William F. Connor
Operation ›Mubato‹ Special Force One Band Nr. 17 Version 1.0
Operation ›Mubato‹ Durch den Regierun...
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William F. Connor
Operation ›Mubato‹ Special Force One Band Nr. 17 Version 1.0
Operation ›Mubato‹ Durch den Regierungspalast in Freetown peitschten Schüsse. Aufständische Soldaten stürmten durch die Räume. Schritte trampelten. Geschrei ertönte. Die Leibwache des Präsidenten wurde niedergekämpft. Blut floss in Strömen. Die Rebellen entdeckten Joseph Mubato, den Präsidenten. Er hatte sich in seinem feudal eingerichteten Arbeitszimmer versteckt. Er wurde gestoßen und geschubst und aus dem Palast getrieben. Im Hof des Regierungspalastes wurde er genötigt, in einen Jeep zu steigen. Ein Mann, der neben ihm Platz nahm, bedrohte ihn mit einer Pistole. »Wohin bringen Sie mich?« Die Stimme Mubatos klang gepresst. Der Präsident sprach englisch. »Schnauze!« Mubato zuckte zusammen. Er war der erste frei gewählte Regierungspräsident von Sierra Leone. Jetzt sah es so aus als wäre diese Ära vorbei…
*** Es war Donnerstag, der 2. September 2004. Mehr als 50 Regierungssoldaten starben bei dem Überfall. Mubato wurden die Augen verbunden. Die Fahrt dauerte stundenlang. Es ging über unausgebaute Straßen. Die Insassen des Jeeps wurden durch und durch geschüttelt. Nach mehreren Stunden war die Fahrt zu Ende. Mubato wurde die Augenbinde abgenommen. Er befand sich in einem Lager mitten im Dschungel. Flache Baracken, ein Wachturm, einige Militärfahrzeuge, Schneidedraht – das war Mubatos erster Eindruck. Er verspürte Angst. Sie stieg wie ein Schrei in ihm auf und würgte ihn mit unsichtbaren Händen. »Aussteigen!« Der Mann, der neben Mubato im Jeep saß,
stieß ihn mit der Pistole an. Mubato kletterte aus dem Wagen. Auch der Fahrer, der Beifahrer und der Mann, der ihn in Schach gehalten hatte, stiegen aus. Ein Befehl erschallte. Eine Gruppe Männer in Tarnanzügen lief herbei. Mubato wurde brutal gepackt und fortgeschleppt. Sie zerrten ihn in eine der Hütten und trieben ihn in einen kleinen Raum. Das kleine, quadratische Fenster war vergittert. Eine Pritsche stand an der Wand, ein Latrineneimer in der Ecke. Es roch nach Chlorkalk. Die Tür wurde hinter Mubato zugeworfen und verriegelt. Es war eine solide Tür aus dicken Bohlen, mit eisernen Bändern versehen. Im Flur vor dem Verlies wurden zwei Wachleute mit Gewehren postiert. Mubato wurde von müder Resignation erfasst. Denn er spürte, wie sehr er zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin und her gerissen wurde. Er hatte in den drei Jahren, die er nun regierte, das Land aus der Krise führen, den Bürgerkrieg beenden und in der Welt anerkannt werden wollen. Doch sein Sinnen und Trachten war nicht aufgegangen. Im Land gab es Strömungen, die den Willen der demokratischen Regierung unterwanderten und ins Gegenteil verkehrten. Das war die bittere Realität. Mubato duckte sich unwillkürlich unter dem Anprall der Erkenntnis, dass er verloren hatte. Er stand vor den Trümmern einer Illusion. * Die Namen der beiden Agenten waren Timothy Manson und Richard Osborne. Gemeinsam bildeten sie ein Team. Ihr Codename war Alpha 1. Ein dritter Mann namens Tejan Saidu, der sich bei den Aufständischen eingeschlichen hatte, arbeitete mit ihnen zusammen. Sein Rufname war Omega 1. Ihr Auftrag lautete: Befreien Sie Joseph Mubato und bringen Sie ihn nach
Liberia. Töten Sie Ahmad Sankoh, den General, der sich selbst zum Präsidenten ernannt hat. Obwohl der CIA bekannt gewesen war, dass in Sierra Leone ein Putsch der Militärs bevorstand, konnte sie ihn nicht verhindern. Jetzt ging es darum, den Schaden zu begrenzen, das Leben des demokratischen Präsidenten zu retten und ihn wieder als Staatsoberhaupt einzusetzen. Die CIA schickte Manson und Osborne nach Sierra Leone. Die beiden CIA-Agenten gaben sich als Mitarbeiter der London Times aus. Sie waren mit entsprechenden Papieren ausgestattet. Die neu eingesetzte Regierung gestattete es, dass Manson und Osborne das Lager, in dem Mubato festgehalten wurde, besuchten. Mit einem Hubschrauber wurden sie in den Dschungel geflogen. Sie durften Mubato sehen, aber keine Bilder von ihm machen. Auch ein Interview mit ihm wurde ihnen verwehrt. Ihnen wurde in einem Gespräch mit dem Lagerkommandanten erklärt, dass Mubato zu seiner eigenen Sicherheit inhaftiert war, denn es wären Anschläge auf sein Leben zu befürchten. Das war natürlich eine fadenscheinige Begründung. Joseph Mubato war beliebt gewesen bei der Bevölkerung. Wenn ihm jemand nach dem Leben trachtete, dann die neue Regierung mit Ahmad Sankoh an der Spitze. Nicht umsonst hatte die CIA zwei ihrer zuverlässigsten Agenten nach Sierra Leone geschickt. Die Agenten wussten jetzt, wo Mubato festgehalten wurde. Es ging ihm den Umständen entsprechend gut. Zumindest äußerlich war er unversehrt. Zurück in Freetown nahmen sie in Mansons Hotelzimmer per Funk Verbindung mit Tejan Saidu auf. »Hier Alpha 1. Wir sind um Punkt 24 Uhr bei dem Lager im Dschungel. Um Punkt 24 Uhr schalten Sie das Stromaggregat ab. Wenn wir eindringen, darf kein einziger Scheinwerfer an sein. Omega 1, bestätigen
Sie.« Saidu wiederholte, was Alpha 1 von sich gegeben hatte und endete: »Verstanden, Alpha 1. Over.« »Over.« Manson stellte eine Verbindung mit Monrovia, Liberia, her. Er sagte, als sich jemand meldete: »Hier Alpha 1. Operation Mubato läuft an. Wir haben herausgefunden, wo der Präsident festgehalten wird. Die Befreiungsaktion findet in der Nacht um 2400 statt. Unser Mann im Lager weiß Bescheid. Wir brauchen einen Hubschrauber, um den Präsidenten ausfliegen zu können.« »Geben Sie uns die Koordinaten durch, Alpha 1, damit wir wissen, wohin wir den Helikopter schicken müssen.« »Haben Sie was zum Schreiben?« »Ja.« »Okay.« Manson gab die Koordinaten durch. Dann beendete er die Verbindung. Die Agenten hatten sich einen Land Rover gemietet. In der Nacht fuhren sie los. Sie gaben sich keinen Illusionen hin. Es war ein Himmelfahrtskommando. In dem Lager waren an die 100 Rebellensoldaten stationiert. Der geringste Fehler konnte sie das Leben kosten. Sie verließen Freetown und legten den Weg zu dem Dschungelcamp noch einmal zurück. Sie fuhren nur mit Standlicht. Es war 23 Uhr 30, als sie in der Nähe des Lagers ankamen. Noch eine halbe Stunde… Osborne, der gefahren war, stellte den Motor ab und schaltete das Licht aus. Die letzten 800 Yards gingen sie. Sie versteckten sich im Busch. Scheinwerfer auf dem Wachturm und an einigen der Baracken zerrten das Camp aus der Dunkelheit. Auf dem Wachturm waren zwei bewaffnete Posten zu sehen. Zwei Wachposten gingen Streife am Drahtzaun
entlang, der das Camp begrenzte. Ein Generator, der Strom erzeugte, dröhnte. Jeder der beiden Agenten hatte eine Pistole im Schulterholster. Auch ein Handy trug jeder von ihnen mit sich. Die Nummer der Basis in Monrovia war in beiden Mobiltelefonen gespeichert. Ein Knopfdruck genügte, um sie anzuwählen. Zähflüssig verrann die Zeit. Immer wieder schaute Manson auf seine Armbanduhr. Schließlich war es 24 Uhr. Schlagartig versank das Dröhnen des Generators in der Stille. Die Scheinwerfer erloschen. Stockdunkle Nacht schlug über dem Camp zusammen. Die beiden Agenten rannten aus ihrem Versteck und erreichten den Zaun. Manson zog eine Seitenschneiderzange aus der Jackentasche und begann, den Draht durchzuzwicken. Schließlich entstand eine Lücke im Zaun, durch die die beiden Agenten das Camp betraten. Geschrei war laut geworden. Einige schemenhafte Gestalten waren zwischen den Baracken und Schuppen zu sehen. Die beiden Agenten erreichten das Gebäude, in dem Mubato eingesperrt war. Ein Wachposten stand davor. Osborne schlich von der Seite an den Mann heran. Er hielt ein Messer in der Faust. Der Wachposten hielt das Gewehr mit beiden Händen schräg vor seinem Leib. Die Mündung deutete zu Boden. Osborne packte ihn von hinten. Mit einem blitzschnellen Schnitt in die rechte Ellenbeuge durchtrennte Osborne die Sehne des Soldaten, so dass er nicht mehr abdrücken konnte. Der linke Arm Osbornes schlang sich gleichzeitig um den Hals des Wachpostens. Im nächsten Moment rammte ihm der Agent das Messer in den Hals und sogleich in den Brustkorb. Ein verlöschendes Ächzen war die Folge. Osborne ließ die schlaffe Gestalt zu Boden sinken. Manson öffnete schon die Tür zu der Baracke. Sie knarrte
leise in den Angeln. Die beiden Agenten schlüpften ins Innere des Gebäudes. Es war hier finster wie im Schlund der Hölle. Osborne knipste seine Taschenlampe an. Der Lichtkegel huschte über den Boden und zerrte die beiden Wachleute aus der Dunkelheit. Sie hatten Order, ihren Posten auf keinen Fall zu verlassen – egal, was auch passierte. Nun wandten sie sich den beiden Agenten zu. »Was ist…?« Manson schoss zweimal in schneller Folge. Er hatte einen Schalldämpfer auf seine Pistole geschraubt, der die Detonationen verschluckte. Die Soldaten brachen zusammen. Die Tür, vor der die Posten lagen, war mit zwei Riegeln gesichert. Osborne schlug die Riegel zurück. Draußen brüllte eine kippende Stimme irgendwelche Befehle. Seit dem Eindringen der beiden Agenten in die Baracke war keine halbe Minute vergangen. Die Zeit, die ihnen blieb, um Mubato zu befreien, war begrenzt. Sie hatten keine Ahnung, wann der Generator wieder laufen und Strom erzeugen würde. Sie konnten nur hoffen, dass Omega 1 das Stromaggregat derart beschädigt hatte, dass die Reparatur einige Zeit in Anspruch nahm. Die Tür schwang auf. Der Schein der Taschenlampe umfloss die Gestalt eines Schwarzen mit grauen Haaren. Er saß auf der Pritsche. Jetzt schloss er geblendet die Augen. »Mubato!« »Ja. Wer sind Sie?« »Keine Fragen jetzt. Kommen Sie. Sind Sie in der Lage zu gehen?« »Ja.« »Dann schnell jetzt. Jeder Augenblick ist kostbar.« Osborne packte Mubato und zerrte ihn zur Tür. Draußen war Geschrei zu hören. Als die Lichter erloschen, war das Lager in Alarmzustand versetzt worden. Im allgemeinen Durcheinander hofften Manson und Osborne, das Lager durch die Lücke im Zaun wieder verlassen zu können.
Sie traten aus der Baracke und sicherten in die Runde. Da ertönte eine schneidende Stimme: »Stopp! Wir können Sie sehen. Noch einen Schritt, und Sie sind tot.« Gewehre wurden durchgeladen. Die Scheinwerfer gingen an. Osborne und Manson standen im Licht. Sie waren in eine Falle gegangen. Manson warf sich herum und rannte los. Gewehre peitschten. Manson spürte zwei, drei furchtbare Schläge im Rücken, dann gaben seine Beine nach, er fiel auf die Knie und dann vornüber aufs Gesicht. Im letzten Reflex seines Lebens verkrampften sich seine Finger im Boden. Schritte trampelten. Einige Kommandos wurden laut. Ein halbes Dutzend Soldaten näherte sich Osborne. Er wurde gepackt, die Pistole, der Dolch und das Handy wurden ihm weggenommen. Ein Soldat trat vor Osborne hin. Soldaten rannten an Osborne vorbei und packten Mubato. Er wurde in seine Zelle zurückgebracht. »Schwein!« Der Soldat schlug Osborne die Faust ins Gesicht. Sofort schoss aus Osbornes Nase Blut. Die Tränen traten ihm in die Augen. »Mit wem habt ihr zusammengearbeitet?« »Was meinst du?«, fragte Osborne. »Wer hat den Generator ausgeschaltet?« »Schlagt mich tot«, knurrte Osborne. »Ich sage es euch nicht« »Sperrt ihn ein!« Der Agent wurde in die Baracke geschubst und in einen stockdunklen Raum gestoßen. Es gab hier kein Fenster. Die Luft war muffig. Die Tür flog hinter ihm zu. Riegel schepperten und knirschten. Osborne war allein. Es war derart finster in dem Raum, dass er nicht einmal die Hand vor den Augen sehen konnte. Die Anspannung in dem Agenten löste sich. Er war sich seiner Situation bewusst und dieses Bewusstsein ließ ihn erschauern.
Er war verloren. Und einen Augenblick beneidete er Tim Manson, der alles hinter sich hatte. Der Tod war wahrscheinlich eine Gnade gegen das, was ihn erwartete. Im ersten Moment hatte Osborne an Verrat gedacht. Als ihn aber der Soldat nach dem Namen des Mannes fragte, der den Generator abgestellt hatte, wusste Osborne, dass Omega 1 sie nicht verraten hatte. Tejan Saidu – Omega 1. Ein Hoffnungsschimmer nistete sich in Osbornes Verstand ein. Vielleicht konnte Saidu ihm helfen. Eine Hilfe würde es schon sein, wenn er die Basis in Monrovia verständigt, durchfuhr es Osborne. Er stellte keine Gedanken darüber an, aus welchem Grund ihre Mission fehlgeschlagen war. Über Fakten nachzudenken, die eingetreten und unabänderlich waren, wäre Zeitvergeudung gewesen. Die Zukunft aber sah finster aus. So finster wie die Nacht, die ihn umgab. * Fort Conroy, South Carolina, Hauptquartier der Special Force One, Büro des SFO-Oberbefehlshabers Montag, 0810 ETZ General Matani hatte Colonel John Davidge in sein Büro gebeten. Der Colonel saß dem General gegenüber. Zwischen ihnen befand sich Matanis Schreibtisch. »Es gibt Arbeit für SFO«, begann der General. »Einsatzort ist Sierra Leone.« »Sierra Leone?«, echote Davidge. »Dort hat General Sankoh vor einigen Tagen die Macht an sich gerissen.« »Genau das ist der Punkt«, sagte Matani nickend. »Es war ein Putsch, der ihn an die Macht brachte. Man kann aber auch Massaker dazu sagen. Die RUF-Rebellen haben vor nichts und niemand Halt gemacht. Zivilpersonen und Soldaten wurden gleichermaßen niedergemetzelt. Mehr als 100 Zivilisten
wurden mit Macheten geradezu abgeschlachtet.« »Ich weiß das aus den Nachrichten, Sir. Mit welchem Auftrag soll sich SFO nach Sierra Leone begeben?« »Die Aufständischen haben Präsident Mubato in ihrer Gewalt. Die CIA hat zwei Agenten nach Freetown geschickt, damit sie Mubato befreien und nach Liberia ausfliegen. Leider ging diese Operation schief. Was aus den beiden Agenten wurde, ist ungewiss. Sie haben sich nicht mehr gemeldet. Wahrscheinlich hat man sie erwischt und getötet.« Matani sprach es ohne besondere Gemütsregung aus. Die CIA-Agenten hatten einen Job gemacht. Und wo gehobelt wird, da fallen eben Späne. »Den Part der beiden Agenten soll jetzt SFO übernehmen?« »So ist es, Colonel. Es gilt, Mubato aus der Gewalt der Putschisten zu befreien, aus Sierra Leone zu schaffen und Ahmad Sankoh, den selbsternannten Staatspräsidenten, auszuschalten.« »Auszuschalten?« »Sie haben richtig gehört, Colonel. Ich sagte aus-zu-schalten.« Matani zerlegte das letzte Wort in seine Silben. Seine Augen blickten hart. Er hielt Davidges Blick stand. »Verstehe. Wann fliegen wir?« »Heute noch. Sie werden mit einer Militärmaschine nach Monrovia, Liberia, geflogen, dort steigen Sie um in einen Helikopter, der Sie in den Dschungel befördert.« Matanis Telefon schlug an. Der General pflückte den Hörer vom Apparat und hob ihn vor sein Gesicht. Auf dem Monitor war Hermann von Schrader zu sehen. Der SFO-Attache sagte: »Guten Morgen, General. Ich hoffe, es geht Ihnen gut.« »Ich kann nicht klagen«, versetzte Matani. »Weshalb rufen Sie an, Sir? Doch nicht, um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkundigen.« Hermann von Schrader zeigte ein starres Lächeln. »Nein. Omega 1 hat sich in Monrovia gemeldet. Es ist den beiden
CIA-Leuten gelungen, in das Lager einzudringen. Allerdings gingen sie in eine Falle. Tim Manson wurde getötet. Osborne befindet sich in der Hand der Rebellen. Omega 1 befürchtet, dass sie Osborne so lange foltern werden, bis er den Namen seines Verbindungsmannes im Lager der Rebellen nennt.« »Den Namen Tejan Saidu also«, sagte Matani. »Kennt er ihn überhaupt? Oder weiß er nur den Codenamen?« »Er kennt ihn.« »Bei mir befindet sich Colonel Davidge«, gab Matani zu verstehen. »Ich weise ihn in die Operation Mubato ein. Weiß man, wo der CIA-Mann festgehalten wird?« »Er wurde nach Freetown gebracht. Wahrscheinlich wird er im Keller des Regierungspalastes gefangen gehalten. Dort sollen auch einige Minister der Regierung Mubato festgehalten werden. Es wird dem SFO-Team also nicht nur die Befreiung Mubatos und Eliminierung Sankohs obliegen, sondern auch die Befreiung Osbornes und der Minister.« »Das dürfte kaum zu bewältigen sein«, gab Matani zu bedenken. »Das SFO-Team muss Sierra Leone unverzüglich verlassen, sobald Mubato frei ist. Zuschlagen und verschwinden ist die Devise. Alles andere würde den Erfolg gefährden.« »Ich will mich nicht mit Ihnen streiten, Matani«, sagte von Schrader. »Die Order ist, dass Mubato, Osborne und die Minister Mubatos aus den Händen der Aufständischen zu befreien sind und dass Sankoh auszuschalten ist. Für derlei Jobs wurde SFO eingeführt. Das Team muss sich eben teilen und an zwei Orten zur gleichen Zeit zuschlagen.« »Wir werfen die Männer und Frauen also den Wölfen sozusagen zum Fraß vor.« »Das tun wir bei jedem Einsatz, General«, versetzte von Schrader. »Heiße Eisen aus dem Feuer zu ziehen ist die Aufgabe von SFO. Bestellen Sie dem Team die besten Grüße von mir.«
Hermann von Schrader unterbrach die Verbindung. Sein Bild verschwand vom Monitor. Da der Lautsprecher an war, hatte Davidge alles hören können, was gesprochen worden war. »Wer ist Tejan Saidu?«, fragte er. »Ein Eingeborener vom Stamm der Mende. Sein Codename ist Omega 1. Er arbeitet undercover für die CIA. Man hat ihn in Ahmad Sankohs Armee eingeschleust.« »Wir wurden vorhin unterbrochen, Sir. Sie sagten, dass wir mit einer Militärmaschine nach Monrovia geflogen und mit einem Helikopter in den Dschungel befördert werden.« »Sehr richtig, Colonel. Aber das gilt nach von Schraders Anruf nicht mehr. Wir müssen umdenken. Sie sind sieben Männer und Frauen. Saidu könnte als achter Mann fungieren. Sie müssen Kontakt mit ihm aufnehmen. Das hieße, es könnten zwei Gruppen mit jeweils vier Leuten operieren.« »Wir brauchen einen Plan vom Regierungspalast«, sagte Davidge. »Denn wir haben keine Ahnung, wie der Keller angeordnet ist, wo Osborne und die Minister Mubatos festgehalten werden. Wenn wir in den Palast eingedrungen sind, muss es Schlag auf Schlag gehen. Wir können uns nicht damit aufhalten, Raum für Raum nach den Gefangenen zu durchsuchen.« »Wie gedenken Sie in den Palast zu kommen?« »Ich habe noch keine Idee, Sir. Einfach durch den Haupteingang werden wir wohl kaum spazieren können. Ich weiß es nicht. Daher wäre es wichtig zu wissen, wie der Bau gestaltet ist. Eventuell gibt es Nebentüren, die nicht bewacht werden. Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Palast über Geheimgänge verfügt.« »Das werden Sie nur vor Ort auskundschaften können, Colonel«, erwiderte Matani. »Der Plan des Palastes liegt sicher irgendwo in einem Tresor verwahrt. Und die Erbauer des Palastes sind längst gestorben.«
Davidge erhob sich. »Wann genau fliegen wir, Sir?« »Um 1700, Colonel.« Auch Matanis Gestalt wuchs hinter dem Schreibtisch in die Höhe. Er reichte Davidge die Hand. »Viel Glück, John. Ihnen und Ihrem Team. Kommen Sie gesund wieder.« »Ich werde mein Möglichstes tun, Sir.« Davidge schüttelte die Hand. »Noch eine Frage, Sir – wenn es gestattet ist…« »Fragen Sie, Colonel.« »Liegt die Liquidierung Sankohs im Interesse der Vereinten Nationen, oder spannt uns jemand vor seinen Karren?« »Sie meinen die USA.« »Speziell die CIA, Sir.« »Ich weiß es nicht, Colonel. Es ist ein Befehl, den von Schrader erteilte. Und er erhält seine Weisungen in der Regel von den Vereinten Nationen.« »Es ist ein Mordbefehl.« »Ich kann verstehen, dass Sie nicht begeistert sind, Colonel. Aber ich kann es nicht ändern.« »Klar, Sir.« Davidge salutierte, machte kehrt und verließ Matanis Büro. * Keller des Regierungspalastes in Freetown, Sierra Leone Eine kalte Neonbeleuchtung sorgte für Licht. Richard Osborne war auf einen Stuhl gefesselt. Um ihn herum standen einige Soldaten der RUF. Bei der RUF handelt es sich um die Revolutionäre Vereinigte Front, eine Rebellenbewegung, die seit Jahren gegen die Regierungsarmee um die Vormachtstellung in Sierra Leone kämpfte. Mit dem Sturz Präsident Mubatos hatte sie die Macht übernommen. Die RUF kontrollierte fast das gesamte Land und finanzierte ihren Krieg ausschließlich mit Diamanten, so genannten Blutdiamanten. Im Juli des Jahres 2000 hatte der
Weltsicherheitsrat den Handel mit Diamanten aus Sierra Leone verboten. Das Geschäft mit den blutigen Diamanten florierte trotzdem. Die Soldaten trugen Kampfanzüge. Es handelte sich um Eingeborene. Osbornes Gesicht war verschwollen und wies Blutergüsse sowie kleine Platzwunden auf. Einer der Soldaten, ein Sergeant, knirschte: »Du wirst uns jetzt sagen, wer der verdammte Verräter ist, den ihr bei uns eingeschleust habt. Oder das, was du bisher erlitten hast, ist ein Honigschlecken gegen das, was wir noch mit dir anstellen werden.« »Ich kann nichts sagen«, ächzte Osborne. »Es gibt keinen Verbindungsmann. Warum glaubt ihr mir nicht?« »Weil jemand in der Nacht, um Punkt 24 Uhr, das Stromaggregat abgestellt hat. Wer ist der Mann? Nenn uns seinen Namen.« Der Sergeant griff in die Haare Osbornes und bog den Kopf des Agenten in den Nacken. Ein Laut des Schmerzes entrang sich Osborne. Seine Lippen sprangen auseinander. Ein Gurgeln entrang sich seiner Kehle. »Es gibt keinen Verbündeten. Den Generator haben wir ausgeschaltet, mein Kollege und ich. Unser Auftrag war es, Präsident Mubato zu befreien und nach Monrovia auszufliegen. Mehr kann ich euch nicht sagen.« Der Sergeant schlug mit der linken Hand zu. Bretthart landete der Handrücken auf Osbornes Mund. Osborne schrie gequält auf. Der Griff in seinen Haaren verstärkte sich und sein Kopf wurde noch weiter in den Nacken gebogen. Und dann klatschte die Hand ein zweites Mal in Osbornes Gesicht. »Rede endlich!« Ein Captain, der sich bis jetzt im Hintergrund gehalten hatte, zog seine Pistole, repetierte sie, trat vor Osborne hin und setzte ihm die Mündung auf die Stirn. »Mach den Mund auf!«, forderte er. »Es gibt nichts zu sagen.« Osborne verdrehte die Augen und schielte auf die Hand, die die Pistole hielt. Dumpf schlug sein
