TERRA ASTRA 79
Hinter der Antimateriewolke von H. J. Frey
1. „Da sind sie ja!“ rief der Graubart erleichtert aus und ...
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TERRA ASTRA 79
Hinter der Antimateriewolke von H. J. Frey
1. „Da sind sie ja!“ rief der Graubart erleichtert aus und zerrte den Tramp am Ärmel hinter sich her, quer durch die gerammelt volle Kneipe, über eine Unzahl von ausgestreckten Männerbeinen hinweg, die in der schmalen Gasse zwischen den Tischen Erholung von der qualvollen Enge suchten, die in den sparsam bemessenen Tischnischen herrschte. Ungeachtet der zahllosen Flüche, die sein rücksichtsloses Vordringen einbrachte, steuerte der Alte mit Kerveigh im Schlepp auf sein Ziel zu, das hinter bläulichen Rauchschwaden verborgen lag. Schon von weitem versuchte Kerveighs Führer mit fuchtelnden Bewegungen seines freien Armes die Aufmerksamkeit von zwei Männern zu erregen, die, vertieft in ihr Kartenspiel, jedoch keine Notiz von den Ankömmlingen nahmen, selbst als sie dicht vor ihrem Tisch zum Stehen kamen. Der Graubart schien plötzlich seinen ganzen Mut zu verlieren. Mit hängenden Schultern stand er abwartend da - wie ein Hund, der auf einen Knochen wartet. Der kraushaarige Hüne, dessen fleischiges Gesicht von einem schmalen Bart umrahmt wurde, breitete soeben gelassen einen Kartenfächer auf der Tischplatte aus, lehnte sich zufrieden zurück und sagte: „Das war’s denn wohl.“ Sein Gegenüber kaute heftig auf einem pechschwarzen Zigarillo herum, schob mit einer plötzlichen Bewegung sein Blatt zusammen und warf es mit wütendem Schwung zum Stapel der anderen Karten.
„Du alter Gauner!“ stieß der Dunkelhaarige enttäuscht hervor, „du bringst es noch fertig und ziehst mir heute abend die Hosen aus. Ich geb’s auf!“ Damit lehnte er sich zurück, wandte den Kopf nach hinten und brüllte in Richtung Theke: „Stormy, alter Panscher! Schlepp noch ‘ne Runde an - aber fix !“ Mit einer affektierten Gebärde strich er sich anschließend über die Schläfen. Der Graubart erlaubte sich ein dezentes Hüsteln. Während ihm das bei dem Hünen kaum mehr als einen flüchtigen Blick eintrug, fuhr der Dunkelhaarige wie elektrisiert herum und kniff beim Anblick des abgerissenen Alten und seines Begleiters die Augen zu schmalen, vergnügten Schlitzen zusammen. „Neiiin!“ rief er aus und klatschte sich auf die Schenkel. Damit löste er bei dem Alten eine Serie von devot nickenden Kopfbewegungen aus. Der Graubart begann zu strahlen, daß es sämtliche Fältchen in seinem zerknitterten Gesicht auseinanderzog, und versicherte eifrig: „Er nimmt den Job, bestimmt, er nimmt den Job ...“ Plötzlich, als sei ein Wolkenschatten darübergeflogen, verdüsterten sich seine strahlenden Hundeäugen, und er wandte sich voller Besorgnis Kerveigh zu. „Nicht wahr, du nimmst doch den Job?“ fragte er. „Du hast es doch gesagt!“ Der Tramp nickte nur stumm. Daraufhin unterzog ihn der Dunkelhaarige einer gründlichen Musterung. Gleich darauf stach sein Zigarillo steil nach oben, als er den Mund zu einem breiten Grinsen verzog. „Da siehst du’s mal wieder!“ wandte er sich an den Hünen, der Verständnislos auf die Szene starrte. „Wer Wunder fordert, der kriegt sie auch geliefert!“ Damit wies er auf Kerveigh. „Bitte ...!“ Der Hüne riß die Augen auf. „Du willst doch nicht etwa sagen ...“, begann er. „Doch!“ Der Dunkelhaarige sprang von seinem Sitz auf und räumte ihn bereitwillig - allzu bereitwillig - Kerveigh ein. „Er springt für mich ein“, fügte er noch hinzu. „Aber ... Das kannst du doch nicht machen, Hank!“ brachte der
Hüne stammelnd hervor. „Ich hab das Ganze doch nur für einen Witz gehalten ... He! Hör doch, Hank!“ Doch Hank war nicht mehr zu halten. „Komm, Alterchen!“ Er hieb dem Graubart kraftvoll auf die knochige Schulter. „Wir gehen. Bestelle dem alten Seelenverkäufer ‘nen schönen Gruß von mir, Ole!“ Mit raschen Schritten machte er sich davon, gefolgt von dem Alten. Der Hüne saß starr aufgerichtet da und glotzte den Davoneilenden entgeistert nach. In seinem Gesicht arbeitete es. Er schluckte, In diesem Augenblick erschien der Wirt und setzte zwei Krüge vor ihm ab. „Übernimmst du das - oder soll ich’s auf Morris’ Rechnung setzen?“ erkundigte er sich mürrisch. Diese nüchterne Anfrage des Wirtes wirkte wie eine Zauberformel, die den lähmenden Bann löste, der den Hünen bis jetzt an seinen Platz genagelt hielt. Polternd kam er hoch und stürmte hinter den Entschwundenen her - das heißt, er versuchte es; denn nur zu bald verhedderte er sich in dem Durcheinander von ausgestreckten Beinen. Noch während er um sein Gleichgewicht und um Bewegungsfreiheit kämpfte, wurden ihm plötzlich die ungezählten zornigen Proteste bewußt, die sein ungestümes Vordringen hervorgerufen hatte. Daraufhin verfiel er notgedrungen in eine Art von stelzendem Storchengang, der ihn nur sehr langsam voranbrachte. Doch diese plötzliche Rücksichtnahme erfolgte zu spät. Kerveigh bemerkte mit erfahrenem Blick, daß sich hinter Oles Rücken etwas zusammenbraute. Eine Gruppe grimmig dreinblickender Männer schob sich im Kielwasser des Hünen auf den Ausgang zu, offenbar entschlossen, draußen Rache für etliche demolierte Schienenbeine zu nehmen. Genau zu diesem Zeitpunkt meldete sich Kerveighs Ehrgefühl. Er setzte sich ebenfalls in Bewegung. Als er endlich das Freie erreichte, sah er den Hünen von Gegnern umkreist - ein täppisch wirkender Bär inmitten einer Meute hungriger Wölfe. Kerveigh zählte bis sieben und nahm gleichzeitig in
Gedanken eine Grobsortierung vor: zwei auf sein Konto, zwei für den Hünen - und drei, die der Mut verlassen würde. Gleich darauf trat er in Aktion. Da die Überraschung auf seiner Seite war, konnte er gleich zu Beginn sein vorgenommenes Pensum erledigen, indem er sich zwei Gegner gleichzeitig schnappte und ihre Köpfe zusammenstieß. Doch dann zeigten sich offensichtliche Schwächen in seiner Strategie: Der Rest wandte sich nämlich keineswegs zur Flucht, sondern machte geschlossen Front gegen Kerveigh, der sich bald darauf auf dem harten Straßenpflaster wiederfand, begraben unter einem Berg von Leibern. Zum Glück für ihn behinderten sich die Männer gegenseitig, zwangen Kerveigh jedoch allein durch ihr Gewicht zu völliger Bewegungslosigkeit. Nicht ganz, fand Kerveigh nach einer Weile beglückt heraus; denn er hatte noch im Fallen den Arm um einen gegnerischen Hals geschlungen und war so in der Lage, die Luftzufuhr wenigstens einer der Männer sorgfältig zu regulieren. Mit stoischer Gelassenheit steckte er seinerseits die wenigen gezielten Schläge ein, die von oben zu ihm durchdrangen, und setzte im übrigen auf den Hünen. Er sollte nicht umsonst gehofft haben. Allmählich verringerte sieh die Last, die ihn am Boden hielt. Er half mit gezieltem Strampeln nach, vernahm einen unterdrückten Schmerzensruf und fand sich plötzlich frei. Vorsichtig lockerte er seinen Arm, der immer noch die gegnerische Kehle umspannte. Der Mann, dessen Luft die ganze Zeit über so streng rationalisiert worden war, kam taumelnd hoch und suchte das Weite. Im Sitzen begann Kerveigh den Staub aus seinen Kleidern zu klopfen. Als er aufblickte, sah er den Hünen eine einladende Kopfbewegung in Richtung auf den Eingang der Kaschemme machen. Kerveigh spürte seinen Durst ... Stolz erhobenen Hauptes durchquerten die beiden Kampfgefährten die schmale Gasse zwischen den Tischen, die plötzlich merkwürdig frei von ausgestreckten Beinen war, und fanden sowohl ihre Plätze als auch ihre Krüge unangetastet vor.
Der Hüne schob den zweiten Krug näher zu Kerveigh heran und hob den seinen. „Auf dein Wohl!“ Zum erstenmal seit Kerveighs Eintreffen kreuzten sich ihre Blicke. Und dann, ganz plötzlich, begann der Hüne zu grinsen. Es sah fast ein wenig schüchtern aus, fand Kerveigh - eine Seelenregung, die er bei diesem Brocken von Kerl zuallerletzt erwartet hätte. Der Hüne wirkte in diesem Augenblick entschieden sympathisch. Kerveigh beschloß, zurückzugrinsen ... * Der Jeep schlingerte in gefährlichen Kurven über das glatte Kunststoffmaterial der Landebahn. „Langsam, langsam!“ protestierte Kerveigh mit schwerer Zunge. „Du willst uns doch nicht die Hafenpolizei auf den Hals hetzen!“ Ole schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das jedoch seinen Zweck - Kerveigh zu beruhigen - völlig verfehlte. Der Tramp klammerte sich nur noch fester an den Haltegriff des Beifahrersitzes, Gleich darauf wurde er heftig nach vorn geschleudert, als Ole mit unvermuteter Plötzlichkeit auf die Bremse trat. „Was soll denn das schon wieder?“ schimpfte Kerveigh los. „Du fällst von einem Extrem ins andere!“ Der Hüne deutete nur stumm nach vorn, dorthin, wo man die dunkle Silhouette der SKATING JANE mehr ahnen als sehen konnte. Drüben zuckte in regelmäßigen Abständen ein orangefarbenes Blinklicht auf. „Zollkontrolle“, klärte der Hüne seinen Begleiter auf. Die SKATING JANE entpuppte sich als ein mittelgroßer Frachter der Delphinklasse, konstruiert für eine durchschnittliche Besatzung von fünf Mann. Die nur sehr dürftig erleuchtete Schleuse war menschenleer. Erst auf dem Hauptkorridor begegneten sie dem ersten Besatzungsmitglied, einem Swampee.
Ole machte eine weit ausholende Handbewegung - so, als präsentiere er Seine Exzellenz, den terranischen Botschafter. „Das ist Skuff, unser Koch!“, stellte er vor. Skuff widmete Kerveigh eins seiner überdimensionalen Trichterohren. Es kam dem Tramp so vor, als blicke er in den Schalltrichter eines jener vorsintflutlichen Grammophone. Er beugte sich mit übertriebener Höflichkeit so weit vor, daß seine Nase fast in die Öffnung des Trichters ragte. „Ich bin entzückt!“ verkündete er mit dem leutseligen Charme eines Angesäuselten - und mit entsprechender Lautstärke. Der Grammophontrichter schnellte zurück. Skuff schloß die großen Chamäleonaugen und verzog sein zerknittertes Gnomengesicht zu einer schmerzerfüllten Grimasse. „Du hast mir weh getan!“ klagte er vorwurfsvoll. Seine Stimme klang schrill und quälend - wie eine Kindertrompete. Kerveigh war noch nie zuvor einem Swampee begegnet. Er musterte den birnenförmigen Körper seines Gegenübers mit gerade noch schicklicher Neugier. Sein Blick verweilte auf den breiten Watschelfüßen des Sumpfgeborenen, und er stellte sich vor, wie das Wesen mit diesen Gehwerkzeugen über den morastigen Boden seiner Heimatweit platschte. Hoffentlich - so dachte der Tramp - kann er auch etwas anderes kochen als dieses verfluchte Swampee Goreng ... Kerveigh hatte das Nationalgericht von Swamp einmal leichtsinnigerweise in einem zenotischen Spezialitätenrestaurant bestellt und es bitter bereut. Bei der bloßen Erinnerung daran brannte ihm der scharf-saure Geschmack auf der Zunge. Der Koch bedachte ihn mit einem entrüsteten Blick. „Ich kann auch terranisch kochen!“ verwahrte er sich tief gekränkt gegen Kerveighs stummen Vorwurf. Der Tramp musterte ihn zunächst verblüfft, dann fiel ihm ein, daß die Swampees halbtelepathische Fähigkeiten besaßen. Seine letzten Gedanken mußten wohl derart intensiv gewesen sein, daß sie zu dem Kleinen durchgedrungen waren. Er nahm sich vor, künftig im
Umgang mit Skuff vorsichtiger zu sein - für diesmal war der Schaden wohl kaum mehr zu reparieren. Der Koch wendete sich ziemlich abrupt von ihnen ab und watschelte mit kurzen, energischen Schritten davon, wobei er etwas in seiner Heimatsprache vor sich hinmurmelte, das - dem Tonfall nach - nicht gerade schmeichelhaft für Kerveigh klang. Der war im Augenblick recht froh darüber, daß er kein Swampon verstand. Er breitete resignierend die Arme aus und warf Ole einen um Entschuldigung heischenden Blick zu. Doch der Hüne begnügte sich mit einem Achselzucken als Antwort. Die beiden Männer setzten ihren Weg zur Zentrale fort und hatten deren Eingang schon fast erreicht, als ihnen durch das halbgeöffnete Schott eine kühle, arrogant näselnde Stimme entgegenklang, die jemandem gute Ratschläge zu erteilen schien. „Die Schiffsleitung stattet Sie gerne mit einem Kompaß und ausreichender Verpflegung aus, falls Sie Ihre Expedition ins Innere des Bordcomputers auszudehnen gedenken, Sir!“ bot die Stimme mit mildem Sarkasmus an. „Nur etwas schlanker sollten Sie für dieses Vorhaben schon sein, Sir ...“ Eine andere Stimme antwortete, man konnte jedoch nicht verstehen, was sie sagte, weil gleichzeitig ein dumpfes Poltern zu vernehmen war. Die beiden Ankömmlinge machten nunmehr vor dem Eingang halt und sondierten die Lage. Zunächst fiel Kerveighs Blick auf einen Mann in Zolluniform, der am Boden kniete und die Abdeckplatte des Bordcomputers seitlich von der gähnenden Öffnung, die er soeben geschaffen hatte, gegen die Konsole lehnte. Neben ihm hatte ein weiterer Beamter Posten bezogen, der vollauf damit beschäftigt war, eine steinerne Amtsmiene zur Schau zu tragen. Beide Männer erduldeten gelassen die Witzeleien des Kapitäns, der mit verschränkten Armen lässig am Schaltpult lehnte. Das schmale und blasse Gesicht des jugendlichen Kapitäns war von einer fast barocken Lockenfülle umgeben, die Leif Scanders verwegen und romantisch
zugleich erscheinen ließ. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch das über der behaarten Brust weit offenstehende, plissierte Hemd, das seine athletische Gestalt weich umfloß wie die Erinnerung an Samt, Seide und spitze Degen aus längst vergangenen Zeiten heraufbeschwor. Scanders warf den Eintretenden einen flüchtigen Blick zu, widmete jedoch gleich darauf wieder seine volle Aufmerksamkeit dem knienden Beamten, der im Begriff war, sich immer tiefer in die Eingeweide des Computers hineinzuwühlen. Der Kapitän stieß sich. vom Schaltpult ab und schlenderte zu ihm hinüber. „Wie sieht’s da drinnen aus?“ wollte er scheinheilig wissen. Für kurze Zeit wurde das gerötete Gesicht des Beamten sichtbar. „Wie in einem Bordcomputer“, gab er verdrossen über die Schulter zurück. „Und was hätten Sie erwartet ...?“ Aus dem Innern des Computers ertönte eine gereizte, aber unverständliche Antwort. Scanders, des einseitigen Dialoges überdrüssig, nahm nun den anderen Beamten aufs Korn. „Das nenne ich Gründlichkeit!“ lobte er. „Man stellt mein Schiff auf den Kopf und sagt noch nicht einmal warum.“ „Wir tun nur unsere Pflicht!“ verkündete der mit der steinernen Amtsmiene salbungsvoll - aber wenig informativ. Scanders nickte mit ernstem Gesicht. „Aha!“ meinte er weise und widmete sich gleich darauf voller Konzentration seinen Fingernägeln. Der Steinerne schien dies als Aufforderung zu verstehen, nun seinerseits mit dem Herumschnüffeln zu beginnen. Leicht gelangweilt wandte er sich hier- und dorthin, öffnete diese und jene Tür, um sich am Anblick der in den Wandschränken aufbewahrten Raumanzüge zu ergötzen, und verfiel schließlich darauf, ziemlich wahllos die Wände abzuklopfen. Schließlich schien er an einer Stelle angelangt zu sein, die ihn näher interessierte; denn er beklopfte sie mit großer Gründlichkeit. „Diese Stelle klingt hohl!“ gab er als Ergebnis seiner Untersuchung bekannt - und Kerveigh mußte sich eingestehen, daß er damit recht
hatte. „In der Tat!“ räumte Kapitän Scanders ein. „Es klingt hohl - und Sie brauchen sich auch keine Sorgen zu machen, daß es an Ihrem Fingerknöchel liegen könnte: Dahinter befindet sich nämlich ein Wandfach.“ „Würden Sie es bitte öffnen?“ „Aber selbstverständlich!“ „Hm!“ machte der Beamte, als das Wandfach geöffnet war. Er äugte mißtrauisch hinein, entschloß sich jedoch nach längerem Zögern, hineinzugreifen und den Gegenstand, der sich darin befand, ans Tageslicht zu fördern. Ratlos drehte er den stumpf schwarzen Kubus in den Händen hin und her und betrachtete ihn von allen Seiten. „Was ist das?“ wollte er anschließend wissen. Die gleiche Frage stellte sich insgeheim auch Kerveigh; denn er konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor einen solchen Gegenstand und vor allem ein Material von solch intensiver, undurchdringlicher Schwärze gesehen zu haben, daß es in den Augen schmerzte, wenn man längere Zeit hineinblickte. Einzige Abwechslung auf der ansonsten glatten Oberfläche des Würfels war ein drehbarer Schaltknopf, der von einem Strahlenkranz haarfeiner Linien umgeben war. Die Skala - falls es sich dabei um eine solche handelte - war unbezeichnet. „Was ist das?“ fragte der Beamte erneut und drehte am Schalter. Ein leises Klicken ertönte, danach waren auf- und abschwellende Brummtöne zu hören, die beim Weiterdrehen allmählich verstummten. Ganz plötzlich erklang eine ferne Stimme, die rasch an Klarheit und Lautstärke zunahm, je weiter der Beamte drehte. Die Stimme produzierte eine Serie von zirpenden und knackenden Geräuschen, die Kerveigh unverständlich blieben. Er war ganz sicher, daß er diese Sprache noch niemals gehört hatte. Nach einer Weile verstummte die Stimme, gleich darauf aber wiederholte sie dieselbe Litanei mit erhöhter Geschwindigkeit und im fragenden Tonfall. Danach schien die Stimme auf Antwort zu warten.
„Hallo?“ erkundigte sich der Zollbeamte wenig geistreich in Richtung des Würfels. Aus dem Kubus ertönte Antwort. Es klang etwa wie: „Vrrz’sst klick-ztrr“ und endete in einem schwachen Seufzen. Der Beamte steuerte ein weiteres „Hallo!“ zur Unterhaltung bei, erhielt diesmal jedoch keine Antwort mehr. All seinen Bemühungen zum Trotz schwieg sich der Würfel von nun an aus. „Was ist das?“ fragte jetzt auch der zweite Beamte, der seine Wühltätigkeit im Bordcomputer aufgegeben hatte und unbemerkt hinzugetreten war. Scanders zuckte gelassen die Achseln. „Ein Raumsender, soviel steht fest. Mehr kann ich aber nicht sagen. Ein früheres Besatzungsmitglied hat das Ding in einem Trödlerladen auf einem der Randplaneten aufgetrieben und mir vermacht. Jedesmal wenn man an dem Knopf dreht, ertönt dieses Kauderwelsch. Nach einer Weile bricht die Unterhaltung ab.“ „Warum bewahren Sie es in diesem Versteck auf?“ wollte der hinzugekommene Beamte wissen und deutete auf das offenstehende Wandfach. „Ein Versteck soll das sein?“ Scanders grinste die Beamten entwaffnend an. „Für mich ist das kein Versteck, wenn es sogar von einem Zollbeamten gefunden werden kann! Sagen wir lieber: ein verschlossener Aufbewahrungsort! Oder soll ich vielleicht den Würfel in der Hosentasche herumtragen?“ Die Zöllner schluckten auch diese hohnvolle Beleidigung ihres Berufs-Standes und wandten sich dem Wandfach ab, nachdem der schwarze Würfel wieder darin deponiert war. „Und nun noch die Liste Ihrer Mannschaft!“ verlangte der kleinere der beiden, der vorhin im Computer gesteckt hatte. Scanders maß ihn mit einem herablassend-freundlichen Blick. „Jetzt werden wir ja sehen“, sagte er, „ob Sie da drinnen bei Ihrer Suche Flurschaden angerichtet haben!“ Damit trat er zum Computer und tippte eine Zahlenkombination in die Eingabe. Gehorsam spuckte der
Apparat einen schmalen Plastik - streifen aus, der von Scanders weitergereicht wurde. „Leif Scanders, Kapitän“, las der Zöllner laut vor. Er musterte den Kapitän mit einem kurzen Blick und schien ihn im Geiste abzuhaken. Dann fuhr er fort: „Blin Scanders, Strich Punkt Strich ...“ Stirnrunzelnd blickte er auf. „Was soll das bedeuten?“ „Blin erfüllt keine Funktion an Bord“, erklärte der Kapitän. „Er ist mein Pflegesohn; ich habe ihn auf einer Randwelt adoptiert“ „Was man nicht alles auf den Randwelten findet ...“, kommentierte der Zollbeamte bissig. Kapitän Scanders stemmte die Fäuste in die Hüften. „Was dagegen?“ erkundigte er sich herausfordernd. „Nein, nichts.“ Resignierend vertiefte der andere sich wieder in die Mannschaftsliste. „Ole Vandyk, Erster Offizier“, verlas er. Scanders begnügte sich mit einer knappen Handbewegung, die auf den Hünen wies. Dabei bemerkte er endlich die verzweifelten Handzeichen, mit denen jener schon seit längerer Zeit Scanders’ Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen trachtete. Er reagierte mit einem erstaunten Hochziehen der Augenbrauen. „Hank Morris, Zweiter- und Maschineningenieur“, fuhr der Zöllner fort. „D-das muß korrigiert werden, Sir!“ meldete sich Ole hastig zu Wort. Er war puterrot geworden. „Dafür hat Mister - äh - die Stelle übernommen ...“ Hilfesuchend wandte er sich nach Kerveigh um. „Phil Kerveigh“, sprang dieser in die Bresche. Scanders schoß einen messerscharfen Blick in Richtung seines Ersten ab, äußerte sich jedoch mit keiner Silbe. Der Beamte ging zum nächsten Punkt auf seiner Liste über. „Skuff, Koch.“ „Ein Swampee“, erklärte der Kapitän knapp. Er wirkte geistesabwesend. „Qüamoc römisch dreiundzwanzig, Querstrich fünfundvierzig Kya ...“ Der Blick des Zöllners war fragend und anklagend zugleich.
