Matthias Ludwig Mathematik + Sport
Matthias Ludwig
Mathematik+ Sport Olympische Disziplinen im mathematischen Blick POPULÄR
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Prof. Dr. Matthias Ludwig PH Weingarten Fachbereich Mathematik Kirchplatz 2 88250 Weingarten
[email protected] 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg+Teubner | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Ulrike Schmickler-Hirzebruch | Susanne Jahnel Vieweg+Teubner ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Illustration Umschlag: Anne Rapp, München Satz: FROMM MediaDesign, Selters/Ts. Druck und buchbinderische Verarbeitung: MercedesDruck, Berlin Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN 978-3-8348-0477-8
Für Toni, die Künstlerin, und Moritz, den Fußballprofi
Vorwort
Im Jahr der Mathematik, der UEFA Euro 2008™ und der Olympischen Spiele ein Buch mit dem Titel „Mathematik und Sport“ erscheinen zu lassen, ist fast eine Pflicht. Aber ein Buch über dieses Thema zu schreiben, ist auch ein sehr umfangreiches Unternehmen, und da es in fast jeder Sportart Mathematik bzw. etwas Mathematisches zu entdecken gibt, ist es kaum möglich, alle Sportarten in einem mathematischen Buch unterzubringen. Es wurde hier der Fokus auf einige olympische Sportarten und Sportanlagen gelegt. Und selbst da bleibt so viel an Recherche zu tun, dass dies einer allein kaum schaffen kann. Ständig ändern sich die Rekorde und Leistungen der Sportler. Während ich dieses Vorwort schreibe, hat sich der Weltrekord für den 100-m-Lauf aus dem Jahr 2007 von 9,74 Sekunden (Asafa Powell) auf 9,72 Sekunden (Usain Bolt) verbessert. Diese neueste Entwicklung konnte nicht mehr in das Kapitel der Laufrekorde eingebaut werden (irgendwann muss das Buch auch einmal gedruckt werden), aber dieser Rekord bestätigt die Vorhersage, welche dort getroffen wird. Viele Personen haben im Hintergrund agiert, um Mathematik und Sport zu verbinden. Ich möchte auf diesem Wege einigen Personen danken, welche an der Erstellung dieses Buches mitgewirkt haben: Zunächst möchte ich zwei Personen erwähnen, die mir inhaltliche Ideen und Hilfen haben zukommen lassen. Hier ist zum einen Hans-Georg Weigand zu nennen, dem ich die Idee der Basketball-Mathematik zu verdanken habe, und Sascha Steiner, der mich auf die Besonderheiten der Mehrkampfformeln aufmerksam gemacht hat. Für die Beschaffung von Rekorddaten sei Marco Wottge und meinem Mitarbeiter Markus Mann gedankt. Herrn Steinwandel danke ich für die konstruktive und kritische inhaltliche Durchsicht der Beiträge sowie Frau Agel und Frau Jahnel für die sehr engagierte Unterstützung beim Lektorieren. Besonderer Dank sei an Frau Schmickler-Hirzebruch gerichtet, die mit besonderem Geschick in allen Fragen der Buchherstellung dazu beigetragen hat, dass das Buch so pünktlich erscheinen konnte.
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Vorwort
Besonders möchte ich mich auch für die schnelle und unkomplizierte Zusammenarbeit mit der FIFA™ bei Kapitel 10 bedanken. Dank sei auch an Holger Geschwindner gerichtet, der mir für das Basketball-Kapitel (Kapitel 6) wichtige Informationen gab. Ganz besonderer Dank gilt meiner Frau und meinen beiden Kindern, welche auf viel gemeinsame Zeit mit mir verzichten mussten. Ich verspreche: Wir holen das alles nach. Nach den Olympischen Spielen.
Matthias Ludwig Würzburg, im Juni 2008
Inhalt Vorwort ________________________________________________ VII Einleitung ______________________________________________
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Mathematik der Mehrkampfformeln 7 | Die Anfänge 7 – Das Ulbrich-Prinzip 11 – Die aktuellen Tabellen 15 Mathematik des Elfmeters 19 | Die Verwandlungshäufigkeit 20 – Der Flächenansatz 21 Vergleich mit der Realität 23 – Der Torwart hat eigentlich keine Chance 24
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Mathematik der Feldspieler 27 | Der Flächenansatz 28 – Der mittlere Abstand 30 – Frauenfußball 33
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Mathematik der Laufrekorde 35 | Die 100-m- Weltrekorde 35 – Andere Laufdisziplinen 43 – Kritische Betrachtung 44
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Mathematik des Kugelstoßens 47 | Der Abwurfwinkel I 48 – Die Abwurfhöhe 52 – Der Abwurfwinkel II 54 – Die Messtechnik 58
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Mathematik des Freiwurfs 63 | Der Freiwurf 63 – Der Abwurfwinkel 68 – Die Abwurfgeschwindigkeit 70 – Die Optimierung 74
7
Mathematik und der weiße Sport 77 | Die Mathematik der Schlägerbespannung 77 – Die Mathematik des Tennisplatzes 82
1
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Inhalt
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Mathematik der Spielfelder 85 | Die Spielfeldmaße und Spielfeldlinien 85 – Kanten und Knoten 88 – Das Briefträgerproblem 91
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Mathematik des Baseballfeldes 97 | Die Anordnung der Bases 98 – Der BaseballfeldAlgorithmus 100
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Mathematik der Bälle 101 | Beliebte Spielgeräte 101 – Die Spielbälle 102 – Die Ballsymmetrien 104 – Die Baseballsymmetrie 104 – Die „Volleyballsymmetrie“ 108 – Die klassische Fußballsymmetrie 112 – Die Würfelsymmetrie 117 – Zusammenfassung 120
11
Mathematik der 400-m-Bahn 123 | Das antike Stadion 123 – Die genormte 400-m-Bahn 126 – Startlinie der Mittel- und Langstreckenläufe 129
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Mathematik am Rad 133 | Rahmengeometrie 133 – Übersetzungsarithmetik 135 – Der Umwerfer und das Schaltwerk 137
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Mathematik des Olympiastadions 141 | Ellipsen im Stadion 142 – Die Ellipse als Enveloppe 144 – Von der Ellipse zum Stadion 146 – Software 149
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Mathematisches Modellieren 151 | Der Modellierungskreislauf 152
Literatur- und Linkverzeichnis _______________________________ 158 Bildnachweis ____________________________________________ 160 Sachwortverzeichnis ______________________________________ 161 Der EUROPASS 2008 _____________________________________ 164
Einleitung
Die Idee, Mathematik, welche sich hinter oder in Alltagssituationen verbirgt, besonders zu betrachten, ist nicht neu. Man betrachte die Werke zur Geometrie von Georg Glaeser („Geometrie und ihre Anwendungen“) oder das Buch „Alles Mathematik“ von Martin Aigner und Ehrhard Behrends sowie die Bücher von Albrecht Beutelspacher (z. B. „Kryptologie“ oder „Pasta all’infinito“), um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Nur wenige der bisherigen Werke widmeten sich ausgiebig der Mathematik im Sport bzw. der Mathematik hinter den Sportarten. Natürlich gibt es das Buch von Sadovskij und Sadovskij, welches fast den gleichen Titel trägt wie dieses Werk und unter anderem die Entwicklung von Rekorden im Sport untersucht. Und es gibt das wunderschöne Buch von John Wesson „Fußball-Wissenschaft mit Kick“, in dem er sich der mathematisch-physikalischen Seite des Fußballs nähert. Das Buch ist wirklich zu empfehlen, aber John Wesson, er ist Engländer, beschränkt sich eben nun mal auf Fußball. Die Austragung der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ im Jahr 2006 in Deutschland brachte auch noch andere wissenschaftliche Fußballwerke an den Tag, nicht zu vergessen z. B. das Buch von HansGeorg Weigand „Fußball eine Wissenschaft für sich“. Wir wollen auch nicht verschweigen, dass Fußball die populärste Sportart in Deutschland, auch in Europa, wenn nicht sogar weltweit ist, und immer wieder gibt es mathematische Abhandlungen über diese Sportart. Aber letztendlich betreiben die meisten Menschen eben nicht Fußball, sondern andere Sportarten. Nur so zum Vergleich: Beim Deutschen Fußball Bund sind mehr als sechs Millionen Menschen aktiv, im Deutschen Sport sind es dagegen mehr als 26 Millionen. Und so ist es nur natürlich, dass es ein sportliches Ereignis gibt, welches noch mehr Menschen und Athleten anzieht: die Olympischen Spiele. In diesem Buch soll der Versuch gemacht werden, viele der olympischen Sportarten aus dem Blickwinkel der Mathematik und manchmal der Physik zu betrachten. Wir werden klären, warum die Zehnkämpfer Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts heilfroh darüber waren, dass es Mathematiker gab, welche ihnen eine Punktetabelle für einen fairen Wettkampf schenkten. Wir wollen uns mit den Spielfeldern von Freiluftsportarten beschäftigen und klären, was die Idee der Symmetrie mit Fairness zu tun hat. Natürlich kommen wir an „König“ Fußball nicht vorbei, denn Fußball ist auch eine olympische Dis-
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Einleitung
ziplin. Wir werden hier versuchen, die Verwandlungshäufigkeit beim Elfmeterschießen zu modellieren, oder versuchen zu klären, warum zehn Feldspieler eigentlich ideal sind. Mit einem mathematischen Augenzwinkern wollen wir ermitteln, in welchem olympischen Jahr Frauen schneller laufen werden als Männer und ob sie das beim Marathon früher schaffen als beim 100-m-Lauf. Kugelstoßen als technische Disziplin in der Leichtathletik ist für mathematische Betrachtungen besonders interessant. Hier können wir z. B. klären, wie wir bei gegebenen Bedingungen (Athletengröße und Abwurfgeschwindigkeit) die Wurfweite optimieren können. Dass bei der Erstellung einer für alle Starter fairen 400-m-Bahn Mathematik eine Rolle spielt, liegt fast auf der Hand: Wie will man sonst die Kurvenvorgaben in den einzelnen Bahnen bestimmen? Beim Tennis, dem weißen Sport, klären wir, wie man die Länge der Saiten aus der Schlägergeometrie ableiten kann und was eigentlich noch spannender ist: Wie kann man nach einem Tennismatch, wenn man müde und abgekämpft ist, möglichst zeitsparend die Linien kehren? Eine weitere mathematische Optimierungsfrage steckt hinter dem idealen Freiwurf beim Basketball. Abb. 1 Dieser Graph könnte Dirk Nowitzki vielleicht helfen, Freiwürfe noch sicherer zu verwandeln. Ein Ball, der in einer Höhe von 2,35 m so abgeworfen wird, dass seine „Koordinaten“ Abwurfwinkel und Abwurfgeschwindigkeit auf dem roten Graph liegen, wird durch die Mitte des Korbs fliegen.
Es ist zwar kaum möglich, aber können wir dem ehemaligen Würzburger Dirk Nowitzki helfen, es noch besser zu machen?
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Mathematisches Hintergrundwissen
Baseball ist nur für einige Jahre olympische Disziplin und nicht nur deswegen auch mathematisch interessant. Blickt man ins Regelwerk, so findet man nämlich in den Richtlinien zum Bau eines Baseballspielfeldes mathematische Bezüge. Auch der Radsport bietet so einiges an Mathematik, vor allem das Sportgerät selbst, durch seine Rahmengeometrie und die Übersetzungen bei der Kettenschaltung. Schließlich befassen wir uns noch mit dem liebsten und idealsten aller Spielgeräte, dem Ball. Hier bietet nicht nur der Fußball einige besondere Symmetrien, sondern auch die Bälle anderer Sportarten wie Baseball, Tennis und Basketball zeigen ungeahnte Ähnlichkeiten. Am Schluss wollen wir versuchen, uns durch die Geometrie des Pekinger Olympiastadions zu arbeiten. Siehe folgende Abbildung 2. Abb. 2 Die Modellierung des Nationalstadions in Peking
Das Buch richtet sich hauptsächlich an Studierende des Lehramts Mathematik und Lehrende der Mathematik in allen Schularten und Stufen. Ein Kapitel zum mathematischen Modellieren als Unterrichtsmethode soll diesem Umstand Rechnung tragen. Aber auch Personen, welche einfach Freude am Umgang mit Mathematik haben, werden in diesem Buch einen neuen, ungewöhnlichen Zugang zu ihr finden.
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Einleitung
Mathematisches Hintergrundwissen Für die Leserin und den Leser ist es sicher interessant zu wissen, auf welches mathematische Niveau sie oder er sich hier einlässt. Um es kurz zu machen: Es wird nur manchmal kompliziert. Es wird versucht, dem Leser durch relativ kurze, in sich geschlossene Kapitel die Möglichkeit zu geben, sich punktuell mit dem Buch zu beschäftigen. Die Kapitel bauen nicht aufeinander auf, sondern sind praktisch unabhängig von einander gehalten, nur manchmal wird auf ein anderes Kapitel verwiesen um Doppelungen zu vermeiden. Tab. 1 Die Sportarten bzw. Disziplinen und die dazu passende Mathematik
Sportart/ Disziplin
Mathematik
Klassenstufen
400-m-Bahn
Kreisrechnung, lineare Gleichung, Evolvente
6,8,11
Bälle
Platonische und archimedische Körper, Symmetrien (Symmetriegruppen)
alle
Baseball
Satz des Pythagoras, Kongruenzsätze
7, 8,9
Basketball
Wurfparabel, Scharfunktionen, Extremwertbestimmung, Bewegungsgleichungen
9,11
Fußball
Wahrscheinlichkeitsrechnung, Flächenberechnung, ebene Geometrie
6, 8
Kugelstoßen
Quadratische Funktion, Nullstellenbestimmung, Differentialrechnung, Trigonometrie, Bewegungsgleichungen
11,12
Olympiastadion
Analytische Geometrie, Kegelschnitte
11,12
Radfahren
Bruchrechnung, Dreiecksgeometrie
5, 6
Tennis
Kreisrechnung, Termaufstellung
6,9
Spielfelder
Graphentheorie, Symmetrie
alle
Weltrekorde
Ausgleichsgerade, Lineare Gleichungssysteme, Exponentialfunktion
9, 10, 11
Zehnkampf
Aufstellen von linearen Funktionen, Potenzfunktionen
8, 10, 11
Mathematisches Hintergrundwissen
Die benötigte Mathematik kann oft nur, und auch das nicht immer, in den Grundzügen dargestellt werden, nur bei Besonderheiten gehen wir darauf ein. Für fast alle Kapitel reichen aber Kenntnisse der Mittelstufengeometrie und das Wissen um das Lösen von Gleichungen sowie Gleichungssystemen. Auch benötigen wir ab und zu etwas Trigonometrie, analytische Geometrie sowie Differentialrechnung. Vereinzelt wird auf Mathematik zurückgegriffen, welche (noch) nicht in der Schule gelehrt wird oder wurde, wie z. B. die Graphentheorie. In diesen Fällen werden die Grundzüge dargelegt, welche für den Leser (hoffentlich) leicht nachvollziehbar sind. Am Ende eines jeden Kapitels findet sich eine Zusammenstellung der benötigten mathematischen Inhalte. Ich hoffe, mit diesem Buch dazu beizutragen, dass Mathematik nicht immer nur in der Schule durch den Unterricht wahrgenommen wird, sondern auch im täglichen Leben. Denn: Mathematik findet im täglichen Leben statt. Mathematik prägt unser Leben, oft ohne, dass wir es wissen. Es ist das Verdienst vieler Kolleginnen und Kollegen, vor allem der Mitglieder der Istron-Gruppe, welche schon lange Jahre in diesem Bereich gearbeitet haben und eine Menge Beispiele für mehr Realitätsbezug im Mathematikunterricht entwickelt haben. Ich versuche nun, dieses Spektrum durch den Lebensbereich Sport zu erweitern. Und es ist natürlich so wie immer: Je mehr man über eine Sache (hier: Mathematik und Sport) weiß, desto vertrauter wirkt sie, desto eher erkennt man sie in anderen Situationen wieder und desto stärker kann man darauf bauen. Ich höre jetzt hier auf und wünsche Ihnen viel Freude und Spaß an „olympischer Mathematik“.
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1 Mathematik der Mehrkampfformeln Lassen Sie uns gleich im ersten Kapitel mit den spannendsten Wettkämpfen in der Leichtathletik beginnen, den Mehrkämpfen. Hier kämpfen die Könige und Königinnen unter den Athleten und Athletinnen darum, wem die Krone in der Leichtathletik wirklich zusteht. Bei den Frauen handelt es sich beim Mehrkampf um einen Siebenkampf, bei den Männern um einen Zehnkampf. Die Disziplinen sind bei beiden über zwei Tage verteilt. Bei den Frauen stehen am ersten Tag 100-m-Hürden, Hochsprung, Kugelstoßen und ein 200-m-Lauf auf dem Programm, am zweiten Tag müssen der Weitsprung, der Speerwurf und der 800-mLauf hinter sich gebracht werden. Die Internationale Leichtathletik Vereinigung IAAF denkt aber schon darüber nach, auch für die Frauen den Zehnkampf mit den gleichen Disziplinen wie bei den Herren einzuführen. Die Männer müssen am ersten Tag den 100-m-Lauf, den Weitsprung, das Kugelstoßen, den Hochsprung und den 400-m-Lauf absolvieren. Am zweiten Tag stehen dann der 110-m-Hürdenlauf, der Diskuswurf, der Stabhochsprung, der Speerwurf und der abschließende 1500-m-Lauf auf dem Programm. Es stellt sich nun die Frage, wie man aus den Ergebnissen der sieben bzw. zehn Disziplinen den wahren Gewinner des Wettkampfes ermittelt. Die Geschichte der Entwicklung dieser Mehrkampfrichtlinien (bzw. Punktetabellen) ist sehr interessant und voller spannender Mathematik. Es sollen kurz, ohne dabei den exakten geschichtlichen Ablauf wiederzugeben, die mathematischen Grundprinzipien dieser verschiedenen Punktetabellen dargelegt werden.
Die Anfänge Eine Möglichkeit, den Sieger des Mehrkampfes zu ermitteln, wäre z. B., dass jeder Athlet bezogen auf die Platzierungen bei den Einzeldisziplinen eine entsprechende Punktzahl bekommt (so wurde das auch bei den ersten Mehrkämpfen um 1880 gemacht). Also, der 1. Platz beim 100-mLauf bedeutet einen Punkt, ein 2. Platz zwei Punkte usw. Das würde
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Mathematik der Mehrkampfformeln
bedeuten, dass am Ende des Wettbewerbs der Athlet mit der geringsten Punktzahl gewonnen hätte. Man hätte auch ein Punktesystem nach dem Modus Formel 1 einführen können. So eine Punktevergabe nach Platzierung wird aber schon lange nicht mehr gemacht, unter anderem weil damit eines der wichtigsten Elemente bei der Leichtathletik wegfallen würde: die Vergleichbarkeit von Leistungen über verschiedene Wettbewerbe und Landesgrenzen hinweg. Denn ein Sieger bei den bayerischen Zehnkampfmeisterschaften könnte die gleiche Punktzahl erwerben wie der Olympiasieger von Peking. Aber d. h. natürlich noch lange nicht, dass die beiden gleich gut sind. Auch konnte man bei diesem historischen Punktesystem eine schwache Leistung nicht durch eine besonders gute Leistung ausgleichen. Denn wenn man in einer Disziplin Erster wird, bekommt man, egal wie viel Vorsprung man hatte, immer die gleiche Punktzahl. Natürlich bekommt man auch immer die gleiche Punktzahl, wenn man Letzter wird, egal wie schlecht man ist. Es muss also ein System her, welches die Leistungen der einzelnen Disziplinen in Punkte umrechnet. Aber wie soll man bei solch verschiedenen Disziplinen mit den verschiedensten Ergebnissen (z. B. der Minutenbereich beim 1500-m-Lauf und dem Meterbereich beim Weitsprung) zu einer Lösung kommen? Die durchschlagende Idee ist die Normierung. (Eine sehr tragfähige mathematische Idee, die unter anderem sehr verwandt ist mit der Prozentrechnung.) Man normiert, d. h., man setzt jeweils eine bestimmte Leistung in den verschiedenen Disziplinen mit z. B. 1000 Punkten an. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie man für abweichende Leistungen Punkte vergibt. Das einfachste Vergabesystem wäre die Anwendung eines linearen Verfahrens. Man benötigt zwei Leistungen, denen man bestimmte Punktezahlen zuordnet. Als erstes Wertepaar nimmt man z. B. den derzeit gültigen olympischen Rekord oder den nationalen Rekord in dieser Disziplin und ordnet ihm 1000 Punkten zu. Das zweite Wertepaar ergibt sich aus der Leistung, welche keine Punkte mehr erbringen soll. Bei den Laufdisziplinen wären das z. B. die Zeit, welche man bräuchte, um die Strecke bequem abzulaufen. Bei den Wurf- und Sprungdisziplinen wäre die Null-Punkte-Grenze z. B. der Durchschnitt der Jugendleistungen. Die erste dokumentierte normierte Zehnkampftabelle, welche dieses Verfahren anwendet, wurde 1884 in den Vereinigten Staaten entwickelt.
Die Anfänge
Wir wollen einmal für die Zeit um 1900 eine solche Tabelle bzw. Punkteformel für den 100-m-Lauf „nachbauen“. Die erste Zeit unter 11 Sekunden wurde von Cecil Lee aus Großbritannien am 25. September 1891 in Brüssel mit 10,8 Sekunden gelaufen. Das erste Wertepaar, welches wir für unsere Punktetabelle verwenden, ist also (10,8 s/1000 Punkte). Wenn man im Wandertempo die 100 m abläuft, so benötigt man dafür ungefähr 72 Sekunden, also haben wir unser zweites Wertepaar mit 72 s und 0 Punkten. Aus diesen beiden Wertepaaren können wir nun eine Geradengleichung der Form y = ax + b aufstellen. Wir müssen nur die Steigung a und den y-Abschnitt b berechnen. Der Einfachheit halber rechnen wir hier ohne Einheiten. Wir haben zunächst zwei Gleichungen: 72 a b .
Aus (72/0) folgt
0
Aus (10,8/1000) folgt
1000
10,8 a b .
(1-1) (1-2)
(1-2) – (1-1) 1000 a
61,2 a
–16,3398
a in (1-1) b
72 16,3398
1176, 47
Wir haben also folgende lineare Berechnungsvorschrift für die Punktevergabe beim 100-m-Lauf: P(x) = –16,34x + 1176,47,
(1-3)
wobei x die gelaufene Zeit in Sekunden auf 100 m ist und P(x) die Punktzahl für diese Zeit ausgibt. Betrachtet man die Berechnungsvorschrift im Detail, so erkennt man, dass man pro Sekunde, die man langsamer läuft, 16,34 Punkte weniger bekommt. Die Maximalpunktzahl, welche bei 1176,47 Punkten liegt, erhält man, wenn man null Sekunden auf 100 m läuft. Diese Zeit wird niemand erreichen, da ja bekanntlich bei Lichtgeschwindigkeit Schluss ist. In Abbildung 1-1 wird der Sachverhalt an einem Graphen dargestellt. Interessant ist auch, dass man für eine relativ schlechte 100-m-Laufleistung von 13 Sekunden noch 964 Punkte bekommt.
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Mathematik der Mehrkampfformeln
Abb. 1-1 Für den damaligen 100-mRekord von 10,8 s gibt es 1000 Punkte. Für 13 s gibt es noch 964 Punkte. Ab einer Leistung von 72 s gibt es keinen Punkt mehr.
Vergleichen wir dieses 100-m-Lauf-Diagramm einmal mit dem Diagramm einer Wurfdisziplin, z. B. dem des Speerwurfs. Eric Lemming aus Schweden stellte 1899 mit 49,32 m den ersten offiziellen Rekord auf. Jugendliche werfen den Speer im Durchschnitt nicht weiter als 25 m. Wir haben also wieder zwei Wertepaare (49,32 m/1000 Punkte) und (25 m/0 Punkte). Daraus ergibt sich folgende Berechnungsvorschrift: P(x) = 41,12x – 1028,
(1-4)
wobei x die geworfene Weite in Metern darstellt und P(x) die entsprechende Punktzahl für die geworfene Weite x. Es ergibt sich folgendes Diagramm:
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Das Ulbrich-Prinzip
Abb. 1-2 Man sieht hier deutlich, wie sich die Profileistung von 49,32 m von meiner früheren Jugendleistung von 40 m absetzt. Erst ab 25 m gibt es Punkte.
Vergleicht man nun die beiden Graphen bzw. Berechnungsvorschriften, so erkennt man deutlich, dass bei diesem linearen Verfahren eine schwache Laufleistung viel mehr Punkte bringt als eine schwache Wurfleistung. Das bedeutet, dass die Laufexperten unter den Mehrkämpfern deutlich benachteiligt sind. Trotzdem hielt sich dieses lineare System noch recht lange, bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, unter anderem deswegen, weil es sehr einfach zu handhaben war und weil man auch z. B. die Null-Punkte-Leistung für den 100-m-Lauf einfach anpassen konnte.
Das Ulbrich-Prinzip Die Anpassung der Null-Punkte-Leistung war aber eines der Hauptprobleme bei der Gleichbehandlung der verschiedenen Disziplinen. Des Weiteren fühlten sich die Läufer immer benachteiligt, da die lineare Tabelle der Laufzeiten der Laufleistung nicht gerecht wurde. Selbst wenn man theoretisch doppelt so schnell laufen würde, würde man nicht doppelt so viele Punkte bekommen. Der Österreicher Karl Ulbrich nahm sich dieses Problems an. Ein Fortschritt konnte bei den Laufleistungen erzielt wer-
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Mathematik der Mehrkampfformeln
den, als er erkannte, dass ja nicht die gelaufene Zeit der entscheidende Faktor ist, sondern die durchschnittliche Geschwindigkeit des Läufers. Man entwickelte also zuerst eine lineare Wertetabelle für die Durchschnittsgeschwindigkeiten. Wobei die 1000-Punktemarke der Durchschnittsgeschwindigkeit des damaligen Weltrekords (9,26 m/s) entsprach. Die Null-Punkte-Grenze lassen wir zum besseren Vergleich weiter bei 100 m in 72 Sekunden, also ungefähr 1,39 m/s. Man sieht in Abbildung 1-3 den linearen Geschwindigkeits-Punkte-Graphen (blau). Dieser wurde dann wieder in ein Zeit-Punkte-Diagramm (rot) zurückgewandelt. Wir erhalten schließlich für das Zeit-Punkte-Diagramm eine Hyperbel. Schauen wir uns einmal die Algebra dazu an: Wir starten wieder mit zwei Wertepaaren (vWR /1000 Punkte) und (v0 /0 Punkte). Das ergibt die Steigung a = 1000/(vWR – v0), wobei vWR
100 m und v 0 10,8 s
100 m sind. 72 s
Die lineare Funktionsgleichung dazu lautet: y (v )
av av 0
1000 1000 v v0 vWR v 0 vWR v 0
(1-5)
y (v ) 127,05v 176, 47.
Der Funktionsgraph von y(v) entspricht dem blauen Graphen. Nun ersetzen wir die Durchschnittsgeschwindigkeit v mit Hilfe der Bewegungsgleichung durch: Geschwindigkeit v
zurückgelegter Weg dafür benötigte Zeit
s t
100 m . t
Wir erhalten ohne Berücksichtigung der Einheiten: P (t ) 127,05
100 176, 47 t
12705 176, 47. t
Dem Graph von P(t) entspricht in Abbildung 1-3 die rote Hyperbel.
(1-6)
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Das Ulbrich-Prinzip
Abb. 1-3 Auf der Rechtswertachse ist einmal die Geschwindigkeit in m/s angetragen (blauer Graph der linearen Funktion) und für den roten Graph (Hyperbel) sind die Einheiten der Rechtswertachse die Sekunden. Die Ordinate (die Punkteachse) hat für beide Graphen die gleiche Bedeutung.
Man sieht sofort, dass bei dieser Punktetafel die guten Läufer nicht mehr so stark benachteiligt werden wie bei der linearen. Das war ein großer Fortschritt. Das Problem der Null-Punkte-Grenze war damit aber nicht aus der Welt. Hier trat immer wieder eine Kommission zusammen, um diese festzulegen. Nun lag in den 1950er Jahren für die Laufdisziplinen eine gut akzeptierte Tabelle vor, denn es wurde durch die Hyperbelform sogar berücksichtigt, dass Leistungsverbesserungen, welche immer schwieriger wurden, je näher man an den Weltrekord kam, auch höher mit Punkten belohnt wurden. Es lag also eine progressive Tabelle vor. Nun sollten diese geschwindigkeitsbasierten Tabellen auch auf die Sprung- und Wurfdisziplinen übertragen werden. Ulbrich nahm richtig an, dass für die Wurfweiten die Abwurfgeschwindigkeit und für die Sprunghöhen sowie Sprungweiten die Absprunggeschwindigkeit entscheidend war. Zunächst mussten die Weltrekordweiten und Weltrekordhöhen in Abwurfgeschwindigkeiten zurückgerechnet werden. Wir wollen dies hier auch tun. Hierzu nehmen wir an, dass die Athleten unter einem Winkel von 45° abgesprungen sind bzw. abgeworfen haben. Auch wenn klar ist, dass für Diskus und Speer dies auf Grund der Aerodynamik nicht der optimale Winkel ist. Auch für das Kugelstoßen sind 45° nicht der optima-
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Mathematik der Mehrkampfformeln
le Winkel, wie wir noch in Kapitel 5 sehen werden. Ebenso ist die Situation bei Hochsprung und Stabhochsprung noch einmal anders. Aber das Ziel war für Ulbrich klar: Es sollte alles auf den Parameter „Geschwindigkeit v “ zurückführen. Ohne jetzt näher auf die physikalischen Gesetze einzugehen, in Kapitel 5 werden wir dies tun, gilt für die Wurfweiten bzw. Sprungweiten s: s2
4 v x2 v 2 v x2 g2
.
(1-7)
Wobei g der Ortsfaktor bzw. die Erdbeschleunigung mit 9,81 m/s2 ist. Die Variable v entspricht Abwurf- bzw. Absprunggeschwindigkeit und vx ist die Geschwindigkeitskomponente in x-Richtung, also parallel zur Erdoberfläche. Die Abwurfgeschwindigkeit v setzt sich aus vx und vy (Geschwindigkeit in y-Richtung) in folgender Weise zusammen: v 2 v x2 v y2 . Wenn wir nun annehmen, dass der Abwurfwinkel 45° beträgt, so ist vx gleich vy, und wir können v x2 21 v 2 setzen. Damit vereinfacht sich die Formel für die Sprungweite zu s2
4 21 v 2 v 2 21 v 2
g2
v4 . g2
(1-8)
Wenn wir dann noch die Wurzel ziehen, erhalten wir: s
v2 | 0,102 v 2 . g
(1-9)
Wir haben also zwischen der Geschwindigkeit v und der Wurf- bzw. Sprungweite s folgenden Zusammenhang: v
g s | 3,132 s .
(1-10)
Für die Umsetzung dieser Formel in eine Punktetabelle nehmen wir wieder unser historisches Beispiel vom Speerwurf (Eric Lemming aus Schweden mit 49,32 m). Es ergibt sich v | 3,132 49,32 | 22,00
m . s
Für die Null-Punkte-Leistung von 25 m erhalten wir v | 3,132 25 | 15,66
m . s
(1-11)
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Die aktuellen Tabellen
Aus den zwei Wertepaaren (22/1000 Punkte) und (15,66/0 Punkte) lässt sich eine Geradengleichung aufstellen: y (v )
av av 0
1000 1000 v v0 vWR v 0 vWR v 0
(1-13)
y (v ) 157,72v 2469,9.
Nun rückübersetzen wir diese Geschwindigkeits-Punkte-Gleichung in eine Weiten-Punkte-Gleichung, d. h., wir ersetzen v durch s aus Gleichung 1-10 und erhalten P (s ) 157,8 g s 2476,62
494,0 s 2476,62 .
(1-14)
Im Diagramm sieht dies wie folgt aus: Die blaue Gerade symbolisiert y(v) und der rote Graph der degressiven Wurzelfunktion zeigt die Punkte P(s) für die Wurfweiten an. Abb. 1-4 Die Ulbrichfunktion für das Speerwerfen. Für die blaue Gerade werden die Einheiten auf der Rechtswertachse in m/s angegeben; für die rote Wurzelfunktion, welche die Wurfweite symbolisiert, sind die Einheiten Meter.
Die aktuellen Tabellen In den späten 1970er Jahren wurde dann der Missmut über die Tabellen so groß, dass man entschied, eine internationale Kommission, der auch mehrere Mathematiker, insbesondere Statistiker angehörten, damit zu beauftragen, ein neues, gerechtes und langlebiges Tabellenwerk zu entwickeln. Dieses Tabellenwerk soll für Jugendliche und Anfänger genauso
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Mathematik der Mehrkampfformeln
gelten wie für Topathleten. Außerdem sollen die Tabellen insgesamt leicht progressiv sein. Die nun zu beschreibenden Tabellen sind seit 1985 gültig. Im Grunde wurde damals versucht, aus den bisherigen Daten und Tabellen neue Berechnungsvorschriften abzuleiten, welchen aber nicht unbedingt physikalische Überlegungen zugrunde liegen. Es war eine Abkehr von Ulbrichs Prinzipien. Es ergab sich nun für jede Disziplin eine Potenzfunktion mit rationalem Exponenten nach folgendem Muster: Punktzahl = A(B – P)C für Laufdisziplinen Punktzahl = A(P – B)C für Sprung- und Wurfdisziplinen Wobei P die erbrachte Leistung ist und die Parameter A, B und C disziplinspezifische Konstanten darstellen, welche empirisch aus den damals vorliegenden Daten entwickelt wurden. Für die Herren wurden folgende Konstanten festgelegt: Tab. 1-1 Konstanten und Punkteformel beim Zehnkampf der Männer
Disziplin
A
B
C
P
25,437
18,0
1,81
sec
25,437 (18,0 – P)1,81
0,14354
220
1,40
cm
0,14354 P
Kugelstoßen
51,39
1,5
1,05
m
51,39 (P – 1,5)1,05
Hochsprung
0,8465
75
1,42
cm
0,8465 (P – 75)1,42
400 m
1,53775
82
1,81
sec
1,53775 (82 – P)1,81
110-m-Hürden
5,74352
28,5
1,92
sec
5,74352 (28,5 – P)1,92
12,91
4,0
1,10
m
12,91 (P – 4,0)1,10
0,2797
100
1,35
cm
0,2797 (P – 100)1,35
10,14
7,0
1,08
m
10,14 (P – 7,0)1,08
0,03768
480
1,85
sec
100 m Weitsprung
Diskuswurf Stabhochsprung Speerwurf 1500 m
Punkteformel
220
1,40
0,03768 (480 – P)1,85
Das bedeutet, dass es z. B. für eine 100-m-Leistung von schlechter als 18 Sekunden keine Punkte gibt; beim Weitsprung liegt die Null-PunkteGrenze bei 220 cm. Es fällt auf, dass die Laufdisziplinen den höchsten Exponenten haben (zwischen 1,81 und 1,92). Die Formeln für die Sprungdisziplinen haben Exponenten um 1,4. Wurfdisziplinen haben einen Exponenten, der nur wenig größer ist als 1.
