Ulrich Hoffmann
Grönemeyer Biografie
Hoffmann und Campe
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Ulrich Hoffmann
Grönemeyer Biografie
Hoffmann und Campe
1.Auflage 2003 Copyright © 2003 by Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg ISBN 3-455-09414-7
Für Uwe Peters 1934 – 2002 Du fehlst
Ein Held ganz oben Herbert Grönemeyer auf dem Gipfel des Erfolgs - und wie er damit umgeht
Herbert Grönemeyer sagt, dass ihm die Lieder manchmal erst später erzählen, wie es ihm ging, wie es um ihn stand und was ihn beschäftigte, als er sie schrieb. Gerade die Lieder auf seinem bislang erfolgreichsten Album »Mensch« mittlerweile dem bestverkauften deutschprachigen Album überhaupt - lassen seine privatesten Gefühle Musik werden. Und doch sind sie gleichzeitig allgemein gültig und -verständlich, nicht auf das Einzelschicksal begrenzt. Vielleicht ist es das, was den Schnittpunkt zwischen Kunst und Kommerzialität ausmacht: präzise genug für das Individuum, zugleich breit und offen genug für alle Zuhörer. Jeder kann sich in diesen Liedern suchen, jeder kann sich in ihnen finden. Was dabei fast übersehen wurde, ist die Qualität von Musik und Produktion: »Mensch« ist die ambitionierteste, kraftvollste, internationalste und schlicht beste Produktion Grönemeyers bislang. Wahrgenommen wird er in Deutschland vor allem durch seine Texte. Doch sie sind nicht der Mittelpunkt des Werkes: Grönemeyer selbst könnte auch gut auf sie verzichten, ihm genügen die Songs als solche. Entsprechend entstehen seine Stücke: Erst komponiert er die Musik, dann spielt er sie mit der Band vollständig ein (wobei er englische Unsinnstexte singt), und ganz am Schluss - unter Abgabedruck - schreibt er mehrere Texte pro Song, entscheidet sich schließlich für einen. Um zu verstehen, welche Einflüsse aus Kindheit und Jugend sich heute noch in Grönemeyers Werk und Arbeitsweise abzeichnen, welche Grundsätze sein Handeln und Auftreten
durchgängig bestimmen, muss man sich einige Meilensteine seiner Karriere vergegenwärtigen. Herbert Grönemeyer spielte in der Schulzeit leidenschaftlich Fußball, sang aber auch im Chor - nicht nur in seiner Schule, sondern als »Leihstimme« auch im Chor einer benachbarten Mädchenschule. Das hohe Leistungsniveau hielt an, nach dem Abitur begann er ein Doppelstudium (Jura, »damit mich im Leben niemand übers Ohr hauen kann«, und Musik) und wurde parallel musikalischer Leiter am Schauspielhaus Bochum, wo er zudem noch auf der Bühne stand. Die ersten deutschsprachigen Alben floppten, aber »Gröni« biss sich durch: 1983 landete er seinen ersten Airplay-Hit, 1984 folgte mit »Männer« der endgültige Durchbruch. In den folgenden Jahren erfand er sich - vor allem mit den Alben »Chaos« und »Bleibt alles anders« - immer wieder neu, erweiterte die Grenzen deutschsprachiger Rockmusik (ein Wunsch, der sich bereits auf den ersten Alben andeutete). Wie kaum ein anderer deutscher Star hielt er sein Privatleben aus den Schlagzeilen heraus, und selbst als seine Frau Anna starb, reagierte die Presse überraschend respekt- und rücksichtsvoll. Deutschland fühlte mit, Grönemeyer zog sich mit seinen Kindern zurück nach London - und erschuf sein vorläufiges Meisterwerk, »Mensch«. Doch viele wichtige Ingredienzen, aus denen dieses Album und diese Karriere bestehen, finden sich bereits in den frühen Jahren des Künstlers. Musikalische und textliche Motive datieren teilweise aus den frühen Jahren und reichen bis hinein in die »Mensch«-Tournee. Dass »Mensch« ein solcher Erfolg werden würde, hat wohl niemand erwartet, auch nicht Grönemeyer: »Leute, ich glaube, ich habe eine gute Platte gemacht. Ob die sich verkauft, weiß ich nicht«, sagte er, als er bei seiner Plattenfirma Capitol (vorher Emi Electrola) das neue Werk vorspielte. Der Erfolg überwältigte ihn. »Ich bin einiges gewohnt, hab schon einiges miterlebt, auch in der Erfolgsbeziehung, aber es ist sicher eine Dimension, die man erst mal sacken lassen und in Relation setzen muss«, erklärte er mittlerweile.
Für Grönemeyer zeichneten sich die Jahre 2002/2003 nicht nur durch berufliche, sondern auch durch private Erfolge aus: »Ich denke, ich bin wieder auf dem Weg nach vorne. Ich habe stark im Moment gehangen und mich sehr stark auch nach hinten bewegt. Ich denke, dass ich jetzt wieder nach vorne gucke. Ich bin zuversichtlich, und alles riecht wieder besser und schmeckt wieder besser, wobei ich akzeptiere, dass es eine Farbe gibt, die immer dableiben wird, die ich versuche immer mitzunehmen und bei mir zu behalten. Die Farbe hat keine Farbe, das ist keine Farbe, die kann man auch nicht beschreiben. Das ist einfach eine neue Farbe, die ich bis dahin nicht kannte, aber die auf der anderen Seite auch etwas Beruhigendes hat. Es ist ja ein Mensch, der nach wie vor bei mir ist, aber weil er in dem Sinne nicht mehr da ist, hat es auch etwas sehr, sehr Bleiernes. Es ist eine bleierne Farbe.« Grönemeyers Naturell bricht durch, er sieht die Welt nach dem Tod seiner Frau wieder positiv(er), das Glas ist - wie meist in seinem Leben - halb voll und nicht halb leer. Einen ähnlichen Gedanken formuliert er selbst in dem Liebeslied »Der Weg«: »Ich bin viel zu träge / um aufzugeben / es wäre auch zu früh / weil immer was geht (...) Ich gehe nicht weg / hab meine Frist verlängert / neue Zeitreise / unbekannte Welt«.
Der lange Weg
Die Grundsteine des Mythos' Grönemeyer Geboren wurde Herbert Grönemeyer am 12. April 1956, einem Donnerstag, in Göttingen. Er ist mittlerweile 180 Zentimeter groß und wiegt »80 bis 86 Kilo, wenn's gut geht, leider mehr«. Als Hobbys gibt er an: Duschen, Föhnen, Freunde treffen. Besondere Kennzeichen: »Grübchen am Kinn und ziemlich laute Stimme«. Also ein scheinbar unspektakulärer, ganz normaler Mann. Ein Herbert eben; und »so heißt kein Star«, fand zumindest der »stern« zu Beginn von Grönemeyers Karriere. »Herbert. Das klingt nach Kumpel und Currywurst, nach Opel Rekord und Blumenvase am Armaturenbrett. Der Name ist aufregend wie Selterswasser. Er passt zu Menschen, die man sofort beim Vornamen nennt«, maulten die Kritiker. Aber: »Grönemeyer ist so einer.« Und als er dann »im >Holiday Inn< in Kassel ankommt, liegt ein Brief in seinem Zimmer: >Wir sind drei Mädchen und arbeiten hier in der Waschküche. Besuch uns doch mal.< Und Grönemeyer geht in den Keller. Das ist das Phänomen. Herbert. So heißt ein Star.« Ja, so heißt ein Star eben doch und gegen alle Widrigkeiten. Grönemeyer ist ein Herbert zum Anfassen und zugleich einer zum Aufschauen, der übergroße Normalbürger. Auch eine »stern«-Leserin sah das so: »>Herbert, so heißt kein Star.< Ich meine, dass der Name sehr wohl zu ihm passt. Herbert ist ein alter germanischer Name und bedeutet >Der im Heer GlänzendeNun spiel mal, das kannste vielleicht auch noch ... < Weil ich nie Schauspieler werden wollte, hatte ich dazu ein ganz eigenartiges Verhältnis. Das fanden die besonders interessant. Ich hatte das Glück, in Bochum in den
Siebzigern an ein Theater zu kommen, das fröhlich war, frech, provokant, spannend, unterhaltsam. Da habe ich so vor mich hingespielt, habe Rollen total daneben gehauen, hatte auch die Chance, mich gründlich zu blamieren. Sehr lange habe ich die Schauspielerei von dieser Spaßseite aus betrachtet. Inzwischen nehme ich das natürlich ernster. Ich beschäftige mich mit den Rollen, baue den Charakter auf und so weiter. Aber selbst Profis haben mich immer davor gewarnt, nachträglich eine Ausbildung zu machen. Das verformt nur. Da wird nur Talent strukturiert. Ich habe schwerste Vorbehalte gegen Ausbildung in puncto Kunst. Natürlich fängt man, wenn man vor der Kamera steht, irgendwann an, sich mit dem Beruf zu beschäftigen. Dennoch fühle ich mich eigentlich in der Musik zu Hause.« Das ist auch gut so, denn Grönemeyer konnte damals »so toll spielen, dass sich die Leute in den ersten Reihen wegdrehten. Speziell in den ernsten Passagen. Die Kritik schrieb dann: >Er spielte diese Rolle wie ein echter Frohsinnsbolzen. Die ernsten Stellen blieb er uns schuldig.< Das Dramatische gelang mir gar nicht.« Wenn man sich heutzutage »Das Boot« anschaut, jenen doch eher dramatischen als frohsinnigen Film, mit dem Grönemeyer 1981 seinen größten Kinoerfolg feierte, bestätigt sich diese Wahrnehmung: Drama sieht bei ihm zwar sehr dramatisch aus - sorgt aber nicht unbedingt für besorgte Schweißausbrüche beim Zuschauer. Zeitgleich mit der Arbeit am Bochumer Schauspielhaus und den ersten Filmarbeiten trat Herbert auch noch in Bochumer Kneipen auf, spielte dort am Klavier »englische Songs, soulig, rhythm'n'bluesig, nicht den glatten Popsong«, so Bernd Kowalzik, Geschäftsführer des Bochumer Musikverlages Roof Music. Grönemeyer spielte gezielt »eckige, zickige Nummern«, wie sie eben gut zu seiner Stimme passten. Lieder von Jimi Hendrix, Joe Cocker, Donovan, denn »wenn man nicht richtig verstand, was man eigentlich sang, fiel es einem leichter zu singen«, so Grönemeyer später. Hinzu kam, dass er anfangs auch praktisch kein Englisch konnte: Er habe »Songs von Taste, John McLaughlin und den Doors
gespielt. Ich sprach kaum Englisch und lernte die Texte von den Platten runter.« Und als wäre all das noch nicht genug, begann Herbert Grönemeyer quasi nebenbei noch ein Doppelstudium in Musikwissenschaft und Jura. »Ich war 23 Semester eingeschrieben und habe ungefähr sechs Semester studiert«, sagt er heute. »Ich hab ja immer gerne Recht«, aber »Jura hat mit Recht kriegen und Recht haben nicht viel zu tun. Ich wusste nicht, was ich werden sollte, aber meine Eltern wussten auch nicht, was ich werden sollte«, also drängten sie ihn nicht. Immerhin sang er, spielte am Theater - und hatte Kontakt zu einem Münchner Musikverlag aufgenommen: »Ich hatte mit achtzehn einen Vertrag in München, da wurde ich rumgereicht als >die Röhre aus dem KohlenpottEs passiert nichts ohne meine Zustimmung.< Ich hatte sechs Jahre den Vertrag, aber es hat nie jemand eine Platte gemacht.« Unklar ist nach all den Jahren, mit wem Grönemeyer damals eigentlich einen Vertrag hatte. Er selbst erinnert sich an eine Zusammenarbeit mit Giorgio Moroder (schrieb unter anderem »Take My Breath Away« für den Film »Top Gun« und »Flashdance - What A Feeling« für den Film »Flashdance«), aber die beiden hätten sich »nur gestritten«. Moroder hingegen sagt, er habe »nie mit Grönemeyer gearbeitet«. Manchmal heißt es auch, Grönemeyer habe damals seinen ersten Vertrag mit dem Münchner Verlag von Schlagerproduzent Ralph Siegel (»Ein bisschen Frieden«) geschlossen; Siegel bestätigt: »Da war mal so was in der Art, aber das ist soo lang her, und ich kann mich wirklich nicht so genau daran erinnern ... hätte ihn gern unter Vertrag genommen.« Aber auch der Grand-Prix-Altmeister und der auffallend kritische Deutschrocker hätten wohl wenig Freude aneinander gehabt. »Ich machte alles auf einmal«, erinnert sich Grönemeyer. »Ich studierte, machte Musik und Theater. Was ich wirklich machen wollte, wusste ich nicht.« Er gibt
zu: »Ich hab mich mit all den Dingen auch ein bisschen verfranst.« Und doch ging Grönemeyer letztlich seinen Weg. 1977 bereits holte ihn sein Mentor Zadek auch vor die Kamera, gab ihm in seinem TVKrimi »Die Geisel« eine Rolle (immerhin neben Hannelore Hoger und 0. E. Hasse). Im Jahr zuvor hatte Zadek das Stück mit Grönemeyer in einer Hauptrolle bereits in Berlin an der Freien Volksbühne aufgeführt. Nach dem Theater verzog sich der rastlose Grönemeyer dann oft noch in einen FolkPub in der Leibnizstraße und spielte im dortigen Abendprogramm eine Viertelstunde Gitarre. Er erinnert sich: »Dafür gab es ein Käsebrot und irgendetwas zu trinken umsonst.« Für ihn war das ein Cooldown nach dem Theater, sonst wäre er vor lauter Adrenalin nie ins Bett gekommen. Zadek gab seinem Schützling auch den wertvollen Rat: »Wie du das morgen schaffen willst, weiß ich auch nicht. Du nuschelst. Du solltest vor der Vorstellung einen einstündigen Waldlauf machen, damit deine natürlichen Töne nicht erst am Ende der Vorstellung kommen. Und drittens solltest du auch ab und zu mal ins Publikum gucken.« Zadek und Grönemeyer spielten natürlich außerdem auch noch zusammen Fußball in der Bochumer SchauspielhausMannschaft, unter anderem gegen die Kicker vom Hamburger Thalia Theater (unter Leitung von Jürgen Flimm); Grönemeyer verblüffte als »rasant dribbelnden Stürmer«, so Flimm - die Bochumer verloren dann aber beim Elfmeterschießen. Am 15. September 1978 eröffnete Grönemeyer unter Ivan Nagel in einer Zadek-Inszenierung von Shakespeares »Wintermärchen« als Florizel, Sohn des Königs Polyxenes von Böhmen, die Spielzeit des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg (wo er zudem als musikalischer Leiter agierte). 1979 schließlich arbeitete er mehrere Monate unter Schauspieldirektor Claus Peymann am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart, ebenfalls als musikalischer Leiter (wenige Jahre
später begann dort auch Kult-Talker Harald Schmidt, ebenfalls bei Peymann, seine Karriere). Auch wenn Grönemeyer also im Nachhinein oft als erfolgreicher Schauspieler bezeichnet wird, der dann seinen Ruhm in eine musikalische Karriere umsetzte, so verhält es sich anders: Grönemeyer kam als Musiker ans Theater, wurde dort probeweise als Schauspieler eingesetzt, war nicht schlecht, landete mehr oder weniger zufällig einige Erfolge - und hörte sofort auf zu schauspielern, als der Traum von einer Karriere als Musiker wahr wurde. Grönemeyer war nicht nur multi-talentiert, er hatte auch richtig viel Ehrgeiz und Power: Neben Uni, TV, Theater und Kneipenauftritten sang er noch im Ocean Orchestra, mit dem er auch seine erste Platte veröffentlichte: 1979 und auf Englisch! »Ocean war ein Projekt von Dieter Flimm, Schlagzeuger und Architekt«, berichtet Markus Stockhausen, Komponist und Trompeter, Sohn des weltberühmten Komponisten Karlheinz Stockhausen und damals Mitglied des Ocean Orchestra. Dieter Flimm, 2002 verstorben, war der Bruder des Regisseurs Jürgen Flimm und arbeitete mit ihm zusammen unter anderem für das »Schauspiel« in Köln, wohin Jürgen Flimm Grönemeyer holte. »Mit Ocean verwirklichte sich Dieter Flimm einen persönlichen Traum«, fährt Stockhausen fort. »Wir spielten FusionNummern, Rock-Jazz und Soul. Die anderen Musiker haben immer gesagt, Herbie singe wie David Clayton-Thomas von Blood, Sweat and Tears. Ich habe ihn erlebt als einen total engagierten Musiker, der sich bei unseren Auftritten unheimlich freuen konnte. Seine Stimme, die ja eigentlich unkultiviert war, hat er rausgepresst und sehr stark seine Emotionen gesungen. Durch seine enorme Präsenz hatte er die Leute sofort auf seiner Seite.« Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Auch Grönemeyer gibt zu: »Zehn Mann, Bläsersatz, da musste man richtig dagegenhalten können.« Aber auch heute noch gelte: »Ich präsentiere ja
nicht, dass ich singen kann, wichtig ist, dass man etwas transportiert, Farbe oder Emotionen.« Stockhausen erinnert sich an die Auftritte mit dem Ocean Orchestra: »Es ging manchmal richtig gut los, das hat Spaß gemacht, und es hat ihn wohl auch auf den Geschmack gebracht, später seine eigenen Projekte zu verfolgen. Wir haben nicht viel geprobt, es war immer chaotisch von der Organisation her, manchmal haben wir erst direkt vor dem Konzert geprobt. Wir sind zum Beispiel in der >Jazzgalerie< in Bonn aufgetreten, in Köln im >Campi< oder auch im >Subwayfor fun< war. Er war ein positiver, ehrlicher und umgänglicher Mensch, ganz sicher.« Der bei allem Ehrgeiz unheimlich viel Spaß hatte: »Er war fröhlich und impulsiv, sprang auf der Bühne herum mit seinem Mikrofon, er war ein äußerst lebendiger und sprudelnder Mensch. Eigenartig in seiner ganzen Erscheinung. Seine stimmliche Qualität war nicht
ausschlaggebend, sondern seine Intensität, er hat sich mit seinem ganzen Körper total hineingegeben. Er konnte sich vollkommen in der Musik ... nicht verlieren, sondern finden. Sich ganz darin ausdrücken. Später bin ich ihm ein paarmal bei der Emi begegnet, da war er sich seines Erfolges schon sehr bewusst, aber noch ganz locker. Die Zielstrebigkeit, mit der er seinen Weg gegangen ist, war ihm eigen. Da konnte man nur staunend daneben stehen.« 1978 nahm Grönemeyer erste deutschsprachige Demos auf, die bei Plattenfirmen angeboten (und regelmäßig abgelehnt) wurden. 1979 erschien das in Köln und Essen eingespielte selbst betitelte Album des Ocean Orchestra. Die Platte ist heute nicht mehr erhältlich, wird nur noch dann und wann auf Ebay angeboten (dann aber gleich für vierhundert Euro). Es erklingen darauf insgesamt elf Jazzrock/Fusion-Stücke, die allesamt leicht verhalten wirken und gut als Soundtrackmusik funktionieren. Fünf Tracks sind Instrumentals, die Übrigen singt Grönemeyer, allerdings klingt er deutlich ruhiger als später - noch fehlt ihm (zumindest bei der Studioaufnahme) die aggressive Mikropower. Mit etlichen Ocean-Orchestra-Musikern arbeitete Grönemeyer später bei seinen Soloprojekten zusammen: Markus Stockhausen spielte Trompete auf dem Album »Zwo« und Piccolo-Trompete auf »Vergiss es, lass es« (auf »Total egal«); Reiner Wiberny und Uwe Haselhorst spielten Saxophon auf dem Album »Zwo«, Helmut Kandlberger zupfte den Bass in »Ich bin ein Spieler« (auf »Grönemeyer«). Auf dem Cover der Ocean-Orchestra-LP war blauer Himmel mit weißen Wölkchen, die Sonne stellte ein orange gestreifter Sticker dar, auf dem stand: »Mit der Originalmusik und dem Titelsong >Don't Begin< aus dem Fernsehfilm >Uns reicht das nichtAm interessantesten an ihm waren seine fleischigen Oberarme.Was habe ich mir da für einen eingefangen.< Ich habe immer gesagt: >Immer mit der Ruhe, ich komme schon.RadikalverliebenO Gott, mit dem Menschen soll ich jetzt ein Liebespaar spielen?Du musst so Lieder schreiben wie Milva, du sollst unsere männliche Milva werden.Dach< machen wollten. Ich war zuständig für den Vertrieb. Dann gab es auch ein Autorenpaar (Komponist/Arrangeur und Texter) Horst-Herbert Krause und Jürgen Triebel -, die Herbert natürlich auch kannten. Sie fragten ihn, ob er ihre Songs singen wollte. Für das erste Album gab es einen wunderschönen Coverentwurf, der aber von der Intercord abgelehnt wurde, weil bei einem >unbekannten Künstler
Foto und Name auf dem Cover nicht groß genug sein konntenWir werden diesen Kreis nicht schließenSpring ins wilde Leben< nimmt kein Ende, das ist fast fünf Minuten lang, läuft aber auch heute noch ab und zu im Radio. Und >Mein Konzert< ist auch ein ganz schöner Song. Ganz peinlich ist die erste LP nicht!« Die ersten gemeinsamen Songs hießen »Pompeji« und »Ich bin ein Spieler«. Horst-Herbert Krause hatte einen direkten Künstlervertrag mit Grönemeyer und finanzierte die DemoAufnahme dieses Titels, um ihn dann bei Plattenfirmen anzubieten: »Produziert wurde vom 8. bis 14. 2. 1978. Das habe ich finanziert - meine Mutter hat mir das Geld geliehen. Das war für die damalige Zeit auch richtig teuer, die Produktion hat netto 12 500 Mark gekostet. Heute würde ich das nicht mehr wagen!« Eigentlich sollte ihm Komponist Jürgen Triebel als Produzent zur Seite stehen, doch der hatte, so Krause, »unglücklicherweise kurz vor der Produktion von >Pompeji< und >Ich bin ein Spieler< einen Unfall. Er inhalierte Lindenblüten aus einer dampfenden Schüssel, Handtuch drüber, und dann riss er den Kopf nach oben,
weil es klingelte. Mit den Verbrennungen lag er mehrere Wochen im Krankenhaus. Deshalb kam Ingfried Hoffmann als Produzent dazu.« Ein Jahr dauerte es dann noch, für Grönemeyer einen Plattenvertrag an Land zu ziehen. Krause: »Vor der Intercord haben alle anderen abgelehnt, was sicher nicht an Herbert, sondern eher an dem Titel lag.« Die Zusammenarbeit mit Grönemeyer lief in dieser frühen Phase jedenfalls problemlos: »Die Ursprungsidee war, einen Song wie >Music< von John Miles zu schreiben«, erklärt Horst-Herbert Krause. »Das Stück finde ich wahnsinnig toll. Ein Wahnsinnswerk mit einem riesigen Orchester. So was wollte ich auch mal machen. Wie ich auf >Pompeji< gekommen bin, weiß ich nicht mehr. Und das mit Herbert ergab sich einfach, ich kannte ihn über das Schauspielhaus, denn ich arbeitete dort als Regieassistent, während Herbert musikalischer Leiter war. Wir haben es einfach mal probiert. Vom Herbert waren wir ohnehin alle überzeugt, da gab es gar keine Frage.« Komponist Jürgen Triebel ergänzt: »>Pompeji< war eindeutig an >Music< von John Miles angelehnt. Wir dachten, durch die musikalische Größe machen wir auch den Sänger groß, was natürlich ein Irrtum war.« Entdeckt im klassischen Sinne habe Krause Grönemeyer nicht, findet er: »Ich bin der Erste, der ihn als Herbert Grönemeyer produziert hat. Entdecken musste man den nicht. Der hat sich selbst entdeckt. Früher oder später musste man über ihn stolpern. Hier in Bochum war er bekannt, und es fehlte nur noch jemand, der ihn irgendwohin bringt. Vielleicht habe ich ihm da ein kleines Stückchen geholfen, aber mehr nicht. Ich behaupte allerdings, dass die erste Produktion, die ich gemacht habe, von den Texten her ein bisschen näher dran an Herbert Grönemeyer ist als das, was danach kam, die zweite LP. Aber richtig angefangen hat es dann eigentlich erst mit Edo Zanki als Produzent, und der war auch genau der richtige Mann dafür.« Auch Jürgen Triebel erinnert sich gern an jene Zeit: »Horst Krause ist derjenige, der das finanzielle Risiko auf
