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BAD EARTH Die große Science-Fiction-Saga PHANTOMJAGD von Conrad Shepherd Im Jahr 2019 setzen erstmals irdische Astronauten ihren Fuß auf den Mars. Sie sollen den Grundstein für eine spätere Kolonisierung legen. Doch die Mission scheitert. Zwei Jahrzehnte später starten die USA ihr modernstes Raumschiff, um die unter dem Marssand lauernde Gefahr zu erforschen. Doch noch während die RUBIKON unterwegs ist, wird das gesamte Sonnensystem von einem verheerenden Phänomen heimgesucht. Auf der Erde kommt es zu apokalyptischen Szenen. Dann verwandelt sich auch noch Jupiter, der größte Planet des Sonnensystems, in ein Schwarzes Loch - aus dem heraus eine fremde Invasionsflotte Kurs auf die Erde nimmt! Auch die gemischte RUBIKON-Besatzung, aus normalgeborenen und geklonten Menschen - so genannten GenTecs - bestehend, wird angegriffen. Ihnen gelingt es jedoch, das außerirdische Schiff zu kapern und von seinem Kurs abzubringen. Statt wie vermutet zur Erde, rast der Raumer plötzlich unaufhaltsam in das Wurmloch auf der ehemaligen Jupiterbahn. Cloud und die GenTecs Scobee, Resnick und Jarvis werden in eine unbekannte Region der Galaxis verschlagen - und dort Zeugen einer Raumschlacht. Der größte Schock steht ihnen aber noch bevor. Denn auf der Hülle eines der kämpfenden Schiffe prangen irdische Schriftzeichen. PEKING steht auf dem fantastischen Raumschiff, von dem die Erde, die Cloud und die GenTec-Klone kennen, nur träumen könnte. Eine Erde, die noch nie ein bemanntes Raumschiff auch nur über die Marsbahn hinaus entsandt hat... Prolog Warum waren all die Sterne verschwunden - und wohin? Niemand wusste die Antwort darauf. Und nach der Schwarzen Flut, nach den Schiffen, die aus dem Jupiter-Wurmloch aufgetaucht waren, konnte das Abhandenkommen der Sterne kaum noch jemanden erschüttern... Über dem unterirdischen Bunker, in den sich Sarah Cuthbert, Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, zurückgezogen hatte, war es noch heller Tag. Aber auch hier kam das Phänomen voll zum Tragen. Denn am fast wolkenlosen Nachmittagshimmel stand keine Sonne mehr. Keine Sonne - und trotzdem herrschte milde Helligkeit? Sarah schauderte innerlich. Der Mann, der sie unmittelbar nach der Landung der AF1 in Empfang genommen und begrüßt hatte, wartete auf ihre Antwort. »Wie lauten ihre Befehle?«, hatte er gefragt. »Alles ist zum Gegenschlag bereit. Minütlich kommen neue Anfragen auf der von Kampfjets aufrechterhaltenen
Sonderfrequenz herein. Kaiser Sadako verlangt, sie zu sprechen. Sadako hat den Finger schon auf dem roten Knopf. Er...« Die Jets hatten eine provisorische Relaiskette gebildet und waren bislang unbehelligt geblieben. Ein »Friede«, dem jeder misstraute. »Er wäre ein Narr, wenn er das täte«, unterbrach Sarah den Mann, der ihr fast so ein Unbehagen bereitete wie die Außerirdischen. Reuben Cronenberg. NCIA. Zwei Namen, zwei Garanten für Gänsehaut. Selbst für die mächtigste Frau der Welt, dachte sie in milder Selbstironie. Der Leiter des amerikanischen Geheimdienstes wirkte auf den ersten Blick wie ein biederer Familienvater. Doch die Aura, die ihn umgab, strafte diesen Eindruck Lügen. Und die Dossiers, die Sarah im Laufe ihrer Amtszeit über ihn beziehungsweise von ihm gelesen hatte, unterstrichen die Gefährlichkeit dieses Mannes, der einen Staat im Staate führte. Sarah hatte nie Anlass gehabt, an seiner Loyalität zu zweifeln. Doch in Anbetracht der kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Weltordnung, war ihr Cronenberg suspekter denn je. Traue niemandem!, rief sie sich die Maxime einer antiquierten TV-Serie in Erinnerung, die sie hin und wieder zur Zerstreuung anschaute. Traue niemandem. Sie war geneigt, diesen Wahlspruch zu beherzigen, zumal... »Sie sind jetzt alle gelandet!