Das neue Abenteuer · 441
Michael Szameit
Planet der Windharfen Phantastische Erzählung
Mit Illustrationen von Reiner...
17 downloads
349 Views
521KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Das neue Abenteuer · 441
Michael Szameit
Planet der Windharfen Phantastische Erzählung
Mit Illustrationen von Reiner Schwalme Copyright © Verlag Neues Leben, Berlin 1983
Wie ein Totenschädel wächst der Dritte im System Tul aus dem Dunkel. Der Anblick dieser fleckigen Kugel läßt Proximer Asper Omega mißmutig schnaufen. Wäre sie doch so kahl und leblos, wie sie sich gibt, denkt Asper und murmelt einen leisen Fluch. Kosmander Rendel Borg starrt unberührt auf die gläserne Halbkugel des Astrogoniums, die Finger seiner rechten Hand dirigieren den Hebel des Multitensors in verwirrenden Figuren, und für Sekunden ergreift Asper wieder jene Bewunderung, die er immer empfindet, wenn er sich vergegenwärtigt, welch gewaltige Kräfte dieses filigrane Spiel unter den menschlichen Willen zwingt. Aber Borg ist damit nicht zufrieden, das hat Asper recht bald erkannt. Dem blaßgesichtigen, immer etwas steifen Kosmander genügt es nicht, Herr über einen der bewährten Fernerkunder vom Typ Manta 4 zu sein. Die Omikron 278-A ist für ihn nur eine Stufe der Treppe, die in solch schwindelerregenden Höhen endet, daß ein kleiner Proximer besser gar nicht erst den Blick hebt, um den Glanz zu bestaunen, der von dort oben herabrieselt. Nein, Borg wird exakt nach der Vorschrift handeln; keine Macht der Welt könnte ihn dazu bewegen, den Planeten zweckmäßigerweise für unbelebt zu erklären, die tektonischen Bomben zu werfen und die Meßwerte zu speichern, ohne zu landen. Er wird sie wieder wochenlang bohren lassen, bohren und immer wieder bohren - schön nach Vor schrift. Stellaster Fratt hat aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht, hat gejammert und gemault, sein fettes Gesicht in dicke Falten gelegt, die unruhigen kleinen Augen böse funkeln lassen - aber ein Blick des Kos manders, der mehr Erstaunen als Mißbilligung ahnen ließ, glättete die Unmutswogen im Gemüt des Stel lasters, und dessen Widerstand erlosch endgültig in einem wehmütigen Seufzer, als Borg befahl: »Mach die Fähre klar, Dicker. Wir müssen runter, wie's scheint.« Jetzt hockt Fratt apathisch in seinem Sessel und kämpft gegen die Schläfrigkeit, die seine Augen zu wäss rigen Schlitzen schrumpfen läßt. Unerwartet kommt Leben in diese Skulptur erzwungenen Gleichmuts. Ein winziges Pünktchen zwischen den fluoreszierenden Linien des Fadenkreuzes auf dem Alphascreen, das Asper erst nicht weiter beachtet, zieht Fratts rechten Zeigefinger mit magischer Gewalt an. »Flugobjekt aus Quadrat acht, Distanz zweiundzwanzigtausend«, stößt der Stellaster verblüfft aus, dabei aber um eine kor rekte Meldung bemüht. Borgs Kopf ruckt eine Winzigkeit zu hastig herum. »Das muß eine Scoutsonde sein. Die holen wir uns. Ein einmaliger Fang, erspart uns unter Umständen eine Menge Arbeit, wenn sie das System Tul aufgeklärt hat.« »Die letzten Scouts wurden vor über zweihundert Jahren gestartet...«, gibt Asper zu bedenken. »Ganz recht, Proximer.« Borg lächelt herablassend, wobei sich die Höcker über seinen Augenbrauen leicht verfärben. »Und nun stellen Sie sich einmal vor«, fährt er triumphierend fort, »wie viele Systeme dieses liebe Maschinchen in den vergangenen zwei Jahrhunderten erkundet hat und was dieses Material uns dreien ein bringen kann.« Immerhin hat er gesagt: was es uns einbringen kann, denkt Asper flüchtig, und nicht: was es mir ein bringen wird. Trotzdem wird es nur ihm helfen, vielleicht noch Fratt. Ich werde die Arbeit mit dem Ablasern der Kristallbänder haben, und Borg muß dafür einen Orden mehr putzen, eigentlich ein armes Schwein, der Kosmander, zerpiekt sich die ganze Uniformjacke mit diesem Blechtrödel. »Wenn wir sie nicht verglühen lassen wollen, müssen wir noch ein paar Kohlen auflegen - sie prallt in zwölf Minuten auf die Atmosphäre des Dritten, er muß sie erst vor kurzem eingefangen haben...« Mit einem blitzschnellen Handgriff schaltet sich der Kosmander die Bahnparameter auf das Terminal des Astrogoni ums, dann verengen sich seine Augen unmerklich. Wer Borg nicht kennt, würde dem kaum Beachtung schenken - Asper aber sagt diese unauffällige Bewe gung im Marmorgesicht seines Kommandanten, daß dieser Mühe hat, seine Erregung zu zügeln. »Wir schaffen es nicht mehr...« Borgs Stimme klingt gepreßt, sein linkes Augenlid zuckt, »...aber wir versu chen es wenigstens!« entscheidet er dann.
3
Die zurückliegenden Wochen erscheinen Asper wie eine Sammlung einzelner ausgeblichener Fotografien. Da ist das in tödlichem Entsetzen verzerrte Gesicht Kosmander Borgs, dann ein gleißender Blitz, von dem Asper nicht weiß, ob er ihn wirklich gesehen hat oder ob er eine Reaktion seiner Sinne auf den furchtbaren Schmerz war, der plötzlich über seinen Schädel peitschte. Und immer wieder Borgs und Fratts Augen, die in einer frostigen Leere zu schweben schienen und ihn mit einem Ausdruck musterten, als warteten sie auf ir gend etwas Unvermeidliches. Seit einigen Tagen aber geht es ihm deutlich besser, und er versuchte schon die ersten vorsichtigen Schritte. Die Omikron ist nichts weiter als ein imposanter Schrotthaufen, die Sauerstoffreserven in den wenigen un versehrten Tanks gehen zur Neige, das Lebensmitteldepot ist fast völlig ausgebrannt. Trotzdem arbeiten Borg und Fratt mit verbissenem Eifer an einem behelfsmäßigen Sender, den sie mit der Batterie eines ver schont gebliebenen Containerfahrzeugs betreiben wollen. Asper steht gegen die geplatzte Röhre der Zwischensektion gelehnt und starrt zum Horizont. Dort heben sich verschwommen die Konturen einer Oase vom Wüstensand ab. Bizarre Lebensformen, unähnlich allem Irdischen, hat Fratt berichtet, der sich - mit dem einzigen noch intakten Handwerfer bewaffnet - bis in die Randzone dieser Lebensinsel hineingewagt hatte. In spätestens zwei Wochen ist alles aus, denkt Asper bitter, wozu haben sie mich überhaupt gesund gepflegt, hätten sie mich doch einfach sterben lassen. Zögernd greift er zum Verschluß des Helmvisiers. Über zwanzig Prozent Kohlendioxid, denkt er, das kann kein Mensch atmen. Aber wenn man nun versucht, den Körper allmählich an das giftige Gas zu gewöhnen? Immerhin besteht die Planetenatmosphäre zu fast einem Drittel aus Sauerstoff... Vorsichtig wagt er den ersten Atemzug. Die Luft ist stickig und warm. Bereits beim zweiten Luftholen wird Asper schwindlig. Die plötzlich einsetzende Angst treibt ihm Schweißperlen auf die Stirn, und er zwingt sich, noch einmal tief durchzuatmen. Dann aber reißt er das Helmvisier herunter und taumelt mit weichen Knien zur Luftschleuse. Borg blickt kurz auf, mustert ihn prüfend und knurrt: »Das ist Wahnsinn, Omega. Das Leben braucht Hunderte, Tausende von Generationen, um sich derart krassen Veränderungen in der Umwelt anzupassen.« Dann beugt er sich wieder über den Haufen geborstener und zersplitterter Schaltelemente, fischt sich einen Chip heraus und hält ihn gegen das Licht. »Der sieht ganz brauchbar aus, Kosmander...«, hört Asper gerade noch Fratts Stimme, dann wird es dunkel vor seinen Augen. Fratts heißer Atem streicht über sein Gesicht, und Asper kann die schlechten Zähne des Stellasters sehen, als er mühsam die Augen öffnet. »Du mußt es noch einmal versuchen; Omega. Gib nicht auf, vielleicht funktioniert es doch!« keucht Fratt. Asper richtet sich stöhnend auf. Alle drei bis vier Stunden hat er sich bemüht, die fremde Atmosphäre zu atmen, sicher schon ein dutzendmal - so genau weiß er es nicht mehr -, aber sein Organismus reagierte jedes mal mit heftigerem Widerstand, anstatt sich an das Kohlendioxid zu gewöhnen. »Das letztemal ging es doch schon viel besser, nicht wahr?« Die flehende Hoffnung in Fratts Worten be rührt Asper eigenartig. »Ja, schon viel besser...«, entgegnet er matt und weicht dem Blick des Stellasters aus. Als die Luke hinter ihm zuschlägt, spricht er sich selbst Mut zu. »Was soll's..., sterbe ich eben ein paar Tage früher..., so oder so...« Und vor seinen Augen steht das Bild eines hübschen Mädchens mit trotzig zurückgeworfenem Kopf, und er hört in Gedanken Monas Worte: »Das mache ich nicht mehr mit, Asper Omega, immer dieses Warten, und nichts als Warten...« Als ob es nur das Warten gewesen wäre, denkt er schmerzlich berührt, dann öffnet er erneut das Helmvisier. Sogleich dringt die giftige Luft wie ätzender Staub in seine Lungen, das Stechen in seinem Hinterkopf ver stärkt sich, und aus seinem Magen steigt ein trockenes Würgen. 4
Atmen, Asper Omega, befiehlt er sich, seinen ganzen Willen anstrengend, noch einmal, Proximer Asper Omega, tief durchatmen! Das Rauschen in seinen Ohren wird zu einer klingenden Woge, ganz leicht fühlt er sich auf einmal, federleicht, und die Woge trägt ihn davon... Ein höllisches Brennen reißt Asper aus der Nacht des Todes. Sein Brustkorb scheint zu glühen, schwache Lichtpünktchen tanzen vor seinen Augen, kommen allmählich zur Ruhe. Langsam begreift Asper, daß es Sterne sind, Sterne... Über ihm wölbt sich die Glocke eines fremden Sternenhimmels. Trotz der Glut in seiner Brust spürt er die eisige Kälte des Bodens unter sich und die froststarre Luft, die durch das geöffnete Helmvisier dringt. Er ist außerstande, sich zu rühren. Winzige Schatten kriechen über seinen Skaphander, über den Helm, lassen sich in dessen Öffnung fallen. Ameisen, denkt Asper erstaunlich klar, Ameisen fressen dich auf... Plötzlich durch zuckt ihn ein anderer Gedanke: Sie haben dich einfach draußen liegenlassen, sehen zu, wie du jämmerlich krepierst! Dann schwinden ihm erneut die Sinne. Als Asper zum zweitenmal erwacht, steigt das grüne Leuchten der Sonne Tul über den Horizont. Der eisige Wind treibt Staubfahnen über die Wüste und sticht mit tausend feinen Nadeln im Gesicht. Asper erhebt sich mühsam, fühlt seinen Körper kaum. Mit hölzernen Bewegungen torkelt er zur Luftschleuse, will den Öffnungsmechanismus betä tigen - da durchfährt es ihn wie ein Blitzstrahl. Ich kann atmen! Der freudige Schreck lähmt ihn mehr als die Kälte, läßt ihn reglos verharren. Nur seine Lungen pumpen unaufhörlich die giftige At mosphäre in seinen Körper, frische kühle Morgen luft. Auf einmal muß Asper lachen. Borg hat unrecht gehabt, der große unfehlbare Kosmander Borg hat sich geirrt... Borg und Fratt fahren auf, als stünde ein Geist vor ihnen. »Ich dachte, du wärst...« Fratt spricht nicht weiter und glotzt ihn mit offenem Mund an. Borg schluckt nur ununterbrochen. »So wie du dagelegen hast, mit offenem Helmvisier, kalt und steif..., wir waren davon überzeugt...« Fratts Augenlider zucken nervös. Also waren sie doch draußen, denkt Asper flüchtig. »Wir hielten Sie wirklich für tot, Omega.« Kosmander Borg hat sich wieder in der Gewalt. Asper kann es kaum fassen - Borg lächelt, und zwar keineswegs geringschätzig oder arrogant, sondern beinahe herzlich. »Komm, Dicker, der Sender hat Zeit.« Borg fordert Fratt mit einem Wink auf, den Schutzanzug anzulegen, und zu Asper gewandt, fügt er hinzu: »Sie müssen uns haargenau erklären, wie Sie das fertiggebracht haben, Omega!« Minuten später liegen Borg und Fratt auf dem Kabinenboden, mit blau angelaufenen Gesichtern, keuchend und hustend. »Ich habe doch gesagt: höchstens drei Atemzüge am Anfang!« sagt Asper unwillig. Als sie am Abend total entkräftet in ihre Kojen kriechen, springt Borg entgeistert auf und zeigt auf Asper. Dessen Brust ist mit dicken Pusteln übersät, die sich rötlich verfärbt haben. Wie knotige Geschwüre bede cken sie die Haut und glänzen feucht. »Er hat sich infiziert!« kreischt Fratt und rückt von Asper ab. »Geben Sie ihm eine Injektion, Kosmander, sonst steckt er uns an!« 5