Herz in der Brust. Er hatte Angst. Doch er war ausgebildet worden, seine Angst nicht zu zeigen. »Ich schieße dir das Hirn aus dem Schädel!« Der verhörende Sergeant rammte ihm die Faust in den Leib. Der Schlag drückte Osborne die Luft aus den Lungen. Er japste wie ein Erstickender. Die Augen traten ihm aus den Höhlen. Plötzlich schlug der Captain mit der Pistole zu. Osbornes Nasenbein brach. Blut schoss aus seinen Nasenlöchern und rann ihm in den Mund. Er röchelte. Der Captain trat zurück. »Sperrt ihn wieder ein und sorgt dafür, dass er nicht schläft. Wir machen ihn mürbe. Entweder redet er, oder er wird wahnsinnig.« Osborne wurde von dem Stuhl losgebunden und in die Höhe gezerrt. Zwei der Soldaten nahmen ihn in die Mitte und schleppten ihn weg. Das Verlies, in das sie ihn brachten, war drei Schritte lang und drei Schritte breit. Es gab kein einziges Möbelstück. Ein Neonstab, den ein Drahtgitter schützte, sorgte für grelles, fast weißes Licht. Es gab weder ein Bett, noch einen Stuhl, noch sonst etwas. Der Untergrund war blanker Beton, die Wände waren weiß gekalkt und kahl. Osborne wurde in das Verlies gestoßen. Er stürzte zu Boden. Die Tür flog krachend ins Schloss. Ein Schlüssel knirschte, dann schepperten Riegel. Hämmernde Schritte entfernten sich. Osborne wischte sich mit dem Handrücken über die aufgeschlagenen Lippen. Er schmeckte den süßlichen Geschmack seines Blutes im Mund. Sein Handrücken war blutbesudelt. Blut tropfte von seinem Kinn auf seine Hemdbrust. Er war am Ende. Und es war sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis er den Namen ihres Verbindungsmannes preisgab und auch alle anderen Fragen beantwertete, auf die er bisher geschwiegen hatte. Die kahle Nüchternheit in dem kleinen Raum verstärkte das Gefühl von Unsicherheit, Verlorenheit und Angst. Ein dumpfer Laut, ein Stöhnen, ein Aufbäumen gegen das Begreifen, dass er
keine Chance hatte, entrang sich Osbone. * Fort Conroy, South Carolina, Hauptquartier der Special Force One, Tagungsraum 2, Briefing mit Colonel Davidge und dem SFO-Team Montag, 0832 ETZ Sergeant Alfredo Caruso war wieder einmal mehr zu spät gekommen. Um 0830 war der Beginn des Briefings angesagt. »Wo kommen Sie her, Sergeant?«, fragte der Colonel streng und schaute demonstrativ auf seine Uhr. Caruso nahm Haltung an. »Sir, meine Uhr geht falsch. Es tut mir Leid. Es wird nicht wieder vorkommen, Sir.« »Das will ich hoffen, Sergeant. Setzen Sie sich.« Caruso setzte sich neben Mark Harrer. Er machte ein unglückliches Gesicht. Das spöttische Lächeln seiner Teamkollegen war ihm nicht entgangen. Es traf ihn. Ja, es ärgerte ihn, weil er sich vor versammelter Mannschaft wieder einmal hatte rechtfertigen müssen. »Beginnen wir«, sagte der Colonel. »Es geht um einen neuen Einsatz, Leute. In Sierra Leone wurde die Regierung gestürzt. General Sankoh, der die Macht an sich gerissen hat, will Mubato, den bisherigen Präsidenten, hinrichten lassen. Dagegen haben die Vereinten Nationen einiges einzuwenden. Mubato war der erste frei gewählte Präsident in dem afrikanischen Staat.« Davidge ließ seine Worte kurz wirken. Dann fuhr er mit erhobener Stimme fort: »Zwei Agenten der CIA haben bereits versucht, Mubato zu befreien, doch sie fielen den Aufständischen in die Hände. Einer wurde erschossen, der andere ist Gefangener der neuen Regierung. Außerdem befinden sich vier Minister der Regierung Mubato in der Gewalt der Rebellen.« Davidge machte eine Pause und ließ den Blick über die
Angehörigen seines Teams gleiten. Da war Mark Harrer, sein Stellvertreter. Neben ihm saß Caruso, der Nahkampfspezialist aus Italien. Außer ihnen waren noch Pierre Leblanc, der Kommunikationsexperte, Dr. Ina Lantjes, die Ärztin, Marisa Sanchez und Corporal Miroslav Topak, der schweigsame Motorisierungsexperte aus dem fernen Sibirien, anwesend. Allen Unkenrufen zum Trotz hatte sich SFO durchgesetzt. Die Männer und Frauen hatten bewiesen, dass sie ihr Geld wert waren. Fast jeder ihrer Einsätze war bisher mit einem Erfolg gekrönt gewesen. »Es gilt, den Präsidenten, den CIA-Agenten und die Minister aus den Händen der Rebellen zu befreien und aus dem Land zu schaffen«, fuhr Davidge fort. »Von einem Verbindungsmann wissen wir, dass Mubato in einem Dschungelcamp festgehalten wird. Der CIA-Agent und die Minister sind im Keller des Regierungspalastes in Freetown eingesperrt.« »Das bedeutet, dass wir an zwei Orten gleichzeitig operieren müssen«, wandte Lieutenant Mark Harrer ein. »So ist es«, erwiderte Davidge nickend. »An zwei Orten gleichzeitig.« Er sprach die vier Worte abgehackt und verlieh ihnen damit eine besondere Betonung. »Die Architektur des Regierungspalastes ist uns allerdings unbekannt. Wir werden auch nicht die Zeit haben, Raum für Raum nach den Gefangenen zu durchsuchen. Es gilt also, herauszufinden, wo genau die Minister und der CIA-Agent festgehalten werden. Erst wenn die örtlichen Gegebenheiten feststehen, können wir uns an die eigentliche Befreiungsaktion machen.« Davidge blickte in skeptische Gesichter. »Wie sollen wir die architektonischen Gegebenheiten auskundschaften, Sir?«, fragte Mark Harrer. »Wir können doch nicht einfach in den Bau spazieren und uns im Keller umsehen. Ohne Plan dürfte das ein ziemliches Problem darstellen.« »Es gibt einen Verbindungsmann in den Reihen der Aufständischen. Sein Name ist Tejan Saidu. Mit ihm müssen
wir Kontakt aufnehmen. Er ist ein Eingeborener. Wenn er im Regierungspalast die notwendigen Feststellungen treffen kann, wäre das eine große Hilfe für uns. Der Mann befindet sich allerdings in dem Dschungelcamp, in dem Mubato festgehalten wird.« »Es besteht auch die Gefahr, dass der CIA-Agent redet und den Verbindungsmann verrät«, sagte Pierre Leblanc, der Franzose. »Dann wird er für uns kaum von Nutzen sein.« »Dann müssen wir uns anderweitig behelfen«, erklärte Davidge. »Von General Matani weiß ich, dass sich Manson und Osborne als Journalisten mit entsprechenden Pässen in das Dschungelcamp einschlichen. Ähnlich müssten wir dann auch vorgehen.« »Nachdem sich die Journalisten als CIA-Agenten entpuppt haben, werden die Rebellen nicht mehr so leicht zu täuschen sein«, wandte Harrer ein. »Wir müssen es auf uns zukommen lassen«, meinte Colonel Davidge. »Zunächst war geplant, dass wir mit einer Militärmaschine nach Monrovia in Liberia fliegen, dort sollten wir von einem Helikopter aufgenommen und in den Dschungel gebracht werden. Der Helikopter hätte uns nach erfolgreicher Befreiung des Präsidenten wieder aufgenommen und zurück nach Monrovia geflogen.« »Das wird sich, nachdem wir gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten operieren müssen, nicht mehr machen lassen«, sagte Alfredo Caruso. »Womit Sie Recht haben, Sergeant«, erwiderte Davidge. »Darum habe ich mir gedacht, dass die eine Gruppe von uns mit dem Helikopter in den Dschungel geflogen wird, während ein anderer Hubschrauber die andere Gruppe in die Hauptstadt bringt und auf dem Dach oder im Hof des Regierungspalastes aussetzt. Die örtlichen Gegebenheiten und Umstände müssen wir allerdings noch klären. Vielleicht gibt es sogar einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach des Gebäudes.«
Davidge zuckte mit den Achseln. »Natürlich muss das Timing haargenau abgestimmt werden. Die beste Zeit für den Zugriff ist meiner Meinung nach in der zweiten Nachthälfte.« »Wann soll das Unternehmen stattfinden?«, fragte Harrer. »Wir fliegen heute um 1700 von hier ab und werden am Zielort mit Tejan Saidu Verbindung aufnehmen. Er muss unter irgendeinem Vorwand das Dschungelcamp verlassen und für uns die Feststellungen im Regierungspalast treffen, Saidu wird der Gruppe angegliedert, die den CIA-Agenten und die Minister befreien. Das werden ich, Lieutenant Leblanc und Dr. Lantjes sein. Sobald wir wissen, wo die Gefangenen festgehalten werden, schlagen wir zu. Sie, Harrer, führen die andere Gruppe mit Sergeant Sanchez, Sergeant Caruso und Corporal Topak. Wir werden miteinander in Verbindung stehen und zeitgleich zugreifen.« »Das hört sich alles wunderbar an«, flüsterte Caruso. »In der Theorie sind der Präsident, der CIA-Mann und die Minister Mubatos so gut wie frei und wir sind alle in Sicherheit. Wie aber wird es in der Praxis aussehen?« »Wenn Sie etwas zu sagen haben, Sergeant Caruso, dann sagen Sie es doch bitte laut und deutlich, damit wir anderen es auch hören können«, rief Davidge energisch und hatte seinen Blick auf den Italiener gerichtet. »Es ist nichts, Sir«, beeilte sich Caruso zu sagen und zog den Kopf ein. Er schien regelrecht auf seinem Stuhl zu schrumpfen. »Ich habe nur laut gedacht.« Er lächelte entschuldigend. »Lassen Sie uns an Ihren Gedankengängen teilhaben, Sergeant«, forderte der Colonel unerbittlich. »Also!« Caruso atmete tief durch. »Ich meinte nur, dass es ein ziemlich schwieriges Unternehmen werden wird, Sir. Uns fehlen einige Informationen, von denen das Gelingen unseres Einsatzes abhängt. Ob wir diese Informationen vor Ort erhalten, ist ausgesprochen fraglich.« »Ich muss Ihnen Recht geben, Sergeant«, sagte der Colonel.
»Aber um Schwierigkeiten zu meistern, hat man ein Team von Spezialisten zusammengestellt, dem auch Sie angehören.« »Ich weiß, Sir. Entschuldigen Sie die Störung.« »Schon gut.« Davidge winkte ab. Er war nicht ernsthaft böse auf Caruso. Im Gegenteil. Ihm war der etwas oberflächliche Italiener sogar ausgesprochen sympathisch. Wenn es darauf ankam, war auf ihn 100-prozentig Verlass. Und nur das zählte in dieser Gruppe. Davidge hob seine Stimme, als er fortfuhr: »Damit ist unser Einsatz aber nicht beendet, Ladies and Gentlemen. Es gilt, Ahmad Sankoh zu eliminieren. Mubato soll wieder an die Macht. Aber das lässt sich – so die Begründung – nur über die Leiche Sankohs bewerkstelligen.« »Ein Mordauftrag also«, knurrte Mark Harrer. »Warum übernimmt das nicht die CIA?« »Weil wir bereits im Lande sein werden«, erwiderte der Colonel. »Und weil wir eine Spezialeinheit sind und weil es in einem Aufwasch erledigt werden soll.« »Sankoh auszuschalten wird ungefähr genauso gefährlich sein wie die Befreiung der Gefangenen«, wandte Dr. Lantjes ein. Sie sah den Auftrag völlig emotionslos. »Sicher«, versetzte Davidge. »Aber es ist der Auftrag. Wir haben uns zu fügen, auch wenn es uns nichtgefällt.« »Gewiss, Sir«, sagte Dr. Lantjes. »Sonst noch Fragen?« »Nein, Sir«, kam es mehrstimmig zurück. »Dann bereiten Sie sich vor. Um 1700 fliegen wir. Mit Ihnen, Lieutenant Harrer, würde ich gerne noch ein paar Dinge besprechen. Es dauert nicht lange.« »Ich stehe zur Verfügung, Sir.« * »Sir?« »Stehen Sie bequem, Lieutenant«, sagte der Colonel. Er
setzte sich auf die Schreibtischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. »Können Sie sich denken, weshalb ich Sie unter vier Augen sprechen wollte?« »Nein, Sir.« »Es geht zum einen um unsere Bewaffnung. Wir werden mit M4A1-Sturmgewehren und Pistolen vom Modell Mk.23 bewaffnet sein. Außerdem werden Sie ein Präzisionsgewehr vom Typ SR-25 dabeihaben.« »Ich denke, ich weiß, wofür«, murmelte Harrer. »Ich will, dass Sie das erledigen, Lieutenant.« In Mark Harrers Gesicht arbeitete es. »Ich bin nicht glücklich darüber.« »Ich kann mir denken, was in Ihnen vorgeht, Harrer. Aber es ist kein Mord im herkömmlichen Sinne. Es sind internationale Interessen, die die Liquidierung Sankohs notwendig machen. Seine Rebellenarmee ist für verschiedene Massaker verantwortlich. Menschen- und Völkerrecht wurde gravierend verletzt. Das Land ertrinkt im Blut seiner Menschen.« »Kommt der Auftrag von den Vereinten Nationen oder sind es rein amerikanische Interessen, die Sankoh tot sehen wollen?« Der Colonel verzog das Gesicht. »Der offizielle Auftrag lautet, Mubato und seine Minister sowie den CIA-Mann zu befreien. Der inoffizielle hat die Tötung Sankohs zum Inhalt.« »Ich lasse mich nicht gern zum Handwerkszeug nationaler Interessen degradieren, Sir.« »Sie meinen amerikanischer Interessen, nicht wahr?», fragte Davidge ein wenig ungeduldig. »Nun, darüber zu urteilen steht uns nicht zu, Lieutenant.« »Sie meinen also, dass ich der richtige Mann dafür wäre, Sir?« »Wenn einer, dann Sie, Harrer.« »In Ordnung. Ich sehe es als Job an.« »Sobald bekannt wird, dass Sankoh tot ist, gibt es sicherlich
einen landesweiten Aufruhr. Das Land wird in den Zustand des Bürgerkrieges zurückverfallen. Um diesen Bürgerkrieg nicht zur Eskalation zu bringen, muss Mubato an die Spitze der Regierung zurück. Nur er hat die Macht, seine Anhänger zur Raison zu rufen. Darum ist es so wichtig, dass Mubato am Leben bleibt.« »Dieser Aufruhr mit bürgerkriegsähnlichen Ausmaßen wird von der UN akzeptiert?« »Ziel ist es, Mubato wieder an die Macht zu bringen«, sagte Davidge ausweichend. Er fühlte sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut. »Wenn einer in Sierra Leone wieder geordnete Verhältnisse herstellen kann, dann ist es Mubato.« »Wie komme ich an Sankoh heran?« »Diesen Weg müssen Sie selbst finden, Harrer. Der Rest des Teams wird nicht mehr im Land weilen, wenn Sie Ihren Auftrag erledigen. Erschießen Sie Sankoh meinetwegen, wenn er den Regierungspalast betritt oder verlässt. Vielleicht hält er vom Balkon seines Arbeitszimmers aus eine Rede ans Volk.« Der Colonel hob die Hände, ließ sie wieder sinken. Ein betretenes Lächeln spielte um seine Lippen. Das Lächeln erlosch, er sprach weiter: »Wobei ich nicht einmal weiß, ob das Arbeitszimmer Sankohs über einen Balkon verfügt. Ich kann Ihnen keine Lösung bieten, Harrer.« »Ich denke, dass dieser Einsatz unter keinem besonders glücklichen Stern steht, Sir«, murmelte Mark Harrer. »Wir können unsere Schritte nicht vorbereiten. Wir haben keine Ahnung, was uns erwartet. Nachdem die CIA schon versucht hat, den Präsidenten zu befreien, wird man in Freetown und in dem Dschungelcamp besonders vorsichtig und misstrauisch sein. Ich habe ein schlechtes Gefühl, Sir.« »Mir ergeht es kaum anders, Harrer«, erwiderte der Colonel. »Es ist auch zu befürchten, dass Osborne unter der Folter den Namen des Verbindungsmannes im Dschungelcamp preisgibt. Weiterhin ist nicht sicher, ob Mubato im Camp bleibt oder an
einen anderen Ort verbracht wird.« »Malen Sie den Teufel nicht an die Wand, Sir«, knurrte Harrer. Davidge lächelte nachsichtig. »Wir müssen alle Eventualitäten einkalkulieren, Lieutenant.« * Keller des Regierungspalastes in Freetown, Sierra Leone, 1013 SLT (Sierra Leone Time) Osborne war wieder auf den Stuhl gefesselt. Ein halbes Dutzend Männer in Kampfanzügen standen um ihn herum. Es waren Schwarze, RUF-Leute, Rebellen. Mitleidlos starrten sie den CIA-Mann an. Nachsicht hatte er nicht zu erwarten. Sein Gesicht war schon wieder blutig geschlagen. »Den Namen!«, stieß der Sergeant hervor, der ihn schon einmal verhört hatte. »Es gibt keinen Verbindungsmann«, nuschelte Osborne. »Ich kann es nur wiederholen. Mein Kollege und ich…« Der Sergeant versetzte ihm einen Faustschlag. Der Kopf Osbornes wurde auf die Schulter gedrückt. Osborne stöhnte. Es gab keine Gnade und kein Erbarmen. Die Schmerzen waren fast nicht mehr zu ertragen. Ein zweiter Faustschlag traf den Agenten. Der Captain, der ihm vor Stunden schon einmal die Pistole an die Stirn gesetzt hatte, zog sein Kampfmesser und trat hinter ihn. Er drückte Osborne die Schneide gegen den Kehlkopf. »Deine letzte Chance«, knurrte er. »Wenn du nicht redest, bist du wertlos für uns. Ich werde dir den Hals durchschneiden.« Die Messerschneide ritzte die Haut leicht an. Etwas Blut sickerte aus der kleinen Wunde. Osborne röchelte: »Ich bin so und so wertlos für euch. Ihr bringt mich in jedem Fall um.« Der Druck des Messers auf Osbornes Kehle verstärkte sich. Die Klinge schnitt tiefer in die Haut. »Rede!«
Osborne nahm den Kopf etwas zurück. Das Messer folgte der Bewegung. »Du hast jetzt die Wahl«, sagte der Captain grollend. »Entweder du redest, oder du bist innerhalb der nächsten zwei Minuten tot.« Er machte ernst. Daran ließen seine Worte keinen Zweifel aufkommen. Osborne schluckte hart. Ein kalter Hauch schien ihn zu streifen. Er war dem Tod nahe und spürte Gänsehaut. Seine letzte Widerstandskraft erlahmte. Er hatte dem Irrsinn brutaler Gewalt nichts entgegenzusetzen. Er hatte nicht mehr die Kraft, gegen diesen Strom aus vernichtender Brutalität anzuschwimmen. Ein Ton entrang sich ihm, der sich anhörte wie trockenes Schluchzen. Dann sagte er: »Der Name ist Tejan Saidu. Er ist in dem Lager, in dem Mubato festgehalten wird, stationiert.« »Ist das sein richtiger Name?« »Das weiß ich nicht. Wir haben ihn Omega 1 genannt.« »Tejan Saidu«, wiederholte der Hauptmann. »Kennst du ihn persönlich?« »Nein.« »Wie lautete euer Auftrag?« »Mubato zu befreien und Sankoh zu töten.« »Du arbeitest für den amerikanischen Geheimdienst, nicht wahr?« »Ja.« »Schwein!« Der Captain schlug Osborne noch einmal die Faust ins Gesicht. »Bringt ihn in die Zelle zurück«, ordnete er dann an. »Ab sofort darf er wieder schlafen.« Mit einem hämischen Grinsen fügte er hinzu: »Sehr bald sogar sehr lange.« Der letzte Satz war erschreckend in seiner Unmissverständlichkeit. Die Fesseln wurden geöffnet, Osborne wurde in die Höhe gezerrt und weggeschleppt. Er wusste, dass es ein Fehler
gewesen war, den Namen seines Verbindungsmannes zu verraten. Aber er hatte die Tortur, der er ausgesetzt war, nicht länger ertragen. Seit er gefangen genommen worden war, hatte er nicht schlafen dürfen. Die psychischen Qualen waren ebenso unerträglich wie die körperlichen. Er hätte wahrscheinlich seinen eigenen Vater verraten. Osborne wurde in eine Zelle gebracht, in dem es eine Pritsche gab. Im nächsten Moment fiel die Tür zu und er war allein. Das grelle Licht ging aus. Osborne taumelte zu der Pritsche und ließ sich darauf niedersinken. Er begann abzuschließen. Wenn Tejan Saidu auffliegt, brauchen sie dich nicht mehr, rieselte es durch seinen Verstand. Es durchdrang ihn wie ätzende Säure. Du bist so gut wie tot. Wer hat uns verraten? Es muss Verrat im Spiel gewesen sein. Sie haben uns geradezu erwartet. Sollte Saidu selbst…? Nein! Saidu kann nicht der Verräter sein. Denn dann hätten die Rebellen seinen Namen nicht aus dir herauspressen müssen. Länger darüber nachzudenken brachte nichts. Osborne klammerte sich an die Hoffnung, dass die amerikanische Regierung alles tun würde, um ihn freizubekommen. Er schloss die Augen… * »Der Name des Kerls ist Tejan Saidu«, sagte der Captain in die Sprechmuschel des Hörers. »Gibt es einen Mann mit diesem Namen bei euch im Dschungelcamp?« »Einen Moment. Oder sollen wir zurückrufen?« »Ich warte.« Einige Minuten verstrichen. Dann kam die Antwort: »Ja, es gibt diesen Mann. Was ist mit ihm?« »Er arbeitet mit dem amerikanischen Geheimdienst
zusammen. Lassen Sie den Bastard auf der Stelle festnehmen und in die Stadt bringen.« »In Ordnung.« Es knackte in der Leitung, sie war tot. Der Captain legte den Hörer auf den Apparat. Im Dschungelcamp näherten sich vier Soldaten einer der Baracken. Tejan Saidu sah sie kommen. Er spürte unvermittelt einen seltsamen Druck in der Magengegend und begann an seiner Unterlippe zu nagen. In dem Raum befanden sich noch zwei weitere Soldaten. Ein Telefon dudelte. Die vier Soldaten betraten das Büro. »Tejan Saidu!«, schnarrte einer von ihnen. Der Gerufene erhob sich hinter seinem Schreibtisch. »Hier. Was gibt es?« »Folge uns. Vorwärts!« Saidu zog schnell seinen Schreibtischschub auf. Er griff hinein. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie eine Pistole. Saidu repetierte und hielt sich die Mündung an die Schläfe. In die vier Soldaten, die gekommen waren, um ihn abzuholen, geriet Leben. Da krachte aber schon der Schuss. Die Detonation schien den Bau in seinen Fundamenten zu erschüttern. Wie vom Blitz getroffen brach Saidu zusammen. »Verdammt!«, entfuhr es einem der Soldaten. Er war mit zwei Schritten bei dem Toten und beugte sich über ihn. Die Kugel hatte Saidu den halben Kopf weggerissen. Blut schwamm auf dem Boden. Der Soldat richtete sich auf und versetzte dem Toten einen derben Tritt. »Dieses verdammte Schwein!«, knirschte er. »Er hat sich lieber selbst erschossen. Wir müssen in der Hauptstadt anrufen und Bescheid sagen.« Aus allen Richtungen rannten Soldaten herbei. Einige drangen in das Gebäude ein. Der Schuss hatte das gesamte Lager alarmiert. Einer der Soldaten, die Saidu festnehmen sollten, gab Entwarnung. Dann begab er sich in die Kommandantur und erstattete dem Lagerkommandeur Bericht.
