Johannes Boldt
Paradies der Junggesellen
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Wollen Sie einmal so recht von Herz...
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Johannes Boldt
Paradies der Junggesellen
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Wollen Sie einmal so recht von Herzen lachen, dann lassen Sie sich von Johannes Boldt bei der Hand nehmen und sich ins PARADIES DER JUNGGESELLEN führen. Sicher wird sich so mancher von Ihnen, liebe Leser, an den köstlichen Film mit dem großartigen Heinz Rühmann erinnern, der nach diesem heiteren Roman um die Bekehrung von drei eingefleischten Junggesellen gedreht wurde. Martin Kelter Verlag 1978 Druck und Einband: Werner Söderström
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In der Wohnung wurde eine Tür so heftig zugeworfen, daß sie alle drei zusammenzuckten. »Verdammtes Frauenzimmer!« knurrte der kleine Bartels, während seine Augenlider heftig auf und nieder schlugen. »Sie ist wohl schlecht gelaunt«, meinte der gewaltige Spreckelsen mit seinem knappen Lächeln, über das Bartels sich zuweilen krankärgern konnte. »Ich finde, sie ist in letzter Zeit immer schlecht gelaunt, wenn wir Bartels besuchen«, bemerkte der sehr elegante Hannemann, dessen beherrschtem Gesicht man selten ansehen konnte, welche Stimmung ihn bewegte. »Nicht nur dann, meine Lieben«, fuhr Bartels auf. »Ich sage euch Männern, die ihr in der Lage seid, mich zu begreifen - ich sage euch...« »Er redet scho n wieder Papierdeutsch«, klagte Spreckelsen. »Ich rede so, daß selbst ihr Armseligen erfassen könnt, was ich meine. Dieses von Gott verlassene Weib erwartet von mir dem zweimal schuldlos Geschiedenen, dem durch alle Stadien der ehelichen Enttäuschung Gehetzten...« »Hör auf!« bat Hannemann. »... erwartet von mir, daß ich sie heirate.« Er blickte von einem zum anderen und konnte mit dem Erfolg seiner Eröffnung zufrieden sein. Die beiden waren ganz steif vor Verwunderung. »Was denn?« stieß Hannemann schließlich heraus. »Diese alte Dame...?« »... hast du verführt?« ergänzte Spreckelsen die Frage auf seine Art, und es lag Grauen über seinen Zügen. »Verführt?« stöhnte Bartels. »Eröffnungen hat sie mir gemacht! Das betagte arme Wesen - denkt euch - hat viel unter den Nachstellungen und Heiratsvorschlägen ihrer Zimmerherren zu leiden gehabt, ist aber immer standhaft geblieben. Doch wenn -2-
ein Mann wie ich - und so weiter - da würde sie - da könnte und ich möchte, hihi, nicht böse sein, wenn sie sich nachts einschlösse.« »Und was zieht das nach sich?« fragte Hannemann erschüttert. »Ich - Bartels - habe mich nachts eingeschlossen. Seitdem schlägt sie mit den Türen, behandelt mich wie Müll im Staubsauger, und wenn ich morgens Kaffee trinke, rechne ich damit, im Anschluß daran tot umzufallen wegen Ansammlung von Giftvorräten in meinem Magen.« »Du solltest wissen«, bemerkte Spreckelsen, »daß Giftansammlungen noch keine tödliche Wirkung haben, sondern erst die Verteilung der Gifte, ihr Übertritt in die...« »Ein fachsimpelnder Apotheker ist fürchterlich!« jammerte der Kleine. »Und warum ziehst du nicht aus?« erkundigte Hannemann sich in seiner bedächtigen Art. »So kann nur ein Mann fragen«, schalt Bartels, »der seit seiner Kindheit unter der Obhut von Mutter und Schwester lebt! Bedenkst du denn nicht, daß zum Ausziehen die Kündigung gehört, die einen Monat vorher erfolgt sein muß?« »Und wenn schon.« »Während dieser Wochen - du Knabe - ist man der Rachsucht einer solchen Person hilflos ausgeliefert. Du ahnst nicht, welcher Gemeinheiten eine wütende Frau fähig ist. In der Regel endet der Monat zwischen Kündigung und Auszug mit einem Mord.« »Davon müßte man doch schon etwas gehört haben«, wagte Hannemann zu zweifeln. »Du unschuldige Seele! Du weißt eben nicht, daß die meisten der von Frauen begangenen Morde nicht als Morde erkannt werden. Ich deutete es schon an: Gift.« -3-
»Und woher kriegen sie das Gift?« erkundigte sich Spreckelsen, in beruflicher Eigenschaft interessiert. »Durch augenspielverwirrte Apotheker, die Rezeptfälschungen nicht erkennen.« »Männer, die das behaupten, haben auch die Folgen verdient!« knurrte Spreckelsen. »Man müßte dich zu Insektenpulver verarbeiten!« »Zankt euch nicht«, mahnte Hannemann, »laßt uns vielmehr überlegen, wie wir unseren Kleinen aus dem Netz der Spinne befreien. Wenn ich vielleicht jetzt ein Lied sänge!« »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Wein, Weib und Gesang!« wehrte Spreckelsen ab. »Ich meine nur - das würde sie veranlassen zu kündigen, und dann könnte Bartels ihr gegenüber beleidigt tun und...« »Quatsch!« rief Spreckelsen. »Wenn er wirklich so feig ist, daß er aus Angst vor einem unangenehmen Monat nicht zu kündigen wagt, so könnte er doch gleich nach der Kündigung vier Wochen Urlaub nehmen, verreisen und nach der Rückkehr ausziehen. Aber er will ja gar nicht ausziehen. Denn von hier aus kann er auf den Bahndamm blicken und Züge vorbeifahren sehen und hören. Dieser Leidenschaft zuliebe erträgt er alles. Der Himmel mag übrigens wissen, warum er Zollbeamter geworden ist. Bei seiner Eisenbahnverrücktheit.« »Wer wird denn seine Neigung zu seinem Beruf degradieren!« sagte Bartels. »Wenn er Eisenbahnbeamter geworden wäre«, bemerkte Hannemann, »so würde er wahrscheinlich den Zolltarif studieren.« »Ach, diese nebenberuflichen Neigungen!« warf Spreckelsen verächtlich hin. »Ich kannte einen Arzt, der zugleich Schriftsteller war. Die Ärzte sagten über ihn, als Schriftsteller leiste er Hervorragendes, und die Schriftsteller meinten, als Arzt -4-
sei er sehr tüchtig.« »Was redest du da eigentlich für dummes Zeug!« ging der Kleine dem Großen zu Leibe. »Als Eisenbahnliebhaber maße ich mir doch weder Können noch Leistungen an. Wenn ich eine Wohnung nach meinem Herzen hätte - ich meine, mit etwas mehr Platz - dann würde ich mir...« »... eine Kindereisenbahn kaufen«, ergänzte Spreckelsen spöttisch. »Ja, das würde ich allerdings«, trumpfte Bartels auf. »Eine elektrische. Ich sah neulich eine - gar nicht teuer - aber ich sage euch...« »Du wirst drollig und kriegst Locken!« brüllte ihm Spreckelsen dazwischen. »Und ein solcher Kerl redet über Frauen und Giftmorde! Einen Kinderkrämerladen werde ich dir zu Weihnachten schenken! Und ich Ochse habe vorhin die Idee gehabt - ach was!« »Eine Idee hast du gehabt, Großer?« schmeichelte Bartels. »Und wir sollen nichts davon erfahren, wo du so selten Ideen hast? Komm, Liebling, plaudere über deine Idee, damit wir uns daran berauschen.« Spreckelsen stand auf, rammte die Hände in die Hosentaschen und ging im Zimmer auf und ab. Die vielen Nippessachen auf dem säulen-, erker- und türmc henverzierten Vertiko klirrten unter der Wucht seiner Schritte. Bartels beobachtete ihn ängstlich. »Du - setz dich wieder«, bat er. »Dieses Haus ist sehr leicht gebaut. Letztes Mal, als du hier umherstampftest, haben die Leute unter mir graue Haare gekriegt.« »Vor Angst?« »Nein, von dem Kalk, der von der Decke auf ihre Häupter niederfiel.« »Vielleicht kannst du deine Idee auch im Sitzen von dir -5-
geben«, unterstützte Hannemann den Kleinen. »Ruhe!« zürnte Spreckelsen. »Meine Idee ist auch ungebrütet noch viel zu schade für einen Bengel, der noch mit elektrischen Eisenbahnen spielt. Kein Wunder, daß dir zwei Frauen ausgerückt sind. Ich kann mir denken, wie enttäuscht sie waren, als du von ihnen nichts weiter begehrtest als die Erlaubnis, dir eine elektrische Eis enbahn anschaffen zu dürfen.« »Damals spielte ich noch mit Steinbaukästen«, belehrte ihn Bartels. Spreckelsen starrte ihn an. Dann ging er zu ihm hin und klopfte ihm herzlich, aber nicht gerade zart auf die Schulter. »Das war nicht fein von mir«, sagte er ein bißchen verlegen, »daß ich die beiden Frauen erwähnte.« »Ach«, entgegnete Bartels unbekümmert, »ich lasse mich gern an Erfahrungen erinnern, die ich hinter mir habe und andere noch erleiden müssen.« »Zu den anderen brauchst du mich nicht zu rechnen, wenn das etwa deine Absicht ist.« »Mich auch nicht«, bemerkte Hannemann. »Wenn ich einmal heirate, so wird es sich nur um eine Krankenschwester handeln, die sich auf die Pflege alter Männer versteht.« Bartels schaute munter von einem zum anderen. »Ich werde mich«, sagte er, »dieser Aussprüche zweier vierzigjähriger, körperlich und geistig noch nicht ganz verfallener Männer stets gern erinnern.« »Tu's und lerne daraus«, ermahnte ihn Spreckelsen. Es klopfte scharf und kurz an der Tür. Alle drei fuhren erschrocken auf. Bartels hustete sich die Kehle frei. Trotzdem klang sein »Herein!« gepreßt. Eine Frau trat ein. Sie hatte ein rotes Gesicht mit stark vorspringender Nase und einem so jäh zurückweichenden Kinn, daß man zunächst vermuten konnte, sie habe gar keinen -6-
Unterkiefer. Das graue Haar - sie mochte eine Fünfzigerin sein stand strähnig um das anmutsarme Antlitz herum. Die Blicke ihrer schwarzen, sehr beweglichen Augen huschten mit feindseligem Ausdruck zwischen den drei Männern hin und her. »Wünschen Sie noch heißes Wasser oder so was?« fragte sie mit einer Stimme, die wie das Knarren einer schlecht geschmierten Tür klang. »Ich will nämlich ins Bett.« »Möge Ihr Schlummer sanft sein«, bemerkte Hannemann gütig. »Mein Schlummer geht Sie gar nichts an!« lehnte sie diese Anteilnahme ab. »Da haben Sie recht. Es war auch nur eine Redensart von mir, um ein freundliches Lächeln auf Ihr Gesicht zu zaubern.« »Mit solchen Zauberkünsten brauchen Sie mir nicht zu kommen. Ich lasse mich nicht bezaubern. Weder von Ihnen noch von...« Ihr Blick strich anzüglich zu dem kleinen Bartels hin, der unter dieser vielsagenden Betrachtung ganz steif wurde und aufgeregt mit den Augenlidern klapperte -»... noch von sonst irgend jemand.« »Liebe Frau Rosselenker«, begann jetzt Spreckelsen. »Ich heiße nicht Rosselenker«, fauchte sie. Er sah hilfesuchend Bartels an. »Wagenlenker«, flüsterte er. »Also, Frau Wagenlenker«, fuhr Spreckelsen fort, »mein Freund Bartels - da Sie nun gerade einmal hier sind, kann es Ihnen ja schon jetzt gesagt werden - mein Freund Bartels nämlich möchte Ihnen eine Eröffnung...« Er brach ab, verzog in jähem Schmerz das Gesicht und sah Bartels vorwurfsvoll an. »Du könntest deine Füße gern vorsichtiger bewegen«, grollte er. »Kamel!« zischte der Kleine, aber Spreckelsen zuckte nur mit den Schultern. Er begriff nicht, warum der ahnungsvolle Bartels -7-
ihn trat und beschimpfte. Dieser lange Apotheker war ein ganz gescheiter Kerl, doch wenn er einmal einen Weg eingeschlagen hatte, so war es schwer, ihn zurückzuhalten. Und diesmal tappte er mit seiner kindlichen Derbheit mitten in sehr empfindliche Zustände hinein. »Frau Wagenwäscher«, hob er wieder an. »Wagenlenker, wenn ich bitten darf!« wurde er scharf belehrt. Mit leicht wütender Gebärde wehrte er die Unterbrechung ab. »Mein Freund will sein Zimmer kündigen.« Tiefe Stille trat ein. Soweit sie es vermochte, erblich die Frau. Ihr Blick suchte scharf und stechend den verwirrt ausweichenden des kleinen Bartels zu packen. Selbst der gepflegte und sonst allen gesellschaftlichen Situatione n gewachsene Hannemann war erschüttert von dem Drama, das sich hier abspielte und vielleicht seine mehr oder minder leidbeschwerte Mitwirkung erheischte. »Was will er?« flüsterte die Frau. »Kündigen«, sagte Spreckelsen ruhig und von der allgemeinen Erregung nicht im geringsten berührt. »Zum ersten April nämlich, dieweil wir heute schon den sechsundzwanzigsten Februar haben.« »Warum kündigt er denn nicht selbst?« schrie Frau Wagenlenker plötzlich auf. »Ich nehme von Ihnen keine Kündigung an. Er soll selbst den Mund aufmachen.« »Also mach ihn schon auf«, drängte Spreckelsen. »Aber...«, stammelte der Kleine augenzwinkernd und mit Schweiß auf der Stirn, »es ist ja noch gar nicht...« »Sprung auf! Marsch! Marsch!« fuhr ihn da Spreckelsen an. »Das Trommelfeuer ist vorbei, die feindliche Stellung erschüttert. Jetzt los zum Angriff, du oller Einunddreißiger! Denk an den Weltkrieg!« Da riß Bartels sich zusammen und versuchte, der Frau fest in die Augen zu blicken. -8-
»Ja«, sagte er, ohne ein Beben der Stimme ganz unterdrücken zu können, »es ist tatsächlich so. Ich ziehe am ersten April aus.« »Ah! So einer sind Sie!« Die Stimme der Frau überschlug sich. »Pfui!« Nun wurde auch der Kleine rabiat. »Was wollen Sie damit sagen?« bäumte er sich auf. »Hach!« keuchte sie, »ich weiß, warum Sie kündigen. Jawohl, mein Herr, ich weiß es. Und Sie beide sollen es auch wissen, damit Sie sehen, was für ein Mensch Ihr Freund ist. Und er wird dann nicht mehr Ihr Freund sein, wenn Sie nur noch eine Spur von Ehrgefühl im Leib haben. Dieser Elende nämlich - nachts muß ich immer mein Schlafzimmer verschließen - verstehen Sie mich? Ich kann nicht noch deutlicher werden.« Bartels starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an und vermochte einstweilen nichts zu erwidern. Hannemann betrachtete ihn teilnahmsvoll. »Bartels«, tadelte er sanft, »dir graut vor nichts.« »Wenn ich Sie recht verstehe, Frau Pferdebahn«, sagte Spreckelsen mit abgrundtiefem Ernst. »Wagenlenker«, berichtigte ihn die Frau mit einem Anflug forschenden Argwohns. »... ist es immerhin zu keinen Ausschreitungen gekommen.« »Weil ich meine Tür zugeschlossen habe.« »Weil Sie Ihre Tür zugeschlossen haben.« Plötzlich kam Bartels in Bewegung. Es geschah so jäh und für alle so überraschend, daß keiner imstande war, das nun folgende Ereignis zu ve rhüten. Er griff nach seiner gefüllten Teetasse und schwappte deren Inhalt der Frau mitten ins Gesicht. Das geschah so sicher und ohne jeden Aufwand von Äußerungen und überflüssigen Bewegungen, daß außer Frau Wagenlenker kaum jemand etwas Ungewöhnliches daran gefunden hätte, wenn nicht auf einmal die Frau so feucht im Gesicht gewesen und -9-
schwere Tropfen ihr an Nasenspitze und Ohrläppchen gehangen hätten. Bartels mochte in vielen Dingen ungeschickt sein, aber als Teeschleuderer fand er nicht seinesgleichen. Die Frau hatte zweifellos die Absicht, die tätliche Beleidigung zu erwidern, doch als sie durch den feuchten Schleier ihren Gegner ins Auge faßte, sah sie in dessen Mienen einen solchen Ausdruck urwüchsigsten, von aller Kultur gelösten Hasses, daß sie heftig erschrak und aus dem Zimmer stürzte. Und wenn sie in dieser Nacht ihre Tür verschloß, so geschah es nicht um ihrer Tugend, sondern um ihres Lebens willen. * Spreckelsen und Hannemann saßen eingeschüchtert da und betrachteten den Kleinen mit jener Verwunderung, die wohl ein Kaninchenzüchter empfindet, wenn eins seiner Kaninchen ihm die Bulldogge totbeißt. »Du bist ja ein kleines Ungeheuer!« sagte Spreckelsen schließlich. »Nicht genug«, rügte Hannemann in seiner gemessenen Art, »daß er diese Frau ihres heiligsten Besitztums hat berauben wollen...« »... versucht er auch noch, sie zu ertränken«, ergänzte Spreckelsen. »In kaltem Tee«, fügte Hannemann hinzu. »Ich wollte, er wäre kochend heiß gewesen«, erklärte Bartels hemmungslos. »Deine Urwaldinstinkte offenbaren sich so eindeutig«, sagte Spreckelsen, »daß ich befürchte, die ganze, jahrtausendelang an dir vollzogene Entwicklung zum Kulturmenschen ist plötzlich in die Brüche gegangen. Hätte ich solche Möglichkeiten in dir -10-
geahnt - um nichts in der Welt hätte ich einen Schritt unternommen, um meine Idee in die Tat umzusetzen.« Da lachte Bartels hell auf. »Ich jedenfalls bin froh über diesen Schritt«, rief er. »Mag deine Idee noch so blödsinnig sein, aber daß sie dich veranlaßt hat, diesem - dieser...« »Bitte ohne den Schmuck deiner Adjektiva!« wehrte sich Hannemann. »... dieser Heulboje in meinem Namen das Zimmer zu kündigen, gibt mir immerhin den Mut, dich zu bitten, uns etwas über diese Idee zu verraten.« »Vorhin hast du mir wegen meiner Kündigungsabsicht das Schienbein zersplittert.« »Ich bin zu jeder Buße bereit.« »Zunächst: was wirst du am ersten April tun?« »Ausziehen natürlich.« »Wohin?« »Das kann ich doch jetzt noch nicht wissen!« »Aber doch jedenfalls willst du dich abermals der Möglichkeit ausliefern, von einem weiblichen Teufel drangsaliert zu werden.« »Es gibt auch sehr nette Zimmerwirtinnen.« »Wenn es welche gibt, so bist du nicht der Mann dazu, sie zu finden.« »Aber ich muß sie finden!« rief der Kleine verzweifelt. »Und ich will deine Idee lobpreisen, wenn sie darin besteht, mir ein Heim zu bieten, in dem ich mich endlich wohl fühlen kann.« »Sie besteht darin«, nickte Spreckelsen. Jäh wurde Bartels mißtrauisch. »Willst du mich etwa mit einer deiner verlassenen Geliebten verkuppeln?« »Wegen dieses gemeine n Verdachtes hättest du eigentlich verdient, daß man dich für die ganze Nacht zu deiner Wirtin -11-
einsperrt.« »... morgen in das kühle Grab«, sang Bartels gemessen. »Du entfernst dich sehr weit von deiner sogenannten Idee«, setzte er hinzu. »Mit Vorbedacht, mein Lieber. Denn ich fürchte jetzt, du wirst mir viel Kummer machen, wenn ich sie verwirkliche. Und ehe ich sie euch bekanntgebe, muß ich dich bitten - ich weiß, es ist taktlos und indiskret - aber ich muß dich bitten, uns zu berichten, wie es kam, daß zwei Frauen es nicht bei dir aushalten konnten.« Bartels schoß hoch. »Das soll ich euch sagen?« rief er empört. »Diese intimsten Dinge meiner peinlichsten Erinnerungen...« »Sie haben dir also die Treue gebrochen?« Der Kleine wurde verlegen. »Nein, das haben sie nicht. Sie wollten...«, er sah scheu und verwirrt von einem zum andern, »ja - sie wollten nichts mehr von mir wissen.« »Warum nicht? Warst du brutal, mondsüchtig, sadistisch?« Bartels geriet in Zorn. Sein kleiner schwarzer Schnurrbart sträubte sich, und seine Augen glühten hinter den großen Brillengläsern. »Wenn ihr es durchaus wissen wollt«, stieß er mit einem Sprühregen heraus, der Hannemann furchtsam und feucht zurückweichen ließ, »sie haben mich euretwegen verlassen. Ja euretwegen! Alle beide euretwegen!« »Nanu!« staunte Spreckelsen und blickte Hannemann an. »Ich habe sie ja nie zu sehen gekriegt!« »Ich auch nicht«, erklärte Hannemann. »Das war nur gut. Sonst hätte ich womöglich noch die beiden Scheidungsprozesse verloren. Denn man hätte verlangt, daß ihr euch dem Gericht zeigtet, und kein Richter wird eine Frau als schuldig scheiden, deren Mann mit solchen Leuten verkehrt.« »Wie dem auch sei«, sagte Hannemann geduldig, »wir -12-
jedenfalls - behauptest du...« »Ja - eure Sucht, sämtliche Kneipen Hamburgs kennenzulernen und mich auf euren Streifzügen mitzuschleppen - die ist an allem Schuld. Die beiden armen Dinger waren zuviel allein. Und da sind sie ausgekratzt. Und ich mußte wegen böswilligen Verlassens klagen, denn sie wollten durchaus nicht wieder zu mir zurück. Gleichwohl hängen sie immer noch ein bißchen an mir und schreiben mir zum Geburtstag und so.« »Alle beide?« »Alle beide.« »Aber besuchen tun sie dich nicht?« forschte Spreckelsen. »Nein, leider nicht.« »Eigentlich bedauerst du wohl dein eheloses Schicksal?« Bartels strich sich nachdenklich über den Schnurrbart. »Hm«, meinte er, »kaum. Im Grunde eigne ich mich nicht zum Ehemann. Ich habe zuviel Temperament.« »Das habe ich noch nie gehört«, sagte Hannemann. Spreckelsen streifte ihn mit schiefem Blick. »Temperament?« fragte er. »Ist das ein Fremdwort für Lasterhaftigkeit?« »Bin ich lasterhaft?« wendete Bartels sich hilfesuchend an Hannemann. Der fuhr sich mit langsamer Handbewegung über den einwandfreien Scheitel. »Du bist ein so seltsamer Mensch, wenn man erklärt, du seist nicht lasterhaft, so wirst du es aus Opposition.« »Das allein ist schon lasterhaft«, trat Spreckelsen ihm bei. »Darum eben müssen wir dich mehr in unsere Obhut nehmen. Und nun endlich komme ich zu meiner Idee.« »Was denn?« fuhr Bartels verstört auf. »Hat sie etwas mit Obhut und so zu tun?« »Das hat sie. Aber du brauchst dich nicht zu ängstigen. Wir -13-
wollen uns gegenseitig behüten.« »Das hört sich sehr nach Vereinsgründung an«, äußerte Hannemann besorgt. »Nichts dergleichen, liebe Kinder«, erklärte Spreckelsen beruhigend. »Meine Idee ist mit einem einzigen Wort ausgeschöpft. Und das lautet: Gemeinschaftswohnung.« »Gemeinschaftswohnung«, wiederholte Bartels mit leerer Stimme. »Was soll ich mir darunter vorstellen?« »Bist du wirklich so verstört, daß du den friedlichen Inhalt dieses Wortes nicht begreifst?« »Erwartest du etwa, ich würde mein junges Leben in eine mit dir zu teilende Häuslichkeit hineinwerfen? »Doch«, sagte Spreckelsen. »Wir drei werden eine gemeinsame Wohnung nehmen.« »Wir drei?« staunte Hannemann. »Ich bin also mit gemeint?« »Selbstverständlich bist du mit gemeint! Glaubst du, ich will es noch länger mit ansehen, wie du dich von Mutter und Schwester päppeln läßt, wie du immer mehr das Aussehen eines Marzipanschweinchens annimmst? Wenn du einmal ganz unbefangen in den Spiegel guckst, wirst du entdecken, daß zu deinem Gesicht eine Flasche mit Nestles Kindermehlbrei gehört, und es will mir trotz deiner Studienratswürde keineswegs einleuchten, daß du imstande seist, Sextanern Respekt einzuflößen.« »Ich flöße sogar Primanern Respekt ein.« »Bei denen kann es nur die uralte Scheu des Jünglings vor dem Säugling sein. Sag einmal ehrlich: fühlst du dich wohl in deiner von Mutter und Schwester geschaffenen Geborgenheit, fühlst du dich wohl als Mann, als Kämpfer, als Erlebnishungriger?« Hannemann zog den Kopf zwischen die Schultern. Diese Bewegung gab ihm etwas Unsicheres, das nicht recht zu seiner -14-
sonst so gemessenen und gepflegten Art paßte. »Wie hast du dir denn die Sache mit der Gemeinschaftswohnung gedacht?« erkundigte er sich vorsichtig. »Sollen wir etwa«, platzte Bartels los, »zu dir auf deinen Barmbeker Erbhof ziehen, in diese Bruchbude zwischen Mietskasernen, sollen wir an warmen Sommerabenden lustwandeln in deinem zehn Meter breiten und zehn Meter langen Hof, in dem es nach Kellermoder und verwesten Katzen riecht? Sollen wir im Winter uns belustigen mit eingefrorenen Wasserleitungen und kleinen Schneewehen, die der Wind durch morsche Mauern in die Zimmer treibt?« Spreckelsen schüttelte gelassen den Kopf. »Nichts von all dem sollt ihr«, sagte er. »Denn ich habe das Haus verkauft.« Die beiden starrten ihn an. »Verkauft?« stammelte Bartels. »Diesen herrlichen Palast mit seinem gepflegten, von zahlreichen Obstbäumen beschatteten Park hast du verkauft? Das Erbe deiner Väter...« »Quatsch! Mein Vater hat die olle Kiste in der Inflationszeit erworben.« »Also das Inflationserbe deines Vaters, die Stammburg deiner zahllosen Nachkommen, die Retorte deines Apothekergeistes, in der du Schnäpse von unbeschreiblichem Liebreiz...» »Ja - zum Donnerwetter! - ich hab' sie verkauft!« brüllte Spreckelsen. »Warum, Liebster, warum tatest du dir und uns das an?« »Es regnet mir ins Schlafzimmer. Das ganze Dach muß erneuert werden, der Birnbaum in meinem Miniaturgarten geht ein, und der Küchenherd fällt auseinander. Da habe ich verkauft.« »Und wer kauft so was?« »Ein Großblock soll da gebaut werden. Wenn ich später dort vorbeikomme, kann ich mir sagen: Wo dieser Damenfriseur -15-
seine Furchen zieht, hast auch du einst nachts gehustet.« »Das ist ein erhebendes Gefühl. Und die Großbauer wachsen bei euch wild?« »Nein, erst kam ein Makler und unterrichtete mich über die trübsinnig geringen Aussichten, mein Grundstück etwa in das Projekt mit einzubeziehen, fragte nach meinem Preis und verabschiedete sich mit Gebärden der Verzweiflung.« »Und dann? Sprich doch nicht so langsam.« »Kam der Unternehmer, und ich machte ein Fest daraus, aber ich konnte auf den Mann gar keinen Eindruck machen. Meine Schnäpse trank er weg wie Säuglingsmilch, ich hätte sie ebensogut in den Ausguß kippen können. Er fing zwar plötzlich an, Witze zu erzählen, aber vielleicht hätte der Mann das auch so getan.« »Ich denke, er wollte dein Grundstück kaufen?« »Sammle Weltkenntnis, Kleiner! Nach dem sechsten Witz sagte ich ihm, er möchte diese wieder mitnehmen, denn sie seien meinen Freunden leider schon bekannt, und ob er keine neueren hätte.« »Das sagtest du? Woher weißt du?« »Ich weiß es, und ich sagte auch leider. Der Mann aber erhob sich: Neuere hätte er nicht, er wäre eine alte Firma und hätte das Geschäft schon vom Großvater übernommen. - Nun war ja aber der Makler noch da. Makler sind etwas Wunderbares, glänzende Krieger zwischen den Fronten. Sie berennen den einen und den anderen, erschüttern die Stellung, man merkt nichts von Toten und Verwundeten, und zum Schluß werden die Fahnen gehißt und der Friede unterschrieben; alle haben gesiegt: der Makler mit. Meiner hatte außerdem noch eine niedliche Frau, zwei Kinder, einen Hund, ein Wochenendhaus, ein Auto und eine gelinde Veranlagung zur Verstopfung.« »So was!« staunte Bartels, »und von alledem hast du uns -16-
nichts erzählt?« »Du armes Hascherl! Ich erlebe noch ganz andere Sachen, von denen du nichts erfährst.« »Du bist ja ein Abenteurer!« rief der Kleine. »Ein Abenteurer auf dem Pflaster der Großstadt. An deiner Seite zu leben, Teuerster, verspricht eine Zukunft voll ungeahnter Erlebnisse. Und ich hungere nach Erlebnissen, nach Kämpfen mit blutigem Ausgang, nach den Wirrnissen dunkler Intrigen.« »Bei dir rappelt's schon wieder«, knurrte Spreckelsen. »Ich bin dein Mann!« fuhr Bartels mit unentwegter Begeisterung fort. »Ich trete ein in die Wohngemeinschaft. Hier hast du mich mit Haut und Haar.« »Du bildest dir doch wohl nicht ein, daß ich mit dir allein eine Wohnung teilen möchte? Wenn Hannemann nicht mitmacht, fällt die ganze Geschichte ins Wasser.« »Hannemann macht mit«, behauptete Bartels dreist. »Bisher hat er noch nichts gesagt.« »Wann sagt Hannemann mal was! Der ist so maulfaul, daß die Knaben seiner Schulklasse gähnen, wenn man sie fragt, wie ihr Ordinarius heißt.« »Ich finde, Hannemann ist ein angenehmer Ausgleich gegenüber Leuten, denen vom vielen Reden die Zähne locker werden«, bemerkte Spreckelsen anzüglich. »Und deshalb brauche ich ihn unbedingt für eine Wohngemeinschaft, der du angehörst.« »Meine Lebensfülle...«, begann der Kleine. »Stopp den Ball!« unterbrach Spreckelsen die drohende Selbstverherrlichung. »Und du, mein lieber Hannemann«, fuhr er fort, »könntest jetzt endlich mal wieder deine Stimmbänder ausprobieren. Äußere dich: willst du mit uns zusammenziehen, in eine große Wohnung mit allen Schikanen?« Hannemann bewegte unbehaglich den Kopf. -17-
»Das muß doch gründlich überlegt werden«, versuchte er um einen Entschluß herumzukommen. »Wenn du meinst, daß wir dir Zeit lassen, Mutter und Schwester zu fragen, so irrst du dich. Du mußt dich jetzt entscheiden. Tust du es nicht, so wird es nicht lange dauern, bis Bartels zum drittenmal heiratet.« »Ich?« fuhr der Kleine auf. »Du. Ich kenne dich. Wäre diese Frau Wagenpferd nicht so ein Scheusal, so hättest du schon jetzt - was war das? Da hat's nebenan gebumst.« Die drei Augenpaare richteten sich auf den breiten Vorhang, der eine Doppeltür verbarg. »Sie hat gelauscht«, flüsterte Bartels. »Nun«, sagte Spreckelsen herzlos, »dann hat sie manches gehört, was sie nicht freute. Uns kann es recht sein.« Sie meinten alle drei, daß es ihnen recht sein könne, und ahnten nicht, welche Daseinsveränderungen ihnen dadurch entstehen sollten, daß diese Frau gehorcht und ihren Zorn zum Racheplan gesteigert hatte. Denn noch in derselben Nacht schrieb Frau Wagenlenker zwei Briefe, Briefe völlig gleichen Inhalts, die sogar in der Anrede übereinstimmten und so lauteten: Werte Frau Bartels! Entschuldigen Sie vielmals, daß ich diesen Brief an Sie schreibe. Vielleicht ist mein Name Ihnen nicht unbekannt, ich bin nämlich die Frau, bei der Ihr geschiedener Gatte sein Zimmer hat. Und Herr Bartels kriegt immer noch Briefe von Ihnen, so nette Briefe, denn er läßt ja immer alles herumliegen. Mit der Ordnung hat er es nicht. Und weshalb ich schreibe: weil er nämlich sein Zimmer gekündigt hat zum 1. April. Und warum? Weil zwei liederliche Kumpane ihm vorlügen, daß sie seine Freunde sind und ihn -18-
ganz in ihre Gewalt kriegen wollen. Jawohl: wie ich es sage, wenn er sich auch gesträubt hat und gesagt, die beiden allein hätten schuld, daß seine Ehe kaputtgegangen ist, und daß er da gar nicht drüber hinwegkommen kann. Ich habe es durch einen Zufall hinter der Tür gehört, so wahr mir Gott helfe, und seine Stimme hat ordentlich gezittert. Aber nun will er mit denen zusammen eine Wohnung mieten, eine ganze Wohnung, verstehen Sie. Man muß sich mal vorstellen, wie das da wird. Man schämt sich ja, sich das auszumalen. Werte Frau Bartels, eine Zimmerwirtin ist eine schwere Nahrung, wo keiner an denkt, wenn Undank ihr Lohn ist, ob mit oder ohne Morgenkaffee, da ist sich die Welt drin gleich. Ich habe fünfzehn Jahre lang immer drei Herren gehabt, da kann ich von Moral wohl ein Wort mitreden und weiß sie auch zu verhindern. Und nun denke ich, es muß sich wer darum kümmern, damit der gute, liebe Herr Bartels, der ja leider zu schwach ist, damit er, meine ich, nicht ganz unter die Räder kommt. Und weil, daß Sie immer noch mit Freundlichkeit an ihn denken und sich Sorgen um ihn machen, so schreibe ich an Sie und nehme ich an, daß Sie wohl einmal in dieser neuen Wohnung sich umsehen werden und gebührend Kenntnis nehmen und Herrn Bartels aus dem Dreck herausbringen, wo er in verkommt, denn so stehen Sie ja noch mit ihm, daß Sie dazu gern nach Kräften helfen. Verzeihen Sie vielmals den Brief, ich tue es bloß wegen meines Gewissens, wo ich die Moral aus vollem Herzen mit bekämpfen muß und habe es schon immer getan. Es grüßt Sie unbekannterweise Ihre Mathilde Wagenlenker Auch Hannemann wurde in dieser Nacht für die Wohngemeinschaft gewonnen. Nachdem Bartels sich in seinem Erlebnisdrang und in der Erwartung haarsträubender Abenteuer so schnell auf die Seite des langen Spreckelsen geschlagen hatte, -19-
war Hannemanns Abwehrstellung nicht mehr viel wert. Er hatte es mit Gegnern zu tun, die aufs Ganze gingen und sich nicht mit den von ihm so sehr geschätzten halben Versprechungen begnügten. Im Grunde hatte er auch schon mehrfach den Wunsch gehabt, sich der Obhut von Mutter und Schwester zu entziehen, da sie immer mehr die Form einer heimlichen, aber seinem Feinempfinden doch deutlich genug fühlbaren Bevormundung annahm. Er wußte sehr wohl, daß diese beiden Verwandten hofften, ihn durch ihre wirklich mustergültige Betreuung vor dem Heiraten zu bewahren. Als Witwen gutgestellter Beamten bezogen sie Pension, und sie brauchten auch ohne seinen Haushaltszuschuß nicht zu darben. Aber sie liebten es, standesgemäß aufzutreten, und waren in dieser Hinsicht nicht ohne Dünkel, der besonders von der Schwester sehr gepflegt wurde. Sie hatte in einer mitteldeutschen kleinen Stadt bis zum Tode ihres Gatten eine Rolle gespielt, die ihr nicht nur in Kaffeekränzchen, sondern auch bei größeren gesellschaftlichen Vorkommnissen Beachtung gesichert hatte. In Hamburg suchte sie diese Bedeutung durch Luxus in Kleidern und durch die Teilnahme an kostspieligen Veranstaltungen zu gewinnen, und sie war darauf bedacht, die an sich würdige Erscheinung ihrer Mutter in gleicher Weise zur Geltung zu bringen und dadurch sich selbst noch mit weiterem Glanz zu versehen. Diesen Neigungen war das Zusammenwohnen mit dem gutgestellten, äußerlich sehr repräsentativen älteren Bruder, dessen Gutherzigkeit sich in weitestem Maße ausnutzen ließ, höchst förderlich. Die beiden Frauen hüteten sich daher, ihm die Freiheit derart einzuengen, daß er dadurch zum Widerstand hätte gereizt werden können. Niemals hörte er Vorwürfe, wenn er sich eine Nacht um die Ohren schlug oder aus verschwiegenen Gründen mehrtägige Ausflüge nach einsamen Ortschaften in der Heide oder an der Ostseeküste unternahm. Sie wußten genau, wann Gefahr im Verzug war und daß solche Begebenheiten mit -20-
dem, was sie Gefahr nannten, nichts zu tun hatten. Und wenn es ihnen bei anderen Gelegenheiten gelungen war, durch Intrigen, von denen er nie etwas erfahren hatte, etwas wirklich Bedrohliches noch rechtzeitig abzuwenden, so hatten sie ihm damit vielleicht gar nicht einmal so sehr geschadet, da der rasche Erfolg ihrer nicht ganz einwandfreien Bemühungen darauf schließen ließ, daß keine bedeutsamen Beziehungen zerstört worden waren. Während jedoch Mutter und Schwester vermuteten, ihn nun, da er die Vierzig überschritten hatte, glücklich in einen Lebensabschnitt geleitet zu haben, der ihnen gestattete, in ihrer Aufmerksamkeit ein wenig nachzulassen, bereitete sich in ihm selbst ein Zustand des Unbefriedigtseins vor, dessen Gründe ihm zwar verschleiert waren, der aber bei seiner Stellungnahme zu Spreckelsens Vorschlag erheblich auf ihn einwirkte. Nun war es allerdings wichtig, daß gerade der lange Spreckelsen und der kleine Bartels seiner bisherigen Daseinsführung zu Leibe gingen. Denn sie alle drei waren einander durch eine Freundschaft bester Art verbunden. Diese Freundschaft entsprang einem dreijährigen Beisammensein in einem sibirischen Gefangenenlager und einer gemeinsamen Flucht unter den schwierigsten Umständen, deren sie nur durch ihr eisernes Zusammenhalten hatten Herr werden können. Zuerst hatte sie die Tatsache, daß sie alle drei Hamburger waren, vereinigt. Und dann hatten sie eben alles gemeinsam erlebt, viel Schweres, doch auch manches Erfreuliche. Jedes einzelnen Eigenart hatte jedes Geschehnis für die beiden anderen in irgendeiner Form gemildert oder bereichert, in ihnen den Frohsinn, den Lebensmut wachgehalten. Es verstand sich für Hannemann von selbst, daß er von den Freunden nicht deswegen zur Teilnahme an der Wohngemeinschaft gedrängt wurde, damit sie von seiner finanziellen Mitwirkung Vorteil hätten. Sie wollten, daß er dabei war, weil er eben Hannemann war, weil sie mit keinem anderen -21-
als ihm eine gemeinsame Wohnung hätten beziehen mögen. Und er ahnte ferner, daß sie mit seinen häuslichen Verhältnissen besser vertraut waren als er selbst, daß sie schon längst erkannt, was ihn erst in letzter Zeit in den feinsten Aus läufen seiner Empfindsamkeit berührt hatte. Sie waren zartfühlend genug, auch jetzt noch mit keinem Wort ein irgendwo vorhandenes Verschulden zu berühren. Doch eben weil er diese bei aller Unverblümtheit ihnen eigene Zurückhaltung kannte, begriff er, daß es an der Zeit war, sich in häuslicher Beziehung auf sich selbst zu besinnen. Er war von Natur aus ein Zögerer und erwog erst weitgehend die möglichen Widerstände, ehe er einen Entschluß faßte. Doch wenn er eine Zugabe gab, so hielt er daran fest. Und als er jetzt, spät in der Nacht, sich dem Drängen der beiden fügte, kannten sie ihren Sieg, und es konnte nicht beim Genuß von kaltem Tee bleiben. Auch die trübselige Räumlichkeit dieses typischen Untermieterzimmers entsprach nicht der Würde des Augenblicks. Und so verließen die drei Männer Frau Wagenlenkers Wohnung, um sich dorthin zu begeben, wo aus blanken Hähnen bräunlicher Saft zischt und weichgewellter Schaum über gebuckelten Krügen steht. Viel gab es zu beraten in dieser Nacht. Über allem stand die Einsicht, daß es ihres geschlossenen Zusammenhaltens bedurfte, um nun endlich einmal weiblichen Zudringlichkeiten einen geballten, einschüchternden Widerstand entgegensetzen zu können. Das war der Leitgedanke aller ihrer Erörterungen, von jedem durch das Vorbringen eigener Erfahrungen unterstrichen. Daneben aber zeigte sich ihr Vorhaben in einer Erhabenheit, die bedingte, daß man es von allen Seiten betrachtete und in immer neuen Einzelheiten überraschte. Just an diesen Einzelheiten erregten sie sich über die Maßen. Da wurde zunächst die Möbelfrage aufgeworfen. Der zweimal geschiedene Bartels war möbellos. Sein dinglicher Besitz bestand nur aus zwei Reisekoffern und dem, was sie zu fassen -22-
vermochten. Etwas günstiger lagen die Verhältnisse bei Hannemann. Zwar widerstrebte es ihm, seinen Angehörigen allzuviel wegzunehmen, da er sich ohnehin schon zu einem Schritt entschlossen hatte, der in zwei Frauenherzen Bitterkeit erzeugen würde. Doch hatte er immerhin fünf Koffer und einen entsprechenden Inhalt sowie die Möbel eines Herrenzimmers mit einem beträchtlichen Bestand an Büchern aufzuweisen. Nur Spreckelsen konnte mit einer vollständigen Einrichtung auf den Plan treten. »Einen Teil werde ich verkaufen«, erklärte er. »Eines läßt sich aufarbeiten. Ein Klavier, das ich mitbringe, wird wahrscheinlich annehmbare Laute von sich geben, wenn es nach zehnjähriger Ruhepause wieder einmal gestimmt wird und Bartels nicht versucht, es zu quälen.« »Bitte sehr!« entrüstete sich der Kleine. »Man hat mir gesagt, ich hätte einen sehr zarten Anschlag.« »Das hat wohl dein Schießunteroffizier gesagt, als dir die Knarre immer wieder aus der Schulter rutschte. Übrigens kann ich auch noch jedem von euch ein Bett leihweise überlassen, wenn ihr mir versprecht, nicht mit Stiefeln schlafen zu gehen. Es sind nämlich Mahagonibetten, poliert und sehr gut erhalten. Eins ist ziemlich klein. Ich habe als Junge darin geschlafen. Aber dir, Bartels, wird es gerade passen.« »Danke«, sagte Bartels, »ich verzichte auf dein Kinderbett. Ich besitze eine Hängematte.« »Das finde ich reizend. Vielleicht magst du auch im Wäschekorb schlafen, aber du kannst dir das Bettchen ja erst einmal ansehen. Außer den Betten habe ich nicht viel, was euch nützlich sein kann, doch: eine Kücheneinrichtung ist auch da.« »Was sollen wir denn mit einer Kücheneinrichtung?« fragte Hannemann. »Wir sind doch keine Weiber.« »Und wollen auch keine in der Wohnung sehen«, betonte -23-