Borg macht einen Schritt, dann verharrt er und sagt mit abgewandtem Gesicht: »Wir haben keine Medi kamente mehr, der Container ist zerstört worden.« Seine Stimme klingt seltsam gepreßt. Asper betastet vorsichtig die merkwürdigen Pocken und sagt verwirrt: »Es tut überhaupt nicht weh...« Ir gendwie will es ihm scheinen, als ob sich etwas an seinen Fingern festsaugt und mit einem leisen Schmatzen wieder löst. »Wir können ihm nicht helfen«, stellt Borg hart fest. Dann löscht er das Licht, um die letzte intakte Batterie zu schonen. Asper liegt noch lange wach und betastet unaufhörlich die Pusteln auf seiner Brust. Mitten in der Nacht glaubt er ein gläsernes Klingen zu hören, das aus Borgs Schlafnische dringt, aber er mißt dem keinerlei Be deutung bei. Fratts Gewimmer weckt ihn. Durch das Bullauge dringt grünliches Dämmerlicht. »Es hat mich erwischt, verdammt, Asper hat mich angesteckt...« Auch Borg richtet sich sofort auf. Aber statt zu Fratt hinüberzuschauen, streift er das Trikot hoch und mus tert mißtrauisch die dünne Haut über den sich deutlich abzeichnenden Rippen. Dann nickt er befriedigt. Fratt hingegen wälzt sich von einer Seite auf die andere, heult und jammert, gräbt sich die Nägel ins Gesicht. Schweigend beobachtet ihn der Kosmander. Seine Augen haben sich eine Winzigkeit verengt, und Asper glaubt in ihnen ein heimliches Lauern zu entdecken. Versonnen blinzelt Asper in das grasgrüne Leuchten, das aus einem wolkenverhangenen fremden Himmel zu ihm herabdringt. Wird es heute endlich regnen? Der Weg zur Oase ist kurz, aber Asper meidet diesen Dschungel bizarrer und unverständlicher Lebensformen, seit er den Weg der Toten Meute gekreuzt hat und das erstemal feststellen mußte, daß auch auf diesem Planeten der Tod über die Geschöpfe der Natur herrscht und das Gesetz vom Werden und Vergehen, vom Fressen und Gefressenwerden ein Axiom ist. Jeden Tag schüttet er eine Handvoll Treibsand aus den aufgestellten Gefäßen, Staub, zu feinstem Kiesel mehl zerriebene Quarzkristalle - und macht sich seufzend auf den Weg zur Quelle, hinein in den gefräßig aufgerissenen Schlund der fremden Welt. Der Wüstensand unter Aspers Rücken erkaltet schnell, wenn ihn die kraftlosen Strahlen der Sonne Tul nicht mehr erreichen, und ein Frösteln schüttelt den ausgemergelten Körper des Mannes. Zärtlich streichelt er über die Tentakeln der Trillerlinge. Die kleinen Polypen saugen sich spielerisch an seinen Fingern fest und lassen einen leisen, erstaunten Pfiff ertönen, wenn er sie mit sanfter Gewalt losreißt. Seine Brust ist mit den Geißelpocken dieser Tiere bedeckt wie mit einem dichten Pelz. Aus den Pusteln auf seiner Haut, in denen die Polypen ihren empfindlichen Körper verbergen, ragen nur die dünnen und bieg samen Röhrchen der Fangarme. »Ach, ihr kleinen Dummköpfe...«, murmelt Asper liebevoll und lauscht auf das erregte Trillern seiner kleinen Freunde. »Jaja, mit dir spiele ich auch gleich«, besänftigt er das undefinierbare Ding, das sich quie kend gegen seine Schulter stemmt und mit einem trichterförmigen Rüssel sein Gesicht abtastet. »Sei nicht so lächerlich eifersüchtig, Bambu«, mahnt er und greift in das Ding hinein. Er setzt sich auf und schüttelt den Sand aus seinen Haaren, deren Spitzen über den Boden schleifen. Mit geübten Bewegungen teilt er den schwarzen Schopf in zwei dicke Strähnen und schlingt sie um seinen Hals. »Hopp, Bambu!« Das Ding mit dem Trichterrüssel springt geschickt an ihm hoch und klammert sich an seinem Hals fest. »Dich nehme ich auf jeden Fall mit, Bambu«, spricht Asper mehr für sich, als an das quiekende Tier ge wandt. »Mona wird Augen machen, sie gefällt dir bestimmt, mein Kleiner...« Er packt Bambu am Rüssel und steckt die rechte Hand durch das Skelett das Tieres. Bambu zieht sich qua kend auseinander und schnauft befriedigt, als Asper das kleine Wesen wie einen Jackenärmel über seinen 6
Oberarm schiebt. Das Tier rutscht aufgeregt hin und her, bis Asper das Pulsieren des kleinen Herzens unter seiner Achselhöhle spürt: ein nervöses Rattern und Hämmern. Auch Bambus grünlich schillernde Haut ist mit den Geißelpocken der Trillerlinge übersät. Wenn Asper sich daran erinnert, wie er vergeblich bemüht war, die Polypen abzuwehren, als die durch das offene Helmvisier krochen, wie er verzweifelt versuchte, die Hände zu bewegen, die wie an den Boden genagelt neben ihm lagen, schon vom eisigen Atem des Todes gelähmt, kalt und leblos - dann muß er belus tigt grinsen. Ein höllisches Brennen überflutete seine Sinne, als die Trillerlinge ihre Wurzelfüße in seinen Körper bohrten, mit deren Tracheen nach seinen Lungenbläschen tasteten, hineinstachen, wie ein Pilz geflecht wucherten... Erst als das Ziehen und Brennen in seinem Brustkorb nachließ, begriff er, daß er imstande war, eine für menschliche Lungen giftige Kohlendioxidatmosphäre zu atmen... Asper und Fratt gewöhnten sich schnell an die wunderbare Symbiose mit einer außerirdischen Lebens form. Womit ihr Organismus die Trillerlinge für ihre lebensrettenden Dienste bezahlt, ist ihnen immer noch rätselhaft. Vermutlich ist es die Körperwärme, die diese kleinen Wesen dringend benötigen. Deshalb wohl drängt sich auch Bambu so zutraulich an Asper. Wärme ist rar auf diesem Planeten, nur der dunkle Sand der Wüste speichert für wenige Stunden die Strahlungsenergie der weit entfernten Sonne Tul. Borg aber braucht keine Wärme mehr. Es war grauenvoll, mit ansehen zu müssen, wie er erstickte. Nie wird Asper die Verzweiflung und die Wut in den Augen des Sterbenden vergessen, als dieser röchelte: »Warum ich, warum gerade ich...?« Wenige Stunden später wußten es Asper und Fratt. Und Asper hatte Mühe, den Gefährten davon abzuhal ten, Borgs Leichnam mit Fußtritten zu traktieren. Sie hatten im persönlichen Container des Kosmanders das Injektionsbesteck gefunden und die Medikamente, mit denen er sich gegen die Trillerlinge immunisierte... Asper liegt gern im Sand. Wenn er die Augen schließt, gelingt ihm manchmal die Vorstellung, am Strand eines irdischen Ozeans in der Sonne zu braten, dann hört er sogar das Rauschen der Brandung, und einmal tastete er nach Monas Hand und schrie auf vor Schmerz und Kummer, als in seine verwirrt aufgerissenen Augen das grelle Grün der Sonne Tul stach... Seufzend steht Asper auf. Ein schrilles Geheul steigt über den Horizont, dort, wo die Oase - einzige Lebensinsel weit und breit - in unheimlichen, phan tastischen Formen aus dem Wüstensand quillt. Wü tend schüttelt Asper die Faust gegen den Jagdruf der Toten Meute. Bambu preßt sich schutzsuchend an ihn. »O nein, Bambu, vor der Toten Meute kann ich dich nicht schützen. Da muß ich mich ganz auf deinen feinen Instinkt verlassen! Du mußt mich war nen, wenn du die reglos in den Niederwuchs ge duckten Räuber witterst, und dann können wir nur noch hoffen, rechtzeitig den Rand der Oase zu erreichen!« In die Wüste folgt die Tote Meute ihren Opfern nicht, das konnte Asper schon einigemal beobachten. Ir gendeine unverständliche Furcht hält die bizarren Gestalten, die nur aus einem Skelett zu bestehen scheinen, davor zurück, den Dschungel zu verlassen. Asper stemmt sich gegen den Astrolithen und rollt den Steinbrocken Meter um Meter durch die Wüste. Es ist der tausendste Stein - ein Jubiläum. Asper lacht gepreßt, als er sich daran erinnert, wie er und Fratt ausge lassen und verrückte Kehllaute gurgelnd um den hundertsten herumsprangen. Dabei waren es nicht einmal zweihundert Meter, die der Schenkel des großen A maß, nicht einmal zweihundert von dreitausend, die der 7
Buchstabe groß sein muß, wenn er aus dem All zu erkennen sein soll. Warum das vom Mons Titanus aus den Eingeweiden des Planeten herausgerissene Gestein leuchtet, hat Asper noch nicht herausgefunden, und eigentlich interessiert es ihn auch nicht. Wichtig ist nur, daß der Vulkan ihm Material für das Zeichen liefert, das sagen soll: Hier bin ich. Irgendwann will er sich den gigantischen Berg aus der Nähe ansehen, aus dessen Schlot fast täglich funkelnde Kaskaden aufsteigen. Aber erst muß der Sender fertig werden. Ohne den Sender wäre das große A aus den Astrolithen sinnlos. Fratt arbeitet wie besessen. Ab und zu hilft er Asper beim Transport der Steine, aber Asper sieht das nicht gern. Fratt soll sich um den Sender kümmern und seine Kräfte nicht sinnlos vergeuden. Mehr als einen Felsblock täglich schafft Asper nicht. Oft mußte er sich weit in den Bereich hineinwagen, auf den die Felsbrocken so dicht hinabprasseln, daß es nur nachts möglich ist, dem Schauer aus Lava und Gestein rechtzeitig auszuweichen. Leuchtende Bahnen und Spuren durchschneiden dann das nächtliche Dunkel - ein tödliches Feuerwerk von gespenstischer Schönheit. Einmal zischten die Splitter eines zer berstenden Astrolithen so dicht über seinen Kopf hinweg, daß er - obwohl dicht an den Boden gepreßt - den warmen Windhauch spürte. Wenn Mona nicht wäre, er hätte sich schon längst in den Wüstensand gelegt, um zu sterben. Ob sie ihn noch lieben kann, wenn sie sein entstelltes Gesicht sieht? Wird sie sich entsetzt abwenden vor dem gräßli chen Riß, vor der starren, halbseitig gelähmten Maske, in der nur noch die hellgrauen Augen leben, in der die zerfetzten Lippen beim Sprechen wie häßliche Raupen zucken? Asper rammt die Schulter gegen den Felsblock und stöhnt gequält auf. Unwillkürlich streicht seine Hand über die Trillerlinge, und Bruchteile von Sekunden glaubt er, Monas Haar unter seinen Fingern zu spüren, die Strähne, die sie immer hinter das Ohr gesteckt hatte, damit sie nicht ins Gesicht fällt, wenn sie übermütig lachend den Kopf schüttelte. »Ich komme wieder, Mona, ich weiß, du wirst mich auch dann noch lieben...