17
Die aktuellen Tabellen
In Abbildung 1-5 sieht man jeweils einen Vertreter dieser drei Disziplingruppen. Ganz links ist der Weitsprunggraph zu sehen, die fast lineare Funktion repräsentiert die Punktetabelle für das Kugelstoßen, und der fallende Graph gehört zum 100-m-Sprint. Die 1000-Punkte-Leistungen entsprechen natürlich nicht den derzeitigen Weltrekorden, sie sind auch durch die „neuen“ Tabellen unabhängig davon. Abb. 1-5 1000 Punkte gibt es beim Weitsprung für 7,76 m, beim Kugelstoßen für 18,40 m und beim 100-m-Lauf für 10,39 s.
Betrachten wir nun noch die Liste der Disziplinen beim Siebenkampf der Frauen. Auch hier sieht man, dass sich die Formeln für drei Disziplinarten Laufen, Springen und Werfen in den Exponenten stark unterscheiden. Die Exponenten sind aber bei Männern und Frauen für die einzelnen Disziplinen fast identisch. Disziplin
A
B
C
P
Punkteformel
100-m-Hürden
9,23076
26,7
1,835
sec
9,23076 (26,7 – P)1,835
Hochsprung
1,84523
75
1,348
cm
1,84523 (P – 75)1,348
Kugelstoßen
56,0211
1,5
1,05
m
56,0211 (P – 1,5)1,05
200-m-Lauf
4,99087
42,5
1,81
sec
4,99087 (42,5 – P)1,81
Weitsprung
0,188807
210
1,41
cm
0,188807 (P – 210)1,41
Speerwurf
15,9803
3,8
1,04
m
15,9803 (P – 3,8)1,04
800-m-Lauf
0,11193
254
1,88
sec
0,11193 (254 – P)1,88
Tab. 1-2 Konstanten und Punkteformel für den Siebenkampf bei den Frauen
18
Mathematik der Mehrkampfformeln
Man sieht, dass der Mehrkampf nicht nur ein Kampf der Athleten ist, sondern auch ein Kampf der Funktionäre um eine gerechte Punktevergabe bzw. um ein gerechtes Tabellenwerk. Mathematik war und ist hier unverzichtbar. Allerdings werden im echten Wettkampf keine Funktionen verwendet, um die Ergebnisse zu ermitteln, sondern nur Tabellenwerke. In diesen Tabellenwerken ist auf vielen, vielen Seiten jede einzelne nur denkbare, aber messbare Leistung aufgelistet und mit Punkten vergeben. Das heißt, die Längen und Höhen werden nur in ganzen Zentimeter gemessen. So passiert es eben, dass es bei den Frauen im Siebenkampf für den Weitsprung keine 1000-Punkte-Leistung gibt. Wer 6,47 m weit springt, erhält 998 Punkte, und wer einen 6,48 m weiten Satz macht, bekommt schon 1001 Punkte. Solange nicht auf den Millimeter genau gemessen wird, bleibt das wohl auch so.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` `
Weiterführende Links
Lineare Gleichungen Lösen von Gleichungssystemen Lineare Funktion Potenzfunktionen Wurzelfunktion Funktionen mit gebrochen-rationalem Exponenten
` http://swiss2.whosting.ch/mdetting/sports/decathlon-pointshistory.html ` http://www.iaaf.org/newsfiles/32097.pdf
2 Mathematik des Elfmeters Man hört ja oft von der Angst des Tormanns beim Elfmeter, es gibt sogar ein Buch von Peter Handke mit diesem Titel (das Buch selber hat aber wenig mit Fußball zu tun). Aber wie groß ist sie, diese Angst, und ist es wirklich Angst oder nicht doch Freude? Denn einen Elfmeter (der Ball liegt eigentlich nur 10,88 m = 16 Yard von der Torlinie entfernt) oder Strafstoß bekommt eine Mannschaft doch dann, wenn die verteidigende Mannschaft ein Foul im 16-m-Raum begeht. Dieses Foul begeht sie meist, um Schlimmeres, also ein Tor, zu verhindern. Wird ein Strafstoß gepfiffen, so ist einerseits zunächst ein mögliches Tor von der verteidigenden Mannschaft verhindert worden. Meist wird aber ein Strafstoß schon als Tor gegen die betroffene Mannschaft gesehen und deshalb ist ja auch die Freude über das verhinderte Tor bei einem Strafstoß so groß. Der Elfmeter bzw. der Strafstoß ist also eine zusätzliche Möglichkeit für den Torwart der verteidigenden Mannschaft, das Tor zu verhindern. Elfmeter werden aber auch nach Ablauf der regulären Spielzeit beim Elfmeterschießen geschossen, um z. B. bei einem Turnier mit K.-O.-System den Sieger einer Partie zu ermitteln, falls nach der regulären Spielzeit und der Verlängerung noch kein Sieger feststeht. Auch hier ist die Freude über einen gehaltenen Elfmeter wesentlich größer als die Freude der Mannschaft des Schützens, falls der Ball ins Tor geht. Abb. 2-1 Jens Lehmann hält im Viertelfinale der Fußballweltmeisterschaft 2006 gegen Argentinien gleich zwei Elfmeter. Bildrechte: picture-alliance/ Sven Simon
20
Mathematik des Elfmeters
Die Verwandlungshäufigkeit Es stellt sich die Frage, ob man nicht das Elfmeterschießen mathematisch modellieren kann und ob so eine Modellierung sinnvoll ist und auch realistische Ergebnisse liefert. Bevor Sie nun weiter lesen, wäre es nett von Ihnen, wenn Sie sich auf einem Zettel die Prozentzahl notieren, von der Sie glauben, dass sie die Verwandlungshäufigkeit (Prozentzahl der verwandelten Strafstöße) beim Elfmeter repräsentiert. Übrigens: Strafstöße kommen gar nicht so selten vor. Im Durchschnitt werden in jeder Bundesligasaison 78 Elfmeter gepfiffen, also so zwischen zwei und drei pro Spieltag, wobei in den letzten Jahren die Rate ziemlich nahe bei zwei liegt. Beginnen wir mit einem ganz einfachen Modell: dem Glücksspielmodell. Wir gehen in unserem Modell davon aus, dass der Schütze in eine der vier Ecken schießen will. Der Torwart weiß das natürlich, er weiß nur nicht in welche Ecke, aber auch er wird sich für eine der vier Ecken entscheiden. In unserem Model soll der Keeper den Ball abwehren, wenn er sich für die richtige Ecke entschieden hat. Das ist in der Realität natürlich nicht so, aber wir machen ja zunächst auch nur ein einfaches Modell. Für den Torwart und den Schützen ist es somit wie ein Glücksspiel. Wobei der Torwart in drei Fällen daneben liegt und somit eine Chance von 25 % hat, den Torschuss zu verhindern. Der Schütze kann also mit einer Chance von 75 % das Tor markieren. In Abbildung 2-2 ist die Situation dargestellt. Der Torwart entscheidet sich hier für die linke obere Ecke. Abb. 2-2 Ein Fußballtor mit vier Möglichkeiten
Der Flächenansatz
Nun könnte man noch sagen, ein pfiffiger Schütze, z. B. Franck Ribéry, derzeit in Diensten des FC Bayern München, könnte doch auch in die Mitte schießen. Das ist richtig und wird ja auch häufig getan. Damit erhöht sich die Chance für den Schützen von 75 % auf 80 %. Zugegeben, es ist ein sehr einfaches stochastisches, aber eindrucksvolles Modell. Das Schöne an diesem Modell ist, dass wir es durch Zusatzannahmen beliebig verkomplizieren können. Wir können z. B. annehmen, dass ein Schütze in einem von 20 Fällen daneben schießen kann. In dem Fall, bei dem der Schütze daneben schießt, spielt es dann natürlich keine Rolle, in welche Ecke der Torwart springt. Das heißt, von 100 Schüssen gehen 5 daneben und sie gehören dem Torwart. Nun müssen wir uns noch mit den restlichen 95 Schüssen befassen, die auf das Tor gehen. Nehmen wir hier wieder eine Gleichverteilung auf diesmal fünf möglichen Positionen (links unten, links oben, rechts unten, rechts oben sowie Mitte) an, so wird der Torwart nach unserem Wahrscheinlichkeitsmodell von diesen 95 Bällen noch 19 Bälle halten, 20 % von 95 sind 19. Insgesamt hält er von den 100 Bällen also 24. Das heißt, die Verwandlungshäufigkeit liegt nun bei 76 %. Man kann jetzt das Modell noch weiter verfeinern, aber man wird feststellen, dass man sich bei vernünftigen Annahmen immer im 70-%- bis 80-%-Rahmen bewegen wird.
Der Flächenansatz Wir wollen noch einen anderen Ansatz wählen, um die Verwandlungshäufigkeit zu modellieren. Wir wählen den Flächenansatz. Das Tor besitzt eine bestimmte Fläche von 8 Fuß x 8 Yard, wobei ein Fuß 30,48 cm und ein Yard 91,44 cm lang sind. Dies ergibt dann also eine Fläche von 2,44 m x 7,32 m = 17,86 m2, also fast 18 m2. Ganz nebenbei: Die Höhe des Fußballtores verhält sich zur Breite wie 1 zu 3. Das liegt daran, dass ein Yard so definiert ist, dass genau drei Fuß hinein passen. Aber wieder zurück zum Elfmeterproblem: Welche Fläche kann denn ein Torwart mit seinen beweglichen Händen und Füßen abdecken? Nehmen wir einen Torwart mit der Durchschnittsgröße von 1,90 m. So hat er dann auch eine Armspannweite von 1,90 m. Diese Annahme kann man gut empirisch belegen und Sie können das auch bei sich selbst nachmessen lassen. Die Schultern befinden sich in einer Höhe von 1,60 m. Die Fläche, die ein Torwart so im Stand abdecken kann, setzt sich also aus einem Rechteck der Maße 1,60 m x 1,90 m und einem Halbkreis mit Radius 0,95 m, welchen seine Arme beschreiben, zusammen.
21
22
Mathematik des Elfmeters
Abb. 2-3 Der Torwart kann ein Rechteck zusammen mit einem Halbkreis abdecken.
Das ergibt eine Fläche von 2
1,6 m 1,9 m 21 0,95 m S | 4, 46 m2 | 4,5 m2 .
Der Prozentsatz der Torfläche, den der Torwart im Tor abdecken kann, liegt also bei 4, 46 m2 : 17,86 m2
0,24972... | 25 % .
Das heißt, 75 % der Torfläche sind frei. Wieder 75 %. Das ist nun erstaunlich, oder? Es ist also an der Zeit, einmal in die Wirklichkeit zu gehen und sich dort die Verwandlungshäufigkeiten anzusehen. In der Tabelle 2-1 ist die Anzahl der Tore sowie der geschossenen und verwandelten Elfmeter der letzten 20 Jahre in der 1. Bundesliga aufgelistet. Abb. 2-4 Oliver Neuville (Borussia Mönchengladbach) tritt gegen den Torwart vom SC Freiburg bei einem Foulelfmeter an. Bildrechte: Creative Commons/ Werner Jakubus
23
Vergleich mit der Realität
Vergleich mit der Realität Saison
Tore insgesamt
Elfmeter Anzahl
verwandelt
Quote in %
1987/88
962
83
66
79,52
1988/89
852
72
50
69,44
1989/90
790
70
52
74,29
1990/91
886
83
62
74,70
1991/92
994
80
60
75,00
1992/93
898
78
62
79,49
1993/94
895
74
63
85,14
1994/95
923
85
70
82,35
1995/96
831
83
61
73,49
1996/97
911
84
63
75,00
1997/98
883
57
40
70,18
1998/99
866
89
63
70,79
1999/00
885
99
69
69,70
2000/01
897
81
64
79,01
2001/02
893
102
74
72,55
2002/03
821
68
48
70,59
2003/04
909
79
59
74,68
2004/05
890
64
51
79,69
2005/06
861
67
49
73,13
2006/07
837
67
46
68,66
Durchschnitt
884,2
78,25
58,6
74,87
Man sieht, dass in der 1. Bundesliga die Verwandlungswerte beim Elfmeterschießen der letzten 20 Jahre bei knapp 75 % liegen. Über alle Bundesligasaisons gerechnet, liegen wir bei 74,17 %. Betrachtet man einzelne Vereine, so liegt bei Bayern München die Torrate derzeit ein wenig höher, nämlich bei 77,5 %, bei Eintracht Frankfurt dagegen nur bei 73 %. Natürlich gibt es Saisons, bei denen die Werte höher oder niedriger lagen, aber wir machen ja mit unserem Modell nur statistische Aussagen. Wie ver-
Tab.2-1 Toranzahl, Elfmeter sowie Verwandlungsrate pro Saison der letzten 20 Jahre in der ersten Bundesliga
24
Mathematik des Elfmeters
teilen sich eigentlich die Elfmeterraten der Saison? In Abbildung 2-5 ist gut zu sehen, dass die Verwandlungsraten pro Saison annähernd normal verteilt sind. Abb. 2-5
Verteilung der Verwandlungsrate
Anzahl Saisons
Im Diagramm ist die Verteilung der Verwandlungsraten zu sehen. So gibt es z. B. 17 Saisons, bei denen die Rate zwischen 71 % und 75 % liegt.
18 16 14 12 10 8 6 4 2 0
Bundesliga Normalverteilung
6065%
6670%
7175%
7680%
8185%
8690%
Verwandlungsrate
Bei den vergangenen Weltmeisterschaften lagen die Verwandlungswerte bei fast 80 %. Dagegen ist in den unteren Ligen, z. B. Regionalliga oder Bezirksliga, die Verwandlungsrate deutlich niedriger. Was will uns das sagen? Sind dort die Torhüter besser, oder sind die Schützen schlechter? Eigentlich müsste man davon ausgehen, dass sich die geringeren Fähigkeiten beider Spieler aufheben und die Verwandlungshäufigkeit gleich bleibt. Bleibt sie aber nicht. Wir werden gleich sehen, warum!
Der Torwart hat eigentlich keine Chance Um es gleich vorwegzunehmen: Ein Goalkeeper hat bei einem platziert geschossenen Elfmeter keine Chance. Denn um von der Mitte der Torlinie zu einer oberen Torecke zu gelangen, ist der Torwart knapp 1 Sekunde unterwegs – viel zu lange, um einen harten, gut platzierten Schuss zu fangen. In der Bundesliga werden Schussgeschwindigkeiten beim Elfmeter von 72 km/h bis 100 km/h erreicht. Wie lange ist denn dann der Ball
25
Der Torwart hat eigentlich keine Chance
vom Elfmeterpunkt bis zum Tor unterwegs? Die Entfernung d vom Elfmeterpunkt zu den oberen Torecken lässt sich mit dem Satz des Pythagoras im dreidimensionalen Raum berechnen (siehe Abbildung 2-6). Abb. 2-6 In der Skizze ist zu sehen, wie sich die Entfernung mit Hilfe des Satzes des Pythagoras berechnen lässt.
Es ergibt sich: d
§b· e2 h2 ¨ ¸ ©2¹
2
10,922 2,22 3,52 m | 11,68 m ,
(2-1)
wobei e die Entfernung des Elfmeterpunktes bis zum Tor ist, h die Höhe des Tores vermindert um einen Balldurchmesser und b /2 die halbe Breite des Tores vermindert um einen Balldurchmesser ist. Mit der Formel Zeit =
Weg Geschwindigkeit
(2-2)
lässt sich nun die Zeitdauer dafür berechnen, wie lange der Ball bis zu einer der oberen Torecken unterwegs ist. Es sind 11,68 m 11,68 m | 0,58 s bzw. | 0, 42 s . m m 20 27,77 s s
Damit braucht der Ball nämlich gerade einmal 58 Hundertstelsekunden oder sogar nur 42 Hundertstelsekunden bis in eine der beiden oberen Torecken. Zieht man noch die Reaktionszeit des Torwarts von 0,2 Sekunden ab, so bleibt dem Torwart keine Zeit mehr, um in die Ecke zu springen.
26
Mathematik des Elfmeters
In den unteren Ligen sind die Schussgeschwindigkeiten aber wesentlich niedriger und die Schüsse auch nicht so platziert, und somit hat der Torwart eine größere Chance, den Ball zu fangen. Ein Elfmeter ist also für einen trainierten Fußballer eine reine Nervensache. Jürgen Klinsmann wusste das und hat das auch für die WM 2006 entsprechend trainiert. Seine Schützlinge mussten das Elfmeterschießen unter besonderen Bedingungen absolvieren. Wer verschoss, musste einen besonderen Dienst an der Mannschaft tun. So musste z. B. Bastian Schweinsteiger nach einem im Training verschossenen Elfmeter am Abend seine Mannschaftskameraden bedienen. Sie können das Nervenspiel auf eine andere Art nachspielen, indem Sie mit einem Freund um eine Geldsumme wetten, dass Sie es schaffen, 8 von 10 Elfmetern einzuschießen. Allerdings muss die Höhe der Geldsumme so bemessen sein, dass Ihnen ein Verlust richtig wehtut. Sie werden sehen: Es ist ganz schwierig und man wird sehr nervös, wenn der erste Elfmeter nicht reingegangen ist.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` `
Weiterführende Literatur und Links
Häufigkeiten Mittelwerte Rechtecksflächenberechnung Kreisflächenberechnung Satz des Pythagoras Bewegungsgleichungen
` Kropp M., Trapp, A. (1999): 35 Jahre Bundesliga-Elfmeter, Agon Sportverlag, Kassel ` http://de.wikipedia.org/wiki/Strafstoß
3 Mathematik der Feldspieler Lange Zeit wurde Fußball mit 15 bis 20 Spielern gespielt. Erst im Jahr 1870 wurde die Anzahl der Spieler auf elf und somit die Anzahl der Feldspieler auf zehn begrenzt. Ein Grund für die Festlegung war die Vereinheitlichung der Fußballregeln insgesamt. Aber warum eigentlich 11 Spieler, also 10 Feldspieler? Diese 10 Feldspieler sind sicherlich ein Erfahrungswert, bei dem das Spiel gut funktioniert hat. Aber wir wollen mit einfachen mathematischen Methoden versuchen zu ergründen, warum das Spiel genau dann so gut funktioniert. Ohne groß Mathematik zu verwenden, kann man sich klar machen, dass es eine Anzahl von Spielern geben muss, bei der das Spiel flüssig und schön anzuschauen ist, denn wenn wir als Extremfall pro Mannschaft 50 Feldspieler annehmen, wird wohl kein Spielfluss zustande kommen, denn die eigenen Spieler stehen sich nur gegenseitig im Weg herum. Da ein Fußballplatz ja eine recht stattliche Größe von 90 bis 120 m Länge und 60 bis 90 m Breite hat, werden wohl umgekehrt ein oder zwei Feldspieler zu wenig sein, um ein anständiges Spiel auf dem Platz zu machen. Irgendwo zwischen diesen beiden Werten liegt das Optimum an Spielerzahl. Ob nun die Anzahl elf die ideale Mannschaftsstärke ist? Nun ja, wir werden es sehen bzw. errechnen. Damit das Spiel spannend ist und in Fluss kommt, müssen die Spieler genügend Platz zum Laufen haben und einander gut den Ball zupassen können. Daher ist sicherlich zum einen die Spielfeldgröße A relevant, und zum anderen die mittlere Geschwindigkeit v, mit der sich die Feldspieler bewegen können. Je weniger Ballkontakte b pro Minute stattfinden, desto langweiliger ist das Spiel. Aber sind es zu viele, dann wird das Spiel konfus und verwirrend wie ein Flipperspiel. Anstelle der Ballkontakte b pro Minute könnte man auch die Größe Dauer t, die sich ein Spieler mit dem Ball beschäftigt, verwenden. Mit diesen Größen versuchen wir, die Situation mathematisch zu modellieren. Wie soll das gehen? Nun, es gibt mindestens zwei Möglichkeiten. Wir verwenden den Gleichverteilungsansatz bzw. den Flächenansatz, das bedeutet, die Feldspieler werden gleichmäßig über das Spielfeld verteilt, d. h., jeder Feldspieler hat eine bestimmte Fläche des Spielfeldes abzu-
28
Mathematik der Feldspieler
decken. Dieser Ansatz ist nicht zu verkehrt, da Spieler wirklich Spielpositionen bzw. „Räume“ vom Trainer zugewiesen bekommen. Trotzdem ist es sicherlich ein einfaches Modell.
Der Flächenansatz Wenn wir ein flüssiges Spiel beobachten, stellen wir fest, dass es durchschnittlich 20 Ballkontakte b pro Minute bei einem Fußballspiel gibt. Der Durchschnittswert von guten Bundesligamannschaften liegt bei 630 Ballkontakten pro Spiel. Da aber höchstens 65 Minuten wirklich gespielt werden, sind das dann knapp 20 Ballkontakte pro Minute. Die restlichen 25 Minuten werden mit Eckstößen, Einwürfen, Torabstößen, Freistößen und Auswechselungen vertan. Diese Zahl von 20 Ballkontakten pro Minute deckt sich auch sehr gut mit einer anderen Beobachtung. Die Dauer t, die sich ein Spieler mit dem Ball beschäftigt, beträgt in erster Näherung 3 Sekunden: 1 Sekunde für die Ballannahme, 1 Sekunde für die Orientierung und 1 Sekunde für den Pass (Ballabgabe). In beiden Fällen bedeutet das, dass der Gegenspieler 3 Sekunden Zeit hat, den Ball zu erlaufen. Wie weit kann denn ein Fußballspieler in 3 Sekunden laufen? Die mittlere Geschwindigkeit v eines Spielers beträgt ungefähr 5 m pro Sekunde, das sind ungefähr 18 km pro Stunde. Das ist natürlich relativ flott, aber der Spieler muss das ja nicht die ganzen 90 Minuten durchhalten, sondern er muss ja nur zu bestimmten Zeiten diese Geschwindigkeit abrufen. Welchen Weg s legt ein Spieler zurück, wenn er 3 Sekunden lang mit 5 m/s läuft? Wir können das wieder nach der Formel Strecke s
Geschwindigkeit Zeit
v t
(3-1)
berechnen. Es ergibt schließlich eine Wegstrecke von 5
m 3 s s
15 m .
Das heißt, der Gegenspieler kann in den 3 Sekunden 15 m weit rennen. Nachdem er das in jede Richtung tun kann, deckt der Spieler auf dem Spielfeld eine Kreisfläche mit einem Radius von 15 m ab.
29
Der Flächenansatz
Abb. 3-1 Diese Kreisfläche mit Radius 15 m kann ein Spieler bei unserem Modell abdecken.
Die Fläche eines Kreises berechnet sich nach der Formel Kreisfläche AK
r 2S .
(3-2)
Es gibt sich dann für den Flächeninhalt des „Spielerkreises“ AK
15 m
2
S
225 m2S | 707 m2 .
Das heißt, dass ein Spieler eine Fläche von 707 m2 abdecken kann. Spielfelder, welche im internationalen Bereich wie Weltmeisterschaft, Europameisterschaft oder Europawettbewerbe verwendet werden, müssen nach den FIFA-Regeln von 2002 eine Regelgröße von 68 m x 105 m haben. Dies ergibt eine Spielfeldfläche von 7140 m2. Das bedeutet, dass auf dem Spielfeld 7140 m2 : 707 m2 | 10,1 Spieler Platz haben. Na, das ist doch ziemlich gut, oder? Natürlich passen diese Spielerkreise nicht lückenlos auf das Spielfeld, das ist klar (siehe Abbildung 3-2). Es gibt Überdeckungen und Flächen, die frei bleiben, aber das Modell zeigt uns, dass die Fußballregel „10 Feldspieler“ sogar aus mathematischer Sicht sehr vernünftig scheint. Mit diesem Modell kann man übrigens auch gut die Anzahl der Eishockeyspieler beschreiben. Dagegen funktioniert dieses einfache Modell nicht bei Basketball oder Handball, da hier der Ball mit der Hand gespielt wird und sich das Spiel immer direkt vor das Tor oder den Korb einer Mannschaft verlagert.
30
Mathematik der Feldspieler
Abb. 3-2 Eine mögliche Aufteilung der Spielerräume auf der Spielfläche. Diese Aufteilung zeigt auch die Schwächen unseres Modells.
Der mittlere Abstand Betrachten wir noch ein anderes Modell, welches sich stark an das von John Wesson anlehnt. Dazu machen wir einen kleinen Ausflug in die Arbeitsweise der Physik. Wir nehmen an, dass jede Mannschaft N Spieler hat, welche sich auf einem Spielfeld der Fläche A bewegen können. Damit befinden sich n = N/A Spieler pro Flächeneinheit auf dem Platz. Wir wollen nun den mittleren Abstand eines jeden Feldspielers zum nächsten Gegner bestimmen. Zunächst schätzen wir die Entfernung zum nächsten Mitspieler ab. Wir brauchen also einen Wert für die freie Länge pro Spieler. Diesen Wert erhalten wir, wenn wir uns vorstellen, dass das Spielfeld quadratisch ist (obwohl wir wissen, dass es das nicht ist, aber bei einer einfachen Modellbildung ist dies sicherlich statthaft) und wir die Spieler gleichmäßig in Form eines Quadratgitters auf dem Platz verteilen. Dadurch wird die Länge einer Spielfeldseite zu A und die Spieleranzahl pro Seite zu N .
31
Der mittlere Abstand
Somit erhalten wir für den mittleren Abstand von Spieler zu Spieler parallel zum Spielfeld: s
A . N
1 n
(3-3)
Wir müssen aber noch die diagonalen Abstände berücksichtigen. Ein Spieler M in der Mitte des Spielfeldes hat acht Nachbarn, vier Abstände davon sind Quadratseiten und vier davon haben die Länge der Quadratdiagonale (siehe Abbildung 3-3). Abb. 3-3
M
A/N
2
A N
E
R
Somit ergibt sich für den Spieler M durch Mittelwertbildung ein mittlerer Abstand von: d
1 2 2
1 n
1 1 2 2
A A . | 1,207 N N
Für die Spieler E an den Ecken und Spieler R an den Rändern wird dieser Abstand geringer. Wir wollen aber zunächst mit dem ersten Wert d weiterrechnen. Da wir zwei Mannschaften haben, halbiert sich der mittlere Abstand d , da wir die gegnerischen Spieler zwischen den anderen postieren können. Das gelingt zwar auch nicht optimal, aber fürs Erste soll es reichen. Wir erhalten also
In diesem schematischen quadratischen Spielfeld kann man die mittleren Entfernungen zum nahesten Spieler für Spieler M in der Mitte sowie für Spieler R am Rand und in der Ecke E erkennen.
32
Mathematik der Feldspieler
d
1§ 1 ¨ 1 2 2 ¨© 2
A· ¸ N ¸¹
1 1 2 4
A 1 A . | 1,207 N 2 N
(3-4)
Will der Gegner nun den Ball führenden Spieler angreifen, so kann er sich mit einer Geschwindigkeit v auf den Spieler mit dem Ball zu bewegen. Mit Hilfe der Bewegungsgleichung t
d v
(3-5)
erhalten wir also die Zeitdauer t, welche der Gegner Zeit hat, um den Ball zu erreichen: t|
1 1 1 2 v 4
A . N
(3-6)
Daraus ergibt sich für die Anzahl N der Spieler: 2
§ 1 2 · A N |¨ . ¨ 4 ¸¸ v 2t 2 © ¹
(3-7)
Für Werte von A = 7140 m2, v = 5 m/s und t = 3 s wie im vorherigen Modell erhalten wir für N = 11,6. Wir erhalten einen Wert, der zwar in der Nähe liegt, aber trotzdem enttäuschend weit über 10. Wo liegt unser Fehler? Nun wir haben ja zunächst nur die Spieler in der Mitte des Spielfelds betrachtet. Das ist sicherlich nicht ganz korrekt. Berücksichtigt man noch Spieler E und R in den Ecken und an den Rändern des Spielfeldes, erhält man für den mittleren Abstand geringere Werte (siehe Abbildung 3-3). Diese Werte variieren je nach Anzahl der Spieler. Anstelle von 1,207 A / N erhält man aber z. B. bei vier Eckspielern und vier Randspielern nur noch 1,155 A / N . Für N ergibt sich dann: 2
7140 m2 § 1,155 · | 10,6 . N |¨ ¸ 2 2 © 2 ¹ 5 m s 3 s
(3-8)
Dieser Wert passt schon besser. Aber wenn wir uns überlegen, wie viel (komplizierte) Mathematik im Vergleich zum Flächenansatz wir hier verwendet haben, so muss das Ergebnis ein wenig enttäuschen. Na ja, man kann eben nicht alles berechnen.
Frauenfußball
33
Frauenfußball Zum Abschluss dieses Kapitels wage ich mich auf noch dünneres Eis. Mit diesen beiden Modellen könnte man durchaus erklären, warum der Frauenfußball noch nicht die Attraktivität und Aufmerksamkeit besitzt, die er eigentlich verdient. Man erinnere sich nur an die tolle Fußballweltmeisterschaft der Frauen in China 2007! Bei beiden Modellen spielen die drei Größen Laufgeschwindigkeit v, Passdauer t sowie Spielfeldgröße A die entscheidende Rolle. Die Anzahl der Spieler liegt mit zehn Feldspielern fest. Da die Frauen (zurzeit noch) langsamer laufen als Männer und sie aber pro Spieler die gleichen Fläche abdecken müssen, erhöht sich die Passdauer t. Nach dem anderen Modell erhalten wir ebenfalls für die Passdauer t sofort größere Werte, da die Geschwindigkeit der Spielerinnen so gering ist. Grund dafür ist in beiden Fällen, dass das Spielfeld für die Frauen zu groß ist! Wäre das Spielfeld kleiner, würden die Räume enger, es gäbe ein schnelleres Passspiel und, wenn mehr Aktionen geschehen, erhöht das die Freude bei den Zuschauern. Aber vielleicht werden die Frauen ja eines Tages die Männer beim Laufen noch einholen? Lesen Sie dazu mehr im Kapitel 4 „Mathematik der Laufrekorde“.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` `
Mittelwerte Rechtecksflächenberechnung Kreisflächenberechnung A = r2S Bewegungsgleichungen
` Wesson, John (2006): Fußball-Wissenschaft mit Kick. Elsevier, München
Weiterführende Literatur
4 Mathematik der Laufrekorde Wir hätten das Kapitel auch anders nennen können: Wann laufen die Frauen den Marathon oder die 100 m schneller als die Männer? Sieht man sich die Weltrekorde der Männer und der Frauen bei verschiedenen Laufdisziplinen an, so stellt man fest, dass sowohl die Männer als auch die Frauen über lange Sicht betrachtet immer schneller laufen. Egal ob es sich um 100 m, 200 m, 400 m, 10.000 m oder den Marathon handelt, die Laufzeiten werden immer kürzer. Die Männer sind derzeit, zumindest was die Weltspitze in der Leichtathletik angeht, noch immer schneller als die Frauen. Die Männer sind also das schnelle Geschlecht. Wir wollen in diesem Kapitel mit einem mathematischen Augenzwinkern zeigen, dass es mit dieser Vormachtstellung der Männer bei den Laufdisziplinen im Laufe der Zeit vorbei sein könnte. Dazu braucht man kein Gender Mainstream oder sonstige Frauenförderprogramme, das kommt von ganz alleine, na ja fast: Trainieren müssen die Frauen schon noch.
Die 100-m-Weltrekorde Betrachten wir einmal die Weltrekorde der Männer und Frauen beim 100m-Lauf und tragen diese in einem Diagramm an. Nach rechts wird die Jahreszahl angetragen und nach oben die benötigte Zeit für die 100 m. Jeder Punkt in diesem Koordinatensystem stellt also einen Weltrekord mit den Koordinaten (Jahreszahl/benötigte 100-m-Laufzeit) dar. Für den Fall, dass es in einem Jahr zwei oder mehr Rekorde gegeben hatte, wurde natürlich der bessere Rekord ausgewählt, und falls ein Weltrekord aus einem Vorjahr eingestellt wurde, dann wurde nur der frühere Zeitpunkt gewertet. Ebenso haben wir den Zeitpunkt des Rekords nicht auf Tage und Monate genau eingetragen, sondern nur auf die Jahreszahl bezogen. Bei den Männern haben wir erst mit den elektronisch gemessenen Zeiten im Jahr 1938 begonnen. Folgende Tabelle hat sich dabei ergeben:
36
Mathematik der Laufrekorde
Tab. 4-1
Jahr
Zeit/s
Die (ausgewählten) Weltrekorde für Männer und Frauen beim 100-m-Lauf
1932
10,38
1948
Athlet
Jahr
Zeit/s
Athletin
Ralph Metcalfe
1934
11,7
Stanislawa Walasiewicz
10,34
Barney Ewell
1937
11,6
Stanislawa Walasiewicz
1958
10,29
Peter Radford
1948
11,5
Fanny Blankers-Koen
1960
10,25
Armin Hary
1952
11,4
Marjorie Jackson
1964
10,06
Robert Hayes
1955
11,3
Shirley Strickland
1968
9,95
Jim Hines
1961
11,2
Wilma Rudolph
1983
9,93
Calvin Smith
1965
11,1
Wyomia Tyus
1988
9,92
Carl Lewis
1968
11,08
Wyomia Tyus
1991
9,86
Carl Lewis
1972
11,07
Renate Stecher
1994
9,85
Leroy Burrell
1976
11,01
Annegret Richter
1996
9,84
Donovan Bailey
1977
10,88
Marlies Oelsen-Göhr
1999
9,79
Maurice Greene
1983
10,79
Evelyn Ashford
2005
9,77
Asafa Powell
1984
10,76
Evelyn Ashford
2007
9,74
Asafa Powell
1988
10,49
Florence Griffith-Joyner
Man sieht in der Tabelle, dass die Frauen gegenüber den Männern schon ganz schön aufgeholt haben. Betrug der Abstand in den 1930er Jahren noch mehr als 1,3 Sekunden, so hat er sich durch den (Doping-)Weltrekord von Florence Griffith-Joyner im Jahr 1988 fast halbiert. Im Moment warten die Frauen seit 20 Jahren auf einen neuen Weltrekord, und die Männer ziehen wieder ein wenig davon. Übrigens hatten auch die Männer zwischen 1968 und 1983 keinen neuen Weltrekord. Jim Hines war 1968 in der Höhenluft von Mexico City den damaligen Fabelweltrekord von 9,95 Sekunden gelaufen. Trotzdem hat sich seitdem der Rekord um fast zwei Zehntel Sekunden verbessert. Trägt man nun diese Wertepaare in ein Koordinatensystem ein, so ergibt sich für die Männer und die Frauen folgendes Bild:
37
Die 100-m-Weltrekorde
Abb. 4-1
Zeit in Sekunden
12 Die Weltrekorde der Männer und Frauen in einem Jahreszahl-ZeitDiagramm
11,5 11 10,5 10 9,5 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Jahr Männer
Frauen
Man sieht schon, dass sich die Weltrekorde in den letzten 70 Jahren bei den Frauen stärker verbessert haben als bei den Männern. Um Aussagen darüber zu machen, wie sich die Rekorde in Zukunft entwickeln könnten, wäre es möglich, die Punkte durch eine Kurve anzunähern. Welche Eigenschaften sollte so eine Kurve haben? Zunächst sollte es eine Kurve sein, welche die zukünftigen Weltrekorde leicht erahnen lässt. Klar ist weiter, dass die Kurve streng monoton fallen muss, denn wir erwarten ja von Weltrekorden der Zukunft, dass sie logischerweise besser sind als die vorherigen. Die dritte Eigenschaft ist die, dass die bisherigen Rekorde durch die zu findende Kurve optimal angenähert werden. Aber was heißt hier optimal? Natürlich kann man eine Kurve finden, welche durch alle bisherigen Rekorde verläuft, das würde aber unserer ersten Forderung nach Einfachheit der Kurve widersprechen. Ein vernünftiges Kriterium für „optimal“ ist, dass die Summe der Abstände der Punkte zur Kurve minimal ist. Wie wäre es, wenn wir, um einen Anfang zu machen, die Punkte durch eine Gerade annähern? Man wählt die Gerade so, dass die Summe der Abstandsquadrate aller Punkte zur Geraden minimal wird. Solch eine Gerade nennt man auch Ausgleichsgerade.
