PARKER und der „Eismann“ von Amsterdam Günter Dönges »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit zutiefst bestürzt«, versich...
21 downloads
561 Views
759KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
PARKER und der „Eismann“ von Amsterdam Günter Dönges »Sie sehen meine bescheidene Wenigkeit zutiefst bestürzt«, versicherte Josuah Parker. »Mir fehlen, wenn auch nur andeu tungsweise, die Worte, um an das ausdrucken, was meine Person bewegt.« »Man hört es«, antwortete Chief-Superintendent McWarden grimmig und holte tief Luft. Er lag im Bett eines Einzelzimmers und bot einen bedauernswerten Anblick. Die rechte Schulter war dick verbunden, auf der Stirn befanden sich einige Pflaster. »Ich darf Sie meines Mitgefühls versichern, Sir«, redete Josuah Parker in seiner typischen Art weiter, »darüber hinaus war ich so frei, Ihnen ein kleines Geschenk mitzubringen.« »Ich werde hier bestens versorgt«, meinte der Yard-Beamte. »Hoffentlich haben die sich nicht in Unkosten gestürzt, Mister Parker.« »Selbst Unkosten hätten mich nicht abschrecken können, Sir.« Der Butler deportierte auf dem Nachttisch eine flache Kiste mit Zigarren, eine Flasche Whisky und einige Taschenbuch-Krimis. McWarden, ein bullig aussehender, untersetzter Fünfziger, mus terte die Geschenke und sah seinen Besucher überrascht an. Die Hauptpersonen: Chief-Superintendent McWarden wird das Opfer eines Mordanschlags. Benny Waiden betreibt einen dubiosen Nachtclub. Mike Rickman löst für die Unterwelt spezielle Aufgaben oder auch nicht. Paul Radnor verdient sein Geld mit dem Filmclub. Pieter Noorden entdeckt ein Modellboot plus Handgranate. Clint Lollard läßt einen Truck in die Luft fliegen. Lady Agatha Simpson fährt in Holland Fahrrad und sorgt für Panik. Butler Parker überlebt in einem Abfall-Bunker. »Ich habe ja fast das Gefühl, Mister Parker, daß Sie mich ir 2
gendwie schätzen«, sagte er dann, griff nach den Taschen-Krimis und verzog das Gesicht. »Genau die richtige Lektüre für mich. In diesen Krimis löst sich jeder Fall elegant und konsequent. Leider sieht die Realität anders aus.« »Sie wissen nach wie vor nicht, Sir, wer Sie angeschossen ha ben könnte?« erkundigte sich der Butler. »Keinen blassen Schimmer, Mister Parker.« McWarden schüttel te den Kopf. »Ich wurde aus der Dunkelheit heraus unter Feuer genommen. Und nicht nur ich, wie Sie ja inzwischen wissen.« »In der Tat, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »auch andere hohe Polizeiangehörige wurden teils an- teils niedergeschossen. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang versichern, daß das Glück auf Ihrer Seite stand, als der eben erwähnte Schuß fiel.« »Zwei Superintendenten tot, zwei schwer verletzt.« McWarden nickte. »Und mit weiteren Anschlägen ist wohl fest zu rechnen.« »Eine Serie, Sir, die man unbedingt und äußerst schnell been den, muß.« »Eine Serie, die vielleicht gerade erst begonnen hat, Mister Par ker«, antwortete der Chief-Superintendent, »Weiß der Himmel, was dahintersteckt. Das alles scheint eine Treibjagd auf uns zu sein.« »Darf man davon ausgehen, Sir, daß die Polizeibehörden bereits massiv ermitteln?« »Worauf Sie sich verlassen können, Mister Parker. Bei uns läuft alles auf Hochtouren. Stellen Sie sich doch mal vor, was passieren wird, wenn man einen Polizeioffizier nach dem anderen aus dem Weg räumt? Nicht auszudenken. Wie denkt denn Lady Simpson über die Geschichte?« »Mylady fühlte sich veranlaßt, helfend einzugreifen«, verkünde te Josuah Parker, ein Mann, der das fünfzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten hatte. Er war etwas über mittelgroß, fast schlank und sah rein äußerlich aus wie das Urbild eines hoch herrschaftlichen englischen Butlers. Parker trug einen schwarzen Zweireiher, ein weißes Hemd und einen schwarzen Binder. Den Bowler, ebenfalls natürlich in schwarzer Farbe, hatte er im Kran kenzimmer abgenommen. In der schwarz behandschuhten Hand hielt der Butler seinen altväterlich gebundenen Regenschirm. »Im Klartext heißt das also, daß Sie sich bereits eingeschaltet haben, Mister Parker, wie?« fragte McWarden, der an eine stets leicht gereizte Bulldogge erinnerte. 3
»Ich war so frei, Sir, meine privaten Ermittlungen in die Wege zu leiten«, versicherte Parker dem Chief-Superintendenten, »in diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß in Kreisen der Unterwelt eine deutlich spürbare Nervosität um sich gegriffen hat.« »Das kann ich mir vorstellen.« McWarden nickte. »Diese Herr schaften fürchten um ihre Ruhe, wie?« »So könnte man es in der Tat ausdrücken, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »es gehört nicht gerade zu den Gepflogenheiten der Unterwelt, auf Polizeioffiziere schießen zu lassen. Man weiß nur zu gut, was man damit an Razzien auslöst, die das sogenann te normale Arbeiten erschweren.« »Man hat mich zwar erwischt, aber nicht ausgeschaltet«, erklär te McWarden, »hier vom Bett aus werde ich ermitteln. Und ich werde diese Mörder finden!« »Meiner Wenigkeit fiel auf, Sir, daß Ihr Krankenzimmer nicht bewacht wird.« »Das fehlte noch, Mister Parker. Ich habe selbstverständlich ei ne Waffe bei mir. Hoffentlich versucht der Mörder, sich noch mal mit mir zu befassen. Er wird dann was erleben!« »Dürfte ich mir dennoch eine Anregung erlauben, Sir?« »Natürlich, Mister Parker, Sie wissen doch, wie sehr ich Sie und Ihr Urteilsvermögen schätze.« »Vom Dach der gegenüberliegenden Häuser aus könnte man mittels eines Spezialgewehres durchaus Ihr Zimmer und damit auch Sie erreichen.« »Das klingt aber ziemlich weit hergeholt«, meinte McWarden der sich nun allerdings leicht aufrichtete und durch das Fenster auf die Rückfront jener Häuser blickte, die Parker gerade erwähn te. »Es wäre zu empfehlen, Sir, das Bett dort an die gegenüberlie gende Wand zu rücken«, schlug der Butler vor. »Wenn Sie erlauben, werde ich dies sofort in die Tat umset zen.« »Unsinn, Mister Parker«, sträubte sich McWarden und… zuckte verständlicherweise zusammen, als genau in diesem Augenblick die Fensterscheibe splitterte. * 4
»Sehr schön, Mister Parker«, fand Agatha Simpson und nickte erfreut. »Und was geschah?« Josuah Parker war nach Shepherd’s Market in das altehrwürdige Fachwerkhaus seiner Herrin zurückgekehrt und hatte bis zu die sem Punkt Bericht erstattet. Er stand einer großen, fülligen und majestätisch aussehenden Frau gegenüber, die wenigstens sech zig Jahre zählte. Sie verfügte dennoch über die Robustheit und Energie eines Bulldozers, dessen Motor auf Höchsttouren arbeitet. Lady Agatha, immens vermögend, hielt sich für eine gottbegna dete Kriminalistin und eine Bestseller-Autorin der nahen Zukunft. Sie war eine Frau voller Widersprüche, konnte grob sein wie der sprichwörtliche Fuhrknecht, konnte aber auch einen bestricken den Charme entfalten. Sie nannte die Dinge stets beim Namen und entzog sich jeder Konvention. »Chief-Superintendent McWarden, Mylady, kam mit einem leichten Schrecken davon«, erzählte ihr Butler weiter. »McWarden hatte nach diesem Schuß, der offensichtlich aus einem Gewehr abgefeuert wurde, nichts mehr dagegen, daß meine Wenigkeit das Bett in eine andere und damit sichere Position schob.« »Wie lange wird man ihn im Hospital festhalten, Mister Parker?« wollte Agatha Simpson wissen. »Vor zwei Wochen ist mit Mister McWardens’ Entlassung nicht zu rechnen, Mylady«, erwiderte der Butler. »Danach wird der Chief-Superintendent sich noch für weitere Wochen zu Hause pflegen müssen.« »Ausgezeichnet, das wird reichen, Mister Parker. Bis dahin habe ich diese Serie längst gestoppt und den Täter gefaßt.« »Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, Mylady.« Das glatte Pokergesicht des Butlers zeigte keine Reaktion. »Ich habe es selbstverständlich mit einem Psychopathen zu tun, Mister Parker«, redete sie animiert weiter. »Der Täter ist eine Person, die sich von der Polizei ungerecht behandelt fühlt und jetzt Rache nimmt. Sie sind hoffentlich nicht anderer Meinung!« »Dies, Mylady, käme meiner bescheidenen Wenigkeit nicht zu«, erklärte Josuah Parker in seiner höflichen Art. »Ich werde mir überlegen, wo ich den Hebel ansetze«, sagte die passionierte Detektivin, »lassen Sie sich dazu etwas einfallen, Mister Parker.« »Mylady können sich auf meine Wenigkeit verlassen.« 5
»Ich werde noch in der kommenden Nacht einen Streifzug durch die Unterwelt unternehmen«, verkündete die ältere Dame, »dort wird es inzwischen schon die ersten Spuren und Hinweise geben, oder?« »Gerüchte könnten sich bereits andeutungsweise verdichtet ha ben, Mylady.« »Lassen Sie doch mal feststellen, ob man in Kreisen der Unter welt nicht schon von einem Geisteskranken spricht«, schlug sie weiter vor, »vielleicht ist dieser Mann von einer geschlossenen Anstalt entwichen, Mister Parker. Ja, das erscheint mir möglich.« »Entsprechende An- und Nachfragen werden ergehen, Mylady.« »Ich könnte es natürlich auch mit der Mafia zu tun haben«, gab sie plötzlich zu bedenken, »was meinen Sie dazu?« »Es gibt der Möglichkeiten mehrere, Mylady«, lautete Parkers Antwort. Auch jetzt blieb sein Gesicht ausdruckslos. Er kannte die Sprunghaftigkeit seiner Herrin und war nicht mehr zu erschüttern. »Ich denke aber natürlich auch an einen Mann, der von dem gu ten McWarden mal zufällig gefaßt und ins Gefängnis gebracht wurde«, weitete die ältere Dame ihre Theorien aus, »und dieser Entlassene will sich nur rächen.« »Ein Tatmotiv, das immer wieder in Erscheinung tritt, Mylady.« »Wie auch immer.« Agatha Simpson schaute auf die Standuhr in ihrem Salon. »Sobald es dunkel geworden ist, Mister Parker, werde ich in der Unterwelt für einige Unruhe sorgen.« »Dessen darf man sicher sein, Mylady«, wußte Parker im vor hinein, »Mylady werden Spuren hinterlassen, wenn man so sagen darf.« »Sie haben meine Grüße an McWarden überbracht, Mister Par ker?« »In der Tat, Mylady. Mister McWarden zeigte sich gerührt.« »Ich werde ihn vielleicht morgen besuchen«, redete die Detek tivin weiter, »sorgen Sie dann für ein hübsches Geschenk, Mister Parker. Es muß ja nicht gerade ein Vermögen kosten.« »Mylady hegen bestimmte Vorstellungen?« erkundigte sich Jo suah Parker. Er wußte aus Erfahrung, wie ungemein sparsam sei ne Herrin sein konnte. »Ich habe oben in meinem Studio noch ein Packung mit Likör pralinen«, gab sie zurück. »Sie wissen, ich bekam sie von einer dankbaren Klientin.« »Gewiß, Mylady.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an. 6
»Mylady erhielt diese Aufmerksamkeit vor etwa sechs Wochen von Lady Chanters.« »Das macht ja nichts«, sagte sie, »McWarden wird sich freuen, nicht wahr?« »Mister McWarden wird zu Tränen gerührt sein«, vermutete der Butler optimistisch. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. * »Du liebe Zeit, was ist denn das für ein Schlachtroß?« fragte Mike Rickman verblüfft und sah seinen Gastgeber an. »Lady Agatha Simpson«, erwiderte Benny Waiden und schluck te, »die hat mir hier gerade noch gefehlt.« »Ein echte Lady?« Mike Rickman lächelte spöttisch. »Das ist ein Spitzname, nicht wahr?« »Eine waschechte Lady«, sagte Benny Waiden, »typischer kann keine Lady sein.« »Und so was besucht deinen Nachtclub?« wunderte sich Mike Rickman. »Sie war schon seit ein paar Monaten nicht mehr hier«, meinte Benny Waiden, ein kleiner, rundlicher Mann von etwa fünfzig Jah ren, der in einem Smoking steckte, »und diese Monate habe ich genossen, Rickman, das können Sir mir glauben.« »Und wer ist der Butler neben ihr? Der muß doch von irgendei ner Leinwand gesprungen sein.« »Das ist ebenfalls ein echter Butler«, erklärte Benny Waiden, der Besitzer des Nachtclubs, in dem auch gespielt werden konnte, »der Bursche heißt Parker, Josuah Parker.« »Wieso sind Sie nervös?« wollte Mike Rickman wissen. Er war gut zehn Jahre jünger als sein Gastgeber, mittelgroß, schlank und machte einen dynamischen Eindruck. Auch er trug einen Smo king. »Warum ich nervös bin?« Benny Waiden beugte sich vor, um besser sehen zu können. »Ich kenne diese Duo. Es sind AmateurKriminalisten, Rickman. Wo Lady Simpson und Butler Parker auf tauchen, gibt es früher oder später immer Ärger.« »Sie wollen mich auf den Arm nehmen, wie?« Rickman schmun zelte. »So etwas erledigt man doch mit der linken Hand, wenigs tens bei uns in New York. Haben Sie denn keine Angestellten, die 7
das kleine Problem lösen können? Falls nicht, werde ich meinen Leuten Bescheid sagen.« »Kleines Problem?« Benny Waiden war da erheblich anderer Meinung und ließ es auch am Klang seiner Stimme erkennen. »Haben Sie schon mal mit einem Liter Nitroglyzerin gespielt?« »Kommen Sie, Waiden«, schickte Mike Rickman voraus, »Sie wollen mich wohl verschaukeln, wie?« »Ich werde mich hüten.« Waiden zündete sich ein Zigarette an, wobei seine Hände leicht vibrierten. Mike Rickman, gerade aus New York gekommen, beobachtete es erstaunt. Er kannte seinen Gastgeber seit einigen Jahren und wußte, daß Waiden ein harter, rücksichtsloser und erfolgreicher Unternehmer in der Unterwelt war. »Was dagegen, wenn ich mich mal an diese Duo ranpirsche?« erkundigte sich Mike Rickman. Er war New Yorker und vermietete sich und seine beiden Mitarbeiter gegen horrende Honorare an gut zahlende Kunden. Rickman bezeichnete sich als Privatdetek tiv, obwohl er keine Lizenz besaß. Er loste verzwickte Fälle für die Unterwelt und pflegte dabei lautlos zu arbeiten. Am Nachmittag war er in London angekommen, engagiert von Benny Waiden, der eine Interessengruppe vertrat. Worum es ge nau ging, sollte er jetzt und hier in diesem Nachtclub erfahren. Doch im Moment dachte Mike Rickman nicht an seinen Auftrag. Er fühlte sich irgendwie herausgefordert von dieser mehr als stattli chen Frau, die sich ungeniert bewegte und auf die Tür zusteuerte, hinter der sich der eigentliche Spielclub befand. Selbstverständ lich interessierte er sich für diesen Mann, der wie ein hochherr schaftlicher Butler aussah und es auch sein sollte. Benny Waiden wollte seinen Gast aus den Staaten zurückhalten, doch Mike Rickman. hatte bereits die Nische verlassen und ging auf das seltsame Duo zu. Er wußte natürlich bereits im vorhinein, wie man solch eine Affäre anzupacken hatte. Wie gesagt, er kam aus New York und verfügte über eine umfangreiche Praxis. Er nahm zur Kenntnis, daß seine Mitarbeiter auf ihn aufmerksam geworden waren und sich von ihrem Tisch erhoben. Er konnte sich fest auf sie verlassen, sie waren ein eingespieltes Team. »Geschlossene Gesellschaft«, sagte Mike Rickman deutlich he rablassend und musterte die ältere Dame, »ich schlage vor, Sie hauen umgehend wieder ab.« »Wer sind Sie, junger Mann?« erkundigte sich Agatha Simpson 8
mit baritonal gefärbter, bereits etwas grollender Stimme. »Der neue Manager, der den Laden hier steuert. Also, worauf warten Sie noch? Gehen Sie!« »Mr. Benny Waiden ist zufällig nicht anwesend?« schaltete sich Josuah Parker in seiner höflichen Art ein. »Keine Fragen, hauen Sie endlich ab, Sie stören hier«, meinte der Spezialist aus den Staaten ruppig. Er wollte das Duo um jeden Preis provozieren. »Mister Parker, finden Sie nicht auch, daß der Ton dieses Fle gels ungehörig ist?« fragte Lady Agatha ihren Butler. »Ich möchte und könnte kaum widersprechen, Mylady«, lautete Parkers Antwort. Der Butler hatte bereits die beiden Mitarbeiter des angeblich neuen Managers wahrgenommen. »Dann fühle ich mich beleidigt«, stellte Lady Simpson fest und… setzte ihren Pompadour ein. * Es handelte sich um einen Handbeutel, der mit Zierperlen be stickt war, die allerdings keine waren. Sie sahen zwar bunt und leichtgewichtig aus, bestanden jedoch aus kleinen Stahlkugeln. Im Pompadour selbst befand sich der sogenannte »Glücksbrin ger« der Dame, ein echtes Pferdehufeisen, das nur oberflächlich in Schaumstoff eingewickelt war. In Lady Agathas Händen war dieser Handbeutel eine Waffe, die an einen abgewandelten Mor genstern erinnerte. Agatha Simpson, die mit Begeisterung Golf spielte und dem sportlichen Bogenschießen huldigte, war eine trainierte Frau, die mit ihrem Pompadour hervorragend umzugehen verstand. Der Handbeutel hing an langen Lederschnüren, die für den notwendi gen Schwung sorgten, falls die ältere Dame die Absicht hatte, ihren Glücksbringer einzusetzen. Und sie hatte diese Absicht! Der Pompadour klatschte auf die linke Backenseite des USGangsters, der mit dieser Reaktion nicht rechnete. Mike Rickman verlor augenblicklich den Boden unter den Schuhsohlen, legte sich flach auf die Luft und war bereits benommen, als er an schließend zu Boden fiel. Als er sich instinktiv mit der linken Hand vom Boden abstemmen wollte, nutzte Agatha Simpson die Gele 9
genheit, ihren Schuh auf die Außenhand zu stellen. Mike Rickman hatte das Gefühl, eine Dampfwalze rolle über seine Hand, und stöhnte gequält. »Wie ungeschickt von Ihnen, junger Mann«, grollte die ältere Dame, »können Sie nicht aufpassen?« Mike Rickman wollte noch etwas sagen, doch ihm wurde schwarz vor Augen. Er fiel zurück und beschloß, erst mal ohn mächtig zu werden. Er bekam allerdings gerade noch mit, wie seine Mitarbeiter sich einschalteten. Sie standen schräg hinter dem Butler und beeilten sich, an ihren Schußwaffen zu kommen, die sie in eigens gefertigten Schulter halftern herumtrugen. Die beiden Männer, jeder etwa um die dreißig, hatten mit einigem Staunen zur Kenntnis genommen, daß ihr Boß von einer Frau zu Boden geschickt worden war. Da sie diese Tatsache erst mal seelisch verdauen mußten, griffen sie zu spät nach ihren Waffen, was sich als entscheidend herausstellte. Als sie zur Sache kommen zollten, lernten sie den UniversalRegenschirm des Butlers kennen. Josuah Parker hatte seinen Schirm hochgeworfen, ließ ihn in der Luft drehen und hielt dann das untere Ende des Regenschutzes in seiner rechten, schwarz behandschuhten Hand. Er hatte dies blitzschnell und mit der Ge schicklichkeit eines Jongleurs besorgt. Der Bambusgriff des Regenschirms war mit Blei ausgegossen, doch das wußten die beiden Leibwächter und Mitarbeiter von Mike Rickman natürlich nicht. Sie spürten es erst, nachdem sie getrof fen worden waren. Der erste Leibwächter schielte zur Decke des Clubs, als dieser Bambusgriff sich auf seine Stirn gelegt hatte. Der zweite Leibwächter erhielt einen fast leichten Schlag auf den Kopf und schielte hinunter zum Boden. Dann gingen beide Män ner fast synchron in die Knie, fielen gegeneinander und nahmen anschließend neben ihrem Boß Platz. »Unverschämtheit, eine hilflose Frau belästigen zu wollen«, stellte die ältere Dame fest, »was sagen Sie dazu, Mister Par ker?« »Eine allgemeine Verrohung der Sitten, Mylady«, kommentierte Josuah Parker, »man sollte vielleicht einen Leserbrief an die »Ti mes« schreiben.« »Erinnern Sie mich daran, Mister Parker«, verlangte die resolute Dame, »räumen Sie mir aber jetzt erst mal die beiden Subjekte aus dem Weg.« 10
»Ein Mißverständnis, Mylady«, bedauerte Benny Waiden, der angewieselt kam und die Hände rang, »ich möchte mich ent schuldigen. Ich bin gerade erst aus meinem Büro gekommen.« »Aus jener Nische, wenn ich höflichst korrigieren darf«, antwor tete der Butler und wies mit der Spitze seines Schirms auf den kleinen Raum, aus dem Benny Waiden gekommen war. »Oder so«, meinte der Nachtclubbesitzer hastig, »der Mann dort scheint etwas zuviel getrunken zu haben.« »Er macht den Eindruck eines Mannes, den der Volksmund so treffend als stocknüchtern bezeichnen würde«, korrigierte Josuah Parker erneut, »der Gast stammt aus New York, falls mein be scheidenes Ohr mich nicht trog?« »Ich… ich habe keine Ahnung«, behauptete Benny Waiden und scheuchte mit einem fast verzweifelten Blick zwei seiner Ange stellten zurück, die helfend eingreifen wollten. Waiden fürchtete um seine Einrichtung. »Möchten Mylady nach diesem Zwischenfall noch dem Spiel frö nen?« erkundigte sich Parker bei seiner Herrin und deutete zur Tür, hinter der gespielt werden konnte. »Ich werde wohl lieber etwas mit Waiden spielen«, gab sie zu rück, »kommen Sie, junger Mann, ich habe ein paar Fragen, die Mister Parker Ihnen stellen wird. Ich rate Ihnen bereits, mir nicht mit läppischen Ausreden zu kommen. Sie sehen hoffentlich, daß ich etwas verstimmt bin.« Benny Waiden sah es und nickte eifrig. Er wußte, daß ihm schweißtreibende Minuten bevorstanden. * »Lösen Sie kleine Probleme immer so?« stichelte Benny Waiden eine halbe Stunde später. Er befand sich in seinem Privatbüro und wischte mit einer Serviette den Schweiß von der Stirn. Er schaute Mike Rickman ironisch an, der ein lädierten Eindruck machte. »Sie hätten mich warnen müssen, Waiden«, beschwerte sich der Gast aus den Staaten. Er sprach undeutlich und hütete sich, seinen brummenden Schädel aprupt zu bewegen. »Ich hatte Sie gewarnt, Rickman«, erinnerte der Nachtclubbe sitzer, »aber wir sind hier in Ihren Augen ja nur tiefste Provinz, wie?« 11
»Diese Lady ist schrecklich«, beschwerte sich der Spezialist, »wer konnte denn ahnen, daß sie mit diesem Handbeutel zu schlagen würde!?« »Wie geht’s denn Ihren beiden Mitarbeitern, Rickman?« wollte Benny Waiden wissen. »Joe und Will? Die haben mit Eiswürfeln ihre Köpfe behandelt, denn dieser Butler hatte sie restlos überrascht.« »Sie haben Lady Simpson und den Butler kennengelernt, Rick man, aber da gibt es noch zwei weitere Personen.« »Noch zwei Amateurdetektive?« Mike Rickman zog vorsichtig den Kopf ein. »Mike Rander und Kathy Porter«, bestätigte der Nachtclubbesit zer, »Rander ist Anwalt und vor ein paar Monaten aus den Staa ten zurückgekehrt. Der Bursche sieht aus wie ein James-BondDarsteller, die Frau scheint ‘ne ahnungslose Jungfrau zu sein.« »Sie machen mich neugierig, Waiden.« »Parker. hat früher mal für diesen Mike Rander als Butler gear beitet. Als der Anwalt dann in die Staaten ging, wechselte er zu Lady Simpson. Der Anwalt sieht phlegmatisch aus, Rickman, wirkt fast arrogant, aber hüten Sie sich vor ihm.« »Diesmal werde ich’s mir merken, Waiden, darauf können Sie sich verlassen. Und was ist mit dieser Kathy Porter?« »Sie ist die Sekretärin der Lady, Rickman. Sie scheint kein Wäs serchen trüben zu können, doch sie hat’s faustdick hinter den Ohren. Vergleichen Sie sie mit ‘ner Pantherkatze, dann liegen Sie richtig.« »Haben Sie mich wegen dieses Quartetts aus den Staaten kommen lassen, Waiden?« »Natürlich nicht, Rickman. Ich habe ganz andere Sorgen, aber nicht nur ich. Ich sagte Ihnen doch schon, daß hier höhere Poli zeibeamten zusammengeschossen werden. Bisher sind’s fünf ge wesen, zwei davon tot. Was jetzt los ist, können Sie sich ja wohl vorstellen.« »Okay, wir sprachen ja bereits davon. Da treibt sich bestimmt irgendein privater Rächer herum – oder wir haben es mit einem Irren zu tun.« »Was er auch sein mag, Rickman, Sie müssen ihn so schnell wie möglich finden. Wir brauchen Ruhe, wir können uns weiteren Är ger mit der Polizei nicht leisten.« »Und keiner aus der Branche hat einen Verdacht?« fragte Rick 12
