war, und versuchte es noch einmal. Im Umschlag lagen zwei gedruckte Karten. Die obenauf liegende war eine Variante der vorgedruckten Formblätter für Adressenänderungen. Sie zeigte urbi et orbi an, daß Charlotte wieder in dem Apartment wohnte, das ihre und Jons Bleibe gewesen war; das Datum ihres Umzugs lag über eine Woche zurück. Die Telefonnummer war die alte. Charlotte war dort
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nun auch per Fax zu erreichen. Wo sie vorher gewohnt hatte, stand nicht auf der Karte. Die Faxnummer war neu, Schmidt unterstrich sie, um sich daran zu erinnern, daß er sie in sein Adreßbuch eintragen müsse, und legte die Karte dann beiseite. Die andere Karte enthielt die Mitteilung, daß Jon Partner einer Kanzlei mit fünf namentlich genannten Sozii in New York geworden war - vier davon waren offensichtlich Juden und einer Italiener. Das sollte wohl eine gute Nachricht sein. Schmidt warf die Karte in den Papierkorb. Die Kanzlei war ihm, wie er glaubte, nicht bekannt - er würde die W&K-Bibliothekarin bitten müssen, ihm Informationen über sie zu schicken -, aber Grausam, der erste der Anwälte auf dem Briefkopf, war mit Sicherheit der Mann, der immer als Teilnehmer an Konkursprogrammen der Anwaltsvereinigung aufgeführt wurde, und der Italiener, Mazzola, war der bekannte Scheidungsanwalt. Nun ja, mit Jon hatten sie sich einen erstklassigen Spezialisten für Konkursverfahren zugelegt - sogar einen auf Prozesse aller Art spezialisierten Anwalt, wenn man Jack DeForrest glauben durfte. Wood & King hatten auch klein angefangen. Mit einem einzigen Anwalt, dem hochverehrten Mr. Wood! Vielleicht würden Jon und seine neuen Partner Wood Sc King über kurz oder lang zu schaffen machen. Dies war zwar nicht ganz die Umgebung, die Jon Riker angestrebt hatte, als Schmidt ihn in der Yale-Universität anwarb, aber er war weiß Gott beschädigte Ware und konnte von Glück sagen, daß jemand es mit ihm versuchen wollte. Schmidt nahm an, daß die Kanzlei zu den Firmen gehörte, die nehmen, was sie bekommen können. Riker würde Mandanten finden müssen. Wenn jemand eine Topfirma verläßt, dann sind die ehemaligen Kollegen seine beste Versorgungsquelle, denn sie werden ihm Fälle abgeben, die zu klein oder zu wenig gewinnträchtig sind, und gelegentlich auch einen lohnenden Auftrag von einem treuen Mandanten, den sie wegen eines Konflikts nicht selbst übernehmen können - es sei denn, sie wollten sich bei einer großen Kanzlei beliebt machen, indem sie ihr den Mandanten zuschustern, womit sie allerdings das Risiko eingehen, daß ebendiese große Kanzlei ihnen den Mandanten ganz wegschnappt. Man konnte nur hoffen, daß Riker noch Freunde bei W&K hatte, obwohl das Votum gegen ihn einstimmig ausgefallen war. Womöglich würde ihm der eine oder andere Sozius, der deswegen ein schlechtes Gewissen hatte,
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helfen. Schmidt sah sich den Briefumschlag noch einmal genau an, schüttelte ihn sogar. Aber er fand nichts, keine persönliche Notiz steckte darin, nicht ein Wort. Wunderbar. Dies glich einer Entlastung des Gemeinschuldners, ein geschicktes Arrangement seines Schwiegersohns, des Spezialisten für Konkursverfahren. Er mußte gar nichts tun - nur die Faxnummer notieren, aber die war von zweifelhaftem Nutzen für ihn, da er kein Faxgerät besaß -, und niemand verlangte irgend etwas von ihm. Er hatte einen Zustand weitreichender persönlicher Freiheit erreicht. Ein zweites Trankopfer war nun durchaus angebracht. Das braune Naß hatte seine Lippen noch nicht benetzt, da klingelte das Telefon. Wer konnte das sein - Mr. Mansours Assistent? Mr. Blackmans Assistentin? Die beruhigende Stimme eines pensionierten Polizisten, der Geld für die Konferenz von Polizeichefs im Ruhestand sammelte? Oh nein, welche Überraschung! Renata Rikers Stimme erkannte er sofort, wartete aber, bis sie ihren Namen gesagt hatte, und begrüßte sie erst dann. Ist das nicht eine Freude, fragte sie? Er log: Was denn? Charlotte. Jon. Die beiden! Du hattest ganz recht, Jon hat wieder eine Stelle, er ist Sozius einer New Yorker Kanzlei, die ihm gefällt. Ich bin so froh! Mindestens so froh wie damals, als er Sozius bei Wood & King wurde. Und er und Charlotte sind wieder zusammen. Oh Schmidtie, das ist so gut, so richtig. Kommst du in die Stadt, damit wir zusammen feiern können? Meine liebe Renata, ich erfahre die Neuigkeiten eben in dieser Minute von dir, und von einer Feier habe ich nichts gehört. Ich saß hier ganz friedlich mit einem Drink. Heißt das, sie haben dich nicht angerufen? So ist es. Ein angenehmes Gefühl, wieder auf den sicheren Boden unbestreitbarer Tatsachen zurückzukehren. Das ist schlimm, sehr schlimm, aber du mußt ihnen verzeihen, sie hatten so viel Wirbel. Natürlich zögerten sie - das heißt, Charlotte zögerte, Jon hatte gar keine Zweifel -, bis die Sache mit der Sozietät klar war, und dann die letzten paar Wochen, das
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kannst du dir doch vorstellen! Es gab so viel zu planen und zu tun, bis sie den Wiederbeginn ihres alten Lebens organisiert hatten. Sie waren sehr besorgt, wie ihre alten Freunde reagieren würden. Natürlich. Ich kann nur sagen, ich habe ihnen dringend ans Herz gelegt, dich anzurufen, und es ist mein Fehler, nicht dafür gesorgt zu haben, daß sie es auch wirklich tun. Bitte, bitte, sitz nicht da und brüte finstere Gedanken aus. Finstere Gedanken haben so viel Macht! Schmidtie, wir sind wieder eine Familie! Gut, daß er den zweiten Drink genommen hatte. Der gab ihm die Entschlußkraft, etwas zu tun, was er bei Gott noch nie getan hatte, noch nicht einmal, als ihn einer dieser Polizeichefs mit einem Telefonat von der Klobrille aufgescheucht hatte: Er legte auf. Am selben Tag trug er spätabends, schon in Pyjama und Bademantel, die Trittleiter in sein Schlafzimmer und holte die im obersten Schrankfach verstaute Schachtel herunter. Da waren sie, eingewickelt in Seidenpapier. Daß er so sorgfältig gewesen war, überraschte ihn selbst. Er wickelte sie eine nach der anderen aus, die Photographien, die die Geschichte seiner Familie erzählten, angefangen von den professionellen Hochzeitsphotos von Mary und ihm bis hin zu den Schnappschüssen, die sie in den letzten Monaten gemacht hatte, als sie schon nach Bridgehampton gezogen waren, sie aber noch versuchte, ihr Leben weiterzuführen wie bisher; die Krankheit hatte noch nicht zum tödlichen Schlag ausgeholt. Die Photos hatte er weggeräumt, als Carrie kam, damit sie nicht streng und kritisch aufs Bett hinabstarrten. Jetzt konnten sie also wiederkommen. Alle, außer den Photos von Charlotte, nachdem sie Jon kennengelernt hatte, und außer den Bildern von Jon und Charlotte zusammen. Einen Augenblick dachte er daran, sie ins Wohnzimmer zu bringen, wo er fast nie saß - die Bibliothek war ihm lieber -, aber da standen schon genug Erinnerungsstücke aller Art herum. Im Schrank wollte er sie auch nicht mehr haben. Also legte er sie wieder in die Schachtel, ohne sie noch in Papier einzuwickeln, und weil er zu müde war, auf dem Dachboden nach einem passenden Platz zu kramen, brachte er die Schachtel über Nacht in eines der Gästezimmer. Das Zimmer, das ihm von allen am liebsten war, noch lieber als sein eigenes Schlafzimmer, war der Raum, der Charlotte gehört hatte, später hatten Charlotte und
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Jon es bewohnt; dieses Zimmer lag dem seinen genau gegenüber. Carrie war darin. Er blieb außen vor der Tür stehen. Kein Lichtschimmer, kein Laut. Sie schlief wie ein Baby. Sie rief vom College aus an, zwischen zwei Kursen, und erzählte ihm, sie habe Jason erreicht. Mr. Mansour sei in der Stadt und werde im Restaurant essen, also könnten die anderen Typen den Personenschutz machen. Wenn Jason nach Bridgehampton führe, könne er dann vorbeikommen und hallo sagen oder so? Schmidt sagte, ja, das habe er gerade selbst vorschlagen wollen. Hey, kicherte sie, dann bringe ich Pizza mit. Wie in alten Zeiten, weißt du noch? Und ob. Es tat ihm weh, zusehen zu müssen, wie sie jetzt ganz aufgeregt und eifrig ins Haus stürzte und sich den Kopf zerbrach, wie und wo sie den Tisch decken sollte - in der Küche, weil es bloß Pizza gab, oder im Eßzimmer, weil es doch eine besondere Gelegenheit war. Sein Rat: im Eßzimmer, mit dem besten Tischtuch, dem Tafelsilber und Kristallgläsern. Das gefiel ihr. Ach ja, wie in alten Zeiten, wie das erste Essen, das sie in seiner Küche verzehrt hatte, zur Zeit seines größten Glücks. Wie wunderbar sie alle ihre Rollen ausfüllten: Schmidt, der gefallene Menschenfresser, und seine Kindfrau, erfahrener als Hekate und rein wie eine Vestalin, ihr Leib frisch gebrandmarkt mit dem Zeichen des Eindringlings, ihr Haar schwer vom Moschusduft und von Geheimnissen, die er in Spasmen unerträglicher Lust hineingeflüstert hatte; und der blonde Held, ausgesandt, den Zauber zu beschwören. Der Junge würde ihn umbringen, genauso wie er, Schmidt, Mr. Wilson umgebracht hatte. Wie die Hinrichtung vollzogen würde, blieb noch zu klären, aber jedes Ding braucht seine Zeit. Wenn er dem Jungen alles erklärte, die Begleitumstände deutlich machte, dann war es vielleicht mit einem einzigen Schlag auf den Hals getan, dem Akt der Barmherzigkeit, mit dem Mr. Mansour sich brüstete, und Hinrichtungsort konnte die Bibliothek sein. Der leblose Körper würde auf das Chesterfieldsofa sinken und dort im Gifthauch der Zersetzung auf den Chor der Trauernden, seine polnischen Putzdamen, warten. Nur daß der blonde Held, zu Recht nach Schmidts Erzählung über alles Erwarten wutentbrannt, vielleicht doch eine andere Todesart wählen mochte: ihm die Hände, die Füße, den Penis abhackte, den Schädel einschlug und alles, was dann noch von ihm übrig war, in den Teich hinter dem Garten warf, zur Freude der Krebse,
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die sich auf dem schlammigen Grund sammelten. Denn wieviel wußte der Junge? Hatte sie ihm auch von Mr. Wilsons Initiationspraktiken erzählt, von seiner Verwandlung in den »Mann«, den stinkenden Streuner, dem sie bis an sein Ende liebevoll zu Diensten gewesen war? Wieviel konnte Jasons Magen vertragen? Mann, Mr. Schmidt, sagte Jason, der hier ist echt gut. Besseren Wein gibt's bei Mr. Mansour auch nicht, glaube ich. Jedenfalls keinen, den ich probiert habe. Zum dritten Mal bat Schmidt, er solle ihn doch Schmidtie nennen. Hast du das Wohlwollen des Burschen, minderst du die Lächerlichkeit. Schließlich war er ja nicht der Brautvater. Hör mal, Jason, fuhr er fort, es ist schön, daß wir hier alle drei zusammensitzen. Eine sehr gute Entscheidung von dir, mich hier zu besuchen. Du weißt, wie ich zu Carrie stehe. Sie ist gut zu mir gewesen, sie hat mich sehr glücklich gemacht, aber sie ist sehr jung. Daß die Dinge sich einmal ändern würden, habe ich immer gewußt. Ich bin froh, daß du es bist. Ich habe dich bei Mike Mansour beobachtet - während du mich beobachtet hast -, und ich glaube, du bist okay. Alles Gute euch beiden! Danke, vielen Dank, Mr. Schmidt. Schmidtie. Und wie soll's jetzt weitergehen? Hast du dir darüber Gedanken gemacht? Carrie schaltete sich ein. Pläne haben wir nicht, Schmidtie. Wir sind nur irgendwie zusammen. Bitte, laß Jason antworten. Das ist schwer, Mr. Schmidt. Ich verdiene gut bei Mr. Mansour, aber Sie haben ja gesehen, wie es geht. Die meiste Zeit oder so bin ich bei ihm, und wenn er verreist, muß ich mit. Das ist das eine. Und das andere ist, wenn er merkt, was zwischen Carrie und mir läuft, dann sitze ich auf der Straße. Das macht er immer so. Ich denke mal, er hat so seine Vorstellung von dem, was sich abspielt. Ja, ich weiß schon, er stichelt gern bei Ihnen, manchmal gibt ihm das einen Kick. Aber das ist, weil er jetzt bloß denkt, wir hätten
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vielleicht hinter Ihrem Rücken was angefangen oder so. Wenn's erst alle wissen, dann sieht das anders aus, kann ich Ihnen sagen. Vielleicht sollte ich mal mit ihm reden. Nein, das wäre nicht gut. Er ist sehr streng. Mit dem ganzen Personal. Ich bin da keine Ausnahme. Du könntest doch kündigen und einen anderen Job finden, nehme ich an. Na ja, beim Personenschutz. Aber da ist es wieder das gleiche Problem. Man hat keine Zeit und kein Leben. Ich hab schon gedacht, ob ich selber einen Personenschutzbetrieb aufziehe. Ich kenne eine Menge zuverlässige Typen, die sind gut ausgebildet, und ich könnte Leuten helfen, die nicht wie Mr. Mansour oder der Freund von ihm, Mr. Perle, ihre eigene Truppe haben. Vielleicht sind sogar solche Leute froh, wenn ihnen einer das Problem abnimmt. Ich spare drauf, aber ich hab's noch nicht geschafft. Noch lange nicht. Er lachte. Meinst du, damit kann man Geschäfte machen? Ja schon. Die Nachfrage ist da. Ist sie so, daß ich vielleicht investieren möchte? Ich meine, wenn das hilfreich wäre. Mann, Mr. Schmidt, ich weiß nicht. Daß mir vielleicht jemand aushilft, darauf bin ich noch nie gekommen. Ob Jason noch mehr sagen wollte, war Schmidt nicht ganz klar, denn Carrie schnitt ihm das Wort ab. Seid ihr zwei nicht ganz dicht? Laß das sein, Schmidtie. Schon gut, hat Jason sonst noch Ideen? Hm, ja, ich kenn mich mit Fahrrädern aus. Ich hab gedacht, vielleicht kann ich einen Fahrradladen aufmachen, aber ich weiß nicht. Die Konkurrenz ist echt hart. Ich kenne diesen Typ an der Route 2,7. Der war bei der Polizei, er weiß, was er tut, aber nach ein paar Jahren hat er aufgegeben und ist an die North Fork gezogen. Der Laden läuft, aber nur eben so. Und du, Carrie, was meinst du? Ich weiß nicht, Schmidtie. Das ist nicht mein Ding, finde ich.
