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Roy Palmer 1.
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Roy Palmer 1.
Schwarze Wolken ballten sich am Nachmittag erschreckend rasch über den endlos wirkenden Weiten des Atlantiks zusammen. Der böige Wind aus Westen drückte sie auf die Meerenge von Gibraltar zu und schien die bizarren Giganten mit aller Macht hineinpressen zu wollen in den „Canal estrecho“, der Spanien von Nordafrika und Europa vom Schwarzen Kontinent trennte. Der Seewolf stand ganz vorn auf dem Achterdeck der „Isabella VIII.“. Der Wind hatte seine schwarzen Haare zerzaust, und er mußte sich mit beiden Händen an der Schmuckbalustrade festhalten, um auf dem schräg nach Steuerbord abfallenden Deck nicht die Balance zu verlieren. Seine Männer sicherten sich ebenfalls. Ben Brighton und Ferris Tucker griffen nach der Five-Rail, der Nagelbank, Old O'Flynn und Big Old Shane schoben ihre Arme zwischen die Webeleinen der Besanwanten auf der Luvseite und lehnten sich mit dem Rücken gegen das Backbordschanzkleid. Aus dem Ruderhaus hörte man Pete Ballie fluchen, und auf der Kuhl tobte Edwin Carberry, der Profos, herum. Die Crew versuchte, die Brassen und Schoten noch dichter zu holen, aber weder guter Wille noch seemännisches Können fruchteten etwas. Es war unmöglich. „Sir!“ schrie Pete Ballie. „Wir laufen immer weiter aus dem Kurs!“ „Der Teufel soll diesen Scheiß-Westwind holen!“ brüllte Carberry. „Er drückt uns in die Straße hinein, verdammt und zugenäht!“ „Und wir kriegen hübsch was auf die Mütze!“ schrie Old Donegal Daniel O'Flynn. „Die See tut ihren Rachen auf und will uns alle verschlingen.“ Shane warf ihm einen wilden Blick zu. „Sie wird dich schlucken und verdauen, wenn du wieder mit deinen dämlichen Hellsehereien anfängst, Donegal.“ „Hör mal, willst du bestreiten, daß ich recht habe?“ Der Alte begegnete dem Blick des graubärtigen Riesen mit kampflustiger Miene. „Du Barsch, ich
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wette mein Holzbein gegen deine Stinkstiefel, daß wir mächtigen Ärger kriegen - und daß wir es nicht mehr schaffen, bis in den Golf von Cadiz 'raufzusegeln.“ „Geschweige denn, Cabo de Sao Vicente spätestens übermorgen zu runden“, sagte Ferris Tucker im zunehmenden Heulen des Windes von der Five-Rail her. „Was?“ Shanes Augenbrauen hatten sich dicht zusammengezogen, seine Stirn schien düster umwölkt zu sein - fast so finster wie der Himmel im Westen. „Du auch, Ferris? Hast du auch die Hosen voll?“ „Das hat doch damit nichts zu tun!“ rief der rothaarige Schiffszimmermann erbost zurück. „Ich spreche bloß von den Tatsachen. So schnell, wie wir gedacht haben, kommen wir um Spanien und Portugal nicht herum.“ „Dabei hast du selbst so große Töne gespuckt, daß wir mit einer generalüberholten ‚Isabella' im Eiltempo nach England rauschen würden. Daß die Lady wieder voll manövrierfähig sei und keine halbe Stunde mehr brauche, um von einem Bug auf den anderen zu gehen.“ „Das fällt hier aber kaum ins Gewicht.“ „Du bist mir ein schöner Klamphauer, Ferris!“ „Und weißt du, was du bist, Shane?“ „Hört doch auf!“ rief jetzt Ben Brighton. „Mit eurer Zankerei ändert ihr auch nichts. Wenn der Wind nicht wieder etwas nach Süden dreht, sind wir dazu gezwungen, uns unserem Schicksal zu fügen.“ „Du bist also der gleichen Meinung'', grollte der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack Castle. „Was seid ihr bloß für ein Haufen ...“ „Wir müssen in den sauren Apfel beißen und durch die Straße von Gibraltar segeln“, sagte Ferris Tucker. „Wir suchen uns irgendwo eine geschützte Bucht, falls der Sturm uns zu arg zusetzt, und dort warten wir, bis das Schlimmste vorbei ist.“ „Die Meerenge ist verflucht“, stieß der alte O'Flynn mit seltsam verzerrter Miene aus. Fast verdrehte er auch noch die Augen. „Wir haben dort schon ein paarmal größten Verdruß gekriegt - und auch diesmal wird
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es nicht anders sein. Hoffentlich geht keiner von uns über Bord.“ „Hör auf!“ brüllte Shane ihn an. „Ich sage, wir müssen kreuzen, wie die Besessenen kreuzen, um weiter auf den Atlantik 'rauszukommen. Dann können wir den Sturm immer noch abreiten, bleiben aber wenigstens auf dem Ozean.“ „Unmöglich!“ rief Ben Brighton. „Wir sollten es. wenigstens versuchen“, konterte Shane. Old Donegal grinste wie der Teufel höchstpersönlich. „Da sieht man, daß du von der Seefahrt keine Ahnung hast. Ich hab's ja schon immer gesagt, es wäre besser gewesen, wenn wir dich krummbeinigen Eisenbieger daheim in England gelassen hätten. Mann o Mann, was habe ich bloß verbrochen, daß ich so was wie dich dauernd in meiner Nähe ertragen muß?“ Shane rückte drohend 'auf den Alten los und traf echte Anstalten, ihm den Mund zu stopfen. Aber in diesem Augenblick drehte sich der Seewolf zu den vier Männern um. Bislang hatte er den Stand der Segel geprüft, die Bestrebungen seiner Crew verfolgt, das Schiff hoch am Wind zu halten, und nach Westen gespäht. „Shane“, sagte er jetzt. „Ben, Ferris und Donegal haben tatsächlich recht. Kreuzen hat keinen Sinn. Der Wind ist zu stark geworden. Er würde uns in jedem Fall nur zurückwerfen.“ „Wir müssen also so oder so in die Meerenge hinein?“ „Ja.“ „Das haut dem Faß den Boden aus“, wetterte Shane. „Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig, Sir.“ Damit hatte auch er zum Ausdruck gebracht, daß er die Gegebenheiten hinnahm. Vor allen Dingen: Hasards Worte hatten Gewicht und waren unumstößliches Gesetz an Bord der „Isabella“. Wenn der Kapitän eine Feststellung traf, vergaß auch ein Shane jeden Einwand. Die „Isabella“ krängte schwer nach Steuerbord und fiel Strich um Strich ab. Der Wind pfiff und heulte in den Wanten und Pardunen, die schwarzen Wolken
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schlossen sich wie ein Vorhang über den Köpfen der Männer und deckten auch das letzte Stück blauen Himmels zu. Kabbelig war die See geworden. Von Westen rollten jetzt immer größere Wogen heran und türmten sich zu Brechern auf. „Pete!“ schrie Hasard. „Wir fallen ab, bis wir platt vorm Wind liegen!“ „Abfallen – aye, aye, Sir!“ tönte es aus dem Ruderhaus zurück. „Ed!' „Sir?“ „Wir reiten vor dem Sturm her durch die Straße von Gibraltar, ehe wir zu nah an Punta de Tarifa heran sind!“ „Aye, aye!“ Der Profos fuhr zu den Männern auf der Kuhl herum und ließ eine Sammlung seiner schönsten Sprüche vom Stapel. „Habt ihr nicht gehört, ihr triefäugigen Kakerlaken? Muß ich erst dolmetschen, damit ihr kapiert, ihr Herde von Hornochsen und Waldameisen, die der Esel im Linksgalopp verloren hat? Schrickt weg die Schoten, dalli, dalli, hopp-hopp, willig, oder ich ziehe euch die Hammelbeine lang, daß ihr nach England waten könnt. O ihr Rübenschweine, was seid ihr doch für Lahmärsche geworden. Matt Davies, glotz keine Löcher in die Wolken! Beweg dich, Mann, oder ich mache dir Dampf!“ So ging das fast pausenlos weiter, während die „Isabella“ ihren Vorsteven nach Osten richtete und mit prall geblähtem Vollzeug vor den Wind ging. Ferris Tucker grinste. „Wenn Ed so weiterbrüllt, hören ihn die Dons in Algeciras und Gibraltar.“ „Mal nicht den Teufel an die Wand“, entgegnete der Seewolf. „Mit den Spaniern will ich hier nicht aneinandergeraten. Wir versuchen, uns so dicht wie möglich unter der afrikanischen Küste zu halten.“ Er wandte sich um. Das Wetter war jetzt eine pechschwarze Wand, die hinter der „Isabella“ herfegte und sie einzuholen versuchte. Der Tag wurde zur Nacht. Die Galeone begann, schlingernde Bewegungen in der aufgewühlten See zu vollführen. Der Seewolf begann sich ernsthaft zu fragen, ob sie es noch
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schafften, in eine geschützt liegende Bucht zu verholen. „Ben!“ rief er. „Laß die Manntaue spannen und die Luken verschalken. Der Kutscher soll die Kombüsenfeuer löschen und auf Deck mit anpacken. Ferris und Donegal, ihr begleitet Sam. Shane, sorge du bitte dafür, daß Philip und Hasard im Vordeck bleiben. Sie sollen sich auf keinen Fall von dort fortrühren.“ „Aye, Sir“, antworteten die Männer fast gleichzeitig. Nur Big Old Shane fragte noch mit einem schiefen Grinsen: „Hasard, hast du eine Ahnung, wie ich das den Bengeln am besten beibiegen kann?“ „Nein. Aber bei deinem Geschick, mit Kindern umzugehen, schaffst du das schon“, sagte Hasard. Ben, Ferris, Shane und Old O'Flynn hasteten den Backbordniedergang hinunter, der vom Achterdeck aufs Quarterdeck führte. „Ja, du schaffst das schon“, wiederholte der Alte in Shanes Rücken -und der graubärtige Riese verspürte den unbändigen Drang, Donegal ein Bein zu stellen. * Natürlich war der Seewolf überglücklich, Philip und Hasard, die siebenjährigen Zwillinge, wiedergefunden zu haben. Samuel Stark hatte die Kinder damals, an der Levantinischen Küste, nicht umgebracht und in die See geworfen, wie Isaac Henry Burton in seiner Todesstunde behauptet hatte -es war alles eine Lüge gewesen, und Hasard hatte den Schmerz darüber jahrelang mit sich herumgetragen. Jetzt durfte er aufatmen, weil er wenigstens die Kinder wiederhatte. Das Wiederaufleben der Erinnerung an Gwendolyn, seine junge Frau, wurde durch den Vaterstolz überlagert, der heftig in Hasards Herz mitschlug. Aber er hatte auch gewußt, daß er Philip und Hasard an Bord der „Isabella“ auf keinen Fall bevorzugen durfte - aus Gründen der Disziplin und auch aus
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anderen Erwägungen heraus. Sie wurden wie die Mitglieder der Crew behandelt und schliefen im Vordeck. Es gab keinerlei Bevorzugung für sie, keine Extrawurst, denn das hätte allen ungeschriebenen Gesetzen des Bordlebens widersprochen. Und überhaupt, sie waren auch so schon frech genug. Sie hatten Old O'Flynn wegen seines Holzbeines geärgert, hatten versucht, es ihm wegzunehmen und anderes mehr. Sie hatten Jagd auf Arwenack und Sir John gemacht, ohne Erfolg zwar, aber zum größten Entsetzen des Schimpansen und des karmesinroten Aracangas. Bill, der Moses, war ein bißchen eifersüchtig auf die beiden, aber er hütete sich, das preiszugeben - wenn sie auch manchmal danach trachteten, ihm einen Streich zu spielen. Das größte Problem jedoch war: Sie sprachen weder Englisch noch Spanisch. Man konnte sich nur durch Gesten und Grimassen mit ihnen verständigen, denn sie waren nur des Türkischen mächtig und taten sich ziemlich schwer damit, andere Wörter in ihren kindlichen Sprachschatz aufzunehmen. Nur dem Profos lauschten sie interessiert, wenn er seine Flüche und Wortkanonaden losließ. Irgendwie schienen die Zwillinge zu begreifen, daß es sich da um Vokabeln ganz besonderer Prägung handelte - und die übelsten Wörter einer fremden Sprache lernt man ja bekanntlich als erstes. Hin und wieder übten Philip und Hasard sich also darin, ein akzentgeladenes „Himmel, Arsch“ oder „Rübenschweine“ oder „Stinkstiefel“ zu formulieren. Aber so recht wollte das noch nicht gelingen. Meistens endete das Ganze in einem anhaltenden Gekicher und Gegluckse. Carberry, der von dem Benehmen der Jungen gar nicht angetan war, hatte schon verlangt, man solle die Burschen zum leichten Decksdienst antreten lassen. „Aber wie, zum Teufel, willst du ihnen Befehle geben?“ hatte Smoky, der Decksälteste, daraufhin gefragt. „Tja, das weiß ich auch nicht“, hatte der Profos mit verdrossener Miene geantwortet. Und er hatte sich das
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Rammkinn gekratzt. Was mal wieder so geklungen hatte, als marschiere eine Kolonie Kombüsenschaben über chinesisches Reispapier. Und die Zwillinge hatten gegrinst und gelacht, als sie das gehört hatten. Im Moment lachten sie nicht. Sie schauten Big Old Shane, der zu ihnen ins Mannschaftslogis hinabgestiegen war, ganz ernst an. Sie respektierten ihn wie den Seewolf und fühlten, daß er nicht nur eine große Autoritätsperson, sondern mehr als das war. Eine Art „Ersatzvater-Figur“, wie der Kutscher das auszudrücken pflegte. Dan O'Flynn hatte daraus prompt den Begriff „Ersatzfigur“ geformt, aber er mußte aufpassen, daß Shane dieses Wort nicht zu hören kriegte. Mit dem graubärtigen Mann war nicht gut Kirschen essen, wenn man ihn in irgendeiner Weise aufzog. „Jungs“. begann Shane zum zweitenmal. Er stand breitbeinig im Logis und mußte den Kopf etwas einziehen. um ihn sich nicht an den Deckenbalken zu stoßen. Außerdem hielt er sich an der Umrandung einer der oberen Kojen fest. „Jungs“, sagte er. „Ihr bleibt hübsch hier unten, bis das Wetter vorbei ist, verstanden? An Oberdeck ist es zu gefährlich für euch. Ihr könntet außenbords fliegen, und dann wäre der Teufel los. Wenn ihr auch nur den Kopf ins Freie steckt, bin ich gezwungen, euch hier unten einzuschließen. Kapiert?“ Er versuchte, seine Worte durch Gesten zu verdeutlichen. Immer wieder wies er in den Raum, deutete auf die Kojen, nickte dazu. Dann richtete er seinen Daumen auf die Tür des Logis, zeigte nach oben, schüttelte den Kopf. Philip und Hasard hatten sich in brüderlichem Einvernehmen nebeneinander auf eine ihrer Kojen gesetzt. Sie waren derart in Shanes Darstellung vertieft, daß sie fast von der Schlafstatt kollerten, als eine besonders hohe Woge die „Isabella“ emporhob. Im letzten Augenblick konnten sie sich festklammern. Sie sahen sich an und redeten aufeinander ein, stellten irgendwelche Fragen in dieser
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harten, dem europäischen Ohr so völlig fremden Sprache mit den vielen Umlauten, von der Big Old Shane eines ganz sicher wußte: Er würde sie nie lernen, nicht ein einziges Wort. „Hol's der Teufel“, murmelte er. „Da freut man sich nun, die beiden Knaben gefunden zu haben, und kann sich nicht mit ihnen unterhalten. Der Seewolf kann seine eigenen Söhne nicht verstehen - und umgekehrt. Ist das nicht zum Heulen?“ Philip und Hasard sahen wieder auf den Mann, der groß und wuchtig wie eine menschliche Festung vor ihnen stand. Sie hatten sich erschrocken, aber jetzt faßten sie sich wieder. Was der „Isabella“ so zusetzte, war ein Sturm, soviel begriffen sie. Allzu große Sorgen brauchte man sich offenbar aber nicht zu bereiten, denn wenn einer wie dieser Graubart so offensichtlich gelassen dastand, schien es mit der Aussicht auf ein feuchtes Ende in der See doch nicht allzu weit her zu sein. Der Riese füllte das gesamte Logis mit seiner Persönlichkeit aus. Seine Ruhe griff auf die Kinder über. Man konnte Vertrauen zu ihm haben, soviel stand fest. Und der Sturm? Der schien ein großes Abenteuer zu sein, wie Philip und Hasard es noch nicht erlebt hatten. „Noch mal“, sagte Big Old Shane. Er wies auf den Vordecksgang hinaus, dann nach oben, dorthin, wo die Kuhl lag. „Dorthin nein.“ Er schüttelte den Kopf und beschrieb mit dem Zeigefinger ebenfalls eine verneinende Gebärde. Mit demselben Finger deutete er anschließend in den Raum hinein. „Hier - in Ordnung. Verstanden?“ Diesmal nickten die Zwillinge ernst. Shane atmete auf. Mann, dachte er, sie scheinen es ja tatsächlich begriffen zu haben. Er beugte sich vor, fuhr den beiden mit der Hand über den Kopf. nickte ihnen noch einmal väterlich-kameradschaftlich zu und sagte: Also gut, bis später. Freunde.“ Damit wandte er sich ab und verließ den Raum. Er kehrte auf die Kuhl zurück, rammte die Tür im Vorkastell zu und eilte zu den anderen Männern, um beim
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Spannen der Manntaue quer über Deck behilflich zu sein. Der Sturmwind pfiff ihnen in die Gesichter und rüttelte an den Masten der „Isabella“. Noch lösten sich keine Tropfen aus dem schwarzverhangenen Himmel, aber schon bald würde der Regen wie ein Sturzbach auf die Galeone niedergehen und die Männer bis auf die Haut durchweichen. „Jetzt fehlt bloß noch. daß wir irgendwo aufbrummen!“ rief der alte O'Flynn. „Möglich wäre es ja, wer weiß, wie dicht unter Land wir uns schon befinden. Hölle, man sieht die Küste nicht, auch auf eine Kabellänge Distanz nicht.“ „Wenn du nicht die Luke hältst, sperre ich dich ins Logis zu den Zwillingen“, drohte Shane. „Was, zu den Bengeln? Kommt gar nicht in Frage!“ „Dann halt die Luke“, grollte Shane. 2. Philip rutschte als erster von der Koje. Hasard wollte ihm in nichts. nachstehen und tat das gleiche. Philip landete katzengewandt auf den Planken, stieg dann aber plötzlich eine Schräge hoch, weil die „Isabella“ ihr Vorschiff angehoben hatte und eine Riesenwoge erklomm. Philip verlor das Gleichgewicht, kippte hintenüber, überrollte sich und geriet mit Hasard ins Gehege, der inzwischen hinter ihm angelangt war. Sie purzelten quer durch das Mannschaftslogis, rutschten unter eine Koje und stießen sich beide die Köpfe, als sie sich wieder aufrappeln wollten. Sie sanken wieder auf die Planken. Die „Isabella“ hatte mittlerweile den Kamm der Woge erreicht, neigte sich nun mit dem Bug nach vorn und hob ihren Achtersteven an. Die Talfahrt begann. Philip und Hasard rutschten auf dem Bauch unter der Koje hervor. Sie streckten ihre Hände von sich und linderten so den Aufprall an der gegenüberliegenden Wand. Sie sahen sich an - eisblaue Augen in eisblaue Augen - und lachten voll Begeisterung.
