Königin von Salein Roman von Reiner Vial
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Königin von Salein Roman von Reiner Vial
Königin von Salein © 2002 – Reiner Vial, Nachrodt-Wiblingwerde – Alle Rechte bleiben vorbehalten WICHTIG! Ich stelle diesen Roman auf meiner Homepage http://www.reiner-vial.de zum kostenlosen Download zur Verfügung. Dieser darf, ausschließlich unverändert und ungekürzt, auf Datenträger oder als Ausdruck beziehungsweise Kopie, grundsätzlich nur kostenlos, weitergegeben werden. Jede kommerzielle Verwendung und Wiedergabe in Publikationen aller Art, auf privaten wie gewerblichen Homepages und in elektronischen Medien ist nur nach meiner vorhergehenden Zustimmung und eventueller Honorarvereinbarung erlaubt. Dieses gilt sowohl für die vollständige wie auszugsweise Wiedergabe. Grundsätzlich muss immer auf meine Urheberschaft und meine Rechte hingewiesen werden! Bei jeder Verwendung oder Wiedergabe entgegen vorstehender Bedingungen, bei Verfälschung oder nur Veränderung der Texte sowie bei jeder Art des Diebstahls meines geistigen Eigentums, ganz oder teilweise, behalte ich mir sowohl straf- wie zivilrechtliche Schritte vor!
Zum Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis Hinweis: Die unterstrichenen Kapitelbezeichnungen (z.B. Kapitel 1 ) sind Hyperlinks. Wenn Sie hier klicken, gelangen Sie direkt auf die Seite, auf der das gewünschte Kapitel beginnt. Königin von Salein.......................................................... Vorwort Wenn die Königin nicht wiederkommt............................. Kapitel 1 Warum nur, warum?....................................................... Kapitel 2 Spritztour nach Berlin..................................................... Kapitel 3 Das Bombengeschäft für Schnucki.................................. Kapitel 4 Die Königin auf dem Scheiterhaufen............................... Kapitel 5 Nächtliche Spaziergänge des Gemeindedirektors.............. Kapitel 6 Ein Jahr im Fegefeuer....................................................... Kapitel 7 Vergewaltigung um Vergewaltigung.................................. Kapitel 8 Ach, so ist das................................................................... Kapitel 9 Familienehre, gibt es die..................................................... Kapitel 10 Wenn der Tod zur Befreiung kommt.................................. Kapitel 11 Was Gott hartnäckig zusammenfügt................................... Kapitel 12 Opfer an der Täterseite sieht man nicht............................... Kapitel 13 Bitte, bitte, nicht noch mal.................................................. Kapitel 14 Sabrina werde doch vernünftig........................................... Kapitel 15 Wenn andere ausgelassen feiern......................................... Kapitel 16 Eine leise Familiengründung............................................... Kapitel 17 Neue dunkle Wolken über Salein........................................ Kapitel 18 Walter Salein unter bösen Verdacht.................................... Kapitel 19 Aschermittwoch ist tatsächlich alles vorbei......................... Kapitel 20 Das Geständnis der Sabrina Rossbach................................. Kapitel 21 Die klammheimliche Hochzeit............................................ Kapitel 22 Salein hat wieder eine Königin............................................ Kapitel 23 Im Rausch des Alkohols und der Geschwindigkeit............ Kapitel 24 Wenn der Geist den Körper verlassen will.......................... Kapitel 25 Alleinlassen ist keine Lösung.............................................. Kapitel 26 Man bekommt alles zurück................................................. Kapitel 27 Niemand ist unentbehrlich................................................... Kapitel 28 Der Tag an dem Lukas kam................................................ Kapitel 29 Frau Lehrerin, nackt sind sie wunderschön.......................... Kapitel 30 Eine ganz freie Königin, die begeistert................................ Kapitel 31 Wenn die Brauteltern das Haus verlassen............................ Kapitel 32 Königin, nein danke........................................................... Kapitel 33 Der 55. Geburtstag wird zum historischen Datum............... Kapitel 34 Wie Dieter Rossbach Schriftsteller wurde.......................... Kapitel 35 Zum Vorwort
Zum Inhaltsverzeichnis
Vorwort Die Gesellschaft für die deutsche Sprache wählte den Begriff „Der 11. September“ zum Wort des Jahres 2001. Ich könnte sagen, dass dieser Begriff wohl das Wort meines Lebens sei, denn an diesem Tag, allerdings im ersten vollständigen Nachkriegsjahr 1946, erblickte ich in Letmathe/Sauerland, seit 1975 ein Stadtteil von Iserlohn, das Licht dieser Welt. Jetzt könnte ich dieses ja zum Anlass nehmen eine von vielen Niederschriften, wie man diesen Tag 2001 erlebte, anzufertigen. Aber was soll ich, wenn ich ehrlich bin, da Großes berichten. Der Vormittag und frühe Nachmittag war ein Alltag wie jeder andere. Geburtstage haben in meiner Familie noch nie einen gesonderten Stellenwert gehabt und so war es auch an dem zum Begriff gewordenen Tag. Lediglich am Spätnachmittag wollte ich mit meiner Frau anlässlich der persönlichen Tagesbedeutung nach Altena in ein chinesisches Restaurant ... Was heißt hier wir wollten? Wir haben es so gemacht wie wir es uns vorgenommen hatten, Anschlag auf das World Trade Center in New York hin und dem Pentagon in Washington her. Zum Zeitpunkt des eigentlichen Ereignisses saß ich, wie es bei mir nicht unüblich ist, an meinem PC und schrieb an einem Roman; genau gesagt an dem Buch „Der dritte Aussteiger“. Ich habe die Angewohnheit bei solchen Gelegenheit so nebenbei das Radio laufen zu lassen. Natürlich nehme ich da ein Wenig Hintergrundberieselung in Anspruch aber wichtiger sind mir bei den Magazinprogrammen die Informationen zwischen den einzelnen Musikstücken sowie die Nachrichten zur vollen Stunde. Na ja, vielleicht bin ich ein altmodischer Mensch aber ich bevorzuge gegenüber Fernsehen und Internet immer noch die Tageszeitung und das Dampfradio als Hauptinformationsmedien. Da kommen dann auch mal Informationen, zu denen es keine bewegten Bilder gibt rüber und die Ausführlichkeit und Gründlichkeit von Zeitungen sind in Zeiten, wo die Menschen sich maximal 90 bis 150 Sekunden auf etwas konzentrieren können, ohnehin von anderen Medien nicht zu überbieten. Allerdings ein Nachteil hatten Zeitungen an diesem Tag – sorry, nächsten Tag – schon, denn sie konnten nicht die Tragikomik, die einige Promis lieferten, rüberbringen. Ich meine diejenigen, die an diesem Tag und in der Folgenacht gleich von Kamera zu Kamera, von Mikrofon zu Mikrofon liefen um sehr beredet zu bekunden, wie sprachlos sie seien. Die sprachlosen Vielredner brachten auch kontinuierlich die Phrase, dass nichts mehr so sein würde, wie es war. Aber derweil drehte sich die Erde weiter. Nach kurzer voyeuristischer Pause gingen dann auch alle Menschen wieder den Dingen nach, die sie immer machten. Das Leben ging weiter und es war natürlich, wie es mir bereits an meinem 55. Geburtstag klar war, wieder alles so wie es immer war – nichts war anders. Für mich änderte sich am vorgesehenen Tagesablauf nur ein kleines Detail: Ich stellte meine Arbeit am dritten Aussteiger etwa ein Stündchen früher wie vorgesehen ein und wechselte vom Radio, wo ich von dem Ereignis erfahren hatte, zur Befriedigung meines eigenen Voyeurismus auf das Fernsehen über. Wie das Flugzeug in den zweiten Tower flog und wie dann die Türme einstürzten konnte ich also live miterleben. Na ja, „erleben ist ja nicht ganz richtig, ich konnte es nur zeitgleich in der „bunten Kiste“ sehen. So etwas hatte ich persönlich nur einmal zuvor so erlebt: Am 9. November 1989 als das Deutschland verändernde Leben an der Berliner Mauer aufkam. 1989 habe ich mich richtig mitgefreut und 2001 war ich doch entsetzt von der Grausamkeit zu den Menschen fähig sind. Aber die indonesische Reistafel, die ich mir mit meiner Frau gegen 18 Uhr „leistete“, hat trotz allem geschmeckt. Au, au, jetzt habe ich mit meinem Einstieg, der so provokatorisch gemeint ist wie er sich ließt, einigen die Zornesader auf der Stirn anschwellen lassen. Dieses werden mir jetzt ganz empört sagen: „Kennst du denn kein Mitgefühl?“. Gelassen, gelassen, ich empfinde immer wenn Menschen getroffen werden Mitgefühl, auch damals in den 60er-Jahren mit den Opfern in Vietnam, gleichgültig ob es sich Zivilbevölkerung, Vietkong oder amerikanischer Soldat handelte. Mitgefühl habe ich empfunden mit den Opfern am Kongo, in Äthiopien, Libanon, Iran, Irak, Tschetschenien, Kroatien, Bosnien oder dem Kosovo. Ich habe Mitgefühl mit den Opfern von Freiheitskämpfern und Terroristen; der Unterschied liegt ja nur im jeweiligen Standpunkt. Ich habe Mitgefühl mit den schuldigen wie unschuldigen Opfern von blindwütiger Folter und Todesstrafe – auch in Texas als dort George W. Bush Gouverneur war. Ich unterscheide bei Opfern nicht nach gut und böse. Jeder Mensch ist einmalig, jedes Leben ist wertvoll. Bei mir kommen die Guten nicht ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen. Ich trauere um jedes Menschenleben was gewaltsam ausgelöscht wurde. Ich finde es schrecklich und pervers wenn man in Bezug auf umgekommene Menschen von Kolalateralschäden spricht oder wenn man sagt, sie seien im „Friendly Fire“ gefallen. Eines wollte ich mit meiner, nach Sarkasmus klingenden Einleitung auch nicht: Ich will keine Lanze für die Täter brechen. Es gibt keinen Grund für die Anwendung von Gewalt gegenüber Mensch und noch nicht einmal gegenüber Tieren. Die einzigste Ausnahme bei der ich der Gewalt im Grunde nur schlecht oder nicht absprechen kann ist die Verteidigung von Leib und Leben anderer Menschen und natürlich auch der eigenen Person. Verteidigung heißt bei mir aber sofort und unmittelbar mit verhältnismäßigen Mitteln. Wenn man unter Verteidigung gegen den Terrorismus erst mal militärische Aufrüstung – ob wohl von anderer Seite kein Land besetzt werden kann – und dann Flächebombardement versteht muss ich von meinem Gewissen her „Nein“ sagen. Das ist Vergeltung, dass ist ungerechtfertigte Gewaltanwendung, unter der auch die unschuldige und ohnehin schon geknechtete Zivilbevölkerung zu leiden hat. Gegen Terroristen geht man mit Polizei und Geheimdiensten vor und nicht mit Bomben. Der augenscheinliche Erfolg rechtfertigt nicht die Mittel, insbesondere dann nicht, wenn dieser nur grob oberflächlich
gesehen zu einer, bestimmt nicht dauerhaften, Friedenslösung führt. Nur wenn wir nach Gerechtigkeit suchen und fragen, wenn wir uns an den Abbau von Ungerechtigkeit kümmern, gibt es eine Lösung. Au weia, das war ja wieder etwas womit man sich nach dem 11. September 2001 den Unmut der heulenden Masse zuziehen konnte. Wie konnte man es wagen daran zu denken, dass die Globalisierung in Folge der Konzentration der Kapitalströme auf immer weniger Leute in immer weniger Staaten die Not, insbesondere in vielen sogenannten Drittländern, verursacht und verschlimmert. Not ist der Auslöser für Hass und religiösen Fanatismus und da können dann die Rattenfänger wie Osama Bin Laden ihre Leute, die sie als teuflische Werkzeuge ihrer psychomanischen Macht- und Geltungsgier missbrauchen, rekrutieren. Vielleicht sollte man auch mal daran denken, das auch Täter Opfer sind und umgekehrt. Sicherlich kann man solche Verbrechen wie die von New York nicht einfach hinnehmen. Dieses schon allein aus dem Grunde nicht, dass sich nicht andere zur Nachahmung oder Schlimmeren eingeladen fühlen. Aber Vergeltungsschläge und die deutsche Beteiligung daran die durften damals laut gefordert werden. So konnte man sich zu den Werten unserer westlichen Welt bekennen obwohl dass, was nicht nur wenige darunter verstehen, mir doch ein Wenig dubios erscheint. Na ja, zum Zwecke der völkerrechtlichen Legitimation von Krieg musste man im offiziellen Sprachgebrauch das Wort Vergeltung durch Verteidigung ersetzen, aber meine Logik lässt mich im Falle Afghanistan Vergeltung aber nicht Verteidigung nachvollziehbar erscheinen. Aber nicht über solche Dinge habe ich im Anschluss an die Ereignisse vom 11. September 2001 nachgedacht. Immer wieder musste ich an die Opfer denken. Dabei dachte ich sogar am Meisten an die Opfer, die nicht unmittelbar betroffen waren, also an die Angehörigen der Leute die in den Flugzeugen saßen, die sich im World Trade Center oder im Pentagon befanden, den Angehörigen der Feuerwehrleute die bei ihrem Einsatz ums Leben kamen. Sicher kann ich es nachvollziehen, dass sich in deren Innerem neben Trauer und Leid auch Hass und Rachegelüste breit machten. Und Letztes ist das Schlimmste für diese Opfer. Wenn diese sich nicht von ihren dunklen Gefühlen wieder befreien können werden diese die Betreffenden letztendlich auffressen. Hass und Rache sind, so verständlich wie das Entstehen dieser Gefühle auch ist, vernichtend und zerstörend. Wenn wir im Vater unser „und vergib uns unsere Schuld wie wir vergeben unseren Schuldigern“ beten dient dieses in erster Linie uns selbst; dann schleudern wir die böse Rachekrake, die uns zu vernichten droht, aus uns heraus. Ich habe viel über das Wort Genugtuung nachgedacht. Bringt es den Opfern eigentlich viel, wenn die Täter hart bestraft werden? Also bitte nicht falsch verstehen, es geht mir nicht um Strafe und Gerechtigkeit als solche sondern nur um das, was in den Opfern vorgeht. Da denke ich an Nebenkläger, deren Hass auf den Täter sich auf Richter und Justiz ausweitet, nur weil dieser nicht hart genug bestraft worden ist. Oft habe ich den Eindruck, dass es für nebenklagende Opfer nur ein als gerecht erachtetes Strafmaß gibt: Lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Oft sind Verbrechensopfer über Jahrzehnte bis zu ihrem Lebensende nicht mehr glücklich und „richtig“ lebensfähig. Nur diejenigen, die sich von dem schlimmen Geschehen, welches sie getroffen hat, lösen können und wieder den Blick nach Vorne richten können ist ein weiteres „normales“ Leben gewiss. Ich kann jetzt nicht sagen, ob dieses Loslösen vom Geschehen was mit Vergebung und Verzeihung zutun hat. Ich glaube nein, denn dazu gehört doch mehr und verlangt doch eine übermenschliche Kraft. Aber Loslösen muss man sich, sonst kommt man selbst nicht mehr auf die Beine. So, jetzt bin ich über ein paar verzweigte Umwege auf das gekommen, von dem dieser Roman „Königin von Salein“ handelt. Dieser Roman handelt von unmittelbaren Opfern sowohl auf Täter wie Opferseite. Es geht um Verzeihen, Verarbeiten und Verdrängen. Wie geht das Leben von Opfern weiter. Diese Angelegenheit hänge ich jetzt nicht, wie man aus dem Vorwort bisher entnehmen könnte, an so großen und spektakulären Ereignissen wie dem Anschlag auf das World Trade Center auf sondern an mehr oder weniger „alltäglichen“ Ereignissen. Aber belassen wir es jetzt mal dabei, denn ich möchte ja nicht die Geschichte im Vorwort vorwegnehmen. Ein bisschen Spannung muss sein ... auch bei ernsteren Dingen. Nur noch eins vorweg: Diese vollkommen freierfundene Geschichte – jede Ähnlichkeit mit tatsächlichem Geschehen wäre wirklich mehr als Zufall – handelt in der Zeit vom 11. September 1996 bis eben zu DEM 11. September, also über 5 Jahre. Die Handlung beginnt mit dem 50. Geburtstag des in Ich-Form erzählenden Dieter Rossbach und endet mit seinem 55.. Damit habe ich meiner Hauptromanfigur meinen tatsächlichen Geburtstag „verpasst“. Dieses geschah nicht aus Identifikationsgründen, denn ich glaube mich immer, auch ohne Kunstgriffe, ganz gut in andere Menschen versetzen zu können, sondern als Hinweis auf den Hintergrund, der mich zu dieser Geschichte inspirierte. Dazu sage ich jetzt nur kurz: Siehe oben. Jetzt aber genug der hobbyphilosophischen Vorrede. Steigen wir ohne jedes weitere Wenn und Aber in die Geschichte ein. Dazu wünsche ich Ihnen einmal viel Spannung und Unterhaltung und auf der anderen Seite reichlich Denkanstöße ... alles ist von mir beabsichtigt. Nachrodt-Wiblingwerde, im März 2002
Wenn die Königin nicht wiederkommt Nach diesem 11. September sollte für mich persönlich vieles, vielleicht sogar alles, anders sein wie bisher. Oh nein, ich schreibe jetzt nicht von dem Geschehen des Jahres 2001 sondern der besagte Tag gehörte zum Jahr 1996; also ganz fünf Jahre vor dem tragischen Ereignis in New York. Der Anlass, weshalb wir uns im Gesellschaftsraum des Gasthofes Schneider in Weinberg trafen liegt noch weiter zurück – ganze 50 Jahre weiter. Am 11. September 1946 erblickte ich im Krankenhaus Bethanien in Waldstadt das Licht der Welt. Neun Monate vorher, also Weihnachten 1945, war mein Vater aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück in seine – und auch somit meine - Heimatstadt Waldstadt zurückgekehrt. Er muss wohl gleich zur Sache gegangen sein. Es galt also an jenem Tag, von dem ich hier berichte, meinen 50. Geburtstag zu feiern. Au weia, jetzt bin ich schon flott am erzählen und habe mich noch gar nicht vorgestellt. Das will ich dann gleich im nächsten Absatz erledigen. Also, mein Name ist Dieter Rossbach und ich bin, wie schon beschrieben, am 11. September 1946 in Waldstadt geboren. Im Großen und Ganzen verlief mein bisheriges Leben ohne große Aufregung – allerdings kommt es darauf an wie man es sieht. Als ich 6 Jahre alt war erlaubte sich mein Vater es mal mit Seitensprungtechnik zu versuchen, was ihm meine Mutter nicht verzeihen wollte. Meine Eltern wurden geschieden und ich wurde meiner Mutter „zugeschrieben“. Mein Vater hatte Anfang der 60er-Jahre wieder geheiratet und ist 1972 an Krebs gestorben. Ich wuchs also bei meiner Mutter, die alleine blieb, auf. Seit 1989 bin ich „Waise“, denn meine Mutter verstarb am 8. November dieses Jahres. Sie hat die Maueröffnung, einen Tag später, nicht mehr miterlebt. Ab 1953 kam ich in die Evangelische Volksschule zu Waldstadt, die später in Albert-Schweitzer-Schule umgetauft wurde. Nachdem ich alle acht Klassen, in den letzten als Primus, hinter mich gebracht hatte, kam ich, sehr zum stolz meiner Mutter, in die Verwaltungslehre bei der Stadt Waldstadt. Na ja, eigentlich hatte ich mir unter meiner beruflichen Werdegang etwas anderes als Erbsenzähler vorgestellt aber trotzdem blieb ich bis 1972 bei der Amtsschimmelreiterei. Vielleicht wäre ich, wenn ich nicht 1971 Astrid Salein kennen gelernt hätte und Hals über Kopf am 30. Dezember 1971, ihrem 25. Geburtstag, geheiratet hätte immer noch bei den Beamtokraten. Wer jetzt nachgerechnet hat, konnte feststellen das meine Frau nur knapp über 3 Monate jünger ist als ich und wir im Jahre 1996 noch einem Fünfzigsten entgegensehen konnten. Nicht nur das, auch unsere Silberhochzeit wartete noch auf uns. Was hat nun meine Heirat mit dem Ausscheiden aus der Öffentlichen-Dienst-Hängematte zu tun? Na ja, das hing mehr oder weniger mit meinen Schwiegervater Ernst Salein, den man den König von Salein nannte, zusammen. Eu, das klingt jetzt hoch aristokratisch; dieser oder jener wird jetzt sagen, ich hätte bestimmt das „von“ unterschlagen. Nee, nee, meine Frau stammt nicht aus blaublütigen Kreisen – 1.000 Jahre Inzucht. Sie stammt aus einer ganz „ordinären“ Bauernfamilie. Ihre Vorfahren saßen hier schon immer auf ihrer Scholle und daher war auch die Gemarkung „in grauer Vorzeit“ mal nach dem Namen Salein benannt worden. Oder war es umgekehrt? Ist eigentlich auch egal; jedenfalls hieß meine Frau mit Geburtsnamen sowie ihr Geburtsort. Salein ist heute ein Ortsteil der kleinen aber immer noch selbstständigen Gemeinde Olvermühle – ich glaube etwa 7.500 Einwohnern – im Romanischen Kreis. Salein hat für sich allein einen Fußball- und einen Schützenverein, das restliche Vereinsleben spielt sich mit anderen Olvermühlern Zusammenschlüssen ab. Na ja, ganze drei Mal in seinem Leben war Ernst Salein der Schützenkönig und daher kam sein Spitzname. Aber auch hinsichtlich anderer Dinge hätte das Königsattribut bei ihm hier im Raum gepasst. Immerhin war er 13 Jahre der Bürgermeister von Olvermühle. Damals gab es noch die geteilte Gemeindespitze aus Gemeindedirektor und Bürgermeister. Ersteres war ein professioneller Beamtokratenjob und Bürgermeister war ein Ehrenamt. Also ich persönlich fand das damals besser, denn nach meiner Meinung sollte an der Spitze der Verwaltung ein Vollprofi stehen, den man von politischer Seite, also vom Rat, gründlich auf die Finger schauen sollte. Heute, wo ein „Männekien“ gewählt wird, kann es sein, das ein reiner Verwaltungsprofi zum Bürgermeister gewählt wird. Der hat dann keinen Gegenpart im Rat mehr und führt die Räte vor. Bei uns in Olvermühle ist das beispielsweise heute (2001) so. Bei der letzten Kommunalwahl wurde der ehemalige Gemeindedirektor zum Bürgermeister gewählt. Das Einzigste, was ich daran gut finde ist, dass es der Gemeinde billiger kommt. Aber seitdem erscheint mir der Rat nur noch ein VerwaltungsVorlagen-Zustimmungsorgan zu sein – Eigeninitiativen von Seiten des Rates scheint es wohl nicht mehr zugeben. Nur wenn mal laut Verwaltung ein paar Brosamen vom Tisch der Verwaltung abfallen, gibt es leichte Nuancen. Da favorisieren die SPDler in der Regel Spielplatzrenovierungen und die CDU-Leute verwenden die paar Taler lieber für Ehrenmalpflege. Aber sonst, ... sonst wird unser Olvermühle immer mehr zu einer toten Hose. Das geht mir hinsichtlich unserer Wohnungsgesellschaft dann ein Wenig gegen den Strich, denn in Örtchen, wo der „Arsch begraben liegt“ dürfte wohl Wohnungsleerstand und gleichzeitig Niedrigstmieten, die sicherlich kein Investitionsanreiz sind, vorprogrammiert sein. Im Hinblick auf diese Tatsache versuche ich auch immer gegen dem Hobby von Räten und Bürgermeister – Ausweisung neuer Baugebiete – Stimmung zu machen. Lieber das Erreichte erhalten als mit Neuem untergehen. Soweit meine Meinung zum Verwaltungsmann an der kommunalen Spitze. Umgekehrt sehe ich das aber genauso negativ. Politiker an der Spitze sind Sich-Namen-Macher. Die schießen schon mal gerne aus populistischen Gründen über die, sich aus der Haushaltslage ergebenen Grenzen hinaus. Während sie gleichzeitig mangels fachlicher Vorbildung gar nicht wissen, was in der „Firma“ (Verwaltung), der sie vorstehen, los ist. Wenn dieser „Vortänzer“ dann noch, ebenfalls aus populistischen Gründen, Rückendeckung in der Mehrheitsfraktion hat, läuft die Gemeinde Gefahr in
ein Haushaltsloch zu fallen, was weder Fortschritt noch Besitzstandswahrung zulässt. Auch in solchen Fällen ist der Sterbezeitpunkt der Städte und Gemeinden vorprogrammiert. Na ja, da fand ich den früheren Konsens aus politischer Innovation und verwaltungstechnischem Realitätsbewusst schon richtiger. Mein Schwiegervater sagte immer: „Der Rat muss das Wolkenkuckusheim fordern und die Verwaltung muss ihn auf den Teppich zurückholen. Irgendwo zwischen Teppich und siebten Himmel liegt die Wahrheit.“. Okay, mein Schwiegervater von dem ich hier berichten wollte, war damals als in Olvermühle „die Welt noch in Ordnung war“ hier der Bürgermeister. Und er war es, der meiner Verwaltungslaufbahn ein Ende bereitete. Auch er war im Hauptberuf, wie seine Vorfahren, Großbauer. Zu seinem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehörte, bis auf ein paar Ecken, das komplette Gebiet des heutigen Saleins. Von seinem großen Besitz verkaufte er ein großes Stück, das Eicheneck an die Gemeinde beziehungsweise direkt an Siedler. Dort befindet sich seitdem die Siedlung Eicheneck. Aber 1957 ging er selbst ans Bauen – er baute Mietwohnungen. Meist im Sozialen Wohnungsbau aber auch einiges freifinanziert. Heute wohnen in den zirka 260 Wohnungen, die jetzt meiner Frau Astrid gehören, etwas über 1.000 Menschen. Aber was an landwirtschaftlichen Besitz überblieb, ist auch nicht gerade in die Kategorie „Klein“ einzuordnen. Der heutige „Großbauer“ ist mein Schwager Walter Salein. Es wird natürlich auch der Besitzstand ein Wenig an dem Monarchentitel im Volksmund beigetragen haben. Den „Titel“ hat meine Frau praktisch mitgeerbt. Sie wird hier als die Königin von Salein gehandelt. Daran mag auch ihr Wesen, über das auch ich sehr glücklich bin, beigetragen haben. Sie hatte ja wirklich ein Ohr und war freundlich und nett zu jedermann. Meinem Schwiegervater schien ihr Wesen etwas zu weich fürs Geschäftliche zu sein und das beendete meine Verwaltungslaufbahn. Astrid sollten die Wohnungen gehören aber die Geschäftsführung sollte ich übernehmen. Na ja, das Duo Astrid und Dieter Rossbach hat sich eigentlich bewährt: Wir sind richtig beliebte Vermieter obwohl auch wir, dank meiner Geschäftsführung, nichts verschenken. Ich rühme uns selbst immer gerne als gute Kaufleute. Ein guter Kaufmann machte solche Geschäfte mit der beide Seiten zufrieden sind und kann glücklich damit leben. Im Gegensatz zum guten Kaufmann der moderne Manager: Bei dem sind gute Geschäfte die, die das maximale Ergebnis erbringen. Dafür muss er aber immer darum zittern, dass irgendwann mal alles abgerast und es vorbei ist. Nun ist klar, wer und was ich bin: Ich bin der Geschäftsführer in der Firma meiner Frau. Wir sagen immer Wohnungsgesellschaft. Das machen nicht nur wir, sondern so gut wie alle hier in Olvermühle. Das ist aber nicht richtig, denn eine juristische Person gibt es nicht, die Häuser mit den 260 Wohnungen gehören der Privatperson Astrid Rossbach geborene Salein, der Königin von Salein, und ich führe halt die Geschäfte meiner Frau. In dieser „exponierten“ Stellung kann man natürlich nicht seinen Fünfzigsten sang- und klanglos vorüberziehen lassen. Wir, dass heißt Astrid, unsere beiden Kinder Oliver, 19 Jahre, und Sabrina, 17 Jahre, sowie ich selbst hätten es ja lieber so gehandhabt wie in den Jahren, wo keine runde Sache anliegt. Geburtstage waren für uns in der Regel ein kleiner familiärer Evening Out. Da zieht es uns in gute Restaurants, mal ein Steakhaus, mal ein Chinese oder mal ein Jugo beziehungsweise Italiener und dann machen wir uns über Platten, entweder zwei für je zwei Personen oder eine für vier Personen her. Astrid und ich genehmigten uns dann immer ein bis zwei Fläschen Wein, Oliver versuchte es regelmäßig mit einem „Eimer“ Cola und Sabrina trank immer am Wenigsten; sie nippelte an maximal einer Karaffe Orangensaft. Und so gegen Zehn ging es so zurück wie wir gekommen waren: Mit dem Taxi. An jenem 11. September 1996 lief natürlich alles anders ab. Diesmal hatte ich den Gesellschaftsraum des Gasthofes Schneider in Bergheim zu einem „Imbiss und Umtrunk“ angeheuert. Bergheim ist wie Salein ein Gemeindeteil von Olvermühle. Nur Salein und Olvermühle selbst liegen im Tal und Bergheim auf dem Berg. Salein liegt 102 Meter über Normal Null, also über dem Wasserspiegel des Amsterdamer Hafens, und Bergheim bringt es auf 546 über NN. Hier unten im Tal ist es mit der Gastronomie nicht mehr so gut bestellt während es oben auf dem Berg noch ganze drei ganz ansprechende Gasthäuser, darunter auch der genannte Gasthof Schneider, gibt. An diesem Tag blieb es auch nicht bei unserer Familie pur, die auch um Herta und Walter Salein erweitert wurde, sondern unsere Dorfpromis vom Bürgermeister über Pastöre – zwei „Evangelen“ und ein „Kathole“ – und Ratsmitglieder sowie Vereinsvorsteher bis zu den Hausmeistern unserer Wohnblöcke standen auf der Gästeliste. Natürlich mit Partner oder Partnerin; soweit vorhanden. Von den geladenen Gästen glänzte letztendlich nur der Gemeindedirektor durch Abwesenheit. Der hatte nachweislich bis zirka 20:30 Uhr einen Termin in Waldstadt. Ganz groß sollte der Abend allerdings nicht werden, denn auch Astrids Fünfzigster, unsere Silberhochzeit sowie unser 40-jähriges „Geschäftsjubiläum“ – am 14. März 1957 wurde der Grundstein für das erste Miethaus gelegt - standen in den laufenden sechs Monaten an. Deshalb fuhren wir auch mit dem eigenen Wagen zu dieser Veranstaltung. Ich hin und Astrid, die diesmal dem Beispiel unserer Tochter mit dem Orangensaftgenippel folgen wollte, zurück. Das Ganze war auf 19:30 Uhr terminisiert und wir dachten, dass um Zehn alles über die Bühne gegangen sei. Na ja, so ging das ganze Geschehen dann los. Zunächst mal mit üblichen Lobeshymnen auf meines Vaters Sohn. Jeder der mal bei solchen Anlässen war kennt so etwas ja und deshalb brauche ich dieses jetzt nicht näher zu erzählen. Dabei gingen dann erst einmal eine halbe bis dreiviertel Stunde drauf und danach begann dann die bekannte Schlacht am Kalten Büfett. Daran konnte ich mich dann nicht gleich beteiligen, denn für die folgende Halbstunde nahmen mich erst mal eine Dame und ein Herr von den beiden hiesigen Lokalzeitungen in Beschlag um mich nach schreibenswerten
Höhepunkten aus meinem Lebenslauf auszuhorchen. So war es dann schon bald Neun bis ich mich selbst ins gemütliche Getümmel werfen konnte. Inzwischen hatten die Honoratioren ihre obligatorischen „Gespräche am Rande des ...“ geführt und konnten somit allesamt am lockeren Plausch teilnehmen. Wie es nun halt im dörflichen Bereich so ist, kennt hier Jeder Jeden – wenn nicht seit der Kindheit dann doch seit langen Jahren. Unter solchen Umständen beginnen so auch viele Dönnekes mit „Früher“ oder „Weißt du noch?“. Nicht immer finden dann alle das lustig, was dann folgt aber der Vortragende jedoch immer. Klar, der oder die Betroffene, der oder die das Nachsehen hatte, ist in der Regel nicht der oder die Erzählende. Auf jeden Fall ist es in einer solchen Atmosphäre doch recht nett. Bei solchen Gelegenheiten setzt und quatsch man sich langsam fest. Kaum einer denkt da noch an Aufbruch. Nur unsere Beiden, Sabrina und Oliver, gedachten der Tatsache, dass es ein Mittwoch war und am nächsten Tag Schule sei. Insbesondere Oliver, der während seiner Schulzeit zwei Ehrenrunden eingelegt hatte, war doch im Hinblick auf das immer näher rückende Abitur daran gelegen, am nächsten Morgen halbwegs frisch in seiner Penne zu erscheinen. So ab zirka Zehn wurden die beiden Jungscher diesbezüglich auch immer unruhiger und wurden immer mit „Ach, warte noch ein Moment. Es wird schon gleich Schluss sein.“ vertröstet. Kurz vor Elf war bei denen aber Schluss mit Lustig; da verlangten sie dann doch energisch heimwärts in die nach ihrem Uropa benannte Peter-Salein-Straße chauffiert zu werden. Astrid und ich waren inzwischen auch der Meinung, dass wir diese Runde nicht so schnell aufgelöst bekamen. Meine „bessere Hälfte“, die außer Orangensaft nur einen Kelch Sekt, mit dem sie angestoßen hatte, getrunken hatte, ergriff die Initiative und brachte unsere Kinder heim. Sie wollte die Beiden vor der Tür absetzen und postwendend zurückkommen. Nun inzwischen waren auch die Gesprächsthemen fortgeschritten. Anstelle der „Dönnekes von anno dazumal“ war nun alles Mögliche über Gott und die Welt angesagt. Es wurde sich auch nicht mehr alle einbeziehend quer durch den Raum unterhalten sondern man diskutierte in Grüppchen zu Zweit oder zu Dritt. Aber auch jetzt sah es nicht nach einem baldigen Ende aus. Diese Atmosphäre erinnerte mich an meine Jugendzeit als es noch in fast jeder Straße eine kleine Kneipe gab, in denen solche „kommunikative Veranstaltungen“ alltäglich waren. Dieses war dann auch mein Thema über das ich mich mit einem unserer Hausmeister und dem damaligen SPD-Ortsvereinsvorsitzenden unterhielt. Horst Weigert, der SPD-Mann, war der Meinung, dass es nicht an mangelnder Kommunikationsfreude liegen könne, dass es solche Örtlichkeiten heute nicht mehr gibt, denn gerade mein Geburtstagsabend wäre ja ein Beispiel für das Bedürfnis nach lockerer Kommunikation. „Wir sind ja auch alle ein paar Tage älter,“, wandte Hausmeister Stolte ein, „Für junge Leute ist hier nicht genug Action. Da fehlen Dart, Kicker und vor allem überlaute Wumtata. Und die Ollen liegen auch lieber vor der Glotze auf der Couch.“. Weigert sinnierte dann darüber nach, ob dieses damit zusammenhinge das man heute anstelle von aktiven Handeln das passive Konsumieren bevorzuge. In Gesprächen müsse man sich selbst einbringen, man muss handeln und heute müsste den Leuten etwas vorgesetzt werden an dem sie etwas abhandeln könnten – nur nicht mal selbst die Initiative ergreifen. Er leitete dann dabei auf das politische Interesse über. Wenn schon, dann wollten die Leute vorgefasste politische Meinungen, die auf ihrer Wellenlänge liegen beklatschen, statt selbst eine zu entwickeln. Da hatte er bei mir einen Punkt angesprochen, der mich selbst seit einiger Zeit anrührt. Das eigentlich Richtige wird in den Medien ins Negative verkehrt. Sachlicher Meinungsstreit wird als Uneinigkeit und Schwäche ausgelöst. Niemand schaut mehr auf die Meinung des Parteivolkes, alles konzentriert sich auf den ersten Mann. Wenn eine Demokratie funktioniert muss es doch egal sein wer da den Vortänzer spielt. In einer Demokratie zählt die repräsentative Mehrheitsmeinung, der Wille der Basis. Da ist es doch egal wer den Oberkasper abgibt; im Falle eines Falles muss er doch durch andere ausgetauscht werden können. Wir haben doch keine Ein-Mann-Demokratie. Ist es nicht traurig, wenn die SPD außer Lafontaine oder Schröder nichts zu bieten hätte. Eine handlungsfähige Partei muss doch entsprechend ihrer Mitgliederzahl mindestens 100 Leute haben die aus dem Stand die erste Geige übernehmen könnten. Es wäre ja tragisch, wenn dem Einen etwas passiert und dann alles in Scherben fiel. Haben wir unter solchen Umständen überhaupt noch Parteien im ursprünglichen Sinne oder handelt es sich um Kanzlerwahlkader. Klar das mir jetzt Horst Weigert eifrig widersprechen und die Verhältnisse in seiner Partei schön reden musste. Na ja, wenn ich damals schon so schlau wie heute, nach der Liquidierung der SPD-Bezirke in Nordrhein-Westfalen und der Vertrauensfrage „Gewissen oder Macht“, gewesen wäre, hätte ich ihm bestimmt noch ganz was anderes erzählt. Aber man soll ja nicht immer nur in eine Richtung schießen, deshalb erwähne ich noch das alberne K-Frage-Theater der CDU. Machen sich die nicht mit ihrem Streit Stoiber oder Merkel lächerlich – und sonst hat der Verein, der schon zu Adenauers Zeiten ein Kanzlerwahlclübchen war, wohl nichts zu bieten. Und was soll man nun wählen? Na ja, belassen wir es jetzt mal mit den Inhalten der Gespräche, die mir aus besonderen Grund recht nahe in Erinnerung blieben, und kehren zum weiteren Ablauf jenen Abends zurück. Bei dem vorgenannten Thema, was eigentlich heute noch zu meinen politischen Lieblingsthemen gehört, hatte ich nicht so sehr auf die Zeit geachtet. Plötzlich bemerkte ich dann doch, dass die Uhr schon ein paar Minuten nach Mitternacht anzeigte. Ich stutzte und schaute mich suchend nach meiner Frau, die ich ehrlich gesagt bis jetzt nicht vermisst hatte, um. Da hatte ich doch ein Bisschen komische Gefühle. Von Bergheim bis Salein benötigt man in der Regel maximal 10 Minuten – hin und zurück als zirka 20 Minuten. Rechnen wir dann noch 10 Minuten für Dieses oder Das dazu hätte Astrid mindestens seit einer halben Stunde wieder da sein müssen. Ich fühlte mich zunächst dazu gezwungen Zuhause anzurufen aber niemand nahm ab. War was passiert? Aber da hätte ich bestimmt schon etwas gehört. Was war wirklich los?
Die Unruhe wuchs zunehmend in mir und ein idealer Gesprächspartner war ich nun nicht mehr. Ich gab mir zwar weiterhin Mühe ein guter Gastgeber zu sein aber dank Konzentrationsmangel lief es jetzt nicht mehr so recht. So etwas überträgt sich natürlich auf die Gäste und so dachte man nun nach und nach doch an den Aufbruch. Aber wie es so ist zog sich das trotzdem noch fast eine Stunde bis Kurz vor Eins hin. Und immer, in jeder Minute, hoffte ich die Tür würde aufgehen und Astrid hereinkommen. Aber mein Wunsch sollte sich nicht erfüllen. Durch dieses Hoffen und Bangen hatte ich es auch versäumt Vorkehrung für meinen eigenen Aufbruch ohne Frau zu treffen. Das fiel mir da auf als sich die drei letzten Gäste verabschiedetet hatten. Da musste ich doch prompt Herrn Schneider, den Wirt, bitten mir ein Taxi bestellen. Das bedeutet hier in Weinberg in der Regel immer eine halbe Stunde Wartezeit, denn das Taxi muss, weil es in der Gemeinde Olvermühle kein Taxiunternehmen gibt, in Waldstadt bestellt werden. Von Waldstadt bis Weinberg brauch man so zirka dieses Halbstündchen. Ich nutzte diese Zeit um mit dem Wirt abzurechnen. Dazu hatten wir uns eigentlich schon für den nächsten Nachmittag verabredete, aber was soll’s, Herr Schneider war noch gut drauf und ich musste ohnehin warten. Während der Abrechnung hätte mir Herr Schneider eigentlich das Fell über die Ohren ziehen können, was er aber nicht getan hatte. Ich war gar nicht bei der Sache und mein Blick wollte sich nicht von der Tür lösen. Ich hoffte und hoffte, die Tür würde sich öffnen und die Königin von Salein würde hereinkommen, um mich, ihren Gatten, abzuholen. Aber meine Hoffnung erfühlte sich nicht. Stattdessen stieg ein übles dumpfes Gefühl hoch, dass ich Astrid nie wiedersehen würde. Und dieses trieb mir dann Tränen in die Augen. Herr Schneider, dem ich noch nichts gesagt hatte, bemerkte dieses und folgerte gleich richtig. Mir zum Trost sagte er: „Ach Herr Rossbach, bleiben sie doch ruhig. Das wird sich schon alles aufklären. Ich denke mal ihre Kinder hatten den Auftrag ihnen Bescheid zugeben und sind, wie es heutzutage schon mal bei jungen Leuten vorkommt, stattdessen lieber ins Bett gegangen.“. „Na, bei unserem Oliver kann ich mir so etwas schon denken“, erwiderte ich, „aber Sabrina ist doch sehr gewissenhaft und zuverlässig; die hätte es bestimmt nicht versäumt. Da muss was passiert sein.“. Schon nach einer Viertelstunde stand überraschend der Taxifahrer in der Tür. Auf Herrn Schneiders überraschte Frage sagte er, dass er gerade in Salein freigeworden wäre als diese Fahrt gekommen wäre. So müsste es immer sein. Dann könnten Taxifahrten billiger werden und Fahrer mehr verdienen. Ich wollte natürlich gleich wissen ob er über die Serpentinen nach Bergheim gekommen sei und ob er was – Unfall oder Panne – gesehen hätte. Er war über die Serpentinen gekommen aber gesehen hatte er nichts – außer einen Fuchs, den er kurz am Fahrbahnrand erblickt haben will. Die Abrechnung war jetzt bereits fertig und ich füllte nur schnell einen Scheck aus und dann ging’s gleich los. Ich saß ganz aufgewühlt auf dem Beifahrersitz und mein Blick kreiste stetig über die dunkle Landschaft. Bei solchen Gelegenheiten kommt es schon mal vor, dass man Gespenster zieht. So musste der Taxifahrer zwischen der zweiten und dritten Serpentine anhalten weil ich glaubte, in einem Waldwirtschaftsweg etwas, was nach unserem Wagen aussah, gesehen zu haben. Ich bin in den Weg hinein gegangen und da war natürlich nichts. Es was war kurz nach halb Zwei als wir vor unserer „Hütte“, die wir Anfang der 80er-Jahre errichtet hatten, in der Peter-Salein-Straße standen. Ich bezahlte schnell und strebte als erstes unserer Garage zu. Wir schließen grundsätzlich, auch wenn wir mit dem Wagen unterwegs sind, das Kipp- wie auch die Zauntür. Man muss ja die Leute nicht gerade darauf aufmerksam machen, dass man unterwegs ist. Erstens geht Dritten die Einteilung unserer privaten Freizeit nichts an und zweitens sollte man niemand mit vielleicht klebrigen Fingern auf dumme Gedanken bringen. Ich öffnete das Kipptor nach oben und war, obwohl ich zu wissen glaubte was mich erwartete, schockiert. Die Garage war leer. Jetzt konnte ich mich auch nicht mehr halten, jetzt musste ich heulen. Irgendwie war mir jetzt bewusst, dass ich meine Astrid nicht wiedersehen würde. Es war so, als würde mein ganzes Leben auf einmal zusammenbrechen. Ab diesem Moment redete ich mir ein, dass es nicht mehr lange dauern würde bis Astrid mit einer natürlichen Erklärung auf der Matte stehen würde. Nach der Garagenbesichtigung stürmte ich hinauf in die erste Etage wo die Schlafräume sind. Warum ich, in der Hoffnung Astrid läge im Bett, zuerst ins eheliche Schlafzimmer stürmte kann ich nicht mit logischem Argumenten begründen. Die leere Garage hatte mir ja bereits mitgeteilt, dass meine Frau nicht im Hause sei. Und wäre sie aus diesem oder jenen Grund ohne Auto heimgekehrt, hätte sie mich auf jeden Fall in Kenntnis gesetzt. Postwendend stürmte ich vom leeren Schlafzimmer ins Zimmer unseres Sohnes Oliver, der gerade zu einem Schnarchkonzert angestimmt hatte. Ich rüttelte ihn wach und bekam dieses mit recht unwirschen Missfallenskundgebungen quittiert. „Wo ist Mama?“, schrie ich ihn an und Oliver sagte barsch: „Woher soll ich dass denn wissen? Die hat uns rausgesetzt und ist wieder zu dir gedüst ... Und jetzt lass mich schlafen.“ Sprach's, drehte sich herum und schlief, jetzt ohne Geschnarche, weiter. Da war der Besuch in Sabrinas Zimmer doch erquicklicher. Auch die musste ich wecken. Sie blinzelte mich an und fragte: „Was ist denn?“. Prompt fielen die Worte „Mama ist weg“ aus meinen Mund und da schoss Sabrina wie eine Rakete hoch. „Wie spät ist es?“, waren jetzt ihre ersten Worte. Nachdem ich ihr bekundet hatte, das halb Zwei vorbei sei, kam sie gleich mit den Worten „Mein Gott“ aus dem Bett um mit mir hinunter ins Wohnzimmer zu gehen. Diesmal nahm sie noch nicht einmal, wie sonst mir gegenüber üblich, Rücksicht auf ihre leicht und lockere Nachtbekleidung.
So wie gerade beschrieben saß sie mir dann auch im Wohnzimmer gegenüber. Sie im Sessel und ich auf der Couch. Nun erfuhr ich, dass Astrid die Kinder zügig und direkt nach Hause gefahren hatte. Sie hat sie mit dem Kommentar „Wir kommen bestimmt gleich auch; die Leute müssen ja auch morgen arbeiten“ vor der Haustür rausgesetzt. Sie ist dann gleich in Richtung Wendehammer – die Peter-Salein-Straße ist ein Sackgasse – davongefahren. Sie hatten die Haustür noch nicht geschlossen als sie bereits in anderer Richtung wieder vorbeifuhr. Nach ihrem Bericht stand Sabrina wie vom Blitz getroffen auf und ging zum Telefon. „Was hast du vor?“, stutzte ich jetzt. „Ich rufe mal bei der Polizei an ob die was wissen.“, begründete sie mir ihr Vorhaben und ich dachte mir, dass es schon sträflich sei, dass ich da nicht selbst drauf gekommen sei. Aber nach Sabrinas Anruf waren wir auch nicht schlauer. Bei der Olversmühler Station, die es damals noch gab aber wegrationalisiert werden sollte, wusste man von nichts. Der Beamte sagte Sabrina, dass diese Nacht bis jetzt sehr ruhig sei – was allerdings wochentags hier im Örtchen nicht selten ist. Der Diensthabende sagte unserer Tochter noch, dass wir selbstverständlich sofort eine Vermisstenanzeige aufgeben könnten. Aber er an unserer Stelle würde bis zum nächsten Morgen warten und dann gleich ein neueres Bild mitbringen. Tröstlich sollte sein Kommentar, das es sich von 9 von 10 Fällen über Nacht meistens als harmlos herausstellt, sein. Vielleicht wäre ihr, Astrid, ohne dass es uns bewusst gewesen wäre, eine Laus über die Leber gelaufen und sie würde jetzt bei einer Freundin erst mal ihren Ärger, von den niemand sonst was weiß, ausschlafen. Ich konnte zwar keinen entsprechenden Grund sehen, hoffte aber der „Bulle“ würde recht haben. Inzwischen merkte unsere Tochter in welch einem luftigen Gewand sie sich befand. Man merkte ihr an, dass ihr dieses peinlich war. Sie sagte aber nichts in diese Richtung sondern bekundete das ihr kalt sei und sie wolle auf ihr Zimmer gehen um sich etwas überziehen. Dieses nutzte ich, erwachsene Gelassenheit vortäuschend, um einen Vorschlag loszuwerden: „Ach Mäuschen, wir können jetzt ohnehin nichts machen ... außer Warten. Das können wir auch im Bett. Und da Morgen das Leben weitergeht sollten wir auch versuchen.“. Es schien mir als käme ihr der Vorschlag ganz gelegen und sie jetzt nicht wusste, ob sie dieses aus Fürsorge und/oder Mitgefühl ablehnen sollte. Um nicht auch noch diesbezüglich diskutieren zu müssen ging ich Richtung Tür und sagte zu ihr „Komm wir gehen rauf“. Sie folgte mir dann schweigend und bevor sie auf ihrem Zimmer verschwand sagte sie: „Es wird schon alles gut gehen“. Dieses hoffte ich ja auch sehr stark aber hatte irgendwo das Gefühl die Hoffnung könne sich nicht erfüllen. Ich legte meine Schuhe, Anzug, Krawatte und mein Oberhemd ab, ließ aber nicht nur meine Unterwäsche nebst Socken an sondern zog noch einen Jogginganzug drüber. Irgendwo hatte ich die fixe Idee im Falle eines Falles sofort startklar sein zu müssen. Deshalb stellte ich auch nicht meine Hausschuhe sondern die Straßenschuhe, die ich kurz zuvor ausgezogen hatte, neben meinem Bett bereit. Soviel habe ich in den vergangenen 25 Jahren nie angehabt wenn ich im Schlafzimmer heiß auf die Königin wartete – in über 90% der Fälle sogar nichts. Aber an so was dachte ich in dieser Nacht nicht. Ich weiß jetzt auch nicht mehr was ich in jener Nacht alles zusammengesponnen habe; ich kann auch nicht sagen wie oft und wie lange im Einzelnen ich in dieser Nacht geschlafen habe. Vom Gefühl her habe ich überhaupt nicht geschlafen aber bekanntlich gehört dieses zu den verbreitesten Trugschlüssen. Also viel ist es nicht mehr was ich von dieser Nacht, die nicht umgehen wollte, heute noch weiß. Nur eines weiß ich noch: Ich hatte auf einmal das dringende Bedürfnis zu beten. Zu den Betbrüdern, die bei jeder Gelegenheit ihre Christlichkeit durch Vollzug von Gebeten dokumentieren müssen gehöre ich allerdings nicht – auch heute, wo ich eine noch gefestigtere christliche Weltanschauung habe, nicht. Ich kann nicht einsehen, warum diverse Profichristen bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen eine Betshow zelebrieren. Jawohl, ich meine Betshow, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass sie bei jeder Gelegenheit mit ihrem Geist und Willen dahinterstehen. Und Beten des Betens Willens oder um den Leuten zu dokumentieren was für ein Superchrist man ist, halte ich ehrlich für Gotteslästerung. Auch das Gebet um irdische menschliche Lappalien, wie Beistand bei Prüfungen, Parkplatzsuche, Schnäppchenjagd oder Karrierezuschlag halte ich für Schändung des Namens Gottes. Wir können Ihn doch nicht für alles, für jede Lappalie und Banalität mit ins Boot holen. Gott ist doch kein Fuzzy zur Erfüllung menschlicher Begierden und Wünsche. Ich glaube auch nicht, dass solche Plapperlabrions etwas mit Gebet zu tun haben. Und das öffentliche Gebete, mit der man dokumentieren will was für ein toller Christenhecht man ist, nicht im Sinne des Herrn sind steht schon in der Bergpredigt: „Und wenn du betest, dann gehe in dein Kämmerlein und schließe die Türe zu. Dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir vergelten öffentlich.“. In diesem Zusammenhang rege ich mich auch immer über die Liturgieveranstaltungen während der Gottesdienste auf. Dieses Sache wird in manchen Gemeinden so üppig zelebriert, dass für das Wort, was aus meiner Sicht als Hauptsache im Mittelpunkt stehen müsste, viel zu kurz kommt. Natürlich finde ich es gut und richtig, wenn eine christliche Gemeinde gemeinsam betet. So etwas hebt auch das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl und ist daher ein berechtigter Bestandteil eines Gottesdienstes. Aber was spielt sich in den meisten Gemeinden ab? Mann kommt in die Kirche und zählt Gebet vortäuschender Weise langsam bis Drei; ganz Frömmelnde sogar bis Zehn. Kurz drauf, nach dem Eingangslied, ist dann das Dankgebet fällig. Manche Pastöre lassen dann vorher im Wechsel Pastor/Gemeinde erst mal einen Psalm abrasseln. Das Dankgebet ist nicht selten eine vom Pastor abgelesene Poesie, die heute kein Mensch mehr versteht. Also nur Geräuschkulisse während der man ja schon mal überlegen kann, wenn man nach dem Gottesdienst noch unbedingt sprechen muss. Nach der Lesung kommt dann das im Versmaß abgeleierte Glaubensbekenntnis. Das Ableiern kann man prima daran feststellen wenn man es sehr laut mitbetet. Jetzt brauch man nur zwei oder drei „falsche“ Worte einflechten und der ganze Haufen ist durcheinander gebracht. Man riskiert dabei
allerlei böse Blicke nach den Amen, denn die Leute haben sich ja nicht auf das Gebet sondern die umgebenden Nebensächlichkeiten konzentriert. Apropos Glaubensbekenntnis: Bekennen da die Leute wirklich ihren Glauben oder plappern sie da nur etwas weil es halt zum Gottesdienst gehört? Erst nach der Predigt kommen die Gebete, Fürbitte und Vater unser, denen auch ich voll zustimmen würde wenn nicht auch diese von diversen Gemeinden pervertiert worden wären. Gut ist es, wenn der Pfarrer die Fürbitte in seiner Vorbereitung selbst ausgearbeitet hat, wenn darin die aktuellen Anliegen aller Menschen, der Gemeinde speziell und das Gedenken an bestimmte und unbestimmte Kranke, Verzweifelte und Vereinsamte in der Gemeinde und weltweit aufgenommen werden. Aber auch diese Chance lassen verschiedene Pastöre ins Land ziehen und leiern auch an dieser Stelle altdeutsche, unverständliche Poesie. Dem Vater unser messe ich persönlich höchste Bedeutung zu weil es die wesentlichen Besonderheiten des christlichen Glaubens ausdrückt. Man sollte nur öfters mal darüber predigen und das Ganze nicht im Versmaß abbeten, dann gibt es dem Einzelnen mehr. Abschließend kommt dann noch der Segen dessen Bedeutung auch den meisten Profikirchgängern verborgen bleibt. Hat der Segen nicht sehr viel mit Fruchtbarkeit, Fortpflanzung und der Fortführung der Schöpfung zutun? Die meisten verstehen darunter jedoch so etwas wie eine vom Pastor weitergegebene göttliche Absolution. Oder sehe ich das etwas falsch? Jetzt aber zurück zu der Nacht vom 11. auf den 12. September 1996 in Salein. Da war ich in meinem stillen Kämmerlein und hatte das dringende Bedürfnis mit meinem Gott zu sprechen, also zu Beten. Hier war das Gebet richtig platziert. Nun, der Herr ist kein Krämer und man kann ihn nicht Wunder oder die Erfüllung von Wunschträumen abhandeln. Schließlich haben wir ja alles von ihm und somit nichts, was wir ihm Zug um Zug dafür geben könnten. Oft erfüllen sich auch ernstgeführte Gebete aber, sogar in den meisten Fällen, auch nicht. Die Frage, warum sich die einen Gebete erfüllen und die anderen nicht, steht uns nicht an, das bleibt allein Seinem Ratschluss vorbehalten. Aber wohltuend und tröstend sind ehrliche Gebete. Danach ist es einem bewusst, dass es Gott am Ende doch zum Guten richten wird. Mir ist dann immer seine Verheißung und sein Bund mit uns Menschen bewusst. Auch in jener Nacht tat mir das Gebet unheimlich gut und die Sturmwogen, die in mir wallten, hatten sich jedenfalls soweit geglättet, dass ich paar Stunden bis zum nächsten Morgen überstehen konnte. Obwohl ich vorher das Gefühl hatte verrückt zu werden. Früher hatten sich Astrid mal hin und wieder damit geneckt was wäre, wenn der Eine oder die Andere mal nicht von dieser oder jenen Angelegenheit nicht wiederkäme. Ich pflegte dann immer meine Scherze mit den Worten „Wenn die Königin nicht wiederkommt, dann ...“ einzuleiten. Es kam dann, zumindestens aus meiner Sicht, immer etwas zum Lachen dabei raus. Jetzt war es wahr geworden: Die Königin war nicht wiedergekommen ... und es war gar nicht zum Lachen, es war grausam. Jetzt merkte ich, wie Astrid und ich in 25 Jahren zusammengewachsen waren. Sie war praktisch ein Stück von mir geworden ohne dass ich nicht mehr zu leben wusste. Es war nicht ihr Geld, nicht ihre Häuser und Wohnungen sondern es war sie, Astrid, die Königin von Salein, die ich brauchte. Zum Kapitel 2
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Warum nur, warum? Ich schrieb ja bereits, dass ich keine Vorstellung darüber hatte ob, wie oft und wie lange ich in der Nacht zum 12. September 1996 geschlafen habe. Auf jeden Fall muss ich so gegen 6:30 Uhr eine Tiefschlafphase gehabt haben. Und aus dieser muss ich durch ein Getöse in der Küche, dass vom Erdgeschoss herauf drang, gerissen worden sein. Die Urheber des Palavers waren Oliver und Sabrina. Ich teile mir mit meinem Sohn die Morgenmuffel-Eigenart und in dieser beschwerte sich Oliver, der schlafender Weise gar nicht richtig wahrgenommen hatte was passiert war, beim Betreten der Küche, in der Sabrina gerade Kaffee aufsetzte, über zwei Dinge recht brummelig. Sein erster Missmut galt mir, weil ich ihn in seiner Nachtruhe gestört habe und die zweite Angelegenheit galt der Mama, die den Frühstückstisch noch nicht gedeckt hatte. Sabrina, die aus verständlichen Gründen auch auf keinen launischen Höhepunkt war, hat ihrem Bruder darauf erst mal deftig und lautstark den Kopf gewaschen. Dabei erfasste Oliver dann erstmalig was los war, worauf sein Stimmungsparameter dann auch auf Sorge und Angst umschlug. Mag sein, dass Oliver der Familie und insbesondere mir gegenüber hitzköpfig und teilweise ungerecht wie beleidigend sein kann aber das Bild was er außerhalb des Hauses abgibt scheint sein wahres Gesicht zu sein: Er ist ein guter und mitfühlender Mensch, der auch teilweise sehr nah am Wasser gebaut hat. So brach er, nachdem er aus Sabrinas Mund erfahren hatte was los ist, erst mal in Tränen aus. So traf ich ihn dann, als ich fix und fertig im Jogginganzug – so hatte ich ja „geschlafen“ – in der Küche erschien, heulender Weise an. Oliver tut immer sehr groß ist aber irgendwo doch ein „kleines Muttersöhnchen“ und war nur schwer zu beruhigen. Immer wieder sagte er: „Man hat Mama umgebracht. Warum nur, warum?“. Damit sprach er das aus, was auch Sabrina und ich befürchteten. „Warum sollte man sie umbringen, da für sehe ich keinen Grund.“, begann ich meine Ausführungen über das was ich mir in der Nacht überlegt hatte, „Dann wäre ja auch der Wagen irgendwo bereits aufgefallen. Ich nehme mal an, dass sie jemand entführt hat. Mamas und Onkel Walters Besitztümer könnte jemand auf blöde Gedanken gebracht haben. Ich glaube, dass sich im Laufe des Tages die Entführer mit ihren Forderungen melden werden. Und das vergewissere ich euch, ich werde alles dransetzen die Mama unbeschadet wiederzubekommen. Schließlich liebe und brauche ich sie.“. Eine weitere Möglichkeit, über die ich in der Nacht nachgedacht hatte, wollte ich nicht ansprechen. Ich hatte mal gehört, dass es Menschen, die erst kleinbürgerlich glücklich und zufrieden leben, plötzlich von einer Abenteuerlust gepackt werden und dann vom Zigarettenholen nicht wiederkommen. Aus solchen Phänomenen schlagen ja Fernsehsender noch Kapital; zum Beispiel mit Sendungen wie „Bitte melde dich“. So etwas konnte ich mir allerdings bei Astrid überhaupt nicht vorstellen. Aber konnten das die Anderen deren Männer, Frauen oder auch Kinder so verschwanden? Dieser Gedanke wirkte auch aus dem Grunde, weil ich kürzlich gelesen hatte, das so etwas verstärkt mit den Wechseljahren aufkommt, verstärkt auf mich. Nun mit bald 50 Jahren dürfte Astrid wohl in den Wechseljahren sein – auch wenn die Menopause bei ihr noch nicht eingetreten war. Die Überlegung war mir irgendwie sogar sympathisch, denn ich dachte dass meine Frau so vernünftig ist, dass sie sich das in kürzester Zeit überlegt und heim zu uns kommt. Selbst wenn sie nicht wiederkäme wäre ihr jedenfalls nichts geschehen. Trotz der Sympathie für diese Alternative sagte ich nichts diesbezügliches zu den Kindern. An diesem Morgen gab es ein arg karges Frühstück. Wir alle Drei glaubten nichts essen zu können aber wollten uns am starken Kaffee aufputschen. Unsere Beiden waren übereinstimmend der Meinung, dass sie an diesem Tag wohl dem Schulunterricht nicht folgen könnten und beschlossen deshalb, wo ja auch nichts in Richtung Klausuren oder ähnlichem anstand, diesen ausfallen zu lassen. Dieser „Blaumache“ wollte ich mich anschließen. Ich teilte meinem Nachwuchs mit, dass ich auf dem Wege zur Polizei am Büro vorbei wollte und dort das vorgefertigte Schild „Wegen Erkrankung vorübergehend geschlossen. In dringenden Fällen rufen Sie unter 1 50 55 (unsere damalige Privatnummer) an“ anbringen wollte. Den gleichlautenden Spruch wollte ich auf unserem Anrufbeantworter aktivieren. Bei der Polizei wollte ich, wie man sich denken kann, eine Vermisstenanzeige aufgeben. Sabrina bot sich an mitzukommen, da sie in Personenbeschreibungen mir deutlich überlegen ist. Ich habe den Eindruck, dass Frauen so etwas generell besser können als Männer. Das liegt wohl daran, dass weibliche Wesen erziehungsbedingt mehr wert auf äußere Details legen wie die meisten Männer. Die Weiblichkeit achtete nicht nur bei sich selbst auf Äußerlichkeiten sondern auch bei anderen. Ich gehe tatsächlich davon aus, dass es sich nicht um eine typische feministische Eigenschaft handelt sondern der Hintergrund in der Erziehung liegt. Es gibt natürlich auch viele Männer, aber proportional eine Minderheit, die sehr modebewusst sind und immer versuchen im Trend zu liegen; bei denen ist es in diesem Fall wie bei den Frauen. Demgegenüber gibt es auch Frauen, die wenig wert auf Äußeres legen und die dann ebenfalls schlechte Personenbeschreiber sind. Ich nahm das Angebot gerne an und Sabrina fragte zurück: „Und wann gehen wir los?“. „Wieso gehen,“, fragte ich zurück, „wir nehmen Mamas Auto.“. Damit hatte ich mir dann eine gemeinsame Standpauke meiner Kinder eingehandelt. Sie waren der Meinung, dass ich mir am Vorabend doch einige Promille eingefahren hätte, die sich bestimmt noch als Restalkoholwert messen ließen und zum Anderen sei ich nicht ausgeschlafen. Bei meiner derzeitigen Verfassung wäre ich im Übrigen auch nicht bei der Sache. Entweder Taxi oder die Kombination aus Fußweg und Bus wurde mir als Alternative vorgeschlagen. Ich bin ja ehrlich, dass ich darüber nicht begeistert war aber ich musste zugeben, dass die beiden erstens recht hatten und es zweitens gut meinten. Jeder einzelne Faktor – Alkohol, Mangel an
Schlaf, innere Aufgewühltheit – beeinträchtigten die Konzentration und die Aufmerksamkeit sowie das räumliche Einschätzungsvermögen in einem solch starkem Maße, das Autofahren zu einem gefährlichen Blindflug wird. Immerhin hat man die Kraft ganzer Pferdeherden unter der Haube; da wird ein Kfz schnell zu einem Tötungswerkzeug. Bei mir trafen an diesem Morgen dann auch noch alle drei Faktoren zusammen. Aber für Fußmarsch und Busfahrt fühlte ich mich auch nicht fit und deshalb musste ein Taxi herhalten. Gleich nach dem „Frühstück“ machte ich mich startklar, das heißt Morgentoilette und komplettes Umziehen in den ausgangsfertigen Zustand. Und dann ging es los. Schon kurz nach halb Acht standen Sabrina und ich bei der Olversmühler Polizeistation auf der Matte. Was war das gut, das ich unsere Tochter mitgenommen hatte. Da hatte ich doch prompt das aktuelle Bild von meiner Frau, dass der Polizist in der Nacht am Telefon erbat, vergessen aber Sabrina, die ihren Vater offenbar kennt, hatte daran gedacht und ein aktuelles aus ihrem Bestand eingesteckt. Ich konnte meine Frau beschreiben: 1,51 groß, brünette Haare, braune Augen, Brillenträgerin und schlanke, gutproportionierte Figur. Die Beschreibung ihres derzeitigen Haarschnittes und der Kleidung, die sie am Vortag anhatte, bekam ich nicht in die Reihe, da musste Sabrina einspringen. Bei der Beschreibung des Autos kam ein Wenig mehr von mir: Marke, Typ, Kennzeichen, Farbe und Sonderausstattung. Aber auch hier konnte Sabrina noch mit einigen Details aushelfen. Auf jeden Fall konnte aufgrund unseres Zusammenwirkens eine sehr genaue Fandungsbeschreibung erstellt werden, was mir zum Schöpfen neuer Hoffnung Anlass gab. Solche genauen Beschreibungen sind bei der Aufgabe von Vermisstenmeldungen gar nicht so selbstverständlich, schließlich schießen den Betroffen bei solchen Gelegenheiten allerlei dunkele Gedanken wie Nebelschwaden durchs Gehirn. Der an diesem Tage diensthabende Polizist, der, weil er der Leiter der ehemaligen kleinen Polizeistation Olvermühle war, von der Bevölkerung „der Dorfsheriff“ genannt wurde, lief während dieser Angelegenheit in kriminalistische „Höchstform“ auf. Schließlich sind solche Sachen hier nicht alltäglich. Er spekulierte das alles wahrscheinlich sein könne: Flucht aus dem Alltag, sprich Weglaufen, Entführung oder Verbrechen wie Vergewaltigung und Mord. Hinsichtlich der Entführung und den letztgenannten Verbrechen schränkte er dann erst mal dahingehend ein, dass es sich, wenn überhaupt, um kein geplantes Verbrechen handeln könne, denn in einem solchen Fall hätte es ja absehbar sein müssen, wo und wann Astrid alleine auftreten würde – und das konnte an diesem Abend niemand. Ein spontanes Verbrechen hielt er auch für wenig wahrscheinlich, da man an Leute in fahrenden Fahrzeugen nicht herankommt. Man hätte das Fahrzeug schon zwischen Salein und Weinberg stoppen müssen oder sie vor dem Gasthaus Schneider abfangen müssen – und so etwas geht, nach Ansicht unseres Dorsheriffs nicht ohne dass man dabei Aufsehen erregt. Andererseits hätte man es nicht mit Astrid allein zutun gehabt sondern das Fahrzeug hätte ja auch beseitigt werden müssen – dieses war ja zu jenem Zeitpunkt auch noch nirgendwo wieder aufgetaucht. Wenn schon ein diesbezügliches Spontanverbrechen, dann kann das in dieser Weise nur jemand gewesen sein, den sie freiwillig in das Fahrzeug genommen hat. Nach dem ich dem, auf Sherlock Holmes Spuren wandelnden, Polizisten gesagt hatte das Astrid grundsätzlich keine Anhalter mitnähme meinte dieser, dass es dann nur ein Bekannter gewesen sein könnte und bat uns darüber nachzudenken, wenn sie möglicher Weise getroffen oder von sich aus abgeholt haben könnte. Schließlich kämen fast 80% der Sexualtäter aus dem Bekannten- oder gar Familienkreis der Opfer. Ich gebe mal zu, dass ich im Gegensatz zu Sabrina, später kaum darüber nachgedacht habe, weil mir die „Flucht aus dem Alltag“ in diesem Zusammenhang viel sympathischer erschien, da das die wohl einzigste Möglichkeit ist, bei der man die Vermisste unbeschadet „wiederbekommen“ kann. Auch hier hatte unser zum Kriminalisten mutierte Dorfsheriff so ein paar Theorien auf Lager. Er meinte, dass bei vielen so Verschwundenen auf einmal ein schon früher geäußerter Wunsch, zum Beispiel ein Frühstück bei Tiffany in New York oder ein Strandbummel auf Hawaii oder auch nach einem Liebesabenteuer besonderer Art, „durchgebrannt“ sei. Allerdings käme es auch vor, dass den Leuten bestimmte Dinge im Alltag so überdrüssig geworden sei, dass sie davor einfach spontan weglaufen. Tröstlich war aus meiner Sicht seine Bekundung, dass die meisten Wegläufer nach einer bestimmten Zeit von alleine wieder zurückkämen. „Und tschüss, das war es für immer“ wäre höchst selten. Er hielt es doch für nützlich, mal über Anzeichen fürs Wegläufertum bei Astrid nachzudenken. Sabrina fragte darauf ob ihre Mutter nicht zu alt für so etwas sei. Was der Dorfsheriff hierauf erwiderte hatte ich kürzlich auch mal gelesen. Pubertierende Jugendliche und Leute in den Wechseljahren – Midlifecrisis – seien die überwiegend von dieser Erscheinung erfassten. Na ja, letzteres war es dann was mich ab diesem Zeitpunkt beherrschte. Als wir wieder zuhause waren legte ich mich zunächst einmal auf die Couch und ließ unser ganzes gemeinsames Leben Revue passieren. Das Astrid ganz einfach nur mal weggelaufen ist und jeden Moment wieder, als sei nichts gewesen, hereinkommt war, wie schon ein paar Mal geschrieben, mein sehnlichster Wunsch. Das sie so tut, als sei nichts gewesen, ist bei ihr ja nicht ungewöhnlich. Immer wenn wir uns mal in der Wolle hatten – kleine Streitigkeiten kommen ja in den besten Familien vor; allerdings gab es bei uns nie großen „Knatsch“ - stürmte sie, als wolle sie nie wieder etwas mit mir zutun haben, hinaus in ein anderes Zimmer – außer Haus hatten wir wohl nie Ramba Zamba – und spätestens nach einer Viertelstunde war sie dann mit einer freundlichen Frage zu einem anderen Thema wieder da. Na ja, dann blieb mir auch nichts anderes als auch wieder zur Tagesordnung überzugehen. Nur ganz am Anfang unserer Ehe, im ersten halben Jahr, ging es teilweise deftiger zu. Schon am ersten Tag, am Hochzeitstag, hatten wir uns kräftig in den Haaren. Als wir als frischgetrautes Paar aus der Kirche kamen gab es einen lautstarken Zoff vor versammelter Mannschaft. Worum es gegangen ist weiß ich heute nicht mehr aber auf einem Super-8-Schmalfilm ist dokumentiert, dass es heftig war. Dann
am Nachmittag spielte Astrid mit je einem Cousin von beiden Seiten „Brautentführung“. Ich war so sauer, dass ich ins nächste Wirtshaus raste. Mein Pech: Da waren die Entführer. Meine inzwischen verstorbene Tante sagte damals: „Na Junge, wenn ihr in einem halben Jahr noch zusammen seit, werde ich unseren Hahn zum Eier legen bringen.“. Der Hahn hat zwar, bevor er in den Suppentopf kam, nie ein Ei gelegt aber aus dem halben Jahr sind inzwischen 24 ¾ geworden und wir sind immer noch beisammen. Ganz im Gegenteil: Nach dem wir uns in den ersten Monaten „zusammengerauft“ hatten wurden wir glücklicher und glücklicher. Im Grunde hatten wir eine außergewöhnlich glückliche und harmonische Ehe. Also, ich konnte in diese Richtung suchen und suchen aber einen Grund zum Weglaufen konnte ich nirgendwo sehen. Schon als wir uns entschlossen dem Standesbeamten und dem Pastor die Aufwartung zu machen stand für uns beide fest, dass wir mal zwei Kinder – ein Pärchen – haben wollten. Aber trotzdem haben wir uns fünf Jahre Zeit gelassen bis Astrid vorsätzlich die Pille absetzte. Erst mussten wir uns, wie zuvor geschrieben, erst mal zueinander raufen und dann haben wir erst einmal unsere Zweisamkeit genossen. In dieser Zeit machten wir Jahr für Jahr jeweils für drei Wochen Urlaub zu Zweit. Es war nie was Großes. Zweimal, im ersten und dritten Jahr, waren wir in Rovinij/Istrien, also im heutigen Kroatien. Beide Male machten wir einen Tagesausflug nach „Bella Venezia“. Im kommenden Jahr, also 1997, wollten wir zum 25-jährigen Hochzeitsreisejubiläum diese Sache zum dritten Mal in Angriff nehmen. Bevor unsere Kinder kamen waren wir noch in Hörnum auf Sylt, auf Vlieland/Holland sowie in dem Jahr, wo Astrid mit Oliver schwanger, war im Schwarzwald. Es war also nie eine größere Angelegenheit. Das lag aber an der häuslichen und heimatverbundenen Astrid. Sie war am Liebsten zuhause in ihrem Reich. Nach der Geburt unserer Kinder gebrauchte Astrid immer die Ausrede, das was Kleines besser für die Kinder wäre und so waren wir dann meist in Deutschland, Österreich oder in den Niederlanden. Nur ein einziges Mal waren wir mit den Kindern etwas weiter: Wir waren auf der dalmatinischen Insel Korcula. Erst im Vorjahr 1995 konnte ich mich mit meiner Abenteuerlust und meinem Fernweh durchsetzen, da haben wir eine Karibik-Kreuzfahrt unternommen. Als wir wieder zurück waren erklärte meine „Holde“ doch prompt, dass es ihr gar nicht so gut gefallen habe; sonst die Jahre sei es schöner gewesen. Also, dass meine Frau aus Drang nach Ferne und Abenteuer „abgehauen“ ist kann ich mir gar nicht vorstellen – da für wäre ich eher ein Kandidat gewesen. Also, das berühmte „Zigarettenholen auf Nimmerwiedersehen“ dürfte bei meiner vermissten Frau als Verschwindensgrund auszuschließen sein. Ich konnte überlegen und überlegen und fand keinen triftigen Grund, warum sie von dannen gezogen sein konnte. Das Einzigste worüber sie in den Zeiten unserer bald silbernen Ehe regelmäßig stöhnte war der Umgang mit unserem Oliver, der sich regelmäßig gerne querstellte – sogar bis zum heutigen Tage. Immer wenn ich in den Windungen meiner grauen Zellen auf diesem Punkt kam lief eine Replies ab der Zeugung unserer Kinder bis zum Morgen des 12. Septembers 1996 vor meinem geistigen Auge ab. Das ich jetzt sage „ab der Zeugung“ ist noch nicht einmal übertrieben. Wir haben unsere Kinder geplant wie kaum ein anderes Paar. Astrid hatte sich ausführliche Informationen zur KnausOgino-Methode besorgt, die Pille abgesetzt und nahm auch täglich zwei Mal eine Messung der Körpertemperatur vor. Als sie sich sicher war, dass sie ihre „fruchtbaren“ Tage habe, zelebrierten wir förmlich ein „Stunde der Zeugung“. Ich bin zwar kein Kind von Traurigkeit aber was sich in dieser Feststunde abspielte behalte ich doch lieber als kleines intimes Geheimnis für mich. Ich kann nur sagen, dass es sehr, sehr schön war. Wenn ich vor Astrids Verschwinden daran dachte empfand ich immer richtige Glücksmomente und jetzt, nach ihrem Verschwinden wurde es in meinem Inneren rührselig und es trieb mir die Tränen in die Augen. Mit ihrem Verschwinden hatte das natürlich nichts zutun. Genauso wenig wie die Erinnerungen an die Geburt der Kinder – bei Sabrinas Geburt, die meine Beste tatsächlich blitzartig „über die Bühne brachte“, war ich im Kreißsaal mit dabei. Auch das Denken an die Tage, wo unsere Kinder in den Kindergarten, in die Grund- und später Gesamtschule kamen, dienten wohl in keiner Weise der Aufklärung der jetzt anstehenden „schlimmen“ Angelegenheit aber immer wieder traten mir die Erinnerungen an diese Tage, genau wie diverse Vorfälle während der Kindergarten- und Schulzeit unserer Kinder, so in den Sinn als sei alles erst vergangene Woche gewesen. Vielleicht hat so etwas auch mit der Bewältigung der momentanen Situation zutun. Angst und Sorgen zerdrückten mich fast an jenem Tag, ich drohte verrückt zu werden. Und immer, wenn mir Gedanken, wie zuvor beschrieben, in den Kopf schossen hatte ich das Gefühl als würde es wieder erträglicher. Wenn ich versuchen will die Frage „Warum nur, warum“ zu beantworten muss ich schon über Ereignisse aus neuerer Zeit nachdenken. Aber da gab es nichts besonderes. Im Laufe des Jahres 1996 hatte ich nur ein einzigste Mal Streit mit ihr – sofern man so etwas überhaupt Streit nennen kann. Im Januar war ein von uns beauftragter Ablesedienst bei unseren Mietern unterwegs. Alle unsere Wohnungen sind mit Einzelzählern für die Belieferung mit Wärme und Wasser ausgestattet. Jetzt war es passiert, das in einem Haus mit 6 Parteien bei 2 Mietern der Wohnungswasserzähler ausgefallen war. So etwas ist nun nicht weiter schlimm, denn dann kann man bei der Nebenkostenabrechnung ja auf althergebrachte Schlüssel zurückgreifen. Man kann nach Quadratmetern, nach Personen oder nach einem nachvollziehbaren Schlüssel aus Quadratmetern und Personen abrechnen. Letzteres hatte mal, als wir noch keine Uhren installiert hatten, mein Schwiegervater eingeführt und auf diesen Schlüssel wollte ich jetzt auch wieder zurückgreifen. Astrid war der Meinung, dass das, was für Heizkosten nach der Heizkosten-Verordnung gelte, auch auf andere Ablesearten, also hier Wasser, zu übertragen sei. Nach HeizkostenVO müssen, bevor bei Uhrenausfall, die die Mieter nicht zu vertreten haben, nach alten Schlüssel abgerechnet wird von der Gesamtsumme 10% zu Lasten des Vermieters
abgezogen werden. Damit will der Gesetzgeber Druck auf die Vermieter ausüben, stetig und schnell für intakte Uhren und damit für Mieter faire und für die Umwelt nützliche Abrechnungen zu sorgen. Meine bessere Hälfte war also der Meinung, dass wir dieses jetzt auch beim Wasser so machen sollten. Ich dagegen vertrat die Ansicht, dass wir nichts zu verschenken hätten und wir steigerten uns in eine echte „Fetzerei“. Auch hier kam es zu dem üblichen Abschluss: Wutentbrannt raste Astrid aus dem Raum und kam 10 Minuten später mit freundlichem Ton und einem ganz anderen Thema zurück. Diesmal griff ich die Sache aber wieder auf: „Entschuldigung Muckelchen, natürlich machen wir es so wie du gesagt hast ... schließlich bis du die Chefin und ich nur dein Geschäfts- und Geschlechtsführer.“. Nach Abschluss meiner vermeintlich netten Entschuldigung lächelte ich sie fröhlich an. Aber diesmal hatte ich prompt doppelt daneben getreten. Einmal hatte ich nach ihrer Ansicht mein Licht ungerechtfertigter Weise unter den Scheffel gestellt und zum anderen fühlte sie sich durch meine Großmäuligkeit diffamiert. Ich kläre mal das Letzte zuerst auf. Sie „tönte“ – wohl nicht ganz zu Unrecht – dass ich mich mit dem Wort „Geschlechtsführer“ offensichtlich zum tollen Hecht und sie zu einem Sexobjekt machen würde. Ich wäre ja sonst auch kein Macho und hätte das auch nicht nötig. Sie die Chefin und ich nur der Geschäftsführer wollte sie auch nicht stehen lassen. Sie habe den Laden zwar von ihrem Vater geerbt aber das habe nichts zusagen. Wir seien ein zusammengewachsenes Team und da gelte, dass das was ihr sei auch meins sei und wir gemeinsam gleichberechtigte Bosse seien. An dieser Stelle kam auch, was sie so oft sagte: „Ach Schatzi, ich kann mir ein Leben ohne dich gar nicht mehr vorstellen. Ich will mit dir sehr alt werden.“. Diesmal war ich allerdings einsichtig und entschuldigte mich wortlos in dem ich sie umarmte und küsste. Darauf schlug sie dann ein „Mittagsschläfchen“, zu dem ich auch nicht abgeneigt war, vor. Alles in Allem konnte ich also weder in unserer Ehe noch in meiner Person einen Grund für ihr „Abhauen“ finden. Oft hört man auch von dem „Entfliehen vor dem Alltag“. Natürlich dachte ich auch darüber nach. Aber auch da gab es nichts besonderes. Wir führten ein kleinbürgerliches Familienleben, was aber offensichtlich im Interesse beider Partner lag. Nun, mit „kleinbürgerlich“ meine ich jetzt weder konservativ noch liberal, auch besonders progressiv waren wir nicht ... halt kleinbürgerlich, wie sollte ich es denn sonst bezeichnen. Aber das war unser hergebrachtes Naturell. Sowohl Astrid wie auch ich waren schon so bevor wir uns kannten und wir hatten diese Lebensform, mit der wir nicht unglücklich waren, von unseren Eltern übernommen. Dann hatten wir ja noch das große Plus, dass wir sowohl in den Möglichkeiten unserer Tagesplanung wie wirtschaftlich unabhängig waren. Wenn wir mal was anderes wollten, machten wir das einfach. Wo ist da ein Grund, einem solchen Alltag zu entfliehen. Man hört öfters auch mal, das andere Männer oder die Lust auf sexuelle Abwechselung der Grund dafür sei, warum Frauen von dannen ziehen. Aber wo sollte Astrid diesen anderen Mann her haben? Wir waren ja fast immer zusammen. Nur zu ihrem Frauenkreis und zum Turnen beziehungsweise zum Arzt ging sie alleine. Während ich im Büro unserer Wohnungsgesellschaft saß besorgte sie den Haushalt oder war einkaufen. Ansonsten hingen wir wie Kletten zusammen. Da gab es überhaupt keine Gelegenheit einen Mann, wegen dem oder mit dem man abhaut, zu finden – so etwas lässt sich ja nicht zwischen Tür und Angel verabreden. Und Lust auf Sex? Nun, wir waren beide nicht prüde. Astrid nutzte ganz gerne mal Gelegenheiten um zu zeigen was sie hatte. Wenn wir mal an einem Strand oder in einem Freibad, in dem sie es nicht alleine war, waren zeigte sie sich grundsätzlich Oben Ohne. Sie konnte ja auch was zeigen, denn ihre Busen waren nicht zu groß dafür aber wohlgeformt und stramm. Wenn sie Oben Ohne war hatte sie stets ein sehr knappes Höschen, dass man auch volkstümlich als „Strick durch den Ar...“ bezeichnen könnte, an. Vor 15 Jahren hat sie auch einmal von einer Künstlerin ein Aktgemälde von sich fertigen lassen, welches immer noch, sehr zum Verdruss unserer Kinder, insbesondere Olivers, bei uns im Schlafzimmer hängt. Sie hat es dann zeitweise fertig gebracht Besucher durchs Haus zu führen um knallhart auf das Bild hinzuweisen. Ab und zu, wenn wir beisammen waren, ließ sie mal ihrer Phantasie freien Lauf. Sie spann dann da rüber nach, wie es wäre wenn wir es mal pärchenweiße treiben würden oder wie es wäre, wenn uns jemand beim „Geschäft“ auf Video aufnehmen würde. Wenn ich aber dann mit etwas Abstand so tat als wolle ich sie beim Wort nehmen machte sie aber blitzartige Rückzieher. Dass die Phantasie mal mit ihr durchbrannte war durchaus nicht unüblich aber dass sie wegen so etwas urplötzlich, wie der Blitz aus heiterem Himmel, verschwinden würde konnte ich mir absolut nicht vorstellen. So überlegte ich an jenem 12. September 1996 von Morgens bis Abends und stellte immer wieder die Frage „Warum nur, warum?“. Dabei war ich nicht alleine, auch Sabrina und Oliver schoss eine Überlegung nach der anderen durch den Kopf. Unser, sich gerne großmäulig gebende, Oliver war sehr häufig am Heulen. Der Junge hing nun wirklich sehr stark an seiner Mutter obwohl man aus seinen ständigen Aufsässigkeiten uns gegenüber eigentlich was anderes schließen könnte. Er, der in seiner Kindheit und Jugend gerne einen Bock nach dem anderen schoss und sich dann anschließend immer selbst als das Unschuldslamm darstellte – Schuld waren immer die anderen -, machte sich jetzt Gedanken darüber ob er ihr die Veranlassung für ihre „Flucht“ gegeben haben konnte. Ich versuchte ihm immer damit zu trösten, dass wir ja nicht vor ihm zu fliehen brauchten weil wir ihn im Bedarfsfall ja auch achtkantig aus der Wohnung hätten feuern können, aber wir dieses nie gemacht hätten weil wir ihn viel zu lieb hätten. Dieses waren nicht nur einfach daher gesagte Trostworte sondern die Wahrheit. Aber nicht nur im Hause Rossbach sondern auch im Hause Salein beherrschte das Unerklärbare das Denken der Menschen. Walter, Astrids Bruder kam am Abend zu uns weil er das Bedürfnis sich mit uns auszutauschen hatte. Er wäre schon früher gekommen, wenn nicht der landwirtschaftliche Betrieb tagsüber seinen vollen Einsatz verlangen
würde. Er brachte einen neuen Aspekt in unsere Gedanken- und Sorgenwelt. Er berichtete von einer Schwester seines Opas, die sie Tante Trine nannten. Er glaubte – wusste es aber nicht genau – sie habe in Wirklichkeit Katharina geheißen. Sie wäre eine alte, unverheiratete Jungfer gewesen. Eines Tages war auch sie auf dem Wege aufs Feld verschwunden. Eine Woche später hat man sie barfuss laufend mit wunden Füßen irgendwo in Bayern aufgegriffen. Trine hatte einen religiösen Tick bekommen. Sie hatte den Wahn der Messias habe sie nach Jerusalem bestellt. Weil sie glaubte eine Sünderin zu sein, wollte sie dann mit nackten Füßen dorthin marschieren. Sie wurde zurück gebracht und kam in eine „Anstalt“ – heute würde man psychiatrische Klinik sagen – in der sie dann nach etwa 2 Jahren verstarb. Walter machte sich jetzt Gedanken darüber ob seine Schwester so etwas vielleicht geerbt habe. Das machte mich jetzt auch ein Wenig stutzig, denn zu den Frömmlern oder Profichristen haben wir nie gehört. Aber das wir Heiden waren kann man auch nicht sagen. Mindestens einmal im Monat sowie fast immer zu Himmelfahrt und Heilig Abend sind auch wir immer zusammen zur Kirche gegangen. Nach dem Gottesdienst haben sich dann Astrid und ich auch nicht selten über die Predigt unterhalten. Unsere Kinder sind getauft und wurden konfirmiert. Also ich würde mal sagen, dass wir ganz normale evangelische Christen waren, denen ihr Glaube nicht gleichgültig war. Da wir uns oft über alles Mögliche aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Sport und, und ..., und natürlich auch Religion unterhielten, habe ich mir erst nichts dabei gedacht, als Astrid in letzter Zeit häufig von einer eigenen religiösen Philosophie sprach. Das änderte sich jetzt nach dem Bericht von Walter aber schlagartig. Astrid philosophierte über die Existenz Gottes. Sie war fest davon überzeugt, dass es ihn gäbe. Nach ihrer Ansicht dürften die Naturwissenschaftler recht haben, wenn sie annehmen, dass diese Welt vor zirka 16 Milliarden Jahren nach dem Urknall entstanden ist und der Stoff zum Leben von vornherein in der gewaltigen Masse vorhanden gewesen sei. Aber reiner Zufall, an dem Wissenschaftler sonst ja auch nicht glauben wollen, kann das nach Astrids Meinung nicht gewesen sein. Nach ihrer Ansicht muss dahinter eine treibende Kraft, ein gewaltiger Geist, kurz gesagt Gott stecken. Und ahnungslos hat er uns Menschen auch nicht gelassen sondern er hat sich uns immer und immer wieder im Verständnis der jeweiligen Menschen offenbart. Sie kam mehr und mehr zu der Überzeugung, dass hinter den Glauben an Gott, Allah, Zeus, Jupiter, Wotan und, und, ... immer der gleiche allmächtige Gott stecke. Der Unterschied wäre nur in der Art, wie er sich den Menschen offenbart habe. Dem Glauben aller Religion, auch der der Urvölker, wäre ja gemeinsam, dass die Menschen nach dem Bilde dieses Gottes geschaffen seien und gemeinsam haben alle auch die Gebote, die der Fortführung und dem Erhalt der Schöpfung dienen. So ganz Unrecht hatte sie aus meiner Sicht gar nicht, denn auch ich habe schon früher mal in diese Richtung nachgedacht. Mir waren auch schon die Übereinstimungen im Kontext aller Religionen aufgefallen. Astrid war damit angefangen, als sie vor zirka einem halben Jahr mal Zeugen Jehovas eingelassen hatte und mit ihnen über die Schöpfungsgeschichte, die die Besucher wörtlich genommen wissen wollten, diskutierte. Astrid war der Meinung, dass es reichlich naiv sei, dieses wörtlich zu nehmen. Die Bibel wäre ja kein vom Himmel gefallenes Buch sondern es wären Schriften von Menschen. Diese hätten in ihrem Verständnis niedergelegt, wie sich Gott ihnen offenbart habe. Und dieses in einer Sprache, die die anderen verstehen konnten. Was hätten denn die Leute vor über dreitausend Jahren, als die Genesis (1. Buch Moses) entstand, vom Urknall halten sollen? So gesehen sah sie keine gravierenden Differenzen zwischen der biblischen Schöpfungsgeschichte und den Naturwissenschaften. Aber dieses deckte, oder besser gesagt: deckt, sich auch mit meiner Meinung. Am Mittag als ich vom Büro nach Hause kam, berichtete mir Astrid von dem morgendlichen Besuch der beiden Zeuginnen Jehovas und kommentierte: „Seltsam, wenn ich diese märchenhaften Wundergeschichten aus der Bibel wörtlich nehmen würde könnte ich nicht mehr an Gott glauben. Das ist doch alles ... ich weiß nicht; einfach unglaubhaft.“. Und da begann für uns dann eine Folge von zahlreichen Diskussionen zu den Themen: Gibt es Gott wirklich? Wie hat er sich uns offenbart oder plappern wir nur das nach was die Alten sangen? Ist die Bibel Gottes Wort oder sind es Menschen Worte, die darüber berichten, wie er sich ihnen offenbarte? Wenn es wirklich so ist, dass die Berichte von Allah, Zeus, Jupiter, Wotan und, und, alle von den gleichem allmächtigen Gott zeugen, welchen Sinn macht dann eigentlich Mission? Aber so eine Theorie von einem Multi-Kult-Gott ergibt irgendwo auch keinen Sinn, denn dann fangen wir an zu interpretieren. Durch Interpretation ist der Glaube dann aber nichts Konkretes mehr sondern er unterliegt der Beliebigkeit: Jeder nach seiner Fasson. Da wir keine Theologen sind, noch nicht einmal allsonntägliche Gottesdienstbesucher, kamen wir natürlich zu keinem Fazit, welches wir als Lehrsatz hätten anbieten könnten. Wir waren uns nur einig darüber, dass die Bibel im Kontext eine eindeutige unmissverständliche Aussage trifft und danach ist Gott der Schöpfer und alleiniger Herr der Welt und wenn wir Ihn und seine Schöpfung respektieren und ehren wird unsere Seele, die Er nach seinem Bilde geschaffen hat, ewig in Vollkommenheit und Glück leben. Na ja, soweit Astrids Philosophie, der ich mich auch weitgehendst anschließen kann. An dem Abend, als mein Schwager Walter von der, im religiösen Wahn gestorbenen Tante Trine berichtete kam es mir so vor, als habe Astrid in letzter Zeit immer häufiger von diesem Thema gesprochen. Sollte sie sich da, weil sie eventuell erblich vorbelastet war, in etwas rein gesteigert haben? Nachdem Walter gegen halb Elf gegangen war, ließ ich den Empfang am Abend meines Geburtstages noch mal Revue passieren und fand tatsächlich etwas, was möglicher Weise hätte der Auslöser sein können. So mit halben Ohr hatte ich mitbekommen, dass sich die beiden anwesenden evangelischen Pastöre kurz über das Thema „Judenmission“ unterhielten. Worum es ging habe ich nicht mitbekommen, nur dass sich Astrid, bevor sie
dieses Thema „drauf“ hatten, mit ihnen angeregt unterhalten hatte. Ich beschloss am nächsten Tag Pastor Kühn, den reformierten Pfarrer in Weinberg, mal danach zufragen, worüber er sich vor dem Judenmissionsthema mit Astrid unterhalten habe. Vielleicht gibt dieses einen Aufschluss über ihr Verschwinden. Ich konnte es kaum bis zum Freitag dem Dreizehnten abwarten. Schon um 9 Uhr hatte ich Pastor Kühn an der Strippe. Aber eigentlich bereitete mir das, was mich unter anderen Umständen hoch erfreut hätte, eine Enttäuschung. Sie hatten sich über mich unterhalten und Astrid hatte den Pastören „verklickert“, dass es für sie keinen besseren Mann als mich auf der Welt gäbe. Und über meinen Vornamen Dieter waren sie, nachdem Astrid sich anderen Gästen zugewandt hatte, auf das Thema Judenmission gekommen. Dieses wäre mal Thema auf einer Synode gewesen und da wäre ein Kollege von ihnen, der mit Nachnamen so wie ich mit Vornamen heißt, gewesen, der im theologischen Sinne ein Wenig aus der Rolle gefallen. Daraufhin wollte ich dem Pfarrer von Astrids rätselhaften Verschwinden berichten und ihn fragen, ob er es für möglich halte, ob sich religiöser Wahn, dem ihre Großtante offensichtlich erlegen war, vererben könne – also von der Ururgroßeltern her. Das Erste brauchte ich nicht zu berichten, denn das stand in der Lokalzeitung und davon, dass sich zum Beispiel ein Messiaswahn vererbt, hatte er noch nie gehört. Jetzt stand ich wieder da, wo ich hergekommen war. Wieder stand die Frage „Warum, nur warum?“ offen. Andererseits frage ich mich nachträglich was es mir genutzt hätte, wenn sich der Verdacht auf so einen Glaubenstick erhärtet hätte. Dann hätte ich auch nicht gewusst, wo ich hätte suchen sollen. Und ob das tröstlich ist, dass die geliebte Frau möglicher Weise reif für die „Klapsmühle“ ist kann ich auch nicht gerade sagen. Ein anderes Gefühl stieg in mir auf: Lieber eine schlechte Nachricht als überhaupt keine – Ungewissheit frisst einen auf. Natürlich verdrängte ich dieses immer wieder, denn das mein über Alles geliebten Schatz etwas passiert sein könnte wollte ich auch nicht wahr haben. Aber mit diesen Gedankengängen hatte ich nicht alleine zu tun, unseren Kindern ging es genau so wie mir. Das komplette folgende Wochenende, an dem wir nichts Neues erfuhren, ging dann mit solchen Grübeleien drauf. Ich habe diese Geschichte hier so ausführlich geschrieben um Leuten, die nur mal so „just for fun“ an ein Abhauen denken, einmal vorzuführen, was sie damit anrichten. Sie sorgen für Leid und Schmerz bei ihren Angehörigen. Zum Kapitel 3
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Eine Spritztour nach Berlin Am darauffolgenden Montag versah ich wieder meinen Dienst im Büro und auch die Kinder gingen wieder zur Schule. Wir hatten irgendwie das Gefühl, das müsste so sein, damit wir aus der unentwegten Grübelei herauskommen. Es kann sein was will, das Leben geht unaufhaltsam weiter. Früher, wenn ich mal ein paar Tage, zum Beispiel für den Urlaub, ausgesetzt hatte, war ich ganz heiß auf meine wohnungswirtschaftliche Tätigkeit, was ich aber von diesem Tag überhaupt nicht sagen konnte. Aber Zuhause sitzen und grübeln ist auf die Dauer eine echte Tortur. Vielleicht liegt es an einem solchen Durchhängenslassen, wenn Leute nach einem schlimmen Erlebnis Jahre oder gar Jahrzehnte nicht von ihrem Komplex herunterkommen. Wenn man nicht in alltäglicher Weise ins Leben zurückkehrt wird das eigene Gehirn zum Marterinstrument, das letztlich den Menschen zerstört. Aber von einer alltäglichen Weise konnte ich an diesem Morgen in zweierlei Hinsicht nicht sprechen. Einmal war ich mit meinen Gedanken nie richtig bei der Sache und zum anderen gab es einen außergewöhnlichen Besucherandrang. An diesem Montag erschienen mal drei Mal so viele Leute – und das noch nicht einmal nur unsere Mieter – wie an normalen Arbeitstagen. Die Lappalien, die sie mir vortrugen hielt ich schlicht und einfach für Vorwände, um mal von Neugierde getrieben etwas vor Ort und aus erster Hand zu erfahren. Oliver und Sabrina berichteten am Nachmittag, dass sie in der Schule ähnliche Erlebnisse hatten. Schülerinnen und Schüler aus anderen Jahrgangsstufen, mit denen sie sonst so gut wie nichts zutun gehabt hätten, wären nun zu einem „Schwätzchen“ auf sie zukommen. Jugendliche sind jedoch offensichtlich direkter als Erwachsene. Die halten augenscheinlich noch nichts von der Diplomatie genannten Augenwischerei. Die haben dann direkt nach dem gefragt, was sie wissen wollten. Aber die Lehrer machten es dann halt, wie die Besucher in der Wohnungsgesellschaft auch, auf der 10.000-Umwege-Tour. Unserem, immer etwas zum Jähzorn neigenden, Oliver hat es dann gepackt und er hat die Oberstufenleiterin angeraunzt, ob er nicht die Hausübertragungsanlage benutzen solle, damit auch der Letzte erfährt was los war und wir wissen. Na ja, auf lokaler beziehungsweise sogar regionaler Ebene waren wir momentan Sensationspromis. Immerhin war die allseits beliebte „Königin von Salein“ aus unerklärlichen Gründen verschwunden – so stand es jedenfalls in unserem Käseblättchen. Etwa eine halbe Stunde nach dem unsere Kinder an diesem Tage von der Schule nach Hause kamen und mir des eben beschriebene berichten konnten bekam ich einen Anruf auf den ich, zwar nicht in dieser Weise aber trotzdem „lange“ gewartet hatte. Am anderen Ende war unser Dorfsheriff und teilte mir mit, dass man eine erste Spur habe. Unseren BMW hatte man mit leerem Tank in Berlin-Marienfelde auf dem Gelände eines Klosters gefunden. Ich wusste zuvor gar nicht, dass es in Berlin auch Kloster gibt. Marienfelde sagte mir bis dato nur in zweierlei Hinsicht etwas. Ich hatte mal gehört, dass es zu Zeiten des österreichischen Psychopaten Hitler, den die braune deutsche Herde ihren Führer nannte, dort eine Kettenhunde-Siedlung, also etwas für die SS-Terrorbande, gegeben habe und zum Anderen hatte ich schon mal von einem dortigen Übergangslager gehört. Ich glaube, bei der SS-Kaserne und bei dem Übergangslager handelte es sich um ein und das selbe Gebäude. Aber Häuser können ja nichts dafür wer in ihnen gehaust hat. Nun, unser Dorfsheriff bat mich doch mal kurz bei ihm vorbei zu kommen. Er wollte als ich auf der Wache war unter anderem wissen, ob wir irgendwelche Beziehungen nach Berlin und vielleicht nach dem zum Bezirk Tempelhof gehörenden Ortsteil Marienfelde hätten. Also beim besten Willen konnte ich da nichts ausmachen. Alles was ich von diesem Vorort, in dem weder Astrid noch ich jemals bewusst gewesen sind, weiß habe ich im vorhergehenden Absatz geschrieben. Seltsam auch warum eine doch relativ vermögende Frau mit Schecks und Plastikgeld in der Tasche ihr Auto wegen eines leeren Tanks stehen lassen sollte erschien mir doch äußerst schleierhaft. „Sie waren als noch nie in Berlin,“, fragte der Polizist, „wo man doch früher immer sagte Berlin sei eine Reise wert.“. Darauf musste ich einschränken, dass ich Astrid sogar in Berlin kennen gelernt hatte. Wir waren beide erst- und einmalig dort – und das liegt jetzt 25 Jahre zurück. Aber diese Geschichte will ich jetzt erst einmal der Reihe nach erzählen. Ich stamme ja aus dem deutlich größeren Waldstadt. Das liegt zwar in der unmittelbaren Nachbarschaft von Olvermühle aber in der Regel haben die Olvermühler und die Waldstädter, wenn sie nicht als Politik- oder Verbandsfunktionäre engagiert sind, recht wenig Kontakt miteinander. Es handelt sich halt um zwei verschiedene lokale Welten im Romanischen Kreis. Astrid stammt, wie jetzt schon ausreichend erwähnt, aus dem Olvermühler Gemeindeteil, der ihren Mädchennamen Salein trägt. Es war schon immer so, dass sich die Olvermühler Vereine und Kirchengemeinden gerne bei größeren Aktivitäten ihren gleichartigen „Geschwistern“ in den größeren Nachbarstädten anschlossen. So war es auch anno 1971. Die evangelischen Kirchengemeinden in Olvermühle und Waldstadt veranstalten damals eine „Jugendfreizeit“ – für junge Leute von 16 bis 25 – in Berlin. Auch ich hatte mich, weil es relativ preiswert und zweitens interessant erschien, dazu gemeldet. Es kam bei mir noch ein kleiner Hintergedanke dazu: Ich war Mitte zwanzig und bis auf einem kleinen Rest, zu denen ich auch gehörte, waren alle die mit mir zur Schule gingen bereits „unter der Haube“ und ich hatte noch nicht einmal im Ansatz eine „Frau fürs Leben“ erspäht. So wollte ich dann diese Tour auch ein Wenig zur Brautschau nutzen. Immerhin sollten, wie ich, als ich mich verbindlich anmeldete, erfuhr 26 weibliche und einschließlich meiner Person nur 18 männliche Personen mitreisen. Da hätte doch diesbezüglich etwas für mich dabei sein können.
Bei der Abfahrt war dann die Enttäuschung zunächst mal groß. Da war nichts für meines Vaters einzigen Sohn dabei. Das lag wohl so an dem Traumabbild was ich von meiner künftigen im Kopf hatte. Irgendwo schwante mir etwas von so einem Typ wie Claudia Schiffer – wenn ich mal eine Person aus der heutigen Zeit nehmen darf – aber mit erheblich größeren, jedoch nicht silikongestylten strammen Busen sowie wie langen Haaren bis zum Popo. Sie sollte hyperintelligent und vom Wesen lieb und unterwürfig sein. Jetzt weiß ich noch nicht einmal ob ich jetzt nicht ein Wenig übertrieben habe aber es dürfte jedermann klar sein, dass es eine solche Superfrau nicht gibt. Folglich war ich bei der Abreise am Waldstädter Bahnhof schon riesig enttäuscht – wieder einmal ein Satz mit X: War nix. Zwei junge Damen, die ich „zur Not“ auch noch genommen hätte, waren offensichtlich vergeben. Von Astrid hatte ich zunächst überhaupt keine Kenntnis genommen. Dafür interessierte sich Horst Peters, damals ein Freund von mir, sich sehr für sie. Aber der achtete bei der Damenauswahl auf andere Kriterien. Ehrlich sagte er mir mal, dass es ihm bei betuchten Damen überhaupt nicht auf das Aussehen ankäme. Na ja, Astrid war die Tochter des Großbauern und –vermieters Salein aus Salein – also ein Fall für Horst. Horst wurde schon auf dem Bahnsteig bei Astrid vorstellig und bewegte sie dazu mit uns und zwei anderen in ein Abteil zukommen. Aber der Zuspruch war nicht beidseitig; Horst war nicht der Typ der die damalige Prinzessin von Salein begeistern konnte. Als ihr mein Freund während der Fahrt zu aufdringlich wurde bat sie mich mit ihr das Abteil zu wechseln. Während der gesamten Fahrt nach Berlin saßen wir dann auch nie allein in diesem. Da konnte sich damals zwischen Helmstedt und Berlin Zoologischer Garten oder zumindestens bis Wannsee nichts dran ändern, denn auf der Transitstrecke ließ man niemanden ein- oder aussteigen. Lediglich in Marienborn stiegen DDR-Grenzer, die uns in Griebnitzsee wieder verließen, zu. Da konnte sich natürlich nichts in Richtung Paarwerdung abspielen. Das wollten wir ursprünglich auch gar nicht. Ich war für Astrid lediglich ein Gesprächspartner mit dem man sich gut unterhalten konnte und umgekehrt war sie dieses für mich. Bei den Gesprächen hatten wir dann auch einen „exklusiven“ Anknüpfungspunkt: Sie war von Beruf Wohnungswirtschafts-Kaufrau und ich als Verwaltungsfachangestellter derzeitig im Wohnungsamt der Stadt Waldheim beschäftigt. Da unterhielten wir uns dann rein fachlich und ansichtsmäßig über den Sozialen Wohnungsbau, Wohnungsbindung und so weiter. So kamen wir auch auf die Gropiusstadt in Berlin, von der wir beide schon sehr viel, meist negatives, gehört hatten, zu sprechen. Da trafen wir beide dann eine Vereinbarung aus der sich dann unser ganzes restliches Leben entwickeln sollte: Wir wollten uns diese Gropiusstadt mal mit eigenen Augen ansehen. Damit standen wir in dieser Gruppe natürlich alleine. Bei den anderen stand, wenn die Mauer abgehakt sei, nur der Kurfürstendamm im Interessensblickwinkel. Daraus folgert, dass wir bereits bei der Hinfahrt eine Absonderung von der Gruppe verabredet hatten. Bereits am zweiten Nachmittag während unseres Aufenthaltes konnten wir unser Vorhaben in die Tat umsetzen. Also keiner von uns Beiden verspürte dahingehend, dass man dort mal wohnen wolle, ein Bedürfnis. Als wir nach dieser Visite wieder zurück in der Herberge waren, stand das Haus leer. Offensichtlich tobte alles auf dem Ku’damm rum – und uns zog nichts dahin. So saßen wir Beide, ledige Personen unterschiedlichen Geschlechts, beide kurz vor Vollendung 25. Lebensjahr, alleine in der Herberge und ich betrachte jetzt die junge Dame aus einem nicht mehr so visionären Augenwinkel. Jetzt kam mir der Gedanke, dass Astrid gar nicht so übel sondern sogar recht hübsch sei. Irgendwie konnte ich mir vorstellen mit ihr zusammen zu gehen. Ich weiß nicht wie so aber irgendwie hat sie, wie sie mir später auch sagte, mitbekommen was sich in meinen Gedanken abspielte und mich daraufhin auch entsprechend „begutachtet“. Bei ihr kam jetzt umgekehrt auch die Meinung auf, ich könne etwas für sie sein. Sie lächelte mich mit einer kusserwartenden Kopfhaltung an, was ich dann prompt ausnutze. Gemeinsam haben wir noch viel mehr ausgenutzt: In Folge der günstigen Gelegenheit haben wir dann gleich miteinander „geschlafen“, wobei man uns dann, wie es so ist, auch postwendend in Flagranti erwischte. Dadurch hatten wir natürlich Aufsehen erregt und so blieb uns dann nichts anderes als uns zum zusammengehörigen Paar zu erklären und zu bekennen. Der Gedanke an nur einem Urlaubsflirt verschwand während der drei Wochen immer mehr und so kamen wir dann tatsächlich als ein echtes Paar zurück. Auf unserem letzten Hochzeitstag meinte Astrid dazu: „Gott hat uns füreinander bestimmt und im Urlaub 1971 zusammengefügt.“. An dem Erwischtwerden – und das ausgerechnet von einem Vikar und einem Pastor - am zweiten Tag hatte ich doch ein Weilchen „zu knacken“. Es war mir äußerst peinlich und führte in der Folgezeit dazu dass ich mich doch ein Bisschen mehr als nur ein Wenig aus kirchlichen Kreisen zurückzog. Erst kurz vor Weihnachten des gleichen Jahres nahm ich an dem ersten Gottesdienst nach der Jugendfreizeit teil. Das aber nicht weil es weihnachtete sondern weil wir aufgeboten wurden. Richtig, wir hatten es nach dem Kennenlernen verdammt eilig. Die Freizeit fand im August 1971 statt, Ende Oktober des gleichen Jahres waren wir schon verlobt und wieder zwei Monate später, am 30. Dezember – Astrids 25. Geburtstag – wurde aus Astrid Salein Frau Rossbach. Und ein weiteres halbes Jahr später war ich kein Rathaus-Schemel-Besetzer mehr sondern der Büroleiter in der Wohnungswirtschaft meines Schwiegervaters. Aber noch mal zurück zum Ausgangspunkt, zur Berliner Freizeit im Sommer 71. Schon während dieser führte mein Schamgefühl zu dem ständigen Wunsch mich möglichst oft von den anderen Reiseteilnehmern abzusondern. Astrid hatte damit absolut kein Problem und stand zu der Sache. Mehrfach sagte sie: „Was soll es, es ist doch alles normal. Die Kinder von den Pastören hat doch auch nicht der Heilige Geist gezeugt und irgendwann müssen es auch die Pastöre mit ihren Frauen zum ersten Mal getrieben haben ... und ob die zu dem Zeitpunkt alle verheiratet waren? Ich glaube es wird
nirgendwo mehr gelogen als beim Heiligreden von eigenem sexuellem Empfinden und Erleben“. Aber sie akzeptierte meine Empfindungswelt und schloss sich mir bei jeder Absonderung zu jeder gegebenen Gelegenheit an. Na ja, da hat sie schon mal für die folgenden 25 Jahre geübt. Da ich dann möglichst auch den Anderen nicht durch Zufall über den Weg laufen wollte mieden wir natürlich den Ku’damm und seine Nebenstraßen. So bekamen wir im Gegensatz zu üblichen Berlin-Touristen dieser auch das Gesicht dieser Stadt außerhalb der touristischen Zentren mit. Wir mussten übereinstimmend feststellen, dass wir echte „Landeier“ sind. Solche Großstädte mit ihren anonymen Menschenmassen und Häuserschluchten war nichts für uns. Selbst bei einem Bummel um die Krumme Lanke oder durch den Grunewald laufen ein haufenweise Leute über den Weg. Nirgendwo ein intimes Örtchen wo man mal die Seele baumeln lassen kann. Von Morgens früh bis in die Nacht in den Hauptstraßen geschäftige Hektik. Will man mal ins Theater oder ins Kino muss man überall Schlange stehen. So locker und lässig wie bei uns läuft das nirgendwo ab. Na ja, in Berlin laufen ein regelmäßiger große Namen über den Weg – aber deshalb lohnt es sich aus unserer Sicht nicht gleich dort zu leben. Und, je nachdem wo man in Berlin wohnt muss man ja auch ein paar Kilometerchen fahren wenn man mal zu einem kulturellem Ereignis möchte – nur bei uns findet man dann mit Sicherheit auch einen Parkplatz. Jetzt gibt es noch das Argument mit den vielen Hallen- und Freibädern sowie anderen Freizeiteinrichtungen. So viele wie in Berlin gibt es im Romanischen Kreis natürlich nicht aber ich habe mal nachgerechnet: Proportional zur Einwohnerzahl sind wir hier im ländlichen Raum wesentlich besser versorgt. Jede einzelne Einrichtung hier ist für viel, viel weniger Einwohner wie in Berlin. So überlaufen wie Berliner Freibäder an normalen Tagen sind findet man hiesige noch nicht einmal an sommerlichen Spitzentagen vor. Die verehrten großstädtischen Leserinnen und Leser, insbesondere die Berlinerinnen und Berliner, mögen mir verzeihen, aber für Astrid und für mich war das nichts. Zum Glück sind die Geschmäcker verschieden und wie es Landflucht gibt, kennt man auch Stadtflucht. Was ich jetzt eben beschrieben habe dürften sehr viele anders sehen. Aber für uns gilt, dass wir hier gerne in der ländlichen Gegend wohnen und dabei sehr glücklich sind. In meiner Jugendzeit hatte ich auch mal ganz andere Vorstellungen. Der Hintergrund war wohl mein jugendlicher Erlebnisdrang . Aber von dem bin ich 1971 endgültig kuriert worden. Von Astrid weiß ich, dass wir diesbezüglich kongruente Gedankengänge hatten. Daher war ich mir ab den Zeitpunkt, wo ich erfuhr, dass man unser Auto in Berlin gefunden hatte, sicher dass mit Astrid etwas Schlimmes passiert sein musste. Ohne besonderen Grund bringt die sonst niemand in eine Großstadt. Auch kein in der Midlifecrisis begründeter Anflug von „Wahnnostalgie“ hätte sie dazu bringen können. Eine Spritztour nach Berlin wäre bestimmt das Letzte was Astrid gemacht hätte. Die Peinlichkeit und Scham hinsichtlich meines ersten Beisammenseins mit meiner Astrid wurde natürlich mit dem Wischtuch „Zeitablauf“ vom Tisch beseitigt; da hatte ich schon, zumindestens ab dem Tage unserer Hochzeit, keine Probleme mehr mit. Die damals gefestigte Abneigung gegen Großstadthektik und –schluchten ist auch bei mir bis heute geblieben und hat sich sogar noch irgendwie verstärkt. Deshalb machte ich auch zwei Wochen später, nach Abschluss der kriminaltechnischen Untersuchung und Freigabe unseres Autos, kein Gebrauch davon dieses selbst in Berlin abzuholen. Ich will es mal in der Jugendsprache sagen: Ich hatte kein Bock auf eine Spritztour nach Berlin. Daher beauftragte ich ein Kfz-Überführungs-Unternehmen um den BMW nach Waldstadt zu bringen. Richtig, der Wagen kam zu keinem Zeitpunkt mehr zurück nach Olvermühle. Wegen der damit verbundenen Erinnerungen an Astrid und ihr tragisches Ende im September 1996 wollte ich den Wagen nicht mehr haben. Ich gab ihn bei einem Waldstädter Autohaus beim Kauf eines anderen Fahrzeuges in Zahlung und von dort wurde er später nach außerhalb des Romanischen Kreises verkauft. Zur Entnahme unserer, noch im Wagen befindlichen, privaten Dinge habe ich auf dem Hof des Autohauses noch mal in dem BMW gesessen aber weiter begutachtet habe ich ihn dabei nicht. Ein Mitarbeiter des Autohändlers sagte mir einige Zeit später mal, dass der Wagen keine besondere Beschädigungen oder andere Auffälligkeiten aufgewiesen habe. Der Wagen hatte also nicht unter dem Geschehen von jenem 11. September leiden müssen. Aber nach meiner Ansicht hätte es mich in keiner Weise aufgeregt wenn der total Schrott gewesen wäre – ist war ja nur ein Auto, ein „Gebrauchsgegenstand“, der es nicht wert ist, dass man seine Seele dranhängt. Jetzt aber wieder zurück zum chronologischen Ablauf unserer Geschichte. Ab dem Nachmittag des 16. Septembers 1996 war ich mir also sicher, dass man Astrid ermordet hatte. Mittlerweile waren 5 Tage seit ihrem „Verschwinden“ vergangen. Im Falle einer Entführung hätte man sich bestimmt schon gemeldet, denn mit Entführungen verfolgt man ja einen Zweck; fast ausschließlich der Bereicherung. Da muss der Täter schon irgendwann mit Forderungen rausrücken und dieses noch bevor man im Zuge der Ermittlungen oder Zufall auf das Opfer gestoßen ist. Ein „Abhauen“, was mir, weil es die größte Chance meine Frau unbeschadet wieder zu bekommen war, am sympathischsten erschien, war für mich inzwischen aus den bisher geschilderten Gründen so gut wie ausgeschlossen. Also war mir nun, als ich auf der Polizeiwache saß, die bittere Wahrheit mehr als bewusst. In diesem Moment überkam mich ein elendes Gefühl von Trauer und Verzweifelung. Ich konnte mich nicht mehr beherrschen und brach in Heulen und Schluchzen aus. Unser Dorfsheriff hatte erhebliche Mühe mich wieder zu beruhigen. Er beließ es dann auch dabei und beauftragte einen Kollegen mich im eigenen Auto – also in Astrids Wagen – nach Hause zu fahren. Das Einzigste was er mir noch sagte, war dass Astrids Handtasche mit ihren Schecks und Kreditkarten im Handschuhfach des Wagens gefunden worden sei. Nur Bargeld war, außer ein paar Münzen, nicht dabei. Dahingehend scheidet ein Raubüberfall also auch aus. Aber was war dann geschehen?
Zuhause angekommen hatte ich mich zumindestens in soweit beruhigt, dass ich Sabrina und Oliver berichten konnte was ich erfahren hatte. Und just trat bei unseren Kinder jetzt der gleiche Zustand wie bei mir auf der Polizeiwache ein. Auch sie waren sich jetzt ganz sicher, dass ihre Mutter nicht mehr lebe. Oliver sprach es als Erster aus: „Das war ein Sexualmord. Da hat jemand Mama vergewaltigt und ist mit ihrem Auto geflohen. Das Schwein werde ich ausfindig machen und umbringen. Aber ganz langsam. Ich werde ihm die Augen ausstechen und vor allen Dingen erst mal den Schwanz und die Eier langsam und genüsslich abschneiden. Die Sau muss an seinen Schmerzen krepieren. Er muss leiden, schwer leiden ...“. So brutal wie es sich anhört, so schwer kann ich jetzt leugnen, dass ich ab diesem Moment 100%-ig das Gleiche dachte wie unser Sohn. Die übergroße Trauer, die mich zuerst beherrscht hatte war wie weggeblasen und in mir gehrte ein unbändiges und sadistisches Rachegelüste. Dieses Gelüste kann ich nachträglich nur mit dem heißen Wunsch, dass der Täter grausam und qualvoll umkomme, beschreiben. Diese Vorgänge in meinem Gehirn vereitelten dann auch jeden logischen Gedanken. Aus den Erinnerungen ist bei mir alles, was dann in den nächsten 24 Stunden geschah, wie weggeblasen. Also Entschuldigung, davon kann ich jetzt nichts mehr berichten. Von Zeit zur Zeit lese ich mal diesen oder jenen Krimi und auch im Fernsehen habe ich mir schon einiges aus diesem Bereich angesehen. Natürlich stehen da die Ermittler und/oder Täter im Mittelpunkt; mal helden- und mal deppenhaft, je nachdem wie es dem Unterhaltungswert dient aber was sich bei den Angehörigen der Opfer abspielt wird bestenfalls mal am Rande erwähnt. Und wenn sie mal deutlicher gezeichnet werden sind es entweder wackere Mitstreiter der Kripo oder Quertreiber die deren Arbeit behindern. In unserem Fall waren wir weder das Eine noch das Andere. Wir waren halt hilf- und ratlos dem entsetzlichen Geschehen ausgeliefert. Unser Interesse an der Aufklärung und der Ergreifung des oder der Täter hatte weder etwas mit Recht und Ordnung noch mit Prävention zutun sondern war ein, selbst bestialisches und selbstvernichtendes Rachegelüste. Gerade in dieser Zeit hätten wir jemand gebraucht der uns den Arm in den Strudel, in dem wir schwammen, gereicht hätte. Aus dem Erleben und meiner diesbezüglichen Sicht wäre es unbedingt notwendig, dass man den Angehörigen von Verbrechensopfern sofort und unmittelbar klarmacht, dass diese Situation für sie vergleichbar mit jedem plötzlich Tod eines lieben Menschen ist. Für den Zurückgebliebenen ist es objektiv gesehen das Gleiche ob der Verstorbene durch Mord, Verkehrs- oder Arbeitsunfall beziehungsweise Herzinfarkt ums Leben gekommen ist. Ein lieber Mensch, der einen sehr viel bedeutete, ist nicht mehr und man bleibt zurück. Den Zurückgebliebenen muss klar sein, dass das Leben weitergeht und er seine Kraft für die Bewältigung seines eigenen Alltags gebraucht. Bei Unfall oder bei Infarkt sagt man den Leuten so etwas, bei Mord heizt man sie aber ins Gegenteil ein. Oder was soll sonst eine solche Aussage wie „Wir werden den Täter schon kriegen“ schon heißen? Kann man das nicht so interpretieren: „Deine Rachegefühle sind berechtigt und wir, die Mitarbeiter des staatlichen Racheengels, unterstützen dich in deinem Begehren“? In vielen Städten gibt es heute bei der Feuerwehr und bei den Rettungsdiensten Notfallseelsorger, die Opfern und in diesem Fall sogar eher den Helfern beistehen. Warum gibt es so etwas nicht bei der Kripo für die Angehörigen von Verbrechensopfern? Zum Kapitel 4
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Das Bombengeschäft für Schnucki Im vorrangegangenen Kapitel berichtete ich zum Schluss von meinem 24-Stunden-Blackout. Die Zeitangabe kann man fast genau nehmen, den meine erste wieder schlüssige Rückerinnerung setzt am nächsten Tag genau in der gleichen Stunde wie mich Tags zuvor der Polizist nach Hause brachte wieder ein. Und man kann von einem fast nahtlosen Übergang sprechen, denn wieder war es unser Dorfsheriff der mich im Fall Astrid einen Schritt weiter führte. Aus der Erfahrung vom Vortag meldete er sich dann nicht telefonisch sondern kam persönlich bei uns Zuhause vorbei. Er berichtete mir, dass man denjenigen der unser Auto nach Berlin gebracht und dort abgestellt habe, gefasst habe. Es handelte sich um den 23-jährigen Viktor Schurr aus der Schluchtstraße in Salein. An dieser Stelle setzt zwar mein Erinnerungszustand wieder ein aber mein seelischer Zustand hatte sich zwischenzeitlich um kein Quäntchen gebessert. So kann man sich vorstellen wie ich diese Benachrichtigung aufnahm. Für die Polizei war dieser Viktor Schurr zunächst einmal „nur“ der „Entwender“ des Fahrzeuges aber für mich war es gleich der „Generaltäter“ der meine Frau umgebracht hatte. Und folglich polterte ich gleich los: „Hängen sie diese Schwein doch gleich auf oder lassen sie ihn mal kurz laufen, damit ich das machen kann.“. Und wie am Vortag hatte unser „dörfliche Polizeihäuptling“ alle Mühe mich zu beruhigen. Nun, der Polizist machte mir erst mal klar, dass man diesen Viktor, der hier in Salein allseits unter seinem Spitznamen Schnucki bekannt ist, bis jetzt lediglich als denjenigen ermittelt habe, der das Fahrzeug entwendet und nach Berlin gebracht habe. Ein Zusammenhang mit Astrids Verschwinden oder deren Ermordung könne ihm nicht nachgewiesen werden und es wäre auch durchaus möglich, dass er damit überhaupt nichts zutun habe. Der nicht sehr intelligente junge Mann gäbe sich sehr geständig und seine „Geschichte“ klänge auch ganz plausibel. Natürlich bliebe er zunächst einmal verdächtig und man würde schon „Licht ins Dunkele“ bringen. Für mich stand aber fest, dass Schnucki der Täter sei, denn neben dem Autodiebstahl gab es ein weiteres Indiz, das gegen ihn sprach: Die aus Russland stammenden Schurrs waren unsere Mieter und Astrid, die Königin von Salein, hatte ein Herz für diese Leute. Am Tage, als ich die Vermisstenanzeige aufgab, hatte mir der Dorfsheriff selbst gesagt, dass man an Leute in fahrenden Fahrzeugen nicht herankäme. Astrid kannte aber diesen Schnucki und es war durchaus denkbar, dass sie wegen ihm angehalten und ihn möglicher Weise sogar in ihren Wagen aufgenommen hat. Nach dem der Beamte gegangen war weitete sich mein Groll und meine Wut von Schnucki auf die ganze „Bande in der Russenburg“ aus. Diese sogenannte Russenburg in der Schluchtstraße hatten wir selbst errichtet und war in Astrids Eigentum. Als 1989 und 90 der „Eiserne Vorhang“ endgültig fiel kamen ja verstärkt die Nachfolger der Landsleute von Katharina der Großen zu uns um als „Deutsche unter Deutschen“ zu leben. Dieses erwähne ich jetzt, weil ich schon immer diese Politikerparole für Blödsinn gehalten habe. Ich habe da einen bekannten, Reiner Vial, der aus einer Hugenottenfamilie stammt. Für diejenigen die mit dem Wort Hugenotten nichts anfangen können hier eine Erklärung: Es handelt sich um Protestanten, die in Frankreich ihres Glaubens Willens verfolgt wurden. Vielleicht hat schon mal dieser oder jener etwas von der berüchtigten Bartholomäus-Nacht gehört. Reiners Vorfahre, Jean Jaque Pierre Vial, emigrierte 1687 von Frankreich ins hessische Wiesenfeld. Dieses liegt also nicht viel länger zurück als der Zeitpunkt wo Katharina ihre hessischen Landsleute nach Russland holte. Reiner sagt immer, dass er gerne wissen würde was man ihm in Frankreich sagen würde, wenn er dort als Franzose unter Franzosen leben wolle. Nun muss ich zu Reiners Ehrenrettungen sagen, dass es sich bei ihm in keiner Weise um einen Hurrapatrioten handelt sondern um einen weltoffenen Menschen, der in der Regel nicht zwischen Deutschen, Deutschrussen und Ausländern unterscheidet. Für ihn sind sie alle Menschen, der eine besser und angenehmer und der andere schlechter und unangenehmer, was aber nichts mit der Nationalität oder, wie fälschlicher Weise oft gesagt wird, Rasse – es gibt eigentlich keine Menschenrassen - zutun hat. Seiner Ansicht gibt es unter den Deutschen anteilig genauso viel Tagediebe oder Verbrecher wie unter Leuten anderer Nationalitäten. Die Knäste gibt es ja nicht erst seit dem es verstärkt Ausländer in Deutschland gibt sondern schon immer. Deren Anzahl ist auch nur entsprechend der Bevölkerungszahl gewachsen – und voll waren die immer. Und das sogar als die Aufklärungsquoten in Deutschland noch nicht so hoch wie heute waren. Dieses ist übrigens auch ein Aspekt in Hinsicht auf die sogenannte Innere Sicherheit. Deutschland ist, wenn man Statistiken objektiv betrachtet, nicht unsicherer sondern im Gegenteil sicherer geworden. Also, Reiner Vial ging es bei seinem Polemisieren gegen den Spruch „als Deutsche unter Deutschen leben“ nur um die, von ihm für dümmlich gehaltene Parole. Ansonsten vertritt er die Ansicht, dass dieses, im Vergleich zu Anderen, eigentümliche Staatsbürgerrecht seinerzeit zu recht ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Schließlich sei der 2. Weltkrieg von deutschem Boden ausgegangen und letztlich sei es Deutschland gewesen, die die stalinistische Sowjetunion überfallen habe. Im Zuge dieses Geschehens seien die hessenstämmigen Bewohner, die friedlich in der damaligen Wolgarepublik zusammen wohnten, über die ganze Sowjetunion verstreut worden. Und das diese „Germanskis“, Angehörige des Volkes die ihr „Mütterchen Russland“ überfallen hatten, nicht gut bei den ursprünglichen Bewohner der Gegenden angesehen waren, kann man durchaus nachvollziehen. Tragisch dann auch noch, dass dann die offizielle Funktionärsclique der KpdSU mit Freuden zusah, wenn man die deutschstämmigen Menschen Spießruten laufen ließ. Denen gegenüber habe, so Reiner, der deutsche Staat als Nachfolger des Dritten
Reichs eine besondere Verantwortung. Sein Anliegen ist es also, dass man die Leute nicht mit hurrapatriotischen Parolen verdummen sondern aufklären solle, dieses würde ein wesentlicher Beitrag zum beidseitigen Verständnis sein. Astrid hatte sich voll Reiners Ansichten angeschlossen und deshalb war sie es auch, die laut „Hier“ rief als es darum ging für die Spätaussiedler, die 1990 vermehrt ins Land kamen, Wohnraum zu schaffen. Es war ja auch kein schlechtes Geschäft, denn von Bund und Land gab es mächtig Geld zu Superkonditionen für den Sozialen Wohnungsbau. Gleichgültig wie und woher das Geld kam, letztlich mehrt der neugeschaffene Wohnungsbestand das Vermögen des Eigentümers – und das war Astrid. So bauten wir dann an der, nach der Saleiner Schlucht benannten Straße einen Wohnkomplex aus 5 Häusern mit 34 Wohneinheiten, in die dann nach der Fertigstellung 1994 siebenundzwanzig aus Russland und sieben aus der Türkei stammende Familien einzogen. Schon während der Bauphase war bei den Olvermühler Bürgern bekannt, dass hier für Aussiedler gebaut wurde, was dem Wohnkomplex dann dank der in Vorurteilen schwelgenden Bevölkerung den Schimpfnamen Russenburg einbrachte. Sicherlich trugen die, im Grund jedoch harmlosen, Vorfälle in der ersten Zeit dazu bei, dass dieser Wohnkomplex so schnell nicht aus den Vorurteilsgebabbel herauskommen kann. Die meist einfachen Leute mussten sich erst einmal an einander gewöhnen und auch in hiesige Verhältnisse eingewöhnen. Da trug man dann mit allerlei, auf Russisch ausgetragenen, Palaver manche Fehde um Autos, Stellplätze, Flur- und Hofreinigung sowie Müllcontainerfüllungen und Wodkafeten aus. Astrid und ich mussten manches Mal ordnen eingreifen. Aber wie geschrieben war alles nur harmlos, was aber von der vorurteilsbehafteten Ursprungsbevölkerung wider besseres Wissen anders gesehen wurde. Dieser eben erwähnten treudeutschen Mobbevölkerung hatten wir auch diverse Polizeifehleinsätze im Bereich unseres Wohnkomplexes zu verdanken. Erst als seitens der Gemeinde und der Polizei mitgeteilt wurde, dass man künftig gegen die solche Fehleinsätze verursachenden Leute vorgehen wolle und diese sowohl mit empfindlichen Strafen wie mit Kostenforderungen für die Einsätze zu rechnen hätten, wurde es diesbezüglich wieder ruhig. Astrid hat sich nicht nur aus eigenem wirtschaftlichem Interesse sondern insbesondere auch aus Überzeugung immer für diese unsere Mieter eingesetzt. Im Grunde hatte sie ja recht. Bei den Erwachsenen handelte es sich durch die Bank um willige und fleißige Menschen. Die waren nicht gekommen um abzusahnen sondern die wollen etwas schaffen. Den Gesichtern der Älteren kann man Ansehen, dass sie es im Leben nicht leicht gehabt haben und trotzdem waren beziehungsweise sind sie, wenn man offen auf sie zugeht, immer nett und umgänglich. Na ja, dass dieser oder jener in hergebracht russischer Tradition etwas sorglos mit dem Wodka umgeht sollten wir mal so stehen lassen wie es ist. Was den Alkohol anbelangt sind andere Deutsche ja auch keine Unschuldsengel. Maßkrugsaufen auf dem Oktoberfest in München – oder auf Salein bezogen: Schützenfest - kommt auf das Gleiche heraus wie ein Wodkagelage in sibirischen Dörfern. Nur, hier gibt es genügend richtige Kost und in den ärmeren Gegenden Russland ist oft der Wodka ein, sogar noch vermeintlich wärmendes, Grundnahrungsmittel. Bei den so hergekommen Jugendlichen muss man die Angelegenheit dann doch etwas differenzierter sehen. Die wurden entwurzelt und stehen hier recht perspektivlos da. Dabei fallen sie hinsichtlich ihres schlechten, mit hartem russischen R gesprochenen Deutsch auf. Im Grund tun die auch nichts, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Die lungern in ihren Markenklamotten, die sie meist ihren Eltern abgenötigt haben, nutzlos von Schulschluss bis Spätabends rum. Damit sie vor dem Wetter und dem Zublick Erwachsener geschützt sind bevorzugen sie Carports, Hauseingänge, Flure und Wartehäuschen. Außer albernem Gequatsche sowie ab und zu überlaute Technomusik spielt sich da in der Regel nichts ab, wenn wir mal von dem Trinken eines aus Bier und Energydrinks bestehenden gefährlichen Mix absehen wollen. Hauptärgernis, und dass nicht nur für uns Vermieter, ist deren dann hinterlassener Dreck aus Zigarettenkippen, Bonbonpapier, ausgespukten Kaugummi, Getränkedosen und nicht selten Quackeleien, die sie mit Filsstiften anfertigen, an den Wänden. Sobald diese dann das 18. Lebensjahr vollendet haben verschaffen sich den Führerschein und ein altes Auto. Die Autos werden dann in Heimwerkermanier mit allerlei Unfug wie Spoiler, Saallautsprecher und anderen Kinkerlitzchen aufgemopft. Sie haben ja sonst nichts wo sie ihr Herz und ihre Daseinsberechtigung dran aufhängen könnten. Bei ihren Basteleien nehmen sie nicht selten teilweise gefährliche Veränderungen an den Fahrzeugen vor. Damit stehen sie dann auf bestimmten Parkplätzen rum und führen sich dann gegenseitig ihre Bastelkünste und das Gedröhne aus ihren überproportionierten Lautsprechern vor. Wenn sie mal fahren, fallen sie meist durch ihre etwas dilettantischen Fahrweisen aus Vollgasanfahren und dauernde Gewaltbremsung mit anschließender erneuter Beschleunigung auf. Ich habe immer den Eindruck als hätten die ihren Führerschein vom billigen Jakob vom Markt auf dem dritten Hinterhof. Mit ihrem Fahrstil können sie sich in der Regel nur selbst imponieren, von erfahrenen Fahrern werden sie im genehmsten Fall belächelt – alles natürlich kein Markenzeichen für Intelligenzbestien. Zu dieser Truppe gehört also besagter Schnucki auch. Der voluminöse Kerl versucht immer den Eindruck eines Rambotypen zu erwecken. Er läuft immer breitbeinig, mit gorillaähnlich angewinkelten Armen durch die Gegend. Dort wo er gerne Muskeln hätte befinden sich bei ihm mächtige Fettpolster, was man am wabbelnden Fleisch unschwer erkennen kann. Mit seinem „Kirmesauto“ war er in seiner Truppe der Star. Von diesem hatte ihn aber im August 1996 der TÜV geschiedenen. Er zeigte mir damals auch mal einen Schrieb, in dem mitgeteilt wurde, das wegen einer Reihe unzulässiger technischer Veränderungen die Betriebserlaubnis des Kfz erloschen sei. Schnucki war mit dem
Beamtokraten-Hochdeutsch überfordert und wollte von mir wissen, was das zu sagen habe. Ich habe versucht es ihm zu erklären, aber ob er es verstanden hat weiß ich nicht. Ein Viktor Schurr ist halt keine große Leuchte. Dass er mit seinem Auto nicht mehr fahren durfte, hatte er allerdings schon beim TÜV kapiert. Seitdem man unseren Schnucki sein „Raumschiff“ stillgelegt hatte, zog es ihm, wie er mir selbst erzählt hat, regelmäßig in die Diskothek „Jukebox“ in Waldstadt. Dass er dort in der Regel für Raumfüllung sorgt aber wenig, meist nur den obligatorischen Pflichtdrink, verzerrt weiß ich auch von ihm höchst persönlich. Dort will er, laut Polizei, unseren BMW unverschlossenen vorgefunden haben. Wie ich wesentlich später erfuhr, war ihm von Anfang an bewusst, dass es sich um unser Auto handelte. Als er sah, dass der Zündschlüssel steckte, setzte er sich in der Absicht, den mal ein Stück über die Autobahn zu scheuchen, hinein. Nach seinen eigenen Worten wollte er nur mal den „Sound dieser Karre inhalieren“. Auf der Autobahn wäre er zunächst „just for fun“ weiter gedüst. Dabei sei ihm eingefallen, dass das Bombengeschäft für Schnucki sein könne, denn Polen würden für so einen Schlitten echte Scheinchen auf die Hand blättern. Sein Problem war nur, dass er keinen entsprechenden Polen kannte. So hatte er mal von seinen Kumpels gehört, dass es in Berlin-Marienfelde ein Lager gäbe, in dem haufenweise polnische Autoschieber wohnten. Also nichts wie hin. Die Polizei war der Meinung, dass dieser naive Junge die Wahrheit sagte. Später sagte mir mal ein Jurist, dass eine solche Annahme nicht von ungefähr gekommen wäre. Um glaubhaft und hartnäckig zu lügen brauche man ein gewissen Intelligenzquotienten, den man bei einem Viktor Schurr auf keinen Fall vermuten kann. Mal eben angestoßen hatte er seine Geschichte wie am Schnürchen runter erzählt und auch immer wieder, ohne sich zu verbabbeln, wiederholt. Ich aber in meinem Zustand war an dem Spätnachmittag, als ich diese Geschichte von unserem Dorfsheriff erfuhr, felsenfest davon überzeugt, dass Schnucki der Mörder meiner Frau sei. Der Polizeibeamte wollte darauf unter Berufung auf seine Kollegen von der Kripo wissen, was der Schurr für ein Motiv gehabt habe sollte. Die Entwendung und Verbringung des Fahrzeuges, dürfte ihn nach Ansicht der Kripo, tatsächlich erst eingefallen sein, als er bereits darin saß. „Natürlich Vergewaltigung“, sprudelte aus mir raus, „meine Frau ist zwar mehr als doppelt so alt wie Schnucki aber sehr attraktiv. Die kann auch bei Jungschern etwas zum Stehen bringen.“. „Das Letzte kann ich voll bestätigen,“, antwortete unser Polizeichef, „aber bei Schnucki? Der gehört doch ganz offensichtlich zur anderen Fraktion. Der interessiert sich eher für ihren hosenbedeckten Po als für ihre nackte Frau.“. Irgendwie musste ich jetzt passen, denn Letzteres war eigentlich auch meine Überzeugung. Nach Beendigung der Polizeivisite sprachen wir im Familienkreis über die Angelegenheit. Während Sabrina und Oliver sich der Polizeimeinung anschlossen, blieb ich verbohrt bei meiner Ansicht, dass Schnucki auch der Mörder meiner Frau sei. Um meiner Ansicht einen Punkt aufzusetzen sagte ich: „Was ist das denn für ein Blödsinn, dass der Wagen unverschlossen und mit steckenden Schlüssel vor dem Schuppen in Waldstadt steht?“. Daraufhin versuchte sich Oliver als Kriminalist und was er sagte klang durchaus schlüssig: „Es kann doch sein, dass der wahre Täter den Wagen so mit voller Absicht dort abgestellt hat. Wenn der nämlich Schnucki und seine Freunde sowie deren Dämlichkeit kennt, konnte er damit rechnen, dass einer von den Deppen auf die Schnapsidee kommt mit dem Wagen durch die Gegend zu gondeln. Falls man den dann schnappt, ist der wahre Verbrecher erst mal aus dem Verdacht raus und der Wagen ist einstweilen vom tatsächlichen Tatort, der dann nicht sofort gefunden wird, verschwunden. Dadurch gewinnt der Täter Zeit die Leiche verschwinden zu lassen. Und ohne Leiche kein Mord.“. Das klang auch auf mich in meinem damaligen Zustand ein Wenig überzeugend, so dass ich jetzt nicht mehr davon ausging Schnucki wäre der Täter – aber 100%-ig war ich von der Sache nicht wegzubringen. Bis an dieser Textstelle habe ich die Schnucki-Story bis dahin weitergegeben, wie ich sie an jenem Dienstag selbst kannte. Hätte ich gewusst wie dumm sich der junge Mann beim weiteren Ablauf nach und in Berlin sowie danach verhalten hat, wäre ich auch davon überzeugt gewesen, dass er von Anfang an die Wahrheit sagte. Damit Sie, verehrte Leserin und verehrter Leser, sich ein Bild davon machen können will ich diese Geschichte, die ich selber auch erst später im vollen Umfang erfuhr, zunächst mal zusammenhängend erzählen. Schnucki saß also in unserem Wagen und achtete immer nur auf das Wort „Berlin“ auf den blauen Hinweisschildern. So ist es auch erklärlich, dass er später nicht einmal wusste wo er war, als ihm die elektronische Kraftstoffanzeige signalisierte, dass der Kraftstoff zu Neige ginge. „Sicherheitshalber“ verließ er erst einmal die Autobahn. Auf der Landstraße hielt er erst mal rechts an um eine Mütze Schlaf zunehmen. Da ist er dann von einer Polizeistreife geweckt worden und die verlangten von ihm, er solle sich ausweisen. Aus der Gesäßtasche seiner Jeans zog er seine „Brieftasche“ mit seinem Führerschein. Des weiteren machte er in der Hoffnung den Kfz-Schein dort zu finden das Handschuhfach auf, in der er dann auf Astrids Handtasche stieß. Diese nahm er in der Hoffnung den Schein zufinden erst einmal da heraus und fand dann darin auch das Erhoffte. Warum die Polizisten nicht hinsichtlich der Damenhandtasche stutzen ist mir nicht bekannt geworden. Auf jeden Fall gaben sich diese nach der Kontrolle der echten Papiere zufrieden und Schnucki setzte dann seine Fahrt bis er wieder eine Autobahnauffahrt fand fort. Schließlich hatte er in der Handtasche auch Geld gefunden, mit der er an der nächsten Autobahntankstelle voll tanken konnte. Er bekam auch noch ein paar Mark raus, was er in Cola und Schnuckeleien umsetzte. Kurz nach Mittag kam er in Berlin, wo er erst mal den Ortsteil Marienfelde und dann das Lager finden musste, an. Erstes ist im gelungen und zweites nicht. Das dürfte daran gelegen haben, dass nach seiner Vorstellung ein Lager aus
Holzbaracken oder Container besteht und von einem hohen Zaun umgeben sein muss. Ich weiß jetzt auch nicht, ob es das Übergangslager dort überhaupt noch gibt. Auf jeden Fall entdeckte unser Schnucki nichts was nach seiner Meinung das Ziel seiner Reise sein könnte. Er traute sich auch nicht jemanden zufragen, da er dann möglicher Weise, insbesondere wenn die Leute sehen mit was für ein Auto er durch die Gegend fährt, Verdacht erregen könnte. So ist er dann recht planlos durch die Straßen im Süden Berlins gekurvt. Da seiner Meinung nach dort wo das Lager ist, keine Häuser stehen können, spähte er alle scheinbar unbebauten Gegenden und was danach aussah aus und versuchte diese Ecken anzufahren. Die Gegend um das Kloster Marienfelde soll allerdings nicht zu den unbebauten Flächen zählen. Im Gegenteil: Je nach Blickwinkel soll es dort nach Klein-Manhattan aussehen. 5 und mehrstöckige Wohnsilos. Allerdings soll direkt am Kloster auch so eine Art Kleinleute-Siedlung – kleine Reiheneigenheime – liegen. Aber ist auch egal, auf jeden Fall landete unser Schnucki dort als er feststellte, dass er nur noch ein paar Tropfen Sprit, die er für Parkplatzsuche und Einparken nutzte, im Tank hatte. Der ganze Nachmittag war bei seiner Suchaktion draufgegangen. Leerer Tank, nichts zu essen und noch nicht einmal genau wissen wo man sich befindet, sind wohl nicht die besten Eindrücke, die man gleichzeitig haben kann. Also muss er sich zu diesem Zeitpunkt, als er sich nach Verlassen des Fahrzeuges planlos irgendwo hin begab in einer unangenehmen Lage befunden haben. Er hat den BMW übrigens so verlassen wie er ihn vorgefunden hatte: Unverschlossen mit steckendem Zündschlüssel. Eigentlich erstaunlich welche Zeit verging bis dieses Fahrzeug entdeckt wurde. Immerhin war es am Abend des Donnerstags wo er das Fahrzeug abstellte und erst am drauffolgenden Montag wurde es entdeckt. Wie die Entdeckung verlief weiß ich leider nicht. Bei seinem ziellosen Marsch kam Schnucki dann an einer Filiale einer Sparkasse oder Bank vorbei. Dort sah er wie ein junger Türke sich Bargeld aus einem Geldautomaten zog. Viktor sagte sich: „Den Türk muss du klatschen“ (Original aus seiner späteren Aussage). Lieber wäre ihm aber jemand gewesen, der „wie Pole aussah“, denn dann hätte er sein Bombengeschäft doch noch machen könne. Als später in der Zeitung von dem Prozess gegen Schnucki berichtet wurde, stand in diesem Zusammenhang dann dort, dass sich an dieser Stelle das geringe Vermögen zur Einsicht und Schuldbewusstsein des Angeklagten besonders deutlich gezeigt habe. Der Richter hatte Schnucki gefragt was er sich dabei gedacht habe wenn er immer noch hoffte mit fremden Eigentum ein Bombengeschäft machen zu können. Darauf erklärte er, dass es doch gar nicht so schlimm sei. Wir, also Astrid und ich, wären doch reiche Leute und außerdem bestimmt gut versichert. Da wäre dann doch kein Schaden entstanden, denn wir hätten doch bestimmt von der Versicherung ein neues Auto gekriegt. Auf jeden Fall wäre es ihm lieber gewesen unser Auto zu verhökern als den Türken zu berauben. Auf eine weitere Warum-Frage des Richters erklärte er dann, dass der Türke nicht schmächtig ausgesehen hätte und außerdem viel Leute auf der Straße gewesen wären, da hätte er leicht für „so ein paar Mark“ selbst Einen drüber kriegen können. Deshalb habe er, nachdem er den Türken „geklatscht“ und ihm die drei Scheine (300,- D-Mark) abgenommen habe auch wie ein Weltmeister rennen müssen – und das dort wo er sich nicht auskenne. Da wäre der „Verkauf“ des Autos allemal besser gewesen. Also nirgendwo ein Gedanke daran, dass er Menschen geschädigt habe. Während des Verfahrens vermittelt er, laut Zeitung, ständig den Eindruck als habe er das Gefühl man würde ihm jetzt Unrecht tun. Liegt das nun an seiner Intelligenz oder an den Erfahrungen in einem rauen Umfeld während seiner Kindheit in der ehemaligen Sowjetunion. Auf Letzteres steuerte auf jeden Fall Schnuckis Verteidiger hinaus. Ich persönlich folgerte später, dass Viktor Schurr kein geborener Krimineller sei aber zu dumm wäre, keiner zu werden. Auf jeden Fall hat sich Schnucki von den erbeuteten 300 Mark erst mal eine Currywurst mit Pommes und dann eine Rückfahrkarte nach Salein beziehungsweise Waldstadt, ganz Olvermühle hat keinen Bahnhof, besorgt. Den Rest der Beute setzte er in einem Zugspeisewagen insbesondere in Alkohol um. Dabei war er nicht kleinlich und konnte deshalb ein paar Mitzecher, denen er fröhlich spendierte, um sich scharen. Dass er dabei ein Wenig übers Ziel schoss und ein Zechbetrag von etwa 80 Mark stehen lassen musste wurde ihm dann am Donnerstag der Folgewoche zum Verhängnis. Das Speisewagenpersonal meldete den Zechpreller der Bahnpolizei und diese wandte sich an die Staatsanwaltschaft in Waldheim, über die diese Angelegenheit zwecks abschließenden Ermittlungen bei der Polizei in Olvermühle landete. Dort zählte man dann Eins und Eins zusammen. Am Montag hatte man den in der Nacht vom 11. auf den 12. September verschwunden BMW in Berlin aufgefunden und am Abend des 12. Septembers fällt das Olvermühler Original mit Spitznamen Schnucki im Speisewagen eines aus Berlin kommenden Zuges als Zechpreller auf. Also dachte sich unser Dorfsheriff: „Nicht wie hin zu unserem Schnucki“ und der plauderte dann auch gleich alles aus was geschehen war. Vor Gericht sagte Schnucki später, dass er in der Woche eine Pechsträhne gehabt haben müsse, denn ein „neues“ Bombengeschäft, was er sich auf der Fahrt von Berlin nach Salein ausgedacht habe, hätte er schon bei seiner Ankunft am Waldstädter Bahnhof „beerdigen“ müssen. Er wollte mir sagen, dass er wisse wo mein Auto sei und mir anbieten es nach Zahlung von ein paar Scheinchen und Erstattung seiner „Unkosten“ (Unkosten = keine Kosten) mir zurückzuholen. Eben angekommen traf er aber einen „Kumpel aus der Jukebox“ und vom dem erfuhr er, dass Astrid verschwunden war. Jetzt kombinierte er richtiger Weise, dass da was Schlimmes passiert sein müsse und er, wenn er nicht in den Verdacht geraten wolle, die Klappe halten müsse. Das tat er dann auch bis zu dem Dienstag, an dem die Olvermühler Polizei bei ihm vorstellig wurde. An diesem Dienstag kam überhaupt Bewegung in die Angelegenheit. Bisher hatte ich ausschließlich mit unserer örtlichen Polizei zutun. Am Abend des 17. Septembers meldete sich erstmalig jemand von der Kripo bei mir. Allerdings
nur mit einer Terminvereinbarung zum nächsten Morgen. Also nach genau einer Woche saß ich unserer Wohnung einem Kriminalbeamten gegenüber. Sehr höfflich begründete mir dieser Herr erst einmal, warum seine Dienststelle beziehungsweise er selbst erst jetzt auf der Bildfläche erschiene. Die Erklärung war ganz einfach: Man habe ja nirgendwo einen Ansatzpunkt gehabt; nicht einmal einen schlüssigen Hinweis darauf, dass überhaupt ein Verbrechen passiert sei – was nun aber nicht mehr auszuschließen sei. Alles was bisher zutun gewesen sei, hätten seine Olvermühler Kollegen ja ganz gut gemacht. Dieses ist eigentlich ganz logisch und scheint vernünftig aber in der seelischen Verfassung, in der ich mich seit dem Tageswechsel vom 11. auf dem 12. September befand, sieht man so etwas leicht anders. Da hat man das Gefühl, niemand würde sich um die Sache kümmern und etwas machen. Deshalb war seine Einleitung wohl nicht ganz unbegründet. Der zweite Punkt des Kriminalbeamten war es mir zu berichten was er schon alles wusste um abschließend die Frage zu stellen, ob mir dazu noch etwas einfiele. Als das erledigt war, kam er zu seinem Hauptanliegen an diesem Morgen. Seine Berliner Kollegen hatten ihm nach einer ersten Untersuchung des Wagens mitgeteilt, dass dieser nirgendwo Spuren für einen Unfall, einer gewaltmäßigen Auseinandersetzung im und am Wagen sowie keinen Hinweis für einen Transport von Verletzen oder gar Leichen aufweise. Alles sehe so aus, als habe der Fahrer oder die Fahrerin das Fahrzeug von sich aus verlassen und dabei möglicherweise den Schlüssel stecken lassen. Dass dieses bei Schnucki der Fall gewesen ist weiß man ja inzwischen aber dass muss auch schon bei seinen Vorgängern so gewesen sein, da nirgendwo Aufbruchspuren oder ähnliche Indizien zu finden sind. So etwas käme nicht selten vor, wenn Leute mal eben schnell aus dem Wagen springen um Zigaretten zu ziehen oder einen Brief im Kasten einzuwerfen. Auch bei Unfällen oder Pannen sei dieses nicht unüblich, aber dann würde das Fahrzeug in der Regel entsprechende Spuren aufweisen. Da es zwischen Salein und Weinberg weder Zigarettenautomaten, Briefkästen oder sonst etwas gäbe, wollte er wissen ob es denkbar wäre, dass Astrid zum Beispiel wegen eines vergessenen Briefes von ihrer Route abgewichen sein könnte. Dort wo sie den Wagen verlassen habe könne eventuell die Tat, für die man allerdings auch noch keine Anhaltspunkte habe, geschehen sein. Dazu fiel mir nun absolut nichts ein. Da ich mich immer noch nicht ganz von meiner Schnucki-Theorie getrennt hatte, wandte ich ein, dass man das Fahrzeug so auch verlassen würde, wenn man einem anderen bei einer Panne oder einem Unfall helfen wolle; insbesondere dann wenn man ihn kenne. So sei es für mich durchaus denkbar, dass Schnucki einen Unfall vorgetäuscht habe und so die Tat geschehen sein könnte. Daraufhin zerstörte der Kripobeamte meinen Schnuckiverdacht total: „Im Prinzip haben sie recht, nur Herr Schurr kann es nicht gewesen sein. Der war, wie wir inzwischen mehrfach überprüft haben und was wir auch mehrfach von voneinander unabhängigen Zeugen bestätigt bekamen, ab der Öffnung der Diskothek um zirka 21 Uhr bis deutlich über Mitternacht in dieser. Er war ursprünglich mit zwei oder drei Freunden gekommen, die sich dann nach kurzer Zeit wieder auf den Weg machten um Freundinnen abzuholen. Mit dem Warten auf die Rückkehr habe er dann eine Kellnerin genervt. Der dann der seltsame Vorgang aufgefallen war, dass die Freunde wieder da waren und Herr Schurr auf einmal verschwunden gewesen sei. Dieses war fast 1 Uhr und unzweifelhaft der Zeitpunkt, wo er ihr Fahrzeug an sich genommen hat. Laut ihren Angaben hätte ihre Frau allerspätestens Mitternacht schon wieder bei ihnen im Lokal sein müssen. Dementsprechend muss die Tat zu einem Zeitpunkt, wo Schurr mit Sicherheit in der Diskothek war, geschehen sein. Also kann es Herr Schurr auf keinen Fall gewesen sein und wir sind felsenfest davon überzeugt, dass er uns bei seinem Geständnis die Wahrheit gesagt hat.“. Jetzt musste ich mich endgültig von meiner verbohrten Auffassung, Schnucki wäre der Täter, trennen. Überhaupt gab es zu diesem Zeitpunkt eine Änderung in meinen Gedanken, Auffassungen und Empfindungen. Irgendwie lief jetzt in mir alles etwas rationaler und strukturierter ab. Es gab keine zwischendurch aufflackernde Hoffnungsflämmchen mehr sondern für mich war es jetzt eine Frage der Zeit, bis ich die Nachricht vom Auffinden von Astrids Leiche erhalten würde. Das Warten auf diesen Zeitpunkt war nicht mehr so bohrend wie vorher. Diese bestialische Rachewut war doch einem eher „rationalem rechtsstaatlichem“ Rachebegehren, nämlich dass man den Täter fassen und seiner gerechten Strafe zuführe, gewichen. Was bis zu Zeitpunkt bei mir nicht funktionierte klappte zunehmend besser: Ich konnte wieder an die normalen Dinge des Alltags denken – aber diese noch lange nicht wie früher bewältigen. Es war eben halt alles etwas „geordneter“ geworden. Ich weiß nicht woran diese „plötzliche“ Wende gelegen hat. Ich vermutete später, dass ich mir nach dem Auftreten dieses Kriminalbeamten nicht mehr so allein, verlassen und hilflos wie vorher vorkam. Mir wurde ein Strohhalm gereicht und ich hatte zugefasst. Der Fall Schnucki war für mich jetzt abgeschlossen. Das geklaute und nach Berlin gebrachte Auto erschien mir neben der Hauptsache, meiner noch verschwundenen Frau, so belanglos und klein. In einer späteren Zeit überlegte ich mal ob dass eigentlich nicht immer so sei. Was sind schon Sachwerte wie Autos für geringfügige Dinge gegenüber Menschen. Ich würde heute keine großen Anstalten mehr unternehmen um Sachbeschädiger, Diebe und Räuber zu verfolgen und zu fangen. Alle Sachwerte sind doch irgendwo verschmerz- und ersetzbar, ein Mensch ist dagegen durch nichts zu ersetzen. Wer sein Vermögen verliert aber einen lieben Menschen an seiner Seite hat dürfte auch als armer Mensch glücklich sein. Wer aber einen lieben Menschen verliert kann durch das größte Vermögen auf der Welt kein Glück geschenkt werden. Also was Schnucki gemacht hatte war für mich inzwischen so nebensächlich, dass ich, wenn man mich gefragt hätte ob man ihn laufen lassen solle, bestimmt mit „Ja“ geantwortet hätte. Schuld und Schuld sind halt relativ.