»In Ordnung«, sagte der Kommandeur, der den Rang eines Majors innehatte. »Ich werde Freetown verständigen. Veranlassen Sie, Soldat, dass der Leichnam außerhalb des Lagers verscharrt wird.« »Jawohl, Sir.« Der Soldat salutierte, machte kehrt und verließ das Büro. * Das SFO-Team verstaute seine Ausrüstung im Flugzeug. Die Maschine war ein Transporter vom Typ MC-130H Combat Talon II. Die MC-130H hatte eine Länge von etwas über 30 Metern und eine Flügelspannweite von mehr als 40 Metern. Sie wurde von vier Propellern angetrieben und war zum Transport von Spezialeinheiten und deren Nachschub in Feindesland konzipiert worden. »Wie lange dauert der Flug eigentlich«, fragte Caruso in Richtung Harrer. »Ungefähr acht Stunden«, erwiderte der Lieutenant. Seufzend verdrehte Caruso die Augen. »Okay, Leute! Nehmt eure Plätze ein«, kam es von Davidge. »Wir starten.« Die Heckluke schloss sich, die Propeller begannen sich zu drehen. Dann startete die Maschine, raste über die Piste und hob schließlich in den morgendlichen Himmel ab. Es war Punkt 17 Uhr ETZ. * Luftraum über dem Atlantik 2100 ETZ, 1300 SLT An Bord der MC-130H herrschte Ruhe. Die Maschine strich trotz ihrer enormen Größe mit an die 480 km in der Stunde im Tiefflug über das Meer hinweg.
Die Mitglieder des Teams dösten vor sich hin. Auch Davidge hatte die Mappe mit den Einsatzinformationen weggelegt und saß mit geschlossenen Augen da. Sie wollten vor dem Einsatz noch etwas die Ruhe genießen. In ungefähr vier Stunden würden sie in Monrovia, Liberia, landen. Jedes Mitglied des Teams ahnte, dass sie nicht mehr viel Gelegenheit haben würden, zur Ruhe zu kommen. Die Stimme des Piloten ließ das Team aufschrecken. »Colonel Davidge!«, kam es aus einem Lautsprecher über der Cockpittür. »Sir, General Matani möchte Sie dringend sprechen.« Verwundert stand Davidge auf und machte sich auf den Weg ins Cockpit. »Was er wohl will?«, meinte Topak mit hartem Akzent und rieb sich die Augen. »Ich denke, das wird uns der Colonel schon mitteilen«, sagte Mark Harrer. »Sicher dürfte sein, dass es unseren Einsatz betrifft.« Davidge betrat das Cockpit der MC-130H. Neben den beiden Piloten sah Davidge die beiden Navigatoren und den Electronic Warfare Officer, einen Soldaten, der die elektronische Abwehreinrichtung des Flugzeugs bediente. Der Pilot gab Davidge das Mikrofon. Davidge nickte ihm dankend zu. »Hier Colonel Davidge. Sir?« Dann hörte der Colonel nur noch zu. Manchmal nickte er. Zuletzt sagte er: »Verstanden, Sir. Das heißt, wir müssen ohne die Hilfe Saidus auskommen. Das macht die ganze Angelegenheit natürlich nicht einfacher.« »Ich weiß, Colonel. Aber ich denke, dass Sie einen Weg finden werden.« »Ihr Vertrauen in allen Ehren, General«, erwiderte Davidge und ein dünnes Lächeln huschte um seine Lippen. »Im Moment bin ich allerdings ziemlich perplex. Guter Rat ist teuer.« »Ich verlasse mich auf Sie, Colonel. Denken Sie daran:
Wenn Sie versagen, wäre das Wasser auf den Mühlen der SFOGegner. Hals- und Beinbruch, Colonel. Over.« »Vielen Dank, General. Over.« Davidge kehrte mit finsterer Miene in den Mannschaftsraum zurück. Harrer ahnte Unheilvolles. »Eine gute und eine schlechte Nachricht«, kam es von Davidge. Der Colonel trat zwischen das Team, das auf beiden Seiten im Flugzeug verteilt war. Harrer, Caruso und Leblanc saßen in der linken Sitzreihe, Lantjes, Sanchez und Topak in der rechten. Sie starrten ihren Vorgesetzten mit dem Ausdruck gespannter Erwartung an. »General Matani hat mir eben mitgeteilt, dass unser Verbindungsmann in Sierra Leone, Tejan Saidu, aufgeflogen ist«, begann Davidge. »Richard Osborne hat nicht dicht gehalten. Die Regierung unter Ahmad Sankoh nutzt den Vorfall für Propagandazwecke aus. Ziel ist es, die amerikanische Regierung bloßzustellen und zu brüskieren.« Davidge blickte in die Runde, dann fuhr er fort. »Wir werden also ohne Saidu auskommen müssen. Das bedeutet, wir müssen die örtlichen Gegebenheiten selbst checken.« Mark Harrer entging nicht die Besorgnis, die aus jedem Zug in Davidges Gesicht sprach. Das Gelingen ihres Auftrages war in Frage gestellt. Wahrscheinlich war ihre Mission sogar zum Scheitern verurteilt. Harrer verlieh seinen Bedenken Ausdruck, indem er sagte: »Das dürfte uns allerdings ziemlich schwer fallen. Die Nummer mit den Journalisten haben Manson und Osborne bereits abgezogen. Die kauft uns keiner mehr ab. Wie aber sollen wir sonst in den Regierungspalast kommen und uns über die Örtlichkeiten informieren?« Davidge zuckte mit den Achseln und sprach weiter: »Ich habe keine Ahnung, Lieutenant.« »Weiß man, was aus Osborne wurde, nachdem er den Namen
seines Verbindungsmannes preisgegeben hat?« »Nein. Es ist nicht bekannt, ob er noch am Leben ist oder ob ihn die Rebellen bereits ermordet haben.« Davidge blickte in die Runde. »Noch vier Stunden bis zur Landung in Monrovia. Nutzen Sie die Zeit, sich noch etwas auszuruhen. Ich werde mir in der Zwischenzeit etwas einfallen lassen.« »Sagen Sie uns auch die gute Nachricht, Sir«, forderte Harrer. Davidge erwiderte: »Natürlich. Der Auftrag hat sich geändert, Lieutenant. Während der ursprüngliche Befehl lautete, General Sankoh zu eliminieren, sollen wir ihn jetzt gefangen nehmen, damit er wegen verschiedener Menschenund Völkerrechtsverletzungen vor das Internationale Kriegsverbrechertribunal gestellt werden kann. Das wurde im Weltsicherheitsrat beschlossen. Dagegen konnten auch die Amerikaner nichts ausrichten. Allerdings können Sie das nicht alleine bewerkstelligen, Lieutenant. Aber zu diesem Problem lassen wir uns zu gegebener Zeit etwas einfallen.« Harrer atmete befreit auf. Die Tatsache, dass er diesen Sankoh – mochte dieser noch so ein perverser Mörder und Diktator sein – aus dem Hinterhalt erschießen sollte, hatte ihn schwer belastet. Solche Jobs waren zwar von Spezialeinheiten zu erledigen, aber Harrer hatte sich keinen Moment dazu berufen gesehen. »Ich weiß, wie Ihnen jetzt zu Mute ist, Lieutenant«, sagte Davidge leise und setzte sich neben Harrer. »Ich bin ebenso froh wie Sie, dass der Befehl geändert wurde.« * Die Maschine landete auf dem Flughafen in Monrovia. Die Männer und Frauen des SFO-Teams hatten ihr Gepäck samt Bewaffnung bereits am Mann. Eine Treppe wurde herangeschoben, die Ausstiegsluke des Flugzeugs öffnete sich.
Als Erster verließ Colonel Davidge die Maschine. Ihm folgte Harrer. Nach und nach verließen auch die anderen die MC13OH. Den Schluss bildete Dr. Ina Lantjes. Zwei Jeeps erwarteten sie. In den einen stiegen Davidge, Harrer und Pierre Leblanc, in den anderen die Ärztin, Caruso, Mara Sanchez und Miro Topak. Sie wurden in die amerikanische Botschaft gebracht. Ein Beamter nahm sie in Empfang. Er stellte sich als Robert Calhoun vor. Davidge und er schüttelten sich die Hand, dann begrüßte Calhoun die übrigen Mitglieder der Crew. »Sie kennen Ihren Auftrag?«, fragte Calhoun dann, als sie sich in seinem Büro befanden. Ein nüchtern eingerichteter Raum mit einem großen Schreibtisch und einem kleinen, runden Konferenztisch, um den fünf Stühle gruppiert waren. Ein Landschaftsbild hing an der Wand. Calhoun hatte seinen Gästen keinen Sitzplatz angeboten. Die Stühle hätten sowieso nicht ausgereicht. »Ja«, sagte Davidge. »Allerdings haben sich einige Änderungen ergeben, wie Sie wissen werden, Calhoun. Unser Verbindungsmann, Tejan Saidu, ist aufgeflogen. Wir wissen nicht, wo die gefangenen Minister und der CIA-Mann festgehalten werden. Die Koordinaten des Dschungellagers, in dem Mubato gefangen gehalten wird, sind zwar bekannt, aber wissen wir, ob Mubato nicht längst an einen anderen Ort gebracht wurde?« »Was brauchen Sie? Ich stehe Ihnen für die Dauer Ihres Einsatzes in Sierra Leone zur Verfügung. Falsche Papiere? Vielleicht sogar einen Diplomatenausweis? Sagen Sie's mir, und ich besorge es.« »Können Sie uns einen Plan vom Regierungspalast in Freetown besorgen?«, fragte Davidge und ahnte bereits die Antwort. Umso mehr war er überrascht, als Calhoun sagte: »Als vor knapp drei Jahren die Regierung Obasajo die ersten freien Wahlen in Sierra Leone verlor, haben viele höhere Beamte der Regierung Obasajo unter anderem in Liberia um
Asyl nachgesucht. Es lässt sich gewiss jemand finden, der über die architektonischen Gegebenheiten im Regierungspalast Bescheid weiß. Das kann allerdings dauern.« »So lange können wir nicht warten«, versetzte Davidge. »Ihr Hinweis auf gefälschte Papiere und einen Diplomatenausweis ist im Übrigen keine schlechte Idee«, setzte er hinzu und schaute Harrer an. »Was meinen Sie, Lieutenant? Als Diplomat getarnt müsste man doch Zugang zu dem Regierungspalast bekommen.« Harrer nickte. Davidge sagte: »Wir gehen mit drei oder vier Mann rein. Ich mime den Abgesandten der amerikanischen Botschaft. Sie Harrer, spielen meinen Adjutanten und persönlichen Vertrauten. Sie, Dr. Lantjes, meine Gattin. Und Sie, Sergeant Sanchez, sind meine Sekretärin.« Davidge wandte sich an Calhoun. »Wir brauchen zivile Klamotten und die entsprechenden Ausweise. Wie lange dauert es, sie zu beschaffen?« »Wir können die Ausweise innerhalb eines halben Tages ausstellen«, erwiderte Calhoun. »Ihnen zivile Kleidung zu beschaffen dürfte kein Problem sein. Wie haben Sie sich Ihr Vorgehen vorgestellt?« »Sobald wir die erforderlichen Informationen beisammen haben, wird ein Team im Dschungel abgesetzt, das andere wird nach Freetown gebracht. Wir werden um 0200 in der Nacht an beiden Orten gleichzeitig zuschlagen.« »Wie viel Zeit soll die ganze Aktion in Anspruch nehmen?«, fragte Calhoun. »Es muss jeweils innerhalb von fünf bis zehn Minuten geschehen sein. Wir wollen schließlich keine Wurzeln schlagen. Die Wachsoldaten im Regierungspalast und in dem Dschungelcamp dürfen nicht mal richtig zum Denken kommen.« »Wann soll die Befreiungsaktion stattfinden?«, wollte
Calhoun wissen. »Morgen in der Nacht. Vorausgesetzt, wir haben bis dahin die Informationen, die wir brauchen, um erfolgreich zu sein.« »Sie bekommen die Ausweise bis morgen Mittag«, sagte Calhoun. »Ich werde Sie bei der Regierung in Freetown für den kurzfristigen, außerplanmäßigen Besuch als Abgesandten der amerikanischen Regierung anmelden, Colonel. Hoffen wir, dass Sankoh bereit ist, Sie zu empfangen. Wir brauchen für die Ausweise Fotos von Ihnen und Ihren Leuten.« * Dschungelcamp, 2005 SLT »Hoch mit dir, Bastard!« Ein Soldat packte Mubato mit beiden Händen und zerrte ihn von der Pritsche in die Höhe. Zwei weitere Soldaten hatten sich zu beiden Seiten der Tür aufgebaut. Ein Vierter wartete im Flur. Der gestürzte Staatspräsident bekam einen Stoß, der ihn zur Tür taumeln ließ. »Was soll das? Warum werde ich so schlecht behandelt?« »Du bist ein Nichts, Mubato. Ein Stück Dreck, das wir erschießen werden. Vorher aber…« »Was?« »Du wirst es erleben. Raus mit dir!« Seine Hände wurden auf dem Rücken gefesselt, er wurde in den Flur bugsiert und aus der Baracke getrieben. Es war finster. Der schwenkbare Scheinwerfer auf dem Wachturm war in den Dschungel gerichtet. Brachten sie ihn zu seiner Hinrichtung? Die Angst griff nach Mubato, sein Herz übersprang einen Schlag beim Gedanken daran. Hier und dort fiel Licht aus den Fenstern der Baracken. Ein Jeep stand bereit. Auf den Vordersitzen saßen zwei Soldaten. Mubato wurde genötigt, einzusteigen. Der Motor wurde angelassen. Ein Soldat nahm neben Mubato Platz. Er bedrohte
den gestürzten Präsidenten mit einer Pistole. »Wohin bringt ihr mich?«, wollte Mubato wissen. »An einen sicheren Ort«, war die knappe Antwort. Der Jeep fuhr an. Der Untergrund war holprig. Die Insassen wurden durch und durch geschüttelt. Die Lichtfinger der Scheinwerfer bohrten sich in die Dunkelheit. Zu beiden Seiten der unausgebauten Straße war dichter Busch. Sie fuhren zwei Stunden. Dann tauchten die Lichter Freetowns auf. Der Jeep fuhr bis zum Regierungspalast. Im Hof wurde er angehalten. Die Soldaten stiegen aus. Auch Mubato musste aussteigen. Durch einen Nebeneingang betraten sie das Gebäude. Im Flur im Erdgeschoss brannte Licht. Sie fuhren mit dem Lift in die erste Etage. Die Soldaten brachten Mubato in ein teuer eingerichtetes Büro. Mubato kannte sich aus hier. Bis vor wenigen Tagen hatte er von hier aus das Land regiert. Ein Mann saß hinter dem Schreibtisch. Ein Schwarzer. Er war mit einer Uniform bekleidet. Seine Schulterstücke wiesen ihn als General aus. Er verströmte natürliche Autorität. Der Blick seiner Augen war stechend. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. »Sankoh!«, entfuhr es Mubato. »Sehr richtig«, erwiderte der General, der Mubato gestürzt hatte. Er erhob sich. »Ihretwegen mache ich Überstunden, Mubato.« Mubato musterte den General mit gemischten Gefühlen. »Was verschafft mir die zweifelhafte Ehre?«, fragte er dann sarkastisch. »Ein amerikanischer Diplomat, er ist enger Vertrauter von Präsident Bush, hat sich kurzfristig zu einem Besuch angemeldet. Völlig überraschend. Er weilt mit seinem Mitarbeiterstab gerade in Monrovia, und da die USA die diplomatischen Beziehungen auch unter meiner Regierung aufrechterhalten möchten, wird er mir morgen zusammen mit seiner Ehegattin seine Aufwartung machen.«
Nicht zu überhörender Triumph hatte in der Stimme des Diktators gelegen. »Warum erzählen Sie mir das, Sankoh?« »Ich will die Amerikaner auf meine Seite ziehen. Deshalb demonstriere ich guten Willen. Sie sollen sehen, dass Sie sich frei bewegen können und dass alle Meldungen von Massakern und anderen Gräueltaten der Fantasie irgendwelcher Journalisten und Reporter entsprang. Wir beide werden vor dem amerikanischen Diplomaten Einigkeit demonstrieren, Mubato. Und Sie werden dieses Spiel mitmachen. Denken Sie daran, dass Ihrer Frau und Ihren beiden Söhnen jederzeit ein Unglück zustoßen kann.« »Sie können nicht der ganzen Welt Sand in die Augen streuen, Sankoh«, gab Mubato zu verstehen. »Die Bilder von den Gräueltaten Ihrer Soldaten wurden von den Fernsehanstalten in der ganzen Welt ausgestrahlt. Für mich ist es auch nicht vorstellbar, dass die USA die diplomatischen Beziehungen mit der derzeitigen Regierung aufrechterhalten möchten.« Sankoh winkte ungeduldig ab. »Sie werden die Nacht im Keller dieses Gebäudes verbringen, Mubato. Morgen erhalten Sie anständige Kleidung. Sie werden baden und sich rasieren und den Amerikanern Einigkeit mit mir suggerieren. Spielen Sie mit, Mubato. Alles andere würde Ihrer Familie schlecht bekommen.« Sankoh gab den Soldaten einen Wink. »Führt ihn ab.« Sein Blick verkrallte sich noch einmal in Mubato. »Ich warne Sie, Mubato.« Mehr sagte er nicht. Er wiederholte sich nicht. Mubato wurde gepackt und aus dem Büro geschubst. Mit dem Aufzug ging es wieder nach unten. Sie fuhren bis in den Keller. Der Korridor war hell erleuchtet. Vor zwei der Türen stand jeweils ein Wachposten, der mit Gewehr und Pistole bewaffnet war. Hier wurden insgesamt vier Minister der ehemaligen Regierung und
Richard Osborne, der CIA-Agent, festgehalten. Mubato wurde in einen dritten Raum gesperrt. Ein Soldat blieb als Wache zurück. Die anderen drei verließen den Keller. * Freetown, Regierungspalast Freitag, acht Tage nach dem Sturz der Regierung Mubato, 1330 SLT Davidge und seine Begleiter waren mit einem Helikopter zur Botschaft in Freetown geflogen worden. Dort waren sie in einen Mercedes der diplomatischen Vertretung umgestiegen. Es hatte keine Probleme gegeben. Alles war wie geplant gelaufen. Sie trugen zivile Kleidung. Man hatte Davidge und Dr. Lantjes sogar Eheringe verpasst, damit alles glaubwürdig erschien. Jetzt rollte die schwarze Mercedes-Limousine in den Hof des Regierungspalastes. Die Schranke war geöffnet. Zwei Wachsoldaten standen stramm. Auf dem linken vorderen Kotflügel des Fahrzeugs war eine kleine Standarte mit dem Sternenbanner befestigt. Eine Abordnung, angeführt von einem Major namens Ogodan Kabbah, wartete bereits. Der Mercedes hielt an. Der Fahrer stieg aus. Es war ein Schwarzer. Er war bei der diplomatischen Vertretung der USA in Sierra Leone beschäftigt. Er öffnete die Fondtür. Colonel Davidge und Dr. Lantjes stiegen aus. Ihnen folgte Marisa Sanchez. Die Beifahrertür ging auf und Mark Harrer verließ den Pkw. Davidge war mit einem hellen Anzug bekleidet. Unter der Jacke trug er ein hellblaues Hemd. Die Krawatte war blauweiß gestreift. Dr. Lantjes trug ein beigefarbenes Kostüm und eine weiße Rüschenbluse. Der Rock war knielang. Ihre Füße steckten in
ebenfalls beigefarbenen Schuhen. Dazu hielt sie eine auf ihr Outfit farblich abgestimmte Tasche in der Hand. Mark Harrer steckte in einem dunklen Anzug. Sein Hemd war weiß, die Krawatte rot mit blauen Punkten. Er trug einen schwarzen Aktenkoffer mit sich. Marisa Sanchez trug ein einfaches Sommerkleid mit violetten Blumen. Ogodan Kabbah begrüßte Davidge mit einem Händedruck. Da die Amtssprache in Sierra Leone Englisch ist, gab es hinsichtlich der Verständigung keine Probleme. Davidge stellte sich unter seinem richtigen Namen vor, dann wies er auf Dr. Lantjes. »Meine Gattin Ina…« Seine Hand wanderte herum und zeigte auf Harrer. »Mein persönlicher Sekretär und Vertrauter Mark Harrer.« Zuletzt deutete er auf Marisa und stellte sie als seine Sekretärin vor. Es hatte keinen Grund gegeben, die Namen zu ändern. Lediglich Dr. Lantjes trat als Mrs. Davidge auf. Die Reisepässe und anderen Ausweispapiere waren entsprechend ausgestellt worden. Niemand wollte die Ausweise sehen. Kabbah sagte: »Ich darf Sie zum Präsidenten geleiten, meine Herrschaften. Er erwartet Sie bereits.« »Vielen Dank«, sagte Davidge und neigte ein wenig den Kopf. Er reichte Dr. Lantjes seinen Arm. Sie hängte sich ein und lächelte dem Major freundlich zu. Davidge schüttelte noch ein paar Hände, dann betraten sie das Gebäude. Sie wurden in den Plenarsaal geführt. Ein kaltes Büffet war vorbereitet. Auf den Tischen standen verschiedene Getränke. Einige Männer in Uniform waren anwesend. Allesamt von schwarzer Hautfarbe. Man begrüßte sich, und dann kamen der Präsident und Mubato, der aussah wie frisch aus dem Ei gepellt. Er lächelte starr. »Es ist mir eine Ehre, Sie bei uns begrüßen zu dürfen«, sagte Sankoh. »Darf ich Ihnen Mr. Mubato vorstellen. Er war mein
Vorgänger im Amt des Präsidenten.« Davidge, Harrer, Dr. Lantjes und Marisa Sanchez trauten ihren Augen nicht. Sankoh sprach weiter: »Sie dürfen nicht alles glauben, was an Bildern und Berichten auf der ganzen Welt ausgestrahlt wurde. Es war kein blutiger Staatsstreich, der mich und meine Partei an die Macht gebracht hat, sondern konstruktive Zusammenarbeit von Koalition und Opposition. Sicher, im Land hat es einige Aufstände gegeben, und es ist Blut geflossen. Aber das haben wir schnell und nachhaltig in den Griff bekommen. Man hat sich darauf geeinigt, die Revolutionäre Vereinigte Front an der Regierung zu beteiligen und die Macht in ihre Hände zu legen. Mr. Mubato ist freiwillig zurückgetreten, um den Waffenstillstand und den Friedenswillen im Land zu manifestieren und einer gemäßigten Regierung den Weg zu ebnen.« »Es hieß, Mubato sei inhaftiert«, sagte Davidge. »Er war es. Kurzfristig. Wegen seiner eigenen Sicherheit. Aber das war nicht länger nötig. Er hat sich bereit erklärt, als mein Vertrauter zu fungieren. Schließlich verfügt er über die nötige Erfahrung.« Davidge reichte Mubato die Hand. Er musterte ihn, als wollte er die geheimsten Gedanken Mubatos erforschen und analysieren. Die Blicke der beiden Männer trafen sich. Mubato blickte ihn fast beschwörend an. Dann löste Davidge seine Hand aus der von Mubato und wandte sich Sankoh zu. Er sagte: »Es gingen ziemlich beunruhigende Bilder um die Welt, Mr. Präsident. Präsident Bush wird sich freuen, wenn er hört, dass zwischen Ihnen und Mr. Mubato Einvernehmen herrscht.« »Natürlich wollten wir die diplomatischen Beziehung mit Amerika zu keiner Zeit gefährden… – Was ist denn?« Harrer hatte sich mit beiden Händen an den Leib gegriffen und stöhnte. »Mir – mir ist plötzlich übel«, ächzte er. »Befindet