Bartels. »Auch nicht vorübergehend.« »Wir werden morgens Kaffee kochen müssen. Einer von uns wird immer Wochendienst haben. Das geht reihum. Wie in Sibirien.« »Soll dieser Wochendienstmann etwa auch die Wohnung reinhalten?« fragte Bartels mißvergnügt. »Dafür werden wir eine Reinmachefrau haben. Die liefere ich. Jede Woche wird sie einmal kommen und alles säubern, was zu säubern ist.« »Jede Woche einmal?« staunte Bartels. »Die Frau wird sich zu Tode langweilen. Wo soll denn im Verlauf einer Woche so viel Schmutz herkommen, daß eine Reinmachefrau erkennen kann, wo etwas zu säubern ist? Ich finde, daß es genügen würde, wenn sie monatlich einmal käme.« »Ihr werdet erfahren, was die Reinmachefrau dazu sagt. Weiter habe ich übrigens noch eine Butterfrau. Die liefert jede Woche Butter und Eier.« »Ist sie hübsch?« erkundigte sich Bartels. »Du kannst sie dir ja ansehen. Jedenfalls ist sie als Lieferantin von Butter und Eiern erstklassig.« »Dann wäre ja nun alles klar«, meinte Hannemann, »und die Sache kann losgehen.« Spreckelsen sah ihn verdutzt an. »Klar? Ihr werdet doch nun Möbel kaufen müssen.« »Ich höre immer: kaufen«, sagte Ba rtels. »Willst du sie etwa stehlen?« »Ich meinte, man könnte welche mieten.« »Ich kenne niemanden, der Möbel vermietet. Ihr werdet eure Sparbüchsen öffnen müssen.« »Wer sagt dir, daß ich Erspartes habe?« fragte Bartels. »Hast du nichts?« -24-
»Doch - gewiß!« versicherte da der Kleine hastig. »Und Hannemann ist sogar vermögend.« Wie alle vermögenden Männer scheute Hannemann sich, diese Behauptung ohne weiteres zu bestätigen. Er schwieg. Es gab nun eine Pause in der nächtlichen Unterhaltung. Bartels und Hannemann hatten auf einmal sorgenvolle Gesichter und tranken gegen ihre Gewohnheit das Bier in kleinen Schlucken. Spreckelsen war von Besorgtheit nichts anzumerken, doch er war klug genug und ließ den beiden Zeit, die geldlichen Folgen ihres Entschlusses zu erkenne n. »Es gibt Auktionen«, bemerkte schließlich Bartels verträumt. »Willst du etwa deine Möbel auf Auktionen einsammeln?« empörte sich Hannemann. »Und uns Bazillen aus anderen Hausständen in die Wohnung schleppen!« Bartels sah Spreckelsen hilfesuchend an. Spreckelsen begriff, daß es mit den Ersparnissen des Kleinen nicht gut bestellt war. »Wenn man sich einen Bücherschrank und einen Schreibtisch«, sagte er, »auf einer Auktion kauft, so ist das ungefährlich. Solche Sachen sind bazillenfrei.« Hannemann war nicht ganz überzeugt. Er war erst vor kurzem etwas überstürzt in jenes Stadium des Junggesellentums geraten, in dem man durch Knoblauchessen und Bazillenscheu sein Leben zu verlängern hofft. »Jetzt ist vor allem noch eine Kleinigkeit zu bedenken«, sagte Spreckelsen. Die beiden zuckten nervös zusammen. »Noch mehr?« stieß Bartels ängstlich heraus. »Nämlich die Wohnung«, grinste Spreckelsen. Die anderen lachten erleichtert auf. »Sechs Zimmer brauchen wir«, fuhr Spreckelsen fort. »Für -25-
jeden zwei.« »Natürlich«, stimmte Hannemann zu. Da schloß Bartels den bereits geöffneten Mund, denn er hatte für das Einzimmersystem eintreten wollen. »Und Zentralheizung nebst Warmwasser«, erläuterte Spreckelsen weiter. »Wozu Warmwasser?« fragte Bartels. »Damit du kleines Ferkel häufiger als bisher badest.« »Bitte sehr - wenn ich bedenke, daß Ludwig XIV. und sein Hof...« »Was du alles bedenkst...« »Reden wir von etwas anderem«, unterbrach Hannemann, und es war zu erkennen, daß ihm diese Unterhaltung langweilig war. »Es gibt Ärzte, die behaupten...«, wagte Bartels trotzdem noch zu bemerken. Aber jetzt fiel ihm Spreckelsen ins Wort: »Unsere nächste Aufgabe ist also, die Wohnung zu suchen. Wir werden in den Zeitungen stöbern, und am Sonnabendnachmittag ziehen wir los, um zu mieten.« * Bis zur Wohnung des Kleinen hatten sie alle drei denselben nächtlichen Heimweg. Nachdem dann Bartels sich verabschiedet hatte, um - nicht ohne leichtes Bangen - unter Frau Wagenlenkers Fittiche zu schlüpfen, blieben Spreckelsen und Hannemann noch ein Stück zusammen. Spreckelsen hatte noch einmal den Kopf gewandt und zum Zimmer des Kleinen hinaufgeblickt. »Sie wird doch nicht?« fragte Hannemann daraufhin besorgt. »Was denn?« »Ihn abmurksen? Sie sah aus, als sei sie dazu imstande.« -26-
Spreckelsen grinste. »Eine Weile wird sie sich's wohl überlegen«, sagte er. »Frauen morden nie, ohne vorher alles gründlich bedacht zu haben. Denn so gern sie mal jemanden kaltmachen, so wenig schätzen sie Gerichtsverhandlungen, in denen man sie erbarmungslos nach ihrem Alter fragt und ihnen zum Schluß noch das Todesurteil verkündet.« »Ich glaubte, du hättest Befürchtungen. Du sahst dem Kleinen so nachdenklich nach.« »Möglich. Ich weiß nämlich nicht, ob ich - verstehst du - ich habe ihm doch gesagt, er soll sich Möbel kaufen - und nun hat er vielleicht gar nichts auf der Sparkasse und kommt dann in Verlegenheit.« »Er hat bestimmt nichts«, erklärte Hannemann ruhig. »Ich weiß es.« »Das ahnte ich. Und ich überlege nun schon eine ganze Weile, ob er wohl einschnappt, wenn ich ihm ein Darlehen anbiete.« »Er schnappt nicht ein. Von mir hat er schon manchmal etwas genommen. Weißt du, er hat seinen beiden geschiedenen Frauen zu ihren Geburtstagen und zu Weihnachten immer noch ansehnliche Geschenke gemacht. Aber manchmal hatte er nicht das nötige Geld zur Hand. Und ich merkte einmal, daß er auf dem Weg zu so einem Darlehensgeber war, wo man mit allen möglichen Ausgaben belastet wird, bevor man einen Pfennig zu sehen kriegt. Da habe ich ihn mir vorgeknöpft und ihm gegeben, was er brauchte. Wenn du ihm also jetzt helfen willst - sonst tu' ich's.« »Dann bin ich also jetzt dran. Er kriegt es von mir.« »Er wird es dir pünktlich in Raten zurückzahlen. Aber du mußt genau anschreiben, was er zahlt.« »Warum denn das?« »Wenn du dich nämlich zu seinem Nachteil irrst und -27-
dementsprechend sagst, er habe noch soundsoviel zu zahlen, so zahlt er das, ohne mit der Wimper zu zucken. Das heißt: er zuckt ja ständig mit den Wimpern. Einerlei - er zahlt also, obwohl er genau weiß, daß du dich irrst. Er läßt sich in solchen Fällen auf keinen Streit ein. Er betrachtet dein Darlehen als eine so große Gefälligkeit. * Am Sonnabend trafen sie sich im Zentrum der Stadt, nämlich in einer Bierstube am Hauptbahnhof, die schon oft Ausgangspunkt ihrer gemeinsamen Unternehmungen gewesen war. Als Hannemann pünktlich erschien, mußte er feststellen, daß die beiden anderen um ein beträchtliches zu früh gekommen waren und die Wartezeit auf ihre Art gut verbracht hatten. Jeder saß vor dem dritten Halben, und Hannemann hatte Mühe, sie zu bewegen, daß sie es dabei bewenden ließen. »Ihr werdet noch unsere Wohngemeinschaft durch die Nieren jagen«, schalt er schließlich erzürnt. Da rappelten sie sich auf und trotteten gesenkten Hauptes mit ihm von dannen. Doch nun erörterten sie ihren Feldzugsplan draußen in einem Gestöber dicker, feuchter Schneeflocken, und Hannemann mußte jetzt seinerseits Zornausbrüche ertragen. Jeder von ihnen hatte seine Zeitung mitgebracht, in deren Anzeigenteil er Passendes angekreuzt hatte. An einer Straßenbahnhaltestelle standen sie beratend beisammen, und die Zeitungsblätter wurden sehr feucht. »Bei solchem Mistwetter eine Wohnung zu suchen, ist einfach Blödsinn!« schimpfte Bartels. »Hier habe ich etwas Wundervolles in Eimsbüttel Schäferkampsallee«, redete Spreckelsen schnell beruhigend daher und zeigte ein Inserat, dessen Tintenstiftkreuz eben anfing, die Anzeige mit blauer Farbe zu bedecken. -28-
»Kennst du sie schon?« fragte Hannemann. »Nein - aber...« »Woher weißt du denn, daß sie wundervoll ist?« »Es steht hier. Und die Schäferkampsallee ist wirklich eine sehr nette Straße - und ich - es ist nämlich ein Erdgeschoß mit Vor- und Hintergarten - sechs Zimmer...« »Also hin nach der Schäferkampsallee«, entschied Hannemann, dessen elegante Schuhe gegen Nässe nicht sonderlich schützten und dem ein Schnupfen als sehr unästhetisch höchst zuwider war. Mit der Straßenbahn fuhren sie hinaus. Am oberen Ende der Schäferkampsallee verließen sie den Wagen, und natürlich befand sich das gesuchte Haus unten. Sie betrachteten die leere Wohnung von draußen und blickten einander dann fragend an. »Wundervoll steht da«, knurrte Spreckelsen. »Ich habe nichts dagegen, daß es da steht«, bemerkte Bartels. »Aber ich staune, daß es Leute gibt, die Gedrucktes für wahr halten.« »Wir wollen sie gar nicht erst vo n drinnen sehen«, erklärte Hannemann. Die beiden stimmten ihm zu. »Jetzt bin ich dran mit meiner Wohnung in Hamm«, drängte Bartels sich auf. »Gut«, fügte sich Spreckelsen, stark gedemütigt. »Fahren wir nach Hamm.« Wieder stiegen sie in die Straßenbahn. Eine halbe Stunde später standen sie in einer stillen Straße vor einem Haus, das ihnen nicht gerade mißfiel und durch ein etwas zu großes Plakat verkündete, daß es am 1. April im ersten Stock eine leere Wohnung mit Zentralheizung zur Verfügung habe. »Da steht nichts von Warmwasser«, sagte Hannemann tadelnd. »Aber es gibt hier natürlich Warmwasser«, behauptete Bartels -29-
schnell. »Und wenn es keins gibt - nun - das ist ja auch kein so großer Mangel.« »Wir haben uns aber auf Warmwasser geeinigt«, erinnerte Hannemann. Bartels blickte zu Spreckelsen empor. »Haben wir?« »Wir haben«, nickte Spreckelsen. »Bestimmt ist Warmwasser da«, versicherte nun wieder der Kleine. »Wir können es uns ja ansehen«, schlug Hannemann vor. Es gab einen Hauswart, der im Erdgeschoß wohnte. Die Wohnung selbst könnten sie nicht sehen, sagte er, denn die derzeitigen Inhaber seien verreist. Aber die Dame im Obererdgeschoß sei sicher bereit, ihnen ihre Räume zu zeigen, und das wäre dann dasselbe. Die Dame im Obererdgeschoß hatte fünf von ihren sechs Zimmern vermietet. Mit voller Verpflegung, wie es schien, denn im sechsten Zimmer saß die Dame mit fünf Personen beim Kaffee, als der Hauswart mit den drei Männern erschien. Die Kaffeegesellschaft stob nach allen Himmelsrichtungen auseinander, als es hieß, fremde Leute wollten die Wohnung besichtigen. Es sah aus, als drohe eine Haussuchung, vor deren Beginn jeder noch etwas beiseite schaffen wollte. Jedenfalls hielt sich hernach in jedem der beschauten Zimmer jemand auf, und Bartels behauptete später, zwei weibliche Wesen hätten ihm süß zugelächelt. Er war es auch, der sich eifrig für das Mieten der freiwerdenden Wohnung einsetzte, obwohl es hier tatsächlich kein Warmwasser gab. Aber Hannemann bestand jetzt sehr dringend darauf, es zu haben. Wenn er schon auf die Betreuung durch Mutter und Schwester verzichte, so wolle er wenigstens Annehmlichkeiten eintauschen, die ihm bisher versagt geblieben seien. Und dazu gehöre eben die Warmwasseranlage, die ihm gestatte, in Zukunft jeden Tag ein Bad zu nehmen. -30-
Bartels sah ihn schaudernd an. »Jeden Tag ein Bad!« entsetzte er sich. »Da wirst du dich in einen Seehund verwandeln.« »Warum nicht?« entgegnete Hannemann gelassen. Diese Unterhaltung beschäftigte sie bereits auf einem Weg, der von der besichtigten Wohnung hinwegführte. Das erkannte Bartels etwas zu spät, und er verzichtete darauf, noch etwas zugunsten jener Wohnung zu sagen. »Ich habe etwas in Harvestehude«, bekannte Hannemann zögernd und zerrte ein Zeitungsblatt hervor. »Mann Gottes!« rief Spreckelsen. »Wo denkst du hin! Wir werden doch nicht noch einmal durch die ganze Stadt trudeln! Und außerdem bin ich von den bisherigen Anstrengungen schon so erschöpft, daß ich jetzt unbedingt Bier trinken muß.« »Du kriegst jetzt kein Bier«, entschied da Bartels, »bevor du nicht mindestens noch zwei Wohnungen angesehen hast.« Er fand Unterstützung bei Hannemann, der auch meinte, daß Spreckelsen noch nicht viel an Leistungen aufzuweisen hätte. Sie beschlossen dann, durch die Straßen Hamms zu pilgern und nach den Aushängeschildern freie Wohnungen zu suchen. Es waren genug solche Schilder da, aber irgend etwas hielt sie zunächst immer von einer Besichtigung zurück. Entweder gefiel ihnen das Haus nicht oder es fehlte die Zentralheizung oder das Warmwasser, zuweilen auch beides. Doch schließlich stießen sie auf ein Angebot, das aussichtsvoll erschien. Fünf Treppen mußten sie erklimmen, um den Hauswart zu erreichen, der sie dann in den ersten Stock schickte mit der flauen Bemerkung, vielleicht würden die jetzigen Inhaber der Wohnung bereit sein, diese zu so vorgerückter Stunde noch zu zeigen. Sie waren indessen nicht bereit. Ein zwanzigjähriger Jüngling erklärte brummig, seine Mutter fühle sich nicht wohl und sie -31-
möchten am nächsten Vormittag wiederkommen. »Wissen Sie denn, daß Ihre Mama sich morgen wohl fühlen wird?« erkundigte sich Spreckelsen mit einem Anflug von Bissigkeit. Der Jüngling sah den riesigen Mann zweifelnd an, betrachtete dann mit leichter Unverschämtheit die beiden anderen und entgegnete schließlich hochmütig: »Das weiß ich natürlich nicht.« »Aber ich weiß es«, erklärte Spreckelsen, »und sie kann sich niemals wohl fühlen, solange sie Ihre Freundlichkeit als Gesellschaft hat.« Darauf schmetterte der Jüngling tief verletzt die Tür zu. »Du wirst nie ein feiner Mann werden«, sagte Bartels, als sie nach unten stiegen. »Möchte ich auch gar nicht«, knurrte Spreckelsen. Sie zogen weiter und gelangten in eine breite, sehr ruhige Straße mit großen und eleganten Häusern auf der einen Seite, denen Villen mit stattlichen Gärten gege nüberstanden. Im Vorgarten eines dieser prunkhaften Miethäuser stand auf einem Pfahl ein Plakat. Bartels war es, der es entdeckte. »Hier laß uns Hütten bauen!« schrie er. »Sechs Zimmer, Zentralheizung, Warmwasser. Zu erfragen beim Eigner Platen im ersten Stock. Hinauf zu Herrn Platen. Ich will seine Wohnung sehen.« Spreckelsen schaute argwöhnisch an dem Bau empor. »Kinder«, grollte er, »wenn er den Mietpreis nennt, werden eure Brieftaschen Krämpfe kriegen.« »Dann gehen wir eben wieder und sagen, wir hätten etwas Besseres im Auge gehabt.« Die beiden anderen waren roh genug, gegen diesen Vorschlag nichts einzuwenden, und sie folgten dem draufgängerischen Bartels. -32-
Als dieser im ersten Stock an der Tür, die den Namen »Platen« trug, geklingelt hatte, standen sie mäuschenstill da und schauten einander leicht verlegen an. Denn es war wirklich ein sehr vornehmes Haus, mit einem Stoffläufer auf der Treppe und einem Lift. Die Wände waren mit Linkrusta belegt, und die Beleuchtungskörper hingen in Ampeln aus geschliffene m Glas. Insgeheim dachte jeder von ihnen, daß es nicht angebracht sei, hier zu wohnen und zugleich weiterhin der Gepflogenheit zu frönen, nachts heiter singend und heftig schwankend die Treppen zu erklimmen. Jodler, mit denen Bartels sich so gern vergnügte, wenn er sich mehrere Stunden in sogenannten Bayrischen Bierstuben aufgehalten hatte, waren hier fehl am Ort. Und natürlich ging es durchaus nicht an, Damen mit prallsitzenden Pullovern und Kleiderröcken zu irgendeiner Tageszeit durch dieses Treppenhaus zu geleiten. Eine starre, von Vornehmheit durchkühlte Stille umgab sie, während sie da warteten; jeder suchte in den Augen des anderen zu lesen, wie ihm zumute war, und kein Auge strahlte Begeisterung. Schließlich murmelte Spreckelsen mit einem Tonfall abgrundtiefer Besorgnis: »Am liebsten kniffe ich aus.« Dieser Angstausbruch jedoch stachelte den Tatendrang des Kleinen auf. »Feigling!« zischte er. Dann öffnete sich die Tür, und ein hübsches rotblondes Fräulein mit weißer Haube sah die drei Männer forschend an. Daß in dieser Aufmerksamkeit etwas von Verwunderung lag, war berechtigt, denn die drei boten in ihrer Gemeinsamkeit einen Anblick, den man sehr wohl als absonderlich bezeichnen durfte. Jeder für sich hatte eigentlich nichts Auffälliges. Vielleicht sah der kleine Bartels ein bißchen anders aus als andere, weil er einen schauderhaft hohen Stehkragen trug, aber seine Brille gab ihm einen Ausdruck vernünftiger Biederkeit, der durch den treuherzigen Blick seiner Augen noch vertieft wurde. Der lange Spreckels en in seiner Elefantenhaftigkeit und -33-
seinem reichlich saloppen Anzug hatte etwas seltsam Beruhigendes in seiner Erscheinung. Sein etwas derbes, glattrasiertes Gesicht mit den starken Augenbrauen ließ in jeder Hinsicht die Gutherzigkeit erkennen, die dieser Mann seinen Mitmenschen entgegenbrachte, wenn sie ihn nicht ärgerten. In Verbindung damit erweckten seine körperlichen Ausmaße bei vielen die Vorstellung, es sei gut, sich unter seinen Schutz zu stellen. Hannemann wiederum, mittelgroß, elegant und sauber, nicht ohne einen Anflug von Zurückhaltung in Mienen und Bewegungen, hatte in jeder Beziehung das Gepräge besserer Bürgerlichkeit. Zu dritt aber konnten diese Männer leicht unharmonisch wirken und als Störung des Alltags empfunden werden. Doch niemand war geeigneter, den Argwohn eines wohlerzogenen Dienstmädchens zu überwältigen als der kleine Bartels. Da ihm jeglicher Hochmut gegenüber Menschen in untergeordneter Stellung fern lag, begrüßte er das hübsche Fräulein mit einer formvollendeten Verbeugung und einem ehrerbietigen Lächeln, das sofort den prüfenden Blick des Mädchens mit zufriedener Heiterkeit füllte. »Sehr verehrtes Fräulein«, fragte er in seiner etwas geschraubten Manier, die von den anderen nicht mit Unrecht Papierdeutsch genannt wurde, »wäre es uns wohl vergönnt, mit Herrn Platen verhandeln zu dürfen?« Das Mädchen lächelte. »Es gibt keinen Herrn Platen«, sagte sie. »Friede seiner Asche! Oder ist er nicht gestorben, weil er nie geboren wurde?« Sie lachte kurz auf. »Wenn es sich etwa um die Wohnung handelt...« »Gerade um die Wohnung handelt es sich.« »Da will ich Frau Platen fragen, ob sie bereit ist...« -34-
In diesem Augenblick wurde irgendwo hinter dem Mädchen eine Tür geöffnet. Ein schneller Frauenschritt ließ sich im Flur vernehmen, dann trat an die Seite des Mädchens eine elegante, gutaussehende Dame, umfaßte mit einem schnellen, klugen Blick die Gruppe der drei Männer und schien aus diesem ersten, scheinbar sehr flüchtigen Eindruck alles zu entnehmen, was zu entnehmen war. Denn alsbald forderte sie die drei auf, einzutreten, und öffnete ihnen im Flur die Tür zu einem weiträumigen Zimmer voll Kostbarkeiten an Möbeln, Bildern, Decken und Zierstücken. Sie bat auch, Platz zu nehmen, und ihre Besucher verteilten sich auf die verschiedenen Sitzgelegenheiten, wobei es Spreckelsen einigermaßen schwierig fand, in einem mächtigen, aber ziemlich tiefsitzigen Sessel unterzukommen. Er sah recht unglücklich aus mit den hochragenden Knien, die er mit den Händen umspannte, um den Oberkörper aufgerichtet halten zu können. Die Dame bemerkte seinen unbehaglichen Zustand, lächelte flüchtig und dirigierte ihn auf die Couch. »Ich nehme an, daß Sie sich für die angezeigte Wohnung interessieren«, begann sie. Dann schüttelte sie - gewissermaßen ihre Worte zurückrufend - den Kopf. »Ich will offen sein: ich habe gelauscht. Und ich weiß also, daß Sie wegen der Wohnung kommen.« Ihre Aufrichtigkeit gewann im Sturm die drei Männer, die, durch die gemessene Pracht dieser Umgebung, zunächst beunruhigt worden waren. Sie blickten freie r und lächelten mit einer Herzlichkeit, die bei Bartels etwas Strahlendes hatte. Mit offener Neugier schauten sie umher. Und plötzlich zeigte Hannemann sich - vielleicht zum erstenmal in seinem Leben und zur großen Verwunderung seiner Freunde - als ein Mensch, der imstande war, aus der Fassung zu geraten. »Donnerwetter!« entfuhr es ihm. »Ist das ein Bücherschrank!« Sein entzückter Blick starrte ins Nebenzimmer, dessen Schiebetüren weit geöffnet waren. -35-
Ein Ausdruck sanften Stolzes belebte das Gesicht der Frau. »Eine Erwerbung meines verstorbenen Mannes«, sagte sie. »Es ist wirklich ein sehr schöner Schrank.« »Es ist ein Bücherschrank, wie er sein soll. Keine fensterlosen Türen, hinter denen in der Regel Zigarrenkisten und Schnapsflaschen aufbewahrt werden. Hier sieht man, daß tatsächlich Bücher da sind. Und gute Bücher, wie mir scheint.« »O ja - gute Bücher.« Bartels streifte Hannemann mit einem mißfälligen Blick. »Die gnädige Frau«, sagte er, »wird doch zunächst einmal die Wohnungsfrage erörtern wollen.« »Ach«, wehrte sie ab, »ich spreche gern über den Bücherschrank.« »Ein wundervolles Stück!« rief daraufhin der Kleine mit Pathos, das allzu leicht erkennen ließ, wie sehr es ihm darauf ankam, freundlich zu sein. Spreckelsen dagegen verhielt sich hierzu teilnahmslos. Der Blick, mit dem er den Schrank bedachte, verriet, daß er Bücherschränke, die weder Zigarren noch alkoholische Getränke enthielten, nicht übermäßig schätzte. »Gnädige Frau, Sie haben also in diesem Haus eine Sechszimmerwohnung frei?« dröhnte sein unmelodischer Baß. »Nicht in diesem Haus, sondern im anstoßenden Eckgebäude, das mir auch gehört.« Bartels' Blick strahlte vor Bewunderung. »Das ist ja fabelhaft!« stieß er heraus. »Was ist fabelhaft?« »Daß ein so großes Stück von Hamburg Ihnen gehört.« Sie lachte belustigt auf. Hannemann aber erbat sehr sachlich nähere Angaben über die Wohnung, und sie erfuhren nun, es sei im Eckgebäude die Eckwohnung im zweiten Stock, zu dem man jedoch wegen eines vorhandenen Obererdgeschosses drei -36-
Treppen hinaufsteigen mü sse. Ein Fahrstuhl sei dort leider nicht vorhanden, aber die Wohnung sei wirklich sehr nett. Alle Zimmer hätten Straßenfront und seien sehr groß. Auch eine hübsche Diele sei da. Ferner gäbe es zwei Balkone, einen genau an der Ecke, den anderen in der Querstraße. Die Ruhe dieser an sich verkehrsarmen Straße werde leider beeinträchtigt durch eine nahegelegene Eisenbahnüberführung der Stadtbahn und der Lübecker Bahn. Die Zahl der vorüberrollenden Züge sei naturgemäß groß, und die früheren Inhaber der Wohnung wären wegen dieser Störungen schon nach einem Jahr wieder ausgezogen. Dennoch könne die Miete nicht auf weniger als einhundertundfünfzig Mark bemessen werden. Zu ihrer Verwunderung mußte die Frau feststellen, daß bei einem ihrer Zuhörer ihre offenherzige Schilderung Begeisterung erweckte. »Eisenbahnzüge, sagten Sie?« strahlte Bartels. »Kann man sie denn auch sehen?« »Wenn man aus dem Fenster guckt, kann man sie freilich sehen«, entgegnete sie. »Die meisten Zimmer der Wohnung haben nämlich Erker.« »Herrlich!« rief Bartels. »Gewiß sind solche Fenster nett. Aber ungünstig für das Anbringen der Gardinen. Übrigens: wer von Ihnen ist es eigentlich, der die Wohnung braucht?« Die drei sahen einander verblüfft an. »Wir brauchen doch alle drei eine Wohnung«, erwiderte Spreckelsen schließlich. »Wir wollen sie gemeinsam mieten.« Der Blick der Frau trübte sich. »Werden Sie - Verzeihung aber werden Sie nicht sehr geräuschvoll sein?« fragte sie besorgt. »Wieso?« fuhr Bartels kampflustig auf. »Wir bringen ja keine Frauen mit.« -37-
»Sie sind Junggesellen?« »Alle drei.« »Es ist ein sehr ruhiges Haus«, sagte sie gedämpft. »Kein Radiolärm?« fragte Spreckelsen. »Keine Posaunenbläser und Saxophonisten?« erkundigte sich Hannemann. »Keine heulenden Hunde?« wollte Bartels wissen. Sie verne inte alles. »Dann nehmen wir die Wohnung«, erklärte Spreckelsen mit einem Anflug von Heftigkeit, die vorweg schon alle Einwendungen bedrohte. »Sie haben sie doch noch gar nicht gesehen«, lächelte die Frau. »Und ich kann sie Ihnen jetzt auch nicht zeigen, denn sie steht leer und man kann dort also kein Licht machen.« »Wir nehmen die Wohnung«, beharrte Spreckelsen. »Nämlich aufgrund Ihrer Schilderung.« »Und wegen der Eisenbahn«, fügte Bartels hinzu. »Und wegen des ruhigen Hauses«, bemerkte Spreckelsen. Die Frau schaute verwirrt drein. »Das geht so merkwürdig schnell«, sagte sie zögernd. »Es ist noch nicht vorgekommen, daß jemand eine Wohnung gemietet hat, ohne sie gesehen zu haben.« »Sie sagten doch, es sei eine nette Wohnung«, erinnerte sie Bartels. »Dabei bleibe ich auch.« »Nun also«, erklärte der Kleine mit Schwung. »Wir sind überzeugt, daß Sie uns nichts sagen, was nicht stimmt.« »Und außerdem habe ich genug vom Wohnungssuchen«, knurrte Spreckelsen. »Wenn es nach mir ginge«, warf Hannemann mißvergnügt ein, »so würden wir die Wohnung erst einmal bei Tage -38-
besichtigen.« »Es geht aber nicht nach dir«, belehrte ihn Spreckelsen, »denn der Kleine und ich überstimmen dich.« »Und wir mieten also hiermit die Wohnung«, ergänzte Bartels fest und würdevoll. Die Frau betrachtete jeden der drei nachdenklich prüfend. »Es ist so seltsam«, sagte sie. »Und ich weiß nicht- ich möchte nämlich nicht gern andere Mieter verlieren.« »Sie meinen, wir werden oft nachts im Treppenhaus fröhliche Lieder anstimmen, nicht wahr?« fragte Bartels. Sie nickte schwach. »Nun denn«, er reckte den Kopf weit aus dem hohen Kragen heraus, »ich werde darauf achten, daß es nicht geschieht. Verlassen Sie sich ganz auf mich - bitte - verlassen Sie sich ganz auf mich. Ich werde diese beiden Burschen unter meine Fuchtel nehmen - ich werde...« Er schwieg und kroch plötzlich in sich hinein. Zwei drohend blickende Augenpaare durchlöcherten ihm den Heldenmut. »Ihre Besorgnis ist unberechtigt«, sagte Spreckelsen ein bißchen ungeduldig. »Und ich nehme an, daß wir wegen der Wohnung jetzt einig sind.« »Gut«, entschloß sich die Frau. »Ich vermiete Ihnen die Wohnung. Aber nur auf ein Jahr.« »Im Falle guter Führung jedoch Verlängerung nicht ausgeschlossen, nicht wahr?« fragte Bartels. »Im Falle guter Führung«, entgegnete sie, »Verlängerung auch meinerseits sehr erwünscht. Und nun darf ich vielleicht erfahren, wen ich mir da als Mieter aufgebürdet habe?« Die drei erhoben sich. »Spreckelsen, Apotheker.« »Hannemann, Studienrat.« -39-
»Bartels, Oberzollinspektor.« »Schon wieder ein Rat«, lachte die Frau. »Im Obererdgeschoß wohnt nämlich ein Regierungsrat, im ersten Stock ein Postrat, im dritten Stock ein Rechnungsrat.« »Wir ziehen in ein Rathaus!« bemerkte Bartels. »Du mit deinem sogenannten Humor!« murrte Spreckelsen. »Mit wem von Ihnen dreien soll ich denn nun den Mietvertrag abschließen?« meinte die Frau. Das war ein Problem, das eine Erschütterung hervorrief. Zunächst saßen die Männer verdutzt da und betrachteten einander mit abschätzenden Blicken. Schließlich fragte Bartels: »Würde selbiger dann etwa Haushaltungsvorstand sein?« »Das würde er wohl.« »Dann möchte ich dieses Amt übernehmen«, erklärte der Kleine. Spreckelsen reckte sich zum Widerspruch, aber Hannemann verhinderte den Kampf, indem er eilig sagte, daß Spreckelsen den Vertrag unterzeichnen solle. Spreckelsen stimmte durch ein wuchtiges Nicken zu. Da fügte Bartels sich. »Der wird uns tüchtig hochnehmen!« grollte er. Das war seine Rückzugsverteidigung. Dann kamen die Verhandlungen schnell zum Abschluß. Ein Vertragsformular wurde ausgefüllt und unterzeichnet. Frau Platen versprach, die Wohnung, soweit nötig, instand setzen zu lassen, und erklärte sich damit einverstanden, daß die drei Mieter schon vor dem 1. April einzögen. Das war ihnen sehr willkommen und wurde vor allem von Bartels freudig begrüßt, denn vor seiner gegenwärtigen Wohnung graute es ihm. »Und jetzt wollen wir sehen«, sagte Spreckelsen, als sie wieder auf der Straße standen, »ob es in dieser Gegend eine anständige Kneipe gibt.« »Eine nette Frau«, bemerkte Bartels sinnend. »Eine sehr nette -40-
Frau.« »Wer?« fragte Spreckelsen verblüfft. »Frau Platen.« »Wir sprechen jetzt von der Kneipe und nicht von Frau Platen.« »Ich spreche von Frau Platen. Sie wird es nicht gern sehen, wenn wir allzuoft in Kneipen gehen.« »Komm einmal her!« Spreckelsen packte den Kleinen, zerrte ihn unter die Laterne und betrachtete ihn forschend. »Ich will nur sehen, ob du einen irren Blick hast«, sagte er. »Und habe ich einen?« »Du hast. Wir müssen etwas für dich tun. Wir werden dich voll Alkoho l pumpen, bis du wieder klar blickst.« Und so geschah es. *
Am 20. März fand der Einzug der drei neuen Mieter statt. Das Haus und seine Bewohner verhielten sich dieser Begebenheit gegenüber zunächst teilnahmslos, denn es war ein vornehmes Haus mit ebenso vornehmen Bewohnern. Diese Leute kümmerten sich nicht umeinander, kaum daß sie sich bei Begegnungen im Treppenhaus grüßten. Diese Zurückhaltung hatte ihre Vorzüge. Blieb man einander fremd, so konnte man sich mancher nachbarlichen Gefälligkeit enthalten. Das galt auch gegenüber den neuen Mietern, die ohnehin schon mit Argwohn aufgenommen wurden. Drei Junggesellen in einem gemeinsamen Haushalt verdienten unbedingt Mißtrauen. Eine Fülle unangenehmer Möglichkeiten tat sich auf. -41-
Verwahrlosung und Schmutz als Brutstätten von Ungeziefer, das sich den übrigen Wohnungen zuwandte; Trampelgeräusche klobiger Männerstiefel, verbunden mit dem Lärm eines Grammophons oder eines Radiolautsprechers; nächtliche Gelage mit Damen zweifelhafter Art und daher Bedrohung der Sittlichkeit heiratsfähiger Töchter. Sorge erfüllte das vornehme Haus, und man beschloß erhöhte Zurückhaltung. Und so entging der Mehrzahl dieser vornehmen Leute das Schauspiel eines äußerst merkwürdigen Einzugs. Da erschien zunächst ein kleiner, lebhafter Herr mit hohem weißem Kragen und gut gebügelter Hose. Er begleitete eine Karre, die von einem ebenso kleinen Mann ohne Kragen geschoben wurde. Dieser Mann hatte ein frisches, munteres Gesicht, aber einen etwas müden Blick, der andeutete, daß der Mann niemals ohne fremde Hilfe ein Ziel erreichen würde. Daß er diesmal mit seiner Karre dorthin gelangte, wohin er sollte, war zweifellos dem kleinen Herrn zu verdanken, für dessen Scharfblick es spricht, daß er den anderen nicht sich selbst überlassen hatte. Das vornehme Haus rümpfte zwar seinen Giebel oder was sonst ein Haus rümpft, wenn es seine Verachtung kundtun will, aber für den kleinen Herrn stand zuviel auf dem Spiel, als daß er es hätte wagen können, der Karre nicht das Geleit zu geben. Denn diese trug die gesamte Habe des kleinen Herrn. Alles ist mehr als viel. Daher ist es belanglos, daß es sich nur um zwei stramm gefüllte Koffer handelte, beide nicht sehr ansehnlich. Die Koffer wurden nach oben gebracht, in den zweiten Stock, drei Treppen hoch. Dort stießen die beiden Männer auf eine verschlossene Tür. Der Herr mit dem Stehkragen sah den Herrn ohne Kragen nachdenklich an. »Ich muß wohl die Schlüssel holen«, sagte er. »Wahrscheinlich«, meinte der Mann mit dem müden Blick. »Ich werde warten.« -42-
Er machte eine nicht mißzuverstehende Bewegung, die sein Ruhebedürfnis kennzeichnete. Erschrocken griff der andere nach ihm. »Wollten Sie sich auf die Koffer setzen?« »Ich dachte - ja.« »Tun Sie es nicht, lieber Freund. Es würde eine Explosion geben.« Der Mann betrachtete die Koffer argwöhnisch. »Dynamit werden Sie ja wohl nicht drin haben«, meinte er. »Das nicht. Aber sie sind so voll, daß jeder weitere Druck sie sprengen würde. Setzen Sie sich lieber auf die Treppe.« »Werde ich machen«, sagte der Mann. »Haben Sie wohl 'ne Zigarette da?« »Gewiß. Nehmen Sie. Und hier haben Sie Feuer.« Der kleine Herr verschwand und überließ den anderen der Einsamkeit des stillen Treppenhauses. Er erfuhr nichts von der kurzen, allerdings nur einseitigen Unterhaltung, die der Zurückgebliebene mit der Dame aus dem dritten Stock vier Treppen führte. Diese Dame, die Gattin eines gehobenen mittleren Beamten, konnte es sich nicht leisten, ein Dienstmädchen zu halten. Sie mußte selbst die nötigen Einkäufe für ihren Haushalt besorgen. Und es fügte sich, daß sie dazu einen Zeitpunkt wählte, der ihr eine Begegnung mit dem müde blickenden Mann verschaffte. Als die Dame gesenkten Auges an ihm vorbeistrich, sah er, daß sie über ihrem Hauskleid eine kleine Schürze trug, wie sie von netten Hausgehilfinnen geschätzt werden. Diese Schürze verleitete ihn zu der Anknüpfung: »Na, Kleine? Bißchen einholen?« Die Dame stolperte vor Schreck bei der plötzlichen Anrede. Ihre kleinen, harten Schuhabsätze knallten auf der Treppe. »Hoppla, Fräulein!« bemerkte der Mann, ohne sich im -43-
übrigen zu rühren. »Fall'n Sie man nich!« Die Dame hastete weiter, voll erschrockener Gedanken über die Leute, die von nun an unter ihr wohnen würden. Drei Schlüsselpaare brachte Bartels, als er zu dem Mann mit dem müden Blick zurückkehrte. Je ein Schlüssel jedes Paares war für die Wohnungstür und für die große Haustür. Die beiden Männer verschwanden in der Wohnung. Nach einer Weile erschien der gewaltige Spreckelsen im Treppenhaus. Er war zunächst zu Frau Platen gegangen, um die Schlüssel zu holen, und es war ein überflüssiger Weg gewesen. Als er jetzt an die Tür der Wohnung trat, hörte er von drinnen eine lebhafte Auseinandersetzung. Hell und erregt äußerte sich eine Stimme in bestem Papierdeutsch, und zwischendurch ertönte ein etwas träges Organ, das sich keineswegs gewählt ausdrückte. Spreckelsen klingelte. Die Tür wurde geöffnet von einem Mann, den er nicht kannte, der aber so tat, als sei er hier zu Hause: ein Mann mit frischem Gesicht und einem augenblicklich etwas lodernden Blick. Er trug in einer Hand einen Koffer. Seine Mienen verrieten starken Unwillen, der sich beim näheren Betrachten des riesenhaften Menschen vor ihm langsam in Unbehagen verwandelte. »Was woll'n Sie denn?« fragte er mürrisch. Er wollte die Tür wieder schließen, aber eine unwiderstehliche Macht drängte ihn beiseite. »Nanu!« sagte er mit dünnem Protest. »Was ist hier los?« fragte Spreckelsen den Wohngenossen. Die Augen des Kleinen funkelten hinter den Brillengläsern. »Dieser Mann«, entgegnete er, »hat mein Gepäck gebracht und will sich nun nicht mit dem vereinbarten Preis zufrieden geben.« »Ich hatte keine Ahnung, daß die Dinger so schwer sind«, erklärte der andere. »Ich bin ganz kaputt von den drei Treppen.« -44-
Spreckelsen betrachtete ihn prüfend. Der Mann mißfiel ihm. »Und wer in so ´ne herrschaftliche Wohnung zieht Zentralheizung - Warmwasser - Bad - und alles«, fuhr dieser fort, »der sollte man nich so knauserig sein wegen en paar Groschen. Seh'n Se - drei Mark ha m wir abgemacht - und davon hab ich nischt, denn die kriegt grade die Frau, wissen Se - von wegen, daß ich bei ihr wohn - und wenn ich nu 'ne Mark extra krieg - versteh'n Se - die hab' ich bei all der Arbeit dann über.« »Keinen Groschen!« fuhr Bartels auf. »Dazu waren Sie vorhin viel zu frech. Stell dir vor, der Kerl, verweigert die Herausgabe des einen Koffers.« »Och nee!« sagte der Mann demütig. »So schlimm habe ich es doch nich gemeint. Ich wollte doch nur so gern die Mark haben.« Spreckelsen trat mit einem merkwürdig freundlichen Gesicht auf ihn zu. »Verweigern?« lächelte er ihn an. »Ach wo, Sie verweigern nichts, wie? Sie wollen auch gar nicht mehr haben, wie? Und Sie stellen jetzt den Koffer hier nieder, wie?« Und als der andere noch zögerte, klang seine Stimme auf einmal unangenehm scharf: »Aber sehr schnell, wie?« Da ließ der Mann den Koffer so eilig los, daß es einen lauten Bums gab. »Fassen Sie mich nich an«, rief er, während er hinter sich nach der Tür tastete. »Das ist Hausfriedensbruch und kostet Zuchthaus!« »Ach, Sie wollen gern gehen?« fragte Spreckelsen. »Bitte, wir halten Sie nicht. Aber schlagen Sie ja nicht die Tür so heftig von außen zu. Das mögen wir nicht.« Der Mann betrachtete noch kurz mit einem Blick der Enttäuschung den kleinen Bartels - mit dem wäre er wohl fertig geworden - und mit einem Blick der Furcht den groben -45-
Spreckelsen, der war ihm über. Er hatte gearbeitet, was er nicht gern und auch nicht häufig tat, noch dazu nur um ein Geld, das er schuldete. Der wahre Lohn, die eine Mark mehr, war verloren; das brannte in seinem Herzen, und auch ein Achselzucken löschte diesen Brand nicht aus. Dann war der Mann auf einmal nicht mehr da. Spreckelsen betrachtete die beiden Koffer kritisch. »Ist das deine ganze Wohnungseinrichtung?« »Natürlich nicht«, entgegnete Bartels gekränkt. »Meine Möbel kommen erst heute nachmittag.« »Du hast also schon welche?« »Augenblicklich noch nicht«, sagte Bartels leicht verlegen. »Ich will jetzt zu einer Auktion. Vornehmer Hausstand wird versteigert. Klosterallee. Dort kaufe ich alles, was ich brauche.« »Weißt du denn, was du brauchst?« »Wie sollte ich das wohl nicht wissen!« »Hast du Geld?« »Natürlich habe ich Geld.« »Woher?« »Na, hör' mal!« »Hast du es von Hannemann?« »Nein.« »Du hast überhaupt kein Geld.« »Doch. Die Bank, auf die mein Gehalt überwiesen wird, zahlt mir heute einen Vorschuß.« »Den man dir bei der nächsten Gehaltszahlung wieder abzieht. Und dann sitzt du da und hast nichts zu beißen. Du nimmst diesen Vorschuß nicht und kriegst das Nötige von mir. Ich habe dich schon längst deshalb fragen wollen, vergaß es aber immer wieder, bis es mir gestern einfiel. Fünfhundert Mark gebe ich dir, rückzahlbar in Monatsraten zu fünfundzwanzig Mark.« -46-
Der Kleine stand ganz steif da und starrte ihn an. Seine Augendeckel schlugen in einem verwirrenden Tempo auf und nieder. »Ich mag das nicht!« stieß er heraus. »Ach, was«, fuhr ihn der Große an. »Mag das nicht! Was ist denn schon die Freundschaft wert, wenn sie keinen Pump vertragen kann! Hier hast du das Geld und nun schere dich hin zu deiner Auktion!« »Ich weiß nicht«, stammelte Bartels, »wie ich dir - wie ich...« »Red noch viel von Dank, du! Hinaus mit dir. Deine Rohrplattenkoffer- das eine Biest platzt übrigens schon - stell' ich in dein so genanntes Schlafgemach.« Bartels entwich. Auf der Treppe begegnete er Hannemann. Der kam von Frau Platen, wo er nach den Schlüssel gefragt hatte. »Gut, daß es nur drei sind!« hatte hernach das Dienstmädchen zu Frau Platen gesagt. »Wo willst du denn so eilig hin?« fragte Hannemann. »Auktion. Möbel kaufen. Das übrige habe ich schon oben.« »Hast du die Schlüssel?« »Schlüssel?« Bartels fuhr mit den Händen in die Manteltaschen. »Ach ja. Drei Bund habe ich. Hier hast du zwei. Je eins für dich und Spreckelsen. Der Lange ist schon oben und wartet auf sag mal, er wird sich doch nicht auf meine Koffer setzen?« »Ist denn kein Stuhl da?« »Nichts ist da außer meinen beiden Koffern. Sag ihm bitte, daß er sie auf keinen Fall als Sitzgelegenheit benutzen darf.« »Werd' ich tun. Auf eine Auktion willst du? Was willst du denn kaufen?« »So allerlei. Nur dringend Nötiges natürlich.« »Ich habe auch einiges gekauft. Die Sachen kommen heute. -47-
