Philippe Djian
Krokodile Sechs Geschichten Aus dem Französischen von Michael Mosblech
Diogenes
Titel der Originalau...
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Philippe Djian
Krokodile Sechs Geschichten Aus dem Französischen von Michael Mosblech
Diogenes
Titel der Originalausgabe: >Crocodiles< Copyright © Editions Bernard Barrault, Paris 1989 Umschlagbild von Tomi Ungerer
Alle deutschen Rechte vorbehalten Copyright © 1993 Diogenes Verlag AG Zürich 80/93/24/1 ISBN 3257019580
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Krokodil: Empfindsames Tier, aber mit einer dicken Haut
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Überraschend ist nicht, daß Gott tatsächlich existiert, sondern daß diese Idee der Notwendigkeit Gottes einem solch wilden und bösen Tier wie dem Menschen gekommen ist, so heilig ist sie, so ergreifend, so weise, soviel Ehre macht sie ihm. Dostojewskij, Die Brüder Karamasow Altern heißt auch, mehr und mehr verlieren, was uns versprochen war, als wir jung waren, vor allem das Unbekannte. John Cassavetes
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Inhalt Ein Grund, das Leben zu lieben 7 Sechshundert Seiten 9 Wie beim Tode meines Vaters 17 Gestern war ein großer Tag 25 Feuerrot 33 Krokodil 49
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Ein Grund, das Leben zu lieben Ich war in Athen, als ich von Richard Brautigans Tod erfuhr. Meine ersten richtigen Ferien seit zehn Jahren. Und das erste, was ich mir von den Büchern, die ich schrieb, hatte leisten können. Ich weiß nicht, warum diese furchtbare Nachricht gerade in diesem Moment über mich hereinbrechen mußte. Seit drei Tagen verbrachte ich meine Zeit abwechselnd in Museen und auf den Terrassen der Cafés. Ich dachte an nichts. Mein Sohn hüpfte um einen Springbrunnen herum. Ich schaute mit einem Auge in die Zeitung, mit dem anderen auf meine Frau. Sie war braungebrannt, großartig. Von dem Licht, von der unglaublich milden Luft und dem Wunder, in diesen letzten Oktobertagen des Jahres 1984 noch am Leben zu sein, will ich gar nicht reden. Nur eine Sache war da, die mich störte. Ich hatte fünfzig Päckchen Tabak in meine Koffer gepackt, aber keine Blättchen. Natürlich schlägt das Unglück immer dann zu, wenn man es am wenigsten erwartet. Als ich auf den Artikel stieß, kaufte meine Frau gerade Pistazien. Der Typ hatte einige auf den Tisch gelegt und kam nun wieder vorbei. Er lächelte sie an. Meine Frau ist groß, blond, toll gebaut. Und Athen ist eine Stadt, für die ich schwärme. So hatte auch ich ein Lächeln auf den Lippen, als ich las, er sei gestorben. In Bolinas, Kalifornien. Seitdem bin ich nicht mehr derselbe. Ich wache nachts auf. Und ihr, ihr seid auch nicht mehr dieselben, ob ihr euch dessen bewußt seid oder nicht. »Was hast du? Stimmt was nicht?« hat sie mich gefragt. Ich habe sie angeguckt, dann habe ich ihr die Zeitung hingehalten, ohne einen Ton zu sagen. Wir leben seit vierzehn Jahren zusammen. Während sie hinter der Zeitung verschwand, kreuzte mein Sohn auf. Er reihte die Pistazien, die noch ungeöffnet waren, vor mir auf. Die Zeitung klappte mit einem beängstigenden Flattern zusammen. Die meisten Typen flennen der Frau ihres Lebens nach, dieses Problem hatte ich nicht, Gott sei Dank. »Gut«, sagte sie zu mir, »ich werd mir die gleichen Sandalen kaufen wie John Lennon. Komm nicht zu spät, ich warte auf dich.« Ich blieb allein zurück. Mit dem Ouzo, dem Nationalschnaps. Mein letztes Besäufnis lag weit zurück, im letzten Winter, mit anderen Worten: ich tat mir keinen Zwang an. Endlich einmal hatte ich genug Geld in der Tasche, um sämtliche Flaschen der Bar in die Knie zu zwingen. Das Schicksal, ihr werdet mir zustimmen, war von vollendeter Ironie. Hatte man je von einem so trockenen Schlund gehört? Und gab es etwas Schlimmeres als sein Hinscheiden? Ich würde zehntausend Leben für das Leben von Richard Brautigan geben. Ich versuche euch in die Augen zu schauen, während ich das sage. 7
Zwanzigtausend. Dabei finde ich mich keineswegs widerlich. Tag für Tag kommen Hunderttausende um. Und wer denkt an die Millionen von Lesern, für die Memories saved from the wind oder Die Rache des Rasens ein Reservoir frischen Blutes waren... ? Wer wollte versuchen, mir den Tokio-Montana-Express aus den Händen zu reißen... ? Gegen ein Uhr morgens kehrte ich ins Hotel Akropolis zurück. Den ganzen Abend war es mir nicht schwerer gefallen als jedem andern, zu ermessen, was wir verloren hatten. Ich kam an der Rezeption vorbei. Der Typ zwinkerte mir verschwörerisch zu. Ich bestellte eine Flasche und bog in den Wartesaal. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so blau und klar auf einmal gefühlt. Ich glaube, ich wäre sogar imstande gewesen, auf einem Bein zu balancieren, aber ich ließ mich trotzdem in einen Sessel fallen. Die Lampe an der Decke schien unter zuviel Strom zu stehen. Das war wie in diesem Roman, in der er seine Scheune mit 2OO-Watt-Birnen erleuchtet hatte... Times Square, Montana. Ich lud den Kerl ein, die Flasche mit mir zu teilen. Nein, von Richard Brautigan hatte er noch nie gehört, aber er zog eine kleine Schachtel aus seiner Tasche und stellte sie lächelnd vor mich hin. Ich erklärte ihm, Richard Brautigan sei einer der guten Gründe, das Leben zu lieben. Es fehlte nicht viel, und ich hätte einen Sturzbach von Tränen vergossen, da forderte er mich mit einem breiten Grinsen auf, sein kleines Geschenk zu öffnen. Es war Zigarettenpapier. Fünf neue Päckchen. Er hatte sie in einer Bar in Piräus erstanden, er hatte sich extra für mich auf den Weg gemacht. Ich drehte mir eine mit zitternder Hand, mit meiner langen, zarten und zerbrechlichen Schriftstellerhand. Ich wußte nicht, wie ich ihm danken sollte. Ich wußte nicht, wie ich anfangen sollte. »Richard Brautigan...«, murmelte ich. »Sein Name war Richard Brautigan.«
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Sechshundert Seiten Wir lagen in unseren Liegestühlen, Edith und ich. Durch die Erdrutsche im Winter hatten wir gut drei Meter unseres Grundstückes verloren, und die kleine Hütte, in der ich mein Gartengerät abgestellt hatte, war mitsamt meinem Rasenmäher, einem 7-PS-Sabo, der mich vor ein paar Jahren ein Heidengeld gekostet hatte, vom Ozean verschlungen worden. Die Vorstellung, mich auf diesem Sektor erneut in Unkosten stürzen zu müssen, begeisterte mich zwar nicht sonderlich, aber ich war einem gewissen Druck seitens meiner Umgebung ausgesetzt, um so mehr, als sich der Typ nebenan gerade einen AS-Motor-Quattro mit 10 PS und drei Gängen zugelegt hatte, den er nun übertrieben zur Schau stellte. Ediths Waden waren mit weißen Kratzern gestrichelt. Die Disteln waren über unsere Lieblingsecke hergefallen, ganz so, als wären beim Einsturz der Steilküste irgendwelche Eier aufgeplatzt und als hätten wir seitdem unter der Invasion einer Armee von kleinen, stacheligen Biestern zu leiden, die unser Grundstück enterten und sich unter unseren Liegestühlen hindurch zum Haus hin ausbreiteten. Wenn man sich über die Kante beugte, stach einem das Ausmaß des Phänomens ins Auge, ein Behang in Mauve und Silber, der bis zum Meeresufer wallte, gut dreißig Meter tief, und sich bis zur spanischen Grenze zu erstrecken schien. Geoffroy S. Dazatte, der Typ, der sich den AS-Motor geleistet hatte, grinste mich an, wenn er mich sah. Ediths Waden waren das einzige Wölkchen am Himmel. Eigentlich hatte ich keine Lust, einen neuen Rasenmäher zu kaufen, aber die Luft war dermaßen lau, daß ich mir über meine Empfindungen nicht mehr so ganz im klaren war. Dieses Gefühl von Schwäche befiel mich regelmäßig gegen sieben Uhr abends, wenn ich mich an Ediths Seite in meinem Liegestuhl postierte und im Licht einer stillen Sonne den Meeresdunst mit einigen Fingerbreit Glenfiddich mischte. Dieser Spätnachmittag war nicht strahlender als all die anderen auch, die wir in dieser Woche hatten genießen dürfen. Es lag nichts in der Luft, nicht mehr als an den Tagen zuvor. Trotzdem zog ich einen ganzen Satz Reservierungen für die Rencontres internationales de Piano aus meiner Tasche. Und bevor sie mir um den Hals fiel, verkündete ich ihr, ich wolle diese Sache mit dem Rasenmäher in Ordnung bringen, sie habe recht, das sei dringender als der Lack meines Aston Martin. Ihr fiel die Zeitung aus den Händen. In diesem Augenblick hörten wir ein dunkles Rufen, das vom Haus zu uns herüberschallte, ein entfernt menschliches Schreien. Edith warf mir einen angsterfüllten Blick zu. Eine Mutter erkennt stets die Stimmen ihrer Kinder. Ich auch, aber sie hatte ihre Sandalen anbehalten und kam 9
schneller voran. Als ich in der Küche eintraf, kniete sie bereits vor dem Verwundeten. Maxime saß auf einem Stuhl und schnitt Grimassen. Blut war zu sehen, und ein Hosenbein war zerrissen, dann begegneten sich unsere Blicke. »Mensch, ich sag dir, das sieht übel aus...!« stieß er mit tonloser Stimme hervor. Ganz so schlimm war die Sache auch wieder nicht. Die Zähne waren glatt eingedrungen, ohne das Fleisch zu zerfetzen, und er blutete auch nicht mehr. Edith hatte die Wunden sorgfältig desinfiziert, während ich mich in seinem Impfpaß vergewisserte, daß der Schutz noch anhielt. Ich setzte mich neben ihn, als sie ihm den Verband anlegte. Mit Hilfe einer Pinzette machte ich mich daran, die zahlreichen Stacheln zu entfernen, die in meinen Füßen staken. »Hab ich dir nicht hundertmal gesagt, du sollst dich vor diesem Hund in acht nehmen...? Und ich hab dir verboten, da drüben Skateboard zu fahren. Jetzt siehst du, was du davon hast... Und du hattest noch Glück, daß er dich überhaupt hat laufen lassen... Verdammt, Maxie, so 'n Schnauzer, der beißt glatt 'nem Ochsen die Kehle durch...!« »Eben. Ich hätte Lust, die Polizei zu rufen...«, erklärte Edith und blickte mich durchdringend an. »Nein. Kommt nicht in Frage.« Sie ging auf den Apparat zu. »Hör zu, Edith... Ich weiß nicht, ob ich sehr erpicht darauf bin, eine Geldstrafe wegen unbefugten Betretens von Privatgelände zu zahlen. Ich wette, die fragen uns als erstes, was unser Sohn bei unseren Nachbarn zu suchen hatte.« Sie hielt den Hörer fest in der Hand. Ihr Gesicht war wie versteinert, aber sie zögerte, die Nummer zu wählen. Wahrscheinlich sagte sie sich, daß ich ausnahmsweise recht hatte. Trotzdem, ich war auf der Hut, bereit, mich im nächsten Moment auf den Apparat zu stürzen. Erneut blickten wir uns an. »Lou... Die Kinder spielen da drüben, seit sie auf der Welt sind...!« wimmerte sie beinahe. »Meine Güte! Wann geht euch endlich in den Kopf, daß dieses Grundstück nun mal eingezäunt ist und daß ihr da nichts mehr verloren habt...?!« Maxime humpelte auf seine Mutter zu und schlang seine Arme um ihre Taille. Ich wußte im voraus, was sie mir entgegnen würde, mir war, als nagelten ihre Worte schon auf meine Brust: »Und wenn schon... Ist das ein Grund, unsere Kinder auffressen zu lassen...?!« Mathias war zwar schon sechzehn, aber ich machte mir trotzdem Sorgen. Er kam oft nach Einbruch der Dunkelheit zurück, und ich war über10
zeugt, daß er dann diese Abkürzung quer über das Grundstück der Dazattes nahm, auch wenn er mir stets das Gegenteil versicherte. Nun denn, mit Gottes Hilfe würde ich diesem dämlichen Köter ordentlich eins überziehen, jedenfalls fest genug, um ihm den Spaß ein für allemal zu verderben, dazu brauchte ich keine Polizei. Ich schwang meinen Hockeyschläger einige Male durchs Zimmer. Edith wirkte ein bißchen beunruhigt, aber ihre Augen leuchteten. Es war zwar zwanzig Jahre her, daß ich mein Trikot an den Nagel gehängt hatte. Wenn ich auch Bobby Hull niemals gleichgekommen war, hatte ich mich doch in der Universitätsmannschaft achtbar geschlagen. Edith hatte keines meiner Spiele versäumt, und ich trug ihre Lieblingsnummer, die 4. Ich wußte nicht, was mir von meiner einstigen Geschicklichkeit geblieben war, aber einen Schnauzer im Flug zu erwischen, traute ich mir schon noch zu. Ich zwinkerte Maxime zu - er konnte es nicht fassen, daß dieser behelmte Hüne sein Vater war - und küßte Edith auf den Mund, dann entschwand ich nach draußen. Der Tag ging zur Neige. Eine leichte Brise wehte vom Meer herauf, mein Rasen wogte sanft mit einem leisen Geräusch wie von zerknülltem Papier, und die Disteln raschelten und knisterten, je nachdem wie der Wind sich drehte. Die Luft glitzerte, der Mond schien, es herrschte eine erhabene Ruhe, von den zarten Empfindungen, die mich wegen dieser Geschichte mit der Nummer 4 beschlichen, ganz zu schweigen. Aber ich durfte mich nicht gehenlassen. Geduckt schlich ich den Weg entlang, der uns von den Dazattes trennte. Es brannte Licht bei ihnen. Hätte ich es mit einem normalen Typen zu tun gehabt, wäre ich zu ihm gegangen, um mit ihm zu reden, und wir hätten die Sache auf die eine oder andere Weise aus der Welt geschafft, aber Geoffroy S. Dazatte hatte keine Kinder, und er haßte mich. Ich hatte vor einigen Jahren einen Artikel über seinen letzten Roman geschrieben. Nun ja, über einen Schriftsteller etwas Gutes zu schreiben, bringt einem in diesem Metier überhaupt nichts ein, aber sagt man auch nur ein Wort, das er in den falschen Hals bekommen kann, dann macht man ihn sich todsicher zum Feind. Ich war für eine ganze Reihe von denen nur ein kleiner Mistkerl, ein Neidhammel, ein Kretin, ein gescheiterter Schreiberling. Für Dazatte war ich jedoch noch einiges mehr. Ich war ihm ein Greuel, jemand, den er am liebsten auf kleiner Flamme geröstet hätte. Mein Grundstück endete auf halber Höhe, seines reichte bis zur Straße, ungefähr noch zwei Hektar weit. Als die Gemeinde einige Parzellen zum Verkauf anbot, hatte Dazatte zugegriffen. Es hatte schon immer Rasenmäher in meinem Leben gegeben, na ja, Sachen halt, die einem sämtliche Pläne über den Haufen werfen. Nun gut, ich war nicht da, um das Land neu zu verteilen. Ich warf einen raschen Blick in die Runde, dann setzte ich kühn über des Schriftstellers Hecke. Das war wirklich ein wunderbarer Ort zum Skateboardfahren. Früher hat11
te hier ein kleiner geteerter Weg mitten durch die Pinien zur Steilküste hinabgeführt, und es gab immer noch, wenn man sich setzen wollte, einige Bänke aus Beton in Form von Ästen. Dazatte würde sie sicherlich früher oder später beseitigen. Ich war vielleicht einer der letzten, der von diesen Bänken profitieren konnte, und ich wollte gerade eine davon ausprobieren, als ich ein Knurren vernahm. Ich fuhr in die Höhe, triefend vor eiskaltem Schweiß. Sämtliche Härchen meines Körpers waren wie elektrisiert, und das Blut wich mir aus dem Gesicht. »Wo bist du, du dämliches...?! Komm raus, verdammter Sch.. .köter!« ereiferte ich mich, an Leib und Seele zitternd. Wo steckte es nur, dieses verfluchte Viech? Statt gleich über mich herzufallen, knurrte der tumbe Hund von neuem, und da erblickte ich ihn. Die Kinnladen eines Krokodils, mochte man meinen, die Lefzen schienen von Wäscheklammern hochgezogen. Ich hob den Schläger über die Schulter. Es fehlte nur noch das Publikum, um die alte Nummer 4 wieder auferstehen zu lassen. Als ich am nächsten Morgen vor die Tür ging, erkannte ich den Wagen des Tierarztes. Ich stellte mich an die Hecke meines Nachbarn und sah den Schnauzer, er lag unter einem Sonnenschirm, in einem Weidenkorb und eingewickelt wie eine Mumie. Im nächsten Moment schoß Dazatte auf seine Freitreppe hinaus, als hätten seine Rockschöße Feuer gefangen. »Was wollen Sie... ?! Was starren Sie hier rein?!!« Er war derart aufgebracht, daß sich kleine rote Flecken auf seinem Gesicht und seinem Hals bildeten. »Ich stehe hier auf einem öffentlichen Weg«, entgegnete ich. Dann drehte ich mich um und schlenderte auf meinen Wagen zu. »Verdammt...! So kommen Sie mir nicht davon ...!« explodierte er. Er lief herbei und warf mir alles mögliche an den Kopf, aber ich nahm keine Notiz von ihm. Er konnte noch so laut schreien, er wisse, daß ich das gewesen sei, er war nicht in der Lage, es zu beweisen. Es war ein schöner Tag. Als ich losfuhr, sprang er in seinen Wagen und kurvte neben mich, mit heruntergelassenen Fenstern um mich weiter zu beschimpfen. Ich wollte, seine Leser hätten ihn hören können, als er da fluchte wie ein Kutscher. Ich für mein Teil beschleunigte ein wenig. Erneut tauchte der schwere Mercedes - ein nagelneuer 500 SE - neben mir auf. Trotz der Schlaglöcher und der relativ schmalen Fahrbahn lenkte er mit einer Hand und drohte mir mit geballter Faust, dabei schrie er sich die Lunge aus dem Hals. Hinter uns stieg eine dichte Staubsäule gen Himmel. Schließlich warf ich ihm einen sibyllinischen Blick zu. Bildete er sich etwa ein, ich säße am Steuer einer Schrottmühle? 1956 hatte Stirling Moss mit dem gleichen Modell die 24 Stunden von Le Mans be12
stritten. Ich setzte mich wieder vor ihn. Die meisten Schriftsteller sind Choleriker. Folglich raste auch Geoffroy S. Dazatte mit krankhafter Wut hinter mir her. Er hupte wie ein Irrer und drangsalierte mich mit seinen Scheinwerfern, während ich ihn in den flirrenden Dunst meiner Staubwolke hüllte und ihm damit die Sicht nahm. Mir schien, er ließ es an der elementarsten Vorsicht fehlen. Für alle Fälle legte ich den Sitzgurt an, denn am Ende des Wegs erwartete uns ein Stoppschild. Ich ließ mich gar nicht erst auf eine Diskussion ein. Ich angelte mir meine Polaroid aus dem Handschuhfach und stieg aus, um die erforderlichen Aufnahmen zu machen. Der Aufprall hatte ihn ernüchtert. Er war weiß wie eine Wand, vor allem des Staubes wegen. »Sie wissen, wen Sie vor sich haben...?« fragte ich ihn. »Ich schicke Ihnen meinen Versicherungsvertreter. « Damit ließ ich ihn stehen. Er guckte ein wenig belemmert, aber ich empfand nicht das geringste Mitleid mit ihm. Solche Kindereien verdienten keine Beachtung und erst recht nicht, daß man ihren Urheber bedauerte, auch wenn er noch so baff war, daß ihn jemand derart geleimt hatte. Ich hatte also eine Gratislackierung gewonnen - ich kannte einen Karosserieschlosser in Bayonne, der früher einmal bei Zagato in Italien gearbeitet hatte und mich sehr mochte. Plötzlich erschien mir der Kauf eines neuen Rasenmähers gar nicht mehr wie ein einziger Jammer. Den linken Arm auf der Fahrertür, kurvte ich in die Stadt hinab. Auf dem Rückweg sah ich den Wagen des Hausarztes vor der Einfahrt der Dazattes. Dicke Wolken zogen dichtgedrängt am Himmel, aber ich sah darin kein böses Omen. Geoffroy S. Dazatte spürte mindestens ein-, zweimal im Jahr den Tod nahen, und zwar mit Vorliebe, wenn die Dinge nicht so liefen, wie er sich das vorstellte. Mit dem Unwetter, das sich in der Ferne zusammenbraute, war allerdings nicht zu scherzen. Es wehte nicht das geringste Lüftchen, und der Ozean wechselte die Farbe und ballte sich zusehends zusammen. Das rief unangenehme Erinnerungen in mir wach. Beim letzten Mal war eine ganze Ecke Steilküste in den Fluten versunken, und mit ihr meine Hütte und ein guter Teil meines Grundstücks. »Sie haben meinen Mann umgebracht! Sie haben meinen Mann ummmgeee-bracht...!!« Diesmal war es Laurie-Laure Dazatte, die mit Volldampf über den Rasen auf mich zurauschte und ein Heidenspektakel veranstaltete. Sie war noch recht ansehnlich. Wenn sie ein Sonnenbad nahm, setzte ich manchmal meine Sonnenbrille auf und fing an, meine Hecke zu schneiden, und meine beiden Söhne drängelten neben mir, bis uns ihre Mutter zur Ordnung rief. Als ich sie so auf mich zustürzen sah, stellte ich eilends den Rasenmäher ab, um mich ihr zu widmen. Ich erwischte ihre Handgelenke gerade noch rechtzeitig. Die Dazattes 13
