LUX
H I S T O R I S C H E
E E I H E
Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis 75 Pfg...
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LUX
H I S T O R I S C H E
E E I H E
Weltgeschichte in spannenden Einzelheften Jedes Heft 64 Seiten
Heftpreis 75 Pfg.
LUX HISTORISCHE REIHE bringt in fesselnder Darstellung, plastisch und farbig, Zeitbilder und Szenen aus dem großen Abenteuer der Menschheitsgeschichte. Menschen, Völker, historische Schauplätze und Landschaften aus allen Zeitaltern der Vergangenheit erstehen in bunter Folge vor dem Auge des Lesers. Geschichte wird hier zur lebendigen Gegenwart. Jedes Heft gibt ein abgerundetes und in sich abgeschlossenes Bild des dargestellten Zeitraumes. Titel der ersten Hefte: 1. 2. 3. 4. 5.
Sphinx am Strom Triester und Magier Götter und Helden Die Griechen Die Perserkriege
Die Tempel Athens Alexanderzug Pyrrhus — der Abenteurer Hannibal 10. Untergang Karthagos
Titel der folgenden Nummern: Kaiser ohne Krone Das Goldene Rom Die ersten Christen Caesaren und Soldaten Germanenzüge Die Hunnenschlacht Die Mönche von Monte Cassino Der Prophet Allahs Karl der Große Heiliges Römisches Reich Kaiser und Päpste Die Kreuzfahrer Friedrich Barbarossa Die Hohenstaufen Bürger und Bauern Die Humanisten Der Schwarze Tod Die Renaissance Neues Land im Westen
Fahrendes Volk Ritter und Landsknechte Kaiser der Welt Der Große Krieg Der Sonnenkönig Ruf übers Meer Der Preußenkönig Rokoko Im Schatten der Bastille General Bonaparte Kaiser Napoleon Kongreß in Wien Eiserne Straßen Der vierte Stand Verschwörer und Rebellen Sieg der Technik Bismarck Die rote Revolution Demokratie und Diktatur
und viele weitere Hefte. LUX HISTORISCHE REIHE bringt jedes Heft mit farbigem Umschlag, Illustrationen, Geschichtskundlichen Landkarten, Anmerkungen und Zeittafel.
VERLAG SEBASTIAN LUX - MURNAU VOR MÜNCHEN
LUX
HISTORISCHE
REIHE
9
OTTO ZIERER
HANNIBAL DER
FELDHERR
KARTHAGOS
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU • MÜNCHEN • INNSBRUCK • ÖLTEN
EINLEITUNG Im vierten Jahrhundert v.Chr. haben die Römer von ihrer Hauptstadt am Tiber aus Mittel- und Süditalien unterworfen und ihre Militärstationen und Handelsplätze über die ganze Halbinsel vorgeschoben (vgl. Lux Historische Reihe, Heft 8). Auf die eigene Kraft und die Schwäche der Gegner vertrauend, hat das Bauernvolk Roms im Jahre 241 v. Chr. die Grenzen seines italischen Lebensraumes überschritten. Zäh und rücksichtslos, hart gegen sich selbst und gegen die Unterworfenen, verfolgt es seinen Weg in die Zukunft. Bei der Niederringung des griechischen Widerstandes in Süditalien und auf Sizilien trifft Rom auf das seemächtige Karthago. Ein Kampf beginnt, der den jungen römischen Staat bis an den Rand des Abgrundes führt. Lange schwankt die Waage der historischen Entscheidung zwischen Rom und Karthago, zwischen Afrika und Europa. In Jahren des Krieges werden die Kornfelder Siziliens und des karthagischen Nordafrika, die fruchtbaren Acker und Fluren Italiens zerstampft und verwüstet. Als die Karthager die Waffen strecken, breiten die römischen Adler ihre Schwingen von den Alpen bis zur Libyschen Wüste über Länder und Meere. Der Triumph über Karthago führt zu neuen, nunmehr reinen Eroberungs-Kriegen. Griechenland, die Geburtsstätte der abendländischen Kultur, fällt den römischen Legionen zur Beute. Die Berührung mit den Besiegten verändert die strengen, entbehrungsgewohnten Bauernsoldaten des alten Latinerlandes. Griechenland wird zur Lehrmeisterin für Schönheit und Lebensgenuß, Karthago für neue Formen der Industrie, Landwirtschaft und des Überseehandels; Reichtum, Luxus und Korruption halten Einzug in der Hauptstadt der neuen Weltmacht. 2
Rom hat mit Sizilien eine gefährliche Erbschaft übernommen. Die Insel ist seit Jahrhunderten Mischkessel und Tummelplatz aller seefahrenden Völker. In ihren Hafenstädten gärt die Verderbnis der alten, im Sinnengenuß erschlafften Kulturen des Orients. Die römischen Soldaten zechen in den Schenken, wo sich zum aufreizenden Klang der Zimbeln schwarze Weiber im Tanze drehen; in den Palästen liegen die Patrizier auf seidenen Daunenpolstern, geblendet von dem Glanz eines unfaßbaren Reichtums und dem prunkenden Luxus des Lebens. Die Gutsherren aus Latium und den Sabinerbergen, die gewohnt waren, mit ihren Sklaven am selben Tisch zu essen und ihr Vermögen nach der Anzahl der Viehhäupter zu messen, sind von heute auf morgen Herr über Tausende von Sklaven und unübersehbare Ländereien geworden. Rom hat bewiesen, daß es erobern kann, ob es das Eroberte verwalten kann, muß die Zukunft erweisen. In dem von den Karthagern kolonisierten Sizilien wird nicht mehr die patriarchalische, natürliche Landwirtschaft betrieben wie in Italien und Rom. Über den Äckern dieser fruchtbaren Küstenstriche herrschte unbeschränkt und rücksichtslos der Wille der karthagischen Handelskontore. Die Bande zwischen Erde und Mensch sind zerrissen. Der überquellende Segen des Bodens ist zum Objekt von Geschäftemachern geworden, und die nährenden Felder zu Baumwoll- oder Getreide-Großbetrieben entwürdigt. Wo vor Zeiten Kleinbauern geruhsam den Acker mit eigenen Ochsen bebauten, breiten sich die Getreidemeere der Großplantagen. In rücksichtslosem Raubbau wird das Letzte aus Erde und Mensch herausgepreßt. Die jeweilige Marktlage, nicht der natürliche Bedarf der einheimischen 3
Bevölkerung zwingen den Äckern ihre Erträgnisse a b ; eine nach ausgeklügelten Berechnungen durchgeführte Ackerwirtschaft, nicht der von den Göttern gewollte Gleichklang der Schöpfung bestimmen Aussaat und Ernte. Auf den eroberten Landgütern finden die römischen Sieger gelehrte Abhandlungen, in denen die Methoden einer einheitlich gelenkten und vom Kapital bestimmten Betriebsführung beschrieben werden. Aufmerksam sitzen die Gutsväter aus den altrömischen Gauen in den Polstern der vertriebenen karthagischen Herren und lassen sich aus den Büchern des Karthagers Mago vorlesen, der allerhand Lehrreiches über die ertragreichste Form der Landwirtschaft zu sagen hat 1 . Der Punier schreibt über die Pflege des Granatapfelbaums und der afrikanischen Feige, er schildert die zweckmäßige Anpflanzung von Medizinkräutern und die ergiebigste Gewinnung von Wachs; sogar die Kleintierhaltung folgt genau erprobten Zuchtregeln. Auf den Vorwerken der Güter wird der Weizen nicht mühsam mit Flegeln gedroschen, sondern gleich nach dem Schnitt garbenweise unter Walzen geworfen, die sich im Kreise bewegen. Freilich — und auch das wird den römischen Beobachtern klar — diese neuartige Betriebsweise setzt die massenhafte Verwendung von Sklaven voraus; sie kostet Arbeit und Blut, Schweiß und Tränen entrechteter Menschen. Selbst die Äcker der entlegenen, von Karthago beherrschten Inseln sind in die Großplanung mit einbezogen. Den Bewohnern der Insel Sardinien ist es bei Todesstrafe verboten, Öl- und Obstbäume, Gemüse und Weinstöcke zu pflanzen. Ihre gesamte Bodenfläche ist ausschließlich dem Weizenanbau vorbehalten, denn durch den sardinischen Weizenspeicher beherrscht Karthago den westlichen Markt. Anderseits aber ist Sardinien ein stets aufnahmebereites Gebiet für afrikanisches Obst, für sizilische ölernten und Weine aus Libyen. Essen und Trinken der karthagisch beherrschten Völker wird ebenso wie Pflanzenwuchs oder Tierzucht von wenigen Kontorräumen der Weltstadt aus dirigiert. Da die Kömer an dem Reichtum der Stadtpaläste der sizilisch-karthagischen Städte Panormus, Drepana und Lilybäum die Ergebnisse dieser weitgreifenden Wirtschaftsregelung ermessen können, haben sie keinen Grund, 4
die Zustände auf der Insel zu ändern oder das Los der Sklavenmassen zu erleichtern. In diesen Großstädten, die, offen den Einflüssen aller Welt, halb hellenisch, halb karthagisch, am Eande des Meeres liegen, begegnen die Kauf leute und Beamten der römischen Republik einem Luxus und Wohlleben, wie sie nicht einmal das mächtige Tarent oder das reiche Neapel zu bieten vermögen. Die Römer erfahren, was es heißt, Provinzen zu haben, Zinsen und Steuern einzunehmen und von ihnen zu leben. Die Stadt Panormus ist ein kleines Karthago. Fünf- und sechsstöckige Häuserblocks liegen zwischen den engen, volkreichen Gassen und den breiten Prachtstraßen. Staunend stehen die Römer vor den Schauläden und unter den Gewölben der karthagischen Händler. Auf den Verkaufstischen liegen die gegossenen, getriebenen, ziselierten Schmuckstücke, prunkvolle Halsketten, Armbänder und prächtige Ohrgehänge, glasierte Tonwaren aus Ägypten, daneben billigste Figuren und Götterbilder aus Glasfluß, Ton und Terrakotta. * In den Friedensverhandlungen, die schon bald nach dem Abschluß der Kämpfe mit Karthago beginnen, fordert Rom die Auslieferung des karthagischen Söldnerheeres. Diese Bedingung ist eine der wenigen, die die sofortige und freudige Zustimmung der Kaufherren findet. Denn seit Jahren schuldet Karthago seinen Soldaten — diesem wilden, aus Afrikanern, Thrakiern und Galliern zusammengewürfelten Haufen — die Löhnung. Verschwinden die Verteidiger von Panormus, Drepana und Lilybäum in den römischen Sklavenmassen, so ist die Frage der Nachzahlung auf das befriedigendste gelöst. In dieser Stunde greift Hamilkar Barkas ein. Dieser karthagische General hat während des Krieges den steilen Berg Eryx bei Panormus so wild und hartnäckig verteidigt, daß er zum Schreckgespenst der Römer geworden ist. Am Ende des 1. Punischen Krieges führte er den Oberbefehl in Sizilien. Als der verdiente und hervorragende Feldherr von dem Verrat an den Soldaten Karthagos erfährt, begibt er sich persönlich zu Lutatius Catulus, dem römischen Konsul und Flottenbefehlshaber, und erreicht 5
in einer Unterredung den Verzicht Roms auf die Auslieferung der punischen Veteranen — ein Erfolg, den ihm der »Hohe Rat«, die Gerusia zu Karthago wenig danken wird. * Die Galeere, die Hamilkar und seinen Stab aus dem Lager des Konsuls heim nach Karthago trägt, hat als eines der letzten Karthagerschiffe in der Bucht von Panormus die Anker gelichtet. Sie nimmt Kurs auf die Ägatischen Inseln—den Schauplatz der entscheidenden Seeschlacht—, und gewinnt, zwischen Inseln und Festland hindurch segelnd, das offene Meer. Gegen Abend steigt die purpurn glühende Küste Afrikas aus den tiefblauen Wogen. Die Galeere hat sich der Küste genähert. Ihre Ruder sind wie die Flügel einer Libelle gebreitet, denn das Schiff läuft unter prallem Hauptsegel ohne Ruderkraft vor dem Wind. Hamilkar vermag schon die Küstenebene zu unterscheiden, die sich in den vergangenen Jahrhunderten aus einer Wüste in einen blühenden Garten verwandelt hat. Künstliche Bewässerung und Baumpflanzungen haben den wehenden Sand gebändigt und in fruchtbare Erde verwandelt. Das ist die Gegend, von der es heißt, „die Soldaten des Agathokles von Syrakus staunten, als sie auf ihrem Marsch vom Hermäischen Vorgebirge in dem wohlangebauten Lande reiche Obst- und Weingärten, ausgedehnte Olivenpflanzungen sahen, dazu Groß- und Kleinvieh auf den Weiden, prachtvolle Pferdekoppeln und die stattlichen Häuser der Gutsherren . . .". Auf der Höhe des Vorgebirges, das nun in tiefem Violett leuchtet, wirft der Pilot das Steuer herum und nimmt Kurs nach Südwest. Aus dem Bauch des Schiffes hämmert der harte Taktschlag des Aufsehers, die Ruderreihen tauchen platschend in die See und geben dem Kreuzer Fahrt gegen den Wind. Die Galeere läuft in die weite Bucht ein, die von dem vorspringenden Bergzug und dem wie ein sanfter Schatten im Westen blauenden „Schönen K a p " umschlossen wird. Hier trägt die Strömung die Schiffe nahe ans Ufer heran. Guter Ankergrund und ein geschützter Hafen sind die natürlichen Vorteile dieser Meeresbucht. Mit der Plötzlichkeit der heißen Zonen senkt sich die Nacht auf Land und Meer, der Wellengang wird ruhig, langsam schläft auch der Wind ein. 6
Nach einer weiteren Stunde Fahrt steigen die kühnen Umrisse Karthagos über dem Land herauf. Ein rötlicher Lichtschein liegt über der Stadt. Mit dunklen Häusermassen und steil aufragender Felsenburg nimmt sie die Spitze der weit in die Bucht vorstoßenden Halbinsel ein. Zur Linken flackern die Lichter über der schmalen Landzunge Taenia, in der Fahrtrichtung öffnet sich wie ein Tor die Einfahrt zu einem Kanal, die von zwei Festungstürmen flankiert wird. Auf der Krone der Türme rauchen Pechfeuer als Wegzeichen für die Schiffer. Die Galeere hat Lichter gesetzt und gibt Signale; denn bei Einbruch der Dunkelheit wird die Hafeneinfahrt Karthagos, wie die der meisten Städte, durch schwere Bronzeketten gesperrt. Von den Bastionen tönen Hornrufe. Gleich darauf vernimmt Hamilkar trotz des Häuschens der gegen den Strom arbeitenden Ruder das Knarren schwerer Winden und das Platschen der Sperrketten, die sich entspannen und auf den Grund sinken. Das Schiff läuft ein. Im unsicheren Licht von Fackeln und Laternen erkennt der heimkehrende Feldherr die Herde der dunklen Schiffsrümpfe mit ihren Masten und Eahen im Handelshafen; selbst zu dieser späten Stunde sind die Kais mit dem Knarren der Räder, dem Geschrei der Arbeiter und Matrosen erfüllt. Mit langsamem Ruderschlag steuert das Schiff durch einen zweiten Kanal zum kreisrunden Becken des Kriegshafens, in dem Dutzende von Kriegsschiffen liegen. Die Galeere umfährt die kleine Felseninsel in der Mitte des Bassins, die den Palast des ,Sufeten der Meere' 2 trägt. Als sie aus dem Schlagschatten dieses Gebäudes heraustritt, erblickt Hamilkar, der sich auf der Brücke mit dem Kapitän unterhält, ein furchtbares Bild. Zwischen zwei brennenden Holzstößen sind Kreuze aufgerichtet, an denen die Körper von Gerichteten hängen. Wachtposten schreiten davor auf und ab. Als der Anker gefallen ist, läßt sich Hamilkar mit einem Beiboot an Land rudern. Allein betritt er den Boden der Heimat, die ihn mit solch grausigem Willkomm empfängt. Schaudernd erkennt er die Leichen seiner alten sizilischen Kampfgefährten, der Generäle und Admiräle, die den Römern unterlegen sind. Karthago hat Abrechnung gehalten: Soldaten werden für Siege bezahlt, für Niederlagen gekreuzigt. *
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Hamilkar ist Barkide — kein Fremder, kein Mietgeneral und emporgekommener Soldknecht, sondern Angehöriger des ältesten Stadtadels. So wagen die Herren der Gerusia, des Eates der Alten, nicht, dem Heimgekehrten den Prozeß zu machen. Sie entheben ihn seiner Ämter und verbannen ihn auf seinen Besitz in La Marsa, dem paradiesischen Vorort der Weltstadt Karthago. Hamilkar läßt jedoch den Mut nicht sinken. Unerbittlich verfolgt er sein Ziel, das vielleicht erst seine Nachfolger in Jahrzehnten erreichen werden. Wenn er das Werk nicht mehr selbst vollenden kann, sollen Söhne und Enkel des Geschlechts den Kampf gegen Rom als heiliges Erbe übernehmen. Hasdrubal und Mago, die jüngsten Söhne, sind noch Kinder, aber Hannibal — der Älteste — zählt zwölf Jahre; er ist ein Knabe von starkem Willen. In seinen Händen sieht Hamilkar die Zukunft Karthagos. * Nacht liegt über der Biesenstadt. Im Palast der Barkiden ist Hamilkar an das Lager des Ältesten getreten, weckt ihn und befiehlt den Sklaven, das Viergespann zur Ausfahrt zu rüsten. Verwundert und noch benommen vom Schlaf folgt der Knabe ins Freie. Der Feldherr nimmt selbst die Zügel und stellt sich hinter den Wagenschild, schweigend und großäugig steht Hannibal neben ihm. Die Bronzetore des Parks fliegen auf, die nächtliche Prachtstraße liegt still und wie ausgestorben. Hamilkar führt seinen Sohn zum höchsten und schönsten der Tempel, der mit weißen Quadern majestätisch emporstrebt. Dieses Heiligtum der Göttin Tanit krönt Karthago, auf seiner Plattform brennt die ewige Flamme, die weithin den Schiffen nächtlicher Wegweiser ist. Der Mond — das Auge Tanits, der Göttin — hängt rötlich am Himmel. Wie gebannt blickt der junge Hannibal über das weite, das unbegrenzte Meer, dessen Wellen silbern im Mondlicht gleißen. Scheu streifen seine Augen den Vater, der schweigend neben ihm steht. Seltsam, wie mit geheimem Zauber erfüllt, ist diese Nacht hoch über den Häusern und Türmen. Dann beginnt Hamilkar zu sprechen. In seiner Stimme grollen Zorn und Bitterkeit über die Ohnmacht der Heimat und den Triumph des Feindes. 8