man weiter. »Bisher ist nichts durchgesickert, Rickman«, erwiderte Benny Waiden. »Erstaunlich, daß die Lady und ihr Butler auch nach ei nem Hinweis gefragt haben. Darum sind sie überhaupt hierher in den Club gekommen.« »Was haben die mit den Polizeioffizieren zu tun?« »Chief-Superintendent McWarden ist mit dem Quartett befreun det«, erklärte der Nachtclubbesitzer, »und dieser McWarden ge hört zu den fünf Polizeioffizieren, von denen ich eben gesprochen habe.« »Alles klar, Waiden, aber Sie werden kaum was dagegen haben, wenn ich mich am Rand mit der Lady und mit diesem Butler be fassen werde, oder?« »Übernehmen Sie sich nur nicht, Rickman.« »Ich weiß jetzt Bescheid«, meinte der Spezialist aus den Staa ten, »noch mal legt man mich nicht rein.« »Was haben Sie denn vor, Rickman?« »Ich werde denen zeigen, wer der Chef im Ring ist«, redete Mi ke Rickman weiter, »haben Sie und Ihre Freunde was dagegen, wenn ich dieses komische Quartett ausschalte?« »Ganz sicher nicht.« Waiden lächelte versonnen. »Es wäre zu schön, um wahr zu sein, Rickman, wenn Sie das schaffen könn ten.« »Ist es denn schon mal versucht worden?« »Mehr als nur einmal.« »Ihr seid doch Provinz«, behauptete Rickman großspurig, »bei uns in den Staaten würde schon kein Aas mehr von diesen Leuten sprechen.« »Damit wir uns richtig verstehen, Mord scheidet aus. Das Quar tett kann sich von mir aus den Hals brechen oder sonstwas, aber es muß immer nach ‘nem Unfall aussehen. Wir hier lieben keine Schlagzeilen.« »Es wird nur einen kurzen Nachruf geben«, versicherte Rickman seinem Gastgeber und Klienten, »so, und nun zur Sache! Wo fin de ich Spitzel, die Nachrichten handeln? Genau da werde ich nämlich den Hebel ansetzen. Eine Figur, die inzwischen fünfmal erfolgreich auf Polizeioffiziere geschossen hat, wird niemals den Mund halten – kann ich mir einfach nicht vorstellen. So ein Typ wird früher oder später prahlen.« »Ich werde Ihnen ein paar Namen und Adressen aufschreiben, 13
Rickman. Ja, und dann viel Glück! Und sorgen Sie dafür, daß Sie nicht von Butler Parker hochgenommen werden.« »Unsinn, Waiden.« Rickman lächelte schief. »Seine Stunde hat bereits geschlagen, er weiß es nur noch nicht!« * »Die Londoner Unterwelt hat sich einen Spezialisten einfliegen lassen?« staunte Mike Rander. »Einen gewissen Mike Rickman«, bestätigte Josuah Parker, »die hiesige Unterwelt scheut offensichtlich keine Ausgaben, um dem Schützen das Handwerk zu legen.« »Ich bin sicher, daß dieser Benny Waiden die Wahrheit gesagt hat«, fügte die Detektivin hinzu, »ich brauchte ihm übrigens nicht lange gut zuzureden.« »Die Unterwelt von London ist in der Tat alarmiert«, berichtete Josuah Parker weiter, »durch die bereits bekannten Schüsse ist in diesen Kreisen an ein normales Arbeiten nicht mehr zu denken.« »Klingt logisch«, räumte der Anwalt ein, der tatsächlich wie ein bekannter James-Bond-Darsteller aussah, »und wie will dieser Spezialist den Schützen finden? Weiß die Unterwelt wenigstens in etwa, wo der Schütze zu finden ist?« »Dies, Sir, wird von Mister Benny Waiden mehr als nur nach drücklich bestritten«, entgegnete der Butler, »vorerst scheint man vor einem Rätsel zu stehen.« »Und dann will ein Ortsfremder Erfolg haben?« schaltete sich Kathy Porter ein, die sich ebenfalls im Salon des Hauses der Lady Simpson befand. Sie sah in der Tat ein wenig zurückhaltend, fast scheu aus, erinnerte an ein Reh, das nur zu gern bereit war, schleunigst die Flucht zu ergreifen. »Besagter Mister Rickman aus den Staaten wird sich wahr scheinlich erst mal mit sogenannten Spitzeln in Verbindung set zen«, meinte Josuah Parker, »dieses Verfahren bietet sich sozu sagen an, wenn ich es mal so ausdrücken darf.« »Aha«, meinte Lady Agatha, »und was stelle ich mir darunter vor?« »Nachrichtenhändler der Unterwelt«, antwortete Mike Rander, »sie leben davon, Informationen zu kaufen und zu verkaufen. Sie haben ihrerseits wieder Spitzel, die ihre Ohren an jede Wand drü 14
cken.« »Und wo finde ich diese Subjekte?« fragte Lady Agatha. »Es ist ja klar, daß ich mich sofort einschalten werde.« »Mylady regten dies bereits an«, behauptete der Butler, »ich war so frei, Kontakt mit Mister Horace Pickett aufzunehmen.« »Unser ehemaliger Taschendieb, Parker, ja?« Mike Rander lä chelte. »Mister Pickett wandelt seit geraumer Zeit nur noch auf dem sprichwörtlichen Pfad der Tugend«, erläuterte Parker, »er hat sein Hobby aufgegeben, wenn ich es mal so umschreiben darf.« »Sind Sie sicher, Parker?« wollte Rander amüsiert wissen. »Vor einigen Tagen, Sir, brachte Mister Pickett eine gefundene Brieftasche zur nächsten Polizeistation«, versicherte der Butler, »er trennte sich von ihr ohne Bedauern.« »Ich schätze den guten Pickett«, meinte die ältere Dame, »er hat tadellose Manieren. Vielleicht werde ich ihn und sein Leben literarisch verwerten. Kathy, erinnern Sie mich daran, daß ich mir in den nächsten Tagen bereits entsprechende Notizen mache. Ein guter Stoff, Mister Parker, finden Sie nicht auch?« »Bemerkenswert, Mylady«, antwortete der Butler, »Mr. Pickett wird sich geehrt fühlen.« »Hoffentlich ist er schneller als dieser Spezialist aus den Staa ten«, sagte Mike Rander, »falls Rickman nämlich Erfolg hat, wird der geheimnisvolle Schütze sang- und klanglos von der Bildfläche verschwinden.« »Darf ich mich erkühnen, Sir, in diesem Zusammenhang einen Hinweis zu geben?« schickte Parker voraus. »Ich ahne bereits, was Sie sagen wollen«, behauptete die De tektivin, obwohl sie natürlich keine Ahnung hatte. »Mister Rickman wird gegen Mylady einen gewissen Groll he gen«, redete der Butler weiter, »man sollte davon ausgehen, daß er und seine Begleiter alles daransetzen werden, eine gewisse Scharte auszuwetzen.« »Das wäre ja wunderbar«, freute sich die ältere Dame, »ich hatte schon befürchtet, dieser Fall könnte langweilig werden. Hof fentlich läßt der Lümmel aus den Staaten nicht zu lange auf sich warten.« Ihre Augen blitzten unternehmungslustig.
15
*
»Ob er gegen Schlagzeilen ist oder nicht kann uns nicht krat zen«, sagte Mike Rickman zu Joe und Will, die erstaunlich unauf fällig aussahen. Die drei Männer hielten sich in der kleinen Bar jenes Hotels auf, in dem sie von Benny Waiden untergebracht worden waren. Sie hatten sich vorn am Tresen Whisky ohne Soda gekauft und konnten sich in einer stillen Ecke ungestört unterhal ten. »Wir pusten sie also um, wie?« fragte Joe. »Selbstverständlich«, gab Mike Rickman zurück, »ihr habt doch mitbekommen, wer so alles in Waldens Nachtclub gewesen ist. Da waren nur Leute aus unserer Branche vertreten. Die alle wissen doch, wie wir abserviert worden sind.« »Weil man uns vorher nicht richtig Bescheid gestoßen hat, Boß«, beschwerte sich Will, »sonst wäre die Panne niemals pas siert.« »Genau, Jungens«, pflichtete Rickman seinen Mitarbeitern bei, »aber das ändert nichts an den Tatsachen. Wetten, daß spätes tens übermorgen in New York bekannt wird, was hier mit uns über die Bühne gegangen ist?« »Die reinste Geschäftsschädigung«, ärgerte sich Joe. »Wenigstens«, meinte Mike Rickman, »unser Image ist sehr an geschlagen worden. Wir werden also erst mal mit diesem komi schen Duo abrechnen.« »Möglichst noch in dieser Nacht«, schlug Will vor, »ich kenne die Adresse dieser alten Fregatte, ich hab’ sie von einem Typ, der für Waiden arbeitet.« »Und ob wir’s noch in dieser Nacht packen werden!« Mike Rick man nickte nachdrücklich. »Die Sache kann ja nicht besonders kompliziert sein. Gegen ‘nen Schuß ist kein Kraut gewachsen.« »Und wie kommen wir ins Haus?« Joe lächelte und sah seinen Partner an. »Das ist meine Sache«, erklärte Will und lächelte zurück, »län ger als drei Minuten werde ich kaum brauchen, bis ich das Türschloß geknackt habe. So was mach’ ich im Halbschlaf.« »Dann wollen wir nicht lange fackeln.« Rickman stand auf und trank sein Glas leer. »Nachdem wir das Duo zu Schlagzeilen ver arbeitet haben, machen wir uns an den Irren, der hier die Polizei offiziere zusammenknallt.« 16
»‘ne ulkige Kiste, Boß, daß wir im Grund für die Polizei arbei ten«, meinte Joe. »Ich kann die Brüder ja verstehen.« Rickman ging zu Ausgang der Hotelbar. »Sie haben keine ruhige Minute mehr und können praktisch nicht mehr arbeiten. Bei uns in den Staaten ist es doch auch so. Sobald mal ein Cop draufgegangen ist, konzentriert sich alles auf unsere Szene. Man kommt einfach nicht mehr zur Ru he.« Die drei Männer trennten sich in der Halle des kleinen Hotels. Joe und Will fuhren in ihre Zimmer, um ihre Ausrüstung zu holen. Ihr Boß Rickman blieb in der Halle zurück, warf sich in einen Ses sel und zündete sich eine Zigarette an. Er dachte immer wieder an Lady Simpson, sie ihn mit ihrem Pompadour so zielsicher be arbeitet hatte. Er dachte aber vor allen Dingen an Butler Parker, der seine beiden Mitarbeiter mit dem Regenschirm außer Gefecht gesetzt hatte. Laut Benny Waiden war dieser Butler die eigentli che Schlüsselfigur. Joe und Will kamen zurück. Die drei Männer verließen die Ho telhalle und übersahen einen seriösen, schätzungsweise sechzig Jahre alten Herren. Dieser Mann hielt sich straff, schien pensio nierter Militär zu sein und strahlte Autorität aus. Der Gast verließ ebenfalls die Halle und beobachtete vom Eingang aus, wie die drei Reisenden aus den USA in ein Taxi stiegen. Als es losfuhr, löste sich vom Straßenrand ein zweiter Wagen, der die Verfolgung des Taxis aufzunehmen schien. Der seriöse Herr ging zurück in die Hotelhalle und verschwand in einer Telefonzelle. Er wählte aus dem Gedächtnis eine Nummer und nannte seinen Namen. »Ich habe eine erste Nachricht für Sie, Mister Parker«, sagte er dann, »Mister Rickman und seine beiden Begleiter haben gerade ihr Hotel verlassen. Meiner Schätzung nach fahren sie zu Ihnen nach Shepherd’s Market. Die beiden Begleiter waren vorher kurz oben in ihrem Zimmer und kamen mit umgeschnallten Schulter halftern zurück. Das konnte ich deutlich ausmachen. Sie wissen, für so etwas habe ich einen Blick.« »Vielen Dank für Ihre äußerst rege Aufmerksamkeit, Mr. Pi ckett«, erwiderte der Butler in seiner höflichen Art, »ich kann da von ausgehen, daß die drei Männer auch weiterhin unter Beo bachtung stehen?« »Natürlich, Mister Parker«, gab Horace Pickett zurück, »ein frü 17
herer Schüler von mir folgt dem Trio. Er wird Sie umgehend anru fen, sobald die Dinge konkret werden.« »Ich darf mich auch in Myladys Namen zutiefst bedanken«, er klärte der Butler. »Darf ich Ihnen noch mal raten, ungemein vor sichtig zu sein? Man hat es im Grund mit drei sogenannten Be rufmördern und Killern zu tun.« »Ich werde schon aufpassen, Mister Parker«, lautete Picketts Antwort, »ich gehe jetzt rüber nach Soho und strecke dort meine Fühler aus. Wissen Sie, eigentlich bedaure ich diese drei Kerle aus den Staaten. Die haben ja keine Ahnung, auf was Sie sich da ein lassen!« * »Mann, ist das eine Bruchbude«, stellte Mike Rickman abfällig fest und musterte das langgestreckte Fachwerkhaus, das den Abschluß des kleinen, intim gehaltenen Platzes bildete. Recht winklig dazu, links und rechts, schlossen sich weitere Fachwerk bauten an, die den Platz säumten. »So was sollte man in die Luft sprengen«, sagte Joe amüsiert, »die Tür wird entsprechend sein.« »Und das Schloß stammt bestimmt noch aus der Steinzeit«, fügte Will hinzu, »gebt mir eine Minute, dann wird’s wie geölt aufgehen.« Die drei Besucher aus den Staaten hatten das Taxi weit vor Shepherd’s Market verlassen und waren zu Fuß weitergegangen. Sie standen vor dem Platz, der einen stillen, fast oasenhaften Eindruck machte. Vom üblichen Verkehrslärm war hier nichts mehr zu vernehmen. »Wir nehmen die linke Häuserseite«, ordnete Rickman an, »die Leute dürften alle schon in den Betten sein.« Sie konnten nicht wissen, daß diese Häuser Bestandteile des Hauptbaus waren und nicht bewohnt wurden. Sie alle standen untereinander in Verbindung, was jedoch nur Eingeweihte wuß ten. Aus Gründen der Sicherheit waren diese Fachwerkhäuser nicht vermietet worden. Im Lauf der Zeit fanden sich hier immer wieder Gangster aller Schattierungen ein, die eine Gefahr für mögliche Mieter dargestellt hätten. Rickman hatte inzwischen den überdachten Vorbau des Haupt 18
hauses erreicht und trat zur Seite. Will, der Spezialist für Tür schlösser aller Art, schaute sich das Schloß an und lächelte über legen. Er hatte die Lage richtig eingeschätzt. Dieses Schloß stammte tatsächlich noch aus der Steinzeit. Es zu öffnen, war für ihn nur ein Klacks. Rickman und Joe hatten inzwischen ihre Schußwaffen gezogen und schraubten die unvermeidlichen Schalldämpfer auf. Ihr Plan war einfach. Nach dem Öffnen der Tür wollten sie sich ins Haus stehlen und die beiden Insassen, nämlich Agatha Simpson und Josuah Parker, schlicht ermorden. Danach wollten sie Feuer le gen, um Spuren zu verwischen. Nach dieser Methode hatte sie bereits drüben in den Staaten oft gearbeitet. »Wie sieht’s aus?« erkundigte sich Mike Rickman, als Will noch immer am Schoß herumbastelte. »Ich hab’s gleich, Boß«, erwiderte Will, dem bereits leichter Schweiß auf der Stirn stand. Er konnte sich nicht erklären, warum das Schloß sich nicht öffnen ließ. Normalerweise hätte er die Tür längst aufdrücken müssen. »Nur nichts überstürzen«, meinte Rickman gelassen, »auf ein paar Minuten mehr oder weniger kommt’s nicht an.« »Ich hab’s wirklich gleich, Boß«, behauptete Will, »da klemmt was, aber das ist gleich erledigt.« Es blieb bei seinem Versprechen. Er mühte sich verzweifelt ab, doch das Schloß aus der Steinzeit ließ sich einfach nicht öffnen. »Jetzt wird’s aber langsam Zeit«, sagte Rickman schließlich un geduldig und sah auf seine Armbanduhr, »ich will hier nicht an wachsen.« »Wäre den Herren möglicherweise mit einigen Sitzgelegenheiten gedient?« war in diesem Augenblick die beherrschte und höfliche Stimme des Butlers zu vernehmen. Rickman fuhr herum und riß seine Waffe hoch. Joe folgte sei nem Beispiel, Will richtete sich auf. »Darüber hinaus könnte man auch Tee servieren«, schlug die Stimme des Butlers weiter vor. »Wo… Wo stecken Sie?« fragte Rickman, der sich bereits von seiner Überraschung erholt hatte. »Sie brauchen nur den Kopf ein wenig anzuheben«, erläuterte die beherrschte Stimme. »Ja, so ist es gut, wenn ich so sagen darf. Ein hübscheres Gruppenbild, allerdings ohne Dame, kann man sich kaum vorstellen.« 19
Rickman begriff endlich. Er und seine beiden Mitarbeiter waren soeben fotografiert wor den. Und dann entdeckte der Gangsterboß auch die Linse der kleinen Fernsehkamera, die unter dem Vordach angebracht war. Er riß seine schallgedämpfte Waffe hoch, um die Optik wenigstens zu vernichten, doch er war nicht schnell genug. Blitzschnell schob sich eine rechteckige Stahlplatte vor das Objektiv. »Darf ich mir gestatten, Sie ein wenig zu erfrischen?« Die Stimme des Butlers wartete die Erlaubnis nicht ab. Der Nachhall der Worte war noch zu vernehmen, als die drei Gangster förmlich eingenebelt wurden. Ein penetranter Geruch von billigem Parfüm fraß sich in die Kleidung der drei verdutzten Touristen aus den Staaten. Die Männer schnappten nach Luft und setzten sich an schließend ab. Sie hatten es ungemein eilig. Eine Duftspur hing noch nach Stunden in der Luft und verflüch tigte sich erst gegen Morgen etwas. * »Ein hübscher Schnappschuß, Parker«, sagte Mike Rander amü siert und sah sich das Foto an. Auf dem Bild waren die drei Gangster aus den USA zu sehen, die ein wenig hilflos vor der Haustür standen. »Warum haben Sie diese Flegel nicht ins Haus geholt?« fragte die ältere Dame grollend. »Ich hätte sie liebend gern verhört.« »Die Herren hätten kaum einen Beitrag zur augenblicklichen Problematik liefern können, Mylady«, erwiderte Josuah Parker. »Auch sie sind ja erst im Begriff, gewissen Ermittlungen aufzu nehmen.« »Sie wollten die drei Männer nur ins Abseits bringen, nicht wahr?« Kathy Porter sah den Butler lächelnd an. »Trefflicher und präziser hätte man es nicht auszudrücken ver mögen, Miß Porter«, entgegnete der Butler, »nach dem Eintau chen in die Parfümwolke werden die drei Männer Stunden damit verbringen, sich nur einigermaßen von diesem Duft zu befreien. Mylady können also völlig ungestört diese Nacht für sich bean spruchen.« »Das klingt schon besser.« Sie nickte und gab sich wohlwollend. »Dann wollen wir aber auch keine Zeit verlieren.« 20
»Darf man empfehlen, den rückwärtigen Ausgang zu benut zen?« Parker deutete in die Tiefe des Hauses. »Die Haupttür wird im Augenblick wegen gewisser Parfümschwaden kaum begehbar sein.« »Und wohin soll die Fahrt gehen?« erkundigte sich Mike Rander. »Könnte man nicht getrennt marschieren?« »Sehr gut, mein Junge«, fiel die ältere Dame ihm ins Wort. »Genau das wollte ich gerade vorschlagen. Sie könnten zusam men mit Kathy ein paar Clubs aufsuchen, die mich doch nur langweilen würden.« »Ich wette, Parker, Sie haben bereits ein paar Vorschläge zu machen«, sagte der Anwalt. »Es gäbe in der Tat einige verbotene Spielclubs, Sir, in denen sich die sogenannte Creme der Unterwelt ein Stelldichein zu ge ben pflegt.« »Wäre das nicht etwas für mich?« Agatha Simpson sah den But ler gereizt an. »Mylady sollten sich dagegen, wenn ich höflichst raten darf, mit den Insidern der Szene auseinandersetzen«, redete Parker wei ter. »Natürlich, Mister Parker.« Sie war bereits wieder besänftigt, »ich habe ja auch wohl einen besseren Draht zum einfachen Volk, nicht wahr?« »Mylady bewegen sich auf jedem Parkett mit traumwandleri scher Sicherheit«, machte Josuah Parker seiner Herrin ein Kom pliment, wobei sich in seinem Gesicht wieder mal kein Muskel regte. »Das stimmt.« Sie sah ihn freundlich an. »Hin und wieder tref fen Sie den Nagel tatsächlich auf den Kopf. Gehen wir also, ich will die Unterwelt nicht länger warten lassen.« Das Quartett benutzte den Hinterausgang, eine schmale Gasse, die von der Rückseite des Fachwerkhauses und einer hohen Brandmauer gebildet wurde. Diese Mauer war selbstverständlich entsprechend gesichert und ließ es nicht zu, daß man sie ungese hen übersteigen konnte. Lady Agatha hatte im Fond von Parkers hochbeinigem Monst rum Platz genommen. Die schußsichere Trennscheibe zwischen Parker und ihr war herabgelassen worden. Man konnte sich ohne die eingebaute Wechselsprechanlage miteinander verständigen. Mike Rander und Kathy Porter waren in ihrem Mini-Cooper be 21
reits in der Dunkelheit verschwunden. Hinter Parkers Wagen, ei nem ehemaligen Taxi betagter Bauart, hatte sich das Tor zur Gasse wieder geschlossen. Der Butler steuerte seine Trickkiste auf Rädern langsam zur City hinüber und vergewisserte sich hin und wieder, ob es Verfolger gab. Bisher konnte er allerdings nichts ausmachen. »Ich hoffe, Sie haben mir jetzt eine gute Adresse zu bieten, Mis ter Parker«, sagte sie, »ich brauche endlich Informationen.« »Mylady sollten gütigst bedenken, daß selbst in Kreisen der Un terwelt Ratlosigkeit herrscht«, antwortete der Butler, »aus diesem Grund wurden ja auch die drei Gangster aus den Staaten einge flogen.« »Ihnen wird schon etwas einfallen, Mister Parker, ich verlasse mich da ganz auf Sie.« »Mylady beschämen meine Wenigkeit«, lautete Parkers Antwort, »vielleicht sollte man es in einem gewissen Filmclub versuchen.« »Sie mißverstehen mich, Mister Parker, ich will mir keinen Film ansehen«, tadelte die Detektivin umgehend. »In diesem privaten Filmclub, Mylady, werden Nachrichten ge handelt«, antwortete Parker höflich, »die gezeigten Filme aller dings stehen auf einem Niveau, das man nur als äußerst bekla genswert bezeichnen kann.« »Aha, und was stelle ich mir darunter vor?« »Mylady werden schockiert sein.« »Das überlassen Sie ruhig mir, Mister Parker. Welche Filme werden gezeigt? Doch hoffentlich keine Pornos?« »Mylady sollten sich allerdings mit dieser Tatsache abfinden.« »Was tut man nicht alles, um einen Fall zu klären«, sagte sie, »auch das werde ich auf mich nehmen, Mister Parker. Entrüsten kann ich mich später immer noch.« * »Ich glaube, ich kann Ihnen da einen Tip geben«, sagte Paul Radnor eine halbe Stunde später und flüsterte fast, »und dieser Tip ist noch brandheiß, Mister Parker.« »Von wem stammt er, wenn man fragen darf?« Parker sah sei nen Gesprächspartner höflich abwartend an. Er, Lady Simpson und Paul Radnor saßen in einer Art Loge, die nur von einer Kerze 22
erhellt wurde. Radnor, mittelgroß und schlank, sah sich verstoh len nach allen Seiten um. Er schien eindeutig Angst zu haben. »Er ist mir von einem Unbekannten angeboten worden«, redete er dann weiter, »ich habe den Mann hier im Filmclub vorher noch nie gesehen.« »Kommen wir auf ihn später noch mal zurück, wenn ich vor schlagen darf«, meinte Josuah Parker, »wie lautete das erwähnte Angebot?« »Können Sie mit dem Namen >Eismann< etwas anfangen, Mis ter Parker?« »Sagten Sie Eismann?« »Eismann«, wiederholte Paul Radnor, »er soll der Mann sein, der auf die Polizei schießt.« »Wurde nur dieser sogenannte Spitzname genannt, Mister Rad nor?« »Mehr nicht, Mister Parker, und das ist die Wahrheit. Falls ich an weiteren Informationen interessiert bin, dann kaufe ich, aber ich habe mir Bedenkzeit ausgebeten.« »Wieviel verlangt dieser Informant für weiteres Material?« »Tausend Pfund. Sie können sich vorstellen, Mister Parker, daß ich mir erst mal Bedenkzeit ausgebeten habe.« »Wann war dieser Informant hier, Mister Radnor?« »Vor gut anderthalb Stunden. Er will mich noch im Lauf dieser Nacht anrufen.« »Etwas leiser, wenn ich bitten darf«, rügte die ältere Dame, die sich an diesem Gespräch nicht beteiligte. Sie hatte sich ablenken lassen und verfolgte die dramatischen Ereignisse, die auf der Filmleinwand zu sehen waren. Ein selbstverständlich ungemein widerlicher Verführer hatte eine Unschuld vom Land in seine Privatgemächer gelockt und unter Alkohol gesetzt. Er war inzwischen dabei, die fast hilflose junge Frau zu entkleiden, die an diesem Spiel Gefallen fand und von Minute zu Minute immer hemmungsloser wurde… »Mylady sind entrüstet?« erkundigte sich Parker. »Sehr«, gab sie zurück, »stören Sie jetzt bitte nicht.« »Ich habe absichtlich einen sanften Porno einspannen lassen«, flüsterte Paul Radnor zu dem Butler. »Normalerweise wird so was hier nicht gezeigt. Ich könnt meinen Laden sonst dichtmachen.« »Darf ich davon ausgehen, daß Sie sich bereits nach einem ge wissen Eismann erkundigt haben?« fragte Parker, auf das eigent 23
