Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten
Nr. 675 Hexenkessel Alkordoom
Hexenkessel Alkordoom von Peter Griese
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten
Nr. 675 Hexenkessel Alkordoom
Hexenkessel Alkordoom von Peter Griese
Die neue Mission des Arkoniden
Nur unter großen Mühen schaffte es Atlan im Jahre 3808, die verlorengegangenen Koordinaten von Varnhagher‐Ghynnst wieder in seinen Besitz zu bringen und danach das Generationenschiff SOL seiner Bestimmung als Spoodiesammler bei den Kranen zuzuführen. Anschließend trat Atlan im Jahre 3811 gemäß den Wünschen der Kosmokraten seine Aufgabe als Orakel von Krandhor an, um an der Entwicklung der Pufferzone zwischen den im Konflikt liegenden Superintelligenzen ES und Seth‐Apophis mitzuwirken. Im Jahr 3818 benötigen die Kosmokraten die Dienste des Arkoniden auf andere Art und Weise. Atlan wird jäh aus seinem Orakeldasein gerissen und aufgefordert, eine gefahrvolle Mission in unbekannter kosmischer Umgebung zu übernehmen. Atlan akzeptiert den Auftrag, obwohl er die Informationen, die ihm vermittelt werden, für unzureichend hält. Er weiß im Grunde nur, daß es wieder ein Kräftemessen im ewigen Kampf der ordnenden Mächte mit denen des Chaos geben wird und daß diesmal vom Erfolg oder Mißerfolg seiner Mission das weitere Schicksal der Kosmokraten abhängen kann. Und so wird Atlan quasi in Nullzeit über weite Sternenräume transportiert und mitten hinein versetzt in den HEXENKESSEL ALKORDOOM …
Die Hauptpersonen des Romans: Atlan ‐ Die Kosmokraten erteilen dem Arkoniden einen neuen Auftrag. Pazzon ‐ Man nennt ihn den Vielarmigen. Holkuk ‐ Ein Handlanger der Psi‐Jäger. Korazza ‐ Verweser von Puurk. Das Leben ist keine gerade Linie. Die meisten Menschen müssen umgepflanzt werden wie Bäume, bevor sie Blüten tragen. Louise Nevelson, Objektkünstlerin, geboren 1900 in Kiew.
Prolog Höre! Höre, Atlan! Dies ist dein Auftrag! In einem Gebiet des Universums, in das du schon bald gelangen wirst, geschieht Schreckliches. Im immerwährenden Kampf der Mächte des Chaos mit den ordnenden Kräften ist ein entscheidender Faktor im Entstehen begriffen, dessen Ungeheuerlichkeit alles Dagewesene übertrifft. Wenn diese Entwicklung zu dem Ziel gelangt, das der Erleuchtete sich gesetzt hat, ist auch unsere Existenz bedroht. Die Sonnensteppe, ein Raumgebiet des Schreckens, ist Teil der Galaxis Alkordoom. In deren Kern, dem Nukleus, herrscht der Erleuchtete, der sich das Juwel nennt, mit seinen Leuchtenden, den Facetten. Wir wissen nicht genau, wie die Gefahr aussieht, die hier entsteht, aber wir wissen, daß sie alles übertrifft, was die Mächte des Chaos in diesem Raumsektor je erschaffen haben. Und wir kennen den Namen dieser Gefahr. Er lautet EVOLO. Wir schicken dich nun, da du der freiwilligen Übernahme dieser
Aufgabe zugestimmt hast, nach Alkordoom, damit du die Macht des Juwels und seiner Facetten zerschlägst, die Ordnung wiederherstellst und das Rätsel von EVOLO löst. Das alles muß geschehen, bevor EVOLO ein Teil der Mächte des Chaos wird und diese verstärkt. Vor Zeiten haben wir ANIMA in die Sonnensteppe von Alkordoom geschickt, um diesen Auftrag zu erfüllen. Aber wir haben den Kontakt zu ihr verloren und befürchten, daß sie dem Erleuchteten oder seinen Facetten in die Hände gefallen ist. In Alkordoom wirst du eine zweite Versetzung erfahren, die dich in die Nähe ANIMAS bringen soll. Du mußt sie finden und Kontakt mit ihr aufnehmen, denn du wirst ihre Hilfe brauchen, so wie sie dich braucht und erwartet. Sie wird dich erkennen. Andere Hilfsmittel wirst du nicht besitzen. Du wirst also auf dich allein gestellt sein. Dein Leben wird nicht viel zählen. 1. Von drei verschiedenen Seiten hämmerte es in meinem Kopf. Ich konnte vor Schmerzen kaum die Augen öffnen und torkelte verwirrt umher. Endlich fand ich einen Halt. Vielleicht war es eine Wand oder ein Baum. Der feste Gegenstand lud mich zum Anlehnen und Ausruhen ein. Ich versuchte, Klarheit in meine Gedanken zu bringen, aber das unerbittliche Hämmern dauerte an. Es vergingen Minuten, bis ich merkte, daß es aus mir selbst heraus kam. Das erste Hämmern war ein peinigender Kopfschmerz, der mit dem Erwachen aus der Besinnungslosigkeit mein unfreiwilliger Begleiter geworden war. Es mußte sich um eine Folgeerscheinung der jüngsten Ereignisse handeln. Die Schmerzen klangen nur langsam ab. Sie waren das hauptsächliche Hindernis für ein klares Denken.
Das zweite Hämmern war nicht minder stark, aber dafür beruhigend. Das Pochen war mir seit Jahrtausenden bekannt, aber in dieser Stärke hatte ich es noch nie vernommen. Es stammte von meinem Zellschwingungsaktivator, den ich vor Äonen von ES erhalten hatte und der mich relativ unsterblich machte. Seine Impulse regenerierten ständig die Zellen meines Körpers. In Zeiten hoher Anstrengung wurden sie spürbar, und wenn ich in eine körperliche Krise geriet, konnten sie noch weiter an Stärke zunehmen. Ich mußte Furchtbares erlitten haben, daß das eigroße Gerät zu solch extremer Aktivität angeregt worden war. Noch waren meine Sinne zu benommen, um die Geschehnisse zu rekapitulieren. Das dritte Hämmern war rein geistiger Natur, dafür aber nicht minder deutlich. Worte einer fernen Stimme dröhnten durch mein Bewußtsein, fraßen sich in jede Faser meines Gehirns und hinterließen dort eine Spur, wie ein Brandeisen auf dem Fell eines Kalbes. Alle Begriffe waren gleichzeitig gegenwärtig. Sie überlagerten sich gegenseitig und verdrängten fast jede andere Überlegung. Sie stritten miteinander um die besten Plätze in meinem Bewußtsein, brüllten sich vielstimmig an, modulierten das Pochen des Zellaktivators und das Hämmern der Kopfschmerzen zu einem von Dissonanzen durchsetzten musikalischen Inferno. Endlich fand ich eine ruhige Sekunde, in der ich einen Gedanken formulieren konnte. DER AUFTRAG! Sofort beruhigten sich die teils unbekannten Begriffe. Sie faßten sich an den Händen, bildeten eine Kette, griffen fester zu, so daß ich schon einzelne Sätze erkannte und boten sich dar. DER AUFTRAG! Die Worte und Begriffe bildeten den Auftrag. Sie waren der Auftrag! MEIN AUFTRAG! Der Auftrag der Kosmokraten! Die unbekannten Begriffe schälten sich heraus und drangen
sanfter als zuvor in die Bereiche meines Bewußtseins, die am wenigsten von den Belastungen betroffen worden waren. … Sonnensteppe … Alkordoom … EVOLO … der Erleuchtete … seine acht Facetten … ANIMA … DER AUFTRAG! Wo waren sie, die Kosmokraten? Ich hatte sie weder gesehen, noch konnte ich mich erinnern, sie bewußt gehört zu haben. Und doch war all das da, was sie mir mit auf den Weg gegeben hatten. Die Gefahr, deren Ungeheuerlichkeit alles Dagewesene übertraf … EVOLO! Der Ort des Schreckens … die Sonnensteppe! Allmählich konnte ich einzelne Begriffe ihren Sachverhalten zuordnen. Noch immer tobte aber der Zellaktivator, und die Schmerzen der Überanstrengung widersetzten sich mit ihrem Hämmern, das meinen ganzen Körper erfüllte, den lebensspendenden Impulsen. »Können wir den gebrauchen?« hörte ich eine singende Stimme. Dann klatschte etwas Feuchtes in mein Gesicht. Unter äußerster Anstrengung gelang es mir, die Augen zu öffnen. Zuerst stellte ich fest, daß ich nicht an eine Wand gelehnt stand. Vielmehr lag ich ausgestreckt auf einem schlammigen Boden. Meine Hände waren zu Fäusten verkrampft. Die Fingernägel preßten sich schmerzhaft in die Handflächen, als wollten sie etwas festhalten, was längst nicht mehr da war. Zwei Gestalten beugten sich über mich. Sie sprachen miteinander. Ich konnte die Worte zwar verstehen, aber mein lädiertes Bewußtsein weigerte sich, diese in bewußte Gedanken umzusetzen. Es streikte, weil die Beanspruchung zu groß war. Der mit der singenden Stimme erinnerte mich entfernt an die ausgestorbenen Moas von Australien. Nur war der gebogene Schnabel wesentlich länger, und um den Leib trug er einen breiten reich verzierten Gürtel, an dem unbekannte Gegenstände hingen. Der andere besaß zwei Rüssel, aber keine Arme. Ich erkannte, daß einer der feuchten Rüssel mir ins Gesicht geschlagen haben mußte. Jetzt packte mich der Kerl und stellte mich auf die Beine.
»Drogen wahrscheinlich«, knurrte er aus beiden Rüsselöffnungen gleichzeitig. »Unbrauchbar für dieses und jenes.« Er ließ mich wieder los. Ich knickte zusammen. Als ich fiel, lösten sich reflexartig die Verkrampfungen in meinen Händen. So konnte ich den Stoß abfangen. Kniend sah ich die beiden Gestalten davoneilen. Wo, bei allen guten Geistern von Arkon, war ich? Das dreiseitige Hämmern hielt unvermindert an. Mein Verstand versuchte dagegen zu bestehen und in die Wirklichkeit zu finden, aber das gelang nicht. Zu verworren war noch alles in mir, und zu fremd waren die Eindrücke, die ich aufnahm. Dabei waren es nur Bruchteile der neuen und fremden Wirklichkeit, die ich verarbeiten konnte. Ich taumelte in die Höhe. Meine Hände suchten einen Halt und fanden keinen. Wieder stürzte ich zu Boden, diesmal in eine Lache von lehmig brauner Farbe. Übler Gestank drang in meine Nase. Ich kroch auf allen vieren aus der Pfütze, bis ich wieder trockenen Boden spürte. Die Augen hielt ich geschlossen, denn mein Verstand weigerte sich nach den Strapazen, eine fremde Umgebung zu akzeptieren. Alles in mir rebellierte. Gedanken der Vergangenheit rasten durch meinen Kopf. Ich wollte sie festhalten, aber sie entschlüpften mir geschwind. Ich war hilflos, verwirrt und fast ein körperliches Wrack. Und genau das wollte ich nicht sein! Ein Teil von mir rebellierte gegen die realen Bilder, der unbedingte Überlebenswille. DER AUFTRAG, er brach wieder in meine unvollständige Gedanken wie ein ungereimtes und unlogisches Geschwätz. Aber es entsprach der Wahrheit. Wenn ich an ihn zu denken versuchte, linderten sich die Schmerzen. Die Trinität der Schmerzen, das dreifache Hämmern in mein Bewußtsein, arbeiteten Hand in Hand. Dachte ich an den Auftrag, so wurde der Zellaktivator ruhiger, und die Pein in meinem Schädel ließ nach.
Ich merkte kaum, daß jemand über mich stolperte und einen Fluch ausstieß. Meine Hand tastete zu der Rippe, in die ein Stiefel getreten war. Sie spürte die Schwellung an der Brust, aber ich vernahm keinen Schmerz. Das Dröhnen in meinem Kopf überlagerte alles. Was war geschehen? Ich wußte es nicht, hoffentlich noch nicht. Alkordoom, preßte sich ein Wort in mein Bewußtsein. Alkordoom! Der Name eines … ich wußte es nicht. Der Schauplatz! Ich öffnete wieder die Augen. Links und rechts von mir reihten sich einfache Holzhütten aneinander. Die lehmige Straße war uneben und voller Schmutz. Auf ihr bewegten sich viele Gestalten, ein wahres Völkergemisch, skurrile Typen, schreiende Vielbeiner und lethargische Kriecher mit trägen Schritten. Wieder traf mich ein Tritt. Diesmal war es im Rücken. Jemand schritt über mich hinweg und bedachte mich keines Blickes, so als ob ich ein Stück Dreck wäre, der diesen Weg verunzierte. Ich kroch auf die nächste Hauswand zu. Ein glasloses Fenster grinste mich höhnisch aus seiner dunklen Höhle an. Bunte, unwirkliche Lichter tanzten mir vor den Augen. Es mußte sich um Trugbilder handeln, die mir mein gemartertes Hirn vorgaukelte. Ich wischte sie mit einer Handbewegung weg und griff nach dem Fenstersims, um erneut zu versuchen aufzustehen. Das mißlang. Meine Finger waren steif. Ich besaß keine Kraft. Als sie von dem kleinen Podest abrutschten und ich zu Boden zu fallen drohte, fühlte ich mich unter den Armen gepackt und in die Höhe gehoben. Etwas Weiches legte sich um meinen Oberkörper und hielt mich fest. Es drehte mich um. Ich erblickte eine mindestens drei Meter durchmessende hellblaue Kugel, die fast durchsichtig war. Aus ihrem Körper wuchs ein Arm, der mich stützte. Die wabbelige Gestalt bildete in Höhe meines Kopfes eine Blase, aus der weiche Worte kamen. »Freund, erschrick nicht! Ich bin die Barmherzige, die gekommen
ist, dir und allen Gefallenen zu helfen.« »Hilfe kann ich gebrauchen«, antwortete ich und benutzte dabei automatisch das gewohnte Interkosmo. »Ich weiß nicht«, blubberte es aus der Sprechblase, »was du gesagt hast.« Ich verstand diese Sprache! »Und ich denke, daß auch du mich verstehst, denn das Alkordische versteht ja wohl jeder.« Ich nickte automatisch und war mir dabei dieser Geste nicht bewußt. Alkordisch … Alkordoom … die Szene … DER AUFTRAG! Meine Schmerzen ließen etwas nach, aber sie nebelten mich noch immer ein und zerstörten jeden längeren Gedanken. Wieso verstand ich diese Sprache, die anders klang als alles, was ich in meinem langen Leben gehört hatte? Ich fand keine Antwort. Aber bald, flüsterte es in mir. Ich habe auch überlebt. Ich hatte keine Ahnung, wer sich da in meine zerfetzten Gedanken mischte. Ein weiteres Problem war mir auch höchst unliebsam und verdammt unangenehm. »Ich verstehe dich, Barmherzige«, antwortete ich auf Alkordisch. Die Sprache kam so leicht über meine Lippen wie Interkosmo, Arkonidisch oder das alte Hebräisch der Erde. »Du siehst aus, als ob du der personifizierte Dreck wärst«, kam es mitfühlend aus der Sprechblase. »Sicher hast du nichts dagegen, wenn ich dich ein wenig säubere.« Ich war zu keiner Antwort fähig. Das Kugelwesen lehnte mich an die Hauswand. In meinem Rücken knarrten morsche Bretter. »Schließ deine Öffnungen«, bat mich die Barmherzige. Ich verstand nichts, aber meine Augenlider klappten zu. Dann fühlte ich mich wie in einer Naßzelle eines terranischen Luxusappartements. Warmes Wasser spülte über mich hinweg. Angenehme Düfte begleiteten die Prozedur, und zum Schluß ergoß sich warme Luft über mich und trocknete die restliche Feuchtigkeit hinweg. Der Vorgang belebte zugleich meine Sinne. Ich öffnete wieder die Augen und kämpfte gegen das dreifache Hämmern.
Täuschte ich mich oder setzte sich allmählich ein Signal durch? Die Worte des Auftrags wurden deutlich, wärmer und angenehmer. Der Zellaktivator pulsierte verhaltener, und der Schmerz in meinem Kopf ließ weiter nach. »Zufrieden?« fragte die halbtransparente Kugel. »Ja, danke«, quälte ich mir über die Lippen. »Wie komme ich zu dieser Ehre?« »In einer Welt, in der nur das Überleben zählt, in einer Welt, in der tausend verschiedene Interessen miteinander ringen, zählt das Barmherzige wenig, Fremder. Und doch gibt es noch ein paar lausige Gestalten, die diesen Werten folgen und sich nicht an die allgemeinen Spielregeln halten. Ich bin eine davon.« »Wo bin ich?« Trotz der verwirrenden Situation und der peinigenden Schmerzen hatte ich mich schnell an die alkordische Sprache gewöhnt. Woher ich sie kannte und konnte, war zwar unklar, aber vielleicht würde ich es noch erfahren. Du weißt es, flüsterte die seltsame Stimme in mir. Sie schien ein Teil von mir zu sein. Und du bist in Alkordoom, das ist doch logisch, oder? »Du bist auf Puurk«, sagte die Barmherzige, »auf Puurk, dem Sammelbecken all jener, die nichts erreicht haben und die nicht einmal Gentile Kaz gebrauchen kann.« »Gentile Kaz«, echote ich, obwohl mir diese Worte absolut nichts bedeuteten. »Kann ich dich jetzt allein lassen?« fragte die Kugelqualle. »Es gibt noch andere, die meiner Hilfe bedürfen.« »Geh nur«, quetschte ich heraus. »Ich komm schon zurecht.« Idiot! In diesem Augenblick lichtete sich ein Teil des Schleiers über meinem Bewußtsein. Erinnerungen sprangen hin und her, bis sie sich zu einem klaren Bild zusammensetzten. Ich wußte wieder, wer da mit mir geredet hatte. Der Extrasinn, mein Logiksektor. Eine uralte Erinnerung flammte durch mein Bewußtsein.
Largamenia, die Prüfungswelt. Fartuloon, mein Lehrmeister, der mich im Alter von achtzehn Jahren der ARK SUMMIA unterzogen hatte, der Aktivierung eines zweiten Bewußtseins, des Extrasinns oder Logiksektors. Ich besaß ein zweites Ich in mir, eines, das unnachgiebig und konsequent mit mir sprach, ein Teilbewußtsein, das von meinem Willen unabhängig war. Es war erweckt worden aus den Instinktrelikten meines biologischen Urvorfahren, und es war logisch. Nutze die Gelegenheit, um mehr zu erfahren! Mein Wille war noch zu schwach, um zu widersprechen. »Puurk, Barmherzige«, wollte ich wissen, »wo ist das?« »Du machst einen reichlich verstörten Eindruck, Zweibeiner«, hörte ich. Sie wechselte die Farbe in ein dunkles Grün, was ich als Zeichen der Verärgerung oder der Verwunderung wertete. »Aber Informationen sind das Einfachste, was ich dir geben kann.« »Dann rede endlich!« Meine Aufforderung klang zu schroff. Ich bedauerte sie in dem Moment, als sie über meine Lippen gekommen war, aber ich konnte sie nicht rückgängig machen. Die Barmherzige ignorierte mein Verhalten. »Puurk ist eine Welt im Sektor Ordardor, der von der Facette Gentile Kaz regiert wird.« »Alkordoom?« fragte ich automatisch. »Natürlich.« Die Sprechblase lachte verflixt menschlich. »Alles ist Alkordoom.« »Sonnensteppe?« Wieder kam das Wort gegen meinen eigentlichen Willen aus meinem Mund. Blitzschnell zuckte der Pseudoarm zurück, der mich bis dahin gehalten hatte. Ich hing schlaff an der knarrenden Holzwand. Die Barmherzige warf mir aus einer plötzlich entstehenden Körperöffnung eine Handvoll Münzen vor die Füße, erzeugte an ihrem Unterleib ein gutes Dutzend Stummelbeine und rannte auf diesen davon.
Idiot! sagte der Extrasinn wieder. Ich hatte wohl einen Fehler gemacht, ein Tabu berührt, ein falsches Wort gesagt. Wie sollte ich in dieser Umgebung festen Boden unter den Füßen bekommen? Puurk, Alkordoom … alles nur Namen, aber keine Begriffe, mit denen ich etwas identifizieren konnte. Sonnensteppe … ein Wort, das man besser nicht leichtfertig benutzen durfte. Der Schmerz in meinem Kopf war von einer Sekunde zur anderen weg. Der Zellaktivator hatte gesiegt. Mein Gehirn war wieder klar. Was einzig und allein blieb, war … … der Auftrag! EVOLO, ANIMA, Erleuchteter, Facetten! Ich werde euch auf die Schliche kommen oder untergehen. Als sich eine bucklige Krötengestalt nach den Münzen bückte, die die Barmherzige mir hingeworfen hatte, schnellte mein Fuß nach vorn und beförderte die Figur in die Pfütze, durch die ich selbst noch wenige Minuten zuvor in einem jämmerlichen Zustand gekrochen war. Keiner der anderen Gestalten kümmerte sich um das Geschrei und das Gezeter des Getroffenen. Ich ging in die Knie und sammelte die Metallstücke auf. Sie waren sechseckig und achteckig. Und eins war neuneckig. Auf ihm standen die Worte in der mir fremden Sprache des Alkordischen, die ich trotzdem verstand: Ein Juwel von Puurk. 2. Ich streckte mich, reckte die Arme in die Höhe und strich mir die zerzausten Haare glatt. Das Bad, das mir das seltsame Kugelwesen geschenkt hatte, hatte wahre Wunder bewirkt. Und natürlich der Zellaktivator. Mein Blick suchte die schmale, verdreckte Straße ab, um einen ersten klaren Eindruck von der fremden Umgebung zu
gewinnen. Wieder rasselten die Worte des Auftrages durch mein Bewußtsein. Ich kannte sie längst auswendig, aber sie brannten sich immer tiefer in mich hinein. Da waren aber noch andere Worte und Geschehnisse, die sich langsam einen Platz in meinen bewußten Erinnerungen suchten. Eine Aussage dominierte. »Du kannst jederzeit diese Mission abbrechen.« Es war so, als ob wieder die Kosmokraten zu mir sprachen. »Du übernimmst den Auftrag freiwillig oder nicht! Wenn du ihn übernommen hast, bleiben dir alle Freiheiten. Denke, daß du nicht mehr willst. Und denke dazu ganz bewußt ein Kodewort, das wir dir nennen werden. Dann bist du freigestellt und kannst nach Krandhor zurückkehren und deine Aufgabe als Orakel weiter persönlich erfüllen.« Das Kodewort? Die Schmerzen waren verweht, aber die Klage blieb, denn die Erinnerung war zu frisch. Am Ende der Lehmstraße erkannte ich die schlanken, hochmodernen Bauten, die ihr Gemäuer in den hellblauen Himmel reckten. Antigravgleiter schossen vorbei, und unter ihnen zogen zwei pferdeähnliche Sechsbeiner einen schäbigen Holzkarren, der mit einem dunkelbraunen Stoff beladen war. Eine Schar Halbwüchsiger tobte hinter dem Wagen her und scherte sich einen Dreck um die Peitsche des Kutschers, die dieser knallen ließ. Das Kodewort? »Varnhagher‐Ghynnst«, sagte die Stimme aus der Erinnerung. In mir flammte der Wunsch auf, mich konkret an die Begegnung mit den Kosmokraten zu erinnern. Ihre Stimmen waren noch jetzt allgegenwärtig, und doch waren sie so fern, ferner als der wirklichste Winkel des Universums, den ich je gesehen hatte. Varnhagher‐Ghynnst! Das war der Ort, an dem ich aus meiner Aktivität gerissen worden war. Auch darüber mußte ich nachdenken.