waren das schlimmste Paar von Hitzköpfen, das man sich auf Erden nur denken konnte, und sie waren meine Nachbarn. Es war nicht zu fassen. Bei einem Abenteuer mit einer Frau von ihrem Kaliber, stellte ich mir vor, da ging es bestimmt auf Leben und Tod. »Hören Sie auf mit dem Stuß... Ich habe niemanden umgebracht«, entgegnete ich ihr und starrte auf das giftige Licht, das in ihren Augen glomm, als ich ihre Arme zurückbog. Zum Glück war ihr der Arzt auf den Fersen und erlöste mich von ihr, nachdem er die Augen gen Himmel verdreht hatte. Jeder hier wußte, was er von den Dazattes zu halten hatte. Ich kannte weit und breit niemanden, der bereit gewesen wäre, mir meine Bude abzukaufen, und sei es für ein halbes Butterbrot. Nicht, solange die Dazattes keinen Steinwurf weit weg wohnten. Edith fand mich beklommen vor. Ich erzählte ihr von der Sache mit dem Lack und dem noch frischen, hitzigen Gefecht Marke Laurie-Laure. Dann umarmte ich sie, um auf andere Gedanken zu kommen, ich stützte mein Kinn auf ihre Schulter und beobachtete reglos den Himmel, den rußigen Horizont und den mit bleiernem Schaum bedeckten Ozean. Ich wußte, was da im Anzug war. Ein dichtgedrängter Schwärm Möwen strich auf der Flucht landeinwärts über unser Dach. Ich ging raus, um die Liegestühle und die Sonnenschirme in Sicherheit zu bringen, um alles zu vertäuen, was wegfliegen konnte, und den Wagen in die Garage zu fahren. Danach spielte ich mit Maxime ein wenig Mikado, aber ich achtete mehr auf das leichte Beben des Fußbodens der Aufprall der Wellen pflanzte sich durch den Stein bis unter meine nackten Füße fort - als auf die Launen der Stäbchen. Mathias sah fern. Edith machte uns etwas zu essen und summte dabei Die Ballade der Mary Sanders. Das Licht draußen wurde wahrlich düster, und ein paar heftige Windstöße rammten das Haus. Doch wer außer mir scherte sich unter diesem Dach schon darum? Spürten sie denn nicht die unermeßliche Gewalt der entfesselten Elemente, hatten sie nicht das Bild eines Hundes vor Augen, der seine Flöhe abschüttelt... ? Ich verzog mein Gesicht zu einem befriedigten Lächeln, als eine unserer Fensterscheiben barst und wir einträchtig mit großen Augen zusammenzuckten. Ich glaubte dennoch nicht, daß Anlaß bestand, sich zu beunruhigen, nur eine etwas empfindliche Natur würde sich deswegen gleich in die Hosen machen... Mein Gott, und was sagten sie nun... ?! »Halb so schlimm. Keine Panik...!« stieß ich hervor und schnellte von meinem Stuhl in die Höhe, die Haare standen mir zu Berge wegen des Luftzugs. Um uns herum tanzten die Vorhänge, kleinere Gegenstände wirbelten durch den Raum, andere schwankten oder kippten gar auf den Boden. »Ich glaube, es wird Zeit, die Fensterläden zu schließen.« Fünf Minuten zuvor hätte ich mir mit einem solchen Vorschlag lediglich ein paar witzige Bemerkungen eingehandelt, jetzt war niemand dagegen. 14
Durch das bedauerliche Vorhandensein der Scherben auf dem Boden in meinem Schwung gebremst, schritt ich gemächlich auf das Fenster zu, durch das der Minitornado hereinfegte. In diesem Moment zerplatzte eine zweite Scheibe. Ich fand das merkwürdig. Blitzartig fing ich an, mir Gedanken zu machen. Dann kam mir eine dritte entgegen. »Wie das... ? Was soll das heißen...??!« murmelte ich. »Lou, was ist los...?« Ediths angstvoller Zuruf rüttelte mich auf. »Runter auf den Boden...!« kreischte ich. Ich stieß den Tisch um und brachte uns in Sicherheit. »Lou...«, setzte sie an, dann biß sie sich auf die Lippen. Ich beruhigte sie, streichelte ihr über die Wange und wiederholte, wir brauchten keine Polizei, das gäbe nur unnötige Komplikationen. Ich bat die Jungen, gut auf sie aufzupassen, denn ich liebte diese Frau mehr, als erlaubt war. Dann stahl ich mich mit meinem Schläger zur Tür hinaus. Mein Rasen hatte die ideale Höhe, um einen Mann, der flach auf der Erde lag, zu verbergen. Wären nicht die Disteln gewesen, die mich beim Vorwärtskriechen zerstachen und meinen Jubel dämpften, ich hätte mir zu meiner bisherigen Nachlässigkeit gratulieren können. Der Wind heulte, der Ozean zerschellte an den Klippen, am Himmel schien nur noch ein schwaches, graugrünes, quasi höllisches Licht, aber mich packte eine solche Wut, daß ich mich in meinem Element fühlte. Ich bemerkte die beiden hinter der Hecke, und ein Fiepen entrang sich meiner Brust. Zum Glück herrschte ein solcher Lärm, daß ich hätte grölen können, ohne daß sie mich gehört hätten, zumal sie sich um das Gewehr stritten, sie zog am einen, er am andern Ende. Ich schloß für einen kurzen Moment die Augen, übermannt von den heftigsten Empfindungen, die man sich vorstellen kann. Dann kroch ich weiter, über die Steine des Wegs hinweg, meinen Schläger ließ ich zurück, um das Schlimmste zu verhüten. Laurie-Laure legte gerade an, als ich mich neben ihr aufrichtete, Geoffroy war erregt, er stampfte vor Ungeduld regelrecht mit den Füßen und wettete, sie werde es nicht schaffen, meine Fernsehantenne herunterzuholen. Ich wurde bleich vor Wut. Obwohl sie eine Frau war, verpaßte ich ihr eine Gerade ans Kinn, und sie schlug der Länge nach ins Gras. Geoffroy erstarrte. Weniger vor Angst denn vor bitterer und schmerzlicher Überraschung klappte ihm der Kiefer herunter. Ich nutzte dies aus, um ihm an die Gurgel zu springen. Beide Hände fest um seinen Hals geschlossen, schüttelte und rüttelte ich ihn, überhäufte ihn mit Beleidigungen, die von dem wütenden Wind verweht wurden, noch ehe sie ihn erreichten. Er verzog das Gesicht, rollte mit den Augen, hängte sich an meine Handgelenke, während ich ihn hin 15
und her riß. Das tat gut. Ich wurde nicht müde, ihn vor dieser finsteren Szenerie zu würgen. Von Zeit zu Zeit gönnte ich ihm ein wenig Luft, um das Vergnügen zu verlängern, dann legte ich von neuem los. Bis sich plötzlich etwas Furchtbares ereignete. Ich ließ auf der Stelle von Geoffroy ab. Wir blickten uns an, als hätte uns eine Lanze durchbohrt, reglos, atemlos, die Augen tränend im Wind. Dann blickten wir erneut auf seine Hütte beziehungsweise auf das, was davon noch übrig war. »Herrgott, nein, nicht...! Nicht meine Bibliothek...!!!« Noch nie in meinem Leben hatte ich ein solch herzzerreißendes Heulen gehört. Er sank vor mir auf die Knie und krümmte sich auf dem Boden, drückte die Stirn ins Gras. Ich wußte nicht, was tun. Ich starrte einen Augenblick auf das schwarze Loch, das gerade die Hälfte seines Hauses und einen Teil des Felsens verschlungen hatte. Eine brennende Laterne schaukelte über dem Nichts, und ein Teppich flatterte im Wind. Ich hockte mich neben ihn, streckte zögernd eine Hand nach seiner Schulter aus. »Kopf hoch...!« schrie ich ihm ins Ohr. »Ich leihe Ihnen ein paar Bücher...!« »Wieso Bücher...?« zeterte er. »Mein Manuskript ist davongeflogen. Sechshundert handgeschriebene Seiten...!« Ich mußte zugeben, das war hart. Persönlich konnte ich mich nicht dazu aufraffen, einen Roman in Angriff zu nehmen, ich hatte keine Lust, bekloppt zu werden. Ich riß ihm das Gewehr aus der Hand, als er sich den Lauf in den Mund schob, und schleuderte es über Bord. Und als es anfing zu regnen und er sich wieder auf den Boden legte, nötigte ich ihn aufzustehen und sprach beruhigend auf ihn ein, und gemeinsam kümmerten wir uns um seine Frau, jeder nahm sich einen Arm, um ihr beim Gehen zu helfen, und wir kehrten ihrem Haus den Rücken, und obendrein peitschten uns auch noch die Tropfen ins Gesicht, und halb erstickt hasteten wir zu mir, o Edith, die Dazattes bleiben heute zum Essen, und vielleicht, Liebling, bleiben sie auch über Nacht.
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Wie beim Tode meines Vaters Ein ganzes Jahr lang war ich heimlich in Lisa Jordaens verliebt. Sie war nur zwei Jahre älter als ich, aber sie interessierte sich ganz und gar nicht für mich, und ich begnügte mich damit, sie stillschweigend zu begehren. Selbst David, ihr Bruder, der immerhin mein bester Freund war, wußte nichts davon. Abends, bevor ich einschlief, legte ich die Hände unter meinen Kopf, schaute zur Decke und dachte an sie. Ganz langsam erschien mir ihr Gesicht, während mir das Herz stehenblieb. Ich schmiedete keinerlei Pläne, sie zu verführen, auf den Gedanken wäre ich nie gekommen. Ich verstand sehr gut, daß diese wenigen Jahre, die mir so grausam fehlten, die Sache unmöglich machten. Ich erhoffte nichts. Ich betete nicht, daß man mir auch nur die allerwinzigste Chance gewährte. Ich war schlicht glücklich, an sie denken zu dürfen, wenn ich einen Moment Zeit hatte. Die Freundschaft, die mich mit David verband, war keineswegs schändliche Berechnung. Er war dazu bestimmt worden, sich meiner anzunehmen, als ich neu auf die Schule kam, und wenngleich wir völlig verschieden waren, sah man uns doch die meiste Zeit zusammen, selbst als ich mich nicht mehr in den Gängen verlief, und auch lange bevor ich ein Auge auf Lisa geworfen hatte. Ich wußte, daß er eine Schwester hatte. Ich hatte dem zunächst nicht viel Beachtung geschenkt und nicht mehr daran gedacht. Bis zu dem Tag, an dem ich ihr plötzlich gegenüberstand. Ich war dreckig und stank. Die Jordaens bewohnten ein großes Haus im feinen Teil der Stadt, aber sie waren für einige Tage verreist, und David konnte mir eine Hose und alles leihen, was ich brauchte, um mich umzuziehen, damit wir Zeit gewannen. Es war das erste Mal, daß ich bei ihm zu Hause war. Wir waren rot und staubbedeckt. Gewisse Zänkereien mit ein paar Typen aus der elften Klasse waren etwas heftiger ausgefallen, und wir hatten kostbare Zeit verloren. David kochte vor Wut, er riß sich die Sachen vom Leib und schleuderte sie durchs Zimmer, er schwor, wenn wir wegen dieser Idioten nur eine Minute des Konzerts verpassen sollten... Dann flitzte er unter die Dusche. Ich ließ mich in einen Ledersessel fallen, der meines Erachtens bestimmt soviel gekostet hatte wie meine ganze Unterkunft und Verpflegung an der Schule, zumindest für ein Jahr plus Einschreibungskosten. Diese Schwachköpfe hatten uns ein ziemliches Stück verfolgt, und es war ein milder und lauer Herbsttag, der Schweiß lief mir noch über die Stirn, ich spürte, daß mir die Haare am Schädel klebten, als käme ich aus einem türkischen Bad, und riesige Kränze erschienen unter meinen schmutzstarrenden Armen. In diesem Zustand hätte ich mich niemandem zeigen 17
mögen, ganz gleich, wem, der bloße Gedanke hätte mich krank gemacht. Ehrlich gesagt, ich war ein recht schüchterner Junge von eher reinlichem Naturell, ich wartete ungeduldig, daß mir David Platz machte. In diesem Moment kam sie herein. Ich lächelte gerade idiotisch, weil ich an die kleine Keilerei denken mußte und daran, wie David und ich die Beine in die Hand genommen hatten. Da zerriß etwas in meiner Brust. Ich senkte rasch die Augen und versuchte sechs Fuß tief im Boden zu versinken, währen sie durchs Zimmer ging. Ihr Blick hatte mich nur gestreift, aber das Blut hämmerte in meinen Schläfen, und mein ganzes Dasein widerte mich an. Sie fragte David, was wir hier verloren hätten. Sie hätte ebensogut bemerken können, aus welcher Gosse man mich denn aufgelesen habe, oder sich die Nase zuhalten können - ich fühlte mich so unbehaglich, daß sich meine Verwirrung kaum noch zu steigern vermochte. Ich lag wie vom Blitz erschlagen in meinem Sessel. Und gleichzeitig wußte ich, daß ich sie bis ans Ende meiner Tage lieben würde. Nichts in meinem Leben war mir je so klar erschienen. Ich war knapp sechzehn. Ich hatte es noch nie mit einem Mädchen gemacht. Jedesmal, wenn ich Lisa in den Gängen der Schule begegnete, war meine Kehle wie zugeschnürt, und ich mußte all meine Kräfte zusammennehmen, um meines Weges zu gehen, als ob nichts wäre. Eher hätte ich mich ins Feuer gestürzt, als daß ich mir irgendein Gefühl hätte anmerken lassen, ich verzehrte mich in unerschütterlicher Liebe zu ihr. Nie redete sie ein Wort mit uns, wenn wir in ihrer Nähe waren. Für David war sie nur eine eingebildete Pute, in einer Art Übereinkunft ignorierten sie einander völlig oder wechselten nur einen dieser zerstreuten Blicke, die mich, der ich so beiläufig gestreift wurde, zutiefst betrübten. Aber ich war nicht böse. Typen, die älter waren, holten sie nach Schulschluß mit dem Wagen ab, und auch deswegen war ich ihr nicht böse. Sicher, mein Herz krampfte sich zusammen, aber ich verstand all das, ich wußte, daß ich nichts dagegen machen konnte. Als mich David häufiger mit nach Hause nahm, lief die Sache ein wenig besser. Nicht, daß sie mir sonderlich Beachtung schenkte, aber mir schien, meine Anwesenheit störte sie nicht, und mehr verlangte ich nicht. Meistens spazierte sie im Bademantel herum, ungekämmt und mit nackten Füßen in alten Mokassins, bis dann die Stunde ihres nächsten Rendezvous' nahte. Und wenn jemand an die Tür klopfte, ehe sie ganz fertig war - was ständig der Fall war -, verschwand sie sogleich in ihrem Zimmer und kam erst nach einigen Veränderungen wieder hervor, die dazu gedacht waren, ihre Vorzüge zu betonen. Der Typ, der auf sie wartete, machte Augen, die wie Speichel leuchteten. Ich, ich liebte sie, einerlei, ob sie nun aus der Dusche kam oder in ihr Schminktäschchen gegriffen hatte. Ich war der einzige Fremde im Haus der Familie Jordaens, der in ihrer Nähe geduldet war, wenn sie sich zum Beispiel am Rand des Swimmingpools die Beine enthaarte oder eine Maske aufs Gesicht auf18
trug oder irgendeine Mixtur auf den Schädel, die angeblich die Frauen im alten Ägypten benutzt hatten. Ich störte sie nicht. Ich war jederzeit bereit, ihr einen kleinen Gefallen zu tun, etwa, ihr ein Glas zu holen oder Zigaretten oder was immer ihr gerade in den Sinn kam. Ich hütete mich aber, es zu übertreiben. Auch wenn es mir schwerfiel, mäßigte ich doch den Umfang meiner Gefälligkeiten ihr gegenüber und erwies sie ganz genauso David und seinen Eltern, wenn ich Gelegenheit dazu hatte. Alle fanden mich sehr nett - was ich auch war, ohne mich dazu zwingen zu müssen -, und ich wußte, wie weit ich gehen konnte, ohne als Schwachkopf zu gelten. Und weil ich solch strenge Vorsichtsmaßnahmen ergriff, ahnte niemand etwas von dem Feuer, das mich verzehrte, nicht einmal die Betroffene, ich hätte darauf schwören können. Ich glaube nicht, daß man mich nur ein einziges Mal dabei ertappen konnte, daß ich ihr einen verliebten Blick zugeworfen oder mich auf eine etwas verdächtige Art an ihre Seite gedrängt hätte. Fest entschlossen, mein Geheimnis mit ins Grab zu nehmen, zügelte ich jedwede Aufwallung. Ich brachte ihr eine makellose Liebe entgegen, und ich war so stolz darauf, daß mir mein Martyrium mitunter eine Wonne schien. Gegen Ende des Winters wunderte man sich bei den Jordaens, wenn ich nicht da war. Wenn ich gewollt hätte, dann hätte ihr Haus praktisch meines sein können, aber ich fürchtete, man könne meiner schließlich überdrüssig werden, und zwang mich regelmäßig, wenn ich die Kraft dazu hatte, einige Tage lang den Fuß nicht über ihre Schwelle zu setzen. Andererseits luden sie mich nicht selten zum Abendessen ein, wenn ich noch da war, und das Gästezimmer stand mir stets offen, das hatte man mir oft genug gesagt, das sollte ich ein für allemal wissen. Dieses Gästezimmer, mir brach der kalte Schweiß aus, wenn ich nur daran dachte. Entschied ich mich zu bleiben, erfaßte mich eine Art Schwindel, wenn ich die Treppe hinaufging, und bei der Vorstellung, was mich erwartete, drehte sich mir alles im Kopf. Dieses Zimmer war mein Paradies und meine Hölle zugleich, der Ort, wo mein Schmerz und auch meine Glückseligkeit vollkommen waren. Ich sank vor dem Schlüsselloch auf die Knie. Ich schloß einige Minuten lang die Augen oder drückte meine Stirn gegen die dünne Türfüllung, die unsere Zimmer trennte, und ich versuchte zu widerstehen. Ich hörte, wie sie sich bewegte, so wie ich auch eine Stimme hörte, die auf mich einredete und mir aufzustehen gebot, wenn ich etwas anderes sei als ein erbärmlicher Schweinehund. Ich rang die Hände, dann preßte ich unversehens, eine leidenschaftliche Klage hinunterschluckend, mein Auge gegen das Loch. Wenn ich Glück hatte, zog sie sich genau vor mir aus, und wenn mir der Himmel wirklich hold war, konnte ich nach ihrer Brust und den Härchen ihres Unterleibes schielen, bis mir die Tränen in die Augen stiegen. Manchmal weinte ich regelrecht, ohne zu wissen, weshalb eigentlich, bit19
tere Tropfen kullerten seelenruhig über meine Wangen, während ich sie beobachtete. Nie fühlte ich mich hilfloser als bei diesen Gelegenheiten. Nie war mir eine Prüfung schwerer erschienen. Nach besonders erschöpfenden Nachtsitzungen zog ich mich in der Regel zurück. Für einige Nächte blieb ich in dem Zimmer, das ich mit einem Typ aus meiner Klasse teilte, und während ich auf den Schlaf wartete, dachte ich über mein Verhalten nach. »Wozu das Ganze, wo du sie doch nie bekommst ...!« sagte ich mir. »Findest du nicht, daß es so noch härter ist? Wäre es nicht besser, du begnügtest dich mit ihrem Gesicht, willst du denn ständig Salz in die Wunde streuen, willst du ihr weiter nachspionieren wie ein Geisteskranker, hast wohl in deinem Leben noch kein nacktes Mädchen gesehen...?« Trotz alledem fing ich immer wieder damit an, ich konnte nicht anders. Ich wußte sehr wohl, daß es eine lächerliche Komödie war, daß mein Frust nur noch stärker wurde und daß mir diese Sache keineswegs Größe verlieh, dennoch fiel ich mit unfehlbarer Sicherheit wieder vor dieser verfluchten Tür auf die Knie, als wäre ich daran festgekettet. Diese elende Versessenheit machte mich ganz hilflos. Gab es hienieden Verrücktheiten, deren man nicht Herr zu werden vermochte? Die Monate vergingen, doch das Leben stand still. David hatte sich eine Freundin zugelegt und vernachlässigte mich ein wenig. Das traf sich gut, ich wollte ohnehin nur die meiste Zeit allein sein, und ich sagte ihm, er solle sich um mich keine Gedanken machen. Doch das hatte auch Auswirkungen auf seine Noten, und so fanden wir uns, als es auf die Abschlußklausuren zuging, jeden Nachmittag bei ihm zu Hause ein, und ich half ihm, seine Mathekenntnisse aufzubessern, so sah ich Lisa täglich. Während dieser Idiot über seinen Aufgaben schwitzte, stand ich auf und ging in den Garten hinaus, und ich betrachtete sie unauffällig, und ich war immer noch unsterblich verliebt. Kein Mädchen meines Alters konnte ihr das Wasser reichen. Wie sehr langweilte ich mich in Gesellschaft der anderen, welch fahles Licht, verglichen mit Lisas Glanz! Ihr Vater neckte mich zuweilen, er wunderte sich, daß ich mir noch keine geangelt hatte, und ermahnte mich, nicht so schüchtern zu sein. Ich haßte ihn, wenn er mit diesem Thema anfing, ich wandte meinen Blick ab, worauf er, im Glauben, mich aufrichten zu müssen, seinen Arm um meine Schultern legte und irgendeinen Unfug über das Leben verzapfte. Die Nächte waren still und warm. Ich mochte diese Familie aufrichtig, aber mitunter ertrug ich sie nicht mehr. Warum, wußte ich nicht so recht. Ich fühlte mich gereizt und mußte so manche launische Anwandlung bezähmen. Ich verkürzte die Abende, soweit dies machbar war. Oder ich schloß mich im Gästezimmer ein, sobald ich mich davonmachen konnte. Daß sie abgeholt wurde und erst mitten in der Nacht zurückkam, war mir egal. Ich wartete auf sie. Ich war nicht eifersüchtig, ich quälte mich nicht damit, daß ich sie mir in den Armen eines anderen vorstellte. All das inte20