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Als die Galeone den Grund des Wellentals berührte, erhoben die Jungen sich. Von Seekrankheit konnte keine Rede sein, sie verspürten nicht das geringste flaue Gefühl in der Magengegend. Auf der Suche nach Eroberungen und Abenteuern, nach Abwechslung und Geheimnis stießen sie vom Logis aus mit torkelndem Schritt in den Vordecksgang vor. Wieder glitten sie aus und kullerten nach achtern - die „Isabella“ segelte einen neuen Wogenhang hinauf. Der Gang war eine vorzügliche lange Rutschbahn. Philip und Hasard rollten fast den Niedergang hoch, der an seinem achteren Ende in die Höhe führte, blieben dann aber auf den Holzstufen liegen, weil das Schiff nun wieder in die andere Position überwechselte. Sie stießen sich an und kicherten, dann war es soweit, sie konnten sich auf den Hosenboden setzen und auf der sich neigenden Bahn nach vorn rutschen, fast bis in den Bug hinein. Das war ein wunderbares Gefühl. Ein paarmal wiederholten sie es, dann hatten sie genug von diesem Spiel und stolperten in die angrenzenden Räume, um nach anderen Möglichkeiten des Zeitvertreibs zu suchen. Es war unumgänglich - sie mußten bei diesem Streifzug auf jenen Durchlaß im vorderen Kombüsen-Querschott stoßen, auf jene Tür. die vom Schiffsinneren aus die Verbindung mit der Kombüse herstellte. Diese Tür zeigte der Kutscher Neulingen an Bord der „Isabella“ keineswegs, denn er wußte, was er sich damit einhandeln konnte. So hatte er auch darauf geachtet, daß Philip und Hasard die Tür nicht sahen. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, nach diesem Grundsatz richtete der Kutscher sein Handeln aus. Philip und Hasard mochten herzensgute Burschen sein, aber einer gewissen Versuchung konnten auch sie nicht widerstehen, wenn sie erst einmal 'rausgekriegt hatten, wie man heimlich in die Kombüse gelangte. Sicher, der Kutscher hielt die Tür stets sorgsam unter Verschluß. Aber es gab auch Momente, da hatte er sie gerade benutzt
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und wurde dann von. Carberrys barschem Organ an Deck gerufen, hatte also keine Zeit mehr, die Tür zu verriegeln. Das war heute nachmittag der Fall gewesen. Jede Hand wurde auf Oberdeck gebraucht. Der Kutscher hatte eben noch die Feuer unter den riesigen Kesseln löschen können, dann hatte er lostraben müssen. Und da war sie also, die Tür, die als Barriere zwischen der Versuchung und der Verwirklichung gewisser Pläne stand. Dan O'Flynn war ein Mann geworden, es lag schon Jahre zurück, daß er das letzte Mal etwas aus dem Allerheiligsten des Kutschers stibitzt hatte. Bill, der Schiffsjunge, war nicht der Typ, der solche Attentate ausübte. Trotzdem wußte der Kutscher, warum er die innere Kombüsentür stets verschlossen hielt. Es gab immer noch ein paar „faule Kandidaten“ an Bord, mindestens zwei, denen man nicht trauen durfte. Wer von der Kuhl aus in die Kombüse pirschen wollte, der wurde garantiert vom Kutscher, vielleicht auch von Carberry oder einem anderen gestoppt. Wer aus Richtung Vordeck nahte und einen günstigen Moment wählte, der genoß fast Narrenfreiheit - wenn er es schaffte, die Tür zu öffnen. Nichts leichter als das jedoch! Hasard, der ältere der Zwillinge, brauchte nur seine Hand auf die Klinke zu legen, und schon öffnete sich die Tür. Sie fiel Hasard direkt entgegen, denn wieder vollführte die „Isabella“ im Sturmtreiben eine ihrer ungestümen Bewegungen. Der Junge konnte der auf ihn zurasenden Kante mit Not ausweichen. Dann knallte die Tür gegen die Längswand des KombüsenVorraums. Philip und Hasard hatten Halt gefunden und krochen jetzt über die Schwelle. Als die „Isabella“ sich wieder aufrichtete, konnte Philip die Hand nach der Türklinke ausstrecken. Er packte sie und zog sie zu sich heran. Die Tür fiel in ihr Schloß. Von innen ließ sich ein Riegel vorlegen. Philip konnte dem Drang nicht widerstehen, er mußte ihn ausprobieren. Es gab einen
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harten, metallischen Laut, und der Eisenriegel saß fest. Hasard griff nach Philips Arm. Philip wandte sich erst jetzt um und spähte in den dunklen Raum. Zu erkennen war kaum etwas. Draußen war es fast so finster wie in der Nacht, und hier, im Vordeck, durfte wie im ganzen Schiff keine Lampe angezündet werden, weil dadurch im Sturm mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit ein Feuer entstanden wäre. Auch die letzte Glut des Holzkohlenfeuers war verglommen, so daß jede Regung in der Kombüse nur schwach und schemenhaft wahrgenommen werden konnte. Daß da aber eine Regung war, sahen die Zwillinge - und sie fuhren gleichzeitig zusammen. In einem der Kessel, der vom Kutscher nach allen Regeln der Kunst festgelascht worden war, damit er im Sturm ja nicht umkippen konnte - in diesem Kessel ruckte etwas hin und her. Nicht weit von dieser unheimlichen Erscheinung entfernt schwirrte und flatterte etwas auf und ab, hin und her, und dann ertönte auch noch etwas heiser und gepreßt Ausgestoßenes, das wie „Himmel, Arsch und Zwirn“ klang. Hasards Finger verkrampften sich um Philips Arm. „Da“, wisperte er. „Hast du das gesehen und gehört?“ „Ja ...“ „Was ist das nur?“ „Laß uns weglaufen.“ „Wie, hast du etwa Angst?“ „Ich doch nicht“, zischte Philip empört. „Ich meine bloß, es wäre gut, wenn wir die Tür offenlassen würden - für alle Fälle.“ „Dann öffne sie doch.“ „Ich krieg sie nicht auf ...“ „Du bist zu dämlich.“ „Du auch.“ „Du spielst nicht mehr mit, wenn du den Riegel nicht wieder aufmachst“, raunte Hasard zornig. Die Planken unter ihren Füßen schienen sich hochzubiegen, jedenfalls fühlte es sich so an. Philip und Hasard wurden durch die
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Kombüse katapultiert, von der Tür fort, und sie landeten unter einem der großen Holzschapps, in denen der Kutscher seine Kostbarkeiten aufbewahrte. Sie richteten sich auf und hielten erneut in dem schwankenden Raum Ausschau. Die „Erscheinung“ war immer noch da. Sie schwankte und schmatzte, schabte und schlürfte in dem festgezurrten 'Kessel herum. Sie wischte mit Geisterfingern und bizarren, huschenden Schatten durch die Kombüse. „Los“, flüsterte Hasard. „Ich will wissen, was das ist. Wenn du kein Feigling bist, gehst du mit.“ „Ich hab keine Angst“, sagte Philip trotzig. Sie rappelten sich auf und mußten sich wieder festhalten. Beinah wären sie erneut zu Boden gegangen, aber dann war da plötzlich der breite Herd, an dem sie sich vorzüglich festklammern konnten. Sie rafften ihren ganzen Mut zusammen, tasteten sich am Herd entlang und hatten den unheimlichen Kessel fast erreicht, als der Flattergeist schnatternd und fluchend Reißaus nahm und sich in irgendeine Ecke des Raums verzog. Gut so, dachte Hasard, wir haben ihm einen Schreck eingejagt. Hau ab, du blöder Geist, dachte Philip. Jetzt hatten sie nur noch das Monstrum im Kessel aufzuscheuchen. Sie schlichen sich an das Ding heran, krochen fast auf den Herd, um ja nicht den Halt zu verlieren, und waren ganz auf ihre selbstgesetzte Aufgabe konzentriert. Die Wesenheit im Kessel schien sie noch nicht bemerkt zu haben. Wenn der Knall, den die Tür verursacht hatte, dieses Etwas nicht aus der Fassung gebracht hatte, so schien das Auftauchen zweier Siebenjähriger es erst recht nicht zu beeindrucken. Hasard wollte Philip unbedingt beweisen, daß er der Mutigere war -er beugte sich so weit wie möglich vor und blickte über den Kesselrand. Etwas Schwarzes richtete sich in einer süß und säuerlich riechenden Substanz auf. Wulstige Lippen schoben sich aus einer furchtbaren Visage hervor, ein Schnaufen
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war zu vernehmen, zwei riesengroße Augen hefteten ihren Blick auf Hasards Gesicht. Allah steh mir bei, dachte Hasard. Jetzt steigt es aus dem Kessel und springt uns an, sagte sich Philip. Die Augen des Ungeheuers schienen sich zu weiten, ihr Blick wurde zunächst fragend, dann ängstlich. Dies alles geschah in Sekundenschnelle. Dann öffnete das Monstrum seinen Rachen und entließ ein Aufheulen in den Raum, bei dem Hasard und Philip wieder zusammenfuhren. Aber Hasard hatte begriffen, mit wem sie es zu tun hatten. „Der Affe!“ rief er. „Der Affe und der Papagei!“ Arwenack, der Schimpanse, hatte nie damit gerechnet, beim Naschen ertappt zu werden. Als die See kabbelig geworden war, hatten er und Sir John sich ins Vordeck gestohlen. Als der Kutscher von Carberry auf die Kuhl geholt worden war, hatte Arwenack sich bis zur Tür der Kombüse geschlichen und sein Glück versucht. Es hatte geklappt - mit seinen geschickten Affenfingern hatte er die Tür geöffnet. Sir John, der zweite „faule Kandidat“, hatte daraufhin spontan beschlossen, sich mit dem Schimpansen gut zu stellen. Erstens gab es in der Kombüse auch für einen Papagei so allerhand zu futtern, und zweitens: Bei Sturm herrschte zwischen den beiden so unterschiedlichen Tieren Burgfrieden. Je heftiger das Wetter, desto größer der Zusammenhalt und die Solidarität. Sie hatten sich an der süß-sauren Soße, die der Kutscher im Kessel zubereitet hatte, an Brot, Früchten und Mais gütlich getan. Dann hatte die Tür geknallt, doch sie hatten die beiden Gestalten, die da in den Raum gepurzelt waren, nicht gesehen. Und jetzt dies! Arwenack wäre vor Scham am liebsten im Kielschwein der „Isabella“ versunken. Er kreischte und jammerte und konnte aus dem Kessel nicht mehr heraus. Sir John verschaffte seinem Unbehagen Luft, indem er Carberrys schönste Flüche
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zunächst auf englisch, dann auf spanisch herauskrächzte. Philip und Hasard konnten nicht anders sie mußten lachen. * Die Manntaue waren gespannt, die Luken und Niedergänge verschalkt. Der Sturm hieb mit orgelndem Wind, Brechern und Sturzregen auf die „Isabella VIII.“ ein. Das Oberdeck, besonders die Kuhl, schien sich in einen rauschenden Fluß verwandelt zu haben. Fluchend hangelten die Männer in den Tauen voran. Immer wieder drohten sie auszugleiten und hinzufallen. Die Gefahr, außenbords gespült zu werden, war trotz aller Sicherungen allgegenwärtig. Längst hatte der Seewolf Sturmsegel setzen lassen, nur den Besan und die Fock, aber auch die schienen noch zu viel zu sein für dieses mörderische Wetter, das sie so überraschend gepackt hatte. Unaufhörlich waren die Männer in Bewegung. Ein Fall mußte klariert werden, eine Schot hatte sich gelöst. Bill, der Moses, war aus dem Hauptmars abgeentert, er stand mit Pete Ballie im Ruderhaus und hielt das Ruderrad, das sich selbständig bewegen wollte. Hasard, Ben und Ferris waren auf die Back geklommen, weil der rothaarige Schiffszimmermann um den Fockmast bangte. „Ich sage euch, der hat einen Knacks weg!“ rief Ferris. Unsinn“, erwiderte Hasard. „Sieh ihn dir doch genau an - der steht noch wie eine Eins!“ „Aber vorhin hat irgendwas höllisch geknackt!“ „Das war der Bugspriet!“ schrie Ben Brighton, der sich über die vordere Schmuckbalustrade gebeugt hatte. „Er schwankt. aber ich würde es nicht riskieren, ihn zusätzlich abzustützen.“ Er sagte noch mehr, aber der Rest seiner Worte ging in dem ohrenbetäubenden Dröhnen unter, mit dem ein neuer Brecher die Bordwand traf. Wasser und Gischt stiegen auf und schienen wie eine Wand
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neben den Männern hochzuwachsen. Die Crew stieß Warnlaute aus - Hasard, Ferris und Ben duckten sich und hielten sich fest, wo sie konnten. Mit Rauschen und Zischen ging der Brecher über die „Isabella“ hinweg. Ferris hob den Kopf, blickte voraus und stellte fest, daß der Bugspriet immer noch da war. Er grinste. Carberry war von dem Brecher umgerissen worden und ein Stück über Deck gesegelt. Er hatte sich aber mit verbissener Miene und hundert gedachten Verwünschungen an den Manntauen festgeklammert und so sein vorzeitiges Abdanken verhindert. Prustend erhob er sich unweit des Kombüsenniederganges. Old O'Flynn hielt sich an der Nagelbank des achteren Kuhlbereichs fest, spuckte wütend aus und sagte: „Also, wenn wir den verdammten Kahn in Tanger nicht aufgeslippt hätten, wenn wir also diese Verzögerung nicht gehabt hätten, wäre uns das nicht passiert.“ „So“, erwiderte Matt Davies. „Dann hätten wir jetzt aber auch nicht Hasards Söhne an Bord.“ „Deine Enkel, Donegal!“ rief Blacky. „Ja, meine Enkel“, murmelte der Alte im Sturmtosen. „Und spätestens in der Biskaya hätten wir ja doch einen Orkan auf die Jacke gekriegt“, ertönte nun wieder Matt Davies' Stimme. „Du brauchst also nicht zu giften, Donegal. Ein Schlabbertörn bis nach Hause — davon träumen wir doch nur.“ „Ihr wißt immer alles besser“, sagte der Alte. „Der Teufel soll euch holen.“ In einem Anflug von Rührseligkeit fügte er hinzu : „Euch alle, außer Philip, Hasard, Arwenack und Sir John natürlich. Wer weiß, wo die armen Würmer sich verkrochen haben.“ Wenn er in diesem Augenblick schon gewußt hätte, was die „armen Würmer“ angestellt hatten, hätte er wahrscheinlich anders gesprochen. Aber es gab da eben ein Sprichwort, das besagte: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Carberry vernahm seltsame Laute aus Richtung der Kombüse - Keifen,
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Kreischen, Zetern, Poltern, Kichern und Lachen. Er blickte wild um sich, entdeckte nicht weit von sich den Kutscher und brüllte: „Kutscher -he, du lausiger Kombüsenhengst, was geht da in deinem Saustall vor sich? Komm her und hör dir das an, du Himmelhund von einem Kochtopfschwenker und Knochenflicker.“ Der Kutscher schien von Carberrys Freundlichkeit überwältigt zu sein, er setzte sich augenblicklich in Bewegung. Es war denn aber doch mehr die Sorge um sein Allerheiligstes, die ihn vorantrieb. Gemeinsam mit Carberry drang er bis ins Vordeck vor — die Tür von der Kuhl zur Kombüse benutzten sie lieber nicht, weil sie riskierten, daß Wasser in den Raum flutete, und weil sie außerdem anschließend den Niedergang neu verschalken mußten. Auf demselben Weg, den vorher Philip und Hasard genommen hatten, kämpften sie sich also zur Kombüse vor. Sie stolperten hier und da, stießen sich Schultern und Knie und fast auch die Köpfe, dann, endlich, hatten sie ihr Ziel erreicht. Der Kutscher öffnete die Tür. Was da seinen Lauf nahm, ließ sich nicht genau erkennen, auf jeden Fall aber schien in der Kombüse der Teufel höchstpersönlich los zu sein. Das lachte, keckerte, heulte, schwappte, flatterte und gluckste, daß es eine Freude war. „O Mann“, ächzte der Profos. „Donegal hat's ja immer gesagt: Eines Tages steigt der Wassermann zu uns an Bord.“ „Profos“, stieß der Kutscher nervös aus. „Ich habe eine Fackel gefunden. 'Hier, halt bitte mal, ich zünde sie an. Wenn wir aufpassen, fängt die Kombüse kein Feuer —und wir können die Fackel ja rechtzeitig in einen der gefüllten Kessel stecken, falls es brenzlig wird.“ Carberry taumelte und krachte fast gegen den Türrahmen. „Ja“, wiederholte er. „Falls es brenzlig wird ...“ Wenig später zuckte der Fackelschein durch die Kombüse. Das Licht offenbarte die Szene in ihrer ganzen Pracht. Arwenack kauerte in dem Kessel und
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versuchte vergeblich, sich so weit zu ducken, daß man ihn nicht sehen konnte. Philip und Hasard hielten sich am Herd fest und prusteten vor Vergnügen. Sir John flatterte über den drei Lausebengeln und wetterte, was das Zeug hielt. „Jetzt wird aber der Hai in der Pfanne verrückt“, entfuhr es dem Kutscher. „Der Affe, meine ich“, sägte der Profos. „Meine Soße“, klagte der Kutscher. „Meine schöne süß-saure Soße.“ Fast gab er seinen Halt auf und stürzte hin, so entsetzt war er. „Fleischklöße mit süß-saurer Soße sollte es also geben“, stieß Ed Carberry erbittert aus. „Eins meiner Lieblingsgerichte.“ Und dann fing er an zu brüllen: „He, seid ihr wahnsinnig, ihr Kakerlaken? Was fällt euch ein? Wißt ihr nicht, daß die Todesstrafe darauf steht, in die Kombüse einzubrechen? Na wartet, ich werde euch den Affenarsch versohlen und euch anschließend die Haut in Streifen abziehen, ich … Sir John, du Geier, komm sofort hierher!“ Sir John verstand nicht oder wollte nicht kapieren und flatterte in die dem Profos entgegengesetzte Richtung. „Ihr Galgenstricke!“ fuhr der Profos die Zwillinge an. „Antreten und kuschen, oder es setzt was!“ Philip antwortete etwas in seiner haarsträubenden, nicht zu übersetzenden Sprache. Hasard sagte ein paar Worte, die wie „büs-güddiorus“ oder ähnlich klangen. „Das ist der Gipfel“, zürnte der Profos. „Diesmal gibt's Zunder! Seewölfe oder nicht, ihr habt euch eure Senge verdient, und zwar gründlich. Hölle und Teufel, wenn ihr nicht kommt, schnappe ich euch eben.“ Er marschierte los. Sir John suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Philip bedauerte es zutiefst, auf Hasards Order hin den inneren Riegel der Kombüsentür kurz zuvor doch wieder zurückgeschoben zu haben — es wäre besser gewesen, den Raum verschlossen zu lassen. Aber die Zwillinge hatten den Affen und den Papagei fortscheuchen wollen. Das hatten sie nun von ihrem guten Willen —
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man wollte sie offensichtlich zur Rechenschaft ziehen und bestrafen. Der Narbenmann steuerte genau auf sie zu. Er streckte schon die Hände nach ihnen aus. Dabei brüllte er: „Kutscher, sieh nach, ob sie die Flaschen entdeckt haben! Wenn sie Schnaps und Wein gesoffen haben, kriegen sie deswegen noch extra was an die Ohren!“ Arwenack ertrug es nicht länger, er wollte fort. Kreischend sprang er aus dem Kessel hoch, diesmal hatte er genügend Schwung. Er schaffte es, sich über den Rand zu hieven, jumpte auf die Planken der Kombüse und hastete los. Er hielt auf den Kutscher zu. Der hatte sich gerade dem Schapp zugewandt, in dem sich die kostbaren Flaschen befanden. Carberry war auch irritiert, weil Arwenack mächtig gekleckert hatte und süß-saure Soße in das Profos-Gesicht und auf die Profos-Kleidung gespritzt war. Carberry rieb sich die Augen, verlor das Gleichgewicht und stürzte. Arwenack wischte an dem Kutscher vorbei. Der Kutscher hatte genug damit zu tun, von dem Flaschenschapp abzulassen und zu Carberry zu laufen. Er mußte dem zürnenden Mann die Fackel entreißen, damit es kein größeres Unheil gab. Arwenack war ins Vordeck entflohen. Sir John packte die Gelegenheit ebenfalls beim Schopfe und schwirrte dem Affen nach. Philip und Hasard bogen sich vor Lachen, aber dann begriffen auch sie, daß der Moment da war, in dem sie den Rückzug antreten mußten. An Carberry und dem Kutscher konnten sie jedoch nicht vorbei deshalb beschlossen sie, den Niedergang als Schlupfloch zu wählen. Sie liefen zur Tür und rissen sie auf. Die ganze Verschalkung löste sich dabei aus dem Rahmen, Wasser sprühte ihnen entgegen, das Orgeln des Sturmes drang in die Kombüse. „Nein!“ schrie der Kutscher. „Um Himmels willen, nein!“ Nein,. dieses Wort verstanden die Zwillinge schon, aber sie kümmerten sich nicht darum. Sie waren schon halb draußen, als der Kutscher die Fackel an
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sich gerissen hatte und die Verfolgung aufnahm. Gewandt turnten die Zwillinge die Holzstufen des Niederganges hinauf und erreichten das Oberdeck. Aber hier glitten sie aus und schlidderten quer über die nassen Planken. Zu allem Unheil rollte genau in diesem Augenblick auch noch ein Brecher gegen die „Isabella“ an. Es grollte und rauschte, und dann ergossen sich die Fluten über die Back, die Kuhl, das Quarter- und sogar das höher gelegene Achterdeck. Der Aufschrei der Crew ging in dem Tosen der Wassermassen unter. Der Kutscher blieb auf halbem Weg auf dem Niedergang der Kombüse stehen und duckte sich. Ein Wasserfall gischtete ihm entgegen, hüllte ihn ein und ging in der Kombüse nieder. Die Fackel war nur noch ein verkohlter Stumpf in der rechten Hand des Kutschers. Carberry schluckte Wasser, spuckte, fluchte und wankte in ohnmächtiger Wut durch den Raum. Keiner der Männer auf Oberdeck war so schnell. daß er die Zwillinge festhalten konnte. Voll Entsetzen beobachteten sie, wie die Kinder auf dem abschüssigen Deck dahinrutschten. Smoky unternahm einen Versuch, Hasard zu packen, glitt aber selbst aus und stieß sich den Oberschenkel am Großmast. Der kleine Hasard hatte Glück, er konnte ein Manntau packen und sich daran festklammern. Wie eine Katze hing er daran. In seinem Gesicht waren Schreck und Verzweiflung zu lesen. Er schrie auf. Philip landete am Steuerbordschanzkleid. Hier traf er Anstalten, sich ebenfalls zu sichern und seine Höllenfahrt zu bremsen. Aber die Macht des Wassers war zu groß-. -Es brodelte auf Philip zu, erstickte seine Schreie, fegte ihn vom Schanzkleid und riß ihn in die kochende See. „Mann über Bord!“ schrie Smoky. Kind über Bord, hätte er besser rufen sollen, aber in seinem panischen Entsetzen dachte er nicht daran. 3.
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Der Seewolf. .Ben Brighton und Ferris Tucker hatten gerade die Back verlassen wollen, als es geschehen war. Hasard hatte auf dem Backbordniedergang gestanden und verfolgt, wie einer seiner Söhne das Manntau gepackt hatte und der andere außenbords gerissen worden war. Hasard wirbelte herum und sprang wieder die wenigen Stufen hinauf, die ihn von der Back trennten. Er hetzte an der Balustrade entlang, die auf die Kuhl wies, bückte sich, rutschte fast aus und kriegte ein Tau zu fassen. Schnell hatte er es sich um die Hüften gewunden und knüpfte mit fliegenden Fingern einen Knoten. Da er dazu beide Hände benötigte, verlor er zwangsläufig seinen Halt an der Balustrade. Er taumelte und versuchte sich zu fangen, hatte aber keinen Erfolg. Es riß die Beine unter dem Leib weg, und er landete hart auf den Planken. Die Back war klatschnaß und fast so glatt wie eine Eisbahn. Hasard glitschte dem Steuerbordschanzkleid seines Schiffes entgegen. Dabei besaß er aber die Geistesgegenwart, sich so zu drehen, daß seine Füße auf das Schanzkleid zielten. Er landete in unmittelbarer Nachbarschaft der Fockwanten. Den Aufprall dämpfte er durch ein leichtes Einknicken in den Kniekehlen, dann prüfte er rasch noch einmal den Sitz und den Knoten des Taues, das er sich um die Taille geschlungen hatte — und ließ sich über das Schanzkleid fallen. Ben Brighton hatte sich bäuchlings auf die Back geworfen. Ferris Tucker hatte Bens Beine gepackt und hielt den Ersten fest, während er selbst seine Stiefelspitzen hinter die oberste Stufe des Niederganges gehakt hatte. Ben angelte sich das Tauende, bevor es ganz wegrutschte und mit dem Seewolf in der aufgewühlten See verschwand. Er wickelte es sich um die Hände, verkrampfte die Finger darum, drehte sich halb zu dem rothaarigen Riesen um und brüllte: „Ich hab's, Ferris, Hölle und
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Teufel, hilf mir, das verdammte Tau irgendwo zu belegen!“ Ein Ruck lief durch das Tau, Ben fluchte. Ferris' Stiefelspitzen glitten von der Stufe des Niedergangs ab, und beide Männer glitten auf dem Bauch über die Back. Sie folgten dem Seewolf. Es schien unvermeidbar zu sein, daß auch sie in der See landeten. Smoky und Blacky hatten sich derweil zu dem kleinen Hasard vorgearbeitet. Überkommende Seen näßten ihre Gestalten, und für einen Augenblick sah es so aus, als würde der Junge der Wucht der Brecher nicht standhalten. Dann aber konnte er sich an dem Decksältesten festklammern. Der kleine Hasard hielt seine Tränen nicht mehr zurück. Mit heftigem Schluchzen hielt er sich an Smoky fest. Smoky empfand tiefes Mitleid mit dem Bürschchen, und nicht anders erging es Blacky sowie Big Old Shane und den beiden O'Flynns, die sich inzwischen ebenfalls herangearbeitet hatten. Sie bargen den Jungen und transportierten ihn zum Vordeck. Carberry und der Kutscher, inzwischen beide auf der Kuhl angelangt, hatten sich zur Back umgedreht und verfolgten mit weit aufgerissenen Augen, was dort vorging. Sie setzten sich in Bewegung und klommen den Backbordniedergang hoch, um Ben und Ferris zu helfen, aber ihr Einsatz schien zu spät zu erfolgen, viel zu spät. Ferris Tucker war in die Nähe der Nagelbank auf der Back geraten —und plötzlich setzte er alles auf eine Karte. Er löste seine linke Hand von Bens linkem Bein und tastete wie verrückt nach der Nagelbank. Er glaubte schon, es vergeblich getan zu haben, da trafen seine Finger auf Widerstand. Sofort packte er mit eisenhartem Griff zu. Die Bremswirkung drohte ihm den Arm auszukugeln. Ferris verdrehte die Augen und biß die Zähne zusammen. Er glaubte, ein Knirschen in seinen Schultergelenken zu verspüren, aber er schaffte es und ließ weder die
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Nagelbank noch Ben Brightons rechtes Bein los. Ben ließ seinerseits das Tauende nicht los. Er sagte sich in diesen Sekunden, daß er lieber sterben wollte, als das Tau aufzugeben. Er kämpfte darum wie ein Besessener, denn wenn das Leben von Hasard und dessen Sohn noch zu retten war, dann hing es an diesem Tau. Ächzend richtete Ferris sich an der Nagelbank auf. Er zerrte Ben mit aller Kraft zu sich heran, Ben stemmte sich ebenfalls hoch, und dann belegten sie das Tauende um einen der hölzernen Koffeynägel. Zusätzlich hielten sie es mit den Händen fest, damit es sich ja nicht wieder lösen konnte. Ben Brighton drehte sein Gesicht nach Steuerbord. „Verflucht!“ rief er. „Ich sehe Hasard nicht mehr!“ „Ich kann seinen Kopf erkennen!“ brüllte Ferris Tucker so nah neben Bens Ohr, daß diesem das Trommelfell dröhnte. „Und das Kind? Wo ist das Kind?“ „Teufel, ich weiß es nicht ... „Ich springe!“ schrie Ben. „Du bist wahnsinnig! Mehr als Hasard kannst du auch nicht ausrichten!“ rief Ferris aufgebracht zurück. Ben fuhr herum und hetzte zum Niedergang. Ferris blieb an der Nagelbank der Back zurück, um das Tau zu sichern. Ben stürmte den Niedergang hinunter, hangelte in den Manntauen und sah, daß Shane, Carberry und die O'Flynns, Blacky, Smoky, Batuti und ein paar andere Männer am Steuerbordschanzkleid waren und Taue ausbrachten, die teilweise mit Fendern aus Tauwerk und Kork zum Festhalten versehen waren. Die anderen bemühten sich, die Sturmsegel so anzubrassen, daß die „Isabella“ beidrehen konnte. Pete Ballie und Bill stemmten sich mit vereinten Kräften gegen das Ruderrad. Der Kutscher war bei dem kleinen Hasard im Vordeck und versuchte, den Jungen zu beruhigen. In einen tiefgelegenen Winkel des Vorschiffs, der der Vorpiek nicht fern lag, hatten sich Arwenack und Sir John
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verkrochen. Der Papagei hatte sich zwischen Arwenacks Vorderpfoten gekuschelt, weil er Angst vor dem Sturmtoben hatte. Dem Affen schlotterten die Glieder, seine Zähne schlugen aufeinander. Er fürchtete sich auch vor dem infernalischen Wetter, aber richtig elend war ihm erst zumute, weil er wußte, daß er diesmal den Bogen überspannt hatte und oben an Deck etwas Furchtbares geschehen sein mußte, das direkt oder indirekt mit dem Intermezzo in der Kombüse zusammenhing. * Das Tau zerrte an Hasards Hüften und war mehr eine Behinderung als eine Hilfe in den aufgerührten Fluten. Zweimal tauchte der Seewolf unter, und einmal schluckte er Wasser, das er anschließend sofort wieder ausspie. Das Tau schien ihn endgültig in die Tiefe reißen zu wollen; die Brecher türmten sich wie Schluchtwände hoch und schlugen über ihm zusammen. Hasard wurde abermals unter Wasser gestoßen und geriet in einen Sog. Er wollte sein Messer aus dem Gurt ziehen und das Tau kappen, aber plötzlich wurde er von dieser Absicht abgelenkt. Seine nach vorn gestreckten Hände stießen auf Widerstand. Fast schien es unglaublich zu sein, zu unwahrscheinlich - und doch, Hasards Wahrnehmung beruhte nicht auf Einbildung. Seine Finger schlossen sich um schmale Arme, um eine kleine, in diesen Gefilden fast zerbrechlich wirkende Gestalt. Philip! Hasard zog den Jungen zu sich heran und preßte ihn an sich. Über ihren Köpfen schien etwas aufzubrechen, der tosende Sog ließ nach, und die Auftriebskraft des Wassers trug sie beide nach oben. In Hasards Lungen wurde ein Stechen bemerkbar, er riß, kaum mit dem Kopf über der Wasserfläche, den Mund weit auf. Luft! Er pumpte sie in sich hinein und kämpfte dagegen an, wieder in die schwarze Tiefe zurückzukehren.