„Dies ist die Stunde der Göttin. Wenn Tanit zu Häupten der Erde steht, ist ihr Ohr den Menschen geneigt. Du — mein Sohn — sollst mein Vermächtnis hören und sollst es in deinem Herzen bewahren, bis die Zeit der Tat gekommen ist. Vor dem Altar der großen Mutter alles Lebens sollst du schwören, einst das zu vollenden, was ich begann. Sieh dort unten das Meer . . .! Seit undenklichen Zeiten trug es die Schiffe der Karthager, wenn sie ausfuhren, neues Land zu gewinnen. Gnädig war es unseren Vätern und Vorvätern und schenkte ihnen Reichtum und Herrschaft. In West und Ost wehte das Banner mit dem silbernen Einhorn, dem Feldzeichen der karthagischen Seemacht, über den Häusern und Lagerhallen unserer Kaufleute. Glücklich und gesegnet war unser Volk, bis die römischen Wölfe in den Frieden unserer Hürden einbrachen. In frechem Überfall raubten und zerstörten sie, was Fleiß und Tüchtigkeit vieler Generationen erbaut hatten. Der Tempel karthagischer Größe ist zerbrochen, uns blieben nur die Trümmer. Schau, wie dort die schwarze Wolke über den silbernen Mond zieht! So verhüllte Tanit das Haupt vor dem Unglück ihrer erstgeborenen Söhne. Nun gilt es, das Trümmerfeld zu ordnen und Stein um Stein zu einem neuen Tempel, zu einem neuen Karthago zusammenzutragen. Verborgen vor den Spähern Roms werden überall im Lande heimlich die Panzer und Schwerter geschmiedet, auf versteckten Werftplätzen entstehen die Kampfschiffe, die Männer rüsten für den Rachekrieg gegen Rom. Noch ist alles nur ein Anfang; aber in diesen Tagen tun wir den ersten Schritt, der uns den Weg in die Zukunft öffnet. Hundert Galeeren liegen — als Handelsschiffe getakelt — in den Häfen bereit, Kriegsmannschaft, Sklaven und Geräte an Bord zu nehmen für neue Landgewinnung im Westen." „Du sprichst von Spanien, Vater?" fragt der Knabe. „Spanien soll die Rüstkammer Karthagos werden", antwortet Hamilkar, „dort, wo noch kein Römer seinen Fuß an die Küste gesetzt hat, wird das karthagische Heer in den Waffen geübt werden, in seinen Häfen werden Bord an Bord die Schiffe unserer Flotte liegen, und aus seiner Erde werden wir das Silber schürfen, das alle Feinde Roms zu einem unüberwindlichen Bündnis zusammenschließen soll. 2(9)
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Vor dem Altar und im Angesicht der Göttin schwöre, daß mein Wille auch der deine ist, daß du nicht ruhen wirst, bis Karthagos Banner auf den römischen Mauern aufgepflanzt sind." Als Hannibal die Schwurhand hebt, ist sein Antlitz wie •das eines Mannes. „Ich schwöre es bei Tanit, der Göttin, und ich will diesen Eid halten, solange Leben in mir ist. . . !" * Eine ganze Armee setzt unter Hamilkars Führung nach Spanien über. Die Kolonisation beginnt mit der Erschließung des Landes. An den Küsten entlang dringen die karthagischen Kaufleute und Wegebauer vor, es kommt zu Kämpfen mit den einheimischen Iberern, Verträge werden geschlossen, und aus den Unterworfenen werden schließlich hilfsbereite Verbündete. Der Unternehmungsgeist der Karthager wendet sich den bisher schlecht ausgenutzten Silberminen zu. Bald ziehen Arbeiterkolonnen in die Bergwerke, neue, kunstvolle Stollen und Schächte werden in die Berge getrieben, eine reiche Ausbeute lohnt die aufgewandte Mühe. Reich fließt der silberne Strom. Er belebt die karthagische und spanische Wirtschaft und füllt die Kassen der Freunde und Bundesgenossen Karthagos. In dieser Zeit größter Erwartungen erliegt Hamilkar auf einem Streifzug durch das Land den Pfeilen wilder Bergbauern3. Das Werk geht in die Hände seines Schwagers Hasdrubal über, der den Ausbau der militärischen Stützpunkte weitertreibt. Mit den Silberschätzen wirbt er ein zahlreiches Söldnerheer, legt Stapelplätze für Waffen und Lebensmittel an, gründet Festungen und Städte. Er bestimmt auf einer fast unzugänglichen Halbinsel im Süden Spaniens den Platz für die künftige Hauptstadt Neukarthago4 und läßt dort Staatsgebäude, Lagerhäuser, Hafenanlagen und Bastionen aufführen. Aber auch Hasdrubals Tage sind gezählt. Er überlebt seinen Schwager nur um neun Jahre und fällt unter dem Dolch eines Verschwörers. Sein Tod in diesem geschichtlichen Augenblick scheint schicksalhaft: der Weg für einen Größeren ist frei. Das Heer wählt den sechsundzwanzigj ährigen Sohn Hamilkars zum Oberkommandierenden. 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.02.19 18:51:22 +01'00'
Hannibals Stunde ist gekommen. Die Spannung zwischen Rom und Karthago hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Es ist dem mißtrauisch beobachtenden Senat auf die Dauer nicht verborgen geblieben, was in Spanien geschieht. Als die Meldungen über das Entstehen eines neuen, machtvollen Kolonialreiches der Karthager immer bedrohlicher werden, greift Rom ein. Noch unter Hasdrubal sind römische Botschafter, später auch Legionen in nordspanischen Häfen gelandet. Der Senat hat mit der Griechenkolonie Emporiae an der spanischen Ostküste und der Großstadt Sagunt5, die sich vom Vordringen der Karthager bedroht fühlen, Verhandlungen aufgenommen, Legionen sind südlich der Pyrenäen aufmarschiert, ein Erlaß Roms erklärt den Iberusstrom6 zur Grenze der beiderseitigen Interessengebiete. Um die Zeit, da Hannibal die Führung übernimmt, stehen römische Besatzungen entlang der Iberuslinie und in den Militärkolonien Tarraco und Ilerda. Eine Schutzgarantie sichert Sagunt, das südlich des Iberus mitten im karthagischen Gebiet liegt. * Nun sind die weitreichenden Pläne der Barkiden verwirklicht, die Vorbereitungen vollendet und die Truppen schlagbereit. Noch aus Hamilkars Tagen stammt der Entwurf eines Feldzuges, der Italien als Schlachtfeld des künftigen Krieges bestimmt. Wenn auf dem Landwege — durch Gallien und über die Alpen — ein karthagisches Heer am Südrand der Berge erscheint, werden sich — so glaubt man in Karthago — die kaum befriedeten Gallierstämme in Oberitalien in neuem, furchtbarem Aufstand erheben. Im Süden der italischen Halbinsel, wo die Griechenstädte die Tage des Pyrrhus und den Traum vom westgriechischen Reich noch nicht vergessen haben, kann karthagisches Silber aus den spanischen Minen den Zusammensturz des römischen Bündnissystems bewirken. Verbindungen mit den Höfen von Makedonien, Syrien und Ägypten sind aufgenommen. Rom muß dem weltweiten Netz erliegen, das die Barkiden gespannt haben! Zuversichtlich wagt Hannibal den ersten Schritt auf der Bahn, die zu Triumph und Sieg führen soll. Doch nur die Götter wissen, wie das Ende sein wird . . . * 11
Im Spätherbst dieses Jahres schickt Hannibal eine Gesandtschaft nach Sagunt und fordert die Besetzung der Wälle mit karthagischen Söldnern. Der Eat von Sagunt weist, gestützt auf das Bündnis mit Rom, das Ansinnen zurück. Da erscheint im Frühjahr7 ein starkes karthagisches Heer vor den Mauern der Stadt und fordert die Übergabe. Wieder lehnt Sagunt ab und schickt seine wehrhafte Mannschaft auf die Mauern und Türme. In der Nacht befiehlt Hannibal den Sturm auf die Wälle. * Die Zeit drängt auf eine Entscheidung. Eine römische Gesandtschaft geht nach Karthago, um die Auslieferung oder Bestrafung Hannibals als Friedensbrecher zu fordern. In Eom werden die Eeservisten von zwei Legionen zu den Waffen gerufen; überall spricht man vom Krieg, Gerüchte und alarmierende Nachrichten schaffen eine Stimmung fieberhaft erregter Spannung. Die beiden Legionen sollen von einem Hafen an der Nordwestküste Italiens aus nach Spanien eingeschifft werden. Der neugewählte Konsul Publius Cornelius Scipio aus der altangesehenen Patrizierfamilie der Cornelier hat selbst das Oberkommando übernommen. Die Abreise des Konsuls aus Eom zum Truppenlager hat sich aber verzögert, da noch vor Ausbruch des Krieges die Hochzeit seines ältesten Sohnes Publius Cornelius feierlich begangen werden soll. Das Leben fordert sein Kecht, auch unter grollendem Wetterhimmel. Als suche das bedrohte Dasein seinen Fortbestand zu sichern, so häufen sich in diesen Tagen die Eheschließungen; und die Jahrbücher verzeichnen, daß nie zuvor so viele Zwillinge geboren wurden wie jetzt, da sich der Tod anschickt, reiche Ernte zu halten8. * Schon im Frühjahr hat Cornelius Scipio als Oberhaupt der Familie mit dem Vater der Braut, dem Zensor Marcus Sempronius, die Aussteuer der Kinder festgesetzt und das Verlöbnis zwischen Publius Cornelius und der schönen Sempronia bekanntgegeben. Die beiden Brautleute sind sich selten zuvor begegnet, aber als Kinder aus patrizischem Geschlecht wissen sie. daß Ehen in ihren Familien 12
nicht durch persönliche Leidenschaften oder Gefühle und nicht von der Eigenwilligkeit der Liebe bestimmt werden. Das Brautpaar hat sich gegenseitig Geschenke gesandt, und Sempronia erhält den üblichen Goldring als Zeichen der Verlobung. Wegen des bevorstehenden Krieges wird die Hochzeit schon für die zweite Hälfte des glückverheißenden Monats Juni angesetzt. Alle heiligen Gebräuche werden sorgfältig beachtet. Die Opferbeschauer lesen aus den Eingeweiden geschlachteter Schafe, daß die Verbindung glücklich sein werde, obschon keine zahlreiche Nachkommenschaft zu erwarten sei. Die Vorzeichendeuter des Capitols beobachten des Fressen der heiligen Hühner, Flug und Euf der Vögel, Blitz und Donner, Fall von Sternschnuppen und verzeichnen das Dröhnen der erzenen Schilde im Tempel der Kriegsgöttin Bellona. Als am Tage der Verlobung bei der Ringübergabe die Gäste das Klopfen zweier Spechte im heiligen Hain hören und bei der Rückkehr des Bräutigams in sein Vaterhaus gar zwei Adler über dem Mons Palatinus ihre Kreise ziehen, beglückwünscht der Oberpriester den Vater des Bräutigams: Der junge Publius Cornelius Scipio werde dereinst dem Staate große Dienste erweisen. Als Tag der Vermählung wird der 19. Juni bestimmt. * An ihrem Hochzeitstag ist Sempronia mit dem ersten Morgenlicht aufgestanden. In tiefen Gedanken sitzt sie auf dem Hocker und blickt in den polierten Metallspiegel, um sich in der ungewohnten, würdigen „Tunika recta" — die dem Kleid der verheirateten Frau gleicht — zu betrachten. Gestern abend durfte sie das Gewand zum erstenmal anlegen. Mit Wehmut schaut sie auf das abgelegte Mädchengewand, das sauber zusammengefaltet auf dem Schemel liegt. Der rote Saum ist wie der Überschwang der Kinderzeit, die nun für immer dahin ist. Sempronia zählt vierzehn Jahre . . . ! Schritte nähern sich dem Türvorhang, die Mutter betritt mit einer hellen Öllampe, in Begleitung zweier Sklavinnen, den Raum. Lachend und schwatzend schmücken die Dienerinnen die Braut für den großen Tag. Aus den vorderen Gemächern des Hauses hört man bereits den Lärm der eintreffenden Gäste. 13
Die weiße Tunika wird von einem wollenen Gürtel zusammengehalten, den die alte Amme — eine Sklavin, die schon Sempronias Mutter zur Hochzeit gerüstet hat — zum glückbringenden Herkulesknoten schlingt. Eine Griechin aus Sizilien türmt das Haar zu kunstvollem Aufbau und ziert es mit Bändern und gelbrotem Schleier. Über den Gang eilen die Sklaven mit Krügen und Tellern; denn die vorderen Räume des Hauses — Tablinum und Atrium9 — sind bereits voller Gäste, die bewirtet sein wollen. Auf den Tischen stehen die Hochzeitsgeschenke: griechische Prunkschalen, Terrakotten und Vasen, karthagischer Goldschmuck und campanisches Geschirr. Das Atrium ist mit Teppichen und Blumen geschmückt, vor dem Altar der Hausgötter brennt ein mehrarmiger Kandelaber, den der Zensor aus Panormus mitgebracht hat. Weit sind die Schränke mit den Ahnenbildern geöffnet. Flötenspiel erklingt auf der Straße und kündet die Ankunft des Bräutigams. Mit klopfendem Herzen wirft Sempronia noch einen letzten Blick in den Spiegel, dann geht sie den Eltern entgegen, die die Braut aus dem Mädchenzimmer ins Atrium geleiten. An der Spitze eines Zuges von Verwandten, Freunden und Gästen betritt Konsul Publius Cornelius Scipio das Haus. Mit freundlicher Geste — als biete er das Beste dar, das er zu geben habe — weist er auf seinen siebzehnjährigen Sohn, der hochgewachsen neben ihm steht. Publius Cornelius ist über sein Alter hinaus gereift. Sein Gesicht ist scharf geschnitten und hager; ernst und ohne Scheu verneigt er sich vor der kindlichen Braut und ihren Eltern. Publius trägt einen Kranz im kurzgeschnittenen, gelockten Haar und — ebenfalls zum erstenmal — die Toga der Männer. Unter feierlicher Stille wird der Ehevertrag entrollt und verlesen, dann unterschreiben ihn die Familienoberhäupter. Braut und Bräutigam erklären auf Befragen des Konsuls ihre Einwilligung zur Eheschließung. Mit bebenden Lippen spricht Sempronia die ehrwürdige Formel der Verpflichtung : „Ubi Cajus — ibi Caja!" — ,Wo du Herr bist, will ich Herrin sein!' Die Hände der beiden jungen Menschen legen sich zaghaft ineinander. Dann verharren die Neuvermählten in 14
schweigendem Gebet vor dem Hausaltar, sie erflehen von den Göttern Segen und Heil für das gemeinsame Leben. Nach uralter Sitte breitet die Hausfrau das weiche Fell eines frisch geschlachteten Opferschafes über die Bank, auf der Sempronia und Publius Platz nehmen. Dann ordnet sich die Hochzeitsgesellschaft zum Umgang um den Altar. Ein Diener trägt feierlich den Korb mit heiligen Geräten voran, ihm folgen das Brautpaar, die Eltern und die Gäste. Wieder ertönt Flötenmusik. Sklaven bringen einen Hochsitz herein und stellen ihn dem Eingang gegenüber an die Rückwand des Atriums. Der Platz ist für die Brautmutter und Sempronia bestimmt; das Mädchen setzt sich auf den Schoß ihrer Mutter. Auch diese alte Erinnerung lebt noch in Rom: wie die Urväter sich ihre Frauen bei den Sabinern raubten und die Mädchen, künftige Stammütter Roms, mit Gewalt entführten, so muß heute noch der Bräutigam seine Erwählte mit beiden Armen vom Schoß der Mutter heben. Fröhlicher Beifall erschallt, als Publius Cornelius das Mädchen mühelos emporhebt und Sempronia sich verlegen an seine Brust schmiegt. Mit dieser Zeremonie ist die Feier im Hause der Braut beendet. In heiterem Zuge geleiten die Freunde, Gäste und Nachbarn Sempronia zum nahegelegenen Kastell der Cornelier. An der Seite der Braut gehen Knaben aus der Patrizierfamilie der Vetier, ein Verwandter trägt die brennende Fakkel, die am häuslichen Herdfeuer der Sempronier entzündet ist. Haussklavinnen folgen mit Wolle, Spinnrocken und Stickrahmen. Durch Nebengassen ist Publius Cornelius mit seiner Verwandtschaft dem Brautzug vorausgeeilt zum väterlichen Hause. Die Hochzeitsgesellschaft bewegt sich die gewundene Bergstraße herab mit Hymenrufen10, Gesängen und Flötenspiel; lachendes, freudig bewegtes Volk zieht nebenher. Der Eingang zum Hause der Cornelier ist mit Blüten und Erntekränzen umwunden, der Vorplatz mit Gras und Blumen geschmückt. Sorgfältig werden die alten Bräuche beachtet. Sempronia umwickelt die Türpfosten des Hauses mit Wollbinden und bestreicht die Schwelle mit glückbringendem Wolfsfett. Als sie sich aufrichtet, steht Publius Cornelius vor ihr, lachend hebt er sie hoch und trägt 15
sie über die Schwelle ins Haus; am Altar setzt er seine Last zärtlich ab. Vor dem heiligen Herde stehen der grauhaarige Konsul, seine Vettern und Anverwandten, eine Versammlung von Männern, die mitzureden haben, wo es um Korns Schicksal geht. Angesichts seiner Familie überreicht Publius der jungen Frau eine Schale mit glühender Asche und ein Wassergefäß als Zeichen, daß sie nun die Hüterin des häuslichen Herdes und Mitglied der Hausgemeinschaft sein soll. Die Speisehalle, das Tablinum, ist seit kurzem im Hause der Cornelier, als einem der ersten in Rom, nach griechischem und sizilischem Vorbild vom rußgeschwärzten und mit Kochdünsten gesättigten Atrium getrennt. Inmitten des Saales ist eine große, viereckige Tafel für die Gäste gerüstet. An der Schmalkante der Tafel, gegenüber dem Eingang, hat der Konsul seinen Platz, der zweite Ehrensitz am unteren Ende des Tisches ist für Sempronius bestimmt, das Brautpaar sitzt an der Langseite. Als sich die Gäste an den kräftigen Vorspeisen gütlich getan haben, erhebt sich der Cornelier; sogleich schweigen die Musikanten, das Stimmengewirr verstummt, und die bedienenden Sklaven verlassen die Halle. „Freunde und Anverwandte!" beginnt der Hausherr, „ein Ehebund ist geschlossen, aus dem — die Götter geben es! — viele Söhne hervorgehen werden. Als Rom gegründet wurde und inmitten einer grausamen und feindlichen Umwelt lebte, war es unseren Vorvätern höchstes Gebot, fruchtbar zu sein, Söhne zu haben und stark zu werden. Darum hat das älteste Gesetz dem kinderlosen Manne das Recht gegeben, durch Adoption Söhne anzunehmen. Die Alten wußten, daß es die schlimmste Schicksalsgeißel ist, allein zu bleiben und ohne Nachkommen zu altern. Die Urgemeinde gewährte dem Vater, dem Drillinge geboren wurden, die einzige öffentliche Unterstützung, die das alte Rom gekannt hat. Die Götter haben die römische Staatsfamilie gesegnet und großgemacht. Durch Fruchtbarkeit des eigenen Stammes und durch Adoption verwandter Völker hat sich ihre Macht von Jahr zu Jahr vergrößert. Bürgerkolonien, ein Netz von Patengemeinden und Eidgenossen überziehen heute das Land. Über ganz Italien herrscht das unbeschränkte Vaterrecht Roms. 16
Du, mein Publius, warst mir ein guter und gehorsamer Sohn, getreu den alten Sitten und tüchtig in der Handhabung der Waffen. Lasse dir sagen, daß es nichts Höheres gibt, als der Stammvater eines Geschlechtes tapferer und hervorragender Männer zu werden. Solange er lebt — und würde ihn selbst Wahnsinn verwirren oder Krankheit schwächen —, ist der Vater der unumschränkte Herr der Familie, ein Richter aller Familienmitglieder über Leben und Tod, der Eigentümer des gesamten Familienbesitzes und der Verwalter des Vermögens. Dem hohen Recht des Vaters steht seine Pflicht gegenüber, der vorbildliche und tugendhafte Wächter der Familie zu sein. In dieser Stunde, mein Sohn, in der sich Roms Adler zu neuem Fluge rüsten, sei dir bewußt, daß es heiligste Pflicht der Männer ist, das Haus der Ahnen zu verteidigen; du aber, meine Tochter Sempronia, halte dich an das Gesetz der Frau: über den häuslichen Herd zu wachen und die Ehre der Familie, der du nun angehörst, niemals zu verletzen." * Lachen und Scherzen füllen den Rest des Tages. Bei hereinbrechender Dunkelheit sammeln sich die Söhne und Töchter der Nachbarschaft vor dem Hause der Cornelier. Blockflöten begleiten die Neck- und Spottlieder, Gelächter flattert auf, Laternen und Fackeln erhellen die Sommernacht. Im Hause erscheint zu später Stunde der Dichter und Schauspieler Livius Andronicus, er trägt ein freundlich aufgenommenes Gedicht für die Neuvermählten vor und darf sich im offenen Hofe an den Tisch der Klienten'11 setzen, an dem lärmend gezecht wird. Auf der Straße schreien die Knaben und fordern so lange ihr Recht, bis der Bräutigam Hände voller Nüsse und Kupfermünzen unter die balgende Schar wirft. Der Mond hängt wie ein goldenes Hörn am Himmel, im Hain der Götter schlägt die Nachtigall. Friedlich glitzern die Sterne über den Hausdächern Roms. Wind rauscht in den Baumkronen, und die Menschen — Glückliche und Unglückliche, Gute und Böse — liegen schlummernd im Arm der Nacht. Am nächsten Morgen, als die junge Frau am Hausaltar der Cornelier das erste Opfer bereitet, verabschiedet 3(9)