Die Königin auf dem Scheiterhaufen Der Donnerstag, 19. September 1996, sollte ein ereignisreicher Tag in Olvermühle werden und diese Ereignisse brachten dann erstmalig entscheidende Bewegung in den Fall Astrid Rossbach. Der Tag begann mit der Festnahme der Leute, die unseren Wagen vor der Diskothek Jukebox in Waldstadt abgestellt hatten. Wer das vorangegangene Kapitel aufmerksam gelesen hat ist vielleicht schon darauf gekommen. Unser Schnucki war doch in Begleitung von drei Freunden in der Diskothek eingetroffen und diese waren dann noch einmal wieder gegangen um zwei Freundinnen abzuholen. Nach dem die nach Mitternacht wieder eintrafen verschwand dann Schnucki mit unserem Auto nach Berlin. Jetzt könnte man kombinieren, dass die beiden Damen und die drei Herren, die ja zur Tatzeit unterwegs waren, diesen Wagen mitgebracht haben. Dieser Verdacht wird dann noch erhärtet, wenn man weiß, dass die Mädchen in Weinberg wohnten, das heißt, dass sie am fraglichen Abend auf der Straße von Weinberg nach Salein Astrid entgegen gekommen sein könnten. Aber nicht der Schluss aus den Indizien führte zur Festnahme der Fünf sondern die Aussage eines Taxifahrers, der sich aufgrund der Berichterstattung über den Fall Viktor Schurr in der Lokalzeitung bei der Polizei gemeldet hatte. Zwei Autos waren ihn in der Nacht zum 12. September 1996 innerhalb kürzester Zeit gleich drei Mal aufgefallen; zwei Mal davon in unangenehmer Weise. Das erste Mal als ihm diese beiden Fahrzeuge in den Serpentinen zwischen Salein und Weinberg auf lebensgefährliche Weise überholt hatten. Alle drei Fahrzeuge fuhren talwärts, also in Richtung Salein. Laut Taxifahrer wäre, wenn es in diesem Moment Gegenverkehr gegeben hätte, kein Auge trocken geblieben. Der Taxifahrer hatte übrigens Fahrgäste, die er von meinem Geburtstagsempfang abgeholt hatte, im Wagen. Er ließ diese Fahrgäste im Bereich des Amthauses in Olvermühle aussteigen. Auf Wunsch seiner Kunden hatte er in Fahrtrichtung Waldstadt auf dem rechten Parkstreifen angehalten obwohl seine Fahrgäste auf der anderen Straßenseite wohnten. Diese wollten dann an der, mit einem Druckknopf ausgestatten, Fußgängerampel die Straße überqueren. Da fielen ihm die beiden Fahrzeuge, unser BMW und ein aufgetunter alter Ascona, ein zweites Mal auf. Sie fuhren, obwohl ihnen die Ampel rot zeigte und sich Fußgänger auf dem Überweg befanden, mit überhöhter Geschwindigkeit in Richtung Waldstadt durch. Sie waren also zuvor nicht auf direktem Wege zu ihrem späteren Ziel gefahren, sonst hätte sie der Taxifahrer jetzt nicht noch einmal erblicken können. Als ihm die beiden Wagen das dritte Mal auffiel war das nicht mehr unangenehm, denn sie standen, und zwar auf dem Parkplatz der Jukebox in Waldstadt. Sie fielen dem Fahrer auf als er dort spätere Fahrgäste herausließ. Er nutzte die Gelegenheit, um sich Marke, Farbe und Kennzeichen mal für alle Fälle zu notieren. Da ihm die Fahrzeuge kein weiteres Mal auffielen und er den am übernächsten Tag erschienen Artikel über das Verschwinden und die Suche nach Astrid, in der auch unser Wagen beschrieben worden war, nicht gelesen hatte, beließ er es zunächst dabei. Er war, wie fast alle Taxifahrer, auf der einen Seite recht kooperativ gegenüber der Polizei aber auf der anderen Seite auch recht froh, wenn er nichts mit dieser zu schaffen hatte. So blieb diese Angelegenheit erst einmal in den Erinnerungen des „Drivers“ und kam nicht bei der Polizei an. Als er dann die Schnucki-Story las, war ihm der Zusammenhang des BMWs, der ihm auf schlimme Art und Weise aufgefallen war, und dem Tatfahrzeug klar. Daraufhin meldet er sich postwendend bei der Polizei. Anhand der Kennzeichennummer konnte dann ein Freund Schnuckis als Halter des Ascona-Raumschiffes ausgemacht werden. Diesbezüglich wurde dann auch Schnucki noch einmal vernommen. Man fragte ihn jetzt erstmalig, warum er die Diskothek überhaupt verlassen habe. Er hatte doch ursprünglich die Absicht dort noch zu verweilen und anschließend mit den Freunden, mit denen er auch gekommen war, wieder heimkehren. Der antwortete recht prompt, dass ihm seine Freunde gesagt hätten, dass draußen Rossbachs Karre mit steckendem Schlüssel stehe – direkt neben dem ihrigen. Dann ist der naive Knabe mal rausgegangen um nachzuschauen. Es liegt auf der Hand, dass seine Freunde so etwas was dann auch wirklich geschah einkalkulierten: Schnucki würde das Corpus Delikte schon für sie wieder beseitigen. Als man Schnucki danach fragte, warum er bis zu diesem Zeitpunkt nichts gesagt hatte, antwortete er mit einer Gegenfrage: „War das den wichtig?“. Und wie wichtig es war: Es beweist zweifelsfrei, dass Schnucki absolut nichts mit dem eigentlich Fall der Königin von Salein zutun hatte. Wenn Astrid wirklich ermordet wurde, kann er es mit Sicherheit nicht gewesen sein; sein Alibi ist so hieb- und stichfest. Dafür können jetzt seine Freunde als dringend Verdächtige betrachtet werden. Nach ihrer Festnahme leugneten diese zunächst eisern alles was ihnen vorgeworfen wurde und tischten der Polizei dann eine Geschichte auf, die sie sich in der Zwischenzeit gemeinsam ausgedacht hatten. Während der Einzelverhöre verhedderten sie sich dabei dann aber in allerlei Widersprüche. Erst als sie von dem zweiten Ereignis dieses Tages erfuhren, kamen dann die beiden Mädchen und danach auch die Jungens mit der Version, die sich später als zutreffend erweisen sollte, heraus. Tatsächlich hatten die drei Jungens die beiden Mädchen zur fraglichen Zeit in Weinberg abgeholt und waren über die infrage kommende Landstraße über Salein und Olvermühle nach Waldstadt gefahren. Zumindest wollten sie dieses zunächst ohne weitere „Dummheiten“. In Höhe von Vollerde, einem 8-Häuser-Dörfchen zwischen Weinberg und Salein, stand unser Wagen mit laufenden Motor, eingeschalten Abblendlicht und offenstehender Beifahrertür auf der Straße. Blitzartig hatten die jungen Leute beschlossen, sich diesen als Zweitwagen für ein „Kick-Making auszuleihen“. Ruckzuck haben sie sich auf
die beiden Wagen aufgeteilt, den BMW gewendet und dann als Rowdys die Straßen in der Gemeinde Olvermühle unsicher gemacht. Ich weiß nicht, was ich gedacht hätte, wenn ich von dieser Geschichte vor der zweiten erfahren hätte. Aber so konnte ich mich dann der Polizeimeinung anschließen, dass auch diese zwar das Fahrzeug an sich genommen haben aber mit dem schweren Verbrechen an Astrid nichts zutun hatten. Dieses auch schon aus dem Grunde, weil das zweite Tagesereignis zu einem Zeitpunkt passierte als die versammelte Mannschaft bereits auf der Olvermühler Polizeistation saßen. Die Fünf wurden übrigens am Nachmittag von der Kripo wieder nach Hause geschickt. Jetzt wird dieser oder jene bestimmt sagen, dass es ihm immer aufrege, dass man die „Verbrecher“, die man schon mal verhaftet hat, immer gleich wieder laufen ließe um sie dann später, wenn sie möglicherweise noch viel Schlimmeres begangen hätten, wieder mühsam einfangen müsse. Na ja, an einer solchen Sichtweise ist einiges auf der schiefen Ebene. Erstens ist es grundsätzlich richtig, dass man in einem Rechtsstaat nie aufgrund von Mutmaßungen sondern immer nur auf begründeten, also schlüssigen und nachvollziehbaren Verdacht handeln darf und das bis zu einer Verurteilung immer von der Unschuld der Beschuldigten ausgegangen werden muss. Jemanden vor einer Verurteilung als Verbrecher zu bezeichnen ist übrigens selbst eine Straftat. Ginge man nicht grundsätzlich erst von der Unschuld mutmaßlicher Täter aus, könnten wir alle leicht Opfer eines Recht-und-Ordnungs-Systems werden. Stellen Sie sich vor ein Nachbar, der Sie nicht leiden kann, beschuldigt Sie einer Tat, die Sie dem Augenschein auch begangen haben könnten. Jetzt werden Sie verhaftet und Ihre einzigste Chance bald wieder zu Ihrer Familie zukommen ist, dass Sie beweisen können, dass Sie unschuldig sind. Das müssen Sie schon selbst machen, denn die Staatsanwaltschaft beziehungsweise die Kripo hat ja einen Täter und Ihre Unschuldsbehauptung interessiert dann niemand mehr. So kommen in totalitären Staaten schnell Unschuldige auf längere Zeit hinter Schloss und Riegel. Da man in einem Rechtsstaat solange von Ihrer Unschuld ausgehen muss, bis man Ihnen Ihre Schuld wirklich beweisen kann, sind Sie so als Unschuldiger vor staatlicher Willkür geschützt. Der Schutz des einen Unschuldigen vor Willkür muss nach meiner Ansicht immer vor Innerer Sicherheit rangieren – Grundrechte und Freiheit statt Sicherheit um jeden Preis. Davon abgesehen kann die Polizei niemanden so ohne weiteres verhaften. Sie können in der Regel auf eigene, also nicht richterliche, Veranlassung Leute nur festnehmen; ein sehr bedeutender Unterschied zu verhaften. Wenn dann gegen die Festgenommenen kein Haftbefehl ausgestellt ist oder wird, muss man den oder die Festgenommenen ohnehin nach spätestens 24 Stunden wieder laufen lassen, gleichgültig was sie gemacht haben sollen. Einen Haftbefehl können nur Richter ausstellen und das nur dann, wenn eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr besteht oder wenn der Beschuldigte sich einem Verfahren entzogen hat oder bereits wegen einer Straftat verurteilt worden ist. Allerdings kann man bei sehr schweren Straftaten, zum Beispiel Mord, schon im Hinblick auf die zu erwartende Strafe von Flucht- oder Verdunklungsgefahr ausgehen. Auch dieses rechtsstaatliche Prinzip hat einen sehr vernünftigen Grund. Stellen Sie sich vor, dass jemand eine geringfügige oder minderschwere Straftat begangen hat und der wird jetzt von der Polizei verhaftet. Der ist somit schon mal hinter Schloss und Riegel und die Ermittlungsbehörde hat jetzt eigentlich keinen „Zeitdruck“ mehr, dem Beschuldigten die Straftat wirklich nachzuweisen und kann sich mit ihren Ermittlung und der Klageerhebung Zeit lassen. Da kann es passieren, dass der Beschuldigte 6 Monate oder sogar länger von der Polizei eingesperrt wird und das Gericht hält später zu recht 30 Tagessätze für angemessen – und noch schlimmer ist so etwas wenn das gerechte Urteil dann Freispruch lauten muss. Dann wird der Betroffene aufgrund polizeilicher Schlamperei oder gar Willkür 6 Monate lang seiner Freiheit beraubt. Das dient absolut nicht der Inneren Sicherheit sondern sorgt für Staatsverdruss und da nicht nur Opfer sondern auch Täter nach Rache sinnen nicht selten zu späteren viel schlimmeren Straftaten. Wir haben nicht nur das Recht darauf vor Verbrechern sondern auch vor staatlicher Willkür geschützt zu werden. Letzteres muss für jeden, der an einer vernünftigen gesellschaftlichen Entwicklung interessiert ist, sogar Vorrang haben. Auf diese ausführlichen Abschweife in den allgemeinen Bereich im Hinblick auf Innere Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit bin ich jetzt bei der Niederschrift, also mit einigem zeitlichen Abstand zum geschilderten Geschehen, gekommen. Insbesondere jetzt, nach dem 11. September 2001 und dem bevorstehenden Bundestagswahlkampf 2002, wo die Hartliner wieder in Verkennung der Tatsache, dass die durchgreifensten, meist totalitären, Staaten die höchste Verbrechens- und niedrigste Aufklärungsrate haben, wieder besonders lautstark die Aushöhlung unseres freiheitlichen Gesellschaftssystem fordern, halte ich es für wichtig dieses mal auszusprechen. Wie gesagt, dass schreibe ich heute im Jahr 2002; damals 1996 war ich zu dieser Sichtweise nicht fähig. Da war ich auch einer derjenigen, der sich den Forderungen „mehr durchgreifen“ und „Kopf ab“ anschloss. Ich glaube, das kann wohl jeder nachvollziehen und deshalb sollten niemals emotionale Forderungen von Opfern zu politischen Leitsätzen gemacht werden. Aber bereits damals hatte ich keine Einwände, dass man die Fünf wieder heimwärts schickte. Als ich von ihnen erfuhr, wusste ich ja bereits, dass die Astrid nichts angetan haben konnten und dass die „nur“ in leichtsinniger jugendlicher Unvernunft unser Auto gestohlen hatten und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr vorgenommen hatten. Und dieses war für mich damals so nebensächlich wie nur was. Aber auch ohne das zweite Ereignis des damaligen Tages wären die drei jungen Herren und ihre beiden Freundinnen am Abend wieder zuhause gewesen, denn außer besagten Autodiebstahl und dem, vom Taxifahrer bezeugten, gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in zwei Fällen hätte
man denen sonst nichts anlasten können. Und eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr erscheint doch bei diesen Leuten mehr als unwahrscheinlich. Oder wie sehen Sie das? Jetzt habe ich schon so oft von dem zweiten Ereignis des Tages gesprochen, dass es langsam Zeit wird davon zu berichten. Zum zweiten Mal nach dem „Ereignis vom 11. September 1996“ war ich an diesem Morgen im Büro. Ich wollte ab jetzt wieder regelmäßig meinem Dienst nachkommen, denn irgendwo sagte ich mir auch, dass das Leben weitergehen müsse. Und das ich, seit dem Besuch des Kriminalbeamten in etwas geordneteren Bahnen denken konnte, habe ich ja bereits geschrieben. Viel war jedoch nicht zu tun. An diesem Morgen kam kein einziger Besucher. Woher sollten die Leute auch wissen, dass ich jetzt wieder dem Alltag regelmäßig nachkommen wollte. Ich beschäftigte mich also mit der Erledigung der Dinge, die in der Zwischenzeit postalisch aufgelaufen waren. Dieses waren in erster Linie Handwerkerrechnungen hinsichtlich kleinerer Reparaturen in unseren Häusern, die ich prüfte, anwies und abbuchte. Auch dieses lag natürlich auch nicht im riesigen Umfang vor, denn so viel diesbezügliches passiert ja zum Glück auch nicht. So war es eigentlich auch ganz gut, denn aus verständlichen Gründen war mein Konzentrationsvermögen auch nicht in Höchstform. So war ich dann heftiger als sonst erschrocken als es kurz vor Elf hier in Olvermühle einen Feueralarm gab. Bei uns wird heute, wie auch in vielen anderen kleineren Gemeinden auch, die Freiwillige Feuerwehr immer noch durch drei Mal aufheulenden Sirenen zum Einsatz gerufen. Man ist immer etwas - und je nachdem in welcher geistigen Verfassung man ist sogar mächtig - erschrocken. So war es dann auch an diesem Donnerstagmorgen. Früher hatte ich mich auch mal zu der Truppe gemeldet aber meine Höhenangst und Kreislaufprobleme bei stärkerer Belastung waren es, die mich zum passivem, also zahlendem Mitglied werden ließen. Auch am 19. September 1996 machte ich das, was ich bei solchen Gelegenheit immer machte, ich arbeitete weiter. Zu den Leuten, die sich aus Sensationslust dann gleich auf die Suche nach dem, wo es was zusehen gibt, machen habe ich noch nie gehört. Das war auch gut so, ganz besonders auch an diesem Tag. Jemand hatte in einem Waldstück bei Vollerde, also da wo die fünf jungen Leute unser Auto gesehen und entwendet hatten, Flamen und Rauch gesehen und dieses umgehend der Feuerwehr gemeldet. Diese rückte dann, nach dem sie über die Sirenen alarmiert worden war, zu einem Waldbrand aus. Vor Ort musste sie feststellen, dass nicht der Wald brannte sondern das jemand Strohballen aufgehäuft und angezündet hatte. Als die Feuerwehrleute mit den Löscharbeiten begannen, machten sie einen grausamen Fund. In dem großen Strohhaufen lag eine nackte weibliche, angesenkte aber bis jetzt noch nicht ganz verbrannte Leiche. Es war Astrid - die Königin von Salein war auf dem Scheiterhaufen gelandet. Das war sogar für die Feuerwehrleute, die ja eigentlich doch einiges gewohnt sind, sehr entsetzlich und verschiedenen Feuerwehrleuten war es bei dem Anblick richtig schlecht geworden. Einer übergab sich sogar und „kippte“ dann noch um. Wenn die schon so empfinden, kann man sich vorstellen, was los gewesen wäre, wenn ich, Astrids Ehemann, bei dem Einsatz vor Ort gewesen wäre. Dieses war dann auch der Grund, warum ich gegen halb Zwölf dann doch noch einen Besucher im Büro hatte: den Kriminalbeamten vom Vortag. Ich kann heute nicht mehr wiedergeben wie er mir die grausame Nachricht überbrachte. Ich weiß nur, dass er seine Worte sehr umsichtig wählte und mir die Nachricht doch sehr schonend beibrachte. Sein schnelles Erscheinen hatte ja auch den Grund es mir beizubringen bevor mir dieses von dritter Seite in schockbewirkender Weise übermittelt werden konnte. Es entzieht sich meiner Kenntnis ob Kripoleute psychologisch geschult werden oder nicht aber dieser Beamte machte seine Sache wirklich gut. Obwohl ich mit der Nachricht hinsichtlich des Auffindens der ermordeten Astrid rechnete und obwohl der nachrichtenübermittelnde Beamte seine Sache supergut machte, brach ich innerlich wieder zusammen, heulte und schluchzte. So etwas, was ich da erlebt habe, wünsche ich heute meinem ärgsten Feind nicht. Das Erste was mir beim abklingenden heulenden Elend einfiel war „Die Kinder“. Auch da konnte ich wieder die Umsicht und Fähigkeit des mir gegenüber sitzenden Kriminalbeamten feststellen. Er hatte bereits veranlasst, dass sich eine Kollegin von ihm auf dem Wege zur Gesamtschule in Waldstadt machte um unsere Kinder von dem grausigen Fund zu unterrichten. Auch bei denen ging es darum, dass sie nicht vom Volksmund in vernichtender Weise unterrichtet wurden sondern in verkraftbarer Weise mit dem nicht mehr Rückgängigmachbaren vertraut gemacht wurden. Dieses erwähne ich hier mit Dank und Anerkennung, denn ich weiß, dass so ein Vorgehen gar nicht selbstverständlich ist und in unserem Falle ausschließlich auf dem Stil des hier leitenden Kommissar Schiller, den ich auch sonst hervorragende berufliche Fähigkeiten bescheinigen muss, zurückzuführen ist. Es wäre wirklich wünschenswert, wenn eine solche Arbeitsweise bei der Polizei Standard würde und die Beamten dahingehend auch intensiv geschult würden, denn es ist wohl sehr entscheidend wie und wann man Schreckensnachrichten übermittelt bekommt. Auf jeden Fall sollten Opferangehörige wissen was passiert ist bevor Sensationspropagandisten in den Medien und im Volk ihre verantwortungslosen Topp-News raushämmern können. Takt und Verständnis wie auch Verantwortung sind wohl Fremdworte in einer profitorientierten Medienwelt. Ich denke heute mit Schrecken daran, was in mir los gewesen wäre, wenn ich alles zuerst aus den Medien erfahren hätte. Nach dem ich mich so weit gefangen hatte, dass ich nicht mehr fortwährend schluchzte war ich auch schon gleich wieder mit Verdächtigung dabei. Jetzt war für mich der Bauer Horst Schulte-Vollerde derjenige, der meine Frau
umgebracht hatte. Das Ganze lag nahe, weil ihm die, an dieses Waldstück angrenzende, Landwirtschaft gehört. Er hatte mit Sicherheit Strohballen und konnte sie auch am besagten Ort aufstapeln ohne dass sich jemand dabei was Böses denken brauchte. Bei ihm kommt noch hinzu, dass er einerseits als versoffen und andererseits als notgeil bekannt ist. Der 40-jährige Horst Schulte-Vollerde, auch hier trägt die Gemarkung den Namen nach seinen bäuerlichen Vorfahren, hätte ja so gerne eine Frau gehabt. Zum Einen war er so als eine Art Muttersöhnchen groß geworden. Seine Mutter, die alte Bäuerin, war sein Ein und Alles. Wo die noch lebte war er ein überall vorzeigbarer Musterbauer. Aber nach ihrem Tod im Jahre 1987 war er nicht mehr zu halten und er verfiel immer mehr dem Suff. Der Hof macht heute ein Mitleids erregenden Eindruck und sein Vieh findet das Bedauern aller Leute die mal durch Vollerde wandern oder spazieren. Horsts Vater war bereits 1982 mit seinem Motorrad in den eisglatten Serpentinen nach Salein tödlich verunglückt. Und Horst hätte so gerne eine nette Bäuerin an seiner Seite gehabt. Er nutzte alle Gelegenheiten um auf Brautschau zu gehen, gab Kontaktanzeigen auf und ließ auch manche Mark bei einschlägigen Instituten. Gerade Letztere konnten ihm diese oder jene Interessentin vermitteln. Die waren auch alle erst begeistert: Die beiden schönen Pferde, ach die süßen Schweinchen und Kühe sind auch zutrauliche Mitgeschöpfe. Aber ein bäuerlicher Alltag sieht anders aus, dass ist Schwerstarbeit rund um die Uhr. Die Tiere wollen versorgt werden, Felder müssen bestellt werden und Haus wie Hof müssen in Schuss gehalten werden und ohne einen gehörigen Schuss kaufmännischer Kenntnisse und Fähigkeiten kommt heute auch kein Landwirt mehr über die Runden. Da ziehen junge Damen, auch wenn ihnen der Bauer als Mann super gefällt, sehr schnell wieder von dannen. Dieses oder jenes sexuelle Begehren ist doch eigentlich natürlich und so gut wie allen Menschen angeboren. Ich muss immer wieder den Kopf über die Frömmler schütteln, die die natürlichste Sache der Welt leugnen wollen. Ich glaube, dass nirgendwo mehr gelogen wird wie bei den Tugenden der Zölibatäre. Na ja, und wenn sich dieses dann mit dem, was ich im vorhergehenden Absatz beschrieb, paart kann es durchaus zu einem triebhaften Verhalten kommen. Da war Schulte-Vollerde kein unbeschriebenes Blatt. Es sind einige Fälle bekannt wo er seine Finger nicht bei sich behalten konnte. Auch ich habe ihm 2 Jahre zuvor mal kräftig die Meinung gesagt, als er Astrid, als wir mal im Gasthof Schneider an der Theke standen, mächtig am Po grabschte. Er entschuldigte sich damals in aller Form und erklärte er habe nur einen Scherz machen wollen aber er sähe wohl ein, dass er da zu weit gegangen sei. Vor Jahren wurde Horst auch einmal wegen Vergewaltigung angezeigt. Damals hatte er mittels Kontaktanzeige eine junge Dame finden können, die zu einem ersten Kontaktgespräch auf seinem Hof anreiste. Das soll er dann für eine Vergewaltigung genutzt haben. Die Dame nahm ein Wenig später ihre Anzeige zurück und gab an, sie habe Schulte-Vollerde, weil er sie getäuscht habe, Eins auswischen wollen. Im Dorf wurde allerdings gemunkelt, sie habe die Anzeige nur aus Mitleid mit dem armen Tropf zurückgenommen. Mein Verdacht kam also nicht von ungefähr. Das Einzigste was mich in Hinsicht meines Verdachtes, Horst SchulteVollerde als Mörder meiner Frau, skeptisch stimmte war, dass ich ihn am Abend meines Geburttagsempfanges volltrunken durch Weinberg habe torkeln sehen. Ich hatte mir, nach dem ich mal auf der Toilette war, aus dem Automaten vor der Tür des Gasthofes Schneiders ein paar Zigaretten gezogen. Da sah ich Horst auf der gegenüberliegenden Straßenseite bei der schussartigen Nutzung des Bürgersteiges bis zur Straßenmitte. Das schließt zwar nicht aus, dass er später eine Vergewaltigung versucht und einen Mord begangen hat, aber wie sollte der noch mit dem Wagen bis zur Jukebox gekommen sein? In dem Zustand, in dem er war, wäre es ein Wunder gewesen, wenn nicht die erste leichte Kurve gleich zur Endstation geworden wäre. Von der Geschichte mit den fünf Heranwachsenden, die ich am Anfang dieses Kapitels erzählt habe, wusste ich in jenem Moment noch nichts. Deshalb trug ich meinen Verdacht auch gegenüber Kommissar Schiller zunächst erst recht vorsichtig vor. Der Kripomann erklärte mir, dass seine örtlichen Kollegen auch bereits einen entsprechenden Verdacht geäußert hätten und er sich Herrn Schulte-Vollerde bereits in Begleitung seiner mobilen Kollegen zur Wache bestellt habe. Mehr wisse er natürlich erst, wenn er mit ihm gesprochen habe. Da er nun davon ausging, ich hätte mich den Umständen entsprechend gefestigt, berichtet er mir von der Geschichte mit den fünf jungen Leuten und nahm damit unbewusst und ungewollt meiner Verdacht die Skepsis, von der ich ihm zuvor noch nicht berichtet hatte. Er hatte also den Wagen nicht selbst zur Jukebox gefahren sondern er hatte ihn einfach auf der Straße stehen lassen und die Jugendlichen hatten dieses in ihrem Übermut ahnungslos für ihn besorgt. Als ich Herrn Schiller dieses jetzt sagte, fragte er mich, wie ich mir jetzt vorstelle, warum die Beifahrer- und nicht die Fahrertür offen stand als die jungen Leute das Fahrzeug vorfanden. Das brachte dann jedoch bei mir noch eine Festigung meines Verdachtes. Ich spann aus, der betrunkene Horst SchulteVollerde habe hilflos erscheinend im rechten Straßengraben gelegen. Astrid, die diesen, gegenüber sie 10 Jahre jüngeren Mann, schon seit Kindesbeinen kennt, hat keine Gefahr gesehen und stieg aus um ihm eventuell zu helfen. Da des Nachts auf der, im Grunde doch schmalen Landstraße des Nachts oft gefährlich gerast wird, stieg sie sicherheitshalber über den Beifahrersitz aus. Als sie dann am Graben über ihn war hat er sie gepackt und dann war es geschehen. Aber auch dieses ließ der Kommissar nicht widerspruchslos stehen: „Es kann durchaus so gewesen sein wie sie sagen, Herr Rossbach. Aber meine Erfahrung sagt mir, dass der erste Verdacht selten der richtige ist. Insbesondere dann, wenn es wie in diesem Fall, so einfach und plausibel aussieht. Stellen sie sich vor, ihre Frau hat bereits vorher, vielleicht sogar in der Straße wo sie wohnen, jemanden den sie kannte zu sich in den Wagen genommen. Es kann doch sein, dass sie diesen mit zu ihrer Geburtstagsfeier mitbringen wollte. Dann haben die an der entsprechenden Stelle etwas
gesehen um was sie sich kümmern wollten. Möglicher Weise sogar diesen Schulte-Vollerde im hilflosen Zustand. Nachdem sie diesem geholfen haben ist es dann geschehen und der Täter hat die Leiche an Ort und Stelle versteckt. Nachdem er gesehen hatte, dass Schulte-Vollerde den Strohhaufen aufschichtete ... ich kenne mich zuwenig in der Landwirtschaft auf um zu sagen warum ... Also, nachdem er sah wie der Strohhaufen aufgeschichtet wurde, nutzte er die Gelegenheit um die Leiche zu beseitigen. Ich weiß nicht warum, aber meine Theorie scheint mir wahrscheinlicher als die ihrige. Deshalb bitte ich sie, auch ein Wenig mit darüber nachzudenken, wer der unbekannte Beifahrer gewesen sein könnte. Wir bleiben auf jeden Fall am Ball.“. Ich versprach nachzudenken, tat es aber nicht, denn für mich stand bombenfest, dass Horst Schulte-Vollerde der Mörder meiner Frau war. Seltsam, dass ich nach meinem Gefühl an diesem Tag gefasster als am vorhergehenden Montag, als ich erfuhr dass man unseren BMW in Berlin gefunden hatte, war. Wenn mich mein subjektiver Eindruck nicht trübt, bin ich problemlos selbst mit Astrids Auto nach Hause gefahren. Aber jetzt begann wieder eine marternde Zeit des Wartens. Erst warte ich auf das Geständnis von Schulte-Vollerde und dann auf die Freigabe von Astrids sterblichen Überreste durch das gerichtsmedizinische Institut. Aber auf beides wartete ich den Rest der Woche vergebens. Der „Verdächtige“ blieb hartnäckig bei seiner Version er habe Astrids Leiche auf seinem Hof gefunden und aus Angst man könne ihm die Sache anhängen sie verbrennen wollen. Aus meiner Sicht hatte er so zumindestens gestanden, die Königin von Salein auf den Scheiterhaufen gelegt zu haben. Was die Gerichtsmedizin alles mit Astrid machen musste entzieht sich meiner Kenntnis und ich habe dieses aus einer unbegründbaren Angst auch nie hinterfragt. Das, was von Astrid übergeblieben war muss fürchterlich ausgesehen haben, denn man unternahm alles, um zu verhindern, dass ich sie noch einmal zu sehen bekam. Kommissar Schiller klärte mich in der Folgewoche einmal dahingehend auf, dass ich aufgrund der Rechtslage natürlich fordern könne, dass man mir den Sarg öffne und mir meine Frau noch einmal zeige. Aber es wäre allemal besser, wenn ich davon absehen würde. Ich war zwar tief traurig, mich nicht noch einmal von der Frau mit der ich mein halbes Leben verbracht hatte verabschieden zu können aber irgendetwas in mir sagte mir auch, dass es für mein weiteres Leben besser sei, wenn ich davon absehe. Ich schrieb, dass ich auf die Freigabe der Leiche wartete. Im Grunde hätte ich das gar nicht gemusst, denn man hatte mir ja gesagt, dass dieses am Dienstag oder spätestens am Mittwoch der kommenden Woche sein würde und ich bei der Vorbereitung der Bestattung – eine Trauerfeier hätte man ja auch früher abhalten können – keinen Termin vor dem folgenden Donnerstag ins Auge fassen sollte. Trauerfeier und Bestattung waren dann auch das Thema meines Gespräches mit Sabrina und Oliver am Donnerstagabend. Astrid hatte mal gesagt, dass sie mal so bestattet werden wollte, wie es ihre Eltern auf ihrem Wunsch auch wurden. Das heißt eine Trauerfeier nur im Familienkreis, Einäscherung und Bestattung in einem anonymen Grab. Sie hatten dabei die Vorstellung, dass sie sich so am Besten von den Menschen, die ihnen im Leben am nächsten standen, in Würde verabschieden und in deren Herzen weiterleben zu können. Eine Trauerfeier mit einer „scheintrauernden Menge mit anschließendem Fellversaufen“ war ein Graus für mein Schwiegervater und meine Schwiegermutter fürchtete, dass das Gedenken in den Herzen der Hinterbliebenen Schaden nehme könne, wenn es aus einem, nicht vorhersehbaren Grund Ärger mit den Gräbern gäbe. Diese Ansicht hatte nicht nur meine Frau sondern auch ich inzwischen übernommen. Was die stille Trauerfeier und die Einäscherung anbelangte waren wir Drei uns einig, es sollte so verfahren werden, wie Astrid es gewünscht hatte. Wir hielten es entsprechend der Umstände sogar für das Richtigste, was wir sogar hätten machen müssen, wenn Astrid es sich nicht so gewünscht hätte. Eine Trauerfeier als Show für Voyeure hatte mir auch schon früher immer einen Schauer des Grausens über den Rücken laufen lassen. Und was den Zusammenhang mit der Einäscherung und dem Zustand nach dem Brand auf den Scheiterhaufen anbelangt brauche ich ja wohl keine großen Ausführungen mehr zu machen. Allerdings lag eine anonyme Bestattung jetzt nicht mehr in meinem persönlichen Interesse. Ich wünschte mir jetzt eine Stätte zu der ich gehen und ihr gedenken könnte. Oliver und Sabrina waren jedoch der Meinung, dass der Wunsch der Verstorbenen Vorrang vor dem der Hinterblieben habe. Außerdem wandte Sabrina ein, dass, je nachdem was noch auf uns zu käme, es besser wäre wenn eine solche Kultstätte nicht vorhanden wäre. Sabrinas Argument wollte ich nicht wahrhaben aber mein Respekt vor dem Wunsch der Ermordeten brachte mich dann doch dazu, der anonymen Bestattung zuzustimmen. Am nächsten Tag beauftragte ich dann auch das Beerdigungsinstitut Krause in Waldstadt mit der Durchführung der ganzen Geschichte. Dass ich das hiesige Institut Schulte-Vollerde, dessen Inhaber ein Vetter meines Hauptverdächtigen ist nicht beauftragen wollte, konnte, wie er mir später selber sagte, sogar der Bestatter selbst verstehen – obwohl dieser nun beim besten Willen nichts mit der Sache zutun hatte. Wir kommen ansonsten ja immer noch gut miteinander aus. Zum Kapitel 6
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Nächtliche Spaziergänge des Gemeindedirektors An dem Montag, an dem der Kalender den 23. September 1996 anzeigte, nahm ich den dritten und auch endgültigen Anlauf wieder den Bürozeiten in unserer „Wohnungsgesellschaft“ regelmäßig nachzukommen. Am vorangegangen Freitag war diese Bürozeit aus nachvollziehbaren Grund, den ich im vorausgegangenen Kapitel beschrieben habe, erneut ausgefallen. Fast hätte ich Anlass zum Aberglauben gehabt, denn das Aufschließen des Büros erwies sich scheinbar als ein Omen für eine Wende im Fall Astrid, auch an dem Tag von dem ich hier berichte. Eigentlich lag auch an diesem Tag während der Bürozeit nichts besonderes an. Nur einmal bekam ich zwischendurch einen kurzen Besuch von Kommissar Schiller. Er fragte mich jetzt nur, ob zu meinem Geburtstag auch noch zu einem späteren Zeitpunkt gekommen seien und wann die letzten Gäste gegangen seien. Als ich ihm diese Frage so kurz wie sie gestellt wurde auch beantwortet hatte wollte er noch wissen, ob auch Herr Rebmann, unser Gemeindedirektor, auch da gewesen sein. Auch jetzt fiel die Antwort knapp aus: „Nein, der hatte sich wegen einer anderweitigen Verpflichtung entschuldigt.“. Das war es dann auch schon und Herr Schiller wollte sich wieder verabschieden. Ich nutzte die Gelegenheit zu einer Nachfrage: „Wie ich am Samstag in der Zeitung gelesen habe, können sie sich von ihrer Theorie, dass meine Frau ihren Mörder selbst nach Vollerde gefahren hat und Schulte-Vollerde wirklich die Wahrheit sagt, offensichtlich nicht trennen. Aber ich glaube meinen guten Schlips gegen ein altes Nachthemd verwetten zu können, dass sie den Täter bereits einsitzen haben.“. Anlass meiner Frage war, dass die Kripo über die Lokalpresse alle Leute, die in der fraglichen Nacht über die Straße von Salein nach Weinberg und umgekehrt gefahren sind, aufrief sich zu melden und mitzuteilen ob ihnen Personen, Fahrzeuge oder irgendwelche Besonderheiten aufgefallen sind. Auf meine Frage lächelte Herr Schiller und sagte: „Ich glaube, sie können ihren guten Schlips schon mal abnehmen oder raussuchen; ich kann derweil schon mal ein altes Nachthemd besorgen lassen.“. Daraufhin verabschiedete er sich schnell und zog von dannen. Ich für meine Person hatte das Gefühl, dass sich der Kommissar verrennen würde. Offensichtlich wollte er nach meiner Ansicht einfache Dinge nicht wahrhaben weil es dann für ihn keine Nüsse mehr zu knacken gäbe. Ich blieb also bei meiner festen Überzeugung, dass Horst Schulte-Vollerde der Täter sei. Ich konnte ja nicht wissen, was sich im Amtshaus, in der sich auch unsere kleine Polizeistation befand, in dem für Kommissar Schiller und seine Mitarbeiterin eingerichteten Büro inzwischen abgespielt hatte. Da hatten sich aufgrund des Aufrufes in der Wochendausgabe unserer Lokalzeitung eine Reihe Leute gemeldet, die etwas auf der Landstraße beobachtet hatten. Die interessantesten Sachen, die ich teilweise auch erst später im Prozess gegen den Täter erfuhr, da mir die Polizei natürlich kein präzises Protokoll ihrer Arbeit lieferte, will ich jetzt erst mal in der Reihenfolge ihrer Bedeutung berichten. Am 11. September, kurz nach Zehn, hatte ein Ehepaar, welches selbst in Vollerde wohnt, den, mittlerweile über seine eigenen Beine stolpernden Horst Schulte-Vollerde auf seinem Heimweg etwa in der Mitte zwischen Weinberg und Vollerde gesichtet. Laut deren Aussage haben die Beiden, ohne von Schulte-Vollerde bemerkt zu werden, angehalten und eine Weile darüber diskutiert ob sie ihn in ihrem Wagen nach Hause bringen sollten. Die Frau hatte Angst Horst könne sich in dem Wagen übergeben und der Mann war der Meinung, dass man zur „Hilfeleistung“ verpflichtet sei. Als diese dann sahen, dass der Betrunkene zieltorkelnd weiterzog sind sie dann erst mal in Richtung Vollerde weitergefahren. Als sie bereits eine Weile zuhause waren bekam der Mann ein schlechtes Gewissen und wollte Horst zu Fuß entgegen gehen. Aber am Abzweig von der Landstraße wäre ihm Horst schon entgegen geschwankt und ohne von dem Hilfswilligen Notiz zu nehmen in Richtung seines Hofes „gestrebt“. Diese Ehepaar hatte sich allerdings nicht erst auf den Zeitungsaufruf gemeldet sondern schon unmittelbar nachdem bekannt wurde, dass man Schulte-Vollerde der Tat verdächtigte, weil sie der Meinung waren, der Verdächtige wäre an diesem Abend zu absolut nichts mehr in der Lage gewesen. Alle anderen Zeugen meldeten sich jedoch aufgrund des Zeitungsaufrufes. Der erste Zeuge, zwar nicht in der Reihenfolge seiner Meldung – kann er zwar gewesen sein, ich weiß es aber nicht – sondern in Hinsicht auf den chronologischen Ablauf – berichtete von einem Wildunfall dessen Zeuge er geworden war. Kurz hinter dem Abzweig nach Vollerde – er fuhr in Richtung Salein – sah er ein dunkles Fahrzeug, was offensichtlich in die Gegenrichtung gefahren werden sollte und wohl kurz zuvor mit einem Reh zusammengestoßen war. Als er an diesem vorbei fuhr war der Fahrer noch nicht ausgestiegen. Es ist durchaus möglich, dass der Fahrer des Unfallfahrzeuges aber anschließend nur kurz zurücksetzte, dem Reh auswich und seine Fahrt, ohne sich um das Reh zu kümmern, fortsetzte. Kurz vor dem Ortseingangsschild „Salein – Gemeinde Olvermühle – Romanischer Kreis“ kam ihm ein BMW, dass er als Rossbachs Auto identifizieren konnte, entgegen. In dem Wagen hätten mindestens zwei Personen, die er allerdings während des Vorbeifahrens im Dunkeln nicht erkennen konnte, gesessen. Dieses ist ein Hinweis, dass Kommissar Schillers Theorie, dass jemand bei Astrid im Wagen saß, richtig war. Daraus ergibt sich auch, dass es einen Grund zum Anhalten gab: Das tote Reh auf der Straße kurz vor dem Abzweig nach Vollerde. Insbesondere die Kenntnis dieser Aussage machte unseren Herrn Schiller bei seiner Mutmaßung, dass jemand anderes als Horst Schulte-Vollerde der Täter sei so sicher. Aber das wusste ich ja bei meiner „Schlips-Nachthemd-Wette“ noch nicht. Der, in chronologischer Folge zweite Zeuge, war zwischen halb Zwölf und Mitternacht mit seinem Motorrad in Richtung Weinberg unterwegs. Er hatte einen Herrn, der zu Fuß aus Vollerde kommend auf die Landstraße in Richtung Salein einbog, gesehen. Er glaubte es sei der Gemeindedirektor Rebmann gewesen aber war sich aus dem Grunde, weil er keine Gründe für nächtliche Spaziergänge dieses Herrn fand, nicht sicher. So äußerte sich auch ein weiterer
Autofahrer, der Rebmann als nächtlichen Spaziergänger in den Serpentinen gesehen haben will. Er hätte, wenn es möglich gewesen wäre gefahrlos anzuhalten, auch gefragt ob er ihn helfen könne. Das hatte dann der vierte Zeuge, der ihn im Bereich des Ortseingangs Salein gesehen hatte, dann aber getan. Er hat den „nächtlichen Spaziergänger“ angesprochen und ihn eindeutig erkannt: Es war tatsächlich der Gemeindedirektor Friedhelm Rebmann. Das Angebot des Zeugen ihn nach Hause zu fahren lehnte er dann jedoch ab. Dem Zeugen war aufgefallen, dass die Kleidung, insbesondere die Hose, des, ihm sonst als akribisch und korrekt bekannten, Gemeindedirektors sehr verschmutzt war. Kommissar Schiller wollte dann unseren Gemeindedirektor zu den bereits am Samstag eingegangen Hinweise sprechen und dazu die Gelegenheit, dass beide unter einem Dach, dem Amtshaus Olvermühle, Dienst taten, nutzen. Als aber Rebmann um 10 Uhr noch nicht im Hause war, rief er unter einem Vorwand bei ihm zuhause an. Rebmann hatte zu diesem Zeitpunkt eine Besprechung in Waldstadt und war aus diesem Grunde auch in seiner Wohnung nicht erreichbar. Dafür aber seine Frau, eine Lehrerin an der Gesamtschule Waldstadt, die des Montags erst ab 11 Uhr Dienst hat. Durch die Hintertür fragte er Frau Rebmann ob ihr Mann auf meinem Geburtstag gewesen sei und wann er nach Hause gekommen sei. Frau Rebmann verriet ihm nach ihrem besten Wissen, dass ihr Mann einen anderen Termin gehabt habe und dann später noch zu meinem Empfang gegangen sei. Erst sehr spät, nach 1 Uhr als sie bereits fest schlief, sei er heim gekommen. Diese war der Wissenstand des Kriminalbeamten als er bei mir im Büro erschien und mich nach verspäteten Gästen befragte. Von mir erfuhr er dann, dass Rebmann zu keinem Zeitpunkt auf meinem Geburtstagsempfang war. Allerdings war es zu diesem Zeitpunkt nicht dieses Wissen was ihm dazu veranlasste, meine Schlips-Nachthemd-Wette als gewonnen zu betrachten sondern er war, wie ich bereits zuvor schrieb, sich „nur“ aufgrund der chronologisch ersten Zeugenaussage sicher, dass Schulte-Vollerde offensichtlich nicht der Mörder meiner Frau sein konnte. Seiner Art hätte es bestimmt nicht entsprochen, jetzt ohne weiteres auf Rebmann als Täter zu schließen. Aber eins schien ihm nun doch wahrscheinlich: Astrid hatte Rebmann getroffen und wollte ihn mit zu meinem Geburtstagsempfang mitnehmen. Rebmann ist also möglicher Weise die zweite Person in unserem Auto gewesen, die der Zeuge, der den Wildunfall gemeldet hatte, gesehen haben will. Im Zuge der zeitlichen Folge dürften sie wegen des Wildunfalls angehalten haben. Entweder war der „Unfallfahrer“ noch vor Ort oder das Reh auf der Straße war der Grund des Aussteigens. Beide sind da offensichtlich ausgestiegen, wobei Rebmann dann die Beifahrertür hat offen stehen lassen. Der Rest wäre aber zu diesem Zeitpunkt noch reinere Spekulation gewesen. Am frühen Nachmittag trafen sich die Herren Schiller und Rebmann im Amtshaus. Auch hier benutzte Schiller die Hintertür um zu erfahren, wo Rebmann am Abend meines Geburtstages war. Der Gemeindedirektor berichtete ihm zunächst wahrheitsgemäß von dem offiziellem Anlass und dass er anschließend dann noch bei seinem Freund Herbert Scharla gewesen sei. Dort habe er sich mit diesem noch bis zirka Mitternacht ein paar Schnäpschen genehmigt. Von dort sei er dann zu Fuß nach Hause gegangen. Schiller sagte später im Prozess, dass es bei ihm, als er im Telefonbuch die Anschrift des Herrn Scharla nachschlagen wollen, mächtig Klick gemacht habe. Scharla ist unser Nachbar in der Peter-Salein-Straße. Hier hatte Astrid also Rebmann aufgegabelt und ihn in ihren Wagen aufgenommen. Hätte Rebmann ein reines Gewissen gehabt, hätte er dieses schon aus den Gründen um sich aus jeden Verdacht herauszuhalten mit großer Wahrscheinlichkeit selbst aktenkundig gemacht. Als Scharla anschließend von Schiller auf diesen Vorgang angesprochen wurde, bestätigte er die Aussage Rebmanns bis auf einen kleinen Unterschied: Er sagte nicht zirka Mitternacht, wie Friedhelm Rebmann, sondern terminisiert seinen Heimgang um eine Stunde auf zirka 11 Uhr vor. Für Kommissar Schiller war jetzt der Punkt gekommen, wo er glaubte mit dem Staatsanwalt sprechen zu müssen. Am Nachmittag gibt es dann die große Überraschung. Kommissar Schiller lädt den Gemeindedirektor Friedhelm Rebmann offiziell in sein Büro und unterbreitet ihm, dass er des Mordes an Astrid Rossbach verdächtigt werde. Und Rebmann versucht gar nicht erst lange zu leugnen und legt daraufhin ein umfassendes Geständnis ab. Später überlegte ich mal mit einer Lehrerin, die mir inzwischen sehr nahe steht und Rebmann sehr gut kannte, wieso er in diesem Moment so schnell gestand. Die Lehrerin, die ich aus bestimmten Gründen hier noch nicht weiter „entschleiern“ möchte, ging davon aus, dass solche Täter mit Schülern, die mal aus einer spontanen Situation, also ohne vorherige Planung, die Schule schwänzten, zu vergleichen seien. Der Anlass war plötzlich da und sie haben spontan ohne Überlegung gehandelt. Sehr schnell wird ihnen aber bewusst, was sie getan haben beziehungsweise was sie gerade noch tun. Dann stellt sich eine egoistische Angst ein. Sie bereuen nicht ihre Tat aber fürchten die Konsequenzen die ihnen aus dieser drohen, wenn ihr Handeln bekannt wird. Bei den Schulschwänzern wären das dann, je nach Vorbelastung wie eine in der Vergangenheit liegende Klassen- oder gar Schulkonferenz, eventuell zu erwartende Auseinandersetzung im Elternhaus und so weiter. Bei Rebmann wird es die Angst hinsichtlich des Endes seiner Verwaltungskarriere, die Angst vor dem vorzeitigen Abschluss eines allgemeinen Lebens in Freiheit und vor Verlust seines Familienlebens gewesen sein. Auch die Aussicht auf ein Leben in Unfreiheit ist für bisher unbescholtene Menschen arg beängstigend. Diese egozentrischen Ängsten kommen in der ersten Zeit immer wieder auf und lassen sich nicht einfach verdrängen. Sie belasten und martern den Betroffenen sehr schwer. Wenn er dann mit seiner Tat konfrontiert wird, ist er froh diese für ihn überschweren Lasten loswerden zu können und gesteht dann ohne Wenn und Aber.
Der, in vorstehender Theorie genannte Ausgangspunkt, eine nicht vorhersehbare, ungeplante spontane Tat, lag ja bei Rebmann vor. Kommissar Schiller sagte mir auch diesbezüglich, als er sich nach Abschluss seiner Arbeit in Olvermühle verabschiedete, dass wir grundsätzlich alle, gleichgültig wer oder was wir sind, als potentielle Straftäter in Frage kämen. Kein Mensch auf dieser Welt habe die Gewähr niemals zum Verbrecher zu werden. Er war der Ansicht, dass die meisten Straftaten kein geplanter krimineller Akt wären sondern aus einer plötzlichen unvorhersehbaren Situation entständen und die meisten Täter im Anschluss selbst darüber überrascht wären, dass sie zu etwas fähig gewesen waren. Schiller führte dieses aus, nachdem ich gesagt hatte, dass ich so etwas unserem Gemeindedirektor nie zugetraut hätte. Wenn mich Astrid zuvor gefragt hätte, ob es irgendwelche Bedenken gäbe wenn sie Friedhelm Rebmann in ihrem Auto mitnähme, hätte ich mich sogar ob ihrer dummen Frage empört. Was war denn nun geschehen, was hatte Rebmann gestanden? Er war tatsächlich bis so gegen Elf bei seinem Freund Herbert Scharla. Sie hatten ein paar getrunken und Rebmann wollte sich auf dem Fußmarsch zu seinem etwa 2 Kilometer entfernten eigenem Haus ein Wenig an der frischen Luft erholen. Als er dann gerade auf der Straße war kam Astrid, die nach dem Absetzen unserer Kinder bereits am Wendehammer gedreht hatte, vorbei gefahren. Sie hielt an, begrüßte ihn und fragte ob er nicht Lust hätte noch auf einen Schluck mit nach Weinberg zu kommen. Ich, das Geburtstagskind, würde mich darüber sicher freuen. Rebmann wollte erst nicht aber er ließ sich dann doch von ihr überreden und stieg ein. Bei Vollerde lag das verunglückte Reh auf der Straße. Astrid wäre beinahe noch auf dieses aufgefahren. Sie hielten an, stiegen aus und schauten nach ob das Tier noch lebe. Übereinstimmend waren sie der Meinung, dass das Tier nicht auf der Fahrbahn liegen bleiben könne und Rebmann schlug vor, das tote Tier auf das, etwa von dieser Stelle 30 Meter entfernte, Streusalzlager des Landschaftsverbandes abzulegen. Mitarbeiter des Bauhofes könnten sich dann am nächsten Tag darum kümmern. Gemeinsam trugen sie das Reh zu diesem Lager. Rebmann trug das Tier an den Vorder- und Astrid an den Hinterläufen. Als sie dieses abgelegt hatten, wollte Rebmann noch nachsehen ob er nicht eine lose Plane fände mit der man das Reh abdecken könne. In dem Moment bekamen sie plötzlich mit, dass ein anderes Fahrzeug, aus Weinberg kommend, neben dem unserigen bremste und dort Leute heraussprangen. Der BMW wurde gewendet und mit „Volldampf“ brausten dann beide Fahrzeuge in Richtung Salein davon. Astrid soll in diesem Moment da wie angewurzelt gestanden haben. Laut Rebmann sei es jetzt „über ihm gekommen“ und er habe versucht Astrid von hinten die Kleider zu entreißen. Worauf diese plötzlich hysterisch geschrieen habe. Mit den Armen soll sie „wild gefuchtelt“ haben. Dadurch will Rebmann in Panik geraten sein und sie deshalb in den „Schwitzkasten“ genommen haben. Währenddessen habe ihm Astrid schmerzhaft in die Hoden gefasst und weiter geschrieen. Wie lange er sie so gehalten hat wusste er bei seinem Geständnis nicht mehr; ihm fehlte das Zeitgefühl. Lange kann es seiner Ansicht nicht gewesen sein, denn das hätte er bei den Schmerzen, die ihm Astrid im Genitalbereich zufügte, nicht lange ausgehalten. Wenn sie nicht so geschrieen hätte, dürfte er sie, nach seinen eigenen Worten, bestimmt losgelassen und sie angefleht haben, ihn nicht zu verraten und anzuzeigen. Aber „urplötzlich“ habe er nichts von ihr gehört und gemerkt. Sie sei leblos zusammengesackt. Als sie dann auf dem Boden lag hat er sie endgültig vollkommen nackt ausgezogen. Warum er das getan habe konnte er jetzt selbst nicht sagen, denn er wäre in diesem Moment überhaupt nicht mehr geil gewesen sondern er habe nur noch mächtige Angst empfunden. Er will dann auch keine sexuelle Handlung an ihr begangen haben, womit er aber in Widerspruch zu den Erkenntnissen der Gerichtspathologie stand. Nach Feststellung der Gerichtsmediziner gab es einen Geschlechtsakt zwischen Rebmann und Astrid, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu diesem Zeitpunkt noch lebte. Der Täter will nach ihrem leblosen Zusammensacken für etwa eine Viertelstunde auf dem Boden gesessen haben und dabei will er überlegt haben, was nun zu tun sei. Da fiel ihm nun der, als notgeil bekannte, Bauer Schulte-Vollerde ein, den er die Tat bewusst unterschieben wollte. Er packte Astrid in die, ursprünglich für das Reh bestimmte Plane und schaffte sie in dieser hinter sich herziehender Weise auf den Hof des Bauern. Dort sah er, die Scheunentür ein Wenig aufstehen und nutzte dieses um Astrid hineinzuschaffen. In dieser wäre es glitschig gewesen und er wäre auf dem verschlammten Boden hingefallen. Da habe er sich dann um nichts anderes mehr gekümmert und habe mit versucht mit Stroh seine Kleidung zu reinigen. Danach machte er sich dann auf den „Heimweg“, auf den er dann von den erwähnten drei Zeugen gesehen wurde. Zuhause angekommen beantwortete er seiner Frau die Frage wieso er erst so spät da sei, aus Verlegenheit damit, dass er noch auf meinem Geburtstag gewesen sei. Schulte-Vollerde hatte zuvor angegeben, Astrid am nächsten Morgen gefunden zu haben, als er zu seinem in der Scheune abgestellten Traktor, durch dessen schmutzige Reifen der dortige Schlamm verursacht wurde, wollte. Im ersten Moment habe ihm die nackte Tote so angeturnt, dass er sich (wörtlich) „um sich von seinem Ständer zu befreien erst mal Einen wichsen“ musste. Danach habe er eine furchtbare Angst gehabt, dass man ihm, wenn man die Leiche bei ihm findet, ihn wegen Mordes lebenslänglich hätte einsperren würde. Daraufhin hat er die Leiche erst mal besser in der Scheune versteckt und überlegt wie er diese loswerden könne. Die Polizei wollte er nicht verständigen, weil er Angst hatte man würde ihm nicht glauben. Ein paar Tage später habe er sich einfallen lassen, die Leiche im Stroh zu verbrennen und die Asche über die Mülltonne zu entsorgen. Aus seiner Sicht war es besser man findet die Tote und ihren Mörder überhaupt nicht als dass man ihm dieses ungerechtfertigt anlastet. Als er den „Haufen“, den er bewusst hinter den Bäumen angelegt hatte, damit er nicht vom Dorf oder der Straße gesehen konnte, angezündet hatte schlugen die durch den leichten Wind und dem verwendeten Benzin begünstigten Flammen wesentlich höher aus, als er das vorher gedacht hatte. In diesem Moment glaubte er, dass nun wirklich alles vorbei sei und informierte, damit es nicht
noch einen Waldbrand gäbe, lieber gleich selbst die Feuerwehr. Allerdings hoffte er dabei, dass nach dem Eintreffen der Wehr nichts mehr von Astrid übrig sei. Diese Version, die er gleich nach seiner Festnahme brachte, blieb er die ganze Zeit eisern. Von dem Geständnis unseres Gemeindedirektors erfuhr ich an jenem Montag kurz vor 18 Uhr telefonisch. Kommissar Schiller musste noch zu einer Pressekonferenz, die die Staatsanwaltschaft anberaumt hatte. Bevor ich es durch die Medien – hier dachte er insbesondere an die Regionalnachrichten im Lokalfunk und ähnliche Angelegenheiten bei überörtlichen Medien – erfahre sollte ich über den Stand der Dinge aus seinem Munde informiert werden. Auch dieses Mal empfand ich seine Art und Weise der Nachrichtenübermittlung als gekonnt und vorbildhaft. Ich erfuhr von ihm auch den Namen des Täters, der gestanden habe. Er erklärte mir auch dann noch, dass eine Nennung des Namens in diesem Stadium nicht nur nicht üblich sei sondern sogar nicht durch das Recht abgedeckt würde. Aber bei der exponierten Stellung des dringend Tatverdächtigen – dieses ist er, wenn man es korrekt nimmt, bis zu dem Zeitpunkt, wo er von einem Gericht für schuldig befunden worden ist – reichten ja schon die, bei der Staatsanwaltschaft üblichen Formulierung nach der jeder wüsste, wer gemeint ist. Schiller verabschiedete sich aus diesem Telefonat mit der Bitte, wir möchten uns diesbezüglich mit Äußerungen gegenüber der Presse, die jetzt wohl verstärkt bei uns etwas in Erfahrung bringen möchten, zurückhalten. Diese Bitte kam nicht von ungefähr, denn schon am gleichen Abend meldete sich ein Pressefritze mit seinen neugierigen Fragen telefonisch bei uns. Na ja, nicht nur diesem sondern auch den Dutzend Kollegen von ihm, die sich später noch meldeten, teilten wir nur kurz und knapp mit, dass wir uns zu dieser Sache nicht äußern würden. Schließlich waren wir, das heißt Sabrina, Oliver und ich, weder ein Objekt für Sensationsmache noch für Tränendrückergeschichten. Zu Fünft unterhielten wir uns doch über den überraschenden Ausgang dieses Falles. Walter und Herta Salein, mein Schwagerpaar, war hinsichtlich der bevorstehenden Trauerfeier, auch wenn außer dem genannten Quintett niemand daran teilnimmt wollten wir diese kurz durchsprechen, und auch wegen einiger anderer Formalitäten an diesem Abend zu uns gekommen. Übereinstimmend stellten wir fest, dass der Gemeindedirektor der Letzte wäre den wir von uns aus verdächtigt hätten; genauso wenig wie den Bürgermeister, Pastor oder sonstige Honoratioren. Sabrina meinte noch dazu, dass sie, selbst wenn sie gesehen hätte das Rebmann zu ihrer Mama in den Wagen gestiegen wäre, nie daran gedacht habe, dass dieses der Täter sein könne. Allen anderen Tatbeteiligten wie Schnucki, Schulte-Vollerde oder die fünf Autoentwender hätten viel besser ins Bild gepasst. Aber alle sind Menschen wie du und ich. Verbrecher gibt es in allen Bevölkerungsgruppen, Gesellschafts- und Einkommensschichten. Deutsche sind genauso kriminell wie sogenannte Ausländer. Auch Spitzenpolitiker, Toppmanager, Geistliche und Wissenschaftler sind schon auf der Anklagebank gelandet. Im Umkehrschluss heißt dieses, dass es demnach keine typischen Verbrecher gibt – ein jeder kommt in Frage. Wenn ich mir diesbezüglich dann das Gelabere und Geblubbere hinsichtlich Innere Sicherheit anhöre, komme ich zum Schluss, dass die Recht- und Ordnungs-Fanatiker den Boden der Realität und Logik bei Weitem verlassen haben. Was soll man denn machen? Wenn jeder als Täter in Frage kommt, können wir dass nur mit dem totalen Überwachungsstaat verhindern – aber auch nur vielleicht, die Verbrechenswahrscheinlichkeit wird wohl immer bleiben. Dann heißt es ade Intimsphäre, ade freiheitliche Entfaltung. Wie hätte man Astrid schützen können? Doch nur, wenn wir eine erwachsene Frau und Mutter, die ein Vierteljahr später das 50. Lebensjahr vollendet haben würde, an die Leine genommen hätte und diese sich nur in Begleitung außerhalb ihrer Wohnungsfestung hätte bewegen dürfen. Gegen eine Gefahr kann man sich doch nur schützen, wenn man weiß woher diese droht. Und wie das, wenn an jedem Ort wo sich ein x-beliebiger Mensch aufhält eine solche lauert? Wären wir jetzt im Krimi, dann wären wir am Schluss unserer Geschichte. Aber nicht in dieser Niederschrift. Unsere Story beginnt eigentlich jetzt erst richtig. Jetzt beginnt die Geschichte von Schuld und Sühne, von Rache und Vergeltung und davon wie Opfer und Täter mit der Sache fertig werden. Was man im Krimi auch nicht mitkriegt, ist dass mit dem Geständnis des Täters für die Kriminalpolizei noch lange nicht alles abgeschlossen ist. Ein Geständnis vor der Polizei reicht noch nicht, damit jemand in einem Rechtsstaat verurteilt werden kann. Dieses gilt insbesondere auch dann, wenn derjenige sein Geständnis später vor Gericht widerruft. In einem Rechtsstaat gilt der Grundsatz, dass ein Gericht nur dann ein Urteil sprechen darf, wenn dem Angeklagten seine Tat schlüssig nachgewiesen werden kann. Die Richter müssen selbst zu der Überzeugung kommen, dass der Angeklagte der Täter ist. Fehlen Beweise, muss das Verfahren mangels dieser zumindestens eingestellt oder gar der Beklagte freigesprochen werden. So wurde dann auch noch die Technik, wie Herr Schiller sagte, also die Spurensicherung dann noch in Vollerde, im dortigen Salzlager und auf dem Hof Schulte-Vollerde wie im Eigenheim der Rebmanns aktiv. Was die da alles gemacht haben, weiß ich beim besten Willen nicht aber im späteren Verfahren erfuhr ich, dass man im Salzlager noch das tote Reh gefunden hat und daneben eine Stelle ausmachen konnte, an der Astrid von Rebmann vergewaltigt wurde und an der sie vermutlich starb. In Schulte-Vollerdes Scheune fand man eine Plane aus dem Salzlager, in der Astrid dorthin geschleift wurde. Die Plane war aber an einer anderen Stelle als die, an der Schulte-Vollerde Astrid gefunden hatte. Im Rebmannschen Eigenheim fand man noch die verschmutzte Hose, an der Lehm von Schulte-Vollerdes Scheuneneinfahrt festgestellt werden konnte. Er hatte diese versteckt und wollte diese offensichtlich ohne Wissen seiner Frau entsorgen. Kommissar Schiller musste auch noch diese und jenen befragen. Was er von wem wissen wollte hat er mir natürlich nicht gesagt. So verging dann noch über eine Woche, bis er am Mittwoch der darauffolgenden Woche seine Zelte in Olvermühle abbrechen konnte. Er kam noch einmal bei mir im Büro, wo ich jetzt endgültig wieder während der
Öffnungszeiten anzutreffen war, vorbei um sich von mir zu verabschieden. Abschließend sagte er mir noch, dass er nach solchen Taten fast immer Täter und Opfer und auch einige Zeugen später im Prozess wiedersehen würde. Diesen oder jene habe er dann auch noch später einmal wieder getroffen. Daher wüsste er, dass wir jetzt einige Kraft benötigten um wieder richtig im normalen Leben Tritt zu fassen. Aber dieses Ziel dürften wir nie aus den Augen verlieren und wir sollten uns irgendwo bewusst werden, dass wir dieses vielleicht der Ermordeten schuldeten. Meine Frau habe wohl die beiden Kinder nicht in die Welt gesetzt und groß gezogen, damit sie an ihrem tragischen Tod zerbrechen würden. Ich solle den Kopf immer oben behalten und nach vorne in die Zukunft schauen. Wahrlich, an diesem Kommissar ist ein guter Psychologe verloren gegangen. Zum Kapitel 7
Zum Inhaltsverzeichnis
Ein Jahr im Fegefeuer Nach dem der „Fall Astrid Rossbach“, wie er in das Format eines Standardkrimis passt, abgeschlossen war, das heißt seitens der Kriminalpolizei aufgeklärt war, begann für uns, den Hinterbliebenen in meiner Familie, ein Jahr, dass uns wie ein Aufenthalt im Fegefeuer vorkam. Darüber könnte ich eigentlich einen kompletten gesonderten Roman schreiben. Da ich aber noch eine ganze Menge anderer Dinge im Kopf und auf dem Herzen habe, belasse ich es jetzt bei einer Schilderung in einem Kapitel. Deshalb muss ich auch auf einzelne Detailbeschreibung verzichten. Ich will mal einleitend sagen, dass ich Kommissar Schillers Aussage, dass wir jetzt einige Kraft benötigten um wieder richtig im normalen Leben Tritt zu fassen, schon nach kürzester Zeit bestätigen und unterstreichen konnte. Schon im normalen häuslichen Alltag zeigten sich sowohl bei mir wie bei Sabrina und Oliver erhebliche Probleme wenn wir klar kommen wollten. Im Haushalt und beim Einkauf waren wir plötzlich Doppellinkshänder. Alle Aufgaben, die wir früher, nicht nur bei gelegentlicher Abwesenheit von Astrid, im Handumdrehen erledigten, bereiteten uns nun unerhörte Schwierigkeit. Das Gefühl ohne die Frau oder Mutter nicht auskommen zu können hatte sich so in uns hinein gebrannt, dass wir uns richtig tölpelhaft anstellten und waren dann nur mit äußerster Konzentration in der Lage ehemals bereits vorhanden gewesene Fähigkeiten wieder zu erlernen. Jetzt kann ich auch ältere Leute, deren jahrzehntelanger Partner gestorben ist, verstehen. Da sind dann Witwen, die zu Lebzeiten ihres Mannes einen selbstbewussten und eigenständigen Eindruck machten, nicht mehr in der Lage ein paar Mark von ihrem Konto abzuheben oder die Miete zu zahlen. Auf der anderen Seite sind da Witwer, die nicht nur gelegentlich im Haushalt mittätig waren, die jetzt nicht mehr wissen, wie man einen Aufnehmer auswringen soll. Wenn ihnen niemand beisteht, rutschen sie ins Chaos ab. Schuld daran ist ausschließlich die mentale Einstellung ohne den anderen nicht auskommen zu können. Aus ideeller Sicht muss so etwas sogar noch positiv gewertet werden, denn es zeigt, welche engen Beziehungen man zueinander aufgebaut hat, wie sehr man doch zusammengewachsen ist. Praktisch jedoch kann das Leben nur vernünftig weitergehen, wenn man eine solche Phase überwindet. Und dazu brauch man mitunter dann auch Hilfe. Die kann aber jedoch nicht aus Trostworten und auch nicht aus der Aussage „Es wird schon wieder werden“ bestehen. Auch die Art und Weise von Psychotherapeuten, denen es aus Honorargründen darauf ankommt einen möglichst viele „Sitzungen“ zu verkaufen, wo sie Komplexe immer wieder wecken und auf die Tagesordnung rufen, stellt nur eine totale Nulllösung da. Erschreckend, wenn immer wieder Leute nach schrecklichen Erlebnissen fortlaufend zum Psychoscharlatan laufen und nichts besser wird – im Gegenteil, sie bekommen dann mit großer Wahrscheinlichkeit letztendlich noch einen endgültigen Knall. Alles was hilft, ist in einem solchen Fall nicht nur ein kräftiger Tritt in den Allerwertesten. „Komm steh auf, lass das unnütze Zurückblicken und geh weiter“ ist die These, die den Leuten eingehämmert werden muss. Wer immer zurückblickt, muss damit leben dass er pausenlos auf den Hinterkopf fällt weil er die Hindernisse, die vor ihm auf dem Weg liegen, nicht sehen kann. Was die „Arschtritte“ anbelangt verschafften wir Drei uns diese selbst. Sabrina und Oliver sahen in mir jetzt die Ersatzmama und gaben mir einen Hinten drein, wenn es nicht so lief wie sie es bei Astrid gewohnt waren. Ich wiederum sah in Sabrina Astrids Stellvertreterin im Haushalt. Dieses sah nicht nur ich so sondern auch Oliver. Wir beide setzten Sabrina dann entsprechend zu, wenn sie sich nach unserer Ansicht dabei reichlich dumm anstellte. Da ich in dieser Zeit kaum der passende Ansprechpartner in diversen Dingen war, rutschte bei Sabrina der Bruder und bei Oliver die Schwester an meine Stelle. Ebenfalls mit dem Ergebnis, dass sie sich ständig Einen hinten rein gaben. Dieses war also natürliche Selbsthilfe, die wir dem Glück, dass wir nicht alleine waren, zu verdanken hatten. Die leidige Nebenerscheinung in dieser Zeit war, dass bei uns kontinuierlich der Haussegen schief hing und ein Zimmertheater an der Tagesordnung war. Ich kann gar nicht sagen, wie oft Sabrina oder Oliver mit der Drohung ausziehen zu wollen ihre Koffer ein- und anschließend wieder ausgepackt haben. Auf die Dauer auch kein erträglicher Zustand, der nur den Klatschbasen, weil es dabei auch regelmäßig recht lautstark zu ging, reichlich Stoff für ihr schmutziges Gewäsch lieferten. In der Weihnachtszeit 1996 schien es fast so als würden wir diese Phase jetzt langsam überwinden aber dann kam Weihnachten noch der absolute Höhepunkt. Dabei kam es dann sogar zu recht handfesten tätlichen Auseinandersetzungen. Heilig Abend habe ich meiner fast volljährigen Tochter eine ordentliche Tracht Prügel verpasst, weil sie den Putzeimer hat im Wege stehen lassen und ich darüber gefallen war. Das hatte es noch nie in ihrem Leben gegeben, noch nie hatte ich gegenüber meiner Tochter die Hand erhoben. Dieses war für sie sicherlich auch ein schwerer seelischer Schock, der mehr angerichtet hat als das, was sie körperlich zu spüren bekam. Am nächsten Morgen, also am ersten Weihnachtstag, musste ich daran glauben. Oliver war sich mit mir aus zwei Gründen in die Haare geraten. Der erste war der, dass ich seine Schwester am Vortag verprügelt hatte und der zweite war eine verbale Auseinandersetzung, weil ich die heutige Jugend als faul und dumm bezeichnet hatte. Letztlich verpasste mir Oliver zwei Fausthiebe und streckte mich damit nieder. Alle Dinge sind Drei und so gerieten sich noch am gleichen Tage die Geschwister in die Haare, und zwar so, dass es dann letztlich auch noch recht handfest zuging. Worum es ging, weiß ich nicht, da zu diesem Zeitpunkt keiner der Beiden mit mir sprach und wir es später aus wohl weislichen Gründen unterlassen haben auf dieses Weihnachtsfest zu sprechen zu kommen.
Na ja, da kann man nur sagen „Frohe Weihnacht ... das Fest ist gelaufen“. Sowohl Oliver wie auch ich ließen uns im wahrsten Sinne des Wortes langsam vollaufen; Oliver auf seinem Zimmer und ich im Wohnzimmer. Und Sabrina hatte sich heulend auf ihr Zimmer zurückgezogen und kam erst Abend am des zweiten Weihnachtstag wieder zum Vorschein. Ich finde es sehr schlimm, dass unsere Weihnacht in der heutigen Zeit keine Ausnahme darstellt. In jedem vierten oder sogar dritten Haushalt soll es zu Weihnachten so oder so ähnlich zugehen. Bei uns beruhte dieses Geschehen auf den schrecklichen Ereignissen des Septembers, die wir drei Rossbachs noch nicht verkraftet und verarbeitet hatten. Was jetzt natürlich weder eine Entschuldigung noch eine Freisprechung sein soll, denn Böses ist nie mit widrigen oder schlimmen Umständen entschuldbar. Wenn jemand auf eine fiese Art und Weise seinen Arbeitsplatz verloren hat, kann er deshalb zurecht nicht auf Verständnis hoffen, wenn er anschließend die Firma, die ihn freigesetzt hat, in Brand setzt. Auch mein Hinweis, dass es in jeder vierten bis dritten Familie Weihnachten so zugeht wie bei uns 1996 geschah nicht aus dem Grunde um mit den Splittern im Auge der Anderen den Balken im eigenen schönzureden sondern dieses geschah nur als Hinweis darauf, wie weit wir in unserer Massen- und Konsumgesellschaft, in der sich keiner mehr für den Mitmenschen interessiert, gekommen sind. Ein Wenig mehr Wir- und Sozialgefühl kann solche Sachen doch weitgehenst verhindern oder zumindestens mäßigen. Ich glaube, wenn man sich nur ein Bisschen um uns gekümmert hätte wären wir wohl nicht so tief gesunken. Ja, als wir Oben waren und es uns gut ging hat man sich reihenweise um uns gescharrt und jetzt – wo sind die alle. Fast schien es so, als wäre anlässlich des Weihnachtsfestes 1996 unsere Familie endgültig in Trümmer gefallen. Wir sprachen kein Wort miteinander und gingen, uns nur böse Blicke zuwerfend, stur aneinander vorbei. Und dann kam noch ein ganz, ganz schlimmer Tag für uns. Es war der Montag, der 30. Dezember 1996. An diesem Tag hätte Astrid ihren 50. Geburtstag gehabt und wir hätten unsere Silberhochzeit feiern können. Ich weiß jetzt nicht ob ich neben Wehmut und Verzweifelung noch etwas anderes empfunden habe. Ständig waren meine Augäpfel feucht und nicht selten flossen echte Tränenströme. Erstmalig spielte ich an diesem Tag mit dem Gedanken, alles hinzuschmeißen und Astrid ins Grab zu folgen – einfach meinen Leiden entfliehen. Aber gerade dieser Tag sollte zur großen Wende in unserer innerfamiliären Beziehung führen. Am späteren Nachmittag saß ich, mal wieder heulend, auf der Couch. Ich habe zunächst nicht wahrgenommen, was um mich herum geschah. Plötzlich spürte ich menschliche Wärme neben mir und eine zarte Hand strich mir über die Haare. „Ach Paps,“, sagte Sabrina mit ebenfalls weinender Stimme, „das ist alles so schwer und ich kann es nicht verstehen. Aber Paps, ich habe doch niemand außer dich und Oliver und du hast doch auch nur noch uns. ... Und ich liebe dich. Sollten wir uns nicht bemühen, auch wenn es jetzt noch nicht immer klappt, dass zu machen was wir müssen: Zusammenhalten.“. Spontan nahm ich mein Töchterchen in meine Arme und sie weinte sich still an meiner Brust aus. Zum ersten Mal empfand ich im großen Unglück ein wohliges Glücksgefühl – so paradox wie sich dieses jetzt auch anhört. Nach etwa fünf Minuten wurde unsere Idylle dann „gestört“. Oliver stand auf einmal mit dem Worten „Gott sei dank, die Welt kann doch noch in Ordnung gehen.“ Im Raum. Prompt setzte er sich an der noch freien Seite ebenfalls zu mir auf die Couch und drückte dann mit seinen Worten etwas Ähnliches wie zuvor Sabrina aus. Danach haben wir noch fast zwei Stunden so dagesessen und haben nun endlich wieder genossen, eine Familie zu sein. Das Eis war nun gebrochen. Solche derben Auseinandersetzung wie zu Weihnachten 1996 hat es bei uns Dreien nicht mehr gegeben. Zwar war jetzt nicht urplötzlich Schluss mit allen innerfamiliären Streitigkeiten – die gab es dann doch immer noch ein oder zwei Mal in der Woche – aber sehr entscheidend war, dass jetzt jeder von uns wusste wo er sich in der Familie einzuordnen hatte und keiner mehr von dem anderen verlangte ein 200%-iger Ehefrau- oder Mutterersatz zu sein. Oder sagen wir es einfacher: Der Grundstein für eine Normalisierung war gelegt und so nach und nach wuchs dann auch dieses Haus. Ein Vierteljahr später waren dann in der Beziehung unter uns wieder der Alltag und die Normalität eingetreten. Was ich jetzt vom familiären Verhältnis erzählte kann ich auf keinen Fall auf andere Gebiete übertragen. Da lief es nicht so schnell auf eine Krisis mit anschließender verfolgbaren Besserung hinaus. Ganz im Gegenteil, wir hatten uns mit unseren Hass- und Rachegefühlen schnell auf ein hohes Maß hinauf geschraubt und bewegten uns dann lange kontinuierlich auf diesem überhöhten Niveau. Sowohl ich, wie auch meine Kinder, waren nun glühende Befürworter der Todesstrafe obwohl ich vorher immer der rationalen und auch wohl richtigen Ansicht war, dass damit kein einziges Verbrechen verhindert werden kann und in Wirklichkeit nur wieder neues Unrecht geschieht. Wer sich mal damit beschäftigt hat, wie es zu Verbrechen kommt, merkt auf Anhieb, dass dem mit Abschreckung nicht zu begegnen ist. Entweder handeln die Täter spontan, für sie selbst unerwartet und vorhersehbar, wie in unserem Fall Friedhelm Rebmann, oder sie gehen in ihrer Planung überheblich von einem perfekten Verbrechen aus. In beiden Fällen ist es aus der Sicht des Täters vollkommen egal, welche Strafandrohung auf diese Tat steht. Es fängt schon bei „kleinen“ Dingen an. Jedem Fahrschüler werden die Konsequenzen von Alkoholfahrten – langer Führerscheinentzug, hohe Geldstrafen und im Falle wenn etwas passiert sogar Freiheitsentzug – klar gemacht. Alltäglich ließt man in den Randspalten der Tageszeitungen, dass mal wieder jemand daran hat glauben müssen. Und, wie viele Tausende Autofahrer sind tagtäglich mit zugenebelten Geist auf unseren Straßen unterwegs. Früher zitierte ich immer im Zusammenhang mit der Todesstrafe aus der Bergpredigt „Richtet nicht, auf das ihr nicht gerichtet werdet“. Und was mache ich jetzt? Und ehrlich gesagt, es kam mir nicht auf Gerechtigkeit an sondern meine Triebfeder war ausschließlich ein sadistisches Rachebegehren mit dem ich meinen bestialischen Hass abtöten wollte. Gerechtigkeit und Menschenwürde kümmerten mich in jener Zeit überhaupt nicht.
In erster Linie richteten sich meine Hassgefühle gegen den ehemaligen Gemeindedirektor Friedhelm Rebmann, dem Mörder meiner Frau. Aber es war nicht nur er, den meine Hassgefühle trafen sondern es waren auch die Randfiguren wie Schnucki mit seinen und Kumpanen und Horst Schulte-Vollerde. Und von denen weitete sich dieses dann auf ganze Randgruppen und dort insbesondere auf unsere Mieter aus. Meine Gefühle gegenüber Schnucki übertrug ich dann auf alle Deutschrussen aus und nahm mir diese Gruppe unter unseren Mietern, die ja bei Astrid immer ein offenes Ohr fanden, besonders vor. Kleinen, von Jugendlichen ausgeübtem Alltagswandalismus, wie Wandschmiererei oder angesenkte beziehungsweise abgenippelte Namensschilder auf Schellen und Briefkästen oder wie Hausflurverunreinigung, sind Astrid und ich früher immer mit persönlicher Ansprache und die Aufforderung der Schadensbeseitigung begegnet. Da wir bei unseren Mietern Respekt und auch ein Wenig Autorität genossen war auch im Handumdrehen auch sofort wieder die Ordnung hergestellt. Das war jetzt anders geworden, jetzt war ich schnell mit Handwerkerauftrag und Schadensersatzforderung sowie der Androhung von Strafanzeigen bei der Hand. Mein Erfolg dabei: Der Wandalismus nahm zu, bekam auch größere Ausmaße und von den Mietern erfuhr ich nun beim besten Willen nicht mehr, wenn ich dafür zur Rechenschaft ziehen konnte. Mein Law-and-order-Vorgehen führte jetzt dazu, dass das Gegenteil von dem was ich eigentlich erreichen wollte, geschafft wurde. Nicht nur bei unseren deutschrussischen Mietern sank mein Ansehen sondern auch bei unseren türkenstämmigen Bewohnern unserer Wohnungen. In meinem, von Schnucki auf alle deutschrussischen Mietern ausgeweitetem, Hass spulte ich mich zum Hausordnungssheriff auf. Früher, wenn es mal jemand mit der Flur- und Hofreinigung oder mit der Nachtruhe und ähnliche Dinge, die in größeren Mietshäusern nicht auszuschließen sind, nicht so genau nahm, genügte es wenn Astrid oder ich uns diesen Kandidaten mal unter vier Augen zur Brust nahmen. In den 25 Jahren wo ich als Geschäftsführer der Wohnungswirtschaft, die erst meinem Schwiegervater und dann meiner Frau gehörte, tätig war, gab es ausschließlich einen einzigen Fall, wo es uns nicht mit persönlichen Mitteln gelang einen Hausordnungs-Ignorierer zur Abkehr von seinem gemeinschaftsschädlichen Tun beziehungsweise Nichtstun zu bringen. Jetzt in meiner Hassphase glaubte ich aber verschärft nach dem Rechten sehen zu müssen und Quertreibern sagen zu müssen, was „deutsche Ordnung und Sauberkeit“ ist. Und das Ganze dann überspitz mit gesellschaftsschädlicher Akribie. So machte ich mich des Nachmittags dann auf dem Weg um meine Kontrollen in unseren Häusern durchzuführen. Dabei ging ich so vor, dass ich Schmutz, der durch vom Spielen heimkehrende Kinder gerade angerichtet wurde, arg monierte und dafür dann den gerade auf dem Putzplan stehenden Mieter zusammenpfiff. Im Grunde absoluter Unfug, denn man kann ja nicht hinter jedem Kind, Jugendlichen und auch erwünschten und unerwünschten (Klingelputzern) erwachsenen Besuchern mit dem Putzeimer herlaufen. Auf jeden Fall erreichte ich dabei, dass sich unsere Mieter solidarisierten – und zwar gegen mich. Kaum noch jemand der ordnungsgemäß putzte – meist nur noch dann wenn er begann sich selbst unwohl zu fühlen – und wenn ich die Leute darauf „anpfiff“ bekam ich meist zur Antwort: „Ich bin doch nicht bekloppt. Die Anderen putzen doch auch nicht und ich bin doch nicht der Bimbo der Leute.“. Bei meinen „Kontrollgängen“ stieß ich dann darauf, dass sich vor den Wohnungen unserer „türkischen Mitbürger“ ganze Sammlungen von Schuhen befanden. Der einfache Hintergrund ist, dass die Wohnungen in der Regel mit Teppichen ausgelegt sind und die Bewohner diese eben sauber und gepflegt halten wollten. Je nach kultureller Herkunft in der Türkei hing dieses auch mit einer bestimmten Wertschätzung der Familienwohnung zusammen. Früher konnten wir die Leute mit Leichtigkeit vom Nutzen von Schuhregalen überzeugen und konnten so die Ordnung in den Hausfluren wieder herstellen. Jetzt drehte ich auf und zog dann die, von uns früher immer wieder empfohlen Schuhregale mit ein. Ich sagte den Leuten, dass Schuhe, gleichgültig ob lose oder im Regal, nichts außerhalb der eigenen Wohnung zusuchen hätten. In einem Fall eskalierte die Sache auch noch. Ich schrie im Hausflur: „Verdammt noch mal, in Anatolien sind Ordnung und Sauberkeit wohl Fremdworte. Habt ihr schon mal von Deutschen gesehen, dass sie ihre ausgetretenen Latschen wild auf dem Flur verteilen. Jetzt weiß ich auch, warum ihr kein Schweinefleisch fresst: Es könnte Kannibalismus sein. Wenn ihr kein Geld für Putzlappen habt, nehmt doch euere Kopftücher ab ... Hauptsache es ist sauber.“. Ich muss gestehen, dass ich diese armen Leute schwer in ihren religiösen und kulturellen Empfindungen verletzt habe. Hätten die mich angezeigt, hätte mir ganz zu recht eine deftige Strafe gedroht. Sie zeigten mich nicht an aber erzählten mein ungehobeltes Benehmen weiter. Die Folge war, dass unsere türkischen Mieter zu einem, für mich unaufbrechbaren, Block zusammengeschmolzen wurden. Und dieser Block lebte scheinbar autonom. Veränderungen innerhalb der Wohnungen, wonach sie früher immer vorher fragten und wenn wir es nicht für richtig hielten unterließen, wurden jetzt ohne meine Kenntnis vorgenommen. Durch Verlegen von Leitungen, Anlegen von Durchbrüchen und Anbringung von unpassenden Holzdecken wie Außenansicht verschandelnde Balkonüberdachungen, ist später mancher Schaden entstanden, der mir dann auch richtig Geld kostete. Der Soziale Wohnungsbau bringt es mit sich, dass auch eine Reihe Sozialhilfeempfänger und Arbeitslose in unseren Wohnungen leben. Auch diese brachte ich in Kontrastellung zu mir. Astrid hatte ja, als sie noch lebte, auch einen menschlichen Draht zu unseren Mietern aufgebaut. Daher kannten wir im Großen und Ganzen auch deren persönlichen Schicksale. Man kann überhaupt nicht sagen, dass darunter einer war, der seine Lage selbst verschuldet hatte und nur eine verschwindende Minderheit hatte daran mitgewirkt. Das jemand ein Faulenzer oder Tagedieb sei kann man überhaupt nicht sagen. Es kann sich ja jeder mal über Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz sachkundig machen. Bei genauen Hinsehen stellt man fest, dass das was die Leute kriegen keine menschenwürdige Beteiligung an unserer heutigen Gesellschaft ermöglicht. Natürlich liefern diese armen Leute mit ihren Selbstbehauptungsäußerungen teilweise selbst den Stoff für das Wider-besseres-Wissen-Gequacke der Sozialnetz-Ramponierer. Sich etwas in die
Tasche lügen ist ja nicht nur bei mittleren Angestellten und Selbstständigen, die mehr scheinen möchten als sie sind, üblich sondern auch bei denen ganz unten. Wenn dann das Wort „Ich habe es doch gar nicht nötig arbeiten zu gehen“ fällt, hat Lieschen Globalpropaganda natürlich Stoff zum Dummlabern. Haben sich diese Lodermäuler, die man sogar in Toppmanager- und Spitzenpolitiker-Sesseln findet, schon mal überlegt, dass man mit solchen Behauptungen unserer Politik und Verwaltung Dummheit und Untätigkeit attestiert? Auf irgendeiner rechtlichen Grundlage muss doch ein Beamter oder eine Fachangestellte auf dem Sozialamt das genehmigt haben. Wäre es nicht besser, der Staat würde erst mal sehen, dass er das eintreibt was ihn zusteht bevor er Einsparungen bei den Ärmsten überlegt. Nicht der „Faulenzer“ sondern der Sozialräuber (wahre Bezeichnung für Steuerhinterzieher und Subventionsbetrüger) ruiniert, auch im Hinblick auf das größere Volumen, den Staat. Wer nicht konsequent nach Steuerhinterziehern fanden will hat kein Recht sich überhaupt über das soziale Netz zu äußern. Diese Leute, also Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose unter unseren Mietern, machte ich mir auch zum Feind. Zu Astrids Lebzeiten hatten wir ein prächtiges Verhältnis zu denen. Wenn wir mal aktive Helfer der Hauswarte oder mal einen Aufzugswart brauchten, dann brauchten wir nur einen von denen anzusprechen und schon hatten wir einen. Das liegt unter anderem daran, dass diese Leute, wie alle anderen auch, ab und zu mal eine Beachtung oder eine Aufgabe brauchen. Auch sie benötigen Zeichen, dass kein Leben wertlos ist. Auch wenn diese Leute ganz unten sind, sind sie noch lange keine doppellinkshändigen Tagediebe. Manch einer von ihnen kam schon mal mit Ideen für Instandsetzungen oder Verbesserungen in den Außenanlagen und in den Häusern bei uns vorbei. Wir mussten dann nur das Material beschaffen oder bezahlen sowie unser Okay geben und schon war die Sache gelaufen. Natürlich haben wir uns nicht lumpen lassen und haben den Betreffenden auch immer ein entsprechendes Trinkgeld draufgelegt. Auf diese Weise tat man gerne mal etwas für uns. Nachdem ich aber an einige so herangetreten bin als müssten sie dieses tun und nachdem bekannt war wie ich mich öffentlich über die in der sozialen Hängematte Schaukelnden geäußert hatte war es damit vorbei. Einer von ihnen hatte den Mut mir auf den Kopf zuzusagen, wie man jetzt über mich dachte: „Herr Rossbach, sie sind doch der Meinung, wir wären Tagediebe die über die Sozialhilfe den Staat ausbeuten wollten. Möge ihnen Gott das ersparen, was mir passiert ist. Mit 55 Jahren bin ich mit meiner Klempnerei mächtig den Bach heruntergeschossen. Ich hatte es gut gemeint und wollte Arbeitsplätze schaffen und mein Geld ehrlich verdienen. Wer gibt mir jetzt noch eine Arbeit. Mein eigenes Häuschen hat man mir zu Gunsten der Bank wegversteigert und deshalb beziehe ich nun Stütze und wohne jetzt in einem Sozialbunker, der ihnen gehört. Deshalb haben sie aber lange noch kein Recht mir meine Würde zu nehmen und mich als ihren Kuli zu betrachten. Als ihre, von uns sehr verehrte Frau, die man zu recht die Königin von Salein nannte, noch lebte, hätte ich keine Sekunde gezögert und den Anschluss sofort in Ordnung gebracht. Aber so wie sie mit uns umgehen kann ich ihnen nur sagen, bestellen sie offiziell einen Handwerker. Sie zocken ja auch genug Miete ab – da brauchen sie ja nicht noch zusätzlich Stützeempfänger auszubeuten.“. Trotz meiner psychisch fatalen Situation habe ich mich damals doch ein Wenig geschämt, was ich mir jedoch nicht anmerken ließ. Jetzt könnte ich noch reihenweise Beispiele aufführen, wo sich mein Auftreten als Patron zu meinem persönlichen und wirtschaftlichen Nachteil auswirkte. Dieses war ja nicht nur bei unseren Mieter der Fall sondern auch mit den Handwerker, die für uns tätig waren, lag ich mich nun im Clinch. Bei zirka 260 Wohnungen, in den über 1.000 Menschen wohnen, kann es ja nicht ausbleiben, dass mal Installationsanschlüsse, Tür- und Briefkastenschlösser, Schellen, Antennenanlagen und so weiter repariert oder erneuert werden müssen. Früher gab es keine Probleme: Ein Anruf genügte und die Sache war erledigt. Mit den ausführenden Handwerksunternehmen hatte schon mein Schwiegervater seit Begründung des Wohnungsunternehmens zusammen gearbeitet und nur äußerst selten gab es mal Ärger. Jetzt war aber fast bei jedem Auftrag Ärger vorprogrammiert. Keiner machte es mir mehr recht und alle verlangten dafür zuviel. In Folge dieser Sache war man danach gar nicht gerne mehr für mich tätig. „Sofort und unmittelbar“ sowie „Kulanz“ konnte ich aus meinem Wortschatz streichen. Ein einziger Anruf reichte jetzt selten aus. Nur bei unserem Anwalt machte ich mich in dieser Zeit beliebter. Weniger als Mensch, dafür mehr als zahlender Mandant. Ich musste ihn doch mehrfach in Mietangelegenheiten hinzuziehen. In einigen Fällen zu recht, nämlich dort, wo die Leute in ihrer Opposition zu mir überzogen, aber meistens lag es an dem Mäusepiepen, was ich meinerseits hörte. Zum heutigen Zeitpunkt, also wo ich diese Zeilen niederschreibe, kann ich nur den Kopf darüber schütteln aus welch nichtigen Gründen ich den Leuten 1997 Abmahnungen schicken ließ. Die Nebenkostenabrechnung für 1996, die ich im April 1997 rausschickte brachten dann das Fass zum Überlaufen. In elf Fällen wurde der Mieterverein vorstellig, ein Mieter schrieb mich selbst rechtlich fundiert an und zwei erschienen bei mir im Büro um sich mal richtig abzukrakeelen. Im Gegenzug wurden aber jetzt auch die Mieter aktiv. Selbst kleine Mängel wurden mir nur kurz, meist per Notiz weil man inzwischen ungern mit mir sprach, mitgeteilt und paar Tage drauf wurde ich dann schon per Einschreiben mit der Androhung von Mieteinbehalt unter Verzug gesetzt. Meine Mutter hatte es immer mit den Sprichwörtern. In diesem Falle hätte sie mir bestimmt gesagt, dass es immer so aus dem Wald heraus schalle wie man hinein gerufen hat. Ich glaube an diesem Spruch ist etwas Wahres dran. Ich will mich jetzt nicht damit entschuldigen, wenn ich sage, dass der Auslöser für allen Übel mein desolater psychischer Zustand war. Auch wenn man mal selbst einen auf die Nase gekriegt hat ist das kein Grund selbst ein Schwein zu werden. Ich will das nur mal als sachliche Feststellung hier stehen lassen. Einfach aus dem Grund, weil so
etwas kaum bei Leuten, die so etwas noch nicht am eigenen Leib erfahren haben, bekannt ist. So etwas ist nichts für Sensationsmedien, darüber wird nicht berichtet. Für die ist es besser, wenn ich mich, weil ich langsam zerbreche, zum Würmchen runter drücken würde. Aus so etwas kann man leichter Tränendrüsendrücker produzieren. Selbst die Leute, die dieses in Olvermühle miterlebten sahen nicht den wahren Hintergrund sondern mutmaßten in eine andere Richtung. Man glaubte, dass der frühere Stil unseres Hauses allein auf meine ermordete Frau Astrid zurückzuführen gewesen sei und die viel mit ihrem Vater gemein gehabt habe. Ich wäre ja nur ihr Angestellter gewesen und hätte daher keinen Einfluss auf die Führung des Unternehmens gehabt. Jetzt, wo ich den Laden von meiner Frau geerbt habe, würde ich mein wahres Gesicht zeigen, und ich sei ein Schwein. Nur einer erkannte die wahren Hintergründe. Es war Pfarrer Kühn von der evangelisch-reformierten Kirche in Weinberg. Wir hier in Salein gehörten ja eigentlich zu der etwas konservativ und lutherisch ausgerichteten evangelischen Kirchengemeinde Olvermühle. Ich habe mich früher als Jugendlicher viel mit den Grundlagen des evangelischen Glaubens und den Reformatoren Huss, Luther, Zwingli und Calvin beschäftigt und muss sagen, dass mir dabei die, immer noch leicht ins Katholische tendieren Ansichten Luthers am Wenigsten zusagten. Demjenigen, der sich auf diesem Gebiet nicht so auskennt, muss ich jetzt erst mal so ein paar Dinge erklären. Bei den Katholiken steht das Sakramentale, also kultische Riten, oben an. Mit Taufe, Firmung, Beichte, Kommunion und so weiter wie mit dem Ableiern von zwanzig Ave Marias oder Vater unser kann man also den Fahrschein in den Himmel erwerben. Auch kann ich nicht direkt mit Gott, meinem Vater, sprechen sondern ich brauche Fürsprecher, Heilige, die in meinen Augen was götzenhaftes haben. Bei allen Reformatoren stand aber, wie ich es richtig finde, das Wort im Vordergrund. Am Anfang war das Wort und das wird bis in alle Ewigkeit so sein. Nur durch das Wort können wir selig werden. Gegenüber Zwingli und Calvin wollte sich Luther aber nicht so ganz eindeutig vom „Sakral-Tamtam“ lösen. Daher kommt ja auch der Begriff Protestanten, mit denen man gerne evangelische Christen belegt. Luther und Calvin leiteten fast jeden Brief, den sie sich schrieben, mit den Worten „Ich protestiere“ ein. Dabei ging es grundsätzlich um die Bedeutung der Sakramente. Luther war beim Abendmahl der Meinung, dass das Brot der eucharistische Leib Christi und der Wein sein Blut sei und Calvin ging davon aus, dass es dieses nur bedeute. Also, das wäre schon ein Grund für mich gewesen, mich nach Weinberg umgemeinden zulassen. Hinzu kommt auch noch, das Pastor Kühn ein wesentlicher besserer Prediger als unser zuständiger Pfarrer, der sich immer so wissenschaftlich, viel zu kurz und unverständlich anhört, ist. Aber Astrid wollte in der Gemeinde, in der sie getauft, konfirmiert und getraut wurde, und in der auch ihre Eltern schon zuhause waren, bleiben. Kompromissweise gingen wir dann einmal in Olvermühle, wo wir offiziell Gemeindemitglied waren, und einmal in Weinberg zur Kirche. Einer von zwei Gründen warum ich mich später dann doch nach Weinberg umgemeinden ließ war, das Pastor Kühn der Einzigste war, der sich in dem Jahr, dass wir, also meine Kinder und ich, im Fegefeuer verbrachten, sich um uns mit viel Verständnis und Nachsicht kümmerte. Er war weit und breit der einzigste Mensch der uns verstand, nur er sah den wahren Grund für mein, in diesem Kapitel bis hier beschriebenen, „ungebührliches“ Verhalten. Ich kann sagen, dass Kühn nicht zufällig Pfarrer ist; er ist nicht von Berufs wegen Christ sondern aus tiefster Überzeugung. Das kann man bei Weitem nicht von allen Geistlichen sagen – und das ist offensichtlich keine neuzeitliche Erscheinung sondern ich nehme mal an, dass es schon immer Geistliche gab, die es wegen des schönen Berufes und nicht aus Berufung taten. Viele sind halt gerufen aber nur wenige auserwählt, aber Pfarrer Kühn zählt aus meiner Sicht diesbezüglich zu den Auserwählten. Der Weinberger Pastor besuchte uns also regelmäßig; meist angekündigt und einige Mal auch spontan. Bei einem seiner angekündigten Besuche hatte ich mich extra präpariert. Bei seinem vorhergehenden Besuch hatte ich für die Wiedereinführung der Todesstrafe plädiert und gleichzeitig getönt, dass dieses die einzig gerechte Strafe für Friedhelm Rebmann sei. Der Pfarrer argumentierte dazu mit der Vergebung der Schulden, dem 5. Gebot und der Aussage dass man, wenn man nicht gerichtet werden will, nicht richten solle. Wie geschrieben hatte ich mich bei dem betreffenden Besuch vorbereitet. Ich hatte schon mal in unserer Bibel die Seite 91 aufgeschlagen. Dort steht das 21. Kapitel des 2. Buches Moses (Exodus). Als er kam setzte ich an, dass ich mir das „Lügenbuch Bibel“ ab jetzt in diesem Punkt zum Grundsatz machen wolle und dann las ich laut die Textpassage, die die meisten nur aus der gekürzten Fassung aus dem 5. Kapitel des Matthäus-Evangeliums (Bergpredigt) kennen. Vollständig heißt es im Urtext ab Vers 23: Entsteht ein dauerhafte Schaden, so sollst du geben (durch die Hand der Richter) Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde. Er war ehrlich gesagt ein Wenig entsetzt, schluckte es aber tapfer weg. Er erwiderte dahingehend, in dem er mich daran erinnerte, was ich selbst einmal von mir gegeben hatte. Damals war ich der Meinung, dass die Bibel kein vom Himmel gefallenes Buch sei sondern von Menschen geschrieben worden sei. Allerdings handelt es sich nach meiner vorhergehenden Auffassung bei den Schreibern um gläubige, von Gott gesegnete Menschen, die mit ihren Worten niederschrieben wie sich Gott ihnen offenbart habe. Da auch solche Menschen nicht unfehlbar sind, haben sich einige Paradoxen eingeschlichen, die wir verstehen, wenn wir wissen, was sich in der Zeit abspielte als die jeweilige Textstelle geschrieben wurde. Wichtig sei der eindeutige nicht zerpflückbare Kontext der Bibel, nach der Gott, für den es kein Anfang und Ende gibt, der immer war und sein wird, der allmächtige Schöpfer der Welt ist. Er verlangt von uns nur, dass wir ihn lieben und ihm und seine Schöpfung achten und erhalten. Wir haben keine Vollmachten, denn er hat die alleinige Macht. Er hat uns, die er nach seinem Bilde geschaffen hat, verheißen, dass, wenn wir dieses eine, eigentliche Gebot – alles anderen ergibt sich automatisch daraus – beachten, mit
ihm in aller Ewigkeit leben können. An keiner einzigen Stelle lässt sich aus der Bibel etwas anderes erlesen oder dahingehend etwas hinein interpretieren. Hierzu erklärte er mir dann, dass die Bücher Moses nach der Rückkehr aus Ägypten, zur Zeit der Staatswerdung Israels, entstanden seien. Die Israelis – Juden heißen sie ja erst seit der Besetzung durch die Römer, die Israel zur Provinz Judäa machten – hatten ursprünglich ein Rechtssystem, welches mit der Scharia im Islam vergleichbar ist. Richter hatten da im Grunde nichts mit urteilen und bestrafen zu tun sondern sie waren Mittler. Sie richteten die Angelegenheiten zwischen zwei Streithähnen, sie richten zwischen Tätern und Opfern, zwischen Sündern und Gott. Dabei ging man dann so vor, dass alles was Gott befohlen hatte (10 Gebote) als unumstößlich galt und bei allen anderen Dingen, die man durch die Gebote nicht erfasst sah, überlegten sich die damaligen Theologen (Pharisäer) wie Gott das sehen würde. So wurden die göttlichen 10 Gebote um bald 700 pharisäische ergänzt und auch in die Bibel geschrieben. Dazu gehört auch Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn und so weiter. Dass da etwas nicht ganz stimmen kann lässt sich schon daraus schließen, dass wenn man, insbesondere dann noch das 5. Buch Moses (Levitus) wörtlich nimmt, Leute die an einem Sonntag verunglücken in ihren Schmerzen sterben lassen müsse, denn auch kein Arzt darf gegen das höherwertige, göttliche Sabbatgebot (3. Gebot) verstoßen. Dem hat, wie im Markus-Evangelium, das nachweislich authentischste Evangelium, zu lesen ist, auch unser Herr Jesus Christus deutlich widersprochen. Peter Thomas Kühn wollte dann noch wissen, warum ich jetzt im Zusammenhang mit der Bibel von einem Lügenbuch spräche. Da kam ich dann, wie schon Tausende vor mir, auf die Kains-Geschichte im 1. Buch Moses (Genesis): „Wie soll das denn angehen? Adam und Eva waren die ersten Menschen und hatten zwei Söhne. Kain erschlug seinen Bruder Abel und Gott setzte ihm das Kainsmal, damit er nicht von anderen erschlagen würde. Wo kamen die Anderen denn plötzlich her? Oder schöpfte Gott Menschen am Fließband? Übrigens Kain, wie konnte sich mit ihm die Menschheit vermehren? Als zweiter lebender Mensch – die Frau ist ja laut Genesis nur eine Lebende, die aus einer Rippe des Menschen geschaffen wurde – konnte er sich ja nur vermehren, wenn er seine Mutter oder seine leiblichen Schwestern schwängerte. Sorgte Gott dafür, dass Inzucht an der Wiege der Menschheit stand? Warum haben dann religiöse Sittenwächter heute was gegen sexuelle Ausschweifungen, wenn sogar die Inzucht von Gott kommt? Pastor Kühn, wies mich in diesem Zusammenhang auf meine eigene Aussage von wegen Kontext und Niederschrift einer Offenbarung eines Menschen in seiner Zeit hin. Er fragte mich, was die Leute zu Zeiten der Propheten verstanden hätten, wenn sie etwas von dem Urknall vor zirka 16 bis 15 Milliarden und vom Werden des Lebens aufgrund chemisch-physikalischer Vorstellungen gehört hätten. Hatte ich früher nicht selbst gesagt, dass der Urknall und diese biochemische Vorgänge kein Zufall seien sondern nur Gott dahinterstecken könne und gerade das auch die Größe unseres Gottes zeige. Na ja, ich hatte noch etwas auf Lager. Ich konterte gegen die „Marien-Jungfrauen-Story“ und wies daraufhin, dass Matthäus im ersten Kapitel ein Eigentor geschossen hätte. Am Anfang des ersten Kapitels schreibt er den Stammbaum Jesus auf. Au weia, da stammt Jesus von Josef, aus dem Stamme Davids, zu dem Maria nicht gehörte, ab. Im gleichen Kapitel kommt er dann später auf die jungfräuliche Geburt, nach der Geschichte wurde dann Josef vom Heiligen Geist im Ehebett vertreten. Was denn nun? Stammt Jesus nun dem Stamme Davids oder wurde er von einer Jungfrau geboren? Für mich war klar, mach Jesaja passend und dann hast du den Beweis, das Jesus der Messias ist. Aber wenn man es so wie Matthäus macht, liefern wir den Juden ja die Argumente, dass Jesus gar nicht der Messias gewesen sein kann. Ich wusste auch wie Jesaja auf die jungfräuliche Geburt kam. 700 Jahre vor Jesaja entstanden die indischen Veden (Sanskrit = Wahrheit), die Grundlagen des Hinduismus, von denen die Hebräer, die als Nomaden aus der Gegend, wo sie damit in Berührung kamen, in das Land Kanaan zugewandert waren, Kenntnis hatten. Da kommt die Jungfrauengeburt im ältesten Original vor. Da gab es eine Königin, die von einem Gott auf dem Geisteswege geschwängert worden ist. Diese Story war dem guten Jesaja wohl bekannt. Na ja, im Markus-Evangelium, das am Zeitnähesten entstanden ist, kommt die Jungfrauen-Geschichte auch nicht vor. Erst Matthäus und Lukas, die nach dem Apostelkonzil im Jahre 48 und dem Fall von Jerusalem im Jahre 70 das Evangelium wieder Rejudisieren wollten, damit der elitäre Verheißungsanspruch der Israelis erhalten bleibt, adaptierten die hinduistische Götzengeschichte ins Christentum. Da musste Jesajas Prophezeiung mit der Brechstange in Erfüllung gehen. Wieder musste mich Pastor Kühn an meine früheren Aussagen erinnern. Nach dem die „Speisung der Fünftausend“ Predigttext war, fand ein sogenanntes Kirchen-Café im Gemeindehaus statt. Da sagte ich, dass ich nicht so recht an die Wunder glaube und dieses eher für Gleichnisse hielte. Aber das wäre ja auch vollkommen egal, dass täte meinem Glauben keinen Abbruch sondern das Gegenteil sei der Fall. Ich glaubte nämlich, dass Gott, der das Riesenwunder der Schöpfung vollbracht habe, es nicht nötig habe als Esoterikartist durch die Lande zu ziehen. Bei der Gelegenheit war ich auch auf die jungfräuliche Geburt zu sprechen. Damals vertrat ich die Ansicht, dass nach meinem Glauben Jesus, gleichgültig ob er von Josef oder vom Heiligen Geist gezeugt sei, Gottes Sohn sei. Es sei der Mensch, in dem er sich uns in besonderer Weise offenbart habe und in dem die Verheißung in Erfüllung gehen würde. Damals fügte ich noch provokatorisch an, dass Gott, wenn er schon zur Menschwerdung keinen Mann gebraucht habe, dann es auch nicht nötig gehabt habe eine Frau herhalten zu lassen. Er wäre doch bestimmt in der Lage gewesen, als erwachsener Mensch ohne Vater und Mutter auf der Erde zu erscheinen. Aber warum, er ist halt kein Wundermagier oder Esoterikartist sondern der allmächtige Gott, in dessen Gewalt alles auf dieser Welt liegt.
Nun möchte ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, noch erläutern, warum ich jetzt diese Sache so ausführlich in diese Kapitel geschrieben habe. Es passt genau in dieses, den ich den Titel „Ein Jahr im Fegefeuer“ gegeben habe. Nachträglich ist mir bewusst geworden, dass ich vor der bösen Geschichte doch, ohne es selbst in so starkem Maße wahrzunehmen, ein recht gläubiger Christ war. Mit der Tat waren bei mir nicht Zweifel, die zum Glauben gehören, gekommen sondern ich versetzte mich vorsätzlich und wider besseres Wissen in die Position des Antichristen. Mit anderen Worten: Ich wollte Gott los werden. Wer aber Gott verliert fällt in ein tiefes dunkles Loch. Gott ist das Licht des Lebens. Wenn man ihm zustrebt ist es hell und warm und wenn man sich von ihm abwendet wird es abgrundtief dunkel und bitterkalt. Ohne Gott hat das Leben kein Ziel, keinen Sinn, denn dann sind wir nur eine biochemisch funktionierende Existenz, die sich zum Zwecke des Zeittotschlagens mit Konsumieren oder Häufeln von irdischen, vergänglichen Gütern beschäftigt. Heute weiß ich, dass die Art und Weise wie Peter Thomas Kühn zu uns stand ein Beleg dafür ist, dass Gott uns nie verlassen hat. Er war immer, selbst in den dunkelsten Tagen, bei uns. Und der Weinberger Pfarrer hatte bei uns die Aufgabe eines Engels, eines Boten Gottes – was sich übrigens auch noch im weiteren Verlauf der Geschichte zeigen wird. Insbesondere in der Zeit, als ab Mitte März der Strafprozess gegen Friedhelm Rebmann lief, bekam ich sehr häufig Besuch von ihm – selbst ging ich in jener Zeit ja nicht in die Kirche. Der Pfarrer war auch der Einzigste der verstand, dass ich nicht als Nebenkläger in dem Verfahren gegen Rebmann auftreten wollte. Alle Anderen redeten auf mich ein, dass ich dort Genugtuung kriegen könnte. Dann könnte ich selbst Anträge stellen und gegebenenfalls auch Berufung einlegen. Ich wehrte mich aber dagegen, weil ich das Gefühl hatte, dass ich durch das Verfahren keine Genugtuung erhalten würde, denn die Strafe, die ich damals für gerecht hielt – Todesstrafe – gibt es in Deutschland nicht mehr und die einzigste Strafe, die ich dann noch als Genugtuung erachten würde – Lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung – würde es mit Sicherheit nicht geben. Ich befürchtete durch eine Nebenklage bei der Urteilsverkündung in ein noch viel tieferes Loch zufallen. Ich hatte Angst, dass, wenn ich den Prozess als Nebenkläger verfolge, in den Hass- und Racheempfindungen, die ich eigentlich meines eigenen inneren Haltes wegen lieber Heute wie Morgen loswürde, noch gesteigert würde. Am Liebsten wäre mir gewesen, wenn es einen Knall gegeben hätte und alles vorbei gewesen wäre. Nur Pastor Kühn akzeptierte meine diesbezügliche Ansicht und glaubte, dass meine Entscheidung möglicher Weise das Richtige gewesen wäre. Das es richtig war, merkte ich auch dann an dem Tag, an dem ich als Zeuge geladen war. Der vorsitzende Richter ging mit allen Prozessbeteiligten, so wie es sich in einem Rechtsstaat gehört, korrekt und höflich um, auch mit Friedhelm Rebmann, dem Angeklagten. Auf mich kam das rüber, als würde er diesen mit Samthandschuhen tätscheln. Rebmanns Verteidiger, der nichts anderes als seine Pflicht, die ja letztendlich auch zur rechtstaatlichen Gerechtigkeit beiträgt, tat, kam mir wie einer, der Täter zu Opfern machen wollte vor. Nach meiner Aussage gab es eine Pause, bei der mir der Anwalt auf dem Flur begegnete. In meinem Brasst warf ich ihm vor, Bestien frei boxen zu wollen, damit keine Frau mehr ohne Angst über die Straßen gehen könne. Also nachträglich gesehen muss ich wirklich sagen, dass es gut war, dass ich nicht den Nebenkläger gemimt habe. So verfolgte ich den ganzen Prozess, wie Otto Normalbürger auch in der Presse. Schon dabei geriet ich oft genug in unkontrollierte Rage. Ich glaube, dass, wenn ich wirklich vor Gericht als Nebenkläger aufgetreten wäre, erst mal den mich vertretenen Anwalt zu ein paar stattlichen Summen auf seinem Honorarkonto verholfen hätte und anschließend hätte ich das Gleiche bei einem Psychofritzen, sorry –therapeut, machen müssen. Menschlich wäre ich wohl unter den Umständen zerbrochen. Von wegen Genugtuung, diese Gleichung mit achtzig Unbekannten geht auch in Ewigkeit nicht auf. Das Gegenteil wäre der Fall gewesen. Aus nachvollziehbaren momentanen Zuständen wäre ein Dauerklaps geworden. Schade, dass man in unserer rache- und vergeltungsorientierten Gesellschaft, den Leuten nicht sagt, dass Opfer am Besten aus einer Sache herauskommen, wenn sie sich aus der Vergeltungsmaschinerie heraushalten. Mir brachte mein „Rückzug“ zumindest den Vorteil, dass ich das Urteil, als es soweit war, nach einem kurzen Wutanfall so akzeptierte, wie es gesprochen wurde. Natürlich war es nicht, wie ich einstmals wünschte, Lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung bis zum Lebensende. Wie es ausfiel will ich hier jedoch nicht erwähnen, da ich dieses Buch eigentlich als Plädoyer für Rechtstaatlichkeit und christliche Vergebung verstanden wissen möchte und jetzt keine gegenteilige Diskussionen auslösen will. Soweit mein Report von meinem Jahr im Fegefeuer. Im August 1997 gab es dann die ersten Anzeichen für eine Wende in meinem damaligen Leben – aber dazu lege ich jetzt wirklich ein neues Kapitel auf. Zum Kapitel 8
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Vergewaltigung um Vergewaltigung Das Richtige, was man Opfern von Gewaltverbrechen beziehungsweise deren Angehörigen raten kann, ist die Devise: Aufstehen, nach Vorne sehen und Weitergehen. Dieses habe ich ja bereits schon angesprochen. Aber diese Aussage ist so natürlich nur ein Schlagwort, eine Parole, wie sie mir heute modern erscheinen. Da gibt es Politiker und Verbandsfunktionäre, die ein bis zwei Stunden markige Parolen dieser Art dreschen, die dann die Leute aus den Sesseln reißen. Dafür ernten sie im Anschluss stehende Ovationen und wenn man darüber nachdenkt was sie gesagt haben, ist das Meiste nichts sagend und der Rest unbedeutend – aber in den Medien macht es sich gut. Stopp Dieter, jetzt nicht abschweifen, bleiben wir bei dem Grundsatz „Aufstehen, nach Vorne sehen und Weitergehen“, der so gesagt, ohne weitere Konkretisierung gleichwertig mit einer Wahlkampfaussage ist: Hört sich gut an, sagt aber weder dieses noch jenes aus. Beginnen wir mit der Konkretisierung stellen wir fest, dass es zur Umsetzung dieses Slogans bestimmter Voraussetzung bedarf. Und diese möchte ich jetzt auch erst einmal schlagwortfetzend in die Landschaft stellen: Bevor jemand aufsteht, muss er erst einmal die Erkenntnis haben, dass er nicht liegen bleiben kann. Diese Erkenntnis nützt ihm dann herzlich wenig, wenn er nicht den Willen zum Aufstehen erbringt. Und woher soll der Wille kommen, wenn man keine Perspektive hat? Da mein Denkapparat nach dem Mord an Astrid von Wut, Hass und Rachegelüsten vollgestopft wurde, war da überhaupt kein Platz für Erkenntnis geschweige denn Perspektiven. Dieses änderte sich im Sommer 1997 ganz langsam bei mir. Ab und zu dachte ich doch schon mal an andere, wie im vorangegangenen Kapitel beschriebene Dinge. Damit stellte sich dann Tröpfchenweise die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen konnte, ein. Dadurch gab es eine Versachlichung meiner Reaktionen und meines Handelns in kleinen Schritten. Natürlich, die große Wende fand noch nicht statt. Noch war nicht aus dem wildgewordenen Wohnungspatron ein freundlicher Vermieter geworden aber es lief doch alles etwas sachlicher ab. Noch war nicht aus dem gotthadernden Antichristen ein frommer Betbruder geworden aber ich sah jetzt von Gotteslästerungen ab. Noch war nicht aus dem Todesstrafe fordernden Stammtischparolendrescher ein glühender Befürworter von Resosalisierung geworden aber ich befürwortet doch jetzt wieder vermehrt rechtsstaatliche Mittel. Wenn jetzt noch eine Perspektive, ein Sinn, eine Aufgabe hinzugekommen wäre, könnte ich mir vorstellen auf dem richtige Wege gewesen zu sein. Aber dazu brauchte es eines Anstoßes, den es bis Ende August, als die ganze Sache scheinbar noch mal eskalierte, noch nicht gegeben hatte. Die eben angesprochene Angelegenheit begann für mich am Dienstag, dem 26. August 1997, als ich des Mittags nach meiner Bürozeit nach Hause kam. Ich wunderte mich, dass Sabrinas und noch ein weiteres Fahrrad innen neben dem Tor zu unserem Vorgarten standen, da sie ja eigentlich noch Schule hatte. Dass gleich zwei Lehrer, bei denen sie an diesem Tage Unterricht gehabt hätte, ihre Ferienanschlussgrippe genommen hatten und es deshalb mal wieder Unterrichtsausfall gab, konnte ich ja nicht wissen. Meine Tochter hatte, wenn sie vor mir zuhause war, die Angewohnheit in dem Moment, wo ich die Haustür aufschließe, „Paps, ich bin schon da“ zu tönen. Dieses kam an diesen Tag aber nicht. Entweder war sie schon da gewesen und ist wieder gegangen oder sie hat mich auf ihrem Zimmer nicht gehört. Beide Alternativen besagen aber, dass ich sie jetzt nicht im Wohnzimmer erwarten würde. Aber genau da war sie. Sie saß heulend und schluchzend im Sessel und neben ihr saß eine Schulkameradin von ihr, die ihren rechten Arm tröstend auf ihre Schultern gelegt hatte, auf der Lehne. Berechtigterweise fragte ich erst mal: „Ist was passiert?“. So gesehen eigentlich eine dumme Frage, denn das was passiert war konnte ich ja sehen. Meine Frage zielte auch mehr darauf ab, was passiert sei. Das bekam ich dann dank der naiven Fragestellung auch nicht beantwortet; Sabrina nickte nur bejahend den Kopf. Ihre Freundin hatte mich diesbezüglich wohl besser verstanden und sagte: „Brina ist vergewaltigt worden“. Jetzt war es gut, dass in meinem Inneren inzwischen der Versachlichungsprozess, den ich zuvor beschrieben habe, eingesetzt hatte. Noch vor kürzester Zeit wäre ich bei so einer Situation vollkommen abgerauscht. Was dann passiert wäre kann ich, weil es bestimmt vollkommen irrational gewesen wäre, jetzt nicht sagen. Nun ging ich aber mit neuerlicher Sachlichkeit ans Werk und fragte: „Was du schon bei der Polizei und hast den Kerl angezeigt?“. Wieder kam keine mündliche Antwort von meiner Tochter sondern auch diesmal antwortete sie mit Kopfbewegungen; allerdings jetzt in Form einer Verneinung. „Na, wenn du dich ein Wenig beruhigt hast,“, setzte ich jetzt fort, „fahre ich dich dann dahin und gehe mit rein.“. Ich hatte noch nicht ausgesprochen als „Nein, das machen wir nicht. Du kannst doch nicht Oliver ...“ spontan, fast schreiender Weise, aus ihr heraussprudelt. Jetzt geriet in meinem Innere doch etwas ins Wanken. Warum nannte sie den Namen ihres Bruders und brach dann plötzlich ab. Oliver wird doch wohl nicht seine eigene Schwester ... . Daher meine entsetzte Frage „Was ist mit Oliver?“ auf die ich nur „Nichts“ zuhören bekam. In diesem Moment wusste ich, dass wir so nicht weiterkamen und wir eher durch Missverständnisse und falsche Interpretationen in die falsche Richtung preschen könnten. Das Mädchen musste sich erst mal beruhigen und deshalb schlug ich vor, dass ich uns einen starken Kaffee machen wollte und ging auch gleich ans Werk. Während ich in der Küche werkelte kam Sabrinas Freundin zu mir um sich zu verabschieden und nachdem ich mich bei ihr noch einmal dafür bedankt hatte, dass sie sich um meine Tochter gekümmert hatte, verschwand diese dann auch. Als ich mit dem Kaffee ins Wohnzimmer zurückgekommen war, hatte auch Sabrina ihre Sprache wieder gefunden: „Ach Papa, da hätte ich bald was angerichtet. Was Oliver mit Tanja Rebmann gemacht hat geht doch Angelika nichts an.“. Tanja Rebmann ist die Tochter des ehemaligen Gemeindedirektors Friedhelm Rebmann, Astrids Mörder. Aber was nun
mein Sohn und Rebmanns Tochter mit der Vergewaltigung von Sabrina zutun hatte, erschien mir jetzt wie ein Buch mit sieben Siegeln. Obwohl mich jetzt brennend interessierte was los war, zog ich es doch erst mal vor uns je eine Tasse Kaffee einzuschütten und zu warten bis Sabrina davon getrunken hatte. Bevor ich fragen und sie antworten konnte gab es erst noch einmal eine Unterbrechung. Das Telefon schellte und ich ging dran. Als ich mich gemeldet hatte kam von der anderen Seite zunächst einmal nichts. Ich hörte nur ein „aufgeregtes“ Atmen. Auf mein „Hallo“ meldete sich dann doch eine, irgendwie wehmütig klingende, männliche Stimme: „Scheule ... Guten Tag ... Kann ich bitte Sabrina sprechen.“. Ich wandte mich meiner Tochter zu und sagte ein „Herr Scheule für dich“, legte den Hörer aufs Board und ging wieder zu meinem Sitzplatz auf der Couch zurück. Etwas zögerlich mit einem „seltsamen“ Gesichtsausdruck ging sie zum Telefon. Als sie den Hörer aufgenommen hatte sagte sie „Ja Sascha, was willst du denn noch?“, dem eine zuhörende Pause folgte. Dann sagte sie: „Ja, warte mal“ und dann wurde ich aus den Raum komplimentiert. Mir war klar, dass der Anruf etwas mit der Vergewaltigung zutun hatte – nur was, konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht zusammenreimen. Als ich nach etwas über einer Viertelstunde wieder hereingerufen wurde, klärte mich, jetzt eine deutlich gefasst wirkendere Sabrina zunächst einmal über das Telefongespräch auf: „Das war Sascha Scheule, der Freund von Tanja Rebmann. Der hat mich heute Morgen vergewaltigt, weil Oliver das mit seiner Tanja letzten Donnerstag auch gemacht hat. Aber offenbar ist Sascha ein anständigerer Kerl wie mein Herr Bruder. Sascha hat gerade angerufen und gesagt, dass es ihm leid tut und richtig um Entschuldigung gebettelt. Da mir ja ansonsten nichts passiert ist und Sascha ansonsten ein ganz netter Kerl ist, sollten wir es jetzt dabei belassen.“. Dieser Aussage entnahm ich, dass Sabrina zum Glück jetzt keinen erneuten Knacks abbekommen hatte. Jetzt wollte ich doch im Zusammenhang wissen was los war und Sabrina kam meiner Aufklärungsbitte nach: „Tanja hat uns am Mittwoch, als wir ins Hallenbad wollten und sie rauskam, angesprochen und gesagt, dass sie die Sache mit ihrem Vater nicht mehr aushalte und sich mit uns darüber unterhalten müsse. Wir haben uns dann Donnerstagnachmittag bei Rebmanns verabredet. Ich hatte dabei jedoch vergessen, dass ich schon mit Angelika, mit der ich nach Waldstadt wollte, verabredet war und wir sagten erst mal zu. Als mir dann meine ältere Verabredung einfiel, wollte ich Tanja anrufen und um einen anderen Termin bitten. Das hätte ich auch mal besser gemacht und das Oliver nicht überlassen, denn dann wäre das alles nicht passiert. Mir hatte Oliver gesagt, dass Tanja Bescheid wisse und sie am Wochenende einen neuen Termin aushandeln wollten. Aber nichts hat er mit ihr ausgemacht und ist stattdessen hingegangen und hat sie in deren Wohnzimmer vergewaltigt. Dabei ist er dann von Frau Rebmann, die unerwartet nach Hause kam, erwischt worden und panikartig geflüchtet. Jetzt hatte er Angst Rebmanns würden ihn anzeigen und kam zu mir und bat mich für ihn ein Alibi zusammenzulügen. Ich weiß nicht, ob ich es wirklich getan hätte, aber bis jetzt haben wir davon noch nichts gehört.“. „Das kommt mir irgendwie komisch vor.“, unterbrach ich jetzt die Erzählende, „Sollten die tatsächlich nichts unternommen haben?“. „Ich weiß nicht.“, fuhr Sabrina nun fort, „Auf jeden Fall hat mir Sascha, als ich von der Schule kommend hier in die Straße einbiegen wollte, mit seinem Auto den Weg abgeschnitten. Er nahm mir das Fahrrad ab und stellte es an Klüvers Zaun. Ich musste in seinen Wagen einsteigen und dann fuhr er mit mir zu dem Waldwirtschaftsweg oberhalb der Serpentinen. Außer das jetzt die Devise ‚Vergewaltigung um Vergewaltigung’ gelte hat er nichts weiteres gesagt. Ich hatte Angst und wollte nicht, dass mir das Gleiche wie Mama passiert. Deshalb habe ich nichts weiter gemacht als schon mal auf der Fahrt in den Wald meine Jeans und Slipper auszuziehen und als wir in dem Weg waren habe ich dann auch noch mein Hemd und T-Shirt über den Kopf ausgezogen. Ich weiß ja nicht ob das wirklich so ist wie er eben am Telefon sagte, aber wenn es stimmt habe ich damit einen Fehler gemacht. Denn er sagt, dass er es sich auf der Fahrt überlegt habe und er dann sagen wollte, dass er mir nur einen Schrecken als Denkzettel verpassen und mich dann zurückbringen wollte. Als er mich dann so nackt gesehen hätte sei er spitz geworden und habe es dann doch getan. Das kann eigentlich stimmen, denn er war gar nicht grob. Es war so als hätten wir auf freiwilliger Art miteinander gebumst. Er hat mich anschließend sogar auf die Stirne und Backe geküsst und mich ganz zärtlich gestreichelt. Er hat mich dann, sogar höflich gebeten, ich solle mich wieder anziehen und hat mich dann an die Stelle zurückgefahren wo er mich aufgenommen hatte. Als ich ausgestiegen war ist er dann wie ein Bekloppter davon gerast.“. Nachdem, was sie mir erzählte hatte, schien mir doch die Szene, als ich nach Hause kam, unerklärlich. Darauf sprach ich sie dann auch gleich an: „Was du mir gerade erzählt hast hört sich so an, als hättest du die Geschichte ganz gut verkraftet. So sah das aber, als ich kam, nicht aus. Und wo war denn die ganze Zeit deine Freundin?“. „Ach, erst war es auch so, dass ich das Ganze wie eine unfreiwillige aber ansonsten nicht unangenehme Bumserei angesehen habe.“, begann Sabrina ihre weitere Erklärung, „Als ich dann aber mein Fahrrad nehmen wollte stand da auf einmal Angelika und wollte wissen was los war. Da habe ich nur gesagt: ‚Ach lass mal, ich bin gerade vergewaltigt worden’. Aber Angelika ließ nicht locker sondern bohrte immer mehr nach. Da habe ich dann einen Rappel gekriegt und Angelika meinte mich trösten zu müssen. Aber alles was sie sagte ging in die umgekehrte Richtung. Ich denke es wäre besser gewesen, wenn sie nichts gesagt hätte. Aber inzwischen bin ich wieder ganz okay ... so schlimm war es nicht.“. Sie war gerade fertig, als Oliver im Raum stand. Er hatte auf dem Weg nach Hause Angelika getroffen und von der erfahren, dass seine Schwester vergewaltigt worden sei. Natürlich kombinierte er richtig und polterte gleich los: „Was
hat der Scheule mit dir gemacht. Den bringe ich um.“. Sabrina, die sich jetzt offensichtlich tatsächlich gefasst hatte, zog ihm gleich den Jähzornszahn: „Du musst mal ganz schön still sein. Sascha hat mir nur heimgezahlt was du Tanja getan hast. Dabei ist er ein ganzes Ende sanfter mit mir umgegangen, wie du mit Tanja ...“. Spontan unterbrach Oliver: „Quatsch, ich bin doch auch ganz sanft zu Tanja gewesen. Ich liebe sie doch.“. Das war ein Umwerfer. Sabrina schaute auf einmal drein als würde sie ihren Bruder an diesem Tage zum ersten Mal sehen und ich muss wohl einen ähnlichen Eindruck vermittelt haben. Auf jeden Fall merkte Oliver dieses, wurde verlegen und nach dem er sich gesetzt hatte kullerten bei ihm ein paar Tränen. Kleinlaut begann er jetzt seine Beichte: „Ach, ich war doch schon immer in Tanja verknallt, dass ist doch eine so süße Maus. Letztes Jahr war ich schon ganz nah dran und da passierte das mit Mama. Klar, dass wir uns da ein Wenig aus dem Wege gingen. Und dann war da auf einmal der blöde Scheule und für mich war der Zug abgefahren. Als uns Tanja letzte Woche eingeladen hatte und du nicht konntest, sah ich meine Chance gekommen. Als ich dann bei Rebmanns war fing es erst ganz harmlos an. Sie bedauerte das du nicht mitkommen konntest. Da habe ich, ohne erst was böses dabei zu denken, gesagt, dass ich es im Gegensatz zu ihr ganz gut fände, denn dann könnten wir ja über etwas sprechen, was schon längere Zeit anläge. Ich hatte tatsächlich nur an meine Liebe zu ihr gedacht und sie hat wohl was anderes verstanden und war auf einmal ganz ängstlich und sagte nur: ‚Bitte vergewaltige mich nicht, ich kann doch nichts dafür was mein Vater gemacht hat’. Da ist es auf einmal über mich gekommen und ich wollte mich auf sie stürzen.“. In diesem Moment hätte mir der Schrecken fast die Kehle zugeschnürt. Oliver begründet seine Tat mit den gleichen Worten wie Rebmann seine Tat. Wegen des Schreckens bekam ich auch nicht mit, was der weitererzählende Oliver inzwischen von sich gab. So weiß ich jetzt auch nicht, ob ihr Oliver die Kleidung entrissen hat oder ob Tanja diese „freiwillig“ ablegte. Er erzählte dann aber selbst weiter: „Als sie nackt war und ich ihren wunderbaren Körper sah konnte ich nicht anders. Da habe ich sie schön gestreichelt und überall geküsst.“. Später erfuhr ich, dass Tanja diese „Schmusevergewaltigung“ als Quälerei empfunden hat; sie konnte ja nicht wissen was im Kopf ihres Peinigers vorging. Aber lassen wir Oliver weiter beichten: „Das hat dann eine ganze Weile gedauert. Als ich dann zur Sache gehen wollte und gerade die Hose runtergezogen hatte, war Frau Rebmann auf einmal da und ich bin getürmt.“. Nun musste ich die Sache doch auf den Punkt bringen: „Das war beim besten Willen keine Glanzleistung die du da vollbracht hast. Du bist dir doch hoffentlich im Klaren darüber, dass du dich auf die gleiche Stufe wie Tanjas Vater gestellt hat. Stelle dir vor, die hätte, statt es über sich ergehen zu lassen, losgeschrieen, so wie damals die Mama. Bis du dir sicher, dass du dann nicht eine Panik, vergleichbar mit einem Schock, bekommen hättest und diese Sache genauso ausgegangen wäre wie damals bei der Mama. Ich glaube, dass wir uns, wenn wir so weiter machen, uns auf ein ganz gefährliches Eis begeben. So kann und darf es nicht weitergehen. ... Aber noch was, Oliver. Dein Kontrahent hat seine Falschhandlung eingesehen und sich in aller Form bei deiner Schwester entschuldigt. Wie sieht es mit dir aus?“. „Das mache ich auch“, sagte er weiterhin kleinlaut, „aber ich weiß, dass sie jetzt nicht zuhause sondern bei Sascha ist. Da möchte ich aber jetzt nicht anrufen.“. Jetzt mischte sich Sabrina ein: „Wenn du mich darum bittest, erledige ich das Anrufen für dich. Dann kann Sascha auch sehen, dass ich seine Entschuldigung ehrlich angenommen habe. ... Aber mit Tanja muss du allerdings selbst sprechen. Also komm mit.“ Danach verließen dann beide den Raum. Mir war bewusst, dass es so nicht weitergehen konnte und überlegte, ob es was bringen würde, wenn ich mit Frau Rebmann spreche. Früher sind wir auch ganz gut miteinander ausgekommen. Mit Friedhelm Rebmann habe ich mich geduzt und Astrid stand mit beiden, die schon aus der Jugendzeit kannte, per Du. Wir beide, also Frau Rebmann und ich standen vor ein paar Jahren auch schon mal kurz vor der Bruderschaft und haben im Hinblick auf unsere jeweiligen, uns gegenüber offensichtlich sehr eifersüchtigen Partner davon abgesehen. Ich hatte die attraktive Frau von Kopf bis Fuß, allerdings mehr oder weniger unbewusst, mit meinen Augen abgetastet und im Geiste vollkommen ausgezogen. Das ist nicht unbemerkt geblieben. Erst mal war es Frau Rebmann, die es bemerkte und damit ein Wenig kokettierte. Der Rocksaum rutschte etwas hoch und ihr Bluse beulte sich einen besseren Einblick gewährend nach vorn. Dabei kam es dann von ihrer Seite zu dem Du-Angebot ihrerseits, was ich auch sofort angenommen hätte, wenn es nicht sowohl für Friedhelm wie auch für Astrid zuviel gewesen wäre was da zwischen uns abgelaufen und die nicht irgendwie, uns nichts Gutes verheißend, dazwischen gegangen wären. Na ja, damals haben wir beide, offensichtlich nicht ganz zu unrecht, den Verdacht auf uns gelenkt und haben dann erst mal unseres ehelichen Friedens, der uns natürlich viel bedeutet und den wir nicht gefährden wollten, davon abgesehen. Und dabei ist es dann geblieben. Man könnte sagen, dass das mit der Duzerei jetzt unwichtige Details seien. Das kann ich beim besten Willen nicht sagen, denn durch die Blume habe ich damit gesagt, dass mir die Frau, die ich aufsuchen wollte, im Vorfeld nicht ganz gleichgültig gewesen ist. Ich muss sogar sagen, dass sie schon des Öfteren meine sexuelle Phantasie und damit eine körperliche Empfindung bei mir ausgelöst hatte. Jetzt musste ich mir ernsthaft überlegen, ob ich sie tatsächlich und aus welchem Grunde sprechen wollte oder ob ich im gleichen Fahrwasser wie mein Sohn fuhr. Schließlich war Frau Rebmann das einzigste weibliche Wesen, dass mir schon zu Astrids Lebzeiten einen Seitensprung wert gewesen wäre und sie hat aus meiner Sicht nichts von ihrer Attraktivität verloren. Dazu kam zu diesem Zeitpunkt noch, dass ich jetzt fast ein Jahr keinerlei sexuelle Beziehungen gehabt habe. Nach Astrids Tod war mir auch nicht danach, was sich zu dieser Zeit aber zu ändern schien, ich spürte doch schon mal dieses oder jenes Rühren. Also ganz kann ich mich nicht
davon freisprechen, dass es mir auch auf eine Begegnung mit dieser Frau ankam. Aber so etwas wie bei Oliver und Tanja durfte auf keinen Fall dabei herauskommen. Auch einen höheren Sinn konnte ich einem Gespräch mit dieser Frau zuordnen. Der Grund warum Tanja meine Beiden angesprochen hatte, belegte mir eindeutig, dass es nicht nur Opfer auf Seiten der Ermordeten sondern auch auf Seiten des Täters gegeben hatte. Frau Rebmann und ihre Tochter waren damit, genauso wenig wie wir, noch nicht fertig geworden. Auch die hatten Schwierigkeiten im Alltag wieder Tritt zu fassen. Jetzt versprach ich mir von einem Gespräch so etwas Ähnliches wie von einer Selbsthilfegruppe. Man kann sich in einer Gruppe Gleichbetroffener mal alles von der Seele reden. Das macht es leichter und ermöglicht weitere Schritte nach Vorn. Des weiteren versprach ich mir von einem „normalen Umgang“ der Rossbachs mit Rebmanns und umgekehrt auch den Schlüssel dafür auch unseren Umgang mit allen Anderen, der Allgemeinheit, ins Reine kommen zu lassen. Also klar, ich wollte zur Tat schreiten und ging zum Telefon um mich mit ihr zu verabreden. Aber Fehlanzeige: Nur mit dem Freizeichen hätte ich kommunizieren können. Danach ging ich dann erst mal zur häuslichen Tagesordnung über. Kurz nach Fünf gab es dann noch eine „wohnungswirtschaftliche Aufregung“. Ein Mieter rief mich an, bei ihm käme Wasser durch die Decke und sein „Übermieter“ wäre nicht da. Erstmalig seit langer Zeit reagierte ich bei einem solchen Fall doch ruhig, gelassen und vernünftig. Ich fragte den Anrufer ob er wisse wo der Hauptsperrhahn sei und beauftragte ihn, nach dem er mir dieses bejahte, diesen abzudrehen. Um alles andere, also Handwerkerauftrag und so weiter, wollte ich mich kümmern und anschließend wollte ich selbst auf der Bildfläche erscheinen. Gesagt und getan, aber ich glaube, dass ich hier keine Einzelheiten zu erzählen brauche. Erwähnenswert ist lediglich, dass ich sowohl Mietern wie Handwerkern an diesem Tag irgendwie positiv verändert vorkam: Ruhig, einsichtig und gar nicht mehr so kleinlich. Es tat sich also doch was. Das zweite Erwähnenswerte ist, dass ich mich Vorort etwa bis Viertel nach Sieben aufgehalten habe. Letzteres ist deshalb erwähnenswert, weil ich auf dem Weg nach Hause mich spontan entschlossen hatte bei Frau Rebmann vorbeizufahren. So gegen Halb Acht fuhr ich also dort vor, stieg aus, ging zur Haustür und schellte. Über die Gegensprechanlage fragte sie „Ja bitte?“ und ich wollte sagen „Rossbach. Ich wollte mit ihnen eigentlich nur einen Termin vereinbaren, wann ich mal mit ihnen sprechen kann.“. Aber ich kam nur bis zu meinem Namen, da sagte sie schon „Moment“ und hängte ein. Knapp eine halbe Minute später öffnete sie mir persönlich die Tür. Mit erkennbarer Angst in den Augen, bleichen Gesicht und zitternd fragte sie mich „Wollen sie mich jetzt auch vergewaltigen?“. Ich hatte dabei das Gefühl, dass ich in diesem Moment Macht über sie ausübe und irgendein Schweinekerlchen in mir riet mir dieses auf dem Höhepunkt zu treiben, Ja zu sagen und loszulegen. In diesem Moment bekam ich selbst ein Schrecken. Ich war kein Schlag besser wie der Mörder meiner Frau. Genau das war es, was er schilderte als er vor Gericht nach dem Hergang der Tat befragt wurde. Ich saß also im Glashaus und warf Todesstrafe fordern mit dicken, schweren Steinen. Jetzt war mir bewusst, dass es durchaus hätte umgekehrt sein können, dass er hätte heute bei Astrid, der Frau des Mörders seiner Frau, vor der Tür stehen können. Zu sagen, dass man es selbst würde nie tun würde und man Verbrecher hängen müsse ist also nichts als Selbstignoranz und Borniertheit. Jeder Mensch kann zu jederzeit auf jeder Seite stehen. Alle Menschen kommen sowohl als Täter wie Opfer in Frage. Dieses sollten wir eigentlich bedenken, bevor wir „Rache und Vergeltung“ blöken. Der Schreck hatte mir einen Klos in den Hals gekeilt, so dass ich zunächst nichts sagte. Währendessen hatte mich Frau Rebmann hereingezogen, die Tür geschlossen und sagte, während sie zur Schnalle ihres Rockgürtels griff: „Kommen sie rein, ich wehre mich nicht.“. Etwas später sagte sie mir, dass sie erst felsenfest davon überzeugt gewesen wäre, dass ich auch auf Grund der Devise „Vergewaltigung um Vergewaltigung“ gekommen wäre und sie sich schon damals, als meiner Frau das passiert sei, vorgenommen habe, dass sie, wenn sie mal in diese Lage käme, sofort willig mitzuspielen, denn sie wollte nicht so sterben wie Astrid. Auf meine Frage warum sie mir dann gleich persönlich aufgemacht habe, erklärte sie mir, dass es ihr so lieber und berechenbarer sei als wenn ich ihr irgendwo aufgelauert hätte. Ihre Aussage war für mich einen Indiz, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt von ihrem Inneren immer und immer wieder gezwungen wurde, sich mit der Tat zu beschäftigen. Woher sollten sonst solche, im Grunde irrationale, Gedanken und Handlungen kommen? Erst jetzt kam ich dazu ihr, zwar ruhig aber dumm, zu sagen: „Ach Frau Rebmann, sehe ich so aus als wolle ich sie vergewaltigen?“. Sie sah mich an und fragte: „Sah mein Mann so aus? Sahen die Jungens so aus? Wäre dass der Fall gewesen, wäre Astrid und unseren Töchtern das nicht passiert.“. Aus ihren Worten konnte ich dann auch gleich entnehmen, dass sie inzwischen auch von Sabrinas Geschichte Kenntnis hatte. Jetzt kam der Punkt, ab dem ich mich auch wieder vernünftig verhalten konnte. Ich sagte: „Ach, entschuldigen sie Frau Rebmann, sie hatten mich eben vollkommen durcheinander gebracht. Ich bin im Moment noch nicht wieder auf meinem geistigen Höhepunkt. Mir ist, als ich von der, aus meiner Sicht allerdings nicht entschuldbaren Geschichte von unseren Kindern hörte, bewusst geworden, dass wir beide und unsere Kinder eigentlich im gleichen Boot, das unterzugehen droht, sitzen. Und da hatte ich einfach das Bedürfnis mit ihnen zu sprechen und deshalb bin ich zu ihnen gekommen.“. Sie schaute mich an und versuchte zu lächeln, was ihr aber noch nicht so ganz gelang: „Komisch, so was ähnliches habe ich heute Nachmittag, als mir Tanja erzählte das ihr Freund inzwischen auch ihre Tochter vergewaltigt hat und sich die beiden Jungens ganz lieb und kleinlaut entschuldigt hätten, auch gedacht. Aber schon früher habe ich mir öfters mal gewünscht mit ihnen
sprechen zu können. Ich wollte schon mal meinen Schwager bitten, mal so etwas zu vermitteln.“. Jetzt war ich in Folge unseres Gesprächsauftaktes so verwirrt, dass ich es unterließ, zu fragen wer der Schwager sei und wieso sie glaube er könne ein Gespräch vermitteln. Hätte ich es getan, wären wir mit Sicherheit gleich ein paar Schritte weiter gewesen und auch ein paar Sachen aus der Vergangenheit wären mir klarer gewesen. Aber lassen wir uns noch ein Wenig Spannung und warten noch ein Weilchen ab. Auf jeden Fall wurde Frau Rebmann zunehmendst zugänglicher. Sie bat mich ins Wohnzimmer und kümmerte sich dann erst mal um die Bewirtung: Tee mit Kandiszucker und Rum, Gebäck, Käsehäppchen, Salzstangen und anderes Knabberzeug. So ging es früher öfters auch bei Astrid und mir zu und folglich kam bei mir irgendwie so eine Art glückseliges Wohlempfinden auf. Während Frau Rebmann diese Sachen vorbereitete, was etwa eine Viertelstunde in Anspruch nahm, schaute ich ihr und ihren Bewegungen zu. Irgendwie regte mich ihre Attraktivität und die Art ihrer Bewegung irgendwo an. Sie trat aber jetzt im Gegensatz zum Beginn doch recht selbstbewusst und sicher auf. Natürlich hatte sie bemerkt worauf ich achtete und kokettierte noch dezent mit ihren Reizen; wie damals bei dem Vorfall zu Astrids Lebzeiten, den ich ja schon geschildert habe. Dabei wirkte sie mir gegenüber überlegen oder zumindestens ebenbürtig. Wäre sie bereits an der Haustür so aufgetreten wären uns ein paar Peinlichkeiten erspart geblieben, denn gegenüber einer überlegenen Frau kommt kein Mann auf krumme Gedanken. Das wusste sie sogar, wie sie mir später mal erzählte aber in Selbstverteidigungs- und Selbstbehauptungskursen hört sich das alles ganz gut an. Wenn man dann aber plötzlich vor einer bestimmten Situation steht sieht doch vieles anders, als wie die Theoretiker das einen erzählen, aus. So saßen wir da jetzt in einer sehr netten Atmosphäre und es begann ein langer fast drei Stunden dauernder Abend. Zu Beginn erinnerte sie mich an diesen, schon Jahre zurückliegenden Vorfall, den sie auch noch nicht aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte. Sie fuhr dann fort: „Mir scheint, der Augenblick hat sich scheinbar eben wiederholt. Dann können wir jetzt ja das nachholen, wo wir damals nicht zu gekommen sind. Also Dieter, du weißt ja, dass ich Eleonore heiße.“. Sie sagte es und lächelte als würde sie noch auf etwas warten. Sie musste nachhelfen: „Kriege ich keinen Bruderschaftskuss?“. Ich ließ mich nicht zwei Mal bitten und erledigte das recht gründlich. Danach sprach sie das aus, was ich in diesem Augenblick auch dachte: „Ich mag dich sehr Dieter. Aber im Moment wollen wir nicht weitergehen und –denken wie jetzt. Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn wir jetzt weitergehen würde. Friedhelm ist, auch wenn er einsitzt, immer noch mein Mann ... und das ist der Mörder deiner Frau. Ich glaube wir täten uns keinen Gefallen, wenn wir weitergingen. Aber Freunde sollten wir werden und küssen darfst du mich, wenn du möchtest, ab und zu auch mal.“ Ich fragte dann scherzhaft, ob ich zum Angewöhnen denn noch einmal dürfte. Ich durfte und war happy. So etwas ist allerdings ein „gefährliches“ Spiel. Die Freundschaft eines Mannes zu einer „bezaubernden“ Frau geht meistens schief, da solche Sachen, wie ich mal in einem Aufsatz eines Biologen und Verhaltensforschers gelesen hatte, zwar von den Frauen aber nicht von den Männern rational gesteuert werden kann. In 90% der Fälle läuft das bei den Männern auf eine Erotik einschließende Partnerschaft hinaus. Der Grund läge, laut diesem Aufsatz in der unterschiedlichen Triebveranlagung der Geschlechter. Der arterhaltende Fortpflanzungstrieb ist, auch bei Tieren, nur bei den männlichen Geschöpfen vorhanden. Wäre dieser auch bei den Frauen vorhanden, käme es einerseits zur triebgesteuert ständigen Vernachlässigung des Nachwuchses und auf der anderen Seite zur, sämtliche Nahrungsgrundlagen zerstörenden Überpopulation. Hier liegt auch nach Ansicht der Wissenschaftler der Grund, dass eine Antibabypille für den Mann so gut wie gar nicht zur Geburtenkontrolle führen würde, denn er würde diese triebgesteuert, ohne bösen Vorsatz, pausenlos vergessen. Ansonsten hat mir Eleonore viel erzählt. Sie erzählte mir wie Friedhelm als Mann und Vater war. Wie gut er zu ihr gewesen ist und wie sehr sie ihn geliebt habe – und diese Liebe wäre trotz allem noch nicht gänzlich erloschen. Sie erzählte, wie eifersüchtig er gewesen war. Hier wäre ja auch der Grund zu suchen gewesen, dass wir uns, obwohl wir uns praktisch jahrzehntelang kannten und auch vor dem Mord einen freundschaftlichen Umgang miteinander hatten, in der zweiten Person anreden mussten. Ich erfuhr, dass er zuhause in keiner Weise ein Macho war obwohl er im Rathaus immer den starken Mann rausputzte. Sie berichtete davon, dass Friedhelm immer ein guter Vater gegenüber Tanja gewesen sei und diese ihm sehr verehrt habe – und auch jetzt noch nicht von ihm los sei. Er war also alles andere als ein Typ, den man sich als Vergewaltiger und Mörder vorstellt. Für mich erschreckend, dass es von den Voraussetzung her auch hätte umgekehrt sein können – und für diesen Menschen, der ich hätte selber sein können, wünschte ich mir in meiner Rache- und Hassphase drakonischste Strafen; sogar die Todesstrafe. Eleonore berichtete aber darüber, dass sie bei ihrem Mann, wenn sie ihm im Gefängnis besucht, zu ihrem Erschrecken immer wieder feststellen müsse, dass er keine Reue empfände und er immer nur von seinem Selbstmitleid spräche. Immer bejammere er, was ihm durch diese Sache alles kaputt gegangen sei. Statt von seiner eigenen schweren Schuld zu sprechen würde er immer beklagen, warum die „dumme Kuh“ nur so hysterisch geschrieen habe. Sie habe ihm ja überhaupt keine Chance gegeben nach einem „blöden Fehlschuss“, den er, wenn er nicht schon vorher ein paar getrunken habe, gar nicht gemacht hätte, wieder zur Besinnung zu kommen. Astrid sei an ihrem Tod selbst schuld und er müsse dafür büßen. Eleonore redete und redete und ich hörte ihr zu. Ich hatte das Gefühl, dass es ihr gut tat und mich irgendwo aufbaute. Ich musste auch erfahren, was sie, die Frau des Mörders in dem einen Jahr hat durchmachen müssen: Mobbing in der Schule, wo sie Lehrerin ist. Missgunst der Nachbarn, Tratsch- und Klatsch, Ausschluss aus dem sogenannten Freundeskreis und sogar Abwendung der Familienmitglieder. Der Beitrag, den Friedhelm einkommensmäßig zum
wirtschaftlichen Bestand der Familie beigetragen hat, ist so gut wie ganz ausgefallen aber die Kosten, die unter anderem auch durch das Eigenheim hervorgerufen werden, fallen aber konstant an. Versicherungs- und Anlageverträge, die Friedhelm mit dem Hintergrund seines Gemeindedirektoreinkommens abgeschlossen hat, lassen sich nur mit erheblicher Mühe kündigen und auflösen, da die profitorientierten Banken und Versicherungen mit fiesen juristischen Tricks oder Falschbehauptungen sich massiv dagegen wehren. Wahrlich, auch auf der Täterseite gab es Opfer – und die haben genauso leiden müssen wie wir. Eleonore beklagte, dass man in der Öffentlichkeit viel vom Opferschutz palavern würde. Dabei ging es aber den meisten Wortführern immer nur darum, das die Täter nicht so hart bestraft würden, das sadistische Opfer Genugtuung verspüren könnten, das nicht gleich ein Dutzend Psychomagier abgestellt werden, die die Opferkomplexe solange pflegen bis die Betreffenden daran zu Grunde gehen und um die Beförderung des vorher Stützeempfängers zum Millionär. Es kommt aber keiner auf den Gedanken, den genauso unter der Tat leidenden Angehörigen des Täters nur halbwegs etwas in dem Umfang wie den augenscheinlich Opfern zukommen zu lassen. Da gilt Sippenhaft, schließlich hat man ja das Verbrechen einen Menschen zu lieben und zu heiraten, der später ein Mörder wird, begangen. Von den Angehörigen des Täters spricht niemand. Eleonore vertrat die Ansicht, dass die Öffentlichkeit genannten Vojeuristen sich immer sensationshaschend auf die Tat und die Täter stürzten und ab zu, aber nur wenn es schöne Tränendrücker gibt, auf unmittelbare Opfer. Die meisten Schreihälse würden dann noch „Leben um Auge, Kopf um Zahn“ schreien und den Rechtsstaat als schlapp bezeichnen. Da gäbe es Leute die das Unwort vom „Täterschutz“ erfunden hätten und dabei verkennen würden das Grundrechte, Glaubensgrundsätze und christliche Werte für alle Menschen, auch für Täter, gelte. Sagte nicht Jesus am Kreuz zu dem mitgekreuzigten Mörder und Terroristen: „Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ (Lukas 23, 42). Aber von den Betroffenen im Umfeld von Tätern und Opfern, spricht keiner. Die überlässt man ihrem Schicksal. Ganz im Gegenteil, auf die Leute, die zum Umfeld des Täters gehören aber selbst nichts getan haben, schmeißt man noch mit Dreck. Presse- und Medienschmierfinken dringen aus niedrigen Beweggründen – gelobt sei was reich macht – in das Privatleben unschuldiger Beteiligter ein und werfen deren Intimitäten heulenden Wölfen vor. Da gibt es Sensationssüchtige, die nach dem perversen US-Vorbild Straf- und interessante Familienprozesse im Fernsehen übertragen haben möchte, damit man in den Intimitäten und kleinen Geheimnissen nicht nur der Täter sondern insbesondere auch deren Angehörigen, Opfern und Zeugen suhlen kann. Ist doch klar, dass, wenn man einen Mörder nach seinem Ehe- und Familienleben befragt, automatisch das der unschuldigen Partner und deren Kindern mit preis gibt. Eleonore beklagte, wie viele Dinge, die eigentlich, wenn man von Friedhelm absähe, nur ihr oder Tanja was angingen, heute bei allen Leuten in der ganzen Region bekannt wären. Sie sagte: „Was meinst du wie erniedrigend das ist, wenn dir Kollegen erzählen können, was mal in deinem ehelichen Schlafzimmer passiert ist. Und meist kommt so etwas dann von lüsternen Idioten, die gerne hätten, dass ich denen das, was ich meinem Mann habe zuteil werden lassen, auch ihnen angedeihen ließe.“. Die Argumentation aus dem letzten Absatz hatte ich teilweise auch schon aus anderem Munde erfahren, und zwar aus dem des Pfarrer Kühns. Daher fragte ich Eleonore, ob sie mit ihm Kontakt habe. „Oh ja,“, antwortete sie, „sehr viel ... oft sogar jeden Tag. ... Übrigens, wo du das jetzt ansprichst, kann ich dir auch sagen, dass er sich um dich große Sorgen macht. Er meint du wärst aus verständlichen Gründen ziemlich unten am Boden. Das Vertrauen auf Gott könnte dir viel helfen. Aber du würdest im Moment Gott sehr trotzen und vorgeben du habest deinen Glauben verloren. Thomas ist aber davon überzeugt, dass der Herr dich nicht verlassen hat und dich nicht loslässt. Und er glaubt, seine Aufgabe sei es, dir dieses zu übermitteln, damit du von deinen Leiden befreit wirst.“. Hinsichtlich des Kontaktes Pfarrer zu Religionslehrerin machte ich mir an jenem Abend keine weiteren Gedanken, da ich das für berufsbedingt hielt. Dass dieses nichts mit ihrem Beruf zutun hatte sondern auf etwas anderes zurückzuführen war, erfuhr ich wesentlich später. Nur eines hatte ich im Verlauf dieses Gesprächteiles feststellen können: Eleonore hatte im Gegensatz zu mir ihren Glauben nicht verloren. So sah es zumindestens an jenem 26. August 1997 für mich aus. Dass auch ich in Wirklichkeit meinen Glauben nicht verloren hatte, konnte ich erst viel später feststellen. Aber das ist der Grund, dass ich heute, trotz einiger Widrigkeiten, die noch auf mich warteten, wieder mit beiden Beinen im Leben stehen kann. Das verdanke ich dem mir, von mir selbst unbemerkt, erhalten gebliebenem Glauben. An dem Abend hat sich Eleonore viel von dem was sie belastete von der Seele geredet. Später sagte sie mir, dass dieses der Abend gewesen sei, wo sie wieder frei geworden sei, danach wäre alles etwas leichter gewesen. Auch für mich hat er viel gebracht. Ich blickte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr so verbohrt nach Innen und war wieder offen geworden. Ab jenen Tag hatte ich auch wieder Augen für die Anderen, mit dem Ergebnis dass ich mich mehr um meine Kinder Sabrina und Oliver kümmern konnte und auch kümmerte. Wäre dass nur ein Wenig früher gewesen, hätte ich diese böse Sache „Vergewaltigung um Vergewaltigung“ mit Sicherheit schon im Vorfeld vereitelt. Meine Kinder hätten eine Stütze gehabt, an die sie sich hätten halten können. Auch mein Umgang mit Mietern und Handwerkern kam danach wieder ins richtige Lot. Allerdings habe ich in meiner „wilden Zeit“ soviel Misstrauen und Antipathie gesät, dass es doch noch eine lange Zeit dauerte, bis man wieder von der alten Harmonie sprechen konnte. Die Federn aus einem Daunenkissen lassen sich schnell im Wind verstreuen; sie wieder einzusammeln ist sehr, sehr schwer und gelingt nie vollständig. Auch bei Gesprächen mit Pfarrer Kühn war ich nach diesem Abend ein anderer Typ. Ich kehrte nicht mehr den verbohrten Antichristen heraus und konnte auch wieder besser zuhören.