sich nahm und große Schwierigkeiten hatte, ein Label zu finden für diesen Sänger. Die A&R-Manager lehnten Grönemeyer wegen seiner Stimme ab. Deshalb schrieben wir ein Machwerk-Opus namens >PompejiHerbert Grönemeyer ist ein musician's musician. Ein Sänger, der weiß, was er singt. Ein Sänger, bei dem alles stimmt: sein Äußeres, seine Jugend, sein Talent.< Es haben ihn dann alle abgelehnt, bis auf die Intercord. Wir wussten musikalisch noch nicht wirklich, wo wir hinwollten. Aber eigentlich wollten wir für die zweite Produktion das machen, was Herbert dann später auch gemacht hat, nämlich mit einer richtigen Band ins Studio gehen. Die Plattenfirma aber wollte die zweite LP von Otto Draeger produzieren lassen. Der hat dann gleich noch den Arrangeur von Milva dazugeholt. Dabei ist natürlich etwas ganz anderes herausgekommen. Und ich glaube, ohne den Draeger wäre Herbert schneller da gelandet, wo er letztlich landete.« Auch Komponist Jürgen Triebel war in der ersten Zeit happy, denn Grönemeyer sang nach seinem Geschmack:
»Es ist leicht, für Grönemeyer einen Song zu schreiben, weil er über alle Facetten verfügt. Er hat eine enorme Bandbreite. Er ist ja, wenn man so will, ein Rocker, und da hab ich ihm auch immer sehr anstrengende Sachen geschrieben, die bis an die Grenze gingen. Da krähte er manchmal ein bisschen, aber mir kam das musikalisch sehr nahe. Weil ich selber in dieser Zeit ein Rocker war, kam ich mit seiner Art zu singen sofort klar. Er konnte spielend nachempfinden, wie ich mir etwas gedacht hatte. Mit seiner Stimme habe ich nie Schwierigkeiten gehabt, ich mochte sie ja auch. Es war nur so furchtbar schwer, sie zu verkaufen! Er klang nicht immer gleich, er hat diese enorme Musikalität, mit der man spielen konnte. Er ist so begabt, dass wir ihn einfach singen lassen konnten, wie er wollte. Wir trafen uns dann später irgendwann wieder, und er sagte: >Ich möchte gern die ,Curry-wurst` singen.< Das ist ein Lied nach meinem Geschmack! Ich hatte das Demo in den späten Siebzigern mit Diether Krebs zusammen gemacht, Diether hatte den Text geschrieben. Wir hatten ziemlich angeheitert im Studio gesessen und diese >Currywurst< erfunden. Und das wurde dann ein großer erster Achtungserfolg für Herbie.« Als »Currywurst«-Texter ist auf Grönemeyers drittem Album »Total egal« neben Krebs auch Horst-Herbert Krause genannt, der aber mit der fertigen Nummer gar nichts mehr zu tun hatte: »Der Text ist von Diether Krebs. Ich hatte vorher einen anderen Text für diese Melodie geschrieben. Um Probleme zu vermeiden, haben wir gesagt, wir teilen uns das Stück einfach. Deshalb stehen da beide Namen.« Schon auf der ersten LP »Grönemeyer« stammten etliche Titel - »Guten Morgen« (Text), »Verflucht - es tut mir weh« (CoKomponist), »Ich bin ein Spieler« (Musik), »Mein Konzert« (Co-Komponist) - aus der Feder Herbert Grönemeyers. »Ja, es waren schon Stücke von ihm dabei«, bestätigt auch Horst-Herbert Krause. »Es war auch immer so gedacht, und das steht auch in dem ersten Vertrag drin: Von zwölf Titeln sollte sechs er machen, und sechs sollten wir zusammen schreiben. >Bei anfallender
LP-Produktion hat der Künstler für sechs Titel die freie Wahl. Die restlichen Titel wählt der Produzent.Spring ins wilde LebenPompeji< mal auf Englisch produziert, das ist ganz schrecklich.« Auch Grönemeyer dachte schon damals, es müsste »doch irgendwann mal möglich sein«, auf Deutsch zu singen »vielleicht unter anderem mir«. Das Songwriterteam habe Grönemeyer dabei aber »nichts aufoktroyiert«, betont Triebel. Auch die gesangliche Phrasierung, bis hin zu den heute noch typischen Kieksern und wilden Schreien, brachte Grönemeyer ein. »Wir haben nicht unbedingt versucht, das herauszukitzeln«, sagt Krause, »aber es war gewollt. Singen sollte er so, wie er wollte. Da haben wir keinen Einfluss genommen.« Bald jedoch trennten sich die Wege von Jürgen Triebel, Horst-Herbert Krause und Herbert Grönemeyer. Krause: »Die Intercord hat mich gefragt; sie hätten da jemanden, der würde den Herbert gern produzieren, und der hatte auch eine Fern- sehsendung dazu, was natürlich auch damals schon ganz wichtig war. Ob ich was dagegen
hätte? Wir hatten von der ersten Platte damals etwa 1400 Exemplare verkauft, das war ein Riesenflop. Da habe ich halt gesagt, wenn es jemand gibt, der es besser kann, soll er es machen. Und dann habe ich den größten Fehler meines Lebens begangen. Ich wollte eigentlich einen Overwrite haben: Wenn man aus einer Produktion aussteigt und jemand anders macht weiter, bekommt man trotzdem anteilige Zahlungen. Aber dann rief mich der A&R-Manager an und sagte, das könnten sie sich nicht leisten. Also verzichtete ich darauf, obwohl diese Overwrite-Rechte in meinem Vertrag mit der Intercord fest vereinbart waren. Ich tat dies freiwillig zugunsten einer weiteren Zusammenarbeit der Intercord mit Herbert. Ich habe es später mal ausgerechnet, das sind sicherlich 500000 Mark gewesen, die ich da verschenkt habe. Einen ähnlichen Fehler haben wir mit einem weiteren Künstler gemacht, der den englischen Text für >Pompeji< geschrieben hatte, Mick Jackson. Dessen Band hieß Jacko. Die haben einen unserer Titel aufgenommen, den eine Plattenfirma dann übernehmen wollte - allerdings nur als Song, nicht die Aufnahme. Wir bekämen dafür das Recht, einem ihrer deutschen Interpreten einen Titel zu schreiben. Wir erklärten uns einverstanden. Das Stück hieß >Blame It On The BoogieHelgaBochumBochum< hat's dann - warum auch immer funktioniert. Ich kann einen Künstler gut verstehen, der sich irgendwann seiner eigenen Qualitäten besinnt und anfängt, selber zu schreiben, nachdem er mehrere Versuche unternommen hat, mit fremden Titeln erfolgreich zu sein.« Die eigenen Titel verlegte Grönemeyer bald schon in seinem eigenen Verlag, »Grönland«. Das hat für einen Songschreiber gleich zwei Vorteile: Erstens muss er keine Abgaben an einen Fremdverlag abführen, sondern kassiert selbst. Und zweitens liegen beispielsweise Freigaberechte der Songs (für Werbung, Neuproduktionen) nicht etwa beim Autor, sondern eben beim Verlag - und so konnte Grönemeyer über den Großteil seiner Songs die Kontrolle behalten. Bei Roof Music erschienen nur die ersten GrönemeyerSongs, die Krause/Triebel für ihn schrieben. Doch das ärgert Kowalzik keineswegs, denn »letztendlich
partizipieren wir auch heute noch an seinem anhaltenden Erfolg, denn die ersten verlegten Titel verkaufen sich ja immer noch«. Die zweite Langrille »Zwo« war nicht wesentlich erfolgreicher als »Grönemeyer«. Da fragt man sich zumindest im Nachhinein natürlich: Warum nahm die Intercord diesen Herbert Grönemeyer eigentlich unter Vertrag? Herbert Kollisch, von 1978 bis 1997 Geschäftsführer der Plattenfirma: »Ein Produktmanager kam mit einem Tape zu mir, darauf war der Titel >PompejiDas BootZwo< habe ich die ersten Gehversuche gemacht im Texten«, doch war er damals »noch recht textlastig, inzwischen ist, glaube ich, die Musik stärker geworden. Die Texte sind ganz anders geworden. Die Musik war damals etwas bieder, würde ich heute sagen.« 1980 blieb auch »Zwo« erfolglos, später aber wurde die Ballade »Ich hab dich lieb«, einer der ersten von Grönemeyer selbst komponierten und getexteten Songs, zu einem Evergreen der Fans - speziell in Österreich. Dort riefen Konzertbesucher jahrelang: »Herbert, i hoab di liab!« Doch Grönemeyer ging es nicht so sehr um den Erfolg, sondern ums Gefühl. Da er als Schauspieler gut besetzt wurde, konnte er es sich leisten, die Musik als Hobby zu betreiben, auch wenn er in frühen Jahren teilweise nur tausend Mark im Monat verdiente. So gab er beispielsweise auch vor fast leeren Hallen Konzerte - und hatte auch noch Spaß dabei: »Das erste Konzert ist ausgefallen, da war nur eine Karte verkauft, das war in Münster. In Kiel auch, da war auch nur eine verkauft. Und dann haben wir gespielt in München, in der Alabamahalle, da waren, glaube ich, fünf Karten verkauft, da hat der Veranstalter gesagt, wir machen das ein bisschen voller, wir stellen ein paar Bänke rein, dann sieht das nicht so leer aus. Da gehen über tausend Leute rein. Es waren zwölf oder dreizehn Leute da, wir haben vier Zugaben gegeben, das war ein schöner Abend.« Nach »Grönemeyer« und »Zwo« war nun die Zeit gekommen für einen Schritt nach vorn. Die beiden folgenden Alben »Total egal« und »Gemischte Gefühle« produzierte der Vater des deutschen Soul, Edo Zanki. Zudem formierte Grönemeyer in dieser Zeit (1981 bis 1984) seine Band und fand musikalisch und textlich seinen Stil. Zanki: »Wenn man wissen möchte, was in den zweieinhalb Jahren passierte, als ich Grönemeyer produzierte, muss man sich nur die beiden GrönemeyerPlatten davor anhören, dann weiß man das. Die Analyse ist richtig, durch die Arbeit mit mir und meiner damaligen
Band - von der ich Herbert auch erst überzeugen musste, aber klug und weitsichtig, wie er ist, hat er das schnell geschnallt - hat er selbst seine spezielle Sprache entwickelt, seinen speziellen Blick. Mit diesem Aspekt haben wir möglicherweise sehr wenig zu tun gehabt. Das war eine persönliche Entwicklung von Herbert, der sich genauer darauf eingeschossen hat, was seine Themen sind und wie er sie behandelt. Aber musikalisch haben wir in dieser Zeit den Künstler Grönemeyer miterfunden und mitgeprägt. Er kam aus der Theatermusik und hatte immer schon ein bestimmtes Wesen an sich, aber er war stilistisch noch sehr unsicher. Die erste Platte, die wir miteinander gemacht haben, war noch ein wildes Sammelsurium, das reichte von der >CurrywurstGemischte Gefühle< war der Vorläufer jeder weiteren Platte. Das ist die eine Seite. Die andere ist: Das Publikum muss bereit sein, einen Künstler zu akzeptieren. Gerade wenn jemand ungewohnt klingt und neu definiert, was deutsche Liedermacherei bedeutet, wie Grönemeyer mit einer vollkommen ungewohnten Singweise - wo ich heute noch denke, die Hälfte davon ist eine schlechte Marotte, der Rest aber ist großartig -, dann braucht eine große Masse Menschen, die er später gefunden hat, eine Zeit, um ihn zu verstehen. So gesehen haben wir alles richtig gemacht. Schon die erste Platte, die wir gemeinsam gemacht haben, war substanziell etwas anderes als diese komischen bigbandigen SeltsamAlben, die er davor gemacht hat. Auch nach >Bochum< hat er ja noch ein paar schlechtere Alben gemacht, bevor er nun mit >Mensch< ganz auf der Höhe seines Könnens und der Höhe der Zeit die Leute auf dem richtigen Fuß erwischt.« Zanki machte Grönemeyer 1981 mit seiner eigenen Band bekannt: Norbert Hamm (Bass), Armin Rühl (Drums), Gaggy Mrozeck (Gitarre), Jakob Hansonis (Gitarre), Alfred Kritzer (Keyboards). Diese Gruppe übernahm Herbert Grönemeyer für sich - bis heute bildet
sie (bis auf Gaggy Mrozeck, der 1990 ausstieg) den Kern der Grönemeyer-Band. Edo Zanki erklärt, wie das kam: »Die Band und ich sind nach wie vor gute Freunde. Und mir passte das eigentlich ganz gut. Ich war als >Edo Zanki & Band< ein Performing Artist, sechzig bis achtzig Konzerte im Jahr haben wir gegeben. Jeden Einzelnen dieser Musiker hatte ich mit viel Zeit und Liebe zu dieser Band geführt. Und es erfüllt mich mit großem Stolz, dass jeder, der je in meinem Proberaum war, heute noch mit großem Erfolg Musik macht. Wir haben damals jeden Tag geprobt und waren sehr, sehr kreativ. Wir haben in manchen Jahren zwei Platten aufgenommen und achtzig Konzerte gespielt. Mir machen Konzerte zwar ungeheuer viel Freude, aber der kreative Prozess im Studio - der erste Moment, in dem ein Stück entsteht -, das interessierte mich viel, viel mehr, als die gleichen zwölf Stücke mit dieser unheimlich toll geölten kleinen Beatmaschine vorzutragen und aus dem Koffer zu leben, rumzureisen. Also habe ich mit meinem Bruder in unserem damaligen Proberaum ein Studio gegründet. So probte die Edo-Zanki-Band also in einem beginnenden Studio. Unter anderem habe ich in dieser Zeit Lou Lafayettes Wolfsmond produziert, was auch schön erfolgreich wurde. Und dann rief mich eines Tages der passende Intercord-A&R an, Charly Rothenburg, und sagte: >Wir haben hier so einen Schauspieler, der singt, mit dem haben wir schon zwei Platten gemacht, hör doch du dir das mal an. Ich hab mit dem gesprochen, ich glaub, der will mit dir arbeiten.< Also kamen Herbert und Rothenburg zu mir, wir redeten miteinander, und Herbert hinterließ mir jede Menge Bänder. Und auf diesen Bändern befand sich im Grunde alles, was Grönemeyer auch ausmacht: Das war so ein knödelnder Pianist, der irgendwelches Fantasie-Englisch sang.« Zanki weiter: »Ich war damals ein viel besserer Profi als er, denn ich konnte mit einer gewissen Faszination diese unglaublich tollen, mutigen Diletantennummern anhören. Obwohl er ja damals schon ein richtiger Komponist war. Aber ich konnte mich dieses Charmes nicht erwehren. Außerdem,
wenn die Intercord will, dass ich eine Platte für sie mache mit einem Menschen, der gerade >Das Boot< dreht warum nicht? Ich hatte meine Band und schlug vor, dass wir uns mit Herbert trafen. Bei der ersten Platte war Herbert noch gar nicht recht damit einverstanden, dass da jetzt die von mir empfohlene Band spielen sollte. Er befürchtete offenbar, dass seine Stücke unter die Räder kämen, wenn sich erst mal die Dynamik einer eingespielten Band entfaltete. Wir hatten auch ein paar Musiker dabei, die Herbert empfohlen hatte, und wir haben eine ganz gute Arbeit hinbekommen. In diese Zeit fiel auch die Loslösung zwischen der Band und mir. Ich wollte viel lieber mehr produzieren, die wollten ganz gern eine Band sein und weiterspielen, und sie hatten mit Recht das Gefühl, es wäre jammerschade, wenn so eine klasse Band sich zerstreut. Herberts Platte sollte präsentiert werden, da brauchte man natürlich eine Liveband, nach und nach bildete sich eine Freundschaft heraus, und dann folgte eine sehr intensive Zusammenarbeit bei unserem zweiten Album >Gemischte GefühleThe Rox< getourt, im Westen und in der DDR.« Grönemeyer und die Band näherten sich einander also langsam an. »Anfangs war das für uns ein ganz normaler Studiojob, wir haben ihn begleitet«, berichtet Mrozeck. »Seine Art Musik war für uns ungewohnt. Aber das waren ja zuerst nur drei oder vier Wochen im Studio und dann noch eine bescheidene Tournee. Das war unproblematisch, schon weil es zu dieser Zeit keine besonders enge Zusammenarbeit oder Bindung gab.« Letztlich gefiel der Mannschaftswechsel der nächtens aneinander vorbeiziehenden Boote auch Grönemeyer, obwohl er gerade mit einem anderen Boot eher unangenehme Erfahrungen gemacht hatte: Die Dreharbeiten zu Wolfgang Petersens »Das Boot« waren »schon am Rande des Erträglichen. Das wurde alles im Studio nachgestellt. Wenn das Boot unterging, mussten wir oben das Luk schließen, und über uns war eine Tonne mit tausend Litern Wasser, dann knallten einem tausend Liter Wasser auf den Kopf, und dann fiel man da durchs Loch, dann kam man unten an, und dann sagten die: Nö, das war noch nix. Dann ging man wieder hoch. Und wenn man das fünfzehnmal am Tag machte, hat man schon das Gefühl, man hat nicht mehr alle Tassen im Schrank.« Grönemeyer hatte in dem Film sogar eine Art »heimliche Hauptrolle« inne, wie Kameramann Jost Vacano erläutert: »In >Das Boot< wollte ich den Film mit den neugierigen Augen des Kriegsberichterstatters Herbert Grönemeyer zeigen.« Doch danach verkauften sich weder dessen Alben besser, noch wurden ihm sensationelle Hollywoodrollen angetragen - im Gegenteil: Nichts als den blonden NaziOffizier sahen die Amis in ihm und boten »eine ziemlich hohe sechsstellige Summe«. Doch Grönemeyer lehnte ab: »Nein zu sagen habe ich schon mit siebzehn gelernt, als man mich mit viel Geld ködern wollte, Schlager nach dem Motto >Einsamkeit soll deine Zukunft sein< oder so was in der Art zu singen.« Denn »Kohle kann das nicht ersetzen, um was man sich im Hirn beschissen hat. Ich
überlege mir bei jedem Angebot sehr genau, bevor ich zusage. Da muss alles stimmen: der Stoff, der Regisseur, die Besetzung. Außerdem muss ich meine Grenzen erkennen und darf nicht glauben: Ich kann alles.« Auch Jahre später noch war die Erinnerung an »Das Boot« getrübt: »Es ist für mich nicht ganz einfach, den Film noch einmal zu sehen, weil die verschiedenen Seelenzustände, die ich während der 140 Drehtage hatte, noch einmal hochkommen. Man sagt ja nicht von ungefähr, dass sich Schauspieler bei Filmen mit über hundert Drehtagen eigentlich nur noch erschießen können. Die Zeit beim >Boot< war mein bösestes und mein schönstes Jahr als Schauspieler.« Denn »die Arbeit war faszinierend, die Produktionsbedingungen dagegen unverschämt. Die haben uns behandelt wie den letzten Dreck. Von den Arbeitsund Vertragsbedingungen her einfach lieblos.« Hinzu kam: Auf den Plakaten wurden die Schauspieler nur winzig klein gedruckt, der Filmverleih pries als wahren Star nur das titelgebende U-Boot selbst an. Grönemeyer: »Was der Verleih gemacht hat, ist eine Riesensauerei und typisch dafür, wie in Deutschland mit Schauspielern umgegangen wird. In der Werbung stand: Der Hauptdarsteller ist das Boot, die Schauspieler sind alle unbekannt. Eine Unverschämtheit. Es haben Leute wie Jürgen Prochnow und Bundesfilmpreisträger Bernd Tauber mitgespielt, und auch alle anderen« - darunter Heinz Hoenig, Martin Semmelrogge, Uwe Ochsenknecht, Klaus Wennemann, Claude-Oliver Rudolph, Jan Fedder »haben mit Liebe und Disziplin gearbeitet. Das ist für mich ein Ei, was immer noch auf diesem Film lastet. Man hätte ja wenigstens sagen können, es sind die Besten, die wir bekommen konnten, und alle haben toll gearbeitet. Schauspieler müssen geliebt werden, um Selbstbewusstsein zu entwickeln«, klagte er. Mittlerweile haben übrigens zahlreiche »Boot«-Stars ebenfalls Platten aufgenommen, allerdings keiner so erfolgreich wie Grönemeyer: Heinz Hoenig besang 2001 die »Familienbande«, Jan Fedder spielte mit seiner Band Big Balls 1998 »Aus Bock«, Uwe Ochsenknecht kann gar
auf eine echte Musikerkarriere zurückblicken, 2001 versuchte er sich als »Singer«, zuvor auch schon auf Deutsch im »O-Ton«, und bereits in den Neunzigern sang er einige englischsprachige Platten ein. In Edo Zankis Karlsdorfer »Kangaroo«-Studio - damals noch in einer ehemaligen Zigarrenfabrik untergebracht, heute direkt gegenüber in einem Ex-Kino gelegen - trafen nun also zwei echte Künstler aufeinander. Zanki brachte den deutschen Soul mit - und Grönemeyer? »Der hatte einen Song, der fing an mit: >Ich leg mein Gefühl, hou-hou-hou, lieber in den KühlschrankZusammen mit dir können die Tomaten ruhig fliegen, können mir die Völker zu Füßen liegen, zusammen mit dir ist mir alles total egalTotal egal< kam von einem Herbert Grönemeyer, der die Möglichkeiten einer Band noch nicht kannte. >Gemischte Gefühle< machte er schon mit der Erfahrung des vorherigen Albums.« Auch damals schon ging es natürlich um die Frage: Kann dieser Herbert Grönemeyer denn nun eigentlich singen -
oder nicht? Zanki ist sicher: »Er ist ein hochmusikalischer Mensch mit ungeheuren Marotten. Und diese Marotten sind eben stilbildend. Alles richtig machen kann nämlich auch komplett falsch sein. Im Fall Herbert Grönemeyer kann man einen Großteil dessen, was so unverwechselbar Grönemeyer ist, als technischen Mangel auslegen. Aber gerade das macht ihn zu hundert Prozent aus. In Grönemeyers Fall ist auch die teutonische Steifheit eine wichtige Zutat. Dadurch macht er vielleicht Menschen, die selbst ein bisschen steif sind, Musik erst begreifbar. Dieser Mann ist mit Schubert und Brahms und Schumann aufgewachsen, mit Ruhrpottliedern und seinem Fußballverein, und das alles ist der Filter, durch den seine Musik durch muss. Er ist ein großer Musiker und mag in den einzelnen Disziplinen nicht zur Weltspitze gehören, aber das ist auch egal. Es gibt diesen speziell deutschen Kontrollzwang, dass man alles sofort in allen Aspekten und in Gänze verstanden haben muss. Das widerspricht allem, worum es in Kunst geht: Dass man intuitiv etwas erspürt, dass man glaubt, etwas verstanden zu haben, was man nach dem zehnten Hören anders auslegt, darin besteht die besondere Faszination von Kunst und Musik. Das Gesamtphänomen ist so stark und besonders!« Speziell bei der Ballade »Vergiss es, lass es« (ursprünglich der Opener »Don't Begin« auf dem Ocean-Orchestra-Album) nuschelt Grönemeyer stark, aber Zanki erklärt: »Ich habe mich auf seine besondere Art eingelassen. Ich habe das nicht als Fehler gesehen. Manchmal habe ich gesagt, er könnte doch bei einem Liebeslied nicht einfach rumbellen und die Texte rufen zur Musik. Das verstand er überhaupt nicht. Er empfand das als superzart. >AnnaTotal egalIch küsse heiß den warmen Sitz, dort wo du breit gesessen bist.Blood, Sweat and TearsCurrywurstDas Boot< landen würde. Das ist schon beachtlich. Beim Dreh zum >Boot< gab es Momente, wo die Produktion nicht mehr abgesichert war, wo die Leute nicht mehr ordentlich versichert waren, und da ist Herbert aufgestanden und hat gesagt: >Das geht so nicht, so drehe ich keine einzige Klappe mehr.< Auch wenn die Ampeln auf Rot stehen, hört Herbert nicht auf, ist nicht beeindruckt. Es ist schwer, Herbert zu beeindrucken. Er ist wirklich ein guter Typ in dem Sinne, dass er bedingungslos ist. Er zieht nicht den Schwanz ein, es sei denn, er hält die Gegenposition für klüger oder interessanter. Ansonsten setzt er sich durch.« Das schließt Raketes Meinung nach auch die schlagerhaften ersten Alben ein: »Anfangs steht man einer Maschine gegenüber, die einem gnadenlos kommuniziert, was sie will. Und viele von den Sachen, die man gesagt bekommt,
