Nr. 327
Meister der Magie Aufruhr in der Großen Barriere von Oth von Marianne Sydow
Sicherheitsvorkehrungen haben ver...
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Nr. 327
Meister der Magie Aufruhr in der Großen Barriere von Oth von Marianne Sydow
Sicherheitsvorkehrungen haben verhindert, daß die Erde des Jahres 2648 einem Überfall aus fremder Dimension zum Opfer gefallen ist. Doch die Gefahr ist nur ein gedämmt worden, denn der Invasor hat sich auf der Erde etabliert – als ein plötzlich wiederaufgetauchtes Stück des vor Jahrtausenden versunkenen Kontinents Atlantis. Atlan und Razamon, der Berserker, haben als einzige den »Wölbmantel« unbe schadet durchdringen können, mit dem sich die geheimnisvollen Herren der FE STUNG ihrerseits vor ungebetenen Gästen schützen. Die Männer sind auf einer Welt der Wunder und der Schrecken gelandet. Das Ziel der beiden ist, die Beherrscher von Pthor schachmatt zu setzen, auf daß der Menschheit durch die Invasion kein Schaden erwachse. Nach vielen gefahrvollen Abenteuern, die am Berg der Magier ihren Anfang nah men, haben Atlan und Razamon, denen sich inzwischen drei Gefährten angeschlos sen haben, das Zentrum der Dunklen Region erreicht und den harten Kampf um das Goldene Vlies siegreich bestanden. Während unsere Helden sich anschließend in Richtung FESTUNG auf den Weg machen, blenden wir um zur Großen Barriere von Oth. Dort breitet sich Unruhe unter den Bewohnern aus, als eine Botschaft eintrifft. Die Stunde der Entscheidung naht für die MEISTER DER MAGIE …
Meister der Magie
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Die Hautpersonen des Romans:
Koratzo - Ein Magier von der Tronx-Kette.
Querllo, Opkul, Wa, Ssissnu und Haswahu - Koratzos Gefährten.
Copasallior - Oberster Magier von Oth.
Malvenia - Copasalliors ungehorsame Geliebte.
Falkanz, Doptor und Schoßta - Drei Eindringlinge in der Großen Barriere.
1. Koratzo sah der Bestie in die Augen, wäh rend er langsam auf sie zuging. Seit über ei ner Stunde hatte er die magischen Wörter gesprochen, die die Bestien besänftigen und beruhigen sollten. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, an dem er das Experiment mit einem durchschlagenden Erfolg zu krönen gedachte. Dreißig Meter. Koratzo sprach immer noch. Die Bestie stand ruhig vor ihm. Es war ein mächtiges Wesen mit einem Schuppen panzer, der an einigen Stellen von hornarti gen Auswüchsen und zottigen Haarbüscheln unterbrochen war. Den mächtigen Schädel hatte es leicht gesenkt. Koratzo sah die lan gen, gelben Zähne, die funkelnden, roten Augen und die scharfen Krallen an den seh nigen Echsenbeinen. Der Stimmenmagier lä chelte flüchtig, als er sich daran erinnerte, was seine Freunde von den Bestien hielten. Er fürchtete sich nicht. Er vertraute auf seine Magie. Zahlreiche Experimente hatten ihm bewiesen, daß er auf dem richtigen Weg war. Wenn seine Heilssprache auf dieses hirnlose Ungeheuer wirkte, mußte sie beim Einsatz gegen schwächere Wesen noch bes sere Resultate erbringen. Langsam ging er noch näher heran. Er wollte das Ungetüm berühren. Erst dann war sein Erfolg perfekt. Zwanzig Meter. Die Bestie regte sich nicht. Koratzo sprach weiter, monoton und gleichmäßig, während er die Bestie im Auge behielt. Noch nie war er so nahe an sie her angekommen. Er bewegte sich wie in einem Rausch. Diesmal mußte es gelingen! Im selben Augenblick nieste das Unge tüm. Sand wirbelte auf und drang dem Stim
menmagier in die Augen. Für Sekunden war er fast blind, während ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Unter Aufbietung aller Selbstbeherrschung zwang er sich, weiter die magischen Wörter zu murmeln – bis die Welle von Gestank ihn traf, die die Bestie von sich gab. Koratzo wußte, daß er damit das Spiel verloren hatte. Die Stimme versagte ihm, in seinem Hals würgte es, und er bekam einen Hustenanfall. Gleichzeitig drehte er sich um und stolperte in Richtung auf die Absper rung davon. Die Bestie brauchte ein paar Sekunden, um sich auf die Veränderung einzustellen. Koratzo hatte das Ungeheuer mit seinen Be schwörungen in Trance versetzt – die Bestie hatte keine Ahnung, wie dieser freche Wicht überhaupt in ihre Nähe geraten war. Sie be trachtete das Ding, das sich bewegte und sel tene Laute von sich gab, erstaunt und ver wirrt. Dann erwachte der Zorn in ihr. Sie er innerte sich vage daran, daß man sie hier eingesperrt hatte. Sie wollte zurück in die wilden Weiten der Ebene Kalmlech. Der Wicht dort vorne hatte etwas mit den Sper ren zu tun, die die Bestie mit all ihrer Kraft nicht durchbrechen konnte. Das Monstrum brüllte zum Zeichen, daß der Kampf eröffnet war. Es tat den ersten Schritt, und der Boden erbebte leicht. Korat zo rannte so schnell er konnte auf ein Tor zu, hinter dem er sich in Sicherheit bringen wollte. Die Bestie stampfte hinter ihm her, zuerst schwerfällig und langsam, dann aber immer behender. Der Stimmenmagier wußte, daß er so gut wie tot war. Das Tor war zu weit entfernt. Da er sich ganz auf seine Fähigkeiten verlas sen hatte, trug er nicht einmal die kleinste Waffe bei sich. Er rannte eigentlich nur des
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Marianne Sydow
halb weiter, weil er nicht tatenlos auf das Ende warten wollte. Das Ungetüm hinter ihm brüllte abermals, und Koratzo hielt sich unwillkürlich die Ohren zu. Gleichzeitig sah er auf und entdeckte weit über sich, auf dem Plateau vor seiner Wohnhalle, ein paar klei ne Gestalten. Er hatte über seinen Experimenten fast vergessen, daß an diesem Tag ein Treffen stattfinden sollte. Seine Freunde mußten bemerkt haben, daß in der Schlucht etwas nicht stimmte. Die Hoffnung verlieh ihm neue Kräfte. Er warf sich vorwärts. Hinter ihm schnaufte die Be stie enttäuscht. Sie hatte gerade nach dem Magier geschnappt und ihn nur um wenige Zentimeter verfehlt. Gleich darauf erhielt das Ungetüm noch mehr Grund, sich zu wundern. Glühende Dinger tanzten vor seiner Nase herum. Sie irritierten die Bestie so sehr, daß sie stehen blieb. Sie versuchte, einen der tanzenden Punkte herunterzuschlagen, aber das Ding war zu schnell. Sie schnappte danach und brüllte entsetzt auf, als der Punkt zu einer leuchtenden Wolke anschwoll. Ängstlich wich die Bestie aus. Die Lichter folgten ihr. Erst als Koratzo die Sperren hinter sich ge lassen hatte, verschwanden die Leuchter scheinungen. Das Ungeheuer sah sich um und stellte fest, daß seine Beute verschwunden war. Är gerlich stampfte es quer über den Platz und ließ sich gegenüber dem Tor in den Sand fallen. Irgendwann mußte das Opfer zurück kehren.
* Koratzo stammelte die magischen Worte, durch die allein er die Lücke in der Sperre zu schließen vermochte. Nachdenklich be trachtete er das kaum sichtbare Band, hinter dem die Bestie gefangen war. Fast wäre es schiefgegangen. Warum hatte das Biest auch niesen müssen! Beim nächsten Versuch mußte er die Körperfunktion des Ungeheu ers besser beobachten und solche Reaktio-
nen rechtzeitig ausschließen. Koratzo seufzte bei dem Gedanken daran, daß es mit den Ungeheuern von den Horden der Nacht offensichtlich nichts als Ärger gab. Schlagartig erinnerte er sich an die Si tuation außerhalb der Barriere von Oth. Noch hatten die Herren der FESTUNG den Horden der Nacht den Weg nach draußen nicht ebnen können. Und es schien, der Tag der Göttersöhne kam vielleicht doch, wie es uralte Überlieferungen vorausgesagt hatten. Die Herren der FESTUNG hatten auf die sem Planeten schon einige böse Überra schungen erlebt. Koratzo gönnte es ihnen. Im Gegensatz zu vielen anderen Magiern billigte er die Untaten der Herren nicht. Und er konnte auch nicht einfach die Augen da vor schließen und so tun, als wüßte er nicht, was die Horden der Nacht bei ihren Ver nichtungszügen anstellten. Er öffnete mit einem Schnalzer seiner Finger die Quelle und wusch sich den Staub aus dem Gesicht. Ein weiteres Schnalzen verwandelte das Wasser in eine Flüssigkeit, die wie Wein schmeckte, aber kaum Alko hol enthielt. Dafür war sie mit den beleben den Pollen der Sternblumen versetzt. Korat zo trank, bis der Geschmack nach Staub von seiner Zunge verschwunden war. Dann trat er in die Höhle der Stimmenkristalle. Sein Befehl, ihn nach oben zu tragen, wurde von den Kristallen tausendfach wiederholt, in ei nem sehr leisen, wispernden Singsang. Gleichzeitig schwebte Koratzo sanft wie ei ne Feder in die Höhe, bis er das Plateau er reicht hatte. »Das war knapp, wie?« fragte Querllo schrill. Koratzo nickte ihm zu. Querllo war ein Zwerg, seine Stimme klang unange nehm, und mit seiner rindenähnlichen Haut bot er keinen sehr erfreulichen Anblick. Aber er war Lichtmagier, und Koratzo war durch seine Künste dem Monstrum entgan gen. »Du solltest dich von den Biestern tren nen«, schlug Antharia vor. Ihr Fachgebiet war die Pflanzenmagie. »Warum versuchst du es nicht mit einem von Parlzassels Lieb
Meister der Magie lingen?« »Sie sind durch den Tiermagier bereits beeinflußt und reagieren nicht spontan ge nug«, wehrte Koratzo ab. »Laß es gut sein. Ich werde diesen Fehler nicht noch einmal begehen.« »Das würde ich dir auch nicht raten!« rief Querllo und kicherte schrill. »Stell dir vor, ich wäre nicht in der Nähe!« »Ich würde mich gerne einmal für einen Versuch zur Verfügung stellen«, sagte Estra la verträumt. Antharia warf der jungen Frau einen wütenden Blick zu. In letzter Zeit be mühte sich Estrala immer deutlicher um Ko ratzo. Der Stimmenmagier war mit seiner Arbeit so beschäftigt, daß er es gar nicht zu merken schien. Aber Antharia blieb mißtrau isch und vorsichtig. Wenn Koratzo sich für eine Frau entschied, dann zumindest nicht für Estrala, deren Magie nun wirklich denk bar überflüssig war. Welchen Sinn hatte es, so fragte sich Antharia immer wieder, Mu sik, die in diesem Augenblick irgendwo auf Pthor gespielt wurde, durch magische Mittel in der Barriere von Oth hörbar zu machen? Da ging es schon wieder los! Und noch dazu handelte es sich um den schmachtenden Gesang eines liebeskranken Dalazaaren! »Hör auf damit!« sagte Koratzo ziemlich grob. »Wir haben etwas zu besprechen.« Der Gesang hörte auf, und Estrala zog einen Flunsch. Antharia lächelte schaden froh. Als die Gruppe Koratzos Wohnhalle betrat, ging Antharia neben dem Stimmen magier. Die Halle war sehr groß. Koratzos freund lichem Charakter entsprechend, spendeten Kristallkugeln ein angenehmes Licht, das die Halle bis in den letzten Winkel beleuch tete, ohne die Augen zu blenden. Es gab kei nen scharfen Schatten, in dem sich etwas verbergen konnte. Sie nahmen an einem großen Tisch mit runder Platte Platz. Auf einen Befehl des Stimmenmagiers hin erschien auf dem Tisch eine Karte von Pthor. Die Karte glich einer Luftaufnahme. Deutlich waren die einzelnen Gebiete des Landes zu erkennen. Mehr
5 noch: Die jüngsten Entwicklungen wurden berücksichtigt. So zeichnete sich das Über schwemmungsgebiet um den Xamyhr ab, und die Eisküste hatte deutlich an Ausdeh nung verloren. Nur die FESTUNG wurde selbst auf dieser absonderlichen Tischplatte nicht sichtbar. An ihrer Stelle befand sich ein verwaschener, weißer Fleck mit unbe stimmten Konturen. Die Herren der FE STUNG wußten sich vor der Magie zu schützen. »Wo sind die Odinssöhne?« fragte Querl lo. Opkul, ein junger Magier, der den Blick in die Ferne beherrschte, dachte kurz nach und deutete dann auf einen Punkt östlich von Donkmoon. »Sie marschieren tatsächlich zur FE STUNG«, sagte Antharia überrascht. »Es gibt keinen Zweifel mehr. Sie hätten sich sonst nicht so weit von der Straße der Mäch tigen entfernt.« »Da ist noch etwas«, bemerkte Opkul. »Es befinden sich Fremde in Pthor. Ich habe sie schon früher entdeckt, sie aber für un wichtig gehalten, da sie anscheinend ziellos durch das Land zogen. Jetzt stehen sie am Rande der Dunklen Region.« »Das goldene Vlies wird sie angelockt ha ben«, vermutete Estrala. »Ich glaube nicht, daß es sich um Aben teurer und Schatzsucher handelt«, wider sprach Opkul. »Ich fürchte eher, daß sie ge nau wissen, wo ihr Ziel liegt hier!« Die anderen zuckten zusammen, als Op kul mit der offenen Hand auf den weißen Fleck der FESTUNG schlug. Koratzo starrte den jungen Magier entsetzt an und räusperte sich. »Du weißt, welche Folgen das haben kann«, sagte er, und er meinte nicht die Fremden, die ohnehin mit größter Wahr scheinlichkeit die Dunkle Region nicht le bend verlassen würden. Die FESTUNG und ihre Herren waren ta bu. Nicht einmal die Magier durften es sich erlauben, allzu offen über dieses Thema zu reden. Wer die FESTUNG oder ihre Herren
6 darstellte, sei es im Wort oder im Bild, der war des Todes. Selbst die Berührung des weißen Flecks auf der magischen Karte konnte schlimme Folgen nach sich ziehen. Opkul zuckte verächtlich mit den Schul tern. »Die Herren haben andere Sorgen, als sich mit einem unbedeutenden Magier zu befassen. Die Odinssöhne, die alten Sagen von Ragnarök, die Schwierigkeiten auf die sem Planeten, und dazu auch noch die Frem den – das dürfte ihnen zu schaffen machen.« »Leider«, murmelte Querllo und brachte das Gespräch damit wieder auf das eigentli che Thema. »Sie werden von uns Waffen fordern.« »Das stimmt. Nachdem selbst der Karta perator verlorenging, werden sie zu jedem Mittel greifen, das Erfolg verspricht. Wir hier in der Tronx-Kette sind uns einig dar über, daß unsere Magie nicht weiter im Sinn der FESTUNG eingesetzt werden darf. Sie soll positiv wirken, anstatt zur Vernichtung blühender Welten beizutragen.« Koratzo hatte sich in Eifer geredet, seine blauen Augen leuchteten. Querllo und die anderen dagegen sahen pessimistisch drein. »Auf diese Einigkeit würde ich mich an deiner Stelle nicht zu sehr verlassen«, mur melte Opkul düster. »Selbst in der TronxKette gibt es Leute, denen es egal ist, was mit ihren Entdeckungen geschieht. Sie wol len in Ruhe arbeiten, alles andere geht sie nichts an.« »Sie werden umdenken müssen«, sagte Koratzo hart. »Das ist leicht gesagt. Auf mich kannst du zählen, auf Querllo auch – aber wie willst du zum Beispiel Copasallior dazu bringen, wei ter als bis zum Fuß des Crallion zu denken? Außerdem werden die Herren der FE STUNG ziemlich ungehalten sein, wenn wir ihre Wünsche diesmal nicht erfüllen.« »Über all das habe ich hundertmal nach gedacht, Opkul«, knurrte Koratzo verärgert. »Wenn ich erst meine Heilsprache voll ent wickelt habe, werden sich die Probleme in Nichts auflösen.« Die anderen schwiegen. Diese besondere
Marianne Sydow Sprache, an der Koratzo unermüdlich arbei tete, sollte Glück und Frieden für alle Lebe wesen bringen. Niemand zweifelte daran, daß es Koratzo eines Tages gelingen würde, seinen Traum zu erfüllen, aber bis dahin ver ging mit Sicherheit noch viel Zeit – zu viel Zeit, denn sie hatten nur noch wenige Tage, bis die Entscheidung fallen mußte. Sie starrten auf die Tischplatte und zer brachen sich die Köpfe darüber, wie sich die Idee von der positiven Magie verwirklichen ließ, ohne dabei die Herren der FESTUNG auf dumme Gedanken zu bringen. Als freie Magier waren sie vor langer Zeit in dieses Land gekommen, und aus freiem Willen hat ten sie beschlossen, die Reisen Pthors mitzu machen. Sie hatten den Herren der FE STUNG das Recht zugesprochen, über Er kenntnisse und Erzeugnisse der Magier zu verfügen. Wie ließ sich die Freiheit zu forschen be halten und andererseits der Mißbrauch der Magie durch die Herren verhindern?
2. Copasallior, der Weltenmagier, schwebte in sechstausenddreihundert Metern neben dem Gipfel des Crallion und betrachtete zu frieden seine Heimstatt. Er fand, daß ihm als dem obersten und wichtigsten Magier eine imponierende, außergewöhnliche Behau sung zustand. Und sein Quartier war wirk lich ausgefallen. Auf dem flachen Gipfel des Crallion füllte eine Quelle einen kleinen See, der drei Was serfälle speiste. Sie donnerten über viele hundert Meter senkrecht nach unten, ehe sie sich zu einem tobenden Wildbach vereinig ten. Eine Serpentinenstraße führte an ihnen vorbei bis zur Gipfelregion des Bergriesen, und in den Gipfel hineingebaut war Copasal liors Wohnung, ein gewaltiger Komplex von Höhlen, die dem Weltenmagier allen er denklichen Luxus boten. Copasallior selbst brauchte die Straße ei gentlich nicht, aber als Anführer der Magier mußte er an die Bedürfnisse der anderen
Meister der Magie denken, die nicht wie er über die Fähigkeit ver fügten, Flugfelder zu erreichen. Der Crallion bot ein paradiesisches Bild. An seinen gewaltigen Flanken wechselten sich schattige Wälder mit blühenden Wiesen ab. Copasallior liebte die Höhe, nicht aber die Kälte und den Schnee. Darum hatte er für seinen Berg alle sonst gültigen Gesetze abgeschafft. Die Blütenpracht reichte bis an das Plateau mit dem Gipfelsee heran. Und da Breckonzorpf, der Wettermagier, sich hü ten würde, es mit dem Weltenmagier zu ver derben, bekam Copasalliors Berg nur das Beste vom Besten: Leichten Regen in der zweiten Hälfte der Nacht, milden Sonnen schein am Tage und schützende Wolken, so bald man auf einem Planeten mit zu starker Sonneneinstrahlung landete. Copasallior ließ das Flugfeld etwas absin ken, bis er über einer Lichtung trieb, auf der eine Herde Ortnys weidete. Das waren Tie re, die die Größe und Gestalt von Hirschen besaßen, statt des Geweihs jedoch glänzen de, spitze Hörner trugen. Außerdem war ihr Fell mattblau. Der Weltenmagier dachte dar an, daß er lange nicht mehr auf die Jagd ge gangen war. Daran war unter anderem Mal venia schuld. Seit Wochen trieb sie irgend welche geheimnisvollen Dinge im Eistal – Copasallior kam einfach nicht dahinter, worum es sich handelte. Jedenfalls war sie zur Zeit noch störrischer als sonst. Manch mal befielen den Weltenmagier ernsthafte Befürchtungen, Malvenia könnte sich einen anderen Geliebten zugelegt haben. Diese Gedankengänge verdarben ihm die gute Laune, und auch zum Jagen hatte er plötzlich keine Lust mehr. Ungeduldig trieb er das Flugfeld bis an den Eingang zu seiner Höhlenwohnung. Schon von draußen hörte er ein unange nehmes Brummen. Copasallior erschrak, denn dieses Geräusch kannte er nur zu gut. Hastig eilte er durch verschiedene Räume. Sein weites, dunkles Gewand wehte wie ein düsterer Schatten. An dem Funkgerät, das die Herren der FESTUNG vor langer Zeit an diesen Platz
7 hatten bringen lassen, glühte ein roter Knopf. Copasallior war so nervös, daß er mit seinen sechs Händen durcheinanderge riet. Endlich gelang es ihm, das Gerät einzu schalten. Falls die Herren der FESTUNG über die lange Wartezeit verärgert waren, so zeigten sie es wenigstens nicht. Die Stimme, die aus dem Lautsprecher drang, klang seelenlos und dumpf. Dem Weltenmagier, der sich nicht gerade durch übermäßige Sensibilität auszeichnete, lief ein Schauer über den Rücken. Mühsam konzentrierte er sich auf die Botschaft, die er empfing. »An alle Magier der Großen Barriere von Oth ergeht folgende Weisung: Haltet euch und eure Waffen bereit. Gefährliche Verän derungen kündigen sich an. Ihr werdet mit euren Mitteln der FESTUNG helfen, die Ordnung auf Pthor zu wahren. Wir werden euch rufen, wenn es soweit ist.« »Aber …«, begann Copasallior und ver stummte dann ärgerlich, denn mit hörbarem Knacken wurde die Verbindung unterbro chen. Der Weltenmagier murmelte einen Fluch – er konnte sich das in diesem Fall erlauben, denn die Herren hatten sich gegen alle magi schen Einflüsse abgeschirmt. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte Copasallior von nun an eine Sorge weniger gehabt. Er hatte nicht die geringste Lust, für die Herren der FESTUNG in den Krieg zu ziehen, und den anderen ging es sicher genauso. Denn soviel stand fest: Diesmal war die FESTUNG ernsthaft in Gefahr. Ein Gegner, der die FE STUNG in Bedrängnis brachte, war viel leicht auch fähig, die Magier das Gruseln zu lehren. Die Angelegenheit war wichtig. Copasal lior beschloß, eine Versammlung einzuberu fen. Er war auf keinen Fall bereit, den Be fehl der Herren weiterzugeben, ohne sich ei ne Rückendeckung zu verschaffen. Er suchte die Zelle der freien Gedanken auf, setzte sich auf ein weiches Polster und konzentrierte sich auf die Namen der führen den Magier.
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Marianne Sydow
»Glyndiszorn, Breckonzorpf, Kolviss, Malvenia, Wortz, Parlzassel, Jarsynthia. Co pasallior ruft euch zum Treffen im Crallion. Kommt, so schnell ihr könnt!« Er war sicher, daß alle seinem Ruf folgen würden. Es kam sehr selten vor, daß eine so dringende Aufforderung an die Mächtigsten von Oth erging.