Ein Singen lag in der Luft. Jenseits der stolzen Hochbauten senkte sich ein kastenförmiges Raumschiff in die Tiefe. Seine Metallhaut blinkte im Licht der weißen Sterne auf, aber niemand in der Lehmstraße kümmerte sich darum. Eine verrückte Welt? Nein, ein ungewohnter und unbekannter Planet. Wie kam ich hierher? »Denk an die zweite räumliche Versetzung«, sagten die Stimmen der Kosmokraten aus meiner Erinnerung. Meine körperliche Verfassung war wieder in Ordnung. Ich konnte auf meinen beiden Beinen stehen und mich ohne Erschwernisse bewegen. Noch vorsichtig setzte ich die Füße voreinander. Alles funktionierte besser, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich strebte der breiten Straße am Ende der lehmigen Seitengasse zu, in der ich erwacht war. Wieder lichtete sich ein Stück des Vorhangs, der meine Gedanken einhüllte. Der Extrasinn schwieg, wahrscheinlich, weil er nach der Phase der Abkapselung mit sich selbst zu tun hatte. Wenn es gefährlich für mich werden würde, konnte ich auf ihn zählen. Ich hatte diese Mission aus freien Stücken angenommen. Das Verhalten der Kosmokraten hätte ich abgelehnt, wenn ich gewußt hätte, welche Qualen nach dem Erwachen auf mich warteten. Vielleicht auch nicht. Bestimmt nicht! bemerkte der Logiksektor und bewies damit, daß er jede Überlegung genau verfolgte. Ich blieb wieder stehen. Gestalten rempelten mich an, schimpften unwirsch, spuckten mir vor die Füße. Ich kümmerte mich nicht darum. Wenn man etwas freiwillig annimmt, dann hat man dazu zu stehen! Richtig! »Laß mich in Ruhe!« stieß ich hervor, zu meinem eigenen Erstaunen auf Alkordisch.
Der Extrasinn schwieg tatsächlich. Ich mußte einen Ort finden, an dem ich in Ruhe meine Gedanken sortieren konnte. Ob es einen solchen Platz auf dieser verrückten Welt voller fremdartiger Gestalten überhaupt gab, war eine andere Frage. Der Abend senkte sich allmählich über die bunten Holzhütten und die schlanken Riesenbauten. Ich erkannte es daran, daß nach und nach an allen Orten grelle Lichter aufflammten. Freiwillig übernommen! Wahnsinnsknabe! dache ich. Der Auftrag hämmerte wieder durch mein Gehirn, aber jetzt, wo die anderen Schmerzen verschwunden waren, empfand ich diese Aufdringlichkeit der Worte eher als angenehm. Da war eine andere Erinnerung, das Dasein davor. Ich sah mich in einer Traube von kleinen Wesen, die man Spoodies nannte, die mich verstärkten und beflügelten, um einem Volk den Aufstieg zu bringen, damit es eine Pufferzone zwischen den Mächtigkeitsballungen zweier Superintelligenzen erzeugte. ES und Seth‐Apophis waren die Namen der dortigen Szene. Dortig? Wo war ich denn? Wohin gehörten Alkordoom und Puurk? War ich nicht mehr das Orakel von Krandhor? Ich mußte es doch sein. Lange genug hatten mich die Kosmokraten auf dieses Opfer vorbereitet. »Du siehst nur einen Teil«, sagten die Stimmen aus der Erinnerung. »Du hast geglaubt, daß wir dich testen. In Wirklichkeit hast du dich selbst getestet. Du bist einer der Auserwählten, die wir durch ES in eurem Universum gefunden haben. Der andere ist dein Freund Perry Rhodan. Er hat die Aufgabe übernommen, im großen Inneren Kreis der ewigen Auseinandersetzung das Lot zugunsten der ordnenden Kräfte ins rechte Licht zu rücken. Wir haben in jedem Sektor nur einen Auserwählten. Du wirst, falls du diese Mission überleben solltest, in den engen Kreis zurückkehren können. Aber auch das nur, wenn du es willst. Wir gängeln keinen.«
Ich stand auf der breiten Straße, in deren Höhen Gleiter der verschiedensten Typen rasten. Nachdenklich betrachtete ich ein Wesen, sicher ein Tier, denn es ähnelte entfernt einer Riesenschildkröte, das träge über den Betonboden kroch. Auf seinem Rücken johlte eine Meute von Gestalten, die mich ausnahmslos an Urgroßväter erinnerten. »Dir haben wir die Aufgabe zugedacht, das entscheidende kosmische Geschehen in der Peripherie zu lenken. Der äußere Ring der Auseinandersetzungen hat seine eigene Bedeutung und seine eigenen Gesetze. Das ist der Platz, der alles retten oder alles zerstören kann. Du warst der erste der Milchstraße, der einen persönlich abgestimmten Zellaktivator erhalten hat. Daher bist du der, der den äußeren Ring des Konflikts zu seinem Feld bekommen soll. Wenn du willst, Atlan!« Ich will, hatte ich gerufen. »Auch wir wissen nicht, ob einer von euch bestehen wird. Perry Rhodan im Kern, du an der Peripherie. Ihr könnt beide scheitern, und die Mächte des Chaos bekommen das Übergewicht. Es kann geschehen, daß nur einer allein versagt, und auch dann bekommen die Mächte des Chaos das Übergewicht. Wir sind es, die gegen die Mächte des Chaos kämpfen. Wir haben unsere Wertvorstellung, aber wir wissen letztlich nicht, ob sie die Existenz des Universums gewährleistet, das viel mehr umspannt, als du dir vorstellst. Auch diese Entscheidung liegt bei dir, so wie eine andere bei deinem Freund Perry Rhodan liegt. Wir wollen, daß du dich hier für unsere Ziele einsetzt, aber wir wollen das nur, wenn du es auch willst.« Ein Neonlicht, mir direkt gegenüber, blinkte verlockend mit der Aufschrift: KOMM HER – SPEISEN UND GETRÄNKE. Du hast gewollt, erinnerte mich mein zweites Ich. Es stimmte. Vielleicht war mir auch das Dasein als Orakel zu eintönig geworden. Der direkte Kontakt zu lebenden Wesen hatte gefehlt. »Wir haben das gewußt«, kam wieder die Stimme der Kosmokraten in meiner Erinnerung auf. »Wir haben es gehofft, nicht
geplant. Wir dürfen nicht direkt lenken oder eingreifen, weil unsere eigenen Gesetze und alles andere das verbieten. Deine Funktion als Orakel kann der Haufen Spoodies übernehmen, bis du entweder verendet bist oder das Rätsel deines vorgesehenen Auftrags gelöst hast und die Gefahr in der Peripherie beseitigt ist. Es geht letzten Endes auch um dein Volk, die Arkoniden, und um die Menschheit, die du ja mehr liebst als alles andere.« Ich überquerte die Betonstraße, sprang zur Seite, als ein galoppierendes Rhinozeros mit drei singenden und sehr senil wirkenden Einbeinern auf dem Rücken meinen Weg kreuzte. Diese Fröhlichkeit ist ein Ausdruck der Verzweiflung, bemerkte der Extrasinn. »Du hast recht«, antwortete ich laut, denn bei dem Lärm hörte sowieso niemand zu. Diesmal wählte ich die Sprache, mit der ich auf den Arkonwelten aufgewachsen war. Meine Gedanken formulierte ich aber bereits auf alkordisch. »Auch das haben wir bewirkt.« Die Stimmen der Kosmokraten drangen in der Erinnerung in die Höhe, je mehr Selbstsicherheit und innere Freiheit ich gewann. »Wir können dir nur wenig mitgeben, Atlan, aber die Sprache von Alkordoom sollst du kennen. Wir kennen sie von jemand, den wir schon einmal an diesen Ort geschickt haben. Nimmst du den Auftrag an?« Es war die Vergangenheit, aber wieder schrie ich mein Ja hinaus. Zwei übergroße Gurken, die mich an die Swoons aus der Anfangszeit des Wirkens von Perry Rhodan erinnerten, starrten mich aus vier Augenpaaren an. Ich merkte, daß ich meine Erinnerungen mit der Gegenwart vermengte. Dadurch erregte ich unnötige Aufmerksamkeit. Richtig, kommentierte der Logiksektor knapp. Zumindest wußte ich jetzt, warum ich die hiesige Sprache beherrschte. Sie war mir mit auf den Weg nach Alkordoom gegeben worden, wie, wie, wie … DER AUFTRAG!
Wieder rasselten die Kernworte durch mein Bewußtsein. Ich verstand allmählich die Zusammenhänge, obwohl mir der Sinn vieler Begriffe undeutlich bleiben mußte. Facetten! Ein Wort aus dem Auftrag. Gentile Kaz! Ein Wort der Barmherzigen. Ich reimte es mir zusammen: Gentile Kaz, eine Facette des Erleuchteten, des Juwels. Die neuneckige Münze fiel mir ein. Sicher eine Besonderheit dieser Welt namens Puurk. Das Juwel, der Neunte. Die acht Facetten, seine Vasallen. Das Ebenbild in der hiesigen Währung. So konnte es sein. Es ist so, bekräftigte mein zweites Bewußtsein. Im Schaufenster lagen gegrillte Früchte. Ich hatte Hunger, tierischen Hunger. Meine Qualen waren unsäglich gewesen. Der Aktivator allein konnte sie nicht bewältigen. Der Körper forderte sein Recht. Es waren keine Preisschilder vorhanden. Meine rechte Hand kramte in der Tasche und spielte mit den Münzen, die mir die barmherzige Riesenqualle geschenkt hatte, bevor ich sie durch die Erwähnung des Wortes Sonnensteppe gegen meinen Willen in die Flucht gejagt hatte. Ich wußte, daß ich diesem Wesen nie wieder begegnen würde. Acht Facetten – verschiedeneckige Münzen. Aber nur eine neuneckige! Der Erleuchtete, das Juwel. Die Hinweise waren zu klar, als daß ich sie übersehen konnte. Klar war auch, daß dies alles nur spezifisch für diese Welt, für Puurk, sein konnte. Allgemein mußte es aber für die ganze Umgebung … ganze Galaxis, für Alkordoom, gelten. Stimmt, sagte der Extrasinn. Die gegrillten Früchte sahen sehr verlockend aus. Ich kannte die Barmherzige nicht. Vielleicht hatte sie mich in eine Falle gelockt. Ihre Münzen konnten Talmi sein. Ich wußte ja nichts über das, was hier etwas wert war.
»Wir sind sehr sorgfältig in der Auswahl unserer Beauftragten«, erklang wieder die Stimme aus der Erinnerung. Ich vergaß die Grillfrüchte, meinen Hunger, mein Dasein als Orakel von Krandhor und meine Umgebung. »In mehr als 10.000 Terra‐Jahren haben wir ganze zwei aufgerufen. Beide haben bis jetzt noch nicht entscheidend versagt. Du bist einer davon, dein Freund Perry Rhodan ist der andere. Er hat die Chance, den Status eines Ritters der Tiefe zu erlangen. Du hast die Chance, dich aufzugeben, weil wir dich ersuchen, etwas zu tun, was unmöglich erscheinen muß. Aufgeben, das bedeutet den Tod, das Ende. Und den Sieg der Mächte des Chaos. Den Triumph des Bösen über das Ordnende. Du mußt dich auf eine Seite der von einer Polarität geprägten Situation des Kosmos begeben. Wo stehst du, Atlan?« Auch die Fruchtsäfte hinter den Grillfrüchten gefielen mir gut. Sie ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich durfte meine Antworten nicht mehr hinausschreien. Die Umgebung war zu fremd, zu unbekannt. Risiken konnte ich nicht eingehen. Ich preßte mein Gesicht an das Schaufenster und murmelte die Antwort, die ich irgendwann vor wenigen Tagen oder Stunden den Unnahbaren von jenseits der Materiequellen schon einmal gegeben hatte: »Ich stehe da, wo ich immer stand und immer stehen werde!« »Sorgen? Hunger? Gespräch gefällig?« Da stand jemand neben mir und grinste mich an. Seine beiden Hände zuckten nervös vor meinem Gesicht herum. »Hau ab«, stieß ich hervor. »Schon gut, schon gut.« Die Kreatur bewegte sich rückwärts. »Wenn du doch noch reinkommen solltest, gebe ich dir einen aus. Mein Name ist Holkuk.« »Kuck!« sagte ich verdammt bissig. »Guck, daß du Land gewinnst!« Er war noch nicht außer Reichweite meiner Arme, als die mehr und mehr erwachende Stimme der jüngsten Vergangenheit sich
wieder meldete. Sie drängte sich in mein Oberbewußtsein, hartnäckig, aber nicht unangenehm, denn sie vermittelte Klarheit. »Wir haben dich aus deinem Dasein als Spoodie‐Orakel genommen, um dich zu fragen. Wir glauben, daß du gewußt hast, daß du für mehr bestimmt bist, als die Kranen geistig aufzumuntern. Das war eine Aufgabe für den Kern, für den Konflikt zwischen ES, für den Perry Rhodan streitet, und Seth‐Apophis, dessen Ableger du bereits eliminiert hast. Einen anderen Gegenspieler von ES, nämlich Anti‐ES, hast du auch der Bestimmung zugeführt, die wir erhofft hatten. Du hast sogar noch mehr getan, du hast das Feld der Ewigen Verbannung, das man die Namenlose Zone nannte, einer Bestimmung zugeführt, von der wir nur geträumt hatten.« Die Schaufenster war kalt und feucht. Ich drückte dennoch meine Stirn dagegen und antwortete den Erinnerungen, obwohl es viel zu spät war. Alle Worte waren schon gefallen, und die Kosmokraten waren weiter entfernt als die Milchstraße, Arkon oder Perry Rhodan. »Ich habʹs doch nicht gemacht!« stöhnte ich. »Ich war weniger als das Zünglein an der Waage. Ich habe dazu beigetragen, daß Menschen sterben mußten. Ich habe oft versagt, so oft, daß ich mich fragen muß, warum ihr mir weiter euer Vertrauen schenkt.« »Wir haben keine Besseren«, entgegnete die Stimme aus der Erinnerung sanft. »Wir brauchen dich! Bist du bereit, einen tödlichen Auftrag anzunehmen?« Ein Eimer Wasser ergoß sich über mich und riß mich in die Gegenwart zurück. Neben mir stand ein Wicht, dessen Oberkörper aus einem Eimer und einer Spritze bestand. »Putzen. Fenster putzen«, gluckste der Typ. Wieder hatte ich das Gefühl, daß es sich um ein uraltes Wesen handelte. »Kratz die Kurve! Oder ich wasche dich mit.« Davon hatte ich eigentlich seit der Begegnung mit der Barmherzigen genug. Also trat ich zurück. Das Eimerwesen spie
eine Menge Flüssigkeit gegen die Schaulage. Die gegrillten Früchte verzerrten sich zu surrealistischen Formen, als die Flüssigkeit über die Scheibe rann. Du hast gesagt, daß du JEDEN Auftrag annimmst, erinnerte mich der Logiksektor in meinem Kopf. Ich wußte längst, daß es so geschehen war. Ich schwieg und sah dem Fensterputzer zu, der die Schlieren entfernte und somit aus surrealistischen Bildern ein leckeres Mahl formte. Dann besah ich mich. Ich trug eine einteilige, silberfarbene Kombination. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich sie angelegt hatte. Das Material wirkte unverwüstlich. Vielleicht entstammte dieser Anzug aus dem Bereich der Kosmokraten. Außer den Münzen der Barmherzigen fand ich in meinen Taschen das uralte Kombimesser. Mit ihm ließ sich einiges anstellen, aber eine eigentliche Waffe war es nicht. … andere Hilfsmittel wirst du nicht besitzen. Du wirst also auf dich allein gestellt sein … DER AUFTRAG! … dein Leben wird nicht viel zählen … Für mich zählt mein Leben eine ganze Menge! EVOLO! Ich verdrängte die peinigenden Worte und konzentrierte mich auf die Wirklichkeit. Da war noch ein reales Stück Vergangenheit. Ich spürte es, als ich mit der rechten Hand den linken Unterarm umfaßte. Das Chronometer war noch da! Ich hatte die Wahl, durch die geputzte Scheiben auf die Grillfrüchte zu schauen oder auf den Datums‐ und Zeitanzeiger. Ich wählte die letztere Möglichkeit, obwohl ich wußte, daß die Zeit mir nicht davonlaufen würde. DOCH! DER AUFTRAG! DEIN AUFTRAG! Es hämmerte wieder in mir, aber ich blickte zuerst auf die Uhr. Es war kein Schock. Juni, 22, Jahr 3818. Das stand dort. Es bedeutete konkret, daß ich
bereits fast sieben Jahre als Orakel von Krandhor gewirkt hatte. Und jetzt hatten mich die Kosmokraten dort herausgelöst, um mich in ein tödliches Unternehmen zu stürzen. Du hast zugestimmt, bemerkte der Extrasinn voller Ironie. »Ja!« brüllte ich. Dann betrat ich das Lokal und erinnerte mich dabei an einen Typen namens Holkuk, der mich dort erwartete. 3. Der Eindruck, der durch das Schaufenster mit den gegrillten Früchten erzeugt worden war, wurde im Innern des Lokals nicht bestätigt. Es handelte sich um eine schäbige und miese Kneipe. Meine Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich an die schlechte Beleuchtung zu gewöhnen. An der hufeisenförmigen Theke standen etwa dreißig Gestalten. Keine glich der anderen. Alle waren fremdartig, ein wildes Gemisch aus Kreaturen. Holkuk war noch der Menschenähnlichste. Er stand zwischen vier Typen, die wahre Ausgeburten der Hölle waren. Er redete wie besessen auf seine Umgebung ein. Ein deutliches Wort konnte ich nicht verstehen, denn der Lärm war zu groß. Im Hintergrund des Raumes plärrte ein Musikautomat. Hinter der Theke stand ein Wesen, das mich entfernt an die Riesenqualle erinnerte, die sich Barmherzige genannt hatte. Ein alter Roboter bewegte sich neben dem Typen und reichte den Gästen Getränke. Mein Magen knurrte. Als Orakel hatte ich nie direkt Nahrung aufgenommen. Jetzt war ich wieder »normal«, und da meldete mein Körper seine natürlichen Rechte an. Ich schob mich langsam an die Theke heran. Die Augen des Roboters leuchteten auf, als sie mich erblickten. »Sprich, Alter!« kam es knarrend aus dem Maschinenwesen.
»Ich habe Hunger«, antwortete ich. »Kategorie?« fragte KK‐4891. Ich brauchte einen Moment, um den Sinn der Frage zu verstehen. Bei den verschiedenen Wesen, die sich hier tummelten, war es eigentlich logisch, daß auch ganz verschiedene Nahrungsmittel erforderlich waren. Was sollte ich antworten? Holkuk half mir aus der Klemme. Er hatte mein Erscheinen bemerkt. Sofort ließ er von seinen Gesprächspartnern ab und kam auf mich zu. »Da bist du ja!« Er klatschte seine beiden langen Arme auf meine Schulter und reckte mir seine überlange Nase ins Gesicht. »Du hast also Hunger. Nimm Kategorie B, das paßt zu dir. Schätze ich. Wo kommst du her, mein Freund?« »Kategorie B«, sagte ich zu dem Roboter, ohne auf Holkuks Frage einzugehen. »Hast du Geld?« knarrte KK‐4891. Ich streckte ihm meine Hand entgegen, in der ein Teil der Münzen lag. Holkuk stieß ein heftiges Schnauben aus seiner langen Nase und beugte sich nach vorn. Nervös fummelten seine vierfingrigen Hände an meinem Arm herum. »Seht euch das an, Leute!« brüllte er. »Der Fremde hat einen Neuner! Da würde sich doch ein Spielchen lohnen.« Zweifellos meinte er die neuneckige Münze. Seine Gesprächspartner reckten die Köpfe nach vorn, aber ich ließ die Hand mit den Münzen blitzschnell wieder in der Tasche verschwinden. KK‐4891 reichte mir einen Teller, von dem es wohlriechend dampfte. Das Mahl sah zwar nicht so attraktiv aus wie die gegrillten Früchte im Schaufenster, aber es regte meinen Appetit weiter an. Ich suchte mir eine ruhige Ecke und begann zu speisen. Holkuk und seine Genossen redeten laut weiter. Sie starrten mehrfach zu mir herüber und kicherten ziemlich sinnlos. Ein paar
Gesprächsfetzen klangen durch den Lärm an meine Ohren. »Nicht zu alt und nicht zu jung«, hörte ich. »Vielleicht wirklich ein Fremder.« »Habe solche Typen schon gesehen, werden aber alle von …« Kaum hatte ich den letzten Bissen verschluckt, da tauchte eine neue Gestalt neben mir auf. »Ich heiße Pazzon«, erklärte dieser. »Ich denke, du brauchst mich.« Ich antwortete nichts und musterte diesen Typen ganz ungeniert. Pazzon wirkte auf den ersten Blick wie ein Mensch. Er war etwa 1,80 Meter groß und recht kräftig. Allerdings besaß er zehn Arme, die in zwei Fünferreihen zu beiden Seiten des Oberkörpers herabbaumelten. Die Arme endeten in zweifingrigen Händen, die sich ständig unruhig hin und her bewegten. Sie schienen knochenlos zu sein, denn sich knickten abwechselnd an verschiedenen Stellen ein. Eigentlich waren es also Tentakel. Für ein paar Sekunden war ich unaufmerksam. Drei oder vier Hände Pazzons zuckten nach vorn, als wollte der Kerl mich begrüßen. Die Bewegungen der dünnen Tentakel waren so schnell, daß ich sie mit den Augen kaum verfolgen konnte. »Freue mich, dich kennenzulernen«, plapperte er dazu. Vorsicht! Ein Ablenkungsmanöver! warnte mich der Extrasinn. Meine Hand zuckte schnell nach unten zu der Tasche mit den Münzen. Ich erwischte noch eine der dünnen Gliedmaßen. Zwischen den beiden Fingern hing die neuneckige Münze. »Loslassen!« befahl ich und drückte fester zu. »Schon gut.« Pazzon ließ die Münze fallen. Ich fing sie mit der anderen Hand auf. »Ich wollte das seltene Stück nur einmal ansehen.« Ich zahlte für das Mahl und bestellte mir bei KK‐4891 einen Becher Fruchtsaft. Der Roboter wollte insgesamt zwei Siebener dafür haben, und die gab ich ihm. Pazzon ließ nicht von mir ab. Sein klobiges, fast brutales Gesicht
schob sich wieder in meinen Blickwinkel. Seine pechschwarzen, ungepflegten Haare und der zerzauste Vollbart wirkten irgendwie unnatürlich. Etwas stimmte mit dem Burschen nicht. Er schien mir zu finster, listig und durchtrieben. Seine unruhigen kleinen Schweinsaugen unterstrichen diesen Eindruck. »Wir könnten ein Geschäft machen«, schlug er vor. »Ich habe dich draußen schon beobachtet. Du hast die Barmherzige ganz schön erschreckt. Was hast du ihr gesagt?« »Ich wüßte nicht, was es dich angeht.« Genüßlich trank ich den Saft und würdigte Pazzon keines Blickes. »Du hast das Wort Sonnensteppe benutzt.« Pazzon kicherte. »Und wenn?« »Manchmal ist es nicht gut, Tabus zu berühren. Es gibt hier viele Gerüchte, auch über den Erleuchteten. Etwas Genaues weiß aber wohl keiner. Wie heißt du? Wie alt bist du? Wo kommst du her?« Pazzon hatte seine Arme in die zerbeulte Hose gesteckt, wohl um mir zu zeigen, daß er keine hinterhältigen Maßnahmen mehr plante. Der lose Umhang um seinen Oberkörper war dreckig und speckig. Er ließ an beiden Seiten eine durchgehende Öffnung für die Armreihen frei. Da er nicht mehr und nicht weniger Vertrauen erweckte als jeder andere in der Spelunke, beschloß ich, mich mit der gebotenen Vorsicht auf ein Gespräch einzulassen. Ich mußte einfach mehr über die hiesige Situation in Erfahrung bringen, um eigene Fehler zu vermeiden. »Mein Name ist Atlan«, erklärte ich. »Ich bin an Informationen interessiert.« »Einen Achter!« verlangte der Vielarmige und streckte mir einen Tentakel entgegen. Ich gab ihm die Münze. Er bestellte sich einen Drink mit einem unaussprechlichen Namen. Als er daran genippt hatte, drehte er sich mir wieder zu. »Was willst du wissen, Atlan?« »Alles«, sagte ich.