38
Mathematik der Laufrekorde
Abb. 4-2
12 Zeit in Sekunden
Man sieht, dass eine Gerade die Situation gar nicht so schlecht annähert. Auch erkennt man deutlich, dass der Weltrekord von Florence GriffithJoyner im Jahr 1988 stark aus dem Rahmen fällt.
11,5
y = -0,019571x + 49,577913
11 10,5 10 y = -0,009352x + 28,497734 9,5 1930 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 Jahr Männer
Frauen
Linear (Frauen)
Linear (Männer)
Betrachten wir die Geradengleichungen, welche uns das Tabellenkalkulationsprogramm gleich mitliefert. Im Falle der Männer lautet die Gleichung für die Gerade: y(x) = –0,009352 x + 28,497734.
(4-1)
Wir müssen zunächst die Variablen x und y interpretieren: x steht für die Jahreszahl und y(x) für die Weltrekordzeit im Jahre x. Die Steigung der Geraden wird hier mit –0,009352 angegeben. Dies bedeutet, dass sich der 100-m-Weltrekord pro Jahr um 0,9352 Hundertstelsekunden verbessert. Bestimmt man die Korrelation zwischen den realen Daten und den theoretisch berechneten Daten aus der Regressionsgeraden, so erhalten wir in diesem Falle einen Korrelationskoeffizienten von 0,9604. Das ist wirklich hoch. Die Standardabweichung, mit der die realen Daten um die theoretischen Daten der schwarzen Gerade streuen, liegt bei 0,0603. Das bedeutet, dass statistisch gesehen ungefähr 68 %, also mehr als zwei Drittel der Messwerte, um nicht mehr als 0,0603 Sekunden von den berechneten Daten der schwarzen Gerade abweichen. Oder anders ausgedrückt, würden wir ein Band mit der Breite 6,03 Hundertstelsekunden ober- und unterhalb der Ausgleichsgeraden legen, so würde dieses Band mehr als zwei Drittel der Messwerte abdecken.
Die 100-m-Weltrekorde
Betrachten wir nun die Daten der Frauen und die sich daraus ergebende Regressionsgerade. Bei den Frauen erhalten wir y(x) = – 0,019571 x + 48,5779.
(4-2)
Die Korrelation der Daten beträgt hier 0,9800, das ist noch mal ein Stückchen besser als bei den Männern. Man sieht deutlich, dass die Steigung mit –0,0196 ungefähr doppelt so groß ist wie bei den Männern. So eine Steigung bedeutet, dass die Frauen ihren Weltrekord über 100 m jedes Jahr um mehr als 1,9 Hundertstelsekunden (theoretisch) verbessern. Betrachten wir hier die Korrelation zwischen Messwerten und theoretischen Daten, so erhalten wir wie oben schon geschildert 0,9800, und für die Standardabweichung errechnet sich ein Wert von 6,60 Hundertstelsekunden. Falls wir also davon ausgehen, dass sich die Weltrekorde weiterhin so entwickeln wie durch die Regressionsgeraden vorgegeben, so können wir berechnen, in welchem Jahr die Frauen die 100 m so schnell rennen wie die Männer. Mathematisch betrachtet muss man das Gleichungssystem yF = –0,0195713 x + 49,5779
(4-3)
yM = –0,009352 x + 28,4977
(4-4)
lösen. Man sollte gerade bei der Steigung sehr auf die Anzahl der signifikanten Stellen hinter dem Komma achten, denn selbst die sechste Stelle nach dem Komma hat, da man Differenzen bildet und mit sehr großen Jahreszahlen multipliziert, Auswirkungen auf das Ergebnis. Man löst das System am besten durch Gleichsetzen von (4-3) und (4-4). –0,0195713 x + 49,5779 = –0,009352 x + 28,4977
(4-5)
21,0802 = 0,0102193 x
(4-6)
So erhalten wir für x = 21,0802/0,0102193. Es ergibt sich also xs = 2062,78 und ys = 9,207.
39
40
Mathematik der Laufrekorde
Das bedeutet, dass die Frauen im Herbst des Jahres 2062 die Männer mit einer Zeit von knapp 9,21 Sekunden beim 100-m-Lauf eingeholt haben werden. Diese Vorhersage kann der Autor ganz beruhigt machen, da er zu diesem Zeitpunkt 95 Jahre alt wäre, und ob er da noch lebt, wer weiß? Eine andere Möglichkeit, dieses Gleichungssystem zu lösen, ist, sich den Schnittpunkt der beiden Ausgleichsgeraden anzuschauen und die Koordinaten abzulesen. Abb. 4-3
Vergrößerung
Zeit in Sekunden
Im Diagramm lässt sich der Schnittpunkt auch gut ablesen. Man erhält im Rahmen der Genauigkeit (2063/9,2).
9,3 9,28 y = –0,019571x + 49,5779 9,26 Frauen 9,24 9,22 y = –0,009352x + 28,4977 9,2 Männer 9,18 9,16 2055 2056 2057 2058 2059 2060 2061 2062 2063 2064 2065 Jahr
Man mag nun einwenden, dass eine lineare Fortschreibung der Weltrekorde auf alle Ewigkeit nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist. Schließlich würde dies bedeuten, dass man irgendwann null Sekunden für die 100 m Strecke benötigen würde. Das wäre bei den dann schnelleren Frauen zwar erst im Jahr 2533 der Fall, aber trotzdem. Natürlich ist es richtig, der Linearität zu misstrauen. Eine exponentielle Abnahme macht da aus naturwissenschaftlicher Sicht eventuell mehr Sinn. Eine Exponentialfunktion erfüllt auch unsere drei Kriterien vom Anfang: Einfachheit, streng monoton fallend und optimal. Mit bloßem Auge ist bei den bisherigen Daten kaum ein Unterschied auszumachen. Das Exponentielle macht sich gegenüber dem Linearen erst in 50 bzw. 60 Jahren bemerkbar.
41
Die 100-m-Weltrekorde
Abb. 4-4
Zeit in Sekunden
12 y = 350,0957971e
11,5
Die Daten werden durch die Graphen von Exponentialfunktionen angenähert.
–0,0017557x
2
R = 0,9550883
11 y = 62,9193480e 10,5
–0,0009301x
2
R = 0,9237129
10 9,5 1930
1940
1950
1960
1970
1980
1990
2000
2010
Jahr Männer
Frauen
Für die 100-m-Weltrekorde der Männer erhalten wir eine exponentielle Regression der Form: yM( x ) = 62,919348 e – 0,0009301x .
(4-7)
Der Korrelationskoeffizient zwischen den Daten des Modells und den realen Daten ist nun mit 0,979 noch ein bisschen besser als bei der linearen Regression. Bei den Frauen erhöht sich durch die exponentielle Regression der Korrelationskoeffizient (0,977) zwischen Modell und realen Daten nicht. Wir erhalten folgende Exponentialfunktion für die Frauen: yW(x ) = 350,096 e – 0,0017557x .
(4-8)
Auch hier entspricht x der Jahreszahl und y(x) ist der im Jahr x erreichte Weltrekord. Man darf hier auf keinen Fall die Stellenanzahl im Exponenten vernachlässigen. Je mehr, desto besser. Allerdings erzeugt man dadurch natürlich nur eine Pseudogenauigkeit. Wir setzen nun (4-7) und (4-8) gleich: 62,919 e – 0,0009301x = 350,096 e–0,0017557x .
Um so eine Exponentialgleichung zu lösen, logarithmiert man sie.
42
Mathematik der Laufrekorde
Allerdings wollen wir unsere Funktionen etwas anders schreiben, um den Überblick nicht zu verlieren. Funktionsgleichung (4-7) wird zu y M ( x ) a e bx und (4-8) wird zu y F ( x ) c edx . Setzen wir also diese Funktionen gleich: a e bx
a c
c edx e
§a· ln ¨ ¸ ©c¹
d b x
d b x
ln a ln c
x
d b
.
Wir erhalten also durch Resubstitution x
ln 62,920 ln 350,096 0,0017557 0,0009301
| 2078,9 .
Die Lösung des Gleichungssystems bestehend aus (4-7) und (4-8) lautet dann x | 2079 und y | 9,10. Also werden auch nach diesem Modell die Damen die Herren bei der Königsdisziplin, dem 100m-Lauf, einholen, wenn auch erst im Jahr 2079. Dann aber mit einer Zeit von 9,10 Sekunden. Ob diese Vorhersage nun besser ist, mag dahin gestellt sein. Und ob sie eintritt, werden wohl die meisten meiner Leser leider auch nicht mehr erleben. Den systematischen Fehler, welchen wir hier machen, fällt dem aufmerksamen Leser natürlich auch gleich auf. Auch die Exponentialfunktion strebt natürlich gegen null. Und damit haben wir wieder das gleiche Problem wie bei unserem linearen Modell. Abhilfe kann hier ein Modell der folgenden Art schaffen: y(x)
k a e bx .
(4-9)
Wobei k der ultimative Weltrekord ist. Nur, den wissen wir ja nicht. Aber man kann natürlich nun versuchen, eine passende Funktion so über die Daten zu legen, dass die Abweichungen zu den Messdaten am geringsten werden. Dann hätten wir sogar noch eine Aussage darüber, wie schnell
43
Andere Laufdisziplinen
die Frauen und Männer maximal laufen könnten. Wir werden auf dieses Modell noch zum Abschluss des Kapitels zurückkommen.
Andere Laufdisziplinen Aber lassen Sie uns die Linear- und Exponentialmodelle noch für einige andere Laufstrecken aufstellen und somit den Zeitpunkt bestimmen, wann die Männer von den Frauen auf der Tartanbahn eingeholt werden. Man wird ein interessantes Phänomen feststellen. Disziplin
Modell
Überholzeitpunkt
Weltrekordzeit
100 m
Linear
2063
9,20 s
100 m
Exponentiell
2079
9,10 s
200 m
Linear
2076
17,47 s
200 m
Exponentiell
2098
17,20 s
400 m
Linear
2013
41,91 s
400 m
Exponentiell
2014
41,96 s
800 m
Linear
2008
1 min 38,6 s
800 m
Exponentiell
2016
1 min 37 s
1500 m
Linear
2025
3 min 15,2 s
1500 m
Exponentiell
2031
3 min 14,4 s
5000 m
Linear
2325
4 min 59,7 s
5000 m
Exponentiell
2537
5 min 0,1 s
10.000 m
Linear
2008
26 min 0,1 s
10.000 m
Exponentiell
2011
25 min 48 s
Marathon
Linear
2030
1 h 49 min
Marathon
Exponentiell
2033
1 h 52 min 44 s
Zunächst erkennt man, dass einige sehr unwahrscheinliche Vorhersagen errechnet wurden. Siehe z. B. den 400-m-Lauf und 800-m-Lauf. Das zeigt die Schwäche unseres einfachen Modells. Wir haben z. B. den Einfluss von medizinischen Hilfen (Doping) gar nicht berücksichtigt. Man erkennt
Tab. 4-2 In der Tabelle finden sich olympische Laufdisziplinen und die dazu passenden Zeitpunkte, wann die Frauen die Männer nach den verschiedenen Modellen überholen.
44
Mathematik der Laufrekorde
aber deutlich, dass bei den Kurzstrecken die Männer noch lange die Nase vorn haben werden (nehmen wir die 400 m einmal aus, darüber sprechen wir später). Bei den Langstrecken werden die Frauen die Männer aber nach unseren Modellen bald einholen. Statistischer Ausreißer sind die Vorhersagen bei den 5000 m. Die Datenlage bei den 5000 m ist aber auch noch sehr gering, denn die Strecke ist vom IAAF für Frauen noch nicht so lange geöffnet. Wir haben hier bei den Frauen weniger als zehn Weltrekorde, das wird sich natürlich in den nächsten Jahren ändern. Interessant ist hier, dass beide Modelle zu einer 5000-m-Zeit kommen, die wohl völlig unrealistisch ist. Es gibt sogar biologische Gründe dafür, dass bei Langstreckenläufen die Frauen den Männern ebenbürtig sein können. Für gute Ausdauerleistungen ist das Vorhandensein von Ausdauermuskulatur, welche vornehmlich aus roten Muskelfasern besteht, von wesentlicher Bedeutung. Frauen besitzen einen ähnlichen Prozentsatz von roter Muskulatur wie die Männer, bei weißer Muskulatur bzw. weißen Muskelfasern, welche für die schnellen Kontraktionen, also für den Sprint, wichtig sind, haben die Männer einen wesentlich höheren Prozentsatz. Es ist auch nachgewiesen, dass der Anteil an weißer Muskulatur genetisch bedingt ist und praktisch nicht durch Training verändert werden kann, im Gegensatz zur roten Muskulatur. Wir wollten ja noch einmal über die 400 m sprechen. Die 400-m-Prognose leitet sich nur aus wenigen Messungen ab, und der letzte Weltrekord der Frauen ist im Jahr 1985 von Marita Koch aus der damaligen DDR gelaufen worden. Marita Koch war auch schon die Jahre davor immer wieder Weltrekord gelaufen. Im Vorgriff auf die Dopingdiskussionen, die garantiert während der Olympiade 2008 in China aufkommen, kann man fast davon ausgehen, dass dieser Weltrekord mit besonderen Trainingsmitteln zustande gekommen ist, vielleicht hat Marita Koch es verstanden, ihre weißen Muskelfasern besonders zu trainieren.
Kritische Betrachtung Natürlich wissen wir, dass die obigen Vorhersagen eigentlich nur wenig Aussagekraft haben. Denn das Eintreten von Weltrekorden kann niemand wirklich ernsthaft vorhersagen wollen. Es ist ähnlich wie bei der Vorhersage der Aktienkurse an der Börse. Es spielen hier zu viele Dinge hinein, die wir nicht kontrollieren und auch nicht mathematisch beschreiben
Kritische Betrachtung
können und wollen. Dazu kommt, dass es nicht seriös ist, aus einer kurzen Zeitspanne von zufälligen, statischen Ergebnissen (Weltrekorden) die Vorhersage für die nächsten 100 bis 300 Jahre zu machen. Wir sind aber mit unseren Prognosen nicht alleine. Immer wieder berechnen Wissenschaftler, wann welche Weltrekorde gelaufen oder geschwommen werden. So prognostizierten die Physiologen Brian Whipp und Susan Ward, dass die Frauen schon im Jahr 1998 die Männer beim Marathon mit einer Zeit von 2 h und 2 min einholen würden, ebenso wurde eine 200-m-Zeit von 18,6 s im Jahr 2050 vorher gesagt. Im Jahr 2006 haben die Wissenschaftler John Einmahl und Jan Magnus die 100-m-Marke auf 9,29 s prognostiziert. Der französische Forscher JeanFrançois Toussaint meint dagegen, dass der absolute 100-m-Rekord bei 9,726 s liegen wird. Ich frage mich natürlich, wie sinnvoll es ist, bei einem 100-m-Lauf auf 1000stel Sekunden genau zu messen. Denn durch die relativ geringen Geschwindigkeiten von 10 m/s bis 12 m/s legt der Läufer in dieser 1/1000 Sekunde gerade mal 1 bis 1,2 cm zurück, da flattert ja das Trikot mehr! Jean-François Toussaint verwendet für sein mathematisches Weltrekordmodell, welches auch sehr gut Schwimmrekorde modelliert, eine abschnittsweise definierte Funktion. Das heißt, er betrachtet zunächst nur den Zeitraum bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Daten in dieser Zeit versucht er, durch eine Exponentialfunktion zu beschreiben. Im Zeitraum von 1945 bis zur Gegenwart nutzt er eine zweite Exponentialfunktion mit anderen Parametern. Probieren wir es mit dem 100-m-Lauf noch einmal nach der Methode von Toussaint. Wir nehmen nur Werte nach 1945 und setzen eine Exponentialfunktion mit Offset k an. y(x)
k a e bx .
(4-10)
Wir erhalten dann bei den Männern als „beste“ Annäherung an unsere Daten folgende Funktion: y(x)
9,55 2, 4334136 1019 e 0,02301774 x .
(4-11)
Diese Funktion passt sich um etwa 25 % besser an die bisherigen Daten an als Gleichung (4-7), und die war schon sehr gut. Das würde bedeuten, dass der erreichbare Weltrekord nach diesem Modell für den 100-m-Lauf bei 9,55 Sekunden liegt. Na, da sind also für die zukünftigen Athleten noch zwei Zehntelsekunden Platz.
45
46
Mathematik der Laufrekorde
Abb. 4-5
Zeit in Sekunden
Die rosa Kurve entspricht der Modellierung nach Toussaint. Sie passt sich optisch besser den Daten an. Zum Vergleich ist noch die alte Exponentialabschätzung in Blau eingezeichnet.
11 10,75 10,5 10,25 10 9,75 9,5 9,25 9 1940 1950 1960 1970 1980 1990 2000 2010 2020 Jahr
Vom Augenschein her betrachtet passt die neue Kurve besser zu den Daten, vom statistischen Standpunkt her geht es nur um Nuancen. Man sieht, man kann die bisherigen Weltrekorde durch verschiedene Modelle abschätzen; mit welchem die Weltrekordentwicklung besser vorhergesagt werden kann, zeigt die Zukunft. Also lassen wir uns für die nächste Olympiade überraschen, und wer weiß, vielleicht rennt im August 2008 in Peking wirklich eine schnelle Chinesin die 800 m unter 1 min und 40 s und bricht den 25 Jahre alten Weltrekord.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` ` `
Weiterführende Links
Ausgleichsgerade Regressionsgerade Funktionsanpassung (Funktionsfitting) Lineare Funktion Lösen von Gleichungssystemen Exponentialfunktion Optimierung
` http://de.wikipedia.org/wiki/100-Meter-Lauf ` http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,533728,00.html
5 Mathematik des Kugelstoßens Kugelstoßen gilt wie Speerwerfen oder Diskuswurf als technische Disziplin. Das bedeutet im Grunde nichts anderes, als dass man zunächst als Anfänger sehr geringe Weiten erzielt, aber durch stetes Training des Bewegungsablaufes zu immer größeren Weiten gelangt. Entscheidend ist hier eben zunächst die Koordination! Natürlich geht dann im Leistungssport nichts mehr ohne entsprechende Schnellkraft, aber wie wir gleich zeigen werden, Schnellkraft alleine genügt nicht. In diesem Kapitel wollen wir uns mit Mathematik befassen, welche sich hinter dem Kugelstoßen verbirgt. Wir können aber nur zwei Punkte aufgreifen: die Wurftechnik und die Messtechnik. Abb. 5-1 Astrid Kumbernuss, mehrfache Weltmeisterin (1995/1997 und 1999) und Olympiasiegerin 1996 im Kugelstoßen Bildrechte: picture-alliance/ Sven Simon
Befassen wir uns zunächst mit der Wurftechnik. Es stellt sich für jeden Athleten die Frage nach dem perfekten Stoß. Wie muss dieser Stoß ausgeführt werden, damit die Kugel möglichst weit fliegt, d. h., dass eine große Weite erzielt wird? Es liegt auf der Hand, dass der Athlet die Kugel mit einer größtmöglichen Geschwindigkeit abstoßen muss, andererseits
48
Mathematik des Kugelstoßens
wird die Wurfweite sicherlich auch durch den Abstoß- bzw. Abwurfwinkel D beeinflusst. Es gibt ja verschiedene Wurftechniken, um hohe Geschwindigkeiten zu erzielen, z. B. die O’Brian-Technik, auch Rückenstoßtechnik genannt, oder die Drehstoßtechnik. Wir können uns hier aber nur auf einen Aspekt konzentrieren, nämlich auf den des Abwurf- bzw. Abstoßwinkels.
Der Abwurfwinkel I Es liegt auf der Hand, dass die Wurfweite etwas mit dem Abwurfwinkel zu tun hat. Man kann sich das so klar machen: Stößt der Athlet die Kugel senkrecht nach oben (Abstoßwinkel D = 90°), so ist die Wurfweite praktisch null, ebenso wird keine Weite erzielt, wenn man die Kugel nach unten (Abstoßwinkel D = –90°) abstößt. Wir erhalten für zwei Winkel dieselbe Wurfweite von null Metern. Es muss also einen Abwurfwinkel zwischen –90° und +90° geben, bei dem man bei gleicher Abwurfgeschwindigkeit eine maximale Weite erzielen kann. Der Franzose Michel von Rolle hat dieses Phänomen, dass eine differenzierbare Funktion einen Extremwert in einem offenen Intervall besitzt, wenn die Funktionswerte an den geschlossenen Intervallgrenzen gleich sind, in dem nach ihm benannten Satz formuliert und bewiesen. Wir gehen zunächst davon aus, dass wir die Kugel direkt vom Boden abstoßen. Das stimmt zwar nicht mit der Realität überein, aber auf die Abwurfhöhe gehen wir später ein. Wie bestimmt man nun zunächst diesen optimalen Winkel? Wir bedienen uns eines üblichen mathematischphysikalischen Tricks: Wir zerlegen den Geschwindigkeitsvektor der Kugel in eine waagerechte Komponente vx und eine vertikale Komponente vy . Zudem gehen wir davon aus, dass auf Grund des geringen Querschnittes (maximal 13 cm) der Kugel und ihrer hohen Masse, es sind immerhin 7,26 kg bei den Männern und 4 kg bei den Frauen, die Luftreibung vernachlässigt werden kann, sie beträgt nur 1 bis 2 %. Es wirkt auf die Kugel nach dem Abstoß praktisch nur noch die Schwerkraft. (Zum Glück, sonst würde die Kugel nicht mehr auf den Boden herunterkommen.)
49
Der Abwurfwinkel I
Abb. 5-2 Zerlegung der Geschwindigkeit in die x- und yKomponente
y vges2 = vx2 + vy2
tanD =
vy
vx
D
vy vx x
Nehmen wir nun an, dass sich die Kugel für die Zeit t in der Luft befindet und vx die Geschwindigkeit in x -Richtung ist, dann ist die Wurfweite in x -Richtung sx
(5-1)
vx t .
Wenn wir nur die Geschwindigkeit vy in vertikaler Richtung betrachten, dann gilt für die halbe Flugdauer t/2 Folgendes: vy
g
t . 2
(5-2)
Das liegt daran, dass ja die Kugel zunächst hoch fliegt und dann wieder runterfällt. Isolieren wir nun in Gleichung (5-2) die Zeit t und setzen sie in die Gleichung (5-1) ein, so erhalten wir: sx
2 vx vy g
.
(5-3)
Die Frage, die sich nun stellt, ist folgende: Wie müssen sich vx und vy verhalten, damit sx , also die Wurfweite, maximal wird? Die Nebenbedingung, dass sich die Gesamtgeschwindigkeit vges aus den beiden Komponenten vx und vy auf besondere Weise zusammensetzt, können wir jetzt natürlich gut gebrauchen, v ges 2
v x2 v y 2 .
(5-4)
50
Mathematik des Kugelstoßens
Das bedeutet, die Summe der Quadrate der Geschwindigkeitskomponenten in horizontaler und vertikaler Richtung ist konstant. Um diese Extremwertaufgabe mit elementarsten Mitteln zu lösen, verändern wir noch die Gleichung für die Wurfweite sx. Es gilt nämlich Folgendes: Da sx positiv ist, ist sx genau dann maximal, wenn auch (sx)2 maximal ist. Zunächst scheint das wenig hilfreich zu sein, aber wir verändern die Gleichung (5-3) und erhalten Folgendes: sx 2
4 v x2 v y 2 g2
.
(5-5)
Wir haben mit den beiden Gleichungen (5-4) und (5-5) nun die Möglichkeit, unsere Eingangsfrage zu lösen. Unter welchem Winkel muss man die Kugel abwerfen, um eine möglichst große Wurfweite zu erhalten? Wir ändern aber diese Gleichungen noch einmal ab, um unser Problem auf eines der ältesten und bekanntesten Extremwertprobleme zurückzuführen. Dafür ersetzen wir vx 2 durch a und vy 2 durch b. Dies ist möglich, da wir davon ausgehen, dass die Geschwindigkeiten positiv sind. Dadurch erhalten wir Folgendes v ges 2
(5-6)
ab
sowie sx 2
4ab g2
(5-7)
.
Es geht also darum, ein maximales Produkt (5-7) zweier Größen a t 0 und b t 0 unter der Nebenbedingung, dass die Summe (5-6) der beiden Größen konstant ist, zu erzeugen. Dieses Problem ist identisch mit der Fragestellung nach dem rechteckigen Grundstück mit maximalem Flächeninhalt, welches man mit gegebener konstanter Zaunlänge einzäunen kann. Länge
2 a b
(5-8)
sowie Flächeninhalt
ab .
(5-9)
Aus Erfahrung weiß man, dass es sich bei dem gesuchten Rechteck um ein Quadrat handelt. Wir wollen es kurz nachprüfen:
Der Abwurfwinkel I
L
2 (a b ) a
L b. 2
(5-10)
a eingesetzt in (5-9) F
§L · ¨ 2 b¸b . © ¹
(5-11)
Eine quadratische Funktion, wie in Gleichung (5-11), hat ihr Maximum beim Mittelwert der Nullstellen: in unserem Fall bei L/4. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Seite b des Rechtecks ¼ L lang ist. Aus (5-10) lässt sich sofort folgern, dass auch die Seite a ¼ L lang ist, also sind beide Seiten des Rechtsecks gleich lang, und damit ist das Rechteck ein Quadrat. Kommen wir aber von unserem klassischen Extremproblem zurück zu unserem Kugelstoßproblem. Übertragen wir das Ergebnis von gerade eben auf die Gleichungen (5-4) und (5-5), so bedeutet das, dass die Quadrate der Geschwindigkeiten vx und vy gleich sein müssen: v ges 2 vx
v x2 v y 2
2 vx2
(5-12)
1 2 v ges . 2
(5-13)
1 2 v ges . 2
(5-14)
Somit ist auch vy
Das bedeutet also, dass die Geschwindigkeitskomponenten in horizontaler und vertikaler Richtung gleich sind. Also: tan D
D
vy vx
45q .
1
(5-15) (5-16)
Jetzt wissen wir es ganz genau: Bei einem Abwurfwinkel von 45° erzielt man die größte Wurfweite. Allerdings dürfen wir uns nicht zu früh freuen, denn wir gingen ja davon aus, dass der Athlet vom Boden aus wirft, was natürlich nicht stimmt. Aber eventuell kann man hier noch einmal schnell einen Ausflug zurück zum Fußball machen. Wer den Abschlag des Torwarts beobachtet, stellt fest, dass der Ball vom Boden aus abgeschlagen weniger weit fliegt als es der Fall ist, wenn der Ball aus der Hand abge-
51
52
Mathematik des Kugelstoßens
schlagen wird. Dies liegt daran, dass der Torwart beim Abstoß vom Boden mit dem Fuß nicht so sehr unter den Ball kommt und somit nur einen kleinen Abschusswinkel erzeugen kann. Beim Abschlag aus der Hand kann der Torwart viel besser variieren und deswegen im optimalen Winkel schießen.
Die Abwurfhöhe Wie wirkt sich eigentlich die Abwurfhöhe auf die Wurfweite aus? Haben es große oder kleine Athleten besser? Wir haben uns im vorherigen Abschnitt um eine genaue Betrachtung der Flugbahn herumgemogelt. Das müssen wir jetzt nachholen. Aus Zeichnung 5-2 auf Seite 49 kann man die Zerlegung der Geschwindigkeitskomponenten gut ablesen: vx
v ges cos D
vy
v ges sin D .
(5-17)
Ebenso gilt für die Position der Kugel in x-Richtung: x
(5-18)
vx t .
Für die Position in y -Richtung, also in vertikaler Richtung, muss man tiefer in die physikalische Formelkiste greifen. y
vy t
g 2
2 t h .
(5-19)
Hierbei entsprechen die ersten beiden Summanden der Überlagerung der linearen Bewegung (vy t) durch die beschleunigte Bewegung (½ g t2), verursacht durch die Schwerkraft. Mit der Variablen h wird die Abwurfhöhe berücksichtigt. Setzen wir die Flugdauer t aus (5-18) in (5-19) ein, so erhalten wir: y
vy vx
x
g x2 h . 2 vx
(5-20)
Ersetzen wir nun noch vx und vy aus (5-17) so erhalten wir Folgendes: y
tan D x
g x2 h. 2 2 v ges cos2 D
(5-21)
53
Die Abwurfhöhe
Nun haben wir zunächst einmal geklärt, dass es sich bei der Flugbahn wirklich um eine Parabel handelt. Da wir ja aus dem vorherigen Abschnitt wissen, dass der Winkel D für die maximale Weite 45° beträgt, können wir weiter vereinfachen: y
x
g x2 v ges 2
h .
(5-22)
Wir fassen das als Parameterfunktion auf, wobei wir vges konstant lassen, denn wir wollen ja nur den Einfluss der Höhe auf die Wurfweite untersuchen. yh x
wobei c
c x 2 x h ,
g v ges 2
(5-23)
.
Setzen wir für vges den vernünftigen Wert von 14 m/s ein, so erhalten wir für c den Wert ungefähr 1/20. y x, h
1 2 x x h . 20
(5-24)
Abb. 5-3 Die Graphen von y(x, h) für verschiedene Werte von h
Man erkennt deutlich, dass für größere Abwurfhöhen h auch eine größere Wurfweite x erzielt wird. Um die genaue funktionale Abhängigkeit der Höhe h auf die Wurfweite zu untersuchen, müssen wir die Nullstellen x in Abhängigkeit von der Abwurfhöhe h bestimmen:
1 2 x x h 0. 20
(5-25)
54
Mathematik des Kugelstoßens
Unter Verwendung der Lösungsformel für quadratische Gleichungen erhalten wir: x1/2
§ 1 · 10 ¨ 1 B 1 h ¸ . ¨ ¸ 5 © ¹
(5-26)
Da wir uns aber nur für die positive Nullstelle, also die Wurfweite in Richtung der Sandgrube interessieren, gilt: x2
§ 1 · 10 ¨ 1 1 h ¸ . ¨ ¸ 5 © ¹
(5-27)
Man erkennt in Abbildung 5-4 deutlich, dass die Abwurfhöhe einen Einfluss hat. Allerdings ist der Effekt degressiv, aber nicht zu vernachlässigen. Abb. 5-4 Die grafische Darstellung der Abhängigkeit der Wurfweite von der Abwurfhöhe
Der Abwurfwinkel II Bis jetzt haben wir den Abwurfwinkel D und die Abwurfhöhe h isoliert voneinander betrachtet. Das war nicht ganz korrekt, denn in Wirklichkeit beeinflusst die Abwurfhöhe den Abwurfwinkel. Bei der Berechnung des optimalen Abwurfwinkels sind wir davon ausgegangen, dass der Athlet
Der Abwurfwinkel II
direkt über dem Boden abwirft, was er aber sicherlich nicht tut. Der Athlet wird in einer Höhe h abwerfen, und wir müssen nun den für ihn optimalen Abwurfwinkel an dieser Stelle bestimmen. Das bedeutet: Wir müssen die Nullstelle von y (x) aus (5-21) in Abhängigkeit vom Winkel D bei gegebener Abwurfhöhe und gegebener Abwurfgeschwindigkeit vges bestimmen. Von dieser Nullstellenfunktion x(D) muss das Maximum in Abhängigkeit vom Winkel D bestimmt werden: tan D x
0
g x2 h 2 2 v ges cos2 D
tan D tan2 D x D
2hg v ges 2 cos2 D
g 2 v ges cos2 D
(5-28)
.
(5-29)
Multiplizieren wir die Gleichung geschickt mit einer besonderen Eins, nämlich: 1
cos2 D cos2 D
(5-30)
,
so erhalten wir:
x D
Mit c
g v ges 2
x D
§ 2hg 2 ¨ sin D sin D v ges 2 ¨ cos D ¨ g ¨ v ges 2 ¨ ©
· ¸ ¸ ¸ . ¸ ¸ ¹
(5-31)
cos D sin D sin2 D 2 h c . c
(5-32)
vereinfacht sich das zu:
55
56
Mathematik des Kugelstoßens
Um das Maximum von x (D) zu bestimmen, muss nach Winkel D differenziert werden.
§ cos D · sin D sin2 D 2 h c ¸ d¨ © c ¹ . dD
dx D dD
(5-33)
Ist einem die Ableitung nach dem Winkel D geglückt, so muss man diese, da man einen Extremwert von x (D) berechnen möchte, null setzen. dx D ! dD
(5-34)
0
Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten der Differentialrechnung eingehen, aber es liegt auf der Hand, dass dies aufwändig zu lösen ist. Aber mit den heutigen Computeralgebrasystemen lässt sich in wenigen Sekundenbruchteilen die Ableitung von (5-32) bestimmen und die Gleichung (5-34) implizit lösen. Es gilt zunächst: dx D dD
§ § cos D sin D · 1¨ cos D ¸ sin D cos D ¨ ¨ ¨ sin2 D 2ch ¸ c¨ © ¹ ©
· sin2 D 2ch sin D ¸ ¸¸ ¹
(5-35) Eine implizite Lösung von (5-34) lautet: sin D
cos2 D sin2 D 2 c h
.
(5-36)
Durch geschicktes Umformen erhält man cos4 D
2ch
sin2 D
Setzen wir c
g v ges 2
sin2 D .
wieder ein, so erhalten wir:
2gh
cos4 D
2
sin2 D
v ges
(5-37)
sin2 D .
(5-38)
Der rechte Teil von (5-38) ist als Funktion nur in Abhängigkeit des Winkels D darstellbar.
57
Der Abwurfwinkel II
Abb. 5-5 Die grafische Darstellung der K-Funktion. Der rote Graph entspricht dem rechten Teil von (5-38).