sich in der Nähe eine Toilette?« Er japste nach Luft wie ein Erstickender. »Zur Türe raus und rechts den Korridor entlang«, erklärte Major Kabbah. »Entschuldigen Sie…« Harrer rannte zur Tür. Gleich darauf befand er sich in dem riesigen Flur. Von der Decke hingen in Abständen von etwa 5 Metern Kristalllüster. Harrer schritt nach rechts davon. Er erreichte eine Treppe, lief sie hinunter und befand sich im Keller. Er wandte sich nach links. Es gab einige Türen. Harrer öffnete sie. Keine war verriegelt oder abgeschlossen. In den Räumen roch es nach Staub. Harrer lief zurück zur Treppe und betrat den Korridor rechter Hand. Ein Seitenflur zweigte ab. Hier standen einige Wachsoldaten. Zwei rannten sofort herbei. Sie hielten die Gewehre auf Mark Harrer angeschlagen. »Was suchen Sie hier?« Harrer hob die Hände und zeigte die Handflächen. »Eine Toilette. Mir ist nicht gut. Oben habe ich keine gefunden.« Misstrauisch wurde er angestarrt. »Sind Sie Angehöriger der amerikanischen Delegation?«, fragte einer der Soldaten. »Ja.« »Die Treppe hoch und dann nach links, in Richtung Plenarsaal. Zwei Türen vorher finden Sie eine Toilette.« »Danke, vielen Dank.« Harrer machte kehrt und stieg die Treppe empor. Er hatte sich ein Bild machen können. In dem Seitenflur befanden sich wahrscheinlich die Zellen. Eines aber machte Harrer Kopfzerbrechen. Es war die Tatsache, dass sich Mubato nicht mehr in dem Dschungelcamp befand. Einen Augenblick lang dachte Mark Harrer an einen Doppelgänger, den ihnen General Sankoh präsentierte. Aber diesen Gedanken verwarf Harrer wieder. Er ging in die Toilette und wusch sich die Hände. Dann kehrte er in den Saal zurück. Sankoh und sein Stab sowie die Gäste hatten ihre Plätze eingenommen. Mubato saß neben
Ahmad Sankoh. Harrer setzte sich links neben Davidge. Sankoh ließ seine Stimme erklingen. »Geht es wieder, Mister… äh – wie war doch gleich Ihr Name?« »Harrer, Sir. Mark Harrer. Ja, es war wohl nur eine vorübergehende Sache.« »Dann darf ich Sie offiziell in unserem Land als gern gesehene Gäste begrüßen«, begann Sankoh. »Die gesamte Welt blickt derzeit auf Sierra Leone…« * Davidge, Harrer, Dr. Lantjes und Marisa Sanchez verabschiedeten sich nach etwa einer Stunde von General Sankoh. Der General gab Davidge viele Grüße an den amerikanischen Präsidenten mit auf den Weg, und Davidge versprach, sie auszurichten. Man war sich einig geworden, dass die diplomatischen Beziehungen Sierra Leones zu Amerika auch unter der neuen Regierung aufrechterhalten bleiben sollten. Es wurde auch über die weitere Stationierung von UNO-Blauhelmsoldaten gesprochen und Sankoh bestätigte mit einem niederträchtigen Grinsen um die wulstigen Lippen, dass dies zur Friedenssicherung im Lande unabdingbar wäre. Dass das nur Lippenbekenntnisse waren, interessierte Colonel Davidge nicht. Als er sich von Sankoh und Mubato verabschiedete, geschah dies in beidseitig geheuchelter Freundschaft. Colonel Davidge war sich sicher, dass Mubato nur gute Miene zum bösen Spiel machte. Davidge versicherte, sich bei den Vereinten Nationen für die weitere Stationierung von UNO-Blauhelmsoldaten einzusetzen. Eine Stunde später saßen sie wieder im Helikopter, der sie nach Monrovia in Liberia brachte. Davidge saß neben Harrer. Harrer sagte: »Im Keller des Regierungspalastes gibt es einen Seitenflur, in dem einige Wachen vor den Türen stehen. Ich denke, dort
werden die Minister und der CIA-Mann festgehalten.« »Sie werden uns einen Plan von dem Keller aufzeichnen, Harrer«, gab Davidge zu verstehen. »Aber das dürfte das Problem nicht mehr sein. Dass sich Mubato plötzlich in der Hauptstadt befindet, gibt mir viel mehr zu denken. Klar dürfte sein, dass er nicht Sankohs engster Vertrauter ist, sondern Sankohs Gefangener. Aber wo wird er festgehalten? Ebenfalls im Keller des Regierungspalastes?« »Wahrscheinlich wurde er nur aus dem Dschungelcamp geholt, um uns Einigkeit mit Sankoh vorzugaukeln. Sankoh muss sich gemäßigt zeigen, wenn er sich nicht die Feindschaft der Amerikaner zuziehen will. Die Irak-Politik Präsident Bushs hat ihm sicherlich zu denken gegeben und zur Vorsicht gemahnt. Er müsste unter Umständen mit ähnlichen Konsequenzen wie Saddam Hussein rechnen. Möglicherweise ist Mubato schon wieder auf dem Weg in das Lager.« »Oder auf dem Weg in ein anderes Camp«, versetzte Davidge, »nachdem die CIA das Rätsel um den Ort, an dem Mubato festgehalten wurde, geknackt hatte.« »Es ist zum…« Harrer brach ab und starrte vor sich hin. »…Kotzen, ich weiß«, vollendete Davidge. »Wir können erst zuschlagen, wenn wir wissen, wo Mubato festgehalten wird. Ihn aus den Händen der RUF-Guerillas zu befreien hat oberste Priorität.« Als sie in Monrovia landeten, war es fast Abend. Genau gesagt 18 Uhr 05 Ortszeit. Sie begaben sich sofort in das Büro Robert Calhouns. Ein Schwarzer mit grauen Haaren befand sich bei Calhoun. »Haben Sie etwas erreicht?«, wollte Calhoun wissen. »Wir wissen in groben Zügen, wie der Keller des Regierungspalastes beschaffen ist.« Davidge warf einen fragenden Blick auf den grauhaarigen Schwarzen und schwieg. Calhoun entging dieser Blick nicht. »Darf ich vorstellen«, sagte Calhoun lächelnd. Er wies mit einer Handbewegung auf
den Mann. »Olusegu Shelpidi. Er war unter der Regierung Obasajo Wirtschaftsminister. Gehörte zur United National People's Party, abgekürzt UNPP. Nachdem Mubatos Volkspartei die überwiegende Mehrheit der Sitze in der Nationalversammlung einnahm, geriet die UNPP in die Opposition und verlor alle Staatsämter.« Über Davidges Gesicht lief der Schimmer des Begreifens. »Der Mann kann uns etwas über die architektonische Beschaffenheit des Regierungspalastes sagen, nicht wahr? Wo haben Sie ihn so plötzlich aufgegabelt, Calhoun?« »Die Regierung Obasajo war beim Volk ziemlich verhasst. Unter Obasajos Herrschaft wurden sogar Kinder als Soldaten eingesetzt. Diese Kinder mussten oftmals grausame Riten über sich ergehen lassen. Während des Bürgerkrieges, der Obasajo damals an die Macht brachte, wurden mehr als 50.000 Menschen getötet. Frauen und Mädchen wurden vergewaltigt. Ganze Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht. Obasajo und seine Helfershelfer mussten mit der Todesstrafe rechnen.« Calhoun machte eine kleine Pause und ließ seine Worte wirken. Dann fuhr er fort: »Shelipi floh nach Liberia. Die Regierung Liberias lieferte ihn nicht aus. – Ich habe mich mit einem Mann aus liberianischen Regierungskreisen unterhalten. Liberia hat kein Interesse daran, dass Sierra Leone von General Sankoh als Präsident geführt wird. Man befürchtet wieder Bürgerkrieg mit Zigtausenden von Toten und gravierenden Grenzverletzungen, und man hat sogar in Erwägung gezogen, Soldaten nach Sierra Leone zu schicken, die die alten Verhältnisse wieder herstellen sollen. Ich habe mit dem Mann auch über Ihre Mission gesprochen, Colonel.« »Aber…« »Keine Sorge, der Mann ist absolut vertrauenswürdig. Er verwies mich an Shelpidi. Der lebt in Monrovia. Ich ließ ihn sofort zu mir bringen. Shelpidi kennt einen Geheimgang, der
von der Küste in den Keller des Regierungspalastes führt. Und er kann Ihnen genau sagen, wo im Keller des Regierungspalastes die Kerker untergebracht sind.« »Womit sich unser Einsatz in Sierra Leone heute erübrigt hätte.« Calhoun zuckte mit den Achseln. »Dadurch haben Sie Sankoh kennen gelernt.« Und mit verschwörerisch klingender Stimme setzte er hinzu: »Schließlich ist Ihr Auftrag mit der Befreiung Mubatos und seiner Minister nicht erledigt.« Harrer fragte sich, ob Calhoun die Ermordung Sankohs meinte oder dessen Festnahme. Der Weltsicherheitsrat hatte zwar die Festnahme verfügt, das hieß aber nicht, dass sich Amerika daran hielt und Calhoun informiert worden war. Die CIA vor allem konnte eigene Interessen verfolgen. Davidge wandte sich an Shelpidi. »Können Sie uns einen Plan von den Verliesen und dem Geheimgang anfertigen?« »Natürlich kann ich das«, antwortet Shelpidi und schaute Calhoun herausfordernd an. »Er verlangt 100.000 Dollar«, sagte Calhoun. »Ich habe ihm den Betrag zugesichert. Für diesen Betrag würde er seine Seele dem Satan verkaufen. Nicht wahr, Shelpidi?« Der Angesprochene nickte und zeigte ein dürftiges Lächeln. »Was ist, wenn er unsere Seelen dem Satan verkauft?«, gab Mark Harrer zu bedenken. »Schließlich dürfte er auf Mubato nicht besonders gut zu sprechen sein.« »Sie denken…« »Keine Sorge«, mischte sich Shelpidi ein. »Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich kein doppeltes Spiel spiele. Wenn Sie natürlich die Informationen, die ich Ihnen geben kann, nicht wollen, dann gehe ich wieder.« Shelpidi erhob sich mit dem letzten Wort demonstrativ. »Setzen Sie sich wieder, Shelpidi«, stieß Calhoun mit entschiedener Stimme hervor. Er wandte sich Davidge zu und sagte: »Shelpidi ist ein Garant dafür, dass Ihr Einsatz klappt. Er
ist eingeweiht.« Plötzlich brach er ab. »Kommen Sie mit mir hinaus, Davidge.« Die beiden verließen das Büro. Calhoun sagte, als er die Tür zugedrückt hatte: »Ja, ich habe Shelpidi eingeweiht. Darum können wir ihn nicht mehr gehen lassen.« Er hatte in diesem zweiten Satz jedem Wort eine besondere Bedeutung verliehen. »Wenn Sie seine Hilfe ausschlagen, gibt es für mich keinen Grund, ihm 100.000 Dollar zu zahlen. Er ist aber gierig. Und er wendet sich vielleicht an Sankoh. Das dürfen wir nicht zulassen. Sie wissen, was ich meine?« Bedeutungsvoll schaute Calhoun sein Gegenüber an. »Sie haben damit unser Schicksal in seine Hände gelegt«, knurrte Davidge mit düsterer Stimme. »Es war ein Fehler, ihn einzuweihen. Außerdem hat sich eine Änderung ergeben. Mubato befindet sich in der Hauptstadt. Sankoh hat ihn uns als seinen engen Vertrauten und Berater vorgeführt. Es war meines Erachtens eine Rolle, die Mubato zu spielen gezwungen war, und ich denke, er ist nach wie vor Gefangener der Regierung Sankoh. Doch dieser Verdacht hilft uns nicht weiter. Wir wissen nicht, wo Mubato festgehalten wird.« Calhoun schaute verblüfft drein. Seine Brauen hatten sich zusammengeschoben. Fest presste er die Lippen aufeinander. Dann presste er hervor: »Wahrscheinlich hält man ihn mit den anderen im Keller des Regierungspalastes fest.« »Was ist, wenn nicht?« »Dann bringt man ihn sicherlich ins Dschungelcamp zurück.« »Oder in ein anderes Lager, dessen Lage wir nicht mal erahnen können.« »Verdammt!« »Das können Sie laut sagen, Calhoun«, knurrte Davidge. »Was unternehmen Sie, um herauszufinden, wo Mubato festgehalten wird?« »Sie denken, Shelpidi ist vertrauenswürdig?«
»Ich habe sein Wort.« »Das Wort eines Mannes, der mit schuldig ist am Tod vieler tausend Menschen? Das Wort eines Mannes, der – wie Sie selbst sagten –, seine Seele dem Satan verkaufen würde?« »Wir haben keine andere Wahl als ihm zu vertrauen. Oder er muss zum Schweigen gebracht werden. Das sind die beiden Alternativen.« »Dann lassen Sie ihn nach Freetown bringen und auskundschaften, wo Mubato festgehalten wird.« Calhoun nickte. »Gehen wir wieder hinein.« Im Büro zurück sagte Calhoun: »Ich habe einen Sonderauftrag für Sie, Shelpidi. Ich biete Ihnen weitere 100.000 Dollar, wenn Sie sich bereit erklären, nach Freetown zu gehen und herauszufinden, wo Mubato festgehalten wird. Sie bekommen das Geld, sobald Sie die Mission erfolgreich durchgeführt haben.« »Ich kann mich in Sierra Leone nicht offiziell blicken lassen«, erwiderte Shelpidi. »Tut mir Leid. Aber 100.000 Dollar sind es nicht wert, sein Leben dafür aufs Spiel zu setzen.« »Wir schmuggeln Sie über die amerikanische Botschaft ins Land ein. Was sagen Sie dazu?« »Ins Land zu kommen dürfte das geringste Problem darstellen«, meinte Shelpidi. »Ich muss mich in der Hauptstadt bewegen. Ich muss mich an Insider wenden und Fragen stellen. Ich muss mich zeigen. Und man wird mich erkennen. Die Regierung Sankoh verfolgt nicht nur Mitglieder der Volkspartei, sondern auch andere oppositionelle Gruppierungen.« »200.000 Dollar, Shelpidi«, sagte Calhoun. »Ich bin ermächtigt, Ihnen dieses Angebot zu machen. Es ist vor allem der amerikanischen Regierung sehr wichtig, dass Mubato am Leben bleibt und auf den Präsidentenstuhl zurückkehrt. Ich garantiere Ihnen auch, dass Sie in Ihr Heimatland zurückkehren
und ungeschoren dort leben können, wenn Mubato wieder an die Macht kommt.« Shelpidi nickte nach kurzer Überlegung und sagte: »Okay, ich mache es. Mich nach Sierra Leone zu bringen ist Ihr Problem, Calhoun.« »Vorher sollten Sie uns einen Plan von dem Geheimgang und der Beschaffenheit des Kellers zeichnen, Shelpidi«, sagte Davidge. * Am Nachmittag des folgenden Tages nahm Shelpidi mit Calhoun Verbindung auf. Er erklärte, dass Mubato in das Dschungelcamp zurückgebracht worden war. Davidge rief das SFO-Team zusammen. Sie trafen sich in seinem Hotelzimmer. Als alle vollzählig versammelt waren, begann Davidge: »Mubato befindet sich wieder in dem Lager im Dschungel. Der Einsatz findet in der kommenden Nacht um 0200 sierraleonischer Zeit statt. Und zwar zeitgleich in Freetown und im Dschungelcamp. Ich, Lieutenant Leblanc, Sergeant Caruso und Dr. Lantjes operieren in der Hauptstadt. Unser Rufname ist Charly 1. Sie, Lieutenant Harrer, erledigen mit Sergeant Sanchez und Corporal Topak die Sache im Dschungelcamp. Ihr Rufname ist Charly 2. Die Mission heißt Operation Mubato.« »In Ordnung, Sir«, sagte Lieutenant Harrer. Davidge fuhr fort: »Meine Gruppe wird mit einem U-Boot bis auf eine Meile an die Küste herangebracht. Wir steigen durch ein Torpedorohr aus und schwimmen an Land, wo wir durch den Geheimgang in den Keller des Regierungspalastes gelangen werden. Die Beschaffenheit des Kellers ist bekannt. Der Plan, den uns Shelpidi aufgezeichnet hat, deckt sich mit den Feststellungen Lieutenant Harrers. Wir haben eine Viertelstunde Zeit. Sobald wir die Minister und den CIA-Agenten befreit haben, kommt
um 0215 der Hubschrauber, der in der Nähe der Hauptstadt bereitsteht, um uns und die Gefangenen abzuholen. Lieutenant Harrer und sein Team werden um 0100 im Dschungel abgesetzt. Sie schlagen sich durch zum Camp und dringen um Punkt 0200 ein. Die Baracke, in der Mubato festgehalten wird, ist Ihnen bekannt. Sie holen den Präsidenten heraus und werden mit einem Helikopter in Sicherheit gebracht. Noch Fragen?« »Wann soll der zweite Teil der Mission steigen?«, fragte Harrer. Davidge wusste, was der Lieutenant meinte. »Sobald die Gefangenen in Sicherheit sind, kehren wir nach Sierra Leone zurück. Wie und wann wir zuschlagen, muss noch besprochen werden. Nur eines ist sicher: Wir werden nach getaner Arbeit zusammen mit dem Gefangenen von einem Helikopter außer Landes gebracht. Über die Einzelheiten der Aktion unterhalten wir uns, wenn Teil eins unseres Auftrags erledigt ist.« »Keine weiteren Fragen«, sagte Harrer. Auch die anderen Mitglieder des Teams hatten keine Fragen. Um Mitternacht bestiegen Davidge und sein Team in Monrovia ein U-Boot. Mit einem SH-60B Seahawk waren sie zu dem Boot geflogen worden. Harrer und seine beiden Begleiter waren mit einem Helikopter vom Typ UH-60L Black Hawk in Richtung Sierra Leone unterwegs. Es war ein Uhr Ortszeit, als der Hubschrauber auf einer Dschungellichtung landete. Das SFO-Team stieg aus. Die Teammitglieder trugen Nachtsichtgeräte. Bewaffnet waren sie mit Pistolen und M4Al-Sturmgewehren, die mit Schalldämpfern und Aimpoint-Rotpunktvisieren versehen waren. An Harrers Gewehr war zusätzlich ein 40 Millimeter Granatwerfer M203 angebracht. Damit können 40-MillimeterGeschosse bis auf eine Entfernung von 250 Meter verschossen werden.
Anstelle der Kampfanzüge waren die Teammitglieder mit nachtschwarzen Overalls bekleidet, die es ihnen ermöglichen sollten, sich nahezu unsichtbar durch die Dunkelheit zu bewegen. Die Gesichter hatten sie sich mit Tarnschminke schwarz gefärbt. »Folgt mir«, schrie Lieutenant Mark Harrer und winkte. Mit der Stimme war es ihm nicht möglich, den Lärm, den der Hubschrauber verursachte, zu übertönen. Harrer hatte einen genauen Lageplan und einen Kompass bei sich. Hinter ihnen erstarb der Motor des Hubschraubers. Die Positionslichter verloschen. »Diese Richtung 5000«, sagte Harrer und wies mit dem ausgestreckten Arm nach Westen. Sie hatten eine Stunde Zeit, die fünf Kilometer zurückzulegen. Zwölf Minuten für den Kilometer. Es war stockfinster. Topak ging mit einer Taschenlampe voraus. Hin und wieder knipste er sie an, um sich zu orientieren. Im Dschungel raschelte es. Die Jäger der Nacht waren auf Beute aus. Manchmal war ein Knarren zu vernehmen. Dann erklang wieder der Schrei eines Kauzes oder einer Eule. Der Dschungel kam nie zu Ruhe. Hier herrschte Tag und Nacht Leben. Manchmal benutzte Topak die Machete. Harrer drängte zur Eile. Um außerhalb des Dschungels einen Kilometer in zwölf Minuten zurückzulegen, muss man nicht einmal besonders schnell gehen. Im Dschungel aber muss man sich fast jeden Meter erkämpfen. Harrer schaute auf die Uhr. Es war 1 Uhr 36. Noch 24 Minuten bis zum Zugriff. Entfernung zum Camp noch gut zwei Meilen. Äste zerrten an ihrer Kleidung. Zweige schnellten zurück und trafen sie manchmal schmerzhaft. Unter ihren Füßen raschelte und knackte es. Harrer trieb noch mehr zur Eile. Und dann lag das Camp vor ihnen. Die letzten 500 Meter hatte ihnen der Scheinwerfer auf dem Wachturm den Weg
gewiesen. Topak hatte Taschenlampe und Machete an den Gürtel gehängt. Sie verharrten in der Deckung von Büschen und beobachteten das Lager. Auf dem Wachturm waren zwei Wachposten. Der Scheinwerfer schwenkte herum und das Licht huschte über die flachen Baracken des Lagers. Auch an den Ecken des Zaunes, der das Camp begrenzte, waren Scheinwerfer angebracht. Das Dröhnen des Stromaggregates erfüllte die Nacht. »Wir gehen auf der dem Wachturm abgewandten Seite in das Camp«, sagte Harrer leise und schob das Nachtsichtgerät über seine Augen. Sergeant Sanchez und Corporal Topak folgten seinem Beispiel. Sie umrundeten das Camp. Es war 1 Uhr 59. Im Schutz des Dschungels warteten sie. Dann war es 2 Uhr. »Miroslaw, Mara, ihr seid dran«, flüsterte Harrer. Corporal Topak und Sergeant Sanchez entsicherten die Gewehre und hoben sie an die Schultern. Sie zielten, zogen durch, und als der Abzug den Druckpunkt erreichte, hielten sie die Luft an. Dann drückte Topak ab. Der schallgedämpfte Knall ging unter im Lärm, den der Generator verursachte. Wie vom Blitz getroffen brach einer der beiden Posten auf dem Wachturm zusammen. Sanchez zog ebenfalls durch. Auch der zweite Posten sackte zu Boden. Harrer hatte eine Zange – wie eine Menge anderer Ausrüstung und Munition – in den Taschen des Overalls. »Wartet hier auf mich«, sagte er, ging zu Boden und bewegte sich in der tiefsten Gangart auf den Zaun zu. Einmal strich der Lichtfinger des Scheinwerfers über ihn hinweg und er blieb still liegen. Aufgrund seiner Tarnung hob er sich nicht vom Untergrund ab. Harrer erreichte den Zaun. Es knackte leise, als er den Draht zerschnitt. Schließlich entstand ein Loch im Zaun, durch das
ein durchschnittlich gebauter Mann kriechen konnte. Harrer kroch hindurch. Reglos blieb er liegen. Topak und Sanchez folgten. Wieder strich der Lichtkegel des Scheinwerfers über sie hinweg. Sie rührten sich nicht. Schließlich krochen sie schlangengleich in den Schutz einer Baracke. Hier herrschte tiefer Schlagschatten. Auf dem Display der Nachtsichtgeräte zeigte sich die Umgebung in grüner Farbe. Sie wussten, dass zwei weitere Wachposten Streife gingen. Sie bewegten sich an der Barackenwand entlang. Harrer ging voraus. Er ging geduckt und hatte das M4 an der Schulter im Anschlag. Ihm folgte Sergeant Mara Sanchez. Sie ging fast aufrecht und sicherte nach links. Den Schluss bildete Corporal Topak, der nach hinten sicherte. Sie erreichten eine Stelle am Zaun, an der die beiden Posten vormarschieren würden. Sie warteten im Schutz einer Baracke. * U-Boot der Liberianischen Kriegsmarine, eine Meile vor der sierraleonischen Küste, 0100 SLT Das U-Boot lag zehn Meter unter Wasser. In einem der beiden Torpedorohre lagen Colonel Davidge und Lieutenant Leblanc, im anderen Dr. Lantjes und Sergeant Caruso. Ihre Ausrüstung und die Sauerstoffflaschen würden sie hinter sich herschleppen, sobald die Rohre geflutet wurden. »Rohre schließen«, befahl der Kapitän des U-Bootes. Dann: »Rohre fluten!« Die Klappen wurden geöffnet, die Ausstoßrohre geflutet. Mit den Beinen voraus schwammen die Mitglieder des SFO-Teams durch die Rohre. Draußen schnallten sie sich die Sauerstoffflaschen um und schoben sich die Mundstücke der Luftschläuche zwischen die Zähne. Das übrige Equipment war in Rucksäcken verstaut.