« Jemand rief es aus dem Hintergrund der Bunkerzentrale. Sarahs Blick irrte zwischen den Versammelten hindurch und fand Sid Palmer, einen ihrer engsten Vertrauten. Über eine lange Strecke hatte er sie als väterlicher Freund begleitet - was nicht hieß, dass es nie zu Differenzen zwischen ihnen kam. Im Gegenteil. Sie gingen hart, aber ehrlich miteinander um. Der äußerlich an einen Schauspieler des 20. Jahrhunderts - Frank Sinatra - erinnernde Palmer nahm im Gegensatz zu den meisten so genannten Beratern, die Sarah umschwärmten, selten ein Blatt vor den Mund. »Das will ich mir ansehen...« Die Präsidentin ließ Cronenberg einfach stehen und eilte auf die Monitorscheibe zu, vor der Sid Palmer stand. Insgesamt waren neun großflächige Wiedergabeschirme über den Raum verteilt, ein jeder gut zwei mal zwei Meter groß. Vor der Zerstörung des Satellitennetzes war es möglich gewesen, darauf Live Bilder von jedem Punkt der Erde zu empfangen. Inzwischen beschränkten sich die Darstellungen fast ausnahmslos auf Computersimulationen. Anders hier. Sarah hatte mitbekommen, dass es den Technikern gelungen war, in verschiedene Gebiete der Staaten, die von besonderer Wichtigkeit und Brisanz waren, leitungsgestützte Verbindungen aufzubauen. Die alten Kabel gelangten so zu neuen Ehren. Aber der Anlass war äußerst unerfreulich... Mein Gott, dachte Sarah. Wenn jemand wüsste, mit welchen Dingen ich mich beschäftige, während draußen die Außerirdischen herumspuken!
Als sie neben Palmer trat, nickte dieser ihr wortlos zu und richtete gleich wieder selbst den Blick auf das Geschehen der 3-D-Wiedergabe. Washington, erkannte die Präsidentin. Umfeld des Weißen Hauses. Dort, wo ich mich bis vor wenigen Stunden selbst noch aufhielt. Ein Schatten lag über dem Komplex, der seit seiner Fertigstellung nur noch im Innern, nicht aber äußerlich den sich ändernden Zeiten angepasst worden war. Im direkten Kontrast zu dem Gebilde, das neben ihm in der Parklandschaft gelandet war, wirkte die Architektur des White House noch überholter, beinahe lächerlich. Das Gebilde... Nicht höher als die höchsten Wolkenkratzer der Menschen, aber unsagbar anders. Unsagbar bedrohlich. Die Länge des Alien-Raumschiffs - nur eines von insgesamt 76, die zeitgleich an verschiedenen Orten der Erde niedergegangen waren - betrug rund fünfhundert Meter, sein Durchmesser an der dicksten Stelle etwa sechzig. Es erinnerte vage an die Raketen des einstigen Apollo-Programms, war aber wesentlich düsterer, bestand offenkundig aus Metall und wurde spiralförmig von etwas umlaufen, das ihm binnen kürzester Frist seinen Namen verliehen hatte: Äskulap-Schiff. Denn wie eine Schlange, die selbst aus keiner festen Materie, sondern aus einer auf unbekannte Weise »gezähmten« Art von Energie zu bestehen schien, umlief sie den Hauptkörper und erinnerte so entfernt an den Stab des Äskulap, das Symbol der Heilkraft. Im Inneren des Energieschlauchs zuckten immer wieder blitzartige Entladungen, deren Verderben bringende Wirkung Sarah aus der Aufzeichnung kannte, die Kaiser Sadako ihr zur Verfügung gestellt hatte. Die Aufzeichnung, die auch den letzten Zweifel an den kriegerischen