* Als erste traf am folgenden Morgen Jar synthia ein. Die Liebesmagierin erschien diesmal in der Gestalt eines sehr jungen Mädchens. Copasallior, der nicht wußte, wie nahe Malvenia dem Crallion bereits sein mochte, fühlte sich unangenehm berührt, denn Jarsynthia hatte es nicht für nötig ge halten, auch nur einen Quadratzentimeter des Mädchenkörpers unter einem Kleidungs stück zu verbergen. Und dieser Körper hatte es in sich! Jarsynthia kicherte verspielt, als sie Copa salliors Verlegenheit bemerkte. »Hübsch, nicht wahr?« fragte sie heraus fordernd und drehte sich im Kreis. Die lan gen blonden Haare glänzten im Sonnen schein, als wären sie aus purem Gold. »Eine etwas verbesserte Imitation dessen, was jen seits des Wölbmantels in vielfacher Ausfer tigung herumläuft.« »Du hast spioniert!« schrie Copasallior empört. »Nur aus den Bildern in meiner Hal le der Wunder kannst du diese Gestalten kennen!« »Natürlich habe ich spioniert«, gab Jar synthia ungeniert zu. »Erinnerst du dich nicht an den Ortny, den du vor ein paar Ta gen aus deiner Wohnung gejagt hast? Das war ich, mein Lieber. Hab dich nicht so. Du solltest die Sperren erneuern. Sie sind so alt, daß selbst die jungen Burschen aus der Tronx-Kette sie durchbrechen könnten.« »Eines Tages werde ich dich in deiner wahren Gestalt sehen«, drohte Copasallior. »Dann ist es aus mit der Liebesmaschine. Du hast lange genug Verwirrung gestiftet. Und leg dir ein anderes Aussehen zu, bevor
Malvenia hier eintrifft.« »Die arme Malvenia«, kicherte Jarsynthia. »Sie hat viel zu tun und wenig Zeit für ihren geliebten Weltenmagier!« Sie tänzelte heran, und Copasallior rettete sich gerade noch rechtzeitig, indem er ein Flugfeld schuf und mit ihm in die Luft hin aufschoß. »Dann eben nicht«, schmollte Jarsynthia und verwandelte sich in ein uraltes, verhut zeltes Weiblein. »Ist es dir so angenehmer?« »Mir ist es völlig gleichgültig, wie du her umläufst«, stöhnte Copasallior weiter oben und schloß die Lider über seinen riesigen Basaltaugen. »Aber zieh dir etwas an!« Jarsynthia lachte übermütig. »Du kannst die Augen wieder aufma chen«, bemerkte sie spöttisch. Sie war wie der jung und strahlend schön, trug aber we nigstens ein schleierähnliches Gewand. »Was das Ende der Liebesmagie betrifft, so irrst du dich übrigens gewaltig. Es wird sie immer geben. Sie ist die mächtigste, schön ste, wichtigste und kraftvollste Magie, die je entdeckt wurde. Eigentlich müßte ich deinen Platz einnehmen.« »Das fehlte noch«, brummte Copasallior und kehrte auf den Boden zurück. »Was hat es mit Macht zu tun, wenn du Männer und Frauen reihenweise um den Verstand bringst?« Jarsynthia setzte zu einer scharfen Ant wort an, wurde jedoch von einem seufzen den Geräusch daran gehindert, ihre Meinung kundzugeben. Ein runder Schatten fiel auf die Plattform. Aus dem Seufzen wurde ein Fauchen. Jarsynthia brauchte alle magischen Kräfte, um ihren Schleier am Wegfliegen zu hindern. Dann hockte plötzlich eine zwei Meter hohe blaue Glocke zwischen ihr und dem Weltenmagier. Das Ding war transpa rent, so daß sie Copasalliors erleichtertes Gesicht deutlich erkennen konnte. »Deine Manieren, Kolviss«, sagte sie vor wurfsvoll, »bessern sich anscheinend nie. Was denkst du dir dabei, wenn du so einfach mitten in eine Unterhaltung hineinplatzt?« Das medusenartige Wesen wackelte wie
Meister der Magie ein überdimensionaler Geleepudding. »Verzeiht, wenn ich euch gestört habe«, sagte eine unwirkliche Stimme, die man nicht hörte, sondern nur plötzlich im Kopf spürte. »Der Flug hat mich erschöpft, und so blieb mir keine Zeit, euch zu warnen.« »Es hat dir noch nie Mühe gemacht, den Weg vom KoTomarth bis zum Crallion zu rückzulegen«, bemerkte Copasallior miß trauisch. Kolviss, der Traummagier, gehörte zu den wenigen nichthumanoiden Bewoh nern der Barriere. Obwohl Copasallior mit seinen sechs Armen und den Basaltaugen selbst fremdartig genug war, konnte er sich nie so recht mit Kolviss' Gestalt anfreunden. »Ich habe einen Umweg gemacht«, er klärte der Traummagier. »Glyndiszorn bat mich vor einiger Zeit um einen Gefallen. Leider häufte sich die Arbeit, und ich ver gaß, worum es dem Knotenmagier ging. Ich wollte die günstige Gelegenheit nutzen und flog zur ORSAPAYA.« Copasalliors Mißtrauen wuchs. Glyndis zorn besaß nach ihm am meisten Macht in Oth. Oft schon hatte der Weltenmagier Grund zu dem Verdacht erhalten, daß der Knotenmagier ihm den Rang ablaufen woll te. »Du hättest ihn hier auf jeden Fall getrof fen«, sagte er düster. »Der Umweg war überflüssig!« Kolviss zog es vor, darauf keine Antwort zu geben. Copasallior schloß daraus, daß die Geschäfte zwischen Glyndiszorn und dem Traummagier geheim bleiben sollten. Das gefiel ihm gar nicht. Er mußte die beiden im Auge behalten. Bei der Gelegenheit fiel ihm auf, daß Glyndiszorn längst hätte eintreffen müssen. Er hatte von allen den kürzesten Weg bis zum Crallion zu bewältigen. »Hatte der Knotenmagier die ORSAPA YA bereits verlassen?« fragte er Kolviss. »Das weiß ich nicht. Sein Luftschiff sah etwas seltsam aus. Eine dunkle Wolke hatte sich um die ORSAPAYA gelegt. Ich bekam keinen Kontakt zu ihm, obwohl ich ihn mehrmals rief. Mir kam es so vor, als säße er in der ORSAPAYA und wolle auf keinen
9 Fall gestört werden.« »Hm«, machte Copasallior mißmutig. »Er muß meinen Ruf doch gehört haben.« »Er wird schon noch kommen«, meinte Jarsynthia und trällerte ein sehr fremdartiges Lied, bei dem Kolviss dunkelblau anlief. Sein glockenförmiger Körper begann heftig zu pulsieren, die fadenförmigen Auswüchse kringelten sich. Jarsynthia tat, als bemerke sie die Veränderungen nicht. Schließlich ka tapultierte das Medusenwesen sich unter protestierendem Fauchen in Copasalliors Höhle hinein. »Sie kann es nicht lassen«, sagte Copasal lior zu Breckonzorpf, dem Wettermagier, der gerade seinen Donnerwagen vor den Höhlen halten ließ. »Jeden muß sie ärgern. Wir sollten sie aus unserem Kreis ausschlie ßen!« Breckonzorpf stieß ein dumpfes Grollen aus. Er schüttelte seine goldene Mähne und streichelte beruhigend die vier schwarzen Großkatzen, die ihn umringten. Breckonzor pfs Haut war tiefschwarz. Ein unbefangener Beobachter hätte sein Alter auf dreißig Jahre geschätzt. In Wirklichkeit lebte Breckonzor pf seit Jahrtausenden. Nur wenige Magier von Oth waren sterblich. »Sie achtet wenigstens die Macht der Wettermagie!« sagte Breckonzorpf düster. Er überragte den spindeldürren Copasallior um mindestens einen Meter. Bis auf die schwarze Haut sah er mit dem hellen Haar und der Lederrüstung den Odinssöhnen ziemlich ähnlich. »Warum hast du uns hergerufen? Was soll dieser Unsinn? Ich war in der SARKA mit einem wichtigen Problem beschäftigt. Hof fentlich dringt niemand in das Luftschiff ein. Das könnte schlimme Folgen haben!« »Du warst sicher nicht so dumm, die ma gischen Sperren hinter dir nicht einzuschal ten«, murmelte Copasallior verärgert. Auch Breckonzorpf gehörte zu denen, die auf die Spitzenposition aus waren. Abgesehen da von war der Wettermagier nie besonders gut gelaunt. Wenigstens war Jarsynthia jetzt beschäf
10 tigt. Zwischen ihr und Breckonzorpf fand ein schier endloses Spiel statt. Der Wetter magier nämlich gehörte zu den ganz weni gen Lebewesen, die Jarsynthia nicht einmal dann zu beeinflussen vermochte, wenn Breckonzorpf seine Abschirmung freiwillig aufgab. Natürlich versuchte sie es bei jeder Gelegenheit. Breckonzorpf beobachtete ihre Bemühungen mit größtem Vergnügen. Co pasallior hörte die beiden hinter sich lachen und hielt indessen Ausschau nach Malvenia. Er machte sich Sorgen ihretwegen. Seit Wochen verhielt sie sich merkwürdig, kam kaum aus dem Eistal zu ihm herauf, und wenn er sie besuchen wollte, hatte sie tau send Einwände und Ausflüchte. Mehrmals hatte er sich auf den beschwerlichen Weg zu ihrem Einhornhaus gemacht – beschwerlich deshalb, weil er in den Bereichen vieler an derer Magier, zu denen auch Malvenia zähl te, seine Flugfelder nicht einsetzen konnte. Nie fand er dann seine Geliebte vor. Nur der Ghorghs war da, dieser buckelige Gnom, der ihm mit knarrender Stimme weismachen wollte, seine Herrin sei da und dort unter wegs. Copasallior wußte, daß das nicht stimmte. Er vermutete, daß Malvenia eine besonders phantastische Kreation geschaffen hatte. Er konnte den Platz der Statuen von keinem Ort direkt einsehen, und die magischen Sperren waren auch für den Weltenmagier undurch dringlich. Wenn sie kam, das nahm er sich vor, wür de er sie zur Rede stellen. So wie jetzt ging es beim besten Willen nicht mehr weiter. Er zuckte zusammen, als er tief unten einen violetten Fleck erspähte. Aber bevor er noch zu erkennen vermochte, ob sich wirklich Malvenia dort unten die Straße ent langbewegte, rauschten neben ihm riesige Flügel. Er sprang erschrocken zurück. »Keine Angst!« rief ihm ein rothaariger Riese vom Rücken des enormen Vogels aus zu. »Er hat ein Frühstück bekommen. Du wärst ihm außerdem viel zu mager.« Copasallior seufzte und dachte zum so undsovielten Mal darüber nach, warum sich
Marianne Sydow unter den führenden Magiern nicht ein einzi ges normales Wesen befinden mochte. So fort tauchte vor seinem inneren Auge das Bild Koratzos auf, das freundliche Gesicht, von kurzen, blonden Haaren umrahmt, und die blauen Augen, die so offen und arglos blickten wie die eines Kindes. Copasallior verscheuchte die unerwünschte Vision ener gisch und begrüßte Parlzassel, den Tierma gier. Vorsichtshalber reichte er dem Riesen lieber nicht die Hand – das Harmloseste, was dabei geschehen konnte, waren ein paar zerquetschte Finger, aber es war auch schon vorgekommen, daß Parlzassel ein Mitglied seiner »Familie« im Ärmel mit sich herum trug, das aus purer Eifersucht schmerzhafte Stiche verteilte. »Wie geht es euch allen im Tal der Kä fer?« fragte Copasallior höflich. »Meine Familie wird mich vermissen«, sagte Parlzassel schulterzuckend. Er meinte seine zahlreichen Tiere, zu denen er ein fast inniges Verhältnis hatte. »Aber bis auf Glonnis sind sie alle gesund und munter.« »Was ist mit Glonnis?« erkundigte sich Copasallior ohne echtes Interesse. Er kannte das vogelähnliche Monstrum nur zu gut. Parlzassel hatte es schwerverletzt am Rande von Kalmlech aufgelesen, einen Tag nach dem die Horden der Nacht einen ihrer »Ausflüge« unternommen hatten. »Ich weiß es nicht«, murmelte Parlzassel nachdenklich. »Er wirkt müde – als ob er langsam alt würde. Das paßt gar nicht zu ihm. Er sagt, daß etwas ihn aussaugt.« Copasallior lächelte verächtlich, drehte sich aber wohlweislich zur Seite, damit Par lzassel es nicht sehen konnte. Natürlich be herrschte Glonnis die Sprache nicht. Er konnte sich dem Tiermagier bestenfalls durch einfache Laute und Gesten verständ lich machen. Parlzassel tat jedoch so, als könne er die Sprachen aller Tierarten verste hen. Damit versuchte er, die Tiermagie be deutungsvoller erscheinen zu lassen, als sie in Wirklichkeit war. Er hörte ein leises Räuspern, drehte sich um und sah Wortz neben dem Höhlenein
Meister der Magie gang stehen. Wie der Zwerg – er war nur eineinhalb Meter groß – dorthin gekommen war, blieb wie immer rätselhaft. Auch die scheinbare Verlegenheit, mit der Wortz von einem Fuß auf den anderen trat, hatte Copa sallior längst durchschaut. Wer Wortz so sah, mochte ihn für den unbedeutendsten Magier überhaupt halten. Er war klein, dürr und uralt, hatte ein zerknittertes Gesicht und einen langen, silbergrauen Bart. Das lange, weiße Gewand schlotterte um den ausge mergelten Körper. Aber Wortz war Lebens magier, und in der direkten Begegnung fürchtete sich sogar Copasallior ein wenig vor ihm. Denn Wortz konnte den Ablauf von Leben und Tod beeinflussen. Starke Bann sprüche schützten die unsterblichen Magier von Oth vor den Kräften des Zwerges. Aber Copasallior war klug genug, um die unbe kannten Einflüsse einzukalkulieren, von der sich selbst die gewaltige Weltenmagie nichts träumen ließ. »Du brauchst Wortz nicht so mißtrauisch anzustarren, Parlzassel!« sagte eine helle Stimme. Copasallior war überrascht. Er hatte Mal venia nicht kommen hören. Sie gab dem Weltenmagier einen flüchtigen Kuß. Er wollte sie festhalten, aber mit einer ge schmeidigen Drehung hatte sie sich ihm schon wieder entzogen. Bewundernd beob achtete er sie. Sie glich einer zwanzigjährigen Frau. Das gelbe Haar und die lila Hautfarbe verliehen ihr exotischen Reiz – selbst in den Augen des sechsarmigen Weltenmagiers, der mehr Fremdwesen gesehen hatte, als er jemals aufzuzählen vermochte. Malvenia war schlank und schön, sie bewegte sich mit der Leichtigkeit und Anmut einer Katze. Die grünen, schrägstehenden Augen funkelten übermütig, als sie Wortz langsam umkreiste. »Nimmst du Maß für eine neue Statue?« fragte Parlzassel säuerlich. Malvenia lachte. »Nein. Ich habe zwar Synthese von Kunst und Magie gefunden, aber ehe ich mich an das Bildnis des Lebensmagiers heranwage, warte ich lieber noch. Er hat mit Glonnis
11 wirklich nichts zu tun. Ich möchte nur über flüssigen Streit vermeiden.« »Ich verstehe gar nicht, wovon ihr redet«, warf Wortz schüchtern ein. »Von einem vogelähnlichen Wesen, das müde wird«, erklärte Malvenia sanft. »Wenn ich herausbekomme, daß du ihm die Energie stiehlst, wird mich deine Magie an der Rache nicht hindern!« versprach Par lzassel drohend. »Er ist es nicht«, sagte Malvenia überra schend scharf. Parlzassel starrte sie an, senk te schließlich den Kopf und stapfte verdros sen in die Höhlenwohnung. Copasallior sah, daß Malvenia und Wortz einen seltsamen Blick wechselten. Die Eifersucht stieg in ihm hoch. Nur mit Mühe behielt er die Be herrschung. Malvenia konnte frei entschei den, mit wem sie es zu tun haben wollte. Wenn sie ausgerechnet diesen mickrigen Zwerg wählte … »Wo bleibt Glyndiszorn?« drang ihre hel le Stimme in seine Gedanken. »Er wird bald kommen«, murmelte er. »Gehen wir hinein. Er kennt den Weg und wird uns folgen.«
* »Die Herren der FESTUNG gelten zwar im allgemeinen als unfehlbar«, murmelte Breckonzorpf, »aber jetzt übertreiben sie wirklich! Die Odinssöhne werden sich die Schädel einrennen, wenn sie den Barrieren zu nahe kommen. Ich verstehe nicht, wovor die Herren sich fürchten.« »Es ist die Sage von Ragnarök«, sagte Malvenia nüchtern. Copasallior warf ihr einen überraschenden Blick zu. Er hatte nicht gewußt, daß die Kunstmagierin sich mit solchen Dingen beschäftigte. Sie sprach weiter, ohne auf den Weltenmagier zu ach ten. »Wenn Ragnarök wirklich kommt, dann wird der Sage zufolge der schlafende Fafnir erwachen. Niemand weiß, was das bedeuten mag, aber die Herren der FESTUNG sehen in dieser Möglichkeit wohl eine ungeheure
12 Gefahr.« »Sie haben die Barrieren«, zählte Breckonzorpf auf. »Und die sind so gut wie unüberwindlich. Dann haben sie die Dellos, die auf bedingungslosen Gehorsam pro grammiert sind. Und die Technos, die über Waffen und schnelle Transportmöglichkei ten verfügen. Das sollte wohl ausreichen, um mit vier Männern fertig zu werden, die noch dazu nur mit primitiven Waffen ausge rüstet sind.« »Die Odinssöhne haben ungewöhnliche Kräfte«, sagte Parlzassel nachdenklich. »Und auf die Dellos ist nicht immer Verlaß, das wissen wir alle. Die Herren der FE STUNG geben sich nicht ohne triftigen Grund die Blöße, uns um Hilfe zu bitten.« »Sie haben nicht gebeten«, berichtigte Copasallior, »sondern gefordert.« »Um so schlimmer. Die Frage ist nur, ob wir sie unterstützen sollen oder nicht.« »Uns bleibt nichts anderes übrig«, meinte Wortz nüchtern. »Wenn wir uns weigern, werden wir unsere Freiheit verlieren. Sie werden es nicht zulassen, daß wir auch wei terhin frei unsere Forschungen betreiben.« »Wo bleibt diese Freiheit, wenn wir unse re Erkenntnisse für einen Kampf zur Verfü gung stellen, der uns eigentlich nichts an geht?« fragte Breckonzorpf herausfordernd. »Du redest schon fast wie die jungen Bur schen aus der Tronx-Kette!« Der Wettermagier sah Jarsynthia mißbilli gend an. »Unsinn«, polterte er. »Koratzo und seine Freunde wollen die Magie nur noch im posi tiven Sinn einsetzen. Ich dagegen wage zu fragen, ob es sinnvoll ist, die Arbeit vieler Jahre so einfach aufs Spiel zu setzen. Wir sind uns darüber einig, daß die Herren der FESTUNG mit großer Wahrscheinlichkeit auch ohne uns mit den Odinssöhnen zurecht kommen. Was aber riskieren wir, wenn wir eingreifen? Nehmen wir dich, Parlzassel. Sie werden verlangen, daß du deine Tiere in die Schlacht wirfst.« Der Tiermagier wurde blaß. »Da seht ihr es. Jeden von uns würde es
Marianne Sydow treffen. Jarsynthia wäre gezwungen, ihre be ste Liebesmagie einzusetzen und sie damit für lange Zeit wertlos zu machen. Dich, Co pasallior, würde man wahrscheinlich dazu verurteilen, zusätzliche Waffen von der Au ßenwelt zu beschaffen. Kolviss hätte irrefüh rende Gedankenbilder zu errichten und so weiter. Das ist glatte Verschwendung. Nur ein Unwetter, von mir in die entsprechende Richtung gesandt, sollte ausreichen, um die Odinssöhne ein für allemal von der FE STUNG fernzuhalten.« »Du traust dir allerhand zu«, murmelte Copasallior spöttisch, obwohl Breckonzor pfs Ausführungen ihn erschreckt hatten. Bis jetzt war er nicht dazu gekommen, die Kon sequenzen genau zu überdenken. Innerlich schüttelte er sich vor Abscheu. Copasallior konnte jederzeit – auch ohne die Erlaubnis aus der FESTUNG – Pthor verlassen und die fremden Welten besuchen. Meistens unternahm er solche Streifzüge, um seine Sammlung exotischer Schätze zu vergrößern. Oft fand er auch Dinge, die ma gische Kräfte besaßen. Er war überzeugt da von, daß niemand in Pthor soviel von den fremden Welten wußte wie er. Selbst die Herren der FESTUNG mußten vergleichs weise schlecht informiert sein, denn sie er fuhren alles nur aus zweiter Hand. Und was die Schätze betraf, die es draußen gab, so mußten sie sich auf den Sachverstand von Dellos verlassen. Copasallior verachtete die se künstlichen Wesen und traute ihnen kei nen Funken Sachverstand zu. »Wenn wir den Herren der FESTUNG den Dienst verweigern«, sagte Wortz be dächtig, »sitzen wir in der Klemme. Gehen wir auf ihre Forderungen ein, verlieren wir alles von dem, was wir uns mühsam erarbei tet haben. Ich sehe keine Möglichkeit, das Problem zu lösen.« »Angenommen, wir helfen ihnen nicht, und sie verlieren den Kampf«, überlegte Co pasallior. »Wer will uns dann einen Vorwurf machen?« »Das ist ein gefährliches Spiel«, warf Jar synthia ein. »Ich halte es für unwahrschein
Meister der Magie lich, daß jemand die FESTUNG besiegt. So etwas traue ich nicht einmal uns Magiern zu, wenn wir uns zu einem gemeinsamen An griff entschließen würden. Aber selbst wenn es gelänge – was kommt danach?« »So ziemlich jedes Wesen strebt nach Macht«, meinte Kolviss mit seiner Gedan kenstimme philosophisch. »Pthor wird sehr schnell einen neuen Herrscher bekommen.« »Von dem wir nicht wissen, wie er sich uns gegenüber verhalten wird«, stellte Mal venia fest. »Zumindest wird er aus der Ver gangenheit lernen und uns unter strenge Aufsicht stellen.« »Es gibt Schlimmeres«, murmelte Copa sallior. »Man kann die Naturgesetze auf sehr verschiedene Art und Weise interpretieren und abwenden. Auf den Welten, die ich im Verlauf der Reise besucht habe, war die wirkliche, reine Magie entweder unbekannt oder sogar gehaßt und gefürchtet. Wenn nun ein Anhänger der Antimagie die Herrschaft über Pthor an sich reißt, sieht es schlecht für uns aus.« »Noch ist es nicht soweit«, brach Breckonzorpf das lähmende Schweigen, das sich nach dieser Bemerkung ausgebreitet hatte. »Im übrigen können wir die Entschei dung nicht ohne Glyndiszorn treffen. Wo steckt er nur wieder?« »In der ORSAPAYA«, meldete sich Kol viss. »Ich bin ganz sicher, daß er das Luft schiff nicht verlassen hat.« »Dann müssen wir ihn holen«, sagte Co pasallior mißmutig. Er war nicht sonderlich daran interessiert, den Knotenmagier an der Diskussion zu beteiligen. Er fürchtete, daß Glyndiszorn eine Lösung für das Problem fand. Damit schwächte er die Position Copa salliors. »Um das Schiff liegt eine düstere Wol ke«, gab Kolviss zu bedenken. »Sollen wir, als die besten Magier von Oth, uns in Gefahr begeben? Ich bin mir für einen solchen Bo tengang zu schade.« »Ich wüßte jemanden, dem man das Amt übertragen könnte, Glyndiszorn zum Cralli on zu locken«, sagte Wortz und rieb sich eif
13 rig die Hände. »Schickt Koratzo los! Mit seiner komischen Stimmenmagie sollte es ihm gelingen, den Knotenmagier aus der ORSAPAYA zu locken!« Nur einer aus der ganzen Versammlung war mit diesem Vorschlag nicht einverstan den. Aber Copasallior hütete sich, seine Meinung kundzugeben. Für den Weltenma gier wäre es einer Katastrophe gleichgekom men, hätte jemand erfahren, daß es zwischen ihm und dem Rebellen aus der Tronx-Kette irgendeine Verbindung gab. So ging Copasallior in die Zelle der freien Gedanken, nahm Verbindung mit Koratzo auf und erteilte ihm den Auftrag, sich um Glyndiszorn zu kümmern. Da es einige Tage dauern mochte, ehe man etwas Neues über den Knotenmagier erfuhr, kehrten die Magier vorerst in ihre Behausungen zurück. Viel war bei der Be sprechung nicht herausgekommen, aber im merhin gewannen sie Zeit. Selbst die Herren der FESTUNG mußten doch wohl einsehen, daß schwerwiegende Beschlüsse nicht ge faßt werden konnten, wenn der zweitmäch tigste Magier von Oth nicht anwesend war.
3. Falkanz, Doptor und Schoßta duckten sich unter die magischen Schirme und verhielten sich so ruhig wie möglich, als eine Frau mit violetter Haut und gelben Haaren auf dem Rücken eines schneeweißen Yassels auf dem Weg wenige Meter unter ihnen vorbei raste. Die Magierin verschwand hinter ei nem bläulich schimmernden Felsen. Falkanz atmete hörbar auf. »Immerhin funktionieren die Schirme«, murmelte er. Niemand antwortete ihm, denn diese Er kenntnis war alles andere als neu. Schon seit Wochen durchstreiften die drei Gordys die Barriere von Oth, und kein einziger Magier hatte die Fremden bemerkt. Die Schirme schützten die drei vor der Entdeckung. Für die Magier waren die Gordys geradezu un sichtbar geworden.
14 Leider war der Erfolg der gefahrvollen Expedition bis jetzt sehr schwach. Das lag zum Teil an der eigenartigen Mentalität der Magier. Diese nämlich waren fast aus nahmslos Einzelgänger, und sie schienen nicht den leisesten Wunsch zu verspüren, ih re Umgebung zu durchstreifen oder Kontakt zu ihren Nachbarn zu pflegen. Die Folge da von war, daß die Magier ihre Behausungen kaum jemals verließen. Nur einmal hatten sie in eine Wohnung eindringen können. Was sie dort sahen, wirkte nicht gerade ermunternd. In dem bla senförmigen Haus, das an einer Steilwand klebte, gab es nur wertloses Gerümpel – we nigstens hatte es für die Gordys so ausgese hen. Sie suchten nach Waffen – magischen Waffen. In der jüngsten Vergangenheit hatte die Familie Gordy eine Reihe höchst peinli cher Zwischenfälle erlebt. Die Herren der FESTUNG hatten nicht das geringste Ver ständnis für Zufälle. Wenn es so weiterging, würden sie die bisher bevorzugte Familie Gordy für die angeblichen Fehler bestrafen, oder sie – was beinahe noch schlimmer war – schlicht und einfach vergessen, wie es mit der Familie Knyr geschehen war. Die Gordys wollten aber nicht vergessen werden. Sie wollten weiterhin den Herren der FESTUNG dienen und als deren Favori ten von allen anderen Technogruppen ge achtet und beneidet werden. Darum waren Falkanz, Doptor und Schoßta in die Barriere von Oth gereist, aus gerüstet mit den magischen Schirmen. Sie hatten keine Ahnung davon, wie die begehr ten Waffen aussahen, denn mit den Erzeug nissen der Magier war das so eine Sache für sich. Sie waren jedoch fest entschlossen, so lange zu suchen, bis sie das Richtige gefun den hatten. Sie brauchten etwas, womit sich in Zukunft alles Unheil von der Familie Gordy abwenden ließ. »Wir gehen da hinüber«, entschied Dop tor und deutete auf den bläulichen Felsen, hinter dem die Magierin verschwunden war. Niemand hatte etwas dagegen, denn die
Marianne Sydow eine Richtung war so gut wie die andere. Die Umgebung wirkte auf die Gordys ver wirrend. Sie kannten sich in gebirgigem Ge lände ohnehin nicht aus, und hier in der Bar riere waren noch dazu die natürlichen Ver hältnisse restlos umgekrempelt. Sie schlichen um den Felsen herum und starrten entgeistert in das Tal hinab. Dort un ten stand etwas, das wie Hals und Kopf ei nes Riesenyassels aussah. Aus der Stirn rag te ein Horn. Treppen am Fuß des Gebildes und eine seltsam geformte Tür verrieten, daß das statuenhafte Bauwerk als Haus diente. An manchen Stellen wies die Außenwand Risse und sogar Löcher auf. Etwas weiter rechts gab es eine Wiese, an deren Rand ei ne Quelle sprudelte. Dort weideten ungefähr zehn Yassels. Die Existenz dieser Weide wirkte befremdend, weil der größte Teil des Tales von Eis und Schneefeldern ausgefüllt war. Die Quelle, deren Wasser seltsam le bendig wirkte, verschwand an der Grenze der Weide unter einem bizarren Eisgebilde. »Was ist das dort?« fragte Falkanz wis pernd. Er deutete auf das Gelände jenseits des Einhornhauses. Schmale Wege führten über das Eis und endeten jeweils vor einem Podest, auf denen verrückt aussehende Gebilde standen. Man ches sah so aus, als hätte jemand versucht, bestimmte Bewohner von Pthor nachzubil den. Aber dieser jemand verstand entweder nichts von seinem Handwerk, oder er besaß zuviel Phantasie. »Das da sieht ein bißchen nach einem Techno aus«, murmelte Doptor. Das Gebilde hatte einen Kopf, einen Körper und je zwei Arme und zwei Beine. Aber auf seinem Haupt wucherten krause Dinger, die wie dünne Pflanzenstengel miteinander verfloch ten waren. Anstelle der Augen hatte die Fi gur eine sich scheinbar bewegende, formlose Masse. Es blieb unklar, aus welchem Mate rial die Statue bestand. »Jedenfalls sind es keine Waffen«, stellte Schoßta fest und drehte sich demonstrativ zur Seite. Er mochte die Statue nicht länger anschauen. Das Ding machte ihn nervös.