Ich muss sagen, dieser Abend war sehr, sehr nützlich. Aber vielleicht ist es aufgefallen, dass wir auf den eigentlichen Anlass, also wie wir auf das Theater bei unseren Kindern reagieren sollen, wie wir unser Verhältnis zueinander regeln wollen und wie wir uns gegenseitig helfen wollen, bestenfalls am Rande zu sprechen gekommen sind. Das fiel uns in der letzten Viertelstunde unserer ersten Zusammenkunft auch auf. Das wir zu Fünft oder gar Sechst, also auch einschließlich Sascha Scheule, mal darüber unterhalten müssten war unsere übereinstimmende Meinung. Eleonore schlug vor: „Da sollten wir beide uns aber erst einmal drüber einig sein. Wir sollten erst mal ein Vieraugengespräch führen. Wie wäre es, hast du Freitagabend Zeit? Dann können wir uns hier gemütlich und ungestört zusammensetzen.“. Den Vorschlag nahm ich natürlich gerne an. Und nach einem Blick auf die Uhr rüstete ich zum Aufbruch. An der Haustür küsste ich Eleonore noch einmal innig, worauf sie mir lächelnd noch sagte: „Denk daran: Freundschaft und nicht mehr ist abgemacht.“. Worauf ich dann dieses, auch herzlich lächelnd noch einmal bestätigte, bevor ich mich in Richtung des eigenen Zuhauses, wo ich schon vermisst wurde, machte. Ich habe aber Sabrina und Oliver nicht verraten wo ich war sondern habe denen eine „Notlüge“, die ich mir während der Heimfahrt ausgedacht hatte, aufgetischt. Sie haben mir diese, an diesem Abend, dann sogar geglaubt. Zum Kapitel 9
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Ach so ist das Im Verlaufe der Restwoche bis zum Freitagabend kam ich mir irgendwie beflügelt vor. Ich stellte fest, dass es immer noch so etwas wie positive Denken gab. Bei einem Mieter in der Schluchtstraße sorgte ich, dank meiner momentanen Grundstimmung für eine Bombenüberraschung. Der Mieter, ein einfacher Mann, war arbeitslos geworden und hinsichtlich seiner anderen Schulden - Auto, Fernseher und internetter PC – ein Wenig mit seiner Mietzahlung ins Hintertreffen gekommen. Über meinen Anwalt hatte ich ihm zuvor bereits eine Kündigung angedroht. Solche Fälle gab es auch schon früher, als ich Astrid noch an meiner Seite hatte, mal bei unseren Mietern. Sie bewaffnete sich dann immer mit Wohngeldanträgen, die wir für den Bedarfsfall immer im Büro bereithielten, und suchte diese Leute auf. Bei dem Besuch riet sie den Leuten, die Sparkasse von wegen Umschuldungsanträge aufzusuchen und bot dazu eventuelle Hilfestellung, allerdings kein Geld, an. Je nachdem gewährte sie auch noch zwei oder drei Monatsmieten als Kredit an. Sie wurde dabei nie enttäuscht; unser Geld haben wir immer auf Heller und Pfennig, heute müsste man Euro und Cent sagen, wiedergekriegt. Mir gegenüber hatte sie es immer damit begründet, dass durch dauerndes Ein- und Ausziehen die Häuser und Wohnungen nicht besser werden und sich anständiger Umgang mit Menschen letztendlich auszahlt – man muss nur ein Gespür dafür haben, dass man nicht Leute, die sich auf so etwas legen und dieses dann ausnutzen, trifft. Na ja, jetzt besann ich mich wieder ihrer guten und tatsächlich auch erfolgreichen Geschäftsmethoden und folgte ihrem Beispiel. Ich setzte noch einen drauf und nahm noch zwei Flaschen Bier, die ich mit dem Mieter trinken wollte, mit zur Visite. Der wäre vor Überraschung bald umgefallen. Seitdem ist nun einige Zeit vergangen und ich kann sagen, dass ich mich nicht getäuscht hatte, denn ich bekam alles was er mir schuldet ohne großes Aufsehen zurück. Heute ist er bei uns als hauseigener Außenanlagengärtner angestellt und es sieht bei allen unseren Häusern topp aus. Die Kosten konnten gegenüber deutlich gesengt werden und wir brauchten uns praktisch um nichts zu kümmern. Auge um Auge mal im umgekehrten positiven Sinne. Diese positive Stimmung verdankte ich einer Vorfreude. Ich freute mich wirklich riesig darauf wieder mit Eleonore Rebmann, die mich eigentlich schon zu Lebzeiten meiner Frau, begeistert hatte, zusammenkommen zu können. Ich glaube, dass ich zu dem Zeitpunkt ihr gegenüber schon mehr als „nur“ Freundschaft empfunden habe. Bei uns im EDEKA-Laden kaufte ich eine schöne Flasche Wein. Da wir ja auch schon früher miteinander verkehrt hatten, wusste ich, dass sie liebliche Weine bevorzugte. Am Freitagnachmittag stattete ich auch noch der Gärtnerei Fischer hier in Salein einen Besuch. Ich ließ mir einen großen und gar nicht billigen attraktiven Blumenstrauß zusammenstellen. Gleich anschließend bestellte ich mir schon einmal für 19:15 Uhr ein Taxi und bat dabei um absolute Pünktlichkeit. Der Grund für das Taxi war nicht der Wein sondern ich wollte mit dem Standort meines Wagens kein Aufsehen erregen. Letztendlich stand ich dann überpünktlich, kurz vor halb Acht, mit Blumen und Wein bewaffnet, bei Eleonore vor der Tür. Ehrlich gesagt, ich hatte ein Gefühl, wie ich es letztmalig in meiner Jugendzeit empfunden hatte. Mein Herz pochte wie das eines Schuljungens vor dem ersten Rendezvous. Auch an diesem Abend machte sie mir persönlich die Tür auf, diesmal jedoch schon bevor ich geklingelt hatte. Sie hatte ganz offensichtlich hinter einem Fenster gestanden und auf mich gewartet. Noch etwas war ganz anders: Statt eines ängstlichen bleichen Gesichtes bekam ich ein, sogar irgendwo glücklich strahlendes Gesicht, zu sehen. Sie bat mich auch diesmal wieder ins Wohnzimmer und bot mir einen Platz auf der Couch, direkt neben dem ihrigen, an. Auf dem Tisch stand schon eine Flasche Wein; ein herb trockener, so wie ich ihn gern mochte. Während sie die Blumen entpackte und in eine Vase stellte kommentierte sie: „Dann hat ja jeder von uns seinen Wein. Es ist ja gut, dass du mit dem Taxi gekommen bist, dann kann sich ja jeder seiner Geschmacksrichtung widmen und eine ganze Flasche leeren.“. Als die Blumen ihren Standort gefunden hatten kam sie zu mir und setzte sich dicht neben mir, was an markanter Stelle bei mir für Bewegung sorgte; wovon ich mir jedoch nichts anmerken ließ. Wir stießen erst einmal an und dann kam das, was unter anderem auch meine Vorfreude maßgeblich beflügelt hatte: Wir küssten uns. Ich glaube sogar etwas länger und inniger wie am Dienstag. Offensichtlich war dabei die Welt um uns etwas versunken, denn wir erschraken richtig, als plötzlich eine weibliche Stimme im Raum „Ach so ist das“ schrie. Tanja hatte offensichtlich, bevor sie zu ihrem Freund ging, etwas vergessen und war deshalb zurückgekommen. Jetzt wollte sie ihrer Mutter noch etwas sagen und erwischte uns in Flagranti. Sie stellte sich einen kurzen Augenblick in Pose bevor sie sich umdrehte und beim Hinausgehen die Tür kräftig zuknallte. „Keine Sorge,“, sagte Eleonore mit sanfter Stimme „das war nur eine knallharte Überraschung für sie. Bei solchen Angelegenheiten reagiert sie schon mal so. Die kommt Morgen vorbei und wird mir bestimmt sagen, dass es sie freut, dass sich scheinbar bei uns etwas zum Besten wendet.“. „Na, da bin ich ein Wenig skeptisch,“, gab ich meine Meinung kund. Du hast mir doch berichtet, dass sie sehr an ihrem Vater hängt.“. Darauf erfuhr ich: „Hing nicht hängt. Sie hat mir in letzter Zeit schon öfters gesagt, ich solle mir mal eine Scheidung überlegen, denn ich wäre ja noch jung und hätte es nicht nötig jahrelang auf einen Mörder, der seine Tat nicht einsehen wolle, zu warten. Also Vaterliebe hin oder her, sie sähe es offensichtlich doch ganz gerne wenn ich mich nach einem Anderen umsehen würde ... und daher gehe ich davon aus, dass es jetzt nur die Überraschung war. So reagiert sie, wie schon gesagt, bei solchen Gelegenheit fast immer. Glaube mir, Mütter kennen ihre Kinder.“. Jetzt lenkte ich in diesem Zusammenhang auf etwas, was zu dem gehörte, was wir uns ja zu besprechen vorgenommen hatten: „Ja, wenn ich deine Tochter so sehe, kann ich unseren Oliver verstehen, dass er bis zum Stehkragen in sie verknallt ist.“. „Was?“, sprudelte es jetzt sehr überrascht aus Eleonore heraus, „Und dann quält und vergewaltigt er sie?
Das passt doch gar nicht.“. Ich erzählte ihr nun die Geschichte, wie sie mir Oliver erzählt hatte. Worauf Eleonore dann sagte: „Mann Dieter, jetzt wird mir einiges klar. Der Junge hat nicht gelogen sondern Tanja hat mir das so erzählt, dass er es ihr schöner gemacht habe wie Sascha bisher. Er hat sie überall zärtlich gestreichelt und geküsst. Er wäre gar nicht grob gewesen. Tanja meinte, dass sie, wenn sie keine so große Angst gehabt hätte, Spaß daran gefunden hätte. Sie ist der Meinung er sei ein sonderbarer Sadist und habe sie damit nur quälen wollen. ... Jetzt ist mir allerdings klar, dass sich die Beiden gründlich missverstanden haben. Übrigens, Tanja war früher auch hinter Oliver her und ... das ist jetzt ein Bisschen heikel. Ich glaube es war am Tage vor der Vergewaltigungsgeschichte, da sagte sie mir noch, sie könne sich vorstellen, dass sie Sascha verlassen würde, wenn sie Oliver kriegen könnte.“. Jetzt wollte ich doch noch eins wissen: „Wie war das denn als du ihn erwischt hast und warum hast du ihn, nach dem er panikartig floh, nicht angezeigt. „Wie hat er dir erzählt er wäre panikartig geflohen?“, fuhr jetzt Eleonore fort, „so war es aber nicht. Ich kam rein und er war gerade mit dem Ausziehen fertig. Er war also splitterfaser nackt. .... zwischendurch mal eine Bemerkung unter Leuten, die auch keine Kinder von Traurigkeit sind: Der hat ja ein prächtiges Dingen. Also ich habe schon richtig hingeschaut. Er stand da wie angewurzelt und vor Schreck wurde das Dingen eher größer als kleiner. Und dann begann er plötzlich zu heulen wie ein kleines Kind und Tanja lachte ihn hysterisch aus. Ich wusste ja nicht was los war, es hätte ja auch so sein können, wie es aussah. Da habe ich Tanja am Arm gefasst und barsch aufgefordert mit mir in die Küche zukommen. Dort erfuhr ich dann ihre Version, worauf ich prompt ins Wohnzimmer zurückging. Aber dein Sohn hatte inzwischen das Weite gesucht. Anschließend habe ich dann bei Tanja um Verständnis für Oliver geworben, denn der arme Junge dürfte ja fürchterlich unter dem so dramatischen wie tragischen Verlust seiner Mutter gelitten haben. Ich habe sie dann gebeten mit mir ein Vater unser zu beten, wobei ich die Zeile ‚und vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern’ besonders betont habe.“. Eleonore stieß erst noch mit mir an und kam auf den nächsten aktuellen Punkt: „Aber nach meinem Eindruck kann noch einiges auf uns zukommen. Da hat mir Tanja doch gestern Abend erzählt, dass es bei Sascha und Sabrina ähnlich wie bei ihr gelaufen ist. Stopp, dass sage ich jetzt, wo ich die ganze Geschichte kenne. Tanja sagte, dass wäre keine Vergewaltigung gewesen sondern die beiden hätten es nur richtig normal miteinander getrieben. Das Einzigste was da nicht korrekt gewesen wäre, sei dass Sabrina nicht freiwillig in Sascha Wagen gestiegen sei. Tanja glaubt sogar, dass es Sabrina gar nicht so sehr missfallen habe.“. „Da kann ich euch beruhigen,“, sagte ich jetzt dazwischen, „Sabrina war erst vollkommen fertig. Ich hatte schon Angst, dass sie einen Knacks abbekommen hat.“. „Oh Gott,“, erschrak sich Eleonore, „da hat sie es möglicher Weise schlimmer wie Tanja aufgefasst. Wenn mir mein Fräulein Tochter schildert was passiert ist ... was sie auffälliger Weise mehrfach detailliert gemacht hat, habe ich immer den Eindruck, dass sie es doch irgendwo noch angenehm empfunden hat. Wie gesagt, bei unseren Kindern kann noch einiges auf uns zukommen. Deshalb ist es jetzt höchste Zeit, dass wir uns auf eine Linie verständigen“. Nachdem sie dieses gesagt hatte, musste ich mich erst mal zur Toilette entschuldigen. Als ich wieder da war sagte sie erstaunlich offen aber in keiner Weise komprimentierend, dass sie gemerkt hatte, dass weder ein großes noch ein kleines Geschäft der Grund für mein Toilettenbesuch war. Sie fuhr dann fort: „Dabei kann ich dir leider nicht helfen; genauso wenig wie du mir ... Zu deinem Trost, ich habe ähnliche Probleme. Aber ich weiß 100%-ig, dass ich, wenn ich einmal mit dir geschlafen habe, nicht mehr von dir loskomme. Dann werden auch andere merken was los ist. Wir leben hier nur mal in einem etwas größeren Dorf. Kannst du dir vorstellen, was los ist, wenn hier bekannt wird, dass du dir im Zuge des Täter-Opfer-Ausgleiches die Frau des Mörders als ‚Schadensersatz’ nimmst. Was meinst du wo meine Glaubwürdigkeit als Religionslehrerin, was mir sehr, sehr, sehr viel bedeutet, bleibt, wenn da ... Okay, du weist jetzt warum und dass es nichts mit deiner Person zutun hat. Wenn ich könnte wie wollte lägen wir jetzt im Bett. ... Wer weiß, wenn sich unsere Freundschaft soweit gefestigt hat, dass wir es, ohne dass wir dann unbedingt gleich in eine feste Partnerschaft wollen, werden wir es sicher auch öfters mal miteinander haben. ... Im Moment geht es aber nicht, ich würde mich an dich festbeißen. ... Übrigens sage mir bitte, wenn ich dich zu sehr reize. Ich zeige ganz gerne was ich habe und möchte dich nicht quälen.“. Ich sagte ihr ganz ehrlich, dass ich ihre Argumente für gut und richtig halte. Hinsichtlich des Reizens brauche sie sich keine Gedanken zu machen, denn ich würde sehr auf Sinnlichkeit und ästhetische Erotik stehen, ohne dass ich gleich zur Sache will. Sie atmete schwer und fragte dann: Soll ich mich mal umziehen, so wie es Fried .... äh, Entschuldigung.“ Ich wusste schon was sie sagen wollte und gab ihr grünes Licht für ihre Aktion. Sie verschwand und kam in einen kurzen, etwas durchsichtigem schwarzen Kleid unter dem sie nur einen knappen Slipper trug wieder. Das Kleid war spitz, bis zum Bauchnabel dekoltiert. „Fass aber bitte nichts an.“, war ihr Hinweis während sie sich wieder hinsetzte. Dem Wunsch habe ich auch entsprochen aber zu dem Gespräch, was wir eigentlich führen wollten, kamen wir dann auch an diesem Abend nicht. Stattdessen unterhielten wir uns, teilweise auch mit einem kleinen erotischen Touch. Das Einzigste, was für uns bombenfest stand, war, dass wir beste Freunde, die sich gegenseitig beistehen wollen, werden wollten und uns für spätere Zeiten die Option auf „mehr“ vorbehalten wollten. Unsere Kinder wollten wir in diesem Bund der Freunde mit einschließen. Wir überlegten, wie wir unter welchem Vorwand ein Zusammentreffen arrangieren konnten. Wenn wir gewusst hätten, was sich inzwischen in einem Pub in Waldstadt abspielte, hätten wir uns Letzteres sparen können. Auch Tanja, Sabrina, Sascha und Oliver hatten eine Aussprache vereinbart. Die erste halbe Stunde soll es sehr
reserviert zugegangen sein, aber dann hatten sich beide Mädchen auf dem Weg zur Toilette begleitet. Da hat Sabrina dann Tanja gesteckt, was wirklich in Oliver bei der „Schmusevergewaltigung“ vorgegangen war und Tanja hatte Sabrina im Gegenzug eine „Superüberraschung“ versprochen, wenn sie zusammen mit ihr etwas später nach Hause gehen würde. Nach der Rückkehr an den Tisch hat Tanja, wie mir später Sabrina mal erzählte, gegenüber Oliver ein ähnliches Verhalten gezeigt, wie ihre Mutter zur gleichen Zeit mir gegenüber. Sabrina sagte wörtlich: „Es sah so aus, als wolle Tanja unseren Oliver verführen und der ist da ganz drauf abgeflogen. Das haben Sascha und ich natürlich gemerkt. Aber Sascha hat das offensichtlich nichts ausgemacht sondern der steuerte auf mich los. Aber im Gegensatz zu Tanja habe ich wohl doch noch die Umstände der ‚Vergewaltigung’ im Hinterkopf gehabt ... ansonsten ist Sascha ja kein übler Kerl.“. Was an diesem Abend niemand wusste war, dass eine Zeitbombe zum Ticken gebracht worden war. Auf jeden Fall brachen die vier zur „Superüberraschung“ so auf, dass sie ein paar Minuten nach Zehn bei uns im Wohnzimmer aufkreuzten. Da saß nun Tanjas Mutter im fast durchsichtigen Kleid mit nur einen Tanga darunter mit mir auf der Couch und musste aus Tanjas Mund hören: „Ach, entschuldigt, dass wir hier so reinplatzen. Ich dachte, ihr wäret schon im Bett.“. In diesem Moment wurden allerlei Reaktionen ausgelöst. Eleonore lief rot an und nahm ihre Hände auf ihre Brüste. Ich nahm mit einem Ruck Abstand von meiner, eigentlich doch angebeten Freundin. Den Jungens war es peinlich und sie drehten sich mit dem Wort „Entschuldigung“ um und rempelten sich zwischen den Türpfosten beim Hinausstreben an. Jetzt kam auch von Sabrina der Spruch „Ach so ist das“ und wurde bei ihr durch „das sind also deine Abende außer Haus. Hast uns ja immer einen schönen Bären aufgebunden“ ergänzt. Auch Tanja meldet sich noch mal zur Wort, und zwar mit der Frage: „Soll ich dir deine Stola holen“, worauf Eleonore „Bring mir lieber meine lange Jacke“ erwiderte. Der Grund war klar, denn die Stola hätte ja für den Busen gereicht aber beim besten Willen nicht zum Abdecken des Bereiches, der jetzt nur durch den Slipper im Tangaschnitt „geschützt“ war. Nachdem Tanja den Wunsch ihrer Mutter erfüllt hatte, die Jungens wieder hereingebeten worden war und alle Platz genommen hatten, unterbreitet die „Frau des Hauses“ dem jungen Quartett unsere Vorstellungen und Vorsätze hinsichtlich der sehr guten Freundschaft. Darauf setzte Tanja dann aus ein objektiven und so wie ich es heute sehe richtigen Blickwinkel an: „Mutti, entweder willst du uns jetzt was vormachen oder du machst dir selbst was vor. Du trittst ... und das haben wir hier eben alle gesehen, als Verführerin auf und willst uns erzählen, dass du mit dem ‚Verführten’ nur eine ‚neutrale’ gute Freundschaft von Mensch zu Mensch willst. Wer nicht blind ist, sieht dass du in Herrn Rossbach verliebt bist und er sieht nicht so aus, als wenn er das nicht wollte. Weißt du, wofür ich euch halte: Für ein Paar, dass nur noch nicht miteinander geschlafen hat. Und wenn du mich fragst, freue ich mich sogar darüber, weil ...“. Jetzt unterbrach Eleonore erst einmal ihre Tochter: „Und warum dann dein Entsetzen als du uns heute Abend erwischtes?“. „Das erzähle ich dir lieber wenn wir unter uns sind“, antwortete Tanja kurz bevor sie weiterfuhr. Ich sollte an dieser Stelle jedoch berichten, was mir Eleonore später mal zu dieser Sache erzählte. Zu diesem Zeitpunkt kannte sie ja den Vorfall mit Oliver nur aus ihrer subjektiven Sichtweise, also einer vorsätzlichen sexuellen Nötigung und Quälerei. Was in meinem Jungen dabei vorgegangen war konnte sie nicht wissen. Als ihre Mutter Oliver erwischte, hat sie ihm erst die Chance zur Flucht eingeräumt und anschließend mit dem Vater unser für die Sündenvergebung plädiert. Als Tanja uns dann, in einer, aus ihrer Sicht, eindeutigen Situation erwischte, war ihr erster Gedanke, dass Eleonore am „Tage der Vergewaltigung“ nicht ehrlich und aus Überzeugung sondern aus einem heimlichen stiefmütterlichen Komplex und damit gegen sie, ihre eigene Tochter, gehandelt habe. Daher hat sie im Waldstädter Pub auch erst, zu dem Zeitpunkt wo es noch reservierter unter den Vieren zuging, erst mal vorgecheckt, was meine Beiden von unserem Verhältnis wussten. Zum Glück nichts, denn dann hätte sie Oliver noch ein Stück tiefer angesehen, denn dann wäre sie davon ausgegangen, dass er das Wissen von der Partnerschaft seines Vaters zu ihrer Mutter in schäbiger Weise gegen sie ausgenutzt habe. Ich muss sagen, Tanja ist zwar erst 18 aber sie hat was Menschenkenntnis und Menscheneinschätzung anbelangt mehr drauf wie die meisten 50-jährigen. Dieses merkte man auch bei der Fortführung ihrer zuvor unterbrochenen Ausführungen: „Aber weiter mit dem, was ich sagen wollte. Mutti, was in dir vorgeht weiß ich seit wir hier mal des Sonntagsnachmittags mit Onkel Thomas und Tante Waltraud zusammen gesessen haben. Da hast du gesagt, dass du dich fürchterlich elend fühltest, weil du dich so alleingelassen empfändest. Du brauchtest jemand mit dem du deine Freuden und Sorgen teilen könntest. Du brauchtest jemand der dir raten und helfen könnte. Und umgekehrt wolltest du jemand den du mit Rat und Tat zur Seite stehen könntest. Du wolltest dein Leben mit jemand teilen. Zu Tante Waltraud hast du dann noch gesagt, du wärst ja noch jung und noch nicht vom Weltlichen ab, du hättest auch noch das Bedürfnis nach körperlicher Wärme und Liebe. Du hast ...“. Jetzt unterbrach die, immer verlegener gewordene, Eleonore ihre Tochter: „Ich finde das jetzt gar nicht gut, dass du mich hier vor den Anderen so bloß stellst.“. „Lass mich ruhig zu Ende sprechen.“, setzte Tanja unbeirrt fort, „Was ich noch sagen wollte ehrt dich sogar. Du hast nämlich Onkel Thomas gefragt, ob das sechste Gebot auch noch in eurem Fall gilt und dann habt ihr lange über die Jesus Worte ‚Was denn Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden’ (Markus 10, 9) und ‚so sich eine Frau scheidet von ihrem Mann und freit einen anderen, die begeht Ehebruch (Markus 10,12) diskutiert. Und da ist dein Problem, du willst nicht ehebrechen. Aber hat das nicht Vati getan? Bist du nicht vor Gott und den Menschen frei? Und was ist, wenn es Gottes Wille ist, dass du mit Herrn Rossbach zusammengefügt wirst.“. Mich imponierte, wie fromm
doch Mutter und Tochter nach all dem was passiert ist, immer noch sind. Aber ich glaubte mich jetzt aus einem anderen Grunde einmischen zu müssen: „Ach Entschuldigung, wenn ich jetzt mal dazwischen gehe, aber Herr Rossbach hört sich so komisch an, ich bin der Dieter.“. „Und ich die Eleonore“, schloss sie sich in Blickrichtung auf Sabrina und Oliver an. Jetzt übernahm Eleonore erst mal das Wort und versuchte den Kindern zu übermitteln, auf welche Sicht der Dinge wir uns geeinigt hatten. Sie verwies auch denen gegenüber darauf, dass wir hier in Olvermühle nun mal in einem etwas größeren Dorf leben.. Auch Eleonore bat auch sie, dass sie sich vorstellen, was los ist, wenn hier bekannt würde, dass sie, die Frau des Mörders, im Zuge des Täter-Opfer-Ausgleiches als ‚Schadensersatz’ auf mich überginge. Auch die Kinder wurden gebeten, darüber nachzudenken, wo ihre Glaubwürdigkeit als Religionslehrerin, was ihr sehr viel bedeute, bliebe. Und dann offenbarte sie, obwohl es ihr doch gegenüber den Kindern höchst peinlich war, dass es in ihrem Gefühlsleben nur ein Ganz oder gar nicht gäbe. Wenn sie mit mir einen Schritt weiterginge, dann wäre es für sie 100%-ig, dann wäre sie meine Frau. Dafür sei aber bei ihr die Zeit noch nicht reif. Sie habe wirklich noch Probleme mit ihren christlichen Vorstellungen und Werten und glaubte nicht schon soweit zu sein, dass sie den Anderen diesbezüglich widerstehen könne. Ihr Vorsatz wäre eindeutig eine sehr gute, vielleicht sogar etwas weitergehende Freundschaft mit mir, wobei es nach ihrer Ansicht nicht nur eine Option sondern eine Zielvorstellung sei, mit mir später eine „richtige“ Partnerschaft zu begründen. Sie erklärte, dass sie sich eigentlich sicher sei mich zu lieben, aber gegen dieses Gefühl müsse sie jetzt noch angehen. „Mutti, ich meine es jetzt nicht böse,“, hakte Tanja jetzt ein, „aber es sieht so aus als ob du spinnen würdest. Du bastelst dir da eine irrationale nicht nachvollziehbare Konstruktion zusammen. Ganz eindeutig hast du eben gesagt, dass du Dieter liebst und du ihn mit Haut und Haaren haben willst. Und ich kenne dich und weis dass das stimmt. Dieses sieht auch ein Blinder mit dem Krückstock. Jetzt baust du den Buhmann mit den Anderen und deinem Beruf auf, weil du damit dein eigentliches Problem, was du mit Onkel Thomas diskutiert hast, übertünchen und/oder verdrängen willst. Du fühlst dich, und das finde ich eigentlich auch ganz lieb von dir, dich an dein Eheversprechen gebunden. Du willst Vati treu sein, bis dass der Tod euch scheidet. Gleichgültig was er getan hat. Hat er aber nicht die Ehe gebrochen als er Frau Rossbach vergewaltigt hat? Hat er nicht eueren Bund vor Gott gebrochen wo er einen anderen Menschen das Leben nahm? Hat Gott nicht dadurch, in dem er euch beide zusammenführt oder bereits führte, sich für euch entschieden? Sperrst du dich jetzt gegen Gottes Wille? Dieter siehe das ist deine Frau, Eleonore siehe das ist dein Mann. Ich würde sagen, dass du da am Sonntag mit Onkel Thomas drüber sprechen solltest und dann das Richtige tun solltest. Und die Anderen brauchst du nicht zu fürchten. Wir beide haben denen doch bis jetzt ganz gut getrotzt und jetzt haben wir zusätzlich noch Familie Rossbach im Boot – da kommen wir doch mit Leichtigkeit durch.“. Eleonore bestätigte erst kleinlaut, dass ihre Tochter ja recht habe und fiel mir dann um den Hals und küsste mich vor den Augen der Kinder so heiß wie noch nie zuvor. Für mich war Eleonores Reaktion ein Ausdruck der in ihr herrschenden Gefühlsrevolution, von der ich mich zu diesem Zeitpunkt auch nicht freisprechen konnte und für die Kinder sah es nach einen Durchbruch aus. Tanja erhob sich, setzte sich auf den Schoss von Oliver um ihn zu umarmen. „Na Stiefbrüderchen, jetzt machst du deiner kleinen Stiefschwester aber keine Angst mehr“, tönte sie und Sabrina wollte nicht nachstehen und machte das Gleiche bei Sascha; nur ihre Worte waren anders: „Ich glaube, dass das mein Schwagerherz bei mir auch nicht mehr macht.“. Damit war für die jungen Leute die Eine-Familie-Feier, die Eleonore und ich allerdings noch nicht so sahen, eröffnet. Die Tochter das Hauses sorgte mit Unterstützung ihres Saschas für die weitere Füllung des Tisches mit Cola, Gummibärchen, Salzstangen, Chips und anderem Knabberzeug. So wurde die Begründung der Täter-Opfer-Familie Rossbach-Rebmann schon gefeiert, obwohl sich die beiden, ohne die es in diesem Fall gar nicht dazu kommt, darüber einig waren. Wir saßen nur rat- und sprachlos dabei, was aber der Sache keinen Abbruch tat. Eleonore rückte nur im Laufe des Abends näher an mich heran und kuschelte sich an, was dann prompt von den Feiernden als weiterer Indiz für den berechtigten Grund ihres Festes gewertet wurde. Die Geschichte dauerte noch bis Kurz nach Zwei. Ein Taxi brauchte ich für den Heimweg nicht, den Sascha brachte uns anschließend in die heimische Peter-Salein-Straße zurück . Zum Kapitel 10
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Familienehre – Gibt es die? Typisch für das Gefühlsleben pubertierender Jugendliche ist der, oft sogar übergangslose, Wechsel von „himmelhoch jauchzend“ zu „zum Tode betrübt“ und umgekehrt. Hiefür gibt es biologische Gründe, die uns Wissenschaftler vom Arzt über Humanbiologe bis Psychologe aus dem Stehgreif erläutert werden können. Wenn aber Leute, die weit über das Jugendalter hinaus sind, unter solchen Symptomen leiden ist das entweder eine Folge einer psychischen Krankheit oder ein Anzeichen für miteinander konkurrierende gegensätzlicher äußerer Einflüsse auf das Seelenleben des Betreffenden. Letzteres war es mit Sicherheit bei mir, als ich in den Tagen um die Vollendung meines 51. Lebensjahr wie ein absolut-spät-pubertierender Mensch erschien. Dieser Gefühlsmix wurde bei mir von zwei Frauen ausgelöst. Da war einmal Eleonore Rebmann, die 44-jährige gutgebaute, attraktive Frau, die über Intelligenz und Charme, die sie wertebewusst einsetzt, verfügt. Ich habe jetzt Eleonore als Traumfrau dargestellt aber, das ist sie, auch aus meiner heutigen Sichtweise noch, für mich auch. Irgendwie war ich mir Anfang September 1997 sicher, dass sie mich liebe und sie mittelfristig, wenn sie ihr Innenleben wieder geordnet und im Griff hat, an meiner Seite zu finden sei. Machen wir es kurz: Ich war bis über beide Ohren verliebt und das steuerte meinen Gefühlspegel in den Himmel. Die Frau, die diesen Pegel in die umgekehrte Richtung fallen ließ, lebte nicht mehr. Es war Astrid, meine ermordete Frau. Ihr Einfluss auf mein Gefühlsleben war kalenderbedingt. Am 11. September dieses Jahres würde sich zum ersten Mal der Tag jähren, wo sie mir nur kurz sagte, sie wolle nur schnell die Kinder nach Hause bringen und ich sie danach nie mehr, weder lebend noch tot, wiedersah. Diese Frau hatte ich über alles geliebt. Sie war die Mutter meiner Kinder und der Mensch, der mir mehr bedeutet hat als jeder andere. Auch sie war schön, intelligent und warmherzig; sie war mein Leben. Bedingt durch die Kalenderdaten musste ich immer wieder an sie denken und dann empfand ich in meinem Herzen einen tiefen Schmerz, der mir auch immer wieder die Tränen in die Augen trieb. Nachträglich habe ich mir eine Erklärung für mein damaliges Stimmungsbarometer zusammen philosophiert. Dadurch, dass die Funken zwischen Eleonore und mir übergesprungen war, hatte ich plötzlich wieder eine Perspektive und damit die Kraft und den Willen aufzustehen. Während des Aufstehens habe ich vergessen über Gerechtigkeit und Vergeltung nachzudenken und dabei die verzehrenden und vernichtenden Hass- und Rachegefühle verloren. Im wahrsten Sinne des Wortes hatte Liebe das Böse überwunden. Jetzt war in meiner Seele auch platz für Trauer, aufrichtige und innere Trauer. Mir ist jetzt bewusst, dass ich in meiner Hass- und Rachephase kein einziges Mal richtig um meine Frau, um ein wesentliches Stück von mir, richtig getrauert hatte, so wie es gewesen wäre, wenn sie eines natürlichen Todes gestorben wäre. Aber erst durch die Trauer fand sie den Platz in meinem Herzen, der ihr gebührte. Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich statt „hängt ihn“ zu schreien lieber Astrid die Ehre hätte angedeihen lassen, die sie verdiente. Nach Außen, insbesondere im Wohnungsgeschäft, vermittelte ich jetzt einen seltsamen Eindruck. Es war ja erst eigentlich nur ein paar Tage her als man mich nur als starrköpfigen Brasselkopf antraf. Jetzt erweckte ich doch eher den Eindruck eines Nachahmers der Königin von Salein, der dazu noch hin und wieder mit traurigen feuchten Augen angetroffen wurde. Ein Handwerker, mit dem wir viel zusammenarbeiten, sagte mir später mal, dass man in Olvermühle darüber spekulierte ob ich an Schizophrenie erkrankt sei. Woher sollten die Leute denn wissen, dass ich erst nach Ablauf von fast einem Jahr zur tatsächlichen Trauer um meine Frau gefunden hatte und das der Zeitpunkt mit einem neuen aufkeimenden Glück zusammenfiel. Was heißt zusammenfiel: Zweiteres hat Ersteres überhaupt erst möglich gemacht. Bedingt dadurch lief praktisch alles wie früher, nur das Misstrauen, dass ich aufgebaut hatte, und die Kränkungen, die ich den Menschen zugefügt hatte, konnten natürlich so schnell nicht ausgeräumt werden. Die damalige Atmosphäre, die von mir beeinflusst wurde beziehungsweise ausging, möchte ich mal als kühl aber sachlich freundlich bezeichnen. Bis zum 11. September, der 1997 auf einen Donnerstag fiel, hatte ich keinen persönlichen Kontakt mit Eleonore. Allerdings telefonierten wir recht häufig, oft sogar nur aufgrund eines Vorwandes, miteinander. Unsere Telefonate hatten wohl einen Hintergrund, den man von junger Liebe kennt: Man wollte sich des Anderen vergewissern. Zum 11. September hatte sich Eleonore aus zwei Gründen förmlich selbst eingeladen – unser Treffen fand also erstmalig bei mir statt. Der erste Grund war, dass sie der Meinung war, dass mir dieser Jahrestag, wenn ich ihn allein verbringen würde, nicht gut bekommen würde. Sie schloss das aber auch nicht für sich selbst aus, da dieses ja auch der Tag war, wo ihr früheres, doch glückliches Leben in Scherben fiel. Sie war der Meinung, dass uns die Gemeinsamkeit ein Wenig über diese dunklen Stunden hinweg helfen würde. Dieser Meinung konnte ich mich uneingeschränkt anschließen. Ihr zweiter Grund war, dass sie das Bedürfnis verspürte mir etwas zu erzählen; allerdings nichts Positives aber auch nicht Tragisches. Also sie musste, wie es sich bei der Terminvereinbarung anhörte, etwas los werden. Wir hatten vereinbart, dass sie eine Schnittchenplatte, die sie Zuhause zubereiten wollte, mitbringen würde und ich sollte für mich ein paar Flaschen Bier kalt und für sie Traubensaft sowie eine Flasche Cola bereitstellen. Diese „Vereinbarung“ basierte auf unserer Vorstellung, dass wir uns wohl in gemütlicher Runde zusammensetzen wollten aber dabei jede Assoziation zu einer Geburtstagsfeier, die unserem Gemüt wohl nicht gut getan hätte, vermeiden wollten. Gesagt und getan, Punkt halb Acht stand sie vor meiner Tür. Ihren Wagen hatte sie direkt vor dem Eingangstörchen am Straßenrand geparkt. Darüber stutze ich, als ich ihr persönlich öffnete, ein Wenig und bekam unbekümmert zur Antwort: „Lass mal, unsere Kinder haben ohnehin schon für die Verbreitung der Kunde gesorgt. Und
dass wir nur schön sittsam beisammen sitzen, glauben uns die Klatschmäuler ohnehin nicht. Hat ein Vorteil: Wir brauchen uns nicht verstecken.“. Im Wohnzimmer angekommen, stellte sie die, noch mit Alupapier abgedeckte Platte erst mal auf den Tisch und stand jetzt erst für einen Kussaustausch bereit. Sie verriet mir, dass sie sich an diesem Tage sogar bei offenstehender Haustür mit mir geküsst hätte, wenn nicht die Platte im Wege gewesen wäre. Nach dem sie abgelegt hatte, bemerkte ich darunter ihre sexy Bekleidung: Ein hautenger Pulli und ein kurzer, ebenfalls enger Rock, der von einem breiten Gürtel um ihre schlanke Taille gehalten wurde, verrieten die Idealproportionen dieser Frau. Na ja, da kam, als wir auf der Couch saßen, der Mann in mir durch. Ich legte meinen linken Arm um ihre Schultern und mit meiner rechten Hand berührte ich ihren linken Busen. Sie fasste mich ans rechte Handgelenk und führte meinen Arm langsam in meine Richtung zurück. Süß lächelnd sagte sie mir dazu „Noch nicht“. Aber den anderen Arm durfte ich auf ihren Schultern lassen. Da gab es keine Einwände; im Gegenteil sie kuschelte sich richtig an mich heran, womit ich schon wieder mal einen Schritt weiter war. Ich brauche ja wohl nicht zu sagen, dass ich diesen glücklichen Moment zunächst erst mal richtig genoss und dass sich dabei bei mir was rührte. So war es dann, als wir uns nach etwa fünf Minuten etwas von einander lösten um uns unser erstes Schnittchen zu nehmen, für mich ein Wenig erlösend. Was sie mir erzählen wollte lag ihr offensichtlich so auf der Zunge und dem Herzen, dass sie unmittelbar nach dem Verzehr ihres ersten Schnittchen loslegte. Sie hatte aus der Justizvollzugsanstalt einen Brief, den ich nie im Original zusehen bekam und über dessen vollständigen Inhalt ich auch erst seit Kurzem richtig Bescheid weiß. Da hat Eleonore wirklich mit Bedacht gehandelt, denn das hätte bestimmt wieder etwas ausgelöst, was ich gerade loszuwerden im Begriffe war. Friedhelm Rebmann brachte in diesem Brief noch einmal seine erschreckende Version des Tatherganges, so wie er sie gegenüber seiner Frau immer vertreten hatte, zum Ausdruck. Danach ist er von Astrid verführt und heiß gemacht worden. Als es dann soweit gewesen sei habe sie sich plötzlich nicht mehr gewollt und als er dann in seiner, von ihr auf die Spitze getriebenen, Geilheit nachhelfen wollte habe „die dumme Kuh so hysterisch geblökt“, dass er in ein Blackout geraten wäre. Eleonore hat ihrem Mann diese Version nie abgekauft, schon aus dem Grunde nicht weil sie Astrid kannte und sie eigentlich wesensverwandt mir ihr sei. Nicht genug damit, Eleonore hielt sich selbst auf diesem Gebiet für schlitzohriger wie meine Frau, der sie so etwas nie zugetraut hätte. Auch seine Tochter kaufte ihm diese Version nicht ab. Bei Tanja bewirkte sie sogar, dass ursprüngliche innige Vaterliebe in grimmigen Hass umschlug. Mit diesem Hass im Hintergrund, hatte Tanja ihren Vater Anfang September im Gefängnis besucht. Finnig hatte sie ihm gesagt, dass sie nachvollziehen könne wie er seine Rechtfertigungsstory erfunden habe aber glauben würde die ihm kein Mensch. Sie sei froh, dass auch ihre Mutti inzwischen von diesem naiven Glauben ab sei und jetzt auch wieder offen für andere nette Männer sei. Rebmann fragte seine Tochter ob Eleonore denn schon jemand „in Aussicht“ habe. Keck erklärte die 18-Jährige ihm dann, sie lebe bereits mit mir in einer Partnerschaft und darüber sei sie sehr glücklich. Auf die Frage ob sich die Mutti dann scheiden lassen wollte hat sie nur ganz frech „Muss man immer gleich heiraten“ geantwortet. Weder Eleonore noch ich kannten an dem Abend, von dem ich gerade berichte, die ganze volle Geschichte. Rebmann hatte nur geschrieben, dass er von Tanja erfahren habe, dass sie „ausgerechnet“ mit mir zusammen sei. Damit betrachtete er seine Ehe als gescheitert. Sie möchte, da sie es Draußen einfacher hätte, die Scheidung einreichen. Abschließend verbot er sich für die Zukunft jeden Besuch von Eleonore, ihres Schwagers oder Schwester sowie von Tanja. Als sie Eleonore mir von diesem Brief berichtete fiel mir doch auf, dass sie eine gute innige Beziehung zu ihrer Schwester und ihrem Mann haben musste und freute mich irgendwo schon darauf, die beiden einmal kennen zulernen. Aber darauf anzusprechen hielt ich doch in unserer Beziehung für etwas verfrüht. Nachdem mir Eleonore von dem Scheidungsbegehren ihres Mannes, dank dem „Plappermäulchen“ - wie sie es gesagt hatte, wusste Eleonore zu diesem Zeitpunkt ja selbst noch nicht – führte sie dann aus: „Dieter, ich habe mir in den letzten zwei Wochen doch allerhand Gedanken gemacht. Ich weiß auch jetzt, dass alles was wir in Hinsicht auf Freundschaft und ‚später einmal’ ausgehandelt haben, reine Hirngespinste meinerseits waren und sind. Tanja hatte den einen Abend ja so recht. Meine Motivation ist ausschließlich in meinem Glauben, der mein Leben und meine Hoffnung ist, begründet. Ich war und bin der Ansicht, dass uns überhaupt nichts, kein böses Fehlverhalten, kein Verbrechen der Anderen, dazu berechtigt selbst gegen die Gebote des Herrn zu verstoßen. Daher habe ich auch eine radikal pazifistische Auffassung. Ich sehe in Menschenrechtsverletzungen der Anderen keinen Grund, dass 5. Gebot dahingehend zu interpretieren, dass damit ein Krieg, und damit verbunden die Inkaufnahme der Tötung von Menschen, nicht gemeint sein könne. Ich weiß, dass letztendlich nur Liebe und Verständnis alles überwinden kann und siegen können. Wenn ich schon das Töten im Krieg, selbst wenn man vermeintlich auf der richtigen Seite steht, für Sünde halte, dann bedarf es keiner Frage, was ich von der Tat Friedhelms halte.“. Jetzt unterbrach ich sie mal einmal kurz: „Apropos Töten im Krieg; da wird doch, insbesondere von konservativen Politikern gesagt, Luther habe einen Übersetzungsfehler gemacht. Es soll doch statt ‚töten’ ‚morden’ heißen, also ‚Du sollst nicht morden’“. Darauf bekam ich dann eine Aufklärung durch die Religionslehrerin: „Wenn du eine reine Vokabelübertragung vornimmst haben die Leute recht, denn an der Stelle steht das hebräische Wort für Morden und nicht für Töten. Wenn die Leute sich ein wenig auch sprachgeschichtlich betätigten und dann inhaltlich richtig übersetzen würden, dann würden sie aber sehen, dass Luther tatsächlich keinen Fehler gemacht hat. Die Hebräer unterschieden nämlich beim ‚Leben nehmen’ zwischen Mensch und Tier. Menschen wurden grundsätzlich nur
ermordet, auch nach einem vermeintlich gerechten Richterspruch, und Tiere wurden getötet. Gerade Luther wäre bei seiner persönlichen Weltanschauung da bestimmt kein Fehler unterlaufen. Vertrat er nicht die Ansicht, dass alle Obrigkeit von Gott komme und wir uns der zu unterwerfen haben. Damit stellte er doch im Bauernkrieg den Oberen einen Freibrief aus, gegen die Aufständischen vorzugehen, selbst wenn sie dabei töten. Ist daher nicht die moderne Rechtfertigung von Kriegen auf Luther aber nicht auf das Wort Gottes zurückzuführen. Gerade der, hätte es doch, wenn er es nicht für vollkommen falsch gehalten hätte, es bei der Vokabelübersetzung belassen. Also es heißt richtig ‚Du sollst nicht töten’ und nicht anders. Übrigens, wenn du bei dieser konservativen Behauptung dann noch bei den heutigen juristischen Definition landest, bis du fernab von Gut und Böse.“. Jetzt legte sie erst mal eine Pause ein, um ein weiteres Schnittchen zu verzehren, bevor sie fort fuhr: „Aber ich wollte nicht vom 5. Gebot und diesbezüglich von Friedhelm beziehungsweise Krieg sprechen sondern von dem 6. Gebot und mir. Ich sagte ja bereits, dass ich glaube, dass keine Sünde oder Tat eines Anderen uns rechtfertigen selbst die Gebote zu brechen. Also trotz der schlimmen Sachen die Friedhelm gemacht hat, die ich ihm bei äußerster Mühe nicht verzeihen kann ... und daher kann ich ihn auch nicht mehr lieben, fühle ich mich durch das 6. Gebot an ihn gebunden. Für mich ein unheimlicher Konflikt mit dem ich fertig werden muss und den ich verarbeiten muss. Tanja, sieht es so wie meine Schwester und, wie es sich anhört, mein Schwager auch, dass Friedhelm mir praktisch durch sein Handeln einen Scheidebrief ausgestellt habe und ich, wenn ich mich zu dir wende, nicht gegen das 6. Gebot verstoßen würde. ... Und da will Tanja kräftig nachhelfen. Ich nehme an, dass sie daher Friedhelm die Geschichte mit uns verklickert hat, und zwar so als wäre schon viel mehr zwischen uns gelaufen. So wie es sich aus Friedhelms Brief ließt, geht er schon davon aus, dass wir praktisch schon zusammen leben.“. Was sie mir damals nicht erzählt hat war, dass es nicht nur ein Indiz sondern einen knallharten Beweis dafür gab, dass Rebmann annahm wir lebten zusammen. Der Brief war an Eleonore aber unter meiner Anschrift adressiert. Unsere Postbotin hat, zwar nicht ganz abgedeckt durch das Recht, meine Anschrift gestrichen und durch die richtige ersetzt und den Brief ihrem Kollegen, der für die Zustellung bei Eleonore zuständig ist, mitgegeben. Ab und zu handeln ja auch mal mitdenkende Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst entgegen dem Gesetz richtig. Nach dem Recht hätte der Brief nicht weitergeleitet werden dürfen sondern er hätte zurückgesandt werden müssen. Zustellen wäre allerdings das Falscheste gewesen, denn bei uns war die Adressantin nicht gemeldet. Nachdem Eleonore ihre Ausführungen über ihr religiöses Empfinden und ihre diesbezüglichen Probleme geendet hatte wurde sie zunächst einmal ganz ruhig. Nur ihr schweres, aufgeregte Atmen war zu vernehmen und in ihren Augen sah man, dass sich dieses ein Wenig feuchteten. Dann setzte sie leise wieder an: „Aber noch eins, Dieter. Ich habe noch ein Problem. Ich bin ein richtiger Mensch, eine Frau. Tanja hat mich ja schon vor euch allen bloß gestellt. Ich möchte deinen Körper, deine Wärme spüren. Ich möchte öfters mit dir zusammensein, auch in der Öffentlichkeit. Ich möchte von dir in den Arm genommen und geküsst werden können ohne dabei Angst zu empfinden, dass wir gesehen werden könnten.“. Jetzt legte sie, wieder schwer atmend, eine weitere Pause ein. Mit zitternder Stimme kam sie jetzt auf den Punkt: „Dieter, kannst du mir versprechen es abwarten zu können, mir Zeit zu geben, bis wir mal so richtig ... also, kannst du abwarten und willst nicht unbedingt sofort bei mir eindringen. Also, wenn du mit mir warten willst bis die Zeit für richtigen Geschlechtsverkehr gekommen ist, möchte ich jetzt schon alles bis zu diesem Punkt von dir haben. Ich möchte mit dir schmusen und Zärtlichkeiten tauschen. ... Ich möchte sogar soweit gehen, dass wir uns gegenseitig befriedigen. Glaubst du, dass wir das können?“. „Ach mein Schatz,“, antworte ich, „ich empfinde genau das Gleiche wie du. Und natürlich kann ich mit dem Geschlechtsverkehr warten bis du glaubst dafür reif zu sein. Das sage ich jetzt nicht, weil ich mir schon mal das Andere zukommen lassen will sondern weil ich dich achte und respektiere dich. ... Ich liebe dich.“. Darauf sagte sie noch „Ich dich auch, über alle Dinge sogar“ und dann fiel sie in meine Arme und drückte ihren Körper ganz eng an den meinigen. Jetzt gab es erst mal eine langanhaltende wilde Küsserei, nach dem sie mir dann glücklich in den Arm lag. Wir gingen richtig zur Schmuserei über. Währenddessen hatte sie sich auch zeitweilig ihres Pullis und Unterhemd entledigt. Kurz nach Zehn hörten wir plötzlich das die Haustür aufgeschlossen wurde – nach dem Schließen konnte es sich nur um Oliver handeln. Flugs bedeckte Eleonore ihre Blöße und trotzdem habe ich auf das vorsichtige Anklopfen etwas zu früh mit „Herein“ geantwortet und so war mein Sohn schon im Raum, als Eleonore noch ihren Pulli in den Rock steckte. Aber das ist ja nicht so schlimm und wäre auch nicht peinlich gewesen, wenn Oliver alleine gewesen wäre. Vor ihrer Tochter, das war die zweite Person, war es Eleonore doch ein Bisschen unangenehm, dass die Hereinkommenden gleich auf das Richtige schließen konnten. Dass so etwas zu erwarten war, hatten sich die beiden Neuankömmling schon gedacht als sie Eleonores Auto vor der Tür gesehen hatten. Deshalb hatte Oliver aber gegenüber seinen sonst üblichen Angewohnheiten angeklopft. „Oh, entschuldige Papa,“ begann Oliver, „wir gehen auch gleich wieder. Wir hatten uns nur überlegt, dass du jetzt hier auf deinem Geburtstag alleine bist und vielleicht sehr traurig bist. Da haben wir uns vorgenommen dir Gesellschaft zu leisten. Aber du hast ja was Besseres wie uns beide und deshalb gehen wir auch gleich wieder.“. „Nein, nein,“, nahm mir Eleonore das Wort ab, „setzt euch erst einmal. Aber wie kommt es, dass ihr Beide zusammen seid.“. „Ach, wir sind doch gute Freunde“, erklärte Tanja, „Und außerdem auch Stiefgeschwister in Spe. Wo Sascha doch bei seinem Linuxkurs ist, sind wir mit Sabrina in der Jukebox gewesen. Die ist dann noch mit zu Angelika gegangen ... spätestens um Elf will sie aber hier sein. Als sie dann weg war, hatten wir wegen Dieter ein schlechtes Gewissen und da sind wir
nun.“. Das klang plausibel und deshalb kauften wir es den beiden, die wir nun zur Teilnahme an unserer Runde einluden, auch ab. Eine Viertelstunde darauf stand dann auch Sabrina auf der Matte, womit man die „Familie“ als komplett erachten konnte. Wir haben so noch in gemütlicher Runde bis kurz nach Mitternacht zusammengesessen, womit es im Grunde doch zu so einer Art kleinen Geburtstagsfeier gekommen war. Der befürchteten Schwermut bin ich in dieser Runde, in der ich jetzt auch richtige Verbundenheit empfinden konnte, voll entgangen. Eleonore blieb fast immer in meine Arme gekuschelt und gab mir auch ab und an ein zärtliches Wangenküsschen. Den Kinder hatte sie vorsichtig die Wahrheit gesagt. Also sie sagte es in dem Sinne, dass wir uns als Paar betrachten und uns auch dazu bekennen würden. Leicht lachend erklärte sie: „Zu einer Partnerschaft, die man mit einer Ehe vergleichen könnte, fehlt neben dem „Sachen zusammenschmeißen“ noch ein weiteres wichtiges Detail, was wir uns im Moment für später aufbewahren.“. Etwas vorwitzig kommentierte Oliver, dass er verstanden hatte: „Ja, ja, Frau Religionslehrerin, vor der Ehe wird nicht miteinander geschlafen aber bis zur Ehe müsst ihr erst mal ein paar Formalitäten erledigen.“. So freundlich und nett wie dieser Kommentar verlief dann die gesamte Plauderei an diesem Abend, bis die Rebmann Mädchen nach Hause fuhren und die Rossbach-Familie ihre Betten aufsuchte. Mich persönlich hatte dieser Abend, ein Jahr danach, sehr gestärkt, so dass ich nach meiner Selbsteinschätzung „für ins normale Leben zurückgeführt“ fühlte. Auch Eleonore hatte ungemein Auftrieb erhalten. Am darauffolgenden Samstag waren wir des Vormittags zu einem gemeinsamen Einkaufsbummel in Waldstadt und des Abends hatte ich sie zu einem Restaurantbesuch eingeladen. Eigentlich wollte sie mich am Sonntagvormittag mit zu einem Gottesdienstbesuch in Weinberg nehmen, aber dafür fühlte ich mich noch nicht wieder reif. Für den Sonntagnachmittag war sie mit ihrer Schwester verabredet und ich machte mir einen „ganz Gemütlichen“. Auf der Couch liegend hörte ich einen Radiosender mit Schlagermusik und lass teilweise in Magazinen. Oliver war zu der Zeit mit Freunden unterwegs und Sabrina besuchte ihre Tante Herta und Onkel Walter; sie war also auf dem Bauernhof. Als Walter Sabrina wieder nach Hause brachte, was bei den paar Schritten Entfernung gar nicht nötig gewesen wäre, war es vorbei mit der Sonntagsidylle. Mein Schwager wollte mich zur Rede stellen. Von Sabrina hatte er erfahren, dass ich neue Bande geknüpft hätte und dass sowohl Oliver, sie wie die Tochter meiner Angebeten darüber sogar glücklich wären. Bis dahin war die Welt auch für Walter noch in Ordnung, denn Sabrina hatte, weil sie es aus ihrer Sicht spannend machen wollte, noch keine Namen genannt. Erst auf Hertas Frage, ob sie ihre neue künftige Schwägerin kenne, nahm das „Unheil“ seinen Lauf. Sabrina erzählte mir am Abend, als Walter wieder gegangen war, dass sie eigentlich stolz und glücklich gesagt hätte: „Sicher kennst du die schöne und kluge Frau, die hat ja schon immer in Olvermühle gewohnt ... Es ist Eleonore Rebmann.“. Darauf hätte Walter gleich losgepoltert: „Was, mein Schwager kriecht mit der Frau des Mörders seiner Frau ins Bett. Hat der denn kein Ehrgefühl?“. So begann er dann auch als er bei mir aufkreuzte. Ruhig sagte ich zu ihm: „Walter, bleib doch ruhig. Friedhelm und nicht Eleonore hat Astrid ermordet. Eleonore hat damit im Grunde nichts zutun, das ist eine sehr liebe und nette Frau.“. Aber für Walter waren das die falschen Worte, die ihn in noch höhere Rage brachten: „Hör mal, hätte die ihrem Kerl anständig im Bett bedient, würde meine Schwester noch leben. Du hast Astrid wohl schon gänzlich abgehakt und glaubst jetzt unsere Familienehre besudeln zu können.“. Damit hatte er mich nun auch aufgespult und ich meldet mich jetzt deutlich deftiger: „Familienehre, was soll das denn? Gibt es die überhaupt. Da berufen sich ein paar Leute auf ihre Vorfahren und die lieben Verwandten mit gleichen Namen oder Geburtsnamen. Aber weit vor der Familienehre kommt die Ehre und Würde des einzelnen Menschen. Und die Würde und Ehre der unschuldigen und sehr anständigen Eleonore verletzt du jetzt, in dem du sie für die Taten ihres Mannes, die sie selbst verabscheut und nicht zu vertreten hat, in Sippenhaft nehmen willst.“. Auf diese konkrete Sache ging er jetzt gar nicht ein sondern palaverte zirka eine halbe Stunde über die alteingesessene Familie Salein, nach der sogar der Ort benannt sei. Sein Vater sei der König und seine Schwester die Königin in diesem Ort gewesen. Selbst wenn ich gewollt hätte, wäre ich nicht zu Wort gekommen. Er holte bei seinem Geschrei noch nicht einmal Luft, so dass es ihm letztlich schumelig wurde. Jetzt kam etwas, was die Geschwister Astrid und Walter Salein gemeinsam hatten: Er schoss hinaus um 10 Minuten später unbekümmert wieder rein zukommen. Sowohl von meinem Schwager wie von meiner Frau kannte ich es, dass sie dann mit einem anderen unverfänglichen Thema wieder zur Tagesordnung übergingen. Diesmal war es anders. Er kam zwar nach 10 Minuten wieder rein, aber um zu dem Finale, was er sich draußen überlegt hatte, anzusetzen: „Also, hör mal zu mein lieber Dieter Rossbach. Du hast dich in die Familie Salein eingeschlichen und deine Erbschleicherei ist erfolgreich abgeschlossen. Ein Friedhelm Rebmann, der hier mal den Gemeindedirektor mimte, hat dir die Drecksarbeit bei der Beseitigung der Erblasserin abgenommen. Und da sieht man, was du für ein dankbarer Vogel bist: Du nimmst ihm dafür die Frau.“. Jetzt hielt mich absolut nichts mehr und ich schrie: „Das ist der Gipfel! Wenn du das nicht zurücknimmst, kennen wir uns nicht mehr!“. „Okay, das wollte ich dir gerade sagen,“, brüllte er zurück, „ich will dich Hergelaufenen nicht mehr sehen. Wage es nicht auf mein Hof zu kommen, du hast Hofverbot.“. Und dann stürzte er türknallender Weise hinaus. Nach dem ich mich beruhigt hatte, äußerte Sabrina, dass sie glaube zwei Dinge aus den Worten herausgehört zu haben. Einmal käme ihr ihr Onkel fürchterlich eifersüchtig vor und zum anderen, dass er gerne nach dem Tode seiner
Schwester die Wohnung, die er seiner Familie gehörig erachtet, zurück gehabt hätte. Beim zweiten Punkt konnte ich auch aus meiner Sicht zustimmen, denn das glaubte ich auch vernommen zu haben. Aber warum und worauf er eifersüchtig sein sollte, das musste mir Sabrina begründen. Sie sagte, dass Tante Herta ihr mal erzählt habe, dass Onkel Walter, als junger Mann mal schwer hinter Eleonore hergewesen sei. Die habe sich aber für Herrn Rebmann entschieden. Onkel Walter habe das dann so kommentiert, dass sich Eleonore zu fein für eine Bäuerin gewesen sei und er habe gar nicht, auch zu dem Zeitpunkt wo er schon verheiratet war, davon abgelassen Eleonore nachzustellen. Na ja, und dann komme ich, sein verwitweter Schwager und schnappe ihm sein Traum weg. Abschließend kann ich feststellen, dass ich eigentlich noch gar nicht richtig mit Eleonore zusammen bin und die Partnerschaft schlägt schon hohe Wellen. Auch im Dorfklatsch war das jetzt das Thema Nummer 1. Die Frau des Mörders nimmt sich den Mann des Opfers – oder umgekehrt, je nach Ansatz. So etwas hatte man vorher noch nie gehört. Zum Kapitel 11
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Wenn der Tod zur Befreiung kommt Wie ich schon das Wochenende nach meinem Geburtstag beschrieben habe verlief es für mich jetzt häufig und regelmäßig mit Eleonore. Wir trafen uns zu gemeinsamen Ausfahrten, Spaziergängen, Restaurantbesuchen oder um nur bei ihr oder bei mir zusammenzusitzen. Man könnte es glatt mit einer Teenagerbeziehung, so wie bei Tanja und Sascha, vergleichen. Natürlich nutzten wir diverse Gelegenheiten zum Austausch von Zärtlichkeiten und zum Schmusen – aber auch nicht mehr. Den größten Teil unserer gemeinsamen Zeit verbrachten wir mit Kommunikation, das heißt Plaudereien, Erörterungen, Diskussionen, Scherze und Neckerei sowie Erzählungen. Ernstere Themen aus dem Bereich „Gott und die Welt“ und lockere wie „Plausche der Lebensfreude willen“ hielten sich die Waage. Bei den „ernsteren“ Themen ging es dann natürlich auch um aktuelle, uns betreffende aber die allgemeinen überwogen deutlich. Klar, dass bei den allgemeinen Themen bei der Deutsch- und Religionslehrerin Eleonore Rebmann die Anstöße überwiegend aus dem Bereich „Schule, Sprache und Religion“ kamen und bei mir zündeten dann Sachen wie Häuser, Wohnungen und Mieter. Angelegenheit wie Politik, Kultur oder auch mal Sport wurden von uns beiden etwa im gleichen Verhältnis auf die Tagesordnung gebracht. Damit habe ich jetzt berichtet, dass wir uns nicht in ein Problemkreis eingeigelt hatten, denn das ist das Schlimmste was man machen kann. Man dreht sich so lange im Kreis, bis man plötzlich keinen Ausgang mehr sieht und mit dem Kopf vor die Wand läuft. Vielfältigkeit, nicht nur beim Angebot sondern insbesondere bei der Nutzung, macht frei. Die Abhandlung allgemeiner Themen kann aber auch sehr stark bei der Bewältigung der eigenen Probleme helfen. Als Beispiel möchte ich jetzt mal von einem Gespräch berichten, dass ich mit Eleonore führte, als wir den „Altweibersommer“ nutzend im Wald zwischen Salein und Weinberg spazieren gingen. Es ging um Sex und Sünde. Ich fragte Eleonore in ihrer Eigenschaft als Religionslehrein, ob nach ihrer Auffassung Sex und Eros Sünde seien. Damit hatte sie sich wohl schon eingehend beschäftigt, denn sie konnte prompt mit einem einleuchtenden Vortrag beginnen: „Wenn du Sexualität pauschal als Sünde bezeichnest, lästerst du nach meiner Auffassung Gott. Er ist nämlich der Alleinige Schöpfer. Die Welt hat keine zwei Schöpfer; nicht Gott der das Gute und den Teufel der das Böse schuf sondern der allmächtige Gott schuf alles, auch das, was wir als Böse bezeichnen. Daher ist nichts von Vornherein Böse, denn das hat Er nicht geschaffen – alles ist von vornherein gut. Gäbe es keinen Tod könnte sich das Leben nicht ausweiten und vermehren. Wenn du mal die Überlegung anstellst, was Naturgewalten alles auslösen und was wäre, wenn es dieses nicht gäbe, wirst du leicht selbst feststellen, dass alles von Anfang an nur gut ist. Böse ist nur das, was wir den einzelnen Dingen beimessen und/oder damit machen. Gott hat den Menschen mit dem Sexualtrieb ausgestattet und wie vermessen sind wir eigentlich wenn wir sagen, das sei böse. Dann werfen wir kleinen Menschlein doch dem großen Gott vor er hätte einen Fehler gemacht.“. Da unterbrach ich sie dann kurz: „Bis jetzt würde dir wohl niemand widersprechen. Der Sexualtrieb sorgt dafür, dass es zur Paarung kommt und dadurch kommt es zur Fortverpflanzung. Es dient also dem Fortbestand und der Weiterentwicklung des Lebens. Und, wie du mir neulich sagtest, kann man alles was dem Zweck Leben dient, Gottes Willen zuordnen.“. „Genau so ist es.“, fuhr sie fort, „Aber Leben ist nicht nur Existenz und Fortpflanzung sondern da gehört auch Liebe, Glück, Freude und so weiter genau so dazu. Alles das kann uns unter anderem auch die Sexualität geben. Wenn Gott nicht wollte, dass wir davon Gebrauch machen, dann hätte er uns bestimmt so geschaffen, dass der Sexualtrieb nach ausreichender Fortpflanzung erlöschen würde. Er lässt ihn uns aber und ich nehme an, dass wir daraus das schöpfen was das Leben lebenswert macht, auch wenn es nicht zu weiterem Leben führt. Also Sex ist nach meiner Auffassung keine Sünde.“. Diese Aussage machte mich, gerade auch in ihrer, ja bereits im vorangegangenen Kapitel beschriebenen, persönlichen Ansicht stutzig. Da ich nicht den Eindruck erwecken wollte, dass ich jetzt etwas anstrebte, was mir zu dieser Zeit noch nicht zu Teil geworden ist, fragte ich durch die Hintertür: „Aus deinen Worten würde ich jetzt sagen, dass man dann doch nichts gegen vor- oder außerehelichen Verkehr haben könnte. Aber warum ist man dann so schnell mit der Aburteilung in Richtung Sünde bei der Hand.“. Das brachte sie allerdings auch nicht aus dem Konzept: „Böse und damit Sünde ist alles was du gegen Gottes Willen machst. Leben, ist ja nicht allein durch die Geburt begründet. Der Nachwuchs muss ernährt, behütet und groß gezogen werden. Schon vorher, während der Schwangerschaft, brauchen Mutter und Kind Schutz und auch Ernährung. Das relativiert sich in unserer modernen Welt alles ein Wenig aber denk doch mal was es bei Naturvölkern, zum Beispiel am Amazonas, bedeuten würde wenn man Schwangere sich selbst überlassen würde. Da hat Gott es so eingerichtet, dass eine sehr starke Bindung zwischen Mann und Frau entsteht und dieses auch stark an einem möglichen Zeugungsakt gekoppelt ist. Im Markus Evangelium heißt es im Kapitel 10 (Vers 6 und 7) ‚aber von Anbeginn der Schöpfung hat Er sie geschaffen als Mann und Weib. Darum wird der Mensch seinen Vater und seine Mutter verlassen und dann werden die zwei ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch.’ Und das ‚ein Fleisch werden’ ist das Entscheidende. Wenn es jeder mit jeder treibt, dann ist der Schutz des Lebens, weder der Schwangeren, noch des werdenden Lebens, noch der Kinder nicht mehr gewährleistet. Das dürfte gegen Gottes Willen sein und alles was gegen Seinen Willen ist, ist Sünde.“ Da warf ich erst mal ein: „Das ist doch ein Jesuswort. Das hört sich bei mir so an, als würde er uns direkt zum Geschlechtsverkehr auffordern.“. Sie lächelte mich verschmitzt von der Seite an: „Du, jetzt weiß ich wo du drauf hinaus willst ...“. Nach einer Augenblickspause fuhr sie dann etwas ernster fort: „Dort und noch woanders liegt ... oder ich
glaube schon lag mein Problem. Ich weiß, dass bei mir, wenn ich etwas bewusst unternehme, meist immer alles 100%ig läuft wie es kommen muss. Wenn ich für dich die Beine breit mache, werde ich auch 100%-ig mit dir ein Fleisch, wie es im Evangelium heißt. Ich komme von dir nicht mehr ab, dann bleibe ich kleben. Aber ich glaube im Moment, dass ich mich schon längst auf einen falschen Dampfer begeben habe; ich klebe ja schon an dir. Aber ursprünglich ... Nachdem Friedhelm verhaftet worden war ließen mich dann diverse Sachen nicht los. Unser gegenseitiges Versprechen bei der Eheschließung hieß, dass wir in guten und schlechten Tagen zusammenhalten wollten. Friedhelm hat was Böses, sehr Schlimmes getan und damit begannen die schlechten Tage, zu denen ich aber ‚geschworen’ auch dann zu ihm zu stehen. Jetzt könnte man sagen ‚Nun gut, der ist weg, der sitzt im Knast’. Aber da kommt er irgendwann mal wieder raus. Und was ist dann? Dann ist alles weg, dann fällt er ins Leere. Entweder zerbricht er daran vollendens oder er begeht weitere Verbrechen. So ist eigentlich der Regelfall. So geht es eigentlichen allen, die langjährig eingesperrt werden. Jetzt habe ich kein Mitleid mit ihm ... ‚es tut mir leid für ihn’ kann ich nirgendwo empfinden. Aber wie steht es mit meiner Verantwortung die ich vor Gott ihm gegenüber übernommen habe.“. „Du kämpfst aus tiefer religiöser Überzeugung mit ...“, sagte ich, wobei sie mich gleich unterbrach: „Nein, nein, es ist nicht nur mein Glaube sondern auch die Erkenntnis wie klein der Schritt von ehrenhaften Menschen zum Verbrecher ist. Ich hatte einen Kollegen, ... nicht hier, wir haben nur zusammen studiert. Der war in seiner Schule einem ziemlichen Mobbing ausgesetzt. Da ist er voller Wut in sein Auto gestiegen und losgerast. Dabei ist er dann mit fast 100 Sachen durch eine Spielstraße gebrettert. Zwei Kindern kostet es das Leben und eins kam mit einer Behinderung davon. Er wurde zu 5 Jahren verurteilt, weshalb die Leute von wegen des zu milden Urteils auf die Barrikaden gegangen sind. Als er nach etwa 3 ½ Jahren wieder rauskam, hatte er nichts mehr. Keinen Beruf, keine Freunde und keine Frau mehr. Sie hatte sich sofort scheiden lassen und einen anderen genommen. Ein Jahr später hat er in Hamburg einen bewaffneten Raubüberfall begangen. Als er festgenommen werden sollte lieferte er sich ein Feuergefecht mit der Polizei bei dem er sich selbst tödliche Verletzungen zugezogen hatte. Ich habe so oft darüber nachgedacht, wie weit da eine Mitverantwortung der Frau, die ihm sofort verließ, sein könnte. Bei meinen Beruf bleibt es natürlich nicht aus, dass man eine Verbindung zum 6. Gebot und seinem Sinn zieht. Na und dann passierte das mit Astrid und Friedhelm ... Der Kerl weiß gar nicht was er mir angetan hat. Was meinst du, wie sehr ich unter Allem leiden musste. Hätte ich nicht meinen Schwager gehabt und wärst du nicht auf einmal da gewesen, wäre ich bestimmt schon zugrunde gegangen beziehungsweise mein Untergang stände kurz bevor.“. Jetzt hatte ich sie voll und ganz verstanden und wir gingen zunächst eine ganze Weile schweigend nebeneinander her. Wenn ich mich richtig erinnere, war dieses Gespräch, eigentlich ungewollt, das ernsteste was wir zwischen meinem Geburtstag und Mitte Oktober 1997 geführt haben. Dann erhielt Eleonore ein amtliches Schreiben, was unser Leben dann noch mal gewaltig umkrempeln sollte. In dem wurde Eleonore mitgeteilt, das bei ihrem einsitzenden Mann ein Gehirntumor im fortgeschrittenen Stadium festgestellt worden sei und er wahrscheinlich Weihnachten nicht mehr leben würde. Er würde mit richterlicher Zustimmung in die Universitätsklinik Münster verlegt. Wenn ich jetzt ehrlich beschreibe, was in mir vorging als ich von dieser Nachricht erfuhr, muss ich sagen, dass ich dieses selbst nicht als schön empfinde und muss mich im gleichen Atemzug damit entschuldigen, dass so etwas aber menschlich sei. Mehrfach kochte der Gedanke, dass es noch Gerechtigkeit gäbe, wenn nicht durch Menschenhand dann doch durch Gott, in mir hoch. Mit dem Tumor muss der Mörder meiner Frau leiden und dann letztendlich noch sterben. Noch ein halbes Jahr früher hätte ich dieses sogar noch hinaus gejubelt obwohl ich mich ja eigentlich solcher Gedanken schämen müsste. Auch mein zweiter Gedanke ehrt mich nicht. Irgendwie schlug mein Herz höher, weil jetzt Eleonore frei sein würde und ich sie haben könne. Etwas Ähnliches ging sogar in Eleonore vor, wie sie mir später gestand. Sie empfand Dankbarkeit, dass sie Gott von ihren Gewissensnöten befreite. Gesprochen haben wir in jener Zeit allerdings nicht darüber. Einzig eine „rein sachliche“ Frage seitens Eleonore wurde von uns zwei oder drei Mal durchgesprochen. Zumindestens auf dem Papier war sie ja noch seine Ehefrau. Er hatte sich ja selbst jeden Besuch seiner Frau verbeten. Was nun, wo er in der Klinik liegt? Soll Eleonore nach Münster fahren und ihn besuchen oder nicht? Von ihrem Empfindungen her sah sie dazu allerdings keine Veranlassung. Was ist wenn Tanja ihn besuchen will? Soll sie mitfahren? Soll sie Grüße ausrichten lassen? Insgesamt kann man es so darstellen, dass sie Fragen aber dazu weder Probleme noch Antworten hatte. Irgendwelche Konventionen vor den Leuten brauchte sie nicht zu beachten, denn die würden wahrscheinlich beides, Besuch oder Nichtbesuch, negativ bewerten. So sind die Leute halt. Ein zweites Schreiben, dass diesmal von der Uniklinik kam, lieferte dann die Antwort. Da schrieb jemand, vermutlich vom Sekretariat, dass Friedhelm Rebmann so schlecht dran sei, dass er nicht selber schreiben könne. Er habe aber den dringenden Wunsch geäußert, dass ihm seine Frau, seine Tochter und ich doch mal gemeinsam besuchen sollten. Auf das „gemeinsam“ habe er ausdrücklich wert gelegt. Da setzen wir, also außer Eleonore und ich auch Tanja, uns darüber zusammen. Tanja war zunächst diejenige, die das Ganze in Bausch und Bogen ablehnen wollte. Konsequent sagte sie: „Was soll ich denn da? Soll ich mir, bevor er von dannen geht, noch mal sein Amenmärchen vom verführten Gemeindedirektor, der von seinem Opfer dazu gebracht wurde, sie umzubringen, anzuhören?“. „Ich glaube nicht, dass das seine Beweggründe sind.“, wandte ich ein, „Was sollte ich denn dann dabei? Damit würde er doch ... und das kann selbst ein Sterbenskranker sehen, bei mir abblitzen wie nur was. Damit würde er sich doch Ärger ans Sterbebett holen. Ich denke, dass er im Angesicht des Todes sein Unrecht einsieht, dieses jetzt beichten und um Entschuldigung bitten möchte.“. Darauf meinte dann Eleonore, dass ich wohl richtig liegen würde und dass man so etwas, wenn einem
christliche Werte und die Menschenwürde was wert sind, einem Sterbenden nicht verweigern könne. Also beschlossen wir hinzufahren und auch Tanja ließ sich, allerdings erst nach einem paarmaligen Hin und Her, dazu überreden doch mitzukommen. Am 1. November machten wir uns dann auf dem Weg in die Stadt, wo 1648 mit dem westfälischen Frieden der Dreißigjährige Krieg beendet wurde und wo im Dritten Reich Bischof Graf von Galen dem faschistischen Wahnsinn seine christliche Aufrichtigkeit entgegensetzte obwohl das der damalige Papst gar nicht so gerne sah. Als wir dann in der Klinik, in dem Zimmer wo Friedhelm Rebmann alleine lag, ankamen, bekam ich erst einmal einen gewaltigen Schrecken. Da lag ein kahlköpfiger Mann mit eingefallen bleichen, leicht gelbstichigen Wangen und tief in den Höhlen liegenden Augen, der nur annähernd Ähnlichkeit mit demjenigen hatte, den ich zuletzt, als ich vor Gericht aussagen musste, gesehen habe. Friedhelm Rebmann war schon deutlich vom Tod gezeichnet. Jetzt konnte ich nachvollziehen, warum ein Strafgefangener ganz normal und ohne jede Bewachung in einer offenen Klinik lag. Der war überhaupt nicht mehr in der Lage zu türmen um etwas anzurichten. In diesem Moment dachte ich, dass der Tod ein „Schicksal“ ist, dem niemand entkommen kann. Der Eine stirbt früh der Andere spät, einer stirbt langsam und andere schnell oder plötzlich, der Eine stirbt durch Krankheit, der Andere durch einen Unfall und wieder andere durch Menschenhand aber sterben müssen wir alle, dem Tod können wir nicht entrinnen. Astrid starb früh, schnell und durch Menschenhand. Ihr Mörder stirbt ebenfalls früh aber langsam und durch schwere Krankheit. Hätte es ihn nur etwas über ein Jahr früher erwischt wäre Eleonore in der gleichen Weise allein, wie ich nach dem 11. September 1996, gewesen. Nur er hätte mehr leiden müssen. Was wäre mit Eleonore gewesen? Wäre sie auch wie ich auf dem Wege zum psychischen Knall gewesen? Ich glaube nicht, denn ihr großer Glaube hätte ihr den Trost gegeben, dass ihr geliebter Mann nun die Vorstufe des wahren Lebens hinter sich gebracht hätte und jetzt bei Gott, seinem Vater wäre. Auch ich war doch irgendwie, sogar mehr als mir zu jenem Zeitpunkt bewusst war, gläubig; warum habe ich nicht so gedacht? Dann wäre vieles leichter gewesen, ich hätte irgendwie dankbar auf die glückliche Zeit, die ich mit ihr hatte, zurückblicken können. Wäre dieses nicht viel mehr im Sinne Astrids gewesen? War mein Verhalten nicht nur Borniertheit und Kränkung, weil mir ein anderer auf diese böse Weise meine Frau genommen hatte? Es wäre bestimmt besser gewesen, Astrid in gebührender Trauer und Dankbarkeit zu Gedenken und die Gerechtigkeit dem zu überlassen, der dafür zuständig ist: Unserem Gott. Der Preis für meine Gedanken an Vergeltung und Genugtuung war, dass ich nicht zur gebührenden Ehrung meiner lieben Verstorbenen kam – und dabei habe ich sie entwürdigt und mich selbst verletzt. Natürlich, so wie ich es jetzt geschrieben habe formte sich das erst, als ich im Nachhinein darüber nachdachte. Als ich das Zimmer betrat hatte ich nur Zeit für diesen Gedankengang im Unreinen; aber alle Elemente waren beim ersten Gedankenschuss schon vorhanden. Und dieses war es überhaupt, was mir ermöglichte dem todkranken Friedhelm Rebmann zuzuhören. Er wandte sich, nachdem er zunächst seine Frau und seine Tochter eine Weile angesehen hatte, an mich: „Dieter, ich hoffe das darf ich nach allem noch zu dir sagen, ich wünschte dich her, damit ich dir endlich die Wahrheit von den letzten Augenblicken im Leben deiner Frau sagen kann. Im Wagen, warst du natürlich unser Thema, denn du hattest ja Geburtstag. Astrid sagte mir, sie habe den besten Mann der Welt und sie wolle keinen anderen haben. Sie wollte mit dir Hundert werden und freute sich auf die kommenden fünfzig Jahre. Weiter sind wir nicht gekommen, denn dann war da das Reh. Schon als wir dieses in das Salzlager bringen wollten, merkte ich, dass ich so spitz war, dass ich mich unsittlich an sie heranmachen wollte. Als dann euer Auto gestohlen wurde, stand sie da irgendwie hilflos und erschrocken vor mir. Da habe ich mich an sie heran gemacht und ihr die Kleider vom Leib gerissen und sie umgeschmissen. Sie hat nicht geschrieen sondern im Gegenteil jämmerlich gewimmert. Immer wieder sagte sie ‚Friedhelm bitte hör auf, lass mich leben. Dieter, lieber Dieter, warum kannst du mir nicht helfen’. Als ich fertig war, habe ich sie mit meinen Händen bewusst erwürgt. Mir war klar, dass die Vergewaltigung Konsequenzen haben würde und bin davon ausgegangen, dass nur Astrid meine Schandtat aufklären konnte ... und deshalb musste sie sterben. Der Rest war wie du ihn kennst. Ich erwarte jetzt nicht von dir, dass du mir verzeihst. Das kannst du nicht, das könnte ich auch nicht. Ich dachte nur, du hättest ein Recht darauf zu erfahren, wie es wirklich war.“. Er sprach langsam mit vielen Pausen. Hätte ich die Pausen jeweils durch 3 Punkte gekennzeichnet, wäre der Text sicherlich unleserlich geworden. Genauso sprach er weiter als er sich an Eleonore wandte: „Nore, du hast jetzt gehört, dass ich dich fürchterlich belogen habe. Jetzt weißt du die Wahrheit. Aber ich habe dir gegenüber nicht nur gelogen, ich habe auch was von Bedeutung verschwiegen. Immer wieder habe ich gesagt, was ich in meinem Beruf, auf meiner Karrierelaufbahn verloren habe. Den größten Verlust, den ich empfand, habe ich dir allerdings verschwiegen: Ich hatte dich verloren. Du warst wunderbar und gut zu mir. Du hast mir mehr gegeben, als ich brauchte. Du bist mein allergrößter Verlust. Erst dachte ich verbohrt und eigensüchtig, dass ich dich für mich ‚parken’ könnte bis ich raus käme. Das war meine Hoffnung an der ich mich festbiss. Dabei habe ich dich gequält. Du bist noch jung, unschuldig und hast ein Recht darauf, jemand der dich und den du liebst an deiner Seite zu haben ... ich habe meine Rechte verwirkt. Ich hätte dich freigeben müssen, ich hätte dir sagen müssen: ‚Hau ab, such dir einen Anderen, den du verdienst und der dich verdient’. Aber ich habe es nicht getan. Jetzt kommt der Tod zu unserer Befreiung. Er befreit dich von mir und mich von einem Leben, was eigentlich keins mehr ist. Ich bin tot obwohl ich noch lebe ... und das Leben habe ich mir selbst verwirkt. Auch dich kann ich nicht um Verzeihung bitten aber ich möchte dir, bevor mich der Tod befreit, sagen, dass es richtig und gut ist, dass du zu Dieter gefunden hast. Ich wünsche jetzt wirklich, dass ihr
Beide jetzt sehr glücklich werdet. ... Nur noch eine Bitte, Nore. Du bist eine fromme Frau und kannst doch für mich beten. Dafür danke ich dir. ... Ach, könntest du Thomas vielleicht bitten das er mich mal besucht?“. Eleonore versprach ihm, seinen Bitten zu entsprechen und danach wandte sich Friedhelm an Tanja: „Tanja, mein Mädchen, auch wenn sich dieses jetzt für dich befremdlich anhört, aber für mich bist und bleibst du mein Mädchen. Ich hoffe, dass ich dir, bevor ich das Verbrechen begangen habe, ein guter Vater war. Mein riesiger Wunsch ist, dass du im Leben glücklich wirst und einen viel besseren Mann haben wirst, wie ich einer war. Stell dir in deinem Kopf vor, ich sei gestorben, bevor ich das Verbrechen begangen habe, dann ist es leichter für dich. Jetzt brauche ich dich als Zeugen. Ich möchte Mutti und Dieter ein Versprechen abverlangen und du sollst als Zeugin darauf achten, dass sie ihr Versprechen auch immer einhalten.“. Jetzt wandte er sich noch einmal uns zu: „Könnt ihr mir versprechen, dass ihr jetzt eins werdet. So wie du, Dieter, es mit Astrid warst und so wie wir, Nore, es waren bevor ich das Verbrechen beging. Wollt ihr mir versprechen, dass ihr alles daran setzt, sehr glücklich zu werden, vielleicht viel glücklicher als ihr jemals wart.“. Eleonores spontanes „Ja, Friedhelm“ setzte mich doch ein Wenig in Verwunderung, so dass ich erst nach einer kurzen Staunphase das Gleiche sagen konnte. Und Tanja setzte noch: „Vati, ich habe es gehört und verspreche dir, dass ich meiner Pflicht als Zeugin, so wie du es dir wünscht, nachkommen werde.“. Danach sprach Rebmann zu uns allen: „Ich wollte euch noch sagen, dass ich juristisch korrekt eine Patientenverfügung aufgesetzt habe. Das Wichtigste für euch daraus ist, dass ich nach dem heutigen Tage keinen Besuch mehr von Euch haben möchte. Überhaupt möchte ich außer Thomas keinen Besuch mehr haben. Ich habe abgeschlossen und warte nur noch auf meinen Befreier, den Tod. Ich möchte nicht, dass die Menschen, den ich so viel angetan habe, weder bewusst noch unbewusst von mir belastet werden. Ich habe auch verfügt, dass ihr über nichts mehr benachrichtigt werdet, außer wenn ihr aus irgendeinem Grund danach fragt. Erst wenn mich der Tod befreit hat, sollt ihr eine Nachricht erhalten. Weiter möchte ich, dass ich an dem Ort wo ich sterbe eingeäschert und anonym bestattet werde. Keine dieser Verfügungen ist von mir gegen euch sondern im Gegenteil als anständiger Abgang meinerseits gedacht. Ich glaube, dass ihr mich versteht. Als letztes bitte euch noch mir das, was ihr verzeihen könnt, zu verzeihen. Am Liebsten wäre mir zwar alles, aber das darf ich von euch nicht verlangen. Möge mir Gott vergeben und euch wünsche ich seinen Segen.“. Er hatte dieses kaum gesagt, da schlief er ein. Oder tat er erst nur so – ich kann es nicht beurteilen. Wir saßen da noch zirka eine Viertelstunde stumm und ratlos, bis eine Frau, die sich als Ärztin vorstellte, herein kam. Nach der Vorstellung trat sie an Rebmanns Bett und „begutachtete“ ihn, bevor sie sich an uns wandte: „Der schläft sehr fest. Was er sich vorgenommen hatte ... Er mich vorher kurz über sein Vorhaben informiert, näheres weiß ich jedoch nicht. Also, was er wollte, dürfte ihn sehr angestrengt haben. Ich soll sie in einem solchen Fall fragen, ob er ihnen seine Patientenverfügung bis zu seinem Bestattungswunsch vorgetragen hat; dann wäre er durchgekommen. Vorsorglich wollte er dieses ganz zum Schluss seiner Anliegen bringen.“. Als wir ihr die Frage positiv beantwortet hatten, fuhr sie noch einmal fort: „Sein derzeitiger Zustand ist die Folge der derzeitigen Behandlung. Dieser wird sich noch einmal bessern aber gesund wird er nicht mehr. Er wird nicht einmal mehr das Bett verlassen können. Wir schätzen seine derzeitige Lebenserwartung auf maximal 6 Monate ein. Dieses nur zu ihrer Information: Wie sie sehen gibt es hier keine Geräte die wir abschalten könnten und Giftspritzen oder so etwas dürfen wir nicht verabreichen. Erstes ist die legale passive und zweites die verbotene aktive Sterbehilfe. Unsere Behandlung bezog sich nicht auf lebenserhaltene beziehungsweise –verlängernde Maßnahmen sondern nur auf die Linderung von Schmerzen und Leiden – und das ist unsere oberste ärztliche Pflicht. Wie gesagt, dieses ist nur eine Information. Wenn sie möchten können sie gerne noch bleiben aber sprechen können sie ihn wohl heute nicht mehr.“. Sie verabschiedete sich und ging hinaus. Auch wir waren uns nun einig, wir gingen jetzt auch. Wir alle hatten in unseren Köpfen doch eine Menge zu verarbeiten, so dass wir fast stumm zu meinem Wagen ins Parkhaus gingen. Auch während wir aus Münster herausfuhren hatten wir nur wenig zu besprechen. Wir waren schon über das Autobahnkreuz Münster-Süd hinaus auf der A1, als es wieder gesprächiger wurde, wofür zunächst Tanja sorgte: „Na, jetzt sitz ihr Beide in der Klemme. Jetzt müsst ihr zusammen gehen. Das habt ihr nicht meinen Vater, nicht einem Gemeindedirektor und keinem Mörder sondern einem Sterbenden versprochen. Und was man Sterbenden verspricht ist als ob man es Gott versprochen hätte.“. „Mädchen, was machst du dir denn für Gedanken?“, ging Eleonore dazwischen, „Ist dir nicht aufgefallen wie schnell mir das Ja rausgeplumst ist. Wir sind doch schon längst ein Paar und ich würde mich auf so etwas nicht einlassen, wenn ich mir nicht fest vorgenommen hätte, so auch glücklich zu werden. Du weist, dass ich bewusst keine halben Sache mache.“. „Habt ihr denn schon miteinander gebumst?“, wollte Tanja jetzt wissen. Das ging Eleonore offensichtlich zu weit, denn sie empörte sich richtig: „Ich glaube jetzt gehst du zu weit. Was geht dich denn unser Intimleben an?“. „Entschuldigung“, sagte Tanja jetzt kleinlaut, „aber den Rüffel muss ich jetzt zurückgeben. Warst nicht du das, der diese, doch natürliche Sache, auf Dieters Geburtstag so angesprochen hat als wolltest du damit wie eine gut katholische Jungfrau bis zur Hochzeit warten. Aber erstens bist du evangelisch und zweitens kann ich mir vorstellen, dass Dieter auch mal was gebrauchen könnte. Und euer Versprechen gegenüber dem sterbenden Vati war doch wohl so eine Art Trauung.“. Im Stillen musste ich meiner Stieftochter in Spe recht geben, aber um eine Eskalation zwischen Mutter und Tochter zu vermeiden, sah ich mich zu einem Themenwechsel gezwungen. Ich versuchte es mal mit der Tour, dass ich langsam
Hunger bekäme und ob ich die Beiden zum Essen ins Dalmatia, einem kroatischen Steakhaus in Waldstadt, einladen könne. Jetzt war ich es, der sich Eleonores Empörung, diesmal aber gespielt und freundlich, zuzog: „Du hältst wohl nicht viel von meinen Kochkünsten? Du hast noch nie im Restaurant Eleonore gegessen und willst es offensichtlich auch nicht. Und dabei habe ich den ganzen Morgen geackert, um was vorzubereiten, mit dem ich dich beglücken kann.“. „Wenn das eine Einladung ist, nehme ich die gleich postwendend an“, war nun von mir zu hören. Tanja gedachte dann gleich sich wieder einen Ordnungsruf verdienen zu müssen: „Willst du nicht erst bei dir Zuhause vorbei fahren und deine Zahnbürste holen?“. Na ja, das war, bis zu dem Zeitpunkt, wo wir bei Rebmanns in Olvermühle vorfuhren, nicht der letzte Spruch in dieser Richtung und prompt bekam sie immer wieder von ihrer Mutter einen „aufs Haupt“. Von mir aus, hätte ich mich ja gerne auf die Seite des Mädchens gestellt, aber in die „Erziehung anderer Leute Kinder“ soll man sich nicht einmischen. Letzteres sollte jetzt nur eine Andeutung, in schriftstellerischer Freiheit, unserer positiven Grundstimmung, die während der Rückfahrt stetig wuchs, sein. Zum Kapitel 12
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Was Gott hartnäckig zusammenfügt Bis an dieser Stelle hatten wir ja schon diverse Ausführungen zum 6. Gebot und dieses Kapitel könnte ich jetzt mit einer zum 7. Gebot „Du sollst nicht lügen“ beginnen, denn die ehrenwerte Religionslehrerin Eleonore Rebmann hatte mir doch, um mich statt ins Restaurant zu sich nach Hause zu locken, glatt etwas vorgeflunkert. Sie hatte bezüglich Essen noch nichts vorbereitet und außer den Plan mich zuhause zu haben, war auch so etwas noch nicht vorhanden. Dieses musste sie mir, als wir in ihr Heim eingetreten waren, beichten. Ich konnte ihr jedoch mit einer identischen Beichte eine Absolution erteilen. Auch ich hatte gelogen, denn mein Hunger war bei Weitem noch nicht so groß wie auf der Autobahn vorgegeben. Meine Intentionen waren ja, wie bereits geschrieben, von einem heiklen Thema ab zu lenken und zum Anderen wollte ich die Mädchen auch nicht einfach vor ihrem Heim absetzen und dann allein den Abend verbringen. Uns verband also der Wunsch nach Gemeinsamkeit und dieses höhere Anliegen haben wir uns gegenseitig mit einer „Nettlüge“ vorgetragen. Als Lösung einigten wir uns auf eine nette „Kalte Platte“, die uns Eleonore zusammen mit Tee und anderen netten Sachen zaubern wollte. Bezüglich des Timings gab es dann für Eleonore eine, für sie offensichtlich unangenehme Überraschung. Sie fragte: „Tanja, wann wolltest du denn zu Sascha?“ und bekam die Antwort: „Überhaupt nicht, ich wollte hier bleiben.“. „Wieso das?“, hakte die Mutter nach, „Heute ist doch nicht nur Allerheiligen sondern auch Samstag, da bist du doch immer bei Sascha.“. Ganz normal und gar nicht so unglücklich, wie man dieses in solchen Situationen annehmen könnte, bekundete die Befragte: „Ach, ich habe ein bisschen Knatsch mit der eifersüchtigen Nudel. Der hat doch gestern die Party zu Halloween gegeben. Ich war aber mit Oliver erst bei Tante Waltraud im Reformationsgottesdienst. Da der halb Acht anfing hat Sascha angenommen wir wären spätestens um Neun da. Wir hatten uns aber ein Bisschen verquasselt und kamen später. Da hat er so einen vom Leder gezogen, dass Olli und ich in die Jukebox gegangen sind.“. Na ja, so was kommt bei jungen Leuten einfach mal vor, aber in diesem Falle schwante mir nichts Gutes. Ich kam weder zur Äußerung meiner Bedenken noch zu der Frage, die während Tanjas Ausführungen brennend geworden war, denn Eleonore rutschten die Worten „Scheiße, du machst mir alles kaputt“ raus. „Was ist denn?“, fragte ich prompt und auch Tanja nahm jetzt besorgt ihre Mutter im Arm und sagte: „Mutti, du hast doch nichts mit Sascha zu tun, dass ist doch gar nicht so schlimm.“. „Ach nee,“ sagte sie offensichtlich etwas verlegen, „ich hatte nur etwas vor, wobei ich dich nicht gerne dabei gehabt hätte und ...“. Offensichtlich hat es bei Tanja und mir gleichzeitig Klick gemacht und ich setzte schon an, wie ich die Frau in mein Haus locken könne, wo die, jetzt wieder keck gewordene Tanja sagte: „Ach Mutti, das könnt ihr doch trotzdem. Ich komme doch nicht in euer Schlafzimmer.“. Jetzt war es raus. Eleonore wurde rot und setzte sich in den Sessel bevor sie in ihre vors Gesicht gehaltenen Hände seufzte: „Ach ja, was ist denn schon dabei. Das habe ich mir schon heute gestern vorgenommen, weil ich damit gerechnet habe du wärst bei Sascha. Ich habe extra neue Zahnbürsten von ALDI mitgebracht und einen Rasierapparat, den ich Dieter nachträglich zum Geburtstag schenken wollte, habe ich auch gekauft. Da fängst du Göre dann noch, ohne das es dich was angeht, im Auto davon an. Jetzt das ... und ich weiß gar nicht ob Dieter überhaupt will.“. „Aber ja, ich will, ich weiß gar nicht wann der letzte Moment, an dem ich so glücklich wie jetzt war, gewesen ist.“, bekundete ich spontan und hocherfreut. „Entschuldigung Mutti, ich wollte dich nicht komprimieren.“, setzte Tanja an, „Wenn du willst rufe ich Tante Waltraud an, die hält ja morgen noch mal Gottesdienst. Dann schlafe ich bei ihr und du kannst mich dann nach der Kirche wieder mitnehmen?“. Da war es wieder was ich fragen wollte und wieder kam ich nicht dazu, denn Eleonore nahm erst mal die Entschuldigung ihrer Tochter an und erklärte ihr, dass sie ruhig bleiben könne, da sie ja jetzt ohnehin alles wisse und daran ja auch nichts Schlimmes sei. Jetzt kam ich endlich zu meiner Frage: „Ist deine Schwester Pastorin?“. Eleonore schaute mich verwundert an und sagte: „Aber ja, ich dachte du wüstes das. Sie ist ordinierte Pastorin. Thomas und Waltraud haben zusammen studiert und sind auch zur gleichen Zeit ordiniert worden. Ihnen ist es nur nicht gelungen an einem gleichen oder benachbarten Ort eine Pfarrstelle zu kriegen und als Ehepaar an entfernten Orten leben und wirken wollten sie auch nicht, deshalb hat Waltraud zugunsten Thomas auf dauernde Berufsausübung verzichtet. Aber um ihre Ordination nicht zu verlieren muss sie ein paar Gottesdienste im Jahr halten. So hat sie gestern den Reformationsgottesdienst gehalten und wird morgen auch da oben predigen. Vielleicht kann ich dich überreden mitzukommen.“. Das haute mich in den Sessel und ich musste beichten: „Ach Mäuschen, sicher wusste ich, dass die Frau von Pastor Kühn auch Pfarrerin ist habe ich gewusst ... Ich habe sie doch selbst schon predigen hören. Aber dass das deine Schwester ist, das habe ich nie gecheckt. Ich habe mich zwar über die Namensgleichheiten Peter Thomas und Waltraud gewundert wenn du von deiner Schwester oder deinem Schwager sprachst und immer lief auch die Tendenz in Richtung Berufsgleichheit, aber Eins und Eins habe ich nie zusammengezählt.“. Jetzt hatte ich aber für Erheiterung gesorgt, denn beide Frauen mussten sich erst einmal auslachen bevor sie sich mir widmen konnten. Bevor aber eine von beiden nach dem Abklingen des Lachens was sagen konnte, hatte ich Eleonore zwei, für sie freudige Mitteilungen zu machen: „Weißt du, nachdem das mit Astrid passiert ist, habe ich mich zum Gottesleugner aufgeplustert. Die Phase ist aber, seit dem wir zusammen sind, vollkommen abgeklungen. Ich habe durch dich sogar wieder richtig zum Glauben gefunden. Ich habe mich aber geziert und bin deshalb nie mit zur Kirche gekommen. Ich hatte bis eben noch die Absicht, den gleichen Anlass wie Nur-Kirchensteuer-Zahler-Christen, also Weihnachten, für meinen ersten und für dieses Jahr
einzigen Gottesdienstbesuch zu nutzen. Jetzt ist es aber meine feste Absicht schon morgen wieder mit den regelmäßigen Kirchgang zu beginnen ... auch den Sonntagmorgen möchte ich gerne mit dir und Gott erleben.“. „Umgekehrt, ist es richtiger. Erst Gott und dann ich“, warf sie ein bevor ich weiterfahren konnte: „Ich wollte mich schon, als wir gerade verheiratet waren, in die reformierte Gemeinde nach Weinberg umgemeinden lassen. Aber Astrid wollte in ihrer lutherischen Heimatgemeinde bleiben. Ich glaube, dass Astrid jetzt nichts dagegen haben würde, wenn ich jetzt, 25 Jahre später, diesen Schritt vollziehe. Da können wir ja morgen deinen Schwager drauf ansprechen. Übrigens, Pastor Kühn wäre sicher auch ein Grund für die Umgemeindung, denn er war der Einzigste, der sich in meiner schweren Zeit um mich gekümmert hat. Ohne ihn wäre ich vielleicht manches Mal mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen.“. Als ich dieses ausgesprochen hatte, faltete sie spontan ihre Hände, senkte den Kopf und betete: „Herr, ich danke dir, dass du uns so hartnäckig zusammenfügst. Amen“. Ich schloss mich, obwohl ich auf die diese Schnelle nicht mitbeten konnte, mit einem „Amen“ an, denn ihr Gebet sprach auch mir aus dem Herzen. Ich schaute Eleonore verliebt an und bekannte: „Elli, mein Schatz, an dir ist auch eine gute Pastorin verloren gegangen.“. Damit hatte ich mir erst mal einen richtigen Kuss verdient, den sie mit „Maus, du hast mir jetzt ein Kosenamen verpasst und mich erstmalig Schatz genannt. Wenn das so weiter geht, komme ich noch vor Glück um.“. Tatsächlich habe ich jetzt erstmalig Elli zu ihr gesagt. Einen Kosenamen hatte ich mir schon lange, für den Tag wo wir ein richtiges Paar werden, vorgenommen. Ursprünglich hatte ich die dritte und vierte Silbe ihres Vornamens, also „no“ und „re“, die ich wieder zu Nori zusammenziehen wollte, ins Auge gefasst. Ich hatte aber in Münster aber von Rebmann gehört, dass er seine Frau Nore nannte und dann war mir das Ganze doch zu unsympathisch. Und ich liege wohl nicht falsch, wenn ich annehme, dass dieses Eleonore auch nicht gefallen hätte. Auf jeden Fall kam mein Schatz danach dazu, meine Ursprungsfrage zu beantworten: „Also, ob ich eine gute oder eine schlechte Pastorin geworden wäre weiß ich nicht. Aber das ich schon fast eine war, ist richtig. Ich habe Theologie studiert. Ich war im letzten Semester und die Beiden, also Waltraut und Thomas, im zweiten. Schon als sie anfingen war mir Thomas ins Auge gefallen. Passiert war aber nichts. Ich hatte keine Annäherungsversuche unternommen und er hat mich wohl noch gar nicht beachtete. Da musste es passieren. Ich hatte gerade die letzten Examensklausuren geschrieben, da traf ich Waltraud und Thomas im Bett an. Meine Schwester und ich hatten ein gemeinsames Zimmer. Ich bin ausgerastet und habe meiner kleinen Schwester fast die Augen ausgekratzt obwohl doch niemand von meiner heimlichen Liebe was wissen konnte. Ich fuhr erst mal nach Hause, wo ich dann Friedhelm mehr als nur kennen lernte ... Ich kannte ihn ja schon vorher, als Kind. Da wollte ich dann nicht mehr Pastorin werden und schrieb mich dann noch mal in Germanistik und Pädagogik ein. So wurde ich dann Lehrerin. Also, dass du mich nicht missverstehst, ich habe nicht weil zwei angehende Theologen miteinander schliefen von meinem Vorhaben abgesehen sondern wegen Friedhelm, den ich nach meiner verärgerten Heimkehr lieben lernte. Der hätte sich nicht von hier wegbewegen lassen und als Pastorin hätte ich nur eine minimale Chance für eine Pfarrstelle in dieser Gegend gehabt. Wäre aber das mit Waltraut und Thomas nicht passiert, wäre ich zu dem Zeitpunkt nicht zuhause aufgekreuzt und dann wäre ich nicht auf dem Gemeindefest, wo mich Friedhelm einfing, gewesen. Ursprünglich war ich mal über diesen Umstand glücklich ... ich konnte ja nicht wissen, was noch passieren sollte.“. Während dieses Berichtes war Tanja, die dieses ja als Familienhistorie kannte, auf ihr Zimmer gegangen um sich umzuziehen und kam jetzt etwas locker gekleidet, wie sie es offensichtlich aus den Tagen, wo sie mit ihrer Mutter alleine war, gewohnt war wieder herein. Das heißt von Unten nach Oben beschrieben: Filzlatschen mit Bommel, Strumpfhose, Slipper und darüber ein bis zu den Schenkeln reichender Pullover, durch den ich nicht erblicken konnte ob noch etwas darunter war. Also locker eher im Sinne von legere und nicht von leicht geschürzt. Außer dass ich, als sie unmittelbar nach ihrem Hereinkommen ein bisschen unbekümmert im Sessel saß, ihr Höschen sehen konnte, wäre auch von Sittenwächtern nichts zu beanstanden gewesen. Trotzdem fing sie sich ein ermahnendes „Tanja“ von ihrer Mutter ein und diese gab sich verwundert: „Was ist, wir sind doch zuhause und Gäste haben wir nicht.“. „Und was ist mit Dieter?“, fragte Eleonore zurück. Worauf es dann die logische Erklärung gab: „Das ist doch kein Gast. Der gehört doch jetzt zu uns. Aus meiner Sicht ist das dein Mann, auch wenn ihr im Moment noch keinen Trauschein habt, und ich bin euere Tochter. Ich gehe mal davon aus, dass ich ihn jetzt hier laufend antreffe und da will ich mich doch nicht laufend in Schale schmeißen.“. „Na ja, du hättest aber trotzdem deine Jeans anziehen können“, gab sich Eleonore geschlagen. Aber das letzte Wort gab dann doch die Tochter: „Was soll’s, mein Höschen sieht auch nicht viel anders als ein BikiniUnterteil aus und wenn ihr mal schwimmen geht, darf ich doch wohl mitkommen.“. Tanja hatte endgültig gesiegt und ich die Gewissheit von ihr in die Familie aufgenommen worden zu sein. Sie hatte sogar soweit gesiegt, dass sich ihre Mutter danach auch umziehen wollte. Bevor sie aber hinausging bekam die Tochter die Anweisung mir schon mal eine Flasche Bier aus dem Keller zu holen, da ich ja an diesem Tag nicht mehr fahren müsste. Den Kasten Bier hatte sie auch am Vortage ihres Planes, der jetzt ein Wenig durcheinander gekommen war, beschafft. Beim Umziehen ging sie, durchgekreuzt hin und her, auch wieder strickt nach ihrem Ursprungsplan vor. Sie kam nicht in Alltagsmontur sondern in dem sexy Outfit von jenem Freitagabend, als uns die Kinder in „Flagranti“ erwischten, wieder. „Oh,“, stutzte Tanja, „wollt ihr alleine sein? Dann bleibe ich auf meinem Zimmer.“. „Ach Mädchen,“, verkündete mein Schatz, „das brauchst du nicht. Du kennst mich ja zu genüge wenn ich sogar überhaupt nichts anhabe und zur Sache gehen wollte ich auch nicht. Das machen wir später so richtig schön; ich bin eine
Genießerin. Aber ich darf doch wohl meine Maus, doch noch festlich aussehend, anspitzen? Dabei störst du nicht ... im Gegenteil, dann läuft dein Stiefvater heiß und kann nicht wie er möchte. Dann hat er mehr von der Freude.“. Jetzt war ich doch etwas verblüfft von dem lockeren Umgang der Mutter, die mal Pastorin werden wollte, und ihrer Tochter. Aber das hatte sich Eleonore schon so gedacht und lieferte mir gleich die Erklärung. Sie hatten Tanja recht offen erzogen. Auch was die Sexualität anbelangt unterhielten sie sich offen vor ihrer Tochter. Sie haben sie mit in die Sauna oder an den FKK-Strand genommen und auch keine Hemmungen gehabt unbekleidet durchs Haus zugehen. Eleonore und Friedhelm waren sich einig darüber, dass dieses besser sei, als mit Prüderie irrige Phantasie zu inspirieren, mit dem Kinder nur auf Irrwege kommen. Kinder jetzt deshalb, weil Tanja ja nicht schon immer 18 war. Jetzt gab es seitens der Hausherrin doch Einschränkungen für den künftigen hausinternen Ablauf: „Aber eins Tanja. Dir ist klar, dass Dieter nicht dein leiblicher Vater ist und du nicht Sabrina bist.“. Sie hatte zwar Tanja angesprochen aber ich fühlte mich, sicher zu recht, auch betroffen. Ich nehme an, dass sie ihr „Einheizkostüm“ nicht nur zu dem angegeben Zweck angelegt hatte sondern dieses auch im Hinblick auf das nun, scheinbar unausweichlich und häufiger werdende, Zusammenleben nutzen wollte um die Hausordnung festzulegen. Ein Lolita-Verhältnis, auch wenn Tanja nach dem Gesetz schon erwachsen war, schloss sie strickt aus. Na, ich würde sagen, dass dieses bei mir ohnehin ausgeschlossen gewesen wäre aber Eleonore hatte sicher nicht Unrecht, wenn sie dieses eindeutig klarstellte. Aber wie Sie im weiteren Verlauf der Geschichte sehen werden, ergab sich dahingehend auch nie eine Gelegenheit; bis auf ... Sorry, dieses erfahren Sie schon in Kürze. Danach saßen wir etwa eine Dreiviertelstunde bei einer allgemeinen Unterhaltung zusammen. Meine Elli hatte schon gerade angekündigt, dass sie langsam zur Herrichtung der Kalten Platten schreiten wollte, als Tanja zum nächsten Schritt ihrer Neu-Familien-Förder-Initiative schreiten konnte. Das, in der Diele stehende, Telefon schellte und Eleonore sagte: „Tanja, kannst ja gleich dran gehen; es ist bestimmt Sascha.“. Die junge Frau hatte sich zwar spontan erhoben, verkündete aber beim Hinausgehen: „Nee, mit Sicherheit nicht.“. Knappe zwei Minuten später steckte Tanja den Kopf durch die Tür und verkündete: „Es ist Olli. Der wollte Sabrina jetzt nach Waldstadt bringen. Kann er dann anschließend hierher kommen? Wir möchten uns ein Bisschen ‚Mucke’ auf meinem Zimmer anhören. Um Zehn geht er wieder, weil er auch Sabrina wieder abholen wollte.“. „Warum nicht,“, äußerte Eleonore ihre Zustimmung, „Er kann dann auch gleich mit uns mit essen.“. „Okay“, jubelte die Tochter, „und was meinst du, Papa“. Ich sagte spontan „Ja“ und Eleonore schaute mich groß an: „Habe ich mich verhört, hat die zu dir Papa gesagt?“. Damit hatte sie sich offensichtlich zu viel Zeit gelassen, denn Tanja war inzwischen wieder in der Tür und hatte den letzten Halbsatz mitgekriegt und tönte: „Du hast dich nicht verhört. Zu dem Anderen sage ich doch Vati, da kann gar nichts passieren. Aber Papa, was ich wollte: Soll Olli dir was mitbringen?“. Na, da war mir doch was eingefallen und andererseits konnte ich ja davon ausgehen dass, wenn es Tanja weiß, meine Kinder es spätestens von ihr erfahren. Deshalb konnte ich dann selbst ungeniert zum Telefon marschieren. Die beiden „Rebmann-Mädchen“ schritten dann gemeinsam zum Umziehen. Als sie nacheinander wiederkamen konnte ich feststellen, dass beide in überkreuzte Richtungen gedacht hatten. Elli erschien jetzt in einem hochgeschlossenen aber chicen Kleid und Tanja in hautengem dekolletiertem T-Shirt und engen, kurzem Rock. Eros bei der Mutter raus und bei der Tochter rein. Also ehrlich, irgendwie kam mir die Sache mit Tanja und Oliver nicht ganz geheuer vor – aber ich sagte nichts und machte stattdessen gute Mine zum unbekannten Spiel. Als Oliver nach etwas über einer halben Stunde aufkreuzte, sorgte er für eine Überraschung, die „verdammt“ nach abgesprochen roch. Er hatte ein paar Blümchen in der Hand und ging auf Eleonore zu. Währendessen sagte er zu mir: „Wir haben uns ja heute schon gesehen.“. Dann fasste er Elli behutsam an den Oberarmen und küsste sie auf die rechte Wange: „Guten Abend, Mutti.“ Und fügte lachend „Zu meiner Mama habe ich immer Mama gesagt“ hinzu. Elli umarmte ihm und sagte: „Ach, mein Junge, ich freue mich so sehr, dass unsere Sache so euere Zustimmung findet. Wir werden bestimmt eine glückliche Familie werden ... auch wenn ihr schon praktisch aus dem Haus seid. Wie sieht Sabrina das denn?“. Etwas bedrückt sagte er: „Sicher, sie freut sich auch, sie hat es sich auch von Anfang an gewünscht, aber es ist nicht so wie mit Tanilein und mir.“. „Olli, Tanilein,“ kam jetzt von Eleonore, „läuft da was zwischen euch Beiden.“. Das „Nee, nee“, was darauf aus beiden Mündern kam, hörte sich nicht gerade überzeugend an. Als Eleonore und ich später alleine waren äußerte sie, aus ihren pädagogischen Kenntnissen und Erfahrungen, ihren Verdacht mit dem sie gar nicht so falsch lag, wie wir im Verlaufe unserer Geschichte noch erfahren werden. Jetzt mehr dazu zu sagen, hieße jedoch dem Leser die Spannung zu nehmen – und das ist genau das Gegenteil von dem was ich möchte. Also warten wir es ab. Jetzt sind wir erst mal beim Abendessen, das in wirklich netter Atmosphäre verlief. Danach verschwanden Tanja und Oliver auf ihr Zimmer und wir unterhielten uns, wie eben beschrieben über die Verdächte der Pädagogin. Und jetzt weiß ich nicht, wie ich darauf kam, fragte ich sie: „Komisch Elli, wir sitzen hier wie ein altes Ehepaar und sprechen über unsere Kinder und ehrlich gesagt, weiß ich noch gar nicht viel von dir. Bis heute Nachmittag wusste ich noch nicht einmal, dass du beinahe Pastorin gewesen wärest, es aber dafür deine Schwester und dein Schwager sind – obwohl ich die kannte und ich nur nicht wusste, dass sie es waren und so weiter. Wenn man mich nach deinem Mädchennamen fragen würde müsste ich passen.“. Sie lächelte mich an und sagte im kuschelnden Ton: „Och, Maus, schon als Mädchen hieß ich Eleonore und, du wirst dich vielleicht wundern, mein Papi rief mich immer Elli und meine Schwester Traudel. Aber ich will dich jetzt lieber nicht weiter veräppeln, mein Geburtsname ist Hugou.“. „Kommt ihr aus Frankreich?“, fragte ich jetzt wissbegierig. „Das ist aber schon lange her“, verriet sie mir jetzt, „ich stamme aus einer
Hugenottenfamilie. Wenn es dich interessiert, erzähle ich dir gerne etwas von meiner Familie aber vorher hole ich dir erst noch eine Flasche Bier.“. Sagte es und schwebte hinaus. Als sie mit dem Nachschub für meine Kehle wieder zurück war, begann eine wirklich interessante „Geschichtskunde“. Sie erzählte mir von den Hugenotten und deren Verfolgung in Frankreich. Bei der Gelegenheit erfuhr ich auch einiges von dem Schweizer Reformator Johannes Calvin (10.7.1509 – 27.05.1564), auf den sich die Hugenotten aber auch die evangelisch-reformierten Kirchen in Deutschland berufen. Ich erfuhr etwas von der doppelten Prädestination (Vorbestimmung) und seiner Abendmahlslehre, die sich deutlich von der sakramentalen Deutung von Luther und Zwingli unterscheidet. Elli erzählte mir wie ihre Familie in die Mark Brandenburg emigrierte. Wie stark die Einflüsse der Erbsenfresser, wie man die Hugenotten schimpfte, auf die preußische Kultur und dem Staatswesen war. Ich erfuhr, dass Hugous fast oder über 300 Jahre in der Nähe von Potsdam eine Landwirtschaft betrieben. Diese gehörte zur Zeit der Enteignung in der DDR – Gründung der LPGs – dem älteren Bruder ihres Vaters und nach der Wende 1990 hat ihr Cousin nicht nur den Hof sondern sogar ein Bisschen mehr übernommen und betreibt heute dort eine etwas größere Viehzucht. Ende 1952, als ihre Mutter mit ihr schwanger war, kamen sie über Berlin nach Olvermühle. Ihr Vater, der 1978 starb, arbeitete dann auf dem Hof von Ernst Salein, meinem Schwiegervater. Also kannten sich Astrid und Eleonore wirklich von Kindesbeinen an. 1975, Eleonore war 23 Jahr alt, lernte sie dann Friedhelm Rebmann „richtig“ kennen. 1979 haben sie geheiratet und 4 Monate später wurde dann Tanja geboren. An dieser Stelle musste ich dann einhaken: „Es sieht so aus, als ließest du dir gerne Zeit und dann aber holla.“. „Na ja, bis Mitte der 60er-Jahre hätte man bestimmt gesagt, wir hätten heiraten müssen.“, kommentierte sie jetzt lachend, „Aber immerhin haben wir uns vorher fast vier Jahre Zeit gelassen. So lange kannst du augenscheinlich nicht mehr warten, du kannst wohl überhaupt nicht mehr warten.“. Sie erhob sich und reichte mir ihre Hand: „Dann komm, ich auch nicht mehr.“ Jetzt schlug mein väterliches Gewissen und deshalb fragte ich „Und Oliver, der ist doch noch im Haus?“. Sie lächelte mich überlegen an: „Tanja kennt sich ja aus, die wird ihn wohl raus lassen können. – Also komm.“. Wir gingen hinauf ins Schlafzimmer. Während ich mein Jackett schon mal über dem Stuhl ablegte, knipste sie schon mal eine Nachttischleuchte an und legte ein Kopftuch drüber. Nachdem sie das Deckenlicht ausgemacht hatte, herrschte ein traute, nicht zu helle Atmosphäre im Raum. Inzwischen hatte ich schon meine Krawatte abgelegt und die Hose ausgezogen. „Nicht so schnell, Liebster,“, flüsterte sie, „ich bin eine Genießerin. Ich möchte das Ganze kosten. Dabei legte sie langsam ihr Kleid, unter dem sich zu meinem Erstaunen nur in Tangahöschen verbarg, ab. So kam sie auf mich zu und knöpfte langsam, Knopf für Knopf, mein Hemd von Oben nach Unten auf. Nach dem letzten Knopf fasste sie meinen Slipper und zog mir diesen langsam runter. Das Ausziehen von Hemd und Unterhemd überließ sie mir, denn sie betätigte sich jetzt erst mal wie Monica Lewinsky beim amerikanischen Präsidenten Bill Clinton. Danach fiel dann ihre letzte Bedeckung und vollkommen nackt warfen wir uns aufs Bett. Wo wir uns gegenseitig zärtlich an allen möglichen Körperstellen beküssten und mit der Zunge bezüngelten. Nach etwa einer halbe Stunde kam es dann erstmals zwischen uns Beiden zur Vollendung, wir wurden ein Fleisch. Jetzt wird mancher sagen, warum beschreibt der Kerl das jetzt mit dieser Ausführlichkeit, geht es jetzt zu den pornografischen Teil über. Nein beim besten Willen nicht aber trotzdem machte ich dieses jetzt bewusst. Da hört man viel von der protestantischen Prüderie und da hatte ich es jetzt mit einer Protestantin durch und durch zu tun. Religionslehrerin und Beinahepfarrerin, Schwester einer Pastorin, Schwägerin eines Pastors – und dann so etwas? Na, was hat denn das Eine mit dem Anderen zu tun. Sie hat es sich bestimmt nicht leicht gemacht bei ihrer Entscheidung, mich in ihr Bett zu lassen. Und das unterscheidet sie deutlich nicht nur von den Betthäschen aus den einschlägigen Werken. Und dann, das wollte ich eben darstellen, verlief alles einerseits mit Hingabe und andererseits mit Genuss, der den Rammlern und deren Lustobjekten mit Sicherheit entgeht. Es war herrlich, selten habe ich die Zeit wohliger und ausgefüllt erlebt wie bei diesem ersten Mal. Wer aber jetzt erwartet, dass ich in ähnlicher Ausführlichkeit unsere weiteren Begegnungen beschreibe, den muss ich enttäuschen. Dieses eine Mal war es mir wichtig kundzutun wie glücklich mich diese Frau, die sich seitdem an meiner Seite befindet, macht. Aber eigentlich sind es unsere Stunden, die nur uns allein gehören und daher wird von diesen auch jetzt nichts weiteres mehr niedergeschrieben. Bei uns hatte auf jeden Fall die seelische und körperliche Liebe, eigentlich eine untrennbare Einheit bei Mann und Frau, gesiegt – wird sind, wie es im Markus-Evangelium heißt ein Fleisch geworden. Gott hat uns hartnäckig zusammengefügt und kein Mensch kann uns mehr trennen, nur noch der Tod. Obwohl wir relativ früh Eleonores Schlafzimmer aufgesucht hatten sind wir recht spät, nämlich ein- bis anderthalb Stunden nach Anbruch des neuen Tages, eingeschlafen. So genau lässt sich ja der eigene Einschlafpunkt nicht fixieren, da nach dem Aufwachen der Zeitraum zwischen Hellwach und Traum nachträglich nicht mehr exakt rekonstruierbar ist. Dagegen lässt sich der umgekehrte Zeitpunkt, der des Aufwachens, minutengenau nachhalten. So bin ich am Sonntag, dem 2. November 1997, punkt 6:15 Uhr aufgewacht. Also, dass man diesen Aufstehzeitpunkt genau fixieren kann, ist aus eigenem Erleben nachvollziehbar aber dass man das dann nach mehr als 4 Jahren noch 100%-ig in seinen Erinnerungen hat, scheint den meisten doch unglaubhaft. Aber ich bleibe dabei, dass es an diesem ersten Sonntag des Novembers 1997 genau Viertel nach Sechs war, als wir beide gemeinsam wach wurden. Erklärend muss ich ausführen, dass unser Gehirn zur Zuordnung einer Sache bestimmte Eckpunkte benutzt. Je markanter diese sind, um so
nachhaltiger und konkreter prägen sich teilweise Kleinig- und Nebensächlichkeiten in die Erinnerungen ein, insbesondere dann, wenn die Kleinigkeiten mit lange geübten Gewohnheiten in Verbindung stehen. Und an den Mangel an Eckpunkten brauchten wir uns an diesem Wochenende nun nicht beschweren. Es war Allerheiligen, also der erste Novembertag, als ich am Sterbebett des Mörders meiner Frau stand und in der darauffolgenden Nacht schlief ich erstmals mit seiner Frau. Sicherlich ein außergewöhnliches Ereignis, nicht nur in meinem Leben. Jetzt weiß ich nicht mehr wieso und weshalb Elli am Vorabend ihren Wecker aktiviert hat; aber sie hat es gemacht. Und dieser steht, gleichgültig ob sie bereits in ersten Stunde Unterricht gibt oder später an Schultagen standardmäßig auf 6:15 Uhr. Nun, als wir dann die Augen richtig aufhatten mussten wir darüber auch amüsiert lachen und damit wäre es, wenn wir alleine im Hause gewesen wären erledigt. Es wäre auch dann erledigt gewesen, wenn Tanja, wie bei ihr sonntags üblich bis kurz nach Acht im Bett geblieben wäre. Genau da war auch Elli von ausgegangen, als sie mir vorschlug, ich solle als erster ins Bad gehen und sie würde schon mal runter in die Küche gehen und den Kaffee aufsetzen sowie für jeden von uns Beiden ein Frühstücksei zu kochen. Im Hinblick auf den Hintergrund, dass wir ja nun nicht überlange geschlafen hatten, waren wir erstaunlich munter. Sollte da etwas dran sein, das Liebe fit macht? Also ging sie wie abgesprochen hinab in die Küche. Sie ging so wie sie geschlafen hatte und das entsprach dem, wie Gott sie geschaffen hatte. Selbst wenn Tanja wider Erwarten auch schon munter gewesen wäre, wäre daran nichts Besonderes gewesen, denn das war sie, wie ich bereits berichtete, von ihren Eltern, die sie recht offen erzogen hatten, ja gewohnt. Tatsächlich war Tanja an diesem Sonntag tatsächlich schon munter und wurde von ihrer Mutter in der Küche, ebenfalls im Evaskostüm, angetroffen. Das wäre auch nicht schlimm gewesen, wenn nicht dort auch mein Herr Sohn im Adamskostüm anzutreffen gewesen wäre. Man könnte jetzt annehmen, Elli wäre mit einem erschrockenen „Huch“ erst mal davon gestoben. Aber nein, sie blieb in der Tür stehen und rief durch den Hausflur: „Maus, komm mal, auf eine Überraschung gefasst, ganz schnell runter.“. Ich tönte zurück, dass ich mir nur schnell was überziehen wollte, worauf sie zurückrief: „Nein, dann passt du nicht ins Bild. Besser du lässt deine Unterwäsche auch oben.“. Ich wusste nicht was das sollte und da ich mich gerade vom Duschen abtrocknete hatte ich so und so nichts an und marschierte dementsprechend wie geheißen herunter. Als ich als vierter Nackte zu den bereits drei anwesenden stieß, war mir das in diesem Moment doch äußerst peinlich. Eleonore entschuldigte sich später, als wir uns anzogen, dafür. Sie meinte dass es den beiden jungen Leuten deutlich peinlicher gewesen sein müsste und die einen gehörigen Dämpfer verdient hätten, da deren Handeln auf Kosten anderer Menschen, auf keinem Fall akzeptabel sei. Was sie bewegte, wurde bei ihrer nun folgenden Standpauke deutlich: „So mein lieber Oliver, diesmal gebe ich dir keine Chance zu türmen. Als ich dich das erste Mal in deiner Pracht vor mir stehen hatte, hätte ich ja Verständnis gehabt. Ihr seid jung und da springt schon mal der Funke über und wer kann sich schon, wenn er nicht schon ganz vergeistig ist, von diesem oder jenem freisprechen. Damit wäre schon fast alles erledigt, was ich dir zusagen hätte, wenn du nicht mitgespielt hättest. Anders bei dir Tanja, du bist ein Schwein, ein ganz gemeines Schwein. Na, hast du mir jetzt was zu sagen?“. Als Elli eine Kunstpause einlegte, hatte ich auch noch kein Verständnis für ihr offensichtlich doch jetzt hartes Vorgehen, aber ich schwieg – zum Glück. Denn als Eleonore wieder ansetzte fiel auch mir der dicke schmutzige Stein auf, den sie entdeckt hatte. Tanja durchbohrend ansehend fuhr sie scharf fort: „Mädchen, wenn du schweigst will ich dir sagen was Sache ist. Das Spielchen, was du mit Sascha und Sabrina treibst, ist übel und widerlich ... pfui. Oder liege ich falsch, wenn ich sage, dass mein erster Eindruck damals richtig war. Das sah beim besten Willen nicht nach Vergewaltigung aus – oder?“. Ganz bedrückt legte Tanja ihr Kinn unterhalb des Halses an ihren Körper und sagte ganz leise etwas, was kein anderer akustisch mitbekommen konnte, worauf Elli nachhakte: „Lauter, ich will was hören.“. Offensichtlich doch noch gehorsam kam jetzt: „Mutti hör doch bitte auf. Lass uns in Ruhe darüber sprechen“. „Ich höre erst auf, wenn ich die Wahrheit gehört habe.“, reagierte Elli scharf und barsch. Mit verheulten flehentlichen Blick schaute mich das Mädchen an und mein Mitleid gebot mir mich jetzt einzumischen: „Elli, geh doch nicht so hart gegen deine Tochter vor. Es waren doch beide ... auch mein Sohn.“. Mir zunächst zugewandt sagte sie: „Wir können doch den Mittäter und vielleicht in irgendeiner Weise Opfer nicht hängen und die Täterin laufen lassen. Das die Beiden es miteinander haben, ist ja nicht der Grund warum ich hier jetzt, insbesondere noch so, hier stehe. Mir geht es darum, was sie da schäbiger Weise mit Sascha und Sabrina treibt. ... Na komm langsam Mädchen, ich möchte nicht heute Abend noch nackt in der Küche stehen. Ich will ein Geständnis.“. Das Mädchen kam jetzt zwar nicht gleich mit einem Wortschwall aber der äußere Eindruck verriet, dass gleich was kommen würde. Richtig, zwei oder drei Minuten später war es soweit. Tanjas Geständnis ging sogar noch tiefer als Eleonore es vermutet. Das Mädchen hatte tatsächlich ein abgekartetes Spiel getrieben. Die „Liebe“ der beiden war schon vor den Mordfall beidseitig. Sie waren auch schon „miteinander gegangen“ aber zu Intimitäten war es noch nicht gekommen. Da passierte dann das Schreckliche und das dürfte wohl überall nachvollziehbar sein, brach Oliver die Beziehung ab. Tanja wollte ihn aber auf Biegen und Brechen zurück haben. Da ersann sie eine Eifersuchtsmasche. Sie suchte sich, nach ihren eigenen Worten den Erstbesten und das war Sascha, von dem sie eigentlich nie was wollte. Aber Oliver nahm davon überhaupt keine Notiz. Als sie sich dann im August vor dem Hallenbad trafen, sah Tanja eine erneute Möglichkeit sich ihren Oliver „wiederzuholen“. Das Sabrina dabei war, betrachtete sie sogar als einen
Glücksfall, denn dadurch konnte sie es gegenüber Oliver so darstellen, dass er keinen „richtigen“ Verdacht schöpft. Sie dachte sich, dass wenn sie erst mal zusammen sind, würde sich schon eine Gelegenheit ergeben mit Oliver eine Verabredung zu einem zielführenden Treffen auszuhandeln. Als Oliver dann allein eintraf und ihr dann auch noch gleich gestand, dass er auch gerne an alte Zeiten anknüpfen wollte, sah sie sich am Ziel ihrer Wünsche. Sie gab sich mit dem erreichten nicht zufrieden sondern wollte Oliver „verrückt auf sich“ machen. Während sie mit Oliver sprach, hat sie sich langsam entkleidet und er hat sie dann mit Zärtlichkeiten „überschüttet“. Das hat ihr so gut gefallen, dass sie ... Lassen wir sie jetzt mal wieder wörtlich sprechen: „Ich wollte dass es nicht so schnell vorbeigeht. Da habe ich ihm gesagt, du Mutti, könntest jedem Moment kommen. Du kämst zwar nicht direkt ins Wohnzimmer aber es wäre besser er behielte seine Sachen an. Ich hätte schnell den Pullover drüber gezogen und du würdest so schnell nicht merken, dass sonst nichts drunter ist. Er hatte aber einen mächtigen Ständer gekriegt und ich habe ihm dann erst einen geblasen aber dann darum gebettelt, dass er anschließend weiter machen sollte. Aber nach einer Weile hatte er aber wieder einen stehen. Da habe ich ihm gesagt, dass er es mir machen könne. Als er gerade ausgezogen war, warst du auf einmal da und wir hatten furchtbare Angst.“. Diese artikulierte sich bei Sascha im Heulen und bei Tanja im hysterischem Lachen. Sascha mischte sich mal kleinlaut ein: „Ach in dem Moment tat mir alles so weh. Meine Mama habe ich verloren, mein Papa war im Begriff bekloppt zu werden und die Frau, für die ich mich hätte erschießen lassen, glaubte ich in dem Moment für immer verloren zu haben. Mutti, ich glaubte du würdest jetzt einen unüberwindbaren Keil zwischen uns treiben. Außerdem habe ich mich fürchterlich vor dir geschämt.“. Na ja, Tanja war nichts besseres wie Vergewaltigung eingefallen und hat sich dann in ihrer verwirrten Situation mit der Zärtlichkeit verquasselt. So kam es zu der Version der seltsamen Schmusevergewaltigung und um das Ganze dann wieder echt wirken zu lassen, gab sie vor, es als Grausamkeit empfunden zu haben. An dieser Stelle gab es dann so eine Art Wiederholung. Elli und ich standen immer noch am Türpfosten gelehnt während unsere Kinder nach wie vor auf ihren Plätzen saßen. Obwohl wir alle nackt waren, war an dieser Szene absolut nichts erotisierendes. Plötzlich begann Oliver wieder laut zu heulen. Er sprang plötzlich auf und auf Eleonore zu, die er jetzt heftig umarmte. Bei dem lauten Heulen hörten sich seine Worte irgendwie brüllend an: „Mutti, Mutti, bitte, bitte, lass Tanilein in Ruhe. Ich war das doch mit Sascha und Sabrina. Ich bin die Sau.“. Während der gesamten Zeit saß Tanja hysterisch lachend auf ihrem Platz. Aber urplötzlich brach diese fürchterlich klingende Lache ab und sie heulte auch. Auch sie sprang plötzlich auf und im Zuge der Emanzipation hatte sie mich dann in der Umarmungsklammer. Ich würde sagen, dass es die Ratio war als ich vorschlug, dass wir uns wieder setzen sollten. Vorher hatte ich gesehen, dass der Kaffee fertig war und deshalb war mein zweiter Vorschlag, dass wir jetzt jeder davon eine Tasse bekommen sollten und uns Oliver dann mal die reine Wahrheit auftischen sollte. Nun, aufgrund seiner Reaktion nahm ich an, es wäre schon bis dahin anders gewesen und Tanja habe unter mütterlichen Druck jetzt die Schuld auf sich genommen. Aber nein, die Darstellung war bist jetzt richtig und auch aus meiner Sicht verständnisbegründend nachvollziehbar. Was jetzt aber kommt, liegt nach meinem Verständnis schon im Bereich der Kriminalität – und das kam von meinem Sohn. Tanja war anschließend, ohne das es von weiteren Leuten bemerkt wurde, zu uns gelaufen und hat da Oliver alleine angetroffen. Der hatte zunächst nichts bessere zu tun als das Mädchen mit auf sein Zimmer zu nehmen, um dort, dass nachzuholen, wo zu sie vorher nicht zugekommen sind. Jetzt kam auch für Elli eine Riesenüberraschung: Er hat Tanja die Unschuld genommen. Das 18-jährige Mädchen hatte also bis zu diesem Zeitpunkt mit keinem anderen Mann Verkehr. Dieses brachte dann Elli zu der Frage: „Sag mal Tanja, du schläfst jedes Wochenende bei Sascha und da ...“. Spontan antwortete die Befragte: „Nein Mutti. Saschas Eltern sind immer da. Er schläft auf seinem Zimmer und ich im Gästezimmer. Dazwischen ist das Schlafzimmer von Scheueles und deren Tür steht immer ein Wenig auf. Sascha hat Angst vor seinem Vater und hat mich gebeten, es ja nicht zu versuchen.“ Das Wissen darum, dass Tanja unschuldig war und Sascha bestimmt mal gerne wollte, brachte Oliver auf einen teuflischen Plan. Tanja sollte mit der „Vergewaltigungsstory“ zu Sascha gehen und ihn aufhetzen, bei Sabrina dann „Gleiches mit Gleichem“ zu vergelten – Bibel (2. Buch Moses, 21) oder muslimische Scharia. Eine weitere Kenntnis machte sich Oliver zunutze. Er hatte sich mal mit seiner Schwester darüber unterhalten, was sie machen würde, wenn ihr so etwas passiere wie der Mama. Sabrina hatte ihm gesagt, dass sie jetzt noch mehr Angst vor so etwas habe und dann freiwillig es dem Kerl sogar noch schön machen wolle. Wider Willen von einem fremden Kerl gebumst zu werden empfand sie gegenüber ermordet zu werden als das bei weiterem kleinere Übel. So mussten jetzt beide in die richtige Richtung präpariert werden. Sascha sollte es so machen, dass er Feuer fängt und danach „hoffentlich“ nach Sabrina verlangt und Sabrina musste in Erwartungshaltung versetzt werden, damit sie erstens im Falle eines Falles nicht doch an falscher Stelle „Hilfe“ schreit und vor allen Dingen nicht anschließend „gleich zu den Bullen“ rennt. Oliver und Tanja machten ihre Sache gut und ihre Opfer sind ihnen blindlings ins Messer gelaufen. Ihre erste Panne war Sabrinas Freundin Angelika, die ihnen wieder erwarten dazwischen gekommen war – es gibt halt kein perfektes Verbrechen. Da durch erfuhr ich es. Die zweite passierte dann am Freitagabend. Oliver und Tanja hatten eine Viererverabredung für den Freitagabend getroffen. Als sie den Pub betraten gab Tanja vor was vergessen zu haben und ließ sich mit dem Taxi zurück nach Olvermühle fahren. Oliver war mit seinen beiden Opfern, die er jetzt miteinander verkuppeln wollte, alleine. Tanja sollte derweil ihre, allein vermutete Mutter „belatschern“, so dass sie am
späteren Abend mit Oliver hätte auf der Matte stehen können. Ihre Mutter war aber nicht allein, sondern sie saß, in einer für Tanja eindeutig aussehenden Situation neben mir. Daher die Reaktion „ach so ist das“ und das Hinausstürmen. Sie konnte sogar noch das Taxi erwischen, was sie hergebracht hatte. Während der Fahrt zurück, kam ihr der Gedanke, dass es doch besser läuft als sie selbst gehofft hatte. Sie brauchten jetzt nur heftig zwischen ihren Eltern und Sabrina mit Sascha zu kuppeln, dann könnten sie es unter dem Segel der harmlosen „Geschwisterliebe“, ohne das nur einer etwas böse denkt, miteinander halten. Am Reformationstag lief es dann prächtig für die Beiden. Scheules, die ziemliche Fans des „American way of Live“ sind, gaben eine Halloweenparty und brachten Sascha dazu, Sabrina anstelle von Tanja, die vorgab aus religiösen Gründen nicht an so einem „heidnischen Blech“ teilnehmen zu können, einzuladen. Oliver und Tanja waren also zu keinem Zeitpunkt da. Was dann noch „erstklassig“ für sie war: Sabrina hatte angebissen und war jetzt endgültig hinter Sascha her. Oliver hat sie am Vortage nicht nach Waldstadt gebracht sondern er hatte erst, nachdem diese von Sascha abgeholt worden war, angerufen. Na, dass das, was zwischen Elli und mir lief war ja auch ganz in ihrem Sinne. Nachdem sie festgestellt hatten, dass wir, wie gehofft, schon vor Zehn im „Bett lagen“, haben sie bereits mit einer Liebesnacht, die um Sechs mit einem „erotischen Frühstück“ enden sollte, gefeiert. Da sie so gegen Acht mit uns rechneten, sollte sich Oliver bis Sieben „vom Acker geschlichen“ haben und sich zum Gottesdienst, ahnungslos stellend, wieder zu uns gesellen. Er sollte angeben, die Reformationspredigt von Waltraud Kühn habe ihm so gut gefallen, dass er sie am Sonntag noch einmal hören wolle. Aber statt der Erotik stellte sich Eleonore zum Frühstück ein – und damit brach dann wieder alles zusammen. Nun saßen erst mal alle ziemlich erschüttert und sprachlos am Tisch. Als Erste ergriff Elli nun das Wort: „Ach, ich schütte jetzt erst noch mal einen Kaffee ein. Zum Glück habt ihr ja gleich acht Tassen fertiggemacht.“. Dazu kam sie aber nicht. Wie aufs Stichwort sprangen unsere Kinder auf und fielen ihren jeweiligen Elternteil um den Hals. Oliver wimmelte in einer Endlosschleife „Papa, lieber Papa, verzeih mir doch. Ich habe dich doch lieb.“. Und Tanja kam zur Bekenntnis: „Mutti, das war nicht schön von uns. Das war gemein und böse. Ich schäme mich ja so. Verzeiht mir, bitte verzeiht mir. Wenn ihr verzeihen könnt, dann macht es bitte, bitte, bitte. Wir haben es doch nicht böse gemeint. Ich liebe Olli doch so sehr. Ich kann ohne meinen Olli nicht mehr leben. Trotzdem hätten wir es nicht tun dürfen – aber wir haben es getan.“ Danach fiel sie in eine identische Schleife wie Oliver, nur das anstelle des Wortes „Papa“ bei ihr „Mutti“ stand. Wir Eltern konnten nichts anderes machen als unseren Kindern beruhigend über die Haare streichen. Nach etwa zehn Minuten saßen wir nun wieder körperlich voneinander getrennt am Tisch. Tanja jetzt an Ellis Seite und Oliver an meiner. Die abschließende Ansprache kam nun von der Mutter und Theologin: „Das war wirklich erschreckend. Ich habe gestern Abend noch zu Papa gesagt, dass zwischen euch beiden was läuft und wir uns auf einiges gefasst machen müssten. Aber was ihr da abgezogen habt, hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorstellen können. ... Wie ihr mit Menschen umgeht, die arme Sabrina, der arme Sascha. Sie waren für euch nur ein Bauernopfer in einer bitterbösen Spiel.“. An dieser Stelle erlaubte ich mir in Richtung meines Sohnes einen Zwischenruf: „Und das mit deiner Schwester!“. Aber nun kam Ellis Finale: „Also, ich muss jetzt darauf bestehen, dass ihr ehrlich und aufrichtig die Sache mit eueren Opfern in Ordnung bringt. Da kann ich euch kein Pardon gewähren.“. Sie legte eine kurze Pause ein und fuhr fort: „Gestern Abend habe ich noch mit Papa über die göttliche Vorbestimmung – Prädestination – aus dem Römerbrief 9 gesprochen. Vielleicht hat er euch beide füreinander vorbestimmt. Ich habe nicht das Recht über Gott zu urteilen und zu sagen ob ich das für richtig oder falsch, gerecht oder ungerecht halte. Ich habe nur zu glauben und es hinzunehmen. Er hat euch zusammengefügt und ich als Mensch darf euch nicht scheiden. So nehme ich es jetzt hin, dass ich jetzt nicht nur deine Mutter sondern, wie es aussieht, auch Stiefschwiegermutter bin und entsprechend dir gegenüber, Oliver, Stief- und Schwiegermutter. Begeistert hat mich das nicht, was im Umkehrschluss aber auch nicht heißt, dass mir das mit euch beiden nicht recht wäre. Also machen wir es kurz: Oliver willkommen lieber Schwiegersohn.“. Sie stand auf und ging ruhig zu Oliver, fasste ihn an damit er sich erhob und küsste ihn auf die Wang. Ich tat, zum Zeichen meiner Zustimmung, das Gleiche bei Tanja. Seltsamer Weise kam jetzt offensichtlich bei uns zum ersten Mal während dieser fast einen Stunde, eine Erleuchtung wie bei Adam und Eva als sie von der Frucht der Erkenntnis gegessen hatten: Wir erkannten, das wir nackt waren und jeweils uns mit einem Angehörigen des anderen Geschlechts im Körperkontakt befanden. Später gestanden Elli und ich uns, dass wir in diesem Moment mit Erschrecken festgestellt haben, dass wir dabei etwas empfunden haben. Unsere richtige Schlussfolgerung daraus hieß, dass wir in der häuslichen Gemeinschaft auf Freizügigkeit und Offenheit verzichten müssen. Hört sich bei Oswald Kolle und seinen Nachfolgern alles so gut an aber es ist sündhaft gefährlich. Auch bei unseren Kindern muss eine solche Erkenntnis eingetreten sein, denn als wir wieder runter kamen trafen wir Tanja wieder in der Küche an. Sie war fast fertig mit der Zubereitung eines „fürstlichen“ Frühstücks und Oliver hat sie dabei kräftig unterstützt. Es war offenbar ihr schlechtes Gewissen, was sie zu dieser Tätigkeit motiviert hatte. Sie wollten uns bedienen. Was ich hier aber sagen wollte ist, dass Tanja sich, wie am Vortag, in ihrem Alltagsdress befand, nur das heute ihre nackten Beine von Jeans bedeckt waren. Eleonore hatte sich in einen ähnlichen unerotischen Dress geworfen. Allerdings kann man bei den Figuren der Frauen in keiner Kleidung von unerotisch sprechen. Bei Elli besagte, der Dress, dass sie heute mal nicht zur Kirche wollte. Sie hatte mir erklärt, dass man Gottesdienst eigentlich feiere und es ihr trotz der wunderschönen Nacht nun nicht mehr zum feiern sei. Auch den Kindern war nicht nach
Kirche. Sie zogen aber doch so gegen Zehn ab. Ihr Ziel war die Peter-Salein-Straße wo sie die Angelegenheit mit Sabrina bereinigen wollten. Dort trafen sie auch Sascha, der bei meiner Tochter genächtigt hatte, an. Es muss Oliver und Tanja sehr schwer gefallen und die beiden anderen schwer getroffen haben. Letztlich haben Sabrina und Sascha den Übeltätern verziehen aber dicke Freunde waren sie zunächst nicht mehr. Was aber durchaus nachvollziehbar ist und daher nahmen Elli und ich die Kunde hiervon erst mal befriedigt zur Kenntnis. Hätten wir gewusst, dass es noch einmal zu einer dramatischen Zuspitzung führt. Aber wer kann schon was vorhersehen? Solche Fähigkeiten behaupten doch nur übelste Gaukler, denen es nur aufs Abzocken ankommt, von sich. Zum Kapitel 13
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Opfer an der Täterseite sieht man nicht Als ich gestern Abend mit diesem Kapitel beginnen wollte, erhielten wir plötzlich, allerdings einen gerne gesehenen Besuch. Ich hatte gerade die Zeile „Nach den Ereignissen des 2. November 1997 brachen für uns erst einmal normale Zeiten an“ geschrieben, als ich mein Schreib- und Internet-Klicker-Schächtelchen runterfahren konnte. Eben habe ich meine Kiste wieder eingeschaltet und nach dem Hochfahren von Wini-Wackel, der Bedienoberfläche, die heute selbst von Leuten, die es besser wissen, Betriebssystem genannt wird, klickerte ich mich in diese Datei. Prompt kam ich ins Philosophieren. Was sind eigentlich normale Zeiten? Jetzt will ich nicht in Abänderung meiner ursprünglichen Absicht hier meine Privatphilosophie ausbreiten, deshalb mache ich es kurz und schreibe zu welchem Ergebnis ich kam: Normal sind Zeiten mit wenig Abweichungen, also je nach subjektiver Betrachtungsweise Höhe- oder Tiefpunkte. So können sowohl in Kriegszeiten wie in kulturellen und wirtschaftlichen Hochzeiten die Abschnitte, die wir in Monaten, Wochen und Tagen zählen, als normal bezeichnet werden. Zum Glück auch, denn eine pausenlose Folge von Höhe- und/oder Tiefpunkten können wir Menschen nicht überstehen; wir zerbrechen. Dieses entweder direkt in Folge von zu vielen nicht mehr ertragbaren Tiefpunkten oder indirekt, zum Beispiel über den Größenwahn, in Folge von zu vielen nicht verarbeitbaren Höhepunkten. So ist es nicht nur natürlich sondern sogar nützlich, wenn nach bestimmten Höhe- oder Tiefpunkten längere Phasen von Normalität eintreten. Fraglos war für meine Eleonore und für mich der 1. und 2. November 1997 ein Wochenende mit deutlichen Höhe- und Tiefpunkten, dem dann eine längere Normalphase folgte. Erst ab Jahresende 1997 stieg die Ereigniskurve wieder deutlicher an. Jetzt könnte ich sagen, dass wir uns dieses Kapitel mit der eben abgegeben Information sparen und gleich auf Weihnachten springen könnten. Dann würden wir uns aber viel Informationen entgehen lassen, denn diese Phase brachte es mit sich, dass sich das Paar, oder sagen wir die Familien, Rossbach/Rebmann intensiver kennen lernten. Dabei erfuhr ich sehr, sehr viele Dinge, die ich, der Ehemann der Ermordeten, von meinem subjektiven Standort gar nicht sehen konnte. Umgekehrt genauso, aber darüber habe ich ja in den vorangegangen 12 Kapiteln ausreichend berichtet. Bevor ich aber davon berichte, was ich im Zuge des intensiveren Kennenslernens alles erfuhr, möchte ich noch auf den Begriff mittelbare und unmittelbare Opfer zu sprechen kommen. Wenn ich jetzt sage, das Astrid in unserem Fall das mittelbare und wir, Sabrina, Oliver und ich wie auch Walter Salein, ihr Bruder, die unmittelbaren Opfer waren, hieße das Eulen nach Athen tragen. Aber wenn ich jetzt sage, dass auch Eleonore und Tanja sowie Peter Thomas und Waltraud Kühn unmittelbare Opfer waren, die es teilweise sogar deutlich schwerer getroffen hat wie uns, ernte ich mir doch über überwiegend Kopfschütteln. Opfer an der Täterseite sieht man nicht. Nachvollziehbar ist, dass nach der Tat, wenn wir, sowohl Rossbachs wie Rebmanns, uns irgendwo in der Öffentlichkeit zeigten, die Leute uns auf die Tat ansprachen oder im Vorbeigehen Bemerkungen fallen ließen beziehungsweise die Köpfe zusammensteckten. Dass dieses bei mir genauso häufig vorkam wie bei Elli dürfte auch jedem, der die Menschen kennt, klar sein. Bei mir war es doch mehr mitleidvoll, mal ehrlich und mal Getue, aber bei Eleonore war es beleidigend und gehässig. Ich war der arme Kerl der seine Frau auf so schreckliche Art und Weise verloren hat aber Elli war die Frau des Mörders, die das vielleicht mitverschuldet hat weil sie ihrem, früher doch so anständigen, Mann nicht das gegeben hat was ein Mann eben brauch. Sabrina und Oliver waren bei den Tratschen und Presseschmierern die armen Kinder, die ihre Mutter doch so früh verloren haben aber, Gott sei Dank, schon groß sind. Tanja war aber die Tochter des Mörders bei der man aufpassen muss, dass sie nicht das, was sie von ihren Vater geerbt hat, später mal in ebenso dramatischer Weise umsetzt. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Ich war der Mann, dem das Recht zur Genugtuung verhelfen muss aber Elli war die Frau eines Verbrechers, die ihrem Mann augenscheinlich noch die Stange hält. Ich hatte meine Frau verloren und Eleonore ihren Mann, aber der lebt noch und belastete sie. Wirklich, die unmittelbaren Opfer auf der Täterseite hatte es, wenn ich es objektiv betrachte, schwerer getroffen wie die auf der Seite des mittelbaren Opfers. Auf der wirtschaftlichen Seite ist das in unserem Fall – also das lässt sich jetzt nicht generell auf alle möglichen Fälle übertragen – sogar so extrem, dass ich davon profitierte und Elli auf dem Wege ins Aus war. Ich war der Erbe meiner vermögenden Frau und bekam dieses noch durch Auszahlung einer Lebensversicherung vergoldet. Mir ging es aus der Sicht von Mammonisten nach der Tat besser wie je zuvor. Aber wer sieht schon, dass Friedhelm und Eleonore Rebmann ihren Lebensstandard, wie alle anderen auch, auf ihrem Einkommen aufgebaut hatten. Dieses ist nicht nur normal sondern sogar volkswirtschaftlich vernünftig. Wenn wir alle schlagartig beschließen, dass wir nur mit dem Notwendigsten auskommen wollen, dann sind Rezession, Massenarbeitslosigkeit und Inflation unausweichlich. Falsche Sparsamkeit ruiniert, Sparen um jeden Preis hat mit Wirtschaften absolut nichts zu tun. Das Einkommen des Beamtenehepaares, sie Lehrerin und er Gemeindedirektor, ist ja nun nicht gerade als schlecht zu bezeichnen. So hatten sie sich 10 Jahre zuvor ein Eigenheim gebaut. Dieses auch mit Unfall- und Lebensversicherungen für alle Fälle abgesichert. Sie könnten sich auch im allgemeinen mal dieses oder jenes Gute: Auto, Kleidung und Urlaub. Alles normal, nichts was man bemängeln oder rügen könnte. Von den finanziellen Konsequenzen einer Tat hört man in der Regel nur im Zusammenhang von Schadensersatz oder Täter-Opfer-Ausgleich. Wer berücksichtigt schon, dass inhaftierte Täter ihren Beruf nicht ausüben können und deren Einkommen ausfällt, auch bei Beamten. Beamtenrechtlich werden Mörder aus dem Staatsdienst entlassen. Schon ab dem Zeitpunkt der Anklageerhebung gibt es Zurückhaltungen hinsichtlich der Sicherung künftiger Ansprüche des
öffentlichen Arbeitgebers und nach der Verurteilung fällt dann tatsächlich alles weg. Sicher, im Knast kann man keine ruhige Kugel schieben, Häftlinge müssen arbeiten. Aber wie verhalten sich denn die Einkünfte eines inhaftierten Hiwis, zu was anderes setzt man Häftlinge selten ein, zu dem eines Gemeindedirektors? Dann ist mit einer Verurteilung, auch im Strafprozess, verbunden, dass der Schuldiggesprochene die Verfahrenskosten zu tragen hat – und die werden fröhlich von den Einkünften des Knastologen abgepfändet. Jetzt sagt diese oder jener: „Mann, was bist du denn für eine Type. Da bringt einer deine Frau um und du weinst Mitleidstränen um den Mörder. Hat der das verdient?“. Ob er es verdient hat oder nicht ist eine philosophische Frage, die ich an dieser Stelle nicht erörtern möchte. Mir geht es darum, ob das seine Frau und seine Tochter verdient haben. Die haben nichts getan, die sind unschuldig, und sind eigentlich diejenigen, die die, dem Täter zugedachte „Einkommens- und Prozesskostenstrafe“ tragen müssen. Nicht der Täter büßt sondern seine Familie. Ist das Gerechtigkeit? Ich möchte jetzt diese mal etwas extrem ausdrücken, was zum Glück auf Eleonore so nicht zutraf aber was es schon mehrfach gegeben hat: Weil der Mann gemordet hat wird die Ehefrau aus den Eigenheim in die Obdachlosenunterkunft gejagt, damit die Opfer Schadenersatz erhalten können. Triumph der Gerechtigkeit: Unrecht wird mit Unrecht, Böses mit Bösen vergolten. Und die Vergeltung verübt man an Unschuldigen. Da ruft ein amerikanischer Präsident zum „Kreuzzug“ gegen „Toppterroristen“ auf und unter den Bomben stirbt kein Osama Bin Laden und nur wenige „Gotteskrieger“ aber viele unschuldige Afghanen als „Kolalateralschäden“. Dieses nur um das, was ich eben im Kleinen beschrieb mal mit Unworten auf das Große zu Übertragen. Da sah ich kürzlich mal eine Teletalkshow in der unter anderem der amerikanische Journalist Don Jordan war. Der fragte im Zusammenhang mit deutscher Zurückhaltung bei „Vergeltungsaktionen“: „Wollen sie die Drecksarbeit immer den Amerikanern überlassen?“. Wenn ich da gewesen wäre hätte ich ihm geantwortet: „Nein, ich will ihnen die Drecksarbeit nicht überlassen; ich möchte verhindern, dass sie diese machen. Denn das man mit den Tätern auch noch Unschuldige, und die oft noch härter wie die eigentlichen Täter bestraft, ist in meinen Augen unchristlich, menschenverachtend und das Gegenteil von Gerechtigkeit.“. Dieses war zwischendurch mal ein Ausflug, erstens in die Jetztzeit 2002 und zweitens ins Große. Jetzt aber Zurück ins Kleine, zurück zu Eleonore Rebmann. Sie ist für die Tat ihres Mannes hart bestraft worden. Das vorher mitberechnete Einkommen ihres Mannes fiel praktisch bis auf ein Trinkgeld aus. Aber die Belastung auf das Haus mussten wie ein privates Darlehn in unveränderter Höhe weiter abgetragen werden. Die Versicherungen setzten alles in Bewegung um eine Prämienfreistellung oder Aufkündigung zu vermeiden. Im Gegenteil, die schickten noch Klingelputzer vorbei, die ihr hinsichtlich der veränderten Situation noch weitere Versicherungen aufschwatzen wollten. Offensichtlich beinhaltet die Ausbildung zum Bank- oder Versicherungsfachmann auch das Training zum vorübergehenden oder völligen Abschalten von menschlichen Mitgefühlen und Einsicht. Dem Gott Mammon gebührt die Ehre und nicht so mickrigen Menschlein, insbesondere dann nicht, wenn sie mit einem Mann, der zum Mörder wurde, verheiratet sind. Elli hatte über so etwas vor dem 1. November 1997 mir gegenüber kein einziges Wort verloren. Jetzt, wo wir uns praktisch wie ein Ehepaar aneinander gebunden fühlten, weinte sie sich doch öfters bei mir aus. Daraus entwickelte sich dann die seltsame, vielleicht einmalige Situation, dass ich das Opfer auf Seiten der Ermordeten dem Opfer auf Seiten des Mörders half. Ich setzte mich gegenüber Bank und Versicherungen für Eleonore ein. Dabei kam sogar noch ein Versicherungsfritze auf die perverse Idee, dass ich, der Mann der Ermordeten, für den Mörder einspringen könnte. Finanziell griff ich im November und Dezember nicht direkt ins Geschehen ein. Nicht das ich das gar nicht wollte aber da fehlten noch einige Voraussetzung. Ich überlegte schon Rebmanns Eigenheim ganz- oder teilweise zu kaufen. Damit wäre die drückende Last von Eleonores Schultern genommen. Aber da standen doch noch einige Dinge im Raume. Der Eigentümer Friedhelm Rebmann lag im Sterben, das heißt, dass er zwar noch lebte aber beim besten Willen kein Partner war, mit dem man Kaufverträge aushandeln und abschließen konnte. Und dann waren da noch Ellis Gefühle, die auf keinen Fall den Eindruck erwecken wollte, dass sie sich mich deshalb auserkoren hätte damit ich sie aus der Patsche hole. Bei ihr hatte ich diesbezüglich schon Schwierigkeiten wenn ich hier oder da mal ein Loch stopfte. In der Öffentlichkeit bekam auch jetzt Eleonore ihr unverdientes Fett ab während ich teilweise als der strahlende Held dastand. Noch hatten wir keine Lebenspartnerschaft im Sinne, dass wir unsere Prüttel zusammen geschmissen hatten, geschlossen aber weit ab davon waren wir auch nicht. Bei uns war es so, dass wir beide unseren eigenen Wohnsitz hatten, den wir jedoch wechselweise gemeinsam nutzen. Noch befand sich der überwiegende Teil unserer jeweiligen persönliche Habe am eigenen Wohnsitz aber was sich in der Wohnung des jeweils anderen befand konnte man nicht als Wenig bezeichnen. Diverse Dinge, insbesondere aus dem Bereich Hygiene und häuslicher Wohlfühlkleidung, waren sehr schnell doppelt vorhanden. Mit Rasierapparat und Zahnbürste war es ja schon am 1. November losgegangen. Die doppelte Haushaltsführung hatte sich halt ergeben ohne das wir da konkret drüber nachgedacht hatten. Womit ich klar gesagt habe, dass diese nicht den Grund hatten etwas vor der Öffentlichkeit zu vertuschen. Im Gegenteil wir standen und bekannten uns zueinander und wir traten auch in der Öffentlichkeit gemeinsam auf. Nun, mir gegenüber – aber auch hinter meinem Rücken – sagten die Leute: „Sind sie sicher, dass das richtig ist. Sie sind doch ein noch gut aussehender junger (bei 51 Jahren allerdings relativ) und wohlhabender Mann. Da müssen sie doch nicht die Frau des Mörders nehmen, denn sie können doch alle andern haben. Das ehrt sie aber dass sie so vergeben können.“. Hinter dem Rücken von Eleonore ging es aber brutal zu. Da fragte man sich, woher das Weib die Frechheit