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Gleichzeitig bemühte er sich, den Kopf des Jungen über Wasser zu halten. Daß es sich tatsächlich um Philip handelte, stellte er in diesem Moment fest. Das Hemd des kleinen Kerls war zerrissen, deutlich war das Haifisch-Symbol zu sehen, das ihm auf das linke Schulterblatt tätowiert worden war. Hasard, der ältere der Zwillinge, trug dieses Zeichen auf dem rechten Schulterblatt. Entsetzt registrierte der Seewolf, daß die Gestalt des Kindes völlig schlaff in seinen Armen hing. Er blickte sich um, während er weiterhin Wasser trat und sich verbissen wehrte, wieder von den Wogen untergegraben zu werden. Die „Isabella VIII.“ war eine gigantische Silhouette hinter Hasard. Durch den Regen und die Gischt, die ihn umgaben, konnte der Seewolf die Gestalten seiner Männer am Steuerbordschanzkleid kaum sehen, aber er hörte die Stentorstimme, die jetzt losbrüllte: „Sir! Hasard! Sollen wir kommen?“ Unverkennbar war das Carberrys Organ, niemand anders als er konnte so gut gegen einen Sturm anbrüllen. Hasard schrie so laut wie möglich zurück: „Nein! Nicht nötig! Ich habe ihn!“ „Was — den Jungen?“ „Den Jungen! Wen denn sonst? Hievt uns an Bord!“ „Holt durch!“ feuerte der Profos Ferris, Blacky und Smoky an, die sich jetzt um die Nagelbank des Vorkastells gruppiert hatten. „Kreuzdonnerwetter noch mal, holt die beiden an Bord, ehe sie uns absaufen! He, Shane, Dan und ihr anderen, seht zu, daß Hasard noch eins der anderen. Taue zu fassen kriegt, die wir ausgebracht haben!“ Ben konnte jetzt nicht mehr länger an sich halten. Er hatte sich gleichfalls ein Tau um die Hüften geschlungen und jumpte über das Schanzkleid, bevor ihn einer der Männer daran hindern konnte. Das Tau hatte er vorher um eine Klampe des Schanzkleides belegt, so daß er nicht Gefahr lief, die Verbindung zu seinem Schiff zu verlieren. Todesmutig arbeitete er sich durch die Wogen auf seinen Kapitän und den Jungen zu.
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Ferris, Blacky und Smoky holten das Tau durch, an dem Hasard hing. Nur noch wenige Yards, und sie konnten ihn an der Bordwand hochhieven! Pete Ballie hatte das Schiff mit wahrhaft akrobatischem Können in den Wind gedreht, es trieb ohne Segel und mit starker Krängung. Aber nur wenige Sekunden noch, um die Männer und das Kind in Lee zu übernehmen, und die „Isabella“ konnte wieder ihren alten Kurs laufen. Ben war bei Hasard und griff mit zu. Gemeinsam trugen sie Philip und stemmten ihn als ersten zu den Männern hoch, als diese ihre helfenden Hände nach ihnen ausstreckten. Shane nahm den Jungen in seine Arme und lief mit ihm auf das Vordeck zu. Der Niedergang zur Kombüse war von Jeff Bowie und Bob Grey notdürftig wieder verschalkt worden. Big Old Shane benutzte das Schott an der Steuerbordseite, durch das auch vorher schon Carberry und der Kutscher in das Vordeck gelangt waren. Schweren Schrittes erreichte Shane das Mannschaftslogis. Er trat ein und bewegte sich breitbeinig auf den Kutscher und auf Hasard zu. Der ältere der Zwillinge hatte sich auf seiner Koje ausgestreckt. Sein Gesicht war noch tränenfeucht, als er jetzt hochfuhr und einen Laut ausstieß. Freude und Zweifel mischten sich in diesen Ruf, denn er war zwar beglückt über die Rettung seines Bruders, wußte aber nicht, was es zu bedeuten hatte, daß der kleine Philip so schlaff und reglos in Shanes Armen lag. War er — nur bewußtlos? „Kutscher“, sagte der graubärtige Riese rauh. „Tu, was in deinen Kräften steht. Wir alle werden es dir nie vergessen, wenn du Unmögliches fertigbringst.“ Der Kutscher hatte sich erhoben und wies auf eine Koje, Shane bettete den Jungen darauf, und sofort unternahm der Kutscher einige recht drastische, aber sehr wirksame Versuche der Wiederbelebung. Er war derart in seine Bestrebungen vertieft, daß er nicht bemerkte, wie nun auch der Seewolf, Ben Brighton, Ferris, Blacky,
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Smoky und die beiden O'Flynns in den schwankenden Raum traten. Hasards Blick ruhte auf dem kleinen Philip. Er bewegte sich fast vorsichtig voran. Shane wagte nicht zu atmen. Hasard wollte den Kutscher bei seinen Versuchen unterstützen und beugte sich schon vor, um Philips Arme zu bewegen oder seinen Körper festzuhalten, da brach eine Fontäne aus Philips Mund. Ja, er spuckte Wasser und näßte die Koje, aber das Wunderbare daran war, daß er sich regte, zu husten begann und Anstalten traf, sich von der Koje aufzurichten. „Donnerkeil“, sagte Carberry, der soeben hinzugetreten war. „Ich wette, das sind ein paar Gallonen Seewasser. Hätte gar nicht gedacht, daß in einen Knirps soviel 'reingeht. Kutscher, hat er auch Fische mit ausgespuckt? Sardinen vielleicht, was, wie?“ „Nein“, erwiderte der Kutscher grinsend. „Auch keinen Rum und keinen Whisky. Die Flaschen im Kombüsenschapp haben die Jungen nämlich nicht angerührt.“ Philip hatte die Augen aufgeschlagen. Verblüfft blickte er in die Runde. Er schien nicht zu begreifen, was um ihn herum geschah. Erst als der kleine Hasard von seinem Platz aufstand, an die Koje des Bruders trat und begann, auf Philip einzureden, weiteten sich die Augen des geretteten Kindes. „So“, sagte der Seewolf. „Und jetzt will ich wissen, wie das passieren konnte. Shane, hatte ich dir nicht den Befehl gegeben. darauf zu achten, daß die Bürschchen im Vordeck bleiben?“ „Aye, Sir. Ich hab's ihnen erklärt, und sie haben es kapiert.“ „Trotzdem sind sie an Oberdeck erschienen!“ „Sir“, sagte der Kutscher. „Ich glaube, das ist nicht direkt absichtlich geschehen. Ich schätze, die Kinder haben ein wenig im Vordeck herumgestöbert und sind dabei auf die Kombüsentür gestoßen, die ich Esel nicht zugeriegelt hatte, bevor ich an Oberdeck ging.“ „Nächstes Mal sperren wir die beiden ein“, entgegnete der Seewolf hart. „Bei Sturm,
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im Gefecht - ich will kein Risiko eingehen. Es ist mir lieber, sie fühlen sich wie Gefangene an Bord dieses Schiffes - als daß ein Unglück geschieht, das durch Fahrlässigkeit verursacht wird.“ „Sir“, sagte der Kutscher eindringlich. „Ich nehme an, die beiden wären unter Deck geblieben - wenn nicht Arwenack und Sir John gewesen wären.“ „Was haben die mit dem Ganzen zu tun?“ Der Kutscher berichtete, was sich in der Kombüse zugetragen hatte. Bei der Schilderung des Augenblicks, in dem der Schimpanse aus dem Kessel mit der süßsauren Soße gesprungen war, zuckte es um Hasards Mundwinkel. Er blieb aber doch ernst. „So war das“, sagte er am Ende. „Nun, dann sperren wir eben den Affen und den Papagei nächstes Mal ein.“ „Sir John, dieser Halunke“, wetterte der Profos. „Wo steckt der Bastard? Ho, wenn ich ihn erwische, rupfe ich ihm sämtliche Federn aus.“ „Und Arwenack?“ fragte Dan O'Flynn. „Was tust du mit dem?“ Carberry blickte ihn so freundlich an, als wolle er ihn verschlingen. „Ich weiß, was du hören willst, aber ich sag's nicht. Der Spruch ist mir langsam zu abgedroschen.“ „Was, schon?“ sagte Old Donegal, aber keiner schenkte seiner Bemerkung Beachtung. Der Kutscher schaute zum Profos. „Ed, du hast vorhin darauf gedrungen, daß die Zwillinge bestraft werden. Vielleicht sind sie in die Sache nur 'reingeschliddert, und es war ja auch ein glatter Fehler von mir, die Tür offen zu lassen. Aber du wolltest ihnen den Hintern versohlen, wenn ich mich nicht irre.“ Hasard nickte seinem Profos aufmunternd zu. „Nur zu, Ed. Wenn die beiden eine Naht nötig haben, will ich dich nicht daran hindern. Disziplin ist Disziplin, und Rücksicht wird auf der ‚Isabella' nicht genommen, wenn einer von der Crew aus der Reihe getanzt ist.“ Carberry blickte den kleinen Philip an, der naß, mager und hustend auf seiner durchweichten Koje kauerte. Er musterte
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den älteren Zwillingsbruder, in dessen großen eisblauen Augen noch das Entsetzen über das Erlebte geschrieben stand. Carberry hielt sich an einem Pfosten fest, um nicht umzukippen. Er sann nach, gelangte zu keinem Schluß und hätte sich am liebsten an seinem Rammkinn oder am Kopf gekratzt. Irgendwie war es ihm zu eng in seiner mit süß-saurer Soße bekleckerten Kluft geworden. „Na, was ist, Ed?“ fragte der Seewolf. „Ich, äh, Sir ...“ „Nimmst du die Neunschwänzige, oder ziehst du einen Ledergürtel vor? Oder willst du die Burschen mit der bloßen Hand versohlen?“ erkundigte sich Old O'Flynn. „Nun rede doch schon, Stottern ist doch sonst nicht deine Art.“ „Sir“, sagte Edwin Carberry, ohne den Alten auch nur eines Blickes zu würdigen. „Ehrlich gestanden bin ich ja froh, daß die Bengel nicht abgesoffen sind. Ich als Profos verzichte daher auf jede Bestrafung.“ Plötzlich grinste er. „Der Schreck, der den beiden in die Knochen gefahren ist, hält sie meiner Meinung nach für die nächste Zeit sowieso davon ab, Streiche auszuhecken.“ „Das glaube ich auch, Ed“, antwortete der Seewolf. „Ich hätte da einen Antrag zu stellen, Sir ...“ „Einen was? Nun mach's doch nicht so spannend.“ „Also, die Knaben brauchen was, das ihnen moralisch oder seelisch ein bißchen wieder auf die Beine hilft, oder wie man das nennt“, sagte der Profos. „Da wir nicht richtig mit ihnen reden können, bitte ich um die Genehmigung, sie mal ein bißchen zum Lachen bringen zu dürfen. Das hilft nämlich.“ Hasard lächelte. „Nur zu, Ed.“ Carberry beugte sich zu den Zwillingen vor und reckte ihnen sein Rammkinn entgegen. Sie wichen unwillkürlich zurück und dachten wohl, jetzt sei der Moment der großen Abrechnung da. Aber Carberry sagte nur: „Wißt ihr, wie das klingt, wenn dem alten Donegal die
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Läuse und Flöhe übers Fell marschieren? Nein? Na, dann hört mal gut zu, ihr beiden Satansbraten.“ Er kratzte sich am Kinn, daß es auch im Sturmheulen und Brausen mal wieder so klang, als wandere eine Armee Kombüsenschaben über chinesisches Reispapier. Der Erfolg blieb nicht aus. Philip und Hasard vergaßen, was ihnen eben passiert war. Ihre Mienen hellten sich auf, sie schlugen sich mit den Händen auf die Knie und begannen derart zu lachen, daß sie sich die Bäuche halten mußten. Als der Profos dann auch noch mit den Augen rollte und den Mund verzog, wälzten sie sich vor Vergnügen auf den Kojen. Carberry hielt inne und drehte sich zu den anderen um. „Na, habe ich nicht recht gehabt?“ „Großartig“, erwiderte Big Old Shane. „Und da heißt es immer, der einzige, der hier mit Kindern umgehen könne, sei der Schmied von Arwenack.“ „Großartig“, äffte der alte O'Flynn ihn nach. „Daß ich nicht wiehere! He, Profos, wenn du dich sehen könntest. Du gibst eine alberne Figur ab, weißt du das? Und überhaupt – seit wann habe ich Flöhe und Läuse?“ Erst .sah es so aus, als wolle der Profos explodieren, aber dann überlegte er es sich anders. Er blickte den Alten so freundlich wie ein hungriger Hai an. „Donegal“, brummte er. „Wenn du es selbst nicht weißt, wie soll ich dann wissen, seit wann du das Viehzeug schon im Fell sitzen hast, wie?“ Die Männer lachten. Old Donegal wandte sich ab, kehrte auf den Vordecksgang zurück, schüttelte die Faust und stieß die wildesten Verwünschungen aus. Plötzlich lag er aber auf den Planken und streckte alle viere von sich. Ein besonders heftiger Schlag hatte die „Isabella“ getroffen. Hasard und seine Männer halfen ihm auf, dann stürzten sie alle an Oberdeck. Nur der Kutscher blieb bei den Zwillingen zurück, die sich jetzt zusehends erholten. Der Sturm war noch nicht abgeritten. Den Männern der „Isabella“ stand noch eine harte Nacht bevor.
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Gegen Mitternacht hatte das schlimmste Toben ein Ende, und die abgekämpften, verbiesterten Männer hielten eine Zwischenbilanz. Hasard versammelte die Crew auf der Kuhl um sich. Man konnte jetzt -vorausgesetzt, man hielt sich irgendwo fest - schon wieder einigermaßen sicher auf den Planken stehen. „Nur der Bugspriet ist lädiert, die Blinde hat es halb zerfetzt, eine der vorderen Drehbassen hat sich aus ihrer Lafette gelöst und ist auf die Back gepoltert, die Großmarsrah sitzt so locker, daß sie uns jeden Augenblick auf die Köpfe donnern kann, und die Ruderanlage hat auch irgendeinen Defekt“, sagte er. „Das alles läßt sich aber beheben“, sagte Ferris Tucker. „Ja, wir sind glimpflich davongekommen“, fügte Ben hinzu. „Wir dürfen aufatmen“, sagte Hasard. „Was uns jetzt fehlt, ist eine geeignete Bucht, in der wir bis morgen ankern können. Vor dem Sturm haben wir uns nicht schützen können, aber wir wollen wenigstens die Reparaturen am Schiff an einem sicheren Platz vornehmen.“ „Hauptsache, wir kriegen nicht wieder was aufs Haupt“, sagte der alte O'Flynn. „Nein, Shane, ich unke nicht. Ich male auch nicht den Teufel an die Wand. Ich meine nur: Selbst wenn der Sturm langsam nachläßt und nicht von neuem losbricht, können wir immer noch Ärger mit den Dons kriegen. Wenn die uns hier aufstöbern - na, dann prost Mahlzeit.“ „Ich denke, wir befinden uns auf der afrikanischen Seite der Meerenge“, sagte Big Old Shane. „Spanische Verbände werden bei diesem Wetter hier wohl nicht gerade unterwegs sein, oder? Hasard, hast du eine Ahnung, wo wir genau stecken?“ „Meinen letzten groben Berechnungen nach hätten wir jeden Augenblick auf Land gedrückt werden können“, erwiderte der Seewolf. „Aber ich muß mich in der Aufregung wohl vertan haben. Jetzt kann ich nur schätzen. Vielleicht segeln wir
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irgendwo zwischen Punta Leona und Punta Almina, vielleicht sind wir über Punta Almina aber auch schon hinaus und klüsen bereits durchs Mittelmeer.“ „Verdammt und zugenäht“, sagte Carberry, „Wenn man bloß was sehen könnte.“ „Sir“, meldete sich Bill, der Schiffsjunge. „Ich bitte darum, wieder in den Großmars aufentern zu dürfen. Bei diesem Seegang ist das kein Risiko mehr. Ich will nach Land Ausschau halten.“ „Der Wind schüttelt dich aus dem Mars wie eine reife Birne“, widersprach der Profos. „Außerdem kannst du im Dunkeln ja doch nichts sehen, Junge. Das laß mal schön bleiben.“ „Sir, ich möchte mich aber bewähren.“ „Sohn“, sagte Carberry. „Wir wissen ja, daß du kein Bangemann bist. Du brauchst es uns nicht erst noch zu beweisen - es sei denn, der Seewolf gibt dir die Erlaubnis dazu.“ Hasard sah Bill ernst an. „Du bist kein Kind mehr, Bill. Du weißt, daß du die Verantwortung für dich ganz allein trägst, wenn du dort oben bist.“ „Ja, Sir.“ „Und wenn du außenbords fliegst, ist das ganz allein deine Schuld.“ „Ja, Sir. Ich habe mich gefälligst richtig festzuhalten, nicht wahr?“ „Und falls nötig, bindest du dich fest.“ „Aye, Sir“, sagte Bill. „Dann los“, sagte der Seewolf. „Zeig die Hacken, führ mal vor, wie flink du in den Großmars springst.“ Während Bill sich schon in Bewegung setzte, drehte sich Hasard Carberry zu. „Ed, nichts gegen deine Einwände, aber es könnte tatsächlich sein, daß der Junge uns weiterhilft. Und es soll ja auch ein guter Seemann aus ihm werden.“ „Richtig, Sir, natürlich.“ Carberry war es unangenehm, daß die anderen ihn musterten. Eigentlich war er es ja sonst, der die Crew so richtig schliff und auf Trab hielt. Aber in der rauhen Profos-Schale steckte eben ein weicher Kern, und besonders auf Bill paßte Carberry wie ein väterlicher Ratgeber auf. Er hatte den Moses ins Herz geschlossen, genau wie er
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jetzt die Zwillinge in sein Herz schloß. Nur gab er das nicht gern zu. Niemals hätte er Philip und Hasard versohlen können, auch mit der größten Wut im Bauch nicht. Er brachte es ja nicht einmal fertig, Sir John zu rupfen oder ihm den Hals umzudrehen - obwohl er das immer wieder androhte. Die „Isabella“ lief weiter vor dem unverändert achterlichen Wind her. Der Seegang ließ noch etwas nach, doch die Dünung war immer noch stark genug, um ein Ausbessern des Bugspriets oder Richten der Großmarsrah nicht zuzulassen. Auch die außenbords befindlichen Teile der Ruderanlage vermochte Ferris Tucker nicht zu untersuchen, ohne Gefahr zu laufen, in die See zu stürzen. „Dabei hat das Ruder es am dringendsten nötig“, sagte er zu seinem Kapitän. „Hölle, wir müssen diese elende Bucht finden.“ „Wir luven ein paar Strich an und gehen auf Backbordbug. Wenn wir mit dem neuen Kurs dem Land immer noch nicht näher rücken, steuern wir nach Süden“, sagte Hasard. „Auch wenn wir Punta Almina schon hinter uns haben, müssen wir dann auf jeden Fall auf die Küste stoßen.“ Er erteilte Pete Ballie entsprechende Order. Carberry scheuchte die Crew an die Brassen und Schoten. Bis auf das Großmarssegel konnten alle Segel wieder gesetzt werden -die Windstärke ließ es jetzt zu. Die Sturmsegel wurden geborgen und in den Lasten verstaut. Nach und nachlösten die Seewölfe auch die Manntaue und schossen sie auf. Wenig später stieß Bill einen Ruf aus. „Deck! Land Steuerbord voraus!“ Hasard enterte zu dem Jungen in den Großmars hoch, um sich zu vergewissern, daß es sich um keine Täuschung handelte. Aber er wurde .wirklich angenehm überrascht. Das Spektiv in die Nacht zu richten, hatte keinen Zweck, nur bei Tageslicht konnte man sich der Optik bedienen. Aber Hasard erblickte vom Großmars aus die drei schimmernden Punkte, auf die Bill ihn hinwies.