»Wie alt bist du?« fragte er erneut. »Eine Zahl wird dir wenig bedeuten, Pazzon.« Ich bemühte mich um einen freundlichen Klang meiner Stimme. »Ich würde sagen, ich bin im besten Mannesalter.« »Bist du krank oder lahm?« Ich verneinte und wunderte mich über diese Frage. »Noch eine Frage«, drängte der Vielarmige, »dann stehe ich dir mit meinem Wissen zur Verfügung. Woher kommst du?« »Von sehr weit her. Genauer kann ich das nicht sagen.« »Aber aus Alkordoom, oder?« »Spielt das eine Rolle?« Ich konnte diesem Kerl unmöglich etwas von meiner Vorgeschichte erzählen oder gar von meinem Auftrag der Kosmokraten. »Eigentlich nicht.« Pazzon wirkte aufgeregt. »Jedenfalls scheinst du dich hier nicht auszukennen.« »So ist es«, gab ich zu und trank meinen Becher leer. »Ich stamme aus von Fyrs‐D. Dieser Planet liegt im Herrschaftsbereich Ordardor, zu dem auch Puurk gehört. Gentile Kaz ist hier der Herr im Haus, aber gesehen hat ihn noch keiner. Es soll sich um ein Kristallwesen handeln.« »Fyrs‐D«, sagte ich. »Noch nie etwas davon gehört.« »Dort leben die Fyrser. Ich bin einer davon.« »Und was machst du hier?« Pazzon kicherte. »Ich lebe hier, weil man auf Puurk am besten untertauchen kann. Ich habe gute Beziehungen.« »Was hat es mit der Sonnensteppe auf sich?« hakte ich ein. Je eher ich etwas über die Dinge erfuhr, die direkt etwas mit meinem Auftrag zu tun hatten, desto besser war das. »Eine geheimnisvolle Zone in Alkordoom. Es gibt die schauerlichsten Gerüchte, aber etwas Genaues weiß kaum jemand. Es empfiehlt sich jedenfalls nicht, laut über die Sonnensteppe zu denken oder gar zu versuchen, diesen Ort des Schreckens zu finden.«
Damit konnte ich wenig anfangen. »Wer ist der Erleuchtete?« Pazzon wand sich wie ein Aal. »Der absolute Herrscher. Er steht noch über Gentile Kaz und über den anderen Herrn der Sektoren Alkordoom. Früher soll er sich ab und zu einmal gemeldet haben. In der Zeit meines Lebens ist das jedoch nicht passiert.« Auch diese Antwort war reichlich nebulös. »Es gibt eine Kernzone in Alkordoom«, fuhr der Vielarmige bereitwillig fort. »Man nennt sie Nukleus. Dort irgendwo hockt der Erleuchtete.« »Das Juwel?« »So wird er auch bezeichnet. Aber frage mich nicht, was sich wirklich dahinter verbirgt.« »Was sagen dir die Namen ANIMA und EVOLO?« »Nie gehört, Atlan«, beteuerte der bärtige Fyrser. »Gibst du noch einen aus?« Ich nickte, und er verstand die Geste. »Bestell schon einmal. Ich bin gleich wieder da.« Er wartete keine Reaktion von mir ab und verschwand zwischen den anderen Gestalten im rückwärtigen Teil des Lokals. Ich winkte KK‐4891 herbei und bat um einen weiteren Fruchtsaft und um das Gebräu mit dem unaussprechlichen Namen, das Pazzon getrunken hatte. Holkuk tauchte wieder an meiner Seite auf. »Da hast du dich mit dem Falschen eingelassen«, bedauerte er. »Der Vielarmige ist ein ausgekochter Bursche. Ihm ist jedes Mittel recht, um zu einem Vorteil zu gelangen.« »Bei mir gibt es nichts zu holen«, wehrte ich ab. »O doch, Fremder. Atlan heißt du, nicht wahr? Ein seltsamer Name. Habe ich noch nie gehört. Es könnte sein, daß du etwas besitzt, was mich interessiert, Potential zum Beispiel.« »Potential?« Ich verstand nicht, was Holkuk meinte.
»Der Vielarmige hat sich mehr für dein Alter interessiert. Das ist typisch. Manchmal glaube ich, er gehört selbst zum Kreis der Gesuchten.« »Welcher Gesuchten?« »Du wirst das noch früh genug erfahren, Atlan. Wir sollten ein Spielchen machen.« Er faßte mich am Arm und zog mich zur Theke. »Einen Würfel, KK!« rief er dem Roboter zu. Ein regelmäßiger Zwölfflächner rollte auf mich zu. Ich betrachtete den Würfel. Er leuchtete fluoreszierend aus sich selbst heraus mit grüner Farbe. Alle Seitenflächen außer einer waren leer. Auf dieser Fläche befand sich ein schwarzer Punkt in der Mitte. »Du hast den ersten Wurf, Atlan.« Holkuk grinste breit. »Versuche so zu werfen, daß der schwarze Punkt oben liegt.« »Die Chancen stehen eins zu elf gegen mich.« Ich wog den kleinen Körper in meiner Hand. »Natürlich, natürlich. Aber dafür bekommst du elf Würfe. Ich habe jedoch nur einen.« Damit war zumindest mathematisch die Chancengleichheit gegeben. Nun ging es noch um den Spieleinsatz. »Wenn du verlierst«, erklärte Holkuk, »bekomme ich den Neuner.« »Und wenn du verlierst?« »Rette ich dein Leben.« Das klang wieder reichlich verrückt. »Informationen wären mir lieber.« »Das meine ich doch. Du bekommst die Information, die dir das Leben rettet. Ist das kein Angebot? Fang endlich an. Der Vielarmige kommt schon zurück.« Tatsächlich drängte sich Pazzon an meine Seite. Er sagte selbst dann nichts, als er den fluoreszierenden Würfel sah. Ich warf mehrmals hintereinander, aber in keinem Fall lag der Punkt oben. Nach dem sechsten Wurf nahm Holkuk den
Zwölfflächner an sich und warf selbst. Der schwarze Punkt blieb oben liegen. »So geht das«, kicherte Holkuk. »Jetzt hast du noch fünf Würfe, um auszugleichen.« Ich ahnte, daß irgend etwas an der Sache faul war, aber ich konnte nicht erkennen, was hier wirklich geschah. Scheinbar gelassen nahm ich den Würfel erneut und ließ ihn über die Theke rollen. Bis zum vorletzten Wurf zeigte immer eine leere Seite nach oben. Beim letzten Wurf geschah etwas Merkwürdiges. Ich war voller Konzentration, so daß mir keine Kleinigkeit entging. Wieder zeigte eine leere Seite nach oben. Sie war jedoch nur für einen Sekundenbruchteil zu erkennen, dann drehte Pazzon mit einer Bewegung, die kein normales Auge verfolgen konnte, den Punkt nach oben. Ich war mir sicher, daß Holkuk das Geschehen nicht hatte verfolgen können. Seine überlange Nase wippte aufgeregt in die Höhe. »Also doch Potential«, stieß er hervor. »Vielarmiger, du mußt ihn mir überlassen. Wir teilen den Gewinn.« Allmählich dämmerte es mir, daß diese Gestalten um mehr feilschten, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. »Vielleicht erklärt mir mal einer, was das alles soll!« brauste ich auf. »Sofort!« Holkuk zog ein kleines Kästchen aus seiner Jacke und preßte es mir gegen die Stirn. Ein Pfeifton wurde hörbar. Dann entriß ich ihm das Kästchen und betrachtete es genauer. Es zeigte keinerlei Öffnungen oder Bedienelemente. »Potential, Potential!« freute sich Holkuk. »Was ist, Vielarmiger, teilen wir?« »Nein«, antwortete der Fyrser rauh. »Du hast deine Chance längst verspielt.« Holkuk erstarrte. Sein Blick ging zum Eingang. Meine Augen sahen ebenfalls in diese Richtung. Dort standen zwei glänzende Roboter, hinter denen zwei Uniformierte mit forschendem Blick
herüberstarrten. »Verdammt!« schimpfte Holkuk laut. »Der Verräter ist mir zuvorgekommen. Verschwinde, Atlan, wenn dir dein Leben etwas bedeutet.« Der Vielarmige verhielt sich ruhig, als sei er selbst überrascht. Holkuk entriß mir sein Kästchen und tauchte zwischen den anderen Gestalten unter. Die beiden Uniformierten kamen mit schweren Schritten auf mich zu. Die anderen Gäste wichen scheu zur Seite. Der größere der beiden fremdartigen Zweibeiner fixierte mich. »Er sieht in der Tat ganz gut aus«, meinte er dann zu seinem Begleiter. »Gentile Kaz braucht tüchtige Söldner. Du wirst uns begleiten.« »Das werde ich nicht«, erklärte ich ruhig. »Du meinst, du willst nicht? Das spielt keine Rolle, denn du mußt.« Er winkte den Robotern, die sich sofort links und rechts von mir aufbauten. Plötzlich zischten zwei Schüsse durch den Raum. Für Sekunden war ich geblendet. Als ich die Augen wieder öffnete, lagen die Roboter zerschmolzen auf dem Boden. »Ein Jäger! Ein Jäger!« hörte ich die Anwesenden in Panik schreien. Eine Gestalt huschte durch den Raum. Die beiden Uniformierten feuerten aus ihren Waffen auf sie, bis plötzlich alle Lichter erloschen. Jemand packte mich am Arm. An der Stimme erkannte ich Holkuk. »Hau endlich ab!« zischte er. »Ich finde dich schon wieder und erklär dir alles.« Durch den Lärm kämpfte ich mich zum Ausgang, wobei ich wenig rücksichtsvoll vorging. Dann lag die Straße vor mir. Ich wählte irgendeine Richtung, bis ich eine Seitengasse fand, in der die Häuser eng beieinander standen. Dort preßte ich mich in einen
Hauseingang und beobachtete, was in dem Lokal und davor weiter geschah. Leichtsinn hat sich noch nie bezahlt gemacht, meinte mein Logiksektor. Eine Erklärung für die merkwürdigen Geschehnisse konnte er mir aber auch nicht liefern. Ich dachte wieder an die Worte des Auftrags und an die zweite Versetzung, die darin angekündigt worden war. In diesem Hexenkessel wäre es mir jetzt nur recht gewesen, wenn sie erfolgen würde. 4. Die Nacht hatte sich über Puurk gesenkt. Aus dem Zentrum der Stadt, deren Namen ich nicht einmal wußte, leuchteten unzählige bunte Lichter herüber. Hinter der Hochhäuserfront malten Scheinwerfer grelle Lichtbahnen in den Himmel, um den landenden Raumschiffen den Weg zu weisen. Dort mußte ein Raumhafen von beachtlicher Größe sein. Ich drückte mich im Schatten der niedrigen Holzhäuser den Weg entlang und war bemüht, allen herumstreunenden Gestalten auszuweichen. Irgendwie hatte ich das Interesse der zusammengewürfelten Lebewesen geweckt, und auf weitere unliebsame Begegnungen legte ich keinen Wert. Viel hatte ich nicht in Erfahrung gebracht. Ich war also in der Galaxis Alkordoom gelandet, räumlich versetzt durch den Willen der Kosmokraten. Deren Worte brannten noch immer in mir, aber sie wurden mit jedem Atemzug deutlicher und angenehmer. Mein Körper litt nicht mehr unter den Folgeerscheinungen meines Orakeldaseins oder unter dem, was die Kosmokraten mit mir angestellt hatten. Der Zellaktivator pulsierte nun gleichmäßig, so daß ich ihn kaum noch bemerkte. Alkordoom teilte sich in Abschnitte auf, das war klar geworden.
Dieser hier wurde Ordardor genannt, und sein Herr war ein Wesen namens Gentile Kaz. Diese Welt hieß Puurk, und irgendwo gab es noch eine mit dem Namen Fyrs‐D, von der der merkwürdige Pazzon stammte. Wichtige Erkenntnisse, bemerkte der Extrasinn. Für die hiesige Szene sind sie jedoch nicht von entscheidender Bedeutung. »Was dann?« fragte ich halblaut zurück, denn weit und breit war niemand zu sehen. Das Interesse, das man für dich entwickelt. Der eine meinte, du würdest über etwas verfügen, was er Potential nennt. Der andere wollte unbedingt wissen, wie alt du bist. Ich habe mir überlegt, was das bedeuten könnte. »Sprich weiter!« forderte ich mein zweites Bewußtsein auf. »Ich gebe zu, daß ich ziemlich verwirrt und ratlos bin.« Es fällt mir auch schwer, bei den Fremden deren Alter zu schätzen. Aber mir fiel doch irgendwann auf, daß wir ausschließlich ganz alten Wesen begegneten oder Kindern. »Stimmt«, folgerte nun auch ich. »Es bedeutet, daß man Männer und Frauen im mittleren Alter abgezogen hat. Ich gehöre in diese Altersklasse. Daher weckte ich das Interesse Pazzons. Aber warum?« Du hast gehört, was der eine Uniformierte sagte. Gentile Kaz braucht Söldner. »Auch das stimmt. Es würde also bedeuten, daß man mich gewaltsam für irgendeine Armee oder sonst etwas rekrutieren will.« Richtig. Was Holkuk mit dem Potential meinte, das du angeblich besitzt, ist eine andere Frage. Sie beweist aber, daß sich mehrere Gruppen für dich interessieren. »Zwei«, antwortete ich. Bis jetzt. Wer weiß, was Puurk noch für Überraschungen bietet. »ANIMA, die Schlummernde«, sagte ich in der erneuten Erinnerung an die undurchsichtigen Geschehnisse, die mich aus dem Orakeldasein gerissen hatten. »Was mag es damit auf sich haben?«
Es gibt keine konkreten Hinweise. Ich konnte mich schlecht die ganze Nacht hier herumtreiben, zumal ich nicht einmal wußte, wie lange eine Nacht auf Puurk dauerte. Da die Dämmerung sehr schnell hereingebrochen war, konnte ich nur vermuten, daß die Nacht kurz sein würde. Ich bog in eine noch schmalere Seitengasse ein, in der ein einziges Licht leuchtete. »Preiswerte Übernachtungen«, las ich. Ich steuerte den finsteren Eingang an, als etwas zu meinen Füßen raschelte. Ein kaum armlanges, bepelztes Wesen richtete sich auf. In der schlechten Beleuchtung sah ich zwei blitzende Zahnreihen. Vorsichtig wich ich zurück. »Du mußt Atlan sein«, kam es zischend aus dem Mund des Wesens, das ich automatisch für ein Tier gehalten hatte. »Ist es so?« »Woher kennst du diesen Namen?« fragte ich zurück. »Von Pazzon. Er ist mein Freund. Er hat viele von uns losgeschickt, um dich zu finden. Mein Name ist Lips. Ich bin ein Unterpuurker.« »Was will Pazzon von mir?« »Er bietet dir seine Hilfe an. Es tut ihm leid, daß die Häscher der Facette dich beinahe erwischt haben. Er rät dir, ein Hotel aufzusuchen. Ich werde ihn benachrichtigen, damit er zu dir kommt. Einverstanden?« »Ich werde es mir überlegen«, wich ich aus. »Pazzon läßt dir noch etwas sagen«, fuhr der Kleine aufgeregt fort. »Du sollst dich vor Holkuk hüten. Er arbeitet für die Jäger, die das Potential sammeln. Es würde dein Ende bedeuten.« Das klang wieder nicht klar. »Hör zu, Lips«, erklärte ich hart. »Ich möchte wissen, was es mit diesem Potential auf sich hat.« »Ich weiß es nicht, aber es muß etwas Schreckliches sein. Sicher hat es etwas mit der Sonnensteppe zu tun.« Ich zuckte bei der Erwähnung dieses Wortes beinahe zusammen. »Du kennst die Sonnensteppe, Lips?«
»Natürlich nicht, denn ich bin ja hier auf Puurk. Puurk ist schon schlimm, weil Kaz alle Typen, die er nicht brauchen kann, an diesen Ort schickt. Aber die Sonnensteppe muß noch viel schlimmer sein. Wartest du nun auf Pazzon? Ich kann dir versichern, daß er dir helfen wird.« »Ich gehe in dieses Haus.« Meine Hand zeigte auf die Leuchtschrift. »Dort werde ich auf Pazzon warten.« »In Ordnung.« Lips verschwand irgendwo in der Dunkelheit. Ich schob mich im Schatten einer Wand auf den Eingang zu. Du gehst nicht hinein! bestimmte der Extrasinn mit ungewöhnlicher Härte. Ich traue diesem Pazzon nicht. Es war in dieser unklaren Lage sicher sinnvoll, auf mein zweites Bewußtsein zu hören. Mit schnellen Schritten überquerte ich die Straße und zwängte mich in einen schmalen Durchlaß zwischen zwei Holzhütten, in den ich gerade noch paßte. Der Boden war aufgeweicht, aber ich kam zügig voran. Hinter den Hütten erstreckte sich eine mit niedrigen Büschen bewachsene Fläche. Dahinter ragten wieder größere Bauten in die Höhe. Aus einem Fenster in der zweiten Etage eines Hauses fiel ein Lichtschein. Er reichte aus, um die Umgebung zu erkennen, zumal sich meine Augen längst an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Über eine rostige Dachrinne kletterte ich auf das Gebäude, das dem Hotel genau gegenüber lag. Behutsam schob ich mich über das Flachdach, bis ich in die Gasse blicken konnte, in der ich auf Lips gestoßen war. Lange brauchte ich nicht zu warten. Ein Gleiter brauste heran. Er hielt vor dem Lichttransparent. Fünf Gestalten sprangen heraus. Zwei suchten sofort die Hinterseite des Hotels auf. Die drei anderen schritten auf den Eingang zu. Ich erkannte den Vielarmigen und zwei Uniformierte. »Nicht so schnell«, keuchte Pazzon. »Ich bin ein alter Mann.« Den Eindruck hat er auf mich nicht gemacht, teilte mir der Extrasinn mit.
Auf mich auch nicht, gab ich lautlos zurück. Es ist auch egal. Jetzt steht jedenfalls fest, daß dieser Pazzon nichts weiter im Sinn hat, als mich an diese Söldnerpresser auszuliefern. Wahrscheinlich kassiert er eine Belohnung dafür. Aus dem Hotel erklang ein lautes Geschrei. Kurz darauf wurden mehrere Gestalten auf die Straße getrieben. Es handelte sich ausnahmslos um alte Zweibeiner. Einige trugen nur dürftige Kleidung, und einer war ganz nackt. Die beiden Uniformierten schrien noch lauter als die aus dem Schlaf geweckten Hotelgäste. Sie suchten mich, das konnte ich deutlich erkennen. Pazzon hielt sich auch jetzt im Hintergrund. Ich konnte mir vorstellen, daß er sich verdammt unwohl fühlte, denn schließlich war das Opfer der Häscher ihm nun zum zweitenmal entkommen. Ich hätte am liebsten laut gelacht. Untersteh dich! warnte der Logiksektor eindringlich. Also verhielt ich mich ruhig. Die Wut der Uniformierten entlud sich nun auf Pazzon. Der schwor, mich noch zu finden und an die Söldnerpresser auszuliefern. Wenig später verschwand der Gleiter mit seinen Insassen wieder. Nur Pazzon blieb zurück. Die Hotelgäste verzogen sich in das Innere des Gebäudes. »Lips!« hörte ich den Vielarmigen leise rufen. Ich konnte mir denken, was nun geschehen würde. Der Bepelzte kam hinter einer Hausecke zum Vorschein. Pazzon sprang blitzschnell auf ihn zu und bekam ihn zu packen. »Ich könnte dich erwürgen, du Stück Dreck!« brüllte er den wehrlosen Lips an und schüttelte ihn heftig. Das kleine Wesen quietschte verzweifelt. Ich hörte nicht auf die Warnungen des Extrasinns und schwang mich über das Dachsims. Mit wenigen Schritten war ich neben Pazzon und drosch ihm eine Faust ins Gesicht. Lips fiel zu Boden. Der Vielarmige erwies sich als außerordentlich guter und
gewandter Kämpfer. Meinen ersten Hieb steckte er weg. Gegen seine blitzschnellen Arme fehlten mir die rechten Mittel, zumal er mich gleichzeitig am Hals, an den Armen und am Körper packte. Mir blieb gar nichts anderes übrig, als ihm ein Knie in den Leib zu stoßen. Stöhnend sank er zu Boden. »So ergeht es jedem«, fauchte ich, »der mich verraten will. Hast du das kapiert?« Langsam kam Pazzon wieder auf die Beine. Er hielt sich in sicherer Entfernung von mir. Seine kleinen Schweinsaugen funkelten bös im Licht des Transparents. »Idiot!« stieß er hervor. Dann drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit. Weg von hier! verlangte der Extrasinn. So schnell gibt Pazzon doch nicht auf. Ich drückte mich wieder zwischen zwei dunkle Häuserfronten. Die nahen Lichter des Stadtzentrums zogen mich an, aber ich wußte, daß ich diesen Ort meiden mußte. Du solltest dich verkleiden, meinte der Logiksektor. Als alter Typ bist du weniger gefährdet. Das stimmte, aber mir fehlten dafür die geeigneten Hilfsmittel. Als es erneut zu meinen Füßen raschelte, sah ich wegen der Dunkelheit nichts. »Ich bin Lips«, hörte ich. »Bitte nimm mich mit. Ich arbeite nicht mehr für Pazzon. Er hat mir weh getan.« Ich bückte mich und hob den kleinen Burschen auf. Sein Körper glich dem einer terranischen Katze, aber sein Kopf war eher der eines jungen Bären. »Wo können wir uns verstecken, Lips?« fragte ich. »Ich könnte etwas Ruhe gebrauchen.« »Ich auch. Mir tut alles weh. Dieser widerliche Kerl. Ich habe noch andere Freunde. Bei ihnen kannst du erst einmal unterschlüpfen. Einen sicheren Ort gibt es hier allerdings nicht.«
»Hier? Wie heißt diese Stadt?« »Sie hat keinen Namen, denn fast alles auf Puurk ist die Stadt. Geh diesen Weg entlang bis zur nächsten Kreuzung und dann links.« Ich tat, was das kleine Wesen vorschlug. Ob ich mich wirklich auf ihn verlassen konnte, war eine andere Frage. Hier schien jeder jeden ausspielen zu wollen. Der Unterpuurker war sicher im Augenblick dankbar, weil ich ihn aus dem Würgegriff Pazzons befreit hatte, aber das konnte sich schnell wieder ändern. Der Extrasinn schwieg. Das bedeutete, daß er Lips vertraute. Von meinem eigenen Ich konnte ich das nicht behaupten. Nach einigen hundert Metern durch die halbdunklen Gassen der Stadt bat mich Lips, der auf meinem rechten Arm hockte, anzuhalten und ihn auf dem Boden abzusetzen. »Ich bin gleich wieder zurück«, rief er mir zu. Ich sah ihn durch das Kellerfenster eines Hauses huschen. Vorsichtig, wie ich es nun einmal geworden war, suchte ich einen anderen Ort in der Nähe auf, von dem ich alles beobachten konnte, selbst aber im Dunkeln stand. Während ich wartete, dachte ich wieder an die zweite räumliche Versetzung, die die Kosmokraten angekündigt hatten. Puurk konnte nur eine Zwischenstation auf meinem Weg sein. ANIMA war hier unbekannt. Du weißt weder, was sie ist, noch wo sie ist, erinnerte mich der Logiksektor. Konzentriere dich auf das, was hier geschieht! Aus dem Haus, in dem Lips verschwunden war, schlurfte eine Gestalt. Auf den ersten Blick sah sie aus wie eine alte Frau. Als sie aber im Licht einer trüben Straßenfunzel stehenblieb, erkannte ich einen vieräugigen Kopf und den Körper eines scheinbar Verwandten eines terranischen Känguruhs. »Atlan!« rief die Frau leise. Zweifellos handelte es sich um ein weibliches Wesen, wie die Körperformen bewiesen. Nichts ist bewiesen! korrigierte der Extrasinn meinen ersten Eindruck von der Fremden. Sei nicht so voreilig! Hier ist alles anders.