Man erkennt sofort die Nullstelle bei 45°. Das bedeutet ja nichts anderes als unser Ergebnis von 5-16, welches besagt, dass der optimale Wurf bei 45° stattfindet, wenn man vom Boden aus wirft, denn hier ist dann die Höhe h=0. Der linke Teil von (5-38) ist das Zusammenspiel von Abwurfhöhe h und Abwurfgeschwindigkeit vges. Nun ist es relativ einfach, für jeden Athleten den optimalen Abwurfwinkel zu ermitteln. Wir bestimmen die Abwurfhöhe h des Athleten und seine maximale Abwurfgeschwindigkeit (das ist natürlich nicht so einfach, aber das ist ja im Moment nicht unser Problem, sondern das der Kugelstoßtrainer). Daraus erhalten wir eine „Kugelstoßzahl“, nennen wir sie K. Für große, schwache Sportler liegt K bei etwa 0,6 bis 0,7, für kleine, schnellkräftige Sportler wird K immer kleiner und liegt zwischen 0,15 und 0,3. Sportlertyp
Abwurfhöhe h
Geschwindigkeit vges
K-Wert
Abwurfwinkel
Wurfweite
Sportler 1
2,2 m
8 m/s
0,674
37,7°
8,44 m
Sportler 2
1,8 m
8 m/s
0,5518
38,8°
8,13 m
Sportler 3
2,0 m
12 m/s
0,2725
41,6°
16,56 m
Sportler 4
1,8 m
15 m/s
0,157
42,9°
24,67 m
In Tabelle 5-1 werden verschiedene Sportlertypen miteinander verglichen. Man erkennt deutlich, dass die Abwurfhöhe weiterhin einen Einfluss auf die Weite hat. Als Faustregel kann man sagen: 4 cm mehr Körpergröße bringen ungefähr 3 cm mehr Wurfweite. Entscheidender Faktor bleibt aber die Abwurfgeschwindigkeit. Man betrachte dazu im Vergleich
Tab. 5-1 Die K-Werte für verschiedene Sportlertypen
58
Mathematik des Kugelstoßens
die Sportler 2 und 4. Bei gleicher Abwurfhöhe, aber fast doppelter Abwurfgeschwindigkeit stößt Sportler 4 die Kugel dreimal soweit. Allerdings ist Sportler 4 auch nicht real. Es hat bisher noch niemand über 24 m gestoßen. Abb. 5-6 Der rote Graph entspricht dem rechten Teil von (5-38). Die farbigen waagrechten Linien entsprechen den K-Werten aus Tabelle 5-1.
Die Messtechnik Ist die vom Athleten abgeworfene Kugel nun endlich im vorgeschriebenen Sektor gelandet und wurde der Wurfversuch durch den Athleten nicht ungültig gemacht, z. B., indem er in Wurfrichtung aus dem Ring getreten ist, so wird die Wurfweite gemessen. Die Messung geschieht so: Man misst vom nächstliegenden Kugelabdruck, wir nennen ihn Punkt C, bis zur Ringkante. Allerdings kann man auf zwei verschiedenen Arten bis zur Ringkante messen. Es ist einerseits möglich, zur Vorderkante der Ringmitte zu messen, diesen Punkt bezeichnen wir als Punkt A; andererseits kann man das Maßband über die Ringkante bis zum Ringmittelpunkt M spannen und liest die Weite am Schnittpunkt von Maßband und Ringvorderkante ab. Bezeichnen wir diesen als Punkt B. In Grafik 5-7 auf Seite 59 sieht man den Ring, welcher einen Durchmesser von 2,135 m besitzt, sowie den Sektor mit einem Winkel von 34,92°, in dem die Kugel landen muss, damit der Versuch gültig bleibt. Der Sektor wird vom Ring durch einen gebogenen Balken (grün) abgetrennt.
59
Die Messtechnik
Abb. 5-7 Diese Grafik zeigt die zwei verschiedenen Messmöglichkeiten.
C B Das ist der 34,92°-Sektor, in dem
M
die Kugel landen muss, damit der Versuch gültig ist.
r
Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es keine Rolle spielt, wie man misst, denn die Entfernung von C nach A erscheint genauso groß wie von C nach B. Die Regeln der IAAF (International Association of Athletics Federation) besagen, dass man entlang der roten Linie messen muss, also von Punkt C nach Punkt B. Berechnen wir einfach einmal den Unterschied. Dabei hilft uns der Kosinussatz und Abbildung 5-8:
r b 2
a 2 r 2 2ar cos D .
(5-39)
Wir berechnen b in Abhängigkeit von Winkel D und der Strecke a. Abb. 5-8
C
Die schematische Darstellung der Messsituation
b B r r
M
a D
A
Es ergibt sich: b
a 2 r 2 2ar cos D r .
(5-40)
Im Sonderfall für Winkel D gleich 180°, wenn die Kugel genau auf der Winkelhalbierenden des Wurfsektors gelandet ist, ist b gleich a, in jedem anderen Fall ist b kleiner als a. Im Fall D = 180° ist der Wert des Kosinus
60
Mathematik des Kugelstoßens
mit –1 am kleinsten, damit wird der Wert unter der Wurzel am größten, nämlich gleich (a + r)2. Bei allen anderen Winkelwerten von D wird der Wert unter der Wurzel kleiner und somit kleiner als (a + r)2, was zur Folge hat, dass auch b kleiner als a ist. a 2 r 2 2ar cos D r d 1. a
b a
q
(5-41)
Berechnen wir einmal die maximale Abweichung für eine Kugel, welche gerade noch im Sektor gelandet ist und für welche die Messung nach Punkt A 20 m ergeben hat. Um dies zu berechnen, benötigen wir den Winkel D. Dieser muss aber erst über den Sinussatz bestimmt werden. Abb. 5-9
C
Um den Unterschied zwischen a und b zu berechnen, benötigt man alle Winkel im Dreieck MAC.
b B
r r P
M Es gilt:
J
sin P a
a r
D
sin J r
A sin D . r b
(5-42)
Da der Winkel P = 17,46° (halber Sektorwinkel) sowie a = 20 m und r = 1,0675 m bekannt sind, lassen sich der Winkel J und damit, über die Winkelsumme im Dreieck, auch der Winkel D bestimmen: J
§r · sin1 ¨ sin P ¸ a © ¹
§ 1,0675 · sin1 ¨ sin17, 46q ¸ 20 © ¹
0,9176q .
(5-43)
Damit ergibt sich
D = 180° – J – P = 180° – 0,9176° – 17,46° = 161,622°. Somit erhalten wir für die offizielle Wurfweite b b
202 1,06752 2 20 1,0675 cos161,622q 1,0675
b | 19,95.
(5-52)
Die Messtechnik
61
Wir erhalten b |19,95 m, das sind zwar nur 5 cm weniger als a, aber immerhin. Es kann den Weltrekord bedeuten! Als Udo Beyer 1986 22,64 m weit stieß, überbot er den Weltrekord von Ulf Timmermann von 1985 um nur 2 cm. Derzeit liegt der Weltrekord bei 23,12 m und wurde von Randy Barnes aus den USA im Jahr 1990 in Los Angeles aufgestellt.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` ` ` ` `
Lineare Gleichungssysteme Bewegungsgleichungen Quadratischen Funktion Nullstellenbestimmung / Lösen quadratischer Gleichungen Extremwertbestimmung Winkelsumme im Dreieck Kosinussatz Sinussatz Ableitungen bilden
` http://www.iaaf.org/ ` http://de.wikipedia.org/wiki/Kugelstoßen
Weiterführende Links
6 Mathematik des Freiwurfs Anfang 2004 wurde in der Wochenzeitung DIE ZEIT in einer Reportage mit dem Titel „Angewandte Theorie“ über Holger Geschwindner, Coach und Berater von Deutschlands bestem Basketballspieler Dirk Nowitzki, berichtet. Nun ist ein Bericht über so eine exzentrische, aber erfolgreiche Persönlichkeit nichts Außergewöhnliches. Außergewöhnlich ist, dass Geschwinder in dieser Reportage erzählt, wie er seine Kenntnisse aus dem Mathematikstudium benutzt hat, um das Basketballspiel von Dirk Nowitzki zu verbessern. Als Geschwindner damals seine Theorie Kollegen vorstellte, wurde er belächelt. Sie stand ja auch in keinem Lehrbuch für Basketball. Seine Idee fasste er so zusammen: „Ich habe mir damals ein Stück Papier genommen und mich gefragt: Gibt es einen Schuss, bei dem ich Fehler machen darf und der Ball trotzdem durch den Ring fällt? Und dann habe ich eine Skizze gezeichnet: Der Ball muss mindestens einen Einfallswinkel von 32 Grad haben, Dirk ist 2,13 Meter groß, seine Arme haben eine bestimmte Länge, und wenn man dann noch die Gesetze der Physik kennt, kommt man schnell zu einer Problemlösung.“ (zitiert nach ZEIT 2004/04)
Der Freiwurf Wir wollen diese Idee, welche in der ZEIT nicht weiter ausgeführt wurde, aufgreifen und einmal konsequent durchrechnen. Es ist ja wirklich hochinteressant, was sich Geschwindner da ausgedacht hat. Er suchte einen Wurf bzw. eine Wurftechnik, bei dem bzw. bei der man Fehler machen kann und der Wurf trotzdem von Erfolg gekrönt ist. Er suchte also den für einen Spieler optimalen Wurf. Wir haben es, wie so oft im Leben, mit einem Optimierungsproblem zu tun und wir haben wieder guten Grund zur Annahme, dass uns die Mathematik hier weiterhilft. Wie bei allen mathematischen Modellierungen müssen wir auch hier Einschränkungen machen, um uns dem Problem zu nähern. Wir können uns auf eine von den Regeln des Basketballspiels vorgegebene standardisierte Wurfsituation zurückziehen: den Freiwurf. Der Freiwurf ist nur ansatzweise mit einem Strafstoß im Fußball vergleichbar. Beim Basketballspiel führt ein
64
Mathematik des Freiwurfs
Foul des Gegners beim Korbversuch zu Freiwürfen. Die Anzahl der Freiwürfe wird je nach Situation und Position des Gefoulten festgelegt. Es können zwischen einem und maximal drei Wurfversuchen sein. Ein Korbtreffer bei einem Freiwurf zählt immer einen Punkt. Abb. 6-1 Dirk Nowitzki beim Freiwurf während eines NBA Spiels Bildrechte: Creative Commons/ Jendrik Schmidt
Es macht also durchaus Sinn, diesen Freiwurf zu trainieren, um in Stresssituationen wichtige Punkte zu holen. Wir wollen hier versuchen, den optimalen Freiwurf zu bestimmen, bei dem der Ball ziemlich sicher durch den Ring fällt. Allerdings beschränken wir uns auf den Fall, dass der Ball direkt durch den Ring fällt. Das heißt, er darf nicht erst an das Brett springen und anschließend durch den Ring fallen oder den Ring berühren. Die Situation stellt sich also wie folgt dar: Ein Spieler wirft von der Freiwurfmarke, welche sich in der Entfernung xk von der Korbmitte befindet, in der Höhe h ab. Der Korb hängt in einer Höhe yk von 10 Fuß (das sind ziemlich genau 3,05 m) und hat einen Innendurchmesser von 45 cm. Weiter gehen wir in diesem Modell davon aus, dass die Dicke des Rings zu vernachlässigen ist. Der Basketball selbst hat einen Umfang von 75 cm und damit einen Durchmesser von fast 24 cm, also ein bisschen mehr als die Hälfte des Ringdurchmessers. In Abbildung 6-1 sieht man die Situation in der Realität. In Abbildung 6-2 ist die Situation schematisch dargestellt.
65
Der Freiwurf
y
Abb. 6-2
Flugbahn
Die schematische Darstellung der Freiwurfsituation
U K(xk/yk) Korbhöhe yk
E S(0/h) Abwurfhöhe h (0/0)
Korbentfernung xk x
Wir betrachten die Situation ganz nüchtern und transferieren sie in ein kartesisches Koordinatensystem. Den Abwurfpunkt des Spiels legen wir in S(0/h), die Korbmitte liegt bei K(xk/3,05). Die Entfernung xk variiert je nach Regelwerk. Aber nehmen wir einfach mal den Wert aus dem Regelwerk der NBA (National Basketball Association). Die Entfernung xk wird hier mit 4,19 m angegeben. Die Flugbahn des Basketballs wird, da wir die Reibung vernachlässigen können, eine Parabel sein. Wir werden in diesem Kapitel auf eine grundlegende Herleitung der Wurfparabel verzichten, da dies schon in Kapitel 5 geschehen ist. Leser, welche das Freiwurfkapitel zuerst lesen, mögen dies entschuldigen. Nun gibt es unendlich viele Parabeln, die man durch die zwei Punkte S und K legen kann. Aus diesen unendlich vielen Möglichkeiten müssen wir diejenigen auswählen, welche dem Sportler die meisten Fehler erlauben. Zunächst stellen wir ganz unbedarft die Funktionsgleichung aller Parabeln auf, die durch die Punkte S und K verlaufen. Basketballfans mögen mir jetzt verzeihen: natürlich zielt man nicht auf den Punkt K, sondern auf die Vorderkante des Rings, aber mathematisch müssen wir durch die Korbmitte also den Punkt K. Wir kennen zunächst nur die Koordinaten von
66
Mathematik des Freiwurfs
S(0/h) und K(xk/yk). Daraus ergeben sich mit Hilfe der Funktionsgleichung für die allgemeine Parabel p x
ax 2 bx c
(6-1)
folgende Bedingungen: p 0 p xk
(6-2)
h yk
axk2 bxk c .
(6-3)
Da wir nur zwei Gleichungen haben, werden wir einen Parameter behalten müssen. Wir entscheiden uns für a. Es ist c aus Gleichung (6-2) schon bestimmt. Bestimmen wir also b aus (6-3): b
yk h axk . xk
(6-4)
Wir erhalten so die Gleichung für alle Parabeln, welche durch die Punkte S und K verlaufen: pa x
Abb. 6-3 In diesem Bild sieht man, wie klein der Ball im Vergleich zum Ring ist. Der Ring hat fast den doppelten Durchmesser wie der Ball. Bildrechte: Daniel Pieper
§y h · ax 2 ¨ k axk ¸ x h . x k © ¹
(6-5)
67
Der Freiwurf
Um uns einen ersten Überblick über den Verlauf der Wurfparabeln zu verschaffen, setzen wir reale Werte ein: Für die Korbmitte, welche durch den Punkt K(xk/yk) symbolisiert wurde, verwenden wir K(4,19/3,05). Die Höhe, in der der Sportler abwirft, legen wir auf 2 m fest. Wir erhalten: pa x
§ 1,05 · ax 2 ¨ 4,19 a ¸ x 2 . 4,19 © ¹
(6-6)
Aus Abbildung 6-4 wird natürlich sofort ersichtlich, dass nicht alle Wurfparabeln zum Erfolg führen werden, denn der Ball muss ja von oben durch den Ring fallen. Mit bloßem Auge kann man hier schon einige ausschließen. Die Frage ist aber, welche Wurfparabeln gerade noch erlaubt sind. Man muss also den Minimalwinkel U kennen, unter dem der Ball gerade noch durch den Ring fällt. Kennen wir diesen Winkel U, so kann man schon an der Zeichnung die gültigen Wurfparabeln herausfinden und somit auf das Entscheidende, den Abwurfwinkel E im Punkt S, schließen. Abb. 6-4 Verschiedene Wurfparabeln durch die Punkte S und K
68
Mathematik des Freiwurfs
Der Abwurfwinkel Wenn wir uns eine detaillierte Zeichnung von der Situation machen (siehe Abbildung 6-5), so lässt sich der minimale Winkel leicht mit trigonometrischen Funktionen berechnen. Wir erhalten für U § 24 cm · sin–1 ¨ ¸ © 45 cm ¹
U
§r · sin–1 ¨ ¸ ©R¹
U
sin–1 0,533.. | 32,23q | 32q .
(6-7) (6-8)
Abb. 6-5 Bestimmung des minimalen Einfallswinkels U
r Basketball
r
Ring
U R
K
Mit diesem minimalen Winkel U können wir weiterarbeiten. Der Vollständigkeit halber sei auch erwähnt, dass es auch einen Maximalwinkel gibt, welcher nicht überschritten werden darf. Dieser Winkel wird zum einen durch die Hallendecke vorgegeben (siehe auch Abbildung 6-4), zum anderen durch die Kraft des Spielers. Für einen größeren Winkel braucht man entsprechend mehr Wurfkraft, da der Ball dann entsprechend höher fliegen muss, um den Korb zu erreichen. Wir konzentrieren uns aber weiter auf den minimalen Winkel. Mit Hilfe der Differentialrechnung bestimmen wir die Steigung im Punkt K und bringen diese in Beziehung zum Winkel U. So kann man dann einen Maximalwert für den Parameter a abschätzen und den Abwurfwinkel E im Punkt S bestimmen:
Der Abwurfwinkel
pa x dpa x dx
§y h · ax 2 ¨ k axk ¸ x h x k © ¹ 2ax
yk h axk . xk
(6-9)
(6-10)
Der Einfallswinkel U muss größer als 32° sein bzw. die Steigung am Punkt K kleiner als –tan32°: pac xk
ad
axk
yk h d tan 32q xk
yk h · 1 § ¨ tan 32q ¸. xk © xk ¹
(6-11)
(6-12)
Nun haben wir eine Abschätzung des Parameters a, damit können wir nun die Steigungen der Parabeln im Punkt S(0/h) bestimmen: phc 0
yk h y h y h axk t k tan 32q k xk xk xk
y h phc 0 t 2 k tan 32q . xk
(6-13) (6-14)
Wir haben damit sogar die Steigung im Punkt S(0/h) in Abhängigkeit von der Abwurfhöhe h bestimmt. Den Winkel erhält man über den Zusammenhang von: phc 0
tan E § yk h · tan 32q ¸ x k © ¹
E h t tan1 ¨ 2
(6-15) (6-16)
§ 3,05 2 · tan 32q ¸ | 48, 4q . 4,19 ¹
E 2 t tan1 ¨ 2 ©
Wir erhalten also in unserem speziellen Fall für h = 2 m einen Abwurfwinkel E von ungefähr 48,4°. Je größer der Werfer, desto kleiner wird dieser Winkel. Für Dirk Nowitzki, der wohl bei 2,50 m abwerfen wird, reicht ein Abwurfwinkel von ungefähr 41,6°. Der Funktionsgraph in Abbildung 6-6 zeigt den allgemeinen Zusammenhang.
69
70
Mathematik des Freiwurfs
Abb. 6-6 Der Abwurfwinkel D in Abhängigkeit von der Abwurfhöhe h
Die Abwurfgeschwindigkeit Damit wissen wir zwar, mit welchem Winkel E wir in der Höhe h abwerfen müssen, aber es fehlt natürlich noch die Information, mit welcher Geschwindigkeit der Ball abzuwerfen ist. Ist er zu langsam, so wird die Flugbahn zu kurz und der Ball fällt vor dem Korb hinunter. Ist er zu schnell, so prallt er im besten Fall gegen das Brett und fällt eventuell durch den Ring. Der Ball kann natürlich auch in einem größeren Winkel als E abgeworfen werden. Auch dann ist es möglich, dass der Ball durch den Ring fällt. Er muss dann aber sicher mit einer anderen Geschwindigkeit abgeworfen werden. Wir können aber festhalten, dass es zu jedem Winkel D größer E eine Geschwindigkeit geben muss, mit der man durch den Ring trifft. Wir sind unserem Ziel, den optimalen (Frei-)Wurf für jeden Spieler zu bestimmen, auf den ersten Blick kaum näher gekommen, aber wir haben uns mit der Situation so vertraut gemacht, dass wir nun etwas klarer sehen.
Die Abwurfgeschwindigkeit
Um nun weiterzuarbeiten, benötigen wir die Gleichung der Wurfparabel, in der die Abwurfgeschwindigkeit v, der Abwurfwinkel D sowie die Abwurfhöhe h als Parameter eine Rolle spielen. Auch hier verweise ich auf Kapitel 5, wo wir uns schon über die optimale Wurfweite beim Kugelstoßen Gedanken gemacht haben. Wir erhielten dort in Gleichung (5-21) folgende Funktionsgleichung: p( x )
tan D x
g x2 2 h. 2 v cos2 D
(6-17)
Nun haben wir zwar mit dem konstanten Glied die Abwurfstelle mit S(0/h) fixiert, aber durch diesen Punkt verlaufen wieder unendlich viele Parabeln, auch solche, welche gar nicht durch die Mitte des Rings, also unseren Punkt K verlaufen. Wie schaffen wir es, dass die Wurfparabeln durch die Ringmitte verlaufen? Nun, wir zwingen die Parabel einfach dazu, durch den Punkt K(xk, yk) zu verlaufen, indem wir den Punkt K in die Gleichung (6-17) einsetzen. Wir erhalten nun nur noch eine Abhängigkeit zwischen der Abwurfgeschwindigkeit v und dem Abwurfwinkel D. Das heißt, wir wissen nun, für welchen Winkel D welche Abwurfgeschwindigkeit v notwendig ist, um durch die Mitte des Rings zu treffen. tan D xk
yk
x 2 g 2 k 2 h. 2 v cos D
(6-18)
Wir lösen diese Gleichung nach v auf und erhalten g xk2
v
2 xk tan D h y k cos2 D
.
(6-19)
Für folgende numerischen Werte g
9,81
m s2
, xk
4,19 m, y k
3,05 m
erhalten wir v h D
172,22 2 4,19 tan D h 3,05 cos2 D
.
(6-20)
Tragen wir nun den Abwurfwinkel D gegen die Geschwindigkeit vh(D) auf, so erhalten wir in Abbildung 6-7 folgendes Bild:
71
72
Mathematik des Freiwurfs
Abb. 6-7 Jede Farbe entspricht einer anderen Abwurfhöhe h: 1,8 m o Rot 2,0 m o Schwarz 2,2 m o Blau 2,5 m o Grün
Was bedeuten jetzt eigentlich diese Graphen? Jeder Punkt auf dem Graphen entspricht einem Koordinatenpaar von Abwurfwinkel E und Abwurfgeschwindigkeit v, bei dem der Ball ganz sicher durch die Mitte des Rings fallen wird. Denn das war ja unsere Nebenbedingung, welche wir in Gleichung (6-18) haben einfließen lassen. Wir sind also unserem Ziel des optimalen Freiwurfes ein wenig näher gekommen. Wir stellen auch fest, dass die Abwurfhöhe h nicht vernachlässigt werden kann. Neben dem minimalen Abwurfwinkel beeinflusst die Körpergröße bzw. die Abwurfhöhe h auch noch andere Parameter. Für unsere weitere Betrachtung verwenden wir deshalb stellvertretend für die anderen Körpergrößen nur noch eine Abwurfhöhe von 2,20 m. Aus Abbildung 6-6 kann man ablesen, dass für diese Abwurfhöhe gilt, dass man mindestens mit einem Winkel von 45° abwerfen muss. Weiter sehen wir, dass dieser Graph in der Nähe von 50° ein ganz flaches Minimum aufweist. Die exakten Werte des Minimums betragen (50,73°/ 7,10 m/s). Man erhält diese durch Bestimmung der Nullstelle der Ableitung von Gleichung (6-20). Der Vorteil eines flachen Minimums ist der, dass man bei der unabhängigen Variable (hier ist es der Abwurfwinkel D) etwas verändern kann und sich dadurch bei der abhängigen Variable (in unserem Falle ist es die Abwurfgeschwindigkeit v) nur wenig verändert. Konkret auf die Basketballsituation angewandt bedeutet das, dass man beim Abwurfwinkel E ruhig ein bisschen wackeln darf. Bei der Abwurfgeschwindigkeit sollte man dies nicht tun, sie sollte stets konstant auf dem jeweils optimalen Level gehalten werden. Dies ist auch sehr gut möglich,
73
Die Abwurfgeschwindigkeit
da die Drucksensitivität in den Fingern erstaunlich hoch ist. Um diese bei den Basketballspielern noch zu erhöhen, werden sie dazu angehalten, ein Saiteninstrument zu lernen, denn man hat festgestellt, dass Musiker, welche ein Saiteninstrument spielen, die höchste Drucksensibilität in den Fingerkuppen aufweisen. Spitzenreiter sind hier die Violinisten. Holger Geschwindner ist zwar Perfektionist, aber in diesem Fall gibt er sich damit zufrieden, dass seine Schützlinge Gitarre lernen. Kommen wir wieder zurück zum optimalen Wurf: Wir haben auch noch gar nicht berücksichtigt, dass der Durchmesser des Basketballs deutlich kleiner ist als der Durchmesser des Korbringes (siehe Abbildung 6-3). Das bedeutet wiederum, dass es durchaus Abweichungen von der „optimalen“ Wurfparabel geben darf. Wobei wir mit „optimal“ meinen, dass die Wurfparabel genau durch die Korbmitte K verläuft. Ob das wirklich „optimal“ ist, werden wir noch sehen. Sportlertyp
Abwurfhöhe h
Optimaler Abwurfwinkel
Optimale Geschwindigkeit v
Winkelbereich Abwurfwinkel
Sportler 1
1,8 m
53°
7,42 m/s
53°–55°
Sportler 2
2,0 m
52°
7,26 m/s
50°–55°
Sportler 3
2,2 m
51°
7,10 m/s
48°–55°
Sportler 4
2,5 m
49°
6,84 m/s
46°–54°
„Sportler 5“
3,05 m
45°
6,41 m/s
41°–50°
Man erkennt, dass die erlaubten Spielräume beim Abwurfwinkel stark von der Abwurfhöhe h abhängen. Für große Sportler gilt, dass die Spielräume größer sind. Das hat zwei Gründe, der erste ist banal: Große Spieler sind näher am Korb und damit macht sich eine Winkelabweichung nicht so stark bemerkbar. Der zweite Grund: Je näher man mit der Abwurfhöhe der Korbhöhe kommt, desto symmetrischer wird die Wurfparabel. Die Winkelabweichungen sind dadurch in beide Richtungen gleich gut möglich. Berechnet man die numerischen Schnittpunkte von Wurfparabel und Korblinie (y = 3,05), so stellt man fest, dass diese immer kleiner als xk sind. Wie oben schon angedeutet, müssen wir uns darüber noch Gedanken machen, ob es „optimal“ ist, von der Korbmitte als Ziel auszugehen. Mit Abbildung 6-7 wollen wir diesen Gedanken ein wenig nachgehen.
Tab.6-1 Einige Abwurfhöhen h und die dazugehörigen optimalen Freiwurfwerte
74
Mathematik des Freiwurfs
Abb. 6-8 Für eine Abwurfhöhe von 2,20 m sind hier die gerade noch möglichen Wurfparabeln bei einer optimalen Abwurfgeschwindigkeit von 7,10 m/s und einem optimalen Abwurfwinkel von 51° aufgezeichnet.
Die Optimierung Man sieht in Abbildung 6-8 deutlich, dass die Schnittpunkte der von der optimalen Wurfparabel (blau) abweichenden Graphen mit der Korblinie y = 3,05 (grün) im vorderen Teil des Korbes liegen. Wir haben also Abweichungen der Wurfparabeln in den hinteren Teil des Korbes gar nicht ausgenutzt. Es scheint so, als ob unsere Anfangsbedingung, genau die Korbmitte zu treffen, gar nicht so ideal bzw. optimal war. Dies liegt daran, dass durch eine Abwurfwinkeländerung nach oben (siehe z. B. schwarze Kurve) die Wurfweite des Balles immer kürzer wird. Eine Verkleinerung des Abwurfwinkels E bringt kaum etwas, da sonst der Winkel U, mit dem der Ball auf den Ring zufliegt, zu klein ist und der Ball am Ring hängen bleibt. Man vergegenwärtige sich die Situation noch einmal an Abbildung 6-4. Man wird also versuchen, die Wurfparabel so zu optimieren, dass der Ball zunächst durch den hinteren Teil des Ringes fällt. Dies gelingt durch geringe Erhöhung der Abwurfgeschwindigkeit. Wir wollen dies wieder für eine Abwurfhöhe von 2,20 m durchführen. Wir erhöhen die Abwurfgeschwindigkeit geringfügig auf 7,12 m/s. Dies hat zur Folge, dass sich der Schnittpunkt der Wurfparabel mit der Korbhöhe um 4 cm vom Mittelpunkt des Korbs in Richtung „Brett“ verschiebt.
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Die Optimierung
Nutzt man nun die Gleichung (6-17) und spielt dort mit den verschiedenen Abwurfwinkeln, so sieht man, dass sich der erlaubte Abwurfwinkelbereich jeweils um fast ein Grad nach oben und unten erweitert. Unsere Überlegungen haben also Früchte getragen. Erhöht man allerdings den Winkel E nochmals um ein Grad, so wäre der Ball zu kurz, verringert man E noch um ein Grad, so ist der Einfallswinkel U zu klein. In Tabelle 6-2 sind der größte und kleinste Abwurfwinkel für eine Abwurfhöhe von 2,20 m aufgelistet, ebenso die berechneten (minimalen) Einfallswinkel beim Korb. Man erkennt, dass der Einfallswinkel U immer ein bisschen größer ist. Tab.6-2
v = 7,12 m/s; h = 2,20 m; erlaubte Winkel 47,5° bis 56° Winkel
47,5°
51°
56°
Abweichung von der Korbmitte
0 cm
+4 cm
– 6,5 cm
Einfallswinkel U
34,4°
39,8°
49,9°
32°
39,2°
46,7°
minimaler Einfallswinkel
Bei unserem Riesenspieler (h = 3,05 m) können wir bei einer Abwurfgeschwindigkeit von v = 6,45 m/s den Winkelbereich, in dem der Ball durch den Ring fällt, auf 12° (von 40° bis 52°) erweitern, also eine Winkelbereichserhöhung um insgesamt 3°. Das ist eine Verbesserung um mehr als 30 %. Fassen wir zusammen: Das Entscheidende für einen erfolgreichen Freiwurf ist also eine für die Körpergröße passende Abwurfgeschwindigkeit v. Diese gilt es zunächst näherungsweise zu berechnen (Minimum der Funktion (6-20)), anschließend zu optimieren und dann zu trainieren. Ebenso konnten wir feststellen, dass große Basketballspieler beim Freiwurf einen Vorteil haben: Ihnen sind größere Winkelabweichungen erlaubt als kleineren Spielern. Zusätzlich kommt dazu, dass größere Spieler mit einer geringeren Geschwindigkeit abwerfen können und auf Grund der Armlänge länger und damit langsamer, also gefühlvoller beschleunigen können. Dies ist ein großer Vorteil und man spart sogar ein wenig Energie dabei. Theoretisch.
Die Winkelwerte für die optimierte Abwurfgeschwindigkeit
76
Mathematik des Freiwurfs
In der realen Spielsituation sieht die Sache natürlich ein wenig anders aus. Hier muss man dann auch noch Elemente des bewegten Basketballspiels berücksichtigen. Zum Beispiel hat man hin und wieder auch einen Gegner vor sich. Über diesen muss man dann drüber werfen. So ergibt es sich, dass der optimale Abwurfwinkel für Dirk Nowitzki nach Aussage von Holger Geschwinder bei 60° liegt.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` `
Weiterführende Links
Trigonometrie Bewegungsgleichungen Parameterfunktionen Wurfparabel Differentialrechnung
` http://www.zeit.de/2004/04/Sport_2fBasketball_kurz ` http://de.wikipedia.org/wiki/Basketball
7 Mathematik und der weiße Sport Nachdem wir uns in den vorangegangenen Kapiteln mit Weltrekorden und Wurfparabeln beschäftigt haben, wollen wir uns diesmal einer Sportart zuwenden, die früher einmal als weiße Sportart galt, weil man nur mit weißer Sportbekleidung den Platz betreten durfte. Ich habe das nie so ganz verstanden, da ja der Staub des Tennisplatzes die Kleidung nach einem rasanten Spiel mit einem leichten Rot überzogen hat. Mittlerweile ist es sogar bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft, dem Turnier in Wimbledon, fast egal, was man anzieht. In diesem Kapitel geht es nicht um die Tenniskleidung oder darum, vermeintlich mathematisch interessante, besondere Zählweisen der Punkte bei einem Tennismatch zu erklären, sondern wir wollen uns mit dem Spielgerät, dem Tennisschläger beschäftigen.
Die Mathematik der Schlägerbespannung In den Jahren der Tennishochzeiten eines Boris Beckers und einer Steffi Graf hatten die Spezialisten für Schlägerbespannungen in den Sportgeschäften viel zu tun. Denn der aggressive Topspin der beiden Vorzeigespieler wurde von den jungen Nachwuchsspielern (unter anderem auch von mir) intensiv nachgeahmt. So eine Spielweise hat aber die Schlägerbespannung nicht gerade geschont und so musste man je nach Trainingsintensität fast alle zwei Wochen in ein Sportgeschäft und sich den Schläger neu bespannen lassen. Vor jeder Neubespannung wurde natürlich diskutiert, wie hart die Bespannung sein soll und für welchen Spielertyp welcher Saitentyp am besten geeignet ist usw. Natürlich wurde auch über den Preis verhandelt. Aber da gab es leider immer Festpreise. Ich konnte das als junger Spieler nicht verstehen, schließlich gab es ja große und kleine Tennisschläger. Und es ist doch klar, dass man für große Schläger längere Saiten benötigte als für kleinere Schläger.
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Mathematik und der weiße Sport
Abb. 7-1 Dieser Tennisschläger muss neu bespannt werden.
Aber wie viele Meter Bespannung benötigt man überhaupt für einen Schläger? Unabhängig vom Preis muss das doch der Verkäufer im Sportgeschäft wissen, damit klar ist, wie viel Meter Saite er von der großen Vorratsrolle abschneiden muss. Gibt es für die Länge der Schlägerbespannung eine Faustregel, nach der die Verkäufer den Bedarf an Saiten für einen Schläger bestimmen können? Wenn nicht, können wir mit Hilfe der Mathematik eine Faustformel für die Saitenlänge herleiten? Es gibt auch andere Sportarten, wo Schlägerbespannungen eine Rolle spielen. Denken wir nur an Squash oder Badminton. Hier sind die Belastungen auf die Bespannung zwar nicht so hoch, aber auch die Schläger für diese Sportarten wollen wir mit berücksichtigen. Die Herleitung einer Faustformel Wir entwickeln zunächst ein ganz einfaches Modell. Wir gehen davon aus, dass der Schlägerkopf kreisrund ist und dass die Längs- und Quersaiten der Bespannung Quadrate bilden. Außerdem lassen wir die Quadrate den
79
Die Mathematik der Schlägerbespannung
kompletten Schläger bedecken, was so ja auch nicht ganz korrekt ist. Diese Annahmen machen es uns aber zunächst viel leichter und wir können später, falls nötig, das Modell immer noch verbessern. Abb. 7-2 Unser einfaches kreisrundes Schlägermodell
Da wir die gesamte Schlägerfläche AS mit Einheitsquadraten Ae bedecken, können wir die Anzahl Z der Einheitsquadrate näherungsweise ausrechnen Z
AS Ae
r 2S e2
(7-1)
.