sind ja auch gut. Aber man muss sie richtig für sich ordnen. Man darf sich dabei nicht verleugnen. Ich finde nicht falsch, wenn man sich Risiken aussetzt und Dinge probiert. Aber ich finde ganz falsch, Dinge zu machen, die nicht in Übereinkunft mit den kritischen inneren Mitarbeitern stehen. Herbert hatte dafür immer ein Gefühl.« Doch trotz aller Mühen war »Total egal« noch immer nicht mehr als ein Achtungserfolg, auch wenn die »Brigitte« damals schon fand: »Vom zarten Liebeslied bis zum harten Rock-Stück gelingt es >Herbie< überzeugend, Text und Musik zu verbinden.« War Zanki denn wenigstens von Anfang an klar gewesen, auf was für ein schwer verkäufliches Projekt er sich da eingelassen hatte? »Das ist keinesfalls so«, sagt der Producer. »Ich habe noch nie eine Platte gemacht, von der ich nicht geglaubt hätte, sie würde ein Erfolg. Und wo ich nicht alles dafür getan hätte. Ich würde auch gern einmal mit dieser seltsamen >Fama< aufräumen: Diese Platten waren sehr wohl Erfolge! Heute lacht vielleicht jemand über 80000 Platten, aber für dieses Segment von Musik war das gut. Inzwischen hat sich das Segment vergrößert. Aber Erfolg für Grönemeyer ist noch nicht mal diese große Zahl von Platten, die er verkauft. Für mich besteht der Erfolg darin, dass jemand zwanzig Jahre lebendig geblieben ist, ohne dass er sich dauernd verbogen hätte. Unsere beiden Platten haben inzwischen mindestens schon Gold, aber speziell >Gemischte Gefühle< war der Anheizer für die nächsten Sachen, war inhaltlich auch schon ganz ähnlich. Die Platte sollte eigentlich bereits >Bochum< heißen, aber das haben wir ihm alle ausgeredet, warum sollte die >Bochum< heißen, die hat doch gar nichts mit Bochum zu tun? Er sagte aber: >Da ist doch der Edgar Reitz jetzt fest, das ist doch ein Thema! Der Ruhrpott, das ist mein Thema, mein Vater da unten im Bergwerk, ich will etwas über den Ruhrpott machen.< Der Gedanke war absolut richtig, zu >Gemischte Gefühle< hätte er aber wahrscheinlich wirklich nicht gepasst, und so kam
Herberts richtiger Instinkt mit der Entwicklung des Publikums gut zusammen - bei der nächsten Platte.« Grönemeyer selbst findet nach wie vor »>Gemischte Gefühle< genau so gut wie den erfolgreicheren Nachfolger >BochumDie Tänzerin< zum Beispiel. Zur gleichen Zeit habe ich mit Grönemeyer >Gemischte Gefühle< aufgenommen. Ich fand, das darf eckig, das darf seltsam klingen. Ein Song wie >Etwas Warmes braucht der MenschDer hat die Attraktivität eines Verkehrsunfalls. Du musst einfach hinsehen, ob du willst oder nicht, weil's halt knallt.< So ungefähr war das. Herbert war eine faszinierende Person, ein faszinierendes Phänomen, an
dem ich eine Zeit lang habe mitbasteln dürfen. Ich bin der Überzeugung, dass der Herbert durch seine Art auch ein durchsetzungsfähiger Schauspieler geworden wäre, er wäre vielleicht auch ohne uns alle ein durchsetzungsfähiger und beliebter Musiker geworden, und mit seiner Ausstattung an Kraft, Kämpfertum und Talent wäre er vielleicht auch der Chef von Esso Deutschland geworden und hätte das supererfolgreich gemacht. Ich bin überzeugt, dass der Herbert ein Mensch ist, der alles, was er angepackt hätte, supererfolgreich gemacht hätte. Der wichtigste Grund für Herbert Grönemeyers Erfolg ist Herbert Grönemeyer. Ich glaube auch, dass er ein ungeheuer exhibitionistisch veranlagter Typ ist. Wobei ihm zugleich diese seltsame deutsche Innerlichkeit eigen ist. Und gleichzeitig ist er unheimlich zeigegeil. Er möchte gern geliebt werden. Das mag man ihm nicht vorwerfen, das möchten wir alle. Jeder möchte gern geliebt werden. Jeder möchte auch für irgendetwas gehalten werden. Das ist eine der treibenden Kräfte für Herbert Grönemeyer.« Wie schon der Vorgänger »Total egal« - und anders als das kommende Album »Bochum« - wurde »Gemischte Gefühle« zügig aufgenommen: Zwei bis drei Wochen Studiozeit reichten, »man brauchte ja auch nur vierzig Minuten Musik«, sagt Zanki. Eine Art Schocker war damals der Titel »Moccaaugen«, scheinbar eine Ballade, aber mit einem sehr gewagten Text: »Ich hasse ihn, den nächsten Fick (...) Du kommst herein und siehst mich pendeln / mit einem Strick um meinen Hals / jetzt ist es aus mit süßem Tändeln / ich liebe dich und all dem Schmalz«. Grönemeyer später: »>Moccaaugen< hat von mir noch niemand im Radio gespielt. Im Südwestfunk hat es mal einer gemacht, und immer, wenn's um Ficken geht, hat er reingeredet.« Grönemeyer »hat sexuell bestimmte Anspielungen gemacht, die sich vor ihm keiner getraut hat, auch Skurrilitäten«, erinnert sich Zanki. »Von Leuten, die sich erhängen, von Schwulen, von jemand, der den Stuhl küsst, auf dem sie vorher noch saß ... diese Art von Anspielungen ist in schauspielerischen Zirkeln durchaus
okay, aber er trug sie in die Rockmusik, die immer schon genauer wusste, was nicht erlaubt ist, als was erlaubt ist. Grönemeyer hat diese Grenze ein Stück weiter geschoben. >Ich hasse ihn, den nächsten FickKaufen< zu hören.« Und Grönemeyer stellte damals schon klar und kategorisch fest: »Meine Liebeslieder beziehen sich entweder auf Anna oder sind rein theoretischer Natur.« Und: »Ich habe, und davon zehre ich, zwar kein reges, aber doch ein gewisses Liebesleben hinter mir. Andererseits würde ich ein privates! Erlebtes nun den anderen nicht ungeschminkt mit dem Hintern ins Gesicht setzen.« Früh schon - Anfang zwanzig - entschied er sich für Anna Henkel und blieb ihr treu bis zu ihrem Tod. Er erklärte selbstbewusst: »Ich habe genug Frauen kennen gelernt.« Kommerzieller Erfolg war Grönemeyer nicht so wichtig wie künstlerischer Erfolg und kreative Freiheit. Edo Zanki und er trafen einmal Herbert Kollisch im Foyer der Intercord: »Er sagte, so toll sei das ja mit den
Plattenverkäufen nicht. Woraufhin Herbert sagte: Ich mache die Platten, die Plattenverkäufe macht ihr, und es ist an mir zu fragen, warum die Verkäufe nicht so gut sind. Und damit hat er völlig Recht.« Kollisch bestätigt: »Er war immer schon eine starke Persönlichkeit, aber nicht so rigoros wie später. Auch in den Verhandlungen war er relativ moderat. Divenhaftigkeit war in Ansätzen zu erkennen, aber noch nicht ausgeprägt.« Zanki erinnert sich noch an einen weiteren Vorfall, der zeigt, wie selbstbewusst - oder ganz einfach stur Grönemeyer schon damals war: »Der >Kölner Express< hatte eine Bühne aufgebaut, wo Grönemeyer am Klavier saß und spielte. Da drängelt sich ein Typ vor und ruft: >Hör auf, du schwule Sau!< Jeder andere hätte dem eine reingehauen oder wäre von der Bühne verschwunden. Aber Grönemeyer gibt das einen richtigen Schub, und deshalb spielte er noch zwei Songs!« Grönemeyer selbst sieht die Schuld für einen derartigen Misserfolg ohnehin nicht bei sich: »Ja, ich habe mal in Köln am Tanzbrunnen gesungen, da war ich noch nicht so bekannt, und da haben sie als Erstes gesagt: >Geh nach Hause, du schwule SauHeidi, Heidi, deine Welt sind die Berge< entstehen kann. Herbert aber war jemand, der dauernd um die Führung stritt, obwohl er sie hatte. Ich empfinde mich als einen Unterstützer eines Künstlers, ich lasse ihn keine Prüfung ablegen. Mich störte bei der Arbeit diese ständige, eigentümliche Härte. Alles musste seltsam erkämpft werden. Aber das macht ihn auch aus; er ist, wie er ist. Ich habe diese Arbeit gern gemacht und dabei unheimlich viel gelernt, auch in der Auseinandersetzung über Texte.« Und: »Ich habe selbst und aus gutem Grund aufgehört, mit Herbert Grönemeyer und der Band zu arbeiten. Ich gönne ihnen den Erfolg mit ganzem Herzen! Aber ich habe zu Herbert Grönemeyer ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits halte ich ihn für einen der stärksten Künstlerpersönlichkeiten. Nun könnte man annehmen, dass die Stärke der Künstlerpersönlichkeit in einem speziellen inneren Charisma läge. Herbert aber erkämpft alles. Herbert ist ein kämpferischer Mensch. Auch das Produzieren war mehr Fingerhakeln mit mir als Liebe. Manchmal geht man eine symbiotische
Verbindung mit einem Künstler ein, der eine wackelt mit dem Ohr, und der andere weiß, was er meint. Herbert musste sich an mir reiben. Der brauchte immer jemanden, an dem er sich reiben konnte. Mir ist das - selbst bei einem so großen Talent wie dem Herbert - unangenehm. Ich mag Leute nicht, die so zielstrebig ihr Ziel verfolgen, dass sie auch mal bereit sind, dafür jemanden über die Klinge springen zu lassen. Ich mag solche Aspekte in der Arbeit nicht. Trotzdem ist es ja einsichtig, dass Menschen, die über eine große Kraft - auch große künstlerische Kraft, große intellektuelle Kraft - verfügen, manchmal wie ein warmes Messer durch Butter schneiden. Das findet man gut, solange man das Messer ist, aber wenn man die Butter ist, findet man das nicht so gut. Herbert ist übrigens einer der Menschen, die am besten und am schnellsten lernen, die ich je in meinem ganzen Leben getroffen habe, er hat ganz, ganz viele ungeheure Talente. Einige davon sind mir unsympathisch, auch wenn sie die Erklärung für einen Teil seines Erfolges sind. Und weil das so ist, habe ich nach der Erfahrung der zweiten Platte nicht mehr mit ihm arbeiten wollen. Besonders auch nach der Erfahrung, dass ich diese Platte als Producer begonnen habe, dann aber am Ende eine Platte in Händen halte, auf der draufsteht, Herbert und ich hätten sie produziert. Das fand ich einen bösen Vertrauensbruch. Ich hab natürlich auch sofort die Plattenfirma angerufen, den Rothenburg, der sagte: >Ach, weißt du, mach dir nichts draus, also Herbert wollte sehr gern ... er hat erzählt, er hätte so einen großen Input gehabt, und du bekommst ja auch das ganze Geld ...BochumMensch< hingegen atmet Liebe. Und jetzt liebe ich Herbert Grönemeyer wieder einigermaßen vorbehaltlos.« Auf Nachfrage hat Herbert Grönemeyer zu seiner CoProduzentenrolle bei »Gemischte Gefühle« kein Statement abgegeben. Zeitgleich entschied sich auch Intercord-Geschäftsführer Herbert Kollisch, den Künstler zu »droppen«: »Fritz Rau veranstaltete, wenn ich mich recht erinnere, zum vierten Album eine Tournee. In München hatte Grönemeyer damals fünfzig zahlende Gäste; sie mussten die Halle mit Schulklassen auffüllen. Herberts Vertrag lief wenig später aus, und wir sprachen miteinander. Unsere Firma machte zu diesem Zeitpunkt etwa dreißig bis vierzig Millionen Mark Umsatz, und wir hatten mit ihm viel Geld verloren, sicher eine sechsstellige Summe. Ich war bereit, noch ein fünftes Album zu machen, aber nur ein Album fest, mit einer Option auf zwei weitere. Er bestand auf einen
Vertrag über drei Alben. Ich lehnte ab, also suchte er sich eine neue Plattenfirma. Und dann kam >Bochum< heraus...« Grönemeyer amüsiert sich darüber noch heute: »Meine erste Plattenfirma hat mich gekündigt ... ich soll aufhören zu singen, ich soll lieber studieren und vielleicht mal abends in einer Kneipe singen.« Kollisch gibt zu: Natürlich habe es ihn geärgert, als »Bochum« bei einer anderen Plattenfirma so einschlug. »Aber als wir miteinander sprachen, war noch keine Rede von >Männer< oder >Bochumwie bei GrönemeyerBochum< war gerade erschienen. Dann kam >MännerZeche< auch noch in der Ruhrlandhalle präsentiert, da gehen vier- bis fünftausend Leute rein.« Aber dreißig Gäste beim ersten Auftritt in einer Halle wie der »Zeche« sind natürlich schrecklich deprimierend, und »genau das wollte ich ihm ja ersparen«, sagt Kowalzik. »Andererseits muss da eben jeder Künstler mal durch. Er aber hatte großen Spaß. Er hat sich ja auch nicht als Rockstar verstanden. Er war Pianist und Theatermusiker, aber die Möglichkeit, in der damals sehr renommierten >Zeche< aufzutreten, mit amtlicher Band und mit amtlichem Equipment, das war für ihn die Erfüllung eines großen Traums.« Und Grönemeyer revanchierte sich dann bei der Geburtstagsparty der »Zeche«: »Als die >Zeche< fünfjährigen Geburtstag feierte, November 1986, wurde auch Herbert eingeladen. Als Ehrengast. Insgeheim hoffte man natürlich, ihn mit einer All-Star-Band gemeinsam auf die Bühne zu kriegen. Herbert kam, wollte eigentlich nur dem Laden gratulieren und vielleicht noch ein paar Musikerkollegen treffen. Zunehmend aber bedrängte man ihn, doch auf die Bühne zu gehen. Auch das Publikum begann nach ihm zu rufen: Her-bert, Her-bert! Er fühlte sich genötigt, überrumpelt und wollte wieder gehen. Draußen auf dem Weg zum Taxi komme ich ihm zufällig entgegen, kann ihn beruhigen und sogar überreden. Er entscheidet: >Ich gehe nur auf die Bühne, wenn du mitkommst und singst.< Ich hatte seit Jahren nicht mehr auf einer Bühne gestanden und gesungen! Um die Situation zu retten, erklärte ich mich einverstanden. Herbert hat sich ans E-Piano gesetzt, ich habe drei oder vier Nummern mit der Bochum-Allstar-Band gesungen und habe mich dann davongeschlichen. Herbert hat dann noch ein paar eigene Titel gespielt. Der Abend war gerettet.« Noch von den ersten Konzerten her erinnert sich Kowalzik, dass Grönemeyer seine Musik von Anfang an sehr ernst nahm: »Ernst im Sinne von perfektionistisch. Herbert hatte immer hohe Ansprüche an die Technik. Es gab endlos lange Soundchecks. Da hat er keinen Spaß verstanden.« Der Hamburger Konzertveranstalter Karsten
Jahnke ergänzt: »Er macht lange Soundchecks, aber keine endlosen. Reinhard Mey beispielsweise ist da ein Phänomen, der spielt das ganze Konzert beim Soundcheck, jeden Abend.« Zwischendurch übrigens hatte der fleißige Herbert Grönemeyer auch noch einen Film - immerhin auch schon seinen fünften - gedreht: »Frühlingssinfonie« (1983). Er spielte nach monatelangen Proben den Komponisten Robert Schumann und verliebte sich in eine wunderhübsche Clara Wieck (Nastassja Kinski). Grönemeyer: »Zuerst hab ich gedacht: Ach du große Scheiße, ausgerechnet die, doch so schlimm ist sie nicht. Neurotisch zwar, aber begabt.« Peter Schamoni drehte den Film in der damaligen DDR, und »die wichtigste Zeit, was mein Deutsch-Sein angeht«, berichtet Grönemeyer, »war 1983, da hab ich ein halbes Jahr im Osten gearbeitet, zwei Filme gedreht, >Frühlingssinfonie< und >Die ewigen GefühleGrüne RaupeIst ja schön, dass Sie sich für den Frieden engagieren wollen, aber wir sind schon genug.« Darüber ärgern sich Joschka Fischer und seine Riege wahrscheinlich heute noch.
In der Schublade Wie Herbert G. von der Deutschrockszene vereinnahmt wird - und wie er sich von ihr emanzipiert
1984 wendete sich das Blatt - und Grönemeyer legte eine beinahe beispiellose Reihe von Erfolgsalben vor: »4630 Bochum« (so der volle Titel der meist nur »Bochum« genannten LP), zwei Jahre später (1986) folgte »Sprünge«, 1988 erschienen »Ö« sowie Grönemeyers erste englischsprachige LP »What's All This«. 1990 kam die Wiedervereinigungsplatte »Luxus« heraus, der 1992 die (gleichnamige) englische Fassung folgte. Ein Jahr darauf erschien »Chaos«, 1994 präsentierte Grönemeyer das Techno-Remix-Album »Cosmic Chaos«. Im gleichen Jahr gab Grönemeyer als erster nicht-englischsprachiger Künstler in der »Unplugged«-Serie von MTV ein Konzert (nach ihm kamen »Die Fantastischen Vier« dran), das er 1995 auf der CD »Unplugged Herbert« dokumentierte. Parallel erschienen der Konzertmitschnitt »Grönemeyer Live« sowie die englische Version von »Chaos«. In gut zehn Jahren veröffentlichte Herbert Grönemeyer somit zwar nur fünf reguläre Studioalben, blieb aber stetig im Gespräch (und in den Hitparaden). Er lieferte einen Teil des Soundtracks zum Mauerfall, dem Zusammenbruch des Ostblocks, zur Wiedervereinigung. Und im Gegensatz zu vielen Kollegen kommentierte er diese Ereignisse sowohl in seinen Songs als auch in Interviews. Im Nachhinein erklären sich die »Lücken« zwischen den Veröffentlichungen - und vor allem die fünfjährige Pause zwischen »Chaos« und dem folgenden Studioalbum »Bleibt alles anders« - vielleicht nicht nur
durch Grönemeyers inneren Produktionsrhythmus oder anderweitige Aktivitäten wie die internationalen Alben, die zum Nettoverdienst nur unwesentlich beitragen, sondern auch dadurch, dass die Grönemeyers im Geheimen bereits acht Jahre vor Annas Krebstod 1998 von ihrer Krankheit wussten. Und selbst ein Workaholic wie Grönemeyer mag dann die Möglichkeit genutzt haben, sich Frau und Familie zu widmen und mit einem Remixoder Livealbum präsent zu bleiben, statt am laufenden Band kreative Schwerarbeit zu leisten. Herbert Grönemeyer hat eine ungewöhnliche Arbeitsweise. Er schreibt zuerst die Musik, nimmt diese dann mit seiner Band auf, und erst »wenn ich dann den Druck habe, Texte zu schreiben«, so Grönemeyer, »dann muss ich das auch machen. Ich mache aber immer die Platte komplett fertig, was die Musik angeht, und fange dann an zu texten.« So war es schon bei »Total egal« und »Gemischte Gefühle«, so blieb es - mit einer Ausnahme - bei »4630 Bochum«. Ex-Produzent Edo Zanki: »Wir alle haben schon damals versucht, uns das zu erklären. Es ist merkwürdig, dass jemand, der so vom Wort kommt wie Grönemeyer, eine ganze Platte voller Songs machen kann, denen er erst ganz am Ende eine wörtliche Bedeutung abgewinnt. Das ist ein wahnsinniges Phänomen. Ich könnte es mir so erklären, dass er anfangs in Englisch sang, weil das eine Sprache war, in der er sich selber nicht kontrollierte, und damit ist man auf einer freien assoziativen Ebene. Man singt irgendwelches Zeug. Das ist eine Kreativitätstechnik, die auch andere Leute anwenden. Und wenn man ein fast fertiges Musikstück dann zum hundertsten Mal mit diesen Schimmeltexten anhört, erinnert er sich an die Emotionen, die er beim Schreiben hatte. Oder irgendeine kleine Zeile bildet den Funken, an dem sich der zugehörige Text entzündet. Wenn nicht in diesem ganzen Kauderwelsch unter Umständen der Subtext schon da ist und nur von ihm in seinem Unterbewusstsein gefunden werden muss.« Grönemeyer
sieht das mittlerweile ähnlich, beschreibt die Arbeit an den Texten so: »Ich denke mir für jeden Song fünf verschiedene aus, oder zehn, die sind völlig unterschiedlich. Irgendwann merke ich: Der passt zu dem Grundgefühl, das die Musik schon hat.« Dabei wurden die NonsensTexte von Anfang an mit aufgezeichnet, denn, so Zanki, »der Gesang von Herbert Grönemeyer ist ein wichtiger Bestandteil des fertigen Songs, also muss man diesen Faktor zumindest als grobe Skizze immer vor Augen haben. Außerdem entstehen oft das Arrangement und das Tempo eines Songs aus seiner Interpretation.« Grönemeyer erklärt: »Die Stücke, die ich schreibe, singe ich ungefähr hundertmal oder zweihundertmal, ein ganzes Jahr lang. Dann geh ich ins Studio und sing meiner Band die Sachen vor. Bei einigen Liedern sind sie meiner Meinung, dass die gut sind, die anderen finden sie furchtbar. Die, die gut sind, fangen sie dann an zu bearbeiten, indem jeder das spielt, was ihm gerade einfällt. Wir kochen dann irgendwas zusammen, hören uns das selber noch mal an, verwerfen Ideen, fangen wieder von vorne an.« Erst danach mache er sich an die Texte, doch die »gehen mir nicht so leicht von der Hand wie die Musik. Umso mehr gebe ich mir Mühe, dass sie gut werden«, durchaus auch, damit er dann später selbst Spaß beim Singen habe. »Ich schreibe für viele Lieder ganz viele Texte, ganz viele verschiedene. Es gibt Lieder, für die hab ich acht verschiedene Texte geschrieben, bis man den Text hat, der gut auf die Musik passt. Ich schreibe dabei auch über ganz verschiedene Themen. Bis ich den Text habe, wo ich sage: Der passt«, betont Grönemeyer. Spätestens bei »Bochum« wunderte man sich über die ungewöhnliche, recht verbenarme Stummelsprache Grönemeyers. Der erklärt: »Der Text muss auch auf die Zeile passen. Die Worte müssen eckig und kantig sein, dass sie eine Emotion ausdrücken, ohne dass man inhaltlich verstehen muss, worum es eigentlich geht.« Wobei manche Hörer beim Nachlesen irritiert sind, dass der Text im Booklet und der gesungene Text nicht
hundertprozentig übereinstimmen. Der Grund: verändere ständig, bis zum letzten Tag, die Texte. irgendwann müssen wir das Cover drucken, und passiert es immer wieder, dass ich einzelne Worte noch ändere.«
»Ich Aber dann doch
Nun hatte Herbert Grönemeyer zu diesem Zeitpunkt zwar mit dem »Boot« einen Kinohit gelandet, war aber gerade von seiner Plattenfirma vor die Tür gesetzt worden. Andere würden sich verkriechen und selbstmitleidig Wunden lecken. Grönemeyer nicht: Er suchte sich eine neue Plattenfirma, die Emi (2002 umbenannt in Capitol), der er bis heute treu ist. Und dann schickte er sich an, die folgende Platte von Januar bis März 1984 auch noch selbst zu produzieren, statt sich einen neuen, gerade angesagten Soundmeister zu holen. Ergebnis: »4630 Bochum« (4360 war die damalige Postleitzahl von Bochum). Gaggy Mrozeck, von 1981 bis 1990 Gitarrist der Grönemeyer-Band: »Es kam künstlerisch alles zusammen bei >BochumGemischte Gefühle< und >Total egal< noch Entwicklungsgebiet war, nicht so kompakt. Vielleicht auch, weil alle mehr nachgedacht und mehr kooperiert haben. Wir haben die Aufnahmen gemeinsam vorbereitet, Herbert hat vor allem die Texte und die Themen noch genauer fokussiert. Auch seine Art zu texten, die gebrochenen Sätze zum Beispiel, war vorher als Stilelement noch nicht so deutlich.« Erstmals arbeiteten Grönemeyer und Band ohne externen Produzenten, verließen sich nur auf sich selbst. Mrozeck: »Das Album entstand mit einem zu diesem Zeitpunkt bereits erprobten, festen Band-Team, das ohne externen Produzenten bei der Entstehung der Aufnahmen mitgewirkt hat. Es war eine erfolgreiche Zusammenarbeit für alle Beteiligten.« Auch für »Bochum« spielte Grönemeyer in mittlerweile bewährter Manier erst alle Songs mit englischen Kauderwelschtexten ein, um ihnen anschließend deutsche Worte maßzuschneidern. »Es geht ja eher um die Melodie, den Fluss«, erklärt Mrozeck.