Nun tauchte auch Lips wieder auf. Auch er rief nach mir. Ich trat aus dem Schatten. »Da ist er ja.« Die Alte watschelte auf mich zu. »Zwei Sechser«, sagte sie. »Dann hast du eine Liege. Und ich stelle keine Fragen. Und du auch nicht. In Ordnung?« Ich fühlte mich plötzlich müde. Die Strapazen waren doch irgendwie ungewöhnlich gewesen. Der Zellaktivator hatte gute Dienste geleistet, aber die Umstellung vom Orakeldasein hatte doch an mir gezehrt. Ich kramte die beiden verlangten Münzen hervor und drückte sie der Alten in die Hand. Sie warf nur einen kurzen Blick darauf und winkte mir dann, ihr zu folgen. Im Innern des einfachen Hauses roch es modrig und unangenehm. Hier brannten Kerzenlichter. Lips schien mich in das primitivste Quartier geführt zu haben, das es auf Puurk gab. In meiner Lage konnte mir das jedoch nur recht sein. »Du siehst tatsächlich verdammt jung und frisch aus.« Die Alte hielt mir eine Kerze unter die Nase. »Kein Wunder, daß man wild auf dich ist. Warum bist du ausgerechnet nach Puurk gekommen?« Das war eine gute Frage, aber eine Antwort konnte ich ihr darauf nicht geben. »Ich dachte«, antwortete ich, »wir stellen keine Fragen.« »Schon gut.« Die mit dünnem Flaum besetzte Hand winkte müde ab. »Ich zeige dir deine Liege. Aber für einen weiteren Sechser hätte ich einen Alten aus dir gemacht.« »Du meinst, du würdest mein Äußeres verändern können?« Ich war plötzlich wieder hellwach, denn der Vorschlag meines Extrasinns war mir noch in guter Erinnerung. Statt einer Antwort hielt sie mir ihre Hand entgegen. Ich erwischte unter den letzten Münzen zufällig einen Siebener und gab ihn ihr. »Kann nicht wechseln«, maulte die Alte. »Schon gut. Wie heißt du?« »Du bist ein komischer Kerl«, antwortete sie und entblößte ein von
vielen Lücken durchsetztes Gebiß. »Nenne mich Mum.« Sie zeigte mir eine kleine Kammer, in der eine einfache Liege mit Stroh und einer Decke stand. Dann winkte sie mich in einen anderen Raum. »Hinsetzen!« knurrte sie barsch. »Jetzt machen wir erst einmal ein ansehnliches Stück Dreck aus dir. Dann bist du für ein paar Tage sicher auf Puurk. Glaube aber nicht, daß man dir nicht doch irgendwann auf die Spur kommt.« Ich nahm auf der primitiven Holzbank Platz, die außer einem Schrank das einzige Mobiliar im Raum war. Lips war plötzlich auch wieder da. Er hockte sich zu meinen Füßen auf den Boden. Während Mum in dem Schrank herumkramte, rollte er sich ein und schloß die Augen. »Wie heißt der Planet, von dem du kommst?« wollte die Alte wissen. Ihre Neugier überwog nun doch, denn sie hielt sich nicht an ihre eigenen Worte. Da ich nichts gegen weitere Informationen einzuwenden hatte und mir von einem Gespräch solche erhoffte, gab ich bereitwillig Auskunft. »Meine Heimatwelt heißt Arkon. Arkon liegt in einem Kugelsternhaufen, den man M 13 nennt und der zu einer Galaxis namens Milchstraße gehört.« »Milchstraße?« Sie rückte mit einer Perücke an und hielt mir diese über den Kopf. »Zu groß. Milchstraße? Du willst damit sagen, du bist nicht von Alkordoom?« »Das will ich damit sagen.« Ich war gespannt, wie sie darauf reagieren würde. »Kennst du Voorndan?« Sie kam mit einer anderen Perücke auf mich zu. Mit schnellen Griffen formte sie meine langen Haare zu einem Knoten auf der Kopfoberseite. »Voorndan?« Ich brauchte nicht lange zu überlegen, denn dieser Name war mir unbekannt. »Nie gehört. Was hat es damit auf sich?« »Wenn du Voorndan nicht kennst, ist es unwichtig.« Sie zog mir ein halbkugelförmiges Stück Fell über den Kopf. »Du scheinst
wirklich ein seltenes Exemplar zu sein. Was willst du hier?« »Ich suche EVOLO.« »Ist das ein Alter von Puurk?« »Ich weiß nicht, wer oder was EVOLO ist. Ich weiß nur, daß ich ihn suche.« »Bißchen verrückt, eh?« Sie entblößte wieder ihre Zahnlücken. »Kennst du ANIMA?« »Unbekannt. Aber das Fell paßt. Nun müssen wir noch ein paar Runzeln und Warzen in dein Gesicht zaubern.« Ich ließ die Prozedur über mich ergehen. Als Mum fertig war und zufrieden in die Hände klatschte, stand ich auf. Sie hielt mir ein Stück blankes Metall entgegen. Einen besseren Spiegel besaß sie wohl nicht. Ich erkannte mich nicht wieder. Die Maske war in der Tat gelungen. »Nun schlaf dich aus, Mann von Arkon.« Sie deutete auf die offene Tür, hinter der der Gang zu meiner Kammer führte. »Und morgen früh verschwindest du so leise, wie du gekommen bist.« Lips schloß sich mir an, als ich den Raum verließ. Er blieb auch bei mir, als ich mich auf die Liege begab und die Hände unter dem Kopf verschränkte. Die Perücke drückte ein wenig, aber ich würde mich daran gewöhnen. Ich blies die Kerze aus, nachdem ich die Tür verriegelt hatte. Ein Fenster gab es hier nicht. Da mein Körper nach Ruhe verlangte, fügte ich mich in die fragwürdige Situation. In der Dunkelheit stiegen wieder Bilder in mir hoch. Die unruhigen Bewegungen des Unterpuurkers, der sich auf der Decke zwischen meinen Füßen eingerollt hatte, konnten mich nicht ablenken. Ich sah mich in der riesigen Wolke aus Spoodies und fühlte die unsichtbare Faust, die mich aus diesem Dasein riß. Ich erwachte auf einer Welt des Raumsektors Varnhagher‐Ghynnst, wo die Spoodie‐ Wolke auf das Abernten wartete. Nichts war mehr wirklich – außer
der Stimme der Kosmokraten, obwohl diese unendlich weit entfernt waren. Die Worte des Auftrags spulten sich erneut vor meinem Bewußtsein ab. Dann fiel der Begriff Varnhagher‐Ghynnst, und mir wurde bewußt, daß ich diesem grausamen und unwirklichen Spiel ein Ende setzen konnte. Ich brauchte es nur zu wollen und zu denken! Und dazu das Kodewort Varnhagher‐Ghynnst, den Namen des Ortes, der mir einmal viele Sorgen bereitet hatte, und an dem ich aus dem Orakeldasein erwacht war. Du steigst sowieso nicht aus, bemerkte der Extrasinn voller Bissigkeit. Also ist es besser, wenn du jetzt schläfst. Ich schloß die Augen, aber meine Ohren hörten weiter die brennenden Worte des Auftrags der Kosmokraten. Irgendwann schlief ich dann doch ein. 5. Ein leises Prasseln klang an meine Ohren, als ich aus dem Schlaf hochschreckte. Sofort war ich hellwach. Mum stand neben meiner Liege. »Es wird Zeit, daß du verschwindest, Mann von Arkon.« Sie hielt mir etwas entgegen, was wie ein grauer, alter Mantel aussah. »Bei mir finden jeden Tag Razzien statt. Man weiß nie, wann die Burschen kommen.« »Danke«, murmelte ich und probierte den Mantel an. Er reichte bis zu den Spitzen meiner Stiefel und verdeckte so die silbergraue Kombination, die sicher ein auffälliges Merkmal war. »In den Taschen findest du dein Frühstück. Und nun zieh ab. Durch den Hinterausgang.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Die Nacht hatte tatsächlich nur vier Stunden gedauert, und knapp drei hatte ich davon
geschlafen. Das würde ausreichen, denn die fehlende Ruhe würde der Zellaktivator kompensieren. Mum schob mich zum Ausgang. Als ich ins Freie trat, erkannte ich, was das Prasseln zu bedeuten hatte. Es regnete in Strömen. Wo war Lips? Ich blickte mich um, aber der kleine Kerl war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er sich schon vor meinem Erwachen auf den Weg gemacht. Hatte der Unterpuurker die Verriegelung meiner Schlafzelle geöffnet? Oder hatte die Alte das gemacht? Ich wußte es nicht. Es spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Ich mußte mit meiner Tarnung nun neue Informationen über Puurk, Ordardor und Alkordoom sammeln. Daß ich eine konkrete Spur über EVOLO oder ANIMA finden würde, glaubte ich nach den Fehlversuchen vom Vortag schon nicht mehr. Mein Ziel stand fest. Es war der Raumhafen. Dort, wo der Weg zu den Sternen von Alkordoom offen stand, konnte ich am ehesten Erfolg haben. Ich schnürte den Mantelkragen zu, überprüfte den Sitz meiner Perücke und machte mich auf den Weg. Es waren zu dieser frühen Stunde nur wenige Leute unterwegs. Erkennen würde man mich sowieso so schnell nicht, es sei denn … …es sei denn, meldete sich der Extrasinn, Mum oder Lips haben deine Seele schon an irgendwelche Häscher oder Potentialjäger verkauft. »Du solltest mir lieber einen guten Morgen wünschen«, antwortete ich laut und bissig auf Interkosmo, das hier bestimmt niemand verstehen würde, »als mir die ersten Stunden des Tages mit deinem Pessimismus zu verderben!« Der Logiksektor schwieg daraufhin. Ich kramte in den Taschen und fand ein Stück fester Nahrung. Es war grobgekörnt und erinnerte mich an terranisches Bauernbrot. Als ich hineinbiß, schmeckte es jedoch süß. Ich orientierte mich, bis ich wußte, in welcher Richtung der Raumhafen liegen mußte. Um an diesen Ort zu gelangen, mußte ich
zwangsläufig durch die belebte Zone mit den Hochhäusern und den Gleiterstraßen. Es würde sich gut machen, wenn du ein wenig humpelst oder ein Bein nachziehst, schlug der Extrasinn vor. Dein strammer Gang erregt unnötig Aufmerksamkeit. Ich folgte dem Ratschlag. Nach wenigen Schritten hatte ich mich an die neue Gangart gewöhnt. Den Kopf hielt ich nach unten geneigt, damit der Regen mir nicht die Maske Mums aus dem Gesicht waschen konnte. Der Kragen des Mantels war längst hochgeschlagen. Mir war kalt. Ich fühlte mich unwohl, einsam und verlassen. Auch die immer leiser werdenden Worte der Kosmokraten, die noch immer in meinem Kopf herumspukten, waren kein Trost. Auf der Hauptstraße, die ich am Vortag kennengelernt hatte, herrschte auch jetzt in den frühen Morgenstunden reger Verkehr. Ich stellte mich unter ein Vordach und beobachtete die Situation. Es schien hier eine Art Hierarchie zu geben. Zu Fuß waren nur alte und zerlumpte Gestalten unterwegs oder Kinder und Jugendliche. In der Mitte der Fahrbahn zogen träge Karren, die von sechsbeinigen Tieren gezogen wurden, ihren Weg. Darüber gab es drei Gleiterebenen, die auch durch Lichter an den Hochhäusern markiert waren. Ganz oben flogen die stattlichsten Gefährte. In denen saßen fast ausschließlich Wesen in einer Einheitskleidung. Es herrschten dunkelblaue Uniformen vor. Ein kaum einen Meter großer Bursche rempelte mich sanft an. »Heh, Alter!« erklang eine helle Stimme. Ich fixierte den Kerl. Er war entfernt hominid, besaß aber nur ein Auge, keine Nase und einen ungewöhnlich großen Mund. Es schien sich um einen Jugendlichen zu handeln. »Spieler oder Händler?« wollte er wissen. Ich brummte eine unverständliche Anwort. »Also Händler«, meinte das junge und wohl männliche Wesen. »Hast du was dabei? Kitter oder Mympf?«
Die beiden Begriffe standen für irgendwelche Gifte, das wußte ich aus meinen Kenntnissen der alkordischen Sprache. Vermutlich Rauschgift, merkte der Extrasinn an. Schau dem Burschen genau ins Gesicht! Das Auge in der Mitte des Gesichts war trüb. Dünne Tränen rannen aus ihm herab und bildeten Tropfen in den Mundwinkeln. Die Gesichtshaut war rosa und wirkte doch alt. »Habʹ nichts dabei«, bemerkte ich knapp. »Dann besorg was!« Er stieß mir eine Faust in die Rippen. »Ich habe es verdammt nötig, und ich brauche den Stoff. Geld ist vorhanden.« »Tut mir leid«, lehnte ich ab. »Heute läuft nichts.« Er spuckte verächtlich vor meinen Füßen auf den Boden und eilte davon. Meine Blicke folgten ihm, als er die breite Straße überquerte. Auf der anderen Seite sprach er eine vermummte Gestalt an. Die beiden verdrückten sich schon bald in eine Ecke. Dort schienen sie sich handelseinig zu werden. Puurk war also in mehrfacher Hinsicht ein verkommenes Pflaster. Was mußte dieser Gentile Kaz für ein schwacher Herrscher sein, daß er diesen Verfall duldet. Vielleicht macht er das vorsätzlich, meinte der Logiksektor. Es muß doch Gründe dafür geben, daß er diese Welt unterhält. Denke an den regen Raumschiffverkehr. Immerhin erinnerte mich diese Bemerkung an mein Ziel. Ich zog den Mantelkragen noch enger zusammen und schickte mich an, die Straße zu überqueren. Der Regen war noch stärker geworden. Das Wasser spritzte unter dem Umhang gegen meine Kombination, aber die und die Stiefel erwiesen sich als dicht. Ich wich einem Karren aus, der mit großen, kürbisähnlichen Früchten beladen war. Der Kutscher ließ seine Peitsche über meinen Kopf knallen, als er meinen neugierigen Blick gewahrte. Ich beeilte mich, aus seiner Reichweite zu kommen. Ein Stück mußte ich der breiten Straße folgen, bis ich einen
geteerten Seitenweg fand, der nach meinem Gefühl in Richtung des Raumhafens führen mußte. Zur frühen Morgenstunde waren hier schon Läden geöffnet. Früchte und Meerestiere wurden angeboten. Alles sah ziemlich heruntergekommen und schmutzig aus. Aus kleinen Kaschemmen erklang Gejohle. Ich warf einen Blick durch eine offene Tür und gewahrte alte und junge Gestalten, die vor Automaten ihren Zeitvertreib suchten. »Komm herein, Alterchen«, grölte eine Stimme aus dem Halbdunkel. »Versuch dein Glück. Wenn du etwas drauf hast, ist das die beste Fahrkarte weg von Puurk ins Glück.« Es setzte meinen Weg fort, ohne um mich das Geschehen weiter zu kümmern. Eine Schar kleiner Wesen, zweifellos Kinder, hefteten sich an meine Fersen. Bettelnde Hände streckten sich mir entgegen. Fast war ich geneigt, die restlichen Münzen der Barmherzigen hinzuwerfen. Aber ich besann mich. Dann wäre ich die Meute nie losgeworden. Als ich in eine Seitengasse bog, blieben die Kinder hinter mir zurück. Böse Bemerkungen hallten hinter mir her. Ich schüttelte mich innerlich. Wut kam in mir auf. Ich hatte den Wunsch, diesen ganzen Vorfall hinwegzufegen. Keine Chance! Der Logiksektor brachte mich schnell auf den Boden der Tatsachen zurück. Du bist aus einem anderen Grund hier. Ich grübelte darüber nach, ob Puurk ein Ort war, den ich gezielt nach dem Willen der Kosmokraten erreicht hatte. Eine Antwort fand ich nicht, denn meine Erinnerung enthielt keinen Hinweis, der dafür oder dagegen sprach. Wir schicken dich nach Alkordoom! Das sagte die Stimme der Kosmokraten. Von Puurk war keine Rede gewesen. Die Häuserreihen lichteten sich. Ein riesiges Feld öffnete sich vor mir. In der Ferne sah ich die charakteristischen Formen von Raumschiffen aller Art. Das mußte der Raumhafen sein. Ich quetschte mich durch Buschreihen, bis ich an einen dichten Maschenzaun gelangte. Vorsichtig näherte ich mich diesem und
betrachtete alles genau. Es schien sich tatsächlich um eine einfache Absperrung zu handeln, denn ich fand keinen Hinweis auf energetische Sperreinrichtungen. Um ganz sicherzugehen, nahm ich einen Brocken Lehm auf und warf ihn gegen den Zaun. Nichts geschah. Nun wagte ich mich noch näher heran. Der Blick auf das Landefeld öffnete sich. Links von mir standen in einigen hundert Metern Entfernung flache Gebäude, wie sie auch für Raumhäfen in der Milchstraße typisch waren. Dahinter erhoben sich zwei schlanke Türme, deren Spitzen mit blinkenden Signalen und riesigen Antennen verziert waren. Das mußten die Abfertigungseinrichtungen sein. Im Unterschied zu der Stadt machte der Raumhafen einen gepflegten und hochtechnisierten Eindruck. Die Zivilisationen des Gentile Kaz mußten also auch noch etwas anderes bieten als Spielhöllen, Spelunken, schäbige Nachtquartiere oder heruntergekommene Tagediebe und Rauschgifthändler. Entlang des Zaunes entdeckte ich einen ausgetretenen Trampelpfad. Ich folgte diesem Weg in Richtung der Abfertigungsgebäude und hielt weiter Ausschau. Ein walzenförmiges Raumschiff von etwa 200 Metern Länge senkte sich lautlos vom verregneten Himmel herab. Es steuerte einen Teil der Landefläche an, der nah zu mir war und den ich gut überblicken konnte. Ich blieb vorsichtig und suchte ein Versteck zwischen den dichten Büschen, die hier überall wuchsen. Gleiter schossen aus einem Hangar, noch bevor das Schiff seine Landebeine ausgefahren hatte. Sie bildeten einen Kreis um den vorgesehenen Landeplatz. Roboter schwangen heraus. Es handelte sich um einen zweibeinigen Einheitstyp, der sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit den terranischen Robotern besaß. Offensichtlich kam hier eine Ladung auf Puurk an, die bestens gesichert werden mußte. Ich war neugierig, was das sein würde.
Die Luken des Schiffes öffneten sich, und heraus strömten zerlumpte Gestalten. Diese Figuren unterschieden sich in nichts von den Typen, die ich in der Stadt angetroffen hatte. Die bedauernswerten Wesen wurden von den Robotern zu einer Schlange formiert, die sich auf eine breite Öffnung, im Zaun zubewegten. Wer auszubrechen versuchte, wurde mit funkensprühenden Peitschen wieder in die Reihe gejagt. Puurk scheint eine Art Altersheim zu sein, meinte der Extrasinn. »Eher ein Sammelbecken für all die Wesen«, antwortete ich, »die man nicht rekrutieren kann. Denk an die Kinder und Jugendlichen!« Das Schweigen des Extrasinns war eine Zustimmung. Obwohl mein zweites Ich keine eigentlichen Gefühle besaß, schien es mit den hier dargebotenen Bildern nicht recht klarzukommen. In mir kämpften Resignation und Trotz. Der Entladevorgang dauerte keine zehn Minuten. Ich stellte mir vor, wie sich jetzt ein Schwarm von einigen hundert alten Gestalten in die Stadt ergoß und dort die erfahreneren Alten versuchten, Vorteile gegenüber den Neuankömmlingen zu gewinnen. Puurk ist nur eine Welt von Ordardor, erinnerte mich der Extrasinn. Und nur eine von Alkordoom. Gab es wirklich keinen besonderen Grund, weswegen mich die Kosmokraten gerade an diesen Ort versetzt hatten? Wollten sie mich auf die Hölle der Sonnensteppe vorbereiten? Oder wollten sie mir nur vor Augen halten, welches Wespennest Alkordoom mit seinen Welten war? Ich fand wieder keine Antwort. Nachdenklich verfolgte ich den Wiederstart des Walzenraumers. Dieser Planet war um ein paar armselige Typen reicher geworden. Plötzlich kam mir meine eigene Situation nicht mehr so jämmerlich vor. Der Anblick der zerlumpten und heruntergekommenen Alten gab mir sogar neuen Mut. Sicher entsprach es nicht dem Willen der Kosmokraten, mich unnötig zu deprimieren oder mich um dieses Sammelbecken der Alten und
Unbrauchbaren zu kümmern. Auf mich wartete eine andere Aufgabe. Der Auftrag! Ich hatte mich an die Worte gewöhnt. Ich kannte sie auswendig, aber eine innere Stimme leierte sie immer wieder herunter, als habe sie panische Angst, ich könne auch nur eine einzige Silbe davon vergessen. Hier hatte ich genug gesehen. Bei den flachen Gebäuden würde ich sicher weitere Dinge erfahren, die für mich von Interesse sein könnten. Daher setzte ich meinen Weg entlang des Maschenzauns fort. Der Regen ließ allmählich nach. Der Mantel Mums war triefnaß, aber ich wagte es nicht, ihn abzulegen. Es war zwar in meiner Nähe kein Lebewesen zu sehen, aber ich mußte damit rechnen, daß man auf den noch fernen Türmen des Raumhafens jede Bewegung in der Umgebung verfolgte. Zwei Kinder begegneten mir. Ich blieb stehen, aber sie kümmerten sich nicht um mich. Sie würdigten mich nicht einmal eines Blickes. »Heh, ihr beiden!« rief ich die Grünhäutigen an. Es mußte sich wohl um Angehörige des gleichen Volkes, vielleicht sogar um Geschwister, handeln. »Was willst, Toter?« fragte der Größere. »Ihr bekommt einen Sechser, wenn ihr mir ein paar Fragen beantwortet.« Ich hielt die Münze in die Höhe. »Einen Sechser?« staunte der Kleinere und kam schnell näher. Er bewegte sich wie der andere auf zwei dünnen Beinpaaren. »Dafür verrate ich sogar Klimp.« »Wer ist Klimp?« Der Größere trat den anderen mit zwei Beinen in den Rücken, so daß dieser zu Boden fiel. »Ich bin Klimp. Das ist Klant. Für den Sechser kannst du ihn haben«, stieß er wütend hervor. »Erst beantwortet ihr meine Fragen.« Ich ließ die Münze wieder in
meiner Tasche verschwinden. »Wenn ihr das brav tut, bekommt jeder einen Sechser.« Die beiden sahen sich an und falteten ihre schuppigen Hände. Das schien ein Zeichen der Zustimmung zu sein. »Klant kann den Sechser gar nicht verdienen«, kam es aus dem fransigen Mund des größeren Klimp. »Ich weiß nämlich mehr als er.« »Das werden wir ja sehen«, lenkte ich ein. »Wo sind eure Eltern?« »Eltern?« fragte Klant und verzog seine Augen zu einem Schielen. Sollte ich mich geirrt haben? Ich hatte aus den Körperproportionen geschlossen, daß es sich um Kinder oder Jugendliche handelte. »Vermutlich auf Garzwon«, antwortete Klimp. »Was ist Garzwon?« »Die Welt der Brauchbaren. So sagt man«, meinte Klimp bereitwillig. Seine fingerlose Hand reckte sich mir entgegen. Sie verlangte die versprochene Münze. »Heißt das«, wollte ich wissen, »daß es auf Puurk keine Brauchbaren gibt?« »Doch!« platzte Klant heraus. »Wenn ich groß und stark bin, wenn ich gut betrügen kann, dann kann man mich brauchen. Oder wenn ich einen Rauschgiftsüchtigen nachmache und selbst Kitter und Mympf verkaufe, dann kann ich Puurk verlassen.« Ich hörte den Worten aufmerksam zu, aber ich dachte daran, daß ich nicht jede Aussage ganz wörtlich nehmen durfte. Kinder und Jugendliche sahen die Wahrheit mit ihren Augen. Und das erforderte ein Umdenken. »Und die Alten? Haben sie keine Chance mehr?« »Jeder hat eine Chance.« Klimp schob sich wieder nach vorn. »Er muß nur etwas können, was Gentile nutzt. Wer schiebt, spielt oder betrügt, der zählt etwas in unserer Welt. Wir sind noch jung. Wir werden mehr lernen und dann Puurk verlassen.« »Wohin?« »Weiß nicht. Es gibt da eine Hexe oder den Grauen. Aber wir
wissen nicht, was sich dahinter verbirgt. Unsere ältere Schwester hat es geschafft. Sie ist unser Vorbild.« Wieder griff Niedergeschlagenheit nach mir. Ich kam mir auch irgendwie verdammt schäbig vor, auf diese Weise Informationen zu sammeln. Ich gab jedem die versprochene Münze. Die beiden grapschten danach und waren Sekunden später verschwunden. Vielleicht hatte ich doch ein gutes Werk getan. Narr! schimpfte der Extrasinn. Du kannst hier nichts vollbringen! Es wäre besser gewesen, wenn du weitere Fragen gestellt hättest »Schweig!« sagte ich laut und setzte meinen Weg entlang des Zaunes fort. Du bist seelisch angegriffen. Das ist ein sicheres Zeichen dafür, daß du zu Fehlern neigst. Ich verzichtete auf eine Entgegnung, weil dies die beste Methode war, das Extrahirn zum Schweigen zu bringen. Hinter einer größeren Buschgruppe schlurfte mir eine Gestalt entgegen. Sie war sehr menschenähnlich, doch ihre in einen Pelz gehüllten Arme waren ungewöhnlich dick. Sie mündeten sehr breit zu beiden Seiten in den Oberkörper ein. »Verregneter Morgen«, knurrte der Alte und strich sich mit einer vierfingrigen Hand durch den blauen Bart. »Hast du etwas zu essen?« Die Form der Finger kam mir bekannt vor. Das Äußere des Fremden stimmte überhaupt nicht mit meiner aufkeimenden Erinnerung überein. Die Stimme verriet den Alten jedoch endgültig. Da ließ sich mein fotografisches Gedächtnis nicht täuschen. Er hatte eine gute Maske angelegt. Der Kerl war zweifellos Pazzon, der Vielarmige! 6. Im ersten Moment zuckte ich innerlich zusammen. Ich wußte nicht, ob Pazzon meine Maske durchschaut hatte und mir schon wieder
auf den Fersen war, um mich an die Häscher auszuliefern, die mich mit aller Gewalt rekrutieren wollten. Ich mußte wachsam bleiben. »Es war in der Tat schon einmal besser«, antwortete ich mit verstellter Stimme. »Kenne ich dich nicht?« »Kaum.« Pazzon bewegte seine in dem Pelz zusammengebundenen Arme wie Flügel. »Ich werde Zoon genannt.« Warum legte er die Maske an, fragte ich mich. Als alter und heruntergekommener Fyrser hatte er auf Puurk doch nichts zu befürchten. Möglicherweise aus dem gleichen Grund, meinte der Logiksektor, aus dem heraus du es getan hast. Pazzons Kraft und Geschicklichkeit waren mir schon bei der ersten Begegnung aufgefallen. Was der Extrasinn meinte, konnte nur bedeuten, daß Pazzon gar kein altes Wesen war. »Mich nennt man Fartuloon«, gab ich zur Antwort. Den Namen kannte hier auf Puurk bestimmt niemand. »Woher stammst du?« Pazzon‐Zoon erwies sich als neugierig. »Keine Ahnung.« Ich wollte kein Risiko eingehen. »Ich habe eine Gedächtnislücke. Man hat mich nach Puurk abgeschoben. Ich kam vor neun Tagen hier an.« Seine Augen funkelten verdächtig. Wahrscheinlich glaubte er mir nicht alles, was ich sagte. Ich blieb jedoch gelassen. »Taugst du für etwas, Fartuloon?« »Ich weiß nicht.« Den Dummen spielen, schien mir die beste Tarnung zu sein. »Ich suche noch ein paar Helfer.« Wir setzten gemeinsam den Weg entlang des Raumhafens fort. »Ich zahle nicht schlecht. Einen Achter für jeden brauchbaren Hinweis.« »Interessiert wäre ich schon, aber ich kenne mich hier kaum aus.« Pazzon‐Zoon war plötzlich hellwach. »Das ist ein wesentlicher Vorteil, Fartuloon. Du kannst dich unauffälliger als ich an jeden Ort begeben. Ich muß vorsichtig sein.