«, ruft er heiser und spannt die Muskeln an. Bambu quiekt leise und zärtlich. Am Abend kriecht Asper erschöpft in das Raumschiffwrack. Als im Osten dunkelgrünes Dämmerlicht in die Schwärze der Nacht hineinkriecht und wie Morgennebel aufsteigt, als sich die Linie des Horizonts dunkelzackig zu erkennen gibt, lädt Asper den Kanister auf den Rücken und macht sich widerstrebend auf den Weg zur Oase, vorbei an dem Hügel, unter dem Kosmander Borg liegt. Bambu springt voraus, in weiten Sätzen und mit tollpatschigen Purzelbäumen kullert das kleine Skelett mit dem Trichterrüssel und dem grünlich schillernden Hüllgewebe auf den einzelnen Skeletteilen durch den Sand, vergnügt quietschend und quakend. Obgleich Asper ähnliche Lebensformen noch nie be gegnet waren, hatte er gleich erkannt, daß es sich um ein Jungtier handelt. Daß die meisten Tiere dieser seltsamen Welt keine durchgehende Haut besitzen, sondern nur aus Knochen bestehen, die von einer ledrigen Hülle umgeben sind, unter der sich deutlich die am Skelett anliegenden Organe abzeichnen - daran gewöhnte Asper sich schnell. In einem der Kämpfe dieser Welt mußten Bambus Eltern die Unterlegenen gewesen sein - Asper nahm das herzzerreißend quiekende Ding einfach auf den Arm, und Bambu rollte sich dort zusammen, um zu schlafen. So begann ihre Freundschaft. Bambu dankte es ihm mehrfach, rettete ihm oft das Leben. Das kleine Wesen besitzt so einen feinen In stinkt für Gefahren aller Art, daß es sie bereits signalisiert, wenn Asper noch gierig die trügerische Ruhe und Friedfertigkeit der in üppiger Formenvielfalt schwelgenden Oase einsaugt. Ein schriller Pfiff Bambus reißt ihn aus seinen Gedanken. Sekunden später hängt Bambu an seinem rechten Oberarm, zitternd und böse quietschend. Asper verharrt reglos. Nur noch wenige Meter trennen ihn vom Rand der Oase. Erstarrtem Seifenschaum gleich sind dem Dschungel dichte Trauben von Gallertkugeln vorgelagert, zwischen denen etwas aufragt, das entfernt an gebündelte Orgelpfeifen erinnert, die sich nach oben zu leicht vibrierenden Trichtern erweitern. Beinahe könnte man diese Gewächse für Riesenkrokusse halten, aber Asper hat einmal gesehen, wie eines blitzschnell zu Boden peitschte und ein winziges Flügeltier 8
in einem der Kelche verschwand - seither macht er einen Bogen um diese Pflanzen. Bambus Quietschen und Quarren wird immer giftiger. Jetzt hört auch Asper die herantobende Tote Meute. Ihr schrilles Heulen und Geifern läßt alle Bewegung in der Oase ersterben, den vielstimmigen Chor ihrer Be wohner verstummen, als hätte es nie etwas Lebendiges auf diesem Planeten gegeben. Alle Farbe scheint aus den Gewächsen zu weichen, grau und tot breitet sich Starre aus. Der Dschungel unterwirft sich ängstlich sei nen grausamen Herrschern. Ein Wirbelwind aus bizarren knöchernen Geschöpfen bricht aus dem Niederwuchs, lebende Skelette, die zu Hunderten einigen Wesen hinterherhasten, die wie Bambu aussehen. Messerscharfe Hornkanten schlagen schnappend aufeinander und erzeugen ein hölzernes Klappern wie von durcheinanderpurzelnden Bowling kugeln. Hier und da schnappt eines der Raubtiere in Aspers Richtung, aber keines wagt die Grenze zwischen Wüste und Vegetation zu überschreiten. Vorsorglich greift er nach dem Handwerfer, der einzigen Waffe, die ihnen geblieben ist. Trotzdem läuft es ihm kalt über den Rücken, und seine Zähne schlagen aufeinander. Vor dieser Wilden Jagd gibt es keine Rettung. Die Tote Meute hetzt ihre Beute mit einer Ausdauer, die Raum und Zeit und alle Unendlichkeit verachtet. Erst als die letzten Geräusche längst verklungen sind, setzt Asper seinen Weg zögernd fort. Sogar die Trillerlinge auf seiner Brust haben ihre Greifarme in die Geißelpo cken zurückgezogen und tasten nun mißtrauisch über seine Haut. Bambu schnauft noch immer furchtsam. Die Gefahr ist vorüber. Vorläufig wird die Tote Meute nicht zurückkehren, diese Erfahrung hat sich Asper immer wieder bestätigt. Als Bambu seinen Arm hinunterrutscht und aufgeregt quiekend zwischen den Trauben aus Gallertkugeln verschwindet, lacht Asper höhnisch auf. Ja, die Gefahr ist vorüber, und Asper Omega ist wieder einmal da vongekommen, einfach nicht totzukriegen, dieser ganz und gar durchschnittliche Proximer Asper Omega! Borg hätte natürlich alles anders gemacht. Aber Borg verfault im Staub eines fremden Planeten, und Pro ximer Asper Omegas Kenntnisse reichen nur aus, ein großes A aus Steinen zu legen, die in der Nacht leuch ten, und vielleicht gelingt es Fratt sogar, den Sender zu bauen. Ein einziger starker Impuls auf dem Rhosig ma-Kanal würde genügen, dann kämen sie und sähen das leuchtende A. Mehr kann Asper nicht tun. Aber dieser Asper lebt, er lebt - und Borg ist tot. Asper schaut auf seine Brust und lächelt. Borg wollte sie einfach sterben lassen, um selbst mehr Sauerstoff zu haben, und er ist elend erstickt in der Kohlendioxidatmosphäre. Um auf diesem Planeten überleben zu dürfen, muß man lieben können wie hassen, Freunde haben und anderen Freund sein, sich blind verlassen auf scheinbar so fremde Wesen wie Bambu und die Trillerlinge. Sie müssen seine Stärke gespürt haben, die aus seiner Schwäche wuchs, sie müssen es gespürt haben, schon als er kalt und steif in der Wüste lag, nur noch einen Herzschlag vom Tod entfernt... Die Trillerlinge zwitschern zutraulich, als er behutsam über ihre Fangarme streicht. »Ach, ihr...« Asper flüstert es kaum hörbar und schämt sich nicht der Tränen, die seine Augen füllen. Hier darf er seinen Gefüh len freien Lauf lassen. In dieser Welt gibt es keine Regeln und Konventionen, die vorschreiben, was man wie und wann zu tun oder zu unterlassen hat. Asper wischt die Feuchtigkeit aus dem zernarbten Riß in seinem Gesicht und folgt Bambus Fährte. Borg mochte ihn nicht, er war dem Kosmander zu gewöhnlich. Trotzdem sitzt er fast jeden Abend an dessen Grab, häuft Sand auf den vom Wind eingeebneten Hügel und spricht mit ihm. Manchmal weiß er selbst nicht so genau, ob er es bedauern oder begrüßen soll, daß Borg nicht antwortet. Fratt versteht ihn nicht, knurrt nur mißmutig, wenn er das Gespräch auf den toten Kosmander bringt. Überhaupt - es ist schwer, sich mit Fratt zu unterhalten, der wie besessen an seinem Sender bastelt, nichts anderes im Sinn zu haben scheint. Manches Mal überkam Asper plötzlich die Furcht, Fratt könne nicht mehr dasein - dann rannte er wie vom Teufel gehetzt zurück zum Wrack, setzte sich still in eine Ecke und beob achtete den Gefährten. Selten richtete Fratt ein Wort an ihn, und noch seltener kam es vor, daß er das Wrack 9
der Omikron verließ. Geschah dies aber, dann zog er mit vorgehaltenem Handwerfer durch die Oase und schoß auf alles, was sich regte und bewegte. Asper nähert sich einer Fächerfalle. Bambu sitzt in respektvollem Abstand vor der Pflanze und erwartet ihn. Anfangs irritierte Asper der Umstand, daß die Tiere dieses Planeten keine Augen besitzen, dafür aber über ein Organ verfügen, das ähnlich der Ultraschallortung der irdischen Fledermäuse aufgebaut sein muß. Am auf und nieder schwingenden Trichterrüssel erkennt Asper Bambus Unruhe. »Schon gut, mein Kleiner, ich sehe sie ja.« Er beruhigt das Tier. Beinahe wäre er schon einmal in eine Fä cherfalle hineingelaufen. Wenn der kleine Kerl nicht auf seinen Oberarm gesprungen wäre und ein höllisches Geschrei angestimmt hätte - wer weiß, was geschehen wäre. In Lauerhaltung ähnelt die Fä cherfalle einem in den Boden gerammten, mehr als doppelt mannshohen Pfahl. Jetzt liegen viele dieser gefräßigen Pflanzen auseinandergefaltet auf dem Boden wie die Schalen von Riesenmuscheln, und unter der Wölbung verraten die Zuckungen der Gefangenen aus der Toten Meute, daß viele Jäger die Beute eines anderen Räubers geworden sind. Bis zur Quelle ist es noch weit. Er wird einen kleinen Umweg nehmen und sich noch ein Stück aus einer der drei merkwürdigen Pflanzen schneiden, die irgendwie einem großen Würfel Schweizer Käse ähneln. Er steckt zwei Finger zwischen die zerfetzten Lippen und stößt einen gellenden Pfiff aus. Sofort jagt Bam bu herbei. »Komm, Kleiner. Wir werden uns noch einmal stärken. Immer nur die gelben Gallertkugeln, das wird mit der Zeit eintönig. Wir beide sind doch Feinschmecker, nicht wahr? Und Fratt wird sich freuen; der spricht ja nur noch mit mir, wenn ich ihm etwas zu essen bringe.« Als er Bambu die Richtung weist, hoppelt dieser mit einem erfreuten Quieken voran. Der leise Wind hauch, der am frühen Morgen neblige Staubgespenster über die Wüste tanzen ließ und mit Sandkörnchen über die Außenhaut der Omikron schnurrte, hat sich inzwischen irgendwo hinter dem Horizont verkrochen und eisige Starre hinterlassen. Schon von weitem ist Bambus aufgeregtes Quieken zu vernehmen. Das kleine Tier sitzt am Fuße eines der drei Gewächse und schnuppert mit dem Trichterrüssel an der porigen Oberfläche. Asper beschleicht ein un gutes Gefühl. Etwas ist anders als gestern. Seine Sinne sind schärfer geworden in den vergangenen drei Jah ren, er nimmt Gerüche wahr, die ihm auf der Erde nicht bewußt geworden wären, sein Gehör kann feinste Nuancen im Ruf der Tiere unterscheiden und deuten, und auch seine Augen erstaunen ihn immer wieder mit ihrem Vermögen, Dinge zu erspähen, Details auszumachen, wo er früher nur verschwommene Umrisse erkannt hätte. So signalisieren ihm seine Sinne schon die Veränderung, bevor sein Verstand sie erfaßt. Bambu springt zu ihm, klettert geschwind wie ein Äffchen an ihm empor und läßt sich zutraulich quakend auf seine Schulter nieder. Der lederartige Rüssel schwingt vor Aspers Gesicht auf und nieder, und an dem gierigen Schmatzen erkennt Asper, daß sein kleiner Vielfraß schon wieder hungrig ist. »Moment noch, Kleiner«, murmelt Asper nachdenklich und tritt an die Pflanze heran, aus der er gestern einen großen Batzen des fruchtigen Fleisches herausgeschnitten hat. Nie wäre er auf die Idee gekommen, da von zu kosten, wenn nicht der aromatische Geruch und die saftgelbe Färbung im Verein mit der seltsamen Form den Vergleich mit einem ungleichmäßig geschnittenen Käsewürfel förmlich herausgefordert hätten. Allerdings muß dieser Käse vom Frühstückstisch eines Zyklopen herabgefallen sein, denn er überragt Asper um mehr als das Doppelte. Sogar Löcher hat dieser Käse: durchgehende Röhren, in deren Innerem ein Gespinst aus sich kreuzenden, straff gespannten Seiten zu erkennen ist, beinahe, als hätte die Zyklopenspeisekammer eine Spinneninvasion erlebt. Asper hatte eine dieser Saiten neugierig angezupft, und tatsächlich: Sie gab einen angenehm schwingenden Ton von sich, etwas klirrend und blechern, wie der Klang eines Cembalos. Das erste, was er bemerkt, ist die auffällige Verfärbung der Pflanze. Das milchige Gelb hat sich in ein schmutziges Grau wie von einem ausgedienten Scheuerlappen verwandelt, unappetitlich und ungesund. 10