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„Das sind Lichter“, stellte der Seewolf fest. „Vielleicht die Hecklaternen von Segelschiffen. Oder Lampen, die in einer Siedlung an der Küste brennen.“ „Oder Lagerfeuer“, meinte Bill. „Bei dem Wind?“ „Ich könnte mir denken, daß man ganz kleine Feuer auch bei böigem Wind unterhalten kann - wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, Sir“, erwiderte der Junge. Hasard warf ihm einen Seitenblick zu. „Sicher darfst du das. Und du könntest sogar recht haben. Es bleibt die Frage offen, wer da so nett ist, uns als Richtungsweiser zu dienen. Egal - wer auch immer, er wird uns kaum wohlgesinnt sein.“ „Wir steuern deswegen wohl nicht auf die Lichter zu, oder, Sir?“ „Nein. Wir halten uns weiter östlich, gehen dicht unter Land und forschen nach der Bucht, die hoffentlich nicht nur in unserer Einbildung existiert.“ Es gab sie wirklich. Knapp zwei Glasen später hatten sie sich an der Küste entlang getastet und jenen Einschnitt in der nächtlichen Landschaft entdeckt, der ihnen Schutz und Ruhe verhieß. Vorsichtig ließ der Seewolf die Galeone in die Bucht hineinmanövrieren. Old O'Flynn sang die Wassertiefe aus, die von Al Conroy ausgelotet wurde - und kurze Zeit später stand es fest: Sie liefen in ein natürliches Hafenbecken, hinter dessen Landzunge notfalls ein ganzer Verband hätte ankern können. Als das Schiff mit aufgegeiten Segeln Fahrt verlor und- die Männer auf der Back sich bereitstellten, um den Anker fallen zu lassen, trat Ben Brighton zu Hasard. „Wir haben die Bucht gerade rechtzeitig gefunden“, sagte er. „Sieh doch mal.“ Hasard wandte den Kopf. Im Norden, dort, wo die Einfahrt des natürlichen Hafenbeckens lag, schoben sich blasse weiße Streifen durch die Dunkelheit. Ihr stummes Wachsen hatte etwas Geisterhaftes an sich. Sie stopften die Einfahrt zu, krochen über das Wasser und
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fächerten auseinander, um auch die „Isabella“ gefangen zu setzen. „Nebel“, sagte der Seewolf. „Der hat uns gerade noch gefehlt. Der Sturmwind, der von den Azoren oder von noch weiter herweht, hat ihn in die Straße von Gibraltar geschoben.“ „Einen Trumpf haben wir“, entgegnete Ben. „In dieser Milchsuppe werden die Dons nicht scharf darauf sein, mit ihren Verbänden auszulaufen und die Gegend für uns riskant werden zu lassen.“ „Richtig. Ich schlage vor, wir bleiben alle Mann auf den Beinen und hauen uns auch den Rest der Nacht uni die Ohren - so schwer es fällt.“ „Wir reparieren also unsere Lady?“ „Ja, Ben. Wenn sich der Nebel in der Frühe lichtet, will ich wieder auslaufen.“ * Abgekämpft und zerschlagen fühlten sich auch die Männer an Bord der drei Segler, die sich nach Morgengrauen mit dem jetzt nur noch handig aus Westen blasenden Wind unaufhaltsam auf die Position der „Isabella“ zubewegten. Der große Verband, dem diese Schiffe angehörten, war im Sturm draußen auf dem Atlantik zersplittert worden. Statt die Stelle anlaufen zu können, an der das Treffen mit anderen Galeonen und Karavellen stattfinden sollte, statt schließlich auf jenen spanischen Hafen zuzusteuern, der viel weiter im Norden lag, hatte das Wetter nun das Flaggschiff „Elizabeth Bonaventura“ und zwei seiner Begleiter bis in den „Estrecho“ gepreßt. Und es war ein verzwicktes Stück Arbeit, wieder den Weg hinaus auf den Atlantik zu finden. Der Kommandant des Verbandes stand mit verschlossener Miene an der vorderen Schmuckbalustrade des Achterkastells. Er blickte auf die Männer hinunter, deren Gestalten er im Nebel nur undeutlich zu erkennen vermochte. Der Sonne wollte es nicht gelingen, ein Loch in den milchigen Vorhang zu brennen. Ihr Licht war diffus, trübe und
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schien eher nachzulassen als zuzunehmen. Eine neue Nacht schien sich anzukündigen. Es hat keinen Zweck, dachte der Kommandant auf dem Achterdeck des großen, gut armierten Schiffes, wir müssen erst abwarten, bis der Nebel sich verzieht, dann können wir gegen den Wind kreuzen. Jetzt riskieren wir nur, auf ein Riff oder eine Sandbank zu laufen. Der Kommandant war von nicht sonderlich großem Wuchs. Doch seine überragende Persönlichkeit wurde nicht durch Körpergröße versinnbildlicht, sondern durch andere Qualitäten. Der Mann war robust gebaut und hatte einen runden Schädel mit braunem Haar und einem spitz nach unten zulaufenden, säuberlich gestutzten Vollbart. Groß und klar blickten die grauen Augen aus diesem ebenmäßig geschnittenen, rötlich gefärbten Gesicht. Stämmig, aber wohlgeformt waren die Hände, die auf der Schmuckbalustrade lagen. „Sir!“ rief einer seiner Männer. „Wir riskieren es, zu dicht unter Land zu geraten. Wir sollten irgendwo ankern und warten, bis der Nebel sich lichtet.“ „Eine Bucht wäre mir zum Ankern lieber.“ „Ich weiß nicht, ob wir eine Bucht finden, Sir“, sagte ein anderer Achterdecksmann. „Das scheint mir unmöglich zu sein.“ „Wir versuchen es trotzdem.“ „Ist das ein Befehl, Sir?“ „Ja. Der Ausguck soll gefälligst die Augen aufsperren.“ „Jawohl, Sir. Sollten wir nicht lieber auch den Fockmastgast in den Vormars hinaufschicken?“ „Eine ausgezeichnete Idee.“ „Danke, Sir.“ „Wir ändern unseren Kurs um zwei bis drei Strich Steuerbord, damit wir der nordafrikanischen Küste näher geraten. Wenn mich nicht alles täuscht, befinden wir uns in dem Gebiet einer felsigen Küstenregion. Wir werden die Steine schon rechtzeitig aus dem Wasser wachsen sehen -trotz des Nebels.“ „Hoffentlich, Sir.“ „Wir werden alles tun, um nicht aufzulaufen und doch einen Unterschlupf
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zu finden, der uns vor den Blicken von Englands Feinden schützt, wenn die Sicht wieder besser wird. Eventuell werden wir die nächste Nacht abwarten, um die Meerenge auf dem entgegengesetzten Weg wieder zu durchqueren.“ „Aye, aye, Sir“, erwiderte der Achterdecksmann. Schon kurze Zeit später stieß der Ausguck im Vormars der „Elizabeth Bonaventura“ einen heiseren Schrei aus. Düster erhob sich die Küste aus dem Nebel und schien sich auf die Galeone zuzuschieben. Befehle wurden hastig ausgestoßen, es herrschte Bewegung an Oberdeck, und der Rudergänger legte Hartruder, um der lebensgefährlichen Barriere auszuweichen. Das Schiff glitt am steinigen Ufer vorbei, ohne seinen Kiel auf Grund zu setzen oder mit dem Vorsteven auf eine Untiefe zu stoßen. Die anderen beiden Schiffe folgten ihrem Anführer in Kiellinie. Der Nebel war zäh und tückisch, und es schien ein von vornherein zum Scheitern verdammtes Unterfangen zu sein, noch weiter vordringen zu wollen. Doch dann geschah es. Der Fockmastgast des Flaggschiffes sah plötzlich den dunklen, unwirtlich und menschenabweisend anmutenden Streifen Land aus seinem Blickfeld verschwinden. Er öffnete den Mund, um Meldung zu erstatten, man sei aller Wahrscheinlichkeit nach dabei, ein Kap zu runden - doch dann entdeckte er ein Stück weiter voraus einen breiten Schemen, der sich im Nähersegeln wiederum als Felsen entpuppte. „Sir!“ rief der Mann im Vormars. „Eine Passage! Ich glaube, wir haben die Einfahrt einer Bucht vor uns!“ „Ausgezeichnet“, sagte der bärtige Kommandant, der immer noch an der Schmuckbalustrade des Achterdecks stand. „Mehr wollten wir ja nicht. Loten wir jetzt die Wassertiefe in der Passage aus. Wir tasten uns so behutsam wie möglich voran. Ich will nicht doch noch eine böse Überraschung erleben.“ 5.
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Bill hatte den Großmars seit Mitternacht nicht mehr verlassen. Ihm fielen zwar fast die Augen zu, aber jedesmal, wenn er kurz vorm Einnicken war, gab er sich einen inneren Ruck und richtete sich kerzengerade auf. Arwenack riß dann auch immer die Augen auf. Der Affe hatte einen günstigen Moment genutzt, um das Vorschiff zu verlassen und sich in die Hauptwanten der „Isabella“ zu schwingen. Im Eiltempo war er aufgeentert, und die Männer, die mit den Reparaturen beschäftigt waren, hatten ihn nicht gesehen. Auch Sir John hatte den Standort gewechselt. Keck hatte er sich zu seinem Herrn und Gönner begeben -zum Profos. Der hatte dann auch seine Drohungen nicht in die Tat umgesetzt, sondern dem Papagei wegen des Zwischenfalls in der Kombüse nur ein paar üble Wörter an den Kopf geworfen. Arwenack hatte ein viel schlechteres Gewissen als der Aracanga, und irgendwie hatte er sich im Vordeck wie in einer Falle gefühlt. Da erschien ihm der Großmars bedeutend sicherer, er war froh, den Ausbruch gewagt zu haben. Bill schien ihm der einzige zu sein, der bereit war, einem traurigen Schimpansen zu vergeben. Arwenack beobachtete den Jungen aus großen Augen und gab sich Mühe, nicht dauernd einzuschlummern. Zumindest dies schien er dem Zweibeiner, der ihn ja nicht einmal ausschimpfte, schuldig zu sein. Bill stand plötzlich stocksteif da. „Still“, flüsterte er. Hätte Arwenack antworten können, so hätte er jetzt gewispert: Aber ich habe doch gar nichts gesagt! Die „Isabella“ lag mit dem Bug nach Südosten und mit dem Heck nach Nordwesten gewandt in der Bucht, deren genaue Ausmaße wegen des Nebels noch keiner der Männer kannte. Bill beugte sich über die Umrandung des Großmars und spähte nach Backbord, konnte aber nichts erkennen als die triste Nebelwand.
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„Trotzdem - ich bin ganz sicher“, raunte er. „Was tun? Soll ich abentern? Wenn ich jetzt rufe, könnte ich ein Unheil anrichten.“ Er blickte sich nach allen Seiten um und traf dann seine Entscheidung. Flink kletterte er über die Segeltuchverkleidung der Plattform, ließ sich in die Webeleinen der Wanten sinken und hangelte so schnell wie möglich auf die Kuhl hinunter. Ausgerechnet Carberry empfing ihn. Er glaubte, seine Gutmütigkeit von vorher durch Strenge ausgleichen zu müssen. „Moses“, sagte er barsch. „Wer zum Teufel hat dir gesagt, daß du jetzt abgelöst wirst? Sieh zu, daß du wieder in den Mars aufenterst, oder ich bring dich auf Vordermann.“ „Sir“, antwortete der Junge. „Ich habe eine Meldung für den Seewolf. Eben habe ich einen Ruf gehört.“ „Was? Wo denn?“ „In der Einfahrt der Bucht.“ „Bist du sicher, daß du dich nicht getäuscht hast?“ „Sir, ich habe ein Gehör, auf das ich mich verlassen kann“, sagte der Junge. Ja, das stimmte. Von Bill hieß es, daß er auch das Gras wachsen und die Seekuh unter Wasser kalben höre. Bei allem Disziplingeist sah der Profos sofort ein, daß er der Nachricht des Moses größten Ernst beizumessen hatte. „Es ist nur richtig, wenn wir uns leise verhalten“, sagte er deshalb so gedämpft wie möglich. „Wenn da ein Schiff aufkreuzt, dürfen wir uns nicht durch Geschrei vorzeitig verraten. Los, zurück auf deinen Posten, Bill, ich sage dem Seewolf Bescheid.“ „Ja, Sir.“ Bill lief schon wieder zu den Großwanten zurück, jumpte auf die Rüsten, begann zu klettern. Carberry hastete zu seinem Kapitän, der sich gerade mit Ferris, Ben und ein paar anderen Männern in der Nähe des Ruderhauses aufhielt. Ferris Tucker erklärte, was er zu tun gedachte, um die ramponierte Ruderanlage instand zu setzen. Die Männer verstummten, als sie Carberrys Worte vernahmen. Hasard
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blickte nach Backbord, konnte in dem Nebel, der sich nicht verflüchtigen wollte, aber ebenso wenig erkennen wie die anderen. „Ben“, raunte er. „Wir bereiten uns darauf vor, den Buganker hochzuhieven. Ed, in wenigen Sekunden will ich die ,Isabella` gefechtsklar sehen. Wir müssen auf alles gefaßt sein, das wißt ihr. Wenn wir nicht beweglich und auf jede Überraschung vorbereitet sind, kann uns ein x-beliebiger Gegner hier ganz schön die Hölle anheizen.“ „Ich bin schon weg, Sir“, zischte Carberry. Seine wuchtige Gestalt entfernte sich über den Niedergang zur Kuhl. Die Männer versahen stumm ihr Werk, jeder Handgriff saß. Das Tappen nackter Fußsohlen, das Scharren von Stiefeln und das Knarren der Stückpforten, die hochgezogen wurden, waren in den folgenden Sekunden die einzigen Geräusche, die von Bord der „Isabella“ zu hören waren. Bis in die Einfahrt der Bucht drangen sie auf keinen Fall, in diesem Punkt war der Seewolf sicher. Mit dem Ausrollen der sechzehn 17pfünder wartete die Crew. Das Rumpeln der Hartholzräder der Lafetten hätte sie verraten können. Auch das Lichten des Ankers zögerte der Seewolf noch hinaus, obwohl seine Männer am Gangspill des Vordecks bereitstanden. Das Knarren der Trossen würde nicht zu vermeiden sein — es konnte dem, der sich da näherte, einen Hinweis auf die Position der „Isabella“ geben. Außerdem wollte Hasard sich ein einigermaßen klares Bild von der Lage verschaffen, ehe er zur Aktion schritt. Was hatte es mit dem Ruf auf sich, den Bill vernommen hatte? Erschien da wirklich ein Schiff? Oder hatte sich ein Einheimischer der Küstenregion auf die Landzunge verirrt? Hasard beurteilte diese letzte Möglichkeit als höchst unwahrscheinlich. Angestrengt hielt er Ausschau nach Norden, zur Passage, die sie in der Nacht durchfahren hatten. Wenn jetzt gleich ein Schiff aus dem Nebel auftauchte, wer war dann sein
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Kapitän, wer seine Besatzung? Spanier? Arabische Seeräuber? Hasard stellte sich erneut eine Frage, mit der er sich schon in der Nacht beschäftigt hatte. Wäre es nicht besser gewesen, einen oder zwei Posten auf die Landzunge zu schicken, die das Aufkreuzen ungebetener Gäste frühzeitig gemeldet hätten? Aber nein — weiter als ein paar Yards hätten auch sie in diesem Nebel nicht blicken können. Und wie hätten sie sich mit den Männern der „Isabella“ verständigen sollen? Zeichen hätten sie nicht geben können, die wären auf dem Schiff nicht erkannt worden. Und eine eilige Rückkehr zur Galeone mit einem Beiboot nahm immerhin soviel Zeit in Anspruch, wie ein fremder Segler brauchte, um die Einfahrt anzusteuern und zu passieren. Hasard blickte zum Großmars hoch. Er konnte Bills Gestalt verschwommen wahrnehmen. Der Junge gestikulierte erregt, er mußte etwas gesehen haben, und es fiel ihm in diesem Augenblick wirklich schwer, seine Meldung nicht ausrufen zu können. Der Seewolf gab ihm ein Zeichen, daß er verstanden habe. Er drehte sich nach Backbord, wo eben wieder Ben Brighton erschienen war, der vom vorderen Gangspill zurückkehrte. „Ben, Bill hat etwas gesehen.“ „Halten wir die Augen offen“, erwiderte der Erste und Bootsmann. „Wir müßten dann ja auch jeden Moment ...“ Er verstummte. Hasard wies mit der Hand zur Einfahrt, und es bedurfte keines weiteren Kommentars. Was da im Nebel achteraus der „Isabella“ war, konnte jetzt jeder Mann an Deck deutlich genug erkennen. Totenstille hatte sich auf der „Isabella“ ausgebreitet. Nur das Plätschern des Wassers an den Bordwänden war hin und wieder zu vernehmen. Von der Einfahrt her bewegte sich ein großer Schatten in die Bucht. Ein Dreimaster war das, soviel war zu registrieren, eine Galeone. Doch welche Herkunft, Flagge und Bestimmung sie
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hatte, wurde im Nebel zu einem unlösbaren Geheimnis. „Wer ist das bloß?“ zischte Ferris Tucker. „Vielleicht verrät er es uns ja gleich“, erwiderte Shane leise. „Wenn wir ihn sehen können, muß er uns jetzt auch entdeckt haben“, raunte Old Donegal Daniel O'Flynn. „Irgendwas muß er tun. Er kann sich doch nicht frech und gottesfürchtig einen Ankerplatz in dieser Bucht suchen und so tun, als gäbe es uns gar nicht. „Donegal“, brummte Big Old Shane. „Ich bewundere deinen Scharfsinn. Ich glaube, diesmal hast du wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen.“ Die Miene des Alten verfinsterte sich. „Wenn du mich veräppeln willst, dann sag Bescheid ...“ „Still!“ zischte Ferris. Sie standen am achteren Gangspill und blickten zu Hasard. Der Seewolf fixierte das fremde Schiff. Der Bauart nach schien es ihm kein Spanier zu sein, aber konnte er denn wissen, welche Veränderungen auch die Dons während der letzten Jahre in der Konstruktion ihrer Schiffe getroffen hatten? Nein, er konnte nicht erraten, welcher Herkunft dieser stolze Dreimaster war, aber irgendetwas an der Erscheinung dieses Schiffes fesselte ihn auf ungewohnte Weise und zog ihn in eine Art Bann. Was war das? Wie ließ sich das erklären? Was erwartete er, wenn über diesen Fremden doch noch alles im ungewissen lag? Die Galeone steuerte auf die „Isabella“ zu, vorsichtig, tastend, aber doch mit unverändertem Kurs. „Hasard“, stieß Ben verhalten aus. Hasard folgte seinem Blick. Seine Haltung versteifte sich. Eine zweite Silhouette war im Nebel aufgetaucht. Blaß ragte sie aus dem Kielwasser des Dreimasters auf – ein weiteres Schiff, das sich mit der gleichen unmißverständlichen Absicht in die Einfahrt geschoben hatte, hier in der Bucht Station einzulegen. „Zwei“, raunte Ben Brighton. „Verdammt noch mal, mit einem Gegner könnten wir's ja noch aufnehmen, aber wenn die beiden
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dort uns in die Zange nehmen, sitzen wir ganz schön in der Falle.“ „Ben, die Männer sollen den Anker lichten“, sagte der Seewolf. „Aye, Sir.“ „Profos“, sagte Hasard halblaut. Carberry, der auf dem Backbordniedergang vom Achterdeck zum Quarterdeck stehengeblieben war, wandte den Kopf. „Soll ich die spanische Flagge im Großtopp hissen, Sir?“ „Ja. Und von jetzt an wird nur noch spanisch gesprochen.“ „Aye, aye — ich meine, si, Senor.“ Vielleicht können wir unsere Besucher ja täuschen, dachte der Seewolf grimmig, vielleicht nehmen sie es uns unbesehen ab, daß wir waschechte Dons sind. Der Nebel erschwert jede Identifizierung, das gilt nicht nur für sie, sondern auch für uns. Kurz darauf flatterte die Flagge der spanischen Galeonen mit einem gekrönten schwarzen Adler und dem Band des Ordens vom Goldenen Vlies darauf im Großtopp der „Isabella“. Gespannt blickten die Seewölfe zu den Ankömmlingen hinüber, Bill vom Großmars aus, die anderen von den Decks aus, und sie fragten sich, wie die Fremden auf den beiden Schiffen wohl darauf reagieren würden, daß sie ein „echtes spanisches Schiff“ vor der Nase liegen hatten. Die Antwort darauf erhielten sie prompt. Ein Feuerblitz stach in den Nebel hinein. Der Pulverdampf war in den weißlichen. Schwaden kaum zu sehen, wohl war aber der Donner zu hören —und das Heulen des heranrasenden Geschosses. Die große Dreimastgaleone hatte eins ihrer Buggeschütze sprechen lassen. Hoch stieg die Fontäne hinter dem Heck der „Isabella“ auf, als die Kugel ins Wasser klatschte. „Großsegel, Fock und Blinde setzen“, ordnete der Seewolf an. „Wir laufen ein Stück aufs Südufer der Bucht zu, fallen dann ab und präsentieren den Brüdern unsere Backbordbreitseite.“ Er war jetzt völlig ruhig. Die Fronten waren geklärt —mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatten sie es nicht mit spanischen Schiffen zu tun,
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denn deren Kapitäne hätten das Täuschungsmanöver der „Isabella“ im Nebel auf diese Distanz kaum zu durchschauen vermocht. Nein — das mußten Freibeuter sein. „Jetzt haben wir den Salat“, sagte der alte O'Flynn. „Den Garaus wollen sie uns bereiten. Sie brauchen uns nur aufs Südufer zuzudrängen und dort festzunageln, dann sind wir geliefert. Ich hab's ja gewußt, daß die Straße von Gibraltar uns nichts als Unglück bringt.“ „Und du denkst, wir lassen uns von diesen Bastarden zusammenschießen?“ grollte Big Old Shane. „Nein — wir feuern zurück. Aber wenn wir auf Grund laufen, du Schlauberger, ist es aus mit uns.“ Bill hatte wieder begonnen, wie verrückt zu gestikulieren. Auf was er seinen Kapitän und die Crew hinweisen wollte, sahen die Männer, als sie achteraus blickten. Ein drittes Schiff war in der Einfahrt der Bucht erschienen. Der Seewolf hatte das Gefühl, eine eisige Hand lege sich auf seinen Rücken. Mit drei Schiffen entpuppte sich der Gegner als überlegener Verband. Und die Bucht war jetzt eine Falle! Nur einen Trumpf hatte Hasard noch: Er hatte dieses Versteck in der Nacht angelaufen, als der Nebel sich noch nicht über See und Küste gesenkt hatte. Daher hatte er sich ein einigermaßen klares Bild von den Ausmaßen der Bucht verschaffen können und wußte, daß er hier ziemlich ungehindert manövrieren konnte — wenn er wie ein Luchs aufpaßte. * Die „Isabella“ segelte mit raumem Wind auf das Südufer der Bucht zu. Die Männer, die jetzt die 17-Pfünder-Culverinen ausgerollt hatten und auf Gefechts- und Manöverstation standen, hielten unwillkürlich den Atem an. Was war, wenn Old O'Flynns düstere Vorhersage sich bewahrheitete? Wenn wir irgendwo auflaufen, können wir einpacken, dachte Ben Brighton. O Hölle
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und Teufel, in was für eine Scheißgegend sind wir hier bloß geraten? Wir stecken euch die Segel an, ihr Halunken, dachte Big Old Shane, der gerade zu Bill in den Großmars aufenterte. Wir decken euch mit Brand- und Pulverpfeilen ein, daß euch die Ohren schlackern und euch das Herz in die Hosentaschen rutscht. Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, suchte auf Hasards Geheiß hin den Vormars auf und sagte sich: Auge um Auge, Zahn um Zahn, ja Sir, das wird ein Gefecht, von dem Batuti träumt! Hasard hatte das Ruderhaus betreten. Die Nacht über hatte Ferris Tucker an der angeknacksten Ruderanlage der „Isabella“ gearbeitet, aber er hatte den Defekt nicht völlig beheben können. Einige Kunstgriffe hatten ihm noch gefehlt, und er war gerade dabei gewesen, Hasard und den anderen vom Achterdeck alle Details seines Vorhabens auseinanderzusetzen, als Carberry mit der Meldung erschienen war, Bill hätte im Nebel einen Ruf gehört. „Pete“, sagte der Seewolf zu seinem Rudergänger. „Glaubst du, daß du es schaffst?“ „Was das Manövrieren in der Bucht betrifft —ja, Sir. Ich würde mir bloß nicht zutrauen, unsere Lady mit einem nur halb reparierten Ruder durch den nächsten Sturm zu steuern.“ „Das sollst du auch nicht.“ „Wann fallen wir ab, Sir?“ „Jetzt, Pete.“ Pete legte das Ruder nach Backbord, die „Lady“ drehte sich in Parallelrichtung zum Ufer und ging platt vor den Westwind. Das Großsegel, die Fock und die Blinde verliehen ihr genügend Fahrt, der Abstand zu dem fremden Dreimaster und dessen Gefolgschaft vergrößerte sich wieder. „Die Kerle tasten sich voran, weil sie Angst haben, ihre verdammten Kübel auf Grund oder auf ein Riff zu setzen“, sagte Carberry, .der angespannt nach Backbord zu dem feindlichen Verband spähte. „Ho, sie kennen sich in dieser elenden Bucht also nicht aus. Das ist ein Vorteil für uns, Leute. Wenn wir hier auch nicht zu Hause
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sind, wir sind ihnen doch um ein paar Längen voraus.“ „Wer ist dieser Hund von einem Piratenkapitän bloß?“ fragte Dan O'Flynn immer wieder. „Wer bloß, wer? Ich würde was drum geben, es rauszukriegen.“ „Ich nicht“, erwiderte Ferris Tucker, der jetzt dabei war, seine sogenannte „Höllenflaschenabschußkanone“ auf dem Quarterdeck zu placieren. „Ich bin bloß an einem interessiert, und zwar, diesen Bastarden so viele Explosionsflaschen unters Hemd zu jubeln wie irgend möglich.“ „Senor“, sagte auf der Kuhl Al Conroy in sauberstem Kastilisch. „Auf was warten wir noch? Wir haben die Hundesöhne vor den Läufen.“ „Willst du feuern, bevor der Seewolf das Zeichen dazu gibt, du Stint?“ fragte der Profos. „Es juckt mir in den Fingern ...“ „Mir auch“, versetzte Carberry in seinem immer noch recht holprigen Spanisch. „Und wie.“ „Vordere Backbordbatterie zünden“, ertönte in diesem Augenblick vom Quarterdeck die Stimme des Seewolfes — auch auf spanisch. „Si, Senor“. entgegnete der Profos. „Klar bei Lunten!“ „Klar bei Lunten“, antwortete Al, der die drittvorderste Culverine der Backbordseite geladen und gerichtet hatte und außerdem als Geschützführer für die vorderen vier Kanonen fungierte. „Feuer!“ brüllte Carberry. Dieses „Fuego“ hallte über die Bucht weg zu den drei anderen Schiffen und mischte sich mit dem Grollen der Kanonen, ehe die Kanoniere des fremden Flaggschiffes zu einer raschen Reaktion gelangten. Ohnehin hätten sie nur die beiden Buggeschütze der Galeone zünden können, und erschwerend kam hinzu, daß das eine Geschütz — es hatte der „Isabella“ den „Begrüßungsschuß“ hinter das Heck gejagt — noch -nicht vollständig nachgeladen war. Zwei 17-Pfünder-Kugeln der „Isabella“ hieben dem Flaggschiff, des bärtigen
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Kommandanten in die Galion, eine weitere riß ein Loch ins Vordecksschott, das auf die Galion wies, und die vierte hob dicht vor dem Bugspriet des Schiffes eine mächtige Fontäne aus der See. Erst jetzt begriff der Kommandant, auf was er sich eingelassen hatte. Er hatte damit gerechnet, daß die Männer jener Galeone mit den auffallend flachen Kastellen und den sehr hohen Masten sich kampflos ergeben würden, sobald sie feststellten, daß sie es mit drei Gegnern zu tun hatten. Aber die Kerle dort — die dachten gar nicht daran, die Flagge zu streichen und kleinlaut zu kapitulieren! Die zeigten die Zähne, ganz gleich, ob sie nun in der Falle saßen oder nicht. Sicher, der Kommandant konnte seine Begleitschiffe heranstaffeln lassen und den Gegner nach allen Regeln der Kunst zusammenschießen, aber lohnte sich dieser Einsatz? „Wer ist das überhaupt?“ fragte der stämmige Mann sich, während er wieder seine Hände auf die Schmuckbalustrade des Achterdecks legte. „Was für einen verwegenen Burschen haben wir da vor uns?“ Das Schiff, das sich als Spanier zu erkennen gegeben hatte, segelte nach Westen und schickte sich nun an, anzuluven. Sein Kapitän schien sich in dieser Bucht hervorragend auszukennen. „Sir“, sagte einer der Achterdecksmänner. „Wollen wir auf diese Herausforderung nicht antworten?“ „Nein, das habe ich nicht vor.“ „Aber ...“ „Außerdem haben wir ihm eine Kugel hinter das Heck gesetzt, vergessen Sie das nicht, mein Bester.“ „Zugegeben, aber er ist unser erklärter Feind, Sir Francis.“ „Er scheint weder Tod noch Teufel zu fürchten“, sagte der Kommandant, Sir Francis Drake, und in seiner Stimme schwangen Respekt und Hochachtung vor dem mutigen „Spanier“ mit. „Aber ich will diesen Kampf nicht mit ihm austragen, es wäre unklug. Wir wenden, verlassen die
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Bucht und ziehen uns ganz zurück. Nein, das ist keine Feigheit vor dem Feind. Bedenken Sie, daß der Geschützdonner weitere Gegner anlocken könnte. Vielleicht halten sich ganz in der Nähe Schiffe auf, zu deren Verband diese Galeone zählt.“ „Das könnte uns zum Verhängnis werden, Sir ...“ „Eben. Denken wir an das, was in Cadiz auf uns wartet. Wir dürfen unser eigentliches Vorhaben in keiner Weise hinten anstellen.“ „Niemals“, sagte der Achterdecksmann des Flaggschiffes. Die „Isabella“ hatte angeluvt und segelte nun auf Steuerbordbug liegend dem nördlichen Ufer der Bucht entgegen, das aus einer schmalen felsigen Landzunge bestand. Matt Davies, Jeff Bowie, Stenmark und Blacky, die die achteren vier Culverinen der Backbordseite bedienten, justierten ihre Geschütze neu, denn wegen der Krängung des Schiffes nach Steuerbord war ein Senken der Rohre nötig geworden. „Diesmal kaufen wir uns das zweite Schiff des Verbandes“, sagte Carberry. „Hasard hat befohlen, wir sollen sein Schanzkleid in Kleinholz verwandeln.“ „Wieso schießen die Hunde nicht zurück?“ fragte Matt Davies. „Ist denen das Pulver naß geworden?“ „Möglich ist alles“, meinte der Profos. „Na, ich weiß nicht“, sagte Stenmark. „Da stimmt was nicht, wenn ihr mich fragt.“ „Senor!“ rief Bill aus dem Großmars. Die Weisung, nur noch spanisch zu sprechen, hatte inzwischen auch sein Ohr erreicht. „Die Gegner wenden! Si, Senor, sie gehen über Stag auf den anderen Bug und versuchen, nach Norden abzulaufen.“ „Aus der Bucht heraus“, murmelte Ben Brighton betroffen. „Sind die nicht ganz richtig im Kopf, oder was ist los? Sie könnten uns doch ganz gewaltig zusetzen ...“ „Möglich, daß sie sich vor Untiefen in der Bucht fürchten“, sagte Ferris Tucker von der Höllenflaschenabschußkanone auf dem Quarterdeck her.