ressierte mich nicht, ich wartete auf sie, die Augen weit aufgerissen, auf meinem Bett ausgestreckt, ohne einen Ausweg zu wissen, doch um keinen Preis hätte ich meinen Platz aufgegeben, denn kaum hörte ich sie die Treppe hinaufsteigen - sie machte nicht das leiseste Geräusch, dennoch befiel mich ein langes Zittern -, kaum schlich sie sich in ihr Zimmer, richtete ich mich in der Dunkelheit auf und schritt wie ein Roboter zu ihrer Tür und beugte mich zu dem erleuchteten Schlüsselloch hinab. Und dann passierte es. Das war, wie gesagt, in jener Zeit kurz vor den Prüfungen, die am Sommer nagten, und allmählich mangelte es mir an Schlaf, Katja und Robert Jordaens waren eine Woche lang verreist gewesen, sie hatten uns das Haus mit den üblichen Ratschlägen überlassen und waren gerade erst zurückgekommen. Lisa war jeden Abend ausgegangen, und mehr als einmal hatte ich den Morgen dämmern sehen, bevor sie auf ihr Zimmer zurückkehrte. Ich weiß nicht, ob sie noch Zeit fand zu büffeln, da sie nie vor Mittag aufstand, ich jedenfalls stellte mir den Wecker und stürzte mich mit einem fürchterlichen Gähnen auf meine Unterlagen und kippte nach einigen matten Bahnen im Swimmingpool Kannen von Kaffee. An jenem Abend konnte ich mich kaum auf den Beinen halten. Ich war mir bewußt, daß ich an meine Grenzen gelangt war. Katja hatte das bereits bemerkt, als sie mir einen Begrüßungskuß gab. Sie hatte mich gefragt, ob mir nichts fehle, ob ich mir sicher sei. Und doch weigerte ich mich, klein beizugeben, ich war wie ein tollwütiger Hund, wo der geringste Funken Verstand genügt hätte, um wenigstens eine Nacht außerhalb dieses Hauses Ruhe zu suchen. Es war stärker als ich. Den ganzen Tag über lebte ich nur für diese wenigen Minuten, in denen ein Ozean aus Feuer über meinem Kopf zusammenschlug, und die Müdigkeit tat ein übriges, daß dieses kleine Spiel zu einer fixen Idee wurde. Bevor wir zu Tisch gingen, spritzte ich mir Wasser ins Gesicht, und nach dem Essen trank ich Kaffee, und ich hielt noch eine Stunde durch in Gesellschaft von David und seinen Eltern. Lisa hatte gelogen, sie hatte behauptet, sie sei die ganze Woche brav ins Bett gegangen, und ich hatte mich eingemischt, ich hatte gesagt, das sei die reine Wahrheit, ohne dafür nur das geringste dankbare Lächeln zu ernten, und sie war erneut losgezogen, und sie hatte mich ja auch um nichts gebeten. Ich zwickte mich, ich schlug die Beine übereinander, ich packte mich am Nacken. Dank meiner Hilfe hatten Davids Mathekenntnisse ein achtbares Niveau erlangt, und sein Vater verpaßte mir ein paar liebevolle Klapse auf den Rücken, ohne die ich mich vermutlich der Länge nach auf den Teppich gelegt hätte, auch wenn er mir gerade irgendeinen Ferienaufenthalt gemeinsam mit ihnen anbot. Wenn ich es wünschte, wolle er gern mit meinem Stiefvater telefonieren und alles regeln. Es gab Momente, da schlief ich glatt mit offenen Augen. Erst einmal auf dem Zimmer, sammelte ich meine letzten Kräfte. Ich ti21
gerte um das Bett herum, ich schwankte und taumelte in der Dunkelheit, denn natürlich durfte mich kein Licht bei ihrem Kommen verraten. So wie ich auch zögerte, die Dusche laufen zu lassen. Die Stille und die Finsternis waren meine einzigen Verbündeten, erwiesen sich jedoch auch als furchterregende Gesellen, erschossen, wie ich war. Ich kämpfte stundenlang, verbot mir, ruhig zu verharren, und wenn mich meine Beine nicht mehr trugen, setzte ich mich auf die Bettkante und biß mir in die Unterarme. Mir war, als nähme diese Nacht nie ein Ende und als stritte ich mit einem Feind, der schrecklicher war als der Schlaf. Mein Rücken schmerzte, mein Kopf baumelte sinnlos hin und her, am liebsten hätte ich mir die Augen ausgerissen, so unerträglich brannten sie, und das ging so weiter, bis ich endlich hörte, daß sie zurückkam. Es war drei Uhr morgens. Ich konnte nicht mehr. Dennoch schleppte ich mich auf meinen Posten, ich schnitt Fratzen vor Schwäche, war wie im Koma. Klar doch, ich hatte im Laufe dieser Woche höchstens zwanzig Stunden geschlafen, ich hätte jemand anders dabei sehen wollen. Eine einzige Strafe, eine solche Erschöpfung, und welch ein Pech, daß all diese angestaute Müdigkeit in eben dem Moment über mich herfiel, als meine Inniggeliebte mit ihrem Striptease loslegte! Kurz und gut, ich weiß nicht so recht, was eigentlich passiert ist. Ich muß eingeschlafen sein. Bin ich darauf schwer und schlaff gegen die Tür gesunken... ? Habe ich einen quäkenden Seufzer ausgestoßen...? Jedenfalls ging das Ding auf, und ich flog der Länge nach in ihr Zimmer, nicht mehr und nicht weniger. Mein ganzer Körper hallte noch von dem Sturz wider, als mich ein unsäglicher Schrecken ergriff. »Das ist furchtbar! Das ist entsetzlich ...!« dachte ich, bevor ich auch nur den Kopf hob. Ich krümmte mich wie ein Verrückter. Konnte man mir keine Decke zuwerfen, um mich ihrem Blick zu entziehen, konnte mich nicht augenblicklich ein Blitz treffen oder wenigstens die Sicherungen rausspringen lassen... ? »Ach nein...!« sagte sie. Sie hatte ihr Höschen noch an. Wenn sie ihre Brust verdecken wollte, dann verschränkte sie ihre Arme zu tief. Aber ich hielt mich nicht mit derlei Details auf, mein Atem setzte aus, und mein Herz klopfte so schnell, daß ich glaubte, mein letztes Stündlein habe geschlagen. »Da schau her...!« fügte sie hinzu. Ich war wie ein Fuchs, den man, das Gewehr im Anschlag, im Hühnerstall erwischt. Meine Lippen zitterten, und ich fand nicht das geringste Wort der Entschuldigung. Ich war wie versteinert. Ich, der normalerweise unter solchen Umständen errötend die Augen niedergeschlagen hätte, ich starrte sie an, und garantiert war ich bleich wie der Tod. Worauf wartete sie noch, daß sie nicht nach Hilfe rief oder mir irgend etwas auf den Schädel schmetterte? Das zweite wäre mir lieber gewesen, aber ich war bereit, meine gerechte Strafe zu empfangen, was es auch sei. Also, warum rührte sie sich nicht, warum drückte ihr Gesicht keinerlei 22
Zorn aus, warum leuchtete ihr Blick so seltsam, mein Gott, warum war sie so hübsch... ? Ich hätte ihr gewiß einen Dolch gereicht, hätte ich einen zur Hand gehabt. Sie mußte sich trotz allem beeilen, sonst würde ich erneut einschlafen. Sie half mir auf. Bestens. Ich starb lieber stehend. Dann hat sie mich auf ihre Bettkante gedrückt. Sehr gut, es war an ihr, zu ermessen, welche Hinrichtung einem Elenden wie mir am ehesten zustand. Dann mit einem Mal preßten sich ihre Lippen auf meine, und ich spürte, wie ihre Zunge in meinen Mund eindrang. Ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, wie damals, als ich die Nachricht vom Tod meines Vaters erhielt. Im ersten Moment, während sich eine ihrer Hände unter mein T-Shirt schlängelte, hätte ich nicht sagen können, ob ich sehr glücklich oder sehr unglücklich war, meine Empfindungen waren viel zu heftig. Ich muß zugeben, ich war sogar erschrocken. Das war das erste Mal, daß sich ein Mädchen derart wild an mich preßte. Meine sämtlichen Erfahrungen auf diesem Gebiet, zumindest die wenigen Berührungen, die ich diesem Register hatte zuordnen können, erschienen mir jetzt lächerlich unbedeutend. Alles in allem war ich nicht so gewieft, wie ich es gern gewesen wäre. Zudem liebte ich sie so sehr, so rein, daß ich darauf nicht gefaßt war. Und obendrein war ich dermaßen müde. Nach einer Weile hat sie sich aufgerichtet, um zu sehen, was ich da eigentlich trieb. Ich wußte es selbst nicht. Ihre Wangen waren rosig. Ich hatte das Gefühl, sie war ein wenig gereizt. Wenn ich noch ganz richtig sah, hatte sich der Umfang ihrer Brüste verdoppelt, viel fehlte zumindest nicht. Ich lächelte sie an, dann gähnte ich fürchterlich. Das letzte, was ich tun durfte, wenn man mich fragt. Sie hat mich ganz merkwürdig angeschaut. Wir schwitzten beide, wenn auch aus verschiedenen Gründen. »Mach's jetzt!« habe ich mir gesagt. »Nur Mut...!« Ich mußte gegen soviel Dinge auf einmal ankämpfen...! Oh, und dieser Schlaf, der mich bestürmte, daß mir schwindlig wurde. Oh, mir war, als laste die gesamte Erde auf meinen Schultern, aber ich biß die Zähne zusammen und riß mich vom Bett los, um mich auf den Ellbogen zu stützen. Oh, welche Liebe, welche Müdigkeit, welches Mysterium, alles prasselte auf einmal auf mich ein. Und das war noch nicht alles, denn mich erwartete eine weitere Überraschung. Ich war gerade dabei, mir einen Plan zurechtzulegen, wie ich dazu übergehen könnte, ihre Brust zu streicheln oder etwas in der Art, während ich sie mit meinen geschwollenen Augen verschlang - ein Fall von Myxomatose, könnte man sagen -, als mich ein Geistesblitz durchzuckte. Plötzlich kam mir ihr lasziver Blick ungeheuer suspekt vor, und ihr Atem noch mehr, wie sie da so nervös über mir atmete. Meine Güte, sie war blau! Ja, hatte sie zuviel getrunken oder was... ? Erzählt mir doch so was nicht...! 23
Ein gräßlich schwarzer Gram überflutete mich. Ich ließ mich auf das Bett fallen, aber ich spürte nichts in meinem Rücken, fiel immer weiter, endlos wie meine Bitterkeit. Sie schüttelte mich. Ihr Gesicht war hart. Sie hatte ihren Bademantel um die Schultern und befahl mir mit leiser Stimme, schleunigst abzuhauen. Ich streckte lasch die Hand nach ihren Haaren aus, die auf meine Brust wallten und die ich noch nie berührt hatte. Sie stieß mich heftig zurück, bevor ich mein Ziel erreicht hatte. »Mach, daß du wegkommst, hörst du ...? Raus aus meinem Zimmer!« Sie krallte sich mein T-Shirt und zerrte es hin und her, um mich aus dem Bett zu schleudern, dabei beschimpfte sie mich immer ärger. Gott ist mein Zeuge, daß ich, obwohl es den Anschein hatte, nicht versuchte, mich darin einzunisten, und daß ich am liebsten verschwunden wäre, noch bevor sie es wünschte, aber ich wog Tonnen, ich brauchte eine gewisse Zeit, um mich zu rühren. Glaubte sie, das sei so leicht, glaubte sie, ich könnte seelenruhig auf die Beine springen, wo ich am Boden zerstört war? Am nächsten Morgen trat Robert Jordaens in mein Zimmer. Er hat sich vor meinem Bett aufgebaut und mir erklärt, daß ich dieses Haus verlassen müsse. Ich habe nichts erwidert. Ich wußte nicht, was sie erzählt hatte, und es interessierte mich nicht. Ich habe meine Sachen gepackt. Alles war still, und das Zimmer strahlte im Morgenlicht. Mir war, als hätte ich diesen Tag schon einmal erlebt. Ich begegnete keinem Mitglied der Familie, als ich ging, ein verlassener Ort, mochte man meinen, oder aber ich hätte die Pest.
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Gestern war ein großer Tag Ich wachte am hellichten Tag mit fürchterlichen Kopfschmerzen auf, und der erste Blick, den ich auf die Welt richtete, der allererste Eindruck, der meinen Geist am Morgen meines dreißigsten Geburtstags durchzuckte... Herr im Himmel! Ich schloß für ein paar Minuten die Augen, ich fragte mich, ob ich all das vergessen müßte, oder ob ich, wenn ich sie je wieder öffnen sollte, Chancen hätte, mich dieser Prüfung würdig zu stellen, mit diesem Schädel wie Brei. »Habe ich irgendwem Böses getan...?« fragte ich mich. »Habe ich eine solche Strafe zu meinem Geburtstag verdient...?!« Ich wußte nicht, wieviel mir Suzanne abknöpfen würde, wenn ich sie an einem Sonntag arbeiten ließ, aber ich sah keine andere Lösung. Suzanne würde mich aus diesem Alptraum befreien, und was machte es schon, wenn sie mir einen extravaganten Tarif für ihre Bemühungen berechnen sollte, sie hatte mich in der Hand, ich würde wegen dieser paar mickrigen Scheine - Schecks nahm sie nicht - in einem solchen Augenblick nicht mit ihr diskutieren, ich würde sie vielmehr in die Arme schließen und ihr die Füße küssen, sobald sie durch meine Tür schritt. Dieser Gedanke möbelte mich auf, die Vorstellung, daß alles wieder in Ordnung kam. Ich stand auf und verdrehte die Augen. Was für Dämonen hatte ich nur zu mir eingeladen, welch fürchterliche Horde hatte da in meinem Wohnzimmer gehaust und gefeiert...?! Mein Geist war noch verwirrt, das Ende des Abends entzog sich mir, verschwand hinter einem beunruhigenden Schleier, und dann merkte ich, daß ich meine Klamotten noch anhatte, und ich seufzte, all das aufzuklären, darauf verzichtete ich im Moment. Ich nahm das Telefon mit ins Badezimmer. »Hallo, Suzanne...?« »Wer ist am Apparat...?« Ich klemmte den Hörer gegen meine Schulter und öffnete das Arzneikästchen, von wegen Aspirin. »Sei so nett und gib mir mal deine Mutter.« »Bist du das, Laurence?« »Ja, ich bin's. Hör mal, sag ihr, ich möcht sie sprechen, es ist sehr wichtig.« »Sie ist nicht da. Ich bin ganz allein zu Haus.« Mein Kopfschmerz verschlimmerte sich schlagartig. Ich ließ drei Tabletten in meine hohle Hand gleiten, während die Welt um mich schwankte. »Wie bitte, sie ist nicht da...? Kommt sie zurück?« Der Kleine wußte es nicht, tatsächlich wußte er nie etwas von den Dingen, die einen Erwachsenen interessieren konnten. Ich sagte ihm, ich 25
riefe wieder an, er solle seiner Mutter nur sagen, Laurence wolle sie ganz dringend sprechen, und daß er mir nur ja nicht, bloß nicht, irgendeinen Unfug mit dem Telefon anstelle, darauf legte ich besonderen Wert, ich zitterte bei dem Gedanken, er könne die Kabel mit der Schere durchschneiden oder den Apparat zerlegen, um zu sehen, was er im Bauch hatte. Ich war nervös. Ich war sauer auf die anderen, weil sie mich verlassen und mir die ganze Arbeit aufgehalst hatten, und auf Suzanne, weil sie nicht zu Hause war, wo bei mir alles schieflief. Aber was mir inzwischen noch mehr gegen den Strich ging, war diese Lücke in meinem Gedächtnis, diese dumme Unfähigkeit, mich an irgend etwas nach, sagen wir, ein Uhr nachts zu erinnern. Ich sah mich noch, wie ich unbeschwert die Kerzen ausblies und mich bei jedem einzeln bedankte, daß sie mir ihre Freundschaft gewährten und mich mit ihrer Anwesenheit beglückten, denn es lief alles bestens, ich erinnerte mich an die wundervolle Atmosphäre, das sanfte Gemurmel der Unterhaltungen, und daran, wie ich zu den ersten Akkorden von Romeo had Juliette (Lou Reed, New York 9 25029 - Sire) den Kuchen anschnitt, während jemand die Gläser füllte, um auf mein Wohl anzustoßen, ich entsann mich all dieser Arme, die über meine Schultern strichen, und des Vergnügens, umschlungen zu werden. Aber was die Fortsetzung, den Rest des Abends anging, da konnte ich noch so verbissen meinen Kopf erforschen, daß mir die Kiefer schmerzten, es kam nichts dabei heraus, jedenfalls nichts, was mich hinreichend aufklären konnte. Schlimmer noch. Vage Bilder tauchten mitunter auf, um blitzschnell wieder zu verschwinden, und obwohl ich keines von ihnen mit Sicherheit identifizieren konnte, verspürte ich doch ein eigenartiges Unbehagen. Fast hätte ich Louise angerufen, um mir Gewißheit zu verschaffen, aber ich ließ diesen Gedanken fallen. Es gab andere Wege, mehr zu erfahren, zumal mich allmählich eine dunkle Vorahnung beschlich. Ich war unschuldig, das heißt, ich fühlte mich unschuldig, was auf dasselbe hinauslief. Sollte sich wahrhaftig irgendein bedauerlicher Zwischenfall ereignet haben - und Gott sei mein Zeuge, daß das nur eine fürchterliche Vermutung war -, dann mußte sie vor allem bedenken, daß ich in keinem normalen Zustand war, dann sollte sie wissen, daß ich mich an nichts erinnerte und daß sie die einzige war und daß letztlich das Verzeihen wie das Weihrauchkörnchen ist, welches das Feuer, von dem es verzehrt wird, mit Wohlgeruch erfüllt. Ich fragte mich, ob das ausreichen würde, so wie ich Louise kannte... Und dieses dornige Problem beschäftigte mich unentwegt, während ich mich ausgehbereit machte. Ich mußte am Nachmittag bei meinem Vater vorbeischauen. Ich ließ es mir nicht nehmen, mich auf eine Terrasse zu setzen und ein Frühstück hinunterzuschlingen. Das Wetter war herrlich, die Luft war frisch, und der Himmel roch gut, und ich beobachtete minutenlang zwei Mädchen, die 26
einige Tische weiter saßen, zwei verdammt hübsche Mädchen, die vor Gesundheit strotzten, denn manchmal war die Welt unglaublich wunderbar und meine Sorgen recht unbedeutend, schließlich entfleuchten die beiden, aber etwas blieb in der Luft. Ich glaube, mein Vater hätte ein Wort dafür gefunden, ich überlegte einen Moment, dann stand ich meinerseits auf, wahrscheinlich hätte er die Augen geschlossen und stumm genickt, das war seine Art, damit umzugehen. Mein Vater schrieb Bücher. Er schloß die Augen, wiegte sich auf einem Stuhl hin und her, und ganz gleich, was um ihn geschah, er schrieb seine Bücher. Was es ihm ermöglichte, meine Mutter mit einer ansehnlichen Unterhaltsrente zu versorgen und mir einen Scheck auszustellen, wenn ich ihn darum bat. Ich traf übelgelaunt bei ihm ein. Ich hatte unterwegs zweimal haltgemacht und versucht, Suzanne zu erreichen. Beim erstenmal war besetzt, und beim zweiten Anlauf hatte ich mindestens fünf Minuten ergebnislos klingeln lassen, das machte mich ganz krank. Mein Vater hatte - zumindest, was das Zimmer anging, in dem er arbeitete, in dem er den größten Teil seiner Zeit verbrachte - stets in einem heillosen Chaos gelebt. Er hatte sich eine Art Theorie darüber zurechtgelegt. »Hör mal«, sagte ich zu ihm, »fall mir damit nicht auf den Wecker. Das ist mein Leben, und es geht um meine Wohnung.« Er kehrte mir in seinem Stuhl den Rücken zu, während ich mir das Telefon schnappte, und schaute zum Fenster hinaus, der Herr Alleswisser, der Herr Ich-bin-über-alle-Sterblichen-erhaben. Meine Mutter hatte mehr als einmal einen sagenhaften Anfall gekriegt, wenn er sich so umdrehte, allein wegen dieser Miene, die er aufsetzte, wenn ihm eine Diskussion auf die Nerven ging, wegen dieser Art, sich von der Welt abzuwenden und zum Himmel zu äugen - mein Vater stand nie sehr weit von einem Fenster, wo immer er sich befand -, den Hals tief zwischen die Schultern gedrückt. Suzanne ging immer noch nicht an den Apparat. Je später es wurde, um so mehr hatte ich das Gefühl, zum Minuspol abzugleiten. Aber das war nur eine flüchtige Stimmung, der ich nicht nachgeben wollte. Mein Vater betrachtete das Leben mit gelassener Verzweiflung. Ich nicht. In dieser Hinsicht glich ich eher meiner Mutter, ich wehrte mich. Meine Mutter hätte die Gesetze des Universums nach ihrem Gutdünken geändert, wenn sie gekonnt hätte. Unsere Blicke trafen sich, als ich das Telefon zurückstellte, und um meine Lippen spielte ein bitteres Lächeln, das ich nicht schnell genug wegzaubern konnte. Man mußte meinen Vater sehen, wie er versuchte, mir einen mitfühlenden Blick zu schenken. Er errötete beinahe, so ungeschickt fühlte er sich. Ich konnte mir vorstellen, welche Anstrengung ihn die Avancen kosteten, die er mir gegenüber, wenn auch noch so unbeholfen, verstärkte, seit ich ausgezogen war. Vielleicht reichten ihm seine Bücher mittlerweile nicht mehr, vielleicht war er zu der Überzeugung ge27