liche Thema zurückkommend. »Natürlich, aber da war kein Stich zu machen, Mister Parker. Mit diesem Spitznamen weiß niemand was anzufangen. Wissen Sie, ich glaube fast, daß ich’s mit ‘nem Trittbrettfahrer zu tun habe, der schnelles Geld machen will.« »Wie offerierte er sein Angebot, wenn ich höflichst weiterfragen darf, Mister Radnor? Er bezog sich direkt auf die bekannten Schüsse?« »Ausschließlich und direkt, Mister Parker. Er kam sofort zur Sa che. Er hielt sich nur für wenige Minuten im Club auf.« »Man sollte annehmen, daß Sie ihn verfolgen lassen.« »Hätte ich gemacht, ehrlich, gebe ich durchaus zu, aber dazu blieb überhaupt keine Zeit. Der Mann setzte sich sofort wieder ab.« »Unerhört«, meldete sich die Detektivin in diesem Moment zu Wort und wandte sich an Paul Radnor. »Sie nahmen Anstoß, Mylady?« fragte der Filmclubbesitzer be sorgt. »Und ob ich Anstoß nehme, junger Mann«, grollte sie, »was soll denn das da oben auf der Leinwand? Jugendfreie Filme kann ich im Fernsehen jederzeit sehen. Haben Sie nichts Besseres zu bie ten?« »Das schon, Mylady, aber…« »Schnickschnack«, unterbrach sie ihn verärgert, »ich möchte mich endlich entrüsten können. Sorgen Sie dafür, daß sofort ein Film gezeigt wird, der meine sittlichen Gefühle beleidigt!« »Ich… Ich verstehe nicht«, gab Paul Radnor irritiert zurück. »Mylady möchten das normale Programm sehen«, übersetzte der Butler, »Ihr Publikum wahrscheinlich ebenfalls. Die Mißfal lenskundgebungen unten im Saal sind inzwischen nicht mehr zu überhören.« »Sofort, Mylady.« Paul Radnor erhob sich und verließ die Loge. Agatha Simpson beugte sich über die Brüstung der kleinen Loge und sah auf die runden Tische hinunter, die durchweg besetzt waren. Auch im Saal war die Beleuchtung spärlich und entsprach der Kleidung der anwesenden Hostessen, die den Gästen Gesell schaft leisteten. »Ein Sündenpfuhl, Mister Parker«, stellte die Detektivin fest. Ih re Stimme klang eigentlich erfreut. »Mylady möchten sofort aufstehen und unter Protest den Club 24
verlassen?« »Wo denken Sie hin?« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Für mich sind das reine Milieustudien, Mister Parker.« »Gewiß, Mylady«, antwortete Parker, »darf ich darauf verwei sen, daß Mister Radnor offensichtlich mit einer ersten Spur dienen kann?« »Lenken Sie mich jetzt nicht ab«, meinte sie ungnädig, da auf der Leinwand ein anderer Film gezeigt wurde. Sie wandte Parker den Rücken zu und widmete sich wieder ihren Milieustudien. Es dauerte noch einige Minuten, bis Paul Radnor wieder in der Loge erschien. »Ich bin angerufen worden, eben erst«, sagte er hastig, »der Informant hat sich gemeldet.« »Sie haben ihm die tausend Pfund hoffentlich zugesagt«, fragte Josuah Parker. »Doch, das habe ich, Mister Parker. Aber ich habe noch keine Ahnung, wie ich sie zusammenbekomme.« »Dies wird sich regeln, Mister Radnor. Er will Sie wo treffen?« »Gar nicht weit von hier, in Whitechape. Man braucht höchstens eine Viertelstunde bis dorthin.« »Die genaue Adresse, wenn ich doch sehr bitten darf, Mister Radnor.« »In der Royal Mint Street, Mister Parker. Er will mich an der E cke Dock Street abwinken.« »Ich werde Sie begleiten, falls Sie keine Einwände dagegen er heben, Mister Radnor.« »Bestimmt nicht, ich bin nicht gern allein. Wird die Lady mit kommen?« »Keine Störungen, bitte«, meldete sie sich wie beiläufig, aber dennoch auch mit Nachdruck zu Wort. Sie schaute wie gebannt auf die Leinwand, wo muntere Spiele in Sachen Sex zu sehen waren. »Darf ich höflichst darauf verweisen, Mylady, daß der Informant sich gemeldet hat?« fragte der Butler. »Übernehmen Sie das allein, Mister Parker«, entschied sie un willig. »Sie wissen doch, daß ich mich um Kleinigkeiten nicht kümmere.« »Sehr wohl.« Parker deutete eine knappe Verbeugung an und verließ mit Paul Radnor die Loge. Er brauchte übrigens gar nicht angestrengt in sich hineinzuhorchen. Sein innere Alarmanlage 25
meldete sich bereits nachdrücklich! * Mike Rander und Kathy Porter befanden sich unter Gangstern, doch dies sah man den Leuten wahrlich nicht an. Sie gaben sich dezent, gepflegt und erinnerten so gar nicht an Schurken, wie sie der Film kennt. Auf den Rat des Butlers hin waren Mike und Kathy in das nahe »Pimlico« gefahren und besuchten hier einen Schachclub, in dem sogar tatsächlich das königliche Spiel gezeigt wurde. Der Manager des Clubs hatte einige arglose Meisterspieler eingeladen, die sich hier produzierten und keine Ahnung hatten, was tatsächlich ge spielt wurde. Die Clubmitglieder, die sich an einem kalten Büfett bedienen konnten, tauschten mit gedämpften Stimmen Nachrichten und Tips aus, die für ihre dunkle Arbeit interessant waren. Sie saßen an Tischen, in Nischen oder in Sitzgruppen. Es herrschte eine a kustisch gedämpfte Atmosphäre. »Parker hat uns bestimmt eine falsche Adresse gegeben«, meinte Kathy Porter, als sie mit Mike Rander einen freien Tisch suchte. »Sein Tip ist sogar goldrichtig gewesen«, erwiderte der Anwalt und deutete auf eine freie Nische, »ich habe bereits ein paar Leu te gesehen, die sich in Gefängnissen bestens auskennen, und zwar als Insassen.« »Eine ungewöhnliche Nachrichtenbörse, Mike.« »Ein Spitzenumschlagplatz für hochwertige Informationen, Ka thy«, antwortete der Anwalt, »hier werden hur hochkarätige Tips gehandelt.« »Und jeder hat hier Zutritt?« »Natürlich, Kathy, man veranstaltet ja ein Schachturnier. Und jeder Fremde, der hier aufkreuzt, wird genau beobachtet. Uns hat man natürlich längst registriert. Wetten, daß hier in ein paar Mi nuten der Clubmanager erscheinen wird?« »Ich weiß, Sie würden die Wette gewinnen, Mike.« Sie lehnte sich lächelnd zurück und beobachtete die Gäste des Clubs, die sich für Schach wirklich kaum interessierten. Sie unterhielten sich leise miteinander, tranken teure Weine und schienen von einer 26
Unterwelt nichts zu wissen. »Was habe ich gesagt, Kathy? Wir bekommen Besuch.« Rander nickte einem kleinen, flinken Mann zu, der einen Smoking trug und sich der Nische näherte. »Darf ich Sie im Namen der Veranstalter begrüßen?« fragte er, »mein Name ist Dover.« »Unsere Namen werden Sie inzwischen bereits einordnen kön nen«, antwortete Mike Rander, »wir haben uns im Besucherbuch eingetragen.« »Miß Porter, Mister Rander.« Der Clubmanager nickte, »Sie lie ben das Schachspiel?« »In jeder Form, Dover«, gab der Anwalt zurück, »Mister Parker läßt übrigens grüßen.« »Er konnte nicht mitkommen, Sir?« »Er sammelt an anderer Stelle Informationen«, meinte Rander lächelnd, »wir wollen hier mal unser Glück versuchen.« »Gibt es ein bestimmtes Thema, Mister Rander?« »Wer macht Jagd auf Polizeioffiziere?« Mike Rander verzichtete bewußt auf jede Einleitung. »Mister Parker beschäftigt sich mit diesem Problem?« »Und Lady Simpson«, bestätigte Mike Rander. Er wußte, daß diese Duo hier in diesen Kreisen mehr als nur oberflächlich be kannt war. »Diese Frage wird hier diskutiert«, entgegnete Dover, »man steht vor einem Rätsel. Man hat nicht die geringste Ahnung, wer der Täter sein könnte.« »Gibt es keine Vermutungen?« schaltete sich Kathy Porter ein. »Man glaubt, daß man es mit einem Außenseiter zu tun hat, Miß Porter«, antwortete Dover, »man spricht auch von einem Geis teskranken. Sie können mir glauben, daß man diese Affäre so schnell, wie möglich bereinigen möchte.« Mike Rander wollte antworten, doch in diesem Augenblick er schien ein Clubdiener, der dem Manager einen Brief überreichte. »Von wem?« fragte Dover knapp. »Er ist vorn an der Tür abgegeben worden«, antwortete der Clubdiener, »die Frau verschwand sofort wieder, ich meine die Frau, die diesen Brief abgab.« »Für Sie, Mister Rander.« Dover hatte einen kurzen Blick auf die Anschrift geworfen und reichte den Brief an den Anwalt weiter. Rander öffnete den nur oberflächlich zugeklebten Umschlag und 27
zog einen Briefbogen hervor. »Hoffentlich eine gute Nachricht«, fragte Dover, der seine Neu gier nicht verbergen konnte. »Vielleicht, Dover.« Rander steckte den Brief ein und schaute auf seine Armbanduhr. »Wir werden erwartet, Kathy. Tut mir leid, daß wir schon wieder gehen müssen.« »Was war denn?« fragte sie wenig später, als sie im Vorraum des Clubs standen. »Da hat sich ein Eismann gemeldet«, antwortete Mike Rander, »er kann uns angeblich einen Tip über den Schützen geben.« »Oder selbst schießen, Mike.« »Genau, Kathy«, meinte der Anwalt, »das alles sieht nach einer plumpen Falle aus, aber lassen wir’s mal darauf ankommen.« * »Sie halten an, Mister Parker?« fragte Paul Radnor überrascht. Der Butler hatte sein hochbeiniges Monstrum bereits in der nächsten Querstraße an den Straßenrand gesteuert und ließ ihn ausrollen. »Die Royal Mint Street kann noch ein wenig warten, Mister Rad nor«, erwiderte der Butler, »darf ich Sie höflichst einladen, zu sammen mit meiner Wenigkeit zurück in Ihren Filmclub zu ge hen?« »Haben Sie was vergessen? Warum fahren wir denn nicht?« Paul Radnor machte einen etwas nervösen Eindruck. »Etwas frische Luft kann keineswegs schaden, Mister Radnor«, sagte Josuah Parker gemessen, »Sie können selbstverständlich auch hier im Wagen warten.« »Wenn Sie nichts dagegen haben.« Der Filmclubbesitzer atmete sichtlich erleichtert auf, »werden Sie lange bleiben?« »Nur wenige Minuten, Mister Radnor. Falls erwünscht, werde ich das Radio einschalten.« »Nein, nein, das brauche ich nicht, Mister Parker.« Radnor beugte sich vor, als Josuah Parker ausstieg, und zuckte zurück, als die Trennscheibe zwischen Fond und Fahrersitz sich blitz schnell hob und nach oben hin schoß. Josuah Parker lüftete grü ßend die schwarze Melone und stieg aus dem Wagen. Radnor wartete, bis Parker in der Dunkelheit verschwunden war, dann 28
griff er nach der Türklinke und wollte aussteigen. Zu seiner Überraschung war das allerdings nicht möglich. Die beiden hinteren Wagentüren erwiesen sich als verschlossen. Sie waren von Parker zentral verriegelt worden, doch das wußte der Filmclubbesitzer in diesem Moment noch nicht. Er rüttelte ver zweifelt am Türgriff und schaute fast sehnsüchtig auf die nahe Telefonzelle, von der aus er nur zu gern angerufen hätte. Nachdem er herausgefunden hatte, daß die beiden Wagentüren fest verschlossen waren, versuchte Radnor es mit den Wagen scheiben. Doch auch sie ließen sich nicht herunterdrehen. Sie schienen fest eingeschweißt worden zu sein. Radnor gab aber nicht auf. Er kniete vor der Trennscheibe zwischen Fond und Fah rerraum nieder und versuchte, hier einen Durchschlupf zu finden. Aber auch diese Scheibe dachte nicht daran, sich auch nur um einen einzigen Millimeter zu bewegen. Radnor wischte sich den Schweiß von der Stirn und warf sich in die rechte Wagenecke. Er hatte keine Chance, diesen vertrackten Wagen zu verlassen. In einer Zelle wäre er kaum sicherer untergebracht gewesen. Der Filmclubbesitzer dachte an den Butler, der auf dem Weg war, noch mal den Club zu besuchen. Genau dies tat Josuah Parker. Gemessen, doch keineswegs langsam, hatte er den Club fast schon erreicht. Seine innere Alarmanlage hatte ihn gewarnt. Er dachte an die Sicherheit seiner Herrin, die allein in ihrer Loge saß und bereit war, sich zu entrüsten. Für einen potentiellen Mörder bot sie damit ein einmalig gutes Ziel. Josuah Parker benutzte selbstverständlich nicht den Hauptein gang. Er verschwand in einem Torbogen, erreichte einen Hinter hof und blieb dann kurz vor einer Eisentreppe stehen, die zum Filmvorführraum führte. Fast katzenhaft leise stieg der Butler nach oben und näherte sich der Eisentür. Er hatte sich in die Ge dankenwelt eines möglichen Mörders versetzt und glaubte zu wis sen, welche Taktik solch eine Person einschlagen würde. Vom Vorführraum aus hatte ein Mörder die besten Möglichkeiten, einen gezielten Schuß anzubringen. Der Vorführer stellte da kein Hin dernis dar und war schnell aus dem Weg geräumt. Josuah Parker drückte vorsichtig die Eisentür auf und spähte in den Vorführraum. Er sah einen Mann, der einen grauen Kittel trug, sich aber keineswegs mit den Vorführapparaten beschäftig te. Dieser Graukittel hatte völlig andere Ambitionen, hielt ein Ge 29
wehr in den Händen und war gerade dabei, einen erstaunlich lan gen und modernen Schalldämpfer aufzuschrauben. »Darf ich Ihnen meine bescheidene Hilfe anbieten?« fragte Jo suah Parker und… legte recht nachdrücklich den bleigefütterten Bambusgriff seines Universal-Regenschirms auf den Hinterkopf des Mannes. Der Angesprochene antwortete nicht. Er blieb stocksteif stehen, als habe er sich in eine Salzsäule verwandelt. Dann seufzte er fast wohlig auf und schraubte sich zu Boden. Im Moment war er an einer Diskussion offensichtlich nicht interessiert. * »Wo will der Informant sich denn mit uns treffen, Mike?« fragte Kathy Porter. Sie hatten die Tür zur Straße hin noch nicht geöff net. »Drüben am Warwick Square«, gab der Anwalt zurück, »ir gendwie habe ich keine Lust, die Tür dort zu öffnen.« »Man könnte wirklich auf uns warten und schießen wollen«, warnte Lady Simpsons Sekretärin und Gesellschafterin. »Wie wär’s denn, Kathy, wenn Sie den Hinterausgang nehmen würden?« »Sie wollen sich als Ziel anbieten?« »Nur indirekt«, beruhigte Mike Rander seine Begleiterin, »Sie sollten sich aber beeilen, sonst könnte der Schütze mißtrauisch werden.« Sie nickte und verschwand in einem Seitenkorridor. Mike Rander gab ihr zwei Minuten Zeit, dann öffnete er die Tür und hech tete nach draußen. Er ließ sich auf nichts ein und zeigte, daß er keineswegs phlegmatisch war. Er rollte sich auf dem Gehweg ab und hörte hinter und über sich den Einschlag eines Geschosses. Sandsteinsplitter regneten auf ihn herab. Der Anwalt blieb nicht liegen, warf sich nach links und entging so einem zweiten Schuß, der allerdings bereits schlechter gezielt worden war. Diese Ge schoß fetzte in eine Laterne, die rechts vom Eingang angebracht war. Die Glassplitter schwirrten durch die Luft, konnten Rander aber nicht gefährden. Er befand sich bereits in Sicherheit und hatte hinter einem par 30
kenden Wagen Deckung genommen. Er spähte hinüber zur ande ren Straßenseite, wo Reihen geparkter Wagen zu sehen waren. Von dem Schützen könnte der Anwalt allerdings nichts ausma chen. Er war in die Dunkelheit ausgewichen und wartete wahr scheinlich darauf, noch einen dritten Schuß anzubringen. »Was ist los?« rief Dover, der in der Tür stand. Er hatte das Splittern der Lampe wohl mitbekommen. »Setzen Sie sich ab, Dover, die Luft ist bleihaltig«, rief Mike Rander ihm zu, und der Mann reagierte blitzschnell. Er duckte sich und verschwand wieder hinter der Tür. Rander wechselte seinen Standort, bewegte sich weiter die Straße hinunter und war gespannt, ob Kathy Porter noch rechtzeitig aus dem Club ge kommen war. Rander hörte plötzlich einen unterdrückten Aufschrei, doch er ließ sich nicht provozieren. Vielleicht wollte der Schütze ihn nur herausfordern und veranlassen, sich neugierig aufzurichten. Rander blieb in Deckung. »Alles in Ordnung, Mike?« hörte er dann aber Kathys Stimme, die völlig unbefangen klang. »Ich denke schon.« Sie ließ sich kurz sehen und winkte ihm von der anderen Straßenseite zu. Mike Rander richtete sich auf und lief über die Fahrbahn. Nach wenigen Augenblicken stand er ne ben ihr. Kathy deutete auf eine Gestalt, die regungslos am Boden lag. »Bestens«, sagte Rander, »ein Mann, nicht wahr?« »Ein Mann und ein Gewehr«, erwiderte sie, »er wird wohl we nigstens für Minuten nicht ansprechbar sein.« »Schaffen wir ihn erst mal weg«, gab Rander zurück, »warten Sie hier, Kathy, ich werde den Wagen holen.« Er ließ sich die Schlüssel zum Mimi-Cooper geben und brauchte nur wenige Minuten, bis er mit dem Wagen in Kathys Höhe er schien. Er stieg aus und öffnete den Wagenschlag. Gemeinsam verfrachteten sie den mittelgroßen Mann auf den schmalen Rück sitz des Wagens. Sie fuhren gerade an, als im Eingang zum Club einige Männer erschienen, die einen erfahrenen Eindruck mach ten. Sie verschwanden links und rechts vom Eingang in der Dun kelheit, schwärmten aus und näherten sich dem Mini-Cooper. »Hauen wir ab, Kathy«, meinte der Anwalt, »diesmal bin ich ge gen jeden Streit. Ich möchte die Beute nicht teilen müssen.« Kathy Porter setzte den kleinen Wagen in Bewegung und rollte 31
langsam los. Auf einen Schnellstart verzichtete sie absichtlich, um die Männer nicht zu provozieren. Mike Rander beobachtet sie. Es waren vier schlanke Gestalten, die auf der Fahrbahn standen und ihnen nachschauten. Aus dem Club drängten weitere Besucher nach. Es hatte sich wohl inzwischen herumgesprochen, daß hier draußen auf der Straße geschossen worden war. »Was sind das für Männer?« fragte Kathy. »Leibwächter«, meinte der Anwalt, »nur nicht schneller werden, Kathy, sonst könnten die Burschen die Nerven verlieren.« Kathy Porter unterdrückte ihren Wunsch, so schnell wie möglich in die nächste Seitenstraße zu fahren. Sie wurde sogar noch lang samer und atmete erst auf, als sie es endlich geschafft hatten. »Jetzt können Sie von mir aus aufs Gaspedal treten, Kathy«, sagte der Anwalt und lehnte sich zurück, »Parker und Lady Simp son werden Bauklötze staunen, daß wir ein kleines Geschenk mit bringen. Ich bin mal gespannt, von welchem Eismann dieser Kerl da auf dem Rücksitz losgeschickt worden ist.« »Falls er redet, Mike.« Sie sah in den Rückspiegel und wurde noch schneller. »Wir werden verfolgt, Mike.« »Tun Sie was dagegen, Kathy«, schlug Mike Rander ironisch gelassen vor, »Parker hat Ihnen doch beigebracht, wie man so was macht.« »Dann halten Sie sich fest, Mike.« Sie sah ihn kurz an und zeig te tatsächlich, wie gut sie am Steuer eines Wagens war. Anwalt Rander hatte schon sehr bald das Gefühl, in einem Rennwagen zu sitzen. * »Da haben Sie aber Glück gehabt«, meinte Rander eine Stunde später, nachdem Parker einen knappen Bericht über den Besuch des Filmclubs geliefert hatte. »Der Bursche hätte Sie vom Vor führraum aus glatt niederschießen können.« »Unsinn, mein Junge«, grollte sie, »selbstverständlich hatte ich mit solch einem Anschlag gerechnet.« »Ihre Nerven möchte ich haben, Mylady«, lobte der Anwalt, der natürlich genau wußte, daß die Lady wieder mal maßlos über trieb. »An mir kann man sich tatsächlich ein Beispiel nehmen«, be 32
hauptete Agatha Simpson, »im Grund hätte Mister Parker besser warten sollen, um den Schützen dann später verfolgen zu kön nen.« »Hoffentlich können Mylady meiner Wenigkeit noch mal verzei hen«, entschuldigte sich der Butler höflich, »selbstverständlich werde ich in Zukunft in ähnlichen Situationen nicht mehr störend eingreifen.« »Sie müssen nicht immer alles so wörtlich nehmen, Mister Par ker«, gab die Detektivin umgehend zurück, »natürlich wird es auch Ausnahmen geben. Dank meiner guten Nerven haben Sie immerhin einen Lümmel festsetzen können, der mir etwas über diesen Eismann sagen wird.« »Vergessen Sie nicht den Knaben, den Kathy und ich abgefan gen haben«, warf Mike Rander ein. »Was sage ich zu diesem Massenaufgebot an Schützen, Mister Parker?« wollte die ältere Dame von ihrem Butler wissen. »Mylady haben es weder mit einem Einzelgänger, noch mit ei nem geistesgestörten Täter zu tun.« »Das meine ich aber auch.« Sie sah sich triumphierend in der Runde um. »Dieser Eismann – was immer das auch sein mag – kommt ohne eine Hilfsmannschaft nicht aus. Sehe ich das richtig, Mister Parker?« »Myladys Analyse können nicht trefflicher sein.« »Natürlich nicht«, sagte sie in ihrer sachlichen Art, »ich weiß es, aber man hört es hin und wieder recht gern. Nun denn, noch in dieser Nacht werde ich die beiden Schützen verhören.« »Rechnen Sie etwa mit Auskünften?« Rander sah Lady Agatha skeptisch an. »Ich werde diese beiden Subjekte dazu überreden«, meinte sie. »Vielleicht sollte man den beiden Gästen des Hauses noch eine gewisse Verschnaufpause gönnen, Mylady«, schlug Josuah Parker vor. »Ich habe nicht die Absicht, sie in meinem Haus und auf meine Kosten durchzufüttern«, erwiderte sie energisch. »Je weniger Mylady sich um die Gäste kümmern, desto großer wird die Bereitschaft wachsen, später einige Aussagen machen zu dürfen.« »Als Anwalt muß ich gegen die Zwangsbeherbergung sein«, er innerte Mike Rander. »Vielleicht sehen die beiden Herren später freudigst ein, daß 33
man sie ausschließlich vor Schaden bewahrte«, entgegnete Josu ah Parker, »der bereits mehrfach erwähnte Eismann könnte durchaus versuchen, die beiden Mitwisser aus dem Weg zu räu men.« »Spätestens morgen müssen wir die beiden Kerle raus, auf die Straße schicken«, schlug der Anwalt vor, »ich möchte nicht, daß man Mylady eine Klage wegen Kidnapping ins Haus schickt.« »Und wer sollte diese Frechheit begehen? Etwa der Eismann?« Agatha Simpson schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann würde er doch seine Identität preisgeben.« »Er könnte einen Strohmann vorschicken«, warnte Mike Rander. Der Anwalt wandte sich zu Kathy Porter um, die gerade den Salon betrat. »Was machen die beiden Männer?« »Sie scheinen sich nicht zu kennen«, antwortete sie, »oder sie sind erstklassige Schauspieler, ich habe mir ihre Gesichter und Augen genau angesehen, Mike. Es gab keine warnenden Blicke, keine Gesten, nichts.« »Was halte ich davon, Mister Parker?« erkundigte sich die De tektivin prompt. »Der sogenannte Eismann, Mylady, könnte durchaus zwei ver schiedene und sich gegenseitig fremde Schützen engagiert ha ben«, entgegnete der Butler. »Genau das wollte ich gerade sagen.« Sie nickte wohlwollend. »Da wäre noch etwas «, redete Kathy Porter weiter, die das Gästezimmer unten im Keller durch einen Türspion beobachtet hatte, »sie haben sich miteinander unterhalten, und zwar in hol ländischer Sprache.« »In holländisch?« Lady Agatha stutzte. »Eindeutig, Mylady«, erwiderte Kathy Porter, »aber es waren nur Floskeln, die sie ausgetauscht haben, mehr nicht.« »Darüber werde ich nachdenken«, versprach Agatha Simpson und erhob sich, »es ist zwar schon spät, aber ich werde mit Si cherheit für den Rest der Nacht kein Auge zutun. Einer von uns muß ja schließlich die theoretischen Grundlagen erarbeiten.« Kathy Porter und Mike Rander tauschten einen erstaunt amüsierten Blick. Diese Redewendung war ihnen völlig neu. Par kers Gesicht hingegen blieb ausdruckslos. Er war ein Mann, den so gut wie nichts zu erschüttern vermochte.