»Schau an, Bambu, da haben wir ja was Schönes angerichtet!« sagt Asper, der gleich begreift, was ge schehen ist. Er klopft mit dem Griff der aus einem Blechteil gefertigten Machete gegen den Körper der Pflanze. Gestern gab das porige Fleisch weich nach und war elastisch wie Gummi. Jetzt aber ähnelt es einem knochentro ckenen Schwamm. Das Gewächs ist tot. »Ist ja eine richtige Mimose, dieser Käse. Da hätten wir gestern mal richtig reinhauen sollen, Bambu, was?« Das kleine Wesen quiekt zärtlich. Schade, denkt Asper, daß nur noch zwei übrig sind. Das Zeug schmeckt wirklich gut, vor allem der mil chige Saft, der aus der Schnittstelle quillt. Plötzlich fühlt er einen Stich im Hinterkopf. Im selben Augenblick zuckt auch Bambu zusammen und be ginnt zu zittern. Asper spürt, wie sich der Körper seines kleinen Freundes verkrampft und steinhart wird. Ein Surren liegt in der Luft, wie von einem rotierenden Propeller. Asper fällt kraftlos auf die Knie und stöhnt: »O nein, nicht schon wieder...« Der Schmerz in seinem Schädel wird stärker und bohrt in seinem Gehirn, zerreißt seine Nerven mit Explosionen der Neuronen, zerfetzt seine Kopfhaut, schüttelt den Körper mit gräßlichen Schlägen. »Nein, nein..., bitte nicht schon wieder.« Asper läßt sich wimmernd in den Sand fallen, und seine Finger krallen sich in den Boden. Er zittert wie im Fieber und spürt, wie die Krämpfe seine Muskeln zu harten Knoten gefrieren lassen. Ein hoher unirdischer Ton dringt siedendheiß in sein Bewußtsein, und das Gesichtsfeld engt sich ein. Asper weiß sehr gut, was nun geschehen wird, er hat es oft genug erlebt. Ich muß schreien, hämmert es in ihm, brüllen wie ein Tier muß ich! Er öffnet den Mund, und der Laut, der aus seiner Brust steigt, hat nichts Menschliches. Durchhalten, nur durchhalten, denkt Asper verzweifelt. Das Schreien hilft, das ist eine seiner wichtigsten Erfahrungen. Wenn er zu lange zögert, kann er den Un terkiefer nicht mehr bewegen, dann pressen Krämpfe ihm die Zähne aufeinander, daß der Schmelz splittert. Er muß nur schreien, dann erholt er sich rasch vom Angriff des Psychodrachens. Die Welt vor seinen Augen schrumpft immer mehr zusammen, wird zu einem hellen Loch in dem schwarzen Abgrund, der sich vor ihm auftut, zieht sich zu einem strahlenden Punkt zusammen, der wie eine Kerzenflamme zu flackern beginnt und verlischt... Jetzt kommen die Farben. Glühendes Rot versengt seine Augenhöhlen, dann flammt es blauweiß auf und sticht in seine Brust hinein, sucht das Herz. Wenn nur das Grün nicht kommt! Asper hört seine Schreie nicht mehr. Grauenvolle Angst erfüllt ihn, noch nie in seinem Leben hat er sich vor etwas so gefürchtet wie vor diesem Grün, das seinen Körper packt und auseinanderreißt, das in jeder Nervenfaser spürbar ist wie die Glut Tausender Sonnen, das den Tod als Erlö sung erscheinen läßt, als einzigen Ausweg aus diesem mörderischen, unsagbar qualvollen Grün. Smaragdschillernde Punkte flammen durch das schneidende Blau, das ihn zersäbelt, auseinandersägt, schrill und kreischend. Da plötzlich überflutet ihn wieder feuriges Rot, setzt ihn in Brand, läßt ein Flammen meer durch seine Glieder brausen, nimmt die Farbe geronnenen Bluts an, erkaltet, erlischt... Eine helle Blase wuchert in das Dunkel. Schreien, Asper, immer noch schreien, es ist noch nicht überstanden! befiehlt sein wiedererwachendes Be wußtsein. Die Blase bläht sich auf, schleimige Formen und Gestalten tanzen über ihre Oberfläche, verschwimmen und zerplatzen. Asper hat noch die Kraft zu frohlocken. Er hat das Grün abwehren können, es gelingt jedesmal besser. Immer mehr dehnt sich die leuchtende Blase, umschließt ihn, wird durchsichtig. Eine Weile noch bleibt Asper schweratmend liegen. Einmal erst hat er den Psychodrachen zu Gesicht be kommen. Ein silbrig schimmernder durchscheinender Schleier mit einer linsenförmigen Verdickung am Kopfende, weiter nichts. Das obskure Wesen schwebte dicht über ihm und flatterte wie ein Seidenschal. Of fenbar war es sich unschlüssig, was es mit der Beute anfangen sollte. Es war so perplex, daß es sogar vergaß, seine unverständlichen Psychoschreie auszustoßen. Der Hieb mit der Machete war eine Reflexbewegung. 11
Das Tier wich flink aus, und Asper fiel in mörderisches, vernichtendes Grün... Seitdem geht er dem Psycho drachen möglichst aus dem Weg. Erst als Bambu aus seiner Starre erwacht und ein wehleidiges Quaken davon kündet, daß auch das kleine Knochentier furchtbare Qualen ausgestanden hat, erhebt sich Asper schwerfällig. Er greift zu seiner Machete und stolpert zu einer der beiden noch lebenden Pflanzen. Die Beine wollen noch nicht, die Angst vor dem Grün ist noch nicht ganz aus seinem Körper gewichen. Ob Rhominth das Grün überlebt hätte? Rhominth, der sich immer stark für Mona interessiert hat. Vielleicht muß man so simpel sein wie ein gewisser Asper Omega, um solche Torturen unbeschadet zu über stehen. Für hochspezialisierte Gehirne ist das wohl nichts. Ein gesundes Maß an Unkompliziertheit trägt zu einer unverwüstlichen Lebensfähigkeit bei - Asper lacht bei diesem Gedanken auf und fühlt sich wieder stark und unbezwingbar. Ja, ich bin ungebildet und ohne jeden intellektuellen Ehrgeiz, denkt er tri umphierend, aber ich lebe - und Borg ist tot, und auch Rhominth würde in dieser Welt nicht existieren können. Spätestens beim Anblick seines zerfetzten Gesichts würde ihm das Herz stehenbleiben... Vergnügt schlägt Asper das Haumesser in das wei che Fleisch der Pflanze. O Mona, du wirst mein Gesicht nicht mögen, wenn ich wieder bei dir bin, denkt er stolz, aber du wirst einen Mann lieben, der eine ganze Welt besiegt hat, ein Universum, eine Un endlichkeit von Entbehrungen und Gefahren, einen Mann, der ganz genau weiß, was das ist: Leben. Und vielleicht wirst du diesem Mann dann nicht mehr ge nügen. Mit einem schnellen Schnitt löst er ein großes Stück aus dem Würfel. Bambu schnüffelt aufgeregt und rutscht den Oberarm herab. Wie dicker Sirup quillt es aus der Wunde, der würzige Geruch läßt Asper das Wasser im Mund zusammenlaufen. Aber schon zwängt Bambu seinen Trichterrüssel in das Loch und schmatzt und schlürft mit solchem Wohlbehagen, daß Asper sich seufzend damit abfindet, diesmal leer auszugehen. »Sauf dich voll, Bambu. Wenn's elloranischer Ananis mit einem Schuß Thomisky wäre, würde ich schon darauf achten, daß brüderlich geteilt wird. Mehr als drei Tropfen würdest du davon sowieso nicht vertragen... Werden wir alles noch ausprobieren, Kleiner, Mona mixt einen köstlichen Ananis, sag ich dir, den Geschmack hast du noch nach dem Zähneputzen auf der Zunge...« Asper beißt kräftig in das sattgelbe Fleisch in seiner Hand. Die fruchtige Säure erfrischt und sättigt. Ein wenig schmeckt es nach rohem Fisch, wie fast alles auf diesem Planeten, aber dieser Geschmack ist nicht widerwärtig aufdringlich, sondern gerade so dosiert, daß man ihm mit Vergnügen nachspüren kann. »Komm, Bambu, wir müssen Wasser holen. Morgen gehen wir noch einmal hierher, dann kannst du dich wieder vollaufen lassen. Hopp, Bambu!« Das kleine Wesen springt ihm auf die Hüfte, und Asper schiebt die rechte Hand durch das Skelett. Zutrau lich quietschend kriecht Bambu bis auf den Oberarm. Als Asper das Hämmern des kleinen Herzens unter seiner Achselhöhle spürt, nimmt er den Kanister auf und packt mit der Linken die Machete. Psychodrache und Tote Meute hat er für heute überlebt, der Tag sollte ein friedliches Ende nehmen. Wenn der kleine rote Mond über den Horizont steigt, wird er wieder vor dem Sandhügel sitzen und den Staub der Wüste auf die flache Erhebung häufeln. Dann wird er Borg für all die Gehässigkeiten und Unter stellungen um Verzeihung bitten, die tagsüber seinen wirren Gedanken entsprangen, und Borg wird ihn schweigend anhören. Aber jetzt muß er Wasser holen und dann den tausendundersten Astrolithen an seinen Platz rollen. Ein 12
stolzes Lächeln fliegt über Aspers zerrissenes Gesicht. Er spürt die Kraft, die ihm aus dieser fremden und doch so nahen Welt zufließt. Heute ist Aspers kleine Welt das erstemal aus den Fugen geraten. Alles hat er hingenommen, weil es da zugehört: die Tote Meute, den Psychodrachen, die kalten Winde der Wüste und die heranjagenden Astro lithen. Gegen all das kann er sich wehren und schützen. Dann aber fand er das DING. Asper reibt sich verzweifelt die Schläfen, um den bohrenden Schmerz zu lindern. Ein neuer Widersacher hat ihn zum Kampf gestellt, ein heimtückischer und geduldiger Gegner, der ihm alles nehmen will, seine Hoffnung, seine Sehnsucht und vielleicht auch - das Leben. Es ist sein Gewissen. Als der das DING sah, erkannte er sofort, daß es nicht in die Natur dieses Planeten gehören kann. Im fla ckernden Schein eines zerplatzenden Astrolithen erblickte er staunend die seltsame Struktur. Verbogene Gitterflächen aus Metall, zerquetschte Zylinder, Röhrenbündel und Verstrebungen. Anfangs hielt er das DING für die Überreste der Scoutsonde und wollte wütend einen Stein gegen den Blechhaufen schmettern. Aber die Schriftzeichen sind ihm unbekannt. Asper ist kein Experte, aber darf er sich damit herausreden? Wenn es nun keine irdische Sonde ist? Die Zerstörungen scheinen nicht das Resultat einer harten Landung zu sein. Alles deutet darauf hin, daß die Kapsel durch den Einschlag eines Astrolithen beschädigt wurde. Es gäbe eine Möglichkeit, das DING aus der Gefahrenzone zu transportieren, bevor ein zweiter Treffer dafür sorgt, daß nur noch wertlose Bruch stücke übrigbleiben, oder bevor einer der Lavaströme das Objekt unter sich begräbt. Alles in Asper sträubt sich gegen diesen Gedanken. Er kann doch nichts dafür, daß er es gefunden hat... Als er Fratt davon erzählte, ließ der das erstemal von seiner Arbeit ab und sprang auf. Seine Augen glitzerten, und seine Stimme klang drohend. »Das interessiert mich einen Dreck, was für eine Sonde das ist!« zischte er böse. »Den Akku bekommst du nicht, den brauchen wir für den Sender.« Er hatte sofort begriffen, woran Asper dachte. Eine Weile überlegte er, und dann fuhr er freundlich fort: »Gib mir doch mal den Handwerfer, Asper.« Als Asper ihm die Waffe reichte, griff er blitzschnell zu und riß sie an sich. Dann wich er einige Schritte zurück und sagte gepreßt: »Mach keine Dummheiten, Asper. Ohne den Akku sind wir verloren, begreif das doch...« »Ich habe doch nur gemeint..., es wäre eine Möglichkeit...« »Ruhe!« brüllte Fratt da. »Ich will davon nichts mehr hören, klar?« Und nach einigem Zögern setzte er hin zu: »Einmal hätte uns das Scheißding beinahe umgebracht, das reicht.« Erst als die Nachtkälte der Wüste seinen Körper zu versteinern droht, erhebt sich Asper müde und zer schlagen, um in die muffige Enge des Raumschiffwracks hinabzusteigen. Mit einem letzten, unsagbar verzweifelten Blick versenkt er sich in das Funkeln des Sirius, der wie ein höhnisch glotzendes Riesenauge auf ihn herabschaut. Unendlich weit hinter diesem kalten Leuchten ertrinken die Strahlen der heimatlichen Sonne im tintigen Blau des Alls. Asper friert, am Horizont strahlen die Astrolithen in die Nacht - ein Mosaik aus Hoffnung und Liebe, eine Brücke aus leuchtenden Steinen, die einen unvorstellbaren Abgrund überspannen soll... Auch der folgende Morgen empfängt Asper mit einem frischen Windhauch, zerrissenen Staubfahnen, die wie betrunken über die Wüste torkeln, und einem wolkenlosen Himmel, dessen Fremdartigkeit in den frü hen Stunden des Tages besonders niederdrückt. Der Wasserkanister scheuert auf den Schultern, obwohl sich dort bereits hornige Schwielen gebildet haben. Bambu springt vor ihm den Weg zu den Käsepflanzen entlang, bei jedem Satz spannt sich die schillernde Haut auf den Knochen so straff, daß sie sich an den Gelenken wächsern verfärbt. 13