Absichten der Alien-Armada beseitigt hatte. Denn ein baugleiches dieser Schiffe war auch über dem Mond aufgetaucht und hatte die lunare Basis der Chinesen angegriffen. Zerstört, korrigierte sich Sarah. Nicht nur grundlos angegriffen, sondern wahrscheinlich auch restlos zerstört - mit allen Menschen, die sich darin befunden hatten. Nein, der fromme Wunsch, die fast schon naive Hoffnung, dieses geballte Auftreten außerirdischer Macht könne anderes im Sinn haben als aggressive Eroberungslust, hatte sich spätestens mit diesen Bildern und der Säuberungsaktion im Erdorbit zerschlagen. Bis auf Skytown waren ihr sämtliche Satelliten zum Opfer gefallen. Ersatzweise hatten die Fremden ihre eigenen Maschinen ausgeschleust und entlang der Meridiane verteilt. Vielleicht haben sie mit dem Verschwinden der Sonne und der anderen Himmelsobjekte zu tun, schoss Sarah ein Gedanke durch den Sinn. Sie verfolgte ihn jedoch nicht weiter. »Was mag aus Skytown geworden sein?«, murmelte sie. Die Raumstation war multikulturell ausgelegt, diente sowohl dem Tourismus und der Wissenschaft, als auch dem Militär. »Ob sie noch leben?« Sie blickte zur Decke. »Dort oben?« Als Palmer nicht antwortete, fügte sie so leise, dass nur er es hören konnte, hinzu: »Was glauben sie? Tue ich das Richtige?« Ihr Blick fand zum Monitor zurück, zu dem, was sich dort abspielte.
Der Anblick der verängstigt durch die Straßen Washingtons hastenden Bürger traf sie bis ins Mark. Die meisten von ihnen flohen vor dem gelandeten Giganten, aber es gab auch Gruppen, die sich ihm näherten - ob aus Neugier, Sensationslust, verquerer Erwartung - oder doch nur nackter Verzweiflung, die sie keinen klaren Gedanken mehr fassen ließ - war im einzelnen kaum zu unterscheiden. »Das würde ich sagen«, erwiderte Palmer. »Zumindest so lange, bis sie einen eindeutigen Akt der Aggression gegen unsere Leute verüben. Dann allerdings... « »Wollen sie damit andeuten, dass sie Sadako misstrauen? Dass sie den Film für eine Fälschung halten?« Palmer zuckte die Achseln. »Fragen sie ihn.« Er wies zu Cronenberg, der sich inzwischen in Hörweite begeben hatte. 6 Dieser fing den Ball auf und sagte: »Wir haben die Überspielung des Kaisers inzwischen ausgewertet. Es handelt sich um einen extrem kurzen Ausschnitt. Er scheint authentisch. Aber wir wissen nicht, was dem vorausgegangen ist.« Sarahs Unbehagen wuchs. »Er wollte eine Koalition - beide Supermächte vereint gegen die Fremden«, sagte sie. »Und sie haben sich Bedenkzeit ausbedungen - was sehr klug war.« Cronenberg nickte und fügte hinzu: »Wenn sie mir jetzt bitte folgen würden, Mrs. President...?« »Jetzt? Wohin, in Dreiteufelsnamen?« Sie nickte zu dem Raumschiffkoloss, an dem sich noch keine Veränderung zeigte. Wie mochten die Außerirdischen aussehen? Menschenähnlich? Oder völlig fremdartig? »Ich kann hier nicht weg. Überall auf der Welt ist der Teufel los. Ich muss eine erneute Ansprache an die Bevölkerung richten. Wir...« »Das würde ich nicht empfehlen.« Sie starrte ihn an wie einen Geist - dann, fast Hilfe suchend, irrte ihr Blick zu Sid Palmer, der betreten zu Boden schaute. »Und warum würden sie mir das nicht empfehlen?« »Weil wir darauf bedacht sein sollten, unseren Standort und damit den momentanen Aufenthaltsort der Präsidentin der Vereinigten Staaten geheim zu halten.«»Geheim »Geheim vor wem?« »Vor den Aliens.