Willst du mir helfen?« Er streckte mir als eine Art Anzahlung eine achteckige Münze entgegen. Ich riß sie aus seiner Hand und ließ sie in meinem Mantel verschwinden. »Paß auf, Alter! Ich suche einen Fremden.« Dann folgte eine Beschreibung, die haargenau auf mich paßte. Ich mußte innerlich fast lachen. Andererseits bewunderte ich Pazzons ausgezeichnete Beobachtungsgabe. Daß diese im Fall meiner Tarnung versagt hatte, war eine andere Sache. »Es dürfte ihm schwerfallen, sich zu verkleiden«, schloß er. »Aber ausschließen kann ich das nicht. Wenn du eine Spur von ihm findest, benachrichtige mich sofort. An der Hauptstraße neben dem grauen Turm findest du ein Lokal mit der Überschrift KOMM HER. Dort arbeitet ein gewisser Roboter mit der Bezeichnung KK‐4891. Sage ihm, du wolltest einen gewissen Pazzon sprechen. Dann werde ich kommen.« »Pazzon?« Ich spielte den Verwunderten. »Ich dachte, du heißt Zoon.« »Du hast mein Vertrauen, altes Pickelgesicht Fartuloon. Daher darfst du meinen richtigen Namen wissen. Alles klar?« »Ist dieser Fremde, den du Allmann genannt hast, gefährlich?« »Er heißt Atlan! Zumindest behauptet er das. Der Name ist aber ohne Bedeutung. Er ist gerissen, aber nicht gefährlich.« Deine Überheblichkeit wird dir noch einmal teuer zu stehen kommen! dachte ich. Dann nutzte ich die Gelegenheit, um mehr in Erfahrung zu bringen. »Gut, Pazzon oder Zoon. Ich bin dein Mann. Ich mache aber nur mit, wenn du mir sagst, was du von diesem Atlan willst.« Er winkte wieder mit seinem Armpaar und sah dabei aus wie ein alter Truthahn, der verzweifelt versuchte, mit seinen Flügeln vom Boden abzuheben. »Ich habe aus sicherer Quelle erfahren«, entgegnete er dann zögernd, »daß Gentile Kaz eine neue Elitetruppe aufstellen will. Seine Häscher suchen geeignete Typen. Dieser Atlan scheint einer
zu sein, der sich für das … eh, der sich eignet.« »Wofür?« »Du bist ganz schön neugierig.« Ich holte den Achter aus der Manteltasche und reichte ihn Pazzon. »Wenn ich etwas tu«, sagte ich mit gespielter Konsequenz, »dann will ich auch wissen, warum. Anderenfalls laß ich es lieber gleich sein.« Mein Gesicht verzog sich zu einer beleidigten Fratze. »Schon gut, Alter!« Pazzon‐Zoon streckte mir abwehrend seine Hände entgegen. »Es macht ja nichts, wenn ich es dir sage. Es soll eine Truppe ausgebildet werden, das Kristallkommando. Frage mich aber nicht, was sich dahinter verbirgt. Ich weiß es nicht.« »Genügt mir.« Die Münze verschwand wieder in meinem Mantel. Zu weit wollte ich es auch nicht treiben. Pazzon hat Angst, selbst rekrutiert zu werden, wisperte lautlos der Extrasinn. Er nennt dich »Alter«. Also ist er selbst keiner. Das erklärte wahrscheinlich auch seine Maske. Außerdem war er bei den Uniformierten, die die eigentlichen Söldnerpresser waren, in Mißkredit geraten, weil ich ihm zweimal entwischt war. Pazzon wechselte die Richtung und bewegte sich nun wieder zurück zu der belebten Hauptstraße. »Ich kann doch noch ein Stück mit dir gehen?« fragte ich leutselig. In den letzten Minuten hatte ich mehr erfahren, als ich erhofft hatte. Gentile Kaz, der Herrscher des Abschnitts Ordardor, selbst eine Facette des Erleuchteten von Alkordoom, suchte Krieger für ein sogenanntes Kristallkommando. Aus diesem Grund versuchte Pazzon sich zu verbergen. Gleichzeitig arbeitete er für die Häscher, indem er diesen ihm geeignet erscheinende Leute anbot. Diese Gefahr war damit für mich klar erkannt. Unter dem Kristallkommando konnte ich mir jedoch nichts vorstellen. Der Name allein weckte aber Erinnerungen an meine Zeit als Kristallprinz und an meine Jugend. Wir erreichten die Hauptstraße. Ich blieb abrupt stehen und
packte Pazzon an seinem Fellumhang. »Warte!« stieß ich erregt hervor, aber innerlich war ich die Ruhe selbst. Ich hatte auf der anderen Straßenseite Holkuk entdeckt. Er stand unter einem Vordach und spielte mit seinem geheimnisvollen Kästchen herum. »Was ist?« Pazzon war verwirrt. »Siehst du dort drüben den alten Kerl mit der langen Nase und dem blauen Einteiler? Ich glaube, sie nennen ihn Holkuk. Er hat mir schon mehrfach nachgeschnüffelt.« »Es ist Holkuk.« Pazzon beruhigte sich wieder. »Du brauchst dich vor ihm nicht zu fürchten.« »Ich weiß nicht«, klagte ich. »Er ist mir unheimlich. Was treibt der Bursche denn?« Pazzon zog mich hinter eine breite Betonsäule, die einen Überweg abstützte. Damit waren wir dem Blick Holkuks entzogen. »Keine Panik, Fartuloon«, beruhigte er mich. »Was Holkuk genau will, weiß auch ich nicht. Ich vermute, er arbeitet für die Psi‐Jäger der Hexe.« »Der Hexe?« Mein Staunen war echt, denn mir fielen sofort wieder die Worte der beiden Jugendlichen Klant und Klimp ein. »Zulgea von Mesanthor, die Facette von Kontagnat.« Pazzon benutzte diese für mich fremden Begriffe mit großer Selbstverständlichkeit. Vielleicht wollte er aber auch nur mit seinem Wissen prahlen. »Ihr Gebiet grenzt an Ordardor an. Sie hat bestimmt ein paar Agenten auf Puurk. Sie suchen Potential, Psi‐ Potential.« »Warum?« »Pah! Was weiß ich! Vielleicht will sich die Hexe davon eine Suppe kochen. Es spielt keine Rolle.« Ich merkte, daß ich von Pazzon nichts mehr zu diesem Thema erfahren würde und schwieg. Meine Gedanken aber rasten. Du mußt hinter allem gleich etwas Bedeutendes vermuten! spielte der Logiksektor die Sache herunter. Ich stimmte ihm nicht zu, denn
mein Gefühl sagte etwas ganz anderes. »Wir trennen uns jetzt.« Pazzon deutete die Straße hinab. »Ich nehme diesen Weg. Du solltest das Viertel auf der anderen Seite absuchen. Dort ist Atlan zuletzt gesehen worden.« Er drehte sich um und prallte gegen Holkuk. Auch mir war durch die Betonsäule entgangen, daß der Langnasige die Straße überquert hatte. Der mir schon bekannte Pfeifton quoll aus seinem Kästchen. »Halt!« brüllte Holkuk erregt. »Einer von euch hat …« Er brach ab und hielt das Kästchen höher. Pazzon und ich wichen zurück. Ich habe mir überlegt, meldete sich der Extrasinn, daß das Kästchen auf mich reagieren könnte. Wirkliches Psi‐Potential besitzt du ja bestimmt nicht. »Wir verschwinden«, knurrte mein neuer Arbeitgeber. Er schlug mit einer schnellen Bewegung Holkuk das Kästchen aus der Hand und rannte los. Ich spurtete hinterher, weil ich gar keine andere Wahl hatte. Der Langnasige brüllte wütend hinter uns, sah jedoch von einer Verfolgung ab. Pazzon kannte sich gut hier aus. Er stürmte eine Treppe hinunter. Rücksichtslos schob er sich durch die Wesen, die uns entgegenkamen. Dann winkte er mich in eine Nische. »Ich traue dem Kerl zu, daß er einen Jäger alarmiert«, stieß er atemlos hervor. »Mit den Typen will ich nichts zu tun haben. Wir nehmen die Untergrundbahn, aber wir trennen uns. Weiter!« Wieder drängelte er sich durch jung und alt. Wegweiser tauchten über unseren Köpfen auf. Über eine Rolltreppe ging es noch eine Etage tiefer in das Erdreich von Puurk. Dann standen wir vor einer Absperrung. »Überfüllt!« plärrte eine Automatenstimme. »Alles wartet auf die folgenden Züge.« Pazzon blickte zurück. Seine Augen flogen gehetzt hin und her, aber sie beruhigten sich wieder. Offensichtlich hatte er keine
Verfolger ausmachen können. Jenseits der Absperrung befand sich ein Gleis. Davor warteten etwa hundert alte und auch ein paar junge Bewohner dieser Welt. »Wenn die weg sind, öffnet sich die Absperrung«, erklärte mir Pazzon. »Du mußt dich dann nach vorn drängeln, sonst kommst du nicht in den Zug. Fahre zwei Stationen in Richtung Ost und verschwinde dann irgendwo für eine Weile. Klar?« Ich nickte stumm. Mit quietschenden Bremsen rollte eine Untergrundbahn in die Station ein. Die Massen gerieten in Bewegung. Flüche waren zu hören, und alles überdröhnte die Automatenstimme, die Ordnung schaffen wollte. Keiner hörte auf sie. Das Durcheinander wurde noch größer. Zwischen den rangelnden Gestalten sah ich plötzlich einen alten Mann. Er glich haargenau einem Terraner. Das war verwunderlich, denn bisher war mir auf Puurk noch niemand begegnet, der wie ein Mensch oder ein Arkonide aussah. Automatisch verfolgten meine Blicke das Gebaren dieses Menschengleichen. Jede Bewegung an ihm war typisch für einen Terraner. Es gelang dem Mann, bis zu einer Wagentür vorzudringen, als sich diese gerade schließen wollte. Sein Oberkörper wurde eingeklemmt. Er brüllte etwas sehr laut, aber ich mußte die Worte in meinem Gedächtnis wiederholen, um das Unglaubliche zu verstehen. Der alte Mann schrie: »Macht Platz, ihr Idioten!« Das war nicht ungewöhnlich. Er schrie es aber in einer Sprache, die ich schon lange nicht mehr gehört hatte, aber von meiner Zeit auf der Erde kannte. Er schrie es auf Deutsch! Als niemand reagierte, stieß er weitere Worte aus. »Open the door! Tür auf!« Diesmal war es einwandfrei Englisch! Ich glaubte zu träumen. Der Zug ruckte an. Eine grüne Hand zerrte den Mann ins
Wageninnere. Der Mann begleitete diese Handlung mit Seemannsflüchen in einem alten englischen Dialekt. Als sich die Tür hinter ihm schloß, hörte ich noch, wie er sich auf Alkordisch bedankte. Ich war vollkommen verwirrt. Etwas konnte hier nicht stimmen. Oder spielten mir meine überreizten Sinne einen Streich? Du hast eine reale Szene gesehen! unterstrich mein Extrasinn. Eine Erklärung konnte er mir aber nicht liefern. »Hast du den Mann gesehen«, fragte ich Pazzon, »der sich da noch in den Zug gedrängelt hat? Ich meine den, der eine fremde Sprache benutzte und beinahe eingeklemmt worden wäre.« »Muß wohl ein Celester gewesen sein.« Der Vielarmige war an dem Geschehen wenig interessiert. Er witterte überall Verfolger und sehnte den Augenblick herbei, an dem sich die Absperrung öffnete. »Ein Celester?« fragte ich. »Was bedeutet das?« »Nichts. Dieser Atlan, den du finden sollst, könnte übrigens auch aus diesem Volk stammen. Die Celester leben irgendwo in Alkordoom. Ich kenne ihre Heimatwelt nicht.« In diesem Augenblick öffnete sich die Absperrung. Ob ich es wollte oder nicht, ich wurde von den nachdrängenden in Richtung des Bahngleises geschoben. Dabei verlor ich Pazzon aus den Augen. Zu gern hätte ich mehr über die Celester erfahren. Es gab unzählige Beispiele in meinem Leben, wo ich auf hominide Wesen gestoßen war. Die Natur wählte unter ähnlichen Bedingungen häufig auch ähnliche Wege für die Evolution des intelligenten Lebens aus. Daher war es eigentlich nicht ungewöhnlich, daß es auf Planeten menschengleiche Wesen gab, die gar nichts mit der Menschheit der Erde zu tun hatten. Hier lag die Sache jedoch anders. Der alte Mann, den ich beobachtet hatte, war seinem ganzen Gehabe nach nicht nur ein typischer Terraner gewesen. Er hatte in seinen impulsiven Reaktionen auch deutsche und englische Wortfolgen von sich gegeben. Das paßte nun ganz und gar nicht in das Bild, das ich
bisher von Puurk gewonnen hatte. Celester – der Name wollte eine Erinnerung in mir wecken, aber trotz meines fotografischen Gedächtnisses gelang mir das nicht. Der Extrasinn schwieg sich aus. Ein sicheres Zeichen dafür, daß er auch nicht schlauer war als ich. Von den nachdrängenden Massen wurde ich in einen Wagen geschoben. Der Zug ruckte an und beschleunigte mit enormen Werten. Schon nach einer Minute Fahrzeit bremste er in der nächsten Station. Erstaunlicherweise waren hier die Bahnsteige fast vollkommen leer. Ich blickte durch die schmutzigen Fenster und erkannte nur ein paar Roboter und Uniformierte. Da stimmt etwas nicht! warnte der Logiksektor. »Razzia! Alles aussteigen!« hörte ich eine Lautsprecherdurchsage. Suchten sie etwa mich? Oder den als Zoon verkleideten Pazzon? Die meisten Fahrgäste verließen in geordneten Reihen die Untergrundbahn. Sie mußten nacheinander an einem mannsgroßen Gerät vorbeigehen, das von einem Blauuniformierten und einem Roboter bedient wurde. »Wen oder was suchen die?« fragte ich das Wesen neben mir? »Mich nicht«, kam eine von Meckern begleitete Antwort. »Vielleicht dich?« In einer dicken Traube von Fahrgästen stieg ich aus. Dann ließ ich mich blitzschnell zur Seite fallen und landete vor dem Wagen auf den Gleisen. Ich hörte ein paar erstaunte Ausrufe, aber die Nachdrängenden, die mich gesehen hatten, blickten schon nicht mehr nach unten. Ich kroch zwischen den Rädern hindurch, wobei mir der Mantel sehr hinderlich war. Im Gestänge des Wagens erkannte ich einen Platz, der es mir erlauben würde, mich einzuklemmen. Ich stemmte mich hoch und preßte mich mit den Schultern und den Füßen in den Hohlraum. Dann raffte ich die herabhängenden Teile meines Mantels auf. Die Untergrundbahn setzte ihren Weg fort, als der letzte Fahrgast
ausgestiegen war. Ich wurde geschüttelt, aber die unbequeme Lage hatte Bestand. Meine Hoffnung, daß der Zug schon bald wieder anhalten würde, bewahrheitete sich. Ich ließ mich zwischen die Gleise fallen und wartete, bis die Bahn sich wieder in Bewegung setzte. Erst dann blickte ich auf. Oben auf dem Bahnsteig standen ein Blauuniformierter und ein Roboter. Beide hielten Waffen in den Händen. 7. Der Raum strahlte eine unpersönliche, kühle Atmosphäre aus. Die Wände zeigten keinerlei Schmuck oder Verzierung, abgesehen von einem Spruch über der Tür. GENTILE KAZ, DER LEUCHTENDE. NUR SEIN WILLE ZÄHLT FÜR DICH! Mir war längst klar, daß ich in die Hände irgendeines offiziellen Regierungsorgans gefallen war. Vielleicht war das besser, als den Häschern oder Holkuk und seinen Psi‐Jägern gegenüber zu stehen. Andererseits konnte ich mir vorstellen, daß die Söldnerpresser auch einen direkten Draht zu den Regierungsstellen hatten, denn beide arbeiteten schließlich für den gleichen Herrn. Möglicherweise auch die Psi‐Jäger, vermutete der Logiksektor. Unter der Fensterbank befand sich ein breites Terminal eines Computers. Zumindest vermutete ich aufgrund der Dinge, die ich sehen konnte, daß es sich um einen Rechner handelte. Die Maschine besaß zwei Bildschirme, die jedoch dunkel waren. An mehreren Stellen brannten kleine Lichter, und in der Mitte blinkte penetrant eine große grüne Lampe. Hinter dem Schreibtisch hockte eine verkrümmte Gestalt. Entfernt ähnelte sie einer übergroßen Koralle, denn an der Körperoberseite wedelten unzählige Fäden mit Knoten an den Enden durch die Luft. Aus einem Fadenbündel schossen in unregelmäßigen Abständen
kleine Flüssigkeitstropfen, die entweder auf dem Boden oder in einem Gefäß landeten. Der einfache Tisch versperrte mir die Sicht. Auch konnte ich die vermuteten unteren Extremitäten dieses Wesens nicht sehen. »Kennst du mich?« kam es grollend irgendwo aus der Riesenkoralle. »Nein«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Und den auch nicht.« Ich deutete auf den Typen in der blauen Uniform. Der Roboter, der mich in dieses Gebäude geschleppt hatte, war längst wieder verschwunden. Ich wägte meine Chancen gegen die beiden Fremden ab und befand, daß sie nicht schlecht waren. Meine Hand umklammerte das Mehrzweckmesser in meiner Tasche. Warte ab, was sie von dir wollen, mahnte der Extrasinn. Es kann nur nützlich sein, wenn du mehr über Puurk oder Ordardor erfährst. Und denke an das, was du bisher erfahren hast. »Ich bin Korazza, der Verweser«, erklärte die Koralle. »Und das ist Haynd, einer meiner Helfer. Du bist bei einer unerlaubten Handlung ertappt worden. Das kann dich einiges kosten.« »Was?« Ich blieb kühl und fixierte das große Licht des Computers. Dann ging mein Blick durch das Fenster. Draußen senkte sich wieder ein Walzenraumschiff auf den Planeten nieder. »Abschieben in die Sonnensteppe.« Korazza lachte hämisch, als habe er einen guten Witz gemacht. »Was weißt du von der Sonnensteppe?« fragte ich eisig. Die Riesenkoralle wurde ein paar Zentimeter größer. Ihre Fäden fuchtelten noch wilder in der Luft herum. »Erlaube dir keine Frechheiten, mein Freund«, grollte es. »Die Fragen stelle ich! Vor wem warst du auf der Flucht?« Vorsicht! warnte mein zweites Ich. »Ich bin weder dein Freund, Verwesender, noch war ich auf der Flucht vor irgend etwas.« Korazzas rote Haut wurde weiß. Einer seiner Körperfäden hielt plötzlich einen dünnen Stab in der Hand, der auf mich gerichtet
war. »Noch eine Frechheit, und ich lade dich ein bißchen auf!« drohte er. »Warum hast du dich unter der Untergrundbahn versteckt? Antworte!« »Gern. Ich wußte ja nicht, wovon du redest.« Ich holte Luft. »Es handelte sich um eine Wette. Durch Haynds Eingreifen habe ich diese Wette verloren. Ich verlange Schadensersatz.« »Eine Wette?« wieder lachte die Riesenkoralle. »Das glaube ich nun gar nicht.« Er verlängerte einen Körperfaden und berührte damit ein Schaltfeld des Computers. »Kein Anzeichen für eine Unwahrheit erkennbar«, kam es blechern aus der Maschine. »Na, bitte«, sagte ich und verschränkte die Arme auf der Brust. »Du bist ein Celester, nicht wahr?« meldete sich erstmals Haynd zu Wort. »Ich weiß überhaupt nicht, was ein Celester ist«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich mußte mich wieder an den Mann erinnern, den ich in der Untergrundbahn gesehen hatte. Er hatte einwandfrei in alten terranischen Sprachen geflucht und geschimpft. Und er war nach Pazzons Meinung ein Celester gewesen. »Untersuchung!« befahl der Verweser dem Computer. »Schon durchgeführt. Der Gefangene ist kein Celester. Die äußerliche Ähnlichkeit ist zwar bestechend, aber es fehlen die Rippen. Der Gefangene besitzt statt dessen eine Knochenbrustplatte.« »Identifizierung!« herrschte Korazza die Maschine an. »Nicht möglich«, kam die Antwort sofort. »Der Fremde gehört keiner bekannten Völkergruppe von Ordardor an.« Der Körperfaden, der die kleine Waffe umschlungen hatte, bewegte sich unruhig hin und her. Ich fühlte, daß etwas Entscheidendes gesagt worden war, aber ich wußte nicht, was es bedeutete.