Unter Wasser schwammen sie zum Ufer außerhalb Freetowns. Sie fanden die Felsen und den Tunnel, der etwa zwei Fuß unter der Wasseroberfläche lag. Sie mussten noch einmal 15 Meter weit durch die Röhre tauchen, dann kamen sie hoch. Es war stockfinster. Sie nahmen die Tauchmasken ab, holten Helme und Nachtsichtbrillen vom Typ AN/PVS 7B Night Vision Goggles aus den Rucksäcken und statteten sich damit aus. Jetzt konnten sie erkennen, dass sie sich in einer Höhle von etwa zwei Meter Höhe und zwei Meter Breite befanden. Ein schmaler Weg führte tiefer in den Felsen hinein. Die SFO-Leute kletterten aus dem Wasser, nahmen die Sauerstoffflaschen und Schwimmflossen ab und zogen sich Splitterschutzwesten an. Kampfmesser und Pistolen trugen sie bereits an den Koppeln. Davidge holte noch ein Funkgerät, das wasserdicht verpackt war, aus dem Rucksack, packte es aus und schob es in das Futteral an seinem Gürtel. Leblanc trug ebenfalls ein Funkgerät mit sich. Versehen mit ihren M4A1Gewehren machten sie sich auf den Weg. Sie schritten den Gang entlang. Es war eine natürliche Röhre, die durch den Fels führte. Überall am Boden zeigte sich Tropfstein. Stellenweise traten die Felsen bis auf einen halben Meter zusammen, dann war der Gang wieder fast zwei Meter breit. Es ging leicht bergan. Die Höhle war an die zwei Meilen lang. Dann stand das Team vor einer Tür, die aus soliden Hartholzbohlen zusammengefügt und verschlossen war. Diese Tür, das wussten sie von Olusegu Shelpidi, führte in einen Kellerraum unter dem eigentlichen Keller des Regierungspalastes. Von dort führte eine Treppe nach oben, die bei einer weiteren Tür in einer finsteren Ecke endete. Durch sie gelangte man in den Keller mit den Verliesen. Davidge schaute auf seine Uhr. Es war 1 Uhr 45. »Wir müssen noch eine Viertelstunde warten«, erklärte er. »Nutzen wir die Zeit, um die Tür zu öffnen. Sergeant Caruso, Sie sind gefordert.«
Shelpidi hatte ihnen von der Tür erzählt. Sie wies ein normales Schloss auf. Es kostete Caruso ein Lächeln, sie mit einem Dietrich aufzuschließen. Sie befanden sich in dem kleinen Raum mit der Treppe. Auch die Tür am Ende der Treppe öffnete Caruso. Er zog sie ein Stück auf. Sie mündete in einen finsteren Raum, der mit Mobiliar regelrecht voll gestopft war. Caruso schlüpfte in diesen Raum hinein. Er bewegte sich sicher zwischen all den Möbeln hindurch, die hier aufeinander gestapelt waren, und erreichte die Tür. Auch sie war verschlossen. Caruso öffnete sie. Es war 1 Uhr 50. Noch 10 Minuten bis zum Einsatz. Zehn Minuten, die wie eine Ewigkeit anmuteten. Die Zeit schien stillzustehen. Anspannung machte sich bemerkbar. Die SFO-Leute hatten jeden ihrer Sinne aktiviert. Die Nerven waren zum Zerreißen angespannt. Sie wussten nicht, was sie erwartete. Es konnte der Tod sein. Doch dem Tod ins höhnisch lächelnde Auge zu blicken war ihr Job. Angst hatte keiner von ihnen. Dennoch spürte ein jeder Beklemmung. Das war vor jedem Einsatz so und würde auch in Zukunft vor jedem Einsatz so sein. Dann war es 2 Uhr. »Einsatz!«, stieß Davidge hervor. Als Erster verließ Caruso den Raum. Er glitt sofort zur anderen Seite des Korridors. Ihm folgte Lieutenant Leblanc. Auch er bewegte sich zu der der Tür gegenüberliegenden Seite des Flures. Dann kam Dr. Lantjes. Sie wirbelte nach links um den Türstock herum und sicherte in den Korridor. Als Letzter verließ Colonel Davidge den Raum. Der Flur war menschenleer. Davidge winkte und setzte sich hart an der Wand in Bewegung. 20 Meter von ihnen entfernt fiel Licht in den Korridor.
* Dschungelcamp 0210 SLT Einer der Wachposten schaute auf die Uhr. »Noch eine knappe Stunde bis zur Ablösung«, murmelte er. Die beiden gingen nebeneinander. Die Gewehre hatten sie über ihren Schultern hängen. Sie hatten keine Ahnung, dass der Tod bereits die knöcherne Faust nach ihnen ausstreckte. Ahnungslos näherten sie sich dem Versteck der drei SFOLeute. Irgendwo knackte ein Ast. »Hast du das auch gehört?« Die beiden Wachposten blieben stehen und lauschten. »Wahrscheinlich ein Wild, das von irgendetwas aufgescheucht wurde. Im Dschungel bewegt sich immer irgendetwas.« Sie gingen weiter. Unter ihren Stiefelsohlen knirschte der feine Sand. Der Scheinwerfer schwenkte über die beiden hinweg. Für zwei Sekunden wurden ihre Gestalten deutlich vom Licht umrissen. Dann war wieder nur das Weiße ihrer Augen durch die Dunkelheit auszumachen. Nach wenigen Schritten passierten sie das Versteck des SFOTeams. Hinter den beiden Wachen wuchsen Harrer und Topak in die Höhe. Sie packten die Posten von hinten, würgten sie und rammten ihnen – ehe sie Gelegenheit hatten zu schreien – die Klingen ihrer Kampfmesser erst in die Hälse und dann zwischen die Rippen. Das schnelle, lautlose Töten hatten sie im Rahmen ihrer Spezialausbildung gelernt. Die beiden Männer erschlafften. Harrer und Topak ließen sie zu Boden gleiten und schleiften sie in den Schlagschatten. Dann glitten sie durch die Nacht. Harrer voran, ihm folgte Sergeant Sanchez, den Schluss bildete Corporal Topak. Sie sicherten nach allen Seiten. Schließlich kamen sie in die Nähe der Baracke, in der
Mubato festgehalten wurde. Vor der Tür befand sich ein Wachposten. Er ahnte nicht, dass sich über seinem Kopf das Verhängnis bereits zusammenbraute wie eine dunkle Gewitterwolke. Er ging hin und her. Drei Schritte vor, drei Schritte zurück. In einem weiten Bogen umrundete das SFO-Team die Baracke und näherte sich ihr von der Rückseite. Sanchez und Topak warteten, während Harrer weiterschlich. Er spähte um die Ecke. Der Posten wandte ihm den Rücken zu. Einige schnelle Schritten brachten Harrer an ihn heran. Augenblicke später war der Bursche tot. Er war gar nicht zum Denken gekommen. Harrer winkte. Sanchez und Topak huschten um die Ecke der Hütte. Die Tür ließ sich öffnen. Ein erleuchteter Flur lag vor Harrer und seinen Gefährten. Vor einer Tür standen zwei Wachposten. Harrer nahm blitzschnell das Gewehr in den Anschlag und feuerte zweimal in blitzschneller Folge. Das Ploppen der Schüsse war kaum zu hören. Die beiden Männer wurden herumgerissen und brachen zusammen. Topak und Sanchez glitten an Harrer vorbei. Sie erreichten die Tür, schlugen die Riegel zurück und öffneten sie »Mr. Mubato!« kam es von Harrer. »Hier.« »Special Force One«, sagte Harrer. »Wir sind gekommen, um Sie zu befreien. Kommen Sie heraus! Schnell, schnell! In wenigen Minuten landet ein Hubschrauber, der uns aufnehmen und aus dem Camp bringen wird. Machen Sie schon!« Harrer hob das Funkgerät vor sein Gesicht. Die Verbindung klappte. »Operation durchgeführt. Holen Sie uns ab«, sagte Harrer in die Sprechmuschel. In diesem Moment rührte sich einer der Soldaten, die er niedergeschossen hatte. Niemand nahm es wahr. Das SFOTeam drängte mit Mubato zwischen sich zur Tür. Der Wachposten zog sein Gewehr an sich heran. Ein Schuss peitschte. Mubato schrie auf. Sein linkes Bein knickte unter
ihm weg. Im letzten Moment verhinderte Topak, dass er stürzte. Harrer und Sanchez wirbelten gleichzeitig herum. Ihre Gewehre spuckten Feuer. Das Gesicht des Postens fiel nach vorn, das Gewehr entglitt ihm. Draußen begann eine Sirene zu heulen. »Verdammt!«, presste Harrer hervor. »Wir müssen uns hier verschanzen. Hinaus können wir nicht mehr.« Geschrei wurde außerhalb der Baracke laut, Befehle erschallten. Schritte trampelten. »Geben Sie mir Ihre Pistole«, forderte Mubato mit gepresster Stimme. »Sind Sie verwundet?«, fragte Harrer. »Ein Streifschuss. Die Wade. Blutet zwar, ist aber harmlos.« Harrer zog die Mk.23 aus dem Futteral und reichte sie Mubato. Mubato repetierte. Sanchez riss eine Tür zu ihrer Linken auf. In dem Raum dahinter war es stockfinster. »Hier hinein!« Harrer glitt bis zur Ausgangstür, baute sich an der Wand daneben auf und öffnete sie. Knarrend schwang sie nach innen. Schüsse krachten. Die Kugeln pfiffen durch die offene Tür und harkten in die Wand am Ende des Flures. Eine Fensterscheibe klirrte. Harrer sah den Lichtschalter und knipste das Licht aus. Dunkelheit schlug über ihm zusammen. Topak huschte in den Korridor und ging neben der Tür in Deckung. Er spähte hinaus. Dann presste er hervor: »Ist schief gegangen. Jetzt sitzen wir verdammt in der Tinte.« »Ja, es sieht ganz so aus, als hätten wir ein gewaltiges Problem am Hals«, murmelte Harrer. Einige Gestalten rannten draußen näher. Schüsse krachten. Topak hielt das Gewehr mit beiden Händen um den Türstock und gab einen Feuerstoß ab. Gebrüll war die Antwort. Die Angreifer hetzten in Deckung.
Die Baracke wurde umzingelt. Scheinwerfer wurden auf sie gerichtet. Die Angreifer befanden sich in Deckung. Eine gellende Stimme erklang: »Geben Sie auf! Sie kommen hier nicht mehr lebend heraus, wenn Sie sich nicht ergeben. Sie haben genau eine Minute Zeit.« Harrer warf die Tür zu. Sofort krachten Schüsse. Die Kugeln durchschlugen das Türblatt und zerfetzten es regelrecht. »Zur Hölle, wo bleibt der Hubschrauber?«, knirschte Harrer. Er nahm das Funkgerät zur Hand und ging auf Verbindung. »Hier Charly 2, Lieutenant Harrer. Wo bleiben Sie denn, zum Teufel? Wir sind eingekreist. Landen Sie auf dem freien Platz in der Lagermitte. Wir kämpfen uns dann zu Ihnen durch. Wie lange dauert es noch?« Doch da war schon das Brummen des Hubschraubers zu hören. »Wir landen innerhalb der nächsten drei Minuten«, kam es aus dem Lautsprecher. »Während der Landung erhalten Sie von uns Feuerunterstützung. Over.« »Verstanden, over.« »Drei Minuten«, stieß Harrer hervor. »Dann gilt es, zum Helikopter zu gelangen. Ich werde eine Granate absetzen. Ihr, Miroslaw und Sanchez, gebt mir und Mubato zusätzlich Feuerschutz. Wenn wir den Hubschrauber erreicht haben, machen wir es umgekehrt.« Das Dröhnen, das der Helikopter verursachte, wurde lauter. Dann war die Minute um, die den Eingeschlossenen eingeräumt worden war, um sich zu ergeben. Ein Befehl erschallte. Gewehre begannen zu donnern. Unter dem Feuerschutz ihrer Kameraden stürmten auf der Vorderseite der Hütte fünf Mann heran. Aber auch auf der Rückseite wurde angegriffen. Glas splitterte, als die Soldaten die Fenster zerschlugen. Sie drangen in die hinteren Räume der Baracke ein. Harrer feuerte durch die geschlossene Tür. Topak behielt den
hinteren Teil des Flurs im Auge. Eine Tür flog auf, eine Gestalt schlüpfte in den Korridor und baute sich an der Wand auf. Eine zweite folgte. Topak feuerte eine Salve ab. Ein Angreifer wurde umgeworfen, als hätte ihn die Faust des Satans umgerissen. Der andere, der in den Flur geglitten war, zog sich sofort wieder zurück. Blindlings und ohne zu zielen, gab er einige Schüsse ab, die aber niemandem gefährlich wurden. Harrer bestückte sein M4A1 mit einer XM84 Betäubungsgranate. Topak hielt ihm den Rücken frei. Dennoch wurde es im Flur brenzlig. Sie zogen sich in den Raum zurück, in dem sich Sanchez und Mubato befanden. Mara feuerte aus einem Fenster. Auch Mubato gab Schuss um Schuss mit der Mk.23, die er von Harrer erhalten hatte, ab. Das Dröhnen des Hubschraubers war jetzt ganz nah. Es war ein Black Hawk. Er bot Platz für die beiden Piloten und zwölf Insassen. Zwei M134 7.62 mm Maschinengewehre waren an den beiden Türen montiert. Diese MGs begannen mit einer Schussfolge von 6000 Schuss pro Minute zu rattern. Feurige Garben stießen aus den Mündungen der sechs rotierenden Läufe und zerschnitten die Nacht. Holz splitterte unter den Einschlägen, Erdreich spritzte. Soldaten der RUF nahmen den Helikopter unter Feuer. Er drehte sich 50 Meter über dem Camp in der Luft. Langsam senkte er sich dem Boden entgegen. Harrer rannte zur Barackentür und öffnete sie. Das gesamte Feuer der RUF-Soldaten richtete sich auf den Hubschrauber. Eine Bazooka zischte, als eine Rakete abgeschossen wurde. »RPG(Rocket Propelled Grenade (Bazooka))-Beschuss!«, kam es fast verzweifelt aus dem Funkgerät. »O verdammt, die Maschine gerät ins Trudeln.« Harrer feuerte die Granate ab. Es gab einen grellweißen Blitz und einen fürchterlichen Donnerschlag, der die Trommelfelle
lähmte. Sofort brach das Gewehrfeuer ab. Die RUF-Soldaten waren kurzfristig derart verwirrt, dass sie kampfunfähig waren. Der Hubschrauber drehte ab. »Was ist los, verdammt?«, brüllte Harrer in das Funkgerät. »Wir sind getroffen«, kam es zurück. »Der Heckrotor wurde beschädigt. Wir sind nahezu manövrierunfähig und müssen umkehren. Ich fordere einen anderen Hubschrauber für Sie an.« »Das kann eine Ewigkeit dauern! Mubato ist verwundet.« »Tut mir Leid. Aber wenn wir mit dem zerschossenen Rotor nicht mehr wegkommen, haben Sie auch nichts davon. Versuchen Sie durchzuhalten. Over.« »Die Hölle verschlinge Sie!«, blaffte Harrer. »Over.« Der Helikopter drehte ab. Einige Schüsse peitschten noch, dann schwiegen die Gewehre der RUF-Soldaten. Das Dröhnen des Black Hawk wurde leiser und leiser und war schließlich nicht mehr zu hören. Sekundenlang spürte Harrer, wie sich bei ihm Resignation einstellen wollte. * Regierungspalast in Freetown 0205 SLT Davidge schaute um die Ecke des Flurs. Das Licht kam aus einem weiteren Korridor, der jenen kreuzte, in dem sie sich befanden. Vor zwei Türen standen insgesamt vier Wachsoldaten. Der Colonel winkte. Caruso und Leblanc glitten an ihm vorbei, bogen um die Ecke und verteilten sich an den beiden Wänden. Sie duckten sich. Die Gewehre hielten sie im Anschlag. Dr. Lantjes und Davidge folgten. Ohne jede Vorwarnung eröffneten Caruso und Leblanc das Feuer. Die Wachsoldaten brachen zusammen und streckten sich. Gewehre schepperten auf den Boden. Aber das SFO-
Team brauchte keine Angst zu haben, dass diese Geräusche jemand hörte. Abgesehen von den Wachleuten im Keller befand sich um diese Zeit niemand in dem Gebäude. Leblanc und Caruso entriegelten die beiden Türen, die bewacht gewesen waren. »Rauskommen! Kommen Sie heraus!«, rief Davidge. »Wir sind hier, um Sie zu befreien. Osborne!« »Hier.« Der CIA-Agent trat aus der Tür. Sein Gesicht trug deutliche Spuren der Misshandlungen, denen er ausgesetzt gewesen war. »Seid ihr von der Delta Force?« »Special Force One«, versetzte Davidge. Aus dem benachbarten Raum traten vier Schwarze. Es waren die Minister, die im Kabinett Mubatos gewesen waren und denen die Flucht vor Sankohs Schergen nicht gelungen war. »Wir begeben uns auf das Dach«, gab Davidge zu verstehen. »Dort wird in wenigen Minuten ein Helikopter landen. Kommen Sie, folgen Sie mir.« Sie liefen zur Treppe und stiegen sie hinauf. Davidge und Dr. Lantjes gingen voraus und sicherten nach oben. Dann kamen die Minister und der CIA-Agent, ihnen folgten Leblanc und Caruso. Stockwerk um Stockwerk bewegten sie sich nach oben. Ungeschoren erreichten sie das Dach. Als sie auf dem Dach ankamen, war das Dröhnen eines Hubschraubers zu vernehmen. Das Geräusch näherte sich schnell. Und dann senkte sich der Helikopter auf das Dach hernieder. Er setzte auf. Die Einstiegsluke wurde geöffnet. Die Leute des SFO-Teams halfen den Ministern beim Einsteigen. Der Wind, den die Kotoren verursachten, zerrte an der Kleidung. Den vier Schwarzen folgten Richard Osborne und schließlich Dr. Lantjes, Leblanc und Caruso. Den Schluss bildete Colonel Davidge. Die Luke wurde geschlossen. Der Helikopter hob ab. Die Befreiungsaktion war geglückt.
Es war 2 Uhr 15. Um 2 Uhr 20, der Hubschrauber befand sich schon außerhalb Freetowns, meldete sich Leblancs Funkgerät. Leblanc ging auf Empfang. »Charly 2 an Charly 1!«, tönte es. »Charly 1, hier Charly 2, hören Sie mich?« Leblanc reichte Colonel Davidge das Funkgerät. »Hier Charly 1«, sagte der Colonel. »Einsatz in Freetown erfolgreich beendet. Wie sieht es bei Ihnen aus, Charly 2?« »Schlecht, Charly 1. Mubato wurde leicht verwundet. Der Hubschrauber, der uns abholen sollte, musste umkehren, weil ein Heckrotor beschädigt wurde. Wir sind von RUF-Leuten umzingelt. Ein anderer Hubschrauber wurde angefordert, aber ich weiß nicht, ob wir standhalten können, bis er eintrifft.« »Wir sind auf dem Weg nach Monrovia, könnten Sie aber noch aufnehmen.« »Keine schlechte Idee, Sir. Dennoch sollten Sie davon absehen. So gelingt wenigstens ein Teil unserer Mission.« Es klang sarkastisch. »Wenigstens haben Sie Ihren Humor nicht verloren, Lieutenant«, sagte der Colonel. »Eigentlich ist mir nicht nach Lachen zumute, Sir. Fliegen Sie die Minister und den CIA-Agenten aus, Sir. Wir versuchen uns auf jeden Fall bis zum Eintreffen eines anderen Helikopters zu halten. Over.« »Halten Sie die Ohren steif, Harrer«, sagte Davidge. »Over.« * Dschungelcamp, Gefangenenbaracke 0223 SLT »Wir müssen raus hier«, stieß Harrer zwischen den Zähnen hervor, »ehe sie uns mit Handgranaten und Granatwerfern in Fetzen schießen.« »Der hintere Teil des Gebäudes ist von RUF-Soldaten
besetzt«, knurrte Topak. »Im Übrigen dürfte die Baracke umzingelt sein«, fügte Mara Sanchez hinzu. »Wie geht es Ihnen, Mr. President?«, fragte Harrer besorgt. »Werden Sie durchhalten, wenn wir versuchen, uns im Dschungel durchzuschlagen?« »Wenn es meinem Land und Volk dienlich ist, bin ich sogar bereit, auf dem Bauch durch den Dschungel zu kriechen.« »Ich schieße noch eine Betäubungsgranate ab«, erklärte Harrer. »Du, Miro, wirfst eine Rauchgranate nach hinten. Und dann nichts wie raus aus dem Tempel. Du, Mara, kümmerst dich um Mr. Mubato. Wir verlassen das Lager auf demselben Weg, wie wir es betreten haben. Alles klar?« Draußen donnerten wieder Schüsse. Die Kugeln pfiffen durch das Fenster, richteten aber keinen Schaden an. Topak befand sich bei der Tür und hielt mit seinem Gewehr die Angreifer im hinteren Teil der Baracke in Schach. Harrer klappte den Granatwerfer an seinem M4A1 auf. Die Kartusche fiel heraus. Der Lieutenant lud nach. Topak hatte eine Rauchgranate aus einer der Taschen seines Overalls entnommen. »Bereit?«, kam es von Harrer. Da explodierte auch schon eine Handgranate im Flur. Die Baracke drohte aus allen Fugen zu platzen. »Bereit!« rief Topak, als der Knall verhallt war. Er rollte die Rauchgranate den Flur hinunter. Als sie gegen die Wand am hinteren Ende des Flures stieß, detonierte sie mit dumpfem Wummern. Sofort entwickelte sich undurchdringlich anmutender, weißer Rauch. In dem Moment, als die Granate ihre Wirkung entfaltete, feuerte Harrer die Betäubungsgranate ab. Ein trommelfellbetäubender Schlag folgte, dann ein greller Lichtblitz. »Raus!« peitschte Harrers Organ.