Meister der Magie »Selbst wenn es welche wären, könnten wir sie nicht mitnehmen«, stimmte Doptor zu. »Laßt uns weitergehen. Dieses Tal ge fällt mir nicht.« Sie zuckten zusammen und duckten sich tiefer an den Felsen, als die Frau mit dem gelben Haar und der lila Haut aus dem Ein hornhaus trat. Sie lief mit nackten Füßen flink und geschmeidig über das Eis. Der Pfad, den sie benutzte, führte zu einem »Kunstwerk«, das offensichtlich noch nicht fertiggestellt war, denn es wurde von grau em Nebel verhüllt. Die Magierin trat in den Nebel hinein und wurde für die Gordys un sichtbar. »Schnell jetzt«, flüsterte Schoßta. »Gehen wir, ehe sie wieder herauskommt.« Trotz der magischen Schirme fühlten sie sich bedroht. Nach allen Seiten sichernd, zo gen sie sich hinter den Felsen zurück und wandten sich dort nach Westen. Ein schma les, enges Tal nahm sie auf. Zwei oder drei Mal brauste über ihnen etwas durch die Luft. Dann warfen sie sich auf den Boden, zogen die Schirme über sich und warteten angster füllt, bis das Brausen in der Ferne verklang. Das Tal öffnete sich zu einem von steilen Wänden umgebenen Kessel, in dessen Mitte sich ein sparriger, aus bunten Teilen zusam mengesetzter Turm erhob. Die drei Gordys zogen sich hastig in den Sichtschutz der letzten Felsen zurück und starrten gebannt den Turm an. »Das sieht beinahe so aus, als wäre nie mand zu Hause«, flüsterte Doptor nach eini ger Zeit. In dem Talkessel war es absolut still. Kein Windhauch war zu spüren. Kein Tier be wegte sich im Gras und in den Zweigen der kümmerlichen Bäume, die vereinzelt um den Turm herumstanden. Es war drückend heiß und schwül. »Wir versuchen es«, entschied Schoßta, obwohl ihm gar nicht wohl dabei war. Die ser Talkessel strahlte eine unbestimmte Dro hung aus. Aber sie waren schon lange unter wegs. Es war höchste Zeit, daß sie Erfolg hatten. Sie mußten das Risiko eingehen.
15 »Die Schirme werden uns schützen«, murmelte Doptor unsicher. Vorsichtig schlichen sie durch das Tal und nutzten jeden Baum, der ihnen Deckung bot. Nichts geschah, und sie erreichten ohne Schwierigkeiten den Turm. Da jedoch fin gen die Probleme an. Es gab keine Tür, durch die man in das Bauwerk gelangen konnte. Sie suchten nach einer Treppe oder einer Leiter, die zu den weiter oben sichtbaren Fenstern führte, fan den aber nichts. »So etwas gibt es doch nicht«, schimpfte Falkanz leise vor sich hin. »Wozu soll der Turm gut sein, wenn man nicht hinein kommt?« Er trat ein paar Schritte zurück, um das Bauwerk besser überblicken zu können und schrie erschrocken auf. Die anderen drehten sich hastig um und sahen Falkanz, der unge fähr zwei Meter über dem Boden in der Luft hing. Sie rannten zu ihm, um ihm zu helfen. »Bleibt weg«, befahl Falkanz mit bebender Stimme. »Es reicht, wenn ich in die Fal le gegangen bin.« Schoßta und Doptor starrten ratlos zu ihm hinauf. Falkanz hatte den ersten Schrecken über wunden. Bis jetzt war ihm nichts passiert. Er versuchte vorsichtig, sich innerhalb der ver meintlichen Falle zu bewegen. Es ging über raschend leicht. Eine Handbewegung reich te, um ihn zur Seite schweben zu lassen. Er berührte eine unsichtbare Wand und drückte und schob sich an ihr entlang nach unten. Als er festen Boden unter den Füßen spürte, war ihm bedeutend wohler. Jetzt kam es dar auf an, ob er einen Ausgang fand. Er ging zwei Schritte in die Richtung, in der seine Gefährten standen und stellte verblüfft fest, daß die seltsame Wand hier unten gar nicht bestand. Die anderen sahen ihn entgeistert an, als Falkanz plötzlich in schallendes Gelächter ausbrach. »Ich habe den Weg in den Turm gefun den«, erklärte er schließlich. »Kommt. Wir werden uns dort drinnen umsehen. Wenn
16 wir Glück haben, können wir uns schon morgen auf den Rückweg begeben.« Schoßta und Doptor waren immer noch mißtrauisch. Falkanz betrat die unsichtbare Röhre und stieß sich leicht mit den Füßen ab. Er schwebte nach oben bis vor ein riesi ges Fenster, hielt sich am Rahmen fest und stand gleich darauf im Innern des Turmes. »Worauf wartet ihr?« rief er nach unten. Doptor wagte sich als erster in die Röhre, dann schwang sich auch Schoßta in den Raum hinter dem Fenster. »Wie mag das funktionieren?« fragte er. Falkanz zuckte die Schultern. »Irgendeine Form von Magie, nehme ich an. In der Barriere von Oth scheint nichts unmöglich zu sein. Hauptsache, es schaltet sich nicht aus, bevor wir wieder draußen sind.« Die beiden anderen wurden blaß. Das Fenster – falls es sich nicht doch um den eigentlichen Eingang und damit um eine Tür handelte – lag etwa zehn Meter über dem Boden. Sie hatten Seile, an denen sie sich notfalls hinablassen konnten. Die Frage war nur, ob ihnen dazu Zeit genug blieb, falls der Besitzer des Turmes ihre Anwesenheit be merkte. Der Raum, in dem sie sich befanden, reichte von einer Außenwand bis zur ande ren. In der Mitte des Fußbodens gähnte ein Loch. Ein anderes befand sich direkt darüber in der Decke. Falkanz vermutete sofort, daß an diesen Stellen eine zweite Transportröhre existierte. Da das riesige Zimmer völlig leer war, probierte er die Röhre aus, indem er die Hand über das Loch hielt. Er merkte sofort den Unterschied. »Wir müssen uns trennen«, beschloß er. »Schoßta, du bleibst hier und paßt auf, daß niemand uns überrascht. Doptor, du suchst unten, ich sehe nach, was es oben gibt.« Schoßta war von seinem Auftrag nicht ge rade begeistert. Er nahm seine Waggu in die Hand und stellte sich so neben dem Fenster auf, daß man ihn von draußen nicht sehen konnte. Ihm war nur zu klar, daß er mit sei ner Waffe wenig Chancen gegen einen Ma-
Marianne Sydow gier hatte. Diese Leute mußten wirklich über unglaubliche Fähigkeiten verfügen. Inzwischen schob sich Falkanz in den nächsthöheren Raum. Ihm stockte der Atem, als er die vielen seltsamen Gegenstände sah. Zuerst wußte er mit dem ganzen Zeug nichts anzufangen. Da gab es Flaschen und Rohre, in denen Dämpfe wallten und Flüssigkeiten gluckerten, verschieden große Kugeln, von denen Lichtstrahlen ausgingen, und Kästen, aus denen wirres Piepsen und Pfeifen drang. Dann entdeckte er eine Reihe von Behäl tern dicht an der Wand. Erst als er direkt da vor stand, erkannte er die Gegenstände, die in ihnen aufbewahrt wurden. Die Technos waren insgesamt keine über mäßig sensiblen Wesen, und die Gordys wa ren selbst bei ihren Artgenossen als beson ders kaltblütig bekannt. Trotzdem bekam Falkanz eine Gänsehaut. Hinter den gläsernen Wänden der Behäl ter schwammen Organe und Gliedmaßen verschiedener Wesen in einer gelblich ge färbten Flüssigkeit. Dem Techno stülpte sich fast der Magen um, als er bemerkte, daß die se Teile alle lebten. Er sah pulsierende Her zen ohne Körper, eine Hand, die unruhig zuckte, und schließlich den abgetrennten Kopf eines Technos, der ihn ausdruckslos anstarrte und dabei unaufhörlich den Mund bewegte. Das gab ihm den Rest. Falkanz drehte sich auf der Stelle um und warf sich so heftig in die Transportröhre, daß er fast mit Doptor zusammengestoßen wäre, der in ähnlichem Tempo aus dem un teren Stockwerk zurückkehrte. Falkanz sah das Gesicht seines Gefährten und beschloß, alle Fragen auf einen späteren Termin zu verschieben. Sie mußten den Turm verlas sen, und zwar schnell, ehe der Besitzer kam und die drei Gordys ebenfalls in ihre Einzel teile zerlegte, um sie seiner makabren Sammlung einzuverleiben. Schoßta begriff sofort und warf sich als erster in die Transportröhre. Die beiden an deren folgten dichtauf. Als Falkanz, der den Schluß bildete, auf dem Boden landete,
Meister der Magie zuckte ein greller Blitz quer durch den Tal kessel. Die drei Technos rannten davon, so schnell ihre Beine sie trugen. Keuchend er reichten sie eine Baumgruppe, drückten sich schutzsuchend gegen die rissigen Stämme und hielten zitternd Ausschau nach ihrem Gegner. Voller Entsetzen entdeckten sie ein riesiges Weib, das in einem Federhemd steckte und quer über ihnen durch die Luft flog. Die Magierin hielt einen Stab in der Hand. Niemand mußte den Gordys erst sa gen, daß es sich dabei um eine Waffe han delte. Ab und zu gab das Ding einen Licht strahl ab. Wo er auftraf, zerfielen Bäume und Gräser zu grauem Staub. Schoßta war der einzige, der die Nerven behielt – er hatte schließlich auch nicht ge sehen, was sich im Turm befand. Er zielte sehr sorgfältig. Die Magierin im Federhemd stieß einen unmenschlichen Schrei aus, als die lähmen de Energie aus der Waggu die Hand mit dem Lichtstab traf. Die Waffe fiel zu Boden, aber die Magierin gab sich noch lange nicht ge schlagen. Kreischend kreiste sie über den Bäumen. Jetzt sahen die Gordys, daß überall an dem Federhemd blitzende Klingen befe stigt waren. Mit diesen Waffen konnte die Magierin jeden Gegner buchstäblich in der Luft zerfetzen. Schoßta hing an seinem Leben, und so zielte er erneut. Er ließ sich weder von dem Geschrei, noch von den drohenden Gebär den der Magierin beeindrucken. »Weg von hier!« schrie er im selben Au genblick, in dem er die Waggu auslöste. Falkanz und Doptor stürmten in wilder Panik unter den Bäumen hervor. Schoßta richtete seinen Lauf so ein, daß er sich un terwegs den Lichtstab schnappen konnte. Die Magierin schlug wie eine lebende Bom be in die Baumwipfel ein, riß dabei einen Hagel von Ästen, Blättern und Zweigen mit sich und hörte dann endlich auf zu schreien. Die Technos blieben erst stehen, als sie den Ausgang aus diesem Talkessel erreicht hat ten. »Ist sie tot?« fragte Falkanz keuchend.
17 »Ich habe nicht nachgesehen«, antwortete Schoßta trocken. »Das ist der Lichtstab. We nigstens haben wir eine Waffe erbeutet.« Doptor schüttelte sich und deutete auf den Turm. »Was hast du gefunden?« fragte er Fal kanz. Der Techno berichtete. Sie fühlten sich für den Augenblick sicher an diesem Ort, denn die Magierin rührte sich immer noch nicht, und nichts deutete darauf hin, daß je mand ihr zu Hilfe eilen würde. »Unten bewahrt sie die Wesen auf, die sie aus den verschiedenen Teilen zusammen fügt«, erklärte Doptor düster, als Falkanz schwieg. »Jedenfalls nehme ich das an. Es sind scheußliche Monstren, die in gläsernen Käfigen stecken. Sie sehen alle verschieden aus. Ich mag sie nicht näher beschreiben, denn mir wird schon von der bloßen Erinne rung schlecht. Was meint ihr, reicht der Lichtstab aus?« Sie betrachteten die Waffe zweifelnd. Sie war nicht das, wonach sie gesucht hatten. Natürlich war das Ding trotzdem wertvoll, aber damit ließ sich kaum verhindern, daß die Familie Gordy weiterhin vom Pech ver folgt wurde. »Wie funktioniert sie?« wollte Falkanz wissen. Schoßta richtete die Waffe schräg auf den Boden und suchte nach einem Auslöser. Er fand nichts. Er drückte an dem Lichtstab herum, aber auch das brachte nichts ein. »Wahrscheinlich ist das Ding durch magi sche Kräfte abgesichert«, sagte er ärgerlich. »Wir können nichts damit anfangen. Oder seid ihr anderer Meinung?« Falkanz und Doptor blickten betrübt die nutzlose Waffe an. Schoßta schleuderte das Ding wütend von sich – und rettete damit sich und seine beiden Gefährten, denn die Waffe glühte noch im Flug auf und verging in einem Feuerball. Die Gordys flohen ent setzt vor der Hitze und dem stinkenden Rauch. »Suchen wir also weiter«, murmelte Dop tor resignierend.
18 Das nächste Tal nahm sie auf. Im Schutz der magischen Schilde marschierten sie durch tropische Wälder und steppenhafte Landschaften, über Gletscher und totes Ge stein auf den nächsten Bergriesen zu, der sich vor ihnen wie eine Festung erhob. Als sie nahe genug heran waren, sahen sie das Luftschiff, das neben der südlichen Flanke des Berges schwebte. Gewaltige Trossen hielten den Flugkörper fest. Eine eng ge wundene, freistehende Treppe führte zu ei nem gondelähnlichen Gebilde hinauf, das unter dem Flugkörper hing. Mißtrauisch beobachteten die drei Gordys das Gefährt. Erst nach einiger Zeit gelangten sie zu der Überzeugung, daß sich niemand oben in der Gondel aufhielt. Sie schlichen näher heran und entdeckten erst jetzt die Höhlen, die sich in der Bergwand auftaten. Sie spähten hinein und sahen Geräte, mit de nen sie nichts anzufangen wußten. Es gab auch Lagerräume, die bis zum Bersten mit Vorräten aller Art vollgestopft waren. Aus einem Raum blitzten ihnen faustgroße Kri stalle entgegen. Sie verständigten sich mit einem kurzen Blick. Doptor huschte um die Ecke und kehrte mit einem Kristall zurück. Er wanderte, wie allerlei andere kleine Beu testücke, in die Schultertasche des Technos. Nacheinander besuchten sie alle zwanzig Höhleneingänge. Dann waren sie ziemlich sicher, daß sich da drinnen keine Magier aufhielten. »Wir müssen hinauf in die Gondel«, stell te Schoßta fest. Unwillkürlich flüsterte er, denn das Luftschiff hing wie eine drohende Wolke über ihnen. »Wem mag das Ding ge hören?« »Es trägt ein Zeichen«, sagte Falkanz nachdenklich. »Eine Wolke mit einem Blitz.« »Vielleicht haben wir das Heim eines Ma giers erwischt, der Wolken und Blitze beein flussen kann«, meinte Doptor hoffnungsvoll. »Wenn wir diese Magie stehlen könnten …« Sie sahen sich an und rannten zu der Wendeltreppe. Sie kamen nicht einmal bis auf zehn Meter an sie heran, dann prallten
Marianne Sydow sie gegen eine unsichtbare Wand. »Magische Sperren«, stellte Falkanz nach einer kurzen Untersuchung bitter fest. »Dagegen helfen nicht einmal die Schirme.« »Dann versuchen wir es über die Tros sen!« sagte Schoßta. Sie mußten die Gondel erreichen. Nur dort würden sie das Geheimnis des unbe kannten Magiers herausbekommen. Sie suchten sich eine günstige Stelle aus und be gannen mit dem mühseligen Aufstieg.
4. Koratzo war sehr ärgerlich. Fast täglich fand in seiner Halle ein Treffen der Magier aus der Tronx-Kette statt, aber bei allen Be ratungen kamen nur neue Zweifel und Spe kulationen heraus. Koratzo vernachlässigte seine Arbeit an der Stimmenmagie. Immer wieder versuchte er, seine Gefährten davon zu überzeugen, daß es nur einen Weg gab: Die Magier mußten sich von den Herren der FESTUNG lossagen. Nur dann konnten sie – wie schon einmal, vor sehr langer Zeit – eine wertfreie, positive Magie betreiben und sich davor schützen, daß andere ihre Er kenntnisse mißbrauchten. Jeder sah das ein, aber niemand war be reit, die Konsequenzen zu ziehen. Querllo sagte es am deutlichsten. »Solange die Herren der FESTUNG Pthor beherrschen, können wir Magier tun und las sen, was wir wollen – es sei denn, wir be schwören eine Gefahr für ganz Pthor herauf. Der freiwillige Beschluß der Magier hat die sen Bund besiegelt. Der Preis, mit dem wir uns abfinden mußten, war der Mißbrauch unserer Magie durch die Herren. Wir beide, Koratzo, wissen, daß dieser Preis zu hoch ist, und ein paar andere begreifen es wohl auch. Aber die meisten wollen die Wahrheit gar nicht kennenlernen. Sie verschließen die Augen davor, denn es wäre unbequem, sich mit diesem Thema zu befassen. Schließlich haben wir Magier nie unter dem Machtan spruch der Herren gelitten. Gegen uns wur den keine Waffen eingesetzt. Wir sind auch
Meister der Magie nicht gezwungen worden, hier in der Barrie re zu leben. Ganz im Gegenteil, wir sind aus freiem Willen gekommen und geblieben.« »Das ändert nichts daran, daß die Herren der FESTUNG mit unseren Waffen Verbre chen an fremden Völkern begehen!« »Es sind nicht nur unsere Waffen«, korri gierte Querllo. »Es stehen ihnen auch noch andere Mittel zur Verfügung. Das Problem besteht darin, daß fast alle Magier sich wei gern, die Verbrechen mit sich selbst in Ver bindung zu bringen. Sie forschen – was an dere mit ihren Erkenntnissen anfangen, in teressiert sie nicht. Wenn ein Mann in Orxe ya ein Schwert schmiedet und es verkauft, und der Käufer tötet mit diesem Schwert einen Fremden – ist dann der Schmied schuldig?« Koratzo starrte schweigend über die Schlucht und die wilden Felshänge in die Ferne. Er dachte angestrengt nach. Querllos Vergleich hatte ihn beeindruckt. Der Licht magier hatte das Problem tatsächlich erfaßt. Waren die Magier wirklich so verantwor tungslos? Koratzo kannte die Antwort, noch ehe er die Frage in seinen Gedanken formuliert hat te. Und er wußte auch, daß alles, was er bis her versucht hatte, erfolglos bleiben mußte. Es hatte keinen Sinn, die Magier zu einer Vernunft zwingen zu wollen, der sie – viel leicht unbewußt – seit so langer Zeit ausge wichen waren. Er mußte neue Wege finden. Wenn er so weitermachte wie bisher, würde er nur seine Kräfte aufreiben. Wo waren die Magier am verletzlichsten? Bei allen individuellen Unterschieden hat ten sie eines gemeinsam: Sie wollten in Ru he und Abgeschiedenheit ihren Forschungen nachgehen. Koratzo fragte sich, durch wel chen Umstand eben diese Freiheit bedroht werden könnte. Er konnte es sich nicht vor stellen. Wenn es ihm gelänge, eine solche Bedrohung zu erfinden … In seinem Kopf entstand ein Bild. Er zuckte zusammen. »Jemand ruft mich«, sagte er zu Querllo und ging quer durch die Wohnhalle bis zu
19 einem von Stimmkristallen eingerahmten Sessel. Er hatte kaum Platz genommen, da hörte er den Weltenmagier Copasallior. »Geht zu Glyndiszorn und sagt ihm, daß wir ihn auf dem Crallion erwarten. Er ist meinem Ruf bisher nicht gefolgt.« Koratzo erkannte, daß Copasallior seiner Botschaft gerne etwas hinzugefügt hätte, aber dann überlegte es sich der Weltenma gier anders. Seufzend stand Koratzo auf. Querllo wartete auf ihn neben dem Eingang. »Es gibt Ärger mit Glyndiszorn«, berich tete der Stimmenmagier. »Wir sollten nach sehen, was bei der ORSAPAYA los ist. Hast du in letzter Zeit etwas über den Knotenma gier gehört?« »Gerüchte«, murmelte Querllo nachdenk lich. »Eine dunkle Wolke umgibt sein Luft schiff. Man sagt, Glyndiszorn hätte bei sei ner Arbeit einen Fehler gemacht. Es ist mög lich, daß der Knotenmagier in einer von ihm geschaffenen Dimensionsfalle festsitzt. Was will Copasallior von ihm?« »Er hat es mir nicht verraten. Irgend et was stimmt nicht.« »Wirst du selbst gehen?« Koratzo nickte. »Und wen nimmst du mit?« Koratzo gab sich einen Ruck. Er durfte jetzt nicht seinen Gedanken nachhängen und die Ahnungen begutachten, die in ihm er wachten. »Dich«, sagte er. »Dann Opkul, Wa, Ssis snu und Haswahu.« »Hältst du die Sache für so wichtig?« Koratzo nickte nur. »Na schön«, murmelte Querllo resignie rend. »Du mußt es ja wissen. Ich sage den anderen Bescheid. In einer Stunde kann es losgehen.«
* Wa war eine Höhlenmagierin. Sie ver mochte nicht nur verborgene Hohlräume aufzuspüren, sondern auch welche zu schaf fen. Ihr gehorchten die tieferen Felsen, und sie bewegten sich nach ihrem Willen. Ob
20 wohl sie oft in den düsteren Tiefen weilte, war ihr Gesicht von der Sonne gebräunt. Sie trug ihr hellblondes Haar lang und offen. Ih re Kleidung bestand aus einer Bluse und ei nem Rock, die beide aus glitzernden Kri stallfäden gewirkt waren. Wa trug niemals Schuhe, denn die Steine unter ihren Füßen konnten sie nicht verletzen. Ssissnu war völlig unbekleidet, aber nie mand konnte von ihm verlangen, daß er sich in ein zusätzliches Futteral quetschte. Der Körper des Schlangenmagiers war nämlich mit dichtem, weichem Fell bedeckt. Im Nor malzustand sah Ssissnu wie eine große Pelz kugel aus, bei der man nicht einmal sagen konnte, wo oben und unten war – denn Ssis snu bewegte sich rollend vorwärts. Setzte er jedoch seine Fähigkeiten ein, dann dehnte und streckte sein Körper sich nach allen ge wünschten Richtungen, wand sich schlan gengleich durch die engsten Spalten im Fels oder bildete Brücken zwischen den Rändern tiefer Schluchten. Außerdem besaß er die Fähigkeit, Lücken selbst in starken magi schen Sperren zu schaffen. Haswahu schließlich, der Luftmagier, würde die Gruppe gegen die zum Teil extre men Temperaturschwankungen schützen, die in den verschiedenen magischen Bezir ken herrschten. Einige Magier würden sich weigern, die Gruppe aus der Tronx-Kette durch ihr Gebiet marschieren zu lassen. Da Koratzo möglichst wenig Zeit verlieren wollte, würde Haswahu in solchen Fällen dem Gegner den Atem des tiefen Schlafes entgegensenden. Rechnete man Opkuls Blick in die Ferne dazu sowie Koratzo und Querllo mit ihren speziellen Fähigkeiten, so hatte man eine fast unschlagbare Gruppe vor sich. Sie verließen das Plateau vor der Halle am Nachmittag. Die anderen Bewohner der Tronx-Kette wußten von ihrem Vorhaben, aber niemand hielt es für notwendig, zum Abschied hier zu erscheinen. Koratzo war froh darüber. Antharia und Estrala waren si cher beleidigt, weil er sie nicht zum Mit kommen aufgefordert hatte.
Marianne Sydow Solange sie sich durch die Tronx-Kette bewegten, hatten sie es leicht. Hier gab es keine abgetrennten Bezirke, die von jeweils einem Magier beansprucht wurden. Auch die Bewohner der Kette waren Individuali sten, aber sie kapselten sich nicht gegenein ander ab. Das brachte Vorteile mit sich. Schon immer hatten die Magier der TronxKette neue Ideen geliefert und entscheidend dazu beigetragen, daß die Entwicklung der Magier nicht stehenblieb. Abgesehen davon war es einfach bequem, sich nicht alle paar Stunden auf neue Fortbewegungsarten um zustellen. In der Tronx-Kette gab es ein dichtes Netz von Gleitpfaden, auf denen man frei wie ein Vogel über alle Hindernisse hinwegschwebte. Dadurch brauchten sie nicht einmal eine halbe Stunde, um die Grenzstation zu errei chen. Auch sie war eine Eigenart dieses Ge bietes. »ORSAPAYA«, murmelte der alte Ho wath nachdenklich, als sie ihm das Ziel ihrer Reise nannten. Howath war ein Feuermagier, und deshalb eignete er sich besonders gut dafür, diese Station zu bewachen. Zwar kam es nur sehr selten zu Auseinandersetzungen zwischen den Magiern, aber man konnte gar nicht vor sichtig genug sein. Einige Leute waren der Ansicht, daß die Tronx-Kette mehr als nur dreißig Magiern Platz bot. Koratzo und sei ne Freunde hätten gerne weitere Verbündete aufgenommen, aber eben diese Leute dräng ten nicht in die Tronx-Kette. Statt dessen waren es die kleinen, düsteren Männer, die jenseits vom Tal der Käfer ihre Reviere hat ten, die immer wieder versuchten, die hellen Gipfel der Tronx-Kette für sich zu erobern. Da sie nur niedere Arten der Magie be herrschten, scheiterten sie meistens schon am alten Howath, der ihnen Flammfäden und Feuerregen entgegensandte. »Wie eilig habt ihr es?« wollte Howath wissen. »Wir wollen es so schnell wie möglich hinter uns bringen«, erklärte Koratzo. »Ich würde euch die schnellen Yassels
Meister der Magie empfehlen. Aber wie ist es mit Ssissnu? Die Biester gehen durch, wenn sie ihn nur von weitem sehen.« »Die Tiere eignen sich nur für die neutra len Wege«, lehnte Koratzo ab. »Wir verlie ren nur Zeit mit ihnen. Was ist mit dem Heraskawanu?« Howath zögerte. »Er könnte unterwegs Schaden anneh men«, murmelte er unschlüssig. »Du mußt bedenken, daß er sehr wertvoll ist. Wir ha ben nur diesen einen, und niemand weiß, mit welcher Magie er notfalls zu heilen ist.« »Der Heraskawanu ist eine Maschine«, wehrte Koratzo ärgerlich ab. »Ein Produkt der Antimagie. Was nützt uns das Ding, wenn es immer nur herumsteht? Außerdem haben die Technos ähnliche Geräte. Sicher wissen sie auch, wie man sie repariert. Wir brauchen den Heraskawanu. Weil er kein magisches Objekt ist, kann er ungehindert durch alle Bezirke fahren.« »Er braucht breite, glatte Wege«, jammer te Howath. »An den Felsen wird er sich die Stelzen zerbrechen.« »Auf eine mehr oder weniger kommt es nicht an«, stellte Querllo trocken fest. »Hör auf, dir um eine seelenlose Maschine Sorgen zu machen, Howath, sie ist es nicht wert.« »Immerhin können wir mit unserer Magie so etwas nicht erschaffen!« wehrte der Feu ermagier sich trotzig. »Eines fernen Tages werden Magie und Antimagie miteinander verschmelzen«, behauptete Haswahu und er zeugte mit einem Fingerschnippen einen fri schen Windhauch, der wie ein Symbol wirk te. »Dann entsteht eine neue, unbesiegbare Macht!« »Das sind Märchen, die die Sterblichen sich erzählen«, brummelte Howath mißmu tig, schritt aber dabei voran zu der Höhle, in der der Heraskawanu untergebracht war. »Außerdem nutzt mir der ferne Tag nichts, wenn der Heraskawanu morgen in eine Schlucht fällt. Ihr habt mir den Auftrag ge geben, ihn zu bewachen!« »Und jetzt brauchen wir ihn eben«, kon terte Wa.