‚Nichts als Scherereien!’ schien er sagen zu wollen. „Das bedeutet“, klärte ihn Scanders mit sanfter Stimme auf, „daß unser lieber Qüamoc aus dem dreiundzwanzigsten Nest und dem fünfundvierzigsten Gelege der Großen Brüterin Kya stammt. Sein Heimatplanet ist Sauros vier, verstehen Sie?“ Der Beamte verstand ganz offensichtlich überhaupt nichts, dennoch nickte er um des lieben Friedens willen. „Ich hoffe, wir konnten Ihnen bei Ihrer schweren Arbeit ein wenig behilflich sein!“ verabschiedete sich Kapitän Scanders wenig später von den beiden Beamten. Er blickte ihnen nach, bis sie um eine Biegung des Ganges verschwunden waren. Dann wandte er sich übergangslos seinem Ersten zu. „Wir sprechen uns nach dem Start!“ fauchte er Ole an. Er ließ die beiden Männer auf dem Gang stehen und kehrte in die Zentrale zurück. Kerveigh rührte sich nicht vom Fleck, er runzelte nachdenklich die Brauen. „Was gibt es denn?“ erkundigte sich Ole, der schon ein paar Schritte vorausgegangen war. „Ich möchte zu gern wissen, was Scanders dem Zöllner zugesteckt hat, als er sich von ihm verabschiedete!“ murmelte er. „Zugesteckt ...?“ echote Ole verständnislos. „Ich habe es genau beobachtet!“ verteidigte sich Kerveigh, der in der Stimme seines Freundes den Zweifel herausgehört hatte. „Er schüttelte ihm die Hand und ließ dabei gleichzeitig etwas in die Tasche des Beamten gleiten. Ein alter Taschenspielertrick: Die eine Hand dient dazu, das Opfer zu beschäftigen und abzulenken, während die andere ihm die Taschen ausplündert - oder umgekehrt ...“ „Du wirst dich getäuscht haben!“ Man sah es dem Hünen an, daß er Kerveigh kein Wort glaubte. *
Die beiden Zollbeamten sprachen erst wieder, als sie in ihrem Fahrzeug saßen. „Nun“, sagte er mit der Amtsmiene, „das war wohl nicht sehr ergiebig - oder?“ Sein rotgesichtiger Begleiter räkelte sich behaglich im Beifahrersitz und dachte nicht im geringsten daran, sein beharrliches Schweigen zu brechen. Voll scheinbaren Interesses sah er zu, wie der andere den Zündschlüssel - eine kleine rechteckige Plastikscheibe mit magnetisch gespeicherten Impulsen - in den Schlitz rechts neben dem Steuer steckte. Ein grünes Kontrollicht zeige an, daß der atomare Kompaktantrieb aktiviert war. „Was mir allerdings zu denken gibt“, unternahm der Fragesteller einen erneuten Vorstoß, „ist jenes merkwürdige schwarze Kästchen.“ „Wir werden uns damit beschäftigen“, beschied ihn das Rotgesicht knapp. Das Fahrzeug, das gerade erst angerollt war, kam mit einem heftigen Ruck wieder zum Stehen, weil der Fahrer hart auf die Bremse trat. „Ich möchte Sie daran erinnern, Mister Lamprete, daß Zollverwaltung und Intergalaktischer Sicherheitsdienst in dieser Angelegenheit eng zusammenarbeiten! Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, daß ihr vom ISID uns dabei nur als eine Art von Hilfstrupp anseht und nicht als gleichberechtigte Partner. Uns gründlich zu informieren, daran denkt anscheinend niemand. Wollen Sie sich eigentlich immer nur die Rosinen aus dem Kuchen herauspicken, während wir gut genug für die Krümel sind?“ Der Sicherheitsbeamte, der wie ein Zöllner gekleidet war, hob beschwichtigend die Hand. „Ich bin noch nicht fertig!“ erstickte der andere seinen Versuch, zu widersprechen. „Wozu soll diese Geheimniskrämerei eigentlich gut sein? Zweifeln Sie etwa an der Diskretion der Zollverwaltung? Oder ist diese Wichtigtuerei ganz einfach nur eine Berufskrankheit, an der
alle ISID-Leute leiden?“ „Beruhigen Sie sich, Mann!“ Endlich kam Lamprete zu Wort. „Vor allem: Fahren Sie jetzt - bitte! - weiter. Ich möchte bei der Besatzung der SKATING JANE kein Mißtrauen wecken.“ „Aha!“ äußerte sich der Zöllner triumphierend und setzte das Fahrzeug erneut in Bewegung. „Ich habe es doch geahnt! Sie haben eine Spur entdeckt.“ „So genau kann man das noch nicht sagen“, wich der Sieherheitsbeamte aus. „Dieser merkwürdige Würfel gibt mir schon zu denken - aber ob das tatsächlich eine Spur ist ...?“ Nach kurzem Schweigen setzte er orakelhaft hinzu: „Allerdings kann manchmal ein winziges Steinchen eine ganze Lawine ins Rollen bringen ...“ Der Fahrer warf ihm einen boshaften Seitenblick zu. „Und wir können uns rühmen, dabeigewesen zu sein!“ zitierte er voller Pathos. Währenddessen hatte ihr Fahrzeug eine Reihe von langgestreckten Hangars umrundet und hielt auf ein weit abseits stehendes Transportschiff der Spezialklasse zu, das von einem Kranz aufgeregt blinkender Warnlichter umgeben war. Spezialklasse - das heißt, gebaut und geeignet für den Transport meist hochgefährlicher Stoffe. Die ODOARDO zum Beispiel war mit meterdicken Bleiwänden gepanzert, da sie natürliches Fermium 253 beförderte - einen hochradioaktiven Stoff, der in einem entfernten Doppelstern-System durch eine Laune der Natur, nämlich die merkwürdige Ehe eines Roten Riesen mit einem Weißen Zwerg, beinahe im Tagebau gewonnen werden konnte -, allerdings erst, nachdem es gelungen war, die Robotschiffe durch mächtige Anti-Gravitationsanlagen gegen die ungeheuren Anziehungskräfte vor allem des Zwerges zu schützen. Vor den beiden Männern ragten die plumpen, überdimensionierten Triebwerke der ODOARDO empor, die allein imstande waren, diese Masse von Blei aus dem Schwerefeld eines Planeten zu katapultieren. „Eigentlich“, sinnierte der Sicherheitsbeamte, „vertun wir hier nur unsere Zeit: Wer in diesem strahlenverseuchten Schiff ein Objekt
versteckt, wie wir es suchen, der muß lebensmüde sein. Wir sollten uns lieber um die SKATING JANE- kümmern. Je mehr ich nämlich über den schwarzen Würfel nachdenke ... Er brach ab. Sein Gesicht erinnerte plötzlich an einen schnüffelnden Jagdhund, der eine Spur aufgenommen hat. Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her. „Fahren Sie mich zu meinem Gleiter!“ befahl er mit jäher Entschlossenheit. Während der ganzen Fahrt durch das Gelände des Raumhafens war ihm kein Wort mehr zu entlocken. Der Abschied fiel recht frostig aus, da der Zollbeamte durch so viel Schweigsamkeit endgültig verschnupft war. Lamprete schien das jedoch wenig zu kümmern. Eilig strebte er auf den schlanken Gleiter mit dem Emblem des ISID zu, ohne sich noch einmal umzudrehen. Er kam jedoch nicht weit. Eine gewaltige Faust schmetterte ihn zu Boden. Kurz bevor er das Bewußtsein verlor, spürte er noch die Woge heißer Luft, die über ihn hinwegspülte. Sein letzter Gedanke - mehr ein Gedankenfragment war, daß er unverschämtes Glück gehabt hatte ... Die Rettungsfahrzeuge, die wenig später mit heulenden Sirenen heranrasten, fanden weder den Zollbeamten noch das von ihm gesteuerte Fahrzeug vor. Statt dessen gähnte in der ansonsten makellos glatten Landefläche eine flache, beinahe kreisförmige Mulde. Dudon Lamprete, Leutnant des Intergalaktischen Sicherheitsdienstes, konnte wirklich von Glück sagen: Bis auf ein paar äußerst schmerzhafte Abschürfungen und einige Prellungen war er unversehrt geblieben. Wenn man davon absah, daß ihm die abgesengten Haarborsten das Aussehen eines gerupften Huhnes verliehen ... * Der Informationsdienst SC-info der Raumhafenzentrale gab die
Meldung von der rätselhaften Explosion eines Zollfahrzeuges an alle Schiffe durch und fügte anschließend hinzu, daß die Koordinaten AC zwölf und dreizehn vorübergehend auf Anordnung des ISID zum Sperrgebiet erklärt worden seien. Kaum war die Durchsage beendet, als Kapitän Scanders sich auch schon auf dem Weg zur Kabine seines Pflegesohnes machte. Blin Scanders lag zwar in seiner Koje, schlief jedoch nicht. Seine großen, mandelförmig geschnittenen Augen hefteten sich auf den Eintretender und verfolgten dessen Weg quer durch die Kabine. Schweigend sah der etwa zwölfjährige Junge zu, wie sein Pflegevater eins der Sitzmöbel aus der elektromagnetischen Verankerung löste und näher heranschob, um neben der Koje Platz zu nehmen. „War das wirklich nötig?“ fragte der Junge. Scanders musterte ihn mit mürrischem Blick. „Du kennst die Gesetze nicht, nach denen wir leben; sie sind hart und kennen keine Kompromisse.“ „Auch keine Grenzen?“ fragte Blin ruhig zurück. „Die Grenzen bestimmt jeder für sich selbst. Dafür muß er eben auch ein höheres Risiko tragen. Man muß ganz einfach gegeneinander abwägen können.“ „Ganz einfach ...“, wiederholte der Junge murmelnd. Es war nicht herauszuhören, ob dies ironisch gemeint war. „Ich habe mir von der Zentrale einen Starttermin geben lassen“, lenkte der Kapitän das Gespräch auf ein anderes Thema. „Es ist bald soweit. Kommst du in die Zentrale?“ Der Junge schüttelte den Kopf. Einem unbefangenen Betrachter wäre aufgefallen, daß diese Geste durchaus nicht natürlich, sondern eher wie angelernt wirkte. „Nun gut!“ Scanders erhob sich, um die seltsame Unterhaltung zu beenden. „Ich rufe dich, sobald wir uns dem Zielpunkt nähern.“ Schweigend sah ihm der Junge nach. Er lag noch immer regungslos in seiner Koje, als die SKATING
JANE eine knappe Stunde später von Zeno abhob und im steilen Winkel aus dem Schwerefeld des Planeten in den Weltraum vorstieß. In Blins ernstem Knabengesicht spiegelte sich jedoch nichts von den Gefühlen wider, die den Jungen im Augenblick so tief bewegten.
2. Die Einsatzzentrale des ISID auf Zeno stellte zwar nur ein Provisorium dar, sie war jedoch keineswegs weniger wirkungsvoll gegen unerwünschte Besucher abgeschirmt als jede andere reguläre Zentrale. ISID hatte sich eines der größten Hotels am Platze bemächtigt und dieses über Nacht in einen elektronischen Irrgarten verwandelt, in dem sich nur autorisierte Personen zurechtfanden. Je tiefer man darin eindrang, desto engmaschiger wurde das Netz der vielfältigen Kontrollen. Dudon Lamprete war bis zu einem gewissen Grade autorisiert. Mühelos überwand er die einfacheren Hürden und gelangte auch .noch relativ leicht an den Büros der Subkoordinatoren vorbei. Danach kämpfte er sich durch mehrere Vorzimmer zu Koordinator Rusk durch, dem er sein Anliegen vortrug und der ihn mit einer Plakette ausstattete, der seinen weiteren Weg ebnete. Vor der gepolsterten Tür, die ins Allerheiligste führte, wurde sein Vormarsch endgültig gestoppt. Vergeblich berannte der Agent nun schon seit gut einer Viertelstunde eine schier uneinnehmbare Bastion in Gestalt einer bebrillten Sekretärin. Die Plakette des Koordinators hatte auf sie etwa die gleiche Wirkung wie ein ins Knopfloch gestecktes Gänseblümchen. Lamprete faßte den verzweifelten Entschluß, nunmehr blanke Gewalt anzuwenden, als plötzlich die Sprechanlage knackte und Chef-Koordinator Ou Rheen - deus ex machina! - sich in klagendem Tonfall nach dem Verbleib eines gewissen Dudon Lamprete
erkundigte. Beinahe augenblicklich verwandelte sich die dornige Vorzimmerrose in ein geknicktes Trauerblümchen, und während Lamprete verblüfft dem Phänomen dieses plötzlichen Witterungsumschlags nachsann, war die so heiß umkämpfte Polstertür schon längst freigegeben und stand sperrangelweit offen. „Kommen Sie, kommen Sie!“ lud von drinnen eine sanfte Stimme ein. Lamprete setzte den Fuß über die Schwelle und sah sich einem Bollwerk von Geräten gegenüber, hinter dem er den ChefKoordinator vermutete. Selbst das Kontrollpult eines Superschlachtschiffs konnte nicht reichhaltiger bestückt sein als Ou Rheens Schreibtisch. Eine Batterie von Trivid-, Diktier- und Sprechgeräten, unzählige Lesespulen und mehrere Computeranschlüsse engten die Arbeitsfläche derart ein, daß kaum noch Platz für ein Sandwich blieb. Dazwischen schlängelten sich unzählige Kabel, die an der rechten Schmalseite des Tisches zu einem dicken Strang gebündelt waren und in einem Nebenzimmer verschwanden. Nach langem Suchen entdeckte Lamprete in einer Zinne dieses Bollwerks ein graues Gesichtchen. Die großen, halb geschlossenen Augen darin, die hochgezogenen, rasiermesserscharfen Brauen sowie die lang herabhängenden Ohrläppchen erinnerten ein wenig an Buddha - und wie jener terranische Gott, den man deri Erhabenen nannte, strahlte Ou Rheen himmlische, weltabgeschiedene Ruhe aus, was so gar nicht zu der summenden Aktivität paßte, die das übrige Gebäude erfüllte. Überhaupt, dieser zierliche Abkömmling des Planeten Delta Tigalis stand im krassen Widerspruch zu der Anballung von Technik, die seinen Schreibtisch belagerte. Viel eher wirkte er wie ein kleiner Angestellter, der sich während der Mittagspause in das Büro seines Chefs verkrochen hat, um dort ungestört sein Schläfchen zu halten. Doch Ou Rheen zerstörte diesen ersten Eindruck von seiner Person
rasch und nachhaltig. „Halten wir uns nicht mit der Mordgeschichte im Raumhafen auf!“ begann er unvermittelt. „Ich habe den Vorgang in allen Einzelheiten vorliegen.“ Ein pendelnder, knochenloser Schlangenarm kroch über die Tischkante und wies auf eine Lesespule. „Berichten Sie lieber, was Sie auf der SKATING JANE entdeckt haben - Sie müssen etwas entdeckt haben! - und warum Sie so spät damit zu mir kommen.“ Lamprete, der gemeint hatte, er könne mit sensationellen Neuigkeiten aufwarten, sah sich plötzlich in die demütigende Rolle gedrängt, nur noch das letzte Mosaiksteinchen in ein schon fast vollendetes Bild einfügen zu dürfen, ein Bild, das Ou Rheen einzig und allein durch seine Intuition und die richtigen Schlußfolgerungen aus dem Mordanschlag im Raumhafen gewonnen hatte. Diesen Tiefschlag konnte Lamprete nicht so schnell verdauen. „Erstens“, rechtfertigte er sich reichlich mürrisch, „bestand der Unfallarzt auf einer gründlichen Untersuchung meiner Verletzungen, und zweitens wird Ihre Tür von Erzengel Gabriel persönlich bewacht. Was meine Entdeckung betrifft ...“ Er gab eine karge Beschreibung des schwarzen Würfels ab und benahm sich dabei etwa so lustlos wie ein Kartenspieler, der entdeckt hat, daß sein Gegner sämtliche Trümpfe in der Hand hält. „Hm!“ äußerte sich Ou Rheen dazu in recht menschlicher Weise. „Ich dachte“, stieß Lamprete mit neu erwachender Hoffnung in die daraufhin einsetzende Stille nach, „daß ein gewisser Zusammenhang zwischen dem Würfel und dem von uns gesuchten Objekt besteht. Ich kenne zwar nur die Bildreproduktionen, aber das schwarze Material des Würfels erinnerte mich an den STERNENWANDERER er war ebenso tiefschwarz wie der Würfel.“ „Damit könnten Sie recht haben.“ Diese nüchterne Bestätigung aus dem Munde seines obersten Chefs weckte in Lamprete etwas, das bis jetzt von ihm in den hintersten Winkel seines Bewußtseins verbannt und mit seltener Strenge am Ausbruch gehindert worden war: das triumphale Gefühl,
entscheidend zur Aufklärung eines der sensationellsten Fälle beitragen zu können, mit denen sich ISID jemals befaßt hatte. Er, der kleine Leutnant, war durch einen glücklichen Zufall über eine Spur des STERNENWANDERERS gestolpert ... Lamprete sah am Horizont den Lichtschimmer baldiger Beförderung auftauchen. Ou Rheen besaß die Rücksichtslosigkeit, Lampretes angenehme Gedankengänge zu stören. „Als ich von dem Mord erfuhr und die richtigen Schlüsse gezogen hatte, ließ ich Startbereitschaft für die ESCORT anordnen. Wollen Sie mich bei der Verfolgung der SKATING JANE begleiten, Leutnant?“ „Ja - hat man denn das Schiff unbehelligt starten lassen?“ fragte Lampreteentgeistert zurück. „Man hat.“ Ou Rheen musterte das Gesicht seins Untergebenen und fand darin deutlich geschrieben, was jener im Augenblick dachte. „Der Dummkopf, der dies zugelassen und sogar angeordnet hat, sitzt vor Ihnen“, erklärte er mit sanfter Freundlichkeit. Lamprete fuhr erschrocken zusammen. Er fühlte sich ertappt. „Wir sind außerordentlich neugierig zu erfahren, wohin die Reise der SKATING JANE geht!“ fuhr Ou Rhee mit seinen Erläuterungen fort. „Ich zweifle nämlich sehr daran, daß Kapitän Scanders den STERNENWANDERER irgendwo an Bord versteckt hält. Aber er kann uns eventuell zu dem Versteck führen ...“ Lamprete faßte einen schnellen Entschluß. „Ich mache selbstverständlich von Ihrem freundlichen Angebot Gebrauch, Sir!“ erklärte er ein wenig steif. * Der Chef-Koordinator, reiste mit leichtem Gepäck. Er hatte es nicht nötig, die umfangreichen Unterlagen zum Fall STERNENWANDERER mit an Bord der ISS ESCORT zu nehmen. Der Tigalo besaß ein phänomenales audiovisuelles Gedächtnis, das
ihn dazu befähigte, jedes einzelne Wort und jede geschriebene Zeile zuverlässig zu speichern, so daß er bei Bedarf darauf zurückgreifen konnte. So umfangreich das Wissen war, das sich hinter Ou Rheens Stirn verbarg, der Öffentlichkeit war kaum mehr als ein winziger Zipfel davon bekannt geworden. Zwar hatte Kapitän Thur’am damals mit seinem Fund einigen Aufruhr verursacht, doch ISID griff sofort ein und sorgte dafür, daß die aufgewühlten Wogen rasch geglättet wurden. Jeder einigermaßen normale Mensch konnte das aus dem Wortlaut der beiden einzigen Interviews herauslesen, die dem unglückseligen Thur’am jemals vergönnt waren und die sich neben vielem anderen ebenfalls in Ou Rheens famosem Gedächtnisspeicher befanden. Im ersten Interview durfte sich Thur’am noch ungehindert in dem Bewußtsein sonnen, etwas Außergewöhnliches entdeckt zu haben. Thur’am: Entgegen den landläufigen Vorstellungen ist der Weltraum beileibe nicht leer, sondern erfüllt von fein verteilten Staub- und Gaspartikeln - dies allerdings in unvorstellbarer Verdünnung. Stellen Sie sich jedoch nun vor, daß unsere fast lichtschnellen Taststrahlen in jeder Sekunde eine Strecke von annähernd dreihunderttausend Kilometern durcheilen. Die Summe sämtlicher Partikel, denen sie entlang dieser Strecke begegnen, reicht aus, um auf den Schirmen eine gleichbleibend schwache Reflexion zu erzeugen. Wenn nun die Ortung plötzlich ein Loch feststellt, das auf absolute Materielosigkeit hindeutet, so gibt dies zu denken. Es ist schlicht unmöglich. Kein Wunder, daß wir der Sache nachgingen und nach längerer Suche das DING entdeckten, das nunmehr unter dem Namen STERNENWANDERER bekannt ist. Reporter: Wollen Sie damit sagen, daß das von Ihnen aufgespürte Objekt Ihre Taststrahlen völlig absorbierte? Thur’am: Und ob! Das gleiche geschah mit unserem Traktorstrahl. Die Magnettrossen wiederum glitten beharrlich von der Oberfläche ab. Reporter: Sie deuten damit an, daß Sie Schwierigkeiten bei der Bergung hatten?
Thur’am: Schwierigkeiten ist gar kein Ausdruck! Schließlich verfielen wir auf die verrückte Idee, die CINDERELLA selbst mit geöffneter Lastschleuse wie einen Käscher zu benutzen, mit dem wir unseren seltsamen Fisch dann auch tatsächlich schlucken konnten ... In seinem zweiten Interview gab sich der Kapitän wesentlich zahmer - kein Wunder! - denn inzwischen führte ISID die Regie. Thur’am: Der ganze Vorgang ist leider reichlich hochgespielt worden. Mittlerweile hat sich herausgestellt, daß mehrere Defekte in unseren Anlagen uns zu voreiligen Schlüssen verführt haben. Bei näherem Hinsehen ist nichts Außergewöhnliches an dem sogenannten STERNENWANDERER und seiner Bergung zu entdecken. Alles findet eine natürliche und zu meinem aufrichtigen Bedauern ganz banale Erklärung ... Thur’am zählte abschließend eine ganze Reihe von Defekten auf, mit der die CINDERELLA im Augenblick der Bergung angeblich behaftet gewesen war, so daß der kleine Mann auf der Straße schließlich mit den Achseln zuckte und den Kapitän für einen äußerst leichtsinnigen Vogel halten mußte, der sich mit einem halben Wrack im Weltraum herumtrieb. Thur’ams Ruf hatte lange Zeit schwer darunter gelitten, doch inzwischen war auch darüber Gras gewachsen, wie über den ganzen Fall STERNENWANDERER überhaupt. Das Publikum war vergeßlich, davon profitierten nicht nur die Politiker ... Doch hinter dem Eisernen Vorhang, den ISID über dem STERNENWANDERER heruntergelassen hatte, ging die Aufregung erst richtig los. Heerscharen von Wissenschaftlern stürzten sich auf den Fund. Nach wochenlangen Untersuchungen konnten die Eierköpfe eine ellenlange Liste der Eigenschaften vorlegen, die der geheimnisvolle STERNENWANDERER nicht besaß. Sie mußten aber auch kleinlaut eingestehen, daß das vertrackte Ding niemanden näher als auf Armeslänge an sich heranließ, man prallte ganz einfach gegen eine unsichtbare Barriere, die jede lebendige Zelle beharrlich zurückwies, tote Materie dagegen mit einem wahren Heißhunger
schluckte. Wer zum Beispiel mit einem Metallstab an dem Ding herumstocherte, traf auf keinen Widerstand, doch der Stab war danach an der Stelle, wo er in die unsichtbare Barriere eingetaucht war, säuberlich abgeschnitten. Man hielt den kümmerlichen Rest in der Hand und fragte sich betreten, was wohl mit dem anderen Teil passiert war. Der STERNENWANDERER schwieg sich höhnisch darüber aus und war wohl inzwischen mit der Verdauung beschäftigt. Blieb nur noch übrig, sich mit dem Äußeren zu befassen. Der STERNENWANDERER bestand aus zwei Teilen: dem eigentlichen Körper - einem Dodekaeder aus tiefschwarzem Material - und einem frei schwebenden, silbrigen Ring, der wie ein verkehrt geschlossener Gürtel in sich selbst verdreht war. An diesem Möbiusstreifen entzündete sich die Phantasie der Wissenschaftler. Denkt man sich die Oberfläche eines solchen Streifens nämlich als ein in sich geschlossenes, zweidimensionales Kontinuum und bevölkert man dieses flächige, nichträumliche Gefüge mit hypothetischen, ebenfalls zweidimensionalen Wesen, so weist der Möbiusstreifen eine seltsame Eigenschaft auf: Wanderte ein solches Wesen, das nur Länge und Breite kennt, auf der Oberfläche des Streifens entlang, so käme es irgendwann einmal wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück. Allerdings - und das war das Besondere am Möbiusstreifen befände sich das Wesen nunmehr auf der anderen Seite des Bandes; war es vorher außen, so passierte es seinen Ausgangspunkt nunmehr auf der Innenseite des Streifens. Es hätte also, aus seiner Sicht gesehen, sein zweidimensionales Kontinuum verlassen und einen „Hypersprung“ vollführt - durch die dritte, die räumliche Dimension nämlich, die ihm als rein flächigem Wesen eigentlich verschlossen war. Genau in dem Augenblick, als das Wesen von der Außen- auf die Innenseite des Bandes überwechselte, wäre ihm eine Transition von „oben“ nach „unten“ gelungen, eine Bewegung im Raume also ... Ob der Möbiusstreifen, der den STERNENWANDERER Umschlag,
nun wirklich vor diesem Hintergrund gesehen werden mußte, war mehr als zweifelhaft. Immerhin bot der Streifen als einziger Teil des ansonsten wenig ergiebigen Gebildes Anlaß zu Spekulationen. Ou Rheen überblätterte in seinem unsichtbaren Gehirnarchiv das nachfolgende Kapitel, um an der Stelle anzuhalten, wo vom Verschwinden des so sorgsam behüteten STERNENWANDERERS die Rede war. Zu diesem Zeitpunkt war Ou Rheen den Heerscharen eingegliedert worden, die sich mit dem Findling befaßten - mit dem feinen Unterschied allerdings, daß die Wissenschaftler sich mit dem vorhandenen, Ou Rheen dagegen mit dem nichtvorhandenen Objekt beschäftigte. Wie auch immer, der STERNENWANDERER erwies sich in jedem Falle als harte Nuß. Er hatte sich spurlos aus einem scharf bewachten Gebäude verflüchtigt und gezeigt, daß der gesamte Aufwand an Elektronik, den man zu seiner Überwachung installiert hatte, für die Katz war, nutzloser Plunder, der den STERNENWANDERER nicht zu halten vermocht hatte. Ob Ou Rheen der Mann war, das widerspenstige Ding erneut einzufangen und dem Imperium zu überantworten, das wagte selbst Ou Rheen nicht zu hoffen. Aber irgendwer steckte ja hinter dem STERNENWANDERER, mußte ihn hergestellt haben und in der Lage sein, den Zweck dieses beunruhigen Gebildes zu erklären. Darin - und nur darin - sah der Chef-Koordinator einen vernünftigen Ansatzpunkt für sich selbst. So war er also keineswegs mutlos, als er den Startbefehl für die ESCORT erteilte.
3. „Ich muß zugeben“, erklärte Kerveigh mit vollem Mund, „daß ich angenehm überrascht bin!“ Er schob den geleerten Teller von sich weg zur Tischmitte hin und stützte beide Arme auf. „Erstens“, begründete er seine überraschende Erklärung, „ist Skuff ein
ausgezeichneter Koch ...!“ Obwohl er sich dabei an Ole wandte, der ihm direkt gegenübersaß, konnte Kerveigh dennoch aus den Augenwinkeln registrieren, wie der Swampee die Ohren spitzte, vielmehr: Er weitete seine Grammophontrichter und schwenkte sie in die Richtung des Lobredners. Um die Wirkung seiner Worte noch zu verstärken, griff Kerveigh nach einer Papierserviette und betupfte sich damit ausgiebig und genießerisch die Mundwinkel. „Zweitens?“ erkundigte sich Ole, der nun ebenfalls sein Mahl beendet hatte. „Zweitens“, setzte Kerveigh seine Erklärung fort, „gibt es für mich nichts zu tun, wie eine erste Inspektion des Maschinenraums ergeben hat. Ich stelle euch, liebe Freunde, die sehr ernsthafte Frage, was ein Mann tun soll, der einen reibungslos funktionierenden, nagelneuen Maschinenpark vorfindet und entdeckt, daß sein Posten als Maschineningenieur ebensogut von einem Roboter mit Ölkännchen ausgefüllt werden könnte“, Kerveighs Zeigefinger stach steil in die Luft, „... Was tut ein solcher überflüssiger Mann?“ „Er geht mit mir in die Zentrale und genießt die herrliche Aussicht auf den Weltraum!“ schlug Ole vor. „Das soll außerordentlich beruhigend auf die Nerven wirken.“ Er erhob sich träge. „Ich muß jetzt den Käpt’n ablösen.“ „Um meine Nerven braucht sich niemand zu sorgen!“ wies Kerveigh voll Würde den unterschwelligen Vorwurf zurück. Trotzdem werde ich dich begleiten, deinetwegen, mein Lieber! Ich werde neben dir sitzen, während du unser Schifflein durch die Klippen des Alls steuerst, und sobald’ ich merken sollte, daß du unter der Last der Verantwortung zusammenzubrechen drohst, werde ich beruhigend dein Patschhändchen streicheln ...“ „Auf dich ist wenigstens Verlaß!“ lobte Ole enthusiastisch. Qüamoc XXIII/45 Kya erhob sich nun ebenfalls. Der Kyasaur war schlank bis zur extremen Hagerkeit und überragte den hünenhaften Ole beinahe um Haupteslänge. Sein knochiger Schädel verjüngte sich
zu einem wulstigen Hornkamm, der im Nacken auslief und mit den verkümmerten Überresten von einst sehr wehrhaften Stacheln gespickt war. Unter der vorgewölbten, breiten Stirnpartie lagen tief eingebettet die starren, immer nur ernst blickenden Augen. Seitlich zu den Wagen hin falteten sich die Lider wie zwei ledrige, zurückgeschobene Vorhänge, und immer, wenn sie sich, von beiden Seiten her die Nasenwurzel anstrebend, mit nervösem Zucken schlössen, entstand für einen flüchtigen Moment der Eindruck, als schielte Qüamoc. Die Nase zog sich bis fast zu dem nur äußerst schwach angedeuteten Kinn herunter, wo sie sich verbreiterte und über der winzigen, dreieckig geformten Mundöffnung spaltete, was entfernt an die Kieferzangen eines Insekts erinnerte. Diese „Zangen“, hatten jedoch die Funktion von Lippen: Zusammengepreßt, schützten sie Qüamocs Mund, der selber nicht verschlossen werden konnte. Der Kyasaur hatte bei Tisch kein einziges Wort verloren, und ebenso stumm folgte er den beiden Freunden in die Zentrale. Beim Klang der näher kommenden Schritte schwang Scanders seinen Konturensessel herum und blickte ihnen voll Ungeduld entgegen. „Gut, daß ihr kommt!“ begrüßte er sie. Bereitwillig räumte er Ole seinen Platz ein und informierte ihn kurz. „Kurs liegt an“, erklärte er. „Ich bin spätestens in einer halben Stunde zurück. - Qüamoc, du informierst mich über die Bordsprechanlage, sobald du etwas ortest!“ Der Kyasaur bot Scanders für einen kurzen Moment die offene Handfläche dar - eine Geste, die bei seinem Volk als Bejahung galt. Ole hatte sich inzwischen mit den metallenen Kursstreifen befaßt, die von einer Magnetleiste über dem Kommandopult herabhingen. Er studierte die eingestanzten Löcher und Symbole, während Qüamoc hinter dem Orterpult Platz genommen hatte und mit der Feinjustierung seiner Geräte beschäftigt war. Die arbeitsame Atmosphäre, die Kapitän Scanders mit seinem Abgang hinterließ, war so grundverschieden von jener geruhsamen Routine, die sich
normalerweise an Bord eines Schiffes einstellt, das gestartet und auf Kurs gesetzt ist, daß Kerveigh beinahe mit den Fingerspitzen ertasten konnte, wie sich die Atmosphäre in der Zentrale immer mehr zu angespannter Nervosität verdichtete - ein untrügliches Zeichen dafür, daß ein entscheidendes Kursmanöver vorbereitet wurde. In Kerveigh stieg erneut das Gefühl völliger Nutzlosigkeit empor, es schien nachgerade sein Job zu sein, das fünfte Rad am Wagen zu spielen. Später, so tröstete er sich, würde das wohl anders werden. Kapitän Scanders sah nicht danach aus, als würde er sein Geld zum Fenster hinauswerfen. Diskret zog sich der Tramp in den Hintergrund zurück und nahm vor dem Bordcomputer Platz. Er drehte den Sessel so, daß er die Schirmgalerie über dem Steuerpult im Auge hatte. Zeno war auf dem Heckschirm zu einem unbedeutenden Lichtpünktchen zusammengeschrumpft. Amüsiert dachte Kerveigh daran, daß er auf diesem Planeten keine anderen Spuren hinterlassen hatte als ein paar blaue Flecken, die er seinen Gegnern bei der Rauferei verpaßt hatte. Die SKATING JANE hatte mittlerweile die Hälfte des Systems durchquert, soeben passierte sie den siebten Planeten, der auf dem rechten Seitenschirm als öder, zerklüfteter Gesteinsbrocken vorüberzog. Auf dem Frontschirm machte sich bereits der Zwillingsbruder von Nummer sieben als leuchtend heller Ball von etwa Faustgröße bemerkbar. Es war ein Kuriosum dieses Systems, daß der siebte und achte Planet schon seit aller Ewigkeit im gleichen Abstand und auf gleicher Höhe einträchtig nebeneinander her ihre Sonne umkreisten - zwei unzertrennliche kosmische Begleiter. Acht lag in gerader Linie voraus, und alle Anzeichen sprachen dafür, daß die SKATING JANE ihn in geringem Abstand passieren würde. Kerveigh hatte jetzt genug. Er erhob sich und verließ die Zentrale, nachdem er Ole kurz zugewinkt hatte. Auf dem Rückweg in seine Kabine kam er an der offenstehenden Kombüse vorbei, aus der klappernde Geräusche drangen. Drinnen hantierte Skuff emsig an seinem Mikrowellenherd und sah auch nicht
auf, als Kerveigh schnuppernd die Nase um die Ecke schob. „Sieh da!“ rief der Tramp aus und registrierte vergnügt, wie Skuffs Trichterohren steil in die Höhe fuhren. „Der Meister ist schon wieder an der Arbeit!“ Ein Löffel, der dem Koch entfallen war, rutschte scheppernd über den glatten Kunststoffboden. Skuff wandte sich beinahe ruckartig um. Soweit Kerveigh die Anzeichen zu deuten verstand, wirkte der Swampee leicht verlegen. „Ich ...“, stammelte er. „Nur keine falsche Bescheidenheit!“ unterband Kerveigh jede weitere Erklärung. „Meister ist der einzige passende Ausdruck, das lasse ich mir nicht nehmen.“ „Ich ...“ setzte Skuff erneut zum Sprechen an. „Geschenkt!“ winkte Kerveigh ab. „Verrate mir lieber, was du da zusammenbrutzelst.“ Er trat hoffnungsfroh näher und prallte gegen Skuff, der sich schützend vor seinen Herd geworfen hatte. „Ich ...“, wiederholte Skuff zum drittenmal. „Nicht nur du!“ Kerveigh blickte ihm ernst und verständnisvoll in die Augen. „Auch ich weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, aus diesen verdammten Synthowürfeln eine anständige Mahlzeit zu zaubern. Ich fühle mit dir, mein Freund!“ Skuff unternahm einen letzten, verzweifelten Anlauf. „Koche ich eigentlich für mich!“ rief er mit schriller Stimme aus. „Na ...“, dehnte Kerveigh erstaunt, „das mußt du doch selbst am besten wissen!“ Der Kleine, der vor Aufregung offenbar in den Satzbau seiner Heimatsprache verfallen war, atmete tief durch und korrigierte sich. „Ich ... koche ... eigentlich ... für ... mich!“ brachte er endlich hervor, wobei er jedes Wort deutlich betonte. Kerveighs schnüffelnde Nase befand . sich bereits wieder auf dem Vormarsch, der jedoch eine knappe Armeslänge vor dem Mikrowellenherd jählings ins Stocken geriet und sich anschließend in einen hastigen Rückzug verwandelte. Ein winziges Pröbchen der Duftwolke, die Kerveigh aus dem Tiegel des Kochs
entgegenschwebte, hatte mehr bewirkt als Skuffs gesamte Abwehranstrengungen. Zum Glück war der Halbtelepath viel zu aufgeregt, um Kerveighs Reaktion wahrzunehmen. „Na ja“, murmelte der Tramp reichlich betreten, „warum soll sich der Koch nicht auch einmal eine kleine Leckerei gönnen ...“ Rückwärts gehend, tastete er sich an der Wand entlang dem Ausgang zu, immer gewärtig, daß Skuff ihm einen Anteil an dem Schmaus anbieten würde. Doch dazu war Skuff viel zu egoistisch: Er verdrückte sich mitsamt seinem Tiegel in eine stille Ecke und löffelte genießerisch aus, was er sich da selbst eingebrockt hatte. Mit leisem Grummeln erwachte der Schiffsantrieb zu neuem Leben; er sang sich allmählich in immer höhere Tonlagen hinauf und nahm zugleich an Lautstärke zu, bis sein klingelndes Dröhnen zuletzt die SKATING JANE bis in den letzten Winkel erfüllte und das Schiff wie ein einziger, gewaltiger Resonanzkörper im rüttelnden, hämmernden Takt der Motoren mitvibrierte. Kerveigh fühlte sich von einem äußerst beharrlichen Unsichtbaren in Bugrichtung geschoben; er mußte alle Kraft aufwenden, um sich dagegen anzustemmen. „Da ist jemand ziemlich hart auf die Bremse gestiegen!“ äußerte sich Kerveigh verwundert. In der Tat: Es war schon recht eigenartig, daß die SKATING JANE ihre erst vor kurzem erreichte Höchstgeschwindigkeit nun schon wieder abbremste, anstatt die verbleibende interplanetare Strecke im freien Fall zu durchqueren, um dann, an der Grenze des Systems, zum großen Sprung durch die übergeordnete Dimension anzusetzen. „Was geht hier eigentlich vor?“ wandte sich Kerveigh fragend an den Koch. Skuff, der die Tischkante umklammert hielt, lockerte vorsichtig seinen Griff. „Wir bremsen“, antwortete er lakonisch, ohne dabei den Blick von den verschütteten Überresten seiner Mahlzeit zu lösen. „Und warum?“ bohrte Kerveigh weiter.