langt, daß man auf dieses Theater nicht verzichten konnte... Nichtsdestoweniger machten mich seine Anstrengungen verlegen, und weit davon entfernt, mich zu rühren, brachten sie mich nur gegen ihn auf. »Überdies... Weißt du, daß gestern ein großer Tag war?« stieß ich hervor, ohne noch länger zu warten. Ich hoffte ihn zu entlarven, ihn sozusagen in flagranti bei seiner Unzulänglichkeit zu ertappen. So schnell ging das nicht, daß er seine Rolle als aufmerksamer Vater spielen konnte, ohne den geringsten Fehler zu begehen, all diese verlorene Zeit ließ sich nicht in fünf Minuten aufholen. Immerhin war sein Blick sehr sanft, wenn er es wünschte. Und in ebendiesem Moment sehr sanft und klar. »Ich habe dich doch angerufen, Laurence...«, teilte er mir mit ruhiger Stimme mit. »Ich bin gestern abend spät zurückgekommen, aber ich habe dich angerufen... Vincent hat abgehoben. Er hat mir zu verstehen gegeben, du seist nicht in der Lage, mit mir...« »Was?!« unterbrach ich ihn. »Was erzählst du da...!?« Sämtliche Muskeln meines Körpers waren mit einem Mal angespannt, und von einer heftigen Unruhe gepeinigt, reckte ich meinem Vater den Hals entgegen. Neue Bilder tauchten in meinem Kopf auf, seidig glänzende oder blaßrosa Blitze, doch ich schob sie beiseite, ich wollte nichts davon hören, es konnte nichts passieren, solange ich sie von mir fernhielt. Mein Vater glaubte mich mit einer Handbewegung beschwichtigen zu können, für ihn war der Vorfall erledigt. »Mach dir deswegen keine Sorgen. Außerdem wollte ich dich nicht stören... Weißt du, ich hatte mir nichts besonders Originelles überlegt... Deshalb habe ich Vincent gebeten, die Sache zu vergessen, wir würden uns heute ohnehin sehen...« »Warte mal... Du meinst... Was soll das heißen, ich war nicht in der Lage, ans Telefon zu gehen...?!« »Na ja... Ich weiß nicht«, scherzte er. »Es gibt da verschiedene Hypothesen...« Mir war nicht zum Lachen. Ein eisiger Wind blies durch meine Brust, ließ jeden Blutstropfen in mir erstarren. »Louise...!« sagte ich mir. »Louise...! Je mehr ich die Wahrheit ahne, desto inständiger bete ich, daß du in meinem Herzen liest...!« Als ich den Kopf hob, mit einem Gesicht so blaß und eingefallen wie das einer Leiche, betrachtete er mich. Meine Mutter hatte wieder geheiratet. Mit ihr waren die Dinge viel einfacher. Wenn ich sie besuchte, war zwischen uns alles klar und unkompliziert, es bereitete mir stets Vergnügen, in ihrer Gesellschaft zu sein, unser Schweigen war erholsam. Mein Vater war ein rätselhaftes Wesen. »Ich fürchte, ich bekomme ernstliche Scherereien mit Louise...«, seufzte ich. 28
Er hatte eine Gabe, einem Geständnisse zu entlocken, mit denen er im übrigen nichts anzufangen wußte. Daher hatte meine Eröffnung auch nicht die geringste Wirkung auf ihn, und er betrachtete mich weiter mit größter Aufmerksamkeit. Früher hatte ich ständig das Gefühl, er nagele mich am Boden fest, er lähmte mich, selbst wenn er es gar nicht wollte, ich blieb reglos vor ihm sitzen und wartete darauf, daß er mich befreite, während ich nichts zu sagen wagte und mich eine ungeheure Lust überkam, Reißaus zu nehmen. »Verdammtnochmal! Soll das noch lange gehn... ?! Hörst du mir überhaupt zu... ?« knurrte ich und rutschte hin und her. Seine Macht war nicht mehr, was sie einmal war... Ich erhob mich ohne größere Anstrengung und baute mich vor seinem Fenster auf. Der Tag ging zu Ende. Es war mir nicht gelungen, Suzanne zu erreichen, und die Überreste dieses verfluchten Abends lagen immer noch in meinem Wohnzimmer verstreut. Louise haßte mich, davon war ich überzeugt. Ich war gerade dreißig Jahre alt geworden, und plötzlich hatte das Leben einen Geschmack wie alter Kaugummi. Ich fragte mich, ob ich noch eine Chance hatte, die Situation zu meistern. Ich war mir darüber im klaren, wieviel mich all das gekostet hatte, mir war, als wäre es mir gelungen, etwas aufzubauen, worauf ich mich stützen konnte. Die Abgeklärtheit meines Vaters in diesem Punkt war mir schnurzegal. Das Chaos übte keinen besonderen Reiz auf mich aus, ich war ein normaler Typ, ich schrieb keine Bücher. Plötzlich durchzuckte ein fahles Licht mein Hirn, und ich stürzte zum Telefon. »Vincent? Laurence hier... Sei still, hör mir gut zu... Du weißt, daß ich keine Cocktails vertrage, nicht wahr... ?! Aber du wirst schon sehen, was du davon hast, hörst du, das wirst du mir büßen, du alter niederträchtiger Schweinehund...« Mit hochroten Wangen knallte ich den Hörer auf die Gabel, ließ ihn aber nicht los, so angenehm war die Vorstellung, diesem Schwachkopf das Genick zu brechen. Wie gern hätte ich ihn wimmern und dahinscheiden gehört nach allem, was er mir angetan! »Und so etwas nennt sich Freund...! Vielleicht der einzige echte Freund, den ich habe, stell dir das vor...!« Mein Vater war ein Einzelgänger, von Freundschaft verstand er so gut wie nichts, aber Vincent und ich waren mehr oder weniger gemeinsam aufgewachsen, er wußte, was ich meinte. »Das ist nicht so einfach, weißt du. Ich selbst, als ich deiner Mutter begegnet bin... Habe ich dir das schon erzählt...?« »Der hat mir glatt einen Dolch in den Rücken gestoßen... Wirft mir einfach dieses Mädchen in die Arme, diese Rothaarige, ich hab die vorher noch nie gesehn... Ja, jetzt fällt's mir wieder ein ...« »Ich hatte damals auch einen guten Freund, aber das ist lang her.« 29
»Ich konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, verstehst du... Ich habe mich vor diesem Verräter nicht in acht genommen, ich habe mit ihm angestoßen und ihn dabei an mein Herz gedrückt. Ich habe ihn geküßt, während er mich meuchelte...« Mein Vater schaute erneut zum Fenster hinaus. Ich für mein Teil war ganz benommen ob der Flut von Bildern, die durch meinen Schädel sprudelten, und als sich der Nebel in meinem Geist lichtete, entdeckte ich eine ziemlich miese Sache. In meinem ersten Schreck setzte ich eine Hinterbacke auf die Kante seines Schreibtischs, was ich mir trotz all des Wassers, das inzwischen den Rhein hinuntergeflossen war, noch nie erlaubt hatte. »Nun ja, das Schlimmste ist eingetroffen. Jetzt ist nichts mehr zu machen ...«, stieß ich mit tonloser Stimme hervor und schob dabei einen Finger in meinen Kragen. »Na komm! Das ist halb so wild... Vincent und du, ihr habt sicher schon anderes durchgemacht. ..« »Vincent... ? Wovon redest du eigentlich... ?! Es geht um Louise... - Er soll verrecken! - ... ich habe von Anfang an nur an sie gedacht, die Ärmste. ..« »Oh...« »Nein, das verstehst du nicht. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr alles über mir zusammenbricht ... Meine Güte, mir war nicht bewußt, was ich tat, ich hatte Geburtstag, und dieses Mädchen hat mich mitgeschleppt. Louise wird mir nie verzeihen, das kannst du mir glauben... Weißt du eigentlich, daß wir schon den Verlobungsring ausgesucht haben . ..?« Mein Vater benutzte einen tanto als Brieföffner. Ich rammte ihn mitten in seinen Schreibtisch und sagte: »Ist das nicht der größte Schlamassel, den man sich ausmalen kann, sag mal... ?« »Hör zu, laß dieses Messer in Ruhe. Und steig bitte von meinem Schreibtisch runter. Mach dich darauf gefaßt, hier auf Erden zu leiden, denn das ist unser aller Los ...!« »Stell dir vor, ich leide bereits. Und das in doppelter Hinsicht, denn du scheinst nicht zu begreifen, daß einem eine Stelle als Werbechef nicht einfach zufliegt, nicht in diesem abscheulichen Dschungel... Jeden Morgen begegne ich in den Gängen Dutzenden von Typen meines Alters, die bestens geeignet wären, meinen Platz zu übernehmen. Was glaubst du, in welch lausigem Büro ich verschimmeln würde, wenn mich nicht Louises Vater unter seine Fittiche genommen hätte? Und wo, glaubst du, werde ich mich bald wiederfinden, wenn ihm Louise mein Verhalten verrät...? Leiden, sagst du...?! Ich bin dermaßen auf die Nase gefallen, daß ich, selbst wenn man mir einen Tritt mitten ins Gesicht verpaßte, nicht mit der Wimper zucken würde! Leiden...? Nur ein lebendes Wesen kann leiden...! Hörst du mich vielleicht atmen, siehst du irgendwelche Farbe 30
auf meinen Wangen, willst du meinen Puls fühlen...?!« Statt nach meinem bläulichen und eisigen Handgelenk zu fassen, schenkte mir mein Vater ein gerührtes Lächeln. »Ich hab's dir schon oft gesagt, Laurence... Mit Geduld und viel Arbeit könntest du ein annehmbarer Schriftsteller werden. Aber ich rate dir nicht, dich daran zu setzen, es sei denn, die Mühe und die Einsamkeit scheinen dir kein zu hoher Preis für ein bißchen Vergnügen...« In dieser Hinsicht brauchte er sich nicht übermäßig zu sorgen: Ich hatte genausoviel Lust, Schriftsteller zu werden, wie im Unterhemd auf der Straße zu trällern. Und ich hatte allen Grund, mich zu drücken, denn einen von ihnen kannte ich nur zu gut, hatte ich doch über Jahre hinweg an seiner Seite gelebt und in Ruhe die Schäden betrachten können, die er um sich herum anrichtete, ohne daß er selbst besonders glücklich schien. Ich rief erneut bei Suzanne an, um zu erfahren, ob ich den Kelch bis zur Neige leeren mußte. »Herrgottnochmal, wo steckt die...?« stöhnte ich abgrundtief. Ich knirschte regelrecht vor Verzweiflung. Mein Vater blickte mich an, sagte aber nichts. Ich spürte, daß er, von sich selbst abgesehen, eine solche Schlaffheit uneingeschränkt verdammte, um so mehr, wenn es ums Aufräumen ging. Er hatte nicht ganz unrecht, aber via Suzanne war meine Klage auch auf alle anderen gemünzt. »Wo seid ihr denn, alle, die ihr da wart... ?! Wohin seid ihr entschwunden, daß ihr mich nicht hören könnt...? Wo bist du, Louise... Wo sei ihr denn, meine Freunde... ? Wo sind die hellen Tage, die berauschenden Vormittage, die Verheißungen des Himmels und der Erde... ? Wo seid ihr, mein Vater und meine Mutter...?!« Irgendwas in dieser Richtung. Mittlerweile wurde es dunkel. Ich ging in den Garten, um mir eine Zigarette anzuzünden, denn mein Vater vertrug keinen Rauch. Die Luft war kalt, schneidend und völlig geruchlos. Der Boden hart wie Stein. Ich schlug meinen Kragen hoch, zitternd bis ins Mark meiner Knochen. Raben krächzten in der Ferne, während ein trüber Nebel langsam vom Himmel fiel. Prächtig. Das Land ringsum versank in einer tristen Dämmerung, es verströmte eine graugrüne Stimmung, die sich schwach am Horizont abzeichnete, und nirgends brannte ein Licht, nichts, was den Blick auf sich ziehen oder dem völligen Untergang widerstehen konnte. Indes, war ich besser dran? Gab es das geringste Licht in meiner Seele? Da war dieses Mädchen. Ich wußte ihren Namen nicht mehr. Ich wühlte sogleich in meinen Taschen, nervös, hektisch, drehte sie eine nach der ändern um, entblößte mich halb, ungeachtet der schneidenden Temperatur. Endlich fand ich ihre Telefonnummer, ich sog sie in mich auf, hielt sie unter meine vor Kälte tränenden Augen. Sicher, das war nicht viel, aber wenigstens sie hatte mich nicht verlassen. Ich setzte mich einen Moment. Ich wischte meine Augen ab, blieb reglos 31
sitzen, ohne einen besonderen Gedanken, die Hände in den Taschen vergraben, den Rücken gekrümmt und die Visitenkarte geborgen in der Tiefe meiner Brieftasche. Mein Vater döste vor sich hin, als ich wieder hineinging. Er winkte ab, es sei nichts, und erhob sich sogleich von seinem Sessel, um seine Lebensgeister wiederzufinden. »Du warst draußen...? Wieviel Uhr ist es? Oh... Möchtest du etwas, ich weiß nicht...« Plötzlich fühlte ich mich erschöpft, aber wie nach einem ausgiebigen Spaziergang, nicht wie jemand, der die Nacht hindurch gezecht hat und sich nun jämmerlich dahinschleppt. Die eisige Luft hatte mir gutgetan, und auch diese Telefonnummer. Ich dachte trotz allem nicht unbedingt daran, sie zu benutzen. Es reichte mir, sie an meiner Brust zu spüren, wie ein wärmendes Kataplasma auf meinem Herzen. Mein Vater strich zögernd um mich herum. Man hätte meinen können, ihn bedrücke ein schweres Geheimnis oder er habe einen schrecklichen Entschluß zu fassen. Er begann einen Satz, sprang zu einem anderen über, brach schließlich ab, um sich zu räuspern und mir einen kurzen Blick zuzuwerfen, und so weiter und so fort. Als mir der Sinn seines Treibens aufging, fragte ich mich, ob ich ihm zu Hilfe kommen oder lieber noch einen Moment zusehen sollte. Hatte er solche Angst, ich könnte seine Einladung ablehnen, daß er mich nicht zu fragen wagte... ? Mit einem Mal fiel mir auf, daß wir schon lange keinen Abend mehr gemeinsam verbracht hatten... Mir waren diese Stippvisiten zur Gewohnheit geworden. Ich hatte es stets eilig, oder ich hatte keinen Hunger, oder Louise wartete auf mich, oder aber ich erfand irgend etwas und verzog mich vor Anbruch der Nacht, als wäre der Teufel hinter mir her. Als er sah, daß ich meinen Mantel aufknöpfte, blieb er abrupt stehen. Er riß ihn mir aus den Händen, als wolle er ihn am liebsten irgendwo vergraben. »Hast du denn heute abend nichts vor?« fragte ich ihn. Er begann zu strahlen, aber er sagte keinen Ton. Ich folgte ihm in die Küche. »Weißt du... Mach dir deswegen keine Gedanken...!« erklärte er mir, während er den Kühlschrank inspizierte. Weil er mir gerade den Rücken zukehrte, antwortete ich schnell: »Wenn's dich nicht stört, würde ich gern hier schlafen... Na ja, vielleicht könnte ich ein, zwei Tage bleiben, wenn das keine Probleme schafft...«
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Feuerrot Ein einziges Mal in ihrem Leben willigte Evelyne in den Verkauf von ein paar Morgen Land ein. Solange ich denken konnte, hatte ich sie stets nur über den üppigen Umfang ihres Busens klagen hören. Zu Tode betrübt verkaufte sie ein Feld am Fuße des Hügels und ließ sich die Brüste zurechtstutzen. Sämtliche Ländereien, das Haus und die Nebengebäude gehörten ihr. Ich hatte zwei, drei Großgrundbesitzer an der Hand, die nach dem Gut schielten, aber ohne Evelynes Zustimmung war nichts zu machen. Mein Vater hatte mir mißtraut und mich enterbt, kaum daß ich den Hof verlassen hatte. Er wußte, was er tat, als er ihn Evelyne überschrieb. Er war ein gefühlsseliger Alter, ganz dem Boden verhaftet, auf dem er sein Leben verbracht hatte, und darin ähnelte ihm meine Schwester. Schon als wir Kinder waren, nahm er uns auf seinen Schoß und ließ uns schwören, daß wir niemals verkaufen würden. Evelyne hob die Hand und gehorchte mit engelhaftem Eifer, mich hingegen langweilten diese Dinge. Wäre da nicht diese fixe Idee gewesen, die sie verzehrte - »diese gräßlichen 140« -, hätte sie ihren Schwur niemals gebrochen. »Solange ich lebe«, wiederholte sie bis zum Überdruß, »werden diese Ländereien nicht in andere Hände übergehen. Und glaube ja nicht, daß ich es mir anders überlege...!« Ich kannte sie. Ich wußte, sie hatte diese absurde Entschlossenheit von meinem Vater, der selbst bei größten Geldsorgen nie schwach geworden war, auch wenn wir uns mit dem Essen einschränken mußten - er warf meiner Mutter einen mißbilligenden Blick zu, wenn irgendeine Süßigkeit das armselige und karge Mahl durchbrach, das uns die finsteren Tage gewährten -, auch wenn er seinen Stolz hinunterschlucken und für einen vom Glück begünstigten Nachbarn arbeiten mußte. Es gab zweifelsohne kein Mittel, meine Schwester zu beeinflussen, so tief saß ihr Starrsinn, und ich konnte ihr die besten Gründe der Welt vorhalten, ohne daß es sie im geringsten anfocht. Trotz alledem hatte ich nicht aufgegeben. Ich war fünfundvierzig, und die einzige Hoffnung, die mir verblieb, bestand darin, dieses verflixte Haus und diese vermaledeiten Hektare zu verkaufen, die meine Kindheit vergiftet hatten und die mir so verhaßt waren. Das wäre die rechte Vergeltung gewesen. Nächtelang hatte ich von dem Leben geträumt, das sich uns böte, wenn wir das Gut veräußerten. Wir konnten viel Geld dabei herausschlagen, vielleicht genug, um unsere letzten Tage in relativer Unbeschwertheit zu verbringen, oder mehr noch, wenn wir uns zu gescheiten Anlagen aufrafften. Ich hatte ganze Hefte mit ausladenden Berechnungen vollgeschrieben, die mir den Atem raubten und deren Ergebnis mich immer wieder aufs neue entzückte. Vor allem 33
aber rührte die brennende, unsägliche Freude, die ich aus derlei Zahlenspielen schöpfte, von dem Ekel her, den mir dieser Ort einflößte. Wenn diese Erde nur endlich anfinge zu sühnen. Wenn sie uns zurückerstattete, was sie uns geraubt. Das war es, worauf ich wartete. Was mich, mehr noch als die Aussicht auf das Geld, mit einer unsäglichen Freude erfüllte. Aber soweit waren wir noch nicht. Was die Einkünfte anging, die uns das Gut einbrachte, da konnte man nur lachen. Mir oblag die Buchführung. Mit den Zahlen in der Hand hatte ich ihr aufgezeigt, daß wir gerade genug verdienten, um nicht Hungers zu sterben, aber sie wollte nichts davon hören. Solange genug da war, um ihre Ginflaschen zu bezahlen, mochten wir nackt einhergehen, es hätte sie nicht geängstigt. »Was beklagst du dich...?« sagte sie zu mir. »Du tust den ganzen Tag nichts anderes, als Bücher zu schreiben, die kein Mensch liest... Für einen unnützen Esser bist du ein ziemlicher Feinschmecker...« Dieser Zustand dauerte nun schon Jahre. Ich war zurückgekehrt, als ich die Nachricht vom Tod unserer Eltern erhielt - die Bremsen hatten versagt, und sie waren in dem alten Panhard, den mein Vater fuhr, den Hügel hinuntergestürzt -, auch, weil ich nichts Besseres zu tun hatte. Ich war zurückgekehrt, weil ich nichts gefunden hatte und weil ich mehr Verdruß als sonst etwas erfahren hatte. Meine Abwesenheit hatte fast zwanzig Jahre gedauert, aber mir war, als hätte ich nicht wirklich gelebt, ich erinnerte mich an nichts, was sich gelohnt hätte, weder die Leute, die ich kennengelernt hatte, noch die Stellen, die ich angetreten hatte, nicht einmal diese Bücher, die ich geschrieben und, zumindest zum größten Teil, auf eigene Kosten veröffentlicht hatte. Ich war ohne einen Heller zurückgekehrt, und Evelyne hatte mich nicht weggeschickt. Wir hatten uns in all der Zeit kein einziges Mal gesehen. Ihr Leben schien genauso trist verlaufen zu sein wie meines. Unsere Mutter hatte sich sehr früh eine Knochenerkrankung zugezogen, und mein Vater hatte keine Zeit, sich um das Haus zu kümmern. Evelyne hatte die Gabe, sich aufzuopfern. Und die Typen, die nachts, angelockt von den überwältigenden Reizen meiner Schwester, um den Hof schlichen, waren nicht aus jenem Holz, aus dem Ehemänner geschnitzt sind. Kurz nach dem Ableben unserer Eltern verkaufte sie also diese Parzelle, um ihre Operation zu bezahlen. Zunächst sah ich das als gutes Omen, ich stellte mir vor, diesem ersten Schritt würden weitere folgen, bis wir uns schließlich des ganzen Grund und Bodens entledigt hätten. Aber ich begriff sehr schnell, daß ich mich gewaltig täuschte. Dieser Zipfel, den sie preisgegeben hatte, kaum groß genug, um darauf ein paar Tiere weiden zu lassen, quälte sie zutiefst und verursachte ihr solche Gewissensbisse, daß er das Gegenteil von dem bewirkte, was ich erhofft hatte. Trotz all meiner Beschwichtigungen schwor sie, nie wieder nur das geringste Stückchen Land abzugeben, und müßten wir uns auf Diät setzen. 34