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sich der Konsul, um zu der Truppe zu reisen. Auch Publius Cornelius wird nicht mehr lange das Glück seiner jungen Ehe genießen können. Da der Konflikt zwischen Rom und Karthago immer bedrohlichere Formen annimmt und die Kriegsgerüchte nicht verstummen, hält auch der alte Hieron von Syrakus, der griechischen Kolonialstadt, Ausschau nach Bundesgenossen für die heraufziehende schwere Zeit. Seine Blicke richten sich nach Osten, nach Ägypten, wo Ptolemäus III. Euergetes regiert. Die Nachfahren des alexandrischen Weltreiches, die Hüter der groß-hellenischen Idee, sind die natürlichen Verbündeten der westlichen Griechenwelt, sowohl gegen Rom wie gegen Karthago. Zur Einleitung von diplomatischen Verhandlungen schickt Hieron seinen Vetter Archimedes, einen in der wissenschaftlichen Welt weitberühmten Gelehrten, in geheimer Mission nach Ägypten. In Rom und Karthago wird die als Studienaufenthalt des Archimedes in Alexandria begründete Reise kaum Mißtrauen erregen; denn dort befindet sich das Museion, die Universität, mit der er seit vielen Jahren in brieflichem Gedankenaustausch steht. Archimedes hat als erster Gleichungen mit mehreren Unbekannten gelöst, die Kreisfläche und den Kreisumfang berechnet, annähernd Quadratwurzeln gezogen und die Summe unendlicher Reihen, die „Sandzahl", festgestellt; er entdeckte den Schwerpunkt der Flächen, erkannte das Gesetz der schiefen Ebene, des Hebels, der Spirale und der Schraube und veröffentlichte ein umfangreiches Werk über die Optik der Hohlspiegel. Der Gelehrte ist in ganz Syrakus bekannt. Nie wird er mit seinem Vatersnamen angeredet, sie nennen ihn alle „Archi-medes", den Erzgrübler. Als er sich mit der Wirkung des Flaschenzuges beschäftigt und erkennt, daß dieser Maschine noch weit größere Kräfte innewohnen, als Aristoteles errechnet hat, ist er von seiner Entdeckung so überwältigt, daß er die Erfindungskraft des Menschen für grenzenlos hält. „Gebt mir einen festen Standpunkt, und ich will die Erde aus ihren Angeln heben!"12 soll er gesagt haben. Bei der Untersuchung eines schwierigen Rechtsfalles kam ihm eine weitreichende Einsicht: Der Goldschmied des Königs Hieron stand im Verdacht, bei der Anfertigung einer Krone nicht alles ausgehändigte Gold verwendet, 18
sondern durch Beimischung von Silber wohl das Gewicht erhalten, aber das Metall verschlechtert zu haben. Archimedes sagte sich: Wenn wirklich Silber, das leichter ist als Gold, beigemischt worden ist, dann muß bei gleichem Gewicht der Rauminhalt der Krone größer sein,als wenn sie aus reinem Golde bestünde. Wie aber sollte man diesen Rauminhalt der verzierten und verschnörkelten Krone messen? Lange grübelte er über dem Problem. Eines Tages stieg er zum Baden in die bis zum Rande gefüllte Wanne—da brachte ihn das überlaufende Wasser auf die Lösung des Rätsels. Um den strittigen Fall zu klären, brauchte man nur einen gleichen Barren Gold, wie ihn der Goldschmied erhalten hatte, in ein volles Gefäß mit Wasser zu legen und das überlaufende Wasser zu messen. Wenn man dann das Experiment mit der Krone wiederholte, so würde — vorausgesetzt, daß dem Schmuckstück Silber beigemischt war—mehr Wasser überlaufen müssen als bei dem Goldbarren.13 Was Archimedes vermutet hatte, trat ein. Der Betrüger wurde entlarvt, der König übergab ihn den Schergen. * Das Schiff, mit dem Archimedes nach Alexandrien fährt, verläßt mit sinkender Sonne, als die Abendbrise von Land die Segel füllt, den Heimathafen. Die meilenweiten Mauerringe mit ihren Türmen, das Inselschloß und das in die Felsenhügel eingehauene Theater verschwinden langsam hinter der rotflammenden Kimmung. Das Meer nimmt den Schnellsegler in seine wiegenden Arme. Am siebenten Tage der ruhigen Überfahrt tönt der Ruf des Steuermanns über das Deck: „Pharus in Sicht!" Über den Nebelschleiern im Südosten steht ein kleiner, dunkler Schatten, der berühmte Pharusturm von Alexandrien, den König Ptolemäus Philadelphus, der Vater des jetzt regierenden Ägypterkönigs, nach Plänen seines Baumeisters Sostratos errichten ließ. Ein rötlicher Schein über dem fernen Turm zeigt an, daß die Leuchtfeuer noch brennen, der Morgen hat eben erst die Sterne verblassen lassen. Schwarzgrau sind die gestern noch tiefblauen Wogen. Hier, noch auf hoher See, färbt der Nilstrom, gesättigt mit ägyptischer Erde, das Wasser des Meeres. Langsam weicht jetzt auch der Nebel. Wie ein langer, schmaler Strich taucht die Küste Ägyptens aus der See. * 19
Als das Schiff nach Stunden die Hafeneinfahrt ankreuzt, kann Archimedes den mächtigen Leuchtturm aus der Nähe bewundern. Acht kreisrunde, von Säulen, getragene Stockwerke sind übereinandergebaut. Auf der obersten Plattform sieht man, ameisenhaft klein, die Wachsoldaten des Hafenbefehlshabers. Hinter der Insel begrenzt ein breiter, eine Meile langer Steindamm14 die Einfahrt zum inneren Hafen. Wie ein dichter Wald ragen die Mastbäume der vor Anker liegenden Schiffe auf mit dem Gewirr der gerefften Segel und Rahen. Auslaufende Galeeren kreuzen den Kurs des Syrakusaners. Deutlicher wird der Umriß der Stadt. Kornspeicher und Hafenbauten, Lagerhäuser und Verwaltungsgebäude treten aus dem Dunst. Breite Prachtstraßen mit leuchtendweißen Tempeln, Palästen und öffentlichen Bauten führen zum MareotisSee, einer ehemaligen Meeresbucht. Aus mauerumgürteten Gärten wachsen die Fächerkronen von Palmen, am östlichen Horizont hängt rotverschleiert der Sonnenball über glühender Wüste. *
Wenig später lehnt Archimedes in den Kissen einer offenen Sänfte, Sklaven mit Straußenwedeln fächeln ihm Kühlung zu, ein ägyptischer Offizier geleitet den Fremden durch die Straßen der großen Stadt. Ihr Götter, welch eine Stadt! Archimedes kennt die Weltstädte Syrakus und Karthago, aber diese Hauptstadt Ägyptens scheint beide an Größe und Pracht zu übertreffen. Die gepflasterte Fahrbahn der pfeilgeraden Straße ist vierzig Fuß breit. Beängstigend ist das Menschengewühl, das sich auf den erhöhten Gehsteigen, in den Gewölben und vor den mit Sonnensegeln überspannten Basaren drängt. Der Offizier, der Archimedes begleitet, muß immer wieder mit Nachdruck Platz schaffen. Es ist dem Gelehrten, der benommen von Hitze und Lärm in der Sänfte ruht, als schwanke er in einer Märchenbarke auf glitzerndem Strom. Gesichter tauchen auf und versinken, nichts haftet, immer neue, stärkere Eindrücke stürzen auf ihn ein: schmalgesichtige Ägypter mit Knebelbärten, glattrasierte Hellenen, gesalbte Syrer, mus20
kulöse, fettglänzende Nübier und Seeleute aus den Barbarenstaaten mit blonden Locken. Händler schreien ihre Ware aus, geschminkte Frauen gehen am Arm makedonischer Offiziere. Knarrend und quietschend winden sich mit Buckelochsen bespannte Bauernwagen durch den Verkehr. Bettler überschreien mit heiserer Stimme den Lärm, klammern sich an die Sänfte, braune, schwarze und weiße Hände strecken sich durch die Vorhänge. Da stehen Tempel von nie gesehenen Ausmaßen in fremdartiger, orientalisch phantastischer Architektur; Wälder von wuchtigen Marmorsäulen mit wuchernden Kapitellen und bunt bemalten Friesen wachsen über weiträumigen Freitreppen empor. Über große Plätze geht der Blick, in ihrer Mitte stehen wie Mahnmale aus vergangener Zeit Obelisken, deren Bildersprache niemand mehr versteht. Ruhende Sphinxe und hellenische Plastiken — nach dem Vorbild der Schulen von Ehodos oder Pergamon — schmücken die schattigen Innenhöfe der Paläste. Der Weg wendet sich zu stilleren Bereichen mit weiten Rasenflächen, Büschen, duftenden Blumenbeeten und Palmen. Vor einem säulengeschmückten Torbau setzen die Träger keuchend und schweratmend die Sänfte ab. Makedonische Wachen treten mit gekreuzten Lanzen vor die Einfahrt. „Wir sind am Ziel, Herr", meldet der Offizier, „hier ist das Museion von Alexandria." Das Museion •— Heimat aller Wissenschaften, Traum und Sehnsucht der Gelehrten in aller Welt! Allein, erfüllt von den Wundern dieser^Stadt, geht Archimedes durch den riesigen Torbau. Hinter der Mauer, die den unübersehbaren Bereich der Gelehrtenstadt umgibt, beschatten Palmenhaine kunstvoll angelegte Blumenbeete; aus der Vase im Arm einer Marmornymphe ergießt sich eine sprudelnde Quelle in die Schale aus Mosaik, Sinnbild des Weisheitsbrunnens. Weißschimmernde Marmorgänge geleiten in den inneren Hof; in seiner Mitte träumt ein Lotosteich in der brütenden Hitze. Durch breite Tore fällt der Blick auf säulengetragene Wandelhallen und schattige Galerien. Ein Beamter des Museion fragt den Besucher nach Name und Begehr. Von ihm erfährt Archimedes, daß er bereits erwartet wird. Höflich führt man den Syraku21
saner in ein prächtig gewölbtes Zimmer, nubische Sklaven sind dem Gast beim Bade behilflich und reichen ihm Salben und kostbare öle. Als Archimedes sich erfrischt hat, teilt ihm ein Verwalter mit, daß die Leitung des Museion ihm alle Vergünstigungen einräume, die den ständigen Mitarbeitern und Professoren gewährt werden. Das bedeutet, daß ihm ein Gehalt von zehn Minen im Monat15 ausgezahlt wird, daß er kostenlos wohnt und ißt und daß jeder seiner Wünsche nach wissenschaftlichen Hilfsmitteln wie ein Befehl des Königs auszuführen ist. Wahrhaftig, Alexandria hat das Wort Piatons erfüllt, daß die Philosophen Könige sein sollen! Noch am gleichen Abend lernt Archimedes den Leiter der Bibliothek und Akademie, Eratosthenes von Kyrene16, kennen. Die Schüler und Lehrer des Museion nennen ihn nach dem zweiten Buchstaben des griechischen Alphabets verehrungsvoll „Herr Beta". Sie wollen damit sagen, daß Eratosthenes würdig sei, nach den Geistesheroen Homer, Heraklit, Piaton und Aristoteles an zweiter Stelle genannt zu werden. Eratosthenes beherrscht alle Zweige der Wissenschaft, und Archimedes, der sich fast ausschließlich mit Mathematik und Physik befaßt, bewundert den großen Mann um dieser Vielseitigkeit willen. Der Leiter des Museion hat ein bedeutendes Werk über die alte Komödie verfaßt und die Mathematik des Euklid weitergeführt; er hat die Formeln für die Würfelverdoppelung und die unteilbaren Zahlen entdeckt und die Neigung der Sonnenbahn berechnet. Seine geographisch-astronomischen Forschungen aber grenzen ans Wunderbare. Mit großzügiger Unterstützung der Ptolemäer hat er eine Expedition nach dem nilaufwärts gelegenen, 5000 Stadien17 entfernten Syene18 geführt, um die Erdkugel zu messen. Durch Festlegung des Zenitwinkels bei gleichem Sonnenstand ist ihm das Ungeheure tatsächlich gelungen. Da sich für den gemessenen Gradbogen-Unterschied zwischen Alexandria und Syene ein Fünfzigstel des Kreisbogens, ein wenig mehr als 5000 Stadien, ergab, war es für den Gelehrten nicht schwer, den Umfang des Erdballs mit 252000 Stadien19 anzugeben. * 22
Als Arohimedes in Begleitung von Eratosthenes zum erstenmal die Bibliothek betritt, ist er überwältigt von der Größe und der Pracht der Hallen und Säle. Der Schein der eben angezündeten Lampen beleuchtet die reich geschnitzten Decken und spiegelt sich in dem blanken Marmor der Säulen. Unübersehbar ist die Fülle der Holzgerüste, auf denen Hunderttausende von Papyrusrollen in Buchbehältern aufbewahrt werden20. „Wir rühmen uns, ausnahmslos alle Schriften zu besitzen, die in der bewohnten Welt geschrieben worden sind!" erklärt Eratosthenes seinem Gast. „Prüfe nur, ob wir unseren Buf zu rechtfertigen vermögen!" sagt er dann lächelnd, als er den höflichen Zweifel im Gesicht des Gastes bemerkt. Auf seinen Wink eilt einer der Bücherverwalter herbei. Archimedes nennt nach kurzem Nachdenken die Schriften seines verstorbenen Freundes, des Mathematikers und Astronomen Konon von Samos. Ohne zu zögern, eilt der Beamte davon, um das Gewünschte zu holen. Nach wenigen Minuten ist er wieder zurück, eine Anzahl Papyrusrollen im Arm. Er breitet sie auf einem der Tische aus, und mit staunender Verblüffung überfliegt Archimedes die kunstvoll geschriebenen Nachschriften der Werke Konons. Nicht eine einzige der zahlreichen Abhandlungen fehlt in der Sammlung. Plaudernd, hier und dort in bewunderndem Betrachten der Schätze verweilend, geht Archimedes, geführt von der Sachkenntnis des Eratosthenes, von Saal zu Saal. An langen Tischen sind die Gehilfen mit dem Kopieren der Urschriften beschäftigt, denn in der Bibliothek werden die Geistesschätze nicht nur aufbewahrt, sondern auch vervielfältigt und zum Verkauf fertiggemacht. Jedes dramatische Werk, jedes Gedicht, jede technische oder wissenschaftliche Abhandlung, jede philosophische Theorie, alles wird hier abgeschrieben, vervielfältigt und an Käufer in der ganzen Kulturwelt geliefert. Das Museion erzielt aus der Ausfuhr dieser Abschriften hohe Einnahmen, die der Verwaltung zufließen. In einem kleineren Saal ist man dabei, die heiligen Schriften der Juden zu vervielfältigen. Das Museion hat schon vor Jahren21 eine Übersetzung der Bücher des Judenvolkes anfertigen lassen, da sie zahlreiche Angaben über die Geschichte des alten Orients enthalten. 23
Da sich der König mit seinem Gefolge auf einer längeren Jagdexpedition befindet, hat Archimedes Muße, seinen Neigungen nachzugehen. Er arbeitet vom frühen Morgen bis spät in die Nacht, vergräbt sich in die Bücher, nützt die wissenschaftlichen Hilfsmittel, die nirgends in so reicher Fülle vorhanden sind wie hier, und beteiligt sich an den gelehrten Debatten der Professoren des Museion. Als Eratosthenes nach vierzehn Tagen dem Gast die Mitteilung macht, König Ptolemäus sei zurückgekehrt und wünsche den Gelehrten zu empfangen, empfindet Archimedes die Erinnerung an seinen Auftrag wie das Erwachen aus einem schönen Traum. Die Unterhaltung mit dem weltklugen Fürsten verläuft ohne Ergebnis. Als Archimedes die Frage der Unterstützung des hellenischen Syrakus durch Ägypten berührt, weicht Ptolemäus aus und wendet das Gespräch zu den Gebieten der Wissenschaft. Der Gelehrte begreift: Ägyptens König will sich aus dem beginnenden Kampf der feindlichen Welten im Westen heraushalten. Später erfährt er aus einem Gespräch mit Eratosthenes die einleuchtenden Gründe für die Zurückhaltung des Herrschers. „Lieber Freund", sagt Eratosthenes, „laß dich nicht durch die glanzvolle Fassade der Stadt und des Museion täuschen! Wir Griechen leben hier inmitten des alten, vom Hellenentum unberührten Ägypten wie auf einer Insel. In Alexandria blühen Wissenschaften und Überseehandel, aber Alexandria ist nicht Ägypten. Ich weiß seit meiner Äthiopienreise, daß die Zustände im Innern des Landes sich kaum' geändert haben, seit auf die Pharaonen die Ptolemäer gefolgt sind. Deshalb fühlen sich die Nachfolger Alexanders auf diesem Boden auch niemals ganz sicher. Der letzte Feldzug gegen das kriegslüsterne Syrien vor zwanzig Jahren brachte zwar gewisse Erfolge, aber sein Ergebnis zeigte doch, daß sich die Herrscher von Alexandrien opfervolle kriegerische Verwicklungen nicht mehr leisten können. Solange die Massen durch den steten Fluß des Handels und Gewerbes und durch ausreichenden Verdienst befriedigt sind, wird das Königtum ungefährdet sein. Aber die inneren Widerstände, die von der alten ägyptischen Priesterkaste und den einheimischen Adelsgeschlechtern ausgehen, und die Spannungen, die sich aus dem Streit mit den übrigen _ Nachfolgestaaten des Alexanderreiches ergeben, machen Ägypten zu einem Koloß 24
auf tönernen Füßen. Denken wir daran, daß unser nördlicher Nachbar Syrien sein Herrschaftsgebiet vom Indus bis zum Marmarameer ausgedehnt hat. Antiochus III., der syrische König, wartet nur auf eine günstige Gelegenheit, um die Schatzkammer Ägypten seinem Reiche anzugliedern. Unser, den Ägyptern fremd gebliebenes Herrscherhaus kann seine großartige kulturelle Tätigkeit nur unter Verzicht auf jede äußere Machtentfaltung betreiben. Von uns ist irgendeine Unterstützung des Hellenentums in Sizilien niemals zu erhoffen." „So wird auch Syrakus versuchen müssen, sich aus dem Streitfall zwischen Rom und Karthago herauszuhalten", folgert Archimedes. „Nun", meint Eratosthenes, „König Hieron hat es bisher vortrefflich verstanden, die Selbständigkeit seines kleinen Staates zu behaupten — warum sollte ihm das nicht auch in Zukunft gelingen?" „Hieron", erwidert Archimedes sorgenvoll, „ist alt geworden. Man wirft ihm vor, daß er aus dem Ruhebedürfnis des Alters heraus Rom gegenüber zu nachgiebig sei. Gelon, Hierons Sohn und Nachfolger, neigt dazu, mit Karthago gegen Rom gemeinsame Sache zu machen. Wenn die Lebensfackel des alten Herrschers verlischt..., dann mögen die Götter Syrakus gnädig sein!"