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Du hättest also nichts dagegen, wenn Carrie weiter hier lebt, verstehe ich das richtig? Vorläufig jedenfalls. Mit mir? Nein, Mann. Ich meine, super, wenn das für Sie in Ordnung geht, Mr. Schmidt. Schmidt sah Carrie direkt an, aber sie schien das Muster des Tischtuchs zu studieren, und ihre Augen mieden seinen Blick. Er beschloß, sich auf die Pizza und das Eis, das es zum Nachtisch gab, zu konzentrieren. Der Plan, daß sie weiter bei ihm im Haus bliebe, schloß zahlreiche Umstellungen ein. Diese Implikationen in Carries Beisein mit Jason zu besprechen oder mit ihr, während Jason dabeisaß, war wohl nicht gut möglich. Vielleicht sprach man am besten gar nicht darüber. Carrie vergrößerte Schmidts Verwirrung noch, indem sie die beiden Männer bat, bei ihr in der Küche zu bleiben, während sie abwusch. Er hatte erwartet, daß sie ihn mit Jason wegschicken würde, in die Bibliothek zum Beispiel, damit sie aufräumen könne, oder daß sie einen anderen Weg finden würde, ihm einen Augenblick Zeit mit Jason allein zu geben. Aber vielleicht war sie zu klug dazu. Als der Abwasch erledigt war, sagte sie Jason, es sei Zeit für ihn zu gehen, und Schmidt erklärte sie, sie komme gleich wieder; sie wolle sich nur noch von Jason verabschieden. Der Abschied dauerte ziemlich lange, und Schmidt malte sich aus, wie er in Jasons Auto oder im Dienstbotenflügel von Mr. Mansours Haus vollzogen wurde, falls so etwas dort gestattet war oder heimlich getan werden konnte. Er schaltete das Licht in der Küche aus und wartete in der Bibliothek. Als er das letzte Mal im Einkaufszentrum gewesen war, hatte er zum Ersatz für die Tonbandaufnahme, die nicht mehr gut klang, eine CD von Figaros Hochzeit gekauft. Die Schallplatten waren beim Umzug aus New York nach Bridgehampton nicht mitgekommen. Er wußte nicht genau, ob sie weggeworfen, verkauft oder in einen Wohltätigkeitsbasar gewandert waren. Es spielte keine Rolle, denn er besaß keinen Plattenspieler mehr, hätte sie also gar nicht mehr hören können. Die Suchvorrichtung des CD-Players war etwas sehr Angenehmes. Er fand die Arie »Aprite un po' quegli occhi« im vierten Akt und spielte sie wieder und wieder ab, obwohl er wußte, daß sie eigentlich nicht auf ihn zutraf: Selbst wenn Carrie eine Hexe war und ihn verzaubert hatte, war er doch nicht genarrt, und ihm mußte niemand die Augen
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öffnen. Die Arie war nur eine Möglichkeit, Dampf abzulassen, denn wie Figaro - und Almaviva! - tat auch er sich selbst leid. Basta! Er goß sich einen Kognak ein und spielte mit dem Gedanken, noch einen zu nehmen, hörte dann aber die Haustür zuschlagen. Carrie rumorte in der Diele, ging die Treppe hinauf, kam wieder herunter. Sie hatte sich umgezogen und trug nun den schwarzen Seidenpyjama, den er ihr zum Beginn des neuen Semesters geschenkt hatte. Ihre Füße waren nackt. Sie setzte sich auf das Chesterfield-Sofa, seinem Sessel schräg gegenüber. Hey, ich war in der Badewanne. Womöglich nur deshalb, weil es draußen kalt war, dachte Schmidt. Ich bin ganz sauber. Die erste Hypothese wackelte, war aber nicht notwendig widerlegt. Schmidtie, willst du mit mir reden? Ja, ich muß mich nur erst wach rütteln. Oder so ähnlich. Ich glaube, aus der Unterhaltung mit Jason bin ich nicht schlau geworden. Was habt ihr beiden eigentlich vor, du und Jason? Das habe ich nicht begriffen. Ich hätte erwartet, daß er irgendeine Vorstellung hat - wie ihr zusammen leben könnt, verheiratet oder nicht. Egal, jedenfalls eine Idee von eurem Leben als Paar. Davon habe ich nichts gehört. Das ist echt schwer für ihn. Weißt du, als er mit dem Polizeidienst Schluß gemacht hat, war er in der Kriminalabteilung oder so - ihre Stimme wurde hoch, weil sie weder wußte, wovon sie redete, noch ob sie das Richtige sagte. Gekündigt hat er, weil Mike Mansour ihm so viel zahlt. Sehr viel, vielleicht doppelt soviel, wie er vorher verdient hat. Aber, das hat er ja gesagt, Mike könnte ihn feuern. Also, was soll er machen? Und du, was meinst du? Habe ich doch gesagt, Schmidtie, ich weiß nicht. Es ist eben so. Ich möchte mit ihm Zusammensein, aber nicht unter Druck. Es ist verrückt. Kann es sein, daß du erst herausfinden willst, ob es für dich wirklich in Ordnung ist, mit ihm zu leben?
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Oh, es sei sehr in Ordnung, erklärte sie, aber sie könne fast nie bei ihm sein, nur wenn er dienstfrei habe, und dann müßten sie immer einen Ort suchen, wo sie allein sein könnten. Daraufhin rutschte sie auf dem Sofa herum, als würde sie von einem gewaltigen Juckreiz geplagt. Schmidt dämmerte die Erkenntnis, daß er sich im Irrtum befand, wenn er glaubte, er brauche einem Bewerber um die Hand seiner kindlichen Geliebten nur ja zu sagen. In diesem Fall mußte Mr. Schmidt sich der Frage stellen: Was hast eigentlich du vor? Die Antwort darauf wußte Schmidt, meinte er. Er sagte: Carrie, ich habe dir erklärt, daß du bei mir bleiben kannst. Als ein Familienmitglied. Daran wird sich nichts ändern. Aber wenn du mit Jason schläfst, können wir beide nicht miteinander schlafen. Ich weiß, vor langer Zeit habe ich dir einmal gesagt, ich würde nicht von dir verlangen, daß du mir treu bist, aber das war, bevor ich dich so sehr liebte, bevor wir zusammenlebten. Also, wenn du mit Jason Zusammensein willst, können wir, du und ich, sehr gute Freunde bleiben; wie gesagt, du gehörst dann zu meiner Familie. Oder wenn das, was du mit Jason hattest, vorbei ist, können wir einfach wieder zusammenleben wie vorher auch. Das ist deine Entscheidung, Kleines. Sie kam zu ihm, setzte sich auf die Sessellehne und legte die Arme um seinen Hals. Das mit Jason ist nicht vorbei. Aber ich liebe dich, Schmidtie. Ich habe doch gesagt, ich will hier bleiben. So lange, wie du mich läßt. Hey, kann ich noch zu dir ins Bett? Wenn wir die Hosen anlassen? Echt?
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XII Gil Blackman kam mit dem Flugzeug aus Los Angeles im Kennedy Airport an, stieg in sein Auto und telefonierte auf der Stelle mit Schmidt. Ich bin wieder da, sagte er, gerade gelandet. Wie war's mit Mittagessen morgen in diesem Lokal in Bridgehampton, wie heißt es noch? Ich bleibe über Nacht in der Stadt, fahre aber gleich morgen früh heraus. Wir müssen reden. In der jüngeren Vergangenheit hatte es keinen einzigen Präzedenzfall für ein solch dringendes Bedürfnis des großen Filmemachers nach seinem kauzigen alten College-Mitbewohner gegeben. Die Zeiten, da Gil ihn tatsächlich gebraucht hatte, lagen weit zurück; zum Beispiel hatte er Schmidt damals um Hilfe gebeten, als er entschlossen war, sich von seiner ersten Frau zu trennen, und noch nicht mit den Scheidungsanwälten Bekanntschaft gemacht hatte, die in den Boulevardblättern gefeiert wurden. O'Henry's, sagte Schmidt. Sehr gern. Morgen um ein Uhr. Er sah keinen Grund mehr, diese Hamburger-Station zu meiden, die inzwischen dazu übergegangen war, auch Hummer und Hühnersalat auf Pita mit einer Beilage von gewürfelten Avocados zu servieren. Schon gar nicht, wenn er ohne Carrie hinging, weil er dort mit dem berühmten Mr. Blackman verabredet war. Und selbst wenn sie einwilligte, mit ihm mitzukommen, war der Fall inzwischen de facto verjährt. Nur der Eigentümer konnte sich noch an Carrie erinnern - und an seine Nummern mit ihr, falls man Bryan glauben wollte - sowie der Barmann Pete, der insoweit als unschuldig anzusehen war. Die Kellner, eine Handvoll Möchtegern-Schauspieler und - schauspielerinnen, ohne Zeichen von Talent und mit allzu vertraulichem nehmen, waren praktisch alle neu, alle erst nach Carries it gekommen. Meist Mischlinge wie Carrie. Ah, die Wunde kauterisieren, die Vergangenheit auslöschen: Wie sich auf den leeren Stuhl an seinem Tisch stützte,
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wenn ihm das Essen brachte, wie sie so leise und heiser sprach, daß er den ganzen Körper anspannte, um sie hören können, wie sie manchmal mit der Hand seine Schulter streifte, wenn sie vorbeilief, wie diese gertenschlanke mutige Kleine aus den Slums mit dem blassen Gesicht sich von ihm lieben ließ. Als er sich auf den Weg zur Verabredung mit Gil machte, war die Kleine schon unterwegs zu ihrem Kunstkurs, saß hinter dem Steuer des Wagens und, darauf würde er wetten, raste gefährlich schnell über die Nebenaßen. Zeichnen nach dem Modell! Er hätte sie mit geschlossenen Augen zeichnen können - jede Linie, jeden hatten, jede Einbuchtung. Dies waren die letzten Unterichtswochen, das Semester ging zu Ende. Die Weihnachtsferien machten ihr Kopfzerbrechen, das war klar, Schmidt hatte Mike Mansours Einladung, die Ferien mit ihm in seinem dominikanischen Paradies zu verbringen, sofort angenommen. Sie hatte gesagt, daß sie sich dies wünschte, aber jetzt als Schmidts Freundin dorthin zu fahren, als hätte sich nichts geändert, während Jason das Gepäck vom Rollfeld zum Auto schleppte, zum Haus am Strand fuhr und wieder Gepäck schleppte, diesmal ins Schlafzimmer und dann den Herrn und Meister samt seinen Gästen bewachte, solange sie sich im Wasser tummelten oder an der Festtafel schlemmten, das alles war hart, ja demütigend für Carrie. Vor Jasons Augen hinter der reflektierenden Sonnenbrille würden Bilder auftauchen, die ihm zeigten, was Carrie und Schmidt im gemeinsamen Schlafzimmer treiben mochten - in Wahrheit nicht das geringste, zwischen ihnen liegt ein Schwert. Und dann die amüsierten Blicke von Mike Mansour! Wieviel weiß er wirklich, und wieviel wird er einem oder zwei Gästen seiner Wahl anvertrauen, und wie schnell wird dann die Geschichte die Runde machen? Das ist auch für Schmidt ein Problem, aber nur ein kleines, nicht mehr als ein Nadelstich. Aber nachdem er das Für und Wider gegeneinander abgewogen hatte, sagte er zu ihr: Wir wollen Mike Bescheid sagen, daß wir nicht kommen. Das stört weder ihn noch seine Pläne; Hauspartys dieser Art sind wie ein Picknick; man zählt die Gäste nicht, wenn das Haus so groß ist. Fahren wir lieber nach Paris und dann nach Ägypten, wenn das noch möglich ist; und wenn nicht, nach Marokko, sehen uns die Mamounia an oder Fez, oder beides; das überlasse ich dir. Aber die Kleine möchte so gern zu Mike Mansour, weil sie noch nie in
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so einem Haus war, noch nie in einem Privatflugzeug geflogen, noch nie von einer Luxusjacht aus in ein Meer aus flüssigem Blau und Gold getaucht ist. Und vor allem wahrscheinlich, weil Jason da sein dürfte. Sie kann nicht genug von ihm bekommen, von seinem vollkommen geformten Kopf und seinem Gesicht mit dem blonden Haarschopf, den blauen Augen, der Stupsnase, den weißen Zähnen und, ob man es glaubt oder nicht, dem Grübchen im Kinn, und diese Herrlichkeiten sind noch gar nichts gegen das, was weiter unten folgt: das Muskelspiel der Schultern, die Brustmuskeln eines Diskuswerfers, mein Gott, der Bizeps. Natürlich könnte man sich noch über ganz andere Qualitäten auslassen, die Carrie bis ins einzelne kennt und Schmidt lieber nicht so genau wissen will. Na gut, sagte er zu ihr, wenn du die Reise nicht aufgeben willst, dann fahren wir. Die interessanteste Frage mag sein: Was denkt, was will Jason? Daß er viel Kraft und wenig Worte hat, heißt noch nicht, daß er keine eigene Meinung hat. Der Junge ist für Schmidt ein Rätsel. Es muß gewisse Intelligenztests für bewaffnete Leibwächter geben, ganz bestimmt ist er nicht ohne einen Intelligenztest zur New Yorker Kriminalpolizei gekommen - falls Carrie das richtig verstanden hat -, und Mike Mansour hätte Jason kaum engagiert, wenn er sich beim Test dumm angestellt hätte. Vielleicht liegt seine Eignung auf einem speziellen Gebiet, vielleicht beherrscht er Würgegriffe und schnelles Abtasten besonders gut: In Schmidts Augen ist er nicht halb so gescheit wie Carrie. Allerdings hat er eine unnatürlich, vielleicht übertrieben hohe Meinung von Carries Denkvermögen. Intelligenz plus Sensibilität und Intuition - eine unschlagbare Kombination. Am Ende gibt Schmidt auf. Vielleicht steckt hinter dem Rätsel Jason nichts weiter als der Klassenunterschied. Wenn man die Vokabel noch benutzen dürfte, würde er sagen, Jason zeige Verhalten und Einstellung eines typischen Dieners. Eines würde man allerdings doch gern wissen: nämlich, was er vom Sex hält. Carrie ist jeden Abend zu Hause, es sei denn, sie geht mit Schmidt aus, und nur ganz selten, wirklich äußerst selten kommt es vor, daß sie mit Jason im Kino sitzt. Wenn sie das sagt, glaubt ihr Schmidt, daß sie die Filme tatsächlich sieht, denn sie erzählt ihm davon und führt ihm mit schaurig-schönem Talent zur Nachahmung Geräusche vor: den Knall von Explosionen, das
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Pfeifen von Geschossen und den Lärm bei AutoVerfolgungsjagden. Sie kommt auch nie besonders spät nach Hause. Ein Quickie auf dem Rücksitz oder vielleicht auf der Ladefläche eines Lieferwagens aus dem Autopark der Sicherheitstruppe, den er sich für den Abend ausgeliehen hat? Die eine oder andere Nummer in der Zeit zwischen dem Ende von Carries Kursen und ihrem Erscheinen zum Abendessen? Das war leicht, bevor das Wetter winterlich wurde. All die menschenleeren Dünen mit dem intensiven Seetanggeruch. Jetzt bleiben nur noch die wetterbeständige Rückbank des Autos, ein stundenweise gemietetes Motel, falls so etwas im Suffolk County überhaupt möglich ist, oder die Bude eines Kumpels. Von einer solchen Person ist Schmidt nichts bekannt. Nein, für ihn wäre es kein Problem, am Äquator ein Schlafzimmer mit Carrie gemeinsam zu benutzen - klimatisiert wird es ja wohl sein. Sie hat sich sowieso angewöhnt, zu Schmidt ins Bett zu kommen, obwohl er einen Fernseher für ihr Zimmer angeschafft hat, damit sie ihre Hockeyspiele sehen kann. Er hätte ihr auch sein Gerät überlassen können, da er es ohnehin fast nie anschaltet, aber er wollte ihr nicht das Gefühl geben, ihn zu berauben. Deshalb schlüpft sie ganz leise in sein Zimmer, spät, wenn er sein Buch zur Seite gelegt hat und fast schon am Einschlafen ist. Daß sie da ist, merkt er oft erst, wenn sie ihn umarmt und sich an ihn schmiegt. Anfangs hat er dagegen protestiert und gesagt, daß das gegen die Verabredung sei, aber sie erklärte ihm: Nein, mein Liebling, ist es nicht, wir behalten unsere Hosen an, laß mich doch, ich find's schön. Davon abgesehen, behandelt er sie in jeder Hinsicht wie eine Tochter, eine, die er liebt und die ihn wiederliebt, aber seine Tochter ist sie ganz und gar nicht. Sie ist seine Hekate. Punkt ein Uhr. Mr. Blackman ist aufgehalten worden. Es kann sich nur noch um Minuten handeln. Er hat vom Auto aus angerufen. Mr. Schmidt wird sich deshalb nicht beklagen, vorausgesetzt, er bekommt seinen trockenen Martini mit einer Olive sofort. Nach und nach hat er die Annehmlichkeiten eines Ruhestands, der durch keinerlei Verpflichtungen belastet ist, zu schätzen gelernt. Wenn man vor dem Lunch einen Martini haben will, bitte sehr. Zwei Martinis? Warum denn nicht? Dasselbe gilt für Wartezeiten: Daß man auf jemanden warten muß, ist kein Grund zur Aufregung. Es ist Zeit, die man für sich hat, Zeit, den eigenen
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Gedanken ungestört nachzuhängen und die aktiveren Mitmenschen zu beobachten. In dieser Saison sind sie zur Mittagszeit bei O'Henry's nicht allzu zahlreich. Von den schauerlichen Unheilsschwestern, den Witwen jener Autoren, die einst am East End gewohnt hatten, sind zwei gestorben; die Überlebenden der Clique haben sich in eine von Sommergästen und Touristen noch nicht entdeckte Kaschemme verzogen, oder sie sind bettlägerig oder so verarmt, daß sie die überhöhten Preise nicht mehr bezahlen können, oder aber sie sind nur deshalb nicht hier, weil dies nicht der Tag ist, an dem sie sich gewöhnlich treffen. Schmidts Verbindung zum lokalen Klatsch hat sich sehr gelockert; für Vermutungen hat er keine Anhaltspunkte mehr. Genau genommen kennt er im ganzen Restaurant niemanden außer dem Barmann und dem pompösen Grundstücksmakler mit der schlimmen Schüttellähmung, der an der Bar ißt. Seine anderen Mitesser scheinen Pensionäre zu sein, die nicht aktiver sind als er, ehemalige Anwälte und Ärzte wahrscheinlich, für die wie für ihn ein Sommerhaus zum ständigen Wohnsitz geworden ist. Wäre er Mitglied des hartnäckig anachronistischen Tennisclubs geblieben, der Juden und Leuten wie Carrie so nachdrücklich die kalte Schulter zeigt, dann könnten diese Essensgäste seine Freunde sein, denn sie spielen wahrscheinlich im selben Club Golf. Das Privileg aber wäre den Jahresbeitrag nicht wert. Aber jetzt en garde! Die Tür, mit mehr Energie als üblich angestoßen, fliegt auf, und herein schreitet Gil Blackman. Schmidt erhebt sich von seinem Stuhl. Ganz gegen ihre Gewohnheit umarmen sich die beiden. Dann nehmen sie Platz und wollen Essen bestellen - was ihnen ziemlich schwerfällt, da sie, wie immer, wenn sie sich wiedersehen, sofort in Hochstimmung und Redelust geraten. Schmidtie, alter Gauner, sagte Mr. Blackman, ich hab's geschafft. Chocolate Kisses steht vor dem Kinostart. Jedesmal, wenn wir eine Vorabvorführung gemacht haben, war die Reaktion im Publikum phantastisch. Und ich rede nicht nur von den Studiopflanzen. Sondern vom echten Publikum! Es könnte sein, daß wir ganz groß rauskommen. Du solltest mal Elaine hören. Oder meinetwegen deinen Busenfreund Mike Mansour. Der Kerl ist ja nicht mehr von dieser Welt. Er hat nicht mal gemerkt, daß wir
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keinen einzigen seiner Vorschläge angenommen haben. Ich sage dir, es ist ein Traum. Hast du noch einen Smoking? Ja? Dumme Frage. Also, halt ihn bereit. Du kommst zur Premiere aller Premieren. Natürlich mit Carrie. Es wird ein rauschendes Fest! Mein Glückwunsch! Das ist ja wirklich phantastisch. Mein Gott, du bist der Größte. Bin ich auch. Übrigens, Elaine kommt heute abend wieder. Sie möchte dich morgen zum Abendessen bei uns haben. Kannst du kommen? Mit Vergnügen. Ich wüßte nicht, was ich lieber täte. Schön. Übrigens, den guten Mike hast du ganz aus dem Gleis gebracht - ich meine, es ist nichts passiert, der Kerl ist nur vollkommen von der Rolle. Ohne Witz. Absolut. Der steht Kopf. Zuerst bietet er dir das Präsidentenamt oder was auch immer - jedenfalls den Topjob - in seiner Stiftung an. Und er hat einen Narren an dem Projekt gefressen, das weißt du ja. Die Stiftung soll den größten Teil seines Geldes bekommen, weil er seine Kinder enterbt hat, und so weiter. Er dachte, du würdest ihm um den Hals fallen und Tränen vergießen vor lauter Glück und Dankbarkeit und was weiß ich. Statt dessen läßt du ihn abblitzen. Offenbar hat er Holbein angespitzt, damit der sich ausdenkt, wie sie dich doch noch umstimmen können. Jetzt muß ich es doch mal sagen: Ich glaube, du spinnst. Dies ist doch eine unglaubliche Gelegenheit. Die größte überhaupt. Noch was, und das hat er mir streng vertraulich gesagt - daß er Sensibilität und Takt besitzt, hätte ich nie gedacht, das muß ich zugeben -, er macht sich Sorgen, daß Carrie und sein Chefgorilla, dieser blonde Bursche, sein nordischer Ajax, du weißt schon, vielleicht ein kleines Ding miteinander laufen haben. Er denkt, du bist im Bild, aber genau weiß er es nicht. Jedenfalls weiß er nicht, was er jetzt machen soll. Soll er den Burschen feuern, weil er gegen die Regeln des Hauses verstößt; soll er nicht dran rühren, weil womöglich an der Sache gar nichts ist, also warum schlafende Hunde wecken; soll er mit dir reden und dich fragen, was er deiner Meinung nach tun soll - und so weiter und immer wieder von vorn. Es ist schon komisch. Meinem Eindruck nach ist Mike Mansour vernarrt in dich - ich meine nicht sexuell, das Jüngelchen ist zwar