34
*
Josuah Parker befand sich in seinen Privaträumen, die im Sou terrain des alten Fachwerkhauses eingerichtet waren. Er verfügte hier über einen großen Wohnraum, ein kleines Schlafzimmer und dann über sein Labor, in dem er immer wieder neue technische Überraschungen für seine Gegner austüftelte und zusammenbau te. Nach einen prüfenden Rundgang durch das große Haus hatte er die zentrale Warn- und Kontrollanlage eingeschaltet und wollte gerade ins Bad gehen, als das Telefon klingelte. Parker hob ab und nannte seinen Namen. »Hier spricht der Eismann«, sagte eine undeutliche Stimme. »Sie haben sich erstaunlich viel Zeit gelassen«, antwortete Par ker ohne jeder Überraschung. »Sie wissen, daß Ihre beiden Schützen dingfest gemacht werden konnten?« »Natürlich, aber diese Leute sind unwichtig und jederzeit wieder zu ersetzen.« »Dem darf ich entnehmen, daß die Attentäter wohl kaum einen Hinweis auf Ihre Identität zu geben vermögen.« »Das sehen Sie richtig, Parker. Sie wundern sich wahrscheinlich, warum ich mich mit Ihnen und Ihren Freunden befasse, wie?« »Sie dürften wissen, wer Lady Simpson, Miß Porter, Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit sind.« »Es geht mir eigentlich nur um Sie, Parker.« »Sie schmeicheln meiner Wenigkeit.« Der Butler hatte das Ton bandgerät längst eingeschaltet und schnitt das Gespräch mit. »Der Schuß auf McWarden war eine Dummheit«, redete der so genannte Eismann weiter, »dadurch wurden Sie eingeschaltet, nehme ich an. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen.« »Sie möchten mir wahrscheinlich den Rat geben, für eine gewis se Zeit London zu verlassen, oder sollte ich mich irren?« »Richtig, verschwinden Sie für ein paar Wochen, Parker. Tun Sie’s nicht, werden Sie sterben, dafür garantiere ich.« »Innerhalb dieser erwähnten Wochen wollen Sie sicher einen Coup landen, der in der Kriminalistik einmalig ist?« »Richtig, Parker. Sie haben’s in den Fingerspitzen. Aufzuhalten bin ich so oder so nicht, aber ich habe keine Lust, mich auch noch mit Ihnen zu beschäftigen.« »Sie dürften ein Kenner der Londoner Szene sein.« 35
»Ich weiß Bescheid, was los ist, Parker. Lassen Sie sich also meinen Vorschlag durch den Kopf gehen. Falls Sie sich morgen in einen Zug oder in Ihren Wagen setzen und verschwinden, wird Ihnen und Ihren Freunden nicht die Bohne passieren. Falls Sie aber bleiben, werde ich weitere Schützen mobil machen.« »In Kreisen der Unterwelt ist man nicht besonders gut auf Sie zu sprechen, wie Sie Wohl wissen, von der Polizei ganz zu schweigen.« »Die Polizei und die Unterwelt werden nichts erreichen. Ich bin völlig anonym, Parker.« »Aber auf Sicherheit bedacht, wie ich wohl unterstellen darf. Sie haben immerhin zwei niederländische Staatsbürger als Schützen engagiert.« »Vielleicht, weil ich aus Amsterdam stamme.« Der Mann am anderen Ende der Leitung lacht ironisch. »Oder komme ich aus Paris? Aus Rom oder Brüssel? Bin ich aus Frankfurt oder aus Ko penhagen?« »Um dies vorzutäuschen, müßten Sie die entsprechenden Spra chen beherrschen, wenn ich darauf aufmerksam machen darf«, lautete Parkers Antwort, »und damit werden Sie sicher kaum die nen können.« Parker erreichte, was er wollte. Nach einem Klicken in der Leitung war die Stimme wesentlich deutlicher zu hören. In Niederländisch, Deutsch, Belgisch, Dä nisch und Französisch stellte der Gesprächsteilnehmer sich als Eismann vor. Und er vergaß nicht, dies auch in der italienischen Sprache zu erwähnen. »Beeindruckend«, fand Josuah Parker, als die diversen Durch sagen beendet waren, »Sie schaffen damit das, was man eine totale Sprachverwirrung zu nennen pflegt.« Nach dieser Feststellung bewies Parker, daß auch er einige der eben gehörten Fremdsprachen beherrschte. Erstaunlich flüssig stellte der Butler Fragen und wechselt dabei die Sprache. Doch auf der Gegenseite blieb nun alles still. Dann erfolgte ein Klicken – auf der anderen Seite war aufgelegt worden. Der sogenannte Eismann schien an weiterer Konversation nicht interessiert zu sein. * 36
»Natürlich habe ich Angst, Mister Parker«, sagte Paul Radnor, der Chef des Filmclubs. Er war am frühen Morgen von Josuah Parker besucht worden und zeigte Unsicherheit. »Sie wurden angewiesen, meine Wenigkeit in die Royal Mint Street zu bringen, nicht wahr?« erkundigte sich der Butler. »Das haben Sie doch bereits in der vergangenen Nacht geahnt, Mister Parker«, erwidert Radnor, »umsonst haben Sie mich ja nicht in Ihren Wagen festgehalten.« »Es gab und gibt keine Informanten, der für tausend Pfund An gaben zur Person des sogenannten Eismannes machen kann?« »Dieser Eismann selbst hatte mich angerufen, Mister Parker. Verstehen Sie mich doch! Dieser Mann hat mir gedroht, er würde mich umlegen wie die Polizeioffiziere, wenn ich nicht mitmachen würde. Was blieb mir anderes übrig als mitzumachen!?« »Wenn Sie einverstanden sind, wollen wir dieses Thema nicht weiter vertiefen«, schlug Josuah Parker vor, »ich kann allerdings nur hoffen, daß Sie nichts von dem Schützen im Vorführraum Ihres Etablissements wußten.« »Davon habe ich wirklich nichts gewußt, Mister Parker, das schwöre ich Ihnen. Ich sollte Lady Simpson und Sie nur zur Royal Mint Street bringen, aber das haben Sie ja durchschaut.« »Ich bin geneigt, Ihnen Glauben zu schenken, Mister Radnor.« »Sie ahnen ja nicht, was los ist, Mister Parker«, klagte Paul Radnor, »alles sucht nach diesem Eismann. Er hat es geschafft, daß kurzgetreten wird…« »Ein Manöver, das man nur als äußerst geschickt bezeichnen kann«, stellte Josuah Parker fest, »der Spitzname Eismann wurde in Ihren Kreisen bisher noch nie genannt?« »Er war völlig unbekannt, Mister Parker. Wir alle haben nicht den geringsten Schimmer, wer das sein könnte. Ich kann’s nur noch mal wiederholen, ich sage die Wahrheit.« »Hat dieser Eismann sich nach dem Zwischenfall in Ihrem Club noch mal gemeldet?« »Nein, da war nichts. Aber ich habe mehr denn je Angst, Mister Parker. Man weiß ja überhaupt nicht, an wen oder was man sich halten kann. Der Schütze kann doch überall sein. Haben denn Sie nichts herausbekommen? Sie haben den Kerl aus dem Vorführ raum doch aus dem Verkehr gezogen…« »Es handelt sich um ein Werkzeug«, meinte der Butler, »dieser 37
Gewehrschütze dürfte noch nicht mal andeutungsweise wissen, für wen er hätte schießen sollen.« »Er ist wieder frei?« Paul Radnor schluckte. »Und wenn er er neut versucht, auf uns zu schießen?« »Das ganze Leben ist ein Risiko, Mister Radnor«, stellte Josuah Parker gemessen fest, »man kann nur hoffen, daß die Ermittlun gen der Unterwelt erfolgreich sein werden.« »Suchen Sie mal nach einem Phantom, Mister Parker…« beklag te sich Radnor, »man weiß ja überhaupt nicht, wo man anfangen soll! Wissen Sie, was ich glaube?« »Sie werden das meiner Wenigkeit sicher umgehend mitteilen.« »Dieser Eismann ist nichts als eine raffinierte Erfindung.« »Eine bemerkenswerte Theorie, Mister Radnor.« »Dieser Name soll uns alle nur ablenken«, redete der Filmclub besitzer eifrig weiter, »ich kann’s natürlich nicht beweisen, aber ich glaube wirklich, daß man uns mit diesem Namen nur Sand in die Augen streuen will.« »Ich erwähnte bereits, daß Ihre Theorie bemerkenswert ist, Mister Radnor.« »Meinen Sie das wirklich, Mister Parker?« Paul Radnor sah den Butler in einer Mischung aus Mißtrauen und Stolz an. »Seien Sie versichert, Mister Radnor, daß ich meist das denke, was ich auch sage«, schickte Josuah Parker voraus, »einer der Größen der Unterwelt dürfte im vorliegenden Fall seine spezielle Suppe kochen wollen, um es mal volkstümlich auszudrücken.« »Moment mal, Mister Parker, Sie glauben, daß irgendwer ein Doppelspiel betreibt? Sie glauben, daß ein bekannter Mann der Szene diesen Eismann erfunden hat?« »Man sollte auch diese Möglichkeit nicht völlig ausschließen«, gab der Butler zurück, »dieses Denkmodell sollten Sie aber kei neswegs kolportieren.« »Was soll ich nicht?« Paul Radnor war etwas irritiert. »Sie sollten meine Theorie für sich behalten«, übersetzte der Butler und wußte im gleichen Moment, daß Radnor keinen Mo ment zögern würde, diese Nachricht innerhalb der Unterwelt zu verbreiten. Parker verabschiedete sich von dem Filmclubbesitzer und begab sich hinüber zu seinem Wagen. Als er ihn fast erreicht hatte, schnupperte er diskret und hatte dann alle Mühe, seine Gesichts züge unter Kontrolle zu halten. 38
Das süßlich-aufdringliche Parfüm, das seine Nasenschleimhäute mißhandelte, kam ihm sehr bekannt vor! * Es handelte sich eindeutig um jenen Duftstoff, mit dem er den US-Gangster Rickman und die beiden Mitarbeiter dieses Profis behandelt hatte. Parker wunderte sich keineswegs darüber, daß dieses spezielle Parfüm noch immer nachwirkte. Es stammte schließlich aus seinem Privatlabor und zeichnete sich durch ein penetrante Hartnäckigkeit und Haftfähigkeit aus. Es stand also eindeutig fest, daß wenigstens einer dieser der drei US-Besucher hier am Wagen gewesen war und sich wahrscheinlich auch immer noch in der Nähe aufhielt. Parker ließ sich selbstverständlich nichts anmerken. Er sperrte die Fahrertür auf und… schien überrascht. Er reagierte viel zu spät, als er hinter sich schnelle Schritte hörte. Wenig später wur de ihm der Lauf einer Waffe gegen den Rücken gepreßt. »Sperren Sie die hintere Wagentür auf«, sagte eine Stimme, die Parker sofort zu identifizieren vermochte. Es handelte sich um Mike Rickman. »Ich fürchte, meine Wenigkeit ist überrascht worden«, behaup tete Josuah Parker. »Worauf Sie sich verlassen können, Parker. Diesmal bin ich am Drücker! Sperren Sie die Wagentür auf, aber ein bißchen dalli!« »Ihr Wunsch ist mir selbstverständlich Befehl«, erklärte Parker und entriegelte durch das Umlegen eines Kipphebels auf dem Ar maturenbrett die beiden Fondtüren. Plötzlich tauchten Rickmans Mitarbeiter Joe und Will auf. Sie schlüpften blitzschnell in den Wagen und schlugen leichtsinnig die Türen zu. »Ich steige nach vorn zu Ihnen ein, Parker. Und keine Mätz chen, Mann, sonst sind Sie geliefert.« Rickman wartete, bis Par ker am Steuer Platz genommen hatte. Dann hockte er auf den Beifahrersitz und nickte. »Rauschen Sie ab, Parker«, sagte er triumphierend, »damit ha ben Sie nicht gerechnet, wie?« »Sie scheinen recht nachtragend zu sein, wenn ich so sagen darf.« 39
»Mir tritt man nur einmal auf die Zehen«, gab Rickman zurück, »es gibt da noch ‘ne Rechnung, die Sie bald bezahlen werden, Sie und Ihre Lady.« »Weiß Mister Benny Waiden, daß Sie meiner Wenigkeit aufge lauert haben?« »Wer ist schon Waiden, Parker? Fahren Sie jetzt los! Fahren Sie immer geradeaus! Ich sage Ihnen schon rechtzeitig, wie’s weiter gehen wird…« Josuah Parker ließ sein hochbeiniges Monstrum anrollen und ig norierte die Waffe, die Rickman auf ihn richtete. Der Butler hatte keineswegs mit einem Schuß gerechnet. Selbst ein US-Gangster wie Rickman hütete sich, auf offener Straße zu schießen. Dies wollte er wahrscheinlich an verschwiegener Stelle nachholen. »Darf man fragen, ob Sie mit Ihren Ermittlungen bereits weiter gekommen sind?« erkundigte sich der Butler. »Darf man weiter hin erfahren, wieso Sie meine Wenigkeit ausgerechnet vor dem Filmclub des Mister Radnor erwarteten?« »Wir haben uns an Sie gehängt, als Sie Shepherd’s Market ver ließen, oder wie immer die Gegend heißen mag. Haben Sie nicht mitbekommen, wie?« »Darf ich mich erkühnen, Ihnen ein Kompliment zu machen? Ih re Beschattung ist meinen an sich wachsamen Augen entgan gen.« »Sie haben es endlich mal mit Profis zu tun«, trumpfte Mike Rickman auf, der keine Ahnung hatte, daß der Butler ihm gerade etwas vorgeschwindelt hatte. Parker war der grüne Ford keines wegs entgangen, der ihm beharrlich folgte, doch dies brauchte Rickman nicht zu wissen. In seinen Augen war ein überheblicher Gegner immer ein bequemer Gegner. »Sie hegen bestimmte Pläne, was meine Person betrifft?« fragte Josuah Parker. »Wir planen da ‘ne kleine Sonderbehandlung«, antwortete Rickman, »richten Sie sich auf ein paar Wochen Hospital ein.« »Gilt dies eventuell auch für Lady Simpson?« »Ich mache da keine Unterschiede«, entgegnete Rickman, »ich hasse Amateure, Parker. Sobald Sie erst mal flach liegen, kann ich mich ungestört mit dem Kerl befassen, der London verrückt macht.« »Sie sprechen sicher von jener Person, die sich Eismann nennt?« 40
»Diesen Spitznamen haben Sie auch schon gehört?« Rickman nickte. »Große Chancen hat dieser Irre nicht mehr, wenn wir erst mal loslegen. Hören Sie, ich hab’ da eben ‘nen Schrottplatz gese hen. Fahren Sie zurück! Diese Rostkarren werden wir uns mal aus der Nähe ansehen.« Parker nickte andeutungsweise und kam, dem Wunsch seines Beifahrers nach. Während er zurückfuhr, suchte und fand seine linke Schuhspitze einen kleinen Hebel, der links von der Lenksäu le angebracht war. Parker trat diesen kleinen Hebel nach unten und wunderte sich keineswegs, als Mike Rickman plötzlich leicht zusammenzuckte. »Ihren Schlitten sollte man auch verschrotten«, sagte der USGangster dann ärgerlich und faßte mit der freien Hand nach sei ner linken Kehrseite. »Geschah Ihnen ein Ungemach, Mister Rickman?« erkundigte sich Parker. »Die Federn drücken sich ja durchs Polster«, beschwerte sich Rickman wütend, »Mann, da kann man sich ja glatt was holen!« »Nehmen Sie die Entschuldigung meiner Wenigkeit entgegen«, erwiderte der Butler, der genau wußte, daß die Federung des Sit zes in Ordnung war. Doch dies teilte er aus verständlichen Grün den seinem Beifahrer nicht mit. * Joe und Will, Rickmans Begleiter, tauschten einen schnellen Blick, als ihr Boß plötzlich haltlos in sich zusammenrutschte. Wa rum dies so war, konnten sie sich nicht erklären. Eben noch hatte Rickman sich mit dem Butler unterhalten, und nun mußte Parker den Mann von sich in die gegenüberliegende Wagenecke drü cken… Joe und Will zogen ihre Schußwaffen aus den Halftern und woll ten sich mit dem Butler befassen, doch in diesem Moment sauste förmlich die Trennscheibe nach oben und riegelte den Fahr gastraum ab. Joe und Will warfen sich überrascht zurück und starrten entgeistert auf das Hindernis. »Falls Sie zu schießen beabsichtigen, meine Herren, werden Sie mit Abprallern zu rechnen haben«, hörte man Parkers Stimme dann über die bordinterne Sprechanlage, »die Scheibe vor Ihnen 41
besteht selbstverständlich aus Panzerglas.« »Was… Was haben Sie mit unserem Boß gemacht?« fragte Joe mit stark belegter Stimme. Er ließ es auf einen Probeschuß gar nicht erst ankommen. »Mister Rickman gibt sich einem Tiefschlaf hin«, erwiderte Josu ah Parker, ohne seine Haltung am Lenkrad auch nur andeutungs weise zu verändern. »Wieso… Wieso Tiefschlaf?« fragte Will. Seine Stimme klang ausgesprochen heiser. »Mr. Rickman erhielt eine Injektion, wenn ich so sagen darf«, erläuterte Josuah Parker. Er erklärte den beiden Hilfsspezialisten nicht, wie dies geschehen war. Durch das Niedertreten des Hebels an der Lenksäule hatte er einen Mechanismus in Bewegung ge setzt, der eine chemisch präparierte Nadel durch das Sitzpolster ins Gesäß seines Beifahrers gedrückt hatte. »Und jetzt?« fragte Joe. »Sie sollten Ihrem zweifelhaften Vorbild in den Schlaf folgen«, meinte der Butler. »Da haben Sie sich aber in den Finger geschnitten!« Joe und Will nickten sich zu und stürzten sich dann auf die beiden Türgrif fe. Sie rissen und zerrten zwar an ihnen, doch sie richteten nichts aus. Die beiden hinteren Wagentüren ließen sich nicht öffnen. »Zentralverriegelung«, erläuterte Parker über die Sprechanlage, »Sie sollten sich nicht unnötig echauffieren. Ich erlaube mir, Ih nen angenehme Träume zu wünschen.« Durch einen Hebeldruck löste Parker das Lachgas aus, das durch verborgen angebrachte Düsen in den Fond strömte. Nach wenigen Minuten hingen die beiden Mitfahrer schlaff und schla fend in ihrer jeweiligen Wagenecke und befanden sich weit jen seits von Gut und Böse. Josuah Parker steuerte seine Trickkiste auf Rädern zurück in die eigentliche City und dann nach Shepherd’s Market. Er hatte keineswegs vor, diese drei Gangster im Haus der Agatha Simpson unterzubringen. Ihr Aufenthalt sollte nur von kurzer Dauer sein. Parker stellte sein hochbeiniges Monstrum in die schmale Pri vatgasse hinter dem Fachwerkhaus und begab sich durch den Hintereingang in das Haus seiner Herrin. Er fand die ältere Dame in aufgekratzter Stimmung an. Sie trat gerade aus dem Gäste zimmer im Souterrain des Hauses. »Sie kommen wie gerufen, Mister Parker«, sagte sie, »ich habe 42
soeben die beiden niederländischen Schützen verhört.« »Darf man sich höflich nach dem Befinden der Männer erkundi gen?« fragte Parker. »Kathy und Mike bringen ihnen gerade Erfrischungen und Eis würfel«, erwiderte die Detektivin wohlwollend, »man ist ja kein Unmensch, doch ohne ein paar Ohrfeigen ging es nicht ab.« »Mylady wurden demnach attackiert?« tippte Parker in seiner höflichen Art an. »Das war es.« Sie nickte. »Man wollte mich hilflose Frau doch tatsächlich angreifen, Mister Parker! Da mußte ich mich schließ lich wehren, nicht wahr!« »Mylady gelangten in den Besitz wichtiger Erkenntnisse?« »Die beiden Lümmel stammen aus Amsterdam«, erklärte sie, »sie arbeiten dort in einer Autowerkstatt. Ihr Arbeitgeber heißt Pieter Noorden. Die genaue Adresse hat Mr. Rander sich aufge schrieben.« »Konnten Mylady etwas über den Eismann in Erfahrung brin gen?« »Sie haben angeblich keine Ahnung, wer sie engagiert hat, Mis ter Parker. Sie sind in Amsterdam eingeladen worden, nach Lon don gekommen. Ob ich das aber glauben soll, werde ich mir erst noch gründlich überlegen.« »Mit weiteren Angaben dürften die beiden Gäste kaum zu die nen vermögen«, antwortete der Butler, »Ihr Einverständnis vor aussetzend, Mylady, könnte man einen Sammeltransport in die Wege leiten. Es war meiner Wenigkeit vergönnt, Mr. Rickman und seine beiden Mitarbeiter zu einer Fahrt einzuladen.« »Sammeltransport?« Die ältere Dame verstand nicht sofort. »Man könnte die nun insgesamt fünf Männer in den Norden der Insel schicken«, meinte Josuah Parker, »der sogenannte Eismann müßte dann erst mal neue Helfershelfer mieten, was sicher ge wisse Zeit kosten dürfte.« * Horace Pickett, ehemaliger Taschendieb, nun auf den Pfaden der Tugend wandelnd, war ein seriös aussehender Mann von etwa sechzig Jahren, der soviel Vertrauen ausstrahlte, daß man ihm bedenkenlos die eigene Brieftasche anvertraut hätte. Er, der sich 43
Umverteiler von Privatvermögen genannt hatte, war von einem Saulus zu einem Paulus geworden und fühlte sich dem Butler zu tiefst verpflichtet, nachdem Parker ihm mal das Leben gerettet hatte. Inzwischen war er zu einem schätzenswerten Mitarbeiter geworden, der diskrete Ermittlungen übernahm. Am frühen Nachmittag erschien er vor dem altehrwürdigen Haus der Lady Agatha und wurde von Parker eingelassen. Horace Pi ckett, der an einen pensionierten General erinnerte, was sein Äu ßeres anbetraf, brachte gute Nachrichten. »Inzwischen suchte alles nach einem Eismann«, berichtete er, als er in einem Sessel vor dem großen Kamin Platz genommen hatte, »da scheint eine richtige Psychose ausgebrochen zu sein, Mister Parker.« »Weiß man in bestimmten Kreisen diesen Spitznamen einzuord nen, Mister Pickett?« fragte der Butler und reichte seinem Gast einen Sherry. »Dieser Spitzname ist völlig neu«, erklärte Pickett, »der war noch nie da. Alles rätselt jetzt herum. Und die Polizei veranstaltet eine Razzia nach der anderen. Bestimmte Leute kommen über haupt nicht mehr zur Ruhe. Die gesamte Unterwelt sucht nach diesem Eismann.« »Demnach dürfte die Rechnung des Mannes bisher aufgegangen sein«, stellte Josuah Parker fest, »Sie haben sich bereits ein ers tes Urteil über diesen Mann gebildet, Mister Pickett?« »Dieser Eismann kennt sich bestens aus, Mister Parker. Er mag ein Einzelgänger sein aber geisteskrank ist der bestimmt nicht.« »Dieser Auffassung möchte ich mich durchaus anschließen, Mis ter Pickett.« »Der Eismann wirbelt alles durcheinander«, redete der ehemali ge Eigentumsumverteiler weiter, »die Polizei dreht fast durch, die Gegenseite ebenfalls. Die Schüsse auf die Polizeioffiziere waren raffiniert.« »Ich möchte mich Ihrer Auffassung noch immer anschließen, Mister Pickett. Und warum wurde dies alles Ihrer Ansicht nach inszeniert?« »Der Eismann will ein sensationelles Ding drehen, würde ich sa gen, Mister Parker. Der lenkt ab, der sorgt nur dafür, daß alles voll beschäftigt ist mit der Suche nach ihm, dem Eismann, den er bestimmt erfunden hat.« »Sie sehen die Dinge mit erfreulicher Klarheit, Mister Pickett.« 44