21 »Wir passen schon auf ihn auf.« Howath ließ den Vorhang aus kalten blauen Flam men in sich zusammenfallen. Der Heraska wanu stand vor ihnen. »Schöne Magier seid ihr«, knurrte er, im mer noch nicht besänftigt. »Anstatt eure Fä higkeiten einzusetzen, verlaßt ihr euch auf ein Erzeugnis der Antimagie!« »Du widersprichst dir selbst«, meinte Op kul mit gutmütigem Spott. »Außerdem ist es nur vernünftig, die Mittel ihrer Zweckmä ßigkeit entsprechend einzusetzen. Vergiß nicht, daß wir durch die dunklen Täler müs sen.« Howath kroch brummend auf den Heras kawanu, hantierte mit den fremden Werk zeugen der Antimagie daran herum und übergab Koratzo endlich ein kleines Ding aus Metall. »Du weißt ja, was du zu tun hast«, sagte er. »Aber wehe, du bringst ihn mir nicht heil wieder an diesen Ort!« Howath verzog sich unter ärgerlichem Gemurmel. Koratzo und die anderen achte ten kaum noch auf ihn. Fasziniert betrachte ten sie den Heraskawanu, den sie zwar alle oft genug gesehen hatten, dessen Aussehen sie aber immer wieder beeindruckte. Der Heraskawanu war ein Transportmit tel. Vor langer Zeit, als Pthor gerade wieder einen Besuch auf einem Planeten hinter sich hatte, war der Heraskawanu plötzlich in der Barriere von Oth aufgetaucht. Er mußte un bemerkt durch den Wölbmantel eingedrun gen sein. Nun rumpelte er auf seinen über fünfzig Stelzenbeinen durch die Täler und sorgte für beträchtliche Aufregung, weil er in unregelmäßigen Abständen Flammen spuckte, unter deren Hitze selbst gewachse ner Fels verging. Die Magier fanden schnell heraus, daß der Koloß – entgegen den vom ersten Schrecken diktierten Vermutungen – kein lebendes Wesen war. Er war auch nicht mit den Mit teln der Magie geschaffen worden. Das war erschreckend genug, denn der unvermittelte Einbruch der Antimagie in den Lebensbe reich der Magier erschütterte das gesamte
22 System. Dem Heraskawanu war das egal. Er kroch weiter und spuckte Flammen um sich, bis er in die Nähe der Tronx-Kette gelangte. Damals lebte ein Sterblicher im Reich der sieben Gipfel. Er war für einige Jahre bei den Technos von Zbahn gewesen und hatte viel von ihnen gelernt. Es gelang ihm, den Heraskawanu anzuhalten. Eigentlich hätten die Magier das Fahrzeug zur FESTUNG schicken müssen, denn es war ein Beute stück von beträchtlichem Wert. Aber der Sterbliche, der das fremde Ding ohne die ge ringste Scheu untersuchte, fand Dinge her aus, die den Magiern einen großen Schrecken einjagten. Es war nämlich kein Zufall, daß der Heraskawanu ausgerechnet in der Barriere von Oth aufgetaucht war. Es gab immer wieder Welten, die sich ge gen die bevorstehenden Vernichtungen wehrten. Die Bewohner dieses letzten Plane ten nun wußten offenbar mehr über Pthor, als sie jemals hätten erfahren dürfen. Sie hatten herausbekommen, daß die Magier einen bedeutenden Machtfaktor darstellten. Sie wußten, daß sie ihr eigenes Leben nicht retten konnten, aber sie wollten Pthor um jeden Preis genug Schaden zufügen, um es von weiteren Vernichtungen abzuhalten. Und darum schickten sie den Heraskawa nu los, eine robotgesteuerte Vernichtungs maschine, die zuerst die Magier dezimieren sollte, um dann in ganz Pthor herumzuzie hen. Hätten die Bewohner von Oth aufge paßt, so wäre der Heraskawanu keine hun dert Meter weit über den Rand hinausge kommen. Aber sie waren wie üblich mit ih ren magischen Übungen beschäftigt. So sehr die Herren der FESTUNG den Wissensdurst der Magier schätzten, so wenig Verständnis hatten sie andererseits für Nachlässigkeiten aller Art. Darum blieb der Heraskawanu in einem Versteck in der Tronx-Kette. Wahr scheinlich wußten die Herren der FE STUNG inzwischen Bescheid. Irgendwann hatten einige übermütige junge Sterbliche sogar einen Ausflug auf einen fremden Plan ten mit dem stelzenden Ungetüm gemacht.
Marianne Sydow Aber im allgemeinen sprach man so selten von der fremden Maschine, daß viele Ma gier sie wohl inzwischen vergessen hatten. Obwohl Koratzo und seine Freunde sehr fortschrittlich dachten, überwanden sie nur langsam ihre natürliche Scheu vor der anti magischen Maschine. Der metallene Wurm war gut zehn Meter lang und wirkte mit den augenähnlichen Flammenspendern und den leicht abgewinkelten Stummelbeinen auf be klemmende Weise lebendig – ein Ungeheu er, das jeden Augenblick aus tiefem Schlaf erwachen mochte. »Dann also los«, sagte Koratzo schließ lich heiser. Er kannte sich mit der Maschine einiger maßen gut aus. Zuerst mußte er das kleine Metallblättchen in eine Ausbuchtung legen und einen Hebel aus rotem Kristall darüber drehen. Im Bauch des Heraskawanu erwach ten grollend die uralten Maschinen. Vorsich tig drehte Koratzo einen anderen Hebel, und die Stummelbeine bewegten sich, kratzten über den Boden der Höhle und schoben den Metallwurm vorwärts. Draußen wartete Howath. Scheu und miß trauisch beobachtete er den Heraskawanu, der mit der Sturheit einer Maschine vorwärts wackelte. Der Feuermagier öffnete die Sper re für Koratzo und seine Freunde, denn diese waren im Augenblick hinreichend damit be schäftigt, sich mit dem monströsen Gefährt vertraut zu machen. Grollend und rumpelnd kroch der Heras kawanu auf die riesige Brücke hinaus, die das Tal der Seelenlosen überspannte. Weit vor ihnen leuchtete der schneebedeckte Gip fel des Karsion in der Nachmittagssonne. Tief unter ihnen wallten die düsteren Nebel, die den Boden der Schlucht verbargen und die Seelenlosen schützten, die dort in ewiger Finsternis hausten. Koratzo hatte plötzlich das Gefühl, einem großen Abenteuer entgegenzufahren.
5. Den drei Gordys lief schon nach kurzer
Meister der Magie Zeit der Schweiß in Strömen über die Ge sichter. Die Eroberung des Luftschiffs er wies sich als ausgesprochen schwierig. Da waren einmal die Trossen, die aus mit einander verflochtenen Metallfäden bestan den. Sie wurden unter den schweißnassen Händen glatt und schlüpfrig. Zum Glück waren die Trossen offenbar schon uralt, und an vielen Stellen waren die äußeren Fäden gerissen. Dort fanden die Gordys Halt – aber dafür zerstachen ihnen die spitzen Enden der Fäden die Hände. Zum zweiten wurde das Luftschiff von ei ner unsichtbaren Glocke umhüllt, in der es nicht den leisesten Windhauch gab. Die dumpfe Hitze umgab die drei Gordys wie ein zäher Brei. Sie hätten längst aufgegeben, wenn es ih nen möglich gewesen wäre. Sie hatten es versucht, als sie in die Glocke geraten wa ren. Dabei stellte sich heraus, daß die magi schen Schirme wohl doch nicht so ganz voll kommen arbeiteten: Der Rückweg war ver sperrt. So blieb ihnen nichts weiter übrig, als an den Trossen entlang zu kriechen und zu hangeln und die Hoffnung nicht aufzugeben, daß sie das Luftschiff erreichten, ehe ihre Kräfte erlahmten. Die Sonne stand schon recht tief, als Fal kanz sich als erster über den Rand der Gon del zog. Er ließ sich einfach fallen und blieb mit geschlossenen Augen liegen. Seine bei den Gefährten taten es ihm nach. Es war nicht nur die körperliche Erschöpfung, die sie zu Boden zwang, sondern auch das Schwindelgefühl, das allen dreien zu schaf fen machte. Es dauerte etliche Minuten, ehe sie sich soweit erholt hatten, daß sie sich in der Gon del zu bewegen wagten. Die Grundfläche der luftigen Behausung war zehn Meter lang und vier Meter breit. Die Gondel war teilweise überdacht, und ein Teil wurde durch solide Wände von der Au ßenwelt abgeschirmt. Die Gordys hatten die Gondel über einen balkonartigen Vorbau er reicht, der von einer hüfthohen Brüstung umgeben wurde. »Wir haben Glück gehabt«,
23 sagte Falkanz und begann noch nachträglich zu zittern. »Hätten wir den Vorbau verfehlt …« Er sprach nicht weiter, und seine Gefähr ten schwiegen ebenfalls. Von hier oben war etwas deutlich zu sehen, was ihnen vorher verborgen geblieben war: Nur diese eine Trosse reichte bis an die Brüstung heran. Die anderen endeten entweder in den glatten Wänden oder verschwanden unter dem Bo den der Gondel. »Wir sollten uns beeilen«, meinte Falkanz schließlich. »Ich habe keine Lust, mich von dem Besitzer dieser Wohnung erwischen zu lassen.« »Vielleicht wohnt hier gar kein Magier«, überlegte Doptor. »Die Gegend sieht völlig verlassen aus.« »Du vergißt die Sperre, die wir passiert haben«, konterte Falkanz. »Und die Wendel treppe war auch abgeschirmt. Niemand wür de sich soviel Mühe geben, um ein verlasse nes Luftschiff zu schützen.« »Bist du dir sicher, daß das Errichten die ser Sperren einem Magier Mühe macht?« fragte Doptor spöttisch. Niemand antwortete ihm. Schoßta hatte inzwischen den Vorbau gründlich unter sucht. Boden und Brüstung bestanden aus einem grauen, porös wirkenden Metall. Nir gends gab es Hinweise darauf, daß hier Fal len irgendeiner Art installiert waren. Aller dings war Schoßta sich nicht sicher, ob er ei ne magische Falle überhaupt erkennen wür de, ehe er in ihr festsaß. Eine Tür führte in den überdachten Teil der Gondel. Schoßta drehte an einem Knopf, und die Tür schwang lautlos nach innen. Atemlos starrten die drei Technos in den dahinterliegenden Raum. Sie sahen seltsam geformte Möbel, einen Bodenbelag, der wie frischer Schnee aussah, und eine von innen heraus leuchtende, rote Säule. Die Wände waren mit schauerlichen Gestalten bemalt. Durch große Fenster drang das Licht der tiefstehenden Sonne herein. In einer Ecke lehnte ein riesiger Speer, dessen Spitze wie ein Blitz geformt war und aus einem hellgel
24 ben Metall bestand. »Es ist niemand da«, stellte Schoßta trocken fest und trat durch die Tür. Die bei den anderen Gordys hielten den Atem an. Unwillkürlich warteten sie, daß etwas Schreckliches geschah. Schoßta drehte sich um und lächelte spöttisch. »Wollt ihr da draußen festwachsen?« fragte er. »Kommt schon. Hier drinnen ist es herrlich kühl.« Auch das nahm Falkanz als Zeichen da für, daß das Luftschiff keineswegs verlassen war. Der Besitzer war nur für kurze Zeit ab wesend – und er konnte jeden Augenblick zurückkehren. Mit Schaudern dachte Fal kanz daran, daß es für ihn und seine Gefähr ten keine Möglichkeit gab, über die Trossen nach unten zu klettern. Die Wendeltreppe fiel ihm ein. Sie hatten sie von außen nicht erreichen können, aber sie wußten, daß Schirme manchmal nur in einer Richtung funktionierten. Außerdem hatten sie unten ohnehin mehr Chancen. Vielleicht konnten sie sich so gut verbergen, daß der Magier sie bei ihrer Rückkehr gar nicht bemerkte. Und wenn er dann die Sper re durchschritt … So mußte es gehen! »Helft mir«, sagte er laut. »Wir müssen den Zugang zur Wendeltreppe finden.« »Wozu denn das?« fragte Schoßta ver wundert. Falkanz starrte ihn verständnislos an. »Ist das nicht klar genug? Du siehst doch jetzt, daß hier jemand wohnt. Wir sollten zu sehen, daß wir schleunigst von diesem Ort verschwinden. Über die Trossen können wir nicht zurück, also bleibt uns nur die Trep pe!« »Ich bin nicht so mühsam hinaufgeklet tert, um gleich wieder davonzulaufen«, wehrte Schoßta ärgerlich ab. »Wir wußten von Anfang an, worauf wir uns einlassen.« Falkanz warf Doptor einen hilfesuchen den Blick zu. Er wollte nicht zugeben, daß panische Angst ihn erfaßt hatte. Natürlich hatte er sich schon früher Gedanken darüber gemacht, was geschah, wenn die Magier sie
Marianne Sydow bei ihrer verbotenen Suche erwischten, aber das waren Überlegungen theoretischer Art gewesen. In seiner Phantasie hatte er Dut zende von Magiern besiegt – die rauhe Wirklichkeit machte ihm klar, daß er absolut hilflos war. »Wir können uns teilen«, schlug Doptor vor. Er wollte es sich weder mit Schoßta, noch mit Falkanz verderben – und außerdem fürchtete er sich ebenfalls. »Also gut«, stimmte Schoßta verächtlich zu. »Sucht ihr nach der Treppe – ich sehe nach, ob es hier etwas gibt, was wir nach Donkmoon bringen können. Hoffentlich liegt nicht alles, was wichtig ist, unten in den Höhlen.« »Wir haben sie doch alle untersucht«, wandte Doptor kleinlaut ein. »Wir haben hineingesehen!« korrigierte Schoßta, ehe er sich an die Durchsuchung des Wohnraums machte. Doptor wandte sich schulterzuckend ab. Er fragte sich, was in Schoßta gefahren sein mochte. Schoßta hatte sich zwar schon ein paarmal dadurch hervorgetan, daß er bei plötzlich auftauchenden Gefahren schneller und wirkungsvoller reagierte als seine Ge fährten, aber sein jetziges Verhalten fand Doptor ziemlich seltsam. Lag es an der Sperre, die sie durchstoßen hatten? Oder üb te diese Gondel einen gewissen Einfluß auf Schoßta aus? Es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Falkanz untersuchte be reits den Boden. Doptor gesellte sich zu ihm. »Sieh an«, flüsterte Falkanz und hob den schneeweißen Bodenbelag hoch. Das Zeug zerfiel in seiner Hand zu feinen Krümeln, schwebte nach unten und füllte die entstan dene Lücke aus. »Es fühlt sich wie echter Schnee an«, staunte Doptor. »Vielleicht ist es welcher.« »Unsinn. Dann würde er doch schmel zen.« Falkanz hielt dem anderen schweigend seine Hand hin. Sie war feucht, und ein paar Flocken, die hängengeblieben waren, lösten sich gerade zu dicken Wassertropfen ab.
Meister der Magie »Wenn ihr wirklich herausfinden wollt, wo es zur Wendeltreppe geht, solltet ihr mal aus dem Fenster sehen!« schlug Schoßta bei läufig vor. Die beiden Technos sprangen auf. Von einem Fenster aus konnten sie tat sächlich einen Teil der Treppe sehen. Sie klopften die betreffende Wand von oben bis unten ab und untersuchten sie nach verbor genen Schaltvorrichtungen, aber sie fanden nichts. »Wir könnten ein Seil an der Brüstung draußen befestigen und uns hinüberschwin gen«, schlug Falkanz vor. »Da gibt es nichts zum Festmachen«, stellte Doptor bedrückt fest. »Brüstung und Boden sind wie aus einem Guß. Es muß hier einfach eine Tür geben. Der Magier wird ge wiß nicht jedesmal eine Kletterpartie veran stalten, wenn er die Gondel verlassen will.« »Vielleicht braucht er die Treppe gar nicht«, überlegte Falkanz. »Wozu ist sie dann da?« »Für Besucher«, schlug Falkanz vor. Doptor schrak zusammen, als sich Schoß ta unerwartet ins Gespräch mischte. »Die Idee hat etwas für sich«, behauptete er. »Das würde auch die Sache mit der Tür erklären. Wir wissen jetzt, daß die Magier sehr ungesellig sind. Dem Besitzer dieser Gondel liegt bestimmt nichts daran, daß ihm fremde Leute ins Haus kommen. An seiner Stelle hätte ich eine nur für ihn sichtbare Öffnung geschaffen, die er mit einem Wort oder einer Geste freigeben kann.« »Das wäre doch verrückt!« stieß Falkanz hervor. »Unten ist der Zugang zur Treppe gesperrt – schon an dieser Stelle muß jeder Besucher scheitern!« »Diese Magier sind alle nicht ganz nor mal«, meinte Schoßta abfällig. »Ich traue ih nen alles zu.« »Aber wenn er kommt …« »Dann landet er wahrscheinlich auf dem komischen Balkon«, wurde Falkanz von Schoßta unterbrochen. »Einen anderen Sinn dürfte dieser Vorbau kaum haben. Wenn un ser Magier die Aussicht genießen will,
25 braucht er nur aus dem Fenster zu schauen. Wenn er also mit irgendeinem Gefährt drau ßen landet, sind wir ihm gegenüber im Vor teil, weil wir nämlich nicht nur die magi schen Schirme, sondern auch die Waggus haben. Es gibt nur eine Tür – wir werden keine Schwierigkeiten haben, das Ziel zu treffen.« »Und dann?« »Wir werden sehen.« »Ich versuche es trotzdem weiter«, ver kündete Falkanz. Doptor ließ sich resignierend in einen Sessel fallen. Erst jetzt fiel ihm auf, wie groß die Möbel waren. Der Herr dieser Gon del mußte ein wahrer Riese sein. Diese Er kenntnis trug nicht dazu bei, den Techno aufzumuntern. Jetzt, da sie in der Falle sa ßen, wurde ihm klar, auf was für ein Wahn sinnsunternehmen sie sich eingelassen hat ten. »Wir werden nicht lebend nach Donk moon zurückkehren«, sagte er aus diesem Gedanken heraus. Schoßta war blitzschnell bei ihm und ver paßte ihm eine schallende Ohrfeige. »Halt den Mund!« knurrte er Doptor an, und seine Augen funkelten wild. »Wir sind Gordys. Wir finden einen Ausweg. Mehr noch, wir werden reiche Beute machen, wie es sich für Gordys gehört!« Doptor wollte sich auf Schoßta stürzen, aber er beherrschte sich. Er wußte, daß der andere stärker und geschickter war. Schwei gend begab sich Doptor wieder zu der Wand, die die drei Technos von der rettenden Treppe trennte. Er half Falkanz bei sei ner Suche, aber in Gedanken hatte er bereits aufgegeben. Er ertrug es nur nicht, tatenlos herumzusitzen. Schoßta schnüffelte immer noch in allen Ecken und Winkeln herum. Er kramte ein paar seltsame Steine aus einem Schrank, konnte aber nichts mit ihnen anfan gen. Nach einer sich endlos dehnenden Zeit, in der die Sonne langsam hinter dem Hori zont versank, schlug Schoßta wütend den Deckel einer Truhe zu. »Nichts«, sagte er. »Genau so habe ich es
26 mir vorgestellt. Wir hätten uns die Kletterei über die Trossen sparen können. Das, wo nach wir suchen, muß irgendwo in den Höh len herumliegen.« »Vielleicht gibt es hier gar keine Waf fen«, bemerkte Falkanz. »Du hast selbst ge sagt, daß diese Magier nicht normal sind.« »Aber sie beliefern die Herren der FE STUNG mit sehr nützlichen Dingen. Früher haben wir auch manchmal von ihren Fähig keiten profitiert. Sie haben Waffen, und ich werde sie finden. Und wenn ich jede Behau sung einzeln auseinandernehmen muß, ich gebe nicht auf!« Außer sich vor Wut schlug Schoßta mit der Faust gegen die rotleuchtende Säule. Er hatte sie mehrmals von oben bis unten unter sucht und war zu der Überzeugung gekom men, daß sie völlig nutzlos war. Das war sein großer Irrtum. Selbst Breckonzorpf hätte nicht sagen können, was in diesem Fall als Auslöser funktionierte. Schoßta hatte keines der magi schen Worte gebraucht. Der Schlag mit der Faust hätte die Säule ebenfalls nicht erschüt tern dürfen. Aber vielleicht wirkten die ma gischen Schirme der Gordys mit, und alles zusammen setzte die Kräfte frei, die von der Säule gebändigt worden waren. Daraufhin geschah genau das, was Breckonzorpf beab sichtigt hatte. Nur war niemand da, der das Ziel angab. Breckonzorpfs bevorzugtes Versuchsge biet war die Wüste Fylln. Niemand, außer ein paar Parias aus der Senke der verlorenen Seelen und andere, verdächtige Kreaturen, die sich zwischen den Wanderdünen herum trieben, hatte etwas dagegen, wenn Breckon zorpf die Macht seiner Magie im Bereich der Wüste ausprobierte. Dem Blutdschungel schickte er ab und zu sintflutartige Wolken brüche. Dem blühenden Hügelland nördlich der Großen Barriere von Oth sandte er leich te Schauer. Und in die Wüste Fylln schickte er die Unwetter, die seine Geheimwaffen bildeten. Schoßta wich erschrocken zurück, als die Röhre hell aufglühte. Ein tiefes Brummen
Marianne Sydow erklang. Die beiden anderen Gordys warfen sich zu Boden und verbargen die Köpfe un ter den Armen, denn sie rechneten mit einer verheerenden Explosion. Sie hätten es besser wissen müssen. Schließlich hatten sie das Wolken-Blitz-Emblem auf dem Luftschiff gesehen. Ihr Verstand hätte es ihnen sagen müssen, mit welcher Art von Magie sie zu rechnen hatten. Aber sie waren völlig ah nungslos. Das glühende Rot fegte durch den Innen raum der Gondel und durchdrang mühelos die Wände. Die drei Gordys starrten betäubt nach draußen, wo sich eine glühende Wolke bildete, die sich rasch ausdehnte und zerfa serte. Und dann kamen andere Wolken, und ein Sturm erhob sich, wie die Technos ihn noch nie erlebt hatten. Das Luftschiff zerrte an seinen Fesseln. Die Trossen sangen das Lied der Vernichtung. Die zierliche Wendel treppe zerbrach in tausend Stücke, und die magischen Sperren erloschen. Der Orkan machte sich auf seinen unberechenbaren Weg. Sein Zentrum war das Luftschiff SAR KA, das am Hang des viertausendzweihun dert Meter hohen Berges Karsion verankert lag. Verankert? Noch hielten die Trossen. Die drei Gordys hockten zitternd auf dem Boden der Gondel. Selbst Schoßta hatte jetzt gräßliche Angst.