Na, hau ab! Hals- und Beinbruch!« Hannemann stieg nach oben und schloß auf. Spreckelsen begrüßte ihn freudig. Er hatte befürchtet, daß Bartels sämtliche Schlüssel mit zur Auktion genommen hätte. »Du möchtest dich nicht auf seine Koffer setzen«, sagte Hannemann. »Sieh sie dir an und sag mir, ob es einen Menschen gibt, der Mut hat, sich auf so was zu setzen. Aber die Wohnung ist nett, wie?« »Sehr nett. Erstaunlich, daß sie während der Zeit, wo sie leer stand, so sauber geblieben ist.« »Sauber geblieben?« »Oder ist sie nicht sauber? Ich finde, sie sieht ganz ordentlich aus.« »Tut sie. Weil ich nämlich meine Reinmachefrau hergeschickt habe. Aber es ist wirklich eine herrliche Wohnung. Diese Diele... Du, dafür habe ich was ganz Auserlesenes.« »Ich auch.« »Eine fabelhafte Dielenuhr, weißt du. Mit einem pompösen Gongschlag.« Hannemann riß die Augen auf. »Mann Gottes«, sagte er zögernd, »ich hab' auch eine.« »Auch mit Gongschlag?« »Mit einem hinreißenden Gongschlag. Sie schlägt jedes Viertel.« »O weh! Könnten wir sie nicht in dein Arbeitszimmer tun?« »Dafür habe ich schon einen Regulator. Erbstück.« »Und schlägt gleichfalls?« »Auf Halb und Voll. Und ziemlich laut.« »Ja, diese Erbstücke«, klagte Spreckelsen. Und dann gestand er, daß auch er mit einem Regulator behaftet sei. -48-
»Vier Uhren mit Schlagwerk in einer Wohnung sind ein bißchen viel«, meinte Hannemann. »Wenn nur der Kleine nicht davon wild wird!« »Er wird sich mit der Zeit dran gewöhnen«, hoffte Spreckelsen. »Wann kommen übrigens deine Möbel? Meine sind schon unterwegs. Das heißt: als ich von der alten Wohnung wegging, fingen die Möbelmänner an zu frühstücken.« »Bei mir ist die erste Partie - Bücher und so - auch schon auf dem Anmarsch.« Spreckelsen blickte erstaunt. »Du kommst in mehreren Partien?« »Zwei. Ich habe gestern bei einem Möbelhändler einiges gekauft, darunter die Dielenuhr. Die Sachen werden heute nachmittag geschickt.« »Und der Kleine wird auch noch eine Ladung heranschaffen. Da rücken also aus allen Stadtteilen Hamburgs beladene Karren und Möbelwagen heran, um diese eine Wohnung zu füllen. Das ist beunruhigend.« »Ach, es ist ja eine sehr große Wohnung. Sie wird schon alles aufnehmen können.« »Hoffentlich bringt der Kleine nicht einen ganzen Hausstand mit einem Haufen Wannen, Eimern, Vogelbauern und Kronleuchtern. Man hätte ihn eigentlich nicht allein gehen lassen dürfen.« »Er wird schon nicht. Ich habe nur Sorge wegen meiner Bücher. Meinst du, daß diese Fußböden sehr fest sind?« »Mensch - du hast doch wohl nicht so viel Bücher, daß wir eines Tages mit der ganzen Herrlichkeit ein Stockwerk tiefer sitzen?« »Ein paar tausend Bände sind es schon.« »Was willst du denn mit all dem Zeug? Liest du jemals darin?« -49-
»Natürlich!« fuhr Hannemann auf. »Es sind vorwiegend geschichtliche Werke. Nämlich...« Er wurde etwas verlegen. »Ihr müßt es ja doch einmal erfahren - ich schreibe gelegentlich - hm - historische Romane.« Spreckelsen starrte ihn an. »Ach nee! Ist kein Witz, wie?« »Warum sollte ich solche Witze machen!« »Romane? Mit Liebe und all so was?« »Allerdings.« »Nun, da wird das Haus vor Eitelkeit platzen, wenn es dahinterkommt. Und eines Tages nach deinem Tode...« »Es ist nicht nötig, daß du jetzt schon von meinem Tode sprichst.« »Ich lege auch keineswegs Wert darauf, daß du bald stirbst. Schon wegen deines Mietanteils. Doch ich meine, man wird das Haus dann mit einer Tafel versehen. Und darauf steht:›Hier schuf und schlief Peter Hannemann, geboren am 14. April 1896, gestorben an Arterienverkalkung am...« »Gestorben am Zusammenwohnen mit einem Apotheker.« Spreckelsen blieb unerschüttert. »Historische Romane!« staunte er aufs neue. »Daß du das einfach so kannst! Wenn man dich sieht - nimm es mir nicht übel - aber kein Mensch kommt auf den Gedanken, daß du Phantasie besitzt.« »Daß ich Phantasie besitze, wird schon durch meine Vorstellung bewiesen, du könntest einmal aufhören, auf diesem Thema herumzureiten.« »Magst du nicht, daß ich dich bewundere?« »Ich sehe darin einen Kündigungsgrund.« »Ich werde dich von nun an nur mit Blicken bewundern.« »Auch das kann zermürben. Vergiß, daß ich dir etwas über meine Leidenschaft sagte.« »Leidenschaft? Ist es so schlimm?« -50-
Hannemann antwortete nicht und betrat das ihm zugesprochene Arbeitszimmer. Es war ein fast quadratischer Raum mit einem sehr breiten Erkerfenster. Durch eine weißlackierte, mit undurchsichtigen Fenstern versehene Doppeltür kam man in Spreckelsens Wohnraum, der den Eckbalkon hatte. Von diesem Balkon aus blickte man in eine stille Gartenstraße. Durch eine Schiebetür gelangte man dann weiter in Bartels; Zimmer, einen etwas merkwürdig, nämlich nahezu fünfeckig geformten Raum, der gleichfalls ein mächtiges Erkerfenster hatte. Als die beiden Männer aus diesem Zimmer auf den Flur traten, lag dieser, die Diele durchquerend, in unerhörter Länge vor ihnen. Fern im Hintergrund deuteten etliche Türen die Schlafgemächer und Kammern an. Die beiden machten sich auf die Wanderschaft, öffneten jede Tür, schauten sich an, was dahinter lag, und gelangten schließlich in eine riesige Stube, an die das Badezimmer stieß. »Anscheinend als Schlafzimmer vorgesehen«, sagte Spreckelsen, während er sich umsah. »Hier schläft also der Kleine. Da hat er die Eisenbahn ganz nahebei. Hörst du?« Donnernd und zischend fegte ein Fernzug über die Brücke, die quer durch die Seitenstraße lief. »Hm«, meinte Hannemann verstimmt, »ein Genuß ist das nicht.« »Ach«, tröstete Spreckelsen, »in einer Woche macht es dir gar nichts mehr aus. Da würdest du es entbehren, wenn es nicht da wäre.« Hanne mann zuckte mit den Schultern. »Offen gestanden«, sagte er verdrießlich, »vorläufig bin ich von dieser Wohnungsgeschichte noch gar nicht so begeistert.« Spreckelsen sah ihn verdutzt an. »Nicht begeistert?« rief er. »Die Wohnung ist doch wundervoll!« -51-
»Ich werde viel entbehren müssen.« »Ah - daher weht der Wind! Deine Weibsleute haben dich beim Wickel gehabt.« »In mancher Hinsicht haben sie recht.« »In keiner Hinsicht haben sie recht«, begehrte Spreckelsen auf, der tüchtig in Zorn geraten war und daher ohne Zurückhaltung über Personen sprach, zu denen er sonst in Unterhaltung mit Hannemann nur mit Vorsicht Stellung genommen hatte. »Das heißt: recht haben sie von ihrem Interesse aus. Sie möchten dich natürlich bei sich behalten, weil ihnen das allerlei einbringt. Angeblich sind sie aber nur besorgt um dich.« »Hör mal!« »Nichts ›Hör mal‹! Ich habe das lange genug mit angesehen und nichts dazu gesagt. Aber als du bereit warst, mit uns zusammenzuziehen, nahm ich an, daß auch du wüßtest, wie das alles ist. Deine Mut ter ist sicher eine gute Frau, aber sie ist völlig abhängig von den Meinungen deiner Schwester. Und deine Schwester - na - sie versteht es großartig, nett zu sein, wenn es sich lohnt. Und ich kann mir denken, wieviel Nettigkeit sie aufgebracht hat, um dir klarzumachen, daß du einem Leben voll Entbehrungen entgegengehst. Aber nun will ich dir verraten, daß sie mich vor einigen Tagen in der Apotheke aufgesucht hat. Nicht um Pillen zu kaufen, sondern um mir welche zu verabfolgen. Und wenn es nicht deine Schwester gewesen wäre…« »Davon hat sie mir nichts erzählt.« »Wie sollte sie wohl! Und ich hätte auch darüber geschwiegen, wenn du jetzt nicht angefangen hättest zu jammern. Zunächst war sie auch mir gegenüber sehr freundlich und tat, als bewege lediglich ein dir drohendes schweres Schicksal ihr Herz. Sie sprach über dich wie über ein lockiges Knäblein in zartestem Alter. Man hätte meinen können, du -52-
würdest eingehen, wenn du nicht jeden Morgen deine von Frauenhand bereitete Milchsuppe bekämest. Aber als ich dann andeutete, dir könne eine etwas robustere Lebensführung nur gut tun, da zeigte sie sich mir von einer Seite, die du, mein Lieber, nicht kennst. Sie sagte mir nämlich klipp und klar, mir und dem Kleinen - den sie übrigens einen armseligen, lächerlichen Hungerleider nannte - käme es nur darauf an, dich auszubeuten. Und weil es deine Schwester war, habe ich sie nicht hinausgeworfen, sondern ihr so lange etwas über die guten Wirkungen von Beruhigungsmitteln erzählt, bis sie etwas merkte und dann sehr eckig davo nging.« Hannemann zog sein Taschentuch und fuhr sich damit über das Gesicht. Seine sonst so glatte Stirn zeigte einige beunruhigende Furchen. »Einen armseligen, lächerlichen Hungerleider hat sie Bartels genannt?« fragte er mit rauher Stimme. »Das hat sie.« »Ich muß sagen...«, er wandte sich ab und blickte zum Fenster hinaus. »Wenn du meinst, daß du dich hier nicht wohl fühlen kannst«, begann Spreckelsen nach einer Weile wieder, »so bist du natürlich keineswegs gezwungen...« »Dummes Zeug!« fuhr da Hannemann herum. »Du kennst mich doch und weißt, daß ich keine Sache, zu der ich mich einmal bekannt habe, im Stich lasse. Wenn ich vorhin gemurrt habe - nun ja - so eine Wohnung mit nichts drin erweckt einem doch die Vorstellung von einem Haufen körperlicher Arbeit, die nötig ist, um eine Behausung daraus zu machen. Und wenn ich an die Bücher denke, die ein Packer gestern in vierzehn Kisten verstaut hat und die ich nun wieder einräumen muß...« Hannemann schwieg, aber Spreckelsen sah ihm an, daß er noch etwas auf dem Herzen hatte, und wußte sehr wohl, was ihn bedrückte. Doch er half ihm nicht, denn es widerstrebte ihm, zu -53-
jener Sache noch weiter etwas zu sagen. Hannemann befaßte sich zunächst mit ganz überflüssigen kleinen Verrichtungen: Betasten der Tapete und des Farbanstrichs am Fenster, Wippen auf dem Fußboden, öffnen und Schließen der Fensterklappe. Dann trat er plötzlich mit sorgenvoller Miene auf Spreckelsen zu. »Du«, sagte er, »meine Schwester hätte es mir nicht verschweigen sollen, daß sie bei dir war.« Spreckelsen hob kühl die Schultern. »Warum sollte sie darüber reden? Es ist doch nicht so wichtig. Das kleine Gespräch hat ja keinerlei Folgen gehabt. Sie hat mir eben nur gesagt, wie sie über mich denkt.« »Zu mir hat sie aber anders über euch gesprochen. Geradezu in den Himmel gehoben hat sie euch. Herzensgute, aber rührend unbeholfene Menschen hat sie euch genannt.« »Das ist doch eigentlich sehr anständig von ihr.« Hannemann betrachtete zweifelnd seine eleganten Schuhe. »Jeder Mensch«, sagte er, »sollte ein bißchen kompliziert sein. Wenn jemand so ganz eindeutig unaufrichtig ist, so finde ich das peinlich. Es ist mir dabei ebenso, als benähme einer sich in aller Öffentlichkeit recht unanständig. Wir alle haben doch Hemmungen, bis zum Äußersten ungebunden natürlich zu sein. Ebenso kann niemand ganz gut oder ganz schlecht, ganz ehrlich oder ganz unehrlich sein - im Leben oder in einem literarischen Werk - ohne uns in Verlegenheit zu bringen. Unkompliziert ist nur das Tier. Und wenn ich nun bei Menschen, die mir nahestehen...« »Du«, fiel ihm Spreckelsen ins Wort, »laß mal diese schwierigen Betrachtungen in einer Wohnung, die nicht mal einen Stuhl hat, auf den ich mich setzen kann, um dich in Ruhe anzuhören. Nichts ist anstrengender als eine psychologische Erörterung im Stehen. Im übrigen aber finde ich deine Meinungen ein bißchen sehr literarisch. Und ich fürchte, deine -54-
historischen Romane fangen an, sich auf dein tägliches Leben auszuwirken. Ich sage dir, das ist gefährlich. Besonders, wenn du etwa auch noch dazu übergehst, dich mit deinen Mitmenschen in historischer Sprache zu unterhalten.« »Aber es gibt doch Probleme, die man nur lösen kann, wenn man...« »Ach, du - Probleme... In historischen Romanen findet man ja wohl welche und auch in anderen Sachen, die ihr so schreibt. Manchmal, wenn man so was liest, kriegt man es ja faustdick hingesetzt, daß da ein Problem ist, und die Menschen in solchen Geschichten begehen die dümmsten Sachen, nur damit das Problem herauskommt und der Verfasser das Maß seiner Nachdenklichkeit kundtun kann. Die Probleme jedoch, die uns im allgemeinen angehen, sind zwar kolossal wichtig wenigstens für uns - aber keineswegs tiefgründig. Und du darfst es mir glauben: die Frage, wie wir drei mit unserer Wohnung zurechtkommen, ist augenblicklich bedeutsamer als alle Probleme eurer Erfindung. Und daß man darüber keine Geschichten schreiben kann, zum mindestens keine die von irgend jemand gedruckt werden, ist dabei ganz nebensächlich. Und jetzt bin ich wirklich sehr neugierig auf folgendes: Erstens: Werden meine verdammten Möbelfritzen heute noch mit dem Frühstücken fertig? Zweitens: Wirst du mich jetzt mit deinen Ergüssen über gewünschte Kompliziertheiten verschonen? Drittens: Was wird der Kleine alles auf der Auktion zusammenkaufen? Siehst du, da hast du drei Probleme. Verwerte sie.« »Wieviel Geld hat er?« fragte Hannemann, der es aufgab, mit einem so unproblematischen Menschen über seelische Dinge zu reden. »Noch ein Problem! Fünfhundert gab ich ihm.« »Da können wir uns allerdings auf einiges gefaßt machen.« Es klingelte. -55-
»Wie das komisch ist«, sagte Hannemann, »wenn es in einer leeren Wohnung klingelt.« »Ich kann nichts Komisches daran finden«, knurrte Spreckelsen und ging an die Tür. Ein blauweißgestreifter Möbelmann stand davor und fragte nach Herrn Hannemann. »Sie sind hier richtig«, sagte Spreckelsen. Darauf beugte der Mann sich über das Treppengeländer, steckte zwei Finger in den Mund und pfiff so gellend, daß der inzwischen dazugekommene Hannemann mit den Händen nach den Ohren zuckte. »Ich soll Ihnen noch bestellen, von der Frau, wo Sie ausgezogen sind«, wendete der Gestreifte sich an ihn, »daß die Flasche in der einen Schublade...« »In welcher Schublade?« »Hat sie nicht gesagt. Aber das ist Möbelpolitur, und damit müssen Sie jeden Monat einmal die Möbel polieren. Sonst werden sie schlecht.« »Danke. Gut, daß ich es weiß.« Hannemann schaute sinnend vor sich nieder. »Jeden Monat einmal«, murmelte er. »Siehst du!« lachte Spreckelsen. »Probleme können auch so aussehen.« »Erwähntest du vorhin nicht eine Reinmachefrau?« fragte ihn Hannemann. »Gewiß. Dünnbier heißt sie - Frau Dünnbier. Kein Problem Wirklichkeit.« »Du schätzt sie?« »Natürlich.« »Nun ja - ihr Name muß ja für dich etwas Bestechendes haben. Ob sie wohl Möbel polieren kann?« -56-
»So gut wie du wird sie es schon können.« »Meinst du, daß sie es für mich machen wird?« * »Warum sollte sie nicht!« Hannemann lächelte. »So wäre dieses Problem ja schon gelöst.« »Und bei deiner so komplizierten Natur überraschend schnell.« Von der Treppe her erklang langsames, schweres Stampfen. Hannemann ging hinaus und blickte über das Geländer nach unten. »Das sind die Bücherkisten«, sagte er sorgenvoll. Eine Weile überlegte er angestrengt. »Ich habe mal von Leuten gehört«, fuhr er dann fort, »die hatten ein Klavier und zogen damit in eine ganz neue Wohnung. Und die Möbelmänner stellten das Klavier in die Mitte eines Zimmers. Als sie dann mit einem Sofa wieder heraufkamen, befand sich das Klavier im Mittagessen der Leute im Stockwerk darunter. Ich weiß nicht - ich möchte die Kisten doch lieber auf mehrere Zimmer verteilen, wenn es euch recht ist. Ich mache mich sofort ans Auspacken.« Spreckelsen grinste. »Uns ist alles recht. Wenn du nur deinen Seelenfrieden hast.« So dirigierte Hannemann die Möbelmänner nach allen Himmelsrichtungen. Auf einmal jedoch tauchte aus dem Treppenschacht ein Möbelmanngesicht heraus, das Hannemann noch nicht kannte, und er wurde gefragt: »Ist das hier richtig bei Herrn Spreckelsen?« -57-
»Sie bringen die Möbel von Herrn Spreckelsen?« erkundigte Hannemann sich mit leichtem Unbehagen, denn er sah ein heftiges Durcheinander voraus, und Spreckelsen trieb sich just in den hinteren Räumen herum. »Die bringe ich«, sagte der Mann mit Nachdruck. »Spreckelsen!« ertönte Hannemanns Hilfeschrei. »Was ist los?« dröhnte es aus dem Schrankzimmer zurück. »Deine Möbel!« »Ich komme!« - Und Spreckelsen erschien wuchtig und drohend vor seinem Möbelmann. »Erstaunt, Sie noch mal wiederzusehen«, sagte er böse. »Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben.« »Wir mußten doch frühstücken«, verteidigte sich der andere gekränkt. »Ich fürchtete schon, es sollte ein Frühstück mit anschließendem Bierabend werden.« Der Möbelmann, nach einem prüfenden Blick auf Spreckelsens Gestalt, entschloß sich zu einem versöhnlichen Lachen. »Wir sind jetzt da.« »Ich sehe es mit Wonne. Und wenn Sie mir jetzt statt Ihrer üppigen Beredsamkeit Taten bieten würden, so wäre mein Glück vollkommen.« »Gemacht.« Auch dieser Mann verstand sich auf geräuschvolle Signale. Er pfiff zwar nicht, aber seine Stimme hallte so kräftig durch das sonst so stille Treppenhaus, daß der empfindsame Hannemann abermals verstört zusammenfuhr. Und dann erschien plötzlich ein Herr in elegantem Zivil. »Herr Hannemann?« fragte er. »Ja?« fragte Hannemann zurück. »Ich komme von der Firma Möller & Knuth und bringe die -58-
von Ihnen gekauften Möbel.« »Gerade jetzt?« klagte Hannemann und blickte hilfeflehend auf Spreckelsen. »Nur immer her damit!« sagte der unerschüttert. »Das wären glücklich drei Transporte auf einmal«, stöhnte Hannemann. »Und wenn der Kleine jetzt noch mit seinem Auktionskauf kommt, sind es vier.« Der elegante Herr beugte sich nun ebenfalls über das Treppengeländer und sagte: »Meyer!« »Jawoll!« brüllte es von unten herauf, und wieder erbebte das stille Haus. Spreckelsen trat neben den Herrn von Möller & Knuth und schaute in die Tiefe. »Es wogt auf den Treppen von Möbeln und Möbelmännern«, schilderte er Hannemann seinen Eindruck. »Ich fürchte, diese Wogen werden über unseren Köpfen zusammenschlagen«, sagte Hannemann dumpf. »Und dann gibt es eine Katastrophe.« Zunächst sah es noch nicht gefährlich aus, denn hinter einer von Hannemanns Bücherkisten erschien nur ein Mann mit müdem Blick, der nichts weiter als zwei Öldruckbilder und eine Petroleumlampe trug. Spreckelsen starrte ihn verblüfft an. »Was?« schrie er. »Sind Sie schon wieder da? Wie kommen Sie zu meinen Sachen?« Der andere rieb verlegen den linken Fuß an der rechten Wade. Es lag Angst in seinen Zügen, doch zugleich stand etwas von Eigensinn darin, der offenbar die Angst überwand. »Ich habe unten gesagt«, entgegnete er mit belegter Stimme, »Sie hätten mich geschickt. Nämlich - wenn ich ein bißchen helfe - beim Tragen und so - ich kann auch Nägel einschlagen das kann ich ganz gut - und ich denke, dann können Sie mir -59-
doch gern eine Mark geben - Sie wissen ja...« Er brach ab, denn Spreckelsens Miene wurde so bedrohlich, daß den armen kleinen Burschen wildes Entsetzen packte und nur ein geradezu fanatisch gewordenes Verlangen ihn zurückhielt. Es war nun einmal so, daß Spreckelsen diesen weichen Muskelmann durchaus nicht leiden mochte. »Her mit dem Kram!« brüllte er jetzt und griff nach der Lampe und den Bildern, die der andere ihm bebend überließ. »Und wenn Sie nicht wie ein geölter Blitz verschwinden...« Der Kleine wich zurück. »Aber Sie müssen doch zugeben, Herr«, stammelte er trotz der Gefahr, »daß ich jetzt...« Spreckelsen setzte sehr schnell die Lampe auf den Fußboden und bekam dadurch die rechte Hand frei. Diese fuhr dann, zu einer mächtigen Faust geballt, auf den unglücklichen Eiferer los und brachte ihn nun endlich in eine Bewegung, die alle Anzeichen eines fluchtartigen Rückzugs trug. »Ein guter Bekannter von dir?« fragte Hannemann gemessen. »Ein Kerl, der wegen einer lumpigen Mark unserem Kleinen zu Leibe wollte.« »Dafür hat er zweifellos den Tod verdient. Doch sag mal: hätte man ihm die lumpige Mark nicht ruhig geben sollen? Ihm schien doch wirklich sehr viel daran zu liegen. Eigentlich tut mir der arme Kerl leid.« »Leid? Dieser Schurke? - Hast du so wenig Menschenkenntnis?« Hannemann schüttelte den Kopf. »Dieser Mann ist kein Schurke, sondern nur ein armer Teufel, dem du viel zu grob begegnet bist.« Spreckelsen sah ihn verwirrt an. »Meinst du das im Ernst?« »Gewiß.« »Ich war zu grob?« -60-
»Hm.« Spreckelsen sagte nichts weiter und nahm die Lampe vom Fußboden auf. Hannemann betrachtete sie kritisch. »Ich weiß nicht, wozu wir eine Petroleumlampe brauchen«, bemerkte er mißfällig. »Wie ich den Kleinen kenne, werden wir um einige Fälle von Kurzschluß nicht herumkommen.« »Das ist ja sehr aussichtsreich«, sorgte sich Hannemann. »Und außerdem stammt diese Lampe aus meiner Kinderzeit.« »Man sieht es.« »Bei ihrem Schein habe ich meine Schularbeiten gemacht.« Hannemann sah ihn zweifelnd an. »Ich glaube nicht, daß du überhaupt jemals Schularbeiten gemacht hast. Übrigens finde ich diese Bilder scheußlich.« »Scheußlich?« »Scheußlich.« »Das sind Landschaften. Heide und so.« »Beweisen läßt es sich nicht, aber der Glaube vermag viel.« »Du bist hart in deinem Urteil.« »Und schmerzgebeugt. Was kommt denn da für ein Ungetüm?« »Das ist das Klavier«, erklärte Spreckelsen stolz. »Du bist doch hoffentlich nicht musikalisch?« Spreckelsen rieb sich die Nase. »Eigentlich nicht«, sagte er. »Was soll denn das Ding? Auch ein Überbleibsel aus deiner Jugendzeit?« »Ungefähr so. Meine Mutter - weißt du - hat darauf gespielt.« »Ich finde dich seit fünf Minuten reichlich sentimental. Kommen auch noch Nippessachen und solche Geschichten zum Vorschein?« -61-
»Nicht viel.« Hannemann hustete. »Und noch immer kein Stuhl«, klagte er, »auf den man sich schreckgelähmt niederlassen kann.« »Da erscheint einer«, tröstete ihn Spreckelsen. »Setz und erhol dich.« Aber Hannemann stürmte bereits hinter einer Bücherkiste her, die den falschen Weg eingeschlagen hatte. Und dann steigerte sich der Andrang so sehr, daß zum Sitzen wirklich keine Zeit war. Es läßt sich nicht bestreiten, daß es schon im Treppenhaus ernsthafte Stockungen gab. Vorübergehend waren die Leute in den anderen Wohnungen von der Außenwelt abgeschnitten. Ihre kummervollen Blicke warfen dunkle Schatten über den Einzug, und ihr Wehgeschrei zerschnitt den Möbelmännern das Herz, so daß sie in edlem Mitgefühl weißhaarige alte Damen mit »Junge Frau« anredeten, wenn sie ihnen tröstliche Aussichten für eine nahe Zukunft eröffneten. Hannemann und Spreckelsen hatten sich beim Anblick des von ihnen verursachten Leids feige in die Geborgenheit ihrer Wohnung zurückgezogen und gaben aus unsichtbaren Hintergründen heraus ihre Anweisungen, wenn die Möbelstücke die Flurtür passierten. »So ein Umzug ist mir noch nicht vorgekommen«, vernahmen sie vom Treppenhaus her die Stimme einer empörten Frau. »Mir auch nicht«, bemerkte dazu ein treuloser Möbelmann, und Spreckelsen beschloß, ihn diesen Verrat am Trinkgeld spüren zu lassen. Schließlich erschien auch Spreckelsens Dielenuhr auf dem Plan. »Wo stellen wir sie hin?« fragte er Hannemann. Dieser wies in eine Ecke der Diele und betrachtete die Uhr mit Wohlwollen. »Gar nicht übel«, sagte er. »Ein altes Stück.« Spreckelsen lächelte stolz. -62-
»Stammt aus dem achtzehnten Jahrhundert«, erklärte er. »Eine Bauernuhr. Einen Schlag hat sie!« »So schön?« »So laut.« »Laut?« »Mächtig laut. Leider schlägt sie nur die halben und ganzen Stunden.« Hannemann wendete sich schweigend, aber mit deutlichem Ausdruck des Mißfallens von der gepriesenen Uhr ab. Bald gesellte sich zu dieser die von Hannemann neu erstandene. Ein modernes, von Neuheit blitzendes Stück war das. Innen lauter Messing und Politur, wie man durch die geschliffene Scheibe bemerken konnte. »Fabelhaft!« bewunderte Spreckelsen. »Sie wird auf Besucher starken Eindruck machen. Und schlägt alle Viertelstunden?« »Alle Viertelstunden.« »Wundervoll! Ich höre Uhren gern schlagen.« »Es kann einem vielleicht mal zu viel werden«, meinte Hannemann und streifte Spreckelsens Dielenuhr mit gehässigem Blick. Für eine Weile rissen verschiedene Aufgaben sie jetzt auseinander. Hannemanns Bücherschränke waren aufgebaut, und er machte sich daran, Bücherkisten zu leeren. Spreckelsen wiederum hielt es für nötig, Küchengeschirr einzuräumen, nachdem ein Möbelmann eine schwere Küchenfederwaage ältesten Stils in eine Wanne voll Geschirr hatte gleiten lassen. Spreckelsens Tätigkeit verlief nicht ohne weitere, durch wilde Geräusche bekundete Verluste. Dann endlich kam die Möbelzufuhr ins Sickern. Man sah nicht mehr so viele Möbelmänner auf den Treppen, und Hannemanns Transporte waren eigentlich schon beendet. Die Nachbarn atmeten freier und wagten sich hoffnungsfreudiger ins -63-
Treppenhaus, wenn auch Spreckelsens Hausrat noch immer gleichmäßiges Stapfen schwerer Männerstiefel auf ächzenden Stufen verursachte. In der Wohnung freilich, so geräumig sie war, sah es schlimm aus. Daran war in erheblichem Maße Hannemanns ängstliche Verteilung seiner Bücherkisten auf sämtliche Zimmer schuld. Aber auch Spreckelsen hatte nicht unwesentlich zu der Wirrnis beigetragen. Es zeigte sich, daß seine beiden Zimmer und die Küche bei weitem nicht alles fassen konnten, was er mitgebracht hatte. Allmählich verstopfte sich der wichtige Weg des Korridors derart, daß die Möbelmänner zu alpinistischen Übungen übergehen mußten, um ihre Lasten sicher ans Ziel zu bringen. Spreckelsen kam ins Fluchen, denn er sah sich einer Situation gegenüber, der mit Körperkräften allein nicht beizukommen war. Er schrie nach Hannemann, der einsiedlerisch in seinem Zimmer wühlte und fein sorgsam Bücher in die Schränke stellte, als sei das die Arbeit, von der alles abhing. Hannemann folgte dem Ruf und gesellte sich in der Küche zu Spreckelsen, dessen Verwegenheit bei der Behandlung von zerbrechlichen Dingen rechtschaffen bewundernd. »Wir sitzen fest«, stöhnte Spreckelsen. »Wir kriegen in die Wohnung nichts mehr hinein.« »Aber es kommt doch noch immer mehr!« »Das ist es ja! Und die Zimmer des Kleinen sind auch schon voll.« »Mit deinen Sachen?« »Und deinen Büchern.« »Das geht doch nicht!« »Natürlich geht es nicht!« »Was machen wir denn da?« »Ja, was machen wir da?« -64-
»Deine verfluchten Erbstücke.« »Dieser verdammte Mist!« Spreckelsen haute wütend eine Suppenterrine auf den Küchentisch, und die Terrine reagierte. »Die ist hin«, sagte Hannemann kaltherzig. »In die Müllschütte damit.« Spreckelsens Blicke leuchteten auf. »Die Müllschütte!« rief er. »An die habe ich noch gar nicht gedacht. Ich habe noch eine ganze Menge für die Müllschütte.« Eine Weile hatten sie dann ihren Spaß mit der Müllschütte. Es waren genug Dinge da, die man ihr anvertrauen konnte, und sie fanden es lustig, diese vielen harten Gegenstände im Müllschacht, der bis in den Keller führte, rasseln zu hören, nachdem sie die Schütte jeweils mit einem Knall hatten umkippen lassen. Nicht ebenso begeistert von dieser mit Andacht betriebenen Tätigkeit der beiden waren die Bewohner der unteren Etagen, denen dieser Zuwachs an Lärm unnötig vorkam, auch nicht die Möbelmänner, die noch immer Spreckelsens Hausrat heraufschleppten und angesichts des Möbelgebirges im Korridor mehrfach vergeblich um Rat und Hilfe flehten. Eine fröhlich krähende Stimme störte Hannemann und Spreckelsen aus ihrer heiteren Beschäftigung auf. Bartels erschien. »Fein, was ihr da macht«, rief er. »Aber jetzt kommen meine Möbel.« Die beiden starrten ihn an. »Sie kommen?« »Sie kommen. Der Wagen steht schon vor der Tür. Fabelhafte Sachen, sage ich euch. Eine Dielenuhr ist dabei...« »Eine Dielenuhr?« stieß Hannemann heraus. Es klang wie ein Schrei. »Eine Dielenuhr, ja. So was habt ihr noch nicht gesehen und -65-
gehört. Die schlägt nicht nur auf Halb und Voll, nein, jedes Viertel schlägt sie. Und jeder Schlag ist nicht nur ein Ton. Keineswegs. Vier Töne - eine ganze Melodie - auf Dreiviertel also zwölf Töne. Stellt euch das mal vor! Ist das nicht wundervoll? Und billig, ganz billig. So viel Musik für nur wenige Mark. Und dazu einen herrlichen Regulator. Den habe ich fast umsonst gekriegt.« »Schlägt der auch?« fragte Spreckelsen nach einem besorgten Blick auf Hannemann. »Und ob er schlägt! Wie eine Turmuhr.« »Gott soll uns bewahren!« rief Hannemann. Spreckelsen sah den Kleinen grimmig an. »Hast du noch mehr solche Uhren gekauft?« fragte er. Bartels schaute betroffen auf. »Noch mehr?« fragte er. »Mehr waren nicht aufzutreiben. Ich dachte auch, die beiden genügten für unseren kleinen Haushalt.« »Genügten!« höhnte Spreckelsen. »Wir haben jetzt bloß drei Dielenuhren und drei Regulatoren. Wie kann das genügen, wenn wir statt der Tapeten Uhren an den Wänden haben wollen! Allerorten fehlen sie uns: in den Schlafzimmern, im Badezimmer, in den Kammern, bei Tante Meyer - nirgends eine Spur von Uhren.« »Hör auf!« bat Hannemann. »Ich kann das Wort schon nicht mehr hören, ohne daß mir schlecht wird. Ich glaub te, nur der Begriff Eltern käme ausschließlich im Plural vor, aber ich sehe, bei Uhren ist es ebenso.« »Jetzt haben wir über Geräuschmangel bestimmt nicht mehr zu klagen«, bemerkte Spreckelsen dumpf. »Draußen die Vorortsbahn, drinnen unsere sechs laut und vernehmlich schlagenden Uhren...« »Hallo!« brüllte es plötzlich von der Flurtür her. »O Gott, meine Möbel!« schrie Bartels. Er schaute auf den -66-
Flur hinaus und sandte dann einen traurigen Blick zurück. »Etwas schwierig, da durchzukommen«, sagte er. »Finde ich auch«, ertönte eine Stimme von draußen. »Wir sollen uns wohl die Knochen brechen?« Spreckelsen und Hannemann sahen einander an, von Gewissensnöten beschattet. »Wir müssen mit anfassen«, sagte Spreckelsen. »Dem Kleinen muß ein Weg gebahnt werden.« »Vorausgesetzt, daß er noch etwas anderes gekauft hat als Uhren.« »Was du wohl meinst!« entrüstete sich Bartels. »Staunen werdet ihr! Ein Schlafzimmer habe ich und ein Speisezimmer mit Geschirr und allem. Fabelhaftes Geschirr!« »Geschirr?« seufzte Hannemann. »Die Müllschütte ist voll.« »Kristall ist dabei - Kelche, Vasen, Schalen - mit Vergoldung und aufgemalten Blumen - eine Pracht - ihr dürft es glauben.« »Ich denke, die Sachen werden zu Spreckelsens Regulator passen«, sagte Hannemann trübsinnig und folgte Spreckelsen, der bereits im Korridor Breschen in das Gebirge schlug. Mit Entsetzen sah Hannemann, daß es zunächst sein Arbeitszimmer war, das freien Raum zu opfern hatte, um auf dem Korridor Luft zu schaffen. »Mann Gottes!« rief er aufgeregt. »Ich war doch gerade beim Einordnen der Bücher.« »Du warst beim Einordnen des Mülls«, knurrte Spreckelsen. »Und überdies ist alles ganz egal. Wir dürfen den Kleinen nicht versacken lassen.« »Wir haben doch noch einen Bodenraum«, wagte Hannemann einzuwenden. »Gut, daß du mich daran erinnerst. Von meinen Sachen muß ohnehin noch allerlei verschwinden, denn das Schlafzimmer des Kleinen ist voll davon. Und er muß sein Recht haben.« -67-
»Ich muß sagen...« »Gar nichts mußt du sagen, sondern nur anpacken.« Und so fügte es sich, daß die Möbelmänner des kleinen Bartels Möbel in die Wohnung trugen und zugleich die Wohnungsinsassen Möbel aus der Wohnung heraustrugen. Das gab natürlich ein etwas lebhaftes Durcheinander und ging auch nicht ohne Zusammenstöße ab. Ferner führte es zu unangene hmen Mißverständnissen, denn einmal begab es sich, daß zwei Möbelmänner mit einem Büfettaufsatz sich besinnungslos den drei just nach oben klimmenden Männern anschlössen und hernach mit ihrer Last aus dem Bodenraum verjagt werden mußten, worauf man ihr Zorngeschrei laut durchs Treppenhaus hallen hörte. Alles nimmt einmal ein Ende, und dieses Schicksal war auch dem Einzug der drei Junggesellen beschieden, obwohl es stundenlang so ausgesehen hatte, als sei er von dem natürlichen Verlauf aller Dinge ausgeschlossen. Als schließlich Wohnungsinhaber und Möbelmänner freundlich gruppiert nach Bezahlung der Rechnungen und Verteilung der Trinkgelder sich zum Abschied an der Wohnungstür zusammenfanden - im Innern der Wohnung war für eine solche Ansammlung von Menschen kein Platz - fiel das bedeutsame Wort: »An den Umzug will ich noch denken, wenn ich schon am Verrecken bin.« * Am Abend dieses Tages fanden in drei Wohnungen des vornehmen Hauses gleichartige Beratungen statt. Sie begannen auch ungefähr zum gleichen Zeitpunkt und erörterten die Frage, wie man am besten den Abend außerhalb des Hauses verbringen könne. Da waren die Leute, die unmittelbar unter dem neuen Heim -68-
der drei Junggesellen wohnten: Rechtsanwalt Rudelboß und Frau. Ihre Unterhaltung litt an zahlreichen Unterbrechungen, die sie immer wieder zwangen, die Augen klagend zur Decke zu heben. »Wieviel, sagst du, sind oben eingezogen?« fragte der Rechtsanwalt. »Drei. Lauter Männer. Einer davon ist so groß wie ein Elefant.« »Der spielt anscheinend augenblicklich mit einem Klavier Fangball und läßt es dabei manchmal fallen.« »Es war überhaupt ein merkwürdiger Umzug. Eine Zeitlang waren die Treppen regelrecht versperrt. Wenn hier Feuer ausgebrochen wäre, so hätte niemand sich retten können.« »Wenn!« murrte Rudelboß. »Es ist ja kein Feuer ausgebrochen.« »Es hätte aber...« Rudelboß bewahrte sich vor den dialektischen Folgen dieses Satzanfangs durch die eindeutige Frage: »In welches Kino gehen wir?« Genau zwei Stockwerke höher sprach sich ein gehobener mittlerer Beamter seiner Ehefrau gegenüber eine schwere Last vom Herzen. Sein durch Magenleiden, Zahngeschwüre und Hämorrhoiden ohnehin jeglicher Heiterkeit beraubter Charakter neigte zu starken Ausdrücken. »Das ist der Anfang vom Ende«, sagte er. »Diese drei Menschen werden uns ins Grab bringen.« »Ich verstehe Frau Platen nicht«, rief seine noch junge und hübsche Frau. »Einen sah ich heute morgen. Er hatte zwei Koffer bei sich und saß auf der Treppe. Auf sein Gesicht habe ich nicht geachtet, doch im übrigen machte er einen sehr gewöhnlichen Eindruck. Nicht einmal einen Kragen trug er. Solche Leute gehören doch nicht in dieses Haus. Horch einmal: -69-
diese laute Unterhaltung!« Sie neigte das Ohr. »Das ist keine Unterhaltung«, erklärte Herr Bern au. »Es sind Flüche.« »Flüche?« »Gotteslästerliche Flüche.« »Furchtbar hellhörig ist es hier doch eigentlich. Wollen wir nicht in ein anderes Zimmer gehen?« »Meinst du, sie fluchen nur in bestimmten Räumen? Was war das?« »Etwas Schweres ist ihnen hingefallen.« »Ich möchte wissen, wie Rudelboß über diesen Krach denkt.« »Ich glaube, er wird mit seiner Frau heute abend irgendwo hingehen, wo es netter ist als hier.« Er streifte sie mit mürrischem Blick. »So, das glaubst du? Und du meinst natürlich, ich solle es ebenso machen.« »Mir ist es einerlei. Ich kann Lärm vertragen.« »Ich aber kann ihn nicht vertragen«, schrie er wütend und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Und wenn du dir einbildest, daß ich mir das noch länger anhöre - bloß weil du Lärm vertragen kannst - wie komme ich dazu, dir zuliebe mir die Pest an den Hals zu ärgern! Nein, wir gehen ins Kino, ob es dir paßt oder nicht.« Ein heiterer Funke blitzte in den Augen der Frau auf, bevor sie mit dem Ausdruck der Resignation entgegnete, daß sie gegen das Kino nichts einzuwenden habe, wenn er durchaus darauf bestehe. Auf einmal aber war sie den drei Junggesellen gar nicht mehr so böse. Ein Stockwerk tiefer sagte eine vergnügte alte Dame zu ihrer Tochter und zwei jungen Mädchen reiferen Alters, ihren Enkelkindern, sie fände die drei Burschen nebenan sehr lustig. -70-
»Lustig?« fragte Frau Kölling, die Mutter der beiden Mädchen, gedehnt. »Ich kann Krach niemals lustig finden«, erklärte Anneliese Kölling, ohne sich jedoch in der Handhabung von Lippenstift und Taschenspiegel stören zu lassen. »Der eine von den dreien sieht sehr nett aus«, behauptete Inge Kölling und sah verträumt ins Leere. »Wirklich?« Anneliese blickte auf. »Ich habe noch keinen von ihnen gesehen.« »Sie standen an der Tür, als ich vom Büro nach Hause kam. Und dieser eine scheint tatsächlich etwas Besseres zu sein. Die anderen beiden - puh - ein Zwerg mit Stehkragen und ein Riese Goliath, der sicherlich Normalwäsche trägt.« »Du scheinst mit Herrenkleidung gut Bescheid zu wissen«, sagte die Großmutter und blinzelte verschmitzt. Inge verzo g unfreundlich den Mund und schwieg. »Es ist ja ganz einerlei, wie diese Leute aussehen«, erklärte Frau Kölling. »Vorläufig interessiert uns nur, wie sie auf unser Gehör wirken. Und da leisten sie mehr, als ich vertragen kann. Ich verlasse daher dieses geräuschvolle Heim.« »Wohin, Mutter?« fragten die Töchter. »Wir gehen mit.« Die Mutter, groß und schwer und auch bereits weißhaarig, sah die beiden Mädchen kritisch an. »Aber ich bezahle nichts für euch«, sagte sie. »Wenn ihr es so gemeint habt. Jede von euch hat ein größeres Einkommen als ich.« Die Töchter hoben verstimmt die Schultern, »Kino?« erkundigte Anneliese sich ohne viel Interesse. »Aber es muß ein Film mit vornehmen Leuten sein«, bemerkte da die Großmutter. »So was aus dem Volk sehe ich nicht gern. Aus dem Volk stamme ich selbst.« -71-
Alle wendeten sich ihr zu. »Willst du etwa mit?« fragte Inge. »Du hörst doch den Krach nebenan sehr gern«, erinnerte Anneliese. »Nicht so gern wie einen Tonfilm, der in feinen Häusern spielt«, sagte die alte Frau. »Aber beeilt euch. Ich kleide mich jetzt um, und wenn ihr nachher nicht fertig seid, gehe ich ohne euch.« Damit trippelte sie - klein, gebeugt, aber noch sicher und flink - in ihr Schlafzimmer. Die drei Frauen blickten ihr nach. »Ich finde«, bemerkte Anneliese, »Großmama ist furchtbar vergnügungssüchtig.« »Sie macht so viel aus ihrem Leben, wie sie nur kann«, wies die Mutter sie zurecht. »Und darüber sollte niemand sich aufregen.« So ergab es sich, daß an diesem Abend die Kinos in Hamm eine wesentliche Zunahme ihrer Besucherzahl zu verzeichnen hatten. Vergeblich haben die Hammer Kinobesitzer versucht, die Gründe für diese erfreuliche Steigerung zu erforschen. Die drei Männer aber, die in einem gewissen Umkreis Betrachtungen und Heimflucht verursacht hatten, saßen abends nach einem heftigen und geräuschvollen Kampf mit Möbeln und Kisten schweigsam beisammen und begrübelten ihr Schicksal. Denn sie sahen sich einer Lage gegenüber, die so leicht nicht geklärt werden konnte. Zunächst hatten sie feststellen müssen, daß keiner von ihnen auf den Gedanken gekommen war, die Gaswerke und die Elektrizitätswerke von ihrem Einzug zu benachrichtigen. Ferner hatten sie vergessen, jemanden zum Aufhängen der Lampen zu bestellen. Als die Dämmerung kam, zeigte sich die Bescherung. Sie waren ohne Licht. »Ich glaube, ich habe eine Taschenlampe in einem meiner -72-
