Kamikaze
Einsätze japanischer Todesflieger im Pazifik-Krieg
Dezember 1941. Japanischer Angriff gegen den US-Flottens...
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Kamikaze
Einsätze japanischer Todesflieger im Pazifik-Krieg
Dezember 1941. Japanischer Angriff gegen den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor auf den Hawaii-Inseln und damit Beginn des bis zum Sommer 1945 währenden Pazifik-Krieges. Nach weiteren triumphalen Erfolgen der japanischen Streitkräfte im Juni 1942 die See-Luft-Schlacht bei den Midway-Inseln mit schweren Verlusten für die Kaiserliche Flotte und der Wende des Kriegsgeschehens im Gefolge. Im Herbst 1944, als sich die japanische Niederlage immer mehr abzu zeichnen begann und von Seiten des Kaiserreiches alles auf eine Karte gesetzt wurde, gab Vizeadmiral Takijiro Onishi einer Schar japanischer Flieger einen Namen, der schon längst zur Legende geworden war: „Kamikaze". Die Bezeichnung symbolisierte ein Ereignis, das im August 1281 zur Rettung Japans geführt hatte. Damals waren 3500 Schiffe des mongolischen Eroberers Kublai Chan vor Nippons Küste durch einen verheerenden Taifun vernichtet worden, in der japanischen Geschichts schreibung später „Kamikaze" - d. h. „Göttlicher Wind" - genannt. In Erinnerung an diese glückhafte Schicksalsfügung wollten japani sche Piloten im übertragenen Sinne nun jenen „Göttlichen Wind" wieder aufleben lassen, indem sie sich mit sprengstoffgefüllten Flugzeugen auf amerikanische Flotteneinheiten zu stürzen verpflichteten, um unter Hingabe ihres Lebens die drohende Katastrophe von ihrem Vaterland abwenden zu helfen. Über 2000 von ihnen fanden bis Kriegsende bei Selbstmordattacken dieser Art den Tod, ein Opfer, das schließlich umsonst gewesen sein sollte. Die einzelnen Phasen dieses beispiellosen Dramas hat der Autor im vorliegenden Band nach authentischen Überlieferungen vergegen wärtigt. Die Redaktion 11
Aufgischtend rauscht das Wasser am Bug des Flugzeugträgers St. LO vorbei. Wie ein riesiges Messer durchschneidet er die sonnenschillernde Oberfläche des Stillen Ozeans. Im Leib des 156 Meter langen Geleit trägers mit seinen 860 Besatzungsmitgliedern und 20 Flugzeugen an Bord dröhnen die schweren Maschinen. Ihre Kraft läßt noch auf dem Ober deck ein stetes Vibrieren entstehen. Die Seeleute der St. LO haben schon seit Stunden ihre Gefechtsstationen eingenommen, und die Männer an Deck sehen einen Streifen Land vor sich, der zu der Philippineninsel Samar gehört.*) Eine unheimliche Spannung hat sich der Besatzung bemächtigt, seit nach vielen Stunden wieder Land aus dem Meer getaucht war. Die Rohre der schweren, mittleren und leichten Fla-Geschütze an den Backbordund Steuerbordseiten sind in den Himmel gerichtet. Jeden Augenblick können die Sirenen ertönen, denn es ist feindliches, japanisch besetztes Land, dem die St. LO im Verband der anderen Einheiten der 3. Flotte Admiral Halseys entgegenfährt. Der Geschützführer des 20-mm-Vierling-Geschützes in der Nähe der Brücke läßt das Glas sinken, mit dem er die ganze Zeit über die Sil houette des auf Parallelkurs fahrenden Flugzeugträgers SANTEE beob achtet hatte. Er schiebt jetzt fluchend den störenden Stahlhelm etwas weiter nach hinten, während er aus halbgeschlossenen Augen zu den Grumman-„Hellcat"-Jägern hinüberblinzelt, die am Anfang des Flug decks abgestellt sind. Im Schatten der Tragflächen haben sich die Pilo ten in ihrem weißen Einsatzdreß auf dem Deck niedergelassen. Ihre gelben Schwimmwesten leuchten aus dem Schatten hervor. Die Sonne zaubert jenseits der Tragflächenschatten gleißende Reflexe auf das helle Deck des Trägers. Sergeant Tom Rodney**) ist nicht der einzige, der zu dieser Zeit unruhig um sich blickt. Er glaubt die neue Hölle zu ahnen, welcher der Träger entgegenfährt; einer Hölle, die seit der Schlacht bei den MidwayInseln schon manche Wiederholung erfahren hatte. Und als ob der Seewind den Geruch der japanischen Schiffskolosse über die Oberfläche des Meeres trage, hebt der Sergeant witternd den Kopf und blickt nach Norden. Denn jeder an Bord der St. LO weiß, daß sie irgendwo sein müssen, die japanischen Schiffsgiganten mit ihren verheerenden 45-cmBatterien. Es ist wohl so sicher wie das Amen in der Kirche, daß die Japaner alles tun werden, um diesen ersten Versuch einer Landung auf den Philippineninseln mit ihnen noch zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern. Sie werden kommen, aber wann? Der Sergeant dreht sich um. Er wirft einen kurzen Blick auf den Richtschützen, der am Fuß der kübelartigen, stählernen Schutzwand den Kopf vor Müdigkeit auf die Knie hat sinken lassen. Neben ihm hockt der dritte Mann des Geschützes. Er hat eine Zigarette im Mund und starrt an dem Sergeant vorbei auf das Meer hinaus. Als Sergeant Rodney sich wieder umwendet, huscht ein erleichtertes Lächeln über sein Gesicht. Es gilt einem baumlangen Burschen, der sich *) Nach US-Dokumentationen rekonstruierter Geschehnisablauf. **) Die Namen der in diesem Band angeführten Offiziere und die der führenden Persönlich keiten entsprechen den historischen Tatsachen ebenso wie die geschilderten Schauplätze und der Ablauf der einzelnen Aktionen. Nur die Namen von Rahmenpersonen sind verändert.
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langsamen Schrittes und mit einer viel zu großen Schimmweste dem Geschützstand entgegenbewegt. Er trägt seinen Stahlhelm in der Hand. Sein leuchtend rotes Haar erstrahlt in unvergleichlicher Farbenpracht. So manche F r a u würde ihn um dieses fast einmalige Rot beneiden. Es wuchert über einer hohen Stirn und einer breiten, einst von einem zu gut plazierten Boxhieb deformierten Nase. Der breitlippige Mund ist leicht geschürzt, als ob er dem Seewind die gepfiffene Melodie eines Liedes mit auf die Reise geben wolle. Es dauert k a u m eine halbe Minute, bis der Rothaarige seine Hände um den Rand des Splitterschutzes klammert. Er blickt noch einmal über das Deck des Trägers, ehe er sich dem Geschützführer zuwendet: „Ganz schön Ruhe hier, wie?" „Der Teufel soll sie holen", knurrt der Sergeant, indem er eine Zi garette zwischen die Lippen schiebt. „Oder bildest du dir vielleicht ein, dieser Landstreifen da drüben wäre Florida?" Ein breites Grinsen erscheint auf dem Gesicht des Mannes, den minde stens zwei Drittel der Trägerbesatzung für wahnsinnig halten. Denn immerhin ist er der einzige auf der St. LO, der es nicht nötig hätte, von einer Hölle zur anderen zu fahren. In Hawaii war er auf das Schiff gekommen, u n d bald hatten alle gewußt, d a ß er Kriegskorrespondent war und den neuen Raid nur mitfuhr, um den Leuten in den Staaten saftige Storys über den Kampf ihrer Helden auf dem pazifischen Kriegs schauplatz zu liefern. Es kannten ihn wirklich alle auf dem Träger, weil er bei seinen Schnüffeltouren noch nicht eine einzige Station ausgelas sen hatte. So wußten sie auch, daß er Mike Yonkers hieß, etwa vierzig J a h r e alt war und auch schon im Lande der J a p a n e r gewesen sein sollte, ehe es diesen einfiel, mit ihrem Besuch in P e a r l Harbor einen der übel sten Kriegsschauplätze aller Zeiten zu eröffnen. Der Sergeant läßt einen Speichelstrahl über die Schutzumrandung zischen, ehe er den bulligen Korrespondenten von unten her anschielt. „Ist das wirklich wahr, daß du früher schon bei den Japsen gewesen bist?" erkundigt er sich mit gerunzelter Stirn. Mike Yonkers nestelt an einer Zigarette herum. „Warum nicht?" Sergeant Rodney fährt herum, als der am Boden hockende Richt schütze einen seufzenden Atemzug hören läßt. „Haben sie dich nicht gefressen?" „Good Lord", murmelt Yonkers, „damals waren es Leute wie wir. Nur mit etwas anderen Gesichtern. Sie haben eben eine besondere Auffas sung vom Krieg." „Verdammt", nickt der Sergeant, „das kann sein!" Er blickt zum Him mel hinauf und schüttelt sich. „Der Teufel soll mich holen, wenn ich mir hier mit unserem Pott nicht wie bei einer Hinrichtung vorkomme." „Das ist ein Irrtum", entgegnet Yonkers, während er ein Bein über die Brüstung des Splitterschutzes hebt, „immerhin sind hier in der Gegend fast zwanzig Träger, ohne die Flitzer einzurechnen; und drüben bei Leyte sind weitere sechs Schlachtpötte. Wenn ich mich recht erinnere, kommen noch fünf Schwere, sechs Leichte Kreuzer und sechsundachtzig Zerstörer dazu. Von den kleinen Läusen ganz abgesehen. Das dürfte doch immerhin genügen, um deine zitternde Seele etwas zu beruhigen, denke ich." Der Sergeant spuckt einen neuen Strahl angesammelten Speichels ins 13
Wasser. Er scheint keine Lust zu haben, auf die Gedankengänge des Verrückten mit der Schreibmaschine einzugehen. „Diese verfluchte Ruhe macht einen irr", knurrt er. „Es ist wie immer. Damals, bevor es bei Midway losging, war es genauso. Ich war damals auf einem anderen Kasten. Himmel, wenn ich an den Feuerzauber denke! Und jetzt schleichen wir genauso dahin. Drüben siehst du schon die Küste, wo die Japse sitzen. Aber kein Schwanz macht sich bemerk bar; kein Flugzeug, kein feindliches Schiff. Es ist zum Wahnsinnigwer den." „Behalte deinen Grips", rät Yonkers ungerührt, „du wirst ihn viel leicht noch brauchen." Er entfernt sich so schnell in Richtung eines Niederganges, daß er die gehässige Antwort des Sergeanten nicht mehr mitbekommt.
Die kreisrunden roten Sonnensymbole Nippons wirken auf den T r a g flächen der sechs „Zero"-Jagdflugzeuge wie die tückischen Augen von Raubvögeln, die nach Beute Ausschau halten. Auf den kleinen Kabinen hinter den runden Motorhauben schillert das Licht der Tropensonne in gleißenden Reflexen. Vierzehnzylindrige Nakajima-Sakae-Sternmoto ren treiben die schnittigen Jagdmaschinen mit der Kraft von 1300 Pfer destärken nach Süden, der Nordspitze der Philippineninsel Luzon entge gen.*) Sechs Augenpaare unter breitflächigen Schutzbrillen blicken auf den hell schillernden Horizont, über dem hohe, weiße Wolkentürme ihre bizarren Formen aus dem Meer heben. Es ist schon bald eine Stunde her, seit die Piloten in den Mitsubishi-AG M2-Jägern noch einmal nach der Südspitze von Formosa und auf die Anlagen des Flugplatzes von Takao zurückblickten. Dort waren sie zum Flug über die Weiten des Ozeans gestartet. Sie fliegen in dreitausend Meter Höhe, und es sind noch genau einhun dert Kilometer zu bewältigen, bis die „Zero"-Maschinen auf der Insel Luzon stehen werden. Hin und wieder blickt der Führer des Jäger-Verbandes, Oberleutnant zur See Yukio Seki, aus seiner Kabine zu den fünf Flugzeugen hinüber, die in enger Formation neben ihm ihre Bahnen ziehen. Jedesmal, wenn er es tut, huscht ein aufmunterndes Lächeln über sein hartes, entschlos senes Gesicht. Es sind durchweg junge Piloten, die er vor Tagen auf der Fliegerschule Ohmura übernommen hatte. Dann war er mit ihnen von Kanoya auf Kiushu zum Flug nach Formosa gestartet. Das Lächeln des Oberleutnants wird auch dieses Mal von dem Feldwe bel Masahisa Tanaka wie ein Geschenk aufgenommen. Auch jetzt d u r c h flutet ihn wieder ein dankbares Gefühl für diese Ehre, daß gerade er dazu ausersehen worden war, mit dem berühmten Flieger der Kaiserlich Japanischen Marine nach Luzon fliegen zu können, wo das 201. Luftge schwader ihn und die Kameraden erwartet. Tanaka blickt jetzt wieder auf die weite See hinunter. Weit in der Ferne schimmern die Konturen eines kleinen Atolls im Sonnenlicht. Aber schon wenige Minuten später verschwimmt die ringförmige K o r a l leninsel im Dunst. *) Darstellung nach japanischen Dokumentationen und Augenzeugenberichten.
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Das monotone Brummen des Nakajima-Motors wirkt einschläfernd. Die Gedanken entfernen sich von der Wirklichkeit. Sie gleiten zu den Ereignissen der letzten Urlaubstage. Die Erinnerung läßt liebliche Bil der wiedererstehen. Tanas dunkle Frauenschönheit taucht vor ihm auf, wie sie ihn bei seiner Ankunft empfangen hatte, zusammen mit dem kleinen Yonosuki, der vor genau drei Jahren das Licht der Welt er blickte. Aber auch schon die wenigen Tage in dem kleinen Haus waren überschattet gewesen von den Ereignissen des großen vaterländischen Kampfes. Schon seit vielen Monaten war keine Siegesnachricht mehr aus den Lautsprechern der Radios geklungen; seit dem Tage nicht, an dem die Kaiserliche Flotte in den schweren Schlachten im Korallenmeer und im Juni 1942 bei den Midway-Inseln vom Zorn der Götter verfolgt worden war. Und nun zogen die Feinde bereits vor den Toren Nippons mit ihren Schlachtflotten über die Meere. Auch dort im Süden, wo die Sonne eine unerträgliche Glut über das Meer verströmt, sollen sie ge sichtet worden sein. Noch weiß niemand genau, worauf sich ihr nächster Stoß richten wird . . . Ein dunkler Streifen kommt am Horizont auf. Er wird höher und dichter. Bald wird er als K a m m eines Gebirges erkennbar. Das Grün großer Wälder zeigt sich auf den breiten Flanken. Leichte Brandungs streifen lassen die Bögen in das Land eingeschnittener Buchten erken nen. Luzon! Nur wenige Minuten kann es noch dauern, bis die sechs „Zeros" über die Insel hinweghuschen werden. Tief unter ihnen sehen sie die steil eingegrabenen Täler, voraus eine weite, helle Ebene; an ihrem Rand die Umrisse einer Stadt. Manila! Aber da ist bereits die erste Startbahn. Wie ein riesiger ausgestreckter Zeigefinger liegt sie auf der Erde; es ist eine der Pisten von Clark Field. Weiter südlich die Stadt, der sich Oberleutnant Sekis „Zero" jetzt entge genneigt: Mabalakat! Zum erstenmal dringt Sekis Stimme wieder über die Kopfhörer. Er gibt Befehl zur Auflösung der Formation. Auch Feldwebel Tanaka nimmt den Gashebel zurück. Er fliegt hinter der Maschine des Verbandsführers. Sein Blick ruht für wenige Augen blicke auf den kreisrunden Flecken, die wie schlecht vernarbte Pocken wunden die Oberfläche der Erde überziehen. Es sind Hunderte von aufgefüllten Bombentrichtern, über denen die „Zeros" jetzt dahin schweben. In Tanakas Blick ist ein Ausdruck ungläubiger Fassungslosigkeit. Er weiß noch nichts von den fast pausenlosen Bombenangriffen, die in den letzten Tagen die Erde Luzons erbeben ließen. Auch weiß er nichts von den amerikanischen Träger-Flugzeugen, die immer wieder wie ein Blitz aus heiterem Himmel über den Flugplätzen von Clark Field auftauchen. Ein kalter Zorn wallt in ihm auf, während er seine „Zero" hinter der Maschine Oberleutnant Sekis der Landemarkierung entgegenschweben läßt. Ist es denn schon so weit, d a ß die Feinde ungestört die Flugplätze der eigenen Stützpunkte zerstören können? Auf den Luftbasen von Clark Field sind die Motoren der „Zeros" längst verstummt. Sie stehen jetzt, mit grünen Zweigen aus nahen Wäl 15
d e m getarnt, in der Nähe der Rollfeldbegrenzungen, zusammen mit einer „Saiun"-Aufklärungsmaschine, die kurz vor Einbruch der D ä m m e rung gelandet war. Der Mond hat sein mildes Licht über das Filipinostädtchen Mabalakat gebreitet. Der gespenstische, fahle Schein umhüllt die primitiven Einge borenenhütten mit ihren Pfahlfundamenten und die wenigen, aus Stein gebauten Häuser, letzte Überbleibsel aus der Zeit der amerikanischen Herrschaft. Auf der mit Schlaglöchern und schlecht aufgefüllten Bombentrichtern versehenen Straße, die Manila mit Mabalakat und den Flugplätzen von Clark Field verbindet, fährt ein einzelner Wagen. Im Licht des Mondes zeigt sich ab und zu der gelbe Wimpel des Befehlshabers der Kaiserlich Japanischen Marine auf den Philippinen. Der Mann, der Vizeadmiral Kimpei Teroaka gerade in der Kommandoführung abgelöst hatte, blickt im Fond des Wagens wie geistesabwesend durch eines der Seitenfenster. Er hat sein schmales Gesicht mit den harten, strengen Zügen dem Mond licht zugewandt. Der trübe Schein verleiht dem Antlitz des Vizeadmirals Takijiro Onishi ein maskenhaftes Aussehen. In den Händen des Ad mirals ruht ein kleiner, am Griff reich mit silbernen Ziselierungen ge schmückter Samurai-Dolch, den die schmalen Hände in nervösen Bewe gungen hin und her drehen. Der Admiral lehnt sich zurück, als er am Wasser des Bamban-Flusses die ersten Hütten des Städtchens Mabalakat bemerkt. Wenige Augen blicke später entdeckt er vor einer der Behausungen ein Dutzend Män ner in der Kleidung der Kaiserlich Japanischen Marine-Luftwaffe, die am Rand des Weges stehen und beim Anblick der Befehlshaber-Stan darte grüßend die Hände heben. Kaum zehn Minuten später hält der Wagen vor einem Haus, das von einer niedrigen Steinmauer umgeben ist. Zwei Wachtposten salutieren beim Anblick des hohen Offiziers. Ihre Blicke sind auf die goldenen Sterne an den Kragenspiegeln Onishis gerichtet, der jetzt in leicht ge beugter Haltung auf das Haus zugeht. Er passiert dabei eine Tafel, deren Aufschrift besagt, daß sich in dem steinernen Haus das Hauptquartier des 201. Luftgeschwaders befindet. Wie von magischer Hand bewegt, öffnet sich die Tür eines Raumes. Ein schmaler Lichtschein fällt auf den Korridor. Fünf Offiziere treten vor den Admiral. Nacheinander nennen sie ihre Namen: „Korvettenkapitän Asaitshi Tamai, stellvertretender Kommodore des 201. Luftgeschwaders." „Kapitän Tshuitshi Yoshioka vom Stab der 26. Luftflottille." „Oberleutnant Ibusuki, Staffelführer im 201. Luftgeschwader." „Oberleutnant Yokoyama, Staffelführer im 201. Luftgeschwader." Der Admiral reicht den Offizieren die Hand. Sie neigen ehrerbietig die Köpfe. Dann treten sie zur Seite. Der Admiral geht in den niedrigen Raum hinein. „Meine Herren, unsere Lage ist ernst - sehr ernst, nachdem starke amerikanische Kräfte im Golf von Leyte erschienen sind, zweifellos in der Absicht, mit der Eroberung dieser Insel die Voraussetzung für die Rückgewinnung der Philippinen zu schaffen. Aus diesem Grunde ist ab 18. Oktober, 17.01 Uhr, vom Kaiserlichen Hauptquartier das Unterneh men ,Sho' befohlen worden. Wie Ihnen bekannt ist, sieht der Plan ,Sho' (japanisch: Sieg) vor, jenes Gebiet, das der Feind als erstes mit dem Gros seiner Streitkräfte angreift, zum Schauplatz der Entscheidungs 16
Schlacht zu erklären. Da dies mittlerweile bei Leyte geschehen ist, sind die Philippinen zum Schauplatz der großen Schlacht geworden." Fünf Augenpaare sind auf den Admiral gerichtet. Aber Onishi scheint die Männer um sich herum nicht zu bemerken: „Unsere Überwasserstreitkräfte der 2. Flotte unter Admiral Kurita sind bereits auf dem Wege zu den Philippinen. Dabei befinden sich unsere größten Schlachtschiffe, die MUSASHI und YAMATO. Sie wer den in den Golf von Leyte vorstoßen, um den dort befindlichen Feind zu vernichten. Es ist nun die Aufgabe der 1. Luftflotte, die feindlichen Flugzeugträger sofort zu finden und sie so weit auszuschalten, daß sie zumindest für eine Woche funktionsunfähig sind. Nur so kann der An marsch unserer Flotte, bei der sich keine eigenen Flugzeugträger mehr befinden, garantiert werden." Admiral Onishi hat die Hände um den Griff des Dolches gekrampft. Eine jähe Erregung scheint in ihm zu sein. Stockend fährt er fort: „Es ist meine Ansicht, daß wir mit unseren geringen Streitkräften durch die Aufstellung besonderer Einheiten und deren klugen Einsatz ein Höchstmaß an Wirkung erzielen. Es müßten dies Einheiten aus „Zero"-Jägern sein, die mit 250-kg-Bomben ausgerüstet werden. Die Pilo ten müßten sich unter bewußter Selbstaufopferung mit ihren Maschinen auf die befohlenen schwimmenden Ziele - zuerst die Flugzeugträger stürzen. Nur so kann der große Plan gelingen." Die Offiziere sitzen wie gelähmt auf ihren Stühlen. Draußen vor dem Haus sind die schleppenden Schritte eines Postens zu hören. Noch kön nen sie das soeben Gehörte nicht fassen; es erscheint ihnen ungeheuer lich. Doch es ist kein Entsetzen, höchstens ein Ausdruck von Erstaunen, der sich in ihren Blicken zeigt. „Bitte, meine Herren", erklingt jetzt wieder die Stimme des Admirals, „sicher wollen Sie sich besprechen. Lassen Sie mich allein. Ich erwarte hier Ihre Stellungnahme." Die Offiziere stehen auf. Nacheinander verlassen sie den Raum. Schon nach wenigen Minuten wird die Tür wieder geöffnet. Die Offi ziere treten ein. Vier nehmen Platz, einer bleibt stehen. Es ist Korvettenkapitän Tamai. „Herr Admiral", sagt er, „ich darf hiermit erklären, daß wir Ihre Ansicht bedenkenlos teilen. Das 201. Luftgeschwader wird für die Durch führung der Vorschläge sorgen. Ich darf Sie lediglich bitten, uns die Aufstellung der besonderen Einheiten selbst zu überlassen." Der Admiral steht auf. Mit einer langsamen Bewegung neigt er den Kopf. Dann wendet er sich vom Tisch ab. Die Offiziere verbeugen sich. Wortlos verläßt Onishi den Raum.