6. Der Heraskawanu marschierte unbeirrbar über Brücken und Schwebebänder, schmale Yasselpfade und breite Steinwege. Koratzo und seine Freunde hatten sich inzwischen an ihr ungewöhnliches Transportmittel ge wöhnt. Sie nahmen die Gelegenheit wahr, sich nähere Eindrücke von den magischen Bezirken zu verschaffen, durch die sie ka men. Natürlich kannten sie die Namen und Fachgebiete aller vierhundertfünfzig Magier, die in der Barriere lebten. Aber es kam ziemlich selten vor, daß außerhalb der Tronx-Kette ein Magier einem anderen den
Meister der Magie Zutritt zu seinem Privatbereich gestattete. Es gab die neutralen Wege, die jeder benutzen durfte. Die Magier, deren Bezirke an solche Wege grenzten, errichteten alle nur denkbare Sperren, um sich vor den neugierigen Blicken der anderen zu schützen. Der Heraskawanu war durch magische Barrieren nicht zu beeindrucken. Und wenn es doch einmal geringe Schwierigkeiten gab, räumte Ssissnu den Weg frei. Koratzo, der den metallenen Wurm lenkte, mußte nur aufpassen, daß sie keinem fremden Magier direkt über den Weg liefen. Bis zum Abend ging alles gut. Sie nah men den Weg nördlich des Karsion und hiel ten an, um sich zu beraten. Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder gingen sie quer über die Bergkette, die das Eistal der Kunst magierin Malvenia begrenzte, oder sie fuh ren durch die dunklen Täler. Dieser Weg war kürzer, aber auch gefähr licher. Malvenia würde sie in Ruhe lassen, solange sie nicht einen der Pässe bestiegen, von denen man das Eistal überblicken konn te. In den dunklen Tälern dagegen hausten die Intimfeinde aller Magier, die sich in der Tronx-Kette zusammengeschlossen hatten. Die Bewohner von Oth, die nach außen eine geschlossene Einheit bildeten, waren nämlich in Wirklichkeit in drei Gruppen ge spalten. Die überwiegende Mehrheit, zu der auch Copasallior gehörte, vertrat die An sicht, Magie sei sich selbst Zweck genug, und was später damit angestellt würde, gin ge sie nichts an. Koratzo und seine Freunde wollten eine Magie, die ohne Rücksicht auf die Herrscher von Pthor positiv wirkte. Und die Bewohner der dunklen Täler beabsich tigten genau das Gegenteil. Bevor sie aufgebrochen waren, stimmten alle dafür, durch diese Täler zu marschieren. Jetzt, als sie dicht davor standen, entwickelte besonders Haswahu eine heftige Abneigung gegen das – wie er meinte – unnötige Risi ko. Opkul merkte es zuerst. Er hielt Haswa hus Argumente für so unsinnig, daß er sich lieber auf die Umgebung konzentrierte, als
27 überhaupt erst hinzuhören. Dadurch »sah« er die dunklen Wolken, die sich an der Süd flanke des Karsion zusammenzogen. »Ein Unwetter zieht auf«, sagte er unver mittelt. Haswahu, der gerade in eine komplizierte Erklärung verwickelt war, blickte unwillig auf. Eine Sekunde später wurde er blaß. »Breckonzorpf muß verrückt geworden sein«, ächzte er entsetzt. »Es scheint, als hät te er alle magische Energie auf einmal frei gelassen, die er in der letzten Zeit gespei chert hat. Und das hier! Warum schickt er das Zeug nicht in die Wüste?« »Weil er gar nicht weiß, was gespielt wird«, erklärte Opkul nüchtern. »In der SARKA sitzen drei Technos. Sie müssen das Unwetter losgelassen haben.« »Technos?« fragte Ssissnu verdutzt. »Wie kommen die denn hierher?« »Sie hatten Schirme, die sie vor unseren Blicken schützten«, stellte Opkul nachdenk lich fest. »Als es losging, müssen sie die Dinger versehentlich ausgeschaltet haben.« Sie sahen sich schweigend an. Es sah ganz danach aus, daß sie durch einen Zufall einer sehr bedrohlichen Entwicklung auf die Spur gekommen waren. Seit wann trieben die Technos sich in der Barriere herum? Was hatten sie alles ausspioniert? Es reichte, wenn sie herausgefunden hat ten, daß die Magier sich nicht in allen Punk ten einig waren. Die Herren der FESTUNG würden diese Schwäche zu nutzen wissen. Es stand für die sechs Magier fest, daß die Technos für die FESTUNG arbeiteten. Und das bedeutete, daß die Herren den Magiern nicht mehr trauten. Nicht mehr? Niemand konnte nachträglich sagen, ob nicht schon oft Technos mit solchen Schir men durch die Berge gezogen waren. Koratzo fröstelte bei dem Gedanken, daß die Magier die ganze Zeit über auf diese Weise kontrolliert worden waren, ohne es auch nur zu ahnen. Dann ging ihm auf, daß er unversehens ein schlagfertiges Argument in die Hände bekommen hatte. Copasallior
28 und die anderen, die so sehr auf die Freiheit der Magier pochten, würden ganz schön dumm dreinschauen, wenn er ihnen die Wahrheit sagte. Jetzt allerdings galt es, etwas gegen das Unwetter zu unternehmen. Natürlich war es eigentlich Breckonzorpfs Sache, denn zwei fellos hatte er an irgendeiner Stelle nicht aufgepaßt. Sonst wären die Technos nicht in die Gondel gekommen. Niemand hätte dem Stimmenmagier einen Vorwurf machen kön nen, wenn er einfach weitergefahren wäre. Koratzo brachte das nicht fertig. In der Bar riere von Oth gab es eine ganze Reihe von solchen Luftschiffen, dazu andere, luftige Behausungen, die von einem solchen Sturm leicht zerstört werden konnten. »Haswahu«, sagte er. »Kannst du etwas dagegen unternehmen?« Der Luftmagier schüttelte resignierend den Kopf. »Aber du bist der einzige, der überhaupt etwas ausrichten könnte!« behauptete Querl lo ärgerlich. »Das ist Breckenzorpfs Magie«, antworte te Haswahu. »Gegen seine Stürme bin ich machtlos. Laßt uns von hier verschwinden, ehe es ungemütlich wird.« »Ich werde eine Lichtwolke schleudern«, beschloß Querllo. »Ob es hilft oder nicht – ich habe es dann wenigstens versucht.« »Warte!« befahl Opkul leise. Der verkrüppelte Zwerg mit der Rinden haut drehte sich ärgerlich um, aber Koratzo legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Querllo sah, daß Opkul sich auf et was konzentrierte. Er hielt den Mund und wartete ab. »Breckonzorpf kommt«, sagte Opkul end lich. »Na also«, murmelte Haswahu erleichtert. »Damit dürfte das Problem gelöst sein.« »Er könnte unsere Hilfe brauchen«, gab Koratzo zu bedenken. »Wir bleiben.« »Man kann alles übertreiben«, stichelte Haswahu. Koratzo biß die Zähne zusammen. Er durfte dem Luftmagier keinen Vorwurf ma-
Marianne Sydow chen. Er und Breckonzorpf waren aufgrund ihrer miteinander verwandten Fähigkeiten Konkurrenten, und Haswahu hatte nicht die leiseste Chance, den Wettermagier irgendwann zu übertreffen. Breckonzorpf wußte das und nutzte jede Gelegenheit aus, um Haswahu zu kränken und zu demütigen. Es war also verständlich, wenn der Luftmagier mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun haben wollte. Niemand außer Opkul merkte etwas von Breckonzorpfs Anwesenheit. »Er versucht, den Donnerwagen auf der Gondel zu landen«, berichtete Opkul. »Jetzt treibt er wieder ab. Er versucht es noch ein mal. Nein, das hat keinen Sinn. Seine Sper ren richten sich gegen ihn. Ich kann die Technos nicht mehr in der Gondel sehen. Wahrscheinlich haben sie gemerkt, daß die Schirme nicht funktionierten. Sie schlagen Breckonzorpf zurück!« »Dann sind sie übergeschnappt«, behaup tete Wa. »Sie müssen doch merken, daß sie selbst in Gefahr sind.« »Breckonzorpf hat uns bemerkt. Er kommt direkt auf uns zu.« »Ich bin gespannt, was er von uns will«, murmelte Koratzo. Insgeheim hoffte er, daß Breckonzorpf ih re Hilfe in Anspruch nehmen würde. Viel leicht ergab sich durch eine solche Zusam menarbeit ein Gespräch, in dem der mächti ge Magier die Pläne Koratzos besser ken nenlernte und dann nicht mehr schroff ab lehnte. Breckonzorpf dachte nicht im Traum dar an, dem Stimmenmagier diesen Gefallen zu tun. Inzwischen riß der Sturm am Heraska wanu, und die Luft war erfüllt von hochge rissenem Sand und welken Blättern. Faust große Steine rollten über den Weg. Dröh nend raste der Donnerwagen heran und zog eine Schleife über dem Heraskawanu. »Verschwindet, ihr Narren!« klang Breckonzorpfs mächtige Stimme auf. »Ihr habt hier nichts zu suchen!« »Du wirst die SARKA verlieren, wenn du den Sturm nicht bändigst«, gab Koratzo zu
Meister der Magie rück. »Wir wollen dir helfen!« Er brauchte nicht zu schreien, um den Sturm zu übertönen. Die Manipulation der Lautstärke war für ihn ein so selbstverständ licher Vorgang, daß er gar nicht darüber nachzudenken brauchte. »Ihr mir helfen?« schrie Breckonzorpf wütend. »Willst du dem Sturm Gedichte vorheulen, Koratzo? Oder du, Wa, willst du ihn in eine Höhle sperren? Ihr jämmerlichen Gestalten solltet euch beeilen, aus meiner Nähe zu verschwinden. Fort mit euch!« Breckonzorpf meinte es zweifellos ernst. Er stand hochaufgerichtet in seinem Donner wagen, die Leitseile in der Rechten, und in der Linken schwang er den Speer, der die Blitze sammeln und wieder abgeben konnte. Ein greller Lichtstrahl fuhr herab und spalte te den Weg hinter dem Heraskawanu. Korat zo griff schweigend in die Steuerung, und das Fahrzeug setzte sich in Bewegung. Der Stimmenmagier hörte, wie seine Gefährten hinter ihm über das Verhalten Breckonzor pfs diskutierten. Sie hielten den Wetterma gier für stur und verbohrt. Koratzo hatte keine Lust, sich an dem Ge spräch zu beteiligen. Eben war ihm wieder einmal klargemacht worden, wie schwer es sein würde, die von ihm erstrebte Einheit unter den Magiern zu erreichen. Die Nieder lage schmerzte ihn, obwohl er wußte, daß Breckonzorpf im Prinzip recht hatte. »Nimm's nicht so schwer«, sagte Querllo nach einer Weile. Koratzo nickte nur. Der Sturm wurde von Minute zu Minute schlimmer. Unter diesen Umständen blieb ihnen nichts anderes übrig, als doch durch die dunklen Täler zu fahren. Sie durften nicht einmal eine Rast einlegen und am Morgen in die gefährlichen Bezirke eindrin gen. Der Heraskawanu schwankte unter dem Anprall der Böen, und Koratzo hatte alle Mühe, den Metallwurm auf dem Weg zu halten. Am schlimmsten wurde es, als sie die Schlucht überquerten, die den Karsion von den dunklen Tälern trennte. Es gab nur eine Brücke, und die bestand
29 aus Kristallfäden, die zu einem breiten Band verflochten waren. Ein Geländer existierte nicht. Wa, die Höhlenmagierin, hatte vor langer Zeit diese Brücke geschlagen, damit Howath, der damals noch in den dunklen Tälern lebte, die für ihn tödlichen Sperren überwinden und in die Tronx-Kette gelan gen konnte. Eigentlich hätte das Kristallband sich auflösen sollen, sobald Howath die an dere Seite erreichte, aber die Bewohner der dunklen Täler hatten Was Pläne durch kreuzt. Wa setzte sich neben Koratzo, als sie die Brücke erreichten. »Wird sie den Heraskawanu tragen?« fragte der Stimmenmagier besorgt. Die Brücke sah so zart und zerbrechlich aus, als könne der leiseste Windhauch sie auf und davon tragen. Aber sie trotzte dem Sturm und schwankte nicht um einen Milli meter. »Sie ist so fest wie gewachsener Fels«, behauptete Wa, aber Koratzo hörte die Unsi cherheit in ihrer Stimme genau. »Du hast sie so wachsen lassen. Was ist, wenn jemand sie verändert hat?« »Nur Karsjanor hätte die Fähigkeit, das zu tun.« Koratzo hielt den Heraskawanu dicht vor der Brücke an. Der Sturm war zum Orkan geworden, und jeder Aufenthalt bildete ein Risiko, aber das mußte er in Kauf nehmen. Er erinnerte sich an das, was damals ge schehen war. Karsjanor, der Kristallmagier, hatte heftig um Wa geworben, und sie hatte ihn zurück gewiesen. Karsjanor war außer sich vor Wut gewesen. Als wenig später Howath aus den dunklen Tälern floh, nahm Karsjanor offen bar an, Wa hätte ihn zu ihrem Gefährten er koren. Jedenfalls tat er einen schrecklichen Schwur. Er wollte beide, Howath und Wa, bei der erstbesten Gelegenheit in einen grau enhaften Tod schicken. Das war lange her. Aber Karsjanor gehör te leider nicht zu den Sterblichen, und es mochte sein, daß er immer noch auf Rache sann.
30 »Karsjanor ist ein Narr«, sagte Wa plötz lich. Sie hatte also auch an die alte Ge schichte gedacht. »Das weiß jeder von uns, aber er wird da durch nicht ungefährlich«, murmelte Korat zo. »Opkul, kannst du feststellen, ob man uns von drüben beobachtet?« »Nein«, kam die Antwort. »Sie haben et was Neues ausgebrütet. Ich sehe nur eine schwarze Wand.« »Ein schlechtes Zeichen«, bemerkte Querllo. »Wenn nur dieser Sturm nicht wäre …« »Ich gehe hinaus«, verkündete Wa ent schlossen. »Sobald meine Füße die Brücke berühren, wird jede fremde Magie unwirk sam.« »Der Orkan wird dich davonblasen«, warnte Haswahu. »Nein«, mischte sich Ssissnu ein. »Dann werde ich Wa halten. Und ich werde auch dafür sorgen, daß sie wirklich mit den Kri stallfäden in ständiger Berührung bleibt. Die Leute aus den dunklen Tälern sollen gar nicht erst auf den Gedanken kommen, daß wir mit ihren simplen Plänen nicht fertig werden!« Koratzo lächelte flüchtig. Er freute sich darüber, daß der Schlangenmagier von selbst auf die richtige Idee gekommen war. Das bewies, daß die Gruppe ein gemeinsames Bewußtsein entwickelte. Haswahu war von Ssissnus Angebot beschämt. »Ein bißchen kann ich den Sturm dämp fen«, sagte er hastig. »Keine Angst, Wa, wir schaffen das schon.« »Fehlt nur noch ein bißchen Beleuch tung«, stellte Querllo fest und rieb sich die Hände. Damit hatte er recht. Es war Abend geworden, und die Sturmwolken verdeckten den Himmel. »Jetzt bin ich der einzige, der nichts zu tun hat«, beschwerte sich Opkul. »Konzentriere dich auf die andere Seite der Schlucht«, empfahl Koratzo. »Wenn wir nahe genug heran sind, kannst du sicher er kennen, was uns erwartet. Und jetzt los. Wenn wir noch länger warten, wirbelt es uns
Marianne Sydow samt dem Heraskawanu davon!« Querllo ließ entlang der Brücke leuchtende Wolken entstehen. Ssissnu verwandelte sich in ein weiches Band, daß sich an einem Ende in der Kabine verankerte, während das andere sich um Was Hüften schlang. Haswa hu versicherte, daß um den Ausstieg herum eine relativ ruhige Zone entstanden war. Er behielt recht. Zwar flatterten Was Haare hef tig im Wind, aber sie hatte keine Mühe, auf den Boden zu klettern. Vorsichtig ging sie vor dem Heraskawanu her. Als ihre Füße das Kristallband berührten, hielten die Ma gier in der Kabine den Atem an. Aber die Brücke hielt, und Wa winkte siegessicher. Die Brücke war fast dreihundert Meter lang. Haswahu konnte zwar Wa vor dem Gröbsten bewahren, aber seine Kräfte reich ten nicht aus, um auch den Metallwurm vor dem Sturm zu schützen. Koratzo arbeitete verzweifelt an der Steuerung. Immer wieder wich der Heraskawanu von seinem Kurs ab. Einmal geriet er mit einer Laufstelze über den Rand, und Koratzo warf sich mit aller Kraft gegen den schweren Hebel, mit dessen Hilfe er das Fahrzeug auf den Weg zurück drängen konnte. Und der Hebel rührte sich nicht. Haswahu wuchs über sich selbst hinaus. Er rief Ssissnu eine Warnung zu, und fast gleichzeitig bildete sich um den Heraskawa nu eine Glocke, die den Sturm aussperrte. Für Koratzo kam die Wende so plötzlich, daß er das Fahrzeug gerade noch anhalten konnte, ehe es auf der entgegengesetzten Seite über den Rand der Brücke schoß. Kaum war der Heraskawanu wieder auf Kurs gebracht, da brach Haswahu erschöpft zusammen. Von nun an sorgte Ssissnu allei ne für Was Sicherheit. Während der ganzen Zeit bemühte sich Opkul, etwas hinter der tiefschwarzen Wand zu erkennen, die das andere Ende der Schlucht verbarg. Fünfzig Meter vor dem Ziel hatte er Erfolg. Er öffnete den Mund zu einem Schrei, erkannte dann, in welchem Zustand sich seine Gefährten befanden und hielt wohlweislich den Mund.
Meister der Magie Haswahu war bewußtlos, und Koratzo stand kurz vor dem Zusammenbruch. Wa mußte sich mit aller Kraft darauf konzentrie ren, die Brücke stabil zu halten. Ssissnu gab keinen Laut von sich, aber das heftige Pul sieren des neben Opkul verankerten Kör perendes verriet den Schlangenmagier. Nur Querllo war noch voll einsatzfähig. Opkul stieß den Zwerg an und machte ihm mit unauffälligen Gesten verständlich, daß ein Kampf bevorstand. Querllo fuhr sich mit seiner rissigen Hand über das zerknitter te Gesicht. »Auch das noch!« murmelte er kaum hör bar. Opkul stand lautlos auf. Die anderen merkten nichts, denn sie waren zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Opkul wußte nicht, ob die Waffen des Metallwurms nach so lan ger Zeit noch funktionierten. Er wollte sich lieber nicht darauf verlassen. Zum Glück nahm Howath es mit seinem Auftrag sehr genau. Der Feuermagier hatte dafür gesorgt, daß jemand, der trotz aller Wachsamkeit an den Heraskawanu herankam, keine Freude an dem Antimagieerzeugnis hatte. Opkul hob den steinernen Behälter aus seiner Versenkung, als Koratzo den Heras kawanu gerade über das Ende des Kristall bands lenkte. Das Versteck der Magier aus den dunklen Tälern war noch zehn Meter entfernt. Sie hatten noch nicht bemerkt, daß Opkul ihre Tarnung durchstoßen hatte. Der Magier mit dem Fernblick gestattete sich ein abfälliges Lächeln. Da standen sie nun, hinter einem Felsen, verborgen durch einen magischen Schirm, in den Opkul mitt lerweile Dutzende von Löchern gebohrt hat te. Karsjanor starrte Wa mit funkelnden Au gen an. Karsjanor brannte darauf, seine Ra che zu vollziehen. Er vergaß darüber jede Vorsicht. Was Aufgabe war erfüllt. Ssissnu holte sie in den Heraskawanu zurück. Opkul sprang vor die Öffnung, ehe Koratzo sie mit einem Hebeldruck schließen konnte. Er hör te Querllos rasselnden Atem und schleuderte Howaths Waffe genau gegen den Felsen,
31 hinter dem Karsjanor eben die Kristall schleuder spannte. Gleichzeitig riß Opkul den magischen Schirm auf. Querllo sandte eine Glutwolke aus, und es gab ein unbe schreibliches Durcheinander. Karsjanors Kristallschleuder erfaßte nicht Wa, sondern ringelte sich um eine Gesteinsnadel, die sich umgehend zu feinem Staub auflöste. Der Sturm trieb das Zeug den dunklen Magiern in die Augen. Halb geblendet tappten sie zwischen Querllos Glutwolke und Howaths Tanzflammen umher. Opkul raffte alle Kräf te zusammen und gaukelte den Gegnern Höhleneingänge vor, wo es nur harten Fels gab. Ein paar Magier fielen darauf herein. Einer rannte so heftig gegen das vermeintli che Versteck, daß er sich schwer verletzte. Einige andere kamen mit leichten Gehirner schütterungen davon. Zwei gerieten in die tanzenden Flammen und verloren das Be wußtsein. Den Rest erledigte Querllo, der mit seinen glühenden Wolken regelrechte Treibjagden auf die dunklen Magier veran staltete. Die anderen merkten von alledem kaum etwas. Koratzo war über dem Steuer zusam mengebrochen, und Wa schien mehr tot als lebendig. Ssissnu lag als heftig pulsierende Pelzkugel auf dem Boden. Als der letzte Gegner sich in Querllos Wolken fing und hilflos in seinem Gefängnis zappelte, wachte Haswahu auf. »Was war los?« stotterte er verwirrt. »Nichts Besonderes«, antwortete Querllo gleichmütig. »Man hatte uns einen Hinter halt gelegt. Schau dir die Dummköpfe nur an.« Opkul rief die tanzenden Flammen zu rück. Sie krochen gehorsam in ihren Behäl ter. Nur Querllos Lichtwolken blieben beste hen. In jeder trommelte ein Magier brüllend gegen die leuchtenden Wände. Was sie sag ten, ging im heulenden Sturm verloren. Der Lichtmagier schloß alle anderen Gegner in ähnliche Gefängnisse ein, dann machte er ei ne Reihe von seltsamen Bewegungen, und die Gefangenen wurden still. »Die dunklen Täler dürften uns keine
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Schwierigkeiten mehr machen«, sagte Querllo zu Opkul. »Diese Kerle da werden erst wieder aufwachen, wenn ich es will.« »Der Sturm macht mir Sorgen«, murmelte Opkul. »Breckonzorpf hätte sich lieber doch helfen lassen sollen. Wenn das so weiter geht, bläst er noch die halbe Barriere da von!« Querllo zuckte die dürren Schultern. »Es ist seine Sache. Wir haben uns jeden falls nichts vorzuwerfen. Soll er sich vor Co pasallior verantworten. Sehen wir zu, daß wir weiterkommen, sonst erwischt es uns doch noch!« Koratzo hatte sich inzwischen soweit er holt, daß er staunend die gefangenen Magier betrachten konnte. »Kannst du weiterfahren?« fragte Querllo. Der Stimmenmagier zuckte zusammen und konzentrierte sich wieder auf das frem de Gerät. »Es verwirrt die Sinne«, sagte er leise. »Es ist gefährlich, sich zu lange der Antima gie auszusetzen.« »Ich könnte dich ablösen«, schlug Opkul vor. Koratzo zog sich dankbar in den Hinter grund der Kabine zurück. Wa schlief bereits. Haswahu gab sich anfangs alle Mühe, sich irgendwie nützlich zu machen, aber da ihm dauernd die Augen zufielen, schickte Querl lo auch ihn schlafen. Er setzte sich auch ne ben Opkul und schickte kleine Lichtwolken vor dem Heraskawanu her, der unter Opkuls Führung unaufhaltsam durch die stürmische Nacht stampfte.
* Es war ein Glück, daß Howath bei dieser Fahrt nicht dabei war. Er hätte mit Sicher heit einen Wutanfall bekommen. Opkul nahm keine Rücksicht darauf, wie wertvoll der Heraskawanu sein mochte. Er trieb ihn so schnell voran, wie es die Verhältnisse ge rade erlaubten. Es zeigte sich, daß es in den dunklen Tälern gute, breite Wege gab. Die Bewohner dieser Region – falls außer den
Gefangenen noch jemand hier lebte – zeig ten sich nicht. Sie sahen auch keine Tiere. Nur manchmal wuchsen Bäume neben den Wegen. Abgesehen vom Sturm, der durch die Täler fegte und sich heulend an den Fel sen brach, war die Nacht ohne Leben. Gegen Morgen erreichten sie den Gnor den. Die dunklen Täler lagen hinter ihnen. Opkul atmete auf, als der Heraskawanu in das offene Gelände hinausrumpelte – und gleich darauf keuchte er erschrocken, weil ihm der Steuerhebel aus der Hand gerissen wurde. Das Fahrzeug drehte sich mit dem Wind. Querllo mußte ihm helfen, denn allei ne hätte er den Hebel nicht bewegen können. »Wir müssen das Fahrzeug verlassen«, ächzte der Lichtmagier. »In diesem Sturm kann niemand das Steuer halten.« »Der Heraskawanu ist schwer. Wenn er schon aus der Richtung gedrängt wird, flie gen wir mit Sicherheit davon.« »Wir sind kleiner als dieses Ungetüm von einem Fahrzeug«, widersprach Querllo. »Ich kenne einen Kamin, der fast bis zur ORSA PAYA hinaufführt. Wenn wir ihn erreichen, kann uns nichts passieren.« »Wenn!« murmelte Opkul pessimistisch. Der Himmel über der Barriere von Oth war voller dunkler Sturmwolken, die sich viel zu schnell bewegten. Überall sahen sie entwurzelte Bäume. Obwohl die Sonne längst aufgegangen sein mußte, war es fast dunkel. Breckonzorpfs Unwetter würde viel Unheil anrichten – das stand jetzt schon fest. Querllo dachte an seine Behausung und hoffte, daß er den Hang der Lichtwürfel bei seiner Rückkehr unversehrt vorfinden wür de. Natürlich hatte er das Gelände abgesi chert, aber mit einem derartigen Sturm hatte er nicht gerechnet. Allmählich erwachten die anderen. Korat zo löste Opkul ab. Auch Ssissnu hatte sich erholt. Mit seiner Hilfe steuerte der Stim menmagier den Heraskawanu zu einer Höh le, an die Querllo sich erinnerte. Die Höhle war tief genug, um das Fahrzeug vollständig darin unterzubringen und noch einen Sicher heitsabstand zum Eingang zu wahren. Der
Meister der Magie Lärm, den der Sturm verursachte, drang nicht bis an den Punkt vor, an dem sie die Kabine verließen. Sie genossen die Nähe der Felsen, die ihnen um vieles vertrauter waren als das Innere des Heraskawanu. Koratzo glaubte zu spüren, wie seine Kräfte zurück kehrten. Die ganze Barriere von Oth war von magischen Strömungen durchzogen, oh ne die keiner von ihnen hätte leben wollen. »Warum bleiben wir nicht hier?« schlug Ssissnu vor. »Der Sturm kann nicht ewig dauern. Wenn Breckonzorpf ihn gebändigt hat, können wir immer noch zur ORSAPA YA hinaufsteigen. Damit sparen wir Kräfte. Und ehe der Sturm aus ist, kann Glyndiszorn sowieso nicht zum Crallion gehen.« »Für Glyndiszorn existiert der Sturm gar nicht«, behauptete Querllo. Er kannte den Knotenmagier recht genau, weil er einmal mit ihm gearbeitet hatte. »Wenn er zum Crallion will, geht er durch eine Falte und ist mit einem Schritt am Ziel.« »Durch eine Falte?« fragte Ssissnu neu gierig. »Was ist das?« »Er nennt es so«, erklärte Querllo schul terzuckend. »Seine Magie ist schwer zu ver stehen. Aber ich weiß, daß er durch unsicht bare Türen geht und plötzlich an einem ganz anderen Ort erscheint.« Ssissnu gab sich mit der Antwort zufrie den. Im Grunde war es ihm egal, was Glyn diszorn mit seiner Magie anstellte. Der Kno tenmagier gehörte zu den eigenwilligsten Bewohnern der großen Barriere von Oth. Er verließ die ORSAPAYA kaum jemals, und die meisten Magier wußten nicht einmal, wie Glyndiszorn aussah. »Wir müssen weiter«, entschied Koratzo. »Breckonzorpf hat seine Kräfte offensicht lich überschätzt. Er bekommt den Sturm nicht in den Griff. Es kann sogar sein, daß es noch schlimmer wird, und dann sitzen wir hier fest.« Ssissnu seufzte. Die Pelzkugel liebte die Ruhe und die Bequemlichkeit. Koratzo wuß te das, aber andererseits hatte er festgestellt, daß er sich gerade auf den Schlangenmagier in jeder noch so gefährlichen Situation ver
33 lassen konnte. Ssissnu respektierte auch diesmal Koratzos Entscheidung. Er rollte vor den anderen her zum Höhlenausgang, verankerte seinen Körper an einem Felsen und streckte sich, bis er die Umgebung über schauen konnte. »Schlecht«, kommentierte er. »Jetzt reg net es auch noch, und es sieht ganz so aus, als hätte Breckonzorpf seinem Sturm noch ein kräftiges Gewitter beigemischt.« Als hätte Ssissnu ein Stichwort gegeben, zuckte ein gewaltiger Blitz aus den schwar zen Wolken herab und schlug weiter unten im Tal ein. Der nachfolgende Donner ließ den Berg Gnorden erzittern. Die Magier sa hen sich unbehaglich an. »Warum versuchst du es nicht von hier aus«, schlug Wa dem Stimmenmagier vor. »Eigentlich müßte er dich verstehen kön nen.« »Nur mit dem Antworten wird es schwie rig«, murmelte Haswahu skeptisch. »Unsinn. Wenn er die Botschaft verstan den hat, braucht er ja nur durch eine seiner Falten zu gehen und zu uns zu kommen.« Koratzo nickte Wa zu. »Ich werde es versuchen.« Er trat neben Ssissnu, und der Schlangen magier verstand sofort. Er hielt Koratzo fest, wie er es vorher mit Wa getan hatte. Der Stimmenmagier hatte dennoch Schwierig keiten, gegen den Sturm anzukommen. Der Regen prasselte auf ihn herab und durchnäß te ihn innerhalb von Sekunden völlig. Die zuckenden Blitze und der rollende Donner irritierten ihn zusätzlich, denn Unwetter die ser Art gab es in der Barriere normalerweise nicht. Koratzo konnte sich nicht entsinnen, so etwas jemals erlebt zu haben. Als er weit genug vom Felsen entfernt war, rief er nach Glyndiszorn. Seine Stimme klang nicht lauter als sonst, aber er war si cher, daß sein Ruf die Gondel der ORSAPA YA erreichte. Ein Blick zur Höhle zeigte ihm aber, daß Glyndiszorn dort noch nicht aufgetaucht war. Koratzo rief den Knotenmagier dreimal, dann setzte er die von ihm entwickelte magi
34 sche Sprache ein, und er benutzte Laute, von denen er wußte, daß sie jedes Hindernis durchdrangen. Die Laute hätten Glyndiszorn auf jeden Fall erreichen müssen. Aber der Knotenmagier erschien immer noch nicht in der Höhle. Gleichzeitig kam es Koratzo so vor, als spräche er gegen eine undurchdring liche Mauer, von der er nicht wußte, woraus sie bestand. Er gab Ssissnu ein Zeichen und kämpfte sich durch den Regen, der jetzt fast waagrecht über den Boden getrieben wurde, zur Höhle zurück. »Es ist sinnlos«, erklärte er keuchend. »Die Gerüchte scheinen ausnahmsweise die Wahrheit zu treffen. Glyndiszorn muß in ei nem Raum sein, der außerhalb unserer Welt liegt. Nur so läßt sich erklären, daß er mei nen Ruf nicht hört.« »Das heißt, daß wir genausogut umkehren können«, stellte Haswahu nüchtern fest. »Wenn du ihn nicht einmal mit den Mitteln deiner Magie erreichst, werden wir ihm die Botschaft niemals überbringen können.« »Willst du etwa aufgeben?« fuhr Wa ihn an. »Darauf hat Copasallior es doch nur ab gesehen! Was für eine großartige Gelegen heit, die Magier aus der Tronx-Kette lächer lich zu machen.« »Na und?« knurrte Haswahu mürrisch. »Was geht uns Copasallior an? Jeder kann es versuchen und sich davon überzeugen, daß Glyndiszorn in unerreichbare Ferne ge rückt ist.« »Hör auf mit dem Unsinn«, bat Koratzo. »Opkul, was siehst du in der ORSAPAYA?« »Daran hätten wir früher denken sollen«, dachte Querllo. »Es muß an dem Unwetter liegen. Wir sind alle ziemlich durcheinan der.« »Eine dunkle Wolke umgibt die ORSA PAYA«, antwortete Opkul. »Ich kann sie mit meinen Blicken nicht durchdringen.« »Siehst du?« triumphierte Haswahu. Koratzo achtete nicht auf ihn. »Räume uns den Weg zu dem Kamin frei, Wa!« be fahl er. »Wir steigen hinauf. Wenn wir in das Luftschiff eindringen, werden wir Glyn diszorn sicher finden. Außerdem ist es dem
Marianne Sydow Knotenmagier durchaus zuzutrauen, daß er meinen Ruf nicht beantwortet, weil er ein fach keine Lust hat. Wir werden unseren Auftrag erfüllen. Niemand soll eine Gele genheit haben, uns als Narren hinzustellen.« Die Höhlenmagierin machte sich an die Arbeit. Sie kannte die Richtung, die sie ein schlagen mußte, denn sie hatte den Kamin längst aufgespürt. Unter ihren Händen zer fiel die Felswand zu Staub. Schon nach we nigen Minuten war ein fünfzig Meter langer Gang entstanden. »Haltet euch fest«, warnte die Höhlenma gierin. »Ich breche jetzt durch.« Als das letzte Stück Fels verschwand, fuhr ein so starker Windstoß durch den Gang, daß die Magier trotz Warnung Mühe hatten, sich auf den Beinen zu halten. Vor ihnen lag der Kamin, über dessen zerklüftete Wände das Regenwasser herabstürzte. Ein Blitz flammte auf und ließ sie in aller Deut lichkeit sehen, was sie auf dem Weg nach oben erwartete. »Da kommen wir lebend nicht hindurch!« stöhnte Haswahu. Koratzo war nahe daran, die Geduld zu verlieren. Der Luftmagier ging ihm mit sei nen ewigen Einwänden auf die Nerven. Er hatte gewußt, daß Haswahu ziemlich ängst lich veranlagt war, aber daß es so schlimm kommen würde, hatte er nicht erwartet. Er beschloß, den Unsicherheitsfaktor, den Has wahu mit seinem Pessimismus bildete, vor übergehend auszuschalten. »Wir haben etwas vergessen«, sagte er darum. »Der Heraskawanu ist unbewacht.« Querllo setzte zu einer unwilligen Ant wort an, begriff dann aber, worauf Koratzo hinauswollte. »Wir können niemanden entbehren«, murmelte er. »Ohne Was Hilfe kommen wir nicht nach oben. Und Ssissnu wird oft genug Gelegenheit haben, seine Künste zu zeigen. Opkul muß uns vor Hindernissen warnen, die er früher als wir wahrnehmen kann.« »Ja, und dich brauchen wir ebenfalls«, stimmte Koratzo zu. »Nur du kannst im Not fall für Licht sorgen.«
Meister der Magie »Aber ich«, sagte Haswahu eifrig, »kann gar nichts tun. Ich kann nur die Luft beein flussen, und das hilft euch wenig.« Koratzo tat, als müsse er überlegen. »Gut«, sagte er zögernd. »Wir müssen das Risiko eingehen. Hoffentlich bereuen wir es nicht, daß wir ausgerechnet dich zurückge lassen haben, Haswahu.« »Wir werden es schon schaffen«, mischte sich Ssissnu ein, der endlich auch begriff, was gespielt wurde. »Aber der Heraskawanu ist zu wertvoll, als daß wir ihn unbewacht zurücklassen könnten. Ohne ihn brauchen wir Tage, um in die Tronx-Kette zu gelan gen. Abgesehen davon würde uns Howath die Köpfe abreißen, wenn wir ohne das Ding nach Hause kommen.« »Ich werde schon aufpassen!« versprach Haswahu eilig und war schon auf dem Weg in die Höhle. »Feigling«, murmelte Wa kaum hörbar. Dann musterte sie die Felsen und fand ei ne Stelle, die sich für den Beginn des Weges ausnutzen ließ. Ohne die Höhlenmagierin würden sie kei ne zehn Meter weit kommen. Mit Händen und Füßen bearbeitete Wa den Felsen und schuf Stufen und Absätze, lenkte mit ihren seltsamen Fähigkeiten das Wasser um, wo es zu stark herabstürzte, und verwandelte gefährliche Überhänge in schmale, steile Treppen. Nur gegen die Blitze war sie machtlos, und eigentlich war es ein Wunder, daß die Magier von ihnen verschont blieben. Nach drei Stunden erreichten sie die Stel le, an der der Kamin den Rand eines Hoch tals schnitt. Sie gelangten in einen Irrgarten aus gigantischen Felsblöcken, in denen sie aber wenigstens vor dem Sturm geschützt waren. Und dann standen sie am Rand des pechschwarzen Sees, über dem die ORSA PAYA verankert war. Treibende Wolken hüllten das Luftschiff ein und gaben nur selten einen Blick auf Glyndiszorns Heimstatt frei. Dennoch sahen sie deutlich die düstere Aura, die den ganzen Flugkörper einschließlich der Gondel um
35 hüllte. »Die Säulen!« flüsterte Wa erschrocken. »Das würde Glyndiszorn niemals zulassen. Es stimmt also doch. Der Knotenmagier hat sich zu weit vorgewagt!« Schweigend sahen sie zu, wie der Sturm die glänzenden Kristallpfeiler, die den gan zen See umgaben, umstürzte. Sie zersplitter ten, sobald sie den Boden berührten. Die Bruchstücke wurden zum großen Teil über den Rand des Hochtals gerissen. Wa hatte recht. Glyndiszorn stand den Er eignissen hilflos gegenüber. Und das bedeu tete, daß der Knotenmagier in einer Falle saß, aus der nicht einmal er selbst sich zu befreien vermochte. »Wir versuchen es trotzdem«, sagte Ko ratzo und ging zu der senkrecht in den Him mel ragenden Röhre, durch die man hinauf zum Luftschiff steigen konnte. Die anderen folgten ihm. Niemand glaubte ernsthaft an einen Erfolg dieser Mission.