Koffer«, sagte Bartels. Spreckelsen schnaufte verächtlich. Hannemann seufzte: »Wie ich morgen früh zu meinem Kaffee kommen soll, weiß ich nicht.« »Ja«, ergänzte Bartels, »und die Brötchen... Wie kriegen wir Brötchen?« »Und wer macht uns die Betten?« fuhr Hannemann fort. »Die machen wir selbst«, fauchte Spreckelsen. »Jeden Nachmittag, wenn wir nach Hause kommen, wird das Bettmachen unsere erste Aufgabe sein. Als Soldat hast du auch niemanden gehabt, der solche Sachen für dich erledigte.« »Aber ich bin doch nun nicht mehr Soldat.« »Ein alter Waschlappen bist du!« grollte Spreckelsen. »Wenn wir wenigstens Licht hätten«, bemerkte Bartels, »damit man hernach ins Bett finden kann. Übrigens - habe ich denn Bettwäsche?« Er starrte leer vor sich hin. »Nein, ich habe keine Bettwäsche. Und eigentlich habe ich auch nicht mal ein Handtuch.« »Ich denke, du hast heute eingekauft«, knurrte Spreckelsen. »Gebrauchte Möbel, ja. Aber keine gebrauchte Wäsche.« Spreckelsen schwieg eine Weile nachdenklich. »Ich glaube«, sagte er dann zögernd, »aber ich weiß nicht, ob man jemandem so was anbieten darf - ich habe nämlich solchen Kram reichlich - Bettwäsche, Handtücher...« »Gebraucht?« fragte Bartels mit leichter Besorgnis. »Aber gewaschen. Oder meinst du, ich wäre mit einem Haufen schmutziger Wäsche umgezogen.« Bartels sah ihn bewundernd an. »Du verstehst viel von Hausstandsangelegenheiten, nicht wahr?« Spreckelsen brachte es nicht fertig, sich den Genuß dieser Anerkennung durch naheliegende Einschränkungen zu -73-
verderben. »Es geht«, versuchte er bescheiden zu sein. »Woher hast du denn diesen Wäschevorrat?« erkundigte Bartels sich. »Erbstücke!« schrie Hannemann und bewirkte damit bei seinen Gefährten ein jähes Hochfahren. »Großer Gott!« jammerte Bartels. »Ihn hat's! Übermaß körperlicher Arbeit verwirrte Geist eines Intellektuellen.« »Die Lampe!« stieß Hannemann heraus. »Ja - ja«, begütigte Spreckelsen sanft - »gewiß - die Lampe morgen brennt sie - morgen brennen alle Lampen - morgen gibt es hier eine Festbeleuchtung. Licht in allen Räumen; selbst bei Tante Meyer soll es hell sein bis tief in die Nacht hinein. Geh schlafen, Kind, geh schlafen, und morgen ist alles gut.« »Die Petroleumlampe, alte Quatschliese!« sagte Hannemann. »Dein Erbstück.« »Herrlich!« rief Spreckelsen. »Unvergleichlich ist das Gehirn eines Studienrats, selbst wenn es durch die Schaffung historischer Romane defekt geworden ist.« »Historische Romane?« staunte Bartels. »Er...?« Spreckelsen nickte wuchtig: »Es ist so.« »Wirklich, Hannemann? Du schreibst solche Sachen? Du wirst das Licht des Ruhmes auf unser Heim lenken?« »Licht!« sagte Hannemann abweisend. »Zunächst einmal lenke ich das Licht von Spreckelsens Petroleumlampe hierher.« »Aber wir haben kein Petroleum«, wendete Spreckelsen ein. »Sollte es nicht möglich sein, welches zu kaufen?« höhnte Hannemann. »Ich - ich«, stotterte Bartels erregt »ich werde welches holen. Und Kerzen - und Kaffee - und Brötchen - und Butter ich kaufe ein - für uns alle.« -74-
»Kauf, was du willst«, sagte Spreckelsen, »nur keine Uhren. Weder mit noch ohne Schlagwerk sind Uhren mir zur Zeit sympathisch.« Es dauerte eine Weile, bis der Kleine wiederkam. Und er wankte unter den Lasten seiner Einkäufe. Viel hatte er zu berichten: »Die Brotfrau gleich um die Ecke liefert uns jeden Morgen Brötchen - für jeden zwei. Mehr kriegst du nicht, Hannemann sonst wirst du noch dicker als du schon...« »Erstens bin ich keineswegs dick«, wies Hannemann ihn ab, »und zweitens esse ich morgens nie mehr als zwei Brötchen.« »Ferner«, fuhr Bartels fort, »liefert der Milchmann uns jeden Tag einen Liter Milch. Sie wird morgens in einer Flasche vor unserer Tür stehen.« Spreckelsen glotzte ihn entgeistert an. »Milch? Sagtest du Milch?« »Ich sagte Milch.« »Wer von uns dreien soll die denn einnehmen?« »Er behauptete, die Dame, die vor uns hier gewohnt hat, habe auch täglich einen Liter von ihm bezogen. Und Rudelboß und Bernau und Frau Kölling kriegen auch immer von ihm.« »Was sind das für Leute - Rudelboß, Bernau und Frau Kölling?« »Ich weiß nicht. Es müssen berühmte Leute sein. Jedenfalls tat er so, als könne niemand umhin, ihnen nachzueifern. Und er meinte, Frau Spreckelsen würde sehr mit seiner Milch zufrieden sein.« »Wer?« fuhr Spreckelsen auf. »Er redete so viel von Frau Spreckelsen, daß ich dachte, er müsse es doch wohl besser wissen.« »Und wofür hat er dich gehalten?« -75-
»Für den kleinen Spreckelsen vermutlich«, entgegnete Bartels mit übertriebener Jugendlichkeit. »Wenn es hier nicht so dunkel wäre...« »Laß uns Petroleum auf die Lampe gießen!« unterbrach Hannemann die Auseinandersetzung. »Auf die Lampe gießen!« rief Bartels begeistert. »Du hast es erfaßt, Hannemann. Gesunde Instinkte walten in dir. Auf ins Wirtshaus, damit unsere Seelenlampen zu ihrem Petroleum kommen.« »Aber wir wollen ohne Stichflammen in dieses vornehme Haus zurückkehren«, ermahnte Spreckelsen. »Und meine Bücher?« sträubte sich Hannemann, jedoch ohne überzeugenden Nachdruck. »Habent sua fata libellis«, sagte der Kleine. »Libelli!« berichtigte Hannemann wütend. »Fang nur noch mit lateinischen Zitaten an, wo du nie Latein gelernt hast!« »Ich möchte es lernen.« »Wo?« »Bei dir.« »Fünf Mark die Stunde.« Bartels blickte Spreckelsen an: »Vater zahlt.« »Meinst du mich?« fuhr Spreckelsen auf. »Möchtest du mich nicht adoptieren?« »Narr!« »Der Milchmann...« »Wir gehen jetzt«, entschied Spreckelsen. »Dem Kleinen sind im Milchladen Säuglingsregungen gekommen. Die müssen wir vertreiben.« Kein Widerspruch erfolgte, und tiefe Ruhe senkte sich auf das Haus, nachdem vier seiner Wohnungen von den Insassen geräumt worden waren. -76-
* Vieles noch begab sich in der Wohnung der drei Junggesellen, bevor sie sagen konnten, es sei alles so, wie es sein sollte. Es war nicht damit getan, daß der Gasmann kam und der Mann von den Elektrizitätswerken und am Abend dieses Tages Grog in Gläsern dampfte und helles Licht aus mehr oder minder schönen Hängelampen niederströmte. Dieses Licht, so lieblich es den Grog erscheinen ließ, war gnadenlos, wenn es auf die anderen Dinge fiel, die in diesen Gemächern zu bemerken waren. Immer wieder bäumte Unzufriedenheit sich in den Gemütern auf, die doch Behaglichkeit ersehnten. Sie wußten nicht, woran es lag, aber da war eine Kälte der Stimmung in diesen Zimmern, die alle Begeisterung niederhielt. Erst Spreckelsens Butterfrau löste das Geheimnis dieser starren Unwohnlichkeit. Eines Tages kehrte Spreckelsen etwas früher heim als sonst und fand Bartels in einem Zustand starker Erregung vor. Hannemann, der sonst stets als erster nachmittags zu Hause war, fehlte noch. »Was ist mit dir los?« fragte Spreckelsen den Kleinen, der vor Mitteilsamkeit bebte. »Deine Butterfrau ist da.« Spreckelsen lachte. »Ich kann mir denken, daß sie dich mit ihrem ungeheuren Format beunruhigt.« »Und außerdem fragte sie, ob sie durchgehen dürfte. Und wenn Pferde und Frauen durchgehen, so stampfen sie alles nieder auf ihrem Wege.« »Frauen auch?« »Frauen auch.« »Du mußt es wissen.« »Ich weiß es. Und dein wildes Pferd also...« -77-
»Mein...?« »Die Butterfrau - die durchgehende Butterfrau...« »Ist sie durchgegangen?« »Ja. Durch den Flur nach der Küche.« »Dann ist sie jetzt also in der Küche. Ich werde gleich...« »Nein, dort ist sie nicht.« »Wo ist sie denn?« »Im Badezimmer.« »Im Badezimmer?« »Ja. Sie badet.« »Badet? Bei uns badet sie?« »Natürlich.« »Dieses Ungetüm sitzt in unserer Badewanne? Beult sie die denn nicht aus?« »Weiß ich 's? Ich halte mich nicht für verpflichtet, dabei zu sein, wenn deine Butterfrau badet.« Spreckelsen holte tief Luft. »Ich dachte«, stieß er heraus, »du machtest einen Witz. Aber jetzt glaube ich fast - du, sag mal sitzt diese Frau wirklich in unserer Badewanne?« »Sie sitzt«, nickte Bartels. »Und der Briefträger und der Milchmann und das Brotmädchen und der Gasmann und der Elektrizitätsmann - läßt du die auch alle bei uns baden, wenn sie kommen und das Glück haben, dich allein hier anzutreffen?« »Keineswegs. Aber sieh mal«, er packte Spreckelsen, der eine jähe Bewegung machte, erschrocken am Arm, »du willst doch nicht etwa zu ihr hinein?« »Heraustrommeln will ich sie.« »Laß sie, die gute Alte. Sie hat sich hohes Verdienst um uns erworben.« -78-
»Wodurch?« »Sie hat mir gesagt, weshalb unser Heim der Traulichkeit ermangelt. Blitzartig erkannte ich: diese Frau hat recht.« Spreckelsen sah ihn ungeduldig an. »Zum Donnerwetter!« platzte er schließlich los. »Wieso hat sie recht? Was hat sie denn gesagt?« »Sie hat nur eine Frage gestellt. Aber in dieser Frage lag alles. Sie fragte:›Wollen Sie denn gar keine Gardinen aufhängen?« Spreckelsen schlug sich vor die Stirn. »Mensch, Bartels! Gardinen! Das ist es! Ich habe keine mitgebracht. Die Reinmachefrau sagte, mit solchen Lappen, wie ich sie besaß, dürfe man nicht umziehen. Und du hast keine, und Hannemann hat natürlich auch keine. Heute abend noch müssen wir welche kaufen.« »Eine unvergleichliche Butterfrau, nicht wahr?« »Gott - Frau Dünnbier hätte es natürlich auch sofort gemerkt. Sie kommt morgen.« »Noch eine Frau?« stammelte Bartels. »Die Reinmachefrau. Heute hat sie bei mir in der Apotheke den Schlüssel abgeholt. Ich habe ihn besonders für sie machen lassen, denn sie soll ihn behalten. Jeden Freitag wird sie bei uns reinmachen.« »So oft? Was ist hier denn viel reinzumachen? Hier kommen doch weder Frauen noch Kinder in die Wohnung.« »Sie meinte, gerade Männer brächten furchtbar viel Dreck ins Haus.« »Aber von morgens um acht Uhr bis nachmittags um vier Uhr wird nachgewiesernermaßen die Wohnung überhaupt nicht benutzt.« »Trotzdem wäre Frau Dünnbier am liebsten zweimal wöchentlich gekommen. Sie kann es nur wegen anderer Verpflichtungen nicht machen.« -79-
»Doch ich hoffe, sie wird nicht mehr hier sein, wenn ich mich nachmittags einfinde. Ich habe eine Scheu vor Frauen, die reinmachen.« »Sei unbesorgt. Keiner von uns wird sie zu sehen kriegen. Sag mal - kommt dieses Butterweib gar nicht wieder heraus aus der Badewanne?« Bartels lauschte. »Ich höre sie noch plätschern«, entgegnete er. »Wie bist du nur auf den Einfall gekommen, sie da hineinzulassen?« »Gott, das geschah so: sie hatte mir gerade den Tip mit den Gardinen gegeben, und dann zeigte ich ihr die Wohnung weiter.« »Sie war platt, wie?« »Platt? Gänzlich unmöglich, da kannst du machen, was du willst. Sie sagte immer nur: ›Gott, was 'ne Arbeit! Gott, was 'ne Arbeit!‹ Was sie damit meinte, weiß ich nicht.« »Reinmachen«, klärte Spreckelsen ihn auf. »Wirklich? Nun, und dann kamen wir ins Badezimmer. Und da war sie allerdings hingerissen.›Denken Sie mal an‹, sagte sie verschämt,›ich habe noch nie gebadet.‹ « »Das hat sie gesagt?« »Das hat sie gesagt- deine Butterfrau, und ich meinte, dann würde es für sie die allerhöchste Zeit und sie solle nur gleich damit anfangen. Und jetzt hat sie also angefangen.« »Ich hätte nie gedacht - weiß Gott...« »Im Gesicht war sie übrigens ganz sauber, als sie kam«, versicherte Bartels eilig. »Etwas hat sie sich anscheinend doch immer gewaschen. Woher kennst du sie eigentlich?« »Sie lieferte meinen Eltern schon immer die Butter. Jede Woche einmal kam sie von ihrem Dorf herein.« -80-
»Was du alles geerbt hast! Um mich hat sich in dieser Hinsicht nie jemand gekümmert.« »Auch du, mein Sohn Brutus?« knurrte Spreckelsen mit einem Seitenblick. »Jedenfalls stammt Frau Bumke aus einer durchaus sauberen Familie, die, soviel ich weiß, nichts gegen das Baden einzuwenden hat.« »Vielleicht ist dieser Familieninstinkt endlich auch bei ihr erwacht«, meinte Bartels nachdenklich. »Unser Badezimmer hat ja auch so etwas - so etwas Überwältigendes.« Spreckelsen sah den Kleinen unzufrieden an. »Badezimmer - Überwältigendes!« wiederholte er grimmig. »Manchmal denke ich, daß du einen Rappel hast.« »Du gehst immer so roh mit mir um!« klagte Bartels. »Du trampelst auf mir herum wie Trampeltäubchen.« »Wie wer?« »Trampeltäubchen. Den Namen hat sie von mir, aber sie weiß es noch nicht, daß sie ihn führt. Hörst du nicht?« Er stand steif da und lauschte, und sein Zeigefinger wies unbeweglich nach oben. Spreckelsen vernahm schnelle, harte Schritte über sich: tacktacktack... tacktacktack... »Ach, die!« sagte er. »Ja, die ist schlimm. Und du nennst sie Trampeltäubchen?« »Hübsch und bezeichnend, nicht wahr?« fragte Bartels selbstgefällig. »Zunächst fiel mir ihr Trampeln eigentlich nicht so arg auf. Aber dann sah ich gestern abend, wie Hannemann bei ihrem Krach zusammenzuckte. Daraufhin habe ich heute nachmittag einmal ihr Trampeln überwacht. Und da kam ich auf Mark Twain. Der hat einen kleinen Bericht über das läppische Umherrennen einer Ameise geschrieben. Und wie diese Ameise - genauso benimmt sich Trampeltäubchen.« »Sag mal, kommt das Weib gar nicht wieder heraus aus der Badewanne?« -81-
Bartels sah den Großen verständnislos an. »Erstens«, sagte er, »geht es dich gar nichts an, wie lange sie in der Badewanne sitzt, und zweitens sitzt sie gar nicht in der Badewanne.« »Ich denke, sie sitzt.« »Du hörst doch, daß sie trampelt,« »Ach Gott, ich meine ja die Butterfrau.« »Ich weiß nicht, wie du auf die Butterfrau kommst, wenn ich von Trampeltäubchen rede.« »Sie wird doch nicht ertrunken sein?« »Wer?« »Die Butterfrau.« »Die kann gar nicht ertrinken. Das ist doch klar.« »Ich möchte, daß sie nicht mehr da ist, wenn Hannemann kommt, und übrigens finde ich dein Verhalten in letzter Zeit geradezu besorgniserregend.« Beleidigt maß Bartels den Großen mit den Blicken. »Wo ich hier für alle sorge? - Wer weckte alten Familieninstinkt in deiner Butterfrau? Wer erforschte von dieser Dame das Gardinengeheimnis? Wer kümmert sich um Hannemanns Wohlergehen? Hörst du - tacktacktack! Er leidet durch dieses irrsinnige Weib.« »Du kennst sie ja gar nicht. Wie kannst du sagen, daß sie irrsinnig ist?« »Ich weiß, daß sie es ist, denn ich höre es. Ich habe sie an ihren Schritten studiert. Sie macht folgendes: sie pflückt im Vorderzimmer von einer Topfpflanze ein welkes Blatt ab und begibt sich damit nach der Müllschütte, öffnet diese, wirft das Blatt hinein und klappt die Schütte wieder zu. Dann kehrt sie nach vorn zurück, findet an derselben Topfpflanze noch ein welkes Blatt und geht damit wieder an die Müllschütte. Und so -82-
macht sie es in einem fort. Topfpflanze - welkes Blatt Müllschütte. Bis andere Topfpflanzen und sonstige Dinge drankommen, um sie zu Wanderungen zu veranlassen.« Spreckelsen hob mißmutig die Schultern. »Und aufgeblasen ist sie auch. Ich glaube nämlich, ich bin ihr auf der Treppe begegnet. Es hat wohl kaum einen Zweck, sie um eine sanftere Gangart zu bitten. Was soll man also gegen ihr Getrampel machen?« Bartels lächelte verschmitzt. »Die Uhren«, sagte er. »Was ist mit den Uhren?« »Wir haben sechs Stück - drei Dielenuhren, drei Wanduhren. Alle mit Schlagwerk. Jede schlägt mindestens jede halbe Stunde, die Mehrzahl jede Vierstelstunde. Nun kenne ich das Zimmer, in dem Trampeltäubchen mit ihrem Gatten schläft. Trampeltäubchens Schlafgemach befindet sich genau über meinem. Also werden wir die sechs Uhren sämtlich in meinem Schlafzimmer unterbringen. Und wir werden sie so einstellen, daß niemals zwei gleichzeitig schlagen. Wenn die eine aufhört, muß die nächste anfangen. Was meinst du - wenn Trampeltäubchen das einige Nächte lang genossen hat - wird sie dann nicht kommen und um andere Unterbringung der Uhren bitten! Und wir, was werden wir dann tun?« Spreckelsen schüttelte ärgerlich das mächtige Haupt. »Verschone mich mit deinen rhetorischen Fragen!« grollte er. »Bedingungen werden wir stellen. Filzschuhe soll sie anziehen, wenn sie in ihrer Wohnung dem Wandertraining obliegt.« »Und wo willst du diese Klingelnächte verbringen?« fragte Spreckelsen argwöhnisch. »Wenn du dir einbildest, daß du uns Nacht für Nacht durch die Lasterhöhlen Hamburgs schleifen kannst...« »Mitnichten! Ich schlafe vorn im Wohnzimmer auf der -83-
Couch.« »Und ich? Bedenkst du gar nicht, daß nur eine einzige Wand meinen Schlaf von dem Glockengeläut trennen würde?« »Du hast kein Recht zu klagen. Wer dein Schnarchen gehört hat, wird an den Uhren nicht mehr viel auszusetzen haben.« »Ich schnarche?« fuhr Spreckelsen auf. »Wie ein Krokodil.« »Schnarchen Krokodile?« »Wenn sie schnarchen, so schnarchen sie so wie du.« Aus dem Badezimmer kam plötzlich ein mörderisches Geschrei. Eine kreischende weibliche Stimme begehrte Hilfe. Über ihnen stockte ein knallender kleiner Schritt entsetzt. Spreckelsen und Bartels starrten einander an. »Die Butterfrau«, stammelte Bartels. »Sie ersäuft, weiß Gott, in der Badewanne. Geh hin und rette sie.« »Es ist deine Butterfrau und nicht meine«, wehrte sich Bartels. »Habe ich sie in die Badewanne gelockt?« schnaubte Spreckelsen. »Komm - wir gehen beide - auf die Gefahr hin...« Er äußerte sich nicht weiter über die Gefahr, die er fürchtete. Gemeinsam eilten sie auf den Flur, stürmten sie an die Badezimmertür. Dort hörten sie Wasser rauschen. Es klang wie ein Wolkenbruch. Dazwischen ertönte klägliches Wimmern. Spreckelsen donnerte gegen die Tür. »Frau Bumke!« rief er. »Was ist los?« »O Gott! O Gott! O Gott!« hörten sie die Frau. Drinnen krabbelte etwas am Türschloß. Dann wurde die Tür vorsichtig geöffnet. Spreckelsen sah das breite knallrote Gesicht seiner Butterfrau. Sie war einwandfrei bekleidet, aber ihr Haar triefte vor Nässe. -84-
»Ist er noch da?« fragte sie leise. Sie sah nur Spreckelsen, der breit vor dem Türspalt stand. »Wer?« fragte der. »Der Verrückte. Ich habe ja solche Angst gehabt. Wie gut, daß Sie gekommen sind, Herr Spreckelsen!« »Ich bin schon lange hier. Weshalb haben Sie denn auf einmal so gebrüllt?« »Ach«, seufzte sie, »ich habe da an so was gedreht, und da lief mir schrecklich viel Wasser auf den Kopf. Sehen Sie mal, wie naß ich bin. Mein schönes Haar! Das wird nie wieder trocken.« Plötzlich weitete sich ihr Blick zum Ausdruck wilden Entsetzens. »Geben Sie acht, Herr Spreckelsen!« kreischte sie. »Er steht hinter Ihnen!« »Wer?« »Der Verrückte!« Spreckelsen sah sich um, bemerkte aber außer Bartels, der nun auch vor den Türspalt gerückt war, niemanden. »Was wollen Sie eigentlich?« knurrte er. »Da ist doch nur Herr Bartels.« »Na ja«, flüsterte die Frau, »der ist es. Hier«, sie tippte sich gegen die Stirn, »is er bestimmt nich ganz richtig.« »Nanu! Eben war er noch völlig gesund.« »Der is es doch, der mich hier reingebracht hat. Und vorher hat er mich so komisch angeguckt. Und er hat gesagt, es wird allerhöchste Zeit, daß ich bade, und ich sollte das hier gleich erledigen. Da wußte ich doch sofort, daß er verrückt ist, und hab' mich eingeschlossen, und damit er sich nicht aufregt, hab' ich so'n bißchen Wasser einlaufen lassen und ab und zu damit geplätschert.« »So? Geplätschert haben Sie? Und gebadet haben Sie also nicht?« -85-
Die Frau lachte geniert. »Ach, wo werd' ich! Ich kann hier doch nicht sitzen mit gar nichts an, wenn nichts weiter als ein Mannsbild mit einem in der Wohnung is und man steht diesem Mann weiter nicht näher - ich meine - na - Sie wissen schon -Sie sind ja auch erwachsen und haben allerlei hinter sich. Nein, gebadet habe ich nich. Und andere Leute, wo ich Butter bring', haben auch nie so was von mir verlangt. Deshalb denk' ich immer noch...«, sie dämpfte wieder die Stimme - »man sollte sich vor dem Kleinen da in acht nehmen. Ganz normal kann er nich sein.« »Sie haben ihm doch gesagt, Sie hätten noch nie gebadet.« »Na ja, hab' ich auch nich. Ich meine, was Sie so nennen. Jeden Sonnabend von oben bis unten abwaschen ja - natürlich aber so ins Wasser steigen - nee - Herr Spreckelsen, das kann ich nich. Mir wird schon ganz schlecht, wenn ich 'ne große Wanne voll Wasser seh'. Ich glaub', das ist Seekrankheit.« »Das konnte Herr Bartels natürlich nicht wissen«, sagte Spreckelsen. »Er meinte, Sie wären glücklich, ein Bad nehmen zu können.« »Ich war gar nicht glücklich!« versicherte die Frau; dann wagte sie es, Bartels fester ins Auge zu fassen. »Ist ja man gut, Herr Bartels, daß Sie nich verrückt sind. Wär ja auch schade. So ein hübscher junger Mann.« Bartels haute Spreckelsen eins in den Rücken. »Hast du das gehört, Großer?« triumphierte er. »Hübscher junger Mann! So was sagt zu dir keine mehr!« Spreckelsen grinste niederträchtig. »Und wenn eine Frau wie Frau Bumke das sagt, das will allerhand heißen!« Die Frau lächelte geschmeichelt. »Na ja - man hat doch auch seine Augen im Kopp. Und wenn der Herr nich verrückt is«, sie quiekte plötzlich, »denn hat er woll am Ende - huch, nein - so was!« »Bestimmt!« rief Spreckelsen. »So einer ist er! Ich kenne ihn -86-
lange genug! Seien Sie froh, daß ich rechtzeitig kam.« * Etwa eine Woche später ging eines Abends der kleine Bartels dem großen Spreckelsen mit bestrickender Liebenswürdigkeit um den Bart, so daß Spreckelsen anfing, mißtrauisch zu werden. »Sag mal«, fragte der Große schließlich, »hast du etwas ausgefressen?« »Ausgefressen? Wieso ausgefressen? Was soll ich ausgefressen haben?« »Das weiß ich natürlich nicht. Aber du bist mir verdächtig. Du hast eine so unheimliche Freundlichkeit an dir.« »Ich bin immer freundlieh. Das liegt an meinem ausgeglichenen Wesen. Und daß ich dir gegenüber besonders freundlich bin, das versteht sich doch von selbst. Denn du bist ja unser Haushaltungsvorstand und mußt alles wieder in Ordnung bringen, wenn einmal - wenn... « »Du hast also doch etwas ausgefressen?« rief Spreckelsen. »Heraus damit! Was hast du angerichtet?« »Ach«, sagte Bartels gedehnt und betont gleichgültig, »eigentlich ist es gar nicht der Rede wert. Wirklich nichts Besonderes. Ich wollte - ich muß - weißt du - nämlich - ja - also: meine Schlüssel sind weg- futsch. Ich muß sie verloren haben. Ich vermisse sie seit vorgestern.« »Da soll doch... Deine verdammte Unordnung! Wie bist du denn seitdem in die Wohnung gekommen?« »Mit Klingeln. Hannemann war schon da.« »Und du hast keine Ahnung, wo du die Schlüssel gelassen haben kannst?« »Ich habe schon so viel darüber nachgedacht - zunächst -87-
meinte ich... Ich vermißte sie nämlich zuerst an dem Tag, als Hannemann mit seinen Jungens einen Ausflug machte und daher schon früh aus dem Haus mußte. Da ging ich später weg als er. Und während ich abschloß - das weiß ich - kam ein Milchmädchen von oben, ein Milchmädchen von unbeschreiblicher Schönheit. Es war zweifellos das schönste Milchmädchen der Welt. Und ich war etwas verwirrt, denn sie sah mich so aufmerksam an...« »Vermutlich, weil du wie ein Kalb glotztest.« »Nein, nein... es war mehr ein liebreizender, ein herzlicher Blick - siehst du: so etwa...« »Sinnverwirrend!« »Du sagst es. Als ich nachmittags den Verlust der Schlüssel entdeckte, dachte ich schon - und natürlich nicht ohne heftige Besorgnis - daß sie wohl draußen an der Tür steckengeblieben wären, daß ich eben vergessen hätte, sie abzuziehen. Aber nachmittags steckten sie eben doch nicht an der Tür.« »Das will nichts sagen.« »Gewiß nicht. Doch in der Wohnung war alles in Ordnung, soweit ich feststellen konnte.« »Was du schon von Ordnung verstehst!« »Bei Hannemann hätte man doch sicher etwas geklaut, wenn die Schlüssel an der Tür gesteckt hätten und einem Gauner in die Hände gefallen wären. Doch wie gesagt: es war nichts gestohlen, denn wir haben von Hannemann keine Klagelieder gehört. Die Schlüssel müssen mir also irgendwo aus der Tasche gefallen sein.« Spreckelsen starrte eine Weile nachdenklich vor sich hin. »Hoffen wir«, sagte er schließlich, »daß es so ist und daß derjenige, der sie findet, nicht weiß, daß sie zu unserer Wohnung gehören. Wir müssen dir also neue machen lassen. Aber du wirst dir eine Schlüsselkette anschaffen, verstanden?« -88-
»Ja - gewiß doch.« * Am anderen Morgen, als die drei Junggesellen das Haus seit etwa einer Stunde verlassen hatten, stieg ein untersetzter Mann mit der Sicherheit des gewohnten Weges die Treppen hinauf bis zur Wohnung mit den drei Türschildern, schloß auf, strich die Schuhe auf der Fußmatte ab, trat ein und ließ die Tür sorglos ins Schloß fallen. Er begab sich in Hannemanns elegantes Zimmer, zog den Rock aus, der - wie auch der Anzug des Mannes - dem kleinen Bartels gehörte, hängte den Rock sorgsam über einen Stuhl und legte sich mit Behagen lang auf Hannemanns Couch. Ah - hier war es schön - hier war alles gut - so hatte er es sich immer schon gewünscht, von Jugend an gewünscht. Wohlig schloß er die Augen, und in diesem Zustand war es auch für Eingeweihte unmöglich, den müden Blick zu erkennen, der diesen Mann auszeichnete, wenn er nicht schlief. Jetzt aber schlief er, und als er nach einer Stunde erwachte, schien sein Blick etwas munterer geworden zu sein. Zufrieden sah er sich in der Behausung um, die ihm bis in den Nachmittag hinein allein gehö rte, freute sich an der harmonischen Umgebung, denn dafür war er nicht unempfindlich, und an dem wuchtigen Schatz von Büchern, den er mit Ehrfurcht bestaunte, im stillen froh, daß - Gott sei Dank - nicht er, sondern ein anderer dieses alles lesen mußte. Die Bücher waren es, die den Blick des Mannes wieder müde machten. Mit Büchern hatte es angefangen, das Unglück seines Lebens, mit Schulbüchern, die ihm noch heute wie Bretter vorkamen, die er mit einem von Gott gegebenen Verstand durchleuchten sollte, aber mit dem dumpfen Empfinden, daß derselbe Gott diese Zutat bei ihm vergessen hatte. Er war der Stärkste in seiner Klasse gewesen, ganz gewiß, aber niemand rechnete ihm dafür etwas an. »Wie -89-
kannst du dich an einem so kleinen Jungen vergreifen!« sagten die Lehrer, wenn er einen Mitschüler verdroschen hatte, und Max Kummer dachte mit Verachtung an die »so kleinen Jungen« zurück, stand der ganzen Welt mit Verachtung gegenüber, wenn er seine Muskeln fühlte. Ringkämpfer wollte ich werden, erinnerte er sich, aber sein Vormund, der Schneidermeister Preiß, sagte damals: »Du bist blödsinnig. Weil du viermal backengeblieben bist und vier Jahre älter bist als deine Mitschüler, denkst du, du kannst alle Welt unterkriegen. Wenn du aber bei die Ringkämpfer kommst, und die sind auch alle viermal backengeblieben, was dann? « Darüber schlief Max Kummer wieder ein, und als er nach einer Stunde erwachte, nickte er bedächtig vor sich hin. Der Vormund hatte damals vielleicht recht. Er war jedenfalls kein Ringkämpfer geworden, er war überhaupt nichts geworden, wenn er von seinem Freund, dem Gemüsemann, absah und dessen Schild im Ladenfenster: »Übernahme von kleine Transporte«, das sich eben auf Max Kummer, und sonst niemand in der Welt bezog. Max sprang auf, ausgeruht und von neuen Plänen erfüllt. In der Küche schlug er mißmutig die Tür der Speisekammer zu. Die Junggesellen hatten mal wieder nichts im Hause, jedenfalls nicht genug, um einen ausgeruhten Ringkämpferkörper derart zu speisen, daß die Fehlmenge nicht zugleich den stillen Mitbewohner verraten würde. Mißmutig ging er durch die Wohnung, besah sich Spreckelsens quastenbehängte Erbgarnitur mit Verachtung und mit dem geheimen Groll, den er gegen diesen Mann nun einmal besaß, wunderte sich in Bartels' Schlafzimmer erneut über die merkwürdige Ansammlung von Uhren, ergriff dort das Rasierzeug und verschwand im Badezimmer. Hier hantierte er mit dem Gehabe eines Mannes, dem es auf Zeit nicht ankommt, gab auch dem Abwaschbaren neuen Glanz, brachte alles wieder an seinen Platz und verließ - ein anderer Max die behagliche -90-
Wohnung. Er wollte sich nun eigentlich recht beeilen, um womöglich noch auf irgendeine Art zu einem Frühstück zu kommen, schlug die Tür hinter sich zu und hörte einen schnellen Schritt, der sich umwandte, stand ihm eine mit Lebensmitteln schwer bepackte, zierliche und zweifellos hübsche Dame gegenüber, die ihn nicht gerade freundlich ansah. Du bist ertappt! dachte er. Gib ihr einen Knuff - so hübsch sie auch ist - und dann schnell ins Freie! »Entschuldigen Sie, Herr...«, begann die Dame und erwartete offenbar, daß er sich vorstellte. Aber Max dachte nicht daran, das zu tun. Er stand ruhig da und schwieg sie an. »Könnten Sie nicht mit Ihren Uhren«, fuhr sie fort, »eine andere Anordnung treffen?« »Womit?« »Mit Ihren Uhren.« »Mit meinen Uhren?« »Oder den Uhren der beiden anderen Herren«, sagte sie ungeduldig, »Sie sind doch - ich meine - Sie gehören doch mit zu dieser Wohnung, nicht wahr? Oder nicht?« »Freilich - gewiß«, versicherte Max eifrig. »Bartels heiße ich - ja - Bartels.« »Ich bin Frau Bernau und wohne über Ihnen. Und ich muß Ihnen sagen, Herr Bartels - das mit den Uhren ist unerträglich. Die ganze Nacht hören wir in unserem Schlafzimmer nichts anderes als Uhrenschlagen. Mein Mann ist schon ganz ungenießbar geworden, weil er nachts keinen Schlaf mehr findet. Die Uhren schlagen alle so laut, daß man es oben hört, und kaum ist die eine fertig, so fängt die andere an. Das ist wirklich nicht auszuhalten.« Max hatte bei dem Redefluß der hübschen kleinen Dame das Gefühl, daß sie sich kürzer gefaßt haben würde, wenn er nicht -91-
einen angenehmen Eindruck auf sie gemacht hätte. Und ihm lag angesichts ihrer Niedlichkeit daran, sie nicht zu enttäuschen. Er besann sich auf das, was er einst an guten Manieren gelernt hatte. Nachdem ihm aus seiner Erinnerung an gelesene Romane die Anrede »Gnädige Frau« aufgestiegen war, verneigte er sich höflich und sagte mit einem Ausdruck der Zerknirschung, der Frau Bernau zweifellos zu Herzen ging: »Ich bedaure diese Geschichte ganz außerordentlich, gnädige Frau. Ich versichere, es ist nicht meine Schuld. Es ist bestimmt nicht meine Schuld. Mir ist das ja so gräßlich unangenehm, eine Dame wie Sie durch solche Sachen zu belästigen. Ich war von vornherein gegen diese Uhren. Wozu überhaupt Uhren. Dem Glücklichen schlägt keine Stunde. Ich werde sehen, daß ich etwas für Sie erreiche, gnädige Frau. Bestimmt werde ich. Ich werde schwer zu kämpfen - ich werde zu leiden haben. Für eine Dame wie Sie, gnädige Frau, wird ja jeder gern - aber - nicht wahr? - es gilt einen Kampf gegen ärgste Brutalität...« Die Frau sah ihn erschrocken an. »Wollen Sie damit sagen...« Er starrte schwermütig ins Leere. Dann nickte er langsam und, wie es schien, widerstrebend. Ein Anflug von Gerührtheit trat in den Blick der Frau. »Wer ist es?« fragte sie. »Der Große, ja?« »Ja, der besonders«, erwiderte er zögernd und gedämpft. »Er hat mich schon mal aus der Wohnung gejagt.« »So trennen Sie sich doch von diesen schlechten Menschen!« begehrte sie. Er lächelte schmerzlich. »Leicht gesagt«, flüsterte er mit heiserer Stimme, »aber solche Leute sind einem ja über. Ja wenn ich Ringkämpfer geworden wäre.« - Frau Bernau starrte ihn ein wenig fassungslos, aber nicht uninteressiert an. »Sie sind Sportsmann?« fragte sie. Max verfiel wieder in Weltschmerz, malerisch stützte er sich -92-
auf das Treppengeländer. »Das war ein Traum«, sagte er, und seine Augen blickten müde. »Das Leben hat es zu verhindern gewußt.« Sie wurde ganz aufgeregt vor Anteilnahme, Tüten und Paketchen kamen ins Rutschen. »Das ist wirklich sehr interessant!« stieß sie heraus. »Wie sind Sie nur - aber hier können wir uns über diese Dinge nicht länger unterhalten. Am liebsten würde ich Sie bitten...« Sie schaute unruhig nach oben, Max bemerkte es. »Darf ich Ihnen das rauftragen, gnädige Frau. Stets ist es mein Bestreben, dem Schwachen zu helfen.« An ihrer Seite stieg er eine Treppe höher. Oben schloß sie die Tür auf und ließ ihn eintreten. In der Diele erstarrte er, als bliebe ihm der Atem weg. »Nun?« fragte sie besorgt. Er ließ die Augen umherwandern. »Wie hübsch haben Sie es hier!« seufzte er endlich mit einem Ausdruck von Ergriffenheit. »So was habe ich noch nicht gesehen. Bei uns da unten diese Kälte - diese Nüchternheit. Wie hier alles blitzt! All diese Teller und Geschichten da an den Wänden! Sie haben sicher ein sehr tüchtiges Mädchen.« »Mädchen?« Sie lachte bitter. »Ich habe keines. Alles muß ich allein machen.« »Nein!« rief er entsetzt. »Gewiß! Allein! Mein Mann - glauben Sie mir, Herr Bartels nicht nur Sie haben es schwer.« Er schüttelte traurig den Kopf und gab kleine Schnalzlaute von sich. »Nirgends Glück, nirgends Friede«, sagte er leise. »Aber Uhren - Uhren die schwere Menge! So ist das Leben!« »Ach - kommen Sie in die Küche. Was nützt alle Schwermut!« Er folgte ihr in die Küche und riß auch hier die Augen auf. -93-
»Wunderbar!« jubelte er gedämpft. »Wiederum erkenne ich rings die Hand der sorgsamen Hausfrau.« Max besaß den Fehler, daß er sich für seine gebildete Sprache der Redewendungen bediente, die ihm in Romanen als besonders vorne hm aufgefallen waren, aber es schien nicht, daß Frau Bernau das bemerkte. »Ja«, sagte sie. »Manchmal wächst mir die Arbeit hier über den Kopf. Sie glauben nicht, wie viele Wege ich in dieser großen Wohnung zu machen habe.« »Wirklich ein bißchen zu groß für zwei Menschen. Oder haben Sie Kinder?« »Nein, wir sind ganz allein. Zu groß - gewiß. Aber man hat ja Standespflichten, nicht wahr? Mein Mann ist nämlich Rechnungsrat.« »Oh!« sagte Max, der sein Stichwort genau kannte. »Ja, Rechnungsrat«, wiederholte sie. »Er ist die rechte Hand von seinem Chef. Seine Behörde wüßte nicht, was sie anfangen sollte, wenn sie ihn nicht hätte.« Max fand es ziemlich überflüssig, daß sie über ihren Gatten so viel Günstiges berichtete. Vorher schien sie ihm zu Äußerungen ganz anderer Art bereit gewesen zu sein. Aber er war gescheit genug, nichts herauszufordern. »Einem solchen Mann verzeiht man natürlich alles«, erklärte er großzügig. »Eines Tages wird er Ihnen schon durch die Einstellung einer häuslichen Hilfe gerecht werden.« »Der?« fuhr Frau Bernau mit einem Tonfall auf, der alle Herrn Bernau gespendeten Lobpreisungen zunichte machte. »Nie! Nie! Ich bin verdammt, mein ganzes Leben - ach, legen Sie die Kartoffeln nur dort auf den Herd. Ich muß mich doch gleich daranmachen, sie zu schälen.« »Schälen?« staunte er. »Sie wollen mit diesen zarten Händen...« -94-
»Ja, meinen Sie, die schälen sich selbst?« lachte sie mit einem entzückenden Aufleuchten der Zähne. »Niemals«, empörte er sich, »niemals werden Sie Kartoffeln schälen, solange ich in der Nähe bin, um Ihnen diese Arbeit abzunehmen.« »Sie werden doch wohl nicht...« »Sagen Sie nichts, sagen Sie gar nichts! Wo ist das Kartoffelschälmesser? Fürchten Sie nicht, daß ich es schlecht machen werde. Ich habe eine schwere Jugend gehabt. Sie war gekennzeichnet durch Berge von Kartoffeln, die ich habe schälen müssen. Und jetzt - wo es mir eine Freude sein würde, diese Arbeit zu verrichten - o nein, das dürfen Sie nicht tun, liebe gnädige Frau.« Sie errötete vor Dankbarkeit. »Aber haben Sie denn Zeit?« fragte sie. »Müssen Sie nicht zum Dienst?« Er lächelte listig. »Man muß ein bißchen schlau sein! Ich habe es erreicht, daß meine Dienstzeit immer von mittags bis abends läuft. So gehört mir die Wohnung vormittags allein.« Er packte das Netz mit den Kartoffeln und setzte sich an den Küchentisch. »Wenn ich jetzt um das Messer zum Schälen, eine alte Zeitung für die Schale und um einen Topf voll Wasser für die Kartoffeln bitten darf.« »Sie scheinen ja wirklich gut Bescheid zu wissen«, lachte sie, als sie ihm das Verlangte brachte, »Nicht wahr?« Er machte sich alsbald an die Arbeit, wobei ihm die in verschiedenen Lebenslagen gewonnenen Erfahrungen zugute kamen. Einen Augenblick sah sie ihm lächelnd zu. »Ach«, sagte sie dann, »jetzt kann ich ja schon die Vorderzimmer in Ordnung bringen.« »Können Sie, junge Frau, können Sie«, erklärte Max, ohne von seiner Arbeit aufzublicken und so darin vertieft, daß seine Sprechweise ein wenig darunter litt. -95-
Es war ihm ganz ernst mit seiner Hilfsbereitschaft. Er fühlte sich als ein anderer Mensch, fühlte sich recht als Herr Bartels aus dem zweiten Stock des vornehmen Hauses. Rasiert, mit einem ungeflickten Anzug bekleidet und von einer hübschen Frau besseren Standes als ihresgleichen behandelt - das zwang ihm nicht nur ein anderes Benehmen, sondern auch ein wenig von einer Gesinnung auf, wie sie nach seiner Vorstellung unter Leuten dieser Kreise üblich war. Er wagte es nicht, die Frau mit jener Art von Begehrlichkeit zu betrachten, die sich dort, wo er sonst verkehrte, so oft unge zügelt zeigte. In seinem Innern empfand er ihr gegenüber mehr Dankbarkeit als Verlangen. Die geheime Sehnsucht nach einem Lebensbereich, in dem es in erster Linie auf Anständigkeit ankam, machte sich stark. Allmählich vergaß er ganz, daß eine Notlüge ihm diese neue Situation geschaffen hatte. Er war so erfüllt von seiner Hilfsbereitschaft, daß er, mit dem Kartoffelschälen fertig, die Frau in den vorderen Räumen aufsuchte und fragte, ob er ihr noch bei irgendeiner Sache helfen dürfe; er habe noch ein bißchen Zeit. »Nein«, sagte sie mit dankbarem Lächeln. »Aber wenn ich Sie zu einem kleinen Imbiß einladen darf...« Max hing der Magen schief, trotzdem brachte er es fertig, sich eine Weile zu sträuben. Er fügte sich erst, als sie endlich scherzend befahl, er habe jetzt mit ihr zu frühstücken. Es gab leckere Sachen auf einem hübsch gedeckten Tisch, und Max mußte sich zusammennehmen, daß er nicht den Wolfscharakter seines Hungers verriet. Doch es gelang ihm in der Tat, sich auch jetzt manierlich zu verhalten und während des Essens mit Sorgfalt die Fragen zu beantworten, die ihm gestellt wurden. Es waren viele Fragen, denn Frau Bernau hatte keineswegs vergessen, daß sie ihn mit heraufgenommen hatte, um Genaueres über die Junggesellenwirtschaft unter ihr zu erfahren. -96-