Aus dem nachfolgenden, beharrlichen Schweigen des Kochs las der Tramp eine versteckte Zurechtweisung heraus. Offenbar waren Fragen dieser Art an Bord der SKATING JANE verpönt. Das Verhalten des Kochs vermochte jedoch keineswegs die Wißbegierde Kerveighs zu dämpfen, sondern wirkte eher stimulierend auf ihn; es trug letztlich dazu bei, daß Kerveigh in die Zentrale zurückkehrte, um dort nach einer befriedigenden Antwort zu suchen. Obwohl der Weg eigentlich nicht zu verfehlen war und er noch nie zuvor über Schwierigkeiten mit seinem Orientierungssinn zu klagen hatte, mußte Kerveigh sich diesmal anscheinend gründlich verirrt haben: Statt in die Zentrale zu gelangen, platzte der Tramp mitten hinein in eine spiritistische Sitzung ... * Jemand packte Kerveigh hart am Arm und drängte ihn in einen Sessel, während das Eingansschott lautlos zuglitt und den schmalen Lichtstreif, der sich vom Gang her in den abgedunkelten Raum bohrte, abschnitt. Von irgendwoher kam ärgerliches Zischeln, das rasch wieder verstummte. Allmählich paßten sich Kerveighs Augen der Dunkelheit an. Der Tramp entdeckte einen nur schwach erleuchteten Bildschirm, der durch die Silhouette einer schmächtig wirkenden Gestalt halb verdeckt wurde. Blin Scanders? Kerveigh war dem Jungen bisher noch nicht begegnet, aber die Umrisse paßten zu keinem anderen Besatzungsmitglied. Die anderen verbargen sich irgendwo im Dunkeln, Kerveigh ahnte ihre Anwesenheit, obwohl noch nicht einmal Atemzüge zu vernehmen waren. Der hier versammelte spirititistische Zirkel hatte sich offenbar Blin zum Medium erkoren: Die angespannte Haltung des Knaben deutete darauf hin, daß er sich in einem tranceähnlichen Zustand befand.
Kerveigh sah in dem erhellten Rechteck des Bildschirms zwei zartgliedrige Schattenhände emporwachsen, die ihre Fingerspitzen mit sanftem Druck gegen Blins Schläfen preßten. Wer oder was sollte hier beschworen werden? Auf dem Schirm zeichnete sich plötzlich ein verwaschener Lichtfleck ab, der allmählich anwuchs und an Leuchtkraft zunahm. Die Stille im Raum verdichtete sich, obwohl eine Steigerung eigentlich kaum denkbar schien. Ein Hauch jener zu gläserner Starre geronnenen Ewigkeit, mit der sie der feindliche Weltraum draußen umgab, sickerte in die Geborgenheit ihres Schiffes ein, verlangsamte ihren Herzschlag und umhüllte sie mit einem Mantel unwirklicher Ruhe. Der Lichtfleck schwoll zu strahlender Größe an und gewann immer festere Konturen. Jetzt füllte das Gebilde den ganzen Schirm aus. Blins Schattenriß gewann durch den Widerschein des Lichts körperliche Plastizität, und Kerveigh, der den Jungen aus einem seitlichen Blickwinkel betrachtete, sah nun, daß jener die Augen geschlossen hielt, als wolle er sich vollständig gegen seine Umgebung abkapseln. Blin schien tief in sich selbst hineinzuhorchen; in seinem regungslosen Gesicht gab es keinerlei Anzeichen dafür, daß er das helle Gebilde auf dem Schirm überhaupt vernahm. Und dennoch! Das gesamte Arrangement dieser Szene, bei der Blin ganz offenkundig in den Mittelpunkt plaziert worden war, wies dem Jungen eine entscheidende Rolle in dem Geschehen zu. Das helle Gebilde, das einer schlanken Raute mit dickem Querbalken glich, schien jetzt über den Bildrand hinauswachsen zu wollen. Wenig später war auf dem Schirm nur noch eine gleichmäßig helle Fläche zu sehen, die von einem Moment auf den anderen plötzlich erlosch. Zur absoluten Stille hatte sich nun auch absolute Finsternis gesellt. Doch nicht lange. Die Stille wurde durch ein entferntes Rumpeln unterbrochen.
Irgendwo im Schiff hatte sich eine Schleuse in Bewegung gesetzt. Die Finsternis wich der grell aufflammenden Deckenbeleuchtung. Der spiritistische Kultraum hatte sich wieder in das vertraute Bild der nüchternen Zentrale zurückverwandelt. „Geschafft!“ ertönte Kapitän Scanders’ kühle, nasale Stimme. * „Mister Kerveigh!“ Kapitän Scanders winkte den Tramp zu sich heran. „Ja?“ Kerveighs Augen hatten sich noch nicht an die plötzliche Helligkeit gewöhnt. Blinzelnd blickte der Tramp Scanders aus zusammengekniffenen Augen an. „Ich sehe Sie ungern hier herumlungern und alles ausspionieren. Ihr Platz ist bei den Maschinen !“ Kerveighs gelockerte Haltung versteifte sich. „Die Maschinen sind von mir inspiziert worden und völlig in Ordnung, Käpt’n! Und was das Spionieren betrifft: Ich bin es gewöhnt, als Besatzungsmitglied überall freien Zutritt zu haben. Sollten jedoch auf der SKATING JANE andere Regeln gelten, so bitte ich um präzise Anweisungen, Sir!“ Scanders wandte sich halb um, „Blin!“ Der Junge setzte sich in Bewegung und kam langsam auf sie zu. Kerveigh sah in große, mandelförmige Augen, die sich auf ihn hefteten und ihn festzuhalten schienen. Der Tramp fühlte sich äußerst unbehaglich unter diesem Blick, es gelang ihm nicht, sich dem Bann zu entziehen und die Augen abzuwenden, so sehr er sich auch darum bemühte. Die Umgebung verschwamm, und nichts blieb zurück als jenes Paar dunkle Augen, die ihn in einen Abgrund zu ziehen drohten. Verzweifelt kämpfte der Tramp gegen den Schwindel an, der ihn erfaßt hatte. Ihm war zumute, als würde er endlos fallen - bis in alle
Ewigkeit ... Plötzlich war alles vorüber. Die Szene normalisierte sich. Kerveigh spürte, daß er die Hände unbewußt zu Fäusten geballt hatte. Seine Fingernägel gruben sich tief in die Handflächen ein. „Er ist in Ordnung“, hörte er den Jungen mit sachlicher Stimme sagen. „Na schön“, erwiderte Scanders leichthin. „Sie haben freien Zutritt, Kerveigh!“ Er bemerkte die geballten Fäuste des Tramp und sah wohl auch die mühsam unterdrückte Wut in dessen Augen. Das schien ihn zu amüsieren. „Gehen Sie in den Laderaum!“ schlug Scanders in versöhnlichem Tonfall vor. „Sie werden dann verstehen, warum ich so empfindlich reagiert habe.“ Damit wandte er sich ab. Kerveigh stand eine Weile unentschlossen da. Dann, nach längerem Zögern, befolgte er den Ratschlag des Kapitäns. Als das schwere Schott des Laderaums langsam zur Seite rollte, fand Kerveigh den dumpfen Verdacht, der ihn beim Anblick des hellen Gebildes auf dem Schirm befallen hatte, im vollen Umfang bestätigt: Das zurückrollende Schott enthüllte eine schlanke, zwölfflächige Doppelpyramide aus tiefschwarzem Material, etwa von doppelter Mannshöhe, die von einem silbrigen, seltsam verdrehten Ring umschlungen war. Sie hatten soeben den STERNENWANDERER an Bord genommen! * „Die SKATING JANE nimmt wieder Fahrt auf!“ Die Stimme des Orteroffiziers weckte Ou Rheen aus seiner schläfrigen Versunkenheit und lenkte seinen Blick zu dem großflächigen Frontschirm, wo ein winziges helles Pünktchen mit quälender Langsamkeit über das Gitterfeld der Markierungsstriche kroch.
„Wir warten noch!“ entschied der Chef-Koordinator. Der Orteroffizier beugte sich tief über sein Pult und las eine Reihe von Meßskalen ab. Mit lauter Stimme übermittelte er die Daten dem Sergeanten, der wenige Schritte seitlich von ihm den Bordrechner bediente. Dessen Finger flogen über die Tastatur der Eingabe und hielten dann unvermittelt inne. Der Computer verdaute mit aufgeregtem Blinken die eingespeisten Daten und kündigte mit einem tiefen Summton seine Antwort an. Gleich darauf ringelte sich ein schmales Plastikband aus dem Auswurfschlitz. „Transitionsgeschwindigkeit ist erreicht!“ verkündete der Sergeant, der das Band gestrafft zwischen beiden Händen hielt. „Haltet uns die Daumen!“ empfahl Ou Rheen den Anwesenden. Er hatte eine Schwäche für terranische Sprichwörter. Dudon Lamprete, der still im Hintergrund wartete, mußte schmunzeln. Die Greiforgane des Chef-Koordinators waren ähnlich geformt wie die Rüsselspitze eines Elefanten. Daumen besaß Ou Rheen jedenfalls nicht. „Hoffentlich sind unsere Peilstationen auf Draht!“ fuhr Ou Rheen fort. Hoffentlich, pflichtete Lamprete ihm im stillen bei. Falls der Energieschock, der beim Wiedereintauchen der SKATING JANE in den Normalraum entstand, nicht genauestens angepeilt werden konnte, würden sie sich die Augen aus dem Kopf suchen müssen. „Transition!“ meldete der Orter. Eine Weile verharrten sie in angespanntem Schweigen. Unendlich träge ruckte der Leuchtbalken des Sekundenzeigers auf der Borduhr voran. Endlich trafen die ersten Meldungen der Peilstationen ein. Der Bordcomputer bekam erneut Arbeit. Kurz darauf stand die neue Position der SKATING JANE fest: Das verfolge Schiff hatte Kurs auf die Randwelten genommen. Der Ungenauigkeitsfaktor der Peilung betrug plus minus nullkommazwei
Parsek. Das war zwar nicht besonders genau, aber es reichte aus. „Hinterher!“ befahl Ou Rheen.
4. Beim Wiedereintritt der SKATING JANE in den Normalraum befiel Kerveigh das übliche, aber immer wieder unangenehme Gefühl völliger Desorientiertheit. Für einen kurzen, zeitlich nicht meßbaren Moment hatte er einem fremden, übergeordneten Kontinuum angehört, und das genügte, um seine Sinne vollständig zu verwirren. Kerveigh hatte die Empfindung, als hätte sich das Universum in einem grotesken Purzelbaum überschlagen, auf den Kopf gestellt, umgekrempelt ... Alles wirkte auf seltsame Weise verschroben und verschoben - andererseits erschien es ihm ganz natürlich, daß links sich oberhalb von drinnen befand und vorn irgendwann seitlich von nachher zu suchen war. Doch die Phase des Übergangs war rasch überstanden, die Sinne des Tramps klärten sich und kamen in Koordination zur vertrauten, dreidimensionalen Umgebung. Die Transition hatte das Schiff praktisch ohne Zeitverlust zu einem Punkt der Galaxis geschleudert, der unvorstellbar weit von Zeno entfernt lag, doch war dies um den Preis einer ungeheuren Energieentfaltung geschehen. Von der gewaltigen Anstrengung erschöpft, trieb die SKATING JANE nun im freien Fall dahin und wartete, daß sich ihre geleerten Energiespulen wieder aufluden. Längst hatte die Automatik beide Reservemeiler hochgefahren, um den Energieverlust möglichst rasch wieder auszugleichen. Kerveigh konnte sich jedoch nach einem kurzen Blick auf die Kontrolltafel des Maschinenraums leicht ausrechnen, daß dieser Regenerationsprozeß mehrere Stunden in Anspruch nehmen würde. Der fluoreszierende Leuchtbalken der Ladeanzeige hatte noch nicht einmal die FünfProzent-Marke überschritten.
Die Instrumente zeigten keinerlei Störung an - Kerveigh hatte das auch nicht anders erwartet -, und alle Lämpchen strahlten in beruhigendem Grün. Der Tramp lehnte sich entspannt zurück und entzündete eine Zigarette. Sein Blick schweifte zu dem kleinen Monitor, der das gleiche Bild zeigte, wie es auch auf dem großen Frontschirm in der Zentrale erschien: einen Ausschnitt des Weltraums, wie er sich bugvoraus darbot. Die SKATING JANE. steuerte auf eine sternenarme Zone zu; Kerveigh registrierte eine einzige helleuchtende Sonne inmitten einer kärglichen Handvoll hingestreuter Lichtpünktchen, die sich in der umgebenden, bodenlosen Schwärze verloren. Hinter diesen äußersten Vorposten der Galaxis begann der ungeheure, sternenleere Abgrund, der die Milchstraße von den benachbarten Sterneninseln trennte. Jetzt vollführten die Lichtpünktchen auf Kerveighs Schirm winzige, kaum wahrnehmbare Schwenkbewegungen - ein Zeichen dafür, daß Kapitän Scanders mit Hilfe der Seitendüsen geringfügige Kurskorrekturen vornahm. Kerveigh machte sich Gedanken darüber, welches Ziel sie wohl ansteuerten. Irgendwo hier in diesem gottverlassenen Winkel der Galaxis saß Scanders’ Auftraggeber und wartete darauf, daß man ihm den STERNENWANDERER lieferte. Wer war dieser Auftraggeber? Wollte er nur sein ihm rechtmäßig zustehendes Eigentum zurückhaben, oder hatte er dem Imperium die Beute abgejagt, um selbst Profit daraus zu schlagen? Welche Rolle spielte Blin? Kerveigh war sich darüber im klaren, daß der seltsame Junge in enger Verbindung mit dem STERNENWANDERER stand, dafür war die Szene in der Zentrale ein unübersehbarer Beweis. Blin mußte das Ding allein durch die Kraft seiner Gedanken, auf telekinetischem Wege also, an Bord der SKATING JANE manövriert haben. Er dürfte wohl auch entscheidend am Diebstahl des STERNENWANDERERS beteiligt gewesen sein.
Daß der STERNENWANDERER gestohlen war, daran zweifelte der Tramp keinen Augenblick, wenngleich ihm auch nichts derartiges zu Ohren gekommen war. Anscheinend hatte ISID dafür gesorgt, daß der Diebstahl vertuscht wurde, was jedoch die Wichtigkeit des STERNENWANDERERS nur unterstrich. Oder seine Gefährlichkeit ... ! Kerveigh begann über diesen Gedankengängen seine Treue zum Imperium zu entdecken, vielmehr: Ihm wurde mit plötzlicher Deutlichkeit seine Zugehörigkeit zu den Milliarden von Wesen bewußt, die trotz ihrer extremen Unterschiede in dem großen Verband des Imperiums relativ friedlich zusammenlebten, und er empfand jede Gefahr für dieses mühsam erworbene und noch mühsamer erhaltene Gleichgewicht als existentielle Bedrohung seiner selbst. Er beschloß, die Augen offenzuhalten und gegebenenfalls einzugreifen, falls Scanders’ zwielichtige Geschäfte sich als eine solche Bedrohung herausstellen sollten ... Er hatte diesen Entschluß kaum gefaßt, als eine weitaus direktere existentielle Bedrohung auf ihn zukam ... * Alles geschah ohne die geringste Vorwarnung, und es kam mit brutaler Heftigkeit. Die SKATING JANE erdröhnte plötzlich wie unter einem wuchtig geführten Hammerschlag. Die Sterne auf dem kleinen Bildschirm begannen gleich darauf mit einem kreisenden, torkelnden Tanz. Wimmernd meldete sich die Alarmsirene. Druckverlust! Kerveigh hastete zum Wandschrank und schlüpfte in den klobigen Raumanzug, den er darin fand. Als er sich in fieberhafter Eile den Helm überstülpte, verlor er plötzlich den Halt und schwebte quer durch den Maschinenraum davon. Das künstliche Schwerefeld war erloschen. Aus einem Maschinenblock schoß ihm plötzlich eine feurige
Fontäne entgegen. Kerveigh stieß sich ab und schwamm schwerelos durch den stiebenden Funkenregen davon, wurde zeitweilig von fettigen Qualmwolken eingehüllt, die seine Helmscheibe beschlugen, und prallte schließlich gegen die Metallwand. Gerade noch rechtzeitig bekam er nach fuchtelndem, blindem Umhertasten einen Haltegriff zu packen und klammerte sich fest, um nicht in das hinter ihm ausbrechende Inferno zurückgetrieben zu werden. Mit dem Ärmel der freien Hand wischte er über die Helmscheibe und befreite sie notdürftig von der fettigen Rußschicht. Ein flüchtiger Blick zurück über die Schulter zeigte ihm, daß diese Maschinen nie wieder die SKATING JANE mit Energie versorgen würden. Der Konverter war zu einem feuerspeienden Vulkan geworden, eine Serie von Kurzschlüssen hatte unter den übrigen Maschinen gewütet und sie in Schrott verwandelt. Da erfolgte der zweite Hammerschlag. Kerveigh hangelte sich hastig zum Ausgang. Das Schott benötigte eine endlose Zeit, bis es weit genug offenstand, um Kerveigh in den Gang zu entlassen. Vermutlich wurde es von batteriegespeisten Notstromaggregaten betrieben. Der Tramp betätigte den Schließmechanismus, um das Chaos, das er zurückgelassen hatte, gegen den unversehrten Teil des Schiffes abzuriegeln. Erst danach fand er Zeit, den Helmsender einzuschalten. Sofort überfiel ihn Scanders’ drängende Stimme. „... Sie mich hören? Kerveigh! So melden Sie sich doch! ...“ Der Tramp gab durch, daß er unverletzt und auf dem Wege zur Zentrale sei. „Dann ist ja alles in Ordnung!“ Scanders’ Stimme klang jetzt schon wesentlich ruhiger, beinahe kühl. „Beeilen Sie sich, Mann!“ fuhr die Stimme im Plauderton fort. „Wir sind überfallen worden ...“ *
Jedesmal, wenn die SKATING JANE bei ihrem torkelnden Sturz in die unendliche Leere eine bestimmte Drehung vollführt hatte, konnte Kerveigh einen Blick auf das fremde Schiff erhaschen. Es war mehr als doppelt so groß wie die SKATING JANE und hing nahezu unbeweglich im All - ein großer Raubfisch, der die Todeszuckungen eines schwer angeschlagenen Gegners belauert, um dann jählings zuzuschnappen. Scanders ließ jedoch nicht zu, daß sich in der Mannschaft Untergangsstimmung breitmachte. „Ich nehme an“, behauptete er kühn, „daß die Burschen dort drüben uns am Leben lassen wollen.“ Skuff, der sich furchtsam in den Hintergrund der Zentrale verkrochen hatte, stellte die Trichterohren steil und gab einen halberstickten Laut von sich. „Wenn das so ist“, fuhr der Kapitän ungerührt fort, „dann ergibt sich für uns die Chance, unsere Reise nach dieser kleinen Unterbrechung fortzusetzen.“ Seine Hand wies auf den drohenden Schatten draußen, der gerade wieder die große Sichtscheibe entlangglitt. Aus Scanders’ Mund hörte sich das alles ganz natürlich an. Daß die SKATING JANE schrottreif geschossen worden war, bedeutete für ihn nicht mehr als eine kleine Unterbrechung ... „Wir werden nämlich das andere Schiff kapern!“ stellte Scanders fest, und sein Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen; der Gegner war schon in diesem Moment so gut wie verloren. Kerveigh bewunderte insgeheim die Selbstsicherheit dieses Mannes. War es Verrücktheit? Wohl kaum! Der Kapitän mußte noch einen Trumpf im Ärmel bereithalten, von dem der Tramp nichts wußte. Eine Zeitlang herrschte tiefstes Schweigen, das nur einmal durch einen beinahe menschlich klingenden Seufzer unterbrochen wurde, der aus Skuffs Ecke kam. Etwas später rührte sich Scanders. Er begann, ungeduldig mit der flachen Hand gegen die Schaltpultkante zu klopfen.