Hinter meinem Rücken atmete Haynd heftig durch. Der Zweibeiner besaß noch eine entfernte Menschenähnlichkeit, denn er glich einem haarlosen Gorilla. »Das kann nur eins bedeuten, Verweser«, keuchte er. »Ich habe einen einmaligen Fang gemacht, einen Agenten aus einem anderen Sektor von Alkordoom.« »So sehe ich es auch.« Das Korallenwesen erhob sich von der Liege. Es war nun gut drei Meter groß. Ich erkannte, daß seine unteren Extremitäten den Körperfäden an der Oberseite ähnelten, jedoch wesentlich dicker waren. Der Rumpf selbst deutete eher darauf hin, daß es sich um einen Pflanzenabkömmling handelte. »Woher kommst du?« »Ich weiß es nicht. Ich bin ein alter Mann, der lange Zeit sein Gedächtnis verloren hatte. Ich erwachte erst wieder auf Puurk zum vollen Bewußtsein. Selbst meinen Namen kenne ich nicht. Ich nenne mich Fartuloon. Mit Wetten und ein paar Geschäften schlage ich mich durchs Leben. Das ist alles.« Korazza kam ganz nah an mich heran. Seine Fäden taten so, als wollten sie mich berühren. Ich blieb stehen und rührte mich nicht, denn ich wollte kein Anzeichen dafür geben, daß ich Furcht empfand. »Fartuloon, aha«, sagte der Verweser. Er schien auch nicht zu wissen, was er mit mir anfangen sollte. »Ich werde es in Erfahrung bringen. Bis dahin bleibst du mein Gefangener.« »Was hast du vor, Verweser?« Haynds Frage entsprach haargenau dem, was auch ich wissen wollte. »Vergiß nicht, daß mir die Belohnung zusteht. Ich habe ihn erwischt.« »Wenn es eine Belohnung gibt«, wiegelte die Koralle ab. »Es wird eine geben«, beharrte der Uniformierte. »Dann wird sie geteilt, klar?« Haynd keuchte schwer, entgegnete jedoch nichts. Der Verweser fühlte sich wieder überlegen, und das machte ihn redselig. »Ich werde sein Körpermuster und seine Daten nach Kardoll
überspielen lassen«, erklärte er. »Dort besitzt man leistungsfähigere Maschinen und bessere Daten. Man wird herausfinden, was es mit diesem Fartuloon auf sich hat.« »Was ist Kardoll?« wollte ich wissen. »Stell dich nicht dümmer, als du bist!« herrschte mich Haynd an. »Für mich ist der Fall klar, Agent. Woher kommst du? Vom Grauen? Oder von der Hexe?« Ich gab keine Antwort, aber mir fielen die Worte der Jugendlichen wieder ein, die ich am Rand des Raumhafens getroffen hatte. Eigentlich konnte es sich bei der Hexe und dem Grauen nur um andere Herrscher von Alkordoom, also Facetten des Juwels, handeln. Damit war ich um ein paar Kenntnisse reicher. Dieser Verdacht muß erst bestätigt werden. Der Extrasinn war wieder einmal sehr vorsichtig mit seinen Schlußfolgerungen. Der Verweser betätigte eine andere Taste. Unmittelbar darauf betraten zwei Roboter des gleichen Typs wie der, der Haynd begleitet hatte, den Raum. »Abführen!« befahl Korazza. »Zelle 1.« »Ist mir noch ein Hinweis gestattet, ohne daß ich direkt gefragt wurde?« meldete sich der Computer unter dem Fenster. Die Körperfäden des Korallenähnlichen zuckten verärgert herum. »Was denn noch?« preßte er dann aus seiner für mich nicht erkennbaren Sprechöffnung. »Der Verdacht, daß es sich bei Fartuloon um einen Agenten handelt, kann von mir bestätigt werden. Dieser Gefangene trägt eine Tarnung. Die Verunstaltungen in seinem Gesicht sind nicht echt. Das gilt auch für die sichtbaren Haare und seine Bekleidung.« Haynd stieß einen gellenden Pfiff aus. Es war wohl eine Äußerung seiner Freude. Der Verweser stutzte für einen Moment. Dann befahl er den Robotern, die Tarnung von meinem Leib zu entfernen. Ich fühlte, wie mich stählerne Arme unnachgiebig an den Schultern packten. Gleichzeitig legte sich etwas auf meine Füße. Ich war zu keiner kontrollierten Bewegung mehr fähig.
Der zweite Roboter riß mir den Mantel vom Leib, entfernte die Perücke und die Schminke in meinem Gesicht. »Sieh einer an!« bemerkte Korazza sichtlich erfreut. »Wir kommen der Sache näher. Willst du nun gestehen, woher du kommst?« »Die Verkleidung ist ein Teil der Wette«, behauptete ich. »Meine Wettpartner sollten mich nicht erkennen, denn sonst hätten sie mit allen Tricks versucht, mich aufzuhalten. Die Wette ging immerhin um einen Neuner.« »Du besitzt nicht einmal einen Achter«, meinte der Verweser verächtlich. Ich ließ das Mehrzweckmesser los und tastete nach den großen Münzen. Dann hielt ich sie der Koralle vor die Körperfäden, an deren Enden ich auch so etwas wie Augen vermutete. »Ein Neuner«, staunte Haynd und pfiff dabei wie eine alte terranische Dampflokomotive. Als einer der Fäden danach fassen wollte, ließ ich die Münze blitzschnell in den Stiefelschacht gleiten, denn ich rechnete mir aus, daß diese Burschen sie mir gewaltsam abnehmen würden. Zu meiner Überraschung taten sie das nicht. »Es gibt nur ein paar tausend dieser Münzen auf Puurk«, sagte der Verweser sichtlich verwirrt. »Also mußt du ein Agent sein. Woher kommst du?« Ich gab keine Antwort. »Du bist wohl noch relativ jung«, hakte Haynd wieder ein. »Hast du dich vor dem Sonderkommando versteckt?« Vermutlich meinte er damit das Rekrutierungskommando, daß Pazzon auf mich gehetzt hatte. »Schweig!« herrschte das Korallenwesen den Uniformierten an. »Womöglich schnappen die uns diesen Brocken noch weg, wenn du weiter so herumbrüllst.« Hier arbeitet jeder nur für seine Interessen, meinte der Extrasinn. Richte dich gefälligst danach. »Die Söldnerpresser können mir nichts anhaben.« Ich lachte. »Genaugenommen unterstehen mir die Leute sogar.«
Die Körperfäden des Verwesers fielen schlaff nach unten. Der ganze Leib schrumpfte schlagartig auf knappe zwei Meter zusammen. »Was willst du damit sagen, Fartuloon?« »Ihr seid Dummköpfe.« Ich legte mein ganzes Selbstbewußtsein in diese Worte. »Natürlich bin ich ein Agent. Das merkt selbst der verrückteste Alte auf Puurk, wenn er mich so sieht, wie ihr mich jetzt seht. Aber daß ich ein Agent von Gentile Kaz bin, das habt ihr nicht erraten. Ich habe nun genug von diesem Geplauder. Ihr raubt mir nur meine Zeit. Ich gehe jetzt.« Die Situation hast du gut ausgenutzt, lobte mich der Extrasinn ausnahmsweise einmal. Du hast sie schön überrumpelt. »Natürlich gehst du.« Der Verweser lachte wieder. »Aber in die Zelle. Der Leuchtende wird mir verzeihen, wenn ich einen seiner Agenten für ein paar Tage festhalte. Aber er würde mir nie verzeihen, wenn ich den Handlanger einer anderen Facette laufen lassen würde. Schafft ihn fort, Roboter!« * Die Zelle war noch schmuckloser und trister als der Raum, in dem ich mit Korazza und Haynd hatte sprechen müssen. Sie besaß überhaupt kein Mobiliar. Die Wände waren fugenlos und glatt. Der Eingang präsentierte sich als blanke Metallfläche, die so nahtlos in den Rahmen überging, daß nicht einmal ein Fingernagel in die Ritze paßte. In Höhe meines Kopfes gab es ein kleines Fenster, das keine Scheibe besaß und mit einem daumendicken Gitter versperrt war. Ein Blick nach draußen genügte, um meine Hoffnungslosigkeit weiter zu fördern. Dort lag irgendein Hinterhof, und ich befand mich in der zweiten oder dritten Etage dieses Gebäudes. An eine Flucht war also nicht zu denken.
Ich ärgerte mich grün und blau. Mein einziger Trost in diesen bösen Minuten war, daß der Extrasinn sich genauso getäuscht hatte wie ich. Die Worte des Auftrags erklangen nun wie ein sanftes Murmeln in meinem Kopf. Ein paar Szenen der kaum begreiflichen jüngsten Vergangenheit tauchten in mir auf und verflogen wieder. Ein paar Sätze drängten sich jedoch etwas bewußter in den Vordergrund. »Denk an die zweite räumliche Versetzung«, erklang es. »ANIMA«, sagte ich. Jetzt war eigentlich ein geeigneter Moment gekommen, um durch diese Ankündigung der augenblicklichen Zwangslage zu entfliehen. Aber ich konnte diesen von den Kosmokraten angekündigten Zeitpunkt nicht bestimmen. Vielmehr vermutete ich eine Art Automatismus, der irgendwann einmal einsetzen würde, wenn die Voraussetzungen geschaffen waren. Richtig, meldete sich der Logiksektor. Er war in dieser Zeit mein einziger Gesprächspartner. »Du wagst es noch«, höhnte ich, »mit mir zu reden?« Dein Ärger stört mich nicht. Ich empfinde keinen, denn ich habe eine wichtige Erfahrung gemacht. Du schätzt diese Welt und Alkordoom immer noch falsch ein. »Du auch!« Ebenfalls richtig. Du fragst dich aber nicht, was das bedeuten könnte. »Ich frage mich, wie ich hier herauskomme.« Ich sprach weiter halblaut und benutzte dabei das Interkosmo. Es könnte bedeuten, daß die zweite räumliche Versetzung dann eintritt, wenn du hier eine genügende Menge an Informationen gesammelt hast. Da war was Wahres dran. Wann dieser Zeitpunkt erreicht sein würde, war damit jedoch nicht gesagt. Vielleicht schlummerte in mir bereits die Kraft für die von den Kosmokraten angekündigte Ortsveränderung. Wenn es diese ANIMA noch gab, dann war ich ihr eigentlich sehr nah. Alkordoom mußte sehr weit von Wayquost oder Varnhagher‐Ghynnst entfernt sein. Und wohl noch weiter von
der Milchstraße. Der äußere Kreis, so hatten die Kosmokraten mein neues Wirkungsfeld bezeichnet. Das bedeutete, daß Alkordoom jenseits der Mächtigkeitsballungen von ES und Seth‐Apophis liegen mußte. Ich verstand die kosmischen Entfernungen sehr wohl, aber vorstellen konnte ich sie mir nicht. Der Verstand eines Lebewesens, das planetengebunden zur Welt gekommen war, reichte nicht einmal aus, um sich die Größe von M 13, in der meine Heimat Arkon lag, vorzustellen, geschweige denn die Größe der Milchstraße oder gar die Entfernung von hier nach dort. Wie winzig war ich doch! Es erschien mir plötzlich widersinnig, daß mich die unbegreiflichen Wesen von jenseits des mir bekannten Kosmos in diese Aufgabe geschickt hatten. Was war denn Alkordoom? Irgendeine Galaxis? Irgendeine der Abermilliarden Sterneninseln in einem unendlichen All? »In unseren Augen eine bedeutsame Situation«, hörte ich aus weiter Ferne die Stimme derer, die mir den Auftrag gegeben hatten. »Von ihr hängt mehr ab als das Wohl und Wehe derer, die dir ans Herz gewachsen sind. Es hängt auch unsere Existenz davon ab. Es sei denn, du findest EVOLO und beseitigst die Gefahr.« Sprach ich mit mir selbst? Oder redeten die Hohen Mächte von jenseits der Materiequellen noch direkt mit mir? Indirekt, erklärte der Logiksektor. Ihre Stimmen sind Echos des Erlebten. Das mochte stimmen, denn eine klare Erinnerung war da. Sie war nur in den Zusammenhängen unverständlich. Varnhagher‐Ghynnst, das Kodewort! Ich konnte aufhören. Kneifen. Dich für untauglich erklären. Den Kosmokraten beweisen, daß sie auf den Falschen gesetzt haben, als sie dich durch den Zellaktivator relativ unsterblich und zu ihrem Auserwählten gemacht haben. »Du hetzt mich also in diese unfreiwillige Aufgabe?« fragte ich empört das Extrahirn.
Freiwillige Aufgabe! wurde ich korrigiert. Und hetzen werde ich dich in
nichts. Narr! Ich ging zum Fenster und blickte hinunter in den Hof. Dort standen kleine Gebäude, wahrscheinlich Abstellräume für Gleiter, denn es gab keine Spuren im Sand. »Hast du keine Angst vor der Einsamkeit?« fragte ich den Extrasinn. »Oder vor dem Tod?« Angst ist irrational, denn sie fügt dem Angsthabenden Schaden zu. Die Antwort kam sehr sachlich und gelassen. Angst in diesem Sinn habe ich durch logisches Nachempfinden. Dort unten bewegte sich eine Gestalt. Ich mußte zweimal hinsehen, um sie zu erkennen. Es war Haynd, der Uniformierte, der mich mit seinem Roboter in der Untergrundstation festgenommen hatte. »Wovor hast du diese simulierte Angst?« fragte ich und beobachtete Haynd, der sich unruhig zwischen den Schatten der niedrigen Bauten bewegte. Ein festes Ziel schien er nicht zu haben. Vor dir und deinen Unüberlegtheiten und Dummheiten! erklang es hart in mir. »Ich glaube«, antwortete ich höhnisch, »wir brechen diesen Dialog besser ab. Erstens ist er mir zu einfältig. Und zweitens ist dort unten noch jemand aufgetaucht. Wenn mich meine von deinem Gerede geschwächten Sinne nicht täuschen, dann ist das dieser langnasige Holkuk.« Der Extrasinn schwieg tatsächlich. Und die Gestalt, die Haynd zwischen zwei Mauern zerrte, war tatsächlich Holkuk. Ich beugte mich so nah an das Gitter des Fensters, wie es ging. Was bei EVOLO, ANIMA und dem Juwel, sagte ich mir, hatte dieser schäbige Handlanger der Psi‐Jäger mit einem Helfer des Verwesers zu tun? Darf ich etwas sagen! fragte mein zweites Bewußtsein betont bescheiden. Ich stimmte zu. Hier verkauft jeder jeden. Sie feilschen um dich.
8. Ich konnte nur ein paar Wortfetzen verstehen. Vielleicht bildete ich mir auch ein, etwas zu hören, denn nach meinen Vorstellungen paßten die vernommenen Begriffe in das Bild, das sich allmählich in mir aufbaute. Haynd und Holkuk schienen tatsächlich zu handeln. Wortführer war der Langnasige. Der Helfer Korazzas drückte sich eher ängstlich in den Schatten der Gebäude. »Mehr für dich«, drang an meine Ohren. Dann rauschte in der Nähe ein für mich unsichtbarer Gleiter vorbei, und der Fahrtwind übertönte die leisen Worte. »Nicht teilen … zu schade für das Kristallkommando der … ganz seltene Psi‐Echos … andere … kann dich auch bei Korazza hinhängen … acht Achter … jagen auch …« Dann hörte ich nichts. Ich sah, daß keiner der beiden Gestalten etwas sagte. Dann redete Haynd, aber er war so leise, daß ich nur einmal ein Wort vernahm: »Neuner!« Holkuk griff in seinen Umhang und reichte dem Uniformierten etwas. Was es war, konnte ich nicht erkennen, aber ich rechnete mir aus, daß es sich um Puurkmünzen handelte. »… und seine dazu, Haynd‐Hylor.« Diese Worte vernahm ich ganz deutlich. Sie bedeuteten, daß der Uniformierte auch andere Namen benutzte. Es war wohl tatsächlich so, daß hier auf Puurk – zumindest hier, denn über Alkordoom wußte ich ja noch fast nichts – jeder jeden übers Ohr hauen wollte. Ging das Gespräch wirklich um mich? Ja, sagte der Extrasinn überzeugend. Ich vermeinte, ein Geräusch in meinem Rücken zu hören. Als ich mich umdrehte, war da jedoch niemand. Danach blickte ich wieder aus dem Fenster. Holkuk und Haynd waren verschwunden. Mein Orakeldasein war doch eigentlich recht beschaulich
gewesen, sagte ich mir. Ich hatte alles halb bewußt erlebt und ganz bewußt gesteuert. In welch jämmerliche Situation war ich dagegen nun geraten! Man hatte mich in meinem langen Leben oft einen Narren geschimpft. Oder einen Nörgler, einen, der zu sehr zögert, der zu schwarz sah. Was war ich denn wirklich? Ich versuchte, über diese Fragen nachzudenken und hockte mich dazu auf den Boden der kleinen Zelle. Das Blut pulsierte wieder normal durch meinen Körper. Die Impulse des Zellaktivators spürte ich nicht mehr, aber sie waren da. Meine Hände fuhren durch meine langen, silbernen Haare. Ich hatte mich im Lauf der Jahrhunderte, der Jahrtausende gewandelt. Ich war nicht gleich geblieben. Ich hatte Phasen des Trotzes hinter mir und Phasen des Zögerns, der Ungewißheit. Wenn ich allein an die vielen Jahre auf der Erde dachte, in denen ich meine Menschheit verstehen gelernt hatte, was letztlich in einer unauslöschlichen Liebe für diese kleinen Barbaren gemündet hatte! Welch ein Leben! Welche Abenteuerlichkeiten! Mir wurde bewußt, wie schmerzlich im Vergleich dazu der Sturz in diesen Sumpf war. Dieser Schmerz beflügelte mich aber auch. Ich würde nicht aufgeben. Sie mochten mich jagen, die Häscher dieser seltsamen Kreatur, die sie Gentile Kaz nannten, von der wohl keiner wußte, wie sie wirklich aussah, die wahrscheinlich ein eigenmächtiger Handlanger, eine Facette, ein Augenausschnitt der Macht im Nukleus war. Meine Ziele waren mir plötzlich ganz klar: ANIMA, EVOLO, das Juwel oder der Erleuchtete. Alles sprach dafür, daß dies eine unlösbare Aufgabe war. Aber hatte ich nicht andernorts auch Helfer gefunden, die mitgewirkt hatten, Unmögliches noch zum Guten zu wenden? Warum hatten die Kosmokraten mir diese Mission übertragen? Freiwillig übernommen! korrigierte mich der Extrasinn wieder. Ich hörte nicht hin, denn ich kannte die Antwort. Sie vertrauten
mir! Sie, die Hohen Mächte, vertrauten einem Staubkorn zwischen den Weiten der fehlenden Grenzen des Alls, um den Mächten des Chaos den Zugang zu einer … einer was… was war oder ist EVOLO?… eine Waffe? Bestimmt nicht! »Um den Zugriff zu etwas unsagbar Schrecklichem zu verwehren«, sagte ich laut zu mir selbst. Dann lächelte ich. Es war ein zuversichtliches Lächeln. Ich würde nicht aufgeben. Mochte ich in den Schlafenszeiten davon träumen, meinen Willen mit dem Kodewort »Varnhagher‐Ghynnst« zu paaren, um diese Mission zu beenden, das würde nicht zählen. Nicht in den Augen derer, die mich in diesen Hexenkessel geschickt hatten, und im Wachsein würde ich über solche Gedanken nur lachen. Ich mache etwas richtig oder gar nicht! Man hat mich oft genug umgepflanzt, an andere Orte gejagt, in fremde Szenen, in neue Gefahren. Ich habe oft an mir gezweifelt, aber noch bin ich da. Hörst du das, Juwel oder Erleuchteter oder wie du dich nennen magst! Komm zu dir! Hatten meine Gedanken geschrien oder mein Mund? Ich wußte es nicht. Es spielte auch keine Rolle. Wichtig war nur, daß ich ein Stück von mir gefunden hatte, daß ich wußte, was ich wollte. Umgepflanzt? Mir fiel ein Wort ein, das einmal zu den Zeiten auf Terra an meine Ohren gelangt war. Es waren die Worte einer Frau gewesen. Ich wollte nicht darüber nachdenken und unterdrückte die Impulse meiner Erinnerung. … bevor sie Blüten tragen! Gedanken jagten in Sekundenschnelle durch mein Bewußtsein. Der Extrasinn schwieg, und das war gut so. »Es gibt Dinge«, murmelte ich in den beiden Sprachen, die jener Menschenähnliche benutzt hatte, den Pazzon einen Celester genannt hatte, »die man mit sich allein abtun muß. Auch wenn man ein arkonidisches zweites Bewußtsein aus der ARK SUMMIA besitzt.« Auch jetzt schwieg der Extrasinn, aber jemand sagte:
»Heh!« Die Gedanken enthielten Bilder der Vergangenheit. Es gab keine zeitliche Folge, und die Szenen wechselten in Sekundenbruchteilen. Sie waren gerade so lang, daß ich sie noch begreifen konnte. Ich sah einen Haluter, der mich in die Höhe hob. Ich sah einen Mann, der mit mir um sein Leben kämpfte. Ich sah, daß dieser Mann Perry Rhodan hieß. Ich sah, daß ein Maahk mich aus seinem vielzahnigen Mund angrinste, weil er mich in seiner Gewalt hatte. Ich sah eine kosmische Staubwolke von gewaltigem Ausmaß und wußte, daß man sie Provcon‐Faust nennen würde. Ich sah mich in einem Sarg hinter einem Geflecht aus Spiegeln und wußte, daß ich nun in den Augen der Laren sterben würde. Ich sah Perry Rhodan, gegen den ich eben noch in der Erinnerung der ersten Begegnung verbittert gekämpft hatte, als meinen Freund an meiner Seite. Ich hörte mich, wie ich ihn einen Barbaren schimpfte. Ich hörte die Stimme von Kaiser Nero aus der fernen Vergangenheit der Erde. Ich hörte Rico in meiner Unterseekuppel, wie er verzweifelt versuchte, mir die Wirklichkeit zu geben. Ich hörte das Kreischen eines Schreckwurms und das Jammern eines Laurins, dem man es verwehrt hatte, unsichtbar zu bleiben. Ich hörte die gelassenen Worte Ovarons, die impulsiven Sätze des Lächlers Ronald Tekener, die jugendliche Frische Julian Tifflors und das Gackern des Mausbibers Gucky. Und ich hörte, daß jemand »Heh!« sagte. »Heh!« sagte auch ich. Ich fühlte den Schmerz des Zweitkonditionierten Tro Khon in seinem Gefängnis auf Luna. Ich fühlte die Sorgen NATHANS, die aus seinem Zellplasma sprangen. Ich fühlte die Kälte des Weltraums, als ich in der Würgezange der Penetranz war. Ich fühlte die menschliche Wärme meines Freundes Perry Rhodan, der jeden Dank verweigerte, als ich ihm aus der Falle geholfen hatte, die die Vincraner aufgebaut hatten. Ich fühlte eine Hand auf meiner Schulter.