Schon seit dem Morgengrauen liegt die St. LO mit gestoppten Maschi nen auf dem ölig-glatten Wasser des Ozeans. Ihr Flugdeck ist gegen den Wind gedreht, der manchmal das Grollen schwerer Schiffsartillerie über das Meer trägt. Irgendwo im Norden prescht einer der Zerstörer durch die aufschäumende See. Über seine Aufbauten hinweg sehen die Männer an Deck des Trägers die Silhouetten einiger Schwerer Kreuzer, die in langsamer Fahrt nach Süden stampfen. Wieder einmal hat sich gespenstische Ruhe über das Schiff gebreitet. Auf dem leeren Flugdeck vollführt der weiße Spitz Mickey, das lebende 17
Maskottchen des Trägers, possierliche Sprünge. Niemand hindert ihn zu dieser Stunde daran, da es noch einige Zeit dauern wird, bis die ersten vom Einsatz zurückkehrenden „Hellcat"-Jäger am südlichen Horizont auftauchen werden. Nur das ferne Rollen erinnert an die Schlacht, die seit einigen Tagen bei Leyte tobt, seit Hunderte von Landungsbooten ihre Bugs in den weißen Sand des Inselufers wühlten. Plötzlich zerreißt das Heulen der Sirene die Stille. Über Lautsprecher werden Befehle erteilt. Aus den Niedergängen tauchen die Männer des Deckspersonals auf. Im Eiltempo begeben sie sich auf ihre Stationen. Das blecherne Quäken der aus der Kommandoanlage hallenden Stim men hatte auch die Männer der Fla-Stände wieder auf die Beine ge bracht. Vorn auf dem Startdeck will der Kriegskorrespondent Mike Yonkers den Spitz Mickey einfangen. Seine Versuche werden vom grölenden Gelächter des Deckspersonals begleitet. Es ist ein Wunder, daß sie in diesen J a h r e n des unbarmherzigen Krieges im Pazifik das Lachen noch nicht verlernt haben. Mike Yonkers hat das Wollknäuel erwischt und unter den A r m ge klemmt. Mit seinen langen Schritten nähert er sich jetzt der Vierlingsla fette, vor der Sergeant Rodney steht. „Wenigstens etwas, zu dem du nützlich bist", grinst der Sergeant, auf Mike blickend. „Eben", nickt Yonkers ungerührt. Er wendet sich dabei in südliche Richtung, wo soeben die ersten „Hellcat'-Jäger in Sicht kommen. Mit jeder weiteren Sekunde werden ihre Umrisse größer und deutlicher. Bald huschen die ersten Maschinen im Tiefflug über den Träger. Das Heulen ihrer Motoren schmerzt in den Ohren. Der Brückenlautsprecher gibt jetzt ununterbrochen neue Befehle. Die Männer des Deckspersonals sind auf ihren Positionen. Über ihnen leuch tet der gelbe Dreß des Landeeinweisers im Licht der Sonne. Er steht auf einer kleinen Plattform und hat die großen Einweisungstafeln in die Horizontale gelegt. Die „Hellcat"-Jäger haben sich zu einer langen Kolonne formiert. Die Spitzenmaschine hat ihre Motornase bereits der weithin leuchtenden Aufsetzmarke auf dem Trägerdeck entgegengerichtet. Kleine, dunkle Wolken quirlen aus den Auspuffen des Triebwerkes. Die Distanz wird immer geringer. Hunderte von Augenpaaren verfolgen das Anflugmanö ver, das selbst für die erfahrensten Piloten immer wieder eine Fülle von Gefahren in sich birgt. Die erste „Hellcat" ist höchstens noch fünfzig Meter von der Aufsetz marke entfernt. Ihr Motor reckt sich in die Höhe. Der Sporn scheint sich dem Deck des Trägers entgegenzutasten. Sekunden später berühren die Laufräder die Planken des Decks. Mit einer ziemlich hoch erscheinenden Geschwindigkeit huscht die J a g d m a schine auf die Brücke zu. Doch fast im gleichen Augenblick wird sie wie von einer unsichtbaren Macht in ihrer Vorwärtsbewegung gebremst. Armdicke Gummiseile haben sich in den Spornhaken eingehängt. K n i r schend scheuern die Laufräder über die Decksplanken. Ein kurzes Auf bäumen noch, dann kommt die Maschine zum Stillstand. Dutzende von Männern rennen auf das Flugzeug zu. In Sekunden schnelle ist es außerhalb der Landebahn. Die zweite „Hellcat" fliegt bereits an. Auch die nächste Landung gelingt reibungslos. 18
Erst die vierte Jagdmaschine kommt zu weit und startet durch. Mit aufheulendem Motor schwingt sie sich wieder in den Himmel hinein. Der weiße Spitz an Mike Yonkers' Brust bekommt einen erneuten Angstan fall. „Hell!" knurrt der Korrespondent. „Ausgerechnet Sammy Corner." Der Sergeant nickt nur. Sein Hals ist vor Erregung wieder einmal trocken geworden. Leutnant Sammy Corner! denkt er. Corner ist Texaner wie der Fleisch koloß Yonkers. Sie hocken praktisch Tag und Nacht zusammen, seit sie entdeckten, d a ß sie aus der gleichen Stadt stammen. Schon wieder sind neue Maschinen im Anflug. Wieder knirschen die Reifen unter dem ungeheuren Bremsdruck der Gummiseile. Kein Unfall ist zu verzeichnen. Sammy Corners Maschine k o m m t hinter der Landemarkierung wie der in Sicht. Dieses Mal gelingt das Manöver. Mike Yonkers atmet auf. Erst jetzt merkt er, daß er in seiner Erregung dem kleinen Spitz das Maul zusammengehalten hatte. Als er losläßt, schnappt der weiße Mik key jaulend nach Luft. Es dauert nur wenige Minuten, bis Leutnant Sammy Corner auftaucht. Er scheint Mike Yonkers an dem Fla-Stand gesehen zu haben. Die Fliegerhaube hängt an der Kontaktschnur über seinem linken Arm. Sein helles, langes Haar leuchtet in der Sonne. Leutnant Corner ist das, was m a n auf der St. LO einen hübschen Burschen zu nennen pflegt. Er ist hochgewachsen, breit in den Schultern und hat ein sympathisches Ge sicht. Sicher gibt es irgendwo in den Staaten auch einige Mädchen, die so denken. Der Leutnant scheint in diesen Augenblicken allerdings nicht an Mäd chen zu denken. Seine Haltung ist gebeugt. Während des Gehens fährt er sich mit dem Handrücken immer wieder nervös über die Stirn. Sein Gesicht ist schweißbedeckt und fahl. „Hey, Mike", sagt er, als er vor Yonkers und dem Sergeanten steht, neben dem die Köpfe zweier Kanoniere und des E-Messers über die Schutzbrüstung ragen, „hoffentlich schreibst du verfluchter Bursche nicht nach den Staaten, daß Leutnant Sammy Corner beim ersten An flug das Deck verpaßt hat." „Beim Teufel nicht", erwidert der Korrespondent, während er dem Leutnant eine Zigarette zwischen die Lippen schiebt. „Wie war es drü ben?" Der Pilot öffnet die Verschlüsse seiner Schwimmweste. Er beobachtet dabei das Landemanöver der letzten Maschine, ehe er antwortet: „Wie immer. Am Himmel von Fleischbällen (Japanern) keine Spur. Es wird schon bald unheimlich." „Eh", macht Yonkers, „ich denke nicht, daß ihr darüber allzu unglück lich zu sein braucht. Und wie sieht es unten a u s ? " „Nicht übel", erwidert der Leutnant. „Sie sind seit gestern prächtig vorwärtsgekommen. Wenn m a n einmal die Schlachtschiffe und Kreuzer sieht, die vor der Küste patrouillieren, ist es eigentlich kein Wunder. Die dicken Koffer ihrer Artillerie richten ein unglaubliches Zerstörungs werk a n . . . " Mike Yonkers kratzt sich hinter dem rechten Ohr. Dann läßt er den winselnden Hund auf den Boden springen und äugt kurz zu dem Ser geanten hinüber. 19
„Kannst du dir vorstellen, daß sich die Japs das alles so einfach gefallen lassen?" wendet sich Corner jetzt wieder an Yonkers. „Eigentlich nicht", gibt der Korrespondent zurück, „nur werden sie vielleicht ein bißchen zu spät kommen, denke ich." „Hoffentlich", murmelt der Pilot. Er läßt seine Schwimmweste von den Schultern gleiten und klopft Yonkers kurz auf die Schulter. „Diese Aufklärer, die da die ganzen Tage über herumkrebsen, sind sicher nicht blind gewesen." Er schüttelt den Kopf und tritt die Zigarette aus. „Na, wir werden sehen. Bis später, alter Junge!" Yonkers blickt dem Leutnant nach. Der kleine Hund hüpft laut bellend hinter ihm her. Nachdenklich räuspert sich der Korrespondent und sagt wie zu sich selbst: „Irgendwo müssen sie doch sein!" „Wer?" erkundigt sich der Sergeant. Der Zeitungsmann macht eine abwehrende Handbewegung. Offenbar war er an der Fortsetzung des Gesprächs nicht interessiert. „Ich wecke dich, wenn es soweit ist", knurrt er. Er streckt die Hände in die Taschen und geht auf das Flugdeck hinaus. Geschickt weicht er einem gelbge strichenen Traktor aus, der eine „Hellcat" zum Aufzug zieht. Bald d a r auf verschwindet Yonkers zwischen den Mechanikern, die zu Dutzenden geschäftig über das Deck eilen. Ein vielfältiges Stimmengewirr erfüllt die Luft. Mit gesenktem Kopf, die Hände immer noch in den Taschen, nähert sich Mike Yonkers einem Niedergang. Dicht davor bleibt er beim Ertönen einer Stimme stehen. Auch die Mechaniker in seiner Umgebung blicken in die Richtung des Brücken lautsprechers, aus dem jetzt die Worte herausklingen: „Feindlicher Aufklärer in elf Uhr . . . Höhe zehntausend Meter . . . Bat terien zwo - vier - sechs - sieben - f e u e r b e r e i t . . . " Der Fahrer hat den Wagen des Admirals Onishi unter einigen Bäumen in Deckung gefahren und ihn zusätzlich mit Tarnnetzen abgedeckt. Nur der gelbe Stander, der das Auto als Fahrzeug eines Flaggoffiziers aus weist, ragt mit dem vorderen Teil des rechten Kotflügels halb aus dem Gebüsch. Admiral Onishi hat sich in dem zerschlissenen Zelt an einen kleinen Feldtisch gesetzt. Er ist allein, seit er die Offiziere des Befehlsstandes bat, sich nicht um ihn zu kümmern, bis er sie wieder rufen lasse. Vor ihm liegt eine Liste. Sie trägt den Namen von vierundzwanzig Piloten. An ihrer Spitze der des Oberleutnants Yukio Seki. Die Hände des Admirals streichen über die Zeilen. Auch über jene mit dem Namen des Pilot-Feldwebels Masahia Tanaka. Der Name besagt dem Admiral nichts. Nur beim Lesen des Namens von Oberleutnant Seki sieht er den schlanken, hochgewachsenen Mann mit dem schmalen, sympathischen Gesicht im Geiste vor sich. Der Admiral schiebt die Liste beiseite. Sie enthält alle Namen der Piloten, die sich schon vor Tagen freiwillig für die erste Sondereinheit des Kamikaze-Korps gemeldet hatten. Vierundzwanzig Piloten waren befragt worden, und alle vierundzwanzig hatten sich gemeldet. Ein Windstoß bewegt die Planen des Zelteinganges. Der Luftzug greift nach einem Papierstück, das dicht neben der Liste mit den Namen der Freiwilligen gelegen hatte. Es ist die Abschrift eines Befehls, der die Unterschrift Admiral Onishis trägt. Der Befehlshaber legt den S a m u r a i 20
Dolch auf das Dokument. Mit flatternden Ecken bleibt es liegen. Vor einem Tag hatte Kapitän Nakajima den Inhalt des Dokuments an vier undzwanzig Piloten verlesen, draußen an der Felswand, am Rande des kleinen Bächleins: „Das 201. Luftgeschwader stellt ein Sonderkorps auf, um die feindli chen Flugzeugträger in den Gewässern östlich der Philippinen möglichst bis zum 25. Oktober zu vernichten oder außer Gefecht zu setzen. Die Einheit erhält den Namen Kamikaze-Korps. Sie besteht aus sechsund zwanzig Jagdflugzeugen, von denen sich die Hälfte auf den Feind stür zen wird, während die restlichen als Geleitflugzeuge eingesetzt werden. Sie wird in vier Gruppen eingeteilt, die folgende Bezeichnungen tragen: Shikishima (poetischer Name für Nippon), Yamato (romantischer Name für J a p a n aus der historischen Zeit), Asahi (Morgensonne) und Yamasakura (Blüten der Bergkirsche). Zum Führer der Kamikaze-Ein heit ist Oberleutnant zur See Yukio Seki bestimmt worden." Mit einer abwesenden Bewegung nimmt Onishi das Dokument an sich und steckt es in die Brusttasche. Sein Blick ist dabei auf das Telefon am Rande des Tisches gerichtet. Wenn seine Glocke auf schrillen sollte, wird Admiral Onishi den Hörer abnehmen. Aber niemand wird ihm den schicksalschweren Befehl mitteilen, den er schon hätte geben können, bevor er sich in das Zelt zurückgezogen hatte. Admiral Onishi hat den Befehl bereits formuliert! Das Telefon meldet sich nicht. Die Lider des Admirals senken sich. In starrer Haltung sitzt er vor dem kleinen Tisch, die Rechte um den Griff des Samurai-Dolches geklammert. Kein Laut stört ihn in seinen Gedan ken. Auch das Zwitschern der Vögel in dem Baumkronen dringt wie aus unendlicher Ferne zu ihm; er nimmt es gar nicht wahr. Vor dem geistigen Auge Admiral Onishis ersteht das Bild der Flotte. Er kennt ihren Weg und ihre Stärke so gut wie die Heimathäfen, von denen sie zu den befohlenen Operationen auslief. In Durchführung des Planes „Sho" waren die Schiffe der 2. Flotte unter Vizeadmiral Takeo Kurita von ihrer Operationsbasis bei Lingga südlich von Singapur in See gegangen, um auf den Philippinen die Meerenge von San Bernar dino zu passieren und am 25. Oktober von Norden her die Landungs streitkräfte der Amerikaner im Golf von Leyte anzugreifen. Zwei gewal tige Schlachtschiffe fahren in dem Flottenverband mit: die MUSASHI und die YAMATO. Mit je 75 000 Tonnen sind es die schwersten Schlacht schiffe der Welt. Gleichzeitig sind von ihren Häfen im Kaiserreich die Kreuzer und Zerstörer der 5. Flotte von Vizeadmiral Kiyohide Shima zur Fahrt in das Südchinesische Meer ausgelaufen. Zusammen mit einer von Admiral Kuritas Verband detachierten Schiffsgruppe wird es ihre Aufgabe sein, nach Durchlaufen der Surigao-Straße den Feind von Süden her anzu greifen. Außerdem war von Admiral Soemu Toyoda, dem Oberbefehlshaber der Vereinigten Flotte, angeordnet worden, d a ß die Reste der japani schen Flugzeugträgerverbände dem Feind bei dieser gewaltigen Ope ration als Lockvögel dienen sollten. So würden zu dieser Stunde bereits ein Großer und drei Leichte Flugzeugträger mit insgesamt 116 Flugzeu gen, sowie die beiden Schlachtschiffe ISE und HYUGA nach Süden vorgestoßen sein, um die feindlichen Schlachtschiffe und Flugzeugträ ger von den Landeköpfen im Golf von Leyte wegzulocken. Die 45-cm 21
Geschütze der YAMATO und der MUSASHI sollten ein leichteres Spiel haben. Der Admiral im Befehlszelt des Flugplatzes von Mabalakat richtet sich auf. Ein schwerer Atemzug entringt sich seiner Brust, während seine Augen das Stück Himmel erfassen, das zwischen den Planen des Zelteinganges hindurchschimmert. Nur wenn die fliegenden Einheiten von Luzon, Formosa und Cebu vorher die feindlichen Flugzeugträger zerschlagen, wird es den Schwe ren Schiffsverbänden gelingen, ihre Aufgabe wie vorgesehen zu erfül len. Der Admiral erhebt sich. Mit wenigen Schritten ist er vor dem Zelt und blickt über die Bombentrichter des Flugplatzes hinweg nach Osten. Er wendet erst das Gesicht, als er Kapitän Nakajima auf sich zukommen sieht. „Die Männer kennen den Standort des Feindes, Nakajima?" „Jawohl!" „Sie sind eingeteilt?" „Jawohl. Wir werden mit sieben ,Zeros' fliegen. Oberleutnant Seki als Führer. Vier Kamikaze und weitere drei als Begleiter." Der Admiral nickt. Seine Hände pressen sich um die Scheide des Dolches. Er wendet sich um und geht auf das kleine Wäldchen zu. Der Kapitän hat sich an seine linke Seite begeben. Am Rand des Waldes formieren sich die Mechaniker zum Gruß. Der Seewind spielt mit dem Staub, den die Bomben aus der Erde gewühlt haben. Immer noch wirkt der weite Flugplatz wie ausgestorben. Nirgendwo ist ein Flugzeug zu sehen. Die Schritte Admiral Onishis werden immer schneller. Am Rand des kleinen Bächleins erschallt eine Kommandostimme. Die Piloten g r u p pieren sich zu einer Linie. Oberleutnant Seki kommt dem Admiral entgegen. Mit seiner hohen, jungenhaft klingenden Stimme meldet er den Verband der Kamikaze. Onishi ist stehengeblieben. Sein einfacher Uniformrock ist ohne jeden Ordensschmuck. Mit starrem Blick mustert er die Soldaten. Vierund zwanzig Augenpaare sind erwartungsvoll auf ihn gerichtet. Der junge Offizier ist einen Schritt vor der Formation stehengeblie ben. Admiral Onishi macht einen zerfahrenen, unruhigen Eindruck. Er sucht nach passenden Worten. Man sieht, daß er mit sich ringen m u ß , den folgenschweren Befehl zu geben. Er spricht betont langsam. Bleischwer hängen die Worte in der Luft. Die weißen Schleifen mit der Sonne Nippons sind bereits um die Köpfe der Flieger geschlungen. Bis jetzt weiß nur einer von ihnen, wer zu diesem ersten Einsatz starten wird. Es ist Oberleutnant Seki. „ . . . Ihr wißt, in welcher Gefahr sich das Kaiserreich befindet. Die Rettung unseres Landes übersteigt die Kräfte der Staatsminister, des Generalstabes und bescheidener Befehlshaber, wie ich einer bin. Die Rettung des Reiches kann nur noch durch begeisterte junge Männer, wie Ihr es seid, erfolgen . . . " Admiral Onishis Stimme verstummt. Seine Lippen sind zusammenge preßt. Ein Zucken läuft über sein Gesicht, ehe er weiterspricht: „Daher bitte ich Euch im Namen Eurer hundert Millionen Landsleute um dieses Opfer und bete um Euren E r f o l g . . . Ihr seid jetzt bereits gottselig und ohne irdische Wünsche. Doch eines möchtet Ihr sicher noch wissen: daß nämlich Euer Opfertod nicht vergebens war. Leider werden 22
wir Euch nie sagen können, was Ihr erreicht habt. Doch werde ich Eure Bemühungen bis zum Ende beobachten und Eure Taten dem Kaiserli chen Throne melden. Und nun bitte ich Euch alle: Tut, was in Euren Kräften steht. Sucht den Feind, findet ihn und trefft ihn tödlich. Der Kaiser und unser Volk sind bei Euch!" Admiral Onishis Hand zittert, als er sie grüßend an die Mütze legt. Dann wendet er sich um und geht zu dem zerfetzten Zelt zurück. Hinter sich hört er die Stimme des Flugleiters, Kapitän Nakajima, dann die von Oberleutnant Seki. Es sind sechs Namen, die er nennt. Die Genannten treten vor die Front. Der Admiral ist vor dem Befehlszelt stehengeblieben. Er sieht die sieben Piloten auf die Abstellplätze zugehen. Irgendwo hallt eine Stimme durch den Wald. Die Mechaniker verschwinden zwischen den Bäumen. Schon wenige Minuten später kommen die sieben „Zeros" zum Vorschein. Vier von ihnen tragen Bomben unter den Rümpfen. Die metallenen Mäntel der Sprengkörper leuchten im Licht der Sonne. Die sieben Piloten steigen in ihre Maschinen, Vier von ihnen werden an diesem Tage zum letzten Male in ihrem Leben die Sonne sehen. Keiner von ihnen ist über fünfundzwanzig J a h r e alt. Die Zurückgeblie benen sind ihnen an die Maschinen gefolgt. Einer davon trägt den Na men Masahisa Tanaka. Hell leuchten die weißen Schleifen der Samurai-Binden unter den Rändern der Kopfhauben. Zum letzten Male in ihrem Leben greifen die Todgeweihten nach den Anschnallgurten. Ein stolzes Lächeln geht über ihre Gesichter, als aus den Reihen der Mechaniker ein Lied ertönt. Es ist ein altes Soldatenlied, dessen schwer mütige Melodie jetzt über den Startplatz schallt. Es klingt aus den Kehlen von Dutzenden von Mechanikern als Abschiedsgruß an die Män ner in den Kabinen der „Zeros". „Umi yukaba, Mizztsuku Kabane Yama yukaba, Kusa musu Kabane, Ogimi no be ni Koso shiname, Nodo niwa shinaji." „ . . . Fall' ich auf See, spült mich das Meer an den Strand, fall' ich auf dem Land, wird der grüne Rasen mein Sterbegewand. Denn wer im Dienst des Kaisers steht, mag nicht sterben daheim im B e t t . . . " Dann schließen sich die Kabinen über den Köpfen der KamikazeFlieger mit den um die Stirn geschlungenen Sonnenbannern. Motoren laufen an. Schon seit Tagen liegt die St. LO im Verband der Trägerformation Admirals Halseys fest auf der gleichen Position. Tag für Tag sind die Grumman-„Hellcat"-Maschinen zu ihren Einsätzen gegen die Philippi nen gestartet und vollzählig, ohne Verluste, wieder zurückgekehrt. Der Krieg scheint für sie in dieser Gegend ein Manöverspiel geworden zu sein. Dennoch hat das ewige Einerlei des Einsatzbetriebes die Männer des Geleitträgers nicht abgestumpft. Sie spüren oder ahnen, daß bald etwas Unvorhergesehenes geschehen wird. So blicken sie mehr zum Himmel hinauf als über die Weite der See, weil ihre Erfahrung ihnen sagt, daß etwas Unerwartetes viel eher aus der Luft als von See her kommen kann, wo die Zerstörer und Kreuzer des Begleitverbandes einen nahezu her metischen Ring um die schwimmenden Flugplätze Admiral Halseys geschlossen haben. 23
Auch Sergeant Rodneys Geschützbesatzung hat sich an die ewige Gefechtsbereitschaft schon so gut gewöhnt, daß die Männer diesen Zu stand schon beinahe als etwas Normales empfinden. Wie an jedem Morgen, kommt der bullige Kriegskorrespondent Yon kers auch dieses Mal auf den Fla-Stand zu. Er läuft breitbeinig über das leere Deck und bleibt an der kleinen Eisenleiter stehen, über die der unterhalb des Decks liegende Geschützstand zu erreichen ist. „Hey, Sergeant", grinst er, „was macht dein Schlafkursus?" „Hol dich der Teufel!" brummt Rodney. „Ist das eine Art, mit anstän digen Leuten zu reden?" Yonkers läßt sich auf die Knie nieder. Schmunzelnd zupft er einige Zigaretten aus einem Paket und wirft sie den vor sich hin dösenden Kanonieren zu. Das durchdringende Heulen der Alarmsirene ertönt in jenem Augen blick, als er gerade ein Streichholz an seine Zigarette halten will. Das markerschütternde Jaulen wird abgelöst von einer blechern klingenden Lautsprecherstimme. „An alle Stationen!" hallt es über das Flugdeck. „Radar meldet Anflug von sieben feindlichen Maschinen - vermutlich einmotorig - Höhe vier tausend . . . Alle Flak feuerbereit! Anflug aus O s t - S ü d - O s t . . . " Yonkers läßt sich trotz seiner fülligen Gestalt behende an der Eisenlei ter hinabgleiten. Er fällt neben dem Sergeanten auf den Boden und springt sofort an die Schutzumrandung des Geschützes. Der Richt kanonier hockt bereits auf seinem Sitz. Der E-Messer hat sein Gerät in die angegebene Richtung geschwenkt. Die 43 Fla-Rohre des Trägers richten sich zum Himmel. Auf dem Oberdeck hat sich ein hektischer Betrieb entfaltet. Aus dem Lautsprecher erschallen jetzt pausenlos weitere Lagemel dungen. „ . . . Feindverband kommt näher - Entfernung noch fünfzig Mei len . . . " „ . . . Entfernung noch dreißig Meilen - anfliegende Feindmaschinen vermutlich , Z e r o s ' . . . " Im Norden peitschen bereits Flak-Salven aus den Rohren. Die Oberflä che der See ist mit feurigen Blitzen gesprenkelt. Das makellose Blau zwischen den weißen Wolkenbergen bedeckt sich mit schwarzgrauen Farbtupfern. Auf der Back des Trägers ersetzen die schrillen Pfeiftöne der Bootsmannspfeifen Befehle. Hunderte von Augenpaaren starren hinter den Rohren der F l a - G e schütze zum Himmel hinauf. Sergeant Rodney preßt ein starkes Fernglas vor die Augen. Mike Yonkers hat seine angezündete Zigarette weggeworfen. Er trägt keine Schwimmweste. Die Kanoniere haben jedoch die unförmigen Gebilde um die Oberkörper geschlungen. Angespannt beobachten sie den Luft raum. Im Norden feuert die schwere Flak der HORNET Salve um Salve. Zerstörer preschen in hoher Fahrt über die See. Irgendwo huscht eine Barkasse wie eine winzige Nußschale über das unruhig gewordene Meer. Niemand sieht dem Boot nach. Aller Augen sind himmelwärts gerich tet. Aus dem Lautsprecher der St.LO kommt ein letzter Befehl: . „Sämtliche Flak feuern auf Sichtziele! - ,Zeros' noch zwanzig Meilen 24