„Eigentlich müßten sich unsere Gegenspieler jetzt melden“, meinte er. Endlich knackte es im Lautsprecher. „Macht euch bereit zum Aussteigen!“ meldete sich eine dumpf klingende Stimme. „Wir schicken euch ein Beiboot. Laßt sämtliche Waffen im Schiff zurück und bringt uns dafür den STERNENWANDERER mit!“ Der unbekannte Sprecher wartete auf keine Antwort, er schaltete einfach ab. „Na also!“ äußerte sich Scanders. Kerveigh glaubte, aus seiner Stimme Genugtuung heraushören zu können. Hatte der Kapitän soeben die Bestätigung für einen bereits vorher gehegten Verdacht erhalten? Der Weg zum Laderaum war frei von Zerstörungen; die beiden Schüsse des Gegners hatten sich nur auf die Triebwerke konzentriert. Als sie jedoch das Eingangsschott öffnen wollten, schaffte das schwache Notaggregat nur noch einen schmalen Spalt von wenigen Zentimetern, danach gab es seinen Geist auf. Ole mußte sich mit der Schulter dagegenstemmen, während Kerveigh das schwerfällige Handrad bediente. Mit vereinten Kräften brachten sie das verklemmte Schott endlich auf. Die trübe Deckenbeleuchtung zeigte den STERNENWANDERER, der unversehrt in seiner primitiven Bettung ruhte. Bei Blins Eintreten kam jedoch Bewegung in das Gebilde: Langsam richtete es sich von seiner Unterlage auf, schwebte empor und stellte sich auf die Spitze. Kerveigh suchte unwillkürlich nach einem Halt. Er glaubte für einen Moment, daß die provisorisch wiederhergestellte Schwerkraft an Bord erneut ausgefallen sei. Mit einem tänzelnden Satz überwand der STERNENWANDERER das Gewirr der Arretierungsstreben, kam federnd am Boden auf und glitt hinüber zu Blin, dem er sich zur Seite gesellte wie ein folgsames Hündchen. In diesem Augenblick wirkte der STERNENWANDERER durchaus wie ein lebendiges Wesen. Scanders hatte inzwischen die Notventile aufgedreht. Zischend entwich die Atemluft in den Weltraum. Mit zunehmender Luftleere
erstarben die Geräusche ringsumher, und zuletzt hüllte die sich ausbreitende absolute Stille jedermann in einen undurchdringlichen Wattepanzer. Doch dann erklang im Helmfunk die Stimme des Kapitäns. „Wir öffnen jetzt die Lastschleuse“, kündigte Scanders an. „Paßt auf, daß niemand durch das offene Tor hinaustrudelt! Ich weiß nämlich nicht, ob sich die Piraten die Mühe machen würden, ihn wieder einzusammeln !“ Als das Wort Piraten fiel, ertönte über die Sammelfrequenz ein erschrockenes Japsen. Kerveigh drehte sich unwillkürlich nach dem Koch um. Skuff klammerte sich mit beiden Händen an eine Halterung. Das Schleusentor tat ihnen den Gefallen, sich ohne die Nachhilfe durch Muskelkraft selbständig zu öffnen. Sie blickten jetzt in den Weltraum hinaus, der - scheinbar - einen rasenden Tanz um die SKATING JANE aufführte. In regelmäßigen Zeitabständen glitt das Piratenschiff vorüber, und bei jedem Wiedererscheinen hatte sich die Szene dort drüben um eine Winzigkeit verändert. Zunächst war nur der große Schattenriß zu sehen, der von einer regelmäßigen Reihe hellerleuchteter Bullaugen durchbrochen wurde - eine Kette aus locker aufgereihten, schimmernden Perlen, die sich über den dunklen Schiffsleib zog. Beim nächstenmal war ein schmales, helles Rechteck hinzugekommen, das sich von Mal zu Mal verbreiterte. Schließlich schob sich ein großer Silbertropfen aus der geöffneten Schleuse, der bei jeder der nachfolgenden Momentaufnahmen ein wenig gewachsen war und immer näher bei der SKATING JANE stand. Als das Beiboot dicht genug herangekommen war, loderten schmale Flammenzungen aus den Bugdüsen, das Boot bremste ab und hielt respektvollen Abstand zu dem Wrack. „Den restlichen Weg werden wir wohl zu Fuß gehen müssen“, meinte Scanders sarkastisch. „Klinkt die Sicherheitsleinen ein, Leute! Wir bilden eine Kette. Merkt euch: Wir stoßen uns nur geringfügig ab - und das möglichst
gleichzeitig!“ Die Besatzung stellte sich gehorsam in einer Reihe nebeneinander am Schleusenrand auf. „Fertig?“ erkundigte sich der Kapitän und begann zu zählen: „Drei ... zwei ... eins ... los!“ Sie stießen sich ab. Im ersten Augenblick meinte Kerveigh, alles sei schiefgegangen. Sie purzelten wie wild durcheinander und bildeten bald ein wirres Knäuel. Kerveighs Sicherheitsleinen ruckten ein paarmal gefährlich scharf an, so daß er befürchtete, sie würden reißen. Doch allmählich kam das wirbelnde Ballett zur Ruhe, das sie im Weltraum vollführten. Und dann wurde auch das System erkennbar, nach dem sie sich bewegten. Aus der unregelmäßigen Rotationsbewegung, die sie von der SKATING JANE mitgenommen hatten, und der durch das Abstoßen gewonnenen Vorwärtsbewegung formte sich eine spiralige Flugbahn, die allmählich vom Wrack wegführte und gleichzeitig garantierte, daß sie mehrmals am Beiboot vorüberkamen. Selbst Skurr beruhigte sich. Kurz bevor sie das wartende Beiboot erreichten, gab Scanders noch eine Warnung durch: „Vergeßt nicht, den Stoß weich mit Händen und Füßen abzufangen!“ Seine Besorgnis erwies sich als unbegründet. Drüben im Piratenschiff hatte man sie beobachtet und lenkte das Beiboot über die Fernsteuerung so, daß es sich ihrer. Geschwindigkeit anpaßte und ihnen die offene Schleuse zudrehte. Kerveigh hatte das Gefühl, als bewege er sich geradewegs in den aufgesperrten Rachen eines Raubfisches hinein, der ihn und seine Kameraden mühelos verschluckte. Im Innern des Beiboots zog sie die künstliche Schwerkraft zu Boden. Sie entwirrten die Leinen und ihre Glieder, danach rappelten sie sich leicht benommen hoch. Wenig später schlüpfte der STERNENWANDERER herein und wippte mit hoheitsvollem Getänzel wie eine Ballerina neben Blin auf und ab. Das Beiboot nahm Fahrt auf und kehrte zum Piratenschiff zurück. Kerveigh wunderte sich darüber, daß die Schleuse nicht geschlossen
wurde, doch er sollte den Grund dafür bald erfahren. Kurz bevor sie nämlich beim Piratenschiff anlegten, wendete das Beiboot, so daß sie durch die offene Schleuse einen Blick auf die SKATING JANE zurückwerfen konnten. Es sah fast so aus, als hätte man ihnen einen Logenplatz zu einer bevorstehenden Theatervorstellung eingeräumt. Die Vorstellung ließ nicht lange auf sich warten. Vom Piratenschiff zuckte ein grünlich flirrender Lichtfinger zur SKATING JANE hinüber und fraß sich sprühend in den Rumpf des Wracks. Methodisch bahnte sich der Strahl einen Weg zum Herzen des schwer angeschlagenen Schiffes. Plötzlich schoß eine helle Stichflamme aus dem Wrack hervor. Die SKATING JANE hatte ihren Todesstoß empfangen, sie zerbarst in einer lautlosen, grellen Explosion. Kerveigh warf Scanders einen Seitenblick zu. Der Kapitän sah der Vernichtung seines Schiffes scheinbar völlig ungerührt zu. Er verzog keine Miene. Nur die Augenlider hatten sich etwas herabgesenkt, so als wolle Scanders verdecken, was sich in seinem Innern abspielte. Jetzt wendete das Beiboot wieder und schob sich langsam in den Hangar des Piratenschiffes, wo es aufsetzte. Kerveigh erspürte mit den Füßen leichte Vibrationen, die ihm sagten, daß die Schleusentore zuglitten. Wenig später übertrug sein Helmmikrophon das’ Zischen der hereinströmenden Atemluft. Mit der Luft kehrte auch die gewohnte Geräuschkulisse zurück: das Füßescharren seiner Kameraden, ein paar hallende Schläge, das gedämpfte Rumoren des Schiffantriebs sowie das Knacken, mit dem sich der Schiffslautsprecher meldete. „Achtung! Achtung! Wir heißen Sie als Passagiere an Bord der MOON VIRGIN willkommen! Öffnen Sie bitte den Helm erst, wenn das grüne Licht aufleuchtet !-Achtung!“ Monoton leierte die Automatenstimme ihr Sprüchlein immer wieder herunter. Der höfliche Ton der Ansage stand im krassen Gegensatz zu ihrer Situation. Wahrscheinlich ließ ein Spaßvogel in der Zentrale das alte Band ablaufen, das aus den Tagen stammte, als
die MOON VIRGIN noch nicht den finsteren Zwecken irgendwelcher Piraten gedient hatte, sondern tatsächlich Passagiere beförderte ... Leider konnte die Automatenstimme nicht bewirken, daß die Innentore sich öffneten, obwohl schon längst die grüne Lampe brannte. Mitten im Wort wurde die Durchsage unterbrochen. Statt dessen meldete sich eine andere Stimme, die im fröhlichen Plauderton sagte: „Das war doch eine famose Begrüßung - nicht wahr? Paßt genau zu dir, Scanders!“ Kerveigh grübelte nach, wo er diese Stimme schon einmal gehört hatte. Sie kam ihm bekannt vor. In diesem Augenblick ballte Ole die Fäuste und orgelte in hilfloser Wut: „Warte nur, bis ich dich zwischen meine Finger kriege! Das wirst du uns noch teuer bezahlen müssen, Hank !“ Natürlich! Jetzt wußte Kerveigh, wem die Stimme gehörte: Hank Morris, dem Mann aus der Hafenkneipe, an dessen Stelle Kerveigh getreten war. Hank Morris! Was hatte der Dunkelhaarige nur mit ihnen vor? * Die ISS ESCORT tauchte ziemlich genau an der angepeilten Stelle aus der übergeordneten Dimension auf und tastete mit ihren Orterstrahlen den Weltraum ab. „Das gesuchte Schiff ist nirgends zu finden, Sir!“ meldete der Orteroffizier nach einer Weile. „Nirgends?“ In Ou Rheens Stimme klang gelindes Erstaunen mit. „Scanders kann unmöglich schon wieder eine Transition durchgeführt haben! Suchen Sie weiter!“ Damit versank der Chef-Koordinator erneut in einen leichten Dämmerschlaf. Niemand in der Zentrale ließ sich jedoch davon täuschen. Der Orteroffizier wußte genau, daß Ou Rheen jede seiner Handbewegungen genauestens verfolgte.
Er tat sein Bestes. „Ein schwacher Reflex achteraus!“ meldete er schließlich. Ou Rheen hob die Augenlider nur geringfügig. „Nachsehen!“ empfahl er mit milder Stimme. Die ESCORT schwenkte herum und nahm Richtung auf das geortete Objekt. Nach halbstündigem Flug war es erreicht. Dudon Lamprete, dessen Augen am Schirm klebten, konnte einen saftigen Fluch nicht unterdrücken. „Da haben wir die Bescherung!“ fügte er bitter hinzu und deutete auf die leuchtende Wolke aus Explosionsgasen und vereinzelten Trümmerstücken. Aus und vorbei ...!“ Sein Verhalten trug ihm einen tadelnden Blick Ou Rheens ein. „Nicht doch!“ wehrte der Chef-Koordinator ab. Sein Rüsselarm hob sich in sanftem Protest. „Denken Sie lieber erst nach! Wo Trümmer sind, wurde meistens vorher geschossen.“ Er legte eine Kunstpause ein. Dann fuhr er fort: „Wer hat geschossen, mein lieber Lamprete?“ Weder der liebe Lamprete noch sonst jemand in der Zentrale wußte darauf eine Antwort - mit Ausnahme des Chef - Koordinators! Ou Rheen studierte die Ratlosigkeit in ihren Gesichtern und ließ sie dann gnädig an seinem Wissen teilhaben. „Derjenige“, gab er in dozierendem Tonfall seine Erkenntnis preis, „der vor kurzem von hier aus eine Transition durchgeführt hat!“ Während noch alles mit heruntergeklappten Unterkiefern diese plötzliche Erleuchtung verdaute, schwenkte Ou Rheen seinen Sessel zum Funker herum und ersuchte ihn höflich, doch nun endlich Verbindung mit den Peilstationen aufzunehmen. „Setzen Sie die Kerle in Trab!“ empfahl der Chef-Koordinator mit der gewohnten Sanftheit.
5.
Endlich glitten die beiden Schotthälften auseinander. Dahinter kam zunächst nur ein leeres Gangstück zum Vorschein, doch gleich darauf belebte sich die etwas eintönige Szene mit zwei stämmigen Rostariern, die nicht nur sämtliche Augenstiele (immerhin besaß jeder ein Dutzend davon!), sondern auch zwei klobige Strahler auf die Besatzung der SKATING JANE richteten. „Mitkommen!“ kommandierte der eine, und „Wir haben’s eilig!“ ergänzte der andere. Dazu winkten beide mit ihren Strahlern. Natürlich machten sie auch grimmige und entschlossene Gesichter. Nur, leider, wurde dies von keinem der Gefangenen bemerkt, da Rostarier für einen Außenstehenden immer den gleichen Gesichtsausdruck besitzen: einen beschuppten Quadratschädel, der ein wenig an ein Stecknadelkissen erinnert, wenn sämtliche zwölf Augenstiele ausgefahren sind, und an dem beim besten Willen keine Miene zu verziehen ist. (Wer mehr darüber nachlesen möchte, dem sei das ausgezeichnete Werk von Prof. Dr. Hugo Grizzl empfohlen: „Das Mienenspiel der Rostarier-Diskrepanz zwischen Wollen und Können“, 26. Aufl.) Scanders’ Leute konnten zwar nicht die grimmigen Mienen wahrnehmen, sie bemerkten jedoch dafür um so deutlicher die winkenden Strahler. „Wenn man so freundlich eingeladen wird ...!“ Achselzuckend setzte sich Scanders in Bewegung und trat auf den Gang hinaus. Die anderen folgten ihm. Der STERNENWANDERER mußte sich allerdings weit vornüberneigen, um das Schott passieren zu können. Sobald alles auf dem Gang versammelt war, durchsuchten die Rostarier jeden auf verborgene Waffen. Der unglückselige Skuff hielt unter seinem Raumanzug noch ein scharfes Küchenmesser in Reserve, das er in der Eile des Aufbruchs wohl übersehen hatte. Seine letzte Tätigkeit an Bord der SKATING JANE sei das Zwiebelschneiden gewesen, so gab er zitternd zu Protokoll, und einzig jenem Zwecke sei auch das Messer zugedacht - nicht, wie man
ihm hier unterstellen wolle, gewissen gegnerischen Gurgeln ... Nach einigem Hin und Her und nach manchen Mißverständnissen nahm man ihm diese Erklärung mitsamt dem Messer ab. Weder bei Kerveigh noch bei Ole wurden die Rostarier fündig. Qüamoc XXIII/45 Kya hüllte sich in vornehmes Schweigen, als man ihm vorwurfsvoll einen bei ihm gefundenen Strahler unter die gespaltene Nase hielt. Kapitän Scanders bot den Rostariern mehr Anlaß zum Grübeln, als sie nämlich aus einer Tasche seiner Kombination jenen ominösen schwarzen Kubus zum Vorschein brachten, der auch schon den Zollbeamten auf Zeno solches Kopfzerbrechen bereitet hatte. War das Ding nun als Waffe einzustufen? Vorsichtshalber konfiszierten die Rostarier den Würfel und durften dafür von Scanders den wohlmeinenden Ratschlag entgegennehmen, auch ja gut darauf aufzupassen. Erbost setzten sie die Gruppe in Marsch. Ihr Ziel lag im Oberdeck. Die Gefangenen wurden in einen mit Sesseln reich bestückten Raum bugsiert. „Hinsetzen!“ befahl der erste Rostarier, und „wir gehen in Transition“, erläuterte der zweite. Alle befolgten den Befehl, nur nicht der STERNENWANDERER. Er wippte tänzelnd neben Blins Sessel auf und ab, was die beiden Rostarier sicherlich sehr nervös machte. Sie zeigten ja auch einen höchst irritierten Gesichtsausdruck! - Nur: Niemand konnte ihn wahrnehmen ... Bald darauf erfolgte die Transition. * Bei der Begrüßung in der Zentrale legte Morris eine unverschämte Portion guter Laune an den Tag. „Hallo, Scanders, alter Knabe!“ empfing er seinen früheren Chef und wedelte grüßend mit der Hand. „Hallo Jungs!“ Er erweiterte die
Handbewegung zu einer die Mannschaft umfassenden Geste. „Macht’s euch doch bequem und stellt euch dahinten auf!“ Seine Augen wanderten flink von einem zum anderen, während er sich tief in seinen Sessel lümmelte. Genüßlich auf seinem Zigarillo herumkauend, schlürfte er die Situation voll Wohlbehagen in sich hinein. Endlich hatte er genug geschlürft ... „Wir haben Kurs auf DEEP BLUE NEVERMORE gesetzt“, informierte er seine Gefangenen mit plötzlicher Sachlichkeit. „Das habe ich mir gedacht“, konterte Scanders trocken. „Aaah ...!“ Morris verzog das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse. „Scanders, du alter Fuchs, jetzt hast du mir doch die ganze Pointe verdorben!“ „Tut mir aufrichtig leid!“ versicherte der Kapitän. Morris war rasch besänftigt. „Ein wunderbares Gefühl“, begann er zu schwärmen, „daß wir jetzt zusammen dorthin reisen ... Nicht wahr, Scanders?“ „Gewiß!“ der Kapitän nickte. „Hättest du das nicht etwas einfacher haben können? Mußtest du dazu diesen Haufen von gestrandeten Existenzen anheuern und mein Schiff in die Luft blasen?“ „Kinderchen, bleibt ganz ruhig! Der gute Scanders meint das nicht so!“ beschwichtigte Morris, als die gestrandeten Existenzen eine drohende Haltung einnahmen. Zögernd lösten die beiden Terraner, die sich bis dahin im Hintergrund gehalten hatten, die Hände von den Strahlern. Der geflügelte Jacuter im Ortersessel klappte seinen hornigen Schnabel, aus dem zischende Geräusche gedrungen waren, wieder zu. Das kugelförmige Cirron, das zu Morris’ Füßen auf dem Boden kauerte, wechselte die Körperfarbe vom aufgeregten Orange wieder zurück zu einer stumpfen Grautönung. Auch die beiden Rostarier zeigten einen - von niemandem bemerkten - gelassenen Gesichtsausdruck. Nur Kerveigh, der im Umgang mit Rostariern einige Erfahrung besaß, hatte registriert, daß sie für kurze Zeit ihr „Auge des Zorns“,
ausgefahren hatten - ein höchst bedenkliches Anzeichen! Morris legte geduldig die Fingerspitzen gegeneinander. „Es ging wirklich nicht einfacher!“ belehrte er Scanders. „Schließlich handelt es sich um eine Art von Geschäftsübernahme: Ich übernehme das Geschäft und du, mein Lieber, steigst aus. An Bord der SKATING JANE hättest du mir dabei wohl einige Steine in den Weg gelegt. Wer läßt schon gern einen solchen Profit sausen, wie ihn der STERNENWANDERER bringt! Das verstehst du doch, alter Freund?“ „Ich verstehe, daß du nicht mit mir teilen wolltest“, räumte Scanders ein. „Aber nun ...“ - Sein Finger sprang zählend von einem Besatzungsmitglied der MOON VIRGIN zum anderen - „... willst du durch sieben teilen. Wo liegt da der Vorteil? Oder willst du etwa gar nicht teilen, Hank, alter Freund?“ Morris grinste wie über einen gutgelungenen Witz. Er legte dabei ein prächtiges Gebiß frei. Strahlend wandte er sich seinen Leuten zu. „Habt ihr gemerkt, was der alte Fuchs will? Ha? Habt ihr’s gemerkt?“ Er patschte vergnügt auf die Sessellehne und unterstrich damit die folgenden Worte. „Einen Keil will er zwischen uns treiben, Zwietracht will er säen! Kluges Köpfchen, dieser Scanders!“ „Hau ihm doch einfach eins auf die Schnauze!“ riet einer der beiden Terraner. Morris tat, als wolle er diesen Vorschlag ernsthaft erwägen. „Nein!“ entschied er schließlich. „Wir wollen unseren klugen Geschäftspartner wegen ein paar krummer Worte nicht gleich demolieren. Er soll lieber ein bißchen über seine Geschäftsgeheimnisse plaudern, zum Beispiel ...“ - Er griff hinter sich - »... über dieses hübsche Würfelchen hier!“ Damit zeigte er den schwarzen Kubus vor, den die Rostarier Scanders abgenommen hatten. „Ja, was mag der wohl nur zu bedeuten haben ...?“ rätselte Scanders heuchlerisch herum. „Habt ihr das gehört?“ wandte Morris sich an seine Leute. „Er will
uns nicht verraten !“ Er tat maßlos erstaunt. „Hau ihm doch einfach ...“, begann der eine Terraner erneut, verstummte jedoch mitten im Satz, als Morris ungnädig abwinkte. „Ich kann kein Risiko eingehen“, erklärte Morris plötzlich sehr nüchtern, winkte den Terraner zu sich heran und hielt ihm den Kubus entgegen. „‘raus damit!“ befahl er. „Laß das Ding durch den Abfallschacht wandern, Fernando. Ich habe keine Lust, mich mit Nebensächlichkeiten abzugeben.“ Der Bursche faßte den Kubus mit so spitzen Fingern, als könne schon der leiseste Druck eine Explosion hervorrufen. Er wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Scanders’ Stimme ihn an seinem Platz festnagelte. „Zweimal falsch, Hank!“ sagte der Kapitän messerscharf. „Erstens: Das Ding ist ganz und gar nicht nebensächlich. Zweitens: Du riskierst nichts, wenn du es behältst - aber du setzt alles aufs Spiel, wenn du es wegwirfst!“ Er hatte in sehr ernstem Ton gesprochen. Doch nun erschien um seine Lippen die Andeutung eines Lächelns, als er seinem Gegenspieler mit leichter Verbeugung die offene Handfläche darbot so, als präsentiere er darauf ein unsichtbares Geschenk. „Du hast die Wahl, lieber Hank!“ Hank Morris ließ deutlich erkennen, daß ihm dieses Geschenk recht wenig behagte. Er sah seine Autorität dahinschwinden und fühlte, daß er Scanders’ Überlegenheit irgend etwas entgegensetzen mußte. Doch was? ‚Scanders hat ihn ganz schön in der Zweckmühle’, ging es Kerveigh durch den Kopf. Morris gewann nur sehr langsam seine Fassung wieder. „Ich glaube dir kein einziges Wort“, erwiderte er lahm. „Verständlich“, erwiderte Scanders. „Aber ich kann es beweisen!“ diese im ruhigen, selbstsicheren Ton vorgebrachte Behauptung stärkte erneut seine Position. In der Zentrale machte sich gespannte
Stille breit. Morris spürte den Zugzwang, in den Scanders ihn hineinmanövriert hatte. Seine Stimme klang gereizt und aufsässig. „Wie denn?“ fragte er. Scanders ließ sich mit der Antwort Zeit. Er verschränkte die Arme über der Brust und blickte Morris herausfordernd an. „Wir werden ein kleines Experiment veranstalten“, schlug er vor. Mit Morris’ Geduld war es nun endgültig vorbei. Er sprang auf. „Kommt überhaupt nicht in Frage!“ verkündete er reichlich überlaut. Der Terraner bemerkte die Verwirrung seines Chefs und versuchte ihm beizuspringen, indem er erneut auf seinen Vorschlag zurückkam. „Hau ihm ...“, begann er. Doch Scanders schnitt ihm das Wort ab. „Geschenkt! Der Rest ist uns bekannt ...!“ * Ou Rheens Augenbrauen hoben sich um den Bruchteil eines Millimeters, als der Funker die eintreffenden Peilergebnisse durchgab. Höchstpersönlich begab sich der Chef-Koordinator zum Kartentank, der wie ein überdimensionales Goldfischglas die gesamte Mitte der Zentrale einnahm und randvoll mit undurchdringlicher, tintiger Schwärze angefüllt war. Die geschickten Manipulationen des Tigalo ließen in dieser Finsternis einige wenige Lichtpünktchen aufglimmen. „Den Kurs!“ verlangte Ou Rheen. Gehorsam wiederholte der Funker die Peildaten, während Ou Rheens Rüsselarm blitzschnell über die Tastatur glitt. Im Innern des Tanks erschien eine leuchtende Spur, deren Anfang und Mitte durch zwei helle Punkte markiert wurden und die in einem blassen
Fächerstrahl endete. „Innerhalb dieses Fächers“, erklärte Ou Rheen mit einem flüchtigen Seitenblick auf Lamprete, der interessiert näher getreten war, „ist das Ziel des von uns verfolgten Schiffes zu suchen. „Und nun passen Sie einmal genau auf, Leutnant!“ Der Rüsselarm senkte sich erneut herab und drückte auf eine rote Taste. Dort, wo der Fächer allmählich zu verblassen begann, erstrahlte im gleichen Augenblick eine leuchtendrote Wolke, die den Fächer gänzlich verschluckte. „Sehen Sie?“ Ou Rheens Rüsselarm tippte auf die transparente Scheibe, die den Tank nach oben verschloß. Lampretes rote Gesichtsfarbe wich einer sich jählings ausbreitenden, ungesunden Blässe. „Gefahrenzone ...!“ murmelte der Leutnant betreten. „Sie sagen es! Und zwar Gefahrenzone der Klasse vier. Das bedeutet“, - Ou Rheen sah sich freundlich im Kreis seiner Getreuen um - „... daß aus diesem Gebiet noch kein einziges Schiff zurückgekehrt ist!“ Ou Rheens faltiges, graues Gesichtchen erschien in diesem Augenblick noch zerknitterter als sonst - ein Koboldgesicht voll diebischer Freude ... „Aber davon lassen wir uns natürlich nicht abschrecken!“ verkündete der Chef-Koordinator mit der ihm angeborenen Sanftheit. * „Laß ihn doch wenigstens erklären, was er vorhat!“ meldete sich der andere Terraner aus dem Hintergrund. Morris’ Kopf flog herum. Der Dunkelhaarige schien eine scharfe Erwiderung auf der Zunge zu haben, doch im letzten Augenblick besann er sich eines Besseren. „Na schön“, meinte er. „Wir sind ganz Ohr, Scanders!“ „Wir werden ein Beiboot vorausschicken und uns ansehen, was damit passiert.“ Scanders schien nicht im geringsten geneigt,
ausführlicher zu werden. Morris musterte ihn mit schräggehaltenem Kopf und unverhohlenem Mißtrauen. „Wo liegt hier der Haken?“ fragte er. „Schicke das Beiboot aus und sieh selbst-!“ war die lakonische Antwort. Morris gab sich nicht mehr die Blöße, aufzubrausen. Er nickte statt dessen und sagte: „Gut, du sollst deinen Willen haben - falls auch die anderen dafür sind.“ Kerveigh spürte einen leichten Rippenstoß. Er sah hoch und fing einen vielsagenden Blick Oles auf. Ob der Hüne wohl in diesem Augenblick dasselbe dachte wie er? Morris stand im Begriff, die Demokratie zu entdecken, jedoch aus äußerst durchsichtigen Gründen: Wer sonst die Macht für sich allein beansprucht und nicht bereit ist, auch nur ein Zipfelchen davon abzugeben, der lädt dafür um so bereitwilliger die Verantwortung auf anderen Schultern ab ... Morris blickte auffordernd in die Runde und holte sich die Zustimmung seiner Leute. Die Rostarier senkten ihre zwölf Augenstiele, der Jacuter hob die Flügelarme, die Terraner nickten, und das Cirron wurde kugelrund. Gelangweilt verfolgte Scanders das anschließende Ausschleusungsmanöver des ferngesteuerten Beiboots. Das Cirron war auf Morris’ Wink zum Steuerpult geflossen und hatte sich in den Pilotensessel hinaufgehangelt, indem es die jeweils nötigen Scheinfüße ausbildete und wieder rückentwickelte. Dies geschah so blitzschnell, daß es aussah, als zuckten Strahlen aus dem glatten, im Normalzustand ovalen Körper. Ebenso flink bediente das Wesen die Steuerkontrollen. Auf dem Bildschirm erschien der wohlbekannte Silbertropfen des Beiboots, stand für einige Sekundenbruchteile still und eilte dann, immer schneller werdend, der MOON VIRGIN voraus. Bald war es mit dem Elektronenteleskop nicht mehr auszumachen, und auch das Großfeldradar zeigte es nur noch als winzigen Punkt. Die Minuten verstrichen, ohne daß sich etwas ereignete. Morris
wollte schon ungeduldig werden, doch Scanders’ steinerne Ruhe hielt ihn zurück. Niemand rührte sich - bis auf das Cirron, dessen Pseudopodien sich mit den Kontrollen beschäftigten. Die beiden Rostarier, so bemerkte Kerveigh, hatten das „Auge des lebhaftesten Interesses“ ausgefahren. Außerdem blickten sie höchst konzentriert drein - aber das konnte niemand wahrnehmen, wie schon öfters betont wurde ... Plötzlich begann das Cirron, das bis jetzt auf der Klaviatur der Kontrollen ein gedämpftes Adagio gespielt hatte, über ein hüpfendes Allegro zum Vivace überzugehen und sich von dort aus in ein wildes Furioso hineinzusteigern. Aus dem Bordlautsprecher klangen schrille Geräusche, die durch einzelne Satzfetzen abgelöst wurden. Kerveigh glaubte, so etwas wie „... nicht mehr zu halten ...“ herausgehört zu haben. Plötzlich wurde ihm der Zusammenhang zwischen den schrillen Geräuschen und der überaus emsigen Tätigkeit des Cirron klar: Das Wesen verfügte über keine lauterzeugenden Sprechwerkzeuge, sondern verständigte sich mit seinen Rassegenossen durch Vibrationen, die von Pseudopodie zu Pseudopodie weitergeleitet wurden. Es müßte eine Art körpereigenenen Umsetzer besitzen, der seine Vibration in verständliche Lautsprache umwandelte und über den Bordlautsprecher verstärkt wiedergab. Wieder schrillte die künstliche Stimme aus dem Lautsprecher: „... alles versucht ...“, teilte sie mit, „... außer Kontrolle ...“ Morris stürzte mit ein paar raschen Schritten zum Großfeldradar, runzelte die Brauen, wandte sich wieder um und war gleich darauf beim Steuerpult. Er griff mit beiden Händen zu und hob das Cirron unsanft aus seinem Sitz. Achtlos ließ er das Wesen zu Boden plumpsen. Aus dem Bordlautsprecher ertönte schriller Protest. Doch Morris war schon viel zu sehr mit den Kontrollen beschäftigt, als daß er darauf hören konnte. Nachdem er minutenlang - anscheinend erfolglos - herumhantiert hatte, richtete er sich schwer atmend auf und bedachte Scanders mit
einem vorwurfsvollen Blick. „Irgend etwas zieht das Beiboot an. Es ist außer Kontrolle. Dein famoses Experiment, Scanders, wird uns ein Beiboot kosten!“ „Dann ist der erste Teil des Experiments geglückt“, äußerte sich Scanders hochbefriedigt. „So, so! Geglückt ...!“ murmelte Morris mit verkniffener Miene. „Der zweite Teil kommt noch“, kündige Scanders gelassen an. Behaltet den Schirm im Auge!“ Das mußte er nicht zweimal sagen. Schon jetzt begannen sich die Fronten zwischen den Parteien zu verwischen, da alles sich um den Schirm drängte. Nur Kerveigh hielt sich dezent zurück. Er dachte an Scanders’ Plan, das Piratenschiff zu kapern, und fand die augenblickliche Konstellation nicht ungünstig für dieses Vorhaben. Ein mehrstimmiger Aufschrei zerriß die gespannte Stille. Auf dem Schirm war soeben ein heller Lichtfleck aufgeleuchtet, der ein Mehrfaches vom Umfang des ausgesandten Beiboots umfaßte. Dort vorn mußte eine Explosion von gigantischen Ausmaßen stattgefunden haben ... „Vorstellung beendet!“ gab Scanders triumphierend bekannt. „Das war also deine volle Absicht?“ fragte Morris gefährlich leise. „Ja !“ bekannte Scanders freimütig. Ausgerechnet in diesem Moment mußte der Terraner auf seinen Vorschlag zurückkommen. „Hau ihm doch ...“ „Neiiin!“ gellte ihm von allen Seiten Protest entgegen. Verwirrt sah er sich um. Er konnte Freund und Feind nicht mehr eindeutig unterscheiden. „Es war eine Demonstration“, ließ sich Scanders endlich zu einer Erklärung herab. „Genauso wäre es deiner MOON VIRGIN ergangen, wenn du ohne den schwarzen Würfel weitergeflogen wärst. War dir das nicht ein Beiboot wert, Morris?“ Das eine mußte man Morris lassen: Er paßte sich rasch einer
veränderten Situation an. „Was hat es mit dem Würfel auf sich?“ fragte er. „Er wird unser Lotse sein“, erklärte Scanders. „Ohne ihn kommen wir niemals durch die Antimateriewolke ...“ Es dauerte eine ganze Weile, bis seine Worte eingesickert waren. Doch dann brach ein Tumult aus, dem ganz plötzlich tiefstes Schweigen folgte. „Und du Idiot wolltest das Ding aus dem Schiff werfen ...!“ kam von hinten die Stimme des zweiten Terraners. Das war genau der Moment, in dem sich Kerveigh zum Handeln aufraffte. Mit einem entschlossenen Schritt trat er neben den ersten Terraner, der immer noch damit beschäftigt war, sein Freund-FeindVerhältnis zu klären, und zog ihm den Strahler aus dem Gürtel. „Zur Wand mit euch!“ Rasch!“ Mit dem erhobenen Strahler in der Hand suchte Kerveigh rückwärtsschreitend nach Rückendeckung. „Los! Beeilt euch!“ mahnte er, da niemand sich von der Stelle rührte. Zögernd löste sich die Versammlung auf. Die Leute der MOON VIRGIN wichen zur Wand zurück, während Scanders’ Leute zur Seite traten, um Kerveigh freies Schußfeld einzuräumen. In Scanders’ Gesicht stand Staunen und, wenn Kerveigh sich nicht ganz täuschte, ein Anflug von Verärgerung geschrieben. „Und nun die Waffen! Holt ...“ Weiter kam der Tramp nicht. Ein furchtbarer Schlag traf ihn am Arm. Die Waffe polterte zu Boden. Er sah eine dicke graue Peitschenschnur auf sich zuschnellen, empfing einen klatschenden Hieb quer über das Gesicht und wurde zu Boden gerissen. Blitzschnell ringelte sich die graue Peitschenschnur um seinen Hals und schnürte ihm die Luft ab. „Verdammt“, dachte er, „ich habe nicht auf das Cirron geachtet ...!“ Bevor ihm die Sinne schwanden, hörte er noch Scanders’ arrogante Stimme sagen: „Das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen ...“ *
„Natürlich habe ich mir Gedanken gemacht, wie wir die Gefahr auf ein Minimum beschränken können“, erklärte Ou Rheen. „Schließlich bin ich ja kein Selbstmörder!“ Sein Rüsselarm deutete auf den Schirm, wo das verfolgte Schiff als heller Lichtpunkt sichtbar wurde. :“ ... ebensowenig wie die dort drüben!“ Er wandte sich um und las die Besorgnis in ihren Augen. „Gehen wir doch davor aus, daß die Besatzung des anderen Schiffes genau weiß, welche Route sie fliegen muß, um das Gebiet gefahrlos zu durchqueren. Dann müssen wir nichts anderes tun, als genau die Spur zu verfolgen, die von den anderen vorgezeichnet wird. Ich vermute, daß die Reichweite ihrer Ortungsgeräte geringer ist als unsere. Das ermöglicht uns, unbesehen zu bleiben und dennoch jede Einzelheit des Kurses, dem die anderen folgen, aufzuzeichnen.“ Der Kapitän der ISS ESCORT hatte seine Zweifel, das war ihm deutlich genug anzusehen. „Das hört sich einfacher an, als es in Wahrheit ist!“ meinte er bedächtig. „Ich will Sie gewiß nicht mit technischen Detailfragen belästigen, aber allein schon ...“ „Nicht nötig, Käpt’n! Ich besitze ebenfalls das Kapitänspatent ...“ „Dann müßten Sie das Risiko ziemlich genau abschätzen können ...“ Der Kapitän nagte unentschlossen an der Unterlippe. Schließlich gab er sich einen Ruck. „Ich bin einverstanden!“ erklärte er. „Es würde mich jedoch wesentlich beruhigen, wenn Sie den Orteroffizier bei seiner schweren Aufgabe unterstützen könnten, Sir!“ .“Genau das wollte ich auch schon vorschlagen“, gab Ou Rheen freundlich zurück.