« Sie musste sich eingestehen, dass Cronenbergs Sichtweise der Dinge vermutlich klarer als ihre eigene war. Sie hatte sich immer von Emotion leiten lassen - was ihr manchen Vorwurf seitens ihrer politischen Gegner eingehandelt hatte. »Okay«, lenkte sie ein. »Sid scheint ihrer Meinung zu sein. Aber mich müssen sie erst überzeugen. Wir können uns niemals völlig tot stellen. Wir müssen Verbindung zu den Streitkräften halten. Die Fremden könnten auch das zurückverfolgen. Machen wir uns nichts vor: Es gibt keine absolute Sicherheit, auch hier nicht!« »Es wurden alle Vorkehrungen getroffen, um uns - vorübergehend - völlig von der Außenwelt abzuschotten. Allerdings enthebt uns das nicht einer baldigen Entscheidung«, räumte selbst Cronenberg ein. »Aber diese Entscheidung sollten sie auf der Basis dessen treffen, was ich bereits weiß.«
Sarah schüttelte unwillig den Kopf, fuhr sich unbeherrscht durch die Haare, in denen winzige Schmuckkristalle befestigt waren, die aneinander rieben und leise sphärische Klänge erzeugten. »Worauf wollen sie jetzt schon wieder hinaus?« »Sagt ihnen der Name Scobee etwas?« »Ja. Die GenTec, die das Kommando auf der RUBIKON übernommen hat, heißt so, und...« »Ich meine die andere.« Cronenberg wies zur Tür. »Soweit ich weiß, haben sie das Mädchen persönlich kennen gelernt - am Tag, als die Schwarze Flut alle technischen Anlagen lahm legte.« »Und?« »Nun, sie hat ein paar verwirrende Beobachtungen gemacht, und sie sollten es sich anhören, bevor sie eine Koalition mit dem Kaiser rigoros ablehnen.« »Wo ist das Mädchen? Hier?« Er nickte. »Ich habe sie herbringen lassen. Sie und die beiden anderen Doppeltelepathen. Aber wir müssen nicht zu ihr. Wir müssen nur in einen Raum, wo sie sich ungestört anhören können, was sie beobachtet hat.« »Was ist aus der RUBIKON geworden? Hatte Scobee noch einmal Kontakt dorthin?« »Hören sie es sich einfach an. Danach wissen sie, worauf ich hinaus will. Und warum ich glaube, dass eine Koalition mit Sadako wichtig für uns sein könnte - von geradezu existenzieller Bedeutung.« Sie musste zugeben, dass er sie neugierig machte - mehr als das. »In Ordnung. Wo?« Erneut wies er zu einer Tür, links von ihr. Sid Palmer wollte sich mit ihr in Bewegung setzen, aber Cronenberg schüttelte den Kopf. Palmer, gut zwanzig Jahre älter als der NCIA-Chef, wurde rot. »Überspannen sie den Bogen nicht, Cronenberg«, fauchte er. »Sid wird mich auf alle Fälle begleiten«, erklärte Sarah kategorisch. Cronenberg zuckte die Schultern und ging voraus. Der Raum, den sie wenig später betraten, erinnerte Sarah an ihren Privatbereich an Bord der AF-1. Sie und Palmer ließen sich in Sesseln nieder, während Cronenberg an einem Schreibtisch Schaltungen vornahm. »Ich habe lange nichts mehr von der Marsmission gehört«, sagte Sarah. »Seit der Kontakt abriss.« Sie schaute zu Palmer. »Was war der letzte Stand?« »Wir fingen noch einen Spruch auf, demzufolge sich ein Askulap-Schiff auch ihrer Position näherte. Dann brach die konventionelle Verbindung ab.« »Dann wurden sie wahrscheinlich ebenso vernichtet wie die Menschen auf der Mondbasis...« Cronenberg mischte sich ein. »Nein«, sagte er. »Vier von ihnen haben überlebt... « »Sie wurden also angegriffen.« »Es ist ziemlich kompliziert.« Zum ersten Mal, seit sie auf dem geheimen Stützpunkt in der Nevadawüste angekommen waren, lächelte er. Aber es war kein Ausdruck von emotionaler Wärme, eher Zynismus. »Hören sie es sich einfach an - zunächst bis zu der Stelle, als die Crew in das Wurmloch stürzte.«
Sarahs Augen weiteten sieh. Und Cronenbergs Lächeln wurde noch eine Spur penetranter.