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verdreht, aber nicht andersrum. Weißt du was? Er ist einfach gern mit dir zusammen. Also, was ist? Ach weißt du, ich bin da völlig ratlos. Das Gerede von der Stiftung ist doch Blech. Nein, es ist bizarr. Natürlich nehme ich den Job, wenn er das Angebot wirklich ernst meint. Ich dachte, er führt mich an der Nase herum, also habe ich Distanz gehalten, damit ich nicht wie ein eingebildeter Esel dastehe. Und dann dieser Holbein! Geschrieben hat er mir, aber so, daß ich dachte, die Sache sei geplatzt. Wenn er meint, mit so einem Brief jemanden zu etwas überreden zu können, dann sollte er sich sein Hirn untersuchen lassen. Du wirst Mike morgen abend sehen. Dann kannst du das in Ordnung bringen. Ich will's versuchen. Ehrlich. Das machst du. Wenn nicht, solltest du dir dein Hirn untersuchen lassen. Schmidt nickte. Er würde Gil von Carrie berichten müssen. Mit gewissen Auslassungen. Die Sache mit Carrie ist sehr kompliziert, sagte er. Sie hatte oder hat - offen gesagt, weiß ich nicht genau, ob es noch so ist - eine Affäre mit deinem Ajax. Jason heißt er übrigens. Ich habe ganz freundlich und ruhig mit ihr darüber geredet, weil ich ihr keinen Vorwurf daraus machen kann. Sie ist noch nicht mal fünfundzwanzig. So habe ich ihr angeboten, weiter bei mir zu wohnen, wenn sie möchte - in Freundschaft, ohne Sex, kein Problem. Das war ihr lieb. Ist ihr immer noch lieb, nehme ich an. Daraufhin hat Jason mich besucht. Nett. Höflich wie er ist, hat er mich nicht zusammengeschlagen, nichts dergleichen, er hat nur eine halbe Maxi-Pizza verdrückt. Ich habe ihm die Lage erläutert und sozusagen suggeriert, Carrie zu sich zu nehmen. Ich will damit nicht behaupten, ich hätte unbedingt erwartet, daß er um ihre Hand anhält - bei mir schon gar nicht -, aber doch wenigstens, daß er sie aus meinem Haus in seines holt, oder wo immer sie sich einrichten können. Aber von ihm kam nichts dergleichen. Gar nichts. Hat nicht mal angebissen, als ich gefragt habe, ob er vielleicht einen Betrieb aufmachen möchte, in den ich investieren könnte. Na ja, vielleicht hätte Jason immerhin an dem Köder
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geknabbert, wenn Carrie nicht wie eine Furie dazwischengefahren wäre. Sie hat ihn richtig angefaucht. Erstaunlich. Sie ist ein bemerkenswertes Mädchen. Sie wollte nicht, daß ich ihn ihr kaufe, das habe ich sofort begriffen. Ist das nicht unglaublich? Wie schafft man es, Kinder so zu erziehen? Was haben zum Beispiel Mary und ich nur mit Charlotte falsch gemacht? Die verlangt immer, so oder so, daß ich ihr alles und jeden kaufe. Wie ist denn da der Stand der Dinge? Das hängt von deiner Perspektive ab. Objektiv gesehen, könnte es schlimmer sein, das muß ich sagen. Anscheinend haben Jon und sie die Scherben gekittet und sich wieder zusammengerauft. Er ist Sozius in einer dieser penetranten kleinen Kanzleien geworden, die eine Boutique sein wollen, aber von denen kein Mensch weiß, was sie zu verkaufen haben. Penetrant, hast du gesagt. Schmidtie, deinen Code kenne ich. Das heißt: eine jüdische Kanzlei. Erraten. Aber weißt du auch, wie ich diese Nachricht erfahren habe? Charlotte hat mir zwei gedruckte Anzeigen geschickt, eine mit der Mitteilung, daß sie wieder in die gemeinsame Wohnung zieht, und eine andere, auf der stand, daß Jon Sozius in dieser Kanzlei ist. Nicht der geringste persönliche Zusatz. Null. Die Hintergrundinformationen habe ich von der unsäglichen Frau Dr. Renata bekommen. Heiliger Strohsack! Genau. Jetzt bist du im Bild. Begreifst du die Dinge? Du hattest doch immer viel Phantasie - und du kannst dich so genau in alle Personen deiner Filme hineindenken oder einfühlen. Was soll man von so einem Kind halten? Du hast doch zugesehen - freilich aus einiger Entfernung, aber immerhin -, wie wir sie großgezogen haben. Du weißt doch, daß sie geliebt worden ist, von mir wie von Mary. Natürlich hat Mary es besser gemacht. Charlotte hat einen klaren Kopf, wir haben ihr jede Möglichkeit geboten und nichts abgeschlagen. Warum behandelt sie mich so? Allmählich verliert sie dadurch einige Annehmlichkeiten in ihrem Leben, das muß ihr doch klar sein. Warum ist sie bloß so gehässig?
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Es wird dich kaum überraschen, daß ich mir darüber immer wieder den Kopf zerbreche - nicht wegen Charlotte -, aber wegen meiner eigenen Süßen und auch wegen der geliebten Stief-Lilly. In einem Film bin ich der Sache übrigens sehr nah gekommen, damals, als ich Rigoletto gedreht habe. Komisch, nicht wahr? Damals war ich zu jung, um der Frage auch nur annähernd auf den Grund gehen zu können, und außerdem hatte ich das Thema ja nun wirklich nicht alleine für mich entdeckt. Die kleine Gilda hat's faustdick hinter den Ohren, auch als Tochter, wenn man genauer hinsieht. Das Mädchen, das zu viel fickt und singt! Aber um bei der Wahrheit zu bleiben: Ich kann dir keine Antwort geben, nur ein paar Beobachtungen erzählen. Erstens: Es liegt, soweit ich es überblicke, nicht hauptsächlich an der Erziehung. Da sind auch genetische Zwänge am Werk - frag mich nicht warum, von Genetik verstehe ich nicht die Bohne. Mehr und mehr neige ich jedoch dazu, nicht der Erziehung, so wie du und ich sie verstehen, oder der Umgebung, in der Kinder aufwachsen, den prägenden Einfluß auf die Kraft und Heiterkeit eines Kindes zuzuschreiben. Ach verdammt, daß es glücklich sein kann und einen guten Charakter hat! Zweitens frage ich mich, ob die Oberschicht - wenn ich mir die Chuzpe erlauben darf, mich und meine zwei Ehefrauen dazuzurechnen - nicht einfach das Talent verloren hat, Kinder großzuziehen. Mir ist klar, daß das gegen meinen ersten Punkt spricht, aber wenn du meine Behauptung testen willst, mußt du nur mal in die Eisdiele nebenan gehen, ein Rumrosineneis bestellen und die kleinen Kellnerinnen beobachten. Wie alt werden sie sein, vierzehn, sechzehn? Ein paar sind wahrscheinlich gerade dreizehn Jahre alt. Ich bin aus der Übung, kann das Alter von Kindern nicht mehr gut schätzen. Und bei denen wirst du dieses hinreißende natürliche Lächeln sehen, ein Aufblitzen in den Augen, eine Höflichkeit, mit der man im Buckinghampalast auftreten kann, und dazu arbeiten sie sich die Finger wund und tun sich überhaupt nicht leid dabei. Wer sind deren Eltern? Ich habe nie danach gefragt, aber ich wette, es sind die einheimischen Handwerker oder Leute, die noch eine Spur besser gestellt sind. Der kleine Malermeister, der Eigentümer der Eisenwarenhandlung, vielleicht der Kammerjäger. Irgendwie haben diese Leute es geschafft, für sich und auf jeden Fall für ihre Kinder ein Gleichgewicht zwischen Erwartung und eigener Bemühung zu halten. Und Raum für das
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Gefühl, etwas erreicht zu haben, sowie für Dankbarkeit. Ich mag diese Leute sehr, ehrlich. In Carrie steckt auch etwas davon, meine ich. Drittens, und das ist der bizarrste Teil und der, der am meisten weh tut: Ich habe gemerkt, daß es dir nicht gelohnt wird, wenn du gut zu deinen Kindern bist. Das kannst du an geschiedenen Ehen beobachten. Nicht die Mutter oder der Vater, die sich für die kleinen Scheißer krumm legen - die sich immer zuständig fühlen, immer da sind, wenn sie gebraucht werden -, nicht die sind die lieben Mamies und Daddies, denen man Zärtlichkeit und Achtung zeigt, sondern im Gegenteil, diese Gefühle ernten die schrecklichen Elternteile, die immer nur Szenen machen und den Kindern ein Vogelhaus aus dem Versandkatalog oder Wollsocken zur Hochzeit schenken. Jedenfalls haben die Kinder Angst vor diesen schlechten Müttern und Vätern. Sie gehen auf Katzenpfötchen, um nur ja keinen Wutanfall zu provozieren. Das ist immerhin etwas - mehr als du und ich bekommen. So, und was hast du nun mit Carrie vor? Ich weiß nicht. Mehr und mehr habe ich den Eindruck, daß sie das entscheiden muß. Am Abend erzählte er Carrie von Chocolate Kisses und der Einladung zum Essen bei Blackmans. Gil und sie kamen gut miteinander aus. Sie rief ihn sofort an, um ihm zu gratulieren, sprach statt dessen auf seinen Anrufbeantworter und versank dann in Nachdenken. Das sah man ihr immer an. In solchen Fällen setzte sie sich auf das breite Sofa in der Bibliothek, zog die Beine unter sich und kreuzte die Arme über dem Kopf wie ein Baby, das Rückenschwimmen übt. Nach einer Weile sagte sie, sie wolle in der Küche telefonieren. Als sie wiederkam, dachte sie noch ein wenig nach und sagte dann: Hey, Schmidtie, findest du's in Ordnung, wenn ich nicht zum Essen mitkomme? Ich habe mit Jason geredet. Er fährt morgen abend nicht für Mike. Ich möchte ihn gern sehen, eigentlich. Ins Kino gehen oder so. Das sei schon in Ordnung, bemerkte er. Rufst du dort an? Ja, aber nicht gleich. Dann müßte ich auf den Anrufbeantworter sprechen, das mag ich nicht so gern. Aber du vergißt es nicht?
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Versprochen. Außerdem kannst du mir ja einen Merkzettel ans Telefon in der Küche kleben. So wichtig ist es sowieso nicht. Er sagte, sie würden nur Mike Mansour einladen. Sie müssen Blauem Filzpantoffel nur sagen, daß sie vier statt fünf Gedecke auflegt. Für mich ist es wichtig, daß du anrufst. Ich will dir und deinen Freunden nicht alles vermasseln. Mach dir keine Sorgen. Er ging zu ihr, kniete nieder und küßte ihr die Hände, weil ihm klargeworden war, daß sie sich in einer Zwickmühle fühlte und daß sie sich sogar fragen mochte, ob sie sich nicht selbst alles vermasselt hatte. Armer kleiner Tramp! Ihm fielen so viele Möglichkeiten ein, wie er ihr helfen konnte, aber er fürchtete, wenn er nur einen falschen Zug machte, würden die meisten, wenn nicht gar alle, abgelehnt. Zum Beispiel, wenn sie sich nur anders besinnen und ihn doch noch heiraten wollte. Er wußte, daß die Chancen dafür gegen null gingen, aber noch nicht gleich Null waren. Auch sie wäre besser dran, wenn sie noch ein paar halbwegs gute Jahre mit ihm hätte, die sich kaum von dem Leben unterscheiden würden, das sie jetzt führten; und wenn sie ihn dann verließ, konnte sie, wenn sie wollte, eine gute Abfindung bekommen. Als Kapital oder Unterhaltszahlung, daraufkam es nicht an. Ein paar Jahre würden ihrem Aussehen und ihrer Figur nichts anhaben, und ihre Auffassungsgabe war hoch, sie konnte schnell und viel lernen, nicht nur in ihren Collegekursen. Er hatte sich Sorgen gemacht, daß sie als seine Ehefrau wie ein Fisch ohne Wasser wäre. Mit Recht, denn genau das war sie als seine Geliebte auch gewesen. Aber inzwischen hatte sie einen Zipfel des Vorhangs gelüftet und einen flüchtigen Blick auf das Leben geworfen, das sie als Mrs. Jason zu erwarten hatte. Abgesehen von Jasons Qualitäten als Mann - Schmidt war bereit, anzunehmen, daß sie mindestens durchschnittlich und also auf Grund von Jasons Jugend seinen eigenen überlegen waren - und abgesehen von Carries seligen Andachtsübungen an seinem Leib konnte Schmidt nichts entdecken, was für dieses Leben gesprochen hätte. Vielleicht sollte er seinen Antrag in aller Form wiederholen. Immer langsam, Schmidtie, ermahnte er sich. Hast du nicht schon von Charlotte gelernt, daß Kinder unter sich bleiben und miteinander spielen wollen, auch wenn ihre Alten, Mom und
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Dad, interessantere und vor allem raffiniertere Dinge mit ihnen vorhaben? Vielleicht weil Carrie die Einladung zum Abendessen abgelehnt hatte und weil das chinesische Schattenspiel nun nicht stattfinden würde, das ihre nervösen langen Zaubererfinger sonst im Kerzenlicht des Leuchters aufführten, beschlossen Blackmans, ihre Tafel mit einem anderen zusätzlichen Ornament zu schmücken. Sie luden Caroline und Joe Canning ein, ein Autorenpaar, das in der Gegend der Straße nach Sag Harbor ein Haus besaß; die beiden waren bekannt dafür, daß sie ihre Zuneigung füreinander und ihre steinerne, wenn auch höfliche Gleichgültigkeit gegen alle anderen in aller Öffentlichkeit ganz unbefangen zu erkennen gaben. Genau gesagt, zeigte Joe nur gelegentlich Anwandlungen von Höflichkeit. Die Schicht seines guten Benehmens war deutlich dünner als die Carolines, und seine Aufmerksamkeit kreiste vornehmlich um die eigene Person. Du lieber Gott, was hat Gil denn vor? fragte sich Schmidt. Will er Eindruck auf Mike machen? Das wird wohl nichts; der weiß gar nicht, wer diese beiden sind. Will er Joes Roman für sich ins Geschäft bringen? Dazu braucht er ihn nicht zum Essen einzuladen; ein Anruf beim Agenten würde genügen. Oder geht es ihm um Carolines Buch? Ihr letztes war eine Biographie der Mutter Ludwigs des Vierzehnten. Daraus müßte man die wahre, noch nie erzählte Geschichte der drei Musketiere machen! Er schüttelte Caroline die Hand und merkte, daß ihre Finger nicht kürzer als die von Carrie waren und sich angenehm warm anfühlten. Im Gegensatz zu den anderen Frauen, die er früher jedes Jahr gesehen hatte, wenn sie bei Marys und seinen Partys zur Feier des Vierten Juli um den gebratenen Schinken und den zerlaufenden Brie herumstanden, war Caroline mit den Jahren immer anziehender geworden. Das lag an ihrer Haltung und an ihrem mitreißenden Lachen: Es war so ansteckend, daß man auch dann mitlachen mußte, wenn man den Witz nicht verstand. Wie hatte Canning, den Schmidt aus College-Zeiten als eine Null mit literarischen Ambitionen in Erinnerung hatte, es nur fertiggebracht, diese wunderbare Frau zur Ehe zu bewegen, nachdem beide eine Scheidung hinter sich hatten und sicher schon über Vierzig waren,
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und wie hatte er es geschafft, sie zu halten? Eine sehr interessante Frage. Weder an seinem Aussehen noch an seinem Ansehen konnte es liegen - ihr eigenes Licht leuchtete hell genug , und Geld hatte er auch nicht. Als sie heirateten, hatte er den Roman vom erfundenen Leben seiner Großmutter, der auf der Liste für alle möglichen Preise stand und sogar ein paar bekommen hatte, auch noch gar nicht geschrieben. Er war ein vielbeschäftigter Sowieso im gehobenen Management der schwerfälligen größten Versicherungsgesellschaft New Yorks. Je nach Perspektive war diese Ehe entweder ein kolossales Glück oder eine kolossale Ungerechtigkeit. Mit einem kleinen Drink in der Hand, der wie Wodka aussah, stand Canning halb verborgen zwischen einer großen chinesischen Vase und Gil und Mansour, aber er schien nicht an ihrer Unterhaltung teilzunehmen. Dennoch mochte die physische Nähe der beiden ihm Halt geben, wie ein Regal, an das man sich anlehnen, oder wie ein Kunstprodukt an einer Wand, dem man sich eine ganze Weile aufmerksam widmen kann. Schmidt spürte, wie Cannings Blick ihn streifte und schnell weiterwanderte. Das war zu erwarten gewesen. Ohne sich davon abschrecken zu lassen, steuerte er auf die Gruppe zu und schüttelte Gil und Mansour die Hand. Herzlichen Glückwunsch! Akzeptiert, danke. Hat Gil dir erzählt, wie wir zusammengearbeitet haben? Das hättest du nicht gedacht, daß so was in mir steckt, oder? Nein, ich meine: doch, das habe ich schon gedacht. Pas de Probléme, man muß sich eben fragen, habe ich Talent, oder ist es nur Willenskraft oder ein verrückter Zufall? Was meinen Sie, Mr. Canning? Joe, nennen Sie mich bitte Joe. Ich habe keine Ahnung. Ihre Arbeit habe ich nicht gesehen. Die werden Sie sehen. Gil wird Ihnen eine Einladung zur Premiere verschaffen. Ich will Sie dabeihaben. Ihre Frau soll auch mitkommen. Was Sie meinen, sagen Sie mir dann später. Schmidtie kommt auch, hoffentlich mit seiner Freundin. Übrigens, Gil erzählt mir von Ihren Büchern. Sie sollten ihm eine Provision
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zahlen. Ich habe eins im Flugzeug auf dem Rückweg von der Westküste angefangen, jetzt liegt es bei mir im Büro auf dem Schreibtisch. Wie heißt es? Das hängt ganz davon ab, welches Sie lesen. Es handelt von diesem älteren Mann, der ein junges Mädchen vögelt. Ha! Ha! Ha! Das wollen wir ja alle. Auch Gil lachte. Davon handeln alle seine Bücher, nur das erste nicht. Dann will ich das erste nicht lesen. Schmidtie, kennst du Joe? Mr. Canning? Schmidt und Canning nickten. Wirklich wahr? Wir waren alle zusammen im College, erklärte Gil, nur daß Joe jünger ist. Zwei Jahrgänge unter uns. Ach so. Ein Harvard-Klassentreffen. Ich persönlich war in der New York University, und da habe ich alles gelernt, was ich damals brauchte. Jetzt brauche ich nichts mehr, was ich nicht weiß. Joe, Sie sollten mit Schmidtie über Ihr Lieblingsthema reden. Der ist Experte auf dem Gebiet. Kleine Mädchen vögeln! Sie machen mir Spaß. Gehen wir zu den Damen. Offenbar war Canning zum selben Schluß gekommen wie Schmidt: Man kam nicht darum herum, ein paar Worte zu wechseln, bevor man sich trennte. Er fand seine Geistesgegenwart als erster wieder und brach das Schweigen. Mein aufrichtiges Beileid wegen Mary. Das hätte ich dir längst sagen sollen. Wir sind einander nicht begegnet. Viel versäumt haben wir nicht. Das wenige können wir gleich heute abend nachholen. Elaine hatte Mr. Mansour zur Rechten und Canning zur Linken; Caroline war Mr. Mansours Tischdame, und für Schmidt blieb der Platz zwischen Caroline und Gil. Cannings abschließende Bemerkung beschäftigte ihn. Wenn er nicht ganz falsch verstanden hatte, war sie unverschämt und gehässig. Und grundlos dazu, oder steckte etwas dahinter? Am liebsten hätte er Caroline gefragt, aber der Tisch war zu klein und Cannings Gehör bestimmt ausgezeichnet. Also sagte er nichts, und sein Schweigen bedrückte ihn.