nimmt sich an die Stelle der, von ihrem Mann – der noch gar nicht unter Erde ist – ermordeten netten Frau zu setzen. Und das nach so einer kurzen Zeit. Die geniert sich nicht in das Bett zu legen, dass vom Opfer ihres Mannes noch warm ist. Tanja und Oliver durften die gleichen Erfahrungen machen, die waren halt genauso schamlos oder ehrenhaft wie ihre Mutter beziehungsweise Vater. Das ich ein Opfer war, stand für alle fest aber das auch Eleonore ein Opfer war konnte so gut wie niemand einsehen. Wie gesagt: Opfer auf der Täterseite sieht man nicht. Aber ich will jetzt nicht mit Steinen schmeißen, wenn ich es nicht erlebt hätte sähe ich es auch nicht. Und was mich diesbezüglich furchtbar entsetzte, dass es die Opfer auf der Täterseite härter traf und niemand nur im Ansatz daran denkt, denen zu helfen. Noch etwas, was ich nicht zu spüren bekam: Eleonore war in ihrem beruflichen Umfeld einer heftigen Mobbingattacke ausgesetzt. Sowohl Lehrer, vor- oder gleichgesetzt, wie Schüler und Eltern schlugen mächtig auf sie ein. Dieses sofort ab Bekannt werden des Täters bis einige Zeit nach der Verurteilung wie auch jetzt nach unserer Quasiverlobung. Zum Glück ist Elli ein gläubiger Mensch. Vertrauen und Hoffen auf Gott ist eine fast unüberwindbare Kraft, mit der man doch über menschlicher Kleingeistigkeit, wie Mobbing, steht. Und bei der neuerlichen Mobbingattacke hatte sie ja dann auch noch mich zur Seite. Gemacht habe ich zwar nichts aber das Gefühl nicht alleine sein ist mächtig vorantreibend. Also, Elli hat das Mobbing ganz gut überstanden aber die Demütigungen, Kränkungen und Nachstellungen waren deshalb nicht weniger schmerzlich. Mir, dem selbstständigen Wohnungskaufmann wagte natürlich niemand etwas in diese Richtung anzutun. Der Mob ist feige und jagt nicht hinter starken Rehböcken sondern immer hinter angeschlagenen Ricken oder Kitzen her. Wie bekommt es Mietern die ihren Vermietern mobben wollen. Wie sieht es mit dem Anschlussauftrag bei einem Handwerker aus, wenn er seinen Auftraggeber mobt. Was erzählt man Angehörigen einer Gemeindeverwaltung wenn sie einen guten Steuerzahler mobben. Insbesondere wo doch das Meiste aus wohnungswirtschaftlichen Einnahmen, wie Grund- und Gewerbesteuern, in die Kommunalkasse fließen, auch im Hinblick darauf, dass er alles verramschen und mit dem Erlös sich ein gutes Leben machen kann. Nein, in diesem Fall war ich der starke Bock, den der feige Mob nicht jagt. Auch hier war es das Opfer auf der Täterseite, die die ganze Unbarmherzigkeit unserer Gesellschaft zu spüren bekam. Klar, dass ich das alles erst erfuhr als wir so richtig zusammen waren. Aber trotzdem spreche ich jetzt nicht von einer tränens- und Leidenszeit. Im Gegenteil: Seit dem wir ein richtiges Paar waren hatte unser neues Leben begonnen und wir waren glücklich. Es ist doch ein herrliches Gefühl zu wissen, dass man bei Tag und Nacht, sonntags wie alltags, im Guten wie im Schlechten einen Menschen nehmen sich hat, mit dem man sich alles teilen kann und darf. Der Mensch ist nicht zum Alleinsein geschaffen. Beide sind wir aus unserer Isolation, in die wir nach der Tat geraten waren, befreit worden. Etwas Ähnliches erlebten auch Tanja und Oliver. Die Einzigste von uns Fünf, für die das Martyrium offensichtlich noch nicht zu Ende war, schien Sabrina zu sein. Das fröhliche und lebhafte Mädchen, dass sie vor dem Mord an ihrer Mutter einmal war, schien sie nie mehr zu sein. Ich befürchtete schon, dass sie diejenige wäre, die einen unheilbaren Dauerknacks davon getragen habe. Elli tröste mich damit, dass es jetzt wohl die schmerzlichen Nachwirkungen von Tanjas und Olivers Schmutzigkeiten wären, die sich mit Sicherheit auch legen würden. Irgendwo nahmen Elli und ich es gerne zur Kenntnis, dass die Übeltäter Oliver und Tanja doch ihr Unrecht ohne Beschönigungsversuche eingesehen hatten. Nicht nur uns gegenüber sondern insbesondere gegenüber Sabrina machten sie deutlich, wie schäbig und gemein sie gewesen sind – und immer klang es ehrlich und überzeugend. Hin und Wieder verloren sie auch selbst Tränen über das von ihnen angerichtete Unrecht. Dass es ihrerseits ehrlich gemeint war, sah man auch daran, dass sie seit jenem Sonntag sich nie unserer Entschuldigung oder Vergebung vergewisserten. Vielfach entschuldigen sich ja die Leute nur ihres eigenen Vorteils willen und man merkt es dann daran, dass sie ab und zu die Wirksamkeit ihrer Entschuldigungslüge abfragen. Das war bei unseren Beiden tatsächlich nicht der Fall. So kann man es auch ehrlich bezeichnen, wenn sich die beiden Übeltäter recht rührend um Sabrina kümmerten. Das machten sie obwohl sie recht häufig bei Sabrina nicht auf entsprechende Gegenliebe trafen. Meine Tochter reagierte bei zwei Gelegenheiten recht heftig als sie von Tanja als ihre Schwester bezeichnet wurde. Aber für Tanja war es praktisch seit dem 2. November wie eine Selbstverständlichkeit das Sabrina ihre Schwester sei. Daraus entwickelte sich auch seitens Tanja eine paradoxe Sichtweise meiner Person: Für sie war ich ihr Schwiegervater und gleichzeitig der Vater ihrer Schwester, wobei sie emotional ihre Schwester eher bei „leiblich“ wie bei „Stief“ einordnete. Der wohl am Härtesten von der vorgetäuschten Schmusevergewaltigung Getroffene schien Sascha Scheule zu sein. Er hat sich bei uns, also bei Elli und mir, nie wieder sehen lassen. Einmal ist er mir unausweichlich in Waldstadt über den Weg gelaufen. Er sagte mir, dass er sich wegen der Vergewaltigung Sabrinas furchtbar schäme und ihm daher eine Begegnung mit uns gar nicht so angenehm wäre. Das konnte ich genauso verstehen wie seine Erklärung gegenüber Oliver, dass er keinen Kontakt zu ihm wünsche. Gegenüber den Mädchen zeigte er jedoch ein seltsames Verhalten. Es sah so aus als wäre Sabrinas Liebe einseitig. Sie war es, die sich um Verabredung mühte und auch sehr oft abblitzte. Sabrina war etwa drei Mal soviel mit ihrer Freundin Angelika zusammen wie mit Sascha. Das Angelika einen Keil zwischen die Beiden treiben wollte war mir damals unerklärlich, aber seitdem ich weiß dass sie lesbisch verlangt ist, kann ich auch das nachvollziehen und verstehen. Gegenüber Tanja zeigte Sascha jedoch ein ganz anderes Verhalten. Sie wurde von ihm in der Stadt verfolgt, er lauerte ihr überall dort wo er sie erwarten konnte auf und sprach sie bei jeder Gelegenheit, wenn Oliver nicht bei ihr war, an. Ich konnte ihn verstehen; im Gegensatz zu seiner Angebeteten hatte er es ehrlich gemeint. Nur für Tanja war dieses jetzt eine heikle Situation. Diesem Sascha, dem sie so übel mitgespielt hatte, konnte sie nicht so behandeln wie einen „Macker, mit dem Schluss“ ist und dass sie ihm aus ihrem Schuldgefühl
nicht die Wahrheit sagen konnte, belastet sie sehr. Einmal wollte sogar Sabrina sich für Tanja einsetzen, scheiterte aber an ihrem Kurswert bei Sascha. Die ersten vierzehn Tage nach dem 2. November hielten sich Tanja und Oliver überwiegend in der jeweils anderen Wohnung auf. Also, wenn Elli bei mir war, war Oliver bei Tanja und wenn ich bei Elli war besuchte Tanja ihren Oliver. Wenn wir dann mal ausnahmsweise mal alle Vier zusammen waren, behandelten sich die beiden wie sexuelle Neutren: keine Schmuse- und Streicheleinheiten, kein Küsschen und keine Umarmung – auch dann nicht, wenn wir es ihnen fast animierend vormachten. Das änderte sich dann aber schlagartig. Ab Mitte November verhielten sich die beiden gegenüber uns so, wie sich halt junge Leute gegenüber ihren Eltern und Schwiegereltern verhalten. Und im Gegenzug waren wir denen gegenüber ganz normale Eltern, die sich lieb haben. Das nicht nur innerhalb der jeweils eigenen vier Wände sondern auch wenn wir gemeinsam, mit und ohne Kinder, öffentlich auftraten. Ein solches Auftreten gab es gleich am Mittwoch nach dem „großen Wochenende“. Schon vorher war Eleonore bei ihrer Schwester und ihrem Schwager zu einem Familienplausch eingeladen. Von der „großartigen Wende“ unserer Beziehung hatte sie bewusst noch nichts verraten und Tanja war verdonnert auch nichts zu sagen. Aber diese Ermahnung hätte sich Elli sparen können, denn deren schlechtes Gewissen wird wohl das Gefühl, dass sie momentan nichts von ihrem Onkel oder ihrer Tante wollte, unterstützt haben. Jetzt hätte uns nur noch der Volksmund oder die Gerüchteküche verraten können, aber die war diesmal auch nicht so schnell, dass die Kunde das Weinberger Pfarrhaus erreicht hatte. Elli wollte mich mitnehmen und ihre Familie damit überraschen. Erst wollte ich ja nicht mit aber, schon von Astrid wusste ich, dass man bei solchen Gelegenheiten keine Chance gegenüber Frauen hatte. Diesmal musste ich sogar auf den Beifahrersitz, den Elli wollte mit ihrem Wagen fahren. Die Begründung: Ich sollte mir mal mit Peter Thomas einen trinken, der möchte genau so gerne wie ich Bier und würde auch genauso wie ich den richtigen Schluck aus der Flasche nehmen. Auch er würde, identisch zu mir, erklären, dass das Bier durch Umschütten in ein Glas durch den Kohlensäureverlust geschmacklich negativ beeinflusst würde. Fazit: Auch Pastöre sind ganz normale Männer aber ich hatte nur noch keinen diesbezüglich erlebt. Das Pfarrerinnen ebenso ganz normale Frauen sind, dass hatte ich ja durch meine Beinahepastorin ja inzwischen schon mehr als erfahren. So eingestimmt, war es mir auch nicht so wie bei einem Besuch im Pfarrhaus sondern eher wie ein Antrittsbesuch bei der neuen Familie. Das heißt auch, dass es mir so wie ein Besuch bei bisher Unbekannten vorkam. Als Pfarrer und Pfarrersfrau, die ebenfalls Pastorin ist, kannte ich sie ja sehr gut, aber als zur Familie gehörende Privatleute konnte ich sie bis dato nicht erleben und dem entsprechend hatte ich zumindestens kein Hallo-Gefühl als Eleonore beim Pfarrhaus anschellte. Damit hatte sie ihrer Schwester aber eine Falle gestellt. Sie wusste genau, dass jetzt ihre 2 Jahre ältere Schwester kommen würde, auch an dem vorgefahrenen Wagen konnte sie sich orientieren, und öffnete deshalb spontan, ohne weitere Rückfrage die Haustür. Sie befand sich in einem häuslichen Räuberzivil wie ich diesen von ihrer Nichte kannte – einschließlich der Beinfreiheit. Das führte bei ihr zu einem spontan „Eu, ... da hättest du mir aber was von sagen können. Aber ich nehme mal an, dass es in der Familie bleibt. ... Guten Tag, Dieter, ich bin Waltraud.“. Ihr Aufzug war ein Indiz dafür, dass sie tatsächlich von noch nichts weiterem wusste und ihre Begrüßung, dafür, dass die Schwestern sich mit ihren kleinen persönlichen Anliegen austauschten. So war es dann auch. Ich schaltete nicht so schnell von Pastorin auf Schwägerin und beließ es erst mal vorsichtig bei „Guten Tag“. Danach umarmten sich die Schwestern erst mal herzlich und dann bekamen wir die Anweisung: „Geht schon mal rein, ich ziehe mich nur eben schnell um.“. Als wir „rein“ kamen, was heißt, dass wir das Wohnzimmer betraten, konnte ich feststellen, dass Ellis Schwager bei Weitem nicht so gut informiert war wie ihre Schwester. Der Pastor saß locker, lesender Weise in alten Jeans in einer Couchecke und hatte die Beine auf den Tisch gelegt. Ganz erschrocken sprang er auf und sagte: „Guten Tag. Entschuldigung Herr Rossbach wir hatten nur meine Schwägerin erwartet. Sie sind ja zufällig hier zusammen getroffen. Aber meine Schwägerin kann ja warten, die gehört ja zur Familie. Ich gehe sofort mit ihnen rüber in mein Büro. Stören sie sich bitte nicht an der dortigen Unordnung.“. Allen Ernstes war er der Meinung, dass Elli und ich uns vor der Haustür begegnet wären. Eleonore spielte die Entrüstete und schauspielerte ein Aufplustern: „Was fällt dir denn ein mein lieber Thomas, du kannst doch nicht einfach meinen Schatz von meiner Seite wegreißen. Meine Maus Dieter bleibt hier.“. Und dann bekam ich noch einen dicken Kuss auf die Wange. Der verblüffte Hausherr fragte nur „Im Ernst?“ und Elli nickte nur hocherfreut mehrfach bejahend mit dem Kopf. Jetzt gab es eine Erklärung: „Mann Eleonore, du hast mit mir ja schon seit einiger Zeit immer wieder deine diesbezüglichen Gedanken in theologischer Hinsicht besprochen. Das war aber allgemein, da fiel kein konkreter Name. Nur Tanja kam mal mit einem konkreten Hinweis, die hat praktisch alles schon ausgeplappert aber das habe ich für Ver ... ihr kennt die Restbuchstaben - gehalten. Aber jetzt, ... wie stehe ich denn da? Aber eines mache ich nicht, meinen Schwager rede ich nicht in der zweiten Person an. Also Dieter, ich bin einer der beiden Jünger Peter ... Petrus - oder der Thomas, wie du möchtest. Alle anderen Familienmitglieder halten mich für den ‚ungläubigen“ Thomas. Was wählst du.?“. Prompt fiel mir doch „Thomas“ aus dem Mund, wobei ich mich nicht wegen des „ungläubigen“ dazu entschied sondern weil ich das so fast ausschließlich von Elli und Tanja zuhören bekommen hatte. Somit war mein Familienanschluss kurz aber herzlich besiegelt. Waltraud tischte anschließend auf: Kartoffelsalat, Würstchen, gekochte und garnierte Eier sowie obendrein noch Schnittchen. Schon während des Essens hatten Thomas
und ich zwei Flaschen Bier geleert, was danach zwar langsamer ging aber bis um Elf, wo wir gingen, waren es beidseitig locker 6 Flaschen gewesen. Ein Saufgelage war es zwar noch nicht aber kontrollierter Umgang mit Alkohol auf keinem Fall. Da sieht man es, Pastöre sind auch noch nicht dem Weltlichem entrückt. Auch die Gespräche des Abends hatten bis auf die Sache, dass er mich für den kommenden Sonntag in den Gottesdienst einlud, nichts mit Seelsorge zutun. Noch eins: Bevor wir bei Waltrauds toller Abendtafel zuschlagen konnte, sprach er ein Tischgebet. Das war an diesem Abend; später konnte ich feststellen, dass er das sonst im Familienkreis auch nicht machte – immer nur wenn Dritte dabei waren. Als wir mal allgemein über das Thema beten sprachen, stimmte er mir zu, dass auch nach seiner Auffassung, das wichtigste Gebet, das im stillen Kämmerlein, sei also das persönliche Gespräch mit Gott. Er begründete mir auch Gemeinschaftsgebete im Gottesdienst und bei diversen Gelegenheiten aber vom Beten nur aus Tradition und/oder Demonstration hielt er genauso wenig wie ich. Er meinte das wäre das, was unser Herr gemeint habe, als er sagte: „Wenn du betest sollst du nicht plappern wie die Heiden“ (Matthäus 6,7). Das Vorhergehende nur so zwischendurch. Der erste Teile des vorrangegangenen Absatz war eine chronologische Wiedergabe und der zweite Teil waren meine diesbezüglichen Gedanken, die mir im Zusammenhang mit dem Tischgebet aufkamen. An diesem ersten familiären Abend im Pfarrhaus stand außer der erwähnten Einladung zum Gottesdienst ansonsten keine einzige Silbe im Zusammenhang mit Gott, Glaube, Theologie, Religion und so weiter, und so weiter. Alle Themen waren ausschließlich weltlicher Natur, mal fröhlich und heiter, mal besinnlich oder nur informativ. Es begann damit, dass Elli ihr großes Glück was sie in mir gefunden habe und nur teilweise ihrer Schwester, aber bisher noch in keiner Weise ihrem Schwager verraten hatte, bekundete. Ihr schloss sich in der Tagesordnungsreihenfolge Waltraud mit dem Ärger, den sie zur Zeit mit ihrem Auto hat, an. Das dritte Thema kam von Thomas, der mit einem Döneken aus dem Dorf zur Erheiterung beitrug. Da hatte doch ein heimischer Bauer wider Willen eine sonst bei ihm nicht anzunehmende Tollpatschigkeit, ausgerechnet vor Besuchern aus Berlin, die uns ohnehin für weltfremde Landeier halten, unter Beweis gestellt. Der „Tollpatsch“ brachte mich und den fünften Punkt auf den Plan. Ich kannte den Bauern als clever und geschäftstüchtig. Ich hatte mal mit ihm zu tun, wo im Gemeinderat mal von der einen Seite ein Gewerbegebiet und von der anderen ein Bebauungsgebiet ins Gespräch gebracht wurden. Dabei schielten beide Seiten auf ein Gebiet, was zum größten Teil dem besagten Landwirt gehört. Astrid war damals der Meinung, dass, wenn man schon die Landschaft verschandeln will, es besser sei, dieses mit Wohnungen als mit hässlichen Gewerbebunkern zutun. Da „musste“ ich mit besagtem Bauern verhandeln, um möglicher Weise den Rat vor vollendete Tatsachen zu stellen. Da versuchte mir doch besagter „Tollpatsch“ das Fell über die Ohren zu ziehen und ich hatte mit ihm Mühe Schritt zu halten. Allerdings ist die Angelegenheit dadurch abgeschlossen worden, das plötzlich beide Seiten dort weder einem Gewerbe nachgehen noch dort wohnen wollten. Mit anderen Worten: Unsere Kommunalpolitiker fanden andere Themen plötzlich interessanter. Den Abschluss brachte dann Elli mit einem wahrheitsgemäßen Bericht, von dem was unsere Kinder angerichtet hatten. Natürlich fanden deren abstrakten und nicht gut zu heißende Gedankengänge auch beim Ehepaar Kühn Entsetzen. Aber trotzdem wurde bei diesem Punkt am Meisten gelacht, denn Elli erzählte recht realistisch von dem morgendlichen Zusammentreffen in der Küche. Insbesondere das paradiesische Outfit der Beteiligten amüsierte das Pastorenehepaar. Waltraud erhielt da auch einen perfekten Rüffel, denn hinsichtlich häuslicher Bekleidung hatte Tanja eine Marotte ihrer Tante, inklusive Bikinihöschenargument übernommen. So trug ich dann zunächst mit einem „Schade“ zur Amüsierrunde bei. Waltraud hatte sofort verstanden und fragte: „Bist du traurig, dass ich mich vor dem Umziehen nicht erst mal hingesetzt habe. Wolltest du mein Höschen sehen.“. Worauf Elli ihre Schwester mit „Untersteh dich“ ermahnte, was den Gegenkommentar „Ich hatte tatsächlich eine Bikinihose an“ hervorrief – und natürlich Gelächter. Wie man sieht, auch beim Pastor zuhause geht es nicht anders zu wie überall anders auch. Dabei sind Waltraud und Thomas durch und durch Pfarrer sowie meine Elli Religionslehrerin ist. Ich hatte bis jetzt in Folge viele, viele Gelegenheiten mit den Leuten zu sprechen. Ich weiß, dass sie fast alles aus ihrem starken Glauben, der ihr Leben ist, machen. Aber dass heißt auch für sie, dass sie nicht abseits stehen, dass sie sich Mitten im Leben unter den Menschen befinden. Dazu gehört auch die rein weltliche Seite. Unser Herr Jesus Christus hat sich bei Zöllnern, Huren, Bettlern und nicht bei Betbrüdern und Priestern aufgehalten. Er gab den Leuten in der Welt Trost, Hoffnung und Zuversicht und nicht den, für die Wahrheit inzwischen Unempfänglichen, die bereits in pharisäische, geistige Sphären verstorben sind. Wer den Menschen etwas verkündigen will, muss zu ihnen gehen. Juden erreiche ich in der Synagoge, Moslem in der Moschee und wenn sich der Christ, der sie missionieren will, sich in seiner Kirche verschanzt, dann kann man ihm selbst dort die Aberwitzigkeit seines Vorhabens nicht erklären, da er offensichtlich für Logik nicht empfänglich ist. In die Welt muss man nicht gehen aber man muss in ihr leben. Und so sind Kühns auch Menschen wie du und ich. Mission ist ein Prozess im Leben und keine Indoktrination im Augenblick. Und wen es tröstet, kann ich noch erzählen, dass es von den Frauen angedacht war, den Abend mit einem Vater unser abschließen, aber Thomas und ich hinsichtlich unserer 6 Flaschen Bier dazu nicht geneigt waren. Man soll keine Perlen unter die Säue werfen. Das war der erste Abend im neuen Familienkreis. Danach waren wir sehr häufig zusammen. Nicht immer waren wir nur weltlich, sehr oft beschäftigen wir uns sogar ausschließlich mit Fragen unseres Glaubens. Häufig beschäftigen uns auch die Fragen und Sorgen unseres alltäglichen Lebens. So erfuhr ich dann auch, dass selbst das Weinberger Pfarrerehepaar als Opfer mit in den Fall Astrid Rossbach einbezogen wurde. Die meisten Gemeindemitglieder wussten, dass sie
Schwager und Schwägerin des Mörders waren und befleißigten sich den ersten Stein zu werfen. Da gab es doch tatsächlich Leute, die die Frage, ob ein Schwager eines Mörders noch ein Vorbild für die Jugend sei und Katechumenen und Konfirmanden unterrichten könne. Ein Ehepaar ließ sich in der Weinberger Dorfkirche von einem „fremden“ Pfarrer trauen, weil sie wohl in ihrem Heimatdorf aber nicht von dem Schwager eines Mörders getraut werden sollten. Im Grunde hätten sich Kühns sehr schnell aus der Sache rausziehen können, denn die Hauptforderung von zwei Berufsfrömmlern lautete, dass sie sich von der Familie des Mörders distanzieren sollten, das heißt sich von Eleonore los zu sagen. Aber Waltraud stand zu ihrer Schwester und Thomas zu seiner Schwägerin, was die Berufsfrömmler dazu inspirierte die Opposition gegen das Pastorenehepaar, dass sie schon vorher für zu modern hielten, zu organisieren – und der Mob marschierte natürlich gleich mit. Jetzt habe ich den Begriff Berufsfrömmler schon ein paar Mal benutzt, deshalb muss ich den Begriff einmal erläutern. Das sind Leute, die innerhalb der Gemeinde nach dem Motto „Jesu vorne, Jesus hinten und Jesus überall“ rumturnen. Die an jedem Ort, wo sie reinplatzen erst mal eine Andachts- und Betshow zelebrieren müssen. Die Politiker, die einer Partei, die nicht den Namen Gottes missbräuchlich führt, also nicht Christus zum Wählerstimmenfang missbraucht, diffamieren. Berufsfrömmler haben aber die Eigenart konsequent zwischen Gemeinde- und Berufsleben hin- und herschalten zu können. Im Berufsleben sitzen sie in Führungspositionen. Eiskalt werden dann aus Geschöpfen nach dem Bilde Gottes die Faktoren Arbeitskosten, die man beliebig freisetzen kann, wenn es den Unternehmensgewinnen dient oder es sind Beamte, zum Beispiel im Ausländeramt, die stolz auf ihre viehtriebsgleichen Abschiebungen sind. Also genau die Leute, die ihr eigenes Image über die Ehre Gottes setzen, die urteilen obwohl der Herr uns das verboten hat (Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet) und wahrscheinlich nur Glauben vortäuschen, weil sie gedenken einerseits sich damit einen Namen zu machen und andererseits sich ihre Mitmenschen damit zu unterwerfen. Also genau die falschen Heiligen, vor die uns Jesus Christus warnte. Und genau zwei Typen dieser Gattung, die auch Mitglied des Presphyteriums sind – die Berufe habe ich bereits genannt – waren es, die die Kühns mit in Sippenhaft nehmen wollten, obwohl die beim besten Willen nichts damit zutun hatten. Auf solch absurde Gedanken wäre ich nicht einmal in meinen finstersten Tagen, als ich die Todesstrafe noch für gerechtfertigt hielt, gekommen. Aber bevor ich dieses Kapitel schließe, möchte ich doch noch einmal auf den beschriebenen Mittwochabend, an dem ich mich als Schwager in Weinberger Pfarrhaus „vorstellte“, zurückkommen. Wir fuhren also nach Elf wieder zurück nach Salein. Eleonore wollte am nächsten Morgen von meiner Heimstätte zur Schule brausen. Wir sind natürlich nicht schweigend talwärts gefahren sondern wir haben uns unterhalten. Na ja, eine Unterhaltung war es eigentlich nicht, es war vielmehr so, dass mir Elli etwas erzählte. Sie berichtete mir, dass ihr Kontakt zu ihrer Schwester im ganzen Leben nie inniger gewesen sei als nach dem Mord. Aber zur gleichen Zeit haben sich alle anderen Verwandtschaftsmitglieder, gleichgültig ob aus dem Hause Rebmann oder Hugou, von ihr abgeseilt. Die wohl perverseste Abseilaktion veranstaltete ein Cousin von Friedhelm Rebmann. Er teilte Eleonore schriftlich mit, dass sie bei ihm Hausverbot habe, da er ihr selbst im Ewigen Leben nicht verzeihen könne, dass sie durch Liebesentzug seinen lieben Friedhelm dahin gebracht habe wo er jetzt wäre und leiden müsste. Zum „Beweis“ der Richtigkeit seiner Annahme führte er an, dass ein Rebmann so etwas von sich aus nicht machen würde; er müsse schon dahin gegeißelt werden. Und so ist jetzt Elli von allen Verwandtschaftsverhältnis befreit und meinte dann dazu, dass es vielleicht ganz gut wäre. Dadurch könnte sie Frieden finden ... und wer weiß, wozu Gott sie bestimmt habe. Zum Kapitel 14
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Bitte, bitte nicht noch mal Alle Jahre wieder. Mit diesen drei Worten habe ich jetzt ausgedrückt, was im Jahre 1997, wo wir jetzt in unserer Geschichte sind, auf dem Kalender stand. Allerdings trafen die eingangs geschrieben drei Worte auf uns alle letztmalig im Jahre 1995 zu. Da feierten letztmalig die Familien Rebmann und Rossbach Weihnachten so, wie sich die Tradition zum Fest in ihren Familien entwickelt hatte. Wie wir dann 1996 zu diesem Datum den totalen Familienkrieg ausriefen, habe ich ja beschrieben. Auch bei Rebmanns war dieses Fest nicht mit Stille und Frieden verbunden. Tanja hatte der große Schmerz erfasst und glaubte Gott habe sie verlassen. Sie wollte sich das Leben nehmen und Eleonore hatte alle Mühe diesen Suizid zu vermeiden. Dabei hat sie scheinbar ihre Kraft vorübergehend verloren, bis plötzlich wie ein von Gott gesandter Engel ihre Schwester vor der Tür stand und die Beiden damit beruhigen konnte, dass Gott von niemanden ablässt. Immer ist er bei uns, alle Tage. Wir sind viel zu klein, um immer gleich zu verstehen, was er uns sagen und zu weisen will. Bei Gott ist alles gut, selbst wenn es für uns böse aussieht. Waltraud sagte den Beiden, dass sie ja selbst wüssten, dass es nur einen Schöpfer gebe. Wenn wir nicht wie die Satanisten an Schöpfer und Gegendschöpfer glauben, bliebe uns nichts anderes, als zu sagen, dass der Schöpfer Jesajas auch der Mohameds sei, der Schöpfer Hitlers auch der Bonhoeffers sei, der Schöpfer des Lammes auch der des Wolfes sei. Er hat also Gutes und scheinbar Böses gleichermaßen geschaffen und diesen ihre Vorbestimmung zugewiesen (Römer 9,14 ff.). Das Wort „scheinbar“ vor Böses ist wichtig, da wir so etwas als Menschen gar nicht beurteilen können. Was gut oder tatsächlich böse ist weiß nur Gott allein. Waltraud brachte vor einem Jahr ein Beispiel wie sehr die Begriffe Gut und Böse bei uns schwimmen können. Wenn wir ein Beispiel aus der Natur für „Gut“ bringen soll, sind wir sehr schnell bei den friedlichen Pflanzenfressern – Schafe, Rinder, Antilopen – die, wenn ihnen kein Einhalt geboten würde, die Erde kahl fressen würden und die Apokalypse auslösen würden. Durch Wegfressen der Pflanzen findet keine Assimilation statt und die Atmosphäre würde so mit Kohlenstoff angereichert, dass atmende Lebewesen ersticken müssten. Der kahlgefressene Boden trocknet aus, kann kein Wasser mehr halten und in Folge würden gewaltige Naturkatastrophen die Erde in einem unbelebten, mit Jupiter oder Venus vergleichbaren, Planeten verhandeln. Zum Ausgleich schuf Gott die bösen Raubtiere, die zu ihrer Existenz unbedingt tierisches Eiweiß benötigen. Diese Raubtiere sind so böse, dass sie die Population der weltzerstörenden Pflanzenfresser „kontrollieren“ und damit die Welt erhalten. Das Gute zerstört und das Böse erhält. Auf diesen Ausgleich kann nur verzichtet werden, wenn sich das Leben nicht mehr ausweitet, wenn es kein neues Leben mehr gibt. Das ist das Ende der Schöpfung, der paradiesische Zustand ist das Endstadium. Waltraud sagte den beiden „Rebmann-Mädchen“ damals. Sie wäre überzeugt, dass Gott nichts Böses geschaffen habe. Alles haben seinen Sinn und Zweck im Ziel der Schöpfung, dem vollendeten Leben. Nur wir Menschen würden in unserer kleinen spärlichen Sichtweise in Gut und Böse einteilen, was, wie wir im vorangegangenen Beispiel gesehen haben, mehr als nur falsch ist. Deshalb haben wir nie einen Grund mit unserem Gott zu hadern. Er macht nur Gutes, alles hat seinen Zweck. Wenn wir Leid und Schmerz empfinden, liegt das nur daran, dass wir unseren, von ihm vorbestimmten Platz nicht erkannt haben. Deshalb sollten wir Gott vertrauen und uns in Geduld üben. Danach versuchte sich die Pastorin in einer gutgemeinten „Prophetie“: „Wer weiß, vielleicht meint es der Herr so gut mit euch, dass ihr bereits nächstes Jahr Weihnachten euere Bestimmung gefunden habt und ihr seid dann dankbar und glücklich.“. Zumindestens damals reichte es aus um Elli und Tanja zu beruhigen und heute glauben sie, dass das, was ihre Schwester und Tante damals sagte, in Erfüllung gegangen sei. Eleonore glaubt nun von Anfang an für mich bestimmt gewesen zu sein und ihre Tochter glaubt dieses im Hinblick auf meinen Sohn. So stand uns jetzt, 1997, ein Fest ins Haus, dass es so noch nie gegeben hatte. Deshalb mussten wir etwas machen, was sonst nur einen Sinn bei den, dem Konsumrausch verfallenden Mammonisten gibt. Für Letztere ist Weihnachten das Fest des lauten Geplärres in Kaufhäusern und auf Weihnachtsmärkten, des Glühweingestanks und Einkaufsstress, der X-mas-Partys und der Abzockbesucherei bei Oma, Opa, Tante und Onkel. Wenn man da nicht von der Hektik zerfressen werden will muss man schon planen. Für uns aber war, bedingt durch unsere Weltanschauung, es das Fest der Stille und Besinnung, des Kerzen- und Tannenduftes, der familiären Gemeinsamkeit und Freude. Trotzdem mussten wir planen, denn in dieser Runde waren wir noch nie zusammen. Wir mussten Rossbachsche und Rebmannsche liebgewonnene Traditionen zusammenführen und vereinen. Dabei gab es einige Dinge zu beachten. Da waren die Rebmann Frauen und die Rossbach Männer, die zueinander gefunden hatten und sich liebten. Aber auf Rossbachs Seite gab es noch eine weitere Frau, Sabrina, die keinen entsprechenden Gegenpol hatte. Ganz eindeutig ergab die Einbeziehung Sascha Scheules keinen Sinn; bei den Beiden hatte es noch nicht richtig gefunkt. Sabrina aber nicht stets und ständig einzubeziehen, hätte mit großer Wahrscheinlichkeit dazu geführt, dass Sabrina sich in den Gedanken an ihre ermordete Mutter in die Depression eingeigelt hätte. Aber auch auf Tanjas Gemütszustand musste geachtet werden. Immerhin lebte ihr vom Tode gezeichnete Vater, der ein Mörder war, noch. Nicht gerade gute Voraussetzungen für ein seelisches Gleichgewicht. Dann stand ein größerer, bis jetzt allerdings noch nicht ausgetragener Vater-Sohn-Konflikt im Raum. Vor Astrids Ermordung war ich ein mehr oder weniger überzeugter Pazifist, der aber nach dem Mord an seiner Frau dahingehend ins Straucheln gekommen war. Nach meinen Anschluss an Eleonores gläubige Familie, war ich aber, stärker als je zuvor, auf meine vorhergehende Anschauung zurückgekehrt. Nach meiner Meinung ist der Sinn und das Ziel der
Schöpfung das Leben, was Gott allein gehört. Kein Mensch auf der Welt, keine Obrigkeit hat das Recht, dass zu nehmen, was Gott allein gehört. Kriege sind nur dann notwendig, wenn die gesamte Politik vollkommen versagt hat. Kriegserklärungen sind politische Bankrottgeständnisse. Wer Bomben schmeißen muss, ist entweder zu faul oder zu dumm zum politischen Denken. Ich springe mal in die Jetztzeit, in das Jahr 2002: Ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, am 22. September 2002 wählen zu gehen, denn alle Parteien im Bundestag, außer der PDS, die ich aus anderen Gründen nicht wählen kann, haben Kriegseinsätzen zugestimmt ohne vorher überhaupt ein erkennbaren Versuch einer politischen Lösung zu unternehmen. SPD und Grüne haben sogar eine Machtfrage über das Gewissen gestellt und die Mitglieder ihrer Fraktion genötigt, eventuell aus ihrer Sicht, gegen Gottes Wort zu stimmen. Wenn ich wählen gehe mache ich mich aus meiner jetzigen Überzeugung mitschuldig. Wo ich gerade beim Thema bin, stelle ich die Frage, was die Politiker für ein Problem mit dem Tucholsky Zitat „Alle Soldaten sind Mörder“ haben. Es ist doch nur eine zeitgemäße Auslegung des Evangeliums. Man lese doch nur mal Matthäus 5, 21 bis 24. Da wird man feststellen, dass nach dem Wort des Gottessohnes schon die Aussage „Rache“ oder „Du Narr“ Mord ist. Die Falken wollen ja unbedingt den lutherischen Vokalübertragungsfehler von „morden“ zu „töten“ haben, dann müssen sich auch gefallen lassen, dass ich sie jetzt beim Worte nehme. Und was will einer beim Militär, der nicht bereit ist Rache an Narren zu üben? Selbst wenn er nur Narren bei der Ausübung ihres schändlichen Tuns hindern will, begeht er demnach Mord. Es kommt bei Matthäus noch dicker. Laut Vers 44 befiehlt uns der Herr: „Liebet euere Feinde, segnet, die euch fluchen, tut wohl denen die euch hassen und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen wollen. Na, geht deshalb jemand zum Militär oder wollen die Schießen lernen und dabei billigend in Kauf nehmen, dass dabei Menschen – Feinde und Kohllateralschäden – ums Leben kommen. Wenn ich aber den Tod eines anderen billigend in Kauf nehme, dann ist das auch nach menschlicher Juristenspitzfindigkeit Mord, wo bereits erkennbare Absicht oder der Versuch strafbar sind. Es tut mir leid, aber das Zitat „Alle Soldaten sind Mörder“ ist für mich weder eine Beleidigung noch eine Meinungsäußerung sondern eine scharfe aber notwendige Auslegung der Gebote unseres Herrn. Wenn mich deshalb jemand vor Gericht stellen will, dann bleibt mir nur mit Luther zu sagen: „Hier stehe ich, Gott helfe mir. Amen“. Nun stand fest, dass Oliver am 5. Januar 1998 zur Bundeswehr nach Hemer im Sauerland musste und wollte. Ich habe darum gebetet, dass der Herr ihm davon überzeuge, dass für ihn, den Sohn der Ermordeten Astrid Rossbach, nur die Alternative Zivildienst gelten möge. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht ob und wie Gott mein Gebet erhörte oder nicht. Auf jeden Fall bejahte Oliver Notwehr und Verteidigung. Wenn jemand Friedhelm Rebmann erschossen hätte als er seine Mama vergewaltigen und töten wollte, wäre seine unschuldige Mutter noch am Leben. Leben retten wäre bestimmt im Sinne Gottes. Wer nicht bereit wäre einen Angreifer mit Mordabsicht zu töten, der begehe selbst dadurch Mord, dass er den Tod der Unschuldigen billigend in Kauf nähme. Was bei uns jetzt noch zusätzlich heikle war, dass dieser mörderische Angreifer im Falle seiner Mutter ausgerechnet der Nochehemann meiner Elli und der Vater seines Tanileins war. In einer solchen Situation lag natürlich das Damoklesschwert über unserer Weihnachtsfeier. Eleonore schlug hinsichtlich ihrer Pädagogik- und Theologiestudien vor, dass sie wohl in solchen Situation gefordert sei und ich mir diesbezüglich eiserne Zurückhaltung einsuggerieren solle, damit sie im Falle eines Falles das einsetzen könne, was sie gelernt habe. Während unseres weihnachtlichen Zusammenseins wurde es mehrfach brenzlig. Ich habe mich aber daran gehalten, was mir Elli angeboten hatte. Und damit sind wir gut gefahren, Elli meisterte alles mit Bravour. Was jetzt klar ist, dass wir unsere Planungsgespräche nicht im Familienkreis führen konnten. Wären wir alle zusammen gewesen, dann hätten diese Themen nur mit Vorsicht angesprochen werden können, denn sonst hätten wir bei der Planung bereits die Situation gehabt, dass das, was wir vermeiden wollten, bereits schon im Vorfeld aufgetreten wäre. Und bei nur vorsichtigem Vortrag wären, zu dem Zeitpunkt ehrliche Absichtserklärung, die hinterher keinen Pfifferling mehr wert gewesen wären, so sicher wie das Amen in der Kirche gewesen. Die Planung konnte ich nur mit Elli unter vier Augen vornehmen. Da konnten wir auch über ein Problem sprechen, was Elli nur mit mir behandelt wissen wollte. Wieder war sie mit den Grundlasten auf ihr Heim in Schwierigkeit gekommen. Wieder einmal hatte ihre Bank eine Lastschrift mangels Deckung zurückgereicht. Da musste ich ihr einfach sagen: „Elli Schatz, jetzt trenn dich endlich von der Vorstellung, dass du den Witwer der Frau, die dein Mann umgebracht hat, zur Ausbügelung des Schadens heranzieht. Nach meiner Auffassung sind wir Mann und Frau und ich bin verpflichtet dir zu helfen. Ich habe die Absicht euer Haus zu kaufen; entweder ganz oder nur Friedhelms hälftigen Anteil. Das hast du mitzuentscheiden. Es hört sich jetzt ein Wenig sarkastisch an aber ich glaube es handelt sich um ökonomische und juristische Vernunft, dass wir jetzt Friedhelms Tod abwarten sollten und dann schlage ich zu. Lange dauert es ja so und so nicht mehr. Und bis es soweit ist, übernehme ich erst mal alle anfallenden Lasten.“. Zunächst brach sie in Tränen aus. So etwas ist wirklich schwer und dann kam: „Okay Maus, ich stimme zu. Aber was wolltest du dann mit dem Haus machen ... unseren derzeitigen Wanderzirkus verewigen?“. „Genau weiß ich es auch noch nicht.“, begann ich meine Antwort, „Ich gedachte es auf jeden Fall im Familienbesitz zu lassen, so dass Tanja später einmal im Genuss der Sache kommt. Sollten unsere beiden wirklich mal beabsichtigen den Bund fürs Leben zu schließen, können wir ja unsere jeweiligen Anteile an unser jeweilig eigenes Kind verschenken, du an Tanja und ich an Oliver. Und damit es gerecht zugeht, erhält Sabrina entweder hier das halbe Haus und muss sich mit ihrem Bruder hinsichtlich der anderen Hälfte ausgleichen oder ich schenke ihr eine Eigentumswohnung im entsprechenden Wert,
wobei wir bis das der Tod uns scheidet hier wohnen“. „Schatz, du bist ein Engel“, fiel sie mir um den Hals, drückte und küsste mich herzlich. Dieses Gespräch war am Vorabend des Heilig Abends so zirka gegen zehn Uhr. Nun, wo mir in Elli in den Armen lag und es nicht zu früh und nicht zu spät zum Aufsuchen des Schafzimmers war, schlug ich ihr vor, im Bett schmusender Weise darüber weiter zu beraten. Man kann sich denken, das Wohl der Wunsch der Beratung ehrlich gemeint war aber dass dann nicht viel dabei herumkam. Lediglich der Wunsch unseren Wanderzirkus zwischen Ellis und meinem Haus zu beenden, um an einem Ort glücklich zu sein, wurde verstärkt. Deshalb gab es dann doch noch ein Ergebnis: Zwischen Weihnachten und Neujahr wollten wir unsere Prüttel endgültig in meinem Haus zusammenschmeißen. Im Januar wollten wir dann Zeiten, in denen wir alleine sind, nutzen um Alles zu konkretisieren. Gesagt, getan. Bis Mitte Januar 1998 waren wir uns einig, dass ich 50% von Eleonores Haus kaufen solle und würde. Wobei wir davon ausgingen, dass sie mit den Eigenanteil und den bisherigen Annuitäten ihren Anteil mehr als gezahlt habe. Sie sollte also noch einen Ausgleichsanspruch, der zu Gunsten Tanjas angelegt werden sollte, haben. Die restlichen Tilgungen, die noch 5 Jahre auf dem Plan standen, sollte ich zu 100% übernehmen. Wir wollten einen Notar beauftragen, der uns schon mal alle entsprechenden Urkunden fertigt, die wir auch schon mal unterzeichnen wollten. Nach Friedhelms Tod sollte der dann ohne weitere Anweisung mit der Veramtlichung der Angelegenheit beginnen. Das Haus wollten wir schon einmal Tanja und Oliver auf Verdacht überlassen. Für Sabrina wollte ich in Waldstadt eine Eigentumswohnung kaufen, in die sie, wenn sie wollen, schon mal mit Sascha zusammenziehen kann. Allerdings sah es nicht so aus, dass dieses schon in den nächsten Wochen aktuell würde. Deshalb waren wir uns einig, dass wir im Falle eines Falles Sabrina erst mal bei uns behalten wollten. Zum 24. Januar 1998 luden wir dann unsere Kinder und Sascha zu einer Familienparty ein, auf der wir mit ihnen dann unseren Zukunftsplan organisieren wollte. Wir hatten extra einen Samstag gewählt, damit auch unser „Rekrut“ daran teilnehmen konnte. Alle sagten zu, bis auf Sascha. Seine Absage erreichte uns bereits einen Tag vorher aus Tanjas Mund: „Als ich heute Nachmittag vom Frauenarzt kam, stand da auf einmal Sascha ... er war mir offensichtlich vorher gefolgt – und lud mich ins Café Walter ein. Weil er sagte es sei sehr wichtig, habe ich die Einladung angekommen hatte. Nachdem ich ihm zunächst was erzählt hatte, erklärte er mir, dass er mich nun für immer in Ruhe ließe ... auch wenn ich es mir noch anders überlegen würde. Sabrina liebe er nicht und wir möchten es ihr schonend beibringen. Es täte ihm auch immer leid, das arme Mädchen abblitzen zu lassen. Damit habe er ja nun auf unserer Familienparty nichts zu suchen und bat mich ihn bei euch zu entschuldigen.“. Elli und ich fanden dieses im Grunde anständig von den Jungen und setzen uns dann, als wir alleine waren zusammen, um schon mal zu überlegen, wie wir es Sabrina beibringen sollten. Dieses sollte ich am nächsten Mittag, zu dem Zeitpunkt ab dem ich sie nicht mehr aus den Augen verliere, als der Vater übernehmen. Gerne hätte ich dieses noch vertagt und mit Elli gemeinsam durchgeführt, aber spätestens zum Zeitpunkt wo sie feststellt, dass Sascha nicht mehr erscheint, muss sie entsprechend präpariert sein, sonst wird es möglicher Weise unkontrollierbar. Einmal sollte noch so eine Art Wanderzirkus stattfinden. Die Party sollte so eine Art Schlüsselübergabe sein: Elli raus und Tanja mit Oliver rein. Daher hieß der Veranstaltungsort auch Ellis Heim sein. Am späten Nachmittag fuhren Elli und Tanja schon einmal rüber um die Vorbereitungen zu treffen. Kurz nach sieben fuhren Sabrina, Oliver und ich dann auch rüber. Ich hatte zwar einen Schlüssel, wollte es aber feierlich machen und schellte. Tanja öffnete mit einem Scherz die Tür und dann wurde es bleihaltig. Blaue Bohnen flogen durch die Luft und schlugen in die Türpfosten ein. Sofort schubste ich die Mädchen ins Innere, bückte mich zu dem am Boden liegenden und laut „Aua, aua“ schreienden Oliver, um ihn hereinzuziehen und die Tür zuzudrücken. Dann sah ich, wie Olivers rechtes Hosenbein zunehmender Weise dunkelrot wurde und ich versuchte meinen Jungen zu beruhigen. Als Elli, die inzwischen 110 angerufen hatte, zu mir kam, stellte diese fest, dass auch ich am linken Arm blutete, was ich selbst noch nicht bemerkt hatte. Währenddessen saß Sabrina wie gelähmt in Tanjas Armen auf der Couch und Tanja selbst heulte und seufzte immer „Bitte, bitte nicht noch mal“. Als die Polizei eintraf stand der Schütze am Törchen und übergab mit den Worten „Ich war’s“ seine Waffe der Polizei und ließ sich ohne weiteres festnehmen. Es war Sascha Scheule. Er hatte sich einen Leihwagen genommen, damit er nicht gleich erkannt würde und in diesem gelegen, um uns aufzulauern. In seinem Geständnis bekannte er seine Tötungsabsicht, er wollte Tanja und Oliver tödlich treffen, was sich dann später zu seinen Ungunsten auf das Strafmaß auswirken sollte. Zum Glück ist das Revolverschießen gar nicht so einfach und so er schoss ein Magazin leer aber traf immer nur den Türrahmen. Ein Querschläger hatte, wie anschließend der Notarzt feststellte, Olivers Knie durchschlagen. Deshalb wurde er auch mit ins Krankenhaus genommen. Ich bekundete, als der Arzt im Wohnzimmer meine Streifwunde am Oberarm – auch mich hatte ein Querschläger getroffen aber nur sehr leicht verletzt – behandelte, dass ich mit ins Krankenhaus fahren wollte. Darauf riet mir der Arzt, dass ich lieber da bleiben und mich um die Frauen kümmern solle; die brauchten mich dringender. Die derzeit hysterisch schreiende Sabrina bekam von ihm eine Beruhigungsspritze. Was Oliver anbelangte erklärte mir der Notarzt: „Machen sie sich mal keine Gedanken. Die Verletzung ist nicht lebensbedrohlich. Er wird jetzt erst einmal operiert und dann schläft er erst mal ... also da können sie ohnehin nichts machen.“.
Polizei und Notarzt waren aus dem Haus, Sabrina lag bibbernd in meinen Armen und Tanja sorgte für die nächste Überraschung: „Scheiße, immer wenn ich lüge wird’s höllisch. Ich habe euch gestern wieder belogen. So elegant, wie ich es dargestellt habe war meine Besprechung mit Sascha nicht. Er hat mich auch nicht aufgelauert und eingeladen. Sondern ich hatte ihn angerufen und hergebeten. Ich sagte ihm, dass ich von Oliver ein Baby erwarte ...“. „Stimmt das denn?“, wurde sie von Elli unterbrochen, was von Tanja bejaht wurde. In diesem Moment brach bei Sabrina erneut ein hysterisches Geschrei, ärger als zuvor, aus. „Tanja, du alte Hexe“, kam es jetzt aus meiner Tochter heraus, „du spielst mit uns, wie es dir passt. Sascha brauchtest du nur um Oliver eifersüchtig zu machen. Als du dann dein Ziel erreicht hast hetzt du ihn auf mich zu vergewaltigen ... nur damit du ihn billig wieder los wirst. Als du feststellst, dass er dich, die du es gar nicht verdienst hast, wirklich liebt, da betätigst du dich als Kupplerin. Wieder muss ich herhalten. Nun habe ich gespürt, dass ich ihn tatsächlich liebe, da verpasst du ihm eins dass er bekloppt wird. Du Satansbraut, du Hexe.“. Bei Tanja brach ihr, jetzt sogar gespenstisch wirkendes, hysterische Lachen aus. Eine Eigenart, die sie seit dem Zeitpunkt als bekannt wurde, dass ihr Vater meine Frau ermordet hatte, immer in dem Fall zeigte, wenn sie sich in arger seelischer Bedrängnis fühlte. Vorher hat sie so etwas nie gemacht und deshalb machte es Eleonore einige Sorgen. Üblicher Weise folgte, wie auch an diesem Tag, dass sie dann urplötzlich von Lachen auf Heulen, wie ein kleines Kind, überging. Die Lache brachte dann Sabrina dazu: „Seht ihr wie der Teufel in der Hölle lacht“. Ergebnis: Elli hatte Tanja und ich Sabrina heulend an der Brust liegend und wir waren erst mal absolut ratlos. An diesem Abend kam dann zum Glück doch noch eine Situationsbereinigung durch die Mädchen selbst. Tanja kam langsam aus den Armen ihrer Mutter hoch und wandte sich, immer noch weinend, Sabrina zu: „Bitte Sabrina, ich bin doch auch nur ein Mädchen wie du. Ich wollte doch nichts Böses. Ich habe dich lieb, so als ob du meine eigene Schwester wärest. Ich wollte dir nicht weh tun. Ich war zwar eigensüchtig aber wehtun wollte ich dir auf keinen Fall.“. Nun löste sich, zunächst ebenfalls langsam, auch Sabrina aus meinen Armen um plötzlich ruckartig Tanja in die Arme zunehmen: „Ach Tanni, ich habe dich doch auch lieb. Aber ich bin fix und fertig, denn schließlich hat doch der, den ich glaubte zu lieben, auf meinen Bruder und meinen Vater geschossen.“. Sie lagen sich eine ganze Weile in den Armen. Als sie sich zunächst mal trennten erweckten sie den Eindruck, als habe es eine transspirituelle Verständigung gegeben, denn die Beiden baten mich wie aus einem Mund, mich zu erkundigen, was mit Oliver sei, dem ich auch gleich nachkam. Allerdings brachte der anschließende Anruf nicht viel. Die Dame am anderen Ende, ich nehme an, dass es eine Schwester war, durfte mir keine Auskünfte geben. Sie konnte mir nur sagen, dass Oliver noch im OP sei, ich mir aber keine Sorgen machen brauche, da es nichts ernsteres sei. Sie versprach mir, dass der Arzt nach der Operation zurückrufen würde. Nun kam Tanja erstmalig dazu uns umfassender zu informieren. Zunächst drückte sie ihre Enttäuschung aus, da sie es sich so schön ausgemalt hatte, wie sie uns ihre Schwangerschaft mitteilen wollte. Sie wollte verkünden wie glücklich sie sei voraussichtlich Anfang August uns zu Oma und Opa und Sabrina zur Tante machen können. Elli sagte ihr dann, dass sie diesbezüglich nicht nur gesagt hätte, dass sie sich freut sondern sie es auch getan hätte. Dieses täte sie auch unter dieser Situation noch – auch wenn jetzt diese schöne Sache so tragisch belastet wäre. Elli äußerte dann noch ein paar Bedenken hinsichtlich des doch noch recht jungen Alters von Oliver und Tanja. Und ich schloss mich, weil ich es genauso sah, meiner Vorrednerin an. Sabrina wirkte richtig kindhaft als sie sagte: „Dann bin ich ja eine richtige Tante, die schon jetzt ihre Babysitterdienste anbietet ... natürlich kostenlos.“. Nur behäbig und mit leiserer Stimme berichtete uns Tanja anschließend, was am Tage zuvor mit Sascha gelaufen war. Tanja, hatte vorher schon einen, in der Apotheke käuflichen, unverbindlichen Schwangerschaftstest durchgeführt und nach dem positiven Ergebnis mit Oliver darüber gesprochen. Die beiden haben sich riesig gefreut und Tanja sollte zusehen, dass sie noch vor der Familienparty einen Frauenarzttermin bekommt, damit sie, wenn sie uns dieses zu dem Anlass verkünden solle, Sicherheit haben. Da dachten die Beiden daran, dass auch Sascha, der ja immer noch nicht von Tanja ablassen konnte, eingeladen sei und dass dieses dann möglicher Weise zur „Katastrophe“ führen könne. Tanja wollte reinen Tisch machen und verabredete sich mit Sascha im Café Walter. Sie hatte ihm gesagt, dass sie vorher einen Frauenarzttermin habe und er nicht böse sein solle, wenn sie ein paar Minuten später einträfe – sie käme auf jeden Fall. Tatsächlich traf sie etwa eine Viertelstunde später ein. Sascha wollte sie beim Eintreffen küssen, worauf sie ihn zurückdrückte und ihm sagte: „Nein Sascha, dass wäre nicht in Ordnung, ich bekomme ein Baby.“. Da hat er dann loskrakelt, dass er Tanja und Oliver umbringen wolle und Sabrina, wenn sie nicht erwürgt werden wolle, ihm nicht mehr unter die Augen kommen dürfe. Er hat so viel Aufsehen erregt, dass die beiden aus dem Café gewiesen wurden. Uns gegenüber hat Tanja ihm dann einen ehrenhaften Abgang verschaffen wollen. Zum Schluss der Ausführungen strahlte Sabrina aus verheulten Augen ihre „Stiefschwester und Schwägerin“ an, nahm sie gleich wieder feste in ihre Arme und sagte: „Tanja, ich habe doch eine richtige und liebe Schwester.“. Auch uns kam es jetzt komisch vor, warum Tanja mit „Scheiße, immer wenn ich lüge wird’s höllisch“ eingeleitet hatte. Sie äußerte die Meinung, dass Gott sie immer, wenn sie gegen das 7. Gebot verstoßen habe, sehr hart bestrafen würde. Neben der, uns bekannten Angelegenheit, die ich Schmusevergewaltigung genannt habe, führte sie ein Vorfall an, wie sie mit Flunkern ihrem Vater 50 Mark, die ihr zu einem Markenpullover fehlten, aus der Tasche gezogen hat. Genau am 11. September 1996, als ihr Vater meine Frau ermordete, hatte er das entdeckt und sie darauf zur Rede gestellt. Daraufhin musste ihr Elli doch ein kleinen Vortrag halten: „Tanja, ich bin zwar Religionslehrerin und meine Schwester ist eine Pastorin, die mit einem Pfarrer verheiratet ist, aber deshalb wollen wir uns jetzt nicht bei jeder Gelegenheit Gott mit ins Boot holen.
Für die meisten Dinge hierauf Erden sind wir zunächst einmal selbst verantwortlich und deshalb antwortete ich dir jetzt nicht als Theologin sondern als deine Mutter ... nicht mehr aber auch nicht weniger. Über euere Geschichte mit den Vergewaltigungen brauchen wir ja kein Wort mehr zu verlieren. Das war klar, das habt ihr eingesehen und ihr habt, entsprechend meiner Beurteilung, auch tätige Reue gezeigt. Das haken wir jetzt ab. Zu der Sache mit dem Taschengeldtrick habe ich dir bereits hundert Mal gesagt, dass wegen der Sache die Welt nicht untergegangen ist. Vati und ich waren der Meinung, dass wir der gesellschaftlichen Erziehung zu Konsumidioten mit unserer privaten gegensteuern mussten. Deshalb haben wir den Wunsch nach dem Pullover, der im übrigen nach meiner Auffassung im Vergleich zu anderen Nonames nur ein Fünftel dessen, was er gekostet hat, wert ist, abgeschlagen. Aber finanziell oder so tat uns das damals im Grunde überhaupt nicht weh und wir haben der Sache daher überhaupt keine Bedeutung beigemessen ... es ging nur um deine Erziehung. Hör doch auf, diese Sache mit dem, was Vati getan hat, in Verbindung zubringen. Vati hatte diese Sache, nachdem er dir die Standpauke gehalten hat, sofort wieder vergessen. Das siehst du schon daran, dass er mir, als ich nach Hause kam, davon überhaupt nichts sagte. Was er in Verbindung mit dir und deiner Erziehung für wichtig hielt, hat er mir grundsätzlich ... ich unterstreiche grundsätzlich – immer postwendend gesagt. Dein schlechtes Gewissen ehrt dich, aber trotzdem solltest du jetzt diese Akte unter Banalitäten ablegen.“. Zwischendurch hakte sich Sabrina mit dem Geständnis, dass sie so etwas bei Astrid auch schon gebracht habe, ein. Sie habe daraufhin eine Taschengeldkürzung, so eine Art Ratenrückzahlung, als Strafe verordnet gekriegt. Da sie aber immer das Taschengeld von mir erhalten habe, sei sie ungestraft davon gekommen, weil Astrid vergessen habe es mir zusagen. Sie sagte dann mit tröstender Stimme zu Tanja: „Glaubst du, Gott würde uns alle so hart bestrafen, nur weil du gelogen hast und mich im gleichen Fall ungeschoren davon kommen lassen.“. Danach war dann Elli wieder an der Reihe: „Siehst du Töchterchen, Sabrina sagt es dir auch. Also streich die Angelegenheit mal in deinem Kopf. Kommen wir jetzt zur aktuellen Angelegenheit: Hast du überhaupt gelogen? Du hast uns doch die Wahrheit gesagt. Sascha würde nicht mehr zu uns kommen und er gedachte nicht, Sabrinas Liebe zu erwidern. Das stimmt doch. Das du uns das so sagtest, dass dabei sein Ansehen bei uns nicht ramponiert wird, halte ich für Okay und verfälscht die eigentliche Aussage in keinster Weise.“. „Aber ich hätte euch von den Morddrohungen berichten müssen.“, warf Tanja jetzt ein. „Die hätte ich auch nicht für vollgenommen.“, fuhr Astrid jetzt fort, „Ich hätte auch geglaubt, dass er in seiner Wut, die aus seiner großen Enttäuschung kam, etwas gesagt habe, was er selbst im Traum nicht ernstgenommen hätte. Mach dir mal da keine Vorwürfe. ... Du kannst nichts dafür.“. Sowohl Sabrina wie auch ich stimmten Eleonore voll inhaltlich zu. Wir hätten jetzt an dieser Stelle jetzt das diesbezügliche Gespräch mit Tanja beenden können, aber aus zwei Gründen fragte ich sie, was sie mit den Worten „Bitte, bitte nicht noch einmal“, die sie unmittelbar nach dem Geschehen jenes Abends immer wieder sagte, gemeint habe. Meine beiden Gründen waren erstens meine eigene Neugierde und der zweite, wesentlich wichtigere, war das ich der Meinung bin, dass Dinge, die man aus seinem Inneren befreit hat, erleichtern und keinen Schaden mehr anrichten können. Ihrer Erklärung konnte ich mich dann allerdings doch anschließen. Sie hatte das Gefühl, dass nach dem Mord an Astrid so viel an gegenseitigen Hass, Rachegefühle, Enttäuschung und Verzweifelung bei uns allen auf beiden Seiten gegeben habe, dass ihr diese Zeit wie ein Höhlenritt vorgekommen sei. Da wären halt ihre ersten Gedanken „Bitte, bitte nicht noch mal“ gewesen. Darauf bestätigte Sabrina, dass dieses auch ihre ersten Gedanken nach Saschas Schüssen gewesen seien. Da ich geschrieben hatte, dass ich mich Tanjas Erklärung hätte anschließen können, ist klar, dass dieses auch meine ersten Gedanken waren und Elli bestätigte dieses dann in gleicher Weise – waren uns also diesbezüglich einig. Das Ganze halte ich für einen Beweis dafür, wie schwer die Dinge, die nach dem Mord auf uns einwirkten, wogen und wie diese nach dem letzten Vorfall wieder hochkochten. Das heißt, wir konnten die Hände noch nicht in den Schoss legen, die Bewältigung war noch nicht abgeschlossen – noch hatten wir mit der Verarbeitung dieser Zeit zutun. Als wir an diesem Punkt waren, kam dann der erwartete Anruf aus dem Krankenhaus. Der Arzt teilte mir mit, dass ein Projektil quer durch das Kniegelenk meines Sohnes geschlagen und gegenüber dem Einschuss steckengeblieben sei. Das Projektil wurde entfernt und die Verletzungen wurden soweit es zum derzeitigen Zeitpunkt möglich war versorgt. Auf jeden Fall sei noch eine weitere Operation notwendig. Die Operation an diesem Abend war aber nach Ansicht des Arztes entsprechend den Umständen entsprechend gut verlaufen und Oliver, der das Ganze gut überstanden habe, würde jetzt schlafen. Irgendwelche Gründe zur Besorgnis gäbe es jetzt nicht mehr, Gefahren würden nicht bestehen. Wörtlich erklärte der Arzt: „Entschuldigen sie, ich kann verstehen wenn ihnen jetzt nicht nach einem Scherz ist aber damit kann ich es am Besten erklären: Ihr Sohn ist, abgesehen von einem Bisschen lädierten Knie, konditionell putzmunter und kerngesund.“. Auf meine Frage wie lange es dauern würde, hing er einen Wermutstropfen an. Er antwortete mir, dass ein Knie für unsere Fortbewegung ein sehr wichtiges Gelenk sei. Im Moment sei noch nicht absehbar ob es bei Oliver für immer steif bleiben würde, womit viele Menschen jedoch ganz gut leben könnten, oder wie weit, eventuell durch Einsatz von künstlichen Teilen, so eine Art ursprüngliche Nutzbarkeit hergestellt werden könne. Das würde einige Zeit in Anspruch nehmen, so dass wir nicht damit rechnen sollten, dass er bereits nächste Woche vollkommen einsatzfähig nach Hause käme. Ausführlich wollte er mir das mal in der kommenden Woche, wenn ich Oliver besuchte, erklären. Auf meine Frage, wie es mit dem Besuch sei meinte er, dass wir meinen putzmunteren und ausgeschlafenen Sohn bereits am nächsten Tag besuchen könnten. Aus praktischen Erwägung schlug er dann vor, dass wir jedoch nach Beginn der offiziellen Besucherzeit – sonntags von 14 bis 19 Uhr sonst von 10 bis ebenfalls 19 Uhr – kommen sollten.
Als ich den Inhalt des Telefonats an „meine Mädchen“ weitergab erfuhr ich darauf recht unterschiedliche Reaktionen. Auf Eleonore wirkte diese Information, wie auch auf mich, beruhigend. Was man aber bei Tanja gar nicht sagen konnte. Sie befürchtete Verharmlosung und machte sich entsprechende Sorgen. Und was mit Sabrina richtig war konnte ich nicht beurteilen, sie wirkte irgendwie abgetreten und abweisend. Niemand von uns war jetzt wirklich auf irgendeinen Höhepunkt und es dauerte noch einen Moment bis Elli, die uns trotz später Stunde noch einen Kaffee kochen wollte und mich dabei bat sie in die Küche zu begleiten, dann nach den praktischen Erwägungen zum weiteren Ablauf fragte. Die vorgesehene Feier war ja nun ausgefallen während dass, was wir beschlossen hatte, unverändert Bestand haben sollte. So wollten wir das, was Tanja und Oliver anbelangt, denen bei der morgigen Krankenvisite unterbreiten – natürlich vorausgesetzt Oliver ist dafür empfänglich. Ich verständigte mich mit Elli darauf, dass wir das, was Sabrina anging noch einmal überdenken müssten. Wieder zurück im Wohnzimmer gingen wir zu Viert an die naheliegende Ablaufplanung. Zwar war Eleonore inzwischen vollständigen zu mir „umgezogen“ aber an diesem Tag waren wir darauf eingerichtet in ihrem Haus, was wir eigentlich am Abend an Tanja und Oliver übergeben wollten, zu übernachten. Verpflegungsmäßig waren wir dort ganz gut eingerichtet, denn die vorbereiteten Platten, der Kartoffelsalat und die Würstchen dürften wir uns wir am folgenden Sonntag zunächst mal ausreichend, insbesondere im Hinblick auch auf unsere Gemütskondition, die uns allen wohl keinen Status als guter Esser erlauben würde. Also blieben wir alle gemeinsam in Olvermühle. Nun ergab sich doch noch ein Problem. Beide Mädchen erweckten den Eindruck, dass es nicht ratsam sein würde sie allein schlafen zu lassen. Daher mein Vorschlag, dass sie gemeinsam schlafen sollten. Tanja war sofort einverstanden aber Sabrina wollte nicht mit ihr alleine sein. So kam dann von Elli der Kompromissvorschlag, dass die drei weiblichen Familienmitglieder gemeinsam im Elternschlafzimmer nächtigten sollten und ich unterdessen alleine im Besucherzimmer, was ursprünglich für Sabrina bestimmt war, mein Lager finden sollte. Dieses war dann die Lösung, die danach auch in die Wirklichkeit umgesetzt wurde. Allein im Zimmer liegend konnte ich dann noch einmal „alles“ Revue passieren lassen. Zunächst dachte ich darüber nach wie ein Ereignis das andere bedingt. Wäre Astrid nicht ermordet worden, wären Tanja und Oliver vielleicht so oder so ein Paar gewesen, denn sie waren ja ganz eindeutig schon bereits vorher hintereinander her. Sascha wäre jedoch zu keinem Zeitpunkt mit in die Geschichte gekommen, womit das letzte „Verbrechen“ gar nicht stattgefunden hätte. Ist nicht das gesamte Leben eine Folge solcher nicht vorhersehbaren und nicht planbarer Ereignisse? Welchen Sinn ergeben dann noch Zukunftsplanungen? Unterlässt man diese aber unterbleiben Weichenstellungen und der Lebenszug entfernt sich auf dem falschen Gleis zunehmendst seinem eigentlich Ziel. So kam ich dann darauf, darüber nachzudenken auf welchem Gleis sich unser Zug befindet. Sicherlich auf dem falschen, insbesondere dann wenn jetzt Oliver ein steifes Knie behalten würde. Dann wären wir wieder bei dem alten „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ und dieses mit einer Heftigkeit, die mit „überzogen“ noch zu sanft beschrieben wäre. Noch waren die alten Wunden nicht gänzlich vernarbt. Wenn wir nicht aufpassen sind wir im Nu wieder auf dem selbstvernichtenden Kurs „Genugtuung, Vergeltung, Rache und Hass“. Da muss ich eingreifen und mich selbst zwingen die Weichen zu stellen. Ich muss mit Verzeihen und Vergeben aus dem Teufelskreis ausbrechen. Da faltete ich meine Hände und bete zu Gott er möge mir die Kraft geben, aufrichtig sowohl Sascha Scheule wie aber auch Friedhelm Rebmann zu vergeben und damit die anderen zu überzeugen zu können, damit auch sie dem eigenen Fegefeuer entkommen können. Von dem Gleis das in Richtung Hölle führt muss ich die Weichen auf das, welches ins Leben führt stellen. Zum Kapitel 15
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Sabrina werde doch vernünftig So ist es nun einmal bei vielen Dingen im Leben: Dem Einen trifft es nie und dem Anderen dafür häufiger. Da gibt es Leute, die ein Leben lang Lotto- und Lotteriebetreiber bereichern, da sie unermüdlich spielen aber nie einen nennenswerten Gewinn erzielen und da gibt es sehr wenige, die Jahr für Jahr deutlich mehr gewinnen als sie einsetzen und zum Schluss noch einen „dicken Sechser“ landen. Na ja, erstere sind nach der mathematischen Wahrscheinlichkeit die über 99-prozentige Mehrheit, da es ja über 13 Millionen Möglichkeiten für eine Zahlenfolge von 6 aus 49 Zahlen gibt. Genau gesagt gibt es 49 hoch 6 Möglichkeiten, was logischer Weise nichts andres heißt, das die Chance vom Blitz getroffen zu werden deutlich höher ist als jemals ein Lottokönig zu werden. Was, wenn man nicht Haus, Hof und Herz beim Spiel setzt, ja auch nicht weiter schlimm ist. Spiel ist Spiel und wenn man sein Herz nicht daran hängt oder, schlimmer noch, danach süchtig wird, lässt sich dagegen wohl kaum die Stimme erheben. So wie beim Lotto verhält es sich auch beim Verbrechen. Die Wahrscheinlichkeit mittelbares oder unmittelbares Opfer eines K-Verbrechens – Raub und Mord – zu werden ist äußerst gering, auch wenn bestimmte Innere-Sicherheits-Schwätzer aus Gründen der Bauernfängerei, sprich Wahlstimmenheischerei, das Gegenteil behaupten. Aber uns traf es in nur anderthalb Jahren gleich zwei Mal: Einmal wird meine Frau Astrid Opfer eines Sexualmordes und dann wird auch noch auf uns, in der Absicht meinen Sohn und seine Freundin zu töten, geschossen. Die Wogen des ersten Falles haben sich noch nicht geglättet und da brausen schon die nächsten heran. Der geringe zeitliche Abstand ließ auch bei den Presseschmierfinken und im Volkslodermaul auch den ersten Fall wieder hoch kochen als sei er erst gestern geschehen. Wieder gingen die Köpfe hinter uns zusammen als sei ein Jeti oder der auferstandene Ötzi persönlich vorbeimarschiert. Wieder stürzte sich der Mob im Lehrerkollegium und unter der Schülerschaft der Gesamtschule auf meine „arme Elli“. Wieder gaben sich die Nebenklageanrater die Klinge in die Hand. Und so weiter und so fort. Jetzt konnten wir wieder das „erhabene“ Gefühl, das man hat, dass, wenn man irgendwo reinkommt sich in kurzer Zeit alle Augen auf einen richteten, erfahren. Was an ständiger subjektiver Beobachtung schlimm ist, ist, dass jedem Menschen fortlaufend kleine Patzer, wie zum Beispiel Niesen oder Husten ohne die Hand vor den Mund zu nehmen, passieren und sich diese wenn sie pausenlos registriert werden langsam summieren. Man ist dann nicht nur ein mittelbares Verbrechensopfer sondern aus der Sicht der Meute auch, wenn nicht schon ein Trottel, dann doch eine komische Type. Jetzt beim zweiten Mal war ich fast der Meinung, dass uns die „ehrbare“ Öffentlichkeit erheblich mehr zufügte als der Täter in diesem Fall. Mobbing ist grausam und daran haben Herr Jedermann und Frau Jederfrau mangels Sozialkompetenz viel Spaß. Also jetzt wusste ich Presse und Öffentlichkeit sind dummbrutal und heizen Betroffene ein. Ich nehme sogar an, dass viele, die nach einem Verbrechen einen dauerhaften Psychoknacks bekommen, diesen der Presse und/oder der sogenannten Öffentlichkeit zu verdanken haben. Mir ist es zwar erklärlich aber es wirkt trotzdem höchst seltsam: Der neuerliche Vorfall spielte in den, in der Regionalpresse und im Kreis- wie Dorfklatsch präsentierten, Aktualitäten nur eine untergeordnete Rolle. Was war schon passiert? Da hat ein eifersüchtiger und offensichtlich schießunkundiger und dummer junger Mann in einen Türrahmen geballert und dabei hat ein „Kügelchen“ das Knie seines Rivalen verletzt. „Ach, so was kommt doch alle Tage irgendwo in deutschen Landen vor“, werden sich die Meisten wohl gesagt haben. Das andere war doch viel interessanter. Derjenige, auf den geschossen wurde, ist doch der Sohn der netten Frau, die vom ehemaligen Olvermühler Gemeindedirektor ermordet wurde und ausgerechnet die Tochter des Mörders war es, um die es in der Auseinandersetzung ging. Und, oh welche Schande, die Mutter des Mädchens, also die Frau des Mörders, der übrigens derzeitig seiner gerechten Gottesstrafe entgegen sieht, hat sich doch dreist in das Ehebett der Ermordeten gelegt. Das gibt bei Sensationshungrigen, -machern und –verbreitern was her. Das war es, was die Leute ja eigentlich nichts anging, sie aber trotzdem richtig heiß machte. Eleonore und ich hatten ja ein hartes Training als Opfer der Öffentlichkeit hinter uns und konnten doch einigermaßen über den Dingen stehen – aber wer kann sich schon absolut alles aus dem Fell schütteln. Dieses führte bei uns einerseits zu einer klatscheinheizenden Trotzreaktion: Wir traten, sehr viel sogar engumschlungen, vermehrt zusammen in der Öffentlichkeit auf. Immer wenn sich die Gelegenheit ergab war Elli bei mir im Vermieterbüro und umgekehrt brachte ich sie regelmäßig zur Schule und holte sie von dort wieder ab. Nur wenn wir unter uns keine Terminübereinstimmung erreichen konnten fuhr sie mit den eigenen Wagen. Immer wenn wir auf die Saschageschichte angesprochen wurden schoben wir das mit Bemerkungen wie „Ja, ja, die ungestüme Jugend und die Liebe“ ab. Also, wie geschrieben, das Ganze war fast ausschließlich als Trotz unsererseits zu verstehen. Aber es führte auch dazu, dass wir uns doch sehr intensiv mit unserer Einstellung zu den Dingen beschäftigten. Wir setzen uns mit den Themen Verstehen, Verzeihen, Vergeben und Vergessen auseinander. Die wenigsten Probleme hatten wir mit dem Verstehen. Wir hatten das seltene Glück beide Seiten aus eigenem Erleben zu kennen. Wir hatten am eigenen Leibe erfahren, dass beide Seiten, Täter wie Opfer, Menschen wie du und ich sind. Vor der Tat war Friedhelm Rebmann ein anerkannter Verwaltungsbeamter, guter Vater und Ehemann. Und was war Sascha Scheule? Ein Junge aus strengem bürgerlichen Elternhaus, den man in der Pauschaldraufsicht, den besseren Jugendlichen zuschlägt. Strebsam erbrachte er gute schulische Leistungen, war im Sportverein und der Jungen Union engagiert. Ein einziger Moment krempelte sowohl Friedhelms wie Saschas Leben um und sie waren bereit zu vergewaltigen und zu töten. Wie überheblich ist doch derjenige, der großprahlerisch von sich behauptet er könne nie ein Verbrechen begehen.
Vom „faullenzenden“ Arbeitslosenhilfeempfänger über Bürgermeister und Pastor bis zum Bundeskanzler oder Präsidenten sind wir nicht von einer möglichen Täterschaft freizusprechen. Ich will es mal mit Ellis Worten sagen: „Niemand ist frei davon immer wieder Sünden zu begehen; täglich neu. Mal in Menschenaugen harmlos und mal sehr gravierend. Vom ersten bis zum letzten Menschen gibt es nur einen, der davon frei war und ist. Das ist Jesus, der Sohn Gottes. Und der hat alle unsere Sünden auf sich genommen, hat dafür gelitten und ist dafür gestorben. Und uns damit von der Strafe, die wir eigentlich verdient hätten, erlöst. Wir sind frei und dürfen leben – bis in alle Ewigkeit, so wie es uns verheißen ist.“. Bei der theologischen Sichtweise meiner Elli liegt dann, die Pflicht zum Vergeben eigentlich auf der Hand. Wie können wir Anderen seine Sünden nachtragen, wenn Gott ihm und uns unsere Sünden vergeben hat. So waren Eleonore und ich uns schnell einig, dass es daher unsere Pflicht sei, sowohl Friedhelm wie Sascha zu vergeben. Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern, denn unser Herr hat sowohl für unsere wie für die unserer Schuldiger gebüßt. Die Strafe ist vor Gott „abgesessen“ und wir sind erlöst, wir müssen nur noch diesen Gnadenakt durch Glauben und Gehorsam annehmen. Was heißt nun Vergeben? Ich möchte es mal so definieren, dass man Abstand von Hass, Rache und Vergeltung nimmt. Ich kann aus Erfahrung sagen, dass man im Falle des Vergebens selbst im Inneren frei wird. Dafür, das wir sowohl Friedhelm wie Sascha vergeben haben bekam wir zum Lohn die Luft, die wir zum Leben brauchten und brauchen. Wir waren wieder frei und durften unser Glück wieder und weiterhin erfahren. Aber wir dürfen Vergeben nicht mit Verzeihen und Vergessen verwechseln. Unter Verzeihen verstehe ich das Streichen der betreffenden Sache aus meinen Lebenserinnerung und das Übergehen zur Tagesordnung als sei nichts geschehen. Das werde ich wohl weder bei Rebmann noch bei Scheule jemals können. Vergeben habe ich ihnen, verzeihen kann ich ihnen nicht. Verzeihung ist etwas was man sich erwerben muss, da muss der Täter etwas unternehmen. In diesem Zusammenhang fällt mir auf, dass die Aussage „Ich bitte um Verzeihung“ eigentlich eine Phrase ist. Verzeihung kann man nicht erbitten, die muss man sich, wenn sie überhaupt möglich ist, erkämpfen. Auch hier waren Elli und ich uns einig: Wir vergaben den beiden Tätern aber konnten ihnen nicht verzeihen. Praktisch führte dass dann dazu, dass wir der Meinung waren, dass Sascha schon aus dem Grunde, dass es nicht andere zur Nachahmung anreizt, eine Strafe haben muss. Aber diese war, weil wir ihn vergeben hatten, für uns bedeutungslos. Strafe sollte nicht zur Genugtuung der Opfer, die eigentlich auf Befehl unseres Herrn vergeben müssten, da sein sondern nur dem Zweck das gesellschaftliche Leben auf Erden zuordnen dienen. Verzeihen wäre es, wenn Sascha nach der Verbüßung seiner Strafe plötzlich fröhlich bei uns vor der Tür stehen würde und wir dann, als wäre nichts geschehen, zur Tagesordnung übergehen würden – aber das können wir nicht. Elli sinnt oft darüber nach, dass uns Gott die Vergebung zugesagt hat aber wie ist das mit dem Verzeihen? Müssen wir uns nicht, bevor wir im Zuge seiner Vergebung am ewigen Leben teilnehmen können uns erst mal Verzeihung erwerben? Wäre bei Gott Vergeben gleich Verzeihen dann wäre uns das ewige Leben gleich gewiss. Dann könnten wir in Gottes Ferne seine Gebote in den Wind schlagen, was aber mit Sicherheit nicht der Fall ist. Diese, unsere Ansicht, die uns das Leben mehr als erleichterte, vermittelten wir auch unseren Kindern. In der ersten Zeit war dieses neben den Themen um Tanjas Schwangerschaft und der gemeinsamen Zukunft der „jungen Familie“ in Ellis Haus der überwiegende Gesprächsstoff unter uns Fünfen. Oliver und Tanja hatten anfänglich in diese Richtung doch erhebliche Schwierigkeiten. Tanja bereitete die Vorstellung, dass sie jemanden, der den Vater ihres noch ungeborenen Kindes erschießen wollte um sie zu besitzen, vergeben sollte doch erhebliche Schwierigkeiten. Oliver rückte jetzt damit raus, dass er beabsichtigte nicht nur seinen Wehrdienst abzuleisten sondern sich überlegte ob er sich für eine Offizierslaufbahn verpflichten sollte. Er betrachtete seine am 5. Januar begonnene Grundausbildung als so eine Art Probezeit. Zwischendurch nur gesagt, dass für mich diese Vorstellung ein echter Graus war. Damit dürfte, was mich unter anderen Umständen sogar gefreut hätte, es jetzt vorbei sein. Es schien schon ziemlich sicher, dass Oliver ein steifes Knie behalten würde womit er allenfalls ganz beschränkt wehrtauglich gewesen wäre. Mit einer Offizierslaufbahn dürfte es endgültig aus sein. Dieses spielte in seiner Einstellung zu Sascha eine Rolle. Jemand, der seine Lebensplanung so durchkreuzt hatte, war zunächst, aus seiner Sicht, keiner Vergebung würdig. So waren die Beiden natürlich zunächst auf dem Rache-Psychotrip. Zwar forderten sie für Sascha keine Todesstrafe aber Lebenslänglich wegen versuchten Mordes, zumindestens nach Olivers „Gerechtigkeitsempfinden“ schon sein. Erst nach und nach schlossen sich unsere Kinder unserer Auffassung, mit der es sich wirklich besser leben lässt, an. Anfänglich hatten wir den Eindruck, dass deren Vergebung ausschließlich auf ihre Ratio beruhte und auf keinen Fall emotional mitgetragen wurde. Aber dieser erste Schritt schien mir schon wichtig, denn ich wusste von mir selbst, dass die Forderung nach Gerechtigkeit und Genugtuung einheizend ist. Man steigert sich mit der Forderei in irgendetwas was im schlimmsten Fall einen psychischen Dauerschaden verursacht. Wenn diese Forderungen durch rationelle Vernunft unterdrückt werden verschwinden sie auch automatisch langsam und das Feuer kann statt aufzulodern nach und nach verglimmen. Heute weiß ich, dass Tanja und Oliver letztlich es doch ganz gut gepackt haben. Sie stehen heute mit beiden Beinen im Leben und erleben Glück und Leid im gleichen Ausmaß wie jeder andere „normale“ Mensch auch. Die von ihnen, letztlich aufrichtig ausgesprochene Vergebung hat ihnen wirklich geholfen. Wir waren aber nicht nur vier sondern fünf Leutchen. Da gab es auch noch Sabrina. Die legte ab jenem Samstag ein seltsames, bei ihr vorher unbekanntes Verhalten an den Tag. Sie war durchgängig launisch und mürrisch. Sehr schnell
war sie mit Vorurteilen und Vorabverurteilungen, wie sie im Hause Rossbach vorher unbekannt waren, bei der Hand. Sie wirkte verschlossen und eigenbrötlerisch. Laufend versuchten wir sie zur Aussprache mit uns zu bewegen aber sie wich uns immer wieder aus. So baten wir letztlich Thomas um Hilfe und dieser nahm die Sache sehr ernst. Zumindestens ihm gelang es Gespräche mit meiner Tochter zu führen. „Nun, musstet ihr denn gleich den Pastor bemühen, wenn deine Freundin schon fast eine Pastorin ist?“, wird jetzt diese oder jener fragen. Bei solchen Aussagen wie „Ich bin es leid. Ich stecke das Haus an und lasse mich darin braten.“, wie sie jetzt öfters von meiner Tochter kamen, sollte man die Sache schon ernst nehmen. Da ist es mit der Ermahnung „Sabrina werde doch vernünftig“ nicht getan. Und dass wir dabei doch besser auf den außenstehenden Thomas als auf meine Partnerin zurückgriffen war auf rein taktische Überlegungen zurückzuführen und nicht darauf, dass ich meinem zukünftigen Schwager diesbezüglich mehr zutraute als meiner Partnerin. So etwa Mitte Februar 1998 schoss Sabrina dann während eines Besuches von Waltraud und Thomas dann doch den Vogel ab. So etwa eine halbe Stunde hatte sie etwas bummelig in der Familienrunde dabei gesessen und dann legte sie los: „Sag mal Thomas, weiß du ob das stimmt, dass wenn es Bruder und Schwester miteinander treiben, dabei meisten Idioten herauskommen?“. „Nun das Wort ‚Idioten’ schmeckt mir, wie du dir denken kannst, überhaupt nicht.“, begann Thomas ruhig, „Aber dass es bei Inzest in sehr vielen Fällen zu Behinderungen kommt ist nachweislich.“. Prompt hakte Sabrina nach: „Nun, dass es sich bei leiblichen Geschwister um Inzest handelt ist klar. Aber wie ist das bei einem Paar, die von den gleichen Großeltern abstammen ... also Vetter und Cousine in einer geraden Linie sind.“. „Das kommt in der Regel auf das Gleiche heraus“, antwortete ihr jetzt Eleonore. Und damit hatte sie den Anstoß zu Sabrinas bösen Angriff gegeben: „Und warum sagst du dann nichts bei Tanja und Olli? Das sind doch Vetter und Cousine.“. „Wie kommst du denn auf so etwas? Tanja ist die Tochter von mir und Friedhelm und keiner von uns hat Vorfahren in der Familie Rossbach.“, empörte sich Elli. Gleich setzte meine Tochter nach: „Nee, nicht Rossbachs sondern Saleins. Dein Friedhelm ist doch nicht Tanjas Vater sondern das ist doch Mamas Bruder, dass ist doch Onkel Walter.“ Jetzt wurde aber Elli echt böse; so böse, wie ich sie zuvor noch nie erlebt hatte. Sie machte Sabrina deutlich, dass sie sehr viel Verständnis für ihre derzeitige Verfassung habe aber irgendwo lägen doch Grenzen. Walter Salein habe ihr wohl immer nachgestellt. Selbst als er bereits mit seiner Herta verheiratet gewesen wäre und sogar in letzter Zeit. Sie wäre zu ihm auch immer nett gewesen und ab und zu, wenn es ihr Spaß gemacht habe, habe sie, wie mit mir früher auch schon, geflirtet aber sonst sei nichts zwischen den Beiden gewesen. Unbekümmert setzte Sabrina nach: „Wenn du das, was 9 Monate vor Tanjas Geburt, als die damaligen CPD-Pfadis in ein Unwetter gerieten, in Onkel Walters Hütte am Saleiner Bach geschah noch als Flirt bezeichnest, dann hast du recht, aber ...“. Weiter kam sie nicht, denn jetzt rastete Elli aus: „Was, so etwas erzählt dir dein Onkel? Dem werde ich aber jetzt mal was anderes erzählen.“. Sie sprang auf, stürzte hinaus zum, auf dem Flur stehenden, Telefon und beim Hinausgehen knallte sie kräftig die Tür zu. Im Wohnzimmer versuchte jetzt Thomas erst mal die Wogen zu glätten und ich musste ihm dabei helfen. So bekam ich auch von Ellis Gespräch mit Walter Salein nichts mit, außer dass sie zunächst recht lautstark war. Nicht ganz eine halbe Stund nach der Beendigung des Ortsgespräches stand Walter leibhaftig vor der Tür. Er war recht froh darüber, dass ich ihm öffnete, denn er wollte zunächst ein Vieraugengespräch mit mir führen. Er stellte zunächst klar, dass an Sabrinas Behauptungen nichts dran sei und er jetzt käme um die Sache klarzustellen. Er entschuldigte sich für den Vorfall, der uns entzweit hatte und gestand dabei, dass er wirklich heiß auf Eleonore sei und von ihr nicht abkäme. Immer wenn Elli in der Nähe sei ginge ihm das „Messer in der Hose auf“. Er könne machen was er wolle, diese „heimliche Liebe“ sei er in fast dreißig Jahren nicht los geworden aber er hätte nie bei Eleonore landen können; er wäre immer abgeblitzt. Jetzt gestand er, dass der Streit, den wir miteinander hätten, seine Urasche in seiner „Tickeifersucht“ hätte und entschuldigte sich noch einmal dafür. Jetzt war er gekommen, um die Sache persönlich klarzustellen. Dann sagte er noch: „Ich beabsichtigte ohnehin schon mit dir zu sprechen, denn Sabrinas Schauergeschichte ist auch schon bei Herta angekommen. Herta und Sabrina haben sich ja aus unserem dummen Streit rausgehalten. Meine Holde ist zwar nicht böse aber was meinst du, gegen welches Misstrauen ich zu kämpfen habe.“. Im Wohnzimmer berichteten uns dann in abwechselnder Wortführung Walter und Elli von der Geschichte von vor fast 19 Jahren, die jetzt von Sabrina wieder auf die Tagesordnung gebracht worden war. Zur damaligen Zeit veranstalten die Christlichen Pfadfinder häufig ein Biwak auf einer wilden Wiese fast ganz oben auf dem Hasenscheid, ein Berg von zirka 450 Metern Höhe. Entlang des Saleiner Baches führt auch heute noch ein steiler Weg von Salein darauf. Die Sippenführer der Pfadfinder waren selbst noch Jugendliche und deshalb kümmerten sich junge Erwachsene aus dem Dorf ein Wenig um die Jugendlichen. Zu diesen „Kümmerern“ zählte unter anderen auch Eleonore. Bei einer dieser Gelegenheiten ist sie dort mit Walter zusammengetroffen. Er gehörte schon damals zu den Grünröcken und hatte dort oben etwas hinsichtlich seiner Jägerei zu erledigen. Sie beschlossen gemeinsam talwärts zugehen. Auf diesem Weg gab es zwischen den beiden dann eine Auseinandersetzung. Walter, der damals schon mit Herta verheiratet war, hatte versucht Eleonore zu umarmen und hat sich dafür eine kräftige Ohrfeige eingefangen. Danach setzten sie zwar den Weg gemeinsam fort aber hielten dann doch deutliche Distanz. Auf halben Weg wurden sie von einem kräftigen Unwetter, also ein mächtiges kräftiges Gewitter mit Sturm und sintflutartigem Schauer, überrascht. Walter hatte den Schlüssel für die Hütte, die die Jagdgenossenschaft nicht ganz legal, am Saleiner Bach errichtet hatte, in der Tasche. Diese Hütte steht zwar heute noch, macht aber einen recht
heruntergekommenen Eindruck. In dieser suchte dann das nicht zusammengehörende Paar Unterschlupf. Zunächst gab es dann ein „Palaver“, bei der sich Eleonore nach Walters Ansicht recht zickig anstellte. Ihre Sachen waren bereits vollkommen durchnässt und Walter bot Eleonore in der Hütte lagernde alte Herrenkleidung, der er sich auch selber bedienen wollte, an. Die Hütte besteht aber nur aus einem Raum und Eleonore wollte sich, insbesondere wegen des vorhergegangenen Vorfalles, in seinem Beisein nicht umziehen. Da blieb ihm als Kavalier nichts anderes übrig, als noch mal hinaus in die Sintflut zugehen. Als er wieder hinein kam, war er dann mit dem Umziehen an der Reihe. In einem Anflug von Exhibitionismus war er dann mal kurz splitterfasernackt aber Eleonore habe extrem weggeschaut. Jetzt kam von Eleonore doch noch ein spätes Geständnis: „Na, so tugendhaft bin ich auch nun wieder nicht. Wenn es was zusehen gibt schaue ich schon hin ... aber man muss sich ja nicht alles anmerken lassen.“ Damit kennen wir jetzt schon das Maximale, was sich zwischen Eleonore und Walter abgespielt hat. Dann saßen sie beieinander und haben sich unterhalten. Walter, vorgewarnt durch die vorrangegangenen Ereignisse, hat nichts Ein- oder Zweideutiges angesprochen und schon gar nicht unternommen. Er verhielt sich wie ein geschlechtliches Neutrum. Nach etwa 1½ Stunden hatte sich der Regen gelegt und sie überlegten, ob sie jetzt ihren Heimweg fortsetzen sollten. Sie stellen jedoch fest, dass durch den Sturm dicke Äste von den Bäumen gefallen oder sogar ganze Bäume umgestürzt waren. Der Regen hatte den Saleiner Bach in ein wildes Gewässer, dass den Weg teilweise überflutete, verwandelt. Und außerdem war es schon recht dunkel geworden wodurch der weiter Heimweg nicht ganz ungefährlich gewesen wäre. Sie beschlossen in der Hütte zu übernachten. Bezüglich dieser Angelegenheit ermahnte Eleonore Walter jedoch sehr eindringlich seine Finger bei sich zu behalten. Eleonore wollte am nächsten Morgen noch einmal rauf zur wilden Wiese um zu sehen wie die jungen Pfadfinder die Sache überstanden hatten und Walter dann gleich nach Hause. Er hat sich dann rechts und sie sich links in der Hütte ein Lager bereitet. Passiert ist, wie beide glaubhaft beteuern, tatsächlich nichts. Als unsere beiden Berichterstatter an diesem Punkt angelangt waren gab es zunächst eine Unterbrechung, die an diesem Spätnachmittag zur weiteren Rundenkomplettierung führen sollte. Walters „holde Gattin“ Herta hatte sich überlegt, dass, wenn sie durch Abwesenheit glänze, hinterher wieder das glauben müsse, was ihr Walter erzähle und das würde dann der Heilung von ihrem Misstrauen wenig dienlich sein. Ihr Misstrauen hinsichtlich ihres Mannes im Verhältnis zu Eleonore war auch, wie sie sagte, der Grund warum sie bis jetzt noch nichts zur Beendigung unserer Kontaktsperre unternommen hatte. Herta Salein teilte sich mit Waltraud Kühn das Schicksal, dass es ihr nach einer Fehlgeburt nicht mehr vergönnt war schwanger zu werden obwohl sie sich eigentlich sehnlichst Kinder wünschte. So waren Herta unsere Beiden so ans Herz gewachsen wie es bei Waltraud Tanja war. Fast so, als wären es die eigenen Kinder. Da kann man sich vorstellen, dass sie lieber am „Krachabend“ wie jetzt erschienen wäre um alte Familienbande wieder zu knüpfen. Aber bei mir war ja die Frau, die Walter von Kindesbeinen an so glühend verehrte – und davon hatte er ihr gegenüber auch nie ein Hehl gemacht. Aber wie sowohl Walter wie auch Eleonore immer wieder versichert haben, ist er bei ihr kontinuierlich abgeblitzt. Nun war Herta also auch noch persönlich erschienen, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Familienbande wieder flicken und gleichzeitig Misstrauen abbauen. Elli informierte die Neuangekommene kurz in zwei oder drei Sätzen was bis jetzt gelaufen war und anschließend setzten dann Walter und Elli ihren Bericht mit dem Tagesanbruch vor 19 Jahren fort. Eleonore und Walter hatten in dieser Nacht kaum geschlafen. Immer wieder waren sie häufig wach und mit ihren Gedanken an einem anderen Ort. Elli war mit den ihrigen immer wieder bei den jungen Leuten oben auf der wilden Wiese. Auch wenn sich Pfadfinder immer mutig geben dürfte der Sturm und das Gewitter, insbesondere bei den Jüngsten, doch Angstgefühle ausgelöst haben. Des weiteren dürfte dort oben alles, Boden, Koten und persönliche Sachen, durchnässt sein. Für sie gab es nur eins: Sofort beim ersten Tageslicht wieder hinauf. Walter zog es zum beschriebenen Zeitpunkt in die Gegenrichtung. Er dachte daran, dass sich seine Herta Sorgen machen würde und außerdem wollte er die Versorgung des Viehs nicht seinem Vater, der zu dieser Zeit nicht mehr so gut drauf war, allein überlassen. Bei diesen Gedanken blieb dann kein Platz für „Sexus Lustus“ und so blieben sie auch in dieser Nacht keusch und züchtig. Sofort beim ersten Lichtstrahl wollten sie zum Aufbruch rüsten. Walter musste erst mal vor die Tür, damit sich Eleonore umziehen konnte. Gerade heraus getreten sah er Personen, die sich aus beiden Richtung näherten. Von Oben kamen die Pfadis von der CPD (Christliche Pfadfinder Deutschlands), die das Tageslicht gar nicht erst abwarteten und schon vor dem ersten Dämmerungslicht im Dunklen in Richtung Salein aufgebrochen waren. Von Unten kam Friedhelm Rebmann, der sich Sorgen um seine Braut machte und der, wie die Scouts, bereits im Nochdunklen gestartet war. An der Hütte angelangt fragte er Walter ob er was vom Verbleib seiner Eleonore wusste. Als er hörte sie sei in der Hütte stürmte er hinein und traf sie dort, noch nicht ganz angezogen, an. Jetzt lassen wir Walter mal selbst erzählen: „Ich dachte der Junge hätte auf einmal einen Knall bekommen. Lacht der doch auf einmal los als wolle er den Deibel synchronisieren. Dann bricht er plötzlich ab und plärrt wie einer kleiner Junge, der den ersten Tag im Kindergarten ist, wenn die Mama gehen will.“. An dieser Stelle musste ich meinen Schwager dann doch unterbrechen und Elli was fragen: „Kam das bei Friedhelm öfters vor?“. Nach dem sie mit „Na, nicht oft aber ab und zu, wenn es ihn besonders hart traf“ geantwortet hatte sagte ich ihr: „Und da fragst du dich, wo deine Tochter diese Macke her hat.“. Danach wandte ich mich an meine eigene Tochter: „Siehst du Sabrina wie du spinnst? Tanja hat nicht nur die Augen und die Nasenform von ihrem Vater geerbt
sondern auch seine Macke, die du ja schon selbst bei ihr erlebt hast. Ich habe keine Zweifel daran, wer Tanjas Vater ist. Also Mädchen, werde doch langsam wieder vernünftig.“. Jetzt hatte jedoch Herta noch eine Frage an Sabrina: „Sage mal Brina, wo hast du das eigentlich her, dass Walter deine zukünftige Schwiegermutti geschwängert haben soll. Ausgedacht haben kannst du dir das nicht, denn du hast ja ... auch als du mich anriefst, dass Pfadfinderlager und die Hütte erwähnt. Solche Details fallen ja nicht vom Himmel.“. Kleinlaut und mit Tränen in den Augen kam „Von Tante Elsbeth.“. Besagte Elsbeth Schneider ist eine Cousine von Walter und Astrid. Ernst Salein, mein Schwiegervater, und Elsbeths Mutter waren Geschwister. Sie war in Familienkreisen als alte „Keife“ verschrien. Nach dem Ernst Salein, der „König von Salein“ verstorben war, zog Elsbeth eine Riesenkomödie ab, weil sie glaubte, auch was zu erben zu haben. Seitdem wurde sie dann im Familienkreis fast gänzlich ignoriert. Sabrina war ihr vor einiger Zeit in Waldstadt über den Weg gelaufen. Jetzt hatte Herta doch noch eine Frage an Walter und Elli: „Und wo hatte die Schrulle die Story her?“. Die Antwort war ganz einfach: Sie war die Sippenführerin der Pfadis, die damals auf der wilden Wiese lagerten. So hatte sie Friedhelms Auftritt an der Hütte miterlebt und anschließend durch die Berichte darüber im Dorf sein Ansehen etwas ramponiert. Nachdem dieses Thema abgehakt war, sorgte Elli ungewollt für die erneute Wiedererweckung von Hertas Misstrauen. Eleonore sagte nämlich: „Friedhelms Eifersucht war vollkommen unbegründet. Er wusste zu diesem Zeitpunkt ja bereits, dass ich schwanger war und unsere Hochzeit war bereits festgeplant.“. Daraus folgerte Herta messerscharf: „Dann hätte ja eigentlich auch nichts passieren können, wenn du es wirklich mit Walter getrieben hättest.“. Da musste ich doch noch einschreiten: „Herta, du kennst deinen Mann, dass ist eine ehrliche Haut. Und ich kenne meinen Schatz und ihre Wertvorstellungen. Ich habe keine Veranlassung den beiden nicht zu glauben. Also, du kannst ruhig schlafen wenn Walter und Elli mal zusammentreffen.“. Worauf Walter noch anfügte: „Ich bin ja ganz ehrlich, dass ich schon mal möchte, aber die Angebete ist eine Heilige und lässt mich nicht. Damit muss ich leben ... aber träumen darf ich doch.“. Bei dieser versteckten Liebeserklärung errötete Elli verlegen aber auch Herta war jetzt deutlich beruhigter. Sabrina nahm jetzt doch Abstand von ihrer Inzestbehauptung aber im Gegensatz zu den Saleins war bei ihr noch lange nichts in normaler Ordnung. Mit Walter und Herta hatten wir ab diesem besagten Abend wieder ganz normale innerfamiliäre Beziehungen. Allerdings so wie früher war es dann doch nicht mehr. Aber Eleonore war ja auch nicht Walters Schwester sondern seine heimliche Liebe. Die beiden war stets nett und freundlich zueinander aber hielten doch deutliche Sicherheitsdistanz zueinander. Sie wurden, wenn wir mal zusammen waren, auch stets von Herta, die ansonsten Elli auch sehr schätzte, doch mit misstrauischen Argusaugen beäugt. Sabrina jedoch war noch weit von einem Normalzustand entfernt. Nach meinem Beobachtung war sie es, die damals nach der Sache mit Astrid von uns den stabilsten seelischen Eindruck machte und jetzt schien es so, als würde sie alles von damals auf einmal nachholen wollen. Mir gegenüber war sie in dieser Zeit äußerst verstockt und wiederholte oft ihre Drohung, sich mit samt dem Haus zu verbrennen. Nur Thomas gelang es eine Brücke zu ihr aufzubauen. Das lag aber weniger an sein Beruf, der ihm allerdings diesbezüglich doch nützlich war, sondern an seiner menschlichen Art. Er war ja auch der Einzigste, der damals in meiner schwersten Zeit einen Draht zu mir hatte. Thomas gelang es dann Sabrina langsam, nach und nach, wieder zu stabilisieren und zur Normalität zurückzuführen. Aber da sind wir in unserer Gesichte noch nicht angelangt. Zum Kapitel 16
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Wenn andere ausgelassen feiern Am 28. Februar 1998 stand nicht nur Montag sondern Rosenmontag auf dem Kalender. Im Rheinland war also der Höhepunkt der fünften Jahreszeit erreicht. Wir die „Familie“ Rossbach/Rebmann haben damit allerdings wenig zu schaffen. Mir persönlich liegt nichts an dieser Art Feierei, die ich persönlich albern und langweilig empfinde. Das hat in meinem Fall noch nicht mal etwas mit protestantischer Prüderie zutun, denn meine Distanz auch zu anderen Gelegenheiten wie Schützenfest, Kirmes oder Silvester aber auch Großpolterabende, ist meinerseits weder religiös noch weltanschaulich untermauert. Flache Albernheiten, eventuell verbunden mit Exzessen auf den Gebieten der den Verstand vernebelnder Getränke, ist halt nichts für meines Vaters Sohn. Wenn mir jetzt jemand wegen der Albernheiten und dem Alkoholmissbrauch widerspricht, sage ich ihm: „Sorry, sehe ich, der dieses Sache immer nüchtern und außenstehend betrachtet hat, es eben halt.“. Bei der doch vom Calvinismus überzeugten Eleonore war das ein Bisschen anders. Sie glaubt zwar nicht, dass das Feiern an und für sich Sünde sei aber dass es zu dieser bei solchen Anlässen genügend Fallstricke und nur allzu kleine Schritte gibt. Aus ihrer Sicht bedeutet dieses Gott zu versuchen und den Herrn zu be- beziehungsweise verurteilen. Und so etwas ist aus ihrer Sicht die größte Sünde die es gibt. Und aus evangelischer Überzeugung kann man sich auch mit tausend Sakramenten und Bußgängen davon nicht reinwaschen. Nur durch das Wort, dass uns absoluten Gehorsam gebietet, und die Gnade unseres Herrn, der für uns am Kreuz starb und uns damit erlöste, können wir selig werden. Ritueller Klimbim und Selbstkasteiungen helfen uns da herzlich wenig. Das war ja der Hintergrund bei allen Reformatoren: Jan Huss, Martin Luther, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin. Das einzige Besondere an diesem Tag war für uns die Tatsache, dass dieser Tag an der Gesamtschule Waldstadt, an der Elli lehrte und die Sabrina als Schülerin in der letzten Runde besuchte, ein sogenannter Verfügungstag war. Da die Schüler unter dem Einfluss der Medien an solchen Tagen mit ihrem Denkapparat ohnehin nicht bei der Sache sind und bestenfalls Blödsinn bauen, war dieser Tag, der bei uns im Romanischen Kreis nicht wie in rheinischen Gefilden ein Brauchtumstag ist, also schulfrei gestellt. Das Gleiche galt auch für das Käthe-Kollwitz-Gymnasium, an der Tanja zu dieser Zeit an ihrem Abitur bastelte. Tanja hatte mal auf diese Gymnasium „gemusst“, da ihre Eltern es nicht für eine bevorzugte Lösung hielten, wenn die Tochter dort lernt wo die Mutter lehrt. Also hatten meine drei Mädchen an diesem Tag frei, was sie zu einem Einkaufsbummel nutzen wollten. Tanja brauchte langsam schwangerschaftsgeeignete Kleidung und Sabrina wünschte sich auch ein neues Outfit. Und auch die „Frau Mutter“ gedachte sich einmal nach ein paar Sachen umzusehen; nicht für die Welt sondern nur für mich. Allerdings hat sie mir von ihrer Reizwäschenabsicht vorher nichts erzählt; damit wollte sie mich überraschen. Also „protestantische Prüderie“ ist doch nicht ganz mit „vom Weltlichen ab“ gleichzusetzen. Elli brachte es sogar noch dicker: Sie hatte sich an diesem Tag eine Sofortbildkamera gekauft, „mit der wir uns gegenseitig ...“. Also die Damen des Hauses fuhren in die City von Waldstadt und ich ging wie an jedem Werktag in mein Büro. Das wäre schon alles gewesen, was ich von diesem Tag, wo andere ausgelassen feiern, zu berichten hätte, wenn nicht Tanja als sie in das Haus, dass sie zwischenzeitig bis zum Tage von Olivers Krankenhausentlassung allein bewohnt, kam eine Ansage auf dem Anrufbeantworter vorgefunden hätte. Da sie sofort bei uns in der Peter-Salein-Straße anrief, wo zwar ich, der ich nach Büroschluss sofort heimgekehrt war, aber noch nicht ihre Mutter und Stiefschwester angekommen waren, konnte ich die „traurige“ Kunde die mir Tanja übermittelte persönlich an Elli weitergeben. Das Wort „traurige“ gehört in unserem Fall tatsächlich in Anführungsstriche, denn die Kunde, dass ein Mensch verstorben ist, ist immer, ohne Wenn und Aber traurig und das erst recht, wenn es sich um den Ehemann und Vater handelt. Dementsprechend traurig hörte sich meine künftige Stief- und Schwiegertochter am Telefon auch an. Aber dieser Mann war auch der Mörder meiner Frau und Sabrinas Mutter und da wird das „traurig“ schon irgendwie, in nicht beschreibbarer Weise, relativ. Als ich Eleonore die Nachricht überbrachte hatte sie schon eine Träne im Auge. So mir nichts, dir nichts lässt sich die Erinnerung an einen Menschen, der einen den größten Teil des Lebens begleitet hat, nicht auslöschen. Allerdings konnte sie anschließend doch zu einem normalen, allerdings nicht so locker wie sonst üblich, Tageslauf übergehen. Bei uns, den Rossbachs, sah das ein Wenig anders aus. Ich musste sogar einen Ordnungsruf in Richtung Sabrina aussprechen, da sie, als sie die Nachricht vernahm, einen Freudenschrei ausstieß. „Sei nicht so hart zu ihr, Maus.“, ermahnte mich Elli darauf, „es ist doch irgendwie menschlich verständlich.“. Diese Aussage konnte ich dann auch gleich selbst einstreichen, denn mein innerer Schweinhund erzählte mir etwas von „Na endlich“. Das dürfte auch bei Oliver, als wir ihn am Nachmittag im Krankenhaus besuchten, gedacht haben als wir ihm vom Tode von Friedhelm Rebmann berichteten. Seine Augen und sein Gesicht drückten eher Freude aus, trotzdem sprach er seiner Braut und seiner künftigen Stief- und Schwiegermutter sein Beileid aus. Dieses lehnten diese ab, weil sie dieses doch etwas an der Sache vorbeigehend ansahen. Sie waren davon überzeugt inzwischen abgeschlossen und ein neues Glück, auf das sie jetzt konzentrieren müssten und wollten, gefunden zu haben. Alles in Allem war es für uns alle ein merkwürdiger, von Außenstehenden nicht nachvollziehbarer Zwiespalt. Auf der einen Seite war ein Mensch gestorben, den Elli und Tanja mal sehr geliebt haben aber auf der anderen Seite war es der Mensch, der uns allen so unerhört viel Leid zugefügt hatte. Nur Sabrina war erkennbar nicht von dieser Gegensätzlichkeit der Gefühle betroffen. Laufend fiel sie mit unplatzierten Albernheiten auf. Immer wenn ich sie auf ihre Pietätlosigkeit ansprach, erklärte sie, dass sie, wenn andere ausgelassen feiern, nicht abseits stehen könne. Einmal führte dass dann doch zwischen uns zu einer ernsteren Auseinandersetzung.
Ich fragte sie erbost „Würdest du das auch sagen, wenn das mit Mama zu Karneval passiert wäre oder wenn ich am Rosenmontag sterben würde?“ und bekam die patzige Antwort: „Ihr seid ja auch keine Mörder, bei denen man froh ist wenn sie abkratzen.“. Darauf musste ich ihr doch einen kleinen Vortrag halten: „Mädchen, ich kann dich zwar verstehen, zumal ich das, als das mit Mama frisch war, mit großer Sicherheit auch gedacht hätte. Trotzdem kann ich das ganz und gar nicht gut heißen. Trotzdem finde ich es, wenn man ein Wenig Abstand gewonnen hat, absolut nicht richtig was du da machst. Ich persönlich finde es direkt widerlich, wenn man im Fernsehen sieht wie Vollplemmis nach einem Todesurteil auf der Straße tanzen. Da kommt dann der unmenschliche Sadismus der Todesstrafenfreuer zum Ausdruck. Bei denen ist zu fürchten, dass sie schon bald auf der anderen Seite sitzen. Ein Menschenleben und die Würde sind für diese Leute offensichtlich disponibel. Dein Verhalten entspricht aber dem dieser Menschenrechtsverächter. Andererseits denke bitte daran, dass Mutti und Tanja bei deinem Zirkus in ihren Gefühlen verletzt werden könnten. Und die beiden haben niemanden etwas getan und sind ganz liebe Menschen, die uns sehr, sehr nahe stehen.“. Na ja, zumindestens das Wort „Entschuldigung“ kam jetzt aus meiner Tochter heraus. Unter diesen Umständen war es schon vorteilhaft, dass Sabrina an diesem Abend zu ihrer Tante Herta und ihrem Onkel Walter eingeladen war. So konnte wir jedenfalls zu Dritt, also die beiden Rebmannfrauen und ich, in Ruhe die zwar erwartete aber jetzt neue Situation durchsprechen. Eines war schon vorher klar und stand nicht zur Disposition: In unseren Beziehungen würde sich praktisch und gefühlsmäßig nichts ändern. Die juristischen Schritte hinsichtlich unserer Immobilien sollten wie vorgesehen angestoßen werden. Wesentlich wichtiger waren uns Überlegungen, auch in Bezug auf unsere eigenen Persönlichkeiten und Empfindungen, ob wir jetzt nicht wirklich verzeihen sollten. Das heißt, das wir jetzt einen Schlussstrich ziehen und unsere verstorbenen Partner halt als solches, nämlich als Verstorben betrachten sollte;. einfach das Ausklammern, was zwischen dem 11. September 1996 und jenem Rosenmontag anno 1998 geschah. Elli meinte, dass es im christlichen Sinne diesbezüglich richtig sei Tote ruhen zu lassen. Das endgültige Urteil über uns Menschen stünde allein Gott zu und wir dürften nicht so vermessen sein, darüber zu sinnieren wie dieses ausfalle. Das hieße Gott einzuschätzen und gegebenenfalls sogar über ihn und seine Gerechtigkeit zu urteilen und so etwas sei höchster Frevel. Ich dachte da mehr diesseitiger und fand bei einem solchen Vorgehen auch einiges für uns noch Lebenden vorteilhaft. Wenn man es mit dem Verzeihen ernst meint und auch die entsprechende Denkweise trainiert, verbleiben letztendlich die guten Erinnerungen – und die gehören zu unserem Leben, die lassen es dann, auch nach solchen Ereignissen, sehr lebenswert gewesen sein. Wir waren uns schließlich darüber einig, dass wir es mit dem Verzeihen, jetzt wo Friedhelm gestorben war, versuchen sollten. Ob es allerdings letztendlich gelingt weiß Gott allein. Schließlich sind wir nur schwache Menschen, die nicht über ihren eigenen Schatten springen können. Letztlich falteten wir noch die Hände und Eleonore sprach ein Fürbittegebet für den verstorbenen Friedhelm Rebmann. Als wir Oliver am nächsten Tag im Krankenhaus davon erzählten war er von unserer „Charakterstärke“ so begeistert, dass er sich unserer Verzeihungsabsicht gleich anschloss. Und dass nicht nur in Bezug auf Friedhelm Rebmann sondern auch im Hinblick auf Sascha Scheule. Jetzt, mit etwas Abstand kann ich sagen, dass unsere Absicht leichter gesagt wie ausgeführt war. Es war nicht leicht, teilweise wurde es uns auch noch zusätzlich schwer gemacht, und ganz gelungen ist es bis heute eigentlich noch nicht. Aber dadurch, dass wir immer neu mit fester Absicht an diese Sache herangingen, wurde jedoch unser Selbstbewusstsein und unser persönliches Empfinden enorm gestärkt. Mit gutem Gewissen kann ich Verzeihungsversuche nach dem Tode des Täters allen Opfern, auch wenn die Erfolgsaussicht sehr gering erscheinen, anraten. Anders ist das natürlich im Hinblick auf noch lebende Täter. Oliver hatte zum Beispiel die Verzeihung, die er Sascha angedeihen lassen wollte, zwar nicht so schnell wieder vergessen, aber jedes Lebenszeichen seines Kontrahenten machte alles bis dahin erreichte zunichte. Nur zur Klarstellung: Über den Unterschied Vergeben und Verzeihen habe ich mich ja bereits im vorangegangenen Kapitel ausgelassen. Vergeben heißt nicht nachtragen, nicht urteilen und Verzeihen heißt einen Schlussstrich ziehen und vergessen. Im Falle Friedhelm Rebmann war für Elli und mich schon eine Woche drauf erst mal alles wieder kaputt. Eleonore und Tanja waren am darauffolgenden Mittwoch zu einer Trauerfeier in Münster. Auch diese Fahrt hatten wir am beschriebenen Montagabend erwogen und abgesprochen. In seiner Patientenverfügung hatte Friedhelm offengelassen ob sie daran teilnehmen wollten oder nicht – Letzteres, also die Nichtteilnahme, riet er ihnen dann sogar an. Konventionen galt es nicht zu beachten, denn die einheimische Öffentlichkeit hat noch nichts vom Ableben ihres ehemaligen Gemeindedirektors erfahren. Und andererseits kann man bestimmt denjenigen als Tor bezeichnen, der behauptet so etwas würde der Anstand gebieten. Die beiden Rebmanns waren da gespaltener Ansicht. Auf der einen Seite waren sie schon der Meinung, dass ein ordentlicher Abschied angebracht sei aber auf der anderen Seite gab es aber keine Emotionen, die ihnen diese anrieten. Immerhin dient eine Trauerfeier dem Zweck Abschied zu nehmen, der Fürbitte für die Seele des Verstorbenen und dem Trost der, nun alleingelassenen Hinterbliebenen. Aber hatten Elli und Tanja nicht bereits Abschied genommen; spätestens an dem Tag, als sie mit mir in Münster waren. Und alleingelassene Hinterbliebene, die des Trostes bedurften, waren sie auch nicht. Hatten sie sich nicht inzwischen längst anders orientiert und waren eher das Gegenteil von Allein. Bliebe nur die Fürbitte, die man aber auch an einem anderen Ort sprechen kann. Zum Beispiel in der heimischen Kirche oder zuhause im stillen Kämmerlein, so wie wir es ja auch bereits gemacht hatten. Wo war da noch ein Sinn der Trauerfeier?
Na ja, letztlich fuhren sie dann doch nach Münster und nahmen an der Trauerfeier, die auf Friedhelms Wunsch Thomas hielt, teil. Meine Teilnahme stand zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, da diese nicht nur sarkastisch gewirkt hätte sondern mit Sicherheit gewesen wäre; der Gatte einer Ermordeten auf der Trauerfeier für deren Mörder. Außer den Beiden waren noch insgesamt fünf Angehörige der Verwandtschaft Rebmann anwesend. Diese nahmen aber von Eleonore überhaupt keine und von Tanja nur geringschätzige Kenntnis. Schließlich war nur Tanja im Gegensatz zu Elli eine „echte“ Rebmann – aber auch nicht mehr. Übrigens war die Überlegung, dass, wenn sie nicht zur Trauerfeier gegangen wären, dann möglicher Weise nur Thomas als der Pastor da gewesen wäre, mit ein Hauptgrund warum Elli und Tanja überhaupt daran teilgenommen haben. Ich habe Thomas später einmal gefragt, was er getan hätte, wenn er tatsächlich alleine da gewesen wäre. Etwas scherzhaft bekundete er, das er mir dieses nicht verraten wolle, da Eleonore als die Nachlasserbin seine Aufwendungen nach der Gebührenordnung der Landeskirche hätte bezahlen müssen. Die Trauerfeier für leere Bänke zu halten wäre wohl reichlich „albern“ und seine eigene Schwägerin für nichts abzuzocken wäre nicht anständig gewesen – und lügen wollte er als Pastor nicht. Aber hin hat er gemusst, denn das er die Trauerfeier halte, gehörte zu den letzten Willen des Verstorbenen. Also nach der Trauerfeier bekam dann Eleonore Friedhelms letzte Habe, die von der Justizverwaltung inzwischen bei der Klinikverwaltung hinterlegt worden war, ausgehändigt. Dabei war außer Friedhelms handschriftliche Memoiren nichts Besonderes. Eleonore hatte alles, was ja auch noch im guten Zustand war, an die Diakonie gegeben. Von Erinnerungsstücken an ihren Exmann hielt Elli aus diversen Gründen nichts und damit handeln, also gegen Geld verkaufen, empfand sie ein Wenig geschmacklos. Seine Lebensbeichte wollte sie jedoch erst mal auswerten, ob nicht etwas für die Nachwelt Bedeutendes dabei sein könnte, bevor sie über vernichten oder nicht entscheiden wollte. Während des Lesens war es bei ihr dann erst einmal, von Seite zu Seite mehr, mit dem Verzeihen vorbei und nachdem sie mir davon berichtet hatte, galt dieses für mich ebenfalls. Am Abend des Montags der darauffolgenden Woche, sagte sie mir, als wir schon früh, so gegen Zehn im Bett lagen: „Jetzt kann ich einerseits sagen, das es gut ist, dass du liebe Maus Friedhelms Schreibe nicht gelesen hast, denn teilweise hätte es mich doch irgendwo beschämt. Aber andererseits ist es schade, denn die Pornografie hätte dich bestimmt enorm angeheizt. Hoffentlich hat das inzwischen niemand anderes gelesen. Hat der Kerl doch sehr detailliert beschrieben, was wir miteinander hatten. Der konnte sich sogar noch daran erinnern, wie er mich entjungfert und etwas später geschwängert hat.“. Jetzt stutze sie und fuhr dann doch fort: „Na Maus, jetzt habe ich mich mal wieder verplappert. Jetzt weiß du, dass ich eine späte Jungfrau war ... gibt es wohl heute kaum noch und das du tatsächlich erst der zweite Mann in meinem Leben bist, der es mit mir hatte. Aber mehr hatte ich und will ich auch nicht.“. „Wie die Mutter so die Tochter.“, bemerkte ich dazwischen, „Entsinn dich, dass unsere Kinder bei ihrem Geständnis auch vom ersten Mal sprachen, was uns hinsichtlich Tanjas Übernachtungen bei Sascha arg überraschte. Und die will scheinbar auch nur den Einen.“. „Sie ist nur ein bisschen jünger als ich es damals war.“, fuhr jetzt die Mutter fort, „Dafür hat sie, wie mir scheint, noch etwas von mir übernommen: Dir ist bestimmt nicht entgangen, dass ich so eine exhibitionistische Ader habe – die hat sie auch. Aber über die hat sich Friedhelm genauso wie über meine heimlichen Spannerfreuden ausgelassen. So wie ich lustvoll empfinde wenn ich anderen, insbesondere Männern, was zeige, riskiere ich auch gerne ein Blick auf die entblößte Männlichkeit und da vornehmlich auf den Knackpopo und dem ... na ja, du weißt schon. Hier im heimischen Wirkungsfeld gibt es gewisse Schranken, an die ich mich halte. Aber warte mal, bis wir zusammen in Urlaub sind. FKK und Oben ohne im knappen Tangahöschen gehören bei mir einfach dazu. Auch das ich Hin und Wieder mal ganz gerne selbst Hand anlege und wie er mich – so wie du auch schon – öfters dabei erwischte, wurde von Friedhelm verewigt.“. Nun, dieses sind allerdings sehr menschliche Dinge, an dem das Verzeihen nicht hätte scheitern müssen, insbesondere dann nicht, wenn wir davon ausgehen, dass er das Manuskript offensichtlich mehr für Selbstzwecke verfasst hat. Was anderes war, nach Ellis Ansicht auch nicht daraus zu schließen. Allerdings hat er mit diesem Werk sein berufliches Ansehen vor seiner Frau selbst zerstört, was das Verzeihen schon schwerer aber noch nicht unmöglich machte. Hier im Amtshaus war es wohl selten so gelaufen, wie sich das preußische Beamtokraten mal ausgedacht haben. Na ja bei den zirka 7.000 Einwohnern sind wir halt nur ein größeres Dorf, in dem der Gemeindedirektor fast jeden mit Handschlag und Nennung des Namens begrüßen kann. Da gibt es viele kurze informelle Wege, die nicht ganz dem entsprechen, wie sie sich der Gesetzgeber ausgedacht hat. Na ja, irgendwo stimme ich Rebmann zu, wenn er meint, dass Gesetze für Erbsenzähler seien und dem Gemeinwohl in den meisten Fällen eher durch eine praktikable Lösung gedient sei. Hauptsache es läuft wie „geschmiert“ und dass im wörtlichen Sinne. Rückdatierte Amtsvorgänge, vorgewarnte Steuernund Gebührensünder, unergründlich verschwundene Akten, vorsätzlich verschlammte Termine, bewusst ungenau geprüfte Anträge und andere krumme Dinge erscheinen dann, wenn sie einem Verwaltungsbeamten und späteren Gemeindedirektor zu einem recht nennenswerten Nebeneinkommen verhelfen, nicht gerade dem dörflichen Gemeinwohl zugedacht zu sein sondern ... . Aber es waren, so wie Elli sagte, alles dahingehend harmlose Sachen, da Olvermühle oder einzelnen Bürgern kein Folgeschaden hätte entstehen können. Eher das Gegenteil, meist war es sogar vorteilhafter als wenn man das Gesetz auf Punkt und Jota befolgt hätte. Jedoch kriminell bleibt kriminell. Und wenn das alles nachträglich bekannt wird, dürfte wohl hier im Örtchen der Teufel los sein. Friedhelm Rebmann hat dabei gar nicht schlecht verdient.
Und was er dann mit seinem Geld gemacht hat, zerstörte dann unseren guten christlichen Vorsatz zunächst gänzlich. Astrid war nicht die erste bei der es über ihn gekommen ist. In seinem „Buch“ beschreibt er noch weitere vier Vergewaltigungen. Eine im Amtshaus, eine zuhause als Elli zur Schule war, eine in der Wohnung seines Opfers und eine in einem Schaustellerwagen beim Schützenfest. Alle Opfer, die er namentlich nennt, konnte er mit Geld und Vorteilsgewährung, die er ihnen unmittelbar nach der Tat versprach, zum Schweigen bringen. Es klingt in allen Fällen so, als sei der Tatentschluss immer spontan aus dem jeweiligen Moment entstanden. In allen fünf Fällen war vorher etwas passiert, was die Opfer in einen schreckähnlichen Zustand – wie der Diebstahl unseres Autos – versetzte. Immer hatte Rebmann dabei, wie er selber schreibt, das Gefühl erhaben Macht über die Frauen ausüben zu können. Ebenfalls hat er sich schon während der Vergewaltigung überlegt, wie er die Frauen danach zum Schweigen bringen konnte. Danach erscheint die Tat an Astrid in einem anderen Licht. Ihr Mörder war ein Triebtäter und die Tatsache, dass sie vermögend war und dann noch Sozialkompetenz hatte, kostete ihr das Leben. Ihr konnte Rebmann nichts bieten, die konnte er nur mit einer finalen Lösung zum Schweigen bringen. Es wird mich wohl jeder verstehen, wenn ich jetzt sage, dass ich vom Verzeihen jetzt absolut nichts mehr wissen wollte. Das, was er mit ehrbar tuenden aber hinter verschlossenen Türen leichtlebigen Damen erlebte, ließ bei Elli noch zusätzliches Öl zu den Triebtaten ins Feuer laufen. Das Bild vom guten Ehemann und treusorgenden Vater, der er bis zum Mord an Astrid in Ellis Augen war, konnte als vollkommen zerstört angesehen werden. Im ersten Moment hatte Elli das Gefühl an der Seite eines Monsters gelebt zu haben. „Ach Dieter, Maus,“, seufzte sie „warum bis du mir nicht früher, rechtzeitig über den Weg gelaufen ... aber jetzt bin ich auch ungerecht gegenüber Astrid. Sie hatte dich verdient, aber für mich wärest du auch der Richtige gewesen.“. Sie fragte sich, wie sie sich über zwei Jahrzehnte so in einem Menschen hatte täuschen können. Aber Rebmanns Erscheinung war auch hochgradig schizophren: Hier guter Mann und Vater und da ein Triebtäter, hier ein strebsamer und erfolgreicher Beamter und da ein hochgradiger Korruptie, hier ein krankhaft eifersüchtiger Gockel und da ein lockerer Lebemann. Kann man einem solchen Menschen verzeihen? Da kam mir doch so ein Gedanke: „Hast du irgendwo Anhaltspunkte, dass das was er da niederschreibt sich wirklich so zugetragen hat, also nachvollziehbare Belege, oder kann er sich das in einer Art Entzugserscheinung zusammen phantasiert haben?“. „Nee, süchtig war er nicht, weder Drogen noch Alkohol“, antwortete sie verduzt und ich konterte: „Na, nicht Alkohol oder Drogen. Ich meine süchtige auf eine Frau, auf eine bestimmte ... auf dich. Laut deinen Berichten hat er sich ausführlich über euer, auch sehr abwechselungsreiches Sexualleben ausgelassen. Du sagtest, dass er sich bei den Details nie wiederholt habe, auch nicht wenn er vergleichbare Situation mehrfach beschrieben hat. Aber Astrids Vergewaltigung beschreibt er im Grunde gleich noch vier Mal. Immer der gleiche Ablauf, keine abweichenden Details. Nur der Ort und der Ausgang musste abweichen, denn er hat nur ein und nicht vier Mal getötet. Da musste er was anderes schreiben und das war, wie du sagtest, auch immer das gleiche vage Zeug: Er hat sie mit Geld und Vorteilsgewährung zum Schweigen gebracht. Die Beträge nennt er, die Vorteile aber nicht. Auch die Sache mit den Lebedamen klingt eher nach Pornoschinken als nach Wirklichkeit. Ich könnte mir vorstellen, dass alles nur auf dich fixierte schmutzige Phantasie, die während der knastologischen Enthaltsamkeit mit ihm durchgebrannt ist, darstellt.“. „Du kannst vielleicht recht haben“, kam jetzt nachdenklich aus ihr heraus, „aber was er geschrieben hat kann aber auch die Wahrheit sein. Wer kann das schon sagen.“. „Dann solltest du aber, auch in deinem Interesse, die Phantasieversion als die richtige annehmen,“, riet ich ihr darauf, „denn die belässt dich und dein Leben mit ihm, so wie du es bis letzten Mittwoch gesehen hast. Die niedergeschriebene Version zerstört aber auch dein Leben, du hast in einer nicht realen Welt gelebt, du hast dich vom Schein trügen lassen. Deine Erinnerungen werden zur Makulatur.“. Nachdenklich setzte sie hinzu: „Vielleicht war das sogar Friedhelms Motivation. Vielleicht dachte er daran, mir dieses Werk mal zuzuspielen oder dass ich es auf diese Weise erhalte. Vielleicht wollte er sich dafür rächen, dass ich ihm nicht mehr zur Verfügung stand. Möglicher Weise machte er den ersten Federstrich nach dem er von uns wusste.“ Nach einer Denkpause fragte sie dann noch: „Und wenn dein Gedanke zutreffend ist, was ist denn mit den Korruptionsgeschichten im Amt?“. Worauf ich dann eine Gegenfrage stellen musste: „Hatte er dieses denn genauso wie euer Ehe- und Liebesleben separat beschrieben oder steht das immer im Zusammenhang mit irgendwelchen Sachen wo er Geld brauchte.“. „Au ja,“, kam jetzt von ihr, „immer war erst von Hurerei und Vergewaltigung die Rede und dann davon wie er das Geld beschafft hat oder haben will. Und da fällt mir auf, was mir am Schreibstil ins Auge stach: Unser Liebesleben ließt sich wie eine, als Wichsvorlage bestimmte Geschichte und die Huren- und Triebstorys lesen sich so als erzähle er sie mir um mich für den Liebesentzug abzustrafen. Da wir früher immer unser Geld gemeinsam verwaltet haben und jeder zu jeder Zeit an das Konto des anderen konnte und wir über dessen Stände in der Regel immer gegenseitig informiert waren, musste er sich was einfallen lassen, wo er das Geld, von dem ich nichts wusste, her bekam. Möglicher Weise hat er ihm bekannte Fälle von Amtsmissbrauch auf Olvermühle übertragen und auf sich bezogen.“. Hatte ich nicht damals von dem Kripomenschen, der im Fall Astrid ermittelte, gelernt dass man mit Mutmaßungen, insbesondere bei Dingen, die so auf der Hand zu liegen scheinen können, auf dem ganz falschen Dampfer sein kann. Wer kennt wirklich die Wahrheit, wer weiß was wirklich geschehen ist? Wer kann wirklich auf Anhieb Trug und Schein von der Wahrheit unterscheiden? Da kann man sich nur wundern, mit welcher Sicherheit Politiker, kurz nachdem was passiert ist, Tatsachenbehauptung aufstellen und zu Gegenmaßnahmen bis zu Vergeltungsschlägen aufrufen. In der bisherigen Weltgeschichte hat sich das Meiste dieser Art viel später als Trugschluss herausgestellt.
Aber wen interessiert dann noch die Wahrheit wenn an dem Falschen, dem Bösen, was inzwischen irrtümlicher Weise gesehen ist, ohnehin nichts mehr zu ändern ist. Was nützt es, wenn man heute erfährt dass die Skeptiker und nicht der Warren-Report recht hatten und John F. Kennedy vom CIA und nicht von Lee Oswald ermordet wurde? Weder Lee Oswald noch Jack Ruby, der ersteren erschoss und dafür hingerichtet wurde, können genau so wenig wie der damalige US-Präsident wieder zum Leben erweckt werden. Wem nützt es später mal, wenn Osama Bin Laden nicht der Drahtzieher der Anschläge von New York war sondern allenfalls ein gekaufter Provokateur war und die, ursprünglich von den Amerikanern gesponserten, Taliban in diesem Fall unschuldig waren? Wird da ein unter den Bomben gestorbener Familienvater wieder lebendig? Sorry, für den Ausflug ins Allgemeine und auch in die Jetztzeit. Ich wollte jetzt auch nichts behaupten sondern nur Möglichkeiten, über die man aber leider nicht nachdenkt, in Erwägung ziehen. Eines müsste uns folgendes jedoch nachdenklich stimmen: Logischer Weise muss man doch sagen, dass, wenn man am Tag X etwas ganz Bestimmtes genau weiß, vorher schon etwas gewusst haben muss. Warum hat man dann da nichts unternommen um die Sache zu verhindern? War dumm, leichtfertig oder handelt es sich beim Täter um einen „agent provokatur“, den man selbst bestellt hat? Die Devise darf doch nicht lauten: Zusehen, Gesehenlassen und dann bitter Dreinschlagen. Nun Elli und ich wussten in unserem Fall nicht ob an Friedhelm Rebmanns „Lebenserinnerungen“ außer den Bettgeschichten mit seiner Frau nur ein einziges Wort wahr war. Hätten wir damit, gleichgültig ob wahr oder unwahr, wenn wir dieses weitergegeben hätten, nur den Anstoß zu weiterem oder nur Bösem gegeben. So sprach meinerseits nichts dagegen das Eleonore das Script von Dritten ungelesen ohne Rückstände vernichten wollte. Aber meine Entscheidungskompetenz wäre dieses ja ohnehin nicht gewesen. Wir beteuerten uns gegenseitig, dass wir Anderen, auch gegenüber unseren Kindern, davon nichts sagen wollten und für uns selbst wollten wir die Phantasieversion für gültig erklären. Damit hätten wir ja unverändert auf unserem Verzeihungskurs bleiben können. Aber das wollte erst gar nicht so recht gelingen und später haben wir es nicht mehr angesprochen. Heute weiß ich, dass wir vergeben haben aber verziehen? Genau kann ich diese Frage nicht beantworten, ich glaube aber eher nicht. Manchmal kommt doch mal dieses oder jenes in meiner Seele hoch, was mich aber zum Glück nicht beherrscht. Trotzdem habe ich selbst Zweifel daran, ob ich jemals verzeihen kann. Nach ihrem Bericht und unserer Abschlusssprechung kam Elli doch noch mal auf den ersten Teil, ihrem Ehe- und Liebesleben, zurück. Verschmitzt lächelnd fragt sie: „Friedhelm schrieb wörtlich ‚Ich bin stolz, dass die schärfste Alte, die mir über den Weg lief, meine Frau ist’. Ist da was dran?“. „Ja Frau Religionslehrerin,“, antwortete ich ihr mit einem ähnlichen Lächeln, „Astrid war ja auch nicht ganz ohne und ich möchte euch beiden auch ungern vergleichen, aber du bist wirklich eine superscharfe Zwiebel.“. „Und durch die ganze Sache bin ich auch noch furchtbar spitz geworden.“, vernahm ich jetzt noch von ihr, während sie sich ihr Hemd über den Kopf zog. ... Und ab jetzt schweigt des Dieters Höflichkeit, denn ich wollte diesbezüglich keinen Fortsetzungsroman zu Friedhelm Rebmanns Memoiren schreiben. Zum Kapitel 17
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Eine leise Familiengründung Ich habe mal gehört, dass man zwar Uhren anhalten aber damit die Zeit nicht aufhalten könne; sie läuft immer weiter. Und so war es dann auch in der, am 2. März 1998 angebrochnen Passionszeit. Entschuldigung, wenn ich heutzutage bei Zeitangaben auf den Stand im Kirchenkalender zurückgreife, denn das ist mir halt in „meiner“ Theologenfamilie so in Fleisch und Blut übergegangen. Damit habe ich jetzt schon ausgedrückt, dass ich mit Elli mehr und mehr zu einer partnerschaftlichen Einheit zusammengeschmolzen wurde und das ich in ihrer nächsten Familie, sprich mit den Kühns, zunehmend integriert wurde. Ellis und mein Zusammengehörigkeitsgefühl hatte mit dem Tode von Friedhelm Rebmann einen gewaltigen Satz nach oben gemacht, denn er stand jetzt, auch nicht mehr auf dem Papier zwischen uns. Jetzt war ich in Eleonores Augen ihr Mann und es bedurfte nur noch eines Amtaktes, der allerdings nicht so eilte, um dieses auch mit amtlichen Papieren dokumentieren zu können. Damit konkretisierte sich für uns auch das Verhältnis zu unseren, allerdings inzwischen schon erwachsenen, Kindern. So hatte Eleonore inzwischen schon eine gehörige Portion mütterliches Verantwortungsbewusstsein gegenüber Sabrina, die derzeitig ja nicht in Höchstform war, entwickelt – so als wäre es ihre leibliche Tochter. Und nicht nur sie hatte zu ihr solche Bande geknüpft sondern auch Waltraud und Thomas Kühn, das Weinberger Pfarrerehepaar. Das ganze schien auch nicht einseitig zu sein. Sabrina sagte ja schon seit längerem zu Elli „Mutti“ und verhaspelte sich jetzt auch dementsprechend nicht mehr wie anfänglich. Ab Anfang März sagte sie dann auch plötzlich zu Ellis Schwager nicht mehr nur Thomas sondern Onkel Thomas, so wie Tanja es tat und dabei blieb es dann auch. Insbesondere zu Thomas baute sie ein sehr inniges Vertrauensverhältnis auf. Schon nach kurzer Zeit wusste er mehr von meiner Tochter als ich, der Vater. Alles was sie früher nur mit ihrer Mama aushandelte und besprach, landete jetzt bei Thomas. Hiervon waren lediglich „Frauenthemen“ ausgeschlossen, die sie dann mit Elli abhandelte. Bekanntlich ist ein Pastor auch nur ein Mann. Dieses war natürlich ein Riesenvorteil, denn so gelang es Thomas, meine Tochter weitgehendst wieder aufzubauen und zu normalisieren. Trotzdem stand für uns fest, dass Sabrina vorerst bei uns im Haushalt bleiben sollte. Momentan schien sie uns noch nicht wieder reif für die „freie Wildbahn“. Dieses kam ihr offensichtlich sogar ganz gelegen, denn sie erweckte den Eindruck, dass sie sich mit den Füßen unter Papas und Muttis Tisch ganz wohl fühlte. Sabrina machte es jetzt auch in der häuslichen Kleidordnungsordnung den drei anderen weiblichen Mitgliedern der Familie, also Elli, Tanja und Waltraud gleich. Sie sprang jetzt auch, wenn es nur familiär alltäglich zuging, nur mit Slipper und drüber gezogenen Pullover bekleidet durchs Haus. Sollte die, wie die anderen auch, eine leichte exhibitionistische Ader haben? Vielleicht hat sie das von Astrid, die auch immer mal gerne zeigte was sie hatte, geerbt. Vielleicht ist das auch nur natürliches weibliches Naturell, was nur von einigen, sich besser dünkenden oder stellenden, schön gelogen wird. Nun sowohl die beiden Rebmanns und Waltraud standen aber zu dieser Sache. Lieber ehrlich und offen zu solchen menschlichen Schwächen stehen als verlogen und im verborgenen ein echtes „Schwein“ sein. Bei einem Besuch im Pfarrhaus kam sogar Waltraud damit mal ungeschönt und „hart“ heraus. Als wir ankamen war Thomas gerade zu einem vorher nicht vorhersehbaren Krankenbesuch. Als wir anschellten reichte Waltraud ihrer Schwester mit nackten Armen den Haustürschlüssel aus dem Badezimmerfenster. Sie gab vor, vollkommen durchschwitz gewesen zu sein und müsste eben nur schnell duschen. Wir sollten schon mal ins Wohnzimmer gehen. Dort angekommen schwante Elli schon was: „Schau mal, da liegt Traudels Pullover und ihr Höschen. Die kommt gleich nur mit einem Badetuch bekleidet oder gleich ganz nackt herein. Der werde ich was erzählen?“. Worauf ich dann schmunzelnd sagte: „Pack dir doch an die eigene Nase und lass sie mal. Ich hole mir auch mal ganz gerne Appetit ... Du weißt ja, ich esse nur zuhause.“. Unser Gespräch hatte Waltraud vor der Tür mitbekommen und kam jetzt sich im Evaskostüm vorstellend herein: „Mensch Elli lass mich doch auch mal. Ich habe da genau so Spaß dran wie du. So war es ja schon als wir gerade der Pubertät entsprungen waren. Du kannst es im Urlaub oder so machen. Ich muss an meinen Beruf und dessen Ansehen denken und habe daher kaum Chancen.“. „Na gut,“, erwiderte Elli, „aber mach keine Dauerübung daraus. Dieses ist ein Pfarrhaus und keine Nachtbar.“. Na ja, ich schrieb schon mal, dass Pastorinnen und Pastöre halt auch nur Menschen mit Macken und Schwächen sind, wie jede oder jeder Andere auch. Ist mir auch viel lieber als wenn sie in höheren Sphären schwebten und den Leuten verlogene Moral verkündeten. So etwas dient nur den Leuten ein schlechtes Gewissen einzureden und sie in Gewissenkonflikt zu bringen. So ein Moralknebel ist nur nützlich wenn man über andere herrschen will. Zwischen Waltraud und Sabrina musste ich auch in einer Eifersuchtsangelegenheit vermitteln. Während sie wie selbstverständlich Ellis Schwager mit Onkel Thomas ansprach blieb es gegenüber ihrer Schwester zunächst bei Waltraud. Bei einer Gelegenheit merkte ich während einer Begrüßung Waltrauds etwas enttäuschte Augen. Irgendwie kam sie wohl immer mit der Hoffnung auf das „Guten Tag Tante Waltraud“ und wurde immer wieder neu enttäuscht. Es gibt ja heute Eltern, die sich von ihren Kindern mit Vornamen anreden lasse aber persönlich empfinde ich in den Beifügungen „Mama oder Mutti“, „Papa oder Vati“, „Tante“ und „Onkel“ einen Ausdruck besonderer Bande – und das dürfte es bei Waltraud auch gewesen sein. Nun, Sabrina war erwachsen und da steht so etwas schon auf anderen Beinen, aber wenn Mann zu dem Mann „Onkel“ sagt, steht man doch als Frau nicht gerne außerhalb. Nachdem der Besuch gegangen war, sprach ich dann Sabrina darauf unter vier Augen mal an und bekam freundlich von ihr zur Antwort: „Au weia, ja, das ist meine Gedankenlosigkeit. Onkel Thomas ist für mich irgendwie ein richtiger Freund ... mein bester sogar. Da bin ich, weil Tanja das immer sagt, ganz unbewusst mit dem Onkel reingerutscht. Aber ich hab ihn ja auch so lieb wie einen richtigen Onkel, sogar einen ganzen Tick lieber wie Onkel Walter. Das heißt aber nicht,
dass ich Wal ... äh, Tante Waltraud nicht gerne mag und sie nicht dazu zähle. Beim nächsten Mal bringe ich das in die Reihe.“. Das nächste Mal ließ nicht lange auf sich warten. Am Mittwoch, dem 11. März 1998, schellte es so gegen Sechs an der Haustür. Zunächst freute sich Elli, als Sabrinas Worte durch das Haus schallten: „Es ist Tante Waltraud. Ich mache ihr auf.“. Auch die Angekündigte hatte dieses, weil ja auch die Lautstärke entsprechend war, schon vor der Haustür vernommen und war, wie sie uns später sagte, schon richtig gerührt. Als dann die Tür aufflog, Sabrina sie erst herzlich umarmte, ihr dann einen Wangenkuss verpasste und dann noch „Tagchen Tante Waltraud“ sagte, konnte sich die Besucherin nicht mehr halten und Freudentränen kullerten an Waltrauds Wange herunter. Sie war in diesem Fall sogar extra wegen Sabrina gekommen, denn folgende Situation stand an: Oliver, der sich dem Ende seiner Krankenhauszeit nähert, durfte dieses Wochenende erstmalig zuhause verbringen. Dieses würde er gerne, was ja jeder verstehen kann, überwiegend alleine mit seiner Tanja verbringen. Elli hatte am darauffolgenden Samstag ihren 45. Geburtstag, zu dem sie am allerliebsten mal mit mir ganz alleine Essen gegangen wäre. Thomas war vom 13. bis 15. auf einer Konfirmandenfreizeit. Dann wären Sabrina und Waltraud, die am darauffolgenden Sonntag den Gottesdienst hielt, übergeblieben. Jetzt hatte jemand Waltraud für den Samstag zwei Theaterkarten angeboten – ich weiß jetzt nicht mehr was gegeben wurde. Da wollte sie Sabrina fragen, ob sie Lust habe mitzukommen und am Liebsten wäre es ihr gewesen, wenn Sabrina gleich das ganze Wochenende bei ihr in Weinberg verbracht hätte. Zu Zweit ist halt schöner wie allein. Sabrina hatte Lust und stimmte zu. Womit man sagen kann, das alle Seiten glücklich waren. So war für das verliebte Pärchen, also für Elli und für mich, kein Grund mehr gegeben, der uns daran gehindert hätte, nur unter uns beiden, das Restaurant Dalmatia, einem kroatischen Steakhaus im Wallebachtal, aufzusuchen. Neben dem Geburtstag gab es noch etwas zu feiern: Einen Tag vorher war Elli im Amtshaus gewesen und hatte sich offiziell zu mir in die Peter-Salein-Straße umgemeldet, womit, was zumindestens das Meldewesen anbelangt, unsere Partnerschaft auch amtlich war. Das dieses ein Freitag mit dem Datum Dreizehn war hatte sich nur durch Zufall ergeben. Es dürfte sicherlich jedem klar sein, dass diese Datum bei dem Studium, dem Beruf und der Familie von Elli absolut bedeutungslos war; weder ein gutes noch ein schlechtes Omen. Den einzigen Zusammenhang den es mit dem Kalender gab, war der Tag darauf; ihr Geburtstag. Vor diesem wollte sie dann Nägel mit Köpfen machen, damit wir diesen Tag auch als offiziellen Beginn unserer nun nicht mehr umkehrbaren Partnerschaft feiern konnten. An diesem Abend, an dem wir kein einziges ernstes Thema anrührten, fühlte ich mich richtig in meine Teenagerzeit zurück versetzt. Immer wieder lächelte mich Elli mit ihrem offenen Gesicht und strahlenden Augen an und sagte solche Sachen wie „Ich liebe dich“, „Du bist mein allerliebster Schatz“ oder „Ich möchte mit dir uralt werden, da ich zu dir unendliche Liebe empfinde“. Und ich antworte stets mit gleichen oder ähnlichen Formulierung. Ich habe ihr dann gestanden, dass ich von ihrem Körper und ihrer Zärtlichkeit abhängig geworden wäre und ohne sie nicht mehr leben könne.“. Also wie Sie sehen, war dieses ein richtiger Turtelabend, wie man diesen in der Regel nur von frisch verliebten jungen Leuten kennt. Als uns das Taxi nach dem Essen nach Hause gebracht hatte, sind wir gleich regelrecht in die Betten gestürmt – nur geschlafen haben wir erst wesentlich später. Aber hier fällt jetzt mal wieder der bereits bekannte Vorhang. Nicht aus Zensurgründen sondern weil der Rest des Abend uns, dem sich liebenden Paar, ganz allein gehörte. Nun, an diesem Abend dürfte es bei Tanja und Oliver, denen ich inzwischen das Haus, was Elli und mir jetzt zur Hälfte gehörte, „zugewiesen“ hatte, dürfte es ähnlich abgelaufen sein. Schließlich war das junge Pärchen erstmalig, nach dem Scheule auf uns „ballerte“, wieder zusammen. Auf jeden Fall sahen sie, als ich sie am nächsten Morgen zum Gottesdienst abholte, recht glücklich aus obwohl mein Sohn inzwischen Gewissheit darüber hatte, dass sein Knie für immer steif bleiben würde. Und auch Deutschlands graues Völkchen hatte ihm offiziell mitgeteilt, dass sie auf seine Dienste verzichten wollen. Na ja, den Wehrdienst hat er nicht, wie ich mir das gewünscht hätte, verweigert aber ich tröste mich damit, dass er jetzt auch ohne Verweigerung nicht an den Dienst teilnehmen musste, den ich nicht mit meinem Gewissen hätte vereinbaren können. Aber eigentlich geht es ja auch nicht um mein Gewissen sondern um seins. Und nichts ist schlimmer wenn man die Gewissensentscheidung eines anderen unterdrückt, zum Beispiel wenn die Entscheidung über Kriegseinsatz , eine eindeutige Gewissensfrage, mit der Vertrauensfrage, eine sogar ganz legale Machtfrage, verbindet. Dann müssen halt christlich gesinnte Abgeordnete, wenn sie ihr Pöstchen behalten wollen, ihr Gewissen auf dem Altar des grundgesetzwidrigen Fraktionszwang opfern – und letztlich glauben die noch man könnte sie noch wählen – ich nicht. Tanja und Oliver hatten nicht nur geturtelt sondern sich auch mit ihrer Zukunftsplanung beschäftigt. Eine Weiche war in der Vorwoche in den Haushaltsberatungen in den Ratsausschüssen der Gemeinde Olvermühle gestellt worden. Dort war man übereingekommen doch noch zum 1. August des Jahres einen Ausbildungsplatz für einen Verwaltungsfachangestellten bei der Gemeindeverwaltung zu stellen. Oliver wartete Stellenausschreibungen gar nicht erst ab sondern bewarb sich schon aufgrund der entsprechenden Berichte im Lokalteil der heimischen Tageszeitung. Er nutzte den „Wochenendurlaub“ zur Fertigstellung seiner Bewerbungsunterlagen. Das hatte sich ja auch gut getroffen, denn üblicherweise ist im Öffentlichen Dienst im August des Vorjahres Schluss mit der Annahme von Bewerbungen für Ausbildungsplätze. An dieser Stelle kann ich ja schon mal vorab schreiben, dass Oliver den Ausbildungsplatz tatsächlich erhielt. Am gleichen Tag, also am 1. August 1998, trat auch Sabrina ihre berufliche Ausbildung an. Dieses geschah bei einer befreundeten Wohnungsgenossenschaft in Waldstadt, bei der sie den Beruf der Wohnungswirtin
erlernen wollte. Da waren also beide Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern getreten, denn ich war ja auch über die Verwaltung, allerdings in Folge einer Heirat, in die Wohnungswirtschaft, wo Astrid von Anfang an war, gekommen. Der Sohn folgt dem Vater, die Tochter der Mutter. Auch Tanja wollte eigentlich in die Fußstapfen ihrer Mutter und Tante treten und Theologie studieren. Sie machte sich jedoch Gedanken hinsichtlich des Familienunterhaltes. Da war ich es dann, der ihr was zu verkünden hatte: „Mädchen lauf doch nicht vor deiner Bestimmung davon. Wenn du glaubst, Gott habe dich dazu bestimmt, dann musst du es auch werden. Um den Familienunterhalt brauchst du dich nicht lange zu sorgen, denn da gibt es ja noch mich. Schließlich seit ihr beide meine Kinder. Oliver ist mein Sohn und du meine Stief- und Schwiegertochter. Deine Kinder werden meine leiblichen Enkel sein. Ich glaube da bin ich doch ein Wenig in der Verantwortung. Aber mein Vorschlag ist, dass du, weil dir das Studium nicht wegläuft, erst mal abwartest bis Oliver seine Ausbildung beendet hat und in der Zeit kümmerst du dich um mein Enkelkind.“. Danach schaute Tanja erst einmal in die Runde und als sie offensichtliche allgemeine Zustimmung sah sprang sie auf, umarmte und küsste mich. Überglücklich verkündete sie: „Papa du bist der Allerbeste, Mutti hat wirklich eine phantastische Wahl getroffen.“. Somit war dann auch dieses Thema zur allseitigen Zufriedenheit abgeschlossen. Jetzt habe ich ja schon geschrieben, dass ich die Beiden am Sonntagmorgen zum Gottesdienst abholte. Sie hatten schon um 8 Uhr in der Frühe angerufen und darum gebeten, dass wir sie mit zur Kirche nehmen sollten. Tanja hat ja kein Führerschein und Oliver konnte mit seinem Bein noch nicht fahren. Damit musste er überhaupt noch eine ganze Weile üben bis er damit ganz normal am Alltag teilnehmen konnte. Uns freute zwar ihr Eifer mit in die Kirche zu kommen aber dass es nur um Gottes Wort ging wollten wir auch nicht so recht glauben. Wäre ein Bisschen untypisch für junge Leute, auch wenn sie aus einer Familie, die von Theologen dominiert wird, kommen. Auch dass es ihnen um Waltraud als Predigerin ging passte nicht so ganz in unsere Vorstellung. Somit fragten wir sie, als sie eingestiegen waren, was denn ihre Intention sei. Keck kam von Tanja: „Erstens wollen wir in die Kirche und zweitens wollen wir mit Onkel Thomas was besprechen ... und was, kriegt ihr schon früh genug mit.“. Diesmal war sowohl bei mir wie bei Elli der Groschen gleich gefallen und tippten, wie sich später herausstellte, auch gleich auf das Richtige. Es bedurfte auch keiner Absprache, dass wir darauf nichts sagten sondern ihnen ihren Spaß lassen wollten. Als Oliver vor der Kirche Thomas, der gerade mit den Konfirmanden zurück gekommen war, begrüßte wurden unser Verdacht noch weiter erhärtetet. Oliver hatte offensichtlich seine Spendierhosen angezogen und verkündete: „Also Leute, heute kann die Küche kalt bleiben. Wir pilgern nachher rüber zu Schneider. Ich muss doch irgendwie die Taler, die ich für meinen Bundeswehreinsatz im Krankenhaus gekriegt habe und nicht ausgeben konnte, unter die Leute bringen.“. Und Tanja fügte flugs an: „Onkel Thomas, nehme aber bitte deinen Terminkalender mit.“. Also Leute, jetzt brauche ich wohl keinen mehr auf Spannung machen, denn jetzt wird wohl jeder wissen, was das zu bedeuten hatte. Richtig, sie wollten, wie sie selbst sagten, eine leise Familiengründung vornehmen. Leise deshalb, weil sie außer uns, also Elli, Sabrina, dem Ehepaar Kühn, einem ihnen befreundeten Paar als Trauzeugen und natürlich mich, niemand dabei haben. Die Terminabstimmung mit Thomas war deshalb wichtig, weil sie das Pastorenpaar einerseits den ganzen Tag dabei haben wollten, sie sollten mit zum Standesamt kommen und Thomas sollte sie anschließend kirchlich trauen, und andererseits hatten sie sich das Pfarrhaus als Versammlungsort für ihre Hochzeitsfeier auserkoren. Ihr Wunschtermin war der 20. Mai, einen Tag vor Himmelfahrt, aber sie gaben sich flexibel und hätten sich im Fall eines Falles von Thomas auch einen anderen nennen lassen – Hauptsache Mai hieß deren Devise. Aber es ging alles klar, die Leutchen waren ja mit ihrem Wunsch frühzeitig erschienen. Der Termin beim Standesamt war schon morgens um Neun. Also am 20. Mai 1998 um 9:15 Uhr war die erste der beiden Rebmanns eine Rossbach und damit war sie jetzt ganz offiziell meine Schwiegertochter. Sabrina kam sogar mit einem Scherzchen: „Na ja, meine richtige Schwägerin bis du nun ja schon mal. Ich hoffe dass es nicht mehr lange dauert bis du auch meine richtige Schwester bist.“ Und dabei schaute sie mich lachend an. Es war also weniger auf die Frischgetrauten als auf uns gemünzt. Dazu kam dann gleich Ellis Kommentar: „Ach Töchterchen, wir sind ja noch so jung, wir können uns mit der leisen Familiengründung ruhig Zeit lassen.“. Jetzt musste auch Tanja scherzen: „Ihr seit so jung, dass man euch in etwas mehr als 2 Monaten mit Fug und Recht Oma und Opa nennen kann.“. Jetzt stutzte Elli: „Mein Gott, ich bin ja erst 45 und dann schon Oma. Na ja, dann müssen wir doch wohl überlegen ob wir die Angelegenheit vor der Geburt unseres Urenkels über die Bühne gebracht haben können. Das könnte ja theoretisch in weniger als nur 240 Monaten der Fall sein.“. Na ja, so nett und ausgelassen ging es auch den ganzen Tag weiter. Nun für den nächsten Scherz sorgte dann Tanja als wir auf dem Kirchenplatz ankamen. Eine ältere Dame, die auch zur Kirchengemeinde gehörte, sprach Tanja an: „Ach Frau Rebmann, was gibt es denn zu feiern?“. Schließlich waren wir alle etwas festlich gekleidet und Tanja hatte einen Blumenstrauß in der Hand. Und Tanja beantwortet diese Frage ganz keck: „Ach Frau Schroer, ich bin nicht Frau Rebmann, das ist im Moment nur noch Mutti. Ich bin Frau Rossbach, zumindestens vor der Welt und damit das auch vor Gott der Fall ist, dafür wird Onkel Thomas im Laufe des Tages noch sorgen.“. „Dann aber mein herzlichen Glück- und Segenswunsch“ sprudelte noch aus der Frau heraus, die es auf einmal sehr eilig hatte. Na ja, die sah sich jetzt zum Lauffeuer auserwählt und sorgte dafür, dass es am nächsten Tag beim Himmelfahrtsgottesdienst am Vollerder Waldrand keinen mehr gab, der nichts von den familiären Geschehnissen des 20. Mai 1998 wusste.