* Es gab Zeiten, in denen Copasallior sich einsam fühlte. Dann war die erhabene Ruhe auf dem Crallion bestenfalls geeignet, den Weltenmagier melancholisch zu stimmen. In solchen Situationen gab es drei Möglichkei ten, sich abzulenken. Er konnte der Außen welt einen Besuch abstatten, sofern Pthor sich gerade auf einem Planeten befand. Aber diese neue Welt hatte er bereits erforscht. Es war ein Planet der Antimagie. Er fand nicht viel, was den Transport in die Barriere lohn te. Oder er ging auf die Jagd. Die Tiere des Crallion gehörten ihm, er konnte nach sei nem Gutdünken mit ihnen verfahren. Viele hatte er persönlich von fremden Welten hier herversetzt. Das machte die Jagd abwechs lungsreich und gefährlich, denn nur in weni gen Fällen kannte Copasallior das Wild so gut, daß er sein Verhalten vorhersagen konnte. Aber an diesem Tag lag ihm nichts an Abenteuern und Gefahren. Er war zutiefst
36 beunruhigt über die bevorstehenden Verän derungen. Und er machte sich Sorgen um seine Vormachtstellung unter den Magiern. Darum suchte er Ruhe und Selbstbestäti gung. Er hätte wissen müssen, daß er das ge rade bei Malvenia nicht so leicht finden würde. Dennoch beschloß er, ins Eistal zu reisen und dort ein paar Tage zu verbringen. Wenn eine Nachricht von Koratzo oder Glyndiszorn eintraf, würde sie ihn auch dort erreichen. Copasallior rief die Seelenlosen, von de nen drei Dutzend am Crallion lebten und dem Weltenmagier all die Arbeiten abnah men, die ihn in der freien Entfaltung seiner Fähigkeiten behindert hätten. Die Seelenlo sen waren irgendwann in ferner Vergangen heit in die Barriere gekommen. Sie lebten in düsteren Tälern und Schluchten, meist zwi schen den Grenzen der magischen Bezirke, und die meisten Magier bedienten sich ihrer, wenn grobe Arbeiten zu erledigen waren. Nur die kleinen, düsteren Männer vom Rand und die Bewohner der Tronx-Kette sowie ei nige Magier, die sich selbst durch die harm losen Wesen mit der bleichen Haut in ihrer Konzentration gestört fühlten, lehnten jeden Kontakt zu den Seelenlosen ab. Der Weltenmagier erteilte seinen Dienern den Befehl, den Crallion zu bewachen und jede Nachricht, die die Zelle der freien Ge danken erreichte, an ihn weiterzuleiten. Die stummen, entfernt menschenähnlichen Ge schöpfe nickten demütig und zogen sich lautlos zurück. Nach ein paar Minuten brachte einer von ihnen Saisja, und Copasal lior schwang sich auf den Rücken des eiser nen Yassels. Saisja reagierte mit gewohntem Gleich mut auf das Flugfeld, das unter seinen Füßen entstand. Copasallior schwebte geradewegs an die Grenze seines Bezirks und lenkte Saisja auf einen neutralen Weg, der ihn bis an das Eistal führen würde. Er gab die Zügel frei, und Saisja stürmte mit ungeheurer Ge schwindigkeit vorwärts. Copasallior war froh, daß er das eiserne Yassel zur Verfügung hatte, denn außerhalb
Marianne Sydow seines Bezirks waren seine Flugfelder eine sehr unsichere Angelegenheit. Manchmal konnte er einem Absturz nur mit Mühe ent gehen. Das hatte ihn sehr geärgert. Zum Glück gab es die Robotbürger von Wolter haven. Sie waren Meister in der Kunst, Ele mente der Magie und der Antimagie mitein ander zu verbinden – wobei es für Copasalli or klar war, daß auch die Robotbürger alle magischen Kenntnisse nur den Bewohnern der Barriere von Oth zu verdanken hatten. Jedenfalls hatte der Weltenmagier eines Ta ges Gelegenheit, den Robotbürgern einen Gefallen zu tun. Als Preis hatte er Saisja verlangt – eine Maschine mit eigenem Be wußtsein und ein treuer Diener, der für die Ewigkeit konstruiert zu sein schien. Der Ritt zum Eistal verlief ereignislos. Nur einmal begegnete Copasallior einer Gruppe von Seelenlosen, die den Weg aus besserten. Als sie ihn sahen, flohen sie in wilder Panik hinter die nächsten Felsen. Erst als der bläuliche Felsen vor ihm auftauchte, ließ Copasallior Saisja langsamer gehen. Er runzelte die Stirn, als er fremde Spuren be merkte. Jemand hatte sich hier herumgetrie ben, das stand fest. Er hielt an und kletterte von dem eisernen Yassel, um die Sache von nahem zu besehen. Er fand nicht viel, nur ein paar Steinchen, die nicht an der richtigen Stelle lagen – Malvenia war in solchen Din gen sehr eigen, und alles in ihrem Tal und an dessen Eingang entsprach einer kunstvollen Ordnung. Copasallior stellte fest, daß die Spuren schnell wieder vom blauen Felsen wegführten. Die Fremden – und Copasallior war sicher, daß es drei Personen gewesen waren – hatten sich in die Richtung der dunklen Täler begeben. Das war schlecht – für die Eindringlinge. Copasallior zuckte die Schultern. Er hatte genug Sorgen. Manchmal drangen Fremde über den Rand nach Pthor vor. Eigentlich hatten die Seelenlosen den Auftrag, solche Abenteurer fortzujagen. Aber da die Frem den sich ausgerechnet die Täler für ihre Ent deckungsreise ausgesucht hatten, in denen Karsjanor und seine Freunde hausten,
Meister der Magie brauchte man sich nicht um sie weiter zu kümmern. Selbst für Copasallior war es nicht ratsam, ohne gründliche Vorbereitung die dunklen Täler zu besuchen. Er wollte gerade wieder auf Saisjas Rücken steigen, da fuhr ein gewaltiger Windstoß durch die hohen Felsen, zwischen denen der Weg ins Eistal verlief. Copasallior war auf einen solchen Zwischenfall nicht ge faßt. Er verlor den Halt und stürzte zu Bo den. Fluchend richtete er sich wieder auf und sah sich um. Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß es viel zu dunkel war. Er hatte die Wolken gar nicht bemerkt. Jetzt bedeckten sie bereits den gan zen Himmel. Sie waren fast schwarz und flogen mit hoher Geschwindigkeit dahin. »Was soll das nun wieder?« murmelte Copasallior zu sich selbst. »Ein Unwetter, hier in der Barriere? So etwas gibt es doch gar nicht!« Natürlich mußte Breckonzorpf etwas da mit zu tun haben. Er und seine Wettermagie – Copasallior hatte nie viel davon gehalten, obwohl er zugeben mußte, daß Breckonzor pf ihm schon so manchen Dienst erwiesen hatte. Ab und zu schickte der Wettermagier ein Unwetter los – in die Wüste Fylln, aber auch an die Grenzen der Barriere, um die in Pa nyxan lebenden Guurpel und eventuelle Abenteurer aus Orxeya abzuschrecken. Noch nie hatte Breckonzorpf die Kontrolle über seine Erzeugnisse verloren. Copasallior dachte sofort an Verrat. Was hatte Breckonzorpf gesagt? Eines seiner Un wetter würde die Herren der FESTUNG von allen Sorgen befreien. Wollte er seine Macht demonstrieren, indem er die Barriere dem Sturm aussetzte? Copasallior schwor sich im stillen, dem Wettermagier bei der erstbesten Gelegenheit beizubringen, wer hier das Sa gen hatte. Besorgt dachte er an Crallion. Er war sicher, daß der Sturm sich noch nicht so weit ausgedehnt hatte. Breckonzorpf würde gut daran tun, sein Unwetter zurückzupfei fen, ehe am Crallion die uralten Bäume ent wurzelt über die Felsen stürzten!
37 Er zuckte erschrocken zusammen, als ihm bewußt wurde, daß auch andere Magier durch den Sturm einige Schwierigkeiten be kamen. Malvenia, zum Beispiel. Ihre Kunstwerke waren über das ganze Eistal verstreut, und sie waren unter der Voraussetzung geschaffen worden, daß die äußeren Bedingungen im Eistal sich nicht veränderten. Malvenia hatte eine Zone der Kälte und Windstille errichten lassen. Breckonzorpf hatte ihr dabei geholfen. Ein natürlich entstandenes Unwetter konnte un ter Umständen die Sperren durchbrechen, und natürliche Stürme oder Gewitter kamen in der Barriere nicht vor. Malvenias Sammlung war demnach in großer Gefahr! Copasallior schwankte in dem Verlangen, sofort zum Crallion zurückzureiten, um dort das Schlimmste zu verhindern, und der nüchternen Überlegung, daß es seine Pflicht war, Malvenia zur Seite zu stehen. Ihre sogenannten Kunstwerke waren dem Weltenmagier völlig gleichgültig. Manche fand er sogar ausgesprochen scheußlich. Aber das sagte er der Kunstmagierin natür lich nicht. Copasallior lächelte listig. Wenn er ihr jetzt zu Hilfe eilte, war sie ihm zur Dankbar keit verpflichtet, und dann … Er trieb Saisja an und donnerte zwischen den Felsen hervor. Es war schlimmer, als er es sich hätte träumen lassen. Die Statuen im Eistal schwankten. Einige waren schon zerbro chen, andere wiesen erste Beschädigungen auf. Das alte Einhornhaus trotzte dem Sturm noch am besten, obwohl es immer aussah, als sollte es unter der Last ungezählter Jahre zusammenkrachen. Copasallior hielt Aus schau nach Malvenia. Sie stand vor einem noch unfertigen, von Nebel verhüllten Kunstwerk und bewegte die Arme in beschwörenden Gesten. Copa sallior nickte zufrieden. Saisja suchte sich seinen Weg über die schmalen Pfade, trabte an der Yassel-Weide vorbei und blieb gehor sam stehen, als der Weltenmagier ihm ein
38 Zeichen gab. Der Sturm nahm immer noch zu, aber Copasallior hatte keine Schwierig keiten, nachdem er die Gefahr einmal er kannt hatte. Malvenia bemerkte ihn erst, als er neben ihr auftauchte. »Was willst du hier?« schrie sie ihn an – lauter, als es trotz des Sturmes notwendig gewesen wäre. »Ich dachte mir, daß du Hilfe brauchst«, antwortete Copasallior beruhigend. »Laß den Nebel verschwinden, dann bringe ich das Ding da in Sicherheit.« Malvenia funkelte ihn böse an, dann dreh te sie sich um und fuhr fort, den Nebel mit ihren Beschwörungen zu festigen. Copasalli or begriff, daß sie das noch unfertige Werk an diesem Platz lassen wollte. Er verstand das nicht. Abgesehen davon schien es sie kaum zu berühren, daß andere Statuen in zwischen vernichtet wurden. »Das ist doch Zeitverschwendung«, sagte er ärgerlich. »Laß mich endlich helfen. Wenn wir uns beeilen, können wir noch ein paar Sachen retten.« Keine Antwort. »Warum plagst du dich mit dieser Verhül lung ab?« fragte er. Er war wütend, denn sein schöner Plan drohte an Malvenias Sturheit zu scheitern. Das war nicht zum erstenmal so, aber dies mal sah er beim besten Willen nicht ein, wa rum sie sein Angebot abwies. Sie mußte doch sehen, daß der schützende Nebel dem Sturm nicht gewachsen war. Und wahr scheinlich würde es bei dem Sturm nicht bleiben. Wenn der Regen kam, war der Ne bel völlig wirkungslos. »Sieh dich doch mal um!« schrie er, als Malvenia auch diesmal so tat, als wäre er gar nicht vorhanden. »Alles, was du ge schaffen hast, wird zerstört, und du küm merst dich um ein Werk, das noch nicht ein mal fertig ist! Bist du wahnsinnig gewor den?« Diesmal reagierte sie wenigstens. Sie sah ihn an, und Copasallior erschrak. Die sanfte, violette Farbe ihres Gesichts war einem un gesunden, graublauen Ton gewichen. In den
Marianne Sydow sonst so lebendigen grünen Augen las er nichts als Verzweiflung. »Aber es ist fertig!« keuchte sie. »Vollendet, verstehst du?« Copasallior verstand nicht. »Warum löst du dann den Nebel nicht auf, damit wir es wegschaffen können?« fragte er ungeduldig. Malvenia antwortete nicht. Sie schlug die Hände vor das Gesicht und rannte davon. Copasallior blieb wie vom Donner gerührt stehen. Jetzt hatte er es zwar begriffen, aber er weigerte sich, die bittere Erkenntnis zu akzeptieren. Er blieb regungslos stehen, starrte das Nebelgebilde an und fragte sich verzweifelt, wie er aus dieser verfahrenen Situation noch einen Ausweg finden sollte. Sie konnte es einfach nicht getan haben! Es mußte eine andere Erklärung geben. Sie war zwar manchmal etwas verrückt, aber sie würde doch nicht ihr Leben wegwerfen, nur um einer Statue willen. Er mußte zu ihr gehen und mit ihr sprechen. Er wollte sie nicht verlieren, niemals. Fast unbewußt warf der Weltenmagier ei ne Sperre über den Nebel. Für einen Augen blick fühlte er die Versuchung, sich Gewiß heit zu verschaffen, indem er die Statue sichtbar werden ließ. Aber er tat es dann doch nicht. Langsam kehrte er zu Saisja zu rück und lenkte den eisernen Yassel zum Einhornhaus. Er fand Malvenia in der klei nen Halle, wo sie regungslos vor dem Ka min saß und in die züngelnden Flammen starrte. Er setzte sich neben sie, und sie stieß ihn diesmal nicht zurück. »Der Sturm wird es nicht zerbrechen«, sagte er heiser. Malvenia sah ihn überrascht an. »Ich habe eine schützende Sperre errich tet«, fuhr der Weltenmagier düster fort. »Und jetzt bitte ich dich um die Erlaubnis, diese Sperre aufheben zu dürfen.« »Was soll das?« fragte sie zitternd. »Entweder willst du mein Werk schützen, oder du willst es vernichten. Entscheide dich!« »Ich will dich behalten!« erklärte er. »Und du weißt, was das bedeutet.«
Meister der Magie »Ich kann es nicht tun. ES ist ein Kunst werk, und die Kunst hat frei zu sein. Jeder Künstler darf abbilden, was immer ihm in den Sinn kommt.« »Dann stimmt es also. Du hast das Gesetz von Pthor mißachtet und eine Abbildung ei nes Herrn der FESTUNG geschaffen. Hast du dir überlegt, in welche Situation du mich bringst?« Malvenia warf trotzig den Kopf zurück. »Das hat mit dir nichts zu tun«, behaupte te sie spröde. »Ich habe dich nicht gerufen, und wärst du dem Tal ferngeblieben, so hät test du es nie erfahren.« »Ich bin aber nun hier. Wie soll es weiter gehen?« »Ganz einfach. Die Herren haben genaue Anweisungen für einen solchen Fall erteilt. Du wirst ihnen melden, was ich getan habe. Sie werden jemanden schicken, der die Sta tue zerstört, und dann werden sie mich in die FESTUNG holen, wo ein paar hirnlose Del los die Hinrichtung vollstrecken.« Copasallior schwieg erschüttert. Er ver stand Malvenia nicht. Sie kannte die Gesetze genau, und sie mußte wissen, daß die Herren der FESTUNG in diesem Punkt keine Gnade walten ließen. Selbst die Magier, die zu den wichtigsten Bewohnern von Pthor zählten, mußten den Willen der Herren in diesem Punkt respektieren. »Warum hast du es getan?« fragte er nach einer langen Pause. »Das verstehst du doch nicht«, meinte Malvenia resignierend. »Du könntest wenigstens versuchen, es mir zu erklären. Oder ist das zuviel ver langt?« Als er die Tränen in ihren Augen sah, tat es ihm leid, daß er sie so heftig angefahren hatte. Tröstend legte er seinen Arm um ihre Schultern. »Wenn du deine Ausflüge in die fremden Welten unternimmst«, sagte sie langsam, »dann mußt du immer darauf achten, daß niemand dich sieht, daß niemand erfährt, woher du kommst und so weiter. Sehnst du dich denn nicht auch manchmal danach, frei
39 zu sein? In Welten zu gehen, die nicht der Vernichtung preisgegeben sind? Möchtest du nicht zu einigen dieser fremden Wesen Kontakt aufnehmen?« »Die Gesetze …« »Ich habe dich nicht nach den Gesetzen gefragt. Ich will wissen, wie du fühlst. Bist du niemals neugierig, wenn du draußen her umstreifst? Du bringst Gegenstände mit, Tiere, Pflanzen. Oft weißt du gar nicht, wel che Bedeutung sie alle im Zusammenhang mit ihrer Heimat haben. Möchtest du das et wa nicht erfahren?« »Mein liebes Kind …«, begann Copasalli or beruhigend. Malvenia sprang auf und rannte zum Kamin. Wütend stieß sie die Holzscheite auseinander. Mit einer knappen Geste löschte sie das Feuer. Dann verließ sie die Halle. Copasallior hörte noch für kurz Zeit ihre Schritte, dann war er allein. Nachdenklich starrte er vor sich hin. Er lauschte in sich hinein. Hatte Malvenia recht? Copasallior rang sich nur schwer zu der Erkenntnis durch, daß sie den Kern der Wahrheit getroffen hatte. Natürlich hielt er sich an die Gesetze. Es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Außerdem scheute er vor jedem Kontakt mit den Planetenbewohnern zurück, weil er wußte, welches Schicksal vor ihnen lag. Wenn es irgend ging, richtete er es so ein, daß er vor der eigentlichen Ka tastrophe nach draußen ging. Ein paar mal hatte er die Horden der Nacht bei ihrem Ver nichtungswerk beobachtet. Copasallior war nicht sehr empfindlich, aber er ging diesen Bildern lieber aus dem Weg. Ja, er war neugierig. Er hätte gerne ge wußt, wozu die oft bizarren Geräte und Ma schinen der Fremden da waren. Es wäre ihm ein Vergnügen gewesen, zu demonstrieren, was die wahre, reine Magie zu leisten ver mochte. Sicher wäre auch ein Vergleich mit der Antimagie interessant gewesen. Copasallior stellte sich vor, wie er mit Meistern der An timagie hitzige Streitgespräche führte, und er stellte fest, daß dieser Gedanke ihn faszi
40 nierte. Er ging sogar noch einen Schritt wei ter und überlegte, ob nicht eine Verbindung beider Möglichkeiten großartige, bisher un vorstellbare Dinge zu vollbringen vermoch te. Er erschrak über sich selbst. Malvenia hatte ihn dazu gebracht, das Gesetz zu bre chen, auch wenn es bisher nur in seinen Ge danken geschehen war. Er hatte Angst da vor, der Versuchung nicht widerstehen zu können. Copasallior suchte mit zitternden Händen in den Taschen seines weiten Gewands nach einer Kapsel. Als der Extrakt aus Sternblu men zu wirken begann, entspannte er sich. Es gelang ihm, seine Gedanken in andere Bahnen zu lenken. Gut und schön, er war wirklich von Malvenias Überlegungen be eindruckt, aber was, bei allen vierunddreißig Gipfeln der Barriere, hatte das mit der unge heuerlichen Tatsache zu tun, daß die Kunst magierin einen Herren der FESTUNG abge bildet hatte? Er machte sich auf den Weg und suchte nach Malvenia. Sie war nicht im Einhorn haus. Er trat vor den bizarr geformten Ein gang und sah sie vor der verhüllten Statue stehen. Der Wind zerrte an ihren Haaren und an der Kleidung. Er wartete geduldig. Es dauerte Stunden, bis sie ins Haus kam. In zwischen war es vollständig finster gewor den. Nur die Eisfelder spendeten ein grünes Licht. Es regnete in Strömen, und erste Blit ze bewiesen, daß Breckonzorpf ein sehr be achtliches Unwetter freigelassen hatte. Co pasallior trat der Kunstmagierin in den Weg, als sie das Einhornhaus erreichte. »Ich gebe zu, daß du recht hast«, sagte er düster. »Aber das ändert nichts an den Tat sachen. Du mußt das Ding zerstören.« »Wenn ich es unter seiner Hülle lasse, wird niemand es jemals zu Gesicht bekom men«, erwiderte Malvenia, und Copasallior stellte erschrocken fest, daß sie sich ent schieden hatte. Nichts und niemand konnte ihre Meinung jetzt noch ändern. »Das nützt nichts mehr«, murmelte er. »Ich habe nun einmal erfahren, was du unter der Hülle verbirgst. Ich muß dich den Her-
Marianne Sydow ren der FESTUNG melden. Das ist meine Pflicht.« »Das«, sagte Malvenia gelassen und ging an ihm vorbei, »ist etwas, was du mit dir selbst ausmachen mußt. Meine Entschei dung ist gefallen. Jetzt bist du an der Rei he!« Er brachte kein Wort über die Lippen, Malvenia ging nach oben, wo die Schlaf kammern lagen. Copasallior blieb eine Wei le wie betäubt stehen. Dann entdeckte er einen Becher auf einem Tisch und einen Krug mit Wein. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und begann zu trinken. »Und ich wollte mich hier erholen!« knurrte er nach einiger Zeit. Er wog den Be cher in der Hand und schleuderte ihn quer durch die Halle. Das Ding tat ihm nicht ein mal den Gefallen, in tausend Splitter zu zer springen. Es rollte friedlich in die Nähe der Treppe. Copasallior versetzte dem Becher einen Tritt, ehe er in seine Schlafkammer ging. Der Raum, in dem Malvenia zu schla fen pflegte, war verschlossen.