Seit Monaten tobt der Sturm um die Mauern Sagunts. Die Augen der Posten starren aus bleichen Hungergesichtern Tag und Nacht aufs Meer, ob nicht doch noch die rettende Römerflotte am Horizont auftauche; umsonst gehen die Blicke der Späher von den Türmen ins weite, vom Gewimmel afrikanischer und spanischer Scharen bedeckte Land, ob nicht fernes Staubgewölk das Nahen eines römischen Entsatzherres verkünde. Die See liegt mit ausgelöschten Zügen wie tot; das Land erbebt unter Feindschaft und Haß. Stunde um Stunde dröhnt der Schlag der Mauerbrecher, Tag für Tag sausen die schweren Geschosse, die Brandpfeile und Speere der Karthager in die Stadt. Dann kommt der Tag, an dem der Strom entfesselt über die Wälle bricht und Mordgeschrei durch die Straßen Sagunts wütet. Die Großstadt endet in Feuer und 4(9)
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Rauch, ihre Bevölkerung wird fast bis zum letzten Mann erschlagen22. Die Schreckensbotschaft fliegt über die aufhorchende Mittel meerweit. Wo war Rom, als Sagunt im Todeskampf lag? Wo war der große Bundesgenosse, als die Wächter übers Meer schauten, als die Posten nach Norden starrten? Rom hatte geschwiegen, es begnügte sich mit einem diplomatischen Schritt in Karthago und ließ im übrigen den Ereignissen ihren Lauf. Nun aber ist Roms Geduld zu Ende, der Senat beschließt zu handeln. Von Fabius Maximus geführt, geht eine Gesandtschaft nach Karthago und verlangt Sühne, Auslieferung Hannibals und sofortige Abrüstung. Während die Römer in der Gerusia ihre Bedingungen stellen, staut sich auf dem Khamonsplatz und auf der Mappalischen Straße das Volk. Immer wieder wird Hannibals Name von den Tausenden hinaufgerufen, ein Schrei nach Krieg und Rache. Die geschminkten Gesichter der Ratsherren sind undurchsichtig und undeutbar, sie hören sich die Reden der Römer an und antworten mit höflichen, gewundenen Worten, hinter denen sich Spott und Ablehnung verbergen. Fabius Maximus steht unbewegt zu Füßen des ehernen Götzenbildes, dessen verzerrtes Antlitz auf ihn niederstarrt. Der Römer hat sich enger in seine Toga gehüllt, als wolle er verächtlich Abstand nehmen von dieser Versammlung von Männern, die nie ein Schwert mit ihren ringbeladenen Händen geführt haben. Längst hat er die Absicht der Gerusia durchschaut, er weiß, daß von dieser Versammlung nichts mehr zu erwarten ist. In einem plötzlichen Entschluß schneidet er die weitschweifigen Erörterungen der Karthager ab und sagt mit herausfordernder Stimme: „In den Falten meiner Toga trage ich Krieg und Frieden — wählt!" „Gib, was du willst!" ruft einer der Räte verächtlich. „Gut, so nehmt den Krieg!" Draußen aber fliegt das verhängnisvolle Wort von Mund zu Mund, es durcheilt die Straßen, mit schnellen Segeln überquert es das Meer. Bald schreit es an allen Küsten des Mittelmeeres grell in die Ohren der Menschen: Krieg! Hannibals Krieg! * 26
Rom erwartet den Angriff Karthagos vom Meere her. Um nach dem bewährten Vorbild des ersten siegreichen Punierkrieges den Kampf in Feindesland tragen zu können, wird das Heer der Homer unter Führung der beiden Konsuln in zwei Gruppen geteilt, die den Gegner gleichzeitig in Afrika und Spanien angreifen sollen. Eine dritte Heeresabteilung steht bereit, Aufstandsgelüste der Gallier in Oberitalien im Keim zu ersticken. Der Konsul Tiberius Sempronius setzt Anfang des Sommers mit seinen Legionen nach Sizilien über, um von Lilybäum aus nach Afrika zu segeln. Publius Cornelius Scipio aber, der ursprünglich den Auftrag hatte, Hannibals Stützpunkte in Spanien zu zerstören, kann vorläufig seinen Plan nicht verwirklichen, da die Ereignisse in Norditalien sein Eingreifen notwendig gemacht haben. In der Erwartung, daß ein karthagisches Heer in Italien landen werde, haben sich nördlich des Po die gallischen Stämme der Insubrer und Bojer erhoben. Die haßerfüllten Barbaren schlagen alles tot, was römische Zunge spricht. Die Besatzungstruppen selbst sind in einem befestigten Lager eingeschlossen und in Gefahr, vernichtet zu werden. Der Senat, vom Aufruhr der Gallier mehr erschreckt als von der Kriegsdrohung Karthagos, schickt die für Spanien bestimmten Legionen in das norditalische Aufstandsgebiet und beruft in Rom Reserveeinheiten unter die Adler. Auf Schiffen wird ein Heer längs der Küste nach Norden gebracht. In Massalia23 liegt die Flotte mehrere Wochen fest, um Ausrüstung und Verpflegung zu ergänzen. In diesen Tagen kommt auch aus dem Westen bestürzende Kunde. Ein hellenischer Kaufmann, ein Grieche, der aus den Bergen geflüchtet ist, berichtet, Hannibal habe mit einem bedeutenden Heere die Pyrenäen überschritten und lagere bereits — der Grieche will es mit eigenen Augen gesehen haben — in der Nähe des Rhodanusflusses24. Am selben Tage noch eilen Reitertrupps aus dem römischen Lager nach Norden, um die Angaben des hellenischen Kaufmanns zu überprüfen und Marschrichtung und Stärke der Karthager zu erkunden. Einige Zeit später treffen die ersten zuverlässigen Spähermeldungen in Massalia ein. Sie besagen, daß Hannibal den Rhodanus überquert habe, daß ihm die Gallier von allen Seiten zuliefen und seine Armee verstärkten. 27
Hannibal Halt zu gebieten, ist mit den vorhandenen Kräften nicht möglich. Viel notwendiger erscheint den Eömern jetzt die Verstärkung der Truppen in Spanien und Afrika, um hier am Ausgangspunkt und auf den Verbindungslinien der karthagischen Heeresmacht die Absichten des Gegners zu vereiteln. Wenn erst Karthago am Boden liegt, werden Hannibals Truppen ein verlorener Haufen im fremden Lande sein. Sollten indessen ein paar tausend Mann sich langsam einen Weg über die Alpen bahnen, so werden allein die Reserven aus Rom genügen, sie beim Eintritt in die Poebene vernichtend zu schlagen. So schickt Scipio in völliger Verkennung der Lage den größten Teil seiner Truppen nach Spanien. Er selbst geht nach Oberitalien, um dort die Reserven und den Rest des Heeres unter seinem Oberbefehl zu vereinen. Bei den Legionen, die aus Rom herbeigeeilt sind, findet er auch seinen Sohn Publius Cornelius, der in dieser Stunde heraufziehender Entscheidung nicht länger zurückbleiben wollte. Hannibal aber gewinnt nun die Zeit, die er braucht, um seine Truppen ungestört über die gefährlichen Alpenpässe zu führen. Mühsam wälzt sich der Heerzug mit Wagen und Troß, Menschen und Pferden, Kriegsgerät und Elefanten die steiler werdenden Bergpfade hinauf, näher rücken die ragenden Felshäupter mit dunklen Wäldern und grünen Matten, aus denen das nackte Gestein der Berge leuchtet. Welch eine Luft, die sich mit ziehenden Wolken und eisigem Wasserstaub füllt! Welch furchterregende Enge im Dämmerlicht der Schluchten und im Gewirr des Urwaldes! Schaudernd erkennen die Afrikaner und Spanier, daß sie ihr Feldherr in die nie betretene Welt der Dämonen führt, daß die gallischen Wegekundigen ihnen die Straße zur Burg der Götter weisen. Die Wälder treten vor der gnadenlosen Einsamkeit des Hochgebirges zurück, tiefer schleicht sich die Angst in die Herzen. Aber auch die letzten Jägerpfade verlieren sich in der Felsregion, Karren und Pferde stürzen und zerschmettern in Abgründen, Menschen verschwinden in schauerlichen Tiefen. Doch immer höher hinauf kriecht der ungeheure Heer wurm. 28
Hannibals Alpenübergang
Dann betreten die Hufe der bebenden numidischen Wüstenrosse zum ersten Male den ewigen Firn, und Marokkaner jagen talwärts, dem Feldherrn die unerhörte, nie erblickte Beute glitzernder Eiszapfen zu überbringen. Auf der Grathöhe der gewaltigen Alpenhäupter wird in Sturm und Eis ein Lager aufgeschlagen25; denn jeder weitere Vormarsch scheint durch riesige Felsbarren versperrt. Während der Orkan heulend gegen die dünnen Zelte rast, während scharfe Eiskristalle das Atmen zur Qual werden lassen, führt Hannibal die Pioniere vor, um den Weg frei zu machen. Aus dem Lager steigt das jämmerliche Geschrei der Pferde und Maultiere, das aufgeregte Trompeten der Elefanten; Kolonnen von Arbeitern sind dabei, Gassen durch mannshohe Wächten zu schaufeln. 29
„Der Weg führt nun über jene Felsenbarriere, die gesprengt werden muß. Da fällen die Soldaten weiter abwärts ungeheure Bäume, schaffen sie mühselig hoch und schichten daraus einen Holzstoß, den sie in dem fauchenden Sturm in Brand setzen. Als die Flamme das Gestein zum Glühen bringt, gießen sie Essig darauf und machen es auf diese Weise mürbe. Die ausgeglühten Felsen zerschlagen sie mit eisernen Werkzeugen und tragen sie so weit ab, daß nicht allein die Packtiere, sondern sogar die Elefanten hinübergeführt werden können .. ."26 * In fünfzehn entbehrungsreichen Tagen vollendet das Heer den tollkühnen Übergang über die Alpen. Hannibal wird in dieser Zeit noch mehr als bisher der Abgott seiner Soldaten. Er ist überall, gibt Anweisungen, spendet Trost, ermuntert und ist unerschöpflich im Erfinden neuer Möglichkeiten, in der Lösung unvorhergesehener Schwierigkeiten. Er reißt die Erschlafften auf, schont weder sich selbst noch seine Offiziere. Wie ein Gott, der keine Müdigkeit, keinen Durst und schneidenden Frost spürt, erscheint er den Truppen. Trotzdem sind die Verluste des Heeres erschreckend. Mit 90000 Mann Fußvolk, 12000 Reitern und 37 Elefanten ist Hannibal von Spanien ausgezogen, eine Zahl, die sich durch Zulauf von Galliern und wilden Bergstämmen noch erhöht hat.. Aber die Alpen forderten gewaltigen Tribut; als der Karthager die grünen Vorberge auf der anderen Seite des Gebirges erreicht, verfügt er noch über 20000 kampffähige Fußsoldaten und 6000 Reiter, von den Elefanten ist nur ein einziger am Leben gebheben. Aber er hat das Ziel erreicht. Die Vortrupps melden, daß sich die sanften, ausebbenden Waldhügel zu Tal senken, daß sie fern im blauen Dunst die weite Ebene des Po-Tales gesehen haben. Italien liegt offen vor der karthagischen Armee. * Auf die Kunde vom Anmarsch Hannibals flammt im Voralpenlande die gallische Erhebung erneut empor, zu Tausenden strömen die wilden Insubrer und Bojer zu den Feldzeichen des Karthagers. 30
Am Ticinus, einem nördlichen Nebenfluß des Po, erfolgt der erste Zusammenprall der feindlichen Heere. Auf beiden Seiten steht die Reiterei unter der persönlichen Führung der Feldherren. Es ist wie ein Sinnbild des Kommenden, daß die beweglichen und ausgezeichnet berittenen Afrikaner die schwerfälligen römischen Reiter zusammenhauen, härtesten Widerstand aber bei den Blöcken der Fußtruppen finden. Doch in flinken Manövern gelangen die Karthager in den Rücken der Legionäre, greifen von allen Seiten an und überschütten sie mit einem Hagel von Pfeilen. Der Konsul Scipio wird verwundet und gerät in schwerste Gefahr, „die nur durch die Dazwischenkunft seines damals erst heranwachsenden Sohnes abgewandt wird. Dieser Jüngling — Publius Cornelius Scipio — wird dereinst den Krieg beenden und man wird ihn später wegen seiner Triumphe über Hannibal und die Punier den Afrikaner nennen . . ." 2 7 Mühsam rettet der Konsul seine Armee in die Festung Placentia, 28 aber auch hier wird die Lage bald unhaltbar. Die Poniederung steht in Flammen, alle eingeborenen Stämme befinden sich im Aufstand, Nachschublinien und Rückzugsstraßen der Römer sind bedroht. Nur mit knapper Not gelingt es, die Legionen in ein befestigtes Lager am Fuße der Apenninen zu führen. Hier vereinigt sich Scipio mit dem aus Sizilien herbeigeeilten Alt-Konsul Sempronius und nimmt abermals die Schlacht gegen Hannibal an. Die Feldherrnkunst des Karthagers entscheidet gegen Rom, die Hälfte aller Legionäre deckt das Feld an der Trebia. Hannibals Sieg ist so vollständig wie nur möglich — und doch gibt es etwas, das ihn mit schwerer Sorge erfüllt. Als er abends über die leichenbedeckte Walstatt reitet, findet er die Römer beinahe in Reih und Glied gefällt, sie decken mit ihren Körpern die zerbrochenen Legionsadler und tragen ohne Ausnahme die Wunden vorn. Es gibt kaum Gefangene und keine Geflohenen. Hannibal ahnt, daß diese zwei gewonnenen Schlachten noch nicht die Entscheidung bringen werden.