entfernt - verlieren an H ö h e . . . mittlere und leichte Flak fertig zum Feuern!" Der Ladeschütze am Stand Sergeant Rodneys greift nervös nach ei nem Muni-Rahmen. Er hat sich neben den Verschlüssen des VierlingGeschützes zusammengeduckt. Plötzlich reißt Sergeant Rodney das Glas von den Augen. Er hebt den rechten Arm und deutet auf die Wand der Fla-Sperrwolken. Sieben silbrig schimmernde Punkte sind aufgetaucht. Vier von ihnen trennen sich jetzt von den drei restlichen. „Sie stürzen!" schreit Yonkers erschrocken auf. Seine Worte gehen in dem ohrenbetäubenden Lärm des Geschützfeuers unter, das jetzt schlag artig aus allen Rohren hervorbricht. Peitschend verlassen die Granaten der automatischen 3,7-cm-Geschütze die Läufe. Das Deck des Trägers erbebt unter den pausenlosen Abschüssen. Aus den Kopfhörern der Kanoniere kommen die korrigierenden Zahlenwerte des E-Messers: „ . . . ten - nine - e i g h t . . . " Mike Yonkers sieht, wie zwei der feindlichen Flugzeuge direkt auf den Träger zufliegen. Die Maschinen werden mit jeder weiteren Sekunde größer und deutlicher in ihren Umrissen. Die vier Läufe des Fla-Ge schützes sind ihnen entgegengereckt. Mit kleinen Rucken folgen die Rohrmündungen dem Sturzweg der Feindflugzeuge. Die Abwehrge schütze der weiter im Norden stehenden Träger haben ihre Feuerrich tung verändert. Ihre Salven flitzen jetzt hoch über das Deck der St. LO. Die Läufe des Geschützes schlagen zurück. Flammen tanzen vor den Mündungen. Aber die Vierling-Flak von Sergeant Rodney ist nur eine von vielen anderen. Die Trommelfelle Mike Yonkers' schmerzen unter dem Lärm der krachenden Abschüsse. Auf dem Deck des Trägers ist die Hölle entfesselt. Tausende von Geschossen legen einen Riegel vor den Flugweg der zwei „Zeros", die trotzdem unbeirrt auf den Träger zuhal ten. In Mike Yonkers' Augen zeigt sich die erste Spur von Entsetzen. War es nicht schon früher so gewesen, d a ß die J a p s sich mit ihren Flugzeu gen . . . ? Er wagt es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. Unten im Leib des Schiffes lauschen die Seeleute auf das Wummern der Fla-Geschütze. Hunderte von Besatzungsangehörigen bangen dem Augenblick der Entscheidung entgegen. Hunderte von Augenpaaren sind auf die Decken der Räume gerichtet. Sie sehen die Flugzeuge nicht, denen die Schiffs-Flak bis jetzt noch nichts anhaben konnte. Als ob sie unverwundbar wären, nähern sich die beiden „Zeros" in fast senkrechtem Sturz dem Flugzeugträger. Die roten japanischen Kennzeichen an den Tragflächen sind schon deutlich zu erkennen. Sie verschwinden jetzt in einem wahren Tunnel aus zucken den Blitzen und bunten Glutstrichen. Die Motorpartien der „Zeros" sind auf das Vorderdeck der St. LO gerichtet, und das Krachen der Geschütze verschluckt das Heulen ihrer Motoren. „ . . . fünfhundert - vierhundert - d r e i h u n d e r t . . . " dröhnt die Stimme des E-Messers in den Kopfhörern. Dann verstummt sie. Auch die Hände der Ladekanoniere sinken herab. Sergeant Rodney klammert sich mit den Händen an die Rück lehne des Richtkanoniersitzes. In seinen Augen spiegelt sich das Grauen. Jetzt sind sie so nahe, daß schon die Silberkreise der Luftschrauben zu erkennen sind. Auch die Konturen der Piloten in den Kabinen zeichnen sich bereits ab. In den Augen der Kanoniere flackert die Angst. 25
Die „Zeros" sind kurz vor ihrem Ziel. Die roten Sonnensymbole auf den Tragflächen leuchten durch den Raum. Das Flugabwehrfeuer auf dem Träger wird schwächer und schwächer, um schließlich ganz zu verstummen. Instinktiv werfen sich die an Deck befindlichen Männer auf den Boden. Das erste japanische Flugzeug hält direkt auf die Öffnung des Maschi nen-Aufzuges zu. Wie unter einer Hypnose verfolgen die Männer des Deckspersonals das tödliche Schauspiel. Jene außerhalb des unmittelba ren Gefahrenkreises erstarren, als die „Zero" sich in das Deck bohrt und eine gewaltige Feuersäule aus dem Inneren des Trägers hervorbricht. Der Druck der Explosion schleudert die Kanoniere in den Flak-Ständen gegen die Schutzbrüstungen. Im Bersten der Detonationen verliert sich der Todesschrei von vielen Seeleuten der St. LO. Ihre Leiber werden zerfetzt oder im Feuerorkan zerschmolzen, mit dem des Japaners, der vor Sekunden noch ein „Ban zai (Es lebe der Kaiser)!" in das Heulen des Flugzeugmotors geschrien haben mochte . . . Schon Sekunden später nimmt die Brandwolke über dem Träger eine zweite „Zero" in sich auf. Fast an der gleichen Stelle bohrt sich die stürzende Maschine in den Leib des Schiffes. Noch einmal fegt eine fauchende Preßwelle aus dem K r a t e r im Deck. Yukio Seki und Fukabori hatten ihr Ziel gefunden . . . Die Schattenschleier der Abenddämmerung sinken den Bergen Lu zons entgegen. Der Seewind trägt die aufkommende Nachtkühle über das Land. Am Südrand der Startbahnen von Mabalakat schwebt eine feine Rauchsäule über den Horizont. Vor einer halben Stunde war sie noch eine lodernde Flammenpinie, die aus einer zerschossenen „Saiun" Maschine herausgezüngelt war. Ein Schwarm amerikanischer Jäger war aus einem der Täler herausge kommen und hatte sich auf den Flugplatz gestürzt. Niemand hatte die gerade gelandete Maschine rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Sie wurde zum lohnenden Ziel für die feindlichen Jäger. Siebzehn Augenpaare sind auf die Rauchfahne gerichtet, die der Wind jetzt auseinandertreibt. Es sind die Augen der siebzehn Piloten, die im Morgengrauen an den Flugzeugen der einsatzbereiten Kamikaze z u s a m men mit den Mechanikern das schwermütige Abschiedslied gesungen hatten. Sie waren nicht mehr zu den Eingeborenenhütten gegangen, die ihnen als Unterkunft dienten, sondern am Rand des Waldes sitzenge blieben, den Blick auf das Zelt der Befehlsstelle gerichtet. Erst vor einer Stunde hatten sie Admiral Onishi mit seinem Wagen wegfahren sehen. Er hatte müde, vielleicht sogar verzweifelt ausgesehen. Schweigend und niedergeschlagen hatten die Piloten seine Abfahrt beobachtet. Sie a h n ten, was in Onishi vor sich gegangen sein mochte. Er hatte lange verge bens auf einen Funkspruch oder eine Nachricht über den Einsatzerfolg der sieben gestarteten „Zeros" gewartet. Und auch jetzt, sechs Stunden nach dem Start, war noch keine der drei Begleitmaschinen zurückge kehrt. Im Eingang des Befehlszeltes taucht die Gestalt Kapitän Tamais auf. Er blickt unverwandt nach Südosten, in jene Richtung also, aus der die Maschinen schon längst hätten anfliegen müssen. „Ob er doch noch einen Funkspruch bekommen h a t ? " 26
Der Pilot, der das sagte, ist Unteroffizier Nonaka. Er sitzt neben Feldwebel Tanaka und dem Fähnrich Inoguchi. Tanaka zuckt resignierend die Schultern. Doch wenige Augenblicke später hört er das vertraute Motorengeräusch von „Zero"-Jägern. Er springt auf und läuft einige Schritte vom Rand des Waldes weg, um besser sehen zu können. Zwischen den Büschen tauchen jetzt auch die Gestalten von Mechanikern auf. Nur noch wenige Minuten dauert es, bis die Flugzeuge in Sicht kom men. Es sind drei „Zeros", die aus dem Anflug heraus zur Landung ansetzen. „Sie sind nicht von uns!" stellt Fähnrich Inoguchi fest. Er ist der einzige, der seine Enttäuschung in Worte kleidet, allen anderen steht sie nur im Gesicht geschrieben. Die drei Jagdmaschinen nähern sich bereits dem Anfang der Landepiste. Sie rollen aus, wenden und kommen in schneller Fahrt auf das Befehlszelt zu. Tanaka läuft als erster den Flugzeugen entgegen. Die Kameraden folgen ihm wie auf ein Kommando. Sie bleiben alle in der Nähe Kapitän Tamais stehen. Mit blubbernden Motoren kommen die „Zeros" näher. Mechaniker laufen auf sie zu, geben Zeichen zum Wenden und deuten unmißverständlich in Richtung des Waldes. Sofort folgen die Piloten der Anweisung und rollen ihre Maschinen zu den ausgezeichnet getarnten Abstellplätzen. Es dauert nicht lange, bis sie wieder erscheinen. Die siebzehn Flug zeugführer des Kamikaze-Korps stehen in einem Halbkreis um Kapitän Tamai. Aber fast scheint es, als ob der Offizier ihre Anwesenheit nicht bemerke. Er blickt dem fremden, soeben gelandeten Oberleutnant entge gen, der direkt auf ihn zukommt. Erwartungsvoll nimmt der Kapitän die Meldung entgegen. Sie ist so laut und deutlich, daß die Umstehenden jedes Wort verstehen. „Herr Kapitän", sagt der Oberleutnant, „wir sind nach einer Zwi schenlandung auf Cebu unverzüglich hierhergeflogen, um Ihnen über die am Morgen erfolgte Beobachtung eines besonderen Ereignisses Be richt zu geben!" Kapitän Tamai hebt ahnungsvoll den Kopf. „Erzählen Sie", sagt er, während eine tiefe Unruhe in seiner Stimme mitschwingt. „Es war um 10.45 Uhr", fährt der Oberleutnant fort. „Wir waren als Auffangschutz eines Aufklärers gestartet und erreichten dabei den Luft r a u m nordostwärts von Samar. Dort sichteten wir sieben ,Zeros', von denen sich vier in einem schweren Abwehrfeuer auf feindliche große Schiffseinheiten stürzten. Wir konnten genau beobachten, daß zwei „Ze r o s " einen Flugzeugträger trafen und ihn zum Sinken brachten. Das dritte Flugzeug erfaßte einen anderen Flugzeugträger, das vierte einen Kreuzer. Weitere Beobachtungen konnten nicht mehr gemacht werden, da feindliche Trägerflugzeuge uns in einen Luftkampf verwickelten." Erst jetzt scheint Kapitän Tamai die unbeweglich dastehenden Piloten wahrzunehmen. Sein Blick gleitet über ihre Gesichter, ehe er sich dem Oberleutnant zuwendet. „Sie wissen nicht, was diese Nachricht für uns bedeutet!" sagt er. „Ich danke Ihnen!" Er dreht sich um und betritt das Befehlszelt. Auch der Oberleutnant wendet sich ab. Mit gesenktem Kopf läuft er an den Piloten vorbei, und vielleicht sieht er nicht einmal das stolze 27
Leuchten in ihren Augen. Langsamen Schrittes nähert er sich dem Wald, wo ihn zwei Feldwebel erwarten, die mit ihm nach Mabalakat gekom men waren. „ S e k i . . . Oberleutnant Seki", sagt einer der Piloten. Feldwebel Tanaka geht neben dem Fähnrich auf die Feldwand zu, an deren Fuß die primitiven Unterkunftshütten stehen. Sie laufen in die Dämmerung des Abends hinein, die schon das Dunkel der kommenden Nacht ankündigt. Schweigend und in sich versunken, gehen die siebzehn Piloten des Kamikaze-Korps am Rande eines Wasserlaufs entlang. In ihren Blicken ist ein ferner, der Wirklichkeit entrückter Ausdruck. Wenn die Sonne mit den ersten Strahlen den aufkommenden Morgen anzeigen wird, werden sie in die Maschinen steigen, die weiße Binde des Hachimaki um die Stirn geschlungen, und sich zu ruhmreichen, unvergeßlichen Taten in die Lüfte zu schwingen. Auch sie werden die großen Träger finden und sich auf sie stürzen, wie Oberleutnant Seki und seine Männer! Sie sind bei ihrer Unterkunft angelangt. Der Raum, der Tanaka und seine Kameraden aufnimmt, enthält ein Dutzend Feldbetten und einen langen, großen Tisch. Feldwebel Tanaka setzt sich auf den Rand seines Bettes. Er greift unter eine Jacke, die über dem Fallschirm liegt, und zieht einen Block Briefpapier heraus. Mit ruhigen, sicheren Zügen bedeckt er das Papier mit den Schriftzeichen seiner Heimatsprache. Ein Lächeln hat sich über das Gesicht Feldwebel Tanakas gebreitet. Er liest die Zeilen, die er geschrieben hat: „Meine liebe Tana! Zu meinem gestrigen Brief will ich noch diese Worte hinzufügen, und ich will hoffen, daß Du alles erhältst, wenn meine Seele bereits in das Reich der Götter eingekehrt ist. Wir sind heute nicht zum Einsatz gekommen, aber wir hoffen, d a ß es morgen der Fall sein wird. Soeben haben wir erfahren, daß unsere Shikishima-Gruppe unter Führung von Oberleutnant Seki wunderbare Erfolge errungen hat. Sie haben mindestens einen feindlichen Flug zeugträger durch ihren Opfereinsatz versenkt. Aber es sind noch viele da, denen wir Tod und Vernichtung bringen müssen. Wir wissen, daß allein wir noch die Wendung bringen und das Vaterland retten können. Wir sind stolz auf die Ehre unserer Bestim mung. Ich werde an Dich denken, Tana, wenn der große Augenblick gekom men ist, und es nur noch Sekunden dauert, bis mein Opfer seinen Sinn bekommen hat. Grüße unseren Sohn u n d erzähle i h m einmal, was sein Vater für den Kaiser und das Reich getan hat. Ich ahne, daß ich morgen bestimmt auf den Feind stürzen werde. Ich werde mit dem Gedanken an Dich u n d Yonosuki einschlafen und freue mich auf den Augenblick, wenn unsere Seelen wieder vereint sein wer den. Lebe wohl, Tana! Lebe wohl, Yonosuki!" Feldwebel Tanaka faltet die Briefbogen zusammen und steckt sie in einen Umschlag. Er schreibt die Anschrift Tanas darauf und legt den Brief unter das schmale Kopfkissen. Dann läßt er sich auf den Rücken fallen und breitet die Arme unter den Kopf. 28
Plötzlich ist wieder das Bild Tanas vor der Erinnerung. Nach alter Sitte hatten die Eltern sie als seine Frau ausgesucht. Ein Jahr vor Beginn des Krieges war die Hochzeit gefeiert worden. Es war ein Fest nach den uralten Riten ihres Glaubens. Noch jetzt sieht Masahisa Tanaka den Raum im Haus seiner Eltern vor sich. Auf einem Tischchen die Opfer für die Götter, zwei große Reiskuchen und geweih ten Sakewein. Dahinter ein Tablett mit Fisch und eines mit Geflügel. Daneben ein schwarzlackierter Kasten mit Schreibgerät, ein kleines Waschgefäß und Geräte zur Teebereitung. Auf einem anderen Tisch eine flache, viereckige Porzellanschale mit den Nachbildungen eines Kiefern baumes, eines Bambusbusches und eines blühenden Aprikosenbaumes. Darunter die alten Symbole der Eheschließung, die Puppen zweier alter Leute, die das ideale, bis ins hohe Alter glückliche Ehepaar darstellen sollen. Dann war Tana in ihrem festlichen Gewand hereingeführt worden. Auf einem Stuhl gegenüber Tanaka hatte sie Platz genommen. Das feierliche Zeremoniell der neun Schlucke geweihten Sakeweins aus drei verschiedenen Bechern hatte begonnen. So war Tana nach den Riten des heiligen Shinto seine Frau geworden. Lange hatte sie die Porzellanschale auf dem kleinen Tisch angesehen, die Schale mit den Bildern der Kiefer, des Bambus' und der Aprikose. Die Bedeutung der Symbole war der Inhalt ihres ersten Gespräches gewesen. Denn die Kiefer verkörpert Langlebigkeit und Beständigkeit, der biegsame Bambus Anpassungsfähigkeit und Sanftmut, die Aprikose als erste Blüte des Frühlings, die schon unter dem Schnee ihre Schönheit entfaltet, Treue unter widrigen Umständen. Später hatte der Nakondo, der Heiratsvermittler, ihn und Tana in das Brautgemach begleitet. Zum erstenmal hatte sie für ihn die Matten auf dem Boden ausgerollt. Schon zwei Wochen darauf war Tanaka wieder zu den Kameraden des Fliegerhorstes zurückgekehrt. Im Verlauf der weiteren J a h r e war nur wenige Male Gelegenheit, das kleine Häuschen am Stadtrand aufzusu chen und Tana zu sehen. Sie, und später den Jungen, der den Namen Yonosuki erhielt. Morgen früh, denkt Masahisa Tanaka, wird er wieder in den Garten hinauslaufen und den kleinen Fischen im Teich zusehen. Tana wird mein Bild mit neuen Blumen schmücken und vielleicht an mich schreiben. Morgen! Tanaka hat die Augen wieder geöffnet. Das Radio spielt immer noch. Die Musik bricht jetzt ab. Die Stimme eines Sprechers erklingt: „Das Kaiserliche Hauptquartier gibt folgende Meldung bekannt: Die Shikishima-Gruppe des Sonderangriffskorps Kamikaze hat am 25. Okto ber um 10.45 Uhr, etwa dreißig Seemeilen nordöstlich der Insel Suluan, einen erfolgreichen Überraschungsangriff auf eine feindliche Kampf gruppe durchgeführt, zu der vier Flugzeugträger gehörten. Zwei unserer Flugzeuge trafen einen Träger und versenkten ihn. Ein drittes Flugzeug traf einen anderen Träger und beschädigte ihn. Ein viertes traf einen Kreuzer, der sofort gesunken ist." Tanaka hat sich aufgerichtet. Auch auf den anderen Betten sind die Piloten bei den ersten Worten des Rundfunksprechers in die Höhe ge schnellt. Seine Stimme ist bereits verklungen. Aber die Worte scheinen immer noch im Raum zu schweben. Doch kein Wort der Freude oder des 29
Jubels ertönt. Nur die Augen leuchten in dem trüben Licht, mit dem die Kerzenflammen den Raum erfüllt haben. Einer spricht etwas aus, das zu dieser Stunde vielleicht alle bewegt. Er sagt es in einfachen, leisen Worten: „Sie sind bereits im Yasakuni!" Der Zerstörer US-LAFFEY hat gedreht und entfernt sich mit hoher Fahrt von dem Zug der Hochseeschlepper, die mit dem von KamikazeFliegern schwer getroffenen Flugzeugträger KALININ BAY im Schlepp nach Süden fahren. In langer Reihe steht die wachfreie Mannschaft der LAFFEY an der Reling, um den Abzug des nach Backbord hängenden Flugzeugträgers zu beobachten. Einer ist unter ihnen, der erst am Vortage das Schiff betreten hatte. Es ist der Kriegskorrespondent Mike Yonkers. Außer ihm konnten noch die meisten Seeleute der St. LO gerettet werden. Der Flugzeugträger war nach den beiden Aufschlägen der mit Bomben beladenen Flugzeuge in kurzer Zeit gesunken. Grauenvolle Szenen spielten sich ab. Tote und Schwerverwundete versanken in den Fluten, andere wurden von dem ungeheuren Sog des sinkenden Schiffes mit in die Finsternis hinabgerissen. Die Rettungsarbeiten der sofort zu Hilfe geeilten Einheiten wurden noch lange fortgesetzt. Unter den Geret teten war Mike Yonkers. Der Kriegskorrespondent steht neben dem baumlangen Boots mannsmaaten Joe Kelly. Nachdenklich schauen beide zu dem schwer beschädigten Träger hinüber. Auch dort hat es große Verluste gegeben. In Mike Yonkers ist das Grauen auch jetzt noch gegenwärtig. Nie im Leben wird er diesen Tag in den Gewässern nordostwärts der Insel Suluan vergessen können. Die Entfernung zwischen ihrem Zerstörer und dem Flugzeugträger wird größer. Die beiden wenden sich ab und streben einem Niedergang zu. Noch in Gedanken versunken, betreten sie ihre gemeinsame Kabine. Der Bootsmannsmaat läßt sich auf seiner schmalen Koje nieder. Inter essiert verfolgt er die Hantierungen seines neuen Schlafgenossen, der gerade eine Schreibmaschine auf ein winziges Tischchen stellt. „Was hätt'ste wohl gemacht, wenn wir nicht noch einen solchen K l a p perkasten für dich auf unserem Pott aufgetrieben hätten?" „Ich wäre Bootsmannsmaat geworden", knurrt Mike Yonkers, wäh rend er ein Blatt Papier einspannt. „An Bord US-LAFFEY, pazifischer Kriegsschauplatz, 26. Oktober 1944. Vor einem Tag war es noch der Geleitflugzeugträger St. LO, auf des sen Deck ich täglich den Duft der Urwälder von S a m a r vom Seewind zugetragen bekam. Heute befinde ich mich an Bord des Zerstörers L A F FEY. Hier schreibe ich diesen erschütternden Bericht. Und noch jetzt, einen Tag, nachdem die St. LO in den Fluten des Ozeans vor der Philip pineninsel Samar für immer versunken ist, bin ich kaum imstande, das Ungeheuerliche zu begreifen, dessen Augenzeuge ich war. Es war gestern, am 25. Oktober 1944. Der Träger lag mit gestoppten Maschinen auf seiner befohlenen Position. Die Grumman-,Hellcat'- Jäger waren schon im Morgengrauen von ihren Hangars zu den Aufzügen geschoben und an Deck gebracht worden. Sie starteten gegen 7 Uhr zum 30
ersten und um 9.30 Uhr zum zweiten Einsatz zur Unterstützung unseres Landungskorps auf der Insel Leyte. Keines der Flugzeuge war am Him mel über der St. LO, als sich das Unfaßbare abspielte. Am Anfang war es nichts als ein normaler Alarm. Es waren sieben ,Zeros' im Anflug auf die Liegeplätze der Träger-Flotte gemeldet, so daß kein Grund zu einer besonderen Aufregung bestand. Vielleicht freuten sich die Jungs auf den Fla-Ständen sogar, wieder einmal tüchtig auf feindliche Flugzeuge feuern zu können, nachdem in den vorangegan genen Tagen außer einigen Aufklärern kein J a p a n e r am Himmel aufge taucht war. Von der ersten Sichtmeldung an blieb der Alarm vorerst auch nichts weiter als ein faszinierendes Schauspiel. Hunderte von Fla-Geschützen der HORNET und der anderen Träger eröffneten das Feuer auf die in großer Höhe fliegenden ,Zeros'. Aber der massierte Beschuß war ohne Erfolg. Es war, als ob die Japaner in ihren kleinen, bulligen Jagdmaschi nen unverwundbar durch den höllischen Wolkenteppich der Geschoß explosionen zögen. Schließlich waren sie auch im Feuerbereich der St. LO, und wieder einmal erlebte ich, wie das Deck des Trägers unter dem Aufbrüllen der Geschütze erbebte. Ich stand in der Nähe eines 20-mm-Vierlings-Standes und konnte den Ablauf des Geschehens genau beobachten. Die Tragödie n a h m ihren Anfang, als sich der japanische ,Zero'-Ver band plötzlich teilte. Drei der J a p s flogen nach Osten weiter, während die vier restlichen zum Sturzflug abkippten. Und auch dieses Mal vielleicht, weil ihre hohe Geschwindigkeit alle Berechnungen der FlaLeute illusorisch machte - gelang es ihnen, die tödliche Sperre aus Tausenden von Geschossen zu durchbrechen. Sie kamen tiefer und tie fer, und bald zeichneten sich die Konturen der feindlichen Flugzeuge in allen Einzelheiten vor dem Blau des Himmel ab . . . Das Grauen packt mich wieder, wenn ich d a r a n denke, was weiter geschah. Denn mittlerweile war jener Augenblick gekommen, wo die feindlichen Piloten ihre Bomben hätten lösen müssen, die deutlich unter den Rümpfen ihrer ,Zeros' zu sehen waren. Aber sie taten es nicht! Sie stürzten weiter hinein in den Höllenorkan des Fla-Feuers. Es waren zwei ,Zeros', die ihre Motornasen direkt auf das Flugzeugdeck unserer St. LO gerichtet hatten. Die Entfernung zwischen ihnen und dem Schiff nahm mit einer unvorstellbaren Geschwindigkeit ab. Es kam der Zeit punkt, da mag sich in den Männern auf den Fla-Ständen der St. LO die Ahnung ausgebreitet haben, daß jeden Augenblick etwas Furchtbares geschehen müsse. Denn die J a p a n e r hätten nie mehr die Möglichkeit gehabt, ihre Bomben zu lösen und ihre Flugzeuge abzufangen. Noch jetzt höre ich das nervenzerreißende Heulen der stürzenden Maschinen durch unser schnell schwächer werdendes Fla-Feuer. Noch jetzt ist das Entsetzen in mir, das ich empfand, als sich die erste der feindlichen Maschinen mit ihrer Bombe in den Aufzugsschacht der Flug zeuge bohrte und unter ohrenbetäubenden Explosionen den Träger er beben ließ. Noch jetzt sehe ich in allen Einzelheiten vor mir, wie wenige Sekunden später die zweite ,Zero' in den Feuerturm der Explosion hin eintauchte und ebenfalls im Inneren des Trägers detonierte. Noch glaube ich den fürchterlichen Luftdruck zu spüren, der mich gegen die Männer des Fla-Standes warf und uns die Lungen zu zerreißen drohte. Und auch jetzt noch höre ich die Schreie der unzähligen Verwundeten, 31
das Prasseln der Flammen, und ich sehe noch die Starre des Todes grauens in den Augen der neben mir liegenden Kanoniere. Noch weiß niemand, wie viele unserer tapferen Sailors bei diesem Selbstmordflug der beiden Japaner den Tod gefunden haben. Denn es war nicht mehr möglich und auch nicht mehr nötig, die schweren Brände im Innern des Schiffes zu löschen. Kurze Zeit nach dem entsetzlichsten Angriff, den ich je erlebte, sank die St. LO auf den Grund des Ozeans. Ein Rudel von Begleitfahrzeugen und Zerstörern n a h m ihre Überleben den auf, so auch mich. Schon gestern abend gab der japanische Rundfunk bekannt, d a ß es sich bei den Angreifern um Mitglieder eines neuen Sonderangriffskorps handelte, das den Namen Kamikaze trägt. Wenn man weiß, mit welcher Gleichgültigkeit unsere Feinde dem Tod gegenüberstehen, kann m a n sich ausrechnen, daß dieser schreckliche 25. Oktober möglicherweise nur der Anfang einer Kette solcher uns wahnsinnig erscheinender Todes flüge sein kann. Es sind Angriffe, gegen die es k a u m eine Abwehr gibt, wenn es der Flak der bedrohten Schiffe nicht gelingt, die Angreifer noch beim A n flug a b z u s c h i e ß e n . . . " Der Bootsmannsmaat hat die Hand ausgestreckt. „Läßt du es mich einmal lesen?" Wortlos reicht Yonkers ihm die beiden Blätter. Der Bootsmannsmaat richtet sich auf und beginnt zu lesen. Der Kriegsberichter zündet sich eine Zigarette an und läßt sich auf sein Bett fallen. Er hört wiederholt einige erregt ausgestoßene Laute. Kellys Hand gleitet über die Stirn, als er die Blätter gelesen hat. „Junge", sagt er, „und war das wirklich so?" „Indeed", murmelt Yonkers, „wer weiß, ob ü b e r h a u p t jemand für diese Minuten des Grauens die richtigen Worte finden kann." Die letzten Silben gehen im Jaulen der Dampfpfeife unter, die das Signal „Klarschiff zum Gefecht!" gibt. Mit einem Satz ist Joe Kelly auf den Beinen. Auch Mike Yonkers springt von seinem Bett hoch. Am Fuße des Niederganges haben sich die Männer der Freiwache zu einem scheinbar unentwirrbaren Knäuel ge ballt. Kellys Stimme erklingt, sie bringt Ordnung in den Haufen, der sich allmählich entwirrt. Geschoben und gestoßen, erreicht auch Mike Yonkers das Deck. Überall gellen jetzt die Pfeifen der Bootsmänner. Der Lautsprecher an der Brücke übermittelt Befehl auf B e f e h l . . . „Japanischer Schlachtschiff verband südlich San-Bernardino-Straße alle Zerstörer in Angriffsrichtung - feindlicher Schlachtschiffver band..." Mike Yonkers hat sich unterhalb der Brücke an eine stählerne R u n dung gepreßt. Als er zum Himmel hinaufblickt, sieht er dichte Schwärme von Trägerflugzeugen nach Norden ziehen. Aus dem Lautsprecher dicht über Mike Yonkers' Kopf erschallen jetzt die Worte: „Torpedos klar zum Einsatz! - Alles auf LAFFEY klar zum Torpe doangriff...!" Auf den Tragflächen der „Zero"-Jäger liegt noch der Tau der Nacht. Raschelnd fallen die grünen Zweige auf die Erde, die am Vorabend zur 32