Zur gleichen Zeit, Qomolangma Hu Sadako... Kaiser Hu Sadako wusch sich die Hände am Becken der Unschuld und trocknete sie anschließend sorgfältig ab. Seine Familie beobachtete ihn dabei. Seine engsten Angehörigen, von denen nicht einmal Atemzüge zu hören waren. Stumm hatten sie sich versammelt. Stumm erwarteten sie seine Entscheidung, die vielleicht über die Fortexistenz der menschlichen Zivilisation entscheiden würde. Langsam wandte sich Sadako den teilweise hoch dekorierten Repräsentanten aus Militär, Wirtschaft und Wissenschaft zu - allesamt enge bis weitläufige Verwandte. »Amerika kapituliert«, sagte er. »Die Präsidentin ist schwach. Sie glaubt, die Katastrophe dadurch verhindern zu können, indem sie sich kampflos unterwirft. Ich glaube das nicht. Unsere einzige Chance ist, uns zu verteidigen. Und zwar mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.« Seine Stimme klirrte wie Eis. Den Arm ausgestreckt, wies er zur Glasfront des riesigen Saales, hinter der sich ein atemberaubendes Bild bot: ein atemberaubender Abgrund, nur begrenzt durch die Wolkenmeere in der Tiefe. Sie befanden sich auf dem höchsten Punkt der Erde, dem Gipfel des Qomolangma einem Ort mit Symbolkraft. Bei seiner Krönung vor 14 Jahren hatte Sadako den Bau des kaiserlichen Palastes an dem unwirtlichsten Ort der Welt als einen Kraftakt bezeichnet, nur noch vergleichbar mit dem Bau der ägyptischen Pyramiden. Das Ausland hatte das Projekt zunächst als Aberwitz bezeichnet, inzwischen aber, fünf Jahre nach seiner Fertigstellung, wurde es allgemein als achtes Weltwunder bestaunt. Es hatte das Mysterium um das neu entstandene chinesische Kaiserreich noch verstärkt. Mochte Beijing auch nach wie vor die Hauptstadt sein, der Ort, von dem aus Sadako sein Volk regierte, thronte auf dem Dach der Welt, fast neun Kilometer über dem Meeresspiegel. Hier oben war die Luft so dünn, ihr Druck so gering, dass ein Menschen ohne Atemgerät keine zehn Minuten überlebt hätte. Seine Gedanken irrten kurz zu den Opfern der Aliens auf dem Mond. Er hatte Präsidentin Cuthbert darüber unterrichtet - aber wohlweislich verschwiegen, dass das Altenschiff erst zum Angriff übergegangen war, nachdem es auf kaiserlichen Befehl hin zunächst selbst beschossen worden war. »Ich habe ihr ein Bündnis angeboten, sie hat sich Bedenkzeit erbeten... Aber ich glaube nicht, dass wir auf ihre Unterstützung zählen können. Erstmals in der Geschichte geht es nicht mehr allein darum, die Grenzen unseres eigenen Landes zu verteidigen, sondern den ganzen Planeten. Dies ist nicht nur Pflicht, sondern auch
Chance. Wir vertreiben die Wesen von den Sternen - und wir werden danach den uneingeschränkten Respekt aller Völker genießen.« Er blickte auf seine Söhne. »Wir warten nicht länger. Verständigt die Streitkräfte. Wir werden zurückschlagen. Nicht in einer Stunde, nicht in einem Tag, sondern jetzt!