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Der Sieg, den Hannibal errangen hat, wird zum Teil durch die Nachrichten aus Spanien aufgewogen. Dort hat Gnäus, der Bruder des Konsuls Scipio, die karthagischen Truppen unter Hasdrubal — dem Bruder Hannibals — geschlagen und über den Iberus zurückgeworfen. Die von den Karthagern unterworfenen nordspanischen Stämme schließen sich der siegreichen römischen Partei an. Der Senat ist trotz der Verluste in Italien nicht in seiner Zuversicht erschüttert; er betreibt die Rüstungen nur mit noch größerer Energie. In allen römischen Municipien29 werden die Reservisten aufgerufen, an die Bundesgenossen ergeht der Befehl, sofort neue Truppen zu schicken. Eine einzige Sorge bleibt, erhöht durch die schwere Verwundung des Konsuls Scipio: Das römische Heer hat in dieser Stunde keine wirklich überragenden Führer, die es mit dem Genie Hannibals aufzunehmen vermöchten. Dazu kommt der seit langem in Rom tobende innere Machtkampf zwischen den Patriziern und dem Volke. Einer der Wortführer der plebejischen Volkspartei ist Gajus Flaminius, der als Zensor die Flaminische Straße gebaut hat, die Rom mit Norditalien verbindet. Er wird zum Konsul des neuen Jahres gewählt. Die Volksversammlung gibt in seine Hände die Leitung der neu aufgestellten Armee und damit das Schicksal Roms. Um das Vertrauen des römischen Volkes zu rechtfertigen, drängt der neu ernannte Konsul auf eine schnelle Entscheidung der Waffen. Er rückt in Eilmärschen nach Norden, der herannahenden afrikanischen Armee entgegen. Die Karthager haben in den ersten warmen Tagen des Frühjahrs die Äpenninenpässe überschritten und sind in Etrurien eingedrungen. Nun wälzt sich der Heerhaufen sengend und brennend gegen den Tiber. Ihm entgegen klirrt der Marschtritt der Legionen, fliegen die Adler des Flaminius. Am Trasimenischen See geht Konsul Flaminius in die Falle, die Hannibal ihm gestellt hat. . . 30 * Bild rechts: Adlerstandarten als Feldzeichen der römischen Legionen, Speere und Schwerter; Legionäre überschreiten eine Schiffsbrücke; Porträtbüste des Hannibal (aus späterer Zeit); Senatoren in der Toga; römisches Kriegsschiff.
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Die Straße verläuft zwischen flachen, dicht bewaldeten Bergkuppen und dem sumpfigen und verschilften Ufer des Sees; grau und wolkenverhangen ist der Himmel. Das römische Heer hat die Nacht in Erwartung der kommenden Entscheidungsschlacht im offenen Feldlager nahe bei Cortona zugebracht. Der Gegner ist gestellt, auf den Hügeln gegenüber dem Lager brennen lodernd die Wachfeuer der Karthager. Aber der Morgen bringt eine alarmierende Nachricht: Der karthagische Fuchs ist entwichen, das Feldlager mit den trügerisch von der Nachhut geschürten Feuern ist verlassen. Hannibal muß bei Einbruch der Dunkelheit das römische Heer umgangen haben und marschiert jetzt wahrscheinlich bereits auf der Straße, die nach Rom weiterführt. Bestürzt läßt Flaminius die Hörner zum Alarm blasen und die Adler aufrichten; im Sturmmarsch verlassen die Legionen die Schanzen bei Cortona und eilen die Straße zurück, den Feind einzuholen. Düster ist der Himmel, die Sonne verbirgt sich hinter den Wolkenbänken. Als die Reiterscharen der Vorhut die Seeufer erreichen, beginnt es zu regnen. Waffenklirrend, manchmal im Laufschritt, tost der Strom der Legionen voran. Nebel fällt ein und vermischt sich mit dem zähen Geriesel des Regens, die Soldaten sind verdrossen und mürrisch, sie können kaum fünfzig Schritt weit sehen. Die alten Hundertschaftsführer werden unruhig, ihnen gefällt dieser dicht aufgeschlossene Marsch ohne Flankensicherung und Späher nicht. Das Gelände ist für einen Überfall wie geschaffen. Flaminius mit seinem Stabe trabt an der Spitze, auch er schweigt und hüllt sich eng in den Reitermantel. Nur voran, nur vorwärts, bevor dieser unheimliche Karthager die Hauptstadt erreicht hat! Selbst die Pferde sind in Unruhe, schnauben, bäumen sich, scheuen vor ziehenden Nebelfetzen. Aber da — was dort aus der Regenwand wächst, das ist keine Sinnestäuschung, kein Nebelspuk: an der Stelle, an der sich der Paß verbreitert und zur Ebene ausläuft, ist ein hoher Verhau aus gefällten Stämmen errichtet. Die Männer reißen die Pferde zurück, aber bevor sie auf der morastigen Straße kehrtmachen können, gellt schon das Kampfgeschrei der Karthager auf. In dichtem Getümmel brechen die Wüstenreiter in flatternden, weißen 34
Mänteln hinter der Schanze hervor und werfen sich gegen die Spitze des Römerheeres. Windstöße fegen die Nebel fort, als habe auch die Natur nur auf diesen Moment gewartet, das Unheil zu vollenden. Das entsetzte Heer des Flaminius erkennt, daß es von drei Seiten eingeschlossen ist, die vierte Seite aber bildet der unpassierbare Ufersumpf des Sees. Von den Waldhöhen strömt es in wilden Wogen herab: Gallier, Spanier und Afrikaner. * Nur wenige entrinnen dem Gemetzel am See, auch der Konsul Flaminius ist unter den Toten. Bin unabsehbarer Flüchtlingsstrom verstopft die Straßen nach Rom. Furcht und Panik erfassen das Volk der vom feindlichen Vormarsch bedrohten Gaue. Auch in Rom schnürt eisige Furcht die Herzen der Tapfersten zusammen. Nachts erblickt man von den Türmen der Capitolinischen Burg die rauchende Glut der brennenden Städte und Dörfer. Nur noch Tage, dann werden die Vorhuten des Feindes, die gefürchteten Reiter Maharbals — des Numidierfürsten — vor den Mauern der Hauptstadt sein. In dieser Not sammelt sich das römische Volk wieder um die Väter der Kurie, unerschüttert scheint der Mut des Senats. Klar und bestimmt treffen die Dreihundert ihre Maßnahmen, nichts in ihrem Verhalten deutet auf Verzweiflung oder Panik. Sie schreiten würdevoll und unnahbar wie stets über Forum und Heilige Straße und sitzen anscheinend unberührt auf den Bänken des „Senaculums". Um die Einheit der militärischen und politischen Maßnahmen sicherzustellen, wird der alte Senator Quintus Fabius Maximus zum Diktator ernannt. Seine erste Verordnung ist ein Aufruf an sämtliche waffenfähigen Männer, sich unverweilt unter den Adlern zu sammeln. Aus der Erde Italiens wächst ein neues, gewaltiges Heer. Hannibal ist wider alles Erwarten an Rom vorbei nach Süden gestoßen. Es ist sein weitschauender Plan, zuerst alle Gegenkräfte Roms in Italien zu sammeln, um mit ihnen vereint den letzten tödlichen Streich zu führen. Wenn sich die Unterworfenen von gestern der Sache Hannibals anschließen, wenn sich die Freiheit gegen die 35
harte römische Ordnung erhebt, dann muß das Ende der stolzen Zwingburg am Tiber gekommen sein. Aber diese römische Ordnung hat eine Seite, die der landfremde Karthager verkennt: sie hat die Sicherheit und das unbeugsame Recht gebracht, sie bedeutet Schutz vor Barbareneinfällen, Freiheit vor Raub und Willkür, sie hat den Stämmen Italiens ein gemeinsames Vaterland gegeben. So findet Hannibal nur wenige Freunde, nur geringen Zulauf und kaum irgendwo die Bereitschaft zum Kampf gegen Rom. Ein gefährlicher Riß geht durch das kühne Gebäude der karthagischen Hoffnungen. Auch die Versuche, die Entscheidung auf dem Schlachtfelde zu erzwingen, scheitern an der vorsichtigen, hinhaltenden Kriegführung des Konsuls Fabius Maximus, den seine Soldaten Cunctator, den Zauderer nennen. Langsam versinken die blühenden Landschaften Latiums, Samniums und Umbriens in Brand und Verwüstung; vor den Augen der römischen Truppen werden die Schutzbefohlenen und Bundesgenossen von gallischen und spanischen Horden überfallen und ausgeplündert. Mit wachsender Erbitterung erleben die Legionäre diese Phase des Krieges, sie hören erschüttert die Berichte der Landleute, die sich ins Lager der Truppe retten. Aber Konsul Fabius Maximus weiß, warum er seinem Lande diese Opfer zumutet. Durch Meer und Gebirge von seiner Heimat und Nachschubbasis abgeschnitten, ist Hannibal ein verlorener Sieger in fremder Welt. Er lebt nur vom berauschenden Erfolg gewonnener Schlachten, vom vergänglichen Ruhm der militärischen Triumphe. Jeder karthagische Soldat, den verzweifelte Bauern in den Wäldern erschlagen, jedes gefallene Pferd, jeder zerbrochene Troßkarren, jeder Kranke, der fiebernd in den Lazarettzelten liegt, ist ein Sieg für Rom. Gehorsam dem alten römischen Staatsgesetz, hebt der Senat die Diktatur des Fabius Maximus nach einem halben Jahre auf und entbindet den „Zauderer" von seinem Kommando. In Rom, das sich nun vom Alpdruck der unmittelbaren Bedrohung erholt hat, wühlen wieder die Kräfte der Spaltung. Einer von denen, die die Kriegskunst des alten Fabius Maximus am bissigsten kritisieren, ist der Fleischer Terentius Varro. 36
Als die Konsulwahl herankommt, entbrennt zwischen Varro und seinen Gegnern der Kampf um die Gunst des wankelmütigen Volkes. Die Masse läßt sich vom lauten Wort des Verführers hinreißen und wählt Terentius Varro zum Ersten Konsul. Mit Mühe gelingt es der Senatspartei, den Patrizier Aemilius Paulus, einen erfahrenen Feldherrn, als Zweiten Konsul durchzubringen. Auch Varro geht — wie sein unglücklicher Parteifreund Flaminius — mit der festen Absicht ins Legionslager nach Aufidena, seine parteipolitischen Versprechungen sogleich und ohne viel Rücksicht auf strategische Gesichtspunkte zu erfüllen. Zudem scheint ihm der Krieg zu einem einfachen Rechenexempel geworden zu sein: Der Karthager hält in der Gegend des apulischen Städtchens Cannae rund 30000 Mann unter Waffen, das in der Nähe liegende Römerheer aber zählt allein 80000 Fußsoldaten, neben 6000 Reitern und anderen Hilfstruppen. Was kann es Einfacheres geben, als Hannibal mit der vollen Übermacht zu erdrücken und sich als Triumphator mit Purpurmantel und Lorbeerkranz aufs Capitol führen zu lassen? Warum dieser hochmütige Patrizier Aemilius Paulus so viele Bedenken hat? Er warnt vor der Ebene Cannaes, die Reiterland sei und den Afrikanern alle Vorteile biete. Unsinn ist das, denkt Varro, neiderfülltes Gerede des Senators, der dem Plebejer den Triumph nicht gönnt. Drei Schwerter Roms stehen gegen ein Schwert Karthagos, und drei schlagen allemal eines. Als Aemilius Paulus weiterhin allen Plänen des Ersten Konsuls zähen Widerstand entgegensetzt, nützt Varro die Vorschrift, daß die Befehlsgewalt zwischen den beiden Konsuln täglich wechseln muß. Er überschreitet den Fluß Aufidus, der die beiden Heere trennt, und bietet an einem Tage, an dem er den Oberbefehl führt 31 , den gegenüberliegenden Karthagern in der Nähe des Ortes Cannae die Schlacht an. Der Karthager atmet auf, als er die Absicht des Feindes erkennt. Endlich steht er am Ziel seiner Bemühungen. Die Römer ordnen sich in gerader Front 32 , beide Flügel durch Kavallerie gedeckt; die Masse der Legionäre ist so tief gestaffelt, daß ein feindlicher Durchbruch ausgeschlossen scheint. Dagegen schiebt Hannibal sein Hauptgewicht auf den rechten Flügel, wo sich die bewegliche, vom 37
Feinde gefürchtete Wüstenreiterei der Numidier zusammenballt ; der linke Flügel wird von gallischen und spanischen Reitern unter dem griechischen Söldnergeneral Sosylos gehalten, während sich in der leicht nach vorn gestaffelten Frontmitte die Fußtruppen sammeln. Die Stimmung der römischen Legionen ist ausgezeichnet. Kampflieder und freudige Zurufe vereinen sich mit dem Tosen und Klirren des langsamen Vormarsches. Immer näher schieben sich die römischen Schlachtreihen an die eisenstarrende Wand des Feindes heran. Selbst die römischen Rekruten, die ihrem ersten Gefecht entgegensehen, erkennen die erdrückende Überzahl der eigenen Seite. Im Vorfeld plänkeln bereits die Leichtbewaffneten mit Schleudern und Pfeilen. Hörner schmettern, erzene Luren antworten, und die alten Veteranen, die die Standarten und Legionsadler tragen, reißen die Feldzeichen hoch. Dumpf rollen die Affentrommeln der Afrikaner, die Knochenschalmeien quäken, und Zimbeln klirren in aufpeitschenden Rhythmen. Dann schwellen Geschrei und Schwerterschlag zum wolkenlosen Himmel. Die schwere Reiterei des linken Karthagerflügels ist zur Attacke angaloppiert und auf die Geschwader der latinischen Kavallerie gestoßen. Hier kommandiert der alte Aemilius Paulus, der Patrizier, die Ritter und ihre Söhne. Aber die Römer vermögen der ungestümen Wucht dieses überlegenen Angriffs nicht standzuhalten und zersplittern in mehrere Teile, bald stürmt die Reiterei des Aemilius Paulus, in Einzelgruppen aufgelöst, über die Ebene dahin. Bis weit über das große Hauptlager der Römer hinaus dehnt sich das Reitergefecht. Trompetensignale ertönen und rufen die nachsetzenden Spanier und Gallier zu neuer Formierung. Das oft geübte Manöver gelingt, und Hannibal kann die Geschwader des Sosylos in weitausholendem Bogen in den Rücken des linken feindlichen Flügels führen. Auch dort steht römische Reiterei, an ihrer Spitze Konsul Terentius Varro. Ihn haben die Numidier unter ihrem Fürsten Maharbal angefallen. Wie Pantherkatzen umkreisen die Wüstenreiter den Feind, die wehenden Haiks33, die wirbelnden Krummsäbel und surrenden Pfeile verwirren die italischen Bauernsöhne, die auf ihren schwerfälligen Gäulen dieser 38
Die Schlacht bei Cannae
Wendigkeit, diesem Umkreisen und blitzschnellen Heranstoßen nicht folgen können. Da dröhnt es hinter den Römern vom Stampfen tausender Hufe, vom Siegesgeschrei der nahenden Spanier und Gallier. Gleichzeitig brechen die Numidier zu neuem Angriff vor. Es gibt kein Halten mehr. Wen nicht die Schnelligkeit seines Tieres rettet, wird aus dem Sattel gehauen; Roms Reiterei ist vom Schlachtfeld gejagt. Aber die Niederwerfung der römischen Flügel ist nur das Vorspiel zu der immer näher rückenden, unabwendbaren Tragödie des dicht geballten Zentrums. Hier sind die ersten Linien der Legionäre bei Beginn der Schlacht im Laufschritt gegen den Gegner vorgegangen; die Karthager können anscheinend der Gewalt des Anpralls nicht standhalten und weichen zurück. Kriegstribun Servilius, der die Legionäre führt, ahnt nicht, daß dieser Rückzug ein Teil der Rechnung Hannibals ist. 39
Die kämpfende Infanterie des karthagischen Mitteltreffens zieht sich immer weiter auseinander; sie läßt die zum Keil zusammengeballten Römer tief in ihre Reihen eindringen. Dann schwenken die Kerntruppen Hannibals beiderseits ein und nehmen Front nach innen gegen die beiden Flanken des Gegners. Eine tödliche Zange preßt die Legionäre zusammen. Als sich die Römer durch verzweifelte Ausbruchsversuche Luft verschaffen wollen, setzt Hannibal den letzten Stoß an. Die von der Niederwerfung der beiden Flügel zurückkehrende karthagische Reiterei hat sich hinter dem Block der Legionen gesammelt und prescht gegen den ungedeckten Rücken der Römer vor. Der Ring ist geschlossen, was nun folgt, ist nicht mehr Kampf, sondern schauerliches Niedermetzeln hoffnungslos Verlorener. Nur ein kleiner Rest der größten und kampfkräftigsten Armee, die Rom bisher auf italischem Boden stehen hatte, vermag sich in benachbarte Festungen zu retten — einer der Entkommenen ist der Konsul Terentius Varro. * „Laßtuns nach Rom marschieren!" drängen Hannibals Offiziere. Aber der Feldherr bleibt kühl und vorsichtig. „Die Entscheidung gegen Rom fällt nicht auf dem Schlachtfeld", sagt er, „diese Stadt ist erst dann besiegt, wenn sich ihr italischer Bund unter unseren Schlägen löst. Ohne sicheres Hinterland aber sind wir trotz Cannae nichts weiter als ein fremdes Heer inmitten einer feindlichen Nation." Maharbal begehrt auf: „Die Götter haben wohl einem nicht alles verliehen! Zu siegen verstehst du, Hannibal, den Sieg zu nutzen — verstehst du n i c h t . . . " * Hannibals Hoffnungen scheinen sich zu erfüllen, nach Cannae beginnt das Gebäude römischer Macht in Italien zum erstenmal zu wanken. Städte in Apulien und Bruttien, der ganze Volksstamm der Lukanier gehen in das karthagische Lager über, auch die große Stadt Capua und Teile von Campanien mit ihren hellenischen Städten schließen 40