Aspers erster Reflex ist, sich fallenzulassen und die Ohren zuzuhalten, als er das hohe Singen und Zirpen vernimmt. Verdammt, wieder ein Psychodrache, durchzuckt es ihn eisig, diese Scheusale sind überall! Aber warum hat Bambu ihn diesmal nicht gewarnt? Erst allmählich wird Asper bewußt, daß die stechenden Schmerzen im Hinterkopf ausgeblieben sind, nun nimmt er auch den deutlichen Unterschied zwischen dem Schwirren und Surren, mit dem sich der Angriff eines Psychodrachens ankündigt, und dem feinen Singen wahr, das, wie aus seidigen Nebeln gewirkt, in der Luft schwebt. »Bambu, hierher!« befiehlt er schroff. Aufmerksam beobachtet er die Natur um sich herum. Die Fächerfallen stehen steif und reglos und lauern zusammengefaltet auf Beute, aus den violetten Gallerttrauben klingt der Balzschrei eines Warzenskeletts, und aus der Ferne tönt der Bronzeklang der Bewimperten Schlingglocke. Nur eines ist heute anders: Seit den frühen Morgenstunden weht eine mäßige Brise. Ist es der Wind, der diese Töne hervorruft? Asper schüttelt verwundert den Kopf und geht vorsichtig weiter. Tief saugt er die Luft ein wie ein wittern des Tier, und seinem Gehör entgeht nicht einmal das leise Knistern, mit dem die gezackten Hautlappen zwi schen dem Gespinst der Strahligen Glaskorallen dem Lauf der fernen Sonne Tul folgen, um das bißchen Wärme zu speichern, das sie dem Planeten gönnt. Plötzlich flaut der Wind ab - und das Zirpen und Singen verstummt. »Also doch! Der Wind - da haben wir uns aber einen gehörigen Schreck einjagen lassen, was, Bambu?« Asper atmet erleichtert auf. Unter seinen Füßen zerplatzen die im Sand wachsenden Trauben der Gelben Schleimkugeln mit dumpfem Platschen. Obwohl er jeden Tag denselben Weg nimmt, schließt die schnellwüchsige Vegetation des Planeten die Wunden rasch wieder, und Asper erkennt den Pfad nur an den leuchtenden Farben der jungen Triebe, die unter den Streichen seiner Machete fallen. Einzig die Käsepflanzen machen eine Ausnahme. Diesmal er kennt Asper schon von weitem: Auch das zweite Gewächs ist eingegangen, zu einem trockenen Schwamm versteinert. Kein Grund für Asper, zimperlich zu sein. Er holt mit dem Haumesser aus, um auch aus der dritten Pflanze einen großen Klumpen Fleisch herauszuschlagen. Bambu hockt ihm vor den Füßen und schmatzt ungeduldig mit dem Trichterrüssel. Gerade will Asper zuschlagen, da fegt eine Wind bö heran. Auf einmal hüllen hohes Zirpen und Klagen Asper ein. Fremdartige Melodien um schwirren ihn wie tausend Kolibris, wehmütige Stimmen dringen in ihn, und ein Gefühl tiefster Traurigkeit befällt ihn. Verwirrt hält Asper inne. Die Pflanze vor ihm erzeugt diese Klänge! Er läßt den Arm mit der Ma chete sinken und lauscht voller Bewunderung. Ein ziehender Schmerz sticht in sein Herz, eine Empfindung aus Todesangst, Sehnsucht und heißer Liebe überschwemmt seine Gedanken. Glasklar steigt ein Bild aus seinem Gedächtnis auf. Als er das letztemal von Bord der Omikron mit Mona sprach, stand sie vor einem öffentlichen Videophon, und hinter ihr erkannte er auf dem Bildschirm das selbstgefäl lige Grinsen Rhominths. Borg warf achtlos hin, um Mona brauche er sich nicht zu sorgen, sie befände sich in guten Händen, worauf Fratt mit einem meckernden Lachen antwortete... Die Vision verschwimmt. Kalter Zorn übermannt ihn, und Asper knirscht mit den Zähnen. Er wird Rho minth zerfleischen, zerstampfen, zerfetzen... Als der Wind nachläßt, versickert auch der Sturzbach der Gefühle. Und als das Gewächs schweigt, ist alles 14
vorbei. »Biest!« flucht Asper, holt erneut aus - und zögert wieder. War es denn wirklich die Pflanze, die ihm die quälenden Erinnerungen suggerierte? Er läßt sich seufzend zu Boden gleiten und lehnt sich mit dem Rücken gegen das Gewächs. Unwirsch wehrt er Bambu ab, der mit dem Rüssel auffordernd gegen die Hand stubst, die fest den Griff des Messers umklammert. Deutlich konnte er sehen, wie die Saiten in den Röhren der Pflanze vibrierten und schwangen, als der Windstoß durch sie hindurchpfiff, und trotz der betäubenden Klänge nahm er wahr, wie sich einige Fäden zusammenzogen und dehnten. Eine Weile bleibt Asper noch sitzen. Er wartet auf eine weitere Bö. Aber nach fast einer Stunde gibt er es auf. Mit einem schnellen Griff packt er den verärgert quarrenden Bambu und schiebt ihn auf seinen Ober arm. »Frühstück fällt heute aus, Kleiner.« Angestrengt grübelnd macht er sich auf den Weg zur Quelle. Irgendwie fühlt er sich befreit und erfrischt. So schmerzhaft ihn auch die unliebsamen Erinnerungen peinigten, Gedanken, die Asper bisher erfolgreich verdrängen konnte - die fremdartige Musik der Pflanze hat etwas in ihm angerührt, das angenehm und me lancholisch in seinem Kopf nachklingt. Wußte die Pflanze, daß er sie töten wollte? Eine richtige Windharfe, denkt Asper, ja, das ist ein schöner Name: Windharfe. Es ist schon Mitternacht vorüber, als Asper immer noch vor Borgs Grab hockt und aus blanken Augen auf den sinkenden roten Mond starrt. An diesem Tag ging ihm die Arbeit leicht von der Hand, wie eine Perlen kette leuchten die Astrolithen am Horizont. Bambu war schnell besänftigt, als Asper ihm eine besonders di cke Traube Gelber Schleimkugeln aus dem Boden gewühlt hatte. Nur der Gedanke an das DING, das in gefährlicher Nähe des Vulkankegels, fast am Fuße des Mons Ti tanus, liegt, verdüsterte Asper etwas den lichten Tag. Mit Sorge beobachtete er die vom Himmel fallenden Astrolithen. Irgendwo dort, wo sie herabprasselten, befindet es sich, dieses vermaledeite DING, ist vielleicht schon restlos zerstört - fast wünschte er es sich. Fratt war sehr nervös. Als er ihm von der Windharfe erzählte, hörte er kaum zu. Das war nicht ungewöhn lich, aber daß er reglos vor dem provisorischen Sender saß, ohne zu arbeiten, das erstaunte Asper. Schließlich würgte Fratt hervor: »Er ist fertig, Asper...« Ein seltsames Gefühl beschlich Asper. »Ich traue mich nicht, ihn anzuschließen«, redete Fratt weiter, und erst jetzt bemerkte Asper die Schweiß tröpfchen auf dessen Nase. »Ein winziger Fehler und der Akku ist leer... Was soll ich nur machen, Asper?« flüsterte Fratt heiser. Er sah Asper entgeistert an, als der sich umwandte und das Wrack der Omikron verließ, um sich wieder vor dem flachen Erdhügel niederzusetzen. Und als er nach einiger Zeit den Atem des Gefährten neben sich spürte und Fratts leises Seufzen vernahm, wunderte sich Asper nicht einmal, obwohl der Stellaster - der sonst vor dem Grab ausspuckte, wenn er daran vorbeikam - bedächtig eine Handvoll Sand auf die flache Erhebung rieseln ließ. Immer noch klingt ihm der Gesang der Windharfe im Ohr. Eine zarte, lockende Melo die. Sie verdrängt den Gedanken an die Erde, die einer anderen, unverständlichen Sehnsucht weichen. Wind. Hoffentlich tanzen morgen früh wieder die Staubgeister über die Wüste, fleht Asper inständig zum tiefgrünen Himmel, ich wünsche mir Wind, nur Wind... Am nächsten Morgen wird Asper durch ein Geräusch geweckt. Fratts Schritte hallen durch den ge borstenen Rumpf der Omikron und nähern sich der Luftschleuse, die immer eine Handbreit offensteht, seit sie die Luft des Planeten atmen. Asper springt auf, packt den verschlafen grunzenden Bambu und läuft dem Gefährten hinterher. Fratt geht langsam auf die Oase zu, in der Rechten hält er den Handwerfer. Als Asper ruft, dreht er sich um, lächelt schwach und sagt: »Ich will sie mir ansehen, deine Windharfe... vielleicht gibt sie mir die Kraft, 15
die ich brauche...« »Und der Sender?« Asper begreift nicht. Fratt schüttelt den Kopf und murmelt: »Nein, noch nicht. Ich muß alles noch einmal durchdenken, es hängt zuviel davon ab.« »Warte, ich komme mit!« Wieder ein Kopfschütteln. »Laß mich allein, Asper. Ich brauche Ruhe, muß mich konzentrieren..., ich..., ich habe einfach Angst.« »Dann nimm wenigstens Bambu mit, das ist sicherer.« Da lacht Fratt spöttisch auf. »Was, diese Kröte? Ich habe das hier, das ist Sicherheit genug.« Er klopft gegen den Handwerfer. Asper beschleicht ein ungutes Gefühl. »Veranstalte nicht wieder so ein Feuerwerk«, bittet er den Ge fährten. Fratt winkt lässig ab. Lange noch schaut Asper ihm hinterher, bis die zerwehende Staubfahne den Rand der Oase erreicht und abrupt abbricht. Gerade will er sich abwenden, als Bambu ein merkwürdiges Wimmern hören läßt. Er rutscht unruhig auf Aspers Oberarm hin und her und klagt leise. Plötzlich springt Bambu ihm vom Arm und flitzt auf die Oase zu. »Bambu, zurück!« befiehlt Asper scharf, aber das Wesen hetzt weiter Fratt hinterher. Ärgerlich läuft Asper los und ruft immer wieder. Auf einmal zucken grelle Blitze durch die Morgendämmerung, und ein grauen volles Geheul steigt über der Oase auf. Die Tote Meute! durchfährt es Asper siedendheiß, und er beginnt zu rennen. Wieder und wieder sticht der helle Strahl der Waffe in den Himmel, taumelt wie trunken umher. Rauch steigt auf, und das Geheul steigert sich zu infernalischem Keifen und Kläffen. »Fratt! Aus dem Dschungel! Du mußt in die Wüste!« brüllt Asper, obwohl der Gefährte ihn unmöglich hö ren kann. Noch einmal blitzt es auf, dann verliert sich das Heulen der Toten Meute in der Tiefe des Dschungels. Vergeblich müht Asper sich, etwas zu erkennen. Warum gibt Fratt ihm kein Zeichen? Er müßte den Punkt in der Wüste doch erkennen, der sich auf die Oase zubewegt! Nur noch zweihundert Schritte. Am Rand der Oase bewegt sich etwas, hoppelt umher - jetzt hört er Bam bus verstörtes Schreien. Der kleine Kerl winselt und jammert, daß es Asper eisig überläuft. Dann sieht er es: Die Vegetation der Oase ist auf einer Fläche von einigen Dutzend Quadratmetern versengt und niederge trampelt. Überall liegen zerfetzte Kadaver der Toten Meute, der Boden ist mit Leichen übersät, die teilweise übereinandergehäuft sind. Von Fratt ist nichts übriggeblieben... Noch kann Asper es nicht fassen. Er irrt zwischen den zerfetzten Tierleibern umher und ruft immer wieder nach dem Gefährten. Da sieht er etwas metallisch blinken. Der Handwerfer! Er muß versagt haben! schießt es ihm durch den Kopf. Er bückt sich nach der Waffe, um sie gegen einen Stein zu schmettern, aber in letzter Sekunde zögert er. Vorsichtig betätigt er den Abzug - und ein greller Strahl fährt zischend in das Erdreich, hinterläßt eine qualmende Grube mit glasigen Wänden. Nun begreift Asper. Nicht die Waffe hat versagt. Niemand kann sich mit einem Handwerfer der Übermacht der Toten Meute erwehren. Fratt hätte das wissen müssen. Drei oder vier Dutzend Individuen konnte er töten, aber der hundertfachen Übermacht war er nicht gewachsen. Eine Weile wiegt Asper das Gerät in der Hand, dann schleudert er es verächtlich zwischen die splitternden Korallenpflanzen. Eine Waffe ist keine Überlebenshilfe - man muß seinen Verstand gebrauchen. Der Zusammenbruch kam am Abend, als ihm plötzlich mit aller Deutlichkeit bewußt wurde, daß er nun allein ist. Asper erinnert sich nicht mehr, was er alles getan hat. Erst Bambus zärtliches Quaken brachte ihn wieder 16