Tarnung über die Flugzeuge gelegt worden waren. Das Stimmengewirr der Mechaniker erfüllt den Wald. Unter den Rümpfen der Jagdmaschi nen hocken die Bombenwarte. Zum letztenmal überprüfen sie die Auf hängevorrichtungen und die Verriegelungen der Sprengkörper. Unweit der Abstellplätze haben sich die Piloten des Kamikaze-Korps Shikishima am Rand des kleinen Baches versammelt. Siebzehn Augen paare sind auf Kapitän Tamai gerichtet. Er hält eine Liste in seiner Hand. Ohne aufzublicken, liest er sieben Namen. Weithin hallt seine Stimme in die glasklare morgendliche Luft. Feldwebel Tanaka und sein Freund, Fähnrich Inoguchi, waren ebenfalls genannt worden. Die sieben Piloten sind einen Schritt vor die Front getreten. Kapitän Tamai hat die Liste sinken lassen. Sein Blick gleitet über die jungen Gesichter. Er sucht in ihnen den Ausdruck von Trauer oder Todesangst. Er findet Stolz, unbeugsamen Willen. Der Morgenwind bewegt die weißen Hachimakis in den Händen der Todgeweihten. Kameraden treten hinter sie und schlingen ihnen die Schleifen mit der Sonne Nippons um die Stirnen. Dann treten sie wieder zurück. Kapitän Tamai hebt die Hand zum Gruß an die Mütze. Die Bewegung wird zu einem stummen Kommando. Eine Minute lang stehen die Pilo ten schweigend hinter den Kameraden, deren Leben an diesem Tage enden wird. Langsam läßt Kapitän Tamai die Hand sinken. Vielleicht denkt er in diesen Sekunden vor dem Abschiedsgruß an die erschütternden Nachrichten, die auch ihn gestern erreichten. Es waren Meldungen über das Ende der Flotte Admiral Kuritas. Was die Gruppe der Kamikaze hatte erreichen sollen - Vernichtung der Flugzeugträger war nicht gelungen. Und selbst die neuaufgestellten Sonderangriffsein heiten auf Cebu und Formosa hatten das nun Eingetretene nicht verhin dern können. Die Folgen waren von schrecklicher Bedeutung. Eine Hiobsbotschaft nach der anderen war von den Antennenmasten der Funkstationen Lu zons aufgefangen worden. Trotz der Angriffe der 250 Bomber von Admiral Fukudomes 2. Luft flotte waren nur zwei amerikanische Kreuzer und ein Zerstörer im Seegebiet vor Leyte getroffen worden. Dann waren die Flugzeuge der amerikanischen Träger über die Flotte Admiral Kuritas hergefallen. Jene Flugzeuge, deren Vernichtung die Aufgabe des Kamikaze-Korps gewesen wäre. So war das Unfaßbare bereits an jenem Tag geschehen, an dem der Kamikaze-Verband von Oberleutnant Seki seine ersten Erfolge erzielen konnte; Erfolge, die dennoch nicht genügt hatten, um den Feind ent scheidend zu schwächen. Schon am 24. Oktober waren alle Schlacht schiffe Admiral Kuritas von den amerikanischen Trägerbomben getrof fen worden. Der Schwere Kreuzer MYOKO und das große Schlacht schiff MUSASHI waren außer Gefecht gesetzt. Im Süden, in der SuluSee, wurden das Schlachtschiff FUSO von Admiral Nishimuras Ge schwader und ein Zerstörer beschädigt. Und schließlich war jene Nach richt gekommen, die eine der fürchterlichsten und unfaßbarsten Tatsa chen enthalten hatte: Die MUSASHI, neben der YAMATO das größte und gewaltigste
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Schlachtschiff der Welt, war durch pausenlose Angriffe Hunderter a m e rikanischer Flugzeuge zum Sinken gebracht worden. Jene MUSASHI, von der man gesagt hatte, daß sie von niemand auf den Grund des Meeres geschickt werden könnte. Nun sind die Reste der Kaiserlichen Flotte auf dem Rückzug. F u n k spruch auf Funkspruch geht durch den Äther: „Wo bleibt die Luftabschirmung . . . ? " Kapitän Tamai hebt den Kopf. Seine ersten Worte sind kaum ver ständlich. Doch dann wird seine Stimme klarer: „ . . . es ist eine schicksalsschwere Stunde für das Reich des Kaisers, in der Ihr zum Einsatz startet. Nur wenn es Euch gelingt, Eure Aufgaben zu erfüllen, wird es möglich sein, den überwältigenden Druck der feindli chen Trägerkräfte zu brechen. Das Schicksal des Reiches liegt in E u r e n Händen. Nur Euch k a n n es noch gelingen, die feindliche Übermacht vernichtend zu treffen. Euer Sieg wird das Opfer sein, um den Zorn der Götter von uns zu wenden. So geht nun hin und gebt Euer Leben für den Kaiser und Euer ruhmreiches Vaterland!" Sekundenlang herrscht tiefes Schweigen. Doch dann lösen sich aus den Kehlen der Männer die ersten Laute. Weithin trägt der Morgenwind die schallenden „Banzai!"-Rufe in den Wald hinein. Die Grüße an den Kaiser werden von den Mechanikern aufgenommen, die kaum ein Dut zend Meter hinter Kapitän Tamai seine Worte mitgehört hatten. Noch einmal heben die sieben Piloten mit den Sonnensymbolen Nip pons um die Stirnen ihre Hände zum Gruß. Dann erst wenden sie sich den Kameraden zu. Ihre Oberkörper beugen sich zur Geste des A b schieds, ehe sie über die Waldlichtung gehen und sich zu ihren Maschi nen begeben. Fähnrich Inoguchi läuft neben Feldwebel Tanaka. Vor Tanakas Maschine bleibt Inoguchi noch einmal stehen. Seine Lippen bewegen sich, als ob er etwas sagen wolle. Aber es dringt kein Laut aus seiner Kehle. Er hebt nur die Hände und legt sie auf Tanakas Oberarme. Dann wendet er sich ab und geht auf seine „Zero" zu. Die Mechaniker Tanakas stehen am Rumpf der Maschine wie zu einer letzten Parade. Sie neigen die Köpfe, als der Feldwebel auf sie zukommt. Mit behenden Bewegungen steigt er auf die Tragfläche und läßt sich in die Kabine gleiten. Kapitän Tamai steht jetzt vor den Maschinen, die in breiter Front ausgerichtet sind. Er hebt die Hand und gibt das Zeichen zum Anlassen der Motoren. Masahisa Tanakas Gedanken*) befassen sich bereits mit dem Anflug weg. Denn er wird es sein, der die sechs „Zeros" zum Ziel führen soll. Und er wird es sein, der über den feindlichen Schiffen in der Kabine die Hand heben wird, um das Zeichen zum Angriff zu geben. Ein Blick nach links und rechts überzeugt ihn davon, daß sämtliche Motoren laufen. Ein kurzer Gasstoß bringt seine Maschine vor das Spalier der anderen Jäger. Nacheinander ziehen die Flugzeuge an Kapitän T a m a i vorbei. Er h a t die Hand zum Gruß erhoben. Es ist ein letzter Abschied an sieben *)
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Der möglichen Wirklichkeit nachgezeichnete Darstellung.
Piloten, von denen fünf mit Sicherheit nie wieder zu der großen Flugba sis zurückkehren werden. Nur zwei von ihnen werden vielleicht noch einmal über Mabalakat erscheinen, um über den Verlauf des Einsatzes zu berichten. Feldwebel Masahisa Tanaka h a t die Startlinie erreicht. Hinter ihm warten die anderen Maschinen. Nach einem letzten Blick auf sie schiebt er den Gashebel nach vorn. Der Nakajima-Motor dröhnt auf voller Tou renzahl. Langsam nur setzt sich die „Zero" in Bewegung. Zwischen ihren wippenden Fahrwerken schimmert der Mantel der Bombe im Sonnen licht. Schneller und schneller wird die Vorwärtsbewegung. Der Start gelingt. Die Fahrwerke verschwinden in den Tragflächen. Mit halbem Gas fliegt Masahisa Tanaka nach Südosten. Als er zurück blickt, sieht er die Konturen der anderen Maschinen durch die dichte Staubwolke schimmern, die er beim Start aufgewirbelt hat. Eine Ma schine nach der anderen schwingt sich in die Luft. Unter ihnen leuchtet das satte Grün der Kokoswälder im Schein der Morgensonne. Inoguchi und Unteroffizier Nonaka haben bereits neben Tanaka auf geschlossen. Ihre runden Motorpartien sind dem Himmel entgegen gerichtet. Im gleichen Steigwinkel wie Tanaka gewinnen sie Höhe. Die Verbandsformation ist vollendet, als die sieben „Zeros" das Meer erreichen. Wie ein riesiger, blauer Spiegel breitet es sich vor den Wind schutzscheiben aus. Unzählige kleine Inselchen heben sich wie winzige Schmutzflecken aus dem Azurblau des Wassers. Die hohen, im Wind wiegenden Kokospalmen sind nur noch als kleine Striche zu erkennen. Immer mehr entfernen sich die sieben „Zero"-Maschinen von der Erde. Bald ist nur noch die schillernde Wasserfläche des Ozeans unter den Tragflächen. Feldwebel Masahisa Tanaka h a t sich im Sitz zurückgelehnt. Unter der weißen Schleife mit der Sonne Nippons hat sich Schweiß angesammelt. Aber Tanaka tut nichts, um den harten Druck des Hachimaki zu mil dern. Er blickt auf den Kompaß und die Armaturen. Die Zeiger der Instrumente stehen auf den Marken der Normalwerte. Mit jeder weite ren Minute verändern die grünen Bergwälder der Südspitze Luzons ihr Gesicht. Kaum eine Viertelstunde wird vergehen, bis sich die Umrisse der Insel Catanduanes aus dem Meer heben werden. Eine Viertelstunde also noch, bis die Feuerblitze der feindlichen Schiffs-Flak die Nähe des Zieles ankündigen. Eine Viertelstunde! Vor den Buchten im Süden Luzons steht der weiße Saum der sandigen Küsten. Lange Bergkämme heben ihre grünen Höhen dem Himmel ent gegen. Sieben Augenpaare nehmen noch einmal die farbenfrohe Schön heit der Welt in sich auf. Zum letzten Male! Vor Feldwebel Tanakas Mund hängt der dicke Gummiwulst des Atem gerätes. In tiefen Zügen saugt er den Sauerstoff in die Lungen. Der Himmel ist klar und rein bis in die höchsten Höhen. Nur am östlichen Horizont stehen weiße Wolkentürme. Tanakas Blick kreist unaufhörlich durch den Luftraum. Angst schimmert in seinen Augen. Aber es ist nur die Angst vor den feindlichen Jägern, die den letzten Flug der Kamikaze zu einem sinnlosen Opfer werden lassen könnten. Doch noch trübt kein dunkler P u n k t das makellose Blau des Firma ments. Der Höhenmesser zeigt siebentausend Meter an. Ein Hauch von Kälte dringt in die Kabine. In der Ferne taucht die Insel Catanduanes aus dem Meer. Ihr Anblick 35
rückt die so nahe Welt des Jenseitigen vor das Denken Tanakas. Er blickt auf die Sonne, die jetzt auch über den Bergen Nippons leuchtet. Noch einmal sieht er den schmächtigen Körper Yonosukis an dem klei nen Teich im Garten vor sich. Tana steht daneben, den kostbaren Obi um die Schulter geschlungen . . . Ein fernes Lächeln h a t die Starre auf Tanakas Zügen gelichtet. Ino guchis Maschine ist dicht neben ihm. Die Motorpartie zeigt bereits auf die Westküste Catanduanes. Nur noch Minuten kann es dauern, bis die feindlichen Träger am Horizont auftauchen. Die letzte Spanne Leben läßt die Gedanken zu einem t u r b u lenten Wirbel werden . . . Nur noch Minuten! Tana - Yonosuki - bald werdet ihr den Brief erhalten, den ich euch geschrieben h a b e . . . Der Kaiser wird wissen, daß ich mich für ihn geopfert h a b e . . . Die Seelen der toten Helden Nippons sind schon so nahe - nur wenige Minuten noch . . . Tanakas Mund wird schmal, als er im Osten der Insel feine Striche auf dem Blau des Ozeans wahrnimmt. Er weiß, daß es die feindlichen Träger sind. Immer noch steht die Nadel des Höhenmessers auf siebentausend Meter. Der Anblick der fernen Träger versinkt im Abgrund einer weltfrem den Traurigkeit. Ein Leuchten, einem unirdischen Lächeln gleich, schim mert aus dem Dunkel der Augen. Es erlischt in jener Sekunde, als sich der Himmel über Catanduanes mit dunklen Punkten sprenkelt: Feind liche Jäger! Tanakas Hand schließt sich fester um den Griff des Steuerknüppels. Jenseits der Insel sind die Umrisse der Träger größer geworden. Über ihnen hängen Schwärme dunkler, fleckenartiger Gebilde, die wie ein Schwarm von Heuschrecken das Blau des Himmels stellenweise b e decken. Tanaka sitzt starr hinter dem Knüppel. Er weiß, d a ß es ihm und den Kameraden unmöglich sein wird, einen Kampf mit den amerikanischen Flugzeugen aufzunehmen. Die verriegelten Bomben unter den Rümpfen machen jede Art von Abwehr und Luftkampf unmöglich. Aber die großen Flugzeugträger des Feindes sind schon so nahe: Deut lich zeichnen sich ihre Umrisse auf dem Blau des Meeresspiegels ab. Blitze zucken aus dem Wasser: Abschüsse der Flak! Feldwebel Tanakas Blick gleitet über die sechs Maschinen, die neben ihm durch den Himmel ziehen. Er sieht Inoguchis Oberkörper und die Augenpartie über dem Rand der Sauerstoffmaske. Auf dem Rumpf seiner „Zero" leuchten die roten Kreise der Kennzeichen. Schon im nächsten Augenblick sieht Feldwebel Tanaka die Feinde wieder. Sie fliegen jetzt etwa auf gleicher Höhe und nähern sich aus frontaler Position. Es sind mindestens zwanzig amerikanische G r u m man-„Hellcat"-Jäger. Die weißblauen Sterne auf ihren Tragflächen sind deutlich zu erkennen. Tanakas Verzweiflung wird immer stärker. Sein Blick schätzt die Entfernung, die ihn noch von den Trägern trennt. Ein Gefühl jäher Erleichterung hält in ihm Einzug, als er erkennt, daß nur noch wenige Minuten geflogen werden müssen, bis er das Zeichen zum Sturz geben kann. 36
Die Amerikaner kommen mit hoher Geschwindigkeit näher. Sie jagen unter den „Zeros" hindurch und steigen steil in den Himmel hinein. Tanaka sieht, wie sie sich nach einem Turn wieder in die Vertikale neigen und zur Angriffskolonne formieren. Tanakas Hand nähert sich der Stirn. Aber die Finger fühlen nur die schweißgetränkte Seide des Hachimaki. Die Berührung erzeugt einen Strom rätselhafter Kraft. Es war die Sonne Nippons, die er soeben be rührte. Eine verbissene Entschlossenheit leuchtet jetzt aus Tanakas Augen. Er hat den Kopf gedreht und blickt für wenige Sekunden auf die feindli chen Jäger. Sie sind kaum noch fünfhundert Meter entfernt, und es kann nur noch wenige Augenblicke dauern, bis aus ihren Bordwaffen die Geschoßgarben herausprasseln werden. Es war das letzte Mal, daß Tanaka dem Pulk der Feinde Aufmerksam keit schenkte. Es war auch das letzte Mal, daß sein Blick über die Maschinen der Kameraden huschte. Ein stolzes Gefühl breitet sich in ihm aus. Die großen Träger sind erreicht. Die Motorpartie von Tanakas „Zero" zeigt bereits auf die charakteristischen Umrisse der schwimmenden Flugplätze. Es waren die Flugzeuge dieser Schiffe, die Admiral Kuritas stolze Flotte versenkten. Sie waren es, die der ruhmreichen Armada Nippons den Todesstoß versetzten, bevor der „Göttliche Wind" der K a mikaze sie vernichten konnte. Plötzlich huschen gelb-weiße Striche an Tanakas Kabine vorbei. Es sind die Leuchtspurgarben der amerikanischen Jäger. Aber der Feldwe bel achtet nicht mehr darauf. Er hebt die rechte Hand und wackelt mit den Tragflächen. Kurz darauf drückt er den Steuerknüppel nach vorn. Im Abkippen sieht er noch, daß Fähnrich Inoguchi mit seiner Maschine ebenfalls zum Sturz übergegangen ist. Tanaka hat den Abschied von dieser Welt bereits hinter sich. Auf seiner Stirn brennt der Schweiß. Sein Körper ist voller Konzentration. Sein Blick hat die Konturen eines Flugzeugträgers erfaßt, der immer größer ins Visier wächst. Die tanzenden Nadeln der Instrumente sind bedeutungslos geworden. Es ist soweit! Auch die Bombe ist scharf. Eine schnelle Handbewegung löst den Zündungsstift der Bombe . . . Unten hat sich das Meer wie eine riesige Schale geöffnet. Tausende von Blitzen zucken über das Wasser. Der Verband der Flugzeugträger legt ein massiertes Abwehrfeuer über die Einheiten. Plötzlich flirren wieder die Leuchtstriche neben der Kabine. Sie sind ein letztes Warnzeichen der Wirklichkeit, und sie erinnern an die Feinde, die hinter dem Verband der Kamikaze hängen. Masahisa Tanaka macht keine Abwehrbewegung. Auch dann nicht, als er das hämmernde Trommeln der Einschläge im Rumpf verspürt. Sein Gesicht wirkt entspannt. Es gibt keine Gefahren mehr für ihn. Das Trommeln der Einschüsse wird dichter. Es ist eine mechanische, impulsive Regung, die Tanaka den Körper zusammenducken läßt. Ein dumpfer Laut dringt aus seiner Kehle, als er die gelbe Brandfahne auf der linken Tragfläche sieht. Die Maschine wird wie von einer Riesen faust geschüttelt. Aber noch rast sie in die Tiefe. Noch gehorcht sie dem Steuer... Der beißende Geruch von Feuer dringt in die Kabine. Rauchschwaden ziehen vom Motor her gegen Tanakas Gesicht. Der grelle Flam menschweif auf der Tragfläche wird stärker und länger. Schweißbäche 37
rinnen über Tanakas Gesicht. Noch einmal fällt sein Blick auf den Höhenmesser. Noch sind es eintausend Meter, die ihn vom Ziel trennen. Ob es gelin gen wird? Der Tunnel aus glutenden Feuerketten wird immer dichter. Eine Granate zerfetzt die linke Tragflächenspitze. Tanaka nimmt es nur im Unterbewußtsein wahr. Schweißtropfen lö sen sich aus der Seidenschleife um seine Stirn. Die Hände vollführen eine letzte Richtungskorrektur. Die Maschine gehorcht noch . . . Das Deck des Flugzeugträgers ist bereits riesengroß geworden. F l a m men schlagen jetzt auch aus dem Motor. Wie durch einen gelben Vor hang suchen Tanakas Augen das Ziel. Noch einmal denkt er in Bruchteilen von Sekunden an das Feuer, das um die scharfe Bombe unter dem Rumpf leckt. Noch einmal, in den letzten Sekunden seines Lebens, rollen einzelne Bilder vor ihm ab. Er sieht noch einmal die Menschen vor sich, die Marksteine seines Lebens waren: Tana - Yonosuki - Admiral Onishi - Kapitän Tamai - der kleine Fähnrich I n o g u c h i . . . ! Das Feuer um den Motor ist jetzt zu einer einzigen Flammenwand geworden. Eine höllische Hitze herrscht in der Kabine. Wie aus weiter Ferne sieht Tanaka noch einmal die längliche Fläche des Trägerdecks durch Rauch und Feuer. Dann löst sich der letzte Schrei aus seiner Kehle: „Banzai...!" Den Aufprall auf das Trägerdeck spürt er schon nicht mehr. In langer Kolonne umkreisen die „Hellcat"-Jäger das Deck des Flug zeugträgers FRANKLIN. In der Maschine, die in vierter Position fliegt, sitzt Leutnant Sammy Corner. Mit mechanischen Steuerbewegungen folgt er dem Kurs der großen Landeschleife. Zorn, Enttäuschung und Entsetzen sind noch so stark in ihm, d a ß er sogar vergessen hat, nach Erreichen der niederen Höhen die Atemmaske vom Gesicht zu nehmen. Er reißt den Gummiwulst erst aus seiner Halterung, als er im Manöver des Landeanfluges das lichterloh brennende Vordeck des Flugzeugträ gers BELLEAU WOOD überfliegt, auf den sich vor wenigen Minuten einer der Japaner mit seiner Maschine gestürzt hatte. Das Gesicht des Leutnants wirkt grau und verkrampft. Er steht noch völlig unter dem Eindruck des gräßlichen Geschehens, dessen Zeuge er soeben geworden war. So braucht er alle Kraft, um sich wieder auf den Landeanflug zu konzentrieren. Sein Gesicht ist schweißbedeckt. Er wischt sich noch einmal mit dem Jackenärmel über die Stirn, ehe er Fahrwerk und L a n deklappen ausfährt. Das Flugdeck des Trägers FRANKLIN kommt mit rasender Ge schwindigkeit näher. Der Motor der „Hellcat'-Maschine bullert im Leer lauf. An den Tragflächenwurzeln haben sich die Landklappen nach unten gesenkt. Die vor Corner gelandete Maschine ist von den Männern des Deckspersonals bereits zur Seite geschwenkt worden. Das Deck ist für Sammy Corner frei zur Landung. Der Landeeinweiser, der in seinem weithin leuchtenden gelben Dreß auf einer Plattform unterhalb der Brücke steht, hat seine großen bunten Tafeln bereits gehoben. Neben 38
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dem Flugdeck ragen die rauchgeschwärzten Mündungen der Fla-Ge schütze in den Himmel. Die unförmigen Stahlhelme der Geschützbedie nungen sind bereits in aller Deutlichkeit zu erkennen. Die Motor schnauze der „Hellcat" zeigt auf den weißen Kreis der Aufsetzmarkie rung. Leutnant Sammy Corner neigt die linke Tragfläche zu einem leichten Slip. Er merkt, daß er noch zuviel Höhe hat, und d a ß auch seine Ge schwindigkeit zu hoch ist. Mit einem kurzen Fluch schiebt er den Gas hebel wieder nach vorn. Dicht unter seinen Tragflächen zischt das Deck des Trägers vorbei. Das Meer huscht wieder auf die Windschutzscheibe zu. Am Horizont stehen Rauchsäulen über dem Wasser, Feuerwolken, die sich über die getroffenen Schiffe in die Höhe wölben. Leutnant Corner hat die „Hellcat" in eine harte Kurve gelegt, obwohl er das Fahrwerk nicht eingefahren hatte. Schon eine halbe Minute später setzt er zum zweiten Landungsversuch an. Noch einmal wieder holt sich der gleiche Vorgang. Dieses Mal sind Höhe und Geschwindigkeit richtig. Die Laufräder berühren die Aufsetzmarkierung. Der Sporn schleift über das Deck. Eine - zwei Sekunden noch, dann reißt der gewaltige Bremsstoß der Gummiseile Corners Körper nach vorn. Mit unwiderstehlicher Gewalt wird die Maschine von den schweren Gummiseilen angehalten. Männer des Deckspersonals laufen auf die „Hellcat" zu. Sie lösen die Bremsseile und drehen die Maschine. Corner hat bereits den Motor abgestellt. Er war der letzte, der zur Landung ansetzte. Unter ihm t a u chen die vertrauten Gesichter der Warte auf. Ihre Stimmen klingen in Corners Gehör. Der Leutnant öffnet die Kabine und steigt auf die Tragfläche. Ser geant Tony McLear, sein 1. Wart, breitet die Arme aus und fängt ihn aus dem Sprung auf. „Sir", sagt er, „Sie sehen nicht gut aus. War etwas Besonderes?" Corner stützt sich mit den Ellbogen auf die Tragfläche. Mit einem abwesenden Nicken greift er sich an den steifgewordenen Nacken. Dann deutet er nach Osten, wo die Feuerwolke über dem Deck des Trägers BELLEAU WOOD selbst mit bloßem Auge zu sehen ist. „Ist das nichts Besonderes dort d r ü b e n ? " „Verdammt", nickt der Mechaniker, „wir haben es gesehen!" Der Leutnant schlägt beide Fäuste auf die Tragfläche. „Ich war hinter dem Gelben. Er brannte lichterloh. Und trotzdem ist es passiert!" „Er brannte durch Ihren Beschuß . . . ? " Leutnant Corner nickt zustimmend. Er schüttelt den Kopf und sieht wieder aufs Meer hinaus. „Man könnte wahnsinnig werden", murmelt er, den Blick immer noch auf den brennenden Träger gerichtet. „Man schießt und trifft und glaubt, d a ß es genügen würde. Dann schießt man weiter und muß zuse hen, d a ß sich die Burschen trotzdem auf eines unserer Schiffe stürzen. Das macht einen fertig, glauben Sie mir." „Aber zwei sind doch heruntergefallen!" Sammy Corner schüttelt den Kopf. „Zwei!" knurrt er. „Aber es waren immer noch genügend da, um dort drüben diese Hölle zu entfachen. Was müssen das für Burschen sein! Es kann sich doch nicht um Wahnsinnige handeln?" „Nein, das glaube ich auch nicht", murmelt der Sergeant. 40
Die Brandwolke auf dem Deck der BELLEAU WOOD scheint immer noch neue Nahrung zu erhalten. Von Norden her trägt der Wind das rollende Echo von Artilleriesalven über das Wasser. Leutnant Corner ist in der Nähe der Brücke stehengeblieben. Der Anblick des brennenden Trägers, der jetzt von einem Rudel kleinerer Schiffe umgeben ist, weckt Erinnerungen an den Untergang der St. LO. Noch jetzt fühlt er den Nachklang des Schocks in sich, den er damals beim Überfliegen des im Sinken begriffenen Trägers verspürte. Er hatte erst nach der Ausweichlandung, auf der FRANKLIN, erfahren, was sich zuvor ereignet hatte. Und jetzt waren sie wiedergekommen! Wahrscheinlich von Formosa her. Und das, obwohl alle Flugplätze auf den Inseln von den Bombern der Träger förmlich umgepflügt worden waren! Die Spuren des ersten Einsatzes sind noch nicht von Leutnant Corners Gesicht gewichen, als er eine halbe Stunde später wieder in die Kabine seiner „Hellcat" s t e i g t . . .