Das hilft natürlich zunächst nicht weiter, da wir über die Seitenlänge e des Einheitsquadrates nicht viel wissen. Aber wir sollten trotzdem mal mit der Anzahl Z der Einheitsquadrate weiterrechnen. Da immer zwei Quadratseiten zu einem Saitenstückchen der Länge e verschmelzen, liegt es natürlich nahe, die Anzahl Z der Einheitsquadrate nur mit dem halben Quadratumfang, also 2e zu multiplizieren. So erhalten wir ein Maß für die Länge Lc der Saiten. Also Lc
Z 2e
r 2S e2
2e
2r 2S . e
(7-2)
Zu dieser Länge Lc müssen wir noch etwas addieren, da wir ja die Saiten durch die Löcher im Rahmen durchfädeln und auch noch verknoten müssen. Es liegt nahe, hierfür den Umfang U des Schlägers anzusetzen, weil man ja entlang des Schlägerrands durchfädelt.
80
Mathematik und der weiße Sport
Wir erhalten also L
Lc U
2r 2S 2r S e
§r · 2r S ¨ 1¸ e © ¹
§r · U ¨ 1¸ . e © ¹
(7-3)
Na, das ist doch eine schöne, einfache Formel? Den Umfang U des Schlägers können wir leicht messen und der Quotient r/e entspricht der Anzahl, wie oft die Länge e der Quadratseite in den Radius r des Schlägers passt. Dies kann man auch leicht abzählen: Man zählt z. B., wie viele Längssaiten NLS ein Schläger besitzt, und halbiert das Ergebnis. Wir kommen dann also zu folgenden einfachen Faustformeln: L
§N · U ¨ LS 1¸ © 2 ¹
U NLS 2 . 2
(7-4)
Im Normalfall wird man keinen kreisrunden Schläger haben, so dass sich die Anzahl der Längs- und Quersaiten mit Sicherheit unterscheiden werden. In diesem Falle zählt man einfach alle Saiten und erhält als Anzahl N. Nun wird N nicht halbiert, sondern man teilt N durch vier und erhält so einen Mittelwert. Wir erhalten dann folgende Formel: L
§N · U ¨ 1¸ ©4 ¹
U §N · 2¸ . 2 ¨© 2 ¹
(7-5)
In der Umgangssprache berechnet sich die Saitenlänge wie folgt: Saitenlänge
§ Anzahl der Saiten · Schlägerumfang in Meter ¨ 1¸ . 4 © ¹
Man könnte auch meinen, dass es reichen würde, wenn man nur die Löcher im Rahmen zählt, aber das klappt leider nicht, da viele Löcher nur für Quersaiten und andere nur für Längssaiten verwendet werden. Machen wir doch einmal ein Rechenbeispiel mit unserer Formel und überprüfen das mit dem Tennisschläger von Abbildung 7-3. Der Schläger hat einen Umfang von ziemlich genau 1 m und besitzt 37 Saiten. L
§N · U ¨ 1¸ 4 © ¹
§ 37 · 1¸ 1m ¨ © 4 ¹
10,25 m .
(7-6)
81
Die Mathematik der Schlägerbespannung
Eine Messung am Tennisschläger ergab eine Länge von 10,35 m. Wählen wir als weiteres Beispiel noch einen Badmintonschläger. Dieses Modell besitzt 45 Saiten und einen Umfang von 71,5 cm. Abb. 7-3 Ein typischer Badmintonschläger mit 45 Saiten und einem Umfang von 71,5 cm
Wir erhalten hier eine Saitenlänge L von L
§N · U ¨ 1¸ 4 © ¹
§ 45 · 0,715 m ¨ 1¸ © 4 ¹
8,76 m .
(7-7)
Eine experimentelle Überprüfung ergab eine Länge von 8,87 m. Unsere Faustformel, die mit nur zwei Parametern U und N auskommt, ist also gar nicht so schlecht. Den Umfang U kann man leicht mit einem Stück Schnur messen und die Anzahl N der Saiten kann man abzählen. Okay, das funktioniert nur, wenn der Schläger schon mal bespannt war. Wie wird es nun wirklich gemacht? Ein Profi im Sportgeschäft meint zur Bespannung eines Tennisschlägers: „Man schneidet 11 m Saite ab, das reicht immer! Nun bespannt man damit den Schläger und misst das, was übrig bleibt. So kommt man auf die schlägerspezifische Saitenlänge.“ Ich finde da unsere mathematische Methode wesentlich eleganter.
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Mathematik und der weiße Sport
Die Mathematik des Tennisplatzes Abb. 7-4 Ein üblicher Sandplatz mit weißen Linien
Am Ende eines Matches oder einer Übungsstunde muss man den Tennisplatz ordentlich hinterlassen. Ordentlich heißt im Falle eines Sandplatzes, dass man mit Hilfe eines Netzes oder einer großen Bürste den Sand wieder gleichmäßig über den Platz verteilt und anschließend noch die weißen Linien mit einem Besen säubert. Man nennt dies in der Tennissprache „den Platz machen“ oder „den Platz abziehen“. Da man auf diese Pflichten möglichst wenig Zeit verwenden möchte, stellt sich die Frage, wie man diesen Vorgang optimieren kann. In der Regel zieht jeder Spieler nur seine eigene Hälfte ab, es sei denn, man hat vorher eine Wette laufen und der Verlierer muss beide Seiten machen. Aber gerade für den Verlierer lohnt es sich dann, ein optimiertes Verfahren zur Verfügung zu haben. Dazu ist es natürlich hilfreich, sich zunächst einmal einen Tennisplatz genauer anzusehen, wobei wir auf Grund der Symmetrie nur eine Seite betrachten müssen. Da die Tennisregeln in England festgeschrieben wurden, sind die Längenangaben für Abmessungen des Platzes im metrischen System recht „krumme“ Zahlen. Wir werden deshalb die Maßangaben in Fuß machen und damit Kommazahlen vermeiden. Letztendlich ist es sowieso egal, welches Maßsystem man verwendet. Ablaufen muss man die Linien so oder so! Um zu wissen, wie weit man mindestens laufen muss, addiert man jede einzelne Linienlänge, welche wir in Abbildung 7-5 ablesen können, und erhält so: 4 39 Fuß 21Fuß 36 Fuß 27 Fuß
240 Fuß.
83
Die Mathematik des Tennisplatzes
Ein Fuß entspricht ziemlich genau 30,5 cm. Somit errechnen sich für die gesamte Linienlänge stolze 73,2 m. Abb. 7-5 Die schematische Darstellung einer Tennisplatzhälfte
Man stellt aber ziemlich schnell fest, dass es nicht gelingt, die Linien so abzulaufen, dass man an jeder Linie nur einmal entlangläuft. Manche Linien muss man doppelt laufen. Warum das so ist und welches nun der günstigste Weg auf dem Tennisfeld ist, soll im nächsten Kapitel geklärt werden. Dort geht es um die „Mathematik der Spielfelder“ und wir werden unser Tennisplatzproblem allgemein lösen und somit auch auf den Fußballplatz übertragen können. Auf der nächsten Seite stehen Ihnen einige leere Spielfelder zur Verfügung, auf denen Sie gern zunächst selbst einen kürzesten, geschlossenen Weg finden können. Der Weg muss ja geschlossen sein, denn der Kehrbesen muss nach dem Linienkehren wieder am dafür vorgesehenen Platz abgestellt bzw. aufgehängt werden. Das bedeutet, dass Anfangspunkt und Endpunkt unseres Kehrweges zusammenfallen müssen. Probieren Sie es einfach einmal aus!
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Mathematik und der weiße Sport
Abb. 7-6 Ihre Übungsfelder, um den kürzesten Weg zu finden! Beachten Sie, dass Sie am Schluss wirklich einen geschlossenen Weg haben und dass Sie alle Linien abgelaufen sind. Um Ihre Wege anschließend zu vergleichen, brauchen Sie nur die zusätzlichen Wege zu zählen.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` `
Mut zur Näherung Umfang eines Quadrates Kreisumfang Fläche eines Quadrates Kreisflächenformel Mittelwertbildung
8 Mathematik der Spielfelder Bevor wir die Frage nach dem kürzesten Weg auf dem Tennisplatz aus Kapitel 7 aufgreifen, wollen wir uns erst einmal mit der Philosophie von Spielfeldern befassen. Spielfelder schränken zunächst den Aktionsradius, also die Freiheit der Sportler ein. Durch diese Vorgabe wird aber überhaupt erst ein ordentlicher Spielbetrieb ermöglicht. Dieses Reglement stellt jeder Mannschaft den gleichen Raum zur Verfügung und die Zuschauer können sich um das Spielfeld postieren. Die Linien auf den Spielfeldern kennzeichnen besondere Regionen auf dem Spielfeld, wo andere Regeln als üblich gelten. Als Beispiel sei der Strafraum im Fußball genannt, wo ein Foul sofort einen Strafstoß nach sich zieht, oder der Schusskreis beim Hockey, innerhalb dessen der Spieler überhaupt erst auf das Tor schießen darf. Letztendlich sollen Spielfelder einen fairen und gerechten sportlichen Wettkampf gewährleisten. Damit diese Spielfelder dies auch wirklich leisten können, haben sie alle eines gemeinsam: Sie sind rechteckig und symmetrisch. Die allermeisten Spielfelder besitzen sogar zwei Symmetrieachsen. Eine Querachse, welche das Spielfeld in die beiden Mannschaftshälften unterteilt, sowie eine Längsachse, welche das Spielfeld symmetrisch bezogen auf die eigene Mannschaft oder den eigenen Körper (Tennis) anlegt und damit weder Linkshänder noch Rechtshänder bevorzugt. Die einzige Ausnahme ist hier das Baseballspielfeld. Dieses besitzt nur eine Symmetrieachse und ist auch nur seitlich begrenzt.
Die Spielfeldmaße und Spielfeldlinien Im Folgenden wollen wir einige Spielfelder näher in Augenschein nehmen. Betrachten wir zunächst die Abmessungen. Es fällt auf, dass die Linienlängen der meisten Spielfelder „krumme“ Zahlen sind. Zum Beispiel ist das Feldhockeyspielfeld 91,40 m lang und der Schusskreis hat einen Radius von 14,63 m. Das Tennisspielfeld ist beim Einzel 8,23 m und beim Doppel 10,97 m breit. Das Fußballtor ist unverständliche 7,32 m breit und 2,44 m hoch. Beim Basketball ist das Spielfeld zwar erstaunlicherweise genau 28 m lang, aber der Korb hängt 3,05 m hoch. Man findet noch mehr solche Beispiele. Im Handball gibt es dagegen ganz glatte
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Mathematik der Spielfelder
metrische Angaben; das Spielfeld ist 40 m lang und 20 m breit und der Wurfkreis hat einen Radius von genau 6 m. Warum ist das so? Für Sportarten wie Fußball, Tennis, Hockey und Badminton wurden die ersten Regelwerke im angloamerikanischen Kulturraum verfasst. Dort gelten als Maßeinheit unter anderem Yard (Schritt), Fuß und Inch (Zoll). Zunächst ist es so, dass dem Yard eine Länge von 91,44 cm entspricht. Meist werden aber nur 91,5 cm angegeben. In ein Yard passen drei Fuß. Damit entspricht ein Fuß 30,48 cm oder ungefähr 30,5 cm. In einen Fuß passen 12 Inch, also entspricht ein Inch einer Länge von 2,54 cm. Mit diesen Werten lassen sich die „krummen“ Spielfeldlängen bzw. Linienlängen nun in „glatte“ Werte umrechnen. In Tabelle 8-1 sind die Werte von Spielfeldern einiger olympischer Sportarten in den verschiedenen Maßsystemen aufgeführt. Tab. 8-1 Einige Sportarten und deren Spielfeldabmessungen
Sportart
Länge
Breite
Besondere Maße
Tormaße
Hockey
91,4 m
55 m
Schusskreisradius
3,66 m x 2,14 m
100 yd
60 yd
14,63 m /16 yd
12 Fuß x 7 Fuß
11,89 m
8,23 m (Einzel)
Aufschlaglinien
–
13 yd
9 yd
6,40 m / 7 yd
Badminton
13,40 m
6,10 m (Einzel)
Netzhöhe (Mitte)
44 Fuß
20 Fuß
1,524 m / 60 Inch
Fußball (Int.)
110 bis 120 yd
70– 80 yd
Strafraum 16,5 m/18 yd
7,32 m x 2,44 m
64– 75 m
Elfmeter 10,97 m/12 yd
8 Yard x 8 Fuß
Tennis
100 bis 110 m Tischtennis
–
Torraum 5,5 m/6 yd Anstoßkreis 9,15 m/10 yd
2,74 m
152,5 m
Netzhöhe (Mitte)
9 Fuß
5 Fuß
15,25 cm / 6 Inch
–
Betrachten wir nun drei verschiedene Spielfelder genauer. Zum einen das Spielfeld einer Mannschaftssportart bei einem symmetrischen Spiel (Fußball), des Weiteren das Spielfeld der Einzelsportart Tennis und als Drittes die asymmetrische Mannschaftssportart Baseball. Das Baseballspielfeld ist nur seitlich begrenzt. Da es beim Baseball gerade das Ziel ist, den Ball möglichst weit weg zu schlagen, macht eine Beschränkung der Länge nach keinen Sinn. Die folgenden Abbildungen zeigen diese unterschiedlichen Felder mit einigen Maßangaben.
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Die Spielfeldmaße und Spielfeldlinien
Abb. 8-1 Das Tennisspielfeld besitzt zwei Symmetrieachsen. (Maßangaben in Fuß)
Abb. 8-2 Das Fußballspielfeld besitzt ebenfalls zwei Symmetrieachsen. (Maßangaben in Yard)
Abb. 8-3 Das Baseballspielfeld besitzt nur eine Symmetrieachse und ist durch den 90°Winkelsektor nur seitlich begrenzt. (Maßangaben in Yard)
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Mathematik der Spielfelder
All diese Spielfelder bedürfen vor bzw. nach dem Spiel der Pflege. So müssen vor jedem Fußballmatch oder Baseballspiel die Linien neu gezogen werden. Beim Tennisspiel muss nach dem Match der rote Sand von den Linien gekehrt werden. Wir wollen nun endlich der Frage nachgehen, wie man am schnellsten und ökonomischsten diese Linien aufzeichnen bzw. säubern kann.
Kanten und Knoten Zunächst wird man feststellen, dass es nicht möglich ist, die Linien auf diesen Spielfeldern so zu durchlaufen, dass wir jede Linien nur genau einmal ablaufen. Es gibt aber Spielfelder, wo es funktioniert, z. B. das Volleyballspielfeld. Dieses besteht im Grunde nur aus einem Rechteck, welches durch eine Linie durch die Seitenmitten der längeren Seiten halbiert wird. Es gibt aber nur zwei Möglichkeiten, wo man starten kann. Entweder bei E oder bei F. Startet man bei E, so endet man bei F und umgekehrt. Woran liegt das? Nun, es gibt zwei besondere Punkte. Dies sind gerade die Punkte E und F. Die Eckpunkte A, B, C und D brauchen wir nicht beachten, da diese eigentlich keine Knoten (Verzweigungsmöglichkeiten) darstellen, wie es in der Fachsprache der Graphentheorie heißt. Bei Knoten E laufen – wie bei Knoten F – drei Linien (in der Fachsprache sind dies Kanten) zusammen. Treffen an einem Knoten eine ungerade bzw. gerade Anzahl von Kanten zusammen, so heißt der Knoten ungerade bzw. gerade. Abb. 8-4 Das Liniennetz bzw. der Graph eines Volleyballfeldes
Um diesen „Volleyballgraphen“ genau einmal zu durchlaufen, muss man an einem dieser Knoten (E oder F) starten und diesen dann noch einmal durchlaufen. Oder man durchläuft ihn zunächst einmal und endet dann
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Mathematik der Spielfelder
manche Brücken (Kanten) doppelt gehen, um alle Kanten abzulaufen. Zum Beispiel entspricht dem roten, blauen und gelben Stadtteil jeweils ein Knoten mit Grad 3. Der grüne Stadtteil besitzt Grad 5. Ein ähnliches Problem kennt man aus der Schulzeit. „Das ist das Haus vom Ni Ko Laus“. Dieser Graph mit seinen zehn Kanten besitzt mit den Knoten A und B genau zwei Knoten von ungeradem Grad. Damit ist der Graph in einem Zug zu durchlaufen, wenn man bei A oder bei B beginnt! Ein möglicher Weg wäre: A – E – D – C – E – F – B – A – F – C – B. Abb. 8-6 Das Haus vom Nikolaus ist in einem Zug als Eulerweg zu zeichnen.
Das ist sicherlich alles interessant, nur: Was hat das nun alles mit unserem Problem des Linienkehrens beim Tennis oder des Linienziehens bei der Platzherstellung vor einem Fußballmatch zu tun? Betrachten wir einfach einmal die Linienführung auf einem Fußballplatz. Man zählt 16 ungerade Ecken. Es wird also gar nicht möglich sein, einen Eulerweg zu finden. Beim Baseballspielfeld (Abbildung 8-3) zählt man auf den ersten Blick nur zwei ungerade Knoten. Es sollte also möglich sein, einen Eulerweg zu finden. Man wird aber keinen finden. Dies liegt daran, dass wir es von Anfang an gar nicht mit einem geschlossenen Weg zu tun haben. Die beiden offenen Enden sind als Knoten vom Grad 1 also auch als ungerade zu werten. Wir haben damit vier ungerade Knoten. Die Linien des Baseballspielfeldes sind so nicht als Eulerweg zu durchlaufen. Das gleiche zeigt sich beim Tennisspielfeld. Hier finden wir für eine Spielfeldseite vier freie Enden (Knoten vom Grad 1) und fünf weitere Knoten vom Grad 3. Es ist also nicht möglich, die Linien auf einer Spielfeldseite so zu kehren, dass man jede Linien nur genau einmal abläuft. Trotzdem schaffen wir es natürlich, sämtliche Linien zu kehren. Wie gelingt es uns aber, einen möglichst kurzen Weg zu finden?
Das Briefträgerproblem
Das Briefträgerproblem Ein ähnliches Problem hat in der Mathematik einen Namen: Es ist das Briefträgerproblem, auch Chinese-Postman-Problem oder Route-Inspection-Problem genannt. Mit diesem Namen soll das Problem eines Postboten beschrieben werden, der auf kürzestem Wege Briefe in einem Straßennetzwerk (Zustellerbezirk) austragen möchte. Das Problem ist das erste Mal vom chinesischen Mathematiker Mei Ko Kwan 1962 untersucht worden; von ihm hat es auch den Namen. Die Straßenzüge werden hier als Kanten und die Kreuzungen als Knoten modelliert. Um auf so einem Straßennetzwerk überhaupt einen Eulerweg zu finden, muss man zunächst alle Knoten gerade machen, d. h., man muss zusätzliche Wege einzeichnen. Das kann bedeuten, dass manche Wege doppelt gegangen werden müssen. Man stelle sich eine Sackgasse vor. Man läuft erst in die eine Richtung und muss dann wieder zurück laufen. Ideal wäre es natürlich, wenn wir am Ende der Sackgasse eine kleine Verbindung, etwa einen Fußweg, zur nächsten Straße finden würden. Man hätte dann das Ende der Sackgasse in einen Knoten vom Grad 2 umgewandelt. Betrachten wir die Situation für das Tennisspielfeld noch einmal unter diesen Gesichtspunkten (siehe Abbildung 8-7 links). Wir benennen alle Knoten und versuchen, durch möglichst geschickte Zusatzwege aus den zehn ungeraden Knoten gerade Knoten werden zu lassen. Um dies zu erreichen, benötigen wir fünf zusätzliche Wege, welche die ungeraden Ecken paarweise miteinander verbinden. Die Summe dieser fünf Zusatzwege muss minimal gehalten werden. Starten wir einen Versuch: Wir beginnen damit, zwischen E und F und zwischen K und L jeweils einen zusätzlichen Weg zu schaffen. Natürlich wird auf diesem Weg nicht gekehrt, aber diese Weglänge zählt trotzdem zum Gesamtweg.
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Mathematik der Spielfelder
Abb. 8-7 Links: Auf diesem Liniengraph ist ein Eulerkreis möglich. Rechts: Hier ist nur ein Eulerweg mit Startpunkt I und Endpunkt B (oder umgekehrt) möglich.
Nun haben wir noch ein freies Ende bei I. Hier ist es am zweckmäßigsten, einen zusätzlichen Weg, sozusagen einen Rückweg, zwischen I und H zu wählen. Jetzt bleiben nur noch die ungeraden Ecken B und J sowie C und G übrig. Diese verbindet man ebenfalls paarweise. Somit besitzen alle Knoten einen geraden Grad; es ist also nicht nur ein Eulerweg, sondern sogar ein Eulerkreis möglich. Wir können also mit unserem Rundweg auf dem „Tennisplatzgraphen“ beginnen, wo wir wollen. Das ist ideal, da wir gar nicht wissen, wo auf dem Platz der Besen deponiert ist, mit dem die Linien gekehrt werden müssen. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit legen wir den Startpunkt bei E fest. Ein möglicher Eulerkreis in Abbildung 8-7 (links) wäre nun: E–F–G–H–I–H–J–K–L–A–B–J–B–C–G–C–D–E
Nun ist noch zu berechnen, welche Strecke man zusätzlich zu der Linienlänge von 240 Fuß laufen muss. Die zusätzlich zu laufenden Strecken wären [EF], [CG], [HI], [LK], und [BJ]. Das ergibt: 4,5 Fuß + 18 Fuß + 21 Fuß + 4,5 Fuß + 18 Fuß = 66 Fuß.
Es sind also insgesamt 306 Fuß zu laufen. In metrischen Einheiten wären das dann 93,33 m gegenüber den 73,2 m, welche der wahren Linienlänge entsprechen. Wir sind zwar ziemlich sicher, dass dieser Weg sehr kurz ist, aber ist er wirklich der kürzeste? Wir müssen den Beweis antreten. Hierzu gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Wir suchen alle möglichen Wege und berechnen die Länge. Zweitens: Wir wenden den Blossom-Algorithmus aus den 60er Jahren des
93
Das Briefträgerproblem
letzten Jahrhunderts an. Oder drittens: Wir argumentieren und nutzen Symmetrien und Geometrien der Wegführung aus. Wie oben schon beschrieben sind insgesamt fünf Wege zwischen den zehn ungeraden Knoten B, C, E, F, G, H, I, J, K, L nötig, um sie paarweise und disjunkt miteinander zu verbinden. Wie viele Möglichkeiten gibt es, zwischen diesen Knoten diese fünf Wege anzuordnen? Starten wir ohne Beschränkung der Allgemeinheit mit Knoten B, so hat man neun verschiedene Möglichkeiten für einen Weg zu einem anderen, ungeraden Knoten. Hat man sich für einen Weg entschieden, so sind nur noch acht Knoten frei. Wir wählen wieder einen freien Knoten und stellen fest, dass es nun nur noch sieben Wegemöglichkeiten gibt. Nach diesem zweiten Weg sind dann nur noch sechs Knoten übrig. Es gibt also jetzt noch fünf Möglichkeiten für einen Weg von einem dieser restlichen sechs Knoten. Jetzt sind noch vier Knoten frei. Das bedeutet: Man kann noch unter drei Wegen wählen. Der letzte Weg ist festgelegt, weil zwei freie, ungerade Knoten übrig geblieben sind. Wegnummer
Freie Knoten
Anzahl der Möglichkeiten für einen Weg
1. Weg
10
9
2. Weg
8
7
3. Weg
6
5
4. Weg
4
3
5. Weg
2
1
Wir erhalten dann die Anzahl aller Möglichkeiten für eine paarweise Verbindung der zehn Knoten bzw. einen Eulerkreis über die Multiplikation: Es sind 9 7 5 3 1 945 Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten hat ein Computer schnell ausgerechnet. Und er wird unsere Auswahl bestätigen. Der Blossom-Algorithmus („Blüte-Algorithmus“, unter anderem von Pulleyblank) ist ein Verfahren aus der diskreten Optimierung, bei dem man mit einem beliebigen Punkt startet und von diesem Punkt den nächstliegenden Punkt sucht. Dies geschieht, indem man einen Kreis um den Punkt wie eine Blüte immer größer werden lässt, bis man diesen nächstliegenden Punkt gefunden hat. Ich möchte hier aber nicht weiter auf
Tab. 8-2 In der Tabelle sind die Anzahlen der freien Knoten und möglichen Wege aufgelistet.
94
Mathematik der Spielfelder
dieses Verfahren eingehen, aber auch dies liefert uns unseren Weg. Abbildung 8-8 zeigt eine Lösung durch diesen Algorithmus. Die dicken Balken sind die Wege, welche der Computer empfiehlt. Der hier verwendete Algorithmus basiert auf einer Arbeit von M. Jünger und W. R. Pulleyblank. Tatsächlich hat dieses Computerbild eine Ähnlichkeit mit „Blüten“. Abb. 8-8 In der Grafik sind nur die paarweise zu verbindenden Knoten mit den entsprechenden Kanten eingezeichnet. Nur die dicken Balken sind die zu gehenden Wege.
Zum Abschluss wollen wir noch argumentieren. Völlig einsichtig ist das Argument, dass wir vorhandene Kanten nicht kreuzen dürfen. Denn wir können dann auf jeden Fall einen Weg finden, der kürzer ist, wenn wir einfach auf den Linien gehen. Zum Beispiel ist ein Weg von L nach H sinnlos. Ebenso ist es auch nicht geschickt, schräg zu den vorhandenen Kanten die freien ungeraden Knoten zu verbinden. Wählen wir hier als Beispiel auch wieder L als Startpunkt. Von L nach J zu gehen ist dann nicht optimal, da der viel kürzere Weg von L nach K verläuft. Diese Eigenschaft trifft bei diesem besonderen Graphen für alle ungeraden Knoten zu. Man findet immer einen Weg zu den vorhandenen Kanten, welcher kürzer ist, als eine Diagonalverbindung. Damit ist klar, dass nur Parallelverbindungen geprüft werden müssen. Das erleichtert die Arbeit natürlich
Das Briefträgerproblem
95
sehr. [LK] und [FE] sind die absolut kürzesten neuen Kanten. Nun muss man den kürzesten Weg von I zu einem nächsten Punkt suchen. Dies wäre dann [HI]. Somit sind auch die beiden restlichen Wege klar – [BJ] und [CG]. Also erfüllt der vorgeschlagene Eulerkreis wirklich das Minimumkriterium. Lässt man die Prämisse fallen, dass man an jedem Punkt des Graphen mit dem Linienkehren beginnen kann, so können wir nun zwei Knoten ungerade lassen. Wir können dann nur noch einen Eulerweg gehen, jedoch keinen Eulerkreis mehr. In Abbildung 9-4 rechts ist eine Möglichkeit dargestellt. Hier beginnt man bei I und endet bei B (oder umgekehrt). Man hat auf den ersten Blick wirklich einen kürzeren Weg gefunden, um alle Linien abzulaufen. Allerdings muss man natürlich auch berücksichtigen, dass man zuerst einmal zum Punkt I gehen muss und dann womöglich vom Punkt B wieder zurück zu dem Punkt, wo man sich den Besen zum Linienkehren geholt hat. Also hat man sicherlich eine längere Strecke als in unserem ersten Fall. Der geneigte Leser hat das schnell herausgefunden.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` `
Maßeinheiten Yard, Fuß und Inch Chinesisches Postbotenproblem Graphentheorie Eulerweg, Eulerkreis Blossom-Algorithmus
` Gritzmann, P., Brandenberg, R. (2005): Das Geheimnis des kürzesten Weges, Springer, Berlin ` de.wikipedia.org/wiki/Briefträgerproblem ` www.matheprisma.de ` http://www.bennograbinger.de/ ` http://www.math.sfu.ca/~goddyn/Courseware/Visual_Matching.html
Weiterführende Literatur und Links
9 Mathematik des Baseballfeldes Baseball und Softball sind schon seit einigen Jahren olympische Disziplinen. Diese Sportarten werden in fast 100 Ländern dieser Erde betrieben. Am populärsten sind sie sicherlich in Amerika. Baseball ist wohl auch die traditionsreichste Sportart in den Vereinigten Staaten. Aber auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz findet dieser Sport immer mehr Anhänger. Die Regeln des Spiels sind durchaus komplex und nicht so schnell nachzuvollziehen. Aber im Grunde geht es darum, einen vom Gegner (Pitcher) zugeworfenen Ball mit einem Schläger möglichst weit weg zu schlagen. Am besten dorthin, wo keine gegnerischen Spieler stehen, welche den Ball fangen könnten. Gelingt dem Spieler, hier „Batter“ genannt, solch ein guter Schlag, muss er zum nächsten Kissen, der „Base“ laufen. Der „Batter“ hat die „Base“ gewonnen, wenn er früher an der „Base“ ist als ein Gegenspieler mit dem weggeschlagenen Ball. Abb. 9-1 Ein Baseballstadion Bildrechte: picture-alliance/ Landov Dietsch
98
Mathematik des Baseballfeldes
Die Anordnung der Bases Nun kann man Baseball nicht nur in tollen Stadien spielen, sondern genauso wie Fußball auch auf einer großen Wiese. Während man beim Fußball die zwei benötigten Tore mit Stöckchen abstecken kann, muss man beim Baseball die Homebase und drei weitere „Bases“ in der Form eines Quadrates anordnen. Dadurch, dass das Quadrat auf der Spitze steht, spricht man im Baseball-Fachjargon auch vom Diamanten (siehe Abbildung 9-2). Die Seitenkanten des Diamanten haben alle die gleiche Länge von 90 Fuß oder 30 Yards (Schritte), das sind ungefähr 27,45 m. Abb. 9-2 Das Schema eines Baseballspielfeldes. Das braune Quadrat ist der Diamant. An jeder Ecke liegt eine „Base“. An der unteren Spitze findet sich die „Homebase“, rechts die erste Base.
Es ist natürlich wichtig, dass die rechten Winkel bei den einzelnen Bases eingehalten werden, sonst stimmen die Abmessungen später nicht mehr. Wie gelingt es nun mit einfachen Hilfsmitteln wie Maßband, Schnur und Taschenrechner, einen absolut quadratischen Diamanten zu erzeugen? Im Grunde braucht man nur ein Seil bzw. eine Schnur, an der entsprechende Markierungen angebracht sind. Aber welche Markierungen?
99
Die Anordnung der Bases
Wir überlegen uns, welche geometrischen Figuren wir mit einem Seil bestimmter Länge abstecken können. Da wir nur Längen abstecken können, werden wir aufgrund eines Kongruenzsatzes, nämlich des SeiteSeite-Seite-Satzes, Dreiecke mit vordefinierten Seitenlängen abstecken. Wir teilen den Diamanten in zwei rechtwinklige gleichschenklige Dreiecke. 2. Base Abb. 9-3
s d
Die Aufteilung des Diamanten in zwei Dreiecke
1. Base
3. Base s
Homebase Von diesen Dreiecken kennen wir die Länge der Katheten s. Das sind die ursprünglichen Seiten des Diamanten, also 90 Fuß oder 27,45 m. Die Diagonale d des Diamanten entspricht der Hypotenuse d dieses Dreiecks. Die Länge dieser Hypotenuse können wir mit dem Satz des Pythagoras berechnen. Dieser besagt: In einem rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der Kathetenquadrate gleich dem Hypotenusenquadrat. Also errechnet sich hier: d2
s2 s2
2s 2
d
16200 Fuß2
2 (90 Fuß)2 127,27 Fuß
16200 Fuß 2 38,82 m .
Wir erhalten also neben der Diamantseitenlänge noch eine weitere Länge, nämlich die Länge der Hypotenuse d mit d = 38,82 m. Nun können wir das Seil markieren, mit dem wir den Diamanten bzw. das Baseballfeld abstecken. Die erste Markierung wird bei 27,45 m (90 Fuß), die zweite bei 38,82 m (127,27 Fuß) und die dritte bei 54,90 m (180 Fuß) angebracht. Das heißt, unser Seil muss maximal 54,90 m lang sein.
100
Mathematik des Baseballfeldes
Der Baseballfeld-Algorithmus Das markierte Seil und folgender Algorithmus helfen uns nun, den Diamanten zu konstruieren. ` Wir brauchen ein Seil mit einer Länge von 54,90 m und zwei Markierungen bei 27,45 m und bei 38,82 m. ` Zuerst markieren wir die Homebase (Schritt 0). ` Eine zweite Person nimmt die 38,82-m-Markierung und geht in Richtung der gedachten zweiten Base. Wenn das Seil gespannt ist, befindet sich die Person an der zweiten Base und markiert diese. Diese Person wechselt die Markierung und nimmt dann die 54,90-m-Markierung in die Hand (Schritt 1). ` Eine dritte Person, welche mit der zweiten Person zur zweiten Base gelaufen ist, nimmt die 27,45-m-(90-Fuß-)Markierung und läuft so lange in Richtung der ersten Base, bis das Seil zwischen Homebase und zweiter Base straff gespannt ist. Der Punkt wird als erste Base markiert (Schritt 2 und 3). ` Nun läuft die gleiche Person so lange in Richtung der dritten Base, bis das Seil wieder zwischen Homebase und zweiter Base gespannt ist. Dieser Punkt wird als dritte Base markiert. Nun sind alle vier Bases an der richtigen Stelle und das Spiel kann beginnen (Schritt 4 und 5). 2.B
2.B
2.B
2.B
Abb. 9-4
1.B
1.B
Der BaseballfeldAlgorithmus
3.B
2.B 1.B
1.B 3.B
HB
HB
HB
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` `
Rechtwinklige Dreiecke Gleichschenklige Dreiecke Kongruenzsatz Satz des Pythagoras
HB
HB
10 Mathematik der Bälle Viele Ballsportarten sind olympisch: Hockey, Volleyball, Handball, Basketball, Fußball, Tennis, Wasserball, Tischtennis und sogar Baseball. Man könnte auch die Sportart Badminton zu dieser Ballsportgruppe zählen, aber der Ball mit dem gespielt wird, heißt Federball (oder wie man auch sagt „shuttlecock“), besteht aus Federn und ist kegelförmig. Er passt also nicht in das landläufige Ballmuster, in das eines kugelförmigen Körpers. Aber wie nah sind die kugelförmigen Bälle dem Ideal, der Kugel? Oder ist die ideale Kugel gar kein Ideal? Wie werden Bälle eigentlich hergestellt? Aus welchen Einzelteilen bestehen sie? Wie kann man neue Bälle entwickeln? Und vor allem: Was hat das mit Mathematik zu tun?