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Er ärgerte sich, daß er die Einladung zum Abendessen angenommen hatte. Zwar hätte sich Carrie wohl ohnehin mit Jason getroffen, aber wenn man schon dermaßen isoliert essen und trinken mußte, konnte man auch gleich zu Hause bleiben. Ausgerechnet in diesem Moment wurde eine Beteiligung an der allgemeinen Unterhaltung unnötig und sogar untunlich. Mr. Mansour befragte Canning zur Kunst der Fiktion. Caroline, murmelte Schmidt im Schutz der Stentorstimme, haben Sie gehört, was Joe zu mir gesagt hat, bevor wir uns an den Tisch gesetzt haben? Sie nickte. Ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll. Warum attackiert er mich? Was habe ich ihm denn getan? Gar nichts. Am besten achtet man überhaupt nicht darauf. Die Hälfte der Zeit weiß er selbst nicht, was er sagt. Vielleicht hat er damit gemeint, daß er lieber zu Hause an seinem Schreibtisch säße. Oder etwas Ähnliches. Sie lachte. Entschuldigen Sie, Ihre Meisterwerke habe ich nicht gelesen, das wissen Sie ja, dröhnte Mr. Mansour. Nur den Anfang des Romans, den ich im Flugzeug dabeihatte, und nur, bis ich telefonieren mußte. Elaine sagt, Ihr erstes Buch ist das beste. Meinen Sie das auch? Kommt es darauf an, was ich meine, wenn Sie das Buch nicht gelesen haben? Das sagte Canning, aber gehört hatten es offenbar nur Caroline, die mit ihm leben mußte, und Schmidt. Cannings Stimme war leise, und er gab sich keine Mühe, lauter zu sprechen. Also, Ihre Antwort? Die habe ich Ihnen gerade gegeben. Joe, schaltete sich Caroline ein, Mike Mansour hat dich nicht gehört. Niemand kann ihn hören, Mike. Er sagte, daß es nicht darauf ankommt, was er meint, da Sie seinen Roman ja gar nicht gelesen haben. Da ist was dran, sagte Mr. Mansour und lachte.
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Auch Caroline lachte. Ha! Ha! Ha! tönten Elaine und Gil dazu, und Elaine steuerte noch zwei Extralacher bei, als Gil nachließ. Wie immer war sie eine sehr aufmerksame Gastgeberin. Ist das erste Buch das, in dem Sie den Sex mit kleinen Mädchen beschreiben? Oh, mit jungen Mädchen. Sehr geschmackvoll! Wenn Sie was von mir lesen - besonders empfehlen würde ich es nicht -, werden Sie das merken. Sie könnten es unterhaltsam finden, erwiderte Canning, offenbar überzeugt, daß er brüllte. Unterhaltsam! sagte Elaine. Hören Sie nicht darauf. Er ist ein großer Schriftsteller. Er enthüllt so viel, wissen Sie! Gil denkt immer, er müßte einen seiner Romane verfilmen. Davon hat er mir nie etwas gesagt, und ich bin sein Partner. Ich will, daß man sich mit mir bespricht. Diese Enthüllungen, von denen Elaine da redet. Ich meine, verzeihen Sie, daß ich frage, während Ihre Frau dabei ist. Sind Ihre Bücher autobiographisch? Ich schreibe Romane. Aber wenn Sie so viel enthüllen, dann kann es dabei doch nur um Sie gehen, um das, was Sie gemacht haben. Nicht unbedingt. Ich könnte das alles auch nur geträumt haben, meinen Sie nicht? Was geht Sie das eigentlich an? Gil, wir beide wollen ein andermal bereden, was wir mit deinem Freund Joe machen. Vielleicht können unsere Leute mal ein Angebot zusammenstellen. Die Sache darlegen, so daß ich fokussieren kann. Und Mr. Canning, vielen Dank für Ihr Entgegenkommen. Hinterher stand Mansour mit Schmidt auf der rückwärtigen Veranda, legte seinen Arm um ihn und sagte: Ich hasse diesen Typ. Canning. Der hat versucht, mich zu ducken. Das kann ich nicht vertragen. Er ist bissig. Ein Hund, meinst du. Und ich glaube, Antisemit ist er auch. Da könntest du dich irren. Er ist zu hundert Prozent Jude. Du lieber Gott, mit dem Namen! Na schön, dann ist er eben ein antisemitischer Jude. Die Frau, das ist was anderes. Süperb! Das
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wäre eine Frau für dich, Schmidtie, verstehst du, was ich meine? Echte Klasse. Mit der kannst du dich überall sehen lassen. Ja. Ich habe so eine Ahnung, daß sie im Bett auch okay ist. Dafür habe ich eine Antenne. Er lachte. Genau wie du. Aber die Frau hat einfach alles. Die wäre sogar für mich in Ordnung. Wie hat dieser Schmock sie bloß gefunden? Das möchte ich auch gern wissen. Das Glück ist eben blind. Verstehe. Laß mich das Thema wechseln. Bei allem Respekt muß ich doch fragen: Warum hast du mich mit meiner Stiftung hängenlassen? Erstens, ich brauche dich, zweitens, du hast mich gekränkt. Aber nein, Mike, das wollte ich nicht, wirklich. Ich war nur so überwältigt, glaube ich. Na gut. Du bist also dabei. Ich sage Holbein Bescheid, daß er dir den Papierkram schickt. Wann kannst du anfangen? Gleich nach Neujahr? Oder wann immer es dir paßt. Mr. Mansour legte den Arm wieder um Schmidts Schulter. Dann fuhr er fort: Über Weihnachten kommst du zu mir in mein Haus. Sagen wir, gleich wenn wir zurückkommen. Und, hör mal, ich muß mit dir auch über Du-weißt-schon-wen reden. Ich rufe dich an. Er erwiderte Mr. Mansours Händedruck und sagte: Danke, Mike, ich danke dir sehr. Du kannst dir nicht vorstellen, wie glücklich mich das macht. Als er nach Hause kam, stand Carries kleiner BMW weder in der Einfahrt noch in der Garage, aber das Haus war hell und ganz willkürlich erleuchtet. Er ging von Zimmer zu Zimmer, schaltete einige Lampen aus, andere an. Es gab noch Hoffnung, vielleicht dauerte es nur noch einen Moment, bis er die Räder ihres Wagens auf dem Kies hörte. Eine halbe Stunde verstrich. Er ging zu Bett.
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XIII Wie war's im Kino? fragte er am nächsten Morgen. Sie hatte keine Kurse, war aber trotzdem aufgestanden, und der Frühstückstisch war gedeckt. Okay. Nein, nicht okay. Es war Mist. Wie war dein Abendessen? Er lachte. Mäßig. Nein, in der Mitte zwischen mäßig und okay. Das Essen war okay. Chinesisch, wie üblich. Gil und Elaine waren okay minus. Noch ein anderes Paar war da, das Gil wohl zum Ersatz für dich eingeladen hatte. Zwei für eine Person, nehme ich an. Sie ist nett, aber den Ehemann habe ich noch nie ausstehen können. Nach dem College hat er für eine Versicherungsgesellschaft gearbeitet, bei der er bis zur Pensionierung geblieben ist, aber als er über fünfzig war, hat er angefangen, Romane zu schreiben. Viele Leute finden sie unangenehm. Politisch inkorrekt und so weiter, mit großartigen Sexszenen. Wenn man Sinn für so etwas hat. Und Mike Mansour war natürlich da. Er war okay plus. Zuerst hat er mit dem Romanschreiber über Literatur diskutiert, und dann bot er mir einen Job an. Ich glaube, das Angebot ist ernst gemeint. Er will, daß ich seine Stiftung leite! Gleich nach den dominikanischen Ferien soll ich anfangen. Darüber müssen wir uns unterhalten, mein Schatz. Ich habe ihm so ungefähr zugesagt, aber das bedeutet, daß wir uns in unserem Leben etwas anders einrichten müssen. Hm, ja, kann sein. Ihr Gesicht war verschlossen. Es war ein Fehler gewesen, daß er nicht schon eher von der Stiftung gesprochen hatte, aber als es zum ersten Mal so aussah, als würde ihm der Job angeboten, hatte er nichts gesagt, um nicht vor ihr als genasführter Narr dazustehen, und danach hatte er Angst, sich selbst zum Narren zu machen, wenn er zugab, daß er immer noch auf den Job hoffte. Dazu kam, daß zwischen ihm und Carrie alles ungewiß war, in der Luft hing, und deshalb wußte er kaum, wie er ihr irgendeinen Plan
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präsentieren sollte und erst recht nicht einen mit dermaßen zufallsabhängigen Konsequenzen. Ich will damit sagen, daß ich wahrscheinlich ein Apartment in New York brauche und während der Woche dort sein werde jedenfalls manchmal, vielleicht meistens -und daß ich zu den transatlantischen Büros reisen muß. Solche Dinge! Mike hat gesagt, er möchte, daß ich mir die europäischen Büros der Stiftung gleich zu Anfang ansehe. Ich sagte, das würde ich tun, denn es macht Sinn. Aber besonders lange wäre ich nie unterwegs. Ich kann die Reisen unterbrechen und zwischendrin zur Erholung nach Hause kommen. Er wartete darauf, daß sie etwas sagte, aber sie schwieg. Vielleicht war sie jetzt beleidigt. Er redete weiter: Ich kann mir nicht vorstellen, daß es dir etwas ausmacht, während des Semesters allein hier zu sein. In der übrigen Zeit könntest du nach New York kommen oder mit mir reisen. Denk nur an alle die Orte, die wir uns dann ansehen können! Ein verstohlener Blick, um zu sehen, wie sie dies aufnahm. Keine Veränderung. Sie hätte geradesogut meditierend im Lotussitz versunken sein können. Schmidt goß sich noch eine Tasse ein, schenkte Carrie Kaffee nach und las weiter Zeitung. Plötzlich sagte sie etwas. Du brauchst dir kein Apartment zu suchen. Es gibt schon eins für dich, in der Park Avenue. Das gehört zum Job dazu. Es ist möbliert, aber du kannst deine eigenen Möbel reinstellen, oder sie bringen neue Sachen. Diese Mitteilung machte sie ihm mit vollkommen ton 2 6 loser Stimme; der Grund dafür konnte entweder gewaltiger Respekt vor der Großzügigkeit sein, mit der er von nun an behandelt würde - oder aber Verachtung. Woher weißt du das? Von Jason. Er hat sich das Apartment mit Mike zusammen angesehen. Mike wollte sichergehen, daß es gut genug für dich ist. Oh. Wann war das? 7
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Wann sie zum ersten Mal rübergefahren sind? Ich weiß nicht, irgendwann vor Thanksgiving. Und als er gerade aus L.A. zurückkam. Sie machen die Badezimmer neu. Er will, daß du ein Bidet hast. Du meine Güte! Was weißt du noch? Ziemlich viel. Weil, Jason redet mit Bernice. Ach Scheiße, die reden ja alle, jeder mit jedem. Bernice war Michael Mansours Chefsekretärin, Schmidt kannte sie hauptsächlich vom Telefon und vom Thanks-giving-Essen; dabei war sie wohl für den Haushalt zuständig gewesen, hatte die Tischkarten geordnet und Manuel Aufträge gegeben. Sie hat gesagt, daß Mike sich echt Sorgen macht wegen dir und dem Job. Er meint, du kannst die Arbeit schaffen, und sie würde dir guttun. Weshalb macht er sich dann Sorgen? Wer weiß? Er sagt, kann sein, Schmidtie hat sich dran gewöhnt, nicht zu arbeiten. Er kündigt vielleicht oder so. Da muß ich wohl aufpassen, was ich sage, und beweisen, daß ich immer noch eine emsige Arbeitsbiene bin. Carrie, warum hast du mir all das nicht eher erzählt? Sie spielte mit ihren Crispies und schenkte sich noch eine Tasse Kaffee ein. Mensch, Schmidtie, ich weiß nicht. Du hast nicht mit mir geredet. Das ist doch ungefähr dasselbe, oder nicht? Da hatte sie ganz recht. Er nickte. Schon gut, wenigstens reden wir jetzt darüber. Ist es okay für dich? Ich meine, während der Woche allein hier zu sein? Sofort war sie bei ihm und schlang ihm die Arme um den Hals. Hey, rutsch mal, Dummkopf. Der Tisch ist im Weg. Ich will auf deinem Schoß sitzen. Okay so? Schmidtie? Du wirst doch jetzt nicht sauer oder so? Warum sollte ich? Was ist passiert, oder was hast du angestellt? So wie du wegen Bryan durchknallst. Ihre Nähe, ihr Atem an seiner Wange tat so gut, daß er nur die Achseln zucken konnte. Er hat keinen Mist gebaut, ich schwör's.