In gewisser Weise machte sie mich für diesen fürchterlichen Augenblick der Schwäche verantwortlich. Ihr zufolge hatte ich sie zu dem getrieben, was sie ihr »Verbrechen« nannte. Das stimmte natürlich nicht. Ich hatte höchstens meine Meinung geäußert, wenn sie in ihrer Unschlüssigkeit nicht ein noch aus wußte. Die Größe ihrer Zitzen war mir wurstegal, aber diese lächerliche und tumbe Angst, die sie bei der Vorstellung befiel, ihr Land um ein armseliges Stückchen zu beschneiden, konnte ich nicht ertragen. Was dachte sie eigentlich? Daß sie einen Frevel beging? Daß es anfing zu beißen oder daß mein Vater aus dem Grab schnellen würde, um sie an Ort und Stelle zu vernichten?! Wenn ich sie beeinflußt hatte, dann jedenfalls nicht mit solch schroffen Worten. Ich erinnerte mich nur an einige recht vage Erwägungen, mit denen sie wie üblich nichts anzufangen gewußt hatte. Nun denn, wie dem auch sei, das Ergebnis dieses Unternehmens war ein Fehlschlag auf der ganzen Linie. Sie kam mit traurig flatternder Bluse aus der Klinik zurück und sagte mehrere Tage lang kein einziges Wort, einzig damit befaßt, melancholischen Blicks ihre Kleidungsstücke umzuändern. Ich kannte mich in puncto weiblicher Schönheit nicht besonders aus, aber daß meine Schwester schlecht gebaut war, entging mir trotzdem nicht. Ich war nicht sicher, ob mir das vorher aufgefallen war. Jetzt, da sie keine Brüste mehr hatte - oder so gut wie keine, sie hatte ihr Geld nicht umsonst ausgegeben -, wirkte ihr Becken noch breiter und ihre Schultern schmaler, und man fühlte sich unwillkürlich an eine Flasche Vichy erinnert. Mehr als alles andere stach einem jedoch ihre Magerkeit ins Auge. Der Körper einer alten, verschrumpelten Frau, hätte man meinen können, dabei war sie nur zwei Jahre älter als ich. Ich entdeckte, daß sie keinen Hals hatte, keinen Hintern, keine Knöchel. Man sah nur mehr ihre Fehler, ihre hoffnungslosen Formen, ihre fürchterliche Figur. Sicher, meine Schwester war nie ein besonders apartes Geschöpf gewesen. Dennoch hatte das üble Geschick ihr Gesicht verschont, und manch einer hätte sie durchaus nach seinem Geschmack finden können. Jetzt aber nicht mehr, höchstens durch ein Wunder, höchstens ein Geisteskranker oder ein blinder Pfarrer. Früher hatte sie sich beklagt, die Jungen würden ihr begehrliche Blicke zuwerfen. Sie brauchte nicht lange, um dahinterzukommen, daß diese sie nun keines Blickes mehr würdigten, wenn sie nicht gar ans andere Ende der Theke flüchteten. Und selbstredend hatte das Auswirkungen auf ihren Charakter. Wenn der Tag zu Ende ging, war sie sturzbetrunken. Bei schönem Wetter zog sie los und spazierte mit einer Flasche Gin in der Hand über ihre Ländereien, und vor dem Schlafengehen holte ich sie dann, las sie auf einem Acker oder an einem Wegesrand auf und brachte sie in ihr Zimmer, wobei ich mich in acht nehmen mußte, daß ich nicht einen Strahl Erbrochenes abbekam. Diese Übung fiel mir recht schwer, denn ich war 35
nicht besonders stark, und es kam vor, daß sie sich sträubte und uns mit einem heftigen Schlenker zu Boden beförderte - zwei Brillen hatte sie mir schon zerbrochen. Natürlich war dieses Spiel in der gesamten Nachbarschaft bekannt, aber jede Familie hat ihre Probleme, und unsere waren nicht die schlimmsten. Sollten sie ruhig ihre spöttischen Bemerkungen fallenlassen, wir zahlten es ihnen mit gleicher Münze heim. Sonntags, wenn wir allesamt auf den Bänken der Kirche vereint waren, wußte ich nur zu gut, in welch monströsen Gebeten die meisten dieser Seelen schwelgten. Ich für mein Teil hatte Evelyne kein einziges Mal den Tod gewünscht. Selbst im schlimmsten Frust, wenn mich ein heftiger Streit einmal mehr daran zweifeln ließ, jemals ans Ziel meiner Wünsche zu gelangen - in der Tat, je mehr ich sie zum Verkauf drängte, um so mehr versteifte sie sich in ihrer hysterischen Weigerung -, sehnte ich mich einzig und allein nach dem Krankenwagen, der sie ins Sanatorium verfrachten würde, oder ich starrte auf ein Äderchen, das an ihrer Schläfe zuckte, in der Hoffnung, es werde plötzlich platzen und sie in ein Wrack verwandeln, das ich ohne Murren, gegen eine schlichte Unterschrift, gerne pflegen wollte. Ich hegte keine besonderen Gefühle für sie. Als Kinder hatten wir uns nie gestritten, aus dem schlichten Grund, daß uns eine gegenseitige Gleichgültigkeit voneinander fernhielt. Daran hatten die paar Jahre, die wir seit dem Tod unserer Eltern gemeinsam verbracht hatten, nichts geändert. Dennoch waren wir miteinander verbunden, durch die Macht der Gewohnheit, durch die kleinen Gefälligkeiten, die wir einander erwiesen, und wir teilten die gleiche Einsamkeit, die gleiche Verzweiflung, die gleiche Langeweile. Allein die Sorgen, die uns die Bewirtschaftung des Bodens bereitete, waren geeignet, uns und so manchen unserer Nachbarn vergessen zu lassen, daß dieses Leben keinen Sinn hatte. In der Tat waren die letzten Ernten außergewöhnlich schlecht gewesen, und der Preis des Saatgutes hatte Höhen erreicht, die wir mit finsterer Miene, die Ellbogen auf die Theke oder auf einen der Kneipentische gestützt, wütend kommentierten. Nach zwei, drei Gläsern geriet meine Schwester in Fahrt, sie schmähte die Behörden, und ihre Stimme erfüllte alsbald den ganzen Saal. Ihr Getue beachtete man schon lange nicht mehr, nicht einer dieser Typen hätte sich von ihr mitnehmen lassen - sie galt für halb verrückt -, aber die Deftigkeit und der Schwung ihrer Verwünschungen begeisterten alle. Sie wandten Evelyne ihre glänzenden, schlecht rasierten, vom Bier und der Sonne aufgedunsenen Gesichter zu, auf denen die Erschöpfung des Tagewerks wie ein boshaftes Fieber strahlte. Doch trotz des Vokabulars, das sie verwandte, dachte zu ihrem Leidwesen keiner der Typen daran, sie aufs Kreuz zu legen, und ich hatte nicht das Gefühl, daß es an meiner Anwesenheit lag. Allerhöchstem klopfte ihr einer auf den Hintern, 36
oder man spendierte ihr ein Glas für ihre kleine Nummer. Aber der Umfang ihres Kleides täuschte niemanden mehr. Eines Abends, die Stimmung war besonders heiß gewesen und sie hatte vielleicht ein wenig mehr getrunken als sonst, versuchte sie die Sache mit mir. Ich steuerte den Lieferwagen durch die vertrocknete und staubige Landschaft, den Blick zum Himmel gerichtet. Es war kein einziges Wölkchen in Sicht. Seit über einem Monat wurde nur noch über diese neuste Geißel geredet, die das Land heimsuchte. Sämtliches Getreide verdorrte am Halm, und selbst die größten Optimisten prophezeiten Unwetter, die zu guter Letzt alles vernichten würden, was noch stand. Die Kehlen waren besonders trocken. Ich für mein Teil, obwohl mich der Anblick dieser Agonie betrübte, dachte mir, daß ein weiterer Schicksalsschlag das Ende beschleunigen könnte. Wir waren vor einer katastrophalen Ernte keineswegs gefeit. Mit dem wenigen, das wir von der Versicherung bekämen, würden wir uns bestimmt nicht sehr lange über Wasser halten können, sie mochte tun, was sie wollte, andere als ich würden sie zu unterwerfen wissen. Der Weg, der zum Haus führte, war voll grausamer Schlaglöcher. Ich kümmerte mich nicht mehr darum. Drei Sommer lang hatte ich versucht, sie mit Steinen aufzufüllen, und jeden Winter hatten die Traktoren, der Schnee und der Schlamm mein Werk ruiniert. Evelyne ließ selten eine Gelegenheit aus, mir zu meiner Beharrlichkeit zu gratulieren. An diesem Abend sagte sie nichts, trotz meines unverkennbaren Unwillens, den Spurrillen auszuweichen oder die Geschwindigkeit zu drosseln. Der Lieferwagen klapperte, das Chassis schlug gegen den Boden, und die Karosserie hallte und vibrierte wutentbrannt. Ich nutzte es aus, daß sie stockbesoffen war. Jedesmal, wenn ich auf diesem Hof etwas ungestraft ramponieren konnte - vom Toaster bis zum Mähdrescher -, ließ ich mir die Gelegenheit nicht entgehen. Die Tagelöhner mußten als Erklärung herhalten, die Ärmsten. Jede Reparatur schnürte uns ein wenig mehr die Luft ab, und wie hätte ich den Groll, den mir dieser Ort einflößte, ertragen können, ohne mich ein wenig abzureagieren? Ich war zu feige, zu schwach, zu entmutigt, um fortzugehen. Ohne Geld, ohne Talent, ohne Ehrgeiz - mir erschien die Welt als ein noch finstererer Schlund, in den ich nicht mehr hineingeraten wollte. Schon die paar hundert Meter, die uns von der Straße trennten, erfüllten mich gewöhnlich mit einer Art lieblichem Ekel. Und wenn es mir wie in dieser Nacht freistand, mich nach Herzenslust auszutoben, konnte es sein, daß mich ein dunkler Schauer überlief. Zuweilen hoben alle vier Räder vom Boden ab, dann kam die Klapperkiste schwer wieder auf, und der ganze Hügel zitterte wie im göttlichen Zorn. Meine Schwester knurrte neben mir, fest in ihrem Sitzgurt verstaut. Am nächsten Morgen würde sie sich an nichts mehr erinnern, aber vorsichtshalber frohlockte ich schweigend. Ich hielt den Wagen mitten auf dem Hof an und ließ die Hände auf dem 37
Steuer. Die Gebäude glänzten im Mondlicht, als wären sie eingewachst. Ich wandte mich zur Seite, um Evelyne loszumachen. Ich benutzte den Kragen ihres Kleides, um ihr ein wenig Speichel abzuwischen, der an ihren Lippen klebte. Dann stieg ich aus und ging um den Wagen herum, denn sie war nicht in der Lage, auch nur einen Schritt zu tun. Als ich ihre Tür aufzog, steckte sie, statt artig abzuwarten, daß ich sie in meine Arme nahm, sogleich ein Bein durch die Öffnung. Wobei sie ihr Kleid bis zum Schoß schürzte. Ein fahles Weiß leuchtete auf ihrem Sitz auf. Sie schob ihr Becken nach vorn und enthüllte gleichzeitig ihren nicht sehr anmutigen (sie hatte nur die alten Modelle, die mich anwiderten, wenn sie auf der Leine zum Trocknen hingen) Baumwollschlüpfer. Ich war wie vom Blitz getroffen. Es war dermaßen lange her, daß ich keine Frau mehr gehabt hatte. Ihr Gesicht drückte ebensoviel Obszönität wie Stumpfsinn aus. Ich warf einen raschen Blick in die Runde, vergewisserte mich der stillen Einöde der Nacht. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Ich zitterte, als ich meine Augen wieder auf sie richtete. Und sah, daß sie sich quer über die Bank geworfen hatte. Daß sie mit fester Hand den unteren Teil ihrer Wäsche gepackt hatte und wie von Sinnen aus ihrem Schritt riß. Daß sie mit der anderen Hand in ihrem schwarzen Vlies wühlte und drei glänzende Finger daraus hervorzog. Ich knöpfte meine Hose auf. Schlug das Kleid über ihr Gesicht und besorgte es ihr schweigend. Kaum fertig, ließ ich augenblicklich von ihr ab und rannte ins Haus. Ich lief nach oben. Ich verriegelte mein Zimmer. Dann stellte ich mich vors Waschbecken und packte ein großes Stück Seife. Mehrmals nacheinander rubbelte und scheuerte ich mit letzter Kraft mein Instrument sowie meine Schamhaare, spülte und wischte ich alles ab. Ich besprengte mein Gesicht mit jenem lauwarmen und eisenhaltigen Wasser, das wie ein Wildbach im Winter zufror und im Sommer zu einem Rinnsal ekelerregender Pisse verkümmerte. Ich wechselte mein Unterhemd, zog eine Pyjamahose an und setzte mich auf mein Bett. Mir war ein wenig schwindlig. In meinem Kopf war eine solche Leere, daß ihn der geringste Gegenstand, auf den mein Blick fiel, vollständig ausfüllte. Ich blieb eine Weile so sitzen und betrachtete das Tohuwabohu meiner Kammer. Dann stand ich auf und trat ans Fenster. Sie hatte sich nicht gerührt. Ich sah ihre Beine, die zur Tür hinaushingen, und die dunkle Larve ihrer Scham. Ihr Schlüpfer, den ich ihr schließlich heruntergezogen hatte und der über ihre Knöchel geglitten war, schimmerte auf der Erde wie phosphoriger Schleim, als wäre er herabgeflossen und vor ihre Füße getropft. Ich hatte keine Lust, hinunterzugehen und sie zu berühren. Sie jedoch so zu lassen hieß ein unnützes Risiko eingehen. Sie war imstande, erst am Morgen aus ihrem Tran zu erwachen, zu einer Stunde, da die Gaffer schon auf der Matte stehen konnten, bereit, sich über eine nackte Hin38
terbacke kringelig zu lachen, auch wenn sie das Schönste an der ganzen Geschichte gar nicht kannten. Das allein war Grund genug, meine Unlust zu überwinden. Aber es gab noch einen anderen, und der war gewiß nicht zu verachten: Es bestand Aussicht, daß sie sich an nichts erinnerte, wenn ich die Spuren des Vorfalls beseitigte. Ich hatte des öftern Gelegenheit gehabt, mich von ihrem Gedächtnisschwund zu überzeugen, wenn sie die Grenzen überschritten hatte. So manchen Morgen hatte sie mir mit stumpfsinnigem Blick zugehört, wenn ich ihr ihre nächtlichen Possen oder ihr erbärmliches Verhalten schilderte - vor einem Monat erst hatte ich sie auf dem Dach wiedergefunden -, sie schüttelte dann erbittert den Kopf, warf ihre Tasse ins Spülbecken - eine weniger! Alles, was in diesem Haus zu Bruch ging, ganz gleich, was, entlockte mir ein Lächeln und bezichtigte mich übler Nachrede, denn wie könne es sein, daß sie sich an nichts von all dem erinnere, hielt ich sie eigentlich für blöd... ? Während ich so vor dem Fenster stand, kürzte ich mir einen Fingernagel mit den Zähnen, dann ging ich hinunter. Auf der Schwelle zögerte ich abermals. Mir war, als wäre die Nacht immer noch von ihrem Glucksen durchdrungen - und, warum nicht, von meinem rauhen Atem, meinem lächerlichen Hecheln - und als nähme das nie ein Ende. Ich mußte mich schütteln, mir einen Ruck geben, um nur noch auf das Rascheln der Insekten zu hören, die seelenruhig die Landschaft verschlangen. Dann ging ich sie holen. Als erstes schlug ich das Kleid über ihre Beine zurück. Dann hob ich ihren Schlüpfer auf und stopfte ihn rasch in meine Tasche. Sie zeigte keinerlei Reaktion, wie all die anderen Male, wo ich sie auf ihr Zimmer getragen und mich gefragt hatte, ob sie vielleicht ins Koma gefallen war. Sie anzufassen verursachte mir weniger Ekel, als ich gedacht hatte, trotz des wenig appetitlichen Geruchs, der mich an der Nase packte, als ich mich ins Wageninnere beugte. Ich trug sie hoch. Legte sie auf ihr Bett. Beseitigte die Spuren... Ich nahm ein paar Papiertaschentücher, winkelte, ohne mich mit einer peinlich genauen Untersuchung aufzuhalten, ihre Beine an und wischte sie, so gut es ging, ab. Auch ihren Schlüpfer zog ich ihr wieder an. Um mit einem letzten Blick, den ich ihr zuwarf, festzustellen, daß ich ihn ihr linksherum angezogen hatte. Aber ich hatte keine Kraft mehr. Das, das war zuviel verlangt. Am Morgen fühlte ich mich ein wenig nervös. Ich fand, sie brauchte lange, um herunterzukommen, und ich mußte in einem fort den Kaffee aufwärmen. Ich war seit dem Morgengrauen auf den Beinen, und inzwischen stand die Sonne hoch am Himmel und ließ die Schatten im Hof schrumpfen, legte ihn bloß. Binnen kurzem würde die Glut vollkommen sein. Schon verdunsteten die letzten Tropfen der Berieselung bei den wenigen Großgrundbesitzern, denen das Lachen noch nicht vergangen war. Ich wollte mir eine kleine Buchhandlung kaufen, falls ich ei39
nes Tages die Mittel dazu hätte. Dann würde ich mit den Händen auf dem Rücken zuschauen, wie die Jahreszeiten verstrichen, gleichgültig gegenüber den Unbilden der Witterung und anderen Geißeln der Natur, und gelassen würde ich mir im Schatten meines Ladens bei einer solchen Gluthitze eine Limonade gönnen, ohne mich noch um die Farbe des Himmels zu scheren, nie wieder. Dann erschien Evelyne. Bis zum Ende blieben mir Zweifel. Sie machte nichts, sagte nichts, weder an diesem Morgen noch im Laufe der folgenden Tage, ließ keinen einzigen Blick schweifen, der mir bedeutet hätte, daß sie Bescheid wußte. Ich beobachtete sie unablässig, lauerte auf das geringste Erröten, das sie verraten hätte. Aber die Tage vergingen, und ich war genauso schlau wie vorher. Mal war ich überzeugt, daß sie sich nur gut verstellte, mal war ich dessen nicht so sicher. Die Sache ließ mir keine Ruhe. Ich fragte mich in einem fort, was in ihrem Kopf vorging, und ich grübelte nach, was sie dazu treiben mochte, mir diesen Blackout vorzuspielen. Mein Schlaf wurde dadurch grausam beeinträchtigt. Eines Sonntags, während der Messe, war mein Geist so verwirrt, daß mich eine unbändige Lust packte zu kommunizieren. Ich sprang auf und schritt inmitten der Sünder nach vorn. Die Beichte hätte mir wahrscheinlich mehr geholfen, aber der Priester war derselbe, der Evelyne und mich getauft hatte, und ich fühlte mich außerstande, ihm zu gestehen, daß ich die Sünde des Fleisches mit meiner Schwester begangen hatte. Draußen hielt mich Evelyne am Arm fest und fragte, was in mich gefahren sei. Ich hatte noch den Geschmack der Hostie im Mund. Ich riß mich brüsk los, gab jedoch keine Antwort. Obwohl ich im Laufe der Jahre den sonntäglichen Gottesdienst nur selten versäumt hatte, hatte ich doch beileibe nicht jene Erleuchtung erfahren, die einen jungen Konfirmanden in einen mustergültigen Gläubigen verwandelt. Ich ging in die Kirche, weil ich immer gegangen war. Ich hatte in meiner Laufbahn allerlei Gemeinheiten, allerlei Schändlichkeiten, allerlei Taten begangen, die geeignet waren, eine Seele zu erschüttern, aber das hatte mich nie in einem Maße verstört, daß ich mich einem Priester zu Füßen geworfen hätte. Daher wußte ich selbst nicht, was mit mir geschehen war. Denn keine plötzliche Erleuchtung hatte mich zum Altar getrieben, auch nicht die Flügel der Bußfertigkeit oder die Angst vor der Sühne. Die mageren Ernten, die uns einzubringen blieben, bevor sie endgültig zu Staub zerfallen würden, machten uns genug Arbeit, um mich vorübergehend von meinen Sorgen abzulenken. Wir mußten uns beeilen. Wie alle Kleinbauern der Gegend waren wir kaum in der Lage, uns zusätzliche Arbeitskräfte zu leisten - wir schafften es gerade, die beiden Tagelöhner zu bezahlen, die bei uns arbeiteten -, und wir mußten einander bei der Ernte behilflich sein. Für mich bedeutete das eine körperliche Belastung, die ich nicht gewohnt war. Meine Hände bekamen Blasen, meine 40
Arme schwollen vor Kratzern an, mein Rücken und sämtliche Muskeln meines Körpers schmerzten, und obendrein bot mein schlimmes Martyrium diesen Männern und Frauen, denen das Placken ein tägliches Los war, ständig Anlaß zu Scherzen. Mitunter, wenn wir seit Tagesanbruch an der Arbeit waren und die Maschinen erst im letzten, allerletzten, kaum noch wahrnehmbaren Licht der Abenddämmerung abstellten, liefen mir Tränen der Wut und der Erschöpfung über die Wangen. Evelyne schlug sich erheblich besser als ich. Trotz ihres Wuchses leistete sie die gleiche Arbeit wie all diese Frauen, die aus was weiß ich für einem unempfindlichen Holz, aus einer schier unermüdlichen Materie geschnitzt waren und am Ende des Tages auflebten, lachten und sich in dem Schatten amüsierten, in den ich torkelte. Ich hatte keine Ahnung, woher sie ihre Kräfte nahm. Diese Leute kannten uns von Geburt an, die Alten hatten unsere Eltern gekannt, die meisten anderen hatten mit uns auf der Schulbank gesessen, und die Jüngeren waren ihre Kinder oder Enkel. Im Gegensatz zu mir fühlte sich Evelyne unter ihnen wohl, und vielleicht schöpfte sie die Energie, die mir fehlte, aus diesem Brunnen des Schmerzes, des Schweißes, des Elends und des schlichten, allen gemeinsamen Überlebenswillens. Ich wußte, daß sie mich nicht besonders schätzten. Um Evelynes Verhalten scherten sie sich im Grunde nicht, auch wenn sie fanden, daß sie sich arg selten auf den Feldern sehen ließ, auch wenn man sie kritisierte und hinter ihrem Rücken über sie lästerte - gegen boshafte Bemerkungen war niemand gefeit. Sie galt als eine der ihren. Ich hingegen war der, der gegangen war, ich war der, der verkaufen wollte. Ich ließ mich von den Gläsern, die wir gemeinsam leerten, nicht täuschen. Es gab zuviel an mir, was ihnen mißfiel. Die ärmliche Garderobe, die ich aus der Stadt mitgebracht hatte, schien sie zu stören, so wie es ihnen auch komisch vorkam, daß sich ein Typ täglich rasierte und kämmte. Und da waren diese Bücher, die ich geschrieben hatte, die, obwohl sie niemals irgendein Interesse geweckt hatten, in ihren Augen stets Anlaß zum Mißtrauen boten. Selbst mein Körper ärgerte sie. Ich hatte weder ihre Kraft noch ihre Ausdauer, ich war unfähig, einen Sack Dünger hochzuheben und über meine Schulter zu werfen, ich schlotterte bei Wind und Kälte, meine Haut war weiß, ich holte mir schnell einen Sonnenbrand, eine simple Grippe streckte mich nieder, ich verstand es nicht, den Himmel zu deuten, ich spürte nicht, wenn Regen bevorstand, ich hatte keine Lust, auf die Jagd zu gehen, keine Lust, Karten zu spielen, ich konnte nicht einmal ein Messer vernünftig schleifen, ich drehte mir meine Zigaretten nicht usw. Evelyne behauptete, ich bildete mir das nur ein. Wenn es im Laufe der Jahre auch vorgekommen war, daß ich selbst nicht mehr wußte, woran ich war, so daß ich ihr mitunter heimlich recht gab - diesmal war ich schnell ernüchtert. Nie zuvor war mir die verstohlene Abneigung, die sie 41