»Heh!« sprach wieder etwas. Ich wollte nichts hören – außer meinen Erinnerungen, die so vielfältig waren wie das Licht, das in einen geschliffenen Kristall fällt. Die Stimmen gewannen von allen Eindrücken wieder die Oberhand. Ich hörte Fartuloon. Ich hörte seine beherrschte Sanftmut, die diese wahnsinnige Konsequenz ausstrahlte. Ich hörte Reginald Bulls fröhliches Lachen, als ihm Gucky einen Klaps auf den Hintern gestattete. Ich hörte Mory Abros »Ja«, als sie meinen Freund Perry Rhodan anlachte, um mit ihm zu leben, obwohl sie wußte, daß er nie altern würde. Ich hörte die Stimme eines Feindes der Menschheit und weigerte mich, den Namen dieses von den Kosmokraten verbannten Dinges noch einmal zu denken. Und ich hörte, ohne mir bewußt zu werden, daß es nicht zum erstenmal geschah, wie jemand zu mir »Heh!« sagte. Aber dann hörte ich etwas, was ständig da war. Ich hörte die Stimme der Kosmokraten. Es gab keinen Zweifel, daß es diese Unbegreiflichen waren. Diese Stimme war vielfältig und nah. Und doch unendlich fern. Ich erkannte meine Einsamkeit. Die Einsamkeit, die mich oft begleitet hatte. Wie hatte man mich genannt? Den Einsamen der Zeit! Das war ich. Wo war ich? Die Stimme aus der anderen Seite des Kosmos, aus der nächst höheren Schale, war unnachgiebig. Ich hörte zu und übersah, daß da jemand »Heh!« sagte und mich an den Schultern rüttelte. »Höre! Höre, Atlan! Dies ist dein Auftrag! In einem Gebiet des Universums, in das du schon bald gelangen wirst, geschieht Schreckliches. Im immerwährenden Kampf der Mächte des Chaos mit den ordnenden Kräften ist ein entscheidender Faktor im Entstehen begriffen, dessen Ungeheuerlichkeit alles Dagewesene übertrifft. Wenn diese Entwicklung …«
Mein Schienbein schmerzte. Die Pein verdrängte die Worte der Kosmokraten, verdrängte die Urquelle meiner Motivation. »… kennen den Namen dieser Gefahr. Er lautet EVOLO. Wir …« »Heh! Ich habe nicht viel Zeit!« Heh? Das hatte ich schon einmal gehört. Oder? »dein Leben wird nicht viel zählen …« Etwas riß mich hoch. Meine Augen weigerten sich, sich zu öffnen. »…. ANIMA …« »Weg!« schrie ich. »Weg!« »Das Signal ist gut«, sagte Holkuk. »Ich kann dich gebrauchen. Was bist du doch für ein merkwürdiger Kerl. Wie heißt du wirklich? Willst in den Fängen Korazzas verrecken? Oder willst du die Freiheit?« Ich sah den Langnasigen vor mir. Die Zellentür stand sperrangelweit auf. »Ich mußte dich vors Bein treten«, meinte Holkuk. »Sonst wärst du nie aufgewacht.« »Schon gut.« Ich stand vom Boden auf und verdrängte alle Eindrücke. Ich versuchte es, aber die Worte des Auftrags klangen in mir nach, auch wenn die Stimme der Kosmokraten jetzt leiser war. Sie war wie ein endlos programmierter Speicherkristall. »… Sonnensteppe, ein Raumgebiet des Schreckens …« »Wenn du mitkommen willst, dann hast du eine Chance.« Holkuks lange Nase fummelte vor meinem Gesicht herum und machte mich nervös. »Welche?« Meine Stimme klang matt, aber das wollte ich nicht. Sie war dennoch müde. »Eine. In der Sonnensteppe lebt man noch. Was willst du mehr? Ja, Fartuloon oder Silberhaar, wie man dich auch nennt, ich biete dir mehr. Du wolltest doch in die Sonnensteppe. Ich bringe dich dorthin. Zuvor brauche ich noch dein Potential.« »Mein was?« Ich war noch nicht ganz bei Besinnung. Es mußte sich um Nachwehen aus der jüngsten Vergangenheit handeln.
»Deine Psi‐Birne! Es ist einfacher, wenn du mitmachst. Am Ende bist du sowieso. Ich habe Haynd einen Neuner für dich gegeben. Aber das verstehst du ja nicht. Dafür befreie ich dich aus diesem Gefängnis. Wenn du nicht freiwillig mitkommst, um die Freiheit zu genießen, ich kann auch anders, Fartuloon.« »Habe keine Psi‐Birne.« Ich war einfach zu müde. »Das weiß ich besser.« Er hielt mir ein kleines Kästchen vors Gesicht, das mir irgendwie bekannt vorkam. Irgendwie? Wo blieb mein fotografisches Gedächtnis? Ich rede dir absichtlich nicht dazwischen. Du mußt selbst erkennen, was geschieht, sagte der Extrasinn. … dein Leben wird nicht viel zählen … … Varnhagher‐Ghynnst! Das Wort der Befreiung! Die Rettung! Nein! Nein! Ich griff in den Stiefel. Die Münze mit den neun Ecken kam zum Vorschein. »Holkuk«, sagte ich. »Hier hast du das Juwel von Puurk.« Er riß mir das kleine Stück Metall aus der Hand. »Ich gehe mit dir. Aber das erhoffte Potential kann ich dir nicht geben. Ich habe erkannt, was es ist. Es ist die in mir schlummernde, Kraft, die mich zu ANIMA bringen wird, ob du es willst oder nicht.« Der Langnasige starrte noch immer die Münze an, die ich ihm einfach überlassen hatte. Das Geschenk der Barmherzigen hatte mir geholfen, etwas über die hiesigen Zustände zu erfahren. Es war plötzlich ganz ruhig in mir. Selbst die Stimmen der Kosmokraten waren verstummt. Die Erinnerung an den AUFTRAG war da, aber sie dröhnte und donnerte nicht mehr durch mich hindurch. Sie wisperte nicht einmal mehr. Aber sie war da. Nur war sie jetzt nicht mehr außerhalb von mir. Sie klopfte nicht mehr unkontrollierbar in mein Bewußtsein. Sie war ein Teil von mir, den ich haben wollte. Wir gingen durch einen Flur, der so schmucklos war wie das Arbeitszimmer des Verwesers, wie meine Zelle oder wie Holkuk.
Der war wohl wenig mehr als ein Handlanger einer bestimmten Gruppe, die für Gentile Kaz etwas jagten. Daß diese Facette mehrere Organisationen besaß, die für ihn arbeiteten und sich dennoch untereinander bekriegten, ging nicht in meinen Kopf hinein. Alkordoom ist eben anders, sagte der Extrasinn ruhig. Ich werde ein wenig mehr hilfreich sein, denn nun brauchst du mich wirklich. Holkuk nahm einen Antigravschacht, der zum Dach des Hauses führte. Ich folgte ihm bereitwillig. Aber ich hatte erkannt, welche Träume mich beherrscht hatten. Gute Träume! Warnungen aus einem Unterbewußtsein, zu dem nicht einmal der Extrasinn Zugriff hatte. Ich mußte kämpfen. Mein Ziel war fern. Räumlich fern sicher nicht so sehr wie die Milchstraße oder die geliebte Menschheit von Terra. Das Unbekannte und Geheimnisvolle wollte bewältigt werden. Mein Verstand, der nun wieder klar war, sagte mir, daß ich gegen eine Wand rennen oder verrecken würde. Der Logiksektor schwieg. Aber ich dachte nicht daran aufzugeben! Das Vertrauen, das man in mich investiert hatte, war so stark, daß es keine Antwort verlangte. Ich würde alles tun, um diese Antwort zu geben! Wir kamen auf dem Dach des Hauses an, als irgendwo unter uns die Alarmsirenen erklangen. Mich störte das wenig. Es gab einen Weg in die Zukunft. Ich wußte, daß ich diesen Weg gehen würde, ohne auf den Auftrag der Kosmokraten angewiesen zu sein, ohne auf diesen jämmerlichen Holkuk mit seiner überlangen Nase angewiesen zu sein, ohne auf irgend etwas angewiesen zu sein. Ich war hier! Ich würde handeln, so gut es mir möglich war. Ich besaß einen ewig schimpfenden Extrasinn, der mich in dieser Anfangsphase in Alkordoom unterstützt hatte. Auf dem Dach stand ein Gleiter. Darin saßen zwei unscheinbare und eigentlich klein aussehende Wesen, die irgendwie Grizzlybären
glichen. »Hast du ihn?« schnaubte der eine der Behaarten. »Steig ein!« forderte mich Holkuk auf. Mir klang das etwas zu überheblich. Ich verstand zwar immer noch nicht, was die Psi‐Jäger suchten und was Holkuk wollte, aber ich mußte erst einmal eine Entfernung zwischen Korazza und mich bringen. Eigentlich war es egal, denn hier hatte wohl jeder einen Piek auf mich. Was, bei allen Höllengeistern, war eigentlich so interessant an mir? »Stimmt«, sagte einer der beiden Mini‐Grizzlys. »Er hat ein außergewöhnliches Potential. Auf Kardoll werden wir feststellen, was es ist. Dann bekommst du deine Belohnung, Holkuk.« Der Langnasige und ich saßen auf den beiden Hintersitzen des Gleiters. Der eine Grizzly steuerte das Gefährt. Der andere sprach. Seine Stimme war ungewöhnlich weich, aber konsequent. Dieser Fremde grinste mich ständig an. Er hielt ein kleines Kästchen in der einen Hand, aus dem ein Pfeifton erklang. »Idioten!« sagte ich auf Lateinisch. Und dann wiederholte ich es auf Französisch. Und zu meinem Extrasinn sagte ich auf Deutsch: »Warte ab! Die sind alle für den Konverter reif. Aber hineinwerfen werde ich keinen. Ich sehe eins, Alkordoom braucht mich mehr als Terra, Perry Rhodan und ES.« Ich bekam keine Antwort. Aber ich sah die Gleiter, die sich um uns herum formierten! Sie bedeuteten Angriff. Angriff, ein widerliches Wort. Es entsprach aber der Realität. Die Grizzlys sahen die Gleiter offensichtlich nicht. Und Holkuk starrte gedankenverloren die neuneckige Münze an, die Haynd ihm versprochen und die ich ihm freiwillig gegeben hatte. 9. Ich wußte nicht, wer da angriff. Die Mini‐Grizzlys merkten nichts.
Auch als der erste Energiestrahl vor dem Bug des Fluggefährts seinen Weg suchte, lachten sie noch. Ich mußte für sie wirklich ein Fang sein. Warʹs der Extrasinn? Oder war es die schlummernde Energie für die angekündigte zweite räumliche Versetzung? Ich wußte es nicht. Der Logiksektor sagte: Ich auch nicht. Der nächste Schuß saß. Der Gleiter wurde getroffen und hin und her gebeutelt. Die Mini‐Grizzlys erwachten aus ihren Träumen. Holkuk stieß einen wütenden Schrei aus. Seine lange Nase liefblau an. Die beiden Mini‐Grizzlys reagierten jedoch überlegt. Der eine beschleunigte den Gleiter. Ich bekam den Andruck zu spüren. Der andere richtete sich auf. Neben ihm glitt eine unförmige Maschine aus dem Boden, zweifellos eine Waffe. Sekunden später zischten Energiestrahlen daraus hervor. »Flugkontrolle Puurk«, quäkte es aus einem Funkempfänger. »Stellt sofort das Feuer ein, sonst holen wir euch herunter.« Unser Gleiter jagte über das Landefeld des Raumhafens. Zweifellos war man dort auf das Geschehen aufmerksam geworden. Ich erhob mich halb und blickte mich um. Sechs andere Fahrzeuge hatten sich hinter uns angehängt. Ihre Schüsse lagen schlecht. Oder sie sollten nur eine Warnung und Aufforderung zum Aufgeben sein. Die beiden Mini‐Grizzlys dachten daran aber gar nicht. Einer der Verfolger wurde getroffen. Er landete irgendwo im Gebiet des Raumhafens und zog dabei eine lange Rauchwolke hinter sich her. »Hinsetzen!« herrschte mich Holkuk an. »Aussteigen wäre besser«, entgegnete ich. »Ein Blinder sieht doch, daß wir keine Chance haben.« Der Raumhafen blieb hinter uns zurück. Die verbliebenen fünf Verfolger kamen schnell näher. Das Landschaftsbild unter uns änderte sich. Niedrige Bauten, meist eingeschossig, reihten sich aneinander. Dazwischen erstreckten sich Pflanzungen und
Waldparzellen. Ich sah nun, da wir erheblich an Höhe gewonnen hatten, noch einmal zurück. So weit mein Blick reichte, war Puurk überall bebaut. Nur die Fläche des Raumhafens, die sich nun schon bis zum Horizont erstreckte, bildete da eine Ausnahme. Die Verfolger hatten sich geteilt. Jeweils zwei von ihnen flogen nun schon links und rechts von uns. Der fünfte folgte uns direkt und strebte dabei noch höher. Mir war klar, daß wir regelrecht eingekesselt wurden. Es entsprach gar nicht meinem Wesen, diesem Kampf tatenlos zusehen zu müssen. Die Technik des Gleiters und der Strahlwaffe war mir jedoch nicht vertraut. Auch bezweifelte ich, daß die beiden Behaarten meine Hilfe überhaupt akzeptieren würden. Die Behaarten müssen Psi‐Jäger sein, behauptete der Logiksektor. Um die offensichtliche Gefahr, in der ich schwebte, kümmerte er sich überhaupt nicht. Ging er davon aus, daß man mich lebend fangen wollte? Es konnte so sein. Ich wußte zwar nicht, wer uns verfolgte, aber ich ging davon aus, daß es Leute des Verwesers waren. Oder hatten sich gar die Söldnerpresser wieder auf meine Spur geheftet? Allen, auch den Psi‐Jägern, waren zwei Dinge gemeinsam. Sie arbeiteten für Gentile Kaz, den Leuchtenden von Ordardor. Und sie hatten nur etwas von mir, wenn ich lebend in ihre Hände fiel. Das war ein schwacher Trost. Die Verfolger rückten noch näher heran. Jeweils ein Gleiter der beiden Rotten, die links und rechts von uns flogen, setzten sich allmählich vor uns. Das Feuer hatten sie ganz eingestellt. Der Mini‐ Grizzly hinter dem Geschütz feuerte noch immer, aber bei dem rasenden Flug waren Treffer wohl nur Zufall, und eine Zielverfolgungsautomatik schien der Gleiter nicht zu besitzen. »Festhalten!« brüllte mein Pilot. Ich ahnte, was er vorhatte, und drückte mich tief in den Sessel. Meine Knie stemmte ich gegen die Vorderlehne. So wurde ich regelrecht eingeklemmt.
Ganz plötzlich sackte der Gleiter nach unten weg. Holkuk stieß einen Schrei aus und schnaubte heftig. Seine Nase hing schlaff über den gebißlosen Mund herab. Sie glänzte in allen Farben des Regenbogens, zweifellos ein Ausdruck seiner Angst und Erregung. Die Planetenoberfläche stürzte auf uns zu. Der Pilot der Psi‐Jäger wendete das Gefährt und beschleunigte erneut. Unsere Verfolger schienen dieses Manöver geahnt zu haben. Sie eröffneten wieder das Feuer. Wir wurden durch die Luft geschleudert. Ich wußte nicht mehr, wo oben und unten war. Verzweifelt hielt ich mich fest. Die Oberfläche war verteufelt nah. Ein paar Baumwipfel schossen vor meinem Blickfeld vorbei, dann ein Haus, und dann sah ich wieder den Himmel Puurks. Der angeschlagene Gleiter torkelte weiter. Erneut gab es einen Ruck durch einen Treffer. Die Waffe, mit der die Verfolger auf uns feuerten, besaß keine explosive Wirkung. Sie versetzte dem Ziel jedoch gewaltige Stöße. Einer der beiden Psi‐Jäger wurde vor meinen Augen aus seinem Sessel gerissen. Sein behaarter Körper verschwand in Sekundenbruchteilen irgendwo in der Umgebung. Ich stellte mir vor, wie er wenig später auf der Oberfläche aufprallen würde. Meine Muskulatur wurde bis aufs letzte strapaziert, um nicht den Halt zu verlieren. Als ich mich unter Mühen umdrehte, gewahrte ich, daß auch Holkuk aus dem Gleiter geschleudert worden war. »Lande endlich!« schrie ich dem Piloten zu. Dann gewahrte ich, daß dessen Körper schlaff über den Steuerkontrollen hing. Der Psi‐Jäger war besinnungslos. Mit einem Satz schwang ich mich über die Lehne in den vorderen Raum. Ich hatte Glück, denn das Gefährt setzte seinen Flug wieder geradlinig fort, obwohl es sich ständig um seine Längsachse drehte. Der Boden kam wieder schnell näher. Ich handelte wie ein Besessener. Der Mini‐Grizzly war nicht leicht, aber die Rotation des Gleiters half mir indirekt dabei, seinen Körper in die Höhe zu heben. Schlaff ließ ich ihn auf den Nebensitz fallen.
Die Steuereinrichtung war mir unbekannt, aber es war nicht das erstemal in meinem Leben, daß ich mich innerhalb von Sekunden mit einer fremden Technik vertraut machen mußte. Es gab einen Steuerknüppel mit mehreren Tasten an dem zweiarmigen Ende. Instinktiv faßte ich nach den oberen Knöpfen und betätigte sie kurz hintereinander. Sofort stabilisierte sich die Fluglage. Bevor der Gleiter den Planetenboden berührte, konnte ich ihn so weit lenken, daß er waagrecht in der Luft lag. Eine große Pflanzung mit niedrigen Büschen tauchte vor mir auf. Für eine Landung war dieser Geländeabschnitt denkbar ungeeignet. Du hast keine Wahl! meldete der Extrasinn. Es kam noch schlimmer. An meine Verfolger hatte ich in den hektischen Sekunden gar nicht denken können. Jetzt spürte ich ihre Gegenwart wieder, denn der Gleiter wurde erneut getroffen. Der besinnungslose Psi‐Jäger wurde herausgeschleudert. Meine Versuche, noch sicher den nahen Boden zu erreichen, scheiterten. Der Gleiter reagierte nicht mehr. Ich raste zwischen die Buschreihen, die sich immerhin als eine Art natürliche Bremsfläche bewährten. Bevor das Gefährt zur Ruhe kam, wurde es noch einmal herumgerissen. Ich verlor jeden Halt und jede Berührung mit dem Gleiter. Abermals hatte ich unwahrscheinliches. Glück. Ich fiel mitten in einen Busch. Durch das Zweigwerk rutschte ich auf einen weichen Boden, wo ich mich abrollte, um keine Verletzungen zu erleiden. Mit ein paar leichten Prellungen überstand ich den Sturz. Dennoch kam ein instinktiver Fluch über meine Lippen. Es erschien mir wie eine Antwort darauf, als in meiner nächsten Nähe eine Detonation erklang. Trümmer flogen durch die Luft. Aus dem Busch über mir flogen dicke Früchte herab, die von der Druckwelle erfaßt worden waren. Eine davon klatschte mir auf die Brust. Ein grellroter Fleck bildete sich. Teile des herabstürzenden Gleiters mußten explodiert sein. Ich erhob mich und wischte die Reste der Frucht von meinem
Overall. Die dicke rote Farbe ließ sich davon jedoch nicht entfernen. Ein Schatten huschte über mich hinweg. Es war einer der verfolgenden Gleiter. Ich wartete, bis er verschwunden war, und rannte dann los. Mit wenigen Schritten erreichte ich einen dichten Baum, dessen Äste bis fast auf den Boden reichten. Darunter verbarg ich mich erst einmal. Die fünf Gleiter formierten sich über der Absturzstelle. Zwei oder drei davon, genau konnte ich es aus meinem Versteck heraus nicht feststellen, landeten irgendwo in der Nähe. Es kehrte Ruhe ein, und ich hörte Stimmen. »Die Psi‐Jäger haben bestimmt überlebt. Sie sind bekanntlich zäh wie Leder.« Diese Stimme kannte ich nicht. Sie sprach mit einem leichten Akzent, aber sehr selbstbewußt. »Die Jäger sollen sehen, wie sie zurechtkommen. Uns gehört die Beute.« Der Fremde redete in der gleichen Form. »Sie sind schon vorher aus dem Gleiter gefallen. Ich habe es genau gesehen. Holkuk ebenfalls. Denkt an meine Belohnung, wenn ihr den Burschen findet.« Diese Stimme kannte ich! Es gab keinen Zweifel. Es war Pazzon, der Vielarmige. Also waren die Söldnerpresser wieder auf meinen Fersen. In keiner Sekunde dachte ich daran, mich diesen Häschern zu stellen oder gar Pazzon noch einen Funken Vertrauen zu schenken. Ich habe es dir immer gesagt, bemerkte der Extrasinn. Sie sind nur hinter dir her. »Von diesem Atlan keine Spur.« Das war wieder einer der Fremden. »Er muß also hier in der Nähe herumliegen.« »Oder er ist schon auf und davon. Es gibt mehrere Gehöfte und Verarbeitungsbetriebe in der Nähe. Wenn wir ihn nicht bald finden, kommen uns die Jäger oder die Roboter des Verwesers ins Gehege.« »Wir müssen ihn finden. Wir waren schon zu lange erfolglos. Ihr wißt doch, was das bedeutet.« Das war wieder der Selbstbewußte. Er mußte eine Art Anführer sein.
Ich versuchte, einen der Fremden zu sehen, aber das Blätterwerk war zu dicht. Auf leisen Sohlen bewegte ich mich von der Absturzstelle weg. Dabei nutzte ich jede Deckung aus, denn zweifellos suchte man nach mir auch aus der Luft. Vor mir wurde das Feld frei. In nur zwanzig Metern Entfernung stand ein stattliches Gebäude. Ich vermutete, daß es sich um ein Gehöft handelte, das zu den Pflanzungen gehörte. Ein Überqueren der freien Fläche erschien mir zu riskant. Also blieb ich in meiner Deckung und wartete ab. Vor dem Haus standen sechs Männer eines Volkes, das mir auf Puurk noch nicht begegnet war. Zweifellos waren es Alte. Die Werkzeuge, die einige von ihnen in den Händen hielten, deuteten darauf hin, daß sie Arbeiten auf der Pflanzung versahen. Sie starrten aus ihren doppelten Augenpaaren in Richtung der Absturzstelle. Mein kurzes Auftauchen hatten sie nicht bemerkt. Zwei Gleiter näherten sich aus der Höhe. Ein Modell war das der Verfolger. Das andere glich denen, die in der Stadt auf der obersten Etage der Straßen geflogen war. In ihm saßen Blauuniformierte. Es konnte sich nur um die Handlanger des Verwesers Korazza handeln. Die beiden Gleiter landeten fast gleichzeitig bei den Alten. Mehrere Gestalten sprangen daraus hervor. Sofort entwickelte sich eine heftige Diskussion. Ich verstand in dem Durcheinander nur ein paar Wortfetzen, aber es wurden mehrere Dinge klar. Die Leute des Verwesers verlangten von den Häschern, daß sie sofort verschwinden sollten. Diese waren damit gar nicht einverstanden. Die Pflanzer wußten nichts. Sie hielten sich aus dem Wortgerangel heraus und zeigten sich beiden Parteien gegenüber ablehnend. Mehrmals fiel der Name Korazza. Als keine Einigkeit erzielt wurde, ließen dessen Handlanger aus dem großen Gleiter zwei Roboter aufmarschieren. Daraufhin lenkten die Söldnerpresser ein und bestiegen ihr Fahrzeug. Kurz darauf waren sie verschwunden.
»Alles absuchen«, befahl der Führer der Blauuniformierten. »Ihr helft uns dabei«, herrschte er die Alten an. Diese ließen ihre Werkzeuge fallen und schlurften langsam in Richtung der Absturzstelle und damit auch in Richtung meines Verstecks. Ich bewegte mich nun seitlich am Rand der Pflanzung entlang. Dabei beobachtete ich immer wieder, wo die Blauuniformierten, ihre Roboter und die Alten waren. Ich entdeckte einen Bewässerungsgraben, der aus der Pflanzung heraus in Richtung des Gebäudes führte. Dort stand nun niemand mehr. Auch der Gleiter war wieder gestartet. Der Graben war fast einen Meter hoch. Er bot zwar keine Deckung gegen Sicht aus der Luft, aber ich wollte diese Chance nutzen. Als im Luftraum um das Gehöft herum nichts zu bemerken war, kroch ich auf allen vieren los. Die Entfernung betrug wenig mehr als dreißig Meter. Der Boden war weich, aber ich kam schnell voran. Ohne Zwischenfälle gelangte ich in die Nähe des Hauses. Der Graben mündete in eine Zisterne. Ich warf einen kurzen Blick über den Rand. Ein offener Eingang zu dem Gebäude war nur drei oder vier Schritte entfernt. Über der Pflanzung tauchte der Gleiter der Blauuniformierten auf. Mit einem Satz schwang ich mich über den Rand und rannte auf den Eingang zu. In seiner Öffnung blieb ich erst einmal stehen und atmete tief durch. Meine Kleidung war mit Lehm verschmiert. Nur der rote Fleck der Frucht, die mich auf der Brust getroffen hatte, leuchtete unvermindert grell. Ein schmaler Gang führte ins Gebäudeinnere und endete an einer Tür. Ich bewegte mich leise darauf zu und öffnete die Holztür. Dahinter lag ein Raum, wie ich ihn erwartet hatte und den man als Bauernstube bezeichnen konnte. Lebewesen waren nicht zu sehen. Ich schloß die Tür hinter mir und sah mich genauer um. Drei weitere Türen, die alle geschlossen waren, führten in andere Räume.