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Schon recht. Erzähl mir, was du willst. Ich bin bereit. Also, wo fange ich denn an, wie mach ich's bloß, das ist ja ganz schön schwer. Bryan hat in Springs gewohnt und Aushilfsjobs gehabt. Den ganzen Sommer hat er Fenster geputzt und Planken in Ordnung gebracht und so, weißt du. Er hat sich so eine elektrische Maschine geliehen, die Wasser sprüht und den Schimmel abspritzt, und dann schmirgelt er das Holz und streicht Firnis drauf. Nein, das habe ich nicht gewußt. Na ja, er hat diesen Sommer richtig Geld gemacht und gute Kunden gehabt. So Leute, die Häuser kaufen und niemanden haben, der ständig für sie arbeitet. Er bewacht Häuser, wenn die Leute weg sind, wie früher, und schneidet die Hecken oder kümmert sich um ihre Autos. Ach Mist, mit seinen Händen kann der alles. Ja, ja, der und seine Hände. Schmidtie, du bist nicht fair mit Bryan. Er hat sich geändert. Echt. Sie zappelte auf seinem Schoß. Ich wußte, daß du wieder so anfängst. Schon gut. Ich sag nichts mehr. Bitte, erzähl weiter. Okay. Wenn du's versprichst. Okay. Bryan hat für den Mann gearbeitet, der in Three Mile Harbor eine Marina hat, Anlegeplätze für Boote. Hat ihm auf dem Dock und in der Werkstatt und auch bei den Booten geholfen. Du weißt schon, Sachen, die repariert werden müssen. Das kann er auch, nämlich wenn man das Boot nicht gleich in eine Werft bringen muß. Dieser Alte möchte seinen Betrieb verkaufen oder vielleicht einen oder ein paar Partner reinnehmen, die sich dann nach einer Weile einkaufen können. Er würde dem neuen Mann sogar helfen, daß der Fuß fassen kann. Der Betrieb ist gut. Ich könnte mir vorstellen, daß es so ist. Hast du dir den Laden angesehen? Ja, mit Bryan und Jason. Der ist cool. Und wie alt ist dieser Mann? Oh, der ist echt alt, fünfundsechzig vielleicht. Aber stark ist er! Seine Frau hat Arthritis, darum wollen sie irgendwohin ziehen, wo
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es warm ist, vielleicht nach Arizona. Ihre Stimme wurde am Endes des Satzes hoch und gab zu erkennen, daß sie jetzt im Reich der Phantasie waren. Der Punkt ist: Wenn man Boote für Kunden aufbewahrt, muß man im Winter hier sein. Und dann ist ihre Arthritis echt schlimm. Der Mann hat keine Kinder. Schwein gehabt, dachte Schmidt. Und da dachte Jason, wenn er die Marina hätte, könnte er den Betrieb aufbauen, vielleicht ein paar Boote beschaffen, die er vermieten kann, also einen Bootsverleih aufmachen und vielleicht Unterricht geben, im Motorbootfahren und Segeln oder so. Die Sommergäste wollen das alle. Ah, er ist auch Segler und nicht nur gelernter Killer. Spar dir das, Schmidtie, Jason ist aus Nova Scotia. Er sollte eigentlich Fischer werden, so alle bei ihm zu Hause. Echt cool, oder? Also, was meinst du? Vielleicht war's das. Ruhig, ganz ruhig, sagte er sich, jetzt ist nicht der Moment, ihnen zuvorzukommen oder sie abzuschrecken. Locker bleiben. Dies muß ihre Sache sein, und wenn sie ins Geschäft einsteigen wollen, müssen sie ihren Verstand benutzen. Was ich meine? Wie gesagt, ich kann mir vorstellen, daß das ein gutes Geschäft ist. Es hilft auf jeden Fall, daß Jason sich mit Booten und Bootsreparaturen auskennt und nebenher diese anderen Dinge tun kann, zum Beispiel ein Motorboot fahren oder segeln. Aber er muß das genau durchdenken. Unterricht geben ist kein Einmannbetrieb, vor allem, wenn man sich außerdem noch um Boote kümmert. Dazu braucht man Personal, Versicherungen, vielleicht sogar eine Lizenz. Mit Lizenzen kenne ich mich aber nicht aus; damit habe ich mich nie befaßt. Sein Vortrag war pompös geraten, nicht gerade freundlich, aber das schien keine Rolle zu spielen. Jason hat schon nachgedacht. Wirklich sorgfältig. Wunderbar. Dann ist da noch die geschäftliche Seite der Sache. Was besitzt dieser uralte Mann wirklich, liegt eine Hypothek auf dem Grundstück, und wie sieht sie aus, wie viel ist die Marina wirklich wert, und so fort. Daran hat Jason ja sicher auch schon gedacht. Aber ein Problem beunruhigt mich. Bryan. Wie kommt es, daß Jason Bryan ins Geschäft nehmen will? Ein Bursche, der mit
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Drogen gehandelt und sich in Florida strafbar gemacht hat? Wie paßt das zu Mr. Saubermann? Das wäre Teil eins. Jetzt Teil zwei. Wieviel weiß Jason von dir und Bryan? Nichts? Alles? Etwas? Wenn er etwas weiß, stört es ihn? Wenn nicht, welche Überraschung erwartet ihn dann, und wie wird er damit fertig werden? Bitte, beantworten Sie meine Fragen, Miss Gorchuck. Kraß, Schmidtie. Ich hab doch gewußt, daß du wegen Bryan abdrehst. Okay. In Ordnung. Jawohl, ich hab's ihm erzählt. Ich hab ihm alles erzählt, ich hab ihm ja auch von dir erzählt. Also bitte. Und ich hab ihm von Mr. Wilson erzählt. Mensch, manchmal weiß ich nicht, wo ich mit dir dran bin. Was glaubst du eigentlich, wer ich bin? Eine fabelhafte junge Frau. Es ist nur so schwer, über solche Dinge zu reden, und deshalb ist beinah jeder in Versuchung, sie herunterzuspielen. Das wäre in eurem Fall nicht klug gewesen. Jetzt erklär mir bitte, warum Jason diesen Kerl will. Also gut. Bryan ist jetzt clean. Er ist okay. Sagt Jason, und er muß es wissen. Er war in der Rauschgiftabteilung. Dieser Stoff in Florida, das war bloß Hühnerkacke. Gar nichts eigentlich. Das hat er auch nachgeprüft. Jason will ihn haben, weil der Kerl arbeiten kann und weiß, was er tut. Wie ist das? Hühnerkacke. Das kam aus Bryans Wortschatz. Schmidt versagte es sich, auf die Koinzidenz hinzuweisen, und sagte nur: Klingt gut. Das muß ich dir lassen. Danke. Gern geschehen. Sie glitt von seinem Schoß und ging wieder zu ihrem Stuhl ihm gegenüber. Hey, willst du mal was hören? Mike Mansour hat gesagt, wenn Jason die Sache aufbaut, dann will er ein tolles Schnellboot kaufen, verstehst du, und Jason soll es für ihn instand halten. Wäre das nicht was? Weil, dann kann man den Kunden sagen, keine Sorge, Mr. Mansour persönlich hat sein Boot hier liegen! Nicht schlecht. Also Mike kennt diesen Plan. Hm, ja, Jason hat mit ihm geredet. Mike hat gesagt, er würde seinen Leuten, einem Buchhalter oder so, Bescheid sagen, daß sie die Bücher prüfen. Genau was du gesagt hast.
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Er hätte sich freuen sollen, aber er konnte es nicht. Im letzten großen Fall seines Lebens war das Urteil ergangen. Und als wäre das noch nicht genug, hatte ihn jetzt Mr. Mansours langer Arm beiseite geschoben. Die Ratschläge, die er ihnen hätte geben können, brauchten diese jungen Leute nicht mehr, sie kannten sie schon. Gut für Mike. Wird er in den Betrieb investieren? Er sagt, er wird Jason Geld leihen, wenn er welches braucht. Ich weiß nicht. Jason denkt, er kann Geld von der Bank bekommen. Das ist wirklich toll. Ich muß dir noch eine Frage stellen, glaube ich. Was bedeutet dieser Plan konkret für dich? Schmidtie, ich will mit Jason leben. Mr. Mansour sagt, wenn er jetzt kündigt, kann er vor Weihnachten gehen. Wir wollten seine Leute besuchen. Ganz schön kalt wird's da sein. In Nova Scotia? Aber nein. So schlimm wird's nicht werden. Und für dich sowieso nicht. Du kennst doch den Spruch: »Mein Liebster hält mich warm!« Ja. Dann will ich ihnen helfen, im Büro oder so. Den Collegeabschluß will ich auch machen. Nun ja, das war's offenbar. Diesmal war es an ihm, aufzustehen. Schwerfällig watschelte er zu ihrem Stuhl und pflanzte ihr einen Kuß auf die Stirn und dann noch einen. Sie umarmte ihn, wie zur Antwort. Das alles ist so ungewohnt keusch, dachte Schmidt. In dieser Küche, in diesem Haus. Als er sie ansah, merkte er, daß sie weinte. Nicht doch, Süße. Ist schon okay. Ich hole mir ein Kleenex. Als sie wiederkam, war ihr Gesicht glatt und schön. Hey, kann ich mal was sagen? Er nickte. Schmidtie, ich hab nicht mit Mike Mansour geschlafen. Nie. Ist das nicht was? Der Typ ist mir unheimlich! Der hat mich echt abgeschreckt. Da habe ich wohl noch mal Glück gehabt. Er hielt ihr seine Tasse hin und zeigte auf die fast volle Kaffeekanne. Zum Teufel mit dem Tee!
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Sie griff eifrig nach der Kanne, füllte die Tassen und nahm sich Milch. Hey, mit uns beiden wird's jetzt wohl auch nichts mehr, schätze ich. Pech für den kleinen Freund. Huh, Schmidtie? Er nickte wieder. Also, was sagst du? Jetzt kannst du's machen. Das heißt, wenn du willst. Natürlich, das war's, die Bedingungen hatten sich gewandelt. Er hätte das gleich begreifen müssen. Was er auch tat, jetzt war er auf sich gestellt, und sie ebenso. Meine Süße, sagte er, ich glaube, ich schulde dir eine Million Dollar. Das hast du wirklich ernst gemeint! Du wirst es machen! Natürlich. Erst mit dem Mund und jetzt mit meinem Geld. Oh! Oh! Oh! Sie lachte als erste, aber dann fing auch er an zu lachen und konnte nicht mehr aufhören, denn wunderbarerweise ging es ihm besser und besser. Er hatte das Urteil falsch verstanden; in Wahrheit war auch er entlastet. Paß auf, sagte er, ich kann dir das Geld ganz schnell verschaffen. Das wäre mir lieb. Soll dieses Geld in den Betrieb fließen? Soll ich mit Jason reden? Sehen will ich ihn sowieso - ihm gratulieren. Mit einer Flasche Champagner, warum nicht? Wir können eine köpfen, so wie beim Stapellauf eines Schiffes. Jason habe ich nichts erzählt. Schmidtie, wenn du das echt machen willst, soll es dann nicht lieber unter uns bleiben, was meinst du? Später kann ich's ihm immer noch erzählen oder so. Die Marina geht okay, weißt du. Er und Bryan glauben, sie brauchen kein Geld dafür. Kannst du vielleicht einrichten, daß es nur für mich ist? Sie kicherte. Mein Geld als Notgroschen anlegen? Dafür, daß er ein im Ruhestand lebender Finanzanwalt war, brachte er ungewöhnlich viel Zeit mit dem Einrichten von Treuhandkonten zu. Auch mit seinem eigenen Geld. Aber wenigstens hatte er jetzt endlich eine zufriedene Treuhandbegünstigte. Die Vorweihnachtszeit war angebrochen, und solange Schmidt zurückdenken konnte, waren Dick Murphy und seine
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anderen Kollegen von Wood & King in der Treuhand- und Vermögensverwaltung nicht willens, in dieser Zeit Arbeit zu übernehmen, vielleicht weil die gemeinsamen Mittagessen sich jeden Tag länger hinzogen, weil man Weihnachtslieder singen und andere ähnlich nutzbringende Aktivitäten vollziehen mußte und zudem von unbesonnenen Mandanten unter Druck gesetzt wurde, die vor Jahresende unbedingt noch steuersparende Spenden loswerden wollten, aber die schmerzliche Trennung von ihrem Geld bis zum letzten Augenblick hinausgezögert hatten. Schon der Gedanke an zusätzliche Arbeit stürzte die Kollegen in äußerst üble Laune. Besonders, wenn es Arbeit für pensionierte Partner war. Schmidt drohte mit dem Äußersten - er würde Wood & King die Verwaltung seines Nachlasses und von Charlottes Trust, also seines Vermögens, entziehen. Er hatte keine Ahnung, welche andere Kanzlei einen Mandanten wie ihn haben wollte, der mit Sicherheit keinen Anwalt reich machen würde. Aber er hatte auf den richtigen Knopf gedrückt. Murphy hatte keine Freude an der Aussicht, daß Jack DeForrest die Angelegenheit beim Firmenessen erwähnen könnte. Die Sozii stellten vielleicht Fragen, nur um gegen Murphy zu sticheln, obwohl ihnen Schmidt, lebend wie tot, vollkommen gleichgültig war. Eine Woche später fuhr er mit Carrie in die Stadt - nicht daß es notwendig gewesen wäre, sie zu Murphy mitzunehmen, denn sie hatte nichts zu unterschreiben außer Vollmachten für Investitionsgeschäfte und Bankkarten, Dinge, die man per Post erledigen konnte, aber er wollte ihr das Gefühl geben, daß das, was er getan hatte, sehr real und unwiderruflich sei und daß eine Expedition eigens in dieser Sache ihren Sinn habe. Auch wollte er sich ein Vergnügen gönnen. Die Dame im Empfang und Murphy sollten ruhig genau hinsehen zuerst hatte er sogar DeForrest einbeziehen wollen, davon aber dann Abstand genommen. Das hatte Carrie nicht verdient, auch wenn die Vorstellung, bei dem alten Schwachkopf, dem die Freuden des Ruhestands nun ummittelbar bevorstanden, mit ihr anzugeben, fast unwiderstehlich war. Sie sah mindestens so gut aus wie die Million Dollar, die er ihr gerade ausgehändigt hatte, nein, viel besser als die entsprechende Summe in jeder nur denkbaren Währung. Kein Bündel Geld hatte je so süß geduftet wie sie, keines hatte einen Leib, der eine derart gleichmäßige angenehme Wärme ausstrahlte. Wenn er seine Hand unter ihren
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Arm legte, dicht über dem Ellbogen zum Beispiel, um sie über den Flur zu führen, dann wäre er nur zu gern stehengeblieben, hätte sie bei den Schultern gepackt, sie zu sich hingedreht, ihr mit einem Kuß die Lippen geöffnet, um zu trinken, bis die Welt unterging. Dreifach, vierfach gesegnet war er. Jedoch: selbst sterbende Schwäne müssen sich stärken, bevor sie den Weg zum Ostende von Long Island antreten. Er beschloß, sie zum Essen in seinen Club einzuladen; sie war noch nie dort gewesen und würde vermutlich in Zukunft kaum Gelegenheit haben, dort zu sein. Rituale und Begrüßungen als Balsam für die wunde Seele: den jovialen Portiers im Foyer die Hand schütteln, ihnen Miss Gorchuck vorstellen, Miss Gorchucks Namen in die Gästeliste eintragen; Bekannten zuwinken, mit denen er immer am Tisch für Mitglieder gesessen hatte; die mit grünem Teppichboden belegten Stufen zum Speiseraum hinaufsteigen, unterwegs stehenbleiben, um Carrie die Memorabilien des Clubs und die Porträts seiner verflossenen Präsidenten samt anderer Berühmtheiten in der Pracht ihrer guten schwarzen Tuchröcke zu zeigen. Der Laden ist cool, erklärte sie ihm, kaum daß sie am Tisch saßen. Willst du oft hierherkommen, wenn du in die Stadt ziehst? Ein richtiger Umzug wird das gar nicht sein. Mehr was Provisorisches zwischen den Wochenenden. Aber ja, ich werde hierherkommen. Man hat eine Mahlzeit, und beim Essen erinnert man eine Handvoll anderer alte Knacker daran, daß man noch am Leben ist. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Ob sich die zweite lohnt, ist eine offene Frage. Du möchtest doch Leute wiedersehen. Wahrscheinlich. Du wirst mir fehlen. Hey, du siehst mich doch an den Wochenenden. Wenn du willst. Sie stocherte in ihren Eiern herum, trank einen Schluck Wein und setzte das Glas ab. Meinst du, ich kann ein Mineralwasser haben? Egal, was für eins. Sicher. Dann trinke ich deinen Wein, und du fährst. Er wußte natürlich, daß sie, ob Wein oder nicht, gern fahren wollte und sich von Sender zu Sender hören würde, während er
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seinen Dämmerschlaf hielt. Aber er war jetzt dankbar und glücklich. Das ist das Leben! fuhr er fort. Aber zuerst gehen wir seriös einkaufen. Ich möchte was Schönes für dich finden, dein Weihnachtsgeschenk - ich denke an eine Pelzjacke für Nova Scotia. Dann kannst du deinen roten Parka im Haus lassen. Das wäre für mich wie ein silberner Siegespokal. Ihr Fuß fand unter dem Tisch zu seinem. Ist das okay hier, wenn ich so was mache? Sie kicherte. Hey, keiner guckt. Ich frage mich, was man noch machen könnte. Schmidtie, du weißt ja noch alles. Den Parka hatte ich an, als ich zum ersten Mal zu dir zu Besuch gekommen bin - mitten in der Nacht. Ich war vielleicht frech! Du hast mir beinah den Schädel eingeschlagen. Weil ich dachte, du wärst ein Einbrecher. Ich hatte recht. Du warst einer. Du bist in mein Herz eingebrochen. Ja? Dann laß mich drin. Wenn er nur ein paar seiner alten Freiheiten weiter nutzen könnte. Er drückte ihren Fuß. Schmidtie, kannst du mal eine Minute ernst sein. Das breite Lächeln von einem Ohr zum ändern wirkte plötzlich scheu. Ich will dir was erzählen. Das wollte ich schon gestern, aber dann habe ich gedacht, ich warte damit lieber, bis wir bei den Anwälten gewesen sind. Das klingt verrückt, ich weiß, aber ich wollte nicht, daß es einen Unterschied macht oder so, falls du dir irgendwas noch anders überlegen wolltest. Soll ich's dir jetzt erzählen? Okay. Nach meinem ersten Kurs bin ich in die Klinik gegangen. Sie wartete gespannt auf seine Reaktion. Komm schon, Schmidtie, rat doch mal! Das kann ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, daß irgendwas nicht in Ordnung war. Du hast mir nichts gesagt. Ja, ich weiß schon, ich hatte wirklich Sorgen. Darum hab ich nichts gesagt. Ich war schon zweimal dort gewesen.