»Weil ich kein Anfänger bin, Mister Parker.« Pickett genoß den erstklassigen Sherry. »Ich habe allerdings keine Ahnung, was dieser Bursche plant. Es muß sich aber um einen tolle Sache han deln.« »Kennen Sie in gewissen Kreisen einen Mann, der einige Spra chen beherrscht, Mister Pickett? Ich denke an Französisch, Nie derländisch, Italienisch, Deutsch und Dänisch.« »Das könnten Sie sein, oder?« Horace Pickett sah den Butler lä chelnd an. »Ich weiß genau, was Sie so an Sprachen auf dem Kasten haben.« »Meine Wenigkeit würde kaum auf Polizeioffiziere schießen, Mis ter Pickett.« »Ich weiß, Mister Parker, ich weiß! Ob ich einen Menschen ken ne, der einige Fremdsprachen auf Lager hat? Da müßte ich mich mal umhören. Wieso fragen Sie danach?« »Der erwähnte Eismann scheint diese Sprachen zu sprechen«, erklärte der Butler, »oder aber er kennt einen Sprachkundigen, der für ihn freundlicherweise einige Sätze sprach.« »Ich werde mich darum kümmern, Mister Parker«, versprach Horace Pickett, »mit diesen Hinweisen läßt sich schon etwas an fangen.« »Mylady wird Ihnen zu Dank verpflichtet sein, Mister Pickett. Ist es Ihnen gelungen, eine Schnellverbindung in Richtung Norden zu arrangieren?« »Der Lastwagen kann in einer Stunde hier seih, Mister Parker. Was soll denn weggeschafft werden?« »Fünf Männer, die sich inzwischen als lästig erwiesen haben«, sagte der Butler, »es sind Männer, die man als gefährlich be zeichnen muß. Drei von ihnen stammen aus den USA und gelten dort als erfolgreiche Spezialisten.« »Wir hier haben auch unsere Experten«, meinte Pickett heiter, »wie lange sollen die fünf Männer wegbleiben?« »Eine Woche wenigstens, wenn ich sagen darf«, lautete die Antwort des Butlers, »körperlichen Schaden sollten die fünf Män ner allerdings nicht nehmen.« »Geht in Ordnung, Mister Parker. In einer Stunde wird er Wagen hier sein. Könnte der Eismann nicht versuchen, sich an diesen Laster anzuhängen?« »Dies möchte ich doch sehr hoffen, Mr. Pickett«, antwortete Parker, »meine bescheidene Wenigkeit wird den Beifahrer spielen. 45
Doch ich hoffe sehr, daß es zu gewissen Komplikationen kommen wird.« * »Ich habe Ihnen natürlich nichts mitgebracht, mein lieber McWarden«, sagte die ältere Dame, nachdem sie den ChiefSuperintendent begrüßt hatte, »ich glaube, ein Mann in Ihrer La ge sollte strengste Diät einhalten.« »Wie gut, daß Sie sich nicht in Unkosten gestürzt haben«, rea gierte McWarden ironisch, »ich hätte mir glatt Vorwürfe ge macht.« »Sehen Sie, genau das wollte ich vermeiden. Ob dies da geeig net für Sie ist?« Die Lady deutete auf eine Obstschale und eine Schachtel Konfekt. »Stammt von Leuten aus meiner Dienststelle«, erklärte McWar den, »wenn Sie mal kosten wollen, Mylady?« »Sie wissen, daß ich mir aus Konfekt kaum etwas mache…« Die ältere Dame langte nach der Pralinenschachtel, öffnete sie und inspizierte den Inhalt. Dann nickte sie gnädig und bediente sich. Sie tat es ausgiebig und ohne jede Hemmungen. »Nicht schlecht, aber auch nicht gut«, urteilte sie und nahm die nächste Praline. »Sie würden sich daran nur den Magen verder ben, McWarden. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.« »Ich fühle mich elend, Mylady«, antwortete der ChiefSuperintendent, »ich liege hier fest, während alles verrückt spielt.« »Machen Sie sich keine Sorgen, mein Lieber, dieser Fall ist be reits so gut wie gelöst.« »Tatsächlich?« McWarden sah zuerst Lady Agatha, dann Kathy Porter an, die mitgekommen war und ihm einen Strauß Blumen gebracht hatte. »So gut wie«, wiederholte Agatha Simpson noch mal, »ist es nicht so, Kindchen? Habe ich übertrieben?« »Es sind nur noch einige Details zu klären«, antwortete Kathy Porter, und McWarden wußte Bescheid, daß man noch auf der Stelle trat. »Dieser Eismann hat sich bereits telefonisch gemeldet«, redete die Detektivin weiter, »ich war leider nicht am Apparat, sonst hät 46
te ich dieses Subjekt herausgefordert.« »Mister Parker hat mit dem Eismann gesprochen?« staunte McWarden. »Dieser Gangster stammt wahrscheinlich aus Amsterdam«, er klärte Lady Simpson, »mehr möchte ich dazu aber nicht sagen.« »Wieso gerade aus Amsterdam?« wunderte sich der ChiefSuperintendent. »Kathy wird Ihnen das nachher auseinandersetzen, McWarden. Hat es weitere Anschläge auf Polizeioffiziere gegeben?« »Bisher nicht, Mylady, aber ich fürchte, daß diese Sache noch nicht ausgestanden ist.« »Die Polizei ist natürlich noch keinen Schritt vorangekommen, nicht wahr, McWarden?« »Leider nicht, Mylady, das muß ehrlich eingeräumt werden. Aus Amsterdam soll dieser Eismann stammen? Ich würde gern mehr darüber hören.« Kathy Porter beschränkte sich auf Stichworte und setzte den Chief-Superintendent ins Bild. McWarden hörte aufmerksam zu. »Und wo stecken die beiden Schützen jetzt?« wollte er an schließend wissen. »Ich habe sie aus dem Haus gejagt«, übertrieb die Detektivin, »sie sind unwichtig und haben keine Ahnung, für wen sie schie ßen sollen. Aber sie stammen aus Amsterdam.« »Allmächtiger, Sie haben zwei Schützen weggejagt?« McWarden stöhnte. »Wissen Sie denn wenigstens, wo man sie in Amsterdam finden kann? Diese Leute wären doch für die Ermittlungen sehr wichtig gewesen.« »Fragen Sie Mister Parker, McWarden, für Kleinigkeiten interes siere ich mich nicht. Übrigens, war das alles, was man Ihnen an Pralinen mitgebracht hat?« »Wie…? Doch, das war alles.« »Sehr sparsam und fast schäbig«, meinte sie verächtlich und beförderte die inzwischen leere Packung in den Papierkorb, »be sonders sehen die Orangen nicht gerade aus, McWarden, aber der gute Wille war wenigstens vorhanden.« »Ich mache mir nichts aus Obst«, seufzte McWarden, »bedienen Sie sich Mylady! Weiß Parker wenigstens, wer diese beiden Kerle sind?« »Wahrscheinlich.« Sie machte sich, daran, die erste Orange zu öffnen. »Glauben Sie mir, diese beiden Subjekte hätten mich 47
nicht weitergebracht, McWarden und…« Sie zuckte zusammen, als plötzlich die Fensterscheibe splitterte. Kathy Porter warf sich vor und drückte die ältere Dame, die völlig überrascht war, auf das Bett und damit auch zwangsläufig auf McWarden, der von dieser Fülle überwältigt wurde und erstickt aufstöhnte. * »Hoffentlich hat McWarden mich nicht mißverstanden«, befürch tete Agatha Simpson, »ich warf mich schließlich an seine Brust, das heißt, ich wurde eigentlich geworfen.« »Ich wollte Sie aus der Schußlinie bringen, Mylady«, meinte Ka thy Porter lächelnd. »Fielen weitere Schüsse?« erkundigte sich Mike Rander. »Nur dieser eine Schuß, der natürlich mir gegolten hat«, berich tete die ältere Dame weiter, »dieser Eismann weiß natürlich, wer sein gefährlichster Gegner ist. Oder sind Sie anderer Meinung, Mister Parker?« »Keineswegs und mitnichten, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers, »und der besagte Eismann wird auch weitere Versuche unternehmen, Mylady aus dem Weg zu räumen.« Das Quartett befand sich im Stadthaus der Agatha Simpson und nahm den Nachmittags-Tee. Um Myladys angegriffenen Kreislauf zu stärken, servierte Parker zusätzlich Kognak, der sich in einer Karaffe befand. Seine Herrin sprach dieser Medizin ausgiebig zu, denn immerhin war auf sie geschossen worden. »Was machen die fünf Subjekte?« erkundigte sie sich, »McWar den war nicht gerade begeistert, als er hörte, daß die beiden Schützen wieder frei sind, Mister Parker.« »Mylady sprechen von den Herren Jan und Kees«, erwiderte Parker, »in einer weiteren Befragung nannten sie diese Vornamen und bestätigten erneut, für einen gewissen Pieter Noorden in Amsterdam zu arbeiten.« »Langweilen Sie mich nicht mit Namen, die ich doch wieder vergesse«, gab die Detektivin ungnädig zurück, »bin ich noch immer dafür, daß sie weggeschafft werden, Mister Parker?« »Der sogenannte Eismann könnte versuchen sich korrigierend einzuschalten, Mylady«, antwortete Parker. 48
»Sie glauben, er würde versuchen, die beiden Holländer zu be freien?« »Man sollte zumindest damit rechnen, Mylady.« »Nun gut, ich werde diesem Sammeltransport folgen«, ent schied sie, »wie soll das alles überhaupt bewerkstelligt werden?« »Pickett hat da seine Beziehungen spielen lassen«, schaltete der Anwalt sich ein, »Mike Rickman und seine Mitarbeiter Joe und Will befinden sich bereits in einer Transportkiste, die für einen Trans formator gedacht war. Die beiden Niederländer Jan und Kees er setzen ein Schaltpult.« »Wie lange wird die Fahrt denn dauern?«, fragte Kathy Porter. »Morgen, etwa um diese Zeit, werden die fünf Kerle in Glasgow eintreffen und sturzbetrunken sein«, erwiderte Mike Ränder. »Betrunken? Mister Rander, Sie haben diese Subjekte doch hof fentlich nicht mit sündhaft teurem Alkohol versorgt?« Agatha Simpson sah den Butler entgeistert an. »Es handelt sich um einen Whisky minderer Qualität«, erläuter te der Butler, »die fünf Herren werden sich im Stadium ausgelas sener Heiterkeit befinden, wenn man sie in Glasgow aus dem Lastwagen und den jeweiligen Transportkisten holt, Mylady.« »Wozu diese Verschwendung, Mister Parker? Selbst billiger Whisky kostet schließlich Geld!« »Die fünf Herren dürften sich in ihrer Euphorie mit den Vertre tern der Behörde anlegen, Mylady, und sicher festgenommen werden.« »Die werden erst mal aus dem Verkehr gezogen«, meinte An walt Rander, »unser Eismann muß sich also nach neuen Hilfstrup pen umsehen. Natürlich werden wir McWarden rechtzeitig einen Tip geben.« »Nun ja, dieser Plan könnte tatsächlich von mir stammen«, be hauptete die ältere Dame und nickte wohlwollend, »und wann geht der Transport los?« »Die beiden Kisten werden in etwa einer halben Stunde abge holt, Mylady«, erklärte der Butler, »bei dieser Gelegenheit werde ich mir erlauben, als Beifahrer zuzusteigen.« »Und Sie rechnen damit, daß der Eismann unterwegs zuschla gen wird?« »Mit solch einer Möglichkeit sollte man sich durchaus vertraut machen, Mylady.« »Mike, mein Junge, wir werden diesem Lastwagen selbstver 49
ständlich folgen«, erklärte die Detektivin, »wir werden meinen Land-Rover nehmen.« »Vielleicht könnte ich das Haus hier hüten«, meinte Rander has tig. Er kannte den eigenwilligen Fahrstil der resoluten Dame nur zu gut. »Schnickschnack«, meinte sie, »dieses Haus hütet sich selbst. Von mir aus könnte allerdings Kathy zurückbleiben. Wir sollten ihr nicht zuviel zumuten.« »Aber ich würde sehr gern mitkommen, Mylady«, erklärte Kathy Porter, »vielleicht wollen Sie unterwegs ein paar Stichworte zu Ihrem Bestseller diktieren.« »Dazu werde ich wohl kaum Zeit haben, Kindchen. Ich werde natürlich den Rover steuern.« »Ich ahnte es«, murmelte Mike Rander und schickte einen fle henden Blick zum Himmel, doch diese Absicht wurde von der Zimmerdecke leider zunichte gemacht. * Butler Parker hatte sein Äußeres verändert. Er saß auf dem Beifahrersitz des Lastwagens und trug über sei nem schwarzen Zweireiher einen grauen Kittel. Die schwarze Me lone hatte er gegen eine braune Lederkappe getauscht. Der Uni versal-Regenschirm stand links von ihm hinter dem Sitz. Am Steuer des Trucks saß Horace Pickett. Auch er hatte ge tauscht und den Fahrer im Haus der älteren Dame zurückgelas sen. Zusammen mit dem Beifahrer sollten die beiden tatsächli chen Lastwagenfahrer zu einem späteren Zeitpunkt das Haus ver lassen. »Rechnen Sie mit einem Überfall, Mister Parker?« erkundigte sich Pickett, als sie die nördliche Ausfallstraße in Richtung Not tingham Leeds erreichten. Pickett machte keineswegs einen ner vösen Eindruck und steuerte den schweren Sattelschlepper ge konnt über die breite Straße. »Die erlittenen Schlappen, Mister Pickett, was die beiden Schüt zen Jan und Kees betrifft, müßten den sogenannten Eismann ei gentlich aggressiv gemacht haben«, beantwortete Parker die Fra ge des früheren Eigentumsumverteilers, »möglicherweise läßt er sich zu einem gewissen Leichtsinn hinreißen.« 50
»Und was könnte da auf uns zukommen, Mister Parker?« »Es gibt der Möglichkeiten mehrere, Mister Pickett«, erwiderte der Butler höflich und vage zugleich, »ich könnte mir allerdings ein massives Vorgehen vorstellen.« »Ob der Eismann den Personenwechsel hier im Fachwerkhaus mitbekommen hat oder ahnt. Mister Parker?« »Dies wird die Zukunft zeigen, wie es so treffend heißt, Mister Pickett. Sollte er jedoch Verdacht geschöpft haben, was man nur hoffen kann, dann wird er wahrscheinlich aus seiner Reserve tre ten und aktiv werden.« »Ich halte uns die Daumen, Mister Parker.« Horace Pickett setz te zu einem Überholmanöver an, und Parker suchte die Schnellstraße nach verdächtigen Fahrzeugen ab. Er sah sowohl durch die Frontscheibe nach vorn als auch auf dem Umweg über den Außenspiegel nach hinten. Seine innere Alarmanlage hatte sich bisher noch nicht gemeldet. Parker dachte über den Gangster nach, der sich Eismann nann te. Wieso und warum dieser Mordschütze gerade diesen Spitzna men gewählt hatte, blieb ihm unerfindlich. Dieser Name aber konnte seiner Ansicht nach kaum aus dem Moment heraus erfun den worden sein. Er mußte in einem weiteren Sinn mit der Person des Mörders in Zusammenhang stehen. Doch wo sollte man da anfangen und suchen? Noch fehlten Informationen. Die Spur, die durch die beiden Gewehrschützen Jan und Kees nach den Niederlanden gelegt worden war, konnte ein reines Ab lenkungsmanöver darstellen. Für den Fall des Falles hatte der Eismann dann eine falsche Spur gelegt. Oder hatte der Geheim nisvolle doch anrüchige Verbindungen zu Amsterdam? Lohnte sich ein Besuch dieser Stadt? Mußte man sich nicht früher oder später mit Pieter Noorden in Verbindung setzen? Parker dachte an das Telefongespräch, das er mit dem soge nannten Eismann geführt hatte. Der Gangster hatte sich ein Ver gnügen daraus gemacht, mehrere europäische Länder zu nennen und mehrere Sprachen zu sprechen. Doch kannte er sich in die sen Sprachen tatsächlich aus? Als er, Josuah Parker, in der jewei ligen Sprache fast akzentfrei geantwortet hatte, war dem Eis mann die Lust an einer weiteren Unterhaltung vergangen. Er hat te sich ausgeschwiegen und schleunigst aufgelegt. Parker neigte immer mehr zu der Annahme, daß die Polizeioffi ziere ganz bewußt getötet worden waren. Der sogenannte Eis 51
mann hatte damit innerhalb der Londoner Unterwelt eine Krise ausgelöst. Die Polizei gab seit diesen Schüssen keine Ruhe mehr und veranstaltete eine Razzia nach der anderen. Mit anderen Worten, Polizei und Unterwelt waren ununterbrochen miteinander beschäftigt. Die Unterwelt hatte alle sonstigen Aktivitäten notge drungen eingestellt und war in volle Deckung gegangen. Genau dies mochte die Absicht des Gangsters gewesen sein, der sich Eismann nannte. Ein Außenseiter konnte dieser Mordschütze sein, aber ein Laie war er nicht. Dieser Mann kannte nur zu gut die Praktiken der Polizei wie auch der Unterwelt. Er hatte bisher geschickt auf die ser Klaviatur gespielt, um früher oder später einen hochkarätigen Coup zu landen. Um was aber mochte es gehen? »Wir werden seit einigen Minuten verfolgt«, sagte Horace Pi ckett plötzlich, »sehen Sie sich mal den Kastenlieferwagen an, Mister Parker… Es ist ein Ford, flaschengrün.« »Würden Sie freundlicherweise den nächsten Parkplatz ansteu ern, Mister Pickett?« bat Josuah Parker, »man sollte dem Eis mann die Möglichkeit einräumen, aktiv zu werden.« »Haben wir gleich, Mister Parker«, erwiderte der ehemalige Ta schendieb, »im Ford sitzt nur der Fahrer.« »Was aber, so erhebt sich die Frage, mag sich im Kastenliefer wagen befinden?« antwortete der Butler gemessen und griff nach seinem Universal-Regenschirm. »Rechnen Sie mit einer hochexp losiven Überraschung, Mister Pickett. Der Eismann, falls man es mit ihm zu tun hat, wird seine Überlegenheit demonstrieren wol len.« * »Fühlen Sie sich nicht wohl, mein Junge?« fragte Agatha Simp son und bedachte Mike Rander mit ironischem. Seitenblick. »Ge fällt Ihnen meine Fahrweise nicht?« »Sie ist bemerkenswert, Mylady«, gab der Anwalt zurück und schloß erneut die Augen, als Lady Agatha zu einem weiterem Ü berholmanöver ansetzte. Die ältere Dame befand sich in Hoch form und schwenkte den Land-Rover mit viel Lust und wenig Ge fühl für die Straßenlage und den übrigen Verkehr über die Schnellstraße. Sie achtete darauf, Sichtkontakt zu jenem Truck zu 52
halten, in dem Butler Parker und Horace Pickett saßen. »Fahre ich zu schnell, Mike?« lautete die nächste Frage der Da me mit dem halsbrecherischen Fahrstil. »Wann werden Sie zum Tiefflug übergehen, Mylady?« lenkte der Anwalt ab, ohne auf die Frage einzugehen. »Übertreiben Sie nicht so schamlos, mein Junge«, meinte sie launig, »ich möchte allerdings wissen, warum da einige Ver kehrsteilnehmer hupen. Die allgemeinen Manieren werden immer schlechter, finden Sie nicht auch?« »Vielleicht sollten Sie einige Fahrer nicht so abrupt überholen, Mylady«, schlug Mike Rander vor, »sehen Sie doch, Parker scheint von der Hauptstraße abbiegen zu wollen.« »Er muß etwas entdeckt haben, Mike. Hoffentlich passiert end lich etwas. Doch – er biegt tatsächlich von der Schnellstraße ab…« »Er scheint einen Parkplatz anzusteuern, Mylady, bitte, bremsen Sie rechtzeitig ab, bitte.« »Nervös, Mike?« Die Resolute am Steuer lachte aus vollem Hals. »Ich habe den Wagen fest im Griff, glauben Sie mir. Halten Sie sich jetzt etwas fest, ich werde abbiegen!« Es handelte sich keineswegs um einen regulären Vorgang. Lady Agatha schien vergessen zu haben, daß es so etwas wie ein Bremspedal gab. Sie riß den Wagen von der Fahrbahn und stellte ihn auf die beiden Außenräder. Dann schrammte auch sie von der Schnellstraße und bog in Richtung Parkplatz ab. Der Land-Rover, ein an sich robustes Fahrzeug, geriet in die gefährliche Nähe ei nes Begrenzungszauns und entfernte von ihm zwei Pfähle, die anschließend durch die Luft wirbelten. Dann aber hatte die ältere Dame den Wagen wieder fest in der Hand und jagte auf einen Ford-Kastenlieferwagen zu, der sich gerade vor einen Lastwagen setzte. Lady Agatha sah deutlich, wie der Fahrer des Kastenlieferwa gens die Tür aufstieß und sich förmlich hinausfallen ließ. Der Mann, untersetzt und kompakt, raffte sich auf und rannte aufs flache Feld, das hinter dem Parkplatz befand. Dieser Mann schien von Furien gehetzt. Er flankte ungeschickt über den Lattenzaun, verhedderte sich mit einem Bein, fiel auf der anderen Zaunseite ins Gras, brachte sich wieder auf die Beine und rannte weiter. »Was haben Sie vor, Mylady?« erkundigte sich Mike Rander, »da vorn ist ein Zaun.« 53
»Ich weiß, mein Junge«, erwiderte sie fröhlich, »aber warum rennt dieses Subjekt weg? Ich werde den Mann jetzt abfangen.« »O Gott«, stöhnte Mike Rander. Er stemmte sich mit den Füßen gegen das Bodenbrett des Wagens, klammerte sich mit der linken Hand an einem Haltegriff fest und starrte dann auf den Zaun, der schnell auf den Kühler des Land-Rover zukam. Dieser Zaun sah solide aus. »Ich könnte dem Burschen ja nachlaufen«, schlug Mike Rander vor, doch die ältere Dame war viel zu sehr bei Sache. Sie ging auf seinen Vorschlag gar nicht ein, nahm mit dem Kühler des Wagens den Zaun förmlich auf die Hörner und rammte eine Bresche in dieses Begrenzungssystem. Holzlatten wirbelten durch die Luft, Grassoden folgten in Fülle. Der Land-Rover hatte das Hindernis durchbrochen und bewies gerade jetzt seine oft gerühmte Geländegängigkeit. Der Fahrer des Ford-Kastenlieferwagens war auf den verfolgen den Wagen inzwischen aufmerksam geworden, blieb kurz stehen und hatte plötzlich eine Schußwaffe in der Hand. Er visierte den Wagen an und schoß dann in schneller Reihenfolge. Lady Agatha, die dies mitbekommen hatte, riß den Wagen her um und verwandelte ihn in einen Hasen, der Haken schlug. Der Wagen zog nach links, dann wieder nach rechts, kassierte zwei Treffer in der Karosserie und war einfach nicht zu bremsen. Der Mann rannte inzwischen weiter und hielt auf eine kleine Baum und Buschgruppe zu. Er erreichte sie aber nicht mehr. Lady Agatha nickte Mike Rander zu, der die Wagentür auf seiner Seite geöffnet und weit zurückgeschlagen hatte. Der Anwalt machte sich bereit, den Flüchtenden abzufangen. Agatha Simpson erwies sich als resolute Fahrerin, die keine Bodenwelle scheute. Sie gab noch mehr Gas und befand sich bald in Höhe des Flüch tenden, der erneut schießen wollte. In diesem Augenblick hechtete Mike Rander aus dem LandRover und warf sich auf den Untersetzten. Er befand sich noch in der Luft, als ein reißendes Krachen zu hören war, das von einer Luftdruckwelle begleitet wurde. Lady Agatha, völlig überrascht, riß den Land-Rover herum und war nicht mehr in der Lage, den Seitwärtsdrang des Wagens auf zuhalten. Er wickelt sich, wenn auch nur andeutungsweise, um einen Baumstamm. 54