6. Jemand mußte Kerveigh während seiner Bewußtlosigkeit einen eisernen Halsreif umgelegt und diesen fest angezogen haben. So
jedenfalls fühlte es sich an. Doch da war kein eiserner Reif, so sehr Kerveighs tastende Hände auch danach suchten. Sein Hals war nur dick angeschwollen, daß der Tramp kaum noch schlucken konnte geschweige denn reden! Das verdammte Cirron! Erst jetzt öffnete Kerveigh die Augen. Ihm war hundeelend zumute, außerdem machte er sich Vorwürfe über seine Unachtsamkeit. „Nun steh schon endlich auf!“ Das war Morris’ Stimme. Kerveigh wollte dem Dunkelhaarigen den Kopf zudrehen, doch eine Welle glühender Schmerzen ließ ihn dieses Vorhaben rasch vergessen. Etwas traf ihn hart gegen die Hüfte. „Aufstehen!“ forderte Morris und holte erneut mit der Stiefelspitze aus. Mühsam rappelte sich der Tramp hoch. „Ich sollte dich durch die Luftschleuse wandern lassen!“ Morris wirkte reichlich aufgebracht und - erschrocken? „Beinahe hättest du mir die ganze Tour vermasselt ...“ Der Dunkelhaarige schien zu überlegen, was er mit Kerveigh anfangen sollte. Ungeschoren würde er den Tramp nicht davonkommen lassen, soviel war sicher. Wahrscheinlich sah er in Kerveighs Person eine willkommene Gelegenheit, sich für Scanders’ Demütigungen schadlos zu halten. Der Tramp schwieg und wartete. Er konnte beim besten Willen keinen vernünftigen Ton herausbringen. Das verdammte Cirron! „Halten wir uns doch nicht mit Kleinigkeiten auf!“ ertönte Scanders’ kühle Stimme. „Wir sollten uns jetzt lieber mit der Steuerung befassen. Weit kann die Antimateriewolke nicht mehr sein ...“ Das brachte Bewegung in Morris. Er wandte sich von Kerveigh ab und griff nach dem schwarzen Würfel, der mittlerweile wieder auf die Schaltkonsole
zurückgefunden hatte. Mißtrauisch studierte er das Ding in seinen Händen. „Wie ...?“ begann er. Der Würfel schien ihm großen Respekt einzuflößen. „Nun gib schon her!“ Scanders streckte fordernd die Hand aus. „Laß mich das machen!“ Morris blieb nichts anderes übrig, als Scanders den Würfel auszuhändigen. Ein leises Klicken ertönte, als der Kapitän am Schaltknopf drehte. Das Gerät begann zu summen; ein feines, auf- und abschwellendes Rauschen drang aus dem unsichtbaren Lautsprecher. Plötzlich meldete sich die Stimme, die Kerveigh schon einmal auf Zeno gehört hatte, und stellte in jener unbekannten, zirpenden und knackenden Sprache eine Frage an den Anrufer. Scanders hielt den Kubus dicht vor Seine Lippen und sprach langsam und deutlich betont seinen Namen hinein. Erneut drang ein fragender Wortschwall aus dem Würfel. Niemand hatte auf Blin geachtet, der sich unbemerkt näher geschoben hatte und plötzlich neben Scanders stand. Auffordernd zupfte er seinen Pflegevater am Ärmel und erhielt von jenem gleich darauf das Gerät ausgehändigt. Kerveigh, der mit schmerzverzogenem Gesicht seinen Hals massierte, hielt einen Augenblick inne, als er den Jungen in der gleichen unbekannten Sprache antworten hörte. Der Tramp war nicht allzu überrascht. Daß mehr hinter dem Jungen steckte, ahnte er schon lange. Aus dem Würfel ertönte jetzt eine knappe Bestätigung. Und dann klappte das Gerät plötzlich in zwei Hälften auseinander, ohne daß Blin irgendwelche Manipulationen daran vorgenommen hatte. Aus einer der beiden Teile wuchs eine schlanke, silbrige Antenne, deren Spitze sich zu einem winzigen Fächer auseinanderfaltete; im Innern der anderen Hälfte ringelten sich mehrere Kabel.
„So!“ sagte Scanders befriedigt. „Jetzt müssen wir nur noch die Verbindung mit der Steuerautomatik herstellen.“ Er schritt zum Steuerpult und ließ sich vor der Konsole auf die Knie nieder. Nachdem er einen Teil der Verkleidung entfernt hatte, tauchte er im Innern unter und hantierte mit zielsicheren Handgriffen herum. Endlich schien der zweigeteilte Würfel fest mit der Steuerung des Schiffes verbunden. „Alles andere können wir nun unseren Freunden überlassen“, erklärte der Kapitän, während er die Verkleidung wieder anbrachte. Er richtete sich auf und blickte genau in die Mündung von Morris’ Strahler. * Eine Weile maßen sich die beiden Gegenspieler mit stummen Blicken. Schließlich nickte Scanders langsam und sagte: „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ...“ „Erraten!“ grinste Morris ihn breit an. Scanders’ Reaktion erschien Kerveigh reichlich unverständlich angesichts der Situation, in der er sich befand. Der Kapitän grinste nämlich zurück und sagte - beinahe vergnügt -, ohne dem Strahler große Beachtung zu schenken: „Genauso hatte ich dich eingeschätzt, mein lieber Hank!“ „Dann wundert es mich aber sehr, daß du überhaupt mitgespielt hast, mein lieber Leif! Du bluffst wieder einmal ganz unverschämt!“ „Mag sein, mag sein ...!“ „Aber nicht mehr lange - nicht wahr, du alter Fuchs?“ „Vielleicht ... Aber das hängt ganz bestimmt nicht von dir ab, mein lieber Freund!“ Kerveigh fand, daß die beiden Gegner genug Liebenswürdigkeiten ausgetauscht hatten. Sein Blick fiel zufällig auf Blin. Der Junge hielt die Augen geschlossen und schien ganz in sich selbst versunken. Von einer Ahnung gepackt, wandte Kerveigh den Blick zum
STERNENWANDERER, der bisher reglos an einer Stelle geschwebt hatte. Das tat er immer noch, jedoch auf seiner tiefschwarzen Oberfläche zeigten sich die ersten Anzeichen einer beinahe unmerklichen Veränderung. Wenn man genau hinsah, konnte man eine leichte Wellenbewegung bemerken, die über die Oberfläche hinfloß und die Kanten des Dodekaeders verschwimmen ließ. Auch schien die undurchdringliche Schwärze des Gebildes allmählich in ein dunkles Grau überzugehen. Kerveigh hatte den Eindruck, daß der STERNENWANDERER von innen her zu leuchten begann; denn mit zunehmender Wellenbewegung wurde das Grau immer lichter und begann intensiv zu strahlen, bis es zuletzt in ein grelles Weiß überwechselte. Der STERNENWANDERER pulsierte jetzt heftig, gleichzeitig sandte er einen gleichmäßigen, drohenden Brummton aus. Erst dieser tiefe Brummton machte die anderen auf den Vorgang aufmerksam. Ihre Köpfe flogen beinahe gleichzeitig herum. Morris brauchte geraume Zeit, bis er überhaupt begriff, was sich da im Hintergrund der Zentrale abspielte. Dann jedoch wandte er sich auf dem Absatz herum. Sein Strahler ruckte wieder hoch und richtete sich drohend auf Scanders’ Brust. „Stell das Ding sofort wieder ab!“ forderte er mit Panik in der Stimme. Scanders schien von der Waffe völlig unbeeindruckt. Langsam schüttelte er den Kopf. Der Kapitän wirkte in diesem Moment äußerst selbstbewußt und siegessicher. Kerveigh sah, daß Morris sich vergeblich bemühte, die Waffe abzudrücken; so sehr er sich auch anstrengte - ein fremder, von außen kommender Zwang hinderte ihn daran. Langsam sank sein erhobener Arm abwärts, bis er schließlich kraftlos herunterbaumelte. Morris stierte verständnislos auf diesen herabhängenden Arm, der nicht mehr seinem Willen gehorchte, so als betrachte er ein fremdes, nicht zu seinem Körper gehöriges Ding. Seine Stirn war
schweißbedeckt. Scanders schüttelte noch immer den Kopf - mit zeitlupenhaft langsamen Bewegungen. Er schien gar nicht mehr damit aufhören zu wollen. Dieses Bild war das letzte, was Kerveigh wahrnehmen konnte; denn plötzlich legte sich ein dichter Schleier über seine Sinne, die Szene zerfloß wie hinter einer dünnen Wasserwand, und die Geräusche ringsumher entfernten sich immer weiter von ihm ... Und dann war nichts mehr. * In der Zentrale der ISS ESCORT herrschte tiefste Stille. Ou Rheen stand über den Kartentank gebeugt und verfolgte aufmerksam das Vordringen einer grünen Leuchtspur, die die erste, den Kurs des verfolgten Schiffes darstellende Linie überlagerte. Langsam näherte sich die grüne Linie der rotmarkierten Gefahrenzone. Als ihre Spitze die rote Zone schon fast berührte, richtete sich der Chef-Koordinator auf. „Es ist soweit“, sagte er halblaut. „Wir liegen genau auf Kurs“, meldete der Kapitän nach einem prüfenden Blick auf die Kontrollen. Sie drangen in die Gefahrenzone ein ... Unendlich behutsam tastete sich die ESCORT auf der von dem anderen Schiff vorgezeichneten Spur entlang. Sie schickte ihre unsichtbaren Fühler weit voraus in die Tiefen des Weltraums, erspürte jede Bewegung der Verfolgten, registrierte mit ihren äußerst sensiblen Sinnen jede auch nur geringfügige Kursveränderung des anderen Schiffes. In der Zentrale nahm der Orteroffizier die Flut von Meldungen entgegen. Sein Gesicht wirkte angespannt und vor Konzentration fast wie versteinert. Mit monotoner Stimme las er die Meßskalen ab und übermittelte die Daten dem Programmierer, der sie wiederum in den
Computer eingab. Im Bruchteil einer Sekunde verglich das künstliche Gehirn die erhaltenen Daten mit dem Kurs der ESCORT, stellte Abweichungen fest und korrigierte sie selbständig direkt über den Autopiloten - beinahe ohne Zeitverlust und ohne daß eine menschliche Hand eingreifen konnte. Der Kapitän hatte nur Einfluß auf die Geschwindigkeit seines Schiffes. Er mußte darauf achten, daß ihr unfreiwilliger Lotse nicht aus dem Ortungsbereich der ESCORT entkam. Niemand wußte eigentlich so recht, welche Gefahren abseits der vorgezeichneten Route lauerten. Es war wie eine Bootsfahrt durch unbekannte Gewässer, durch ein Gewirr von unter der Oberfläche verborgenen Klippen, von denen niemand sagen konnte, wo sie zu suchen waren. Nur, daß es in diesem Falle überhaupt keine Klippen waren, sondern ein hochbrisanter Minengürtel, den sie ahnungslos durchquerten ...! Niemand schenkte den Gesteinstrümmern, die das Schiff in einigem Abstand umschwebten, allzu große Beachtung. Man hielt Ausschau nach anderen Gefahren. Sämtliche Geschütztürme waren besetzt, die schweren Desintegratoren ausgefahren und feuerbereit. Man rechnete mit dem Auftauchen eines unbekannten Gegners, der für die Zerstörung der bisher in dieses Gebiet entsandten Schiffe verantwortlich war. Hätte Ou Rheen in diesem Moment gewußt, daß sie sich mitten durch eine Wolke aus Antimaterie bewegten, er hätte unverzüglich den Befehl zur Umkehr erteilt. Nachdem über eine Stunde dieser nervenzermürbenden Fahrt vergangen war, ohne daß sich etwas Bedrohliches zeigte, begann sich an Rord der ESCORT gedämpften Optimismus auszubreiten ... * Die Stimme war von einer geradezu widerlichen Hartnäckigkeit. „Kerveigh! ... Keeerveiiigh!“
Konnte der Kerl denn keine Ruhe geben? Anscheinend nicht; denn er flötete unbeirrt weiter in Kerveighs Ohr. Jetzt begann dieses rücksichtslose, brutale, ekelhafte Scheusal auch noch, seine Wangen zu tätscheln ! Das ging entschieden zu weit! Kerveigh sprang mit einem Satz auf und blickte wild um sich. „Na endlich!“ strahlte ihn Ole an. „Du hast geschlummert wie ein satter Säugling. Wer hätte gedacht, daß die Narkose des STERNENWANDERERS so auf dich wirkt!“ Er wandte den Kopf und trompetete über die Schulter zurück: „Unser Held ist wach !“ „ „Soll herkommen!“ ertönte Scanders’ kühle Stimme. Die Zentrale der MOON VIRGIN bot einen friedlichen Anblick. Der Kapitän saß untätig im Pilotensessel und starrte durch die Kanzelscheibe in den Weltraum hinaus. Es sah aus, als hätte er diesen Platz schon immer innegehabt. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit nahm Qüamoc XXIII/45 Kya den Platz hinter dem Orterpult ein, während Blins Knabenkopf aus dem Sessel des Funkers hervorlugte. Nichts deutete darauf hin, daß vor kurzem ein Wechsel in der Schiffsführung stattgefunden hatte. Die Piraten waren verschwunden. Mit ihnen Skuff und der STERNENWANDERER. Das Intermezzo mit den Piraten war beendet; Scanders hatte - wie angekündigt - das Schiff gekapert, und zwar ohne sichtliche Anstrengung. Kerveighs heldenmütiger Einsatz erwies sich nachträglich als völlig überflüssig; er hatte nichts als einen dicken Hals eingebracht. Insgeheim schalt sich der Tramp einen Esel. Spürte Scanders etwas von Kerveighs Selbstvorwürfen? „Ich möchte mich bei Ihnen bedanken“, sagte er, „auch wenn sich Ihr Versuch, die Piraten zu überrumpeln, als Fehlschlag erwiesen hat. Aus Ihrer Sicht haben Sie richtig gehandelt.“ Seine dunklen Augen musterten Kerveigh, der dem Blick ruhig standhielt. „Ich habe weitgehend im eigenen Interesse gehandelt“, brachte Kerveigh reichlich kratzig hervor - sein Hals machte ihm immer noch
zu schaffen. „Ich bewahre mir nämlich gern meine Unabhängigkeit, müssen Sie wissen - und einigermaßen saubere Finger -, und aus demselben Grund möchte ich gehen können, wohin es mir beliebt, ohne Scherereien mit den Imperiumsbehörden befürchten zu müssen ...!“ Scanders massierte nachdenklich seinen Nasenrücken. Seine Brauen schoben sich zusammen, mit durchdringendem Blick versuchte er zu ergründen, was hinter der Stirn des Tramps vorging. Als er schließlich antwortete, schwang in seiner Stimme widerwillige Anerkennung und ein Hauch von Rivalität mit. „Ich habe verstanden ...“, sagte er langsam. „Glauben Sie mir, Kerveigh: Sie werden auch in Zukunft keine Scherereien zu befürchten haben!“ „Ich ließe mich gern davon überzeugen ...“ Kerveigh blickte sich suchend um. Wo sind eigentlich die Piraten?“ erkundige er sich beiläufig, mehr um das Thema zu wechseln. Scanders ging bereitwillig darauf ein. „Unter der Obhut des STERNENWANDERERS“, grinste er. „Ein sehr gewissenhaftes Kindermädchen ...!“ In diesem Augenblick tat Qüamoc zum erstenmal in Kerveighs Gegenwart den Mund auf. „Wir haben DEEP BLUE NEVERMORE auf den Schirmen“, meldete er mit dünner Lispelstimme. Scanders deutete mit einer vagen Geste zur Sichtkanzel hinaus. „Dort vorn“, wandte er sich an Kerveigh, „werden alle Ihre Zweifel zerstreut!“ So sehr auch der Tramp die Augen anstrengte, er konnte nichts erkennen ... * Knappe dreißig Minuten später sah er den Planeten. DEEP BLUE NEVERMORE umkreiste seine Sonne im weiten
Abstand, so weit, daß das ohnehin reichlich matt wirkende Zentralgestirn kaum mehr als einen Hauch von Helligkeit auf die düstere Oberfläche des Planeten zaubern konnte - und selbst dos hätte es besser unterlassen. Denn was da ans - wenn auch noch so trübe - Tageslicht kam, war weder sehenswert, noch rechtfertigte es den aufwendigen Namen des Planeten. Er war nichts als ein schrundiger, narbenzerfressener, öder Gesteinsbrocken, der sich offenbar aus Scham über seine eigene Häßlichkeit in diese entlegene Gegend verkrochen hatte und sein pockennarbiges Gesicht verzweifelt hinter dünnen Gasschleiern zu verbergen trachtete, die den Namen Atmosphäre kaum verdienten. Es war wenig mehr als nichts. Jemand, der tatsächlich so töricht gewesen wäre, auf DEEP BLUE NEVERMORE Atem zu holen, hätte den Planeten mit dem ersten Atemzug atmosphärelos gemacht ... Entsprechend lieblich waren die Temperaturen. Schaudernd betrachtete Kerveigh das Abbild auf den Schirmen. Wer sich in dieser Öde häuslich niederließ, mußte einen sehr verschrobenen Sinn für Gemütlichkeit besitzen. Auf dieses heimelige Fleckchen strebte die MOON VIRGIN im Augenblick zu. Aus ihren Bugdüsen lohten feurige Flammenbündel. Allmählich senkte das Schiff die Nase tiefer. „Zwanzigtausend bis Kontakt“, meldete die leidenschaftslose Automatenstimme des Bordgehirns. Scanders leitete das Wendemanöver ein. Die MOON VIRGIN streifte auf einer tangentialen Flugbahn die obersten Schichten der dünnen Atmosphäre und schoß noch einmal in den Weltraum hinaus, wobei die Anziehungskraft des Planeten mithalf, den Geschwindigkeitsüberschuß aufzuzehren. Anschließend sank das Schiff heckvoraus der Oberfläche entgegen. „Zehntausend bis Kontakt“, gab die Automatenstimme wenig später bekannt. Die Teleskope lieferten jetzt starke Ausschnittsvergrößerungen der Planetenoberfläche. Inmitten der zerklüfteten Landschaft war eine
regelmäßig gemusterte Fläche zu sehen, die sich, von einem massiven Kern ausgehend, strahlenförmig nach allen Seiten ausbreitete. Kerveigh war über die Ausdehnung der Stadt - denn um eine solche mußte es sich wohl handeln - einigermaßen erstaunt. Er hatte eine Handvoll Kuppeln erwartet, Niederlassung einer finanzstarken, etwas abseits der Legalität arbeitenden Interessengruppe, die sich bei gewissen Experimenten nicht gern auf die Finger sehen lassen wollte. Aus dem, was er jetzt sah, konnte er sich jedoch keinen Reim machen. „Achttausend bis Kontakt.“ Die Stadt zeigte sich nun in allen Einzelheiten. Das massive Zentrum entpuppte sich als Ansammlung von hohen, kuppelüberdachten Rundtürmen, die zusammen ein innen offenes, regelmäßiges Sechseck bildeten. Im Innenhof dieses Sechsecks war eine glatte, schwach blinkende Fläche zu erkennen, die an einen See erinnerte. Daß dieser See jedoch kein Wasser enthalten konnte, war Kerveigh angesichts der drunten herrschenden mörderischen Tiefsttemperaturen völlig klar. Es mußte sich um eine Mischung flüssiger Gase handeln. „Sechstausend bis Kontakt.“ Rund um das Sechseck erstreckte sich ein Meer von würfelförmigen Gebäuden, die zu regelmäßigen geometrischen Figuren gruppiert waren. Die Monotonie der Formen sowie die streng geometrische Anordnung wiesen darauf hin, daß die Stadt nicht organisch gewachsen, sondern auf dem Reißbrett konzipiert und in einem Stück realisiert worden war. Das sonst übliche Lichtergeflirr einer Großstadt fehlte hier ganz. In den Straßen zeigte sich keine Bewegung. Die Stadt schien ausgestorben. Wo waren ihre Bewohner? „Viertausend bis Kontakt.“ Plötzlich glomm dort unten an einer Stelle eine rechteckige Fläche auf, die in sanftem, grünlichem Licht erstrahlte. Scanders steuerte das Schiff im Vertikalflug auf diese Stelle zu. Die schlafwandlerische Sicherheit, mit der er der stummen Einladung folgte, ließ erkennen, daß er sich in vertrauter Umgebung bewegte. Die Heckdüsen brüllten noch lauter als bisher und schleuderten
gewaltige Flammensäulen nach unten. Das Schiff sank langsamer. Pausenlos lief orte die Automatenstimme ihre Höhenangaben, bis sie sich mit dem Wort „Kontakt“, zum letztenmal meldete, nachdem die MOON VIRGIN federleicht auf dem grünleuchtenden Landefeld niedergegangen war. Der Düsenlärm erstarb. Scanders legte mit entschlossener Bewegung den Hebel des Hauptantriebs in Ruhestellung. Als er sich umwandte, wirkte seine Miene entspannt, beinahe übermütig. „Das war’s, Leute!“ sagte er. Eine Weile saß er unbeweglich in der Haltung eines Menschen, der eine schwere Arbeit hinter sich weiß. Plötzlich schlug er sich jedoch auf die Schenkel und sprang hoch. „Unsere Freunde warten schon“, rief er aus und war auf einmal voller Unrast. Kerveigh blickte ihn fragend an. „Natürlich kommst du mit!“ entschied Scanders im Vorübergehen über das stumm vorgetragene Anliegen. Er war schon draußen auf dem Gang, als Blin sich erst in Bewegung setzte, um den STERNENWANDERER zu holen. Nur Qüamoc und der Koch blieben zurück. Die Schleuse entließ sie nach der üblichen, umständlichen Zeremonie ins Freie. Sie schritten über die grüne, von unten her erleuchtete Fläche, und es sah so aus, als bewegten sie sich über eine spiegelnde, schimmernde Eisfläche. Helme und Raumanzüge waren in ein warmes Grün getaucht, nur der STERNENWANDERER zeigte seine gewohnte, alles absorbierende Schwärze. Er glitt der Gruppe voraus und schien es noch eiliger als Scanders zu haben. Am Rande der Landefläche erhob sich ein fensterloser Gebäudewürfel aus dem gleichen lichtschluckenden Material wie der STERNENWANDERER. Auf ihn steuerten sie zu. Als sie sich dem Gebäude bis auf wenige Schritte genähert hatten, klaffte in der schwarzen Wand plötzlich ein heller Spalt auf, der sich rasch zu einer breiten Öffnung erweiterte - groß genug, um selbst den
STERNENWANDERER durchzulassen. Im Innern des Gebäudes erwartete sie ein kahler Raum, der jedoch nicht lange so blieb. Sobald sich der Eingang verschlossen hatte, wuchsen aus dem glatten Fußbodenbelag Sitzgelegenheiten empor. Gleich darauf setzte zu ihren Füßen ein leichtes Vibrieren ein. Die Zeit verstrich, ohne daß sich etwas ereignete. Selbst der vorhin so ungeduldige Scanders schien sich mit einer längeren Wartezeit in dieser Kammer abgefunden zu haben. Er ließ jedenfalls keinerlei Anzeichen von Nervosität erkennen. Plötzlich glitt die Wand wieder zurück. Kerveigh wollte sich schon insgeheim nach dem Zweck des ganzen Manövers fragen, als er sah, daß dahinter nicht mehr die grünlich leuchtende Landefläche zum Vorschein kam. Also hatte eine Ortsveränderung stattgefunden. Kerveigh hatte keinerlei Anzeichen von Beschleunigung oder Abbremsen wahrgenommen. Allein aus der Wartezeit, die er in diesem Transportmittel verbracht hatte, schloß er, daß sie eine größere Strecke zurückgelegt hatten. „Wir können jetzt die Helme öffnen“, sagte Scanders. Vor ihnen lag ein Saal mit leicht gewölbter Decke, aus einer Unzahl gläsern schimmernder Bogenrippen zusammengesetzt, die den Eindruck ungeheurer Tiefe vermittelten und als Stützen und Leuchtkörper zugleich dienten. In regelmäßigen Intervallen strahlten die gläsernen Rippen nacheinander auf und verdunkelten sich wieder; es wirkte wie eine sanfte Dünung weichen, gelben Lichtes, die im gleichmäßigen Auf und Ab über die gläsernen Wände dahinwanderte, aus verborgener Quelle gespeist und ständig erneuert. Kerveigh spürte die tiefe Beruhigung, die von dem steten Pulsieren ausging. Hier war der Ort, an dem bisher unsichtbar gebliebene Bewohner dieser Stadt in Erscheinung treten müßten. Er fragte sich, welche Gestalt die Unbekannten haben könnten; die absolute Fremdartigkeit der Sprache, die ungewohnte Technologie und die Abgeschiedenheit dieses Planeten ließen ihn Wesen vermuten, die