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Carrie, mein Schatz, muß ich mir nun Sorgen machen? Nein, jetzt ist es zu spät, jetzt habe ich die Sorgen schon. Was ist denn los, sag doch. Aber noch während er redete, begriff er schon. Sie mußte ihm nichts erzählen. Diese Unterhaltung lief nach einem Muster ab, das so wohlbestimmt war wie die Abfolge der Figuren eines Menuetts. Seltsam, daß er jetzt der falsche Partner war, der sich vor ihr verbeugen mußte, nachdem er seine gemessene Runde beendet hatte. Hatte sie dieselbe Unterhaltung bereits, notgedrungen telefonisch, mit Mr. und Mrs. Gorchuck geführt? Hatte Jason schon mit seinen Seefahrer-Eltern und seinen Geschwistern gesprochen? Mike Mansour und Bryan konnten um den Onkelstatus konkurrieren, aber er, Schmidt, hatte ganz bestimmt die besten Chancen, zum dritten Großvater zu werden. Nein, alles okay. Abgesehen davon, Schmidtie, stell dir vor, ich bin schwanger! Hey, er hat den Herzschlag gehört! Mein Liebes, das ist ja wunderbar! Er nahm ihre Hand und küßte sie. Ich gratuliere dir und Jason! Absolut fabelhaft ist das. Darf ich dich was Dummes fragen? Wie ist es passiert? Ich dachte, du nimmst die Pille? Sie wurde rot. Da habe ich dich angeschwindelt. Also, meistens hab ich sie schon genommen. Aber diesen Sommer habe ich gedacht, mein Bauch wird fett! Hey, stell dir vor, wie mein Bauch jetzt erst mal wird. Und da habe ich dann mit der Pille aufgehört. Ich dachte, es wird schon nichts passieren. Bei Bryan habe ich sie auch nicht genommen. Oder bei Mr. Wilson. Eine Scheißangst habe ich damals gehabt! Und was war mit dem Wirt von O'Henry's, mit den Kellnern, Laufburschen und all den anderen, fragte sich Schmidt. Körper sind eben Körper. Vorläufig keine weiteren Fragen, keine weiteren Bekenntnisse mehr. Na, da hast du ja Glück gehabt, junge Dame - von Anfang bis Ende! Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, die Hochzeit zu planen. Ich will, daß die Braut aussieht wie eine Braut, wenn ich mit ihr tanze.
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Sie kicherte und versteckte sich hinter ihrer Serviette. Schmidtie, die Hochzeit will ich erst mal auf Eis legen. Über das Baby wollte ich übrigens nicht reden, bis ich wußte, daß alles okay ist. Jetzt ist es okay, schätze ich, das sagt jedenfalls der Doktor. Ich bin über den dritten Monat. Verstehst du? Es ist so: Mit Jason hat's gefunkt, gleich nachdem du so wegen Mike ausgerastet bist. Der Speiseraum hatte sich geleert. Ihre Stimme war zwar sehr vernehmlich, aber es war alles in Ordnung so. An den Nachbartischen saß niemand mehr. Ich war mit ihm tanzen. Du weißt ja, du wolltest nicht mit mir gehen. Ich fand ihn gut, aber sicher war ich mir nicht. So habe ich's eben mit euch beiden getan. Dann ist meine Periode ausgeblieben, und ich habe den Test gemacht. Mann, ich kann dir sagen, da hatte ich gar keinen Durchblick mehr. Das mit Jason wurde echt heavy, ich hab gewußt, das ist jetzt das Wahre für mich, aber ich habe immer noch mit dir rumgevögelt. Lieber Gott, Schmidtie, im Moment könnte ich nicht sagen, ob ich den Richtigen heirate. Darum habe ich gestern nicht mit dir geredet. Natürlich. Jetzt verstand er auch, warum sie ihn so verwirrend delikat behandelt hatte. Sie fand, er müsse jede Chance bekommen. In bezug auf ihn hatte sie sicher recht; es war mehr als möglich. War Jasons Kandidatur ebenso aussichtsreich? In den Romanen zum Thema, die er gelesen hatte, schien die Frau sich immer sicher zu sein, aber das waren nur Romane. Eines war ihm klar: Ein einziges Wort aus dem reichen Schatz der Erfahrung, die er ein Leben lang als Mitstreiter bei Prozessen in Sachen Geburtenkontrolle gesammelt hatte, eine Andeutung von ihm, daß es an der Zeit sei zu handeln, und sie würde ihm mit der Dessertgabel die Augen ausstechen. Liebes, sagte er, das ist ja kaum zu fassen. Ich könnte noch ein Glas Wein brauchen. Um auf dich zu trinken -und auf das Baby. Hast du es Jason schon gesagt? Ja, gestern nacht. Als ich bei ihm war. Auch, daß du nicht sicher weißt, wer es war? Sie schüttelte den Kopf. Er ist nicht wie du, er redet nicht dauernd vom Heiraten. Das ist nicht die Nummer eins auf seiner Hitliste. Für mich ist es okay so. Ich denk mir, ich warte erst mal
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ab, bis das Kind geboren ist. Wenn du mich fragst: Es wird schön sein und aussehen wie Jay. Aber wenn es rote Haare und eine große Nase hat - Mensch, dann muß ich sagen, der Storch hat's gebracht. Kann sein, daß es Jason nichts ausmachen würde. Wer weiß? Er wollte sie nicht gleich darauf aufmerksam machen, daß es zuverlässigere Methoden zur Lösung dieses speziellen Rätsels gibt. Dafür blieb noch reichlich Zeit. Außerdem konnte er wahrscheinlich zu diesem Thema nichts erzählen, das sie nicht ohnehin schon wußte. Es hatte eine Zeit gegeben, da er sich glühend Enkelkinder wünschte. Falls Charlotte und Jon wirklich wieder zusammenfanden und ihre Ehe lange genug in Gang hielten, mochte sich sein Wunsch noch erfüllen. Er fragte sich lieber nicht, ob die Wiedervereinigung der beiden ihm wirklich so viel Freude bereiten würde, wie er sich vorgestellt hatte, eine Freude, die über die abstrakte Zufriedenheit hinausging, daß Charlotte nicht in einer Sackgasse gelandet war. Den trostlosen Kummer darüber, daß er von ihrem Leben ausgeschlossen sein würde, konnte er sich ziemlich leicht ausmalen. Aber jetzt, in seinem Alter, noch ein eigenes Kind zu haben - an diese Vorstellung würde er sich lange nicht gewöhnen können, dazu würde er mehr Zeit brauchen als die sechs Monate und die unbestimmt lange Spanne, bis sich eine eindeutige familiäre Ähnlichkeit zeigen mochte. Meinst du nicht, es wäre klüger, ihm zu erzählen, daß du diesen Zweifel hast? Damit er nicht später das Gefühl hat, irregeführt worden zu sein? Daß er Dinge getan hat, die er vielleicht unterlassen hätte, wenn er Bescheid gewußt hätte? Zum Beispiel, den Job bei Mike zu kündigen und in den Betrieb mit der Marina einzusteigen oder mit dir zusammenzuziehen? Übrigens, das wollte ich noch fragen: Plant ihr das eigentlich? Dann war da ja auch noch die Kleinigkeit, die vielleicht gar keine Kleinigkeit war, die Sache mit der Reise zu den Seefahrern nach Nova Scotia. Er beschloß, das Thema gar nicht erst anzuschneiden. Ach Scheiße, Schmidtie, hör auf damit. Ein Baby ist ein Baby. Jason weiß das von dir und mir. Er liebt mich. Also, was soll sein.
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Wenn das Kind nicht von ihm ist, dann ist es meins. Und er ist der Stiefvater. Die Sache so zu sehen, fand Schmidt unerträglich, aber er sagte kein Wort. Schließlich würde er kaum die Vormundschaft beantragen wollen. Jason reicht's sowieso mit dem Job als Chef von Mikes Personenschutz, fuhr sie fort. Wir wollen die Marina. Komm schon, Schmidtie, bleib locker. Und hör mal, können wir in deinem Poolhouse wohnen, wenn wir von Jasons Leuten zurückkommen? Vielleicht so lange, wie wir eine Wohnung in der Nähe von Three Mile Harbor suchen? Er lächelte zustimmend. Oh Schmidtie, das muß ich ihm gleich erzählen, ich kann's gar nicht abwarten. Kann ich ihn mit dem Autotelefon anrufen, wenn wir losfahren? Zu Hause war eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Mr. Mansours Bernice wollte wissen, ob Schmidt am nächsten Morgen um elf Uhr auf einen Kaffee in das Strandhaus kommen könne. Mr. Mansour bedaure es, daß er Mr. Schmidt nicht bitten könne, zum Mittagessen zu bleiben. Er werde in die Stadt zurückfliegen. Ein Rückruf zur Bestätigung sei auch spät noch willkommen. Sie oder Vicky seien im Büro. Mr. Mansour ausgerechnet jetzt zu besuchen, mit oder ohne Kaffee, stand nicht auf Schmidts Wunschliste. Er wollte Bernice oder Vicky, derjenigen eben, die den Anruf entgegennahm, schon sagen, daß er den ganzen restlichen Tag heute beschäftigt sei (er war Mr. Mansours Hang zur Beharrlichkeit und seine Neigung zu nächtlichen Anrufen leid) und am nächsten Morgen ebenfalls keine Zeit habe - aber das Bewußtsein einer neuen Realität hinderte ihn daran. Mike Mansour war nicht mehr nur der exzentrische Milliardär, mit dem er Zeit vertat, wenn ihm danach zumute war, sondern dieser Mann war sein zukünftiger Arbeitgeber und konnte ihn deshalb zu sich zitieren. Er rief an und sagte, Mr. Mansour könne auf ihn zählen. Der Tag war klar und kalt. Er fuhr zum Hauptstrand, ließ sein Auto auf dem Parkplatz stehen und ging in westlicher Richtung den Strand entlang, der dicht am Wasser so glatt und hart war wie
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der Bürgersteig der Fifth Avenue, wo Mary und er gewohnt hatten. In ihrem Apartmentgebäude hatte es einen Fahrstuhlführer gegeben, einen untersetzten Mann mit slawisch klingendem Akzent, kahlem Kopf, hervorquellenden, freundlichen Augen und einem zahnlosen Mund, aus dem ihm beim Reden der Speichel floß - kurz, ein Mann, der nach einer Berufslaufbahn als Aufseher oder als Insasse in Treblinka oder Auschwitz unter einem angenommenen Namen in die Vereinigten Staaten ausgewandert sein konnte; dieser Mann hatte immer auf besonders gewinnende Art reagiert, wenn ihm Fahrstuhlgäste dankten, daß er sie sicher zum zehnten Stock gebracht und abgesetzt hätte: Das ist meine Aufgabe, es war mir ein Vergnügen und vielen Dank mein Herr oder vielen Dank, meine Dame, je nachdem. Oh, alle hatten sich über ihn lustig gemacht, und alle hatten ihn geliebt, Mary, Charlotte und Schmidt, und nie vergessen, ihm Weihnachten zusätzlich zu dem Bargeld, das er sich mit dem übrigen Personal teilte, ein kleines Geschenk zu geben, ein Halstuch oder wollene Handschuhe. Eines Tages stand ein pickeliger Ersatzmann in der Kabine, an dessen Geruch man sich erst gewöhnen mußte. Wo ist John? Heute hat er doch Dienst. Ah, John ist tot. Es gab keine Hinterbliebenen, denen man Beileid ausdrücken oder etwas Geld anbieten konnte. Eine orthodoxe Kirche irgendwo in Queens kümmerte sich um die Aussegnung. Der Mann war ein Muster von einem Angestellten gewesen, ein Vorbild, dem Schmidt nacheifern und nachsinnen konnte. Mr. Mansour thronte auf einem Eames-Stuhl in seinem Arbeitszimmer, Telefone auf einem Seitentisch in Reichweite seiner Rechten, und ging zum Geschäftlichen über, nachdem Manuel den Kaffee samt würfelförmig geschnittenen Früchtekuchenstücken, Magenstützen, die den Magnaten zwischen den Hauptmahlzeiten bei Kraft hielten, serviert hatte. Hier, dein Anstellungsvertrag, sagte er. Holbein ist ihn mit mir durchgegangen. Wäre schön, wenn du ihn vor Weihnachten unterzeichnen würdest. Die Frage ist, ob du möchtest, daß ein Anwalt einen Blick darauf wirft, bevor du dich bindest. Die Kosten dafür übernehmen wir. Gib mir ein paar Minuten zum Durchlesen, dann sage ich es dir. Studier du nur. Laß dir Zeit.
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Im Gegensatz zu Mr. Mansours Telefongesprächen war das Schriftstück nicht lang. Während einer Pause zwischen einem Anruf, den Mr. Mansour tätigte, und einem, den er annahm, sagte Schmidt: Mike, dies ist sehr großzügig. Das sehe ich selbst, dazu brauche ich keinen Anwalt. Wenn du willst, unterschreibe ich sofort. Nur zu. Du tust das Richtige. Merde, wie man so sagt! Ich werde dir die ganze Zeit über zur Seite stehen. Das wird eine große Lernerfahrung für dich. Jetzt trinken wir noch auf deinen Erfolg. Dann muß ich los. Wir schließen gerade einen Handel über ein Grundstück unten in Miami ab. Ein phantastischer Deal. Ich habe es diesen Typen abgeluchst. Mr. Mansour machte eine Pause, sah sich um, offenkundig, weil er sich überzeugen wollte, daß Manuel nicht mehr im Raum war, und sagte dann: Schmidtie, Jason hat mir erzählt, daß du ihn und Carrie nach Weihnachten in deinem Poolhouse wohnen lassen willst, solange sie sich nach einer Bleibe umsehen. Ich sage jetzt nicht, das geht mich nichts an, denn du brauchst mich und meine Hilfe. Laß sie nicht zu lange dort wohnen. Setz ihnen eine Frist. Bis Ostern. Wenn sie dann immer noch da sind, kannst du ihnen einen Monat länger Zeit geben. Sie können was finden, das bezahlbar für sie ist, aber so schön wie bei dir werden sie es nie haben. Und, ha! ha!, mietfrei wird es auch nicht sein. Du mußt sie raussetzen, bevor das Baby geboren ist, sonst gehen sie gar nicht mehr. Schmidt nickte. Kein Problem, aber das ist nicht alles. Du solltest dem Mädchen etwas Geld geben, damit sie unabhängig ist. Genau weiß ich nicht, ob du dir das leisten kannst, aber ich nehme es doch an. Die Frage ist: Soll Jason davon erfahren? Nein, wenn du mich fragst. Unter anderem würde er seinen Betrieb so aufziehen, als ob das Geld ihm gehörte. Der Betrieb ist gut, aber er muß auf seinen Spielraum achten, das heißt, er muß die Betriebskosten im Auge behalten. Dann ist da noch ein Aspekt: Jetzt weiß er, daß ihr beiden zusammengelebt habt, und er akzeptiert es. Gibst du ihr aber Geld, und mehr als ein paar tausend Dollar, dann fängt er sofort an, sich was dabei zu denken. Bulle bleibt Bulle. Das Polizeigrün geht nie ab.
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Wieder nickte Schmidt. Erfreulich, wie gut Carrie es auf ihre Weise mit dem mächtigen Tycoon aufnehmen konnte. Er sagte: Danke. Dafür habe ich schon gesorgt, genau so wie du es empfiehlst. Sieh an! Du wirst gescheit. Das kommt davon, daß du Zeit mit einem gescheiten Juden zubringst. Dabei fällt mir etwas ein: Meinst du, du könntest die Cannings einladen, Weihnachten mit in die Dominikanische Republik zu kommen? Tust du das für mich? Diese Mrs. Cannings -wie heißt sie noch? Caroline? - ist eine attraktive Frau. Und brillant! So eine Frau wünsche ich mir.
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XIV Mitte Februar des folgenden Jahres begann er auf Wunsch Mike Mansours die Rundreise zu den Niederlassungen der Stiftung in Mittel- und Osteuropa und in den neuen Republiken, die sich aus dem Staatenbund der Sowjetunion gelöst hatten. Als er dort die einheimischen Angestellten der Stiftung kennenlernte und sich ein Bild von der Arbeit des Life Centers vor Ort machen konnte, stand für Schmidt zweifelsfrei fest: Mr. Mansour hatte ins Schwarze getroffen, als er von Anfang an entschieden hatte, daß die Menschen dieser Länder, entsprechend der Natur der Katastrophe, die sie seit dem Weltkrieg erlebt hatten, bessere Lehre und Forschung in den Humanwissenschaften sogar noch dringender nötig hatten als neue Hospitäler und Waisenhäuser, mehr Wohnungen, moderne Stahlwerke, Computer und ein besseres Telefonnetz. Dennoch konnte er nicht umhin, mit Bedauern ein Vorurteil am Werk zu sehen, das mit seiner Mission zusammen wieder virulent wurde, ein Vorurteil, das, so hoffte er, Eric Holbein und der Schule der Wirtschaftswissenschaften, nach deren Pfeife er tanzte, zuzuschreiben war. Unbestreitbar war die kommunistische Wirtschaft gescheitert, und die Lösungsvorschläge der Lehrer Holbeins mochten solide sein, aber trotzdem ärgerte sich Schmidt, daß die Center, da sie die Auflage hatten, im Zusammenhang mit durchaus empfehlenswerten Aktivitäten auch die Schlagworte von der freien Marktwirtschaft zu repetieren, von denen sie durchaus nicht überzeugt waren, nun munter und begeistert erklärten, die notwendige Bedingung für eine Auferstehung und erst recht für das gute Leben sei erst dann erfüllt, wenn der Staat überall aus seinen Positionen als Geschäftsführer und Eigentümer vertrieben werde und die frisch gekürten lokalen Finanzkapitäne die Schlüsselgewalt übernähmen. Schmidt schlief schlecht, plünderte auf seiner Reise von Hotel zu Hotel eine Minibar nach der ändern und fragte sich, ob Mr. Mansour sich nicht die falschen Sorgen gemacht hatte. Statt zu fürchten, sein neu angeworbener Mitarbeiter werde bald kündigen,
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da er das Arbeiten nicht mehr gewohnt war, hätte Mr. Mansour sich lieber überlegen sollen, ob sein Protege Schmidt noch willens war, die Position seines Arbeitgebers mit dem für einen Anwalt unumgänglichen Eifer zu vertreten. War er am Ende zu unabhängig geworden? Schmidt hatte das Gefühl, diese Frage nicht sofort beantworten zu müssen, er hätte auch keinesfalls eine Antwort geben können, bevor er wußte, wo Mr. Mansour selbst stand - wenn das überhaupt erkennbar war. Sein letzter Zielort war Prag, Standort des ersten europäischen Centers, das gegründet worden war, bald nachdem die Ereignisse Vaclav Havel das Präsidentenamt eingetragen hatten. Das Center war vor kurzem umgezogen in ein Haus an einer steilen Altstadtstraße, die zum Hradschin führte. Die Häuser dieser Straße, ehemals von Höflingen in untergeordneten Stellungen bewohnt, wurden nun zu eleganten Büros und Wohnsitzen ausländischer Geschäftsleute und neureicher Tschechen umgebaut, und die Straße war dementsprechend erfüllt vom Geruch nassen Zements und dem Lärm von Sägen und Hämmern. In den Ländern, die er bisher bereist hatte, war ihm aufgefallen, daß die Gespräche, die er während der Bürostunden mit den Direktoren der Zentren und ihren Projektleitern führte, schnell Katechismus-Charakter annahmen: Fragen und Antworten waren gleichermaßen vorhersagbar und monoton. In Prag verhielt es sich nicht anders. Wenn er das Schema durchbrechen wollte, mußte er auf den Augenblick der Entspannung warten - in seinem Fall konnte auch Lethargie daraus werden -, der zu gleichen Teilen herbeigeführt wurde durch Verzehr lokaler Delikatessen plus Wodka- und Pflaumenschnaps in verschiedenen Varianten, zu dem sie ihn einluden, sowie durch rasante Wortgefechte über die amerikanische Gesellschaft und ihr Scheitern. Erst dann ergab sich eine Chance, die Mauer aus Ausflüchten und Mißtrauen zu überwinden, die über lange Jahre durch den Zwang, gefährlichen Informanten ausweichen und despotische Vorgesetzte freundlich stimmen zu müssen, immer höher und härter geworden war. Hinzu kam ein neues Hindernis: Seine Gesprächspartner ärgerten sich über sein unverdientes Glück, das er nur der Tatsache seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft verdankte, und sie waren entschlossen, ihn nie vergessen zu lassen, auf wessen Territorium er sich befinde und an wessen Spielregeln er sich zu halten habe.