mir gegenüber hegten, mit solcher Klarheit erschienen wie während dieser fürchterlichen Ernten. Aber ich zahlte es ihnen heim. Oh, sie waren gerissen genug, mir ihre Antipathie sorgfältig zu verheimlichen! Von einigen banalen Scherzen abgesehen, hüteten sie sich, mir ihre Feindschaft offen zu erklären! Wenn ich abends wie gerädert heimkehrte und mich ächzend auf mein Bett fallen ließ, verfluchte ich sie alle, ausnahmslos. Nirgendwo hatte ich meinen Platz gefunden. Nie hatte ich mich in der Gesellschaft anderer Personen wohl gefühlt. Diese Bücher, mit denen ich mir nur Spott zugezogen hatte, die hatte ich nur um der Einsamkeit willen geschrieben, die sie mir verschafften. Ich hatte mich keinem Talent verpflichtet gefühlt. Die tiefe, einzige, alleinige Wahrheit, die sie enthielten, stand nicht in den Wörtern, die ich aneinandergereiht hatte. Nie wäre ich imstande gewesen - ja hätte ich überhaupt Gefallen daran gefunden? -, den Verdruß, die Verzweiflung, die Verachtung und die unendliche Enttäuschung zum Ausdruck zu bringen, die mir das Leben einflößte. Am Abend bereiteten die Frauen das Essen zu, während die Männer die letzten Garben banden, die Maschinen zur Seite fuhren und überprüften, gewissenhaft die Qual der nächsten Tage organisierten. Wir rückten die Tische und Stühle zu dieser verdammten allabendlichen Zusammenkunft nach draußen, als reichte es nicht, daß wir schon den ganzen Tag gemeinsam geschuftet hatten. Für mich war das mit Sicherheit der schlimmste Moment. Warum ließ man mir nicht die Wahl, zwei weitere Stunden zu arbeiten, allein, und müßte ich mich auf Knien über diese Felder mit den scharfen Schollen schleppen, es wäre mir lieber gewesen, als ihre Gesellschaft und ihre Reden zu ertragen! Ich schlich mich davon, sobald ich konnte, verdrückte mich in einen Schatten oder gesellte mich zu den Wagen. Ich bedurfte ihrer Fürsorge nicht, sollten sie ruhig nach mir rufen, mir ihre kleinen Idioten nachschicken... Hielten sie mich für einen armen blinden Trottel?! Ich hatte nichts mit ihnen gemein. Ich war ein Fremder, wo immer ich war. Oder lebte ich auf einem anderen Planeten? Das einzige Geschöpf, das ich wiedererkannte, lachte und scherzte mit diesen unbekannten Kreaturen. Sie war meine Schwester. Es gab keinerlei Wärme, keinerlei Freundschaft, keinerlei geheimes Einverständnis zwischen uns, aber sie war alles, was ich hatte, das Band, das mich über der Finsternis hielt. Und jetzt erst wurde ich mir dessen bewußt. Jetzt, da es zu spät war. Fortan setzte auch sie mir gegenüber eine Maske auf. Sie bemühte sich, ein natürliches Gesicht zu machen, wenn wir zusammen waren, aber im Grunde verachtete sie mich. Ich versuchte nicht einmal, sie zu durchschauen. Ich ergötzte mich an ihrer Gewandtheit. Sie war mit Abstand die beste Schauspielerin der ganzen Bande, schade, daß ich ihr nicht applaudieren konnte. Ah, dieses ruhige und entspannte Gesicht, diese 42
heitere Farbe, die ihr die frische Luft verlieh, und dieses neue Lächeln, das sie frühmorgens aufsetzte! Große Kunst! Erkundigte sie sich nach meinen Schmerzen vom Vortag, verschluckte ich mich beinahe an meinem Kaffee. Ach, Evelyne, dieser feine Sand, den du mir so brutal in die Augen streutest...! Hätten unsere Felder den Anfang gemacht, ich wäre ihnen bestimmt von der Stange gesprungen, und hätte ich mir einen Arm oder ein Bein brechen müssen, aber wahrscheinlich rochen sie das - meint ihr, ich hätte nur einen Augenblick an die Logik eurer Entscheidung geglaubt, Bande von Schurken?! -, denn ausgerechnet unsere Ernte kam als letzte an die Reihe. Sie schienen von einer Art Rausch erfaßt zu sein. Für den Moment hatten sie vergessen, daß die Ernte miserabel war. Hätten sie dieser Erde nicht mehr als drei kümmerliche Körner entrupft, sie hätten sie tobend gen Himmel gereckt. Sie ließen sich von ihrer eigenen Erschöpfung mitreißen. Diese Manie, nur ja keine Mühe zu scheuen - im Winter pflückten die Frauen Schneeglöckchen, von denen sie kaum die Salbe für ihre Erfrierungen bezahlen konnten -, dieser Starrsinn, zu glauben, der Schweiß sei die Antwort auf alle Fragen. Hatten sie nicht das Gefühl, die Elemente bezwungen zu haben, ihnen zuvorgekommen zu sein, wenn sie sich über die aufziehenden Gewitter lustig machten? Hatten sie sich in dieser Höllenglut nicht gut gehalten, hatten sie nicht Himmel und Erde getrotzt...? Ihre Verrücktheit, ihre Blindheit, die Lächerlichkeit ihres Sieges widerten mich an. Die Euphorie, in die sie sich hineinsteigerten, brachte mich in Wut. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, auf der Stelle hätte ich das ganze Gut für einen Bissen Brot verkauft. Wir waren schon vierzehn Tage an der Arbeit, als die Sippe in unsere Ländereien einfiel. Ich war mit den Kräften am Ende, erbost, daß ich sie alle gegen mich hatte, von dem Gedanken an die gähnende Leere gequält, in die ich mich ohne jede Aussicht auf Rückkehr gestürzt hatte. Und ich mußte sie ertragen, mehr denn je. Bei Einbruch der Dunkelheit strömten die Frauen und Kinder ins Haus. Die Männer setzten sich im Hof zu Tisch und tranken Wein. Dieses Haus war Ruhe gewohnt, dieser Hof war nicht für Menschenansammlungen gedacht. Dieses ganze Chaos trieb mich um. Jetzt machten sie es sich bequem. In zwei, drei Tagen würde die Arbeit vorbei sein, die schwarze Nacht drängte sie nicht mehr heimzukehren. Sie saßen wie verwurzelt auf den Stühlen, während die Kinder im Wohnzimmer einschliefen. Sie tranken Kaffee, und meine Schwester brachte ihnen einen Schnaps, der sie geschwätziger, unflätiger, vergnügter machte denn je. Die Frauen wurden kokett, die hemmungslosesten knöpften sich seufzend ein wenig auf, murmelten ein paar Worte über die Schwüle der Nacht. Die Männer blinzelten und machten grobe Scherze, während die Alten in ihren Erinnerungen kramten und die immergleichen 43
Geschichten über unsere Eltern wiederkäuten. Sie deuteten auf die Axt in dem Holzklotz, mit der sich mein Vater drei Zehen abgetrennt hatte, und wie er dann, eine Blutspur zurücklassend, in die Stadt gegangen war, ohne irgendwem einen Ton zu sagen, oder damals, wo meiner Mutter in der Kirche die Fruchtblase geplatzt war, ja, ja, um ein Haar, mein Junge, wärst du im Haus des Herrn geboren! Ich bekam Kopfschmerzen von diesem dummen Zeug, händeringend weinte ich auf meinem Bett. Ich weiß nicht, wie ich all das ertrug. Und dieser Ruch von Sexualität, der in der Luft lag, diese Lüsternheit, die mit der Abenddämmerung aufstieg, wenn ich in den letzten Zügen lag, weil ich ihrem Juckreiz erlegen war, wenn meine armselige Welt in einem Augenblick der Schwäche, um eines Bildes willen, das mich erregte, in einen Abgrund stürzte. Als ich an jenem Morgen aufwachte, fand ich keinerlei Stärkung bei dem Gedanken, daß unsere Arbeit noch vor Sonnenuntergang ein Ende nähme. Im Gegenteil, ich fühlte mich nervös und angespannt, mein Geist schmerzte, meine Wangen brannten. Evelyne fragte mich, was los sei. Ich warf ihr einen finsteren Blick zu und begnügte mich mit einem Grinsen. Diese Ernten hatten sie fast schön gemacht, wohingegen sich meine Nase schälte, die Gliederschmerzen ließen mich schrumpeln, meine Arme und Hände glänzten wie Würste. Ich war grotesk. Daß ich anscheinend als einziger für unseren armseligen Beischlaf büßen mußte, erfüllte mich mit einem rasenden Gefühl der Ungerechtigkeit. Zuweilen kochte ich buchstäblich, so wütend war ich auf sie. Verdankte ich es nicht ihrem Starrsinn, dieser erbärmlichen Verbissenheit, mit der sie an diesen Ländereien festhielt, daß ich diese Hölle der letzten Tage hatte durchmachen müssen... ?! Sollte ich als einziger diese Qualen erleiden...?! Es war wie ein Dolchstoß, der mir den Rest gab, wenn ich sie anschaute und an die stillen Tage dachte, die wir fern von hier hätten verbringen können, und ich hätte dich umhegt, Evelyne, du glaubtest, ich sei dazu nicht fähig, aber ich hätte für alles gesorgt. Jener Tag war noch schlimmer als die andern. Mag sein, daß es nur mein eigener Wahn war, doch mir schien, als hätte der himmlische Backofen all seine Pforten geöffnet und als wirble ein glühendheißes Pulver mit einem schrillen Zischen durch die Luft. Jemand von meiner Konstitution hätte im Verlauf dieser Prüfung tausendmal vor Erschöpfung zusammenbrechen müssen, aber diesen Gefallen wollte ich ihnen nicht tun. Eine fahle Wut übermannte mich, wenn ich ihre Gesichter beobachtete. Man mochte glauben, nichts könne sie aufhalten, so als stammten sie von Galeerensklaven ab oder als sei ihr Hirn geschmolzen. Immerhin verlangsamte sich in dem Maße, wie wir uns dem Ziel näherten, der Rhythmus (was ich nur unbeteiligt zur Kenntnis nahm, denn mein Körper empfand nicht die geringste Erleichterung). Einer nach dem andern gönnten sie sich einige Minuten Pause und schlenderten gelassen, sich den Nacken abwischend, zum Saum des Feldes hin, wo wir 44
unsere in feuchte Tücher eingewickelten Flaschen und Gläser im Schatten aufbewahrten. Gegen Mittag wurde gebummelt, und die Kinder wurden losgeschickt, um einen Nachschlag an Wein zu holen, zwei Fahrradpacktaschen voll. Ich wäre sicher verendet, wenn ich bei dieser Hitze auch nur ein Glas getrunken hätte, sie jedoch, sie entsagten dem nicht, und sie waren fröhlich. Ich zog mich zum Fuße eines Baumes zurück, in der Absicht, einen Moment zu dösen - der kurze Augenblick, da ich sie vergäße, wäre wie geweihtes Brot -, als mir Evelynes schändliches Spiel auffiel. Es handelte sich um einen Rothaarigen, der auf einem Nachbarhof arbeitete, eines dieser Großmäuler, deren Namen ich nicht einmal kannte. Die Sache schien schon weit gediehen, als ich endlich Lunte roch, und das aufgrund einer leichten Berührung, in der sich selbst der letzte Trottel nicht getäuscht hätte. Ich fühlte mich sogleich wie erschlagen. Und bis zur Fortsetzung der Arbeit tat ich nichts anderes, als Beweise zu sammeln der ganze widerliche Kram, den eine Frau aufbieten kann, vom verliebten Blick bis zu dem schmachtenden Blitz, den sie unter ihrem Rock hervorscheinen läßt -, und ich blieb wie benommen, zog vor Abscheu die Beine an. Weshalb hatte ich das nicht früher bemerkt...?! Wo kam er her, dieser Ziegenbock mit dem verschlagenen Gesicht, dieser lüsterne Faun... ?! Ich stand bebend auf. Aber sie waren beide zu sehr mit ihren Schlichen beschäftigt, als daß sie sich um das Feuer gesorgt hätten, das mich versengte. Einen Großteil des Nachmittags beobachtete ich sie, schluckte die Wut, die mir den Atem nahm. Wäre ich nicht sicher gewesen, daß mich dieser Typ mit einem Faustschlag niederstrecken konnte, ich hätte mich auf sie gestürzt. Der Schweiß, der meinem ganzen Körper entwich, brannte wie Gift, und er rührte nicht mehr von meiner Anstrengung, sondern von meiner Wut her, einzig von der Raserei meiner Empfindungen. Am späten Nachmittag räumten wir ein letztes Mal das Feld. Es war nur noch ein kleines Stück zu mähen, direkt neben dem Haus, eine Stunde, meinten sie, nicht mehr. Mir erschien dieses Feld unendlich groß. Was für sie nur ein gelinder Witz war, nahm in meinen Augen gigantische Ausmaße an. Bei näherer Betrachtung war das alles wohl gar nicht so wild, und doch war ich erschüttert, den Tränen nahe, als hätte man mich so sehr gefoltert, daß ich beim Anblick einer Nadel ohnmächtig wurde. Und wir hatten uns kaum wieder an die Arbeit gemacht, als ich mich jäh aufrichtete. Wo waren die beiden?! Ich sah sie nicht mehr! Mein Denken trübte sich. Einen Moment lang glaubte ich den Verstand zu verlieren, meine Schläfen pochten wie wild. Dann erblickte ich sie neben der Scheune, in dem weichen, güldenen Licht. Der Rotfuchs kreuzigte sie mit seinen Armen gegen die Wand aus Tannenholz und beugte sich über ihren Hals. Plötzlich drehte sich mein Magen um, und ich erbrach mich vor meine Füße. Aber statt mich zu 45
schwächen, trieb mir dieses Unwohlsein das kochende Blut nur noch mehr ins Hirn. Ich richtete mich auf und ging auf die zwei zu. Auf dem Weg hob ich das nächstbeste Teil auf, einen trockenen Kirschbaumzweig von stattlichem Kaliber. Sie hörten mich nicht kommen, und wenn, hätte es vermutlich auch nicht viel geändert, denn meine Wut war so, daß er mir nicht entfliehen konnte. Evelyne hatte die Augen gen Himmel verdreht. Nicht, daß sie es miteinander trieben, aber so gut wie, der Kerl hatte die Beine ein wenig durchgebogen - er war groß, der Tölpel! - und rieb sich an ihrem Unterleib. Ich stieß ein wildes Brüllen aus und schmetterte ihm meinen Prügel mit voller Wucht gegen den Rücken. Eigentlich hätte ihn ein derartiger Hieb mindestens ins Krankenhaus bringen müssen. Aber ich war verflucht. Das wurmstichige Holz zerbrökkelte wie von Zauberhand an seinen Rippen. Eine Sekunde lang betrachtete ich fassungslos meine leeren Hände, dann versuchte ich sie um seine Kehle zu legen. Vergebliches Bemühen. Ich fühlte mich gepackt, hochgehoben, mißhandelt von den anderen, die ihm in einem Anflug guter Laune zu Hilfe eilten. Der Rotfuchs begnügte sich damit, mich lächelnd anzuschauen, während er sein Hemd abklopfte und er sich den Staub, den ich auf ihn hatte niedergehen lassen, aus seiner feuerroten Mähne schüttelte. Man freute sich über diese Ablenkung. Man blies mir nach Wein stinkenden Atem ins Gesicht. Man fragte sich, was ich in der Birne hatte. Man befand, daß ich einen leichten Sonnenstich hatte. Man wußte ein Mittel dagegen. Man transportierte mich in den Hof, gab mich dem allgemeinen Gespött preis. Eine Frau, die ich nicht zu identifizieren vermochte, schlug vor, mich zu tunken. Man amüsierte sich königlich, auf dem ganzen Weg war die Heiterkeit groß. Die Kinder liefen nebenher, manche erkühnten sich, mich an den Haaren zu ziehen. Man warf mich in die alte Jauchegrube, die ein einziges Gemisch aus fauligem Wasser und diversen Sauereien war. Man beugte sich über den Rand und schlug sich auf die Schenkel, während ich hustete und halb erstickt nach Luft schnappte. Dann half man mir hinaus. »Na los ... Nichts für ungut!« hieß es, bevor man umkehrte. Von diesem Tag an habe ich kein einziges Wort mehr gesprochen. Etwas war passiert, als sie mich in diese Grube warfen. Die Schweinerei oder der Gestank dieser Stätte mochten nicht sehr angenehm sein, doch sie waren es nicht, die mir einen Schock versetzten. Hätte man mich in eine kristallklare Quelle gestoßen, es hätte letztlich nichts geändert. Oh, ich behaupte nicht, daß ich an meinen Fehlern unschuldig war. Aber, Evelyne, vergiß die finstere Wut nicht, die mich beseelte, als sie mich in dieses Wasser warfen. Man härtet Metall, wenn man es erhitzt und dann wieder abkühlt, wußtest du das nicht? Ich ging hoch, um mich zu säubern und umzuziehen. Dann trug ich zwei große Korbflaschen Wein herbei und stellte sie auf den Tisch. Ich holte 46
Stühle, arrangierte Teller und Besteck, schnitt das Brot und machte mich daran, Glühlampen anzubringen, um den Hof zu erleuchten. Ich war kaum fertig, als die Frauen eintrafen. Evelyne warf mir einen vernichtenden Blick zu, aber ich lächelte und schlug wohlweislich die Augen nieder. Die Vorbereitungen, die ich getroffen hatte - bestimmt war niemand auf einen so hübsch gedeckten Tisch gefaßt -, meine halb betretene, halb schwachsinnige Miene und vor allem die köstliche Erleichterung, mit der Ernte fertig zu sein, und wahrscheinlich auch der Wein, den sie getrunken hatten, die besänftigte Glut der Sonne, die sich langsam dem Horizont zuneigte, die Stille, das Schweigen und der dumpfe Frieden, den die Erde wie nach einem Gefecht ausdünstete, all das gereichte mir zum Vorteil. Dann trafen die Männer ihrerseits ein. Man einigte sich darauf, die Geschichte zu vergessen und sich ein wenig zu vergnügen, denn so viele Gelegenheiten, sich zu freuen, gab es auf Erden nicht. Man forderte den Rotschopf und mich auf, uns die Hand zu reichen. Ein Wunsch, dem ich gerne nachkam, ganz Lächeln, aber stumm wie ein Grab. Und Evelyne und mich, uns drängte man mit schmeichlerischer Überzeugungskraft einander in die Arme. Wir hatten uns seit ewigen Zeiten nicht mehr umarmt. Ich erzitterte bei diesem Kontakt. Dann löste ich mich unter lautem Beifall von ihr. Man aß früh, um alsbald zum Trinken und Tanzen überzugehen. Ich holte den nötigen Wein herbei, und die Sonne ohrfeigte ihre hochroten Gesichter und ließ sie blinzeln. Ich trank nichts. Ich war ihr schweigsamer und reuiger Sklave. Ich kam, ich ging, machte den Kindern unsere Obstkonserven auf, schnitt und verteilte die Stücke des riesigen Kuchens, den wir im Supermarkt der Gegend erstanden hatten, bot ihnen meine Zigaretten an und rückte den erschöpften Tänzern einen Stuhl heran. Ich kümmerte mich sogar um die Musik, ging pfleglich mit ihren Singles um, ich legte auf, was sie wollten. Was mich nicht davon abhielt, Evelyne im Auge zu behalten. Der Rotschopf hatte meinen Händedruck offenbar für bare Münze gehalten. Ich fragte mich sogar, ob er darin womöglich eine Ermunterung oder, warum nicht, meinen warmherzigen Segen gesehen hatte. Ich schaute ihnen lächelnd zu, während sie tanzten. Ich sah mit an, wie sie sich aneinander rieben. Einmal ertappte ich sie dabei, wie sie in der Küche schnäbelten. Ich klopfte ihm auf die Schulter, und ohne von meiner neuen Jovialität abzulassen - darauf bedacht, ja keinen Blick auf meine Schwester zu werfen -, streckte ich ihm die Flasche Wein entgegen. Er zögerte einen Moment, dann hielt er mir sein Glas hin. »Du bist vielleicht 'ne Nervensäge...«, maulte er, während eine gräßlich vergnügte Fratze sein Gesicht zu erhellen begann. Ich verdrückte mich, bevor er mich noch aufforderte, ihm zuzuprosten. Die Sonne tanzte am Horizont, spie eine Flut orangen Lichts aus, das 47
einen fast vom Boden hob. Sie färbte die blauen Schürzen violett, das Geschirr funkelte wie Gold, und mein Rotschopf wanderte mit seiner rubinroten Krone auf dem Kopf durch den Hof. Ich wartete einen Augenblick, bevor ich ihm nachging. Die anderen vergnügten sich, tanzten und lachten. Strahlend, wie sie waren, fanden sie sich schön und reich. »Herr! Gib uns Wein, Freude und Sorglosigkeit...!« Ich schlich um das Haus herum, näherte mich der Scheune, deren Fassade jetzt tiefrot erzitterte und die einen riesigen Schatten auf den Hügel gegenüber warf. Wir bewahrten darin das Stroh und das Heu für unsere beiden elenden Kühe auf, und wir hofften stets, ein wenig davon zu verkaufen, aber wir hatten einen verdammten Vorrat am Hals. Ich hätte wetten können, daß das die Stelle war, die sie sich ausgesucht hatten. Ich verscheuchte eine Wolke von Insekten, die über meinem Kopf kreisten, und trat näher, um einen Blick durch die Tannenbretter zu werfen. Sie hatte ihre Röcke geschürzt, sie bot ihm ihren weißen Arsch dar. Ich wandte mich eilig ab. Drückte mich gegen die Wand, fiebernd, hechelnd. Fast hätte ich mich erneut übergeben, aber ich preßte die Arme gegen die Brust und ließ mich, tief durchatmend, zu Boden sinken. Mein Feuerzeug fiel mir aus der Tasche. Ich hob es auf. Sah es an. Ließ die Flamme auflodern. Ich hörte die Musik in der Ferne. Das obszöne Glucksen meiner Schwester. Aber nein, ich war wirklich zu feige. Und so, den Blick auf das letzte Licht der Abenddämmerung gerichtet, alles hatte ich verloren, selbst die Sprache, so blieb ich, endlich bar jeder Hoffnung.