sich von allen ihm bisher zu Gesicht gekommenen Bewohnern der Galaxis unterschieden. Um so enttäuschter war er, als hinter einer der leuchtenden Rippen die Gestalten dreier ganz gewöhnlicher Terraner nacheinander hervortraten - zwei Männer und eine Frau -, die obendrein noch ziemlich altmodisch gekleidet waren. „Ich bin Partner zwei“, stellte sich die Frau vor. Sie beschrieb mit dem Arm einen weiten Halbkreis, und aus dem Boden wuchsen Sitzmöbel wie Pilze nach einem warmen Sommerregen. Scanders schüttelte seine Lockenpracht, wie um sich aus der Erstarrung zu lösen, die sie alle befangen hatte. Er schlenderte betont lässig auf die Sitzgruppe zu und ließ sich nieder. Die anderen folgten ihm. Aus der Nähe betrachtet, wirkte die Frau apart. Daran konnte auch der altmodische Aufzug nichts ändern, der vor etwa fünf Terrajahren noch aktuell gewesen sein mochte: ein seitlich schräg geschnittener Rock aus Fluoreszenzstoff, die semitransparente Pelerine, die als Oberbekleidung diente, und der an einen altgriechischen Helmbusch erinnernde einsame Haarschopf auf einem ansonsten glattrasierten Schädel. Sie war apart! Je mehr sich Kerveigh in ihren Anblick vertiefte, desto mehr beeindruckte sie ihn. Nur mit halbem Ohr vernahm er, wie sich die beiden Männer als Partner drei und vier vorstellten, was bei aller Seltsamkeit irgendwie doch logisch erschien. Erst als die Frau zu sprechen begann, war Kerveighs Aufmerksamkeit wieder voll hergestellt. „Wir sind Ihnen dankbar, daß Sie uns behilflich sein konnten ...“ Kerveigh fand, daß sie obendrein noch eine angenehme Stimme hatte - „und wir werden Sie dafür auch angemessen entschädigen.“ Scancers hatte die Unverschämtheit, den Wohlklang dieser Stimme, der Kerveigh so hingerissen lauschte, durch eine nüchterne Bemerkung zu unterbrechen. „Berücksichtigen Sie dabei auch, daß wir gewisse Schwierigkeiten unvorhergesehene Schwierigkeiten - zu überwinden hatten, die mich
mein Schiff gekostet haben !“ Partner zwei wandte ihren Kopf Blin zu, wobei ihr altgriechischer Haar-Helmbusch die Bewegung graziös nachvollzog, was Kerveigh in erneute Begeisterung versetzte. Obwohl kein einziges gesprochenes Wort zwischen Blin und der Frau gewechselt wurde, war dennoch deutlich zu erkennen, daß beide in stummer Zwiesprache standen. Das Gefühl, von einem Gespräch ausgeschlossen zu sein, ist niemals sehr angenehm - bei Kerveigh bewirkte es, daß in seinem Innern die Eifersucht zu nagen begann ... Die stumme Kommunikation schien jedoch alles andere als Liebesgeflüster zu sein; denn die Miene der Frau verdüsterte sich zusehends. Auch ihre Begleiter zeigten Anzeichen von Unwillen. Offenbar waren sie in die Unterhaltung mit einbezogen. Als Partner zwei endlich wieder sprach, war der vor Kerveigh so geschätzte Wohlklang völlig aus ihrer Stimme verschwunden. „Wir hatten vereinbart, daß Sie auf Gewaltanwendung verzichten sollten!“ warf sie dem Kapitän vor. „Ich habe getan, was notwendig war“, rechtfertigte sich Sanders knapp. „Notwendig? Sie haben heimtückisch gemordet!“ Kerveigh bemerkte, wie sich Ole neben ihm versteifte. Scanders senkte den Blick und musterte gedankenverloren die Armlehnen seines Sessels. Als er wieder aufblickte, lag in seinen Augen ein Ausdruck höflichen Bedauerns. „Die beiden Schnüffler hatten den Pilotenwürfel gesehen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann ihre Beobachtung das richtige Ohr oder den richtigen Schreibtisch erreichte. Von da ab hätten sich Schwärme von Raumschiffen an unsere Fersen geheftet. Ebenso hätte ich gleich schriftlich um Begleitung durch ISID-Schiffe nachsuchen können. Die Zöllner waren ein zu großes Sicherheitsrisiko - deshalb ...!“ Mit ausgebreiteten Armen schien Scanders sich selbst die Absolution erteilen zu wollen. „Natürlich hat es mir nicht gerade Spaß gemacht!“
fügte er noch abschließend hinzu. Ole schüttelte den Kopf wie jemand, der sich nur schwer mit einer Tatsache abfinden will. Kerveigh hörte ihn vor sich hin murmeln; auch Scanders fand Zeit für einen kurzen, prüfenden Seitenblick, runzelte die Stirn und wandte sich dann rasch wieder ab, als Partner zwei erneut zu sprechen begann. „Ihre Logik erscheint uns nicht zwingend“, sagte sie sehr kühl und distanziert, „und die moralischen Maßstäbe, an denen Sie Ihre Handlungen messen, sind uns völlig fremd und unverständlich. Wir wollen und können jedoch darüber nicht urteilen. Kehren Sie zu Ihrem Schiff zurück. Man wird dafür sorgen, daß Sie so rasch wie möglich diesen Planeten verlassen können.“ Es war praktisch ein Hinauswurf. „Und der vereinbarte Preis?“ wollte Scanders im kühlen Geschäftston wissen. Sie antwortete nicht sofort, und Kerveigh hatte den Eindruck, daß sie sich mit ihren Begleitern beriet, obwohl wiederum kein Wort über ihre Lippen kam. „Wir hatten vereinbart“, antwortete schließlich an ihrer Stelle der Mann, der sich als Partner vier bezeichnete, »daß Sie das Nutzungsrecht an bestimmten technischen Geräten erhalten sollten, die gegenüber den in Ihrer Technologie entwickelten eine wesentliche Verbesserung darstellen. Partner eins - oder Blin, wie Sie ihn nennen versicherte mir, daß dies eine sehr großzügige Bezahlung für Ihre Bemühungen darstellt. Wir sind jedoch angesichts der wenig entwickelten Ethik, die wir bei Ihnen beobachtet haben, zu dem Schluß gekommen, daß die Auswahl dieser Geräte sehr sorgfältig vorgenommen werden muß. Wir wollen nicht, daß Sie damit durch Leichtfertigkeit Schaden anrichten. Technische und moralische Entwicklung müssen einigermaßen im Gleichgewicht bleiben unsere Philosophen haben schon recht früh warnend darauf hingewiesen ...“ „Der Duplikator?“ unterbrach Scanders ihn mit schmal
gewordenen Lippen. „... wird mit, Sicherheit nicht bei diesen Geräten sein!“ vollendete Partner vier seinen Satz. „Sie hatten ihn mir aber zugesagt!“ „Und Sie haben unsere Bedenken gehört.“ Scanders schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne, als wolle er einen Schlußpunkt unter die Unterredung setzen, und erhob sich langsam. „Na schön“, meinte er leichthin. „Dann eben vielleicht etwas anderes.“ Beinahe gleichzeitig wirbelte er mit einer fließenden Bewegung herum und hatte Blin an sich gerissen, bevor auch nur einer der Anwesenden diesen plötzlichen Umschwung bewußt wahrgenommen hatte. Kerveigh konnte sich nicht erklären, durch welche Zauberei die Strahlwaffe so plötzlich in Scanders’ Hand gekommen war. „Niemand rührt sich!“ sagte der Kapitän scharf. „Niemand!“ wiederholte er noch etwas schärfer, als Ole eben Anstalten machte, sich aus seinem Sessel hochzustemmen. Der Hüne sank zurück und fluchte unterdrückt. „Ich werde jetzt zum Schiff zurückkehren“, erklärte Scanders. „Mit Blin. Beim geringsten Anzeichen einer telepathischen Beeinflussung schieße ich. Ebenso, wenn man mir Hindernisse in den Weg legt.“ Blins Knabenkopf lugte aus Scanders’ Armbeuge hervor, die großen Augen wirkten keineswegs ängstlich. „Laßt ihn gehen!“ sagte der Junge mit ruhiger Stimme. Scanders zog sich rückwärtsgehend langsam zum Ausgang zurück. Mit einer blitzschnellen Bewegung klappte er seinen Helm herunter. Seine Stimme, die nunmehr durch die Außenmikrophone übertragen wurde, klang um eine Spur härter und leidenschaftsloser als sonst, als er sagte: „Kerveigh und Ole bleiben auch hier. Macht diesen nachgemachten Menschen klar, daß ich nicht scherze!“ Die Zurückgebliebenen blickten ihm wortlos nach, wie er in der noch offenstehenden Transportkabine verschwand und sich der Eingang langsam verschloß.
Jetzt endlich kam Bewegung in Ole. Er schoß hoch und packte Kerveighs Ärmel. „Los!“ drängte der Hüne. „Wir müssen noch vor ihm das Schiff erreichen. Wenn Sie uns dabei helfen ...“ Er wandte sich um und erstarrte. Die Frau und ihre Begleiter waren spurlos verschwunden. „Kannst du mir sagen“, unterbrach Kerveigh nach einer Weile das beiderseitige verblüffte Schweigen, „was Scanders mit den ‚nachgemachten Menschen’ meinte?“ Ole stierte ihn verständnislos an. Dann röhrte er auf wie ein waidwunder Hirsch. „Deine Sorgen möchte ich haben!“ Er wandte sich ohne ein weiteres Wort um und beklopfte die Wand an der Stelle, wo Scanders verschwunden war. Als sich nichts rührte, begann er mit den Fäusten dagegen zu hämmern. Schließlich ließ er von der unschuldigen Wand ab. Sein Gesicht war von der Anstrengung und mehr noch vom Zorn gerötet. „Irgendwo muß doch ein Ausgang sein!“ meinte er störrisch. „Ei freilich!“ bestätigte Kerveigh ihm freundlich. „Und deine Methode, ihn zu suchen, ist goldrichtig: kräftesparend und im höchsten Grade systematisch ...“ Ole blitzte ihn wütend an, schwieg jedoch und preßte die Lippen aufeinander. „Nur heraus damit!“ ermunterte Kerveigh ihn, „immer frisch von der Leber weg!“ „Ach, such dir doch selber etwas Passendes heraus! Die Tierwelt ist groß genug .. .!“ * Scanders sah ungeduldig auf die Wand der Transportkabine, dorthin, wo sich nach seiner Schätzung bald ein Ausgang öffnen mußte. Noch immer hielt er Blin fest in der Armbeuge und vermied so, dem Blick des Knaben zu begegnen. Er duldete jedoch, daß Blin mit ihm redete. „Seit ich zum erstenmal Kontakt mit dir aufnahm, hast du dich
entscheidend verändert, Scanders!“ Blins Worte riefen bei dem Kapitän ein ungläubiges Auflachen hervor. „Das sieht dir ähnlich! Fällt dir mit einem Strahler im Rücken eigentlich nichts Besseres ein?“ „Ich habe mir Gedanken gemacht“, fuhr Blin ruhig und unbeirrt fort, „ob der hohe Preis daran schuld ist, den wir dir versprochen hatten. Kann in eurem Volk der Verlust an moralischer Substanz durch materiellen Gewinn aufgewogen werden?“ „Und ob!“ gab Scanders fröhlich zu. „Es gibt zwar ein paar Narren, die seit Jahrtausenden dagegen anpredigen, aber soweit ich weiß, waren ihre Bemühungen bisher wenig erfolgreich. - Wie lange dauert das denn eigentlich noch?“ Nervös blickte er zur Wand. „Bald“, beruhigte ihn Blin. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Unser Volk ist zur Gewaltanwendung nicht fähig. Wir werden versuchen, zu einer friedlichen Einigung zu kommen.“ „Das sagst du“, gab Scanders zurück. „Wenn mein Leben in Gefahr wäre, würde ich auch alles mögliche versprechen.“ „Das sagen wir!“ korrigierte ihn Blin. Scanders löste den Blick von der Wand und äugte mißtrauisch auf den Knabenkopf herunter. „Du stehst mit ihnen in Verbindung?“ fragte er. „Wußtest du das nicht?“ antwortete der Knabe. In diesem Moment öffnete sich die Wand, und Scanders erblickte das Raumschiff, das neben der MOON VIRGIN niederging. * „Hätten Sie mit diesem freundlichen Empfang gerechnet?“ erkundigte sieh Ou Rheen bei Lamprete und deutete mit seinem Tentakelarm auf die grünlich leuchtende Landefli ehe unter ihnen, die sich beim Anflug der ESCORT erhellt hatte. „Das muß ich doch als Einladung und Landeerlaubnis auffassen - oder nicht?“ „Es könnte auch eine Falle sein“, gab Lamprete verdrießlich zu
bedenken. „Immerhin hat bisher niemand auf unsere Rufzeichen reagiert. Das ist“, er hüstelte dezent, „zumindest etwas ungewöhnlich, Sir.“ „Richtig, mein lieber Lamprete!“ lobte Ou Rheen. „Und deshalb stecken wir jetzt unsere Nase hinein.“ „Jawohl, Sir!“ Lampretes säuerliche Miene stand im krassen Widerspruch zu seinen Worten. Sie zeigte deutlich, daß er anderer Meinung war. „Sir“, meldete der Orteroffizier, „auf dem Landefeld befindet sich ein weiteres Schiff. Der Bauart nach könnte es mit dem von uns verfolgten identisch sein.“ „Das überrascht mich nicht“, gab Ou Rheen hochbefriedigt zur Antwort. „Käpt’n! Vergewissern Sie sich, daß unsere Leute die Alarmbereitschaft weiterhin ernst nehmen. Verstärken Sie die Schutzschirme. Wir gehen unmittelbar neben dem anderen Schiff nieder ! - Funker!“ „Sir?“ „Spielen Sie noch einmal auf Ihrem Klavier! Ich kann mir nicht vorstellen, daß unser Erscheinen denen dort unten völlig die Sprache verschlagen hat ...“ Seine letzten Worte wurden vom Dröhnen der Bremstriebwerke übertönt, als die ESCORT endgültig zur Landung ansetzte. Doch das bestätigende Nicken des Funkers genügte dem Chef-Koordinator. Er wandte jetzt wieder seine volle Aufmerksamkeit den Schirmen zu. Trotz der hochgewirbelten Gasschleier, die ihm teilweise die Sicht versperrten, waren die Umrisse des fremden Schiffes noch deutlich genug erkennbar. Ou Rheen war darauf gefaßt, jeden Moment von dort drüben Strahlschüsse aufblitzen zu sehen, doch nichts dergleichen geschah. Endlich verstummte der Antrieb der ESCORT. „Ich kann jetzt den Namen des Schiffes erkennen“, bemerkte der Kapitän. „Es ist die MOON VIRGIN. Zweifellos terranischer Herkunft. Soll ich im Schiffsregister ...?“
„Danke, nicht nötig!“ wehrte Ou Rheen ab. Das Stichwort hatte genügt, um sein phänomenales Gedächtnis zu aktivieren. „MOON VIRGIN, Passagierraumer der Luxusklasse, zuletzt unterwegs nach ZURAH dreizehn, seit dem fünfzehnten März als verschollen gemeldet“, zitierte er und schwang seinen Sessel herum. „Glauben Sie mir, Käpt’n“, sagte er mit plötzlicher Härte in der Stimme, „wir werden dort drüben bestimmt keinen der ursprünglichen Passagiere mehr antreffen.“ „Verbindung mit der MOON VIRGIN!“ Das war der Funker. „Legen Sie um auf meinen Schirm!“ Gespannt beugte sich der ChefKoordinator vor und blickte auf die wirbelnden Farbschleier, aus denen sich gleich darauf ein Gesicht herausschälte, das er eigentlich nicht zu sehen erwartet hätte. Er musterte die tiefliegenden Augen unter der vorspringenden Stirn, den gezackten Hornkamm und die lang herabgezogene Nase. Einer plötzlichen Eingebung folgend, sagte er: „Sie müssen Qüamoc sein!“ * Für einen kurzen Moment war Scanders bereit zu glauben, daß Blins Volk das fremde Schiff herbeigerufen hatte. Doch gleich darauf verwarf er diesen Gedanken als allzu unwahrscheinlich. Außerdem war es müßig, nach einem Schuldigen zu forschen. Statt dessen mußte er sich auf die neue Lage einstellen, und zwar sofort. Es kostete ihn einige Anstrengung, den Helmsender zu aktivieren und auf gebündelten Richtstrahl einzustellen, ohne daß er dabei die Waffe oder Blin losließ. „Qüamoc! Kannst du mich hören?“ Er mußte den Ruf mehrfach wiederholen, bis der Kyasaur sich endlich meldete. „Ich brauche einen Gleiter, aber rasch!“ Scanders ließ ihn gar nicht erst zu Worte kommen. „Stelle den Autopiloten auf meine Peilsignale ein und schicke ihn unbemannt los. Und noch eins: Halte die dort
drüben ein bißchen hin - hast du verstanden?“ Aus dem winzigen Lautsprecher kam eine kurze Bestätigung. Ungeduldig spähte Scanders zur MOON VIRGIN herüber. Endlich öffnete sich in dem glänzenden Schiffsleib ein dunkler Spalt. Qüamoc war so besonnen gewesen, die Schleusenbeleuehtung abzuschalten. Langsam schob sich ein silberner Tropfen hervor, der jählings beschleunigte und auf das Gebäude zuschoß, in dem Scanders mit Blin wartete. Scanders’ Befürchtung, das Fahrzeug werde abgeschossen, bewahrheitete sich nicht. Das Fahrzeug wippte auf seinen Antigravpolstern leicht auf und ab, als es kurz vor ihnen zum Halten kam. „Tut mir leid, mein Freund - aber ich brauche jetzt beide Hände.“ Scanders hatte an seinem Strahler herumgefingert und diesen auf Paralysewirkung umgeschaltet. Er drückte ab, und Blin erschlaffte. Der Kapitän warf sich die leblose Gestalt über die Schulter und kletterte hastig ins Innere des Gleiters, wo er Blin auf den Boden sinken ließ. Geschickt nützte er die Deckung des Gebäudes aus und jagte den Gleiter dicht über dem Boden dahin, bis mehrere Gebäude zwischen ihm und dem fremden Schiff lagen. Danach ging er etwas höher. Er schien sein Ziel zu kennen, denn der Gleiter flog jetzt geraden Kurs. Sein Bug wies genau auf das Zentrum der Stadt, dorthin, wo die sechs Rundtürme sich über dem Meer der Häuserwürfel erhoben ...
7. „Hier etwa müßte die Stelle sein, an der die drei erschienen sind“, bemerkte Kerveigh und ließ prüfend die Hände über das glatte Material der Wand gleiten. So sehr er auch suchte, er fand nichts von dem, was er sich erhoffte: keinen Schalter, keinen noch so haarfeinen Spalt, der auf das Vorhandensein einer verborgenen Tür hingedeutet hätte.
„Laß es bleiben!“ riet Ole mit dumpfer Stimme. Er schien aufgeben zu wollen. „Scanders ist längst im Schiff. Wir können nichts mehr ausrichten.“ „Aber fort von hier möchte ich dennoch“, äußerte Kerveigh energisch. „Ich lasse mich nicht gern einsperren! Das grenzt ja fast an Freiheitsberaubung.“ Grübelnd stand er da, die Fäuste in die Hüften gestemmt, und über seiner Nasenwurzel zeigte sich eine scharfe Falte. Ole betrachtete ihn verständnislos. Der plötzliche Stimmungswechsel seines Freundes kam ihm beinahe unheimlich vor. Aber es sollte noch schlimmer kommen! Kerveighs Hände krallten sich plötzlich über der Brust in den Stoff des Raumanzugs; der Tramp röchelte halberstickt und vollführte ein paar seltsam anmutende stelzende Schritte zur Hallenmitte. „Was ist denn mit dir los?“ erkundigte sich der Hüne. Seine anfängliche „Verwunderung über dieses plötzliche Gehabe schlug in Besorgnis um. Doch Kerveigh antwortete nicht. Er röchelte grauenvoll. Jetzt stieß er stammelnd einige Worte hervor. „Diese Enge!“ verstand der Hüne. „Spürst du auch diese Enge, Ole?“ Ole warf einen verwirrten Blick rundum in die weite Halle, die sich ins Unendliche zu erstrecken schien. Mit ein paar schnellen Schritten war er bei Kerveigh und packte ihn beim Ärmel. Er wurde abgeschüttelt. „Luft! Freiheit!“ röchelte der Tramp und verdrehte die Augen, so daß nur noch das Weiße zu sehen war. „Kerveigh!“ orgelte der Hüne voll aufkommender Panik. „Ich ...“, ächzte der Tramp, „ich ... halte ... das ... nicht ... länger ...“ Er brach ab. Ole fiel in seiner Not nichts anderes ein, als dem Freund zwischen die Schulterblätter zu klopfen. „Kerveigh!“ stammelte er beinahe weinerlich. „Kerveigh!
Menschenskind, mach doch keine Geschichten ...!“ Er rüttelte den Tramp und schüttelte ihn so, daß er ihn noch ernstlich beschädigt hätte, wäre Kerveigh nicht auf den Gedanken gekommen, sich just in diesem Moment zu Boden sinken zu lassen. Sofort kniete der Hüne nieder und machte sich an seines Freundes Raumanzug zu schaffen. „Du Idiot!“ zischte Kerveigh. „Laß den Anzug zu! Schließe lieber deinen Helm!“ Er ließ ein Stöhnen folgen, das die bisherigen Schmerzenslaute um ein Mehrfaches übertraf. „Was ...?“ setzte Ole zum Sprechen an. Kerveigh warf sich mit einem markerschütternden Wehlaut an die breite Brust des Freundes und klammerte sich dort fest. „Halte den Mund und schließe endlich deinen Helm!“ wisperte er. Während sich in Oles Augen nichts als blanke Verständnislosigkeit spiegelte, trat um sie herum eine Veränderung ein. Kerveigh wußte zunächst nicht, was es war - er hatte nur unbewußt registriert, daß die Lichter ... Natürlich - die Lichter! Das war es! ... daß die Lichter heftiger zu pulsieren schienen als zuvor. „Meinen auch, Mensch!“ drängte Kerveigh den Freund, als er sah, daß jener die gewisperte Aufforderung endlich befolgte und seinen Helm schloß. Während nun auch Kerveighs Helm einrastete, wurde die Veränderung der Lichterfolge deutlich sichtbar. Es war, als peitschte ein lautloser Sturm auf die Lichterwogen ein und trieb sie einem fernen Strand zu, Welle um Welle jagte in rascher Folge über die gläsernen Bogenrippen. Kerveigh verspürte tiefe Befriedigung, während er weiterhin ein schauriges Stöhnen produzierte: Alles deutete darauf hin, daß sein improvisierter Plan Erfolg bringen würde. Man hatte ihn gehört. Das war der große Unsicherheitsfaktor gewesen. Alles andere war eine einfache Rechnung, die aufgehen mußte. Der Rhythmus der pulsierenden Lichter steigerte sich in eine schier unerträgliche Hektik hinein. Plötzlich war da ein grelles Aufblitzen ...