Nun freilich gab er allen Anstand auf und berichtete von Spreckelsen und Hannemann haarsträubende Begebenheiten, und wenn ihn dabei irgend etwas belastete, so war es lediglich die Tatsache, daß er aus naheliegenden Gründen nichts Böses über Bartels aussagen konnte. In seinen Berichten erschien Bartels mehr als mitleiderregender, von roher Gewalt unterdrückter Mensch von tiefem inneren Wert, wobei Bartels freilich nur den Namen für dieses beklagenswerte Geschöpf hergab. Als Max dann gar in den Mienen der Frau den Ausdruck trauriger Anteilnahme entdeckte, schwelgte er geradezu in der Ausmalung schrecklicher Vorkommnisse. Er entwickelte dabei eine Phantasie, die bemerkenswert war. »Da werden Sie wegen der Uhren wohl nicht viel machen können?« fragte schließlich die Frau. »Wissen Sie«, entgegnete er, »daß sie ausgerechnet in meinem Schlafzimmer stehen und hängen? Sechs Uhren! Begreifen Sie, was das heißt? Erkennen Sie, welche Bosheit und Gemeinheit dahintersteckt?« Sie erkannte es und schüttelte fassungslos den Kopf. »Wie sind Sie nur dazu gekommen, mit diesen gräßlichen Menschen zusammenzuziehen?« Diese Frage stellte an seine Erfindungsgabe einige Anforderungen. Doch er zeigte sich ihr gewachsen. Einer kurzen Frist zum Überlegen bedurfte er freilich, aber die verschaffte er sich durch einige leere Bemerkungen. »Ja, wie bin ich dazu gekommen... Durch Dummheit, gnädige Frau - durch Dummheit und Mangel an Menschenkenntnis. Ich habe geglaubt, sie wären meine Freunde, die es gut mit mir meinten.« »Kennen Sie die beiden denn noch nicht lange?« »Doch - doch - schon sehr lange. Wir sind zusammen zur Schule gegangen. Ja - so war das. Zur Schule gegangen.« Er hatte jetzt den richtigen Faden erwischt und haspelte ihn ab. -97-
»Damals habe ich den Großen sogar verhauen, aber dann is t er viermal backengeblieben, und nachher war er stärker als ich. Jahrelang sahen wir uns dann nicht, dann traf ich zufällig die beiden in einer Kneipe wieder, sie hatten schon immer zusammengehalten. Wir spielten Karten, und wir trafen uns auch wieder. Merkwürdigerweise verlor ich jedesmal, obwohl ich gar nicht schlecht spiele. Ich fürchte jetzt beinahe...«, er zuckte mit den Schultern, um anzudeuten, daß er zu anständig sei, seine Befürchtung auszusprechen, aber ein bedeutungsvolles Nicken der Frau tat kund, daß sie das Ungesagte begriffen hatte. »Eines Tages war Spreckelsen sehr mürrisch«, fuhr er fort. »Er schalt unbändig über die Frauen. In einer Weise...«, er sah mit dem Ausdruck tiefsten Ekels zur Decke - »die ich kaum ertragen konnte. Denn ich meinerseits verehre die Frauen. Ja, das tue ich, gnädige Frau. Er lebte da mit einer zusammen und hat mit ihr dauernd Krach gehabt und hat ihr einmal in der Wut einen Kasten mit Kohlen über den Kopf gestülpt und über die neue seidene Bluse, und sie hat ihm daraufhin die Kohlenschaufel um die Ohren gehauen.« Bei diesem Teil seiner Schilderung begannen seine Augen zu leuchten vor innerer Befriedigung an der eingebildeten Mißhandlung des Mannes, der ihn einmal in die Flucht gejagt hatte -»und nicht zu knapp, gnädige Frau. Oh, sie hat es ihm mächtig gegeben. Mit der Kohlenschaufel, verstehen Sie! Rechts und links - rechts - und links«, er machte in seiner Begeisterung die Bewegungen des angeblichen Schaufelangriffs mit und zwang dadurch Frau Bernau, etwas von ihm abzurücken. »Er sah aus wie ein Karpfen mit Ziegenpeter. Und ein Ohr... So ein Ohr haben Sie noch nicht gesehen. Als hätte er sich einen halben Rotkohl an die Backe geklebt. Ich konnte mir nicht helfen: ich mußte unbändig lachen. Und jetzt weiß ich: das hat er mir nicht vergessen. Damals lächelte er, aber er war sich darüber klar, daß er sich rächen würde. Und wie hat er sich gerächt! Bei jener Zusammenkunft bedrängten Spreckelsen und Hannemann mich, gemeinsam mit -98-
ihnen eine Wohnung zu mieten. Auch Hannemann hatte Verdruß mit seiner Zimmerwirtin gehabt. Ich selbst dagegen war damals mit meiner Unterkunft ganz zufrieden, aber die beiden hatten mich nötig, denn sie wollten auf etwas ganz Vornehmes hinaus. Sie redeten mir also zu, flehten mich an, und damit betörten sie mich. Ich ließ mich hineinlegen. Und jetzt muß ich es fressen, was ich mir da eingebrockt habe. Aber daß nun auch Sie, liebe gnädige Frau, unter diesen Burschen leiden müssen, das tut mir in der Seele weh. Diese Geschichte mit den Uhren... Wenn ich nur wüßte, wie ich da helfen kann...» »Nein, nein!« wehrte sie hastig ab. »Sie sollen nicht - Sie sollen sich nicht meinetwegen noch weiteren Unannehmlichkeiten aussetzen. Wir können vielleicht einen anderen Raum als Schlafzimmer einrichten. Ich weiß ja nun, wie schwer Sie es haben. Ich habe diesen Großen gesehen...« »Spreckelsen«, sagte er leise, doch nicht ohne ein echtes zorniges Beben in der Stimme. »Diesen Herrn Spreckelsen, ja - den habe ich gesehen - auf der Treppe. Und er war mir gleich widerwärtig, dieser ungeschlachte Mensch mit seinen roten Haaren. Hat er nicht rotes Haar?« »So ähnlich«, sagte Max unsicher, denn die Haarfarbe von Herrn Spreckelsen hatte er sich nicht gemerkt. »Es lag so etwas gemein Brutales in seiner ganzen klobigen Erscheinung.« »So ist es - genauso. Sie haben ihn treffend gezeichnet. Ja die Frauen! Ein einziger Blick verrät ihnen, was wir Männer erst nach Jahren durch trübe Erfahrungen erkennen.« »Er grüßte - gewiß. Ich kann nicht sagen, daß er unhöflich war. Aber ich verhielt mich eisig. Und nun weiß ich: es war richtig so.« »Durchaus richtig, gnädige Frau!« stimmte Max begeistert zu. »Halten Sie sich diesen Menschen durchaus fern.« -99-
»Das wird mir nicht schwerfallen. In diesem Haus ist man sowieso sehr zurückhaltend. Die Leute hier kennen einander kaum.« »Das ist sehr gut«, lobte Max aus Gründen, die er selbst am besten kannte. »So muß es sein.« Dann erhob er sich. »Ach Gott, ich habe Sie gewiß aufgehalten!« sagte Frau Bernau erschrocken. »Keineswegs!« besänftigte Max mit Würde. »Ich pflege sonst zuweilen um diese Zeit in einem kleinen netten Lokal in der Stadt zu frühstücken, aber Sie waren ja heute so freundlich...« »Ach, ein kleines Frühstück in der Stadt«, seufzte die junge Frau, »wer es so haben kann...« »Und nun möchte ich nicht länger lästig fallen«, sagte er mit einer knappen Verbeugung und gemessenem Lächeln. »Lästig?« lächelte sie. »Sie haben mir doch geholfen.« »Gern helfe ich Ihnen wieder, gnädige Frau. Ich kann auch Einkäufe für Sie besorgen, damit Ihnen das viele Treppensteigen erspart bleibt. Jeden Morgen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.« »Sie sind reizend«, entgegnete Frau Bernau dankbar. »Ich halte es für meine Pflicht«, erklärte er, »einer zarten Frau das harte Leben zu erleichtern. Wenn es Ihnen recht ist, melde ich mich morgen früh bei Ihnen, um Ihre Befehle entgegenzunehmen.« »Das kann ich unmöglich verlangen, Herr Bartels!« »Sie machen mir eine Freude, wenn Sie es verlangen.« Sie lachte. »Gut denn - ich verlange es also.« * -100-
Max hatte sich von der blonden Frau Rechnungsrat verabschiedet, doch er verließ das Haus noch nicht. Würdevoll erschloß er sich noch einmal »seine« Wohnung, betrachtete sich eingehend - die Nase leicht erhoben - in Spreckelsens großem Konsolenspiegel, ohne der Existenz dieses verachteten Menschen auch nur einen Gedanken zu schenken, und ging dann - weil dort mehr Platz war - in Hannemanns Zimmer voll fröhlicher Gedanken auf und ab. »Ha, das war ordentlich! - war außerordentlich!« Dieses war eine Sache, darüber sprach man nicht! Wem sollte er es erzählen? Diesem und jenem Kumpanen, damit der sich mit Schmutz darüber herwälzen konnte? - Liebe blonde kleine Frau, das tut dir Max Kummer nicht an, nein, das tut Max Kummer nicht. Er zog sein Jackett um die Hüften stramm, daß die Nähte krachten, und plötzlich fühlte er wieder ein leidiges Geducktsein: - dieses war ein (sah man es gelinde an) geborgter Anzug, eigentlich ein - nein, doch nicht - also ein geborgter Anzug. Er konnte ihn morgen in den Schrank zurückhängen, aber er konnte in seinem eigenen nicht zu Frau Bernau kommen, selbst wenn er ihn als Arbeitsanzug ausgeben würde, nein, er konnte es nicht, denn in einem so vornehmen Haus mußte auch ein Arbeitsanzug noch vornehm sein, ein Kavaliersanzug, wenn auch nicht mehr mit allem Glanz der Neuheit. Sein eigener aber, nächstes Stadium war Vogelscheuche. Max wußte, daß der Anzug vermißt werden konnte und, nachdem feine Fäden gesponnen waren, eines Tages vielleicht ein Kriminal in der Wohnung sitzen würde, wenn er sorglos aufschloß, um seine Schlummerstunde auf Hannemanns Couch zu genießen. Solche Männer sind bis oben hin gefüllt mit häßlichem Verdacht, und Max kannte genug von ihnen, um sich klar zu sein, daß ihre Worte lauten würden: »Woher haben Sie den Anzug? Sie haben also geklaut! Kommen Sie mal mit!« -101-
Keiner von ihnen würde sagen: »Hatten Sie vielleicht mal eine große und unerfüllte Sehnsucht in Ihrem Leben?« Der Muskelmann spürte Tränen in den Augen, während er sich einen so guten und lieben Kriminal vorstellte. Sicher gab es solche, aber auch diese würden einen Aktenbogen nehmen, ihn vollschreiben und sagen: »Tut mir leid, gerade weil Sie noch nicht vorbestraft sind. Vier Wochen haben Sie weg, und die Papiere sind versaut.« Sollte Max morgen kommen, ein Paket mit Lumpen unter dem Arm, und wieder zurückschlüpfen in die abgestreifte Haut, wie ein Bettler umhergehen und den Leuten müde in die Augen sehen? Nein, so hartherzig konnte er gegen sich selbst nicht sein, er, dem es schon leid tat, daß er gerade dem kleinen Bartels den Anzug entlieh, der nach dem Augenschein mit Glücksgütern nicht gesegnet war. Daher ja auch dieses Verwandtschaftsgefühl, das Max den Rollentausch so sonderbar leicht gemacht hatte. Welch grimmige Freude, hätte er etwa dem rüden Spreckelsen einen Anzug abtauschen können! Wer weiß, in welche Regionen Max gewachsen wäre, hätten die Kleider dieses Goliath sich auf seinem Leib zusammenziehen lassen! Ungeahnte Möglichkeiten! Kleider machen Leute. Statt aller Überlegungen tat Max an diesem Vormittag nur noch eines, und es sprach für die Beharrlichkeit, die ihm gegeben war: er prüfte in allen Zimmern sorgsam Papiere und Schriftstücke durch nach dem Beruf ihrer Bewohner. Bartels hatte ihm damals auf dem Weg erzählt, daß er Zollbeamter sei, aber die anderen? Um nichts in der Welt hätte Max vor der kleinen blonden Frau eingestehen mögen, etwa die Berufe seiner Wohngenossen nicht zu kennen. Aha, hier stand es: Herrn Studienrat Hannemann. Das paßte auch zu dem Mann. Und dieser verdammte Spreckelsen? Nur zögernd verfolgte Max die Spur, die über Stapel von Fachzeitschriften zum Apothekerberuf führte. Max glaubte es nicht, bis er auf einer Zeitschrift deutlich den Namen fand. Na, dann war es eben so, aber Max begriff es -102-
nicht. Max kannte keine Apotheker, aber im Unterbewußtsein bewegte er doch eine Vorstellung, und die ging nun in die Brüche. Ja, alles was mit Spreckelsen zusammenhing, schien in die Brüche zu gehen! Er war ein Feind, der geborene Feind, und Max lag im Ringkampf mit ihm, in einem seelischen Ringkampf. Und wieder war der andere, der Feind, am Gewinnen, entzog sich begrifflich dem Kampf. Wäre er ein Lehrer gewesen, ein Handelsvertreter, ein Schutzmann, Handwerker, Seemann oder Fabrikant, aber ein Apotheker? Was ist ein Apotheker? Verwirrt und ein wenig betrübt verließ Max Kummer das Haus. * An jedem Werktag fand Max Kummer sich nun morgens bald nach neun Uhr in der Wohnung ein, verbrachte eine köstliche Stunde auf Hannemanns Couch und begab sich dann hinauf zu Frau Bernau, um ihr seine Dienste anzubieten. Und es ergab sich im Laufe der Zeit, daß Frau Bernau bereits mit seinem Erscheinen rechnete und sich gar nicht scheute, ihm eine ständig zunehmende Zahl von Arbeiten aufzubürden. Wenn man es recht bedenkt, war er so auf dem besten Wege, ein fleißiger Mann zu werden, ohne damit mehr zu gewinnen als freundliche Worte einer hübschen Frau und ein sehr gutes Frühstück in einem nahezu vornehmen Zimmer. Zuweilen befaßte er sich damit, die Angelegenheit von dieser Seite zu betrachten, sie äußerst merkwürdig zu finden und sich über sich selbst zu wundern. Weiter jedoch kam er mit seinen Betrachtungen nicht. Zwar faßte er zuweilen an Abenden voll trüber Überlegungen den Entschluß, diesen Unsinn nun nicht mehr mitzumachen oder doch wenigstens sich einen handgreiflicheren Lohn zu holen als den bisher geernteten, -103-
konnte er zum Beispiel nicht in augenblicklicher Geldverlegenheit sein, die ihm die blonde Frau gern mit einigen Mark vertreiben würde? Es fiel ihm als Max Kummer gar nicht schwer, sich diese Geldverlegenheit vorzustellen, denn sie hatte ihn mit Haut und Haar und nicht nur augenblicklich. Wenn aber der Morgen kam und er der kleinen hübschen Frau mit den dummtreuherzigen Augen gegenüberstand, fiel alles von ihm, war es ihm auf einmal völlig genug, von ihr für jemand genommen zu werden, der er in ständig zunehmendem Maße gern gewesen wäre. Und dieser umgängliche und hilfsbereite Herr Bartels konnte mit Geldverlegenheiten nicht belastet werden. Er war ein Beamter, ging monatlich einmal an die Kasse, sagte danke und hatte mehr Geld, als Max Kummer sich vorstellen konnte, pflegte auch gelegentlich vormittags in kleinen netten Lokalen zu frühstücken. Wer mochte dieses Bild mit rauher Hand zerstören? Ja, gälte es hier für Max, den Spreckelsen zu spielen! Dem Burschen hätte er gern manche robuste Sünde aufgehäuft dem Spreckelsen, der ja auch das Vertrauen und die Ehre blonder, zarter Frauen nicht achten würde. Vielleicht war Max in diesem Spiel die falsche Karte zugefallen? Da er von zwei Seelen in seiner Brust nichts wußte, spielte er mit der ihm zugeschobenen Karte einstweilen ruhig weiter. Einmal allerdings schien seine neue Existenz in Gefahr zu sein, jäh zusammenzubrechen. Das war an jenem Morgen, als plötzlich Frau Dünnbier in der Wohnung der drei Junggesellen erschien. Max hatte sie nicht kommen hören, denn er schlief auf Hannemanns Couch und tat es schon längst nicht mehr mit unterbewußter Wachsamkeit. Plötzlich hörte er in nächster Nähe Türen schlagen. Er fuhr hoch und sah sich einer großen, üppigen und keineswegs häßlichen Frau gegenüber, die mit ihm gleichaltrig sein mochte. Sie war mit einem Bohnerbesen und mehreren Wischlappen ausgerüstet und starrte ihn an. Sie blickten einander lange und fest in die Augen, und Max -104-
war entschlossen, nicht das erste Wort zu sprechen. »Nanu!« begann sie schließlich. »Herr Spreckelsen hat mir doch gesagt, hier ist nie einer, und nun ist hier doch einer? Sie sind wohl Herr...« Sie betrachtete ihn prüfend. »Bartels«, ergänzte er eilig und stand auf. »Das habe ich mir gedacht. Herr Spreckelsen hat mir gesagt: Bartels - das ist so ein kleiner. Na - und ein Riese sind Sie ja gerade nicht. Ich bin nämlich Frau Dünnbier. Feines Zimmer das hier.« »Es gehört nicht mir, sondern Herrn Hannemann.« Er lachte verlegen. »Sagen Sie ja nicht Herrn Spreckelsen oder Herrn Hannemann, daß ich mich hier morgens immer ein bißchen hinlege. Die schimpfen sonst mit mir.« »Wo werd' ich! Ich krieg ja keinen zu sehen. Herrn Hannemann kenn' ich überhaupt nicht. Und Herrn Spreckelsen ja - den kenn' ich natürlich. Aber er legt mir bloß das Geld auf den Küchentisch, und wenn er was Besonderes will, schreibt er es auf einen Zettel. Und umgekehrt mach' ich es ebenso. Den Schlüssel zur Wohnung hab' ich immer bei mir. Den hat Herr Spreckelsen mir extra machen lassen. Aber ich denke, das wissen Sie alles selbst.« »Natürlich«, bestätigte Max eifrig. »Ich glaubte aber, daß Sie ihn ab und zu mal an seiner Arbeitsstelle aufsuchen.« »In der Apotheke? Wie komm ich dazu! Was geht mich seine Apotheke an. Und wenn - von mir hört er nichts davon, daß Sie es sich auf Hannemann seinem Sofa bequem machen. Warum sollen Sie nicht, wie? Nee - schlafen Sie man ruhig noch 'n bißchen. Ich kann auch anderswo anfangen mit Reinmachen.« »Ach - viel Zeit habe ich sowieso nicht mehr. Ich muß gleich zum Dienst.« Max nahm Abschied von Frau Dünnbier und trat seinen Dienst bei Frau Bernau an, die schon mit einer Reihe von -105-
Aufträgen auf ihn wartete. Aber er war heute nicht recht bei der Sache. Seine Gedanken weilten bei der Begegnung mit Frau Dünnbier. Mehr noch - bei Frau Dünnbier selbst. Mein Gott, was war das für eine nette und klare Frau, fest und rund und überall richtig. Eine Frau - na, ganz anders als etwa Frau Bernau, die nichts als hübsch war und nett, ein Strich, wenn auch vornehm. Frau Dünnbier hingegen war forsch, jawohl, forsch - das war das rechte Wort. Max grübelte weiter, auf Frau Bernaus Bohnerbesen gestützt, der heute gar nicht rutschen wollte, und machte merkwürdige runde Handbewegungen. Kompakt, jawohl, kompakt war die Frau der Bohnerbesen trat wieder in Tätigkeit - mit einem Wort: massiv. Jetzt hatte er es, und das Bohnerwerkzeug fuhr munter hin und her. Die Wohnung unten hatte für ihn jedenfalls erheblich an Anziehungskraft gewonnen. Es tat ihm eigentlich leid, daß er sich so eilig davongemacht hatte. Seinen Besuch bei Frau Bernau hätte er ganz gut noch ein wenig verzögern können. Es hätte nichts im Wege gelegen, die Bekanntschaft mit Frau Dünnbier auf der Stelle zu befestigen. Hernach beim Frühstück entging es Frau Bernau nicht, daß ihr Gast mehrmals regungslos dasaß und nach unten lauschte. Sie lauschte mit. »Da singt ja jemand in Ihrer Wohnung«, sagte sie plötzlich. »Eine Frau. Hat einer von Ihnen sich auf einmal verheiratet?« »Das ist Frau Dünnbier«, entgegnete Max. »Wer ist denn Frau Dünnbier?« fragte sie verwundert. »Unsere Reinmachefrau.« Einen Augenblick starrte Frau Bernau ihn an, dann lachte sie plötzlich hemmungslos, daß Max, gelähmt von Unverständnis, hilflos umherblickte. Auf alle Fragen schüttelte sie nur den Kopf und wußte ihm schließlich zu entkommen. Unmöglich konnte sie doch dem freundlichen Herrn Bartels sagen, wie ungeheuer -106-
komisch es ihr vorkam, ihn hier oben mit Eifer bei Hausstandsarbeiten zu sehen, während unten eine Reinmachefrau das gleiche für ihn besorgte. * Am Abend suchte Bartels mit etwas bekümmertem Ausdruck den großen Spreckelsen in dessen Plüschund Quastenumgebung auf und störte ihn in der Lektüre eines Kriminalromans, den Spreckelsen in horizontaler Lage auf dem schnörkellinigen Sofa zu genießen suchte. »Doller Mist!« sagte Spreckelsen, als er seiner ansichtig wurde, brachte sich in sitzende Stellung und haute das Buch auf den Tisch. »Was einem diese Romanschreiber alles zumuten! Giftdolche, Entführungen, Banden, Masken... Und hier nun: da wird in London ein Mädchen gesucht, das einen Leberfleck am Bein hat. Eine blonde Jungfrau nämlich mit einem Leberfleck am Bein.« »Du - hör mal zu! Sag mal, Spreckelsen - kennst du deine Frau Dünnbier schon lange?« »Frau Dünnbier? Lange genug, will ich meinen.« »Und du verbürgst dich für ihre Ehrlichkeit?« Spreckelsen sprang auf. »Mensch!« rief er. »Für die leg' ich die Hand ins Feuer. Eine Wittib, vor der man die größte Hochachtung haben muß, die begehrteste Scheuerfrau in Groß-Hamburg. Man reißt sich um sie, weil sie erstens blitzsauber und zweitens grundehrlich ist.« Bartels schaute tiefsinnig vor sich hin und schwieg. »Was ist denn?« fuhr Spreckelsen ihn an. »Wozu redest du solchen Kohl?« »Mir fehlt nämlich ein Anzug«, brachte Bartels zögernd vor. -107-
Spreckelsen starrte ihn an. »Dir fehlt ein Anzug?« »Ein noch sehr brauchbarer Straßenanzug.« »Mann Gottes! Und du meinst, daß er hier aus der Wohnung verschwunden ist? Das ist unmöglich. Vielleicht ist er bei diesem verrückten Umzug... Wir müssen mal bei Hannemann und mir nachsehen.« »Habe ich schon gemacht.« »Was denn? Du bist einfach so in meine Kemenate eingedrungen?« »Und habe nachgeschaut, ob du meinen Anzug hast. Ja.« Spreckelsen bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Ich deinen...! Seit wann bekleiden Löwen sich mit einem Hasenbalg?« »Warum sollte es ein Nilpferd nicht gelüsten, im Gewände des Panthers aufzutreten?« »Meinst du mit dem Panther dich?« Bartels nickte, zog sich aber vorsichtig einige Schritte zurück. »Ich werde nachsehen, ob Größenwahn mit solchen Symptomen beginnt«, verkündete Spreckelsen, »aber der Anzug ist vorläufig wichtiger. Wo ist er?« »Diese Frage ist ein Plagiat. Ich habe sie zuerst gestellt.« Spreckelsen beachtete die Belehrung nicht. »Wo hast du ihn gelassen, als du hier einzogst?« »Ich muß ihn doch in meinen Kleiderschrank gehängt haben.« »Muß - muß! Nicht was du getan haben mußt, sondern was. du getan hast, will ich wissen.« »Nun ja - ich habe ihn also in den Kleiderschrank gehängt.« »Weißt du das bestimmt?« »Es muß doch so gewesen sein.« »Aha - du weißt es also nicht. Hast du ihn schon getragen, seitdem du hier wohnst?« -108-
»Noch nicht. Es ist ein Sommeranzug. In dieser Wohnung hatten wir noch keinen Sommer.« Spreckelsen setzte sich. Bartels tat desgleichen. »Laß mich nachdenken«, sagte Spreckelsen. »O bitte!« bemerkte Bartels hoffnungsvoll. »Du hast so viele Kriminalromane gelesen - vielleicht findest du eine Spur Fingerabdrücke und solche Sachen...« »Wie kann ich nachdenken, wenn du dauernd quasselst!« Bartels schwieg. Spreckelsen schwieg auch und sann, von Bartels scharf und voll Erwartung beobachtet. So verging eine Weile. Dann konnte Bartels den Mund nicht mehr halten. »Du siehst eigentlich gut aus, wenn du denkst«, bemerkte er gedämpft. »Ich sehe immer gut aus«, fuhr Spreckelsen ihn an. Bartels sagte nichts zu dieser kühnen Behauptung. »Etwa nicht?« forschte Spreckelsen grimmig. »Solange ich Hoffnung habe, daß du mir meinen Anzug wieder herbeischaffst, möchte ich es nicht mit dir verderben«, entgegnete Bartels vorsichtig. »Erbärmliche Kreatur!« knurrte Spreckelsen. »Und das will ein Panther sein! Eine Schlange bist du, eine Schlange an meinem Busen.« »Busen?« fragte Bartels mit prüfendem Blick. »Und deine Schlangenhaut - die verlorengegangene vielleicht hängt sie noch in deiner früheren Wohnung.« »Ist das die ganze Frucht deines Denkens?« fragte Bartels geringschätzig. »Eins weiß ich bestimmt: bei Frau Wagenlenker ist nichts zurückgeblieben. Nicht einmal abgeschnittene Fingernägel von mir hätte ich dieser Frau gegönnt.« »Ich glaube nicht, daß sie auf deine abgeschnittenen Fingernägel gerade versessen gewesen ist. Wie ist es denn mit -109-
dem Mann, der deine Koffer transportiert hat? Hast du den mal mit ihnen allein gelassen?« »Nein - ja - doch - als ich die Schlüssel holte. Er blieb hier auf der Treppe. Aber die Koffer waren ve rschlossen.« »Richtig zugeschlossen?« »Bei dem einen war es nicht möglich. Das Schloß ist kaputt. Ich hatte aber einen Lederriemen um den Koffer geschnallt.« Spreckelsen erhob sich wieder. »Die Sache ist klar«, sagte er wuchtig. »Klar?« »Ja. Jener Mann hat den Anzug. Er stahl ihn, als du die Schlüssel holtest. Aber wie willst du ihm etwas beweisen? Doch es ist bestimmt so; glaube es mir, der Kerl hat den Anzug.« Bartels grübelte. »Und man könnte nicht einmal Frau Dünnbier fragen, ob sie weiß, wo der Anzug geblieben ist?« Spreckelsen wurde ernst. »Du«, sagte er, »das ist eine häßliche Frage an einen Menschen, den man als rechtschaffen kennt. Eine Frage, die sich nie wieder gutmachen läßt.« Bartels sah ihn mit seltsamem Ausdruck an. »Spreckelsen, du bist eigentlich ein feiner Kerl. Und natürlich hast du großer Halunke recht. Man darf solche Fragen nicht einem Menschen stellen, dem man seine Wohnung anvertraut. Und es ist gar nicht zu bezweifeln: dieser verfütternswerte Stint, der mir die Koffer herschaffte, hat den Anzug geklaut. Laß ihn. Wenn er ihn trägt, soll er damit in die Hölle spazieren.« »Und du, Kleiner«, sagte Spreckelsen, »wirst mir zu Pfingsten eine Freude machen...« Bartels fuhr verwirrt auf. Es sah fast aus, als errötete er. »Nein - nein!« rief er. »Das kann ich auf keinen Fall gestatten. Du willst mir einen neuen Anzug schenken.« -110-
»Du kannst dir jetzt keinen kaufen. Du hast genug mit der Abzahlung der fünfhundert Mark zu tun.« »Dennoch...« »Weißt du, was der beste Beweis echter Freundschaft ist?« »Nun?« »Wenn jemand seinem Freund gestattet, ihm ein Geschenk zu machen, und sich dadurch zu nichts verpflichtet und vor allem nicht begönnert fühlt.« Bartels lächelte verlegen und ging wie traumwandelnd hinaus. * Folgenden Tages eröffnete Max seiner Gastgeberin im dritten Stock vier Treppen, daß er freitags leider verhindert sei, bei ihr zu erscheinen. Einmal in der Woche habe er vormittags Dienst, und das sei am Freitag. »Ach, wie schade!« sagte Frau Bernau mit ehrlichem Bedauern, denn sie hatte sich schon sehr an Max gewöhnt. Dank seiner Regsamkeit konnte sie sich an manchem Tag eine Stunde länger putzen, beim Einholen hier und da auf einen Schwatz verweilen. Denn wenn man auch im Haus vornehm aneinander vorüberging und sich nicht kannte, draußen hörte man doch so allerlei. Außerdem mochte die junge Frau den Max als Gesellschafter wohl leiden. Es war nett, einen Mann um sich zu haben, dessen ehrfürchtiges und hilfsbereites Wesen sie gern als Bewunderung ihrer kleinen Person aufnahm, denn in dieser Hinsicht war sie in ihrer Ehe mit dem ältlichen Rechnungsrat nicht verwöhnt. Das zwischen ihnen vorhandene Quantum Fürsorge und Bewunderung verbrauchte er für sich allein. Während also Frau Bernau in Ehrlichkeit bedauerte, überlegte sie auch flink in ihrem Köpfchen, wie die Arbeit anders einzuteilen sei, damit für den Freitag so wenig wie möglich -111-
verbliebe. Das Fensterputzen zum Beispiel und das Bohnern im großen Vorderzimmer... Freitag aber wurde für Max der Tag der Frau Dünnbier. Freitags kam sie in die Wohnung der drei Junggesellen, und jedesmal fand sie Max vor, den sie für Herrn Bartels hielt. Nun erschien es Max nach seinen Erfahrungen ratsam, sich bei Frau Dünnbier in derselben Weise beliebt zu machen, wie es bei Frau Bernau mit solchem Erfolg geschehen war. Anfangs sträubte sich Frau Dünnbier nachdrücklich gegen seine Hilfeleistungen. Es sei ganz ungehörig, wenn sie sich von ihm helfen lasse, da er doch mit für ihre Arbeit bezahle. Und diese Art Arbeiten seien überhaupt nichts für einen besseren Herrn. Max bestritt - in diesem Augenblick nicht ohne Überzeugung -, daß es einen Unterschied zwischen besseren und anderen Herrn gäbe. Für ihn gäbe es nur Männer, und eine Verschiedenheit bestände nur insoweit, als einige faul daliegen und zusehen könnten, wie eine Frau sich abschufte, während andere darauf bedacht seien, der Frau ihr Los zu erleichtern. Zu letzterer Sorte gehörte er. Und außerdem habe er Langeweile. Frau Dünnbier fügte sich schließlich mit einem überlegsamen Kopfschütteln, dessen Eigenart Max hätte nachdenklich stimmen müssen. Ein Muskelmann, aber ein nachgiebiger Mann, überlegte sie, vermutlich weiche Birne, manche sagen auch poröser Keks. Zunächst vertraute sie ihm den Bohnerbesen an, den er mit so viel Routine und Erfolg handhabte, daß sie ihm ein Lob nicht vorenthalten konnte. Sie gestattete ihm daraufhin, auch andere Arbeiten zu verrichten und die drei Junggesellen, insbesondere aber Bartels und Spreckelsen, wären baß erstaunt gewesen, hätten sie gesehen, wer so fein säuberlich ihre Betten herrichtete, in die sie jeden Freitag mit dem behaglichen Gefühl kletterten, daß doch nur eine Frau ein Bett einwandfrei machen könne. Und noch mehr hätte sie die Beobachtung überrascht, daß Max sich für seine häuslichen Arbeiten eigens umkleidete, um seinen guten Anzug zu schonen, und zu diesem Zweck wie -112-
selbstverständlich aus dem Schrank des kleinen Bartels dessen ältesten Kleider hervorzog. Frau Dünnbier besaß einen starken Willen. Es dauerte nicht lange, bis sie die natürliche leichte Scheu vor einem Mann, den sie für einen ihrer Brotgeber halten mußte, überwunden hatte. Max war nun einmal nicht die Persönlichkeit, die eine solche Scheu auf die Dauer einflößen konnte. Und als er gar anfing, sich in kleinen Zärtlichkeiten zu versuchen, war es mit Frau Dünnbiers Respekt endgültig dahin. Max war ihr keineswegs unsympathisch, dennoch dachte sie nicht daran, ihm irgend etwas zu erlauben, was ihrer bisherigen Standhaftigkeit gegenüber männlichen Zudringlichkeiten widersprochen hätte. Es verdroß sie keineswegs, daß sie ihm zweifellos gefiel, daß er gemach sogar in heftiger Verliebtheit für sie zu entbrennen schien. Und zuweilen ertappte sie sich bei dem Gedanken, daß er wohl der Mann sein könnte, mit dem sie ein eheliches Schlafgemach teilen möchte. Aber wohlverstanden: es mußte ein eheliches sein. Wenn dieser Mann sich etwa einbildete, er könne sie übertölpeln, weil sie mit ihm in seiner Wohnung allein war, so wußte sie gut genug, daß er es nicht konnte. Denn sie kannte sich selbst, was man von Max nicht sagen durfte. Sie kannte ihre Fähigkeit, sich von keinem Mann der Welt übermäßig imponieren zu lassen, und kannte ihre körperliche Veranlagung, die ihr gestattete, sich jeder unerwünschten männlichen Annäherung mit einschüchterndem Erfolg zu erwehren. Und Max war trotz schö ner Muskelbildung bestimmt nicht der Mann, der ihr Schwierigkeiten bereiten konnte. So tat sie seine Versuche handgreiflicher Vertraulichkeit nicht gerade feindselig, aber mit so nachdrücklichen kühlfreundlichen Klapsen ab, daß er einsah, es sei nur mit Sanftmut etwas bei ihr zu erreichen. Daraufhin nun warb er um sie im Schweiße seines Angesichts. Und Frau Dünnbier, die sich nicht lange einer Verwunderung hinzugeben pflegte, gewöhnte sich sehr bald daran, in ihm eine brauchbare Hilfe zu sehen und ihm -113-
kurzerhand Anweisungen zu erteilen. Die drei Junggesellen aber hatten dabei den Vorteil, daß Frau Dünnbier jeden Freitag die Wohnung mit einer Gründlichkeit reinigen konnte, die sie sonst nie in einem einzigen Tag erreicht hätte und die zur Not die Beschränkung des Reinmachens auf nur einen Tag in der Woche erlaubte. * Hannemann tobte. Mit zerzaustem Haar, entfesselten Nerven und irrem Blick stand er in Spreckelsens Wohnzimmer vor den beiden anderen. »Ich werde verrückt!« schrie er. »Das bist du schon«, sagte Spreckelsen. »Dieses Weib bringt mich zur Verzweiflung. Diese blöde Trippelgans über uns.« »Trampeltäubchen«, bemerkte Bartels, der auf den Gebrauch der von ihm erfundenen Bezeichnung hielt. »Hört es euch an, wie sie da oben hin und her rennt auf ihren harten Absätzen. Hin und her- tacktacktack - hin und hertacktacktack. Und bei solchem Knallen und Knattern soll man einen Roman über Heinrich den Löwen schreiben. Was hast du mit deinem verdammten Uhrenexperiment erreicht?« fuhr er so jäh den kleinen Bartels an, daß der entsetzt zurückwich. »He! Was hast du erreicht? Gar nichts hast du erreicht. Sie trampelt weiter - diese Trampelziege.« »Trampeltäubchen«, berichtigte Bartels schüchtern. »Es ist bezeichnender - und auch wegen der Alliteration...« »Scher dich zum Teufel mit deiner Alliteration! Wenn das so weitergeht, kündige ich. Und die Uhren müssen übrigens wieder dahin, wohin sie gehören.« Er blickte in zwei betroffene Gesichter und beruhigte sich -114-
schnell. »Nun«, sagte er, »das mit dem Kündigen ist nicht so ge meint. Aber irgend etwas muß geschehen, damit dieses Weib Filzschuhe anzieht und Ruhe gibt. Sonst stirbt sie womöglich noch eines gewaltsamen Todes im Treppenhaus.« »Ich werde zu ihr hinaufgehen und ihr die Meinung sagen«, erklärte Bartels tapfer. »Das wirst du bleiben lassen«, mischte sich Spreckelsen ein. »Dieses hochnäsige Frauenzimmer wird dir sagen, daß sie in ihrer Wohnung so viel herumlaufen kann, wie sie mag, auf Schuhen, die ihr passen und nicht uns. Und danach wird sie verfahren, und wir werden platzen vor Wut. Seid ihr dieser Gans einmal im Treppenhaus begegnet?« »Wissentlich nicht«, sagte Bartels. »Wie sieht sie aus?« »Blond, hübsch und dumm. Und wenn man sie grüßt, verzieht sie keine Miene, nickt sie nicht einmal - gar nichts macht sie. Sie tut, als sei man Luft für sie.« »Das ist sie also!« rief Hannemann. »Mit der habe ich dasselbe erlebt.« »Und einen Mann hat sie! Eine Allegorie des Gallenleidens.« »Er trampelt wenigstens nicht«, nahm Hannemann Herrn Bernau in Schutz. »Weil seine Kräfte dazu nicht ausreichen, weil er an kalten Füßen leidet und gezwungen ist, Filzschuhe zu tragen, wenn er nur irgend kann.« »Und nicht mal ein Hausfreund scheint da zu sein«, bemerkte Bartels. »Jedenfalls hört man nichts von ihm.« »Ich lege keinen Wert darauf, den auch noch zu hören«, murrte Hannemann. Eine Weile saßen sie schweigend und hilflos da und schauten ratsuchend einander an. »Das ist nun die ruhige Wohnung«, klagte schließlich -115-
Hannemann, »die diese Frau Platen uns versprochen hat.« »Sag nichts gegen Frau Platen!« ereiferte sich plötzlich Bartels und erregte damit begreiflicherweise Befremden. »Warum soll ich nichts gegen sie sagen!« lehnte Hannemann sich auf. »Sie hat uns mit der Wohnung doch nun mal beschummelt.« »Das hat sie nicht!« rief der Kleine. »Diese Frau ist einwandfrei. Ich kenne sie.« »Du kennst sie?« Bartels sah vier glühende Augen auf sich gerichtet und geriet in Verwirrung. »Nun«, stammelte er, »ihr kennt sie doch auch.« Spreckelsen wuchtete sich hoch. Er sah bedrohlich aus. »Wir haben einen Mietvertrag mit ihr abgeschlossen«, sagte er. »Das ist alles. Damit lernt man jemanden noch nicht kennen. Du aber gibst zu, sie zu kennen. Woher kennst du sie?« »Ich traf sie neulich. Aber, Kinder«, er lachte geziert, »seid doch nicht so töricht!« »Wir sind nicht deine Kinder. Für dich sind wir Vater und Mutter, die auf dich aufpassen müssen.« »Also - ich traf sie neulich im Alsterpavillon. Sie saß da allein. Und da setzte ich mich zu ihr, und wir plauderten.« »Plauderten!« wiederholte Hannemann bitter. »Worüber?« wollte Spreckelsen wissen. »Über allerlei. Am meisten über euch beide.« »Über uns beide? Was hattet ihr über uns zu reden?« »Es kam eben so. Ich erzählte, wie gut ihr immer zu mir seid...« »Wir sind gut zu dir, du verdammter Kerl?« fauchte Spreckelsen. »Das wagst du zu behaupten?« »Wie ihr gewissermaßen als Vater und Mutter mich behütet«, -116-
fuhr der Kleine unerschüttert fort. »Ja - lauter solche Sachen habe ich ihr erzählt. Ihr seid sehr gut dabei weggekommen.« »Uns interessiert nur, wie du dabei weggekommen bist. Hast du sie etwa um ihre Hand gebeten?« Bartels richtete sie beleidigt auf. »Im Alsterpavillon?« »War der Alsterpavillon vielleicht der einzige Hinderungsgrund?« »Ihr solltet begreifen, daß ein Mann mit meinen Erfahrungen nicht im Traum daran denkt, so was zu machen. Aber ihr müßt doch einsehen...«, er lächelte verschmitzt - »daß es immer gut ist, sich mit seinem Hauswirt freundlich zu stellen. Du, Hannemann, wirst das schon erfahren, wenn ich mit ihr über Trampeltäubchen gesprochen habe.« Hanne manns Blick leuchtete auf. »Das willst du tun?« Spreckelsen war noch immer mißtrauisch. »Ich weiß nicht, ob es richtig ist, ihm das zu gestatten.« Bartels fühlte seine Stellung sicher werden. »Dann mag doch einer von euch zu ihr gehen und sich beschweren«, trumpfte er auf. »Geschehen muß etwas. Sonst dreht Hannemann ganz durch.« »Wehe dir«, drohte Spreckelsen, »wenn du uns eines Tages mit einer Verlobung überraschst!« »Keine Sorge!« krähte der Kleine mit erhabener Miene. * Es war für Bernau ein seltener Besuch, als eines Abends Frau Platen bei ihnen erschien. Frau Bernau empfing sie an der Tür und geleitete sie zu ihrem Gatten in dessen sogenanntes Arbeitszimmer. Herr Bernau hatte es sich schon sehr bequem gemacht und -117-
war leicht verstimmt. Doch gab er sich Mühe, davon nichts merken zu lassen, denn es war ihm seinerzeit beim Mieten der Wohnung gelungen, vom Mietpreis zwanzig Mark herunterzuhandeln, ohne daß seine Frau etwas davon erfahren hatte, und er war immer in Sorge wegen der Gefahr einer Mietesteigerung. Der Kontrakt war schon längst abgelaufen, und Frau Platen hatte sich auf keinen neuen einlassen wollen. Bernaus wohnten also im Schatten ständiger Kündigungsgefahr. Frau Platen war sehr freundlich mit dem Ehepaar, sprach über den Frühling, über das Knospen in den Gärten, auf die man von Bernaus Vorderbalkon blickte, über die allgemeine Wirtschaftslage, über die neuerdings eingetretene Steigerung der Nachfrage nach großen Wohnungen... Es klang alles sehr nett und heiter, doch begreiflicherweise konnte es Herrn Bernau nicht durchweg begeistern, während Frau Bernau in ihrer Einfalt ganz offen Freude bekundete über alle diese Eröffnungen ihrer Hauswirtin. Dann fragte Frau Platen teilnahmsvoll nach Herrn Bernaus Befinden und gab ihm Gelegenheit, seine üblichen Klagen abzuhaspeln. Sie wollte auch wissen, ob die Zentralheizung den Winter über gut im Gange gewesen sei und wie es mit dem Warmwasser stände. Gerade als Bernau vorsichtshalber einige Nörgeleien vom Stapel lassen wollte, versicherte seine Frau, es sei nicht das geringste auszusetzen. Und sie fühle sich überhaupt außerordentlich wohl in der Wohnung. Man sähe es ihr an, bemerkte Frau Platen lächelnd, sie sei noch immer schlank wie ein junges Mädchen; sie mache sich wohl viel Bewegung auf Wanderungen und so weiter. Nicht gerade Wanderungen, entgegnete Frau Bernau mit einem kritischen Blick auf ihren Gatten, den er ihr heimzuzahlen gelobte. Aber auch die Wohnung biete sehr viel Gelegenheit zu bekömmlicher Rührigkeit. Die großen Zimmer und der vierzehn Meter lange Korridor und die vier Treppen. Da müsse man schon schlank bleiben. -118-
Frau Platen blickte Frau Bernau auf die Füße. »Sie tragen keine Gummiabsätze, nicht wahr?« fragte sie. »Nie!« versicherte Frau Bernau mit Nachdruck. »Gummiabsätze sind doch unfein.« »Ich weiß nicht«, meinte Frau Platen. »Machen diese harten Absätze nicht ein bißchen viel Lärm, wenn man sich viel in einer Wohnung bewegt, wie Sie es tun?« »Ach, mich stört das nicht«, sagte Frau Bernau. »Stört es dich, Egon?« Herr Bernau, noch immer von peinlichen Ahnungen bedrängt, erklärte eifrig, ihn störe es nicht im geringsten. Frau Platen lächelte milde. »Aber vielleicht die Leute unter Ihnen«, deutete sie an. »Ach die!« fuhr Frau Bernau mit einem Ausdruck unsäglicher Verachtung auf. »Wenn Sie wüßten, was bei denen alles passiert!« »Mit den Uhren!« machte Herr Bernau sich mit Hingabe bemerkbar. »Was ist denn mit den Uhren?« erkundigte sich Frau Platen, und es schien, als sei sie ein wenig betroffen und nicht mehr so sicher wie vorher. »Das hätten Sie einmal hören müssen!« entrüstete Herr Bernau sich so jäh, daß zunächst ein umständlicher Husten ihn befiel. »Jetzt scheint es ja besser geworden zu sein. Aber denken Sie nur: diese Leute hatten unter unserem Schlafzimmer ein Uhrenlager eingerichtet, und die Uhren schlugen ununterbrochen die ganze Nacht. Keine ging mit der anderen überein. Kaum hatte die eine ausgeschlagen, so fing die nächste an. Ich habe mich schließlich ausquartiert und hier vorn geschlafen.« Frau Platen sah verwundert zu Frau Bernau hin, als könne die vielleicht Herrn Bernaus heftige Schilderung abschwächen. -119-