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Krokodil Ich war siebzig, und ich lebte allein in einem großen Haus, weit genug von der Stadt entfernt. Ich schrieb nicht mehr. Ich vertrieb mir die Zeit mit Lesen oder damit, daß ich die Dinge betrachtete, oder aber Gabriel holte mich ab, und wir gingen zum Fluß hinunter, um ein paar Fische kaltzumachen, bevor die Reihe an uns war. Ich hatte keine Frau, kein Kind, und ich bereute es nicht, außerdem hatte sich die Gelegenheit nie richtig geboten. Die Einsamkeit war mir stets wie eine natürliche Bürde erschienen und letztlich nicht halb so schlimm, wie man glaubt. Ich erwartete nichts mehr vom Leben. Der Tod schreckte mich nicht. Ich hatte noch ein paar gute Bücher zur Hand und die Aussicht auf einige schöne Lachse, aber nichts, was mich wirklich zurückhielt. Der Gedanke, daß meine letzte Stunde nahte, weckte keinerlei Bitterkeit in mir. Ich hatte es nicht eilig, aber ich wünschte auch keinen Aufschub. Ich hätte nicht gewußt, was ich damit anfangen sollte. Ich hatte ein erfülltes Leben hinter mir. Ich war durch die ganze Welt gereist, und meinem Stolz taten die Ehrungen Genüge, die ich als Autor von ein paar Büchern einheimste. Sämtliche Türen hatten sich vor mir aufgetan. Dank des Zaubers der Literatur hatte ich zahlreiche und prächtige Geliebte gehabt, bei denen jeder Schauspieler, der gerade en vogue war, vor Neid erblaßt wäre, sofern sich seine Veranlagung den Frauen zuneigte. An Geld hatte es mir nie gefehlt. Dazu kam, daß mich die Natur mit einer bemerkenswerten Gesundheit bedacht hatte, mein Körper hatte mein ganzes Leben lang funktioniert wie eine fügsame und unermüdliche Maschine, und ich hatte dies weidlich ausgenutzt. Es gab nichts, das ich hier auf Erden begehrt hätte, ohne es zu erlangen. Jetzt war ich nur noch ein alter Mann. Den das Schicksal gewiß reichlich beschenkt hatte, aber nichtsdestoweniger hinterließ mir die Existenz - und diese Worte sind weiß Gott nicht von Bitterkeit diktiert - keinen bleibenden Geschmack. Das Ganze erschien mir ein wenig sinnlos. Dann passierte dieser Unfall, eines Morgens im Februar. Es hatte die Nacht hindurch geschneit, und am Morgen hatte sich dichter Nebel unmittelbar über der Erde gebildet, und man sah keine zehn Meter weit. Ich hatte einen Moment erwogen, meine Ausfahrt zu verschieben, hatte ich doch keinerlei andere Verpflichtungen, meine Nase in die Stadt zu stecken, als den kaum dringlichen Kauf von Sport et Pêche und The InFisherman, die eigens für mich bestellt wurden, aber gerade in solch jämmerlichen kleinen Ausflüchten zeigt sich das Alter - meine Haare waren bereits schlohweiß - und läßt einen nicht los. Also schlüpfte ich in meinen Mantel und machte mich ohne weiteres Zögern auf den Weg, um das Garagentor zu öffnen. 49
Der Schnee war nicht allzu ergiebig. Dafür herrschte ein leuchtender Nebel von einem ins Violett spielenden Gelb, so dicht wie Puder, einfach scheußlich. Ihn nur einzuatmen verursachte ein unangenehmes Gefühl, das ich sogleich als warnendes Vorzeichen deutete. Aber ich zuckte mit den Schultern, ein Rückzieher kam nun nicht mehr in Frage. Wenn ich jetzt kniff, hätte das fatale Folgen für den Rest des Tages. Ich parkte den Austin Healey am Straßenrand, um schnell das Tor zu schließen. Später hieß es, ein solches Fahrzeug sei nichts für einen Mann meines Alters, und einer deutete an, ein Anflug von Senilität könnte mich im Augenblick der Vorkommnisse befallen haben, aber der Schwachkopf wird sich noch lange meiner alten Hand erinnern, die seine Kehle packte. Natürlich war das Standlicht eingeschaltet, und der Wagen stand auf dem Seitenstreifen, das versteht sich von selbst. Und von wegen, ich sei nicht mehr in der Lage, einen Austin Healey zu fahren, wer möchte neben mir Platz nehmen, um sich vom Gegenteil zu überzeugen? Ah, du dauerst mich, du armes Geschöpf mit deinem kleinen Schreibtisch und deinen tristen vierzig Jahren, dein Hintern ist viel zu weich. Judith selbst gab zu, daß sie zu schnell gefahren war. Im Laufe der folgenden Monate sollte ich erkennen, daß sie sich in puncto Fahren damit begnügte, das Gaspedal ausfindig zu machen, und die Sache war gegessen. Aber dieser Morgen unterschied sich von den anderen. Sie benutzte die Bremse. Ich hörte sie nicht kommen. Selbst die Töne waren Gefangene dieser opalisierenden Mauer. Ich war gerade dabei, meine Schuhe an einem meiner Pneus abzutreten, als ihr Kombi urplötzlich, gleich einem Teufel aus der Kiste, aus dem Nebel hervorschoß und sich wütend auf uns stürzte. Ich sprang zurück. Und im gleichen Moment sah ich, wie er mit blockierenden Rädern zur anderen Straßenseite ausscherte, die Böschung schrammte, dann quer über die Fahrbahn schoß und ebenso schnell verschwand, wie er gekommen war. Für einen kurzen Augenblick kam es mir vor, als sei alles vorbei, als habe diese sinnlose und verrückte Erscheinung wieder das Reich der Finsternis aufgesucht. Aber dann folgte dieses Splittern von Glas. Dann erneut Stille. »He, hallo...! Etwas kaputt...?« rief ich sogleich. Die Hände trichterförmig vor den Lippen, starrte ich wie gebannt auf diesen Nebelvorhang, den unkontrollierte Luftströmungen träge an der Stelle durchrührten, wo der Wagen abgekommen war. Ich trat einige Schritte vor. Mit der Fußspitze vergewisserte ich mich der Spuren, die den Schnee durchpflügten. Dann hob ich den Kopf und stieß einen weiteren erstickten Appell aus: »He da...! Alles in Ordnung...?« Ich spitzte die Ohren. Um als nächstes vor mich hin zu fluchen und am Straßenrand entlang zu laufen und meinerseits vom Nebel verschlungen 50
zu werden. Mußte ich doch wohl oder übel meinem Beinahemörder zu Hilfe kommen. Ich legte knapp dreißig Meter zurück. Da war eine Eiche von der Größe eines Affenbrotbaums, oder jedenfalls fehlte nicht viel, eine Art Sehenswürdigkeit in diesem Winkel, die keiner Fliege etwas zuleide tat, da sie in idiotensicherem Abstand zur Straße stand, aber Judiths Kombi war über den Graben geflogen und hatte die Hecke durchschlagen, die sich an der Böschung entlangzog, um mit voller Wucht gegen die Eiche zu prallen und einen düsteren Sternenkranz welker Blätter auf das makellose Feld ringsum regnen zu lassen. Eine tiefe Stille ließ die Szene vollends erstarren. Einer der Scheinwerfer brannte noch, war aber aus dem Kühlergrill gerissen, sein Lichtkegel schoß direkt auf den Boden und verteilte sich wie unter einem Lampenschirm. Ich schauderte einen Moment auf dem Seitenstreifen, dann trat ich näher. Eine Frau saß am Steuer, halb bewußtlos. Die Windschutzscheibe war zerplatzt, und die Ärmste schien über und über mit einem scheußlichen Glasschmuck behängt, wie ein Kostüm, das eine alte ungeschickte Fee lieblos entworfen hat. Sie bewegte sich ein wenig. Die Fahrertür machte mir zu schaffen. Ich sah kein Blut, ein Glück. Ich wollte eine Scheibe einschlagen. Dann lief ich auf die andere Seite, und dort ging die Tür federleicht auf. Ich zog sie vorsichtig zu mir hin, ließ sie auf die mit Glas übersäte Sitzbank gleiten, einige Bröckchen purzelten aus den Falten ihres Rocks und rieselten unheilverkündend vor meine Füße, als ich sie in meine Arme hob. So hätte ich es nicht anstellen dürfen. Das wurde mir bewußt, als ich auf das Haus zulief - ja, ich lief, ich hatte Flügel! - und die junge Frau mit mir davontrug. Ich riskierte es glatt, sie zu töten. Ich mußte den Kopf verloren haben. Aber wie hätte ich sie in dieser trostlosen Szenerie zurücklassen können? Hätte ich umkehren können, um anzurufen, sie allein lassen, nachdem ich ihr schwaches Wimmern vernommen hatte? Ach, das war nur ein alter hirnloser Irrer, der da quer durch den Garten wetzte und alsbald gegen seine Tür trommelte. Martha machte mir auf, ihre ewige Zigarette zwischen den Lippen. Sie warf uns einen kurzen Blick zu, aber nein, es konnte sie nichts erschüttern. Ich stieß sie beinahe um und trug meine Last in das untere Schlafzimmer. »Das mußte ja so kommen...!« meinte Martha hinter mir. Ich durchbohrte sie mit einem vernichtenden Blick. Dann beugten wir uns gemeinsam über das Bett, auf dem meine Verkehrssünderin leise stöhnte. Erst da sah ich Judith zum erstenmal bewußt. Ein ziemlich x-beliebiges Mädchen von ungefähr fünfundzwanzig Jahren mit einer blutigen Nase und einem Bluterguß auf der Stirn. 51
»Na ja, die arme Kleine, die haben Sie aber schön zugerichtet...!« folgerte Martha mit ruhiger Stimme, nicht ohne mit ihrer freien Hand dreist ein wenig Asche wegzuschnippen, ohne sich darum zu scheren, daß sie das Haus verpestete. »Ah, hör endlich auf! Ich kann nichts dafür...!« brummte ich. Ich packte das Telefon, um Gabriel anzurufen. Er möge sofort kommen, beschwor ich ihn - »Ja, ich habe sie ins Haus gebracht... Ja, ja, ich weiß, aber es ist nun mal geschehen.« -, und auf keinen Fall vergessen, seine Klinik zu alarmieren, zumindest, daß sich die Station bereithält, das heißt, komm, ich klopfe auf Holz. Darauf kehrte ich zu der Unglücklichen zurück, die ein wahrer Schleier aus blauem Rauch endgültig hinwegzuraffen drohte. Ich warf Martha einen zornentbrannten Blick zu, aber dieses Mädchen verfügte über ein eisernes Phlegma, und Angst vor mir hatte sie für keine zwei Pfennig. Dann und wann fragte ich mich, wer von uns dem anderen zuerst eine Tracht Prügel verpassen würde, wenn sich die Gelegenheit bot. Ich war mit ihrer Arbeit nicht sonderlich zufrieden, der Haushalt langweilte sie, und ihre Kochkünste waren nicht berauschend, aber ich hätte nicht ohne sie auskommen können. Ich zerstob wütend den giftigen Brodem ihrer verdammten Gitanes und gedachte sie gerade des Zimmers zu verweisen, als unsere Verletzte schwach das Bewußtsein wiedererlangte. Sie klammerte sich an einen Schoß meines Jacketts. Ich lächelte. Ihre Lippen bewegten sich. Ich beugte mich vor. »Nanou...«, sagte sie. »Es ist alles gut. Sie sind bald wieder auf den Beinen...« »Nanou...«, murmelte sie erneut. Ich wechselte einen kurzen Blick mit Martha, diese Verletzung am Kopf ließ mich Schlimmes ahnen. »Nanou...!« setzte sie unvermutet heftig von neuem an und packte mich dabei am Revers. »Wie? Nanou...?« »Mein Kind!« »Kommen Sie, bleiben Sie ruhig liegen...« »Wo ist er... ? Ich will wissen, wo mein Sohn ist...!!« Sie stierte mich mit einer Mischung aus Furcht und ohnmächtiger Wut an. »Ach du Schande...!!« stieß ich mit dumpfer Stimme hervor, meinerseits von einem eisigen Schatten befallen. »Martha, kümmere dich um sie! Laß sie nicht aufstehen, hörst du, ich bin sofort wieder da...« Die Kehle in finsterer Furcht wie zugeschnürt, kehrte ich zu dem Ort des Unfalls zurück. Diesmal, als ich erneut den Graben überquerte und die Hecke anpeilte, erschien mir die Stille unerträglich. Jetzt war mein Schwung gebrochen. Jeder Schritt, den ich auf das 52
Wrack zu machte, kostete außergewöhnliche Mühe. Ganz zu schweigen von der mangelhaften Sicht, die über der Szene lag - man hätte meinen können, man befinde sich auf dem Grund eines fauligen Gewässers. Als allererstes wischte ich beklommenen Herzens eine Scheibe ab. Der hintere Teil des Kombis war mit Decken übersät, aber unter diesem abschreckenden Wust waren nur seltsame und völlig reglose Formen zu erkennen. Herr im Himmel, sagte ich mir, wenn wirklich ein Kind in diesem Wagen war, in welchem Zustand werde ich es auffinden... ?! Ich legte meine Hand auf den Türgriff und wartete, bis ich den nötigen Mut beisammen hätte. In diesem Augenblick hatte ich keineswegs das Empfinden, ein hartgesottenes Wesen zu sein. Meine Handflächen waren feucht und meine Kniekehlen flau, kleine Körper, bleich und verrenkt, kreisten in meinem Kopf, kleine Kerle, zarte Mädchen, beschmierte Schlingel, die ein unendlich makabrer Ringelreihen in diesen fahlen und widerwärtigen Morgen davontrug. Ich fühlte mich alles andere als wohl in meiner Haut, kein Zweifel. Trotz allem holte ich tief Luft, ich bereitete mich auf das Schlimmste vor - aber in puncto Horror kommt es meist noch schlimmer - und zog die Tür auf, die ein ausnehmend fanatisches Quietschen von sich gab. Das Leben wäre wirklich gnadenlos, dachte ich und machte ein erbittertes Gesicht, alldieweil ich eine verdächtige Ausbeulung befühlte. Aber es war nur ein Korbhenkel. Das Leben wäre von bemerkenswerter Grausamkeit - da ein Kanister und da eine Tasche -, verdiente nur einen angewiderten Seufzer, fuhr ich während meiner blinden Suche in meinem Innersten fort. Plötzlich jedoch, als die Hoffnung triumphieren wollte, schien sich der Wahn dieses armen Mädchens zu bestätigen - ja mein Gott, welch düsterer Gedanke -, und ich bekam eine Wade zu fassen. Jeglicher Irrtum ausgeschlossen. Mein ganzer Arm lud sich elektrisch auf, und ich fühlte mich sehr alt, sehr verletzlich und zutiefst lächerlich. Und dann packte mich die Wut. Mit einer wilden Bewegung, durfte ich doch nicht auf halbem Weg stehenbleiben - »Du wirst mich suchen, und ich werde nicht mehr sein« -, riß ich die Decke weg, unter der das Kind lag. Der kleine Mann hatte noch den Daumen im Mund. Aber er blinzelte und zog ihn sogleich heraus. Als er mich bemerkte, verfinsterte sich sein Gesicht, und er zerfloß in Tränen. »Deshalb widerrufe ich und bereue im Staub und in der Asche.« Außer ihrer Wunde an der Stirn hatte Judith zwei Rippen gebrochen. Ich wußte, wie schmerzhaft das sein konnte, hatte ich doch selbst einige Jahre zuvor in Gstaad - eine alte verstörte Schachtel auf Skiern am Ende eines Engpasses - die gleiche Erfahrung gemacht. Ich sah, wie sie den ganzen Tag über das Gesicht verzog und Tränen buchstäblich aus ihren Augen flossen, wenn sie von einem simplen Niesen geschüttelt wurde. Sie trug eine breite Brille mit dunklen Gläsern, aber nahezu ihr gesamtes 53
Gesicht war grün oder gelb oder violett, und ihre geschwollene Stirn leuchtete wie eine reife Aprikose. Aus ihrer Geschichte wurde ich nicht ganz schlau. Die interessierte mich auch nicht über Gebühr. Ihren konfusen und spärlichen Erklärungen hatte ich mehr oder weniger entnommen, daß sie irgendein Kerl bei der Geburt von Nanou (mit richtigem Namen Noé, knapp drei Jahre und so gut wie stumm) hatte sitzenlassen und daß sie ihren letzten nach einer lebhaften Auseinandersetzung verlassen hatte. Allerdings hatte ich nur mit halbem Ohr zugehört, und es konnte sein, daß sie mir mehr darüber erzählt hätte. Wohin sie wollte? Sie hatte keine Ahnung, und es war ihr egal, sie habe genug Geld. Habe sie nicht so oft die Adresse gewechselt, daß es ihr schwerfiele, sie alle aufzuzählen? Sie halte es nicht lange auf dem gleichen Fleck aus. Irgendwann beginne sie jeder Ort zu bedrücken. Es komme stets ein Moment, da kriege sie keine Luft mehr, schlafe sie nicht mehr, schreie sie die Wände an. »Und ich male nur noch Scheußlichkeiten...!« hatte sie mir erklärt. »Dann kann ich nur noch meine Sachen packen.« Ich fühlte mich für ihren Unfall nicht verantwortlich. Wäre ich es gewesen, hätte ich sie nicht eingeladen, einige Tage unter meinem Dach zu verbringen, so lange, bis sie wieder einigermaßen auf die Beine käme und ihr Gesicht wieder menschliche Züge annähme. Ich hätte sicher mein möglichstes getan, damit es ihr an nichts fehlte, und die Krankenhauskosten übernommen, aber ich hätte es nicht ertragen, sie leiden und bei der geringsten Bewegung zusammenzucken zu sehen, und ich hätte auch nicht mit ihr zu Tisch sitzen und dieses verschwollene Gesicht anschauen können, stets daran denkend, daß dieser fürchterliche Schlamassel mein Werk sei. Ich hätte nicht einmal sagen können, wie hübsch sie hinter dieser grünlichen Maske war. Ich bemerkte jedoch, daß sie eine verführerische, für eine Frau sehr angenehm tiefe Stimme hatte. Wahrscheinlich war das der einzige und widersinnige Grund meiner Einladung. Die Hoffnung auf ein köstliches Vergnügen, auf ein paar glückliche Momente für mein Ohr, sonst nichts. Nichts als der Ton, die Worte bedeuteten mir nichts. Das war, zugegeben, totale Alberei - senile Rückbildung? -, aber mit den Jahren, je tiefer man vordrang, erlangten die Dinge einen vollkommen anderen Wert. Für kein Vermögen der Welt hätte ich eingewilligt, mich mit Untermietern zu belasten, und seien es alte Bekannte. Einer gewissen Schwingung in der Stimme irgendeiner Unbekannten wegen war ich bereit, dies zu tun, ohne eine Sekunde nachzudenken. Es war nicht einfach nur - obwohl dieser Punkt nicht unerheblich war -, daß ich wie die meisten Altersgenossen den Sinn für die Zukunft verloren hatte. Vielleicht gehorchte ich auch den letzten Zuckungen meiner Seele und verspürte dabei eine trübe Neugier. Ich beobachtete sie alle beide, und die Belästigung, die sie verursachten, 54
wurde einigermaßen aufgewogen durch das vage Gefühl der Zerstreuung, das ich in ihrer Gesellschaft empfand. Während der ersten Tage fragte ich mich, ob ich nicht einen bedauerlichen Fehler begangen hatte, ob diese glänzende Idee nicht bald in tödlicher Langeweile untergehen würde. Judith blieb häufig in ihrem Zimmer, und Noé erging sich in einem langen, stummen Hin und Her zwischen dem Garten, wo er sich bei meinem Anblick davonstahl, und den Röcken seiner Mutter. Wenn er an mir vorbeikam, blickte er nie zu mir auf, und wenn ich ihn dummerweise ansprach, beeilte er sich ein wenig mehr und verschwand sang- und klanglos. Diese ganze Geschichte nahm sich wie ein nasser Knallfrosch aus und versetzte mich in einen Zustand amüsierter oder verworrener Verblüffung, je nachdem, wie ich gelaunt war. Eine ganze Woche verstrich in dieser trübseligen Stimmung. Der Himmel war grau, und ich hielt mich die meiste Zeit in meiner Bibliothek auf. Wir trafen uns hauptsächlich während der Mahlzeiten, und ich sah ihnen zu, wie sie an meinem Tisch Platz nahmen, und fragte mich, warum wir zusammensaßen. Es gelang mir nicht, mich für sie zu interessieren. Wenn ich mitunter Fragen stellte, dann nur um des Vergnügens willen, das mir die Stimme dieser jungen Frau verschaffte, und Aufmerksamkeit heuchelnd nickte ich, wo ich doch kein Sterbenswort verstand oder nur ein paar Fetzen von dem, was sie mir erzählte. Zu meiner großen Überraschung nahm ihr Gesicht täglich eine neue Farbe an, eine jener teuflischen Hautfarben, die sie zutiefst betrübten und verlegen machten, obwohl sie es mit einem Mann meines Alters zu tun hatte. Daß ich mich dabei - wie sonst hätte ich die Stunde totschlagen können, die wir zu Tisch verbrachten? - einem sorgfältigen, wenn auch heimlichen Studium dieser diversen Farbnuancen hingab, war mir indes nur ein schwacher Trost. Ich hatte etwas anderes erhofft, aber ich wußte nicht, was. Eines Morgens dann wurde es schön. Die Luft war zwar frisch, aber ein weiter blauer Himmel hatte sich über der ganzen Landschaft entfaltet. Martha meinte, der Frühling sei gekommen und vielleicht werde sie meine Teppiche ausklopfen oder in den Garten gehen und ein paar Blumenzwiebeln setzen. Und ich, ich könnte zum Fluß hinuntergehen, dann hätte sie freie Hand fürs Mittagessen. Es war ein strahlender Tag, im wahrsten Sinne des Wortes. Man bekam Lust, das Gras anzufassen und sich die Knospen ein wenig näher anzusehen. Sich eine Blume in den Mund zu stecken. Ein tiefer Atemzug enthüllte einem die zarten Düfte junger Mädchen, Düfte, die so fein waren, daß man die Augen schließen und reglos dastehen mußte, um sie wahrzunehmen. Martha hatte recht, der Frühling war da, und wenn auch der Winter noch nicht endgültig kapituliert hatte, seine Standarte fiel uns, in dem triumphierenden Azur erzitternd, vor die Füße. Der Fluß war angeschwollen, nervös. Die Ufer zischten, und kleine Strudel glucksten wie toll an der Oberfläche, bevor sie weggefegt und in ihre 55
Schranken verwiesen wurden. Ich spürte, wie die Erde unter meinen Füßen zitterte, ich spürte die Euphorie der Strömung, und ich war ganz vergnügt und wie gelähmt vor Rührung. Ich liebte diesen Fluß. Jedesmal, wenn ich mich ihm näherte, spürte ich, daß mein Herz höher schlug. Ich zählte es zu den schönsten Dingen in meinem Leben, mich schlicht neben ihn zu setzen, ihm zuzuschauen, ihn zu hören, bei Sonne, bei Regen, ob er ruhig war oder gereizt, klar oder schwarz wie Tinte, ich kannte seine Launen, seine Sänge, seine Zaubersprüche, er redete mit mir, richtete mich auf und stürzte mich in dunkle Seelenqualen, er tänzelte wie ein Engel oder wiegte sich wie eine gemeine Nutte hin und her, ich hatte Stunde um Stunde mit ihm verbracht, die Augen träge oder tränengerötet oder fiebrig geweitet auf sein Glitzern gerichtet, während sich der Tag neigte und ein letzter Sonnenstrahl die erstaunlichste und erhabenste Sinfonie entfesselte, die man sich vorstellen konnte, ja, gewiß, ich empfand wirkliche Liebe für ihn. Ich hatte mich ganz an den Rand gekauert, unter die entlaubten und stillen Bäume, an denen Gabriel und ich unsere Ausrüstung aufhängten und die Feldflaschen vertäuten, die wir im Wasser versenkten. Und so blieb ich, die Augen halb geschlossen, bedauerte nur, daß ich mich nicht hinlegen konnte wegen des aufgeweichten Bodens und des leichten Kribbelns, das sich in meinen Waden meldete. Ich versuchte mich dennoch wacker zu halten, mit Rücksicht auf die Sonne, die mir gütig den Nacken kraulte, was mir seit Monaten nicht mehr passiert war. Ich ließ meinen Kopf mit köstlicher Langsamkeit kreisen, und begünstigt durch diese kleine Übung erblickte ich ihn, er stand wie angewurzelt ganz nah bei mir, die Hände in den Taschen vergraben und die Brauen gerunzelt. »Na, welch glücklicher Umstand führt denn dich zu mir...?« Er schaute vor sich hin, und natürlich antwortete er nicht auf meine Frage - ich glaube nicht, daß er während dieser Woche in meiner Anwesenheit mehr als ein Dutzend Worte von sich gegeben hatte -, aber er beugte die Knie und nahm exakt die gleiche Haltung ein wie ich. Dann ahmte er die Bewegungen meines Halses nach. »Was sagst du dazu... ? Absolut göttlich, nicht wahr... ?! Und wie kommt es, daß du heute keine Angst vor mir hast...?« Denn er hatte sich stets sorgfältig von mir ferngehalten, und diesmal hätte ich nur die Hand ausstrecken müssen, um ihn am Kragen zu packen. Aber das wäre kein schlauer Zug gewesen, und so unterdrückte ich diese Anwandlung. Ich wartete nicht, bis mein ganzer Körper von Krämpfen geschüttelt wurde. Ich erhob mich und streckte mich. Er auch. Seine Haare waren blond und strohig, er hatte einen Topfschnitt und ein desto drolligeres Gebaren, als sein Gesicht stets ernst blieb. Ich schaute ihn eine Weile an. Dann sagte ich ihm, er solle nicht zu nah ans Ufer gehen. Er hatte seine Hände wieder in die Taschen gestopft und ließ mit dem Fuß ein paar Halme durch die Fluten tanzen. Ich sah mich um, ob seine Mutter in der Gegend 56