Der Himmel über Mabalakat ist von einem dichten Schleier bleigrauer Regenwolken verhüllt. Ein trübes, gespenstisches Licht liegt über den Kronen der Waldbäume, unter deren weitausladenden Blätterdächern einmal die Flugzeuge des Kamikaze-Shikishima verborgen waren. Nur ein Flugzeug steht noch inmitten des wuchernden Grüns. Es ist eine „Zero"-Maschine, deren Tragflächen von unzähligen Einschlägen zerfetzt sind. Die verbogene Luftschraube zeugt davon, daß ihr Pilot sie nur noch durch eine Bauchlandung auf die Erde bringen konnte. Am Rand des Waldes, in der Nähe des vom Wind zerfetzten Befehlszel tes, lehnt ein Pilot am Stamm eines Baumes. Jeder der Mechaniker kennt seinen Namen. Jeder kennt den letzten des Kamikaze-Korps Shi kishima, den Feldwebel Isao Shioda. Und jeder nimmt Anteil an seiner verzweifelten Trauer, die nicht mehr aus seinen Gesichtszügen weichen will. Denn Isao Shioda war der einzige, der von Feldwebel Tanakas Kamikaze-Verband nach Mabalakat zurückkehrte. Es war seine Auf gabe gewesen, als Begleitjäger zu fliegen. Er hatte keine Bombe bei sich getragen. Von zahlreichen Geschossen war seine Maschine zerfetzt, als er auf der Piste zur Bauchlandung angesetzt hatte. Später hatte er Kapitän Tamai von der Durchführung des Angriffsfluges berichtet, von Tanaka und Inoguchi, die ihr Ziel gefunden hatten. Aber auch von den beiden anderen Kamikaze-Piloten, deren Maschinen schon im Sturz unter den Kanonengarben der amerikanischen Begleitjäger in der Luft explodiert waren. Shioda konnte indessen nichts mehr von den beiden anderen berich ten, die mit ihm geflogen waren. Er hatte sie im Sturz aus den Augen verloren, nachdem es ihm durch eine Abwehrbewegung gelungen war, die Schar der Feinde von sich und seiner schwer beschädigten Maschine abzuschütteln. Sie waren aber nicht heimgekehrt und wahrscheinlich abgeschossen worden, ohne einen der Flugzeugträger getroffen zu haben! Der Feldwebel betrachtet die dunklen Regenwolken über dem Flug platz. Die weite Anlage der Luftbasis ist wie ausgestorben. Auch das Befehlszelt ist nicht besetzt, es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis die letzten Männer den Flugplatz verlassen werden. 41
Einige Zeit später läuft Shioda am Rand des kleinen Baches entlang auf die Felswand zu. Im Eingang der Bambushütte mit den vielen Feld betten bleibt er stehen. Sein Blick gleitet über die kleinen Päckchen mit den letzten Habseligkeiten der Kameraden, die ihr Leben für den Kaiser opfern konnten. Mit zögernden Schritten geht der Einsame an den Betten vorbei. Eines davon zieht ihn wie mit magischer Gewalt an. Es ist das Feldbett, auf dem Feldwebel Tanaka zum letzten Male in seinem Leben geschlafen hatte. Auch sein Rucksack steht noch neben dem Bett. Niemand fand bis jetzt Zeit, die Hinterlassenschaft der toten Kamikaze zu entfernen. Nur ihre letzten Briefe waren von Kapitän Tamai eingesammelt worden. Mit leerem Blick starrt Shioda auf eine Außentasche des Rucksackes. Der lederne Rand einer Brieftasche ragt ein Stück hervor. Shioda zieht sie heraus. Als er sie öffnet, kommt eine Anzahl von Bildern zum Vor schein. Eines davon zeigt eine schöne junge Frau mit einem kleinen Jungen. Sie steht am Rand eines Miniaturteiches in einem Garten und hat den Kopf des Buben an sich gedrückt. Shioda klappt die Brieftasche zu und steckt sie wieder in die Rucksacktasche. Das Dröhnen des fernen Geschützfeuers erinnert ihn wieder an die Wirklichkeit. Sein Blick fällt auf das Bett, neben dem auf dem Fall schirm das weiße Hachimaki ausgebreitet daliegt. Der Feldwebel richtet sich überrascht auf, als er in der Ferne das Geräusch von Flugzeugmotoren hört. Er verläßt eilig die Hütte und läuft an den kleinen Bach. Wenig später sieht er einen „Shidden"-Bomber zur Landung anschweben. Von einem der Tarnplätze löst sich ein Wagen, der auf die Bombenmaschine zufährt. Es dauert nicht lange, bis das Auto von dem Flugzeug wegfährt und auf das Befehlszelt zurollt. Es sind Admiral Onishi und Kapitän Nakajima, die nun aus dem Wagen steigen und in das Zelt hineingehen.
Eine schwarze, undurchdringliche Finsternis hat sich über die Roll bahnen von Malabakat gebreitet. Nur manchmal, wenn die wabernden Wolkenfetzen etwas lichter werden, erhellt der Mond für wenige Au genblicke die Dunkelheit über der Insel Luzon. Gegen 3.30 Uhr wird das ferne Grollen des Artilleriefeuers aus der Lingayen-Bucht vom Dröhnen zweier Flugzeugmotoren übertönt. Blaugelb züngeln die Auspuffflammen der Bombertriebwerke in die gespenstische Finsternis. In der Nähe einer Gruppe von Offizieren, die vor wenigen Minuten von einem Wagen an die Maschine gebracht worden war, halten sich einige Mechaniker auf. Hinter dem zweimotorigen Flugzeug schält sich jetzt die Gestalt Ad miral Onishis aus dem Zwielicht. Neben ihm geht Admiral Sugimoto, der den Befehl hat, die Insel Luzon gegen den andringenden Feind bis zum letzten Mann zu verteidigen. Noch einmal verbeugen sich die beiden Offiziere zu einem letzten Gruß, ehe Admiral Onishi sich dem Einstieg des Bombers zuwendet. Am Rumpf steht der letzte der Kamikaze von Mabalakat, Feldwebel Shioda. Neben ihm liegen sein Fallschirm und der kleine Kleidersack mit seinen persönlichen Habseligkeiten auf der Erde. Auf der untersten Sprosse der Einstiegsleiter bleibt Admiral Onishi 42
noch einmal stehen. Er wendet den Kopf und starrt in das Dunkel hinein. Niemand kann in diesen Augenblicken sein Gesicht erkennen. Und nie m a n d kann seine Gedanken lesen. Der Druckwind der laufenden Moto ren zerrt an seinem einfachen, schmucklosen Uniformrock. Wie unter einem Zwang wendet er sich schließlich wieder dem Ein stieg zu. Er taucht in den bläulichen Schein der wenigen Lampen, die d a s Innere des Bombers mit einem fahlen Licht erfüllen. Hinter ihm betritt Feldwebel Shioda den langgestreckten Rumpf des Flugzeuges. Der Admiral winkt ab, als der Bordschütze der Bomberbesatzung ihm beim Anschnallen behilflich sein will. Die Gurte hängen zu beiden Sei ten seines Sitzes herab. Der Pilot des Flugzeuges taucht vor dem Admiral auf. Er hält grüßend die Hand an die Mütze, und Onishi hebt seinen Samurai-Dolch. K a u m eine Minute später setzt sich der Bomber in Bewegung. Drau ßen vor den kleinen Sichtluken zieht die Nacht vorbei. Mit dröhnenden Motoren holpert die Maschine über die von zahlreichen Bomben getrof fene Erde. Die Motoren brüllen auf. Das Flugzeug gewinnt an Geschwin digkeit . . . Die Anschnallgurte hängen immer noch neben dem Körper des Ad mirals nach unten. Halb hinter ihm hat sich Feldwebel Shioda auf seinen Fallschirm gesetzt. Der „Shidden"-Bomber hat sich bereits von der Erde gelöst. Bald ziehen die ersten Wolkenfetzen an der Kabine vorbei. Der Bug ist nach Norden gerichtet. Die Erde Luzons wird ferner. Es dauert nur kurze Zeit, bis die Maschine die Wolkenfront durchstoßen hat. Admiral Onishis A r m e sind über der Brust verschränkt. Sein Gesicht hat eine wächserne Farbe. Seine Augen sind halb geschlossen. Von Nordwesten her zucken Blitze über den Himmel. Vielleicht erinnerte sich der Admiral zu dieser Stunde an jenen 20. Ok tober 1944, wo in dem kleinen Haus bei Mabalakat mit der Gründung des Kamikaze-Korps der Geist der Samurai wieder lebendig wurde. Das große Opfer des Bushido war Wirklichkeit geworden, um den bei Leyte zum ersten Angriff auf die Philippinen gruppierten Feind zu vernichten und Admiral Kuritas Flotte vor den Schwärmen der amerikanischen Trägerflugzeuge zu schützen. Es war nicht gelungen! Leyte war gefallen. Admiral Kuritas Flotte h a t t e in den schweren Schlachten bei der San-Bernadino-Straße den Todesstoß erhalten. Den großen Siegen der Kaiserlichen Marine, die mit dem Triumph von Pearl Harbor begonnen und mit der Eroberung des gesamten Inselraumes von Borneo bis zu den Marianen ihre Krönung gefunden hatten, war nach den Schlachten bei Midway und den Koralleninseln Niederlage auf Niederlage gefolgt. Und nun stand der Feind bereits am Golf von Lin gayen, hundert Meilen nördlich von Manila. Seine Flugzeugträger schickten so viele Maschinen über die Landungsräume, daß die eigenen Abwehrkräfte durch die amerikanischen Flugzeuge vollkommen aufge splittert wurden. Der Kampf war hoffnungslos geworden. Den starken feindlichen Kräften zu Lande, zur See und in der Luft konnte kein ernsthafter Widerstand mehr entgegengesetzt werden. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die von über tausend Schiffen gelandeten T r u p pen Luzon erobert hatten. Für Admiral Sugimotos Männer w ü r d e es kaum noch eine Chance geben. 43
Als Admiral Onishi zur Seite blickt, sieht er die Gestalt des Feldwebels Shioda in dem spärlichen Licht, das die Kabine nur notdürftig erhellt. Der letzte der Kamikaze von Mabalakat! Aber auch der letzte von 423 Piloten, die auf den zahlreichen Flugplätzen der Philippinen, Cebus und Formosas zum Opferflug gegen die Feinde gestartet waren. Unwill kürlich greift der Admiral an seine Brusttasche. Papier knistert unter seinen Fingern. Es ist die Liste der Erfolge, die von den 423 KamikazeFliegern Nippons seit der Gründung des Sonderangriffskorps errungen worden waren. In nüchternen Zahlen steht geschrieben, daß den 423 für den Kaiser geopferten jungen Leben fünf Flugzeugträger, ein Schlacht schiff, fünf Kreuzer, drei Zerstörer und dreiundzwanzig Transporter gegenüberstanden. War nicht alles umsonst gewesen? Doch schon im nächsten Augenblick wird das schmale Gesicht mit den tiefen Furchen wieder zu einer starren Maske. Es konnte nicht umsonst gewesen sein! Und es würde auch in der nahen Zukunft nicht umsonst sein! Nur auf diese Weise konnte der Feind zermürbt, demoralisiert werden! Auch das Kaiserliche Haupt quartier hatte sich dieser Ansicht angeschlossen. Einhundertfünfzig Flugzeuge und Piloten sind wieder bereit, um den Feind zu treffen und zu vernichten. Und es werden weitere folgen! Bald schon werden auch Piloten zum Einsatz kommen, die in einer neuen Raketenbombe ihre Ziele anfliegen sollen. In einer Bombe, die mit einer Tonne Sprengstoff gefüllt ist, und durch ihre hohe Sprengwirkung vielleicht als einzige Waffe noch in der Lage sein wird, den übermächti gen Ansturm des Feindes auf das Reich des Kaisers zu brechen. Luzon ist schon längst hinter dem „Shidden"-Bomber zurückgeblie ben. Es wird vielleicht ein Abschied für immer gewesen sein. Der Ad miral hatte den inhaltsschweren Befehl auf Luzon selbst vorgelesen. Er war über das Hauptquartier der Südwestflotte in Baguio eingegangen. Sein Inhalt glich dem Todesurteil für die kaiserlichen Streitkräfte, die auf den Philippinen den Ansturm des Feindes erwarteten: „ . . . die 2. Luftflotte wird aufgelöst. Ihre Fliegereinheiten werden der 1. Luftflotte u n t e r s t e l l t . . . der Befehlsbereich der 1. Luftflotte wird auch auf Formosa a u s g e d e h n t . . . das Hauptquartier der 1. Luftflotte verlegt nach Formosa . . . Flugzeugführer und Funkspe zialisten sind nach Formosa zu überführen. Der Befehl tritt am 8. J a n u a r 1945 in Kraft." Rückzug nach Formosa! Admiral Onishi blickt durch eine der Sichtluken auf das im Mondlicht schillernde Meer hinunter. Irgendwo auf seinem weiten Spiegel hatten sich die Männer der Kamikaze-Verbände Shikishima, Yamato, Asahi und Yamasakura mit ihren bombenbeladenen Maschinen auf die Decks der feindlichen Schiffe g e s t ü r z t . . . Auch Oberleutnant Yukio Seki und Admiral Arima! Und nach ihnen Hunderte von Helden, die mit ihrem größten Opfer den Sieg für das Kaiserreich zu ermöglichen hofften! Der Admiral hat die Augen geschlossen. Aber es kommt kein Schlaf über ihn. Er kennt die Berichte über den Opfertod seiner Männer. Fast plastisch sieht er sie mit ihren Flugzeugen vor sich, wie sie sich im Feuer der Schiffs-Flak auf ihre Ziele stürzen. Er hört ihren letzten „Banzai!" 44
Ruf, bevor der Tod nach ihnen greift, die Explosion sie zu den unsterbli chen Helden Nippons ruft. Die Zeit schleicht dahin. Rund achthundert Kilometer hat die „Shid den"-Maschine zu bewältigen. Die Sonne wird sich bereits aus dem Meer heben, wenn sie den Flugplatz von Takao erreicht hat. Im monotonen Dröhnen der Motoren geht Admiral Onishi weiterhin seinen Gedanken nach. Das Flämmchen letzter Hoffnung ist so schwach wie der Schimmer von Licht, der jetzt das Dunkel der Nacht zu zerteilen versucht. Der fahle Schein im Osten wird immer stärker. Er legt sich über die Oberfläche der See und verleiht ihr eine undefinierbare Farbe. Am Himmel beginnen die Sterne zu verblassen. Tausende von Metern unter dem Flugzeug zeichnen sich die winzigen Konturen einiger Atolle ab. Im Norden schiebt sich ein grauer Streifen über die See: Formosa! Unter Admiral Onishis Augen liegen tiefe Schatten, während er in die Farbenglut des Sonnenaufgangs blickt. Voraus kommt die Südspitze Formosas näher. Wolkenfetzen huschen an der Maschine vorbei, die jetzt in leichtem Bahnneigungsflug dem nahen Ziel entgegenstrebt. Re gen prasselt an den Rumpf wie ein Steinschlag aus den Höhen des Himmels. Die sich schnell verdichtenden Wolken haben das Licht der Sonne in sich aufgesogen. In einer langen Schleife nähert sich die „Shidden" der großen Insel. Der Landeanflug des Piloten hat eine verzweifelte Ähnlichkeit mit einem Sturzflug. Die Erde rast nur so auf die Bugkanzel zu. Shioda hat sich an ein Bündel Leitungen geklammert, die am Rumpf entlanglaufen. Sein Blick sucht unaufhörlich den Himmel ab. Der „Shidden"-Bomber ist höchstens noch zweihundert Meter von der Erde entfernt. Shioda bangt dem Augenblick entgegen, in dem die Laufräder die Piste des Flugplatzes berühren. Wird alles glattgehen? Er hat den Admiral verges sen, der immer noch mit der Reglosigkeit einer Statue auf seinen Platz sitzt. Der Feldwebel wird zur Seite geworfen, als die Maschine mit einem harten Stoß die Erde berührt. Während er sich wieder aufrichtet, sieht er die Abschußblitze, die sich rund um den Flugplatz aus den Rohren der Fla-Geschütze lösen. Der Bomberpilot dirigiert die Maschine noch im Ausrollen auf eine der in den Fels gehauenen Boxen zu. Plötzlich sind Mechaniker vor dem Bug des Flugzeuges. Sie rudern wild mit den Armen. Noch einmal wird Feldwebel Shioda zur Seite geworfen, als die Ma schine in ihrer Rollbewegung gestoppt wird. Der Bordschütze läuft an ihm vorbei und reißt die Ausstiegsluke auf. Mit fahrigen Bewegungen zerrt er die schmale Eisenleiter an die Rumpfkante. Er zuckt zurück, als d r a u ß e n eine MG-Garbe die Erde aufspritzen läßt. Admiral Onishi steht bereits an der Luke. Er setzt einen Fuß auf die schmale Leiter, während amerikanische Jagdflugzeuge im Tiefflug über die Pisten von Takao rasen. Im ohrenbetäubenden Donnern des Fla-Feu ers geht er auf das Felsenloch zu, vor dem die Mechaniker auf der Erde kauern. Wenige Meter neben dem Admiral peitscht eine MG-Garbe über die Erde. Querschläger zirpen durch die Luft. Die Besatzung der „Shid den" kommt aus der Maschine gelaufen. Shioda ist unter ihnen. Mit aufheulenden Motoren zieht ein Schwarm von Grumman-Jägern in die Höhe. Admiral Onishi befindet sich dicht vor dem Felsenloch, als 45
die Garben eines „Hellcat"-Jägers den „Shidden"-Bomber treffen und in Feuer hüllen . . .
Die ganze Kimm scheint übersät mit den Silhouetten von Flugzeugträ gern, Schlachtschiffen, Kreuzern, Zerstörern, Minensuchern und einer endlosen Flotte von Transportern. Noch ist der Kurs der Armada aus zahllosen Schiffen ein Geheimnis, obwohl sich hartnäckige Gerüchte halten, daß das Gros der Flotte einer Inselgruppe im Süden des Kaiser reiches entgegenfährt. Aber es wird noch Tage dauern, bis der Flotten verband die über zweitausend Seemeilen zurückgelegt hat, die zwischen seinem letzten Standort nördlich der Philippinen und den fernen Vul kan-Inseln liegen. Eine dieser Inseln trägt einen Namen, der einmal zum Symbol einer der erbittertsten Schlachten dieses Krieges werden sollte: Iwo J i m a ! Die vom Wind zerfetzten Sternenbanner an den Tops der Schiffe flattern jetzt auf der Höhe des Nördlichen Wendekreises, etwa hundert fünfzig Seemeilen Ost-Süd-Ost von der Ostküste Formosas. Auf den Stationen der Schiffe wird nur noch routinemäßige Wache gegangen, seit sich der Verband von den Schauplätzen der schweren Kämpfe entfernt hat. Auf dem Deck des Flugzeugträgers FRANKLIN verströmte die J a n u a r sonne eine milde, trügerische Wärme. Sie hat einen Teil der T r ä g e r - P i loten aus ihren Unterkünften gelockt. In kleinen Gruppen bummeln sie über das Deck. Ihre Jugend hat ihnen das Lachen wieder zurückgegeben, das sie während der erbitterten Einsätze über dem Golf von Leyte, in der Bucht von Lingayen und über die Inselfestung Corregidor manchmal verlernt zu haben schienen. Leutnant Corner und ein untersetzter Pilot-Offizier namens Tony Steel laufen an einigen „Hellcat'-Jägern vorbei und nähern sich der Back des Trägers. Sie steuern die Liegestühle an, von denen bis jetzt allerdings noch niemand Gebrauch gemacht hatte. Mit einem zufriedenen Aufatmen läßt sich Corner auf einer der b e quemen Liegen nieder. Er holt eine Kaugummipackung aus der Tasche und hält sie dem Kameraden hin. Wortlos nimmt der Offizier aus Ten nessee eines der Plättchen und löst die Umhüllung. Schweigend blicken die beiden Jäger auf den Himmel. Unter ihren Füßen vibriert das Deck im Stampfen der schweren Schiffsmaschinen, welche die FRANKLIN mit nordöstlichem Kurs über das Meer gleiten lassen. An den Flugzeugen, die mit hochgeklappten Tragflächen einen grotesken Anblick bieten, arbeiten Dutzende von Mechanikern. „Wie auf 'ner Hochzeitsreise", sagt jetzt der Leutnant aus Tennessee. Über seiner stark gewölbten Stirn ranken sich dunkle Lockenhaare. Seine Nase ist breit und leicht gebogen. Seinem Gesicht hat die Sonne der Südsee einen fast bronzenen Farbton verliehen. „Ich bin nicht unglücklich darüber", erwidert Corner. „Nur wäre es ja möglich, daß diese Art von Hochzeitsreise bald wieder in irgendeiner Hölle enden könnte." „Wollen es abwarten", brummt Steel. „Vielleicht haben die Japs jetzt die Nase voll." Der Leutnant an seiner Seite schüttelt sich, als ob er gerade aus dem Wasser gezogen worden sei. 46
„Ich würde viel darum geben, wenn wir diesen Burschen nicht mehr begegnen würden." „Ganz meine Meinung", nickt Corner. Er greift an die Brusttasche seiner Lederjacke. Doch schon im nächsten Augenblick läßt er die Hand wieder sinken. Fassungslos starrt er auf die große Blechmuschel des Deckslautsprechers. Die Worte, die daraus hervorklingen, ziehen ihn förmlich in die Höhe: „An alle . . . an alle . . . alle Mann auf Gefechtsstationen . . . Decksperso nal klar zum Einsatz . . . alle Piloten sofort zur Einsatzbesprechung . . . alle Flak . . . f e u e r b e r e i t . . . feindlicher Flugzeugverband aus West-SüdWest im Anflug g e m e l d e t . . . Entfernung hundert Meilen . . . " Leutnant Corner fährt sich mit beiden Händen durchs Haar. „Hast du das gehört?" Tony Steel spuckt, entgegen allen Vorschriften, auf das Deck. „Komm!" sagt er nur.