Kerveigh schloß instinktiv die Augen. Als er sie wieder öffnete, befand er sich im Freien. Neben ihm stand Ole, der ihn blinzelnd anstarrte. „Du bist ein verdammtes Schlitzohr, Kerveigh!“ Völlig unerwartet holte der Hüne aus und hieb dem Tramp kraftvoll auf die Schulter. Dann brach er in ein nicht endenwollendes Gelächter aus. Taumelnd kämpfte Kerveigh um sein Gleichgewicht. „Nun hör’ schon endlich auf!“ tadelte er seinen Freund beinahe mißmutig und rieb sich die Schulter. . Doch Ole lachte ... lachte ... * Der Kyasaur war soeben in die Zentrale zurückgekehrt, als auf der Schalttafel über Funkkonsole ein aufgeregtes Lichterspiel einsetzte. Zugleich ertönte eine Serie von Zirplauten, die hartnäckig darauf hinwiesen, daß jemand über die ganze Breite des Frenquenzbandes Funkkontakt zur MOON VIRGIN suchte. Qüamoc nahm im Funkersessel Platz, ließ aber geraume Zeit verstreichen, bis er sich dazu aufraffte, die Empfangstaste niederzudrücken. „Warten Sie!“ sagte der fremde Funker, dessen Bild gleich darauf wieder vom Bildschirm gewischt wurde und einem graugesichtigen Tigalo Platz machte. „Sie müssen Qüamoc sein!“ bemerkte der Graugesichtige nach einer Weile“. Wenn der Echsenabkömmling erschrak, so zeigte er dies jedenfalls nicht. Zögernd hob er den Arm und bot dem Anrufer die offene Handfläche dar - eine Geste, die bei seinem Volk als Bejahung galt. „Ou Rheen“, stellte sich der Tigalo vor. „Intergalaktischer Sicherheitsdienst. Wo ist Scanders?“ Qüamoc stellte bei sich fest, daß die direkte Art des Anrufers es ihm erschwerte, die von Scanders befohlene Verzögerungstaktik
einzuschlagen. „Unterwegs“, gab er reichlich vage zur Auskunft. Es war schwer zu beurteilen, ob der Anrufer Qüamocs Taktik durchschaute oder nicht. Er ging jedenfalls vorerst bereitwillig auf das Katz- und Mausspielein. „Sie sind wohl nicht befugt“, erkundigte er sich mit ausgesuchter Höflichkeit, „während der Abwesenheit des Kapitäns Fremde an Bord zu lassen?“ Qüamoc beeilte sich, diese Vermutung mit der gleichen Höflichkeit zu bestätigen. „Ich darf wohl außerdem annehmen“, fuhr Ou Rheen mit nunmehr unüberhörbarem Sarkasmus fort, „daß Sie keinerlei Ahnung davon haben, worüber wir mit Ihrem Kapitän sprechen wollen?“ „Kapitän Scanders hat mich nicht informiert, daß mit Ihrem Besuch zu rechnen sei“, gab Qüamoc ebenso diplomatisch wie auch wahrheitsgetreu zurück. „Das konnte er auch nicht!“ räumte Ou Rheen immer noch sehr freundlich ein. Doch plötzlich schlug sein Tonfall in unbeugsame Härte um: „Wir wollen jetzt einmal Klartext reden, Mister Qüamoc! Teilen Sie Ihrem Kapitän mit, daß ...“ Er unterbrach sich und fragte dann: „Sind Ihre Aufzeichnungsgeräte eingeschaltet?“ Wieder bot der Kyasaur ihm die offene Handfläche dar. „Gut!“ meinte Ou Rheen daraufhin. „Dann kann ich ja hochoffiziell werden: Ou Rheen an Kapitän Scanders! Ich fordere Sie zu einer Unterredung auf, in der folgende Punkte geklärt werden sollen: Erstens, Mord an dem Zollbeamten Olger Verisson, versuchter Mord an dem Sicherheitsbeamten Dudon Lamprete. Zweitens, dringender Tatverdacht, an der Entwendung des sogenannten STERNENWANDERERS beteiligt gewesen zu sein. Drittens, Klärung der Besitzverhältnisse an der MOON VIRGIN. Da das Schiff des ISID als verschollen gemeldet wurde, besteht dringender Verdacht auf Piraterie im Raum. - Schalten Sie die Aufzeichnungsgeräte ab, Mister Qüamoc!“ Ou Rheen gestattete sich eine kurze Atempause und fragte dann mit äußerst dünnem Lächeln: „Ich hoffe, daß ich damit Ihre
Unwissenheit weitgehend beseitigen konnte, Mister Qüamoc!“ Der Kyasaur wußte darauf nichts zu erwidern. Reglos saß er da und starrte in die Aufnahmeoptik. „Ich sehe, Sie sind nachdenklich geworden!“ stellte Ou Rheen trocken fest. „Darf ich Sie nun bitten, uns an Bord Ihres Schiffes zu übernehmen - ob mit oder ohne Erlaubnis Ihre Kapitäns. Sie werden einsehen, daß wir schwerwiegende Gründe für unsere Forderung vorbringen können ...!“ * Unwillkürlich zog Kerveigh die Schultern ein. Ihn fröstelte. Sie befanden sich im Zentrum einer ausgedehnten Stadt und fühlten sich dennoch einsam, als hätte man sie mitten im Weltraum ausgesetzt. Ringsum erhoben sich die gleichförmigen schwarzen Gebäudewürfel, fensterlos und ausgestorben; und in einiger Entfernung ragten die gigantischen Rundtürme in den pechschwarzen, sternenarmen Himmel empor. Die gespenstische Szenerie war in fahles Dämmerlicht getaucht, das aus verborgenen Lichtquellen stammte. Nicht nur die Farbe fehlte hier, sondern jegliches Leben schien in dieser Umgebung erloschen. Eine Geisterstadt. Auch Ole wirkte reichlich bedrückt. Längst war sein Gelächter verstummt. Als Kerveigh sich beinahe geistesabwesend in Bewegung setzte, folgte er ihm, ohne zu fragen, wohin. Leicht erstaunt registrierte der Tramp nach einer Weile, daß er auf die Rundtürme zuschritt. Obwohl sie noch ein gutes Stück davon entfernt waren, mußte er schon jetzt den Kopf in den Nacken legen, um zu deren kuppelüberdachten Spitzen emporschauen zu können. Einen Augenblick lang verzögerte Kerveigh seine Schritte. Er wollte umkehren und über Helmfunk Kontakt mit der MOON VIRGIN aufnehmen. Doch etwas in ihm unterdrückte diese Regung und trieb
ihn voran, weiter auf die Türme zu. War es Neugier? Erhoffte er sich irgendwelche Aufschlüsse über die Herkunft und die Lebensweise der seltsamen Bewohner dieses Planeten, die trotz ihrer terranischen Gestalt so unsäglich fremd wirkten? Die beiden Gefährten tauchten für die Dauer von ein paar Dutzend Schritten völlig in die undurchdringliche Finsternis einer schmalen Gasse ein, die sich zwischen zwei Gebäudewürfeln auftat. Nur der schmale Lichtstreif, der von ihren Helmlampen ausging, geisterte über die fugenlosen Wände und wurde von dem tiefschwarzen Material gierig aufgesaugt. Übergangslos öffnete sich vor ihnen ein weiter Platz, in dessen Mitte sich die Rundtürme erhoben, noch wuchtiger und noch gewaltiger als zuvor. Es sah beinahe so aus, als hätte man den Versuch unternommen, mit gigantischen Pfeilern den Himmel abzustützen. „Weiter?“ fragte Ole, der sah, daß sein Freund stehengeblieben war. „Weiter!“ bestätigte Kerveigh und machte sich daran, den weiträumigen Platz zu überqueren. Die Weite, die es zu überwinden galt, schien für Ole eine Herausforderung darzustellen; denn er schritt jetzt kräftiger aus und setzte sich an die Spitze. Alle Lethargie war von ihm gewichen, er wandte den Kopf hierhin und dorthin und nahm lebhaftes Interesse an seiner Umgebung. Plötzlich hielt er mitten im Schritt an und deutete zum Himmel. Kerveighs Augen folgten der angezeigten Richtung. Zuerst konnte der Tramp überhaupt nichts wahrnehmen. Doch dann sah er einen schwachen silbrigen Reflex, ein kurzes Aufblitzen, so als wäre ein verirrter Lichtstrahl auf einen metallenen Körper getroffen. Und jetzt war es ganz deutlich zu sehen: Vor dem Hintergrund eines .der Türme hob sich ein Silbertropfen ab. Er schwebte etwa in halber Höhe des Turmes, winzigklein aus dieser Entfernung, und schickte sich soeben an, in einer der wenigen dunklen Öffnungen zu verschwinden, die in unregelmäßigen Abständen über den Turm
verteilt waren. „Wenn das nicht Scanders ist, dann fresse ich meinen Hut!“ äußerte sich Ole reichlich prosaisch. * Keuchend lehnten sich die beiden Freunde gegen das glatte Mauerwerk des Turmes, an dessen Fuß sie nach angestrengtem Lauf angelangt waren. „Und jetzt?“ stieß Ole mühsam zwischen zwei rasselnden Atemzügen hervor. Nirgends war ein Eingang zu ebener Erde zu sehen. Erst in etwa zwanzig Metern Höhe gähnte die erste Öffnung. Kerveigh warf den Kopf in den Nacken und starrte nachdenklich empor. „Wir müssen uns trennen und um den Turm herumgehen. Vielleicht finden wir an anderer Stelle günstigere Verhältnisse vor“, meinte er schließlich. Ole zeigte sich von diesem Vorschlag wenig begeistert. Er fand jedoch keine Zeit mehr, Einwände zu erheben; denn Kerveigh hatte sich bereits in Bewegung gesetzt. So wandte sich der Hüne achselzuckend in die entgegengesetzte Richtung. Nachdem er etwa ein Viertel des Bauwerks umrundet hatte, fiel der Boden allmählich ab und bildete in einiger Entfernung terrassenförmige Stufen. Eine matt spiegelnde Fläche kam in Sicht es war der See, den sie schon beim Anflug bemerkt hatten. Er lag genau im Zentrum des regelmäßigen Sechsecks, das von den Türmen gebildet wurde, und war künstlich angelegt. Ole verschwendete keinen Gedanken daran, welche Substanz das künstliche Becken wohl füllen mochte - Wasser war es jedenfalls nicht. Sechs gewaltige Röhrenschlangen krochen aus dem See heraus die Ufer empor und strebten nach allen Seiten davon auf die Rundtürme zu, wo sie im Innern der Bauwerke verschwanden. Ole sah Kerveighs
winkende Hand hinter der knapp mannshohen Röhre erscheinen, die auf ihren Turm zuführte. Er beeilte sich, hinzukommen. Über die Röhre hinweg unterhielten sich die beiden Freunde per Helmfunk, den sie auf geringe Reichweite eingestellt hatten. „Du siehst, was ich meine?“ fragte Kerveigh. „Ich bin ja nicht blind!“ Es war in der Tat deutlich genug zu sehen. Das Rohr kroch ein Stück weit an der Außenwand empor. Wenige Meter über der Stelle, wo es abknickte, um im Turm zu verschwinden, befand sich eine dunkle Öffnung. Von unten betrachtet, sah es so aus, als ob sie mit einigen akrobatischen Kunststückchen für die Männer erreichbar sein würde. Doch zunächst galt es, die glatte Röhre emporzuklettern. Aus ihren Sicherheitsleinen fertigten die Männer zwei Schlingen, die sie um die Rohre spannten und an deren freien Enden sich jeweils ein improvisierter Steigbügel befand. Dann machte sich Kerveigh an den Aufstieg. Er schob die erste Schlinge so hoch, daß er gerade noch den Fuß in den Steigbügel setzen konnte, zurrte sie fest und schwang sich hinauf. Eine Weile pendelte er beängstigend hin und her, bis er das richtige Gefühl für Balance entwickelt hatte. Dann bückte er sich und zog mit Oles Unterstützung die zweite Schlinge zu sich herauf, zurrte auch diese fest und wechselte in den anderen Steigbügel über, um danach die erste Schlinge zu lockern und weiter hinaufzuschieben. So arbeitete er sich langsam, aber stetig empor, bis er den Knick erreicht hatte und rittlings auf der Röhre Platz nehmen konnte. Für eine Weile waren in Oles Helmempfänger nur seine keuchenden Atemzüge zu vernehmen. „Du bist jetzt dran“, meldete er sich schließlich. Gleich darauf baumelte ein Ende der zu einem langen Seil verknoteten Sicherheitsleinen vor Oles Helm herab. „Fertig?“ erkundigte sich Kerveigh von seiner luftigen Höhe aus.
„Fertig !“ bestätigte Ole. Der Hüne hangelte sich vorsichtig am Seil empor, wobei er die Stiefel fest gegen die glatte Röhrenwand stemmte. Er war ängstlich bemüht, seinen Partner dort oben nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. In wesentlich kürzerer Zeit als Kerveigh hatte er den Knick erreicht. Die beiden Männer mußten eng zusammenrücken. Es war kaum Platz für beide. Kerveigh blickte abschätzend in die Höhe. „Wenn du dich ganz besonders lang machst und auf die Zehenspitzen stellst, müßte ich von deiner Schulter aus den Sims erreichen können.“ „Was soll ich denn noch alles!“ beschwerte sich Ole. „Bin ich ein Verwandlungskünstler? Erst mache ich mich leicht, dann lang ...“ „... und jetzt machst du dich mausig - was mir zutiefst mißfällt!“ tadelte Kerveigh ihn im strengen Tone.
8. Eine klare Vorstellung dessen, was er in den Rundtürmen vorfinden würde, besaß Scanders nicht. Aus verschiedentlichen Äußerungen, die Blin oder Angehörige seines Volkes gemacht hatten, war ihm jedoch soviel deutlich geworden: daß nämlich hier der Lebensnerv jenes seltsamen Volkes zu finden war, und daß dieser Nerv bloß und offen vor demjenigen lag, der in einen der Rundtürme eindrang. Mehr brauchte er nicht zu wissen. Ein bloßliegender Nerv ist leicht zu reizen, der eines einzelnen wie auch der eines ganzen Volkes. Wenn es Scanders gelang, den Schlüssel zur Reizauslösung in diesem Turm zu finden, so konnte er letztlich einer ganzen Planetenbevölkerung seinen Willen aufzwingen und diese nach seinem Gutdünken manipulieren: Scanders wußte natürlich, daß dies ein verzweifelter Schritt war, von der Ankunft des fremden Schiffes diktiert. Aber er hatte sich
schon oft aus hoffnungslosen Situationen nur dadurch retten können, daß er einen weiteren Schritt nach vorn tat - statt, wie sein Gegner erwartet hätte, den Rückzug anzutreten. Er steuerte den Gleiter durch die schmale Öffnung in das Innere des Turmes. Längst hatte er die Scheinwerfer eingeschaltet, die vorerst nichts anderes enthüllten als glatte Wände ringsum. Doch dann weitete sich die Öffnung, und er befand sich in einem Raum, dessen seitliche Abgrenzungen im Augenblick noch nicht erkennbar waren. Ihm war, als hätte er einen undeutlich flimmernden Vorhang durchstoßen - kurz, bevor er den Raum erreichte. Dicht vor ihm erhob sich eine Wand aus Metall, leicht nach außen gewölbt, mit einem Durchgang, der viel zu eng für den Gleiter war. Scanders setzte das Fahrzeug auf und stieg aus, nachdem er sich den betäubten Blin über die Schulter geworfen hatte. Als er durch den kreisrunden Eingang trat, bemerkte er wieder jenes leichte Flimmern, schenkte ihm jedoch keine Beachtung, da er das erste schadlos durchquert hatte. Der Gang schien nach ein paar Schritten blind zu enden, doch gleich darauf öffnete sich die Wand und entließ Scanders mit seiner Last in eine weiträumige Halle, die von einem grünlich phosphoreszierenden Licht erfüllt war. Ein flüchtiger Blick zurück zeigte Scanders, daß die Wand sich wieder hinter ihm geschlossen hatte. Er ließ Blin zu Boden gleiten und sah sich um. Das grünliche Licht kam von der Mitte der Halle, wo es als schillernder Mantel die verschwommenen Umrisse von wabenähnlichen Gebilden aus kristallklarem Material umhüllte. In jeder dieser kristallenen Waben war ein dunkler Umriß zu erkennen. Entlang der Waben schlängelten sich unzählige Röhren. Versorgungsleitungen? Beim nächsten Schritt, den Scanders vortat, traf er auf einen
unsichtbaren Widerstand, der ihn elastisch auffing und unnachgiebig wieder zurückdrängte. Die Waben waren von einem schützenden Feld umgeben. Scanders fand seinen Verdacht bestätigt, daß der Turm etwas beherbergte, das von großer Wichtigkeit für Blins Volk war - anders konnte er sich die Schutzmaßnahmen nicht erklären. Er schritt die Halle nach beiden Richtungen ab und fand bald darauf heraus, daß der Boden, auf dem er sich bewegte, nach rechts leicht anstieg. Was er als Halle angesehen hatte, war vielmehr eine Rampe, die sich spiralig rund um die Wabensäule nach oben wand. Eine Weile stand der Kapitän unentschlossen. Er mußte die Schaltanlage finden, wollte er Herr über diesen Turm werden. Wo aber sollte er danach suchen? Oben oder unten? Nach längerem Überlegen entschied sich Scanders für die linke, abwärtsführende Richtung. Mit Blin auf der Schulter trat er den langen Weg nach unten an. * „Versammeln Sie die Besatzung in der Zentrale!“ verlangte Ou Rheen von Qüamoc, kaum daß er den Helm abgenommen hatte. Der Kyasaur wandte sich wortlos ab und sprach einige Worte in die Mikrophonrillen des nächsten Interkomanschlusses. Danach führte er seine unwillkommenen Besucher in die Zentrale, wo er dem ChefKoordinator tatsächlich die gesamte versammelte Mannschaft in Gestalt des angstschlotternden unglückseligen Koches präsentierte. „Ich stelle fest, daß Sie einen gewissen Sinn für Humor besitzen, Mister Qüamoc! Wo sind die anderen Besatzungsmitglieder?“ Ou Rheen war nicht im geringsten ärgerlich. „Sie sind alle unterwegs.“ Ou Rheen musterte Qüamoc mit forschendem Blick. „Was haben Sie eigentlich auf dem Kerbholz, mein Lieber?“ erkundigte er sich beinahe freundlich. „Mit Ihren bewußt
zurückhaltenden oder vagen Äußerungen erwecken Sie den Eindruck, als wollten Sie Ihren Kapitän decken. Oder haben Sie selbst etwas zu verbergen?“ Qüamoc erklärte darauf mit dünner Lispelstimme und mit großer Würde, daß er wirklich nicht mehr wisse. Irgendwo dort drüben in der Stadt halte sich der Kapitän mit dem Rest der Besatzung auf - wo und zu welchem Zweck, das sei ihm völlig unbekannt. Ou Rheen winkte ab. „Ich begreife nicht“, wandte er sich an Lamprete und die beiden Offiziere der ESCORT, die ihn begleiteten, „warum die Einwohner dieser Stadt keinen Kontakt mit uns aufnehmen. Sie müssen doch bemerkt haben, daß wir gelandet sind. Bis jetzt haben sie sich weder freundlich noch feindlich gezeigt. Das beunruhigt mich. Unklarheiten sind mir zuwider.“ „Kontakt aufnehmen!“ rief Lamprete plötzlich aus und schlug sich heftig gegen die Stirn. „Ah, daß ich nicht gleich darauf gekommen bin ...!“ Er fing an, in der Zentrale herumzustöbern, untersuchte jedes Eckchen und jedes Fach, während die anderen verständnislos zu ihm herüberstarrten. Plötzlich begriff Ou Rheen, wonach sein Leutnant so eifrig suchte. Er wandte sich an Qüamoc und bat mit ausgesuchter Höflichkeit: „Könnten Sie bitte Leutnant Lamprete behilflich sein, den schwarzen Würfel herbeizuschaffen, nach dem er so dringend sucht?“ Qüamoc streckte nur stumm den Arm aus und deutete auf das Schaltpult, wo das Gerät offen und für jedermann sichtbar schon die ganze Zeit über lag. „Danke!“ sagte Ou Rheen trocken, während Lamprete sich etwas mühsam aus einer sehr engen Ecke hervorarbeitete. Oh Rheen nahm den Würfel auf und studierte ihn sorgfältig. Schließlich kroch die Spitze seines anderen Rüsselarms auf den Schaltknopf zu und saugte sich daran fest. Mit leisem Klicken erwachte das Gerät zum Leben. Es produzierte
ein auf- und abschwellendes Summen, und dabei blieb es. Ou Rheen drehte den Kopf mehrmals vor und zurück, doch die Stimme, die in Lampretes Bericht von der damaligen Untersuchung erwähnt war, meldete sich diesmal nicht. Dafür jedoch trat ein anderer Effekt ein, mit dem niemand gerechnet hatte. Skuff stieß plötzlich einen schrillen Quietscher aus, und als die Männer erschrocken die Köpfe wandten, erblickten sie die drei Ankömmlinge. Sowohl die Frau als auch die beiden Männer waren reichlich altmodisch gekleidet. „Ich bin Partner zwei“, stellte sich die Frau vor ... * Nachdem sie erst die Außenmauer überwunden hatten, legten die beiden Freunde einen ähnlichen Weg zurück wie mehrere hundert Meter über ihren Scanders. Auch sie standen schließlich staunend vor der Wabensäule und fragten sich nach dem Zweck dieser Einrichtung. „Die Röhren enthalten ganz sicher Kühlflüssigkeit!“ meinte Kerveigh schließlich. „Sie wird vom See herauf gepumpt und in jede einzelne Wabe geleitet ...“ „Als ob es hier nicht schon kalt genug wäre!“ Ole hob den rechten Arm und blickte auf die Meßskalen seines breiten Armbandgerätes. Er stutzte und sah ein zweites Mal hin. „Aber das ist doch ...“, murmelte er. „Nun sag schön!“ ermunterte ihn Kerveith. „Was hast du entdeckt?“ „Halte dich fest, Partner! Was glaubst du, wie mollig warm wir’s hier drinnen haben?“ „Hm!“ Der Tramp wiegte unschlüssig den Kopf. „Zweihundertzweiundsiebzig Grad und ein paar Verkrümelte!“ sagte
Ole bedeutungsvoll. „Im Schatten?“ Ole ging nicht auf Kerveighs Einwurf ein. Dazu war er viel zu sehr in Fahrt geraten. „Hättest du das gedacht? Eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt! Junge! Wir stecken in einem überdimensionalen Kühlschrank ...’„ „Nimm’s dir nicht so zu Herzen!“ Kerveigh blickte sich prüfend um. „Was mir viel weniger gefällt, ist die geringe Deckungsmöglichkeit. Dabei hatte ich mich doch schon so darauf gefreut, von hinten an Scanders heranzuschleichen und ihm dann auf die Schulter zu klopfen ...“ „Soweit sind wir noch nicht! Wir haben noch einen schönen Fußmarsch vor uns.“ „Leider!“ seufzte Kerveigh und setzte sich in Bewegung. Sie schritten lange Zeit schweigend nebeneinander her. Kerveigh hatte das Gefühl, daß ihn noch Meilen vom der Spitze des Turmes trennten. Dennoch griff er zur Hüfte und nahm den S tränier zur Hand. Gleich darauf hielt auch Ole seine Waffe in der behandschuhten Rechten. Wenige Umrundungen später hielt Ole erschöpft an und warf sich mitt dem Rücken voraus gegen die unsichtbare elastische Barriere. „Ich muß etwas verschnaufen“, entschuldigte sich der Hüne. Kerveigh probierte nun ebenfalls die seltsame Rückenlehne aus Und fand sie recht bequem. Etwas merkwürdig war es schon, sich so einfach gegen ein Nichts zu lehnen, das sich mit sanftem Druck dem Körper anschmiegte und bei jeder zufälligen Bewegung federnd nachgab. Mit jähem Ruck schnellte Kerveigh plötzlich nach vorn, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Gleich darauf lag er platt auf dem Boden, die Waffe im Anschlag. „Was ist das?“ fragte Ole, der sich neben ihn geworfen hatte. In der grünlichen Dämmerung, die das Gebäude erfüllte, war noch wenig zu erkennen. Das Ding, das von unten her die Rampe
emporkroch und sich dicht an die unsichtbare Barriere hielt, sah aus wie eine in die Länge gezogene, äußerst flache Badewanne, die mit mehreren Aufbauten bestückt war. Beim Näherkommen konnte Kerveigh einen silbrigen Antennenfächer ausmachen, der langsam auf und ab schwenkte und die Oberfläche der Wabensäule abtastete. Jetzt hielt das Ding an und fuhr einen schlanken, wippenden Stab aus, der mühelos die unsichtbare Barriere durchdrang und in das grünliche Geflimmer eintauchte, das die Wabensäule umgab. Wenig später wurde der Metallstab wieder eingezogen, und das Gefährt setzte sich erneut in Bewegung. Die Freunde robbten eilig zur Seite, als sie sahen, daß das Ding direkt auf sie zusteuerte. Ein paar bange Augenblicke vergingen, als es ihren Standort passierte. Es nahm jedoch keine Notiz von ihnen, sondern setzte unbeirrt seinen Weg fort. „Ein Wartungsroboter!“ Kerveigh sprang auf. „Hinterher!“ Er jagte die Rampe hinauf, gefolgt von Ole. Das Gefährt schwankte ein wenig, als die Freunde darauf Platz nahmen, doch die Felder, die es etwa eine Handbreit über dem Boden schweben ließen, stabilisierten sich sofort wieder und trugen die vermehrte Last. Jetzt, da sich Gelegenheit zum Ausruhen bot, machte sich die Anstrengung bemerkbar, die hinter ihnen lag. Kerveigh fühlte bleierne Schwere in sämtlichen Gliedern. * Ou Rheen meisterte die Situation sehr rasch. „Lassen Sie den Strahler stecken, Lamprete!“ befahl er scharf. Verlegen nahm der Leutnant die Hand vom Gürtel. „Warum haben Sie sich nicht schon früher mit uns in Verbindung gesetzt?“ erkundigte sich der Chef-Koordinator bei seinen unverhofften Besuchern. „Ihr Gespräch mit der MOON VIRGIN verriet uns, daß Sie einer
anderen Interessengruppe angehören“, erklärte Partner zwei. „Sie verkörpern eine Art von Kontrollinstanz über ihr eigenes Volk - eine Erscheinung, für die wir noch vor wenigen Stunden keine Erklärung gefunden hätten ...“ „Und jetzt erscheint Sie Ihnen einleuchtend?“ „In gewissem Sinne - ja !“ „Sie spielen damit auf Scanders an. Wo befindet er sich eigentlich?“ Man sah, daß die Frau mit der Antwort zögerte. Schließlich schien sie die richtigen Worte gefunden zu haben. „Er steht im Begriff, die Existenz unseres ganzen Volkes zu bedrohen - und er weiß es.“ Die Existenz eines ganzen Volkes! „Erklären Sie, welchen Schaden Scanders anrichten könnte!“ forderte Ou Rheen. „Er befindet sich in einer Art von zentraler Schalt- und Versorgungslage“, erklärte die Frau, „in der etwas gelagert ist, das für uns nicht nur von lebenswichtiger Bedeutung ist, sondern auch von äußerster Brisanz. Eine unbedachte Handlung von Scanders würde zur, Vernichtung des gesamten Planeten führen. Wir glauben jedoch nicht, daß er das weiß!“ Wieder zögerte sie. „Wir sind gekommen, um Ihre Hilfe zu erbitten“, sagte sie dann abschließend. Der Chef-Koordinator vergeudete keine Zeit. Das sanfte, graugesiohtige Männchen strahlte mit einem Male eine ungeheure Energie aus, die Vertrauen erweckte und auch auf die anderen überfloß. „Geben Sie zur ESCORT durch“, wandte sich Ou Rheen an einen der begleitenden Offiziere, „Alarm- und Startbereitschaft! Zwei Gleiter mit je zehn Mann ausschleusen, ein weiterer zu mir!“ Und völlig übergangslos war er gleich darauf wieder mit seinen Besuchern beschäftigt. „Ich brauche eine möglichst ausführliche Information über die Art der Gefahr, die Ihrem Volke droht ...“
* Die Begegnung mit Scanders erfolgte so überraschend, daß beide Seiten für einen kurzen Moment völlig handlungsunfähig waren. Dann jedoch reagierte der Kapitän, hob den Strahler und drückte auf Ole ab. Kerveigh sah, wie der Hüne zusammensank und reglos auf dem Wartungsroboter liegenblieb. Der Tramp hechtete vom Fahrzeug. Ihm blieb keine Zeit, sich um den Freund zu kümmern; denn schon schwenkte Scanders den Lauf seiner Waffe herum. Kerveigh benutzte das Fahrzeug als Deckung und lief nebenher mit, wobei er über die Aufbauten hinweg vorsichtig zu Scanders herüberspähte. Der Kapitän hatte sich mittlerweile platt auf den Boden geworfen und Blins schlaffe Gestalt als Schutzschild vor sich gelegt. Die Partie stand patt. Der Tramp konnte nicht schießen, ohne Blin zu gefährden, während Scanders höchst ungewiß war, ob er Kerveigh hinter dessen Deckung erreichen konnte. Da Blin nur eine sehr unzureichende Sicherheit bot, hütete sich der Kapitän, durch einen Schuß Kerveighs Antwortfeuer herauszufordern - er war sich zumindest im unklaren über die Skrupel des Tramps. Kerveigh stellte seinen Helmsender auf die allgemeine Bordfrequenz ein - in der vagen Hoffnung, daß er damit Scanders erreichen konnte. „Scanders?“ Er mußte mehrmals rufen, bis sich drüben eine Reaktion zeigte. Endlich erklang in Kerveighs Helmempfänger ein Knacken und das Geräusch von Atemzügen. „Scanders?“ wiederholte der Tramp. „Was willst du? Scher dich zum Teufel!“ Kerveigh mußte sich gewaltsam zur Ruhe zwingen. Er war voll kalter Wut und machte sich Sorgen um Ole.