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Trotzdem hielt er an seiner Meinung fest, daß sie alles in allem gute Leute seien. Sie hatten sich so viel Anständigkeit bewahrt, wie vereinbar war mit dem Bestreben, üble Schwierigkeiten zu vermeiden und ein Minimum an Annehmlichkeit und Vergnügen zu erreichen. Wenn man ihnen die Zunge gelöst hatte, dann stritten sie begeistert bis tief in die Nacht über jedes beliebige Thema, solange ihre Leistungen und Vorrechte nicht angezweifelt wurden, so daß Schmidt in ihnen eine merkwürdige, leicht verzerrte Ähnlichkeit mit den Figuren der glücklosen Intelligentsia in den Romanen Dostojewskis und Gogols zu erkennen glaubte. Als er mit dem Direktor des Prager Centers unterwegs zu einem dieser Essen war, stolperte Schmidt auf dem Kopfsteinpflaster der Altstadtstraße und verdrehte sich das Fußgelenk. Der Schmerz war so stechend, daß er glaubte, der Fuß sei gebrochen. Nach vielen Stunden und Röntgenaufnahmen hatte er schließlich ein fest bandagiertes Fußgelenk und die offizielle Diagnose, es handle sich lediglich um eine Bänderzerrung. Am nächsten Morgen besaß er sogar einen geschnitzten Wanderstock, der dem Vater des Direktors gehört hatte. Der Direktor bat Schmidt, diesen Stock zum Zeichen ihrer gerade geschlossenen Freundschaft zu behalten. Er schonte das verletzte Bein, so gut er konnte, fragte sich, ob er statt des Stockes besser eine Krücke benutzen sollte, fuhr aber dann von Prag nach Paris weiter, um an Konferenzen teilzunehmen, die von einer internationalen Organisation finanziert wurden - und auch um etwas zu Atem zu kommen. Mike Mansour hatte Schmidt empfohlen, nein: befohlen, in dem Hotel zu wohnen, in dem er selbst immer abstieg, so daß er sich nun nicht wie sonst in dem Haus am linken Ufer einfand, das Mary und er bevorzugt hatten, sondern in einem marmor- und messingglänzenden Palast, und nicht nur das, sondern in einem Raum, der permanent an Mr. Mansour vermietet war und der einen unglaublichen Blick auf den Himmel, den großen Platz tief unten, den erstaunlich schmalen, zahmen Fluß dahinter und auf die Gärten an den Ufern hatte. Es war noch früh am Nachmittag. Er trat auf die Terrasse, um sich von der Sonne wärmen zu lassen. Den ganzen Morgen über hatte es geregnet, und trotz des tief unten brodelnden Verkehrs lag ein frischer Frühlingshauch in der Luft. Wenn er an seine Parisaufenthalte dachte, erinnerte er sich in der Hauptsache an lange Streifzüge. Immer, schon beim ersten Parisbesuch als
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Student, war er unermüdlich durch die Stadt gewandert und hatte sich durch nichts abhalten lassen, weder durch Hitze oder Regen noch durch Müdigkeit oder die Blasen, die sich so leicht über der Hacke an der Stelle bilden, wo der Schuh an der Sehne reibt; manchmal hatte er ein bestimmtes Baudenkmal oder einen bestimmten Ort finden oder wiederfinden wollen, manchmal lag ihm nur daran, Zeit in einem besonderen Quartier zuzubringen, oft war sein Flanieren ganz planlos gewesen, er war zufrieden herumgeirrt, bis die Zeit ihm davonlief oder seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten, so daß er gezwungen war, innezuhalten und einen der wunderbar genauen Stadtpläne zu studieren, die in jeder Metrostation hängen. Der dicke rote Punkt zeigte ihm, wo er war. Der Rest war einfach. An einem Apriltag wie diesem kam es ihm ganz unvorstellbar vor, nicht zu den Bouqinisten am anderen Seine-Ufer hinüberzuschlendern, um dann vielleicht über die rue St. Jacques am Pantheon vorbei zum Val-de-Grâce, einem seiner Lieblingsbauwerke in Paris, zu gehen und den Rückweg durch den Luxembourg zu nehmen. Die Möglichkeiten waren unbegrenzt. Freilich mußte er auch zugeben, daß seine Lage Annehmlichkeiten hatte: Von seinem Platz in der ersten Reihe aus konnte er die Stadt, die er liebte, überblicken und bewegende Bilder aus dem Gedächtnis hervorholen, ohne dafür Leiden in Kauf nehmen zu müssen; nichts würde ihn verwirren, nichts sein Glück stören, weder sein müder und beschädigter Körper noch das Getümmel auf den Straßen, noch Veränderungen im Aussehen der Stadt, die jenen Bildern widersprachen - und eine Stadt kann sich noch schneller wandeln als ein Menschenherz. Außerdem würde er, lahm oder nicht, bald ohnehin ausgehen. Er konnte seine Flugbahn von der Terrasse aus sehen. Über die Place de la Concorde würde er zur Rue St. Florentin humpeln und vor dem Herrenhaus stehenbleiben, in dem der siegreiche Talleyrand nach Napoleons Niederlage Zar Alexander I. empfangen hatte. Sobald die Ampel dann rot wurde und den mörderischen Verkehr anhielt - gerade so lange, daß er humpelnd die Rue de Rivoli überqueren konnte -, würde er sich weiterschleppen bis zu den Tuilerien. Charlotte sollte sich mit ihm am Bassin treffen, auf dem hoffentlich schon die Spielzeugsegelboote schwammen.
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Bevor er im Februar nach Sofia aufgebrochen war, hatte er ihr seinen Reiseplan geschickt, samt allen Adressen, Telefon- und Faxnummern, unter denen er zu erreichen war. Oben auf das Blatt schrieb er: Falls du mich erreichen mußt. Das war nur aus Prinzip und um der Ordnung willen geschehen. Er hatte nicht erwartet, daß sie sich melden würde. Weihnachten hatten sie sich nicht gesehen und, seit er die gedruckten Ankündigungen bekommen hatte, auch nichts mehr voneinander gehört, bis auf seine gelegentlichen Anrufe. Wenn er anrief, gab sie auf seine immer gleiche Frage: Wie geht's dir? jedesmal die Antwort: Wie immer. Das ist gut. Tschüs. Hätte Gil Blackman ihn danach gefragt, würde er nie behauptet haben, daß er darüber in Gram versunken sei; durchaus nicht, vielmehr ging er oft tagelang seinen Geschäften nach, ohne unbedingt an Charlotte zu denken. Nur wenn irgend etwas ihn an sie erinnerte - wenn er das Wort Tochter hörte oder auf der Straße oder beim Betreten eines Restaurants eine junge Frau in ihrem Alter und mit ihrer Haltung sah - oder wenn er nicht ganz auf ein anderes Thema konzentriert war oder seine Gedanken bewußt auf sie richtete, dann nahm er wahr, daß er traurig war. Ganz anders als Charlotte erwies Carrie sich als geradezu schreibsüchtig. Jason hatte im Poolhouse ein Faxgerät installiert. Kaum ein Tag verging ohne eine Nachricht von ihr, sie schrieb ihm fehlerlos in der säuberlichen Schulmädchenschrift, die er so bewundert hatte, wenn sie bei O'Henry's seine Bestellung notierte. Die Schulbildung war bei Carrie nicht vergeblich gewesen. Hätte er doch Bekanntschaft mit Mr. und Mrs. Gorchuck schließen dürfen, wüßte er wenigstens die Adresse der beiden, dann hätte er ihnen mit Freude eine Postkarte geschickt und zu ihrem wunderbaren Kind gratuliert, vielleicht einen Brief Carries als Beleg hinzugefügt. In diesen Briefen hielt sie ihn über alles auf dem laufenden: die ruhige Entwicklung des Fötus samt Herztönen und heftigen Fußtritten; Jasons ungetrübte Freude an der Aussicht, ein »Dad« zu werden; den Kauf der Marina; die hunderttausend Reparaturen, die Bryan, manchmal mit Hilfe Jasons, im Haus tätigte -ihm würden die Augen aus dem Kopf fallen, wenn er wiederkomme; sie schrieb, wie sie aufpaßte, daß der Volvo schön gesund blieb und daß sie ihn jede Woche einmal bewegte - und sie antwortete in aller Ausführlichkeit auf seine häufigsten Fragen: nach den
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physischen und moralischen Fortschritten von Sy, Kurzform für Siam, das siamesische Katzenjunge, das sich mit Riesenschritten dem Kastrationsalter näherte - Sy war ein Geschenk von Carrie und Jason, das sie ihm gebracht hatten, als er von seinen dominikanischen Ferien zurückgekommen war. Während seiner beiden Ferienwochen auf Mr. Mansours Besitz waren sie in das Poolhouse eingezogen. Falls sie zu Hause waren, müßten sie wach sein, nahm er an, denn im Haus brannte überall Licht, und wenn seine Annahme stimmte, war es merkwürdig, daß sie nicht zu seiner Begrüßung gekommen waren, aber womöglich waren sie ausgegangen und hatten das Licht brennen lassen, so wie er es immer machte. Die Vorstellung, an ihrer Tür zu klopfen oder anzurufen, behagte ihm nicht. Der Abend war sehr kalt, ganz ungewöhnlich kalt für Bridgehampton, er litt noch an einem Sonnenbrand, infolgedessen seine Haut wie Grünspan aussah, und er vermißte Carrie, wie er glaubte, noch mehr als sonst, weil er nach einer Ferienzeit in einem Haus voller Gäste jetzt zum ersten Mal wieder ganz allein war. Wenigstens hatte sie seine Post sortiert. Sie lag säuberlich geordnet in Stapeln auf dem Küchentisch: Rechnungen, Zeitschriften, Reklamemüll und ein Rest, den sie nicht zuordnen konnte. Er nahm ein Bad, zog saubere warme Sachen an und goß sich einen Bourbon ein. Jedes dieser Heilmittel hatte die gewünschte Wirkung. Ermutigt nahm er einen zweiten Drink und begann mit der Durchsicht der nicht klassifizierbaren Post. Lange wollte er sich damit nicht aufhalten. Der Magen knurrte ihm vor Hunger, aber er war entschlossen, sich nicht mit Thunfisch oder anderen Schmidt-Vorräten aus der Speisekammer zu sättigen. Ehe er sich der Erniedrigung aussetzte, daß diese beiden - falls sie wirklich weggegangen waren und zufällig wiederkamen, während er aß - ihn dabei ertappten, wie er einsam und allein hartgekochte Eier und irgendwelches Dosenfutter in Angriff nahm, das er mit der Gabel aus der Büchse gekratzt hatte, ehe er sich dies antat, schleppte er sich lieber zu O'Henry's. Er war schon auf dem Sprung zu gehen, da hörte er die Türklingel, dann das Öffnen der Haustür und Carries Stimme: Schmidtie, wir sind's, wir wollten hallo sagen! Hey, Jason, mach die Tür hinter uns zu. Du läßt ja die Kälte rein. Natürlich, sie hatte die Tür mit dem Hausschlüssel geöffnet. Carrie in einem Umstandskleid! Er konnte die Augen nicht von ihr lassen.
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Tu nicht so überrascht, Dummkopf. Ich bin schwanger, weißt du das nicht mehr? Wir haben ein Geschenk für dich. Wow, du hast es noch gar nicht gemerkt. Jason trug etwas, das aussah wie ein kleiner roter Matchsack. Sie nahm ihm das Ding ab, setzte es auf den Küchentisch und zog einen Reißverschluß an der Seite auf. Im selben Augenblick sah er, was drin war: ein sandfarbenes Kätzchen mit blaugesprenkelten Augen, braunen Ohren, Füßen und Schwanz und einem verschmitzten Gesicht, bei dessen Anblick man denken konnte, das Kätzchen wolle zum Karneval gehen und habe sich dafür eine braune venezianische Maske ausgesucht. Willst du es nicht in den Arm nehmen? Natürlich. Schmidtie, das ist ein Siamkater. Er hat einen Stammbaum und alles. Jason, zeig doch mal. Ein siamesischer Prinz. Der will dir Gesellschaft leisten. Eine Schmeichelkatze ganz für ihn allein - tatsächlich. Da war nichts zu machen, das merkte er, es war ausgeschlossen, dieses warme weiche Etwas mit dem gewaltig klopfenden Herzen wieder herzugeben, das ihm sofort die Hand geleckt hatte und schnurrte, als sei Schmidts Armbeuge sein angestammter Platz. Er machte den naheliegenden Einwand. Wer würde sich um den kleinen Kater kümmern, wenn er auf Reisen war - und er würde sehr bald für etliche Wochen wegfahren. Das sei schon organisiert, zuerst würden sie das Tier versorgen und später, wenn sie ausgezogen wären, kümmerte sich Bryan darum. Gekauft hätten sie das Kätzchen zusammen, und es sei ein gemeinsames Geschenk, aber Bryan habe den Züchter gefunden, den Wurf angesehen und diesen kleinen Wicht ausgesucht. Man mußte sich nicht wundern, daß Bryan schon vorausgedacht hatte. Wenn er die Versorgung übernahm, würde er nicht im Poolhouse wohnen, da Schmidt es vielleicht für Gäste brauchte. Aber da sei doch der Raum über der Garage, den man gut als Unterkunft herrichten könne, so daß er, Bryan, Schmidt nicht im Wege sei. Gehe das in Ordnung? Schmidt tat, was von ihm erwartet wurde. Er nickte zustimmend. Dies war seine erste Katze. Als Schmidt nach Europa abreiste, meinte er, in dem mitteilsamen kleinen Tier nicht nur Intelligenz
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entdeckt zu haben - das Kätzchen kam, wenn Schmidt pfiff, es hatte die Topographie seiner neuen Umgebung und Schmidts Gewohnheiten so gut erfaßt, daß es, aufgrund rätselhafter Kalkulationen, zuverlässig an jede Stelle des weitläufigen Hauses galoppierte, wo Schmidt normalerweise im nächsten Augenblick sein mußte, und dort auf ihn wartete -, sondern auch moralisches Unterscheidungsvermögen. Sy sorgte dafür, daß er gefüttert wurde, wenn er Hunger hatte. Das war ganz klar. Er kletterte auf einen Stuhl und sprang von dort auf den Küchentisch und verfolgte jede Bewegung Schmidts, die dazu führen mußte, daß Nahrung in seinem Napf auftauchte; manchmal hob er sich leicht auf die Hinterbeine, um genauer beobachten zu können, und wedelte mit der langen dünnen rechten Vorderpfote. Aber sein Interesse an Schmidts Gesellschaft schien nicht grundsätzlich im Zusammenhang mit Hunger zu stehen: Offenbar fühlte sich der kleine Kater einfach wohl, wenn Schmidt da war, und rollte sich deshalb in seinem Schoß oder im Sessel neben Schmidt zusammen, wenn Schmidt las, oder saß, wenn Schmidt in der Küche zu tun hatte, oben auf dem Kühlschrank in einem Korb, den Schmidt, nachdem er die Vorliebe des Katers für diesen Aussichtspunkt bemerkt hatte, mit einem alten Pullover ausgepolstert hatte, und aus demselben Grund rannte er jedesmal eilig zur Haustür, wenn Schmidt nach Hause kam. Diesen letzten Freundschaftsbeweis fand er besonders rührend. Zu den Beweisen für Moralgefühl, die Schmidt, wie er feststellte, mit wachsender Loyalität und Zärtlichkeit erwiderte, zählte er auch Sys Lust am Vergnügen und sein Beharren auf dem Einhalten von Bündnissen. So erschien der kleine Kater immer morgens, wenn Schmidt sich rasierte, im Bad, sprang auf den Toilettendeckel, setzte sich und wartete darauf, daß er gebürstet würde. Wenn Schmidt nun aber, zum Beispiel weil er sich gerade mit Rasierschaum eingeseift hatte, sagte: Warte, bitte, dann ließ Sys entrüstetes Mauzen keinen Zweifel daran, daß sein Stolz verletzt war - etwas Unbekanntes, dessen Bedeutung er nicht zugeben konnte, hatte Priorität über eine Verabredung gewonnen, die er getroffen und eingehalten hatte. Schmidt zweifelte nicht, daß Sy, sobald er allein im Haus war, nachgab und das frische Wasser trank, das immer für ihn bereitstand. Aber das tat er nie, wenn Schmidt in der Nähe war. Dann erhob er seine Stimme zu einem Miauen, dessen
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besonderer Klang Durst signalisierte und an die Abmachung erinnerte - das hatte er Schmidt gelehrt -, woraufhin sich beide zusammen zum nächsten Wasserhahn verfügten, möglichst in einer Badewanne; Schmidt drehte den Hahn dann nur so weit auf, daß ein dünnes Rinnsal herausfloß, der kleine Kater setzte sich davor, legte den Kopf skeptisch zu Seite, schnurrte Zustimmung und fing an zu schlabbern. Der rätselhaft selbständige Sy, der keine Belohnung begehrte und in jeder Geste verfeinerte Eleganz zeigte: Ob es den Tatsachen entsprach oder nicht, Schmidt nahm ihn als Carries Geschenk. Er freute sich auf sein Leben mit Sy. Sie beide waren in ihrer Beziehung zueinander noch ohne Sünde. Tabula rasa. Schon einmal war ihm beschieden gewesen, auf eine leere Tafel zu schreiben: die seiner Tochter. Er hoffte, es mit der Katze besser zu machen. Die Nachricht von ihr, die er in Prag bekam, war so unerwartet, daß ihm augenblicklich der Mund trocken wurde, als der Hotelportier sie ihm in die Hand gab. Erst als er sich klarmachte, daß eine Schreckensbotschaft, von einem schweren Unfall oder einem schlimmen Unglück, das ihr zugestoßen war, nicht in einem von ihr selbst abgeschickten Fax stehen würde, kam er wieder zu sich, öffnete den Umschlag und las. Der Brief war kein Angriff; er war eine Überraschung anderer Art, denn sie teilte ihm mit, sie und Jon würden mehr oder weniger gleichzeitig mit ihm in Paris sein und einen Jahrestag feiern. Sie frage sich, ob er Lust habe, sich mit ihr zu treffen, sie vielleicht zum Essen einzuladen. Er wiederum fragte sich, was für ein Jahrestag das sein konnte. Sicher nicht der Hochzeitstag oder der katastrophale Tag, an dem Jon beschuldigt wurde, gegen das Geheimhaltungsgebot verstoßen und ein Dokument widerrechtlich weitergegeben zu haben. Waren sie so pervers, daß sie die Wiederkehr des Datums, an dem sie mit dem Ehebruch angefangen hatten, oder den Tag, an dem er ans Licht gekommen war, feierten? Nur Geduld, bald würde er es herausfinden. Hauptsache, daß sie ihn um eine Verabredung gebeten hatte. Er antwortete umgehend. Eine Woche später erhob er sich in dem Restaurant, wo er um Mary angehalten und von ihr das Jawort bekommen hatte, zu Charlottes Begrüßung von seinem Tisch an einem Fenster mit Blick auf den Garten des Palais Royal.