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„Nein“, entgegnete Hasard. Er war an das Backbordschanzkleid getreten und beobachtete den Gegner aus schmalen Augen. Der Nebel hatte sich immer noch nicht gehoben, nach wie vor erschienen die Konturen der drei fremden Schiffe als verwaschene, schemengleiche Schattenrisse. „Da muß noch ein anderer Grund vorliegen, warum sie jetzt einen Rückzieher unternehmen“, fuhr der Seewolf fort. „Die haben ihre Gründe, sich nicht auf ein längeres Gefecht einzulassen.“ „Sie haben die Hosen voll“, befand Old O'Flynn. „Das ist es.“ „Senor“, drang Carberrys Stimme von der Kuhl herauf. „Wie verhalten wir uns? Jagen wir diesen Bastarden nicht nach? Versuchen wir nicht wenigstens, das Flaggschiff zu erwischen?“ „Nein“, erwiderte Hasard. „Wir belassen es bei dem kurzen Schußwechsel. Ich will hier keinen großen Rabatz veranstalten. Wir wollen so schnell wie möglich wieder 'raus aus der Straße von Gibraltar und weiter nach England, oder?“ „Ja, das sollten wir uns vor Augen halten“, pflichtete Ben Brighton ihm bei. „Was haben wir davon, wenn wir an ein paar naseweisen, dreisten Piraten Vergeltung üben, die vor ihrem eigenen Schneid Angst gekriegt haben?“ „Nichts“, sagte Ferris. „Aber ich hätte ihnen doch gern ein paar Höllenflaschen 'rübergeschickt. Verdient hätten sie es.“ Hasard sah zu den drei Schiffen, die inzwischen über Stag gegangen waren, wieder etwas abfielen und dann am Wind zurück zu der Passage liefen, die sie soeben benutzt hatten. Er gab dem Profos einen Wink, die Segel wegzunehmen. „Unser neuer Ankerplatz befindet sich dicht unter der Landzunge“, sagte er zu Ben Brighton. „Dort werden uns irgendwelche Zeitgenossen, die in den nächsten Stunden eventuell die Buchteinfahrt durchsegeln, nicht so schnell entdecken wie an der vorherigen Stelle.“
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„In Ordnung. Ist dir an dem Piratenverband irgendetwas Besonderes aufgefallen?“ „Warum fragst du?“ „Du hast so ein merkwürdiges Gesicht“ „Ben, ich überlege, ob das wirklich Piraten waren.“ „Du meinst — du glaubst nicht daran, daß es Araber waren — wegen ihrer Schiffe?“ Hasard atmete tief durch. „Nein, so sehe ich das nicht. Die Seeräuber der nordafrikanischen Küste segeln heute durchaus auch mit gekaperten Galeonen und Karavellen durch das Mittelmeer und benutzen längst nicht mehr ausschließlich ihre eigenen kleinen Schiffe. Ich will auf etwas anderes hinaus, weiß aber selbst nicht, was ich meine. Vergiß es, Ben.“ „Aye, Sir“, sagte Ben lächelnd. Er schob sich die Mütze aus der Stirn, kratzte sich an der Stirn und fügte hinzu: „Solange sie uns nicht mehr belästigen, können uns die drei Segler doch von jetzt an gestohlen bleiben, oder?“ „Das können sie. Wir haben Wichtigeres zu tun, als über sie herumzugrübeln“, antwortete der Seewolf. In Gedanken war er aber immer noch bei dem Erscheinen des mysteriösen Verbandes. 6. Der große Mann mit dem pechschwarzen Vollbart und den dunklen, forschenden Augen hatte sich ruckartig erhoben, als der Kanonendonner aus der Ferne herangerollt war. In seinem sandfarbenen Burnus, der vom Westwind aufgebauscht wurde, gab dieser Mann, der den Namen El Bayad trug, eine abenteuerliche, verwegene Gestalt ab. Die drei Lagerfeuer zu seinen Füßen waren im Heraufziehen des neuen Tages gelöscht worden, aber noch warteten El Bayad und seine Männer darauf, wieder aufzubrechen. El Bayad behagte es nicht, im Nebel durch das karstige Küstenland zu reiten. Die Pferde konnten straucheln und stürzen und sich die Läufe brechen. Die Gesichter der anderen Männer an den ausgeglommenen Feuerstellen hatten sich
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mit fragenden Blicken der Gestalt des Anführers zugewandt. „Der Geschützdonner kommt von Osten“, hatte El Bayad zu seinen Männern gesagt. „Wenn er auch gegen den Wind so deutlich zu vernehmen ist, kann sich der Platz, an dem der Kampf stattfindet, nicht weit entfernt befinden.“ Ein hagerer Mann, der auf den Namen Fagar hörte, hatte daraufhin erwidert: „Du glaubst wirklich, daß es sich um ein Gefecht handelt?“ „Um was denn sonst? Um Salutschüsse vielleicht?“ „Ich weiß nicht ...“ „Beim Scheitan, halt dein Maul, wenn du nicht weißt, was du von dir gibst“, hatte El Bayad seinen Kumpan angefahren. „Ob wohl Ceuta angegriffen worden ist?“ hatte ein dritter Mann mit wuchtiger Gestalt wissen wollen. Er hieß Hamed. „Wir werden uns ein Bild davon verschaffen, was geschehen ist“, sagte El Bayad, indem er sich zu ihnen umwandte. „Möglich, daß es dort für einen lachenden Dritten etwas zu plündern gibt. Wer sagt euch, daß wir nicht einen großartigen Beutezug vor uns haben?“ „Ja, man kann nie wissen“, erwiderte ein Glatzkopf, den alle Thabek riefen, mit verschlagenem Grinsen. „Aber wie können wir uns in dem dichten Nebel voranbewegen?“ El Bayad überlegte eine Weile, dann sagte er: „Wir werden unsere Pferde eben führen. Wir wandern an der Küste entlang und sehen zu, daß wir die Tiere wohlbehalten dorthin schaffen, wo eben geschossen worden ist.“ So geschah es, daß sich wenig später, als der Nebel etwas durchsichtiger und das Sonnenlicht etwas kräftiger wurde, ein Zug von gut zwanzig Männern und Pferden vom Lagerplatz aus nach Osten bewegte. El Bayad führte seinen Trupp durch das unwegsame, zerklüftete Felsland und achtete besorgt darauf, daß sie jeden Abbruch, jede Spalte, jeden Geröllhang mieden, jedes Gesteinsloch, in dem Kleintiere der dürren und unwirtlichen Region hausten.
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El Bayad war ein Berber vom Stamm der Idouska Oufella. Seit seiner Jugend hatte er den unwiderstehlichen Drang verspürt, sich seinen Lebensunterhalt auf andere Weise zu verdienen als seine Eltern und Brüder, als die Vorfahren des Stammes, die seit Menschengedenken von der Viehzucht und vom Ackerbau gelebt hatten. Eine so erbärmliche Existenz, das hatte der schwarzbärtige Mann sich in den Kopf gesetzt, würde er niemals führen. So war er ein Gesetzloser geworden, der von seinen Stammesangehörigen wie von den Portugiesen, die dieses Land als ihr Eigentum betrachteten, verfolgt wurde. Seit nunmehr fast sieben Jahren gehörte Portugal zu Spanien, wie El Bayad wußte — und seitdem hetzten ihn auch die Spanier, die er seinerseits elementar haßte. El Bayads Bande war ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Schlagetots und Galgenstricken, von denen jeder mehr als ein Dutzend Morde auf dem Gewissen hatte. Nicht alle stammten sie aus der Sierra del Haus, wie die Männer König Philipps II. dieses Bergland getauft hatten. Es waren Männer aus Algier, Tunis, Tripolis, Bengasi, ja, sogar aus dem fernen Ägypten dabei, außerdem ein paar Schwarze aus dem südlicheren Afrika. Die Meute nannte sich gern „Schrecken der Küste“, und das war keineswegs eine Übertreibung, wie ahnungslose Kaufleute und Bauern, die von El Bayad überfallen worden waren, gewiß jederzeit bestätigt hätten. Als die Felsen allmählich abfielen und in eine flachere, wenn auch keineswegs vegetationsreichere Gegend überwechselten, wußte El Bayad, daß er sich mit seiner Bande in der Nähe einer geräumigen Bucht befand. Er beschloß, einen Abstecher zu dieser Bucht zu unternehmen. Die Geschütze, die sie krachen gehört hatten, waren seiner Ansicht nach Schiffskanonen gewesen. Er schloß dies aus dem langgezogenen, sehr dumpfen Böllern, das seiner Überzeugung nach nur
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entstand, wenn Kanonen auf See gezündet wurden. Von der Seefahrt verstand El Bayad nichts. Er hatte sich stets auf Land bewegt und verachtete Segelschiffe. Aber als hartgesottener und erfahrener Strandräuber wußte er nur zu genau, daß gerade die Schiffe aus Spanien und Portugal, dem vereinigten Königreich, oft die kostbarsten Ladungen führten. Fünf Schüsse hatte El Bayad gezählt, aber seit ihrem Aufbruch aus dem provisorischen Lager schwiegen die Kanonen. Was hatte das zu bedeuten? War der Kampf schon vorbei, mit weniger als einem halben Dutzend Kugeln entschieden? Das konnte er sich nicht vorstellen. Aber etwas anderes rechnete er sich aus: Wenn er, El Bayad, in der Nacht mit seinen Männern vom Sturm überrascht worden war und in den Felsen Zuflucht gesucht hatte, so war es durchaus möglich, daß zumindest auch ein Schiff die Bucht angelaufen hatte, um dem Sturm auszuweichen. Von dieser Erwägung angespornt, schritt El Bayad voran. Er gelangte mit seinem Gefolge in eine Senke, von der ihm bekannt war, daß sie nicht weit entfernt von der Bucht lag. Er verhielt und drehte sich zu den anderen um. „Hier lassen wir die Pferde zurück. Hobbelt ihnen die Beine an und paßt auf, daß sie kein verräterisches Schnauben, kein Scharren mit den Hufen von sich geben. Fagar, Hamed und Thabek, ihr begleitet mich jetzt. Wir pirschen uns bis zum Ufer und schauen nach, ob in der Bucht Schiffe ankern. Es gibt auch am Ufer Felsen genug, hinter denen wir uns verbergen können.“ „Allein der Nebel ist uns Deckung genug“, sagte Fagar. „Der Nebel lichtet sich mehr und mehr“, zischte El Bayad. „Gut möglich, daß er bald ganz verfliegt.“ Er band seinem Tier, einem hochbeinigen Falben, mit Lappen die Läufe so zusammen, daß dieser nur noch kleine Schritte tun konnte. Die anderen drei
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folgten seinem Beispiel, dann schlossen sie sich ihrem fortstrebenden Anführer an und ließen den Rest der Meute in der Senke zurück. Wenig später kauerte sich El Bayad hinter einen dicken Quaderstein, der dem Buchtufer so nahe lag, daß man von hier aus beinahe in die Brandung greifen konnte. Das Seewasser spülte mit leise rauschenden und gurgelnden Geräuschen über Felsen und Grobkies. Fagar, Hamed und der Glatzkopf Thabek schoben sich ebenfalls heran und hockten sich hinter El Bayad. Der Schwarzbart grinste ihnen zu. „Seht selbst“, raunte er. „Ich habe mit meinen Vermutungen recht gehabt.“ Die drei riskierten einen Blick um die Kante des Quaders und sahen nun in der zunehmenden Transparenz des Nebels das dreimastige Schiff im Wasser der Bucht ankern. Das war ein schöner Segler von ungewöhnlich schnittiger Bauweise, wie selbst sie als eingefleischte Landratten erkannten. „Ein feines Schiff“, murmelte Hamed. „Ob es seine Geschütze waren, die wir gehört haben?“ „Ich nehme es fest an“, wisperte El Bayad. „Seht ihr die Flagge des Schiffes? Das ist ein Spanier. Ich schätze, er mußte sich gegen Piraten verteidigen, hat sie aber rasch in die Flucht schlagen können.“ „El Bayad“, versetzte Thabek mit seinem penetranten Grinsen. „Soll man daraus schließen, daß dieser Spanier Dinge an Bord hat, für die zu kämpfen es sich lohnt?“ „Darauf kannst du Gift nehmen“, flüsterte der Anführer. Wie gebannt blickte er auf das schöne Schiff. „Wir werden herauskriegen, was die Kerle in ihren Frachträumen führen, das schwöre ich euch. Wir haben Zeit, viel Zeit. Wenn wir erst wissen, ob es sich lohnt, diesen Brocken an Land zu ziehen, werden wir es tun und ihn ausnehmen wie eine schlachtreife Henne.“ „Wie?“ fragte Fagar, der Hagere. „Laß das meine Sorge sein“, zischte El Bayad.