Aber Frau Bernau dachte nicht daran, das zu tun. Sie unterstrich vielmehr die Worte ihres Gatten durch ein schweres, bedeutungsvolles Nicken. »Ich verstehe das nicht«, sagte Frau Platen. »Es handelt doch von den drei Herren keiner mit Uhren.« »Sechs Uhren in einem einzigen Zimmer«, betonte Frau Bernau unbedacht. »Woher weißt du denn, daß es sechs sind?« schnappte Herr Bernau sofort ein. »Woher ich das weiß?« Frau Bernau lächelte starr zu ihm hin, während sie krampfhaft überlegte. »Das hört man doch«, stieß sie schließlich hastig heraus. »Wieso hört man das? Ich habe es nicht gehört. Da war doch immer nur fortwährendes Gebimmel unter unserem Schlafzimmer.« »Ich habe es aber gehört«, trumpft e Frau Bernau auf. »Wenn man stundenlang wach liegt, kriegt man allmählich Routine - ich meine - man merkt dann eben genau, welche Besonderheiten jede Uhr so in ihrem Schlag hat.« »Ich habe auch stundenlang wach gelegen und keine Routine gekriegt.« Frau Bernau zuckte nur mit den Schultern und schwieg. Frau Platen wurde durch einen Einfall aus ihrer Nachdenklichkeit aufgeschreckt. »Ach«, rief sie, »nun begreife ich. Es war eine Protestkundgebung.« »Was war eine Protestkundgebung?« fragte Herr Bernau verstimmt und noch von Argwohn gegen seine Frau erfüllt. »Wieso eine Protestkundgebung? Seit wann macht man Protestkundgebungen mit Uhren?« »Es war bestimmt eine«, versicherte Frau Platen. »Wegen der harten Absätze Ihrer Frau.« »Wegen meiner harten Absätze?« staunte Frau Bernau. -120-
»Handeln die Leute unter uns etwa mit Gummiabsätzen? Pah mit mir werden sie keine Geschäfte machen.« »Nein«, lächelte Frau Platen, »sie handeln nicht mit Gummiabsätzen. Herr Spreckelsen ist Apotheker, Herr Hannemann Studienrat und schreib t historische Romane...« »Romane?« entfuhr es Frau Bernau. »Was Sie nicht sagen!« »Romane. Und Herr Bartels - übrigens ein wirklich feiner, lieber und sehr unterhaltsamer Mensch...« »Ja«, stimmte Frau Bernau gedankenverloren zu. »Nanu!« platzte Herr Bernau heraus. »Kennst du ihn denn?« »Ob ich wen kenne?« fragte sie mit leerem Blick. »Diesen Bartels.« »Woher soll ich ihn kennen?« »Du sagtest doch, er sei ein feiner, lieber und unterhaltsamer Mensch.« »Das habe ich gesagt?« empörte sie sich. »Frau Platen hat es gesagt.« »Ich darf doch wohl noch ja sagen. Als du mich heiraten wolltest, hast du sogar großen Wert darauf gelegt.« Sie wendete sich mit einem ironischen Lächeln zu Frau Platen, die daraufhin gleichfalls lächelte, aber reserviert und mit eigener Meinung über das vernommene Ja. Herr Bernau schluckte schwer. Die Anwesenheit der Besucherin verbot es ihm, jetzt sofort der Sache mit dem Ja auf den Grund zu gehen, aber einmal würde der Augenblick kommen, da Frau Platen sich zum Gehen entschließen mußte. Und schon die nächsten darauffolgenden Minuten und - falls nötig - noch viele weitere würde er zur Erforschung des Ja an sich raffen. Nach einem Blick voll heimlichen Zorns auf seine Frau fragte er Frau Platen: »Und welchen Beruf hat also dieser Herr -121-
Bartels?« »Er ist Oberzollinspektor.« »Ach!« sagte Frau Bernau. »Hm«, machte Herr Bernau und fügte nach einer Weile - für alle Fälle - hinzu: »Da hat er's ja noch nicht sehr weit gebracht.« »Er ist ja noch jung«, bemerkte Frau Platen, »oder doch wenigstens noch nicht so alt, daß man nicht noch allerlei für sein Fortkommen erwarten dürfte.« Fast hätte Frau Bernau noch einmal ja gesagt, aber sie bezwang sich in letzter Sekunde bei schon geöffnetem Mund. »Wohl ein hübscher Bursche, wie?« fragte Herr Bernau mit gekünstelter Heiterkeit, die über die Absicht des Aushorchens hinwegtäuschen sollte. Das Lächeln Frau Platens ließ es fraglich erscheinen, ob die Täuschung gelungen war. »Ich finde, er sieht gut aus«, sagte sie. »Wenn er auch ein bißchen klein geraten ist. Er hat etwas so Treuherziges, Hilfsbereites im Blick.« »Hilfsbereites«, wiederholte Frau Bernau interessiert. »Ich bin überzeugt«, fuhr Frau Platen fort, »daß er keiner Fliege etwas zuleide tun kann und vieles über sich ergehen läßt, bevor er die Geduld verliert.« Frau Bernau nickte bedeutsam, und sie allein wußte, was sie damit sagen wollte. Herr Bernau aber hatte noch die Uhrengeschichte und ihre angebliche Beziehung zu den Schuhabsätzen seiner Frau im Magen. »Und wollen Sie etwa behaupten, gnädige Frau«, fragte er mit gezwungenem Lächeln, »daß er wegen der Absätze meiner Frau die Geduld verloren und deshalb einen Haufen Uhren unter unserem Schlafzimmer versammelt hat?« »Allerdings«, entgegnete Frau Platen, »ich nehme an, daß es so war.« »Ach wo denn!« widersprach da Frau Bernau leicht erregt und -122-
daher zu Unvorsichtigkeiten neigend. Ihr Mann streifte sie mit schiefem Blick. »Du hältst es für ausgeschlossen, nicht wahr?« fragte er mit listiger Sanftmut. »Natürlich!« rief sie. »Es sind doch die beiden anderen gewesen, zwei grundschlechte und brutale Menschen, die darauf ausgingen...« Sie brach ab, mit heftigem Schreck erkennend, daß sie abermals eine Dummheit gemacht hatte. »Nun, worauf gingen sie aus?« erkundigte Herr Bernau sich. Seine Stimme war ruhig, aber sein Blick funkelte. Frau Bernau sah ein, daß sie nur mit äußerster Dreistigkeit die drohende Gefahr abwenden konnte. »Sie wollten nicht so sehr uns wie vielmehr Herrn Bartels peinigen«, erwiderte sie. »In seinem Schlafzimmer nämlich haben sie die Uhren aufgestellt.« Sie sah Herrn Bernau verwegen in die Augen und brachte ihn dadurch ein bißchen in Verlegenheit. Er war nämlich gewohnt, daß diese Frau ihn fürchtete, und fühlte sich unbehaglich in der Vorstellung, er werde sich mit einem Menschen auseinanderzusetzen haben, der die gewohnheitsmäßige Scheu vor ihm abgelegt hatte. »Das kann ich mir gar nicht denken«, bemerkte nun Frau Platen und verhalf dadurch Herrn Bernau zu der nötigen Zeit, die er brauchte, um seine Kräfte zu konzentrieren. »Es ist aber so«, behauptete Frau Bernau todesmutig. »Seitdem ich über diese beiden Menschen weiß, was ich weiß, erwidere ich ihren Gruß nicht mehr, wenn ich ihnen auf der Treppe begegne.« »Man hat es mir gesagt, daß Sie sich so verhalten«, äußerte Frau Platen sich nachdenklich. »Natürlich!« Frau Bernau lachte höhnisch. »Solche Leute legen auch noch Wert darauf, höflich behandelt zu werden, -123-
während sie selbst einen feinen, zarten Menschen wie Herrn Bartels durch Gemeinheit und Ungeschliffenheit zugrunde richten. Ha, meine Absätze! Protestkundgebung! Ich will es ihnen schon zeigen! Ich werde nicht mehr gehen, ich werde trampeln! Trampeln! Trampeln!« Sie sprang auf und trommelte einen knallenden Wirbel auf dem Fußboden. »Um Gottes willen!« rief Frau Platen und streckte eine Hand nach ihr aus, um diese wildgewordene Frau zu besänftigen. »Trampeln!« keuchte Frau Bernau - rot, erregt, mit glühendem Blick. »Aber es ist doch gerade Herr Bartels, der sich über Sie beschwert hat!« sagte da Frau Platen mit stark erhobener Stimme. Frau Bernau erstarrte und wurde plötzlich blaß. »Was sagen Sie?« stieß sie heraus. »Herr Bartels - hat sich beschwert?« »Ja, ja«, versicherte die andere. »Er selbst war deswegen bei mir. Er allein. Das ist doch der Grund meines Kommens.« Frau Bernau ließ sich mit einem Plumps auf ihren Stuhl fallen. »Beschwert über mich?« fragte sie leise. »Über Sie persönlich. Über Sie und Ihre Absätze.« »Das ist unmöglich!« fuhr Frau Bernau in trotzigem Widerspruch auf. »Wieso unmöglich?« sagte Frau Platen spitz. »Wenn ich es Ihnen doch sage!« »Es kann nicht Herr Bartels gewesen sein.« »Ich kenne Herrn Bartels sehr gut. Besser als seine beiden Freunde.« »Freunde!« hohnlachte Frau Bernau. »Und ich weiß sehr genau, daß es Herr Bartels war, der sich -124-
beschwerte.« Sie lachte kurz auf. »Er fragte noch, ob es Sie wohl sehr kränken würde, wenn er sich herausnähme, Ihnen für den Hausgebrauch ein Paar Filzschuhe zu schenken.« »Ich trage niemals Filzschuhe«, erklärte Frau Bernau hart. Mit scharfem Blick forderte sie von ihrem Mann eine Bestätigung dieser Behauptung. Und Herr Bernau war über den Verlauf der Unterhaltung so verdutzt, daß er an seinen innersten Absichten vorbei mechanisch beipflichtete: »Nein, meine Frau trägt niemals Filzschuhe.« Frau Platen lächelte dazu. »Übrigens«, sagte sie, »hat Herr Bartels weniger in seinem eigenen Interesse als für seinen Freund Hannemann gesprochen, der gerade jetzt an einem großen Roman schreibt. Ihre Absätze hindern Herrn Hannemann, sich zu konzentrieren. Ich glaube, es ist sehr schwierig, historische Romane zu schreiben.« »Das wird ein schöner Mist sein, den dieser Herr Hannemann fabriziert«, bemerkte Frau Bernau feindselig. »Darüber kann ich nicht urteilen«, sagte Frau Platen kühl. Nun war Herr Bernau endlich soweit, den schon längst geplanten Vorstoß wagen zu können. »Um so besser«, richtete er sich auf, »scheint meine Frau urteilen zu können, wenn es sich um die Verhältnisse da unten handelt. Sie kennt das Schlafzimmer dieses Herrn Bartels, kennt sein trübes Verhältnis zu seinen beiden Mitbewohnern, kennt seine hervorragenden Eigenschaften...» Seine Ausführungen hatten eine schwache Stelle, ohne daß er es wußte, und mit Hurrageschrei stieß Frau Bernau hier durch, damit seine ganze Front ins Wanken bringend. »Schlafzimmer!« rief sie. »Du erdreistest dich zu behaupten, daß ich sein Schlafzimmer kenne? So wenig Achtung hast du vor deiner Frau, daß du in aller Öffentlichkeit erzählst, ich hielte mich in den Schlafzimmern unverheirateter Männer auf? Das ist eine Beschimpfung, die - o! - o! - die nie wieder gutge macht -125-
werden kann. Schweig still! Es ist nichts mehr zu sagen! Du hast mich in einer Weise beleidigt, daß ich gezwungen bin, unerbittlich die Konsequenzen zu ziehen. Du wirst ja sehen, was du angerichtet hast. Ja, du wirst es sehen!« Der letzte Ausruf war gleichbedeutend mit dem Siegesgeschrei einer kämpfenden Truppe, die sich anschickt, die durchbrochene gegnerische Stellung nach beiden Seiten aufzurollen. Frau Bernau war so voll ihres Triumphes, daß sie durch einen strahlenden Blick die verlegen dasitzende Frau Platen aufforderte, sich das Schauspiel ihres unaufhaltsamen Angriffs nicht entgehen zu lassen. »Schon durch einige sehr merkwürdige Fragen hast du zu erkennen gegeben«, fuhr sie fort, »welcher schmutzigen Verdächtigungen meiner Person du fähig bist. Obwohl peinlich dadurch berührt, habe ich mich doch immer noch gescheut, sie für ernstgemeint zu halten. Aber das mit dem Schlafzimmer sagt alles! Sagt alles! Ich habe jetzt genug gehört, um zu wissen, was ich zu tun habe. Frau Platen ist Zeugin. Auf sie werde ich mich berufen, wenn es zu dem von dir herausgeforderten Äußersten kommt.« Das Siegesgefühl gab ihr einen Elan, der sie zu schönen und wohlgesetzten Worten begeisterte, und ihr Mann starrte sie mit tiefster Betroffenheit an, denn er hatte sie bisher für dumm gehalten und fühlte sich nun von ihr mit einem Intelligenzausbruch überströmt. »Willst du mir denn nicht wenigstens verraten«, fragte er matt, »woher du die Verhältnisse dieser drei Herren so genau kennst?« Sie verzog den Mund zu einem Ausdruck heftigster Geringschätzung. »Gott«, entgegnete sie, »das ganze Haus spricht doch darüber.« »Ich wußte gar nicht«, bemerkte er mit flauer Ironie, »daß wir mit dem ganzen Haus so gut bekannt sind.« -126-
»Du weißt vieles nicht«, fertigte sie ihn ab. »Hm«, stotterte er - »ich habe natürlich nichts Böses gemeint. Ich wollte doch nur...» »Schon gut«, stampfte sie ihn nieder. »Ich verzichte auf deine Entschuldigung.« Sie hatte in dieser Ehe jetzt endlich eine Position errungen und war entschlossen, sie sich zu bewahren. Diesen frisch erworbenen Willen verdankte sie im Grunde jenem Mann, der durch täglich neu bekundete demütige Bewunderung sie über die wahre Bedeutung ihrer kleinen Person aufgeklärt hatte. Dennoch war die Schroffheit ihres Willens auch gegen ihn gericht et und verhieß diesem sehr zweideutigen Herrn Bartels einige peinliche Überraschungen. Frau Platen verließ die Wohnung des Ehepaares mit dem Gefühl, daß ihr Besuch nicht so verlaufen war, wie sie es erwartet hatte. Es gab da einige Unklarheiten, die sie befremdeten. Sie war verwirrt und gegen Herrn Bartels verstimmt. Herr Bernau wiederum war bedrückt durch die Erkenntnis seiner kaum wieder gutzumachenden Niederlage. Und da dieser Herr Bartels es war, wegen dessen solche Einsicht ihn bedrängte, faßte er eine sehr heftige und auf Feindseligkeiten bedachte Abneigung gegen ihn, zumal er überzeugt war, daß zwischen seiner Frau und diesem Menschen sich Dinge abspielten, die ihm verborgen blieben und seine ehelichen Rechte tief berührten. * Es war ein sehr kühles, ja, ein abweisendes Gesicht, das Max Kummer im Türspalt erblickte, als ihm am nächsten Morgen Frau Bernaus Tür geöffnet wurde. Er schaute betroffen drein und fürchtete das Schlimmste. Mit schlecht gespielter Unbekümmertheit sagte er »Guten Morgen.« Sie nickte nur, ließ -127-
ihn aber eintreten, nachdem er sich ungewöhnlich lange draußen auf der Fußmatte die Schuhe abgetreten hatte. Keineswegs reichte sie ihm die Hand, wie es sonst immer geschah. Etwas geduckt huschte er an ihr vorbei in die Küche. Hier sah er sich mit übertrieben lustiger Verwunderung um. »Nanu!« rief er. »Nichts zum Arbeiten da? Gar nichts da? Keine Kartoffeln zum Schälen, kein Bohnerbesen zum Bohnern, kein Teppichkehrer zum Teppichkehren? Soll heute gefaulenzt werden, gnädige Frau? Soll ich durchaus Fett ansetzen und meine jugendliche Schlankheit verlieren? Oder liegt Ihnen heute einmal mehr an meinem Geplauder als an meiner Tätigkeit?« Sie betrachtete ihn durchdringend und unverkennbar mit Verachtung. »Geplauder!« höhnte sie. »Sie scheinen sich auf Ihr Geplauder noch eine ganze Menge einzubilden.« Er sah beunruhigt vor sich nieder. »Gefällt es Ihnen nicht mehr? Habe ich gestern Dinge gesagt, die Sie mir heute übelnehmen? Wir gingen doch ganz vergnügt auseinander.« »Da wußte ich noch nicht, welche Schlange ich an meinem Busen nährte.« Unwillkürlich betrachtete er das, was sie ihren Busen nannte, stand da und schwieg, denn er wollte nichts überstürzen, obwohl er ziemlich genau zu wissen glaubte, was sich ereignet haben konnte. »Was mißfällt Ihnen eigentlich an meinen Absätzen?« fuhr sie ihn an. »An Ihren Absätzen?« staunte er. »Wissen Sie nicht, was Absätze sind? Wie? Wollen Sie sich jetzt etwa dumm stellen? Und Ihre dämliche Anfrage wegen der Filzschuhe! Ich sage Ihnen: wenn Sie sich herausnehmen, mir Filzschuhe zu schenken, dann fliegen sie Ihnen um die Ohren!« Max ahnte jetzt, daß der richtige Bartels etwas angestellt -128-
hatte, wofür er nun büßen mußte. Er begriff noch nicht recht, was eigentlich geschehen sein konnte. Jedenfalls hatte es aber nichts damit zu tun, daß er selbst eben nicht Bartels war. Das beruhigte ihn vorerst, doch er hoffte, noch etwas mehr zu erfahren, bevor er sich durch eine Antwort festlegen würde. Es schien auch, als beabsichtigte Frau Bernau durchaus nicht, die führende Rolle in dieser Unterhaltung so bald abzulegen. Sie kam ihm überhaupt ein bißchen verändert vor: härter, selbstbewußter, fast streitlustig. Bisher hatte er sie für zart und ein bißchen fahrig gehalten, und er gestand sich, daß sie ihm heute nicht so gut gefiel wie sonst. »Jetzt stehen Sie da, als könnten Sie nicht Piep sagen!« schalt sie. »Aber bei Frau Platen - da haben Sie den Mund soo weit aufgerissen!« Sie deutete mit beiden Zeigefingern einen Mund von höchst ungewöhnlicher Aufgerissenheit an. »Um sich über mich zu beschweren! Zu beschweren! Über mich! Es ist unglaublich! Statt mit mir selbst zu reden, hetzen Sie mir die Hauswirtin auf den Hals! Sie können sich wohl vorstellen, welche Meinung ich von Ihnen hatte, als gestern abend Frau Platen hier erschien und Ihre Beschwerde vom Stapel ließ. Wollen Sie hören, was ich gedacht habe? Ich habe gedacht...« »Sagen Sie es nicht!« unterbrach er sie mit flehender Miene. Er war jetzt im Bilde. »Sagen Sie es bitte nicht. Wenn Sie wüßten - o!« Er wendete sich ab und schuf so eine kleine Pause zum Überlegen. »Was denn?« drängte sie nun auch schon ungeduldig. »Reden Sie doch!« »Glauben Sie mir - es war der einzige Ausweg.« »Wieso? Daß Sie zu Frau Platen rannten und mich verpetzten - das war ein Ausweg?« »Der einzige«, sagte er mit zerbrochener Stimme. -129-
»Verstehe ich nicht.« »Ich tat es, um Sie zu retten.« »Wovor?« »Vor einer gemeinen, brutalen Anpöbelei im Treppenhaus.« Ihre Augen weiteten sich. »Diese Menschen...?« stieß sie heraus. Er nickte schwer. »Ja. Vor allem Spreckelsen - dieses Schwein. Entschuldigen Sie bitte den Ausdruck.« Mit einer kurzen Handbewegung deutete sie an, daß es jetzt nicht darauf ankommen könnte, wegen eines Ausdrucks empfindlich zu sein. »Aber auch Hannemann«, fuhr er fort. »Ja, der wollte es mitmachen. Sie wollten Ihnen im Treppenhaus auflauern, über Sie herfallen, Sie anbrüllen, Sie beschimpfen - und das so oft wiederholen, bis Sie Ihre Wohnung kündigen würden. Und da sagte ich:›Nein, das dulde ich nicht. Nur über meine Leiche hinweg könnt ihr diesen Weg betreten‹ Fast wäre es nun wirklich so gekommen. Glauben Sie mir, gnädige Frau nie stand ich dem Tode näher. Schließlich aber erklärte ich mich bereit, mit jener Frau zu sprechen und mich über Sie zu beschweren. Damit besänftigte ich sie. Doch natürlich konnte ich mich von der übernommenen Verpflichtung nicht drücken. Es stand fest, daß sie mich kontrollieren würden. O gnädige Frau - es drückte mir das Herz ab, Ihnen das antun zu müssen. Aber es war nötig, um Sie vor Schlimmerem zu bewahren. Ja, so war es.« Er sann noch einen Augenblick, ob er seine Geschichte gut hingekriegt habe, und fand, daß sie bestehen konnte. Das bestätigte auch die Wirkung auf Frau Bernau. Sie sank auf einen Stuhl nieder. »Gott!« rief sie. »Wie habe ich Sie verkannt!« Er lächelte schmerzlich. »Ich mußte das mit in den Kauf nehmen«, sagte er leise. -130-
»Aber ich werde Frau Platen sagen...« Er zuckte zusammen. Und diese Gefühlsäußerung war echt. »Wenn Sie mich zugrunde richten wollen«, sagte er mit müdem Ton, »so sprechen Sie mit Frau Platen.« »Was soll ich denn tun? Soll ich etwa...?« Max stand vor ihr wie ein Honigkuchenmann im Regen. Sie erhob sich und ergriff seine Hand. »Ich will nicht schuld daran sein«, sagte sie, »daß sich Ihre Leiden noch vermehren. Ich werde mir Gummiabsätze unter die Schuhe nageln lassen. Und wenn es durchaus Filzschuhe sein sollen - es sei denn... Ich werde sie mir kaufen, Ihnen zuliebe.« Er lächelte sie an bei dieser Eröffnung, denn er begriff, daß sie eine Bekundung der Freude von ihm erwartete. »Und nun«, rief Frau Bernau herzlich, als sei sie darauf aus, ihm mit allen Mitteln ihre Dankbarkeit kundzutun, »sollen Sie die Kartoffeln haben und den Bohnerbesen und den Teppichkehrer. Und hier ist eine von meinen Schürzen - die können Sie anziehen, damit Sie Ihren Anzug schonen. Und wenn Sie durchaus heute die Fenster putzen wollen - sie sehen schon wieder recht trübe aus - so werde ich Ihnen auch noch die nötigen Lappen geben. Ich lege mich dann ein bißchen hin. Die Aufregung hat mich doch arg mitgenommen.« * Anneliese Bartels, geschiedene Ehefrau Zwo des Oberzollinspektors Bartels, packte eines Tages - es war in der letzten Juniwoche - ein Köfferchen, begab sich zum Bahnhof und bestieg den Hamburger Zug. Während der langweiligen Bahnfahrt überlegte sie, daß sie sich eigentlich um Dinge kümmerte, die sie nichts angingen. Vor etwa drei Monaten hatte eine Frau Wagenlenker ihr einen -131-
Brief geschrieben und sie zur Rettung ihres geschiedenen Mannes aus den Händen zweier Verführer aufgefordert. Mag er auf sich selbst aufpassen, hatte sie damals gedacht. Doch als vor einer Woche das nette Geburtstagsgeschenk ihres früheren Ehemannes mit herzlichen Zeilen eingetroffen war, hatte ihr die Erinnerung an jenen Brief doch reichlich zu schaffen gemacht. Vielleicht muß man doch etwas für ihn tun, hatte sie gemeint und sich nach vielem Hin und Her endlich entschlossen, ihn in seiner neuen Häuslichkeit aufzusuchen, sie in Augenschein zu nehme und nötigenfalls zum mindesten mit Ermahnungen nicht zu sparen. Ihren Eltern, bei denen sie seit ihrer Flucht aus dem Bereich ihrer Ehe lebte, hatte sie etwas von einer Freundin in Hamburg vorgeflunkert, die ein Baby gekriegt habe' und von ihr besucht werden wolle. Und nun war sie also auf dem Wege. Noch kam ihr alles ein bißchen dumm und aufdringlich vor, immerhin mochte sie auch nicht davon ablassen. Wenigstens wollte sie sich hernach damit beruhigen können, daß sie das beste versucht habe, und möglichst auch die Gelegenheit nicht verpassen, jenen beiden bösen Männern gründlich ins Gewissen zu reden. Und schließlich gab ihr auch das Bewußtsein, daß sie ja nicht das geringste für sich selbst erreichen wollte, den Mut, bei ihrem Unternehmen auszuharren. Es war um die Nachmittagszeit, als Frau Bernau, die Treppe herunterkommend, vor der Tür der drei Junggesellen eine sehr hübsche, noch jugendliche und flott gekleidete Dame stehen sah, die eingehend die drei Namensschilder betrachtete und schließlich klingelte. Frau Bernau warf empört den Kopf zur Seite. Nun fängt es hier also auch noch mit solchen Sache n an, dachte sie. Und sie dachte noch manches andere. Wahrlich: ein Mann ist eine Störung, drei Männer sind eine Katastrophe. Mit diesem philosophischen Schlußakkord verließ Frau -132-
Bernau das Haus in demselben Augenblick, in dem sich oben im zweiten Stock drei Treppen vor der hübschen Dame auf ihr Klingeln die Tür öffnete. Ein Herr stand vor ihr, den sie nicht kannte. »Bitte?« fragte er. Sie betrachtete ihn forschend und fand, daß er vornehm, gepflegt und gescheit aussähe. »Guten Tag«, sagte sie. »Ich bin Frau Bartels und möchte Herrn Bartels sprechen.« Er sah sie verblüfft an. »Wer sind Sie?« »Frau Bartels. Ich war früher mit Herrn Bartels verheiratet. Vielleicht wissen Sie davon.« »Ich...«, stammelte er. »Sie sind Frau Bartels?« »Ich bin Frau Bartels.« »Sie sind die Frau, von der er sich hat scheiden lassen?« »Ja, die bin ich.« »Nicht zu glauben!« platzte der Herr heraus. »Aber kommen Sie doch bitte herein. Herr Bartels ist zwar nicht da...« »Oh, dann will ich natürlich nicht stören.« »Sie stören durchaus nic ht. Im Gegenteil - ich meine - ich denke - wir müssen - also treten Sie bitte näher, gnädige Frau.« Er war schrecklich verlegen, knipste im Flur das Licht an, obwohl es ein strahlend heller Nachmittag war, riß eine Tür vor ihr auf, als habe er es mit einer Fürstlichkeit zu tun, und bot ihr mit aufgeregter Beflissenheit in einem mit Büchern und wertvollen Möbeln reich ausgestatteten Raum einen Sesselplatz an. »Ist dies das Zimmer meines - das Zimmer von Herrn Bartels?« fragte sie. »Nein, das ist mein Zimmer. Hannemann heiße ich.« Sie sah ihn kühl und prüfend an. -133-
»Ach so - Sie sind also Herr Hannemann.« Er machte eine Bewegung des Unbehagens. »Sie haben meinen Namen schon gehört?« »Ich habe ihn gehört zu einer Zeit, da ich noch nicht geschieden war.« »Oh!« sagte Hannemann mit unüberlegtem Bedauern. »Wie ich heute weiß«, fuhr sie nicht ohne Härte fort, »war es in erster Linie Ihre Schuld, daß meine Ehe geschieden wurde.« »Meine Schuld?« fragte er betroffen. »Ihre Schuld - ja«, sagte sie mit Betonung. »Und da war noch ein anderer Herr...« »Spreckelsen«, murmelte er gedankenlos, während er ihr auf den hübschen Mund starrte mit dem Ausdruck eines hypnotisierten Kaninchens. »Richtig - Spreckelsen - so hieß er.« »Ich begreife das nicht«, sprach er leise vor sich hin. »... daß ich Ihnen die Schuld gebe?« »Ach - das ist mir ganz egal. Nein - daß er sich von Ihnen scheiden lassen konnte - das begreife ich nicht.« Sie errötete leicht und wurde nun ihrerseits etwas verlegen. »Sie sehen ja, er hat es gekonnt«, sagte sie. »Aber es blieb ihm freilich nichts anderes übrig. Ich kehrte einfach nicht zu ihm zurück. Ich hatte genug von einer solchen Ehe.« Er schrak auf. »Aber nun sind Sie eben doch zurückgekehrt. Sie wollen ihn - ah - ich verstehe!« Hilflos starrte er eine Weile vor sich nieder. Dann plötzlich leuchtete ein Einfall über sein Gesicht hin. »Gnädige Frau«, fragte er, »Sie wohnen nicht in Hamburg?« »Nein, ich wohne in Kiel. Ich bin nur für einen Tag von dort weg.« »Dann haben Sie also noch nicht zu Mittag gespeist?« -134-
»Aber gut gefrühstückt.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. »Nicht gespeist«, betonte er. »Darf ich mir gestatten - es kann noch sehr lange dauern, bis Herr Bartels kommt - würden Sie mir die Ehre erweisen, mit mir - ich kenne ein sehr gutes Restaurant am Jungfernstieg - und hernach könnten wir im Alsterpavillon eine Tasse Kaffee trinken und dabei alles besprechen, was zu besprechen ist. Und wenn Sie dann noch Wert darauf legen, Herrn Bartels zu treffen - heute abend ist er bestimmt hier.« Sie überlegte eine Weile, dann lächelte sie. Nur flüchtig, aber er fand, daß sie entzückend lächelte. Wenn Bartels dieses Lächeln sieht, dachte er, dann ist der Kladderadatsch da und er heiratet zum dritten Male. Nur rasch hinaus mit ihr aus der Wohnung, damit er ihr nic ht begegnet. Jeden Augenblick kann er nach Hause kommen! Nachdem sie mit einigem Zögern ihre Zusage gegeben hatte, beeilte Hannemann sich mit dem Umkleiden wie noch nie in seinem Leben. Dennoch sah er, als er zu ihr zurückkehrte, womöglich noch eleganter aus als sonst. Sie bemerkte es mit Wohlgefallen. Allerdings erschien ihr die Hast, mit der er sie zum Verlassen der Wohnung drängte, ein bißchen unvornehm, aber sie nahm an, daß er um ihren Ruf besorgt sei, und das freute sie. Als eine Viertelstunde später Bartels heimkehrte, war von Hannemann keine Spur mehr vorhanden. Nur ein angenehmer Parfümgeruch hing in der Luft, den Bartels schnuppernd wahrnahm. Er rümpfte erstaunt die Nase. Erst abends spät stellte Hannemann sich bei seinen Wohngenossen ein. Das heißt: er begab sich zunächst schnurstracks in sein Schlafzimmer, entschälte sich und erschien bei den anderen in seiner täglichen Aufmachung. Gleichwohl kam er ihnen irgendwie anders vor als sonst. Es lag ein -135-
seltsamer Glanz in seinen Augen, etwas Verklärtes über seinem Gesicht. Spreckelsen und Bartels hatten auf Spreckelsens Balkon einen Tisch und Stühle gestellt, drei Stühle, wie Hannemann in einem merkwürdigen Anflug von Rührseligkeit beachtete. Eine Lampe stand auf dem Tisch. Spreckelsen las in einem Buch, das ohne weiteres als Kriminalroman zu erkennen war. Bartels studierte den neuen Sommerfahrplan der Bahn mit einer Andacht wie ein Geistlicher sein Brevier. Es war ein warmer Abend. Der Himmel empfing noch etwas Licht von der bereits untergegangenen Sonne. Er war wolkenlos und spannte sich in blassem Blau über die Stadt hin, im Osten schon violett dunkelnd. Gegenüber dem Balkon, der an der Hausecke hing, zog sich mit zwei Laternenreihen die ruhige Villenstraße mit ihren hohen Gartenbäumen hinüber zu einer fernen Hauptstraße, von deren Verkehr man hier nichts vernahm. Die Bäume zeichneten sich dunkel mit ihren durchbrochenen Laubwölbungen in den milde leuchtenden Himmel hinein. Aus einer Reihe von Rotdornkuppeln vorn an der Ecke strömte ein zarter ländlicher Duft herauf. Bei Tage bestimmten sie das Bild dieser Straßenkreuzung durch die weichen Wellen ihrer glühenden Blütenpracht, die seltsam und reizvoll durch ein Geriesel von Goldregen unterbrochen wurde. Hannemann wurde, als er die beiden so stillbeschäftigt sitzen sah, für einen Augenblick nachdenklich. Es war so etwas ruhig Häusliches um sie herum, wie er es früher in Verbindung mit diesen Männern nie für möglich gehalten hätte. Und solche häuslichen Abende gab es oft, seitdem sie hier gemeinsam wohnten. Der kleine Bartels war nicht mehr zappelig, der große Spreckelsen nicht mehr elefantenhaft grob. Man konnte fast sagen, daß etwas Abgeklärtes sie umgab. War das nun eine Alterserscheinung oder die Wirkung der Wohnung, der Wohngemeinschaft? Bei Hannemanns Veranlagung ergab es sich, daß er in der Wandlung der beiden das Anzeichen einer -136-
geistigen Aufwärtsentwicklung sah, und er bereute es keineswegs, den kleinen Bartels heute vor einem Zusammentreffen bewahrt zu haben, das leicht zu seiner Loslösung von diesem segensreichen Beieinander hätte führen können. Nein ganz und gar nicht bereute er das. Und dies beteuerte er sich selbst mit einem stillen und fast schon festlichen Vergnügen, das ihn eine gewisse Zärtlichkeit für den Kleinen empfinden ließ. Er war ferne davon sich einzugestehen, daß es da noch etwas anderes gab, was ihn heiter stimmte, etwas, das nicht viel mit dem kleinen Bartels zu tun hatte. Wie gesagt: das Leuchten seiner Stimmung entging den beiden nicht, und sie betrachteten ihn mit kritischen Blicken. »Bist du betrunken?« fragte Spreckelsen schließlich sehr geradezu. »Ich?« staunte Hannemann entrüstet. »Du hast so was Seliges an dir.« »Ja, das hast du«, bestätigte Bartels. »Es ist ganz ungehörig, daß du dich ohne uns besäufst«, erklärte Spreckelsen. »Wir sind überhaupt schon viel zu lange nüchtern.« Bartels fuhr jäh zu ihm herum. »Wie kannst du«, rief er in seinem besten Papierdeutsch, »die liebliche Atmosphäre dieses Abends durch die Heraufbeschwörung brutaler Gewohnheiten beleidigen!« Der Große betrachtete ihn besorgt. »Hast du diesen lyrischen Knacks aus dem Kursbuch?« fragte er. »Oder ist ernstlich bei dir was nicht in Ordnung?« »Ich finde«, bemerkte Hannemann, »was er sagte, war durchaus vernünftig. Soeben noch dachte ich, als ich euch so sah, welch eine wohltätige Wandlung in euch vorgegangen ist, seitdem ihr mit mir zusammenwohnt.« »Mit dir?« kam es wie aus einem Munde. -137-
»Vergißt du ganz«, ereiferte sich Bartels, »daß gerade ich es war, der alles daransetzte, um dich in dieser Häuslichkeit festzuhalten? Wer ging zu Frau Platen, um sich dir zuliebe über Trampeltäubchen zu beschweren? Ich war es. Wer hat es erreicht, daß Trampeltäubchen nicht mehr trampelt? Ich. Denn du mußt zugeben, daß sie jetzt offenbar auf Gummiabsätzen oder auf Filzschuhen in ihrer Wohnung herumläuft. Es steht fest, daß dies ein Erfolg meiner Beschwerde ist, daß ich diese eindringlich genug zu gestalten wußte, um Frau Platen zu einem entsprechenden Schritt zu bewegen, dessen Ergebnis dir, lieber Hannemann, in erster Linie dir zugute kommt Wenn also jemand in unserem Zusammenwohnen sich verdienstvoll betätigt hat, so bin ich es. Übrigens«, fuhr er nachdenklich fort, »Frau Platen - sie war bei einer späteren Begegnung in ihrem Verhalten anfangs etwas merkwürdig. Kühl, möchte ich sagen.« »Wundert dich das?« fragte Spreckelsen. »Dein Papierdeutsch hat sich in einer Weise entwickelt, daß einem ganz übel davon wird. Eindringlich genug zu gestalten wußte, zu einem entsprechenden Schritt zu bewegen. Solchen Redewendungen möchte die Frau sich natürlich nicht allzu häufig aussetzen.« »Es ist nicht das«, sagte der Kleine kopfschüttelnd. »Sie machte seltsame Anspielungen, ob ich nicht unrecht getan hätte, mich über Frau Bernau zu beschweren, mit der ich doch anscheinend auf recht gutem Fuße stände - und ähnliche Sachen. Und dabei habe ich diese holzbeinige Dame überhaupt noch nie gesehen. Aber ich fürchte, Frau Platen hat mir nicht ganz geglaubt.« »Das geht dir ja merkwürdig nähe«, äußerte sich Hannemann. »Natürlich geht es mir nahe«, trumpfte Bartels auf. »Ich kann es nicht vertragen, wenn jemand an meiner Aufrichtigkeit zweifelt, sei es nun Frau Platen oder sonst wer.« »Man kann ihr den Zweifel aber nicht so sehr übelnehmen«, sagte Spreckelsen. »Denn es gehört nicht viel dazu, dahinter zu -138-
kommen, daß du auf jedes Schürzenband hineinfällst, wenn du nur vermutest, daß es zu einem annehmbar aussehenden Weibsbild gehört. Und hübsch ist die Bernau, das muß man ihr lassen.« »Findest du?« fragte Hannemann gedehnt. »Kann man eine Puppe ohne Ausdruck hübsch nennen?« »Warum nicht? Und was gibt der Kleine schon viel auf Ausdruck.« »Ich gebe sehr viel auf Ausdruck!« beteuerte Bartels mit Pathos. »Eine Frau, die ich gern haben soll, muß neben der äußerlichen Schönheit einen seelenvollen Blick und einen gütigen Mund besitzen.« »So was gibt es heutzutage nicht mehr«, behauptete Spreckelsen. Keiner der beiden anderen sagte dazu etwas. Beide blickten schweigend und seltsam sinnend ins Leere, Spreckelsen betrachtete sie verwundert und seufzte dann tief. Eine Weile saßen sie still und nachdenklich beisammen im Frieden des ruhigen Abends, bis plötzlich von oben etwas wolkenbruchartig herunterrauschte, auf das Balkongitter platschte und Tropfen über die drei Männer sprühte. »Hallo!« brüllte Spreckelsen. »Sind Sie da oben jetzt ganz verrückt geworden?« »Trampeltäubchen begießt Blumen«, flüsterte Bartels. Man hörte von oben einen Aufschrei des Erschreckens und das Zuschlagen der Balkontür. »Nein so etwas!« grollte Spreckelsen. »Alles ist naß. Bis an die Fensterscheiben hat es gespritzt, die Frau Dünnbier immer so sorgfältig blank hält.« »Eine fabelhafte Frau, deine Frau Dünnbier«, bemerkte Hannemann, um ihn von Frau Bernau abzulenken. Es war ihm zuwider, daß Spreckelsen sich diesen Ausfall geleistet hatte, -139-
denn er wußte, daß die Angebrüllte eine blonde zarte Frau war, und alle blonden zarten Frauen erschienen ihm auf einmal sehr schonungsbedürftig. »Ich muß sagen: wenn man freitags heimkommt - man spürt es überall, daß sie da war.« »Wenn ich einmal einen Verdacht gegen sie geäußert habe«, ergänzte ihn Bartels, »ihr wißt: wegen des verschwundenen Anzugs - so nehme ich jetzt alles zurück. Wer mit solcher Sorgfalt - ich möchte fast behaupten: Andacht - mein Bett macht, der meint es wirklich gut mit mir und bestiehlt mich nicht. Es ist freitags geradezu eine lustbarkeitssteuerpflichtige Angelegenheit, zu Bett zu gehen.« »Ich bin dafür, der Frau den Lohn für ihre Arbeit um zwei Mark für jeden Arbeitstag zu erhöhen«, schlug Hannemann vor. Lag es an der Abendstimmung, daß er sich so heftig gedrängt fühlte, Gutes zu tun? Die beiden anderen erklärten ohne Umschweife ihr Einverständnis. Und so verhalfen Max Kummers Fleiß und häusliche Tüchtigkeit Frau Dünnbier zu einer Erhöhung ihrer Einnahmen. Es tröpfelte noch immer leise von Frau Bernaus Balkon herunter, mit feinen, klingenden Lauten, die in der Stille der Nacht wie etwas Bedeutungsvolles wirkten. Es war schon spät geworden. Nur noch ab und zu fuhr ein Auto durch die Straße. Die Leute, die meistens zu zweit und aneinandergeschmiegt unten vorübergingen, machten ihre Mitteilungen mit sehr gedämpfter Stimme, da sie mit Recht annahmen, daß andere Menschen für das törichte Geplapper Verliebter nichts übrig hätten. Doch im Flüsterton redeten auch die drei Männer auf dem Balkon, bis ihre Unterhaltung wieder ganz erstarb. Schließlich knipste einer von ihnen noch die Tischlampe aus. Da sahen sie den Himmel in flimmernder Sternenüppigkeit als zur Zeit wesentlichsten Teil der Welt, und es ergab sich, daß ihre -140-
Gedanken zu den Sternen hinaufschwebten, von Sehnsüchten beschwert und doch wieder beflügelt. Mehr oder minder unklar waren diese Sehnsüchte. Bei Spreckelsen schienen sie reichlich verworren zu sein, denn er sagte plötzlich: »Jetzt in einem fliegenden Koffer und mit einem Faß Bier durch den Äther reisen!« »Ach du!« entrüstete sich daraufhin Bartels. »Wenn man einen Stern lange ansieht - ist es nicht schließlich, als begegne man einem gütigen Blick?« »Quatsch!« grunzte Spreckelsen. Hannemann schwieg noch eine Weile, mit einem unbewußten und im Dunkeln auch nicht bemerkbaren Lächeln auf den Lippen. Und was er dann sprach, unterschied sich seinem Wortlaut nach erheblich sowohl von der Überschwenglichkeit des kleinen Bartels als auch von der zweispältigen Romantik Spreckelsens. Und dennoch stand ebenfalls eine Sehnsucht dahinter, und sie war flugkräftiger als die träumerischen Vorstellungen der beiden anderen. Er sagte nämlich: »Sonntag fahre ich übrigens nach Kiel.« Zunächst äußerte sich niemand zu dieser Bemerkung Hannemanns. Spreckelsen und Bartels wußten nichts Rechtes damit anzufangen. Sie fanden sie zu nüchtern für die Stimmung dieses stillen Beisammenseins unter sternenstrahlendem Himmel. »Wenn schon«, knurrte Spreckelsen schließlich gleichgültig. »Gott, Kiel!« sagte Bartels in plötzlichem Einfall. »Da wohnt ja meine zweite Frau. Wenn ich nicht wüßte, daß es dir zuwider ist, würde ich dich bitten, sie aufzusuchen und ihr einen Gruß von mir auszurichten.« Hannemann zog es vor, zu diesem Vorschlag zu schweigen. Bartels kam auch nicht wieder darauf zurück. Er hatte etwas anderes im Kopf. -141-
»Wißt ihr«, fragte er plötzlich, »daß Frau Platen ein Auto besitzt?« »Ist es nötig, das zu wissen?« bemerkte Spreckelsen abweisend. »Es ist gut für euch, es zu wissen, damit ihr begreift, weshalb ich am kommenden Sonntag mit Frau Platen eine Autofahrt machen werde.« Wieder legte sich Schweigen auf die drei. Doch diesmal war es belastet mit unausgesprochenen Besorgnissen. »Du - sag mal«, fragte endlich Spreckelsen ruhig, doch eben wegen dieser Ruhe sehr eindringlich - »wohin soll das führen?« »Zu nichts«, versicherte der Kleine, etwas bedrückt dadurch, daß Spreckelsen nicht fluchte, ihn nicht beschimpfte, sondern fast sich verhielt wie einer, der alle Hoffnung aufgegeben hat. »Ganz bestimmt zu nichts. Es ist doch nur, weil ich gern einmal Auto fahren möchte. Solange ich lebe, habe ich mir nie was Besonderes leisten können. Und nun traf ich sie gestern unten vor der Tür - und sie war ja ein bißchen seltsam - ich sagte es schon - aber als da ein Auto in wildem Tempo vorbeifegte und ich darüber sowie über Autos im allgemeinen schimpfte, da meinte sie, daß sie Lust hätte, mir eine andere Meinung über Autos beizubringen; sie habe selbst einen Wagen, und wenn ich möchte, so könnte ich Sonntag mit ihr nach der Göhrde fahren; sie steuere allerdings selbst und falls mich das nicht einschüchtere...« Er blickte fast flehend von einem zum anderen. »Da konnte ich doch nicht nein sagen, nicht wahr? Und so eine größere Autofahrt - das habe ich noch nie gehabt. Ganz umsonst, seht ihr.« Spreckelsen langte über den Tisch und klopfte ihm auf die Schulter. »Fahr wohl, Geselle!« sagte er pathetisch, »dein Schicksal ruft! Eines aber merke dir: als Hauswirt erkennen wir dich nicht an, und falls du etwa glaubst, auf solchen Schleichwegen zu -142-