»Welcher Dummkopf pflanzt ausgerechnet hier Bäume an«, sagte die ältere Dame, als sie ausstieg. Dann aber schwieg sie beeindruckt und betrachtete die Explosionswolke, die vom Park platz aus senkrecht zum Himmel stieg. * »Das galt natürlich mir«, sagte sie wenig später und ging um die rauchenden und glimmenden Reste des Kastenlieferwagens herum. Der Wagen war von einer mächtigen Sprengladung zerris sen worden und zeigte an, aus welchen Einzelteilen er ursprüng lich bestand. »Ich hatte mehr den Eindruck, daß wir in die Luft gejagt werden sollten«, sagte Horace Pickett. »Eine optische Täuschung, lieber Pickett«, behauptete Lady A gatha, »der Eismann weiß sehr genau, wie dicht ich ihm auf den Fersen bin. Ist es nicht so, Mister Parker?« »Mylady sehen die Dinge wieder mal mit außerordentlicher Klarheit«, pflichtete der Butler ihr bei, »ich habe inzwischen die Polizei verständigt.« »Und was ist jetzt mit den fünf Subjekten im Lastwagen?« Die Detektivin deutete auf den Truck, dessen Frontscheibe nicht mehr vorhanden war. Sonst aber war der Lastwagen unversehrt. Er stand erstaunlicherweise um wenigstens dreißig bis vierzig Meter hinter dem rauchenden Autowrack. »Man sollte sie der Polizei übergeben, Mylady«, schlug Josuah Parker vor, »eine Weiterfahrt in Richtung Glasgow erübrigt sich tatsächlich, wie Mylady es bereits anzudeuten beliebten.« »Ach ja?« Sie nickte zögernd. »Hatte ich das angedeutet?« »In übertragenem Sinn, Mylady«, meinte der Butler, »in einer Zelle dürften die fünf Herren jetzt sicherer sein.« »Wieso steht der Fordrest jetzt hier?« wollte sie wissen und ig norierte die Zuschauer, die sich inzwischen eingefunden hatten. »Mister Parker wünschte, daß ich den Truck zurückstieß«, er klärte Horace Pickett, »ich habe sofort den Rückwärtsgang einge legt und den Laster auf Distanz gebracht.« »Sie wußten also wie ich, Mister Parker, daß ein Attentat ge plant war, nicht wahr?« Die ältere Dame sah ihren Butler wohl wollend an. 55
»Myladys geistesgegenwärtiges Verhalten ließen meine Wenig keit umgehend stutzig werden«, entgegnete Josuah Parker in seiner höflichen Art, »darf man sich nach Mr. Randers Verbleib und Befinden erkundigen?« »Er hat diesen Lümmel erwischt und hält ihn dort drüben unter den Bäumen fest«, erwiderte sie, »es ist selbstverständlich der Eismann!« »Ein Verdacht, der sich fast zwingend aufdrängt, Mylady.« »Eine Frau wie mich täuscht man eben nicht.« Agatha Simpson war sehr zufrieden mit der ganzen Entwicklung. Es hatte wieder mal Zwischenfälle gegeben, die sie so sehr liebte. »Ich werde zu Mr. Rander hinübergehen. Was hier zu regeln ist, Mister Parker, werden Sie in die Hand nehmen.« »Mylady planen die Rückfahrt nach London?« »Auf Umwegen«, erklärte sie und nickte, »ich werde meine Beu te doch nicht mit der Polizei teilen!« »Mr. Pickett und meine Wenigkeit werden so schnell wie mög lich folgen«, antwortete der Butler und lüftete seine schwarze Melone, die er längst wieder aufgesetzt hatte. Er hatte den grau en Kittel ausgezogen und zeigte sich in seinem vertrauten schwarzen Zweireiher. Er war wieder ganz der superkorrekte But ler. Als die näher kommenden Streifenwagen der Polizei sich akus tisch ankündigten, marschierte die ältere Dame bereits energisch und zielstrebig zu der bewußten Busch- und Baumgruppe. Sie war schon bald in der Dämmerung verschwunden. »Wie geht’s jetzt weiter, Mister Parker?« fragte Pickett. Auch er hatte seinen Fahrerkittel ausgezogen und präsentierte sich in ei nem seriösen Straßenanzug. »Sie, Mr. Pickett, sollten jede Aussage verweigern«, schlug der Butler vor, »Sie befinden sich noch im Schockzustand.« »Das ist gut«, erwiderte Pickett, »irgendwie bin ich ja auch wirklich geschockt. Mit solch ‘ner Sprengladung hatte ich nicht gerechnet.« »Meine Aussagen hingegen werden widersprüchlich sein«, rede te Josuah Parker weiter, »darüber hinaus werde ich mir auf ChiefSuperintendent McWarden beziehen, der dann sicher einige Wei chen stellen wird.« Parker lüftete höflich eine schwarze Melone, als zwei Streifenpo lizisten auf ihm zukamen. Dann setzte er zu einer längeren Einlei 56
tung an, die aber schon reichte, um die Beamten in totale Verwir rung zu stürzen. Parker redete ausgiebig, unterließ sprachliche Schnörkel und kam nicht zur Sache. * »Hoffentlich hatten Sie eine relativ angenehme Nacht«, sagte Josuah Parker, nachdem er das Gästezimmer im Keller des alt ehrwürdigen Hauses seiner Herrin betreten hatte. Er setzte das Tablett mit dem Frühstück ab und musterte den Mann, der auf der Kante einer Bettcouch saß. »Gehen Sie nicht davon aus, daß man Sie befragen wird«, rede te der Butler weiter, »betrachten Sie sich als Gast, der auf eige nen Wunsch einige Tage hier verbringen möchte, um sich etwai gen Nachstellungen durch den Eismann zu entziehen.« »Einen Dreck werde ich«, gab der Gast zurück, »ich will hier raus! Von mir aus können Sie ruhig die Polizei verständigen.« »Mylady will nicht ungastlich erscheinen«, entgegnete Josuah Parker gemessen, »zudem fühlt Mylady sich für Ihre Sicherheit verantwortlich.« »Sie haben mich gekidnappt«, beschwerte sich der Untersetzte, »Sie halten mich gegen meinen Willen hier fest.« »Nur solange, bis Mylady und meine Wenigkeit von einem Kurz besuch in Amsterdam zurückgekehrt sein werden. Man möchte einem gewissen Pieter Noorden einen Besuch abstatten.« Der Untersetzte reagierte nicht auf diesen Namen. Er sprach üb rigens Englisch ohne jeden Akzent. »Mr. Pieter Noorden dürfte zwei Männer nach London geschickt haben, die den Auftrag hatten, Mylady gesundheitlich zu schädi gen«, redete der Butler weiter. »Die Vornamen der erwähnten Herren sind Jan und Kees.« »Was soll das alles?« fragte der Gast des Hauses gereizt. »Was habe ich damit zu tun? Wieso halten Sie mich hier fest? Ich habe mit der Sprengladung im Ford nichts zu tun.« »Dies erwähnten Sie bereits.« »Ich hatte mir den Wagen ausgeliehen, um in Nottingham Mö bel abzuholen«, erklärte der Mann noch mal, »ob Sie’s nun glau ben oder nicht, aber so ist es gewesen. Ich wollte Möbel aus mei ner alten Wohnung abholen. Wer die Sprengladung in den Wagen 57
gepackt hat, weiß ich nicht. Warum soll das Zeug nicht mir gegol ten haben?« »Demnach haben Sie Intimfeinde, wenn ich so sagen darf? Sie gehen welchem Beruf nach?« »Das geht Sie einen Dreck an, Mann!« Der Gast war aufgestan den und machte einen aggressiven Eindruck. »Wenn ich über haupt antworte, dann nur vor der Polizei, haben Sie mich ver standen?« »Die Lautstärke Ihrer Stimme war nicht zu überhören. Sie park ten demnach rein zufällig vor dem Lastwagen, der in letzter Se kunde aus dem Gefahrenbereich gebracht werden konnte?« »Einen Lastwagen habe ich überhaupt nicht gesehen.« »Sie verließen den Ford-Kastenlieferwagen mit unziemlicher Ei le.« »Weil ich mal mußte, ist das wirklich so schwer zu kapieren? Ich wollte da rüber zu den Sträuchern.« »Ihre Erfindungsgabe in Sachen Ausreden ist beachtlich zu nen nen«, stellte Josuah Parker fest, »sollte eine Überprüfung Ihrer Person positiv in Ihrem Sinn verlaufen, werde ich mir gestatten, Sie in die Stadt zurückzubringen.« »Überprüfung meiner Person? Wie wollen Sie denn da anstel len?« »Man war so frei, Ihre Fingerabdrücke zu nehmen«, erklärte Jo suah Parker. »Ach so!« Der Untersetzte senkte den Kopf, schien nachdenken zu wollen und… nahm den Butler dann ohne jede Vorwarnung an. Er drückte sich vom Boden ab und wollte Parker mit einem mäch tigen Fausthieb zu Boden fällen. Es blieb allerdings bei dieser finsteren Absicht… Parker blockte den ihm zugedachten Faustschlag mit dem Ser viertablett ab, das er inzwischen leer geräumt hatte. Die Faust des Untersetzten krachte gegen diesen Schutzschild, der sich leicht einbeulte. Dann stöhnte der Untersetzte und genierte sich nicht, Krokodilstränen zu zeigen. Er betrachtete seine lädierte Hand und riskierte es nicht, auch nur einen Finger zu rühren. »Möglicherweise nur eine kleine Prellung«, konstatierte Josuah Parker, »Sie sollten dieses Intermezzo nicht überbewerten oder gar tragisch nehmen.« »Meine Hand!« jaulte der Untersetzte. »Da ist bestimmt alles gebrochen.« 58
»Eine letzte Sicherheit würde selbstverständlich erst eine Rönt genaufnahme bringen«, meinte der Butler, »sobald gewissen Din ge hier geklärt sind, wird man Sie einem Facharzt überstellen.« »Und… Und bis dahin?« Der Mann, der den FordKastenlieferwagen gesteuert hatte, geriet in leichte Panik. »Bis dahin dürften kühlende Umschläge angebracht sein«, schlug Josuah Parker vor, »Sie erlauben, daß meine Wenigkeit sich jetzt verabschiedet?« »Sie können doch jetzt nicht abhauen«, beschwerte sich der Untersetzte. »Eine weitere Unterhaltung dürfte wohl kaum Ergebnisse brin gen«, meinte der Butler. »Sie bringen mich zu ‘nem Arzt, falls ich rede?« »Sie haben es, was meine Person betrifft, mit einem ausgespro chenen Menschenfreund zu tun«, erklärte der Butler. »Okay, ich packe aus«, sagte der Mann und setzt sich vorsichtig auf die Kante der Bettcouch zurück, »das mit der Hand hier war nicht eingeplant, verdammt! Und Sie haben wirklich meine Finge rabdrücke?« »Sie sollten davon ausgehen.« »Dann erfahren Sie ja doch, wer ich bin«, gab der Mann zurück, »Mann, ich habe mir sämtliche Knöchel gebrochen. Warum, zum Teufel, haben Sie auch das Tablett hochgenommen?« * »Mit welchem Subjekt habe ich es zu tun, Mister Parker?« er kundigte sich die ältere Dame eine halbe Stunde später, als Par ker ihr das Diät-Frühstück servierte. Agatha Simpson wollte wie der mal abnehmen und hatte sich auf schmale Kost gesetzt. Sie begnügte sich an diesen Morgen nur mit Rührei, geröstetem Speck aus Schottland, zwei kleinen Bratwürsten und gebackenen Nieren. Dazu ließ sie sich eine mittelgroße Käseplatte servieren, verschiedene Brotsorten und Butter. »Der Transporteur der Sprengladung, Mylady, scheint Clint Lol lard zu heißen und stammt aus London«, beantwortete der Butler die Frage der älteren Dame, »besagter Mr. Clint Lollard räumte erstaunlicherweise ein, seit gut einem Jahr in Amsterdam zu le ben.« 59
»War da nicht was mit diesen beiden Gewehrschützen?« erkun digte sich Lady Agatha, die oft und unbewußt gern gerade Namen vergaß. »Die Herren Jan und Kees. Mylady, die für einen gewissen Pieter Noorden arbeiten«, sagte Parker, ohne sich aus seiner Ruhe brin gen zu lassen. »Natürlich, das sagte ich ja gerade«, behauptete sie, »Sie brau chen mich gar nicht zu erinnern.« »Mr. Clint Lollard will den gerade erwähnten Pieter Noorden aus Amsterdam allerdings nicht kennen«, berichtete Parker, ohne auf Myladys Vorwurf einzugehen. »Mr. Lollard will in einem Lokal an gesprochen worden sein, und zwar von einem Niederländer. Die ser Mann engagierte ihn, einen Ford-Kastenlieferwagen zu bewe gen. Von der Sprengladung will Mr. Clint Lollard ebenfalls nichts gewußt haben. Dagegen spricht allerdings seine Flucht, nachdem er den Ford vor dem Lastwagen abgestellt hatte.« »Wie ist diese Geschichte eigentlich ausgegangen?« Lady Agat ha labte sich an den diversen Käsesorten. »Der Lastwagen wurde von Mr. Pickett und meiner Wenigkeit zur nächsten Polizeistation gebracht«, erläuterte der Butler. »Dort fand man dann auch die beiden Transportkisten mit den fünf Gangstern. Sie sitzen zur Zeit in Untersuchungshaft, da man bei ihnen ein wenig Haschisch ge funden hat.« »Davon weiß ich ja nichts«, wunderte sich die Detektivin. »Eine reine Vorsichtsmaßnahme, Mylady«, meinte der Butler, »es handelt sich nur um einige Gramm, die aber völlig ausrei chen, einen vorläufigen Haftbefehl zu ermöglichen.« »Woher stammen denn diese Gramm, Mister Parker?« Sie sah ihn wohlwollend an und schmunzelte. »Aus Beutebeständen, wenn ich so sagen darf. Es handelt sich um eine Kriegslist, wie ich bekennen möchte.« »Mr. Rander würde sagen, daß dies nicht ganz korrekt ist!« »Dem ist nur beizupflichten, Mylady.« Für Parker war das The ma damit beendet. »Mylady haben noch spezielle Wünsche?« »Meine Wünsche kennen Sie doch«, gab sie zurück und wirkte sofort unternehmungslustig, »ich möchte mir mal wieder Amster dam ansehen, Mister Parker. Seit Jahren bin ich nicht mehr dort gewesen.« »Einer Überfahrt steht nichts im Weg«, erwiderte Josuah Parker prompt, »ich habe mir erlaubt, die entsprechenden Vorbereitun 60
gen zu treffen.« »Es ist natürlich klar, daß dieser Eismann sich in Amsterdam aufhält«, erklärte Agatha Simpson, selbstsicher wie stets, »und genau dort werde ich dieses Subjekt auch stellen.« »Mylady denken an Mr. Pieter Noorden?« »An wen sonst, Mister Parker? Das ist mein Mann! Oder viel leicht doch nicht? Wie denke ich darüber?« »Mylady sehen die Problematik in der ganzen Bandbreite«, lau tete die Antwort des Butlers, »man wird… ich bitte um Verge bung, das Telefon!« Der Apparat in der großen Wohnhalle des Hauses klingelte un unterbrochen. Gemessen begab sich Parker zum Telefon, hob ab und meldete sich. Auf der Gegenseite war die ihm bereits be kannte, undeutliche Stimme zu hören, die nun zusätzlich nuschel te. »Hier spricht der Eismann«, sagte diese Stimme, »Sie haben sich nicht an meinen Rat gehalten. Sie werde also sterben!« »Ihr Sprengstoffattentat entsprach sicher nicht Ihren Wünschen und Vorstellungen«, erwiderte Parker höflich. »Man soll eben nicht mit Dummköpfen zusammenarbeiten«, sagte der Eismann, »ab sofort werde ich mich selbst um Sie und Ihre Freunde kümmern, Parker. Sie werden nicht weit kommen.« »Wie Sie zu meinen belieben.« Parker legte auf und war guter Dinge. Der Fall entwickelte sich ganz nach seinen sehr privaten Vorstellungen. * »Selbstverständlich werde ich erst mal die Atmosphäre dieser Stadt schnuppern, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson, »das wird meine Sinne schärfen.« »Mit einiger Sicherheit, Mylady«, antwortete Parker. Man war in Schiphol gelandet und ließ sich von einem Taxi ins Zentrum brin gen. »Ich habe mich erkühnt, bereits ein Boot zu chartern.« »Hoffentlich haben Sie den Preis heruntergehandelt«, sorgte sie sich umgehend. »Ganz in Myladys Sinn«, erklärte der Butler, »per Boot läßt sich übrigens auch die Privatadresse des Mr. Pieter Noorden errei chen.« 61
»Ich ahnte es«, behauptete sie wieder mal, »der Eismann wohnt sicher luxuriös, oder?« »Er wohnt auf und in einem Hausboot, Mylady«, erläuterte Jo suah Parker höflich, »möglicherweise ist es tatsächlich luxuriös eingerichtet.« »Ein Hausboot?« Die Detektivin sah ihn erstaunt an. »Eine in Amsterdam beliebte Alternative zu einem Steinhaus üblicher Prägung«, redete der Butler weiter, »selbstverständlich ist mir bewußt, daß Mylady dies alles längst wissen.« »Natürlich«, sagte sie, »ich habe mir schließlich einen Reisefüh rer geben lassen. Kostenlos übrigens. Daran haben Sie bestimmt nicht gedacht, oder?« »Mylady werden meiner Wenigkeit stets ein Vorbild sein.« Par ker wandte sich diskret um und hielt Ausschau nach Verfolgern. Ihm war klar, daß der Eismann Bescheid wußte. Dieser geheim nisvolle Täter hatte sich schließlich an fünf Fingern ausrechnen können, daß zumindest das Duo Parker-Lady Simpson nach Ams terdam fliegen würde. Kathy Porter und Mike Rander hingegen waren in London zurückgeblieben und hatten es übernommen, Kontakt mit Chief-Superintendent McWarden zu halten. Darüber hinaus war verabredet worden, daß Kathy und Mike sich mit dem Gangsterboß Benny Waiden in Verbindung setzen wollten. Die Unterwelt von London war mehr denn je bestrebt, diesen Eis mann ebenfalls ausfindig zu machen. Parkers Vorbereitungen erwiesen sich wieder mal als umfas send. Am Bahnhof angekommen, wartete an der Stationspier be reits das gemietete Boot auf sie. Der Bootsführer, ein freundlich aussehender Holländer von etwa fünfzig Jahren, erkundigte sich nach den Wünschen der beiden Briten und schlug gleichzeitig eine Rundfahrt vor. »Sie müssen die Prinzensgracht, die Keizers- und Herengracht unbedingt sehen«, sagte er in gutem Englisch, »das gehört ein fach zu einem Besuch in Amsterdam.« »Okay, aber beeilen Sie sich, mein Bester«, erwiderte die ältere Dame, die bereits einen ungeduldigen Eindruck machte, »ich bin nicht als Touristin gekommen.« »Sie werden bald viel Zeit haben.« Der Mann legte mit seinem kleinen, aber komfortablen Boot ab. »Wie meinen Sie das?« Sie wurde umgehend mißtrauisch und brachte ihren Pompadour in leichte Schwingung. 62
»Sie werden sich in Amsterdam verlieben«, behauptete der Bootsführer arglos, »wenn Sie erst mal die Häuser an den Grach ten sehen, die Ulmen zu beiden Seiten und dann die vielen Zug brücken.« »Verlieben kann man sich nur in London«, widersprach die reso lute Dame und blieb bei ihrem Mißtrauen, »aber ich will nicht streiten, guter Mann. Können Sie nicht etwas schneller fahren?« Der Niederländer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und schaffte es in kurzer Zeit, daß Mylady sich dem Zauber dieser Stadt tatsächlich hingab. Sie war plötzlich recht still geworden und genoß den Anblick der gepflegten Häuser, der Bäume und der vielen kleinen und großen Brücken, die die Kanäle überspannten. »Ich denke, ich werde mir ein Fahrrad mieten«, sagte Agatha Simpson plötzlich, »es scheint ein recht nützliches und sparsames Verkehrsmittel zu sein.« »Wie Mylady wünschen.« Parker war durch nichts zu erschüt tern. »Wann sehe ich endlich das Hausboot dieses Pieter Noorden?« fragte sie. »Es liegt an der Singelgracht«, antwortete der Butler, »von dort aus bis zu den Hafenbecken ist es dann nicht mehr weit.« »Was will ich im Hafen, Mister Parker?« »Dort befindet sich die Reparaturwerkstatt des Mr. Noorden«, erklärte Parker, der sich dann an den Bootsführer wandte, »wür den Sie die Güte haben, mich vor einem Spielwarengeschäft ab zusetzen?« »Wollen Sie sich ein Spielboot kaufen, Mister Parker?« reagierte Lady Agatha sofort spöttisch. »In der Tat, Mylady«, erwiderte Parker ernst, »diese Stadt reizt geradezu zu solch einem Kauf, wenn ich so pauschal sagen darf.« * Hausboot reihte sich an Hausboot. Josuah Parker, der seine Einkäufe bereits getätigt hatte, mus terte die oft recht abenteuerlich aussehenden Boote, die fast aus nahmslos mit Blumen geschmückt waren. Ihm entging keines wegs, wie ungeniert die Menschen hier miteinander verkehrten und lebten. In dieser Stadt hatte man noch ein deutlich spürbares 63
Gefühl für Individualität. Der Bootsführer entpuppte sich als Intimkenner Amsterdams und wußte eine Unmenge aus der Geschichte zu erzählen. Lady Agatha zeigte allerdings eine wachsende Ungeduld. Sie wollte endlich zur Sache kommen und sich Pieter Noorden aus der Nähe ansehen. Und dann war es ihre Absicht, möglichst schnell auf ein Fahrrad umzusteigen. Sie wollte dieses Verkehrsmittel unbedingt ausprobieren. Von der Prinzensgracht aus war man über die Brouwersgracht nun in die anvisierte Singelgracht gekommen. Die Hafenanlagen waren nicht mehr weit. »Sie wissen, wo das Hausboot liegt, das Sie besuchen wollen?« erkundigte sich der Bootsführer bei Parker. »In etwa«, gab der Butler zurück, »es ist mir genau beschrieben worden. Ich denke, daß ich es identifizieren werde.« »Von wem stammt denn unsere Weisheit?« fragte die ältere Dame erstaunt. »Mr. McWarden war so entgegenkommend, sich mit seinen nie derländischen Kollegen in Verbindung zu setzen.« »Aha, Sie haben ihm natürlich wieder mal sämtliche Karten auf den Tisch gelegt, wie?« »Fast alle, Mylady«, sagte Parker. »in diesem Fall erwies sich dies als recht nützlich.« »Ich möchte nicht, daß die hiesige Polizei mir in die Quere kommt«, sorgte sich die Detektivin, »schließlich ist dies mein Fall.« »Die Polizei von Amsterdam wird nur auf ausdrücklichen Wunsch Myladys aktiv werden«, beruhigte Parker seine unter nehmungslustige Herrin, um sich dann an den Bootsführer zu wenden: »Ist damit zu rechnen, daß man hinter der nächsten Brücke das oder den sogenannten Kattensloot erreicht? Falls ja, so war es angenehm, wenn Sie die Fahrt ein wenig mindern könnten.« »Sie kennen sich aber gut hier in Amsterdam aus«, staunte der Bootsführer. »Was ist mit diesem Kattensloot?« fragte Agatha Simpson neu gierig. »An dieser Grachteinmündung, wenn ich es so bezeichnen darf, soll das Hausboot des Mr. Pieter Noorden hegen.« »Falls er nicht hinter uns am Ruder steht«, flüsterte sie ihm zu. 64