« Er präzisierte seine Instruktionen, sprach von atomar bestückten Raketen und dergleichen. Seine Lakaien leiteten die Befehle ohne Zögern weiter, während sich an der Decke des »gläsernen Palastes« auch jetzt schon Dramen abspielten. Überall im Land, überall auf der Welt, kam es zu Massenhysterien und Panikreaktionen. Aber noch schien kein Staat der vermeintlichen Übermacht aus dem All offen die Stirn bieten zu wollen. Sie sind alle wie gelähmt, dachte Sadako. Tief im Kern hatte er nur Verachtung für die Zauderer übrig. Plötzlich ging ein Raunen durch die Anwesenden und lenkte Sadakos Aufmerksamkeit sofort auf die monitorübersäte Decke - zu einem ganz bestimmten Punkt, der eines der gelandeten Schiffe in Großaufnahme zeigte. Irgendetwas daran hatte sich verändert; irgendetwas ging dort vor. Sadako blinzelte ein paar Mal, als müsste er sich davon überzeugen, dass er keiner optischen Täuschung erlag. Aber noch während er damit beschäftigt war, sich selbst Gewissheit zu verschaffen, geschah es. Und es betraf nicht nur das eine Schiff der Aliens, dem in diesem Moment das Augenmerk galt, sondern jedes einzelne der weltweit gelandeten extraterrestrischen Fahrzeuge. Sie wechselten nicht ihren Standort. Sie ließen nicht ihre Waffen sprechen. Dennoch bannten sie die Menschen, die aus schreck geweiteten Augen zu den Schiffen starrten - bannten sie, indem sie sich ohne Ausnahme und gleichzeitig verwandelten... 1. Darnok schwebte an der Grenze zwischen Tod und Leben. Was er getan hatte, um diesen fernen Ort in dieser fernen Zeit zu erreichen, hatte ihm fast alle Kraft gekostet. Im allerletzten Moment hatte er sein Karnut in das andere Schiff einzuschleusen vermocht. Hatte unbemerkt und unentdeckt einen Korridor durch die Raan-Materie geöffnet, war eingedrungen und hatte sich verborgen. Aber Zeit zur Ruhe, Zeit zur Regeneration blieb ihm nicht. Erschöpft öffnete er seine Sinne und streckte die Fühler seines Geistes aus. Um ihn herum dröhnte eine Kakophonie schwerer, vom Prinzip her vertrauter Maschinen, sangen Neuronen, fluktuierten Energiefelder. Und dazwischen - SIE. Die Wurzel allen Übels...
»Peking... « Cloud merkte nicht, wie seine Lippen das Wort formten. Das Wort, das auf einem Raumschiff prangte - einem gigantischen, waffenstarrenden Raumschiff weitab von der Erde, und nur eines von vielen, die hier draußen im eisigen All in eine apokalyptische Raumschlacht verwickelt waren! PEKING. Die Erde besaß keine Raumschiffe - nicht solche jedenfalls, und erst recht keine regelrechte Flotte davon! Die U.S.S. RUBIKON, mit der Cloud und ursprünglich fünf andere Besatzungsmitglieder zum Roten Planeten gereist waren, um die Ursache des Scheiterns der ersten bemannten Marsmission zu ergründen, war das modernste Schiff der Menschen gewesen - und ein absolutes, sündhaft teures Unikat. Denn hätten wir solche Schiffe besessen, wäre alles anders gekommen. Die Fremden hätten sich warm anziehen müssen... Verdammt - es war anders gekommen, ganz anders! Und zwar in einer Art und Weise, die Menschenverstand kaum fassen konnte. Cloud und seine Gefährten waren durch das Jupiter-Wurmloch gegangen - an Bord eines der Äskulap-Schiffe, eines von insgesamt 78, die das Jupiter-Wurmloch hervorgespien hatte. Das Jupiter-Wurmloch. Der größte Planet des Sonnensystems existierte nicht mehr. Beziehungsweise hatte seinen »Aggregatzustand« verändert. Seine Masse war geblieben, die Dichte hatte sich dramatisch erhöht - so sehr, dass er zuletzt höchstens noch einen Kilometer durchmessen hatte und zum Schwerkraftmonster mutiert war. Oder zu etwas anderem, das sich