imposanten Wirkungen zu kommen, so hast du dich getäuscht. Für uns bleibst du der kleine Bartels, und wenn du vierstöckig wirst.« * Die Sonne schien aus Südwesten auf Spreckelsens großes, gesundes Gesicht. Er lag in einem Liegestuhl auf dem Balkon seines Wohnzimmers und schlief. Vor einer Stunde war er vom Mittagessen heimgekehrt und nun lag er also da - schlafend, verdauend, von der Sonne geküßt; von einer Dame an einem Fenster des Hauses an der nächsten Ecke der Querstraße durch ein Opernglas betrachtet, von einem durchreisenden Spatz hastig auf der linken Brustseite weißlich bekleckert und im übrigen anzusehen in der Sauberkeit seines Schlummers wie ein rasierter Weihnachtsmann. Fest schlief er, sehr fest. Die Dame, die im Hintergrund an der Wohnungstür klingelte, mußte es dreimal tun. Und sie tat es auch dreimal, denn sie hatte von der Straße aus die offene Balkontür und die liegende Gestalt bemerkt und wußte also, daß man ihr öffnen würde, wenn sie nur oft genug klingelte. Sie war nicht ohne Energie, und außerdem hatte sie für diesen Besuch einen weiten Weg zurückgelegt, denn sie wohnte in Eimsbüttel. Vor allem aber trug sie ein nicht unansehnliches Paket mit Kuchen bei sich, die sie noch kurz vor Schluß der Sonntagsverkaufszeit beim Konditor an der Ecke erstanden hatte, und sie beabsichtigte nicht, sich noch lange mit diesem Paket herumzuschleppen. Mit dem Kuchen verband sie übrigens arglistige Absichten, denn sie meinte damit heftigsten Widerspruch in ein mildes, leicht zu erschütterndes Bedenken verwandeln zu können, wenn nur ein angemessener Kaffee dazu gekocht wurde. Sie war auf einen hartnäckigen Kampf mit drei rüstigen, nicht -143-
leicht zu behandelnden Männern vorbereitet, aber sie fürchtete sich nicht. Tapfer und unerschrocken schickte sie sich an, die gute Tat zu vollbringen, zu der sie entschlossen war. Noch lag ihr stämmiger Gegner auf dem Balkon und schlief mit dem Ausdruck eines von Engeln geküßten Riesenbaby. Doch beim dritten Klingeln wurde er wach. Mit einer Äußerung, die man weder bei einem Weihnachtsmann noch bei einem Baby gebilligt hätte, fuhr er hoch. Eine Weile sah er sich verstört um, dann rappelte er sich mit schweren Bewegungen aus seinem Stuhl auf und begab sich stampfend und anfangs ein wenig taumelnd an die Flurtür. Wenn da ein Bettler oder so was ist, dachte er wütend, hau ich ihm eine runter. Und mit einer etwas jähen Bewegung riß er die Tür auf, so daß die an sich so mutige Dame nun doch erschrocken zurückfuhr. »Was wünschen Sie?« fauchte er, bevor er sie richtig angesehen hatte. Aber dann sah er sie an, und plötzlich gab er sich Mühe, höflich zu lächeln, und stellte seine Frage noch einmal, doch mit etwas anderen Worten: »Bitte, womit kann ich dienen?« Die Dame betrachtete nun auch ihrerseits ihr Gegenüber, machte das hochmütigste Gesic ht, dessen sie fähig war, und sagte, sie möchte Herrn Bartels sprechen. Er staunte sie an, als verlange sie da etwas Unanständiges. »Sie wollen Herrn Bartels sprechen?« »Sie haben es richtig verstanden«, entgegnete sie eisig. »Sie können Herrn Bartels nicht sprechen.« »So? Und warum nicht, wenn ich fragen darf?« »Weil Herr Bartels nicht da ist.« Sie glaubte ihm nicht. Es fiel ihr gar nicht ein, ihm zu glauben. »Ich will Ihnen etwas sagen«, ging sie mit blitzenden Augen -144-
auf ihn los, »ich bin Frau Bartels, und ich verlange, daß Sie mich zu meinem Mann lassen.« Er war, wie es schien, über alle Maßen verblüfft. Er zupfte sich am Ohrläppchen, rieb sich die Nase, kraulte sich in seinem wilden Haarschopf und reckte schließlich seinen mächtigen Arm vor. »Kneifen Sie mich mal«, sagte er, »damit ich bestimmt weiß, daß ich wach bin.« »Ich denke gar nicht daran, Sie zu kneifen«, lehnte sie feindselig ab. »Ich meine nur - hm - Sie sind Frau Bartels?« »Ich sagte es schon.« »Die Frau von unserem Bartels?« »Sonst wäre ich nicht hier.« »Man kann sich auch irren. Es leben in Hamburg viele Leute, die Bartels heißen. Sogar eine Bartelsstraße gibt es hier - in Eimsbüttel oder so.« »Ich weiß genau, zu wem ich will.« »Aber unser Herr Bartels ist meines Wissens gar nicht verheiratet.« »Er war verheiratet. Mit mir.« »Ah - nun begreife ich.« Er atmete erleichtert auf. »Sie sind die geschiedene Frau Bartels. Die erste oder die zweite?« »Meines Wissens«, entgegnete sie schnippisch, »die erste.« Er lachte sie vergnügt an. »Kein Wunder, daß es zur Scheidung kam«, sagte er. »Wieso?« »Sie sind ja doppelt so groß wie er.« »Das ist wohl stark übertrieben.« »Stark! Kann ich nicht finden.« -145-
»Ich glaube, es ist überflüssig, daß wir uns hier an der Tür darüber unterhalten. Bitte rufen Sie ihn jetzt her.« »Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich das nicht kann.« »Ach, Sie wollen mir weismachen, er sei nicht da. Aber ich denke nicht daran, Ihnen das zu glauben.« »Nanu!« wunderte er sich. »Warum sollte ich Ihnen denn etwas vorlügen?« »Warum? Das werden Sie selbst am besten wissen.« »Zufällig weiß ich es nicht. Sie werden ihn doch nicht noch einmal heiraten wollen?« »So dumm! Natürlich wäre es Ihnen unangenehm, wenn ich ihn Ihrem schlechten Einfluß entziehen würde.« Er sah sie nachdenklich an. »Ganz interessant, was Sie da sagen«, bemerkte er. »Möchte wissen, woher Sie das haben.« »Sie fragen ein bißchen viel.« Da wurde er wütend. »Sie spicken mich hier mit Schlechtigkeiten und scheinen zu glauben, es sei mir gleichgültig. Bis jetzt sehe ich nur schlechten Einfluß, der von Ihnen ausgeht.« Sie starrte verstört in sein böses Gesicht, und ihre Stimme klang ängstlich, als sie stark eingeschüchtert dennoch auf ihrem Wunsch beharrte: »Lassen Sie mich jetzt bitte mit Herrn Bartels sprechen.« Der jähe Umschwung ihres Verhaltens besänftigte ihn alsbald. »Ich sage Ihnen doch immerzu, daß er nicht da ist«, entgegnete er mit gedämpftem Ton. Sie richtete sich auf. »Ich möchte mich überzeugen.« »Bitte? Sie wollen in die Wohnung?« »Ja.« »Aber ich bin ganz allein.« -146-
»Das wird sich dann ja zeigen.« Er lächelte belustigt. »Für Ihre Person scheinen Sie meinen schlechten Einfluß nicht sehr zu fürchten.« »Nein, das habe ich nicht nötig.« »Aber er hat es nötig, wie?« »Ein Mann hat es immer nötig, vor schlechtem Einfluß bewahrt zu werden.« »Wirklich?« Er lachte laut auf. »Kommen Sie herein und sehen Sie sich um, soviel Sie wollen. Es wird sich dann herausstellen, daß er zur Zeit tatsächlich fern von meinem schlechten Einfluß weilt.« »Dann wird er eben mit Herrn Hannemann zusammen sein. Und das kommt auf dasselbe hinaus.« Er pfiff überrascht vor sich hin. »Der gehört also auch zu den Werkzeugen des Teufels!« »Wenn Sie es so nennen wollen«, sagte sie, schon wieder kühn geworden. Und damit trat sie über die Schwelle der Tür, die hinter ihr zufiel. »Bitte schön!« forderte er sie auf und lud sie durch eine weite Handbewegung ein, alle Räume anzusehen. Etwas zögernd schritt sie auf eine Tür zur Linken zu, und er öffnete sie vor ihr. »Das Wohnzimmer von Herrn Bartels«, stellte er vor. »Gar nicht übel«, entfuhr es ihr. »Wo hat er denn die guten Möbel her?« »Auktion.« Die nächste Tür. »Meine Wohnstätte.« Sie rümpfte die Nase. »Ziemlich alter Kram«, kritisierte sie. »Er war für meine Eltern gut genug, warum soll er es nicht für mich sein?« Sie betrachtete ihn schnell von der Seite, und irgend etwas -147-
trieb sie an, »Verzeihung« zu sagen. Da lächelte er sie freundlich an. »Eigentlich haben Sie recht«, sagte er. »Man sollte nicht so an Erbstücken hängen. Hannemann gefällt diese Einrichtung auch nicht.« Sie blickte nach der Balkontür. »Sie waren es wohl, den ich auf dem Balkon sah? Da habe ich Sie gewiß im Mittagsschlaf gestört.« »Macht nichts. Ich muß sowieso etwas gegen das Dickwerden tun.« Er geleitete sie in Hannemanns Arbeitszimmer. »Hannemann«, sagte er. Sie zog leise die Luft durch die Lippen wie ein Kind, das etwas Kostbares sieht. »Vornehm«, erklärte sie. »Und unglaublich viele Bücher.« »Wie es sich für einen Studienrat gehört.« Sie blickte erstaunt auf. »Studienrat ist der Herr?« Er betrachtete sie forschend. »Hat man vergessen, Ihnen das zu sagen?« fragte er plötzlich mit leichter Schärfe. Sie fuhr erschrocken mit der Hand zum Mund. »Ich...«, stammelte sie, »ich habe doch nichts verraten?« »Nein, das haben Sie nicht. Aber...?« »Da war ein Brief von einer Frau mit solch merkwürdigem Namen«, sagte sie verlegen. »Frau Lenkwagen - oder so.« »Ach - ich weiß: Frau Wagenschmiere oder so. Haben Sie die mal gesehen?« »Nein.« »Riskieren Sie einmal, sie in Augenschein zu nehmen. Sie -148-
werden dann auf ihre Briefe nicht mehr viel geben. Wollen Sie noch die anderen Räume sehen?« »Nein, danke«, sagte sie demütig. »Dann haben Sie sich also überzeugt, daß Herr Bartels nicht da ist, ja? Und Sie möchten nun wieder gehen...« »Ja. Und«, sie schaute zu ihm auf, und er entdeckte auf einmal zwei dicke Tränen, die ihr über die Wangen rollten »und ich möchte Sie um Entschuldigung bitten - wegen - wegen vorhin.« Er griff schnell nach ihrer Hand. »Und ich möchte ebenfalls um Entschuldigung bitten - auch wegen vorhin. Was haben Sie denn da für ein Paket?« Sie schluckte ein paarmal, bevor sie »Kuchen« antwortete. »Ach so! Sie wollen noch anderswo einen Besuch machen.« Sie schüttelte den Kopf und lächelte schwach. »Nein. Ich dachte, wir würden hier Kaffee trinken - Herr Bartels und ich und wer noch dagewesen wäre.« Er ließ ihre Hand los, die er schon viel zu lange gehalten hatte. »Und könnten wir«, fragte er fröhlich - und diese Fröhlichkeit gab seinem derben Gesicht etwas ungemein Treuherziges, Vertrauenerweckendes, »könnten wir nicht doch noch Kaffee trinken und Ihren Kuchen essen - trotz allem?« Sie blickte sinnend zu ihm auf. Und plötzlich lachte sie ihn an. »Haben Sie denn Kaffee im Haus?« »Das will ich meinen!« triumphierte er. * Wenn jemand sich herausnimmt, seinen Weg durchs Leben wie ein Seiltänzer zu gehen, so kann ihm das eine Weile wohl gelingen. Doch eines Tages wird er bestimmt in der Lage sein, -149-
die Welt wieder von unten zu betrachten und bekümmert zu dem hohen Seil hinaufzugucken. So erging es auch Max Kummer, der allzu kühne Gaukeleien mit seinem Schicksal geführt hatte. Max wußte so gut wie gar nichts über Herrn Bernau, obwohl er fast jeden Vormittag in reger Tätigkeit dessen Haushalt betreute und manche gute Mahlzeit auf Herrn Bernaus Kosten einnahm. Und Frau Bernau, die Herrn Bernau zweifellos kannte, tat vormittags so, als sei dieser Mann ein Gestirn, das nur abends am Himmel ihres Daseins erschien, dort bis zum frühen Morgen verweilte und zwischen Morgen und Abend keiner Erwähnung bedurfte. Herrn Bernaus Gedanken aber umkreisten auch vormittags sehr lebhaft Frau Bernaus zierliche Gestalt. Und sie taten das manchmal in einer so aufgeregten und feindseligen Weise, daß Frau Bernau eigentlich hätte beunruhigt sein müssen. Doch nichts trübte die vormittägliche Heiterkeit dieser Frau. Sie wischte ein wenig Staub, behandelte ihre Blumen, bereitete das Frühstück und das Mittagessen und trällerte zu dieser leichten und bekömmlichen Tätigkeit kleine Liedchen, deren Melodien bei ihr nie richtig herauskamen, da sie völlig unmusikalisch war. Und unbekümmert wie ihr Singen war die ganze Frau. Sie war wie ein Vogel auf dem Felde. Kaum war eine Gefahr vorüber, so lebte sie munter und sorgenlos ihr bescheidenes kleines Dasein, ohne auch nur im geringsten aus der überstandenen Gefahr auf bedrohliche Möglichkeiten der Zukunft zu schließen. Entgegengesetzter Art war Herr Bernau. Er steckte immer bis an den Hals voll Sorgen. Da waren die Sorgen um seine Gesundheit, die Sorgen um sein dienstliches Fortkommen, die Sorgen um die Verkehrsgefahren der Straße, der Stadtbahn, der Hochbahn, die Sorgen um die Auswirkung politischer Vorkommnisse und Gestaltungen auf Gehalt und Beförderung, die Sorgen um eine mögliche Versetzung und - unentwegt und alle anderen Sorgen beschattend und düster tönend - die Sorgen um seine Frau. Er traute ihr nicht. Nein - er traute ihr durchaus -150-
nicht. Sie war nach seiner Meinung zu hübsch, um nicht jedes Mannes Begehren zu wecken, zu eitel, um nicht jedes Mannes Begehren herauszufordern, und zu dumm, um nicht jedes Mannes Begehren zu erliegen, wenn es nur mit den nötigen Beweismitteln auf sie eindrang. Und er vermutete - nachdem nun einmal in seiner Gegenwart allzu ausführlich die Rede von einem Herrn Bartels gewesen war bei diesem Herrn so viel entschlossenes Begehren, wie er nur irgend zu befürchten vermochte. Also mußte Herr Bernau der Versuchung erliegen, die er zugleich fürchtete: Seine Frau auch einmal an einem werktäglichen Vormittag zu sehen. Eines Morgens gegen elf Uhr klingelte er an der Bernauschen Wohnung. Max, mit einer von Frau Bernaus Morgenschürzen über seinem guten Anzug, begab sich an die Tür, schlug den Sicherheitsriegel zurück und öffnete. Vor ihm stand ein großer, hagerer, etwas krummrückiger Mann, der ihn sprachlos anglotzte. »Wir geben nichts«, sagte Max entschlossen. »Kommt gar nicht in Frage.« »Wer ist denn da, Herr Bartels?« ertönte aus dem Hintergrund im Anschluß an einen geträllerten Singsang Frau Bernaus Frage. »Och - 'n Mann«, rief Max über die Schulter zurück. »Er steht und guckt und wartet auf 'n Groschen.« »Abweisen!« sang Frau Bernau, das Wort schon in die wieder aufgenommene Melodie einbeziehend. Max wollte die Tür zuschlagen, da bemerkte er, daß der andere den Fuß in den Türspalt gestellt hatte. »Hören Sie mal!« rief Max drohend. »Machen Sie hier keine Sachen!« Im Hintergrund brach das Trällern ab. »Was ist los, Herr Bartels?« fragte die Stimme der jungen Frau. -151-
»Der Onkel wird frech«, erwiderte Max und versetzte dem Fuß des anderen einen Tritt. »Verflucht!« knirschte er. »Hier bist du an die falsche Adresse gekommen.« »Ich werde Ihnen schon zeigen«, sagte da der andere mit bebender Stimme, »daß ich an der richtigen Adresse bin.« Er warf sich mit ganzem Körper gegen die Tür. Max hob die Faust, um ihm eins zu versetzen, da wurde sein Arm plötzlich von hinten gepackt. Frau Bernau umklammerte ihn. »Nanu!« zürnte er. »Was soll denn das?« »Es ist mein Mann«, sagte sie tonlos. »Ihr Mann?« staunte er. »Ach so.« Herr Bernau trat ein. Soweit es ging, hatte er seinen Rücken gerade gemacht, so daß er noch etwas größer aussah als sonst. Er schloß die Tür hinter sich und stand nun vor den beiden wie der Engel des Paradieses, nur hielt er statt des feurigen Schwertes einen knöchernen Finger ausgestreckt, der auf Max wies. »Wer ist dieser Mensch?« fragte er seine Frau mit aller Schärfe, deren seine ohnehin schon knarrige Stimme fähig war. »Das ist Herr Bartels«, sagte Frau Bernau mit herausfordernder Knappheit. Ihr gefiel die Großartigkeit seines Auftretens durchaus nicht, und sie hatte sich in letzter Zeit zu sehr an eigenes Selbstbewußtsein gewöhnt, um jetzt trotz allem zu einer Demütigung ihrer Person bereit zu sein. »Sie sind also Herr Bartels?« wandte Herr Bernau sich an Max. Der sah ihm ziemlich frech in die Augen, denn er sagte sich, daß die schönen Zeiten in der Bernauschen Wohnung nun doch für ihn zu Ende seien, und fragte patzig zurück: »Glauben Sie es etwa nicht?« Herr Bernau blickte seine Frau durchbohrend an. »Neulich kanntest du Herrn Bartels angeblich gar nicht.« Sie warf den Kopf zurück, so heftig, daß ihr der -152-
blondgewellte Haarschopf wippte. »Und heute kenne ich ihn eben«, sagte sie. Herr Bernau schaute eine Weile schweigend von ihr zu ihm, von ihm zu ihr. Immer starrte ein Augenpaar ihn an, das nichts von Schuldbewußtsein verriet, sondern eher höhnischen Trotz erkennen ließ. »Warum trägt Herr Bartels hier eine Schürze?« fragte er schließlich. Damit hatte er bei Max einen wunden Punkt berührt, denn Max fühlte sich augenblicklich recht unbehaglich in seiner Tracht. »Ich kann sie ja ablegen«, sagte er mürrisch und nestelte am Schürzenband. »Um seinen guten Anzug zu schonen«, beantwortete Frau Bernau die Frage Herrn Bernaus. »Ist die Wohnung in einem Zustand«, erkundigte er sich höhnisch, »daß man sich ohne Gefahr für seinen guten Anzug nicht darin aufhalten kann?« »Wenn sie es nicht ist«, fuhr sie ihn an, »so ist es bestimmt nicht deine Schuld. Herrn Bartels haben wir die Sauberkeit, die hier herrscht, zu verdanken.« »Herrn Bartels?« »Herrn Bartels. Er bohnert, kehrt den Teppich, putzt die Fenster, macht die Betten.« »Die Betten?« »Macht die Betten, wäscht das Geschirr ab, klopft deine Anzüge und Mäntel, schlägt Nägel in die Wand. Und außerdem schält er die Kartoffeln.« »Jeden Tag?« »Jeden Tag außer freitags. Dann hat er nämlich Vormittagsdienst.« Herr Berna u starrte zu Max hinüber. Der nickte ihm bestätigend zu mit einem Ausdruck, der erkennen ließ, daß er -153-
eigentlich etwas mehr Dankbarkeit erwartete. Herr Bernau jedoch trat drohend auf die Frau zu. »Und was bezahlst du ihm dafür?« fragte er mit einem Unterton, der schon eine Antwort ärgster Art andeutete. Sie wich vor ihm zurück. »Wie meinst du das?« »Wie man es nur meinen kann, wenn man seine Frau mit ihrem Hausfreund allein in seiner Wohnung vorfindet.« Einen Augenblick stand sie erstarrt. Dann holte sie blitzschnell mit der Rechten aus und versetzte ihm eine Ohrfeige, die wie ein Zündplättchen knallte. Ehe er noch ganz begriff, was ihm da widerfahren war, hatte sie sich bereits abgewendet, war sie zur nächsten Tür gestürzt und dahinter mit vernehmlichem Umdrehen des Schlüssels verschwunden. »Die hat aber gesessen!« sagte Max erstaunt. Vielleicht war es auch Anerkennung, weil Frau Bernau doch sonst so vornehm war. Herr Bernau ging wütend auf ihn zu, aber als er es im Blick des kleinen Mannes plötzlich gefährlich funkeln sah, bremste er. »Kommen Sie mir bloß nicht zu nahe!« sagte Max. »Ich kann auch ganz gut zuhauen.« »Hinaus!« keuchte Herr Bernau und wies mit einem sehr langen Arm auf die Tür. »Wüßte nichts, was mich hier noch halten könnte«, entgegnete Max und öffnete die Tür, ohne den anderen aus dem Blick zu lassen. »Ich will Ihnen mal etwas sagen«, bemerkte er keck von draußen, da schlug Herr Bernau ihm die Tür in nächster Nähe der Nase zu, daß es wie ein Kanonenschuß durch das Haus dröhnte. Verdutzt starrte Max auf das braune Holz, und kein Mensch wird jemals erfahren, was er noch sagen wollte. Weniger keck sah er die Dinge an, als er sich hernach in der ein Stockwerk tiefer gelegenen Wohnung befand, in die er sich -154-
zunächst einmal zum Nachdenken zurückgezogen hatte. Es war ihm klar, daß die Zeit der freundlichen Behandlung durch eine gutaussehende, gut gekleidete und auch vornehme Dame vorüber sei. Es fragte sich nur, ob er es wenigstens wagen konnte, sich noch weiterhin täglich in der Wohnung der drei Junggesellen aufzuhalten. Das hing alles von dem ab, was dieser lange Lulatsch da oben nun unternehmen würde. Doch was konnte in dieser Hinsicht eigentlich viel passieren? Der Mann würde froh sein, ihn hinausgeekelt zu haben, würde natürlich von nun an scharf auf seine Frau aufpassen, keinesfalls aber würde er danach streben, sich noch weiter mit Herrn Bartels über jene Sache zu unterhalten. Und eine solche Unterhaltung wäre doch die allein mögliche Gefahr, der aus dem Wege gegangen werden mußte. Max fühlte sich erheblich wohler, als er in seinen Betrachtungen zu diesem Ergebnis gekommen war. Denn das ärgste, was ihm widerfahren konnte, war nicht eine Auseinandersetzung mit Herrn Bernau oder dem richtigen Bartels und seinen Wohngenossen, war nicht einmal ein Zusammenstoß mit der Polizei wegen einiger nicht wegzuleugnender Verfehlungen, sondern war die Trennung von Frau Dünnbier. Ja, es muß gesagt werden, daß dieser kleine und in jeder Beziehung belanglose Mann sein Herz in einem Maße an Frau Dünnbier verloren hatte, das weit über die Grenzen seiner Persönlichkeit, über die Auffassungen seines bisherigen Lebensbereichs hinausging. Er gewann etwas von innerer Größe in der Neigung, die er dieser Frau entgegenbrachte. Dieser kleine Kerl konnte schwermütig werden in der Vorstellung, daß Frau Dünnbier sich einmal von ihm abwenden würde. Und er hätte sie schon längst gefragt, ob sie ihn nicht heiraten wolle, wenn da nicht die kniffliche Sache mit seiner Rolle als Bartels gewesen wäre, die er ja dann hätte aufgeben müssen, und zwar nicht ohne erhebliche Einbuße an dem von Frau Dünnbier bisher -155-
gezeigten Wohlwollen. Er fühlte sich ein wenig in die Enge getrieben, der kleine Bursche, und es bedurfte seiner ganzen, auf stark geschnörkelter Lebensbahn gewonnenen Unverfrorenheit, um doch noch einigermaßen hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Jedenfalls fand er sich am nächsten Morgen wieder ein in der ihm so vertraut gewordenen Wohnung der drei Junggesellen. Wie auch sonst schlief er ein Weilchen auf Hannemanns Couch. Dann saß er eine Zeitlang da, ohne zu denken, und als sich endlich ein Gedanke in ihm formte, befaßte der sich ausschließlich mit der Tatsache, daß er sich ganz abscheulich langweilte. Ja, Max langweilte sich. Er kam sich leer und überflüssig vor. Ihm fehlte etwas in all der Beschaulichkeit dieser stillen Stunden. Und es dauerte nicht lange, bis er begriff, daß er die Arbeit in der Bernauschen Wohnung entbehrte. Auf einmal fand er, daß ihm diese Arbeit wirklich etwas Wertvolles geworden sei. Hatte er sie zunächst nur aus verlegener Gefälligkeit geleistet, so hatte sie sich doch gemach für ihn zu einem Bedürfnis entwickelt. Nicht nur die Gesellschaft von Frau Bernau, sondern vor allem die Befriedigung an seiner Tätigkeit und die von Frau Bernau oft gezeigte Anerkennung seiner Leistungen hatten ihn über die Sphäre seines früheren Daseins hinausgehoben. Er war etwas gewesen durch das, was er tat, und nicht durch das, was er vorstellte. Es läßt sich nicht verkennen: der arme Kerl war dem Laster der Arbeit verfallen, nachdem er leichtfertigerweise zu gründlich davon gekostet hatte. Wenn ich doch wenigstens versuchen könnte, hier was zu lernen, dachte er verzweifelt. Dieser Hannemann hat ja allerlei, wo man die Nase hineinstecken könnte. Aber ich bin zu alt, um damit noch etwas zu werden. Dann jedoch fiel sein Blick auf Hannemanns -156-
Schreibmaschine, und plötzlich fand er, das wäre eine Sache... Wenn er anfinge, sich mit Maschinenschreiben zu befassen,... Damit könnte man es schon zu etwas bringen, so daß man immer etwas um die Ohren hätte. Es war nicht seine Art, lange zu zögern, wenn ein Einfall ihn bedrängte. Er fand Papier, suchte sich einen Text heraus, und bald klapperte es zwar zögernd, aber laut und ausdauernd in Hannemanns Arbeitszimmer. Und oben horchte Frau Bernau, nun wieder mit der ganzen Hausarbeit belastet, auf. Sie lauschte eine Weile regungslos, um dann tief und kummervoll zu seufzen, damit eine ernste und schwerwiegende Betrachtung einleitend. Das Ergebnis dieser Betrachtung aber lautete so: Wenn ich jetzt kein Hausmädchen kriege, lasse ich mich scheiden. Doch auch Herr Bernau gab sich Betrachtungen hin. Er tat das vorwiegend in seinem Dienstzimmer. Ein Dienstzimmer für gehobene mittlere Beamte, insoweit gekennzeichnet durch einen Linoleumteppich und dadurch, daß er es allein innehatte. Mehrere Tage lang verrichtete er seine dienstliche Arbeit nicht mit der Sorgfalt, die ihm sonst eigen war. Es brannte in ihm. Diese Pein kam nicht von der Ohrfeige, sie war sogar ein lichter Punkt im Gewirr seiner Sorgen, denn wenn er auf dem Wege war, sich wegen der erlebten häuslichen Vorgänge zu beruhigen, so diente sie ihm als freundliche Führerin. Doch leider geriet er immer wieder von diesem Wege ab ins Dickicht trüber Vorstellungen. Da half es ihm dann auch nichts, daß der von ihm unerkannt bemerkte Umgangston zwischen seiner Frau und diesem Bartels - »Wer ist denn da, Herr Bartels?« - »Was ist los, Herr Bartels?« - eigentlich nicht auf allzu große Vertraulichkeit schließen ließ. Das konnte ja alles Verstellung gewesen sein. Auch die Ohrfeige so kräftig sie gewesen war - konnte dem Zweck gedient haben, ihm etwas vorzutäuschen. Und wenn Frau Bernau seit jener Ohrfeige nicht mehr mit ihm sprach - nun mehrere Tage schon - so war das vielleicht weniger das -157-
Verhalten gekränkter Unschuld als ein überlegter Schutz gegen unbedachte Äußerungen. Fest stand nur eins: dieser Bartels hatte sich vormittags bei Frau Bernau in der Wohnung befunden. Und nicht nur dieses eine Mal, sondern oft. Das bewies seine Vertrautheit mit Frau Bernaus Schürze n. Überall in der Wohnung hatte seine Hand gewaltet, sogar im Schlafzimmer. Hatte sie nicht wohl auch an Frau Bernau selbst gewaltet? Seit Wochen, Monaten hatte er dazu täglich mehrere Stunden zur Verfügung gehabt. Was war geschehen war geschehen war geschehen? Und was geschah vielleicht heute noch jetzt in diesem Augenblick? Was hatten sie viel von ihm zu befürchten, wenn es ihnen darauf ankam, zusammen zu sein? Er konnte es sich nicht leisten, zur Überwachung seiner Frau viel Dienst zu versäumen. Schließlich war da außerdem ja auch die eigene Wohnung dieses Bartels... Was stand im Wege, daß Frau Bernau oben mit einem Besenstiel ein kleines Signal nach unten gab, das dann von unten in gleicher Weise erwidert wurde? Und dann verließ sie ihre Wohnung auf den leisen Filzschuhen, die sie jetzt abends immer trug, huschte sie treppab, fand sie unten eine bereits geöffnete Tür, glitt sie hinein, flog sie in bereits geöffnete Arme - ach! Scheußliche Stunden verbrachte Herr Bernau, wenn seine nicht sehr begabte, aber außerordentlich gründliche Phantasie ihn bis zu diesem Punkt geführt hatte. Dann wälzte sein Hirn mörderische Pläne, obwohl er freilich zugleich die Gewißheit hatte, daß er nicht imstande war, einen einzigen davon auszuführen. Doch irgendwie kam er immer zu diesem Ergebnis: er mußte etwas tun, um sich Ruhe zu verschaffen. Er hatte schon daran gedacht, den Rechtsanwalt Rudelboß aufzusuchen und sich wegen einer »Einstweiligen Verfügung« beraten zu lassen, die Bartels verbot, die Bernausche Wohnung zu betreten. Aber das genügte nicht. Es würde nicht ausreichen, um Frau Bernau von -158-
der Barteischen Wohnung fernzuhalten. Nein, nur eins konnte helfen: ein Weg zu Frau Platen. Er mußte ihr berichten, was vorgefallen war, und sie bitten, diesen drei Junggesellen, die so viel Unruhe ins Haus brachten, die Wohnung zu kündigen. Natürlich würde sie es nicht umsonst tun, denn ebensogut konnte er ja selbst ausziehen, und das wäre für sie kein großer Verlust, denn er wohnte ja um zwanzig Mark monatlich zu billig. Diese zwanzig Mark mußte er opfern, denn seine Frau würde für einen Umzug nicht zu haben sein. Ach für vieles war sie nicht mehr zu haben. Sie brachte ihm abends nicht mehr die Hausschuhe und die Hausjoppe, versagte ihm überhaupt alle persönlichen Dienstreichungen. Und an mangelnde Unterwürfigkeit hatte er sich bei ihr schon seit längerer Zeit gewöhnen müssen. Vor der Ohrfeigenepisode, die ihr eisernes Schweigen eingeleitet hatte, war sie oft überraschend mit hartnäckigem Widersprechen, eigensinnigem Beharren auf eigenen Meinungen, schnippischen Bemerkungen und Glossierungen seiner Gewohnheiten hervorgetreten. Sie hatte sich eben seit ihrer Bekanntschaft mit diesem Bartels völlig verändert, und nicht zu ihrem Besten, wenigstens fand das Herr Bernau. Alles in allem: Frau Bernau immer mehr sich entwickelnde Aufsässigkeit war ein Hindernis für den Gießbach seiner Entschließungen. Dieses Hindernis würde ihn monatlich zwanzig Mark Miete kosten, aber das ließ sich nicht vermeiden. Er durfte nichts unversucht lassen, und wie er Frau Platen kannte: sie würde sich auf seine Seite stellen, würde unsaubere Beziehungen zwischen den Bewohnern ihres Hauses nicht dulden. Er war darauf vorbereitet gewesen, daß er Frau Platen manches würde sagen müssen, was ihm zu sagen peinlich war, daß sie vieles würde wissen wollen, bevor sie sich zu einem entscheidenden Schritt entschloß. Doch diese Gründlichkeit, mit der sie ihn - als er sie schließlich nach langem Erwägen in ihrer -159-
Wohnung aufsuchte - befrug, hatte er nicht erwartet. Es lag auch etwas Verbissenes in ihrer Art, etwas, das er gar nicht an ihr kannte, ein Zug von Härte, ein Hauch von kaltem Zorn. Und als sie endlich erklärte, sie werden den drei Herren die Kündigung persönlich aussprechen, da war er gewiß, daß sie es in einer Weise tun würde, die an ihm alles wieder gutmachte, selbst die Ohrfeige. * Eines Morgens, als Max der Frau Dünnbier die Tür öffnete, und er in ihr liebes, gesundes Gesicht sah und ihre braunen Augen ihn mit so heiterem Wohlwollen anstrahlten, fiel ihm die Unsicherhe it seiner Lage jäh und schwer aufs Herz. Er fühlte mit überwältigender Gewißheit, wieviel diese Frau ihm galt, und spürte plötzlich etwas von Gefahr, die diesem Gefühl drohte. Er hatte sich bei Frau Bernau mit seiner falschen Rolle in die Nesseln gesetzt, aber das brannte nicht mehr so arg. Doch wenn ihm dasselbe bei Frau Dünnbier widerfuhr und es würde ihm widerfahren, wenn sie von sich aus dahinterkam, daß er sie beschwindelt hatte - dann war das schon mehr als eine Sache mit Nesseln - es war etwas mit Angst und Schrecken und ewigem Trübsinn. Bevor also Frau Dünnbier nach der Küche ging, sagte er verlegen: »Frau Dünnbier - nachher, wenn wir alles geschafft haben - ich meine - die Fenster haben es heute auch wohl wieder mal nötig - und mit dem Gebohnerten bin ich gar nicht zufrieden - und vorn auf dem Parkett sind einige scheußliche Flecke - da werde ich mal ordentlich wienern müssen - ja und danach - da möchte ich Ihnen gern was sagen.« Er wich ihrem forschenden Blick scheu aus. »So?« fragte sie. »Was wollen Sie mir denn sagen, Herr Bartels?« -160-
Er fummelte an Kragen und Krawatte herum, lachte töricht und entgegnete mit dem Versuch, es nicht zu wichtig zu machen: »So allerlei, wissen Sie. Aber - nicht wahr - nicht jetzt in diesem Augenblick - ich meine...« Er stürzte davon, kopfüber hinein in die Arbeit. Sie brachte es tatsächlich fertig, ihre Neugier bis zum Nachmittag zu bezähmen. Und je weiter die Sonne, die wieder einmal recht fröhlich schien, dem Westen zurückte, desto aufgeregter wurde Max, desto scheuer wurden die Blicke, mit denen er Frau Dünnbiers ruhiger Aufmerksamkeit begegnete, desto mehr wich er ihr schließlich aus. Schließlich saßen sie dann in der Küche beisammen. Frau Dünnbier bereits wieder straßenmäßig gekleidet und auch er zum Weggehen angezoge n. Sie tranken nur noch schnell gemeinsam eine Tasse Kaffee, den Frau Dünnbier gekocht hatte. »Müßten Sie nicht eigentlich schon im Dienst sein, Herr Bartels?« fragte sie plötzlich mit einem kleinen Anflug von Spott im Blick. »Ich glaube, Sie haben es heute ein bißchen spät werden lassen.« Er sah zu ihr hin, sah wieder weg, fühlte an den Knöpfen seiner Weste herum und stieß schließlich heraus: »Ich wollte Ihnen ja etwas sagen.« »Gewiß, das wollten Sie. Und ich warte schon 'ne ganze Weile drauf.« »Ich - ich...«, er druckste noch ein wenig, und dann platzte er plötzlich los: »Ich bin gar nicht Herr Bartels.« Sie lachte hell auf. »Gut, daß Sie da endlich mal mit herauskommen!« rief sie. »Das weiß ich doch schon lange, daß Sie nicht Bartels sind.« Er starrte sie an. »Das wissen Sie schon lange?« »Na - richtig wissen tu' ich es ja natürlich nicht. Aber seit letztem Freitag bin ich mir ziemlich sicher. Und vorher habe ich -161-
mir auch schon immer mein Teil gedacht. Ich finde, man hat das so im Gefühl. Wie soll wohl Herr Bartels dazu kommen, habe ich mir überlegt, hier immer so mitzuarbeiten, wenn er doch dafür bezahlt, daß ich die Arbeit mache? Ich weiß ja, wie die Männer sind, wenn sie 'n bißchen was gelernt haben. Die rühren keinen Finger für'n Haushalt, und wenn's die Frau noch so schwer hat. Die liegen da faul herum und denken: Wofür ist die Frau da! Sie meinen, sie haben im Dienst Anstrengung genug, um das Geld zu verdienen, von dem die Frau gut leben kann. Und wenn da ein Mann so arbeitet, wie Sie das gemacht haben, dann ist das einer, der sonst nichts zu tun hat und sich mopst weil er nämlich keine Stellung hat.« »Sie sind sehr klug, Frau Dünnbier«, stammelte er. »Ach nee! Ich bin gar nicht klug, aber gesund.« »Und was war denn am letzten Freitag?« Sie sah ihn verschmitzt an. »Da lag in der Küche unter dem Geld ein Zettel. Auf den hatten die drei Herren was geschrieben. Und sie bedankten sich, daß ich immer alles so nett in Ordnung hielte, und sie möchten, daß ich jedesmal zwei Mark mehr kriegte. Und sie hatten alle unterschrieben. Auch Herr Bartels. Und ich dachte: Wenn dieser Mann, der morgens hier immer herummurkst, wenn das Herr Bartels ist - dann wird er wohl was über den Zettel und die zwei Mark sagen oder doch wenigstens mal 'n bißchen plietsch gucken. Aber Sie haben nischt gesagt und nicht geguckt. Und da wußte ich: der ist nicht Bartels. Aber ehrlich ist er ja wohl. Er geht nicht in die Küche, wenn mein Geld da liegt. Und das gefiel mir, und ich meinte, ich könnte es wohl noch 'ne Weile mit ansehen und warten, was er schließlich anstellt. Aber es hätte mich doch verdammt gefuchst, wenn Sie nicht endlich mal mit der Wahrheit herausgekommen wären. Und nun bin ich eigentlich recht froh.« Sein Blick strahlte auf. »Ja?« »Klar! Doch nun sagen Sie mal: weshalb haben Sie mir das -162-
heute erzählt?« »Ich hatte Angst, Sie würden mal selbst dahinterkommen und dann nichts mehr von mir wissen wollen.« Sie betrachtete ihn mit langem Blick. »So ist das also? Und wie kamen Sie überhaupt in die Wohnung - damals - zu Anfang - wie und warum?« Er schluckte ein paarmal. »Ich kam hier an die Tür und da steckten Schlüssel im Schloß, und ich schloß auf und kam hier rein. Und wo ich doch nu die Schlüssel hatte, da bin ich wiedergekommen. Wissen Sie, es war hier so fein, und ich wollte es auch gern mal fein haben.« Sie riß die Augen auf. »Ach nee! Und eigentlich wollten Sie wohl klauen, was?« Er schüttelte heftig den Kopf. »Ich kam her, weil ich mir eine Mark holen wollte. Die war mir Herr Spreckelsen noch schuldig oder eigentlich Herr Bartels.« »Und Sie haben wirklich nichts geklaut?« Nach einigem Zögern raffte er sich zur Offenheit auf. »Doch«, antwortete er. »Was denn?« »Diesen Anzug.« »Nein so was!« seufzte sie betroffen. Dann fuhr sie ihn plötzlich an: »Mensch, haben Sie denn gar kein Schamgefühl im Leibe? Sie wollen ein Mann sein? Damals, als mein Mann starb, saß ich da und hatte keinen Pfennig zu leben. Und ich hätte nicht mal klauen brauchen und es doch gut haben können. Ich war hübsch damals, das können Sie mir glauben.« »Sie sind es noch«, flüsterte er. »Was denn? Reden Sie laut, wenn Sie was zu sagen haben.« »Sie sind es noch«, wiederholte er gehorsam. »Was Sie nicht meinen! Aber ich hab' kein Geschäft damit -163-
gemacht. Ich hatte meinen Stolz und hab' ihn heute noch. Und hab's geschafft. Mit Arbeit. Und so ein Kerl wie Sie - der klaut! Diesen Anzug also. Und was sonst noch?« »Sonst nichts. Herrn Spreckelsen habe ich 'ne Mark vom Schreibtisch genommen. Die gehörte mir. Da lagen sechs mark fuffzig, aber das andere habe ich liegen gelassen.« »So - hm. Weiter wirklich nichts?« »Nein, weiter nichts.« »Das mit dem Anzug ist aber schon schlimm genug. Das gibt mir 'nen Knacks«, sagte sie, und ihre Stimme klang auf einmal traurig. »Ich habe gedacht, das ist einer, der kann keine Arbeit kriegen, und er kennt die drei Herren gut und hat 'n Schlüssel von ihnen gekriegt und wärmt sich auf und hat auch sonst gern 'n bißchen was Nettes um sich - schöne Zimmer und Möbel und so. Und vor mir, hab' ich gedacht, geniert er sich, und ich soll nicht wissen, daß er eigentlich nicht hierher gehört, und deshalb hat er gesagt, er ist Bartels. Und nu' ist es 'n ganz gewöhnlicher Gauner.« »Nein, Frau Dünnbier«, rief Max angstvoll, »ich bin kein Gauner! Glauben Sie man! Wirklich! Ich gebe ja zu, den Anzug hätte ich nicht nehmen sollen, und ich will ihn auch gleich morgen wieder hinhängen. Aber meiner ist so schrecklich kaputt, und hier war es so fein und ich wollte doch auch mal fein sein, und dann war ich doch Herr Bartels und konnte den alten gar nicht mehr anziehen. - Ach, Frau Dünnbier, lassen Sie mich nicht versacken. Hier bei Ihnen - da habe ich richtig Mut gekriegt, wo mir doch schon so viel schief gegangen ist. Ich habe hier sogar schon Maschinenschreiben angefangen. Bei Herrn Hannemann steht so 'n Ding. Und einmal - da hat er abends wohl was dran verkorkst, und ich habe es wieder zurecht gekriegt. Weiß nicht, ob er was davon gemerkt hat. Och - Frau Dünnbier - ich gebe mir schon Mühe. Und ich möcht' wohl endlich mal was Ordentliches werden, wenn's auch man was -164-