zu sich. So lange hat er bisher noch nie mit Borg gesprochen. Schon steigt wieder das grüne Leuchten der Sonne Tul über den Horizont, und noch immer sitzt er am Grab des Gefährten. Diese Nacht konnte er nicht im Wrack verbringen, dafür hat er einen zweiten Grabhügel aufgeschüttet und dem Erdreich anvertraut, was von Fratt geblieben ist - den Handwerfer... Bereits neunmal ist der kleine rote Mond über den Horizont gestiegen, und nur ein einziges Mal wehte ein leichter Hauch wenige Stunden durch die Oase. Asper hat träumend am Fuße der Windharfe gelegen und ihrem Zirpen und Singen gelauscht, versucht zu vergessen. Bald vermeinte er, den Balzschrei eines Warzenskeletts in den Melodien zu erkennen, dann wieder vernahm er erschauernd das Geheul der Toten Meute. Doch immer wieder wanderten seine Gedanken durch die staubige Wüste, suchten den Fuß des Vul kankegels ab und fanden dort verborgene Gitterflächen, zerquetschte Zylinder und Schriftzeichen. Vor allem diese Schriftzeichen... Fratt konnte ihm die Entscheidung nicht mehr abnehmen. Und plötzlich verstand Asper das Zögern des Stellasters. Er brauchte nur noch einen Kontakt zu schließen - und seine Einsamkeit hätte bald ein Ende. Aber wenn nun eine Gaswolke oder eine Gravitationsanomalie den Impuls verschlu cken oder wenn der Sender nicht funktioniert... Mit dem leeren Akku könnte er das Containerfahrzeug nicht benutzen, um das DING aus der Gefah renzone zu transportieren. Asper beschloß, den Sender und das DING einfach zu ignorieren. Für eine Weile wenigstens, bis er einen klaren Gedanken fassen konnte. Als die Windharfe immer leiser wurde und schließlich verstummte, weil die Luft wieder spröde und wie gefroren über dem Planeten lag, wußte Asper selbst nicht mehr, ob er es nur so empfand oder ob die Wind harfe wirklich die Stimmen dieser fremden Natur hörbar gemacht hatte. Heute wird er darauf achten, hat er sich vorgenommen. Bambu wußte gleich, wohin es geht, als Asper sich den Kanister auf seinen Rücken lud und die im Wind flatternden Haare um den Hals schlang. Das Tier ist weit voraus gesprungen und wird ihn wieder auffordernd mit dem Rüssel anstupsen, immer noch in der Hoffnung, Asper werde auch der dritten Windharfe eine tiefe Wunde schlagen, aus der jener köstliche Sirup quillt. Das erstemal in den drei Jahren jagen zerfetzte graue Schleier in geringer Höhe über den Himmel. Aus den Augenwinkeln heraus nimmt Asper eine blitzschnelle Bewegung wahr. Ein kahler, mehr als doppelt mannshoher Stamm zuckt auf ihn herab, entfaltet sich zu einem riesigen Fächer... Noch im Fallen reißt Asper den Arm mit der Machete hoch und schlägt verzweifelt zu. Das Haumesser dringt tief in die ledrige Haut zwischen den auseinandergespreizten Rippen der Fächerfalle. Dunkelheit um hüllt ihn. Er spürt den schweren süßlichen Gestank, der ihn sofort benebelt, und aus den Poren in den Fang rippen spritzt ein ätzender Saft auf seinen Körper. Asper röchelt auf, Todesangst verleiht ihm Bärenkräfte, und mit einem einzigen Schnitt schlitzt er die zähe Haut auf. Schon brennt das Verdauungssekret der Fä cherfalle wie flüssiges Eisen auf seiner Haut, frißt sich immer tiefer. Ein einziges Mal nicht aufgepaßt, und schon ist alles aus! durchfährt es Asper siedendheiß. Aber noch arbeitet sein Verstand fehlerfrei und schnell. Wie von selbst greifen seine Hände in den Riß, dann gelingt es ihm, den Kopf hindurchzuschieben, die rech te Schulter. Auf seinen Armen sieht er gelben Schleim, durch den stellenweise schon das rohe Fleisch leuch tet. Da zieht die Fächerfalle, der die Beute zu entfliehen droht, die auseinandergespreizten Rippen wieder zu sammen. In allerletzter Sekunde vermag Asper ein Knie in den Spalt zu schieben. »Bambu!« brüllt er verzweifelt auf und spannt alle Muskeln an. »Bambu!« Er drückt die Machete zwischen seinen Körper und eine der Rippen und preßt sich mit aller Kraft dagegen. Von seinen Händen löst sich die Haut in dünnen Fetzen, wie nach einer Verbrennung. Als ein leises Knacken zu hören ist, verdoppelt das Aspers Kräfte. In weiter Ferne steigt das Heulen der 17
Toten Meute in den wolkenverhangenen Himmel, kündet von reicher Beute. Das Haumesser dringt immer tiefer in das armdicke Fangorgan, endlich gelingt es Asper, auch das zweite Knie zwischen die Rippen der Fächerfalle zu stemmen. Da bricht die eine Rippe mit trockenem Knall ausein ander, und ehe sich die Fächerfalle wieder zusammenziehen kann, rollt sich Asper zur Seite. Dann bleibt er schweratmend liegen. »Das war knapp...«, flüstert er erschöpft und reibt sich mit Sand den brennenden Schleim vom Körper. Früher hätte er sich brüllend am Boden gewälzt, jetzt empfindet er die Schmerzen nicht mehr so stark. Er hat Schlimmeres erlebt. Vorsichtig betastet er die verätzten Stellen, die unter dem Sand schnell austrocknen. Als Bambu erregt zwitschernd angehoppelt kommt und ihn mit seinem Trichterrüssel eifrig beschnüffelt, ist Asper bereits wieder auf den Beinen. Er sieht sich nach seinem Kanister um und bekommt erneut einen Schreck. Unter der Haut der immer noch am Boden liegenden Fächerfalle zeichnen sich die kantigen Konturen des Behälters ab. An den leichten Zuckungen der Haut zwischen den Rippen erkennt Asper, daß die Pflanze ver sucht, den Kanister mit ihrem Sekret aufzulösen. »Dummes Vieh!« grunzt er verächtlich und packt die Machete fester. Er legt seine ganze Wut in den Hieb mit dem an einem Stein scharf geschliffenen Blechstück. Die Schneide dringt tief in das Fleisch der Pflanze. Augenblicklich zuckt die Fächerfalle zurück, faltet sich blitzschnell zu sammen und schnellt hoch. Das Messer wird Asper aus der Hand gerissen und fliegt in hohem Bogen in den Dschungel. Asper bemerkt nicht, wie Bambu der davonsegelnden Machete hinterherhetzt. »O Gott, das gibt es nicht...«, murmelt er verstört. Noch einmal rieselt es ihm eisig über den Rücken, spürt er plötzlich die Wunden brennen und stechen, riecht er den Fäulnisgestank des Magensaftes der Fächerfalle: Vom Kanister ist nur noch ein rostiges, löchriges Gehäuse übrig, als läge er dort schon hundert Jahre, Wind und Wetter ausgesetzt... »Komm, Bambu - diesmal haben wir verloren«, preßt Asper zornig hervor. Der Kanister ist sein einziges Transportgefäß gewesen. »Wir werden uns alles zurückholen, was die Fächerfalle uns genommen hat, Bambu. Die Haut ist zäh und widerstandsfähig - vielleicht kann man aus ihr einen Wassersack anfertigen! Trägt sich viel bequemer, warum bin ich nicht schon viel früher draufgekommen? Da schleppe ich Idiot mich seit drei Jahren mit diesem kantigen Blechding ab, das nicht einmal den Hunger einer allesfressenden Pflanze übersteht...« Ob Borg, Fratt oder Rhominth daraufgekommen wären? Asper überlegt und kommt zu keinem Ergebnis. Vielleicht hätte Borg seinen Anspruch, immer der Erste und Beste zu sein, irgendwann sogar aufgegeben. Solch ein Ekel war er doch eigentlich gar nicht. Als sie nur zwei Tage hatten, um die Oberfläche des Achten im System Mho zu kartographieren, hat er sich, ohne ein Wort zu verlieren, neben ihn an den Holographen gestellt. Und als Asper sich am Ende des zweiten Tages bedanken wollte, hat er abgewinkt und - zugegeben - geringschätzig gelächelt. Aber vielleicht konnte Borg einfach nicht anders. Wieder bemerkt Asper eine Veränderung: Der Wind hat kaum nachgelassen, und trotzdem schweigt die Windharfe, deren Singen und Zirpen schon längst zu hören sein müßte. Dafür klingt aus ihrer Richtung der jammernde Balzschrei eines liebestollen Warzenskeletts. Und da - weiter entfernt antwortet ein Artgenosse! Asper beschleunigt seinen Gang. Das Kampfritual der beiden Warzenskelette darf er sich nicht entgehen lassen. Im Gegensatz zu den Balzrivalitäten der meisten Tierarten auf der Erde geht es hier auf Leben und 18
Tod. Oft währt solch ein Kampf Stunden. Zweimal erst hat er beobachten können, wie die obskur geformten Wesen einander im Zeitlupentempo umschleichen, plötzlich aufeinander losgehen, ineinander verknäult über den Boden rollen und wie auf ein geheimes Kommando auseinander spritzen. Wieder ertönt der durchdringende Schrei eines Warzenskeletts, und sofort antwortet der unsichtbare Gegner, Wut und Erregung schwingen in seinem schrillen Ruf. Die Erregung überträgt sich auf Asper. In einer Welt des Kampfes, des Fressens und Gefressenwerdens beschränken sich auch die Vergnügungen auf die einfachsten Dinge des Lebens. Einem Kampf zuzuschauen, in den man selbst nicht verwickelt ist, der die eigene Existenz nicht berührt, und in den Triumphschrei des Siegers mit einzustimmen - das ist doch ganz etwas anderes als die Illusionen im weichen Sessel eines Traumteufels, eines Phantomaten, so perfekt sie auch sein mögen: Erneut schallt der wütende Balzschrei durch die Oase. Asper wendet verwirrt den Kopf. Der Ruf kam ge nau aus der Richtung der Windharfe, und diese schweigt, obwohl eine steife Brise durch den Dschungel weht. Die Antwort des anderen Warzenskeletts schrillt in allernächster Nähe aus dem Gewirr der korallen artigen Gewächse. Da wieder! Fast könnte Asper beschwören, die Windharfe hätte den Ruf ausgestoßen, oder das Tier hält sich hinter der Pflanze verborgen. Im Schatten einer großen Zinnoberkoralle läßt er sich vorsichtig nieder, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen und jede überflüssige Bewegung zu vermeiden. Dann wartet Asper geduldig. Bambu auf sei nem Oberarm scheint der bevorstehende Kampf nicht sonderlich zu interessieren - er schläft. Erneut ein Schrei von dort, wo die Windharfe steht! Da bricht ein mit kastaniengroßen Pocken und Warzen übersätes Skelett aus dem Niederwuchs, wütend kreischend und zeternd, den kurzen Saugrüssel steil aufgerichtet wie ein Horn. Plötzlich öffnet sich die Windharfe. In ihrem Unterteil, dicht über dem Boden, schmatzt etwas ausein ander, das entfernt einem Mund ähnelt, und aus diesem dunklen Rachen schallt Asper ein Schrei entgegen der Balzschrei eines Warzenskeletts... Noch bevor Asper begreift, ist es alles vorbei. Kein Ritual, kein Kampf, kein Todesröcheln und Triumphge schrei. Wie von Sinnen stürzt sich das Wesen in den aufgerissenen Rachen der Windharfe, dieser schließt sich, und Ruhe liegt über der Erhebung... Es dauert eine Weile, bis Aspers verkrampfte Glieder sich wieder lockern, bis er wieder ruhig und gleich mäßig atmen kann. Genau an der Stelle, wo sich die dunkle Öffnung auftat, hatte er das letztemal gesessen und sich gegen den weichen Körper der Pflanze gelehnt... Liebliches Gezirpe und Gesumme schwingen über den Dschungel. Die Windharfe singt. Asper schüttelt sich angewidert. »Genauso ein heimtückisches Biest wie alles andere auf diesem Planeten...