Beliebte Spielgeräte Der Ball war schon immer eines der beliebtesten Spielgeräte der Menschheit. Ohne wieder „König Fußball“ auf den Thron heben zu wollen, aber über Fußbälle ist bekannt, dass diese schon im 3. Jahrhundert v. Chr. in China eingesetzt und zum Spielen benutzt wurden. Die Bälle waren aus Lederresten genäht und mit Tierhaaren und Federn ausgestopft. Das Spiel hieß damals schon „Zu Qui“, was wörtlich übersetzt Fuß (Zu) und Ball (Qui) bedeutet. Das Spiel mit den Lederbällen, welche sogar irgendwann zwischen 300 und 680 nach Chr. mit Luft gefüllt waren, hatte damals schon klare Regeln. Im 8. Jahrhundert wurde dieses Spiel mit dem Ball dann leider in China vergessen. Auch die Azteken und Mayas spielten während ihrer kulturellen Blüte ein Ballspiel, welches am ehesten mit Fußball verglichen werden kann. Auch im antiken Griechenland, vornehmlich Sparta, vermutet man aufgrund von Reliefs und Vasenzeichnungen Ballspiele. Sogar die Römer der Antike kannten Ballsportarten, welche wie das chinesische „Zu Qui“ zur Körperertüchtigung der Soldaten gespielt wurden. Als anderes Beispiel sei das Rückschlagspiel Tennis genannt. Tennis hieß früher „Jeu au Paume“ (das Spiel mit der Handfläche) und wurde vermutlich zuallererst im 13. Jahrhundert in nordfranzösischen Klosterhöfen von Mönchen gespielt. Der Ball durfte zu dieser Zeit noch mit der Hand ge-
102
Mathematik der Bälle
fangen werden. Schläger gab es erst Ende des 15. Jahrhunderts, als dieses Spiel schon längst hoffähig war. Egal, ob als Mannschaftssport oder als Einzelsport, Ballspiele waren schon immer in.
Die Spielbälle Der Ball hatte also schon immer eine große Anziehungskraft, quer durch alle Bevölkerungsschichten. Man stellt bei der geschichtlichen Betrachtung der einzelnen Ballsportarten fest, dass sich im Laufe der Zeit immer weiter ausdifferenzierte Spielregeln entwickelt haben. Diese Spielregeln sollen der Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Fairness im Sport dienen. In den verschiedensten Regelwerken findet man deswegen natürlich auch die verschiedensten Vorschriften zu den Spielbällen. Man weiß es natürlich aus der Erfahrung, aber es sei noch mal gesagt: Jede Sportart hat ihren eigenen „Ball“. Und das ist auch gut so, denn wer schon einmal mit einem Fußball Volleyball spielen wollte, merkt, dass der Fußball viel zu schwer und zu hart ist. Aber mit einem Volleyball kann man auch schlecht Handball spielen, denn der Volleyball ist zu groß und zu leicht. Zur Not kann man mit einem Volleyball barfüßigen Strandfußball spielen. Ähnlich verhält es sich mit dem Basketball: Dieser Ball ist eigentlich zu nichts anderem zu gebrauchen, als Basketball zu spielen. Abb. 10-1 Neun verschiedene „Olympiabälle“ Außen: Basketball, Fußball, Volleyball, Handball Innen: Tischtennisball, Tennisball, Baseball, Softball, Badmintonball
103
Die Spielbälle
Aus der Sicht der Sportartikelhersteller ist heutzutage jeder Ball ein absolutes Hightechprodukt, welches speziell auf die Bedürfnisse der betreffenden Sportart abgestimmt ist. Man sieht deutlich in Abbildung 10-1, wie verschieden die Bälle sind. Jeder Ball muss neben den vorgeschriebenen Abmessungen, Gewichtstoleranzen und Materialien (siehe Tabelle 10-1) auch andere bestimmte Bedingungen erfüllen. So ist z. B. beim Tischtennisball neben der Farbe (Mattweiß oder Mattorange) auch noch das Sprungverhalten vorgeschrieben. Lässt man den Tischtennisball aus einer Höhe von 30 cm auf die Platte fallen, so muss er beim Rücksprung wieder eine Höhe von 23 cm erreichen. Sportart
Olympisch seit
Durchmesser in cm
Gewicht in Gramm
Material
Tischtennis
1988
4,0
2,7
Zelluoid
Tennis
1896 (M) 1900 (F)
6,35 bis 6,67
56,7 bis 58,5
innen Gummi außen Filz
Hockey
1908 (M) 1980 (F)
7,1 bis 7,5
156 bis 163
Leder oder Plastik
Baseball
1992 bis 2008
7,4
141,7 bis 148,8
innen Kork außen Leder
Softball
1996 bis 2012
9,7
180
innen Kork außen Leder
(Hallen-) Handball
1972 (M) 1976 (F)
18,5 bis19,1 (M) 17,2 bis 17,8 (F)
425 bis 475 (M) 325 bis 400 (F)
luftgefüllte Leder-/ Kunststoffhülle
Volleyball
1964
20,7 bis 21,3
260 bis 280
luftgefüllte Lederhülle
Wasserball
1900 (M) 2000 (F)
21,6 bis 22,6
400 bis 450
Gummi
Fußball
1896 (M) 1996 (F)
21,8 bis 22,1
420 bis 445
luftgefüllte Leder-/ Kunststoffhülle
Basketball
1936 (M) 1976 (F)
23,9 bis 24,8
600 bis 650
Gummi / Leder
Nach dieser doch eher nüchternen Betrachtung der Bälle wollen wir uns nun hauptsächlich mit der Optik bzw. dem Aussehen der Bälle befassen. Dem Ideal einer Kugel kommt der Tischtennisball sicherlich am nächsten.
Tab. 10-1 Hier finden sich die Daten der Spielbälle von olympischen Sportarten.
104
Mathematik der Bälle
Die Kugel im mathematischen Sinne, also ein Körper, bei dem alle Punkte der Oberfläche gleichweit vom Mittelpunkt M entfernt sind, gibt es in der Realität natürlich nicht. Aber der Tischtennisball ist nah dran. Dass hier der Hersteller soviel Wert darauf legt, liegt wohl daran, dass schon kleinste Ungleichmäßigkeiten dazu führen können, dass der Ball verspringt. Da besonders runde und gleichförmige Bälle sehr teuer sind, gibt es auch verschiedene Ballklassen beim Tischtennis, von „1-Stern“-Trainingsbällen bis zu „3-Stern-Bällen“, welche im Wettkampf eingesetzt werden.
Die Ballsymmetrien Betrachten wir die Symmetrien einer Kugel, so stellen wir fest, dass es unendlich viele Symmetrieachsen gibt, welche durch den Mittelpunkt der Kugel verlaufen. Das macht ja gerade die Besonderheit der Kugel gegenüber anderen Körpern, z. B. einem Würfel oder einem Zylinder, aus. Kein Punkt auf der Kugel ist besonders ausgezeichnet. Alle Punkte auf der Oberfläche sind gleich. Für uns Betrachter heißt das, dass wir uns an keinem Oberflächenpunkt orientieren können, oder anders ausgedrückt: Die Kugel sieht von jedem Standpunkt völlig identisch aus. Dieses Ideal wird mit dem Tischtennisball (bis auf den Aufdruck) sehr gut erreicht. Sieht man sich dagegen die anderen Bälle an, so erkennt man sofort auf den ersten Blick, dass manche Punkte besonders sind.
Die Baseballsymmetrie Betrachten wir als erstes den Tennisball, den Baseball bzw. den Softball und den Basketball und suchen deren Gemeinsamkeit. Wenn wir uns nicht von den unterschiedlichen Größen irritieren lassen, so erkennen wir, dass die Oberflächen der Bälle von einer durchlaufenden geschlossenen Naht (math.: einfach geschlossene Kurve) unterbrochen sind. Diese Naht teilt die Oberfläche in zwei identische, also kongruente Teile. In Abbildung 10-2 sind die verschiedenartigen Kurven ganz gut zu sehen. Auf dem Baseball zeigt sich eine rote Naht, auf dem Tennisball ist eine weiße Schweißnaht zu sehen und beim Basketball sind neben der schwarzen Kurve auch noch Großkreise zu sehen, welche sich im „Nord-“ und „Südpol“ des Basketballs schneiden.
105
Die Baseballsymmetrie
Abb. 10-2 Die Symmetrien von Baseball, Tennisball und Basketball gehören zur gleichen Gruppe.
Diese geschlossene Kurve bewirkt, dass die Drehsymmetrie dieser Bälle stark eingeschränkt ist. Es gibt nur noch drei Symmetrieachsen. Diese Symmetrieachsen stehen alle senkrecht aufeinander und besitzen die gleiche Zähligkeit. Die Zähligkeit berechnet sich aus dem Drehwinkel M um die Symmetrieachse, welchen man benötigt, um den Ball bzw. die geschlossene Kurve nach der Drehung um den Winkel M wieder mit sich selbst zur Deckung zu bringen. In diesem Fall ist dieser Winkel jeweils 180°. Es ist deutlich in der Abbildung 10-3 zu sehen. Man kann also um jede der drei Symmetrieachsen eine halbe Drehung durchführen. Die Zähligkeit z berechnet sich dann aus 360°/M. Das ergibt in unserem Fall z = 2. Abb. 10-3 Der Baseball aus zwei verschiedenen Ansichten, welche die 2-Zähligkeit der Symmetrieachsen zeigen.
Diese Drehungen um die Symmetrieachsen bilden eine schöne algebraische Struktur, die so genannte Kleinsche Vierergruppe. Das heißt, wir können mit den Drehungen „rechnen“. Diese Gruppe besitzt vier Elemente: zum einen die drei Drehungen um die Symmetrieachsen und noch die Identität (das ist die Abbildung auf sich selbst, z. B. eine Drehung um 360°). Mit diesen vier Elementen kann man tatsächlich „rechnen“, indem man sie verknüpft. In unserem Fall wäre das Verknüpfen eine Hintereinanderausführung der Drehungen.
106
Mathematik der Bälle
Mathematische Vertiefung Für die Interessierten werde ich das nun noch weiter ausführen. Wer sich aber nur für die Ballsymmetrien interessiert, ohne tiefer in die Gruppentheorie einsteigen zu wollen, der sollte zum nächsten Absatz („Die Volleyballsymmetrie“) springen. Den Gruppenbegriff möchte ich nur kurz erläutern. Eine Gruppe G ist eine nicht leere Menge, auf der eine assoziative innere Verknüpfung „i“ definiert ist. In unserem Fall wären die Elemente dieser Gruppe die Drehung um eine Symmetrieachse, so dass der Ball wieder mit sich selbst zur Deckung kommt. Der inneren Verknüpfung entspricht die Hintereinanderausführung von Drehungen. Weiter gibt es ein neutrales Element e, d. h. eine Drehung, welche nichts bewirkt. Das entspricht in unserem Fall den 360° um jede beliebige Achse. Dieses Element wird bei Abbildungen auch oft als Identität und mit „id“ bezeichnet. Als letzte Eigenschaft dieser Struktur ist zu nennen, dass es zu jedem Element a aus der Gruppe ein inverses Element b gibt, so dass a i b = e ist. In unserem Fall der Drehung ist das sehr einfach. Denn zu jeder Drehung gibt es auf jeden Fall die Rückwärtsdrehung, welche den Anfangszustand wiederherstellt. Betrachten wir also die Kleinsche Vierergruppe. Diese Gruppe ist benannt nach dem Mathematiker Felix Klein (1849–1925), der sie in seinen „Vorlesungen über das Ikosaeder“ 1884 „Vierergruppe“ V nannte. Man kann sich diese besondere Gruppe auch als Drehsymmetrien einer Streichholzschachtel bzw. eines Quaders oder eines Rechtecks vorstellen. Wenn man sich in Abbildung 10-4 (linke Seite) die drei zueinander senkrechten Symmetrieachsen durch die Flächen des Quaders ansieht, erkennt man sofort den Zusammenhang mit den Symmetrieeigenschaften des Baseballs. Auf der linken Seite von Abbildung 10-4 sind die Seitenflächen des Quaders von 1 bis 6 durchnummeriert. Die 180°-Drehungen um die Achsen x, y und z stellen unsere Gruppenelemente dar. Bei der Drehung um die xAchse geht die Seitenfläche 3 auf die Seitenfläche 4 und ebenso die Seitenfläche 5 auf die Seitenfläche 6. Wir schreiben das kurz als x
§3 4 5 6· ¨ ¸ © 4 3 6 5¹
oder
für y
§ 1 2 5 6· ¨ ¸ und z ©2 1 6 5¹
§ 1 2 3 4· ¨ ¸. ©2 1 4 3¹
107
Die Baseballsymmetrie
Abb. 10-4 Die Konkretisierung der Kleinschen Vierergruppe
Unsere Quadergruppe Q hat somit die Elemente Q = {x, y, z, id}. Nun wollen wir einmal „rechnen“. Verknüpfen wir x mit y, so erhalten wir: xxy
§3 4 5 6· § 1 2 5 6· ¨ ¸x¨ ¸ ©4 3 6 5¹ ©2 1 6 5¹
§ 1 2 3 4· ¨ ¸ ©2 1 4 3¹
z.
Das bedeutet, dass eine Drehung um die y-Achse und eine anschließende Drehung um die x-Achse einer Drehung um die z-Achse gleichkommt. Konkret funktioniert das so: Durch y geht die 5 auf die 6 und bei x geht die 6 wieder auf die 5, d. h., die 5 und die 6 bleiben an ihrer vorherigen Position. Es tauschen also nur 1 und 2 sowie 3 und 4 ihre Positionen. Nun kann man eine Tabelle mit allen möglichen Verknüpfungen aufstellen. x
id
x
y
z
Tab. 10-2
id
id
x
y
z
x
x
id
z
y
y
y
z
id
x
z
z
y
x
id
Die Verknüpfungstabelle der „Quadergruppe“ bzw. der „Kleinschen Vierergruppe“
Bei näherer Betrachtung stellen wir Folgendes fest: ` Jedes Element ist zu sich selbst invers. Also x x x = y x y = z x z = id. ` Die Verknüpfung ist kommutativ. Das heißt, die Reihenfolge der Symmetrieoperationen ist vertauschbar. Es gilt z. B. x x y = y x x.
108
Mathematik der Bälle
Wir wollen nun noch die Betrachtung der Symmetriegruppe eines Rechtecks (siehe Abbildung 10-4 rechts) nachschieben. Ein Rechteck besitzt die Spiegelachsen x und y sowie eine Drehachse z senkrecht zur Rechtsecksfläche. Wir erhalten neben der Identität „id“ folgende Elemente: x
§a d b c· ¨ ¸, y ©d a c b¹
§a b c ¨ ©b a d
d· ¸ und z c¹
§a c b d · ¨ ¸. ©c a d b ¹
Diese Symmetrieoperationen kann man in gleicher Weise verknüpfen wie oben: xxy
§a d b c · §a b c ¨ ¸x¨ ©d a c b¹ ©b a d
d· ¸ c¹
§a c b d · ¨ ¸ ©c a d b¹
z .
Betrachten wir hier die „Bewegung“ der Ecke a. Durch y geht a auf b. Und b geht durch x auf c. Folglich geht a auf c. Berechnen wir noch die anderen möglichen Verknüpfungen, so stellen wir fest, dass die Drehsymmetrieoperationen des Quaders und die Symmetrieoperationen des Rechtecks die gleiche Struktur besitzen. Man spricht auch davon, dass diese beiden Gruppen isomorph zueinander sind. Nach diesen elementaren gruppentheoretischen Ausführungen sollten wir uns weiteren Bällen zuwenden und überlegen, ob wir dort auch auf solch interessante Strukturen stoßen.
Die „Volleyballsymmetrie“ Wenn man sich Bilder oder Filmaufnahmen von früheren Fußballspielen (bis 1970) ansieht und dabei den Ball betrachtet, so sieht er so völlig anders aus als die Fußbälle von heute. Man denkt sogar zuweilen, dass damals mit einem Volleyball gespielt wurde. Wie wir gleich sehen werden, hat man mit dieser Feststellung gar nicht so Unrecht. In Abbildung 10-5 finden sich ein moderner Volleyball und zwei Fußbälle. Der Fußball in der Mitte ist eine Nachbildung des Originals von der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in der Schweiz von 1954. Rechts ist der offizielle Spielball „+Teamgeist“ der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ von 2006 in Deutschland zu sehen. Allen diesen Bällen ist wieder ihre Symmetrie gemeinsam. Während man dem Volleyball und dem Ball von 1954 diese Gemeinsamkeit gleich ansieht, so ist das beim „+Teamgeist“
109
Die „Volleyballsymmetrie“
nicht ganz so trivial. Zunächst wollen wir aber die Anzahl der Symmetrieachsen und deren Zähligkeit bestimmen sowie die Symmetriegruppe der Bälle herausfinden. Abb. 10-5 Ein Volleyball, ein Fußball von 1954 und der WM-Ball „+Teamgeist“ von 2006
In Abbildung 10-6 ist links der Fußball von 1954 schematisch mit den verschiedenen Symmetrieachsen dargestellt. Auf der rechten Seite sieht man eine noch weiter reduzierte Darstellung. Es ist ein Würfel, dem auf jeder Seitenfläche eine Linienstruktur nach Vorbild des Volleyballs aufgeprägt wurde. Man kann nun auch deutlich die Anzahl und die Art der Symmetrieachsen erkennen. Es sind drei 2-zählige Symmetrieachsen (grün), welche durch die Flächenmitten des Würfels verlaufen. Des Weiteren erkennt man vier 3-zählige Achsen (rot), welche durch die Ecken des Würfels verlaufen. Bei der Drehung um eine rote Achse ist eine 120° Drehung notwendig, um den Ball bzw. den Würfel mit sich selbst zur Deckung zu bringen, denn 360° : 3 = 120°. Abb. 10-6 Ein Computermodell des Fußballs von 1954 mit seinen Symmetrieachsen sowie seine Transformation in den Würfel
Wir wollen nun weiter die algebraische Struktur dieser Bälle untersuchen. Es handelt sich auch wieder um eine Gruppe. Aufgrund der Anzahl und Art der Symmetrieachsen kommen wir auf die folgende Anzahl von Elementen dieser Gruppe. Drei 2-zählige Achsen ergeben 3 2 1 3 Ele-
110
Mathematik der Bälle
mente und vier 3-zählige Achsen ergeben 4 3 1 4 2 8 Elemente. Dazu kommt noch die Identität; wir haben also insgesamt 3 + 8 + 1 = 12 Elemente in unserer Symmetriegruppe. Wer sich nicht genauer mit Gruppentheorie auskennt, dem hilft diese Zahl nicht unbedingt weiter. Besser ist es, einen weiteren Körper in den Würfel von Abbildung 10-6 einzuzeichnen. Wir verwenden dazu den einfachsten Platonischen Körper, das Tetraeder. Man kann es wunderbar in einen Würfel einfügen. Die sechs Kanten des Tetraeders sind Flächendiagonalen des Würfels und die Ecken des Tetraeders liegen genau in vier Ecken des Würfels. Man erkennt in Abbildung 10-7 sofort, dass die Art und Anzahl der Symmetrieachsen des Tetraeders völlig identisch sind mit denen aus Abbildung 10-6. Abb. 10-7 Links: Ein Tetraeder einbeschrieben in einem Würfel Rechts: Der „+Teamgeist“ in Verbindung mit einem Tetraeder
Nun wird auch deutlich, warum der „+Teamgeist“ ebenfalls in dieser Ballgruppe aufgeführt wird. Der WM-Ball von 2006 besitzt die gleichen Symmetrieeigenschaften wie ein Tetraeder. Im Jahr 2006 habe ich mich deswegen zu der nicht ganz ernst gemeinten Vorhersage hinreißen lassen, dass es nach 1954, dem Wunder von Bern, nun 2006 ein Wunder von Berlin geben müsste, da doch die Symmetriegruppen der beiden Spielbälle identisch seien. Wie wir aber wissen, verlor Deutschland am 4. Juli 2006 im Halbfinale gegen den späteren Weltmeister Italien 0:2. Im nächsten Abschnitt folgt nun wieder eine mathematische Vertiefung zu der mathematischen Struktur dieser Bälle. Mathematische Vertiefung Da sich diese (Symmetrie-)Gruppe so stark mit dem Tetraeder in Verbindung bringen lässt, nennt man diese Gruppe auch Tetraedergruppe. Die mathematische Bezeichnung hierfür nennt sich „Alternierende Gruppe
111
Die „Volleyballsymmetrie“
der vier Elemente“, kurz A4. Warum alternierend und warum „4“? Das Tetraeder hat vier Ecken und diese vier Ecken werden bei der Anwendung der Symmetrieoperationen vertauscht. Aber die Ecken können nicht beliebig vertauscht werden. So ist es z. B. nicht möglich, zwei Ecken zu vertauschen und die anderen fest zu lassen. Die anderen Ecken werden sich ebenfalls vertauschen. Diese paarweise Vertauschung geschieht bei einer Drehung um eine 2-zählige Achse (grün). Bei der Drehung um eine 3-zählige Achse (rot) bleibt eine Ecke (türkis) starr und die anderen Ecken des Tetraeders bewegen sich zyklisch (gelb, orange, pink). Abb. 10-8 Drehungen um die grünen Achsen, welche durch die Tetraederkanten verlaufen, führen zur paarweisen Vertauschung der Ecken. Drehungen um die roten Achsen, welche durch die Ecken verlaufen, führen zu zyklischer Vertauschung der anderen Ecken.
Wenn wir die Farben der Ecken mit den entsprechenden Buchstaben abkürzen (t = türkis, g = gelb, p = pink, o = orange) so erhalten wir bezüglich der grünen 2-zähligen Achsen folgende drei Elemente: k1
§ t p g o· ¨ ¸ , k2 ©p t o g¹
§ t o g p· ¨ ¸ , k3 ©o t p g ¹
§t g ¨ ©g t
p o· ¸. p¹
o
112
Mathematik der Bälle
Für Drehungen um die roten 3-zähligen Achsen gibt es folgende acht Elemente (die Hochzahl 2 bedeutet, dass das Element zweimal angewendet wird): f1
§p g o· 2 ¨ ¸ , f1 g o p © ¹
§p g o· ¨ ¸ , f2 ©o p g ¹
§p t o· 2 ¨ ¸ , f2 t o p © ¹
§ p t o· ¨ ¸, ©o p t ¹
f3
§p g ¨ ©g t
§p g t · ¨ ¸ , f4 © t p g¹
§g t o · 2 ¨ ¸ , f4 © t o g¹
§g t o· ¨ ¸. ©o g t ¹
t· 2 ¸ , f3 p¹
Auch hier kann man wieder die Drehungen verknüpfen. So ergibt z. B. k1 x f3
§ t p g o· §p g ¨ ¸x¨ © p t o g ¹ ©g t
t· ¸ p¹
§p g t ¨ ©o p t
o· ¸ g¹
§p g o· ¨ ¸ ©o p g ¹
f1
2
,
wobei auch hier zuerst f3 und anschließend k1 ausgeführt wird. Hier ist die Reihenfolge der Symmetrieoperationen von Bedeutung. So ergibt sich für die Vertauschung Folgendes: f3 x k1
§p g ¨ ©g t
t · §t ¸x¨ p¹ © p
p g t o
o· ¸ g¹
§t ¨ ©g
p g o· ¸ p o t¹
§t ¨ ©g
g o· ¸ o t¹
f4
2
.
Diese Gruppe (A4) ist also nicht kommutativ, d. h., die Operationen sind im Allgemeinen nicht vertauschbar.
Die klassische „Fußballsymmetrie“ Jetzt haben wir bis auf den Fußball alle Bälle von Abbildung 10-1 behandelt. Diese klassische schwarz-weiße Musterung des Fußballs war eine Erfindung der Fernsehsender, welche für die Übertragung der Fußballspiele während der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in Mexiko im Jahr 1970 verantwortlich waren. Die Verantwortlichen wollten natürlich sehr viele Zuschauer vor die damaligen Schwarz-Weiß-Fernseher bringen, um ihre Ausgaben über Werbeeinnahmen wieder einzuspielen. Zu dieser Zeit war das Farbfernsehen zwar schon erfunden, aber es gab kaum Farbfernsehgeräte in der Bevölkerung. Das Fernsehvergnügen der Zuschauer wurde dadurch getrübt, dass der übliche braune Lederball zu kontrastarm gegenüber dem braungrünen Rasen war. So war der Ball auf den Schwarz-Weiß-Bildschirmen kaum zu erkennen. Mit der in diesem Jahr
113
Die klassische „Fußballsymmetrie“
eingeführten schwarz-weißen Farbgebung war dieses Problem behoben. Mehr noch, es war nun sogar möglich, die Rotation des Balles zu beobachten – ein sehr angenehmer Nebeneffekt für den interessierten Zuschauer. Dieser Ball wurde von adidas hergestellt und er bekam einen sehr zutreffenden Namen: „Telstar“. Nebenbei bemerkt: adidas hat seitdem alle Bälle für eine FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ entwickelt und hergestellt. Auch das offizielle Plakat von der WM in Mexiko zeigt das neue Fünfeck-Sechseck-Design. Dieses schwarz-weiße Fünfeck-Sechseck-Design des „Telstars“ ist neben dem grünen Rasen mit den weißen Linien das Synonym für Fußball. Wenn man etwas mit Fußball in Verbindung bringen möchte, ist es am sichersten, dieses Design zu verwenden (siehe z. B. Abbildung 10-9 unten rechts). Abb. 10-9 Links: das offizielle Plakat zur FIFA FussballWeltmeisterschaft 1970™ in Mexiko (© 1969 FIFA™) Rechts oben: der Telstar Rechts unten: eine Müslischale im klassischen Fußballdesign
Die Frage ist nun: Wie kommt man auf so ein Design, welches die ganze Welt versteht und auch noch nützlich ist? Ohne es genau zu wissen, aber es könnte sein, dass die damaligen Fußballentwickler von adidas Fans von griechischen Mathematikern waren. Und zwar von Platon und Archimedes. Ziel war es ja, einen Körper herzustellen, welcher einer Kugel nahe kommt, aber trotzdem aus Vielecken gefertigt ist. Man wird also
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Mathematik der Bälle
das Polyeder suchen, das von seiner äußeren Erscheinung kugelförmig wirkt. Fündig wurden die Entwickler bei Archimedes. Archimedes hat im 3. Jahrhundert v. Chr. 13 Polyeder gefunden bzw. zusammengestellt, welche die Eigenschaft haben, dass sie konvex sind und aus unterschiedlichen Vielecken, z. B. Fünfecken und Sechsecken, bestehen. Wichtig ist aber, dass die Ecken gleich bzw. kongruent sind, d. h., an jeder Ecke stoßen die gleiche Anzahl und Art von Vielecken zusammen. Es würde zu weit führen, sich hier allen archimedischen Körpern zu widmen, daher verweise ich auf entsprechende Literatur am Ende des Kapitels. Wir wollen uns hier auf den einen, den speziellen Fußballkörper konzentrieren. Sein Name ist kompliziert, aber richtungweisend: abgestumpftes Ikosaeder. „Ikosa“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet zwanzig, „eder“ bedeutet Fläche. Ikosaeder ist also ein Wort für Zwanzigflächner. Das Ikosaeder ist einer der fünf Platonischen Körper. Wir werden auf verschiedene dieser Körper noch im Laufe des Kapitels zu sprechen kommen. Die Grundlage des Fußballs ist also ein Platonischer Körper, dem die Ecken gestutzt wurden. Abb. 10-10 Links: Das Ikosaeder mit seinen Symmetrieachsen Rechts: Das abgestumpfte Ikosaeder
Mathematische Vertiefung Wir wollen uns zunächst einen Überblick über die Anzahlen von Kanten, Flächen und Ecken dieser Körper verschaffen, bevor wir uns um die Symmetrieachsen und damit um die Symmetriegruppe kümmern. Das Ikosaeder besitzt zwanzig Flächen. Aus den 20 Dreiecken, die insgesamt 60 Seiten besitzen, lassen sich 60 : 2 = 30 Kanten bilden. Da immer fünf Dreiecke an einer Ecke zusammenstoßen, erhalten wir 60 : 5 = 12 Ecken. Das abgestumpfte Ikosaeder besteht aus 12 Fünfecken und 20 Sechs-
Die klassische „Fußballsymmetrie“
ecken, also aus insgesamt 32 Flächen. Um die Anzahl nK der Kanten dieses Körpers zu bestimmen, wenden wir einen einfachen Trick an: Wir überlegen uns zunächst, wie viele Seiten alle Fünfecke und Sechsecke zusammen haben. Da immer zwei Seiten der Polygone zu einer Kante des Körpers verschmelzen, muss man die Seitensumme aller Polygone noch halbieren: nK
12 5 20 6 2
60 120 2
90 .
Für unsere Symmetriebetrachtungen dieses Körpers sind aber nur die Kanten von Interesse, an denen nur Sechsecke zusammenstoßen. In Abbildung 10-10 sind das die grauen Kanten. Die Anzahl ns der reinen Sechseckkanten lässt sich aus nK durch die Subtraktion aller Fünfeckskanten bestimmen: ns = 90 – 60 = 30. Durch diese Sechseckkanten verlaufen fünfzehn 2-zählige Symmetrieachsen. In Abbildung 10-10 ist ein Vertreter dieser Achsen grün eingefärbt. Durch die zwölf Fünfecke verlaufen insgesamt sechs 5-zählige Symmetrieachsen (gelb). Durch die Flächenmitten der Sechsecke verlaufen ebenfalls Drehsymmetrieachsen (blau), allerdings sind diese nicht, wie man erwarten würde, 6-zählig, sondern nur 3-zählig, da ein Sechseck immer abwechselnd von einem Fünfeck und einem Sechseck umkränzt wird. Von dieser Symmetrieachsenart gibt es zehn. Insgesamt kommen wir so auf 15 (2 1) 6 (5 1) 10 (3 1) 1 15 1 6 4 10 2 1 60 Elemente,
welche dieser Symmetriegruppe angehören. Diese Gruppe hat den Namen A5 („Alternierende Gruppe der fünf Elemente“). Man fragt sich jetzt natürlich, wo sich hier die fünf Elemente verstecken. Beim Tetraeder waren es die vier Ecken, welche durch die Symmetrieoperationen aufeinander abgebildet wurden. Welche Veranschaulichung finden wir beim Ikosaeder? Nun, zunächst wollen wir festhalten, dass sich für das Dodekaeder dieselben Symmetrieoperationen ergeben wie für das Ikosaeder. Man sieht den Zusammenhang in Abbildung 10-11 recht deutlich. Betrachten wir also nur das Dodekaeder, denn hier kann man wunderbar veranschaulichen, warum diese Symmetriegruppe A5 heißt. Durch diese Gruppe werden nämlich die fünf Tetraeder, welche man so elegant in ein Dodekaeder einbeschreiben kann, aufeinander abgebildet.
115
116
Mathematik der Bälle
Abb. 10-11 Links: Kantenmodelle von Ikosaeder und Dodekaeder Rechts: Fünf Tetraeder im Dodekaeder
Weitere Fußbälle mit „Fußballsymmetrie“ Die „Fußballsymmetrie“ wird aber neben den beiden Platonischen Körpern Ikosaeder und Dodekaeder auch noch von anderen Archimedischen Körpern geteilt, welche zum Fußballbau verwendet werden. Zum Beispiel dem des Ikosidodekaeders. Man kann auch abgestumpftes Dodekaeder dazu sagen. Bei diesem Körper werden die Ecken des Dodekaeders gestutzt. Dort, wo wir vorher 20 Ecken beim Dodekaeder zählten, haben wir nun 20 neue Dreiecke. Die Anzahl der Fünfecke ist gleich geblieben, nur deren Größe hat sich verändert. Überführen wir nun diesen Körper in eine Kugel, so sind besonders gut die sechs weißen Großkreise zu sehen, welche dieses interessante Muster auf die Kugel zaubern. Abb. 10-12 Links oben: Ikosidodekaeder im Dodekaederkäfig Rechts oben: Das Ikosidodekaeder als Ball (Simulation) Unten: Zwei Fußbälle im Stil des Ikosidodekaeders
Die Würfelsymmetrie
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Der gelbe Fußball in Abbildung 10-12 ist exakt im Stil des Ikosidodekaeders gehalten. Allerdings gibt es Probleme beim Vernähen der Ecken, an denen sich zwei Dreiecke und zwei Fünfecke treffen. Um diese Forminstabilitäten zu vermeiden, kappt man die Ecken der Dreiecke und macht unregelmäßige Sechsecke daraus. Der rot-weiße Fußball zeigt so ein Exemplar.
Die Würfelsymmetrie Die Fußballindustrie versucht sich durch technische Neuerungen, aber auch durch neue Designs für Fußbälle von ihren Mitbewerbern abzusetzen. Betrachten wir die bisherig behandelten Symmetrien, so wurde eine vergessen oder unberücksichtigt gelassen, die eventuell auf den ersten Blick zu unscheinbar wirkt. Es sind die Symmetrien des Würfels bzw. des Oktaeders. Der Würfel und das Oktaeder sind die letzten beiden der fünf Platonischen Körper. Wir wollen in diesem Abschnitt Fußbälle zeigen, die aus der Würfelsymmetrie heraus entwickelt wurden. Betrachten wir dazu folgende Bälle: Abb. 10-13 Zwei Fußbälle, denen die Würfelsymmetrie zu Grunde liegt
Der linke Fußball aus Abbildung 10-13 ist aus konvexen und konkaven Achtecken gefertigt. Beim rechten Fußball sind die konvexen regelmäßigen Achtecke in Kreise transformiert. Betrachten wir hierzu die nachfolgenden Computersimulationen in Abbildung 10-14. Der Würfel wird bei beiden Bällen als Basiskörper verwendet. Auf diesen Basiskörper wird die Naht in Form von Achtecken oder Kreisen aufgeprägt. Nach der Trans-
118
Mathematik der Bälle
formation zur Kugel bleiben die Nähte auf der Kugeloberfläche und somit die Symmetrieeigenschaften erhalten. Wir haben hier die komplette Würfelsymmetrie vorliegen. Das bedeutet, dass es drei 4-zählige Symmetrieachsen (blau) durch die Würfelflächen gibt. Ebenso existieren vier 3-zählige Achsen (gelb), welche durch die Ecken des Würfels verlaufen. Dazu kommen noch sechs 2-zählige Achsen durch die Kanten des Würfels. Beim linken Ball in Abbildung 10-13 werden die Kanten zu den konkaven Achtecken und die Ecken des Würfels werden zu den Ecken der Nähte. Abb. 10-14 Bilder aus dem Computer zu den Bällen aus Abbildung 10-13 Links: Es sind recht gut die verschiedenen Achtecke zu sehen. Rechts: Die Einzelteile des „Puma“Balles verdeutlichen gut die Würfelsymmetrie.
Mathematische Vertiefung Wir wollen auch hier die Eigenschaften der Symmetriegruppe des Würfels untersuchen. Dazu betrachten wir zunächst die Anzahl der Elemente. Wir erhalten mit der Identität 6 2 1 4 3 1 3 4 1 1 6 8 9 1 24 Elemente.
Die Würfelsymmetrie
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Diese Symmetriegruppe hat den bezeichnenden Namen „symmetrische Gruppe der Ordnung 24“ und wird mit S4 bezeichnet. Bis jetzt fanden wir nur alternierende Gruppen. Ist hier etwas anders? Die „4“ von S4 bedeutet, dass hier vier Dinge vertauscht werden. Symmetrisch weist darauf hin, dass die Vertauschung beliebig ist. Das heißt, es können zwei, drei oder auch vier Dinge gleichzeitig vertauscht werden. Ganz abstrakt betrachtet hat man es mit allen Permutationen (Vertauschungen) von vier Elementen zu tun. Es stellt sich nun die Frage, wie wir das an unserem Würfel veranschaulichen können. Der Würfel besitzt vier Raumdiagonalen und es sind genau diese vier Raumdiagonalen, welche durch die 24 Symmetrieoperationen, erzeugt durch die 13 Symmetrieachsen, vertauscht werden. Abb. 10-15 Die Veranschaulichung der Raumdiagonalen im Würfel. Auch ist jeweils ein Vertreter der jeweiligen Symmetrieachsen zu sehen.