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Ferris Tucker kehrte von einer neuerlichen Untersuchung der Ruderanlage an Deck zurück. „Ich will euch nicht auf die Nerven fallen“, sagte er zu den Kameraden, die ihn erwartungsvoll anblickten. „Aber ich brauche ein Stück einwandfrei gewachsenes Holz, um einen Querbalken der Anlage auszutauschen. Erst dann bin ich völlig sicher, daß der Rudermechanismus wieder richtig funktioniert.“ „Findest du nicht auch, daß du übertreibst?“ entgegnete Old O'Flynn. „Mann, notfalls leihe ich dir mein Holzbein, damit du mit deiner Arbeit fertig wirst.“ „Ist das wirklich dein Ernst, Donegal?“ „Hör mal, ich habe nicht gesagt,' daß du es wörtlich nehmen sollst“, protestierte der Alte. Ferris schielte nach Donegals hölzerner Beinprothese und warf dann Shane und Smoky einen verschwörerischen Blick zu. Old Donegal Daniel O'Flynn wich vorsichtshalber zwei Schritte zurück, weil er befürchtete, daß die Kerle ihn tatsächlich packen und um sein Ersatzbein erleichtern würden. Shane lachte, Smoky, Ferris und die anderen grinsten, als hätten sie sich schon lange nicht mehr so köstlich amüsiert. Der alte O'Flynn holte tief Luft, um eine Flut von Schimpfwörtern auf sie loszulassen, aber da nahm der Schiffszimmermann ihm den Wind aus den Segeln, indem er sagte: „Ruhig Blut, Donegal. Ich stelle gerade fest, daß dein Bein für meine Zwecke doch nicht geeignet ist.“ „Verfluchter Klamphauer“, giftete der Alte. „Das hättest du aber auch gleich sagen können.“ „Du hast mich ja nicht reden lassen.“ „Sir“, sagte Old O'Flynn. „Muß ich mir das gefallen lassen? Muß ich das wirklich?“ Hasard konnte sich ein Grinsen auch kaum verkneifen. „Ich fürchte, ja, Donegal.“
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„Hol's der Henker“, zischte das salzgewässerte Rauhbein. „Heute ist mal wieder die ganze Welt gegen mich.“ „Hasard“, sagte Ferris zu seinem Kapitän gewandt. „Meine Holzvorräte sind aufgebraucht, und ich kann schlecht einen Balken aus dem Schanzkleid reißen, um daraus eine Querstrebe für die Ruderanlage zu bauen.“ „Nun sprich schon aus; welchen Vorschlag du hast“, forderte der Seewolf ihn auf. „Daß ein paar von uns an Land gehen und nach gutem Holz suchen, das sie schlagen und an Bord schaffen können.“ „Ist es wirklich unumgänglich, Ferris?“ „Sonst hätte ich gar nicht erst davon angefangen;“ „Dann. such dir schon mal die Leute aus, die du mitnehmen willst“, sagte Hasard. Der Kutscher war näher getreten und meldete sich zu Wort. „Das trifft sich gut“, meinte er. „In diesem Fall würde ich beantragen, daß wir auch nach einer Trinkwasserquelle forschen. Nachschub für die Vorratsfässer kann ich nämlich gut gebrauchen.“ „Schon wieder?“ entrüstete sich Carberry. „Welches Rübenschwein säuft hier denn so viel Wasser, verdammt noch mal?“ „Ed, es ist nun schon einige Zeit her, daß wir frisches Wasser gefaßt haben“, sagte der Kutscher mit Engelsgeduld. „Ich will nicht sagen, daß wir verdursten müssen, wenn wir die Fässer in den nächsten Tagen nicht füllen. Aber wenn schon jemand an Land geht, sollte er auch die Gelegenheit ergreifen und ...“ „Schon gut“, unterbrach ihn der Profos. „Aber ich schwöre dir das eine. Wenn es die beiden Bengel, der Affe und der Papagei sind, die das Wasser gallonenweise in sich reinschütten, nehme ich mir die Burschen vor und ramme sie unangespitzt ins Kielschwein.“ „Ed“, sagte Big Old Shane. „Säufst du eigentlich nur Wein und Schnaps, wenn du Durst hast?“ „Ich? Untersteh dich. Ein Profos säuft im Dienst nicht.“ „Aber Wasser schon, oder?“
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„Wenn er Brand hat, eine ordentliche Kelle voll.“ „Sir“, sagte Shane förmlich. „Ich bitte hiermit darum, daß Mister Carberry an der Suche nach der Quelle teilnimmt. Ich selbst melde mich „Ja, das haut doch dem Faß den Boden aus“; legte Carberry nun los. Hasard ließ ihn aber gar nicht erst richtig in Fahrt geraten. Er lächelte seinem Zuchtmeister auf eine so bedenkliche Art zu, und es lag etwas so Zwingendes in seinem Blick, daß dem wackeren Carberry alle weiteren Worte glatt im Halse steckenblieben. „Einverstanden, Shane und Ed begleiten Ferris“, sagte Hasard. „Ferris, ich hoffe doch, dir ist diese Wahl recht.“ „Jawohl, Sir.“ „Du kannst außerdem noch zwei Mann mitnehmen. Wir anderen bleiben an Bord der ‚Isabella' und klaren unsere Lady weiter auf.“ „Blacky und Dan“, sagte der rothaarige Riese kurz entschlossen. „Ich schlage vor, daß wir keine weitere Zeit mehr verlieren. Fieren wir ein Boot ab und pullen wir an Land.“ Hasard blickte zum Ufer. Es war jetzt als schwacher grauer Streifen im Nebel zu erkennen. Die dämliche Milchsuppe, wie Old O'Flynn sie nannte, schien sich doch allmählich zu verflüchtigen. Allerdings offenbarte die zunehmend klarere Sicht auch Einzelheiten, die alles andere als erfreulich waren. „Eine einzige Felsenlandschaft“, sagte Hasard, während er seinen Blick über das Land schweifen ließ. „Es ist mir ein Rätsel, wie du dort einen Baum finden willst, der deinen Ansprüchen gerecht wird, Ferris.“ „Laß uns nur etwas weiter ins Innere vordringen, dann haben wir schon Erfolg“, erwiderte Ferris zuversichtlich. „Ich finde, es kommt auf jeden Fall auf einen Versuch an.“ „Ja, das ist wieder mal eine deiner Schnapsideen, Tucker“, brummelte der alte O'Flynn vor sich hin. „Du wirst ja noch sehen, was du davon hast.“
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Keiner schenkte seinen orakelhaften Sprüchen Aufmerksamkeit. Die Männer liefen über die Kuhl, lösten eins der Beiboote aus seinen Laschings, brachten es außenbords und fierten es langsam ab. Der Kutscher hatte vorsorglich bereits ein kleines Holzfaß zwischen die Duchten gepackt, in dem die fünf Männer die erste Wasserprobe mitbringen sollten, falls sie auf eine Quelle stießen. Ferris, Shane, der Profos, Blacky und Dan enterten an der Jakobsleiter an der Bordwand der Galeone ab, stiegen zwischen die Duchten des Bootes und griffen zu den Riemen. Dan stieß das Boot von der Bordwand ab, dann setzten sie sich hin und begannen zu pullen. 7. Edwin Carberry half mit, das Boot halb auf das Kiesufer zu ziehen und ein an seinem Bug befestigtes Tau mittels Steinen auf dem Untergrund zu befestigen. Dann richtete er sich auf, drehte sich um und rümpfte die Nase - wie es nicht anders zu erwarten war. „Nun seht euch das an“, sagte er mit grunzendem, abfälligem Beiklang in der Stimme. „Ferris, hast du von der ‚Isabella' aus gesehen, was für eine beschissene Steinwüste das hier ist?“ „Ich denke schon.“ „Und wo stehen hier deiner Meinung nach die Bäume?“ „Ich sagte doch ...“ „Tiefer im Binnenland“, schnaubte der Profos. „Also schön, stiefeln wir los. Je eher wir es hinter uns haben, desto besser. Ich kann dieses Afrika langsam nicht mehr sehen. Entweder landet man im tiefsten Dschungel -oder es gibt überhaupt kein Grünzeug. Ein bescheuertes Land ist das, Leute.“ „Ein ganzer Kontinent“, berichtigte Dan O'Flynn. „Dan, reiß dein Maul bloß nicht so weit auf“, warnte Carberry. „Meinetwegen, ein Kontinent. Cornwall und Devonshire sind keine Kontinente, aber ich fühle mich dort tausendmal wohler, wenn's recht ist.“
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„Ja“, sagte Blacky. „Nathaniel Plymson, dieser schmierigen Ratte, würde ich auch gern mal wieder die Perücke zurechtbiegen. Und dann gäbe es da noch ein paar andere Kleinigkeiten, auf die ich scharf wäre.“ „Richtig“, seufzte Dan. „Endlich mal wieder ein ordentliches Frauenzimmer in den Händen halten. Mann, das wäre was!“ „Afrika“, brummte Carberry beleidigt. „Nichts gegen seine rechtmäßigen Bewohner. Nette, gastfreundliche Leute, alles, was recht ist, bis auf die Kannibalen und Kopfjäger, denen man ab und zu mal begegnet.“ Er hatte ganz unbewußt die Führung übernommen und sah nicht, wie die vier anderen hinter ihm grinsten und sich anstießen. „Aber sonst haben sie hier nichts zu bieten“, fuhr der Profos in seinem Monolog fort. „Nicht mal ein richtiges Hurenhaus haben sie hier, weder im tiefen Süden, am Kap der Guten Hoffnung, noch bei den Muselmännern hier im Norden. Himmel, Herrgott noch mal - da unten wollen sie dir die Mädchen schenken, und du darfst sie nicht annehmen, und hier oben brauchst du bloß so ein verdammtes Weibsbild mal schief anzuschauen, und sie rammen dir einen Dolch zwischen die Rippen. Wo sind wir denn?“ „In Afrika“, sagte Dan. Carberry schritt zwischen den schweren Felsenquadern dahin und klopfte hier und da mit seinen Pranken gegen das Gestein. „Ja, Afrika. Feines Land. Klotzige Bäume haben sie hier. Und Quellen, aus denen die Kieselsteine rieseln. Ferris, hast du auch deine Axt mitgebracht?“ „Nun hör aber mit dem Gemecker auf“, sagte Big Old Shane. „Ed, wir steigen über die Anhöhe dort hinüber, und ich wette, dahinter beginnt der Pflanzenwuchs dieser Landschaft.“ Carberry lachte auf. „Schon mal was von der Wüste gehört?“ „In der Wüste gibt's nur Sand ...“ „Nein, auch Felsen“, stellte der Profos richtig. „Und was für Johnnys! Ich merke schon, die ganze Reise um die Welt hat dir
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nichts genutzt, Shane, du bist genauso klug wie vorher.“ Shane schob sich neben den Profos. Zwei Riesen stapften nebeneinander her. „Hör zu“, sagte der ehemalige Schmied und Waffenmeister von Arwenack Castle. „Alles kann ich ab, nur aufziehen darf mich keiner. Die Gegend hier gehört nicht zur Wüste, darum würde ich mit dir wetten.“ „Ehrlich? Zu welchem Einsatz?“ „Sagen wir - zwei Perlen aus meinem Privatvermögen.“ Der Profos blieb stehen. „In Ordnung, ich nehme an. Zwei Perlen lasse ich dafür auch gern springen, allemal, wenn es nachher vier werden. Ferris ist der Schiedsrichter. Er nimmt die Perlen entgegen und fragt nachher Hasard, wie das nun mit der Wüste ist.“ Sie bauten sich voreinander auf, grinsten sich grimmig an und fingerten die Lederbeutel aus den Taschen, in denen sie ihren ganz persönlichen Anteil am Schatz der „Isabella“ verwahrten. Ferris trat zu ihnen. „Topp, ich mache mit. Blacky und Dan, ihr Seid Zeugen, daß bei dieser Wette alles mit rechten Dingen zugeht, daß fair gesetzt und gespielt wird. Will noch jemand mit einsteigen?“ Dan O'Flynn grinste spitzbübisch. „Ich sage, wir sind hier nicht in der Wüste, und lasse dafür ebenfalls zwei Perlen springen.“ Er kramte bereits in seinen Wamstaschen herum. Blacky blickte vom einen zum anderen, kratzte sich am Kopf und räusperte sich schließlich. „Also, um ganz ehrlich zu sein, diesmal bin ich mit Ed einer Meinung.“ „Na bitte, wer sagt's denn“, stieß Carberry grollend aus. „Du bildest dir doch wohl nicht ein, schon gewonnen zu haben“, sagte Shane. „Du wirst dich noch wundern.“ „Wundern werden wir uns alle noch, hat mein guter Daddy gesagt.“ Dan lachte und wußte nicht, wie fürchterlich zutreffend die Weissagungen des Alten wieder einmal ausfallen sollten. Ob die Erfüllung des Orakels ein pures Zusammentreffen von unkalkulierbaren
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Umständen war oder aber echte Zukunftsschau, blieb dahingestellt. Abergläubisch waren die meisten Seewölfe, aber andererseits billigten sie dem bissigen Alten keine übernatürlichen Fähigkeiten zu. Vielleicht lag es genau daran, daß sie sich jetzt ziemlich unbesorgt verhielten. Carberry, Shane, Blacky und Dan legten gerade die Perlen in Ferris Tuckers geöffnete Hand, da geschah es. Die Gestalten waren plötzlich da. Sie rückten von allen Seiten auf sie zu. Zwei richteten sich sogar oben auf den Felsquadern auf, in deren unmittelbarer Nachbarschaft die Männer der „Isabella“ sich befanden. Dan O'Flynn stieß noch einen Warnlaut aus, aber der konnte das Unheil nicht mehr abwenden. Die Gestalten fielen mit gezückten Waffen über sie her, mit Messern und Säbein, Knüppeln und Keulen. Sie keilten die fünf Männer ein, und die zwei Kerle von den Quadern hechteten sich mitten in das Gewühl. „Ihr Himmelhunde!“ brüllte Carberry. „Verschwindet, oder ich haue euch die Knochen weich! Ich ziehe euch die Haut in Streifen von euren verfluchten Affenärschen, ihr gefleckten Höhlenratten!“ Um seinen Worten, von denen er nicht wußte, ob sie auch verstanden wurden, den nötigen Nachdruck zu verleihen, stieß er mit seinen Ellenbogen nach den Seiten, breitete dann die Arme aus und verschaffte sich mit den Fäusten Luft. Einem der Kerle trat er auf den Fuß, einem anderen versetzte er einen Tritt in den Allerwertesten, dann zückte er seine Pistole, spannte den Hahn und drückte ab. Der Schuß fuhr in die Luft, er war als Warnung gedacht, aber El Bayad und seine Strandräuberbande dachten nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. Etwas bohrte sich wie Feuer in Carberrys rechten Arm. Die Pistole entglitt seinen Fingern und landete klappernd auf den Felsen. Ein Messer, dachte der Profos, die Hunde stechen dich mit einem Messer nieder.
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Er wollte seinen schweren Schiffshauer zücken, doch der Schmerz raubte ihm die Sinne. Die Kerle, die er mit Hieben umgefegt hatte, hatten sich jetzt wieder aufgerappelt, klammerten sich an ihm fest und prügelten auf ihn ein. Der Profos sank zusammen. Es war die schmählichste Niederlage, die er seit langem erlebte. Durch rotwogende Schleier vor seinen Augen sah er noch, wie auch Ferris Tucker überwältigt wurde Für Sekunden schob sich Shanes Gestalt vor den rothaarigen Schiffszimmermann, das Gewimmel der Leiber schien sich um den Graubärtigen zu schließen und ihn zu vertilgen. Carberry glaubte, Blut in Shanes Gesicht zu sehen. Auch Dan und Blacky gelang es nicht, sich ihrer eigenen Waffen zu bemächtigen. Die fluchenden, heimtückischen Kerle, die wie die Kletten .an ihnen hingen, waren einfach zu viele. So verbissen sich die Seewölfe auch bis zuletzt verteidigten, sie waren dieser Übermacht nicht gewachsen. Dan O'Flynn war der letzte, der bewußtlos zu Boden fiel. Er hatte das Gefühl, die Berührung mit dem Untergrund ganz zu verlieren, und alles versank in erlösender Finsternis. * Die Zwillinge Philip und Hasard hatten nach dem langen Aufenthalt unter Deck wieder die Kuhl betreten dürfen. Der Kutscher hatte jedem ein Stück von dem Kuchen in die Hand gedrückt, den er vor zwei Tagen gebacken hatte. Dieser Kuchen war Arwenack und Sir John, den Kombüsenräubern, bei ihrem Raid glücklicherweise entgangen. Sehnsüchtigen Blickes verfolgte der Schimpanse von seinem Platz im Großmars aus, wie die Jungen ihre Zähne in den Kuchen schlugen. Das war jetzt die Strafe für Arwenack. Er konnte nicht abentern und den Kutscher um ein Stück dieser Köstlichkeit anbetteln, nein, das ging wirklich nicht. Unter „Normalbedingungen“ hätte Arwenack es selbstverständlich getan, aber da noch
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nicht genügend Gras über seinen üblen Kombüsenstreich gewachsen war, würde sich der Kutscher wahrscheinlich einen Schwabberdweil greifen, sobald er den Affen erblickte. Einen Schwabber um die Ohren gefetzt zu kriegen, danach stand Arwenack weiß Gott nicht der Sinn. Er verharrte also im Großmars und schmachtete dahin. Als am Ufer der Pistolenschuß fiel, wandte er jedoch ruckartig den Kopf und blickte wie Bill, der Ausguck, zu dem Platz, an dem das aufpeitschende Geräusch erklungen sein mußte. Auch Philip und Hasard hörten mit dem Essen auf. Sie liefen ans Schanzkleid, hielten verdutzt Ausschau und merkten gar nicht richtig, daß der Kutscher sofort hinter sie trat. Der Kutscher hatte die strikte Anweisung. auf die Knaben aufzupassen. Und das tat er. Falls sie übers Schanzkleid jumpen wollten oder sonstige Streiche ausheckten — vor Überraschungen war man ja nie sicher —, würde er sie sofort beim Schlafittchen packen. Aber die Zwillinge standen nur da und spähten nach der Ursache des Schusses oder nach dem Mann, der ihn abgegeben hatte. Auch der Seewolf und die übrigen Männer der „Isabella“ hatten sich am Schanzkleid versammelt und blick- ten zum Ufer. Philip und Hasard hörten ihren Vater sprechen, verstanden naturgemäß aber kein Wort. So blieb ihnen nichts, als sich darüber zu wundern, was jetzt wohl schon wieder los war. Erst der Sturm, dann der Kanonendonner in der Bucht, jetzt ein Pistolenschuß —was heckten die Großen da eigentlich dauernd aus? „Ferris und sein Trupp scheinen Schwierigkeiten zu haben“, sagte der Seewolf. „Fiert das andere Beiboot ab, Männer. Ben, du übernimmst während meiner Abwesenheit das Kommando auf der ;Isabella'. Donegal, Smoky, Matt, Gary und Batuti, ihr kommt mit, wir sehen sofort nach, was da los ist.“
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„Vielleicht wollte Ferris uns ja auch nur ein Zeichen geben, daß er Bäume entdeckt hat“, meinte Bob Grey ziemlich lahm. Es war ein Versuch, den Kapitän zu beruhigen, aber er mißlang natürlich. Hasard brauchte sich nicht an den Fingern abzuzählen, was am Ufer wohl vorgefallen sein mochte. Nur wenn es ganz knüppeldick kam, feuerte ein Seewolf einen Schuß in die Luft ab. Schreie drangen jetzt durch den aufsteigenden Nebel. „Ein Überfall!“ rief Hasard, während er vom Achterdeck auf die Kuhl stürmte. „Verdammt, warum habe ich Ferris aber auch nicht gewarnt!“ „Ich habe es getan“, sagte Old O'Flynn, der sich heftig atmend hinter seinem Kapitän befand. „Aber auf mich wollte ja keiner hören. Hölle und Teufel, was haben wir auch an Land herumzukrebsen!“ Hasard gab darauf keine Erwiderung. Er schwang sich über das Schanzkleid, enterte an den Sprossen der Jakobsleiter ab und setzte sich in das zweite Beiboot, das in aller Eile abgefiert worden war. Smoky, Matt Davies, Gary Andrews, der Gambia-Mann und Donegal Daniel O'Flynn folgten ihm. Sie legten ab, griffen zu den Riemen. Die zehn Männer. der Moses und die beiden Jungen, die an Bord des Schiffes zurückblieben, schauten ihnen besorgt nach. Arwenack kratzte sich an seinem haarigen Schädel, weil er dies alles wieder mal nicht begriff. Ben Brighton drehte sich auf dem Achterdeck zur Kuhl um. „Los, wir machen gefechtsklar, lichten wieder den Anker und gehen näher an das Südufer der Bucht heran. Was immer da vorgefallen ist, vielleicht brauchen unsere Leute innerhalb der nächsten Minuten dringend Feuerschutz. Wir können nicht tatenlos zusehen, wie sie sich da herumschlagen.“ „Ben!“ rief Stenmark, der Schwede. „Glaubst du, daß die Männer der drei Schiffe zurückgekehrt sind? Sie könnten weiter westlich an Land gegangen sein und sich an unsere Bucht herangepirscht haben.“
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„Ich nehme das nicht an“, erwiderte Ben. „Aber glauben ist ja nicht wissen. Auf jeden Fall scheint hier einiges faul zu sein, und ich will froh sein, wenn wir aus dem ganzen Mist 'raus und alle wieder an Bord sind.“ Hasard und seine fünf Begleiter hatten sich unterdessen an das Südufer herangeschlichen. Der Seewolf als Bootsführer hatte sich auf der achteren Ducht niedergelassen. Er hielt die Ruderpinne und ließ ihr Fahrzeug einen Bogen beschreiben, so daß sie nicht direkt, sondern schräg von der Seite her auf den Kieselstrand zuglitten. Batuti rutschte vom Bug aus als erster in das flache Wasser. Er packte die Bootsleine, zerrte sie hinter sich her und watete durch die Brandung. Zwischen zwei halb im Wasser liegenden Felsblöcken fanden sie Deckung. Hier verstauten sie ihr Boot so, daß es nicht abtreiben konnte. Dann huschten sie geduckt auf den Platz zu, an dem sie den Pistolenschuß und die Schreie vernommen hatten. Sie trafen auf keine Menschenseele. Stille hatte sich ausgebreitet. Hasard hatte den Radschloß-Drehling, ein mehrschüssiges Gewehr eigentümlicher Konstruktion, mitgenommen und bewegte sich sichernd voran. Er bildete den Kopf des kleinen Trupps - und so war er es, der den Gegenstand am Boden als erster sah. Er blieb stehen, bückte sich i und hob seinen Fund auf. „Carberrys Pistole“, murmelte er. „Leergefeuert. Jetzt wissen wir, wer geschossen hat. Mein Gott, wenn den Männern bloß nichts zugestoßen ist.“ Er suchte nach weiteren Spuren und entdeckte ein paar rötliche Spritzer an den Gesteinsquadern zu seiner Linken und zu seiner Rechten. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken, und eine eisige Faust schien nach seinem Herz zu packen. Das war Blut! „Das darf nicht sein“, flüsterte er. „Wenn Ferris, Ed, Shane, Blacky und Dan von irgendwelchen Banditen überrumpelt worden sind — dann gnade der Himmel den Hunden, die das getan haben.“
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Old O'Flynn fluchte leise vor sich hin, aber das nutzte natürlich auch nichts. Hasard forschte nach weiteren Hinweisen und ließ sich auf dem Untergrund nieder. Seine Männer ließen die Umgebung nicht aus den Augen und hielten die Musketen, Tromblons und Pistolen, die sie mitgenommen hatten, schußbereit im Anschlag. „Keine richtige Fährte“, raunte der Seewolf. „Nur ein paar Kratzer und Staubspuren auf dem Boden. Aber ich kann genug daraus ersehen. Mir nach, Männer.“ Er erhob sich und bewegte sich lautlos vom Ufer fort. Ins Landesinnere führte die Spur, die er aufgenommen hatte. Sie schien von vielen Männern hervorgerufen worden zu sein. Ein Umstand, der Hasards nervliche Anspannung und Besorgnis nicht gerade minderte. Er stieg in die Felsen auf. In der rechten Hand hielt er den Radschloß-Drehling, die linke ließ er frei, um sich in der zerklüfteten Steinlandschaft festzuhalten. Die Mündung der Waffe wies in die Richtung, in der er sich bewegte. Hasard wußte, daß er in seinem aufgebrachten Zustand kompromißlos feuern würde, falls die Kerle auftauchten, die allem Anschein nach über Ferris' Gruppe hergefallen waren. Aber diese Banditen zeigten sich nicht. Erst als Hasard vorsichtig in eine staubige Senke hinunterstieg, erhielt er die Bestätigung dafür, daß sich der Feind in der Nähe befand. Hufschlag schien sich durch die Felsen zu entfernen. Hasard beschleunigte seinen Schritt und begann zu laufen. Auf dem Grund der Senke sah er, daß hier Pferde gestanden haben mußten, im Staub waren die Hufabdrücke deutlich genug zu erkennen. Hasard stürmte und wollte die Senke über ihren gegenüberliegenden Hang verlassen da krachte der Schuß. Gedankenschnell warf er sich zur Seite. Eine Staubfontäne spritzte vom Boden auf, nur zwei Handspannen von ihm entfernt. Der Schuß war gut gezielt und hätte ihn
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töten müssen, hätte er nicht so rasch reagiert. Hasard überrollte sich, blieb auf dem Bauch liegen und riß den Drehling hoch. Wo der Heckenschütze saß, konnte er nur vermuten, aber er zögerte nicht, diesem Kerl' die Antwort auf seinen heimtückischen Anschlag zu liefern. Der Radschloß-Drehling bäumte sich in Hasards Händen auf, die Kugel raste aus dem Lauf und fuhr zu den Felsen hinauf, die jenseits der' Senke aufragten. Hasard drehte die Trommel, krümmte noch einmal den Finger um den Abzug. Donnernd brach auch dieser Schuß, das Echo kehrte von den Felswänden wieder. Hasard erhob sich und lief nach rechts davon. Er erwartete, daß der Gegner erneut auf ihn schoß, aber das trat nicht ein. Unbehelligt erreichte der Seewolf die nächste Deckung, eine Gruppe von Felsklötzen. Er warf sich dahinter und blickte zu seinen fünf Männern, die sich ebenfalls hier verschanzt hatten. Old O'Flynn, Matt, Smoky, Gary und Batuti atmeten auf. „Mann o Mann“, sagte Matt Davies. „Das hätte ins Auge gehen können. Du bist dem Teufel gerade noch mal von der Schippe gesprungen, Hasard. Was jetzt?“ „Gary und Batuti, ihr pullt zur ‚Isabella' zurück und holt sechs Mann Verstärkung“, befahl der Seewolf. „Sagt Ben Brighton und den anderen, daß Ferris und seine Männer von Unbekannten entführt worden sind. Wir müssen sie wieder heraushauen, koste es, was es wolle. Ben soll sich mit den restlichen Männern aber auf keinen Fall von der ‚Isabella' fortrühren, verstanden. Wir müssen jede Minute mit einem Angriff auf unser Schiff rechnen. Darauf scheint mir das Ganze hinauszulaufen.“ „Aye, Sir“, antwortete Gary Andrews leise. Batuti und er zogen sich durch den feinen Nebel zum Strand zurück. „Donegal“, sagte Hasard. „Du Himmelhund scheinst mit deiner Unkerei ja mal wieder recht zu behalten.“ „Ich wünschte, es wäre nicht so ...“
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„Ich frage mich immer noch, wie sich Ferris und seine Begleiter übertölpeln lassen konnten. Aber das steht jetzt nicht zur Debatte. Hört zu. Wir versuchen, den oder die Heckenschützen unschädlich zu machen, dann haben wir den Weg frei und können die Kerle verfolgen, die unsere Leute entführen. Gebt mir Feuerschutz und haltet mir den Rücken frei, wenn ich loslaufe.“ 8. „Adelante, vorwärts, Bursche, wach auf“, drängte El Bayad, der als einziger Mann der Bande die spanische Sprache ziemlich gut beherrschte. Dan O'Flynn, der gerade aufgewacht war und noch wie in Trance schwebte, beging den Fehler, instinktiv auf spanisch zu antworten. „Laß mich in Ruhe. Al diablo, was willst du von mir?“ El Bayad grinste und zog das lange, leicht gebogene Messer, mit dem er vorzüglich umzugehen verstand, unter seinem Burnus hervor. „Du wirst es gleich erfahren, keine Sorge, mein Freund. Ich bin schon froh darüber, daß wir uns verständigen können.“ Dan schlug. die Augen auf. Sein Blick ruhte auf dem schwarzbärtigen Gesicht des Bandenführers, und schlagartig wurde ihm wieder bewußt, was passiert war — und welche Riesendummheit er eben begangen hatte. Nicht nur sein Kopf, auch sein ganzer Körper schmerzte von den Hieben, die er hatte einstecken müssen. Trocken und pelzig lag ihm die Zunge in der Mundhöhle. Seine Stimme klang heiser und brüchig. „Gib mir ein Messer, dann zeige ich dir, welche Meinung ich von dir habe, du verdammter Bastard“, sagte er in seiner Muttersprache. El Bayad ließ sich auf einem Gebilde nieder, das kein Felsblock, sondern ein gemauerter Klotz zu sein schien. Aus zusammengekniffenen Augenlidern sah Dan, daß sich hinter dem Rücken des Burnusträgers ebenfalls etwas
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Ungewöhnliches erhob — eine Mauer aus groben, ohne Mörtel aufeinander gepackten Steinen. Eine Mauer — hier? „Es hat keinen Zweck, daß du jetzt noch versuchst, mich zu täuschen“, sagte El Bayad. „Ihr scheint keine Spanier zu sein, weder eurer Kleidung noch euren Gesichtern und eurer Heimatsprache nach. Ihr scheint von irgendwo aus dem Norden zu kommen, aber das soll mich nicht weiter interessieren. Wichtig ist. daß wenigstens einer von euch Spanisch sprechen kann.“ Er klaubte mit der linken Hand die Perlen aus der Tasche seines Burnusses. Ferris Tucker hatte sie verloren, als die Strandräuber über sie hergefallen waren. „Kostbare Drosseleier“, stellte El Bayad genüßlich fest. „Ich liebe sie und könnte sie zu Tausenden verspeisen.“ Er lachte auf. „Du wirst mir verraten, ob ihr noch mehr von dem Zeug an Bord eures Schiffes habt, Giaur, und dann weiß ich, was ich zu tun habe. Ich habe euch nicht umgebracht, weil ich mich ein wenig mit euch unterhalten wollte. Ist das nicht freundlich von mir? Meine Männer hätten euch getötet und irgendwo verscharrt wie räudige Hunde, wenn ich sie nicht gezügelt hätte.“ Dan hatte sich in verbissenes Schweigen gehüllt. Er ließ seinen Blick unauffällig wandern und hütete sich, die Lider weiter zu öffnen. Links von ihm lagen Ferris, Shane und der Profos. Big Old Shane blutete im Gesicht, aber es schien sich eher um Kratzer zu handeln, nicht um Messerstiche oder gar Schußwunden. Ferris hatte außer Beulen und roten und blauen Flecken nichts weiter aus dem Kampf davongetragen, wie es den Anschein hatte. Am schwersten von den dreien schien Ed Carberry verletzt zu sein. Sein rechter Arm sah furchtbar aus. In Dan krampfte sich etwas zusammen. Er verspürte den unbändigen Drang, sich auf den Kerl im sandfarbenen Burnus zu stürzen und ihm das Messer zu entwinden.