„Hör zu!“ sagte er schließlich. „So einfach ist das nicht. Du kannst uns nicht abschieben und mit dem Kopf durch die Wand rennen. Du bist der Kapitän und trägst die Verantwortung für deine Besatzung. Und diese Besatzung ist nicht mehr mit dem einverstanden, was du vorhast. Laß dir wenigstens einmal im Leben einen Rat geben: Die Sache ist zu heiß für dich; du wirst dir die Finger verbrennen ! - Das wollten wir dir nur sagen. Statt dessen schießt du gleich Ole über den Haufen!“ „Ole ist nur betäubt“, antwortete Scanders nach kurzer Pause. „Ich habe Paralysestrahlen eingesetzt.“ Das war nur die halbe Wahrheit, denn er verschwieg, daß die Waffe noch nicht wieder umgeschaltet war, seit er Blin damit betäubt hatte. Während sie sprachen, wanderte der Wartungsroboter unerbittlich weiter und zwang Kerveigh zum Mitgehen, wollte er nicht seine Deckung verlieren. Der Tramp befand sich jetzt etwa in gleicher Höhe mit Scanders. Gab es denn nichts, womit man das verfluchte Ding abstellen konnte? „... und eure Harmlosigkeit nehme ich euch auch nicht ab!“ fuhr Scanders fort. „Was habt ihr ausgerechnet hier zu suchen? Haben euch die vom anderen Schiff vorgeschickt? - Ich wette, ihr steckt mit denen unter einer Decke !“ Kerveigh rätselte darüber nach, welches andere Schiff Scanders wohl meinen konnte. In diesem Moment hielt der Wartungsroboter völlig überraschend an und fuhr wieder den wippenden Metallstab aus, um irgendwo hinter dem phosphoreszierenden Vorhang nach Defekten zu suchen. Scanders, der der Meinung sein mußte, daß das Gefährt von Kerveigh bewußt gelenkt wurde, mißdeutete dieses plötzliche Anhalten. „Ich warne dich, Kerveigh!“ rief er aus. „Stelle dich mir nicht in den Weg!“ Zugleich schnellte sich der Kapitän ganz unerwartet nach vorn und schlitterte über den glatten Boden auf Kerveighs Deckung zu, bevor
der Tramp überhaupt reagieren konnte. Jetzt war nur noch der Wartungsroboter zwischen ihnen. Zu allem Überfluß setzte sich das Gefährt gerade jetzt wieder in Bewegung und schwebte im gemächlichen Schritttempo die Rampe empor. Kerveigh wandte wachsam den Kopf hin und her, da er nicht wußte, von welcher Seite ihn Scanders angreifen würde. In seinem Helmlautsprecher waren zwar die Atemzüge des Gegners deutlich hörbar, doch die Geräusche waren richtungslos und stellten somit keinerlei Orientierungshilfe für ihn dar. Die Lage erschien Kerveigh reichlich fatal, und es war ihm nur ein schwacher Trost zu wissen, daß Scanders in der gleichen unbequemen, gebückten Haltung neben dem Wartungsroboter einherlaufen mußte wie er selbst. Der Tramp entschloß sich, dieser ungewissen Situation ein möglichst rasches Ende zu bereiten. Er wollte einfach stehenbleiben und das Fahrzeug an sich vorüberlassen, um dann mit einem raschen Sprung auf die andere Seite hinüberzuwechseln und Scanders zu überrumpeln. Bevor er jedoch seinen Plan verwirklichen konnte, handelte Scanders bereits. Kerveigh sah einen Schatten vor sich auftauchen, und die glühende Bahn eines Strahlschusses jagte nur äußerst knapp an seiner linken Schulter vorbei. Er warf sich rücklings gegen die elastische Barriere und nützte den Schwung, der ihn gleich darauf wieder vorwärtstrug, zu einem kühnen Satz auf die Oberfläche des Wartungsroboters aus. Um ihn herum war plötzlich ein rötliches Wabern. Mit jähem Ruck kam das schaukelnde Fahrzeug zum Stillstand. Gleichzeitig vernahm Kerveigh einen überraschten Ausruf Scanders’. Er hob vorsichtig den Kopf und sah den Kapitän taumeln, als sei jener unvermutet gegen ein unsichtbares Hindernis gerannt. Erst jetzt nahm der Tramp das grünliche Flimmern wahr, das den Wartungsroboter wie eine schützende Glokke umhüllte und Scanders’ Umrisse so merkwürdig verschwommen erscheinen ließ.
Der Schuß des Kapitäns (oder waren es gar zwei Schüsse gewesen? Kerveigh erinnerte sich an das rötliche Wabern) hatte einen Schutzmechanismus im Innern des Roboters aktiviert. Fast hätte der Tramp aufgelacht. Nur wenige Schritte voneinander entfernt, konnten sie sich dennoch gegenseitig nichts anhaben, weil sich eine undurchdringliche Wand zwischen sie gelegt hatte. Das schien auch Scanders zu bemerken; denn er drehte sich achselzuckend um und ging mit raschen Schritten davon. * Ein Pulk von drei Gleitern jagte über den weiten Platz heran und senkte sich noch während des Anflugs so weit herab, daß die Fahrzeuge am Fuße des Turmes nur noch knapp mannshoch über dem Boden schwebten. Unter den Gleitern klaffte plötzlich ein Spalt im Boden, der sich rasch zu einer Öffnung erweiterte, die breit genug war, um die Fahrzeuge hindurchzulassen. Während die Piloten noch die letzten Handgriffe taten, um die Gleiter in der darunterliegenden Halle aufzusetzen, glitten schon die Seitentüren auf. Männer sprangen heraus und formierten sich rasch zu kleinen Trupps. Inmitten dieses militärischen Aufgebots wirkten die drei Gestalten in Zivil wie Fremdkörper. Das Erstaunlichste war, daß die drei in der mörderischen Kälte und der beinahe absoluten Atmosphärelosigkeit ohne Raumanzüge auskamen. Zu den dreien gesellte sich jetzt eine schmächtig aussehende Gestalt im Raumanzug. Zusammen setzten sie sich an die Spitze der Männer und durchquerten die Halle. Kurz bevor sie die gegenüberliegende Wand erreichten, wurde diese transparent und löste sich auf, so daß sie ungehindert passieren konnten. In dem Gang, der sich dahinter auftat, glomm ein bläuliches Licht
auf, das die Gruppe auf ihrem Weg begleitete. Vor und hinter ihnen herrschte undurchdringliche Finsternis. Die Frau wandte sich an Ou Rheen, der neben ihr schritt. „Es ist inzwischen schon zu einer ersten Krise gekommen“, informierte sie den Chef-Koordinator. „Scanders traf auf zwei Mitglieder seiner Besatzung und feuerte mehrere Schüsse ab.“ Sie sah, wie Ou Rheen zusammenzuckte. „Die kritische Grenze wurde nicht überschritten“, beruhigte sie ihn. „Glücklicherweise war einer unserer Wartungsroboter ganz in der Nähe und konnte den größten Teil der freigewordenen Wärmeenergie absorbieren.“ „Andernfalls würden wir wohl schon nicht mehr am Leben sein!“ äußerte sich Ou Rheen sarkastisch. Sie nickte. Was macht diese Rasse nur derart fatalistisch? fragte sich der ChefKoordinator im stillen. Wie können sie es nur zulassen, daß ein einzelner Mann ihre gesamte Existenz bedroht? Wieder löste sich vor ihnen eine Wand in nichts auf. „Wir sind jetzt nicht mehr weit von der Kontrollstation entfernt“, sagte die Frau. „Leider ist Kapitän Scanders schon vor uns dort eingetroffen ...“ * Der Zwischenfall hatte Scanders gezeigt, daß ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Er vermutete, daß Kerveigh und Ole einen Voraustrupp darstellten und daß er jeden Moment mit dem Auftauchen weiterer Gegner zu rechnen hatte. Blin hatte er zurücklassen müssen. Der Knabe wäre nur hinderlich geworden. Der endlose Schneckengang, den er abwärts eilte, stimmte ihn gereizt. Wann endlich würde er am Fuß des Turmes anlangen? Einige Umrundungen später sah er sein Ziel in greifbare Nähe
rücken. Die Waben, mit der die innere Säule bestückt war, endeten plötzlich und ließen nur noch den glatten Schaft übrig, an dem mehrere dicke Röhren entlangliefen. Wenig später knickten die Röhren seitlich ab und vereinigten sich zu einer einzigen, mannshohen Röhre, die in der Wand verschwand. Scanders beschleunigte seine Schritte. Noch eine Umrundung weiter lief die Rampe sanft in einer hellerleuchteten, kreisrunden Halle aus. Scanders holte tief Atem. Ein einziger Blick genügte, um ihm zu verraten, daß er an der richtigen Stelle war. Die Halle war reichlich mit Instrumentenpulten bestückt. Er machte sich nicht die Mühe, Sinn und Funktion der Apparaturen ergründen zu wollen. Es genügte, das Gleichgewicht dieser Maschinerie an einer Stelle zu stören, um das gesamte System ins Wanken zu bringen. Mit beinahe knabenhafter Unbekümmertheit schwang er sich auf ein zentral gelegenes Instrumentenpult, ließ die Beine baumeln und legte die Waffe griffbereit neben sich. * Auch Kerveigh ließ die Beine baumeln, doch er war keineswegs knabenhaft unbekümmert, sondern eher verdrießlich gestimmt. Der Schutzschirm verdammte ihn zur Tatenlosigkeit, Ole rührte sich nicht, und die Umgebung bot dem Auge des Betrachters wenig Abwechslung. Blins lebloser Gestalt, die einige Schritte entfernt von ihm am Boden lag, schenkte er wenig Beachtung. Der Junge war ohne Helm, somit stand für Kerveigh fest, daß er nicht mehr am Leben war. Um so erstaunter war der Tramp, als Blin nach einer Weile schwache Lebenszeichen von sich gab und sich hin und her zu bewegen begann. Fasziniert und ungläubig beobachtete Kerveigh das langsame
Erwachen des Knaben. Endlich richtete sich Blin mühsam auf und blickte verwirrt um sich. Er bemerkte Kerveigh, der wie wild mit den Armen gestikulierte, und erhob sich schwankend. Während er auf Kerveigh zuschritt, schienen seine Augen den Tramp nicht bewußt wahrzunehmen; er wirkte geistesabwesend und irgendwie traumwandlerisch. Und mit traumwandlerischer Selbstverständlichkeit durchschritt er die grünlich flimmernde Barriere, die Kerveighs Tatendrang so lange gebremst hatte. Der Tramp streckte die Arme aus und hob den Knaben zu sich herauf. „Du brauchst mir nichts zu erklären!“ sagte Blin ruhig. „Ich bin über alles informiert.“ Sein Blick war wieder klar; die vorübergehende Geistesabwesenheit erklärte sich Kerveigh damit, daß Blin in der Zwischenzeit gedankliche Verbindung mit anderen Mitgliedern seines Volkes aufgenommen hatte. Plötzlich ruckte der Wartungsroboter an und schwebte die Rampe abwärts-wesentlich schneller als zuvor. „Unser Volk ist in großer Gefahr!“ erklärte Blin. „Wir müssen versuchen, Scanders von seinem Vorhaben abzubringen.“ * „Hier spricht Scanders!“ Oh Rheen hob die Hand und ließ seine Männer anhalten, als die Stimme des Kapitäns in seinem Helmempfänger aufklang. „Ich kann mir lebhaft vorstellen“, fuhr die Stimme mit arrogantem Näseln fort, „wie alles, das Beine hat, jetzt zu dem Turm pilgert, in dem ich mich aufhalte. Meinetwegen! Ich möchte jedoch vorsorglich darauf hinweisen, daß diese Pilgerfahrt vor der Tür zum Allerheiligsten ein Ende hat - es wäre wirklich schade um die Inneneinrichtung! Schließlich bin ich ja kein Vandale ...“ „Ou Rheen vom Intergalaktischen Sicherheitsdienst!“ meldete sich der Chef-Koordinator. „Was beabsichtigen Sie mit dieser Erpressung,
Scanders?“ Eine Weile herrschte Schweigen in den Empfängern; Scanders mußte anscheinend erst diese für ihn überraschende Mitteilung verdauen. „Sie sind mir also gefolgt!“ stellte er dann im ruhigen Ton fest. „Das ändert ein wenig die Sachlage ...“ „Was wollen Sie?“ fragte Ou Rheen erneut. „Freien Abzug!“ erwiderte Scanders schnell. „Mein Schiff. Die versprochene Entschädigung für diverse Bemühungen ...“ „Sie meinen den Diebstahl des STERNENWANDERERS“, ergänzte Ou Rheen. „Ich will nicht rechten“, gab Scanders gelassen zurück. „Aber nennen Sie das einen Diebstahl, wenn man dem Besitzer sein rechtmäßiges Eigentum wieder beschafft?“ „Ich will auch nicht rechten, Scanders. Sehen wir also ab vom Verstoß gegen die Sicherheitsinteressen des Imperiums, vergessen wir den Tod eines kleinen Zollbeamten, lassen wir ebenfalls beiseite, was mit den unschuldigen Passagieren der MOON VIRGIN geschah. ..!“ „Halt, Mister Ou Rheen! Das dürfen Sie nicht in einen Topf werfen! Ihre letzte Frage stellen Sie am besten der Gesellschaft, die Sie in der Heckenschleuse der MOON VIRGIN zwangsweise versammelt finden !“ „Akzeptiert!“ räumte der Chef-Koordinator bereitwillig ein. „Aber nun sagen Sie mir, wie Sie sich die technische Verwirklichung Ihrer Forderungen vorgestellt haben. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß wir zu weitgehenden - sehr weitgehenden! - Konzessionen bereit sind. Wir hören!“ „Oho!“ Scanders brach in spöttisches Gelächter aus. „Mir scheint, ich sitze da auf einem hochbrisanten Stühlchen, wenn sogar der ISID so freigiebig wird.“ „Sie haben nur zu recht, mein Lieber!“ bestätigte Ou Rheen trocken. „Kommen wir zur Sache, wenn ich bitten darf!“
„Die MOON VIRGIN soll direkt vor dem Turm landen!“ forderte Scanders sachlich. „Sie stellen mir einen Führer, der mir den Weg aus diesem Gebäude weist. Ich werde hinausschlendern und den Daumen auf den Knopf eines Miniatursenders halten, der jederzeit die Sprengladung hochjagen kann, die ich in diesem Raum versteckt habe. Außerdem halte ich noch eine kleine Überraschung für Sie bereit, über die ich jetzt nicht sprechen will. Ich wollte nur an einem Beispiel illustrieren, wie vorsorglich ich sein kann ... Partner zwei wird inzwischen Sorge tragen, daß unser Handel erfolgreich abgeschlossen werden kann ...“ Scanders’ Stimme verstummte so plötzlich, daß Ou Rheen erschrocken zusammenfuhr. Etwas stimmte hier nicht. Fragend blickte er zu der Frau hinüber.. * „Scanders!“ rief Blin von der Höhe der Rampe herab. Der Kapitän fuhr herum und zielte mit dem Strahler auf seinen angeblichen Pflegesohn. „Bleibe stehen und rühre dich nicht!“ befahl er. „Ich bleibe stehen“, versicherte der Knabe. „Wir werden uns von hier aus unterhalten.“ „Mir ist nicht nach Unterhaltung zumute!“ „Willst du wirklich dein Versprechen einhalten und die Sprengladung nicht zünden?“ Scanders ließ ein spöttisches Lachen hören. „Du kannst die Gedankenschnüffelei wohl auch nicht lassen - wie? Du hast recht: Ein kleines Feuerwerk lenkt den Gegner ab und erhöht nur meine Chancen. Aber sage das nicht weiter, hör st du?“ Noch während er sprach, drückte der Kapitän ab. Eine feurige Wolke hüllte Blin für kurze Zeit ein; als sie verschwand, war von dem Knaben nichts mehr zu sehen. „Der schweigt!“ murmelte Scanders und wandte sich ab.
Erst jetzt war es Kerveigh gelungen, sich in eine günstige Position zu bringen. Voll eiskalter Wut zog er den Abzug durch ...
9. „Haben Sie bitte Verständnis dafür“, sagte Ou Rheen entschuldigend zu der Frau, „daß wir diesen Ort für unsere Aussprache gewählt haben ...“ Er deutete mit einer knappen Geste auf die behaglich eingerichtete Messe der ESCQRT. „Es redet sich leichter, wenn man sich in einer vertrauten Umgebung befindet. Ihnen scheint das ja weniger auszumachen, wie ich feststellen konnte.“ In dieser Feststellung war schon beinahe eine Frage verborgen. Die Frau verstand und lächelte. „Sie haben recht“, sagte sie. „Wir sind überall gleich fremd“‘ „Wollen Sie uns nicht endlich Ihre wahre Gestalt zeigen?“ bat Oü Rheen mit sanfter Stimme. „Warum sollten wir unsere Beziehungen unnötig belasten?“ „Sehen Sie sich um!“ forderte Ou Rheen sie auf. An diesem Tisch sind Wesen der unterschiedlichsten Herkunft versammelt. Sie haben gelernt - ich muß zugeben, daß dies manchmal in recht schmerzhafter Weise geschah -, einander zu tolerieren und friedlich zusammenzuarbeiten. Wir sind eine Völkergemeinschaft und bereit, auch Sie in unseren Kreis aufzunehmen - wie immer Sie auch in Wahrheit aussehen mögen!“ Er sah ihr Zögern und beeilte sich hinzuzufügen: „Aber zuvor müssen Sie uns Aufklärung über den STERNENWANDERER geben! Erzählen Sie von Ihrem Volk, vom Geheimnis der Türme ...“ Partner zwei sah in die Runde. Wenn sie auch nicht in allen Mienen zu lesen verstand, so fingen ihre fremdartigen Sinne doch die emotionalen Strömungen dieser so unterschiedlichen Wesen auf. Man brachte ihr ungeteilte Aufmerksamkeit entgegen. „STERNENWANDERER!“ begann sie schließlich. „Sie wissen nicht,
wie zutreffend dieser Name ist! Er könnte ebensogut für unser ganzes Volk gelten. - Wir stammen nicht aus Ihrer Galaxis ...“ Diese Mitteilung rief unter den Anwesenden eine nicht geringe Aufregung hervor. „Unsere Heimat“, fuhr sie fort, „kann von hier aus als winziger, verschwommener Lichtfleck wahrgenommen werden - doch dieser Lichtfleck täuscht. Irgendwann in einer sehr fernen Zukunft, wird man registrieren, daß dieser Lichtfleck heller zu strahlen beginnt. Dann ist die Nachricht von der Katastrophe, die über uns hereinbrach, auch zu Ihnen gelangt. Ich will nicht so weit zurückgreifen und schildern, was ein Volk denkt und fühlt, dessen Heimatgalaxis sich auf eine andere Galaxis zubewegt. Jahrhunderte lebten wir mit dem Wissen um die bevorstehende Kollision. Wir hatten Zeit, geeignete Vorkehrungen zu treffen - unter anderem schränkten wir die Geburtenrate ein, so daß unser Volk auf eine Zahl zusammenschmolz, die von dem vorhandenen und noch produzierbaren Transportraum bewältigt werden konnte. Wir rechneten uns eine gute Überlebenschance aus, da unser System im äußersten Zipfel eines Spiralarmes lag. So konnten wir hoffen, bei dem zu erwartenden gigantischen Zusammenprall ohne Schaden davonzukommen. Dann jedoch entdeckten unsere Astrophysiker, daß die Berechnungen nicht stimmten. Die fremde Galaxis bewegte sich wesentlich schneller auf uns zu als erwartet. Sie beschleunigte immer mehr. Weder durch Eigengeschwindigkeit noch durch Gravitation war dieses Phänomen zu erklären. Als wir schließlich die Erklärung fanden, versank unser Volk in einer Phase tiefster Depression: Die andere Galaxis bestand aus Antimaterie! Wir hatten keine Hoffnung mehr, der Katastrophe zu entrinnen. Materie und Antimaterie ziehen einander so stark an, daß auch unser abgelegenes System mit in den allgemeinen Vernichtungsstrudel geraten würde. In einer gigantischen Explosion würden sich die beiden Materien gegenseitig vernichten.“ Sie legte eine kurze Pause ein. „Es gibt eine Theorie, die besagt, daß technischer Fortschritt
allein aus einer Zwangssituation geboren wird“, erzählte sie weiter. „Wir können das bestätigen. Die Wissenschaftler unseres Volkes fanden einen Antrieb, der es uns ermöglichte, die gewaltige Kluft zwischen den Galaxien zu überbrücken. Dieser Hyperdistanzantrieb ließ unser Volk neue Hoffnung schöpfen. Im Umkreis von drei Millionen Lichtjahren boten sich uns knapp zwanzig Galaxien als Zufluchtsort an. Wir wählten diese aus, weil sie am nächsten lag. So traten wir die lange Reise an, um bei unserer Ankunft zu entdecken, daß auch diese Galaxis aus Antimaterie bestand!“ Erst ganz allmählich kam die Reaktion der Zuhörer: Befremden, Erschrecken, zuletzt ein tiefer Schock. „Ja, Sie sind - aus unserer Sicht betrachtet - Wesen aus Antimaterie!“ fuhr die Frau fort. „Die Kühltürme!“ rief Ou Rheen aus. „Jetzt verstehe ich!“ Er erntete von allen Seiten Blicke, die Aufklärung erheischten. „Bei einer Temperatur von zweihundertdreiundsiebzig Komma einssechs Grad - dem absoluten Nullpunkt nämlich - kommt die Wärmebewegung der Moleküle zum völligen Stillstand. Eine gegenseitige Vernichtung von Materie und Antimaterie kann in diesem Zustand nicht stattfinden. Ich begreife nun, in welche ungeheure Gefahr Scanders uns alle gebracht hat!“ „Ihr Schlußfolgerungen sind richtig“, bestätigte die Frau. „Wir werden einen gewissen Nernstschen Wärmesatz aus unseren Lehrbüchern streichen müssen“, sagte Ou Rheen. „Er besagt, daß der absolute Nullpunkt prinzipiell unerreichbar ist!“ „Er gilt nach wie vor - innerhalb dieses Kontinuums!“ berichtigte ihn die Frau. Danach fuhr sie fort: „In dieser beinahe aussichtslosen Lage fanden wir ein Verfahren, das es uns in einem sehr langwierigen Prozeß gestattet, Materie in Antimaterie zu verwandeln - das heißt, wir können die Ladung der Elektronen und Protonen ins Gegenteil umkehren. Es ist wirklich ein sehr langwieriger Prozeß! Nur wenige von uns konnten bisher transmaterisiert werden ...“ „Ein ganzes Volk, das in den Kühltürmen auf seine Erweckung
wartet!“ sagte Ou Rheen voll ehrfürchtigem Staunen. „Welch eine Aufgabe! Wir werden viel von Ihnen lernen müssen.“ „Wir sind gern zu einem Austausch von Wissen bereit. Nur müßten wir zuvor etwas mehr über Sie erfahren. Vieles an Ihrer Lebensweise erscheint uns noch unverständlich.“ Ou Rheen lächelte. „Dazu brauchen Sie keinen STERNENWANDERER auf die Reise zu schicken - er ist doch eine Art von Erkundungssonde, nicht wahr? - sondern Sie können sich im direkten Gespräch mit uns informieren. Vieles, das Ihnen jetzt unverständlich scheint, dürfte wohl dabei eine völlig harmlose Erklärungfinden!“ „Warum lehnen Sie fremdartige Erscheinungsformen so strikt ab?“ fragte Partner zwei. Ou Rheen zeigte gelindes Erstaunen. „War ich denn vorhin nicht deutlich genug?“ fragte er. „Sie sehen doch, daß bei uns die vielfältigsten Intelligenzen friedlich zusammenarbeiten !“ „Ich kann Ihnen ein Dokument zeigen, das der STERNENWANDERER einer Ihrer sogenannten Trividsendungen entnommen hat. Es spricht eine ganz andere Sprache!“ sagte die Frau. Der STERNENWANDERER, der im Hintergrund der Messe schwebte, begann leicht zu pulsieren. Mitten im Raum entstand ein dreidimensionales Bild. Ein bizarres Raumschiff erhob sich vor dem Hintergrund einer brennenden Stadt. Über die glatte Landefläche rannte eine Gruppe von Wesen auf das Raumschiff zu ; eines von ihnen wandte sich gerade um und feuerte auf unsichtbare Verfolger. Jetzt wechselte das Bild zur Großaufnahme: Die Wesen trugen echsenhafte Züge, ihre zähnestarrenden Mäuler waren weit aufgerissen, die gelblichen Augen wirkten starr und kalt. Wieder wandte sich eine der Echsen um und hob die klobige Waffe, die es in den Krallen hielt. Doch der flirrende grüne Strahl konnte den Verfolgern in den silbrigen Raumanzügen nichts anhaben, die unerbittlich näher rückten. Jetzt zeigte sich in den bösartig glitzernden Echsenaugen ein Anflug
von Panik. Das rettende Raumschiff war noch weit entfernt. Der Anführer stieß einen seiner Gefährten mit der Waffe in die Seite. „Du wirst sie aufhalten!“ zischelte er. „Denke daran, daß du dein Leben dem Großen Chem und unserer heiligen Aufgabe, die Rassen des Universums zu unterwerfen, opferst!“ Der Aufgerufene nickte fatalistisch und blieb zurück, während die anderen weiterrannten. „Sie opfern ihre eigenen Leute!“ sagte einer der Verfolger mit klarer und kühler Stimme, hob den blauschimmernden Strahler und verwandelte die Echse in ein Aschenhäufchen. „Doch damit können sie uns nicht mehr aufhalten. Es wird Zeit, daß dieses Geschwür der Galaxis ein für allemal vernichtet wird!“ Er blieb stehen und sah zu, wie das Raumschiff mitsamt den Flüchtlingen in einer gewaltigen Explosion verging. „Sie haben unseren Zeta-Strahlen nichts entgegenzusetzen!“ bemerkte er versonnen. Schnitt! Der Mann im Silberanzug legte zärtlich den Arm um die Schultern seiner Frau. Seine behandschuhte Rechte deutete zum Sternenhimmel hinauf, wo ein orangefarbener, fremdartiger Mond sich soeben mit dünnen Wolkenschleiern überzog. „Unsere Welt, Liebling!“ sagte er schlicht. Im Hintergrund loderte noch immer die zerstörte Stadt. „Wenn wir ihre Spuren erst beseitigt haben, werden wir mit dem Aufbau beginnen. Es soll eine schöne und saubere Welt werden - eine Heimat für uns beide, Liebling!“ Seine sonore Stimme klang ergriffen. „Für uns drei“, verbesserte sie ihn ruhig. Er zog sie an sich und blickte tief in ihre klaren Augen. „Mildred!“ „Ich wollte dich überraschen“, brachte sie leicht verlegen hervor. Ihr Gesicht überzog sich mit sanfter Röte ... Das Bild erlosch.
Ou Rheen erhob sich und sagte im Ton eines Ansagers: „Meine Damen und Herren! Sie sahen soeben eine Folge aus unserer Serie ‚Die Hüter des Universums’.“ Ringsum machte sich Heiterkeit breit. „Daher beziehen Sie also Ihre Weisheit!“ wandte Ou Rheen sich an Partner zwei. „Ich verstehe nicht ...?“ Fragend blickte sie ihn an. „Ein Unterhaltungsprogramm“, erklärte der Chef-Koordinator. „Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen und Ereignissen wäre rein zufällig und ist nicht beabsichtigt ...“ „Welchen Sinn hat es dann, ein solch falsches Bild Ihrer Wirklichkeit zu produzieren?“ wollte Partner zwei wissen. „Hm!“ machte Ou Rheen nur und breitete die Rüsselarme aus. Er wirkte verlegen. „Wollen Sie uns jetzt Ihre wahre Gestalt zeigen?“ fragte er schließlich. Die Umrisse von Partner zwei verschwammen ... * Als Ou Rheen die Zentrale der MOON VIRGIN betrat, wurde er Zeuge eines seltsamen Streitgespräches. Ole schwenkte gerade den Pilotensessel herum. „Du kannst sagen, was du willst! Ich fand sie recht reizvoll !“ trumpfte er auf. Nun schwenkte auch Kerveighs Sessel herum. „Das bestreite ich ja auch gar nicht!“ Der Tramp funkelte seinen Freund an. „Sie besitzt recht ausdrucksvolle Facettenaugen - obwohl fünf davon nun schon wieder etwas zuviel sind! Außerdem ist sie sehr feingliedrig. Ein bißchen bizarr vielleicht, aber ungeheuer feingliedrig!“ „Sie bewegt sich so anmutig!“ schwärmte Ole. „Erstaunlich, wenn man bedenkt, daß sie immerhin vier Beinpaare zu kontrollieren hat ...“
„Und dann das aparte Muster auf ihrem Rückenschild!“ „Die zarten Flügel ...!“ „Aber sage selbst“ - Kerveigh breitete entsagungsvoll die Arme aus - „ist sie für uns geschaffen?“ „Nein, leider!“ Beide Freunde versanken in dumpfes Brüten. Der Chef-Koordinator hüstelte. „Meine Herren, wir stehen kurz vor einem Hypersprung! Die ESCORT ist bereits von unseren Schirmen verschwunden. Darf ich Sie bitten, Ihr Gespräch ein andermal fortzusetzen?“ „Beamtenseele!“ fuhr Kerveigh hoch. „Sie verlangen von uns, daß wir unser Gefühlsleben wegen einer lächerlichen Formalität zurückstellen!“ „Entschuldigen Sie !“ „Bitte.“ „Eins hätte ich gern noch gewußt“, fuhr Ou Rheen fort. „Was fangen Sie eigentlich mit Ihrem unverhofften Reichtum an? Partner zwei hat sich ja recht großzügig gezeigt.“ „Wir kaufen ein Schiff!“ antworteten beide Freunde wie aus einem Munde. Ou Rheens Stimme wurde samtstreichelweich. „Und wie gedenken Sie dieses Schiff zu führen?“ erkundigte er sich. „Mit Kenntnissen der Astrogation oder mit Ihrem – äh Gefühlsleben ...?“ „Das ergibt sich von Fall zu Fall!“ erwiderte Kerveigh gelassen. ENDE