Da ja ohnehin alles in der Familie blieb bedurfte es hinsichtlich der kirchlichen Trauung keiner besonderen Uhrbeachtung; geläutet werden sollte ja nicht. Ich war auch bis zu diesem Zeitpunkt der Meinung, dass zum Traugottesdienst auch auf das Orgelspiel verzichtet werden sollte. Dann gab es eine dicke Überraschung für mich. Es war eine Organistin anwesend und die befand sich schon seit geraumer Zeit an meiner Seite. Ich wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass meine Elli, so gar gut, Orgel spielen konnte. Irgendwie war dieses einer der schönsten Tage meines Lebens. Es war, auch hinterher bei der Feier, richtig harmonisch und nett. Ich fühlte mich so richtig wohl. Insgesamt hatte ich an diesem Tag das Gefühl als würde es jetzt nach den vergangenen wilden Stürmen endlich wieder Sommer in meinem Leben werden. Aber noch war es nicht so weit, auf uns sollten noch ein paar Turbulenzen warten. Ansonsten hätte ich ja auch an dieser Stelle meine Niederschrift beenden können. Aber eine sommerliche Atempause hatten wir allemal in 1998. Das nächste Großereignis ließ nicht lange auf sich warten. Für uns hatte der Donnerstag, der 13. August, noch gar nicht richtig begonnen als es losging. Parallel zu Ellis Wecker schellte auch gleich das Telefon, an das Sabrina dann freundlicher Weise stürzte. Und dann kam ihr Jubelschrei: „Es ist Oliver. Sarah Lauren ist da!“. Dieses war nicht nur der Moment, wo Elli und ich ein Großelternpaar wurden sondern Sabrina plötzlich von einem Augenblick auf den anderen wie ausgewechselt war. Auf einmal war sie wieder locker und fröhlich, als sei sie wieder ganz die alte. Ein kleines Wunder, von dem ich hier doch ausführlich berichten muss. Für uns alle war zunächst mal dieser 13. August ein aufregender Tag. Und dieses, ob wohl wir uns im Vorfeld da geistig darauf einstellen konnten und eingestellt hatten. Bedingt durch den Anruf und Sabrinas Jubel stürmten wir zunächst erst mal alle, so wie wir in diesem Moment waren, auf dem Flur zusammen. Dies heißt natürlich in lockerster Bekleidungsordnung: Die beiden Frauen im kurzen fast durchsichtigen Nachthemd und ich in Unterhose und Unterhemd. Na ja, es war ja alles familienintern und zu diesem Zeitpunkt, wenn wir mal von Sabrinas früherer prüder Einstellung mir gegenüber absehen, weiter nicht tragisch. Die frischgebackene Oma überstürzte ihr Stieftochter erst einmal mit Fragen wie: „Wann genau?“, „Sind Mutter und Kind gesund?“, „War Oliver dabei?“, „Wie groß?“, „Wie schwer?“ und so weiter. Nur auf die Frage nach der Gesundheit konnte die Befragte antworten, denn das war das Einzigste was ihr ihr ausgeflippter Bruder von sich aus gesagt hatte – sie waren beide wohl auf – und die beim Anruf plötzlich durchgedrehte Sabrina hatte auch nach nichts gefragt. Schließlich ist „meine Kleine“ das bislang jüngste Familienmitglied und konnte folglich zum ersten Mal miterleben, dass die Familie sich durch neues Leben erweitert. Aber sie konnte Elli Antworten auf alle Fragen in Aussicht stellen, denn Oliver hatte „lediglich“ sein umgehendes Vorbeikommen angekündigt und dann könnte ja Elli mit ihrem Wissensdurst zuschlagen. „Dann werde ich uns, einschließlich Oliver, erst mal ein Festtagsfrühstück bereiten“, teilte Elli mit und stürmte so wie sie war die Treppe hinunter. Mit den Worten „Warte ich helfe dir“ folgte ihr Sabrina, ebenfalls noch in der lockeren Bekleidung wie sie zum Zeitpunkt des Anrufes war. Währenddessen hatte ich erstmalig seit Bestehen des neuen Haushaltes das Vergnügen als erster das Bad zur Morgentoilette nutzen zu können und somit konnte ich mich auch vor den „Damen des Hauses“ in ein gesellschaftsfähiges Outfit schmeißen. Das Frühstück war gerade fertig als Oliver an der Haustür schellte. Die Frauen dachten jetzt erstmalig daran, dass sie sich noch in ihrem Nachthemdchen befanden und wollten, während ich die Tür öffnete, nur schnell etwas überziehen. Bedingt durch die freudige Neugierde durfte das natürlich nicht viel Zeit in Anspruch nehmen und so war das dann bei Elli ein Morgenmantel und bei Sabrina ihr Jogginganzug. Ich öffnete meinen Sohn und führte ihn direkt in die Küche. Und schwupp waren auch die beiden „Mädchen“ wieder dabei. Ich glaubte meinen Augen nicht trauen zu können: Sabrina stürzte sich auf ihren Bruder, herzte und küsste ihn wie ich es noch nicht erlebt hatte. Sie erkundigte sich nach Tanja und Sarah Lauren, Olivers Knie und sein Wohlempfinden. Sie nahm Anteil und war dabei. So hatte ich Sabrina noch nie erlebt und deshalb erzähle ich von dieser Morgenstunde so ausführlich. Es war so als wäre bei Sabrina, die sich in diesem Jahr bis auf einige Ausnahmen fast immer distanziert und teilnahmslos zeigte, eine Klappe gefallen. Mit der Geburt von Sara Lauren war auch meine Tochter, so wie sie früher war, wiedergeboren. Wäre dieses eine Momentaufnahme gewesen hätte ich mir diese Beschreibung ebenfalls sparen können. Aber nein, es war keine Augenblickserscheinung. Sollte die Geburt ihrer Nichte der auslösende Moment für sie gewesen sein, wo die Tragik der letzten Jahre auf einmal hinunter und weggespült werden konnte? Ganz stolz tönte sie während des Frühstücks immer wieder: „Leute vernehmt die Kunde: Sarah Lauren, die neue Königin von Salein ist geboren!“. Das Sabrina es selbst sein sollte, den man nicht mal ein Jahr später angedeihen ließ, konnte damals niemand von uns wissen. Ab Saras Geburtsmonat entwickelte sie nach und nach ein starkes soziale Engagement. Sie kümmerte sich in ihrer Freizeit sehr viel um die sozial schwächeren und behinderten Einwohner von Salein. Wenn man mich fragt ob es Wunder gibt, muss ich aus dieser Erfahrung immer ja sagen und diese Wunder spielen sich nicht in einer Wunderwelt sondern in unseren Herzen ab. Aber ich möchte jetzt keine weiteren chronologische Sprünge unternehmen und jetzt erst mal Saras Geburtstag abhandeln. Elli musste etwas enttäuscht werden, denn Oliver konnte ihr keine Auskünfte über Saras Größe und Gewicht geben. Das konnte ich früher übrigens auch nicht. Mir scheint, dass Gott nur den Frauen im Gehirn einen Speicher für solche Daten mitgegeben hat, denn ich habe schon öfters gehört wie sich Frauen über die Geburtsdaten ihrer Kinder
unterhielten aber ich habe noch keinen Mann getroffen, der entsprechende Auskünfte geben konnte. In einer Hinsicht konnte Oliver seine Doppelmutter, wie er seine Stief- und Schwiegermutter öfters liebevoll betitelt, zufrieden stellen: Er war im Kreißsaal dabei und berichtet ausführlich mit freudiger Aufregung davon. Da verflog natürlich die Zeit wie im Fluge. Plötzlich entsetzte sich Elli: „Ach du Schreck, schon halb Acht.“. Jetzt wurde den Damen natürlich ihr Outfit, von dem ich berichtet habe, zum Verhängnis. Da wir ja trotz Saras Geburt unseren Alltagsverpflichtungen nachkommen wollten war nun sowohl bei Elli wie bei Sabrina das „zu spät zum Dienst kommen“ unvermeidlich geworden. Der Einzigste, der aufgrund des Ereignisses seinem Dienst nicht nachkommen musste war Oliver – und das steht ihm ja als Vater der neuen Erdenbürgerin zu. Trotzdem begab er sich pünktlich zu seiner Ausbildungsstelle, dem Amthaus in Olvermühle. Dieses aber um persönlich von seinem mit Urlaub verbundenen Glück zu berichten und um die Gelegenheit zu nutzen, damit Sara Lauren Rossbach auch standesamtlich unter die Lebenden eingereiht wird. Erst am Nachmittag kamen wir dann zum außerordentlichen Familientreffen im Krankenhaus zusammen. Da erlebte ich dann eine überglückliche Tanja, eine schlafende Sara, eine Oma die alles genau wissen wollte und meine beiden Kinder in einer mehr oder weniger ausgeflippten Verfassung. Was ich von mir selbst berichten kann ist, dass ich sehr glücklich war und das Ganze richtig genoss. Eine noch größere familiäre Runde gab es an einem Abend in der darauf folgenden Woche im Hause der jungen Rossbachs. Außer den erwähnten Sechs stießen da noch die Ehepaare Salein und Kühn hinzu. Nach einer lockeren halbe Stunde sorgte dann eine frohgelaunte Sabrina für ein Wenig Wirbel. Munter verkündete sie: „Damit es keine Zweifel gibt, die Patentante von Sara heißt Tante Sabrina.“. Da bis zu diesem Zeitpunkt das Thema Taufe noch nicht angesprochen worden war, hatte sie im Kreise von drei studierten Theologen eine Fachdiskussion angestoßen. Elli hatte Tanja auch nicht taufen lassen sondern die Tochter wurde, als sie dieses selbst wünschte, mit 14, zwei Wochen vor ihrer Konfirmation, getauft. Die Abhängigkeit der Konfirmation, also der Taufwiederholung nach eigenem Bekenntnis, von der Taufe hielt Elli für einen landeskirchlichen Kniefall vor der lutherischen Sakramentauffassung. Ihrer Meinung nach konnte sich der Mönch Martin Luther nicht vom katholischen sakramentalen „Aberglauben“ lösen. „So bald das Tröpfchen von der Stirne rinnt die Seele in den Himmel springt“. Allerdings fand Luther aber nur für die Taufe und das Abendmahl biblische Belege, womit im evangelischen Raum schon mal fünf Sakramente aus dem „Ritualzirkus“ verschwanden. Aber welch ein Blödsinn: Da tauft man junge Menschen um 14 Tage darauf die Taufe aufgrund des eigenen Bekenntnisses zu wiederholen. Fördert man damit nicht die Herabsäkularisierung der Konfirmation zu einem, dem Zwecke des Abzocken dienenden, Familienfestes. Ja, viele Jugendliche stellen heutzutage mit ihren Eltern eine Wirtschaftlichkeitsrechnung auf, ob sich dass, im Konfirmandenunterricht dabeisitzen auch rechnet. Da müssen erst mal die Beträge, die Familien- wie Verwandtschaftsangehörige und Freunde zu geben „verpflichtet“ sind, addiert, werden. Aber Thema war bei uns ja nicht die Konfirmation im Allgemeinen sondern Saras Taufe im Speziellen. Einig waren sich die Theologen in unserer Familie darüber, dass eine Taufe eine Bekehrung und ein Bekenntnis voraussetze und dass dieses von Säuglingen nicht erbracht werden könne. Freifahrtscheine in den Himmel gibt es nicht. Nicht durch die Taufe sondern durch unser Bekenntnis werden wir selig. Sie waren sich auch einig darüber, dass die Segnung der Kinder (Markus 10, 13-15) im Zusammenhang mit der Kindertaufe nur eine landeskirchlich motivierte Eselsbrücke darstellt. Das entscheidende Argument für die Kindertaufe kam jedoch mehrfach von Thomas, dem amtierenden Pfarrer. Er maß dem Taufversprechen der Eltern und Paten die absolute Bedeutung bei diesem Akt zu. Weil die Eltern und Paten vor Gott und den Menschen versprechen müssten, die Kinder zum Wort anzuhalten und zu erziehen, wäre im Sinne des Missionsbefehls (Markus 16, 15), den Ritenfreaks gerne zum Taufbefehl herunter degradieren. Nicht die Taufe sondern die Mission, die zur Taufe führen soll, wurde von unserem Herrn befohlen. Deshalb würde er auf die Kindertaufe auch nicht verzichten wollen. Just in diesem Moment war es Tanja, die das entscheidende Wort sprach: „Ja Mutti, ja Tante Waltraud und Onkel Thomas, ja ich will ja. Ich will das aus Sara Lauren eine gute Christin wird. Ich möchte nicht das Sara mal sterben muss sondern ich will, dass sie dank der Erlösung durch unseren Herrn ewig lebt. Ich habe sie nicht geboren damit sie mal sterbe sondern dass sie lebt. Ich will Gott versprechen, dass wir Sara Lauren christlich erziehen und ich möchte, dass uns nicht nur die Paten sondern alle dabei helfen. Und eins ist klar, meine Schwester Sabrina wird Patin. Das wollte ich schon, als wir noch nicht davon gesprochen hatten.“. Dieses war ein Moment des absoluten Glücks. Meine beiden Kindern sprangen beide auf und umarmten gleichzeitig ihre Frau beziehungsweise Schwägerin. Sie drückten sie so sehr, dass ich schon befürchten musste, die arme Tanja würde Schaden nehmen. Elli saß mit feuchten Augen und glücklichen Gesicht da, denn das, was aus ihrer Tochter heraus gekommen war, deckte sich mit dem Wunsch, den sie schon ab dem Zeitpunkt hatte, wo sie wusste, dass sie mit ihrer Tochter schwanger war. Und dass es ehrlich gemeint war, ist auch dem Berufswunsch, nämlich das sie auch mal Pastorin oder zumindestens Religionslehrerin werden will, zu entnehmen. Noch zwei waren glücklich über den Ausgang dieser Runde: Herta und Walter Salein. Auch Herta wollte gerne Patin werden und äußerte dann auch prompt diesen Wunsch. Selbstverständlich wollte sich mein Schwagerpaar auch an der christlichen Erziehung der kleinen Sara beteiligen aber das war nicht deren Hauptmotivation, die war eher weltlicher Natur. Walter berichtete uns, dass den Beiden klar wäre, dass sie nicht jünger würden und auch nicht ewig auf Erden leben könnten. Aber da wäre der große Hof, den Walter noch durch die Anwesen aufgebender kleiner Kollegen zu erweitern gedachte. Was daraus mal würde, wenn er nicht mal ist, wäre das Problem seiner Nachfolger, da würde er
sich nicht einmischen. Aber für eins wäre ihm die ganze Sache zu schade: Das es zu einem Streitobjekt und infolge dessen der gesamte Besitz möglicher Weise dann zur Brache würde. So gedachte er es geordnete an die „Enkelgeneration“ weiterzugeben. Mit Herta hatte er besprochen, dass sie bei allen Kindern Olivers Patin und er bei allen Kindern Sabrinas Pate werden wollte. Und auf ihre Patenkinder soll das Ganze mal zu gleichen Teil übergehen. Darüber, dass es unter denen dann keinen Streit gibt, will er nachgedacht haben und dafür seine entsprechenden Pläne haben. Aber darüber wollte er sich nicht auslassen. Somit war die Taufe dann nicht nur christlich sondern auch ganz weltlich sinnvoll und nützlich begründet. Na ja, so war die Taufe von Sara Lauren beschlossene Sache. Ganz fair stellte Tanja es in die Entscheidung ihres Onkels und ihrer Tante wer von ihnen die Taufe vornimmt. Die beiden erklärten aber sofort, fast aus einem Munde, dass Thomas als Gemeindepfarrer dafür zuständig sei. Eine Personalentscheidung traf aber Oliver: Er wollte, dass seine Schwiegermutter wie auf deren Trauung „orgeln“ sollte. Elli zierte sich ein Wenig, sagte aber dann doch zu. Jetzt galt es nur noch einen Termin auszugucken. Tanja wünschte sich gleich den ersten Sonntag des kommenden Kirchenjahres, also den 1. Advent, der 1998 auf den 29. November fiel. Und der Wunsch der Mutter galt wie ein Befehl, was nichts anderes heißt, als dass das jüngste Mitglied der Familie Rossbach von Thomas Kühn am 1. Advent 1998 auf den Namen Sarah Lauren getauft wurde und während des Gottesdienstes ihre Großmutter für die Orgelbegleitung sorgte. Damit möchte ich jetzt dieses Kapitel, den Report des Schönwetterleuchten des Jahres 1998, beenden. Dieses Jahr, was eigentlich sehr turbulent begann, hatte sich dann doch recht positiv und harmonisch entwickelt. Alle dunkle Wolken schienen vertrieben. Da kam richtiger Hochmut auf. Ich glaubte, dass Ziel meiner Zweckbestimmung erreicht zu haben und träumte davon jetzt auf einer Woge des Glücks den Rest meines Lebens zu verbringen. Wenn sich die Wirklichkeit mit meinen Träumen gedeckt hätte, wäre mein Buch an dieser Stelle zu Ende. Aber daraus, dass jetzt noch einige Seite folgen kann man schließen, dass noch diverse Angelegenheiten auf uns warteten. In 1998 sind wichtige Weichen gestellt aber kaum etwas endgültig gelöst worden. Aber was soll es: Obwohl sich dieses Kapitel wie ein Happy End las sollte man ruhig noch weiter lesender Weise blättern – am besten bis zur letzte Seiten.
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Neue dunkle Wolken über Salein Irgendwie scheint mir die Karnevalszeit durch Zufall auf meiner Schicksalsbahn als eine Zeit mit höherer Unwetterneigung zu sein. Denn so wie 1998 zu dieser Zeit Turbulenzen in meiner Familie besonders auffällig waren zogen auch 1999 wieder dunkle Wolken auf. Zwischendurch muss ich bemerken, dass ich so eben wirklich und bewusst von einem Zufall geschrieben habe, denn Zusammenhänge des Kalenders, einer mathematischen Festlegung der Zeitberechnung, und menschlichen Schicksalen gibt es natürlich nicht, die kann man ausschließlich hinein interpretieren. Aber gegen solche Interpretationen sollte man angehen, denn sie sind gefährlich. Diese führen dazu, dass man geneigt ist sich, je nach erdachter Wertung, die positiven oder negativen Punkte, auch wenn sie nur geringfügig und alltäglich sind, herauspickt, diese bei Vernachlässigung des übrigen Geschehens überwertet und sich damit in einen verhängnisvollen mentalen Erfüllungszwang versetzt. Wer glaubt, dass ein „Freitag der Dreizehnte“ ein Unglückstag sei, kann alleine mit seiner Geisteskraft unnötige Unglücke herauf beschwören. Seine Fixierung auf das, was ihm eventuell Unglück bringen könnte, machte ihn unaufmerksam auf die kleinen Dinge, über die er wirklich stolpern könnte. Der Autofahrer, der aus Angst vor einer Geschwindigkeitsübertretung starr auf den Tacho schaut, bekommt das Verkehrsgeschehen nicht mit; dann kann es leicht zum „Knall“ kommen. Das gilt aber nicht nur in negativer sondern auch positiver Hinsicht. Wer glaubt er habe einen bestimmten Glückstag an dem nichts schief gehen kann, entwickelt leichtsinnig eine grobfahrlässige Risikobereitschaft und unverantwortliche Unachtsamkeit, die ihm dann böse zum Verhängnis werden kann. Also nicht nur „Selbstsüchtigmachung nach Unglück“ ist gefährlich sondern auch das Gegenteil. Wie gesagt, zu Karneval 1999 zogen wieder einmal dunkele Wolken über Salein und meiner Familie auf. Die Anhänger rheinischer Albernheiten und Exzesse bedauerten 1999 eine „kurze“ Session. Ich kann denen nur sagen, dass sie das selbst in Schuld sind. Warum fixieren sie den Beginn auf den, durch den Sonnenumlauf bestimmten „Elften im Elften“ und das Ende, die Fastnacht, die von Karnevalisten auch Veilchendienstag genannt wird, auf das durch den Mondumlauf bestimmte Osterfest. Die Erde umkreist die Sonne in etwas weniger als 365 ¼ Tagen und der Mond die Erde in 28 Tagen. Schon mit Grundrechnen kann man ermitteln, dass man da mit allerlei Schalterei ausgeglichen werden muss, wenn überhaupt eine annähernde Angleichung von Mond- oder Sonnenkalender erreichen will. Vielleicht ist jemanden schon mal bei muslimischen Mitbürgern aufgefallen, dass sich der 12. Monat des islamischen Mondkalenders, der Ramadan, quer durch das ganze christliche Jahr, dass sich nach einem Sonnenkalender richtet, verschiebt. Allein der Vierteltag beim Sonnenumlauf beschert uns, außer zu glatten Hundertzahlen wie 1700, 1800 und 1900, die in den ersten Stellen nicht durch 4 geteilt werden können, wie zum Beispiel 2000, alle 4 Jahre einen 29. Februar. So benötigen wir in 400 Jahren 97 Schalttage um unseren Kalender in Übereinstimmung mit dem Sonnenumlauf zu bringen. Nun Ostern ist aber historisch auf den Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond fixiert, hier bestimmen also Sonnen- und Mondumlauf den Termin. Der Sonnenumlauf bestimmt den Frühlingsanfang und der Mond den genau betreffenden Tag. Historisch richtig ist dieses, weil Jesus vor dem Beginn des Passahfestes, das am Freitag nach eben diesem Vollmond um 18 Uhr beginnt, gekreuzigt wurden und nach 3 Tagen, also da wo wir Ostern feiern, wieder auferstanden. Da die Kirchengründer davor eine 40-tägige Fastenzeit gelegt haben, lässt sich am Sessionsende wohl nicht laborieren, da bleibt nur der Abschied vom 11. November – mit dem Tag könnte man floaten. Wenn mich jetzt jemand fragt, warum ich jetzt mal wieder Eulen nach Athen getragen hätte, den muss ich sagen, dass man selbst bei offensichtlich intelligenteren Menschen nichts als selbstverständlich voraussetzen sollte. Leute die wenig oder nichts mit einer Kirche zutun haben, dürfte dieses gar nicht so geläufig sein. Aber jetzt endlich zum Geschehen des Jahres 1999 in und um Salein. Es war am 11. Februar, wieder einmal ein Donnerstag an dem die Karnevalisten Altweiberfastnacht feierten, als eine Nachricht unseren „Clan“ in Aufregung versetzte. Eine Nachricht erreichte uns im Laufe des Morgens auf verschiedenen Wegen. Ich erfuhr es durch einen Anruf von der Polizei Waldstadt, die, nach dem unser Dorfsheriffpöstchen eingestellt worden war, auch für Olvermühle zuständig ist. Kurz darauf bekam ich auch einen entsprechenden Anruf von Elli. Elli hatte es, als sie während der großen Pause ins Lehrerzimmer kam, erfahren, da man ihr dort erzählte, was man in den Radionachrichten gehört hatte. Tanja erfuhr es durch Anrufe von der Polizei, Elli, Oliver und mir sowie später auch selbst aus den Nachrichten. Oliver wurde von Bürgern, die an diesem Morgen im Amtshaus zutun hatten sowie durch meinen Anruf informiert. Sabrina erfuhr es zuerst durch meinen und dann durch Tanjas Anruf. Jetzt sagt dieser oder jene: „Das muss ja eine Supersensation gewesen sein, die sich da wie ein Lauffeuer verbreite.“. Och, das war es eigentlich gar nicht, denn man hört ja öfters mal dass sich ein Strafgefangener davon gemacht hat. Hätte es sich nicht um Sascha Scheule gehandelt hätte hier in der Gegend wahrscheinlich niemand davon Notiz groß genommen. So wurde aber aus einer Alltagsmeldung, oder sagen wir besser harmloser Fahndungsaufruf, einen Sensationsmeldung. Hätte sich Scheule allein „auf die Socken“ gemacht hätte es besagten Aufruf in den Radionachrichten wahrscheinlich auch gar nicht gegeben. Aber sein Kumpane war als äußerst gewalttätig bekannt und laut Radio haben sie sich möglicher Weise im Umfeld der JVA Waffen beschafft. Na ja, dann ist schon Vorsicht geboten. Die Polizei rief bei mir und bei Tanja an, damit wir die Augen offen hielten und gegebenenfalls uns umgehend mit ihnen in Verbindung setzen sollten. Sie sagten uns gleich dabei, dass nach der Einschätzung der Experten Scheule kein Typ ist, der jetzt ein Rachefeldzug gegen uns starten würde, aber dass er versuchen würde mit uns Kontakt aufzunehmen hielten sie doch für durchaus möglich. Im Grunde, wenn sonst noch nichts passiert wäre, hätte ich Sascha
wahrscheinlich genau so eingeschätzt. Aber einen Friedhelm Rebmann hatte ich früher ja auch nicht als einen Menschen, der vergewaltigen und morden könnte, eingeschätzt. Bei Sascha selbst habe ich ja schon daneben geschätzt, denn das was er getan hat, hätte ich ihm auch nicht zugetraut. Und warum in die Ferne schweifen, wenn doch die Wahrheit äußerst nahe liegt: Das was Oliver und Tanja mit Sascha und Sabrina gemacht haben, hätte ich ihnen vorher auch nicht zugetraut. Also fasste ich doch die polizeiliche Einschätzung äußerst skeptisch auf. Ich kann ja noch ein recht harmloses Beispiel anfügen: Wer schätzt schon eine Pastorin und ihre Schwester, eine Religionslehrerin, als Exhibitionistinnen, die auch versuchen ihren Trieb auszuleben, ein. Erst dieser Tage noch war Waltraud nackt an mir und Sascha, der den Tick der Frauen inzwischen allerdings auch kennt, vorbeigehuscht. Wir können anderen Leuten immer nur vor den Kopf aber niemals hinein sehen. Andererseits ist es ja wahrscheinlicher, dass jemand als Spontantäter oder aufgrund einer unverzeihlichen Dummheit, in die ich Saschas Tat einordnen möchte, in den Knast geht und als Berufsverbrecher wieder herauskommt als umgekehrt. Hochgradige Kriminelle sind hochexplosive Gesellschaftsbomben, die in Knästen nicht entschärft werden können. Letztere sind es aber die hinter Gefängnismauern im Zuge gruppendynamischer Prozesse auf die anderen Mitgefangenen abfärben. Einfach wegschließen befriedigt den populistischen Massensadismus und ist vordergründig billiger als Rehabilitation. Wenn man aber die Schäden, die durch Serientäter entstehen und deren Haftkosten zusammenaddiert, kommt man sehr schnell dahinter, dass Rehabilitation überaus effizienter als Strafe ist. Aber das kann man den Haudrufstammtischler, die bei Wahlen den lautesten Schreier ihre Stimme geben, nicht verkaufen. Und gerade die erwähnten Stammtischler sind es, die möglicher Weise bei Wahlen den Ausschlag geben. Jetzt muss ich nur zwischenbemerken, dass ich mit Stammtischler eine spezielle Gattung von Menschen meine, also keine, heute immer weniger werdende, Wirtdauerkunden sondern die, die man heute auch sehr oft auf der Couch vor der Dauerklotze oder im Sessel vor dem internetten PC findet. Über die kann ich mich hier ja unbesorgt auslassen, denn Lesen gehört nicht zu deren Leidenschaften. Politisch interessierte Nachdenker legen sich über dem Ablauf von Legislaturperioden fest und sind durch die Waschmittelwerbung ähnlichen Wahlkämpfe und Parolendrescherei nicht zu beeinflussen, Stammtischbrüder und –schwestern laufen aber gerne den Schreihälsen nach, weil das was sie da von sich geben so dumm ist, dass es denen so gut runter geht. „Kopf ab und Deutschland den Deutschen“ ist zwar einerseits menschenverachtend und andererseits potenzierte Dummheit, zieht bei denen aber halt mehr als Logik und Vernunft. Also sumpfen sich die Leute, die politische Pöstchen haben wollen, durch die Medienlandschaft. Na ja, immer meine berüchtigten Abschweife aber der Hintergrund, warum jetzt auch Angst in uns allen hochkam, ist wohl klar geworden. Ich bin ja ehrlich und gestehe, dass mich auch ein starkes Angstgefühl beherrschte. Mir wollte der gewalttätige Kumpane nicht aus dem Sinn gehen. Was ist, wenn der jetzt Saschas Angelegenheit in die Hand nimmt? Der trifft bestimmt besser wie der damals absolut ungeübte Scheule. Also mir schlotterten schon ganz enorm die Knie. Und dann musste ich noch aus Vernunftgründen den „starken Mann“ spielen, denn wenn Oliver und „meine Frauen“ mitbekommen hätten, dass mir das Herz, genau wie ihnen, in die Hose gerutscht wäre, dürfte es mit der innerfamiliären Stabilität ganz vorbei gewesen sein. Den Helden spielen, wenn einem die Angst im Nacken sitzt, ist bekanntlich gar nicht so einfach. Ich konnte auch nicht lange entscheiden ob ich den Strohhalm, an dem sich die anderen halten konnten, spielen wollte oder nicht. Schon kurz nachdem ich von der Sache erfahren hatte, erschien Tanja mit Sara bei mir im Büro. Sie und später Elli waren es, die mir gegenüber ohne Versteckspiel zugaben, dass sie Angst hatten und Schutz bei mir suchten. Tanja sagte gleich, dass sie von mir mit nach Hause genommen werden möchte und auch bei uns zu übernachten gedachte. Ihre Hygienemittel und alles was Sara brauchte hatte sie gleich in ihrer Reisetasche mitgebracht. Elli gestand bei ihrer Heimkehr von der Schule ihre Angst und erklärte, dass sie froh darüber sei bei mir zuhause zu sein und dass ihre Tochter und unsere Enkelin auch da wären. Meine Kinder waren da nicht so direkt. Sabrina rief mit dem Vorwand, sie habe sich den Fuß verknackst und ob ich sie deshalb nach Dienstschluss abholen könnte, an. Erst als sie heimgekehrt die diesbezügliche Offenheit von Elli und Tanja registrierte stand sie dann auch zu ihrer Angst. Oliver spielte, wie er es mir später auch bestätigte, aus gleichen Beweggründen wie ich, ebenfalls den Helden. Jedoch verriet mir Elli später, dass mir das weit besser gelungen wäre wie ihm; Oliver hätte man doch sehr oft seine Angst angemerkt. Insbesondere sein Bestreben möglichst immer in meiner Nähe zu sein habe ihn verraten. Da sieht man welche lähmende Wirkung Angst hat und so kann ich auch verstehen, wenn wichtige Zeugen in Strafprozessen aus solchen Gründen kneifen und damit indirekt Täter vor Verurteilungen schützen. Nun, Elli hatte Theologie studiert und war nach einem weiteren Pädagogikstudium Religionslehrerin geworden. Da ist es natürlich nicht verwunderlich, dass sie uns zu einer Andacht, in deren Mittelpunkt Gottes Schutz und das Vertrauen auf ihn im Mittelpunkt standen, um sich scharrte. Aber wir sind halt nur Menschen. Ich gestehe, dieser Andacht meiner „besseren Hälfte“ nur oberflächlich oder gar überhaupt nicht gefolgt zu sein. Meine Gedanken waren in Folge der Angst wirklich ganz woanders. Nur mein stilles Stoßgebet „Lieber Gott verlass uns nicht und helfe uns. Amen“ war ehrlich. Ich habe die Anderen diesbezüglich später nie gefragt aber denen ist es vermutlich genau wie mir gegangen. Selbst bei Eleonore unterstelle ich in diesem Fall ausnahmsweise mal, dass sie es selbst bei dieser Angst mit dem Gottvertrauen nicht so sah wie sie es sagte. Zumal Gott, nach ihrer Auffassung, nicht mit sich handeln lässt. Wenn er für uns einen Platz vorbestimmt hat bleibt uns nur, uns im absoluten Gehorsam darein zu fügen, gleichgültig ob es uns Angst macht oder wir dadurch leiden müssen. Gott macht nur Gutes, auch wenn wir Menschlein das oft ganz anders sehen, aber nur
er weiß was Gut ist und das macht uns sehr oft Angst und begründete nicht selten unsere Zweifel, die zum Glauben wie das Sterben zum Leben gehört. Angst und Zweifel veranlassen uns Gott zu suchen und nur wer sucht kann auch finden. Unsere Angst führte auch zu einer besonderen Schlafordnung in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Wir schliefen zwei Mal zu Dritt. Sabrina hatte ihr, inzwischen gegen Olivers ehemaliges ausgetauschtes größeres Zimmer, der jungen Familie Rossbach, also Oliver, Tanja und Sara, zur Verfügung gestellt. Sie erbat sich dafür jedoch Nachtasyl in unserem Zimmer. Noch bevor wir die Liegeordnung im Bett absprechen konnten, lag sie schon in der Mitte. So wie früher als sie klein war. Da machte sie es sich zeitweise zur Regel sich zwischen Astrid und mir zu platzieren. Aber zwischen dem letzten Mal, als das der Fall war, und der beschriebenen Nacht liegen mindestens 12 Jahre. Damals war sie ein Kind und heute ist sie selbst schon eine erwachsene Frau. Ja, für solche Rückwärtsentwicklungen kann die Angst sorgen. Toll war am nächsten Morgen noch wie Tanja beim Frühstück gestand, dass sie Sabrina um diesen Platz beneidet habe, denn da wäre sie selbst gerne gewesen. Aber sie war ja bei ihrem Oliver und so etwas hatte Sabrina nun nicht mal aufzubieten. So war das Ganze schon gerecht. Am nächsten Morgen ging es uns allen doch erheblich besser. Entweder hatte sich die Angst gelegt oder wir hatten inzwischen gelernt damit zu leben. Elli, Sabrina und Oliver sahen keine Hindernisse ihren Dienst auch an diesem Tage nachzukommen. Nur hinsichtlich Tanja und unserer kleinen Sara hatten wir doch ein Wenig bedenken. Die sollten bei mir bleiben und da für die Beiden das Büro wohl kaum der rechte Daueraufenthaltsraum gewesen wäre, beschloss ich ausnahmsweise mal einen „blauen Freitag“ einzulegen. Dieses war immerhin das erste Mal seit der Zeit als die Sache mit Astrid damals frisch war, dass ich dort in den werktäglichen Morgenstunden nicht erreichbar war. Ich bat Oliver, bevor er ins Amtshaus gehen würde, am Büro das entsprechende Schild rauszuhängen. Eingehende Telefongespräche sind kein Problem mehr, denn seit wir die neue ISDN-Anlage haben verfüge ich sowieso über eine interne Rufumleitung vom Büro zum Privathaus und umgekehrt, die auch durchgängig geschaltet war. Bei dieser Angelegenheit kam so gar noch etwas Tolles bei raus: So viel wie an diesem Tag hatte ich mich noch nie mit meinen inzwischen 6-monatigen Enkeltöchterchen beschäftigt. Tanja ließ zur Berieselung im Hintergrund das Radio laufen. Eingestellt war es auf unseren Lokalfunk. Nun von der Musik her ist das nicht gerade mein Fall und vom Informationsgehalt ist es nach meinem Geschmack auch etwas dürftig. Laut deren Reklame weiß man schon vor der halben oder vollen Stunde mehr – also das was in den Schlagzeilennachriten kommt, bringen die dann schon zwischen den Musiktiteln und schinden damit Sendezeit – aber das ist auch nicht gerade umwerfend viel. Aber die Meldung, die an jenem Tag um halb Eins in den Lokalnachrichten kam, ließ uns doch aufhorchen. Vermisst wurde die 15-jährige Deutschrussin Natalie Rempel aus der Schluchtstraße in Olvermühle-Salein. Ein Zusammenhang mit dem entsprungenen Häftling Scheule wäre nicht ausgeschlossen. Das machte mich doch sehr stutzig. Frau Rempel, eine Witwe – ihr Mann war als sie erst kurz in Deutschland waren bei einem Arbeitsunfall ums Leben gekommen – wohnte mit ihrer Tochter in dem Wohnblock den ich von Astrid geerbt hatte. Ich kannte sie also. Es handelte sich um eine einfache Frau, mit nur sehr wenig Deutschkenntnissen und sie hatte ihre Tochter augenscheinlich überhaupt nicht im Griff. Mir schien immer als würde Frau Rempel von ihrer Natalie beherrscht. Ein Zusammenhang mit Sascha Scheule konnte ich mir gar nicht vorstellen. Deshalb fragte ich Tanja und bekam eine umfassende Auskunft: „Och Papa, da wirst du schon recht haben, dass Sascha mit der nichts am Hut hat; der ist doch kein Kinderficker. Aber umgekehrt sieht das etwas anders aus. Natalie ist eine dumme Göre. Man sagt, sie habe immer ausgeglichene Zeugnisse: 6 Fünfen und 5 Sechsen. Das einzigste was die im Kopf hat ... und das schon seit sie gerade mal 12 war, sind Schminke und Kerls. Immer, wenn sie alleine ist, blinzelt sie in ihren Schminkspiegel und fummelt an den Augenbrauen und so herum. Die ist wie wild hinter Sascha hergejagt. Die brachte es sogar ihn im meinen Beisein anzusprechen und zu fragen: ‚Saschi, wollen wir mal `ne Runde ficken’. Sascha hat sie nie beachtet. Du weißt doch, dass der nur Augen für mich hatte, nicht einmal Brina konnte ihm vom Hocker reißen.“. „Na ja,“, meinte ich, „nach so einem Jahr Knast kann sich am Zuneigungswillen schon einiges geändert haben.“. „Ach wo,“, erwiderte Tanja, „Sascha gehört nicht zu den notgeilen Typen. Du weißt doch, dass er ein Weilchen mit mir gegangen ist, ich bei ihm geschlafen habe und trotzdem Jungfrau geblieben bin. Das musste ja mein Mann, dein Sohn, erledigen.“. Und jetzt lachte sie erst mal herzlich. In diesem Falle wäre am heutigen Tage für uns die Angelegenheit erledigt gewesen, wenn nicht Sabrina nicht von unterwegs angerufen hätte, dass sie noch zu Frau Rempel wolle und wir uns keine Sorgen machen sollten wenn sie später käme. Das wäre auch in Ordnung gegangen, wenn wir nicht um halb Neun dagesessen und immer noch auf sie gewartet hätten. Von Elli bekam ich förmlich den Auftrag nach meiner Tochter zu suchen. Aber ich hatte mit meinen Wagen die Peter-Salein-Straße noch nicht verlassen, als ich die von uns vermisste Sabrina aufgreifen konnte. Sie hatte doch fast drei Stunden bei Frau Rempel gesessen, die sich bei ihr ausgeweint hatte. Was mir meine Tochter dazu erzählte, brachte dann für mich doch noch mal eine Wende in diesem Fall. Von Frau Rempel wusste sie, dass Natalie Briefe an Sascha geschrieben hatte und dieser die auch in letzter Zeit auch beantwortet habe. Die Witwe wusste nicht was in diesen stand. Sie konnte sie bei ihren Deutschkenntnissen nicht lesen und hatte diese der Polizei übergeben. Also ganz unbegründet scheint der Zusammenhangsverdacht Scheule/Natalie nicht zu sein. Die Suche nach dem ausgebrochenen Strafgefangenen dürfte so auch der Grund gewesen sein, dass man unmittelbar nach der
Vermisstenanzeige nach dem erst eine Nacht vermissten Mädchen fahndete. Damals bei Astrid war man bei Weitem nicht so schnell. Das Sabrina Frau Rempel aufgesucht hatte, wunderte übrigens bei uns niemanden. Seit Saras Geburt hat sie förmlich einen Sozialtick entwickelt und im Zuge dessen hätten wir so etwas vorhersehen können. Diese Ader hatte sie eindeutig von Astrid, die man deshalb ja auch „Königin von Salein“ nannte, geerbt. Nur seit ihre Nichte auf der Welt ist scheint bei meiner Tochter dieser „Tick“ noch hochgradiger als bei ihrer Mutter ausgebrochen zu sein. Ich kann nicht sagen, dass ich dieses als Vater ungern gesehen hätte. Ich war sogar ein Bisschen stolz darauf. Was mich jedoch bedenklich stimmte, war dass zwischenzeitig für sie das männliche Geschlecht ausgestorben zu sein schien. Es wird mir doch hoffentlich keine alte Sozialjungfer werden. Bei allem Engagement darf man nie das eigene Leben vergessen. Wenn man das vergisst, wird man letztlich drollig und schrullig, was dann von bestimmten Leuten ohne Scham und Scheu ausgenutzt wird. Am Samstag, dem 13. Februar, also einen Tag darauf, bekamen wir dann gleich in zwei Punkten gründliche Aufklärung. Sabrina hatte am Morgen noch einmal Frau Rempel aufgesucht. Die Polizei hatte Natalies Briefe zurückgebracht und die Witwe hätte gerne gewusst, was darin stand. Sie hatte Sabrina gebeten, ihr diese langsam vorzulesen. Na, lassen wir es Sabrina gleich selbst erzählen: „Mensch Leute, dabei bin ich ganz schön ins Schwitzen gekommen. Was ich da für ein Zeug zusammen formulieren musste. Irgendwann im letzten Jahr muss Natalie ihrem Brief ein Aktbild beigelegt haben. So was kann man im Knast ganz gut gebrauchen, denn damit kann man handeln. Da hat Sascha offensichtlich weitere haben wollen und schickte jetzt die Anweisungen was und wie diese Bilder aufgenommen werden sollten: absolute Lolita-Pornografie. Na ja, dass konnte ich der armen Frau ja nicht vorlesen. Aber Liebesbriefe konnte ich da nicht raus machen, wer weiß zu was das geführt hätte. Da habe ich dann so eine Art Sozialbetreuung rausgemacht. Ich habe es so dargestellt, dass Sascha auf Briefe antwortete, in dem ihm Natalie geschrieben hätte, was hier so in der Gegend alles passiert ist und er, der doch so Wenig Kontakte habe, habe sich sehr darüber gefreut und sich dafür bedankt. Ein Glück, dass ich langsam lesen musste sonst hätte ich mich am laufenden Meter verhaspelt.“. Elli meinte etwas nachdenklich: „Die beiden müssen aber irgendwie anderweitigen Kontakt miteinander gehabt haben, denn der Briefverkehr der Häftlinge wird ja kontrolliert. Nun ist es kein großes Problem einen Brief raus zu schmuggeln. Friedhelm hat mir auch schon, als ich ihm besuchte, was in den Ärmel geschoben. Und da man mich nicht vorschriftsmäßig kontrollierte ... die Beamten schätzten mich wohl solide und vertrauenswürdig ein, kam ich auch an das, was er mir heimlich mitteilen wollte. Allerdings hätte er mir das auch offiziell schreiben können, denn es waren nur an mich gerichtete Liebesbriefe. Aber das Rein, scheint mir in Saschas Fall das Problem gewesen zu sein. Es handelte sich doch offensichtlich um Kinderpornografie und die kommen, wenn sie an die offizielle Adresse geschickt werden wohl nicht unbeanstandet an. Und dann ist ja da auch noch die Sache, dass jemand die Bilder aufgenommen haben muss. Irgendwas ist zwischen den Beiden gelaufen von dem wir nichts wissen. Also ich bin durchaus der Meinung, dass die Polizei mit der Zusammenhangsvermutung recht hat.“. Wie das mit den Briefen gelaufen ist haben wir nie erfahren aber das kein Zusammenhang zwischen Saschas Ausbruch und Natalies Verschwinden bestand wussten wir schon am gleichen Abend. Die Polizei rief an und teilte uns mit, dass sich Sascha, „völlig am Ende“, der Polizei gestellt habe. Aus der Lokalpresse erfuhren wir dazu am Montag, dass er zusammen mit einem Mithäftling einen zufälligen günstigen Moment zur Flucht „aus Freiheitsliebe“ genutzt habe. Zunächst haben sich die beiden durch einen Einbruch in das, in der Nähe der JVA liegende Haus, des Onkels des Mithäftlings, Geld und Kleidung verschafft. Danach hatte sich der Mithäftling von Sascha abgesetzt und ihn mit nur ein paar Mark in der Tasche seinem Schicksal überlassen. Nach nur 2 Tagen „Freiheit“ gab Scheule dann nicht weit von der JVA entfernt, auf. In der Gegend von Salein war Sascha zu diesem Zeitpunkt also nicht gewesen. Somit war, wie wir dachten, für uns praktisch der Fall erledigt. Die Angelegenheit Natalie Rempel tangierte uns, abgesehen von Anteilnahme und Sabrinas Engagement, ja eigentlich persönlich nicht. Deshalb glaubten wir unsererseits wieder zur harmonischen Normalität übergehen zu können. Die Familie Rossbach junior blieb zwar noch bis zum drauffolgenden Spätnachmittag bei uns, kehrte dann aber glücklich ins eigene Heim zurück. Und deshalb hatten wir Angst und haben uns Sorgen gemacht. Schreckliche Bilder waren wieder in uns hochgezogen und hatten uns anfänglich doch sehr gelähmt. Etwas erstaunlich fand ich es, wo Sabrina die Kraft hergenommen hatte, sich trotz eigener Lasten um die Witwe Rempel zu kümmern. Dieser Gedanke machte mich zugegebener Maßen sogar mehr als ein Wenig Stolz.
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Walter Salein unter bösen Verdacht Nun, ich habe ja schon mehrfach geschrieben, dass der Rosenmontag bei uns im protestantisch geprägten Romanisch Kreis ein Montag wie alle anderen im Jahr ist, an dem die Leute ihrem üblichen Alltag nachgehen. Das galt dann auch für uns dem Rossbach-Clan. Weshalb auch Oliver ins Amtshaus, Sabrina zur Wohnungsgenossenschaft nach Waldstadt und ich in mein eigenes Büro mussten, was wir auch machen. Nur für Elli, unserer Lehrerin, war das etwas anderes. Wenn sich die Angebote der elektronischen Medien, Rundfunk und Fernsehen, nur grob oberflächlich unterscheiden, da sie an diesem Tag alle auf Wumtata und Pappnasen eingestellt sind, kann man der Jugend keinen Vorwurf daraus machen, dass sie daran nicht vorbeikommen und scheinbar mitgerissen werden. Später, auf ihren Ausbildungs- oder Arbeitsstätten kriegen sie in dieser karnevalsfreien Gegend kaum was davon ab und dann sieht die Welt schon anders aus. In Zeiten, wo Kneipen auch hier in der Gegend noch höher in Kurs standen, sah das noch ein klein Wenig anders aus. Da war auch in den meisten Betrieben und Geschäften des Mittags Schicht und man zog zum großen Besäufnis in die Alkoholverabreichungsanstalten. Aber heute ist Rosenmontag hier nur noch für Schüler von Bedeutung, da gibt es einen von drei Verfügungstagen; die beiden anderen fallen meist auf die sogenannten Brückentage nach Himmelfahrt und Fronleichnam. Wenn keine Schüler zur Schule müssen, brauchen auch die Lehrer nicht antreten. Und so war es ausgerechnet Elli, die eingefleischte Protestantin, die paradoxer Weise von katholisch-rheinischen Brauchtumstagen profitieren konnte. Sie nutzte diesen freien Vormittag um diesen zusammen mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin in deren Zuhause zu verbringen. So passierte es dann auch, dass eine vollkommen aufgelöste und verstörte Herta Salein gegen 10 Uhr bei uns Daheim vor der Tür stand und ihr niemand öffnete. Es muss ein paar Minuten gedauert haben bis bei ihr der Groschen fiel und sie beschloss mich im Büro aufzusuchen. In ihrer geistigen Verfassung parkte sie ihren Wagen nach Gehör aus. Sie ist erst rückwärts gegen den hinter ihr parkenden Wagen und dann beim Ausfahren noch mit dem rechten Kotflügel gegen das linke Heck des Vorderfahrzeuges gefahren. Dieses Ausfahren deutet ganz auf Fahrerflucht hin. Ja, ja, die hätte sie in ihrer Verfassung vielleicht auch begangen, wenn nicht der Besitzer des Vorderfahrzeuges gerade auf dem Wege zu seinem Fahrzeug gewesen wäre und ihr im Wege gestanden hätte. Hertas Gehirn war so von einer anderen Sache, auf die wir gleich kommen, besessen, dass da wohl kein Platz für eine böse Absicht mehr war. Herta war gleich einsichtig und wollte sich gleich schriftlich zur Schadensregulierung bereit erklären. Der andere Geschädigte, also der Besitzer des hinteren Wagens, hatte den Vorteil auch vom Fenster aus beobachtet und war sofort da. Also wenn Herta später hätte was drehen wollen, dürfte sie mit Sicherheit schlechte Karten gehabt haben. Jetzt muss man sagen, dass den beiden anderen Unfallbeteiligten Herta von Person und als vermögend bekannt war; schließlich trägt die Straße ja auch noch den Namen des Großvaters ihres Mannes und überhaupt ist der gesamte Ortsteil ja nach der Familie, in die sie, wie ich, eingeheiratet hatte, benannt. Da müsste man sagen, dass das alles den Geschädigten zur Absicherung ihrer Ansprüche gereicht hätte. Aber nein, die ließen sich nicht davon abbringen noch die Straßensheriffs herzubeordern. Warum eigentlich? Die polizeiliche Unfallaufnahme dient bei Bagatellschäden ja nur der Absicherung der Ansprüche der Geschädigten und kann von beliebigen anderen Leuten auch gemacht werden. Aber was soll es, als die Polizei da war, dachte im Moment niemand der Beteiligten an den Versuch einer Unfallflucht und so kam für Herta zur Schadensregulierung nur noch eine Ordnungswidrigkeitsstrafe, ein Verwarngeld. Schlimmer wog für Herta der Zeitverlust. Das Informieren der Polizei, deren Anfahrt und das übliche Palaver am Unfallort nahm fast eine Stunde in Anspruch. Inzwischen war es 11 Uhr und auch Elli, weil sie für uns beiden ein Mittagessen zubereiten wollte, heimgekehrt. So musste sich Herta dann gar nicht erst zu mir ins Büro begeben. Was allerdings in ihrem Zustand auch nicht als falsch zu bezeichnen war. Was Herta los zu werden hatte, sorgte dann dafür, dass aus dem ursprünglich geplanten Mittagessen nichts wurde. Erst hatte Elli erhebliche Mühe Herta zu stabilisieren, damit ihr überhaupt klar wurde, was diese von ihr wollte. Und als dieses nun gelungen war, musste sie etwas vernehmen was sie in aktueller Hinsicht erschütterte und darüber hinaus bei ihr schreckliche Erinnerungen weckte. Das Ganze traf dann auch Elli so hart, dass auch sie vollkommen erschüttert bei mir anrief. So gegen Zwanzig vor Zwölf kam dann ihr Anruf bei mir im Büro an, ich möchte doch eine Viertelstunde früher schließen und sofort nach Hause kommen. Als das dann gegen Mittag geschehen war, haute es mich doch auch glatt um. Wie bei Elli wurde bei mir an einer bösen, empfindlichen Stelle in mein Erinnerungsspeicher gestochen. Was war geschehen? Letzten Samstag stand ein Bericht über das Verschwinden von Natalie Rempel in der Lokalzeitung. Die Leute, die sie am Tage ihres Verschwindens – Altweiberfastnacht – gesehen hatten sowie diejenigen, die sie danach noch gesehen hatten, sollten sich bei der Polizei melden. Neben einem Bild des Mädchens war auch eine genaue Beschreibung sowohl der Person wie der Kleidung, die sie anhatte, veröffentlicht. Offensichtlich dachte man da noch, dass man über sie an Sascha Scheule und insbesondere seinen mitgeflohenen gefährlichen Kumpanen herankommen könne. Darauf haben sich eine ganze Menge Leute gemeldet. Die meisten Zeugen machten Angaben zum Donnerstagabend. Da war Natalie in der letzten im Raume Salein verbliebenen Kneipe. Die Stimmung war an dem Abend hinsichtlich des Karnevalstages ein klein Wenig ausgelassener wie üblich und es waren dort auch eine handvoll mehr Leute, meist weiblichen Geschlechtes, wie an durchschnittlichen Donnerstagabenden anwesend. Aber im Großen und Ganzen waren in der Gaststätte die gleichen Leute wie jeden Donnerstag. Und das sind unter anderem ein paar männliche Mitglieder des Kirchenchores Olvermühle, die regelmäßig nach der Chorprobe dort noch zwei oder drei
Bierchen verzehren, bevor sie sich nach Haus begeben. Zu dieser Gruppe gehört auch Walter Salein. Was jetzt schlimm war, ist dass, nachdem Walter gegangen war, auch Natalie nicht mehr gesehen wurde. Jetzt gab es aber noch fünf Zeugen, die Natalie auch noch am Freitag gesehen haben wollen. Diese fünf Zeugen hatten ihre Beobachtungen unabhängig voneinander gemacht und auch später ohne voneinander zu wissen gemeldet. Also Absprachen und Verabredungen sind so gut wie ausgeschlossen. Diese Zeugen sagten aus, dass sie Natalie am Freitagmorgen auf dem Hof von Horst Schulte-Vollerde in Vollerde gesehen hätten. Sie habe sich dort in Begleitung von Walter Salein befunden. Gleich am frühen Montagmorgen war die Polizei bei Walter auf dem Hof und dieser gab auf Befragung zu sowohl am Donnerstagabend in der Kneipe wie den ganzen Freitagmorgen auf dem Schulte-VollerdeHof gewesen zu sein. Aber das Mädchen will er nicht einmal bemerkt haben. Das war es, was uns alle umhaute. Ausgerechnet dort, wohin Astrid, nach dem sie ermordet worden war, verbracht wurde und wo ihr Leichnam verbrannt werden sollte, hätte sich, wenn die Aussagen und Verdächte zutreffen, das neuere Verbrechen abgespielt. Und dann wäre möglicher Weise ausgerechnet der Bruder der damaligen Ermordeten der Täter. Das ist doch eine recht perverse Vorstellung. Jetzt hatten wir ja unsere Erfahrungen. Einerseits hatte sich in allen bisherigen Fällen nie der erste, augenscheinlich auf der Hand liegende Verdacht bestätigt. Darauf hofften wir jetzt natürlich auch inständig. Andererseits hatten wir gelernt, dass an den Annahmen, dass eine bestimmte Person zu bestimmten Sachen nicht fähig sei, überhaupt nichts dran ist. Inzwischen wussten wir, dass alle Menschen vom Penner bis zum Papst zu allem befähigt sind. Kein Mensch ist gleich dem anderen, alle sind wir anders und sehr wertvoll. Aber alle sind wir zu Allem fähig und keiner ist wertvoller als der andere. Ich konnte mir nicht vorstellen, was Walter an einer so jungen Göre, an der ja praktisch noch nichts dran ist, gefunden haben könnte. Aber ich brauchte mir nur an die eigene Nase zu fassen. Was war denn damals am 2. November 1997 bei der „Überführung“ von Tanja und Oliver? Hatte nicht damals Tanja bei mir, der ich bis dato glaubte, dass mich nur reife Frauen ab etwa 30 Jahren „anrühren“ könnten, etwas ausgelöst – auch wenn ich es damals voll beherrscht habe. Und von wegen Mord; hatte ich das Friedhelm Rebmann oder Sascha Scheule, da ist es zum Glück beim gescheiterten Versuch geblieben, zugetraut. Aus diesen Erfahrungen heraus würde ich heute von mir selbst nicht mehr behaupten, dass ich keines Mordes fähig wäre. Jetzt wäre es schön gewesen, wenn uns Herta hätte etwas sagen können, das unsere Hoffnung darauf, dass Walter es nicht gewesen sein könnte, genährt hätte. Aber Herta konnte das nicht; eher das Gegenteil. Am Donnerstag hatte sie, wie damals Elli auch, im Bett gelegen und geschlafen. So kann sie nicht sagen, wann Walter nach Hause gekommen ist. Walter konnte keine Angaben darüber machen ob ihm zwischen Kneipe und Hof jemand begegnet sei oder ob ihn jemand gesehen hat. Er hat da kein Alibi, so dass er theoretisch vor seiner Heimkehr auch das Mädchen nach Vollerde gebracht haben kann. Dann war sein Aufenthalt in Vollerde nicht geplant sondern hatte sich augenscheinlich oder vorgeblich spontan ergeben. Horst Schulte-Vollerde saß zur Zeit auch in Haft, denn auch gefundene Leichen darf man nicht einfach straflos verbrennen. Nach Verbüßung seiner Strafe wollte der alkoholkranke Mann nicht mehr auf seinen Hof antreten und Walter hatte, wie schon bei Saras Taufbesprechung angekündigt, die feste Absicht diesen Hof zu übernehmen. Ausgerechnet am Freitag war er auf den Gedanken gekommen, dort mal nach dem Rechten zu sehen. Dieses musste natürlich sinnvoller Weise vor Frühlingsanbruch aber nicht unbedingt an diesem Morgen geschehen. Und was jetzt noch alles verdächtiger machte war, dass ihm diese Maßnahme angeblich über Nacht eingefallen sei, wie er gleich nach dem Guten Morgen zu Herta gesagt hatte. Ich schrieb ja, dass Elli durch diese Umstände nicht zur geplanten Mittagsessenszubereitung kam. Es wäre auch nicht nötig gewesen, da ich absolut keinen Appetit verspürte. Wo ich Hunger drauf hatte war auf ein Wenig Beruhigung meines Gemütes. Aber da kam nichts; stattdessen musste ich dieses Herta und auch Elli angedeihen lassen. Bis zu dem Zeitpunkt, wo Herta kurz nach Zwei ging, war mir beim besten Willen in der Richtung nur wenig gelungen. Herta ging fast im gleichen Zustand wie sie gekommen war. Als sie nach Hause kam, war Walter, den die Polizei am Morgen mitgenommen hatte, wieder da. Das, was man gegen ihn vorzutragen hatte, reichte nicht um ihn vorläufig festzunehmen. Was heißt schon, dass er zur gleichen Zeit wie das verschwundene Mädchen in der gleichen Kneipe war, wen niemand bezeugen kann, ob die Beiden überhaupt miteinander Kontakt hatten. Genau so vage die Geschichte vom nächsten Morgen: Nur drei von den fünf Zeugen konnten mit Bestimmtheit sagen, dass es sich um Walter handelte – allerdings hatte er ja selbst zugegeben auf dem Hof von Schulte-Vollerde gewesen zu sein. Was das Mädchen anbelangte konnten alle nur sagen, dass sie von Weitem der Beschreibung von Natalie entsprach. Ob sie es wirklich war, konnte keiner sagen und Walter war eisern dabei geblieben dort alleine gewesen zu sein. Allerdings muss die Stimmung auf dem Hof Salein fürchterlich gewesen sein. Herta hat sich später nie so richtig darüber ausgelassen aber aus, teils unabsichtlichen, Äußerungen und Randbemerkungen kann man schließen, dass es höllisch war. Ich weiß nur, dass es zwischen den beiden tatsächlich noch zu einem vielleicht sogar handfesten Ehekrach kam, aufgrund dessen die Polizei, die Herta gerufen hatte, Walter noch einmal mitnahm, ihn aber zwei Stunden darauf aus fast gleichen Gründen wie am Morgen wieder laufen ließ. Herta hatte gegenüber der Polizei angegeben von Walter bedroht worden zu sein und der beteuerte er hätte ihr nichts antun wollen. Und bei der offensichtlichen psychischen Verfassung von Herta, so wie sie sich gegenüber der Polizei gab, konnte man annehmen, dass sie die Situation lediglich überwertete. Das reicht in einem Rechtsstaat natürlich nicht jemanden das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und Aufenthaltsortsbestimmung zu beschneiden. Das ist natürlich eine heikle Sache: Wenn dann doch noch etwas passiert
wäre, hätte natürlich die Presse und die Öffentlichkeit geschrieen, dass dieses, wenn man Walter festgenommen hätte, vermieden worden wäre und die Polizei habe mal wieder fürchterlich versagt. Wollte man aber im Hinblick auf solche Sachen laufend in Grundrechte eingreifen, könnte man bald „Demokratie ade“ sagen. Dann ist es möglich, jeden aufgrund von, sogar nur behaupteten Mutmaßungen vorläufig aus den Verkehr zu ziehen und ihn dadurch zu disziplinieren und mundtot zu machen. Der Streit zwischen den Beiden hatte übrigens seine Ursache darin, dass Walter bei seiner Frau Vertrauen einklagte und Herta nicht in der Lage war dieses weder in der einen noch anderen Richtung zu erbringen. Sowohl Herta wie auch wir waren nun Opfer unserer Erfahrungen. Wäre alles andere nicht passiert, hätten wir – und daran habe ich keine Zweifel – mit Überzeugung behauptet, dass Walter sich doch niemals an einer minderjährigen vergeht, dafür ist er doch kein Typ. Dann würden wir sagen, dass das Ganze ein Irrtum sei, der sich bestimmt in Kürze aufklären würde. So hatten Elli und Tanja damals bei Friedhelm noch gedacht als er bereits gestanden hatte und es an seinem Geständnis keinen Zweifel mehr gab. Aber jetzt hatten wir unsere bitteren Erfahrungen, die alles möglich erscheinen ließen. Und das war es, was es uns so schwer machte. Bei Elli und mir glätteten sich, nachdem Herta gegangen war, ein Wenig die Wogen. Von Viertelstunde zu Viertelstunde gewannen wir mehr persönliche Distanz. Diesmal waren wir ja gar nicht direkt betroffen. Wir waren die Familie Rossbach, auch wenn Elli noch offiziell Rebmann hieß. Betroffen war die Familie Salein, aus der meine ermordete Frau Astrid kam. Dadurch entstand atmosphärisch doch so etwas wie Normalität mit einem Schlag anteilnehmender Betroffenheit. Es handelte sich um Walter und Herta und nicht um Dieter und Elli. Das fiel mir dann auch auf und ich erschrak ein Wenig. Im Falle eines Falles müssten wir nur die Verbindungen zu denen kappen und uns von diesen distanzieren, dann wären wir ganz raus. Genau das war es, was unsere liebe Verwandtschaft damals bei uns machte. Just, in dem Moment, wo wir uns nahestehende Menschen brauchten, zogen sie sich zurück und wiesen uns ab. Das war sowohl auf der Täter- wie auf der Opferseite so. Auf Ellis Seite war es nur das Pfarrerspaar Kühn und auf meiner eben diese Saleins, aber das Opfer war ja auch Walters Schwester, die noch zu uns standen. An diesem Nachmittag wollte ich es Ellis und meiner Selbstfindung halber nicht ansprechen aber irgendwo keimte in mir der Vorsatz, dass ich jetzt nicht den Fehler, den andere an uns begangen haben, an mein Schwagerpaar wiederholen wollte. Ich wollte nicht wie die Anderen damals sagen, dass ich zwar mit denen verwandt sei aber ansonsten nichts mit denen zutun hätte. Auch an diesem Tag wollte Sabrina, bevor sie nach Hause kam, erst mal bei der Witwe Rempel vorbeischauen. Nach unseren Schätzungen dürfte dann mit ihr eher um Acht wie um Sechs zurechnen sein. Aber schon kurz nach Fünf schloss sie die Haustür auf, kam mit einem kurzen „N’abend“ an der Wohnzimmertür vorbei und begab sich gleich auf die Treppe um nach Oben, auf ihr Zimmer zu gehen. Da weder Elli und noch ich einen solchen Ablauf bei meiner Tochter kannten, kam von uns wie aus einem Mund: „Sabrina, ist was?“. Darauf kam nur ein prütteliges „Leckt mich doch am Arsch“ und schon knallte ihre Zimmertür. Nachdem wir uns verdutzt angesehen hatten, meinte Elli, dass sie sich mal darum kümmern wolle und ging hinauf. Als sie nach dem Anklopfen Sabrinas Zimmertür öffnete schallte ihr böse „Raus du Mörderfrau“ entgegen. Das hatte natürlich Elli schwer getroffen. Sie kam weinend wieder herunter, setzte sich auf meinen Schoss, umarmte meinen Hals und weinte sich auf meinen Schultern aus. Während ich Elli über die Haare strich sagte ich: „Mein Gott, dass mit ihrem Onkel, dem Bruder ihrer Mutter, hat Sabrina bestimmt sehr schwer getroffen. Im Moment bringt es nicht viel aber gleich gehe ich zu ihr und sehe mal zu, dass ich sie wieder beruhige.“. Das brauchte ich dann nicht. Elli saß noch auf meinem Schoss als Sabrina nach schüchternen Anklopfen leise schleichend ins Wohnzimmer kam. Mit hängenden Kopf sagte sie sehr betrübt klingend: „Entschuldigung, ich habe das nicht so gemeint aber die Rempelsche hat mich fertig gemacht.“. Jetzt kam sie auf uns zu, umarmte uns beide und begann ebenfalls zu weinen. Als sich die Damen nach einer Weile von mir gelöst hatten, nahm Elli ihre Stieftochter noch einmal in den Arm und sagte: „Ach Mädchen, ich kann dich ja verstehen aber was du gesagt hast, verletzt mich sehr und tut sehr, sehr weh. Bitte sage das nie mehr. ... Aber jetzt ist es gut. Setz dich erst einmal. Was möchtest du Kaffee, Tee oder einen Kakao ... ich mach das, was du wünscht, jetzt für uns alle.“. Sie entschied sich für Tee, was selbst bei mir, einem richtigen Kaffeeonkel, in diesem Moment auf Zustimmung stieß. Ich glaube, dass der Kaffee uns doch etwas arg aufgeputscht hätte. Als Elli in die Küche zur Zubereitung ging berichte mir Sabrina was gelaufen war. Sie hatte wohl schon aus Klatschmäulern erfahren, man habe ihren Onkel wegen Sexualmordes an Natalie Rempel verhaftet. Natürlich, in der sensationsgeilen Haudruf-Öffentlichkeit war inzwischen der Fall aufgeklärt und das Urteil bereits gefallen. Den realen Stand, so wie wir den kannten, erfuhr Sabrina erst nach ihrem Bericht von uns. Da hatte sie schon überlegt ob es richtig wäre, zu der Witwe zugehen. Sie war aber der Meinung: „Ich bin Sabrina Rossbach und nicht Walter Salein. Vielleicht brauch die arme Frau, die ja sonst niemand hat, gerade jetzt jemand mit dem sie sprechen kann. Ich gehe hin obwohl mir das wegen meines Onkels auch schwer fällt.“. Also ging sie hin und bekam eine furchtbare Abfuhr. Frau Rempel beschuldigte sie in hysterischer Weise von Anfang an von dem Verbrechen gewusst zu haben und die Polizei als Komplizin ihres Onkels auf die falsche Spur locken zu wollen. Die aufgebrachte Witwe hatte Sabrina dann kaltes Abwaschwasser ins Gesicht geschüttet, worauf unsere Tochter dann geflüchtet ist.
Plötzlich rastete Sabrina vollkommen aus: „Dieses verdammte Russenpack, das vor 300 Jahren mal einen deutschen Schäferhund hatte aber zu blöd ist Deutsch zu sprechen und anstelle dessen ein aus lauter harten R’s bestehendes Hunnenkauderwelsch quaken, sollte man in ein Container packen und nach Sibirien, wo sie hingehören, schicken. Die Jungens gehören alle zur Russenmafia. Sie machen alle einen saublöden und gewalttätigen Eindruck und die Mädchen, auch diese Natalie, sind alles kleine Nutchen.“. Jetzt hatte sie alle böse Vorurteile, wie sie bei uns in gewissen Bevölkerungskreisen herrschen, wo sie sogar mit den gleichen Worten kursieren, auf den Tisch gebracht. Da musste ich doch was sagen: „Sabrina, sei doch fair. Du kennst doch diese Leute, so wie sie bei uns wohnen, besser. Du weißt doch, dass die Älteren fleißige, nette und umgängliche Leute sind. Warum werfen wir Deutschrussen und auslandsstämmigen Mitbürgern die Fehler vor, die wir, die wir immer hier waren, an ihnen begangen haben. Wer hat die denn in Ghettos, einmal Wohnungsbestand den ‚Deutsche’ nicht mehr haben oder in den sie nicht mehr investieren wollten, sowie in supergeförderten Wohnblocks, wie unsere Russenburg ... da muss ich mir selbst an die Nase packen, zusammen. Wo sie sich nur mit ihres Gleichen und in ihrer angestammten Sprache unterhalten können. Wenn du in einem fremden Land bist und dich einer deutschsprachigen Gruppe anschließen könntest, unternimmst du auch keine Anstrengungen, dich in der Landessprache zu artikulieren. Aber der Schlüssel zum gesellschaftlichen Leben ist die Kommunikation, die Sprache. Wo bieten wir ihnen denn vor allen Dingen intensive Sprachkurse an bevor wir sie, weil es preisgünstiger ist und die öffentlichen Kassen leer sind, in unser Schulsystem nötigen. Die können ja den Lehrinhalten nicht folgen. Daraus können sich ja nur Perspektivlosigkeit, mit teilweisen Erscheinungsbildern, wie du sie da von dir gab’s, ergeben. Die Vorurteile, die wir gegen Ausländer und Deutschrussen von uns geben, sind ein Schandurteil für den deutschen, zum Nachdenken unwilligen Mob und der deutschen wahlstimmenheischenden Politpostenjäger“. Betroffen sagte jetzt Sabrina: „Entschuldigt noch mal. Aber ich bin fix und fertig. Ich kann nicht mehr so richtig. Und immer wenn so etwas passiert sehe ich plötzlich meine Mama vor mir. Warum kann ich meine Mama nicht mehr haben.“. Und wieder kullerten Tränen – und das nicht nur bei Sabrina. Meine Tochter war ganz offensichtlich wieder in den depressiven Zustand, wie er bei ihr auch vor genau einem Jahr vorlag, zurückgefallen. Das Hoch, dass bei ihr nach Saras Geburt aufzog, ist vom Firmament verschwunden. Diesen Zustand, diese Stimmung, konnten wir auch nicht so schnell vertreiben. Sie wirkte wieder mürrisch, lust- und teilnahmslos. Jetzt hatte ich den Eindruck als sei Sabrina die Einzigste unter uns, die bis zu diesem Tag fast noch nichts verkraftet hatte. Lag das etwa daran, dass auch sie allein es war, die augenscheinlich noch nicht ihre Bestimmung an der Seite eines anderen gefunden hatte. Oliver und Tanja waren so wie Elli und ich zusammengeführt worden. Und wen hatte Sabrina? Dieses brachte mich an diesem Abend noch dazu über die Prädestination, die Vorbestimmung, zu sinnieren. Alle Ereignisse waren in Folge des ersten, des Mordes an Astrid entstanden. Hätte Friedhelm Rebmann nicht Astrid getötet, wäre Elli, ohne die ich mir heute das Leben nicht mehr vorstellen kann, nicht an meiner Seite. Tanja und Oliver, die ja schon vorher ein Auge aufeinander geworfen hatten, wären vielleicht, oder vielleicht auch nicht, so oder so zusammen. Aber dazwischen wäre kein Sascha, der Oliver das Knie durchschoss, gewesen. Da wäre Oliver vielleicht bei der Bundeswehr in einer Offizierslaufbahn gewesen. Was mich vielleicht nicht einmal so wie heute bewegt hätte, weil mein, von Elli richtig erweckter Glaube noch nicht so groß gewesen wäre. Ohne Saschas Tat und seinem Ausbruchversuch wäre, selbst wenn Natalie wirklich verschwunden wäre, so schnell davon noch nichts publik geworden. Es hätte uns persönlich so gut wie kaum angeregt, da es sich ja um einen Fall wie man ihn täglich in der Zeitung, in der Regel sogar nur in kleinen einspaltigen Notizen, ließt. Ohne den Fall „Astrid Rossbach“ säße der alkoholkranke Horst Schulte-Vollerde noch auf „seiner Scholle“ und Walter Salein wäre nicht dort in den Verdacht geraten. Er wäre nicht einmal mit Natalie in der Kneipe zusammengetroffen, denn er wäre dann möglicher Weise, wie vor dem Mord an seiner Schwester üblich, gemeinsam mit Astrid von der Chorprobe heimgekehrt. Irgendwie schien mir, dass verschiedene Dinge gar nicht passieren könnten, wenn nicht andere vorausgehen. Verheißungen können sich nie erfüllen wenn nicht vor alles das geschieht, was die Zeit reif für die Erfüllung macht. Damit wir irgendwann mal der Verheißung teilhaftig werden können, muss Gott alles im Detail vorbestimmen. Alles heißt alles, gleichgültig ob es uns gut oder böse erscheint. Damit er Elli und mich, zu welchen Zweck auch immer, zusammenfügen konnte, musste Astrid durch Friedhelms Hand sterben, sonst wären wir nicht frei füreinander gewesen. Ohne Astrid und Friedhelm wären wir uns vielleicht nie begegnet. Elli wäre vielleicht irgendwo in Deutschland Pastorin tätig und ich wäre im Waldstädter Rathaus beamtokratisch emsig am „verwalten“. Damit Vorbestimmungen zutreffen müssen Menschen leiden. Und da Gott letztlich alles zum Guten wendet, müssten wir dieses Leiden eigentlich als Bestandteil seiner Gnade und Liebe demütig und mit Geduld tragen. Letztlich hat er alles zum Guten, zu unserem Heil, bestimmt. So gesehen war Sabrina die Einzigste, die noch nicht ihre Bestimmung gefunden hatte und deshalb konnte unsere Geschichte noch nicht mit Saras Geburt happyenden. An jenem Rosenmontag 1999 war mir erstmalig klar, dass noch einiges geschehen müsste und würde.
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Am Aschermittwoch ist tatsächlich alles vorbei Einer der bekanntesten alten Karnevalsschlager heißt „Am Aschermittwoch ist alles vorbei.“. Weiter heißt es, dass dann die Schwüre von Treue zerbrechen würden. Das klingt doch sehr nach Vorsatz und dann frage ich mich warum man überhaupt schwört. Na, lassen wir es, das ist jetzt nicht unser Thema. Uns geht es um die Geschehnisse in und um Salein. Es geht um die nun wieder am Boden zerstörte Sabrina, um den unter bösen Verdacht stehenden Walter Salein und seiner völlig aufgelösten Herta sowie um das verschwundene Mädchen Natalie Rempel. Nachdem am Tage zuvor auf dem Hof Salein wie, durch Sabrina bedingt, bei uns eine Art „Weltuntergangsstimmung“ herrschte, hofften wir nun darauf, dass nun am Aschermittwoch tatsächlich alles vorbei sein würde. Der Tag fing ja diesbezüglich gut an. In Waldstadt meldete sich auf der Polizeiwache eine Bürgerin der Stadt Köln. Ursprünglich stammte sie aus Niebühl in Schleswig-Holstein. Also von dort, wo sich die letzte Bahnstation vor dem Damm auf dem Wege nach Westerland/Sylt befindet. Auf Anhieb kann man sagen, dass es sich bei ihrer Urheimat ebenfalls um keine närrische Hochburg handelt. Diese Dame hatte einstmals in Köln studiert und letztlich hatte sie dann die Liebe am Rhein gehalten. Sie hatte dort ihren Mann kennen und lieben gelernt, geheiratet und ist so als „imitierte Kölsch“ einfach dort geblieben. Ihr Mann, ein echter „Kölscher Jung“, war zu „Fasteloven“ natürlich nicht an der Kette zu halten. Ihr, der dieser Trubel in den ersten Ehejahren neu war, hat anfänglich mit Begeisterung mitgezogen. Aber niemand kann über seinen Schatten springen und so kam bei ihr später immer mehr der Wunsch nach Karnevalsabstinenz auf. So hatte sie seit ein paar Jahren die Gepflogenheit, dass sie von Mittwoch vor Karneval bis Aschermittwoch sich von ihrem Mann vorrübergehend trennte und den rheinischen Gefilden entfloh. Zunächst zog es sie in ihre Heimat im hohen Norden. Seit etwa 3 Jahren bevorzugte sie in solchen Wochen aber eine etwas bergige Gegend wo sie dann nach Herzenslust zu wandern gedachte. Im Jahre 1999 hatte es sie also in eine Weinberger Pension verschlagen und sie hatte, obwohl das Wetter nicht so astrein war, ihr Hobby „Wandern statt Karneval“ gefrönt. Auch an dem Freitag nach Altweiberfastnacht hatte sie sich schon um Acht wohlgemut auf den Weg gemacht. Sie hatte sich mit wetterfester Bekleidung aus dem letzten Winter-Schluss-Verkauf bekleidete. Dabei muss es sich wohl um eine Art Massenware gehandelt haben, denn Natalie Rempel war zum Zeitpunkt ihres Verschwindens zufällig mit der gleichen oder zumindest gleichaussehenden Bekleidung ausstaffiert. Das Mädchen und die Frau hätten beliebig ihre Kleidung tauschen können. Die Wahlkölnerin war etwa gleich groß wie Natalie und auch sehr schlank. Der einzigste Unterschied zwischen dem Mädchen und der Frau war das Alter; Natalie war 15 und die Dame 40. Aber den Unterschied sieht man aus größerer Entfernung natürlich nicht. Man ahnt schon, worauf das Ganze hinaus läuft. Die Dame war es, die mit Walter auf dem Hof Schulte-Vollerde gesehen wurde. Sie hatte sich bei ihrem Morgenspaziergang ein Wenig verlaufen und hatte sich bei dem Bauern, also bei Walter, nach dem Weg zurück nach Weinberg erkundigt. Walter hat bei den ganzen Aufregungen diese, für ihn jedoch sehr wichtige, Kleinigkeit glatt vergessen. Aber was hätte es ihm genutzt, so lange man nicht wusste wer die Frau, die zu ihrer Aussage extra in besagter Bekleidung erschien, war. Man hätte ihm wahrscheinlich dieses als Schutzbehauptung unterstellt und der Verdacht wäre wahrscheinlich geblieben. Man hatte sie Walter, der auch rein zufällig zu dem Zeitpunkt, an dem sie erschienen war, geladen war, gegenübergestellt und sie hat klar bekundet, dass es der Bauer war, der ihr am Freitag die Auskunft gegeben hatte. Sie konnte sich nicht eher melden, da sie von der Geschichte erst am Vorabend in ihrer Pension erfahren hatte. Vor ihrer Abreise wollte sie das aber auf jeden Fall klarstellen. Walter hatte also überhaupt nichts mit Natalie zu schaffen und war damit aus der Sache raus. Darüber war er so glücklich, dass er die Dame anschließend noch ins Café einlud; was sogar die sonst so eifersüchtige Herta gut fand und befürwortete. Daher kenne ich also die Details, die man bei solchen Fällen üblicherweise so nicht erfährt, denn die Dame hatte bei dieser Gelegenheit Walter etwas über ihr Verhältnis zum Karneval und ihrer Flucht davor erzählt. Walter hatte so mit seiner Entlastungszeugin noch ein Weilchen in entspannter Atmosphäre zusammengesessen. Von einer solchen Entspannung konnte man bei ihm zuhause im nächsten Zeitraum jedoch noch nicht reden. Es fiel Walter schwer zu verkraften, dass Herta ihm so wenig Vertrauen entgegen gebracht hatte. Aber wer konnte es ihr verdenken. Sie hatte doch die Geschichte mit dem, früher von allen Seiten so vertrauenswürdig und als integer eingeschätzten, Friedhelm Rebmann aus nächster Nähe miterlebt. Friedhelms ehemalige Frau befand sich jetzt an der Seite ihres Schwagers, also sie war jetzt meine Partnerin. Von Elli wusste sie ja, dass sie - also Elli - zu keinem Zeitpunkt, bis ihr dann doch zu guter Letzt nichts anderes übrig blieb, einen Grund gesehen hatte ihrem Mann zu misstrauen. Bei einem solchen Hintergrund weiß man dann natürlich nicht mehr so genau was Sache ist. Wir, einschließlich Herta, wussten ja jetzt, wie ich schon wiederholt geschrieben habe, dass Alle für Alles in Frage kommen. Na ja, Walter sah das im Grunde auch ein. Er gestand auch, dass er selbst, wenn Herta unter einen Verdacht geraten wäre, sich umgekehrt wahrscheinlich genau so wie seine Frau verhalten hätte – nur verdauen lässt sich so etwas schwer. Allerdings hatte die Sache nachträglich doch noch was Gutes: Herta und Walter wuchsen im Zuge des familiären Regenerationsprozesses doch noch sehr eng zusammen, enger als je zuvor. Für uns, insbesondere für Herta und Walter, war damit der Fall Natalie Rempel in Hinsicht auf unsere persönliche Einbeziehung abgeschlossen. Wäre nicht die Entlastungszeugin erschienen, hätte der Fall nur ein paar Stunden später
ohnehin abgeschlossen werden können, denn die Polizei in Mainz hatte eine alkoholisierte Jugendliche, die sich zu protestuieren versuchte aufgegriffen und diese war, wie man unschwer erraten kann, Natalie Rempel. Eine Lebende kann unser guter Walter also nicht umgebracht haben. Allerdings konnte die Polizei, die bei solchen Sachen ja als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft tätig ist, nicht gleich die Akten schließen, denn es galt auch noch gegen drei ehrenwerte Olvermühler Bürger zu ermitteln. Aber ich glaube, es ist jetzt erst mal besser, wenn ich alles mal der Reihe nach erzähle. Der erste Bürger, gegen den es zu ermitteln galt, war der Wirt, in dessen Kneipe am Abend der Altweiberfastnacht die Geschichte begann. Er gehört zu den vielen Zeitgenossen für die Gesetze halt Gesetze sind, für dessen Inhalte man sich wohl nicht zu kümmern brauch. In diesem Zusammenhang ist sein Verhältnis zum „Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit“ von Bedeutung. Richtig, er schenkte aus, was bestellt wurde und störte sich nicht an das Alter der Bestellerinnen und Besteller. Er konnte sich auch schlecht damit rausreden, dass er die „Damen und Herren Jugendliche“ älter eingeschätzt habe, denn schließlich ist die Gemeinde Olvermühle nur ein größeres Dorf, wo jeder jeden kennt. Und wenn wir mal ehrlich sind, müssen wir schon sagen, das man den Jugendlichen, auch wenn sie sich rausputzen, ihr wahres Alter ansieht. Dieses trifft meines Erachtens auf Natalie Rempel, die an diesem Abend zu der Alkoholvernichtungstruppe gehörte, so gar im starken Maße zu. Sie hatte zwar Busen aber die weibliche Rundungen ausmachenden Pölsterchen befanden sich doch noch in der Entwicklung, so dass sie eher wie eine knochige Kindergestalt als wie eine Frau wirkte. Ich persönlich hätte sie eher jünger als wirklich 15 geschätzt. Das Mädchen hatte an diesem Abend ein spezielles Thema aufgelegt: Am nächsten Abend stand eine Fernsehübertragung vom Mainzer Karneval auf dem Programm von ARD oder ZDF; ich Karnevalsmuffel und ansonsten auch Wenigglotzer kann mich daran nicht so genau erinnern. An dieser „tollen“ Sache hätte sie liebend gern einmal live teilgenommen. Überhaupt war ihr mal nach tollen Tagen in einer Hochburg. Jetzt kommt die verwerfliche Tat des Wirtes, die nach allgemeiner Auffassung deutlich schwerer wiegt als der Ausschank von Alkoholika an die Bübchen und ihren Mädels. Er bat Natalie in die zur Kneipe gehörenden Küche. Das Mädchen sagt, dass er ihr dort in die Wäsche gegangen sei, was er aber eindeutig bestreitet. Entscheidender ist allerdings das was er ihr angeboten hat. Er sagte ihr, dass er ein Pärchen kenne, dass für eine „Erotiknacht“ mit ihr durchaus einen Tausender springen lassen würde. Damit käme sie sicher bequem nach Mainz. Er handelt sogar diesen Tausender konkret mit ihr aus und wollte ihr Bescheid sagen wenn es soweit sei. Na ja, Natalie mischte sich dann auch erst einmal wieder unter das Volk, hat aber anweisungsgemäß niemanden etwas davon gesagt. Zu dem Zeitpunkt, wo sich dann auch Walter in der Kneipe befand, war es dann soweit. Sie verließ unauffällig die Gaststätte und ging allein etwa 200 Meter die Straße herunter bis zu einem Parkplatz einer kleinen Firma, wo die Frau des Chefs dieses Ladens mit ihrem Wagen auf sie wartete. Insgesamt also eine absolut unauffällige Angelegenheit. Daher gab es auch keine Zeugen dafür wie, wann und mit wem das Mädchen die Kneipe verlassen hatte. Das hätte nur der Wirt, der sich dann aber selbst ans „Messer der Justiz“ geliefert hätte, bezeugen können. Auf der Fahrt zu dem etwas abseits gelegenen Bungalow der Frau wurde Natalie belehrt, dass sie gegen Jedermann die Klappe zu halten habe. Für den Fall der Einhaltung des Verschwiegenheitsgebotes stellte man ihr weitere Tausender-Verdienst-Möglichkeiten und gegebenenfalls eine Ausbildungsstelle in Aussicht. Jetzt weiß ich natürlich nicht, welche „Sauereien“ das Ehepaar mit dem Mädchen angestellt hat. Im späteren Verfahren sagte Natalie nur aus, dass es stressig gewesen wäre und teilweise wehgetan habe aber es wäre überwiegend „superaffengeil“ gewesen und sie würde es immer wieder machen. Dieses fanden sogar die Schreiberlinge von der Lokalpresse interessant und veröffentlichten es schön ausgeschmückt anschließend. Das Ganze zog sich bis so etwa 3 Uhr in der Nacht hin. Natalie bekam nicht nur ihren Tausender sondern sie wurde von dem Herrn des Hauses auch auf ihren Wunsch zum Dortmunder Hauptbahnhof gefahren. Das Mädchen kaufte sich eine Fahrkarte für einen ICE der sie dann zu ihrem Traumziel Mainz bringen sollte. Dort hat es dann noch eine ganze Weile gedauert bis die naive Natalie es erfasst hatte, dass es für die Veranstaltung, die im Fernsehen übertragen werden sollte, keine Karten gab. Diese hätte sie sich allerdings mit etwas mehr Intelligenz schon vorher ausrechnen können. Der Großteil der Karten für solche Veranstaltung geht in der Regel nicht über den üblichen Weg über den Kartenhandel sondern über die honorigen Kanäle der Karnevalsfirmen, sorry Gesellschaften, und liegen dann auch nicht im Rahmen der Preisvorstellungen wie sie Natalie aus Salein mitgebracht hatte. Na gut, das Mädchen nahm es leicht und machte das Beste daraus. Sie stürzte sich ins Getümmel. Was sie im Einzeln da getrieben hat, weiß ich nicht aber es muss schon flott zugegangen sein. Laut späteren Berichten hatte sie schon am Abend nichts mehr von ihrem Kinderorgienlohn. Da beschloss sie, sich auf gleicher oder ähnlicher Weise wie in der Vornacht, die übrigen tollen Tage in Mainz zu finanzieren. Sie bot sich also gegen Bezahlung für Liebesabenteuer an. Zunächst machte sie sich an junge Männer, die in etwa ihrer Generation entsprachen, heran. Nachdem sie „bereits“ beim dritten Freier aus dieser Gruppe festgestellt hatte, dass das mit den jungen Leuten nicht gerade zu dem führt, was sie sich davon versprach – alle drei hatten sie um ihren Liebeslohn geprellt –, hatte sie dann doch den Dreh raus. Sie suchte sich Herren zwischen 30 und 70, wie sie selbst später aussagte, die auch nicht mehr „ganz alleine“, das heißt leicht alkoholisiert, waren. Jetzt klappte es besser, dabei kam was herum. Laut ihrer Aussage hat sie den „Herren“ auch allerlei Perversitäten angedeihen lassen. In der Regel ließ sie es auch nicht beim ausgehandelten Liebeslohn sondern befilzte ihre Freier noch zusätzlich. Damit konnte sie dann eine richtige Supersause abfeiern. In der Zeitung stand später
dass man schätze, dass das Mädchen einen Betrag zwischen 10 und 20.000 Mark im wahrsten Sinne des Wortes im Wirtschaftskreislauf gebracht habe. Das lief für sie so gut, dass sie spontan beschloss, aus dieser Angelegenheit einen Beruf zu machen. Damit wollte sie nicht erst warten bis der Gesetzgeber meint sie sei reif für eine solche Profession sondern gleich damit loslegen. Kleiner Nebeneffekt für sie, dass sie sich dann auch die Hauptschule Olvermühle, wo ja ohnehin alle doof sind, sparen könne. Na ja, während der Karnevalstage war es für sie recht gut gelaufen. Die Leute hatten lediglich mit „Hau ab“ oder mit dem was sie wollte auf ihre Angebote reagiert. Kaum einer ist stutzig geworden, keiner kam auf den Gedanken Ordnungshüter zu informieren oder sonst etwas zu unternehmen. Offensichtlich kann man an Karnevalssausen nur richtig teilnehmen wenn man sein Geist mittels des körperfremden Giftes Alkohol auf Minimalleistung gebracht hat und kriegt dann nicht mit, was um einen in der realen Welt abläuft. Auf jeden Fall kann aus meiner Sicht die Freiersuche nicht unauffällig abgelaufen sein, insbesondere wenn man die auffällige harte Sprache des Mädchens mitberücksichtigt. Ihr letzter Gag war dann in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, also in der Fastnacht. Da hatte sie sich einen Wirt einer Kneipe, wo Karnevalsabschluss gefeiert wurde, und drei seiner Gäste zu einer flotten frühmorgendlichen Party angeheuert. Offensichtlich ist sie da mehr mit Alkohol wie mit Geld entlohnt worden, denn als man sie am Nachmittag aufgabelte, hatte sie kein Geld mehr aber dafür einen noch nennenswerten Promillepegel. Das war es dann auch was ihr zum Verhängnis wurde. Sie musste wieder anschaffen gehen und jetzt waren die Leute aufmerksamer als zu Karneval. Gleich beim ersten Versuch hatte man sie am Kragen. Im Gegensatz zu der Kunde, dass Walter voll und ganz entlastetet worden war erfuhr ich von der Auflösung des Falles „Natalie Rempel“ erst sehr spät. Walter hatte natürlich, nachdem er entlastet worden war und mit seiner Zeugin ins Café ging, gleich freudig seine Herta angerufen. Und diese hat dann nach dem Auflegen gleich wieder aufgenommen und mich mit fast jubelnder Stimme informiert. Das Natalie wieder da war erfuhr ich erst am nächsten Tag aus der Zeitung, wo ich es sogar bald übersehen hätte. Da war lediglich eine einspaltige Meldung am Rande der Lokalseite. Man muss sich mal über die Verhältnismäßigkeit Gedanken machen. Während von Saschas Ausbruch, Natalies Verschwinden und dem bösen Verdacht gegen Walter groß und breit in 4-Spaltern berichtet wurde, erscheint die Entlastung der Leute nur in lapidaren kleinen Notizen. Walter erzählte später mal, dass ihm in den nächsten 14 Tagen bis drei Wochen verschiedene Leute verdutzt begrüßt hätten: „Au, du bist hier. Ich dachte du wärest im Knast.“. Na ja, die Ehre eines Menschen lässt sich im Handstreich vernichten und wie man sie wieder herstellen kann ist wohl nicht sensationell genug. Was ich da soeben berichtet habe kann ich wohl unmöglich einer Randnotiz entnommen haben. Das erfuhr ich erst viel später als über den Prozess gegen unserem Saleiner Kneipenwirt und dem perversen Unternehmerpaar wieder in 4Spaltern berichtet wurde. Das waren dann in den Augen von Schreiberlingen und Voyeure wieder Sensationen, die man mit dem Recht der Öffentlichkeit auf Information schön redet. Ob es für Natalie selbst irgendwelche rechtlichen Konsequenzen gegeben hat, weiß ich nicht; ich habe nichts darüber gelesen. Von dem Mädchen selbst erfährt man so gut wie nichts, denn die kann ganz gut schweigen. Daher wundert es mich schon wie ausführlich Ermittler und Gericht ihre Karnevalserlebnisse zusammengetragen haben. Muss ein hartes Stück Arbeit gewesen sein und diese Institutionen scheinen doch besser wie ihr Ruf zu arbeiten. Wie ich gehört habe, soll sich die Geschichte für sie marketingmäßig rentiert haben, den man hört immer wieder davon, dass sie mal wieder einen Freier bedient habe. Aber da muss man auch berücksichtigen, dass die Leute auch ganz gerne einer armen Sünderin weitere Sachen anlasten, sonst hat man ja nichts zum dumm daher quatschen. Es muss also nicht unbedingt stimmen. Für uns, die Familie Rossbach, waren die Stürme auch ohne dem Auffinden von Natalie Rempel vorübergezogen. Und ich musste mich letztlich fragen ob das überhaupt Stürme waren. Im Grunde waren wir nur „etwas näher am Geschehen“ aber ansonsten nicht mehr oder weniger betroffen wie alle anderen auch. Zu Unwetter wurde das Ganze nur in unseren Inneren durch unsere leidgeschundenen Erfahrungen, die uns dazu brachten alles über zu bewerten. Was sollte die Panik als wir erfuhren, dass Sascha Scheule ausgebrochen war? Wir verhielten uns so als sei ein, auf uns angesetzter, psychopatischer Profikiller in unmittelbarer Nähe von Salein gesehen worden. Aber wir hätten Sascha wirklich besser kennen müssen und wissen sollen, dass er das auf keinen Fall war und ist. Er ist damals in eine persönliche Situation, die er nicht verarbeiten konnte, geraten und hat dann etwas mehr als fehl gehandelt. Aber das macht ihn dann doch nicht gleich zum blutrünstigen Raubtier. Er bleibt doch im Grund der, der er vorher war; nur deutlich gebrochener wohl nicht mehr so lebenstüchtig wie zuvor. Wovor hatten wir dann eigentlich Angst? Und nun die Sache mit Walter. Was befürchteten wir eigentlich? Kannten wir ihn nicht als bodenständigen treuen Ehemann dessen einzigste bekannte „Macke“ seine heimliche Liebe zu Elli, die für ihn unerreichbar scheint, ist. Für Kinder vom Typ Natalie hat er doch überhaupt kein Auge über. Der steht doch auf wohlgerundete Proportionen, wie man diese bei meiner Elli und seiner Herta findet, der kann doch mit bei einem kindhaften Knochengestell nichts empfinden. Konnten wir ihm nicht mindestens so lange das Vertrauen schenken bis wirklich das Gegenteil bewiesen gewesen wäre. Wenn alle über 6 Milliarden Menschen ohne Ausnahme die Veranlagung zum Verbrechen „geerbt“ haben, sind es doch eigentlich nur sehr Wenige, die wirklich eins begehen. Soll es deshalb keine Vertrauensbasen mehr geben? Soll deshalb nur Misstrauen die Basis menschlichen Zusammenwirkens sein? Und worauf beruhten unsere
persönlichen, auf unsere Person bezogenen Befürchtungen. Sicher, nach der Geschichte mit Astrid und Friedhelm wurden wir alle, sowohl auf Opfer- wie auf Täterseite, Objekte von, teils unbewussten aber massiven öffentlichem Mobbing. Aber wir hätten dieses sicher mit einer anderen eigenen inneren Einstellung verkraften können. Haben wir die Angriffspunkte für dieses Mobbing nicht selbst mit unserer auf Hass und Rache aufgebauten persönlichen Einstellung selbst geliefert und gefördert? Es dürfte auch recht unwahrscheinlich sein, dass man uns Rossbach im neueren Fall mehr als nur am Rande miteinbezogen hätte. Soweit geht doch der Horizont des Mobs im Grunde gar nicht. Auch in Zukunft assoziiert die Meute bei Elli und mir doch „lediglich“ dass sie die Frau des Mörders war; das Walter mein Schwager ist, hätte doch, wenn der Verdacht zugetroffen hätte, nach kürzester Zeit kein Sensationsfreund mehr wahrgenommen – dafür denken die doch zu kurzfristig und schmalspurig. Gerade daraus hätte doch in erster Linie unsere Beistandsverpflichtung gegenüber Herta resultieren müssen. Wir waren also in keiner Weise Opfer des Karnevalsgeschehens 1999 sondern unserer immer noch nicht rückstandslos verarbeiteten Erlebnisse und Erfahrungen geworden. Wir hatten also noch keine Veranlassung zu Höhenflügen wie wir sie, insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 98, zu starten in Begriff waren. Immer noch bestand eine erhebliche Absturzgefahr. Das Geschehen der letzten Woche dürfte ein „Warnschuss vor den Bug“ gewesen sein. Wir mussten also noch an uns arbeiten um die Zukunft zu meistern. Hier lege ich jetzt gesteigerten Wert auf das Wir, wobei an der Stelle des Plurals auch der Singular, also das Ich, hätte stehen können, denn eines ist gewiss: Wer auf Hilfe von Außen wartet, wer Beistand konsumieren möchte, läuft Gefahr bis zu seinem Lebensende vergeblich zu warten und dabei das eigentliche Leben zu verpassen. Ein Tritt in den Allerwertesten ist für Getroffene fast immer richtiger als sie in mit Mitleid in die Sänfte zu setzen. Kurz gesagt: Statt unsere Höhenflüge zu organisieren hätten wir besser noch ein Wenig hart an uns gearbeitet. Eines muss ich an dieser Stelle sagen: So sehe ich es heute im Jahre 2002, wo ich diese Zeilen tippe. Damals, 1999, war ich noch nicht so weit, denn dann hätte ich diese Geschichte jetzt ja zu einem schnellen Ende führen können. Zum Kapitel 21
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Das Geständnis der Sabrina Rossbach Der Verdacht ihr Onkel könne ein Verbrechen an Natalie Rempel begangen haben und der Vorfall am Montagnachmittag bei der Witwe Rempel hatten Sabrina doch ganz schön zugesetzt. Sowohl am Dienstag wie am Aschermittwoch war sie dann auch gleich immer nach dem Dienst betrüppelt und niedergeschlagen zuhause eingetrudelt. Als sie am Mittwoch heimkam wollte ich sie mit der Nachricht, dass ihr Onkel Walter voll entlastet sei, ein Wenig aufmuntern. Ihre Gemütsverfassung von den beiden Vortagen war ja nicht das, was man sich von einem jungen, lebensfrohen Menschen erwünscht. Aber ich kam mit meiner Information im Hinblick auf die Aktualität zu spät, denn sie war am Morgen schon telefonisch umfassend von Tanja, die das genau wie ich von Herta hatte, informiert worden. Na ja, so mürrisch und in sich zurückgezogen wie am Vortag war Sabrina nun doch nicht mehr, aber ganz die Alte war sie nun auch noch nicht. Aber auf jeden Fall war sie uns gegenüber etwas umgänglicher und verschanzte sich nicht wie am Vortag auf ihr Zimmer. So kam sogar von ihr der Vorschlag, dass wir uns des Abends zu einer gemütlichen Teerunde zusammensetzen sollten, der bei Elli und mir, die wir ansonsten ja auch nichts eingeplant hatten, selbstverständlich auf entsprechende Gegenliebe traf. So saßen wir dann also nach Acht, im Grunde ohne besonderen Anlass, im Wohnzimmer zusammen. Bei der Gelegenheit sinnierte Sabrina: „Ich bin ja gespannt wo Natalie Rempel wieder auftaucht (Das man sie inzwischen aufgegriffen hatte, wusste ja noch keiner von uns). Wie ich die einschätze hat die sich bestimmt selbst auf die Walz gemacht. Es würde mich gar nicht wundern, wenn auch ein paar Jungens von hier verschütt sind und man es nur noch nicht gemerkt hat.“. „Du hast ja nicht die beste Meinung von der Kleinen.“, wendete ich ein, „Aber ganz so schlimm scheint sie gar nicht zu sein, denn dass ihre Mutter sofort, wo ihre Tochter nicht nach Hause gekommen ist, eine Vermisstenmeldung abgegeben hat spricht eigentlich eine andere Sprache.“. „Ach, die Rempelsche kriegt ja nichts richtig mit,“, konterte Sabrina, „die hält ihr Töchterchen für ein liebes, kleines Mustermädchen; so eine Art Engelchen.“. Und jetzt berichtete sie ganz locker von ihren Besuchen bei Frau Rempel. Nach etwa einer Viertelstunde Erzählen war es dann plötzlich mit der Lockerheit vorbei. Zunehmendst aufgeregt und mit mehr Vulgärausdrücken kam sie dann auf ihren letzten Besuch zu sprechen. Und da rutschte Sabrina etwas, was Elli verblüffte, heraus: „So habe ich mir das bei meinem Gelübde zu Saras Geburt nicht vorgestellt.“. Elli fragte mit erstaunter Stimme: „Du hast ein Gelübde abgelegt?“. Sabrina schaute erst etwas verlegen drein und druckste erst ein Bisschen rum, aber dann hatte sie einen Entschluss gefasst und legte los: „Ach, eigentlich wollte ich niemanden etwas davon erzählen, aber Onkel Thomas hat mir immer wieder gesagt, dass man Dinge, die man mit sich rumschleppt, schwere Belastungen sind, die man nie mehr los wird. Er riet mir, dass ich mir alles was ich auf der Seele habe gegenüber Leuten, zu denen ich vertrauen habe und die mir auch zuhören, herunterreden sollte. Ihr seid eigentlich die Leute denen ich vertraue, aber ihr seid auch die Betroffenen und deshalb habe ich noch nichts gesagt. ... Versprecht ihr mir, dass ihr mir nicht böse seid und mir schon vorab verzeiht?“. Obwohl wir nicht wussten, was auf uns wartete, gaben wir das gewünschte Versprechen ab. Und so begann Sabrina mit ihrem Geständnis, das wir Punkt für Punkt nachvollziehen konnten, uns aber doch passagenweiße arg überraschte: „Ach, ich habe Mama über alles geliebt. Dass ist mir zu ihren Lebzeiten gar nicht so bewusst gewesen. Erst als sie nicht mehr da war wusste ich, was ich an ihr verloren hatte. Als man noch nicht wusste, das sie ermordet worden war habe ich pausenlos gebetet, dass sie plötzlich in der Tür stehen sollte und alles wieder wie früher sein sollte. Ich wollte ihr gegenüber ein richtig liebes Mädchen sein und Mama richtig umsorgen. Als man dann ihre Leiche auf dem ‚Scheiterhaufen’ fand habe ich Gott verflucht und ihn einen bösen Geist genannt. Als ich dann wusste, das dein Mann – Mutti, der Mörder war, habe ich wieder gebetet ... aber diesmal er möge euch alle, also deinen Mann, dich und Tanja, elendig verrecken lassen.“. Jetzt musste ich mich doch mal dazwischen melden: „Was Ellis Mann anbelangt kann ich deine Worte voll nachvollziehen. So in Etwa habe ich damals selbst gedacht. Aber was hatten denn Mutti (zu Elli sagte Sabrina ja Mutti und wenn sie von ihrer tatsächlichen Mutter sprach sagte sie Mama) und Tanja damit zutun? Das waren doch immer liebe und nette Mädchen und haben niemanden etwas getan. Na ja, bevor die Mama umgebracht wurde, dachte ich in etwa in die Richtung wie Onkel Walter ... nur nicht ganz so schlimm. Aber Elli war tatsächlich die Einzigste, die mir einen Seitensprung wert gewesen wäre. Und nachdem bekannt war, dass ihr Mann der Mörder war, hatte ich gefühlsmäßig eine größere Distanz zu ihr. Da wäre sie mir dann kein Seitensprung mehr wert gewesen aber ich habe sie nicht verurteilt und hätte keinen Grund gesehen sie zu verwünschen.“. Jetzt musste die, etwas verlegen gewordene Elli etwas loswerden, was sie unter anderem auch im Sinne der Entspannung dieser Angelegenheit tat: „Gibt es außer Walter und dir den noch so ein paar Typen, die mir gerne in die Wäsche wollten oder wollen?“. Die Antwort übernahm jedoch Sabrina: „Och, das dürften einige sein. Ich habe im Bus mal mitgehört wie sich Hauberg und Wolters (beide gehören dem Rat der Gemeinde Olvermühle an) über euch beide unterhielten. Wolters meinte Papa habe durch die Geschichte einen Konkurrenzvorteil gehabt, um den sie ihn beneideten. Hinter dir wären wohl alle Männer in Olvermühle her aber du wärest so unnahbar. Näher als auf drei Schritte dürfe keiner an dich herankommen. Dadurch machtest du sie eigentlich noch heißer, denn du würdest dann wie ein Heilige wirken. Als sie an diesem Punkt waren musste ich, die ich hinter ihnen saß, husten. Da haben sie sich umgesehen, waren verlegen und haben dann das Thema gewechselt. Eigentlich Schade ... warum musste ich auch just an dieser Stelle husten.“.
Elli lächelte mich verlegen an, sagte aber nichts mehr und deshalb konnte Sabrina mir erst einmal meine eigentliche Frage beantworten: „Aber Papa, du hast ja so recht. Mutti und Tanja sind nicht nur lieb und nett sondern ganz phantastisch. Natürlich war mir damals klar, dass die Beiden unschuldig waren und nichts getan hatten. Aber es war einfach mein Gefühl, mein Hass. Ich fragte mich immer wieder warum Rebmann meine Mama und nicht seine Frau und/oder Tochter umgebracht hat. Damals empfand ich es ungerecht, dass Tanja noch ihre Mutter hatte und ich nicht. Nach meiner Auffassung wurden wir, die wir unschuldig waren, bestraft und Tanja, die Tochter des Mörders ... entschuldigt, dass meine ich heute nicht mehr aber damals habe ich es so empfunden – brauchte nichts dafür zu zahlen. Heute weiß ich, dass es anders war, aber damals glaubte ich Tanja brauche nicht zu leiden.“. Sie machte eine Pause und sah Elli an: „Ich tut dir doch nicht weh. Das will ich bestimmt nicht; ich möchte nur mal alles loswerden.“. Darauf stand Elli auf und setzte sich auf die Lehne von Sabrinas Sessel. Sie nahm ihre Stieftochter in die Arme und sagte: „Ist schon gut Sabrina. Ich kann dich verstehen. Spreche ruhig weiter.“. Was Sabrina darauf auch tat: „Den Hass konnte ich nicht loswerden aber ich lernte mit ihm zu leben. Ich konnte mich normal verhalten obwohl ich fürchterlich hasste. Dann kam ein schwerer Schlag für mich. Oliver hatte sich ein paar Mal mir gegenüber verraten, dass er ganz heiß auf Tanja war. Und ausgerechnet da spricht uns Tanja auch noch an ... und was dann passiert ist wisst ihr ja. Jetzt kam noch was hinzu: Als mich Sascha vergewaltigte ... also das was eine solche sein sollte – hat mir das sogar gefallen. Es mag wohl auch an der Angst gelegen haben, ... das hat wohl noch einen Kick gegeben – dass ich zum ersten Mal in meinem Leben einen richtigen Orgasmus hatte und Saschas Zärtlichkeit hatte mich fasziniert. Da stand für mich fest, dass ich, obwohl ich inzwischen auch Oliver in meinen Hass einbezogen hatte, mitspielen würde. Aber wisst ihr aus welchem Grund? Ich wollte dieser von mir gehassten Tanja den Sascha ausspannen.“. Bis jetzt war meine Tochter immer noch in Ellis Armen, der es jetzt aber langsam auf der Lehne zu unbequem wurde. Daher gab es jetzt erst mal eine Pause, die Elli zum Einschütten des letzten Tees nutzte. Danach fuhr Sabrina mit einem neuen Höhepunkt fort: „Dann kam für mich der härteste Schlag in der damaligen Zeit. Tanja nahm uns, wohl wissend was uns erwartete, mit nach Hause. Und da saßt du Mutti dann halbnackt neben Papa auf der Couch.“. Als ich jetzt unterbrach schaute währenddessen Elli verlegen nach unten: „Was heißt denn halbnackt. Mutti hatte eine zwar sehr erotische aber doch ordentliche Abendkleidung an.“. „Ja,“, fuhr Sabrina fort, „die war so ordentlich durchsichtig, dass sich die Jungens, denen nur ein kurzer Blick vergönnt war, später als wir unter uns waren, über Muttis Körper unterhalten haben. Sie lobten die strammen Busen und ihre Formvollendung. Und später, als Mutti erst den langen Pullover drüber gezogen hatte, haben sie beide einen Blick darunter gewagt und fanden es heiß, wie die Härchen rechts und links vom Höschen wegspristen. Tanja, die sich darüber aufregte, haben sie gesagt: ‚Sei doch froh, dass du eine so tolle Mutter hast, die selbst bei uns jungen Leutchen noch die Bäumchen wachsen lässt’.“. Elli musste sich jetzt erst mal ihrer mittlerweile fast kaum noch zu überbietenden Verlegenheit Luft machen: „Ja, schon gut. Du brauchst jetzt keine weiteren Details zu erzählen. Ich gebe ja zu, dass ich eine solche Wirkung erhofft hatte. Aber nicht bei den Jungens sondern bei deinem Papa. Das ist doch nicht schlimm ... ich bin doch auch nur eine ganz normale Frau; auch mit Lüsten und Schwächen.“. Sabrina schaute jetzt etwas verdutzt drein aber fuhr doch wieder fort: „Entschuldigung Mutti, ich wollte dir nichts böses. Ich bin doch auch ein bisschen stolz auf dich. Und umgekehrt würde es mir schon gefallen wenn man so von mir spräche.“. „Gefällt mir ja auch,“, gestand Elli dazwischen. Nun konnte Sabrina aber doch mit ihrem Geständnis fortfahren: „Die Zeit bis zu dem Zeitpunkt, wo Sascha ausflippte, war für mich ein Wechselbad der Gefühle. Aber ich glaube, dass es mir ganz gut gelungen ist. Als das dann mit Sascha passierte konnte ich mich nicht mehr halten. Und ausgerechnet da erfuhr ich dann noch zusätzlich, so wie ihr damals auch, dass die verhasste Tanja ausgerechnet von meinem Bruder schwanger war. Da war alles vorbei, ich hasste euch alle. Ihr sollte alle sterben und für mich sah ich kein Sinn mehr im Leben. Ich wollte doch allen ernstes des Nachts das Haus anstecken, damit wir alle in den Flammen umkämen. Das habe ich nicht nur gesagt sondern auch gewollt.“. Jetzt unterbrach sie erst mal um ihren Tränen freien Lauf zu lassen. Wieder war es Elli, die sich zu Sabrina setzte um sie beruhigend in den Arm zu nehmen. Diesmal ergab sich nur ein anderer Ablauf: Diesmal erhob sich Sabrina um Elli im Sessel Platz zu machen und als diese dann saß, setzte sich Sabrina auf ihren Schoß, umarmte sie und gab ihr ein Küsschen auf die Stirn. Es war ein Bild, wie aus ihren Kindertagen, wenn sie mal von Traurigkeit übermannt worden war und sich dann so bei Astrid eingekuschelt hatte. Noch war Sabrina nicht am Ende ihres Geständnisse: „Ja, dann ergab es sich ausgerechnet, dass ich diese Giftnudel von Tante Elsbeth in Waldstadt treffen musste. Erst wollte ich mit der Alten gar nicht sprechen und tat so als habe ich sie nicht gesehen. Ich kam aber nicht an ihr vorbei und die Tussi hat mich förmlich ausgequetscht. Da habe ich auch erzählt das Tanja ein Kind von Oliver erwartete. Da kreischte sie los: ‚Aber das geht doch gar nicht. Das ist doch Inzucht. Das Mädchen ist doch Walters Kind, was die feine Eleonore Hugou dem Friedhelm Rebmann untergeschoben hat.’ Dann hat sie mir die Hüttenstory von damals erzählt. Aber so, als habe dich dein Mann vor den Augen der Pfadfinder richtig in Flagranti mit Onkel Walter erwischt. Sie sagte noch: ‚Sehe dir das Mädchen doch mal richtig an. Die gleicht doch deiner eigenen Mutter. Wo soll das denn herkommen, wenn nicht Onkel Walter der Vater ist.’. Natürlich habe ich mir Tanja darauf angesehen und halte es praktisch unmöglich, wie sehr man sich was zusammen spinnen kann. Ich war tatsächlich der Meinung sie sähe wirklich wie Mama aus.“. „Man, da hast du aber eine Menge Vorstellungskraft aufgewandt.“, wandte ich ein, „Tanja hat das Meiste von ihrer Mutter. Das finde ich sogar prima. Nur die Augen, die
Nase und ihr hysterischer Kikser sind hundertprozentig der Vater. Tanja kann ihre Eltern wirklich nicht verleugnen. Wenn die aussehen würde wie deine Mutter könntet ihr euch als Zwillingsschwester ausgeben, denn du bist ihr hundertprozentiges Ebenbild. So lebt deine Mutter für mich auch noch ein Bisschen in dir fort.“. Auch nach dieser Unterbrechung setzte Sabrina fort: „Na ja, ich war auf dem Wege bekloppt zu werden und dann kam Onkel Thomas wie ein von Gott gesandter Engel zu mir. Das hätte ich aber beinah gleich beim ersten Gespräch kaputt gemacht. Onkel Thomas war die Treppe heraufgekommen, hatte angeklopft und gefragt ob er mit mir sprechen könne. Ich habe ihn reingelassen, die Tür abgeschlossen und habe den Schlüssel abgezogen. Dann habe ich mich nackt ausgezogen, breitbeinig vor ihn hingeschmissen und habe ihm gesagt, er solle es mir machen. Onkel Thomas blieb ruhig und sagte mir, dass ich mich nicht wegwerfen sollte. Ich wäre ein Mensch und damit sehr, sehr wertvoll; das wertvollste was Gott geschaffen habe. Wenn ich mich einem Mann, den ich lieben würde, hingeben würde, dann wäre es das Schönste was man unter Menschen empfinden könne. Aber zum Wegwerfen sei ich viel zu wertvoll. Ich legte mich vor lauter Scham ganz unter meine Decke und weinte. Dabei habe ich Onkel Thomas erzählt was ich auf dem Herzen hatte ... und das tat so gut. Onkel Thomas hörte überwiegend zu und wenn er was sagte, dann war das so beruhigend, so tröstend. Ich habe ihn immer wieder gebeten zu mir zu kommen und er kam auch immer wieder. Das hat mir unheimlich geholfen.“. Jetzt unterbrach sie nochmals um wieder Elli, auf dessen Schoss sie immer noch saß, zu umarmen und zu küssen. Die nächsten Worte richtete sie dann direkt an Elli: „Aber auch du Mutti, warst sehr lieb zu mir. Dafür danke ich dir auch von ganzen Herzen. Ich konnte mit allen was ich auf dem Herzen hatte, und wenn es Kleinigkeiten waren, jederzeit zu dir kommen und du hast mich immer so behandelt als wärst du meine richtige Mutti. Ab und zu war ich richtig gemein zu dir, aber du hast mir immer Verständnis entgegen gebracht und warst nie böse. Du hast mich so behandelt wie Tanja, also wie deine richtige Tochter. So warst du und Onkel Thomas es, die ihr mir neuen Lebensmut gegeben habt. Damit habt ihr den harten Stein in mir zerbrochen. Ihr habt mit eurer Liebe gesiegt. Und so kam es auch, dass ich bereute, so hart gewesen zu sein und Gott gelästert zu haben. Da habe ich vor mein Bett gekniet, die Hände gefaltet und gebetet. Ich habe lange gebetet und auch dabei auch geweint. Da habe ich Gott gelobt, dass wenn mir alle verziehen haben und Tanja ein gesundes Kind zur Welt bringt, ich überall wo ich könnte, Gutes tun wollte. Ich wollte mich noch mehr rein knien wie Mama als sie noch lebte.“. Das war es also, was am Tage von Saras Geburt den wundersamen Wandeln bei meiner Tochter auslöste. Laufend war sie während der Folgezeit in den Büros der drei Kirchengemeinden, bei beiden evangelischen und auch bei der katholischen, vorstellig geworden und hatte nachgefragt, wo Hilfe benötigt wurde. Sie klapperte unsere Mieter ab um zu erfahren wo es brannte. Sie hatte die Olvermühler Tafel begründet, zu der sie Geld und Lebensmittelspenden sammelte. Einmal im Monat sollten die Ärmsten der Armen mal ein richtig schönes Essen haben. Und, und, ... Sie war also dauernd im karitativen und diakonischem Sinne unterwegs. Eigentlich untypisch für junge Frauen ist auch, dass Sabrina seit Saras Geburt Sonntag für Sonntag zur Kirche ging. Sie ging aber nicht, wie wir an jenem Aschermittwochabend erfuhren des Gottesdienstes, der Predigt, halber sondern damit ihr kein Moment, an dem sie möglicher Weise gebraucht werden würde, entginge. Von dem, was ich im vorrangegangenen Absatz geschrieben habe, wussten wir ja sehr wohl, denn sie war ja praktisch im Zuge ihres Engagement dauernd unterwegs. So brauchte Sabrina nur etwas hinsichtlich ihrer Motivation zusagen, was sie ja auch getan hatte. Darauf musste ihr Elli doch etwas sagen: „Brina Mäuschen, auf diesen Punkt wollte ich dich schon mal ansprechen. Ich war mir bisher nur nicht sicher, aus welchen Gründen du das Ganze machst aber praktisch habe ich schon gesehen, dass du dich irgendwo verzetteltes; deine Kraft im Grunde verschleuderst. Jetzt wo ich deine Gründe kenne, muss ich dir sagen, dass du so viele Sollbruchstellen in deiner Sache hast, dass ein Scheitern vorprogrammiert scheint. Dabei sehe ich mal ganz davon ab, dass du mit Gott einen Kuhhandel machen wolltest. Der Herr lässt aber nicht mit sich handeln. Der hat dich auf einen Platz bestimmt und lässt nicht davon ab, bist du da bist, wo er dich hin bestimmt hat. Mag sein, dass er dir deinen Platz im diakonischen Bereich zugewiesen hat. Aber da sollst du jetzt nicht wie wild drauflos wirken sondern Mission und Diakonie macht er selbst, du sollst nur für ihn bereit stehen. Lese doch mal die Himmelfahrtsgeschichte bei Markus oder das erste Kapitel der Apostelgeschichte. Was hat unser Herr denn seinen Jünger gesagt als er körperlich von ihnen ging. Körperlich deshalb weil er ja wirklich bei ihnen geblieben ist und auch noch bei uns bis zum heutigen Tage ist. Er gab den Jüngern den Missionsbefehl und sagte ihnen sie sollten nicht von Jerusalem weggehen sondern auf die Verheißung des Vaters warten (Apostelgeschichte 1,4). Das heißt dann für uns, dass wir nicht weglaufen sondern bereit stehen sollen. Wir sollen auf ihn warten und dann wirkt er. Mission und Diakonie, gehört ja beides zusammen, macht der Herr selbst. Wir sollen ihm nur gehorsam zur Verfügung stehen.“. „Genau das will ich ja machen“, unterbrach Sabrina jetzt ihre Stiefmutter. „Nee Brinachen,“, fuhr diese jetzt fort, „du wartest nicht, sondern du handelst und agierst. Und zwar wild und planlos. Das wollte ich dir schon längst sagen. Du läufst durch die Gemeinde und sagst: ‚Ich bin eine Helferin, kommt gebt mir eine Aufgabe’. So läufst du Gefahr, dass du weniger auf Leute triffst, die diese Hilfe wirklich brauchen. Arme und geschundene Menschen drängen sich nicht mit ihrem Leid auf; die verstecken sich eher, aber du triffst auf Leute, die deine Hilfsbereitschaft ausnutzen und dich dahingehend dann missbrauchen. Du erreichst keine Hilfebedürftige sondern nur Vorteilsnehmer. Bei der Olvermühler
Tafel zielst du auch auf das Falsche ab. Du bist immer so enttäuscht wie wenig Leute kommen. Aber meinst du, die Bedürftigen in der Gemeinde brauchten ein besonderes Essen oder eher was anderes? In der Regel sind sie einsam und wollen sich mal austauschen. Viele Menschen, insbesondere Ältere, sind sehr einsam aber von Geld her nicht arm. Die würden das Essen sogar bezahlen, sogar darüber hinaus noch was spenden, wenn du sie ansprechen würdest. Ich will dir jetzt nicht deine Aufgabe ausreden. Nein, im Gegenteil ich will dich in deiner Sache unterstützen. Daher solltest du das Ganze mal überdenken und dann zielgerichtet ans Werk gehen.“. „Das hat mir dieser Tage schon mal jemand gesagt, auch mit deiner theologischen Begründung.“, setzte Sabrina jetzt wieder an, „Ich glaube, dass werde ich mit dem noch mal ganz konkret durchsprechen. Ihr habt ja recht. In meinem Eifer habe ich es erstens selbst übersehen und als man es mir sagte nicht richtig wahrgenommen. Dass ist mir am Montag bei der Rempel selbst alles so richtig klar geworden. Ich empfand das Ganze als einen absoluten Fehlschlag. Und dann war auf einmal alles wieder da. Ich vermisste meine Mama. Der alte Hass kochte wieder in mir, also alles war wieder da. Allerdings nicht so wie vorher. Ich hasste aber ich wusste jetzt nicht wen. Ich hasste weder dich Mutti, noch Tanja, noch Oliver, noch dich Papa aber ich hasste. ... Dabei habe ich mich euch gegenüber auch daneben benommen. Deshalb bitte ich noch einmal aufrichtig um Entschuldigung. Das war eigentlich auch der Grund, warum ich heute mit euch zusammensitzen wollte. Allerdings war das Geständnis der Sabrina Rossbach nicht vorgesehen, dass kam nur weil mir das mit dem Gelübde so raus gerutscht war. Was aber auf keinen Fall geschadet hat, denn ich fühle mich jetzt richtig wohl und ich bin richtig stolz auf euch beide. Ihr seid die besten Eltern auf der Welt ... und das auch wenn du nicht meine richtige Mutti bist.“. Diese Geständnis der Sabrina Rossbach werden jetzt Außenstehende, das heißt Leute, die so ein Schicksal wie wir noch nicht erlebt haben, für etwas dramatisiert halten. Schließlich ist „nur“ eine junge Dame im jugendlichen Eifer ein Bisschen viel übers Ziel hinausgeschossen, Schäden sind nicht entstanden und alles ist im Hinblick auf die Zukunft korrigierbar. Deshalb wird dieser oder jene die mit dem Geständnis verbundenen Gefühlsregungen nicht so ganz nachvollziehen können. Man vergesse aber nicht, dass diese Sabrina mit 18 ihre Mutter auf so tragische Art und Weise verloren hat. Sie musste in ihrem Inneren mit dem Konflikt Schuld und Sühne fertig werden, wobei ihr, die ihr nahestehenden Personen wie Vater und Bruder wegen ihrer eigenen Konfliktbewältigung nicht helfen konnten. Dritte konnten ihr wenig helfen, da sie sich entweder nicht in ihre Lage versetzen konnten oder sich nur die Dinge, die der eigenen Sensationsgier dienten, herauspickten. Als sich dann der Kreis, der ihr nahestehenden Personen erweiterte, kamen diese aus dem Lager des „Schuldigen“ was dann zwangsläufig zu einem enormen Wechselbad der Gefühle führte. Da hat sich einiges im Inneren aufgebaut und davon das Meiste unverarbeitet. Denken wir mal an die wissenschaftliche Erkenntnis dass der Hauptgrund des Schlafens „Träumen“ heißt, denn Träume helfen dem Gehirn unverarbeitete Eindrücke einzuordnen oder auszulöschen. Aber Träume reichten jetzt bei Sabrina nicht mehr aus, da musste ein Befreiungsschlag in Form dieses Geständnisse, ein von der Seele reden, her. Nach einer durchschlafenen Nacht mit ausreichenden Traumphasen fühlt man sich munter und frisch und dieser Effekt trat bei Sabrina nach ihrem Geständnis ebenfalls ein. Sie wirkte wieder lockerer und ihr Gesicht „strahlte“ freundlicher. Unter dieser Voraussetzung hatte niemand von uns Dreien eine gewisse Bettschwere obwohl der Zeiger der Uhr schon an der 10-Uhr-Marke vorbei war. So folgte ein Stündchen der lockeren Plauderei bei dem das anfängliche Thema zunächst vergessen schien. Das war aber nur ein oberflächlicher Eindruck, denn über eine spaßige Bemerkung Sabrinas wurden wir wieder zu den Ursprüngen zurückgeführt. Diesmal jedoch nicht als Geständnis, also einer Freiredung, sondern als rein praktische Überlegungen. Es begann damit, dass Elli meinte, dass auch der Spaß zum Leben gehöre und man diesen nicht vernachlässigen dürfe. Darauf tönte Sabrina: „Leute lasst das Arbeiten, die macht keinen Spaß und damit versaut ihr euch das ganze Leben.“. Worauf ich dann anmerkte, dass das wohl auch nicht die richtige Auffassung wäre. Mit Spaß könnten wir unser Zusammenleben nicht ordnen und letztlich hätten wir eine Basis, die uns nicht mehr erlaubt Spaß zu haben. In spaßiger Weise trug Elli daraufhin einen Kompromiss vor, in dem sie erklärte, dass auch Arbeit und Pflichterfüllung Spaß machen könnten und diesen Spaß sollten wir dem anderen voranstellen. Und damit wurde bei meiner Tochter endgültig die Rückkehr zum Ursprungsthema eingeläutet: „Ja Leutchen, dass ist ja mein Problem. Die ehrenamtliche Tätigkeit für die Menschen in unserer Gemeinde, die ganz unten auf der Leiter stehen, macht mir ungeheueren Spaß. Ich glaube das habe ich von Mama, die man deshalb zur Königin von Salein kürte, geerbt. Aber irgendwie scheint das in Stress ausgeartet zu sein und durch solche Misserfolge wie bei Frau Rempel verkehrt sich das Ganze dann auch noch ins Gegenteil ... das macht dann keinen Spaß mehr.“. „Das ist genau das, was ich dir vorhin sagen wollte.“, erwiderte ihr Elli, „Wenn du versuchst im wilden Eifer auf allen Hochzeiten zu tanzen wirfst du Perlen unter die Säue und hast Probleme, die aus dem Schlamm wieder einzusammeln. Du musst deine Aktivitäten auf bestimmte Anliegen konzentrieren und dafür voll und ganz bereitstehen. Dann stellt sich auch Spaß und Erfolg von alleine ein. Und denke daran, dass nur eine Kür Spaß macht; eine Pflicht ist belastend. Deshalb mache nur das, was du wirklich willst. Setze dich nicht selbst unter Druck ... auch dann nicht, wenn du ein vermeintliches Gelübde abgelegt hast.“. Hieraus ergab sich dann ein lockeres informatives Gespräch über Sabrinas zukünftige Absichten; also nicht mehr in der Atmosphäre des hier niedergeschriebenen Geständnisses. Sabrina selbst unterbreitet den Eigenvorschlag, dass sie sich diesbezüglich auf zwei Dinge konzentrieren wollte: Einmal wollte sie „ihre“ Olvermühler Tafel zu einem Treff für Alle
umgestalten, bei der die Gemeinschaft und das Gespräch im Vordergrund stehen sollten. Wichtiger wie das Organisieren von „festlichen“ Speisen müsse eine Fahrdienstorganisation sein. Statt Sponsoren müsse sie Einsame und Zurückgezogene aufspüren und sie zu dieser Tafel einladen. Das Essen sollte nach ihrer Meinung nicht generell kostenlos sein sondern dafür sollte man mindestens eine obligatorische Mark zahlen. Wobei das, was man gibt nach oben hin nicht begrenzt werden sollte. Als Zweites wollte sie eine ständige Sorgenanlaufstelle organisieren. Eine Stelle die in erster Linie dazu bestimmt ist einfach erst mal zuzuhören, sowie bei der Telefonseelsorge, und wo man dann einfach erfahren kann, wo die Leute in ihrem betreffenden Fall Beratung, Rat und Hilfe erwarten können. Gebenenfalls müsse man dann noch Kontakte vermitteln. Über das Angebot eines Sorgentelefons hinaus wolle sie da Sprechstunden und in einzelnen Fällen Hausbesuche anbieten. Alleine könne man so etwas natürlich nicht schaffen und deshalb sähe sie ihre Aufgabe in der Organisation der Mitmacher. Etabliert werden müsse das Ganze auch irgendwo und da dachte sie an „Onkel Thomas Gemeinde“. Elli und ich fanden Sabrinas Ideen gut und stimmten diesen auch mit positiven Worten zu. Eines ist uns allerdings bei diesem Gespräch, dass bis kurz nach Mitternacht dauerte, entgangen. Meine Tochter erwähnte mehrfach jemanden der ihr bei der Sache helfen könnte und mit dem sie sich besprechen wollte; nannte dabei aber keinen Namen. Nun, Sabrina ist volljährig und im Grunde auch sehr vernünftig und deshalb sahen wir auch keine Veranlassung nachzuhorchen. Unsere Aufgabe kann es ja nicht sein hinter ihr herzuspionieren. Hätten wir es getan, hätte dieses sicherlich bei Elli eine große freudige Überraschung ausgelöst. Bei mir natürlich auch aber ohne Zweifel wäre diese bei Elli ungleich größer gewesen. Na ja, es ist unterblieben und in unserer Geschichte sind wir noch nicht an dem Punkt, wo dieses „Rätsel“ gelöst wird. Also warten wir es ab, noch musste ich mit meinen heimlichen Ängsten hinsichtlich einer alternden Sozialjungfer leben, denn Sabrina opferte in der Folgezeit fast ihre gesamte Freizeit, wenn sie nicht bei uns Zuhause saß, der Umsetzung ihrer am späten Aschermittwochabend gefassten Pläne. Sie war dabei wieder in der Verfassung wie sie vor den 99ern Karnevalsereignisse war – mehr noch, sie schien noch aufgetauter und noch gelöster. Das Unwetter, was uns Anfang 1999 getroffen hatte, war also abgezogen und hatte die Luft für ein angenehmes Klima freigegeben. Zum Kapitel 22
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Die klammheimliche Hochzeit Ostern ist das christliche Fest, welches deckungsgleich mit einem jüdischen und mit heidnischen Festen zusammenfällt. Bewusst oder unbewusst feiern wir alles zusammen beziehungsweise wir verschmelzen Bräuche und Riten aus allen Anlässen in unser Osterfest und setzen noch weltliche Dinge wie Beschenken und Kurzurlaub oben drauf. Das mag daran liegen, dass vom altägyptischen Fruchtbarkeitsfest ein historisches Band über das jüdische Passahfest zum christlichen Auferstehungsfest führt, das wir dann in den Ausdrucksformen unserer Zeit begehen. Die Hebräer, die sich ab diesem Zeitpunkt ihres Auszuges aus Ägypten Israelis nannten, nutzten die Vorbereitungen zum Fruchtbarkeitsfest der Ägypter um aus ihrer Sklaverei auszuziehen. In Erinnerung daran feierten Israelis und später die Juden – so hießen sie ab dem Zeitpunkt als die Römer ihr Land besetzten und es zur Provinz Judäa erklärten – ihr Passahfest. Genau vor diesem Fest wurde Jesus Christus gekreuzigt und ist nach drei Tagen, also Ostern, wieder auferstanden. Als dann das Christentum über dem Kelten Bonifatius zu den Germanen kam, fiel diese Fest dann auch noch mit der, von den Germanen gefeierten Frühlingssonnenwende, dem Beginn des germanischen Jahres, zusammen. Von allen Festen haben wir etwas übernommen und in das unserige eingefügt. Die Ägypter steuerten den, von der Fruchtbarkeitsgöttin Ostara abgeleiteten Namen und die Symbole des werdenden Lebens, zum Beispiel Eier, bei. Den Juden verdanken wir das Osterlamm, das Opfertier, und die ungesäuerten süßen Brote und letztlich haben wir von den Germanen die Osterfeuer, mit denen sie die bösen Geister aus den Feldern treiben wollten. Nun, ich finde diese Kombination gar nicht so schlimm, denn es kommt bei den Dingen, die uns Freude machen und nicht gegen Gott und seine Schöpfung gerichtet sind, nicht darauf an, was wir machen sondern auf das wo unser Herz steht. Und das sollte bei uns Christen die Auferstehung unseres Herrn und unsere daraus resultierende Erlösung sein. Ich gehe sogar noch ein Schritt weiter und behaupte, dass dieses Fest eine wichtige Gemeinsamkeit in allen Kulturen hat, dem es uns Christen auch ein Gedenken wert sein sollte. Überall steht dieses Fest im Zeichen des Lebens, insbesondere des wiedererwachenden und neuen Lebens. Die Natur gibt uns dazu die Vorgabe: Knospen springen und Pflanzen und Bäume erblühen, Tiere paaren sich und bringen Nachwuchs auf die Welt – alles ist neu, frisch und jung. Und Leben ist es, was die Schöpfung von dem vorhergehenden Chaos unterscheidet. Entweder liegt es an der geistigen Assoziation oder an biochemischen Vorgängen, dass es auch bei uns Menschen ein erhöhtes „Paarungsverhalten“, dass man gerne mit Frühlingsgefühlen umschreibt, kommt. Auch an Elli und mir zogen solche Gefühle nicht spurlos vorüber. Obwohl Ostern 1999 sehr früh gleich auf das erste Aprilwochenende fiel hatte es uns zum Osterfest voll erfasst. Das Wetter spielte am 1. Ostertag auch noch herrlich mit und so hielt uns nichts von einem ausgedehnten Spaziergang durch die Salein umgebenden Wälder ab. Dabei turteln wir wie ein junges, frisch verliebtes Pärchen. Natürlich so sittsam, dass wir keine plötzlich entgegenkommenden Spaziergänger zu fürchten brauchten., lediglich dass uns diese für ein bisschen zu alt für solche Albernheiten halten würden. Schließlich waren wir keine Zwanzig mehr; Elli ging der Fünfzig entgegen und ich war schon darüber hinaus. Trotzdem ergab sich etwas, was man eher bei den Zwanzigern als bei den Fünfzigern vermutet. Es begann damit, dass ich erst mit Elli flachste, sie dann zum Zwecke der Nasenstubserei an mich zog und erst mal richtig küsste. Dann sagte ich lächelnd: „Was bist du den eigentlich? Meine Geliebte, Braut, Lebenspartnerin oder Frau? Ich habe da immer Schwierigkeiten wenn ich von dir spreche.“. „Ersteres schließt das Andere nicht aus.“, erwiderte Elli fröhlich, „Ich hoffe ja schwer dass ich deine Geliebte bin. Aber bei dem Rest habe ich genauso Schwierigkeiten wie du. Bist du mein Bräutigam, Lebenspartner oder Mann?“. Nachdenklich stellend fuhr ich fort: „Meinst du nicht, dass es an der Zeit wäre, dass wir da mal Klarheit schaffen.“. Die logische Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Falls deine Worte ein Heiratsantrag sein sollten, sage ich sofort Ja. Wann dachtest du denn?“. Mit „Warum gleich noch in diesem Monat?“ leitete ich dann auf unser fröhlich geführtes „ernstes“ Gespräch über. Unsere „Verhandlungen“ standen jetzt also unter der Überschrift „Wann und wie“. Die Frage nach dem Wann war im Handumdrehen erledigt. Das Datum 30. April 1999 gefiel uns ganz gut. Außerdem war es ein Freitag, an dem Elli seit Bestehen des laufenden Stundenplanes in der Regel nur hin und wieder Vertretungsunterricht im Fach Deutsch gibt. Der Hintergrund war, dass sie zu dieser Zeit an der Gesamtschule, die überhaupt einzigste Religionslehrerin war, also in diesem Schuljahr sowohl für den evangelischen wie katholischen Religionsunterricht zuständig war. Aufgrund dessen war sie von Montag bis Donnerstag von der ersten bis letzten Schulstunde vor vollen Klassen im Einsatz. Hinzu kamen dann die üblichen Verpflichtungen gegenüber Dienstherrn und Kollegium, meist am Dienstagnachmittag, und diese gegenüber der Pflegschaft, wie Elternabende und so weiter. So hatte sie schon im Laufe des Donnerstags ihr Stundensoll übererfüllt. So war es dann nur in wirklichen Notfällen – in dem betreffenden Schuljahr nur zwei Mal – wo ihr Chef, den die Schüler Direx nannten, sie um Vertretung bat. So konnte sie ohne Vorwarnung und Urlaubsantrag heiraten. Der 30. April hatte für uns auch den Vorteil, dass der folgende Tag ein weltlicher Feiertag ist, an dem auch Pastöre lange feiern und am nächsten Tag ausschlafen können. Denn von der Maikundgebung der KKK-Gewerkschaft (KKK = Kirche, Kanzel und Küsterei) habe ich noch nicht gehört. Nicht böse sein, ich möchte doch auch nur mal scherzen. Wenn es sein muss setze ich auch gerne mal in internetter Manier ein Smiley dahinter: ☺ Letztere Aussage vor dem Scherz, also der Feiertag auch für Pastöre, zielte bei uns insbesondere auf Waltraud und Thomas ab; womit wir beim Thema kirchliche Trauung waren. Ich bin ja ganz ehrlich und sage, dass ich, nicht nur im Fall Eleonore Rebmann und Dieter Rossbach, darauf ganz verzichten kann. Für mich stellt es kein Sakrament wie in der
katholischen Kirche da. Hinsichtlich des sakramentalen Charakters liege ich allerdings nicht nur mit Elli sondern auch mit Waltraud und Thomas in Übereinstimmung. Im Grunde sehe ich bei einer kirchlichen Trauzeremonie mehr oder weniger nur einen festlichen Rahmen über deren Vollzug man ein amtlich anerkanntes Dokument im Familienstammbuch erhält. Bei Letzteren unterschied ich mich doch ein Wenig von Ellis Auffassung. Für sie war es eine Bekundung vor Gott, dass man unter Beachtung seines 6. Gebotes in Zukunft sein Leben teilen will und dafür sein Segen erbittet. Dahingehend musste ich ihr ja doch recht geben, worauf sie mir im Gegenzug dann recht gab, dass es dazu dann aber nicht unbedingt eines formalen Rahmens wie einem Traugottesdienst bedurfte. Sie meinte, dass dieses gegenüber Gott auch mit einer kleinen Andacht im engsten Kreis getan wäre. Dabei könnte sie sich sogar vorstellen, dass innerlich alle mehr bei der eigentliche Sache wären wie das beim feierlichen Gottesdienst zwangsläufig der Fall wäre. Sie hatte dann den Wunsch, dass eine solche Trauung von ihrer Schwester vollzogen werden sollte. Als wir dieses besprachen fragte ich sie: „Wird das denn anerkannt?“. Worauf sie mit einer Gegenfrage plausibel antwortete: „Du bist getauft, konfirmiert und mit Astrid kirchlich getraut worden. Deine Kinder sind getauft und konfirmiert und Oliver zusätzlich kirchlich getraut. Darüber hinaus zahlst du ehrlich und regelmäßig deine Kirchensteuer. Meinst du nicht auch, dass das ausreicht um den Pastor bei deiner Beerdigung zu engagieren? Oder kennst du einen weiteren Anwendungszweck der Urkunde im Familienstammbuch nennen?“. Nachdem wir beide über diesen Scherz gelacht hatten, verriet sie mir, dass sie auf ein solches weltliches Dokument gerne verzichten wolle. Wichtig sei für sie, dass Gott und wir diese Trauung anerkennen. Dieses passte auch besser zu der standesamtlichen Trauung, wie sie uns vorschwebte. Hinsichtlich unserer „Vorgeschichte“ wollten wir damit keine „schlafenden Hunde“ wecken. Wenn von unserer Heiratsabsicht vorab etwas bekannt würde, laufen wir alle mal Gefahr mindestens zwei bis drei Dutzend Schaulustige vor dem Amtshaus, in dem sich das Standesamt befindet, zu treffen. Dann könnten auch Schreiberlinge auf so Storys wie „Mann der Ermordeten heiratet Witwe des Mörders – Liebesbande statt Auge um Auge“, oder etwas anderes in dieser Stimmung machenden Richtung, kommen. Na ja, mit einer Vorankündigung unserer Vermählung können wir schon einigen Rummel auslösen. Hinterher wollten wir natürlich keinen Hehl aus der Geschichte mehr machen. Elli freut sich schon richtig darauf, stolz verkünden zu können, dass sie Frau Rossbach sei. Selbstverständlich kann dadurch auch etwas in der Öffentlichkeit ausgelöst werden. Das führt dann aber zu keinem Auflauf vor dem Amtshaus oder vor unserer Haustüre und für Schreiberlinge ist ein abgefahrener Zug nicht so interessant wie ein mit Spannung zu erwartender. Und wir dachten, noch nicht einmal falsch, dass, wenn wir Glück haben, das dann unter anderen Aktualitäten untergeht. Nun war alles in Richtung unserer klammheimlichen Hochzeit während eines Spazierganges, von dem wir erst so gegen Acht heimkamen, geklärt worden. Sabrina war an diesem Nachmittag bei ihrem Patenkind Sara Lauren und zum Zeitpunkt unserer Heimkehr noch nicht zurück. Zur Feier des Tages schnappten wir uns zwei Flaschen Wein, eine mit einem etwas herberen Wein für mich und eine mit einem lieblichen für meine „Braut“. Dazu schlüpfte Elli in ihr inzwischen berühmtes schwarzes Durchsichtige, natürlich auch heute wieder mit nur einem knappen Tangahöschen darunter. Kurz nach Neun kam dann Sabrina von ihrem Besuch zurück und diesmal gab es, da wir ja auch jeden Moment mit ihr rechneten, keinen Grund darüber erschrocken zu sein. Was Ellis Bekleidungsordnung anbelangte genügt ja der Hinweis, dass sich die Damen bereits genügend im auch durchsichtigen Nachthemd, Oben und ganz ohne in der häuslichen Gemeinschaft begegnete sind und im Übrigen ist meine Tochter inzwischen ja so alt ist, dass sie weiß, dass wir unsere Zweisamkeit nicht ausschließlich mit „Mensch ärgere dich nicht“ in Sonntagsausgehkleidung verbringen. Als Sabrina im Zimmer stand lachte sie auf und sagte: „Tanja ist ja tatsächlich eine Hellseherin.“. Auf unsere erstaunte Rückfrage erklärte sie uns, dass Tanja, kurz bevor sie aufgebrochen sei, plötzlich gefragt hätte: „Was machen unsere älteren Herrschaften wohl gerade. Ich habe das Gefühl, dass die auf der Couch sitzen und Mutti sich in dem Outfit von jenem ersten Abend, als wir sie in Flagranti erwischten, geschmissen hat. Sie versucht jetzt bestimmt Papa in Richtung Hochzeit zu bezirzen und der versteht mal wieder schlecht.“. „Was ein Glück,“, erwiderte Elli fröhlich, „meine Tochter ist doch keine Hellseherin. Ich sitze zwar hier in dem Outfit, wie sie sich das vorstellte. Aber das Luder kennt mich ja ganz gut und da war die Vorhersage nicht schwer. Die Chancen für die Richtigkeit standen bei dieser Vorhersage Eins zu Eins. Aber sonst ... liegt sie ganz daneben. Warum sollte ich deinen Vater in einer Sache bezirzen in der er mich schon längst rumgekriegt hat. Wir haben heute Nachmittag lediglich besprochen wie das am Dreißigsten dieses Monats ablaufen soll. Nach erfolgreichen Abschluss der Hochzeits-Vorbereitungs-Verhandlungen wollten wir uns nur noch ein Weinchen in vorehelicher Zweisamkeitsatmosphäre genehmigen ... aber hole dir mal ein Glas und trinke ein Schluck mit.“. Sabrina stand erst wie angewurzelt mit buchstäblichen offenen Mund im Raum und es kam nur ein langgezogenes „Waaasss“ aus ihr heraus. „Eu, dann rufe ich gleich Tani und Olli an“, folgte dann aber blitzartig als sie sich vom ersten Schreck erholt hatte. „Stoi, nicht so schnell“, ‚pfiff’ ich sie erst einmal zurück. Wir mussten sie ja erst mal über die gewünschte Klammheimlichkeit, deren Wahrung sie uns versprechen musste, aufklären. Allerdings stellt das bei unseren Kindern, auf die wir uns diesbezüglich verlassen können, kein Problem da. Deshalb durfte sie auch gleich unter der Auflage diese Instruktion entsprechend weiterzugeben auch anschließend ihren Bruder sowie ihre Schwägerin und, bald sogar offizielle, Stiefschwester informieren. Waltraud und Thomas wurden am nächsten Morgen nach Beendigung des Familiengottesdienst informiert. Als wir am Abend des Ostermontags Herta und Walter informierten hatte ich etwas Angst, bei Herta eine undichte Stelle getroffen zu haben. Aber es ging alles glatt über die Bühne; auch Herta hielt dicht. Und damit waren dann auch alle, die wir zu unserer Hochzeitsfeier laden wollten, informiert und eingeladen.