sich der siegreichen Partei an. Um diese Zeit stirbt Hieron von Syrakus, der alte, treue Verbündete Roms auf Sizilien. Sein Nachfolger Gelon unterliegt der Versuchung afrikanischen Goldes und verbündet sich mit Karthago gegen Rom 34 . Nun flammt auch in Sizilien der Krieg zu neuer Wut empor. König Philipp V. von Makedonien empfängt die Nachricht von Cannae, während er den Festspielen im Theater von Argos zuschaut. Er verläßt die Vorführung und leitet ohne Verzug Verhandlungen mit Hannibal ein, die schließlich zu einem Militärbündnis führen. Um das Unglück voll zu machen, vernichten die Gallier Oberitaliens ein gegen sie ausgesandtes Korps des Prätors Lucius Portumius. Das alles sind Nachrichten, die selbst die größte Zuversicht und den Mut einer tapferen Nation zu erschüttern vermöchten. Die schreienden Massen des Forums sind verstummt, lähmendes Entsetzen liegt über dem Volk von Rom. Nur der Senat bewahrt auch in dieser verzweifelten Lage nach wie vor seine unbeugsame Härte und Widerstandskraft. Als Panik in den Straßen auszubrechen droht, stellen Patrizier mit hartem Zugriff die Ruhe und Ordnung in der Stadt wieder her. An der Haltung der Senatoren richten sich allmählich auch die anderen wieder auf. Jeder weiß, daß es nun um Leben oder Untergang geht. In heroischer Selbstüberwindung gehen die Senatoren dem schuldbeladenen und feige geflohenen plebejischen Konsul Terentius Varro bis zum Stadttor entgegen und danken ihm beim feierlichen Empfang, daß er an der Rettung des Vaterlandes nicht verzweifelt sei und sein Leben erhalten habe. Um der inneren Einheit des Staates willen nehmen die Männer des Senats auch diesen schweren Gang auf sich. Die tödliche Gefahr und der unerschütterliche Entschluß, vor dem Ansturm der Ereignisse nicht zurückzuweichen, treiben den Senat zu wahrhaft tragischen, unmenschlich harten Entscheidungen. So lehnt er das Angebot Hannibals zur Auslösung der Gefangenen von Cannae nach langem Zögern ab und verurteilt damit die eigenen Söhne zu elender Sklaverei. Aus dem Bürgerheer, soweit es dem Blutbad von Cannae entronnen ist, werden zwei unbesoldete und zu schimpflichem Dienst verpflichtete Legionen gebildet und nach Sizilien beordert. 41
Der Entschluß Hannibals, die Stadt Kom nicht anzugreifen, läßt der Regierung Zeit, neue Rüstungen vorzunehmen. Wer fähig ist, ein Schwert zu führen, wird zum Heer eingezogen. 8000 Sklaven werden von ihren Besitzern freigelassen und mit alten Beutewaffen, die als Weihegeschenke für die Götter in den Tempeln aufgehängt waren, ausgerüstet. Ein dämonischer Trotz hat ganz Rom ergriffen. Als Hannibal — im vollen Bewußtsein seiner eigenen Schwierigkeiten — eine Gesandtschaft mit maßvollen Friedensvorschlägen nach Rom schickt, wird sie gleich lästigen Bittstellern an den Toren abgefertigt. Wie eingemeißelt stehen die Worte des toten Appius Claudius in den Herzen der Senatoren: „Rom verhandelt nicht, solange der Feind auf italischem Boden steht!" An der steinernen Unbeugsamkeit des Senats wird Hannibals Schwert schartig. Der Zenit der Erfolge Hannibals ist überschritten. Langsam quillt es wie Sumpf um jeden seiner Schritte, zäher und mühevoller erkämpft er sich seinen Weg. Die Festungen und Kolonien Unteritaliens verschließen noch immer ihre Tore, die abtrünnig gewordenen Bundesgenossen Roms sind vorsichtig und zeigen keine Bereitschaft, gegen die ehemaligen Schutzherren ins Feld zu ziehen, Karthago aber — das wieder seine alte Vorrangstellung in der Welt eingenommen hat — überläßt den Krieg seinem Feldherrn und macht wenig Anstrengungen, ihn gewinnen zu helfen. Cannae läßt sich nicht noch einmal wiederholen, die römischen Heerführer weichen jeder Begegnung mit der Hauptmacht Hannibals aus. Der neue Befehlshaber, Prätor Metellus, beschränkt sich darauf, durch kühne Streifzüge und Einzelunternehmungen gegen karthagerfreundliche Stützpunkte die Kräfte Hannibals zu binden. Rom führt jetzt den Krieg in umfassendem Maßstab. Es hat erkannt, daß es Hannibals Basis zerstören und seine Nachschubwege unterbinden muß, um ihn langsam zu schwächen. Das Schwergewicht der Auseinandersetzung verlagert sich nach Spanien, wo der Altkonsul Scipio mit wachsendem Erfolg gegen Hasdrubal kämpft. Er hat Sagunt zurückerobert und ist bis zur Südküste — nach Neukarthago mit seinen Waffenvorräten und Lagerhäusern — vorgestoßen. Klug geführte Verhandlungen mit spani42
sehen Stämmen bringen zudem eine Keine von eingeborenen Völkerschaften auf die Seite Korns. So beginnen die bisher unerschöpflichen Quellen Spaniens für Hannibal zu versiegen. Von Scipio geht der neue Geist einer durch kluge Diplomatie unterstützten Kampfführung aus. Er schickt Agenten und Werber nach Nordafrika, nimmt Verbindung mit den von Karthago bisher schroff und herrschsüchtig behandelten Wüstenscheichs, den längst auf den Reichtum der Weltstadt neidischen Königen Afrikas auf und bringt dort den Krieg in Gang. In Sizilien geht es ebenfalls voran. Das treulose Syrakus ist eingeschlossen und wehrt sich verzweifelt gegen die Belagerungsmaschinen der römischen Armee. Auch Archimedes, der große Sohn der Stadt, steht Tag für Tag auf den Wällen und beaufsichtigt den Bau neuer, genial konstruierter Verteidigungswaffen. Aber im Innersten bleibt der „Erzgrübler" unberührt von dem lauten Getriebe der Umwelt, die Stunden der Stille und Tiefe gehören den kristallklaren und leidenschaftslosen Gesetzen der Wissenschaft. An dem Tage, da sich das Schicksal von Syrakus erfüllt, kauert er wieder vor seinem Modellkasten im Garten und zeichnet in den feinen Sand die Entwürfe neuer Lösungsmöglichkeiten für mathematische Probleme. Das anschwellende Tosen auf den Wällen, das Lärmen und Schreien auf den Straßen geht an seinem Ohr vorüber. Er ahnt nicht, daß die Belagerer die Mauern erstiegen haben und sich mordend und plündernd ins Innere von Syrakus ergießen. Da splittert irgendwo eine hölzerne Tür unter klirrendem Fußtritt, ein beutesuchender Legionär steht mit blankem Schwerte im Garten des Gelehrten und mustert enttäuscht das ärmliche Häuschen. Sein Blick fällt auf die magischen Zeichen im Sande, er fühlt den glühenden, im Schaffensfieber brennenden Blick des alten Zauberers und vernimmt die beschwörenden Worte: „Störe meine Kreise n i c h t . . . " In abergläubischem Entsetzen spreizt der römische Bauernsoldat die fünf Finger der Linken als Abwehr gegen den bösen Blick, mit mächtigem Schwung saust seine Klinge gegen das Haupt des Magiers36. Sterbend deckt Archimedes sein letztes Problem mit dem Leibe. * 43
Immer noch schwankt das Schicksal zwischen Karthago und Eom. In Spanien gelingt es Hasdrubal, die Kömer über den Iberus zurückzuwerfen; Scipio fällt im Kampf. Nun fließt der Silberstrom spanischer Hilfsgelder wieder ungehemmt in die Kassen Hannibals; karthagische Schiffe bringen über westitalische Häfen den wichtigsten Nachschub: klingendes, gemünztes Geld. Diese Rückschläge überzeugen den Senat, daß der Schlüssel zur Lage in Spaniens Silberbergwerken und Menschenreserven zu suchen ist; hier allein ist die Stelle, an der Karthago tödlich getroffen werden kann. Wo aber ist der Feldherr, den Rom während dieses ganzen Krieges vergeblich gesucht hat, der Mann, dessen Geist die Pläne beseelen und ausführen könnte? Als sich vor Senat und Volk die Frage der Ernennung eines Nachfolgers für den gefallenen Cornelier erhebt, kommt es zu einer triumphalen Vertrauenskundgebung für den Sohn des Altkonsuls, den vierundzwanzigj ährigen Püblius Cornelius Scipio. Er ist so jung, daß ihm nach dem Gesetz der Zugang zu allen höheren Staatsämtern versagt ist. Nur die einmütige Verehrung und Bewunderung der Nation trägt den jugendlichen Truppenführer über die Schranken des Staatsrechtes hinweg. Sogar die bedächtigen Männer der Kurie billigen seine Wahl. Scipio wird zum Prokonsul ernannt. An der Spitze eines Heeres von 11000 Mann schifft er sich nach Spanien ein. Mit sicherem strategischem Instinkt erkennt der junge Feldherr die Schwäche der feindlichen Stellungen; er versteht es, die inneren Zwistigkeiten in den Reihen der Karthager zu nützen und erobert in blitzschnellem Angriff die großen Knotenpunkte karthagischer Macht, Neukarthago und Gades36. Das Spiel Hasdrubals ist verloren. Nun bleibt nur noch eines: alle verfügbaren Truppen dem Bruder zuzuführen und mit überlegenen Kräften Rom auf italischem Boden vernichtend zu schlagen. Während Scipio in den eroberten Städten unabsehbare Beute sammelt, rafft Hasdrubal seine Reserven zusammen und eilt unter Umgehung der römischen Front über den Iberus nach Norden. Im folgenden Jahr zieht Hasdrubal auf der Spur seines großen Bruders in Gewaltmärschen mit Troß, Reiterei und Elefanten über die Rhone zu den Alpenpässen. 44
Den Ausbruch dieses Gegners aus Spanien vermag Scipio nicht zu verhindern, seine Beobachtungstruppen verlieren die Karthager im Gebirge aus den Augen. * Als die Nachricht eintrifft, Hasdrubals Heer habe den Südrand der Alpen erreicht und dringe in das Po-Tal vor, ist man in Rom völlig überrascht. Im Senat gehen die Meinungen, was angesichts dieser furchtbaren Bedrohung zu tun sei, weit auseinander. Soll man die in Süditalien stehenden Legionen in Eilmärschen und die in Spanien eingesetzten Truppen auf schnellen Schiffen nach Mittelitalien zurückholen, um mit der gesammelten Macht des vereinigten Heeres den barkidischen Brüdern entgegenzutreten — oder soll man die Kräfte an Ort und Stelle belassen, damit sie das Heranfluten weiteren feindlichen Nachschubs schon auf den Anmarschwegen verhindern? Bereits vor zwei Jahren hat der Senat vor einer ähnlichen Entscheidung gestanden. Damals belagerte ein römisches Heer das abtrünnige Capua. Hannibal war der hartbedrängten Stadt zu Hilfe geeilt, aber alle Bemühungen, den römischen Belagerungsring von außen zu sprengen, waren vergeblich gewesen. Da hatte der Karthager das letzte Mittel versucht und alles auf eine Karte gesetzt. Capua vorerst seinem Schicksal überlassend, war er mit den zusammengerafften Truppen auf der Via Appia nordwärts marschiert und bis vor die Tore Roms gelangt. Der Schrei äußerster Not lief durch die Gassen der Hauptstadt: „Hannibal ante portas!"37 Auch damals hatte es viele gegeben, die stürmisch die Rückberufung der vor Capua stehenden römischen Einheiten verlangten. Doch der Senat hatte seine beherrschte Ruhe bewahrt und ließ trotz der gespenstisch um die Mauern schwärmenden Wüstenreiter die Belagerungsarmee kaltblütig vor Capua stehen. Hannibal aber hatte nicht die Kraft, Rom zu bestürmen, er zog ab — geschlagen ohne Schlacht. Dann waren Tage wilden Triumphes gefolgt. Die Legionäre marschierten in Capua ein, und mit ihnen zog der römische Scharfrichter auf den Markt der treulosen Stadt. Fast alle Mitglieder des Senats von Capua legten ihre Häupter auf den Richtblock, die Familien der Männer, die sich als karthagerfreundlich erwiesen hatten, gingen in die Sklaverei. 45
Auch beute, da aus der Poebene die ersobreckende Kunde vom Herannaben Hasdrubals Rom erreicht, kann der Senat niobt anders entsebeiden als vor zwei Jabren. Die Truppen werden nicbt zurückbeordert. Konsul Claudius aber, der in Süditalien dem Heere Hannibals gegenüberliegt, erkennt, daß in diesem Zeitpunkt die Rom drobende Gefabr weit größer ist als damals. Die Lage ist fast verzweifelt. Nach zuverlässigen Schätzungen verfügt das Heer, das Hasdrubal über die Alpen gefübrt bat, über 50000 Mann Fußvolk und Reiterei. Hannibals Heer selbst ist trotz schwerster Verluste und dem Ausbleiben der erhofften Hilfsvölker noch immer gefährlich. Da rettet Claudius^die Lage durch ein kühnes, aber gefährliches Unternehmen. Der Beschluß des Senats befiehlt ihm, das Feld nicht zu räumen, die Legionen aber, die man im Norden dem Gegner entgegenwerfen kann, sind viel zu gering und schwach, als daß sie der Völkermasse Hasdrubals Einhalt gebieten könnten. So läßt der Konsul zur Bindung und Täuschung Hannibals einen dünnen Truppenscbleier im Lager gegenüber den Karthagern zurück und eilt mit seiner Hauptmacht zur nördlichen Verteidigungsarmee. Hannibal wird durch das Erscheinen seines Bruders diesseits der Alpen vor eine ganz neue Lage gestellt. Jetzt oder nie muß der Krieg gewonnen werden, nun können Roms Legionen zwischen den Mühlsteinen der beiden Karthagerheere zermahlen werden. Hannibals Veteranenarmee liegt am Garganischen Berg — nahe dem Siegesfeld von Cannae —, ihr gegenüber brennen die täuschenden Wachfeuer der Römer auf den Höhen. Alles kommt jetzt darauf an, auf schnellstem Wege in Verbindung mit dem Bruder im Norden zu kommen, um die Operationspläne gegen Rom in Übereinstimmung zu bringen. Verkleidete Boten wandern durchs Land. Aber Wochen vergehen, ohne daß von Hasdrubal ein Lebenszeichen eintrifft. Eines Abends bringt man dem Feldherrn ein verschnürtes Paket, das von römischen Reitern über die Lagerumwallung geschleudert wurde; es trägt Hannibals Namen. Im Beisein der Generäle wird die geheimnisvolle Botschaft geöffnet. Da rollt ein menschliches Haupt auf die Holzplanken des Tisches, und noch ehe einer der Offiziere 46
den Sinn dieses grausigen Geschenkes begreift, sinkt Hannibal mit einem Schmerzenslaut in den Sessel zurück; er hat die verzerrten Züge seines Bruders Hasdrubal erkannt. Nun weiß er, warum keine Nachricht kam. Rom hat die Nordarmee und mit ihr die Hoffnung Hannibals vernichtet38. Hannibals Weg führt ins Dunkel. . . Zwei Jahre später trifft der Sieger von Spanien, Publius Cornelius Scipio, in Italien ein. Zum Konsul gewählt, erklärt er vor dem Senat, der Krieg sei nur zu beenden, wenn man den Löwen in seiner afrikanischen Höhle angreife. Er sei bereit, die Legionen gegen Karthago zu führen. Von Sizilien aus setzt der Konsul mit einem Heer von 35000 ausgesuchten Veteranen nach der karthagischen Westküste über und wirft die Streitkräfte der Weltstadt in zwei blutigen Schlachten zurück. Das Bündnissystem Karthagos bricht zusammen. Die Numidierkönige, Bergfürsten und Wüstenscheichs sehen die Stunde nahen, in der das harte und herrische Karthago stürzt. Nun werden auch die Kaufherren der Weltstadt kleinmütig, sie bitten um Waffenstillstand. Scipio gewährt eine Atempause, die er selbst nötig hat, und stellt maßvolle Bedingungen. Mit Schnellseglern geht der Befehl des karthagischen Rates an Hannibal ab, sofort zum Schutze der Heimat zurückzukehren. Gehorsam verläßt der Feldherr die Erde Italiens, die seine Triumphe gesehen, auf der er sein Cannae geschlagen und in der mehr als die Hälfte seiner Soldaten begraben ist. Hannibals Erscheinen in Afrika entfacht den Römerhaß erneut zu offenem Brand, die Kriegspartei der Karthager gewinnt wieder die Oberhand und veranlaßt den Bruch der vereinbarten Waffenruhe. Bei Zama — einer weiten Ebene in Libyphönikien — stehen sich die beiden hervorragendsten Feldherrn der Zeit zum erstenmal gegenüber.39 Eine ungeheure Staubwolke steigt zum roten Wüstenhimmel, trompetend traben die Elefantenkorps Hannibals gegen das blitzende Stahlband der Legionen. Mit Bogenschützen besetzte Türme schwanken auf den grauen Ko47
lossen, Schwärme von Pfeilen und Wurfgeschossen prasseln gegen die hohen Schilde der römischen Lanzenträger. Schweigend erwartet die Armee Scipios den Anprall. Als die Elefantenmauer die römischen Linien erreicht, zerreißt der Schleier der Plänkler, zwischen den Legionen öffnen sich breite Gassen, in die, von Feuerbränden gescheucht, die rasenden Tiere hineinjagen. Weiter rückwärts werden sie einzeln bekämpft und getötet. Blitzschnell schließen sich wieder die Reihen; die Kolonnen setzen sich in Marsch, die römischen Adler weisen den Weg gegen den Feind. Scipio greift an . .. *