»Manchmal hat man die Hooks und kann die Kernatmosphäre umreißen, und ansonsten singt man einfach irgendetwas, das halt musikalisch gut klingt. Das Spezielle an dem, was entstand, ist, dass wir erst mal musikalisch gedacht haben und dass dann deutsche Texte auf eher angloamerikanisch gesungene Linien geschrieben wurden. Entscheidend war: Wie klingt es rhythmisch, atmosphärisch.« Außer »Alkohol« schrieb Grönemeyer für »Bochum« alle Songs selbst; Text und Musik zu »Alkohol« verfassten Bassist Norbert Hamm und Gitarrist Gaggy Mrozeck. Das Spektrum auf »Bochum« reicht von einigen schwachen Nummern wie »Fangfragen« oder »Erwischt« (nicht umsonst im hinteren Drittel versteckt) über Politsongs wie »Amerika« bis zu heiterem wie »Mambo« und den Hits »Bochum«, »Flugzeuge im Bauch« und vor allem »Männer«. Das Album lag auf Gedeih und Verderb nur in Grönemeyers Hand - und es gedieh. Obwohl sein Erfolg auch die neue Plattenfirma überraschte: Als er bei der Emi erstmals »Flugzeuge im Bauch« vorspielte, verstanden der Geschäftsführer und sein Marketingleiter den Text nicht. Grönemeyer gab - formal - nach, ging ins EmiStudio und kehrte nach einigen Stunden mit einer angeblich nachgemischten Version zurück. In Wahrheit hatte er nichts an dem Song verändert. Aber beim zweiten Durchhören nickten die Herren zufrieden, und dem Rest von »Bochum« stand nichts mehr im Wege. Diese kleine Geschichte illustriert nicht nur, dass es auch Musikprofis ging wie fast allen anderen Hörern: Man muss sich an Grönemeyer eben erst gewöhnen, Edo Zanki hat es ja gleich gesagt. Sie zeigt auch: Grönemeyer selbst war felsenfest davon Überzeugt, auf dem richtigen Weg zu sein. So und nicht anders sollte sich seine Musik anhören, Zugeständnisse gab es nicht! Dass »Bochum« dann aber gleich ein Millionenseller werden sollte und fast achtzig Wochen in den Charts blieb, ahnte nicht einmal der Künstler selbst: Wie erfolgreich »Bochum« letztlich wurde, »das hat keiner geglaubt«, erinnert sich Grönemeyer. »Gemischte Gefühle« hatte sich »ja schon
etwa fünfzigtausendmal verkauft, und ich hatte höchstens gehofft, dass >Bochum< sich etwa besser verkaufen würde«. Und den Titel fand er wirklich mehr als passend: »Mein Vater hat Bergbau studiert, mein Großvater ist umgekommen beim Schlagwetter.« Außerdem sagt er: »Ich komme nun mal aus einer Gegend, da geht's nur darum, dass man morgens einfährt und hofft, dass man abends wieder rauskommt. Da erlebt man das Leben so, dass man zu differenzieren weiß, dass Erfolg und alles andere ganz lustig ist und auch Spaß macht und einem unheimlich gut tut, aber dass das Leben sich doch noch in anderen Dimensionen, in anderen Dingen abspielt. Im Ruhrgebiet sagt man, es ist nicht wichtig, was man für eine Hose anhat, sondern was für ein Herz darin schlägt.« Speziell seine abgehackten Sätze verdanke er dieser Herkunft: »Ich bin groß geworden in der Tradition einer sehr knappen Sprache. Ich komm aus dem Kohlenpott, da wird nicht viel geredet.« BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken weiß noch: »Wir haben 1984 das Album >Zwesche Salzjebäck un Bier< rausgebracht, und Herbert kam mit >BochumSalzjebäck un Bierauch mal hörenDer singt ja furchtbar. Wie das kratzt und quäkt!Männer sind auf dieser Welt unersetzlichLass uns einen trinken geh'n, die Bombe ließ alle Kneipen steh'n. Wenn einem so viel Gutes widerfährt, das ist schon einen starken Abgang wert.Der Text - so was von miserabel, aber wer ist eigentlich dieser tierische Keyboarder?< Das fand ich
sehr gut. Ich hab nie behauptet, dass >Männer< ein Glanzwurf ist.« Insgesamt jedenfalls genoss Grönemeyer die Jahre 1984 bis 1988: »Da war ich ungestüm und naiv. Das sind positiv unbeschwerte Platten, >Bochum< und >ÖMännerDas Boot< hat dann eine Zeit lang die Schauspielerei die Musik überholt, zumindest aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit. Aber ich habe mich immer viel eher als Musiker verstanden.« Neben Songs, die verschiedenste Gefühle zum Thema haben, packte Grönemeyer auf »Bochum« auch selbstbewusst einige explizit politische Nummern an, »Amerika« und »Jetzt oder nie«: Er fordert darin auf, zu »kämpfen für ein Land / wo jeder noch reden kann / herausschreien, was ihm wehtut / wer ewig schluckt, stirbt von innen«, denn das erschien ihm als »die einzig mögliche Sprache zur Zeit. Man kann jetzt nicht mehr mit Poesie kommen. Solche anbiedernden Sachen wie >Alle, die Frieden wollen, sollen aufstehen< - furchtbar! Die Situation verschärft sich immer weiter, weil alle Inhalte aufgeweicht werden. Jeder kann über alles singen, über Frieden, über Umweltschutz - je schwammiger, desto besser, damit jeder Ja und Amen dazu sagen kann; viel schlimmer, weil effektiver als direkte Zensur, ist diese
wohl dosierte, subtile Gehirnwäsche, der wir jeden Tag erliegen, oft ohne es zu merken - wie >eine träge Herde Kühe< eben«, so eine weitere Zeile aus dem Song. Was aber sachlich nicht ganz korrekt war, wie zwei Landwirtschaftsstudentinnen in einem Brief an ihn anmerkten. Sie erklärten, »dass ihre Kühe überhaupt nicht träge seien, dafür aber sehr verschmust. Ich sollte deshalb die Kühe bei >Jetzt oder nie< durch Schildkröten ersetzen. Unterschrieben haben die beiden den Brief mit den Namen ihrer Kühe.« Interessanterweise bezog Herbert Grönemeyer damals schon seine Zufriedenheit - genau wie fast zwanzig Jahre später bei »Mensch« - nicht in erster Linie aus dem finanziellen Erfolg. »Da kommt natürlich demnächst eine ganze Menge Geld auf mich zu«, erkannte er - denn wenn man Hits als Solokünstler, Sänger, Produzent, Texter und Komponist landet, verdient man an jeder verkauften LP und Single wie auch an jedem Airplay gleich mehrfach. Branchenkenner schätzen, dass Sänger wie Westernhagen, Maffay oder Herbert Grönemeyer allein pro Album fast 3,50 Euro kassieren. »Aber«, fuhr er fort, »das ist nicht entscheidend. Was ich mache, verschenke ich nicht für Geld. Mir ging's die letzten zehn Jahre gut, und gut heißt nicht, dass ich mir alles kaufen konnte, sondern dass es mir im Kopf gut ging. Ich hab auch keine Träume, die was mit Geld zu tun haben, 'n Haus oder 'n Rolls-Royce oder so was. Das Tollste ist, eine tolle Band zu haben, mit der ich tolle Platten und tolle Konzerte machen kann. Dafür lohnt es sich, und dafür kann ich auch ganz direkt was tun. Aber ob die LP nun Nummer zwei in den Charts ist oder nicht, dafür kann ich überhaupt nichts tun, das kann ich nur zur Kenntnis nehmen, weil das viel zu weit weg ist. Das ist wie bei vielen alten Schauspielern, die selbst mit achtzig noch einmal in der Woche vor einem Publikum auf der Bühne stehen wollen. Das ist wie eine Liebesbeziehung, ein orgasmisches Gefühl, einmal auf den Punkt zu kommen, wirklich mit dem Publikum zusammen zu sein.« Und er legte auch Wert darauf, alle Fanbriefe noch selbst zu
lesen, »schließlich sind sie ja eine ganz wichtige Reaktion auf meine Musik«. Die meisten Reaktionen seien positiv, nur Harald Juhnke habe was zu meckern: »Der Tod jeder Erotik ist, wenn man bei Kerzenschein Grönemeyer auflegt, und der singt einem >Bochum< vor.« Die erste große »Bochum«-Tournee Ende 1984 genoss Grönemeyer in vollen Zügen. Völlig unverkrampft stand er auf der Bühne, gab sich mit leicht eingeknickten Knien ganz in die Musik, leistete sich eine stürmische Unbefangenheit und exaltierte Gestik - im Grunde sah ein Gröni-Konzert damals also nicht viel anders aus als heute (wenn auch weniger Zuschauer da waren und weniger Strahler an der Decke hingen). Schon in frühen Jahren trug er bei Auftritten Anzüge und Turnschuhe, mittlerweile sind diese Accessoires allerdings ein wenig teurer und schicker geworden (siehe Umschlagmotiv). Selbst ganz verblüfft, wischte er sich die damals zu seinem Markenzeichen avancierte rotblonde Strähne aus der Stirn und bemerkte: »Vor zwei Jahren, bei meinem ersten Konzert in Berlin im Quartier Latin, waren gerade mal zwölf Leute da, und jetzt war der Saal zu klein, erklären kann ich mir das auch nicht. Ich habe immer meine Musik gemacht, ohne darauf zu achten, dass sie besonders peppig ist. Vielleicht habe ich Glück, und die Leute wollen wieder mehr zuhören.« »Bochum« bekam einen zusätzlichen Schub, als Anfang 1985 »Das Boot« im Fernsehen lief, und natürlich wäre es der Emi lieb gewesen, wenn Grönemeyer noch im Fahrwasser von »Bochum« zügig eine weitere Langspielplatte veröffentlicht hätte. Das sah der zwar durchaus ein, denn »man erfährt immer wieder von den markttechnischen Zwängen und Strukturen, aber davon versuche ich mich weitgehend loszumachen, sonst fabriziert man nur noch Müll«. Also verwirrte er lieber in Interviews das Publikum mit seinem Lieblingswitz. (»Zwei Nilpferde, ein kleines und ein großes. Die kommen nach Bethlehem, am 24. Dezember. Sie klopfen. Josef kommt leicht genervt, weil in der Hütte alles drunter und drüber geht, und er sieht die beiden Nilpferde. Er fragt: >Wer
seid ihr denn?< >Wir sind die Heiligen Drei Könige, wir sollen die Geschenke abholen.Kinder an die Macht< geschrieben. Ich wurde zu einer Radiosendung eingeladen und saß dann da mit drei Psychologen. Die fanden, das ginge doch nicht, so ein politisches Werk und dann noch über Kinder, ob ich überhaupt selbst welche hätte? Was soll man da sagen?« »Sprünge« wechselte im weiteren Verlauf stets zwischen politischen und privaten Themen ab: »Tanzen«, »Lächeln«, »Maß aller Dinge« und »Einmal« waren Grönemeyers offene Kommentare zum Zeitgeschehen, »Mehr geht leider nicht«, »Nur noch so«, »Unterwegs« und »Viel zu viel« beschäftigten sich mit Gefühlen, und der Titel »Angst« schließlich vereinte beide Stränge und malte eine politische Alptraumutopie auf persönlicher Ebene: »Angst zu verblöden / bereits mundtot zu sein ( ...) Angst braucht Waffen / aus Angst vor dem Feind / obwohl keiner so recht weiß / wer ist damit gemeint«, aber auch: »Angst, alleine zu sein / Angst vor der Angst / Wir schlafen ein«. Grönemeyer machte klare Ansagen, vertrat eindeutige Positionen: »Die Grafen da oben treffen sich, lachen sich ins Fäustchen und machen, was sie wollen, weil die Leute keinen Druck mehr auf sie ausüben«, stellte er fest. »Ich versuche für mich, ganz klare Linien zu ziehen. Südafrika muss man boykottieren! Peng! Ganz doof eigentlich, westfälisch stur, aber eine Aussage. Oder: Politiker, die gravierende Fehler machen, müssen gehen. Die habe ich gewählt - und wenn die Mist bauen: Ende. Die Kluft zwischen oben und unten ist viel zu groß.« Es sind dieselben Themen, die ihn - und uns noch immer bewegen, auch wenn Deutschland mittlerweile immerhin einen anderen Kanzler hat. »Gemischte Gefühle« hatte Grönemeyer eigentlich »Bochum« nennen wollen, »Ö« - zwei Jahre nach »Sprünge« - hätte, wenn es allein nach ihm gegangen wäre, »Dieter« heißen sollen, einfach »nur so«. Und auch »Sprünge« wollte der Künstler ursprünglich anders nennen, nämlich »Hoi«. »Das ist, wie ich von Reisen
weiß, ein Willkommensgruß in der Schweiz und in Holland«, erklärt Grönemeyer. »Mir gefiel dieser Titel gerade deshalb so gut, weil er keine tiefere Bedeutung hat. Hierzulande wird ja alles gerne mit Sinn überfrachtet.« Doch letztlich erinnerte »Hoi« ihn zu sehr an den Skinhead-Schlachtruf »Oi Oi«, und »einer solchen Assoziation wollte ich auf gar keinen Fall Vorschub leisten.« War »Bochum« auch der Durchbruch, so zeigte doch im Grunde erst »Sprünge« das Spektrum Grönemeyers im Fokus: die Kombination politischer und privater Texte mit angloamerikanisch/deutscher Musik, Gesang vom Säuseln bis zum hysterischen Schrei. »Sicher bin ich von angloamerikanischer Musik beeinflusst, aber wenn man sich meine Kompositionen mal genau anschaut, dann bemerkt man, dass ich auch von der europäischen Klassik viel gelernt habe - harmonisch und kontrapunktisch und in zig anderen Beziehungen. Außerdem gibt es da auch eine gewisse Nähe zum deutschen Volkslied«, sagt er. Andererseits hielt Grönemeyer klassischen Kompetenzaposteln entgegen: »Ich kann natürlich schon richtig singen. Ich komme bis zum hohen D, wenn das ein Maßstab sein sollte. Viele Opernsänger können das nicht. Es ärgert mich übrigens, wenn die Rocksänger als angelernte Dilettanten hingestellt werden und die Opernsänger als hehre Sänger. Es gibt Musiker, die sicher zu den größten des Jahrhunderts gehören und keine Note gelernt haben. Wie Jimi Hendrix und Stevie Wonder. Sie arbeiten aus der Intuition heraus und mit dem Gehör. Die zeitgenössische Musik ist nun mal die Rockmusik - und sicher nicht die Weiterführung der klassischen Kompositionslehre.« In seinen Texten versuche er, »auf die deutsche Situation einzugehen und jede falsche Internationalität zu vermeiden«. Unbedingt umgehen wollte Grönemeyer außerdem auch das »Modern-Talking Syndrom - egal, woher wir kommen, Hauptsache international«. Seine Themen finde er »im Alltag. Dinge, die mich bewegen, über die ich nachdenke. Wenn das dann im Trend liegt, umso besser, doch darum
geht's mir eigentlich nicht. Ich habe ein paarmal probiert, gezielt auf den Zeitgeist zu schreiben, aber das ging in die Hose. Es muss schon etwas sein, das mich direkt berührt. Wenn ich zum Beispiel unseren Kanzler immer wieder so penetrant lächeln sehe, da werde ich wahnsinnig. Und das schreibe ich mir dann von der Seele.« Denn da »kannst du mit einem Holzhammer kommen, der wird immer weiterlachen«, befand Grönemeyer, also schrieb er ein Lied, mit dem er das »Schwammige, Schlabbrige, dieses nicht mehr Greifbare« an Helmut Kohl aufzeigen wollte. Interessanterweise bemängelte Grönemeyer an Kanzler Kohl gerade Eigenschaften, die ihm selbst nicht fremd sind: Sturheit, Durchhaltevermögen. »Der Kohl hat ja schon 1972 gesagt, ich werde Bundeskanzler. Da haben sich seine eigenen Parteileute auf die Schenkel geschlagen und totgelacht. Doch der Typ hatte begriffen, dass man in Deutschland, wenn man durchhält, alles schafft.« Das galt, wenn auch auf völlig andere Art und mit anderen Inhalten (und deutlich geringeren Konsequenzen für den deutschen Alltag), ebenso für die Karriere Herbert Grönemeyers. Er hat sie sich erkämpft, ertrotzt, erarbeitet. Hat seine Kritiker ausgesessen, einfach immer weiter Platten gemacht. Typisch deutsch eben. Auch mit der eigenen Band kam er immer besser klar: »Wir haben eine seltsame Entwicklung als Band durchgemacht«, sagt er. »Ursprünglich nur als Begleitung engagiert, sind wir inzwischen zu einer intakten Einheit zusammengewachsen. Dadurch klingt >Sprünge< auch so satt; alles steht wie eine Eins.« Sehr plakativ erklärt er, wie die Band und er zu den Arrangements für das Album gelangten: »Die Platte ist eigentlich ein totes Medium, dem man so viel Leben einhauchen muss, wie's eben geht. Darum stammen die Arrangements von der ganzen Band. Das Fett wird angebraten, und jeder legt seinen Speck in die Pfanne.« Wie immer hatten ihm die Texte für »Sprünge« am meisten Mühe gemacht: »Ich kann so vor mich
hinquatschen, aber Songtexte zu machen - mein Gott, ich texte mir wirklich einen ab. Das ist für mich das Härteste überhaupt. Musik ist für mich ein Ausdruck meines Lebensgefühls, aber mit Texten hatte ich eigentlich überhaupt nichts im Sinn.« Zumal es auch nur wenige Vorbilder gibt, keine langjährige Tradition toller deutscher Texter, »eine echte Weiterentwicklung fand erst wieder mit Udo Lindenberg und Nina Hagen statt: Udo, der völlig querbeet getextet hat, und Nina, die sehr frech und provokativ war. Danach kam die Neue Deutsche Welle, die das wieder auf >Hub< und >Tut< und >Gut< reduzierte und damit die Sprache brutal entschlackt hat. Das war nicht schlecht, weil sie dem Deutschen erst einmal den ganzen Wust genommen haben.« Klar war ihm nur immer: »Der intelligenteste und klügste Text nützt dir nichts, wenn er dich nicht betrifft und den Leuten nicht in den Magen geht. Wenn man sich hinterher rechtfertigen muss und sagt: >Aber ich habe doch mein Lied so toll konstruiert, und keiner versteht es, weil sie alle doof sind!Ich hab Dich lieb< oder >CurrywurstGuck mal, Mama, da geht das Boot vorbei.ÖÖ< aus meinem Namen herausstilisiert: mit der Haartolle an der Seite, und die beiden Punkte als Augen. Tja, es gefiel mir, eine zündende Idee. Und ich sagte: okay, besser kann man es nicht machen.« Schnell vermuteten die Medien, der grün angehauchte Grönemeyer wolle mit seinem Albumtitel quasi sublime Botschaften aussenden, so wie die Beatles ja angeblich Paul McCartneys Tod verkündet und Led Zeppelin in »Stairway To Heaven« (rückwärts abgehört) satanische Botschaften verbreitet hatten: »Ö« solle für »Ökologie« stehen, hieß es. Doch Grönemeyer sagte: »Nein. Das >ö< ist der einzige Vokallaut außer dem >e< in meinem Namen, deshalb fällt er auch so heraus.« Und ein E mit Haartolle und Augen habe nun wirklich etwas komisch ausgesehen. Manchmal ist die Wahrheit genauso simpel, wie sie erscheint. (Wobei zumindest die Schweizer Probleme mit dem Umlaut hatten: Als »Oe« bezeichnete die gediegene »Weltwoche« die Platte.) Grönemeyer erklärt: »Es gibt Stücke wie >VollmondMit Gott< ist noch konkreter als >Lächelnchristlich< in der Politik unwirklich erscheint. Davor sollte man mehr Ehrfurcht zeigen, als es auf dem Schilde zu tragen, finde ich.« Ob den Leuten dann passe, was er zu sagen habe, sei ihm relativ egal: Er habe auch schon »Sachen gemacht, die alle erst mal blöd fanden. Die letzte Instanz bin immer ich, weil meine Sachen ja immer spezifisch grönemeyerisch sein sollen. Es wäre fürchterlich, wenn meine Lieder wirklich jedem gefallen würden.« Der CDU hat jedenfalls nicht gepasst, was er in »Mit Gott« sang: »Mit Gott auf unserer Seite / Jesus in einem Boot / einer ging leider baden / doch wir warfen ihn noch rechtzeitig über Bord / mit Gott auf unserer Seite / Jesus in einem Boot / den Ablass in unserem Namen / das >C< strahlt über uns riesengroß«. Grönemeyer sagt heute noch missmutig: »Kohl hatte zumindest noch eine
spießige Werteeinstellung, war ein unheimlicher Machtsicherer, der um sich rum zensiert hat, worüber man ja auch nie redet. Die Schwarzgeldaffäre ist nicht aufgeklärt, und ich vermute auch nach wie vor, dass sie Barschel umgebracht haben.« Als die Single »Was soll das« erschien, dachten gleich alle: Ah, Grönemeyers Freundin hat eine Affäre. »Mich haben Leute nach >Was soll das< mitleidig angesprochen«, berichtet Grönemeyer irritiert, »>Ihnen muss es ja furchtbar gehen. Sie sind von einer Tour gekommen, und jetzt wohnt da wohl ein anderer bei Ihnen. Sie haben ja dann auch besoffen in der Gosse gelegen, wohl immer `Vollmond, Vollmond´ geschrien.< Die Deutschen sind so textverbissen. Die denken immer gleich, man schreibe seine Biografie.« Grönemeyer erklärt: Nicht alle seine Liebeslieder seien »zu hundert Prozent authentisch erlebt. >Was soll das< ist beispielsweise das Erlebnis eines Freundes. Aber ich mache in den Texten deutlich, wie ich zu einer Beziehung stehe, was ich denke und fühle.« Das beeindruckte sogar den Schlagersänger Roland Kaiser: »Die Zeit des klassischen deutschen Schlagerfuzzis ist vorbei, Hossa ist tot. Wenn Andy Borg lamentiert: >Adios, adios, adios amor, ich komm verlassen mir vorWas soll das? Ich hau dir in die Fresse, du Penner! Was machst du hier mit meiner Frau?Ö< ist mein Sohn geboren, das war eine sehr positive und optimistische Platte.« Wobei er später gerade auf »Bochum« und »Ö« auch etliche mäßige Songs ausmachte: »>Fangfragen< auf >Bochum< finde ich schwach. >Wieder erwischt< auf >BochumFreunde< auf >Ö< schwach.