Tiefhängende Wolken liegen wie ein undurchdringlicher Filter vor dem Licht der Sonne, die vor Stunden noch die felsige Erde Formosas in einen schillernden Glanz getaucht hatte. Die Wolkenbänke waren schnell am Himmel aufgekommen. Eben ist der Befehl an die fünfund zwanzig Piloten der 1. Luftflotte ergangen, sich zum Einsatz bereitzuhal ten. Noch stehen die Flugzeuge in ihren Felsenlöchern. Man hat sie nur an den Rand der bunkerartigen K a m m e r n gerollt, um sie bei Durchgabe des Startbefehls schneller ins Freie zu bekommen. Fünfundzwanzig Piloten hocken wartend vor den Boxen auf ihren Fallschirmen. Die Gespräche sind längst verstummt. Hinter den Gestal ten in den unförmigen Einsatzkombinationen hantieren die Mechaniker ein letztes Mal an den „Zero"-Jägern oder den Sturzbombern vom Typ „Susei", deren unter dem Rumpf angebrachte Kühler wie große Mäuler anmuten. Eine spannungsgeladene Stille hat sich über den Flugplatz von Tai tung gebreitet. Fünfundzwanzig Augenpaare blicken immer wieder in die Richtung des Befehlsbunkers, wo jeden Augenblick eine weiße Leuchtkugel in den Himmel zischen kann. Und zwanzig von fünfund zwanzig Herzen werden schon in einer Stunde ihren letzten Schlag tun. Feldwebel Isao Shioda ist einer der Männer, die bereits die weiße Schleife der Kamikaze um die Stirn geschlungen haben. Er ist ruhig, und auf seinem Gesicht liegt ein gelöster Ausdruck. Nur das Warten auf die weiße Leuchtkugel kann ungeduldig machen. Wieder einmal ziehen vor seiner Erinnerung die Bilder der vergan genen Wochen vorüber. Der letzte Tag auf L u z o n . . . der Flug nach Formosa und die Landung auf Takao zusammen mit Admiral O n i s h i . . . die amerikanischen Bord geschosse hatten ihr Ziel v e r f e h l t . . . dann die folgenden Wochen mit einer Hiobsbotschaft nach der anderen . . . Luzon verloren . . . Manila aufgegeben . . . heldenhafter Widerstand der Kameraden bis zum letzten M a n n . . . über hundert „Zeros" und „Susei"-Sturzbomber mit neuen Piloten . . . Am 18. J a n u a r hatte Admiral Onishi das neue KamikazeKorps gegründet. Ein Berg auf der Insel Formosa war sein Taufname geworden. So ist es jetzt die Niitaka-Einheit, der auch Feldwebel Shioda 47
angehört. Die Worte des Admiral Onishi wird auch Shioda nie verges sen: „Selbst wenn wir geschlagen werden, wird der Opfergeist dieses K a mikaze-Korps unser Heimatland vor dem völligen Verfall bewahren. Ohne diesen Geist würde das völlige Chaos der Niederlage folgen." „ . . . wenn wir geschlagen werden!" Die Worte wirken immer noch wie eine Qual. Plötzlich ist die weiße Leuchtkugel am Himmel. Zischend rast sie in die Wolken, einen hellen Schein in der grauen Dunstwand verbreitend. Feldwebel Shioda steht auf. Seine Gedanken sind bei den Worten Kapitän Nakajimas, die er bei der Einsatzbesprechung gesprochen hatte: „ . . . Sie, Shioda, werden als einer der ältesten Piloten des Korps den Verband von Taitung führen. Vom Flugplatz Shinko und von Taibu werden die anderen Gruppen zu euch stoßen. Der Feind, den ihr angrei fen werdet, ist gewaltig und stark. Möge es euch gelingen, die größten und gefährlichsten Ziele zu finden. Wenn die weiße Leuchtkugel auf leuchtet, steigt in eure Maschinen und startet. Es wird der Zeitpunkt sein, wo der Luftraum über uns mit Sicherheit von feindlichen J ä g e r n frei ist. Fliegt tief, wenn ihr euch sammelt. So habt ihr die beste Gewähr, den Raum über der See ungesehen zu gewinnen. - Und nun geht hin und gebt euer Leben für das Vaterland . . . " In höchster Eile werden die Flugzeuge aus den Boxen gerollt. Shioda klettert auf die Tragfläche. Ein einziger Schwung bringt ihn in die Kabine. Bevor er die Hände in die Aufstiegsklappen preßte, hatte er noch einmal die Bombe unter dem Rumpf gesehen. Nur Sekunden dauert es, bis der Motor anspringt. Auch die Trieb werke der übrigen Maschinen sind bereits angelaufen. In langer P h a lanx stehen die Flugzeuge vor den Felsenlöchern. Die Kabinen sind bereits geschlossen. Vom Gefechtsbunker am anderen Ende des Flugplatzes steigt eine grüne Leuchtkugel in die Luft. Feldwebel Shioda hebt die rechte Hand. Das Zeichen wird weitergege ben. Von den „Zeros" zu den „Susei"-Sturzbombern und wieder zu den „Zeros". Langsam schiebt Shioda den Gashebel nach vorn. Er geht sofort zum Start über, da die Piste bereits ganz in der Nähe ihren Anfang nimmt. Heulend reißt der Motor die „Zero" in die Luft. In etwa fünfhundert Meter Höhe führt Feldwebel Shioda den Verband der Kamikaze-Einheit „Niitaka" dem Meer entgegen. Sein Blick gleitet kurz über die Flugzeuge, die neben ihm aufgeschlossen haben. Unter den Rümpfen der „Susei"-Sturzbomber hängen 500-kg-Bomben, unter denen der „Zeros" kleinere im Gewicht von 250 kg. Die Wolkenuntergrenze ist bereits erreicht. Weiße Fetzen huschen über die Kabinendächer. Aber d r a u ß e n auf dem Meer leuchtet die Sonne. Mit dröhnenden Motoren ziehen die zwanzig Kamikaze mit ihren fünf Begleitjägern dem Licht entgegen. Feldwebel Shiodas „Zero" hat die hellen Lichtbalken am Ende der Wolkenbank erreicht. Ein Zug am Knüppel läßt die gedrungene Motor partie nach oben schnellen. Wie an einer Schnur aufgereiht, ziehen die anderen vierundzwanzig Maschinen auf ihrem K u r s dahin. Die Kontu ren der Insel Koto-sho im Osten der Südspitze Formosas sind bald nur noch ein winziger Fleck in der weiten Unendlichkeit des Meeres. 48
Stetig gewinnen die Maschinen der Kamikaze-Einheit „Niitaka" an Höhe. Shioda greift nach der Sauerstoffmaske. Soeben war es 10.45 Uhr geworden. Wieder einmal wirft Feldwebel Isao Shioda einen Blick durch den Himmel. Plötzlich sieht er dicht über der Kimm winzige Gebilde auf dem Meer: die feindliche Flotte!
In Gefechtsformation ziehen die Grumman-„Hellcat"-Jäger über den Stillen Ozean. Sie fliegen in siebentausend Meter Höhe. Tief unter ihnen zieht die Flotte dahin, auf Nordostkurs. Es sind über fünfzig amerikani sche Jagdmaschinen, die mit Höchstgeschwindigkeit nach Westen dröh nen. Leutnant Sammy Corner führt einen der auf Linksposition fliegenden Schwärme. Rechts neben ihm haben sich die drei anderen Maschinen seines Verbandes in Abständen von etwa fünfzig Metern nebeneinander gereiht. Plötzlich quarren Worte aus den Kopfhörern. Corner dreht den Kopf und dann sieht er sie. Aufmerksam beobachtet er den japanischen Ver band, der etwa tausend Meter über den „Hellcats" nach Osten zieht. Die Maschinen fliegen in engaufgeschlossener Formation. Eine düstere Ahnung überkommt Corner. Wie ein Blitz taucht vor seiner Erinnerung das Bild einer brennend abstürzenden „Zero" auf, einer Maschine, die sich auf das Deck der BELLEAU WOOD gestürzt hatte. Sollte dieser Verband von Japanern vielleicht mit den gleichen Aufgaben betraut worden sein? Die Flotte! Der Gedanke daran versetzt Leutnant Corner in noch größere Unruhe. Durch die Kursänderung sind die fernen Schiffssilhouetten am Horizont wieder sichtbar geworden. Wie dicke Striche heben sich die Umrisse der Träger ab. Sie werden mit jeder weiteren Sekunde größer und deutli cher. Und die Japaner fliegen mit direktem Kurs darauf zu! Corner erkennt plötzlich ihren teuflischen Plan, als er ein halbes Dut zend der gegnerischen „Zeros" in die Tiefe stürzen sieht. Ihre Bugs sind den großen Trägern der Flotte entgegengeneigt. Voraus kommt das Leitwerk eines „Susei"-Bombers immer näher heran. Sekunden später drückt Leutnant Corner auf die Auslösung der Bord waffen. Aber die Geschoßgarben zischen wirkungslos vorbei. Der J a p a ner schien die ihn verfolgende Jagdmaschine gesehen zu haben und war den Kugelserien wahrscheinlich durch einen Tritt ins Seitenruder ausge wichen. Corners Geschwindigkeit ist so hoch, daß er an der japanischen „Susei" vorbeistürzt. Im Wegziehen sieht er eine Gruppe eigener Maschi nen, die wie Kletten an einigen gegnerischen Flugzeugen hängen. Aus den Tragflächen der „Hellcats" zischen Abschußblitze. Plötzlich glutet ein Feuerball auf. Aus einer Explosionswolke löst sich ein Regen von Flugzeugteilen. Einer der Kamikazes war also vor Erreichen seines Zie les vernichtet worden. Aber die anderen stürzen weiter, und es k a n n nur noch Sekunden dauern, bis die Katastrophe komplett sein wird. Plötzlich sieht er eine „Zero", die sich aus dem großen Kreis löst. Die 49
Feindmaschine ist höchstens zweihundert Meter entfernt, ihre Motor partie direkt auf Corners „Hellcat" gerichtet. Mit einer ruckartigen Steuerbewegung gleicht Corner den geringen Höhenunterschied aus und steuert mit frontalem K u r s auf die j a p a n i sche „Zero" zu. Nach wenigen Augenblicken schrumpft die trennende Distanz immer mehr zusammen. In instiktiver Reaktion hatte Corner die Bordwaffen ausgelöst. Ge schoßgarben huschen auf das Feindflugzeug zu. Der Leutnant kann keine Trefferwirkung mehr beobachten, weil der Augenblick bereits gekommen ist, wo eine einzige Steuerbewegung den drohenden Zusammenstoß verhindern oder das Ende herbeiführen kann. Der jähe Zug am Knüppel ist bereits erfolgt, und die „Hellcat" schnellt nach oben aus dem Kurs. Doch schon in der nächsten Sekunde scheint die Maschine gegen eine unsichtbare Mauer zu r a s e n . . . Ein Lächeln huschte über das Gesicht von Feldwebel Isao Shioda, als er weit unten auf dem Meer die Brände aus den Decks der feindlichen Schiffe hervorbrechen sah. Auf einmal erkannte er, daß er sich aus dem Kurvenkreis lösen konnte, ohne von einem feindlichen Jäger verfolgt zu werden. So legte er seine „Zero" mit einer schnellen Steuerbewegung in die Horizontale und drückte dann den Knüppel leicht nach vorn. Doch schon im nächsten Moment sah er einen der amerikanischen „Hellcat"-Jäger aus frontaler Position auf sich zurasen. Leuchtspurgar ben lösten sich aus den Waffen des Feindes, und dann hörte er das Prasseln der Einschläge. Die letzten Sekunden des Feldwebels Shioda waren gekommen, als ein Geschoß das weiße Hachimaki auf seiner Stirn durchbohrte und er in einer impulsiven Reaktion das Steuer nach hinten riß. Eine eigenartige Kreiselbewegung ist die erste Wahrnehmung, die Leutnant Corner in sich aufnimmt. Mit einem stöhnenden Laut richtet er den Oberkörper auf. Vor seinen Augen wallen rötliche Nebel, in denen funkelnde Lichter schimmern. Das Gefühl einer warmen, klebrigen Masse auf dem Gesicht läßt ihn die Hand heben. Er tut es in jenem Augenblick, als die wallenden Schleier vor seinen Augen weichen und das Blau des Himmels wieder sichtbar wird. Dennoch dauert es noch Sekunden, bis der Leutnant die schüttelnden Kreiselbewegungen in ihrer tödlichen Gefährlichkeit wahrzunehmen und zu erkennen vermag. Als er das Fehlen des einen Flügels feststellt und unter seiner trudelnden Maschine die Oberfläche des Meeres sieht, die höchstens noch tausend Meter entfernt sein kann, greifen seine Hände nach dem Verschluß der Gurte. Er reißt die Sauerstoffmaske vom Gesicht und zieht den Hebel des Kabinenabwurfs. Entsetzen packt ihn, als sich das Kabinendach nur einen Spaltbreit löst. Der Gedanke, daß die Kabine durch den Zusammenstoß verklemmt wurde und die trudelnd abstürzende Maschine in wenigen Augenblicken zu seinem Sarg werden kann, verleiht dem Leutnant eine schier übermenschliche Kraft. Er stemmt sich in die Höhe und wirft sich gegen das Kabinen dach. 50
Schon in der nächsten Sekunde greift der Luftzug nach ihm. Noch einmal wird Corner durch die schüttelnden Kreiselbewegungen zur Seite geschleudert. Doch dann gelingt es ihm, über den Kabinenrand zu kommen. Ein Tritt auf den Steuerknüppel, und er fällt in das weite Nichts. Wie ein rasender Schatten zieht das Leitwerk dicht an Corners Gesicht vorbei, während Himmel und Erde um ihn zu rotieren beginnen. Mit weit aufgerissenen Augen starrt der Leutnant auf das bläulich schil lernde Wasser der See. Noch einige Sekunden, d a n n zieht er die Fall schirmleine. In Höchstfahrt prescht der Zerstörer LAFFEY über die See, eine hohe Bugwelle aus weißlichem Gischt vor sich herschiebend. K a u m zwei Meilen vor der LAFFEY brodelt eine Feuerwolke aus dem Leib des Geleitflugzeugträgers BISMARCK SEA. Hoch über dem sinkenden Schiff ist der Himmel immer noch erfüllt vom Dröhnen der Flugzeug motoren, vom Bellen der Bordwaffen und dem Heulen stürzender Ma schinen. Tausende von Augenpaaren starren in diesen Augenblicken auf jene Stelle des Luftraumes, wo gerade zwei Flugzeuge im Luftkampf zusam menstoßen. Tausende von Seeleuten sehen die durch die Luft wirbeln den Tragflächen und die trudelnd abstürzenden Maschinen. Und in allen formt sich die angstvolle Frage, ob es Piloten der Trägerflotte gewesen sind, die im Trubel des Luftkampfes zusammengestoßen sind. Denn das grausige Ereignis spielte sich in einer Höhe ab, die ein Erkennen der Nationalität der Flugzeuge nicht ermöglichte. Es dauert aber nicht lange, bis die Seeleute Gewißheit erhalten. Schnell erkennen sie die weißblauen Sterne auf dem Rumpf der trudeln den „Hellcat" und die roten japanischen Kreise auf der Außenfläche des anderen Flugzeuges. Das Wissen um den Piloten, der offenbar bewußtlos mit der schnell fallenden Maschine dem sicheren Tod entgegengeht, läßt die Männer auf dem Deck der LAFFEY selbst die Japaner vergessen, die sich jeden Augenblick aus dem Kreis der Flugzeuge am Himmel lösen können. Auf einmal gellt ein vielstimmiger Schrei über das Deck des Zerstö rers. Die Kabine der stürzenden „Hellcat" hat sich gelöst. Ein dunkles Etwas fällt in die Luft, ein taumelnder, sich stetig überschlagender Körper, der stetig tiefer und tiefer fällt, kommt zum Vorschein. Die Männer an Deck der LAFFEY haben nur noch Interesse für den abgesprungenen Piloten. Mit jeder weiteren Sekunde schiebt sich der Bug des Zerstörers näher an die im Wasser schwimmende Gestalt heran. Neue Kommandos hallen aus dem Deckslautsprecher. Der Bootsmanns m a a t läßt seine Pfeife schrillen. Ein Fallreep klatscht über die Bord wand. Die LAFFEY hat wieder breitseits gedreht. Mit dem Schwung ihrer hohen Fahrt schiebt sie sich backbords an den Piloten heran. Mike Yonkers steht mit mehreren Seeleuten an der Reling. Die LAF FEY ist dem Piloten im Wasser schon so nahe gekommen, daß m a n sein blutverschmiertes Gesicht erkennen kann. Er hebt gerade die Arme. Im nächsten Augenblick klatscht der Körper eines Matrosen dicht neben
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dem Flieger ins Wasser. Als der Seemann wieder auftaucht, greift er nach den Händen des Piloten und zieht ihn an das Fallreep heran. Die LAFFEY nimmt sofort wieder ihren alten K u r s auf, als die beiden Männer über der Bordwand zum Vorschein kommen. Jenseits der nach Backbord hängenden BISMARCK SEA zerschellen die letzten der todgeweihten Kamikaze-Flieger mit ihren Bomben auf dem Flugzeugträger SARATOGA, dem Geleitträger LUNGA POINT und dem Transporter KEOKUK in Selbstvernichtung. Eine Viertelstunde vergeht, bis der Verband der „Hellcat"-Jäger aus dem Himmel herabstürzt. Mit heulenden Motoren fliegen die J a g d flugzeuge über den Flugzeugträger BISMARCK SEA. Ein ganzes Rudel von Zerstörern und Geleitfahrzeugen hat sich um das schwer ange schlagene Schiff geschart. Einer davon ist der Zerstörer LAFFEY.
Schon eine Viertelstunde ist es her, seit das Heulen der Alarmsirenen über der Luftbasis von Kanoya im Süden der japanischen Hauptinsel Kiushiu aufgeklungen war. Das markerschütternde Geräusch hatte die Männer der technischen Einheiten veranlaßt, die am Platzrand stehen den Flugzeuge in ihre Boxen zu schieben und zu tarnen. Der große Flugplatz, auf dessen Oberfläche unzählige aufgefüllte Bombentrichter zu sehen sind, ist jetzt wie leergefegt. Nirgendwo zeigt sich die Spur eines Menschen. Erst als ein fernes Dröhnen am Himmel die Ankunft der feindlichen Flugzeuge ankündigt, tritt eine Gestalt aus einem der Felsenbunker ins Freie. Auf den schmalen Kragenspiegeln schimmern die Sterne eines Admirals der Kaiserlich Japanischen Marine. Nach einigen Schritten schon bleibt der hohe Offizier stehen und blickt zum Himmel hinauf. Ein Zug von Verzweiflung breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er in großer Höhe die winzigen Silhouetten von sechs amerikanischen „Super-Fortresses" erkennt. Wie zur P a r a d e a n einandergereiht, fliegen die B-29-Bomber vom Meer her auf die West küste Kiushius zu, um schließlich in östlicher Richtung mit dem Blau des Himmels zu verschmelzen. Der Admiral, der jetzt mit einem ausdruckslosen Blick auf den felsi gen Boden vor seinen Füßen starrt, trägt den Namen Onishi. Vor Tagen erst hatte ihn ein „Ginga"-Bomber zu einem Besuch im Kaiserlichen Hauptquartier von Formosa herübergebracht. Der Gedanke, daß er vielleicht nie mehr die fernen Inseln sehen wird, auf denen er vor Tagen noch in die Augen der Kamikaze-Flieger geblickt hatte, erfüllt ihn mit Schmerz. Und wieder einmal halten Zweifel in ihm Einzug, ob das große Opfer der Jugend Nippons nicht doch umsonst gewesen ist. Jenes Opfer, zu dem er selbst vor Monaten auf Luzon angeregt hatte, und das im Verlauf der letzten Zeit in über zweitausend Fällen seine Erfüllung gefunden hatte. Das Innere des Bunkers ist mit einem trüben Halbdunkel erfüllt. Mit langsamen, fast zögernden Schritten nähert sich Onishi einem längli chen, mit grellweißer Farbe gestrichenen, torpedoartigen Gebilde. An beiden Seiten des sechs Meter langen Rumpfes ragen stummelartige, etwa zwei Meter lange Tragflächen aus der schlanken, mit Holz gestalte ten Rumpfröhre heraus. Über dem langen Leib schimmern die Umrisse 52
einer winzigen Kabine im ungewissen Licht, das den Felsenstollen spär lich erhellt. Der Blick des Admirals richtet sich auf die Spitze des Projektils. Vor einer Stunde hatten Spezialisten davorgestanden. Sie waren wieder ge gangen, nachdem sie die vorn angebrachte, tunnelartige K a m m e r mit eintausendachthundert Kilogramm hochbrisanten Sprengstoffes gefüllt hatten. Doch dann verschwimmen die Konturen der von Menschenhand ge lenkten fliegenden Bombe vor seinen Augen. Der Tag ersteht vor seiner Erinnerung, jener 12. Juni 1945, als die ersten Piloten in die Bomber stiegen, die sie mit den unter dem Rumpf befestigten „Ohkas" zu den feindlichen Schiffen von Okinawa bringen sollten. In ihren Blicken war letzte Entschlossenheit, als sie zum Abschied vor Vizeadmiral Matome Ugaki, dem Befehlshaber der 5. Luftflotte, angetreten waren. Einer von ihnen war Admiral Onishi persönlich bekannt gewesen: Oberleutnant Saburo Dohi, ein freundlicher, sympathischer Offizier mit einem schmalen, jungenhaften Gesicht. Onishi war den Männern mit den Son nenbannern um die Stirnen so nahe gewesen, d a ß er ihr „Minatosawa, ich komme!" überdeutlich gehört hatte. Jenen G r u ß an Masashige Kusu noki, den großen Helden Japans, der im Minatosawa-Heiligtum in Kobe auf die Seelen der toten Helden wartet. Der Admiral ist einige Schritte zurückgetreten. Er hat sich an die Wand gelehnt. Seine Lider senken sich. Er hört noch einmal die Stimme des Bordfunkers, die aus den Laut sprechern zu ihm in den Befehlsbunker geschallt war. Oberleutnant Dohi war, so hatte es dem Admiral geschienen, dicht neben ihm gewesen, neben dem Bombenschacht, durch den er in die winzige Kabine der Todesbombe gelangen konnte. Und auch jetzt noch erschauert Onishi unter der Erinnerung an die Worte des Funkers: „Feindliche Jäger in Sicht!" Minuten spannungsgeladenen, nervenzermürbenden Schweigens wa ren gefolgt. Und dann wieder die Stimme: „Wir haben die feindlichen Jäger umgangen." Danach wieder Stille. Bis das Kommando über den Äther k a m : „ ,Ohka' klar zum Ausklinken!" Sekunden, die zu Ewigkeiten wurden für die kleine Gruppe der Offi ziere in dem stickigen Raum des Befehlsbunkers. Und dann das Kommando: Vor dem geistigen Auge des Admirals ersteht jenes Bild, das er aus unzähligen Berichten kennt. Die Bombe h a t t e sich vom Rumpf des Mutterflugzeuges gelöst. Oberleutnant Dohi h a t t e die Raketen gezündet. Mit fast tausend Stundenkilometern Geschwindigkeit war er einem feindlichen Schlachtschiff entgegengeflogen. Erst dicht über der Mee resoberfläche hatte er die „Ohka"-Bombe abgefangen. Nur wenige Me ter über dem Wasserspiegel war er auf die Bordwand des Schiffsriesen zugeflogen, mitten durch das Spalier des feindlichen Flak-Feuers. Was dann geschah, wird nie mehr jemand erfahren! Admiral Onishi verläßt den Felsenbunker. Der Admiral blickt auf seine Uhr. Sie zeigt sechzehn Minuten vor der achten Morgenstunde. 53