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Das wäre aber eine weitere Riesentorheit gewesen. Rechts entdeckte Dan durch einen Seitenblick Blacky. Ihn hatten die Kerle genauso zugerichtet wie Ferris Tucker, aber in ihrer Lage mußten die fünf Seewölfe schon froh sein, mit halbwegs heiler Haut davongekommen zu sein. Drei finster blickende Kerle standen zwei Schritt von Blacky entfernt. Es waren wüste Gestalten, die ihre Musketen auf die Gefangenen gerichtet hatten und keinen Zweifel darüber offen ließen, daß sie im Bedarfsfall auch wirklich abdrücken würden. El Bayad hatte sich so hingesetzt, daß er sich nicht in der Schußrichtung befand. Seine drei wilden Kumpane grinsten, als sie sahen, wie sich nun auch Blacky und Ferris bewegten. Der hagere Kerl, der zuvorderst stand, sagte etwas in seiner rauhen Sprache zu dem Anführer. Sein wuchtig gebauter Nebenmann lachte, als El Bayad etwas Barsches zurückgab, und dem Glatzenmann ganz rechts schien das höhnische Grinsen in die Züge eingemeißelt worden zu sein. Dan verstand nicht ein einziges Wort von dem, was sie sprachen. Er traf nur eine weitere Feststellung. Sie alle befanden sich auf einer Art Plattform aus urigem, jahrhundertealt wirkendem Mauerwerk. Von hier oben aus konnte man, wenn man den Kopf leicht verrenkte, auf den Innenhof eines seltsamen Baus hinunterblicken. Dort standen die Pferde, die diesen Halunken als Reittiere zu dienen schienen, dort hatten sich auch andere wilde Gestalten zusammengeschart. „Mein Freund“, sagte El Bayad in seinem von harten Akzenten gefärbten Spanisch. „Es ist mir nicht entgangen, daß du Umschau gehalten hast. Ich will deine Neugierde befriedigen –wir befinden uns hier in einer uralten Burg, die meine Vorfahren vom Stamm der Idouska Oufella errichtet haben. Sie liegt versteckt, nur Wenige kennen den Pfad, der hierherführt. Und kein Mensch traut sich hierherauf, weil es sich herumgesprochen hat, daß die
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Berberburg El Bayad und seinen Männern als Unterschlupf dient.“ Er betrachtete die acht Perlen auf seiner Handfläche und schien über ihre Herkunft nachzusinnen. Dann fixierte er wieder Dan O'Flynn und fuhr fort: „In der vergangenen Nacht sind wir, von Westen kommend, von dem Unwetter überrascht worden. Wir errichteten ein Notlager und zündeten drei kleine Feuer an, die wir auch im Sturmwind unterhalten konnten. Wir wärmten uns und trockneten unsere Kleider. Dann, als wir am Morgen die Kanonenschüsse hörten, brachen wir wieder auf. Ich bin jetzt dankbar dafür, daß ihr mit euren Geschützen gefeuert habt, und froh, in der Nähe der Bucht und nicht anderswo gewesen zu sein.“ Drei Feuer, dachte Dan, wir haben sie von See aus gesichtet. Die Lagerfeuer der Strandbanditen waren das also. „Ich kann mir vorstellen, daß ihr von weit her kommt“, sagte El Bayad. „Ihr seht nicht aus wie Männer, die nur eine Monatsreise hinter sich haben. Und ich wette meinen Kopf, daß ihr weder Datteln noch Palmöl an Bord eures Schiffes habt, sondern weitaus Wertvolleres. Würdet ihr sonst Perlen bei euch tragen?“ „He“, murmelte Blacky. „Wenn du schon alles weißt, du Drecksack, was willst du dann noch von uns?“ Er hatte spanisch gesprochen, und Dan schloß vor Betroffenheit die Augen. „Sei still“, zischte er dem Kameraden noch zu, aber es war natürlich schon zu spät. „Sieh da“, sagte El Bayad katzenfreundlich. „Dieser Amigo kann also auch die Sprache der Dons, die ich so sehr hasse. Nun, das trifft sich ausgesprochen gut. Ich schätze, ihr beherrscht diese Sprache alle. Ein kluger Haufen scheint ihr zu sein.“ Er wies mit dem gebogenen Messer auf Blacky. „Du! Ich will hören, was ihr geladen habt. Und wie viele Männer sich auf dem Schiff befinden. Ich will alle Einzelheiten von euch erfahren und nicht erraten müssen, damit ich einen guten Schlachtplan ausarbeiten kann. Am Abend
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will ich den Segler in meiner Gewalt haben.“ Blacky hatte jetzt die nötige Geistesgegenwart, zu Dan zu sagen: „Dios, wir sind verloren. Der Kapitän wird keinen Finger für uns krümmen, wie ich ihn kenne. Er hat uns immer wie einen Dreck behandelt und wird diesmal ohne uns weitersegeln, weil wir so dämlich gewesen sind, uns gefangen nehmen zu lassen.“ Dan ging sofort darauf ein. „Ja. Unser Schicksal ist besiegelt.“ El Bayad hatte ihnen aufmerksam gelauscht. Er kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief. Er vermutete eine List der Männer vom Schiff, wußte in diesem Augenblick aber nicht, durch welchen Zug sie sich aus der Affäre zu winden gedachten. Als sie dann jedoch auch noch die Köpfe sinken ließen und resignierend zu Boden blickten, schwand sein Mißtrauen. Diese Gefangenen schienen wirklich innerlich bereits mit ihrem Leben abzuschließen. Ferris Tucker war nun ebenfalls voll bei Sinnen. Er hatte Dans und Blackys kurzem Dialog zugehört. Gut, dachte er, das könnte unser einziger Trumpf sein — dieser Lumpenhund von einem Bandit macht sich gar nicht erst Hoffnungen, uns als Geiseln benutzen zu können. Er muß kämpfen, wenn er die „Isabella“ haben will. El Bayad setzte wieder sein honigsüßes, falsches Lächeln auf. „Amigos“, sagte er zu Dan und Blacky. „Eigentlich braucht ihr euch keine Sorgen zu bereiten. Ich habe euch die Lederbeutel mit den. Perlen abgenommen, und wir werden jetzt über all das sprechen, was in den Frachträumen eures Schiffes liegt. Wenn ihr gehorsam seid und auf meine Fragen wahrheitsgemäß antwortet, will ich Gnade vor Recht ergehen lassen und euch verschonen. Ist das nicht ein Angebot?“ „Du läßt uns auf die Galeone zurück?“ fragte Dan ungläubig. „Das habe ich nicht gesagt, Giaur.“ „Wir dürfen hierbleiben“, meinte Blacky mit gespielter Hoffnung. „El Bayad, wir trauern unserem Schiff und unserer
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Mannschaft nicht nach. Es war kein schönes Leben an Bord. und der Capitan hat uns bei dem geringsten Vergehen :hart bestraft. Wenn du nachsichtig mit uns bist, können wir vielleicht sogar deine Partner werden. Brauchst du denn keine neuen Leute in deiner Bande?“ El Bayad verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Keine Giaurs, keine ungläubigen Hunde. Was bildest du dir eigentlich ein?“ „Nichts“, erwiderte Blacky. „Aber es könnte sein, daß du durch uns zu einem reichen Mann wirst.“ „Welche Ladung führt das Schiff?“ fragte El Bayad mit erhobener Stimme. Ferris Tucker bewegte sich und lenkte die Aufmerksamkeit des Bandenführers so auf sich. „Das verraten wir dir erst, wenn du unseren Freund verbunden hast, der am Arm verletzt ist“, sagte er. El Bayad erhob sich und trat mit vorgestrecktem Messer auf den Schiffszimmermann zu. „Noch ein Hund, der auf spanisch kläfft, ich habe es ja geahnt.“ Er blieb stehen und hielt Ferris die Messerspitze genau vor das Gesicht. „Weißt du, daß du hier keine Bedingungen zu stellen hast?“ „Unser Freund braucht Hilfe“, sagte Ferris und deutete zu Carberry. „Und zwar dringend. Ihr könnt ihn nicht einfach verbluten lassen. Wenn ich aufstehen und zu ihm gehen kann, kümmre ich mich selbst um ihn.“ „Nein“, sagte El Bayad. „Der Narbenmann wird von uns verbunden —aber vorher redet einer von euch.“ Ferris überlegte, ob er das gebogene Messer des Berbers durch eine blitzschnelle Bewegung zur Seite drücken sollte, ob er es schaffen würde, diesen Kerl zu überwältigen und als Geisel zu benutzen. Die Strandräuber hatten weder ihn noch die vier anderen Seewölfe gefesselt. War dies die Chance? Bot es sich nicht an, El Bayad und seine drei Kumpane in einem Handstreich zu überwältigen? Es bot sich an, aber es war nicht durchführbar. El Bayad trat wieder etwas zurück, so, als ahne er etwas von Ferris'
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Gedanken. Fagar, Hamed und Thabek, die drei anderen Banditen, richteten ihre Musketen drohend auf die Gefangenen. Thabek zielte auf Ferris Tuckers Kopf. „Wer sagt mir, daß du uns nicht doch krepieren lassen willst?“ sagte Ferris aufgebracht. Ja, er war wütend, er kochte vor Zorn, und er dachte nicht daran, diesem aufgeblasenen Hund El Bayad gegenüber ein Blatt vor den Mund zu nehmen. „Wer sagt uns, daß du dich fair verhältst?“ „Fair?“ „Ehrlich. Aufrichtig.“ „Das Wort eines gläubigen Muselmanen hat Gewicht. Es ist einem Schwur gleichzusetzen.“ „Bist du gläubig, El Bayad?“ „Willst du mich beleidigen?“ „Du wirst es noch bereuen, uns überfallen zu haben!“ schrie Ferris, obwohl Dan und Blacky ihm warnende Blicke zuwarfen. „Und ich erzähle dir kein Wort über das, was du wissen willst!“ „Steh auf“, sagte El Bayad. Unverhohlener Haß loderte jetzt in seinen dunklen Augen. Ferris dachte gar nicht daran, diesem Befehl Folge zu leisten. Wenn er wollte, konnte er ein gewaltiger Dickschädel sein. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, diesen Bastard von einem Bandenführer allein durch seine Starrsinnigkeit aus dem Konzept zu bringen. El Bayad nahm die Herausforderung an. Er schritt zur Seite, beugte sich über Carberry, der immer noch bewußtlos war, und drückte ihm die Klinge des Messers sanft gegen die Wange. „Beim Scheitan, ich schwöre, daß ich das Gesicht dieses Burschen noch ein wenig mehr verunziere, nur ein wenig — und ein Muselman hält sein Wort.“ „Hör auf“, sagte Ferris. „Du bist ein hinterhältiger, feiger Schweinehund.“ „Steh auf, Rotschopf!“ brüllte El Bayad. Ferris las in seinen Augen, daß er dem Profos das Messer tatsächlich über die Wange ziehen wollte. Ein Schuft wie El Bayad kannte in dieser Hinsicht keine Skrupel. Grausamkeit war das einzige Mittel, mit dem er all seine Hoffnungen in
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die Wirklichkeit umsetzen zu können glaubte. Ferris erhob sich. Er stand etwas wankend da, fühlte aber, wie das Schwindelgefühl, die Übelkeit und die Schmerzen allmählich von ihm wichen. „Tritt drei Schritte vor“, herrschte der Bandenführer ihn an. Ferris gehorchte wieder, und diesmal ließ El Bayad von Carberry ab. Ferris konnte jetzt von der gemauerten Plattform, die über keinerlei Brüstung verfügte, in den Hof sehen. Mehr als ein Dutzend Kerle zählte er dort unten, in gut fünf oder sechs Yards Tiefe. Sie hatten ihre Pferde mit Futter und Wasser versorgt und schauten jetzt zu dem rothaarigen Schiffszimmermann auf. Interessiert musterten sie ihren Gefangenen, den meisten huschte ein Grinsen über die Züge. El Bayad befand sich hinter Ferris. „Ich brauche dich nur ein bißchen mit meinem Messer zu kitzeln, und du marschierst weiter voran“, sagte er. „Ich weiß, daß du keinen Ausfall gegen mich unternehmen kannst, weil Fagar, Hamed und Thabek schneller sind. Sie erschießen dich, bevor du dich umdrehen und auf mich werfen kannst.“ „Ich bereite mir keine falschen Hoffnungen, El Bayad.“ „Wirst du reden?“ „Ich werde nicht reden.“ „Wenn mein Messer über deine Rückenknochen tanzt, änderst du deine Meinung.“ „Ich zeige dir, wie ein Mann stirbt“, sagte Ferris Tucker. Seine Schläfenadern waren mächtig angeschwollen, aber es war kein Schweiß auf seiner Stirn. Nein, er hatte keine Angst — nur einen gewaltigen Dickschädel. Unten auf dem Hof scharten sich die Banditen zusammen. Sie standen breitbeinig da, verschränkten die Arme vor der Brust und wollten sich das Schauspiel, das allem Anschein nach gleich seinen Lauf nahm, auf keinen Fall entgehen lassen. „Gut, Giaur“, entgegnete El Bayad. „Es muß dir eine große Ehre sein, von diesem
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Wehrgang, der sich unmittelbar vor der alten Moschee der Burg befindet, in den Hof zu stürzen. Ich weiß, daß es dich zerschmettern wird, ich weiß es aus Erfahrung, aber vielleicht ist Allah deiner elenden Seele gnädig.“ „Fahr zur Hölle“, sagte Ferris. El Bayad hob das Messer. Shane, der genau in diesem Augenblick die Augen öffnete, erstarrte vor Entsetzen. Genauso ging es Blacky und Dan O'Flynn. Nur Ed Carberry kriegte von allem nichts mit, weil er, durch den Blutverlust stärker als die vier Kameraden geschwächt, nach wie vor in tiefer Ohnmacht lag. Dan faßte sich als erster wieder. „El Bayad“, sagte er. „Tu es nicht. Laß Ferris in Ruhe. Ich werde dir alles sagen. Wie ein Buch reden werde ich, das versichere ich dir.“ El Bayad wandte sich langsam um, das Messer immer noch in der erhobenen Hand. „Wenn du mich täuschen willst, du winselnder Hund, begehst du 'einen großen Fehler. Ich kann diesen aufsässigen Rotschopf immer noch in den Tod treiben jederzeit.“ „Ich führe dich nicht hinters Licht“, beteuerte Dan. „Dann sprich!“ Und Dan O'Flynn begann wirklich zu berichten - von den Schätzen der „Isabella“, von ihren Reisen, von den ungeheuren Reichtümern, die sie in jedem Land erbeutet hatten, wenn sie den Spaniern und den Portugiesen auf den Pelz gerückt waren. Ferris Tucker, Big Old Shane und Blacky wollten zunächst protestieren und den jungen Mann zum Schweigen bringen, damit er nicht alle Geheimnisse ihres Schiffes und ihrer Crew bekanntgab. Aber dann spitzten sie doch die Ohren und beruhigten sich zusehends, denn das, was Dan dem Bandenführer auftischte, war eine einzige aufgeblähte, haarsträubende Story, gegen die das Seemannsgarn eines Carberry oder eines Old O'Flynn wie das reinste Ammenmärchen erscheinen mußte. Da war die Rede von blutrotem Gold und violetten Diamanten aus dem fernen
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Ostindien, von Eingeborenen-Kronen und anderem Schmuck, deren Gewicht zwei ausgewachsene Männer nicht allein tragen konnten. Mit vierzig Mann gab Dan die Größe der „Isabella“-Besatzung an, und darunter, so stellte er sehr anschaulich dar, befänden sich auch Kopfjäger und Menschenfresser, die die Seewölfe aus dem Urwald mitgebracht und „gezähmt“ hätten. El Bayad lauschte Dan wie gebannt. Das gebogene Messer sank immer tiefer und stellte für Ferris keine Bedrohung mehr dar. Ferris sah es nicht, aber er spürte es, und seine Muskeln entspannten sich allmählich wieder. Er hatte sich ernsthaft darauf vorbereitet, in den Hof hinunterbefördert zu werden. Jetzt war ihm in etwa so zumute, als habe man ihm das Leben neu geschenkt. Dan schweifte immer wieder vom Thema, der „Isabella“, ab und schilderte Abenteuer in den Tropen und im Reich der Mitte, die nie stattgefunden hatten, die El Bayad aber in helles Staunen versetzten. Der Berber hatte sein Land nie verlassen und deshalb einen höchst vagen Begriff von dem, was in anderen Kontinenten vorgehen mochte. „Zurück zum Schiff“, sagte er mit belegter Stimme. „Wie groß ist der Schatz? Wie groß?“ „Fünf Frachträume hat unsere Galeone, und jeder ist bis unter die Deckenbalken mit Gold, Silber, Diamanten, Elfenbein, Ebenholz und Köpfen vollgestopft.“ „Auch mit - Köpfen?“ „Mit Schrumpfköpfen. Ich sagte doch, zur Mannschaft gehören auch ein paar Kopfjäger“, erwiderte Dan. So ging das weiter, bis El Bayad ihn schließlich unterbrechen mußte, um seinen Kumpanen die ganze Geschichte übersetzen zu können. Er sprach laut genug, damit ihn auch die Kerle unten im Hof verstehen konnten. Sie hingen mit den Blicken an seinem Mund, und Fagar, Hamed und Thabek klappten vor lauter Staunen die Münder auf. 9.
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Der Nebel war zählebig, er hatte sich immer noch nicht verzogen. Als ein auffallend dichter Schwaden die Felsen einhüllte, die den Seewölfen als Deckung dienten, nutzte Hasard die Gelegenheit. Er schwang hoch, hastete geduckt nach rechts hinüber Lind überwand den Hang der Senke. Er gelangte an neue Gesteinsquader, die ihm Schutz boten, und unverhoffterweise ertönte diesmal kein einziger Schuß. Der oder die Heckenschützen hatten ihn also nicht laufen sehen. Old O'Flynn, Smoky und Matt Davies brauchten vorläufig keinen Feuerschutz zu geben. Hasard ließ sich auf den Bauch sinken, robbte weiter und nutzte jede Deckungsmöglichkeit aus. Den RadschloßDrehling, dessen zwei leergeschossene Trommelkammern er inzwischen nachgeladen hatte, beförderte er vor sich her. Er achtete darauf, daß die Waffe nicht über den harten Untergrund scharrte und er keinerlei Geräusch verursachte. Jenseits der Senke erstreckte sich zunächst eine geröllübersäte Halde, dann ragten die schroffen Felsenformationen auf, in denen sich der Mordschütze versteckt haben mußte. Hasard schlug einen weiten Bogen und arbeitete sich darauf zu. Es tat sich immer noch nichts. Der Nebel war an dieser Stelle zwar wieder lichter, aber der Seewolf verstand es, sich vor den Blicken des Gegners zu schützen. Er kroch zwischen wuchtigen Felsen dahin und fand auch auf der Geröllhalde genügend Steine, die seine Gestalt verdeckten. Immer noch flach auf den Bauch gepreßt, schob er sich in höhere Regionen hinauf. Es war eine mühselige Art der Fortbewegung, aber sie brachte ihm den gewünschten Erfolg. Zehn oder fünfzehn Minuten mochten verstrichen sein, da erreichte der Seewolf einen Einschnitt zwischen den Felsentürmen, durch den er bis nach oben aufsteigen konnte. Er zögerte nicht, diese Bresche zu benutzen. Oben richtete er sich auf und schob sich äußerst behutsam um die nächste Felsennase. Der Nebel schien
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auseinanderzufasern, die Sonne gewann mehr Macht, und Hasard begriff, daß die Sicht von hier oben gerade ausgereicht haben mochte, um unten in der Senke die Gestalt eines Mannes zu erkennen. Er verharrte. Nicht weit entfernt, nur schätzungsweise sechs, sieben Yards vor ihm, kauerten die beiden Männer, die er gesucht hatte, hinter einer natürlich gewachsenen Felsenbrüstung und spähten in die Tiefe. Sie hatten ihre Flinten aufgelegt, die Hähne gespannt, schwiegen und warteten darauf, daß sich einer der Männer, die sie zurückhalten sollten, zeigte. Hasard setzte sich wieder in Bewegung. Er hielt den Radschloß-Drehling im Anschlag, dachte aber nicht daran, den Banditen in den Rücken zu schießen. Gut, sie hatten nichts Besseres verdient. Aber es widerstrebte ihm trotzdem. Nie hatte er etwas davon gehalten, auch dem größten Halunken von hinten eine Kugel zwischen die Rippen zu feuern. Das war niederträchtig und entsprach nicht seinem Stil. Seine Prinzipien und Kampfmethoden waren auch von der Crew der „Isabella VIII.“ übernommen worden. Hasard schlich auf den Stiefelspitzen. Ein winziger Kiesel nur, den du nicht beachtest, und sie wirbeln herum, sagte er sich. Dann schießen sie, und du bist gezwungen, dich deiner Haut zu wehren. Noch drei Yards, nur noch zwei —Hasard wagte es, Abzug und Hahn seiner Waffe vorsichtig zu betätigen und den Hahn in die gesicherte Position zurückzuführen. Mit einem entsicherten Drehling konnte er nicht zuschlagen, ohne Gefahr zu laufen, daß sich ein Schuß löste. Er drehte die Waffe um und hob ihren Kolben über den Kopf. Einer der Banditen, der Mann zur Linken, war ein Nordafrikaner mit braungegerbter Haut. Der andere war ein Neger, wahrscheinlich aus dem Sudan, Hasard hätte seine genaue Herkunft aber nicht mit endgültiger Sicherheit bestimmen können. Es war soweit. Hasard wartete keine Sekunde mehr ab. Er beförderte sich mit einem jähen Satz dicht hinter die Gegner.