jeder Definition entzog. Beinahe jeder. Eine Einstein-Rosen-Brücke, dachte Cloud. Etwas, das eigentlich nur in der Theorie existiert hat - bis vor ein paar Stunden zumindest. War es wirklich erst ein paar Stunden her? Zumindest behaupteten dies die in ihre Anzüge eingearbeiteten Mikrocomputer. Die Schirme des fremden Schiffes behaupteten indes etwas noch viel Verblüffenderes: Sie zeigten in einem unsteten, von den an Bord befindlichen Menschen nicht beeinflussbaren Wechsel der Szenen, dass sie sich nicht mehr im heimatlichen Sonnensystem befanden, sondern irgendwo in unbekannter Ferne! Wer weiß, dachte Cloud mit einem Grauen, das ihm bis zu dieser Sekunde fremd gewesen war, ob wir uns überhaupt noch in der Milchstraße aufhalten... »Würden sie mich mal kneifen?«
Die Frauenstimme schaffte, was seine eigene nicht vermocht hatte - sie holte ihn in die Realität zurück. Aber was war die Realität? Clouds Blick streifte den Toten, Mike Darcy, der erst vor wenigen Minuten von der Monstrosität umgebracht worden war, die sich aus dem Sessel dieser mutmaßlichen Schiffszentrale erhoben hatte. Darcy hatte die Nerven verloren und das Feuer auf die Kreatur eröffnet, bei der sie immer noch rätselten, ob es sich um eine unbekannte Art von Roboter oder allen tief verwurzelten Vorstellungen zum Trotz vielleicht doch um eine unbekannte Lebensform gehandelt haben mochte. In unzählige Teile hatte der konzentrierte Beschuss das »Steinwesen« gesprengt. Die Splitter lagen überall verteilt auf dem Metallboden des Raumes, dessen Wände die perfektesten Bildschirme waren, die Cloud - und jeder andere der Gruppe - je gesehen hatte. Und auf diesen Schirmen war gerade wie durch Zauberhand ein bestimmter Sektor der Umgebung herangezoomt worden und hatte ihnen die Identität des Schiffes enthüllt, das dort draußen gemeinsam mit anderen gegen einen ebenso hochgerüsteten Gegner kämpfte. Ein Gegner, dessen Schiffe bislang nur nicht näher ins Bild gerückt waren...
Eine unbekannte Automatik bestimmte die Bildfolge. Vielleicht war sie durch ihre Stimmen oder schon durch ihre Anwesenheit aktiviert worden. Scheinbar nach einem kruden Zufallsprinzip nahm sie ständig neue Raumsektionen aufs Korn und projizierte sie ins Innere der Kommandozentrale. Kommandozentrale! Auch so ein Begriff, der hier eine völlig neue Dimension bekommen hatte. Ein Raum, geschätzte fünfhundert Quadratmeter groß. Die genaue Ausdehnung war auf Grund seiner Eigenart des Einbeziehens der Wände als Rundumsichtschirme nicht herzustellen. Und die Höhe entzog sich ohnehin jeder Spekulation, da auch die Decke den umgebenden Weltraum mit seinen Sternen wiedergab. Wände und Decken waren nahtlos ineinander übergehende Sichtschirme ohne jede Segmentierung, ohne jede Abgrenzung. Unterbrochen nur an jenen Stellen, wo die Schüsse des mutmaßlichen Roboters Schäden hinterlassen hatten. Die Energien, die während des kurzen Kampfes freigesetzt worden waren, hatten die Homogenität der Schirme aufgebrochen - und gleichzeitig die dahinter liegende Verkleidung zerstört. Jetzt waren dort verwirrende Geflechte zu sehen, die die Wände wie dicke Adern durchliefen und auf beinahe obszöne Weise an zerrissene Gefäße erinnerten, die aus einem riesigen Torso hingen.