Es ist ein Zeitpunkt, der an Bord eines großen Bombenflugzeuges anders gemessen wird. Die Uhrzeiger sind dort auf die Marianen-Zeit eingestellt. Sie zeigen die Zeit von 8.44 Uhr. Amerikanische Techniker auf der Marianen-Insel Tinian hatten dafür gesorgt, d a ß man sich auf die Chronometer verlassen konnte. An Bord des B-29-Bombers, auf dessen vorderer Rumpfseite der Name „Enola Gay" im Licht der Morgensonne schimmert, blicken zehn Augen paare aus blassen, maskenhaften Gesichtern auf eine Stadt am Rand des Meeres. Sie trägt den Namen Hiroshima. Der Sekundenzeiger der Borduhr ruckt mit kurzen Sprüngen der 8.45-Uhr-Marke entgegen. In der großen Stadt am Rande der Meeres bucht haben Hunderttausende von ahnungslosen Menschen einen neuen Tag begonnen. Auf ihren Uhren stehen die Zeiger fünfzehn Minuten vor der achten Morgenstunde des 6. August 1945, als das grausigste Vernichtungsmittel aller Zeiten sich aus dem Rumpf des Bombenflugzeuges löst. Es ist jener Augenblick, da das Fadenkreuz des Bombenzielgerätes an Bord der „Enola Gay" auf das Herz von Hiroshima gerichtet ist. Der atomare Tod im Bombenschacht der B-29 setzt zum Sprung an. Ein Major mit Namen Ferebee löst seine Fesseln. Schon Sekunden später spiegelt sich in den Augen hinter den schwar zen Brillengläsern über der Erde ein kleines, purpurnes Licht. Aus seiner Mitte löst sich im Zeitraum von Tausendstelsekunden eine giftig gelbe, riesige Kugel, die sich mit unfaßbarer Geschwindigkeit zu einem Feuerball von gigantischen Ausmaßen verdichtet. Mit ihren schwarz brodelnden Rändern schiebt sie sich in die Breite und umhüllt den Fleck Erde, wo vor Sekunden noch eine Großstadt stand, mit einer grauenhaf ten Wolkenwand aus Feuer und zuckenden Farbeffekten. Und es währt wieder nur Sekunden, bis aus dem dunklen Wolkenball Geysire p u r p u r ner Flammen in den Himmel brodeln. Im Wechselspiel von unzähligen Blitzen speien die giftigen Rauchschlünde neue Feuersäulen gegen den Himmel, um sich schließlich zu einem Wolkenpilz von vielen Quadratki lometern zu verbreitern. Die purpurne Flammenwand des nuklearen Riesenpilzes, der zum Grabmal für fast 100 000 Menschen geworden ist, speit ihren Feuerschein in die höchsten Höhen des Himmels. Zusammen mit dem schrecklichsten Donner, der je über der Erde sein Grollen ertönen ließ, trägt ein Feueror kan sein grelles Licht über die Erde. Die Lichterwand der gewaltigsten Energieentfaltung aller Zeiten zuckt wie ein riesiges Irrlicht über Hun derte von Kilometern von Horizont zu Horizont. Der Widerschein geistert auch über den Flugplatz von Kanoya und blendet die Augen des Admirals, der fassungslos dem fernen Donner lauscht... Eine lähmende Stille liegt über dem Flugplatz von Oita im Nordosten der Insel Kiushiu. Neben dem Eingang eines Bunkers, der am Südostrand des Flugplat zes in den Berghang gehauen worden war, steht eine Gruppe von Mecha nikern. Mit ausdruckslosen Gesichtern verfolgen sie die Ansage eines Sprechers, der aus einem Radio zu hören ist. Aber die Sendung ist gestört, daß die Männer den Zusammenhang kaum erfassen können. Dafür spüren sie die Verzweiflung, die in der Stimme des Sprechers 54
mitschwingt. Es ist der gleiche Tonfall wie bei den erschütternden Nach richten nach jenem Tage, da das purpurne Licht den Himmel über Kiushiu in ein gleißendes Gewölbe aus unzähligen Flammenbündeln verwandelt hatte. Die Satzfragmente klingen den Männern auch jetzt noch in den Ohren: ,,... ein neues Kriegsmittel des Feindes über Hiroshima . . . Menschen bei lebendigem Leib in den Straßen v e r b r a n n t . . . unmöglich, die Toten zu zählen . . . Feuer vom H i m m e l . . . ehrenhafter Friede!" „Friede!" War es wirklich wahr, daß der Kaiser schon am 10. August kapituliert hatte? Niemand kann es glauben! Nur eines ist gewiß: Die Tatsache, daß der Feind die fürchterliche Waffe am 9. August auch über Nagasaki angewendet hatte . . . Die Männer lösen sich von der Felswand, als eine Gruppe von Offizie ren den Bunker verläßt. Vizeadmiral Matome Ugaki, der Befehlshaber der 5. Luftflotte, ist unter ihnen. In der Rechten hält der Admiral einen wertvollen Samurai-Dolch, ein Geschenk des toten Admirals Isoruku Yamamoto, dem unvergessenen Helden der Kaiserlichen Marine. Er staunt stellen die Männer am Eingang des Bunkes fest, daß der Admiral sämtliche Rangabzeichen von seiner Uniform entfernt hat. Er bleibt stehen und sagt etwas zu seinem Adjutanten. Sekundenlang steht der Offizier regungslos da, ehe er den Oberkörper zum Gruß neigt und sich umwendet. K a u m eine Minute später verwandelt sich die Stille auf dem weiten Oval der Flugbasis in einen hektischen Trubel. Ein halbes Hundert von Mechanikern läuft auf die Splitterboxen zu. Flugzeuge werden an den Rand der Ringstraße geschoben. In kleinen Gruppen tauchen die Män ner der Besatzungen neben den Flugzeugen auf. Elf „Ginga"-Bomber sind einsatzbereit gemacht worden. Unter ihren Rümpfen hängen die langen, weißen „Ohkas", jede mit 1800 Kilogramm Sprengstoff gefüllt. Zweiundzwanzig Flieger haben vor den Kanzeln Aufstellung genom men. Sie sind die letzten, die sich entschlossen haben, den „Göttlichen Wind" in der Todesstunde Nippons gegen den Feind zu tragen. Regungs los stehen sie da, als Admiral Ugaki ihre Front abschreitet. Sein Blick bleibt auf den weißen Hachimaki um die Stirnen der Todespiloten haf ten. Dann kehrt der Admiral wieder zu den Offizieren zurück. Schweigend steht er ihnen gegenüber. Langsam beugt er den Kopf. Einer der Offi ziere tritt von hinten an ihn heran. In seinen Händen leuchtet die weiße Seidenschleife mit dem Sonnensymbol Japans. Über der Flugbasis lastet die lähmende Stille eines Todesfeldes. Mit zitternden Händen schlingt der Offizier das Hachimaki um die Stirn des Admirals. Noch einmal hebt sich der Samurai-Dolch zum Gruß gegen die Offi ziere. Dann geht Admiral Ugaki mit ruhigen, festen Schritten auf eines der Bombenflugzeuge zu. Die Piloten und Beobachter der Flugzeuge nähern sich ebenfalls ihren Maschinen, als der Admiral im Rumpf von Oberleutnant Nakatsurus „Ginga" verschwunden ist. Hinter ihm steigt der Beobachter Akiyoshi Endo in den Bomber. Sekundenlang ruht sein Blick noch auf der Bombe unter dem Rumpf, ehe er die kleine Leiter hinaufsteigt. Die ersten Motoren beginnen zu laufen. Nacheinander springen die anderen Triebwerke an. 55
Das Flugzeug Oberleutnant Nakatsurus rollt als erstes an die Startbahn. Dahinter folgt der Zug der anderen Bomber. Admiral Ugaki hebt noch einmal grüßend den Dolch, während er in der Maschine an den Offizieren vorbeirollt. Dann läßt er sich im Sitz zurücksinken. Sein Blick scheint in weite Ferne gerichtet, als die Motoren des „Ginga"-Bombers aufbrüllen. Kaum einen Meter von seinen Füßen ent fernt befindet sich der Bombenschacht. Genau unter der unteren Öff nung schimmert das winzige Glasdach der „Ohka"-Bombe. Der Admiral hat die Augen geschlossen. Sein Gesicht ist fast so fahl wie das Weiß des Hachimakis um seine Stirn. Seine Hände haben sich um den Samurai-Dolch geklammert. Die Welt vor den kleinen Luken im Bomberrumpf scheint für ihn bereits versunken, die farbenfrohe Schönheit der unter dem Bomber vorbeiziehenden Inselwelt ist ebenfalls schon unwirklich geworden. Vor seiner Erinnerung mögen die Stationen des Krieges noch einmal vorbei gezogen sein, der nun mit einer furchtbaren Niederlage sein Ende gefun den hatte. Vielleicht denkt er auch an die Todesflüge der über zweitau send Kamikaze, die dennoch nichts zu ändern vermochten. Die K a t a s t r o phen von Hiroshima und Nagasaki sind für ihn auch jetzt sicherlich noch unfaßbar. Minute um Minute vergeht. Der Verband der Bomber fliegt bereits über dem südlichen japanischen Meer, als Ugaki dem Beobachter ein Zeichen gibt. Er zieht ein Stück Papier aus der Tasche und deutet auf das Funkgerät. Ugaki kauert mit geschlossenen Augen auf seinem Sitz, als der B e o b achter und zugleich Funker der Maschine die Abschiedsworte des A d mirals in den Äther sendet: „Ich allein bin schuld, daß es uns nicht gelungen ist, die Heimat zu verteidigen und den Feind zu vernichten. Die Tapferkeit und Einsatz freudigkeit aller Offiziere und Mannschaften unter meinem K o m mando verdienen größte Anerkennung. Ich stehe im Begriff, einen Angriff auf Okinawa zu unternehmen, wo meine Männer wie Kirsch blüten gefallen sind. Dort werde ich mich auf den Feind stürzen und ihn vernichten, getreu dem Geist des Bushido, in der festen Überzeu gung und im Glauben an den ewigen Bestand des Kaiserreiches J a pan. Ich vertraue darauf, daß die Angehörigen aller mir unterstellten Einheiten meine Beweggründe verstehen, alle künftige Not und Unge mach überwinden und mit aller Kraft am Wiederaufbau unseres herrlichen Heimatlandes mitarbeiten werden, damit es ewig blühe und gedeihe. Lang lebe Seine Majestät, der Kaiser!" Admiral Ugaki winkt ab, als der Beobachter ihm das Papierstück zurückgeben will. Er blickt auf seine Uhr und tritt dann an eine der Rumpfluken. Aber auch dieses Mal scheint sein Blick die Weite des Meeres und die Konturen der unzähligen Inseln nicht zu erfassen, die tief unter dem Bomber dahinziehen. Als er sich umwendet, blickt er in das Gesicht des Beobachters, über das ein kaum merkliches Zucken läuft. Admiral Ugaki ist nicht an das Bordnetz angeschlossen. Aber er v e r steht auch so. Er legt für wenige Augenblicke seine Hand auf die Schul ter des Fliegers. Dann wendet er sich ab und steigt in den Bomben 56
schacht hinunter. Er erreicht die Oberfläche der weißen „ O h k a " über eine winzige, schmale Leiter. Die kleine Kabine nimmt den Körper Admiral Ugakis auf. Er schiebt den Samurai-Dolch zwischen die Knöpfe seiner Uniformjacke und ver riegelt das Glasdach. Es ist ein Handgriff, der ihn endgültig von der Welt trennt, deren Schönheit sich jetzt wieder durch die schmale, schräg geneigte Frontscheibe offenbart. Auf ihrer Mitte ist ein Fadenkreuz angebracht. Tief unten, an der Grenze der fernen Welt, leuchten die Basaltfelsen der Archipele von Hondo im Sonnenlicht. Dann die Bucht von Kago shima mit ihren wandernden Dünen . . . Wieder blickt Admiral Ugaki auf seine Uhr. Selbst das Heben eines Armes bereitet in dem engen R a u m Mühe. Die Wände des fliegenden Torpedos wirken wie ein maßgerechtes Sterbekleid. Noch etwa zehn Minuten! Nur noch etwa zehn Minuten von den insgesamt einhundertfünfzig, die bis Okinawa zu durchfliegen waren! An dem schmalen Armaturenbrett schimmern zwei Lampen; eine mit einem grünen und eine mit einem roten Glas, daneben ein roter Griff. Ein Zug daran läßt die 1800 Kilogramm Sprengstoff in der Spitze scharf werden. Aber noch ist es nicht soweit. Noch fehlt das Signal des grünen L ä m p chens, das den herannahenden Zeitpunkt des Loslösens vom Rumpf des Bombers ankündigt. Ein Hauch von Kälte erfüllt den winzigen Kabinenraum. Der Uhrzeiger wandert auf 13.40 Uhr! Es ist der Augenblick, da vor Admiral Ugakis Augen das grüne L ä m p chen aufleuchtet. Der Körper des höchsten Kamikaze-Fliegers, der je für J a p a n sein Leben opferte, strafft sich. Die rechte Hand umklammert den kleinen Steuerknüppel. Gebannt ruht der Blick auf dem gläsernen Kreis der roten Lampe. Sekunden verrinnen . . . Plötzlich glutet die Lampe auf! Admiral Ugaki zerrt den Auslösegriff heraus. Die „Ohka" taumelt. Die konische Spitze mit der schweren Sprengstoffüllung zieht den weißen Rumpf in die Tiefe. Mit mechanischen Bewegungen regulieren Ugakis Füße die Fluglage. Fast gleichzeitig drückt seine Hand die Schalthebel für die Treibrake ten. Feuerblitze brechen unter den Tragflächen hervor. Mit gelb-weißen Strahlenbündeln entladen die Raketen ihre Kraft. Die Geschwindigkeit der fliegenden Bombe steigt schlagartig. Der Körper wird nach hinten gepreßt. Sein Blick ist auf die Insel gerichtet, die vor ihm liegt: Okinawa! Wenige Augenblicke später zieht Admiral Ugaki den roten Entsiche rungsgriff hinaus, der die Sprengkapseln in die Dynamitladung dreht. Noch einmal schieben sich die Silhouetten der weit über der „Ohka" fliegenden Bombenflugzeuge in das Blickfeld des Stürzenden. Mit hoher Geschwindigkeit rast der Admiral in der Bombe den zahlreichen Schiffssilhouetten auf dem Meer entgegen. Die Spitze des weißen Projektils ist auf die Spitzen der Inselberge gerichtet. Wie ein riesiges Maul schimmert der Krater des Kuribare-Vulkans im gleißenden Licht des Tages. Davor die Bruckner-Bucht mit der amerikanischen Flotte. 57
Von Okinawa und den Schiffen her züngeln die ersten Flak-Blitze auf. Aber die „Ohka", die Admiral Ugaki in wenigen Sekunden in den Tod tragen wird, zischt schon über die von unzähligen Bombentrichtern aufgewühlte Erde Okinawas. Zerfetzte Wälder jagen auf die F r o n t scheibe zu, dann wieder schmale Ebenen mit den Wracks verbrannter Panzer. An den Bergflanken des Vulkans flattern Vögel auf. Am Rand der weißen Küste wabert Rauch. Dahinter zerborstene Schiffsrümpfe, zertrümmert von den Kamikaze. Kaum meterhoch zischt die „Ohka"-Bombe jetzt über das bläuliche Wasser der See. Schiffswände kommen mit rasender Geschwindigkeit auf Ugaki zu. Ein kurzer Zug an dem kleinen Knüppel - huschende Schiffsaufbauten - wahre Straßen aus zuckenden Blitzen - v o r b e i . . . ! Frachter reiht sich an Frachter. Dahinter die Aufbauten eines großen Schiffes! Admiral Ugakis Körper spannt sich in letzter Konzentration: Er h a t sein Ziel gefunden! Im Tiefstflug zischt die „Ohka" über einen Transporter, und das F a u chen ihrer Antriebsraketen vermischt sich mit dem Bellen der Fla-Ge schütze. Doch keine der Geschoßschnüre erreicht das Projektil, in des sen Kabine einer der höchsten Offiziere des Japanischen Kaiserreiches dem Tod entgegenfliegt. Die Augen des Admirals blicken bereits in eine andere Welt. Nur wenige Sekunden noch, dann wird er im Feuerwirbel der Explosion ausgelöscht werden. Einige letzte Atemzüge! In Ugakis Kehle formt sich der Schrei, den vor ihm schon Tausende von Kamikaze-Piloten ausgestoßen hatten: ,Banzai!" Die Bordwand des Flugzeugträgers SAVO ISLAND wächst vor der „Ohka" wie eine riesige Mauer in die Höhe. Keine der Flak-Garben k a n n das weiße Geschoß jetzt noch aufhalten. Die Spitze des fliegenden Tor pedos mit ihren 1800 Kilogramm Sprengstoff ist auf den Flugzeughangar im Unterdeck des Trägers gerichtet. Noch einmal das blaue Schimmern des Himmels, das an den Seiten vorbeizischende Meer. Dann ist die hohe Schiffswand vor dem Admiral. In einem Glutball aus Feuer erlischt Admiral Ugakis Leben. Das Drama, das sich in diesen Augenblicken am Himmel abspielt, erlebt er nicht mehr. Keines der elf Flugzeuge, die mit ihm nach Okinawa ge flogen waren, wird in das Kaiserreich zurückkehren . . . Es sind kleine, fremdartige Fahrzeuge, die seit einigen Wochen über die Straßen der Insel Kiushiu rollen. Sie sind besetzt mit Soldaten in olivgrünen Uniformen, und auf den flachen Kühlern sind die weißen Sterne Amerikas aufgemalt. Tag für Tag fahren die kleinen Wägelchen an den Einwohnern vorbei. Verzweiflung und Haß erfüllen die Blicke der Menschen, wenn sie in den Städten und Dörfern den Soldaten begegnen, die mit ihren gräßlichen Bomben die Niederlage des Kaiserreichs erzwungen hatten. An einem Septembertag hält einer der Jeeps vor den geborstenen Hallen, die den von Bombern verwüsteten Flugplatz von Oita u m s ä u men. Zwei Männer in der schmucklosen Uniform der amerikanischen Kriegskorrespondenten verlassen das Fahrzeug. Einer davon ist von hoher Statur. Sein Begleiter wirkt mit seiner untersetzten Gestalt dage gen wie ein Zwerg. 58
Die weite Flugplatzanlage ist wie ausgestorben. Nur am jenseitigen Platzrand zeichnen sich die Umrisse einiger menschlicher Gestalten in der Septembersonne ab. „Komm, Steve", sagt der Kriegskorrespondent Mike Yongers zu sei nem Begleiter, „fahren wir einmal dort hinüber. Vielleicht ist dort etwas zu sehen!" Die Männer, die Yongers und Steve Graham vorhin gesehen hatten, entpuppten sich als Soldaten einer Pionierkompanie, die seit einiger Zeit in der Nähe stationiert ist. Mike Yonkers geht auf sie zu. Einer der Männer, ein baumlanger Sergeant, sieht Yonkers mit schiefgeneigtem Kopf entgegen. „Habt ihr hier schon etwas Besonderes entdeckt?" „O ja", nickt der Sergeant mit einem breiten Grinsen, „wir h a b e n die Dinger extra für euch Burschen stehenlassen." Er deutet gegen ein Felsenloch. „Dort drüben liegen noch zwei von den Teufelsdingern, mit denen die Japs uns so zugesetzt haben." „Ach!" sagt Mike Yonkers erwartungsvoll. Ohne sich um den etwas dickleibigen Kameraden zu kümmern, geht er auf das Felsenloch zu. Es dauert nicht lange, bis er den Stollen erreicht hat. Er steht vor den langgestreckten weißen Rümpfen zweier „Ohka"-Bomben. „ ,Bakas'!*) sagt Steve Graham in seinem Rücken. In seiner Stimme ist ein merkliches Zittern. Mike Yonkers steht fast eine Minute lang regungslos neben dem Ein gang des Bunkers. Erst dann n ä h e r t er sich zögernd den geflügelten Bomben. Er blickt in die winzig kleine Kabine und auf die wenigen Schalter und Armaturen. Graham ist ihm gefolgt. Yonkers nickt, als G r a h a m sagt: „Wenn man sich vorstellt, d a ß in solchen Bomben Menschen gesessen haben!" J a , Menschen! denkt Mike Yonkers. Die Konturen des B o m b e n r u m p fes verschwimmen vor seinen Augen. Die Tage vor Okinawa gewinnen wieder Gestalt, als die Flotte von Hunderten von Kamikaze angegriffen wurde. Noch jetzt erschauert er unter diesen Erinnerungen. Tage später waren zum ersten Male die fliegenden Bomben am Him mel über Okinawa aufgetaucht. Es waren Waffen, gegen die jeder FlakTreffer angesichts ihrer hohen Geschwindigkeit, mit der sie sich den Zielen näherten, n u r ein reiner Zufall war. Selbst nach der Kapitulation sah m a n sie noch am Himmel. Und eine dieser Teufelsbomben war von ihrem Piloten auf den Flugzeugträger SAVO ISLAND gelenkt worden. Neununddreißig Seeleute hatte der J a p a n e r mit in den Tod genommen. Die angerichteten Schäden waren beachtlich gewesen. Mike Yonkers tritt zurück. Das Gesicht von Steve Graham h a t eine aschgraue Farbe. Zweifelnd und fassungslos schüttelt er den Kopf. Auf der gleichen Stelle stand einmal ein japanischer Admiral namens Takijiro Onishi. J a h r e später erst sollten die beiden Korrespondenten erfahren, daß der Gründer des Kamikaze-Korps am 15. August in seiner Tokioer Dienstwohnung seinem Leben durch Harakiri ein Ende berei tete. Erst nach vielen Stunden qualvollen Leidens hatte sein Adjutant ihn am frühen Morgen aufgefunden. Admiral Onishi lebte noch. Er hatte *) Die Amerikaner nannten die japanischen „Ohka"Bomben „Bakas", was etwa soviel wie „Narren-Bomben" heißt.
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den zeremoniellen Unterleibsschnitt ausgeführt, fand aber nicht mehr die Kraft, sich die Kehle zu durchschneiden. Als der Adjutant ihn fand, lehnte er jede Hilfe ab. Erst um sechs Uhr abends ging sein Leben zu Ende. Auf einem Tisch lag ein Brief folgenden Inhalts: „Den Seelen der tapferen Todesflieger möchte ich meinen tief empfundenen Dank aussprechen. Sie kämpften und starben im Glauben an unseren Sieg. Mit meinem Tode möchte ich zu meinem Teil Sühne dafür leisten, d a ß es uns nicht gelungen ist, zu siegen. Und so bitte ich alle meine Angehörigen dafür um Entschuldigung. Mein Tod soll für die Jugend J a p a n s eine Lehre sein. Leichtsinn hilft nur dem Feind. D a r u m m ü ß t Ihr mit aller Zähigkeit am Geiste der Entscheidung des Kaisers festhalten. Vergeßt nicht, daß Ihr mit Recht stolz darauf sein könnt, J a p a n e r zu sein. Ihr seid der Reichtum der Nation. Kämpft mit der gleichen Begei sterung und Einsatzfreudigkeit wie die Todesflieger für das Wohler gehen J a p a n s und für den Frieden in der ganzen Welt." ENDE Titelbild: Ein japanischer Todesflieger kurz vor dem Aufprall auf ein US-Kriegs schiff Verehrte Leser: Im nächsten LANDSER-Großband Nr. 838 veröffentlichen wir eine Dokumentation von P. Paus. Der neue Band - wie immer mit Bildbei lage, Farbseite und Magazinteil - trägt den Titel:
Festungen am Atlantik Im Mittelpunkt dieses historischen Rückblicks stehen die schweren Kämpfe um französische Hafenstädte wie Lorient, Cherbourg, Royan etc., damals zu „Festen Plätzen" erklärt, die 1944/45 von den Alliier ten oft erst nach monatelangem Ringen genommen werden konnten. In derselben Woche erscheint der LANDSER Nr. 1807-eine ERST AUSGABE. Titel:
Der Totenwald von Bialowieza 1941. -Vormarschkämpfe in Rußland. Autor: W. Borcher.