Die Drehung um die Flächensymmetrieachse (blau) ergibt eine zyklische Vertauschung aller vier Raumdiagonalen. Eine Drehung um die Kantensymmetrieachse (grün) vertauscht nur zwei Diagonalen, die anderen bleiben fest. Und eine Drehung um eine Eckensymmetrieachse lässt nur eine Raumdiagonale, nämlich sich selbst, fest und vertauscht die restlichen drei Raumdiagonalen.
120
Mathematik der Bälle
Zusammenfassung Gibt es weitere Möglichkeiten, Muster auf Bälle zu zaubern? Grundsätzlich ja, aber von den Symmetrieeigenschaften wird man keine neuen finden. Es bleiben einem als Grundbausteine nur das Tetraeder, der Würfel sowie das Ikosaeder. Wir haben mit dem Baseball aber einen Ball kennen gelernt, der sich diesen Symmetrien entzieht. Die Symmetriegruppe des Baseballs fällt in die Familie der Diedergruppen (Di-eder heißt Zweiflächner). Von diesen Diedergruppen gibt es unendlich viele. Man kann sie gut mit den Symmetrieeigenschaften eines regelmäßigen n-seitigen geraden Prismas veranschaulichen (siehe Abbildung 10-16). Der Vollständigkeit halber sei noch die Familie der geraden Pyramiden erwähnt. Diese sind eine Veranschaulichung der zyklischen Gruppe. Hier gibt es nur Drehungen um die Achse, welche durch die Grundfläche und die Spitze der Pyramide verläuft. Ein exakter mathematischer Beweis, warum dies alle endlichen Raumgruppen sind, würde aber den Rahmen des Buches sprengen. Für Interessierte: Einen elementaren Beweis finden Sie bei Henn (2003). Nach so vielen Symmetrien und Drehachsen wollen wir uns nun wieder etwas langsamer drehen und uns mathematisch auf das 400-m-Rund im nächsten Kapitel begeben. Abb. 10-16 Links: Ein fünfseitiges Prisma und seine Symmetrieachsen Rechts: Eine fünfseitige Pyramide mit ihrer Symmetrieachse
Zusammenfassung
121
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` `
Polyeder Platonische Körper Archimedische Körper Kleinsche Vierergruppe Symmetrieachsen Symmetriegruppen
` Adam, P., Wyss, A. (1994): Platonische und Archimedische Körper, Verl. Freies Geistesleben, Stuttgart ` Cromwell, P.R. (1997): Polyhedra, Cambridge University Press, Cambridge ` Cundy, H. M., Rollett, A.P. (1997): Mathematical Models, Reprint, Tarquin, Norfolk ` Henn, H.-W. (2003): Elementare Geometrie und Algebra, Vieweg, Wiesbaden ` Holden, A. (1971): Shapes, Space, and Symmetry, Dover Publications, New York ` Wenninger, M. (1971): Polyhedron Models, Cambridge University Press, Cambridge ` http://mathematik.ph-weingarten.de/aktiv/KdM/kdm.html ` http://mathematik.ph-weingarten.de/lehre/kinderuni/kinderuni.html ` http://www.math.uni-siegen.de/ring/wm-ball.html
Weiterführende Literatur und Links
11 Mathematik der 400-m-Bahn Die 400-m-Bahn, das Oval der Sprinter und Langstreckenläufer, ist auch ein Paradebeispiel dafür, wie mathematisches Wissen und mathematische Kenntnisse eingesetzt werden, um Wettkämpfe fair und gerecht zu machen. Die Erstellung der 400-m-Bahn in heutigen Stadien vereinigt die Möglichkeiten von mehreren Sportevents. Abb. 11-1 Das EasycreditStadion des 1. FC Nürnberg ist eines der schönsten Leichtathletikstadien in Deutschland. © 1. FC Nürnberg
Das antike Stadion Begonnen hat die Geschichte der 400-m-Bahn schon in der griechischen Antike. Damals benutzte man als Längenmaß das Stadion. Das griechische Stadion betrug 600 Fuß, das spätere römische Stadion 625 Fuß. Das griechische Stadion entsprach – je nach Länge des jeweiligen Fußmaßes – zwischen 177,35 m in Delphi bis zu 192,38 m in Olympia. Die ungewöhnlich große Länge des Stadions in Olympia wird einem Mythos zufolge dadurch begründet, dass Herakles mit seinem Riesenfuß diese
124
Mathematik der 400-m-Bahn
Länge abgemessen haben soll. Es handelte sich aber bei diesen Laufbahnen noch um keine Rundbahn, sondern nur um eine Strecke, die einfach geradeaus verlief. Über die Distanz von einem Stadion wurden Laufwettbewerbe ausgetragen. Später (724 v. Chr.) auch über die Distanz von zwei Stadien, das sind je nach Stadionlänge fast 385 m. Diese Wettbewerbe waren sehr populär und es wurden speziell hierfür ganz gerade Laufbahnen mit Zuschauerplätzen angelegt. Ein schönes antikes Beispiel aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. ist die Laufbahn von Olympia. Man hatte damals links und rechts von der Laufbahn Erdwälle errichtet, auf denen rund 45000 Personen Platz hatten (siehe Abbildung 11-2). So kam es nun im Laufe der Zeit zu einer Bedeutungsverschiebung für das Wort Stadion. Von nun an wurde diese gesamte Anlage aus Laufbahn und Zuschauerrängen als Stadion bezeichnet. Heute hat sich diese Bedeutung sogar noch auf alle anderen Sportarten ausgeweitet. Abb. 11-2 Das antike Stadion in Olympia. Rechts und links von der Laufbahn sind die Zuschauerwälle zu sehen. Bildrechte: DRNO GNU Free document licence
Die Stadien wurden im Laufe der Jahrhunderte schon damals immer professioneller gebaut. Im Jahr 330 v. Chr. ist das Panathinaikon-Stadion in Athen errichtet worden, um die jährlich stattfindenden panathenäischen Spiele durchzuführen. Im Jahr 140 n. Chr. wurde es nochmals verändert und bekam seine jetzige Form. Als 1896 Pierre de Coubertin die Olympischen Spiele der Neuzeit wiederbelebte, sind weitere Teile des Stadions renoviert worden; unter anderem gab es nun eine geschlossene Laufbahn mit Kurven. Man sieht aber deutlich in Abbildung 11-3, dass die Kurven der Laufbahnen sehr eng im Vergleich zu den Bahnen in den heutigen Stadien sind.
125
Das antike Stadion
Abb. 11-3 Das renovierte PanathinaikonStadion in Athen, in dem 2004 unter anderem der Zieleinlauf der Marathonwettbewerbe stattfand. Bildrechte: G. Meiners GNU Free document
Heute haben Stadien eine genormte 400-m-Laufbahn. Bis man sich aber darauf festlegte, dauerte es eine Weile. So brachte zu Beginn der Neuzeit der Olympischen Spiele jedes Land seine eigenen Längenmaße mit ins Spiel. In Tabelle 11-1 sind einige Daten zu finden. Olympisches Jahr
Ort
Bahnlänge
Grund
Verhältnis Länge: Breite
1896
Athen
333,33 m
Drittel Kilometer
11:1
1900
Paris
500 m
Halber Kilometer
k. A.
1904
St. Louis
536,45 m
Drittel Meile
2:1
1908
London
536,45 m
Drittel Meile
2,5:1
1912
Stockholm
383 m
Platzgründe / 2 Stadien
k. A.
(1916)
Berlin
600 m
Turn-/Fußballfelder im Innern der Kampfbahn
3:1
1924
Paris
500 m
Halber Kilometer
2,5:1
1928
Amsterdam
400 m
Normierung
2,11:1
Neben den doch stark unterschiedlichen Bahnlängen waren die Formen der Rundbahnen ebenso unterschiedlich. Das World’s Fair Stadium in St. Louis war das erste Stadion, bei dem der Innenraum der Rundbahn für
Tab. 11-1 In der Tabelle sind die Bahnlängen der ersten Stadien der olympischen Neuzeit aufgelistet.
126
Mathematik der 400-m-Bahn
Mannschaftsspiele genutzt wurde. Dadurch wurden die Geraden verkürzt und an diese zwei elliptische Bögen angefügt. Im Londoner White City Stadium wurden 1908 an die Geraden zwei Kreisbögen angehängt. Zudem hatte man die Idee, neben den Spielfeldern auch noch Schwimmbahnen im Innenfeld der Rundbahn zu integrieren. So kam es zu sehr großen Entfernungen zwischen den Sportlern und Zuschauern und dadurch zu einer geringen Wechselwirkung der beiden Gruppen. In Berlin, wo die Olympiade 1916 stattfinden sollte, gab es eine sehr lang gezogene 600-m-Bahn, welche mit zwei Korbbögen als Kurven versehen war. Während sich bisher bei den Schnittstellen zwischen Bögen und Geraden die Krümmung von Null (Geraden) schlagartig auf einen bestimmten Wert änderte (C1-stetig), so ist mit den Korbbögen versucht worden, die Krümmung stetig zu ändern (C2-stetig), um so das Einlaufen in die Kurve für die Athleten besser zu gestalten und möglichst hohe Kurvengeschwindigkeiten zu erreichen. Allerdings wurde die Kurve bis zum Scheitelpunkt immer enger, so dass man nicht unbedingt etwas gewonnen hat. Auch hier war die Größe des Stadions nicht für die Stimmung der Zuschauer und die Unterstützung der Sportler förderlich. Ab den olympischen Sommerspielen 1928 in Amsterdam wurden die Rundbahnen aus sehtechnischem Grund auf 400 m Länge normiert. Damit wollte man gewährleisten, dass wirklich alle Zuschauer die Athleten gut verfolgen können. Auch erreicht die 400-m-Bahn aus Amsterdam schon fast die heutigen Normwerte in Bezug auf Länge der Geraden und Radius der Kreisbögen. Darüber hinaus hat man das Experiment mit den Korbbögen aufgegeben und ist zu dem sehr einfachen Modell „Geraden und Kreisbögen“ zurückgekehrt.
Die genormte 400-m-Bahn Liest man sich die Vorgaben für die 400-m-Bahn in den amtlichen Leichtathletik-Bestimmungen des DLV durch, so ist man erstaunt. Die 400 m setzen sich aus zwei parallelen Geraden zu je 84,39 m und zwei Halbkreiskurven mit einem Radius von 36,50 m (gemessen an der Außenkante der Laufbahneinfassung) zusammen. Die Bahnen haben – einschließlich eines 5 cm breiten Begrenzungsstreifens – eine Breite von 1,22 m. Es erstaunt, dass die Geraden nicht 100 m lang sind. Das hätte man sicherlich anders erwartet. Und wenn man nachrechnet, so ist die Bahn keine 400 m, sondern nur 2 84,39 m 2 36,50 m S | 398,116 m lang.
127
Die genormte 400-m-Bahn
Wir müssen uns dazu aber vorstellen, dass die Athleten nicht genau auf der inneren Begrenzung (Laufbahneinfassung) von Bahn 1 laufen können. Diese Laufbahneinfassung ist sogar noch erhöht, so dass der Läufer bewusst Abstand hält, um nicht aus Versehen darauf zu treten und umzuknicken. Setzen wir in der Kurve einen Abstand von 30 cm an, so erhöht sich die Bahnlänge um 188,5 cm. Das ergibt dann für Bahn 1 eine Laufbahnlänge von insgesamt 400,00 m. Das passt ziemlich gut. In einigen Laufwettbewerben laufen die Athleten auf den ihnen per Losverfahren zugeteilten Bahnen durch die Kurven, z. B. 200 m (eine Kurve), 400 m (zwei Kurven), 800 m (1 Kurve), 4 x 400 Staffel (3 Kurven). Nun muss man kein Mathematiker sein, um zu wissen, dass der Weg durch die Kurven auf den Bahnen 2 bis 8 länger ist als der auf Bahn 1. Um dies auszugleichen, gibt es beim Start die so genannten Kurvenvorgaben. Wie groß sind diese Kurvenvorgaben Z für die einzelnen Bahnen? Wir wissen, dass eine Bahn eine Breite von 1,22 m hat. So können wir recht bequem die Kurvenvorgabe bezogen auf eine zu durchlaufende Kurve berechnen. Wir müssen dazu wissen, wie viele Kurven absolviert werden und auf welcher Bahn wir uns befinden. In unserer Formel gibt m die Anzahl der in Bahnen zu laufenden Kurven und n die Nummer der Laufbahn an. Kn ist die Länge der Kurve von Bahn n. Es ergibt sich: Z m, n
m K n K1
Z m, n
m 36,50 m n 1 1,22 m S 36,50 m S
Z m, n
m n 1 1,22 m S .
(11-1)
(11-2) (11-3)
Damit hätten wir bei einem 400-m-Lauf, bei dem zwei Kurven zu durchlaufen sind, für Bahn 2 eine Vorgabe von 7,66 m. Dies weicht aber um 62 cm von der Vorgabe des DLV ab (siehe Tabelle 11-2). Haben wir uns verrechnet? Tab. 11-2 Disziplin
m
n=2
n=3
n=4
n=5
n=6
n=7
n=8
200 m
1
3,52
7,35
11,18
15,02
18,85
22,68
26,52
400 m
2
7,04
14,70
22,37
30,03
37,70
45,36
53,03
800 m
1
3,53
7,38
11,16
15,15
19,06
22,94
26,93
4 x 400 m
3
10,56
22,09
33,63
45,19
56,76
68,36
79,97
Die Kurvenvorgaben für vier verschiedene Laufdisziplinen. Die Angaben sind in Meter.
128
Mathematik der 400-m-Bahn
Die Abweichung kommt daher, dass man auf Bahn 1 30 cm entfernt von der Laufbahneinfassung durch die Kurve läuft, bei Bahn 2 sind es nur noch 20 cm von der Begrenzungslinie. Somit reduziert sich die Vorgabe pro Kurve um 10S cm | 31 cm. Für den 400-m-Lauf wird dann die Vorgabe um 62 cm reduziert. Jetzt stimmt es wieder. In Tabelle 11-2 sind die Vorgaben für die verschiedenen Laufdisziplinen berechnet. Es fällt auf, dass die Vorgabe für die 800 m ein bisschen größer ist als für 200 m. Diese sehr ähnlichen Werte finden ihren Grund darin, dass man sowohl beim 200-m-Lauf als auch beim 800-m-Lauf genau eine Kurve in der „eigenen“ Bahnen läuft. Während der Athlet beim 200-m-Lauf den kompletten Lauf in seiner Bahn absolvieren muss, darf der 800-m-Läufer nach der Startkurve seine Bahn verlassen. Dies erklärt, warum die Vorgaben bei 800 m ein wenig größer sind. Nehmen wir an, der Läufer befinde sich auf der äußersten Bahn. Nach der Startkurve möchte dieser Athlet natürlich auch auf Bahn 1, also die Innenbahn, wechseln. Dazu muss er am Ende der Kurve von Bahn 8 auf Bahn 1 wechseln. Diese zur Laufbahn diagonal verlaufende Strecke ist logischerweise länger als die Gerade von 84,39 m. Man hat die zusätzliche Länge z mit Hilfe des Pythagoras schnell berechnet. In Abbildung 11-4 ist die Situation auf der Gegengeraden schematisch dargestellt. Abb. 11-4 Die Gegengerade und der Laufweg von Bahn 8 auf Bahn 1, dargestellt als Strecke d. Die Zeichnung ist nicht maßstäblich.
Es gilt z
d s und
(11-4)
d2
s 2 b2
(11-5)
z
s 2 b2 s .
(11-6)
Startlinie der Mittel- und Langstreckenläufe
129
Die Strecke b ist aber abhängig von der Laufbahn, in welcher der Sportler sich befindet. So erhalten wir für bn n 1 1,22 m 0,1m , wobei n die Nummer der Laufbahn ist. Ebenfalls müssen noch 0,1 m abgezogen werden, da wir davon ausgehen, dass der Läufer auf der ersten Bahn 30 cm Abstand zur Laufbahneinfassung hält und nicht 20 cm wie die Läufer auf den anderen Bahnen. Somit erhalten wir für 800-m-Laufwettbewerbe und 4x400-m-Staffeln die zusätzliche Kurvenvorgabe z(n) in Abhängigkeit der Bahnnummer n. z(n )
s 2 bn 2 s
z(n )
84,39 m
2
(11-7) 2
n 1 1,22 m 0,1m 84,39 m .
(11-8) Tab. 11-3
Zusätzliche Vorgabe
n=2
n=3
n=4
n=5
n=6
n=7
n=8
z
0,7
3,2
7,5
13,5
21,3
30,8
42
(Angaben in cm)
Startlinie der Mittel- und Langstreckenläufe Nun haben wir für die kurzen Laufdistanzen sämtliche Kurvenvorgaben berechnet. Es gibt aber noch weitere Laufdisziplinen. Bei den Läufen über eine Distanz von 1500 m, 3000 m, 5000 m und 10000 m starten die Athleten nicht in eigenen Bahnen, sondern an einer gemeinsamen Startlinie. Je nach Laufdistanz befindet sich die Startlinie an unterschiedlichen Stellen der 400-m-Bahn. Beim 1500-m-Lauf ist die Startlinie direkt nach 100 m in der ersten Kurve markiert. Denn beim 1500-m-Lauf muss man drei 400-m-Runden plus 300 m laufen. Beim 10000-m-Lauf befindet sich die Startlinie direkt beim Zieleinlauf, denn man muss genau 25 Runden absolvieren, um 10000 m zu laufen. Betrachtet man diese Startlinien, so fällt auf, dass sie gebogen sind, denn jeder Läufer soll, egal von welcher Position auf der Linie gestartet wird, die gleiche Distanz zurücklegen. Die Startlinie muss aber so gebogen sein, dass diese Forderung auch erfüllt wird. Das ist nicht ganz trivial, denn der Start bei 10000 m befindet sich ja genau in einer Kurve. Wie schon mehrfach erwähnt, ist die Normlinie in einem Abstand von 30 cm zur Laufbahneinfassung zu sehen. Versuchen
Zusätzliche Vorgaben bei den Disziplinen 800 m und 4x400-mStaffel
130
Mathematik der 400-m-Bahn
wir, uns zu überlegen, wie wir diese Startlinie bestimmen können. Befindet sich der Sportler nicht auf der Innenbahn (Normlinie), sondern weiter außen (z. B. auf Bahn 8), so wird er versuchen, auf kürzestem Wege auf die Normlinie zu kommen. Dies macht er, indem er tangential an die Normlinie heranläuft. Wir suchen also alle Punkte, bei denen der tangentiale Laufweg zur Normlinie genauso lang ist wie der Weg vom Startpunkt bis zu diesem Punkt auf der Normlinie selbst. Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht. Man kann sich diese Kurve mit Hilfe einer Fadenkonstruktion leicht herstellen. Die Idee dahinter ist die Schnurabwicklung eines Kreises. Stellen wir uns vor, um einen Kreiszylinder ist ein Faden gewickelt. Das eine Ende ist fest mit dem Zylinder verbunden, das freie Ende mit der Spitze eines Bleistiftes. Bewegen wir nun den Bleistift vom Zylinder in der Art weg, dass der Faden straff gespannt bleibt, so wird der Stift durch den Faden, der immer die gleiche Länge hat, auf eine Kurve gezwungen. Diese Kurve ist genau das, was wir für unsere Startlinie brauchen, denn sie erfüllt die Bedingung, dass der Laufweg (Fadenlänge) von jedem Punkt der Startlinie gleich lang ist. Eine so erzeugte Kurve heißt Evolvente. Abbildung 11-5 zeigt die Konstruktion dieser Kurve. Abb. 11-5 Die Fadenkonstruktion der Evolvente
131
Startlinie der Mittel- und Langstreckenläufe
Abb. 11-6 Die Evolvente (dunkelgrün) an die Normlinie (hellgrün) als ideale 10000-mStartlinie
Eine Startlinie der gleichen Form erhält man auch beim 5000-m-Lauf. Nur wird diese am Ende der Gegengeraden angebracht. Die Evolvente für den 1500-m-Lauf ist ein wenig komplizierter zu berechnen, aber genauso zu konstruieren wie die bisherigen. Dadurch, dass sich der Start für den 1500-m-Lauf gerade an einer Stelle befindet, an der die Kurve in die Gerade übergeht, besteht die Startlinie aus zwei verschiedenen Evolventen, welche aber stetig ineinander übergehen. Abb. 11-7 Die zusammengesetzte Evolvente beim 1500-m-Start
132
Mathematik der 400-m-Bahn
Die erste Evolvente (grün) – etwa bis zur Bahn 3 – entspricht der normalen Kreisevolvente. Das zweite Stück der Startlinie – von Bahn 3 bis zur Bahn 8 – ist ein Kreisbogen mit einem Radius von 100 m und dem Mittelpunkt „200-m-Start Innenbahn“, denn nun „wickelt“ man den Faden von der Gegengeraden ab. Abbildung 11-7 zeigt die zusammengesetzte Startlinie. Die grüne Kurve ist die bekannte Kreisevolvente und das rosa Kurvenstück ist der Kreisbogen, der durch Abwicklung von der Geraden zustande kommt. Die Abbildung 11-7 ist nicht maßstäblich. Wer hätte gedacht, dass soviel Mathematik in der 400-m-Bahn steckt? Ich sage da nur: zum Glück! Denn nun können sich die Sportler in aller Ruhe dem Wettkampf widmen.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` `
Weiterführende Literatur und Links
Kreisumfang Kreisbogen Pythagoras Abwickelkurven Kreisevolvente
` Schmidt, Th.: Architektonische Gestaltung und sportliche Nutzung der Olympiastadien, in: Schweizer Ingenieur und Architekt, Vol102 (1984), S. 592–599 ` http://de.wikipedia.org/wiki/Evolvente
12 Mathematik am Rad Der Radsport hat eine lange olympische Tradition. Seit Beginn der Olympischen Spiele der Neuzeit im Jahr 1896 ist der Radsport mit zwei Varianten vertreten, dem Straßenrennen und dem Bahnrennen. 1996 kam dann das sehr populäre Crosscountry-Rennen dazu, bei dem mit speziellen Mountainbikerädern gefahren wird. 2008 werden in Peking die ersten BMX-Rennen gestartet. Beim BMX-Rennen (siehe Abbildung 12-1) fährt man mit 20"-Rädern auf einer Geländebahn. Es ist einsichtig, dass jede dieser Disziplinen ein eigenes Sportgerät erfordert oder dass es sogar notwendig ist. Der Radsportweltverband, die UCI, schreibt genau vor, wie ein Fahrrad aussehen muss, damit es für Wettbewerbe auf der Bahn zugelassen ist. So hat ein Bahnfahrrad z. B. keine Bremsen und auch keinen Freilauf. Begründet wird dieses Reglement damit, dass sich dadurch die Sicherheit der Sportler erhöhen würde. Abb. 12-1 Start eines BMXRennens Bildrechte: Creative Commons/ Fabrizio Tarizzo
Rahmengeometrie Wenn wir uns mit den einzelnen Fahrradtypen befassen, so kommt man natürlich sofort auch auf die unverzichtbaren Bestandteile zu sprechen. Dass man eine Bremse nicht unbedingt braucht, sieht man bei den Rädern für die Bahnrennen. Was aber macht ein Fahrrad aus? Es ist gar nicht so einfach, ein Fahrrad ohne Vorlage nur aus der Erinnerung zu zeichnen. Probieren Sie es doch einfach einmal aus und blättern Sie dann um!
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Mathematik am Rad
Natürlich: An die beiden Räder kann man sich noch gut erinnern. Auch an die Gabel und den Lenker. Jetzt wird es aber schwierig. Wo genau befindet sich der Sattel und wie ist er befestigt? Wie verlaufen die anderen Streben? Und was hat das mit Mathematik zu tun? Nun, zunächst sollte erwähnt werden, dass diese Aufgabe an verschiedenen Kunsthochschulen Teil der Aufnahmeprüfung war, und sie wurde nicht von allen Teilnehmern gut gelöst. Es ist also wirklich nicht einfach. Aber warum? Unten in Abbildung 12-2 sehen Sie das Grundschema eines Fahrrades. Der Rahmen besteht aus zwei Dreiecken, welche sich zu einem Trapez, manchmal auch zu einem Parallelogramm ergänzen. Die Nabe des hinteren Laufrads (Mittelpunkt des Kreises) liegt auf einer Trapezecke mit spitzem Winkel (Punkt A). Das Vorderrad ist dann auch schnell positioniert und nun kann man schwungvoll die Gabel zeichnen. Der Sattel wird auf dem Sattelrohr der kurzen Diagonalen im Trapez parallel zum Boden befestigt (Punkt D). Der Lenker bei Punkt C ist dann nur noch Formsache. Wichtig und grundlegend ist aber die Idee, dass der Rahmen die Form eines Trapezes bzw. von zwei zusammengesetzten Dreiecken hat. Der Rest ergibt sich dann schon fast von allein. Abb. 12-2 Die schematische Entwicklung eines Fahrrades
Übersetzungsarithmetik
Natürlich ist dies nur eine einfache Modellierung. So fehlen bei uns z. B. die Pedale, die Kette sowie die Kettenblätter und Ritzel. Ebenfalls ist bei einem normalen Fahrrad die Gabel in ein Steuerrohr eingebettet. Wir haben das bei unserem Modell auf den Punkt C beschränkt.
Übersetzungsarithmetik Der Franzose Paul de Vivie (1853–1930) gilt als der Erfinder der Gangschaltung. Im Jahr 1889 ärgerte sich de Vivie über einen Radfahrer, der ihn Pfeife rauchend am Col de la République überholte. Paul de Vivie erkannte natürlich, dass dieser Radfahrer eine kleinere Übersetzung fuhr. Aber de Vivie war ein Langstreckenradfahrer, der in der Ebene einen großen Gang brauchte. Also konnte er mit kleinen Übersetzungen nichts anfangen. Als Lösung ersann er Folgendes: Er befestigte zunächst ein zweites Kettenblatt an der Tretkurbel, später auch noch weitere Ritzel an der Hinterradnabe, um mehrere Übersetzungsmöglichkeiten zu haben. Auch die Erfindung des Umwerfers, welcher den Gangwechsel während der Fahrt ermöglicht, wird ihm zugeschrieben. Allerdings wurde er durch diese Erfindung nicht reich, da er sie sich nicht patentieren ließ. Neben der Kettenschaltung wurden auch noch Nabenschaltungen und Tretlagerschaltungen von verschiedenen Firmen entwickelt. Bei diesen Schaltungen befindet sich ein Getriebe im Innern der Nabe bzw. im Tretlager. Tretlagerschaltung gibt es praktisch nicht mehr, da ihr Gewicht aufgrund der großen wirkenden Drehmomente sehr hoch sein muss und mit maximal drei Gängen der Effekt zu gering ist. Die Nabenschaltungen wurden immer wieder verbessert und aus der einstigen berühmten Torpedo 3-Gang-Schaltung hat sich die Rohloff Speedhub mit 14 Gängen entwickelt. 14 Gänge in einer Nabe: Das ist enorm. Besitzern von Mountainbikes ringt das aber meistens nur ein müdes Lächeln ab. Sie behaupten, sie hätten bei ihrer Kettenschaltung 27 Gänge. Denn am Tretlager sind 3 Kettenblätter angebracht und am Hinterrad sind 9 Ritzel zu einer Kassette zusammengesetzt. Da man ja nun von jedem Kettenblatt aus jedes Ritzel ansteuern kann, ergeben sich 3 9 27 Gänge. Also fast doppelt so viele wie bei der Rohloff Speedhub. Nun weiß natürlich ein erfahrener Radler, dass er von den einzelnen Kettenblättern nicht jedes Ritzel ansteuern kann, da sonst die Kette zu schräg läuft (siehe Abbildung 12-3) und es dadurch große Reibungsverluste gibt. Ebenfalls unterliegt die Kette bei solchen extremen Stellungen einem höheren Verschleiß.
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136
Mathematik am Rad
Schränkt man also für jedes Kettenblatt die Anzahl der verfügbaren Ritzel auf sechs ein, so hat man plötzlich nur noch eine 18-Gang-Schaltung. Abb. 12-3 In Grün ist schematisch die erlaubte Kettenführung eingezeichnet, in Pink die „verbotene“.
Aber es gibt noch einen anderen Grund, warum man von Anfang an keine 27-Gang-Schaltung hatte. Betrachten wir ein handelsübliches Mountainbike, so haben die Kettenblätter 22, 32 und 44 Zähne. Der Zahnkranz am Hinterrad besitzt die Abstufungen 11 - 12 - 14 - 16 - 18 - 21 - 24 - 28 - 32. Damit lassen sich nun alle möglichen Übersetzungsverhältnisse berechnen. Als Übersetzung bezeichnet man das Verhältnis der Anzahl der Zähne beim Kettenblatt (vorne) zur Anzahl der Zähne beim Ritzel (hinten). In Tabelle 12-1 sind diese dargestellt. Tab. 12-1 In der ersten Zeile findet man die Anzahl der Zähne der Kettenblätter, in der linken grauen Spalte die Anzahl der Ritzelzähne. Jeweils gleiche oder fast gleiche Übersetzungen sind in gleichen bzw. fast gleichen Farben unterlegt.
Kettenblatt/ Ritzel
22
32
44
11
2,00
2,91
4,00
12
1,83
2,67
3,67
14
1,57
2,29
3,14
16
1,38
2,00
2,75
18
1,22
1,78
2,44
21
1,05
1,52
2,10
24
0,92
1,33
1,83
28
0,79
1,14
1,57
32
0,69
1,00
1,38
137
Der Umwerfer und das Schaltwerk
Betrachten wir nun die Tabelle, so erkennen wir, dass einige Übersetzungsverhältnisse identisch sind, manche sind es fast. Dadurch reduziert sich die Anzahl der real zur Verfügung stehenden Übersetzungen und damit der verschiedenen Gänge auf 18. Es überlappen sich sogar die Übersetzungsbereiche. So wird man mit dem 22er-Kettenblatt nur die Ritzel 16 bis 32 ansteuern, mit dem 32er-Kettenblatt kann man nun die 12er- bis 24er-Ritzel ansteuern und für das große 44er-Kettenblatt wird man die Ritzel 11 bis 21 ausnutzen können. Denkt man daran, dass man den Kettenschräglauf aufgrund der mechanischen Beeinträchtigung vermeiden möchte, so bewirken diese Übersetzungsverhältnisse genau dieses. Andererseits ist es möglich, kurzzeitig in bestimmten Rennsituationen mit einem Kettenblatt einen sehr großen Übersetzungsbereich auszufahren. Es ist also absolut gewollt, dass Übersetzungsverhältnisse bei der Kettenschaltung mehrfach auftreten. Allerdings macht dies eben die Benutzung für ungeübte Radler schwierig. Es werden dann weit weniger Gänge ausgenutzt, als möglich wäre, und der ganze Sinn der Gangschaltung ist dahin. Kettenblatt/ Ritzel
22
32
44
11
2,00
2,91
4,00
12
1,83
2,67
3,67
14
1,57
2,29
3,14
16
1,38
2,00
2,75
18
1,22
1,78
2,44
21
1,05
1,52
2,10
24
0,92
1,33
1,83
28
0,79
1,14
1,57
32
0,69
1,00
1,38
Der Umwerfer und das Schaltwerk Paul de Vivie hat, wie oben schon erwähnt, eines dieser zentralen Elemente jeder Kettenschaltung entwickelt. Der Umwerfer hat seinen Namen von seiner technischen Funktion erhalten. Mit Umwerfern ist es
Tab. 12-2 Hier sind die sinnvollen Ritzel für die einzelnen Kettenblätter farblich gekennzeichnet.
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Mathematik am Rad
möglich, die Kettenblätter während der Fahrt zu wechseln. Der Umwerfer wirft die Kette auf die gewünschten Zahnräder. Er wird in der Regel mit einem Seilzug bedient, als Gegenkraft wirkt eine Feder. In Abbildung 12-4 unten rechts ist der Umwerfer bei den Kettenblättern zu sehen. Der hintere Umwerfer (in Abbildung 12-4 links unten) wird als Schaltwerk bezeichnet. Man erkennt deutliche Unterschiede. So ist der vordere Umwerfer ein eher einfaches Bauteil. Das Schaltwerk besteht dagegen aus zwei Zahnrädern, über welche die Kette läuft. Diese beiden Zahnräder sind mit Hilfe einer beweglichen Schaltschwinge zueinander fixiert und können auch mit einer Parallelmechanik in Richtung Nabe bewegt werden. Warum ist das hintere Schaltwerk so kompliziert aufgebaut? Abb. 12-4 Großes Bild: Kettenschaltung Unten links: Das Schaltwerk Unten rechts: Der Umwerfer
Überlegen wir uns, was passiert, wenn wir von einem Ritzel auf ein anderes schalten: Die beiden Ritzel haben eine unterschiedliche Anzahl von Zähnen, so dass die notwendige Länge der Kette bei den verschiedenen Übersetzungen völlig unterschiedlich ist. Das Schaltwerk kann aber durch die bewegliche Schaltschwinge und die Federspannung die richtige Kettenlänge und Kettenspannung herstellen. Es besteht somit ein enger
Der Umwerfer und das Schaltwerk
Zusammenhang zwischen der Kettenlänge, den möglichen Übersetzungen und der Länge der Schaltschwinge. Wir wollen einmal näherungsweise die minimale und maximale Kettenlänge für eine Kettenschaltung bestimmen und daraus die notwendige Länge der Schaltschwinge ableiten. Die maximale Kettenlänge setzt sich aus dem halben Umfang des großen Kettenblattes UKg, dem halben Umfang des größten Ritzels URg sowie dem Abstand zwischen den Zahnrädern zusammen. Zusätzlich muss man noch die Kettenlänge im Schaltwerk dazurechnen. Man sieht schnell ein, dass sich die minimale Kettenlänge nur dadurch von der maximalen unterscheidet, dass man jeweils das kleinste Ritzel URk und das kleinste Kettenblatt UKk verwendet. Abbildung 12-5 zeigt die beiden Situationen. Ebenfalls ist klar, dass die Länge eines Kettengliedes mit dem Abstand zwischen zwei Zähnen korrespondiert. Wir erhalten also für den Unterschied dk zwischen der größten und kleinsten Kettenlänge: dk
U
Kg
URg UKk URk 2
In unserem Fall des Mountainbikes aus Tabelle 12-1 erhalten wir
44 32 22 11 2
21,5 Kettenglieder.