Aus meiner Sicht galt es nur noch Klaus Dieter Weber einzuladen. Klaus und ich sind befreundet. Einstmals haben wir zusammen bei der Stadt Waldstadt zusammen in der Laufbahn zum Verwaltungsfachangestellten gelernt. Er ist allerdings danach auf die Inspektorenlaufbahn gewechselt und dabei geblieben. Jetzt ist er Leiter des Sozialamtes in unserer Nachbarstadt. Vor 6 Jahren war ich bei seiner zweiten Hochzeit - von seiner ersten Frau wurde er geschieden – der Trauzeuge und jetzt sollte er sich revanchieren. Die zweite Trauzeugin sollte uns Abends in einer Trauandacht vor Gott trauen. Alle klar, es handelte sich also um die Pastorin Waltraud Kühn, Ellis Schwester. So erschienen wir dann auch unauffällig am Morgen des 30. April 1999 pünktlich um 11 Uhr zu Viert, nur die Trauzeugen und wir, beim Standesamt der Gemeinde Olvermühle. Im Anschluss an die Trauung gab es dann einen kleinen allseitig unabsichtlichen Eklat. Der Standesbeamte überreichte uns, wie es bei allen Trauungen in Olvermühle üblich war, zwei Bücher. Eins so zum Thema „Ehe und Familie“ und ein Büchlein, dass zum Gemeindejubiläum 1994 erschienen war. Klaus wandte sich gleich empört an den Standesbeamten: „Klaus Hermann, findest du das gut?“. Der Standesbeamte und ich reagierten im Chor mit einem erstaunten „Was?“. Elli dürfte diese Sache sicherlich irgendwo getroffen haben aber sie ließ sich nichts anmerken sondern rettete durch ihr Lachen die Situation und liefert dazu gleich die Aufklärung. Sie zeigte mir das Büchlein und fragte: „Was meinst du, wer das Begleitwort geschrieben hat?“. Und ich nahm es der Situation halber auch gleich auf die leichte Schulter: „Ah ha, das kann nur der damalige Gemeindedirektor gewesen sein.“. Klaus ließ es jedoch nicht nehmen ein empörtes „Geschmacklosigkeit“ anzuhängen. So führte dann unsere Hochzeit zur endgültigen Löschung des Namens Rebmann in Olvermühle. Elli war, nachdem Tanja inzwischen auch schon Rossbach hieß, die letzte Bürgerin der Gemeinde, die diesen Namen trug. Der Eklat führte nicht nur dazu, dass das Büchlein endgültig aus dem Verkehr gezogen wurde sondern überall wo Friedhelms Unterschrift drunter war, zum Beispiel bei aushängenden Gebührensatzungen zum Beispiel im Hallenbad, gab es dann ohne großes Aufsehen Neurungen. Ohne diese Traumalheur hätten diese „amtlichen Schriftstücke“, da es in der Zwischenzeit bei uns keine Gebührenerhöhungen oder Satzungsänderungen geben hat, bestimmt bis zur Euroeinführung am 1. Januar 2002 dort gehangen. Unmittelbar nach der Trauung fuhren wir nach Hause in die Peter-Salein-Straße. Das Hochzeitsmahl war von der Frischgetrauten selbst vorbereitet worden. Nun zog sie sich noch schnell um, um assistiert von ihrer Stieftochter noch letzte Hand an dem Menü, an dem wir nun, wie zur Trauung, zu Viert teilnehmen wollten, anzulegen. Klaus Dieter Weber musste noch nach Waldstadt und wollte dann am Abend zu uns stoßen. Dafür war aber nun Sabrina in das Quartett „eingesprungen“. Thomas hätte, wenn er nicht auf einer Sitzung bei der Synode gewesen wäre, selbstverständlich auch mit am Tisch sitzen sollen und können. Diesen trauten Kreis nutzte Sabrina zu einer kleinen Überraschung: „Papa, möchtest du heute Abend mal deinen zukünftigen Schwiegersohn kennen lernen?“. Das haute mich natürlich erst mal um. Da kümmerte sich meine Tochter um ihre Olvermühler Tafel und ihre Sorgenanlaufstelle, wo sie wegen des Zeitaufwandes eigentlich gar nicht zum Bräutigamangeln gewesen sein kann und jetzt will sie mir ihren Künftigen vorstellen kann. Aber um Emanzipation besorgt fragte ich zunächst einmal: „Wolltest du diesen Kavalier nicht auch Mutti vorstellen? Schließlich bin ich verheiratet und muss in wichtigen Dingen gemeinsam mit meiner Frau entscheiden.“. Darauf bekam ich eine Antwort, die ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschlüsseln konnte: „Nö, wenn ich den Mutti vorstelle gibt das Hinten und Vorne keinen Sinn. Aber machen wir es kurz und ich frage anders herum: Darf ich meinen Freund mitbringen ... und du Papa kannst dir ja zwischenzeitig überlegen ob du ihn kennen lernen möchtest.“. Für Elli ergab das auch keinen schlüssigen Sinn und hakte noch mit einer Frage, auf die sie allerdings keine Antwort bekam, nach. Aber eines wäre sicher auch ohne rätselhafte Fragen klar gewesen: Natürlich durfte sie ihren Freund mitbringen. Dank Sabrinas Ankündigung mischte sich vom Mittag bis zum Abend bei Elli und mir in das freudige Gefühl jetzt „richtig“ Mann und Frau zu sein auch so ein Hauch erwartungsfroher Spannung – ein sehr schönes Gefühl. Vielleicht kommt jetzt von dieser oder jener Seite der Kommentar: „Mann, was haust du auf den Putz. Was ist denn schon dabei, wenn deine Tochter ihren ‚Kerl’ das erste Mal nach Hause bringt. Das ist doch normal und passiert alle Tage.“. Selbstverständlich ist das die natürlichste Sache der Welt, dass die Jungen eines Tages Flügge werden und sich ein eigenes Nest bauen wollen, wenn sie sich ihre eigene kleine Welt bauen wollen. Dabei ist es doch normal, wenn die Familien intakt sind, dass die Söhne mal junge Frauen und die Töchter mal junge Männer, die sie ins Auge gefasst haben, zu Hause vorstellen. Wenn man seine Kinder kennt und versucht diese objektiv zu beobachten gibt es bei diesen Angelegenheiten kaum Überraschungen, den es gibt bestimmte Typen auf die sie abfliegen und dem gegenüber welche, die partout nicht für sie in Frage kommen. In den allermeisten Fällen sind die jungen Leute auch schon eine Weile miteinander gegangen bevor sie dem Rest der Familie vorgestellt werden. Dann kennt man die Zukünftige oder den Zukünftigen schon aus einigen Erzählung; vielleicht hat man die Beiden auch schon aus der Distanz oder auf Fotos miteinander gesehen. Alles nichts Besonderes, kein Grund zur Aufregung. Was die Sache bei Sabrina etwas anders, etwas außergewöhnlich machte, war dass wir vorher keine Anhaltspunkte für ihre Aktivitäten in diese Richtung hatten. Ganz im Gegenteil, bis zum Mittag unseres Hochzeitstages gehrte in mir die väterliche Angst meine Tochter könne eine „alte Sozialjungfer“ werden; sowie ich dieses schon mal geschrieben habe. Dann gab es meine Überlegung, dass meine Tochter immer gegenüber ihren Eltern immer ein offen und ehrlicher Typ war. Was solche Sachen anbelangte besprach sie sich früher immer gerne mit ihrer Mutter und inzwischen ist in
Sabrinas Augen in dieser Sache Elli längst an die Stelle ihrer Mama getreten. Das ist, auch richtiger Weise, allerdings nicht in allen Angelegenheit der Fall. Sabrina hat nicht einfach Astrid gegen Elli ausgetauscht. Das habe ich aber auch nicht gemacht. Beide Frauen haben einen eigenen besonderen Wert und ihre besondere Art und sind daher in unseren Herzen bestimmt nicht beliebig austauschbar. In der Angelegenheit ihres „Zukünftigen“ ist von Sabrina, also ganz im Widerspruch zu ihrer übrigen Art, bis zu diesem Mittag kein einziges Wort gefallen. Dann gab es zusätzlich noch diese recht merkwürdige Ankündigung: Mich fragt sie, ob ich ihn kennen lernen wollte, was aber bei Elli keinen Sinn ergibt. Das führt natürlich zu einer angenehmen Spannung. Obwohl ich dieses jetzt etwas breit beschrieben habe, war es allerdings keine solche Spannung, die uns voll beherrschte und erst recht keine die uns zu zerreißen drohte. Also keine Dramatik, aber in unserer Geschichte erhält der „Zukünftige“ eine weitere Hauptrolle und daher kann ich seiner Ankündigung durchaus ein paar Zeilen mehr widmen. Sabrina machte es wirklich spannend. Als gegen Vier Tanja, Oliver und die kleine Sara, die heute bei Oma und Opa, also bei uns, schlafen sollte, kamen ließ sich meine Tochter von ihrem Bruder nach Neuweiler fahren. Uns kündigte sie an, dass sie pünktlich zur Trauandacht, die wir so gegen Sieben eingeplant hatten, mit ihren „Künftigen“ wieder da sei. Daraus ist jetzt zu entnehmen, dass wir in „heimischen Gefilden“ feiern wollten. Kurz nach Sechs erschienen fast zeitgleich meine verschwägerten Ehepaare Kühn und Salein. Da Webers, weil sie es nicht so mit Gott und Kirche hatte, erst um Acht kommen wollten, fehlte eine Viertelstunde vor dem Termin letztlich nur noch Sabrina mit Begleitung. Endlich 10 Minuten vor Sieben hörten wir, die wir plaudernder Weise im, um Sitzgelegenheiten erweiterten Wohnzimmer saßen, wie Sabrina die Tür aufschloss. Elli und ich zwangen uns förmlich unsere Erwartungshaltung, die der von Kindern vor der Bescherung entsprach, vor den Gästen zu verbergen. Deshalb „stellten“ wir uns weiterhin plaudernd. Sabrina betrat mit einem fröhlichen „Hallo, da sind wir“ als Erste den Raum und einen Schritt hinter ihr folgte der so spannend Angekündigte. Und wie durch ein Signal ausgelöst tönten Elli, Waltraud, Tanja und Thomas im Chor seinen Namen: „Matthias“. Aha, deshalb hätte es keinen Sinn ergeben wenn Sabrina ihre Stiefmutter gefragt hätte ob sie ihren Künftigen kennen lernen wollte, denn denjenigen, den man bereits kennt, muss man ja nicht erst kennen lernen. Auch mir kam dieser Matthias bekannt vor; irgendwo hatte ich ihn schon gesehen. Oder täuschte ich mich wegen der großen Ähnlichkeit zu Thomas, meinem Schwager? Wenn ich nicht gewusst hätte, dass Waltraud und Thomas keine eigenen Kinder haben und wenn ich nicht ausgeschlossen hätte, dass unser Pastor Vater eines uneheliches Kind sein könnte, hätte ich bestimmt aus der Ähnlichkeit geschlossen, dass Mathias der Sohn von Thomas sei. Näher kam ich der Sache, als uns Sabrina nun ihren Angebeteten vorstellte: „Papa, Oliver, Tante Herta und Onkel Walter, dass ist Matthias Kühn. Allen anderen brauche ich ja Onkel Thomas Neffen nicht vorstellen. ... Wir lieben uns.“. Danach drehte sie sich um und küsste ihn, was dem jungen Mann offensichtlich auf der einen Seite gefiel aber ihm auf der anderen auch etwas peinlich war. Walter fand die ganze Sache herzerfrischend und gab seiner Freude durch ein paar als Scherz gedachte Worte Ausdruck: „Das gibt es nur im Märchen: Eine Familie hält alles in der Familie. Wenn wir es bei den Damen nicht mit Pastorinnen und bei dem Oberhaupt nicht mit einem Pastor zutun hätten sondern es sich um blaublütige Herz-BlattFüller handelte, würde ich glatt sagen es handele sich um Erbfolgeklüngel. Aber wenn dein Zukünftiger auch noch ‚Paster’ ist würde ich glatt von einer Pfaffeninvasion reden.“. Thomas erlaubte sich dann weiter zu scherzen: „Nee, mein Neffe ist noooch kein Pastor aber sein Vater, mein Bruder Andreas. Thomas will erst mal Pfaffe werden, er muss nur noch ein Bisschen studieren. Aber was willst du Matthias, in die Fußstapfen deines Vaters oder deines Onkels treten?“. Diplomatisch antwortete der Befragte: „Weder noch, ich trete in Opas Fußstapfen. Den rühmt man heute noch als verdienten und beliebten Pfarrer, der mitreißend predigen konnte. Die Verdienste müsst ihr euch, den auch nichts besseres einfiel als auch den Beruf des Vaters zu ergreifen, erst noch erwerben.“. Jetzt freute sich Walter noch seines Wahrnehmungsvermögen: „Seht ihr, es ist doch eine Pfaffeninvasion, da habe ich vollkommen recht gehabt. Zu allem ‚Unübel’ kommt ja noch hinzu, dass unsere Tanja auch noch in den Starlöchern steht. Wenn die Anzahl der mir zur Verfügung stehenden Pfarrer maßgeblich für mein Seelenheil ist, brauche ich mir ja überhaupt keine Sorgen mehr zu machen. Der Deibel kann dann nichts mehr von mir kriegen.“. Na ja, wenn mir mal jemand in früheren Jahren prophezeit hätte, dass ich mich mal mit lauter Pastorinnen und Pastöre umgebe, hätte ich ihn mit vollster Überzeugung zum „Spinner“ erklärt. Also sage niemals nie. Aber auch Sabrina konnte jetzt nicht mit lockeren Ankündigungen hinter dem Berg halten und wandte sich ihrem Bruder zu: „Olli, das Ganze ist aber ein Pech für dich. Du musst wohl jetzt endgültig in die Fußstapfen unseres ‚Alten“ treten und vom Amtsschimmel absteigen und unter die ‚bösen’ Vermieter gehen. Ich werde mich wohl an der Seite eines Pfarrers zweckmäßiger Weise in die Diakonie begeben.“. Oliver war aber auch nicht mundfaul und erklärte: „Ja, und wenn mein Tanilein erst mal Pastorin ist, böte sich für mich ja die Verwaltung des Kirchenkreises oder das Konsistorium an. Dann bleibt unserer Mutti nicht anderes, als unseren werten Papa so lange frisch zuhalten, bis wir einen Häuserübernahme bereiten Nachwuchs groß gezogen haben. Sie muss sich also für die meisten Saleiner Mieter aufopfern.“. Damit war nun auch Elli gefordert: „Macht euch dahingehend mal keine Sorgen. Irgendwo bin ich Egoistin und möchte gerne mit eueren Vater nicht nur den 100. Geburtstag sondern auch noch Goldene Hochzeit feiern. Also, für die nächsten 50 Jahre sehe ich keine Probleme aufziehen.“.
Hier musste erst mal unterbrochen werden, denn die Trauandacht stand schon seit 10 Minuten auf der Tagesordnung. Wir wollten ja gegenüber unseren Gästen nicht unhöflich sein und, wo die Webers gerade wegen der Andacht doch extra später kommen wollten, nicht überziehen. Jetzt könnte man annehmen, dass man in so einer geistlichen Familie dem Ehepaar Weber ihr Fernbleiben übel genommen hätte. Dem ist aber nicht so, da alle zur Familie gehörenden Theologen den Missionsbefehl sehr ernst nehmen. Sie wissen, dass Leute, die Gläubigkeit heucheln, nicht für das Wort erreichbar sind. Während ihres Schauspiels sind sie so auf sich fixiert, dass sie von Außen nicht erreichbar sind. Missionieren kann man nur so wie es in der Bergpredigt steht und das heißt, dass man sein Licht nicht unter den Scheffel stellt sondern es auf dem Berg leuchten lässt. Also sich nicht hinter Kirchenmauern und Riten verschanzt sondern dass man hinaus in die Welt, mitten ins Leben geht, und nicht pausenlos, von den entsprechenden Leuten als veraltert betrachtete, Bibeltexte auslegt, sondern sich wertebewusst wie bekennend zu den Problemen der Menschen und der Gesellschaft äußert. Man darf sich nicht über ihnen stehend dünken sondern muss sich als ihnen gleichwertig, nicht mehr und nicht weniger, fühlen und darstellen. Und wenn man durch sein Beispiel zeigt wie frei und lebensfroh Christen sein können. Dann öffnet man dem Heiligen Geist die Herzenstüren, damit er wirken kann. Wie richtig diese Auffassung ist glaube ich schon an unserem Hochzeitsabend gemerkt zu haben. Nach der Trauandacht wurde nur mal aus dem Grunde, weil ja niemand über seinen Schatten springen kann, beiläufig über Glaube und Gott gesprochen. Wir hatten also an diesem Abend ausschließlich weltliche Themen auf dem Programm. Trotzdem kam sehr viel auf Frau Weber rüber. Sie hatte vorher noch nie Pastöre persönlich erlebt. Die menschliche und offene Art und deren Fröhlichkeit, sowohl von Thomas wie von Waltraud, Elli und Matthias, hat ihr aber wahnsinnig imponiert. Davon war sie, laut ihren eigenen Worten unheimlich angetan. Nun, Elli und ich haben bis zum heutigen Tage Hin und Wieder einmal Kontakt mit den Webers; wir besuchen uns auch ab und zu mal. Seit unserer Hochzeit ist es bei jedem Kontakt Frau Weber die gezielt auf das Thema Glauben kommt und dann auch spezifische Fragen an Elli stellt. Im letzten Jahr, also 2001, hatte sie mal private Schwierigkeiten mit denen sie bewusst ratsuchend zur Theologin Elli kam. Ich weiß jetzt nicht, um was es ging, da Elli in solchen Dingen auch mir gegenüber Vertraulichkeit wahrt. Das muss einfach so sein, denn ein Theologe der das „Beichtgeheimnis“ nicht wahren kann sollte niemals mehr erwähnen, dass er in dieser Richtung studiert hat. Kürzlich traf ich Klaus mal in Waldstadt und da erzählte er mir, dass seine Frau erwäge wieder in die Kirche einzutreten. Es bedurfte also keines „Maschinengewehr Gottes“, keiner Indoktrination und keines Schwertes sondern nur des offenen Auftretens von bekennenden Christen, die ihr Licht nicht unter den Scheffel stellten. Jetzt habe ich praktisch alle „Großereignisse“ unseres Hochzeitstages aufgelistet. Der Vollständigkeit halber müsste ich noch erzählen, dass es eine fröhliche Feier, die erst am nächsten Morgen zwischen Drei und Vier endete, war. Es ist auch reichlich Bier und Wein geflossen aber angetrunken war hinterher niemand. Das muss auch nicht sein, denn Übelkeit, Aggressivität, Depressionen sowie eigenwürdeverletzende blamable Albernheiten, die oft eine nicht ausschließbare Folge des unkontrollierten Alkoholgenusses sind empfinden selbst die Befürworter des ordinären Suffs nicht als Spaß und Wohlgefühl. Wir haben getanzt, gesungen, gescherzt und geplaudert; also kurz: Es war schön. Jetzt könnte ich hier das Kapitel schließen, wenn nicht noch der nächste Nachmittag gewesen wäre. Die kleine Sara hatte in ihrem Reisebettchen mit uns in unserem Zimmer übernacht und Sabrina übernachtete mit ihrem Matthias auf ihrem Zimmer. Jetzt räuspere sich mal niemand, ich glaube wir waren diesbezüglich alle keine Engel. Alle anderen, auch Oliver und Tanja, suchten nach dem Schluss der Feier mit dem Taxi, mit dem sie auf meinen Wunsch auch gekommen waren, ihre eigenen vier Wände auf. Matthias war also noch da und Oliver und Tanja kamen, auch in Hinsicht auf ihr Töchterchen, zum Nachmittagskaffee wieder hinzu. Jetzt saßen wir da in einer gemütlichen Siebener-Runde. Sieben deshalb weil ich Sara selbstverständlich auch mitrechne und nicht nur die drei erwachsenen Paare zähle, denn schließlich sind auch solche kleinen und jungen Menschen wie Sara vollwertige Persönlichkeiten. So etwas vergisst man leider nur zu oft. Bei dieser Gelegenheit erzählten uns Sabrina und Matthias ihre Lovestory. Sie hatten sich während der letzten Adventsfeier der evangelisch-reformierten Kirchengemeinde in Weinberg kennen gelernt. Da hatte ich also den jungen Mann schon mal gesehen aber leider damals nicht mehr beachtet. Dafür genoss er bei der Gelegenheit aber die absolute Aufmerksamkeit meiner Tochter oder sagen wir besser, dass es sich um eine gegenseitige Beachtung handelt. Als sich deren Blicke das erste Mal kreuzten funkte es und sie blieben aneinander kleben. Bei Sabrina war es die große Ähnlichkeit zu Thomas der ihren Blick auf ihn gerichtet ließ und bei ihm war es zunächst Sabrinas keckes mädchenhaftes Gesicht, was auf ihn gerichtet war. Der zweite Blick, den er etwas schüchtern eingestand, galt ihren Busen und ihrem „Fahrgestell“. Das war aber dann, was Sabrina auf dem zweiten Blick bemerkte und dazu veranlasste mit ihrer Weiblichkeit zu kokettieren sowie mit ihm zu flirten. Na ja, weiter haben sie es uns nicht erzählt, aber das kann sich wohl ein Jeder und Jede denken. Die erste Zeit war für die Beiden etwas problematisch, denn sie hatte so gut wie nie Zeit für ihn. Wir wissen schon, das war Sabrinas Sozialfimmel. Aber telefoniert haben sie Tag für Tag sehr ausführlich miteinander. Jetzt klärten sich auch meine erhöhten Telefonrechnung von Dezember bis Februar; im Januar war es besonders schlimm, auf. Thomas hat ihr bei jedem Gespräch klarzumachen versucht in welcher Sackgasse sie sich mit ihrem wilden Eifer befand und wollte sie immer dazu bewegen, dass sie sich auf die Olvermühler Tafel und auf eine Sorgenanlaufstelle, wie sie ihm mal eingefallen war, konzentriere. Wieder einmal ein Aha. Matthias war derjenige, von dem Sabrina bei ihrem Geständnis ohne Namensnennung sprach. Nun diese scheinbar hoffnungslose Geschichte lief bis zu der Karnevalswoche, wo es
seitens Sabrina, aus der Leserschaft bereits ausreichend berichteten Gründen, eine Woche fast vollständiger Funkstille gab. Matthias dachte schon es sei aus und glaubte, laut seinem Bericht, an Liebeskummer zu leiden. Aber am Donnerstag nach Karneval hat sie sich dann wieder gemeldet. Dann wäre auf einmal alles wunderbar gewesen. Sabrina ging nun auf seine Vorschläge ein und wollte diese gemeinsam mit ihm umsetzen. Bisher hatten beide nur Küsschen ausgetauscht und an dem Donnerstag haben sie dann sogar auch erstmalig miteinander geschlafen. Sabrina gestand es offen und dabei wurde Matthias richtig schamig rot. Elli rette sein Gefühlsleben in dem sie sagte: „Wenn man sich liebt ist das auch unendlich schön. Da empfindet man richtig wie wunderbar Gottes Schöpfung ist.“. So waren die beiden ein richtig verliebtes Paar, dessen Vorzüge auch noch in der gleichen Weltanschauung und Interessen liegen. Jetzt bekamen wir auch eine Erklärung, warum die ansonsten uns gegenüber so offene Sabrina bis zum Tage der Hochzeit ihre Liebe verschwiegen hatte obwohl, wie sie jetzt sagte, es ihr schwer gefallen ist. Während ihres „wilden Einsatzes“ im sozialen Bereich ist Sabrina selbst gar nicht klar gewesen, was mit ihr geschah. Sie bedurfte also so gesehen eines Dämpfers. Danach, als sie sich laut ihrer Erzählung sicher waren, planten sie Osterüberraschungen. Ostersamstags ist es Tradition, dass Andreas Kühn und seine Frau, Matthias Eltern, ihre fünf Kinder um sich scharren um gemeinsam mit ihnen die Osternacht zu feiern. Dieses hatte sich mal durch Zufall im Zusammenhang einer Gemeindeveranstaltung so ergeben und das haben sie dann, weil es ihnen so gut gefiel, zur Tradition gemacht. Dieses war der Anlass, wo dann Matthias zur freudigen Überraschung seiner Familie mit seiner „unerwarteten“ Sabrina auf der Matte stand. Laut Matthias sollen seine Eltern meine Tochter gleich ins Herz geschlossen und sich sehr gefreut haben. Unsere Seite sollte zum gleichen Zeitpunkt in ähnlicher Weise informiert werden. Matthias und Sabrina wollten, wie wir es nach ihrer Ansicht auch machen würden, zu Ostern einen Gottesdienst besuchen. Da wir schon vorher gesagten hatten, dass wir des Sonntags nicht aber dafür den Familiengottesdienst am Ostermontag besuchen wollten, stand also der entsprechende Termin frühzeitig fest. Sie wollten sich erst Seite an Seite nebeneinander aber nicht neben uns setzen und dann, nach dem sie die Kirche verlassen haben, Arm in Arm auf das Pfarrhaus zu schlendern. Der Groschen wäre ja so bei uns unweigerlich gefallen und der Überraschungseffekt wäre da gewesen. Jetzt hatten wir ihnen aber am 1. Ostertag mit unseren Plänen hinsichtlich einer klammheimlichen Hochzeit dazwischen gefunkt. Sabrina hatte daraufhin den Plan, ihre eigene Liebe noch ein Bisschen klammheimlich zu halten, gefasst um uns diese als Hochzeitsüberraschung präsentieren zu können. Matthias war einverstanden und gemeinsam baten sie seine Eltern sie nicht gegenüber Thomas und Waltraud zu verraten. Ich finde, dass dieses so eine richtige schöne Geschichte fürs Herz ist und wollte sie deshalb meiner verehrten Leserschaft nicht vorenthalten. An jenem ersten Maitag des Jahres 1999 war ich der Überzeugung die Geschichte, die mit dem Mord an Astrid begann und mit meiner Hochzeit mit Elli „endet“, wäre nun zum Happy End gekommen. Ich glaubte wir hätten jetzt alle unsere Bestimmung an der Seite der für uns bestimmten Partner und Partnerinnen gefunden. Aber leider war dem nicht so. Ich hatte mich ja schon mal getäuscht. Ein ganz schwerer Dämpfer wartete noch auf uns. Aber was soll ich sagen? Eigentlich nichts, nur: Bitte weiterlesen. Aber ich will nicht schockieren, im nächsten Kapitel ist dann weiterhin erst mal von Höhepunkten die Rede. Also die Erholungsphase hält noch ein Bisschen an bevor es dann noch mal richtig losgeht. Zum Kapitel 23
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Salein hat wieder eine Königin Nachdem nun auch die Elternehe Rossbach amtlich registriert war begann für uns alle erst mal eine sehr schöne Zeit. Eigentlich schade, dass es nicht immer so sein kann. Aber wenn es tatsächlich immer so wäre würde uns das auch nicht gefallen, denn selbst das Tollste wird auf die Dauer langweilig wenn negative Alternativen zum Vergleich fehlen. Da wir aber in den vorangegangenen drei Jahren mit schweren schwarzen Erlebnissen und Erfahrungen überversorgt worden waren empfanden wir das Leben in dieser Zeit fast paradiesisch. Wenn jetzt jemand sagt, dass hätten wir uns auch verdient, dann sage ich ihm, dass ich das 1999 selbst gesagt habe. Was jetzt seltsam erscheint, dass in meinen Erinnerung irgendwie haften geblieben ist, dass von April oder gar schon ab März bis Mitte Oktober immer ein herrliches sommerliches Wetter war. Dieser Tage sah ich mal eine Statistik über das Durchschnittsjahreswetter der letzten 10 Jahre hier in der Gegend – Anlass war das 10-jährige Jubiläum der Wetterstation Neuweiler – und nach der muss wohl irgendetwas in meinen Erinnerungen nicht stimmen? Wirkt sich etwa das jeweilige Gefühlsleben auf die Wahrnehmungen aus? Ist aber auch egal, denn für unsere Erinnerungen, von denen wir später mal zerren können, ist ausschließlich die jeweilige Wahrnehmung von Bedeutung. Auf jeden Fall ist in meinen Erinnerungen hängen geblieben, dass Waltraud 1999 sehr häufig bei uns zu Gast war; mal mit und auch mal ohne Thomas. Wir saßen in der Regel den ganzen Nachmittag auf der Terrasse, die gegenüber dem Pfarrhaus den Vorteil hat, dass sie praktisch nicht einsehbar ist. Zum Spannen müsste man sich schon in die umgebenden Büsche und Hecken schlagen. Von dem kleinen exhibitionistischen Manko der beiden Schwestern habe ich ja bereits geschrieben und deshalb kann man sich denken was jetzt kommt. Erst sonnten sich die Damen Oben ohne, dann ganz ohne und zu guter Letzt brachten sie ihre Männer, also Thomas und mich, dazu es ihnen gleichzutun. Ich sah die Entwicklung von Anfang an nicht nur gelassen sondern sogar genießerisch an, was bei Thomas allerdings nicht so der Fall. Der war von den beiden ersten Stufen, also von dem Oben und dann dem Ganz ohne der Schwestern, schon nicht so recht begeistert und brachte erst moralische Bedenken, was seine Frau und seine Schwägerin für erziehungsbedingt hielten. Als wir uns dann im Adamskostüm beteiligen sollten, bekam ich erst soft mit meinem Schwager, weil ich den Wünschen der Damen sofort stattgegeben habe. Ich bin ja ehrlich und gebe zu, dass ich, aus Spaß an der Freude sofort widerspruchslos mitgezogen habe. Ist doch irgendwo prickelnd. Aber trotz anfänglichen Widerstand hat Thomas letztendlich doch mitgezogen. Damit wir uns jetzt nicht falsch verstehen, dass war zwar innerfamiliärer FKK im Geschmack der Damen und meines Vaters Sohnes und, auch wenn er es nie zugab, im Grunde doch auch des Geschmacks unseres Herrn Pastor, aber kein bisschen mehr. Es gab keine anzüglichen Bemerkungen und keine Fehlberührungen, auch nicht der jeweilig eigenen Partnerin oder Partners im Beisein der anderen. Also, abgesehen von der Nacktheit, nichts was im Sinne und Sitte und Moral hätte beanstandet werden können. Und bei schönen Körpern, die sich nicht vulgär und/oder obszön präsentieren, ist so etwas aus meiner Sicht sogar ein wunderbares ästhetisches erotisches Erleben. Natürlich war immer alles so parat gelegt, dass sich alle in knapp einer Minute in einen solchen Outfit, dass wir x-beliebige Besucher auf die Terrasse führen konnten, zu versetzen in der Lage waren. Ab und zu passierte es ja auch mal, dass Leute, die wir auch einließen unerwartet anschellten. Alle Außenstehenden, inklusive Rossbachs junior, haben immer nur eine nette, sittsame Familienrunde angetroffen. Einzig Sabrina hätte, weil sie schlüsselgewaltig war, plötzlich in diese Runde platzen können. Ist sie sogar zwei oder drei Mal auch. Na ja, sie gehört ja schließlich zur Familie und ist diesbezüglich selbst auch nicht ohne. Lediglich mir, ihrem Vater gegenüber war sie da ein Wenig verklemmter, was ich aber für natürlich halte. Sie hatte sich ja diesbezüglich schon „wieder schwer gebessert“. Im Kindergartenalter war Nacktheit kein Thema für sie. Ich glaube da wäre sie ohne darüber nachzudenken nackt durch eine belebte Innenstadt stolziert. Als sie dann in die Schule kam wurde sie nach und nach immer schamiger und beklemmter. Mit Beginn der Pubertät trat dann ein „seltsamer“ Effekt ein. Auf der einen Seite wandelte sich die Verklemmtheit in Raffinesse, das heißt, dass sie begann „weibliche“ Reize auszuspielen versuchte während sie mir gegenüber zur gleichen Zeit sogar nonnenhaft Prüde erschien. Das legte sich eigentlich erst als Oliver und ich angesetzt hatten unsere Familie mit der von Elli und Tanja zusammenzuschmeißen. Aber ganz gelegt hat es sich bei ihr mir gegenüber immer noch nicht. Wenn ich dabei bin behält sie doch, auch wenn andere Angehörige des weiblichen Geschlechts Oben ohne sonnen, grundsätzlich ihr Bikinioberteil an. Aber sie schreckt nicht panisch zusammen, wenn ich mal unerwartet zu einem Zeitpunkt wo sie Oben ohne sonnt auftauche. Drei Mal traf ich sie im Sommer 1999 so mit ihrer ganz nackten Stiefmutter und einmal mit ihrem „Schatz“ so mit blanken Busen aber immer mit Höschen an. Aber alle drei Male hatte sie schnell einen Grund, warum sie mindestens ihr Oberteil anziehen musste. Genauer gesagt griff sie nur einmal nur zum Oberteil, bei den beiden anderen Malen legte sie sogar soviel Kleidung an, dass sie unbeanstandet auf der anderen Seite durch die Haustür auf die Straße hätte gehen können. Bei Sabrina kam es jedoch auch ab und an vor, dass sie diesen oder jenen, mit dem sie etwas hinsichtlich ihrer Olvermühler Tafel oder der Sorgenanlaufstelle zu besprechen hatte, mitbrachte. Da Sabrina aber wusste was sie erwarten konnte und sie auch sehr clever ist, schellte sie dann immer mit dem Vorwand sie habe ihren Schlüssel vergessen an. So gab es auch nie eine Panne, die uns nicht nur peinlich sondern sogar deutlich mehr gewesen wäre.
Da ich jetzt Sabrinas Sozialprojekte angesprochen habe wird wohl diese oder jener fragen, ob meine Tochter denn nach unserer Hochzeit wieder auf ihrem alten wilden Trip gewesen wäre. Nein, nein, das war sie nicht. Es lief jetzt viel geordneter und es blieb ihr sogar ausreichend Zeit für ihr Liebesleben und andere Interessen. Und, obwohl sie jetzt weniger Zeit und Kraft aufwendete, war sie deutlich erfolgreicher wie zuvor. Sie hatte jetzt sogar noch einen großen, vorher nie da gewesenen Vorteil: Abgesehen von ihrer Berufsausbildung zur Wohnungsfachwirtin konnte sie alles gemeinsam mit ihrem Liebsten, mit dem Theologiestudenten Matthias Kühn, unternehmen. Die Zeit, die Sabrina für ihre Ausbildung bei Wohnungsgenossenschaft Waldstadt aufbringen musste benötigte Matthias zum Studium und so gehörte der Rest den Beiden. Beide hatten sich etwas zugeben und haben auch willig die Gabe des Anderen angenommen. Eine echte Liebe, denn Liebe ist im Grunde die Einheit aus Geben und Nehmen. Das gilt sogar in Bezug auf die Liebe Gottes. Gott will uns soviel, bis zum nie endenden Leben in Frieden und Glück geben und wir müssen es nur Annehmen – und seltsamer Weise liegt die Schwierigkeit der Menschen im Annehmenskönnen. Diese Teamworking von Sabrina und Matthias wirkte sich echt fruchtbar aus. Die Olvermühler Tafel entwickelte sich zu der ökumenischen Veranstaltung hier in der Gemeinde. So als eine Art „Wanderzirkus“ fand diese umlaufend in den Gemeindesälen der beiden evangelischen und der katholischen Kirchengemeinden statt. Jetzt waren nicht mehr nur die paar erkennbaren Armen eingeladen sondern alle, selbst wenn sie reich waren. Nicht mehr die „Abspeisung“ sondern die Kommunikation von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz stand im Mittelpunkt. Die Leute konnten etwas erfahren, woran es heute am Meisten mangelt: Gemeinschaft. Jetzt gab es keine gespendeten Speisen kostenlos mehr sondern ein jeder musste mindestens 2 Mark dafür zahlen. Ursprünglich dachte Sabrina an eine obligatorische Mark aber seit dem 1. Januar jenen Jahres 1999 wussten wir ja, dass der Euro am 1. Januar 2001 den Kurswert von 1,95583 DEM haben würde. Da Matthias und Sabrina ihre Olvermühler Tafel als langfristige Dauereinrichtung sahen planten sie schon damals die 2 Mark dann in den obligatorischen Euro umzuwandeln. Da die Selbstkosten für ein Menü, welches von den Frauen der Frauenhilfe und der Kolpingfamilie zubereitet wurde, im Schnitt bei zirka 7 Mark lag aber 8 von 10 Besucher der Tafel grundsätzlich einen Zehn- oder Zwanzigmarkschein dafür gaben konnten auch Überschüsse erwirtschaftet werden, die nach den Bestimmung der Gründer, Sabrina Rossbach und Matthias Kühn, auf ein Konto über das die Diakonie und die Caritas (nur) gemeinsam verfügen konnten, kamen. Dadurch wurden die karikativen „Organisationen“ der Kirchen in ihrer Arbeit auch maßgeblich unterstützt, was in Zeiten rückläufiger Kirchenbesuche und damit geringerem Kollektenaufkommen sowie der abnehmenden Kirchensteuersummen in Folge von Kirchenaustritten und Einkommenssteuersenkungen, die man gerne mit dem hochtrabenden Wort „Reform“ schönt, war dieses natürlich mehr als beachtenswert. Zur Freude der Tafelgründer wurde diese Geschichte mehr und mehr zum Selbstläufer. Letztlich beteiligten sich immer mehr Helfer an der Organisation und Durchführung dieser großen Tafelrunde. Außer den bereits erwähnten Frauenhilfen und der Kolpingfamilie stiegen auch noch andere kirchliche Gemeindekreise wie CVJM, Christliche Pfadfinder, KAB und andere mit ein. Man kann sich vorstellen, wie sehr sich Sabrina hierüber freute und wie stolz sie auf dieses war. Die Olvermühler Tafel, die es selbstverständlich auch heute noch gibt, war also zu dem geworden, was sich Sabrina davon versprochen hatte. Ihre Sorgenanlaufstelle entwickelte sich dagegen in eine ganz andere Richtung wie gedacht aber, wie Sabrina mal sagte, in eine Superrichtung. Ursprünglich hatte sie es sich als so eine Art Telefon- und Gesprächsseelsorge, die ab und zu nur in besonderen Fällen mal aktive Hilfe leisten sollte, angedacht. Letzteres sah sie mehr oder weniger als christliche „Randaufgabe“; sie sah eher eine Erweiterung von der anonymen Telefonseelsorge zur persönlichen Gesprächsseelsorge. Aber die Leute verstanden da eine zentrale Anlaufstelle für alle möglichen Dienste, wie Sucht-, Familien-, Schulden-, Schwangerschafts- und Mieterberatung, kurz für alle Lebensfragen für die andere Stellen zuständiger sind, auch für Ärger mit Behörden und so weiter. Matthias und Sabrina sahen darin dann nicht mal einen Fehlschuss, denn zu ihnen kamen die Leute, die entweder von den zuständigen Stellen nichts wussten oder die, die in den Kontaktaufnahmen ungeheuere Hemmschwellen sahen. Sie konnten so Brücken zwischen Ratsuchenden, die ohne Vorstation „Sorgenanlaufstelle“ den wichtigen Schritt gewagt hätten, und kompetenten Ratgebern aufbauen. Bei einer solchen Anlaufstelle weiß natürlich niemand warum der andere bei dieser Stelle vorspricht. Der Zugang fällt dann auch wesentlich leichter als durch eine Tür zu gehen auf der Sucht- oder Schuldnerberatung steht. Man brauch sich nicht hinter anonymen Fernsprecheinrichtungen verschanzen sondern kann zu Personen gehen, die einem nicht fremd sind aber denen man vertraut. Denen gegenüber kann man so auch sein Herz ausschütten, was ja ganz im Sinne der ursprünglichen Intentionen der Initiatoren lag. Und die Verbindung mit der zuständigen Beratungs- und Hilfsstelle kann von den „Sorgenberatern“ unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Hilfesuchenden mit seinen Hemmungen und Schwächen hergestellt werden. Natürlich haben die Beiden sich nie auf Glatteis begeben und sich Aufgaben kompetenterer Stellen angemaßt sondern haben ständig „nur“ zur „kompetenteren Beratung beraten“. Thomas sagte mal, dass er dadurch in seiner Arbeit erheblich entlastet worden sei, denn das wären die Dinge, mit denen sich betroffene Gemeindemitglieder in der Regel an ihren Pfarrer wenden. Aber so, wie unser Pärchen die Sache aufgezogen hatte, ging das über das, was Pfarrer machen und machen können, weit hinaus, denn zum Pfarrer finden jeweils nur mehr oder weniger aktive Gemeindemitglieder Zugang und zur Sorgenanlaufstelle kamen alle, sogar Muslims.
Dieses Wirken blieb nicht unbemerkt. Anfang Juni erschien in unserer Lokalzeitung ein fast halbseitiger Artikel unter der Überschrift „Salein hat wieder eine Königin“, in dem Sabrina in den höchsten Tönen gelobt wurde. Ich brauche ja nicht extra zu erwähnen, dass dieses mich, ihrem Vater, mächtig stolz machte. Dieses „wieder“ deutet aber auf etwas hin, was uns alle, nicht nur Sabrina und mich, hoch erfreute. Wenn es wieder eine Königin gibt, muss es schon mal eine gegeben haben. Sehr groß ging man im Artikel auf Astrids früheres Wesen und Wirken ein und schrieb, dass Sabrina eine würdige Nachfolgerin ihrer Mutter sei. Damit hatte Astrid auch eine Würdigung, wie sie diese bisher nicht erhalten hat, bekommen. Bisher war sie in der Presse und Öffentlichkeit praktisch nur das Mordopfer und jetzt war sie das, was sie wirklich war: die Königin von Salein. So lebte Astrid in den Herzen und Köpfen der Olvermühler Bürgerinnen wieder als Königin und Königinnenmutter auf und fort. Astrid war nicht nur das Opfer eines Sexualmordes sondern ein wertvoller und guter Mensch, sie war die Frau auf die ich, weil ich ihr Mann sein konnte sehr, sehr stolz bin. Sie ist die Mutter meiner Kinder über die ich so glücklich und dankbar bin. Übrigens der Artikel brachte Sabrina den Spitznamen „Queen“ bei den jüngeren Leuten ein, den auch wir in Folge auch als Kosenamen ihr gegenüber nutzen. Aber ganz ohne Widerspruch blieb dieser Artikel bei Sabrina und Matthias nicht. Der Redakteur nahm zum Schluss des Artikels Bezug auf die „pastorale“ Familie in der sich Sabrina jetzt über die zweite Frau ihres Vaters und über ihren „Verlobten“ eingebunden fühle. Diese wäre wahres christliches Leben und sie würde sicher eines Tages im Himmel mit ihrer Mutter wieder vereint sein. Das rief aber den Theologiestudenten in Matthias wach. In einem Leserbrief stellte er klar, dass uns alle unsere Taten die wir auf Erden vollbringen vor Gott nichts nützen. Wir könnten auf Knien nach Canossa rutschen und 10.000 Vater unser beten und unser ganzes Vermögen auf die Armen aufteilen; alles das nützt uns bei Gott nichts. Nur allein der Glaube lässt uns selig werden; nur der zählt vor dem Herrn. Er verwies auf den Apostel Paulus, der im Römerbrief schrieb: „Denn wenn Abraham aus Werken gerechtfertigt worden ist, so hat er was zum Rühmen, aber nicht vor Gott.“. (Römer 4,3) und „Dem aber, der nicht wirkt, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet.“ (Römer 5,5). Allerdings schrieb er, dass der Glaube Nächstenliebe und Brüderlichkeit gebiete. So könne man aus dem Glauben handeln aber nicht an Stelle des Glaubens handeln. Taten und Gesetze alleine sind vor Gott bedeutungslos; bei ihm zählt nur der Glaube. Hierzu auch Römer 5,13: „Denn nicht durch Gesetz ward dem Abraham oder seinem Samen die Verheißung, dass er der Welt Erbe sein sollte, sondern durch Glaubensgerechtigkeit.“. Der von Sabrina und Matthias gemeinsam unterschriebene Leserbrief wurde allerdings zur deren Leidwesen nie veröffentlicht. Er passt wohl nicht so ganz in diese säkularisierte Welt, in dem man den Gott Mammon huldigt und ums Goldene Kalb tanzt und sich dann durch Taten wie Wohltätigkeitsbasare und „Kreuzzugfinanzierungen“ vor dem einzigen und wahren Gott rein waschen will. Ist ja schlimm, dass dieses nicht funktioniert, das diese verteidigungswürdigen westlichen Werte vor den Augen Gottes nullwertig sind. Wert ist so etwas nur, wenn wir es nicht aus „Sachzwängen“ oder aus Rechtfertigung machen sondern ausschließlich nur, wenn dieses aus dem Glauben erfolgt. Glauben und Gewissen nicht nur über sondern statt Macht und Geld. Nun aber von diesem Ausflug in unsere Überzeugung zurück zum glücklichen Ablauf des Jahres 1999. Ich habe jetzt zwei beziehungsweise drei Highlights herausgestellt: Unsere familiären FKK-Runden und Sabrina christliches beziehungsweise soziales Wirken. Wie passt so etwas zusammen, Erotik und Religion? Na, schließt das eine das andere denn aus? Bei unseren nudistischen Familienrunden kam doch vieles zum Ausdruck: Wir freuten uns der Schönheit der Schöpfung. Wir respektierten und tolerierten einander und daher funktionierte dieses auch ohne Zwischenfälle und amoralischen Übergriffen beziehungsweise Ausschweifungen. Wir waren dabei glücklich und harmonisierten miteinander, kurz wir lebten. Und Leben ist das Wesen der Schöpfung. Aus diesem Grunde habe ich das so herausgestellt, aber nicht nur deshalb sondern auch aus dem Grunde, dass sich damit sehr gut die Atmosphäre bei uns den Rossbachs und den Kühns am Treffensten beschreiben ließ. Diese Atmosphäre war es, die uns diese Zeit so glücklich erscheinen ließ. Natürlich haben wir nicht nur nackt auf der Terrasse gesessen sondern es gab viel, viel mehr. Wir gingen spazieren, gingen zum Essen und unternahmen größere Ausflüge, mal nur Elli und ich und mal in größerer familiären Besetzung. Wir schwangen hin und wieder mal das Tanzbein, waren im Kino und im Theater. Wir vergnügten uns mit Gesellschaftsspielen und Plaudereien, diskutierten gemeinsame Interessen und spürten eine innige Verbundenheit. Für den, der es gerne wissen möchte, sage ich auch, dass Elli und ich auch unseren ehelichen „Pflichten“ mit Freude und Hingabe nachkamen. Unser Leben war ausgefüllt, glücklich und harmonisch. Und was ich gerade von uns geschrieben habe galt auch für das junge Paar Matthias/Sabrina und die junge Familie Rossbach, also für Tanja, Oliver und die kleine Sara. Nur für ganz Olvermühle galt das natürlich nicht. So gab es in diesem Jahr auch mächtig Knatsch sowohl bei den Eheleuten Kühn wie Salein. Aber davon waren wir erstens nicht betroffen, zweitens ging es uns nichts an und drittens ist bei denen auch wieder alles in Ordnung gekommen und deshalb kann ich es hier bei dieser Randbemerkung belassen. Es bleibt lediglich festzustellen, das selten etwas bei allen und überall gleich ist. Wenn der Eine sich sonnen kann sitzt der Andere im Schatten, den die Sonne, der sich der Erste erfreut, wirft automatisch auch Schatten. Ein Höhepunkt des Jahres sollte noch auf uns warten. Zum 27. November 1999, dem Vorabend des 1. Advents, hatten Sabrina und Matthias zu einem großen Fest in den Gasthof Schneider in Weinberg, dort wo alles mal am 11. September 1996 begann, eingeladen. Es wäre ja schön gewesen, wenn sich jetzt der Kreis geschlossen hätte. Wenn jetzt alles dort wo es vor über 3 Jahren begann mit einem Happy End hätte abgeschlossen werden können. Es sah ja auch alles danach
aus. Der herrliche Sommer, der in unseren Herzen stattfand, und jetzt diese Verlobung – was wohl unschwer zu erraten waren – ließen ja zweifellos einen solchen Schluss zu. Alle waren sie geladen: Die jungen wie die alten Rossbachs, Herta und Walter, Waltraud und Thomas, aber nicht nur die Kühns sondern auch Andreas Kühn mit Frau und seinen drei Töchtern sowie Matthias jüngerem Bruder Markus waren erschienen. Wäre Markus nicht in der Familie ein Mädchen gefolgt, wäre das, wie uns Matthias mal erzählte, Lukas gewesen und dem zufolge wäre der vierte Johannes gewesen. Also hatte Papa Kühn die Absicht, seinen Söhnen die Namen der Evangelisten in der Reihenfolge des Neuen Testaments zugeben. Dazu kam es nicht, denn an dritter Stelle kam ein Mädchen, die nach dem Namen der Schwester ihrer Patentante Waltraud getauft wurde. Richtig, sie hieß Eleonore. Und jetzt gebe ich mal zu raten wer die Patentante der zweiten Tochter Waltraud ist. Volltreffer, meine Elli ist die Namensgeberin der ersten und Patentante der zweiten Kühntochter. Ich hatte bis zu diesem Abend die Kühns noch nicht persönlich kennen gelernt und da gab es für mich auch eine Überraschung. Die beiden sahen sich zum Verwechseln ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Dieses sagte ich auch bei der Begrüßung als mir Thomas seinen Bruder vorstellte. Da lachten die beiden und erklärten mir, dass sie sich wie ein Ei dem anderen glichen hing damit zusammen, dass sie einem Ei entsprungen wären. Ihr Vater habe der Sache durch die Namen Rechnung getragen. Der 10 Minuten ältere wurde nach Petrus, also Peter, und der jüngere nach dessen Bruder Andreas benannt. Dabei wäre es aber nicht geblieben den beide hätten den gleichen Zweitnamen Thomas erhalten. Es waren also Peter Thomas und Andreas Thomas Kühn – und Thomas heißt schlicht und einfach Zwilling. Es hat sich dann so ergeben das später, als sie in der Schule waren, Peter Thomas immer nur mit dem Zweitnamen angesprochen wurde. Der erste, der es so machte war deren Grundschullehrer, der es schlitzohrig hielt. Er konnte die beiden erst nicht auseinander halten und hatte raus, das Peter Thomas immer zu erst auf den Zweitnamen reagierte. So rief er sie, gleichgültig wen er meinte, mit Thomas auf. Wenn der Ältere reagiert hatte er aber den Jüngeren meinte, sagte er: „Entschuldigung Peter Thomas ich meinte Andreas Thomas.“. Als die Beiden den Trick gemerkt hatten wollten sie ihren Lehrer reinlegen, aber da war es zu spät, er konnte sie schon auseinanderhalten. Ja, jeder Mensch ist einmalig und kann vom anderen unterschieden werden. Natürlich hat man Probleme wenn man eineiige Zwillinge erstmalig oder selten sieht. Aber man muss nur mit einen der Beiden öfters oder ständig Kontakt haben und schon ist jeder der Zwillinge unverwechselbar. Nur Walter und Herta passierten Verwechselungen; wir anderen wussten immer genau mit wem wir es zutun hatten. Ich weiß bis heute noch nicht, welche Merkmale mein Gehirn heranzog, dass ich immer wusste mit welchen Thomas ich es zutun hatte oder habe, aber es klappte bei mir ohne Probleme. Nun ja, an diesem Abend wurden Matti und die Queen ein Paar. Ab diesem Abend hatte sich der Kreis der Leute, die zu mir Papa sagten, um einen erweitert. Ohne großes Aufsehen sagte Matthias vom Beginn des Abends locker und wie selbstverständlich eben Papa zu mir. Auch Elli hatte in ihm jetzt einen zusätzlichen Muttianreder. Hier war es sogar etwas Außergewöhnliches, denn er wechselt von Tante Eleonore, so wie er die Schwester seiner richtigen Tante und Patentante seiner Schwester zeitlebens angesprochen hatte, auf Mutti. Im Gegenzug waren dann Andreas Kühn und Frau für Sabrina dann Papi und Mami, also so wie Andreas seine Eltern immer anredete. Sabrina sagte mir, als wir mal unter vier Augen waren: „Jetzt habe ich alles wie es vorkommt: Mama, Mutti und Mami. Und alle drei habe ich so richtig lieb. Wer hat sonst ein solches Glück?“. Aus einem bestimmten Grund, den ich jetzt noch nicht erwähnen möchte, verrate ich aber schon mal, dass Sabrina heute noch zu Frau Kühn Mami sagt. Warum dieses erwähnenswert ist, erfahren sie gleich im nächsten Kapitel. Vor dem Abschluss dieses Kapitels muss ich aber unbedingt noch etwas berichten: Die Verlobung stellte für uns, da wir ja durch die Einladung darauf vorbereitet worden waren, dahingehend keine Überraschung da. Für den diesbezüglichen Knüller des Abends sorgten dann mal wieder Tanja und Oliver. So ganz locker fragte mein Schwieger- und Stieftochter Sabrina wie es denn mit deren Kinderwünschen aussehen würde. Sabrina sagte: „Och, wir dachten mindestens zwei aber gegen fünf, sowie bei Mami und Papi, haben wir auch nichts einzuwenden. Also, so bald Matti mit dem Studium fertig ist, legen wir los.“. „Was soll es?“, erwiderte Tanja, „Wir haben auf jeden Fall zwei Kinder Vorsprung, den könnt ihr nicht einholen.“. Elli, die ihre Tochter genau kennt und jetzt weiß, dass die jetzt etwas im Schilde führte, war stutzig geworden und erlaubte sich eine Nachfrage: „Töchterchen, kannst du nicht mehr bis Eins zählen oder hat das mit der Zwei eine besondere Bedeutung?“. Tanja lächelte und sagte: „Nö, davon abgesehen, dass du im nächsten Mai Doppeloma bist, kann ich keine besondere Bedeutung sehen.“. „Was sagtest du, Mai?“, fragte Elli mit etwas jubelnder Stimme und bekam freudig lachend „Ja, Mutti ich bin schon wieder schwanger“ zur Antwort. Na, war das nicht ein krönender Augenblick in dieser so glücklichen Zeit? Auch diese Nachwuchsankündigung gehört dazu, wenn ich sage, dass das Jahr 1999 insgesamt ein Sommer in meinem Leben darstellte, auch wenn es zu Karneval nach Dramatik und neuer Tragödie roch. Nur aus dem letzten Grund gebe ich dem Jahr jetzt die Note Eins minus, was heißt, dass es ohne den Karnevalsereignissen eine glatte Eins verdient hätte.
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Im Rausch des Alkohols und der Geschwindigkeit Das Schicksal richtet sich nicht nach dem Kalender und es ist wirklich mehr als unbedeutend ob da bei einer vierstelligen Jahreszahl vorne eine 1 oder eine 2 steht. In 1999 bewiesen die Leute in den Industriestaaten, dass es bei ihrer Bevölkerung offensichtlich mit Mathematik und Logik nicht sehr weit her ist. Ein Jahr vor der Vollendung des 2. Jahrtausend, welches nach Adam Riese und Schürmanns kleinem Rechenbuch am 31.12.2000 endet, feierten die Leutchen einen Millenniumswechsel; auch diejenigen, die mit dem lateinischen Wort Millennium (Jahrtausend) bisher nichts anzufangen wussten. Hurra, nun ist es soweit, die Kinder brauchen nicht erst mal ein Jahr zu leben um ein Jahr alt zu werden, die kommen als 1-jährige zur Welt. Ansonsten ist es ja nicht möglich, das sie nach 9-jährigem Leben ins zweite Jahrzehnt kommen. Oder? Man überlege sich mal, dass vom 1. Januar des Jahres 0 bis zum 31.12.1999 erst 1999 Jahre vergangen sind. Der erste Tag des 2000-sten Jahres vollendete dieses ja nicht, da muss man schon bis zum nächsten Silvester warten. Aber kein Mensch rechnete nach, alle wechselten ein Jahr zu früh in andere Sphären. Aber diese kleine mathematische Schusseligkeit sei den Leuten mal verziehen, viel schlimmer waren die Typen, die einem zufälligen Kalenderdatum etwas Schicksalhaftes andichten wollten. Na ja, der Herr Nostradamus hat viel dummes Zeug geschrieben, in das man im Nachhinein viel Wahrsagerisches hinein deuteln kann. Aber lassen wir das mal, das ist jetzt nicht unser Thema. Was ich eigentlich mit meiner Aussage, dass das Schicksal sich nicht nach dem Kalender richte, sagen wollte, ist dass der Lebenssommer von 1999 nicht zum Jahreswechsel endete sondern er hielt auch danach noch ein Wenig an. Am 14. März des Jahres 2000, einem Dienstag, sollte sich Ellis 47. Lebensjahr vollenden. Zur „Abwechselung“ sollte diese Angelegenheit dann auch im Familienkreis gemütlich gefeiert werden. Schon gegen Sechs kamen Oliver, Tanja und unsere Enkelin Sara Lauren. Die Kleine sollte mal wieder eine Nacht bei Oma und Opa verbringen, was sie jedoch auch sehr gerne tat. Wir waren ja kein Großelternpaar, dass nur gelegentlich mal zu besonderen Anlässen besucht wurde sondern wir hatten, wenn nicht ständig, dann doch häufigen regelmäßigen Kontakt zueinander. Um halb Acht, wo wir eigentlich mit der kleinen gemütlichen Feier starten wollten, kamen Waltraud und Thomas und da Sabrina ohnehin im Haus war fehlte nur noch Matthias. Der hatte angerufen, dass er aufgehalten worden sei aber spätestens zwischen Acht und halb Neun eintreffen würde. Allseitig waren wir der Meinung, dass wir den kleinen Moment „noch aushalten“ könnten bevor wir uns auf Ellis berühmten Kartoffelsalat mit Würstchen und Schnittchen stürzten und deshalb war das „Warten auf den Letzten“ eine einstimmig beschlossene Sache. Na ja, derjenige, auf den wir noch warteten, ließ sich dann doch erheblich Zeit. Zumindestens war dieses unser Eindruck; was wirklich passiert war konnten wir nicht ahnen. Je mehr Minuten, die Uhr nach 20 Uhr aufzählte, um so ungeduldiger und nervöser wurde Sabrina. „Wenn dein Bräutigam nicht um halb Neun da ist, fangen wir aber schon mal an“, schlug das Geburtstagskind vor, worauf Sabrina lachend bestätigte: „Ja, schließlich hat er selbst gesagt, dass wir ruhig schon einmal anfangen könnten aber wir sollten ihm seine Portionen sicher stellen.“. Dieser angedachte Punkt schien tatsächlich in die Tat umgesetzt werden zu müssen. Fünf Minuten vor halb Neun verschwand Elli in Begleitung von Tochter und Stieftochter in die Küche, um schon einmal die „Festtafel“ zu decken. Dieses heißt nichts anderes, als dass an den Speisen noch letzte Hand für die Augen angelegt wurde um danach ins Wohnzimmer getragen zu werden; also die Tätigkeiten die bei den Herren von Möchtegern-Fein von Hausmädchen ausgeübt werden. Während die Drei so beschäftigt waren schellte das Telefon und Sabrina tönte: „Das ist bestimmt Matti. Papa gehst du mal dran; ich komme gleich.“. Nun, ich tat wie mir geheißen aber am anderen Ende war nicht Matthias sondern sein Vater Andreas und wollte seinen Bruder sprechen.“. Nun ich holte den Gewünschten an den Apparat und setzte mich wieder zu der Gesellschaft. Dabei erlaubte ich mir den Scherz: „Der Herr Vater will bestimmt, dass sein unpünktliches Söhnchen von seinem Onkel die Leviten gelesen bekommt.“. Waltraud scherzte noch zurück: „Dann hole schon mal die Bibel und schlage das 5. Buch Moses ... Levitus, auf.“. Das 5. Buch Moses ist unter anderem das hebräische Gesetzbuch und daher kommt dieser Levitenspruch. Als er zurück kam schien es aber etwas Ernsteres zu sein. Er bat die drei „fleißigen Mädchen“ doch erst einmal Platz zu nehmen und selbst platzierte er sich auf die Ottomane neben Sabrina, die er dann in seinen linken Arm nahm. Andreas hatte Thomas ans Telefon verlangt weil dieser als aktiver Pastor in unserem Kreis wohl der Kompetenteste im Überbringen schlechter Nachrichten war. So etwas begreift man dann, ohne dass ein Wort gefallen ist, sofort und Sabrina sagte gleich: „Onkel Thomas, was ist mit Matti?“. Jetzt war ich selbst so aufgeregt, dass ich nun nicht mehr genau schildern kann was jetzt in den nächsten Minuten passierte. Ich weiß nur noch, dass Thomas Sabrina zunächst fester in den Arm nahm und dann mit sehr ruhiger Stimme die Nachricht, die unseren Lebenssommer jetzt beenden sollte, vortrug. Matthias hatte auf der Landstraße, die von Neuweiler an Weinberg und Olvermühle vorbei nach Waldstadt führt, einen schweren Unfall und wurde in diesem Moment mit einem Rettungshubschrauber in eine Unfallklinik geflogen. Sabrina schrie erst nur „Neeiiin“ und legte ihren Kopf auf Thomas Schultern um erst einmal bitterlich zu weinen. Als sie sich ein Bisschen von ihrem ersten Erschrecken erholt hatte äußerte sie den Wunsch sofort zur Klinik gefahren zu werden. Darauf erhob ich mich spontan und wurde gleich von Thomas angesprochen: „Lass mal Dieter, ich glaube das mache ich mal lieber.“. Irgendwie war es mir komisch als Vater meinem Schwager den Vortritt zu lassen aber er war nun mal in solchen Angelegenheiten der Richtigere und deshalb stimmte ich zu.
Jetzt hatte natürlich niemand von uns mehr Appetit und so räumten, nachdem Thomas und Sabrina aus dem Haus waren, Elli und Waltraud wieder ab, damit die Speisen in Frischhaltevorrichtungen kamen. Eigentlich wollte sich Tanja auch beteiligen aber da sie kreidebleich war und fortwährend fürchterlich zitterte, wurde ihr erst einmal Ruhe in Olivers Armen verordnet. Klar, dass jetzt keine Gespräche geführt und nur die notwendigsten Worte gewechselt wurden. Nach etwa einer Viertelstunde schellte das Telefon wieder und noch mal war Andreas Kühn dran. Diesmal verlangte er nicht seinen Bruder sondern teilte mir mit ruhiger trauriger Stimme mit, dass Matthias während des Hubschraubertransportes verstorben sei. Er dachte sich schon, dass jetzt Sabrina mit Thomas auf dem Wege in die Klinik sei und bat mich diese, wenn möglich, doch zurückzurufen. Es wäre sicherlich nicht gut, wenn Sabrina die Nachricht erst in der Klinik erhalten würde. Im ersten Moment war ich etwas ratlos – zurückholen ja, aber wie. In meinem Kopf hatte sich das Handyzeitalter noch nicht etabliert. Dafür war Oliver schnell – zu schnell – damit bei der Hand, womit er sich bei mir und Tanja im Anschluss etwas Ärger eingehandelt hatte. Er rief auf Sabrinas Handy an und sagte ganz direkt, das Matthias tot sei und sie zurück kommen sollten. „Mann du Dussel,“, herrschte ich ihn an, „was meinst du, was du jetzt angerichtet hast. Konntest du nicht bitten das Thomas dich zurückruft. Der wäre bestimmt rechts rangefahren, hätte zurückgerufen und die Sache dann Sabrina schonend beigebracht. Was meinst du was jetzt los ist?“. Diesbezüglich bekam er dann auch noch mächtig Zunder von seiner Frau. Aber dank guter Moderation der Schwestern Elli und Waltraud konnten bei uns zuhause die Wogen schnell geglättet werden. Da hatte Thomas mehr zutun. Sabrina war voll und ganz ausgerastet, schrie und artikulierte vollkommen unkontrolliert mit allen Extremitäten. Thomas, der sich mit seinem Wagen bereits auf der Autobahn befand, hatte alle Mühe die nächste Ausfahrt zu erreichen, wo er dann rechts ranfahren konnte um Sabrina zu beruhigen. Sicher sind solche Überreaktionen nicht „normal“ aber bei alledem, was Sabrina in den letzten dreieinhalbe Jahren erleben und ertragen musste, aber auf keinen Fall unerklärlich. So dauerte es zirka eine Stunde bis Thomas mit Sabrina im Arm zurückkehrte. Für uns war währenddessen die Zeit wie im minimalen Schneckentempo verlaufen. Wir konnten uns denken was in Thomas Auto los war und deshalb fragten wir auch nicht nach; damit hätten wir es Thomas ja nur noch schwerer gemacht. Als sie wieder rein kamen sahen wir Sabrina mit zerzausten Haaren und sehr blassen, verheulten Gesicht. Sporadisch stürzte sie sich in Ellis Arme, die sie fragte, ob sie mit ihr auf ihr Zimmer gehen sollte. Sabrina wollte aber lieber bei uns bleiben. So räumten Oliver und ich die Couch, damit die Beiden dort Platz nehmen konnten. Elli hielt Sabrina, die sich jetzt buchstäblich an ihrem Busen ausweinte, mit beiden Armen festumschlungen. Thomas meinte zu mir: „Ich will Andreas mal fragen was da passiert ist“ und ging hinaus zum Telefon. Andreas war aber inzwischen unterwegs zu seinem verstorbenen Sohn und Thomas sprach mit seiner Schwägerin, die selbstverständlich auch völlig zerstört und traurig war. Für eine Mutter ist so etwas ja sehr, sehr schwer. Thomas wollte schon wieder auflegen, als Matthias Mutter ihm den Unfallhergang von sich aus berichtete. In meiner Wiedergabe schreibe ich jetzt erst einmal den kompletten Ablauf, so wie wir ihn auch erst später erfuhren, bevor ich vom weiteren Verlauf dieses 14. März 2000 berichte. Hier in der Gemeinde Olvermühle ist aus der Sicht der jungen Leute „der Arsch begraben“ und gerade in den unteren sozialen Schichten, zu dem in der Regel unsere deutschrussischen und die meisten türkischen Mitbürger gehören, ist es dann finanziell auch nicht so bestellt, dass sie die Angebote in den größeren Nachbarstädten wie Waldstadt oder Neuweiler nutzen können. Wenn schon, nutzen sie dann die Mitfahrgelegenheiten bei ihren motorisierten Freunden um in die Jukebox nach Waldstadt zu gelangen. Man darf sich nicht dadurch täuschen lassen, dass man sie ständig im schlampig legeren Markenklamotten-Einheitslook und mit dem Handy SMS sendend antrifft, denn dafür leisten die Eltern mannigfaltige Zusatzschichten oder sparen es an Stellen, wo das Geld dringender gebraucht wird, ein. Nun, warum machen die das, warum lassen sich die Eltern das gefallen? Na ja, unsere ums Goldene Kalb tanzende Gesellschaft suggeriert, aus meiner Sicht in Gehirnwäsche ähnlicher Form, den Leuten einen Konsumterror, der von diesen Jugendlichen dann in massiver Form auf ihre Eltern übertragen wird. Genau genommen könnte man bei solchen Angelegenheiten durchaus von Nötigung und Erpressung, die Kinder auf ihre Eltern ausüben, sprechen. Aber nicht nur Staatsverschuldung sondern auch massenhafte private Verschuldung können Geldwertstabilität und Wirtschaftssysteme gefährden. Da kann man nur sagen: Macht ruhig so weiter, ihr seid seit Anbeginn der Welt nicht die ersten, die dann eine schmerzhafte Bauchlandung machten. Als Gleichnis könnt ihr dieses als „Turmbau von Babel“ lesen. Nicht selten wurde der Untergang von Hochkulturen durch solche Zusammenbrüche eingeleitet. Aber was macht das schon, wenn Inder und andere in den Startlöchern hocken um unsere westliche Kultur abzulösen. Wenn ich in diesem Zusammenhang eben besonders auf die deutschrussischen und türkischen Mitbürger hinwies, geschah dieses nicht aus rassistischen Gründen sondern aus dem, dass ich die Gelegenheit nutzen wollte, um bei denen noch auf ein zusätzliches Manko für die Betroffenen hinzuweisen. Bei denen gibt es zusätzlich noch, bedingt durch Sprachprobleme bei ihnen selbst und in ihrem Elternhaus, erhebliche Bildungsdefizite, die deren Chancen und Möglichkeiten zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben deutlich minimieren. Sowohl im Wettbewerb um Ausbildungs- wie Arbeitsplätze stehen diese Jungens und Mädchen dann weit hinten an. Daraus ergibt sich Perspektivund Teilnahmslosigkeit. Sie rotten sich dann gerne mit ihres Gleichen zusammen und die Langweile wie die mentale Hoffnungslosigkeit führen dann oft zu Handlungen, bei denen man, wenn einen die tieferliegenden Ursachen nicht interessieren, das Kopfschütteln kriegen kann.
Diesen „Trüppchen“ treffen sich in unserer Gemeinde neuerdings immer auf dem großem Parkplatz vor dem Sportplatz hier in Salein. Bei ihnen sind dann ihresgleichen aus der Altersgruppe von 18 bis 30. Dieses haben dann optisch auf raumschiffähnlich aufgemopfte Schrottlauben dessen Hauptbestandteil überdimensionierte Saallautsprecher im Heckteil der Karren, auf denen nicht selten mal die rote Zwangsstillegungsmarke anstelle der Zulassungsplakette prangt. Klar, wenn man sich gerade die neueste Soundmaschine zugelegt hat und selbst keine Arbeit hat, lassen sich die Banken oft nicht dazu bewegen, die Lastschriften vom Finanzamt oder den Versicherungen auszuführen. Und die können ja nicht, wie jugendüberschuldende Mobilfunkanbieter, ihre Ausfälle einkalkulieren und bei den Dummen, also die ihre Rechnung bezahlen wie sie gestellt werden, mit abzocken. Müsste man nicht das Handysponsoring und uneintreibbare Jugendschulden sowie den Eichel-UMTS-Unfug bei den Mobilfunkabzockern mitbezahlen, könnten Handygebühren rein rechnerisch günstiger wie die im Festnetz sein. Aber na ja, seit der PISA-Studie haben wir das, was man vorher schon sehen konnte, amtlich: Die Deutschen sind auf dem Gebiet des Rechnens keine umwerfenden Kapazitäten. Meistens stehen die Leute dann nur auf dem Parkplatz herum und tun buchstäblich nichts. Es sieht alles sehr träge und unbeweglich aus. Einzig ihren Boxen haben sie bis hinten hin aufgedreht als hätten sie zur Auflage bekommen, das ganze Dorf zu beschallen. Auch wenn wir mal von den, in der Regel sehr schnell gehechelten Texten im Slangenglisch absehen, ist die Musik auf Grund der durch die Phonzahl ausgeübten Ohr- und Gehirnüberforderung unmöglich zu verstehen. Lediglich Bauch- und Zwergfell werden von den Resonanzen in Schwingung gesetzt, was sich dann als Ekstaserausch aufs Gehirn überträgt. Der Rausch als Flucht aus einer trostlosen Wirklichkeit. Hinsichtlich des Berauschens muss auch noch der „Dosenkult“ dieser Leute erwähnt werden. Dieses ist der hochgefährliche Mixverzehr von Bier und Energydrinks, auf die verschiedene, aus Russland kommende, Jugendliche dann noch Wodkakonsum draufsetzen. Das gibt dann eine hochexplosive Mischung, die zu kriminellen Fehlhandlungen führen können. Damals in der Geschichte um Astrid hatten wir ja entsprechende Beispiele wie den Autoklau bei Ulkerde und Schnuckies Berlintour. Die damals Beteiligten haben übrigens bis heute kein entsprechendes Unrechtsbewusstsein gezeigt. Auch den Fall Natalie Rempel vom Karneval 1999 könnten wir der beschriebenen Kategorie zuordnen. Natalie ließ übrigens bei dem gleichen Unfall wie Matthias ihr Leben. Aber erzählen wir erst mal alles der Reihe nach. Bei einem solchen Tagediebtreffen auf dem Saleiner Parkplatz handelte Viktor Schurr, auch ein Sohn eines unserer Mieter aus der Schluchtstraße und derzeitiger Freund von Natalie Rempel, mit einem gleichaltrigen Deutschrussen aus Waldstadt ein Rennen nach dem etwa 30 Kilometer entfernten Neuweiler aus. Ich glaube, der Verlierer sollte an dem Gewinner seine Boxen abliefern. Jetzt wollten natürlich alle versammelten Jugendlichen diese Show live miterleben, so dass sie erst mal sechs Leute, für jeden Wagen drei, auszocken mussten. Die Freundinnen der Rennfahrer waren gesetzt und die anderen mussten sich einem, vom Strippoker abgeschauten Verfahren mittels Wodkaflasche auslosen lassen. Jetzt ging es los. Viktor Schurr startete in der Poleposition, das heißt er kam als erster auf die Straße. In den Serpentinen zwischen Salein und Ulkerde wurde er dann von seinem Waldstädter Kontrahenten überholt. Da hätte es dann beinahe schon geknallt, denn der Überholvorgang war gerade abgeschlossen, als ihnen ein Fahrzeug aus Weinberg entgegen kam. Jetzt hatte Schurr das Problem, dass er an dem Fahrzeug an dessen „Stoßstange er klebte“ nicht mehr vorbeikam. Von der PS-Zahl und sein mit Mut verwechselter Leichtsinn hätten ihm das eigentlich ermöglichen müssen. Also wartete er bis hinter Weinberg die Landstraße etwas breiter wurde und setzte mehrfach zum Überholen an. Immer wieder wurde er dann von seinem Gegner nach links abgedrängt und er musste, nach vorrübergehenden Überholabbruch, immer wieder neu ansetzen. Ich nehme mal an, dass die sich jetzt nur auf den Straßenverlauf und ihre Rennerei konzentriert hatten. Wären da Fußgänger auf der Straße gewesen wären die bestimmt von den Pseudoschummis in den ewigen Jagdgründe geschickt worden ohne von einem Mitglied der beiden Fünferteams bemerkt zu werden. Dann als sie schon sehr nahe von Neuweiler waren, gab es einen erneuten Überholversuch seitens Schurr. Wieder versuchte sein Widersacher ihn abzudrängen. Entweder hat Schurr jetzt nicht richtig aufgepasst oder wollte es jetzt nach der Methode „Brechstange“ versuchen. Auf jeden Fall touchierten sich die Fahrzeuge und es passierte das, was man in Kenntnis physikalischer Gesetze vorausberechnen konnte. Schurrs Auto wurde zum Katapult und landet letztendlich mit dem Dach auf dem Dach des entgegenkommenden Fahrzeuges, in dem Matthias Kühn saß. Viktor Schurr und Natalie Rempel waren auf der Stelle tot. Eine weitere Mitfahrerin Schurrs starb wie Matthias beim Hubschraubertransport in die Klinik. Ein vierter Mitrennfahrer überlebte zwar den Hubschrauberflug starb aber zwei Tage später in der Unfallklinik. Lediglich ein Insasse des Todesrennwagen überlebte den Unfall; muss aber den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen, da er jetzt querschnittsgelähmt ist. Auch der Waldstädter Wagen kam ins Schleudern und überschlug sich bis er auf dem Dach neben der Straße liegen blieb. Lediglich ein Mädchen bekam ein Schock und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Die weiteren vier Insassen kamen mit Schrammen, Beulen und/oder Verstauchungen davon. Das Meiste was ich soeben geschrieben habe stammt aus dem Lokalzeitungsbericht vom übernächsten Tag – der Unfall passierte nach Redaktionsschluss -, wo es dann unter der Überschrift „Todesfahrt im Rausch des Alkohols und der Geschwindigkeit“ zu lesen war. Alkohol muss hier auch erwähnt werden, da bei allen männlichen Beteiligten ein Alkoholpegel von mehr als 1,0 Promille ermittelt werden konnte. Bei den Mädchen war es nur Natalie Rempel bei der 0,7 Promille festgestellt werden konnte. Die Neuweiler Pastorenfrau konnte mir am Telefon nur sagen, dass sich junge
Leute vermutlich unter Alkoholeinfluss einen Rennen geliefert hätten. Diese wären frontal mit Matthias zusammengestoßen und außer ihrem Sohn habe es weitere Tote gegeben. Jetzt habe ich mir natürlich nicht viel dabei gedacht, als ich das, was ich erfahren hatte, im Wohnzimmer den anderen Familienmitglieder berichtete. Ich hatte noch nicht ausgesprochen als Sabrina aufsprang und sich mitten im Raum stellte und sich in zerreißender Weise ihrer Kleider entledigte. Sie starrte, fast teuflisch aussehend, geradeaus und schrie immer nur lang gezogen „Heee!“. Es klang dunkel und unheimlich. Thomas, Oliver und ich sprangen gleichzeitig auf um sie zu besänftigen. Dabei haben wir uns natürlich gegenseitig behindert und ich schrie: „Lasst mich, ich bin der Vater!“. Das brachte den „Erfolg“, dass Sabrina plötzlich mit Armen und Beinen wie wild herumfuchtelte und mich dabei so unglücklich in den Hoden traf, dass ich zunächst kampfunfähig war. Thomas und Oliver gelang es aber sie „einzufangen“ und rücklings auf die Couch zu werfen. Oliver hielt sie am Oberkörper und Thomas an den Beinen fest. Im ersten Moment war das richtig, denn Sabrinas Körper bäumte und streckte sich mit einer unbändigen Kraft. Dann lag sie aber wie tot da und starrte nur mit weitaufgerissenen Augen die Decke an. Nachdem ich mich von ihrem Treffer erholt hatte, rief ich dann Dr. Koch, unseren Hausarzt, an, denn das dürfte ein ausgereifter Nervenzusammenbrach gewesen sein, wo wir nichts mit beruhigenden Worten und Gesten hätten ausrichten können. Derweil ging Elli nach oben um ein paar Sachen für Sabrina, die sie ihr anziehen wollte, zu holen. Das Mädchen hatte tatsächlich alles was sie am Körper hatte mit entfesselter Kraft zerrissen und lag jetzt praktisch nackt auf der Couch. Zusammen mit Waltraud versuchte nun meine Frau Sabrina so zu bekleiden, dass sie sich später nicht durch ihre eigene Schamgefühle in etwas versetzte, was ihr nicht gut täte. Das war gar nicht so einfach, denn Sabrina lag da steif wie ein Brett und die beiden Frauen mussten schon eine Menge Kraft aufwenden um diese Sache zu erledigen. Als sie ihr das Höschen hochzogen brüllte sie einmal auf „Mama, Mama, hilf mir“ und fiel dann aber wieder in den vorhergehenden Zustand zurück. Ganz eindeutig hatte sie in diesem Zustand nach Astrid, ihrer Mama, gerufen, denn Elli hieß bei ihr ja Mutti. Tanja, die dritte Frau im Raum, konnte den beiden Schwestern nicht helfen, den die war selbst so von dem Geschehen mitgenommen, dass man sie als fix und fertig hätte bezeichnen können. Ich glaube, das hätte auch niemand von uns zugelassen, denn immerhin war sie im sechsten oder siebten Monat schwanger. Das arme Mädchen sagte eine Weile nach Mitternacht, als sich die Wogen geglättet hatten: „Ach, ich hatte mir alles so schön vorgestellt. Anlässlich Muttis Geburtstag wollte ich sagen, das ich weiß, dass ich einen Jungen bekomme. Und Oliver und ich wollten ihn in Fortsetzung der Kühnschen Reihe Lukas nennen und daher wollte ich Matthias bitten der Pate zu werden.“. Als sie dieses gesagt hatte brach sie in ihr hysterisches Lachen und in anschließendes bitterliches Heulen aus. Beide Mädchen waren also schwer getroffen. Das bemerkte auch Dr. Koch als er noch zu später Stunde erschien. Als er sich Sabrina zuwandte, schaute er erst mal Tanja an und sagte: „Frau Rossbach, ich will sie gleich auch einmal ansehen. Nur zur Vorsicht, es ist ja auch besser für ihr Kind.“. Tanja war sofort einsichtig und begann, in Gedanken versunken, spontan sich frei zu machen. „Passiert“ ist aber nichts, denn sie schaute auf einmal auf ihren Onkel Thomas und ging dann hinaus um sich nach Oben auf Sabrinas Zimmer, wohin ihr Oliver sofort folgte, zu begeben. Da konnte sie dann eigentlich auch bleiben, denn Dr. Koch hatte ihr nach der Untersuchung lediglich ein auf Naturbasis beruhendes Beruhigungsgetränk, welches er zufällig in seiner Arzttasche hatte, und anschließende sofortige Nachtruhe verordnete. Tanja war im Gegensatz zu Sabrina lediglich ein „Bisschen“ nervlich zerrüttet aber ansonsten den Umständen entsprechend in Ordnung. Das mit der Nachtruhe war natürlich leichter gesagt als getan und deshalb erschien sie um Mitternacht auch noch einmal im Wohnzimmer. Demgegenüber sah es bei Sabrina bedrohlich aus. Dr. Koch diagnostizierte einen schweren Nervenschock und wies sie gleich in das Krankenhaus Bethanien in Waldstadt ein. Bevor er mich bat einen Krankenwagen zu bestellen rief er jedoch erst einmal selbst von seinem Handy aus seinen diensthabenden Kollegen im Krankenhaus an. Eigentlich wollte er jetzt selbst gar nichts unternehmen, hatte aber hinsichtlich des Transportes einige Bedenken, da Sabrina jederzeit wieder ausrasten könne. Da sprach er mit seinem Kollegen ab, was er jetzt spritzen solle. Eigentlich ein umsichtiges Verhalten des Arztes. Zu mir sagte er, dass, wenn sein Kollege Bedenken hinsichtlich der Spritze gehabt hätte, es besser gewesen wäre, den Notarztwagen zu ordern und so reichte eigentlich ein normaler Krankenwagen. Dr. Koch blieb, bis sie eine Viertelstunde später vom Krankenwagen abgeholt wurde, um sich dann Tanja zuzuwenden. In dieser Nacht blieb dann außer Sabrina, die im Krankenhaus lag, die ganze versammelte Familie unter einem Dach. Wir glaubten einander zu bedürfen, wir glaubten Gemeinschaft spüren zu müssen und gezwungen seien, dem anderen unsere Anwesenheit zu vermitteln. Aus diesem Grunde haben wir dann aber kein großes Feldlager aufgeschlagen. Bedingt durch Tanjas Untersuchung hatte sie ja schon unbewusst zusammen mit Oliver Sabrinas Zimmer bezogen. Unser Enkelkind schlief bereits in unserem Schlafzimmer, dass wir auch nicht zuräumen gedachten, und da sollte sie auch bleiben. Jetzt blieb für Thomas und Waltraud nur das kleine Zimmer, das Sabrina mal innehatte bevor sie nach dem Auszug von Oliver in das größere gewechselt war, oder das Wohnzimmer. Waltraud entschied sich spontan für letzteres und Thomas war für das kleine Zimmer, womit er sich letztendlich auch durchsetzte. Das war auch gut so, denn im Wohnzimmer wären sie auch laufend gestört worden. In dieser Nacht konnten alle nicht so recht schlafen und immer wieder stand einer von uns auf um sich auf leisen Sohlen nach Unten zu begeben. Alle haben in dieser Nacht die Küche, die über das Wohnzimmer zugänglich ist, aufgesucht um doch noch was zu essen oder zu trinken, was ja wiederum den anschließenden Einschlafen abträglich war. Die beiden Raucher, Oliver und ich, gingen beide je drei Mal
in dieser Nacht nach Unten um im Wohnzimmer bei geöffneter Terrassentür die Lungenwege weiter zu teeren. Und letztlich Elli kam in der Nacht auf den Gedanken, dass sie für den morgigen – oder besser gesagt heutigen – Unterricht etwas nachschlagen musste und ging deshalb zum Bücherschrank im Wohnzimmer. Bei uns allen war das eine Folge der dunklen Gedanken, die uns durch den Kopf schossen und irgendwo abreagiert werden mussten. Als dann am 15. März 2000 um 6:15 Uhr Ellis Wecker rappelte musste ich diesen abstellen, weil Elli bereits kurz vor Sechs wach war und dann gleich ihre Morgentoilette vorgenommen hatte. Danach ging sie erst mal nach Unten um das Frühstück zu zubereiten. Das brauchte sie aber nicht, denn ihre Schwester war noch eine Viertelstunde früher als sie wach geworden und hatte mit den gleichen Gedanken ihr Vorgehen gesteuert. Als ich ins Bad wechseln wollte kamen die beiden Schwestern gerade die Treppe herauf, um sich in ihre Tagesschale zu werfen. Ins Bad kam ich übrigens auch nicht gleich, denn dieses war gerade von dem jungen Ehepaar Rossbach gemeinsam belegt worden. Ihnen folgte ich jedoch dann und mir mein Schwager Thomas. Einzig Sara war es vergönnt noch eine Runde weiterschlafen zu dürfen. So um Viertel vor Sieben trafen wir uns dann zu Sechst zum Frühstück im Wohnzimmer – in der Küche wäre es ein Bisschen eng gewesen. Nachdem Frühstück trennten sich dann unsere Wege. Waltraud und Thomas fuhren nach Weinberg zurück um ihren Dienst als Pfarrerspaar normal aufzunehmen. Am Nachmittag hätte er eine Verpflichtung bei der Frauenhilfe gehabt, die ihm aber von Waltraud abgenommen wurde, damit er zu seinem Bruder nach Neuweiler konnte. Oliver ging heute etwas verspätet zum Dienst, da er zuvor Tanja und Sara zuhause abliefern wollte. Das hätte ich natürlich auch übernehmen können aber hinsichtlich Tanjas Verfassung von Vorabend wollte er sich, obwohl es Tanja jetzt schon wieder deutlich besser ging, diese Aufgabe nicht abnehmen lassen. Elli fuhr an diesem Tag wie jeden Morgen zur Schule um ihren Dienstverpflichtungen nachzukommen. Einzig ich machte eine größere Ausnahme. Ich hängte das Schild „Wegen Trauerfall geschlossen“ aus und hielt das Büro, wie das Schild besagte, geschlossen. Der Grund war aber nicht, dass ich mich ausruhen sollte oder wollte sondern ich sah es als meine väterliche Aufgabe an mich um Sabrina zu kümmern. Wie man sieht, diesmal war es nicht wie bei den vorhergehenden „Großereignissen“, dass der Folgetag für uns der Tag nach dem Weltuntergang war, sondern es lief doch jetzt erkennbar nach der Devise, dass das Leben weitergeht, ab. Aber so reibungslos, wie es eigentlich wünschenswert gewesen wäre, ging es doch nicht vonstatten. Für uns hatte noch mal eine üble böse Zeit begonnen. Zum Kapitel 25
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Wenn der Geist den Körper verlassen will Nachdem am Morgen danach, also am 15. März 2000, alle anderen Familienmitglieder das Haus verlassen hatten braute ich mir erst noch mal einen starken Kaffee. Was heißt hier „einen“ ich ließ die ganze, zur Kaffeemaschine gehörende Kanne, mit dem Getränk vollaufen. Im Filter befand sich die etwa anderthalbfache Menge des Kaffeemehls wie es ansonsten bei dem gleichen Kaffeevolumen bei uns üblich war. Jetzt könnte man sagen, dass dieses, wenn man aufgekratzt ist, genau das Falsche ist. Eben, eben, ich war aber gar nicht aufgekratzt sondern verspürte eine unsägliche Müdigkeit; ich hätte im Stehen einschlafen können. Als aber dann dieser „Totenerwecker“ fertig war, trank ich davon gerade mal ein halbe Tasse und der Rest stand noch in der Kanne als Elli am Spätnachmittag von der Schule kam. Wäre er nicht abgestanden gewesen, wäre es genau das Richtige für sie gewesen, denn ihr war es über diesen Tag genau so wie mir gegangen: Müdigkeit bis zum Umfallen. Dass ich von diesem Kaffe nur eine halbe Taste „gekostet“ habe hing nicht mit meiner müdigkeitsbedingten Schusseligkeit sondern mit einem Telefongespräch, dass ich gleich nach dem Einschütten der ersten Tasse mit dem Krankenhaus Bethanien in Waldstadt führte, zusammen. Man sagte mir, dass man in Waldstadt für solcherlei Fälle nicht kompetent sei und man meine Tochter in die Psychiatrische Klinik nach Neuweiler verlegen wolle und das Taxi für 11 Uhr bestellt sei. Mein Einwand, dass das Taxi nicht nötig sei da ich dass übernehme könne, wurde freundlich mit der Begründung, dass es besser wäre wenn sie von einer Krankenschwester begleitet würde, die anschließend wieder zurückkehren müsse, abgelehnt. Ich möchte ihr aber Bekleidung für den Transport und vielleicht etwas Wäsche für zirka 14 Tage und ihre Hygienesachen vorbeibringen. Da war jetzt nicht Holland sondern Dieter Rossbach in Not. Ich habe eigentlich so gut wie keine Vorstellung was da eine junge Frau, auch wenn sie meine Tochter ist, so alles braucht. Und kann man deshalb Elli aus einem Unterricht holen? Tanja musste mir helfen, so mein Entschluss, und deshalb rief ich meine Schwiegertochter postwendend an, um sie anschließend wieder dahin zurückzuholen, von wo sie Oliver vor erst zirka einer halben Stunde mitgenommen hatte. Nun, Tanja kannte sich natürlich auch nicht in Sabrinas Kleider- und Zimmerordnung aus aber sie kannte den Geschmack ihrer gleichaltrigen Schwägerin und weiß aus eigenem Empfinden was Frauen bedürfen. So war die Aufgabe für sie nicht unlösbar aber sie benötigte dafür halt eine entsprechende Zeit. Während dieser Zeit beschäftigte ich mit meinem Enkeltöchterchen. Erstmalig in meiner großväterlichen Zeit hatte es Sara geschafft mich zu nerven. Aber ich zwang mich dann doch zwang der Kleinen nicht anmerken zulassen. Was konnte sie denn dafür, dass sie im Gegensatz zu uns ausgeschlafen war und die Dinge, die uns in im Inneren bewegten, nicht verstehen konnte. Letztendlich war ich dann um 10 Uhr bei Sabrina im Krankenhaus und bekam einen fürchterlichen Schrecken. Es schien mir, als habe sie eine Demenz im beginnenden Endstadium. Als ich reinkam schaute sie mich eine Weile so an als würde sie über ein schwerwiegendes Problem nachdenken. Dann sagte sie leise und sehr langsam: „Hallo Papa, wo ist Mama?“. Mama, das war für sie Astrid und deshalb schoss mir gleich durch den Kopf: „Mein Gott, sie ist abgetreten.“. Ich wusste jetzt nicht was ich sagen sollte und aus lauter Verlegenheit kam jetzt: „Sabrina, wie geht es dir denn?“. Sie schaute mich an, als habe sie mich noch nie gesehen und sagte nach einem weiteren Weilchen: „Ich bin müde“. Sie hatte es kaum ausgesprochen, da legte sie ihren Kopf zur Seite und schlief ein. Es kam mir so vor, als wolle ihr Geist ihren Körper verlassen. In diesem Moment war ich vollkommen fertig und sackte innerlich völlig zusammen. Dadurch musste mich der Arzt, der zwischenzeitlich herein gekommen war, auch zwei Mal ansprechen bevor ich reagierte. Er hatte sofort verstanden und beließ es dann dabei mir zu sagen, ich solle mir mal keine Sorgen machen, seine Kollegen in Neuweiler bekämen das schon wieder hin. Ich solle auch die Sache, wie sie mir jetzt erscheine, nicht überbewerten, da die Mittel, die man Sabrina gegeben habe, immer noch nachwirkten. Kurz darauf kam die Krankenschwester, die Sabrina nach Neuweiler begleiten sollte, in den Raum um sie „reisefertig“ zu machen. Ich sagte zu ihr: „Ich wartete draußen und fahre dann gleich hinter ihnen her.“. „Ich würde ihnen stattdessen empfehlen jetzt erst mal nach Hause zu fahren.“, erwiderte die Schwester, „Für sie war ja auch alles anstrengend und auch sie müssen sich ein Wenig ausruhen und sammeln. Jetzt bei der Fahrt und dann bei den ersten Untersuchungen in Neuweiler können sie ohnehin nichts machen.“. Jetzt lachte sie und fuhr fort: „Sie würden ja nur entweder im Wege oder vor der Tür stehen beziehungsweise im Besucherraum sitzen. Warten sie mal; ich will mal den Arzt fragen, wann sie am Besten ihre Tochter in Neuweiler besuchen können.“. Schon während sie dieses sagte „sprang“ sie wieder aus dem Raum hinaus. Während sie draußen war öffnete Sabrina wieder die Augen und schaute mich abwesend an. Hätte sie nicht zwischendurch „Papa“ gesagt, hätte ich angenommen sie habe mich nicht erkannt. Mehr hat sie allerdings aber nicht gesagt. Es dauerte ein ganzes Weilchen bis die Krankenschwester wieder da war. Ich halte es für möglich, dass man sich zwischenzeitig mit der psychiatrischen Klinik telefonisch abgesprochen hat. Nun erfuhr ich, dass es wohl vor 5 Uhr nachmittags wenig Sinn habe aber ich könne dann durchaus bis 20 Uhr bei meiner Tochter bleiben. Das wäre dort zwar keine offizielle Besuchszeit mehr aber in Sabrinas Fall wäre es vermutlich ganz gut, wenn sie nach dem Schock feststellen könne, dass man sie nicht allein lässt. Na ja, nach dieser Auskunft machte ich mich dann halt auf den Heimweg und hätte jetzt eigentlich eine Gelegenheit gehabt, noch eine oder weitere Tassen von dem, als Aufputschmittel gedachten, Kaffee nehmen können. Ich tat es aber nicht, sondern schalte die Kaffeemaschine aus. Richtig, dass hatte ich am Morgen nicht getan, das hatte ich glatt vergessen. So etwas sollte aber nicht Schule machen,
denn fließender Strom erzeugt Wärme in dessen Folge sich über einen Glühbrand auch ein Zimmerbrand entwickeln kann – und so etwas hätte mir im Moment gerade noch gefehlt. Es war aber zum Glück nichts passiert und so ging ich ins Wohnzimmer um im Sessel sitzend „nur“ ein paar Minuten zu entspannen. „Ein paar Minuten“ war ein gut gemeinter Vorsatz aber ich schlief fest ein und Elli weckte mich, als sie um halb Fünf vom Dienst nach Hause kam, aus einem Tiefschlaf. Nett sagte sie mir: „Ja, ja, wenn die Frau arbeitet kann der Mann das machen, was die Frau eigentlich gebraucht hätte.“. Damit ich es auch ja nicht verkehrt verstand bekam ich noch einen Kuss von ihr als „Draufgabe“. Ich berichtete ihr kurz vom Morgen, worauf sie prompt sagte: „Komm, dann bestellen wir uns jetzt ein Taxi und besuchen unsere Tochter. Wir sind beide nicht die Muntersten und nach der schlimmen Sache gestern müssen wir ja nicht auch noch dank Sekundenschlaf Blödsinn bauen.“. Es gab keinen Grund ihr nicht recht zu geben und so waren wir dann taxikutschiert gegen halb Sechs in Neuweiler. Ein Grund zur Freude war es nicht. Sabrina machte einen ähnlichen Eindruck wie am Morgen. Bemerkenswert ist, dass sie mich mehrfach mit „Papa“ angesprochen hat aber kein einziges Wort zu Elli sagte. Es schien so, als würde Sabrina ihre Stiefmutter vollkommen ignorieren. Ob das so war kann ich nicht sagen, denn Sabrina war insgesamt so weit abgetreten, dass man von ihrem Äußeren und ihrem Verhalten nicht auf ihre Wahrnehmungen schließen könne. Ganz zu Anfang unseres Besuches konnte ich noch kurz mit einem Arzt sprechen. Er meinte, dass man im Moment wenig sagen könne. Sabrina habe das Geschehen vom Vortage außergewöhnlich schwer getroffen und würde sich nur sehr langsam davon erholen. Da ihm dieses ungewöhnlich vorkam, fragte er nach ob Sabrina zuvor schon von schweren Schicksalsschlägen getroffen worden sei, denn eine solche „Überreaktion“ konnte er sich nur vorstellen, wenn sich zuvor schon einiges aufgestaut habe. Ich berichtete ihm von der Geschichte mit Astrid und ich weiß nicht warum, berichtete ich ihm ungefragt auch, dass meine jetzige Frau die Witwe des Mörders von Sabrinas Mutter, also meiner ersten Frau Astrid, sei. Der Arzt meinte, dass es für ihn gut sei solche Dinge, die mit Sicherheit maßgeblich eine Rolle bei ihrem derzeitigen Zustand spielten, zu wissen. Worauf ich ihm dann noch erzählte, dass mein Sohn, Sabrinas Bruder, obendrein auch noch mit der Tochter meiner Frau, also der Tochter des Mörders verheiratet sei. Na ja, der Arzt meinte, dass ich ihm mit diesen Auskünften geholfen habe und gab der Hoffnung Ausdruck, dass Sabrina schon sehr bald auf einem Erholungskurs gehen würde. Auf keinem Fall brauche ich zu befürchten, dass der derzeitige Zustand ein Dauerzustand sei und bleibe, aber einen Zeitrahmen konnte er mir noch nicht nennen. Von diesem Zeitpunkt an lenkten mich meine Wege Nachmittag für Nachmittag in die Klinik nach Neuweiler. Von Freitag bis Sonntag war ich stets in Begleitung von Elli. Auf Anraten der Ärzte baten wir die anderen Familienmitglieder von Besuchen abzusehen und Dritte wären zu diesem Zeitpunkt von der Klinik nicht zu ihr vorgelassen worden. Die erste Woche ihres Klinikaufenthaltes versetzten mich irgendwo in Angst und Schrecken. Ich hatte den Eindruck nur Sabrinas Körper wäre in der Klinik und ihr Geist in einer anderen Welt. Für mich schien es fast schon ein enormer Fortschritt zu sein als mich Sabrina am folgenden Montagnachmittag in ihrer derzeitigen geistesabwesend scheinenden Art fragte: „Papa, kommt Mutti heute nicht mit?“. Ein Tag darauf sah ich schon Hoffnungsschimmer am Horizont, denn sie fragte mich warum ich Sara nicht mit zu ihrer Patentante brächte. Letztlich schien mir der Donnerstag, an dem sie genau eine Woche in der Klinik war, der Durchbruch zu sein, denn sie erkundigte sich in der beschrieben Art nicht nur nach Mutti und Sara sondern auch nach Herta und Walter sowie Tanja und Oliver. Nur alles was die Kühn-Linie anbelangte blieb bei ihr außen vor. Weder Waltraud und Thomas noch Matthias Familie sprach sie an und ich wollte auch nicht von mir aus daran etwas ändern, da ich befürchtete etwas Falsches anzustoßen. Der nächste Freitag verlief aus meiner Sicht dagegen hochdramatisch. Wieder hatte mich Elli nach Neuweiler begleitet und Sabrina unterhielt sich mit uns beiden. Aber immer wenn sie mit Elli sprach dachte ich sie spräche mit Astrid und öfters kam es mir vor als spräche sie mit einem nicht anwesenden Dritten: Mit ihrem Verlobten Matthias. Daraufhin war es mir doch ein ernstes Bedürfnis mit dem Arzt zu sprechen. Dieser versuchte mich zu beruhigen und erklärte mir, dass Sabrina durch die Unglücksnachricht so einen Schock, der sie in eine Art Trauma versetzt habe, erlitten habe. Ihre Psyche brauche dieses um Realitäten neu zuzuordnen. Dieses wäre mit Träumen in einer nächtlichen Schlafphase zu vergleichen. Er habe aber den Eindruck, dass Sabrina langsam erwache. Am Morgen habe sie bereits sehr real mit ihm gesprochen. Ihr sei inzwischen wohl sehr bewusst, wo sie sich befände. „Können sie denn schon einmal eine grobe Zeitschätzung darüber abgeben, wann wir unser ‚Mädchen’ wieder Zuhause haben können?“, fragte ich ihn. „Das geht im Moment leider noch nicht.“, begann er seine Antwort, „Alles was mit ihrer Tochter augenblicklich geschieht können sie wirklich mit einer durchträumten Nacht vergleichen. Es kommt nach dem Aufwachen darauf an, was in ihrem Bewusstsein von den Träumen übergeblieben ist. Bei Träumen ist es ja so: Wissen sie nichts mehr davon, ... was bei ihrer Tochter allerdings nicht der Fall sein wird, oder verbleiben positive Einflüsse sind sie frisch für den nächsten Tag. Ist ihnen aber was alptraumhaftes im Bewusstsein verblieben, haben sie damit möglicher Weise den ganzen Tag zu kämpfen. Wir müssen davon ausgehen, dass Letzteres bei ihrer Tochter der Fall sein wird. Dann ist meine zweite Fachrichtung ... ich bin Psychiater und Psychologe – mehr als erstere gefragt. Was da auf mich zukommt kann ich ihnen aber erst sagen wenn sie vollkommen aufgewacht ist. Ich denke, dass ich ihnen nächste Woche dazu dann schon einmal mehr sagen kann.“.
Nun, der Arzt hatte diesbezüglich recht. Mehr und mehr war Sabrina in den Folgetagen wieder in der realen Welt. Bereits am Samstag unterhielt sie sich mit uns ganz natürlich über die Dinge die zuhause ablaufen. Aber sie ließ alles aus, was mit Matthias und ihr soziales beziehungsweise christliches Engagement zusammenhing. Etwa eine dreiviertel Stunde dauerte diese Bewusstseinsphase an. Dann aber sagte sie plötzlich, dass sie sehr müde sei und bat uns doch zugehen. Am drauffolgenden Dienstag fragte sie nach meinen Eindrücken von Matthias Beerdigung und wie dieses Mami und Papi, also Matthias Eltern, das aufgefasst hätten. Ihr Geist war eindeutig wieder auf der Rückkehr in ihren Körper. Ab diesem Tag konnte ich mich dann immer recht real mit meiner, nun sehr mürrisch wirkenden Tochter unterhalten. Sie machte auf mich jetzt den Eindruck wie damals unmittelbar nach dem Mord an Astrid. Offensichtlich war sie drei Jahre zurückgeworfen worden. Dieses war nun der Hintergrund meines sehr ausführlichen Gespräches mit dem behandelnden Arzt am letzten Märztag des Jahres 2000, einem Freitag. Diesen Tag weiß ich noch sehr genau, da er auch für mich zur Tragödie ausarten sollte. Der Arzt sagte mir das Sabrina so gut wie nichts von dem Mord an ihrer Mutter verarbeitet habe. Alles in ihrem Inneren wäre noch so frisch wie vor 3 ½ Jahren. Sie kann den Verlust ihrer Mutter nicht verkraften und steckt voller Hass gegen die Welt die ihr dieses angetan habe. Das Problem wäre bei ihr, dass sie ihre Persönlichkeit, ihr Ich, unter einer gespielten Oberfläche verborgen hätte. Der Psychiater und Psychologe fragte mich: „Ist ihnen nicht aufgefallen, dass ihre Tochter kaum von sich selbst spricht, keine eigenen Wünsche und Zielvorstellungen entwickelt.“. Er meinte sie habe ihr Ichbewusstsein sehr tief in sich begraben und würde jetzt nur das spielen, was sie glaubt anderen zeigen zu müssen. Wörtlich führte er aus: „Ihr Tochter liebt sie über alles. Sie sind das letzte Stück was ihr aus einer heilen Welt geblieben ist. Aber auf der anderen Seite ist sie tiefst enttäuscht, weil sie offensichtlich Vergebung über Gerechtigkeit gestellt haben. Ihnen gegenüber spielt sie aber die Tochter die uneingeschränkt ihre Ansichten teilt. Ihre Frau hat sie sich als Ersatzmutter auserkoren weil sie glaubt nicht ohne eine solche auskommen zu können. In der Tiefe ihrer Psyche ist sie aber der Meinung ihre Mutter habe an der Stelle ihrer jetzigen Frau sterben müssen. Und so weiter und so fort. Ich könnte jetzt mit ihrem Bruder, mit ihrer Schwägerin und ihrer nächsten Verwandtschaft fortsetzen. Immer tritt sie anderen Menschen gegenüber anders auf wie sie gegenüber diesen empfindet. Ihr Ego gibt sie auf um den Leuten gegenüber als deren Wunschbild aufzutreten. Selbst hat sie keine eigenen Zukunftsperspektiven.“. Am Erschütternsten für mich war seine Aussage, dass Sabrina mit großer Wahrscheinlichkeit ihren Matthias gar nicht geliebt hat. Wenn sie von ihm spräche, fiele nie etwas von den Menschen sondern sie hätte immer nur den angehenden Pastor ihn ihm gesehen. An seiner Seite, so hätte sie gehofft, würde es ihr leichter fallen die Rolle, die ihre Persönlichkeit übertüncht, zu spielen. Im Unterbewusstsein hielte sie sich nämlich wegen ihres Empfinden für einen schlechten Menschen. Nach dem Unfalltod ihres Bräutigams habe sich ihr, von ihr massiv unterdrücktes Ich mit aller Gewalt gemeldet und für ihr sei in diesem Moment die Welt zusammengebrochen. Daher auch diese heftige Reaktion und danach stände sie genau wieder dort, wo sie sich schon vor drei Jahren befand. Seine Arbeit müsse sich jetzt darauf konzentrieren, so der Arzt, ihr Wege aufzuzeigen, wie sie das schreckliche Geschehen von vor drei Jahren endlich aufarbeiten kann und sie zu Zukunftsorientierung zu ermuntern. Wenn dieses nicht gelänge habe sie möglicher Weise einen Knacks fürs Leben weg. Merkwürdig, nach diesem Gespräch sah ich meine Tochter mit ganz anderen Augen an. In fast allen ihren Äußerungen, die sie machte, als ich anschließend mit ihr alleine im Zimmer war, sah ich jetzt eine Bestätigung von dem, was der Arzt zuvor gesagt hatte. Neugierig geworden fragte ich sie, was sie zutun gedächte wenn sie wieder nach Hause käme. Erst wischte sie die Frage mürrisch vom Tisch: „Was heißt hier, was ich machen will wenn ich hier rauskomme? Jetzt bin ich erst mal hier und froh meine Ruhe zu haben.“. „Die brauchst du auch.“, versuchte ich sie zu besänftigen, „Aber zum Glück ist dieses ja nur vorrübergehend; du kannst dich ja nicht bis zu deinem Lebensende ausruhen. Willst du denn auch ohne Matthias weiter machen mit deiner Olvermühler Tafel und der Sorgenanlaufstelle ... Schließlich bis du doch die Königin von Salein.“. „Ach was,“, sagte sie erst traurig und dann prüttelig, „die kommen auch ohne mich aus. Und außerdem war Mama die Königin von Salein und nicht ich.“. Tatsächlich, nirgendwo ein Selbstbewusstsein, dafür überall ein in den Tag leben, als wolle sie sagen, dass sie heute lebe und damit schon so viel Probleme habe, dass sie kein Gedanken an das Morgen verschwenden wolle. Die beiden letzten Freitage war Elli mit in Neuweiler, aber an diesem Tag hatte sie eine kurzfristig anberaumte Besprechung des Lehrerkollegiums und konnte somit nicht mitkommen. Ich saß also während der Rückfahrt von Neuweiler nach Salein allein im Auto und das sollte mir zum Verhängnis werden. Ich war ins Grübeln gekommen und beurteilte mit den Arztworten meine eigene Person. Wo war denn meine Zukunftsperspektive? An der Seite der 7 Jahre jüngeren und schönen Elli alt werden, dürfte noch diesbezüglich ein Bisschen zu wenig sein. Wo war denn mein eigenes Ich? Habe ich es nicht neben dieser sehr netten und gläubigen Frau verschwinden lassen? Sicher ich liebe sie; ich liebe sie ehrlich und fast über alles – aber reicht das? Überhaupt wo denke ich überhaupt an Zukünftiges? Da habe ich doch Häuser und Wohnungen von Astrid geerbt. Und was mache ich damit. Ich sitze werktags von Acht bis Zwölf im Büro und verwaltete diese. Ist das meine Aufgabe? Wie sieht diesbezüglich die Zukunft aus? Wenn ich dahingehend an meinem Schwager Walter Salein denke. Herta und Walter waren keine Kinder vergönnt; alles was er macht ist also nicht für Erben bestimmt und trotzdem engagiert er sich für den Fortbestand von Landschaft und Landwirtschaft, nicht nur in Salein sondern in der ganzen Ortschaft von Olvermühle. Er kauft noch zusätzlich Höfe, wie den von Horst
Schulte-Vollerde, hinzu. Und was mache ich? Bin ich nicht für die Zukunft des Wohnens in Olvermühle verantwortlich? Ist das nicht das Vermächtnis des Ernst Salein das über Astrid nun in meine Verantwortung gelangt ist? Was ist mit meinem Ich? Wo gestalte ich unser Leben mit? Die gestalterische Kraft in unserer Familie ist doch ausschließlich Elli – und ich spiele einfach nur mit. Wie habe ich persönlich die Sache von damals verarbeitet oder habe ich einfach nur abgeschaltet? Habe ich meinen damaligen Hass wirklich abgestellt oder verdränge ich nur jeden Gedanken daran und rede mir ein, es wäre Vergebung. Ich kam mir in der ganzen Zeit, die ich mit Elli zusammen bin, wie ein Musterknabe vor und in Wirklichkeit war ich nur ein Schauspieler, in einem Spiel, in dem Elli, allerdings ohne es bewusst zu wollen, die Regie führt. Bin ich wirklich besser wie meine Tochter über allen hinweg gekommen oder habe ich im Gegensatz zu ihr nur mehr Glück gehabt. Mehr und mehr kam ich zu der Überzeugung, dass ich keinen Schritt weiter war wie meine Tochter und es gar nicht ausgeschlossen wäre, dass ich an ihrer Stelle oder wie sie in der „Klapse“ wäre. Diese „Selbsterkenntnisse“ waren natürlich sehr deprimierend und pegelten meine Stimmung ziemlich unten auf dem entsprechenden Barometer ein. Elli war bereits etwa eine halbe Stunde vor mir heimgekehrt und saß, als ich die Wohnungstür aufschloss, gerade in der Badewanne. Sie wollte nur nach einer etwas anstrengenderen Woche mal für ein paar Minuten ausspannen. Statt einer Begrüßung sagte ich ihr: „Außer deinen nackten Körper zur Schau stellen und vom lieben Gott quasseln kannst du wohl nichts. Du hättest mal lieber das Wohnzimmer saugen sollen.“. Durch meinen Tonfall klang das Ganze noch härter wie es sich ließt. Dieses war bisher das Härteste was ich jemals zu Elli gesagt habe. Das traf sie so schwer, dass sie umgehend weinen musste. Ihrerseits fiel nur das geschriene Wort: „Raus.“. Unser erster Ehekrach größeren Ausmaßes hatte begonnen. Natürlich hatten wir uns auch vorher schon mal über dieses oder jenes gestritten. Das bleibt gar nicht aus wenn man immer zusammen ist, es sei denn, man habe sich nichts mehr zu sagen. Aber Gemeinheiten, wie sie jetzt fielen, hatte es zwischen uns beiden nicht gegeben. Die einzigste Unterbrechung, die es bei unserem Austausch von Bösartigkeiten gab, beruhte darauf, dass ich in den Keller ging um mir ein oder zwei Fläschen Bier aus dem dort stehenden Kasten zu holen. Der Einfachheit halber nahm ich dann den Kasten, der noch mit mehr als zur Hälfte mit bisher ungeöffneten vollen Flaschen bestückt war, gleich mit nach oben. Nicht genug damit; ich nahm mir auch gleich noch die für Besucher wie Walter bestimmte Weinbrandflasche – ich selber mag das Zeug eigentlich gar nicht – noch mit dazu. Jetzt aber nicht gleich auf das Falsche schließen, es ging mir nicht um den Vorsatz mich in einen unsinnigen Rausch zu steigern sondern ich wusste, dass ich mit so etwas, also mit der Vortäuschung einer Suffabsicht – das sollte es ursprünglich auch nur sein -, Elli an ein einer sehr empfindliche Stelle treffen kann. Es ging mir also nicht ums Saufen sondern ums Verletzen. Ein aufgeregtes Wort jagte das andere und heute kann ich im Detail nicht mehr sagen, um was es dabei eigentlich ging. Ich weiß nur noch, dass es um diverse Kleinigkeiten, die erst ausschließlich von mir und dann auch von Elli unqualifiziert vorgetragen wurden, ging. Währenddessen machte ich dann auch von den bereitgestellten Alkoholika Gebrauch. Wenn man sich nicht die Finger verbrennen will sollte man nicht mit dem Feuer spielen. Man kann seine Sorgen nicht in ein Gläschen Wein schütten, denn Alkohol ist kein Tröster sondern ein Emulsionsverstärker. Wer mit Wut und Ärger zum Glass greift läuft Gefahr zur aggressiven menschlichen „Bombe“ zu werden. Derjenige, der sich Trost bei Trauer und Schmerz vom Teufel Alkohol verspricht, riskiert sich in einen depressiven Weltschmerz zu versetzen. Allerdings kann man auch niemanden empfehlen als Ausdruck großer Freude zum Glass zu greifen, denn der sich daraus entwickelnde Übermut kann einen später als blamable Erinnerung verbleiben. Und Tag für Tag richten Alkoholisierte mit ihren suffgesteigerten Emotionen große Schäden, nicht nur Sach- sondern auch Personenschäden bis hin zum Mord, an. Es werden ja nicht nur vorhandene Empfindungen auf den Gipfel getrieben sondern gleichzeitig wird mit dem steigenden Promillepegel auch der Denkapparat verlangsamt, bis er letztendlich nur noch auf konfusen Bahnen durch eine nicht nachvollziehbaren Welt geistert. Na ja, ich hatte also den „Teufel Ackerhohl“ bereitgestellt um Elli eins auszuwischen aber dabei bleibt es nicht aus, dass man leider davon auch Gebrauch macht. So hatte ich erst mal eine Flasche Bier auf Ex in den Schlund gekippt und postwendend folgte ein Glas Weinbrand, den ich in der Regel nie gut vertrage. Ohne lange zu warten köpfte ich die zweite Flasche Bier, die ich jetzt hinsichtlich der Flüssigkeitsmenge nicht mehr einem Ex- und Hoppverkehr zuführen konnte. Die Wirkung blieb natürlich nicht aus. Plötzlich rastete ich völlig aus und herrschte sie an: „Halt die Schnauze oder ich stopfe sie dir“ und dabei positionierte ich mich so vor ihr, als wolle ich jeden Moment zuschlagen. Sowohl vollkommen empört wie maßlos enttäuscht schaute mich Elli an und sagte: „Das wagst du nicht.“. Und wie ich das wagte. Ich schlug ihr einmal recht kräftig ins Gesicht. Just in diesem Moment kam kurzfristig bei mir die Besinnung wieder. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich eine Frau geschlagen. Wenn man von den Raufereien in der Kindheit und der Jugendzeit sowie von leichten „erzieherischen Klapsen“ bei Oliver absieht war es überhaupt das erste Mal, dass ich meine Hand gegen einen Menschen erhoben habe. Und das tat mir in diesem Moment in meiner Seele bitter weh und ich wollte jetzt postwendend das Steuer herumwerfen, mich entschuldigen und wieder zur Vernunft zurückkehren. Das ging aber jetzt nicht so einfach – oder sagen wir gleich überhaupt nicht mehr. Elli erlebte nun zum zweiten Mal in ihrem Leben, dass sie geschlagen wurde. Das erste Mal war es vor ein paar Jahren ein renitenter Schüler, den Elli zu einem Vieraugengespräch gebeten hatte, um ihn zum Nachdenken hinsichtlich seiner sozialen Eingliederung zu
bewegen. Er quittierte ihr dieses Gespräch mit einen Faustschlag und zog von dannen. Und jetzt war ich es, der sich an ihr vergriff. Damals bei dem Schüler kam es nicht unerwartet auf sie zu, da es bei diesem Schüler nicht der erste Fall in einer solchen Art war. Er war verschlossen und konnte sich offensichtlich nur mit Gewalt artikulieren. Fachleute halten solche Menschen in der Regel für nicht sozial therapierbar, aber Elli wollte nichts unversucht lassen. Jetzt war es aber was anderes, jetzt war es der Mann, den sie liebte und mit dem sie bis zu diesem Zeitpunkt glücklich war. Für Elli brach eine Welt zusammen. Sehr leise und weinend sagte sie: „Ich packe jetzt meine Sachen und gehe erst mal zu den Kindern. Das ist, glaube ich, erst mal das Beste. Und bitte, komme nicht hinter mir her. Wenn wir unsere Auseinandersetzung bei den Kindern fortsetzen führt dieses nur zum Aus.“. Und dann ging sie schluchzend hinaus und ich verblieb im Wohnzimmer um dann Tankschiff zu spielen. Mit anderen Worten: Ich ließ mich vollaufen. Um aber jetzt die verehrte Leserschaft nicht zu verwirren erlaube ich mir diesen Kapitel, dass sich in der Tendenz ganz anders ließt als alle vorgehenden, noch eine Anmerkung anhängen. War ich nicht bisher sogar mehr als kritisch gegenüber der Psychologie? Hörte sich das ganze Engagement Sabrinas, dass sie zur neuen Königin von Salein machte nicht nach einem Ich-Bewusstsein, was der Arzt als nicht vorhanden diagnostiziert hatte, an? Hatte sie wirklich keine Zukunftspläne? Hörten sich ihre futuristischen Scherze gegenüber Oliver nicht nach einem Vorsatz an? Spricht die Art und Weise des Kennenslernens und der erste Umgang miteinander zwischen Matthias und Sabrina nicht für Liebe? Sie wusste ja erst gar nicht, dass er vielleicht mal Pastor sein würde, denn es gibt ja keine Automatismen vom Theologiestudenten zum ordinierten Pastor. Außerdem hat es ja bei den Beiden gefunkt wo sie ja noch nichts von Matthias beruflichen Plänen wissen konnte. War jetzt wirklich das unterdrückte Ich hochgekommen und nicht abgebauter Hass aktiviert worden oder war tatsächlich „nur“ zum zweiten Mal ihr Lebenstraum zerbrochen und schmerzten damit nicht noch einmal die Wunden vom ersten Bruch? Letztlich noch die Frage nach dem Warum bei mir. Warum übertrug ich das, was mir der Arzt bezüglich Sabrina gesagt hat, auf meine eigene Persönlichkeit? Na ja, dazu jetzt die angekündigte Anmerkungen: Ich habe in diesem und den nächsten Kapiteln einmal meine heutige Meinung zurückgestellt und gebe die Stimmungen, so wie sie damals waren, nachvollziehbar wieder. Also warten wir es ab; Schlussfolgerungen gehören ans Ende. Zum Kapitel 26
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Alleinlassen ist keine Lösung Der große Vorteil eines Einheitsstils ist es, dass man ohne Umdenken und Neulernen von hier bis ans Ende der Welt kommt. In vielen Fällen führt so etwas zur beamtokratischen Erstarrung; keine Flexibilität, keine Innovation. Aber es gibt auch Gelegenheiten wo, wenn das Ganze nicht zur Verwirrung und Verständnislosigkeit führen soll, eine solche starre Unbeweglichkeit zwingend notwendig erscheint. Stellen Sie sich einmal vor, ich hätte diesen Roman so begonnen wie er ist, das heißt, einen Erlebnisbericht in Ichform. Plötzlich wird aus Ich dann der Dieter und alles was ich in der Vergangenheit erlebt habe, schreibe ich nun in der Gegenwartsform. Sofort mit dem Stilbruch würde der Leser die Orientierung verlieren und es wäre so vorbei, dass ich gar nicht mehr weiter schreiben brauchte. Jetzt hat der in Ichform geschriebene Erlebnisbericht den Nachteil, dass man immer nur das schreiben kann, wo man selbst handelt oder dabei war. Ab und zu kann man, wenn man darauf hinweist, auch davon berichten was man später gehört, gelesen oder aus anderen Berichten übernommen hat. Lässt man diese Hinweise weg, klingt das Ganze unglaubwürdig und damit nicht nachvollziehbar. Bei diesem Kapitel stehe ich nun an einem Scheideweg. Die Woche von dem im Vorkapitel beschriebenen Freitag bis zum darauffolgenden Freitag verlief eigentlich sehr dramatisch aber ohne meine Beteiligung. Ich igelte mich in mein Haus ein: Ich hielt die Woche über mein Büro geschlossen und das Telefon nahm ich gar nicht ab. Wenn jemand an der Tür schellte hatte er Pech gehabt, denn ich machte nicht auf. Sabrina besuchte ich nicht und das Haus verließ ich nur, um mich mit Zigaretten und Alkoholika, von denen ich mich praktisch ernährt habe, einzudecken. Jetzt muss ich also von dem berichten was ich später von Elli und den „Kindern“ beziehungsweise Thomas zu unterschiedlichen Zeiten erfahren habe. Teilweise muss ich jetzt auch Lücken mit sehr wahrscheinlichen Mutmaßungen schließen. Würde ich aber jetzt immer daraufhin weisen wo ich das im Einzelnen her habe oder wo ich Lücken schließe, käme dabei ein auch für mich selbst fast unverständlicher Text heraus. Deshalb lassen Sie mich jetzt mal frisch von der Leber weg und chronologisch das erzählen, was ich nicht selbst erlebt habe, aber für den Fortgang meiner Geschichte höchst wichtig ist. Man kann nicht gerade sagen, dass Oliver und Tanja hoch erfreut waren als Elli mit verheultem Gesicht und mit einem Koffer in der Hand bei ihnen anschellte. In einem solchen Fall kann man ja leicht Eins und Eins zusammenzählen. Bei so etwas ist auch absehbar, dass so etwas nicht nach einer Stippvisite aussieht. Und dieses zu einem Zeitpunkt, wo Tanja und Oliver am Abend eigentlich ausgehen wollten. Für 19 Uhr hatten sie sich ein 15-jähriges Nachbarmädchen, das gerne mit der kleinen Sara spielt und umgekehrt unserer Kleinen sehr willkommen ist, als Babysitterin eingeladen. Sie wollten mit einem befreundeten Paar, dass in etwa zur gleichen Zeit wie Tanja auf Familienzuwachs wartet, mal schön essen gehen. Die befreundete Frau wurde zum ersten Mal Mutter und wollte von Tanja etwas von ihren Erfahrungen mit Sara wissen. Normaler Weise hätten unsere Beiden jetzt, wo doch die Oma da war, dem Kindermädchen absagen und trotzdem ihrer Verabredung nachkommen können. Aber Elli machte nicht den Eindruck als könne man sie selbst an diesem Abend allein lassen. Sie war völlig aufgelöst und Durcheinander. Also mussten die jungen Leuten auch ihren Freunden absagen – und so kurzfristig ist das nun wirklich nicht schön. Man darf jetzt auch nicht glauben, dass zumindestens das Nachbarmädchen, dass von Elli über den Umweg Oliver natürlich ihren Lohn, als hätte sie ihre Dienstleistung erbracht, bekommen hat, sich gefreut habe. Sie gehört nicht zu den Typen, denen es nur auf Geld und oberflächlichen Spaß ankommt sondern ihr Glück wäre es gewesen, sich mit Sara Lauren zu beschäftigen. Statt Essen zu gehen mussten jetzt Tanja und Oliver selber etwas zubereiten. Elli wäre, selbst wenn sie gewollt hätte, bei ihrer derzeitigen Verfassung dazu nicht in der Lage gewesen. War es nun ihre ungebrochene Liebe zu mir oder ihre gläubige christliche Grundauffassung, dass sie mich weitgehenst schonen wollte und den Kinder gegenüber nicht richtig Ross und Reiter benannte. Sie erzählte ihnen, dass ich vollkommen zerdeppert von Sabrina wieder gekommen sei und dann demütigend gestänkert habe bis sie es nicht mehr ertragen konnte. Oliver wollte gleich zum Telefon greifen und mich zur Rede stellen. Davon hielt Elli aber ihren Schwiegersohn mit dem Hinweis, auch ich würde Zeit gebrauchen um wieder zur Besinnung zu kommen, ab. Tanja jedoch kannte ihre Mutter besser und wusste sofort, dass sie wegen Demütigungen, insbesondere wenn diese von Anderen aus nachvollziehbaren Gründen kommen, nicht davon läuft. Deshalb bohrte sie immer wieder nach, was aber bei Elli immer mehr zu Konfusion führte. So geht es mir aber auch: Durch stetiges Nachbohren kann man mich nach und nach an die Wand fahren. Und so verwickelte sich Elli mehr und mehr in Widersprüche so dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Tanja und Oliver gar nicht mehr wussten wo sie dran waren. Trotz allem wurde Elli scheinbar ruhiger oder mindestens normaler. Da deckte dann ein zufälliger Augenblick die Wahrheit auf. Elli ging ins Bad um sich ihr verheultes Gesicht zu waschen. Sie hatte sich nach dem Waschen nicht groß im Spiegel betrachtet sondern war gleich spornstreichs wieder ins Wohnzimmer zurückgekommen. Tanja schaute sie in diesem Moment, weil sie auf dem Wege zu Oliver in die Küche war, nur mal beiläufig an und stellte fest: „Mutti, auf der linken Seite bis du noch ein Bisschen schmutzig“ und setzte zunächst ihren Weg fort. Da sie erwartete, dass Elli gleich ins Badezimmer gehen würde und sie das Erwartete nicht machte, schaute sie fünf Minuten später als sie gemeinsam mit Oliver zurückkam, noch einmal genauer hin. Jetzt kam die Erkenntnis: „Mutti, dass ist ja ein blauer Fleck. Jetzt aber mal ‚Butter bei die Fische’ ... Was ist passiert?“. Spontan begann Elli zu weinen und gab jetzt alles zu was wirklich passiert war. Mein Sohn rastete jetzt stehenden Fußes aus: „Was, mein Alter ein Frauenschläger! Dem
werde ich es jetzt aber zeigen.“. Und schon hatten die beiden Damen alle Händen voll zu tun, den jungen Mann von jetzt unbedachten Handlungen abzuhalten. Nachdem alle die ersten Aufregungen verkraftet hatten wurden sie fast zum gleich Zeitpunkt stutzig. Was war passiert, dass ich vom Morgen auf den Nachmittag so umgekrempelt war. In der Frühe, als Elli zur Schule ging war ich noch der nette Ehemann, der seine Frau liebte und als ich des Nachmittags aus Neuweiler nach Hause kam war ich das Biest, der seine Frau demütigte und schlug. Irgendetwas musste nach ihrer Ansicht in der Klinik passiert sein. Die Frage die jetzt alle bewegte war, was war mit Sabrina. Oliver ließ es keine Ruhe und er rief in Neuweiler an. Dort wurde ihm nur gesagt, dass man ihm keine Auskunft geben dürfe außer das es Sabrina den Umständen entsprechend gut gehe. Eigentlich in Erwartung einer negativen Antwort fragte er: „Ist es denn möglich, dass ich mal meine Schwester sprechen kann?“. Zu seiner großen Überraschung kam aber von der anderen Seite: „Ja, einen Augenblick bitte, ich schaue mal nach.“. Knapp drei Minuten später hatte er dann tatsächlich Sabrina am Apparat, die ihrem Bruder dann noch sagte, dass sie sich darüber freue, von ihm angerufen zu werden. Seine damals unglückselige Übermittlung von Matthias Todesnachricht hatte Oliver noch im Hinterkopf und jetzt lief seine Denkmaschine auf Höchsttouren. Wie konnte er seine Schwester fragen was vorgefallen sei, ohne ihren Verdacht zu Hause könnte was passiert sein zu wecken? Na ja, so tauschte er dann mit ihr erst mal ein paar Allgemeinfloskeln hinsichtlich ihres Befindens und so weiter aus. Dann begründete er seine Nachfrage damit, dass der Papa, der sonst immer nach seinen Besuchen Bericht erstattet habe, sich wohl eine schwere Erkältung, wie sie bei der derzeitigen Wetterlage schon mal vorkommen könne, geholt habe. Der sei so Grogi gewesen, dass er gleich ins Bett gegangen sei und sich von Elli nur noch einen Grog habe machen lassen. So habe er nicht mehr viel gesagt und nun hofften alle, dass er sie nicht angesteckt habe. Ich muss schon sagen, dass er das ganz clever gemacht hat. Die Antwort war dann für alle überraschend und zeigte eigentlich, dass Sabrina besser wie gedacht darauf war. Zunächst erfuhr Oliver, das er einen kleinen Moment warten solle. Sabrina war zum Telefonat auf das Stationszimmer gerufen worden und fragte jetzt, ob sie mit dem tragbaren Apparat kurz ins Besuchersprechzimmer, was direkt neben an lag, verschwinden dürfe. Als ihr das genehmigt wurde legte sie ungeschminkt los: „Ich denke nicht, dass Papa eine Grippe hat ... der hat was anderes. Der hat heute Nachmittag mit dem Blödrian von Klappermann (gemeint war der Arzt) gesprochen. Der Affe sorgt dafür, dass er nicht arbeitslos wird. Wen der in die Finger kriegt, den macht er klapsmühlenreif. Erst nennt er das Thema, was er gerne drauf hätte ... zum Beispiel den Mord an Mama oder Matthias Unfall – und dann sagt er du solltest mal erzählen. Wenn du dann nicht willst oder nicht sagst was er hören will, stellt er duselige Fragen. Der ist beim Aufspüren verborgener Komplexe so aktiv, dass du mit ihm nur eine halbe Stunde zu quatschen brauchst, dann hast du den Knall weg, den er offensichtlich vom Studium an hat. Irgendwo verstehe ich jetzt, warum die Leute, die eine längere Psychotherapie hinter sich haben, nicht ihren Komplex los sind aber dafür einen Knall haben. Da lobe ich mir doch Onkel Thomas. Der ist zwar Pastor und kein Psychofritze aber der kann’s. Der lässt dich reden, wie du möchtest und bohrt nicht in deinen bösen Erinnerungen herum. Und wenn der dir was sagt, dann gibt es dir Trost und Hoffnung. Also wenn ich hier raus bin, dann lasse ich mich von dem erst einmal vom Psychotrip kurieren. Aber offensichtlich schafft der Klappermann das nicht nur bei Kranken sondern auch bei Gesunden. Bevor Papa mit ihm sprach war er ganz normal ... so wie immer. Nur ich habe ihm ein paar verpasst, weil ich sauer auf diesen sogenannten Arzt, bei dem ich eine halbe Stunde vorher eine Sitzung hatte, war. Als er wieder kam machte unser alter Herr einen Eindruck als wolle man ihn da behalten und begann mit einer ähnlich dämlichen Fragerei wie dieser Psychoheini. Der Psychoheini muss auf Papa so wie ein Holzhammer gewirkt haben, dass ihr das sogar später merken konntet.“. Im Nachhinein muss ich sagen, dass meine vermeintlich kranke Tochter die Situation realer sah als ich, der ich mich gesund wähnte. Als Oliver dann den anderen berichtete, was er von seiner Schwester gehört hatte, erklärte Elli: „Du meine Güte, jetzt wird mir vieles klar. Als Psychologiegegner haben Papa und ich uns gesucht und gefunden. Er hat sich mal mit der Biografie von Siegmund Freund, der eigentlich ein Romancier und kein Wissenschaftler war, beschäftigt und hält die gesamte Psychologie - und die Tiefenpsychologie insbesondere - für Klimbim und Scharlatanerie. Die Worte Klappermann und Psychoheini, die Sabrina gebrauchte, stammen von ihm. Für mich sind Psychologen die Leute, die bei gottfernen Menschen das kurieren wollen, woran sie nicht glauben: Die Seele. Sowohl Papa wie Sabrina haben zu ihren zuvor vorhandenen Meinungen noch meine dazu gepackt. Das muss ja chrashen wenn solche Leute wie der Arzt, der es aus seiner Sicht sicherlich gut meint, mit Leuten wie Sabrina und Papa zusammen treffen. Das ist ja so als würde der Papst zu einem muslimischen Imam gehen und von ihm die letzte Ölung verlangen. Was der eine sagt, kommt doch auf den anderen wie ein hochaggressiver Angriff rüber. Der Arzt hat ohne es zu wollen, meinen Dieter fertig gemacht, in dem er bei ihm längst überwundene Komplexe weckte. Psychologen halten nichts davon tote Geister ruhen zu lassen sondern erwecken diese immer wieder zu neuen Leben, damit man mit ihnen solange kämpft bis man glaubt sie besiegt zu haben. Aus meiner theologischen Sicht ist dass die Versuchung des Teufels. Empirische Untersuchungen in den USA haben ergeben, dass Theologen bei Opfern von Verbrechen und Unglücken wie auch bei Rettungskräften nach Katastropheneinsätzen eine mehr als viermal so hohe Erfolgsquote wie Psychologen haben. ‚Na ja,’ würde jetzt Papa sagen, ‚die Theologen haben auch ein paar Tausend Jahre mehr Erfahrung mit der Seele, die auf griechisch Psyche heißt’. Wenn der Arzt bei Papa die längst verstorbenen Geister geweckt hat, dann war ich, als er nach Hause kam nicht
seine sondern des Mörders Frau, die er abstrafen musste. Das erklärt vieles ... der arme Mann.“. Abschließend sagte sie noch, dass sie diese Lage unbedingt mit Waltraud und Thomas besprechen wolle. An der eben beschriebenen Meinung kann man sehen, dass Elli mir nicht nur vergeben sondern auch verziehen hatte. Ich war für sie jetzt nicht mehr der Mann, der sie geschlagen hatte, sondern derjenige, den sie nach ihrer Meinung, unbedingt helfen musste. Und Sabrina galt es natürlich auch zu helfen. Das führte dann nach dem Frühstück am Samstagmorgen zu einer Auseinandersetzung zwischen Elli und Oliver. Elli wollte ihre Sachen nehmen, ausgepackt hatte sie noch nicht, und nach Hause gehen. „Das kommt gar nicht in Frage.“, entrüstetet sich Oliver, „Was ist wenn er dich dann gleich noch mal schlägt.“. Elli antwortete ihm gelassen, dass er das wohl selber nicht glaube. Er müsse doch seinen Vater besser kennen. Er müsse doch wissen, dass das bei mir nur ein Ausrutscher aufgrund meiner derzeitig verzweifelten Lage sei und sie als meine Frau fühle sich verpflichtet mir zu helfen. Daraufhin wandte Oliver ein, dass aber Strafe sein müsse und sie schon aus dem Grunde da bleiben müsse. Elli konterte: „Nein mein lieber Junge, Strafe muss nicht sein, das ist eine fixe Idee der Menschen. Sie meinen, dass damit den Opfern Gerechtigkeit getan würde. Das dem nicht so ist haben wir ja alle inzwischen am eigenen Leibe erfahren. Im biblischen Sinne geht es ja auch nicht um die Opfer sondern um die Täter; sie sollen gerettet werden. Sie haben sich an dem vergriffen, was dem Schöpfer allein gehört. Alle Menschen, alles Leben gehört allein dem Herrn. Wenn du so etwas machst läufst du Gefahr, dass dich der Herr, wenn deine Seele in sein Reich will, nicht mehr kennt. Die alttestamentlichen Strafen sollen die Seele des Täters retten. Der Ansicht wiederspricht aber unser Herr Jesus Christus unter anderem in der Bergpredigt. Er legte Auge um Auge so aus, dass du, wenn du mit den Augen gesündigt hast, es dir selbst ausreißen sollst, damit nicht deine kostbare Seele verloren geht. Was das Bestrafen anderer anbelangt, denke an die Geschichte mit der Ehebrecherin: ‚Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Bestrafen oder nicht ist allein Gottes Sache: ‚Urteilt nicht, auf das ihr nicht verurteilt werdet.“. „Dann soll man Räuber und Mörder ruhig weitere Taten begehen lassen; das kann doch wohl nicht wahr sein.“, warf Oliver dazwischen.“. „Nein,“, fuhr Elli fort, „aber das ist eine ganz andere Sache. Natürlich müssen wir unser Zusammenleben ordnen und organisieren. Selbstverständlich müssen wir Täter daran hindern weitere Taten zu begehen und somit deren mögliche Opfer schützen. Andererseits müssen wir Zeichen setzen, damit nicht andere auf den Gedanken kommen, den bösen Beispielen zu folgen. Aber das war es ja nicht, was du mit strafen meintest. Die meisten Menschen verstehen, wie du jetzt, unter der Strafe ein kräftiges Zurückschlagen, damit die sadistischen Gefühle der Allgemeinheit und insbesondere der Opfer befriedigt werde. Was ich davon halte, habe ich dir ja eben erklärt. Was jetzt Papa anbelangt sehe ich bei ihm keine Notwendigkeit für Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Taten. Ich empfinde ihm gegenüber keine sadistischen Gefühle die befriedigt werden müssen sondern ich liebe ihn. Er brauch keine Strafe sondern er brauch Hilfe.“. Danach ging es zwischen den beiden emotional Hin und Her, bis letztendlich Tanja eine Kompromisslösung anbot. Sie schlug vor, zunächst mit ihrem Onkel Thomas zu sprechen. Und der solle dann erst einmal ein Gespräch mit mir führen bevor Elli wieder zu mir zurückginge. Elli ging auf diesen Vorschlag ein und, weil sie nicht abwarten konnte, rief sie ihren Schwager gleich an. Für Thomas war dieses praktisch wie ein Überfall, denn schließlich wusste er ja absolut von nichts. Wie sollte er aus dem Stehgreif in einer Sache vermitteln können, dessen Hintergründe er nicht kennt. Die Worte, die man in einem Fünf-Minuten-Telefonat wechseln kann, sind doch für eine Verhandlungsgrundlage recht wenig. Und dann ist es ja auch nicht so, dass Pastöre jede Menge weiße Seiten in ihren Terminkalender haben und auch bei „nicht so wichtigen“ Angelegenheiten lässt sich ja schwer, nur weil die Schwägerin Ehekrach hat, absagen. So blieb Thomas nichts anderes als Elli auf ihren, ohnehin geplanten Besuch nach dem am nächsten Tag stattfindenden Sonntagsgottesdienst zu vertrösten. Natürlich war Elli nicht erst seit Gestern im Geschäft und sah das, nach der Devise, dass sie sich dieses auch habe denken können, ein. Diese Unbedacht machte dann ihrem Gewissen doch eine gewisse Schwierigkeit. Ihr Bestreben, dass sie alles ringsherum vergessen ließ, war schnellstmöglich wieder nach Hause an meine Seite zukommen um mir zu helfen. Sie war, und ist auch heute noch, der Meinung dass Alleinlassen keine Lösung ist. Eher das Gegenteil: Wenn man Leute, die in ein tiefen Brunnen zu fallen drohen allein lässt findet man diese später mit Sicherheit auf dem Grund des Brunnens wieder. Viele werden doch solche Ehresituationen kennen, bei denen einer der Partner bei einem Streit nichts besseres zutun hat, als zur Mama zu laufen. Einmal kann das gut gehen aber nach mehreren solcher Anläufe dürfte man dann über der Ehe drei Kreuze machen dürfen. Sicher ist nichts dagegen zu sagen wenn man einen akuten Streit nicht eskalieren lässt und durch Sichentfernen vom Streitort für Abkühlung sorgt. Aber dann Wegbleiben und den anderen Alleinlassen lässt eine Eisfront aufziehen und ein immer breiterer werdender Graben, der letztlich eine unversöhnliche Hürde darstellt, tut sich auf. So zeigte sie sich dann nach dem Telefongespräch kurz entschlossen und wollte postwendend ihre Zelte im Asyl abbrechen. Das gefiel denn Asylgebern überhaupt nicht und die Diskussion über das Für und Wider wuchs zunächst zu einem fast handfesten Streit aus. Da sich Elli nicht zwischen alle Stühle setzen wollte zog sie die Konsequenz und blieb. Jetzt ist es natürlich müßig darüber zu spekulieren was gewesen wäre wenn sie jetzt umgehend nach Hause gekommen wäre. Hätte nichts anderes vorgelegen, wäre ich nüchtern gewesen, dann wäre alles in Ordnung gewesen. Aber da wäre
ich auch von meiner Seite her darauf gekommen den ersten Schritt zu unternehmen und hätte zumindestens angerufen und um Entschuldigung gebeten. Aber ich war nicht nüchtern sondern stark alkoholisiert – ein Dauerzustand in der Woche von der ich hier berichte. Und im Alkoholnebel handelt man irreal auf später nicht mehr logisch nachvollziehbaren Wegen. Elli glaubte zu diesem Zeitpunkt jedoch es auf der anderen Seite mit Logik und Vernunft zutun zu haben und hoffte heiß auf den Anruf, der sie in „heimische Gefilde“ zurückrufen sollte. Da dieser Anruf nicht erfolgte wuchs in ihr eine Enttäuschung, die letztendlich zur Verzweifelung ausartete. Nun, am nächsten Tag kam es dann zu dem Gespräch zwischen Elli auf der einen Seite und Thomas sowie Waltrud auf der anderen. Klar, das Thomas bereit war die Vermittlerrolle zu übernehmen. Das war er ja auch schon bei Ellis Anruf am Vortag, nur er wusste da ja nicht um was es eigentlich ging. Er machte sich auch gleich am frühen Sonntagnachmittag auf den Weg in die Peter-Salein-Straße um mit mir ein paar klärende Worte zu sprechen. Aber er war die zirka 5 Kilometer umsonst gefahren – ich machte nicht auf. Er versuchte mich auf dem Handy zu erreichen aber da meldete sich nur die Mailbox, genauso wie im Festnetz nur das Freizeichen. Er fuhr zurück um sich von Elli die Hausschlüssel geben zu lassen um nachzusehen, ob etwas passiert sei. Als er zu unserer Haustür zurück gekommen war, schloss er auf und rief unmittelbar nach seinem Eintritt „Dieter, ich bin’s ... Thomas“ und unmittelbar erfolgte mein Rückruf: „Verschwinde, ich will euch nicht sehen. Wenn du nicht freiwillig abhaust mache ich dir Beine.“. Mit einer solchen Ankündigung kann man natürlich keinen Peter Thomas Kühn davon jagen aber aufgrund meiner lallenden Stimme merkte er, dass es jetzt nichts außer einer eventuellen Eskalation bringen würde und zog es vor zunächst einmal den Status Quo zu wahren. Deshalb zog er dann auch tiefbetrübt erst einmal ab. So oder so ähnlich wie am Sonntag lief es jetzt Tag für Tag ab. Elli wurde immer enttäuschter und verzweifelter, denn ihr fiel ja letztlich, genau wie den anderen auch, nichts ein was sie hätte unternehmen können. Ihren täglich wiederholten Wunsch es selbst in die Hand zu nehmen redete ihr jetzt auch Thomas aus. Er plädierte für etwas Geduld, denn lange könne mein Dauersaufen ja nicht mehr dauern, denn das würde ich rein physisch nicht durchhalten und in dem Moment, wo ich körperlich down wäre, gäbe es dann eine Chance friedlich an mich heranzukommen. Am Freitagabend gab es dann wieder einmal ein Großereignisse, das eine Änderung der derzeitigen Situation einleiten sollte. Jetzt trete ich auch wieder selbst in die Handlung ein und kann jetzt wieder von dem berichten, was ich selbst erlebt habe und bin nicht auf die Rekonstruktion von Geschehnissen, die ich nur vom Hörensagen kenne, angewiesen. Am Freitag war ich bald an dem Punkt, den Thomas prognostiziert hatte: Mein physisches Ende nahte. Mir fiel, wie man so schön im Volksmund sagt, die Bude auf den Kopf aber noch wollte ich mich von meiner Sauferei nicht trennen. Also verlegte ich meine körperzerstörende Tätigkeit von Zuhause in die einzigste Kneipe, die es hier im Tal, wo Salein und der Hauptgemeindeteil Olvermühle liegen, überhaupt noch gibt. Na ja, viel war da ja gerade nicht los. Das mag wohl an der neuen Wirtin, die seit drei oder vier Monaten dort Hausherrin war, liegen. Sie machte hinter der Theke einen lustlosen Eindruck und zog es vor, statt alle Gäste bei Laune zu halten, mal mit diesem und mal mit jenem jungen Gast zu darten. An diesem Abend war ich wohl der absolute Senior in dem Laden. Derjenige der mir auf dem Alterstreppchen auf Platz 2 folgte war mindestens 25 Jahre jünger als ich. Ich bestellte mir immer „Kurz und lang“, das heißt je ein Bier und einen Schnaps, und ließ diese in etwa Viertelstundenabstand in mich hinein laufen. Außer Bestellungen kam kein Wort aus mir heraus. Stattdessen hörte ich den jungen Leuten zu, was ich aber in dieser Situation aber als „alles nur dummes Gequatsche“ empfand. Da kam dann der Punkt, der mich anschließend in den Polizeibericht unserer Lokalzeitung bringen sollte und auch für mich reichlich teuer wurde. Die jungen Leute unterhielten sich von dem Unfall bei dem Matthias und vier weitere Menschen ums Leben kamen. Sie konnten nicht verstehen wie es dazu kam, denn Serge, so der Vorname des selbst ums Leben gekommenen Todesfahrers, sei ein exzellenter Fahrer gewesen. Einer meinte, dass der, wenn er einen richtigen Promotor gehabt habe, so groß rausgekommen wäre, dass Schummi keine Chance auf einen weiteren Weltmeistertitel gehabt hätte. Das war zu viel für meine Ohren und ich mischte mich ein: „Bei der Dämlichkeit dieser Rotznase hätte der nicht mal eine Chance beim Schubkarrenrennen der Jaucheverwerter gehabt.“. Einer der Jungens antworte mir: „Was willst du denn, Opa?“. Da war es vorbei. Ich weiß gar nicht wo ich die Kraft her hatte, mit der ich die Griffleiste mit einem Ruck von der Theke riss. Erst wollte ich damit auf die Jungens losschlagen aber zum Glück lenkte ich meine jähzornige Wut auf Sachen um und machte aus der Theke Kleinholz. Jemand war hinaus gelaufen und hatte via Handy die Polizei informiert, die dann mit Blaulicht und Horn herbeieilte. Die Beamten überwältigten mich und nahmen mich erst einmal zur Ausnüchterung mit. In diesem Moment schaltete dann mein Erinnerungsvermögen ermöglichende Verstand ab. Ich soll mich auch noch im Streifenwagen und auf der Waldstädter Polizeistation mehr als kräftig daneben benommen haben – aber davon weiß ich jetzt so gut wie nichts mehr. Erst am nächsten Morgen befand ich mich wieder halbwegs in dieser Welt, aber weder vernünftig, noch nüchtern und schon gar nicht frisch. Ich hatte einen Brummschädel als hätte da jemand pausenlos darauf gehämmert und eine vollkommen trockene Kehle. Ich wusste wohl, dass ich mich in einer Polizeizelle befand und auch, dass ich vorher in der Kneipe randaliert und aus der Theke Kleinholz gemacht habe, aber meinen Status kannte ich nicht. War ich vorläufig festgenommen oder war ich hier zur Ausnüchterung? Just in dem Moment wo ich mich sachkundig machte wo und wie ich melden konnte, wurde die Tür aufgeschlossen und geöffnet. Ein älterer, freundlich wirkender Polizist sprach mich an: „Ach Herr Rossbach, sie sind schon von selbst wach geworden ... ansonsten hätte ich sie jetzt geweckt. Kommen sie doch gleich mal mit. Wir müssen noch ein paar Formalitäten erledigen und gleich wird auch ihre Frau da
sein um sie abzuholen. Sie können sich aber hier an dem Becken erst mal ein Wenig frisch machen. ... Was Besseres können wir ihnen hier im Hotel „Costa Zellna“ leider nicht bieten.“ Dann ließ er die Tür auf und ging zurück in seine Amtsstube. Derweil machte ich das, was mir angeboten worden war. Diesmal benutzte ich das Wasser nicht nur für die erfrischende Reinigung sondern auch zum Stillen meines großen Durst. Ausnahmsweise empfand ich heute „Original Kranmacher“ als köstliches Getränk. So etwa ein Viertelstündchen später erschien dann Elli. Sie wäre schon eher gekommen, wenn sie von alledem gewusst hätte, aber die Polizei hatte unter meiner Nummer natürlich niemand erreicht. Erst der Diensthabende an jenem Samstagmorgen kam auf den Gedanken mal die Nummer hinter dem Eintrag „Rossbach, Oliver“ anzurufen und zufragen ob und wie wir miteinander verwandt seien und so konnte Elli dann erreicht werden. Sie ist natürlich spornstreichs losgefahren. Aber es war nicht sehr schön für sie, denn in mir kam wieder der Satan vom Vortag durch. Ich fuhr sie als „dusselige Kuh“, die ihren Mann in Stich gelassen habe an. Dann kam eine Schelte, in der ich ihr, vor den Augen und Ohren des Beamten, ihre Frömmigkeit im Gegensatz zu unseren Schlafzimmerzimmergeheimnissen vorwarf. Der Beamte herrschte mich an: „Herr Rossbach, wenn sie noch zwei oder drei Stunden in der Zelle ausschlafen möchten, werde ich sie nicht rausschmeißen.“. Und prompt begab ich mich tatsächlich in die Zelle, legte mich auf die Pritsche und schlief ein. Es werden wohl tatsächlich über zwei Stunden gewesen sein, die ich noch in der Ausnüchterungszelle verschlief. Da wurde ich erneut von dem Polizisten geweckt: „Herr Rossbach, ihr Herr Pfarrer möchte sie sprechen.“. Erstmalig in dieser chaotischen Zeit meldete sich massiv mein schlechtes Gewissen und ich glaubte mich zu schämen. Daher bin ich dann nicht eiligst und freudig in die Wachstube, in der Thomas auf mich wartete, geeilt. Thomas fing die Situation jedoch gekonnt ab: „Mann Junge, du hast in letzter Zeit eine Menge einstecken müssen. Ich weiß nicht ob ich das, was du tragen musstest, alles gepackt hätte. Jetzt bist du halt down ... andere hätten an deiner Stelle schon längst das Handtuch geworfen. Dann wollen wir mal sehen, ob wir dich wieder auf die Beine bekommen.“. Das war zwar aus meiner Sicht reichlich übertrieben aber es tat mir gut. Spontan nahm ich meinen Schwager in den Arm und, wäre der Beamte nicht da gewesen, hätte ich mich auf seinen Schultern ausgeweint. Als wir draußen waren sagte er mir, dass Elli mich verstehen würde. Sie wäre zwar schwer getroffen aber sie würde mich nicht aufgeben. Sie wäre jetzt wieder zu Hause und würde auf mich warten. Jetzt hielt mich nichts mehr, jetzt musste ich heulen und schäme mich der geflossenen Tränen nicht. Wieder daheim öffnete Elli, ohne dass es eines Schellens bedurft hätte und schaute mich mit traurigen Augen an. Spontan umarmte ich sie und zog sie an meine Brust und sagte: „Ach Elli, ich Depp, warum musste ich das tun obwohl ich es gar nicht wollte.“. „Schon gut, Maus,“, sagte sie jetzt mit weinender Stimme, „wir sind doch alle nur schwache Menschen.“. Ich weiß nicht; irgendwo jubelte meine Seele. Trotz allem war nichts untergegangen, der verlorene Mann durfte heimkehren – und damit meine ich jetzt nicht das Haus sondern in den Hafen meiner Partnerschaft mit Elli. Wir saßen nun fast zwei Stunden zusammen und sprachen uns unter der geschickten Moderation durch Thomas aus. Jetzt erfuhr ich, dass Sabrina mittlerweile eine wesentlich reale Einschätzung zu der Lage habe als ich. Sowohl Elli wie auch Thomas vermittelten mir ihre Überzeugung, das Tochter wie Vater, im Gegensatz zur Psychologenmeinung sowohl die Vergangenheit gut verarbeitet hätten wie auch über ein Ichbewusstsein verfügten und wir sehr wohl wüssten, was wir wollten. Aber wir Menschen könnten uns halt nichts aus den Rippen schwitzen. Beide, Thomas wie Elli, waren der Meinung, das trotz aller unserer Vorbehalte und Bedenken gegen die Psychologie Sabrina der Klinikaufenthalt gut täte. Dort könnte sie sich, abgekapselt vom Alltag, mal ein Bisschen sammeln und sich im Hinblick auf ihre Persönlichkeit erholen – dazu hatte sie ja bislang keine Gelegenheit. Da kam ich auf den Gedanken, dass mir das vielleicht auch ganz gut tun würde. Elli sinnierte, dass wir, Sabrina und ich, in einem solchen Fall gemeinsam die vom Arzt eingeredeten Schuldkomplexe abwehren könnten. Irgendwie gefiel mir jetzt dieser Gedanke und unterbreitete den Vorschlag, dass wir jetzt zu Dritt Sabrina besuchen sollten und ich dabei die Gelegenheit zu einer „Einweisungsuntersuchung“ nutzen sollte. Die sich aus diesem Gedanken ergebene Hoffnung beflügelte uns so sehr, dass wir uns gleich Aufbruch fertig machten und starteten. Bei dem Vorhaben hätte ich ja gleich das Notwendigste packen und mitnehmen können. Aber das fiel mir erst kurz vor Neuweiler ein und andererseits scheint so auch eine „Spontanuntersuchung“ glaubwürdiger. Zunächst gingen wir, als sei es ganz normaler Besuch, zu Sabrina. An ihrem Gesicht konnte man sehen, dass sie sich über das erschienene Trio freute. Sie gab uns keine Chance uns nach ihrem Befinden zu erkundigen sondern fragte nach dem meinigen. An meinem Verhalten bei meinem letzten Besuch und an der Rumdruckserei von Oliver, mit dem sie außer an jenem Freitagabend noch ein paar Mal – von sich aus – telefoniert hatte und auch der von Elli, die sie am vorangegangenen Dienstag besucht hatte, will sie gemerkt haben, dass auch ich inzwischen „reif für die Insel“ sei. Für mich war das so etwas wie ein Stichwort und merkte daraufhin an: „Ach was, ich kann mich ja mal untersuchen lassen und du wirst sehen dass ich okay bin.“. Prompt antwortete sie: „Das machst du ja doch nicht. ... Pass auf, ich gehe jetzt zum diensthabenden Arzt und wenn der der Meinung ist, du müsstest hier bleiben, dann bleibst du.“. „Warum nicht?“, gab ich prompt zur Erwiderung. Jetzt wollte sie mich testen und ging gemächlich hinaus. Nach 5 Minuten war sie mit dem Arzt wieder da. Er begrüßte uns und sagte mir zugewandt: „Ihre Tochter sagte mir sie hätten einen Nervenzusammenbruch gehabt und bat mich, dass ich mir sie mal ansehe. Stimmt das mit dem
Nervenzusammenbruch?“. Prompt antwortete ihm Elli: „Und was der für ein Zusammenbruch hatte. Wir hatten schon Angst, er würde sich nicht mehr erholen.“. Daraufhin bat der Arzt Elli und mich, wir möchten doch bitte mit ihm kommen. Als wir nach etwa einer dreiviertel Stunde wieder da waren, wusste ich schon, welches Zimmer ich belegen würden. Läppisch kommentierte Sabrina: „Das nennt man hier in der Klapsmühle Familienzusammenführung.“.