ex libris KAPTAIN STELZBEIN
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Militärische Persönlichkeiten:
Harald Schultz
Baltendeutscher und ehemaliger zaristischer Offizier. Im II. Weltkrieg bewährter Kommandeur der 24. Infanteriedivision. Nach
zehnjähriger sowjetischer Gefangenschaft im Frühjahr 1957 verstorben
Als am 1. September 1939 der II. Welt krieg begann, hatte das deutsche Heer einen Ist-Bestand von 89 075 Offizieren, der sich bis etwa zur Kriegsmitte (25.4. 1943) auf 177536 steigerte. Vergleicht man diese Zahlen mit dem durch den Versailler Friedensvertrag vom 28. 6. 1919 für das 100000-Mann-Heer der Weimarer Republik vorgeschriebenen Bestand von 4000 Offizieren, worunter sich auch 450 Sanitäts- und VeterinärOffiziere befanden, dann wird klar, daß das Offizierskorps der Wehrmacht nicht mehr die gleiche Homogenität hinsicht lich sozialer Herkunft, Ausbildung, Kar riereverlauf und Qualifikation insgesamt aufweisen konnte, wie das wesentlich kleinere Offizierskorps der Reichswehr, das im Zuge der deutschen Wiederauf rüstung ab 1933-1935 vervierfacht wer den mußte, wobei noch beträchtliche Offiziersabgaben an die neu entstande ne Reichsluftwaffe zu erfolgen hatten. Die Ergänzungen kamen aus den Reihen bereits pensionierter Reichs wehroffiziere und reaktivierter ehema liger Offiziere aus der Armee der Kaiser zeit sowie aus ins aktive Offizierskorps übernommenen geeigneten Berufs unteroffizieren („Zwölfender"). Dazu kamen ab 1935 Offiziere aus den ver schiedenen Landespolizeien, von de nen es bis Kriegsende nicht weniger als 57 bis zum General brachten, und ab 1938 ins Reichsheer übernommene Offiziere des österreichischen Bundes heeres. Darüber hinaus wurde die Zahl der alljährlich angenommenen Offi
ziersanwärter des Heeres, die bis 1933 bei 180 bis 200 lag, auf 2000 im Jahre 1938 gesteigert. Eine weitere Ergän zung bildeten jene Reserveoffiziers anwärter, die nach Erfüllung ihrer zwei jährigen Wehrpflicht noch ein drittes Jahr bei der Truppe blieben und bereits als Leutnant in den Krieg zogen. Schließlich stießen zum Offizierskorps des Reichsheeres im Laufe der Zeit auch noch Volksdeutsche Offiziere aus den Nachfolgestaaten der Habsburger Monarchie (Jugoslawien, Tschechoslo wakei, Ungarn), aus Rumänien sowie der estnischen und lettischen Armee. Zu ihnen gehörte u. a. der Ritterkreuz träger, Generalmajor und Divisions kommandeur Harald Schultz, ein Bal tendeutscher, der im I. Weltkrieg noch als Leutnant in der russisch-zaristi schen Armee und 1918/19 dann in der baltischen Landeswehr gegen die Bol schewisten gekämpft hatte, bis er nach Beendigung dieser Kämpfe in die Ar mee der jungen Republik Lettland übernommen wurde. Geboren wurde der spätere General major am 10. November 1895 in der Oberförsterei Westrotten bei Riga. Er begann seine Offizierslaufbahn als Leutnant in der Zarenarmee, beteiligte sich dann als „Kornett" an den Kämpfen der baltischen Landeswehr gegen die Bolschewisten, die 1918/19 Lettland in ihre Gewalt zu bringen versuchten. Während dieser Zeit wurde der Vater von Harald Schultz in Riga von den „Roten" erschossen. Der Sohn verblieb 61
danach als Offizier in der lettischen Ar mee, aus der er 1936 als Oberstleutnant ausschied. Nachdem Lettland aufgrund des Hit ler-Stalin-Paktes von 1939 seine Selb ständigkeit wieder verloren hatte, von der Roten Armee besetzt und als Letti sche Sowjetrepublik in die Sowjetunion eingegliedert worden war, wurde im Oktober 1939 der größte Teil der Balten deutschen in das Deutsche Reich um gesiedelt. Mit ihnen kam auch der in zwischen 44jährige lettische Oberst leutnant a. D. Harald Schultz „heim ins Reich". Nach dem Frankreichfeldzug vom Sommer 1940 wurde er am 18. 7. 1940 zunächst als Oberstleutnant z. V. (zur vorläufigen Verwendung) vom Ar tillerie-Ersatzregiment 33 übernom men und am 1.3.1941 als Oberstleut nant endgültig reaktiviert. Zum Kampf gegen die Sowjetunion trat er am 22. Juni 1941 als Abteilungs kommandeur im Artillerieregiment (AR) 227 an. Am 1. 5. 1942 wurde er Kommandeur des AR 216 und am 1.1. 1943 zum Oberst befördert. Nachdem er am 1.10.1943 zum Kommandeur des AR 205 ernannt und ihm nach den Ei sernen Kreuzen II. und I. Klasse am 21.2. 1944 das Deutsche Kreuz in Gold verlie hen worden war, wurde er im August 1944 als Nachfolger des Generalleut nants Kurt Versock (1895-1963), der den Befehl über das 43. Armeekorps übernahm, mit der Führung der 24. (sächsischen) Infanteriedivision (ID) betraut. Als Kommandeur dieser Division wurde Schultz am 1.12.1944 zum Generalmajor befördert und führ te seine Truppe bis Kriegsende auf hei matlich vertrautem Boden in mehreren Kurland-Schlachten. Im Wehrmacht bericht vom 20. 9. 1944 war u. a. zu lesen: „In den schweren Abwehrschlachten in Lettland haben sich die schwäbische 205. Infanteriedivision unter Führung von Generalleutnant von Mellenthin, die bayerisch-pfälzische 132. Infanterie division unter Führung von General 62
leutnant Wagner und die sächsische 24. Infanteriedivision unter Führung von Oberst Schultz durch Angriffs schwung und Standhaftigkeit hervorra gend bewährt." Nach dreiwöchigen „harten Kämp fen zwischen der Straße LielblidieneUpesmuiza und der Eisenbahnlinie, in denen um jedes Waldstück erbittert gekämpft und jeder feindliche Durch bruchsversuch abgeschlagen wurde"1, wurde Generalmajor Schultz am 5. 4. 1945 mit dem Ritterkreuz ausgezeich net. Er war der 33. unter insgesamt 34 Ritterkreuzträgern der kampfbe währten 24. ID. Deren Reihe hatte mit ihrem ersten Kriegskommandeur, Ge neralleutnant Friedrich Olbricht (1888 bis 1944), begonnen. Er erhielt die hohe Auszeichnung bereits nach dem Polen feldzug (27. 9.1939). Am 20. Juli 1944 gehörte er als General der Infanterie und Chef des Allgemeinen Heeres amtes im OKH2 zu den Führern des militärischen Widerstandes gegen das Hitler-System und wurde noch am glei chen Tag standrechtlich erschossen. Nachdem in der Nacht zum 8. Mai 1945 bei der „Heeresgruppe Kurland" der Kapitulationsbefehl eingetroffen war, hatte die 24. ID am späten Vormit tag des 8. Mai noch einmal einen gegne rischen Angriff abzuwehren. Dies ge lang dank der „schwarzen" Munitions bestände bei den Einheiten, die einen Feuerschlag erlaubten, wie er lange nicht mehr möglich gewesen war. Die 24. ID unter Generalmajor Schultz konnte somit nicht durch Waf fengewalt zur Kampfeseinstellung ge zwungen werden und ging unbesiegt in Gefangenschaft, nachdem ihr Komman deur den aufgrund der deutschen Ge samtkapitulation ergangenen Feuerein stellungsbefehl mit dem Zusatz weiter gegeben hatte: „Jeder Offizier der Divi sion bleibt in seiner Dienststellung und 1 Berichtsteil dervon den früheren Kommandeuren der 24. ID, von Tettau und Versock, erstellten Divi sionsgeschichte 2 Oberkommando des Heeres
Generalmajor Harald Schultz 63
führt weiterhin seine Einheit." Er brach te natürlich auch sich selbst nicht in Sicherheit, obwohl er als ehemaliger za ristischer Offizier und Baltikumkämp fer wußte, daß ihn in sowjetischer Ge fangenschaft bestimmt nichts Gutes er wartete. Dadurch war er seinen Solda ten ein charaktervolles Vorbild, so daß es in seiner Division damals nur zwei Selbstmorde gab. Am 9. 5.1945 um 13 Uhr begann für die 24. ID in voller Disziplin der Marsch in die Gefangenschaft - mit Vorrats wagen und Feldküche bei jeder Einheit. Im Durchgangslager Upesmuiza wur den die Offiziere von den Mannschaf ten getrennt. Generalmajor Schultz konnte es sogar erreichen, daß er sich von seinen Soldaten noch verabschie den durfte, indem er - in einem Volks wagen stehend, mit einem Sowjetkom missar neben sich - langsam an den ein heitsweise am Weg stehenden Soldaten vorbeifuhr und ihnen „Auf Wieder sehen in der Heimat!" zurief, was einen donnernden Widerhall auslöste. Für Harald Schultz dauerte die Kriegsgefangenschaft mehr als zehn Jahre. Als er am 6. Oktober 1955 endlich heimkehren durfte, war er gesundheit lich so angeschlagen, daß er bereits ein
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einhalb Jahre später in Lübeck starb. Er war nur 51 Jahre alt geworden. Im Nachruf, den ihm sein Vorgänger als Divisionskommandeur, General der Gebirgstruppen a. D. Versock, im Na men des Kameradschaftsringes der ehemaligen 24. ID widmete, hieß es damals über Generalmajor a. D. Harald Schultz: „Wir verlieren in ihm einen treuen Ka meraden, der uns durch seinen festen Charakter, durch seine menschliche Wärme und durch seine vornehme Art nahestand, der unser volles Vertrauen genoß und dem unsere stete Verehrung gelten wird. Generalmajor Schultz hat in den schweren Kämpfen ostwärts von Riga und in Kurland ein leuchtendes Beispiel echten Führertums gegeben und, trotz schweren seelischen Drucks, mit der Division in fester Kampfgemein schaft bis zuletzt einem übermächtigen Feind getrutzt. Sein Vorbild und seine Fürsorge haben der Truppe über die Ka pitulation hinaus Selbstvertrauen und Halt gegeben. Als Balte und ehemaliger zaristischer Offizier hatte er unter der Rachsucht der Sowjets besonders zu lei den. So war ihm nach der Heimkehr nur eine kurze Spanne im Kreise der Seinen beschieden." Dr. Gerd F. Heuer
Überfall im Jössingfjord
September 1944. - Enterung des deutschen Tankers „Altmark" durch den britischen Zerstörer „Cossack" in neutralen norwegischen Gewässern
Der Tanker „Altmark" in norwegischen Gewässern Das unter der Reichsdienstflagge fah rende Tankschiff „Altmark" (14 367 BRT) befand sich bei Kriegsausbruch im Jah re 1939 auf der Fahrt zwischen den USA und Europa, als es von der Seekriegslei tung den Funkbefehl erhielt, die Über fahrt abzubrechen und das im Süd atlantik operierende deutsche Panzer schiff „Admiral Graf Spee" mit Heizöl zu betanken. Die „Altmark" begleitete das Kriegsschiff dann auf seiner mehr wöchigen Kaperfahrt, versorgte es mit Treibstoff und nahm in diesen Wochen 303 britische Seeleute als Gefangene an Bord. Nach der Selbstvernichtung der „Ad miral Graf Spee" am 17.12.1939 in der La-Plata-Mündung* versuchte Kapitän Dau mit seinem Schiff nach Deutsch land durchzubrechen. Er trat die Fahrt aber erst Anfang 1940 an, da überlege ne britische Kriegsschiffe die „Altmark" im Südatlantik suchten. Der deutsche Tanker erreichte am 14. Februar 1940 die * zwischen Uruguay und Argentinien
norwegischen Gewässer, ohne bisher von britischen See- und Luftstreitkräf ten entdeckt worden zu sein. Das Schiff fuhr nach wie vor unter deutscher Flag ge und mit originalem Namen. Die an Bord befindlichen zwei 2-cm-Kanonen und vier Maschinengewehre waren ab montiert und unter Deck verstaut; da mit war das Schiff praktisch wehrlos. Am Morgen des 14. September 1940 sichtete der norwegische Küstenposten auf Forsen das Schiff und gab per Funk Meldung an die Admiralität. Diese ent sandte daraufhin das Torpedoboot „Trygg" zur „Altmark". Auf Anfrage des norwegischen Kommandanten gab Dau die Auskunft, daß er als Tankschiff auf dem Weg nach Deutschland sei. Das nor wegische Kriegsschiff hielt den Tanker daraufhin an und schickte ein Unter suchungskommando an Bord. Die nor wegische Admiralität war aber noch nicht zufrieden und befahl das Torpedo boot „Snogg" zur weiteren Überprü fung. Doch auch diese Untersuchung 65
reichte Admiral Tank-Nielsen nicht. Er schiffte sich am nächsten Tag selbst auf dem Zerstörer „Garm" ein und hielt zum drittenmal die „Altmark" an. Der Admiral verbot dann die Weiter fahrt des deutschen Schiffes nach Ber gen. Doch schließlich mußte er sich einem Befehl aus Oslo beugen, der be sagte, die „Altmark" durch eine Eskorte weiterzugeleiten. Die vielen zwischen den norwegi schen Marinedienststellen gewechsel ten Funksprüche waren von der bri tischen Admiralität selbstverständlich mitgehört worden. Möglicherweise war das auch die Absicht der Norweger ge wesen. Immerhin wußten die Briten nun, wo sich die „Altmark" befand. So starteten am 16. Februar 1940 englische Aufklärungsflugzeuge, um den Tanker zu suchen. Gleichzeitig erhielt Kapitän zur See Vian von dem britischen Pre mierminister Churchill den Befehl, mit seiner Zerstörerflottille die „Altmark" zu stellen und aufzubringen. Die Uhren zeigten 16.00 Uhr, als die Ausgucks der „Altmark" die britischen Zerstörer entdeckten, die sich mit gro ßer Geschwindigkeit dem deutschen Schiff und dem begleitenden norwegi schen Torpedoboot „Skarv" näherten. Als sich der Tanker noch fünf Seemei len westlich des Jössingfjords befand, signalisierte der herankommende briti sche Zerstörer „Cossack", die „Altmark" solle sofort norwegische Hoheitsgewäs ser verlassen und auf die offene See zudrehen. Das norwegische Torpedoboot ver suchte die britischen Schiffe abzudrän gen, so daß die „Altmark" in den Jös
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singfjord einlaufen konnte. Der Zer störer „Cossack" folgte nach und legte sich am Eingang des Fjords quer, der damit abgesperrt war. Dicht dahinter waren weitere fünf britische Kriegs schiffe in norwegische Hoheitsgewäs ser eingelaufen und stellten sich feuer bereit auf. Der norwegische Torpedo bootskommandant protestierte; aber vergeblich. Es war 17.2 5 Uhr, als der britische Flot tillenchef den direkten Befehl von Winston Churchill erhielt: „Entern Sie die ,Altmark', befreien Sie die Gefangenen, und ergreifen Sie Be sitz von dem Schiff!" Als es Nacht wurde, rauschte der Zer störer „Cossack" trotz Protests norwegi scher Torpedobootskommandanten in den Jössingfjord. Als Kapitän Dau den Angriff erkannte, ließ er gegen 23.00 Uhr die „Altmark" zurücksetzen, um das britische Schiff zu rammen. Doch das Eis verhinderte eine rasche Fahrt, so daß der Zerstörer schnell längsseits des deutschen Schiffes lag. Das britische Enterkommando sprang mit schuß bereiten Waffen und aufgepflanzten Bajonetten auf das deutsche Schiff und eröffnete noch im Sprung das Feuer. Fünf deutsche Seeleute starben unter den Kugeln des britischen Enterkom mandos. Kurz nach Mitternacht verließ der Zerstörer „Cossack" mit den britischen Gefangenen den Jössingfjord. Der Sinn gehalt des britischen Schlagwortes „Right or wrong - my country!" („Recht oder Unrecht - Hauptsache, es nützt meinem Land!") war in die Tat um gesetzt worden. W.H.
Die „Blaue Division" 1941-1943. -Vom Gegner gefürchtet, von ihren deutschen Kameraden mit Hochachtung bedacht: die spanischen Freiwilligen der 250. ID Bereits in der ersten Woche des deutsch-sowjetischen Krieges (Juni 1942) rief die spanische Regierung im Namen des Staatschefs Franco zur Waf fenhilfe für das Deutsche Reich auf. Der Widerhall war so stark, daß sich in wenigen Tagen bereits viele Freiwillige, vor allem Jugendliche, meldeten. Der Militärgouverneur der südspanischen Provinzen, Generalleutnant Muñoz Grandes, wurde daraufhin beauftragt, aus diesen Freiwilligen eine kampfstar ke Division zu bilden. Da diese Freiwilligen zum größten Teil der spanischen Partei der Falan gisten angehörten, deren Mitglieder blaue Hemden trugen, erhielt die Divi sion später den Beinamen „Blaue Divi sion". Damals bildeten sich in kurzer Zeit vier Infanterieregimenter in Ma drid, Barcelona, Sevilla und Valencia. Hinzu kamen ein Artillerieregiment, Kavallerie-, Pionier-, Nachrichten-, Sa nitäts- und Verwaltungskompanien. Be reits am 13.Juli 1941 rollte der erste Trup pentransportzug durch Frankreich nach Deutschland. Auf dem Truppenübungsplatz Gra fenwöhr erfolgten Zusammenstellung, Ausrüstung und Geländeübungen der Division, die vom Oberkommando des Heeres die Nummer 250 erhalten hatte. Die drei nun gebildeten Infanterieregi mentertrugen die deutschen Nummern 262, 263 und 269; alle übrigen Einhei ten die Nr. 250. Ab 20. August 1941 wurde die Truppe dann über Berlin, Treuburg, Minsk, Wi tebsk und Newel nach Nowgorod ver legt. Dort bezogen die spanischen Ver bände eine Frontlinie von 50 Kilometer Länge, von denen 20 km am Westufer des Ilmensees allerdings als „ruhige" Stellung bezeichnet werden konnten. Die 250. Infanteriedivision (ID) rückte ab 14. Oktober 1941 in diese Haupt-
Abzeichen der 250. ID „Blaue Division" kampflinie ein und löste hier zwei deut schen Divisionen ab. Schon zwei Tage später gab es erste Feindberührungen. Am 18. Oktober mußte die „Blaue Division" am rechten Flügel der deut schen Angriffsfront über den Wolchow setzen, um den nach Tichwin und Wol chowstroj angreifenden Verbänden der 18. Armee Flankenschutz zu geben. Die Division hielt fortan in schweren und verlustreichen Kämpfen ihre am Ost ufer des Wolchow, oft im dichten Sumpfurwald befindlichen Stellungen, bis am 8. Dezember die deutsche Front wieder hinter den Wolchow zurück genommen wurde. Allein das Infante rieregiment (IR) 269 hatte in wenigen Tagen 566 Gefallene zu beklagen ge habt. Die 250. ID blieb während der näch sten Zeit um Nowgorod in ihren Winter stellungen. Als aber durch einen sowje tischen Großangriff mehrere deutsche Divisionen um Demjansk eingeschlos sen worden waren, mußte die verstärk 67
te Skikompanie der „Blauen Division" von 205 Mann unter Führung des Hauptmanns Ordas bei grimmiger Käl te - bis 50 Grad minus - über den gefro renen Ilmensee, um die in Wswad ein gekesselten deutschen Truppen zu be freien. Das einmalige Wagnis gelang, doch die Skikompanie zählte bei ihrer Rückkehr nur noch zwölf Mann! Als im Februar 1942 die Schlacht um den Wolchowkessel begann, hatte die Division hierzu drei Bataillone und eine Artillerieabteilung abzustellen. Die Einheiten blieben bis Ende Juni in die sem Frontabschnitt und verloren hier bei 274 Gefallene. Ende August 1942 verlegte die 250. ID aus dem Raum Nowgorod zur Front vor Leningrad. Dort übernahm General major Esteban-Infantes das Komman do. Generalleutnant Muñoz Grandes kehrte nach Spanien zurück und erhielt bei seiner Abmeldung das Eichenlaub zum Ritterkreuz. Er wurde später spani scher Kriegsminister und schließlich Stellvertreter Francos. Die „Blaue Division" bezog nun Stel lungen im Raum Puschkin-Sluzk, die später bis Krassnij Bor ausgedehnt wur den. Hier sollte sich bald ein Schwer punkt der Kampfhandlungen bilden, da wenige Kilometer nordwestlich von Krassnij Bor die sowjetischen Panzer werkstätten Kolpino lagen. Anfang Februar 1943 begann dann gerade hier der Großangriff der Roten Armee. Im Schwerpunkt der neuen Schlacht lag das IR 262, dem in den nächsten Tagen von allen anderen Regimentern Verstärkungen zugeführt werden mußten. Die Sowjets stürmten mit drei Divisionen und mehreren Pan zerabteilungen gegen das eine spani sche Regiment. Zwar mußten die Spa nier um drei Kilometer nach Süden und Südwesten ausweichen und dabei Krassnij Bor aufgeben, aber dann hielt die Front. Die Ausfälle der drei sowje tischen Divisionen betrugen in diesen drei Kampftagen 9000 Mann, die der Spanier 2800! 68
Die 250. ID wurde jetzt von deutschen Verbänden abgelöst und bezog neue Stellungen um Pulkowo. Hier kam es in den folgenden Monaten zu erbittert geführten Angriffs- und Abwehrkämp fen, bei denen die spanischen Soldaten vom russischen Gegner gefürchtet wa ren. Nach einer damaligen Schilderung hatten sie „in der rechten Hand den Ka rabiner, in der linken die Handgranate und zwischen den Zähnen das Messer". Die „Blaue Division" behauptete in den nächsten Monaten ihre Stellungen. Ge neralmajor Esteban-Infantes wurde mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet. Dann kam am 7. Oktober 1943 der Befehl aus Madrid, die Division in die Heimat zu rückzuführen. Aber nicht alle. Denn zurück blieben Freiwillige, die sich zur „Spanischen Le gion" zusammengeschlossen hatten. Die se Legion - in Stärke von 1100 Mann war vorerst im Rahmen der 121. deut schen ID im Nordabschnitt der Ostfront eingesetzt. Ab Januar 1944 nahmen ihre Soldaten am Rückzug über Narwa teil, wo die Legion im April 1944 auf Befehl Francos aufgelöst wurde. Zwei Kompa nien Freiwilliger blieben bei ihren deut schen Kameraden. Sie kämpften im Rahmen von Einheiten der Waffen-SS in Ostpreußen und Pommern und stan den bei Kriegsende im Häuserkampf rings um die Reichskanzlei. 21 Mann von zwei Kompanien waren noch üb riggeblieben. Spanische Freiwillige kämpften übri gens auch bei der deutschen Luftwaffe. Schon im Sommer 1941 bildeten sich vier Jagdfliegerstaffeln, die dem deut schen Jagdgeschwader 27 eingeglie dert wurden. Sie standen im Mittel abschnitt der Ostfront zwischen Kalinin und Gomel bis Februar 1944 im Ein satz. Während dieser Zeit hatten sie 2234 Feindflüge durchgeführt, wobei es 364mal zu Luftkämpfen gekommen war. Die spanischen Piloten hatten bei zwölf eigenen Verlusten 88 russische Maschinen abgeschossen. W.H.
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Eine Stadt an der Oder
Glogau, eine der ältesten Kulturstätten Schlesiens, trägt heute den
Namen Glogow
Glogau ist eine der ältesten Kulturstät ten Schlesiens. Bereits im Jahre 1010 berichtete Thietmar von Merseburg von einer Siedlung Urbs Glogua. Der Ort war bis 1202 Mittelpunkt einer polnischen Kastellanei und kam in diesem Jahr zum Herzogtum Schlesien. Das Stadtrecht er hielt Glogau 1253 nach magdeburgischem Muster. Nach Teilung des Piastenreiches (1251) kam Glogau an Herzog Konrad II., der die Stadt zur Hauptstadt eines Für stentums mit gleichem Namen erhob. Das Fürstentum - auch Glogauer Land ge nannt - existierte bis 1331. Die ersten deutschen Siedler kamen bereits Ende des 11. und Anfang des 12. Jahrhunderts in diese Landschaft. Ab
Mitte des 13. Jahrhunderts wanderten dann Scharen von Menschen aus Mittel deutschland in das Fürstentum ein und gaben dem Land ein deutsches Gepräge. Dieser Zustrom bedingte, daß Herzog Konrad II. bereits 1253 eine Neugründung vornahm, in der die deutschen Siedler untergebracht wurden. Diese Stadt erhielt den Namen Glogovia major (Groß-Glo gau). Im Jahre 1331 wurde das Fürstentum geteilt, die Stadt gleichfalls. Eine Hälfte von Glogau ging durch Kauf an die Krone Böhmens, die andere machte sich König Johann Untertan. Kaiser Karl IV. gab diese Hälfte an Herzog Heinrich V. als böhmi sches Lehen zurück. Nun gab es eine kö
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nigliche und eine herzogliche Hälfte der Stadt, bis im Jahre 1480 Herzog Johann II. von Sagan Glogau eroberte und die Tei lung beseitigte. Doch bereits acht Jahre später entriß ihm König Mathias von Un garn die Stadt und nahm sie in Besitz. Die wechselvolle Geschichte Glogaus hielt an. Johann Albert, König von Polen, er oberte 1492 Glogau, dann zog 1499 König Wladislaw von Böhmen in die Stadt ein. Dieser gab Glogau seinem Bruder Sig mund zu Lehen. Als dieser 1506 zum König von Polen gewählt wurde, verblieb Glogau unter der Krone Böhmens. Der habsburgische Kaiser riß sodann 1526 Böhmen an sich und damit auch Glo gau und das ehemalige Fürstentum. Der Leidensweg der Stadt war aber noch nicht beendet. Der Dreißigjährige Krieg schlug im nächsten Jahrhundert Glogau tiefe Wunden. Die Liechtensteinschen Drago ner errichteten 1628 eine Willkürherr schaft und zwangen die größtenteils pro testantische Bevölkerung mit Folterungen und ähnlichen Mitteln zum Übertritt in die katholische Kirche. Vier Jahre später eroberten die verbündeten Sachsen, Schweden und Brandenburger Glogau. Doch 1633 waren die kaiserlichen Trup pen wieder Herren der Stadt. Die Schwe den kamen noch einmal und besetzten 1642 Glogau erneut. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges wurde Glogau von den Österrei chern zur Festung ausgebaut und mit einer starken Garnison belegt. Preußische Truppen unter dem Erbprinzen Leopold von Dessau erstürmten am 9. März 1741 die Stadt, die damit unter die Krone Preu ßens fiel. Napoleonische Truppen mar schierten 1812 ein und bauten Glogau wei ter zur Festung aus. Die Franzosen unter General de la Plane verteidigten diese Festung fast zwei Jahre lang gegen die Preußen und ergaben sich erst 1814, als der Krieg beendet war. Das Deutsche Reich erweiterte Glogaus Festungsanlagen bis zur Jahrhundertwen de enorm. Zwischen 1873 und 1903 ent stand ein neuer Festungsgürtel. Das Zen trum der Werke wurde 1880 auf die Ost
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seite verlegt, und im Jahre 1903 wurden die Anlagen auf dem linken Oderufer be seitigt. Damit war Platz für Grünflächen und Promenaden geschaffen worden. Im Jahre 1903 konnte man von einer Festung im althergebrachten Sinne nicht mehr sprechen. Die amtliche Bezeichnung lau tete „Befestigungen bei Glogau". Im Jahre 1914, bei Ausbruch des I. Weltkrieges, un terstand die Festung dem V. Armeekorps, Festungskommandant war Generalmajor von Blanckensee, der bereits im Oktober 1914 als Kommandeur einer ReserveInfanteriebrigade in Polen fiel. Glogau selbst war eine große Garnisonstadt. 1914 befanden sich der Stab der 9. Division (Generalleutnant von Below), die Stäbe der 17. Infanterie-, 9. Kavallerie- und 9. Feldartilleriebrigade in der Stadt. An Truppenteilen waren in Glogau statio niert: Infanterieregiment 58, Feldartille rieregiment 41,1. Abteilung Fußartillerie regiment 6, Pionierbataillon 5 und die Kriegsschule. Glogau war aber nun keineswegs eine reine Soldatenstadt, wie ihre Geschichte vermuten lassen könnte. Wertvolle Bau ten und Kunstschätze berichteten von der kulturellen Stellung der Hauptstadt des ehemaligen Fürstentums. Das bedeu tendste Bauwerk war der im 12. Jahrhun dert begonnene und 1413 völlig umgebau te Dom, ein spätgotischer Backsteinbau mit besonders schönem barockem Chor gestühl und dem Bild „Madonna mit dem Schleier" von Lucas Cranach. Aus der gleichen Zeit stammte die Hallenkirche, die den Namen „St. Nikolaus" trug. Die Je suitenkirche mit dem schönen Kirchen schiff wurde erst im 17. Jahrhundert erbaut. Das Schloß am Oderufer war zur selben Zeit errichtet worden. Eine beson dere Zierde der Stadt war das Rathaus am Markt mit seinem 79,5 m hohen Turm, eines der eindrucksvollsten Rathäuser Schlesiens. Eine weitere Zierde stellte das 1774 erbaute Stadttheater dar. Das kulturelle Leben Glogaus war weit über die Grenzen des Landes hinaus be kannt geworden. Friedrich der Große hat te während seiner Regierungszeit viel für
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neralmajor von Obernitz), der FestungsPionierstab 9, das Infanterieregiment 54, die II. Abteilung des Artillerieregiments 54, das Pionierbataillon 18, eine Sanitäts staffel und mehrere Verwaltungsdienst stellen der Wehrmacht. Das Ende der deutschen Geschichte von Glogau kam im Januar 1945, als die Rote Armee zum Sturm über die Oder an setzte. Ihr Angriff aus dem Brückenkopf Steinau begann am 8. Februar, und vier Tage später war Glogau eingeschlossen. Während in wenigen Tagen das gesamte Kreisgebiet in die Hand der Sowjets fiel, wurde die „Festung Glogau" von einer kleinen deutschen Kampfgruppe unter Führung des Obersten Graf zu Eulenburg noch sechs Wochen lang gegen die über legenen Kräfte der russischen Belage rungstruppen gehalten. Erst als Munition und Verpflegung ausgingen, machten die Verteidiger am 1. April - es war der Oster sonntag - einen Ausbruch, der von den sowjetischen Truppen jedoch vereitelt wurde. Danach war Glogau russischer Be sitz. Heute trägt es den Namen Glogow und ist polnische Kreisstadt.
die Stadt getan, Anregungen für den Bau der Befestigungsanlagen gegeben, sowie das Flußbett der Oder verlegen lassen, um einen Hafen für die Umschlaggüter er richten zu können. Von den Persönlich keiten der Stadt Glogau seien ebenfalls einige Namen genannt. Da war der Dich ter Andreas Gryphius, der von 1616 bis 1664 in Glogau lebte. Die Primaballerina der Berliner Oper zur Zeit Friedrichs des Großen wohnte hier fünfzehn Jahre, bis zu ihrem Tod. Der Mundartdichter Fritz Reuter schrieb sein wohl bekanntestes Buch „Festungstid" über seinen Zwangs aufenthalt in der Festung. Der Dichter E. T. A. Hoffmann setzte sich in Glogau zur Ruhe. Der spätere Reichspräsident von Hindenburg ging hier zur Schule. Als einer der zentralen Punkte Nieder schlesiens wurde Glogau auch ein wichti ges Wirtschafts- und Verkehrszentrum. Im Jahre 1925 lebten 25 959 Einwohner in der Stadt, 1939 zirka 33 500. Glogau blieb auch in der Weimarer Re publik und im Dritten Reich eine bedeu tende Garnisonstadt. Kurz vor Beginn des II. Weltkrieges befanden sich dort: die Kommandantur der Befestigungen (Ge
W. Haupt
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