Sie rannten durch die Vordertür hinaus. Die RUF-Soldaten, die in das Gebäude eingedrungen waren, feuerten ungezielte Schüsse durch den dichten Rauch im Flur. Etwas strich Harrer heiß über den Oberarm. Topak stürzte, raffte sich aber wieder auf und rannte weiter. Die Angreifer außerhalb der Baracke waren noch dabei, die Betäubungsgranate zu verdauen. Sie waren vollkommen desorientiert und abgelenkt. Bis sie Ihre Lähmung ablegten, waren Harrer, Topak, Sanchez und Mubato um die Ecke des Gebäudes und rannten auf das Loch im Zaun zu, durch das das SFO-Team ins Lager gelangt war. Als Erster kroch Topak hindurch. Währenddessen gaben Harrer und Sanchez Feuerschutz. Dann war Topak draußen und feuerte auf die angreifenden RUF-Kämpfer, ebenso Harrer. Mubato kroch durch den Zaun, ihm folgte Mara Sanchez. Unter dem Feuerschutz seiner beiden Gefährten gelang es Harrer, das Lager zu verlassen. Sie rannten schießend in den Dschungel hinein. Geschosse schlugen Zweige und Blätter von den Büschen. Mancher Baum wurde vom Einschlag einer Kugel erschüttert. Einige Handgranaten, die die RUF-Rebellen blindlings zwischen das dichte Gestrüpp warfen, explodierten. Der Krach war infernalisch. Lichtreflexe zuckten durch den Dschungel. Mark Harrer, Mara Sanchez und Miro Topak feuerten vom Waldrand aus und wechselten unablässig die Position, damit ihre Gegner nicht die Mündungsfeuer zum Ziel nehmen konnten. »Wurde jemand getroffen?«, fragte Harrer, als für einen Moment die Waffen schwiegen. »Nein«, kam es mehrstimmig zurück. »Ich bin nur gestolpert«, gab Topak zu verstehen und bezog sich damit auf seinen Sturz während der Flucht aus dem Camp. »Rückzug!«, rief Harrer schließlich. Sie verschwanden im Dickicht. Kreischen und Brüllen
erfüllte den nächtlichen Urwald. Was an Tieren rund um das Lager der RUF-Rebellen im Schlaf gelegen hatte, war brutal geweckt worden. Im Lager heulten Motoren auf. Das Tor, das aus dem Lager führte, wurde geöffnet. Drei Jeeps fuhren aus dem Camp. »Wir müssen beisammen bleiben«, sagte Harrer mit unterdrückter Stimme, aber laut genug, um die übrigen Geräusche zu übertönen. »Geh du voraus, Miro. Ich bilde den Schluss.« Zurückschnellende Zweige peitschten schmerzhaft ihre Gesichter. Dort, wo hinter ihnen die RUF-Soldaten in den Urwald eindrangen, war Brechen, Rascheln und Knacken zu vernehmen. »Welche Richtung?«, fragte Topak. »Wir müssen versuchen, zur Straße zu gelangen«, versetzte Harrer. Seine Streifschussverletzung am Oberarm brannte wie Feuer. »Die riegeln sie sicherlich ab«, antwortete Topak. »Zu Fuß gelingt es uns nicht, den Urwald zu verlassen«, knurrte Harrer. »Das heißt, wir müssen einen ihrer Jeeps kapern.« »Möglicherweise ist schon ein Hubschrauber unterwegs, um uns rauszuholen«, gab Mubato zu bedenken. »Wie soll er uns im Dschungel ausfindig machen?« »Haben Sie keine Leuchtraketen dabei?« »Wir würden damit die RUF-Kämpfer auf uns ziehen.« Es war stockfinster. Die Stimmen schienen aus dem Nichts zu kommen. »Freetown liegt westlich von uns«, sagte Harrer. »Wir befinden uns südlich der Straße. Wenn wir also nach Nordwesten gehen…« Sie setzten sich in Bewegung. Weit hinter ihnen erklangen laute Befehle. Die Soldaten durchkämmten den Dschungel. Es war fast ein Unding, sich in der Finsternis durch den
Urwald zu kämpfen. Daran konnten auch die Nachtsichtbrillen, die sie trugen, nichts ändern. Sie wussten nicht, ob sie sich in die richtige Richtung bewegte, sondern verließen sich nur noch auf ihre Erfahrung und ihren Instinkt. Die RUF-Soldaten bedienten sich greller, tragbarer Scheinwerfer, deren Lichtkegel zwischen Bäume, Büsche und kniehohes Unkraut huschten. Das verschaffte ihnen gegenüber dem SFO-Team einen gewaltigen Vorteil. So kamen sie schneller voran als Harrer und seine Leute. Abgeknickte Zweige und niedergetretenes Unkraut wies den Verfolgern den Weg. Dann traf einer der Scheinwerfer das SFO-Team. Sie duckten sich. Mara Sanchez riss Mubato nieder. Kugeln strichen über sie hinweg. Harrer zielte kurz und feuerte. Sein Ziel war der Suchscheinwerfer. Er traf den Mann, der ihn trug. Sofort nahm ein anderer Mann die Lichtquelle auf und richtete sie wieder in den Dschungel. Harrer feuerte erneut. Es klirrte. Der Scheinwerfer erlosch. Und jetzt krachten auch Topaks und Sanchez' Gewehre. Die RUF-Leute spritzten auseinander, als wäre eine Granate zwischen ihnen eingeschlagen. Harrer nahm eine Splittergranate aus der Overalltasche. Er lud den Granatwerfer damit und feuerte. Die M67 explodierte. 6,5 Unzen Sprengstoff wurden gezündet. Wer sich ungedeckt im Umkreis von 15 Metern befand, wurde von den Schrapnells getroffen und unter Umständen sogar getötet. Mit der verschiedensten Munition und Reservemagazinen für die Gewehre war das SFO-Team ausreichend eingedeckt. Jedes Mitglied des Teams trug zwei Splittergranaten und zwei Betäubungsgranaten mit sich. Topak verfügte zusätzlich über zwei Rauchgranaten. Sie zogen sich weiter in den Wald zurück. Die Gewehre hatten sie im Anschlag. Durch die Nachtsichtbrillen konnten sie erkennen, wo sich etwas bewegte. Hin und wieder gaben sie einen Schuss ab. Sofort antwortete eine ganze Salve. Aber da
lagen die SFO-Leute schon am Boden und die Kugeln pfiffen über sie hinweg. Die Detonationen stießen durch den Wald und schienen von den Bäumen und Sträuchern festgehalten zu werden. Harrer und seine Gefährten erreichten eine Lichtung. Sie überquerten sie und gingen am Waldrand in Deckung. Fernes Brummen eines Hubschraubers war zu hören. Sie hatten keine Ahnung, ob es sich um den Helikopter handelte, der sie abholen sollte. Es konnte sich auch um einen Hubschrauber der Rebellen handeln, die mit Hilfe von Wärmebildkameras jede Bewegung im Dschungel erkennen konnten. Harrer schaute auf die Uhr. Es war 2 Uhr 35. Seit sie die Baracke verlassen hatten, waren erst 12 Minuten verstrichen. Harrer hatte das Gefühl, sich schon seit einer Stunde oder noch länger auf der Flucht zu befinden. In Wirklichkeit waren sie erst etwa einen Kilometer vom Lager entfernt. Und die Rebellen würden alles daransetzen, sie zu erwischen und Mubato wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen… * Luftraum über Sierra Leone in Richtung Monrovia, an Bord des UH-60L Black Hawk 0238 OZ »Nehmen Sie Verbindung mit der Luftwaffenbasis in Monrovia auf«, forderte Colonel Davidge von dem Copiloten des Black Hawk. »Ich will wissen, ob bereits ein Helikopter losgeschickt wurde, der Harrer und die anderen herausholt.« Wenig später war die Verbindung hergestellt. Davidge erfuhr, dass bereits ein Helikopter in Richtung Sierra Leone unterwegs war. Er war zufrieden. Die Verbindung wurde unterbrochen. Über sein eigenes Funkgerät nahm Davidge Verbindung mit Harrer auf. »Charly 1 an Charly 2. Können Sie mich hören?«
»Hier Charly 2, ich höre Sie. Was gibt es?« »Ein Helikopter ist unterwegs, um Sie rauszuholen, Charly 2. Wie sieht es aus? Können Sie so lange durchhalten?« »Wir haben uns in den Dschungel abgesetzt und sind auf dem Weg zur Straße, die nach Freetown führt«, erklärte Harrer. »Die Baracke war nicht länger zu halten. Ein Hubschrauber ist zu hören, doch ist es unwahrscheinlich, dass es sich um die Maschine handelt, die uns abholen soll. Die RUF-Kämpfer jagen uns wie ein paar Hasen durch den Urwald. Wir versuchen uns zur Straße durchzuschlagen und ein Fahrzeug zu erbeuten.« »Die Hubschrauberbesatzung muss entsprechend informiert werden«, sagte Davidge. »Ich melde mich wieder. Over.« »Over.« Davidge ließ wieder eine Verbindung mit Monrovia herstellen. »Der Helikopter soll auf keinen Fall im Dschungelcamp landen. Das SFO-Team ist auf dem Weg zur Straße nach Freetown. Der Hubschrauber soll versuchen, sie auf der Straße aufzuspüren und aufzunehmen.« »Verstanden. Ich informiere die Besatzung. Ende.« »Ende.« »Es sieht nicht gut aus«, wandte sich Davidge an den Rest des Teams. »Warum fliegen wir nicht in den Dschungel und holen sie raus?«, fragte Dr. Lantjes. Sie machte sich Sorgen. Ihre oftmals so abweisende Art Harrer gegenüber war nur Fassade. In Wirklichkeit hatte sie eine Menge für den Lieutenant übrig. Es zu zeigen fiel ihr jedoch schwer. Es hätte als ein Zeichen von Schwäche ausgelegt werden können. Außerdem war sie der Meinung, dass innerhalb des SFO-Teams Beziehungen tabu sein sollten. »Weil wir unseren Teil der Mission nicht gefährden dürfen«, versetzte der Colonel. »Harrer hat das schon richtig erkannt. Ich darf nichts aufs Spiel setzen.«
Seine Worte fielen zuletzt wie Hammerschläge. Davidge hatte ihnen besonderen Nachdruck verliehen. Dennoch fühlte er sich nicht wohl in seiner Haut. Er fühlte sich seinen Leuten gegenüber verpflichtet. Keiner bleibt zurück! Das war ihr Leitspruch. Wie bei den drei Musketieren. Einer für alle, alle für einen! Er war gezwungen, diesem Grundsatz untreu zu werden. Sekundenlang dachte er daran, die vier Minister an der Grenze auszuladen und zum Dschungelcamp zu fliegen. Aber er verwarf diesen Gedanken wieder. Das Gelingen der einen Mission durfte nicht vom Gelingen der anderen abhängig gemacht werden. Davidge war viel zu pflichtbewusst, um den Erfolg einer Mission auf Grund irgendwelcher Emotionen in Frage zu stellen. Nach seinen Worten herrschte im Helikopter betretenes Schweigen. * Der Hubschrauber zog über Harrer und die anderen hinweg. Und plötzlich mischte sich das Rattern einer Maschinenpistole in das Dröhnen des Motors. »Deckung!« brüllte Harrer und warf sich hinter einen Strauch. Eine Geschossgarbe riss den Waldboden auf. Erdreich spritzte. Auch die anderen Mitglieder des SFO-Teams waren in Deckung gegangen. Mubato lag dicht neben Sergeant Sanchez. Der Atem der vier Menschen ging rasselnd. Ihre Füße waren schwer wie Blei. Es war eine Tortur, sich im Finstern schnell durch den Urwald zu bewegen. Sie hatten sich ziemlich verausgabt. Der Hubschrauber drehte ab. Das rote Positionslicht verschwand über den himmelsstürmenden Bäumen. Im Urwald knackte und raschelte es. Dann kam der Helikopter zurück. Die
MPi begann erneut zu hämmern. Harrer und die anderen, die sich schon wieder aufgerichtet hatten, um die Flucht fortzusetzen, warfen sich wieder in Deckung. Die Verfolger kamen näher. Die Lichter der Suchscheinwerfer zuckten durch den Busch. Und dann begannen einige MPis zu rattern. Die RUF-Männer feuerten blindwütig in den Busch hinein. Eine Leuchtrakete fuhr zum Himmel und zog ihre glühende Bahn. »Weiter!«, schrie Harrer und sprang auf. »Wir dürfen uns hier nicht festnageln lassen.« Topak, Sanchez und Mubato kamen hoch und begannen zu laufen. Harrer rannte hinterher. Es war ihnen nicht gelungen, einen größeren Abstand zwischen sich und die Verfolger zu bringen. Die Verbissenheit, mit der die RUF-Kämpfer ihnen folgten, ließ vermuten, wie wichtig ihnen die Gefangennahme Mubatos war. Der Helikopter folgte ihnen. Harrer und seine Teamgefährten feuerten auf den Hubschrauber. Die Kugeln prallten jedoch an der gepanzerten Hülle der Maschine ab. Die MPi hingegen spuckte unablässig Feuer und Blei zur Erde hinunter. Harrer und seine Begleiter schlugen Haken wie Wildhasen. Hinter ihnen kamen mit viel Geschrei die RUF-Kämpfer. Und dann lag die Straße vor Harrer und seinem Team. Sie führte mitten durch den Busch und war nicht ausgebaut. Hell hob sie sich in der Nacht ab, wie der riesige Leib einer Schlange wand sie sich durch den Urwald. Sie liefen auf die andere Seite und schlugen sich zwischen das Gestrüpp. Die Geschossgarben der MPi harkten in die Straße und erzeugten Staubfontänen. Plötzlich drehte der Helikopter erneut ab. Harrer und seine Gefährten nutzten die Zeit, in der sie nicht unter Beschuss standen, für eine Atempause. »Der Straße müssen wir folgen«, gab Harrer zu verstehen. »Es ist wahrscheinlich, dass die RUF-Leute irgendwo vor uns
eine Straßensperre errichtet haben. Wir müssen versuchen, ihnen ein Fahrzeug abzujagen.« Topak schaute zum Himmel hinauf. Er war wolkenverhangen. Die Sterne und der Mond waren hinter einer dicken Wolkendecke verschwunden. Es war also auch nicht möglich, sich am Stand der Sterne zu orientieren. Sie gingen weiter und hielten sich neben der Straße im Schutz der Büsche. Als ein Lichtkegel über sie hinweghuschte, duckten sie sich und nahmen die Gewehre in den Anschlag. Ihre Verfolger kamen zu beiden Seiten der Straße. Harrer und Sanchez gaben einige Einzelschüsse ab, Topak einen Feuerstoß. »Wechsle Magazin«, kam es von Topak. Die letzten Buchstaben gingen unter im Gewehrfeuer der Gegner. Sie warfen sich zu Boden und robbten davon. Ihre Verfolger schossen wie besessen. Wie giftige Hornissen pfiffen die Geschosse durch die Büsche. »Ich halte sie auf!«, rief Harrer. »Folgt ihr weiter der Straße.« »Kommt nicht in Frage!«, schnappte Sanchez etwas atemlos. »Allein bist du chancenlos. Wenn die dich schnappen, zerreißen sie dich in der Luft.« »Ich gebe hier die Befehle!«, knirschte Harrer ungnädig. »Gebt auf Mubato Acht. Er darf den Rebellen nicht wieder in die Hände fallen. Alles andere ist nachrangig. Verstanden, Sergeant Sanchez?« »Verstanden, Sir«, kam es zerknirscht von Mara. »Wir gehen mit Mubato weiter.« Harrer blieb – dem Fegefeuer seiner unerfreulichen Gedanken ausgesetzt – liegen. Seine Gefährten krochen davon. Noch war die Finsternis ihr Verbündeter. Harrer feuerte auf die huschenden Schemen, die der Wald auszuspucken schien. Dann war sein Magazin leer und er wechselte es aus. Die Angreifer waren nicht aufzuhalten.
Und jetzt kam auch wieder der Hubschrauber. Das Dröhnen des Motors senkte sich in den Dschungel wie eine Botschaft von Untergang und Verderben. * Luftraum über Liberia in Richtung Monrovia, an Bord des UH60L Black Hawk 0252 OZ Sie flogen mit einer Geschwindigkeit von 280 Kilometern in der Stunde. Das Funkgerät Davidges meldete sich. »Charly 2 ruft Charly 1. Hören Sie mich, Charly 1? Bitte kommen.« »Hier Charly 1. Ich höre Sie, Charly 2. Was gibt es?« »Wir kämpfen uns durch den Dschungel in Richtung Freetown. Wir sind starkem Beschuss vom Boden und aus der Luft ausgesetzt.« Es war Corporal Topak, der mit dem Colonel sprach. »Lieutenant Harrer ist zurückgeblieben, um die Rebellen aufzuhalten.« »Sie hätten ihn nicht zurücklassen dürfen, Charly 2.« »Er bestand darauf, Sir. Es war ein Befehl.« Im Hintergrund peitschten Schüsse. Das Rattern einer MPi war zu vernehmen. »Wir haben wohl keine Chance, Sir.« »Solange ein Funke Leben in Ihnen ist, haben Sie eine Chance, Charly 2. Halten Sie noch eine Stunde durch. Wir kommen. Verstanden, Charly 2?« »Aye, Sir. Wir versuchen es. Over.« »Charly 1 Ende«, erwiderte Davidge und fällte einen Entschluss. Er nahm mit dem Piloten Verbindung auf. »Wenden Sie und fliegen Sie zurück. Die Koordinaten sind folgende…« *
Sanchez, Topak und Mubato waren in der Nacht verschwunden. Harrer lieferte den Rebellen ein wildes Feuergefecht. Er veränderte laufend seine Position. Die Finsternis war erfüllt vom Peitschen der Gewehre. Und die MPi im Hubschrauber mischte wieder mit. Harrer rollte über den Boden. Neben ihm schlugen Kugeln ein. Dann war der Helikopter über ihn hinweg und verschwand. Harrer sprang auf und folgte den Gefährten. Bald holte er sie ein. Topak war zurückgeblieben. Mit seinem Nachtsichtgerät konnte er die Verfolger sehen. Er gewährte Harrer Feuerschutz. Harrer rannte an Topak vorbei und erreichte Sanchez sowie Mubato. Sie arbeiteten sich durch das Gestrüpp. Hinter ihnen feuerte Topak, was das Zeug hielt. Dann schwieg sein Gewehr. Wahrscheinlich war das Magazin leer. »Du bist dran, Mara«, stieß Harrer hervor und zerrte Mubato mit sich. Marisa Sanchez war auf das rechte Knie niedergegangen. Als Topak kam und an ihr vorbeigelaufen war, eröffnete sie das Feuer. Ihr Gewehr hämmerte einen wilden Rhythmus. Sie schwenkte es im Halbkreis herum und bestrich das Terrain von links nach rechts mit ihren Kugeln. Nur vereinzelt schossen die Angreifer zurück. Entweder war eine große Zahl von ihnen zurückgeblieben, oder sie hatten keine Munition mehr. Die RUF-Rebellen hatten keine Zeit gehabt, sich mit Reservemunition auszurüsten. Sie hatten viel zu überstürzt und planlos die Verfolgung aufgenommen. In einem Magazin des M4A1 befanden sich 30 Schuss Munition. Obwohl die SFO-Leute Reservemagazine einstecken hatten, mussten sie sparsam mit ihrer Munition umgehen. Ein einziger Feuerstoß konnte innerhalb weniger Sekunden das Magazin leeren. Aber Harrer und seine Gefährten hatten auch einige Handgranaten dabei. Und eine solche setzte Sanchez ein, als die letzte Kugel aus dem Lauf ihres Gewehrs war und ihre
Gegner nahe genug waren. Mit den Zähnen zog sie den Sicherungssplint, kraftvoll schleuderte sie die Granate in hohem Bogen von sich. Es gab eine gewaltige Detonation, ein riesiger Feuerball zerplatzte, zwei, drei Gestalten wurden durch die Luft gewirbelt. Sanchez warf sich herum und folgte ihren Gefährten. Harrer hatte zwischenzeitlich das Magazin ausgewechselt. Außerdem hatte er den Granatwerfer mit einer Splittergranate geladen. Er ließ Sanchez an sich vorbei und feuerte die Granate ab. Es krachte. Geschrei erklang. Harrer schickte noch einen Feuerstoß hinterher, dann wandte er sich um und rannte los. Plötzlich war auf der Straße Motorengeräusch zu vernehmen. Und dann waren die Standlichter eines Fahrzeugs zu sehen. Es kam dem SFO-Team entgegen. Es war ein Jeep. Er gehörte zu den Fahrzeugen, die das Dschungelcamp verlassen hatten, nachdem den Eindringlingen zusammen mit Mubato die Flucht gelungen war. Weiter westlich hatten sie auf der Straße eine Blockade errichtet. Eines der Fahrzeuge kam jetzt, vom Kampflärm angelockt, um nachzusehen, wie sich die Lage entwickelt hatte. »Den schnappen wir uns!«, blaffte Harrer. »Miro, du fährst.« »Roger.« Langsam näherte sich der Jeep, der mit vier Leuten besetzt war. Er fuhr mit Standlicht. Die beiden Scheinwerfer waren nur zwei gelbe Lichtpunkte in der Finsternis, die keinerlei Licht auf die Straße warfen. Wahrscheinlich trug der Fahrer ein Nachtsichtgerät, um der Straße folgen zu können. Aus dem Jeep erhob sich ein schwenkbares MG auf einer Lafette. Einer der Kerle stand dahinter und hatte den Finger am Abzug. Hart drückte er seine Schulter gegen die Kolbenplatte. »Feuer!«, kommandierte Harrer. Mündungslichter zuckten durch die Nacht. Das Fahrzeug brach zur Seite aus und fuhr über die Böschung, stieß gegen einen Baum und der Motor wurde abgewürgt. Harrer näherte sich geduckt – das Gewehr
im Anschlag – dem Jeep. Ihm folgte Topak. Dann kam Mubato. Mara Sanchez sicherte nach hinten. Die vier Insassen des Jeeps hingen tot in den Sitzen. Die SFO-Leute warfen sie aus dem Fahrzeug und stiegen ein. Sanchez und Mubato nahmen auf dem Rücksitz Platz. Der Hubschrauber strich über sie hinweg. Vom Hubschrauber aus wurde das Feuer nicht eröffnet. Wahrscheinlich fürchteten die beiden Piloten, ihre eigenen Leute unter Beschuss zu nehmen. Der Jeep sprang nicht an. Topak zerkaute einen Fluch. Im Dschungel kamen ihre Verfolger näher. Die Suchscheinwerfer verrieten es. »Bring das Ding zum Laufen, Miro!«, presste Harrer hervor. Der Corporal sprang aus dem Jeep und öffnete die Motorhaube. Harrer und Sanchez verließen ebenfalls noch einmal das Fahrzeug und zwangen mit ihren Kugeln die Angreifer in Deckung. »Abgesoffen!«, schrie Topak. »Der Motor ist abgesoffen. Ich muss…« Topak brach ab und setzte sich wieder hinter das Steuer. Zeit, um die Zündkerzen herauszuschrauben und zu reinigen, hatte er nicht. Er versuchte es ohne Gas. Der Anlasser orgelte. Der Motor sprang nicht an. »Verschwinden wir!«, knirschte Harrer. Topak versuchte es noch einmal. »Herr im Himmel, lass ihn anspringen!« Und sein Stoßgebet wurde erhört. Plötzlich röhrte der Motor auf. Topak sprang heraus und warf die Motorhaube zu. Dann klemmte er sich wieder hinter das Steuer, legte den Rückwärtsgang ein, stieß zurück und fuhr den Jeep aus dem Graben. Kein Problem für das Allradgetriebe. Harrer und Sanchez stiegen ein, Topak gab Gas. Der Jeep jagte über die Bodenunebenheiten hinweg. Eine wütende Salve folgte. Die SFO-Leute und Mubato zogen die Köpfe ein.
* »Die Patrouille kommt zurück«, rief einer der RUF-Kämpfer, als sich ihnen langsam die beiden Lichtpunkte näherten. Das Brummen der Motoren erfüllte die Luft. Zwei Jeeps blockierten die Straße. Die Besatzungen befanden sich in Deckung. Im Schritttempo rollte der Jeep mit den SFO-Leuten und Mubato näher. Zwischen den beiden Fahrzeugen, die die Straße blockierten, waren etwa anderthalb Meter freier Raum. Die RUF-Männer hielten ihre Gewehre schussbereit. Über der Straßensperre schien der Hubschrauber in der Luft zu stehen. Er hatte einen Suchscheinwerfer eingeschaltet und die Lichtbahn tastete sich an den langsam fahrenden Jeep heran. Es war 3 Uhr 19. »Durchbruch!« schnappte Harrer. Topak gab Gas. Der Jeep bäumte sich regelrecht auf, vollführte einen Satz nach vorn, die Räder drehten durch. Staub quoll dicht unter dem Fahrzeug hervor. »Festhalten!«, brüllte Topak. Er steuerte genau auf die Lücke zwischen den Jeeps zu. »Deckung!«, schrie Harrer. Schüsse peitschten. Mündungsfeuer zerschnitten die Nacht wie glühende Dolche. Die 7,62-Millimeter-Munition durchschlug die Karosserie des Jeeps jedoch nicht. Querschläger wimmerten ohrenbetäubend und durchdringend. Und dann bohrte sich der Jeep in die Lücke zwischen den beiden anderen Fahrzeugen. Es krachte und klirrte. Fahrzeugteile segelten durch die Luft und schlugen scheppernd am Boden auf. Einer der Jeeps, die die Straße blockierten, wurde zur Seite geschleudert und kippte um. Der andere drehte sich halb herum. Topak hielt sich am Lenkrad fest. Die Fliehkraft trieb ihn nach vorn. Er krachte mit der Brust auf das Lenkrad. Seine durchgestreckten Arme hatten nicht standgehalten.