7. Die Transportröhre zur ORSAPAYA war von seltsamen Geräuschen erfüllt. Schatten hingen zwischen den Wänden. Sie bewegten sich manchmal, und als Koratzo einem von ihnen zu nahe kam, bemerkte er entsetzt, daß sein rechter Arm bis an den Ellbogen hinauf plötzlich nicht mehr vorhanden war. Er konnte ihn weder sehen noch fühlen. Aber als er voller Furcht zurückwich, tauch te der Arm wieder unversehrt auf. »Achtet auf die Schatten!« rief er nach unten, wo seine Gefährten ihm in geringem Abstand folgten. »Ihr dürft nicht mit ihnen in Berührung kommen!« Vielleicht erwiesen sich seine Befürchtun gen als übertrieben, aber er wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen. Bei ihm war es ein Arm gewesen – was geschah, wenn man mit dem Kopf in einen solchen Schat ten geriet? Mußte dann nicht der übrige Kör per abstürzen oder auf andere Weise um
Meister der Magie kommen, weil die Verbindung zum Gehirn unterbrochen war? Niemand hatte das Verlangen, diese Be fürchtung durch einen Versuch zu widerle gen. Sie gingen den Schatten gewissenhaft aus dem Weg. Das wurde immer schwieri ger, je weiter sie nach oben vordrangen, denn die Schatten wurden zahlreicher und größer. Ab und zu ertönte ein Seufzen, ein schwacher Laut, von dem man nicht sagen konnte, ob der Sturm ihn erzeugte, oder ob es da noch etwas anderes gab. Koratzo erreichte die Tür zur Gondel und wartete, bis seine Gefährten bei ihm waren. »Nichts«, sagte Opkul, ohne eine entspre chende Aufforderung abzuwarten. »Ich drin ge mit meinen Blicken nicht durch. Die Schatten – sie machen mich fast blind.« Jetzt konnte ihm niemand helfen. Koratzo wußte das. »Geht zurück«, bat er die anderen. »Es ist besser, wenn ich alleine in die Gondel vor dringe.« »Du hast den Verstand verloren!« fuhr Wa heftig auf. »Denkst du wirklich, wir las sen dich jetzt im Stich?« »Ihr könnt mir nicht helfen«, unterbrach Koratzo die Höhlenmagierin. »Glaube mir, Wa, es ist besser so.« »Du wirst da drin verschwinden, und nie mand kann dich dann noch retten«, behaup tete Ssissnu nüchtern. »Das ist möglich«, stimmte Koratzo zu. »Aber das ist immer noch besser, als wenn es uns alle erwischt. Wartet beim Heraska wanu auf mich. Bei Einbruch der Dunkelheit macht ihr euch auf den Weg. Wenn ich nicht zurückkomme, dann fahrt ihr sofort zum Crallion weiter und benachrichtigt Copasal lior. Allmählich fürchte ich auch, daß Glyn diszorn diesmal in seinem Forschungseifer zu weit gegangen ist.« »Nachdem du zu dieser weisen Erkennt nis gelangt bist, kannst du ebensogut mit uns mitkommen«, bemerkte Wa. »Laß ihn«, seufzte Querllo. »Du kannst ihn nicht mehr umstimmen. Ssissnu, paß auf, daß wir nicht mit den verflixten Schat
41 ten zusammenstoßen. Opkul, du übernimmst die Spitze.« Koratzo sah ihnen nach, als sie nach unten schwebten. Dann untersuchte er die Tür. Die magischen Sperren waren gefallen. Das war ein schlechtes Zeichen. Zwar war auch der Einstieg zur Röhre ungesichert gewesen, aber er hatte doch erwartet, hier, vor dem di rekten Eingang zu Glyndiszorns privater Sphäre, eine Sperre vorzufinden. Er mochte nicht daran glauben, daß der Knotenmagier freiwillig auf alle Sicherheitsmaßnahmen verzichtete. Vorsichtig öffnete er die Tür. Er prallte zurück, als ihm die Dunkelheit entgegen quoll. Er wich mit Mühe den düsteren Fet zen aus, die sich aus der Wand lösten und langsam nach unten schwebten. Mißtrauisch starrte er durch die Türöffnung. Ver schwommen erkannte er die Umrisse von Möbelstücken und eigenartigen Geräten. In der Mitte des Raumes ballte sich die Dun kelheit zu einer schwarzen Kugel zusam men. Glyndiszorn war nicht zu sehen. Koratzo gab sich einen Ruck. Je eher er es hinter sich brachte, desto früher konnte er diesen gespenstischen Ort verlassen. Wieder rief er nach Glyndiszorn. Diesmal glaubte er, von weit her die Stimme des Knotenmagiers zu hören. Leider verstand er kein Wort. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als die düstere Gondel zu betreten. Als er den Fuß über die Schwelle setzte, wurde ihm schwindelig. Alles begann sich um ihn zu drehen. Er klammerte sich krampfhaft am Türrahmen fest, um nicht in den endlosen Abgrund zu fallen, den er vor sich zu sehen glaubte. Minuten vergingen, ehe er sich gefangen hatte. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, und er zitterte am ganzen Körper. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er taumelte zur Seite, entdeckte einen Sessel und ließ sich hineinfallen. Zu seiner Überraschung landete er nicht in den wei chen Fellen, sondern auf dem harten Fußbo den. Um sich herum sah er den Sessel. Er
42 bewegte die Hände – sie gingen durch Holz und Fell hindurch, wie durch eines von Kol viss' Scheinbildern. Koratzo atmete tief durch und besann sich darauf, daß er schließlich auch ein Magier war. Er murmelte einige stärkende Silben vor sich hin. Sofort fühlte er sich besser. Es gelang ihm sogar, den um ihn herum ver schwommen existierenden Sessel zu ignorie ren. Er betrachtete die schwarze Kugel und kam zu dem Entschluß, daß Glyndiszorn darin gefangen sein mußte. Ein anderes Ver steck gab es in der Gondel nicht. »Glyndiszorn!« sagte er und verlieh sei ner Stimme die Macht, selbst die Zeit zu durchdringen. Er wußte, daß das möglich war, denn er hatte es ausprobiert. Er hatte sich selbst eine Nachricht zukommen lassen. Drei Tage, nachdem er sie ausgesprochen hatte, erreichte sie ihn. Angestrengt lauschte er. Wieder erklang schwach die Stimme des Knotenmagiers. Koratzo erkannte, daß es an ihm lag, wenn er die Nachricht nicht verstand. Er veränder te sein Gehör, und jetzt endlich kam es zu einem Kontakt. »Laß mich in Ruhe!« sagte Glyndiszorn klar und deutlich. »Ich will nicht gestört werden!« Der Knotenmagier blieb unsichtbar, aber das störte Koratzo nicht. Er wollte Copasal liors Botschaft loswerden, weiter nichts. »Der Weltenmagier schickt mich«, sagte er darum. »Er hat dich und die anderen zu einem sehr wichtigen Treffen auf dem Cral lion gerufen. Du bist nicht gekommen. Co pasallior gab mir den Auftrag, dich aufzusu chen.« »Das hast du getan. Nun geh wieder.« »Warum willst du dem Ruf des Welten magiers nicht folgen?« »Copasallior und seine hochnäsigen Freunde sollen die Dellos holen!« schimpfte Glyndiszorn. »Die und ihre wichtigen Be sprechungen! Nichts ist so wichtig wie mei ne Forschungen.« »In der Barriere sagt man, du hättest dich zu weit vorgewagt und wärst in eine Falle
Marianne Sydow getappt, die du selbst gelegt hast.« »Dummes Zeug! Ich habe einen großen Knoten erschaffen, das ist alles. Ich befinde mich an einem Ort, an dem ich viele Zeiten und Räume überblicken kann. Aber davon verstehst du nichts. Rühre nur die Geräte nicht an! Der große Knoten könnte sich sonst ausdehnen und die ganze Barriere von Oth erfassen.« »Was geschieht in einem solchen Fall?« fragte Koratzo neugierig. »Die Barriere und die Magier wären von der FESTUNG und ganz Pthor abgeschnit ten. Nichts und niemand könnte den Knoten verlassen oder in ihn eindringen, ehe seine Kraft erlischt. Du bist Koratzo, nicht wahr?« »Ja.« »Das dachte ich mir. Kein anderer hätte mich an diesem Ort stören können. Nun, Koratzo, nachdem du weißt, wie schwer es ist, wenigstens mit mir zu sprechen, wirst du auch einsehen, wie groß meine Entdeckung ist. Ich werde zu Copasallior gehen, sobald ich mit meiner Arbeit fertig bin.« »Dann könnte es zu spät sein. Es gibt Schwierigkeiten. Pthor ist in Gefahr.« Glyndiszorn lachte spöttisch. »Pthor wird weiterbestehen«, versicherte er. »Und du wirst dafür sorgen, daß auch die Magier diesem verfluchten Land erhalten bleiben.« »Du kannst von deinem Aufenthaltsort die Zukunft überschauen?« fragte Koratzo atemlos. »Das ist sehr vereinfacht ausgedrückt«, murmelte Glyndiszorn nachdenklich. »Einige Dinge sind mir noch nicht klar. Aber ich weiß, daß ich nicht zu Copasallior gehen werde – wenigstens nicht in den näch sten Tagen oder Wochen. Jetzt geh, Koratzo. Du störst mich in meiner Konzentration.« »Der Weltenmagier wird mich bis auf den Gipfel des Skolion verfluchen, wenn ich oh ne dich auf dem Crallion erscheine. Du mußt mitkommen, Glyndiszorn!« »Ich denke nicht daran. Und noch eins, Koratzo: Niemand kann mich aus dem großen Knoten herausholen! Jeder Versuch,
Meister der Magie mich mit Gewalt in eure Welt zu ziehen, würde eine Katastrophe heraufbeschwören. Sage das dem Weltenmagier! Und nun geh. Ich habe wichtige Beobachtungen anzustel len, bevor ich den Knoten auflöse!« Koratzo sah ein, daß er Glyndiszorn nicht überreden konnte. Obwohl Copasalliors Re aktion auf diese Nachricht sicher nicht sehr angenehm ausfallen würde, hatte Koratzo Verständnis für das Verhalten des Knoten magiers. Niemand brach ein wichtiges Expe riment gerne ab, nur um eine lästige Pflicht zu erfüllen. »Ich werde dich nicht länger stören«, ver sprach Koratzo. Glyndiszorn antwortete nicht. Mühsam tastete er sich zur Tür. Er achtete sehr darauf, keinem von Glyndiszorns Gerä ten nahezukommen. Während er nach unten schwebte, dachte er über die rätselhaften Andeutungen des Knotenmagiers nach. Er wurde nicht schlau daraus, aber in irgendei nem Winkel seines Gehirns wuchs eine grandiose Idee. Er konnte sie nur noch nicht fassen. Wenn es an der Zeit war, so hoffte er, würde ihm alles klar werden. Draußen tobte Breckonzorpfs Unwetter mit ungebrochener Kraft. Jetzt bereute er es, daß er die anderen zum Heraskawanu ge schickt hatte. Es erschien ihm fraglich, ob er alleine gegen den Orkan bestehen konnte. Wenn er nicht rechtzeitig die Höhle erreich te, würden sie ohne ihn weiterfahren. Bis zum Crallion war es nicht weit, wenn man das Antimagie-Fahrzeug benutzte. Zu Fuß brauchte er mindestens vier Tage. Wenn der Sturm anhielt, war es fraglich, ob er Copa salliors Höhle überhaupt erreichte. Er löste sich vom Ausgang der Transport röhre. Der Sturm warf ihn sofort zu Boden. Koratzo kroch auf allen vieren zwischen den Resten der Kristallpfeiler hindurch. Er ach tete nicht darauf, daß die scharfen Splitter ihm Hände und Knie zerschnitten. Querllo konnte sich später darum kümmern, wenn Koratzo erst in Sicherheit der Steuerkabine saß. Der Stimmenmagier unterdrückte einen
43 überraschten Ausruf, als sich ein pelziges Seil um seine Hüften schlang. Die Erleichte rung war zu groß. Die Erlebnisse in der Gondel, die ganzen Anstrengungen der letz ten Zeit hatten ihn geschwächt. Auch ein Magier war gegen körperliche Schwächen nicht gefeit. Koratzo verlor das Bewußtsein.
* Als er zu sich kam, rumpelte der Heraska wanu gerade auf die Serpentinenstraße, die zu Copasalliors Höhle hinaufführte. Koratzo richtete sich benommen auf. Draußen war vor Regen kaum etwas zu erkennen. Ent wurzelte Bäume säumten die Straße. Holz splitter und Blätter trieben durch die Luft. Dem Heraskawanu schien das alles nichts auszumachen. Ungerührt stampfte er auf sei nen Laufstelzen durch das Inferno des Stur mes. Koratzo stellte fest, daß Opkul die Steue rung übernommen hatte. Querllo merkte, daß der Stimmenmagier erwacht war, und setzte sich neben ihn. »Du bist ohne Glyndiszorn gekommen«, stellte er fest. »Was ist mit dem Knotenma gier?« Koratzo strich sich mit der Hand über die Stirn. Dabei erinnerte er sich an die Schnitt wunden. Er betrachtete beide Hände. Querl lo hatte gute Arbeit geleistet. Nur ein paar dünne, weiße Narben waren noch zu sehen. Er berichtete von dem Gespräch mit Glyndiszorn. Einige Dinge ließ er allerdings weg. So auch die unverständliche Behaup tung, Koratzo würde dafür sorgen, daß die Magier in Pthor blieben. Der Stimmenma gier konnte sich vorerst nicht einmal vorstel len, warum dieses Problem überhaupt auf tauchen sollte. »Der arme Copasallior«, bemerkte Wa spöttisch, als Koratzo seinen Bericht beendet hatte. »Er wird ganz schön wütend sein, wenn er hört, daß Glyndiszorn seinen großen Knoten für wichtiger hält als eine Debatte auf dem Crallion!« Koratzo zuckte zusammen.
44 Der große Knoten! Irgendwie hing dieser Begriff mit der Idee zusammen, die er immer noch nicht zu fas sen vermochte. Obwohl es ihn drängte, die ses Problem zu lösen, lenkte er seine Gedan ken auf andere Dinge. Er kannte sich gut ge nug. Je intensiver er der Idee nachspürte, de sto geringer wurde die Chance, daß er sie zu fassen bekam. »Wenigstens kann jetzt niemand mehr be haupten, daß wir Copasalliors Auftrag nicht erfüllt hätten«, bemerkte Ssissnu zufrieden. »Niemand sonst hätte an Glyndiszorn heran kommen können. Du hast die Bedeutung deiner Stimmenmagie bestätigt, Koratzo. Das ist sehr wichtig für die Tronx-Kette.« »Niemand würde etwas davon erfahren, wenn du mich nicht gerettet hättest«, sagte Koratzo ernst. »Unser Leitgedanke hat sich wieder einmal bewährt. Ohne die Zusam menarbeit mehrerer Fähigkeiten hätten wir den Gnorden niemals erreicht. Das ist von Bedeutung.« Die anderen schwiegen. Haswahu blickte beschämt zur Seite. Der Heraskawanu kletterte höher und er reichte gegen Mittag das Plateau vor Copa salliors Höhlenwohnung. Hier oben wütete der Sturm mit entsetzlicher Kraft. Opkul lenkte das Fahrzeug dicht an den Eingang heran. Nur wenige Meter trennten die Ma gier von der schützenden Höhle, aber selbst diese Entfernung war zu groß, um sie unter den jetzt herrschenden Bedingungen zu überwinden. Zu allem Überfluß stellte sich heraus, daß Copasallior den Crallion allem Anschein nach verlassen hatte. Koratzos Ru fe verhallten ungehört. Die Seelenlosen, die drinnen ihrer Arbeit nachgingen, vermoch ten selbst die magische Stimme nicht zu empfangen, denn ihre Gehirne arbeiteten auf einer absolut fremden Basis. »Wir hätten uns nicht zu beeilen brau chen«, stellte Haswahu ärgerlich fest. »Ich möchte wetten, daß Copasallior es sich mit Malvenia im Einhornhaus gemütlich ge macht hat. Wer weiß, wann er sich blicken läßt!«
Marianne Sydow »Er wird schon kommen«, meinte Opkul friedlich. »Was macht es schon, wenn wir warten müssen? Copasallior hat selbst Schuld, wenn die Nachricht ihn zu spät er reicht. Hier ist es doch ganz gut auszuhal ten.«
* Copasallior war wirklich noch im Ein hornhaus. Aber gemütlich war es dort nicht. Der Weltenmagier hatte gleich am Mor gen nachgesehen, ob Breckonzorpf sein Un wetter inzwischen gebändigt hatte. Aber es stürmte immer noch, und der wolkenbedeck te Himmel wurde von einem bizarren Mu ster aus Blitzen überzogen. Copasalliors Laune sank bei diesem Anblick auf den Nullpunkt. Er mußte dafür sorgen, daß in der Barriere wieder Ruhe einkehrte. Ihn als den obersten Magier würde man dafür verantwortlich ma chen, wenn Breckonzorpf noch länger mit Sturm und Regen um sich warf. Auch im Einhornhaus gab es einen Raum, von dem aus man Verbindung zu anderen, wichtigen Magiern herstellen konnte. Copa sallior begab sich dorthin. Malvenia hatte er an diesem Tag noch nicht zu Gesicht be kommen. Er kümmerte sich nicht um sie. Ir gendwann mußte sie schließlich zur Ver nunft kommen. Es dauerte ungewöhnlich lange, bis Breckonzorpf auf den Ruf des Weltenma giers antwortete. »Was fällt dir eigentlich ein?« brüllte Co pasallior los, ohne sich mit höflichen Vorre den aufzuhalten. »Willst du mit deinem Sturm die Barriere über den Rand hinausbla sen, damit wir auf diesem barbarischen An timagie-Planeten hängenbleiben?« »Du hast mir gerade noch gefehlt«, stöhn te Breckonzorpf. »Denkst du, mir macht das Spaß?« »Willst du behaupten, daß dieses Unwet ter nicht dein Werk ist?« »Doch, das schon«, gab der Wettermagier erschöpft zu. »Aber ich habe es nicht ausge
Meister der Magie löst! Das waren die Technos, diese ver dammten Narren!« »Was für Technos?« »Die drei natürlich, die in meiner Woh nung sitzen und mich daran hindern, an den Speicher heranzukommen.« Copasallior schüttelte unwillkürlich den Kopf. Für wie dumm hielt Breckonzorpf ihn eigentlich? Wie konnte er es wagen, ihm, dem Welten magier, eine so dumme Geschichte aufzuti schen? »Ich erwarte, daß der Sturm aufhört«, sag te er eisig. »Sofort! Hast du verstanden?« »Ich bin nicht taub«, versicherte Breckon zorpf. »Aber leider kann ich nichts gegen das Unwetter unternehmen. Du glaubst mir natürlich nicht, aber es sitzen wirklich drei Technos in der SARKA! Ich habe keine Ah nung, wie sie trotz der Sperren dorthin ge kommen sind, aber ich vermute, daß sie eine Möglichkeit gefunden haben, sich gegen uns abzuschirmen. Nur so ist es zu erklären, daß sie überhaupt in die Barriere gelangten.« Copasallior erinnerte sich plötzlich an die Spuren, die er am Eingang zum Eistal gefun den hatte. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt vor Schrecken. Und er erkannte, daß Breckonzorpf wirklich keinen schlechten Scherz mit ihm trieb. Was mochten die Technos ausgeheckt ha ben? Die Magier würden sich damit beschäf tigen müssen. Es ging nicht an, daß Fremde die Möglichkeit bekamen, nach Belieben in der Barriere herumzuschnüffeln. Wie ge fährlich die Situation war, erkannte Copasal lior daran, daß die Technos offenbar nicht einmal in den dunklen Tälern aufgehalten worden waren. Der Weltenmagier konnte nicht ahnen, daß die dunklen Magier zu diesem Zeitpunkt fast ausnahmslos damit beschäftigt gewesen waren, eine Falle für den Heraskawanu zu errichten. »Gut«, sagte Copasallior unsicher. »Ich glaube dir. Ich habe selbst die Spuren der Fremden gefunden, ihnen aber keine Bedeu tung beigemessen.« Als er erkannte, welchen Fehler er began
45 gen hatte, hätte er am liebsten seine eigene Zunge verschluckt. Aber es war zu spät. Er konnte die Worte nicht zurückholen. »Warum hast du mich nicht gewarnt?« fragte Breckonzorpf prompt. »Ich sagte schon, daß ich die Angelegen heit für unwichtig hielt. Die Spur führte in die dunklen Täler. Außerdem«, fügte er er leichtert hinzu, »wäre meine Warnung in jedem Fall zu spät gekommen, denn der Sturm brach aus, als ich die Fährte gerade erst ent deckt hatte. Woher hätte ich auch wissen sollen, daß sie ausgerechnet in die SARKA eindrangen?« »Selbst die Technos wissen, daß ein ge waltiges Unwetter eine nahezu unschlagbare Waffe darstellt«, erwiderte Breckonzorpf würdevoll. »Es ist also ein sehr logischer Schluß, daß sie von Anfang an die SARKA zu ihrem Ziel gemacht hatten!« »Sie konnten nicht einmal wissen, daß es die SARKA gibt«, antwortete Copasallior ärgerlich. »Wenn die drei Technos unentdeckt am Eistal vorbeigekommen sind, können es auch noch mehr geschafft haben. Wer weiß, wie gut sie inzwischen über uns informiert sind. Ich bin sicher, daß sie Waffen gesucht haben. Da sind sie auf mich und das Luft schiff gekommen.« Copasallior hatte eine spöttische Bemer kung auf der Zunge, aber er beherrschte sich. Breckonzorpf übertrieb wieder einmal gewaltig, aber es ließ sich nicht leugnen, daß seine Behauptung ein Körnchen Wahrheit enthielt. Der Sturm war eine Waffe. »Das ändert alles nichts daran, daß dieses Unwetter eine Menge Unheil anrichtet«, sagte er. »Du mußt doch irgend etwas dage gen unternehmen können! Es ist schließlich deine Magie!« »Der Speicher, aus dem der Sturm kam, steht in der SARKA. Nur von dort aus wäre es möglich, dem Spuk ein Ende zu bereiten. Aber ich sagte dir ja schon, daß ich nicht einmal in die Nähe der Gondel komme. Die magischen Schirme der Technos sind zu stark.«
46 »Du willst doch nicht etwa behaupten, daß diese jämmerlichen Stadtkreaturen ei nem Magier wie dir überlegen sind?« »Natürlich nicht. Als sie den Speicher öff neten, haben sie vermutlich ihre Schirme mit meinen Sperren gekoppelt. Vielleicht wissen sie das gar nicht, aber das Unglück ist ge schehen.« Das war wirklich eine schwierige Situati on. Copasallior war es nicht gewohnt, vor derartige Probleme gestellt zu werden. Er wünschte nur, daß möglichst bald wieder Ruhe in der Barriere herrschte. Erst kam die Sache mit den Herren der FESTUNG, und nun auch noch der Sturm und die drei Tech nos mit den rätselhaften Schirmen. Aber er war der oberste Magier. Ihm mußte einfach etwas einfallen! Er war sehr froh, als er endlich den Schimmer einer Idee hatte. »Du mußt die SARKA aufgeben«, sagte er. Breckonzorpf schnappte hörbar nach Luft. Copasallior wartete den Protest des Wettermagiers gar nicht erst ab. »Es ist der einzige Weg«, fuhr er fort. »Bewahrst du außer dem Speicher ir gendwelche wertvollen Dinge in der Gondel auf?« »Nein.« »Siehst du. Die Technos können mit dem Luftschiff nicht umgehen. Die SARKA wird den Sturm mit sich schleppen, und wir sind ihn los. Außerdem dürften die Technos bei dem unvermeidbaren Absturz zweifellos umkommen. Das ist wichtig, denn wir wis sen nicht, wieviel sie über uns herausge bracht haben.« »Du kannst doch nicht im Ernst von mir verlangen, daß ich meine SARKA davon fliegen lasse!« »Und ob ich das kann! Es ist im Interesse aller Magier erforderlich.« »Dann gib mir eine Frist!« bat Breckon zorpf. Copasallior wollte die Bitte abschlagen, aber dann zögerte er doch. Er dachte an sei ne Höhlenwohnung im Crallion. Würde er sich so leicht von ihr trennen? Natürlich gab es einen riesigen Unter-
Marianne Sydow schied. Erstens enthielt die Höhlenwohnung viel mehr Geheimnisse als die fliegende Be hausung des Wettermagiers. Zweitens dürfte Copasallior niemals einen so gravierenden Fehler begehen. Trotzdem gab er nach. »Du hast fünf Stunden Zeit«, sagte er. »Mehr kann ich dir beim besten Willen nicht zugestehen.« Breckonzorpf akzeptierte diese Entschei dung. »Und nun zu Malvenia«, dachte Copasal lior, als er wieder in der Halle stand. Sie war nicht draußen. Eigentlich hatte der Welten magier erwartet, sie vor dem verhüllten Kunstwerk stehen zu sehen, aber offenbar wagte sie sich nicht mehr aus dem Einhorn haus. Copasallior konnte es ihr nicht verden ken. Fast alle Statuen waren inzwischen zer trümmert. Nur die eine, verhängnisvolle stand unversehrt an ihrem Platz. Er durchsuchte das Haus und fand Malve nia endlich in einem der unteren Räume. Sie saß an einem Tisch und hatte den Kopf auf die Arme gelegt. Vor ihr stand eine kleine Statue, die magische Miniaturdarstellung des Einhornhauses. Als Copasallior näher trat, sah er die Tränen, die über Malvenias Gesicht liefen. Eben war er noch fest entschlossen gewe sen, sich nur nach seinen Pflichten als Ober haupt der Magier zu richten und alle Gefüh le aus dem Spiel zu lassen. Jetzt wurde er schon wieder schwankend. Malvenia hatte ihn bemerkt. »Laß mich allein!« bat sie leise. »Das kommt nicht in Frage«, antwortete Copasallior sanft. »Wir müssen eine Lösung finden.« »Ich weiß, was ich tun werde. Aber dazu mußt du dieses Haus und das Eistal verlas sen.« Copasallior starrte die kleine Statue an. Plötzlich erkannte er ihren Plan. Gleichzeitig sah er den glitzernden Hammer, den sie um klammert hielt. Er sprang auf sie zu. Sie wehrte sich, aber seinen sechs Armen war sie nicht gewachsen. Er entwand ihr den Hammer und schleuderte ihn in eine Ecke.