>Herbsterwachen< von >Ö< ist okay, aber auch nicht so ganz stark.« 1988 legte Grönemeyer aber nicht nur »Ö« vor. Überschattet vom eigenen Erfolg und daher fast unbemerkt war er neben Katja Riemann in einer Nebenrolle des TV-Sechsteilers »Sommer in Lesmona« zu sehen, zu dem er auch die gesamte Filmmusik beisteuerte (für die er dann immerhin den GrimmePreis in Gold bekam). »Sommer in Lesmona« war die Verfilmung eines »Briefromanes« von Marga Berck: Gedreht wurden zwei Versionen parallel, eine sechsteilige Fassung sowie ein in sich abgeschlossenes Fernsehspiel. Regisseur Peter Beauvais arbeitete von Anfang an mit zwei Drehbüchern; im Anschluss an eine Serienszene wurde dieselbe Szene noch einmal für das Fernsehspiel gedreht, teilweise mit verändertem Dialog, anderen Requisiten und Kostümen. Rückblickend erzählt der Film von einer alten Dame, die 1940 ein Bündel Briefe aus ihrer Jugendzeit wiederfindet, entfaltet sich eine Liebesgeschichte, die zugleich die Bremer Gesellschaft Anfang des 20. Jahrhunderts porträtiert. »Sommer in Lesmona« war nicht nur der letzte Film von Beauvais, sondern auch der bislang letzte Herbert Grönemeyers wie schon »Frühlingssinfonie« und »Väter und Söhne« ein Historienstreifen, wie »Väter und Söhne« und »Das Boot« ein Mehrteiler, ein deutsches Epos. Grönemeyer hatte Ausdauer, Durchhaltevermögen - und ganz offensichtlich auch einen »klassisch« deutschen Look. Bis zu diesem Zeitpunkt also fuhr Grönemeyer im Grunde zweigleisig, verfolgte mit halbem Herzen noch seine Karriere als Schauspieler und vor allem als Filmund Theatermusiker (zumindest diesen Teil sollte er auch in den folgenden Jahren immer wieder einmal zum Leben erwecken). Er gibt auch selbst zu: »Für mich war das Theater eher ein Platz, den ich beeindruckend fand; mit welchem individuellen Wahnsinn Leute es schaffen zu sein. Das war ein Freiraum«, sich in einer »sehr menschlichen und sehr faszinierenden Art und Weise«
auszutoben und auszuleben. »Aber ich glaube, ich war nie ein großer Schauspieler, an mir ist auch keiner verloren gegangen. Also, ich war okay als Schwiegersohn, und in den Shakespearerollen war ich immer der doofe Liebhaber, immer so der Blödeste, der da herumrannte, oder in Hamburg im Schauspielhaus habe ich dann irgendwie im Silberkostüm gespielt in Pailletten, und wenn ich rauskam, pfiffen die Leute schon. Ich war gut für Rollen, die nicht so viel Facettenreichtum erfordern. Ich bin kein großer Schauspieler, ich bin okay.« Im Film sei er allerdings besser als auf der Bühne, »weil ich im Film Sachen wiederholen kann und im Theater über einen ganzen Abend eine Figur zu entwickeln und der Facetten zu verleihen, das ist nicht ganz meine Stärke. Also empfinde ich auch nicht diese unmittelbare Lust, die ein Schauspieler empfindet, wenn er auf der Bühne anfängt, eine Figur zu entwickeln und sich Dinge auszudenken.« Im Sommer 1989 schallte dann plötzlich ein Song aus den Radios, der nach Grönemeyer klang - und doch auch wieder nicht: »Grönemeyer kann nicht tanzen«! Der Stottertext stammte von Komiker Wiglaf Droste, Musik und grönemeyereske Produktion steuerte Bela B. von den »Ärzten« bei. Textauszug: »Herbert hackt Sätze. Nuschelt. Klingt lustig. Auch irgendwie kaputt. (...) Deutschland. Kindheit: Vater Pils. Mutter Putzen. Alles total kaputt ... Herbert lacht. (...) Hat den Jaul, nicht den Soul. Klingt leicht abgestochen. Aber voll da. Tanzen. Herbert kann nicht tanzen. Kein Rhythmus. Kein Körper. Sieht komisch aus. Krank. Hospitalistisch. Autistisch.« Grönemeyer konterte: »Pina Bausch, mit der ich in den Siebzigern am Bochumer Schauspielhaus ein Stück gemacht habe, hat mal gesagt: Der Herr Grönemeyer? Der konnte ganz hervorragend tanzen!« Er urteilte dennoch, die Satire »war zynisch, fand ich okay«. Denn »das Lied hat in sich eine Bissigkeit, eine Bösartigkeit, die ich gut finde. Wenn jemand findet, dass ich wie ein Tanzbär auf der Bühne herumspringe, dann finde ich das okay. Ich behaupte ja nicht, dass ich Nurejew bin.«
Direkt im Anschluss an »Ö« erschien Mitte 1989 das erste englischsprachige Album »What's All This« in Kanada - für deutsche Fans als Import erhältlich. Gitarrist Gaggy Mrozeck: »Wir haben die gleichen Stücke teilweise noch mal neu aufgenommen. Es gab neue Interpretationen, >Alkohol< zum Beispiel war dadurch der ersten Demo-Version näher.« Das Tracklisting der Platte: 1. »What's All This« (Original: »Was soll das?« von »Ö«) 2. »Full Moon« (»Vollmond« von »Ö«) 3. »Airplanes In My Head« (»Flugzeuge im Bauch« von »Bochum«) 4. »Alcohol« (»Alkohol« von »Bochum«) 5. »Angst« (»Angst« von »Sprünge«) 6. »So Far Away« (»Unterwegs« von »Sprünge«) 7. »Men« (»Männer« von »Bochum«) 8. »White Arrogance« (»Maß aller Dinge« von »Sprünge«) 9. »Bochum« (»Bochum« von »Bochum«) 10. »Hold Me« (»Halt mich« von »0«)
Oft kritisiert, erweist sich hier die Tatsache, dass Grönemeyer seine Stimme recht weit nach hinten mischen lässt (und dadurch im Deutschen nicht so leicht zu verstehen ist) als positiv. Dass Englisch nicht seine Muttersprache ist, fällt dadurch nicht so sehr auf, die Songs wirken deutlich atmosphärischer als in den Originalversionen: Musik und Stimmung rücken in den Mittelpunkt, instinktiv entfällt das stete Hörerbemühen, dem Text möglichst genau zu folgen. Wer die deutschen Fassungen im Ohr hat, muss die Platte zwar ein paarmal hören, um die automatische »innere Synchronisation« abzuschalten. Aber es lohnt sich: Die Songs entsprechen im Hörerlebnis vermutlich viel eher Grönemeyers Wahrnehmung als die gewohnten Fassungen. Schließlich schreibt er die Songs ursprünglich genau so: mit Blick auf
die musikalische Wirkung und mit (unverständlichem) englischem Text. Die Übersetzungen folgen den Originalen fast wörtlich. Aus »Sein Pyjama liegt in meinem Bett / sein Kamm in meiner Bürste steckt / was soll das?« wird »his pyjamas lie there in my bed / his comb stuck in my brush / I said what's all this?«. Statt »Männer nehmen in den Arm / Männer geben Geborgenheit / Männer weinen heimlich / Männer brauchen viel Zärtlichkeit« heißt es »men will open their arms / men assure security / men will cry in their beer / if you don't treat them tenderly«. Über Bochum heißt es ursprünglich: »Bochum / ich komm aus dir / Bochum / ich häng an dir / Glück auf, Bochum«, nun singt er: »Bochum I call you home / Bochum you're in my bones / oh, >Glück auf< - my home«. Schon 1984 hatte der Sänger sich mit dem Briten Peter Hammill zusammengetan und die Texte der »Bochum«LP übersetzt, später auch Songs der nachfolgenden Alben. Hammill spielte mit seiner Band Van der Graaf Generator in den Sechzigern einen radikalen Mix aus Jazz, Klassik und Pop, eine Frühform des Progressive Rock, wie ihn später auch Genesis zelebrierten. Das Coverfoto für diese LP schoss der holländische Fotograf Anton Corbijn, zuvor in London Musikfotograf für das Magazin NME (»New Musical Express«). Er hatte bereits U2 (unter anderem das Cover von »The Joshua Tree«) und Depeche Mode (zum Beispiel »Exciter«) aufgenommen. Corbijn und Grönemeyer freundeten sich miteinander an, und seitdem hat Corbijn mehrere Cover für Grönemeyer erstellt (»Chaos«, »Stand der Dinge«), einen Bildband über ihn veröffentlicht, Regie bei etlichen Videos geführt - und ist »bored member« von Grönemeyers Londoner Label Grönland. (Wortspiel: »board member« heißt »Mitglied des Vorstandes«, »bored member« bedeutet »gelangweiltes Mitglied«.) Grönemeyer weiß auch genau, warum er gern von Corbijn »abgeschossen« wird: »Dein Wahnsinn und deine Einsamkeit«, sagt er, »werden auf seinen Fotos gleichzeitig beschützt und enthüllt.«
Grönemeyer über »What's All This«: »Ich wollte ausprobieren, ob ich die Ausdruckskraft der deutschen Texte ins Englische transportieren konnte. Bei manchen Songs hat's geklappt, bei anderen nicht. Deswegen ist auch nur eine Auswahl auf der LP.« Klar für ihn auch: »Das ist keine >englische< Platte, es ist ein Album mit meinen Liedern, die ich jetzt mal auf Englisch singe. Deutsche Musik hat eine große Kraft bekommen, und ich will wissen, ob die Kraft ausreicht, auch in Übersee die Leute anzusprechen.« Viel schwieriger als diese Ansprache gestaltete sich jedoch die Aussprache deshalb fand sich auf dem Cover gleich die Lautschrift des Künstlernamens: »Grown-a-my-err«. Grönemeyer erklärt, wie er das Projekt »What's All This« anging: »Ich wollte das wie eine Buchübersetzung oder Filmsynchronisation angehen. Man muss auch mal was für das eigene Selbstverständnis tun, was deutsche Musik angeht, und es dann im Ausland probieren.« Den Amerikanern habe »das allerdings gar nichts gesagt, das war denen viel zu textlastig«. Die Kanadier hingegen seien »auf die Texte abgefahren«, sie hätten sogar die speziell deutschen Elemente in seiner Musik entdeckt. Auf die LP folgte eine erfolgreiche Kanada-Tournee: »Die Idee dahinter war, einen Emi-Act, Tom Cochran, in Deutschland unser Vorprogramm spielen zu lassen, und uns in Kanada bei ihm«, erklärt Gaggy Mrozeck. »In Toronto haben wir vor ein paar tausend Leuten gespielt. Als Erlebnis war das klasse! Es ist schön, sich zu beweisen, dass es auch wirkt ohne den PromotionRummel, ohne den Status, ohne diese Grundaufstellung. Die pure Musik, die Band praktisch nackt ins Wasser geschmissen.« Grönemeyer bemerkte stolz: »Die Leute haben sich hingestellt und geschrien: >Great, Herbert! Go on rocking, Herbert!< Und das in Alaska!« Er stand auf der Bühne und dachte: »Jetzt bist du da, wo du hingehörst«, gibt er zu. Zum Glück trug sicher auch bei, dass er sogar schon seine sechs Monate alte Tochter Marie dabeihatte.
Andererseits waren nicht alle Konzerte solche Toperlebnisse. »Beim ersten Gig hab ich >standing ovations< gekriegt, in Montreal auf einer Kirmes dagegen sind die Leute eingeschlafen. Ein totaler Reinfall. Aber es war sehr gesund: Ich hab gemerkt, dass ich auf der Bühne oft völlig hohle Attitüden draufhabe.« Zwei weitere Alben (»Luxus« und »Chaos«) veröffentlichte Grönemeyer später komplett auf Englisch, eine internationale Fassung von »Mensch« ist geplant. Dennoch muss man feststellen: Mehr als der kreative Freiraum eines erfolgreichen deutschsprachigen Künstlers - und allenfalls noch ein kommerzieller Achtungserfolg in Kanada - sind die englischen Versionen bislang nicht. Kritiker haben also gut lästern: Herbert Grönemeyer »versuchte vor Jahren, strategisch sorgfältig ausgetüftelt, sich mit einer englischsprachigen Veröffentlichung über Kanada an den US-Markt heranzuschleichen. Leider haben das noch nicht mal die Kanadier bemerkt«, schrieb der »Focus«. Nach den Auftritten in Kanada schließlich gab Grönemeyer am 1. September 1989 anlässlich des fünfzigsten Jahrestages des Einmarsches deutscher Truppen in Polen noch ein Konzert in der Danziger Waldoper, dessen Erlöse für Ökologieprojekte in Polen zur Verfügung gestellt wurden: »Das war eine Geste, ich hab's auch für mich selber gemacht«, erklärte er. »Mein Vater war damals bei dem Einmarsch dabei. Die Leute dort waren schon sehr skeptisch, denn es waren nicht nur Polen da, sondern auch viele Besucher aus der DDR. Das haben die Polen wohl nicht so gern gesehen. Ich hatte einen Simultanübersetzer auf der Bühne und auch Songs wie >Angst< oder >Tanzen< (>Wir wollen ganz leise in Polen einmarschierenBand-Familie< tut manchmal weh«. Ersetzt wurde Mrozeck durch Stefan Zobeley, der erstmals auf dem bald folgenden Album »Luxus« zu hören war. Alle übrigen Bandmitglieder haben geschlossen den Weg aus Edo Zankis Studio über Eigenproduktionen bis zu international anmutenden, in London aufgenommenen Werken wie »Bleibt alles anders« und schließlich »Mensch« mitgemacht. Mrozeck: »Das funktioniert wohl immer noch gut, es ist vor allem eine gute, eingespielte Liveband. Und auch >Mensch< klingt zwar vom Sound her anders, aber es ist trotzdem im Grundsatz eine musikalische Denke.« Im Herbst 1990 - kurz nach Matthias Reims Sommerhit »Verdammt, ich lieb dich« - erschien dann Grönemeyers künstlerisch wohl schwächstes Album »Luxus«, das jedoch - weil in Klang und Tonalität wie gewohnt - einfach durchlief und kommerziell wunderbar funktionierte: Bereits vor Veröffentlichung registrierte der Schallplattenhandel die zuvor für Deutschrocker undenkbare Zahl von 700000 Vorbestellungen. »Dieses Megatum gibt dir ein ganz eigenartiges Gefühl«, gestand Grönemeyer. »Die Leute kaufen nur noch LPs aus der Top Ten, der Rest entfällt. Wobei ich mich jetzt sicher nicht zu Hause hinsetze und weine, weil meine Konzerte ein halbes Jahr vorher
ausverkauft sind.« Allerdings beschwerten sich einige Fans, Grönemeyer sei so arrogant geworden. Heute findet er, dass sie durchaus Recht hatten. »Aber erst dachte ich, das kann nicht stimmen, eigentlich bin ich ein dufter Typ. Ich brauche immer erst zwei Wochen, um zu begreifen, dass an Kritik vielleicht doch etwas Wahres dran ist.« Dass Grönemeyer jedoch versuchte, auf »Luxus« einerseits seinen eigenen zunehmend luxuriösen Status zu thematisieren, andererseits auf die aufkeimenden Probleme der praktisch zeitgleich mit der Albumveröffentlichung am 3. Oktober 1990 vollzogenen deutschen Einheit hinzuweisen, ging fast völlig unter. Grönemeyer: »>Luxus< ist der Ausdruck meines eigenen Zwiespalts: Ich besitze viel Geld und möchte dennoch nicht abheben. Auf der anderen Seite hat es etwas mit dem Zeitgeschehen zu tun, der deutschen Gediegenheit und Gepflegtheit - Angriffsziel beispielsweise der Krawalle in Hamburg während der Premiere von >Phantom der OperLuxus< ... da haben wir uns ziemlich klasse gefühlt. Die hat in geringem Maße, aber von allen Platten im größten Maße einen Hauch von Arroganz. In der Platte ist das größte Maß an Anflug von Größenwahn drin.« Er »schwebte auf einer Wolke von Erfolg, die Kinder waren da, und ich glaubte, wahnsinnig viel verstanden zu haben. Das hatte was von sehr viel Glück, und ich dachte: Jetzt hat das Leben seinen Lauf!« Geld hin, Geld her, Grönemeyers persönlicher Luxus war ohnehin eher von unspektakulärer Art: »Ich gehe gern essen, hab ein schönes Auto, besitze auch einen Kaschmirpullover.« Kulinarisch war er leicht zu beglücken: »Kaviar esse ich überhaupt nicht, ich mache
mir lieber Fischstäbchen mit Kartoffelbrei.« Und auch seine persönlichen Ziele waren nachvollziehbar: »Erfolg wird zum Etikett. Wer Erfolg hat, ist der bessere Mensch. Ich finde, ein Mensch ist erfolgreich, wenn er zu sich findet.« Die FAZ bemängelte an »Luxus« dennoch nicht ganz zu Unrecht: »Obwohl Herbert Grönemeyer mit seinem spröden Charme und seiner kultivierten Kantigkeit eigentlich gar nicht zum Massenartikel taugt, ist er derzeit in Deutschland mindestens ebenso begehrt wie CocaCola, Hamburger oder Zahnpasta. Eine Steigerung seiner Popularität scheint kaum noch vorstellbar, zumal sich der Liedermacher aus dem Kohlenpott auf seinem neuen Album den Luxus gönnt, seinem Stil beharrlich treu zu bleiben.« (Die Vermutung über die Unmöglichkeit, seine Popularität zu steigern, sollte sich allerdings als krasse Fehleinschätzung erweisen.) Als »das Bemerkenswerteste an >LuxusCurrywurst< oder >MamboWas hast du denn jetzt gemacht, das klang vorher doch so schön.Was soll das?< ins Mikrophon nörgelt, dann fragt man sich das manchmal unwillkürlich selbst.« Das Publikum fragte sich das jedoch nicht - und war wie immer begeistert. Für Grönemeyer selbst war es aber tatsächlich nicht leicht, auf die Bühne zu gehen: Das Lampenfieber »wird eher immer schlimmer«, früher habe er dagegen »immer noch zwei Schluck Bier getrunken, heute lasse ich mich vor dem Konzert massieren. Manchmal gehe ich auch schon vorher in die Halle, um die Atmosphäre aufzunehmen. Das ist ein Lampenfieber, als wenn man sich auf ein Rendezvous freut!« Denn »man freut sich wie ein Schneekönig, wenn man ein Lied schreibt und die Leute es in den Konzerten auch noch mitsingen. Ich sauge das auch auf - das sind Glücksmomente für mich.« Erstmals spielte Grönemeyer durchgängig in großen Hallen - und bekam wieder nur Ärger: »Ich kann dazu nur sagen, dass man das intensivere Konzert sicher in einer kleineren Halle bringt. Wir spielen jetzt fünfzig Konzerte. Bei der >SprüngeDie Härte< draufgedruckt - und plötzlich bewegte sich was, plötzlich stellten die Sanierungsgelder zur Verfügung. Und da hab ich mich bereit erklärt, die Personal- und Sachkosten zu tragen. Ich hab die jetzt öffentlich darauf festgenagelt, erst waren es vier Komma fünf, plötzlich sechs Komma fünf oder sogar acht Millionen.« Das Vertragswerk war »sehr kompliziert, verwaltungstechnische Dinge und so, es gibt im Grunde keine Form, wie Privatleute mit 'ner Stadt so was machen. Was jetzt sicherlich nicht passieren darf, ist, dass das als Alibi benutzt wird: Grönemeyer hat was gemacht, jetzt wird die >Völkerfreundschaft< zum Aushängeschild der Jugendarbeit.« Sein Ziel war ganz klar: »Entscheidend ist, dass so viel Jugendliche wie möglich von der Straße wegkommen. Jeder sieht doch, wie der Rassismus blüht. Nicht aus politischer Überzeugung, nur aus Wut, aus Ohnmacht. Aber gewisse Segmente nutzen das, um die Verunsicherten an ideologische Gruppen zu binden und ihnen damit ein Wir-Gefühl zu geben. Man wundert sich, dass die Mächtigen solche Entwicklungen einfach laufen lassen.« Dabei war es ihm egal, ob die Jugendlichen ihn oder seine Musik mochten. »Ich bin nicht der Jesus mit Plüschohren.« Das Experiment war erfolgreich; 1998 konnte Grönemeyer vermelden: »Nach vier Jahren haben wir mit unserem Jugendclub bewiesen, dass es sich lohnt, dort Geld zu investieren. Die Kriminalitätsrate in dem Viertel ist in der Zeit deutlich gesunken, die Polizeistation wurde abgezogen. Ähnliche Projekte müsste man nicht nur im
Osten, sondern in der gesamten Bundesrepublik initiieren. Denn Perspektivlosigkeit und Arbeitslosigkeit sind Probleme von Jugendlichen in Ost und West.« »Von April 1994 bis Ende 2002 finanzierte Herbert Grönemeyer das Projekt >08/16< mit Sitz im Freizeitzentrum >Völkerfreundschaft< (>VölleDann werde ich eben nicht erfolgreich. Dann lasse ich es halt.Mir passt hier der Teppich nichtDas ist dein Untergang.< Ich habe es trotzdem veröffentlicht und 130000 Stück verkauft, was für ein Remix-Album sehr viel ist.« Alex Christensen, einer der Remixer, hatte unter dem Namen U96 mit »Das Boot« selbst einen fetten Hit mit einer Neuauflage von Klaus Doldingers Filmmusik zu Grönemeyers Kinoerfolg. Er sagte: »Herbert Grönemeyer ist eine deutsche Ikone, für ihn muss man einfach einmal gemixt haben.« Er habe sich zwar gewundert, als Grönemeyer bei ihm anklopfte, und wollte »Chaos« auch nur unter einer Bedingung dancefloortauglich machen: dass er lediglich drei Textzeilen benutzen und die Nummer in einer komplett anderen Geschwindigkeit
laufen lassen dürfe. »Und ihm gefällt's«, triumphiert der Soundbastler, »Hut ab vor Grönemeyer! Ich finde es erstaunlich, dass er dafür Ohren hat.« Fred Casimir, zu jener Zeit der für »Cosmic Chaos« verantwortliche A&R Manager bei der Emi Electrola, erinnert sich, dass die Plattenfirma tatsächlich arge Zweifel am Erfolgspotenzial des Albums hegte - und wie sehr Grönemeyer selbst sich für das Projekt engagierte: »Manche Kollegen dachten, die Platte würde höchstens zehntausend Einheiten verkaufen, es wurden aber über hundertfünfzigtausend. Man lernt eben nie aus. Tatsächlich aber dachten wir alle, dass als Nächstes die >UnpluggedCosmic Chaos< überrascht. Ich glaube, Herbert ist ein kreativ-neugieriger Mensch, der neue Wege geht, der sich entwickelt, statt permanent wiederzukäuen; deswegen sind seine Alben ja auch so gut. Und ein Teil dieses Prozesses war das Remix-Album, denke ich. Meine Kollegin vom Marketing, Monika Marcowitz, und ich hatten im Verlauf des Projektes unsere Büros mit >Cosmic Chaos< Deckenhängern und -Postern dekoriert, um uns Mut zu machen und Flagge zu zeigen, denn es hat in der Tat eine Weile gedauert, bis sich das Album verkauft hat. Aber dann ging es ja doch noch sehr gut. Auf alle Fälle fand ich die Idee von Herbert sehr mutig, weil er da Leute aus einem anderen Genre an seine Songs ranließ. Die Remixer hatten teilweise sehr viel Respekt vor dem Material, aber Herbert hat immer wieder alle ermutigt, noch radikaler an die Sache ranzugehen. Mir hatten viele Leute, die das nett gemeint hatten, vor der Zusammenarbeit gesagt, wie schwierig gerade dieser Künstler sei. Aber wenn wir in den Plattenfirmen einen Künstler, der sich so klar in seiner Arbeit definiert wie Herbert Grönemeyer, als >schwierig< empfinden, sollten wir vielleicht den Job wechseln. Nicht zuletzt dadurch, dass viele Mitarbeiter von Unterhaltungsfirmen die inhaltliche Diskussion mit den Künstlern nicht mehr führen, steht die Industrie vor großen Problemen.