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Dem Nordafrikaner zog er den Kolben der Waffe über den Hinterkopf, dem Neger trat er gegen den Oberschenkel, als dieser herumfuhr. Den Drehling ließ Hasard fallen. Der Burnusträger sank zusammen. Der schwarze Bandit strauchelte zwar, stolperte über einen Stein und fiel auf den Rücken, aber er riß trotzdem noch seine Muskete hoch und wollte auf den Seewolf abdrücken. Hasard war über ihm. Ein weiterer Tritt traf den Schaft der Schußwaffe. dann sank der Stiefel tiefer und quetschte die Hand des Kerls. Dieser heulte auf. Die Muskete entglitt seinen Fingern. Sie kippte um, aber der Schuß löste sich trotz des gespannten Hahns nicht, was darauf zurückzurühren sein mußte, daß das Schloß nicht sonderlich gut geölt war. Hasard packte die Arme des Negers und drückte sie nach unten, bevor der Bursche ihn mit Schlägen eindecken konnte. Auch einem gemeinen Trick des Banditen wich er aus. Der Kerl wollte ein Knie hochreißen, aber Hasard erkannte seine Absicht im Ansatz, sprang nach links und riß den Gegner mit sich herum. Er ließ dessen Handgelenke los und rammte ihm eine Faust unter das Kinn. Die dunkelhäutige Gestalt erschlaffte und blieb im Staub des Felsenplateaus liegen. Hasard fuhr zu dem anderen Kerl herum, atmete aber auf, als er feststellte, daß dieser sich noch nicht rührte. Zunächst fesselte er die Kerle, dann begab er sich auf die Suche nach ihren Kumpanen. In der näheren Umgebung ließ sich aber kein weiterer Bandit aufstöbern. Hasard folgerte daraus, daß die beiden die einzigen Posten waren, die von der Bande zurückgelassen worden waren, die Nachhut, die den anderen Halunken den Rücken freihalten und jede Verfolgung verhindern sollte. Hasard kehrte auf das kleine Plateau zurück, auf dem er die Heckenschützen überwältigt hatte. Sie waren jetzt beide zu sich gekommen und musterten ihn aus haßerfüllten Augen. In ihren Zügen lag
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eine Mischung aus Ohnmacht über die Niederlage und tödlicher Verachtung. Hasard beugte sich über die Felsenbrüstung. „Donegal, Smoky, Matt!“ rief er. „Sir?“ Das war Old O'Flynns Stimme. „Alles in Ordnung, ihr könnt an. rücken. Ich habe die Burschen gestellt. Sind Gary und Batuti schon mit der Verstärkung zurück?“ „Ja!“ rief der Alte aus der Senke herauf. Hasard konnte ihn jetzt deutlich sehen, Donegal hinkte den Hang hinauf zu der Geröllhalde und winkte ihm zu. „Sie haben Stenmark, Jeff Bowie, Luke Morgan und Bob Grey mitgebracht!“ „Alle Mann zu mir herauf“, befahl Hasard. „Sir!“ rief jetzt Gary Andrews. „Ben Brighton ist mit der ,Isabella` näher ans Südufer der Bucht herangegangen. Er erwartet ein Zeichen von dir.“ Hasard legte die Hände als Schalltrichter an den Mund. „Sag ihm Bescheid, daß wir jetzt aufbrechen und weiter nach dem Verbleib von Ferris' Gruppe fahnden. Wenn wir bis zum Abend nicht zurück an Bord sind, soll Ben einen neuen Trupp in Bewegung setzen - so viele Männer, wie er erübrigen kann. Die ‚Isabella' darf natürlich nicht unbewacht bleiben.“ „Aye, aye, Sir!“ „Beeil dich, Gary, wir warten hier auf dich!“ rief Hasard noch. Dann verfolgte er, wie Gary Andrews im dünnen Nebel verschwand und die anderen in die Felsen aufstiegen. Etwas später versammelten sie sich auf dem kleinen Plateau und sahen sich die Gefangenen an. „Hundesöhne“, sagte Old O'Flynn. „Also, da kriegt man doch Lust, sich das Holzbein abzuschnallen und es diesen Bastarden über den Rücken tanzen zu lassen.“ „Laß nur, Donegal“, entgegnete Hasard. „So kommen wir ja auch nicht weiter. Batuti, was meinst du, kannst du dich in einer deiner Sprachen mit dem Schwarzen hier verständigen?“ „Batuti versucht es, Sir.“ Der Mann aus Gambia redete einige Minuten auf den schwarzen Banditen ein.
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Einmal hatte es den Anschein, als zeige sich ein Aufleuchten, ein Verstehen im Blick des Burschen, fast sah es so aus, als wolle der Mann sprechen. Dann aber verfinsterte sich seine Miene wieder. „Matt“, sagte Hasard. „Führ ihm mal etwas vor. Vielleicht haben wir damit ja Erfolg. Wir können uns eine Menge Mühe und Zeit sparen, wenn wir 'rauskriegen, in welche Richtung sich die Bande gewandt hat.“ Matt Davies hockte sich vor den Schwarzen hin, und der konnte nicht umhin, Matt zuzusehen. Hasards Decksmann fuchtelte ein wenig mit der Eisenhakenprothese herum. Er ließ sie vor dem Gesicht des Banditen hin und her schwingen. Dann, als dessen Miene lang und länger wurde, nahm Matt die Ersatzhand ganz ab und ließ sie in den Staub fallen. Er grinste geradezu diabolisch, las sie wieder auf und schob sie sich in den Jackenärmel zurück. Der Neger schrie vor Entsetzen auf. „Batuti“, sagte der Seewolf. „Versuche ihm klarzumachen, daß Matt ein mächtiger Zauberer ist. Daß das Leben unseres Gefangenen endgültig verwirkt ist, wenn er nicht preisgibt, wo sich seine Kumpane versteckt halten.“ Batuti folgte dieser Aufforderung .sofort. Der schwarze Strandräuber nickte hastig und begann Worte herauszusprudeln. Der Burnusträger schien davon nichts zu verstehen, aber er begriff doch, was in dem abergläubischen Neger vorging. Auf arabisch schrie er auf seinen Spießgesellen ein. Der hörte seinerseits aber nicht auf, Batuti etwas vorzujammern. Old O'Flynn hob sein Tromblon und legte damit auf den Burnusmann an. Der verstummte augenblicklich. Der Neger schwieg jetzt auch, wimmerte nur noch hin und wieder und blickte mit Augen, in denen die Furcht flackerte, auf Matt Davies. Matt grinste und rührte kunstvoll mit dem scharf geschliffenen Haken in der Luft herum. „Ich kann damit Holz hacken, ein Fall klarieren, Spundlöcher verdübeln und dir
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den Arschaufreißen, du Galgenvogel“, sagte er triumphierend. Hasard blickte Batuti an. „Was hat der Bandit gesagt? Hast du ihn verstehen können?“ „Ungefähr, Sir. Bursche hat Angst vorm Sterben und sagt, Zauberer soll ihn verschonen. Will dafür alles ausspucken. Überhaupt, er sein froh, wenn er von El Bayad wegkommt.“ „El Bayad — ist das sein Anführer?“ „Ja.“ „Frag ihn, in welchen Winkel dieses Gebirges sich die Bande verzogen hat. Frag ihn, was sie mit Ferris, Ed, Shane, Blacky und Dan angestellt haben. Wenn er nicht wahrheitsgemäß antwortet, ist er geliefert. Sag ihm, daß Matt, unser Magier, die Wahrheit von der Lüge unterscheidet.“ Batuti betätigte sich als Dolmetscher, und wieder begann der Sudanneger heftig den Kopf zu bewegen. Er haspelte Worte herunter, die Batuti zu einigen erstaunten Ausrufen veranlaßten. „Sir“, sagte der schwarze Herkules aus Gambia schließlich. „Keine fünf Meilen von hier steht eine Berberburg. El Bayads Schlupfwinkel. Keiner traut sich hin, sagt Bandit, weil es eine richtige Festung ist.“ „Das juckt uns nicht“, meinte Smoky. „Weiter, Batuti.“ „Was ist aus unseren Leuten geworden?“ fragte der Seewolf. „Sind gehauen worden“, versetzte der Schwarze grollend. „Aber nicht mehr als das. Sie leben.“ „Wenn Gary zurück ist, schicken wir noch einmal einen Boten zur ‚Isabella–, sagte der Seewolf. „Bob, du übernimmst es diesmal, Ben die Neuigkeiten mitzuteilen. Vor allem muß er wissen, wo sich diese Burg befindet, damit er dort nach uns suchen kann, falls wir nicht wieder auftauchen. Batuti, sag unserem redseligen Freund hier, daß er uns zu El Bayads Versteck führen soll.“ Er drehte sich zu den anderen Seewölfen um. „Wer lieber zum Schiff zurückkehren will, soll das jetzt tun. Ich kann es keinem verübeln, wenn er an diesem Unternehmen
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nicht teilnehmen will, weil es ihm zu riskant ist.“ „Sir“, erwiderte Stenmark. „Darüber gibt es meiner Meinung nach gar keine Diskussion. Wir sind es Ferris und den anderen vieren schuldig, daß wir unser Leben für sie einsetzen. He, Männer, ist etwa jemand von euch anderer Meinung?“ Die Antwort war ein ernstes Schweigen. * Die Berberburg, ganz aus Natursteinen errichtet, erhob sich wie ein gigantischer Klotz von der Kuppe eines baumbestandenen Berges. Mächtige Steineichen mit ihren stechpalmartigen Blättern, Ölbäume, Zedern und Haselnußsträucher stellten in dieser etwas freundlicheren Gegend der Sierra del Haus die Vegetation dar, die den sanften Südhang des Berges hinaufkroch, dann aber mehr als zehn Yards vor der Ringmauer als der Einfriedung des einzigartigen Baues abbrach. Die Berber vom Stamm der Idouska Oufella hatten diesen Kahlschlag geschaffen, er gehörte zu den Sicherheitsmaßnahmen, die die Burg zu einer uneinnehmbaren Bastion werden ließen. Rund um die Burg legte sich dieser Streifen des Todes, nur im Norden fiel der Berghang steil ab und bildete mit der Mauer des rohen Gebäudes eine einzige Wand, an der von Beginn an kein einziger Strauch hatte gedeihen können. El Bayad hatte seinen übersetzten Bericht der bizarren Seewölfe-Erlebnisse und der immensen Schätze auf der „Isabella“ abgeschlossen. Er stand an den Zinnen des Wehrganges und blickte nach Norden, dann nach Süden, von wo aus jetzt das Sonnenlicht ungehindert in die Höfe und auf die Terrassen der Festung drang, warm wie im europäischen Frühjahr. Der Nebel hatte sich verzogen. Klar nahmen sich die Konturen des Gemäuers aus, ebenso deutlich die Einzelheiten in der Landschaft. Die Burg bestand praktisch aus zwei ungeschlacht ineinandergefügten Trakten.
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Vom Haupttor im Süden führten Felsentunnel zu den Innenhöfen. Es waren vier, zwei davon lagen im südlichen Haupttrakt, auf den von hoch oben der Wehrgang mit der Moschee hinabblickte. Die beiden anderen bildeten das Zentrum des kleineren, nördlichen Gebäudeflügels. Dort gab es auch eine Wendeltreppe, die bis auf die Wehrgänge hinaufführte, und einige schmalbrüstige Fenster, die von der Nordmauer trist in die Landschaft schauten. El Bayad war immer noch überwältigt von dem, was der Giaur da. von sich gegeben hatte. Nur ganz langsam wandte er sich zu Dan O'Flynn um. „Wenn das, was du berichtet hast, gelogen ist, schneide ich dir die Zunge ab“, drohte er ihm an. „Es ist die Wahrheit“, antwortete Dan in seinem fehlerfreien Spanisch. Dem Blick des Bandenführers hielt er stand. „Das ist phantastisch“, murmelte El Bayad. „Ein Traum, der Wirklichkeit wird. Ich werde dieses Schiff an mich bringen, das schwöre ich vor Allah. Den Schatz den gierigen Klauen der Ungläubigen zu entreißen, das ist mein Ziel.“ Er fuhr zu Fagar, Hamed und Thabek herum. „Männer“, sagte er in der Sprache, die sie verstanden. „Wir greifen heute abend an. Bis dahin wird das Schiff noch in der Bucht liegen und auf diese fünf Hunde warten.“ „Aber sucht die Mannschaft denn nicht mehr nach unseren fünf Gefangenen?“ wollte Fagar wissen. „Du Sohn einer Oasenhure“, erwiderte sein Anführer verächtlich. „Hast du nach dem einen Schuß, den die Posten abgegeben haben müssen, die ich oberhalb der Senke zurückließ, noch wieder etwas vernommen? Der Kapitän und sein Schiffsvolk haben rasch eingesehen, daß es sich nicht lohnt, für diese fünf Gestalten die Haut zu Markte zu tragen. Ja, es ist, wie diese Giaurs gesagt haben: Dem Kapitän ist wirklich nicht viel an ihnen gelegen.“ „Sie haben also aufgegeben“, sagte Hamed.
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„Ja.“ „Und wer sagt uns, daß sie nicht schon bei Tageslicht die Bucht verlassen?“ erkundigte sich Thabek, der Glatzkopf. „Sie haben ein Reglement, das ihnen vorschreibt, wenigstens eine bestimmte Zahl von Stunden auf verschollene Decksleute zu warten.“, „Wie ist dein Plan, El Bayad?“ „Ich will am Abend diese fünf traurigen Figuren benutzen, um den Kapitän an Land zu locken. Sie werden plötzlich am Ufer stehen und ihrem Schiff zuwinken. Und dann rufen sie so lange, bis der Kapitän persönlich erscheint, um sie abzuholen.“ „Aber wie willst du das erreichen?“ fragte nun wieder Hamed. „Unsere Gefangenen werden ihm vorschwindeln, sie hätten, nachdem sie sich von uns befreit haben, etwas Wertvolles gefunden. Das lockt diesen gierigen Hund, den sie den Seewolf nennen, selbstverständlich an. Ist er dann erst am Strand angelangt, kaufen wir ihn uns. Wir metzeln seine Begleiter nieder, fahren mit ihm in seinem Boot zu dem– Schiff und zwingen die Besatzung, ins Wasser zu springen, da wir andernfalls den Kapitän langsam umbringen. Er wird um sein Leben zittern, uns um Gnade anflehen und seinen Kerlen befehlen, den Dreimaster aufzugeben.“ Er wies auf den Profos, der jetzt ebenfalls bei Besinnung war und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Kerle blickte. „Legt diesem Narbengesicht einen Verband an. Ich will, daß der Hund heute abend aufrecht gehen kann. Er wird die Vorstellung bereichern. Wenn sein Kapitän ihn nicht sieht, könnte er den Verdacht schöpfen, etwas sei nicht in Ordnung.“ „Ja“, antwortete Fagar. „Ich übernehme es, ihn zu verarzten.“ El Bayads Aufmerksamkeit wurde durch einen Posten in Anspruch genommen, der auf dem gegenüberliegenden Wehrgang der Festung stand. Der Mann hatte sich zu ihm umgedreht und gab Zeichen. El Bayad betrachtete ihn aus schmalen Augen über den Innenhof weg.
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„Jemand ist aus dem Steineichenwald getreten, El Bayad!“ „Jemand?“ echote der Bandenführer. „Ein einzelner Mann?“ „Ein alter Mensch, der ein Bein nachzieht — und er treibt Barun und Raschid mit der Flinte vor sich her.“ „Allah vernichte diese Hunde“, zischte El Bayad. „Sie haben sich überwältigen lassen und den Weg hierher verraten. Erschießt diese drei räudigen Hunde — nein, wartet, ich will sie mir selbst ansehen.“ Er verließ die gemauerte Plattform vor der Moschee, eilte grob behauene Treppenstufen hinunter und gelangte in den Innenhof, wo die Pferde standen. Durch eine herrische Gebärde bedeutete er seinen Kerlen, sich ihm anzuschließen. Durch die Felsentunnel erreichten sie das Haupttor, liefen ins Freie und stürmten den Wehrgang hinauf, der sich von innen an die wuchtige Ringmauer der Festung schmiegte. Während El Bayad mit verkniffener Miene den Südhang hinunterspähte, schoben seine Kumpane die Musketen und Arkebusen über die, Brüstung der Mauer und spannten die Hähne. Der Mann, der die verhinderten Heckenschützen und Meuchelmörder Barun und Raschid mit dem Tromblon vor sich herdirigierte, war Old Donegal Daniel O'Flynn. Er blieb stehen und gab auch seinen beiden unfreiwilligen Begleitern ein Zeichen, vorerst mit dem Marschieren aufzuhören. „El Bayad!“ schrie der Alte zur Festung hoch. Sein Spanisch war nicht gerade das beste, aber er war ziemlich sicher, daß der Bandenführer ihn trotzdem verstehen würde. Barun hatte Batuti erklärt, daß der Schwarzbart des Spanischen mächtig wäre. „El Bayad“, wiederholte Old O'Flynn. „Ich weiß, daß du dort oben steckst. Ich bin der Kapitän der 'Isabella`, man nennt mich den Seewolf —und ich bin hier, um mit dir über den Austausch von Gefangenen zu verhandeln.“ Hamed, der El Bayad begleitet hatte und den Alten über den Lauf seiner Muskete
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hinweg anvisierte, sagte: „Gib mir den Befehl, o Herr, und ich töte diesen geifermäuligen Greis. Ich kann ihn von hier aus niederschießen.“ „Warte“, erwiderte El Bayad. „Wenn wir ihn jetzt in die Burg Locken können, haben wir unser Ziel schon fast erreicht. Dann haben wir die Geisel, die wir brauchen, verstehst du das nicht, du Narr?“ „Es könnte eine Falle sein ...“ „Seewolf!“ brüllte El Bayad über die Ringmauer: „Bist du--allein erschienen?“ „Ja. Meine Männer habe ich weiter unten in einer Schlucht zurückgelassen.“ „Du hast Mut ...“ „Ich weiß, daß du mich nicht feige töten wirst, El Bayad.“ „Du hast recht. Lege deine Waffen ab und tritt näher, dann können wir uns über deinen Vorschlag unterhalten!“ „Ich werfe die Büchse weg“, erwiderte Old Donegal. „Aber mein Messer behalte ich in der Hand.“ „Gut, einverstanden!“ rief der Strandräuber. Old O'Flynn ließ das Tromblon in den Sand des Hanges fallen. Er zückte sein Entermesser, zeigte es dem Neger Barun und dem Burnusträger Raschid und grinste sie an. „Ihr glaubt auch, daß man einen O'Flynn 'reinlegen kann, was? Aber da habt ihr euch alle getäuscht, ihr Stinkfische.“ 10. Hasard hatte den Nordhang ohne Hilfsmittel bezwungen, jetzt warf er einen mitgebrachten Enterhaken hoch, bis dieser sich hinter die steinerne Bank eines der schmalen Fenster der Burg krallte. Das Tau, das an dem Haken festgespleißt war, trug sein Körpergewicht. Er konnte daran hochhangeln. Für eine Minute, vielleicht auch noch etwas länger, schwebte er über der Felsenlandschaft. Er zwang sich, nicht in die Tiefe zu blicken. Endlich erreichte er die Fensterbank, zog sich daran hoch, kauerte sich in das Fensterloch und zwängte sich schließlich ganz durch die
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rechteckige Öffnung. Sie war gerade breit genug, um ihn durchzulassen. Während Old O'Flynn am Südhang sein Ablenkungsmanöver vollzog und die anderen acht Seewölfe Smoky, Matt Davies, Gary Andrews, Batuti, Stenmark, Jeff Bowie, Luke Morgan und Bob Grey in dem Stein-eichen- und Zedernwald lauerten, pirschte der Seewolf durch einen düsteren Tunnelgang zu der Wendeltreppe des Burgtraktes. Barun, der Sudanneger, hatte das Innere der Festung beschreiben müssen. Auf diese Weise hatte Hasard jetzt eine einigermaßen gute Orientierung. Wo Ferris, Shane, Ed, Dan und Blacky zu finden waren, wußte er nicht. Aber er hatte sich vorgenommen, es herauszufinden auf Teufel komm 'raus und ohne Rücksicht auf Verluste. Sonnenlicht wies ihm den Weg aus dem Tunnelgang. Von einem winzigen Innenhof aus, auf dem sich kein Mensch aufhielt, schraubten sich die Stufen der Wendeltreppe in beinah schwindelnde Höhe hinauf. Hasard hatte den RadschloßDrehling, den er sich an einem Riemen umgehängt hatte, in die Fäuste genommen. Es knackte leise, als er den Hahn spannte. Er sicherte nach oben und nach unten. Ungehindert konnte er die Stufen hinter sich bringen, dann befand er sich auf dem Wehrgang, der von diesem Trakt in den Südbereich der Berberbastion hinüberführte. Er schlich sich an einen Posten heran, der ihm den Rücken zugewandt hielt. Der Kerl drehte sich plötzlich um, aber Hasard war schneller als er und schlug ihm die Faust unters Kinn. Er fing ihn auf, damit er nicht von der Plattform stürzte. Hasard überzeugte sich, daß der Gegner auch wirklich besinnungslos war, dann glitt er weiter. Kurz darauf sah er die fünf Kameraden! Sie kauerten ungefesselt auf dem terrassenähnlichen Fortsatz, der das südliche Ende des Wehrganges darstellte. Nur zwei Banditen bewachten sie, und auch diese hielten Hasard den Rücken zugewandt, weil sie damit beschäftigt
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waren, angestrengt über den Innenhof Weg zur Südseite der Festung zu blicken. Hasard steuerte auf sie zu. Er gab Dan O'Flynn und Blacky, die gerade in seine Richtung schauten, ein Zeichen. Die Freude, die sie in diesem Augenblick empfanden, zeigten sie nicht. Denn sonst wären Fagar und Thabek unweigerlich auf das, was sich hinter ihnen abspielte, aufmerksam geworden. Fagar wandte sich unvermittelt doch um. Hasard blieb stehen. Dan, Blacky, Ferris, Shane und dem Profos, die nun alle auf ihren Kapitän aufmerksam geworden waren, stockte der Atem. Fagar stieß einen Schrei aus und legte mit der Muskete auf den Eindringling an. Thabek, der Glatzkopf, wirbelte daraufhin ebenfalls herum. Der Seewolf richtete seinen Radschloß-Drehling unmißverständlich auf sie, aber sie ließen sich dadurch nicht einschüchtern. Dan, Shane, Blacky und Ferris handelten. Sie richteten sich auf und sprangen die beiden Wächter an: Carberry kam nur schwerfällig auf die Beine, der verletzte Arm setzte ihm zu, aber stehen konnte auch er schon wieder - stehen, fluchen, den unverwundeten Arm mit der Faust schwingen. Dan und Shane erreichten Fagar gleichzeitig. Sie rissen ihn nieder und nahmen ihm die Muskete ab. Thabek feuerte auf Hasard, aber Hasard ließ sich im selben Augenblick fallen. Das war seine Rettung -die Kugel pfiff über ihn weg. Er drückte ab. Eine Feuerlanze stieß aus dem Drehling hervor, sprang Thabek an und fällte ihn. Im Todeskampf überrollte sich der Glatzenmann. Ehe die Seewölfe es verhindern konnten, hatte er den ungesicherten Rand des Wehrganges erreicht, wälzte sich darüber und stürzte in die Tiefe -mitten zwischen die Pferde, die wiehernd auseinanderdrängten. Ein paar Banditen liefen unten im Hof zusammen. Sie hoben die Waffen und schossen, aber Hasard erwiderte ihr Feuer. Dreimal bediente er den RadschloßDrehling, dreimal traf er. Die überlebenden
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Strandräuber ergriffen die Flucht und hetzten zu den Tunneln. „Vorwärts!“ rief Hasard den Kameraden zu. „Wir haben keine Zeit zu verlieren. Dan, nimm meine Pistole. Ed, kannst du laufen?“ Der Profos grinste. „Hör mal, Sir, sehe ich so schwach aus? Wäre doch gelacht, wenn ... He! Was ist das denn?“ Vom Haupttor an der Südseite ertönten Schüsse. Die sechs auf der Plattform vor der gemauerten Moschee der Burg konnten es nicht sehen, aber Hasard war sicher, daß der Trupp aus dem Steineichenwald jetzt gleichfalls gegen den Feind anstürmte. So war es. Old O'Flynn hatte seinen beiden Gefangenen je einen Tritt in den Achtersteven verpaßt, als der erste Schuß von der Feste herübergeweht war. Dann hatte er sich erstaunlich schnell herumgeworfen, sich fallen lassen und war zu seinem Tromblon gerobbt. Dies war das Zeichen für die acht Männer im Wald. Sie stürmten los und stimmten
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den alten Kampfruf der Seewölfe an: „Arwenack! Arwe-nack !“ Aber erst in Schußweite der Berberburg warfen sie sich neben Old Donegal zu Boden und ließen ihre Waffen sprechen. Die Banditen standen aufrecht auf dem Wehrgang der Ringmauer und glaubten, mit diesen neun Männern leichtes Spiel zu haben. Aber sie täuschten sich. Hasards Leute hatten ausgezeichnete, weittragende Musketen, und auch der SchnapphahnRevolverstutzen, den Smoky dieses Mal mitführte, trug sein Teil zu dem Kampf bei. Hamed brach plötzlich neben El Bayad zusammen. El Bayad sah noch zwei andere seiner Kumpane blutüberströmt auf den Wehrgang sinken, die anderen gerieten in Panik. Es ist aus, dachte der Schwarzbart, es ist alles aus, sie haben uns in der Zange, wir können nur noch aufgeben...
ENDE