« Aber gleich weist er sich zurecht. Diese so leicht zu verletzende Pflanze verfügt über eine einzigartige Fä higkeit, warum soll sie sie nicht nutzen? Sie ist imstande, die Stimmen ihrer Beutetiere zu imitieren - welch eine grandiose Leistung der Natur. Nein, die Windharfe verdient Bewunderung, nicht Verachtung. Ihre Jagd nach Nahrung erfordert höchste Meisterschaft, aber ein wenig erinnert sie ihn an Borg und Fratt. Eine geringfügige Verletzung verurteilt dieses hochspezialisierte Wesen zum Tode... Unwillkürlich betastet Asper seinen verätzten Körper, seine Hände fühlen alten Schorf und vernarbte Wunden, aber durch seine Adern pulsiert es heiß und kraftvoll, durchströmt gierig sein Herz. Und plötzlich denkt er wieder daran: Der Sender ist fertig. Ein Ungetüm aus zersplitterten Gleichrichter elementen, zusammengedrehten Kabelenden und selbstgewickelten Spulen, mit einer Richtantenne, die eher einer blechernen Blume gleicht, aus mühsam zurechtgebogenen Stahlplatten gefertigt. 19
Was geht ihn das DING an! Soll es dort liegenbleiben! Wer weiß, wie lange es sich schon auf diesem Plane ten befindet - warum soll es gerade jetzt von einem Lavastrom verschlungen werden? Weshalb sollte ausge rechnet in der Zeitspanne ein Felsblock das Zerstörungswerk vollenden, die bis zu seiner Erlösung verstrei chen wird? Der Gesang der Windharfe lullt ihn ein, und Asper gerät wieder ins Träumen. Er führt lange Selbstgesprä che, und immer wieder wandern seine Gedanken zur Erde, zu Mona - und Rhominth. Bambu kullert quiekend über den Boden, hoppelt immer wieder zur Windharfe und preßt seinen Trichter rüssel schmatzend gegen den Pflanzenkörper. Anfangs schenkt Asper dem keinerlei Beachtung, dann auf einmal wird ihm die tödliche Gefahr für seinen Freund bewußt. »Bambu, hierher, hopp!« befiehlt er scharf, muß aber gleich darauf herzlich lachen. Bambu trampelt trotzig auf der Stelle und stößt ein beleidigtes Trompeten aus. »Begreif doch, davon gibt's nichts mehr, ich mach mir doch deinetwegen nicht mein Sinfonieorchester ka putt, du Dummerchen.« Bambu scheint zu verstehen, zumindest am Klang der Stimme erkennt er, daß Asper hart bleibt. Wütend schlägt er mit dem Rüssel auf die Erde. »Na komm schon, Kleiner«, lockt Asper zärtlich. Widerstrebend trippelt Bambu zu ihm, den Trichterrüssel enttäuscht hinter sich herschleifend. Erst als Asper das Tierchen über seinen rechten Oberarm schiebt, verwandelt sich das gekränkte Schnaufen in ein Quieken, das von höchstem Behagen zeugt. Asper wendet sich seufzend zum Gehen. In der Wüste warten die zentnerschweren Astrolithen auf ihren Sisyphus. Das Leben geht weiter, so fremdartig und anders es auch ist auf diesem Planten der Sonne Tul... Der tausendzweiundachtzigste Astrolith liegt an seinem Platz. Zwölfmal nur konnte Asper in den letzten beiden Monaten dem Gesang der Windharfe lauschen. Asper hat ein kleines Containerfahrzeug, das wie durch ein Wunder unbeschädigt geblieben ist, ins Freie gerollt und eine Kabelverbindung zwischen Akku mulator und Sender hergestellt. Er braucht nur noch einen Schalter zu betätigen. Aber seit fast fünf Wochen verschiebt er diesen Augenblick von einem Tag auf den anderen. Er war noch einmal am Fuße des Mons Titanus und hat das DING untersucht. Wenn es nun doch der Be weis dafür ist, daß die Menschheit nicht allein im Universum ist, daß es noch eine andere Raumfahrt be treibende Zivilisation gibt? Vielleicht birgt es in einem der deformierten Zylinder sensationelle Informa tionen? Aber - verdammt noch mal - es sieht ganz und gar nicht so aus, wie man das aus Büchern und Fil men kennt, wie ein normaler Mensch sich extraterrestrische Technik vorstellt: fremdartig, unverständlich und eben ganz anders... Sogar die Schriftzeichen wirken vertraut, überhaupt nicht außerirdisch. Soll er seinen Akku opfern, um et was zu bergen, das sieh später dann als wertloser Abfall entpuppt? Sein Leben aufs Spiel setzen, um ein Fossil der irdischen Raumfahrt vor der Vernichtung zu bewahren? Um einer Ungewißheit willen auf die Heimkehr verzichten? Asper schiebt diese Gedanken unwirsch zur Seite. Der Wassersack, den er sich aus einer kleinen Fä cherfalle fertigte, hat sich bewährt. Zwar ist er nicht ganz dicht, aber mehr als ein Sechstel der Flüssigkeits menge verliert er nicht, wenn er den Rückweg ohne Aufenthalt zurücklegt. Eine wichtige Entdeckung ist ihm gelungen: Mit den Stimmsaiten in den Röhren vermag die Windharfe nicht nur Töne zu erzeugen - son dern auch zu hören! Asper hat an windstillen Tagen beobachtet, wie die Saiten unmerklich vibrierten, sobald ein lautes Geräusch zu vernehmen war. Zweifellos ist Zirr in der Lage, diese Resonanzen als Sinnesein drücke zu verwerten. Zirr - so hat er die Windharfe genannt. Zirr - so zirpt und sirrt es, wenn der Wind durch die Röhren in dem Gewächs fährt... Zirrs Gesang ist ihm immer vertrauter und unentbehrlicher geworden. Die suggestive Wirkung dieser 20
Töne ist so stark, daß Asper schon einigemal vermeinte, in dem Zirpen Worte zu erkennen. Mit der Machete bahnt er sich den Weg durch das Korallengewirr. Noch nie hat er sich auf den Wind so sehr gefreut wie heute. Er muß sich bei Zirr bedanken, denn die Windharfe hat ihm das Leben gerettet. Er hat Bambu unwillig abgewehrt, als dieser um ihn herumsprang und ein warnendes Quaken anstimmte. Selbst durch Zirrs Gesang hindurch hatte das kleine Knochentier das Heulen der herantobenden Toten Meu te gehört. Als es hölzern klappernd und mit hornigen Gebißkanten schnappend aus dem Dschungel hervor stürmte, war es für die Flucht bereits zu spät. Aus! durchfuhr es Asper siedendheiß. Jetzt ist alles aus! Aber ich werde kämpfen, wie es auf diesem Planeten Gesetz ist, nahm er sich trotzig vor, bis zum letzten Atem zug! Mit dem Rücken gegen die singende Pflanze gepreßt, schwang er das Haumesser über dem Kopf. Der Meute voran lief ein einzelnes Untier, setzte zum Sprung an und flog auf ihn zu. Aspers Machete wir belte durch die Luft und zersäbelte das Wesen, bevor es gegen seine Brust klatschte. Noch im Sterben schnappten die Hornkanten nach seinem Arm, kraftlos schon, aber immer wieder. »Gut so«, rief Asper, »beiß zu, Bestie, und dann fahr zur Hölle!« Ein zweiter Hieb zerschmetterte die Kiefergelenke des Scheusals. Da vernahm Asper unmittelbar über sich ein nur zu gut bekanntes Surren und Schwirren. »O Gott, warum gerade jetzt, das ist ungerecht...«, flüsterte er heiser. Ein feiner Stich im Hinterkopf bestä tigte die grausige Wahrheit. Asper schrie wild auf. Seinen ganzen Haß auf diese heimtückische Welt legte er in den Schrei und zerfetzte mit einem gewaltigen Streich zwei der anstürmenden Bestien auf einmal. Aber was war das? Die anderen Scheusale zögerten, duckten sich zu Boden, krochen mühsam zurück. So kannte er die Tote Meute nicht, die sich sonst durch nichts und niemanden aufhalten ließ. Alles ging sehr schnell, diesmal gelang es ihm nicht, das Grün des Psychodrachen abzuwehren, es breitete sich in ihm aus als eine Angst, die nur die Summe aller jemals erlebten Ängste des gesamten Universums sein konnte. Er spürte, wie sein Herz für Sekunden stehenblieb, als es vom Grün berührt wurde, sein Gehirn schien zu verdampfen unter der sengenden Hitze dieser kosmischen Angst, und Asper wurde in eine starre Ewigkeit geschleudert. Bis er begriffen hatte, daß Zirr den Psychodrachen imitiert hatte, um die Tote Meute abzuwehren, verging einige Zeit. Die Tote Meute jedenfalls war spurlos verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Und Asper fragte sich ratlos, ob Zirr nur ihre eigene Haut retten wollte oder ob sie es für ihn getan hatte. Wie immer ist Bambu schon vorangesprungen. Er hat immer noch nicht begriffen, daß Aspers Messer nie wieder eine Windharfe töten wird, und sein Trichterrüssel tastet sich wieder schmatzend über Zirrs porige Oberfläche. Asper lächelt bei diesem Gedanken. Im Gehen bückt er sich, um eine Traube Gallertkugeln aus dem Boden zu reißen. Er schüttelt den Sand ab und stopft sich die Dinger in den Mund, genüßlich zerbeißt er die salzigen Blasen und schlingt das Gelee hinunter. Aus der Ferne hört er Bambu erregt quarren. Ein Ton schwingt in Bambus Ruf mit, der Asper neu ist, den er aber schon im Quieken von Bambus Artgenossen gehört hat: ein zärtliches, nervöses Girren und Zwit schern. »Beim großen Sirius, Bambu wird erwachsen, das hätte ich beinahe verschlafen«, flüstert Asper, »wird Zeit, daß ich mit ihm mal ein Wort unter Männern rede...« Eine Stimme antwortet Bambu, ebenso zärtlich und lockend. Oder, nein das ist doch Bambu selbst. Aber da fällt die andere Stimme ein - und auch das ist Bambu! Aspers Gehör vermag feine Nuancen zu unter scheiden, er hört Bambu aus einem Dutzend seiner Artgenossen heraus. Kein Zweifel, beide Stimmen gehö ren seinem kleinen Freund, obwohl das unmöglich ist. Auf einmal begreift Asper. Wie wild hackt er auf die Korallengewächse ein, wirft sich gegen die splittern den Pflanzen, tobt durch den Dschungel. »Bambu, zurück! Komm sofort zurück, Bambu!« brüllt er aus Leibeskräften. Das Quieken des kleinen Skeletts steigert sich zur Ekstase. »Bambu, hierher! Zu mir, dummes Ding!« Asper kreischt wie ein Besessener. Nein, das darf Zirr nicht tun, 21