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Man bekommt alles zurück Oh, Dieter Rossbach, wie weit bis du die Treppe herunter gerutscht; jetzt bist du schon zusammen mit deiner Tochter in der Klapsmühle. So könnte man jetzt im ordinären Stammtischjargon, dem sich in Wahlkampfzeiten sogar Spitzenpolitiker bedienen, sagen. Andererseits könnte man auch sagen, dass ich nun eine Auszeit, die ich in zweierlei Hinsicht nutzen konnte und sollte, verordnet bekommen hätte. Zweifache Hinsicht deshalb, weil es auf der einen Seite um meine Tochter Sabrina und auf der anderen um mich selber geht. Da höffliche Menschen immer erst von den Anderen sprechen, obwohl scheinbar die überwiegende Mehrheit der modernen Menschen im Grunde nur den eigenen Ego kennt, müsste ich mit der Sabrina betreffenden Angelegenheit anfangen. Da aber die andere, mich allein betreffende, Sache in wenigen Sätzen abgehandelt ist, bin ich jetzt mal unhöflich und fange mal in modernster Art mit mir selbst an. Seit dem 11. September 1996, dem Tag an dem Astrid ermordet wurde, habe ich mich zu keiner Zeit mal vom Alltag, vom Geschehnisablauf, zurückgezogen. Es gab weder einen Kurzurlaub noch eine solche Zeit im herkömmlichen Sinn über zwei bis drei Wochen. Auch beim Spaziergehen, beim Ausruhen auf der Terrasse bei Sonnenwetter und beim Gottesdienst war ich, auch in glücklichen Zeiten, immer irgendwo noch ein Bisschen bei den Ereignissen, die in diesen fast vier Jahren unser Leben bestimmten. Na ja, das 3. Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen“ gibt es nicht umsonst. Damit der Mensch physisch wie psychische Kraft tanken und von der Oberfläche zu eigentlichen Werten kommen kann, brauch er regelmäßige Auszeiten; er brauch Sonntage und Urlaube. Kurz wer leisten will, muss reichlich Entspannungsphasen nicht nur einplanen sondern auch unbedingt einhalten. Jetzt bekam ich „zwangsläufig“ in der psychiatrischen Klinik in Neuweiler die Entspannungsphase, die ich seit dem gewissen Zeitpunkt so sträflich vernachlässigt habe. Meine Behandlung bestand also weniger aus Gesprächen mit Psychofritzen, bei denen ich mich sowieso querstellte und nur auf Befragen etwas sagte, was dann jedoch bewusst dummes Zeug war, als aus Entspannungsübungen. Die moderne Klinik war auch dahingehend phantastisch eingerichtet. Man saß oder lag in beruhigend ausgestatten und beleuchteten Räumen in denen man nach suggestiv beruhigende Worten mit angenehm zu empfindender Musik beschallt wurde. Daraus habe ich auch mächtig gelernt. Nachdem ich die Klinik verlassen habe legte ich mir Entspannungs-CDs zu, die ich mir ganz gerne auf der Wohnzimmercouch sitzend oder liegend bei Zwielicht anhöre. Wenn wir spazieren gehen kommt es mir nicht mehr ausschließlich auf das Zurücklegen von Strecken und dem Geplauder an sondern ich sitze jetzt ganz gerne auf einer Bank oder einem trockenen Rasen und träume ganz gerne gedankenlos ins Sonnenlicht. Früher sah ich bei den Liedern im Gottesdienst immer nur eine emotionale und mentale Einstimmung der Gemeinde und dabei mochte ich die Orgel gar nicht so gerne. Heutzutage ist mir das Orgelvorspiel sehr, sehr wichtig. Wenn draußen ein heller Sonnentag ist schaue ich während des Vorspiels auf die Fenster im Altarraum und wenn’s dunkler ist, lenke ich meinen Blick auf die Decke unseres spätromanischen Kirchleins. Dabei schalte ich einfach ab – Entspannung pur. Dieses „Seele baumeln lassen“ tut sehr gut; man schöpft richtig Kraft und fühlt sich danach wie neu geboren. Das hatte ich in der Zeit, von der ich bisher berichtet habe, zuvor sträflich vernachlässigt. Jetzt bekam ich es verordnet und habe es mir sowohl als Tipp wie Lehre hinter die Ohren geschrieben. Mit dem Klinikaufenthalt bekam ich den Anstoß, zu dem, womit ich nun glaube den Rest meines Lebens, gleichgültig ob ich mal Oben oder ganz Unten bin, bewältigen kann. Als ich dieses später mal sinngemäß Elli erzählte meinte sie darauf, dass dieses, ohne dabei Gott und Glauben zu erwähnen, ein gutes Plädoyer für die Beachtung des Feiertagsgebotes sei. Damit habe ich jetzt alles abgehandelt was mir der Klinikaufenthalt selbst gebracht hat. Aber eingangs erwähnte ich den Zweifachnutzen und der zweite lag, wie bereits erwähnt, bei meiner Tochter Sabrina. Die steckte ja noch viel tiefer drin wie alle anderen. Zwischen September 1996 und April 2000 hat sie sich eigentlich noch nie eine Miniauszeit gegönnt. Auch wenn sie mal eine kurze Zeit scheinbar ruhig saß blieb ihr Geist im hektischen Geschehen unentwegt aktiv. Aus heutiger Sicht muss ich sagen, dass Sabrinas Problem nicht in unverarbeiteten Erlebnissen und in Komplexen lag sondern im durch geistige Hektik ausgelösten inneren Chaos lag. Sie benötigte eine viel höhere Dosis an Entspannungsübungen als ich. Alles was sie diesbezüglich vor meinen Aufenthalt bekommen hatte verrauchte weil sie sich in den Gesprächen mit dem uns behandelnden Psychiater und Psychologen festfraß und statt zu entspannen über das Für und Wider dieser Sitzungen sinnierte. Sabrina und ich tauschten unsere Sitzungserfahrungen mit dem Ergebnis, das Sabrina gestärkt durch meine Haltung, sich jetzt ebenfalls der Komplexindoktrination des Arztes wiedersetzen konnte. Sie sagte sogar einmal ganz keck zu dem Arzt: „Ich bin Christin und glaube an den dreieinigen Gott und nicht an pseudowissenschaftlichen Klimbim.“. Das gab für mich natürlich Ärger, denn der Arzt vermutete richtiger Weise mich dahinter. Aber viel sagen konnte er mir nicht, denn Sabrina ging es seitdem ich da war zusehends besser und nahm auch jetzt die ihr wirklich helfende Entspannungstherapie an. Sein Misserfolge und mein Erfolg sprachen in diesem Fall eindeutig für mich. Sabrina und ich hockten sehr, sehr viel zusammen. Ich weiß nicht ob das vom Arzt gerne gesehen wurde aber wer will schon einer Tochter verbieten ihren Vater – oder umgekehrt – zu besuchen. Sabrina hatte jetzt etwas, was sie in der bisherigen Zeit ihres Aufenthaltes in Neuweiler vermisst hatte: Sie hatte jemand der ihr ohne komplexsuchende Fragen zuhörte und dem sie obendrein noch sehr vertraute. Dabei bekam ich ein ganz anderes Persönlichkeitsbild von Sabrina als wie der behandelnde Arzt. Es war nicht so, dass sie kein Ichbewusstsein und keine Zukunftsperspektiven hatte sondern sie hatte vor ihrem, durch den Unfalltod ihres Bräutigams ausgelösten, Absturz in ihrem Inneren einen echten Turm, den sie selbst besteigen wollte, erbaut. Ach, was sie alles vorhatte - und alles immer im Hinblick auf ihre
Selbstverwirklichung. Mit Matthias Unfalltod war ihr Traumturm eingestürzt, da ihr Bräutigam an verschieden Stellen als tragendes Teil eingebaut. Sie sagte mir sogar: „Aber macht nichts. Ich bin ja nicht die Erste, die, wenn Gleise weggeschwemmt werden neue legen muss aber ich muss mir doch erst mal welche aussuchen, die mir gefallen. Im Moment habe ich noch keinen Plan und unser Klappermann gibt mir, weil er immer wieder Details vom Makulaturplan wissen will, überhaupt keine Chance zur Planungsvorbereitung.“. Ja, so ist das, wenn man Komplexe, die man besser als tote Enten schwimmen ließ, kurieren will. Während Sabrina redete wurde mir auch der eigene Tick, den ich mir nach dem Arztgespräch selbst eingeredet hatte, bewusst. Auch ich hatte ein starkes Ichbewusstsein. Oder wie soll man das bezeichnen, wenn man stark auf sein eigenes Glück fixiert ist. Auch ich hatte Zukunftsperspektiven, die zwar nicht auf Taten vor den Menschen oder auf das Vererben von Millionen aber auf den Ausbau einer heilen Privatsphäre fixiert waren. Sabrina und ich ergänzten uns in der Klinik prächtig: Ihr half das Reden und mir das Zuhören können. Ich musste auch in einem anderen Punkt einen gewaltigen Irrtum des Arztes feststellen. Sabrina hatte in Matthias Kühn nicht in erster Linie den angehenden Pastor sondern den Mann, den sie liebte, gesehen. Sie erzählte mir von seinen Stärken und Schwächen. Ich erfuhr wie seine Traurigkeit sie rührte und wie seine Freude sie mitriss. Sie rühmte seine behutsame Zärtlichkeit. Natürlich erzählte sie mir keine Intimitäten aber sie verriet mir einige Male, dass sie, wenn sie mit ihm zusammen war, in den Himmel entschwebt sei. Sein Verständnis und sein Mitfühlenskönnen habe das von Thomas, der bei uns allen diesbezüglich als ein Idol gilt, weit übertroffen. Matthias war für sie ein herber Verlust und das in Verbindung mit dem Einsturz ihres Traumturmes, also alles was sie sich nach dem absoluten Tiefpunkt ihres bisherigen Lebens, dem Verlust ihrer Mutter, aufgebaut hatte, war auf einmal durch einen „Rennfahrer“ zerstört worden. Zwei Mal in weniger als vier Jahren so vom Lebenssockel geworfen zu werden haut aus meiner Sicht sogar den stärksten Mann um. Also war ihre derzeitiger psychischer Zustand keine Folge einer Nichtverarbeitung des Geschehens um ihre Mutter sondern eine natürliche Reaktion auf das aktuelle Geschehen. Wenn man hinfällt tut es weh und man sagt zwangsläufig „Aua“ – und genau das war es was sie in diese Klinik gebracht hatte. Aber ich erkannte zu meiner Schande auch, dass ich das war, der den Arzt auf die ganz falsche Fährte geschickt hatte. Hätte ich dem Arzt, zu dem Zeitpunkt als Sabrina noch akut an ihrem schweren Nervenschock laborierte, bei unserem ersten Gespräch nicht ungefragt Sabrinas persönliche Vorgeschichte erzählt, wäre der bestimmt nicht darauf gekommen dort nach nicht abgebauten Komplexen zu suchen. Ich sollte es lieber mit den Theologen in meiner Familie halten. Die meinen immer, dass unser Blick sich ausschließlich auf Gott richten sollte. Gott ist nichts Vergangenes, nichts Unverarbeitetes sondern der Herr ist Trost, Hoffnung, Zukunft und Leben. Aber das brauchte ich Sabrina nicht zu sagen, denn sie war es, die mich daran erinnerte. Den größten Raum bei den Vater-Tochter-Gesprächen nahmen aber tagesaktuelle Dinge ein. Nein, nein, wir diskutierten nicht über Sport, Politik, Wirtschaft oder Boulevard und auch nicht über den Alltag zu Hause sondern über Sabrinas Posteingänge. Es hatte sich ja nicht verheimlichen lassen wo wir waren. So ist das halt auch in größeren Dörfern: Einer weiß es und Einer erzählt es dem Anderen. Und wie es so ist, gedachten die Leute ihrer Queen und so gingen täglich Genesungswünsche ein. Mal waren es „nur“ unterschriebene vorkonfektionierte Karten und mal waren es zum Teil lange Briefe mit netten Worten. Mal wünschte man ihr „nur“ baldige Genesung, wobei die Wünsche teilweise mit Dankesworten, für das was Sabrina für den Schreiber beziehungsweise für die Schreiberin zuvor getan hat, verbunden waren. Ein anderes Mal drückte man aber auch aus wie sehr man sie gebrauche und wie sehr man sie vermisse. Sabrina war die Queen für Alle in Salein, auch für die türkischstämmigen und aus Russland kommenden Saleinerinnen und Saleiner. Was heißt hier Saleiner, ganz Olvermühle war vertreten. Die „Ausländer“ schrieben ihr entweder so gut sie konnten, weshalb wir öfters – allerdings auch mit einiger Freude - zur Sinnentschlüsselung schreiten mussten, oder sie ließen Dritte, etwas Sprachkundigere, für sich schreiben. Zu letzteren Gruppe gehörte auch die Witwe Rempel. Sie entschuldigte sich zunächst einmal dafür, dass sie damals als Natalie verschwunden war Sabrina schwer ungerecht getan habe. Obwohl Natalie bei dem schweren Unfall selbst ums Leben gekommen war bat sie für ihre Tochter um Verzeihung, dass Sabrina unter anderem durch deren Dummheit ihren Bräutigam verloren habe. Frau Rempel bedauerte sehr, dass sie nicht mitbekommen habe, was Natalie wirklich trieb und was um ihre Tochter vorging. Sie hatte mittlerweile selbst erkannt, dass die Ursache darin liege, dass sie sich in der Fremde – obwohl sie deutschstämmig war fühlte sie sich nach wie vor in Russland zuhause – in eine „Höhle“, bestehend aus ihrer Wohnung, zurück gezogen habe. Deshalb wären in dem Moment als ihr Mann starb alle Außenkontakte, die sie eigentlich nur über ihren Mann gehabt habe, abgebrochen. Viele Russlanddeutsche hätten ja hier einen großen Verwandtenkreis, was aber auf sie nicht zutreffen würde. Der ältere, ebenfalls aus Russland stammende Wohnungsnachbar, der ihr diesen Brief schrieb, wäre jetzt der einzigste Mensch mit dem sie überhaupt Kontakt habe. Von ihm hatte sie überhaupt erfahren wo und was mit der Queen los war. Letztlich schrieb sie, dass sie Sabrina dringend benötige und deshalb hoffe, dass sie schnell wieder gesund werde. Dieser Brief war es, der Sabrina zu ihrer ersten Aktivität nach jenem tragischen 14. März 2000 veranlasste. Sie rief einen Mitarbeiter der Olvermühler Tafel an und veranlasste, dass man sich um die Witwe Rempel kümmerte und sie in die Tafelrunde, die nun für solche Fälle gedacht ist, einbezog. Alle drei Dinge wie Entspannung, Reden beziehungsweise Zuhören sowie der Zuspruch der Saleiner bauten uns beide so auf, dass ich bereits nach einer Woche praktisch wieder der Alte war. Man könnte fast sagen, dass ich von der physischen wie psychischen Verfassung besser drauf war wie in den letzten vier Jahren. Sabrinas Zustand konnte nach
dieser Woche als wieder normal, allerdings noch mit reichlich Erschöpfungserscheinung, bezeichnet werden. Da lud uns unser Arzt zu einem gemeinsamen Gespräch. Er erklärte uns, dass er mich eigentlich im Interesse meiner Krankenversicherung entlassen müsse aber Sabrina im Grund noch drei bis vier Wochen brauche bis auch sie wieder topfit sei. Insbesondere die Zeit, die sie mit mir gemeinsam verbringen würde, trügen enorm zu ihrem Gesundungsprozess bei. Er fragte mich ob ich nicht freiwillig noch zwei Wochen anhängen könne. Er wolle es gegenüber meiner Versicherung, soweit es ohne gegen Rechtsgrundsätze zu verstoßen geht, als für mich notwendig darstellen. Prompt umarmte mich dann auch noch Sabrina mit den Worten „Bitte, bitte, Papa“ von der Seite. Na ja, so stimmte ich dann dem Nachschlag in der Klapse zu und es konnte so weiter gehen, wie es in der ersten Woche begonnen hatte. Wir bekamen auch ausreichend Besuch. Das Wort „ausreichend“ habe ich jetzt benutzt um zu verdeutlichen, dass man sich bei uns natürlich nicht, wie in Erbschleicherkreisen üblich, die Klinke in der Hand gab. Aber über die Leute die kamen haben wir uns sehr gefreut. Das war zunächst mal Elli, die an jedem Freitag, Samstag und Sonntag kam. Da wir dabei immer mindestens zu Dritt waren, wurde über die Vorfälle, die mich in die Klinik gebracht hatten, nicht gesprochen. Deshalb hatte ich, wenn sie da war, immer irgendwo ein schlechtes Gewissen aber sie vermittelt mir den Eindruck als habe sie alles vergeben und vergessen. Dieses Gefühl hatte ich bei Oliver, der uns an zwei Samstagen besuchte, allerdings nicht. Das kann jedoch ein selbst eingebildeter Eindruck gewesen sein, denn auch mein Sohn ließ sich diesbezüglich nichts anmerken. Die hochschwangere Tanja besuchte uns nicht; was aber nicht an dem zu erwartenden sondern am bereits quicklebendigen Nachwuchs lag, denn für Sara wäre ein Klinikbesuch nun mal nichts gewesen. Und so blieb sie dann während uns Oliver besuchte bei ihrer Tochter. Sonntagsnachmittags kam Elli stets in Begleitung von Waltraud und bis auf einen Sonntag auch von Thomas. Eine Woche mittwochs und eine andere dienstags besuchten uns auch Herta und Walter. Immer wurde nett und harmonisch geplaudert; nur ausschließlich mit Oliver galt es mal Dinge des Alltages von außerhalb der Klinik zu besprechen. Er kümmerte sich während meiner Abwesenheit „nebenberuflich“ um mein Wohnungsunternehmen. Dieses machte er, wie ich mich nach meiner Entlassung überzeugen konnte, vorbildlich. Aber immer wenn man etwas aus dem Stehgreif macht fällt etwas Unbekanntes, weshalb man nachfragen muss, an. Grundsätzlich empfingen Sabrina und ich unseren Besuch gemeinsam. Nur ein einziges Mal hatte ich ein Zehnminutengespräch unter Vieraugen mit Elli. Sie hatte mit der Staatsanwaltschaft und der Wirtin, aus dessen Theke ich Kleinholz gemacht hatte, gesprochen. Der Staatsanwalt war bereit das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbusse und bei Ausgleich des Schadens einzustellen. Elli dachte sich diese noch vor meiner Entlassung aus der Welt zu schaffen und benötigte ein paar Unterschriften, insbesondere unter eine Erklärung für den Staatsanwalt und zwei Zahlungsanweisungen. Diese „Dummheit“ hat mir nun wirklich ein stolzes Sümmchen gekostet und daher kann ich so was beim besten Willen nicht zur Nachahmung empfehlen. Aber ausgedehnt haben wir das Gespräch unter Eheleuten darüber hinaus nicht. Elli wollte nicht, dass ich mich während der Rederei in irgendetwas reinsteigere – die Gefahr sah ich aus subjektiven Sichtweise allerdings nicht – und gegenüber Sabrina wollte sie keinen Verdacht entstehen lassen, der „unser Töchterchen“ zum momentan schädlichen Sinnieren hätte verführen können. Außer der Familie erhielt ich keinen Besuch und Sabrina erhielt nur einen Fremdbesuch, der ihr allerdings zu einem kleinen Verhängnis wurde. Und dabei war alles so gut gemeint. Siegfried Neudecker, ein „alter“ Freund von Matthias Kühn, mit dem unser Brautpaar viel zusammen war, wollte Sabrina unbedingt besuchen. Siegfried und Matthias hatten zusammen die Oberstufe besucht – Siegfried war zuvor auf einem anderen Gymnasium – und hatten sich nach dem Abitur gemeinsam zum Theologiestudium an der gleichen Uni eingeschrieben. Als dieser Typ erschien merkte ich gleich, dass er sich auch so ein Bisschen in Sabrina verguckt hatte. Wenn es Sabrina also um den zukünftigen Pastor und nicht um Matthias gegangen wäre, hätte es für sie kein Problem dargestellt, sich einen Ersatz zu beschaffen, was dann so gar nach dem Besuch unser Psychoarzt, der zufällig ein paar Worte mit dem Besucher wechseln konnte, eingestehen musste. Aber Siegfried stellte für Sabrina einen supernetten Typ, aber nicht zum heiraten, da. Dieses hat sie mir mal nach ihrer Entlassung gesagt. Diesem Besucher hat sie dann von dem Zuspruch ihrer Saleiner „Sorgenkinder“ berichtet. Voller Stolz berichtete sie ihm von der „haufenweise“ eingegangenen Post. Und Siegfried „konterte“ jetzt mit der Speisung der Viertausend (Markus 8, 1-8) und einer nicht ganz richtigen Deutung, wie Waltraud und Thomas später anmerkten. Für den nicht ganz so bibelkundigen Leser gebe ich die Geschichte in Kurzfassung wieder. Etwa viertausend Leute hatten sich versammelt und folgten dem Herrn, um ihn zu hören. Jesus stellte gegen Abend fest, dass die Leute auch körperliche Bedürfnisse, sprich Hunger, hatten. Er erkundigte sich bei seinen Jünger, was sie an Essbaren hatten. Das waren „mickrige“ sieben Brote und ein paar Fische. Der Herr segnete Fisch und Brot, brach es und gebot seinen Jüngern es an die Leute zu verteilen. Es wurden nicht nur alle viertausend Leute satt sondern es blieben anschließend sieben gefüllte Körbe über. Überlassen wir jetzt die Frage ob Markus hier ein Wunder oder ein Gleichnis – was mein Überzeugung entspricht – wiedergeben hat den Experten und wenden uns dem zu, wie dieses von Siegfried Neudecker im Hinblick auf den Zuspruch der Saleiner zu ihrer Queen interpretiert wurde. Er meinte, dass die Menschen alles das, was sie dem Herrn geben, tausendfach zurück bekommen.
Dieser Interpretation konnte sich allerdings auch Thomas, mit dem ich aus bestimmten Grunde über diese Sache sprach, nicht anschließen. Er sah die wesentliche Aussage darin, dass die Menschen, die unserem Herrn und Erlöser folgen, von ihm nicht „in Stich“ gelassen werden und diese ihren Lohn erhalten. Wem hungert und dürstet (....) soll gesättigt werden. - Das Zeichen „(....)“ habe ich jetzt für „nach der Gerechtigkeit“ gesetzt, weil ich die Aussage einfach mal hier passend sinnverfälscht habe. Was soll’s andere machen so etwas pausenlos und stricken sich so eine Bibel mit Möchtegernzitaten, die alles was ihrer Machtgier dient rechtfertigt. – Siegfrieds Interpretation kann nämlich, wie es bei Sabrina war, ein Schuss nach Hinten werden. Sabrina kombinierte nämlich messerscharf, das Alles was fürs Gute gilt entsprechend auch für das Böse gelten muss. Wenn Gott auf Einlagen 1.000% Zinsen zahlt muss er diesen Zinssatz auch für Ausleihen verlangen. Dem ist allerdings nicht so, denn Gott ist kein Krämer und vor ihm zählt nur unser Glaube und nicht unsere Taten. Und das Geben in diesem Sinne stellen sogar glaubensfremde Taten da, denn es wird etwas in Erwartung einer Gegenleistung gegeben. „Komm Gott hier hast du meinen Lottoschein, den gebe ich jetzt der Diakonie und gehe mal davon, dass es ein Sechser wird von dem ich 50% Provision erhalte“; also Gotteslästerung pur. Gegen einen solchen Ablasshandel wandte sich ja Martin Luther in seinen Thesen, die er am Vorabend des Allerheiligentages an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg „nagelte“. Bei Sabrina hatte das Gespräch mit dem Freund ihres verunglückten Bräutigams die Wirkung, die mein Gespräch mit dem, uns nun behandelnden Arzt, auf mich hatte. Sie bezog die Sache auf sich und sinnierte darüber nach, was sie getan habe, weshalb ihr Gott nun dieses tausendfach und bitter zurückreiche. Die Wirkung des Gesprächs entsprach der wie bei mir als die neuerliche Sache losging. Sabrina wurde prüttelig und war gar nicht mehr so ansprechbar wie unmittelbar vor dem Besuch. Zu allem Überdruss stand an diesem Mittwoch fest, dass ich die Klinik am Morgen des übernächsten Tages, also am Freitag, verlassen „musste“ und so hatte ich kaum noch Gelegenheit, diese Panne auszubügeln. Mein Gedanke war es dann, dass das, was ein angehender Pastor versehentlich angerichtet hat von einem „amtierenden“ ausgebügelt werden sollte. Thomas musste her und diese möglichst schnell; bevor es unser Psychoonkel bemerkt und sie wieder völlig reinreißt. Zum Glück hielt er ihren „leichten Rückfall“ für Trennungsschmerz bei einer psychisch noch nicht vollgesundeten Patientin hinsichtlich meiner Entlassung. Na ja, mein Schwager nahm sich Sabrina auch gleich am folgenden Sonntag vor. Vorsichtig bog er die Geschichte mit der Speisung der Viertausend wieder in die richtige Richtung und machte Sabrina klar, dass es nicht richtig sei in Leid und Krankheit eine Gottes Strafe zusehen. Wieder einmal war Thomas erfolgreich. Diesmal kam meine Tochter von Sonntag auf Montag wieder aus dem Loch, in das sie am Mittwoch gefallen war, heraus und ihr Erholungsprozess konnte sich fortsetzen. Wenn wir an dieser Stelle mal eine kleine Replies vornehmen, könnte man annehmen die Sache habe mir geschadet. Die eigene Frau geschlagen, eine Woche durchgesoffen, in der Kneipe randaliert und drei Wochen in einer psychiatrischen Klinik verbracht. Aber das Gegenteil war der Fall. Aus heutiger Sicht kann ich sagen, dass es wenig in meinem Leben gab, was mir in Folge mehr genutzt hätte wie diese Zeit. Endgültig weiß ich was es heißt, das man sich nicht gleich jeden Schuh, von dem man glaubt er passe einen, anziehen soll. Nicht alles, was nach wissenschaftlich fundierter Weisheit aussieht ist auch Realität. Wäre ich mal bei meinen Vorbehalten gegenüber der Psychologie geblieben und hätte ich von Anfang dahingehend Sabrina den Rücken gestärkt wäre vieles nicht passiert. Jetzt weiß ich auch, was in meinen Augen der Fehler der Psychologie ist. Sie „suhlen“ in der Vergangenheit. Dort suchen sie nach Komplexen, die sie wieder wach küssen weil sie den Irrglauben haben diesen kurieren zu müssen. Wer aber nach hinten sieht verliert das Ziel aus den Augen und fällt, weil er aufgrund von Perspektivlosigkeit aus der Bahn kommt, zwangsläufig hin. Gleichgültig was passiert, muss der Blick nach Vorne gerichtet bleiben. Man darf zwar nicht vergessen was passiert ist sonst läuft man Gefahr Fehler zu wiederholen aber ansonsten heißt die Devise nur Vorwärts. Das habe ich mir von diesem Zeitpunkt an zur Lebensphilosophie gemacht und seitdem habe ich die Vergangenheit wirklich überwunden und stehe im Heute auf festen Beinen. Na ja, wir werden es noch sehen, denn immerhin habe ich noch ein paar Kapitel zu erzählen. Zum Kapitel 28
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Niemand ist unentbehrlich Im vorangegangenen Kapitel habe ich mir mal wieder erlaubt ein Wenig vorzugreifen. Ich berichtete, dass sich Thomas um Sabrina gekümmert und bei ihr die Sache mit der Speisung der Viertausend richtig gestellt habe und es danach dann Sabrina wirklich besser ging. Aber soweit sind wir eigentlich noch gar nicht, noch war ich selbst in der „Ballerburg“, wie die Psychiatrische Klinik Neuweiler hier im Romanischen Kreis im Volksmund heißt. Am Freitagmorgen, so gegen Zehn, wollte mich Elli abholen. Dieses konnte sie bequem ohne Unterrichtsausfall machen aber dafür konnte sie nicht an dem Gottesdienst, an dem sie unter anderen Umständen teilgenommen hätte, teilnehmen. Jetzt ahnt man schon um welchen Tag es sich handelt: Richtig, um einen kirchlichen Feiertag, und zwar um den Karfreitag, der in 2000 auf den 21. April fiel. Jetzt wird sicher dieser oder jene sagen, dass dieses ein komischer Entlasstag sei. Das haben wir uns natürlich auch gedacht aber der behandelnde Arzt hatte diesen Termin so gelegt. Am Donnerstagnachmittag wollte er noch eine „Abschlusssitzung“ durchführen und danach sollte ich mir dort noch eine Nacht „gönnen“. Na ja, ich habe über diese Sache nicht lange diskutiert, da ärztliche Ansicht maßgeblich für den Ausgleich durch meine Krankenversicherung ist und von denen lebt die Klinik mit ihren Leuten ja letztendlich. Und mein Aufenthalt in den letzten 14 Tagen, der eigentlich mehr Sabrina diente, war ja schon versicherungstechnisch nicht so „astrein“. Warum sollte meine Krankenversicherung für die Genesung meiner Tochter zahlen, wo die doch in einer anderen – gesetzlichen – Kasse, die dann wiederum nicht für mein Klinikurlaub zuständig war, ist. Durch den unglücklich verlaufenden Besuch am vorangegangen Mittwoch war es dann aus meiner Sicht letztlich auch noch gut, dass ich praktisch so noch den Gründonnerstag für meine Tochter zur Verfügung stand. Am Freitag nach dem Frühstück kam Sabrina dann auch gleich zu mir. Wie üblich ließ ich sie reden obwohl ich dem, was sie jetzt brachte, beim besten Willen nicht zustimmen konnte. Sie glaubte den Punkt gefunden zu haben, weshalb sie Gott jetzt bestrafe. Sie erzählte mir, dass sie mal ihrer Mutter 500 Mark gestohlen habe. Für mich war es an diesem Morgen neu, denn Astrid hatte die Sache mit unserer Tochter ohne mein Hineinziehen geregelt. Die damals Vierzehnjährige hatte das Geld für den Ankauf eines, mit einer Sofortbildkamera geschossenen Bildes gebraucht. Während einer Klassenfahrt in die Niederlande hatte sie sich mit einem Klassenkameraden abgesetzt und in die Büsche geschlagen, wo es dann zu ihrem „ersten Mal“ kam. Eine Klassenkameradin war ihnen, ohne dass sie es gemerkt hatten, gefolgt und hatte sie aufgenommen. Anschließend hat sie den Beiden das Bild im Tausch gegen Haschisch angeboten. Sabrinas Kavalier stahl dann der begleitenden Lehrerin das Geld und beschaffte damit das Cannabisprodukt. Der Diebstahl und der Rauschmittelhandel flogen auf, weshalb der Junge später eine Schulkonferenz bekam, wo ihm ein Verweis von der Schule drohte. Daraufhin erpresste er Sabrina damit, sie mit reinzuziehen, wenn sie ihm nicht das Geld, dass er der Lehrerin erstatten musste, gäbe. Astrid war damals schwer enttäuscht. Dabei ging es ihr nicht um die Jugendliebe im Busch und dem weiteren Ablauf während der Klassenfahrt sondern um das mangelhafte Vertrauen, was Sabrina gegenüber ihren Eltern aufgebracht hatte. Dieser Zug ist ja nun längst abgefahren. Damals war sie 14 und heute 22, da konnte ihr nur Folgendes, ausschließlich zum aktuellen Gedanken, sagen: „Ich glaube, dass du pauschal behaupten kannst, dass jeder Mensch eine mehr oder weniger deftige ‚Jugendsünde’ auf dem Kerbholz hat. Für meine Person weiß ich das hundertprozentige und sowohl Mama (Astrid) wie Mutti (Elli) haben mir eine solche im Gegenzug auf meine Erzählungen gestanden. Eine solche von Tanja und Oliver ist dir, die du ja selbst betroffen warst, sehr wohl bekannt. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Mama wegen deiner Geschichte hat sterben müssen. Uns steht es zwar nicht an über Gottes Gerechtigkeit zu urteilen ... das ist uns sogar verboten, aber Muttis Tod als Strafe für deine Sünde kann ich mir beim allerbesten Willen nicht vorstellen. Insbesondere nicht, weil für unser aller Sünde schon der einzigste gerechte Mensch, unser Herr Jesus, sterben musste und uns mit diesem Kreuzestod alle unsere Sünden vergeben sind. Spreche da mal mit Onkel Thomas drüber .... ich glaube der kommt Sonntag hier zu einem Osterbesuch vorbei. Und bis dahin lass mal das Grübeln, was dir absolut nichts bringt.“. Sabrina machte nicht den Eindruck als habe sie dieses beruhigt aber sie wechselte jetzt zumindestens das Thema. Ihr zweiter Tagesordnungspunkt war jetzt unser Abschied. Sie meinte, dass sie zwar kein weiblicher Ödipus sei aber unsere jetzige Trennung würde ihr doch schwer fallen. Sie hätte noch nie mehr als in dieser Zeit, wo sie es gerade dringend benötigt habe, mit mir sprechen können. Öfters habe sie sich in diesen drei Wochen wie damals die kleine Sabrina, die sich bei Papa und/oder Mama alles von der Seele hätte weinen dürfen, gefühlt, was ihr in ihrer Seele gut getan habe. Als Erwachsener merke man erst, wie gut so etwas tun würde und was für ein Segen Eltern sein können. Der Rest war dann weniger emotionaler als mehr praktischer Natur. Sie meinte jetzt ohne meine Rückendeckung dem „Klappermann“ ausgeliefert zu sein. Sie habe sich aber fest vorgenommen, dieses durchzustehen. Nachdem dieses abgehandelt war haben wir uns noch über dieses und jenes unterhalten, wobei Sabrina nicht gerade den muntersten Eindruck machte. Teilweise wurde dabei ihre prüttelige Art und Weise doch recht deutlich und mir war klar, dass sie doch in diesen Tagen ein bisschen mehr down sei. Aber von ihr, der es offensichtlich selber auffiel, kam noch eine nicht mit dem Besuch zusammenhängende Erklärung: Ihr gefiel es nun wirklich nicht über Ostern in der Klinik sein zu müssen. Sie hatte zuvor beim Arzt nach einem Osterurlaub ersucht aber der hatte ihr erklärt, dass sie dafür noch nicht stabil genug sei. Na ja, sie blieb danach auch noch ganze vier Wochen in Neuweiler.
Für mich war aber Fünf nach Zehn das Finale in der „Klapse“ angesagt, Elli war erschienen um mich abzuholen. Nach der Verabschiedung von Sabrina und auch, wie es sich gehört, von dem diensthabenden Personal, was etwa eine halbe Stunde in Anspruch nahm, begaben wir uns zu Ellis Wagen auf dem Parkplatz. Wir saßen noch nicht richtig auf unseren Sitzen, da fielen wir uns gegenseitig mit ähnlichen Anreden ins Wort. Sie begann mit „Dieter, meine Maus ...“ und ich mit „Elli, mein Goldschatz ...“. Uns drückte beide ein schlechtes Gewissen, was wir jetzt zu erleichtern gedachten. Dass es bei mir um den Schlag, den ich Elli verpasst hatte, und um die schmutzige Vorstellung auf der Waldstädter Polizeiwache ging, kann sich jeder denken, aber was Elli vorzutragen hatte, wäre mir vorher nicht im Traum eingefallen. Sie fühlte sich sehr schändlich weil sie mich gerade in dem Moment, wo ich sie vordringlich gebraucht hätte, in Stich gelassen habe. Sie habe festgestellt, dass ich für sie der beste Mann auf der Welt sei und sie richtig süchtig nach mir sei. Wenn sie mich verlieren würde, müsse sie bestimmt an den Entzugserscheinungen sterben. Ich sagte ihr darauf, dass sie gerade das gesagt habe, was ich ihr gegenüber empfinden würde. Ich machte ihr deutlich, dass ich dieses jetzt nicht als nette Erwiderung gesagt hätte sondern das es meine ehrliche Empfindung sei – was auch wirklich stimmt. Da gab es natürlich kein sofortiges Losfahren sondern wir umarmten und küssten uns erst mal heftig. Es war wie bei einem jungen Pärchen auf einem einsamen Waldparkplatz. Wir waren aber nicht auf einem solchen sondern auf dem belebten der psychiatrischen Klinik Neuweiler, womit wir uns seltsame Blicke eingehandelt hatten. Aber was soll’s, schließlich waren wir ja auf dem Parkplatz der Ballerburg. Na ja, als wir uns dann endlich in Bewegung gesetzt hatten meinte meine Chauffeuse dann: „So, jetzt machen wir einen dicken Strich unter allem was gewesen ist und machen das, was man eigentlich jeden Tag machen sollte: Einen Neuanfang. Was bringt es uns, wenn wir uns über die Fische, gleichgültig ob groß oder klein, dick oder dünn, hässlich oder schön, die den Bach hinunter geschwommen sind unterhalten. Während der Zurückblickerei können wir nicht das unternehmen was heute wichtig ist und die Ausblicke auf das, wohin wir uns wenden könnten ist uns verwehrt. Wer sich mit der Vergangenheit beschäftigt lebt in dieser und läuft der Wirklichkeit hinter her. Deshalb jetzt Schluss und Aus. Heute sind wir ein glückliches Paar und haben das Glück beieinander sein zu können. Was war als wir Unten waren zählt ab sofort nicht mehr. Nutzen wir den Augenblick, denn der kommt nicht mehr zurück, und planen was Morgen sein kann, wenn nichts dazwischen kommt. Wie wäre es mit einem Urlaub auf einer einsamen Insel. Du als Herr Robinson und ich als Fräulein Freitag ... und zur Abwechselung auch mal umgekehrt.“. Und jetzt lachte Elli in ihrer netten Art. Damit hatte sie das Schlusswort zu all den Dingen, die bis zu jenem Morgen unser Gewissen belastet hatten, gesprochen. Wir sind danach auch nie mehr darauf zurückgekommen, was Alles in Allem auch das Beste war. Und andererseits hatte sie mir „verklickert“ worüber sie gerne mit mir sprechen wollte. Auch ich hatte ein paar Punkte, die ich auf die Tagesordnung gesetzt sehen wollte. Als erstes lag mir Sabrinas derzeitiges „Down“, über das ich mit Thomas sprechen wollte, am Herzen. Wo ich dann schon in Gedanken bei meiner Tochter war ging es mir dann auch um die Besuchsregelung. Dann hatte ich mich ja seit über einen Monat nicht mehr um das Wohnungsunternehmen gekümmert, während aber das Leben, auch der Mieter, weiter gegangen war. Daher drängte es mich auch zu einem Plausch mit meinem Sohn, der ja ohne großes Wenn und Aber für seinen Vater eingesprungen war. Dabei war es mir auch wichtig, mal wieder meine Schwiegertochter nebst Enkelin und künftigen Enkel zu Gesicht bekommen. Und ... Mehr Punkte wollte Elli nicht zu lassen, denn sie war der Meinung, das ich zwei äußerst wichtige Sachen noch nicht genannt habe: Zweisamkeit und Liebe. In diesen beiden Angelegenheiten habe sie „unheimlichen“ Nachholbedarf. Daraufhin schlug sie mir ihren angedachten Ablaufplan vor. Da wir auf dem Wege von Neuweiler nach Salein in Weinberg vorbeikämen, sollten wir dort kurz wegen der Sabrinageschichte vor dem Pfarrhaus halt machen und Thomas informieren. Dann wollte sie mit mir aber auf schnellsten Wege nach Hause, weil sie dann noch an dem Sauerbraten mit Klößen und Rotkohl letzte Hand anlegen müsste. Das war zwar kein typisches Karfreitagsessen, wie konservative Kreise dieses einer studierten Theologin unterstellen würden, aber es war mein Lieblingsessen aus Ellis Küche, welches sie im Zuge meiner Heimkehr für absolut richtig hielt. Dann wäre sie, wie sie sagte, gerne hinsichtlich der längeren Liebespause gleich mit mir ins Bett gehüpft. Das ging aber nicht, weil Tanja und Oliver, die an diesem Tag, gemeinsam Sabrina besuchen wollten, uns Sara zum Besuch vorbeibringen wollten. Da ich meine Tochter nun lange genug besuchte hätte und sie so am Nachmittag nicht alleine wäre brauchte ich mir dahingehend keine Gedanken zu machen. Wenn die Eltern unserer Enkelin wieder zurück wären, könnte ich ja mit meinen Sohn Geschäftsverhandlungen aufnehmen. Aber nicht zu lange, denn dann wolle sie endlich mit mir ins Bett, wo sie dann auch nach der „ersten Runde“ auch mit mir von unserem Sommerurlaub träumen wollte. Alles andere wäre nicht aktuell, da das Morgen aber Heute eben Heute sei. Ja, und damit kann ich jetzt mit der akribischen Historie enden. Ich wollte ja hier kein pingeliges Tagebuch sondern einen Erlebnisroman aus den bewegtesten 5 Jahren meines Lebens schreiben. Bei den erwähnten Punkten waren zwei, nämlich das Wohnungsunternehmen und der Urlaub, die mich in der nächsten Zeit mehr beschäftigen sollten und auch für den Fortgang unserer Handlung wichtig sind. Deshalb werde ich mich dann im Rest dieses Kapitel darüber auslassen. Zunächst aber noch, nur damit man sieht, dass ich sie nicht vergessen habe, ein paar Worte zu Sabrina. Nachdem sie Thomas besucht hatte, trat bei ihr erst mal ein, den Umständen entsprechender Normalzustand, der sich dann kontinuierlich bis zu dem Punkt, wo sie mir persönlich wie die „alte“ vorkam, besserte. Nachdem ich ja nun drei Wochen Tag und Nacht am Besuchsort verbracht hatte wollte keiner mehr, auch Sabrina selbst nicht, dass ich sie täglich besuchte. Aber trotzdem bekam sie, bis auf drei oder vier Ausnahmetage, Tag für Tag Besuch. Es ging immer
umschichtig paarweise: mal Tanja und Oliver, mal Waltraud und Thomas, mal die Eltern ihres verunglückten Bräutigams, mal Herta und Walter und insbesondere von uns, Elli und Dieter. Jetzt aber zum Thema Urlaub, dem Herzensanliegen meiner Angetrauten. Seit 1996 hatte weder Elli noch ich richtig Urlaub gemacht. Schon im vorhergehenden Kapitel habe ich ja bereits darüber referiert für wie wichtig ich nun solche Auszeiten halte. Dieses habe ich zwar mal während eines Besuches von Elli in der Klinik nebenbei erwähnt aber nicht groß ausgeführt. Meine Frau ist jedoch eine aufmerksame Zuhörerin und hat über diese Angelegenheit nachgedacht. Sie kam zum Schluss, dass ich durchaus recht habe und wir ab sofort regelmäßig, möglichst jedes Jahr einmal für zwei bis drei Wochen ausschwärmen sollten. Wie schon damals Astrid war auch Elli keine große Freundin von Weltreisen oder großartigen Touren nach Grand El Prozzo aber irgendwo im naheliegenden Europa, mindestens in unserem Old Germany, sollte es schon hingehen. Am Liebsten wäre ihr ja wirklich so eine Robinsoninsel, wie ich sie weiter oben erwähnt habe, gewesen aber wo gibt es die noch. So kamen natürlich nur andere Ziele in Frage. Und da schloss sie gleich mit Adjektiven die Dinge aus, die ihrer Mentalität widersprachen. Diese Adjektive waren: teuer, exklusiv, laut und hektisch. Mit diesen Dingen lag sie mit mir in absoluter Übereinstimmung, genauso wie mit ihrer Ansicht über vorkonfektionierte Normurlaube für Herdenmenschen, sprich Cluburlaube. So etwas wollten wir Individualisten uns nicht antun. Da könnten doch einige sagen, dass wir bei unseren Anforderungen gleich zuhause bleiben könnten. Schließlich hätte man aus meinen bisherigen Erzählungen rauslesen können, dass die kleine Gemeinde Olvermühle, ruhig und landschaftlich reizvoll sei und alles böte, was wir von einem Urlaub erwarteten. Stimmt auffallend, aber ... . Wenn wir hier bleiben werden wir mit Sicherheit in der ersten Woche gelegentlich mit alltäglichen Dingen in Anspruch genommen, in der zweiten Woche dann schon häufiger und letztlich in der dritten Woche sind wir dann schon wieder mittendrin im Geschehen. Aber wir wollten ja eine Auszeit im wahrsten Sinne des Wortes haben, einfach mal einen radikalen Schnitt zwischen Normal- und Urlaubszeit. Aus diesem Grunde schloss Elli auch eine Selbstanreise mit dem eigenen PKW aus. Nicht weil uns jemand aus heimischen Gefilden, nur weil wir motorisiert waren, hätte in den Urlaub hineinfunken können sondern weil die Verfügbarkeit eines Autos doch dazu verführt sich noch mal dieses oder jenes anzusehen, was letztendlich dann das Ausspannen, was ja unser Hauptanliegen war und ist, beeinträchtigen bis vereiteln kann. Und zu den Leuten, die irgendwo vorfahren und dann von Morgens bis Abends auf den Touristengrill und den Abend in der Bar verbringen, gehörten wir nun auch nicht. Blieb also eine Flug- oder Busreise. Natürlich war es uns lieber für ein oder zwei Stunden im Flieger als 12 bis 24 Stunden in einem, in den Sitzreihen viel zu engen, Touristentransporter zu sitzen. Da aber unsere Lehrerin Elli aufgrund der Ferien nur in der Hauptsaison konnte und wir für eine Buchung 2000 schon im Jahr weit fortgeschritten waren, mussten wir uns für den Fall der Fälle auch noch die unangenehmere Alternative offen lassen. Soweit alles klar. Jetzt kommen noch zwei Punkte, weshalb ich diese Urlaubs-Planungs-Überlegungen an dieser Stelle für erzählenswert halte. Der erste Punkt sind unsere Erwartungen an einen Urlaub. Gemeinsam waren wir der Meinung, dass so etwas wie, Spazieren gehen, eventuell Bötchenfahren und Restaurantbesuchen sowie auch mal ein Museumsbesuch zu einer richtigen individuellen Urlaubsgestaltung gehören. Aber nicht nach der Devise „Folgen sie mir, ich halte das rote Fähnchen hoch“ sondern ausschließlich nach unserm Gutdünken und momentaner Lust und Laune. Elli wollte aber noch etwas, was ihre privaten Begierlichkeiten befriedigte. Sie meinte, dass es nicht schlecht sei, wenn etwas wie FKK in der Nähe sei, aber zumindestens dürfe an unserem Urlaubsort Oben ohne nicht außergewöhnlich sein. Sie sprach dieses frei und unbekümmert aus, als sei dieses natürlichste Sache der Welt. Dieses ist jetzt bemerkenswert, da ich gerade ihren Exhibitionismus zu ihrer Demütigung, als sie mich nach meiner „Ausnüchterungshaft“ abholen wollte, herangezogen hatte. Daher fragte ich ganz schüchtern: „Fürchtest du nicht, dass ich dich bei meinem nächsten Rappel damit fertig mache?“. „Nö,“, begann sie ihre, wieder unbekümmert klingende Antwort, „du warst in einer Ausnahmesituation – und die heißt so, weil sie auf keine Regelmäßigkeit zurück geht. Die Wahrscheinlichkeit, dass du das nie mehr wieder machst ist wesentlich höher als die, dass du das irgendwann wiederholst. Außerdem schäme ich mich nicht ein Mensch zu sein ... und so ein Bisschen Geilheit ist ja ein deutliches Zeichen für Menschlichkeit. Deshalb ziehe ich mich nicht verlogen hinter wackeligen Moralmauern zurück ... Ich stehe dazu und damit zu mir. ... Aber jetzt Schluss damit oder willst du bis zum Jüngsten Tag immer den gleichen abgestanden Kaffee wieder aufbrühen?“. Ich war nach ihrer Ansprache richtig stolz darauf eine so kluge und vernünftige Frau zur Gattin zu haben. Dieses war jetzt nicht nur bedeutsam hinsichtlich des gerade abgelaufenen Zeitraumes sondern es ist auch ein Bestandteil der letzten großen Wende in dieser 5-Jahres-Geschichte. Aber warten wir es ab, noch sind wir noch nicht soweit, noch sind wir erst bei der Planung. Bei dieser Wende spielt Sabrina die Hauptrolle und deshalb erwähne ich sie jetzt als den zweiten, der beiden eben erwähnten Punkten. Noch am 14. März hatte ich gedacht, dass wir Sabrina nicht mehr bei solchen Angelegenheiten und Planungen bedenken brauchten. Die Situation hatte sich aber gewendet. Ich brauchte es gar nicht anzusprechen, denn Elli erklärte ganz eindeutig, dass wir in diesem Jahr unsere Reise zu Dritt unternehmen müssten. Nachdenklich fragte ich: „Was ist, wenn sie aber nicht will?“ und bekam prompt zur Antwort: „Dann müssen wir halt sanften psychischen Druck auf sie ausüben. Sie in diesem Sommer hier allein zu lassen, halte ich derzeitig für unverantwortlich. Und im Übrigen brauch auch sie den Urlaub, ich glaube sogar noch dringender wie wir.“. Ellis Exhibitionismus und die Urlaubsanwesenheit sollten dann den endgültigen Durchbruch in unserer
Geschichte fixieren. Aber noch sind die Sommerferien noch nicht angebrochen, noch sind wir in der Geschichte bei Ostern 2000, wo alles geplant wurde. Am Abend des Ostermontags waren wir soweit, dass Elli zielbewusst und mit freier Hand am Dienstag in ein Waldstädter Reisebüro gehen und buchen konnte. Sie buchte eine Dreiwochenflugreise nach Rovinij auf der kroatischen Halbinsel Istrien. Also freuen wir uns darauf. Unser geplanter Urlaub, auf den wir uns ab diesem Zeitpunkt so richtig freuten, ist nun erst mal abgehandelt. Kommen wir jetzt zu den Dingen, die mit dem Wohnungsunternehmen zusammenhängen. In dieser Angelegenheit kann ich mich ja wieder zu einer chronologischen Ablaufschilderung des Karfreitags begeben. Also um halb Drei stand Familie Rossbach junior vor der Tür und meine hochschwangere Stief- und Schwiegertochter sprang mir mit ehrlicher Freude an den Hals: „Hey Papa, wie wundervoll dich wieder hier zu haben.“. Das feuchte mir doch ein Wenig die Pupillen. Trotz des großen „Bockmistes“, den ich gebaut hatte war ich immer noch derjenige, dem man sich zugehörig fühlte. Auch bei der kleinen Sara Lauren muss meine Rückkunft Begeisterung ausgelöst haben, denn sie nahm ihren Opa gleich in Beschlag. Da Oliver und Tanja auch umgehend zum Sabrinabesuch nach Neuweiler wollten konnten wir zu diesem Zeitpunkt auch nicht viel Worte miteinander wechseln. Daher wollte ich es auch nur bei der Bitte an Oliver, dass wir uns anschließend, wenn die Beiden zurück sind, für ein Stündchen in dieser Angelegenheit zusammensetzen sollten, belassen. Darauf plusterte sich Oliver mit gespielter freundlicher Entrüstung auf: „Man Väterchen, du hältst dich wohl in deinem Laden für unentbehrlich und müsstest jetzt, nach dem du ein paar Tage nicht da warst, jetzt einen langen Report über alles das was nicht oder schief lief entgegennehmen. Aber niemand ist unentbehrlich ... für den Laden solltest du dir eine preiswerte Halbtagskraft leisten. Dann brauchst du nur alle 14 Tage für eine halbe Stunde reinzuschauen und kannst dich ansonsten als Hausmann und Babysitter für deine Enkelkinder betätigen. Also viel liegt nicht an, fast überhaupt nichts ... Aber ich setze mich gleich gerne mal mit meinem alten Herrn zusammen und deshalb gilt unser Meeting als vereinbart.“. Das hatte er zwar als Spaß gemeint aber ich kam nicht umhin ihm in wesentlichen Punkten Recht zu geben. Den weiteren Nachmittag verbrachten Elli und ich fast ausschließlich auf dem Teppich liegend oder sitzend. Dabei waren wir natürlich nicht untätig sondern wir hatten uns auf die Höhe unserer Enkeltochter begeben um mit ihr zu spielen. Mensch Leute, was das für einen Spaß macht sich mit solchen jungen Menschen zu beschäftigen. Das schließt aber nicht aus, dass man dabei denkt und sich unterhält. So kam ich dann auf den „Trichter“, dass es eigentlich anstrebenswert wäre so zu verfahren, wie Oliver, zwar nicht ernstgemeint, vorgeschlagen hatte. Die „Globalisierer“ glauben ja, dass alle, außer sie selbst, lebten um zu arbeiten. Deshalb führt nach deren Ansicht nichts an „Working pur“ vorbei. Aber die denken ja auch in den Irrtumskategorien des, aus dem 18. Jahrhundert stammenden Liberalismus. Der dicke Irrtum ist nämlich, dass die Leute nicht dazu geboren wurden um für sie zu arbeiten sondern Gott schuf den Menschen damit er lebe und nur damit wir das beschaffen können, was wir zum Leben brauchen, müssen wir arbeiten. Also, ich bin so ein Typ der ganz gerne auf Arbeit verzichtet wenn er ohne die leben kann. Was, ich bin ein Faulenzer? Na ja, ich verstehe halt zu leben. Ganz so locker wollte es Elli nicht sehen. Sie sah in Arbeit nicht nur das Erbringen x-beliebiger Leistungen im Gegenzug zur Entlohnung sondern sie ging davon aus, das es auch so etwas gebe wie Berufung und Erfüllung. Als Beispiel nannte sie mir Thomas, der mit Sicherheit in seinem geistlichen Beruf voll aufgeht und diesen wohl niemals aufgeben würde. Auch ihr selbst wäre der Beruf der Lehrerin, insbesondere der Religionslehrerin sehr, sehr wichtig und auch sie würde diesen niemals so ohne weiteres aufgeben. Aber sie gestand mir ein, dass wohl die meisten Menschen nicht aus einer höheren inneren Motivation ihrem Job nachkommen sondern ausschließlich aus Broterwerbsgründen oder was noch schlimmer für die Betroffenen ist, weil sie es als den einzigen Weg ansehen zu Ruhm, Macht und Reichtum zu kommen. Nachdem wir uns dann so zehn Minuten ausschließlich mit unserem Enkeltöchterchen beschäftigt hatten kam Elli, die offensichtlich in der Zwischenzeit über unseren kleinen Gedankenaustausch nachgedacht hatte, mit einer Frage heraus: „Wie siehst du denn eigentlich deine Arbeit als Wohnungsunternehmer an? Den Leuten anständige, preiswerte Wohnungen zu geben und den Wohnbestand zu erhalten ist doch keine unwichtige Aufgabe. Aber was du eben sagtest hörte sich so an, dass du, wenn du es nicht zum Broterwerb brauchtest, ruhig darauf verzichten könntest.“. Sara interessierten diese Dinge reichlich wenig und nahm uns gleich mit ihrer Bauklotzaktivität in Beschlag. So konnte ich Elli nicht gleich antworten, was aber den Vorteil hatte, dass ich noch einen Moment über diese Dinge nachdenken konnte. Als dann der Augenblick als Sara ihre Bauklötze erst mal wieder einsammeln und aufeinander stellen musste gekommen war, nutzte ich die Gelegenheit zur Antwort: „Schatz, ich bin dir noch eine Antwort bezüglich Wohnungsunternehmen, Arbeit und Berufung schuldig. Zu deiner Beruhigung kann ich sagen, dass ich den Bestand und Erhalt der Wohnung als Berufung und Verpflichtung ansehe aber die damit zusammenhängende Büroarbeit halte ich für ‚Krümmelkackerei’ ohne die es leider nicht geht. Ist muss wirklich darüber nachdenken, wie ich meiner Berufung nachkommen kann ohne das es in Arbeit ausartet. Ich sollte als ersten Schritt wirklich Olivers Vorschlag mit der Halbtagskraft in nähere Erwägung ziehen. Ich glaube im Büro bin ich tatsächlich in den meisten Fällen entbehrlich.“. Weiter kamen wir jetzt aber mit keinem Gedanken mehr. Offensichtlich störten diese Opa- und Omagedanken erheblich, denn sie gab uns keine Chance mehr an etwas anderes als an sie und ihr Spiel zu denken. Sie nahm uns jetzt zu 100 Prozent in Beschlag.
Erst als Tanja und Oliver vom „Krankenbesuch“ heimgekehrt waren, gab es eine Chance auf meine Gedankengänge zurückzukehren, da ich mich, nachdem Sara immer noch ihre Oma und jetzt auch ihre Mutti zur Verfügung hatte, bei meiner Enkeltochter ausklinken und mich meinem Sohn zuwenden konnte. Erst war Oliver mal an der Reihe und er zählte mir erst mal auf, was und wie er in meiner Abwesenheit alles erledigt hatte. Ohne Schmus musste ich ihm eingestehen, dass er aus dem Stand wirklich alles „töffte“ gemacht hatte. Nur zwei Dinge aus der laufenden Woche waren noch übergeblieben. Dieses aber nicht weil Oliver dazu keine Lust hatte und schon gar nicht weil er dessen unfähig gewesen wäre, sondern es war nur an der allein bei mir liegenden Unterschriftengewalt gescheitert. Ganz klar, das Prädikat „Unentbehrlich“ konnte ich mir in diesem Laden abschminken. So wie es der Verwaltungsauszubildende Oliver gepackt hat, hätte dass die Wohnungswirtschaftsauszubildende Sabrina im umgekehrten Fall auch hingekriegt. Elli und Tanja hätten sich, weil sie bislang mit der Sache nichts zutun hatten, erst mal in die Angelegenheit reinwühlen müssen, aber gepackt hätten sie es bestimmt. Ist es nicht so, dass es überhaupt keinen unentbehrlichen Menschen gibt. Jeder kann doch aus dem Stand von x anderen ersetzt werden, auch hohe Tiere wie Bundeskanzler, Toppmanager, Bankbosse und andere Halbgötter. Wäre schlimm, wenn das nicht so wäre. Unvorstellbar, wenn mit dem Bundeskanzler was passieren würde, und anschließend in der Bundesrepublik Deutschland Notstand und Staatsbankrott ausgerufen werden müssten. Grausam wenn ein Boss oder ein Toppmanager ausfiele und tagsdrauf der Laden erledigt wäre. Zum Glück sind wir alle entbehrlich und, obwohl wir jeder einzelne einmalig und wertvoll sind, können wir alle jederzeit in unseren Funktionen ausgetauscht werden. Es gibt also keine Gründe für Kniefälle vor hohen Tieren; beschränken wir uns lieber darauf diesen vor Gott zu machen, denn er ist einzig unentbehrlich. Da Oliver sein Rapport in Weniger als eine Viertelstunde über die Bühne gebracht hatte, nutzte ich die Gelegenheit, auch ihn in meine Gedankengänge einzuweihen. Ich dachte an aus der rein persönlichen Wohnungswirtschaft eine Gesellschaft, zum Beispiel eine GmbH, zu machen und die Verantwortung sowie die Rechte und Pflichten daraus auf alle Schultern in der Familie zu verteilen. Gemeinsam sollten wir, so meine Idee, die Bürgen für den Fortbestand und, wenn es nötig ist, für den Ausbau des Unternehmens mit guten und preiswerten Wohnraum sein. Ich habe damals Oliver aus gutem Grund nicht gesagt, dass ich in einer solchen Form auch eventuelle Erbschaftsstreitigkeit von vornherein ausgeschlossen sehe – aber gedacht habe ich es. Aber dass ich die Erbsenzählerei auch ganz gerne einer Halbtagskraft überlassen würde, damit ich mich Aufgaben, in denen ich eine Selbstverwirklichung und Erfüllung sehen kann, zuwenden kann, habe ich ihm allerdings bei der Gelegenheit aber gesagt. Und mein Sohn freute sich; nicht etwa weil für ihn was dabei rausspringen würde sondern weil er, wie er sagte, davon mal wieder überzeugt war, sein Vater doch der Größte ist. Und das machte mich dann wiederum stolz. Na ja, an jenem Karfreitag war alles nur angedacht, alles noch im Unreinen. Aber der Gedanke beschäftigte mich mehr und mehr. Ich setzte mir sogar ein konkretes Ziel und das Datum hieß: 11. September 2001. Das es mal der „11. September“ sein würde, konnte ich damals jedoch noch nicht wissen. Zum Zeitpunkt meiner Überlegungen hatte das Datum für mich halt nur die Bedeutung, dass es mein 55. Geburtstag sein würde. Ab einem solchen Tag kann man Unternehmen steuergünstig, da dann ein sehr hoher Freibetrag ausgeschöpft werden kann, aus Altersgründen veräußern. Dann können Selbständige also je nach Geschmack in den Ruhe- oder Unruhestand treten. Diesen Termin wählte ich jetzt nicht etwa aus den Gründen, dass ich auch so eine Type bin, die den Hals nicht voll kriegen kann und nur danach trachte jeden Steuervorteil zu kaschen, sondern weil ich ihn mir gut vorstellen konnte als einen Starttermin für ein zweites Leben auf der einen Seite in familiärer und insbesondere ehelicher Harmonie und auf der anderen Seite in Aktivitäten in Bereichen, den ich einen höheren Stellenwert als rein materialistischen beziehungsweise existenziellen beimesse – aber dazu komme ich noch am Schluss dieses Buches zu schreiben. Und wenn dazu noch Steuerberater und Rechtsanwalt eine Konstruktion finden, die das Geld im Unternehmen statt beim Fiskus lässt, ist das ja nun wirklich nicht zu verachten. Da zwischen der Idee und dem angedachten Termin fast 18 Monate lagen, konnte ich alles in Ruhe und auch nur immer dann, wenn mir auch danach war, in Angriff nehmen. Ich konnte mich mit Anderen beraten oder mich beraten lassen, prüfen und abwägen – und auch auf zwischenzeitig eintretende neue Dinge konnte ich reagieren. Die Weichen waren also gestellt. Mit dem vorösterlichen Knall im Jahre 2000 waren wir zur Wende bereit, wir waren für eine neue Zukunft gerüstet. Erst im Nachhinein kann man sagen wozu etwas gut war. Jetzt wäre es allerdings mehr als schlimm, wenn ich dieses jetzt so in Bezug auf meine ermordete erste Frau so stehen lassen würde. Ich habe Astrid geliebt und wollte mit ihr alt werden. Ihr Verlust war nicht nur für mich sehr, sehr schmerzlich. Aber dass ich da, wo ich am tiefsten am Boden lag zu Elli, der damaligen Frau des Mörders gefunden habe und mit ihr wieder aufstehen konnte, ist das, was ich mit meiner eben getätigten Äußerung meinte. Hätte ich auf Opferentschädigung heischend in der irrealen Welt von Schuld und Sühne verharrt, hätte mich der Rache- und Vergeltungswahn, der Frieden verhindert und Menschen, die gefallen sind, in den Morast drückt, aufgefressen. Ich kann heute nur den Opfern von Gewalt und Verbrechen raten, es weniger mit sich eigentlich nur selbst bereichender Psychofritzen als mit Vergebung zu versuchen. Wer vergibt ist erlöst. Und heute sehe ich diese letzte neuerliche Geschichte so, dass ich zwar das Richtige vernommen aber noch nicht verstanden hatte. Zum Verstehen brauchte ich noch mal einen auf die Nase. Das klang jetzt fast wie ein Resümee – oder? Ja, aber nur ein kleines aus Anlass einer Zeitenwende in unserer Geschichte. Ab jetzt gibt es nichts mehr über knallharte Schicksalsschläge zu berichten. Ostern 2000 hatten wir alle Sturmzonen durchfahren und fuhren ab nun in ruhigen Gewässern. Aber es dürfte nicht uninteressant sein, wie sich dann noch alles zuende entwickelte. Noch ist zum Beispiel Sabrina immer noch nicht auf den Beinen, noch hat sie ihre
Bestimmung nicht gefunden. Immer noch findet man sie im Haushalt von Papa und Stiefmutti. Wie ist das, kommt sie in absehbarer Zeit auf die eigenen Beine? Soeben konnten Sie von meinen Zukunftsideen, die ich zu Ostern 2000 hatte, lesen. Da meinte doch einst Wilhelm Busch, dass es erstens anders als man zweitens denkt käme. Ging das denn jetzt alles so klar wie ich mir dieses gedacht habe? Na ja, das sind jetzt die Themen im Rest dieses Buches. Alles wäre ohne dem, was wir erlebt und verarbeitet haben nicht möglich gewesen. Gerade in den Kapiteln die jetzt folgen, zeige ich den Weg auf, wie man nach schweren Erlebnissen und Schicksalsschlägen wieder auf die Beine kommt, wie das Leben wieder lebenswert wird und wie es immer weiter geht. Also meine Empfehlung: Nehmen Sie sich einfach auch noch die paar restlichen Kapitel vor. Zum Kapitel 29
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Der Tag, an dem Lukas kam In den beiden zurückliegenden Kapiteln habe ich mich ja nicht gerade rühmlich über die Psychologie ausgelassen und dagegen kommt die Theologie bei mir doch im Großen und Ganzen ausschließlich positiv davon. Es ist ganz legitim, wenn man mich jetzt fragt, ob und wie ich das begründen könne. Da habe ich eine ganz einfache Theorie: Wir müssen aus der Vergangenheit lernen, in der Gegenwart leben und uns in die Zukunft orientieren. Alle drei Dinge immer zur gleichen Zeit. Sich ausschließlich oder überwiegend auf nur eine Zeit ausrichten ist mehr als vom Übel. Wer Gewesenes als Traditionalismus und Ewiggestrig abtut und seine Blickrichtung, unter Vernachlässigung des derzeitigen Notwendigen, nur auf die Zukunft ausrichtet ist lediglich ein Träumer und Illusionist. Er hat keine soliden Grundlagen und unternimmt nichts was ihn überhaupt nur annähernd in die Nähe seines Zukunftstraumes bringt. Hier könnte ich zum Beispiel die Internetyuppies aus der Zeit des deutschen Börsenrausches, nach dem die Telekom an die Börse gegangen war, nennen. Mit mächtigen Illusionen gründeten sie Firmen und setzten zum Höhenflug an. Shareholder die sich als Analysten tarnten verführten im Auftrag der Banken ihr Geld in den Mondwerten zu „verpulvern“. Inzwischen sind sie alle samt abgestürzt. Viele werden noch bei den Pennystocks geführt und eine ganze Menge ist völlig weg vom Fenster – einfach pleite. Jetzt muss ich auch fairer Weise sagen, dass es auch viele theologisch angehauchte Menschen gibt die in einer noch fernerer Zukunft leben. Die orientieren sich schon im irdischen Dasein ausschließlich in einer Zukunft, über die er sich als gläubiger Mensch eigentlich kein Bild machen dürfte. Die sind bereits zu ihren irdischen Lebzeit im Ewigen Leben. Na ja, die Leute, die sich hinter Kirchen- und Klostermauern verschanzen und nur noch in einer ausschließlich geistigen Welt leben habe ich bei meinem Theologenlob auch nicht gemeint, da dachte ich eher an Praktiker wie Thomas, Waltraud oder Elli. Es gibt nur einen Schöpfer und der hat alles geschaffen, auch das, was wir als böse erachten. Er hat nichts nutzlos geschaffen – das ist sicher. Also hat er uns unser irdisches, weltliches Leben nicht gegeben damit wir zu Gunsten das, was uns verheißen ist, auf dieses verzichten. Es ist unsere Pflicht mit beiden Beinen in der Welt, in der Gesellschaft zu stehen, daran mitzuwirken und zu gestalten. Für die Leute, die nur aufs Heute fixiert sind, sprich diejenigen die in den Tag hinein leben, haben wir ja einen festen Begriff: Es sind Angehörige der Geld- und Spaßgesellschaft oder kurz der Fungeneration. Wen denen die Mittel zur Teilnahme an den Späßen ausgehen, fällt denen nichts besseres ein als dumm herum zu stehen. Sie leisten keinen Beitrag für ihren eigenen Fortbestand und zu dem der Gesellschaft erst recht nicht. Kommen wir jetzt zu den Vergangenheitsorientierten. Diese Leute kann man in zwei Gruppen einteilen: Die Einen verklären Ehemaliges. Wobei sich bei ihnen ehemals begangene Fehler schönen und somit die besten Voraussetzungen für die Wiederholung von früher begangenen Dummheiten und mehr schaffen. Die andere Gruppe – und dazu gehören aus meiner Sicht die Psychologen – können es nicht lassen immer wieder an Vergangenem zu rühren. Sie küssen die Dornröschen, die man besser schlafen ließ, wach. Sie verhindern, dass man sich auf die, durch das (schreckliche) Geschehen, entstandene Situation einstellt und lernt mit ihr zu leben. Wir können machen was wir wollen, Astrid werden wir nie wieder als irdischen Menschen unter uns und neben uns haben können. Das macht jetzt keinen Unterschied ob sie durch Krankheit, Unfall, Selbstmord oder Mord gestorben ist; wir müssen ohne sie weiterleben. Wir müssen den Verlust akzeptieren und zielbewusst heute das Notwendige, zu dem Rache und Vergeltung nicht gehören, unternehmen. Und genau das ist der von mir kritisierte Punkt bei der Psychologie. Sie geht nicht von Akzeptanz und Hinnahme auf der einen Seite und Weiterleben auf der anderen aus, sondern versucht Komplexe zu ergründen und an ihnen herumzulaborieren. Dabei reißen sie Wunden, die ohne sie mit Sicherheit wieder geheilt werden, immer wieder auf um sie mehr schlecht als recht zu verpflastern. Dagegen orientieren sich Theologen wie Thomas an der Verheißung, an der Liebe und Gnade Gottes als Ziel, dass man allerdings nur erreichen kann wenn man heute bewusst lebt. Die belastende Vergangenheit soll man sich ruhig von der Seele reden aber dann ruhen lassen. Darauf beruht der fast unheimliche Erfolg der Theologen in der Notfall- und Opferseelsorge. Dagegen ist die Zahl der Opfer, die nach Katastrophen oder Verbrechen den Psychologen in die Hände fallen und anschließend wieder lebenstüchtig waren, doch sehr gering. Na ja, schließlich leben viele Psychologen und Psychotherapeuten davon, dass die meisten ihre Komplexe ein Leben lang nicht mehr loswerden. Besonders tragisch ist das, wenn die Betroffenen letztlich völlig „durchknallen“. Bei unserer Sabrina war es nun so, dass ihr, wie auch mir zu meiner Zeit, alles das, was ihr an Entspannungstherapie in der psychiatrischen Klinik angeboten wurde „unheimlich“ gut tat. Äußerlich wirkte sie immer ruhiger und ausgeglichener. Auch die Besuche, und hier muss insbesondere Thomas gerühmt werden, die sie erhielt bauten sie ungemein auf. Mit der Zeit wurden die Zuschriften ihrer Saleiner Schützlinge und Mitstreiter immer weniger, bis zuletzt gar nichts mehr kam. Aber das hielt Sabrina mit dem Zeitverlauf für normal. Mit ihrem Arzt lag sie sich aber im „Klinsch“. Die Gründe dürften in der Sache, die ich zu Beginn dieses Kapitels beschrieb, liegen. Der Psychologe und ihr Onkel Thomas lagen, ohne es bewusst zu wollen, in einem sehr contrahären Widerspruch. Sie hielt sich, aus meiner Sicht zum Glück, aber ausschließlich an Thomas und zeigte ihrem Therapeuten die kalte Schulter. Ein paar Mal passierte es, dass er sie aufforderte ihm was zu erzählen und sie ihm, allerdings höflich, zu verstehen gab, dass sie das nicht wolle. Sie zog es vor sich die dunklen Schatten lieber gegenüber Thomas, Elli und mir vom Herzen zu reden. Sehr häufig passierte es, wenn der Psychologe auf konkrete Ereignisse zu sprechen kam, dass Sabrina entweder schnippisch reagierte oder mit „dummen Zeug“ antwortete. Laut ihren eigenen Worten waren ihr die Sitzungen schon dann, wenn sie das Arztzimmer verlassen hatte „am Arsch vorbeigegangen“.
Wenn man diese Dinge berücksichtigt, erscheint es sogar logisch, zu welchen Schlüssen der Arzt Ende Mai, als Sabrina entlassen wurde, in seiner Abschlussbeurteilung kam. Er stellte fest, dass Sabrina körperlich vollkommen wieder hergestellt sei. Sie versuche auch den Eindruck zu erwecken, dass dieses psychisch auch der Fall sei. Aber dem wäre nicht so. Sabrina versuche dem, was sie belaste auszuweichen und zeige nach wie vor, ein gesteigertes psychisches Fluchtverhalten. Seiner Meinung nach sprach nichts dagegen sie zu entlassen aber sie bedürfe in Zukunft noch eine intensive ambulante Therapie. Als ich sie gemeinsam mit Elli abholte wurde auch mir Letzteres von „unserem Exarzt“ ans Herz gelegt. Aber wir waren noch nicht ganz vom Parkplatz der Klinik gefahren, da tönte Sabrina munter und keck: „Mein Bedarf an Klappermänner oder auch –frauen ist bis zu meinem Lebensende mehr als ausreichend gedeckt. Von wegen ambulante Therapie ... ich pfeif den Psychoheinis was.“. Man weiß ja nie was kommt und deshalb wollte ich ihre Aussage doch ein Wenig relativieren. Diesem widersprach sie mir dann doch mit ernst zunehmender Aussprache: „Ja, es ist nie ausschließbar, dass man an einer Nervenkrankheit erkrankt oder das eine bisher nicht festgestellte Behinderung ans Tageslicht tritt. Dann brauche ich selbstverständlich Psychiater und/oder Neurologe. Ich glaube, die hast du auch nicht mit Ballermänner oder Psychofritzen ... das habe ich ja von dir – gemeint. Man muss schon zwischen den Wissenschaften Psychiatrie beziehungsweise Neurologie und dem Religionsersatz Psychologie unterscheiden. Die psychiatrische Behandlung in der Klinik hat mir doch auch richtig gut getan, aber die Psychologie steht doch auf einem ganz anderen Blatt. Die Leutchen wollen doch nur an dem rum kurieren, wovon sie keine Ahnung haben. Für die Seele sind Mutti, Onkel Thomas, Tante Waltraud und ihre Kolleginnen und Kollegen zuständig. Aber unnütz sind meine Erfahrungen mit den Psychos nicht. Ich habe wirklich mehr als eine ganze Menge von den Leuten gelernt. ... Auch wenn denen das in diesem Zusammenhang nicht bewusst ist.“. Das hatte jetzt die, auf der Rückbank sitzende, Elli neugierig gemacht und sie fragte die, zur Feier des Tages neben mir auf dem Beifahrersitz befindliche, Sabrina: „Kannst du uns denn verraten was du gelernt hast?“. Daraufhin offerierte uns die Befragte ihre neue Lebensphilosophie: „Ja, zum Einen habe ich erkannt warum ich so deftig auf die Nase gefallen bin. Ich hatte keine Kraft mehr leichten Winden und erst keinen Stürmen zu widerstehen. Man muss immer wieder neu den Akku aufladen. Man muss zwischendurch immer wieder abschalten um neue Lebensenergie zu laden. So wie Onkel Thomas und auch Papa gesagt haben, man muss das dritte Gebot beherzigen. Aus diesem Grunde wird mir jetzt die Olvermühler Tafel und die Sorgenanlaufstelle nicht gleichgültig. Aber ich werde jetzt nicht mehr diejenige sein, die möglichst alles machen will. Ich lasse jetzt auch alle anderen zum Zuge kommen. Ich werde mich nur ganz normal wie die anderen auch beteiligen. Dann bin ich zwar nicht mehr die Queen aber ich weiß dann, dass ich auch ich bin. Dann kann ich zu mir selbst finden. Ich werde künftig immer Sonn- und Feiertage wie Urlaube entsprechend ihrer Zweckbestimmung nutzen.“. An dieser Stelle wurde sie dann erst einmal von Elli unterbrochen. Man kann sich vorstellen warum. Meine Gattin wollte unserer Tochter gestehen, dass sie bereits Sabrinas Urlaub in Rovinij gebucht hatte. Wir hatten Sabrina bis heute noch nichts davon erzählt, denn wenn sie aus irgendeinem Grunde, zum Beispiel dass sie noch nicht entlassen gewesen wäre, nicht hätte mitkommen können, hätten wir doch lieber Stornogebühren bezahlt als dem „Töchterchen“ eine Enttäuschung zu bereiten. Wir waren schon auf ihre Reaktion gespannt. Na ja, die war sehr erfreulich. Zuerst trällert sie fröhlich das „Und die Mama ist immer dabei“ an, wobei sie das Wort Mama durch Papa ersetzte und danach sagte sie weiter heiter klingend: „Euch ist nicht entgangen, dass ich keine 12 mehr bin sondern immer ‚two little Dogs’ (22) hinter der Frage ‚Alter’ setze. Da gehöre ich eigentlich nicht mehr ans Händchen von Mutti und Papa. Oder ist es umgekehrt und ich muss auf euch beide auf passen? Aber es ist ja auch egal. In diesem Jahr lasse ich noch mal Ausnahmen zu und fahre mit. Abgemacht und ... ich freue mich darauf.“. Damit hatten wir diese Angelegenheit über die Bühne und die nächste Sache sprach sie dann selbst an: „Ach ja, um mitfahren zu können ist es ja erst mal Voraussetzung, dass ich selbst erst einmal Urlaub bekomme. Ich habe schon mit meinem lieben, werten Herrn Ausbilder telefoniert und morgen Nachmittag, wenn kein Besucherverkehr ansteht, wollte ich mal hin ... es ist so abgesprochen. Wir sind uns aber schon einig, dass ich für dieses Jahr wohl eine Ehrenrunde drehen muss. ... Ich bleibe also noch ein Weilchen an deinem Rockzipfel kleben, Papa – Wir dachten schon an einem Neustart ab 1. August ... Bis dahin dachte ich, wenn es euch nicht zu sehr wirtschaftlich beutelt, erst mal ein Wenig blau zu machen. Dann werde ich jetzt konkret auf das Urlaubende umlenken.“. Ich musste ihr jetzt erst mal verraten, dass ich ihr anbieten wollte, mich um den Fortgang ihrer Ausbildung zu kümmern, was sich jetzt wohl erledigt habe. Mit ihrem Kommentar knüpfte Sabrina dann wieder an das Ursprungsthema an: „Ja seht ihr Leute, auch das ist etwas, was ich gelernt habe: Selbst ist die Frau. Ich darf mich nicht drauflegen was Mutti, Papa, Brüderchen, Onkels und Tanten machen, sondern ich muss mein Leben selber im Griff nehmen. Wenn ich selbst alles regele stehe ich, wenn mal was passiert, nicht im luftleeren Raum. Mein Malheur war es bisher immer, dass ich mich alleingelassen und hilflos sah. Damals bei Mama brach alles für mich zusammen und bei Matthi, glaubte ich als Queen von Thron zu fallen, weil ich es, wie ich glaubte, allein nicht konnte.“. Über diese Aussage war dann Elli doch etwas entsetzt und fragte spontan und vielleicht etwas ungeschickt zurück: „Ach Mädchen, du willst doch nicht sagen, dass bei dir alles zusammengebrochen ist, ‚nur’ weil man dich hilflos allein gelassen hat?“. Etwas entrüstet über die Frage fuhr Sabrina fort: „Nein, sicher nicht ... Was denkst du denn von mir Mutti? Ich habe Mama und Matthi über alle Dinge geliebt und habe bei ihrem Tod einen sehr großen Verlust empfunden. Das hätte ich aber auch, wenn sie eines natürlichen Todes gestorben wären. Es kam nur alles zusammen.
Einmal das, was ich zuerst sagte. Dann hatte ich mir vor meinem Klinikaufenthalt keinen Augenblick der Entspannung und kein bisschen Besinnung gegönnt. Da war ich dann vollkommen überdreht. Dann kam zu dem Schmerz, dass, was dich eben so entsetzte: Angst und Hilflosigkeit. Und zu allem Übel zusätzlich noch die bösen Gedanken wie Wut, Rache, Vergeltung und, und ... . Alles zusammen haute mich um. Jetzt habe ich so lange ein auf die Nase bekommen bis ich kapiert habe. Und daher meine festen Vorsätze: Ich will mir Zeit zum bewussten Leben, dem Sinn der Schöpfung, nehmen. Ich will jetzt immer wieder ausspannen, dabei Stille und Besinnung genießen und so immer genug Kraftreserven haben. Künftig will ich mich dem Unabänderbaren fügen. Ich will darauf vertrauen, was mir Onkel Thomas sagte, dass Gott letztlich doch alles zum Guten wendet, weil er es uns versprochen und verheißen hat. Deshalb will ich nicht mehr über Schuld und Sühne, Rache und Vergeltung nachdenken sondern darüber, dass das Leben weitergehen muss. Und damit ich das aus dem Stand heraus kann, will ich alles das, was ich von vornherein selbst in die Hand nehmen kann, auch selbst meistern. Ich glaube, dass unter diesen Voraussetzungen niemand mehr annimmt, dass ich überhaupt noch einen Klappermann brauche. Und wenn ich mal jemand brauche, gegenüber denen ich meine Seele erleichtern möchte, dann gehe ich zu jemanden, der Gottes Ebenbild zu würdigen weiß ... Solange ich euch, Tante Waltraud und insbesondere Onkel Thomas noch habe, weiß ich schon wer das ist.“. Meine Tochter hatte das ausgesprochen, was auch ich dachte und fühlte. Und ich glaube fest daran, dass uns eine solche Auffassung in Zukunft davor bewahren wird in einen solchen seelischen Abgrund, wie wir diesen jetzt hinter uns gebracht hatten, zu rutschen. So konnten wir auf der Heimfahrt von Neuweiler nach Salein schon meine „neue alte Tochter“ im vollen Umfang kennen lernen. An ihrer lockeren und unbekümmerten Sprachweise konnte ich feststellen, dass sie wieder das schwungvolle Wesen wie vor jenem schrecklichen 11. September 1996 war. Dahingehend war sie ganz die alte. So wie sie jetzt an die Dinge heranging verriet, dass sie in der ganzen Zeit seit 1996 gereift und erwachsen geworden war. Mit ihrer jetzigen Denkweise und Lebensphilosophie, die übrigens ziemlich kompatibel zu der meinigen ist, überraschte sie uns als die neue Sabrina. Nun ist es natürlich übereilt, wenn man von einem Augenblick auf das ganze Leben schließt. Aber heute, am 1. März 2002, wo ich diese Zeilen tippe, kann ich feststellen dass dieser erste Eindruck damals nicht getäuscht hat. Die ganzen Ereignisse hatten Sabrina zu einer lebensfrohen und –tüchtigen Frau, die auch anderen etwas zugeben hat, geformt. Ich bin richtig stolz auf „meine Kleine“. An dieser Stelle kann ich jetzt damit überleiten, dass wir ab diesem Tage ein harmonisches Familienleben zu Dritt in der Peter-Salein-Straße im Olvermühler Ortsteil Salein führten. Dabei wäre das „zu Dritt“ gar nicht notwendig gewesen, denn Sabrina war jetzt ausgeglichen und selbstbewusst; man brauchte sich keine Sorgen um sie mehr zu machen. Die „Wiederherstellung“ unserer Tochter war mit ein Anlass für ein großes Familientreffen am Pfingstmontag, das war in 2001 der 12. Juni. Es gab noch ein paar kleinere Anlässe, die jetzt mit der Geschichte nichts zutun haben. Alle waren versammelt: Das Pastorenpaar Waltraud und Peter Thomas Kühn, die Familie Rossbach junior – also Tanja, Oliver und Sara Lauren – wie auch die Familie Rossbach senior, neben Elli und mir zur Zeit auch aus Sabrina bestehend. Ob das allerdings so klappte, wie wir uns das dachten und wünschten, stand bis zur Eröffnung der pfingstlichen Tafelrunde noch nicht fest, denn Tanja war mit unserem zweiten Enkelkind schon 2 oder 3 Tage überfällig. Es kam wie es kommen musste. Tanja hielt sich, mit sich selbst beschäftigt, einen Moment zurück. Dann kam von ihr so eine Art „LeichterSchmerz-Seufzer“ und dann zu ihrem Mann gewandt: „Olli, ich glaube es geht los.“. Und in diesem Moment war es dann auch mit der gemütlichen Gelassenheit vorbei. Klar, dass Oliver seine Frau postwendend ins Krankenhaus Bethanien in Waldstadt bringen wollte. Es stand auch außer Frage, dass er dieses auch machen sollte. Es gab aber zwei Damen, namens Eleonore und Sabrina, die, genau wie ich – wenn ich ehrlich bin – mitwollten. Elli und ich argumentierten mit dem Hinweis auf die Fahrerin beziehungsweise auf den Fahrer. Aber die Hauptperson in diesem Moment, setzte klare Kriterien: Die „Alten“, sprich die Ehepaare Kühn und Rossbach senior sollten mit der jüngsten Rundenteilnehmerin, also Sara Lauren, mal ruhig den schönen Tag weiter im Garten des Pfarrhauses Weinberg „feiern“. Wir könnten ja ohnehin nichts machen, dass wäre ja jetzt „ihr Geschäft“. Oliver müsse aber auf jeden Fall mit, da ein Vater das Recht habe die Geburt seines Sohnes mitzuerleben. Aber Sabrina bekam von Tanja als zusätzliches Familienmitglied die Ehre mitkommen zu dürfen, da ja jemand gebraucht würde, der ihren Mann ein Bisschen beruhigen könne. Sie wollte auch mal sehen, ob Sabrina nicht auch mit in den Kreißsaal dürfe. Na ja, dann düsten die Drei ab und wir hofften, dass der „Gebärendentransport“ gut über die Bühne ging, denn Oliver machte nicht den ruhigsten Eindruck. Aber keine Angst, jetzt kommt nicht die nächste Katastrophe ... es ging alles glatt und zu unserer Beruhigung vermeldete uns Sabrina dieses von ihrem Handy als sie im Bethanien angekommen waren. Später kommentierte Waltraud das, was jetzt ablief, mit „Das waren irgendwo komische zwei Stunden?“. Rein äußerlich wirkten wir wie eine ganz normale und gelassene Familienkaffeerunde. Aber mit dem Kopf waren wir dann alle paar Minuten im Kreißsaal des Bethaniens. Die kürzesten Interwalle von Zwischengedanken zu Zwischengedanken waren bei Elli zu verzeichnen. Zwei oder drei Mal versuchte sie Sabrina oder Oliver auf ihren Handys zu erreichen, wo sich jedoch immer nach viermaligen Freizeichen nur die, zu der Nummer gehörende Mailbox meldete. So fragte sie dann mal zwischendurch „Ob Sabrina wohl mit im Kreißsaal ist. ... Normalerweise stellen sich die Leute in den Krankenhäusern bei solchen Sachen immer so komisch an.“. „Ich find das gar nicht so, Schwesterchen.“, wandte jetzt Waltraud ein, „Was meinst du was los wäre, wenn man da jeden mit reinspazieren lassen würde. Dann hättest du auf der einen Seite hin und wieder Leute, die da aus voyeuristischen oder perversen Gründen mit rein wollen. Da der Mensch in der Lage ist alles zu Gunsten des Gottes Mammon zu pervertieren gäbe es dann Frauen die ihre Niederkunft vermarkten
würden. Sowohl Glotzer wie Perversianer würden überall im Wege stehen, so wie bei Unglücken und Katastrophen. Und nicht selten passiert es, dass Leute, die der Gebärenden nahe stehen, wie Männer, Mütter und Väter, Onkels und Tanten die Knie weich werden und die ganze Person hampelig wird. Dann muss sich das Personal, dass sich eigentlich mit anderen Dingen beschäftigen sollte, auch noch um die kümmern.“. Aus einem der letztgenannten Gründe war Sabrina sogar gebeten worden mit in den Kreißsaal zu kommen. Aber erzählen wir mal alles schön Eins nach dem Anderen. Nach den besagten zwei Stunden fuhr Olivers Auto wieder vor. Aber nicht er sondern Sabrina, die erst Anfang des Jahres ihren Führerschein gemacht hatte, saß am Steuer. Nach ihrer Prüfung hatte sie nur Matthias zwei oder drei Mal fahren lassen. Alleine gefahren war sie zuvor noch nie. Es wäre nicht verwunderlich gewesen, wenn sie nach der schlimmen Sache mit ihrem Bräutigam jetzt Angst und Hemmungen zum Selbstfahren gehabt hätte. Aber nein, sie fuhr zwar mit üblicher und verständlicher Anfängervorsicht, also noch fahrschulmäßig, aber ansonsten zügig und gelassen; etwa so als habe sie schon zwei bis drei Monate regelmäßige Übung. Natürlich hatte ich dass jetzt nicht bei ihrer Pfingstfahrt feststellen können, da ich ja zu diesem Zeitpunkt im Pfarrgarten saß. Selbst konnte ich sie erst einen Tag später als Autofahrerin erleben. Aber Tanja und Oliver erzählten später, dass sie vom ersten Augenblick wie „eine alte Häsin“ gefahren sei. Sabrina war nämlich auch schon auf dem Wege zum Krankenhaus gefahren. Oliver war nämlich vollkommen ausgeflippt und wollte lieber auf der Rückbank neben seiner Frau sitzen. Der Junge hat sich also beim zweiten Kind schlimmer angestellt wie andere beim ersten. Was soll das nur werden, wenn die Beiden das wirklich wahr machen, was sie sich vorgenommen haben: Alle 1 ½ Jahre soll es, bis ein Quintett voll ist, einen solchen Tag, wie jener als Lukas kam, geben. Na ja, so war Oliver bis zur Ortsausgangstafel „Weinberg, Gemeinde Olvermühle“ gekommen und hat dann seine Schwester gefragt ob sie übernehmen könne – und sie konnte und wollte. Hinsichtlich Sabrina muss ich jetzt sagen, dass die ganz offensichtlich alles was hinter ihr liegt verarbeitet und bewältigt hat. Sie steht jetzt mit beiden Beinen in der Welt ... und danach hatte es vor drei Monaten beim besten Willen nicht ausgesehen. Sabrina kam mit strahlenden Gesicht in den Garten und schnappte sich ihre Nichte und Patenkind um es auf den Arm zu nehmen. Sara bekam einen dicken Kuss und erfuhr: „Sara, jetzt hast du auch ein Brüderchen. Der Thomas ist angekommen und ist so gesund und munter wie deine Mutti.“. Und mit diesen Worten hatte Sabrina uns dann auch alle über das Wichtigste informiert. Natürlich wollte Elli in typisch fraulicher Manier auch gleich wissen wie groß und schwer ihr Enkel ist und Sabrina konnte dazu natürlich konkrete Angaben machen. Innerhalb von zirka fünf Minuten waren dann alle Mutter und Kind betreffenden Erstfragen abgehandelt und man konnte sich auch nach dem Vater erkundigen, was Elli dann auch gleich machte: „Und was ist mit Oliver? Wo ist der denn abgeblieben?“ Sabrina lachte herzlich und meinte: „Ja, ja, mein lieber Bruder, den päppeln sie gerade im Krankenhaus wieder auf. Wenn er wieder transportfähig ist ruft er an und ich werde ihn abholen.“. „Das kann ich auch machen“, bot ich mich an, was aber von meiner Tochter mit den Worten „Komm Väterchen, da habe ich den Führerschein gemacht und endlich mal eine Chance zu fahren. Und dann kommst du und willst mich daran hindern. Kommt gar nicht in Frage.“ abschlägig beschieden wurde. Jetzt zückte Sabrina erst mal ihr Handy, dass sie auch erst mal wieder, nach dem sie es im Krankenhaus abgeschaltet hatte, aktivieren musste. Sie hatte den Auftrag Herta und Walter sowie Matthias Eltern zu informieren. Wir wissen ja schon von damals, als es um Saras Taufe ging, dass Walter über alle seine männlichen Erben Pate werden wollte und auch sollte. Natürlich stand ihm jetzt natürlich auch die Verkündigung der toppaktuellen freudigen Nachricht zu. Der Anruf bei Kühns hatte den fast gleichen Grund. Wir erinnern uns ja noch daran, dass Tanja die Absicht geäußert hatte, die Kühnsche Namensreihe „Matthias (Matthäus), Markus“ mit Lukas fortzusetzen. Nach dem tragischen Unfall ist sie dann dabei geblieben und baute es in die Richtung aus, dass Frau Kühn, wo sie jetzt ihren ältesten Sohn verloren hat, ein Patenkind dazu bekommen sollte. Natürlich nicht als Entschädigung. So etwas hätte wohl die ganze Familie auf die Barrikaden gebracht. Menschen sind zwar auf ihren Positionen entbehrlich und austauschbar aber das gilt nicht für die Personen. Nicht nur jeder Mensch sondern jedes Geschöpf ist einmalig und unersetzlich. Nachdem Sabrina die Telefonate erledigt hatte wurde sie von uns allen aufgefordert zu berichten. So wie sie es brachte kam eine richtig lustig Story dabei raus: „Na, wir waren gerade vom Parkplatz gerollt, da glaubte ich Zeuge eines Weltwunders zu werden. Mein Brüderchen war so aufgelöst, dass man annehmen konnte er bekäme jetzt den Thomas und nicht Tanja. Er musste unbedingt auf die Rückbank damit er von Tanni getröstet werden konnte. Hätte ich kein Führerschein gehabt, hätte einer von euch bis zum Ortsausgangschild an der Saleiner Straße wetzen müssen, sonst wären wir nicht im Bethanien angekommen. Dank der exzellenten Fahrerin Sabrina Rossbach ... die durchaus von ihrem Herrn Papa mal so einen kleinen Gebrauchten spendiert kriegen könnte – sind wir aber bestens angekommen. Das Pärchen also gleich rein und ich habe euch dann erst mal von unserer Ankunft informiert. Als ich dann auf die Gynäkologie hinterher gedackelt war, begrüßte mich dort gleich Dr. Göttert (ein junger aus Olvermühle stammender Arzt) und meinte ich solle doch gleich mit reinkommen, damit mein Brüderchen die ganze Sache übersteht. Um Tanja brauchte man sich keine Sorgen zu machen, die ist ja seit meinem Patenmädchen Sara Lauren eine erfahrene Mutter. ... Die nahm das Ganze recht lässig. Dr. Göttert musste sie nur zwischendurch ermuntern das Pressen nicht zu vergessen. Damit hatte er bombigen Erfolg, ... es wurde gepresst und gepresst. Aber weniger von Tanja, die das eigentlich sollte, sondern unser Olli. Man was hat der sich verausgabt. Tanja hat mal ihn mitleidig und mal mich mit einem verkniffen
Lachen angesehen. Ich glaube wenn die Geschichte nicht mit Schmerzen verbunden gewesen wäre hätte sich Tanja, wenn nicht tot dann doch halbtot gelacht.“. Nun, wo Tanja nicht zu kam sollte uns nicht verwehrt werden. Wir hätten uns krümeln können, insbesondere wie jetzt Sabrina die Gesichtausdrücke, Gestik und Pressversuche ihres Bruders beschrieb. Aber das war noch nicht alles: „Als der kleine Thomas dann seinen Kopf in diese ‚schnöde Welt’ gesteckt hatte, war sein Vater total geschafft: kreidebleich und marode. Als Dr. Göttert dann den kleinen Neuling zum Klapsen hochnahm und verkündete, dass es ein Junge sei, sackte unser Olli völlig geschafft zusammen. Gleichzeitig mit Thomas Begrüßungsgeschrei verkündet mein Herr Bruder: ‚Mir ist schlecht, ich kann nicht mehr’. Dr. Göttert meinte dann, dass das nach der Pressweltmeisterschaft, bei der ‚uns Olli’ die Goldmedaille gewonnen habe, nicht verwunderlich sei. Na ja, nachdem er noch einen ersten Blick auf seinen Stammhalter geworfen hatte, wurde er dann von der Schwester in den Ambulanzraum gebracht, damit er sich von seiner schweren Entbindung erholen konnte.“. Jetzt kam sie allerdings nicht zum Weitererzählen , denn Thomas Telefon schellte und Sabrina vermutete gleich richtig, dass es ihr Bruder sei, der jetzt abgeholt werden wollte. Während Sabrina nun zum zweiten Mal die Strecke Weinberg – Waldstadt und zurück befuhr, wurde unser Kreis noch erweitert. Innerhalb von zehn Minuten trafen zuerst die Kühns aus Neuweiler und dann die Saleins aus Salein – hört sich doch schick an, nicht wahr – am Weinberger Pfarrhaus ein. Die künftigen Paten wollten mit ihren Partnern und uns die Ankunft des neuen Erdenbürgers feiern. Sowohl Frau Kühn wie auch Herta fragten gleich in den ersten Minuten nach Sabrinas Verbleib. Als sie hörten, dass die junge Dame mit dem Wagen ihres Bruders unterwegs sei kam die übereinstimmende Feststellung, dass die doch offensichtlich wieder richtig auf den Beinen sei. Bei der Rückkehr konnten wir allesamt feststellen, dass Sabrina auch auf dieser Fahrt das Fahrzeug gesteuert hatte obwohl der junge Herr Papa auch bereits wieder auf beiden Beinen stand und diese Aufgabe ohne weiteres hätte selbst übernehmen können. Zur Begründung rühmte er die Fahrkünste seiner Schwester obwohl die Fahrahnfängerin sei. Dadurch kam auch Sabrina noch zu einem größeren Fischzug. Herta sollte noch in dieser Woche ihr neues Auto bekommen und das veranlasste Walter dann, dass alte Auto seiner Frau für eine obligatorische Mark an seine Nichte zu verkaufen. Auf diese Art und Weise war der Pfingstmontag, an dem Lukas kam, auch ein großer Tag für unsere Sabrina. Nun kann sich jeder vorstellen was wir gemacht haben: Wir haben gefeiert. Nein, nein, nicht feucht fröhlich. Mehr wie für jeden Herrn eine Flasche Bier und ein, noch nicht einmal gefülltes, Glas Wein für die Damen war nicht drin. Das lag aber nicht daran, dass wir uns „verklärt“ in einem Pfarrhaus befanden und von vier studierten Theologen – Herr Kühn, Thomas, Waltraud und Elli – umgeben waren sondern weil die Vorräte unseres Pastorenehepaars für mehr nicht ausreichten. Waltraud und Thomas „stritten“ sogar darum, wer die Schuld auf sich nehmen dürfe, dass man einen solchen Fall nicht einkalkuliert habe. Aber was soll’s, auch ohne Alkohol kann man in netten Kreisen ganz gut feiern; die Meisten versuchen es leider nur nicht. Im Übrigen haben wir das Ganze auch am darauffolgenden Samstag, als auch Tanja und Lukas wieder da waren, nachgeholt. Na, na, nicht gleich die Nase rümpfen. Alkohol in einer solchen Pastorenfamilie? Was hat denn unser Herr Jesus Christus auf der Hochzeit zu Kanaan geschaffen, damit weiter gefeiert werden konnte? Nicht der Alkohol als solches ist vom Teufel sondern der Missbrauch beziehungsweise der unkontrollierte Umgang mit diesem. Der verehrte Leser beziehungsweise die verehrte Leserin wird beim Studium dieses Kapitels festgestellt haben, dass bei uns offensichtlich wieder eine heile Welt eingekehrt ist. Diesmal hatte alles auch mehr oder weniger den Charakter von Normalität und nichts roch nach der Überschwänglichkeit eines vorüberziehenden Zwischenhochs. Aber jede Phase findet mal ihr Ende. Im Leben geht es halt wie auf einer Achterbahn zu: Mal fährt im Zuckeltempo über eine fast ebene Strecke, mal schießt man im Höllentempo bergab und grundsätzlich, wenn man nicht inzwischen schon ganz unten auf der Finalspur ist, schießt man nach einer Talfahrt wieder nach oben. Vielleicht ist das auch ganz gut so, denn wenn es kein Leid gäbe, wüssten wir nicht was Freude ist und könnten diese nicht bewusst erfahren. Aber erst das bewusste Erfahren von Freude – aber auch Leid – macht das Leben so bunt und lebenswert. Und noch etwas: Wenn es kein Leid gäbe hätten wir keinen Grund auf irgendetwas zu hoffen ... und wie trostlos wäre dann das Leben ohne Hoffnung und Ziel.
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Frau Lehrerin, nackt sind sie wunderschön Des Donnerstags begannen die großen Ferien des Jahres 2000 und am darauffolgenden Sonntag saßen Elli, Sabrina und ich in einem Charterflieger mit Ziel Pula auf der kroatischen Halbinsel Istrien. Aber Pula, mit seinem römischen Amphitheater und der davor gelagerten Insel Brioni, dem ehemaligen Sommersitz des Jugoslawiengründers Tito, war nicht das Ziel unserer Reise sondern das etwas nördlicher gelegene Rovinij, wohin wir dann nach der Landung mit einem Touristentransporter, sprich Reisebus, gebracht wurden. Aber ich glaube von dieser Unternehmung brauche ich nichts zu erzählen, denn so etwas, was stets und ständig nach dem gleichen Muster abläuft, brauche ich ja nichts zu berichten, denn das dürfte wohl jede Leserin und jeder Leser schon einmal erlebt haben. Es sei denn, es habe im geschilderten Fall besondere Vorkommnisse gegeben – aber die gab es nicht. Wir sind ja keine Ausnahmeerscheinung und lösen nicht automatisch mit unserem Auftreten außergewöhnliche Ereignisse aus. Sprich wir waren Pauschaltouristen wie Millionen andere auch. Die Teilnahme an einer Pauschalreise ist ja nicht dafür geeignet, sich besonderer Taten oder Errungenschaften eines Individualisten zu rühmen, aber im Gegenzug ist letzteres auch kein Grund, daran nicht teilzunehmen. Das es keine nennenswerte Sonderheiten gab können wir, was die erste Woche betrifft, in Bausch und Bogen sagen, wir waren Familie Otto Normaltourist. Bis Mittags verlief es sogar nach dem Standardstrickmuster für Durchschnittsurlauber, das heißt, dass wir uns zwischen Acht und Neun zu den Leuten am Frühstücksbüfett gesellten, um uns anschließend strandfertig zu machen und dann ging’s ab zum felsigen Adriastand. Na ja, am Strand wählten wir eine Alternative zwischen typischen Touristengrill und einsamer Badenische. Also, außer uns waren da an „unserem Plätzchen“ schon ein paar Leutchen zum Bade versammelt und laufend kamen mal ein paar Leutchen vorbei aber eine Stelle, wo auf jedem freien Stück Felsen oder Rasen sich rötende Germanen lagen, war es nicht. Dieses ist dahingehend nicht unbedeutend, da Elli hier, wie bei der Planung angekündigt, ihren Exhibitionismus auszuleben gedachte. Das einzigste Textil was sich an ihrem Körper befand war ein äußerst knappes Tangahöschen. Busen und Po waren für diskrete und indiskrete Zublicke freigegeben. Sabrina dagegen verbrachte die morgendlichen Stunden in einem durchaus standardmäßigen Bikini. Sie lieferte Elli auch ganz gelassen eine Begründung dafür: „Mutti, du hast wirklich eine tolle Figur und an dir ist wirklich noch alles dran. Aber ich glaube ich bin auch nicht so ganz ohne und würde, wenn Papa nicht wäre, dir jetzt mächtig Konkurrenz machen.“. Auf Ellis Frage, warum sie denn dieses nur in meiner Abwesenheit machen würde, erklärte sie dann, dass es rational nicht vollziehbar sei aber in meiner Gegenwart empfände sie doch so komische Beklemmungen. Dann eben halt ein Fetzchen mehr Textil und dafür keine Beklemmungen. Kurz vor Mittag zog es uns dann ins Hotel, aber nicht wegen des Mittagsessen. Das stand uns nicht zu, denn wir hatten Halbpension gebucht. Auch das war eigentlich eine Fehlbuchung, denn nur an insgesamt vier Tagen innerhalb der drei Wochen haben wir vom „mitbezahlten“ Abendessen im Hotel Gebrauch gemacht. Des Abends gingen wir in der Regel schön aus. In Restaurants, nicht im Rummel direkt am Hafen, mit netter Atmosphäre, wo wir nach dem Essen dann noch zu ein paar Gläsern Wein hocken blieben. So hätte für uns eigentlich Übernachtung mit Frühstück gereicht, aber die Pauschalreise wurde halt nur mit Halb- oder Vollpension angeboten. Uns zog es auch nicht aus Essensgründen zurück, denn wer des Abends groß ausgeht, kann sich ja des Mittags mit einem Imbiss, den Elli meist dann noch geschickt vom Frühstücksbüfett abgezweigt hatte, begnügen. Aber in der Mittagszeit ist ungeschützte Haut durch die Sonne gefährdet – und nur wegen so ein Bisschen Bräune wollten wir nun wirklich nicht leiden. Also grundsätzlich dann, wenn die Sonne am höchsten stand, legten wir uns für ein Stündchen auf unsere Betten. Der Nachmittag galt dann den Erkundungsspaziergängen. Mal schlenderten wir durch die Altstadt und deckten uns am Markt mit frischen Obst ein. Mal gingen wir hinauf zu der Rovinij überragenden Kathedrale oder spazierten am alten Kloster vorbei. Auch in das Aquarium haben wir mal rein gesehen und sehr oft saßen wir in einem Straßenrestaurant wo sich die Damen eine Cola und ich mir ein Bier leisteten. Erst in der zweiten Woche gab es dann Abwechselung. Zunächst hatten wir des Dienstags einen Tagesausflug hinüber nach Venedig gebucht. Mit dem Schnellboot „Princess of Dubrovnik“ fuhren wir hinüber in die Lagunenstadt. Aber auch von diesem Tag gibt es nichts zu berichten, was ein Kapitel in diesem Buch rechtfertigen würde. Dafür kann aber der nächste Tag, also genau die Urlaubsmitte, zu den großen Ereignistagen gerechnet werden. Dabei fing alles ganz normal, wie bisher an jedem Morgen, an. So wie an allen Tagen, außer an dem wo wir in Bella Venezia waren, zogen wir zu Dritt zum Strand, wo sich Sabrina im Bikini, Elli mit ihrem „Strick durch den Po“ und ich in der Badehose niederließen. An diesem Morgen war Ellis „Bekleidungsordnung“ Gegenstand einer Plauderei zwischen ihr und Sabrina, die mal nachfragte: „Was würdest du jetzt machen, wenn jemand Bekanntes vorbeikäme?“. „Gute Miene zum guten oder bösen Spiel.“, verkündete darauf Elli etwas erheitert, „Das ist doch ein Risiko, was ich von vornherein einkalkulieren musste. Schließlich ist zur Zeit Hauptsaison und wir sind hier an keinem superexklusiven Urlaubsort – und selbst in Wichtigtuerparadiesen bist du nicht sicher vor deines Gleichen aus dem gleichen oder dem Nachbarort. Das da mal dieser oder jener vorbeikommt ist sogar sehr wahrscheinlich. ... Aber ich kann mich doch sehen lassen.“. „Jau, du bist ein knackiges Vollweib.“, mischte ich mich ein. Sabrina hatte unterdessen aber noch eine Nachfrage: „Warum sagtest du denn gutes oder böses Spiel? Wie ich dich kenne empfindest du das doch als gutes Spiel wenn die Exhibitionistin aus der Religionslehrerin heraustreten kann.“. Na, Elli konnte auch dieses ganz logisch erklären: „Es kommt immer darauf an, wer vorbeikommt. Es gibt eine ganze Menge Leute, bei denen es mir nicht so angenehm ist,
wenn sie mich so anglotzen. Obwohl es ja gerade die sind, die sich über einen solchen Anblick freuen würden.“. „Nehmen wir doch mal ein Beispiel.“, forschte Sabrina weiter, „Was wäre wenn jetzt Onkel Walter vorbeikämme.“. Elli lachte und bekundete: „Eu, Walter würde sich mächtig freuen, mir wäre es nicht unangenehm und Herta würde sich mit ihrer Eifersucht so aufspulen, dass sie in Ohnmacht fiele.“. Weil ich mir das jetzt plastisch vorstellte musste ich laut lachen, womit ich jetzt die Blicke der Mitbadenden, wo übrigens jede zweite „Badenixe“ nicht mit mehr wie Elli bekleidet war, auf mich zog. Dem „Fräulein Tochter“ reichten die bisherigen Auskünfte aber immer noch nicht. Sie wollte jetzt wissen, wie das denn wäre, wenn es sich bei den Vorbeikommenden um jetzige oder ehemalige Schüler handeln würde. Hierauf bekannte Elli ehrlich: „Das wäre mir doch ein Bisschen peinlich, was ich mir aber nicht anmerken ließe.“. Und jetzt kam Sabrina auf des Pudels Kern: „Was würdest du denen denn erzählen, wenn sie dich im Religionsunterricht darauf ansprechen würden?“. Nun war es soweit. Elli konnte fast nackt in der Öffentlichkeit einen theologischen Vortrag halten: „Ganz einfach würde ich denen sagen, dass Gott die Liebe sei und die Liebe zwischen Mann und Frau somit auch eine Verkörperung Gottes sei. Ich würde darauf hinweisen, dass wir in irgendeiner Weise auch Gott damit loben, wenn wir auf das stolz sind, womit er uns so üppig ausgestattet hat. Aber mit allem was wir von Gott haben müssen wir auch würdevoll umgehen. Mit Sicherheit hat die Darbietung letzter Details der Weiblichkeit vor zahlenden Gaffern und vor perversen Fotografen nichts mit dem Lob Gottes, wie ich das eben meinte, zu tun. Damit macht man ein wertvolles einmaliges Geschöpf Gottes zu einem käuflichen Objekt, zu etwas, was nur einen vorrübergehenden Zeitwert hat. Prostitution und Pornografie sind eine Verletzung der Menschenwürde. Und immer wenn man die Würde des Geschöpfes, was nach seinem Ebenbild geschaffen wurde, verletzt, lästert man ihn.“. Wenn man es sich recht überlegt, hat sie wohl 100%-ig recht. Dieses war nun eine normale Unterhaltung wie wir sie tagtäglich im Familienkreis hundertfach geführten. Natürlich nicht nur immer zu diesem Thema, denn unsere Themenwahl war so bunt und vielfältig wie diese Welt. Wenn ich diese ganz bestimmte Unterhaltung inhaltlich bis heute nicht vergessen hätte, wäre mir aber bestimmt der genaue Zeitpunkt in der Urlaubsmitte mit Sicherheit entfallen, wenn es nicht etwa eine Stunde später ein Ereignis gegeben hätte, was in diesem Moment wie herbeigeredet erschien. Es ergaben sich natürlich während unserer morgendlichen Strandaufenthalte auch immer mal Zeiten, wo wir „Stille und Besinnung“ der Plauderei vorzogen; wo wir einfach in den Tag dösten. Ein solcher Moment sollte an jenem Morgen, von dem ich hier berichte, mit einem „kleinen Paukenschlag“ enden. Alle Drei waren wir dick mit höchsten Sonnenschutzfaktor eingecremt. Sabrina und ich lagen auf dem Bauch und genossen das Sonnenlicht auf unserem Rücken und Elli umgekehrt – sie ließ die Sonne unter anderem an ihrem Busen spielen. Aber auch sie döste mit geschlossenen Augen. Da erklang auf einmal eine männliche Stimme: „Ach guten Morgen Frau Rebmann. Die Welt ist ja nun wirklich klein. Wo man hinkommt trifft man Bekannte.“. Das beendete unsere Musestunde von einem auf den anderen Augenblick. Sabrina und ich gingen prompt von Bauch- in Rückenlage und Elli setze sich auf, während sie mit der rechten Hand auf die linke Schulter sowie mit der linken Hand auf die rechte Schulter griff, damit ihre Ellebogen ihre Busen, zumindestens im Bereich der Warzen abdeckt waren. „Oh, entschuldigen sie Frau Rebmann,“, sagte daraufhin der im Großen und Ganzen gut aussehende junge Mann, „ich wollte sie nicht komprimentieren. Wenn es ihnen peinlich ist, verschwinde ich ganz schnell wieder. Übrigens Tagchen auch Brina.“. Nun bekam er gleich zwei Antworten. Zunächst gab Sabrina freudig „Ja, Tagchen, Marti“ zurück und dann kam Elli, die ihre Arme inzwischen wieder heruntergenommen hatte: „Ach Herr Baumann, es freut mich sie zu treffen. Sie haben mich keineswegs komprimentiert, ... es war nur eine Reflexbewegung. Oben ohne ist ja hier halbwegs normal und ich brauch mich hoffentlich doch nicht zu verstecken. Übrigens, ich bin nicht mehr Frau Rebmann. Ich habe inzwischen meinen Goldschatz, Sabrinas Papa, geheiratet.“. „Ach entschuldigen sie nochmals Frau Rossbach, ... dass wusste ich noch nicht. Ich weiß zwar nicht wann das war, aber ich gratuliere dazu ganz herzlich.“. Da sich die Damen und der Herr offensichtlich gut kannten und nur ich augenscheinlich „dumm“ war, wandte sich Elli mir zu: „Maus, darf ich dir meinen ehemaligen Musterschüler, sowohl in Deutsch wie Religion, Martin Baumann vorstellen“ und dem Herrn Baumann zugewandt fuhr sie fort: „Ich glaube sie kennen meinen Mann ... zumindestens vom Ansehen. ... Aber nehmen sie doch Platz.“. Gehorsam setzte sich der junge Mann und ergriff dann wieder das Wort: „Aber Frau Rossbach, sie dürfen doch wie früher in der Schule weiter zu mir Martin sagen. Das würde mich sogar sehr ehren. ... Aber erst einmal schönen guten Tag Herr Rossbach. Ich bin mit Brina zusammen in die Schulegegangen und da habe ich sie natürlich schon öfters im Zusammenhang mit ihrer Tochter gesehen.“. Noch während wir uns mit Handschlag begrüßten fuhr Elli fort: „Was machst du denn jetzt Martin? Wenn ich mich recht entsinne wolltest du Kunst studieren. Hat das denn geklappt?“ Worauf der junge Mann dann artig antworte: „Oh ja, ich studiere in Düsseldorf und hatte schon die Ehre einige Werke in Ausstellungen unterzubringen. Vielleicht habe ich Glück und bekomme das Kunststipendium des Romanischen Kreises, die dann mit einer eigenen Ausstellung verbunden wäre. Aber gerade die Kunst war es, die mich dazu verleitete sie zu erschrecken. Ich habe selten eine Frau gesehen, die wie sie so sehr den antiken Schönheitsidealen entsprechen. Ich wollte sie schon mit den Worten ‚Frau Lehrerin, nackt sind sie wunderschön’ ansprechen. Aber da das missverstanden werden könnte, habe ich es mir verkniffen.“. Elli, die jetzt leicht errötet war, sprach jetzt etwas schüchtern: „Danke für das Kompliment Martin ... aber damit hast du mich jetzt tatsächlich ein Wenig verlegen gemacht. Aber jetzt entschuldige dich nicht schon wieder sondern erkläre lieber was wir Laien unter dem antiken Schönheitsideal zu verstehen haben.“. Nun erhielten wir einen
kunstwissenschaftlichen Vortrag hinsichtlich hellenistischer Schönheitsvorstellung. Ich wusste zuvor noch gar nicht, wie viel Malerei mit Geometrie zuschaffen hat. Ich habe natürlich kaum etwas behalten. Aber das relativ Wenige verleitete mich später im Hotel, als ich mit Elli allein auf dem Zimmer war, zu Vermessungen. Er hatte unter anderem erklärt, dass es dem griechischen Ideal entsprochen hätte, wenn von Brustwarze zu Brustwarze und von beiden zum Bauchnabel ein gleichschenkeliges Dreieck gebildet werden könne und von Bauchnabel bis in den Schritt ebenfalls eine Schenkellänge Distanz sei. Nicht nur Elli sondern auch ich waren sehr stolz, dass diese Voraussetzungen auf Elli fast bis auf dem Millimeter gegeben waren. Während des ganzen Vortrages hatte ich mich mal auf Elli und mal auf den jungen Mann konzentriert und dabei gar nicht mitbekommen, was jetzt bei meiner Tochter ablief. Und daher war ich reichlich überrascht als sich Sabrina plötzlich in Szene setzte: „Hey Marti, du stehst wohl auf Mutti. Aber die ist vergeben. Was hältst du denn von mir.“. Weniger ihre Worte als ihr Outfit sorgten für meine Verwunderung. Auch Sabrina stand jetzt barbusig da und hatte ihr Bikinihöschen auf Tangaformat zurückgezogen. Der gute Herr Baumann hatte es wohl mit den Entschuldigungen, denn er begann schon wieder mit einer solchen: „Entschuldigung Brina, aber das war jetzt nicht böse gemeint. Du weißt doch selbst, dass ich dich schon immer zauberhaft gefunden habe. Ich habe immer davon geträumt mit dir zusammen zukommen, aber du hast ja nie Augen für mich gehabt. Aber entschuldige, das ist jetzt nicht böse gemeint, jetzt habe ich ein paar Schwierigkeiten. Bei deiner Stiefmutter habe ich wirklich nur an Kunst gedacht aber du regst bei mir auch das andere an. Am Liebsten möchte ich ...“. Da war dem jungen Mann wieder bewusst, dass außer Sabrina auch wir noch anwesend waren und brach dann „sicherheitshalber“ plötzlich ab. Aber nun waren wir ein Wenig bei den jungen Leuten praktisch abgemeldet. Sie plauderten miteinander und bezogen uns nur zeitweilig, offensichtlich nur aus Höfflichkeit, mit ein. Na ja, es kam der Punkt wo Sabrina dem jungen Mann den Vorschlag machte, sie sollten ein Wenig am Strand entlang Richtung alten Steinbruch spazieren. Sicher war „ihr Marti“ sofort dazu bereit. Jetzt erlebte ich Sabrina auch wieder in einer neuen Art. Sie ließ ihr Oberteil dort liegen wo es lag und zog nur ihr weißes, doch sehr durchsichtiges, T-Shirt über und dann stolzierten die Beiden los. Sie waren kaum weg, da wurde Elli gesprächig: „Oh Mann, was war mir das erst peinlich. Da haben wir heute Morgen noch davon gesprochen und wie es der Zufall will tritt gleich eine solche Situation ein. Während ich heute Morgen die Sache noch ganz lässig gesehen hatte, bin ich in dem Moment, wo es darauf ankam, ganz schön ins Schleudern gekommen. Ich glaube, ich muss das Ganze doch noch irgendwie überdenken. Am FKK-Strand oder in der Sauna wäre es wirklich so gewesen, wie ich es sagte, aber hier ...“. „Warum fahren wir denn nicht rüber zur roten Insel?“, fragte ich jetzt mal nach. „Das hat zwei Haken.“, erläuterte Elli jetzt, „Einmal habe ich mich, wie du selbst weißt, entsprechend rasiert, damit es jetzt mit dem Tangahöschen nicht so ordinär aussieht. Und das würde dann beim FKK genau umgekehrt wirken, da könnte man annehmen ich wolle nackter wie nackt sein. Natürlich finde ich Nacktheit schön ... und das kann ich ohne weiteres auch mit meinem Gewissen vereinbaren. Aber ordinär – nein niemals. Und der andere Haken ist die Übersetzerei mit dem Bötchen. Da gehen ja sowohl hin wie zurück dann fast immer eine Stunde drauf ... und du bist so fahrplanabhängig. Und dieses alles wo wir doch nur die Morgenstunden nutzen und auch daran nichts ändern wollen.“. Unsere Urlaubstageeinteilung haben wir uns auch nicht nehmen lassen und so blieb dann letztlich auch alles beim Alten – Elli hatte jedoch Glück, einen ähnlichen Vorfall wie mit Martin Baumann gab es bis zum Urlaubsschluss nicht mehr. Anders bei Sabrina, die ab dem nächsten Tag mit Martin Baumann regelmäßig zur „Roten Insel“ hinüber wechselte. Eigentlich heißt diese Insel ja St. Katharina, was aber den ehemaligen Titokommunisten nicht passte und diese hatten sie dann Rote Insel getauft. Der Singular „Insel“ ist eigentlich verkehrt, denn es handelt sich um zwei, mit einer Brücke verbundene Inseln. Auf der Hauptinsel befindet sich ein Touristenbunker - Sorry Hotel, denn so schlecht ist es ja auch nicht – und auf der Nebeninsel, auf der sich auch eine alte Kapelle befindet, ist jede Art von Textil verpönt. Nach „dem Krieg“, wie die Kroaten sagen, bekam die Inseln ihren ursprünglichen Namen wieder zurück, der sich aber bei Einheimischen und Stammtouristen noch nicht wieder durchgesetzt hatte. Übrigens, wo ich gerade den oder die Balkankriege der 90er-Jahre erwähnt habe, muss ich doch mein Kopfschütteln zum Ausdruck bringen. Da haben die Leute in der Titozeit, also über 40 Jahre, friedlich miteinander gelebt, haben sich miteinander befreundet und untereinander geheiratet. Dann schlagen die plötzlich als Erz- und Erbfeinde erbittert aufeinander los. Na ja, das Titojugoslawin war eine kommunistische Diktatur und mit der Gerechtigkeit war es nicht weit her – aber in welchem Land ist das schon der Fall. Aber so ein irrationales Aufeinanderlosschlagen ist nirgendwo und auf keiner Seite nachvollziehbar. Sicher den Haupträdelsführern ging es um Geld, viel Geld, und persönliche Macht aber warum rannte ihnen die lief denen die Masse im dummpatriotischen Wahn nach. Ohne die Masse geht es ja nicht, denn wie heißt doch so treffend: Stell dir vor es gibt Krieg und keiner geht hin. Was ist denn Besseres am deutschen Halsabschneider gegenüber einem treusorgenden türkischen Familienvater? Ach sorry, wir waren ja nicht bei uns sondern auf dem Balkan, wo praktisch mal alle Slowenen, Kroaten, Bosniaken, Serben und Skipitaren (Albaner, Kosovaren) zu bestimmten Zeiten friedlich miteinander lebten und sich zu anderen Zeiten gegenseitig killten. Und das Schlimme dabei ist, so finde ich, das Mitmischen der Religionsgemeinschaften: Der Katholiken auf slowenischer und kroatischer Seite, der Muslims auf bosnischer, türkischer und kosovarischer Seite sowie der Orthodoxen auf serbischer, montenegrinischer und griechischer Seite. Wenn man mal ein Wenig überlegt zeugen Nationalismus, Rassismus und Kriegsbefürwortung nicht gerade von viel menschlicher Intelligenz, denn der gerechtes Krieg ist doch nur ein Zeugnis von hilfloser menschlicher Dummheit. Wenn die Menschen mit ihrem Grips am Ende sind, schlagen sie aufeinander ein.
Jetzt aber von meinem Ausflug in die scheinbar heruntergekommene Welt der Politik zurück zu unserem Urlaubsgeschehen. Wie bereits geschrieben zog es meine Tochter und ihren ehemaligen Schul- und jetzigen Urlaubsfreund Tag für Tag zu den Nudisten auf der Insel St. Katharina. Sicher haben die Beiden uns gesagt, was sie dort machten: Martin malte Sabrina nackt in der Natur liegend. Das Ergebnis der Arbeit bekam ich erst später zu sehen – aber das ist fast ein eigenes Kapitel wert. So hatte Sabrinas Bikini gänzlich und ihre, sie begleitenden Eltern, tagsüber ausgedient. Aber Abend für Abend verbrachten wir dann, allerdings in der gleichen Art und Weise wie vor dem Zusammentreffen. Nur nicht mehr nur zu Dritt sondern zu Viert; Martin wurde uns angeschlossen. Sabrina gestand uns am zweiten oder dritten Tag nach ihrer Inselrückkehr: „Ich war ja schon immer in der Schule von Marti hingerissen. Auf der einen Seite ist alles an ihm dran, was einen richtigen Kerl ausmacht und auf der anderen Seite ist er feinsinnig und auch sehr feinfühlig. Ich hätte ihn ja schon immer gern als Lover gehabt. Warum musste der nur so ein Strebertyp sein. Wenn ich mit dem früher gegangen wäre, hätte mich der Neiderspott der Anderen mitgetroffen. Da habe ich lieber auf ihn verzichtet und meinen Wunsch nach ihm immer verdrängt. Umgekehrt wollte er mich auch immer haben ... Ich glaube bei uns ist das ähnlich wie es bei Tanni und Olli war. Die wollten sich auch immer und haben alles drangesetzt, sich aus dem Wege zugehen. Und was hat es ihnen gebracht? ... Jetzt haben sie schon zwei Kinder und wollen gleich noch drei dazu machen.“. Das weckte dann die Religionslehrerin in Elli: „Na siehst du Sabrina, Gott kann man nicht davon laufen. Das haben sowohl Elia wie Jonas genau so wenig geschafft wie Tanja und Oliver. Was Gott bestimmt hat setzt er auch durch. Wenn der Herr dich für Martin bestimmt hat, dann kannst du hinlaufen wo du willst; Gott ist überall und folglich so an jedem Ort schon da. Also wenn du für Martin bestimmt bist, wird er dich auch kriegen.“. Bei dem Gespräch der Damen hatte ich das Gefühl, als habe ich an jenem Mittwoch meinen zukünftigen Schwiegersohn kennen gelernt. An einem Abend hatten wir mal so ein Weilchen „ganz nette“ Themen, die ich der verehrten Leserschaft nicht vorenthalten möchte. Es ging damit los, das Sabrina ein Resümee zog: „Also komisch, ich sage zu Martin Marti ... ach, das kann mir ja ruhig als jugendliches Recht vorbehalten bleiben – aber Mutti sagt Martin und Papa Herr Baumann. Umgekehrt sagt er zu mir Brina und zu euch Herr oder Frau Rossbach. Wenn uns jemand, der uns nicht näher kennt, hört könnte derjenige annehmen, Marty wäre mein Mann, dem es im Standesdünkel verboten würde seine Schwiegereltern zu Duzen, wobei sich die Schwiegermutter der plumpen Rückduzerei befleißigt. Da lobe ich mir doch die Schweden, bei denen das Du grundsätzlich vorgeschrieben ist.“. Jetzt unterbrach sie aber Elli: „Ja Mädchen, beides Duzen und Siezen hat Vor- und Nachteile. Mit dem Sie werden teilweise ungerechtfertigte Respekthürden aufgebaut. Ich finde, dass Leute, die von anderen gesiezt werden wollen aber frei nach Schnauze zurück duzen, zum Beispiel Ausländer gegenüber, vollkommen ungehobelt. Da habe ich mal im Vorbeigehen einen Polizisten in dieser Rotznasenmanier bei einer Unfallaufnahme erlebt. Ich hätte ihm am Liebsten gesagt: ‚Euer hochwohlgeborener Scheißbulle sind wohl im Gegenzug Weltmeister im Anzeigen von Beamtenbeleidiger’. Aber was soll’s, ich bin ja selbst nur Beamtin. Auf der anderen Seite führt allgemeine Duzerei zur Respektlosigkeit und Missachtung notwendiger Hierarchien. Da gibt es schon mal in der Schule Bürschen, die noch nicht trocken hinter den Ohren sind, die mit Lehrerduzen diese ihresgleichen gleichsetzen. Ihre Zukunft in der Unterschicht programmieren die Lehrerduzer damit vor, denn die wird später keiner in der Wirtschaft und der Gesellschaft ernst nehmen wollen. Und dann gibt es noch die ‚Sie Arschloch, du’ über die wir nicht zu reden brauchen. ... Aber was soll es, da wolltest du gar nicht darauf hinaus. Also Martin, ich bin Eleonore und neben mir das ist der Dieter ... Prost.“. Jetzt war unser Martin aber etwas verlegen: „Aber Frau Rossbach, sie waren doch meine Lehrerin. ... Ich kann sie doch nicht einfach duzen.“. Jetzt meldet sich aber die Anstifterin zurück: „Mensch Marti, das war mal deine Lehrerin. Inzwischen hast du sie nackt ... nur mit so einem Strick durch den Po ... wie Papa immer sagt – bewundert und sich über ihre Reize ausgelassen und zum anderen ist es meine Mutti. Bevor sie das war, war sie ja auch mal meine Lehrerin. Zu einem bestimmten Zeitpunkt sogar die meist gehasste ... aber das ist was anderes. Soll ich jetzt ‚Mutti und sie zu ihr sagen? Also los, sag Eleonore zu ihr und gib ihr einen Kuss.“. Na ja, zur Eleonore ließ er sich überreden aber nicht zum Kuss; dazu hätte der arme Kerl doch zu sehr über seinen Schatten springen müssen. Aber auch Elli sagte mir später, dass es ihr ganz recht gewesen sei, dass Martin vor dem Kuss gekniffen habe. Auch etwas anderes war Elli aufgestoßen und deshalb wandte sie sich gleich nach der vereinbarten Brüderschaft an Sabrina: „Aber hör mal mein Fräulein Sabrina, von wegen ‚nackt bewundert’. Das hört sich an als habe ich mich in obszöner Weise vor Martin entblättert. Aber so war’s nicht ...“. Weiter brauchte sie nicht zu sprechen, denn die Angesprochene unterbrach zur Richtigstellung: „Ach Muttichen, das war doch gar nicht so gemeint. Du kannst doch immer so viel Spaß verstehen und machst auch selbst gerne einen. Euere Begegnung war doch ganz natürlich und du brauchst dich nicht dafür nicht zu schämen ... insbesondere bei deinen Körperbau nicht. Mensch, wenn ich mit Siebenundvierzig noch solche Proportionen habe wie du, dann bin ich happy. ...“. An dieser Stelle wurde sie von dem „Experten“ Martin unterbrochen: „Ich glaube schon, dass du in Eleonores Alter noch so gut drauf bist. Deine verstorbene Mutti war ja auch noch ganz toll gebaut. Die habe ich zwar nie entblößt gesehen aber ein Kenner sieht das auch wenn das Original in der Kleidung versteckt bleibt. Nur eines wirst du dann mit Sicherheit nicht haben: So stramme Busen wie Eleonore. Aber deshalb brauchst du dich nicht zu ärgern, denn du hast da eine Menge drauf und das kann leider später nicht so halten. Aber nicht dass du mich jetzt fertig machst, künftige Hängetitten will ich dir beim besten Willen nicht andichten ... Und in anderer Hinsicht finde ich deine Masse ganz wohlig. Just right für deinen Marti.“. Danach wurde dieser Block dann dadurch abgeschlossen, dass sich die beiden jungen Leute „richtig kräftig“ küssten.
Nachdem sich die beiden Liebenden wieder von einander getrennt hatten brillierte Sabrina mit einer weiteren Idee: „Marti, willst du Mutti, wenn sie doch so sehr klassischen Schönheitsidealen entspricht, nicht auch einmal malen.“. Elli fuhr richtig erschrocken hoch und trug ihre Einwände vor: „Wenn mich Martin malt, will er bestimmt nicht mir das Bild schenken damit ich es in irgendeinem Tresor für die Nachwelt verstecke. Sondern die Intuition eines Künstlers liegt darin sich der Öffentlichkeit kund zu tun ... Stimmt's Martin?“. Nach dem er dieses bestätigt hatte fuhr sie fort: „Und jetzt stell dir vor ich hänge bloß aller Kleider in irgendeiner Ausstellung, dann ...“. An dieser Stelle wurden sie dann von Sabrina unterbrochen: „Das ist doch schön Mutti, wenn man was zu bieten hat, was von aller Welt bewundert wird. Also mir würde das nichts ausmachen, ich wäre stolz.“. „Kann man auch.“, fuhr Elli unbeirrt fort, „Aber kannst du dir vorstellen, welche Konsequenzen so etwas in unserer, diesbezüglich prüden Gesellschaft für Beamte, Lehrer aller Art und Theologen haben würde ... und stelle dir vor, ich bin nun mal alles Drei auf einmal.“. „Findest du das denn richtig?“, fragte Sabrina zurück. „Das spielt eigentlich keine Rolle,“, antwortete Elli, „maßgeblich ist wohl dass es so ist.“. „Dann müsste man daran doch mal etwas ändern.“, setzte Sabrina hinzu, worauf Elli dann abschließend kommentierte: „Ergibt sich nur die Frage ob ich für diesen Vorstoß ausgewählt bin. Und im Übrigen erreicht man Veränderungen nur in kleinen Schritten und nicht durch Revolutionen.“. Es sah schon so aus als könnten wir auf ein anderes Thema wechseln als Elli noch einmal auf diese Sache zurückkam: „Und noch etwas würde dagegen sprechen, dass ich mich von Martin malen ließe. Ihr kennt meinen Tick mich gerne auszuziehen. Dieses leugne ich ja auch nicht. Das gilt aber nur bei natürlichen Umgebungen und Anlässen, wie am Strand, wo auch andere Frauen Oben ohne gehen, beim FKK, in der Sauna, beim Arzt oder so. Alles andere widerstrebt auch meinen Moralvorstellungen, die sich daran orientiert, dass ich ein Geschöpf nach dem Ebenbild Gottes bin und kein Handels-, Ausstellungs- oder Showobjekt bin. Grundsätzlich würde ich niemals, außer mit meinem Mann oder mit dem Arzt, mich nackt mit einem Mann allein in einem Raum begeben ... und euch dann als Anstandswauwau engagieren würde ich auch nicht. Denn man kann alles intellektuell schön reden, irgendwo ist der sexte Sinn immer mit ihm Spiel. Stimmt doch Martin, wo du mich gesehen hast, hat sich doch auch bei dir ein Bisschen gerührt?“. Der Junge tat mir richtig leid. Er war auf einmal rot bis hinter beide Ohren. Trotzdem kam er dann, wenn auch etwas verlegen, offen mit der Sache heraus: „Was heißt ein Bisschen, bei mir stand was wie ein Mast. ... Nur gut, dass ich meine Shorts über der Badehose anhatte, sonst wäre es aufgefallen.“. „Wenn du ehrlich bist, bin ich es auch.“, hakte Elli lächelnd ein, „Mir ist es aber aufgefallen, deshalb komme ich ja darauf. So ohne bin ich ja gar nicht. Mich hat es, obwohl du halb so alt bist wie ich, auch ganz schön angeregt, und habe schon auf eine bestimmte Stelle bei dir geachtet. Vor meinen geistigen Auge habe ich dir dann sogar die Hose runter gezogen.“. Sabrina hakte jetzt scherzhaft ein: „Du Schuft, bei Mutti kriegst du einen Hammer und mit mir bist du selbst den ganzen Tag nackig und ich habe noch nichts festgestellt.“. Bei so viel offenen Worten wurde auch Martin jetzt lockerer: „Wir sind ja da nicht allein auf der Welt, auch nicht auf der Insel. Und was meinst du, weshalb ich im Sitzen male ... Damit ich laufend wacker was einklemmen kann – und was meinst du was ich statt Einklemmen lieber machen möchte.“. Da tönte Sabrina doch ganz locker: „Mit mir schlafen ... Abgemacht, du kommst nachher mit uns ins Hotel auf mein Zimmer. Dann kannst du mich durchvö ...“. Jetzt ging mir die Sache doch langsam zu weit und glaubte der Sache Einhalt gebieten zu müssen: „Jetzt reicht es. Ich habe nichts dagegen, offen über Sex zureden aber Intimitäten sollte man doch unter sich ausmachen.“. Sabrina sah es ein und hauchte noch mit gesenkten Kopf: „Entschuldigung“. Und danach wechselten wir dann doch auf unverfänglichere Themen, denn wir sind ja nicht von der Garde der obszönen Schotendrescher. Soweit die Highlights unseres Urlaubes 2000, die ich nicht ohne Grund erzählt habe. Auf der einen Seite sind, so glaube ich bedeutsame Unterschiede deutlich geworden. Und zwar die, zwischen der, auch nach meiner Überzeugung, Gott gewollten sinnlichen Erotik und dem ungezügelten beziehungsweise unkontrollierten Lustgewinn. Ersteres hat den Hauch des Schönen und das Zweite ist ein kurzer schnellverwirkter Spaß, der bei Überkonsum dazu führt, dass man das Eigentliche, Reine und Schöne letztlich gar nicht mehr empfinden kann. Wahre Liebe ist ein Gewinn für den Menschen und die Ware Liebe zerstört ihn, setzt ihn auf eine Stufe mit sogar der primitivsten Tierwelt. Pornografie und Körperkonsum macht aus Männern, nur dem Fortpflanzungstrieb folgende Rammler und aus Frauen Lustobjekte. Und Objekte sind käuflich, also nicht mehr wert als die dargereichten Tauschhilfsmittel namens Geld; drüber und weg – die Nächste bitte. Auf der anderen Seite – ich weiß nicht ob es aufgefallen ist – hatten Oliver und Tanja sowie Elli und ich aneinander unsere Bestimmung gefunden. Irgendwie hatten sich unsere Wege zuvor schon einmal wegweisend gekreuzt. An der Seite des jeweiligen Anderen fanden und finden wir den Weg in ein künftiges neues Leben. Nur bei Sabrina war das bisher nicht der Fall; sie war bisher von allen noch die am Meisten in der Vergangenheit verwurzelte. Sollte sich das jetzt mit Martin ändern? Auch deren Wege hatten sich ja zuvor schon hinweisgebend gekreuzt. Na, wir werden ja sehen; es folgen ja noch vier beziehungsweise fünf Kapitel.
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Eine ganz freie Königin, die begeistert Sogenannte Urlaubsbekanntschaften enden in fast 99% der Fälle dort, wo sie begonnen haben, nämlich am Urlaubsort. Dieses gilt sogar dann, wenn man sich in einem urlaubsbedingten Hochgefühl ewige Treue geschworen und dieses zum Zeitpunkt des Schwures auch tatsächlich so empfunden hat. Man schreibt sich danach vielleicht noch ein paar Mal und ab und zu besucht man sich vielleicht auch noch ein oder zwei Mal; aber dann ist es meistens endgültig vorbei. Aber Vater und Tochter Rossbach zählen offensichtlich zu der einprozentigen Ausnahme. Auch Astrid war ja sozusagen meine Urlaubsbekanntschaft, an der ich tatsächlich kleben geblieben bin und mit der ich, wenn sie nicht ermordet worden wäre, auch heute noch zusammen wäre. Sabrina folgte dem Beispiel ihrer Eltern und hielt an ihrem Martin fest. Natürlich muss man dabei allerdings berücksichtigen, dass die Beiden sich bereits vor dem Zusammentreffen im Urlaub kannten, da sie gemeinsam die Schule besucht hatten und schon damals aneinander gefallen gefunden hatten. Nach unserer Rückkehr aus Rovinij brauchte auch Martin nicht groß in die restliche Familie eingeführt zu werden, denn auch Tanja und Oliver kannten ihn, was ja auch nicht verwundert, von früher. Selbst für Thomas war er kein Unbekannter. Denn Martin war nicht nur auf dem Gebiet der Malerei sondern auch in dem der Musik ein Supertalent. Und in dieser Beziehung war dem Pastor der junge Mann bereits zu früheren Zeiten als die tragende männlich Stimme in dem Gospelchor der Waldstädter evangelischen Stadtkirchengemeinde aufgefallen. Dieser Chor wird von allen Gemeinden im Kirchenkreis gerne für Gemeindefeste und Festgottesdienste engagiert. Aber jetzt muss ich ehrlich sagen, dass es Martin in diesem Fall mehr auf die Gospelmusik als auf die Frömmigkeit ankam. So, wie es bei uns, bedingt durch die Theologenhäufung, den Eindruck macht, war es bei ihm zuvor nicht. Er gestand ganz ehrlich, dass er seit seiner Konfirmation immer nur dann im Gottesdienst war, wenn er mit dem Chor auftrat. Etwas änderte sich durch die Partnerschaft daher bei ihm. Widerspruchslos begleitete er, nach dem, er eine Woche später als wir aus dem Urlaub, dem ihn ein Onkel spendiert hatte, heimkehrte. Anfänglich kam es ihm bei seinen Kirchenbesuchen wohl auf die Begleitung seiner Angebeten, also von Sabrina, an, was sich inzwischen dahingehend geändert hat, dass er dieses inzwischen so wie wir auch als eine Art wichtiges und nützliches Sonntagsvergnügen ansieht. Jetzt habe ich durch die Hintertür auch erzählt, dass es zu seinem größten Vergnügen wurde mit Sabrina zusammen zusein, was ganz eindeutig auf Gegenseitigkeit beruhte. Allerdings hatten deren Zusammenkünfte, außer am Sonntagmorgen, nichts mit kirchlichen Anlässen zutun. Sie trafen sich zum Spaziergehen, Stadtbummel, Kino-, Kneipen- und Discobesuch. Sie unternahmen Ausflüge mit ihren Autos und ein paar Mal hat sich Sabrina auch von Martin in Düsseldorf ausführen lassen. Was soll ich sagen, es war halt ein normales Leben für junge Leute. Für Sabrina war dieses normale Leben allerdings eine neue Erfahrung in ihrem Erwachsensein. Als ihre Mutter ermordet wurde war sie dem jugendlichen Umfeld noch nicht entsprungen und was danach kam, kann man nicht gerade bei den normalen Abläufen einordnen. So könnte man sagen, dass nun auch Sabrina als letztes Mitglied der Familie in einem neuen Normalleben eingetroffen war. Und jetzt habe ich schon das Wesentlichste der Nachurlaubszeit berichtet; weitere Höhepunkte gab es also nicht. Für Elli und für mich war normaler Alltag ohne wesentliche Höhepunkte, den wir gelassen meisterten, eingetreten. Die Zeiten, wo ein dramatisches Ereignis das andere jagte waren endgültig vorbei. Unsere Geschichte geht langsam dem Ende zu. Nur noch drei „Höhepunkte“ stehen noch zur Abrundung des Ganzen an. Mit dem Bericht vom ersten Ereignis starte ich dann in diesem Kapitel in das Finale des Romans. Während des Urlaubes hatte Martin ja schon erwähnt, dass er auf ein Stipendium des Romanischen Kreises hoffe. Dieses wird alle zwei Jahre an Nachwuchskünstler, aber nicht nur an Leute aus diesem Kreis, vergeben. Dieses geschieht nun zum neunten Mal. Vor 18 Jahren wurde diese ganze Sache mal von Carina Roganowa, einer aus Russland stammenden erfolgreichen Künstlerin ins Leben gerufen. Frau Roganowa hat sich sowohl als Malerin wie Gebrauchsgrafikerin und Buchillustratorin einen Namen gemacht. In der zum Romanischen Kreis gehörenden Stadt Altheim betreibt sie sowohl eine Galerie wie eine Agentur mit der sie es zu einigen Wohlstand gebracht hat. Also Kunst muss nicht immer brotlos sein. Mit dieser Dame im Hintergrund war diese Angelegenheit für die bisherigen acht Stipendiaten mehr oder weniger erfolgreich. Und jetzt war Martin an der Reihe; er hatte es tatsächlich geschafft und das erträumte bekommen. Martin war gleichzeitig der Neunte und der Erste. Warum er der Neunte war kann man dem vorhergehenden Text entnehmen aber warum war er denn gleichzeitig der Erste? Ganz einfach, vor ihm war keiner, der auf einen Geburts- und Wohnort im Romanischen Kreis verweisen konnte. Was damals noch keiner wissen konnte ist, dass er von allen bisherigen Künstlern der erfolgreichste werden sollte. Heute, wo ich meinem PC diese Zeilen übergebe ist er der Partner von Frau Roganowa in deren Galerie und Agentur. Sein zweiter Fotobildband ist jetzt im Januar erschienen und er hat schon einige Bilder zu recht hohen Preisen an den Mann bringen können. Seine Grafiken sind heute schon in der gehobenen Werbewirtschaft gefragter als die seiner künstlerischen Ziehmutter. Und das schon nach nur knapp anderthalb Jahren, denn im Oktober 2000 begann sein Senkrechtstart. Aber erzählen wir mal alles hübsch der Reihe nach, denn ein Mitglied der Familie Rossbach spielt bei seiner Kariere keine unbedeutende Rolle. Dahingehend brauche ich jetzt aber keine große Geheimniskrämerei zu betreiben, denn das dieses Familienmitglied Sabrina Rossbach heißt dürfte eigentlich jedermann klar sein. Das Datum 20. Oktober 2000, ein Freitag, werde ich so schnell nicht wieder vergessen. Im Ratssaal des Alten Rathauses Waldstadt, einem Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, wurde die Ausstellung des heimischen Künstlers Martin Baumann eröffnet. In der Heimatstadt des neuen Stipendiaten des Kreises sollten seine Fotos, Skizzen und Gemälde
ausgestellt werden. Zur Eröffnung war eine Vernissage angesetzt und zu den Ehrengäste sollten auch Elli und ich auf Wunsch des Künstlers zählen. Alle Gäste sowie Pressevertreter waren im Foyer des Ratssaales versammelt, wo zunächst der Landrat, wie es bei solchen Anlässen unvermeidlich ist, obligatorische Begrüßungsworte loswurde. Und dann war Frau Carina Roganowa mit ihrer Laudatio auf den jungen Künstler an der Reihe. Hinter ihr wurde, recht geheimnisvoll, eine Staffelei mit einem abgedeckten Bild aufgestellt. Was sich jetzt in den nächsten 15 Minuten abspielte löste bei mir einen Orkan der Gefühle aus. Frau Roganowa nannte Martin einen begnadeten Meister im Erspähen von Formen, Effekten und Motiven. Was bei seinen Fotografien, die allesamt Spitzenkunstwerke wären, noch deutlicher würde wie in der Malerei. Aber gerade in der Malerei würde er seine Virtuosität in der Farb- und Formgebung beweisen. Wie kein anderer Künstler würde Martin Erotik und Ästhetik zu köstlichsten Genüssen vereinen. Sie prophezeite, dass man von ihm in Zukunft noch viel hören würde und kündigte an, dass sie Martin zu ihren Partner in Altheim machen würde. Diese schwergewichtige, etwas unförmige Frau, die man aber aufgrund geschickter und geschmackvoller Bekleidungsauswahl ruhig ansehen kann, war also hellauf begeistert von „unserem“ Martin. Als Hauptwerk der Ausstellung nannte sie das hinter ihr stehende noch verdeckte Bild was alles, was in Martin steckende würde und was sie eben so rühmte, vereinen würde. Mit einem Seitenblick auf den Landrat sagte sie, dass der Romanische Kreis für einen viel zu niedrigen Preis dieses Bild für die Stadtgalerie in Neuweiler erworben habe. Nun Sabrina hatte uns ein paar Tage vorher erzählt, dass der Kreis ein Bild für 20.000 Mark, also mehr als 10.000 Euro, erworben habe. So machte es in meinem Hinterstübchen schon Klick und Klack, als ich jetzt hören musste, dass das ein viel zu niedriger Preis sei. Aber das war gar nichts gegen dem, was in mir vorging, als Frau Roganowa zur Enthüllung des Meisterwerkes schritt. Als ich ihre Worte hörte wusste ich sofort was nun kam und mir wurden die Knie weich und schwammig: „Meine Damen und Herren. Nun ist es soweit und ich habe die Ehre ihnen das bisherige Meisterwerk unseres begnadeten jungen Künstlers vorzustellen. Es trägt der Titel ‚Die Königin von Salein’“. Ja, jetzt weiß jeder was darauf zu sehen war: Meine Tochter im paradiesischen Outfit. Es war das Bild, was auf der Roten Insel vor Rovinij entstanden war. Aber die Rednerin hatte nicht übertrieben, das Bild war wunderschön und in dem Moment als es enthüllt wurde ging ein staunendes Raunen durch den Raum und anschließend gab es dann ein, sogar minutenlanges Standing Ovation für Martin – und ich weiß nicht genau, vielleicht auch für sein Modell. Am nächsten Tag konnte man, sogar auf der Kulturseite im Mantel der Zeitung lesen: „Eine ganz freie Königin, die begeistert“. Als ich das Bild zum ersten Mal sah war ich vollkommen hingerissen und applaudierte unwillkürlich mit. Bis zu dem Punkt wo mir mein schlechtes Gewissen einen mächtigen Schuss verpasste. Ich fand die Dame auf dem Bild hocherotisch und begehrenswert. Auf dem Bild war aber nicht irgendeine Dame sondern meine leibliche Tochter Sabrina. Als ich das auf der Rückfahrt von Waldstadt nach Salein Elli gestand, lachte sie und erklärte mir: „Mensch Maus, da musst du dir doch nichts raus machen, dass ist doch natürlich. Erstens ist Martin wirklich ein toller Künstler aus dessen Bilder das rausspricht, was er empfindet. Und so hast du Sabrina mit seinen Augen gesehen. Dazu kommt noch die große Ähnlichkeit zwischen Sabrina und Astrid, die du geliebt und begehrt hast. Jetzt brauchst du dir doch keine Sorgen machen. Du bist doch nicht pervers sondern auf dich wirkte das Bild wie auf alle anderen ... vielleicht in Erinnerung an Astrid noch deutlich stärker. Im Umgang zwischen dir und Sabrina wird sich dadurch nichts ändern.“. Im Grunde hatte Elli recht und nachträglich kann ich auch sagen, dass sich im Umgang zwischen mir und Sabrina tatsächlich nichts geändert hat. Bis zum heutigen Tage sehe ich sie ständig mit „stolzen“ Vateraugen und nicht mit erotischen Männerblicken. Aber befangen von den ersten Eindrücken bekam ich die Worte Martins zunächst nur als so eine Art akustische Berieselung mit. Wovon er sprach habe ich inhaltlich gar nicht mitgekriegt. Plötzlich stieß mich Elli, die neben mir stand an und sagte „Sag mal Ja“ und anschließend „Lauter“. Nach Martins Rede fragte mich Elli, ob ich wüsste worauf ich laut vor allen Leuten „Ja“ gesagt habe. Sie habe den Eindruck, ich wäre momentan soweit weggetreten, dass ich gar nicht mitgekriegt hätte was da ablief. Nach der ich Elli bestätigt hatte, dass sie richtig beobachtet habe, klärte sie mich auf. Martin hatte von seinem Modell, dass er unsterblich liebe, gesprochen. Dann hatte er vor versammelter Mannschaft den Vater des Modells gefragt, ob er ihm als Schwiegersohn recht sei und er die Königin von Salein im nächsten Januar heiraten dürfe. Mein „Ja“ hatte dann wieder Applaus ausgelöst und ich wusste selbst gar nicht warum. Da war ich also wie die Jungfrau zum Kind zu einem Schwiegersohn gekommen. Die Vernissage sollte aber noch eine weitere Überraschung für mich, den praktisch völlig überfahrenen Vater, bereit halten. An einer Ausstellungswand waren die Bilder, die für den vorgesehenen Bildband „Die Lichtgeburt einer Fee“ vorgesehen waren, ausgestellt. Auf allen diesen Schwarzweißbildern spielte Licht, Gegenlicht, Schatten und eine erotisch wirkende nackte Frau die Hauptrolle. Jetzt brauche ich ja nicht zu erzählen, dass es sich bei dieser Frau ausschließlich um Sabrina handelte. Irgendwie würde es mich schon interessieren, in wie viel Bücherschränken im Romanischen Kreis dieses, doch im Grunde recht teuere Werk heutzutage zu finden ist. Bei der „Bewunderung“ der Ausstellung war ich erst in meine eigene innere Welt verschwunden und merkte gar nicht was um mich herum geschah. Bis zu dem Zeitpunkt bis mich Sabrina leicht lachend darauf ansprach, ob ich nicht auch mal am kalten Büfett zugreifen wolle, bevor es „leer gefressen“ sei. Als mich dann meine unbekümmert wirkende Tochter zum „gelobten Ort“ begleitete, merkte ich erstmalig, dass man sie doch sehr respektvoll betrachtete. Martin erklärte mir am Abend, dass er nichts anderes erwartet habe. Schönheit und Ästhetik sei etwas Respekt gebietendes, an dem niemand vorbeikäme.