Auf einem einfachen Herd dampfte es aus einem Topf. Es roch vielversprechend, und mir wurde bewußt, daß ich lange Zeit nichts gegessen hatte. Mehr aus Neugier bewegte ich mich auf die Kochstelle zu. Dann hörte ich ein Geräusch hinter mir. Ich fuhr herum und erblickte ein altes Wesen, das den Arbeitern der Pflanzung glich. Es mußte sich jedoch bei aller Fremdartigkeit dieser Person um ein weibliches Wesen handeln. Zwei Augenpaare starrten mich aus einem runzligen Gesicht an, das eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Wasserkröte hatte. »Du bist wohl der«, hörte ich ganz leise, »nach dem sie suchen. Vor mir brauchst du dich nicht zu fürchten, Fremder. Ich bin alt und sehr schwach. Außerdem verraten wir hier draußen keine Gejagten. Bist du verletzt?« »Nein«, entgegnete ich. »Willst du mir helfen? Ich brauche ein sicheres Versteck.« »Schrei nicht so!« zischte die Alte und deutete auf eine der verschlossenen Türen, indem sie aus dem Hautlappen am Ende ihrer oberen Extremitäten einen Finger formte. »Einer ist da noch drin. Er hat mir einen Siebener gegeben, damit ich ihn warne, wenn etwas geschieht. Ich denke aber nicht daran, dich zu verraten.« »Danke«, flüsterte ich und gebot mit einer Handbewegung der Alten zu schweigen. Dann schlich ich mich zu der Tür, auf die sie gedeutet hatte. Meine Hand umfaßte das Mehrzweckmesser. Ich legte mein Ohr an das Holz und lauschte. Zunächst hörte ich nur ein Atmen, dann erklang eine ärgerliche Stimme. »Könnt ihr euch nicht ein bißchen beeilen?« Die Alte schlurfte zu mir herüber. »Die Sprechstelle«, wisperte sie. »Er hat sich nach draußen verbinden lassen, um mit jemand zu sprechen.« Die Stimme des Unbekannten klang gedämpft, denn das Holz war sehr massiv. Nur wenn ich mein Ohr direkt auf die Tür legte, konnte ich sie Verstehen.
»Gut«, hörte ich dann. »Endlich. Kode T‐H‐55. Es spricht Holkuk von Puurk. Habt ihr den Verschlüssler zugeschaltet?« Die Antwort war unverständlich. Klar war aber, wer dort sprach. »Prima«, fuhr Holkuk fort. »Übermittelt folgende Nachricht an Zulgea von Mesanthor. Ich habe hier einen Burschen aufgespürt, der ein hochinteressantes Psi‐Potential enthält. Das Gerät spricht auf eine Kombination von Trak und Fed‐Beta an. So etwas hatten wir noch nie. Die Facette wird begeistert sein. Der Kerl ist ein Fremder, vielleicht ein Celester, obwohl bei denen noch nie Potential geortet wurde. Er nennt sich Atlan oder Fartuloon. Ich gehe davon aus, daß Atlan sein richtiger Name ist. Vielleicht sollte Zulgea sogar den Erleuchteten benachrichtigen, aber das muß sie selbst entscheiden. Dieser Atlan ist nicht ungefährlich, denn er verhält sich äußerst geschickt.« Holkuk machte eine Pause. »Von draußen?« fuhr er dann ärgerlich fort. »Das weiß ich nicht. Wenn er kein Celester ist, und mein Verbindungsmann beim Verweser hat das behauptet, ja, ja, er war sich dann ganz sicher. Irgendeine Maschine Korazzas hat ihn wohl durchleuchtet; wenn er kein Celester ist, dann ist er wohl von draußen.« Wieder erklang Gemurmel aus dem Kommunikationsgerät. Ich hätte zu gern gewußt, wie es der Langnasige fertiggebracht hatte, den Absturz aus dem Gleiter zu überleben und noch vor mir und den anderen hier zu sein. Und ich hätte gern gewußt, mit wem er da sprach. »Bewaffnet?« hörte ich ihn wieder. »Nein, nichts bemerkt. Aber ihr müßt euch beeilen. Korazza ist an ihm interessiert. Der Verweser vermutet wohl, den Agenten einer anderen Facette vor sich zu haben. Aber das ist noch nicht alles. Die Söldnerpresser Gentiles, die seit kurzem wieder unterwegs sind, sind hinter Atlan her. Er ist also auch für das Kristallkommando von Interesse. Wer weiß, wer sich noch auf seine Spur heftet.« Wieder trat eine kurze Pause ein.
»Ja, in Ordnung«, sagte Holkuk dann leicht verärgert. »Sorgt ihr lieber dafür, daß die Facette informiert wird. Vergeßt meine Entlohnung nicht. Und beeilt euch!« Ich hörte ein Klicken und schloß daraus, daß das Gespräch beendet war. Was ich gehört hatte, war aufschlußreich gewesen. Es hatte das gewonnene Bild nicht nur abgerundet. Es hatte mir auch endgültig gezeigt, daß ich auf einem ziemlich hoffnungslosen Posten stand. Der Auftrag der Kosmokraten besagte, daß ich etwas finden und jagen sollte, um eine Gefahr zu beseitigen. Jetzt sah es aber so aus, als habe mich die Situation auf Puurk schon nach wenigen Tagen meines Hierseins überrannt. Die Geschehnisse hatten den Spieß umgedreht. Man suchte mich! Man jagte mich! Man wollte mich! Damit war mein Handlungsspielraum auf ein Minimum eingeengt. Ich hatte weder Lust, den Agenten für Korazza zu spielen, noch als Söldner Gentile Kaz zu dienen, noch mit den Helfern der Facette Zulgea von Mesanthor um ein Psi‐Potential zu schachern, das ich gar nicht besaß. Oder doch? War es die Ausstrahlung des Extrasinns? Oder war es der Rest der unbegreiflichen Energien, die wohl noch in mir steckten und die mich zu ANIMA bringen sollten? Ich trat zur Seite, als sich die Tür öffnete. Holkuk trat in den Raum. Er erfaßte sofort meine Anwesenheit, und er sah das Messer in meiner Hand. Seine Nase färbte sich grün, und ein breites Grinsen zog über sein Gesicht. Er bewegte sich blitzschnell mehrere Schritte von mir weg. Dann tauchte in einer Falte seiner Oberbekleidung eine dritte Hand auf, in der eine Waffe lag. »Gib auf, Atlan!« verlangte er ruhig. »Noch einmal entwischst du mir nicht.« Tölpel! schimpfte der Extrasinn. Du hättest ihn direkt überwältigen sollen!
Dafür war es jetzt zu spät. Dann überstürzten sich die Ereignisse. 10. Die Türen der Bauernstube flogen gleichzeitig auf. Mehrere Gestalten drangen herein, darunter erkannte ich auch Pazzon, der noch immer seine Maske als Zoon trug. »Er hat ihn verletzt!« schrie der Vielarmige wütend und deutete auf den roten Fleck auf meiner Brust. »Das soll er mir büßen!« Holkuks Waffenhand fuhr herum. Ein breitgefächerter Flammenstrahl suchte seinen Weg. Mehrere Begleiter Pazzons sanken zu Boden. Dann erfüllte dichter Qualm den Raum. Ich stürzte auf Holkuk zu, um ihm die Waffe zu entreißen. Als ich direkt vor ihm stand, lag ein Singen in der Luft. Der Langnasige wurde von einem grünen Strahl mitten in die Brust getroffen. Ich konnte in letzter Sekunde zurückspringen, sonst wäre ich auch noch in den Energiestrahl geraten. Die Alte schrie, als wäre sie getroffen worden, aber das glaubte ich nicht. Holkuk sank tot zu Boden. »Aufhören!« schrie Pazzon. »Ihr dürft ihn nicht verletzen.« Der Rauch erfüllte den ganzen Raum. Ich sah kaum noch meine Hand vor Augen. Vorsichtig bewegte ich mich in Richtung der Tür, durch die Holkuk gekommen war. Das Messer hielt ich griffbereit. »Fenster auf!« brüllte eine andere Stimme. »Und verstellt die Türen, damit er uns nicht entwischt.« »Nur Lähmstrahler einsetzen!« »Idiot! Du könntest mich treffen.« Ich erreichte die gesuchte Tür. Eine Gestalt tauchte aus dem Nebel vor mir auf. Es war einer der Fremden, die mit Pazzon gekommen waren. Er drehte mir noch den Rücken zu. Als sein unförmiger Schädel sich in meine Richtung drehte, schlug ich ihm mit aller Kraft
gegen den Hals. Mit einem Röcheln stürzte die Gestalt zu Boden. Es gab einen dumpfen Aufprall. »Orak?« hörte ich einen der Fremden brüllen. »Orak!« »Alles in Ordnung«, antwortete ich und versuchte die Stimme nachzuahmen. »Das ist nicht Orak!« Ein sirrender Ton, wie er typisch für Paralysatoren war, lag in der Luft. Ich fühlte ein leises Ziehen im linken Arm. Dort mußte mich der Schuß gestreift haben. Mit einem Satz sprang ich durch die noch halboffene Tür und verriegelte diese hinter mir. Hier herrschte wieder klare Sicht, aber der unbeschreibliche Rauch drang durch die Türritzen herein. Ich blickte mich um. Entfernt ähnelte diese kleine Kammer einer terranischen Telefonzelle des 20. Jahrhunderts. Was aber entscheidend war, war etwas anderes. Es gab hier weder ein Fenster noch einen zweiten Ausgang. Ich war in eine Falle gerannt, denn nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis man mich finden würde. Nichts, aber auch gar nichts, bot sich als Versteck an. Zurück! verlangte der Extrasinn. Ich öffnete die Tür ein kleines Stück. Der bewußtlos geschlagene Häscher lag noch auf dem Boden. Der Rauch begann sich zu verziehen, weil man irgendwo die Fenster geöffnet hatte. »Wir wissen, daß du hier bist, Atlan«, erklang eine harte Stimme. »Es ist zu deinem Vorteil, wenn du aufgibst und dich uns freiwillig anschließt. Wir bieten auch Schutz vor den Psi‐Jägern und vor den Verwaltungsorganen von Puurk.« Ich antwortete nichts und schob mich an einer Innenwand entlang, an der der Rauch noch sehr dicht war. Beinahe wäre ich dabei über die Alte gestolpert, die flach auf dem Boden lag. Zeit, mich um sie zu kümmern, besaß ich nicht. »Du kannst mit uns Puurk verlassen«, hörte ich weiter. »Wir bringen dich nach Garzwon, wo man dich für deine Aufgabe
ausbilden wird. Gentiles Kristallkommando wartet auf dich. Wenn du dich bewährst, kannst du mit auf die Suche nach dem geheimnisvollen Riesenkristall gehen. Das ist lukrativer, als einen Teil seines Egos durch die Psi‐Jäger zu verlieren. Stelle dich freiwillig.« Ich erkannte plötzlich Pazzon, der sich wenige Armlänge vor mir durch den Nebel tastete. Mit zwei schnellen Schritten war ich hinter ihm. Mit einem Ruck riß ich seine Verkleidung herunter. Als er seine Arme auseinanderfaltete, schlug ich zu. Ich traf ihn im Gesicht und bemerkte dabei, daß er auch hier maskiert war. Er ist jünger, als er sich gibt, erinnerte mich der Extrasinn. »Hierher!« brüllte Pazzon, dann traf ich ihn am Hals, und er sackte schlaff zusammen. Ich warf ihn mir über die Schultern und entfernte mich ein paar Schritte von dieser Stelle. Der Qualm nahm immer mehr ab. »Narr! Meine Verkleidung«, jammerte der Vielarmige. Er war schnell wieder zu sich gekommen. »Jetzt ist alles aus.« »Mitgefangen, mitgehangen«, zischte ich ihm ins Ohr. »Du versteckst dich ja selbst vor den Häschern.« Statt einer Antwort griff er blitzschnell mit einer Hand in seine ausgebeulte Hose. Ich wußte ja, wie wieselflink er sein konnte, aber er überlistete mich dennoch. Es gelang mir nicht zu verhindern, daß er eine Waffe zückte und damit einen Schuß abgab. Es war die gleiche Energie, mit der zuvor Holkuk geschossen hatte. Sofort war der ganze Raum wieder in dichten Qualm gehüllt. Dann reichte mir der Vielarmige den Strahler. »Wir müssen jetzt zusammenhalten, Alter«, erklärte er energisch. »Wenn die Häscher mich so sehen, werden sie mich auch schnappen. Die kennen keinen Dank und kein Erbarmen. Wir müssen hier weg.« Ich vermutete hinter dem plötzlichen Stimmungswechsel wieder eine Falle, aber ich ließ mich darauf ein, als der Logiksektor es verlangte. Vielleicht bot sich so eine Möglichkeit, doch noch zu
entkommen. »Wohin?« fragte ich. Pazzon winkte mit zwei seiner zehn Arme. Ich folgte ihm und verlor dabei jegliche Orientierung. Keine Minute später traten wir aber durch einen Seiteneingang ins Freie. »Wir brauchen einen Gleiter.« Der Vielarmige deutete um die Hausecke. »Dort stehen sie, aber sie haben eine Wache zurückgelassen. Wir müssen uns beeilen.« Ich gab ihm die Waffe zurück, weil ich wahrscheinlich damit gar nicht umgehen konnte. Mein Kombimesser war mir da vertrauter. Vor dem Gehöft standen drei Gleiter. Ein baumlanger Bepelzter ging davor auf und ab und starrte auf die dicken Rauchschwaden, die aus dem Haus drangen. Am Rand der nahen Pflanzung tauchten die alten Pflanzer und drei Blauuniformierte auf. Unsere Lage war alles andere als erfolgversprechend. Ich spurtete los und packte den Bepelzten im Genick. Er stieß noch ein Gurgeln aus, fiel dann aber zu Boden. Pazzon schwang sich in den nächsten Gleiter und winkte mir heftig. Ich folgte ihm mit einem Satz. Mehrere Gestalten kamen aus dem Gehöft. Ein Warnschuß zischte über unsere Köpfe hinweg, als der Gleiter abhob. In halsbrecherischer Fahrt jagte Pazzon das Gefährt durch die Büsche. Ich erkannte, daß er unseren Verfolgern keine Spur hinterlassen wollte. Wir streiften ein paar Bäume, als der Vielarmige ruckartig die Richtung änderte. »Wir sind gleich da.« Pazzon lachte. »Ich hänge sie ab. Ich habe noch ein paar Tricks auf Lager.« Er betätigte einen Schalter, und über dem Gleiter schloß sich ein transparentes Verdeck. Dann drückte er das Gefährt noch tiefer auf den Boden. Ein großer Teich tauchte vor uns auf.
»Nicht erschrecken, Atlan!« Wieder lachte der Vielarmige. Er war cleverer und routinierter, als er den Anschein erweckt hatte. Das war mir in diesen Minuten klargeworden. Der Gleiter tauchte in die Wasserfluten und sank schnell in der gelben Brühe nach unten. Ich sah nichts mehr. Dann gab es einen leisen Ruck. Wir hatten den Boden erreicht. Der Fyrser streckte alle zehn Arme von sich und sah mich aus seinen kleinen Augen an. »Das wäre erst einmal geschafft. Ein besseres Versteck habe ich leider nicht zur Verfügung. Ich schätze aber, daß sie uns hier nicht finden werden.« »Aha«, antwortete ich nur. Pazzon sank in den Pilotensessel zurück. »Wir haben Zeit, mein neuer Freund. In ein paar Stunden werden sie die Suche abbrechen. Dann geht es zurück in die Stadt. Natürlich bei Nacht. Ich brauche eine neue Maske. Du auch.« »Ich traue dir nicht«, gestand ich offen. »Kann ich verstehen, Atlan. So heißt du doch, oder?« Ich nickte. »Woher kommst du wirklich?« »Ich weiß es nicht. Ich bin auf ziemlich unerklärliche Weise nach Alkordoom verschlagen worden.« »Was willst du hier?« »Auch das weiß ich nicht.« Ich empfand kein Verlangen danach, mit diesem Burschen über den Auftrag der Kosmokraten zu sprechen. »Also gut.« Der Vielarmige spielte den Einsichtigen. »Du weißt nun, daß ich selbst zu der Klasse derer gehöre, die rekrutierungsfähig sind. Damit muß ich dir entweder vertrauen oder dich umbringen. Du hast die Wahl.« Ich hatte keine Wahl, aber ich reichte ihm die Hand. »Was ist das Kristallkommando?« wollte ich wissen. »Eine neue Spezialtruppe, die auf dem Rekrutierungsplaneten
Garzwon ausgebildet werden soll«, antwortete Pazzon bereitwillig. »Mehr weiß ich darüber auch nicht. Ich kenne Leute, die gegen ihren Willen zum Söldner Gentiles gemacht wurden. Für mich wäre das kein Job.« »Aber mich wolltest du ausliefern!« »Natürlich. Du bist kräftig und nicht auf den Kopf gefallen. Und schließlich muß ich sehen, daß ich mein Auskommen habe. Das Leben auf Puurk ist nicht einfach. Ich habe mehrmals versucht, mit einem Raumer zu entwischen, aber auf dem Raumhafen passen sie höllisch auf. Meine Maske als alter Fyrser war da schon besser.« »Das Kristallkommando soll einen geheimnisvollen Riesenkristall suchen«, warf ich in das Gespräch. »Ich habe davon gehört, aber ich weiß nicht, ob das wirklich stimmt. Es gibt viele Gerüchte. Ich biete dir an, mein Partner zu werden. Gemeinsam können wir auf Puurk eine Menge erreichen und vielleicht sogar auf eine andere Welt gelangen. Du hast einen ehrlichen Blick.« »Du nicht. Aber mit einem Bündnis auf Zeit bin ich einverstanden. Ich bin mir darüber im klaren, daß du mich bei der nächsten besten Gelegenheit wieder verschachern würdest.« Er fuhr sich verlegen mit mehreren Händen durch den kurzen, zerzausten Vollbart. »Ich kann auch ehrlich sein.« Dann betätigte er mehrere Schalter. Auf einem kleinen Bildschirm wurden Schlieren sichtbar. Dazwischen bewegten sich helle Flecken. »Sie suchen noch nach uns«, erklärte er. »Ich muß alle Energien abschalten, damit sie uns nicht entdecken. Ruhe dich etwas aus. Vielleicht gibt es doch noch einen heißen Tanz. Außerdem müssen wir jetzt still sein.« Er desaktivierte alle Systeme und lehnte sich zurück. Ich folgte seinem Beispiel. Als ich meinen Kopf in die breite Nackenstütze legte, klangen in mir wieder die bekannten Worte der Kosmokraten auf. Ich ließ mich davon berieseln und machte mir meine eigenen Gedanken.
Erreicht hatte ich fast nichts. Gut, von Puurk hatte ich einen noch unvollständigen Eindruck gewonnen. Dieser reichte aber nicht aus, um mir ein brauchbares Bild von den Zuständen in Alkordoom zu machen. Von Pazzon würde ich vielleicht mehr erfahren, wenn wir aus der augenblicklichen Lage entkommen würden. Irgendwann würde ich die räumliche Versetzung erfahren, die die Kosmokraten angekündigt hatten. Was die beiden Kernbegriffe meines Auftrags, EVOLO und ANIMA, darstellten, wußte ich nicht. Keiner kannte diese Namen. Oder man wollte nicht darüber sprechen. Es war zu vieles ungewiß, rätselhaft und verschwommen. … dein Leben wird nicht viel zählen … Was verbarg sich hinter der Sonnensteppe? Ob Pazzon etwas darüber wußte? … acht Facetten, flüsterte es. Von einer hatte ich konkret erfahren. Hier im Abschnitt Ordardor herrschte Gentile Kaz, der vielleicht ein Kristallwesen war. Kristallwesen … Kristallkommando. Gab es da eine Verbindung? Ich fand, daß die Kosmokraten mir mehr hätten sagen und erklären müssen. Aber so waren diese unbegreiflichen Mächte jenseits der Materiequelle nun einmal. Ich hatte nie einen von ihnen gesehen. Und wenn es doch so gewesen war, und zweifellos war es lange vor meiner Zeit als Orakel von Krandhor so gewesen, denn schließlich war ich selbst mindestens 180 Jahre lang jenseits der Materiequelle gewesen, dann hatten sie dafür gesorgt, daß ich keine Erinnerung daran besaß. … wir schicken dich nach Alkordoom, damit du die Macht des Juwels und der Facetten zerschlägst … Ich lachte innerlich bei diesen Worten. Wie, bei allen Teufeln des Kosmos, haben sich das die Hohen Mächte vorgestellt! Mit einem Kombimesser gegen eine Macht, die selbst die Kosmokraten in Gefahr bringen kann! Das war mehr als der pure Wahnsinn! ANIMA, wer oder was das immer sein mochte, hatte bereits
versagt. … wir haben den Kontakt zu ihr verloren … Und jetzt sollte ich die Kastanien aus dem Feuer holen! Du hast den Auftrag aus freien Stücken angenommen, erinnerte mich unnachgiebig der Extrasinn. Du kannst ihn aus freien Stücken beenden. Eine Hand Pazzons fuhr durch die Luft. Er richtete sich auf und sah sich unruhig um. »Was ist?« flüsterte ich. Er gab mir keine Antwort, aber sein Blick verriet mir, daß äußerste Ruhe geboten war. Jetzt hörte ich es auch. Ein leiser und fremder Ton war zu hören, ein abklingendes Pfeifen von großer Tonhöhe. »Verdammt!« entfuhr es dem Vielarmigen laut. Er schaltete die Ortungsanlage ein. Zwischen den Schlieren war ein großer, heller Fleck zu erkennen. »Was ist das?« fragte ich leise. »Ein Raumschiff, Atlan. Ich kann nur hoffen, daß das ein dummer Zufall …« Ein Ruck ging durch unseren Gleiter. Ich war plötzlich schwerelos. In rasender Fahrt ging es in die Höhe. Ein Traktorstrahl! Ich besaß da meine Erfahrungen. Der freie Himmel tauchte auf. Und ein riesiges Walzenschiff, an dessen Unterseite eine dunkle Öffnung wie ein gieriges Maul gähnte. Pazzon fluchte und hantierte an der Steuerung herum, aber der Gleiter reagierte auf nichts mehr. »Vielleicht erklärst du mir einmal«, verlangte ich, »was das alles bedeutet.« Der Vielarmige gab seine Bemühungen auf und sank in den Sessel zurück. Seine listigen Schweinsäuglein blickten plötzlich unsagbar traurig. »Das Rekrutierungsschiff von Garzwon«, stieß er hervor. »Jetzt haben die Söldnerpresser uns doch noch erwischt. Hätte ich bloß die Finger von dir gelassen.«
»Mitgefangen, mitgehangen«, antwortete ich nicht ohne Schadenfreude. Du wirst wieder einmal ein bißchen umgepflanzt. Sogar der Logiksektor bewies in dieser Situation etwas Ähnliches wie Humor. Ich dachte daran, wie ungewiß nun meine Zukunft war, als der Gleiter in den dunklen Hangar glitt. ENDE Der neue Auftrag der Kosmokraten hat es in sich – dessen wird sich Atlan schon in der ersten Stunde seines Daseins in völlig neuer, unbekannter Umgebung bewußt. Obwohl er mit dem ganzen Erfahrungsschatz seines bereits 12.000 Jahre währenden Lebens arbeitet, wird er nach heißer Jagd eingefangen und als Söldner rekrutiert. Auf ihn wartet Der Todestest … DER TODESTEST – unter diesem Titel erscheint auch der nächste Atlan‐ Band. Als Autor des Romans zeichnet Peter Terrid.