Insgesamt habe ich Herbert Grönemeyer als einen Künstler in Erinnerung, der klar formuliert, der weiß, was er will, und der auf mich einen sehr fokussierten Eindruck machte. Ich fand die Zusammenarbeit sehr angenehm. Wir leben von der Arbeit der Künstler, und unser Job ist es, den Künstlern ein möglichst gutes Umfeld für diese Arbeit zu schaffen. Wenn man dazu die Musik des Künstlers noch persönlich mag, hilft das natürlich.« Das Album »Cosmic Chaos« wurde so ganz überraschend ebenfalls ein Erfolg, wie mittlerweile alles, wo »Grönemeyer« draufstand. Offiziell hatte Grönemeyer mit dem Werk nur beweisen wollen, dass man seine Titel sehr wohl hip aufarbeiten kann, und »natürlich, klar würde ich dazu tanzen«, betonte er. »Allen Unkenrufen zum Trotz halte ich mich für einen bestechenden Tänzer. Nebenbei bin ich auch ein absoluter Fan von House Music und finde die Dance-Version von Alex Christensen wirklich toll. Auch wenn er den Text auseinander reißt und nur noch Fragmente übrig lässt, ist das doch ein ganz entspannter Zugang zur Musik.« Grönemeyer empfindet die Remixe als einen ganz legitimen Umgang mit Musik: Der DJ oder Remixer »ist ein Collagekünstler, der ein neues, eigenständiges Werk entstehen lässt. Und Remixe sind neue Interpretationen eines existierenden Titels. Früher nannte man so etwas >Variationen über ein ThemaLuxusMännermercy< just take your witch broom and sweep me away and work your wonder today« (»Puss In Boots«) »Our south facing windows will gaze an a dazzling crystalline sea which I´ll smooth like our sheets every morning then retrieve sunken dreams carefully« (»Promise My Love«)
Das Cover änderte sich nur unwesentlich: Auf der englischen Version ist der Name »Herbert Grönemeyer« krakeliger, aber auch größer geschrieben. Dafür überarbeitete Grönemeyer auch diesmal das Tracklisting: »Chaos« (deutsch) 1. Chaos 2. Die Härte 3. Land unter 4. Fisch im Netz 5. Keine Garantie 6. Grönland 7. Ich geb nichts mehr 8. Morgenrot 9. Kein Verlust 10. Die Welle
»Chaos« (englisch) 1. Chaos 2. Promise My Love (Morgenrot) 3. Lead Me Home (Land unter) 4. Hard Heads (Die Härte) 5. Greenland (Grönland) 6. I've Had Enough (Ich geb nichts mehr) 7. Puss In Boots (Fisch im Netz) 8. Hole In My Head (Kein Verlust) 9. No Guarantee (Keine Garantie) 10. The Wave (Die Welle)
Wieder wie schon bei »Luxus« - verändert sich durch die Umstellungen nicht der emotionale Ablauf der CD, wohl aber die Gewichtung der Themen: Leichter zugängliche Songs wandern nach vorn, speziell auf Deutschland zugeschnittene Tracks (zum Beispiel »Die Härte«) kommen später. Nach »What's All This« und »Luxus« war dies die dritte und bislang letzte - englische Veröffentlichung Grönemeyers. Stolz vermerkte er später: »Inzwischen gibt es wie im Film oder in der Malerei und Literatur auch in der Musik eine spezifische deutsche Qualität. Eine meiner englischsprachigen Platten ist mal in der >New York Times< rezensiert worden: >Best lyrics of the yearbut maybe too complicated for the American public.< Ich bekam trotzdem fünf Sterne.« »Grand Prix«Organisator Jürgen Meier-Beer sieht das ähnlich: »Die hohe Qualität von Herbert Grönemeyer, die bei uns seinen Reiz ausmacht, ist international nicht verständlich.« Und selbst wenn der Verkauf - national wie international - hinter den Erwartungen zurückblieb, so sind diese Fassungen doch vielleicht als so etwas wie die Urversionen der Songs anzusehen, als Grönemeyers ganz persönliche Interpretation seines eigenen Schaffens, denn für ihn sind die deutschen Texte ja von keiner allzu großen Wichtigkeit. Die »Chaos«-Tournee veranstaltete Karsten Jahnke. Er arbeitete bereits seit 1982 mit Herbert Grönemeyer zusammen: »Unter dem Titel >Total Egal< haben wir 1982 die erste Tour veranstaltet. Diese Tour dauerte fünf oder sechs Tage, ein Schnitt von achtzig Besuchern, aber schon mindestens fünf Zugaben. Und eine Ausnahme: In Bochum waren 330 Zuschauer! Berlin war witzig, da waren im Vorverkauf zehn Karten verkauft. Um neun sollte das Konzert beginnen. Wir haben uns zusammengesetzt und entschieden: Sollten um neun Uhr zwanzig Karten verkauft sein, spielen wir. Wenn nicht, zahlen wir zurück. Um fünf Minuten vor neun wurde die
zwanzigste Karte verkauft. Er hatte damals schon >Das Boot< gedreht und von >Total egal< zwanzigtausend Stück verkauft. Die Plattenfirma war der Meinung, schuld an den geringen Zuschauerzahlen wären natürlich wir. Deshalb ließen sie die nächste Tour von Fritz Rau veranstalten. Da kamen auch nicht mehr Leute. Mein Glück war, dass Fritz keine Zeit hatte und sich nicht um den Künstler kümmern konnte. Dann gab Grönemeyer uns ein Tape mit, da war >Bochum< drauf, und ich weiß noch, wie wir uns das angehört haben. Wir sagten: Wahnsinn, toll! Damit wird er bestimmt erfolgreich, da wird er bestimmt fünfzigtausend Stück verkaufen. Ich glaube, die Platte ist inzwischen bei drei Millionen ... Ich halte auch nach wie vor den Song >Bochum< für einen der besten, die je in Deutschland geschrieben wurden. Bei der >Bochum-Tour< hatten wir dann gleich einen Schnitt von dreitausend Besuchern, und dann haben wir das kontinuierlich gesteigert.« Nun fragt man sich: Warum organisiert jemand die Tournee eines unbekannten Schauspielers aus dem Ruhrgebiet? Jahnke: »Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht. Ich hatte das Glück, die Tourneen von Insterburg & Co. zu veranstalten. Das war ab 1967. Mit der Gruppe haben wir immer nur Geld verdient, das war ein Traumdeal. Wir konnten es uns deshalb leisten, Gruppen aufzubauen, denn anders geht es ja nicht. Und von Grönemeyer war ich absolut überzeugt.« Und er sollte Recht behalten: »Er war ja anfangs ein singender Schauspieler«, gibt Jahnke zu, aber »das hat sich natürlich geändert. Außerdem finde ich, dass seine Texte im Laufe der Jahre noch besser geworden sind.« Auch die folgende Tour »Bleibt alles anders« 1998/1999 veranstaltete Jahnke, erst »Mensch« übernahm dann die Frankfurter Agentur MLK von Marek Lieberberg. Jahnke gibt zu: »Wir haben deswegen mehrmals telefoniert und uns getroffen. Herbert hat mir erklärt, dass er nach dreißig Jahren einfach mal neue Wege gehen wollte. Einen konkreten Grund gibt es nicht. Als Profi muss man solche Entscheidungen natürlich akzeptieren, als Freund und
langjähriger Weggefährte ist so etwas trotzdem sehr schmerzlich.« Jahnke schätzt die Dimension der »Von gestern bis Mensch«Tour: »Zwölf Laster wird er auf der aktuellen Tournee schon haben. Dann braucht man pro Truck zwei Fahrer, dazu kommen Roadies für den Aufbau der Bühne und der Anlage.« Er erklärt auch, wieso alle Beteiligten mit den relativ günstigen Eintrittspreisen dennoch gut fahren: »Die Konzerte sind auch für den Veranstalter knapp kalkuliert. Aber wir haben mit Grönemeyer immer Geld verdient, da wir sicher sein konnten, dass die Konzerte ausverkauft werden.« Im direkten Umgang erlebte er Grönemeyer als durchaus anstrengend, aber angenehm ehrlich: »Er ist sehr dominant und sagt, wie er etwas haben will. Und dann wird das so gemacht. Wenn man so lange miteinander arbeitet, dann bleibt es nicht aus, dass man bei der einen oder anderen Sache auch mal unterschiedlicher Meinung ist. Wir wären nicht so weit miteinander gegangen, wenn wir diese Dinge nicht immer gleich offen und ehrlich ausgetragen und erklärt hätten. Wie gesagt, es ging nie hintenrum. Wenn ihn etwas störte, wurde es sofort ausdiskutiert. Grundsätzlich sind Künstler wie Rennpferde, wenn irgendetwas schief geht, gibt es sofort Ärger. Ich bin der Letzte, der dafür kein Verständnis hat. Schließlich sind wir Dienstleister, wenn der Künstler irgendetwas haben will, dann bekommt er es.« Das Grönemeyer-Konzert, an das Jahnke sich am intensivsten erinnert, fand in Grömitz statt: »Das aufregendste Konzert war in Grömitz, Open Air. Es herrschte Windstärke neun. Wir haben das Bühnendach schon gar nicht aufziehen können. Dann haben wir den Seewetterdienst angerufen und gefragt: Wie sieht's aus? Regnet es, oder regnet es nicht? Die haben gesagt: Es regnet nicht. Ich fragte: Können wir uns darauf verlassen? Da steht immerhin eine Anlage, die richtig Geld kostet. Die sagten: Ja, können Sie sich drauf verlassen. Also sind wir das Risiko eingegangen. Herbie und seine exzellente Band haben gespielt - und die Hosenbeine flatterten
lauter, als die Gitarren klangen! Es war über Windstärke neun, aber es gab keinen Regen, und das Konzert ist gut verlaufen. Das hat er mitgemacht und fand es eigentlich sogar unheimlich gut. Sie haben dann eben einfach mit gewaltigem Druck gespielt.« Dass man Grönemeyer in Konzerten nicht wirklich einwandfrei verstehen konnte, erstaunte Jahnke durchaus - und er betont, dass es nicht etwa an der Abmischung oder dem Sound läge. Grönemeyer selbst erklärte ihm: »Er hat gesagt, das mache er sozusagen >extraBAP< natürlich weniger Platz ein als >Herbert Grönemeyer und BandBAP< draufschreibt, ist das eben größer als >Herbert Grönemeyer und BandsternZeit< ja nicht die >Bunte< ist oder >GalaBildMusikexpress< zwar noch pünktlich erschien, aber auch nur, weil der Drucktermin um eineinhalb Tage verschoben wurde - die Druckerei hat letztlich nachts gedruckt. Eine solche Verschiebung kostete den Verlag damals pro Tag 25000 Mark, es war somit das teuerste Interview, das der >Musikexpress< je gedruckt hat. Wir hatten sechs
Korrekturdurchläufe, es fiel ihm immer wieder etwas Neues ein. Jeden Tag kamen neue Änderungen. Grönemeyer wusste um die Druckverzögerung und rief mich am Ende selber noch mal an und meinte, jetzt wäre alles wunderschön. Auch seine Frau würde das Interview jetzt gut finden. Er war völlig happy. Aber eine Platte später wurde für den >Musikexpress< eine Fotoproduktion durchgeführt, und der Fotograf Fred Stichnoth kam zurück und erzählte, Grönemeyer habe sich während der gesamten Foto-Session darüber ausgeweint, dass er vom >Musikexpress< und Peter Wagner über den Tisch gezogen worden wäre. Wir hätten ein Interview veröffentlicht, in dem nur Sachen standen, die er so nie gesagt habe. Jahre später hatte ich für den >Rolling Stone< um ein Interview mit Grönemeyer gebeten, aber in der Konferenz bei der Plattenfirma lehnte Grönemeyer es ab, mit mir zu sprechen. Andererseits haben wir uns in der Zwischenzeit zweimal im BackstageBereich von Konzerten getroffen und uns nett unterhalten. Eine sehr seltsame Geschichte. Eines möchte ich aber noch sagen, es gibt nämlich einen wesentlich unangenehmeren Interviewpartner, und das ist Marius Müller-Westernhagen. Und zwar einfach aus dem Grund, dass Westernhagen seit zehn Jahren jedes Frage-Antwort-Interview von einem anonymen Musikjournalisten in München auf seine Kosten komplett neu schreiben lässt. Deshalb lesen sich die zeitgleich erscheinenden Westernhagen-Interviews auch gleich. Man fragt sich, wozu man mit ihm überhaupt ein Interview führt. Ein Interview mit Grönemeyer basiert immer noch auf dem Gespräch, das stattgefunden hat.« Aber nicht nur mit den Vertretern der »großen«, für die Promotion unverzichtbaren Medien stellte Grönemeyer sich gut. Auch beispielsweise Andreas Weihs (Inhaber der AW Music Entertainment Group), der über Grönemeyer unter anderem in der »Sächsischen Zeitung« schrieb, hat Gutes zu berichten: »Zunächst muss ich deutlich machen, dass ich keine >Interviews< in dem Sinne mit Herbert gemacht habe, in der Form:
Anfrage an Management oder Plattenfirma - Termin Viertelstunde Fragen stellen - wieder weg. Vielmehr ist es so, dass ich im Lauf der Jahre einige Pressekonferenzen miterlebt und Herbert auch davor oder danach persönlich gesprochen habe. Gespräche mit ihm habe ich auch in Hotels geführt, zum Beispiel nach Konzerten. Diese Gespräche hatten nicht wirklich die Form von Interviews, ich habe allerdings mit ihm über die Dinge gesprochen, die mich als Journalisten interessierten, und es zum Teil später aufgeschrieben beziehungsweise in Artikel einfließen lassen. Aus diesen Gründen gab es nie eine >Autorisierung< und eben auch keine Probleme damit. Ich habe Herbert immer nur freundlich und entgegenkommend erlebt. Wenn man ihn erst einmal >allein erwischtMensch< im letzten Jahr hat er sich - für mich das erste Mal bewusst ausführlicher über seine Frau und seine Familie geäußert. Da ich auch Fotograf bin (oder eigentlich eher Fotograf als Journalist), habe ich ihm auch Fotos, die ich machte, gezeigt, und Herbert fand einige Motive so gut, dass er mich bat, für ihn privat einige Abzüge (übrigens im Posterformat Al) zu machen. Fazit: Im Grunde kann ich über Herbert persönlich nur Gutes berichten. Er selbst war jederzeit freundlich, aufgeschlossen, witzig ... Ob das >echt< ist oder nicht, kann ich natürlich nicht beurteilen, da ich - wie viele andere, die er in der >Öffentlichkeit< trifft - ihn als Prominenten entsprechend >beobachteoffizielle< Termine geht, denn dann sind jederzeit so
viele Leute um ihn herum, die - zumindest nach dem, was ich selbst erlebte oder auch von Kollegen hörte - erst mal alles abblocken (>Das geht nicht!Bochum< erscheint nun auf Grönemeyers GrönlandLabel und wird von der Emi nur vertrieben. Prompt wurde wieder mein Name heruntergenommen. Den entsprechenden Prozess habe ich im Frühjahr 2003 gewonnen.« Tatsächlich wird auf der aktuellen Fassung von »4630 Bochum« einfach gar kein Drummer genannt, was - wenn man mal genau hinhört - recht unwahrscheinlich wirkt. (Kessler wird weiterhin als Percussion-Solist bei »Mambo« aufgeführt.) Kessler weiter: »Wer an einem Act mitarbeitet, möchte daran auch partizipieren. Ich habe mit siebzehn Jahren mit meiner damaligen Band Panta Rhei bereits in der DDR vor vierzigtausend Leuten gespielt. Ich habe die DDR nicht verlassen, um angestellter Stripper zu werden! Grönemeyer habe ich 1981 kennen gelernt über dessen Band Ocean, die haben viele Songs von Blood, Sweat
and Tears nachgespielt. Diese Stücke kannte ich gut, denn wir haben sie auf einer DDR-Tour mit der KlausLenz-Bigband, der ehemaligen Bigband von Manfred Krug in den sechziger, siebziger Jahren in der DDR, 1976/77 ebenfalls gespielt. Ich habe vier Jahre eng mit Grönemeyer zusammengearbeitet, auch deswegen, weil er in Köln wohnte und ich in Brühl und die übrige Band im Raum Mannheim. Das war schon eine gigantische Zeit. Aber die Platte >Bochum< hat uns alle viel Kraft gekostet. Wir haben im November 1983 angefangen, die Aufnahmen vorzubereiten, teilweise bei mir im Keller in Brühl. Ein halbes Jahr lang haben wir vorbereitet, arrangiert, aufgenommen. Den kreativen Prozess geleitet haben die Musiker Norbert Hamm, Gaggy Mrozeck und ich, wofür Grönemeyer uns an den Produktionslizenzen mit jeweils einem Prozentpunkt beteiligt hat. Ich habe mein Geld allerdings erst nach einer Klage erhalten. Die Bandmusiker bekamen für die gesamte Studioarbeit an >Bochum< damals je etwa fünftausend Mark. Aber eine solche LP - und >Bochum< ist immer noch Grönemeyers erfolgreichstes Album - kann nur durch Teamwork entstehen. Aber die Musiker bekamen nur einen Apfel und ein Ei. Wir bekamen 82/83 hundert Mark pro Auftritt - und dann hatte er plötzlich einen Solovertrag! Auf der Bochum-Tour haben wir vertraglich zugesichert auch nur fünfhundert Mark pro Auftritt bekommen, immerhin aber noch eine prozentuale Gewinnbeteiligung. Aber im Verhältnis zu den Einnahmen von Künstler, Management und Veranstalter war das immer noch sehr wenig.« Dass Künstler ein gewisses Durchsetzungsvermögen, eine grundsätzliche Egozentrik mitbringen müssen, bestreitet Kessler gar nicht: »Damals konnte man sich durchaus so entscheiden, wie er es getan hat - aber man musste nicht. Er hätte auch alle beteiligen können. Gröni spendete Millionen für Greenpeace, aber uns hat er das Bier am Tisch nicht bezahlt.« (Andere langjährige Partner, beispielsweise der Hamburger Konzertveranstalter Karsten Jahnke, bezeichnen Grönemeyer als »sehr
großzügig«, er lade speziell auf Tour oft ein.) Kesslers Nachfolger, Drummer Armin Rühl, ist auch zufrieden: Von Anfang an sei er nur Mitglied einer erklärten Begleitband gewesen, und »Herbert ist ein dufter Chef. Ich habe mich noch nicht streiten müssen wegen Kohle, das lief immer alles cool.« 1993 hatte Grönemeyer dann plötzlich Flugzeuge im Kopf - und nicht im Bauch. Er war nämlich im Dezember 1992 beim Antirassismus-Konzert »Heute die! Morgen du!« aufgetreten. Durch Zufall entdeckte er einen Videomitschnitt des Konzertes, den die Lufthansa an die Goethe-Institute in aller Welt verteilen wollte: »Ich habe es auf einem Schreibtisch in der Plattenfirma gesehen. Schön eingepackt mit dem Logo der Lufthansa, wie alle Dinge, mit denen sie Reklame machen.« Grönemeyer ließ die Videos zurückholen, denn die beteiligten Musiker waren nicht einmal gefragt worden, ob sie einverstanden seien. Er erklärt: »Die Plattenbosse, allen voran der damalige WEA-Chef Gerd Gebhardt, hatten dieses Benefizkonzert an die Lufthansa verscheuert, ohne dass die Künstler, die alle umsonst aufgetreten waren, davon wussten. Es geht nicht, dass man anschließend auf ganz billige Art mit den Künstlern Werbung treibt.« Fünfhundert dieser Videos sollten an GoetheInstitute in aller Welt verschickt werden, »um zu zeigen, die Deutschen sind gar nicht so. Und vorne drauf stand >LufthansaIch bin ein Ausländer!< Auf großen Wänden wurde überall in Deutschland plakatiert. Das habe ich komplett mit vier Millionen Mark finanziert, aber nie darauf hingewiesen, dass das von mir kommt.« Und so kleinkariert einem der Feldzug des Sängers auf den ersten Blick erschienen sein mag: Wo er Recht hat, hat er Recht. Dass die Lufthansa die Videos nicht (nur) verteilte, um gut Wetter für die Deutschen, sondern zumindest auch, um gut Wetter für die Lufthansa zu machen, ist
offensichtlich. Auch wenn Peter Hobel von der LufthansaPresseabteilung in Frankfurt beteuerte: »Uns ging es doch nicht um Eigenwerbung. Wir waren der Meinung, dass die Botschaft dieses Festivals weltweit gezeigt werden musste, um auch in anderen Ländern klar zu machen, dass die Mehrzahl der Deutschen gegen den Fremdenhass aufsteht.« »Ich habe nichts gegen die Lufthansa, aber dann könnten wir uns auch von Chappi vermarkten lassen«, betonte Grönemeyer. Und die Kollegen stimmten ein. BAP-Sänger Wolfgang Niedecken: »Herbert hat völlig Recht. Das ist keine Lappalie. Man darf nicht vergessen, dass die Goethe-Institute deutsche Vorzeigeeinrichtungen im Ausland sind. Was die Politiker bei uns versäumen, sollen wir Musiker dann als Pausenclowns ausgleichen, indem wir in aller Welt als gute Deutsche präsentiert werden.« Tote-Hosen-Sänger Campino stellte sich ebenfalls hinter Grönemeyer: Den gesponserten Videoversand bezeichnete er als »ätzend«. Die Künstler setzten sich auch vor Gericht durch, der Lufthansa wurde ein Ordnungsgeld von bis zu fünfhunderttausend Mark angedroht. Grönemeyer: »Alle haben auf mich eingedroschen, ohne dass jemand mit mir redete. Die dachten, sie hätten mich endlich mal erwischt. Fakt ist, dass ich völlig im Recht war. Ich habe am Ende auf eigene Kosten die Folien abreißen und die Kassetten an die Goethe-Institute zurückschicken lassen.« Wobei er zugibt: »Natürlich hätte ich diese Lufthansa-Geschichte etwas entspannter angehen können: erst mal die Kollegen anrufen, Einigkeit herstellen und dann eine Pressekonferenz einberufen. Das Ganze hätte dann zwei, drei Wochen gedauert, und in der Form wäre es sicherlich besser gewesen. Aber die Kassetten hätte ich trotzdem eingezogen. So locker werde ich nämlich nie.« Doppelt ärgerlich war die Angelegenheit für ihn, weil er eigentlich gar nicht hatte mitmachen wollen - gerade um dem Medienrummel zu entgehen: »Ich fand die ganze Aktion ziemlich peinlich, wenn nicht gar beschämend. Doch wollte ich den Klatschspalten keine Nahrung liefern.