das wird er der Windharfe nie verzeihen, mit einem einzigen Hieb der Machete wird er sie in zwei Hälften spalten, zerhacken wird er sie... »Bambu!« Immer das gleiche, schießt es Asper durch den Kopf, der verdammte Arterhaltungstrieb schaltet bei allen Lebewesen den Verstand aus, alle Instinkte und Erfahrungen sind vergessen, wenn die mächtige Stimme der Natur ruft... Asper stürmt durch die Oase. Seine Machete metzelt alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt, sogar die Trillerlinge auf seiner Brust haben sich furchtsam in ihre Geißelpocken verkrochen. »Bambu!« Das kleine Knochentier antwortet nicht. Niemand antwortet. Die Oase verharrt in ängstlichem Schweigen. »Zirr! Tu es nicht, ich töte dich, Zirr!« Der Kelch einer Orgelpfeifenstaude zuckt auf ihn herab. Aspers Messer beschreibt einen silbrig glitzernden Kreis in die Luft, und der gierig aufgeblähte Schlund der Pflanze klatscht in den Sand, ohne daß Asper sei nen rasenden Lauf unterbrochen hätte. Zirr empfängt ihn mit zartem Gesang. Fast will es Asper scheinen, die Windharfe verspotte ihn, indem sie heute so liebliche Melodien erklingen läßt wie nie zuvor. »Bambu! Komm hervor, hör auf mit dem Unsinn!« Noch will er nicht wahrhaben, daß er seinen einzigen Freund verloren hat. »Bambu, mein Kleiner, komm doch...«, fleht Asper, und Tränen füllen seine Augen. Kalter, klebriger Schweiß tritt auf seine Stirn, sammelt sich in der tiefen Narbe. Aspers zerfetztes Gesicht zuckt wie unter Stromstößen. Allein! hämmert es in seinem Kopf. »Bambu... Bambu...« Er läßt sich auf die Knie und preßt die Stirn gegen den Boden. Allmählich erstickt sein klägliches Geheul im Schluchzen. Das Zirpen der Windharfe klingt traurig und mitleidig. Asper hebt den Kopf und starrt Zirr aus feuchten Augen an. Ich muß das Biest töten, befiehlt er sich. Ich muß Bambu rächen! Aber je länger er Zirrs Gesang lauscht, desto schwächer wird sein Zorn. Die Verzweiflung weicht einer tiefen und schläfrig stimmenden Melancholie. »Tut es dir wenigstens leid?« Asper stöhnt leise, und als hätte Zirr die Frage verstanden, antwortet sie mit einer raschen Tonfolge, die Asper einen tiefen Seufzer entlockt. Und auch das schmerzhafte Gefühl der Einsamkeit schwindet... Zirr singt, und Asper lauscht verzückt. Vergessen, alles einfach vergessen! scheinen die feinen Stimmchen ihm zuzuwispern, und schon ist ihm, als wäre das alles in einer anderen, weit entfernten Welt geschehen. Er faltet den Wassersack zusammen und legt ihn sich unter den Kopf. Dann beginnt Asper zu träumen. Heute wird er keinen Astrolithen durch die Wüste rollen. Zirrs Melodien durchdringen ihn mit seltsamer Wärme. Asper schließt die Augen. Er hat der Windharfe verziehen. Bambu war ein lieber kleiner Kerl - aber er konnte nicht singen. Seit zwei Tagen spricht die Windharfe. Es ist zusammenhangloses Zeug. Satzfetzen, Worte, die Zirr von Asper zu hören bekam, ohne jeden Sinn aneinandergereiht. Wie sie den Balzruf des Warzenskeletts und so gar die Hypnoschreie des Psychodrachens imitieren kann, so spricht sie Aspers Worte nach. Trotzdem ist Asper entzückt. Seit Wochen hat er keinen Astrolithen angerührt, jeden Tag zog er in den Dschungel, um sich in Zirrs Nähe in den Sand zu legen und auf Wind zu hoffen. Sein Sender steht noch immer betriebsbereit neben dem Wrack der Omikron. Asper macht jedesmal einen großen Bogen um das Gerät, und wenn der hochaufragende Kegel des Mons Titanus in sein Gesichtsfeld ge rät, schlägt er unangenehm berührt die Augen nieder. Vor Tagen schimmerte die Bergkuppe blutrot, und feurige Ströme wälzten sich über die Flanken des Vulkans hinab, von weitem glichen sie blutigen Rinnsalen. Solange er den Sender noch nicht benutzt, fühlt er sich nicht schuldig. Und insgeheim wünscht er sich immer noch, daß die Natur ihm die Entscheidung abnimmt. Wenn das Fahrzeug bei der Bruchlandung 22
beschädigt worden wäre, dann müßte er das DING dort sowieso liegenlassen, selbst wenn er genau wüßte, daß es sich um einen extraterrestrischen Flugkörper handelt. Aber das Fahrzeug ist intakt, er müßte nur einen Knopf drücken... Einigemal hat er seitdem beobachten können, wie Zirr Beute macht. Jedesmal mußte er die Vollkommen heit bewundern, mit der die Windharfe die Stimme ihrer Beutetiere nachahmte. Vor einigen Tagen hat Asper eine beunruhigende Entdeckung gemacht. Zirr beginnt, sich zu verfärben. Das satte Gelb wird dunkler und matter, zeigt stellenweise bräunliche Flecken, die rasch austrocknen und verhärten. Zirr stirbt. Erst kann Asper es kaum fassen, doch immer mehr verdichtet sich seine Ahnung zur Gewissheit: Er selbst ist schuld daran. Wie konnte er die ganze Zeit glauben, nur ein Mensch könne Einsamkeit empfinden, dar unter leiden, daran zugrunde gehen? Nicht ein einziges Mal klang Zirrs Stimme fröhlich, immer schwangen wehmütige, melancholische Töne in ihrem Gesang. Asper hat ihre beiden Gefährten getötet. Nur das kann der Grund für das nahe Ende der Windharfe sein. Diese Erkenntnis betäubt Asper, das Gefühl der Schuld quält ihn so sehr, daß er kaum noch die Kraft auf bringt, Trauer zu empfinden. Wie soll er weiterleben - ohne Bambu, ohne Zirr...? In Zirrs Stimme ist ein Klang, der Asper verwirrt. Eine solch schwere intensive Süße, daß Asper sie auf der Zunge zu schmecken meint, so durchdringend, daß es ihm schwerfällt, zu unterscheiden, ob es nicht vielleicht auch tiefste Bitterkeit ist oder beides. Sein Atem geht schneller, und er spürt den Puls heftig in den Schläfen. Ganz flüchtig kommt ihm der Ge danke, daß er genauso hilflos und durcheinander war, als Mona sich das erstemal vor ihm entkleidete, spielerisch ihren schlanken Körper durchbog und dabei kein Auge von ihrem Spiegelbild ließ, und dann dieser blitzschnelle Blick, der sich ihm zu einer Ewigkeit dehnte und sich in sein Herz fraß... Ein anderes Gefühl fährt wie ein Windstoß in diese Erinnerungen, zerweht sie und trägt sie davon. Und Zirr singt wie nie zuvor. Asper lauscht verwundert in sich hinein. Ist es das wirklich, was seinen Brustkorb ausfüllt und dehnt, ihn wie würzige Frühlingsluft durchströmt - ist es tatsächlich dieses uralte Gefühl, Fluch und Segen aller Vernunft, Feder jenes ewigen Uhrwerks vom Werden und Vergehen? Er könnte mit dem Finger die grüne Sonne berühren, wenn er sich auf die Zehenspitzen stellt - so treibt es ihn auseinander. Plötzlich hört er Zirr rufen. »Komm, Bambu, komm... ach, du kleiner Dummkopf... na, komm schon...« Mit ebenjenem Unterton, der in seiner Stimme zärtlich vibrierte, wenn er mit seinem kleinen Freund sprach, lockt Zirr. Diesmal versteht er es ganz deutlich, und sofort begreift er, wen Zirr zu sich ruft. »... nun komm, mein Kleiner, hab dich nicht so..., hopp, Bambu..., ach, ihr meine Kleinen...« Das wispernde Stimmchen dringt tief in ihn. Es sind genau seine Worte, aber jetzt bedeuten sie etwas anderes. Der Ruf gilt ihm. Schmatzend klafft Zirrs Mundöffnung auseinander. Den Bruchteil einer Sekunde kann Asper noch klar denken. Zirr, du bist eine Meisterin! durchrieselt es ihn, und Asper kichert in sich hinein. Dann ergreift wilde Erregung von ihm Besitz, er läßt sich auf die Knie fallen und kriecht hinein in den gähnenden Schlund. Feuchte Wärme schlägt ihm entgegen, nimmt ihm den Atem. Es ängstigt Asper nicht, als sich die Öffnung hinter ihm wieder schließt. Weich ist es hier überall, weich und warm und dunkel... Es ist wie ein einziges Stöhnen, als die Tröpfchen wie ein warmer Sommerregen auf ihn herabspritzen. Asper spürt ein leichtes Brennen auf der Haut, aber es ist nicht unangenehm. Er liegt lang ausgestreckt zwi schen irgendwelchen Zotten, der stechende Geruch betäubt ihn, schläfert ein... Er merkt noch, wie sein Körper in etwas Schaumigem versinkt, dann rieselt es wieder auf ihn hinab, aber diesmal anders, weich und flockig wie Schnee... Erst als durch die aufklaffende Mundöffnung der kalte Nachtwind bläst, kommt Asper wieder zu sich. Benommen kriecht er ins Freie. Zirr ist hart und ausgetrocknet. 23
Zirr ist tot. Asper spürt das Jucken und Brennen auf der Haut kaum, zu groß ist der Schmerz über den Verlust seiner singenden Freundin. »Hallo, Borg... wie geht's, Fratt... na, Rhominth, heute lernen wir ein neues Lied..., ja doch, Mona, zu dir komm ich auch noch...« Asper schreitet lächelnd die Reihe der jungen Windharfen ab. »Asper..., schön, daß du endlich kommst, Asper..., ich freue mich, daß du uns besuchst ...«, wispert es viel stimmig. Über Aspers zerfetztes Gesicht läuft ein irrsinniges Zucken. Mechanisch streichelt er über die Fühler der Trillerlinge und kichert dabei. Und ich dachte, Zirr wollte mich auffressen! Jedesmal geht ihm dieser Ge danke durch den Kopf, wenn er seine Kinder besucht, um sich mit ihnen zu unterhalten. Was kümmert es ihn, daß sie stets über dasselbe reden, daß seine Kleinen oft die auswendig gelernten Antworten ver wechseln - sie sprechen, das ist viel wichtiger. Und es sind seine leiblichen Kinder, das ist am allerwichtigs ten... Zwei Jahre ist es nun her. Als sich auf seiner Haut kirschgroße Blasen bildeten, bläulich schimmernd vom Blut, das sie prall füllte, dachte er erst an eine Krankheit Wie aber wunderte er sich, als die ersten Fruchtbla sen aufplatzten und er kleine gelbliche Schwämmchen von Erbsengröße aus seiner Haut zog, deren kurze Wurzelfüßchen sich zusammenringelten wie kleine Würmer. Lange hat er überlegt, warum Zirr gerade ihn ausgewählt hat. Erkannte sie seine Stärke, seine Unbesieg barkeit? Die Natur dieses Planeten scheint die Sinne ihrer Geschöpfe gerade für diese Eigenschaften ge schärft zu haben. Oder war es Zufall, nahm sie ihn als Partner, weil er als einziger zugegen war, als sie starb? Mit letzter Kraft hat sie ihn gelockt und zum Vater von vierunddreißig kleinen Windharfen gemacht... »Ja doch, meine Kinder, ich komme ja schon.« Asper nimmt den Wassersack von der Schulter und gießt etwas Flüssigkeit über Borg, der ihm schon fast bis zur Hüfte reicht. Dann richtet er sich auf, streckt sich müde. Es ist nicht leicht, eine solch große Familie zu versorgen. Sein Blick wandert zum Horizont, und teilnahmslos folgt er der sinkenden Sonne Tul. Irgendwo dort waren früher einmal zwei sanfte Hügel, auf die er jeden Abend den Staub der Wüste häufte, und irgendwo dort steht das kleine Containerfahrzeug, am Heck ein dickes Kabel, das um das DING geschlungen ist. Die Energie des Akkus hat gerade so gereicht, um es aus der Gefahrenzone zu ziehen. Dort wird es jetzt tausend Jahre liegen, wenn es sein muß. Eines Tages wird die Omikron sicher entdeckt, wenn nicht von den Menschen, dann bestimmt von den Erbauern des DINGS. Dann wird er - Proximer Asper Omega - vielleicht schon lange tot sein. Aber man wird auch den funktionstüchtigen Sender sehen... Aspers schrilles Lachen steigt hoch über die Oase. Als der kleine rote Mond über den Horizont steigt, mischt sich sein blutiges Glühen mit den auf spritzenden Feuerkaskaden, die der Mons Titanus in die Nacht schleudert. Alles aber überstrahlt das smaragdene Funkeln der Astrolithen. Asper hat das große A nicht vollendet, da für aber zwei weitere Reihen der leuchtenden Steine angefügt, in Form eines zweiten Winkels, und so ein großes M gelegt. Und wenn die jungen Windharfen schlafen, durchwandert er ziellos die Wüste und ruft zu den Sternen empor: »Mona, ich werde zurückkehren..., warte auf mich, Mona...«
24