»Mylady haben Verdacht geschöpft?« »Ich traue diesem freundlichen Amsterdamer nicht, Mister Par ker«, fuhr sie eindringlich und noch leiser fort, »ich werde ihn nicht aus den Augen lassen.« »Mylady erwecken in meiner Wenigkeit eine gewisse Besorg nis«, meinte Josuah Parker. »Sie wissen, daß ich mich auf meinen Instinkt fest verlassen kann. Ich täusche mich nie.« »Darf ich Mylady versichern…« »Papperlapapp, Mister Parker, Sie sind zu vertrauensselig«, un terbrach sie ihn, »dieser Bootsführer ist ein Gangster, der mich in eine Falle bugsieren will.« »Der Bootsführer, Mylady, ist Inspektor der hiesigen Kriminal polizei«, sagte Parker schlicht und einfach, »ich habe mir selbst verständlich seinen Dienstausweis zeigen lassen.« »Aha.« Die Detektivin räusperte sich. Sie dachte angestrengt nach und fand einen Einwand. »Dieser Ausweis ist natürlich ge fälscht, Mister Parker. Daß Sie so etwas nicht gemerkt haben!« »Zusätzlich zum Dienstausweis, Mylady, ließ ich mir ein vorher mit der Polizei verabredetes Codewort nennen.« »Nun ja.« Die nur wider Willen überzeugte Dame räusperte sich noch intensiver. »Dann ist es vielleicht von den Gangstern ge kauft worden. Sie werden erleben, daß ich wieder mal recht be halten werde…« * Pieter Noorden war schätzungsweise fünfundfünfzig, hatte schütteres, flachsblondes Haar und trug eine randlose Brille. Er war fast schlank, mittelgroß und erschien mit einer ausgebeulten Cordhose, über die lose ein bunt bedrucktes Hemd fiel. »Sie wollen mich sprechen? Sie kommen aus London?« Er sah Lady Simpson und Butler Parker erstaunt an. »In Lady Simpsons Auftrag soll ich Grüße von zwei Männern ausrichten, die mit Vornamen Jan und Kees heißen«, antwortete Parker. Er stand mit seiner Herrin an Deck eines Hausbootes und hatte grüßend die schwarze Melone gelüftet. »Jan und Kees?« Pieter Noorden verzog das Gesicht. »Das ist doch wohl ein schlechter Witz, oder?« 65
»Sie fühlen Mißbehagen bei der Nennung dieser Vornamen, Mr. Noorden?« »Diese beiden Gauner haben mich fast ausgeplündert«, gab Noorden zurück, »wie sind Sie denn ausgerechnet an diese bei den Typen geraten? Hoffentlich haben nicht auch Sie schlechte Erfahrungen gemacht.« »Die Herren Jan und Kees versuchten nur, unter anderem auf Mylady zu schießen«, erklärte der Butler, »sie arbeiteten für ei nen gewissen Eismann.« »Die Sache wird ja immer verrückter.« Pieter Noorden schüttel te den Kopf! »Wie war das? Sagten Sie gerade etwas von einem Eismann?« »In der Tat«, bestätigte der Butler, »es handelt sich dabei um einen Gangster, der in London offensichtlich Jagd auf Polizeioffi ziere macht. In zwei Fällen hatte er leider Erfolg.« »Wollen Sie einer alten Frau nicht eine Erfrischung anbieten?« fuhr Lady Agatha dazwischen und deutete mit der freien Hand auf den Niedergang, der ins Bootsinnere führte. Ohne diese Einladung dann abzuwarten, setzte sich die Detektivin in Bewegung und schritt zu den abwärts führenden Stufen. »Einen Moment, Lady«, sagte Noorden und verstellte ihr den Weg, »ich… ich bin nicht allein.« »Das macht nichts«, erklärte Agatha Simpson und schob Noorden zur Seite. Sie besorgte das mit Schwung und der ihr eigenen Dynamik. Pieter Noorden hatte alle Mühe, nicht über Bord zu ge hen. Bevor er sich aus seiner Schräglage an der Reling seines Hausbootes aufgerichtet hatte, marschierte die Lady bereits nach unten. Parker blieb am Niedergang stehen und beobachtete den Bootsbesitzer, der ein wenig wütend zu sein schien. »Das ist ja fast ein Überfall«, beschwerte sich Noorden. »Keineswegs und mitnichten«, stellte Josuah Parker klar, »My lady fühlt sich nur ein wenig erschöpft.« Während der Butler das letzte Wort dieses Satzes noch aus sprach, horchte er hinunter und hörte zwei dumpfe Schläge, die in ein reißendes Poltern übergingen. »Erschöpft?« Pieter Noorden schluckte und rannte auf den Nie dergang zu. Parker stoppte den Mann mit einer Handbewegung und ging voraus. Er hatte die Geräusche unter Deck völlig richtig gedeutet. Die angeblich erschöpfte Lady stand vor zwei jungen Männern, die auf dem Boden lagen und einen leicht angeschla 66
gen, verwirrten Eindruck machten. »Mylady wurden belästigt?« erkundigte er sich und trat zur Sei te, damit der Bootseigentümer nachkommen konnte. »Man wurde zudringlich«, bestätigte sie und ließ ihren Pompa dour ausschwingen, »wenigstens hatte ich diesen Eindruck.« Die beiden jungen Männer – jeder von ihnen etwa fünfundzwan zig – zogen sich an einem im Boden festgeschraubten Tisch hoch und tasteten nach ihren Köpfen. Dort, wo der >Glücksbringer< der Agatha Simpson getroffen hatte, bildeten sich erste leichte Schwellungen. »Sie sollten Mylady mit einer akzeptablen Erklärung dienen, Mr. Noorden, die möglichst glaubwürdig klingt«, sagte Parker zu dem immer noch verdutzen Bootseigner. »Wieso… Wieso hat man Sie belästigt?« Noorden sah die ältere Dame wütend an. »Optisch«, antwortete sie, »die Blicke dieser beiden Lümmel waren eine einzige Beleidigung.« »Ruhe«, herrschte Noorden die beiden Fünfundzwanzigjährigen in seiner Muttersprache an, »ich will hier keinen Ärger haben.« »Ein Entschluß, den man nur als weise bezeichnen kann«, er klärte Parker, »Ärger wollte auch ein gewisser Mr. Clint Lollard vermeiden, doch die Dinge kehrten sich gegen ihn, um es mal pauschal auszudrücken.« »Wer ist denn das schon wieder?« Noorden sah den Butler ver ständnislos an. »Eine Person, die sich bemüßigt fühlte, eine Sprengstoffladung zu transportieren, und zwar im Auftrag der erwähnten Person, die sich Eismann nennt.« »Hier muß ‘ne Verwechslung vorliegen«, sagte Noorden und wurde wieder wütend, »hier will mir einer was anhängen, das steht fest. Ich kenne keinen Eismann. Und die anderen Männer, die Sie eben genannt haben, sind mir ebenfalls unbekannt.« Agatha Simpson hörte schnelle, leise Schritte auf dem Nieder gang, wandte sich um und sah den Führer des Motorbootes, dem sie nicht traute. Dieser freundlich aussehende Holländer hielt eine Schußwaffe in der rechten Hand. *
67
Er hatte mit der blitzschnellen Reaktion der älteren Dame nicht gerechnet. Lady Agatha schwenkte aus dem Handgelenk ihren Pompadour nach oben und knallte ihren darin befindlichen Glücksbringer un ter die Hand des Bootsführers, der prompt die Waffe verlor und die Lady entgeistert anstarrte. »Ich wußte es doch«, sagte sie und sah den Butler kurz und tri umphierend an, »was sagen Sie jetzt?« »Eine Äußerung möchte ich dem Inspektor überlassen«, erwi derte der Butler. »Inspektor Burmans?« Pieter Noorden blickte den Neuankömm ling an und beging den Fehler, sich nach der Schußwaffe bücken zu wollen. Lady Agatha reagierte erneut. Der Pompadour landete im Genick des Mannes, der sich daraufhin flach auf den Boden der Kajüte legte. »Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel, Mister Parker«, sagte die Detektivin und nickte dem Butler zu, »man darf sich nie überra schen lassen.« »Generell möchte ich Mylady beipflichten«, entgegnete Parker, »im speziellen Fall hingegen möchte ich darauf verweisen, daß Mylady es tatsächlich mit einem Inspektor der Amsterdamer Poli zei zu tun haben.« »Schnickschnack«, gab sie empört zurück, »eine Lady Simpson übertölpelt man nicht!« »Das ist wirklich ein Inspektor«, warf einer der beiden jungen Männer ein. »Inspektor Burmans«, stellte der freundliche Bootsführer sich vor und rieb sein Handgelenk, »Sie schreiben eine deutliche Handschrift, Mylady.« »Wir sind hier vollkommen grundlos niedergeschlagen worden«, beschwerte sich der junge Mann in seiner Muttersprache. »Was hat er gesagt?« wollte die grollende Britin wissen, »hat er mich wieder beleidigt?« »Nein, nein«, gab der junge Mann in halbwegs gutem Englisch und hastig zurück, »ich habe nur gesagt, daß wir ohne Grund niedergeschlagen worden sind.« »Wiederholen Sie diese Frechheit noch mal«, forderte Lady A gatha ihn auf. »Eigentlich sind wir mehr ausgerutscht«, meinte der zweite jun ge Mann und lächelte ein wenig schief. Auch sein Englisch war 68
passabel. »Kümmert euch um Noorden«, sagte Inspektor Brumans und zeigte auf den Bootseigner, der sich andeutungsweise rührte, »mit einem Genever wird er wieder auf die Beine kommen.« »Sie sind tatsächlich Inspektor?« Agatha Simpson maß Burmans mit prüfendem Blick. »Ihr Butler wird es Ihnen doch längst gesagt haben, Mylady. Ich bin mit Chief-Superintendent McWarden gut befreundet.« »Ob das eine Empfehlung ist?« der Ton ihrer Stimme war bissig. »Sie haben sich hier mit zwei ausgesuchten Schlägern angelegt, Mylady«, redete Burmans weiter, ohne auf den Hinweis der älte ren Dame einzugehen, »Pieter Noorden ist eine bekannte Figur der hiesigen Rauschgiftszene.« »Danach sieht dieses Subjekt auch aus.« Sie maß Pieter Noorden, der von den beiden jungen Männern aufgerichtet wurde und gerade die Augen aufschlug. Sie machten einen deutlich verglas ten Eindruck. »Rauschgift?« Lady Agatha war verblüfft. »Hier in Amsterdam wird viel umgeschlagen«, redete Inspektor Brumans weiter, »Noorden mischt kräftig mit, doch bisher haben wir ihm nichts nachweisen können.« »Das wird sich ändern, ich bin ja jetzt hier«, meinte Lady Agat ha wie selbstverständlich, »er ist dieser Eismann, hinter dem ich her bin, nicht wahr?« Sie deutete auf Pieter Noorden, der sich langsam von seinem Niederschlag erholte. »Was ist mit dem Eismann?« fragte der Mann. Seine Zunge war noch schwer. »Ein Gangster, der auf Polizeioffiziere in London schießt«, be antwortete Inspektor Burmans die Frage, »hören Sie, Noorden, falls Sie uns einen Hinweis geben können, dann tun Sie’s mög lichst schnell. Die Londoner Polizei hat da einige Leute festge setzt, die behaupten, von Ihnen geschickt worden zu sein.« »Reine Verleumdung, Inspektor.« Noorden schüttelte den Kopf, »da will mich einer reinlegen, aber das habe ich der Lady bereits gesagt.« »Sie können mit diesem Spitznamen wirklich nichts anfangen, Noorden? Der Mann, der sich dahinter versteckt, muß Sie doch schließlich kennen.« »Ich hab’ keine Ahnung«, lautet Nordens Antwort, »ich kenne keinen Jan oder Kees, nie gehört.« 69
»Läßt es sich ermöglichen, daß ich mich allein mit diesem Flegel unterhalte?« fragte Agatha Simpson den Inspektor. »Ich… Ich protestiere«, rief Noorden und nahm Deckung hinter den beiden jungen Schlägern. »Das hier ist Hausfriedensbruch, Inspektor. Gegen mich liegt nichts vor. Verlassen Sie sofort mein Hausboot, oder ich werde Ihnen eine Klage an den Hals hängen!« »Wir sollten gehen«, meinte Inspektor Burmans zu Butler Par ker. »Mylady wollte dies ohnehin tun, Inspektor«, erklärte Parker. »Mylady wird zu einem späteren Zeitpunkt erneut ihre Aufwar tung machen, wenn ich so sagen darf.« »Richtig.« Sie nickte grimmig. »Aber dann werde ich wohl ener gisch werden, vielleicht sogar unhöflich. Eine Lady Simpson läßt sich nicht an der Nase herumführen!« * »Ein hilfsbereiter, netter Mensch, dieser Inspektor«, sagte die ältere Dame, »mein Gefühl hat mich wieder mal nicht getrogen, Mister Parker.« »Myladys Menschenkenntnisse sind immer wieder verblüffend«, erwiderte Parker, ohne die Miene zu verziehen. »Entweder man hat es, oder man hat es nicht«, meinte sie, »und was halte ich von diesem Pieter Noorden?« »Mylady glauben kaum, daß Mr. Pieter Noorden mit dem soge nannten Eismann identisch sein kann«, antwortete der Butler, »Mylady sind hingegen der Ansicht, daß man aber gerade über Mr. Noorden an diesen geheimnisvollen Täter herankommen wird.« »Das sage ich ja die ganze Zeit.« Sie nickte zustimmend. Lady Agatha befand sich in der Hotelsuite, die Parker gemietet hatte. Das Gebäude stand in der Nähe des Zentralbahnhofes und bot jeden Komfort. Man hatte sich von Inspektor Burmans getrennt und verabredet, sich am späten Abend noch mal zu treffen. »Der sogenannte Eismann, Mylady, muß den Gangster und Rauschgifthändler Noorden recht gut kennen«, führte der Butler weiter aus, »er dürfte ihn vorgeschoben haben, um falsche Spu ren zu legen.« »Warum und wieso soll dieser Noorden nicht doch der Eismann 70
sein?« Sie merkte erst jetzt, daß sie zu schnell zugestimmt hatte. »Mr. Noorden betreibt Drogengeschäfte aller Art, Mylady. Dar aus ist zu schließen, daß er nur in einem bestimmten regionalen Rahmen arbeiten kann und muß.« »Das klingt schon besser, Mister Parker, aber weiter, genieren Sie sich nur nicht.« »Falls Mr. Noorden beabsichtigen würde, in London tätig zu werden, würde er auf den entschiedenen Widerstand der dortigen Drogenhändler stoßen. Allein die Absicht, so etwas zu tun, würde einem geplanten Selbstmord gleichen.« »So sehe ich es natürlich auch.« Sie nickte nachdrücklich. »Warum also, so haben Mylady sich bereits gefragt, sollte Mr. Noorden in London Polizeioffiziere er- und beschießen? Mylady sehen da keine zwingenden Grund.« »Überhaupt nicht, Mister Parker. Sie nähern sich langsam mei nem Standpunkt.« »Der tatsächliche Eismann hingegen muß handfeste Gründe ha ben, die Londoner Unterweltszene in helle Aufregung zu verset zen, wenn man so sagen darf.« »Und diese handfesten Gründe werde ich Ihnen nennen!« Sie sah ihn triumphierend an. »Mylady schocken meine Wenigkeit.« »Es geht selbstverständlich um Diamanten«, redete sie eifrig weiter, »wo befindet sich das Zentrum der Diamantenschleifer? Hier in Amsterdam, Mister Parker… ein Wunder, daß Sie noch nicht daraufgekommen sind!« »Ein staunenswerter Hinweis, Mylady.« »Denken Sie doch an das Wort >EismannEismann< in Beziehung zu Mr. Albert Breukers setzen?« »Da sehe ich noch keine Zusammenhang«, räumte Burmans ein, »aber vielleicht hilft seine Frau uns weiter.« »Mir wird sie weiterhelfen«, schaltete die ältere Dame sich plötzlich energisch ein. Sie war hellhörig geworden, »Mister Par ker, ich werde mir diese Gärtnerei mal aus der Nähe ansehen.« »Wo befindet sie sich, Mr. Burmans?« erkundigte sich der But ler. »Bei Lisse«, lautet die Antwort, »Sie werden den Namen Keu kenhof ja sicher schon gehört haben. Die Blumengärten dort sind einmalig schön.« »Lisse also«, sagte die Detektivin, »am liebsten würde ich mich sofort auf den Weg machen, mein lieber Burmans.« »Sie versuchen zu ermitteln, Sir, wo der Schwager Mr. Noor dens sich aufhält?« erkundigte sich Parker bei dem Inspektor. »Darauf können Sie sich verlassen. Wie gesagt, ganz ohne Grund wird Noorden ja nicht zu seiner Schwester Antje gefahren sein. Der Kontakt zwischen ihnen war bisher mehr als gering.« »Dieser Lümmel namens Noorden wird doch hoffentlich genau überwacht, oder?« fragte die Detektivin den Inspektor. 80
»Natürlich, Mylady. Noorden ist übrigens nach dem Bad in der Gracht nicht direkt nach Lisse gefahren, doch das nur am Rand. Er hat einige Umwege eingeschlagen. Er rechnete wohl damit, daß man sich an ihn hängen würde.« »Dann also morgen in aller Frühe.« Lady Agatha gähnte mehr als deutlich. »Lieber Inspektor, ich denke, ich werde mich hinle gen. Das alles war wohl doch etwas zuviel für mich.« »Sie haben sich am Käsestand nicht verletzt, Mylady?« Bur mans lächelte unwillkürlich. »Sie wissen, daß man mich absichtlich zu Fall gebracht hat?« Sie reagierte mit einer Gegenfrage und sah Burmans gereizt an. »Meine Leute haben davon berichtet.« »Dann werden Sie bezeugen können, daß ich mich streng an die Verkehrsregeln gehalten habe.« »So genau haben sie wieder nicht hingesehen«, beeilte sich Burmans zu sagen, »ich selbst habe nur gesehen, wir gut Sie mit den Käsekugeln umgegangen sind.« »Dieser Noorden kann von Glück sagen, daß ich nicht mehr Mu nition bei mir hatte«, sagte sie, »ich hätte ihn am liebsten noch im Wasser erwischt. Nun, ich ziehe mich zurück. Gute Nacht!« »Gute Nacht, Mylady!« Burmans erhob sich und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, »Sie werden also morgen nach Lisse fah ren, Mister Parker?« »Darauf, Sir, würde ich mich nicht unbedingt verlassen«, gab Parker leise zurück, »Mylady liebt es, immer wieder mit Überra schungen aufzuwarten.« * »Er hat doch keine Verdacht geschöpft, wie?« fragte Lady Agat ha eine Stunde später. Sie saß neben Parker, der den Mietwagen, einen Ford, steuerte. Parker hatte einen neuen Wagen besorgt, um die Fahrt nach Lisse so angenehm wie möglich zu gestalten. »Mylady spielen auf den Inspektor an?« »Auf wen denn sonst?« Sie maß ihn mit einem fast mitleidigen Blick. »Inspektor Burmans rechnet offensichtlich damit, daß Mylady erst am kommenden Tag nach Lisse fahren wollen.« »Dann ist es gut.« Sie rückte sich auf dem Beifahrersitz bequem 81
zurecht, »ich möchte mich nämlich möglichst ungestört mit die sem Noorden unterhalten. Wissen Sie, was ich vermute?« »Mylady werden meine Wenigkeit wieder mal grenzenlos über raschen.« »Dort in Lisse werden wir auch den Eismann finden«, sagte sie, »für mich ist das alles sonnenklar, Mister Parker. Noordens Schwager wird sich in der Gärtnerei versteckt haben.« »Eine bemerkenswerte Vermutung, wenn ich mich erkühnen darf, dies zu sagen, Mylady.« »Der Eismann weiß doch inzwischen, daß wir die beiden Hollän der in London erwischt haben, diesen Jan und Kees, nicht wahr? Können Sie mir folgen?« »Ohne jede Schwierigkeit, Mylady.« »Er weiß also, daß ich auf den Namen Noorden gestoßen bin«, redete sie weiter, »er weiß ferner, daß ich Noorden besucht habe, und er muß damit rechnen, daß Noorden zu seiner Schwester fahren wird.« »Ein logischer Schluß, Mylady, den man nur als zwingend be zeichnen kann und muß.« »Also wird der Eismann in der Gärtnerei auf mich warten«, schloß Agatha Simpson. »Mylady fordern meine Wenigkeit geradezu heraus, zu applau dieren«, entgegnete Parker. »Ich weiß«, sagte sie in ihrer schlichten Art, »Logik ist nun mal meine Stärke, Mister Parker. Rechnen Sie also damit, daß man uns erwarten wird.« »Und zwar noch in dieser Nacht, Mylady.« »Wieso denn das?« Sie wunderte sich etwas. »Weil man Myladys Tatkraft und Dynamik nur zu gut kennt«, antwortete Parker. »Das ist richtig.« Sie nickte zufrieden. »Ich werde mich also auf ein nettes Intermezzo einrichten.« Als sie den Außenbezirk von Lisse erreicht hatten, erkundigte sich der Butler an einer durchgehend geöffneten Tankstelle nach der Gärtnerei Breukers’ und bekam prompt eine Antwort. »Handelt es ich um einen großen Betrieb?« fragte Parker weiter. »Der war mal groß«, erwiderte der Tankwart, »aber jetzt ist nicht mehr viel los damit.« »Gab und gibt es Gründe für diesen Niedergang?« »Darüber möchte ich nicht reden«, lautete die Antwort, »viel 82
leicht hat er… Nein, ich weiß es nicht.« »Ich möchte keineswegs in Sie dringen«, gab sich der Butler bescheiden, »haben Sie Dank für Ihre Freundlichkeit und Hilfsbe reitschaft!« Er wandte sich um und wollte zurück zu seinem Wagen. Plötz lich blieb er aber stehen und musterte die Inschrift über dem Ein gang zu einem Lokal. Neugierig geworden, passierte Parker den Mietwagen und näherte sich dem Lokal, um die Inschrift noch genauer lesen zu können. Sekunden später wußte er mehr, ging zurück zum Ford und nahm am Lenkrad Platz. Als er anfuhr, steuerte der den Wagen dicht vor das Lokal, das um die fast mitternächtliche Stunde längst geschlossen hatte. »Darf ich Myladys Aufmerksamkeit auf diese Lokal lenken?« fragte er dann höflich. »Hier werde ich einen kleinen Imbiß bekommen«, meinte sie. »Mylady werden die Inschrift über dem Eingang längst bemerkt haben.« »Wie? Inschrift? Ich will was bemerkt haben?« Sie hielt den A tem an und beugte sich jäh vor. Dann las sie die Inschrift und wandte sich an Parker. »Das Lokal heißt ja Eismann«, sagte sie, »ich hatte es natürlich längst gesehen.« »Sicher, Mylady«, entgegnete Parker höflich. »Das ist das Stichwort, nachdem ich gesucht habe«, redete sie animiert weiter, »ich wußte doch, daß ich es hier finden würde.« »Damit dürfte sich ein gewisser Kreis geschlossen haben, Myla dy«, sagte der Butler, »der Täter in London hat doch auf einen Begriff zurückgegriffen, der ihm vertraut war.« »Ich wußte es von Beginn an!« Sie nickte zufrieden. »Jetzt geht es nur noch um das Motiv«, schloß Josuah Parker, »warum, so werden Mylady sich fragen, hat dieser Eismann auf die Polizeioffiziere geschossen?« »Wegen der Diamanten«, wußte die Detektivin selbstsicher, »ich dachte, Mister Parker, daß ich diese Frage längst geklärt hät te.« Parker verzichtet auf eine Antwort. * 83