Benefizkonzerte als Jahrmärkte der Eitelkeiten zu missbrauchen ist schon ziemlich arm. Dieser ganze Hickhack, wer denn nun der Tollste ist, interessiert mich nicht.« Immerhin: Am Ende konterte »Ritter Herbert«, das »versteinerte Monument der Selbstgewissheit« (so »Die Woche«) überraschend lässig Udo Lindenbergs Kommentar, er hätte ja auch ein bisschen lockerer mit der ganzen Sache umgehen können: »Ich bin aber nicht locker. Ich muss mir nicht von anderen Leuten vorschreiben lassen, wann ich locker zu sein habe. Ich küsse auch anders als Lindenberg. Ich schlafe auch anders mit einer Frau als Lindenberg. Und wenn eine Frau sagt, der Udo macht das aber besser als du, dann kann ich nur sagen: Dann schlaf doch mit Udo!« Er gibt auch zu: »Das Problem mit meiner großen Klappe hatte ich schon immer.« Manchmal schieße er auch über das Ziel hinaus, aber dazu stehe er. Grönemeyer: »Wenn Sachen wie mit der Lufthansa passieren, brennt natürlich das Haus.« Das Danceprojekt Loona veröffentlichte 1999 den Titel »Mamboleo«, eine spanischsprachige Dance-Version von Grönemeyers »Mambo« (der Parkplatzsuchnummer am Schluss von »Bochum«). »Das war 'ne linke Nummer«, beschwerte sich Grönemeyer. »Loona hat das einfach veröffentlicht, ohne mich zu fragen. Und da war ich tierisch sauer, und dann haben die auch noch so ein bescheuertes Video dazu gedreht«, da »hampelten die völlig dämlich am Strand auf Mallorca rum«. Grönemeyer wollte die Dance-Version seines alten Songs am liebsten verbieten lassen. »Ich sagte: Das kommt gar nicht in die Tüte. Die hatten das aber schon alles produziert und rausgebracht. Erst habe ich gesagt: Das müsst ihr vom Markt nehmen, da waren die völlig fertig. Dann habe ich gesagt: Dann dreht ihr zumindest das Video noch mal neu. Dann haben die ein unheimlich gutes Video gedreht, da habe ich ihnen selber noch den Regisseur zu geschickt. Ich fand es wirklich eine Unverschämtheit,
dass die das veröffentlicht haben, ohne meine Zustimmung, und das Gemeine war aber dann, und deswegen hat er [gemeint ist DJ Sammy von Loona] sich tierisch aufgeregt - das wusste ich aber nicht-, die Kosten fürs Video wurden ihnen abgezogen. Weil das in ihrem Vertrag so stand. Das waren ein paar Mark fuffzig, ich glaube, die haben das in Südafrika gedreht.« Seitdem seien die Loona-Macher »ziemlich stinkig. Aber die Art und Weise, wie die vorgegangen sind, war absolut unsauber, und das hat mich verdammt geärgert.« DJ Sammy, aus Spanien stammendes Mastermind hinter »Loona«, sieht das anders: »>Mamboleo< ist wirklich nicht mein einziger Erfolg. Glaube mir, wenn ich etwas nehme, frage ich vorher. Grönemeyer selbst war nicht erreichbar. Ich habe ihm eine Nachricht hinterlassen. Er rief zurück, aber hatte auch nur meine Mailbox dran. Ich sprach dann mit seinem Anwalt in Berlin. Der sagte: >Sammy, Herbert ist begeistert, superbegeistert.< Ich habe ein >Rough Demo< von der Cover-Version gemacht, es Grönemeyers Anwalt und Manager vorgespielt, die sagten: >Das ist perfekt, mach das!< Wir haben die Konditionen verhandelt. Ich bekam für den neuen Text nur ein Bearbeitungshonorar. Liebe Menschen nennen einen als Co-Autor, nicht nur als Bearbeiter. Aber es war alles klar, wir haben das Lied veröffentlicht, und es stieg von null auf zwei in die Trendcharts ein. Doch dann kam ein Fax: Stoppt das Video, es gefällt Grönemeyer nicht. Dabei war das doch unser Video zu unserem Song! Außerdem wollte er plötzlich mehr Prozentpunkte am Einspielergebnis bekommen, und die volle GEMA. Das ist typisch für Menschen, die schon viel Geld haben - sie wollen immer noch mehr! Er hätte ja anrufen können, wir hätten darüber geredet. Aber er macht den Menschen das Leben schwer, und das ist nicht richtig. Ich hatte auch einen Termin mit seiner Managerin in Berlin, im Hotel Esplanade, bin extra aus Mallorca dorthin geflogen, aber dann rief sie an und sagte, sie habe doch keine Zeit. Das war nicht Grönemeyer selbst, aber die Menschen, die einen umgeben, repräsentieren
einen! Von mir kriegt dieser Mensch keinen Respekt mehr, keinen! Dabei habe ich die Melodie von >Mambo< geliebt, ich habe super Arbeit gemacht. Und wenn Grönemeyer jetzt sagt, er wusste von gar nichts, ist das nicht wahr: Er hat mir ja selber auf die Mailbox gesprochen.« Und natürlich treiben alle möglichen Leute auch schlicht Schindluder mit dem Status von Prominenten. So warb die Berliner »B.Z.« im Jahr 1999 mit dem Spruch »Fühlen, was geschieht« für sich - und zeigte dazu ohne Zustimmung unter anderem Herbert Grönemeyer, wie er während eines Konzerts von einem Weinkrampf gepackt wurde. »Dies ist einer der eklatantesten Fälle von unzulässiger Nutzung eines Prominentenbildnisses, die mir je begegnet sind«, sagte Presserechtler Christian Schertz dazu. Grönemeyer ließ die Poster-Werbung durch eine einstweilige Verfügung stoppen, das Berliner Landgericht gab seinem Eilantrag statt, die Plakate mussten unverzüglich wieder abgehängt werden. Auch bei der Beerdigung von Grönemeyers »Boot«-CoStar Klaus Wennemann am 22. Januar 2000 kam es zu einem Zwischenfall, wie er nur einem Promi widerfahren kann: Der Fotograf Gerd Nahke hatte sich beklagt, Grönemeyer habe sich »unvermutet und unverständliche Worte brüllend« auf ihn gestürzt. »Erst traf der Sänger meinen Kopf, dann griff er sich meine Kameraausrüstung und zertrümmerte sie mit Fußtritten am Boden. Mein Objektiv fand ich auf einem anderen Grab wieder«, berichtete der Fotograf. Er habe sich ins Krankenhaus begeben müssen. Grönemeyer konterte: »Während der Beerdigung hat ein Fotograf immer wieder direkt vor den Angehörigen von Herrn Wennemann mit Blitz fotografiert. Trotz mehrfacher Aufforderung der engsten Verwandten, dieses zu unterlassen und die Trauer nicht zu stören, ist der Fotograf immer wieder bis zu einer Distanz von einem Meter auch an mich herangetreten und hat Fotos gemacht. Erst dann bin ich auf den Fotografen
zugegangen und habe nach der Kamera gegriffen. Ich habe auch nur diese berührt. Auf Gegenwehr bin ich nicht gestoßen. Ich habe dann die Kamera genommen und auf den Boden geworfen. Falsch ist, dass ich eine Kameratasche heruntergerissen habe oder auch Objektive auf ein Grab geworfen habe. Insbesondere habe ich den Fotografen selbst körperlich noch nicht einmal berührt, also weder seine Hände noch andere Stellen seines Körpers. Ich habe ihm insbesondere nicht ins Gesicht geschlagen oder auf den Kopf. Es ist sicher, dass eine Gehirnerschütterung durch die von mir beschriebene Einwirkung ausgeschlossen ist. Im Übrigen hat der Fotograf Nahke, der behauptet, ich habe ihn geschlagen, nachdem ich ihm die Kamera weggenommen habe, eine andere Kamera herausgeholt und weiterfotografiert und begleitete die Beerdigung dann noch circa zehn Minuten weiter.« Der Fotograf zeigte Grönemeyer wegen Körperverletzung an, dieser seinerseits den Fotografen wegen übler Nachrede und falscher Verdächtigung. Im Oktober 2000 wurde die Sache sang- und klanglos beigelegt, denn »es besteht kein öffentliches Interesse an dieser Privataktion«, so die Staatsanwaltschaft Bochum. Dass Grönemeyer auf einer Beerdigung nicht fotografiert oder beobachtet werden möchte, kann wohl jeder nachvollziehen. Aber auch wenn er sich in die Öffentlichkeit begibt, auf eine Promiparty geht, möchte er gern die Spielregeln bestimmen: Auf der Party nach dem »Echo« im März 2000 schüttete er Fotografen Wasser ins Gesicht. Möglicher Grund in diesem Falle: »Herbie wollte keine Fotos, weil er sich das erste Mal nach dem Krebstod seiner Frau Anna« mit einer anderen Frau »auf einer Party zeigte. Den ganzen Abend plauderte er angeregt mit seiner schönen Unbekannten. Und alle fragten sich: Ist der Popstar wieder verliebt?«, spekulierten die Reporter. Doch wer ohne Presserummel feiern will, sollte gar nicht erst zu solchen Partys gehen. Prompt kürte die »Gala« Grönemeyer zum »Künstler mit den schlechtesten Manieren«.
Belastend und schwierig war zudem, dass Grönemeyer die Krebserkrankungen seines Bruders Wilhelm und seiner Frau Anna vor der Öffentlichkeit geheim hielt, solange es ging - gerade diese selbst auferlegte Verschwiegenheit machte die Situation sicher noch anstrengender und belastender, als sie ohnehin schon war. Denn nicht nur waren zwei Familienmitglieder todkrank, es bestand auch die Gefahr, dass dieses Geheimnis herauskam und ein Publicity-Sturm über die Grönemeyers hinwegfegte. Wer jemals untreu gewesen ist oder in einer wichtigen Angelegenheit gelogen hat, weiß, wie belastend allein schon das Aufrechterhalten der falschen Fassade ist. So verwundert es nicht, dass Grönemeyer zwischen »Chaos« und dem nächsten Studioalbum »Bleibt alles anders« satte fünf Jahre vergehen ließ. Er war mit Wichtigerem beschäftigt, als Platten zu machen. Hinzu kam, dass bereits »Chaos« einen kreativen Richtungswechsel eingeläutet hatte: Das Album war musikalisch vielseitiger und offensiver als alle zuvor. Es forderte mehr - vom Künstler, aber auch vom Zuhörer. Doch das reichte Grönemeyer nicht, er hatte wohl das Gefühl, in kreativem Treibsand zu stecken: Selbst produzieren, immer die gleiche Band - das bedeutet letztlich kreativen Stillstand, und »Stillstand ist der Tod«, wie er dann im Titelsong »Bleibt alles anders« sang. Die Kreativpause hatte er bitter nötig: »Nach >Bochum< bestanden neun Jahre aus Platte, Tour, Platte, Tour, irgendwann muss man aufpassen, dass man nicht zu seiner eigenen Karikatur wird. Man muss gucken: Wie macht man weiter, wie macht man Musik, so dass man selber das Gefühl hat, man entwickelt sich weiter«, sagte Grönemeyer. Er litt also nicht etwa an einer Art kompositorischer Ladehemmung, sondern hatte sich entschlossen, sich weiterzuentwickeln: »Musik schreibe ich immer«, erklärte er. »Das ist für mich ein ganz alltäglicher Vorgang wie Duschen oder Zähneputzen. Es gab keine Schreibhemmung, aber ich hatte das Gefühl, ich müsste
mir jetzt nach den ganzen Jahren des Erfolgs überlegen, wie es weitergehen soll. Ich hatte dreißig, fünfunddreißig Stücke fertig und musste mir grundsätzlich darüber klar werden, wie die klingen sollten. Allein anderthalb Jahre hat es gedauert, bis ich den passenden Programmierer als Partner gefunden hatte. In dem Vertrag mit meiner Plattenfirma steht drin, dass ich meine Platten machen kann, wann ich will. Wenn ich was mache, muss ich selber auch das Gefühl haben, weiterzukommen.« Grönemeyer erweiterte also seinen musikalischen Horizont, erkämpfte sich seine musikalische Freiheit mit einer bedingungslosen Sturheit, die auch dem Fotografen Jim Rakete eigen ist: »Ich wüsste nicht, wo ich geblieben wäre, wenn ich diese Sturheit nicht hätte«, sagt der. »Ich habe kein so großes Selbstbewusstsein wie der Herbert. Aber wenn es darum geht, nein zu sagen, fragt er nicht, wie viel ihn das Nein kostet. Ich denke auch, ein gewisses Maß an Komplexität muss man mitbringen, um diesen Forschungsauftrag hinzukriegen, den der Herbert für sich zum Programm gemacht hat.« Der kämpfe »entsetzlich mit Texten. Er macht es sich schwer, den richtigen Text zu finden. Er probiert da unheimlich rum. Aber er hat auch die Kraft, das auszuhalten, er steht das durch. Und genauso ist es mit der Musik. Die war früher sehr konventionell, und dann ging es irgendwann darum, den Sound zu erneuern: Da setzte er sich dann mit einem englischen DJ hin und arbeitet ein Jahr, und unter Umständen musste er 95 Prozent davon wegwerfen. Was er macht, ist nicht unbedingt das Ergebnis, sondern vielleicht nur ein Zwischenergebnis, aber es hat ihn klüger gemacht. Er kann sehr methodisch arbeiten. Er ist sehr erwachsen in seiner Arbeitskultur, und er verzettelt sich nicht.« Bei der Arbeit an »Bleibt alles anders« leistete Grönemeyer sich zudem den Luxus, das angenehme Wohn-Arbeiten mit der Band zusammen (wie schon bei »Ö« erprobt) zu wiederholen, er spielte »Bleibt alles anders« unter anderem in London, Wales und Paris ein: »Wir hatten uns nicht vorgenommen, eine Platte zu
machen, die möglichst international klingen sollte. Für die verschiedenen Orte sprachen ganz pragmatische Gründe. Es gibt in Deutschland kein Studio, in dem man auch wohnen kann. Deshalb sind wir nach Wales gefahren, weil die Band und ich dort in einem Bauernhof zusammen leben und arbeiten konnten. Nach Paris und Düsseldorf sind wir wegen einer speziellen Studiotechnik gegangen. Und am Ende habe ich dann hier in Berlin im HansaStudio mit dem Programmierer Alex Silva die Bänder bearbeitet. Diese Orte hatten sicher Einfluss darauf, wie die Stücke klingen. Eine Platte ist wie ein Schnappschuss: So siehst du in diesem Moment aus, so denkst du, und so fühlst du dich.« Der musikalische, textliche, kreative Kraftakt »Bleibt alles anders« wurde so zum ersten Grönemeyer-Album, das auch seiner Frau Anna gefiel. Das gab er auch stolz in Interviews zu. Edo Zanki kann diese Freude verstehen: »Die Person Anna spielte vom allerersten Augenblick, und auch für jeden, der sie je getroffen hat, eine große Rolle. Sie hatte einen großen Zauber. Obwohl sie klein und zart war, hatte man nie das Gefühl, ihr helfen zu müssen. Ich kann mir vorstellen, dass Herbert und Anna aneinander ein ganz besonderes Faszinosum fanden. Herbert als ein Mensch, der von sich sehr eingenommen und überzeugt ist, traf auf eine hochinteressante und künstlerisch so potente Frau, die einerseits ihre großartige schauspielerische Karriere an den Nagel hängt, um Herbert Grönemeyers Frau zu sein, gleichzeitig aber seine Musik nicht sonderlich mag. Ich war auch mal in Köln bei ihnen zu Hause, und natürlich hat sie auch manches gut gefunden und mitgeträllert. Aber fünfzehn Jahre für sie Platten zu machen, so lange, bis sie sie liebt - das ist typisch Herbert Grönemeyer. Der Berg muss bestiegen werden. Es muss gekämpft werden. Und jeder Kampf lohnt sich, um die Liebe der Königin zu erlangen. Sie muss eine sehr tiefe, sehr besondere Frau gewesen sein - an einer kleineren Herausforderung hätte der Herbert Grönemeyer auch keine Freude gehabt.«
Tatsächlich hatte Anna auch erst mit den Songs auf »Bleibt alles anders« bemerkt, dass ihr Mann im Grunde alles, was er schrieb, für sie schrieb - für sie und wieder sie. Grönemeyer: »Sie hatte mal gesagt, sie habe nie gewusst, dass ich sie so liebe, das heißt, obwohl ich mir die Seele wund schrieb, habe ich sie dennoch nie erreicht. Mit der Platte hat sie dann gemerkt, dass die Lieder doch für sie waren.« Gerade noch rechtzeitig. Grönemeyer bestätigt: »Es ging nie um Erfolg. Anna war auch Künstlerin und wusste, was es heißt, sich weiterentwickeln zu wollen. Ich hatte nie das Ziel, die nächste Platte besser zu verkaufen als die letzte.« Nach Annas Tod gestand der Sänger: »Ich habe eigentlich zur Musik ein relativ unbefangenes, ursprüngliches Verhältnis gehabt. Das hat sich ein bisschen verändert, weil eben auch diejenige, die die ganze Euphorie ausgelöst hat, nicht mehr da ist.« Ein letztes Mal war er ihr - und der ganzen Familie - mit seinen Songs, seiner Suche nach Melodien und irgendwann auch nach Texten auf die Nerven gegangen: »Wenn ich ein Lied geschrieben habe, singe ich das auch mal eine Stunde lang. Das geht einem vermutlich furchtbar auf den Senkel. Das ist, wie wenn jemand Geige übt, der's noch nicht kann. Aber ich halte mich in dem Moment für wunderbar und klasse.« Er erinnert sich: »Ich weiß noch: Das Lied >Schmetterlinge im Eis< habe ich morgens um drei geschrieben, das ging ganz schnell. Am nächsten Tag habe ich es Anna vorgespielt, und sie sagte: >Was hast du denn da geschrieben, was soll das denn sein?Bleibt alles anders< - klar zu machen, dass man nicht alles auf den Staat abschieben kann, sondern in einer Demokratie selber die Verantwortung in die Hand zu nehmen hat. Und >Reines Herz< ist ein Abgesang auf unsere Einzelkämpfer- und Ellenbogengesellschaft, das kann man natürlich auch auf die Konflikte zwischen Ost und West beziehen.« Grönemeyer bemühte sich - vor allem musikalisch -, auf dem Album neue Wege zu gehen, er sei schließlich nicht der Angestellte jener Fans, die von ihm zum dreihundertsten Mal »Flugzeuge im Bauch« hören wollten: »Ich will mich nicht unbedingt selber wiederholen. Das heißt nicht, dass ich es darauf anlege, immer anders zu sein, aber ich versuche, mich weiterzuentwickeln. Die
Leute, die das mitgehen wollen, gehen das mit, und die Leute, die das nicht mitgehen wollen, lassen's halt bleiben. Ich schreibe für die Fans von mir, die auch willens sind, etwas Neues zu suchen. Ich stelle mich immer wieder zur Debatte, und dann kommen eben Platten heraus wie >Bleibt alles andersWas ist das denn?entspannt< nennen, denn dieser Begriff trifft auch die stimmliche Verfassung des Sängers«, schrieb die »Berliner Zeitung«. »Der war immer sehr schlecht zu verstehen mit seinem gepressten Knödelgesang, jetzt meidet er das hohe C, und man kann jede Silbe verstehen. Aber was versteht man da eigentlich?« Komiker Ingo Appelt lästerte: »Wenn Grönemeyer singt, braucht man einen Simultandolmetscher.« Der »stern« fand: »Die lange Studio- und Tourneepause scheint ihm selbst besser bekommen zu sein als seinen Liedern: Er hat beachtlich abgenommen, kann richtig still sitzen, weil er seinen Scheitel nicht mehr hektisch hin und her werfen muss, und seine Stimme schnappt im Refrain nicht mehr über, weil er alles etwas tiefer singt: >Ich habe entdeckt, dass ich auch impulsiv singen kann, ohne rumzuschreien.optimistisch< und hält >Selbstmitleid< für ein komisches Lied, >das heiterste Werk< seines neuen Albums.« Die »Bildwoche« urteilte: Grönemeyers neues Album »wird wahrscheinlich wieder ein Riesenerfolg - obwohl seine Texte (wie auch früher schon) akustisch schwer zu verstehen sind«. Grönemeyer selbst kümmert diese Kritik nicht mehr: »Mein Traum ist es, in England, Amerika oder Kanada auf der Bühne zu stehen. Die Leute unten verstehen nichts, aber begreifen alles: Die spüren einfach, bei meiner
Musik steckt viel Emotion dahinter. Da geht es nicht nur um die Texte. Das hat vielmehr mit Gefühl und Atmosphäre zu tun.« Zur ersten Single »Bleibt alles anders« drehte Grönemeyers Freund Anton Corbijn einen schrägen Videoclip, in dem Grönemeyer von seinem Doppelgänger verfolgt wird - und sich am Ende selbst in die Luft sprengt. Kritikerkommentar: »Für sein Comeback nun hat Grönemeyer zumindest clever adaptiert: Das erste Video ist eine gut umgesetzte Kurzzusammenfassung des David-Lynch-Films >Lost HighwayBleibt alles anders< -, und der Geschäftsführer seiner Plattenfirma Emi hatte gerade die Company verlassen. Das sorgte für entsprechende Unruhe in der Firma - und infolgedessen auch bei Herbert. Die Platte war für ihn enorm wichtig, und er sah die konsequente Vermarktung als gefährdet an. Schon beim ersten Treffen sagte ich ihm, dass ich
nicht in Rambo-Manier Terror bei seiner Plattenfirma verbreiten wollte. Mich interessierte, mit ihm neue Dinge auszuprobieren und einen Beitrag über das Standardmarketing hinaus zu leisten. So kam es zu einem sehr intensiven Kontakt.« Mit »Bleibt alles anders« hatte Grönemeyer sich musikalisch neu erfunden, und - so Otterstein - »deshalb war die Platte auch für ihn so wichtig. Er wusste, dass es eine sehr ungewöhnliche Platte war, und wollte auf keinen Fall, dass sie an personalpolitischen Problemen scheiterte.« Es stellt sich die Frage, ob nicht sowieso alles ein Hit wird, auf dem der Name Grönemeyer steht - ob Multimillionäre und Megaseller wie er flankierende Maßnahmen überhaupt noch nötig haben. Otterstein gibt zu: »Vielleicht war seine Sorge ohnehin irrational, aber Künstler sind nun mal irrational. Außerdem ist es bei so großen Projekten schon wichtig, die Maschine so zu steuern, dass alles synchronisiert läuft. Es ist auch gut, wenn jemand von außen den einen oder anderen Anstoß gibt. Ich hatte Herbert damals vorgeschlagen, in die Kinos zu gehen. Anton Corbijn hatte auf sechzehn Millimeter ein Video zu >Bleibt alles anders< gedreht, das fand ich umwerfend, das war wie ein Stück Film. Ich arrangierte also eine Zusammenarbeit mit den CinemaxX-Kinos, so dass vor einem Film wie ein Vorfilm dieses Video lief. Das fand Herbert ganz klasse, und selbst mich hat das tierisch beeindruckt, als ich es dann zum ersten Mal wirklich gesehen habe.« Die Platte konnte jedoch kaum wirken. Die künstlerische Leistung Grönemeyers wurde durch persönliche Schlagzeilen überlagert. Der Tod seines Bruders, dann - völlig überraschend für die Öffentlichkeit und letztlich wohl auch für Grönemeyer selbst - der Tod seiner Frau Anna. Berater Otterstein wurde über Nacht zum Krisenmanager: »Ja, das war eine Entwicklung, die ganz schlimm eskalierte. Er war ja nach London gezogen, wo ich fünf Jahre gelebt hatte, als europäischer Marketingchef für Warner. Ich hatte also Erfahrungen als
Branchenmann in einer der kreativsten Städte der Welt gesammelt. So hatte ich viel Verständnis für die Dinge, mit denen Herbert im Alltag konfrontiert war. Ich gehörte auch zu dem Kreis, den er damals zur Beerdigung einlud. Durch die schrecklichen Umstände empfand ich unsere Zusammenarbeit als noch vertrauensvoller. Herbert entschied, dass ich alle Anfragen zum Tod seiner Frau in den ersten Tagen beantworten sollte. Wir haben die Kernaussagen natürlich vorher abgesprochen. Das war eine ganz bewusste Maßnahme, denn das Medieninteresse war zu erwarten, und wir haben uns darauf eingestellt. Das war wirklich eine Ausnahmesituation, eine ganz harte Zeit.« Anna Brigitte Frieda Henkel wurde am 9. März 1953 in Hamburg geboren. Ihr Vater war Ingenieur bei der Lufthansa, die Mutter Hausfrau. Sie wuchs in einem bürgerlich-liberalen Elternhaus auf, ähnlich wie ihr späterer Mann Herbert Grönemeyer. 1968 starb die Mutter der damals fünfzehnjährigen Anna an Brustkrebs. »Der Tod meiner Mutter hat mich aus der Bahn geworfen«, sagte sie später. Sie beendete gerade noch die zehnte Klasse, verließ dann die Schule, wenig später stürzte sie in eine schwere Krise. Sie gestand: »Ich wollte mich mal töten. Da war ich siebzehn oder achtzehn, und ich wusste überhaupt nicht, was ich anfangen sollte.« Mit achtzehn zog sie zu ihrem damaligem Freund, einem Grafiker. Tagsüber verkaufte sie selbst gebastelte Ledergürtel, nachts trieben sich die beiden in der Hamburger Szene herum. Die neunzehnjährige Anna war die heimliche Königin der Nacht, sie faszinierte durch eine eigenartige Mischung aus Verletzlichkeit und Herausforderung. Anna arbeitete als Cutterin, ließ dann jedoch vom Hamburger Szenefotografen Günter Zint Probeaufnahmen machen, weil sie keine Lust mehr hatte, nur im dunklen Studio zu sitzen und die Filme anderer schneiden - sie wollte mehr vom Leben. Regisseur Peter Fleischmann entdeckte Anna 1974, machte sie zur