Harrer hatte die Beine gegen das Bodenblech gestemmt und sich mit beiden Armen auf dem Armaturenbrett abgestützt. Als der Anprall erfolgte, wurde er fast vom Sitz katapultiert. Er drehte sich, um den Aufprall auf dem Armaturenbrett abzumildern. Schmerzhaft stieß er sich die Schulter. Sanchez und Mubato wurden von den Rücksitzen geschleudert und prallten gegen die Rückenlehnen der Vordersitze. Dann waren sie durch. Sanchez und Mubato wurden zurückgeschleudert und in die Sitze gedrückt. Topak trat das Gaspedal durch bis zum Bodenblech. Schüsse peitschten hinter ihnen her. Sie duckten sich. »Der elende Karren lässt sich nicht mehr richtig lenken!«, brüllte Topak. »Einer der vorderen Reifen ist platt.« »Fahr weiter!«, schrie Harrer durch den Motorenlärm. Mara Sanchez' Gestalt wuchs in die Höhe. Sie stellte sich an das Maschinengewehr, drehte es auf der Lafette und gab einen Feuerstoß nach hinten ab. Der Hubschrauber nahm die Verfolgung auf. Etwas zog zischend eine feurige Bahn durch die Luft, dann gab es eine gewaltige Detonation, der Jeep wurde auf der linken Seite etwas angehoben, ein Lichtblitz zerrte für den Bruchteil einer Sekunde das Fahrzeug samt Besatzung aus der Finsternis. Die linke Seite des Fahrzeuges prallte wieder auf den Boden. Topak hatte alle Mühe, den Wagen abzufangen. Mara Sanchez klammerte sich verzweifelt am MG fest. »Er benutzt Raketen!«, brüllte sie mit überschnappender Stimme. Es war ein überflüssiger Hinweis, aber die Worte der Sergeantin flossen schneller über ihre Lippen, als ihr Gehirn auf die neue Gefahr reagierte. Der Hubschrauber kam im Tiefflug. In der Kanzel konnte Sanchez die Schultern und Köpfe beider Piloten erkennen. Es war in dem schlingernden Jeep schwer, genau zu zielen. Sanchez stellte sich breitbeinig hin, um festeren Stand zu
haben. Dann begann sie mit dem MG zu feuern. Die Kugeln schlugen Funken, als sie gegen die gepanzerte Hülle des Helikopters prallten und mit schrecklichem Jaulen abgefälscht wurden. Die zweite Rakete wurde abgefeuert. Zischend zog sie ihre leuchtende Spur durch die Nacht. Topak riss das Steuer nach links und wechselte auf die linke Straßenseite. Die Rakete zischte vorbei und explodierte mit einem Donnerknall. Und jetzt tauchten die beiden Scheinwerfer eines Jeeps auf, der dem SFO-Team und Mubato folgte. Das andere Fahrzeug hatten sie außer Gefecht gesetzt. Der Jeep fuhr mit Abblendlicht und kam schnell näher. Sanchez hielt mit dem MG drauf. Die Lichter verschwanden nach rechts in den Busch. Eine der Kugeln hatte den Fahrer getroffen. Die größte Gefahr stellte der Hubschrauber dar. Er verschoss die dritte Rakete. Topak riss das Steuer wieder nach rechts. Und diesmal übersteuerte er. Der Jeep raste zwischen die Büsche und prallte gegen einen Baum. Wasserdampf zischte, als der Kühlwassertank platzte. Sanchez wurde umgeworfen. Auch Mubato riss es vom Rücksitz. Harrer hatte den Crash gut überstanden, sprang aus dem Jeep und rannte zurück zur Straße. Der Hubschrauber zog eine Schleife über dem Platz, an dem sie von der Straße abgekommen waren. Und jetzt konnte Harrer auch den MPiSchützen sehen. Er saß an der offenen Einstiegsluke und feuerte eine Garbe in die Tiefe. Die Mündungslichter zuckten in rasender Folge aus dem Lauf. Harrer stellte das M4A1 auf Dreischussautomatik um und zielte, so gut es die Licht Verhältnisse zuließen. Dann drückte er ab. Er spürte den Rückschlag, als innerhalb von Sekundenbruchteilen die drei Kugeln den Lauf verließen. Schlagartig verstummte das Feuer der MPi. Und dann löste sich die Gestalt des Schützen vom Helikopter. Sie stürzte in die Tiefe und schlug irgendwo im Gestrüpp auf.
Mit lautem Geschrei kamen die RUF-Soldaten. »Verschanzen wir uns beim Jeep!«, rief Harrer. »He, Miro, wie sieht es aus? Kannst du das Gefährt wieder mobil machen?« »Nein, wir würden nicht weit kommen. Der Kühlwassertank ist geplatzt. Wir werden uns hier wohl bis zum letzten Atemzug verteidigen müssen. Lebend will ich diesen Schuften jedenfalls nicht in die Hände fallen.« Das MG im Jeep begann zu rattern. Mara Sanchez hatte sich wieder aufgerafft, hielt auf die angreifenden RUF-Soldaten und zwang sie, zu beiden Seiten der Straße in Deckung zu gehen. Der Helikopter flog dicht über den Baumwipfeln über das SFO-Team hinweg. Und dann setzte er auf der Straße auf. Die Entfernung zu Harrer und seinen Gefährten betrug knapp 100 Meter. Mara Sanchez drehte das MG und nahm den Hubschrauber unter Feuer. Harrer lud sein M4A1 mit einer Splittergranate und feuerte sie in Richtung der heranschleichenden RUF-Soldaten ab. Er lag am Boden. Topak war neben dem Jeep in Deckung gegangen. Sanchez stand völlig ungedeckt im Jeep. Mubato hatte sich auf dem Rücksitz zusammengekauert. Der Hubschrauber schoss eine Rakete ab. Sie zischte durch den Busch, fällte einen Baum und richtete sonst keinen Schaden an. »Runter vom Jeep!«, brüllte Harrer. »Mara, Mubato…« Mubato sprang aus dem Fahrzeug und rannte zwischen die Büsche, nach zehn Schritten warf er sich flach auf den Boden. Die nächste Rakete wurde abgefeuert. Sanchez sprang vom Jeep und hechtete zwischen die Sträucher. Im letzten Moment. Das Fahrzeug wurde regelrecht hochgehoben und explodierte in einem gewaltigen Feuerball. Die Trümmer flogen wohl 50 Meter weit. Flammen schlugen aus dem Wrack. Ein Reifen war in Brand gesetzt worden. Es roch nach verbrennendem Gummi. Bald fingen auch die Sitze Feuer. Dunkler Qualm quoll in den
Busch und verfinsterte die Nacht noch mehr. Die Zeit, ihr Gewehr mitzunehmen, hatte Mara Sanchez nicht mehr gefunden. Die Sergeantin zog die Mk.23 und repetierte die Pistole. Der Hubschrauber hob wieder ab. Die Situation, in der sich die SFO-Leute und Mubato befanden, war mehr als prekär. Sie war geradezu ausweglos. Im Moment blieb Harrer und seinem Team nichts anderes übrig, als ihre Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. * »Charly 2, hören Sie mich. Hier Charly 1. Gehen Sie auf Empfang, Charly 2.« Harrer nahm das Funkgerät und hob es vor sein Gesicht. Um ihn herum krachten die Waffen Topaks und Sanchez'. Auch Mubato feuerte hin und wieder einen Schuss aus Harrers Pistole ab, die er nach wie vor am Mann hatte. »Ich höre, Charly 1.« Harrer holte Luft. »Wir sitzen fest, Sir. Von hinten kommen mindestens zwei Dutzend RUF-Kämpfer, über uns kreist ein Hubschrauber. Die Situation ist ziemlich verfahren, ich möchte fast sagen, aussichtslos. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis sie uns überrennen.« »Wir sind in der Nähe, Charly 2«, sagte Davidge. »Überfliegen gerade das Camp. Was ist Ihre genaue Position?« »Westlich des Camps, etwa zwei Meilen auf der Straße nach Freetown. Mit genauen Koordinaten kann ich leider nicht dienen, Charly 1.« »Wir finden Sie, Charly 2. Ich habe Verbindung mit der Luftwaffenbasis in Monrovia aufgenommen. Neben einem Black Hawk sind drei AH-6 ›Little Bird‹ unterwegs, um Sie rauszuholen. Die Helikopter müssten jeden Moment eintreffen. Dann erhalten Sie Unterstützung aus der Luft.« »Seien Sie vorsichtig, Charly 1. Der Hubschrauber der RUF
hat Raketen an Bord.« »Wir gehen ihm aus dem Weg, Charly 2«, kam es zurück. »Halten Sie durch.« »Wir geben unser Bestes!«, sagte Harrer. Im nächsten Moment entrang es sich ihm: »O verdammt, sie greifen an. Diese Burschen setzen alles auf eine Karte. Ich muss aufhören, Charly 1. So long und over.« Harrer unterbrach die Verbindung und zog den Kolben seines Gewehrs an die Schulter. Er schoss Einzelfeuer auf die heranspringenden und brüllenden Gestalten, die die Nacht auszuspucken schien. »Charly 2! Hören Sie mich noch? Charly 2 bitte kommen.« Nichts mehr rührte sich. Davidge senkte die Hand mit dem Funkgerät. »Schätzungsweise kommen wir zu spät. Zur Hölle damit!« Dr. Lantjes krampfte sich schmerzhaft der Magen zusammen. Leblanc schluckte. Es bereitete ihm Mühe. Sein Hals war schlagartig wie ausgetrocknet. Caruso bekreuzigte sich. Die Stimmung im Hubschrauber war auf dem Nullpunkt angelangt. Es war 3 Uhr 48. * Viele RUF-Soldaten starben. Über einem Dutzend jedoch gelang es, die Stellung des SFO-Teams zu erreichen. Zwei der Kerle warfen sich auf Harrer. Er schlug mit dem Gewehr um sich. Jemand sprang ihn von hinten an. Er verlor das Gewehr, griff über seine Schulter, erwischte den Kragen einer Uniform und schwang den Oberkörper nach vorn. Der Bursche, der ihn von hinten gepackt hatte, wurde über seine Schulter geworfen und landete lang auf dem Boden. Weitere RUF-Kämpfer stürmten die Stellung. Bald war die
Übermacht so groß, dass die SFO-Leute überwältigt werden konnten. Harte Hände hielten Harrer gepackt und drehten ihm die Arme auf den Rücken. Topak und Sanchez wurden herbeigeführt, schließlich auch Mubato. Jemand schlug Harrer ins Gesicht. Eine gehässige Stimme zischte: »Dafür werdet ihr Schweine bezahlen.« Dann rief eine schnarrende Stimme: »Wir bringen sie ins Lager. Soll der Kommandant entscheiden, was mit ihnen geschieht.« »Seid ihr in Ordnung, Mara, Miroslaw, Mr. Mubato?«, fragte Harrer und erntete dafür einen brutalen Schlag in den Magen. »Halt die Fresse!«, fauchte einer der Soldaten. Jemand nahm per Funk Verbindung mit dem Lager auf und forderte zwei Lkws an. Das Gefühl von Verlorenheit senkte sich in die Herzen. Dazu kam bei Harrer das Empfinden, versagt zu haben. Und das traf ihn mehr als alles andere, als alle körperlichen Nöte. Der Satan hatte die Karten in einem höllischen Spiel verteilt. Und wie es aussah, hatte das SFO-Team das Verliererblatt erhalten. Der Hubschrauber schwebte über der Straße. Ein Scheinwerfer war nach unten gerichtet und beleuchtete die Szene. Das SFO-Team und Mubato wurden auf die Straße bugsiert. Man ging nicht zimperlich mit ihnen um. Aber aus der Tatsache, dass sich Topak, Sanchez und Mubato auf den Beinen hielten, schloss Mark Harrer, dass sie allenfalls leicht verwundet waren. Er registrierte es mit einer gewissen Erleichterung, obwohl ihre Situation alles andere als rosig war. Plötzlich war das Dröhnen eines weiteren Helikopters zu vernehmen. Und dann tauchte die riesige, stählerne Libelle über den Baumwipfeln auf. Scharf wie ein Scherenschnitt hob sie sich gegen den helleren Himmel ab. Der Hubschrauber zog eine Schleife über dem Platz, an dem sich die RUF-Soldaten und ihre Gefangenen befanden. Es war
eine UH-60L Black Hawk. Harrer konnte es ganz deutlich erkennen. Sein Herz schlug höher. Der Helikopter der RUF wandte sich sofort dem Black Hawk zu. Der Scheinwerfer, der auf den Boden gerichtet gewesen war, erlosch. Eine Rakete zischte aus dem Rohr, der BlackHawk-Pilot konnte die Maschine zur Seite ziehen. Die Rakete richtete keinen Schaden an. Die UH-60L drehte ab. Mit den beiden MGs, die an den Türen montiert waren, war der Helikopter der RUF nicht zu bezwingen. Der Black Hawk wandte sich zur Flucht. Der RUFHelikopter hinterher. Und dann senkte sich der Black Hawk zu Boden. Auf einer Lichtung setzte er auf. Die Einstiegsluke wurde geöffnet. Davidge, Leblanc, Dr. Lantjes und Caruso sprangen ins Freie. Der Hubschrauber der RUF stand über ihren Köpfen. Doch er konnte ihnen nicht gefährlich werden. Der MPi-Schütze lag irgendwo tot im Urwald. Über ein BordMG verfügte der Helikopter nicht. Und senkrecht in die Tiefe konnte er seine Raketen nicht schicken. Der UH-60L Black Hawk mit den vier Ministern und dem CIA-Agenten hob wieder ab. Er wich noch einer Rakete der RUF-Maschine aus, dann nahm er die Richtung nach Süden. Der Lärm nahm ab. »Folgt mir!«, kommandierte Colonel Davidge und setzte sich in Bewegung. Sie schlugen sich in den Dschungel. Der Helikopter der RUF über ihnen verschwand, nahm aber nicht die Verfolgung des Black Hawk auf. Der Colonel ging voraus. Er hielt das Gewehr an der Schulter im Anschlag. Das Nachtsichtgerät ermöglichte es ihm, jede Bewegung vor sich wahrzunehmen. Ihm folgte Leblanc. Er sicherte nach rechts. Dann kam Caruso. Er hatte das Terrain zu ihrer Linken im Auge. Den Schluss bildete Dr. Lantjes. Sie sicherte nach hinten. Sie bewegten sich vorsichtig und leise. Dann konnten sie die Menschenansammlung auf der Straße erkennen. Davidge
ahnte, dass sich Harrer, Sanchez, Topak und auch Mubato in dem Pulk befanden. Er gebot seinen Begleitern, anzuhalten. »Schlagen Sie sich auf der anderen Straßenseite in die Büsche, Lieutenant Leblanc und Sergeant Caruso. Wir nehmen den Pulk in die Zange.« Er schaute auf die Armbanduhr. Es war 4 Uhr 03. »Sobald wir mit Unterstützung durch die Little Birds rechnen können, werfe ich eine Blendgranate in den Pulk, und dann holen wir unsere Leute heraus. Wenn wir sie befreit haben, flüchten wir mit ihnen zu der Lichtung, an der wir vorhin ausgestiegen sind. Verstanden?« »Verstanden, Sir«, erwiderte Leblanc. »Komm, Alfredo.« Während Davidge sein Funkgerät in die Hand nahm, pirschten Leblanc und Caruso zur Straße und überquerten sie. Dann schlichen sie im Schutz der Sträucher und Bäume zurück und hatten bald die RUF-Soldaten vor sich. Die Zeit verstrich albtraumhaft langsam. Am Himmel war fernes Dröhnen zu hören. Dann näherte sich auf der Straße Motorenlärm. Zwei Scheinwerfer wurden sichtbar. Dem Lastwagen folgte ein zweiter. Die beiden Fahrzeuge hielten an. Die Gefangenen wurden geschoben und gezerrt und genötigt, auf den vorderen Lastwagen zu steigen. Schroffe Befehle erklangen. Davidge konnte nicht mehr länger warten. Er warf die Blendgranate. Ein greller Lichtblitz blendete die Augen. »Charly 2 hierher!«, ertönte Davidges raues Organ. Und dann begannen die Gewehre zu hämmern. Von zwei Seiten hielten die SFO-Leute in den Pulk aus RUF-Kämpfern. Soldaten wurden von den Treffern geschüttelt und sanken tot oder sterbend zu Boden. Der Tod war wieder einmal unersättlich in seiner Gier. Harrer, Topak und Sanchez begriffen. Sie zerrten Mubato mit sich, sprangen vom Lastwagen und suchten Zuflucht im dichten Gebüsch. Topak schrie auf, als ihn eine Kugel in die
Schulter traf. Mara traf ein Geschoss in den Oberschenkel und riss ihr das Bein vom Boden weg. Sie stürzte. Harrer war es nicht entgangen. Er bückte sich, packte die Sergeantin unter den Achseln und schleppte sie tiefer in den Busch hinein. Topak taumelte dahin und presste die rechte Hand auf die zerschossene Schulter. Sie war nass von seinem Blut. Dann waren sie in Sicherheit und warfen sich zu Boden. Der Lärm der Schießerei flaute etwas ab. Doch da näherte sich Motorenlärm, den mehrere Hubschrauber veranstalteten. Die Black Hawk und die drei Little Birds, die von Monrovia aus losgeschickt worden waren, griffen ein. Der Hubschrauber der RUF schoss noch eine Rakete ab, dann explodierte er in einem Feuerball. Eine 70 Millimeter Faltflügel-Rakete hatte ihn zerstört. Die Trümmer stürzten zur Erde. Der Black Hawk landete auf der Lichtung, auf der Davidge und seine Crew ausgestiegen waren. Davidge und Dr. Lantjes zogen sich schießend zurück. Caruso und Leblanc rannten die Straße entlang und überquerten sie in sicherer Entfernung. Immer wieder krachten die Gewehre. Dr. Lantjes hatte jetzt die Führung übernommen. Harrer trug Mara auf der Schulter. Mubato stützte Topak. Davidge sicherte in die Richtung der RUF-Kämpfer. Und dann mischten auch Caruso und Leblanc wieder mit. Die drei Little Birds feuerten in die Schar der RUF-Kämpfer hinein. Die Geschosse vom Boden konnten ihnen nichts anhaben. Es handelte sich um schnelle, wendige Kampfhubschrauber, denen die RUF-Kämpfer auf der Straße nichts entgegenzusetzen hatten. Harrer und Mubato erreichten mit den beiden Verwundeten den Black Hawk. Topak und Sanchez wurden eingeladen. Dann stiegen Harrer und Mubato zu. Davidge, Caruso und Leblanc hatten aufgehört zu schießen. Sie kamen und kletterten schnell in den Helikopter. Der Hubschrauber hob ab. Die Rettung war in letzter Sekunde gelungen.
* Dr. Lantjes kümmerte sich erst um Topak, dann um Mara. Sie konnte beide nur notdürftig mit den im Hubschrauber zur Verfügung stehenden Mitteln erstversorgen. Die beiden Verwundeten würden in Monrovia im Krankenhaus adäquat behandelt werden müssen. »Das war Rettung in letzter Not, Sir«, sagte Mark Harrer. »Teil eins unserer Mission wäre erledigt«, gab Davidge zufrieden zu verstehen. »Die vier Minister und der CIA-Agent sind auf dem Weg nach Monrovia. Mubato ist frei. Wir sind alle noch am Leben. Es war ein voller Erfolg.« »Topak und Sanchez fallen für Teil zwei aus«, knurrte Harrer. »Bevor wir von Teil zwei des Auftrags reden, Lieutenant, sollten wir erst mal Teil eins richtig verarbeiten. Es war schließlich alles andere als ein harmloser Spaziergang.« Davidge zeigte ein angedeutetes Lächeln. »Ich denke doch, dass der Einsatz auch bei Ihnen an die Substanz gegangen ist. Außerdem müssen wir erst einen Plan ausarbeiten. Also ruhig Blut, Lieutenant.« »Sicher, Sir. Die Mission muss genau durchdacht werden. Jeder Handgriff muss sitzen. Ich denke, am einfachsten ist es, Sankoh aus dem Regierungspalast zu holen. Auf dem Dach landen, zugreifen, zurück in den Helikopter und fort. So wird es ablaufen müssen, Sir.« »Hört sich einfach an«, sagte Davidge, sein Lächeln beibehaltend. »Dürfte aber in der Praxis weitaus schwieriger sein. Sankoh wird von Soldaten bewacht. Die Wachmannschaft besteht sicherlich aus ausgeschlafenen Burschen. Aber reden wir später drüber. Für heute ist Schluss.« Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Harrer verzog das Gesicht, lehnte sich dann aber ebenfalls zurück und ließ sich in seinen Gedanken treiben…
Sie flogen eine Stunde und 15 Minuten, dann landeten sie in Monrovia. Im Osten schob sich die Sonne über den Horizont. Die Dunkelheit hatte sich in diesiges Grau verwandelt. Der Tag vertrieb die Nacht nach Westen. Ereignisreiche Stunden lagen hinter dem SFO-Team. * Büro Robert Calhouns in der amerikanischen Botschaft in Monrovia Donnerstag, 1020 OZ »Wann schlagen Sie zu?«, fragte Calhoun. Am Besuchertisch in seinem Büro hatten Davidge, Harrer, Leblanc, Caruso und Dr. Lantjes Platz genommen. Calhoun selbst saß hinter seinem Schreibtisch. »Heute Nachmittag 1600«, antwortete Davidge. »Wir kennen die genaue Lage des Büros von Sankoh. Es liegt in der 1. Etage des Regierungspalastes. Vom Dach aus können wir diese Etage in zwei Minuten erreichen. Sankohs Festnahme und der Rückzug auf das Dach werden drei Minuten in Anspruch nehmen. Das heißt, die Aktion muss in fünf Minuten ablaufen. Die drei Little Birds, die in der vergangenen Nacht die Black Hawk sicherten, sollen an der Grenze warten, um gegebenenfalls Hubschrauber oder Abfangjäger der RUF aufzuhalten, die man wahrscheinlich hinter uns herschickt.« »Sobald Sie Sankoh entführt haben« , meinte Calhoun, »wird das Volk Sierra Leones möglicherweise den Aufstand gegen das Regime proben. Es kommt wahrscheinlich zu blutigen Auseinandersetzungen. Mubato muss also so schnell wie möglich wieder als Präsident eingesetzt werden. Er wird an der Grenze zu Sierra Leone mit einer Eskorte von Blauhelmsoldaten warten, bis er grünes Licht für seinen Einzug in Sierra Leone und die Hauptstadt erhält.« »Ich habe nichts mehr von dem CIA-Agenten gesehen«,
mischte sich Harrer ein. »Wo ist er geblieben?« »Mit ihm haben Sie nichts mehr zu tun«, antwortete Calhoun ausweichend. Einer jähen Eingebung folgend sagte Harrer: »Sie haben ihn doch nicht etwa losgeschickt, damit er Teil zwei seines ursprünglichen Auftrags erfüllt?« Aufmerksam fixierte er Calhoun, als versuchte er, in dessen Gesicht zu lesen und irgendeine verräterische Reaktion wahrzunehmen. »Der amerikanischen Regierung wäre Sankoh tot lieber als lebend, nicht wahr?« Calhoun begann seine Hände zu kneten. Sein Blick wich ab. Er zeigte Betretenheit und suchte krampfhaft nach einer Antwort. Schließlich sagte er: »Wir werden Ihnen nicht in die Quere kommen.« »Unser Einsatz wäre gefährdet«, erklärte Davidge mit kehliger Stimme. »Ich hoffe, Sie sind sich darüber im Klaren. Ich warne Sie, Calhoun. Wenn Sie Osborne losgeschickt haben, damit er Sankoh ermordet, dann sagen Sie es jetzt.« »Ich habe keine Ahnung, wo sich Osborne befindet«, gab Calhoun nach kurzem Zögern zu verstehen. »Er hat die Nacht im Hotel verbracht und ist seit heute Morgen verschwunden. Osborne hat sich bei mir nicht abgemeldet. Ich weiß nicht, ob er mit Langley Verbindung aufgenommen hat, ich weiß nicht, was er vorhat.« Davidge und Harrer wechselten einen schnellen Blick. »Das gefällt mir nicht«, sagte Davidge dann. »Das gefällt mir ganz und gar nicht. Wir kommen in des Teufels Küche, wenn Osborne auf eigene Faust etwas unternimmt und wir uns in die Höhle des Löwen begeben.« »Tut mir Leid«, sagte Calhoun. »Aber Osborne stand nicht unter meinem Befehl. Er hat zu tun, womit ihn Langley beauftragt. Und die CIA hat ihre eigenen Gesetze. Sie setzt sich über politische Erfordernisse hinweg. Sie haben Recht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich Osborne schon auf dem Weg
nach Freetown befindet, um Sankoh zu liquidieren.« »Wie können wir das verhindern?«, fragte Leblanc. Davidges Gesicht hatte sich verfinstert. Seine Brauen hatte sich zusammengeschoben, über seiner Nasenwurzel hatten sich zwei steile Falten gebildet. »Überhaupt nicht. Allerdings sollten wir nicht bis 1600 warten, sondern sofort losfliegen.« Harrer nickte. »Sicher. Osborne kann nicht einfach hingehen und Sankoh erschießen. Er muss eine günstige Gelegenheit abwarten. Eine solche ergibt sich nur, wenn Sankoh das Regierungsgebäude verlässt…« Harrer hatte die Stimme nicht gesenkt. Er schaute Calhoun an. Einem jähen Impuls folgend fragte er: »Was befindet sich dem Eingang des Regierungspalastes gegenüber? Soweit ich mich erinnere, war es ein Gebäude mit mehreren Stockwerden.« »Es ist ein Hotel«, versetzte Calaoun. Davidge war wie elektrisiert. »Günstiger geht es kaum noch, um Sankoh zu erschießen. Wir müssen sofort nach Freetown. Calhoun, fordern Sie für uns einen Hubschrauber an.« Eine halbe Stunde später waren sie unterwegs. Es war 10 Uhr 55. Harrer war wieder bewaffnet. Er war aus dem Waffenlager der UN-Truppen ausgerüstet worden und besaß eine M9 Beretta sowie eine MPi 5 A3 H&K; 9 Millimeter SMG. Sie verschießt 13 Schuss in der Sekunde. Eine effektive Waffe mit hoher Zielgenauigkeit. Sie flogen nach Freetown. Sie mussten den Einsatz schneller durchführen, als es Colonel Davidge lieb war. Sie waren innerlich noch gar nicht darauf vorbereitet gewesen. Sie hatten nur wenige Stunden geschlafen. Ihnen steckten noch die Ereignisse der vergangenen Nacht in den Knochen und vor allem in den Gemütern. Ein Einsatz bedurfte nicht nur 100-prozentiger körperlicher Verfassung, sondern auch geistiger und seelischer. Davidge war wütend, er war aber auch besorgt.