Verraten und noch auf dem Schlachtfeld von seinen numidischen Truppen im Stich gelassen, erlebt Hannibal die erste vernichtende Niederlage seines Lebens. Er flüchtet nach Hadrumetum und von dort zu Schiff nach Karthago. Die Stadt ist in wilder Aufregung. Hinter den riesigen Mauern der Hauptstadt gibt es immer noch Fanatiker, die eine allgemeine Volksbewaffnung und Widerstand bis zum Letzten predigen. Hannibal — der seine Tapferkeit in zwei Jahrzehnten bewiesen hat — stößt selbst einen der Hetzer von der Rednertribüne und erklärt dem Volke, daß sich Karthago nur noch durch sofortigen Friedensschluß retten könne.40 Auf seinen Rat begibt sich eine Abordnung von dreißig führenden Männern ins Lager Scipios und erbittet die Kapitulationsbedingungen. Der Sieger erweist sich wider Erwarten milde: Karthago soll endgültig auf den Besitz von Sizilien, Sardinien und Spanien verzichten, bleibt aber in Afrika ungeschmälert. Es muß sich einer völligen Entwaffnung und Flottenabrüstung unterwerfen. Alle Schiffe bis auf zehn, alle Elefanten und der Inhalt der riesigen Zeughäuser fallen an Rom; die Kriegsentschädigung an Geld beträgt 10000 Talente, sie ist in 50 Jahresraten zu entrichten. Als Garantie für die Einhaltung der Bedingungen sollen hundert Mitglieder der ersten Familien als Geiseln nach Rom gebracht werden. Der Sieger des großen Krieges, Publius Cornelius Scipio, kehrt, vom Volke mit stürmischem Jubel begrüßt, 48
Born zur Zeit der Republik
drei Jakre nack seinem großen Sieg bei Zama nack Italien zurück. Sein Marsch vom Süden der Halbinsel nack Rom mit Elefanten, numidiscken Reitern, Hunderten von sckätzebeladenen Wagen, Tausenden von Kriegsgefangenen und unerkörten Beutestücken ist ein Ereignis, dem selbst die Hirten und Bauern entlegenster Gebirge zulaufen. Als Scipio Rom erreickt, gewäkrt ikm der Senat den „Großen Triumpk",den festliegen Einmarsck mit aller Kriegsbeute zum Capitol. Auf dem Forum ist die Kurie versammelt. Ikr Sprecker verleikt dem Secksunddreißigjäkrigen den ekrenden Beinamen ,Africanus'. Der Friede mit Kartkago kat der Welt nickt die seknlick erwartete Ruke gebrackt. In West und Ost grollen weiter die Kriegsgewitter: die spaniseken Römerkolonien 49
werden von wilden Aufständen geschüttelt, im karthagischen Afrika schwelt der Zorn über die verlorene Größe, und im hellenischen Osten marschieren die Söldner Philipps V. von Makedonien41 zu immer neuen Eroberungen aus. Zitternde Spannung lastet über dem siegreichen Römervolk, denn das Staatsschiff verharrt noch immer zwischen endlicher Einkehr in den friedlichen Hafen und neuer, stürmischer Ausfahrt. Rom ist seit Tagen in fiebernder Erregung. Gesandte der von Philipp von Makedonien bedrohten griechischen Städte sind eingetroffen, den römischen Senat um Hilfe anzuflehen. Wieder einmal steht Rom vor der schweren Entscheidung zwischen Krieg und Frieden. Der Senat wünscht den Krieg, um den ewigen Unruheherd Makedonien auszulöschen, das römische Volk aber ist müde von den Schlachten der vergangenen Jahrzehnte. Es will nicht mehr das Klirren der Waffen hören, nicht mehr den Schrei der Sterbenden und das Wehklagen der Frauen und Mütter, deren Männer und Söhne auf den Schlachtfeldern geblieben sind. * Der Konsul Titus Quinctius Flamininus empfängt die Fremden, die griechischen Gesandten, bereits an der Eingangspforte. Das Atrium des neugebauten, fortschrittlich eingerichteten Hauses zeigt nicht mehr die rauchgeschwärzten Wände des „schwarzen Gemachs" früherer Zeiten; der steinerne, ewig qualmende Herd ist ins Hinterhaus, in eine eigene Küche, verlegt, und der Altar der Hausgötter steht jetzt im Tablinum, dem an das Atrium anschließenden, durch einen Vorhang abgetrennten Raum. Als Flamininus die Vorhänge zum Tablinum zurückschlägt, sieht man in ein großes, nach hinten offenes Gemach mit griechischen Ruhelagern, kostbaren Citrustischen42 und Nischen in den Wänden, in denen die Masken der Ahnen, die Familienreliquien und die Hausgötter aufgestellt sind. Hier — im Herzen des Hauses — brennt ein ewiges Licht vor dem Ahnenschrein als stete Erinnerung daran, daß alles Leben nur Glied einer langen Kette ist, das, aus dem Dunkel der Vorzeit kommend, ins Dunkel der Nachwelt geht. 50
Der Konsul ist vor den Altar der Penaten43 getreten. Zur Überraschung der frei denkenden Hellenen streut er Gerste in die Opferschale und hüllt betend sein Antlitz in die Toga, auch die übrigen anwesenden Kömer senken andächtig das Haupt. Die Griechen besitzen weltmännische Gewandtheit genug, sich ebenfalls den Anschein frommer Versenkung zu geben. Nach dieser kurzen, für die Gäste befremdenden Szene nehmen Flamininus und seine Besucher auf den Lagerstätten Platz, die mit punischen Kissen bedeckt sind. Aristobul verbeugt sich höflich gegen den Konsul und versichert redegewandt, das Opfer beim Eintritt habe ihn tief beeindruckt. Aber Flamininus winkt mit spöttischem Lächeln ab. „Es wäre falsch", sagt er, „wenn ihr aus unserem Gebet auf eine naive Gläubigkeit der römischen Patrizier schließen wolltet. Wir halten es mit den Stoikern, die lehrten, man sollte der ungebildeten Menge den Glauben nicht nehmen, und die den Gebildeten empfahlen, die äußerlichen, traditionellen Formen des Götterkultes zu achten"44. Die ganze Gesellschaft lacht, als der Dichter Ennius einige seiner geistvollen Verse zitiert,die leichtfüßig sind und voll von boshafter Ironie. Dann aber gleitet das Gespräch allmählich hinüber zu den Fragen der großen Politik. Der griechische Gesandte zeichnet geschickt mit wenigen, behutsam gewählten Worten ein Bild Philipps, des verhaßten Feindes der hellenischen Freiheit. Diese Stunde entscheide darüber, ob Rom Griechenland zu Hilfe eilen oder ob der Makedone als Tyrann die freien Städte von Hellas unterjochen werde. Sachlich und scheinbar unbeteiligt spricht er weiter: „Welcher Art König Philipp ist, geht aus der Behandlung der Einwohnerschaft von Abydos hervor. Diese am Hellespont gelegene Stadt wurde von den Makedonen eingenommen. Die Sieger legten den Bürgern als Bedingung — Gnade nannten sie es — auf, sich innerhalb einer Frist von drei Tagen selbst zu töten! Und diese Untat veranlaßte ein Mann, der sich bei jeder Gelegenheit rühmt, ein Urenkel des großen Alexander zu sein. Während wir hier plaudern, verehrte Gastfreunde, stürmt Philipps General Philokles gegen die Mauern Athens — der Stadt, in der das Feuer der Schönheit, des 51
Geistes und der Wissenschaften entzündet wurde. Makedonische Söldner reißen in Attika die Weinstöcke aus und schlagen die hundertjährigen ölhaine um. Hellas ist verloren, wenn Rom nicht hilft!" Die Gesichter der Römer bleiben unbewegt. Die Schilderung des Griechen ist nur ein Ausschnitt aus dem großen Gemälde dieser wilden, kriegerischen Zeit, nichts Ungewöhnliches, kein Grund für den römischen Senat, sich zu beunruhigen. Viel bedeutsamer ist die Tatsache, daß Philipp sich in Griechenland ein Reich erobert, das allmählich dem Machtanspruch Roms gefährlich wird. Es ist Zeit, den anmaßenden Nachkommen Alexanders in seine Grenzen zu weisen. „Ihr wißt, Freunde", beendet Flaminmus das Schweigen, das dem Bericht des Griechen gefolgt ist, „daß die hier versammelten Senatoren und ich ganz auf eurer Seite, auf der Seite unserer griechischen Bundesgenossen, stehen. Ich möchte aber nicht, daß ihr über die inneren Schwierigkeiten Roms im unklaren seid, wenn wir uns heute nachmittag auf das Marsfeld begeben, um in der großen Volksversammlung unsere Pläne durchzufechten. Schon einmal — es ist erst kurze Zeit her — haben die Volksvertreter eine Kriegserklärung an Makedonien abgelehnt. Wenn es der Senatspartei heute nicht gelingt, die Griechenlandhilfe durchzubringen, weiß auch ich keinen Weg, im Osten einzugreifen. Ihr müßt die Gründe für die römische Kriegsunlust verstehen."
Die Sonne steht schon hoch, und fast menschenleer sind die hitzeflimmernden Straßen und Plätze, als die Gesandten die Villa des Flamininus verlassen. Man hat alle Möglichkeiten der Griechenlandpolitik erwogen; vorläufig soll erreicht werden, daß die bereits als Hilfstruppen auf hellenischem Boden stehenden, schwachen römischen Verbände verstärkt werden und der Krieg an Philipp von Makedonien erklärt wird. Nach Hundertschaften geordnet, ist die Bürgerschaft Roms auf dem Marsfeld angetreten. Den Vorstellungen des Konsuls und des beliebten Scipionen gelingt es, den Widerstand der Bürgerschaft zu überwinden. Aber der Senat vermag die Kriegserklärung 52
nur unter Zugeständnissen und durch Belastung der italischen Bundesgenossen durchzudrücken; das Volk erzwingt die feierliche Erklärung, daß die Mitglieder der städtischen Legionen aus dem Heeresdienst entlassen werden. Die Opfer des Kampfes sollen von den italischen Städten und den verbündeten Stämmen in Latium, Sarnnium und Campanien getragen werden. Aber nur mit geringer Mehrheit genehmigen die Hundertschaften den Krieg gegen Makedonien. Als der Beschluß verkündet ist, offnen sich wieder die kaum geschlossenen Tore am Tempel der Kriegsgöttin Bellona, Lurenhörner schmettern, und die Kriegsfurie rast abermals hinaus in die Welt, über See, nach Osten... Als die römischen Legionen unter der Führung des Konsuls Flamminus in Griechenland einrücken, werden sie wie Befreier freudig begrüßt. Ganz Hellas ist sich einig im Haß gegen Philipp. Pergamon, Rhodos, die Inselstaaten, die Städte Athen und Korinth, die Ätolier und Peloponnesier, die immer uneins waren, haben plötzlich Neid und Zwietracht vergessen. Durch alle Landschaften geht der Eacheschrei wider den Unterdrücker und Friedensbrecher. Rom, das seine eigene imperialistischen Ziele geschickt verbirgt, gilt als die Hoffnung des ganzen griechischen Volkes. Das in langen Kämpfen ausgeblutete Makedonien muß für den Krieg gegen Rom selbst Greise und Knaben in seine Schlachtreihen stellen. In der Schlacht bei den „Hundsköpfen"*8 — einer seltsam geformten, ätolischen Hügelkette — zahlt es erneut furchtbaren Blutzoll. Von 26 000 Männern fallen mehr als zehntausend. Die Römer — die den Gegner im Rücken gefaßt haben — ververkennen das makedonische Zeichen der Ergebung, das Aufheben der Sarissen, der langen Lanzen, und diesem Irrtum erliegen die Wehrlosen. Das ist das Ende der makedonischen Träume... * Nachdem das römische Heer die makedonische Großmacht zerschlagen hat, sorgt Flamininus dafür, daß König Philipp ein Rest von Selbständigkeit und militärischer Stärke erhalten bleibt. Makedonien soll auch weiterhin seine Aufgabe als Hüter der nördlichen Barbarengrenze 53
erfüllen. Dem römischen Senat sind makedonische Soldaten als Grenzhüter gegen die wilden Horden der Geten und Illyrer lieber als römische Legionen, für die es an anderen Stellen genügend Aufgaben gibt. Das niedergeworfene Makedonien muß nach den Bedingungen des Friedens Flotte und Inhalt der Waffenlager ausliefern, seine auswärtigen Besitzungen — vor allem in Griechenland und Kleinasien — gehen verloren. Im übrigen zeigt die Kurie kein großes Interesse an der Neuordnung des griechischen Eaumes oder an einer Eingliederung Griechenlands in das römische Reich. Das Beispiel des immer noch Widerstand leistenden Spanien hat der römischen Volksversammlung gezeigt, wie kostspielig, lästig und störend der Besitz überseeischer Kolonien sein kann. Viele Senatoren sind außerdem noch nicht in die Rolle der Gebieter eines Großreiches hineingewachsen. Der Vormarsch der Legionen ist rascher gewesen als die Umstellung von der italischen auf die Weltpolitik. Noch ist auch das karthagische Erbe kaum geordnet. Deshalb erlaubt Rom dem Griechenschwärmer Flamininus, seine eigene, von persönlichen Empfindungen bestimmte Politik zu machen. Es begnügt sich, obschon es Provinzen einrichten könnte, mit lockeren Bündnisverträgen und der Entsendung von Gesandten. Bei den nationalen griechischen Festspielen auf dem Isthmus von Korinth im folgenden Jahr wird die neue, von Rom garantierte Freiheit der Griechenstaaten verkündet. Flamininus wird vom Beifall der Zehntausende umstürmt, die in diesem historischen Augenblick an die Auferstehung der großen Vergangenheit Griechenlands glauben. * In dem Kampf Roms gegen Philipp hat sich der Verbündete des Makedonen, Antiochus von Syrien, abwartend verhalten. Jetzt — nach Philipps Niederlage — beginnt er, den Wehrlosen auszuplündern. Am Hofe des Antiochus, eines Nachkommen des Seleukos, des Generals Alexanders des Großen, hat der unversöhnlichste Hasser Roms, Hannibal, der Barkide, Zuflucht gesucht. Als er nach der zerschmetternden Niederlage gegen Rom versucht hatte, Karthago zu reformieren, als er der 54
Kaufmannsaristokratie, der Ausbeutung und Kapitalherrschaft, schonungslosen Kampf angesagt und die ersten Grundmauern eines neuen Machtgebäudes errichtet hatte, verrieten ihn seine eigenen Landsleute. Sie schwärzten ihn in Rom als Kriegshetzer an und erreichten, daß eine römische Gesandtschaft seine Auslieferung verlangte. Dem Barkiden blieb nur die heimliche und gefahrvolle Flucht nach Antiochien. Seitdem lebt der Karthager als Verbannter am Hofe des syrischen Großkönigs. Die bald erfolgende Berufung Hannibals zum persönlichen Berater des Königs und Reformator des Heeres ist ein Schlag gegen das römische Ansehen im Osten. In Rom hat man diese Schmähung nicht vergessen... Der Haß der griechischen Stämme, der sich bisher nur gegen Philipp gerichtet hat, wendet sich nun gegen Antiochus. Die kleinen Staaten fühlen sich durch den Vorstoß des syrischen Großreiches gegen Makedonien bedroht. Pergamon, die seemächtige Insel Rhodos und alle die kleinen Staaten die sich nach dem Zusammenbruch des Alexanderreiches selbständig gemacht haben, sehen mit Furcht und Mißtrauen, wie sich immer drohender Macht und Gewalt in der Hand des Syrerkönigs zusammenballen. Antiochus hat nach der Niederlage Philipps die kleinasiatischen Besitzungen Makedoniens besetzt und sein Reich bis zu den Meerengen zwischen Ägäis und Schwarzem Meer ausgedehnt. Geschickt versteht er es, einem offenen Konflikt mit Rom aus dem Wege zu gehen. Die römische Kraft und Stärke ist zu offensichtlich, sie könnte seinen Thron zum Wanken bringen, und eine Niederwerfung der Römer liegt außerhalb aller Möglichkeiten. Doch die Anwesenheit Hannibals an seinem Hofe und die Aneignung makedonischen Besitzes, besonders des Gebietes der Thrakier, verschärfen allmählich die noch verdeckte Spannung zwischen Rom und Ephesus. Hannibal hat alles getan, was in seiner Macht stand, um Antiochus zum Eingreifen in den Konflikt zwischen Rom und Makedonien zu veranlassen. Hier hätte sich vielleicht noch einmal Gelegenheit geboten, ein Festsetzen der Römer im Osten zu verhindern. Vergeblich wies der Karthager darauf hin, daß Rom nach der Niederwerfung Makedoniens künftig von der griechischen Ba55
stion aus operieren könne, daß der Feind durch seine Bündnispartner Pergamon und Rhodos schon in Kleinasien Fuß zu fassen beginne. Was immer Hannibal vorschlug, was der von brennendem Haß erfüllte Barkide an Verbesserungen der Heeresorganisation, an Bewaffnung, Taktik und anderen Reformen durchzusetzen versuchte, scheiterte an der orientalischen Gleichgültigkeit, am Widerstand der Beamten oder an der Intrige ehrgeiziger Minister. Antiochus aber lag müde und entschlußlos in den Kissen und ließ sich von lydischen Tänzerinnen Sorgen und Langeweile vertreiben. So blieb „der tragische Feldherr Afrikas" ohnmächtiger Zuschauer. Schon ist der eine Bogen seines weitgespannten, politischen Systems — Makedonien — eingestürzt. Verzweifelt kämpft Hannibal um seinen letzten und bedeutendsten Plan, um den gemeinsamen syrisch-karthagischgriechischen Krieg gegen Rom.