Das Gefühl mitten im All zu treiben, wurde einzig dadurch abgeschwächt, dass der Boden massiv war. Und nicht transparent. >Ein spektakuläres WunderAmöbe< anspricht?« »Dann werde ich mich um sie kümmern«, versprach Scobee. Es klang sehr entschieden. »Immerhin habe ich uns das auch eingebrockt.« Der Raum, in den sie jetzt gelangten, erinnerte an eine Steuerzentrale, wie Resnick meinte. »Aber keine sekundäre Zentrale«, konkretisierte Cloud. »Zu klein dafür. Vermutlich eine automatisierte Maschinenbrücke. Von hier aus werden bestimmte Systeme des
Schiffes ferngesteuert, die zu hochsensiblen Bereichen gehören, in denen sich besser niemand aufhält,« »Wegen der Strahlung?« »Zum Beispiel«, beantwortete Cloud Scobees Frage. »Ich nehme an, in einem Raumschiff dieser Größe wird es möglicherweise mehrere davon geben.« Sie gingen tiefer in den Raum; im Vorbeigehen inspizierten sie die abge48 schrägten Konsolen, die Phalanx flacher Bildschirme und einen Hauptschirm über den Steuerpulten. »Ich gäbe weiß Gott was darum, wenn ich wüsste, wie das alles funktioniert«, murmelte Scobee. »Wer von uns nicht«, erwiderte Cloud. »Aber dafür haben wir jetzt keine Zeit mehr. Unser Sauerstoffvorrat geht unerbittlich zur Neige. Los, weiter.« Nach wenigen Minuten sahen sie sich in einem Vorraum am Weitergehen gehindert. Vor ihnen versperrte ein Trennschott, größer als die bisherigen, den Weiterweg. Und es machte keine Anstalten, sich automatisch zu öffnen. »Unser Sesam-öffne-dich-Zauber versagt«, sagte Resnick. »Aber vielleicht können wir den Öffnungsmechanismus zwingen. Er inspizierte die Symbole einer kleinen Sensorplatte neben dem Trennschott und tippte auf der fremd anmutenden Tastatur, als hätte er nie etwas anderes in seinem Leben getan. Schließlich schüttelte er unter der transparenten Glocke des Helmes den Kopf. »Nichts zu machen.« »Toll«, sagte Cloud. Resnick zuckte die Schultern; er wirkte frustriert. »Und jetzt?«, fragte Scobee. »Zurück, von wo wir gekommen sind? Eine neue Suche starten?« »Ich frage mich schon die ganze Zeit...«, setzte Cloud an. »Was?« »Ich weiß nicht, wie ich es begründen soll, aber ich habe das Gefühl, dass uns jemand beobachtet und jeden unserer Schritte verfolgt - schon die ganze Zeit.« Die GenTecs schwiegen. Cloud deutete es als verständliche Skepsis. »Habt ihr nicht bemerkt, dass sich manche Trennschotts nicht öffnen, wenn wir uns ihnen nähern, andere aber sehr wohl?« »Du meinst...?« »Jemand dirigiert uns in eine ganz bestimmte Richtung, ja!« »Hierher?« »So würde ich denken.« »Unser unbekannter Passagier?« Scobee nickte, als würde sie gerade Gefallen an Clouds These finden. »Hmm. Vielleicht ist er - oder sollte ich besser sagen: es - gar kein Passagier, sondern Teil der Besatzung dieses Schiffes.« »Wie der >SteinernewegOriginelles< sein als G.T...« »Wie lange?«, hakte Cloud nach, ohne darauf einzugehen. »Zehn Minuten.«
Doch so lange! Er war diesem Aspekt namens Darren Callahan nie persönlich und zu dessen Lebzeiten begegnet, hatte auch nichts über ihn gelesen, dennoch war er ihm gerade so nahe gewesen, wie vermutlich kein anderer Mensch zuvor. Er räusperte sich. Seine Kehle brannte, und das Atmen fiel ihm schwer. »Und was ist mit dir, mit Resnick und >GT