Dicht stehende Gewächshäuser nahmen den Raum ein, den ein halbes Fußballfeld ausgefüllt hätte. Das Wohnhaus mit den an grenzenden Lager- und Wirtschaftsgebäuden zeigte kein Licht. Butler Parker und Lady Simpson hatten den Ford zurückgelassen und sich zu Fuß dieser Anlage genähert. »Wie werde ich jetzt vorgehen, Mister Parker?« examinierte die ältere Dame ihren Butler. Da sie’s nicht wußte, wollte sie es von Parker hören. »Mylady werden sich vorsichtig heranpirschen«, schlug der But ler vor, »alles Weitere werden Mylady dem Augenblick überlas sen, wobei zu überlegen ist, ob Noorden und seine Schwester noch im Haus sind.« »Gehen wir.« Sie setzte sich in Bewegung und glich in diesem Moment einem Bulldozer, der aus dem Stand in volle Fahrt ge bracht worden war. Agatha Simpson nahm es dabei wieder mal mit jedem Hindernis auf, wie sich prompt zeigte. Man hatte das Wohnhaus noch nicht ganz erreicht, aber gerade ein Beet, als sie voll gegen eine Gieß kanne stieß, die man dort zurückgelassen hatte. Eine Glocke hätte kaum lauter anschlagen können. »Hoppla«, sagte Agatha Simpson munter, »Sie müssen sich et was mehr vorsehen, Mister Parker.« »Sehr wohl, Mylady.« Parkers Stimme klang höflich wie immer. »Jetzt haben Sie die Leute im Haus bestimmt aufgeweckt.« »Damit sollte man durchaus rechnen, Mylady.« »Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel, ich bewege mich wie ein Indianer«, übertrieb sie maßlos. »Mylady werden meiner Wenigkeit stets leuchtendes Vorbild sein«, erklärte Parker, »darf ich auf das Licht dort drüben in den Gewächshäusern verweisen? Es ist gerade eingeschalten wor den.« Lady Agatha wurde von dieser Lichtquelle magnetisch angezo gen. Sie änderte ihre Marschrichtung und stampfte über ein wei teres Beet. Sie hinterließ ein Chaos von Blumenzwiebeln, da die Größe ihrer Schuhe recht beachtlich war. Josuah Parker folgte seiner Herrin und hatte seinen Universal-Regenschirm vom ange winkelten linken Unterarm genommen. Er hatte diese Patentwaffe längst »entsichert« und war bereit, Mylady zu verteidigen. »Unverschlossen!« Sie riß die Tür zur Wärmeschleuse des ers 84
ten Gewächshauses auf und orientierte sich. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk war in Schwingung geraten. Sie hoffte, ihn bald einsetzen zu können. Ein schwerer Blütenduft schlug Parker und Lady Simpson entge gen, als sie die zweite Tür geöffnet hatten. Im Licht einer starken Lampe, die allerdings weit hinten von der Decke herunterhing, war ein Meer von Blumen zu sehen. Mylady nieste. Eine Detonation hätte kaum lauter sein können – einige Glas fenster, die hochgeklappt waren, lösten sich aus ihrer Halterung und fielen knallend zurück in ihre Rahmen. »Leise«, flüsterte Lady Agatha, »ich will mich doch schließlich nicht anmelden!« »Könnten Mylady vielleicht…« Parker kam nicht mehr dazu, sei nen Satz zu beenden. Eine Stimme, die ihm nicht ganz unbekannt war, forderte ihn und Lady Simpson auf, schleunigst die Arme hochzunehmen. Der Besitzer dieser Stimme stand hinter einer Wand, die aus Schilfmatten bestand. »Mr. Pieter Noorden?« fragte Parker gemessen. »Ich hab’ doch gewußt, daß Sie aufkreuzen würden«, erwiderte Noorden und trat hinter der Wand hervor. Er hielt eine Schußwaf fe in der Hand. Neben ihm tauchten die beiden jungen Männer auf, die auf seinem Hausboot waren, auch sie selbstverständlich bewaffnet. Sämtliche Revolver waren mit langen, modernen Schalldämpfern versehen. »Ihr Spiel ist aus«, schmetterte Agatha Simpson dem Gangster entgegen. Die Waffen übersah sie großzügig. »Fragt sich, wessen Spiel aus ist«, erwiderte Noorden und lach te, »Sie sitzen auf jeden Fall in der Tinte.« »Lächerlich«, meinte die ältere Dame, »Sie haben es mit einer Lady Simpson zu tun!« Parkers Regenschirm winkelte diskret hoch. Der Schirmstock vi sierte die Lampe an. Parker drückte auf den versteckt angebrach ten Auslöseknopf und sorgte erst mal dafür, daß das störende Licht erlosch. Dann warf er sich respektlos gegen Lady Agatha und sorgte dafür, daß sie zwischen Blumen landete. *
85
Die drei Gangster waren derart überrascht, daß sie vergaßen, auch nur einen einzigen Schuß abzugeben. »Los, ihnen nach«, kommandierte Noorden wütend. Parker hat te einen Blumentopf ausgegraben und in der Hand. Er richtet sich kurz auf und warf diesen Gegenstand in hohem Bogen in Richtung Türschleuse. Er hatte gut gezielt. Der Blumentopf landete klirrend in den kleinen Scheiben. »Was soll denn das!?« Lady Agatha wollte sich aufrichten. »Ich habe keinen Appetit auf Blumenzwiebeln, Mister Parker.« Dann begriff sie aber, wie gefährlich die Situation war. Sie ver zichtete auf weitere Bemerkungen und horchte in die Dunkelheit. Die Gangster waren vom Zersplittern der Scheiben in die falsche Richtung gelenkt worden. Sie liefen zur Türschleuse hinüber. »Und wo ist nun der Eismann, den Sie mir versprochen haben?« fragte sie nach einer Weile. »Besagte Herr wird sich sicher bald melden, Mylady«, entgegne te Josuah Parker, »man dürfte vielleicht ein wenig zu früh ge kommen sein.« Er half seiner Herrin hoch, die sich erst mal die Blumenerde vom Tweed-Kostüm klopfte. »Sorgen Sie doch bitte für Licht, Mister Parker«, sagte sie dann unmutig, »ich bin schließlich keine Fledermaus.« »Keineswegs und mitnichten, Mylady.« Parker holte einen seiner Patent-Kugelschreiber hervor und drückte auf den Halteclip. Der scharf gebündelte Lichtstrahl der Miniatur-Taschenlampe zeigte ihm, daß Myladys Hut wieder mal verrutscht war. Als sie nach ihrer Kopfbedeckung greifen wollte, flammte eine Vielzahl von Deckenlampen auf. Im gleißenden Licht dieser Tief strahler waren Parker und Lady Simpson wie geblendet. »Keine weiteren Tricks mehr«, rief Noorden, »Hände hoch und langsam umdrehen!« »In Anbetracht der allgemeinen Lage sollte man dieser Auffor derung Folge leisten«, schlug Parker vor. »Nur sehr ungern«, erwiderte Agatha Simpson gereizt, »ich glaube, daß ich etwas verärgert bin…« * »Tun Sie doch endlich etwas«, forderte die Detektivin den But 86
ler auf. Sie saß auf einer umgestülpten Blumenkiste und war nicht in der Lage, über ihre Hände zu verfügen. Man hatte sie ihr mit feinem, aber zähem Blumendraht auf dem Rücken verschnürt. »Mylady dürfen versichert sein, daß meine Wenigkeit bereits an einer Teilbefreiung arbeitet«, informierte Josuah Parker die Lady. Seine Hände waren ebenfalls auf dem Rücken zusammengebun den worden. Das Duo befand sich in einer Art Betonbunker, in dem Blumen verrotteten, die man wohl nicht hatte verkaufen können. Es roch sehr in diesem Verlies, dessen Öffnung oben in der Decke noch nicht mal abgedeckt worden war. Bis dorthin waren es rund vier Meter. Parker winkelte sein linkes Bein an und langte mit seinen Fin gerspitzen nach dem Schuhabsatz. Er tat dies keineswegs aus Langeweile. Schon nach dem zweiten Versuch erreichte er sein Versteck, das sich erstaunlicherweise zur. Seite klappen ließ, nachdem Parker einen kleinen Widerstand überwunden hatte. Parker fingerte in den hohlen Absatz und löste eine zweite Sper re. Augenblicklich sprang eine Art Sägemesser hervor und bot seine Dienst zur Lösung der Fessel an. Diese kleine und nützliche Erfindung stammte aus dem Labor des Butlers. Er hatte das Prin zip eines normalen Rasierapparates nachempfunden und einen Kantenschneider installiert. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis er den Blumendraht von seinen Handgelenken gelöst hatte. »Wenn ich mir höflichst erlauben darf, Mylady?« Josuah Parker befreite jetzt die Hände seiner Herrin, die wohlig aufstöhnte. »Und weiter?« fragte sie, während Parker seinen Schuhabsatz wieder in Ordnung brachte. »Man sollte diesen Abfallbunker so schnell wie möglich wieder verlassen, Mylady«, schlug der Butler vor und deutete nach oben. Gegen den aufgehellten Nachthimmel, für den der Mond verant wortlich war, war das Viereck recht gut zu erkennen. »Das ist zu hoch«, entschied die Detektivin. »Für eine Person allein, durchaus, Mylady.« »Sie haben doch Ihren Schirm«, meinte sie optimistisch. »Er dürfte reichen, sobald Mylady oder meine Wenigkeit die Dis tanz zum Ausstieg verringert haben.« »Wie stellen Sie sich das vor?« »Einer müßte auf die Schultern des anderen steigen, Mylady, der Rest wäre dann eine Kleinigkeit.« 87
»Gut, ich werde uns befreien, Mister Parker. Wie komme ich auf Ihre Schultern?« »Würden Mylady sich in Anbetracht der Situation möglicherwei se bereit finden, meine Wenigkeit auf die Schultern zu nehmen?« »Ich soll Sie…!?« Sie unterbrach sich. »Mylady verfügen mit Sicherheit über ein wesentlich größeres Standvermögen als meine Person.« »Das ist natürlich richtig«, sagte sie zögernd. »Falls man sich nicht eilt, könnte man von weiterem Unrat zuund eingedeckt werden. Mr. Noorden deutete dies bereits an.« »Nun gut…« Agatha Simpson hatte sich entschieden. »Aber rui nieren Sie nicht meine Frisur, Mister Parker, das bitte ich mir aus!« »Mylady können mit meiner Rücksicht rechnen.« Parker warte te, bis die ältere Dame ihre Hände zusammengesteckt hatte. Dann stieg er mit dem linken Fuß in diesen provisorischen Steig bügel und arbeitet sich nach oben. Mylady schwankte und schnaufte. »Nur noch wenige Augenblicke«, sagte der Butler und stellte den rechten Fuß auf die Schulter seiner Herrin. Er zog den linken vorsichtig nach und schob dann den Bambusgriff seines Univer sal-Regenschirms nach oben. Als der Griff sich gerade um den Rand der Luke legte, verlor die ältere Dame den Halt und purzelte in die Blumenreste. Ein erstickt-empörtes Gurgeln und Hüsteln war zu hören. Parker hing frei an seinem Schirmstock und hangelte sich nach oben. Er erreichte mit der linken Hand die Lukenkante und brauchte nur wenige Augenblicke, um seinen Oberkörper dann über den Rand zu schieben. »Das haben Sie absichtlich getan«, grollte die Lady von unten, »ich habe Ihren Fußtritt genau gespürt… Sie haben mich umge stoßen!« »Mylady mögen sich einen Moment gedulden«, bat Parker, »wenn es genehm ist, werde ich für Sie eine Leiter besorgen.« »Wehe Ihnen, falls Sie mich hier vergessen«, drohte sie, »ich würde Ihnen das nie verzeihen!« *
88
»Jetzt bist du an der Reihe, Pieter«, sagte der Mann und richte te die Waffe auf Noorden, »auf diesen Moment habe ich lange gewartet, aber ich wußte, daß er kommen würde!« »Mach’ keinen Blödsinn, Albert«, erwiderte Noorden mit gepreß ter Stimme und schaute wie hypnotisiert auf die Waffe. »Du glaubst, weil du mein Schwager bist, würde ich nicht schie ßen?« Albert Breukers, um den es sich handelte, lachte spöttisch. »Wer hat denn wen fast vor die Hunde gehen lassen? Wer hat wem keine Chance gegeben?« »Man handelt mit Drogen, aber man nimmt sie nicht selbst«, gab Pieter Noorden zurück, »selbst jetzt bist du doch wieder voll bis zum Rand.« »Und genau dann fühle ich mich sauwohl, Pieter. Keine Sorge, ich werde dich nur leicht anschießen.« »Und dann?« Noorden hatte eindeutig Angst. »Dann segelst du runter in den Abfallbunker und wirst zu Kom post«, meine Albert Breukers und lachte ein wenig schrill, »du kannst dieser komischen Lady und dem Butler Gesellschaft leis ten.« »Und was wird deine Frau sagen?« »Die pennt und bekommt nichts mit. Ich hab’ ihr ein Schlafmit tel in den Tee gegeben.« »Hör’ zu, Albert, man kann über alles reden. Wie wär’s mit ei nem neuen Anfang?« »Du kannst mich nicht mehr einwickeln«, lautete die Antwort des Mannes, der etwa achtunddreißig Jahre zählte und schlank war, »bei der nächsten Gelegenheit würdest du mich doch wieder in die Pfanne hauen. Warum mußte ich denn in Richtung London verschwinden? Weil du deine Freunde eingeseift hast. Die wuß ten, was mit mir los war. Die haben mich gar nicht erst landen lassen, aber dafür habe ich sie reingelegt.« »Hast du diesen Eismann gespielt?« fragte Pieter Noorden. »War doch eine gute Idee, alles durcheinander zu bringen, wie?« Albert Breukers lachte wieder schrill. Es war eindeutig, daß er unter Drogen stand. »Du hast auf die Polizei schießen lassen?« Pieter Noorden wollte Zeit herausschinden. »Ich habe zwei Typen hier aus Amsterdam kommen und sie bal lern lassen. Und sie hatten noch nicht mal ‘ne Ahnung, auf wen sie geschossen haben.« 89
»Du hast dadurch die Polizei absichtlich auf die Branche ge hetzt?« »Gute Idee, wie? Die haben keine ruhige Minute mehr. Du hast ja keine Ahnung, was in London los ist. Eine Razzia nach der an deren… und alles sucht nach einem Eismann, den’s gar nicht gibt…« »Du hast ganz schön Rache dafür genommen, daß man dich nicht ins Geschäft reinlassen wollte.« »Und das wird weitergehen«, versprach Albert Breukers, »ab sofort werde ich schießen! Ich werde einen nach dem anderen umlegen…« »Warum hast du die Typen unter meinem Namen angeheuert?« Noorden stand der dicke Schweiß auf der Stirn. »Tarnung, alles Tarnung. Und falls man was gemerkt hätte, wä re man auf dich gestoßen. Hat ja auch geklappt.« »Lady Simpson und ihr Butler, wie?« »Die sind mir zu keß geworden, aber sie sind schließlich doch in die Falle gegangen. Ich hab’ geahnt, daß sie hier landen würden. Darum bin ich ja auch aus London gekommen. Hoffentlich haben sie dir die Daumenschrauben angezogen.« »Hör zu, Albert, hör jetzt mal genau zu…« »Ich werde dich in den Abfallbunker schaffen«, wiederholte Breukers, »da kannst du verrotten! Und ich hab’ meine Rache… Ich bin nachtragend wie ein Elefant!« »Damit kommst du nie durch. Die Polizei wird dich erwischen, früher oder später.« »Morgen schippere ich gemütlich zurück nach London.« »Und Antje? Die weiß doch, daß du hier gewesen bist.« »Vielleicht kippe ich die auch noch in den Bunker.« »Du bist wahnsinnig, Albert! Das kannst du doch nicht machen. Nein, nein, schieß nicht… Ich hab’ eine Menge Geld gemacht, ich werde mit dir teilen.« »Hast du auch Stoff?« Diese Frage kam lauernd. »Jede Menge, Albert«, antwortete Pieter Noorden hastig, »du hast für Monate ausgesorgt.« »Und wo befindet sich der Stoff?« »Auf meinem Hausboot«, lautete prompt die Antwort, »du brauchst ihn nur zu holen.« »Und wo ist das Zeug versteckt?« »In ‘nem Kanister, unter dem Kiel«, erklärte Pieter Noorden 90
eindringlich, »mein Ehrenwort, du brauchst ihn nur zu holen. Du kannst aber auch erst nachsehen…« »Wenn Sie erlauben, wird meine Wenigkeit dies übernehmen«, schaltete sich Josuah Parker in diesem Moment ein. Während er redete, langte er mit dem bleigefütterten Bambusgriff seines Uni versal-Regenschirms zu. Der Eismann, alias Albert Breukers, ließ die Waffe fallen und landete dann in den Armen von Pieter Noorden. Der Rauschgift händler, der sich hastig nach der Waffe bückte, kam nicht mehr hoch. »Ich bin nicht rachsüchtig«, meinte die ältere Dame, nachdem sie ihren Pompadour kreisen ließ, »aber offen gesagt, Mister Par ker, diesmal habe ich etwas fester als sonst zugeschlagen. Dieses Subjekt hat mich schließlich in den Bunker steigen lassen. Was das wieder an Reinigung kostet!« * »Sie sind uns jederzeit hier in Amsterdam herzlich willkom men«, sagte Inspektor Burmans lächelnd und prostete der älteren Dame mit einem Glas Genever zu, »wir haben den Kanister mit Drogen tatsächlich unter dem Kiel gefunden. Auch Noorden konn te damit festgenommen werden.« »Wie geht es dem Eismann, Sir?« erkundigte sich Parker. Man saß in der Flughalle von Schiphol und wartete auf den Aufruf der Maschine nach London. »Er hat alles gestanden, Mylady«, antwortete Burmans, »da ist keine Frage offen geblieben.« »Er hat also aus Rachsucht geschossen, mein lieber Burmans?« Agatha Simpson prostete dem Inspektor erneut zu. Burmans, der bereits einige Genever mit ihr getrunken hatte, zeigte ein leicht gerötetes Gesicht. »Nur aus Rachsucht der Londoner Unterwelt gegenüber«, ant wortete der Detektiv-Inspektor, »eine schreckliche Rechnung, die er da aufgemacht hat.« »Nun, der Fall wäre ja immerhin geklärt«, stellte Lady Agatha fest, »sollten Sie wieder mal Probleme haben, mein lieber Bur mans, dann genügt ein Anruf, nicht wahr, Mister Parker?« »In der Tat«, pflichtete der Butler ihr bei, »Sie konnten bereits 91
Verbindung mit Chief-Superintendent McWarden aufnehmen?« »Ich habe ihn per Telefon informiert«, bestätigte Inspektor Burmans, der von der älteren Dame erneut animiert wurde, einen weiteren Genever zu trinken, »er läßt Ihnen übrigens gratulie ren.« »Was wäre dieser McWarden ohne mich«, meinte Lady Agatha, »er würde keinen einzigen Fall lösen!« »Bewundernswert, wie Sie aus dem Abfallbunker herausge kommen sind«, erinnerte Burmans und unterdrückte einen Schluckauf, »damit hatte Albert Breukers nicht gerechnet.« »Und wem hat Mister Parker das zu verdanken?« Lady Agatha sah den Butler triumphierend an. »Myladys Standfestigkeit waren phänomenal«, erklärte der But ler. »Und Ihr Fußtritt ebenfalls«, fiel Agatha Simpson ihm ins Wort, »Mister Parker, ich werde Ihnen verzeihen, aber ich möchte wis sen, ob Sie mich absichtlich umgestoßen haben.« »Mylady könnten sich vorstellen, daß meine Wenigkeit zu solch einer Untat fähig wäre?« »Ich bin mir da nicht so sicher«, gab sie zurück und runzelte die Stirn, »und mein Hut kann auch nicht gerade zufällig ruiniert worden sein.« »Hauptsache, Sie kamen raus aus dem Bunker«, vermittelte In spektor Burmans und wehrte ab, als Agatha Simpson ihn zu ei nem weiteren Genever animierte. Die Flasche stand schließlich auf dem Tisch. »Ich habe genug«, sagte Burmans und schluckte, »ich sehe be reits alles doppelt – oder fast.« »Meinem Kreislauf bekommt dieses Getränk recht gut«, erwi derte die ältere Dame aufgeräumt, »Mister Parker, nutzen Sie die zollfreie Einkaufsmöglichkeit.« »Dies ist bereits geschehen, Mylady«, sagte Parker und leistete Burmans Beistand. Der Inspektor wollte aufstehen, stand aber recht unsicher auf den Beinen. »Diese Jugend von heute«, Lady Simpson deutete auf Burmans, »sie kann nichts mehr vertragen.« »Wenn Sie erlauben, Mylady, werde ich Mr. Burmans zu seinem Fahrer bringen.« »Okay, inzwischen werde ich für den guten McWarden ein Sou venir einkaufen.« 92
»Ein Souvenir für Mr. McWarden?« Parker wunderte sich. »Der Ärmste liegt schließlich in einem Krankenbett«, meinte sie, »man braucht ihn zwar nicht zu verwöhnen, und es soll auch nicht gerade ein Vermögen kosten.« Parker geleitete den ziemlich angeschlagenen Inspektor nach draußen, wo der Dienstwagen bereits wartete. Der Fahrer schmunzelte, als er sah, in welchem Zustand sein Chef sich befand. »Eigentlich kann er ‘ne Menge vertragen«, sagte er, als Bur mans endlich im Fond saß. »Er würde immer unterliegen, wenn er mit Lady Simpson eine Kreislaufkur unternimmt«, antwortete Parker und nickte Burmans zu, dessen Augen sich bereits geschlossen hatten. Parker warte te, bis der Wagen in der Auffahrt verschwunden war, dann begab er sich gemessen zurück in die große Empfangshalle. Lady Agatha kam ihm entgegen. »Ich habe bereits etwas Hübsches für McWarden gefunden«, sagte sie und zeigte ihm einen Aschenbecher. »Sehr passend, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, Mylady.« »Und er hat nichts gekostet«, sagte sie strahlend, »er stand auf einem der Tische dort an der Cafeteria.« »Dies, Mylady, erlaubte ich mir bereits zu unterstellen«, sagte Josuah Parker, den nichts zu erschüttern vermochte…
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 229
Günter Dönges
PARKERS Razzia in Athen
93