Meister der Magie Gleichzeitig hielt er sie fest. Malvenias Augen sprühten vor Wut. »Warum läßt du mich nicht endlich in Ru he!« schrie sie ihn an. »Ich sagte dir bereits, daß ich dich behal ten will«, sagte er scheinbar gelassen. »Du wolltest die magische Statue zertrümmern und in dem einstürzenden Original den Tod finden, nicht wahr?« Sie gab ihren Widerstand auf. »Ja«, murmelte sie. »Und ich bitte dich, zu gehen. Alles wird gut werden. Wenn ich sterbe, brauchst du mich nicht bei den Her ren der FESTUNG zu verraten. Und die Sta tue wird niemand sehen, solange du nicht selbst die Sperre aufhebst, die den Nebel umhüllt.« Copasallior schüttelte verzweifelt den Kopf. »Das ist der größte Unsinn, den ich je ge hört habe«, seufzte er. »Damit hilfst du nie mandem. Wenn ich mich nach dem Gesetz richte, muß ich nicht nur dich, sondern auch die Statue melden. Dein Tod wäre also völ lig sinnlos.« Malvenia schwieg. Der Weltenmagier stellte fest, daß er in eine Sackgasse geraten war. Sie würde niemals nachgeben und das verflixte Ding da draußen zerstören. Sie war bereit, für ihr Kunstwerk zu sterben – selbst wenn sie es dadurch nicht retten konnte. Was sollte er nur tun? Wenn er sich gegen das Gesetz der FE STUNG stellte, mußte er selbst damit rech nen, daß die Herren ihn töten ließen. Und sie würden mit absoluter Sicherheit irgendwann dahinterkommen, daß er Malvenias Verbre chen nicht gemeldet hatte. Die Herren der FESTUNG erfuhren alles. Niemand war vor ihnen sicher. Plötzlich fiel ihm die Botschaft wieder ein, die sie ihm geschickt hatten. Vielleicht … »Paß auf, Malvenia!« sagte er entschlos sen. »Wir werden erst einmal gar nichts un ternehmen. Du weißt, was die Herren der FESTUNG von uns verlangen. Du kennst auch die Meinungen der anderen zu diesem
47 Thema. Es ist durchaus möglich, daß eine Entscheidung gegen die FESTUNG gefällt wird.« »Sie würden uns alle umbringen!« »Das glaube ich nicht. Sie brauchen uns. Wir sind ihre mächtigste Waffe. Aber war ten wir es ab. Auf jeden Fall werde ich eine Abstimmung anordnen. Bis das Ergebnis vorliegt, wird weder dir noch der Statue et was geschehen. Bist du damit einverstan den?« Sie nickte zögernd. »Dann komm. Ich nehme dich mit zum Crallion. Vielleicht haben die Burschen aus der Tronx-Kette inzwischen auch etwas über Glyndiszorn herausgefunden. Übrigens – ich habe mit Breckonzorpf gesprochen. Drei Technos sind in die SARKA eingedrungen und haben das Unwetter ausgelöst. Ich habe ihm eine Frist gesetzt. In spätestens vier Stunden wird hier wieder Ruhe herrschen.« »Davon haben meine Statuen dann aber nichts mehr«, murmelte Malvenia traurig.
8. Breckonzorpf war am Ende seiner Kräfte. Er hatte alles versucht, um den Sturm zu bannen und die SARKA zu retten. Nichts hatte geholfen. Dann kam Copasalliors Ruf, und der Wettermagier dachte zum erstenmal daran, was das Unwetter in den anderen ma gischen Bezirken anrichtete. Wo immer es Klimasperren gab, hatte Breckonzorpf sie errichtet. Dementsprechend war ein von ihm erzeugtes Unwetter auch imstande, jede Sperre zu durchbrechen. Er sah ein, daß Copasallior recht hatte. Da er nicht in die Gondel einzudringen ver mochte, mußte er dafür sorgen, daß die SARKA die Barriere verließ. Der Sturm, den sie selbst erzeugte, würde sie in die Hö he tragen, bis unter den Wölbmantel, und dort mochte sich das Unwetter austoben, so lange es wollte. Natürlich gab es keine Hoffnung, daß er die SARKA irgendwann zurückholen konn te. Das war schlimm für Breckonzorpf. Er
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Marianne Sydow
hatte zwar immer noch die Anlagen im Berg, aber er mochte nicht hier unten woh nen. Ein neues Luftschiff zu bauen, war ein Ding der Unmöglichkeit. Die Magier konn ten vieles, aber diese uralte Kunst war verlo rengegangen. Er nutzte die Frist, die Copasallior ihm gegeben hatte, um ein paar letzte Versuche zu unternehmen. Sie scheiterten kläglich. Der Sturm gehorchte ihm nicht mehr. Er ließ sich in keinen der vorhandenen Speicher zu rückholen. Sein magischer Speer hatte so viel Blitze eingefangen, daß sich die Energie kaum noch bändigen ließ. Und trotzdem fuhren sie immer noch unter ohrenbetäuben dem Krachen aus den Wolken herab. Traurig stieg Breckonzorpf in seinen Donnerwagen. Er stellte fest, daß er gar nicht mehr viel zu tun brauchte. Die meisten Trossen waren schon gerissen. Nur an vier Stellen war die SARKA noch mit dem Bo den verbunden. Er ließ die Blitze frei, und jedesmal ging ein Ruck durch das Luftschiff. Die straff ge spannten Trossen zerrissen mit lautem Knal len. Wie gigantische Peitschen zuckten sie bis zur Gondel hinauf. Als er die letzte Ver bindung zur SARKA zerstört hatte, hielt er den Donnerwagen an. Die SARKA stieg schnell. Gleichzeitig hoben sich die Wolken. Der Sturm wurde schwächer. Nach fünf Minuten drang bereits der erste Sonnenstrahl bis zum Hang des Karsion vor. Die letzten Regentropfen fielen, und der Sturm verwandelte sich in einen frischen Wind. Die SARKA war nicht mehr zu se hen.
* Die drei Gordys hatten inzwischen alle Stadien der Angst durchlebt. Das Unwetter war schlimm genug, und die Erkenntnis, daß sie nun auf keinen Fall mehr unbeobachtet das Luftschiff verlassen konnten, versetzte sie in Panik. Kurz nach Schoßtas Mißgeschick erschien
der Besitzer des Luftschiffs. Es war ein rie siger Bursche mit schwarzer Haut und lan gem, goldenem Haar. Er umkreiste die Gon del in einem Gefährt, das einem Zugor ähn lich sah, nur daß es viel kleiner war und wie ein Yassel mit Seilen gesteuert wurde. Der Magier wirkte furchteinflößend und brutal, und als er einen Speer mit gelber Spitze schwenkte, dachten die Technos bereits, ihre letzte Stunde wäre gekommen. Dann stellte sich heraus, daß der Magier – aus welchem Grund auch immer – die Gon del nicht erreichen konnte. Er versuchte es in regelmäßigen Abständen immer wieder. Allmählich wären die Gordys sogar bereit gewesen, die zweifellos gräßliche Strafe des Magiers in Kauf zu nehmen, wenn sie nur endlich wieder festen Boden unter die Füße bekamen. Hätten sie geahnt, daß ihre eige nen magischen Schirm jede Rettungsaktion vereitelten, so wäre alles anders gekommen. Aber anstatt die Schirme abzulegen, achte ten sie sorgfältig darauf, daß sie ja nicht aus Versehen abgeschaltet wurden, wie es schon einmal geschehen war. Sie dachten ja immer noch, sich dadurch vor Schlimmerem schüt zen zu können. Der schwarzhäutige Magier gab sich red liche Mühe, sein Luftschiff zurückzuer obern. Er schleuderte Blitze nach der Gon del. Sie wurden vor dem Ziel abgelenkt. Er schickte Hagelschauer und Schnee – es fiel alles auf ihn selbst zurück. Die Gordys lagen derweil zitternd auf dem schwankenden Bo den. Die ganze Nacht hindurch wagten sie nicht zu schlafen, aus Furcht, sie könnten den einzigen Augenblick verpassen, an dem eine Rettung möglich war. Schließlich wurde es wieder etwas heller vor den Fenstern. Schoßta wagte sich bis an die Wand. Bevor er erkennen konnte, was sich unten, am Berghang, tun mochte, ging ein Ruck durch die SARKA. Schoßta über schlug sich. Gleich darauf krachte etwas von unten gegen die Gondel. Es hörte sich an, als sollte das ganze Gebilde zerschmettert wer den. »Was war das?« fragte Doptor er
Meister der Magie schrocken. Falkanz antwortete nicht. Er dämmerte in halber Bewußtlosigkeit vor sich hin. Schoßta vermochte als einziger noch klar zu denken. »Eine Trosse ist gerissen«, antwortete er tonlos. »Sie ist zurückgeschnellt und von unten gegen die Gondel geprallt.« »Das ist das Ende«, jammerte Falkanz. »Warum haben wir uns bloß auf dieses Wahnsinnsunternehmen eingelassen?« Gleichzeitig riß die zweite Trosse, und Falkanz fiel in Ohnmacht. Die beiden ande ren Gordys waren froh darüber. Insgeheim wünschten sie sich, daß auch sie das Be wußtsein verloren. Dann hatten die Schrecken endlich ein Ende. »Wir werden also mit diesem Ding los fliegen, wie?« fragte Doptor und versuchte ein schiefes Grinsen. Es wurde nur eine Gri masse daraus. »Hast du eine Ahnung, wie man so etwas steuert?« »Nein. Wenigstens schützen uns die Schirme davor, daß Bewußtsein zu verlie ren, wenn wir über verbotenes Gelände ge raten.« »Ich bin mir nicht sicher, daß das ein ech ter Vorteil ist«, murmelte Doptor und warf Falkanz einen bezeichnenden Blick zu. »Wir sollten uns auf eine harte Landung vorberei ten.« »Noch sind wir nicht in der Luft. Soweit ich vorher gesehen habe, gibt es eine ganze Menge Trossen. Sie können nicht alle rei ßen.« »Und wenn jemand nachhilft?« Darauf wußte auch Schoßta keine Ant wort. Sicher war das Luftschiff wertvoll für den unbekannten Magier. Aber was wußten sie schon über die Bewohner der großen Barriere? Sie hatten außer der SARKA noch mehrere solcher fliegenden Behausungen gesehen. Vielleicht war es kein Problem, einen Ersatz herbeizuschaffen. »Er wird nicht darauf verzichten, uns per sönlich zu bestrafen«, meinte Schoßta schließlich. Er irrte sich. Nach seiner Schätzung war es Mittag, als kurz hintereinander vier Tros
49 sen rissen. Das mochte ein Zufall sein, aber daran glaubte Schoßta nicht. Er hätte gerne aus einem der Fenster gesehen, aber die Gondel schwankte so stark, daß er Mühe hatte, wenigstens an einem Fleck liegenzu bleiben. Nun flogen sie also. Es war nicht so, wie sie es von den Zugors her kannten. Es schien für das Luftschiff kein bestimmtes Ziel zu geben. Es taumelte durch die Luft, neigte sich in gefährlichen Winkeln und richtete sich doch wieder auf, und die ganze Zeit hindurch stieg es, bis es unter dem Wölb mantel angekommen war. Um sie herum blieb alles beim alten. Die dunklen Sturm wolken quirlten durcheinander, die Blitze zuckten auf, und Regentropfen und Hagel körner prasselten gegen die Fenster. Allmählich stabilisierte sich der Flug. Der Boden, auf dem sie lagen, kam zur Ruhe. Es wurde Abend. Schoßta und Doptor durch wühlten ihre Vorratstaschen. Sie hatten noch etwas Wasser und ein paar getrocknete Früchte. Da niemand wußte, wie lange die ser Flug dauern sollte, gingen sie äußerst sparsam damit um. Falkanz erwachte zwar, aber er nahm nichts zu sich. Nach einer Nacht voller Alpträume wur den sie am Morgen angenehm überrascht: Die Wolken waren längst nicht mehr so dicht, und einige Sonnenstrahlen fanden den Weg in die Gondel. Schoßta saß die meiste Zeit am Fenster und starrte in die Tiefe. Am selben Abend, kurz vor Einbruch der Dun kelheit, sah er eine Stadt. Im Westen ragte eine helle, strahlende Wand in den Himmel hinauf. »Wir sind über Donkmoon«, sagte er lei se. Die SARKA trieb weiter, nach Nordwe sten, und niemand wußte, wo dieser irrsinni ge Flug enden sollte.
* Malvenia konnte Saisja nicht ausstehen. Dennoch konnte Copasallior sie dazu über reden, auf das eiserne Yassel zu steigen. Sie sah schließlich ein, daß die Vorteile in die
50 sem Fall überwogen. Saisja ließ sich auch vom wildesten Sturm nicht aus der Ruhe bringen, während ein echtes Yassel ziemlich leicht die Nerven verlor. Zweitens war es einfach zweckmäßig, den Weg zum Crallion so schnell wie möglich zu überwinden. Breckonzorpf hielt sich an die Bedingun gen, wie Copasallior gegen Mittag zufrieden feststellte. Der Sturm ging ebenso schnell, wie er gekommen war. Als die ersten Son nenstrahlen durchbrachen, fühlte sich Copa sallior bereits um vieles besser. Seine Laune sank erneut, als er die Serpentinenstraße er reichte. Es würde viel Arbeit kosten, die Schäden zu beseitigen. Und dann die Bäu me! Ihm fiel ein, daß Koratzo vielleicht schon auf ihn wartete. Er würde ihm einen Auftrag für Antharia, die Pflanzenmagierin, mitge ben. Für sie war es ein Kinderspiel, neue Wälder entstehen zu lassen. Für den Wildbe stand waren die Aussichten weniger hoff nungsvoll. Copasallior sah mehrere Tiere, die von entwurzelten Bäumen und herab stürzenden Steinen getroffen worden waren. Weiter oben lag ein Seelenloser regungslos neben der Straße. Verdammter Breckonzorpf, dachte er grimmig. Endlich sah er das Ende der Straße vor sich. Verblüfft betrachtete er das Ding, das dort oben hockte. Dann entdeckte er Korat zo, der ihm langsam entgegenkam. Es gab ihm einen Stich. Er hatte den Stimmenmagier lange nicht gesehen, aber Koratzo hatte sich – da er relativ unsterblich war – nicht verändert. Copasallior erinnerte sich der Zeit, in der er für diesen jungen Mann Pläne geschmiedet hatte. Das war lan ge her. Trotzdem mußte er sich beherrschen, um nicht einfach von Saisjas Rücken zu springen und Koratzo in seine sechs Arme zu schließen. Statt dessen versteckte er seine Gefühle hinter einer wütenden Gebärde. »Was soll das Monstrum da oben?« fragte er ärgerlich. »Es verschandelt den ganzen Berg!« »Das ist der Heraskawanu«, antwortete
Marianne Sydow Koratzo höflich und half Malvenia von dem metallenen Rücken herunter. »Ein Fahrzeug, das als Waffe zu uns geschickt wurde, erin nerst du dich nicht mehr daran?« »Doch. Es ist typisch für euch aus der Tronx-Kette, daß ihr diesem AntimagieDing euer Leben anvertraut, statt die guten alten Mittel der Magie zu benutzen.« »Sie hätten uns diesmal nicht ans Ziel ge bracht, Weltenmagier«, behauptete Koratzo ernst. »Warst du bei Glyndiszorn?« Koratzo berichtete. Malvenia, die sehr elend aussah, ging voraus und verschwand in den Höhlen. Koratzos Gefährten warteten, wie es der Sitte entsprach, und grüßten den Weltenmagier. Copasallior entließ sie mit ei ner knappen Handbewegung. Schließlich war er mit Koratzo alleine auf dem Plateau. Er hörte nicht besonders aufmerksam zu, ob wohl es natürlich interessant war, daß Glyn diszorn sich in einem großen Knoten allem Anschein nach gefangen hatte. Damit fiel der Knotenmagier wenigstens für die nahe Zukunft als Konkurrent um die Macht in der Barriere aus. Copasallior wartete ungeduldig auf eine Gelegenheit, mit Koratzo über ein ganz an deres Problem sprechen zu können. Und er zerbrach sich gleichzeitig den Kopf darüber, wieviel er sagen konnte, ohne den Stimmen magier auf die richtige Fährte zu locken. Ihm lag viel daran, Koratzos Meinung ken nenzulernen. »Glyndiszorn fällt also für die nächste Zeit aus«, stellte Copasallior schließlich fest. »Das ist schade. Ich hatte die Absicht, bei der nächsten Versammlung der Mächtigsten eine sehr wichtige Frage zu diskutieren, die uns alle angeht.« Koratzo ging leider nicht darauf ein. Er wartete einfach ab. Copasallior seufzte. »Da es auch die Magier der Tronx-Kette angeht«, fuhr er fort, »will ich auch deine Meinung anhören. Du kennst das Gesetz der FESTUNG. Es ist verboten, die Herren in ir gendeiner Form darzustellen oder zu schil dern. Ich frage mich, ob eine solche Ein
Meister der Magie schränkung sich mit der Freiheit der Magie vereinbaren läßt.« Nun war es heraus. Er wartete gespannt auf Koratzos Antwort. Der Stimmenmagier dachte sorgfältig nach. »Du weißt, daß ich seit jeher für die totale Freiheit der Magie eintrete«, sagte er dann. »Diese totale Freiheit erreichen wir nur dann, wenn wir uns keinem Einfluß von au ßen unterwerfen. Weder die Wertvorstellun gen der Herren der FESTUNG noch irgend welche Verbote sollten uns beeinflussen. So gesehen, halte ich das Gesetz für schädlich.« »Nun, es ist natürlich eine rein theoreti sche Erwägung«, meinte Copasallior hastig. »Trotzdem frage ich dich: Wie sollen wir Magier uns verhalten, wenn einer von uns das Gesetz bricht?« Koratzo wurde hellhörig. Er kannte Copa sallior als den starrsinnigen Herrscher über den Crallion. Der Weltenmagier hielt nicht viel von Diskussionen. Wenn er Breckon zorpf und die anderen zu einer Beratung zu sammenrief, dann war das nur ein Zuge ständnis an das Bedürfnis aller Magier, in ihrer Macht und der Wichtigkeit ihrer Magie bestätigt zu werden. Koratzo erinnerte sich daran, daß es früher anders gewesen war. Er überdachte das ungewohnte Verhalten des Magiers und fügte Malvenias Niederge schlagenheit hinzu. Es war nicht schwer, die Zusammenhänge zu durchschauen. »Es geht um Malvenia«, sagte er dem Weltenmagier auf den Kopf zu. »Sie hat das Gesetz gebrochen. Und du überlegst noch, wie du deinen Kopf aus der Schlinge ziehen kannst!« Copasallior wich einen Schritt zurück und starrte den Stimmenmagier entsetzt an. Das hatte er nicht gewollt. Ihm wurde bewußt, daß Koratzo von nun an ebenfalls in Lebens gefahr schwebte. Koratzo lächelte bitter. Der Weltenmagier befand sich in genau der Situation, die Ko ratzo sich gewünscht hatte – nicht für Copa sallior allein, sondern für alle Magier von Oth. Einmal vor die unerbittliche Wahl ge stellt, den Herren der FESTUNG zu dienen
51 oder frei über das eigene Leben entscheiden zu können, würde niemand mehr an die ural ten Gesetze denken. »An deiner Stelle«, murmelte er, »würde ich keinen Finger rühren. Niemand wird dich oder Malvenia verraten. Außerdem gibt es genug Mittel und Wege, die Sache zu ver schleiern. Die Herren der FESTUNG haben andere Sorgen. Möglicherweise werden wir uns nicht mehr lange nach ihnen zu richten brauchen.« »Woher weißt du das?« fragte Copasallior erstaunt, dann fiel ihm Opkul ein. Er hatte vergessen, daß die Leute aus der Tronx-Ket te engen Kontakt zueinander pflegten und sogar zusammenarbeiteten. »Sie haben uns aufgefordert, uns auf die bevorstehende Auseinandersetzung vorzubereiten. Darum habe ich dich zu Glyndiszorn geschickt. Oh ne ihn wollten wir keine Entscheidung fäl len.« »Was gibt es da zu beraten?« fragte Ko ratzo spöttisch. »Die Herren befehlen – und die freien Magier von Oth haben gefälligst zu gehorchen. Ist es nicht so?« Copasallior blickte niedergeschlagen zu Boden. Da war er wieder, der tiefe Abgrund, der ihn und den Stimmenmagier trennte. Ih re Meinungen gingen weit auseinander. Sie konnten sich nicht ändern. Auf seine Weise war Koratzo genauso stur wie der Welten magier. »Es gibt Zweifel daran, ob die Herren uns wirklich brauchen«, erklärte er entschuldi gend. »Wahrscheinlich überschätzt man in der FESTUNG die Macht der Odinssöhne. Wir wollen unsere Waffen nicht an einen Gegner verschwenden, der ohnehin auf ver lorenem Posten steht.« Koratzo schwieg. Er dachte an die seltsa men Fremden. Sie irrten jetzt irgendwo in der dunklen Region umher, falls sie nicht bereits umgekommen waren. Er hatte das dumpfe Gefühl, als müsse er mit diesen Leu ten rechnen. Sie würden noch für einige Aufregung sorgen. Die FESTUNG war in Gefahr – das allein erschien ihm so ungeheuerlich, daß er es im
52 mer noch nicht recht zu glauben vermochte. Wenn die Herren den Kampf verloren … Er mußte es schaffen. Die Magier durften an dieser Auseinandersetzung nicht teilneh men. Sie mußten neutral bleiben. Später konnten sie entscheiden, ob sie guten Ge wissens für die neuen Herrscher von Pthor arbeiten konnten. Aber die Magier würden sich weigern, ein solches Risiko einzugehen. In der FESTUNG gab es Waffen, die selbst den wirksamsten Schirm durchbrachen. So bald die Herren merkten, daß die Unterstüt zung aus der großen Barriere von Oth dies mal ausblieb, war niemand in den Bergen mehr seines Lebens sicher. Die Herren der FESTUNG würden dafür sorgen, daß die ganze Barriere zerstört wurde. Und wenn es der letzte Befehl war, den sie zu geben ver mochten – sie duldeten keinen Ungehorsam. Koratzo konnte die Magier nur dann für seinen Plan gewinnen, wenn er ihnen abso lute Sicherheit zu bieten vermochte. Er dachte an die fremde Welt, auf der Pthor sich gerade befand. Aber das war keine Lö sung. Erstens begann hinter dem Rand ein weites Meer, zweitens hatten die Planeten bewohner antimagische Barrieren errichtet, und drittens würde kein Magier sich dazu bereit erklären, die Barriere zu verlassen. Sie waren zu sehr mit diesen Bergen verwach sen. Sehnsüchtig dachte Koratzo an den Schirm, unter dem die FESTUNG verborgen lag. Wenn die Magier sich früher darüber Gedanken gemacht hätten, könnte man viel leicht auch die Barriere hermetisch von der Außenwelt abschließen. Und plötzlich wußte Koratzo, was er zu tun hatte. »Der große Knoten«, sagte er andächtig. »Was ist los?« fragte Copasallior verwirrt. Koratzo sah ihn an und lächelte breit. »Wir werden den Herren der FESTUNG eine unangenehme Überraschung bereiten«, verkündete er. »Wir werden Glyndiszorn bitten, den großen Knoten zu erweitern. Die Barriere von Oth wird für niemanden in Pthor zu erreichen sein. Damit sind wir in
Marianne Sydow Sicherheit. Du brauchst Malvenias Vergehen nicht mehr zu melden, und wir können unse re Waffen ruhen lassen.« Der Weltenmagier bewegte unruhig seine sechs Hände. »Das klingt verlockend«, gab er zu. »Meinst du, daß das wirklich geht? Reicht Glyndiszorns Magie dazu aus?« »Ganz sicher. Er hat Schwierigkeiten, den Knoten auf die ORSAPAYA zu konzentrie ren. Eine Ausweitung wäre eine Erleichte rung für ihn.« »Und wenn die FESTUNG nicht fällt? Ir gendwann wird der Knoten sich auflösen, und wir fallen in diese Welt zurück. Die Ra che der Herren wäre fürchterlich.« Koratzo bewies, daß er durchaus nicht nur idealistisch zu denken vermochte. »Wir behaupten ganz einfach, einem Ver sehen zufolge aus dieser Welt verschwunden zu sein«, schlug er vor. »Ein fehlgeschlage nes Experiment, der Versuch, eine Waffe einzusetzen, die speziell für die Herren der FESTUNG konstruiert wurde – das werden sie bestimmt gerne glauben.« Copasallior zögerte immer noch. Dann dachte er an Malvenia und das verhängnis volle Ding, das sie im Eistal geschaffen hat te. Er gab sich einen Ruck. »Also gut«, sagte er entschlossen. »Du hast mich überzeugt. Aber du weißt, daß ich eine so weitreichende Entscheidung nicht al leine treffen kann. Alle Magier von Oth sol len Gelegenheit erhalten, ihre Meinung zu äußern. Ich danke dir, Koratzo. Du bist mein Gast. Bleibe samt deinen Freunden und dem gräßlichen Antimagiegebilde hier, solange du willst. Ich gehe und schicke die Boten aus. Im Tal der Schneeblume werden wir darüber entscheiden, wohin die Magier ge hen sollen.« Koratzo blieb wie betäubt zurück. Er hatte sich diesen Erfolg gewünscht – jetzt war er überrascht, wie leicht zumindest Copasallior zu überzeugen gewesen war. Er fieberte dem großen Tag entgegen. Zum zweitenmal im Verlauf ihrer langen Geschichte würden sich alle Magier im Tal der Schneeblume ver
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sammeln. Damals, vor sehr langer Zeit, hatte man den Bund mit der FESTUNG geschlos sen. Würden die Magier diesen Bund jetzt endlich wieder aufheben? ENDE
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