Für das Rennrad des Autors, welches in Abbildung 12-5 zu sehen ist, erhalten wir für dK dagegen nur
53 28 42 11 2
14 Kettenglieder.
Das Schaltwerk muss also in der Lage sein, diese Anzahl von Kettengliedern aufzufangen. Dies gelingt, indem sich das Schaltwerk mit Hilfe einer Feder um eine Achse drehen und so die Differenz dk ausgleichen kann. Dies ist in Abbildung 12-5 gut zu sehen. Je größer nun die Differenz dk, desto länger muss auch die Schaltschwinge sein. In der Tat ist bei einem Mountainbike die Schaltschwinge deswegen wesentlich länger. Auch ist in Abbildung 12-5 gut zu sehen, dass der Winkelbereich, in welchem sich die Schaltschwinge bewegt, im Bereich von 60° bis 90° liegt. Die Schaltschwinge wird also so gebaut sein, dass Sie die Differenz dk an den Kettengliedern aufnehmen kann.
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Mathematik am Rad
Abb. 12-5 Oben: Großes Kettenblatt und großes Ritzel Unten: Kleines Kettenblatt und kleines Ritzel
Solche Extreme wie in Abbildung 12-5 sollte man beim Radfahren vermeiden, sie zeigen aber gut die Funktionsweise des Schaltwerks.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` `
Weiterführende Literatur und Links
Bruchrechnung Begriffe der Elementargeometrie Trapez Dreieck Umfangsberechnung
` Hindrichs, G. (2008): Modellierung im Mathematikunterricht, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, S.162 ff. ` Jahnke, Th. (1996): Wie viele Gänge hat ein 21-Gang-Fahrrad? In: Bardy et al., Materialien für einen realitätsbezogenen Mathematikunterricht. Schriftenreihe der ISTRON-Gruppe, Band 3, Franzbecker, Hildesheim ` http://de.wikipedia.org/wiki/Kettenschaltung ` http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_de_Vivie
13 Mathematik des Olympiastadions Das Nationalstadion in Peking (siehe Abbildung 13-1), von den Chinesen aufgrund der filigranen Oberflächenstruktur auch liebevoll Vogelnest genannt, hat durch seine äußere Erscheinung große Aufmerksamkeit und Begeisterung hervorgerufen. Ohne Zweifel ist den beiden Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron große Architektur gelungen. Wir wollen in diesem Kapitel versuchen, dieses Stadion bzw. Grundzüge dieser Architektur mathematisch zu modellieren. Das heißt, wir wollen es virtuell mit Hilfe einer Software in Grundzügen nachbauen. Abb. 13-1 Das Olympiastadion in Peking Bildrechte: Creative Commons/ Emmanuel Brunner
Abb. 13-2 Ein Modell des Olympiastadions von Herzog und de Meuron Bildrechte: JMP Creative Commons
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Mathematik des Olympiastadions
Wie geht man so etwas an? Zunächst muss man sich noch einen Grundriss oder ein Bild aus der Vogelperspektive des Stadions besorgen. Dies gelingt heutzutage am einfachsten und besten, indem man bei Google Earth© nach so einem Bild aus der Luft sucht und Glück hat. Peking ist bei Google Earth oder Google Map© nicht immer freigeschaltet. Abb. 13-3 Die Baustelle (2007) des Pekinger Nationalstadions aus der Vogelperspektive. Es sind zusätzlich die beiden Ellipsen eingezeichnet. Bildrechte bei © Google Earth
Ellipsen im Stadion Wir hatten Glück und fanden so ein Bild, allerdings noch während der Bauzeit des Stadions, aber gerade da sieht man die filigrane Struktur des Vogelnestes wunderbar. Man erkennt in Abbildung 13-3, dass der Umfang gut durch eine Ellipse beschrieben werden kann. Die Form des Stadions ist zwar nicht ganz symmetrisch (man beachte die Ausbuchtung auf der rechten Seite), aber dennoch kann man die äußere Form durch eine Ellipse annähern. Das „Loch“ im Dach lässt sich ebenfalls durch eine Ellipse nachbilden. Es sieht so aus, als ob die Ellipsen konfokal wären, d. h. die gleichen Brennpunkte hätten.
143
Ellipsen im Stadion
Eine Ellipse ist definiert über die Menge aller Punkte, bei denen die Abstandssumme von den Punkten F und F´ (den Brennpunkten) konstant ist. Es gilt also PF PF´ const. Auf Grundlage dieser Definition ist eine Ellipse durch die Gärtnerkonstruktion schnell erstellt. Man benötigt zwei feste Punkte F und F´ sowie einen Faden der Länge 2a = const. Man befestigt den Faden an den Punkten F und F´ und spannt ihn mit einem Stift. Nun bewegt man den Stift. Er wird sich auf einer bestimmten Kurve bewegen, der Ellipse. Durch den Abstand 2e zwischen den Brennpunkten und der Fadenlänge 2a, welche dem langen Durchmesser der Ellipse entspricht, ist die Form der Ellipse festgelegt. Abb. 13-4 Links: Die Gärtnerkonstruktion
'
Rechts: Der geometrische Zusammenhang zwischen a, b und e
Um die Ellipse in einem „Zug“ durchzeichnen zu können, verwendet man als Faden eine Schlaufe der Länge 2a + 2e. So ist gewährleistet, dass man ohne Probleme um die Punkte F und F' herumfahren kann. Zwischen den beiden Halbachsen a und b einer Ellipse und dem Abstand zwischen den beiden Brennpunkten 2e besteht folgender Zusammenhang, welcher gut aus der Abbildung 13-4 rechts ablesbar ist: e2
a2 b2
(13-1)
Wir sind ja mit der Frage gestartet, ob die beiden Ellipsen aus Abbildung 13-3 konfokal sind, d. h. die gleichen Brennpunkte haben. Wir können die Frage nun verändern und fragen, ob für beide Ellipsen gilt, dass der Abstand 2e zwischen den Brennpunkten gleich ist. Die Messwerte für die große und kleine Halbachse kann man aus der Zeichnung entnehmen, indem man den Umrechungsmaßstab verwendet, welcher aber im Bild nur schlecht zu sehen ist. Die Werte in Tabelle 13-1 sind deswegen auch nur „Schätzwerte“. Für unsere Zwecke genügen sie aber, weil das Ergebnis sehr deutlich ausfällt.
144
Mathematik des Olympiastadions
Tab. 13-1 Die „Messwerte“ aus Abb. 13-3 und die Berechnung von e
Große Halbachse
Kleine Halbachse
a2 – b2
e
groß
136 m
120 m
4096 m2
64 m
klein
66 m
54 m
1440 m2
38 m
Ellipse
In Tabelle 13-1 zeigt sich deutlich, dass die beiden Ellipsen nicht konfokal sind. Trotzdem besteht eine Beziehung zwischen ihnen. Man erkennt recht gut, dass die „Zweige“ des Vogelnestes Tangenten an die innere Ellipse bilden, ja, es sieht sogar so aus, als ob die innere Ellipse erst durch diese Geraden erzeugt würde, die Ellipse also die Enveloppe dieser „Zweige“ (Geraden) wäre.
Die Ellipse als Enveloppe Abb. 13-5 Einige „Zweige“ des Vogelnestes sowie die Enveloppe sind eingefärbt. Bildrechte bei © Google Earth
145
Die Ellipse als Enveloppe
Dieser Idee, dass die kleine Ellipse die Einhüllende ist, wollen wir nachgehen. Wir ersetzen unsere Kurve (große Ellipse) durch n Punkte, welche gleichmäßig verteilt auf der Ellipse liegen. Diese Punkte Ak haben die Koordinaten: Ak
§ § 2S · § 2S ·· nk ¸ , b sin ¨ nk ¸ ¸ , ¨ a cos ¨ n n © ¹ © ¹¹ ©
(13-2)
wobei nk die laufende Nummer der Punkte von 0 bis n –1 ist. Nun erzeugen wir eine Geradenschar, bei der die Geraden durch zwei Punkte der Ellipse verlaufen. Diese beiden Schnittpunkte geben wir durch eine einfache Vorschrift vor. Den ersten Punkt A können wir frei wählen, der zweite Punkt B ist um einen bestimmten Winkel D (z. B. 120°) gegenüber Punkt A um den Mittelpunkt M gedreht. Man kann auch sagen, dass zwischen den Punkten A und B d Punkte (in unserem Fall ist n = 60 und damit d = 20) liegen. Wir haben also die Punkte Ak und Ak+d. Die zweite Gerade ist nun leicht erzeugt. Wir wandern mit unserem Startpunkt gegen den Uhrzeigersinn um einen Punkt weiter – dies sei dann unser neuer Startpunkt Aneu (Ak+1) – und zählen von hier aus d Punkte bis zu unserem zweiten Punkt Bneu (Ak+d+1) ab. In Abbildung 13-6 links ist dies durch die rote Gerade symbolisiert. Führt man dieses Verfahren für alle Punkte durch, erhält man Abbildung 13-6 rechts. Abb. 13-6 Links: Die Vorschrift für die Geradenschar Rechts: Die Geradenschar erzeugt als Enveloppe wieder eine Ellipse.
Das sieht doch unserem Stadionbild aus der Vogelperspektive in Abbildung 13-3 schon recht ähnlich. Noch befinden wir uns jedoch nur in der Ebene. Wir können diese Geradenschar aber nicht einfach anheben, sondern wir müssen die Gesamtsituation berücksichtigen. Betrachten wir die Situation dreidimensional (siehe Abbildung 13-1 und 13-2), so stellen
146
Mathematik des Olympiastadions
wir fest, dass die Stadionwände in den engen Kurven niedriger sind als in den lang gezogenen Kurven. Ebenso sind die Wände nach außen geneigt. Das heißt, die Grundfläche ist kleiner als das Stadiondach. Wir wollen dies nach und nach entwickeln.
Von der Ellipse zum Stadion Um die Stadionwand zu erzeugen, müssen wir die Koordinaten der Punkte Ak in dreidimensionale Koordinaten umwandeln. Ak
§ § 2S · § 2S ·· nk ¸ , h, b sin ¨ nk ¸ ¸ . ¨ a cos ¨ n n © ¹ © ¹¹ ©
(13-3)
Falls wir die Höhe h konstant lassen, erhalten wir ein Stadion wie in Abbildung 13-7 links zu sehen. Um es aber dem Nationalstadion ähnlicher zu machen, müssen wir die Höhe h noch mit einer periodischen Funktion f überlagern. Abb. 13-7 Links: Die Höhe h ist konstant. Rechts: Der Höhe h ist eine periodische Funktion f überlagert worden.
Diese Funktion f muss S-periodisch sein, da sie bei einer Drehung um 2S zwei Schwingungen durchführen muss. Eine mögliche Funktion wäre § 4S · nk ¸ . f nk =c cos ¨ © n ¹
(13-4)
Somit ergibt sich für Ak
§ § 2S · § 4S · § 2S ·· nk ¸ , h c cos ¨ nk ¸ , b sin ¨ nk ¸ ¸ . (13-5) ¨ a cos ¨ n n n © ¹ © ¹ © ¹¹ ©
147
Von der Ellipse zum Stadion
Damit ergibt sich dann Abbildung 13-7 rechts. Das passt nun schon ganz gut. Allerdings haben wir noch nicht die schrägen Stadionwände berücksichtigt, welche das Stadion sehr erhaben wirken lassen. Auch ist noch keine Wand eingezogen. Abb. 13-8 Links: Die Stützen sind nach außen geneigt. Rechts: Die Wände wurden mit Kragarmen versehen.
Zum Abschluss setzen wir noch unser Fußballfeld maßstabsgetreu hinein und wir können erahnen, wie wenig die Zuschauer sehen werden. Abb. 13-9 Die Draufsicht auf das virtuelle Stadion. Ob es einem Vergleich mit dem Vogelnest standhalten kann, soll der Leser entscheiden.
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Mathematik des Olympiastadions
Das Stadion ist riesig. Es hat ein Fassungsvermögen von 100 000 Zuschauern. Im Kapitel über die 400-m-Bahn wurde unter anderem über die wichtige Zuschauer-Sportler-Wechselwirkung gesprochen. Ob diese Wechselwirkung auch im stolzen Nationalstadion der Chinesen trotz dieser großen Entfernungen stattfindet? Es ist Ihnen zu wünschen. Zum Abschluss dieses Kapitels noch zwei Impressionen unseres StadionNachbaus. Virtuell nachgebaut aus purer 100%iger Mathematik. Abb. 13-10 Die Ansicht von der schmalen Seite
Abb. 13-11 Die Ansicht von der langen Seite
Software
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Software Für die Interessierten, welche wissen möchten, mit welcher Software diese Bilder erzeugt wurden, sei verraten, dass diese mit dem Ray-tracing Programm PovRay (Persistence of Vision Raytracer) programmiert und gerendert wurde. Diese Software ist Open Source Software und es stehen Versionen für alle gängigen Betriebssysteme wie Linux, Windows oder OS X zur Verfügung. Die Adresse zum Download der Software und einiger Dateien zum Nachrendern finden sie unten.
Mathematische Begriffe und Formeln
` ` ` ` ` `
Ellipsengleichung Halbachsen Brennpunkte Kurvenscharen Winkelfunktionen Analytische Geometrie
` http://www.povray.org ` http://de.wikipedia.org/wiki/Enveloppe_ %28Mathematik %29 ` http://mathematik.ph-weingarten.de/~ludwig/matheundsport
Weiterführende Links
14 Mathematisches Modellieren Dieses Kapitel soll didaktisch beleuchten, was wir in den vorangegangenen 13 Kapiteln getan haben. Wir haben mathematisiert, wir haben versucht, die Wirklichkeit oder Vorgänge in der Realität mit mathematischen Methoden zu beschreiben. Kurz: Es wurde mathematisch modelliert. Wobei „Modellieren“ zwei Dinge bedeuten kann. Zum einen wird etwas nachgebaut – das kann man ruhig virtuell oder materialistisch sehen. In Kapitel 13 haben wir z. B. das Olympiastadion in Peking nachgebaut oder wir haben die Bälle in Kapitel 10 sprichwörtlich modelliert, also wie ein Bildhauer herausgearbeitet. Modellieren meint aber auch, einen Sachverhalt funktional so zu beschreiben, dass man mit Hilfe der Mathematik Aussagen bzw. Vorhersagen treffen kann. Dies ist ganz deutlich in Kapitel 1 bei dem Zehnkampf angesprochen worden. Gerade die Entwicklung der Zehnkampfpunkteformel ist ein Musterbeispiel für die Modellbildung. Modellbildung ist auch in den Naturwissenschaften besonders wichtig. Zum Beispiel ist jedes physikalische Gesetz ein Modell, welches versucht, die Wirklichkeit zu beschreiben. Die bekanntesten und populärsten mathematischen Modellierungen sind z. B. die täglichen Wettervorhersagen. Man modelliert die derzeitige Wettersituation, z. B. indem man Teile der Atmosphäre in Quader einteilt, in denen ein bestimmter Zustand von Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit usw. herrscht. Die Zustände der einzelnen Quader wechselwirken nach einer vorher festgelegten Vorschrift, eben dem Modell, und verändern so ihre Zustände in Abhängigkeit von der Zeit. Somit entsteht ein Wettermodell. Man macht sich schnell klar, dass sich dieser Prozess, je länger man ihn durchführt, immer weiter von der Wirklichkeit entfernt, man also immer mehr Fehler macht, und genau das ist auch ein Grund dafür, warum die Genauigkeiten von Wettervorhersagen mit der Länge der Vorhersage stark abnehmen. Ist mathematisches Modellieren dann doch nicht so gut? Doch, denn es gibt ja keine Alternative! Im Moment bietet die Sprache der Mathematik mit Abstand die beste Grundlage, um rationale Entscheidungen zu treffen und um unsere Umwelt sachlich und „berechnend“ zu beschreiben.
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Mathematisches Modellieren
Wenn wir uns überlegen, warum wir Mathematik in der Schule unterrichten, so kann eines der vielen dafür sprechenden Argumente genau das obige sein: Mathematik hilft, rationale und für jedermann nachvollziehbare Entscheidungen zu treffen. Genau bei diesem Argument setzt auch das mathematische Modellieren an, welches eine der sechs allgemeinen mathematischen Basiskompetenzen ist, die in den Bildungsstandards formuliert wurden. Neben dem mathematischen Modellieren sind noch mathematisch argumentieren, Probleme mathematisch lösen, mathematische Darstellungen verwenden, mit symbolischen, formalen und technischen Elementen der Mathematik umgehen und kommunizieren die allgemeinen mathematischen Kompetenzen, welche es im Unterricht auszubilden gilt. Ich möchte versuchen, in gebotener Kürze aufzuzeigen, wie man mathematisches Modellieren unterrichten kann, und verweise wegen der anderen fünf Kompetenzen den interessierten Leser z. B. auf das Buch von Blum et al.: „Bildungsstandards Mathematik: konkret“. Zum mathematischen Modellieren im Unterricht selbst gibt es vielfältige Bücher, z. B. von Gerd Hinrichs oder Katja Maaß und viele weitere Literatur – man denke nur an die im Eingangskapitel erwähnten Istron-Bände. Dieses Schlusskapitel soll wirklich nur die Grundzüge darstellen und Grundlage sein für Lust auf mehr.
Der Modellierungskreislauf Um mathematisches Modellieren zu unterrichten, ist es hilfreich, sich auf der Metaebene einige Gedanken zum Modellieren selbst zu machen. Zunächst ist mathematisches Modellieren nichts wirklich Neues. Mathematisches Modellieren wurde schon lange vor der Formulierung der Bildungsstandards betrieben. 1989 haben Roland Fischer und Günter Malle einen Modellierungsprozess im Stil eines Flussdiagramms entwickelt, an dem man sich gut orientieren kann. Dass mathematisches Modellieren nicht nur in Sekundarstufe I oder Sekundarstufe II unterrichtet werden kann, zeigte unter anderem Andrea Peter-Koop 2003 mit einem speziellen Modellierungsprozess für die Grundschule. Derzeit wird aber immer wieder der Modellierungskreislauf nach Werner Blum und Dominik Leiß als Grundlage für die Analyse von mathematischen Modellierungsprozessen verwendet. Dieser Prozess trägt den Vorteil eines Kreislaufes in sich, so dass hier ein fortwährender Rückkopplungsprozess beschrieben werden kann. Diese Rückkoppelung mit der Realität ist eines der wesentli-
153
Der Modellierungskreislauf
chen Kriterien von mathematischer Modellierung. Denn nur dann macht diese Sinn, wenn die auf Grundlage des Modells entwickelten mathematisch berechneten Ergebnisse mit der Ausgangslage rückgekoppelt werden. In Abbildung 14-1 ist dieser Kreislauf mit seinen sechs Stationen und sieben Phasen wiedergegeben. Abb. 14-1 Der Modellierungskreislauf nach Blum und Leiß 1 Verstehen 2 Vereinfachen 3 Mathematisieren 4 Mathematisch arbeiten 5 Interpretieren 6 Validieren 7 Vermitteln
Ein Paradebeispiel für das mehrfache Durchlaufen dieses Kreislaufes und entsprechend erfolgreiche Modellierung wäre die Entwicklung der Zehnkampfpunktetabelle (Kapitel 1). Immer wieder wurde im Laufe der Sportgeschichte versucht, die Punktetabelle an die neuen Gegebenheiten anzupassen und die Bedürfnisse von Sportlern und Funktionären zu befriedigen. Da die „Kunden“ der Entwickler keine Mathematiker, sondern Sportler und Funktionäre waren, bedeutete dies, dass die Schritte 6 (Validieren) und 7 (Vermitteln) besonders wichtig waren, um die Modellierung erfolgreich werden zu lassen. Betrachten wir das aber einmal aus der Schulsituation heraus. Die Schüler finden eine reale Situation vor bzw. sie bekommen von der Lehrerin oder dem Lehrer ein reales Problem gestellt, welches sie durch Nutzung verschiedener Hilfen lösen sollen. Dieses Problem muss zunächst verstanden werden (1). Dadurch kreiert der Schüler ein kognitives Modell der Situation: das sogenannte Situationsmodell. Es ist davon auszugehen, dass dieses Situationsmodell bei jedem Schüler anders kognitiv repräsentiert ist, da jeder andere Vorerfahrungen (Weltwissen) besitzt, welche
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Mathematisches Modellieren
bei diesem Prozess einfließen. Dieses Situationsmodell muss nun vereinfacht werden (2). Wir haben uns bei unserem Tennisbeispiel aus Kapitel 7 darauf beschränkt, dass der Tennisschläger kreisrund ist, dass die Saiten Quadrate bilden und dass die Quadrate den Tennisschläger komplett überdecken. Ist diese Vereinfachung vorgenommen, etwa durch eine Zeichnung oder eine entsprechende Skizze, so spricht man von einem Realmodell. Zur besseren Vorstellung des Begriffs Realmodell: Das Realmodell einer Konservendose wäre ein Kreiszylinder. Auf das Realmodell folgt das Mathematisieren (3). Das heißt, es folgt ein Weltenwechsel. Wir müssen das Realmodell in die Sprache der mathematischen Welt übersetzen. Gehen wir zu unserem Tennisschlägerbeispiel zurück (siehe Abbildung 14-2), so versehen wir dieses Realmodell mit Bezeichnungen wie Radius r und Länge e des Saitenquadrats und erkennen, dass wir nun mit diesen wenigen neu geschaffenen Begriffen und Bezeichnungen mathematisch arbeiten können. Abb. 14-2 Unser einfaches kreisrundes Schlägermodell
Das Arbeiten mit den mathematischen Begriffen und den mathematischen Algorithmen und Kalkülen (Berechnung der Kreisfläche, Anzahl der Quadrate usw.) wird in diesem Modell einfach als „mathematisches Arbeiten“ (4) bezeichnet. In unserem Beispiel wird man sich noch der Idee der Flächen- und Umfangsberechnung bedienen. Ich werde diesen Schritt hier aber nicht weiter ausführen (siehe dazu Kapitel 7). Am Ende des mathematischen Arbeitens wird (hoffentlich) ein mathematisches Ergebnis stehen. Dieses muss nun aus der mathematischen Welt durch Inter-
Der Modellierungskreislauf
pretation (5) in die reale Welt übersetzt werden. Das heißt, unser Ergebnis, in der Regel irgendwelche Zahlen oder Formeln, muss hinsichtlich der Ausgangssituation gedeutet werden. Gelingt dies, so erhält man ein reales Resultat. Nun muss dieses reale Resultat mit dem Situationsmodell oder der realen Situation abgeglichen werden (6). In unserem Beispiel müssen wir also die mit der Formel (14-1) berechnete Länge mit der wahren Länge der Saiten eines Tennisschlägers abgleichen. Saitenlänge
§ Anzahl der Saiten · Schlägerumfang in Meter ¨ 1¸ (14-1) 4 © ¹
Die Validierung ist in diesem Fall gar nicht so einfach: Wir benötigen ja die wirkliche Länge der Saiten. Ist die Validierung erfolgreich verlaufen, d. h., unsere Formel bestimmt bis auf kleine Abweichungen die Länge der Saiten von verschiedenen Schlägermodellen, so ist es noch unsere Aufgabe, dem Verkäufer das Ergebnis, also unsere Formel für die Länge der Tennissaite zu vermitteln (7). Gelingt uns das und ist der Verkäufer zufrieden, so haben wir unsere Aufgabe erfüllt. Wenn nicht, so müssen wir noch einmal in den Modellierungskreislauf einsteigen und ein modifiziertes Modell bzw. in unserem Falle eine bessere Formel (genauer oder einfacher oder beides) zur Bestimmung der Saitenlänge angeben. In der Theorie hört sich das mit dem Kreislauf ja sehr schön an und man könnte fast glauben, dass sich die Schüler einfach und selbstständig in diesem Kreislauf bewegen. Dies ist aber nicht der Fall: Forschungen haben gezeigt, dass sich die Schüler nicht zwingend auf der „Kreisbahn“ bewegen, sondern durchaus zwischen verschiedenen Stationen springen oder einfach Stationen zusammenfassen. Borromeo-Ferri konnte nachweisen, dass es Schüler gibt, bei denen kein Unterschied zwischen Realmodell und Situationsmodell festzustellen ist. Ebenso gibt es Schüler, welche sofort von der realen Situation zum mathematischen Modell springen. Das bedeutet, dass bei diesen Schülern die Vereinfachung und die Mathematisierung gleich im Kopf mit ablaufen. Auch ist es häufig anzutreffen, dass die Schüler selbst kein Situationsmodell entwickeln, sondern gleich das Realmodell notieren. Man stellt dies dadurch fest, dass Schüler keine Begründung für ihre Annahmen machen können, die Schüler die reale Situation nicht ausreichend kognitiv verarbeitet haben. Neben diesem Problem, dass der Modellierungskreislauf nicht „vorschriftsmäßig“ durchlaufen wird, ist nach Werner Blum jeder Modellierungsschritt für die Schülerinnen und Schüler eine potenzielle kognitive
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Mathematisches Modellieren
Hürde, die genommen werden muss. An welcher Stelle diese Hürde auftritt, liegt ganz im Individuum selbst. Hier können dann mit Hilfe geeigneter Aufgaben die bestimmten Teilkompetenzen trainiert werden. Des Weiteren stellt Blum fest, dass Schülerinnen und Schüler in der Regel keine bewussten Lösungsstrategien benutzen und bei auftretenden Schwierigkeiten hilflos sind. Man muss also diesen Schülerinnen dezidiert Strategien an die Hand geben. Schließlich ist noch zu beobachten, dass mathematisches Modellieren kein Selbstläufer ist. Es gibt nämlich einen fundamentalen Unterschied zwischen dem „Alleine-Arbeiten“ von Schülerinnen und Schülern und dem selbstständigen Arbeiten im Klassenverband, wo der Lehrer strategisch unterstützend eingreifen kann. Beim „Alleine-Arbeiten“ sind die Schüler oft überfordert und geben auf. Mathematisches Modellieren muss man also lernen. Man kann es nicht einfach so, auch wenn man (Schul-)Mathematik kann. Mathematisches Modellieren bringt aber sehr viel Freude (siehe Kapitel 1-13). Für manche gilt mathematisches Modellieren sogar als Brücke zwischen der Schule und dem Studium (Kaiser & Schwarz 2006). Denn die wenigsten Schüler werden sich später zum Mathematiker ausbilden lassen, aber dennoch werden sie Berufe ergreifen, in denen mathematisches Wissen unerlässlich ist. Sei es als Ingenieur, Chemiker, Finanzfachmann oder Meteorologe. In allen Fällen wird die Mathematik zur Modellbildung benötigt, um die Prozesse der Umwelt oder der Finanzwelt zu beschreiben. Oder einer dieser Schüler wird Sportwissenschaftler und benutzt die Mathematik, um den perfekten Ball oder den perfekten Wurf zu berechnen. Wie wir gesehen haben, bringt mathematisches Modellieren auch hier große Vorteile. Wenn man genauer hinsieht, ist es fast schon beängstigend: Mathematik ist einfach überall. Aber genau diese verängstigte Sichtweise soll durch mathematisches Modellieren verhindert werden. Die Anwendung und die Anwesenheit von Mathematik sollen wieder etwas Alltägliches werden, Mathematik soll geschätzt, aber nicht gefürchtet werden.
Der Modellierungskreislauf
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Bildnachweis Abb. 1 und 2 Abb. 1-1 bis 1-5
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Abb. 2-1 Abb. 2-2 und 2-3 Abb. 2-4 Abb. 2-5 und 2-6 Abb. 3-1 bis 3-3
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Abb. 4-1 bis 4-5 Abb. 5-1 Abb. 5-2 bis 5-9
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Abb. 6-1 Abb. 6-2 Abb. 6-3 bis 6-7 Abb. 7-1 bis 7-6 Abb. 8-1 bis 8-4 Abb. 8-5 Abb. 8-6 bis 8-7 Abb. 8-8 Abb. 9-1 Abb. 9-2 bis 9-4 Abb. 10-1 bis 10-8 Abb. 10-9
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Abb. 10-10 bis 10-16 Abb. 11-1 Abb. 11-2 Abb. 11-3 Abb. 11-4 bis 11-7 Abb. 12-1 Abb. 12-2 bis 12-5 Abb. 13-1 Abb. 13-2 Abb. 13-3 Abb. 13-4 Abb. 13-5 Abb. 13-6 bis 13-11
Sachwortverzeichnis A Abstand, mittlerer 30 f. Abstandsquadrate 37 Abwurfgeschwindigkeit 70 f. Abwurfhöhe 52 ff. Abwurfwinkel 47 f., 54, 71 – optimaler 57 800-m-Lauf 17 Arbeiten, mathematisches 154 Ausdauermuskulatur 44 Ausgleichsgerade 37, 40 B Badminton 78, 86 Badmintonschläger 81 Bälle 3 f., 101 Ballkontakte 27 f. Ballsymmetrie 104 Baseball 3 f., 86, 97, 101 Baseball-Algorithmus 100 Baseballspielfeld 86 f., 90 Baseballsymmetrie 104 Basketball 2, 4, 63 f., 101 Basketballspiel 63 Bayern München 23 Bewegungsgleichung 32 Blossom-Algorithmus 92 f. BMX-Rennen 133 Borussia Mönchengladbach 22 Briefträgerproblem 91 C C1-stetig 126 Chancengleichheit 102 Chinese-Postman-Problem 91 D Diamant 98 f. Diedergruppen 120 Diskuswurf 16 Dodekaeder 115 f. Drucksensibilität 73 Durchschnittsgeschwindigkeit 12
E
Eintracht Frankfurt 23 Element – elementares 106 – inverses 106 Elfmeter 19, 22 Elfmeterpunkt 25 Elfmeterschießen 2, 19 f. Ellipse 142 Enveloppe 144 Euler, Leonhard 89 Eulerkreis 89, 92 Eulerweg 89 f., 92 Evolvente 130 Exponentialfunktion 42 Exponentialgleichung 41 Extremwert 56 Extremwertaufgabe 50
F
fair 85 Fairness 102 Feldhockeyspielfeld 85 FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1, 108 Flächenansatz 21, 28 Flugbahn 53 Frauenfußball 33 Freiwurf 2, 63 Funktion, differenzierbare 48 Funktionsgleichung 42 Fußball 1, 4, 86, 101 Fußballregeln 27 Fußballspielfeld 87 Fußballsymmetrie 112 Fußballtor 85
G Gangschaltung 135 Gärtnerkonstruktion 143 Geradengleichung 9, 15 Gerechtigkeit 102 Geschwindner, Holger 63
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Sachwortverzeichnis
Gleichung, quadratische 54 Gleichungssystem 39 Glücksspiel 20 Glücksspielmodell 20 Goalkeeper 24 Graph 89 Graphentheorie 88 f. Gruppe – alternierende 110 – zyklische 120 H Handball 85, 101 Haus vom Nikolaus 90 Hochsprung 16 f. Hockey 86, 101 100 m 16 100-m-Hürden 17 100-m-Lauf 9, 11 100-m-Sprint 17 100-m-Weltrekorde 35 110-m-Hürden 16 Hyperbel 12 f. I
J
Ikosaeder 114 – abgestumpftes 114 Ikosidodekaeder 116 Jeu au Paume 101
K Kanten 88 Keeper 20 Kettenschaltung 135 K-Funktion 57 Kleinsche Vierergruppe 105 f. Klinsmann, Jürgen 26 Knoten 88 Kompetenz, allgemeine mathematische 152 konfokal 142 Kongruenzsatz 99 Königsberger Brückenproblem 89 Koordinatensystem 65 Korbbögen 126 Korrelation 38, 39 Korrelationskoeffizient 38
Kosinussatz 59 Kugelstoßen 2, 4, 16 f., 47 Kugelstoßzahl 57 Kurvenvorgabe 127 K-Werte 57 L
Laufdisziplinen 43 Laufleistung 11 Laufrekorde 35 Linien 85
M Marathon 2 Mathematisieren 154 Maximalwinkel 68 Mehrkampf 7 Mehrkampfrichtlinien 7 Messtechnik 47, 58 Minimalwinkel 67 Mittelwertbildung 31 Modell, lineares 42 Modellbildung 151 Modellieren 20, 151 Modellierungskreislauf 152 N Nabenschaltung 135 Nationalstadion 141 NBA 65 Nebenbedingung 50 Normierung 8 Normlinie 129 f. Nowitzki, Dirk 2, 63 Null-Punkte-Grenze 12 Nullstelle 53, 55 O Offset 45 Oktaeder 117 Olympiastadion 4 Olympische Spiele 1 Optimierung 74 Optimierungsproblem 63 P
Parabel 53, 66 Parallelogramm 134 Pekinger Olympiastadion 3 S-periodisch 146
Sachwortverzeichnis
Teamgeist 108 Telstar 113 Tennis 2, 4, 86, 101 Tennisplatz 82, 85 Tennisplatzgraph 92 Tennisschläger 77, 81 Tennisspielfeld 85, 87 Tetraeder 110 Tetraedergruppe 110 Tischtennis 86, 101 Torwart 20 f. Trapez 134
Platonische Körper 110, 114 Potenzfunktion 16 Produkt, maximales 50 Punktetabelle 1, 7 R Radfahren 4 Radsport 3, 133 Rahmengeometrie 133 Reaktionszeit 25 Realmodell 154 Regressionsgerade 38 Ring 64 Route-Inspection-Problem 91 Rückschlagspiel 101 S
T
Satz des Pythagoras 25, 99 Schaltschwinge 138 Schaltwerk 137 f. Schlägerbespannung 77 Schweinsteiger, Bastian 26 shuttlecock 101 Siebenkampf 7, 17 Situation, reale 153 Situationsmodell 153 Softball 97 Speerwurf 10, 14, 16 f. Spielbälle 102 Spielfeld 4, 85 f. Spielfeldgröße 27 Spielfeldmaße 85 Spielfluss 27 Stabhochsprung 16 Stadion, antikes 123 – griechisches 123 – römisches 123 Standardabweichung 38 Strafstoß 19 Symmetrieachse 85, 105 symmetrisch 85 symmetrische Gruppe der Ordnung 24 118 Tabelle, lineare 11 Tabellenwerk 18 1500 m 16
U Umwerfer 135 V Validierung 155 Verknüpfung, innere 106 Verwandlungshäufigkeit 20, 22 400 m 16 400-m-Bahn 2, 4, 123 – genormte 126 Volleyball 101 Volleyballfeld 88 W Wandertempo 9 Wasserball 101 Weitsprung 16 f. Weitsprunggraph 17 Weltrekorde 4 Wertetabelle, lineare 12 Wurfdisziplin 10 Würfel 109, 117 Würfelsymmetrie 117 Wurfleistung 11 Wurfparabel 71 Wurfsektor 59 Wurftechnik 47 Wurfweite 2, 50, 58 Wurzelfunktion 15 Z
Zähligkeit 105 Zehnkampf 4, 7 Zehnkampftabelle, normierte 8 10000-m-Lauf 129 200-m-Lauf 17
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Der EUROPASS 2008
Der Spielball der UEFA EURO 2008™, der von adidas den passenden Namen EUROPASS erhalten hat, besitzt wie der „+Teamgeist“ von 2006 die Tetraedergruppe als Symmetriegruppe. Auch wurde die Grundstruktur des Balles aus 14 Panels aufrecht erhalten. Es wurde nur versucht, durch die 12 schwarzen Punkte wieder näher an das Design des „Telstars“ von 1970 heranzukommen.