Sie hatten noch knapp anderthalb Stunden, in denen sie sich mental auf ihren Einsatz einstellen konnten. Knapp 90 Minuten, um Energien zu laden. * Stunden vorher, Donnerstag, 0650 OZ, Suite 203 im Continental Hotel, Monrovia Das Telefon dudelte. Zweimal, dreimal klingelte es. Osborne hatte nach dem ersten Anläuten die Augen aufgeschlagen. Zunächst einmal begriff er gar nichts. Er hatte geschlafen wie ein Toter. Nachdem das Telefon zum vierten Mal getrillert hatte, hob er den Hörer ab. »Richard Osborne. Was gibt es?« »Ihr Auftrag ist noch nicht abgeschlossen, Alpha 1. Sankoh lebt noch. Wir wollen, dass Sie Ihren Auftrag zu Ende führen.« »Woher wissen Sie… Haben Sie mit Calhoun Verbindung aufgenommen?« »Wir wissen es. Ganz einfach. – Sie werden um Punkt 8 Uhr mit einem Taxi abgeholt, Alpha 1. Sie warten um 8 Uhr vor dem Hoteleingang, besteigen das Taxi und werden zum Luftwaffenstützpunkt transportiert. Von dort fliegt Sie ein Helikopter nach Freetown. Sie werden im Hof der amerikanischen Botschaft landen und von einem Fahrzeug übernommen, das Sie ins Sunrise-Hotel beim Regierungspalast bringt. Dort haben wir ein Zimmer für Sie gebucht. Sie checken unter dem Namen Fred Walton ein. Von dem Zimmer aus können Sie in die Fenster des Büros Sankohs blicken. Ein Präzisionsgewehr und ein Fernglas finden Sie unter der Bettdecke vor. Sie müssen eben eine günstige Gelegenheit abwarten.« »Was dann? Sicherheitskräfte, Militär und Polizei werden sofort das Gebiet um das Regierungsgebäude absperren. Soll ich mich wieder in die amerikanische Botschaft begeben? Wenn ja, womit?«
»Auf dem Parkplatz vor dem Hotel stehen immer einige Taxis, die auf Fahrgäste warten. Sie lassen das Gewehr im Zimmer zurück und setzen sich ab, besteigen ein Taxi und lassen sich zur amerikanischen Botschaft chauffieren. Da steigen Sie wieder in den Hubschrauber. Fragen?« »Was ist, wenn ich nicht mehr wegkomme?« »Das wäre Ihr Tod, Agent. Die amerikanische Regierung und die CIA werden sich nicht zu dem Anschlag bekennen. Man wird keinen Finger für Sie krumm machen.« »Dann weiß ich ja Bescheid.« Es klang bitter. »Eines verspreche ich Ihnen: Ehe ich den Rebellen noch einmal in die Hände falle, schieße ich mir eine Kugel in den Kopf.« »Wenn Sie die Gelegenheit dazu bekommen, Alpha 1.« Dann war die Leitung tot. Osborne erhob sich und ging unter die Dusche. Nachdem er sich abfrottiert und die Haare trocken gefönt hatte, rasierte er sich, putzte sich die Zähne und zog sich an. Sein Gesicht trug noch immer die Blessuren, die ihm die RUF-Soldaten während der Verhöre zugefügt hatten. Um Punkt 8 Uhr stand Osborne vor dem Eingang des Hotels. Ein Taxi rollte heran und wurde bei ihm abgebremst. Er setzte sich auf den Rücksitz. Das Taxi fuhr sofort wieder an. Der Taxifahrer war instruiert. Er brachte ihn zum Luftwaffenstützpunkt Monrovia. Dort stieg Osborne um in einen Black Hawk, der sogleich abhob. Alles war minutiös organisiert. Um 0940 war Osborne in Freetown. Der Helikopter landete im Hof der amerikanischen Botschaft. Osborne stieg in einen Pkw um. Ein Mann mit Sonnenbrille saß hinter dem Steuer. Wortlos fuhr er an. Er brachte Osborne zum Sunrise Hotel. Osborne checkte unter dem Namen Fred Walton ein. Ihm wurde Suite No. 112 zugewiesen. Wenig später betrat Osborne die Suite. Er ging zum Fenster und hatte den Blick frei auf den Regierungspalast. Die beiden Fenster direkt gegenüber waren
die Fenster des Büros, von dem aus Sankoh seine Fäden zog. Sekundenlang starrte Osborne aus dem Fenster. Sein Blick hatte sich regelrecht an den beiden Fenstern von Sankohs Büro verkrallt. Dann wandte Osborne sich ab. Er ging zum Bett und schlug die Bettdecke zurück. Da lag ein Gewehr mit Zielfernrohr. Daneben ein Fernglas. Osborne hob das Gewehr auf. Es war vom Typ M24 und handelte sich um ein RepetierScharfschützengewehr, Kaliber 7,62 x 51 Millimeter mit einem integrierten 6-Schuss-Magazin und einem Gewicht von 5,5 Kilogramm. Das Zielfernrohr verfügt über eine 10fache Vergrößerung und wiegt 800 Gramm. Osborne zog sich einen Stuhl ans Fenster heran, lehnte das Gewehr an die Wand und hob das Fernglas vor seine Augen. Die Fenster, hinter denen Sankoh seine Staatsgeschäfte erledigte, waren greifbar nahe und geschlossen. Dahinter rührte sich nichts. Osborne schaute auf die Uhr. Es war 10 Uhr 22. Osbornes Geduld sollte auf eine harte Probe gestellt werden. * Luftraum über Freetown, 1220 SLT Der Black Hawk senkte sich auf das Dach des Regierungspalastes mit dem Hubschrauberlandeplatz nieder. Kaum hatten die Räder aufgesetzt, flog die Einstiegsluke auf und die Mitglieder des SFO-Teams sprangen heraus. Sie rannten geduckt zu dem kleinen Häuschen, von dem aus die Tür ins Innere des Gebäudes führte. Es war 1221. Sie verschwanden im Treppenhaus. Davidge lief voraus. Ihm folgte Dr. Lantjes, hinter ihr kam Leblanc, dann Caruso, den Schluss bildete Harrer. Sie rannten die Treppe hinunter bis in die erste Etage. Dort bogen sie in den Flur ein. Vor der Tür des Präsidentenbüros standen zwei Wachsoldaten. Harrer sicherte jetzt nach hinten.
Zwei Schüsse waren erforderlich, um die beiden Wachleute auszuschalten. Es machte zweimal ›plopp‹, ein Geräusch, wie wenn ein Korken aus einer Champagnerflasche gezogen wird. Die Wachposten brachen zusammen. Es war 12 Uhr 23. Alles lief planmäßig. Davidge riss die Tür zum Büro auf. An Davidge vorbei stürmte das Team in den Raum. Dr. Lantjes glitt links an der Mauer entlang und besetzte die hintere Ecke. Leblanc besetzte die rechte hintere Ecke, Caruso und Harrer die Ecken zu beiden Seiten der Eingangstür. Es ging blitzschnell. Die Gewehre waren auf den Mann angeschlagen, der wie zu Stein erstarrt hinter dem Schreibtisch saß und völlig verwirrt der Aktion des SFO-Teams gefolgt war. Davidge betrat den Raum. Er hielt das M4A1 im Hüftanschlag. »Präsident Sankoh«, sagte er, »Sie sind festgenommen.« Er machte eine Handbewegung. Leblanc und Caruso stürzten sich auf Sankoh und rissen ihn vom Stuhl in die Höhe. Sie zerrten ihn zur Tür. Dabei mussten sie die beiden Fenster passieren. Die Erstarrung fiel von Sankoh, er riss sich los. Leblanc strauchelte und stürzte fast. Aber Caruso sprang den Diktator an und drehte ihm einen Arm auf den Rücken. Sankoh schrie auf und machte das Kreuz hohl, um dem Schmerz in seinem Schultergelenk entgegenzuwirken. Da zerbarst die Fensterscheibe unter dem Einschlag einer Kugel. Scherben klirrten auf den Boden. Sankoh bäumte sich auf, seine Beine knickten unter ihm weg. Er stürzte. Leblanc und Caruso zerrten ihn wieder hoch und hielten ihn nur mit Mühe aufrecht. Harrer und Dr. Lantjes glitten auf den Flur. Dr. Lantjes kniete gleich rechts neben der Tür ab, Harrer war mit drei Schritten auf der anderen Seite des langen Flurs. Leblanc und Caruso schleppten Sankoh heraus und entfernten sich nach rechts. Ihnen folgte Davidge. Er sicherte
nach links. Dr. Lantjes und Harrer hatte sich aufgerichtet und gingen vor Leblanc und Caruso her. Plötzlich erschienen dort, wo die Treppe nach unten und oben führte, einige Männer in Kampfanzügen. Dr. Lantjes und Harrer nahmen sie sofort unter Feuer. Die Männer brachen zusammen. Dr. Lantjes und Harrer erreichten die Treppe. Einige weitere Soldaten stürmten herauf und rannten in die Kugeln der SFOLeute hinein. Leblanc und Caruso schleppten Sankoh nach oben. Eine Sirene begann ohrenbetäubend zu heulen. Auf dem oberen Treppenabsatz war niemand zu sehen. Wahrscheinlich hatten die Beamten und Angestellten im Regierungsgebäude noch gar nicht mitbekommen, was sich abspielte. Um 12 Uhr 25 wurde Sankoh in den Hubschrauber gehoben. Das SFO-Team stieg ein. Der Hubschrauber hob ab. Einige Soldaten stürzten aus der Tür, rannten auf den Hubschrauberlandeplatz und feuerten mit ihren Gewehren auf den Black Hawk, doch diesem konnten die Kugeln nichts anhaben. Er drehte ab und flog über den Dächern der Hochhäuser von Freetown davon. * Osborne traute seinen Augen nicht, als er Leute in Kampfanzügen das Präsidentenbüro stürmen sah. Zuerst dachte er an Delta Force, doch schon sein nächster Gedanke sagte ihm, dass es das SFO-Team war, das zuschlug. Durch das Fernglas konnte er sehen, wie Sankoh von zwei Uniformierten zur Tür gezerrt wurde. Blitzschnell griff Osborne nach dem Gewehr. Sankoh riss sich los. Einer der SFO-Leute taumelte. Der andere packte Sankohs Arm und drehte ihn nach hinten. Osborne hatte das Ziel aufgenommen. Er drückte ab.
Sankoh brach zusammen, wurde aber im nächsten Moment von den SFO-Leuten hochgerissen und aus dem Büro geschleppt. Eine Sirene begann zu heulen. Osborne senkte das Gewehr, drehte sich um, warf die Waffe auf das Bett und lief zur Tür. Er öffnete sie, spähte hinaus in den Flur, die Luft war rein und er verließ die Suite. Der Agent benutzte die Treppe. Unten marschierte er an der Rezeption vorbei, als hätte er alle Zeit der Welt. Draußen ging er zu einem Taxi, öffnete die hintere Tür, setzte sich hinein und sagte: »Bringen Sie mich zur amerikanischen Botschaft.« »Hören Sie die Sirene«, fragte der Taxifahrer. »Das bedeutet höchste Alarmstufe. Die Straßen müssen freigehalten werden für Militär- und Polizeifahrzeuge. Ich kann Sie nicht fahren.« »Verdammt!« Osborne stieß es hervor und sprang aus dem Taxi. Über ihm war der Lärm zu hören, den der Black Hawk verursachte. Der Helikopter drehte ab und flog nach Süden. Osbornes Blick sprang gehetzt in die Runde. Er entfernte sich von dem Parkplatz. Autos, die sich auf den Straßen befanden, fuhren rechts ran und hielten. Osborne fühlte sich in die Enge gedrängt. Ein alter Ford hielt direkt neben ihm. Osborne riss die Beifahrertür auf und warf sich auf den Sitz. Der Fahrer des Wagens musterte ihn völlig perplex. »Ich weiß nicht, was los ist«, sagte Osborne. »Aber ich schätze, es ist besser, nicht draußen herumzustehen.« Der Schwarze hinter dem Steuer duldete es, dass Osborne sitzen blieb. Das Radio lief. Die Musik wurde plötzlich unterbrochen, die Stimme des Moderators sagte: »Soeben erhalte ich die Meldung, dass Präsident Sankoh wahrscheinlich von amerikanischen Delta-Force-Soldaten entführt wurde. Ersten Augenzeugenberichten zufolge wurde der Präsident verwundet. Für die Entführung wurde ein Hubschrauber benutzt. Um die Kidnapper abzufangen, wurden Abfangjäger losgeschickt.«
Der Sprecher unterbrach sich. Dann erklang wieder seine Stimme: »Soeben erhalte ich die neuesten Meldungen. Präsident Sankoh muss durch das Fenster angeschossen worden sein.« In unmittelbarer Nähe heulten Sirenen. Militärfahrzeuge jagten vorüber. Was der Nachrichtensprecher sagte, ging unter im Lärm. Zwei Polizeifahrzeuge kamen mit rotierenden Lichtern. Sie fuhren in den Hof des Regierungspalastes. Die Geräusche wurden leiser. Aus dem Radio kam es:»…lassen den Verdacht zu, dass der Schütze in dem dem Palast gegenüberliegenden Hotel verschanzt war…« Der Schwarze am Steuer sagte: »Man wird sämtliche Straßen um den Regierungspalast herum sperren. Verdammt, es wird heute etwas länger dauern, bis ich nach Hause komme. Die Milizen werden jedes Fahrzeug filzen. Sie als Weißer, der in unmittelbarer Nähe des Regierungspalastes angetroffen wird, werden ganz besonderen Kontrollen ausgesetzt sein.« »Das fürchte ich auch«, murmelte Osborne. Er verließ den Ford und machte sich zu Fuß auf den Weg. Er kam keine 100 Meter weit, als ein Militärfahrzeug an den Straßenrand fuhr und einige Uniformierte heraussprangen. »Ihre Ausweispapiere und Ihr Visum!«, ertönte es schroff. Osborne wurde von den Soldaten in die Mitte genommen. Er zog seinen Ausweis aus der Tasche und hielt ihn einem der Soldaten hin. Es war sein richtiger Ausweis, der auf den Namen Osborne ausgestellt war. Der Soldat studierte ihn ausgiebig. »Ihr Visum«, sagte er dann und reichte Osborne den Ausweis zurück. »Ich gehöre zur amerikanischen Botschaft«, gab Osborne zu verstehen. »Dann müssen Sie über einen entsprechenden Ausweis verfügen. Zeigen Sie ihn mir.« »Ich habe ihn in der Botschaft gelassen. Tut mir Leid. Aber Sie können mir ruhig glauben.«
»Wir nehmen Sie mit, bis Ihre Identität geklärt ist«, sagte der Soldat. Osborne handelte. Er stieß den Soldaten zurück und spurtete los. Wenn er festgenommen wurde, war er verloren. Auf der Waffe im Hotelzimmer waren seine Fingerabdrücke, die Angestellten, die hinter der Rezeption im Sunrise Dienst versahen, würden ihn als Fred Walton identifizieren. Sein Ausweis aber lautete auf den Namen Osborne. Allein dieser Widerspruch würde eine Menge Fragen aufwerfen. Seine Beine wirbelten. Die Soldaten, die ihn überprüft hatten, benötigten eine kurze Zeitspanne, um zu reagieren. Dann aber rissen sie ihre Waffen hoch. Ein Kommando ertönte, Schüsse peitschten. Osborne spürte einige furchtbare Schläge im Rücken, dann stürzte er. Die Welt um ihn herum versank. Sein Denken riss. Als er mit dem Gesicht aufschlug, war er schon tot. Im Radio ertönte es in dieser Minute: »Soeben wurde bekannt, dass der ehemalige Staatspräsident Mubato mit einigen Kompanien Blauhelmsoldaten an der Grenze nach Liberia steht und in dieser Stunde noch in Sierra Leone einmarschieren wird, um die Amtsgeschäfte des Präsidenten wieder zu übernehmen. Es ist zu befürchten, dass die Anhänger Mubatos im ganzen Land aufstehen werden, um die RUFEinheiten Sankohs niederzukämpfen und zu verjagen. Es ist aber auch möglich, dass sich die Kämpfer der RUF den Soldaten der Regierung Mubato unterwerfen. Das Land steht vor einem neuen Umsturz. Es sieht ganz so aus, als wäre die Ära Sankoh vorbei.« * »Abfangjäger!«, knirschte Davidge. »Sie werden uns… nein! Sie werden uns nicht abschießen, solange sich Sankoh bei uns an Bord befindet. Sie versuchen allenfalls, uns zur Umkehr und
zur Landung zu zwingen.« Dr. Lantjes kümmerte sich um Sankoh. Er hatte die Kugel in die rechte Brustseite bekommen. Sie steckte im Körper. Dr. Lantjes konnte nur versuchen, die Blutung zu stillen. Das Geschoss musste in der Klinik herausgeholt werden. Sankoh atmete rasselnd. Er war bei Bewusstsein. Seine Augen blickten trübe. Wahrscheinlich nahm er gar nicht wahr, was um ihn herum vorging. Die beiden Düsenjäger flankierten den Black Hawk. Der CoPilot rief: »Ich habe soeben per Funk die Aufforderung erhalten, umzukehren und auf dem Militärflugplatz zu landen. Was soll ich tun? Sie drohen, uns abzuschießen.« »Eine leere Drohung«, rief Davidge. »Fliegen Sie weiter. Sie werden das Leben ihres Präsidenten nicht gefährden.« Die beiden Phantoms flogen eine ganze Zeit neben dem Helikopter her. Plötzlich drehten sie ab. »Sie verschwinden!«, rief der Co-Pilot überflüssigerweise. »Kaum zu glauben. Aber sie sind abgedreht.« Die Menschen in dem Black Hawk atmeten auf. »Was wird aus Osborne geworden sein?«, fragte Harrer. »Den Schuss, der Sankoh traf, hat kein anderer als er abgefeuert.« »Das werden wir wahrscheinlich nie erfahren«, erwiderte Davidge. »Um ein Haar hätte er uns den Einsatz vermasselt. Aber sicher ist der Anschlag nicht auf seinem Mist gewachsen. Er wurde aufgefordert, seine Mission zu Ende zu führen. Es genügte den Verantwortlichen in Langley nicht, Sankoh vor den Internationalen Gerichtshof in Den Haag zu bringen. Sie wollten ihn tot sehen. Über die Gründe hierfür werden wir ebenso wenig etwas erfahren wie über Osbornes Schicksal.« Um 13 Uhr 52 landete der Black Hawk auf dem Luftwaffenstützpunkt in Monrovia. Sankoh wurde von UNOBlauhelmsoldaten in Empfang genommen und in eine Klinik geschafft.
Davidge und sein Team wurden zur amerikanischen Botschaft gebracht. Calhoun empfing sie. »Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Erfolg«, sagte er und schüttelte den Teammitgliedern nacheinander die Hände. »Mubato befindet sich wieder in Sierra Leone. Die ihm freundlich gesonnenen Kräfte im sierraleonischen Heer und die Blauhelme haben ihm zu einem unblutigen Einzug in Freetown verholfen. Im Land gibt es einige Aufstände, man nimmt aber an, dass Mubato sie in den Griff bekommt.« »Operation Mubato erfolgreich abgeschlossen«, sagte Harrer. »Dann können wir ja nach Hause fliegen«, sagte Davidge lächelnd. »Die erneute Machtübernahme durch Mubato war wohl auch der Grund, weshalb die Abfangjäger umgekehrt sind«, meinte Dr. Lantjes. »Man hat sie wahrscheinlich zurückgepfiffen, als sich abzeichnete, dass Mubato wieder die Regierung übernimmt.« »Den Grund werden wir wohl nie erfahren«, sagte Caruso. Er zeigte ein breites Grinsen. »Wie sieht's aus, Doktor? Darf ich Sie zu Hause zu einer Tasse Kaffee einladen?« »Und was ist der Hintergedanke an dieser Einladung?« »Deine Meinung von mir scheint ja nicht sehr hoch zu sein, Doc«, murrte Caruso, und alle lachten.
ENDE
Vorschau Bereits in zwei Wochen erwartet Sie der nächste Einsatz der Special Force One. Ein Spionage-Thriller, den Sie sich nicht entgehen lassen dürfen!
DAS DELTA-PROTOKOLL von Dario Vandis Im Hotel Burj al-arab hoffen die Leute der SFO einen Informanten mit brisantem Wissen zu treffen. Doch dann geht alles schief. Der Informant wird ermordet, Terroristen stürmen und besetzen das Hotel. Und da zeigt sich, dass ein alter Bekannter hinter alldem steckt…