Wenn etwas wirklich schön wäre, käme keiner auf abwegige Gedanken, denn jeder hätte Angst dieses Schöne zu zerstören. Nun, Sabrina berichtete uns dann, dass sie vor der Ausstellungseröffnung „unheimlich Bammel“ gehabt habe. Aber nachträglich sei sie richtig stolz darauf sich zur Verfügung gestellt zu haben. Sie meinte dass sie das seltsame Gefühl habe, dass ihr die männlichen Ausstellungsbesucher anständiger und würdevoller entgegen getreten seien, wie andere Männer zu anderen Gelegenheiten. „Nackt und nackt ist eben nicht dasselbe.“, sinnierte Elli, „Du kannst dich einmal als ‚Hasch mich, ich bin der Frühling’ und einmal als ‚Beispiel für die wunderbare Schöpfung’ präsentieren. In beiden Fällen wird es richtig verstanden. Im ersten Fall bist du Freiwild und im zweiten ein Ausdruck Gottes wunderbarer Größe vor dem jeder auf die Knie fallen muss. Letzteres habe ich bei der Betrachtung der Bilder empfunden.“. Martin hatte dann auch noch eine Ergänzung: „Eleonore, du musst aber auch bedenken, das aus dem Zweiten schnell das Erste wird. Ich muss jetzt Sabrina, möglicher Weise für immer, aus dem Verkehr ziehen. Wenn ich sie immer wieder bringe, wird durch den Gewohnheitseffekt sehr schnell der Eindruck des ‚Hasch mich’, wie du es nanntest, geweckt. Ich plane nur noch eine einzige Fotoserie – kein Bild mehr - mit Sabrina, bei der sie zeigen kann, was sie hat. Ob die Serie aber an die Öffentlichkeit kommt weiß ich erst wenn die fertig ist. Und damit kann ich erst anfangen, wenn Brina ihre Ausbildung hinter sich hat. Ich möchte nämlich ihre Schwangerschaft, die Geburt und die Mutter meines Kindes beim Stillen dokumentieren. Aber wie gesagt, soweit sind wir noch nicht. Sicher ist, dass es ansonsten keine weitere nackte Brina mehr in meinen Werken geben wird. Die ist jetzt nur noch für mich bestimmt, ... da bin ich Egoist.“. Und dazu lachte er. Erst dachten wir, Sabrina wolle, als sie jetzt ansetzte, ihm widersprechen, aber sie zog auf was anderes ab: „Mensch Martin, du bist oft richtig gedankenlos. Da machst du mir einen öffentlichen Heiratsantrag und erbittest bei der Gelegenheit den Segen meines Vaters und sprichst jetzt mit deinen Schwiegereltern ganz respektlos. Als du kamst hast du Papa mit Dieter angesprochen und eben hast du zu Mutti Eleonore gesagt. Willst du nicht langsam umdenken, denn du gehörst jetzt wie Tanja zu Papa und Olli zu Mutti ... also was sagst du jetzt?“. „Hör mal Brina, ich weiß doch gar nicht, ob das deinen Eltern recht ist.“, rechtfertigte sich der Gemaßregelte. Jetzt war ich aber an der Reihe: „Sorry, meine nackte Tochter als die Königin von Salein hat mich heute so durcheinander gebracht, dass ich mit den Gedanken nie richtig bei der Sache bin. Natürlich hast du recht Martin, dass ich dir sagen muss, das ich auch von dir ganz gerne mit Papa angesprochen werden möchte. Und das des Papas Frau die Mutti ist, versteht sich doch wohl von selbst.“. Na ja, mit diesem kleinen Scherz war dann Martin endgültig in unsere Familie aufgenommen. Auf einmal bekam der Junge Bedenken: „Es wird euch doch wohl nicht alles zu schnell gehen?“. „Was soll’s“, tröstete ich ihn, „ihr wollt euch doch prompt einen Monat mehr Zeit lassen als ich mir damals als junger Mann gegönnt habe. Ich habe Sabrinas Mutter im August 1971 kennen gelernt und am 30. Dezember des gleichen Jahres haben wir geheiratet, was uns zu keinem Zeitpunkt gereut hatte.“. Was mir im Nachhinein zu meinen soeben wiedergegeben „Vortrag“ auffiel war, dass ich erstmals von Astrid gesprochen hatte, ohne dass sich etwas Negatives in mir rührte. Ich brauchte nun keine schönen Zeiten meines Lebens mehr aus der Angst, das mich die Periode des Bösen einholen könnte, überspringen. Mein Leben gehörte wieder mir. Soweit jetzt die für den Roman „Königin von Salein“ wichtigen Abläufe. Aber dieses Kapitel wäre sicherlich unvollständig, wenn ich nicht von den diversen Reaktionen auf die ganz freie Königin von Salein berichten würde. Von den respektvollen Reaktionen der Ausstellungsbesucher habe ich ja schon berichtet. Aber wie ich bereits geschrieben habe fand man am nächsten Tag einen größeren Artikel über Martin, seinem Werk und der Vernissage im Hauptteil unserer Zeitung. Sein Meisterwerk, also das Bildnis meiner vollständig nackten Tochter, war als zweispaltiges Farbfoto abgedruckt. Und darauf erfolgten dann auch Reaktionen einer Reihe anderer Leute. Den Anfang machten Tanja und Oliver, die schon kurz nach dem Frühstück, mit ihren Kindern auf einen Sprung, „der sich so ergeben hat“, vorbeikamen. Aber nach kaum fünf Minuten kamen sie damit heraus, was sie wirklich hergetrieben hatte. Martin und Sabrina waren zwar im Hause aber zu diesem Zeitpunkt nicht bei uns im Wohnzimmer. So konnten Tanja und Oliver ihren Eltern gegenüber vertraulich beichten, dass sie über sich und den jeweils anderen erschrocken waren. Oliver hat auf Sabrinas Bild ähnlich wie ich reagiert und fürchtete jetzt pervers zu sein und seine leibliche Schwester zu begehren. Tanja hat bei der Bildbetrachtung auf einmal „mordsmäßig“ Neid und Eifersucht auf ihre Schwägerin empfunden. Jetzt war natürlich die Pädagogin Elli gefragt und musste bei dem Paar Rossbach junior alles wieder ins rechte Lot rücken. Es ist ihr gelungen und anschließend bekundeten beide, dass sie stolz darauf wären Bruder beziehungsweise Schwägerin der ganz freien Königin von Salein zu sein und auch ganz von Martins Kunstwerk und der dargestellten sehr schönen Frau begeistert wären. Als Zweite reagierte meine Schwägerin Waltraud. Sie war für 11 Uhr mit Elli zum gemeinsamen Einkauf verabredet, traf aber schon kurz nach Zehn ein. Der Hintergrund war ein Ehestreit, der sich an Sabrinas Bild in der Zeitung entzündet hatte. Zunächst hatte Thomas den Artikel und das Bild erspäht und bei der Gelegenheit geäußert, dass er es sehr schön fände. Daraufhin hatte sich Waltraud das Bild auch angesehen und spontan den Wunsch geäußert, sich auch von Martin malen zu lassen. Barsch schleuderte ihr Thomas daraufhin ein „Untersteh dich“ entgegen und das Ganze spulte sich dann zu einem echten Ehekrach hoch. Wie man sieht, gibt es so etwas auch in Pfarrhäusern. Ich habe mal gehört, dass es so etwas sogar auch bei zölibatären katholischen Pfarrern gäbe; da wäre nur anstelle der Ehefrau dann die Haushälterin beteiligt. Gerüchten nach sollen Haushälterinnen oft in katholischen Pfarrhäusern ja sehr weitgehend
Ehefrauen vertreten. Den kann man am besten dadurch begegnen, dass nur Schrullen in die Dienste als Haushälterin verpflichtet, denn durch die Entscheidung zum Priestertum stirbt in dem Mann ja nicht das Geschöpf, wie Gott es geschaffen hat – und Gott hat allen Lebewesen halt einen Sexualtrieb mitgegeben. Na ja, kommen wir zurück zu den Kühns, bei denen dann der Friede schnell wieder hergestellt war, denn Waltraud war gerade eingetroffen als Thomas sich telefonisch meldete. Was die Beiden jetzt miteinander gesprochen haben weiß ich, weil wir natürlich nicht mithörten, natürlich nicht. Waltraud berichtete uns nur, dass sie sich gegenseitig entschuldigt hätten und das es selbst beim Streit eine Übereinstimmung zwischen den beiden gegeben hätte: Beide fanden sie das Bild sehr schön und sowohl Sabrinas Schönheit wie Martins Kunst empfanden sie als eine großes Gabe Gottes. Aber auch die Betroffene selbst zeigte eine Reaktion. Sabrina ist eine ganz normale junge Frau. Wie andere auch, bricht sie nicht gerade in Begeisterung aus, wenn es um Mithilfe im Haushalt, beim Waschen von Wäsche oder beim Einkaufen geht. Wo sich für Sabrina eine Chance ergibt dem zu entkommen, wird diese konsequent genutzt. Heute gab es aber eine große Ausnahme, die ich eigentlich dick rot im Kalender anstreichen müsste: Sie bot sich Elli und Waltraud vollkommen freiwillig zur Begleitung an und ließ sich nicht mit der Begründung, dass das nicht nötig sei abwimmeln. Jeder, der Eins und Eins zusammenzählen kann, dürfte die wahre Motivation klar sein. Sie war neugierig auf die Reaktionen im Volk. Irgendwie erstaunten mich die Berichte, die ich diesbezüglich später, vornehmlich von Elli, zu hören bekam. Irgendwie hatte ich mir „Vox populare“ anders vorgestellt. Die Männer hätten fast ausschließlich wie die Ausstellungsbesucher reagiert; höfflich und respektvoll. Abfällige beziehungsweise eindeutige Bemerkungen im Vorbeigehen hatten die Frauen nicht festgestellt. Die Weiblichkeit hätte man in drei, fast gleichgroße Gruppen einteilen können. Das erste Drittel reagierte wie die Herren der Schöpfung, das zweite schaute Sabrina neidisch aber nicht unfreundlich an beziehungsweise nach und lediglich ein Drittel steckte hinter ihrem Rücken die Köpfe zusammen. Na ja, man kann sich denken was da fiel – wissen können wir es ja natürlich nicht, denn Tratsch hat nichts mit offener Ehrlichkeit zutun. Nun, diese Erscheinung am Tage Eins nach der Ausstellungseröffnung war nicht außergewöhnlich sondern hielt noch ein kleines Weilchen an bis es durch andere klatschreifen Sensationen oder Provinzpossen in den Köpfen und dem Erinnerungsvermögen der Masse abgelöst wurde. Wie geschrieben waren die meisten Reaktionen also positiv, nur einige Tratschweiber konnten es nicht lassen ihre Mäuler aufzureißen. Bei den Tratschen konnte man es dann unter den Themen wie „schamlose Person“, „die Mutter würde sich im Grabe umdrehen“ oder „der Bräutigam ist noch warm unter der Erde, da ...“ zusammenfassen. Elli fiel auf, dass es sich bei den Wortführern in der Regel um Damen handelte, die negativ in den verbrannten Memoiren ihres verstorbenen Mannes vorkamen. Wenn wir auch annehmen, dass Friedhelm Rebmann aus diversen Gründen, die ich an entsprechender Stelle erläuterte, was zusammen gesponnen hat, kann man fast mit Gewissheit sagen, dass er wohl auf diese Personen nicht durch Zufall kam. Elli resümierte: „Wer den meisten Dreck am Stecken hat schreit in der Regel am lautesten.“ Worauf ich ihr erwiderte: „Moralisierender Tratsch dient meist dazu die eigene, meist viel größere Schande zu übertünchen“. Kirchgänger und Kirchengängerinnen scheinen ein paradoxes Völkchen zu sein. Bei denen trafen wir schon am folgenden Sonntag die Feststellung, dass es sich hier fast genau umgekehrt wie in der sonstigen Bevölkerung verhielt. Fast alle Damen begegneten uns und insbesondere Sabrina mit Toleranz und Respekt. Nur eine „heilige Nymphe“, die man, wenn sie nicht verheiratet wäre, auch „schrullige Jungfrau“ nennen könnte, riss ihr Maul hinsichtlich christlicher Moral auf. Ärgerlich an dieser Schnepfe ist allerdings, dass sie Mitglied des Presphyteriums ist und da, sehr zum Verdrusse von Thomas, in der Regel immer für Wirbel sorgt. Bei den „Frommen“ teilten sich die Männer in Drittel auf. Ein Drittel verhielt sich entsprechend der allgemeinen Männerwelt, höflich und respektvoll. Ein weiteres Drittel, meist „Berufsfrömmler“ nach der Marke biblischer Pharisäer, hatten sich unter anderem passende Bibelstellen, mit denen sie Sabrinas unchristlichen Lebenswandel belegen wollten, rausgesucht. Thomas hielt sich aus taktischen Gründen aus der Geschichte raus aber Waltraud und Elli empfahlen den Herren das Hohe Lied Salomos zur Lektüre. Gerade daraus kann man entnehmen, das alttestamentliche Vorbilder in Sachen Liebe und Sex auch nicht so ganz ohne waren. Nun das dritte Drittel bestand aus Keinem-Wehe-Christen, das heißt dass sie, je nachdem mit wem sie sprachen und wer dabei war, sowohl den einen wie den anderen recht gaben. Für letztere hat der Missionsbefehl nichts mit Position beziehen im Leben zutun. In Sachen Religion verschanzen sie sich hinter Kirchenmauern und im Leben vollziehen sie persönlich die Trennung von Kirche und Staat, wobei sie gar nicht merken, dass sie dann kein Individuum nach Gottes Ebenbild sondern Schizophreniker zur Freude der Mammonisten sind. Die jungen Leute aus der Generation unserer Kinder hatte in der Hinsicht auf Aktkunstwerke wohl überhaupt keine Probleme. Martin und Sabrina waren am Samstagabend ausgewesen und hatten zuhauf ehemalige Mitschüler und – schülerinnen getroffen. Bei denen standen sie im Mittelpunkt und die meisten waren stolz darauf mit ihnen zur Schule gegangen zu sein. Erstaunlich ist, dass kein junger Mann versuchte Sabrina anzüglich anzumachen aber dass da reihenweise junge Damen waren, die bei Martin anfragten ob er sie auch mal malen könne. Er konnte ihnen sogar ehrlich antworten, dass er in absehbarer Zeit keine Akte mehr malen würde. Auch er müsse bedacht sein nicht in eine bestimmte künstlerische Nische und letztlich in die Gattung der Gebrauchsmaler abgeschoben zu werden. Also bis zum heutigen Tage hat er auch keinen weiteren Akt gemalt und er ist, vielleicht gerade deshalb, mehr und mehr berühmter geworden. Schon mit jungen Jahren hat er einen Toppruf als Künstler und erzielt ansehbare Einkünfte – und ein feiner
Kerl ist er auch. Seine erste Ausstellung in Waldstadt war, gemessen an der Besucherzahl, die erfolgreichste Veranstaltung dieser Art im Romanischen Kreis. Aber ich glaube, dass bei sehr vielen Besuchern, insbesondere aus Olvermühle und Waldstadt, was anderes als Kunstinteresse der Besuchsgrund war. Ich schätze mal, das Sabrina mehr Leute zur Ausstellung bewegt hat wie ihr Zukünftiger. Zum Kapitel 32
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Wenn die Brauteltern das Haus verlassen Es gibt Situationen und Zeiten im Leben, wo so gut wie nichts auf Anhieb klappen will und im Gegenzug ist es oft umgekehrt. Da hat man gerade was angedacht und schon fällt einen die Lösung ohne eigenes Zutun in den Schoß. Eine solche glückliche Phase hatte ich offensichtlich Ende 2000. Ich habe ja schon früher geschrieben, dass ich mich mit Vollendung meines 55. Lebensjahres, am 11. September 2001, in ein freigestaltetes Privatleben zurückziehen wollte. Mir wäre es jedoch auch ganz recht gewesen, wenn ich schon vorher ein Wenig hätte trainieren können. Dazu wäre es allerdings dann notwendig gewesen, das ich eine möglichst tüchtige Kraft für mein Büro gefunden hätte. In der Regel ist es ja so, dass derjenige der nichts sucht auch nichts findet. So kann man annehmen, dass ich, der bis dato nach keiner wohnungswirtschaftlichen Bürokraft Ausschau gehalten hatte, somit auch keine finden würde. Aber denkste, in diesem Fall hilf mir mein Glück beziehungsweise der Zufall. Am Montag nach der Baumannschen Vernissage rechnete ich während der Bürozeit meines Wohnungsunternehmens mit einem, durch die Neugierde der Leute bedingten, erhöhten Andrang. Aber nichts dergleichen, es war ein richtig ruhiger Montag. Das galt für das Wohnungsunternehmen Rossbach in Olvermühle-Salein aber nicht für die Wohnungsgenossenschaft Waldstadt, wo Sabrina Auszubildende ist. Da gaben sich die Leute, die von Sabrina „bedient“ werden wollten, die Klinke in die Hand. Na ja, das kann man verstehen, denn wer hat nicht gerne mal persönlichen Kontakt mit einer anerkannt schönen Frau. Da nun die Leute alles mit Frau Rossbach erledigen wollten kam sich Herr Steiner, der künftige neue Geschäftsführer der Wohnungsgenossenschaft Waldstadt, im Hause etwas wie Falschgeld vor. Da kam er auf den Gedanken, sich zu einem Außentermin zu verdrücken. Und wer keinen hat, der macht sich eben halt so einen Termin. Ich kannte Herrn Steiner schon seit einiger Zeit, da wir schon mal gelegentlich miteinander zutun hatten aber einen richtigen Plausch hatten wir noch nicht abgehalten. Da er ab Jahreswechsel praktisch mein Kollege im Nachbarort und dann noch der Hauptverantwortliche für die Ausbildung meiner Tochter sein würde, kam er auf den Gedanken mich zu besuchen. Das hatte für die Besucher im Büro der Wohnungsgenossenschaft dann auch den Vorteil, dass sie nicht erst nach Ausreden, warum sie ausgerechnet von Sabrina bedient werden wollten, suchen mussten wenn die gerade durch vorher eingetroffene Besucher belegt war. So kam Herr Steiner also zu mir. Wir gönnten uns eine ganze Kanne Kaffee und sprachen so über alles Mögliche, also nicht nur über Fachthemen oder –angelegenheiten. Ich sollte es vielleicht noch genauer sagen, nämlich das wir Fachliches nur am Rande streiften und uns mehr auf privates Kennenlernen konzentrierten. So erzählte er mir dann, dass er eine sehr eifersüchtige Gattin, die aber ansonsten beste Frau auf der Welt sei, habe. Seit 15 Jahren wären sie verheiratet und er habe das Gefühl, dass er sie heutzutage noch mehr lieben würde wie zum Zeitpunkt als er sie gefreit hatte. Das erzählte er mir, der ich ihm bisher eigentlich fremd war, nicht ohne Grund, denn das hatte jetzt etwas mit Sabrina zutun. Er hatte schon früher ein paar Mal seiner Frau von der gutaussehenden, netten, fleißigen Dame, die oft sehr fröhlich wirkt – er kennt Sabrina erst seit August, nachdem sie wieder angetreten war – erzählt und sich dabei immer freundliche Ermahnungen, in der Art „Du lass ja die Finger bei dir“ eingehandelt. Am Samstag hatte er dann seiner Frau die Kulturseite in der Zeitung gezeigt und gesagt: „Sieh mal, dass ist unsere Auszubildende ... Sieht die nicht phantastisch aus.“. Und seit diesem Zeitpunkt störten ernste Hinweise aus fraulicher Eifersucht doch recht häufig den Wochenendfrieden im Hause Steiner. Seine abschließende Bemerkung ließ mich doch hellhörig werden: „Meine Frau würde am Liebsten als meine Sekretärin arbeiten. Einmal kann sie dann aufpassen, dass ihr Mann keine Dummheit macht und andererseits könnte sie nachdem unsere beiden Kinder aus dem Gröbsten raus sind, wieder selbst einer Tätigkeit, wie damals in Hessen ... wo sie unter anderen schon mal mit mir zusammen gearbeitet hat - nachkommen.“. „Ist ihre Frau denn auch vom Fach?“, fragte ich daraufhin. „Ja sicher,“, fuhr er fort, „wir haben uns in der Berufsschule kennen gelernt. Praktisch hätte sie auch an meiner Stelle den Job bei der Genossenschaft annehmen können, aber als Sekretärin ist dort momentan kein Platz frei. Frau Keune (die jetzige Sekretärin) ist noch zu jung um in den Ruhestand treten zu können.“. „Wenn wir mal jetzt von der Eifersucht auf meine Tochter absehen,“, fragte ich weiter, „wie ernst ist es denn ihrer Gattin mit einer eigenen Tätigkeit?“. „Sehr ernst sogar,“, antwortete er mir, „als ich mich auf die Ausschreibung des Geschäftsführerpostens in Waldstadt bewerben wollte machte sie mir zur Auflage, dass sie sich nach dem Ortswechsel auch um einen Job bewerben dürfe. Bis jetzt hat es aber leider noch nicht geklappt.“. Mit „Ihrer Frau kann geholfen“ werden leitete ich die Offenlegung meiner Zukunftsvorstellung ein. Abschließend sagte ich: „Ihre Frau könnte, wenn sie will, hier schon am 1. November als Büroleiterin und damit als meine Stellvertreterin anfangen.“. Ganz begeistert schaute er mich an und fragte ob er mal telefonieren dürfe. Ich stimmte zu und da ich ohnehin zur Toilette musste, ließ ich ihn während des Gespräches mit seiner Frau allein. Offensichtlich hatte er bei seiner Frau Freude ausgelöst, denn er strahlte richtig als ich wieder zurückkam. Immer noch hielt er den Telefonhörer in der Hand und fragte: „Macht es ihnen was aus, Herr Rossbach, wenn meine Frau gleich mal vorbeikommt. ... Sie könnte in einer halben Stunde hier sein.“. Nachdem ich meine prompte Zustimmung gegeben hatte, sagte er nur noch „Ja, kannst kommen“ in die Sprechmuschel und legte auf. Danach leitet er gleich auf den Abschluss unseres Plausches über, da er ein Vor- beziehungsweise Einstellungsgespräch für eine Sache zwischen seiner Frau und mir hielt. Da wollte er sich lieber „verdrücken“. Na ja, wir tauschten noch etwa für eine Viertelstunde ein paar Worte aus und dann verschwand er zurück in Richtung Waldstadt.
Etwa 10 Minuten, nach dem mich Herr Steiner verlassen hatte, traf seine Frau bei mir ein. Sofort machte diese, gut aussehende und gepflegte Frau einen netten Eindruck auf mich. Vor dem eigentlichen Einstellungsgespräch hatte sie aber zunächst eine private Frage: „Herr Rossbach entschuldigen sie, aber ich habe da so ein kleines Anliegen. Sie haben eine sehr schöne Tochter und da könnte mein Mann mal auf krumme Gedanken kommen. ... Was meinen sie, muss ich mir da irgendwelche Sorgen machen?“. „Da können sie ganz beruhigt sein,“, erwiderte ich ihr, „meine Tochter ist in festen Händen. Im Januar heiratet sie ihren Maler ... einen ganz feinen Kerl – und außerdem kann meine Tochter sehr energisch sein. Im Falle eines Falles vergisst die dann sofort, das ihr Mann ihr Chef ist. Nach dem Mord an ihrer Mutter ist Sabrina dahingehend sehr hellhörig und sensibel.“. Von dem Mord wusste Frau Steiner noch nichts und darauf erzählte ich ihr die Geschichte. Auch jetzt zeigte sich, dass ich ganz real, ohne unpassende Gefühlsregelungen, darüber sprechen konnte. Frau Steiner sagte anschließend: „Ich muss nochmals um Entschuldigung bitten, Herr Rossbach. Das wusste ich ja nicht. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich niemals auf den dummen Gedanken gekommen. Denn es dürfte klar sein, dass eine Frau, die so etwas wie ihre Tochter erlebt hat, nie leichtfertig nachgibt oder gar provoziert. Da bleibt meinen Mann nur das Träumen ... und das soll er auch ruhig.“. Dieses eher private Vorgespräch nahm mehr Zeit in Anspruch als die eigentliche Angelegenheit. Am Montag, dem 6. November 2000, trat Sonja Steiner bei mir an und ist seit dem Tag der gute Geist des Unternehmens. Im November arbeiteten wir noch größtenteils gemeinsam im Büro aber ab Dezember schmiss sie den Laden förmlich alleine. Ich war nur zwischendurch mal zur Wahrnehmung meiner Entscheidungskompetenz und meiner Unterschriftengewalt im Büro. Das was ich mir erträumt hatte war mir praktisch ohne eigenes Zutun zugefallen. Ja, Glück muss der Mensch haben. Noch am gleichen Abend schlug das Glück bei mir ein zweites Mal zu. Ich hatte ja damals die Hälfte von Ellis Haus, weil sie in Nöten war, gekauft und wir hatten jeweils unsere Hälften unseren Kindern Tanja und Oliver zur Hochzeit geschenkt. Der Gerechtigkeit halber müsste Sabrina, wenn sie im Januar heiratet, die Hälfte unseres jetzigen Domizils bekommen. Normalerweise bekommt man ja nicht von Heute auf Morgen ein neues Zuhause und so mussten wir schon überlegen, ob wir vorübergehend eine Mietwohnung, möglicher Weise aus meinem eigenen Besitz, beziehen sollten oder Sabrina um Asyl in unserer jetzigen Bleibe bitten müssten. Beides stellt natürlich kein Problem da und so war diesbezüglich bei uns noch keine Panik ausgebrochen. Da ich erst seit dem vorangegangenen Freitag vom bevorstehenden Eheglück meiner Tochter wusste, war ich auch noch nicht weiter zur Tat geschritten. Da schlug Fortuna in Person von Waltraud zu. Au weia, was ich jetzt geschrieben habe darf ich meiner Schwägerin aber nicht erzählen: Eine evangelische Pastorin als Botin der griechischen Glücksgöttin – das passt wohl irgendwie nicht. Nun aber zur Story selbst. Am Vortage hatten wir nach dem Gottesdienst vereinbart, dass Waltraud an diesem Abend, wo Thomas zur Jahresversammlung des CVJM musste, bei uns vorbeikommen sollte. Wir wollten uns die Urlaubsvideos, sowohl vom Ehepaar Kühn wie von der Familie Rossbach, ansehen. Um es gleich vorweg zu sagen: Die Videos sind frei für öffentliche Vorführungen. Strandszenen, wie sie für unsere Geschichte eine gewichtige Rolle spielten, waren da nicht zu sehen – alles schön sittsam. Für Sieben waren wir verabredete aber erst eine halbe Stunde später traf Waltraud ein. Das Ehepaar Störmer hatte Probleme und suchten Trost bei Herrn und Frau Pastor. Thomas musste zwar pünktlich zum CVJM aber Waltraud wollte die Leute nicht wegen eines geplanten Familienvergnügens hinaus komplementirren. Waltraud erklärte dann weiter: „Ausnahmsweise kann ich euch nicht nur von dem Problem der Störmers berichten sonder ich muss das sogar. Frau Störmer hat mich nämlich gebeten, dich, Dieter, zu fragen ob du nicht bis Weihnachten eine Wohnung für sie frei hättest. ... Die fürchten nämlich sonst auf der Straße zu liegen.“. Elli fragte aufgeregt dazwischen: „Was ist denn? Die Störmers bauen doch das schöne Doppelhaus da am Dorfrand. Das ist doch so Klasse und von dort hat man einen wirklichen tollen Weitblick. ... Das könnte sogar mir gefallen; ich würde es sofort nehmen. Und das sieht doch schon so gut wie fertig aus. Was soll denn jetzt noch passieren?“. „Allerhand ist schon passiert.“, fuhr Waltraud fort, „Und das ist ja deren Problem. Sie haben das Häusle mit ihrem Sohn, der in Altheim eine Autolackierei hat ... beziehungsweise hatte, gebaut. Der gute Mann hat bereits im Sommer Pleite gemacht. Das heißt, dass er hat also kein Kleingeld mehr hat. Und der will jetzt bei seinem Schwiegervater, der eine größere Autowerkstatt irgendwo in Schwaben hat, arbeiten. Also könnte er, selbst wenn er die Kohle hätte, das Haus für sich selbst gar nicht gebrauchen ... und alleine schafft es das Rentnerehepaar auch nicht.“. „Mensch Leute, ich habe eine Lösung, wo bitte ist das zugehörige Problem?“, legte ich, der auf einmal eine zündende Idee hatte, los: „Störmers wollen bei mir eine Wohnung mieten. Das können sie auch, nämlich die Doppelhaushälfte, die sie ohnehin beziehen wollten. Mein Schatz kann dahinziehen, wo es ihr aufgrund des Weitblicks und der Nähe zu ihrem Schwesterlein gefallen würde. Und ich, habe auf Anhieb das gefunden, was ich suchte und kann meinem schönen Töchterchen zu ihrer Hochzeit diese, ihr bereits zugedachte Hütte übergeben. Ich kaufe Störmers Häuschen und alle sind zufrieden.“. „Mensch Dieter, Klasse!“, jubelte Waltraud, „Ich rufe Störmers, die sich sicher freuen und einverstanden sind, sofort mal an. Dann können die Leutchen heute Nacht mal wieder ruhig schlafen.“. Sie sprach's und machte es. Und es brachte wirklich den erhofften Erfolg. Schon am nächsten Morgen traten die beiden Herrschaften bei mir im Büro an um mit mir die Einzelheiten zu besprechen. Ich übergab dann auch dieses sofort meinem „Hausanwalt“ und Mitte November konnten wir bei ihm, der auch Notar ist, alles durch Beurkundung hieb- und stichfest machen. Störmers zogen vor Weihnachten ein und Elli und ich feierten erst den Jahreswechsel, in diesem Fall sogar den wahren
Jahrtausendwechsel, den mehr als die halbe Welt ein Jahr zu früh gefeiert hatte, im alten Heim und zogen dann auch munter und fröhlich in unser neues Haus in Olvermühle-Weinberg. Sowohl zum Gasthof Schneider wie zu der Kirche unseres Schwagers hatten wir es nun nicht mehr weit, was nicht immer vom Vorteil ist, denn man drohte uns, wo wir noch gar nicht hier oben waren, an uns mehr ins Dorf- und Gemeindeleben einzubeziehen. Aber vielleicht war es gerade das, was ich für meinen Unruhestand suchte. So hatten sich schlagartig zwei Dinge, die ich in Angriff nehmen wollte, von selbst erledigt. Da sollte sich gleich noch ein drittes dazu gesellen. Ich habe zu Beginn dieses Kapitels schon mal erwähnt, dass Ellis Exhaus jetzt Tanja und Oliver je zur Hälfte gehört. Nun hätte ich es natürlich gerne gesehen, wenn mein „Exhaus“ auch je zur Hälfte auf Martin und Sabrina übergegangen wäre. Da Tanja ihre Hälfte aber nicht von mir sondern von ihrer Mutter erhalten hatte, würde sich jetzt eine Gerechtigkeitslücke auftun. Das habe ich aber nicht selbst angesprochen sondern das machte Martin als wir am folgenden Freitag in einer gemütlichen Viererrunde im Wohnzimmer zusammen saßen und ich von unserem neuen Domizil in Weinberg träumte und nur in einem Nebensatz anschnitt, dass dann die Beiden mein Haus bekämen. Sabrina wusste von der Sache natürlich schon von Anfang an. Und außerdem hatte ich mit ihr bereits am Spätnachmittag des Dienstags etwas ausführlicher darüber gesprochen. Über eine solche „wichtige Angelegenheit“ hatte sie natürlich dann auch mit ihrem Bräutigam einschlägig geplaudert. Jetzt kam Martin mit einer Sache, die er sich schon vorher überlegt hatte: „Diet ... äh Papa, Tanni und Olli haben je ein halbes Haus. Tanni hat ihre Hälfte von Mutti und Olli von dir. Jetzt wäre es ja ungerecht, wenn du Brina ein ganzes Haus schenken würdest. Das meint auch mein Goldie selbst. Kannst du mir nicht eine Hälfte verkaufen. Mit meinem zuteilungsreifen Bausparvertrag, den Erlös aus dem Bild und aus der Gage für den Fotobildband könnte ich dir schon 400.000 auf den Tisch blättern und über den Rest können wir uns doch sicher verständigen.“. „Mensch Junge, mein Haus ist doch keine Million wert.“, antwortete ich lachend, „Für 250.000 trete ich dir gerne die Hälfte ... aber nur wenn du meine Tochter heiratest, ab.“. Der Preis war ihm doch zu niedrig und wir einigten uns letztlich auf 300.000. Damals ging es noch um Mark, der Euro war 2000 noch nicht unter den Leuten. Nach dieser Einigung konnte mein Anwalt auch diese Gelegenheit „abwickeln“ und so waren, ohne dass ich einen Finger krumm machen musste, alle Probleme gelöst bevor sie überhaupt auftraten. Jetzt muss nur noch geheiratet werden. Und zum Heiraten will ich jetzt in der Geschichte gleich überspringen. Ich glaube nicht, dass Sie an der Schilderung von bürgerlichen Weihnachtsfesten und so groß interessiert. Also dann auf zur Hochzeit, von der ich doch einiges zu berichten weiß. Als Hochzeitstag hatten sich die beiden Brautleute einen Tag genau in der Mitte der Woche, nämlich Mittwoch, den 31. Januar 2001, ausgesucht. Am Liebsten wäre es ihnen gewesen, diese Angelegenheit nur im Familienkreis zu feiern aber da hatte Martin „leider“ im Vorfeld doch einen Riesenfehler gemacht: Er hatte um Sabrinas Hand vor aller Öffentlichkeit, nämlich bei der Eröffnung seiner Ausstellung, angehalten. Jetzt kamen sie nicht umhin, doch ein paar Mitschülerinnen und –schüler, mit den sie es früher besonders konnten, ein paar Studienkollegen von Martin sowie die Besatzung der Wohnungsgenossenschaft Waldstadt sowie Martins Mäzenin Frau Romanowa neben der Familie zum Polterabend zuzulassen. Na ja, da kamen so Alles in Allem fast 100 Leute zusammen und sie späten sich deshalb, mit meiner Zustimmung, dazu den Gasthof Schneider aus. Meine Zustimmung hatte man nicht eingeholt weil Sabrina ein Papamädchen ist oder war, sondern weil es ohne meinen finanziellen Zuschuss bei der Großveranstaltung nicht so glatt über die Bühne gegangen wäre. Noch feiern die meisten Leute hier in der Gegend den Polterabend am Vorabend der Hochzeit, was aber unsere Beiden ausschlossen, weil dieses ein Tag ist, den rechtes Gesindel missdeuten könnte. Schließlich wurde ein österreichischer Stadtstreicher, der auch die Wahnvorstellung hatte ein Künstler zu sein, an diesem Tag vor 67 Jahren von dem Greis Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Dieser alpenländische Paranoid nannte sich selbst der Führer und vergaß das „Ver“ davor zu setzen. Deshalb fand das Ganze dann doch schon am 29. Januar in Weinberg statt. An diesem Tag lernten wir dann Verena Baumann, Martins Mutter, kennen. Sie kam mit ihrem Bruder, Martins Patenonkel, der sein Studium und auch den entscheidenden Urlaub finanziert hatte. Für uns war es eine Überraschung, auf die wir nicht vorbereitet waren, dass Martins Mutter im Rollstuhl, den ihr Bruder schob, saß. Martins Mutter ist querschnittsgelähmt. Aber trotz ihrer schweren Behinderung ist Verena Baumann eine lebenslustige und fröhliche Frau mit der Elli und ich uns gleich an diesem Abend anfreundeten und mit der wir seit dem oft und guten Kontakt haben. Erst ein paar Tage später, also nicht während der Hochzeitsfeier, erfuhren wir den Grund für Verenas Behinderung. Als Martin 5 Jahre alt war wollte Verena ihn vom Kindergarten abholen. Sie stand gerade auf dem Bürgersteig vor diesem Kindergarten als ein Taxifahrer die Gewalt über sein Gefährt verlor und über den Bürgersteig schoss. Bei dem Fahrer wurden anschließend fast 3 Promille Alkohol im Blut festgestellt. Fast ein Jahr hat Verena dann in Kliniken verbracht und ist seitdem an dem Rollstuhl gefesselt. Als sie dann wieder zu Hause war hatte ihr Martyrium noch kein Ende. Ihr Mann, Martins Vater, hatte inzwischen eine andere Frau gefunden, mit der er praktisch schon zusammenlebte. Jetzt wollte er sich scheiden lassen. Seine Begründung war, dass er auf der einen Seite sexuellen Verkehr wie Nahrung zum Leben brauche und andererseits nicht in der Lage wäre eine Behinderte zu pflegen. Allerdings ließ er, wie es erst aussah, Frau und Sohn nicht in ein wirtschaftliches Loch fallen. Martins Vater hatte eine „scheinbar“ gutgehende kleine Maschinenfabrik und sicherte Verena und Martin scheidungsoffiziell ganz gut ab. Vielleicht ist diesem oder jener aufgefallen, dass ich eben
„scheinbar“ geschrieben habe – es war also nicht so wie es oberflächlich aussah. Baumanns Unternehmen war schon ein Jahr nach der Scheidung zahlungsunfähig – also insolvent. Ein Konkurs konnte mangels Masse nicht eröffnet werden und dann stellten sich noch Wirtschaftsstraftaten wie Bankrott und Steuerhinterziehung heraus. Von der Seite kam also nichts mehr zur Aufrechterhaltung der Existenz von Verena und Martin. Und wie war das jetzt mit der Täterseite, dem Taxifahrer. Der konnte selbst nie zur Rechenschaft gezogen werden. Zwei Wochen nach dem tragischen Unfall befuhr dieser mit einem seinem Exarbeitgeber gestohlenen Taxi die Autobahn entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung; er betätigte sich also als Geisterfahrer. Klar, sein Führerschein war nach dem Unfall mit Verena eingezogen worden und auch in diesem neueren Fall hatte er wieder einige Tausendstel (Promille) Alkohol im Blut, mehr sogar noch als bei dem Unfall mit Verena. Auch diesmal gab es einen Unfall und diesmal starben drei Menschen, einer davon war er selbst. Nun, wer Versicherung, denen es auf Einstreichen von Prämien zugunsten der Aktionärsdividenden und weniger auf ausreichenden Schadensausgleich ankommt, kennt, kann sich vorstellen, was das ein Kampf war, bis Verena endlich eine ausreichende Rente erhielt. Fünf Jahre wurde die Justiz beschäftigt, um trotz aller Wortspielereien und Buchstabenakrobatik der Versicherungswinkeladvokaten Verena das zusprechen, was eigentlich recht und billig war. Wie heißt es immer so schön in den Sonntagsreden unserer Politiker: In unserem Staat muss aber niemand verhungern. Also rein pauschal stimmt das, denn es gibt ein Recht auf Sozialhilfe. Sogar Obdachlose können ein Tagegeld „einstreichen“. Wer aber selbst mal Sozialhilfe bekommen hat oder sich mal intensiv mit den Rechtsvorschriften sowie mit den Sätzen, die Bedürftigen zustehen, beschäftigt hat, weiß, dass das zum Leben zu Wenig und zum Sterben zu viel ist. Das reicht gerade mal dafür, dass man, wenn man aus dem allgemeinen gesellschaftlichen Leben aussteigt, gerade mal seine Existenz aufrecht erhalten kann. Und um alles, was einen zusteht, zubekommen muss man sich dann noch mit Berufserbsenzählern, sprich Verwaltungsangestellte und –beamte, auseinandersetzen. Schon für vollkommen gesunde Menschen ist das kein Zuckerschlecken; wie mag das erst für solche Mitmenschen wie die doch schwerbehinderte Verena sein. Sie sagt immer, dass sie, wenn sie nicht ihren Bruder, der ihr immer zur Seite gestanden habe, gehabt habe bestimmt zusammen mit dem kleinen Martin abgesumpft wäre. Sie hat es aber geschafft und aus Martin ist auch was geworden. Was ihr aber wohl am Meisten geholfen hat, ist ihr, in meinen Augen fast übermenschlicher Lebenshilfe und die ungeheuere diesbezügliche Kraft, die in dieser Frau steckt. Ich habe Verena mal gefragt, wie sie das alles verarbeitet habe, wie sie damit fertig geworden sei. Sehr erstaunlich, dass sie nie Rache- und Vergeltungsgefühle empfunden hat. In der ersten Zeit nach dem Unfall hat sie sich immer nur gesagt: „Ich muss leben. Ich habe einen kleinen Jungen, der seine Mutter braucht. Tod verschwinde, ich bin noch nicht an der Reihe.“. Verena passt in der Weise zu uns, dass auch sie, schon vor dem Unfall, eine sehr gläubige Frau war und ist. Sie sagte sie habe immer gebetet: „Herr, dein Wille geschehe. Ich will mich nicht beklagen und dagegen wehren, aber mein Wunsch ist es zu leben. Sei mir armen Sünderin bitte gnädig.“. Sie glaubt, dieses habe ihr geholfen. Als sie dann im Rollstuhl aus der Klinik kam musste sie um ihre Existenz kämpfen und hatte keine Zeit über Schuld und Sühne nachzudenken. Und als das dann letztendlich vorbei war, hatte sie das Gefühl, dass alles verraucht gewesen sei. So habe sie sich letztendlich nie im „bösen Sinne“ mit dem Täter beschäftigt. Was bei diesem schweren Schicksal direkt wie ein Wunder wirkt ist, dass Verena ein durch und durch fröhlicher Mensch ist. Sie scherzt, lacht und singt gerne – und wer einen kleinen oder auch großen Trost brauch, der ist ihr immer willkommen. Dank ihrer netten und flotten Art stand sie im Mittelpunkt des Polterabends. Insbesondere die jungen Leute scharrten sich gerne um ihren Rollstuhl und ließen sich von ihr unterhalten. Sie wirkte wie eine Entertainerin und animierte erwachsene Leute, die in der Regel heute gar nicht mehr für so etwas sind, zu Gesellschaftsspielen. Was ich auch zum ersten Mal auf dem Polterabend erlebt habe, sind Tänze einer Rollstuhlfahrerin mit „Fußgängern“. Das konnten allerdings nicht alle; das klappte nur mit ihrem Bruder und mit Martin, da diese das schon miteinander geübt hatten. Das Maltalent und vielleicht auch die musische Veranlagung muss Martin von seiner Mutter geerbt haben. Die kann auch die kann perfekt malen. Nicht nur perfekt sondern auch schnell. Zum Polterabend fertigte sie auf je einem Blatt des im Rollstuhl mitgeführten Malblockes Karikaturen von der Familie Rossbach, also von Elli, Tanja, Oliver, Sabrina und mir, an, die echte Begeisterungsstürme bei den Gästen auslösten. Zum Abschluss des Abends stellte ich fest, wie sehr sich in den letzten Jahren mein Lebensumfeld hinauf nach Weinberg verlagert hatte. Dort war ich fast zu allen Anlässen. Entweder, wie jetzt, im Gasthof Schneider oder mal im Gemeindehaus und natürlich meist aus privaten Anlässen im Weinberger Pfarrhaus, von den sonntäglichen Kirchgängen mal ganz abgesehen. So erklärte ich dann im Kreise des Brautpaares und ihrer Eltern, dass wir jetzt „den Vogel abgeschossen“ hätten, denn wir brauchten nur um zwei Ecken und schon wären wir zu Hause. Da hakte Verena in ihrer Fröhlichkeit nach: „Normaler Weise hört man immer, dass die Kinder das Haus verlassen. Bei euch ist es nun genau umgekehrt. Wie ist das denn, wenn die Brauteltern das Haus verlassen?“. Unter diesem Aspekt hatte ich die ganze Angelegenheit noch gar nicht gesehen, obwohl es bei uns so jetzt zum zweiten Mal vorkam. Als Ellis Tochter heiratete verließ sie ihr Haus um zu mir zu ziehen. Und als uns dann meine Tochter zur Ehe anstand, verließen wir auch dieses Haus um unser vermutliches „Altersdomizil“ zu beziehen. Ich konnte Verena nur antworten: „Eu ja, dass ist mir im Grunde noch gar nicht aufgefallen und deshalb kann ich da leider keine Antwort drauf geben. Aber im Großen und
Ganzen gefällt mir das ganz gut ... Und wenn’s den Kindern gefällt, dann ...“. Da unterbrachen mich beide um wie aus einem Munde zu tönen: „Und wiiieee!“. Als es dann am eigentlichen Hochzeitstag zum Standesamt im Olvermühler Ortsteil, der auch selbst Olvermühle heißt, ging war es genau umgekehrt. Wir mussten hinunter ins Tal und von dort brachten wir dann das frischgebackene Ehepaar, das ausnahmsweise ihre Hochzeitsnacht bei uns im Haus verbringen wollten, mit hinauf nach Weinberg, denn die kirchliche Trauung sollte mal wieder von „Onkel Thomas“ zelebriert werden. Aber auch meine bessere Hälfte war diesmal wieder engagiert worden: Sie musste mal wieder, auf besonderen Wunsch der Braut, orgeln. Dieser Tag, war dann im Gegensatz zum Polterabend, eine absolut familiäre Angelegenheit. Martinseitig nahmen neben seiner Mutter und seinem Onkel nur noch die Lebenspartnerin des Onkels, dessen Ehefrau vor acht Jahren verstorben war, teil. Von unserer Seite war das Aufgebot etwas größer, denn allein die Familie Rossbach junior, Tanja und Oliver mit ihren beiden Kindern, brachte schon soviel Leute wie die gesamte Familie Martins, ihn eingeschlossen, auf. Dazu kamen auch Sabrinas Onkel und Tante, sprich Walter und Herta. Nun, Waltraud und Thomas sind ja gegenüber Sabrina keine „richtigen Verwandten“, gehörten aber trotzdem dazu, was sich nun auch damit hätte legitimieren lassen, dass Thomas die beiden ja getraut hatte. Wer jetzt schnell gerechnet hat, kommt auf „schlappe“ fünfzehn Leuten. Das ist jetzt erwähnenswert, weil wir in einer so großen Besetzung danach nicht wieder zusammengekommen sind. Es hatten zwar die Brauteltern das Haus verlassen aber die Kinder waren nun auf eigenen Wegen in die Welt. Eines finde ich nur schön: An mindestens einen Sonntag im Monat findet, auch jetzt noch, man den „Rossbach-Clan“ gemeinsam im Gottesdienst. Aber ansonsten hatte nun endgültig ein neues „normales Leben“ von uns Besitz ergriffen. Nun, eine Runde aus fünfzehn Personen konnten wir nun nicht mehr in unserem, jetzt sogar kleinerem, Wohnzimmer unterbringen und Freiluftveranstaltung im Garten sind natürlich an einem 31. Januar auch nicht das Richtige. So feierten wir im kleinen Saal des Gemeindehauses, den man, weil dort unter anderem der Konfirmandenunterricht stattfindet, Konfirmandenraum nennt, statt. In dieser Runde konnte dann die frischgetraute Frau Sabrina Baumann am Nachmittag dann die Familienplanung des Paares offenbaren. Sabrina verkündete, dass sie unmittelbar nach dem Abschluss ihrer Ausbildung im Juli 2002 loslegen wollte. Damals sagte sie allerdings nicht ob sie damit das Zeugen oder das Gebären gemeint hat. Jetzt im März 2002 muss ich sagen, dass sie nur Gebären gemeint haben kann, denn ich weiß, dass ich noch in diesem Jahr zum dritten Mal Opa sein werde. Wenn das klappt, wie es vorgesehen ist, werde ich mich wohl wie der Größte fühlen, denn der Frauenarzt berechnete den 11. September 2002, als möglichen Entbindungstermin. Das wäre doch was: Opa und Enkel – laut Sabrina wird es wohl ein Junge – am gleichen Tage Geburtstag. Aber so liegen im Leben Freud und Leid beieinander: Der 11. September ist dann bei uns in der Familie gleichzeitig ein Feier- und Gedenktag. Selbst wenn wir das Weltgeschehen, sprich die Anschläge von New York und Washington, außer Betracht lassen, ist es immerhin der Tag an dem Astrid ermordet wurde. Ich verlor meine Frau und Elli ihren Mann. Ich glaube, dass wir da einen handfesten Beleg dafür haben, dass Freud und Leid unauflöslich zusammen gehören. Dieses konnten wir auch am Hochzeitsnachmittag feststellen. Während Sabrina glücklich und fröhlich verkündete, dass sie es ihrer Stiefschwester und Schwägerin gleich machen wolle und mindestens fünf Kinder das Leben schenken wolle, schaute Tanja traurig drein und ein paar Tränen kullerten ihre Wange herunter. So etwas bleibt Müttern natürlich nicht verborgen und Elli nahm ihre Tochter eine viertel Stunde später mal bei Seite. Die Mutter erfuhr dann, dass ihre Tochter inzwischen weiß, dass sie nun keine weiteren Kinder mehr kriegen kann. Für Tanja war natürlich zunächst einmal eine Traumblase zerplatzt. Inzwischen hat sich auch noch etwas anderes in Tanjas Lebensplanung geändert: Sie hat jetzt im Februar 2002 mit dem Studium begonnen. Aber eine Pastorin wird aus ihr nicht werden, denn dann müsste sie Theologie und nicht Pädagogik und Germanistik studieren. Aber auch so gesehen ist doch voll in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten, denn der Grund für ihre Umdisposition ist, dass ihre Zukunft wohl neben der ihres Gatten Oliver zu suchen sei und dieser, wie es aussieht in der Gemeinde Olvermühle angebunden ist. Das war ja eigentlich auch der grund, dass Elli nicht wie ihre Schwester Pastorin geworden ist. In diesem Fall ist auch noch ganz interessant wer die Studentin als Tagesmutter bei Sara Lauren und Markus vertritt: Herta Salein. Und die hat jetzt einen doppelten Grund auf Elli eifersüchtig zu sein: Einmal ist meine Frau immer noch eine Traumfigur für Walter und außerdem hat Herta jetzt das Problem, dass die Oma sie als Tagesmutter verdrängen könnte. – Ja, ja, Herta pass auf. Aber zur Hertas Beruhigung: Waltraud ist mit Leib und Seele Lehrerin und dann ist es schon besser, wenn die Enkel bei der Bäuerin sind. Dieses haben sich übrigens Sabrina und Martin für den Fall der Fälle und ihre eigenen Kinder auch schon überlegt. Zum Kapitel 33
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Königin, nein danke Noch war es nicht soweit, noch war ich kein „Ruheständler“. Hätte ich nicht von Astrid die Wohnungswirtschaft geerbt dürfte ich ja da noch gar nicht dran denken, denn dann müsste ich mich, würde ich mich an die gesetzliche Altersgrenze halten, noch mehr als 10 Jahre gedulden. Selbst um das „Unternehmen“ mit einem fetten Steuerfreibetrag in jüngere Hände zu legen, bedurfte es Anfang Februar noch eine Wartezeit von 7 Monaten. Aber trotzdem begann nach Sabrinas Hochzeit praktisch schon für mich diese „erstrebte“ Zeit. Um meine Hauptaufgabe, der Bürotätigkeit als Vermieter, brauchte ich mich so gut wie gar nicht zu kümmern. Sonja Steiner schmiss den Laden sogar besser wie ich es jemals getan hatte. Ich war praktisch nur noch so eine Art aktiver Alleingesellschafter. Und diesbezüglich stand jetzt auch nichts grandioses an, denn in Richtung Neubauten ist derzeitig nichts aktuell. Der Wohnungsmarkt ist derzeitig ausgeglichen oder sogar offen. Im Moment machen sich wohl die professionellen Vermieter mehr Gedanken darüber, wie sie Leerstand vermeiden können als über eventuelle Neuinvestitionen. Und wenn ich mir den anhaltenden Trend der Bevölkerungsabnahme ansehe – bis Mitte dieses Jahrhunderts soll die deutsche Bevölkerung von derzeitig 82 auf 50 bis 60 Millionen geschrumpft sein -, sagt mir die Vernunft, dass sich an der derzeitigen Lage nicht so schnell oder nie mehr was ändern wird. Sicher im Moment gibt es auch so eine Art Stadtflucht. Die Leute verlassen die Stein- und Asphaltwüsten um sich im Umland ein menschlicheres Umfeld zu suchen. Aber im Wettbewerb um Stadtflüchtige hat die Gemeinde Olvermühle etwas schlechte Karten. Wir haben wohl hier eine phantastische Landschaft, aber das ist schon alles? Die jungen Leute sagen ganz salopp, dass hier der „Arsch begraben“ sei. Und da wird sich auch so schnell nichts dran ändern, denn die Ratsfraktionen stehen hier im Wettbewerb um den besten „Kaputtsparer“. Bei allen Zwängen zum Sparen, darf man nicht vergessen, dass man, wenn man nicht in die notwendige Infrastruktur investiert, zunächst Jahr für Jahr mehr sparen muss bis es nichts mehr zu sparen gibt. Der Spitzenkommunalpolitiker von heute rühmt sich seiner in die absolute Pleite führenden Sparkünste. Wenn er mal ein bisschen nachdenken würde, käme er vielleicht selbst dahinter. Sowohl derjenige, der neue Leute zu Zuzug bewegen will wie derjenige, der schon Hiesige halten will, muss darauf achten, dass die Leute in seiner Kommune mehr als Schlafstätten und Landschaft finden, sonst gehen die schlüsselzuweisungswirksam woanders hin. Na ja, ich hatte beschlossen das Beste daraus zu machen und das hieß: Im Bestand investieren, aus meinen Wohnungen Toppräume zu machen. Nicht um abzucashen, sondern um das Bestehende zu wahren. Leerstand gar nicht erst aufkommen lassen, weil die Leute gerne bei mir wohnen und nichts besseres finden können. Aber langweilig ist es mir in dieser „Vorruhestandszeit“ nicht geworden. Da war nun das vollkommen neue Doppelhaus, dessen eine Hälfte von unseren Mietern Störmer vor Weihnachten und von uns 3 Wochen später erstmalig bezogen worden war. Im Haus konnte man ja von einen Sollzustand, den Handwerker hergerichtet hatten, sprechen aber ringsherum sah es noch ganz nach Baustelle aus. Ursprünglich wollte ja der Bauherr Störmer, der in seiner aktiven Zeit auf dem Bauhof der Gemeinde Olvermühle, zuletzt als „Boss“, gearbeitet hatte, da in Eigeninitiative ein Paradies rausmachen. Warum sollte dieses jetzt, wo ich und nicht er der Besitzers ist, nicht dabei bleiben und warum sollte ich mich da nicht aktiv reinhängen. Ich hatte von solchen praktischen Dingen zwar nicht die meiste Ahnung aber wofür gab es denn meinen erfahrenen Nachbarn. Er hatte zuvor schon einen Komplettplan im Sinn, den er jetzt mit Elli und mir überarbeiten musste, damit auch unser Geschmack und unsere Interessen einfließen konnten. Das stellte aber wirklich kein Problem dar, denn Störmers ließen sich gerne von neuen Ideen inspirieren und andererseits war deren Ursprungsgeschmack gar nicht so schlecht und so weit von dem unserigen entfernt. Jetzt mussten nur noch die beiden Herren ans Werk gehen. An den Taten waren wir mit gerechten Anteilen beteiligt: Störmer schaffte zwei und ich ein Drittel des Gewerkes. Aber immerhin hatte ich ein Leben lang als Schreibtischtäter noch nicht viel mit praktischer Arbeit zuschaffen gehabt – und dafür schaffte ich doch allerhand. Ein anderes Aufgabengebiet, dass ich mir zugelegt hatte, war allerdings nicht soweit von Schaffen eines Bürostuhlquälers entfernt. Ich hatte mir einen schicken neuen PC mit allen Pipapo, also mit Scanner, Laserprinter und so weiter, zugelegt. Natürlich war ich kein Neuling am „Pixelklickomaten“, denn so hinterweltlich ging es in meinem Vermieterbüro ja doch nicht zu. Da war schon bereits Mitte der 80er-Jahre, noch bevor es die Klicki-Bunti-Welt namens Fenster, englisch Windows, gab, ein solches Kistchen im Einsatz. Auch im Riesenwerbemüllhaufen, genannt Internet, war ich auch kein Neuling mehr. Da klickerte ich mich auch schon vorher immer schon mal durch. Aber dieses Hyperding, wie abgerauschte Yuppies immer euphorisch behaupten, ist das natürlich auch nicht. Es ist ein Ersatz für Werbezettelchen und Kataloge, die einen heute nur elektronisch ins Haus schneien – aber die brauch man dann auch nicht entsorgen. So ein Internetkatalog ist natürlich erheblich preiswerter als die Papiermonster, die allerdings noch nicht ganz tot sind, aber dafür sind sie auch gestalterisch erheblich schlechter als frühere typografische Meisterwerke. Auch das riesige Arbeitsplatzwunder wie die Politschwafler behaupten ist das Internet auch nicht. Man muss ja den neuen Internetarbeitsplätzen diejenigen, zum Beispiel in der grafischen Industrie und im Verwaltungs- beziehungsweise Vertriebsbereich, die durch das Netz kaputt gehen, gegenüberstellen. Ich glaube, dass die Zahl auf der Seite der vernichteten Arbeitsplätze überwiegt. Aber das ist heutzutage überhaupt so eine Kurzsichtmanie: Man bejubelt auf der einen Seite neugeschaffene Arbeitsplätze und wundert sich, dass im gleichen Zuge die Arbeitslosigkeit steigt. Der Zusammenhang ist wohl für nur draufsichtige Politikusse und ihrer Jubelgarde in den Medien zu hoch. PISA ist kein Problem der Schulen sondern unserer Gesellschaft bis hinauf zu Führungselite.
Aber gerade in der Richtung der internetten Wunderwelt lag einer meiner neuen Wirkungskreise. Erstens wollte ich just for fun selbst eine gutaussehende Dieter-Rossbach-Homepage basteln und habe gleich, nach dem ich davon erzählte, drei weitere Homepages in Auftrag genommen. Unsere Kirchengemeinde, der CVJM und die Dorfgemeinschaft Weinberg wollten in die internette Geschichte einsteigen und hatten mich als Pixelschieber auserkoren. Na ja, da musste ich mich schon in die Winkelzüge von FrontPage und der Denkweise seiner amerikanischen Programmierer reintasten. Aber alles kein Problem, denn heutige PC-Oberflächen sind ja auch für Doppellinkshänder und für Vonlinksnachschrägdenker bestimmt. Ich verstehe gar nicht, warum man sich heute in Schulen und Bildungsveranstaltungen soviel mit Einschalten, Rein- und Durchklickern, was im Grunde jeder Brettergymnasiumsabsolvent schon im unausgeschlafenen Zustand kapiert, und so wenig mit dem richtigen, kritischen Umgang mit dem internett dargeboten Datenhaufen beschäftigt. Das Meiste was man im Netz findet ist nämlich keine Information sondern Werbung, Verdummung oder einfach nur Wichtigtuerei. Nun, alle vier Homepages stehen und damit habe ich mir dann sogar einiges an Schulterklopfen eingehandelt. Auch eine dritte Aufgabe habe ich mir vorgenommen, aber diese hätte ich auch totschweigen können, denn die war mir durch die Bank nicht gelungen. Seit Jahren gibt es bei uns in der Kirchengemeinde ein Frauengesprächskreis, der sich außerhalb der Schulferien einmal im Monat zu einem interessanten Thema, nicht nur aus dem Bereichen Kirche und Glauben, trifft. Darüber hinaus unternehmen sie dann auch mal diese oder jene gesellige Aktivität. Ich hatte nun die fixe Idee für Emanzipation zu sorgen und wollte einen Männergesprächskreis zu gründen. Am ersten Abend erschienen außer Thomas und mir noch zwei weitere Herren, wir waren also zu Viert. Beim zweiten und dritten Mal waren wir dann nur zu Zweit; nur Thomas und ich. Natürlich haben wir dann nach Abwarten der akademischen Viertelstunde diesen in Thomas Wohnzimmer verlagert und uns ein Fläschen Bier dabei genehmigt. Na ja, da war es wohl logisch, dass es dann ein viertes Mal nicht gab, da wäre ich ja wieder mit meinem Schwager, der in seiner Eigenschaft als Pastor erschienen wäre, alleine gewesen. Ich weiß es nicht genau, aber ich nehme mal an, dass Thomas, wenn er nicht mein Schwager wäre, bereits zum dritten Versuch auch nicht erschienen wäre. Und solche Treffen, wie beim zweiten und dritten Mal, hätten wir natürlich gleich sowohl in seiner wie in unserer Wohnung auch ohne offizielle Ankündigung durchführen können. Ach, wo ich jetzt das Wort „Ankündigung“ benutzt habe fällt mir auch etwas ein was mir bis jetzt niemand richtig erklärt hat: Im evangelischen Gottesdienst gibt es zu Beginn, zwischen Orgelvorspiel und Eingangslied Ankündigungen, die aber paradoxer Weise Abkündigungen genannt werden. Der Ursprung ist klar: Früher fand so etwas immer am Schluss des Gottesdienstes statt und ist nur im Zuge von „Reformen“ der Gottesdienstordnung nach Vorne gerutscht. Soweit ist alles klar. Aber warum ist man im kirchlichen Rahmen so stocksteif und unbeweglich, dass man sich an alte Worte, auch wenn sie so un- und widersinnig sind klammert. Kein Wunder wenn dann die Klerikalen von den Jungen nicht richtig verstanden werden und ohne junge Leute sieht so eine Kirche verdammt alt aus. Und ihren eigentlichen Auftrag, die Umsetzung des Missionsbefehls erfüllt sie so beim besten Willen nicht. Soweit erst mal meine Außenaktivitäten aber auch innerehelich unternahmen wir ab diesem Zeitpunkt, den ich im Vorkapitel beschrieben habe, eine ganze Menge. Elli und ich gingen spazieren, unternahmen Autoausflüge, setzten uns nur mal auf ein Bierchen in den Gasthof Schneider oder plauderten stundenlang über Gott und die Welt miteinander. Auch was es lange bei uns nicht gegeben hatte, Kino- oder Theaterbesuch, kamen jetzt wieder auf die Tagesordnung. Insgesamt waren wir beide jetzt ausgeglichener als jemals zuvor, was sich auch sehr positiv auf die partnerschaftliche Harmonie auswirkte. Sogar im Bett war die Wirkung spürbar. Ich habe noch nie im Leben soviel Freude am Sex gehabt wie jetzt in unserem neuen Leben. Aber auch von den Wechselwirkungen, die Ehepartner aufeinander ausüben, weiß ich jetzt zu berichten. Unser neues Leben in Harmonie wirkte sich ungemein auf Ellis Schaffenskraft aus. Sie sagte mir mal, dass es früher hin und wieder schon mal vorkam, dass sie dachte: „Mein Gott, heute zur Schule schmeckt mir gar nicht.“ und jetzt würde sich fast ausnahmslos immer darauf freuen, arbeiten gehen zu dürfen. Auch der Umgang mit Schülerinnen und Schülern, der heutzutage nicht immer leicht ist, traf bei ihr jetzt fast immer ins Schwarze. Sie entwickelte sich nach und nach zu einer immer beliebteren Lehrerin. Ich nehme mal an, dass es solche Wirkungen bei fast jedem Mensch gibt und bin daher der Meinung, dass Brötchengeber im eigenen Interesse eigentlich pausenlos überlegen müssten, was sie zum privaten Glück ihrer Arbeitnehmer beitragen könnten. Natürlich übten wir uns nicht nur in unentwegter Zweisamkeit. Wir hatten mal hierhin und mal dahin Kontakt. Es beschränkte sich nicht nur auf Familienmitglieder, die früher überwiegend unsere Kontaktpersonen waren. Am Meisten hatten wir, wenn wir mal vom Pastorenehepaar Kühn, die ja im Grunde jetzt unsere Nachbarn waren wie von unseren tatsächlichen direkten Nachbarn, den Störmers absehen, mit Verena Baumann. Aber auch mit Steiners und Webers gab es wechselseitige Besuche. Letztere, also die Webers, sorgten dann in der Zeit zwischen Sabrinas Hochzeit und meinem 55. Geburtstag für den größten Wirbel in unserem Umfeld. Allerdings ist dieses im Sinne unserer Geschichte weder ein Höhe- noch ein Tiefpunkt aber trotzdem nicht uninteressant und deshalb erzähle ich diese Sache hier mal kurz, bevor ich im nächsten Kapitel zum letzten zur Geschichte gehörenden Höhepunkt komme. Im Veranstaltungskalender der Stadt Waldstadt ist das Schützenfest der Bürgerschützengesellschaft von 1818 eigentlich der Höhepunkt. Früher sagte man mal, dass es in Waldstadt nur zwei Jahreszeiten gäbe: Eine vor und eine nach dem Schützenfest. Schon als Kind und Jugendlicher hatte ich wenig Interesse an dem ganzen Schützenklimbim. Aber trotzdem freute ich mich Jahr für Jahr auf dieses Fest, denn das war immer mit einer großen Kirmes verbunden und Karussellfahren, Würstchen- oder Backfischessen und so weiter war in jungen Jahren schon etwas für meines Vaters
Sohn. Was ich vom eigentlich Schützenfest mitbekam, war nur der große Schützenumzug durch die Innenstadt, an dem ich dann auch mal mit der Schulklasse beziehungsweise dem Turnverein aktiv teilnehmen musste. „Musste“ im wahrsten Sinne des Wortes, denn aus eigenen Stücken hätte ich mir so etwas nicht angetan. Nun, mein Freund und Namensvetter Dieter Weber war da genau das Gegenteil von mir. Vor lauter Schützentrallala bekam er von der Kirmes, die meinem Hauptinteresse lag, nur relativ wenig mit. Einmal war er als damals 14-jähriger der Kinderschützkönig, als Jugendlicher beziehungsweise junger Mann gehörte er zwei Mal zum Hofstaat und 2001 sollte dann der absolute Höhepunkt für ihn werden: Er holte den Vogel von der Stange und war somit der Schützenkönig Dieter III. Nun ist es aber so, dass eine solche Hobbywürde auch mit einer Menge Kleingeld, dass man zum Ausgeben bereit haben muss, verbunden ist. Dies gilt insbesondere bei solchen „renommierten“ Vereinen wie die BSGW. Bei kleineren Vereinen genügt es dagegen ja oft schon wenn man ein standfester Zecher ist. Königsklamotten, Empfänge, Bälle und Runden schmälern schon die Rücklagen von König und Königin. Na ja, und wenn man es so wie einige macht, dass man seine eigene Frau zur Königin kürt, dann kostet es fast doppelt soviel als wenn man sich dazu die Frau eines anderen schnappt. Halbwegs kostenbewusst war mein Dieter schon und wollte nicht gerade seiner Frau die Krone aufsetzen. Da dachte er sich, der wohl mit dem Ehrgeiz König zu werden mitgeschossen aber trotzdem irgendwie nicht mit seinem Glück gerechnet hatte, wohl, dass mir ja auch nicht gerade die Armut aus den Augen schaut und verkündete spontan nach dem Vogelabschuss, das er die „beliebte“ Lehrerin Eleonore Rossbach zu seiner Königin wählen würde. Der Hinweis auf die Lehrerin an der Waldstädter Gesamtschule war in diesem Fall natürlich wichtig, denn wir sind halt keine Waldstädter sondern Olvermühler Bürger. Der Vogel war kurz vor Sechs gefallen und Viertel nach Sechs war Dieter am Telefon um Ellis Zustimmung einzuholen. Die lehnte aber mit den Worten „Königin, nein danke“ ab und begründete dieses gegenüber Dieter damit, dass sie die „Traditionspflege“ der Schützenvereine generell, also nicht nur auf den BSGW bezogen, für eine Glorifizierung des Militärs halte und das sei mit ihrer pazifistischen Auffassung, der ihrem christlichen Glauben entspringe, nicht vereinbar. Dieter akzeptierte dieses selbstverständlich und nahm sich darauf die Frau des Juweliers Köster, die sich förmlich danach drängelte, zur Königin. Und damit war eigentlich sowohl für Dieter Weber wie für uns der Kuchen gegessen. Aber aus dieser Sache wurde noch ein Riesenspektakel. Dieter hatte Ellis Entscheidung, so wie sie gefallen war, auch an die Pressevertreter weitergegeben und am nächsten Tag standen dann zwei Artikel in der Zeitung. Ein ganz großer mit der Überschrift: „Dieter III und Irma I regieren das BSGW-Schützenvolk“ und der kleine war mehr eine Randnotiz mit der Überschrift „Königin, nein danke“. Was in den beiden Artikeln zu lesen war, brauche ich jetzt nicht groß zu berichten, denn das ist ja wohl klar. Vielmehr kann ich sagen, dass ich das, was in dem kleinen Artikel stand, bereits berichtet habe, denn vielmehr stand da auch wirklich nicht drin. Aber gerade der kleine Artikel führte zu einem Volksaufstand. Dazu muss man wissen, dass es in Waldstadt ein sogenanntes Friedensplenum gibt, dass seit etwa einem Jahrzehnt immer parallel zum Hochfest der Zackzackleutchen von der Freizeit- und Traditionsarmee ein Friedensfest veranstaltet, was den meisten Kleinstadthonoratioren, die hier wie in den meisten vergleichbaren Städten immer, so mit einem rechten Hauch belastet sind, ein Dorn im Auge. Und so bekriegten die sich regelmäßig mit teilweise recht massiven Argumenten. Für einige Friedensinitiativler waren die Schützen schon Neonazis und für die Schützen waren die Leute der anderen Seite anarchistische Chaoten, der schwarze Block. Fairerweise muss man sagen, dass die Schützen auch nach meiner Ansicht sehr arg rechtslastig aber noch lange keine Neonazis sind und die Leute vom Friedensplenum kommen in der Regel aus dem Lager der Grünen beziehungsweise der linken Jungsozialisten, also auch mehr aus dem demokratischen Spektrum. Im Grunde beschoss man sich grundlos mit schweren Schlammbrocken. Wenn ich sehe, wie es bei den Schützen mit dem Nachwuchs aussieht, kann man schon fast annehmen, dass sich diese Angelegenheit mittelfristig sowieso durch Überalterung von selbst erledigt. Also kein Grund zur Aufregung und erst recht nicht zur Revolution. Nun nahm das Friedensplenum Ellis „Königin, nein danke“ zum Anlass auf ihre, wohl auch aus christlicher Sicht, richtigen Auffassung hinzuweisen und nutzte die Gelegenheit noch ein paar ideologische Seitenhiebe gegen den BSGW, die CDU und den Rechten in der SPD auszuteilen. Worauf dann gleich die Schützenkanonen gegen diese linken Zersetzer gerichtet wurden. Da gab es dann so eine richtige schmutzige Presseschlacht mit Leserbriefen und aus Berichterstattung. Ich glaube, dass sich da im Nachhinein noch die Juristen mit beschäftigen müssen, denn es gab dabei doch einige massive persönliche Beleidigungen und Ehrabschneiderei. Aber von irgendetwas müssen ja auch Rechtsanwälte und Richter leben. Nun Ellis Verzicht auf den Thron, war zwar der Auslöser aber ansonsten hatte sie selbst überhaupt nichts damit zutun. Schon in der ersten Stellungnahme des Friedensplenums stand von ihr lediglich, dass man vor Ellis Meinung Hochachtung haben müsse und danach wurde sie weder von der einen noch von der anderen Seite noch einmal erwähnt. Sie wurde auch von keiner der beiden Seite mal angesprochen oder zu irgendetwas gefragt. Es war praktisch so als habe Dieter Weber sie versehentlich angestoßen, was dann zur Folge hatte, dass Elli stolperte und dabei ebenso versehentlich eine Lawine, die dann zu Tale donnerte, ausgelöst. Also das Ganze tangierte uns eigentlich gar nicht und regte uns daher auch in keinster Weise auf. Was uns in diesem Sommer viel mehr als das kleinkarierte Schützen- beziehungsweise Friedensplenumpalaver interessierte war unser Urlaub in Phaphos auf Zypern. Dieses Fischerörtchen Phaphos, mit seinem etwa 12.000 Einwohnern, hat für kulturbewusste Urlauber eine ganze Menge zu bieten. Der griechischen Sage nach wurde dort die Göttin der Liebe und der Schönheit Aphrodite – in der römischen Sage lautet der Name Venus – aus dem Schaum des
Mittelmeeres geboren. Aber, und das ist für Elli besonders interessant, der Ort ist auch eine historische frühchristliche Stätte in der der Apostel Paulus wirkte. Kein Tourist, der etwas mehr als einen Germanengrill braucht, kommt an der Paulussäule in Phaphos vorbei, an der Paulus mit einer Geißel aus 39 zusammengedrehten Riemen ausgepeitscht worden ist bevor er den römischen Prokonsul Sergius Paulus zum Christentum bekehrt hat. Von der Säule steht heute allerdings nur noch ein Marmorstumpf, da diese durch souvenirheischende Touristen und Pilger soweit abgebröckelt worden ist. Ein weiteres frühchristliches Zeugnis an diesem Ort ist die Grotte der heiligen Salomoni, einer Katakombe die in byzantinischer Zeit als Kirche genutzt wurde. Die griechisch-orthodoxe Kirche verehrt Salomoni, eine Mutter von 7 Kindern, die zur Zeit der Judenverfolgung in Palästina mit ihren Kindern zu Tode gesteinigt wurde, weil sie sich weigerte gegen ihren Glauben Schweinefleisch zu essen, als eine Heilige. Der Tag der heiligen Salomoni, der 1. August, ist in Zypern ein Feiertag. Aber auch aus vorchristlicher Zeit findet man reichlich Zeugnisse, die heute zum Weltkulturerbe zählen. Da nenne ich nur mal die Villa des Dionysos, die Gräber der Könige (Katakomben) und das Amphitheater. Ach, was erzähle ich viel. Fahren Sie doch einfach mal hin und sehen sich das Ganze einmal selbst an. Aber denken Sie daran: Rechtzeitig planen und einen Reisepass beantragen, falls sie nicht sowieso schon einen haben. Seit dem türkischen Landraubüberfall, was man auch harmlos klingend mit dem Wort Invasion ausdrücken kann, im Jahre 1974 ist die Insel Zypern durch die „Greenline“ geteilt. Das Wort „Greenline“ ist übrigens auch ein Zeugnis für politische Leichtfertigkeit und Unvermögen. Tolle Politik: Um den kriegerischen Konflikt zwischen den griechischen Zyprioten und den eingefallenen türkischen Landräubern zu beenden, nahm man eine Landkarte der Insel, ein Lineal und ein zufällig daliegenden grünen Malstift und zog eine Linie von West nach Ost und teilte so die Insel in eine türkische Nordhälfte, auf der sich heute die, nur von der Türkei anerkannte Republik Byran befindet, und eine griechische Südhälfte. Auf dieser Greenline stehen seit 1974 UN-Blauhelme und passen auf, dass sich Nord- und Südzyprioten nicht besuchen und vor allen Dingen nicht bekriegen. So was schafft auf Dauer keinen Frieden sondern letztlich nur neuen, ärgeren Verdruss. Man überlege nur, dass durch diese willkürliche Grenzziehung der wichtigste Wallfahrtsort für die muslimischen Zyperntürken, die Moschee Hala Sultan Tekke, in der Mohameds Tante Umm Haram, die maßgeblichen Einfluss auf den Propheten gehabt haben soll, in einem Sarkophag bestatt ist, für diese unerreichbar geworden ist. So etwas gärt in den Köpfen der Leute und kann irgendwann zu einem, durch Fanatismus aufgeheizten Draufschlagen und blindwütigen Morden führen. Wir sollten jetzt aber nicht mit schmutzigen Fingern auf die Türken zeigen, denn die Übeltäter, die die Konflikte schürten, gehören der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien an. Ich will jetzt aber nicht zu tief in politischer Historie wühlen, da ich dieses nur erwähnte um auf die Passpflicht, mit der man wechselseitige Einreisen von einen in den anderen Teils Zypern verhindern will, hinzuweisen. Wir waren dort ja nicht wegen der Politik sondern um Urlaub zu machen und dazu gehört ja nicht nur Kultur und Bildung. Dazu gehört unter anderem auch das Essen. Ich kann dahingehend immer nur eine zyperntypische Meze empfehlen. Dieses sind Speisen in mehreren Gängen, unheimlich vielseitig und abwechselungsreich. Es gibt sowohl Fisch- wie Fleischmeze sowie gemischte Meze aus beiden. Dazu kann man sich ruhig zyprischen Wein genehmigen. Ich bin zwar kein Weinkenner und kann nicht sagen ob der Wein in den Augen der Kenner gut oder schlecht ist – aber geschmeckt hat er mir. Und mein persönlicher Geschmack ist für mich, nicht nur bei Speisen und Getränken, das Hauptauswahlkriterium und Expertenmeinungen sind mir diesbezüglich ziemlich Wurst – mir muss es gefallen oder schmecken. Dieses hat auch ein Wenig mit Selbstbewusstsein und Rückgrat zu tun. Nicht das was Experten meinen ist für mich richtig sondern das was ich, Dieter Rossbach, empfinde und meine. Zum Urlaub gehört auch das, was im Vorjahr die Hauptrolle spielte: Ein Sonnenbad am Strand. Obwohl es auf Zypern gar nicht gerne gesehen wird, konnte Elli es nicht lassen ihre strammen Busen anderen Strandbesuchern zum Zublick freizugeben. Also auch dort zeigte sich die Religionslehrerin wieder Oben ohne. Na ja, die Gefahr, dass sie mir damit einen Schwiegersohn einfängt besteht ja nicht mehr, denn ich habe keine Tochter mehr zu vergeben. Allerdings konnte ich auf Zypern nicht wie in Rovinij von einem allmorgendlichen Strandbesuch sprechen. Da unternahmen wir doch mehr Expeditionen auf Schusters Rappen. Wir waren in den drei Wochen gerade mal an fünf Morgen am Strand. Elli begeisterte sich in dieser Zeit auch gerne mit der Senderauswahl auf unserem kleinen Kofferradio. Höchstinteressant war für uns, wie einfach libanesische und israelische Sender über Antenne eingefangen werden konnten. Dadurch wird einen bewusst, wie nah man auf dieser Insel diesen Konfliktländern ist. Heimgekehrt aus diesem Urlaub hatte ich dann eine Reihe Termine bei meinem Rechtsanwalt und Notar sowie mit meinem Steuerberater. Der letzte Höhepunkt in der Geschichte von der Königin von Salein musste vorbereitet werden. Davon berichte ich im folgenden Kapitel dann ausführlich. Dieses hier sollte nur ein Zwischenkapitel kurz vor dem Schluss sein. Mit diesem wollte ich nur verdeutlich, wie sehr wir uns inzwischen in einem ganz normalen Leben einund zurechtgefunden haben. Denn alles was ich hier berichtet habe, ist doch wie aus dem richtigen Leben – ohne Aufregung und Dramatik. Mit so etwas kann man keine Romane füllen. Für mich ist jedoch die Feststellung wichtig, dass wir es geschafft haben; wir können ganz normal weiterleben. Das ist nicht so selbstverständlich, denn immer und immer wieder hört man von Leuten, die nach einem schweren Schicksalsschlag nie wieder Tritt gefunden haben. Ich muss aber sagen, dass ich mit meinen Kindern den anderen gegenüber einen riesigen Vorteil hatte: Wir Opfer auf der Opferseite fanden die Brücke zu den Opfern auf der Täterseite und über die zu unserem Glauben. Der Hass wurde durch
die Liebe verdrängt. Der Hass vernichtet und die Liebe ist das Leben. Wer Opfern wirklich helfen will, treibt ihnen den Hass mit Liebe aus.
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Der 55. Geburtstag wird zum historischen Datum Nun war der Tag, Dienstag, der 11. September 2001, der später zum Begriff werden sollte, gekommen. 55 Jahre zuvor, im Jahre 1946, erblickte ich in Waldheim, der damaligen Kreisstadt des Kreises Waldheim, der 1975 im Zuge der Neuordnung im Romanischen Kreis aufging, das Licht der Welt. Erst 5 Jahre ist es her, als meine Frau, die Mutter meiner Kinder, auf dem Wege von Salein nach Weinberg, wo wir im Gasthof Schneider meinen 50. Geburtstag feierten, in Vollerde ermordet wurde. Die damalige Frau des Mörders ist jetzt die meinige und lag beim Aufwachen neben mir im Bett. Ich kann nur sagen, dass das was an einem solchen Tag in einem vorgeht ein komisches Gefühl, das man nicht beschreiben kann, ist. Aber auch in Elli geht an diesem Datum immer was ähnliches vor. Schließlich war ihr Mann und Vater ihrer Tochter der Mörder, den sie damit auch verloren hat. Und beide haben wir dadurch unsere früheren Ehepartner, die wir zuvor sehr geliebt haben, gleichzeitig verloren. So ist es verständlich, dass dieser Tag nicht mit einem jubelnden „Happy Birthday“, wie es sonst bei solchen Anlässen nicht unüblich ist, begann. Von Anfang an haben Elli und ich an einem solchen Morgen, im Gegensatz zu sonstigen Tagen, nicht viel gesprochen. Dieser Morgen begann damit, dass um Viertel vor Sechs, eine halbe Stunde früher wie zu Saleiner Zeiten, rappelte und wir beide aufwachten. Wir sahen uns an und mir fiel auf, dass Elli in diesem Augenblick, mit traurigen Augen aber lächelndem Gesicht, richtig süß aussah. Ihr „Guten Morgen, mein Schatz“ erwiderte ich mit „Guten Morgen, meine kleine Maus“ und danach fielen wir uns in die Arme und drückten uns eine ganze Weile richtig fest. Als wir im Begriffe waren uns zu lösen, küssten wir uns erst mal innig. Und als auch das vorbei war sagte Elli leise: „Trotz allem mein lieber Schatz: Herzlichen Glückwunsch. Ich liebe dich.“. Das war also die eheliche Glückwunschzeremonie an diesem Morgen, nach der es dann so ablief wie an jedem Schultagmorgen – nur das alles deutlich schweigsamer ablief wie sonst. Nachdem Elli das Haus verlassen hatte, gingen meine Sinne auf das Heute über. Große Dinge sollten an diesem Tag geschehen. Damit meine ich natürlich nicht die Dinge, die aus diesem Tag ein historisches Datum machten, denn ein Hellseher war und bin ich natürlich nicht. Was ich meine, ist das der 11. September 2001, der erste offizielle Geschäftstag der Wohnbaugesellschaft Salein mbH sein sollte. Natürlich haben wir inzwischen nicht nur in Salein sondern auch in anderen Ortsteilen von Olvermühle Häuser und Wohnungen aber ich habe aus besonderen Grund das Wort Salein in den Firmennamen eingebracht. Der Ortsteil hatte seinen Namen von der Familie meiner ermordeten Frau. Der Gründer des Unternehmens war mein Schwiegervater Ernst Salein und meine Frau Astrid, die Königin von Salein, trug diesen Namen als Geburtsnamen. Nun soll dieser auch im Firmennamen weiterleben. Die Gesellschaft hat sechs Gesellschafter zu gleichen Teilen, also zu je 16 2/3 %, und dieses sind Tanja und Oliver, Sabrina und Martin sowie Elli und ich. Die Gesellschaft wird zwei Geschäftsführer haben. Vom Start an sind das Oliver, der aber nach wie vor bei der Gemeindeverwaltung Olvermühle bleiben will, und meine Wenigkeit. Ich werde aber, wie es bereits im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist, genau ein Jahr später, also am 11. September 2002, ausscheiden und an meiner Stelle wird meine Tochter Sabrina Baumann eintreten. Mein Rechtsanwalt und mein Steuerberater haben da wirklich eine tolle Konstruktion aus Schenkung und Verkauf hingezaubert, so dass der Staat kaum was von der Transaktion abbekommt. Aber ich brauche mir diesbezüglich beim besten Willen kein schlechtes Gewissen zu machen, denn die eingesparten Steuern fließen nicht etwa in unsere Privatschatulle sondern bleiben im Unternehmen, was wiederum anerkannt guten und preiswerten Wohnbestand zu Gute kommt. Also alles ganz im Sinne von Ernst Salein und seiner Tochter, der wir all dieses ja zu verdanken haben. Eine solche Gesellschaft hat natürlich den Haken, dass niemand mit dem Einkommen aus dem Unternehmen reich werden kann; zumal im Gesellschaftsvertrag festgelegt ist, das Investitionen vor Gewinnentnahmen kommen. Wenn wir überlegen, das jedes Paar noch andere gesicherte Einkünfte hat – Elli ist als Lehrerin gleichzeitig Beamtin, Oliver ist als Verwaltungsfachangestellter, der seit Juli ausgelernt hat, BAT-Empfänger und der Künstler Martin fällt die Kariereileiter rauf – haben wir allesamt, trotz vergleichsweise bescheidener Entnahmen, ein Familieneinkommen, was deutlich über dem Durchschnittseinkommen liegt. Na ja, ich war richtig stolz auf das, was ich da auf die Beine gestellt habe – und ich glaube, dass kann ich auch. Diese ganze Angelegenheit sollte so ein Wenig offiziell gewürdigt werden und deshalb hatte ich für 18 Uhr zu einem Sektempfang in den Gasthof Schneider geladen. Da unser Wohnungsunternehmen eigentlich ein fester Bestandteil des Olvermühler Gemeindelebens ist, hatte ich neben dem, inzwischen hauptamtlichen, Bürgermeister auch die Vorsitzenden der drei Ratsfraktionen, die Pastöre der beiden evangelischen Kirchengemeinden, den katholischen Pfarrer und Vertreter der Lokalpresse eingeladen. Dass die sechs Gesellschafter, also meine Familie, dazu gehörten ist klar. Da drei der jungen Gesellschafter ihre Eltern, nämlich Elli und mich, dabei hatten, sollte das Gleiche für Martin gelten und deshalb war auch Verena Baumann eingeladen. Natürlich durfte auch der letzte Originalnamensträger mit Frau, also Walter mit Herta, nicht fehlen. Letztlich gehören auch die Mitarbeiter zu einem Unternehmen und da wir nur eine Mitarbeiterin hatten, fiel es nicht schwer Sonja Steiner mit ihrem Gatten, der auch noch Chef eines befreundeten Nachbarunternehmens und Ausbilder meiner Tochter ist, einzuladen. Jetzt könnte einer sagen: „Man, das ist ja fast eine Zusammensetzung wie damals bei deinem Fünfzigsten, als alles begann. Wie es aussieht, brauchst du doch nur die Hausmeister einladen, dann ist wirklich alles so wie 1996. Was hast du dir denn dabei gedacht?“. Da kann ich nur sagen: „Sehr viel sogar. Nicht nur vor der Welt sondern auch vor meiner Familie, einschließlich „meiner Einer“, wollte ich ein Zeichen, einen kräftigen Schlusspunkt, setzen. Die leidvolle Geschichte ist zuende. Astrid werden wir nie vergessen, in unseren Herzen wird sie immer die Königin von Salein sein und bleiben. Aber jetzt wollen wir die
Vergangenheit abschließen und von heute an auch ganz offensichtlich nach vorne sehen.“. Deshalb habe ich mit Absicht eine solche „Feier“, die auf den ersten Blick makaber aussieht, in den Veranstaltungskalender aufgenommen. Ich hatte es mir nicht leicht gemacht. Nur die Tatsache, dass mein Wohnungsunternehmen zum heutigen Tage in diese Familiengesellschaft aufgeht, stand schon lange für mich unverrückbar fest aber der Rahmen, ob überhaupt und wie hatte mir wirklich bis kurz vor dem Termin Kopfzerbrechen bereitet. Ich hatte mir das Für und Wieder stundenlang im stillen Kämmerlein und in Gesprächen mit Elli sowie bei diversen Gelegenheiten mit den anderen Familienmitgliedern, reiflich überlegt. Wir kamen zu dem Schluss, dass meine Überlegung richtig sei und ich solle den Schritt wagen. Nun sollte es soweit sein. Alles war bestens geplant, nun konnte nichts mehr schief gehen. So dachte ich jedenfalls, zumindestens bis Nachmittags um Drei. Dann sollte mal wieder alles anders wie gedacht kommen. Zu diesem Zeitpunkt sollte mein 55. Geburtstag dann wirklich zum historischen Datum werden. Da wurde dieser Tag, der 11. September, zu einem Begriff, den die Gesellschaft für die deutsche Sprache später zum Wort des Jahres wählen sollte. Elli war so eben von der Schule heimgekehrt und hatte mir gerade mal richtig zum Geburtstag gratuliert. Zur Berieselung mit einem bisschen Information lief im Hintergrund das Radio. Da ließ uns eine aktuelle Meldung richtig hellhörig werden. Von Anschlägen und Bränden auf das Pentagon in Washington und dem World Trade Center in New York war die Rede. Na ja, wir werden wohl zu diesem Zeitpunkt nicht die Einzigsten gewesen sein, die bei dieser Meldung vom Hörfunk auf das Fernsehen wechselten. Aber ehrlich gesagt, dass was einen da auf allen Kanälen gezeigt wurde war nicht gerade geschmackvoll. Immer und immer wieder sah man die Flugzeuge in die Tower des WTC fliegen. Eine Szene, die man häufiger zusehen bekam, hatte offensichtlich die Grenzen des Geschmacks und der Pietät deutlichst überschritten. Da sah man einen Mann, der offensichtlich in absoluter Verzweifelung und totaler Verwirrung aus dem Fenster gesprungen war, in die Tiefe fliegen. Erschreckend wo sich die meisten Journalisten Sorgen drüber machten: Öffnen heute die Börsen und wie wirkt sich das Geschehen auf die Kurse aus? Gibt es einen schwarzen Dienstag? Was ist das für eine Werteirritation in den Köpfen der Leute, wenn man im Bewusstsein das Menschen zu Hunderten sterben an den Kult um den Gott Mammon denkt. Was spielt das für eine Rolle, wenn die Hyperreichen vorrübergehend von einer irrealen Zahl, mit der sie ihr Vermögen beziffern, hinten ein paar Nullen abstreichen müssen. Über Kurz oder Lang werden die schon wieder hinten dran gezockt. Aber wer im Glashaus sitzt sollte nicht mit Steinen werfen. Ich war mit dem Kopf auch nicht bei den „Werten der westlichen Welt“ auf die jetzt ein Terroranschlag verübt wurde. Auch die vielen Toten beherrschten meine Gedanken nicht. Ich war mit meiner Hauptgedankenlinie ganz in Olvermühle-Weinberg und bei mir selbst. Mein Geburtstag und die Neuordnung meines Wohnungsunternehmens hatten die vorrangige Priorität in meinem Denken. Gleichgültig was geschieht, das Leben geht bis zum jüngsten Tag bis zu Apokalypse weiter – und das was da in den Vereinigten Staaten geschah war beim besten Willen noch nicht die Apokalypse. Was mir diesbezüglich aufgefallen ist, was für ein „Wirbel“ das Geschehen beim Großen Bruder jenseits des Teiches auslösen kann, während man vergleichbare humanitäre Katastrophen in Tschetschenien, in Zentralafrika, auf den Balkan und in Nahost als Alltagsgeschehen wegsteckt. Gegenseitiges „in die Luft jagen“ nach der Devise „Leben um Leben“, Völkermord an Tschetschenen und Afrikaner beunruhigt hier niemand während der Anschlag in New York bei verschiedenen Leuten hierzulande Angstzustände bis hin zur Panik auslöst. Wäre es nicht angebracht, darüber nachzudenken, wie wir Morden, gleichgültig wo es in welchen Ausmaß passiert, dadurch vermeiden, dass wir Gerechtigkeitslücken schließen und die Worte Vergeltung wie Rache aus unserem Wortschatz ersatzlos streichen. Aber das Wort „Vergeltung“ fiel schon von Anfang an recht häufig. Die Medienmoderatoren fragten wie wohl der amerikanische Präsident entscheiden würde. Ob er Vergeltungsschläge anordnen würde und wie die anderen NATO-Staaten beziehungsweise die UNO dazustehen würden. Ab und zu dachte auch mal ein Moderator daran, dass Vergeltungsschläge völkerrechtlich geächtet sind. Na ja, man hat sich dann später auch auf „Kampf gegen den Terrorismus“ im Sprachgebrauch geeinigt. Das klingt schon eher nach Verteidigung als nach Vergeltung. Jetzt muss ich zwischendurch doch etwas zu meiner Ehrenrettung sagen. Das hört sich vielleicht für diesen oder jene so an als wolle ich jetzt das Opfer – die USA – zum Täter machen und die Terroristen rechtfertigen. Beim besten Willen, das wollte ich weder damals noch heute. Ich wende mich nur gegen einseitige Draufsichten, ich wehre mich gegen die Ungleichbehandlung von Kriegs- und Verbrechensopfern. Wir müssen uns davon trennen, dass wir bei Opfern im eigenen Lager jammern und schluchzen, während wir die auf der anderen Seite die Toten als Kolateralschäden in die nichtbeachtenswerten Alltagsnotizen abschieben. Jedes Menschenleben ist wertvoll und im Falle einer gewaltsamen Beendigung bedauernswert. Sogar die Opfer des eigenen Fanatismus, der sie so verwirrte, dass sie vollbesetzte Flugzeuge in belebte Wolkenkratzer steuerten. Auch sollte man nicht statt über Ursachen nachzudenken gleich nach Vergeltung schreien. Wie so bekamen die Rädelsführer des Terrors, wie Osama Bin Laden, soviel Leute, dass das Grausame überhaupt ausgeführt werden konnten, zusammen. Das waren doch wohl keine zufriedene Angehörige einer Wohlstandsgesellschaft? Kann es nicht sein, dass die Globalisierung, so wie sie praktiziert wird, die reichen Staaten und Leute immer reicher werden lässt und, da es nur begrenzte Ressourcen auf der Welt gibt, dass was diese reicher macht, den Ärmsten der Armen fehlt. Wächst nicht Jahr für Jahr die Zahl der Staaten die eigentlich bankrott sind? Sterben nicht täglich Menschen an Hunger und entspricht diese Zahl nicht der im WTC umgekommenen? Ist es nicht denkbar, dass bei denen, die draußen vor der Tür stehen Hass und Neid so anwächst, dass die Leute praktisch zu Allem bereit sind? Rekrutieren nicht die Superverbrecher wie Bin Laden dort die Menschen, die sie als Werkzeuge des Bösen
missbrauchen? Diese Gedanken durfte man im September 2001 allerdings nicht äußern, denn dann wurde man gleich den Verbrechern gleichgestellt. Na dann, immer weiter so bis sich herausstellt, dass die Globalisierung der Turm zu Babel ist und dieser krachend zusammenbricht. Die Welt wird davon nicht untergehen, denn das bestimmen nicht wir Menschen sondern Gott alleine. Und auf ihn sollten wir uns nicht berufen, wenn wir unser „Weiterso“ als „Verteidigung der westlichen Werte“ deklarieren. Wer in diesem Fall von Kreuzzügen spricht stellt sich auf die gleiche gottlästernde Stufe wie die Terroristen, die behaupten im Namen Allahs zu handeln. Aber wie bereits geschrieben waren meine vordringlichen Gedanken überwiegend persönlicher Natur. Zu Beginn dieses Kapitels habe ich ja bereits geschrieben, wie ich diesen Tag angedacht und geplant hatte. Konnte ich das Ganze noch in Anbetracht des schrecklichen Geschehens wie vorgesehen durchführen? Am Liebsten wäre es mir gewesen, wenn man mir jetzt die Entscheidung abgenommen hätte. Wenn jetzt pausenlos das Telefon geschellt hätte und einer nach dem anderen abgesagt hätte. Aber nichts dergleichen geschah. Andersherum musste ich überlegen ob ich jetzt mein persönliches Schicksal hinter dem Weltgeschehen zurückstecken sollte. Also einen Rückzieher vor dem, wo ich kein Einfluss drauf hatte, machen also kapitulieren sollte. Für mich war es ja nicht bloß eine „Feierei“ sondern für mich sollte es der Abschluss des schrecklichsten Kapitels meines Lebens sein. Mein persönliches Inferno hatte genau auf den Tag fünf Jahre zuvor begonnen und heute sollte der Tag sein, wo ich dieses endgültig der Vergangenheit zuordnen wollte. Und dieses galt ja auch für Elli, die von ihrem damaligen Mann, der der Mörder meiner Frau war, auf einen einsamen, steinigen Weg gezogen wurde. Elli wirkte immer so als wolle sie etwas sagen aber zwischen uns beiden, sonst so gesprächigen Partnern fielen zu dieser Zeit außergewöhnlich wenig Worte. Es war so wie beim Aufwachen an diesem Morgen, wo wir zunächst einmal unser zwiespältiges Gefühlsleben in den Griff bekommen mussten. Letztendlich raffte ich mich dann doch zu einem Entschluss, den ich zuerst Elli mitteilte auf: „Ach Schatzilein, was soll’s, es ist sicher nicht angebracht wenn wir jetzt in Anbetracht von Verbrechen, Leid und Tod eine Feier abhalten. Ich glaube, ich sage jetzt das Ganze ab und wir setzen uns stattdessen hier nur mit den Kindern zusammen.“. Da erfuhr ich von Elli, dass sie das schon die ganze Zeit gedacht habe aber mit dem Problem, dass mir, der etwas anderes verdient habe, damit kaputt gemacht werden könnte, zu kämpfen gehabt habe. Deshalb war sie das, was beredete Leute im Fernsehen an diesem Tag pausenlos vorgaben zu sein, nämlich sprachlos. Wir waren uns also einig und ich konnte jetzt zur Tat schreiten. Wir hatten jetzt ein paar Minuten nach Vier und für 18 Uhr war das Ganze angesetzt. Also musste ich mich jetzt schon ein Bisschen ranhalten, um jetzt noch alles glatt über die Bühne zuziehen. „Ran ans Telefon“, hieß also jetzt meine Devise. Zunächst rief ich im Amtshaus unter der Durchwahlnummer des Bürgermeisters an, wo ich gleich zwei Fliegen mit nur einer Klappe schlagen konnte. Zunächst „beriet“ ich mich mit ihm, ob es nicht besser sei, den vorgesehenen Empfang abzusagen. Für mich stand allerdings schon vor der „Beratung“ fest, dass die Angelegenheit ausfallen sollte aber es macht sich immer gut, wenn man „gewichtigen“ Leuten den Eindruck vermittelt, man lege auf deren Meinung wert und sie könnten an der Entscheidung mitwirken. Man hat ja immer die Möglichkeit seine Worte so zu wählen, dass die Antwort nur „Ganz meine Meinung“ lauten kann. So hatte ich dieses Gespräch auch innerhalb drei oder vier Minuten im Sinne meiner vorher bereits feststehenden Meinung erledigt. Dann ließ ich mich zu Oliver durchstellen. Den erwischte ich gerade noch als er praktisch schon die Tür zum Hinausgehen geöffnet hatte. Mein Sohn fand gleich was Positives bei der Angelegenheit: Wenn die Sache bei mir zuhause stattfände, könnten seine Kinder Sara und Lukas ja gleich mit zu Opas Geburtstag kommen. Das heißt also, dass ich einen Bürgermeister aus- und dafür zwei Enkelkinder eingeladen hatte. Der nächste Anruf galt für „meine Klappe“ sogar drei Fliegen auf einmal zu schlagen. Ich rief im Büro der Wohnungsgenossenschaft Waldstadt an um Sabrina noch zu erreichen. In der Regel hat sie Viertel nach Vier Feierabend. Und bei ihr kann ich dann natürlich auch gleich ihren Boss, den Mann des guten Geistes unseres Büros erreichen. Wer ist nun die Fliege Nummer 3? Ganz einfach: Sabrinas Schwiegermutter und unsere Freundin Verena Baumann. Sie sollte nach Ellis und meiner Meinung die einzigste, nicht zu den Gesellschaftern zählende, erwachsene Person sein, die wir zum geschlossenen familieninternen Empfang in unserer Doppelhaushälfte am Weinberger Dorfrand einladen wollten. Als Drittes in der Folge der Anrufe kam dann der Gasthof Schneider an die Reihe, denn dort dürften wohl inzwischen die Vorbereitungen für das Kalte Büfett, welches ich bestellt hatte, angelaufen sein. Ich hatte aber Glück, denn die Schneiders hatten sich hinsichtlich der Nachrichten zeitlich noch ein Wenig zurückgehalten und er wollte, falls ich mich in der nächsten Viertelstunde nicht selbst bei ihm gemeldet hätte, bei mir nachhorchen. Ich nutzte die Gelegenheiten dann um bei ihm zwei kalte Platten, einen Kasten Bier sowie ein paar Flaschen Wein für das „Familientreffen“ zu ordern. Es muss ja nicht alles verzehrt werden aber für einen Gastgeber ist es immer besser was über zu behalten als feststellen zu müssen zu wenig zu haben. Die Bestellung hatte ich ursprünglich gar nicht vorgehabt aber Schneider hat zuvor gesagt, ich brauche mir keine Gedanken zu machen, da die Sache erledigt sei – mit anderen Worten für ihn stand fest, dass er nichts für das Storno einstreichen wolle -, da so etwas nach seiner Meinung natürlich auf das Geschäftsrisiko des Wirtes gehen müsse. Wie ich später hörte, waren aber relativ wenig Wirte und Veranstaltungsstättenbetreiber in deutschen Landen einer ähnlichen Meinung wie unser Herr Schneider. Mit meiner Bestellung gedachte ich dann doch seinen „Schaden“ ein Wenig mitzutragen.
Alles wo Eile geboten war galt jetzt abgehandelt und ich konnte jetzt der Reihe nach absagen. Ich musste tatsächlich erleben, dass es tatsächlich noch jemand gab, der von der ganzen Angelegenheit noch nichts mitbekommen hatte. Der katholische Pfarrer war, just in dem Moment, wo ich ihn rief mit seinen Amtspflichten durchgekommen und obwohl er dabei mit diversen Leuten zusammen getroffen war, hatte ihm noch niemand etwas vom Weltgeschehen berichtet. Natürlich war er bis jetzt noch an kein mediales Instrument, wie Radio oder Fernsehen, geraten. Daher dauerte das Gespräch mit ihm etwas länger als mit allen anderen zuvor und danach, denn bei ihm musste ich mich erst einmal als Nachrichtensprecher betätigen. Dafür ging anschließend das Gespräch mit unserem Pressemann etwas schneller. Der sagte mir, ohne das ich was gesagt hatte, dass er Verständnis für meine Absage habe und entschuldigte sich dafür, dass er, weil er hier in der Gegend „Stimmungsbilder“ einfangen müsse, keine Zeit habe. Am nächsten Tag konnte man von ihm in der Zeitung lesen, dass sich die Ereignisse von Washington und New York wie ein Lauffeuer im Romanischen Kreis verbreitet habe aber das normale Leben, als sei nichts gewesen, weitergelaufen sei. Dann brachte auch er Aussagen von einigen sprachlosen Leuten, die dann auf sich bezogen dass sagten, was an diesem Tage reihenweise die Promis in den Medien von sich gaben. Drei Aussagen fand man deckungsgleich in allen Reden: „Ich bin sprachlos“, „Ein solches Ereignis wie heute hat es noch nie zuvor gegeben“ und „Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war.“. Nachträglich muss ich aber feststellen, das alles noch so ist wie es immer war. Na ja, die Solidarität mit den Opfern in New York bewirkte wohl eine Volkseinheitsmeinung. Es wäre nur schön, wenn es eine solche auch mal für Opfer in anderen Teilen der Welt geben würde. Nach Erledigung meines Telefondienstes schaltete ich noch mal das Fernsehen ein und hatte den Eindruck, dass die wohl 5-Minuten-Nachrichten in einer 24-Stunden-Endlos-Schleife bringen wollten. Es kamen immer die gleichen schrecklichen Bilder aber im Grunde nachrichtenmäßig absolut nicht neues. Damit stand für mich fest, dass wir nicht viel verpassen würden, wenn wir die Kiste jetzt kalt werden und lassen würden. Fernsehen hatte ja sowieso bei Elli und mir noch nie einen besonders hohen Stellenwert. Das war übrigens eine von vielen Übereinstimmungen zwischen Astrid und Elli: Auch Astrid war keine große Fernsehfreundin. Aber die Kiste auslassen hat ohnehin den großen Vorteil, dass man auch abweichende Meinungen, die meistens sogar noch richtiger sind, mitkriegt. Die audiovisuelle Berieselung hat etwas indoktrinierendes an sich. Da sollten wir aufpassen, denn so etwas kann Demokratie und persönliche Freiheit mehr bedrohen als Extremisten und Terroristen. Mit Medienpower ausgeübte Macht ist eine Diktatur die sich den Beherrschten als ihr Vorteil einsuggeriert. Daher sollten wir bei dem Wort „Mediengesellschaft“ mehr vorsichtig wie kritisch und nicht begeistert sein. Medien vermitteln den Eindruck, das Alle das sagen, was die Reichen und Mächtigen für richtig halten und so mancher naiver Zeitgenosse nimmt an, dass das was Alle sagen nicht falsch sein kann. Aber meistens ist die abweichende Meinung des Einzelnen richtiger, denn der hat nachgedacht während die Masse in der Regel ohne zu denken halt alles übernimmt. Zwischen Sechs und halb Sieben trafen dann die letzten verbliebenen Gäste meiner Tafelrunde ein. Klar, wenn es beim offiziellen Empfang geblieben wäre, wären sie natürlich überpünktlich gewesen, aber unter uns hatten wir schon lange das Diktat der Uhr abgeschafft. Persönlich finde ich nichts schlimmer als wenn der Tagesablauf minutiös verplant ist. Es kommt mir dann immer so vor, als degradiere sich der Mensch so selbst zu einer Maschine. Das Lebewesen dessen höchste Eigenschaft das Ebenbild Gottes – also der Geist, sprich das Bewusstsein und somit die Selbststeuerungsfähigkeit – ist, macht sich mit dem Zeitdiktat zu einer Majonette, die einfach nur funktioniert. Na ja, wenn man sich Date auf Date, Event auf Event auferlegen lässt bleibt einem nichts anderes als sich vom Zeiger der Uhr stressen zu lassen. Aber hat das was mit Leben zu tun? Leben ist im Grunde Ruhe, Besinnung, Genießenskönnen und Liebe. Nur das was ich wissentlich wahrnehmen und verinnerlichen kann wird mir am Ende das Gefühl der Erfüllung geben. Schnell vorbeikonsumierte Spaßmomente oder sich jagende Geschäftsaktivitäten sind Dinge des Augenblicks an die man sich schon Morgen nicht mehr richtig erinnern kann und die in kürzester Zeit durch andere Sachen vollkommen verdrängt sind. Wenn man dann am Ende zurückblickt herrscht im Verinnerlichungsspeicher gähnende Leere und der Rest ist vergessen. Man schaut auf eine gut funktionierende humanitäre Existenz statt auf ein menschliches Leben zurück. Sehr treffend drückte es mal Max Frisch aus: „Die Meisten verwechseln Dabeisein mit Erleben“ – aber nur Erlebtes bereichert ein Leben. So war es dann, das der Abend um halb Sieben endgültig eröffnet werden konnte. Wäre es beim offiziellen Empfang geblieben wäre sowieso erst die obligatorische Rederei angesagt gewesen und erst dann hätte man zur Schlacht am Kalten Büfett schreiten können. Da heute die pflichtbewusste Aneinanderreihung vieler nichtssagender Worte ausblieb, waren wir ja wieder im Zeitplan, weil wir mit den Kalten Platten und den Getränken begannen. Statt schwulstiger Reden vor dem Essen gab es jetzt Plaudereien während diesem. Letzteres ist nicht selten inhaltsreicher und aussagefähiger als das Erstgenannte. Es liegt natürlich auf der Hand, dass nicht unser eigentlicher persönlicher Anlass sondern das Tagesgeschehen als Punkt Eins auf der Tagesordnung stand. Tanja und Oliver machten sich Gedanken über das, an diesem Tage häufig gefallene Wort „Islamisten“ und fragten ob da nicht die Gefahr bestünde, das so Angehörige einer im Kontext friedlichen Weltreligion pauschal in die Ecke mit Terroristen und Verbrechern geschoben würden. „Das befürchte ich auch.“, begann unsere Religionslehrerin Elli ihre Erläuterungen, „Die meisten Benutzer dieses Wortes wissen gar nicht wovon sie reden und machen genau das, was sie den anderen vorwerfen. Man könnte sie also auch als Christianisten abkanzeln und diffamieren. Frage doch mal die Leute. Wer weiß denn schon, das alle monotheistischen Religion Judentum, Christenheit und Islam gleichen Ursprungs sind und sich allesamt auf den biblischen Stammvater Abraham zurückführen lassen. Nicht nur im übertragenden Sinne sondern im Kern der Aussage
ist Gott der Vater, Jehova, der Gott Zions, und Allah ein und derselbe Gott, der Schöpfer der Welt. Allen sind die Gebote Gottes in gleicher Weise gegeben. Das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ ist Juden, Moslems und Christen gleich heilig. Im Koran schreibt Mohamed dazu ‚Wer einen Menschen tötet, tötet die Menschheit’. Alle drei Weltreligionen ziehen sich die gleichen Textstellen aus den Büchern Moses heraus um gegen die anderen ins Feld zuziehen.“. „Ich glaube,“, unterbrach sie Martin jetzt, „das liegt daran, dass die einzelnen Religionen sich die Bibel zur ihrem Vorteil interpretieren.“ Da gab Elli dann noch was zur Erklärung: „Nein, nein, da brauchst du nichts zum Vorteil interpretieren. Du musst nur passende Stellen unter Vernachlässigung des Zusammenhanges und des Kontext herauspicken und gegen den anderen einsetzen ... und was direkt schizophren erscheint ist, dass die Leute haargenau die gleichen Stellen für sich in Anspruch nehmen. Am deutlichsten siehst du das bei der Auseinandersetzung in Nahost. Israelis und Palästinenser berufen sich auf ihren gemeinsamen Stammvater Abraham, dessen Nachfolger Gott das Land zwischen Euphrat und Tigris verheißen haben soll. Jetzt scheiden sich aber die Geister an Abrahams Söhnen. Zusammen mit Sara hatte er den Sohn Isaak, auf den sich die Juden zurückführen, und zusammen mit Hagar, der Magd Saras, hatte er Ismael auf den sich die Palästinenser zurückführen. Eigentlich könnte man deren Streit dadurch schlichten, das Gott weder Ismael noch Issak sondern ihrem Vater Abraham etwas verheißen hat. Und das ist noch nicht einmal das Land zwischen Euphrat und Tigris an ein bestimmtes Volk sondern die Verheißung heißt wörtlich: Ich will deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und will deinen Nachkommen alle diese Länder geben. Und durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden (1. Buch Moses 26,4). Jetzt meinen aber beide Seiten, nur ihnen wäre Palästina verheißen. Und jetzt nehmen beide den Inhalt des 2. Buch Moses, Kapitel 21, die Rechtsordnung, die auf arabisch Scharia heißt, um sich gegenseitig zu massakrieren. Wenn jetzt die amerikanischen Christen zu einem Feldzug gegen die Islamisten aufrufen werden sie ebenfalls die ebengenannte Bibelstelle in der es wörtlich heißt: ‚Entsteht ein dauernder Schaden so sollst du geben Leben um Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, Beule um Beule, Wunde um Wunde (2. Moses 21, 23 – 25). Aber genau dass ist die Stelle, die die Islamisten als Begründung für ihren heiligen Krieg gegen die sie bis zum verhungern ausbeutende Globalisierer herangezogen haben. Daran sieht man, dass, da sich ja alle auf die gleiche Stelle berufen, dieser Teufelskreis nur durch Liebe und Vergebung zu durchbrechen ist. Vergeltung führt zu neuer Vergeltung und auch diese führt wieder zu einer zur Vergeltung führenden Vergeltung. Und alle Seiten glauben auf Grund der gleichen Bibelstelle im Recht zu sein. Und da sind die Christen in der Pflicht. In der Bergpredigt hat unser Herr Jesus Christus hierzu Stellung genommen und uns Vergebung und Feindesliebe befohlen. Wer nach Vergeltung schreit dürfte sich eigentlich kein Christ nennen, denn er straft den, auf den er sich beruft, lügen. Herr Jesus sage du ruhig ich solle meinen Feind lieben, ich haue lieber drauf.“. Oliver schaute etwas stutzig drein und fragte Elli was es denn nun wirklich mit dieser berühmten „Auge-um-AugeAussage“ auf sich habe. Elli führte danach aus, dass man nicht den Fehler machen dürfe, die Bibel für ein vom Himmel gefallenes Buch zu halten. Es wurde von Menschen für Menschen geschrieben. Da haben sehr gläubige und gottesfürchtige Menschen festgehalten, wie sich ihnen Gott offenbart hat. Der Kontext ist dahingehend immer gleich: Der Herr, der immer war und immer sein wird, für den es kein Anfang und kein Ende gibt, schuf aus dem Chaos über den sein Geist schwebte, die Welt nach seinem Bilde. Das heißt Leben, Bewusstsein, Erfüllung und Liebe. Sein Wille ist es, dass sich dieses Leben mehre und nie mehr vergehe. ... Das ist die Verheißung und da sind sich alle Bibelstellenschreiber einig. Sie schrieben alles so wie sie es selbst verstehen konnten und wie es andere Menschen, die mit und nach ihnen lebten, verstehen können. Nun ist es nicht so, wie es sich hinter ihre Kirchenmauern verschanzende Theologen zu ihrer Entlastung immer gerne darstellen. Die Bibelschreiber waren nicht total vergeistig und in eine rein religiöse Welt abgetreten sondern sie nahmen zu den gesellschaftlichen Dingen, zu den Sorgen und Nöten der Menschen ihrer Zeit, Stellung. Also muss man beim Bibellesen immer die gesellschaftliche Situation zu der Zeit, wo dieser Text geschrieben worden ist, berücksichtigen. Diese „Scharia“ entstand nach der Rückkehr der Israelis aus Ägypten. Sie hatten das „Problem“ ihr gesellschaftliches Miteinander regeln zu müssen. Von Gott gegeben hatten sie die 10 Gebote und sein Wort, dass sie nicht urteilen dürfen wenn sie nicht verurteilt werden wollen. Nun ist es aber nicht so, dass alles glatt über die Bühne ging. Es gab auch damals schon Neid, Missgunst, Streit und Verbrechen. Wenn es einen Streit unter den Menschen gab machten sie es eigentlich richtig: Sie urteilten nicht sondern richteten – im Sinne von Moderieren – die Angelegenheit. Daher kommt das Wort Richter. Aber was war jetzt, wenn es keinen Streit zwischen den Menschen sondern zwischen Gott und den Menschen gab, also es ein Verbrechen geschah – sie durften ja nicht urteilen. Sie glaubten aber auch diese Sache richten zu müssen, die Seele des Verbrechers durfte ja nicht verloren gehen. Die Justiz hatte also ursprünglich überhaupt nichts mit Opfern, mit Genugtuung und Vergeltung zu tun sondern nur mit dem Täter und der Rettung seiner Seele. Und da sagte man sich, was noch nicht einmal falsch ist, dass jemand, der anderen das Leben – gleichgültig aus welchen Grund – nimmt selbst sein Leben verwirkt hat, dass derjenige der anderen ein Auge nimmt auch sein eigenes verwirkt hat und wer anderen einen Zahn ausschlägt damit selbst einen Zahn verwirkt hat. Da aber nicht alles nach der Methode Gleiches mit Gleichem zu vergelten klappt, schufen Schriftgelehrte Gesetzeswerke in denen sie das niederlegten was nach ihrer Meinung Gott entscheiden würde – Pharisäer bei den Juden die Leviten, Imame bei den Moslems die Scharia und Kardinäle in der Kongregation und Inquisition bei den Christen. Alles gleichen Ursprungs und alles das, wo sich dann die Rache-, Sühne- und Vergeltungsgedanken raus entwickelte. Dieses waren nicht mehr täterbezogen, die sollten nicht
mehr seine Seele vor dem Urteil Gottes retten sondern sie wurden opferbezogen, sie sollten denen Genugtuung verschaffen oder sie rächen. Wie wir es zu verstehen haben sagte uns unser Herr Jesus Christus in der Bergpredigt. Er bestätigte die Richtigkeit des Gesetzes. Wer anderen nach dem Leben trachtet hat sein eigenes verwirkt, wer anderen das Auge nimmt hat seins wirklich verwirkt. Wörtlich heißt es „Wähnet nicht, dass ich gekommen sei, das Gesetz oder die Propheten auflösen; ich bin nicht gekommen, aufzulösen, sondern zu erfüllen“ (Matthäus 5,17). Jesus lehrte uns aber, dass das, wenn jemand vor Gott sein Leben verwirkt hat, wir es ihm nicht nehmen müssen sonst werden wir selbst schuldig. Wörtlich heißt es: „Ihr habt gehört, dass es zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber irgend töten wird, wird dem Gericht verfallen. Ich aber sage euch, dass jeder der seinem Bruder zürnt, dem Gericht verfallen sein wird; wer aber irgend zu seinem Bruder sagt: Rache dem Synedrium verfallen sein wird; wer aber sagt: Du Narr, der Hölle des Feuers verfallen sein wird“ (Matthäus 5, 21 und 22). Wir können niemanden in die Hölle schmeißen, das kann nur Gott der Herr. Aber jetzt sagt der Herr ganz eindeutig wann wir diese Höllenstrafe verdient haben, nämlich dann wenn wir Rache und Vergeltung fordern – es heißt wörtlich, dass es der sei, „wer zu seinem Bruder sagt: Rache!“. Der Herr sagt uns auch was wir tun sollen: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebet euere Feinde, segnet die, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen und betet für die, die euch beleidigen und verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist; denn er lässt die Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr liebet die euch lieben, welchen Lohn habt ihr? Tun nicht auch die Zöllner dasselbe? Und wenn ihr euere Brüder allein grüßet, was tut ihr Besonderes? Tun nicht auch die von den Nationen dasselbe? Ihr aber sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist“ (Matthäus 5, 43-48). Jetzt meldete sich Martin mit zunächst einem leichten Lachen: „So holt einen die Vergangenheit immer wieder ein. So eben wurde ich ein paar Jahre zurückversetzt. Zu einem Zeitpunkt als du Mutti, noch meine Religionslehrerin Frau Rebmann warst. Da hast du uns mal die wesentlichen Unterschiede des Christentums zu den beiden anderen Religionen gleichen Ursprungs, also Judentum und Islam, erklärt. Damals nanntest du erstens den Glauben daran, dass Jesus Christus Gottes Sohn und unser Erlöser, der für uns gestorben ist, sei und zweitens, das was du eben sagtest, die totale Friedfertigkeit und Feindesliebe. Eines sei von den anderen abhängig. Jetzt weiß ich nicht mehr ob du Jesaja oder Sacharja zitiertest als du sagtest, die Verheißung sei erst dann erfüllt wenn alle Menschen, insbesondere die Juden, an die Erlösung, an Jesus Christus, glauben. Die Geburt und der Tod unseres Herrn sei nicht die Erfüllung sondern erst der Beginn der Verheißung. Wer an den Herrn glaube müsse aber zwangsläufig seinen Feind lieben, denn Glaube wäre der Gegensatz zu Missachtung seiner Worte. Wer glaubt sei automatisch gehorsam und somit seien alle Leute, die Krieg als ein mögliches oder gar notwendiges Mittel halten mit Sicherheit nicht gläubig. Und so lange müsse sich Mission an alle auch an sogenannte Christen richten.“. Elli holte sich die Bibel und half Martin bei der Klärung der Frage Jesaja oder Sacharja. Sie sagte, dass es Sacharja gewesen sei und las den 10. Vers aus dem 12. Kapitel vor: „Aber über das Haus David und über die Bürger Jerusalems will ich ausgießen den Geist der Gnade und des Gebets. Und sie werden mich ansehen, den sie durchbohrt haben, und sie werden um ihn klagen, wie man klagt um ein einziges Kind.“. Das heißt ganz einfach, dass die Verheißung erst dann in Erfüllung geht wenn die Juden an Jesus Christus, dem Durchbohrten, glauben. So lange sie aber noch nach altem jüdischen Gesetz gegen die Palästinenser vorgehen, kann dieses nicht der Fall sein. Und warum sollten sie umdenken, wenn die sogenannten Anhänger des Durchbohrten, die Christen, nicht den Worten ihres Herrn sondern altem jüdischen und islamischen Recht folgen. Wenn wir jetzt die Terroristen als Islamisten verteufeln und gegen sie zu Kreuzzügen aufrufen zeigen wir Christus unsere Ver- und Missachtung und die Verheißung erfüllt sich in absehbarer Zeit immer noch nicht. Das bedeutet aber, dass wir keinen Frieden kriegen können, Leiden und Tod gehen weiter. Jeder Vergeltungsschlag ist mittel- oder langfristig der Auslöser des nächsten Krieges. Man kann so keine Terroristen bekämpfen, denn die Rache an ihnen wird wieder neue Terroristen hervorbringen. Auge um Auge, Zahn um Zahn bis das wir alle klug werden. Mit Rache und Vergeltung wird man nur selbst schuldig, was dann wieder zur Rache und Vergeltung auf der anderen Seite führt. Jetzt meldete sich aber Tanja mal zu Wort: „Na hört mal Leute. Wir haben hier eine Religionsstunde aber soviel ich weiß sind wir doch eigentlich zusammengekommen um Papas Geburtstag und unseren Einstand in die Saleiner Wohnungswirtschaft zu feiern. Oder habe ich mich im Stundenplan vergriffen?“. Das musste ich dann doch aufklären: „Ja mein Stief- und Schwiegertöchterchen so falsch liegen wir jetzt ja gar nicht. Meine Intention war heute nicht mein Geburtstag und auch nicht die Gründung der Wohnbaugesellschaft Salein mbH sondern ich wollte einen Schlusspunkt unter der Geschichte von der Königin von Salein, eine Geschichte von Schuld und Sühne mit dem Sieg der Liebe setzen. Und danach wollte ich von der öffentlichen Bühne abtreten und vollendens ins Leben eintreten. Es sollte ein Abschluss sein. Einen Geburttagsempfang wie damals am 11. September 1996, als alles begann, und wie er heute vorgesehen war, wird es nie mehr geben. Wobei ich nicht ausschließe, dass wir aus Anlass des 11. Septembers 1946, meinen Geburtstag, in dieser oder ähnlicher Runde auch in Zukunft zusammenkommen werden. Aber ich bin nicht mehr auf der Olvermühler Bühne und die leidvolle Geschichte ist nach 5 Jahren heute zuende gegangen. Es mag wohl Vorbestimmung gewesen sein, dass unsere Geschichte genau an dem Tag enden sollte, wo die vergleichbare Geschichte im Großen beginnt. Wäre schön, wenn es nicht zur Vergeltung käme und man am 11. September 2006 genauso wie ich
heute sagen könnte, dass die Liebe die größte Macht der Welt ist und immer und immer wieder siegt. Und so gesehen war die Religionsstunde meines Goldschatzes das passende Schlusswort, das Tüpfelchen auf dem i.“. Sabrina fügte dann noch nachdenklich an: „Ich glaube aber nicht, dass dein Wunsch zum 11. September 2006 in Erfüllung geht ... so vernünftig und klug sind die Menschen noch nicht.“. Zum Kapitel 35
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Wie Dieter Rossbach Schriftsteller wurde Nanu, nana, da haben wie eben das letzte Kapitel aus der Geschichte von der Königin von Salein gelesen und dann folgt noch eins. War es etwa mal wieder so, dass das Gedachte nicht dem entsprach was letztlich wirklich geschah? Geht die Geschichte doch noch weiter? Ganz eindeutig nein, die Geschichte der ermordeten Königin von Salein begann am 11. September 1996 und endet genau 5 Jahre später, an dem Tag der Terroranschläge auf das Pentagon in Washington und auf das World Trade Center in New York. Aber aus dieser ergab sich eine Folgegeschichte, die für einen eigenen Roman zu kurz ist, aber die als Nachwort zum Roman „Königin von Salein“, wie man im Volksmund so schön sagt, wie die Faust aufs Auge passt. Diese hier angehangene Story – hier mal neudeutsch, um nicht immer wieder Geschichte sagen zu müssen – handelt davon wie und warum ich Schriftsteller wurde. Man erfährt, dass ich es wahrscheinlich nicht lassen kann und beabsichtige außer diesem Erlebnisbericht aus dem dunkelsten Kapitel meines Lebens weitere Werke, vielleicht freierfundene, folgen zu lassen. Na ja, lesen Sie sich diese mal durch und urteilen dann anschließend selbst. Sicher erinnern wir uns alle, wie es weltweit nach dem 11. September 2001 weiterging; es ist ja jetzt, wo ich dieses schreibe, gerade mal ein halbes Jahr seit dem Geschehen in die Welt gezogen. Blitzartig, noch am gleichen Tag wusste man wer die Übeltäter waren: Osama Bin Laden und die Taliban in Afghanistan. Also die Leute, die einstmals vom CIA, dem amerikanischen Geheimdienst, aufgebaut und ausgebildet wurden. Nicht nur das; über eine halbe Milliarde Dollar hat der amerikanische Staat einstmals für die Unterstützung der Taliban ausgegeben. Damals waren sie die Freunde der westlichen Welt im Kampf gegen den Aggressor Sowjetunion, die Afghanistan mit seinen vermutlich noch großen unerschlossenen Ölquellen besetzt hatten. Das Öl wird langsam knapp auf dieser Erde und wenn wir so mit dem Verschleudern von Energie aus fossilen Rohstoffen weitermachen wird wohl noch in diesem Jahrhundert der letzte Tropfen gefördert worden sein. Da kann man schon ermessen, was das für eine Nation wie die USA, die zugunsten seines Gottes Mammon und seiner Religion, der Globalisierung, sogar die Welt zuschanden gehen lassen will – siehe Verhalten zu den Beschlüssen der Weltklimakonferenz -, bedeutet. Da treibt man schon ganz gerne den Teufel mit Belzebub aus. Das der saudiarabische Multimillionär Osama Bin Laden und auch die verirrten religiösen Fanatiker, die Taliban, die Belzebuben waren, dürfte eindeutig schon klar gewesen sein, bevor sie von den Amerikaner vor ihre Karre gespannt wurden. Jetzt kann ich natürlich nicht verstehen, warum man nicht die, deren dunklen Triebe man genau kannte, nicht generell im Auge behalten hat. Dahingehend kann man sagen, dass, wenn die Geheimdienste nicht geschlafen hätten, die Anschläge sicher von vornherein hätten vermieden werden können. Vielleicht ist das Dreinschlagen im Nachhinein profitabler als zuvor bestimmte Dinge zu vereiteln. Andererseits ist es auch möglich, dass diese Anschläge gewissen Leuten ganz gelegen kam. Da ist doch der gute „Dabbelju“ (englische Aussprache des W) und seine Administration, die noch aus Papa Bush Zeiten eine Rechnung bei diversen Schurkenstaaten, die Bush junior inzwischen „Achse des Bösen“ nennt, offen haben. Die Verbrecher vom 11. September waren ja bestens dafür geeignete Vorwände zum Wiederreinschlagen, zum Beispiel im Irak, zu liefern. Andererseits war ja dadurch auch die Gelegenheit gegeben, dass man das Regime der Taliban, was man selbst etabliert hatte, wieder beseitigen konnte – die Verbrecher haben ihre Schuldigkeit getan, sie können jetzt wieder gehen. Denn was die da in Afghanistan trieben, war eine Rückkehr in vormittelalterlichen Zeiten, was sich in einer globalisierenden Welt mehr einen als argen Störfaktor darstellt. Auch einigen Leutchen in unserem Land kamen die Anschläge offensichtlich auch ganz gelegen. Unter der Überschrift „Antiterrorgesetze“ machten sich gleich einige Falken daran, persönliche Freiheiten und Freiheitsrechte abzubauen. Ich bin persönlich der absoluten Meinung, dass man alles das, was Verbrechen und Verletzung der Menschenwürde von vornherein verhindert, selbstverständlich nicht unterlassen darf. Aber die Verhältnismäßigkeit darf doch nicht unberücksichtigt bleiben. Man kann doch nicht unter dem Aspekt Sicherheit das abbauen, wofür es sich überhaupt eine Verteidigung lohnt. Die persönlichen Freiheiten sind die größte Errungenschaft unserer Gesellschaft, die sich immer gerne auf ihre freiheitlich demokratische Grundordnung beruft. Man kann doch nicht, um diese zu verteidigen, sie einfach abbauen. Das ist ja fast vergleichbar mit einem krankhaft eifersüchtigen Mann, der seine Frau verbrennt, damit nur er und keiner anderer sie haben kann. Wenn im Kampf gegen das Verbrechen persönliche Freiheiten abgebaut werden müssen, dann hat man zuerst sehr gründlich zu prüfen wie groß das Gefährdungspotential überhaupt ist und dann welche Effizienz diese Maßnahme überhaupt haben können. Nur um eine handvolle Leute nur vielleicht schützen zu können darf man doch nicht Millionen ihre Rechte beschneiden oder gar nehmen. Sicher hat dahingehend jeder ein Recht auf Schutz, aber bevor man persönliche Freiheits- und Grundrechte angreift, muss man sich diesbezüglich ein Wenig anstrengen und sich was anderes einfallen lassen. Eine Regierung, die ihren Amtseid, dass sie Schaden vom Volk abwenden und den Nutzen mehren möchte, ernst nimmt, muss in erster Linie dahingehend bemüht sein, die persönlichen Freiheitsrechte auszubauen und nicht im Gegenteil sie abzubauen. Kampf gegen Terrorismus ist kein Grund dafür, Freiheit und Demokratie zu demontieren. Weshalb dann noch gegen Terroristen kämpfen, die den Leuten nur das nehmen können, was die Regierungen ihnen sowieso schon genommen hat. Heißt es in unserer Nationalhymne „Einigkeit, Recht und Freiheit“ oder heißt es „Sozialneid, Unrecht und Sicherheit“? Auf einen Big-Brother-Staat pfeife ich gerne, der kommt für den betroffenen Bürger auf das Gleiche wie ein Schurkenregime raus; in beiden fällen kann er sich nicht entfalten und Mensch sein.
Aber eine andere Sache, die sich hier in deutschen Landen abspielte, bewegte mich deutlich mehr als Schilys, durch Beckmann und andere eingeheizter Law-and-order-Eifer. Der Bundeskanzler sprach von der „uneingeschränkten Solidarität“ zu den Amerikaner und die gesamte deutsche Politik schien mir süchtig nach deutscher Beteiligung an Kriegseinsätzen zu sein. Sehen wir mal von dem Lapsus, das uneingeschränkte Solidarität vollkommener Unfug ist, ab. Solidarität heißt laut Fremdwörterduden Beistand oder Zugehörigkeit. Das heißt doch, das man entweder solidarisch ist oder nicht; eingeschränkte oder uneingeschränkte Solidarität gibt es demnach gar nicht. Dieses „uneingeschränkt“ lässt aber die Assoziation zur bedingungslosen Gefolgschaft zu. Es kann als ein Hinweis auf die Absicht, sich so wie Lemminge zu verhalten, gesehen werden. Springt dann das Leittier USA in die Tiefe, dann springen wir in uneingeschränkter Solidarität hinter her –oder? Wer einem Freund bedingungslos und uneingeschränkt folgt, nimmt billigend in Kauf, dass er in ein offenes Messer läuft. Schöne Freunde, die mich nicht vor Schaden bewahren wollen, die mir unkritisch und untertänig in den Allerwertesten kriechen, so dass ich meine Notdurft nicht mehr entrichten kann. Mehr interessierte mich jedoch an dieser Stelle die Sucht nach deutscher Beteiligung am kriegerischen Geschehen. Dieses dann auch nicht in erster Linie als solches sondern in mir schlugen alle Alarmglocken als eine Gewissensfrage mit einer (allerdings legitimen) Machtfrage verbunden wurde und wie das Gewissen einzelner Abgeordneter unter die Regierungs- und Fraktionsdisziplin geknebelt wurde. Für mich war die Abstimmung über die Vertrauensfrage im Bundestag die schwärzte Stunde des deutschen Nachkriegsparlamentarismus und der Demokratie insgesamt. Ab diesem Moment stand für mich endgültig fest, dass ich aus Gewissensgründen die Abgabe meiner Stimme bei der Bundestagswahl verweigern muss und das selbst dann, wenn wir eine Wahlpflicht hätten und ich bei meiner Verweigerungshaltung Strafe zahlen müsste. Jetzt wird wohl dieser oder jene sagen: „Nun komm mal auf den Teppich zurück und spiel nicht das Gewissen so hoch. Mit der Akzeptanz der Entscheidung kann man doch leben.“. Darauf kann ich nur sagen, dass dieses aber nicht gilt, wenn ich nicht nur in einer Absichtserklärung sage das ich Christ bin sondern ich es mit der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus ernst nehme. Wenn ich im Leben und nicht nur in der Kirche Christ sein will, dann muss sich in einem solchen Fall in mir etwas gewaltig regen. Wie dieses zu verstehen ist erzähle ich am besten Mal in dem ich eine Unterhaltung, die Elli und ich mit anderen am Vorabend der Bundestagsentscheidung im Gasthof Schneider führten, wiedergebe. Mit uns am Tisch saß Günter Rogoll, ein konservativ eingestellter älterer Landwirt, der früher auch mal hier in Weinberg CVJM-Vorsitzender war. Er meinte: „Ich finde es richtig, wenn wir Deutschen uns beteiligen. Wir können doch nicht tatenlos zusehen, wenn sich Gewalt und Terror in der Welt ausbreiten. Stellt euch mal vor, die Amerikaner hätten im 2. Weltkrieg die Einstellung gehabt, macht mal ohne uns weiter und die hätten alles so laufen lassen wie es lief: Holocaust, Landraub und so weiter.“. „Das du das sagst verwundert mich.“, setzte jetzt Elli an, „Bist du es nicht, der in der Bibelstunde so lautstark von der Nachfolge Christi tönt. Du hast mal gesagt, dass, wenn der Herr es wolle, du deine Familie und Freunde aufgeben würdest, um nur ihm zu folgen. Jetzt, wo so etwas vorliegt, verweigerst du ihm aber glatt die Nachfolge. Hat nicht unser Herr Jesus denjenigen, die ihm nachfolgen wollen, Friedfertigkeit, Feindesund Nächstenliebe gelehrt und befohlen? Als Mensch hat er uns sogar ein Beispiel gegeben. Er lebte im besetzten Judäer. Das Besetzerregime, das Römische Reich, war menschenverachtend und brutal. Reihenweise wurden Gegner dieses Römischen Reiches gesteinigt oder ans Kreuz geschlagen. Entlang langer Straßen stand öfters ein Kreuz nach dem anderen. Menschen wurden zur Belustigung der Masse in Arenen Löwen zum Fraße vorgeworfen oder beleuchteten als lebende Fackeln die Szenerie. Unschuldige Menschen wurden in Steinbrüchen zu Tode geschunden, nur damit sie ihre Monumentalbauten errichten konnten. Die besetzen Länder wurde bis zum Verhungern ausgebeutet. Daher waren auch Steuereintreiber und Zöllner so ‚beliebt’. Und was sagte unser Herr denjenigen, die nicht tatenlos zusehen wollten? Liebet euere Feinde, segnet die, die euch verfluchen und betet für die, die euch verfolgen. Noch am Kreuz wurde er aufgefordert nicht zuzusehen und was zu unternehmen: ‚Wenn du Gottes Sohn bist, dann steig doch herab vom Kreuz und hilf uns allen’. Er tat es nicht sondern er starb für uns und damit siegte die größte Macht: die Liebe. Gott ist die Liebe und an seiner Macht kommt keiner vorbei.“. „Stopp mal, Elli.“, warf Günter jetzt ein, „Gott ist Mensch geworden um uns zu retten. Es geht also um unser Seelenheil. Was auf Erden ist, dafür sind wir selbst zuständig. Sagte er nicht, gebt Gott was Gottes und dem Kaiser was des Kaisers ist.“. „Halt ein.“, meldete sich Elli jetzt wieder, „Willst du etwa einen Terroristen mit den Worten ich ‚Ich liebe dich’ umlegen und nach getanener Tat für ihn beten. Hast du so wenig Vertrauen in deinen Schöpfer, dass er es nicht selber schon richten wird. Er hat uns das Ewige Leben verheißen und er wird Wort halten und uns nie verlassen. Aber was haben die Juden, die diesen Messias nicht sondern einen weltlichen Befreier wollten, davon gehabt, dass sie was unternahmen und sich wehrten. Im Jahre 70 wurde Jerusalem zerstört und die Juden in alle Welt verstreut. Erst im Jahre 1946 konnten sie nach der Gründung des Staates Israel wieder zurückkehren. Und wer weiß, ob das endgültig ist. Noch ist ja die Verheißung, dass sie erst den Durchbohrten beklagen müssen, nicht in Erfüllung gegangen. Vielleicht führt jetzt der Antiterrorkrieg dazu, dass sich auf der Welt mehr und mehr Moslems diffamiert und in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Vielleicht führt die fortschreitende Globalisierung dazu, dass die dadurch immer mehr in Armut und Hunger geratenen Menschen in der sogenannten Dritten Welt sich mit den verletzten Moslems solidarisieren und alle zusammen dann den Palästinensern helfen die Juden erst mal wieder ins Meer zu werfen. Es ist ja offensichtlich noch nicht soweit, dass die Verheißung in Erfüllung geht und das Land ist ihnen erst zum Schluss am tage der Erfüllung verheißen. Und wann der ist, weiß nur Gott alleine und bis dahin kann auch sein Volk noch ein paar Mal auf Wanderschaft gehen müssen.“.
„Na Elli,“, meldete sich jetzt Peter Murmann, Versicherungskaufmann und jetziger CVJM-Vorsitzende, der auch mit uns am Tisch saß, „jetzt könnte man es auch anders herum sehen. Das jüdische Schicksal wäre doch vielleicht vermeidbar gewesen, wenn sie sich gewehrt hätten. Wenn du mir sagen würdest, dass die Bösen, die Römer, unterlegen gewesen wären, wäre deine Aussage schlüssiger.“. „Entschuldigung, dass ich bei meiner Aussage etwas Geschichtskunde vorrausgesetzt habe.“, setzte Elli jetzt ein Wenig bissig wieder an, „Du weißt doch, dass in Folge das Römische Weltreich zusammen gebrochen ist, während sich in der gleichen Zeit das Christentum über die ganze Welt ausweitete. Die Römer sind aber nie militärisch geschlagen worden sondern sie sind im Inneren förmlich ‚zerbröselt’ und zwar an dem sich ausbreitenden Christentum. Gegen Liebe und Friedfertigkeit waren sie machtlos. Überlege dir doch einmal Beispiele aus dem letzten, dem 20. Jahrhundert, wo Waffengewaltige machtlos gegenüber Friedfertige waren. Da gibt es ja einige Beispiele: Was war mit Indien? Wer siegte: Die Militärmacht Großbritannien oder der friedfertige und gewaltlose Rechtsanwalt Mahatma Ghandi? Was gab dem SED-Regime in der DDR den Todesstoß: Die US-Army oder die Montagsbeter in Leipzig. Sind nicht modernste Waffen machtlos gegen die Liebe und somit gegen Gott, der die Liebe ist. Ich wiederhole noch einmal Gott ist die Liebe und die Liebe ist Gott und an ihm kommen wir nicht vorbei. Wir können ganz unbesorgt Schwerter zu Pflugschare machen.“. Nun kam Günter Rogoll doch noch einmal auf seinen Ausgangspunkt zurück: „Ich fragte euch vorhin: Stellt euch mal vor, die Amerikaner hätten im 2. Weltkrieg die Einstellung gehabt, macht mal ohne uns. Was wäre denn jetzt? Wir hätten doch bestimmt keine sechs Jahrzehnte Frieden und Freiheit gehabt.“. Jetzt musste ich aber mal mit meinen Geschichtskenntnissen dazwischen funken: „Günter, die lange Friedensperiode verdanken wir nicht den Militärs, nicht den Nürnberger Prozessen und nicht den Reparationsleistungen. Die verdanken wir ausschließlich der Vergebung, die der US-Senator Marshall in die Wege leitete. Es spielt ja keine Rolle ob das aus christlichen oder wirtschaftlichen Motiven oder auch aus beiden geschah. Nicht verwechseln: Vergebung und keine Verzeihung. Das durch die Deutschen verursachte Leid und den Völkermord wird man uns wohl nie verzeihen. Da musst du nur mal in der Welt hören, wie man über uns denkt. Dazu musst du noch nicht einmal weit reisen; gehe doch nur mal in die Niederlande und spreche mit den Leuten deren Vertrauen du gewinnen kannst. Aber vergeben hat man uns, man hat uns die Hand gereicht, mit uns gesprochen und mit uns zusammengearbeitet. Die Bereitschaft uns zu vergeben wurde durch die Erkenntnis, dass nicht das ganze deutsche Volk aus Hitlers und Anhängern besteht sondern auch aus Leuten wie Dietrich Bonhoeffer, Carl von Ossietzky, Bischof Graf von Galen und vielen anderen friedfertigen Menschen. Hätte man vorher auf die Pazifisten, denen verschiedene jetzt gerne die Schuld geben möchte, gehört hätte es diesen grausamen Krieg gar nicht gegeben, denn dann hätte man möglicher Weise 1939 den Fall gehabt, dass es Krieg, zu dem keiner gegangen wäre oder hätte gehen können, gegeben. Ganz im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass wir das Naziregime und den 2. Weltkrieg denjenigen zu verdanken haben, die wie die heute mächtigen Leute dachten, dass Schuld gesühnt werden müsse, das man nicht vergeben darf sondern vergelten muss. Wenn es 1919 statt der Versailler Verträge schon den Marshallplan gegeben hätte, dann hätten rote wie braune Rattenfänger kaum Leute gefunden, die ihnen gefolgt wären. Und ohne Herde sind Leithammel nur einsame Sonderlinge. Alles was auf der Welt passierte, passierte deshalb weil Leute wie Kaiser Wilhelm, Lenin, Stalin, Hitler, Saddam Hussein, Mao, Milosevic, Osama Bin Laden und andere eine Gefolgschaft fanden. Allein wären sie absolut machtlos und völlig unbekannt gewesen. Und wo fanden sie ihre Gefolgschaft? Doch nicht etwa bei den Satten, Zufriedenen und Gerechtigkeitsüberzeugten. Wenn mal alle Leute davon überzeugt sind, dass einen nur die Liebe leben lässt, ist Verbrechen und Terrorismus endgültig bekämpft. Mit Waffen und militärischen Einsätzen treibst du nur den Rattenfängern neue Anhänger in die Arme. Wer glaubt mit Waffen Frieden schaffen zu können unterliegt einem Riesenirrtum, denn in Wirklichkeit legt er den Grundstein für das nächste, immer ärgere Verbrechen. Frieden gibt erst dann, wenn alle Menschen von der Macht der Liebe überzeugt sind. Das sagt mir mein Gewissen und wenn ich jetzt SPD-Bundestagsabgeordneter wäre, müsste ich umgehend, nach dem mich die Herren Schröder und Müntefering zu einem Ungehorsam gegen meinen Herrn Jesus Christus nötigen wollen austreten und in Zukunft die SPD als meinen politischen Gegner bekämpfen.“. Auf diese Einstellung bin ich jetzt, zu Beginn des Bundestagswahlkampfes 2002 sogar richtig stolz. Eigentlich war es an diesem Abend etwas spät geworden und wir hätten uns eigentlich ins Bett begeben sollen. Aber das Thema des Abends ließ uns nicht so richtig los und so sagte ich, als wir soeben Zuhause angekommen waren: „Mensch Elli, ich hab das Gefühl ich müsste was tun.“. „Woran dachtest du denn?“, fragte sie zurück. Ich dachte noch eine kurze Minute nach und sagte: „Ja, vielleicht eine Partei gründen, im Bundestag mitmischen und ...“. „Ich glaube du unterliegst jetzt einen Trugschluss“, unterbrach mich Elli, „Da bewegst du nichts. Denk mal daran, dass unser Herr Jesus nicht als Fürst, nicht in einem Reichenpalast, geboren ist sondern als ‚Zimmermannssohn’ in einer Notunterkunft, in einem Stall. Von den Reichen und Mächtigen aller Zeiten weiß man heute nicht mehr viel. Nur von einigen kennst du noch den Namen und noch ein paar Daten, die mit ihnen zusammenhängen. Und wie viel weiß man heute noch von den armen Zimmermannssohn und seinen einfachen Anhängern, den Jüngern und Aposteln. Der Hintergrund ist ganz einfach, dass alles was die Reichen und Mächtigen in die Wege leiten nur von dieser Welt ist, wo alles vergänglich ist. Viele Dinge vergehen noch zu deren Lebzeiten. Denk doch nur mal an nicht mehr aktive Spitzenpolitiker und Promis aus unseren Tagen, die sogar noch leben. Je länger ihre aktive Zeit zurückliegt, um so weniger weiß man von ihnen. Und dabei handelt es sich nur um ein paar Monate oder höchstens wenige Jahre. Die meisten jungen Leute kennen nicht einmal mehr deren Namen. Was meinst du, wie lange es dauert, bis die Leute von Helmut Kohl nur noch wissen, dass er beim Mauerfall Bundeskanzler war; sogar das er mit seinem Ehrenwort Bimbes gesammelt hat wird schon in Kürze
vergessen sein. Von seinem Vorgänger Helmut Schmidt ist nur noch bei politisch interessierten Jugendlichen, und da besondere nur bei den Jusos, der Nachrüstungsbeschluss übergeblieben. Der Grund ist ganz einfach: Reichtum und Macht führen nicht zur Veränderung sondern im Gegenteil zu der Begierde noch reicher und noch mächtiger zu werden oder zumindestens Erreichtes für sich zu halten. Das geht aber nur, wenn man Bestehendes, Gutes wie Schlechtes, bewahrt und verteidigt, da bewegt sich nichts von Bedeutung mehr. Aber nur Veränderungen führen weiter, sind auch in Zukunft noch von Interesse und Wert. Diese bedeutsame Änderung erreichst du aber nur unten bei den Menschen, im wirklichen Leben und nicht in der großen Politik.“. Elli legte eine Pause ein um von ihrem gesellschaftsfähigen Outfit in ihr Nachthemd zu wechseln und fuhr danach noch einmal fort: „Wenn du mächtig werden willst um was zu verändern, musst du dich erst auf den Weg zur Macht begeben. Dann musst du erst so werden wie diejenigen, die es schon sind. Dann veränderst du dich, du passt dich den anderen unwillkürlich an. Das was du eigentlich wolltest geht dabei unter; du wirst nicht anders sein wie die. Nein, der Weg führt über die Mission, die uns ja allen sogar befohlen ist. Du musst hingehen zu den Menschen, wie auch der Herr zu Huren, Zöllner, Arme, Aussätzige und sogar zu Verbrechern ging. Du musst ihnen von der Macht der Liebe, der Wohltat unserem Herrn nachzufolgen zu dürfen und von unserer Erlösung durch seinen Kreuzestod erzählen. Du darfst nicht fragen ob du Heiden-, Moslem-, Juden-, Katholiken- oder Protestantenmission betreiben sollst, denn der Befehl lautet du sollst zu allen Nationen gehen. Du darfst dich nicht in Gottesdiensten und Bibelstunden verschanzen; nein, du musst raus zu den Menschen, in die Gesellschaft, in den Alltag. Überall wo es möglich ist musst du dich, wie der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt, deines Glaubens und deiner Erlösung rühmen. Dabei solltest du nicht nur, vielleicht sogar gar nicht, Bibelstellen verlesen und auslegen. Da schalten die meisten Leute nämlich ab. Sie halten das, was da oft noch in heute unverständlicher alten sprachlichen Formulierung steht, für die schönen Geschichtchen mit denen früher die Mächtigen ihre Untertanen an der Kette hielten. Ein Christ ist nicht Öl sondern Sand im Getriebe der Welt; er ist unbequem und bleibt dabei immer friedlich. Revoluzzer sind keine Christen sonder Belzebuben. Du musst von heutigen gesellschaftlichen Angelegenheiten, von den Dingen die heutige Leute bewegen, sprechen und ihnen sagen wie es in der Nachfolge unseres Herrn leichter und besser geht, auch ohne das man sich deshalb gegen die weltliche Macht erhebt. Du musst dafür sorgen, dass die Leute in Gottes Gebot keinen Zwang sondern den einzig richtigen Weg sehen. Du musst verdeutlichen, dass die Verehrung des Geldes der Tanz ums Goldene Kalb, die in Zusammenbruch und Vergänglichkeit endet, ist, wovor sie das erste Gebot bewahrt. Er ist der Herr unser Gott, wir sollen keine anderen Götter neben ihm haben; auch nicht den Mammon und die Globalisierung.“. „Ich glaube aber nicht, dass ich als Missionar erfolgreich wäre.“ antwortete ich kleinlaut, „Ich bin Billy Graham, kein Maschinengewehr Gottes und noch nicht einmal ein Laienprediger.“. Elli schaute mich lächelnd an und sagte: „Das musst du doch auch gar nicht sein. Wenn der Herr dich dazu beruft, wird er dich auch dazu befähigen. Und wenn er dich zur Mission vorbestimmt hat lässt er dich auch nicht entkommen. So wie er weder Jonas noch Elia entkommen ließ. Erfand Jonas im Bauch des Fisches und Elia in der Höhle, in die er sich verkrochen hat. Über den Erfolg brauchst du dir keine Gedanken machen, denn die eigentliche Mission macht er selbst. Du sollst nur als sein Werkzeug bereitstehen und dich deines Glauben und seiner Liebe rühmen.“. „Und wie könnte eine Mission meinerseits aussehen?“, fragte ich zurück. Auch darauf hatte Elli eine Antwort: „Erzähle doch die Geschichte von der Königin von Salein, von deiner ermordeten Frau. Die Geschichte von Friedhelm, meinem ersten Mann, der der Täter war. Erzähl die Geschichte von mir, der exhibitionistischen Religionslehrerin und wie wir gemeinsam über die Liebe unseren Frieden und unser Glück wiederfanden. Erzähle wie wir und unsere Kinder in Liebe, auch in körperlichen Liebe, zusammen fanden, weil Er uns offensichtlich füreinander bestimmt hat. Erzähle wie die Liebe unseren Glauben festigte und uns aus Leid und Zweifel führte. Sage den Leuten, dass uns Hass-, Rache- und Sühnegedanken fast verzehrt und vernichtet hätte aber wir dieses mit Vergebung überwunden haben. Erzähle wie wir dadurch wieder frei und lebenstüchtig wurden. Wenn du damit die Köpfe und Herzen der Menschen erreichst, werden sie vielleicht nachdenken und deshalb den Durchbohrten er- und anerkennen. Dann sind wir wieder ein Schritt näher an der Erfüllung der Verheißung. Und je mehr Menschen das sind, um so wahrscheinlicher wird der Tag, wo es Krieg gibt und wirklich keiner mehr hingeht.“. Danach gingen wir dann tatsächlich ins Bett. Aber Elli hatte in mir etwas ausgelöst, was mich den ganzen folgenden Morgen, während sie in der Schule ihren Dienst nachkam, beschäftigte. Seltsamer Weise war die zur gleichen Zeit im Bundestag laufende Abstimmung zur Vertrauensfrage zu einer solchen Belanglosigkeit für mich geworden, dass ich nicht ein einziges Mal Radio oder Fernsehen einschaltete. Ich erfuhr dann das 100%-ig vorhersehbare Ergebnis von Elli als sie nach Hause kam – sie war in der Schule natürlich nicht daran vorbei gekommen. Aber ich hatte ihr etwas Neues, eigentlich nicht Vorhersehbares zu verkünden: „Schatzi, aus Dieter Rossbach wird ein Schriftsteller. Ich habe viel über deine letzten Worte gestern Abend nachgedacht. Du hast Recht, ich glaube zur Mission prädestiniert zu sein. Ich werde aber keine religiösen Abhandlungen oder Predigten schreiben sondern ich werde Geschichten aus dem Leben der Menschen, aus der uns umgebenden Gesellschaft, schreiben. Dabei werde ich darauf hinweisen, dass man eine Geldund Spaßkultur nicht zum Leidbild erklären kann sondern das es Wertebewusstsein, die man nur im Glauben finden kann, bedarf (siehe Reiner Vial: Der Schwiegersohn auf Baluway). Ich werde erzählen, dass man als Reicher und/oder Mächtiger zwangsläufig nur den Mammon verehrt, weil man sonst seinen Status nicht hätte. Dabei vergeudet sein bewusstes Leben und verliert vielleicht sogar auch seine Seele (siehe Reiner Vial: Und das soll Leben sein). Ich werde davon berichten, dass sich der Ausstieg aus der Religion des Gottes Mammons, die man heute Globalisierung nennt, lohnt und man erst als Aussteiger richtig glücklich und zufrieden werden kann. Also werde ich eine Neuauflage der
Geschichte von Zachäus vornehmen (siehe Reiner Vial: Der dritte Aussteiger). Beginnen werde ich aber, wie du es mir vorschlugst mit der Geschichte von der Königin von Salein.“. Elli war begeistert und stimmte mir voll zu. So saß ich dann ab diesem Zeitpunkt vor meinem PC und tippte Zeile für Zeile bis zu diesem ... endgültigen Schlusspunkt. Anmerkung des Autors Reiner Vial: Natürlich bin ich Reiner Vial und nicht Dieter Rossbach. Meine erste Frau war auch nicht die Astrid, die ermordet wurde, sondern Beate ist immer noch meine einzigste Frau, mit der ich nun bald 27 Jahre glücklich verheiratet bin. Mein Sohn heißt auch nicht Oliver sondern Hendrik. Nur meine Tochter heißt tatsächlich, wie im Roman, Sabrina, hat aber außer den Namen nichts mit der in der Geschichte handelnden Sabrina Baumann geborene Rossbach zu tun. Ich habe auch nicht, wie im letzten Absatz geschrieben, mit der „Königin von Salein“ begonnen sondern dieses ist mein vierter Roman, den ich jetzt ins Internet stellen werde. Alles ist also in „dichterischer Freiheit“ frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen wäre rein zufällig. ... So heißt es doch immer so schön. Nur dieses letzte Kapitel, in der ich berichte wie meine Romanfigur Dieter Rossbach zum Schriftsteller wurde, hat was mit der Realität zu tun. Dieter Rossbachs Intentionen sind in Wirklichkeit meine und wenn Sie mich in meiner Aufgabe unterstützen wollen, dann empfehlen Sie mich bitte weiter. Vielleicht nennen Sie Leuten mit Internetanschluss auch mal die Adresse meiner Homepage: http://www.reiner-vial.de/. Da können nämlich alle meine Romane kostenlos im PDF-Format gedownloadet werden. Das PDF-Format kann man sowohl im Macintosh- wie im Windows-System mit dem Adobe Acrobat-Reader, den sie übrigens ebenfalls kostenlos beim Hersteller unter http://www.adobe.de/ downloaden können, lesen. Jetzt verbleibt mir nur noch der Wunsch, dass ihnen dieses Werk gefallen hat und jetzt grüße ich Sie noch einmal herzlichst Ihr Reiner
Vial