Kleines ist. Und immer hab' ich gedacht, ich könnt' Sie mal fragen, ob ich - ob Sie - aber das geht ja nun wohl doch zu weit.« »So? Sie wollen mich was fragen? Was denn?« Er knetete die Finger ineinander vor Besorgnis und Aufregung. »Ich will's lieber nich sagen«, murmelte er, »gerade jetzt, nachdem - das ist nicht der richtige Augenblick.« »Das wird sich ja zeigen. Also?« »Wegen Heiraten...« »Sie wollen mich heiraten?« rief sie. »Sie mich? Mein Lieber - wenn geheiratet wird, dann heirate ich Sie, verstanden. Aber vorläufig kommt so was noch gar nicht in Frage. Zuerst einmal gehen Sie heute abend mit mir hierher zu den drei Herren und bringen den Anzug zurück und die Mark.« Er fuhr erschrocken auf. »Die rück' ich nich raus! Die gehört mir! Und - ich hab' se jetzt auch gar nich... Und der' Anzug - mit meinem kann ich hier gar nich kommen, und wenn Sie mich sehen, denn ... denn geh'n Sie vielleicht gar nich mit mir.« »Das lassen Sie man meine Sorge sein. Hier machen wir jetzt reinen Tisch. Die Mark kriegen Sie vo n mir, weil Sie doch immer so nett geholfen haben, und wenn Herr Spreckelsen sie Ihnen gibt, denn is das richtig. Nischt vom Tisch nehmen und so! Was meinen Sie, wenn Herr Spreckelsen nun was gemerkt hat und sagt bloß nischt und denkt: die Dünnbieren is nich ehrlich, - na, was denn?« »O Gott, nein!« fuhr Max auf. »Seh'n Se! Und heute kaufen wir einen anderen Anzug für Sie. Den zahlen Sie mir ab, wenn Sie Stellung haben. Die kriegen Sie! Da können Sie Gift drauf nehmen! Ich komm bei viele Herrschaften, die mir da helfen können und das auch tun. Und wenn Sie da Zicken machen und mich blamieren ich sage Ihnen - Sie werden Ihr blaues Wunder erleben!« -165-
Er sah sie glückselig an. »Sie können sich auf mich verlassen, Frau Dünnbier!« stieß er heraus, und dann blieb ihm die Stimme weg. Sie lächelte flüchtig. Ein ganz klein hübscher Kerl ist er doch! dachte sie und sagte: »Na ja - das wird sich zeigen. Und später läßt sich dann wohl über das andere reden, wenn ich genau weiß, wie die Karre läuft. Ich meine - na - Sie wissen schon.« »Frau Dünnbier!« »Laß man! Jetzt kein Geschmuse! Das kommt zu seiner Zeit. Dann kannst du vielleicht bei mir am warmen Ofen sitzen und schöne Sachen sagen. Aber hör mal: wie heißt du denn nun eigentlich richtig?« »Max Kummer.« »Hm - berauschend ist der Name nich! Frau Meta Kummer. Na - wenn du mir sonst keinen Kummer machst, Maxe...« »Ich werde nicht, Meta!« - und das klang so ehrlich, daß sie ihm über den Tisch hinweg einen kleinen zärtlichen Backs gab. * Einige Stunden später saßen die drei Junggesellen auf Spreckelsens Balkon im Frieden des sonnigen Spätnachmittags. Merkwürdig still war es zwischen ihnen: kein Streit, keine aufreizenden Glossen, und auch sonst war einiges anders. Spreckelsen hatte keinen Kriminalroman vor sich liegen; Hannemann, sonst in solchen Gemeinschaftsstunden immer mit dem stillen Forschen nach den Abenteuern und Fahrten Heinrich des Löwen befaßt, blätterte in dem von Bartels entliehenen amtlichen Kursbuch, einem Werk von unheimlichem Aussehen und beängstigendem Umfang. Bartels sah ihm mit leerem Blick dabei zu. »Ein furchtbares Buch!« seufzte Hannemann schließlich. -166-
Fast widerwillig schienen bei dieser Äußerung die beiden anderen von ihren heimlichen Gedankenausflügen zurückzukehren. Es lag etwas von Mißmut in den Blicken, mit denen sie Hannemann betrachteten. »Was suchst du eigentlich?« fragte schließlich Bartels und nahm ihm tief beleidigt das Buch weg. »Einen Zug, mit dem man am Sonntag so zeitig von Kiel nach Eutin fahren kann, daß man gegen neun Uhr in Eutin ist.« »Von Kiel nach Eutin? Du meinst natürlich: von Hamburg nach Eutin.« Hannemann schien sich zu ärgern. »Wenn ich sage: von Kiel nach Eutin«, entgegnete er mit frostigem Ton, »dann meine ich: von Kiel nach Eutin.« »Aber...« »Laß ihn«, unterbrach Spreckelsen. »Er braucht das für seinen Roman.« »Heinrich der Löwe fuhr doch nicht mit der Eisenbahn!« »Was wissen wir...« »Schön«, sagte der Kleine, »wenn in deinem Roman Heinrich der Löwe von Kiel nach Eutin fahren will, um dort um neun Uhr mit Roswitha von Gandersheim eine Paddelbootfahrt auf dem Eutiner See anzutreten, so benutzt er den Zug Nummer 873, der um sieben Uhr zehn von Kiel abfährt und um acht Uhr dreiundzwanzig in Eutin eintrifft. Hier - sieh es dir an.« Hannemann neigte sich vor, und sein Zeigefinger folgte mit solchem Interesse der gewiesenen Fahrzeitspalte, daß die Wichtigkeit dieser Forschung unverkennbar war. »Ich muß mir das aufschreiben«, sagte er und begann als bald in seinem Notizbuch Aufzeichnungen zu machen. »Und die Rückfahrt?« fragte Bartels. »Ach - darauf kommt es so genau nicht an.« -167-
»Ich weiß nicht - ich würde wegen der Rückfahrt auch ein bißchen vorsichtig sein. Wenn Heinrich der Löwe da nicht aufpaßt, macht ihm der olle Barbarossa vielleicht Schwierigkeiten.« Hannemann lächelte gezwungen und saß dann ein wenig unruhig da. Endlich stand er auf. »Ich muß nur noch mal schnell zum Briefkasten«, murmelte er. »Schreib Heinrich dem Löwen«, bemerkte Spreckelsen über die Schulter hinweg, »er solle sich selbst ein Kursbuch zulegen. Dann hätten wir es hier ruhiger auf dem Balkon.« Hannemann lachte töricht auf und trat ins Zimmer, um sich an seinen Schreibtisch zu begeben, in diesem Augenblick klingelte es. Hannemann ging in den Flur, um nachzusehen, wer da war. »Es wird die Zeitung sein«, sagte Spreckelsen gleichgültig. Bartels schüttelte den Kopf. »Die Zeitung liegt schon seit einer Stunde in der Diele auf dem Tisch.« »Und du hast sie noch nicht gelesen?« »Nein.« »Komisch.« »Wieso komisch?« ereiferte sich der Kleine. »Du hast sie ja noch nicht mal gesehen!« »Eben. Hätte ich sie gesehen, dann hätte ich sie gelesen.« »Hättest du ein Bedürfnis gehabt sie zu lesen, dann hättest du sie gesehen.« Spreckelsen betrachtete ihn mit langem Blick. »Ihr kommt mir verändert vor«, sagte er schließlich. »Du und Hannemann.« »Verändert?« »Ja. Ihr seid mit euren Gedanken immer anderswo.« »Und hast du dir schon mal überlegt, wie du uns vorkommst?« »Ich?« -168-
»Du mußt dich mal im Spiegel betrachten - mit dem Hauch glücklicher Schwermut auf deinem Büffelgesicht. Du wirst erkennen, daß du aussiehst wie Buddha mit einer Fahrkarte nach Nirwana am Hut.« »Hör mal - du kleines Ungeheuer...« Er wurde von Hannemann unterbrochen: »Frau Platen möchte mit uns sprechen.« Bartels schoß hoch wie gestochen. »Frau Platen?« rief er. »Uns? Ich komme! Wo?« »In meinem Arbeitszimmer.« Bartels sauste davon. »Was hat die denn mit uns vor?« knurrte Spreckelsen, sich schwerfällig erhebend. »Es scheint etwas Ernstes zu sein«, flüsterte Hannemann. »Sie sieht grimmig aus.« »Grimmig? Die kann ja gar nicht grimmig aussehen.« »Sie tut es aber. Paß auf: der Kleine hat wieder was ausgefressen.« Sie fanden die beiden schon beisammen, aber es schien sich in der kurzen Zeit bereits etwas Unerquickliches abgespielt zu haben. Frau Platen saß da mit kühlem Lächeln, und der Kleine hockte verstimmt in einem Sessel und betrachtete die Frau mit Blicken staunender Gekränktheit. »Um es kurz zu machen«, sagte Frau Platen nach der Begrüßung, »ich bin gekommen, um Ihnen die Wohnung zu kündigen.« Spreckelsen richtete sich feindselig auf. »Damit haben Sie es ja sehr eilig, gnädige Frau. Wir sind doch erst im Juli. Vor dem ersten April brauchen wir nicht auszuziehen. Und Sie hätten mit der Kündigung wohl eigentlich bis zum September warten können.« »Hätte ich, ja. Aber gewisse Vorkommnisse«, sie warf einen -169-
feindseligen Blick auf Bartels, »zwingen mich, Sie schon jetzt darüber zu unterrichten, wie empörend ich Ihr Verhalten finde und welche Konsequenzen ich daraus ziehe.« »Unser Verhalten?« fuhr da Hannemann fast wütend auf. »Niemand hat das Recht, an unserem Verhalten in Ihrem Haus etwas auszusetzen.« Sie sah ihm betroffen ins Gesicht, dessen zorniger Ausdruck sie um so mehr einschüchterte, als sie ihn sonst als einen Mann von großer Beherrschtheit kannte. Vielleicht war es auch etwas anderes jedenfalls verhielt sich diese Frau plötzlich in einer Weise, der man bei Hauswirtinnen im allgemeinen nicht zu begegnen pflegt, vor allem nicht, wenn sie Kündigungen aussprechen. Sie zerrte nämlich ein Taschentuch hervor und fuhr sich damit über die Augen. Und ihre Stimme klang gebrochen, tränenerstickt, als sie entgegnete: »Es ist nicht Ihretwegen, Herr Hannemann. Und auch gegen Sie kann ich nichts sagen, Herr Spreckelsen. Aber Herr Bartels...« Weiter kam sie nicht. Denn von Kummer übermannt, weinte sie auf einmal heftig vor sich hin, und die drei Männer saßen schweigend und verlegen da. Schließlich rafften Spreckelsen und Hannemann sich dazu auf, den Kleinen mit drohenden Blicken zu bombardieren, denen Bartels nur mit aufgeregtem Achselzucken begegnen konnte. Er spürte, daß die beiden sich über seine Schuld bereits einig waren. Das versetzte ihn in Raserei, und nach einer Weile sprang er auf und trat herausfordernd an Frau Platen heran. »Wollen Sie mir nicht endlich sagen«, drang er, wenig Mitgefühl mit der Weinenden verratend, auf sie ein, »was ich angestellt haben soll?« Sein Zorn schien die entgegengesetzte Wirkung zu haben wie der Unmut Hannemanns. Sie fuhr auf, noch mit Tränen auf den Wangen, aber sonst wieder ganz gefestigt. »Sie?« rief sie. »Sie werden es selbst am besten wissen, -170-
nachdem man Sie in aller Form ertappt hat.« »Ertappt?« »Möchten Sie etwa, daß ich es vor diesen beiden Herren ausspreche, was Sie begangen haben?« »O doch! Sehr gern möchte ich das. Sie sind sowieso schon beide auf das Schlimmste gefaßt.« Sie stand auf. »Ihre Unverfrorenheit, Herr Bartels«, sagte sie kalt, »ist maßlos.« Seine Lippen bebten im tieferblaßten Gesicht. Sein Blick funkelte sie durch die Brillengläser an, er sah gefährlich aus. Plötzlich jedoch wendete er sich schroff von ihr ab und nickte mit gemachter Gleichmütigkeit den beiden Männern zu. »Da habt ihr's! Unverfrorenheit! Kündigung der Wohnung wegen Unverfrorenheit!« »Sie wissen sehr wohl, was ich meine«, redete von rückwärts Frau Platen gegen ihn an. »Versuchen Sie nicht, die Dinge zu verzerren. Ich hatte gehofft, es würde Ihnen peinlich sein, daß ich über das Geschehene spreche - daß ich...« Sie brach ab, und er drehte sich schnell zu ihr herum. Doch die Anklage in ihrem Blick barg so viel Schmerz, daß er alsbald wieder sanft gestimmt wurde. »Ich weiß ja noch immer nicht, gnädige Frau, was geschehen sein soll«, sagte er. »Ich habe also vorläufig gar kein Interesse daran, daß nicht darüber gesprochen wird.« Sie starrte ihn ungläubig an. »Sie wissen nicht - können Sie sich denn nicht denken, daß mein Erscheinen hier die Folge jener Begebenheit ist?« »Welcher Begebenheit, wenn ich fragen darf?« »Sie muß doch in Ihnen brennen - wegen der unwürdigen Rolle, die Sie dabei gespielt haben.« Er schüttelte verwundert den Kopf. »In mir brennt nichts. Wenn ich doch endlich mal wüßte, wovon Sie reden!« -171-
»Gilt es Ihnen denn so wenig, daß Sie die Frau eines anderen verführt haben und von ihm in seiner Wohnung überrascht worden sind?« »Ich?« »Und Sie hatten die Schürze der Frau an... Es muß sehr albern ausgesehen haben.« »Das muß es allerdings. Und wer ist der Mann mit der von mir verführten Frau?« »Wenn deswegen uns die Wohnung gekündigt wird«, bemerkte da Spreckelsen, »dann muß es wohl jemand hier im Hause sein.« Sie nickte. »Und der Mann ist anscheinend zu Ihnen gekommen, gnädige Frau«, fragte Hannemann, »und hat gebeten, ihn durch die Kündigung von der Anwesenheit unseres Freundes Bartels zu befreien?« »Ja, freilich.« Nun erhob sich Spreckelsen zu voller Größe. »Dieser Mann hat Sie belogen«, sagte er kurz und bündig. »Solche Sachen erfindet doch kein Mann«, widersprach sie. »Dann ist er verrückt«, erklärte Hannemann. »Denn Bartels stellt allerlei dumme Geschichten an.« »Das kann man wohl sagen«, brummte Spreckelsen. »Aber keine schmutzigen«, fuhr Hannemann fort. »Dafür lege ich nicht nur eine, sondern beide Hände ins Feuer«, dröhnte Spreckelsens Baß. »Und wenn Sie schon mit ihm Auto fahren mußten und ihn in Lebensgefahr bringen, dann hätten Sie sich auch die Mühe geben können, ihn etwas näher kennenzulernen. Sie hätten es dann gar nicht nötig gehabt, uns so viel Verdruß zu bereiten.« »Mit etwas Vertrauen«, ergänzte Hannemann, »kann man -172-
viele Unannehmlichkeiten vermeiden. Übrigens würde ein Mann, der solche Stehkragen trägt wie Bartels, sich auch nicht eine Sekunde lang mit einer Weiberschürze behängen.« Sie schaute verwundert von einem zum ändern. Und auf einmal sah sie fast hoffnungsvoll aus. »Sie glauben das - Sie glauben diese Geschichte einfach gar nicht?« »Nein, nicht die Bohne !« erklärte Spreckelsen. »Aber Herr Bartels hat doch noch nichts bestritten!« »Das hat er auch nicht nötig.« Ein kleines Lächeln zuckte um ihren Mund. Ihr Blick suchte Bartels, der sich in den Hintergrund zurückgezogen hatte und ein Bild an der Wand unentwegt anstarrte. Und plötzlich huschte sie zu ihm hin, legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte leise: »Verzeihen Sie mir.« Da fuhr er herum. Seine Augen strahlten. »Kinder!« rief er. »Ich möchte wohl wissen, ob noch irgendwo in der Welt drei so feine Kerls beisammen sind wie ihr drei!« »Nun fang nicht wieder an zu quatschen!« knurrte Spreckelsen. »Gnädige Frau«, wandte er sich dann an Frau Platen, »Sie müssen zugeben, daß Sie uns den Namen dieses merkwürdigen Mannes, der so ungeheuerliche Sachen von unserem Kleinen erzählt hat, nicht länger verschweigen dürfen.« Sie nickte. »Es ist Herr Bernau.« Bartels machte einen Satz in die Luft. »Der Mann von Trampeltäubchen!« schrie er. »Und ich habe dieses Weib noch nie gesehen! Wenn auch um so mehr gehört.« Er stand plötzlich ganz steif da und sann, während seine Augenlider wie Libellenflügel vibrierten. »Einen Augenblick!« rief er dann und wirbelte zur Tür hinaus. »Was für eine Verschmitztheit hat er jetzt ausgeheckt?« fragte -173-
Frau Platen. »Gar keine«, lachte Spreckelsen. »Das ist nämlich das Ulkige an ihm: er tut immer unheimlich verschlagen und geht doch stets den geradesten Weg. Eben deshalb wirkt er auf viele so überraschend.« Frau Platen schaute versonnen ins Leere. Hannemann lachte leise vor sich hin: »Herr Bernau hat sich da eine Höllenmaschine herangeredet.« * Bei Bernaus klingelte es. Frau Bernau ging und öffnete. Ein kleiner Herr mit einer großen Brille stand vor ihr. »Ich möchte Herrn Bernau sprechen«, sagte der Herr mit eisiger Knappheit. »Um was handelt es sich?« »Um eine Sache, über die man nicht gern an der Tür redet«, erwiderte er scharf. Sie musterte ihn betroffen. »Wollen Sie bitte hereinkommen.« Er trat ein. Sie öffnete die Tür zu einem Zimmer, in dem er einen langen, mageren Mann in Decken gewickelt auf einer Couch liegen sah. »Ein Herr will dich sprechen«, rief sie und wollte sich zurückziehen. »Gnädige Frau«, hielt er sie fest, »Ihre Anwesenheit bei dieser Unterredung ist dringend erforderlich.« Sie lachte ärgerlich. »Ach - Lebensversicherung - ich weiß Bescheid.« »Nichts von Lebensversicherung«, flüsterte er. »Es handelt sich um - Ehebruch.« Sie zuckte zusammen. »Was denn?« fuhr sie auf. »Mein -174-
Mann hat - oh! - da möchte ich allerdings bei Ihrer Besprechung dabei sein.« Herr Bernau hatte sich von den Decken befreit und stand nun, mißtrauisch blinzelnd, vor dem Kleinen. »Sie wünschen?« »Sie haben«, begann Bartels, »unserer gemeinsamen Hauswirtin Frau Platen gegenüber erklärt, ich hätte ein Verhältnis mit Ihrer Frau«, er machte eine abgehackte Verbeugung zu Frau Bernau hin, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, »und Sie hätten mich, angetan mit einer Schürze Ihrer Frau, in Ihrer Wohnung ertappt.« Herr Bernau gaffte zu seiner Frau hin, betrachtete den Besucher von oben bis unten, schüttelte den Kopf und sagte schließlich: »Das soll ich gesagt haben? Über Sie? Ich kenne Sie ja gar nicht. Das war doch dieser Herr Bartels.« Drohend blickte er seine Frau an. »Du sagtest doch, er hieße Bartels.« Sie nickte. »Herr Bartels aus dem Stockwerk unter uns«, erläuterte Herr Bernau. »Dieser Bartels aus dem Stockwerk unter Ihnen«, erklärte der Kleine mit äußerstem Nachdruck, »bin ich.« »Sind Sie?« schrie Frau Bernau auf und setzte sich vor Schreck. »Er hat doch selbst gesagt«, wendete Herr Bernau ein, »daß er...« »Es kommt nicht darauf an, was er gesagt hat, sondern auf das, was ich sage. Und ich muß Sie beide jetzt bitten, mitzukommen und Frau Platen über Ihren Irrtum aufzuklären.« »Ich werde...«, wollte Herr Bernau widersprechen. »Sie werden mitkommen, ja. Und Ihre Frau auch. Denn nur auf diese Art können Sie sich ein gerichtliches Verfahren wegen Verleumdung ersparen. Sie wissen, ein Rechtsanwalt wohnt im -175-
Hause, genau unter mir.« »O du mein Gott!« jammerte Frau Bernau. »Wer hätte das für möglich gehalten! Ein Betrüger! Ein Hochstapler! Ich muß mir übrigens andere Schuhe anziehen.« Bartels lächelte sie herzlich an. »Nicht doch, gnädige Frau«, sagte er. »Wir hören Sie gern auf weichen Schuhen gehen.« »Komm«, knurrte Herr Bernau, »damit wir diese ekelhafte Geschichte so schnell wie möglich hinter uns kriegen.« * »Und«, beendete eine Weile später Frau Bernau vor fünf aufmerksam lauschenden Zuhörern ihren Bericht, »er benahm sich so treuherzig, so hilfreich, daß es einfach rührend war. Niemals trat er mir zu nahe. Ich glaube, an so was dachte er nicht einmal. Ich war wohl nicht sein Typ. Wie fleißig er war! Und es ging ihm alles so flott von der Hand. Gewiß - er hat allerlei geschwindelt. Aber er wollte ja nur damit erreichen, daß man ihn nicht wegjagte. Nein - ich kann ihm nicht ernsthaft böse sein, wenn ich es recht überlege. Und ich weiß noch lange nicht, Herr Bartels«, sie sah den Kleinen herausfordernd an, »ob Sie so nett sein können wie er.« »Wenn du aber«, wandte sie sich plötzlich scharf gegen ihren Gatten, »erzählt hast, ich hätte ein Verhältnis mit ihm gehabt, so werden wir darüber noch unter vier Augen miteinander zu reden haben.« Herr Bernau, der gemeint hatte, aus der Demütigung seiner Frau Vorteil ziehen zu können, sank betroffen in sich zusammen. Und dann klingelte es. Hannemann begab sich hinaus. Man hörte im Flur Gemurmel. Hannemann kam wieder herein. »Frau Dünnbier ist da mit einem Mann«, sagte er, »und -176-
möchte unseren Freund Bartels sprechen.« Bartels ging hinaus. Danach wurde es draußen sehr lebhaft. Man hörte ab und zu das erregte Krähen des Kleinen und das besänftigende Reden eines anderen Mannes und einer Frau. Schließlich wurde die Tür aufgestoßen. Groß und breit, aber reichlich verlegen trat Frau Dünnbier auf den Plan. An der Hand hielt sie einen kleinen, verstört blickenden Mann, der ein Paket trug. »Das ist er!« rief Herr Bernau. »Ja - ja«, hauchte Frau Bernau. »Eine nette Bescherung, Meta«, murmelte Max Kummer. »Laß man«, beruhigte sie ihn. »Wir bringen den ganzen Kram auf einmal zurecht.« Sie steuerte auf Hannemann los. »Sie sind wohl Herr Hannemann, wie? Haben Sie nichts davon gemerkt, daß er hier«, durch eine Kopfbewegung wies sie auf Max, »Ihnen neulich die Schreibmaschine wieder heilgemacht hat?« »Ja - gewiß«, sagte Hannemann. »Eines Abends wollte sie nicht mehr. Und am nächsten Tag ging sie wieder tadellos.« Die Frau nickte zufrieden. »Haben Sie ihm zu verdanken. So einer ist er. Der hat sich hier in der Wohnung tüchtig ins Zeug gelegt - Betten gemacht, Möbel poliert«, Hannemann quittierte diese Eröffnung mit einem wohlwollenden Blick auf Max, »Fenster geputzt, gebohnert, Teppiche gekehrt, Geschirr abgewaschen. Er sagte freilich, er sei Herr Bartels, und war auf unreelle Weise in die Wohnung gekommen. Und das war natürlich eine Gemeinheit. Aber ich habe es bald gemerkt, daß es Schwindel war, und ihm höllisch auf die Finger geguckt. Den Anzug, den er schon gemopst hatte, bevor ich ihm hier in den Weg kam - den bringt er jetzt zurück.« Max legte das Paket auf den Tisch und sah scheu zu -177-
Spreckelsen hin. Ein Geldstück legte er neben das Paket. »Und hier die Mark«, erläuterte Frau Dünnbier weiter, »hat er Herrn Spreckelsen vom Schreibtisch genommen, was nich richtig is, aber das weiß er nu selbst. Er sagt, er hätte sie noch zu kriegen von Herrn Spreckelsen oder von Herrn Bartels, das kann ich nu nich sagen.« »Von mir!« rief Bartels und griff in die Tasche. »Unsinn!« brummte Spreckelsen, »wo ich sie doch sozusagen schon bezahlt habe! Hab' gar nichts davon gemerkt.« »Er hat mir doch aber die Koffer gebracht!« »Und mir hat er die Lampe raufgetragen und die Bilder.« »Leider«, seufzte Hannemann. Spreckelsen erhob sich. »Sie würden mir einen Gefallen tun, Herr, wenn Sie die Mark wieder einstecken wollten.« Er schob sie Max in die Faust und machte Platz für Bartels, der seinem Stellvertreter das Paket unter den Arm klemmte. »... und wenn Sie dieses wieder mitnehmen wollten. Ich glaube sowieso, ich bin rausgewachsen.« »Na, wird auch Zeit«, bemerkte Spreckelsen. Max stand und schluckte und starrte hilfesuchend auf Frau Dünnbier. Er mochte niemanden ansehen, vor allen Dingen nicht Frau Bernau; eher ertrug er noch die komischen Blicke Spreckelsens. »Oben bei der Bernauschen«, fuhr Frau Dünnbier fort, »hat er wohl nichts ausgefressen. Er hat mir da so was erzählt...« »Ich bin Frau Bernau«, raffte da die kleine Frau sich auf, und wenn sie auch ein bißchen dumm war, so hatte sie doch das Herz auf dem rechten Fleck, denn sie ging auf Max zu und reichte ihm die Hand, »und ich kann nur sagen, er hat sich bei mir benommen wie ein feiner Kerl. Und ich muß Ihnen noch recht herzlich danken für alle Hilfe, die ich von Ihnen gehabt habe, Herr - ja - wie heißen Sie nun eigentlich?« -178-
»Kummer, gnädige Frau - Max Kummer.« »Ja, wenn man so heißt - dann - aber sagen Sie mal: freitags hatten Sie wohl also gar keinen Vormittagsdienst, wie Sie damals angaben?« Da lächelte er sie in seiner alten verschmitzten Weise an. »Doch«, entgegnete er, »bei ihr«, und deutete mit einer Kopfneigung zu Frau Dünnbier hin. Frau Bernau lachte lustig auf und wandte sich Frau Dünnbier zu: »Was wird nun mit ihm?« »Nachdem wir beide, Frau Bernau - Sie und ich - ihm das Arbeiten beigebracht haben, mache ich ihn mir noch 'n büschen zurecht, und dann heirate ich ihn.« »Will er denn?« fragte Frau Bernau mit einem Blick auf Max. »Und ob!« strahlte Max. * »Siehst du«, bemerkte hernach Herr Bernau oben in seiner Wohnung, »diese Frau Dünnbier hat gleich geahnt, was los war. Du aber...» »Ich aber habe es nicht geahnt«, rief sie. »Stimmt. Und warum habe ich es nicht geahnt? Weil ich an deiner Seite weltfremd geworden bin, weil du mich all die Jahre hier eingesperrt hast. Und das habe ich jetzt satt. Ich will Reisen machen, Theater, Konzerte besuchen, in Kaffeehäusern sitzen und hübsche Kleider haben. Bleibt es so wie bisher, so laufe ich dir eines Tages weg. Daß du es weißt!« Und sie sagte das so entschlossen, daß Herr Bernau alle Hoffnung auf die Wiedererlangung der verlorenen ehelichen Position aufgab.
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* Sonnenschein über Eutin, am Ufer des Sees in einem Gartenrestaurant. Er und Sie. »Sie sind gar nicht fröhlich, Herr Hannemann.« »Sie haben recht. Ich bin es nicht. Eine sehr peinliche Lage bedrückt mich. Da ist eine Frau, die ich so herzlich gern bitten möchte, sich mit mir zu verheiraten. Aber ich darf es nicht.« »Weshalb nicht, Herr Hannemann?« »Sie wissen von meinen beiden Freunden. Wir drei haben uns zu einer häuslichen Gemeinschaft zusammengetan. Wenn ich mich von ihnen trennen würde - das wäre ein Verrat, über den ich nie hinwegkommen könnte. Sie müßten die Wohnung aufgeben, denn sie ist zu groß und zu teuer für zwei, und viele schöne Hoffnungen begraben. Aber - ich gestehe - es ist schwer für mich, deswegen auf das höchste Glück zu verzichten, das es für mich geben kann. Sie verstehen mich?« »Jaaaa.« Sonnenschein über Blankenese. Sagebiels Garten. Er und Sie. »Sie sehen heute ein bißchen brummig aus, Herr Spreckelsen.« »Und ich bin auch brummig. Wissen Sie, ich habe immer gedacht, das Heiraten sei nichts für mich. Und nun ist mir da so ein liebliches Weibsbild in den Weg gelaufen, und ich möchte sie schon fragen, ob sie nicht meine Frau werden will. Aber ich darf nicht.« »Warum nicht, Herr Spreckelsen?« »Wegen dieser beiden alten Knaben. Ich kann sie nicht sitzenlassen. Einer muß da sein, der diese Burschen betreut. Hannemann ist ein Kind in praktischen Dingen. Und Bartels? Der Bengel richtet nichts als Unheil an. Was soll aus ihnen -180-
werden, wenn ich sie allein lasse? Sie verstehen mich?« »Jaaaa.« Sonnenschein über der Heide. Garten eines kleinen Gasthauses an der Chaussee nach Soltau. Er und Sie und draußen vor der Tür ein Auto. »Mit Ihrer guten Laune hapert es heute ein bißchen, Herr Bartels.« »Hapert? Gar nicht da ist sie. Unglücklich bin ich. Ach wenn ich Ihnen alles sagen dürfte! Ich liebe eine Frau, eine unvergleichliche Frau, und ich möchte so gern, daß sie mich heiratet. Schon längst hätte ich vor ihr gekniet und sie um ihre Hand gebeten, wenn nicht...« »Wagen Sie es nicht, Herr Bartels?« »Ach, gnädige Frau, nicht der fehlende Mut ist das Hindernis. Nein - sehen Sie - meine beiden Freunde... Ich kann ihnen nicht abtrünnig werden. Sie brauchen mich. Hannemann, der sich nicht einmal in einem Kursbuch zurechtfinden kann und den seine Schwester wieder einfangen würde, wenn ich davonginge. Spreckelsen, dessen elefantenhaftes Gemüt so sehr der diplomatischen Führung bedarf. Verstehen Sie mich, Frau Beate?« »Jaaaa-« Am zweiten Tage nach diesen drei Begebenheiten eines sonnigen Sonntags fand Bartels, als er nachmittags heimkehrte, zwei Briefe vor, von Frauenhand geschrieben, zwei Briefe, deren Inhalt einander seltsam ähnelte. Er las die Briefe und las sie noch einmal und noch einmal. Und es blieb immer dasselbe: seine beiden geschiedenen Frauen flehten ihn an, ihnen zu helfen, daß sie das Glück finden möchten, das ihnen an seiner Seite versagt geblieben sei. Jede -181-
von ihnen liebte einen Mann und wurde von ihm geliebt. Und nur eins stände einer Vereinigung im Wege, nämlich - Und beide Briefe ergänzten dieses »Nämlich« in gleicher Weise. Schließlich faltete er die Briefe sorgs am zusammen und steckte sie weg, steckte sie weit, weit weg. Doch abends, als er mit den Freunden zusammen saß, verkündete er den Plan eines großen, großen Festes, das er am kommenden Sonnabend in der Wohnung geben wolle. Und die beiden möchten vorher baden, sich gut rasieren und nachsehen, ob an ihren Smokings noch sämtliche Knöpfe festsäßen. Denn es würden auch Damen kommen, drei Damen. »Was für Damen?« fragte Spreckelsen mißtrauisch. »Eine von ihnen ist Frau Platen«, entgegnete der Kleine mit Würde. »Und da könnt ihr euch vorstellen, wie die anderen sein werden.« »Woher kennst du so viele wirkliche Damen?« wollte Hannemann wissen. »Wenn man zweimal verheiratet war«, antwortete Bartels verschmitzt, »so kann man über Mangel an Damenbekanntschaften nicht kla gen. Und die vielen Zimmervermieterinnen, bei denen ich gewohnt habe... Und Frau Bernau, die in Filzschuhen eigentlich eine sehr nette Person ist. Ich werde sie nun nicht mehr Trampeltäubchen nennen. Aber im Laufe der Zeit muß sie sich mal einen anderen Mann zulegen. Mit dem, den sie jetzt hat, ist nicht mehr viel los.« »Wie kommst du«, führte Spreckelsen ihn auf den rechten Weg zurück, »auf den verrückten Einfall, ein Fest feiern zu wollen? Was gibt es denn zu feiern?« »O - viel! Den Sommer, unsere Freundschaft, das schöne Wetter, die Gescheitheit der Frauen, deren es so sehr bedarf, um sture Männer zur Vernunft zu bringen. Ich werde euch am Sonnabend eine Rede halten, die es in sich hat.« »Und was werden wir trinken?« erkundigte sich Hannemann. -182-
»Bowle. Eine milde Bowle. Ich selbst werde sie brauen. Und du, Spreckelsen, mußt zum Sonnabend Frau Dünnbier bestellen und ihren Max. Wir brauchen jemanden für die Küche und zum Servieren. Ein Fest wird das werden! Ich sage euch, den Tag werdet ihr euch für euer ganzes Leben merken. Und nun stört mich nicht. Ich muß sofort die Einladungen schreiben.« »Wir helfen dir«, erboten sich die beiden. Er sah sie nur verächtlich an und verschwand in seinem Zimmer. Der Sonnabend war da. Das Fest sollte in Spreckelsens großem Wohnzimmer stattfinden, in einer Umgebung von fransen- und quastenbehangenen Erbstücken. Spreckelsen hatte wegen dieser Plüschantiquitäten gegen die Benutzung seines Zimmers protestiert, aber gegen den kleinen Bartels war nicht aufzukommen. Er hatte etwas so strahlend Sieghaftes in seinem Wesen, in seiner Beredsamkeit, daß er alle Einwendungen glatt über den Haufen rannte. Er wollte Abendsonne haben und frische Sommerluft und Blütenduft und einen Blick auf weiten Himmel und die weichen Umrisse edler Baumkronen. Das alles war nur in Spreckelsens Zimmer zu haben. Der große Tisch war ausgezogen und herrlich gedeckt. Spreckelsen hatte Speisegeschirr, Hannemann Trinkgeräte und Bartels eine elfenbeinfarbige Damasttischdecke mit Servietten und außerdem Blumen, Blumen, Blumen gekauft. Die Stunde des Erscheinens der Gäste nahte. Und die Zeit des Wartens wurde ausgefüllt mit erregtem Hin- und Herrennen des kleinen Bartels, der zuguterletzt noch einige Einfälle in die Tat umsetzen wollte. Zum Teil waren sie hirnverbrannt, und Hannemann überwachte die Unternehmungen des wilden Mannes mit Sorgfalt. Spreckelsen stand immerfort irgendwo vor einem Spiegel, zupfte an seiner Bekleidung herum und prüfte die Festigkeit seiner Krawatte, die Hannemann ihm gebunden hatte. Auch Bartels hatte insoweit Hannemanns Hilfe erflehen -183-
müssen. Schließlich hatte Spreckelsen nichts mehr zu zupfen und langweilte sich nun in der Diele, mißmutig eine von Hannemanns Malereien aus der Jugendzeit betrachtend, ein Ölgemälde, das man hier aufgehängt hatte, um ein vom Elektriker beim Einzug verursachtes Loch in der Wand zu verbergen. Bartels flitzte an ihm vorbei. »Was stehst du hier herum?« rief er über die Schulter zurück. »Du hast dich im Empfangszimmer aufzuhalten.« »Quatsch- Empfangszimmer!« knurrte Spreckelsen. Doch als Bartels abermals vorübersauste, fragte er: »Wo ist denn das Empfangszimmer?« »Hannemann«, entgegnete Bartels hastig, und Spreckelsen trollte sich in Hannemanns Gemach. Auch hier stieß er wieder auf Bartels, der wie ein Kolibri von Blumenstrauß zu Blumenstrauß schwirrte und prüfte und ordnete, indem er an irgendeinem Stengel herumrückte, ohne daß hernach auch nur das geringste verändert aussah. Als er zur Tür hinausflattern wollte, packte ihn Spreckelsen an einem Zipfel des Rockes. »Nun kannst du doch endlich verraten, was das für - Damen sind«, bat der Große demütig. »Sieh mal - ich - weiß du ich möchte dich gern - es sind doch hoffentlich keine, die noch einen Mann suchen - nämlich - mein Herz - ich muß dir sagen...« »Was ist denn mit deinem Herzen?« fragte der Kleine spöttisch. »Verfettung?« »Ach was! Aber - weißt du - wenn ich hier so neben einer sitze - ich muß dann immer daran denken, daß - und was soll das überhaupt?« »Ich beneide dich um den glanzvollen Stil deiner Rede«, -184-
lachte Bartels und entwischte. Draußen aber lauerte ihm bereits Hannemann auf und hielt ihn am Arm fest. »Wenn ich es recht bedenke«, flüsterte er, »so ist es nicht hübsch von mir, daß ich hier den Abend in Damengesellschaft verbringe, während - du - es sind doch hoffe ntlich alte Damen, die da außer Frau Platen kommen? Ich möchte nämlich nicht ich habe es immer als selbstverständlich angenommen, daß nicht - aber nun auf einmal steigen mir Bedenken auf.« »Etwas spät, mein Lieber.« Hannemann blickte verwirrt auf die Uhr. »Spät, ja. Vielleicht bleiben sie ganz weg. Das wäre das beste.« »Selbst ein Erdbeben würde sie nicht zwingen können wegzubleiben. Übrigens bringt Frau Platen sie beide mit.« Bartels fegte davon, in die Küche. Endlich klingelte es. Bartels stürmte herbei, ergriff in der Diele Hannemann, der da töricht herumstand, zischte ihm zu »Empfangszimmer!« und zerrte ihn mit sich in den Raum, in dem Spreckelsen aufgerichtet und mit rotem Gesicht wieder einmal an sich herumzupfte. »Sitzt meine Krawatte gut?« fragte er heiser. »Kinder!« wisperte Bartels. »Ihr könnt euch doch hier nicht aufstellen wie die Ölgötzen! Ungezwungen - sage ich. Und dabei lächeln! Wer eure Gesichter sieht, läuft gleich wieder weg. Hinsetzen! Und euch erheben, wenn die Damen eintreten! Und heiter aussehen - heiter! Das nennt ihr heiter? Ihr sitzt da ja wie Katzen, wenn es donnert!« Aber die beiden hörten gar nicht auf. Sie lauschten auf die Stimmen im Flur, und plötzlich zuckte Hannemann zusammen, warf einen strahlenden Blick auf Bartels und wollte zur Tür. Bartels erwischte ihn gerade noch. »Hierbleiben!« Da sauste auch bereits Spreckelsen los, und Bartels hatte alle Mühe, ihn zu halten. Er zerrte jeden auf seinen Stuhl nieder. -185-
»Endlich sind eure Gesichter so, wie sie sein sollen«, sagte er. »Voll edler Festesfreude!« »Bartels!« rief Spreckelsen und haute dem Kleinen auf die Schulter. »Du bist wirklich eine feine Nummer!« »Ja - ja«, sang Hannemann, »es wird ein schöner Abend werden. Es wird ein wunderschöner Abend werden.« Und dann erschienen die drei Damen: voran Frau Platen und hinter ihr eine geschiedene Frau Bartels mit dem Vornamen Hertha, danach noch eine geschiedene Frau Bartels mit dem Vornamen Anneliese. Und plötzlich standen da drei eifrig flüsternde Paare im Zimmer, das von sechs Paar lachenden Augen sonnenhell wurde. A Es klopfte leise. Bartels huschte an die Tür, wisperte im Türspalt, machte kehrt, richtete sich auf und verkündete: »Meine Damen und Herren, es ist angerichtet. Zwanglose Tischordnung.« Die Paare begaben sich in das Zimmer mit den Fransen und Quasten, aber niemand achtete auf diese altertümlichen Verzierungen. Man setzte sich, und es erschienen Frau Dünnbier und Max und trugen auf. Max machte seine Sache gar nicht schlecht und erntete von Frau Dünnbier wohlgefällige Blicke. Man aß, man lobte, man plauderte und lachte, man war lieb und nett gegeneinander, jeder gegen alle. Es wurde Wein eingeschenkt, und der Wein war natürlich vorzüglich. Es waren sechs glückliche Menschen, die, von der hereinströmenden linden Luft des Sommerabends gestreichelt, zwischen den scheußlichen Möbeln Spreckelsens munter lärmten und zugleich verstohlene Blicke tauschten. Nachdem man gegessen hatte, erschien die Bowle. Kein starkes Getränk, aber von einem Sachverständigen unter Mitwirkung von zwei weiteren Sachverständigen gebraut aus Sekt, Moselwein und edlen Früchten. Und zum ersten Glas erhob sich der kleine Bartels, um jene -186-
Worte zu sprechen, die für das Schicksal von sechs Menschen entscheidend sein sollten. Es war keine lange Rede, aber selten wurde mit wenigen Worten so viel gesagt wie jetzt, selten hat eine so kurze Rede eine so jähe und nachhaltige Wirkung gehabt. »Meine lieben Freundinnen und Freunde«, sagte Bartels. »In einer noch nicht weit zurückliegenden schicksalsschweren Stunde, die beschattet war von der finsteren Leidenschaft eines wildgewordenen Ehemannes, trug mich das Vertrauen meiner beiden Freunde Spreckelsen und Hannemann - für die Reihenfolge ihrer Nennung ist nur ihr körperliches Format bestimmend - trug mich, sage ich, das Vertrauen dieser beiden Männer siegreich über das Verkehrshindernis hinweg, das eine überzeugte und darum so überzeugende Anklage dem D-Zug meines Lebens auf die Schienen geworfen hatte. Zunächst war zu meinen Gunsten nichts anderes da als jenes Vertrauen. Aber alle Beweise, die sich hernach einstellten, verblaßten gegenüber seiner Beweiskraft. Jedenfalls gab es allein den Ausschlag für das Urteil eines edelempfindenden Herzens. Und dennoch, meine Lieben, war ein Mangel an Vertrauen zwischen denselben drei Männern fast schuld daran, daß sie sich gegenseitig den Weg zum Glück versperrten. Auch dieser Vertrauensmangel hatte seine Grundlage in der Freundschaft. Das verkenne ich nicht. Aber wenn wir es recht bedenken: es war eine in Verwirrung geratene Freundschaft, eine Freundschaft, die sich Opfer auferlegte, wie kein Freund sie von Freunden annehmen kann, ohne Schmerz und damit Leid an der Freundschaft zu empfinden. Es waren geheime Opfer, die gebracht wurden. Doch eben deshalb waren sie imstande, ein Verhängnis in die Freundschaft hineinzutragen. Es war so, daß jeder um seiner Freunde willen sich selbst verleugnete und doch zugleich auch seine Freunde verleugnete. Das ist die Starrheit des männlichen Gefühls, aus der die großen Tragödien der Geschichte und der Dichtung sich -187-
entfalten. Sie ergibt sich aus einem Mangel an menschlichstem Begreifen - einem Begreifen, wie nur eine Frau es aufzubringen vermag. Wir drei Männer hockten da beieinander, drei treue Freunde und dennoch im Wichtigsten einander das Vertrauen vorenthaltend, daher auf dem besten Wege, sich gegenseitig zum Mißmut des Verzichts zu erziehen. Keiner wußte, wie es um den anderen stand. Keiner von den dreien hätte wohl auch insoweit je etwas vom ändern erfahren, wenn nicht...«, sein Blick streifte mit heimlicher Huldigung zwei sanft errötende Frauengesichter - »weibliche Gescheitheit mir zugeflüstert hätte, daß das rote Signal vor dem Bahnhof meines Glückes mir nur deshalb die Einfahrt verwehrte, weil der ganze Signalapparat eingefroren sei. Und nun begreift ihr, meine Lieben: dieses Fest hat den Zweck, den Signalapparat aufzutauen. Dazu verwenden wir kein vergälltes Salz, sondern die Wärmeausstrahlung unserer sonnendurchglühten Herzen. Und siehe da: das rote Signal verschwindet. Grünes Licht tritt an seine Stelle. Ich habe Einfahrt und fahre los.« Damit neigte er sich zu Frau Platen nieder und gab ihr einen Kuß. »Und wenn ihr's genau wissen wollt«, fuhr er fort, »das war eine Verlobung. Im übrigen aber: viele Geleise führen in denselben Bahnhof, denn es ist ein Hauptbahnhof. Und mindestens noch an zwei Geleisen steht das Signal auf Einfahrt.« »Meta - Meta!« kam Max Kummer in der Küche angekeucht. »Da drinnen verloben sie sich egal weg.« »Was du nicht sagst!« Er rieb sich die Nase und schielte forschend zu ihr hin. -188-
»Könnten wir nicht - ich meine - damit legst du dich ja noch ganz und gar nicht fest, Meta...« »Womit denn? Drück dich doch 'n büschen verständlicher aus!« »Ich möchte ganz gern, Meta, daß wir uns auch verloben. Es liegt hier doch nun mal so in der Luft.« Sie sah ihn scharf an. Dann lächelte sie auf einmal sanft: »Komm her, du kleines Dusseltier!« - ENDE -
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