war. »Paß auf, du darfst hier nicht allein herkommen. Das ist sehr gefährlich... Hörst du...?« Er nickte zustimmend, nicht ohne ein paar weitere Schiffchen auf die Reise zu schicken. »Na schön...«, sagte ich ein wenig fassungslos ob dieses ersten Kontakts, denn irgendwie war es das erste Mal, daß er sich dazu bequemte, meine Existenz wahrzunehmen. Ich fragte mich, ob ich ihm über den Kopf streicheln sollte. »Hmm ... Ich seh schon, du bist vernünftig.« Aber kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen und ihn mit dem Lächeln eines Samariters bedacht, strauchelte der Schlingel vor meinen ungläubigen Augen und fiel schnurstracks ins Wasser. Zum Glück stand ich keine zwei Schritte weit weg, und indem ich ihn an seiner Rückenhaut packte, zog ich ihn da raus und pflanzte ihn ans Ufer. »Verdammt nochmal!« knurrte ich und ließ mich neben ihm zu Boden fallen. Er war naß von oben bis unten, und als sich unsere Blicke begegneten, verdüsterte sich sein Gesicht und legte sich in verdächtige Falten. »Weinen bringt nichts ...«, erklärte ich ihm mit ruhiger Stimme. Ich streckte die Hand nach ihm aus und hakte seine Hosenträger auf. »Du mußt nachdenken, bevor du etwas tust. Im Leben ist kein Platz für Reue.« Seine Augen waren feucht geworden, aber - und das verriet eine glückliche Veranlagung - er hielt seine Tränen tapfer zurück. Ich half ihm aus seinen Sachen, aus denen sich ein Geflecht strahlenförmiger Rinnsale auf den Boden ergoß, dabei stützte er sich auf meine Schulter. Trotz des Bades, von dem er immer noch troff, stellte ich fest, daß er nach Milchbrötchen oder vielleicht auch Mandelteilchen roch, ich hätte es nicht genau zu sagen gewußt. Dann hüllte ich ihn in mein Jackett, und wir gingen zurück. Wortlos, die Augen zusammengekniffen, die Wiese ein Streif gleißenden Lichts. Ich erklärte, das sei alles halb so wild, aber seine Mutter schimpfte ihn aus, schaute uns einen nach dem andern prüfend an, auf eine Art, daß mir schien, ihre Vorwürfe gälten auch mir, so als ob mich in dieser Angelegenheit irgendeine Schuld träfe oder als könnte man den Greis und das Kind in einen Sack stecken. Meiner undurchdringlichen Miene zum Trotz genoß ich diesen Augenblick. Dann, am gleichen Abend: Ich schickte mich an, ein Feuer im Kamin zu machen. Wieder baute er sich hinter mir auf. Es war das erste Mal seit ihrer Ankunft, daß wir die Glut vom frühen Morgen nicht wieder angefacht hatten, und der Bursche zeigte sich ganz schön neugierig. Seine Mutter war in der Küche, wahrscheinlich damit beschäftigt, das Essen aufzuwärmen, das Martha für uns zubereitet hatte. Ich faltete eine Doppelseite aus einer Zeitung vor mir und eine weitere vor ihm auseinander, und ich sah ihn an. Er wich keinen Zollbreit zurück. Ich rollte meine Seite 57
der Länge nach zusammen und knotete sie um einen unsichtbaren Hals, bevor ich sie auf dem Rost plazierte. Er wirkte sehr interessiert. Ich begann von vorn, forderte ihn auf, meinem Beispiel zu folgen. Es gab einige Probleme bei der Herstellung des Papierzylinders, aber die eigentlichen Schwierigkeiten begannen mit der Ausführung des Knotens. Wir mußten mehrere Anläufe unternehmen und uns beiderseits mit Geduld wappnen, bevor uns die Erleuchtung kam. Und als sie wie ein zuckersüßer Strahl sein Gesicht erhellte, rieb ich ein langes Streichholz an und reichte es ihm. An diesem Abend ereignete sich etwas zwischen uns. Zumindest hatte ich den Eindruck, aber eine gewisse Lebenserfahrung zwang mich, diese Beobachtung mit Vorsicht zu genießen. Ich dachte in meinem Bett darüber nach, und es schien mir nicht ausgeschlossen, daß mich dieser milde Tag irregeführt hatte. Immerhin waren beim Abendessen einige Lachanfälle ertönt, und wir hatten ein wenig herumgetrödelt, bevor wir uns auf unsere Zimmer zurückzogen. Judith und ich hatten eine gemeinsame Leidenschaft für Bram van Velde und De Kooning entdeckt, während Noé mit dem Feuer spielte - »Aber vergiß nicht, Nanou, mein Schatz, ich hab dich im Auge...!« - und kleine pyromanische Opfer brachte: einen toten Schmetterling, einen Plastikstrohhalm, ein Stück Schnur oder Brotkrumen. Das war zwar nichts Umwerfendes, aber eine vage Beziehung zeichnete sich doch allmählich ab, auch wenn es noch zu früh war, diese formlose Chrysalide zu deuten. Und so waren auch um mich herum die Meinungen geteilt: Martha, und das trotz der Mehrarbeit, die sie das kostete, war der Ansicht, ich hätte als guter Christ gehandelt und ein wenig Gesellschaft könne mir nicht schaden. Gabriel hingegen, ebenso prompt wie unfehlbar darin, einem sämtliche nur erdenklichen Katastrophen zu diagnostizieren, den Blick in meine Augen gebohrt: »Glaub mir, Alter... Du hast dich ganz schön in die Tinte geritten.« Dann war das schöne Wetter mit von der Partie, ein schöner Tag reihte sich an den anderen, und es ging gut voran. Die Knospen sprenkelten den Garten, und ich lief hinaus, um meine Hängematte zwischen zwei Kirschbäumen zu spannen. Wir aßen draußen. Die Nacht war mild und klar, durchzogen von Nachtschwalben und schwachen Düften, und eines Abends gingen wir zum Fluß. Die Ameisen drangen durch einen Riß in den Kacheln in die Küche ein. Noé fand eine tote Eidechse. Ich zeigte ihm eine lebende. Marthas Mann, ein großer athletischer Schwarzer, kam vorbei, um den Rasen zu mähen, und ich gab ihm eine meiner Angelruten (eine Shimano Beast Master aus Graphit, darauf montiert ein Bait Runner 350), nach der er seit einiger Zeit schielte, sowie eine volle Kiste Köder (Poe's aus rotem Zedernholz, handgearbeitet, die besten, die auf dem Markt sind). Judith trug leichtere Kleidung - sie lief keine Ge58
fahr, ich war halb impotent -, und ihre blauen Male verschwanden. Eigentlich war sie doch recht hübsch. Und sie richtete sich auf dem Speicher ein und fing wieder an zu malen. Und in der Nacht dachte ich an die kleinen Vorkommnisse des Tages und versuchte ihr Geheimnis zu ergründen. Als ich eines Morgens in die Stadt wollte, setzte sich Noé in meinen Wagen. Ich zögerte eine Sekunde, dann ging ich zurück, um es mit seiner Mutter zu besprechen. Deren Blick von meinem Austin Healey zu mir schweifte und für einen Moment einen Hauch von Reserve verriet. Ah, gleich zerreißt es mich! Es langt, oder ein fürchterliches, unbändiges Lachen streckt mich zu Boden! Liebes Kind, hätte ich dich nur früher gekannt...! Ah, ich hätte dir gezeigt, wessen ich fähig war, du hättest mich bewundert, denn damals war ich der schnellste Schriftsteller der Welt auf Lagonda in der Coupe des Glaciers -, und du hättest auf den Tribünen von Francorchamps oder Monza um mich gezittert. Dies verriet ich ihr natürlich mit keinem Sterbenswörtchen, aber ein leichtes Lächeln zuckte um meine Mundwinkel, und sie sagte ja, aber seien Sie vorsichtig. Ich kehrte zu meinem Wagen zurück, unterdrückte einen Schluckauf dumpfer Wut. Noé lachte. Wir hatten die Haare im Wind. Ich warf ihm ein paar rasche Blicke zu, während eine Baumreihe die Sonne zerhackte und mein Gesichtsfeld stroboskopierte. »Im Grunde«, sagte ich zu ihm, »ist's mir recht, wenn du nicht redest.« Ich wußte nicht, ob er mir zuhörte, aber das hatte eigentlich keine Bedeutung. Meine Worte flogen davon, Landschaftsfetzen überlagerten sich unterschiedslos. »Und ich finde dich sehr gut, so wie du bist. Weißt du, die meisten Leute sagen nicht, was sie denken, wozu dann also...?« Kaum in der Stadt angekommen, reichte er mir die Hand. Ich konnte mich nicht erinnern, daß im Laufe meines Lebens je ein Kind mehr oder weniger nah mit mir in Berührung gekommen war. Ich hatte keine sonderlich ausgeprägte Meinung über sie, außer daß sie einen Zeit kosteten, und schon damit war das Problem für mich erledigt. Als ich noch jünger war, hatte ich einige Freunde gehabt, die das Vatersein vor meinen Augen begraben hatte, und ich war es leid gewesen, mich mit ihnen zu unterhalten, wenn sie ständig beunruhigt nach ihrem Nachwuchs linsten, ich war es leid gewesen, mitzuerleben, wie sie zur Polizeistunde abzogen, und das mitten in einem Projekt, das die Welt hätte verändern können, wie sie am hellichten Nachmittag in ihrem Wohnzimmer flüsterten, weil der kleine Engel eingeschlummert war, und sich nicht einmal ein Glas gönnten, und, großer Gott!, hatte es nicht welche gegeben, die einem ihr schreiendes Kind auf den Schoß pappten, um schnell irgendwelche Windeln aus der Tiefe dieser fürchterlichen Säcke hervorzuholen, in denen Proviant und Wartungsutensilien der Truppe wild durcheinander lagen, welche, die sich entschuldigten, daß sie die Blätter auf meinem 59
Schreibtisch durcheinanderbrachten, daß sie das genau da machten, an eben der Stelle, wo ich meine Bücher schrieb... ?! Wir hatten uns aus den Augen verloren. Ich reiste, ich berauschte mich, ich fuhr Rennwagen, ich stieg in den besten Hotels ab, verkehrte an den Orten, die in Mode waren, ich hielt Lesungen vor Professoren und verzauberte ihre Frauen, und in meinem Leben blieb nicht der geringste Platz für etwas anderes. Es stand ihnen frei, Kinder großzuziehen, wenn ihnen danach war, aber welch wunderliche Vorstellung, welch unergründliches und folglich absurdes Verlangen war das für mich. Aber an diesem Tag, als ich mit Noé vor einem Schaufenster verweilte - irgend etwas hatte ihn anscheinend interessiert - und wie benommen Hand in Hand mit ihm da stand, sah ich nur mein Spiegelbild, meinen Abglanz, unsicher und aschfahl, und ich dachte an diese verschollenen Freunde und ich wollte ihnen sagen, wenn ihnen je diese Art Leben, das ich geführt hatte, im Nachhinein schöner und beneidenswert erschienen war, nun denn, letzten Endes hatten sie nichts verpaßt, fürwahr. Und ich fühlte mich traurig und hilflos. Bis er mich am Ärmel rüttelte. Als ich, wieder zurück, auf einem Liegestuhl im Garten lag und meinen alten Körper dem goldenen Licht darbot, das der Horizont verschleuderte, und mich in einen Artikel von Gary Roach vertiefte - Gabriel und ich hatten einige Jahre zuvor in Cedar Rapids, Iowa, an einer Reihe seiner Fishing Pro-Mo's Seminars teilgenommen -, trat sie auf mich zu und sagte: »Könnten Sie mir Ihren Wagen leihen?« Ich hatte den Eindruck, sie habe mir einen Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht geklatscht. Mir blieb fast die Luft weg. »Ich muß Farbe kaufen...«, fuhr sie mit solch treuherziger Stimme fort, als handelte es sich bloß um ein Fahrrad - und sei es ein Rennrad. »Ich fahre schon«, sagte ich blinzelnd. »Aber nein, nicht doch... Steckt der Schlüssel...?« Ein glühendes Eisen fuhr durch mein Hirn, und ihrem Gesichtsausdruck konnte ich entnehmen, daß mein Blick zweifelsohne einen seltsamen Glanz bekommen hatte. »Was soll das heißen, der Schlüssel steckt... ? Was denkst du dir eigentlich...?! Glaubst du, du hast es mit einem x-beliebigen Schrotthaufen zu tun...?!« »Na schön. Ich werde ganz besonders aufpassen...«, seufzte sie mit einem leichten Schulterzucken. Ich zappelte auf meinem Liegestuhl, der zusammenzukrachen drohte und wie ein tollwütiges Tier knarrte. »Du wirst nicht aufpassen müssen. Niemand anders als ich rührt diesen Wagen an. Weder du noch der Teufel.« »Im Ernst...?« »Hör gut zu ...«, sagte ich und wischte mir verstohlen den Tau ab, mit dem eine allzu heftige Erregung mein Gesicht verziert hatte. »Ich hab 60
das Gefühl, du bist nicht ganz im Bilde... Hmm ... Laß dir einfach gesagt sein, daß ich dir diesen Wagen nicht leihen kann, verstehst du...?! Verdammt nochmal, das ist ein Austin Healey, Baujahr 1955, ein sehr seltenes Modell, es gibt nur noch ein paar Exemplare auf der ganzen Welt, ich würde sterben, wenn ihm etwas passierte, begreifst du das ...?« Ich nahm sie mit, ihre Farben holen. Mochte sie denken, was sie wollte. Auf dem Rückweg hielt ich bei meiner Werkstatt an, und es fand sich ein Wagen für sie, irgendein Fiat, was weiß ich, und alle Beteiligten waren froh und ich noch mehr als die anderen. Ihr Interesse an Automobilen, hatte sie mir mit verächtlicher Stimme erklärt, beschränke sich schlicht darauf, daß das dumme Ding fahre. Na schön, das Ding fuhr, und es hatte als Zugabe ein automatisches Getriebe, und die Rücksitze ließen sich anmutig umklappen, und der Motor säuselte wie ein Heißlufttrockner. Ein nachträglicher Schauder stieg mir einige Tage darauf die Wirbelsäule empor, als ich um ihren Wagen schlenderte - sie war gerade zurückgekommen, mit Töpfen und Kanistern beladen, und hatte die Tür mit einem Tritt ins Schloß befördert - als ich entdeckte, daß ihr rechter Kotflügel gräßlich zermalmt, mit nicht alltäglicher Wildheit zerfetzt war. »He, was ist das denn...?« rief ich ihr nach, während sie durch die Küchentür verschwand. »Nichts!« antwortete sie mir. Um nichts auszulassen: Eines Tages, als wir einander frotzelten, gab sie keine Ruhe, bis ich neben ihr eingestiegen war, und nahm mich mit über die Nebenstraßen, um mir zu beweisen, daß sie fahren konnte. Ich kehrte zu Fuß zurück. »Seit wann nimmt man zum Angeln ein Balg mit... ?! Seit wann, kannst du mir das mal sagen. ..?!« Ich gab keine Antwort. Nicht einmal Gary Roach hätte darauf etwas zu erwidern gewußt. Es gab gewisse Regeln, gegen die man nicht verstoßen durfte. Und ich wußte ganz genau, daß die Sache übel ausgehen würde. Seit zwei Stunden waren wir da, und wir hatten noch nichts gefangen, man mochte meinen, wir seien verwünscht. Ich wollte nicht zugeben, das Noés Anwesenheit der einzige Fluch war, der auf uns lastete. »Wirf noch einen einzigen Stein ins Wasser, Kleiner, und ich bind dich an den obersten Ast dieses Baumes da...!« Gabriel tobte. Die Sonne hatte ihm zugesetzt. Mittlerweile tunkten ihn die kupferfarbenen Lichtreflexe in ein tiefes Rot, und das Wasser, das zwischen seinen Beinen schäumte, wirkte wie der Ausfluß seiner Wut. Er nahm seine Mütze ab, die mit der Abkürzung FOCAS (Fellowship of Christian Anglers Society, dabei war er Jude) geschmückt war, und schraubte sie sich wütend wieder auf den Schädel. Er war mein einziger Freund, der einzige Überlebende der ganzen Bande - seine Frau war unfruchtbar 61
- und wahrscheinlich der beste Angler im ganzen Land. Er war noch nie mit leeren Händen zurückgekehrt. Noé wiederum langweilte sich gewaltig. Ich verstand sie alle beide, ich befand mich in einer heiklen Lage. Ich wußte nicht, was in mich gefahren war, wo ich doch der erste war, der unter umgekehrten Vorzeichen platzte - hatte ich nicht glattweg und mit entrüsteter Blässe jedweden Versuch von ihm, seine Frau mitzunehmen, zurückgewiesen: »Hör mal, Gabriel, werfen wir doch nicht alles durcheinander, bitte ...«-, der erste, der bei der geringsten Mißachtung unseres Gelübdes der Ruhe und des Schweigens laut aufgeschrien hatte. Es gelang mir nicht, mich auch nur ein paar Minuten nacheinander auf das zu konzentrieren, was ich tat, ich hatte nicht einmal Lust dazu. »Gabriel, komm... Es tut mir leid...«, stieß ich wirr hervor. »Ach ja... ? Und was tut dir leid...?!« knurrte er und nahm mich mit flammendem Augenstern aufs Korn. »Gute Frage!« antwortete ich. Wir starrten uns an wie zwei vom Kampf erschöpfte Stiere, als stromaufwärts ein leises, kristallklares »Plitsch!« ertönte. »Ah, Scheiße...!!« brüllte Gabriel. Er riß seine Mütze herunter und schmetterte sie in das dunkle Gold der untergehenden Sonne. Ich packte meine Sachen zusammen und kletterte ans Ufer, während er die Fluten malträtierte und mit seinen dumpfen Verwünschungen fortfuhr. »Wir sehen uns später, Gabriel...«, rief ich ihm zu, machte einen Buckel und schob Noé vor mir her. Noch auf halber Höhe des Hügels konnten wir in der Ferne den alten Nörgler hören. Ich erzählte Noé gerade einige von Gabriels denkwürdigsten Erfolgen zum Beispiel dieser Hecht von einsfünfundsechzig Länge und zweiundzwanzig Kilo, den er am Ende eines Winters nach hartem Kampf durch das ein Meter fünfzig dicke Eis des Grand Lac des Esclaves gezogen hatte -, als das Haus in Sicht kam. Aber mitten in meinem Schwatzen hielt ich inne, hatte ich doch einen Wagen erblickt, der vor der Einfahrt stand, und Judith, die mit einer anderen Person redete, die ich auf die Entfernung nicht einwandfrei identifizieren konnte. Noé drängte mich fortzufahren, denn ich hatte Gabriel in den Fängen des Monsters gelassen und der Ausgang war verdammt ungewiß. Ich nahm also meine Geschichte wieder auf, nur mein Enthusiasmus war ein wenig abgeflaut, und ich suchte nach Worten, während ich den Schritt beschleunigte. Als wir näher kamen - Noé, der ebenso an meinen Lippen wie an meinem Ärmel hing, schien diese Anwesenheit, die einen zumindest stutzig machte, nicht bemerkt zu haben -, erkannte ich einen Typen von gut dreißig Jahren, den ich noch nie gesehen hatte, und ich glühte auch nicht vor Verlangen, ihn kennenzulernen. Ihre Unterhaltung wirkte angeregt. Dann stieg der Unbekannte mit einemmal in seinen Wagen und schoß davon. 62
»... und dann schaffte er es, ihn aus dem Wasser zu ziehen, und sie kämpften am Ufer weiter, und niemand wagte näherzutreten, und es wurde dunkel, und der schwarze Schatten der Tannen ähnelte einem Krokodilskiefer...« »Wer war das?« fragte ich Judith, die überrascht zusammenzuckte, als wir hinter ihr auftauchten. Sie setzte eine verärgerte Miene auf, konnte jedoch ihre Verwirrung nicht verbergen. Sie schickte Noé, er solle ihr einen Mann suchen, Pardon, einen KAMM. »Das ist Joël. Der, mit dem ich zusammengelebt habe...« »Gibt es ein Problem?« »Es gibt immer Probleme mit Männern.« »Und mit dem besonders ...?« Sie lächelte, faßte mich am Arm, und wir schlenderten geruhsam auf das Haus zu, während sie mit ihrer so hübschen Stimme kleine Weisheiten über die anstrengende und unerforschliche Kompliziertheit des Lebens murmelte. Später, nach dem Essen, gesellte sie sich zu mir ins Wohnzimmer. Sie hatte Noé gerade ins Bett gebracht und erkundigte sich sogleich, mit welch gräßlichen Geschichten ich ihn unterhalten hätte, denn er habe nicht gewollt, daß sie das Licht ausmache, und darauf bestanden, daß sie ein reizendes Bild von mir von der Wand nehme, ein rund zehn Jahre altes Bild, das Gabriel anläßlich meines schönsten Fangs gemacht hatte und auf dem ich wie verklärt lächelte, das Tier der Länge nach auf meinen Armen. Darunter hatte er mit der Hand geschrieben: World-traveled angler with a 28 ½ pound Alaskan pike - Unalakleet River Lodge -May, 1978 - Wer bietet mehr? »Meine Güte, wie schaffen Sie das, ein Kind mit irgendwelchen Anglergeschichten so zu erschrecken... ?« Bei diesen Worten schüttelte sie den Kopf und betrachtete mich mit ebenso amüsiertem wie ungläubigem Blick. Ich kannte die Leier. In diesem Land - und das war eine Auffassung, welche die allermeisten teilten - galt die Kunst des Fischfangs häufig als jämmerlicher Zeitvertreib, bei dem man nur einige zumeist halb ohnmächtig auf einem Klappstuhl hockende Schlappschwänze vor sich sah, die dann und wann durch einen glorreichen Weißfisch oder sonst etwas kaum zwanzig Zentimeter Langes aus ihrer armseligen Benommenheit gerissen wurden. Ich verzichtete darauf, sie eines Besseren zu belehren, denn die Nacht hätte nicht gereicht, und ich wünschte ohnehin das Gespräch auf festen Boden zu lenken. Daß Herr Joël aus heiterem Himmel auftauchte, schien mir nichts Gutes zu verheißen. Mir fiel ein alter Spruch ein: Wer seinen Feind kennt, überwindet ihn mühelos. Ich mußte also mehr über ihn in Erfahrung bringen, weshalb ich die Zeit, die sie mit Noé zusammen war, dazu ausgenutzt hatte, um eine bestimmte Beleuchtung zu arrangieren, die ich als 63
günstig für Vertraulichkeiten erachtete, und um den Kamin anzufachen. Ich erklärte ihr, daß dies kein Abend wie jeder andere für mich sei und daß ich unendlich dankbar wäre, wenn sie eine Schale Champagner mit mir leerte. Als perfekter Flunkerer erklärte ich ihr, daß ich seit fünfzig Jahren Tag für Tag in die einzige Frau verliebt sei, die in meinem Leben gezählt habe, indes die Tuberkulose, leider, usw... Und so, indem ich sie in meine letzten Mißerfolge einweihte - »Judith, ich befürchte gar, dieser entsetzliche Punkt eint uns ...« - und meinen Altherrencharme einsetzte welch plumper Trick! -, gelangte ich auf schändliche Weise zum Ziel. Ich erfuhr, daß sie ein paar Jahre zusammengelebt hatten und daß der Knabe Architekt war. Daß sie den Eindruck hatte, sie hätten sich vor verdammt langer Zeit geliebt. Daß sie sich getrennt hatten. Sie wisse nicht recht. Banal und jämmerlich, ob ich nicht auch ihrer Meinung sei? Ich nickte, strich als alter Kenner unseres menschlichen Scheiterns über meinen sprießenden Bart. »Und jetzt taucht er einfach so wieder auf! Ich weiß nicht einmal, wie er mich ausfindig gemacht hat...« (ausgerechnet mich fragst du das?!) »Er möchte, daß ich es mir überlege...« Ich warf ihr einen prüfenden Blick zu und füllte andächtig ihre Schale, während sie schweigend ihr Herz erforschte. »Ich glaube, das wäre dumm von mir...«, seufzte sie. »Wir sind beide zu egoistisch, wir würden keine zwei Monate durchhalten.« Ich spürte, daß mich eine kalte Wut packte, die ich, nebenbei bemerkt, bestens unter Kontrolle hatte. Ich kauerte mich neben sie in den hilfreichen Schatten abseits des Feuers, aus Furcht, ein teuflisches Licht könne meine Seele an den Tag fördern. Ich fühlte mit ihr. »Meine arme Judith..., nur du allein kannst darüber entscheiden. Weißt du, meine Ratschläge würden nicht viel nützen... Aber sei vorsichtig. Und bedenke trotz allem eines: >Und wenn es das ganze Jahr regnete, würde das Wasser des Meeres davon süß ...?