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Du siehst wunderschön aus, sagte er. Danke. Dieses Kostüm hat Renata ausgesucht. Ich hab mir gedacht, daß es dir gefällt. Er war nicht gerade erpicht darauf gewesen, ausgerechnet Renatas Namen gleich als erstes zu hören. Er ließ einen Augenblick vergehen, bevor er sagte: Wie nett von ihr. Als sie wieder etwas sagte, hatte ihre Stimme einen Unterton, der ihn erschreckte. Ja, wirklich sehr nett. Ich glaube, dir ist gar nicht klar, wie viel Renata für mich tut. So viel wie Mom, wenn sie noch am Leben wäre. Du hast Glück, Mädchen, antwortete er, laß uns jetzt Essen bestellen. Sie erzählte ihm überstürzt und eilig, daß Jon in Paris zu tun habe, was mit ein Grund für ihr beider Hiersein sei, daß er in der neuen Kanzlei glücklich sei und daß sie vielleicht den Beruf wechsle, falls sich ein attraktives Angebot auftue. Jetzt, da sie wieder mit Jon zusammen sei, störe es sie noch mehr, von Leuten umgeben zu sein, die alles über Harry Polk wüßten. Und sie könne es kaum noch ertragen, ihm jedesmal, wenn sie sich aus ihrem Büro herauswage, in die Arme zu laufen. Es bestehe Aussicht, daß eines der Museen jemanden mit ihrer Erfahrung im Organisieren von Special Events brauchen könne - Partys zu Eröffnungen, Ausstellungen und Festessen für Großspender. Sie glaube, so etwas würde sie mögen. Schmidt murmelte zustimmend. Vielleicht war es falscher Alarm: Dieses Essen konnte immer noch friedlich in harmlosem Geplauder verlaufen. Eine Art Präzedenzfall schaffen, der ihnen helfen könnte, miteinander auszukommen. Er erzählte ihr, wie er sich in Prag beinahe den Knöchel gebrochen hätte. Wie alt bist du, Dad? Fast vierundsechzig? Fünfundsechzig? Du mußt nahe dran sein. Etwas früh für Gleichgewichtsprobleme, aber wenn es bei dir soweit ist, solltest du dich an einen Stock gewöhnen. Er zeigte auf seinen Spazierstock, der an dem leeren Stuhl lehnte.
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Ständig, meine ich, entgegnete sie. Das hat der Doktor Jons Vater geraten. Ich merke schon, ich habe nicht an deinen Geburtstag gedacht. Übrigens, vielen Dank für den Scheck, den du mir zu meinem dreißigsten geschickt hast. Dafür habe ich mich wohl nie bedankt. Tut mir leid. Mir tut's auch leid. Hey, du hast mich gar nicht gefragt, was für ein Jahrestag das ist. Jede Wette, daß du es nicht weißt. Oder doch? Er schüttelte den Kopf. Da sieht man, wie viel Aufmerksamkeit für mich du aufgebracht hast. Denk mal genau nach. Ehrlich, ich habe keine Ahnung. Sag es mir bitte. Sie kicherte unfreundlich. Kein Witz. Es ist der Jahrestag der Party, die du für deine Versicherungsheinis und die Streber in deinem Büro geschmissen hast. Und da hab ich Jon kennengelernt! Paßt schon, daß du das vergessen hast. Wahrscheinlich wünschst du dir, es wäre nie passiert. Schmidts Fußgelenk, das einigermaßen Ruhe gegeben hatte, seit er sich gesetzt hatte, fing an zu pochen. Er bückte sich und rieb es einen Augenblick lang mit Daumen und Zeigefinger. Es hatte wirklich keinen Sinn, sich von ihr provozieren zu lassen. Sieh mal, Charlotte, erklärte er, das Essen hier ist besonders köstlich. Wir müssen uns den Genuß doch nicht durch Zank verderben. Laß uns in Frieden essen und dann beim Kaffee bereden, was mit dir und mir los ist. Weil heute mein freier Tag ist, kann ich mir sogar einen Kognak gönnen. Bis dahin erzählst du mir, wie es Jon mit seinem neuen Job geht, aber wir können auch vom Wetter, vom Aktienmarkt oder vom Kino reden, wenn dir das lieber ist. Er schlug denselben Ton an und wählte dieselbe überlegte Diktion, die damals beruhigend gewirkt hatten, in dem Sommer, als sie knapp zehn war und nach jeder Reitstunde Wutanfälle hatte sie weinte und keuchte dermaßen hemmungslos, daß Mary und er Sorge hatten, sie würde Asthma bekommen -, wenn ein anderes Mädchen, ein Jahr jünger und ungefähr halb so groß wie sie, einen aufregenderen Ponyritt absolvieren durfte oder enthusiastischer als sie für die kleinen Übungssprünge gelobt wurde, an denen sie
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arbeiteten. Ein Pawlowscher Reflex auf einen Reiz? Unwillkürliches Gedächtnis? Ihm war das gleichgültig. Sie begann, die Vorzüge von Jons neuer Kanzlei hervorzuheben: Wenn man bedenke, daß Jon so viele Jahre bei W&K zugebracht und, abgesehen von der Arbeit als Berater im Fußballcamp, nie eine andere Stelle gehabt habe, dann sei es doch ganz komisch, wie schnell er sich nun zu Hause gefühlt habe, es mache ihm nichts aus, daß die Arbeitszeiten entsetzlich lang waren, daß die Arbeit härter sei als alles, was er in der alten Kanzlei habe bewältigen müssen, es störe ihn nicht, daß die Sozii einander ankeiften und anbrüllten, denn sie seien wie eine große Familie - die Sozii, die Mitarbeiter, die Sekretärinnen, alle gehörten dazu. Nicht wie diese Gentlemen - das Wort sprach sie voller Verachtung aus - bei W&K, die ihn gar nicht schnell genug verurteilen konnten und nie daran gedacht hatten, ihm eine Chance zu geben. Mag sein, dachte Schmidt. Im Januar beim Mittagessen in der Stadt hatte der subtil vorsichtige Lew Brenner die eine oder andere Andeutung gemacht, die eine derartige Interpretation vielleicht nicht ganz ausschloß. Schmidt lächelte Charlotte an und sagte: Das ist ausgezeichnet. Ende gut, alles gut. Ich wünsche ihm viel Glück und Zufriedenheit. Jetzt laß uns zu unserem zurückgestellten Thema kommen. Reden wir über dich und mich. Warum behandelst du mich so schlecht? Ich habe auf der ganzen weiten Welt nur dich, sonst niemanden. Du vergißt Carrie, höhnte sie. Laß Carrie aus dem Spiel. Bitte, gib mir eine Erklärung. Willst du es wirklich wissen? Weil - mir ist, als hätte ich nie einen Vater gehabt. Du warst mit Mom verheiratet, du hast sie nicht immer anständig behandelt - und wenn du kurzzeitig nicht im Büro warst, hingst du im Haus herum. Sicher, du hast meine Ausbildung finanziert, oder vielleicht hat Mom ja auch einen Teil davon bezahlt. Das ist mir egal. Ist das denn alles, was ich erwarten durfte? Wann hast du dich wie ein Vater benommen? Ich wußte nicht, wie Familien sind, und so hab ich gedacht, dies sei irgendwie normal - vielleicht brauchte nur Mom ein menschliches Wesen zu sein. Jetzt weiß ich es besser. Ich habe gesehen, wie es ist, wenn die Rikers zusammen sind. Ist dir klar, daß sie tatsächlich miteinander reden? Myron versteht, was in Jons Kopf vorgeht, was
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er tut, was er will. Mit Jons Bruder ist es genauso. Sie haben nicht nur Renata. Sie haben einen Vater, zu dem sie kommen können. Zu ihm kann sogar ich gehen. Kannst du dir das vorstellen? Mit dir geht nichts, null. Na ja, jetzt hab ich's dir erklärt. Das ist es, was mich krank macht. Schlecht wird mir davon. Zum Kotzen find ich es. Er sah sich um, fing den Blick des Oberkellners auf, bestellte noch einen Kaffee und einen Kognak - sie lehnte beides ab - und überlegte, was er ihr erklären könnte. Schließlich wagte er einen Vorstoß: Charlotte, ist das wirklich wahr? Ich erinnere mich an so viele Unterhaltungen, so viele Unternehmungen, wir sind in alle möglichen Museen gegangen, in die Oper, ins Konzert, ich weiß noch, daß ich dir so viele Male geholfen habe, wenn du dachtest, du säßest fest, sogar bei deinen Hausaufgaben in Latein. Und wir waren zusammen am Strand. Das war ich, nicht Mom. Von mir hast du gelernt, wie man mit der Brandung umgeht. Oder Tennisspielen. Wer hat dich meistens zum Stall gefahren? Das kann doch nicht alles wertlos oder ohne Bedeutung gewesen sein. Ich verstehe das nicht. Das sehe ich schon ein. Ich sage ja auch nicht, daß du nicht die üblichen formalen Pflichten erfüllt hättest. Das Problem ist, daß alles eben nur pro forma war. Mit den Gedanken warst du woanders. Bei deiner super Kanzlei. Bei Mom. Oder bei Gott weiß welcher Frau, die du nebenher genagelt hast. Weißt du eigentlich, daß du mir in deinem ganzen Leben nie, buchstäblich nie etwas zu sagen wußtest? Keine tiefe Einsicht, kein weises Wort. Sicher, in allem Technischen warst du perfekt. Du hast dich gekümmert, welchen Zug oder welches Flugzeug ich nehmen sollte. Daß ich zum Zug oder Flughafen komme. Daß ich bei der Ankunft abgeholt werde. Daß Miss Schmidt auch bestimmt die richtigen Reiseschecks hat. Und das hast du nicht mal selbst gemacht. Das hat deine gottverdammte Sekretärin erledigt! Und du denkst, ich könnte vergessen, was du Mom angetan hast. Nichts konnte er tun. Sich verabschieden. Aber wenn er dieses Gespräch abbrach, dann verurteilte er sich selbst zu einem Albtraum, der noch schrecklicher wäre, als jetzt weiter zuzuhören. Liebes, sagte er, die Geschichte mit deinem Babysitter bereue ich heute noch. Und mehr denn je, seit ich weiß, daß du wußtest,
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was sich da abgespielt hat. Aber Mom hat mir verziehen. Wir haben zusammengehalten - das stand keinen Augenblick in Frage, sie wollte das genauso wie ich -, und wir haben weiter eine gute Ehe geführt. Bis zum Schluß. Ich möchte meinen, daß du inzwischen genug über Männer und Frauen und Sex weißt, um solche Affären zu begreifen. Man kann sie verzeihen. Manchmal werden sie verziehen. Schließlich habt ihr, du und Jon, euch doch auch verziehen. Sie unterbrach ihn: Wir haben keine Kinder, wie du weißt. Ihr habt keine Kinder, ich weiß es, und dadurch war das letzte Jahr sicherlich leichter. Aber laß mich bitte ausreden. Das übrige, ich weiß nicht einmal, wie ich es bezeichnen soll - daß es mir nicht gelungen ist, dir mehr beizubringen, dir besser zuzuhören, wirklich, ich bin ratlos -, das ist etwas, worüber ich mir mehr Sorgen gemacht habe, als du ahnen kannst. Schau, ich bin ich und kein anderer. In den Jahren, von denen du sprichst, habe ich sehr hart gearbeitet. Ich habe versucht, ein erfolgreicher Anwalt zu sein, und ich nehme an, Jon macht es genauso, und das wird so bleiben, selbst wenn ihr Kinder habt. Und ich bin kein entspannter, kommunikativer Mensch. Ich bin nicht wie Mom. Auch nicht wie die Rikers. Aber ich habe immer und immer versucht, gut mit dir umzugehen, und vielleicht hast du sogar gemerkt, daß ich dich liebe. Natürlich, das ist meine Liebe, nicht die eines anderen, nicht die Liebe eines idealen Vaters. Kannst du mich denn nicht nehmen, wie ich bin? Wenn ja, weiß ich nicht, wohin das führt. Nicht, wohin du möchtest. Das ist meine Meinung. Er bat um die Rechnung und zahlte. Aber du wolltest mich sehen, dafür mußt du doch einen Grund gehabt haben. Sag ihn mir. Ich bin mit meiner Weisheit am Ende. Sie nickte. Ich kann auch nicht mehr, sagte sie. Ich wollte dir einfach nur sagen, was ich denke. Dann erzählte sie, daß sie noch ein paar Tage in Paris bleiben würde, danach wollten sie und Jon langsam und mit vielen Unterbrechungen nach Nizza fahren und von dort aus nach New York fliegen. Er hörte aufmerksam zu und bat sie, sich am
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nächsten Tag mit ihm an einer Parkbank zu treffen. Sie noch einmal zum Essen einzuladen, wollte er nicht wagen. Er war sehr früh dort, suchte sich einen Klappstuhl dicht am Bassin, das vollständig in der Sonne lag, und wartete. Die Zeitung hatte er schon morgens gelesen. Es wäre ihm ohnehin absurd vorgekommen, Lesestoff mitzubringen. Viel besser, mit dem Stock Linien und Kreise in den Sand zu zeichnen. Er sah sie von weitem, sie ging schnell und schwang eine kleine Handtasche, die wie die Miniaturausgabe einer Arzttasche aussah. So herrlich amerikanisch: Er bewunderte ihre Bluejeans und die braune Wildlederjacke, die dunkle Sonnenbrille, die sie sich ins Haar hochgeschoben hatte, so wie man früher Motorradbrillen trug. Wahrscheinlich hatte sie ihn nicht gesehen, weil sie dachte, die Parkbank, von der er gesprochen hatte, sei wörtlich zu nehmen. Bevor er aufstand und ihr winkte, sah er noch, daß ihre braunen Lederschnürschuhe blank geputzt waren wie damals, wenn sie zu ihren Reitstunden ging. Laß uns hier sitzen, sagte er. Die Sonne ist gerade richtig. Sie wärmt mir meine alten Knochen alle einzeln, und alle sind sie dankbar dafür. Das freut mich. Er zeichnete weiter seine Linien und Kreise. Dad, sagte sie auf einmal. Ich weiß nicht, ich bin wohl auch nicht so großartig. Machen wir einen Deal. Ich nehme dich, wie du bist, und du nimmst mich, wie ich bin. Vorläufig. Wohin uns das führt, werden wir dann sehen. Genau, sagte er, und streckte ihr seine Hand hin. Fast umgehend verließ sie ihn, um Jon an der Pyramide vor dem Louvre zu treffen. Er blieb noch eine ganze Weile auf seinem Stuhl sitzen, denn er war nicht in Eile, und ging dann, vorsichtig hinkend, aus den Tuilerien fort und wieder zur Rue St. Florentin. Am Taxistand waren keine Taxis. Er ging weiter, stöhnend, bis der Knöchel warm wurde und der stechende Schmerz sich in dumpfen Druck verwandelte, und bog an der Rue St. Honoré nach rechts. Ein paar Straßen weiter wohnte die Witwe eines jüngeren Sozius, der das Pariser Büro von W&K geleitet hatte, früh in den Ruhestand gegangen und gestorben war. Die Witwe hatte ihn zum
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Tee eingeladen. Er kam zur Haustür, blieb davor stehen und sah sich die polierten Messingschilder mit den Namen an; ob er den Klingelknopf neben ihrem Namen wirklich betätigen wollte, wußte er nicht recht.
S & L Zentaur 03·08·07
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