Die Römer sind allmählich in die gewaltige Aufgabe der Weltherrschaft hineingewachsen. Schon bereuen sie es, den Griechen die Freiheit wie ein Almosen geschenkt zu haben, denn jeder Tag in Griechenland beweist ihnen aufs neue, wie wenig diese Hellenen der Freiheit wert sind. Die Römer, Befreier von gestern, werden zu ungern gesehenen Fremdlingen, zu anmaßenden Ausbeutern und Tyrannen. Man nennt sie Halb-Barbaren, man klagt über ihre Eingriffe und ihren Hochmut; schlichtet ein römischer Legat einen Streit, so wenden sich zum Schluß meist beide Parteien gegen ihn. Kaum haben die römischen Legionen, getreu den Vertragsbestimungen, den griechischen Boden verlassen, da ruft man in ganz Hellas schon nach einem neuen Herrn, der die alte Größe wiederherstellen soll. Diesen günstigen Augenblick benutzt Antiochus und rückt ins nördliche Griechenland ein, seine Flotte läuft den athenischen Hafen an, und seine Truppen nähern sich bedrohlich den römerfreundlichen Staaten Pergamon und Rhodos. Es ist der Plan Hannibals, der nun abrollt. Der Barkide, der Rom einst durch seinen kühnen Marsch über die Hochalpen in tödliche Gefahr brachte, hat auch jetzt 56
wieder den schwächsten Punkt der römischen Position erkannt. Wenn die erste Schlacht des Krieges gegen Rom auf griechischem Boden geschlagen wird, muß der Sieg die Erhebung ganz Griechenlands, den Aufstand des eben niedergeworfenen Makedonien und die Entfachung des Aufruhrs in Karthago zur Folge haben. Aber nicht Hannibal steht an der Spitze des Heeres. Der Vielerfahrene, der die Stärke Roms und seine Schwäche kennt wie kaum ein anderer, muß sich mit der Stellung eines einflußlosen Hofschranzen begnügen, da Antiochus ihm den Triumph des Siegers nicht gönnt. * An dem alten Schicksalspaß der Thermopylen46 kommt es zur Schlacht, und wie in den Tagen des Leonidas wird der Kampf durch die kühne Tat eines Truppenführers entschieden. Der ehemalige Konsul Marcus Porcius Cato, der als Offizier in der Fronttruppe dient, umgeht mit einer Abteilung berggewohnter Soldaten auf schwierigen Saumpfaden die Befestigungen Thermopyläs und gelangt unbemerkt in den Rücken der syrischen Armee. Die Kolonnen des Antiochus werden geworfen und von Elefantenkorps und numidischer Reiterei, die Roms Bundesgenosse Massinissa aus Afrika geschickt hat, verfolgt. Großkönig Antiochus hat die erste Schlacht des Krieges verloren47. Hannibal, von den Günstlingen des Hofes nun endgültig kaltgestellt, folgt dem König schweigend und in ohnmächtiger Verbitterung — ein geduldeter Fremdling, der gezwungen ist, um die Gnade seiner Gastgeber zu betteln. * Aber noch immer gibt Hannibal den Kampf nicht auf, unermüdlich arbeitet er an neuen, weit ausgreifenden Plänen. Er schlägt dem König vor, eine Flotte mit 10000 Mann unter seinem Befehl nach Karthago zu entsenden, um den Krieg zwischen Rom und Karthago von neuem zu entzünden. Spanien würde zum Freiheitskampf aufstehen, Makedonien und auch die Gallier würden zu den Waffen greifen und Italien könnte zum zweitenmal zum Schlachtfeld gemacht werden. Auf Griechenland setzt der Feldherr nur geringe Hoffnung. Er hat erkannt, daß 57
Hellas ein leerer Name, daß die Kraft des alten Volkes verbraucht ist. Antiochus stimmt den Absichten Hannibals begeistert zu, aber in Wahrheit geschieht nichts, um die kühnen Träume des Löwen von Cannae zu verwirklichen. Antiochus, der König des Ostens, den sie den Großen nennen, ist müde und entschlußlos geworden. In Rom aber läßt man den Seleukiden nicht aus den Augen. Der Senat ist entschlossen, im Osten reinen Tisch zu machen und die syrische Großmacht hinwegzufegen. Wieder marschieren die römischen Legionen. Sie werden von Scipio Africanus, dem Uberwinder Hannibals, geführt. Vor den Toren des königlichen Hoflagers bei Magnesia48 wird die entscheidende Schlacht geschlagen. Das Schicksal versagt es den großen Gegenspielern Hannibal wie Scipio, sich noch einmal zu messen. Kurz vor dem Treffen bleibt Scipio krank in Elea liegen, während Antiochus seinen Feldherrn im nahen Magnesia zurückläßt und selber die Armee kommandiert. Dem unfähigen und mit der römischen Taktik wenig vertrauten König geraten schon zu Beginn der Schlacht Sichelwagen, Elefanten, Reiterei und Fußvolk durcheinander. Die Niederlage ist unaufhaltsam. Das syrische Heer verliert im Kampf und bei der Verfolgung fast drei Viertel seines Bestandes, über 20000 Mann, während die Legionen mit 24 gefallenen Reitern und 300 erschlagenen Fußsoldaten den Weg zur Erringung eines ganzen Kontinents freigemacht haben. Der Tag von Magnesia streicht das Reich des Antiochus aus der Liste der Großmächte, so wie Zama Karthago und die Schlacht bei den ,Hundsköpfen' Makedonien ausgelöscht haben. Unbeschränkt beherrscht Rom nun die Länder und Inseln des Mittelmeeres. Ägypten schickt demütig Gesandtschaften an den Senat, die kleinen Machthaber im griechischen Raum nennen sich schmeichlerisch Freunde Roms, und es scheint so, als läge nun auch die östliche Welthälfte unter dem Schatten der römischen Adler. Kleinasien wird in ein System von widerstrebenden Kleinstaaten aufgeteilt, erster Ansatz zu einer Politik, die nach dem Grundsatz „divide et impera" — teile und herrsche — verfährt. Die alten Bundesgenossen Roms, Pergamon und Rhodos, machen weite Landgewinne; 58
denn auch jetzt noch verzichtet die Eepublik am Tiber darauf, die unterworfenen Gebiete in gewinnbringende Provinzen zu verwandeln. Zur Sicherung und als deutliche, unmißverständliche Drohung bleibt nun die römische Armee auf asiatischem Boden stehen; das kostet den Seleukiden bis zum Friedensschluß die Summe von 3000 Talenten. Der Friedensvertrag aber bestimmt völlige Abrüstung, eine Kriegsentschädigung von 15000 Talenten, die Auslieferung der Kriegselefanten und der Flotte. Antioohus nimmt die harten Bedingungen und die Veränderungen seiner Lage mit Gleichmut hin. Seinen Ministern soll er gesagt haben, er sei froh, von einem Teil seiner Sorgen befreit zu sein. * Der Reichtum einer ganzen Welt, der Rausch der Machtausübung über Länder und Völker, läßt die Herzen der Sieger nicht unberührt. Habgier, Luxus und Korruption untergraben langsam die starre, unbeugsame Rechtlichkeit der alten Patrizierfamilien Roms. Selbst die angesehensten Männer des Staates, die Scipionen, die Sieger über Karthago und Antiochia, scheinen nicht mehr unempfänglich zu sein für die Verlockungen des Goldstromes, der durch ihre Hände aus den eroberten Provinzen in die Staatskassen fließt. Nach dem großartigen Sieg von Magnesia, den die beiden Brüder Lucius und Cornelius gemeinsam errungen hatten, schien es, als hätten die Scipionen nun genug getan für die Unsterblichkeit ihres Namens. Der große Cornelius Scipio trägt zum Ehrennamen eines „Äfricanus" und „Hispanus" nun auch den Lorbeer Asiens. Mit ihm feiert der jüngere Lucius den größten Triumphzug, den Rom bisher gesehen hat, und erhält den Titel „Asiaticus". Die beiden Brüder dürfen mit Recht behaupten, sie hätten dem Staate Spanien, Afrika und Asien zugebracht und das Vaterland in seinen schwärzesten Stunden gerettet. Auf dem Landgut zu Liternum, das seit alters der Familie gehört, verbringt der greise Cornelius im Kreise von Philosophen, Dichtern, Freunden und Veteranen seiner Kriege die letzten Jahre. Fast unbeachtet stirbt Scipio dort, wenige Jahre, nachdem er Rom verlassen hat. 59
Im selben Jahr, in dem Scipio Africanus heimgegangen, stirbt auch sein tragischer Gegenspieler. Dem Barkiden Hannibal, dem ein Leben lang unerbittliche Sterne zu Häupten gestanden haben, versagt sich der stille und friedvolle Tod. Grimmig ist die Ehre, die ihm noch in seinen letzten Lebensjahren zuteil geworden ist. Das mächtige Rom, dem im Bereich der Mittelmeerwelt kein ebenbürtiger Gegner geblieben war, würdigte den Einsamen und Verlassenen immer noch seiner tödlichen Feindschaft. Er, durch den der Westen und Osten des Erdkreises gegen die verhaßten Lateiner aufgewühlt worden war, ging bis zum Ende den Weg, den er als Knabe beschworen hatte. Kälter umweht ihn der Abendwind, einsamer wird es um den Greis. Nach der Schlacht von Magnesia ist eine der ersten Forderungen der Römer die Auslieferung des Barkiden, auf dessen Kopf noch immer ein hoher Preis steht. Aber König Antiochus beweist einen Rest von Größe und läßt den treuen Berater heimlich entweichen. Wie einst nach seiner Flucht aus Karthago, so zieht der Heimatlose wieder rastlos durch die Welt. Rom hat ihn für vogelfrei erklärt. Nach langer Irrfahrt findet er endlich Unterschlupf in dem kleinen Königreich Bithynien am Schwarzen Meer. Hier regiert König Prusias, der seinen Thron mit gewissenloser Grausamkeit und tückischer Hinterlist erobert und gefestigt hat. Seit langem führt der Räuberfürst einen ertragreichen Kaperkrieg gegen Rom und dessen Bundesgenossen, und dabei sind ihm Hannibals Hilfe und Rat zunächst willkommen. Dann aber rücken die römischen Legionen unter Flamininus bedrohlich näher. Der Sieger im Makedonienkrieg, dessen Ruhm von dem der Scipionen überschattet war, strebt nach neuen Lorbeeren. Aber im Augenblick der höchsten Bedrohung erkennt König Prusias, daß er mit Hannibal den Preis für die Gnade Roms in Händen hält. Er zögert keinen Augenblick, das schutzlose Leben des Gastes preiszugeben. * So naht Hannibals letzte Stunde. Gedungene Mörder haben das Haus umstellt, in dem der alte Sieger von Cannae Zuflucht gefunden: 60
„Der Torhüter sieht es und meldet Hannibal, daß ungewöhnlich viele Bewaffnete zu sehen seien. Hannibal befiehlt ihm, sich an allen Türen des Gebäudes umzusehen und ihm schnell Nachricht zu bringen, ob sie ebenso besetzt seien. Der Sklave bringt rasch Antwort und bestätigt, daß alle Ausgänge versperrt sind. Da merkt Hannibal, daß es sich um keinen Zufall handelt, daß es seiner Person gilt und daß sein Leben nun zu Ende g e h t . . . " 4 9 Einst hat die Welt vor seinen Schritten gebebt, seine Taten sind ins Gedächtnis der Völker gegraben. Vielleicht gedenkt er noch einmal des Gegenspielers, jenes Lieblingssohnes der Göttin Fortuna, Scipios, den sie den Afrikaner nennen. Hart war Hannibals Leben und Kämpfen, immer hat sich ihm der Enderfolg versagt, weil seine Mitspieler Verräter, Schwächlinge oder Dummköpfe waren; Scipio aber schenkten die Götter bereitwillig Sieg, Kuhm und Ehre. Nur ein treuer Negersklave — der dem Feldherrn seit Jahrzehnten gefolgt ist — weilt noch bei ihm. T u r n o , der Sklave: „Wir werfen das alte Fell ab, wie die Schlangen im Frühjahr, und du sollst sehen, wir bekommen anderswo ein anderes..." H a n n i b a l : „Ja, aus der Welt werden wir nicht fallen, wir sind einmal drinnen." Dann reicht der Feldherr seinem letzten Gefährten Gift, der Sklave trinkt und stirbt. H a n n i b a l : „Du hast's überwunden... Nun Eömer, entzieht sich euch ein Verbannter, ein greiser Mann, vor dem ihr gebebt, bis sein letzter Atem d a h i n . . . " (Er trinkt den Eest des Giftes.) „Gift zu eurer Gesundheit! Wirkt es noch nicht bei mir? Das währt lange... Doch... da, es kommt!... Schwarzer Pilot, Wer bist d u ? . . . " 6 0
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ANMEKKUNGEN a
) Cato (röm. Staatsmann, 234—149 v. Chr.) berichtet davon in seinem Buch „De agricultura" (Über die Landwirtschaft); — 2 ) Sufete, hoher karthag. Staatsbeamter, im Range des römischen Konsuls; — 5 ) im Jahre 229 v. Chr.; 4 ) das heutige Cartagena; — 6) in der heutigen Provinz Valencia; — *) den Ebro; — ') im Jahre 219 v. Chr.; — 8 ) wie der röm. Historiker Livius (59 v. Chr.—17 n. Chr.) berichtet; — 9) Tablinum, Speise- und Gesellschafts raum des röm. Hauses; Atrium, die Vorhalle des Hauses; — 10 ) Hochzeitslied, nach dem griech. Hoohzeitsgott Hymen; — u ) Clienten, Schutzbefohlene des „Patronus" (Hausherrn). Sie erhalten Geldgeschenke und im Hause des Patrons die täglichen Mahlzeiten; — 12) nach dem Bericht des Architekten Vitruvius, gest. um 10 v. Chr.; — 13) auf diese Weise berechnete Archimedes das spezifische Gewicht eines Körpers; — 14) 1500 m lang; — ") etwa 600 DM; — ") 276—194 v. Chr.; — «) Stadion, Wettkampfbahn, dann Längenmaß von 600 griech. Fuß. Das attische Stadion ** 165 m; — 18 ) das etwa 825 km entfernte heutige Assuan; — l s ) er errechnete 41600 km, tatsächlich beträgt der Erdumfang 40000 km; — 20) Vor dem Brand von 47 v. Chr. besaß das Museion 700000 Papyrusrollen; — 21) im Jahre 275 v. Chr.; — ") im Jahre 219 v. Chr.; — 23) das heutige Marseille; — 24 ) die Rhone; — 26) vermutlich auf dem Mont Cenis, vielleicht auch auf dem St. Bernhard; — se ) nach dem Bericht des Livius; — 27) so schreibt Livius später; — 28) das heutige Piacenza; — 2Ö) Municipium. Stadtgemeinde Italiens mit röm. Bürgerrecht und eigener Verwaltung, aber unter röm. Oberhoheit; — 30) im April 217 v. Chr.; — 31) am 2. August 216 v. Chr.; — 32 ) so berichtet Polybios, griech. Staatsmann und Historiker 210—130 v. Chr. — s3 ) Haik, arab. Mantel, und zwar der weit über den Kopf gezogene Umhang der Wüstenvölker; — 34) im Jahre 213 v. Chr.; — as ) gestorben 212 v. Chr.; — 3e) im Jahre 210 v. Chr.; — 3 ')„Hannibal vor den Toren!"; — 3S ) im Jahre 207 v. Chr. in der Schlacht am Metaurus unweit von Sena Galliea (dem heutigen Senigallia) an der adriatischen Küste; — 39) im Jahre 202 v. Chr.; — 40) wie Livius berichtet; — 41) in den Jahren 221—179 v. Chr.; — 42) das „Citrum", ein duftendes Holz, galt in Rom als das wertvollste Material für Möbel; — 4S) Laren und Penaten, Götter des röm. Hauses. Die Laren schützten segensreich das Haus und seine Bewohner, die Penaten wachten über das Glück der Familienangehörigen, auch wenn sie in der Fremde waren (die Haussklaven beteten also nur zu den Laren). Beiden wurde gewissenhaft geopfert, Sie wurden mit Blumen und Kränzen geschmückt; — 44 ) diese Einstellung berichtet Chrysippos, griech. Philosoph 280—207 v. Chr.; — 46) bei Kynoskephalae 197 v. Chr. in Thessalien; — ") hier hatte sich 480 v. Chr. Persien die Vormacht über Griechenland erzwungen; — 47) im Jahre 191 v. Chr.; — *>) im Jahre 189 v. Chr.; — 49) aus „Hannibal" von Cornelius Nepos, 94—24 v. Chr., röm. Schriftsteller, schrieb „Libri de viris illustribus" (Bücher über berühmte Männer); — 60) aus der letzten Szene von Chr. D. Grabbes fünfaktigem Drama „Hannibal" (1835).
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ZEITTAFEL 241 238
Sizilien wird erste röm. Provinz. tritt Karthago Sardinien und Korsika ab; beide zur 2. Provinz vereinigt. ab 236 begründet Karthago in Spanien seine Kolonialmacht. 225—222 siegreiche Kämpfe Roms gegen die Gallier in der Poebene 220 C. Flaminius erbaut als Zensor die Via Flaminia (von Rom bis Rimini) und fördert die Siedlungen im Pogebiet. 219 erobert Hannibal das mit Rom verbündete spanische Sagunt und trägt den 2. Punischen Krieg nach Italien durch seinen 218 erzwungenen Übergang über die Alpen. Er besiegt die röm. Heere am Ticinus und an der Trebia und verbindet sich mit den Galliern. 217 besiegt er C. Flaminius am Trasimenischen See. Der „Zauderer" Qu. Fabius Maximus lockt Hannibal an Rom vorbei bis tief nach Apulien, ohne eine Schlacht anzunehmen. 216 besiegt Hannibal den ehrgeizigen, unerfahrenen Plebejerkonsul Varro bei Cannae. Hannibal wird von Karthago nicht mehr unterstützt. Die Römer verlegen den Krieg nach Spanien und Sizilien. 212 Syrakus wird erobert, Archimedes getötet. 210 207 204 202
geht P. Cornelius Scipio nach Spanien, vertreibt die Karthager. wird ein karthagisches Entsatzheer unter Hannibals Bruder Hasdrubal am Metaurus bei Sena Gallica geschlagen, Hasdrubal fällt. landet Scipio in Afrika, Hannibal wird zurückgerufen. siegt Scipio in der Entscheidungsschlacht bei Zama über Hannibal. 63
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muß Karthago im Friedensvertrag Spanien abtreten, hohen Tribut zahlen, die Flotte abliefern, Numidien an Massinissa übergeben. Karthago darf ohne Genehmigung Roms keinen Krieg führen. Vorherrschaft Roms im westlichen Mittelmeer gesichert. 200—197 Krieg gegen das eroberungslüsterne Makedonien. 197 im Sieg von Kynoskephalae (bei den „Hundsköpfen") wird Makedonien in seine Grenzen verwiesen und 196 werden alle griech. Staaten von Rom für frei erklärt. 192—188 Krieg mit Syrien, das diese Freiheitserklärung nicht anerkennt. Sieg bei Magnesia über Antiochos III., der aus Kleinasien verdrängt wird. Das mit Rom verbündete Pergamon erhält Gebietszuwachs und wird neues geistiges Zentrum des Griechentums neben Alexandria. 183 Tod Scipios auf seinem Landgut zu Liternum. 183 Tod Hannibals durch Selbstmord als Flüchtling am Hof zu Bithynien bei König Prusias.
Alle Hechte vorbehalten. Einbandgestaltung: Karlheinz Dobsky Kartenzeichnungen: Anton Eckert; Illustrationen: H. G. Strick Druck: Dr. F. P. Datterer & Cie.- Inhaber Sellier - Freising/Obb.
Der Leser, der die in diesem Heft geschilderten Ereignisse im großen Rahmen weiter verfolgen will, wird auf die spannend geschriebene Weltgeschichte
BILD DER JAHRHUNDERTE von OTTO Z I E R E R verwiesen. In neuartiger, eindrucksvoll erzählender Darstellung behandelt Otto Zierer im „Bild der Jahrhunderte ', dem der Text zu dem vorliegenden Heft im wesentlichen entnommen ist, die Geschichte des Abendlandes und der Welt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart.
Gesamtauflage über 2 Millionen Bände Der Umfang des Geschichtswerkes beträgt rund 8000 Seiten. 189 ausgewählte Kunstdruck tafeln und 124 historische Karten ergänzen den Text. Jeder Band enthält im Anhang Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen, Zeittafeln, Quellen- und Literaturnachweise. Das zum Gesamtwerk gehörende „Historische Lexikon" bietet in 12 000 Stichwörtern und 500 Bildern einen Querschnitt durch die Universalgeschichte. Der Registerband mit Sach- und Namenverzeichnis und einer Inhaltsübersicht über das Gesamtwerk und Lux-Historischen Bildatlas mit 131 sechsfarbigen Karten 18,5 x 25,5 cm sowie 72 Seiten historische Bilder und Texte ergänzen das „Bild der Jahrhunderte". Preis des Werkes Rotleinenausgabe Registerband
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