Hauptdarstellerin in seinem Ulk-Softporno »Dorotheas Rache«. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das auf dem Hamburger Kiez nach der Liebe sucht, anarchisch haltlos und sexuell provozierend. »Anna spielte diese Rolle mit einer großen inneren Sicherheit, so, als ob sie die Verletzungen und die Enttäuschungen der Liebessuche selbst kennen würde«, erinnert sich Günter Zint. In Frankreich und Italien wurde der Film als Paradestück des neuen deutschen Kinos gefeiert, Regisseure wie Chabrol und Bertolucci waren begeistert. Chabrol nannte die Hamburgerin das »größte deutsche Nachwuchstalent«. Das nächste Angebot kam von Ulrich Schamoni, der für »Chapeau Claque« ebenfalls einen »süßen Nackedei« (so die »B.Z.«) brauchte. Für ihn verkörpert sie den »Mädchentyp der siebziger Jahre, der Generation, die nach der APO kommt«. Zwei Nacktrollen, und die grazile Anna war zum Männertraum geworden. Doch sie haderte mit dem Erfolg: »Manchmal habe ich Depressionen. Die dauern immer drei Tage. Da denke ich auch mal an Selbstmord ... Bei mir ist das nämlich so: ganz euphorisch oder ganz niedergeschlagen«, erklärte sie. Auf Partys langweilte sie sich bloß: »Die haben alle nur getrunken und ziemlich ordinär über Sex geredet.« Sie träumte damals von einer besseren Welt - genau wie Herbert Grönemeyer: »Wenn ich könnte, ich würde alles gerechter verteilen auf der Welt«, sagte Anna. Ein Gedanke, den auch ihr zukünftiger Gatte mehrfach zum Ausdruck bringen sollte. Unter der Regie von Bernardo Bertolucci übernahm sie die Hauptrolle im Epos » 1900«, mit zwanzig Millionen Mark Budget der teuerste europäische Film der siebziger Jahre. Ihre CoStars: Robert de Niro und Gerard Depardieu. Anna nahm zudem in Hamburg Schauspielunterricht und trat dort 1978 am Schauspielhaus auf (»Die Wupper« nach Else LaskerSchüler). Im selben Jahr drehte sie den TV-Film »Uns reicht das nicht«, bei den Dreharbeiten lernte sie den Nachwuchsschauspieler Herbert Grönemeyer kennen. Sie verliebte sich und beendete bald ihre Filmkarriere,
stand nur noch einige wenige Male auf der Theaterbühne. Sie hatte als Ehefrau und später Mutter ihre Rolle im Leben gefunden. Grönemeyer schrieb in seinem Song »Anna«: »Rauchst so viel, wie's eben geht«, und tatsächlich verbrauchte sie drei Schachteln Zigaretten am Tag. Bei der Arbeit an »Bleibt alles anders« gewöhnte sich dann Vegetarier Grönemeyer ebenfalls das Rauchen an. Nach ihrem Tod beschrieb er ihren Wunsch nach einer (inneren) Heimat, einem friedlichen Zuhause, das sie zuletzt in der Anonymität Londons gesucht hatte: »Eine Heimat hatte Anna nie. Die Familie war dann schon ihre Heimat.« Der Umzug nach London »war der Versuch, unsere Familie da hinzuverpflanzen, wo es keine Öffentlichkeit gab, ohne Bezugspunkte. Durch diesen Neuanfang wollte sie auch positive Energien sammeln und sagen: Hurra, ich lebe noch. Es war die Hoffnung, die Familie und auch mich ganz für sich zu haben.« Die letzten gemeinsamen Monate dort waren nicht getrübt durch endlose Traurigkeit, sondern wurden eher durch eine Art fröhlich-sturen Trotz geprägt: »Das Verhältnis wurde intensiver, genauer, klarer. Wir haben geredet«, sagt Grönemeyer. »Immer. Wir haben auch viel gelacht. Wir wollten diese Krankheit mundtot machen, wollten die fünfte Person am Tisch wissen lassen: >Du hast hier gar nichts zu sagen.Wir haben gehört, Ihre Frau ist gestorben?< Ich war so überrascht, dass ich sagte: >Nein. Die ist kerngesund.< Ich war da so wie in Trance, versuchte, nüchtern zu denken, aber jede Emotion ist tiefgefroren. Ich wunderte mich plötzlich über die Kälte, die ich entwickelt habe.« Grönemeyers damaliger Berater Jürgen Otterstein ergänzt: Er habe den Tod seiner Frau nicht geheim halten wollen, aber »was er unbedingt geheim halten wollte, waren Zeitpunkt und Ort der Beerdigung. Davor hatte er regelrecht Horror. Dass da plötzlich jemand mit einem Fotoapparat auftauchte.« Zeitungen meldeten nachträglich: »Grönemeyers Frau in London beigesetzt (...) Etwa achtzig Freunde und Verwandte des Paares« seien am Freitag, dem 20. November 1998, dabei gewesen. Doch Grönemeyer ließ korrigieren: »Die Frau von Herbert Grönemeyer ist an einem geheimen Ort beerdigt worden und nicht, wie ursprünglich gemeldet, in London.« Letztlich, da muss man den wenigen Recht geben, die auf der Beerdigung waren und den Friedhof immer noch geheim halten: Es stünde wirklich Grabtourismus zu befürchten. Fans würden - sicher in bester Absicht - die letzte Ruhestätte von Grönemeyers Frau besichtigen wollen. Dass er, auch im Sinne seiner Kinder, dies nicht will, ist mehr als verständlich. Schon vor Annas Tod hatte er immer wieder betont: »Ich will meine Familie nicht den Medien ausliefern. Sonst endet es damit, dass sich die Grönemeyers vor dem Christbaum fotografieren lassen - das ist doch bekloppt.« Außerdem sei sein Privatleben doch »völlig öde. Ich besitze genau wie jeder andere eine Zahnbürste, sitze am Klo und dusche gerne.« Vor allem die Kinder versuche er
so normal wie möglich aufwachsen zu lassen, denn sie könnten ja nichts dafür, einen berühmten Vater zu haben: »Wir leben so normal es geht. Ich habe an meiner Familie sozusagen die Nachrichtensperre erprobt.« Karin Schlautmann, damals Chefreporterin bei »Bild«, heute Chefredakteurin der »Frau im Spiegel«, erinnert sich, wie »Bild« überhaupt von den tragischen Ereignissen erfuhr: »Die Krankheit von Grönemeyers Bruder Wilhelm war schon länger bekannt, und zu diesem Zeitpunkt haben wir von >Bild< unser Informantennetz natürlich enger gezogen. Ich arbeitete mich zudem intensiver in die Familienverhältnisse ein. Ich habe viel telefoniert, mit ehemaligen Mitarbeitern, ehemaligen Managern, Freundeskreis. Immer noch ging es aber darum, dass der Bruder schwer krank war und wir in Erfahrung bringen wollten: Was passiert in der Familie, was löst das aus in einem Mann? Es lag das Thema in der Luft, was man selbst für andere tun würde; Nicki Lauda hatte seinem Bruder gerade eine Niere gespendet, Grönemeyer hatte sich Knochenmark entnehmen lassen. Ein Informant wies uns schließlich darauf hin, dass nicht nur der Bruder krank war, sondern auch die Frau, sie habe schwer Krebs. Wir haben als Allererstes versucht zu klären, ob es sich um ein Gerücht oder eine Verwechslung handelt. Wir haben also nichts veröffentlicht, sondern nur immer weiter recherchiert. Das ging über Wochen. Wir erfuhren dann, dass Frau Grönemeyer gestorben sei. Also überprüften wir erneut ganz intensiv alle unsere Informationen, sprachen mit Kollegen in Berlin, die ich bat, zu Grönemeyers Haus zu fahren. Da kam es dazu, dass sie klingelten und ihr Beileid aussprachen, und Grönemeyer sagte: Wieso, was wollen Sie, meine Frau lebt, es geht ihr gut. Immer mehr Informanten aber bestätigten uns den Tod seiner Frau, es waren am Ende fünf unterschiedliche, voneinander unabhängige und zuverlässige Quellen. Schließlich waren wir absolut sicher, dass seine Frau leider verstorben war, aber nach wie vor negierten Grönemeyers Management und er selbst diese Tatsache. Wir haben diese
Information schließlich veröffentlicht - diese Entscheidung fiel, nachdem wir einen letzten, absolut sicheren Informanten hatten -, und am nächsten Tag wurde der Tod Anna Grönemeyers dann auch bestätigt.« Journalistisch war die Arbeit von »Bild« einwandfrei. Grönemeyers wohl instinktive Abwehrreaktion ist menschlich sicher verständlich, doch sind derartige Berichte nun einmal die Folge des Ruhms. Letztlich gab er später - wenn auch ohne explizite Nennung der »Bild« - zu: Es habe ihn »sehr überrascht«, wie korrekt die Medien über Annas Tod berichteten, »ich hätte nicht gedacht, dass die da so respektvoll herangehen. Vielleicht hat das einfach damit zu tun, dass sie mich ernst nehmen. Das ist auch eine Form von Gegenseitigkeit. Ich versuche auch, mit den Medien respektvoll umzugehen. Mich hat das sehr gefreut. Da war eine pietätvolle Distanz, die ich auch Anna gegenüber sehr würdig fand. Das fand ich verblüffend und sehr gut.« Herbert Grönemeyer nahm mit einer herzzerreißenden Anzeige von seiner Frau Abschied. Er ließ am vorletzten Novemberwochenende 1998 ganzseitige Anzeigen in mehreren Tageszeitungen drucken, eine Ode an Anna. Darin schrieb er unter anderem in Anspielung auf die gemeinsame Vergangenheit als Theaterschauspieler: »Deine grandiose Inszenierung war eine Ode ans Leben / Ungestüm unrastig, detailversessen, menschlich, perfekt / Gott hat eifersüchtig den letzten Vorhang abgewartet / Ungeduldig Dein Wunderwerk verfolgt / Der Himmel wird sich zu den Zugaben erheben (...) Gott wird Dir seine Loge anbieten / Dirigier zurückgelehnt, wohlwollend unsere Wacht«. Und nimmt eine Formulierung aus seinem Song »Letzte Version« (»denk auf deiner Zeitreise mal an mich«) auf: »Erzähl uns ab und zu von Deiner Reise / Wie man so fühlt, was man so tanzt, was man so trägt (...) Dein Verlust sprengt alle Dimensionen, Werte, Phantasien / Der Schmerz ist Wüste voll brutalster Wucht ( ...) Wir lieben Dich! «
Erstaunlich der Mut, die Kraft, mit einem derart persönlichen, privaten Text in die Öffentlichkeit zu gehen. Es war Grönemeyers größter öffentlicher Liebesbeweis, noch nie hatte er sich so ausführlich, so offen über seine Beziehung geäußert. Dass er dies konnte, wollte, zeigt auch, wie sehr er seine Frau geliebt haben muss. »Sie war immer mein Universum. Und das ist zerplatzt«, erklärte er später. »Denk auf deiner Zeitreise mal an mich, vielleicht bleibt was unterm Strich«, hatte Grönemeyer in »Letzte Version« gesungen - »Der Strich war gewaltig«, stellte der »Spiegel« fest. Roger Willemsen, ein Freund der Familie Grönemeyer, schluckte seinen Stolz herunter und schrieb im »Spiegel« (wo man ihn einst und nicht zu seiner größten Freude als »säftelnden Sitzzwerg« bezeichnet hatte) einen Nachruf auf Anna. Willemsen erinnerte sich: »Als ich Anna Henkel zum ersten Mal begegnete, stand sie in der Kulisse einer Rockbühne, und zwischen den Liedern kam ihr Mann, um mit ihr hinter den Boxen zu schmusen. Das sah gut aus.« Er bestätigte auch Grönemeyers Berichte, er habe sich Annas Lächeln, ihr Wohlwollen, verdienen müssen: »Sie trug ihr Lachen eben in eher unausgebildeter Form mit sich herum, selbst ein Lächeln war von ihr nicht leicht zu haben. Umso glücklicher war man also immer, wenn es entstand.« Vor allem machte er eine charakterliche Parallele zwischen Herbert Grönemeyer und Anna aus: »Wenn man eine Persönlichkeit an der Fähigkeit erkennt, sich selbst treu zu bleiben, unter allen Umständen, dann habe ich keine stärkere Persönlichkeit kennen gelernt als Anna Henkel. Aus einer schwierigen Biografie hatte sie eine heroische Vorstellung von dem gerettet, was Würde ist, und sie besaß selbst in hohem Maße, was sie an Maria Schneider - mit der sie auch einmal vor der Kamera stand - am meisten schätzte: >Kompromisslosigkeit und die Fähigkeit, sich jedem Opportunismus zu verschließen.Mundorgel< rauf und runter.« Bei der Arbeit an der Compilation fühlte Grönemeyer sich erneut in seiner Vermutung bestätigt, warum es in Deutschland keine richtigen Popstars gibt: Die Engländer, erklärt er, »stellen sich auf die Bühne, können mal gerade die Gitarre halten und brüllen: Wir sind die Größten! Und alle glauben es - das Publikum und sogar die Musiker selbst. Dass Popmusiker in Deutschland reich sind, laut und sexy - das geht nicht. Das hat wohl auch mit unserer Vergangenheit zu tun: Waren nicht die Nazis auch irgendwie Popstars? Sehr männlich und erotisch, sehr laut und durchstilisiert. Die Nazis haben sozusagen eine vorweggenommene Form des High-End-Marketing praktiziert. Das war Popkultur in einer traumatischen und fürchterlichen Variante.« Auch Helmut Kohl - und später Gerhard Schröder - verglich er mehrfach mit (Möchtegern-)Popstars: »Helmut Kohl war auch sehr populär, aber eher ein Popstar für Arme«, sagte er, und: »Für Schröder kann man kein Lied schreiben, das ist das Drama. Kohl war zumindest noch ein Gegner, an dem man sich reiben konnte. Schröder ist der Mann ohne
Eigenschaften. Das Schlimme an ihm und vielen anderen ist, dass sie Kohl bewundert haben. Weil der so lange da war, wurde er zu deren Popidol - alle wollten quasi so viele Platten verkaufen wie er. Schröder hätte als Oppositioneller Kohl eigentlich etwas entgegensetzen müssen. Aber letztendlich ist er nur eine blasse Kopie.« Über Schröder könne man »nicht singen. Schröder ist ein Ersatz-Kohl. Der fand den Kohl immer klasse. Schröder wollte nichts anderes als auch mal in die Charts.« Durch das Leben in London lernte er aber, mit der Politmisere in Deutschland entspannter umzugehen: »Wir Deutschen glauben: Wenn wir jetzt den Falschen wählen, geht das Land unter. Die Engländer sagen: Thatcher hat viel Unsinn angerichtet, und der Blair ist auch nicht viel besser. Aber sie fühlen sich selbst verantwortlich.« Die »Pop 2000«-Box und die zugehörige Compilation wurden nicht nur von Grönemeyer zusammengestellt, sondern waren zugleich die ersten großen Veröffentlichungen auf seinem Label Grönland (für Jan Delays Single »Irgendwie, irgendwo, irgendwann« gab es dann gleich Gold für eine halbe Million verkaufter Platten). Auf Grönland war zuvor nur Grönemeyers eigene CD »Bleibt alles anders« erschienen, mittlerweile sind »Mensch« sowie Wiederauflagen seiner alten CDs »Bochum«, »Sprünge«, »Ö« und »Chaos« hinzugekommen. Unter dem Namen Grönland verlegte Grönemeyer schon seit Jahren seine Songs, nun leistete er sich in London unter gleichem Namen seine eigene kleine Plattenfirma samt Studio. Den Namen sagt er »>GrönlandDu hörst nicht auf zu singen! Du darfst nie aufhören.dynamisch< zu machen. Das ist schön.« Zudem ist London auch einfach so als Stadt faszinierend: »Die Stadt hat ein unglaubliches Tempo, das aber auch immer kurz vor dem Kollaps ist, kurz vor dem Kippen.« Er habe »als Deutscher in England gelernt, mich zu entspannen. Hier kann man sich beschweren, wie man will, es funktioniert gar nichts, und trotzdem funktioniert die Gesellschaft.« Immer wieder hat Grönemeyer angedeutet, er könne sich eine Rückkehr nach Berlin vorstellen, allerdings jeweils nur in den Sommerferien zwischen zwei Schuljahren. Da er seine Berliner Villa nie verkauft hat, stünde einem Umzug zumindest technisch nichts im Wege. »London ist halt bunt und schnell, Mode und Pop und Rock«, das gefalle Marie. »Felix vermisst eher Berlin, das Viertel ist beschaulich, die Nachbarskinder kommen vorbei.« Andererseits biete das Leben in London auch für die Entwicklung der Kinder große Vorteile: »Sie leben in London entspannt mit Menschen aus aller Welt zusammen. Ich hoffe, dass sie Respekt vor anderen Menschen bekommen, dass sie humanistisch denken, dass sie Rücksicht leben lernen. Das versuche ich.«
Phönix im Steilflug Wie der stille Grönemeyer die Menschen erobert Nachdem Grönemeyer so viele Jahre damit verbracht hatte, sein Privatleben zu schützen und speziell Anna und ihre Krankheit aus den Schlagzeilen herauszuhalten, sprach er nach ihrem Tod erstaunlich offen über seine Gefühle. Möglicherweise erleichterte ihm das sogar die Akzeptanz der Tatsache, dass sie nicht mehr war. Auf jeden Fall aber half es Millionen Menschen, die ihrerseits trauerten, sich nicht so allein zu fühlen. »Es fängt an mit einem Schockzustand, wo man adrenalingetaucht denkt, das steckt man einfach so weg«, erklärt Grönemeyer. »Dann kommt die Phase, wo man es realisiert, das ist so nach einem Jahr, denke ich. Der Schock soll einen ja schützen, das ist wie nach einem Autounfall, wenn man aussteigt und sagt, ist nichts, und dann kommt der Notarzt und sagt, legen Sie sich mal hin, Sie haben schwere innere Blutungen. Dann versucht man damit klarzukommen. Der nächste Schritt ist jetzt im dritten Jahr, das man anfängt, die ganze Zeit aufzuarbeiten. Wobei man damit hadert, dass man den anderen nicht mehr als Gesprächspartner hat. Man gibt sich die Antworten selber, die natürlich fast immer falsch sind, und guckt, dass man da rauskommt ... nach wie vor der Verlust, der einfach grausam ist, und dass man auch einfach Dinge nicht klären kann.« Fotos habe er sich in der ersten Zeit nicht angeschaut, denn »wenn man anfängt, in die Vergangenheit einzutauchen und Bilder zu sehen, das hält man nicht aus«. Auch »wenn ich anfange, Musik zu machen, werde ich richtig emotional, dann wird
es ganz eng. Sobald ich anfange, Musik zu machen, fange ich an, an allem rumzukratzen, auch am Unterbewusstsein, und dann fängt man gerade an, alle Dinge freizulegen. Dann liegen die Dinge wirklich blank. Dann wird's ganz problematisch.« Dabei sind es nicht so sehr die Texte, »die Musik alleine reißt schon alles auf«. Dennoch hat er nie daran gezweifelt, dass es richtig war, zu lieben, sich auf eine intensive zwanzigjährige Partnerschaft einzulassen: »Tut man besser daran, nicht zu lieben, dann hat man auch den Schmerz nicht? Aber das führt früher oder später zu einer Austrocknung und zu nacktem Zynismus. Ich glaube einfach, diese Momente, in denen so etwas entsteht, diese Glücksexplosionen, die braucht der Mensch, um zu existieren. Wenn er sich davon abschneidet, damit er nicht leidet, schneidet er sich im Grunde genommen vom Leben überhaupt ab. Man bleibt jedenfalls lebendiger mit dem Glück auf der einen Seite und dem Schmerz auf der anderen. Aber das ist eine ganz zentrale Frage - auch für mich -, wenn das Glück mit dem Tod und dem Schmerz, mit so einem radikalen Abschied, verbunden ist, lohnt sich das? Aber ich glaube, dass selbst in so einem Schmerz die Liebe übrig bleiben wird - irgendwann.« Denn »die Zuneigung zu einem Menschen kann dessen Tod überdauern. Auch bei meiner Frau ist das so. Das sind Gefühle, die sind nach wie vor so übermächtig in mir, dass ich mir gar nicht vorstellen kann, dass das jemals abbricht. Dieses Gefühl nimmt nach wie vor alles ein.« Im Jahr 2000 gab Grönemeyer nur vier Konzerte (zwei auf der Expo 2000 in Hannover, eines in Berlin, eines in Bitterfeld) mit dem NDR Hannover Pops Orchestra. Die Konzerte zur Expo-Eröffnung wurden aufgezeichnet und erschienen im November - wieder einmal gerade noch rechtzeitig zu Weihnachten - auf Doppel-CD/DVD: Grönemeyers »Stand der Dinge« (benannt nach dem Song, den er speziell für seine Frau geschrieben hatte, »über zwei Leute, die wie in einer Seifenblase leben«). Fünfzigtausend DVDs wurden allein in der ersten Woche
verkauft, mittlerweile sind es mehr als doppelt so viele (was für eine Musik-DVD - mit »Stand der Dinge« erstmalig in Deutschland - den Platinstatus bedeutet). Der Name »Hannover Pops« sei »grausam«, fand Grönemeyer. »Ich habe gesagt, sie sollen sich umbenennen. Das haben sie nicht gemacht, aber sie waren sehr gut.« Die Arbeit mit dem Orchester begeisterte, auch wenn er es nicht immer leicht hatte: »>Sie< habe ich nur mit Orchester gespielt, das war schwer zu singen, weil ich keinerlei Anhaltspunkte hatte, wo ich eigentlich bin. Da habe ich mich auch vertan, das haben wir dann ein bisschen repariert. Aber ansonsten ist es eins zu eins. >Sie< war ein bisschen kompliziert, weil kein Mensch den Rhythmus spielte.« Besser aber gefielen ihm rockigere Stücke wie »Land unter< und >Bleibt alles andersBleibt alles anders< oder >AlkoholTrashmuseumLifeIch hätte gern eine Platte, die so und so istMacht mal.< Das ist das Beste, was einem als Musiker passieren kann. Weil man dann genau das machen kann, was man möchte.« Und dabei wird noch nicht mal schlechter bezahlt als bei der Konkurrenz: »Das sind ganz normale Verträge. In die meisten Verträge halten inzwischen lauter merkwürdige Pauschalabzüge Einzug.
Grönland macht dünne und sehr faire Verträge. Wir haben einen Non-exclusiveVertrag, ich kann also weiter mit >Fehlfarben< arbeiten. Das finde ich sehr positiv, dass er uns da keine Steine in den Weg legt. Eine ziemlich ideale Situation. Man kann nun nur hoffen, dass dieses Label mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommt.« Nicht zuletzt beeindruckte Dahlke, der ja selbst ein alter Hase im Musikgeschäft ist, die Wiederauflage der Neu!-CDs: »Das Label hat mit ihm als Künstler wenig zu tun. Was man ihm hoch anrechnen muss, ist diese unermüdliche Arbeit, die zur Wiederveröffentlichung von Neu! führte. Daran haben sich schon andere die Zähne ausgebissen. Daniel Miller von Mute beispielsweise hatte nach fünf Jahren keine Lust mehr. Ich weiß nicht, wie lange Herbert telefoniert hat, um das Ding auf die Reihe zu kriegen. Einmal waren wir mit Herbert und dem Grönland-Labelchef Rene Renner zum Gespräch in Düsseldorf im Hotel. Es gab dann noch eine kleine Änderung am >Neu!< -Cover. Im Originalcover stand handschriftlich die alte Adresse von Klaus Dinger, und er wollte natürlich jetzt seine neue Adresse drin haben. Der Berliner Grafiker hat gesagt: Gut, komme ich nach Düsseldorf, dann machen wir das. Rene und Herbert waren aus London gekommen. Michael Rother aus Hamburg wollte natürlich auch dabei sein. Und wer kam nicht? Klaus Dinger. Rene rief ihn dann irgendwann an, kam zurück und sagte: >Der Klaus sagt, er fühlt sich heute nicht danach. Der Grafiker solle sich Düsseldorf anschauen, das sei doch auch ganz schön.< Und Herbert hat nicht locker gelassen und es irgendwie geschafft, diese CDs rauszubringen, das ist unglaublich. Er wollte das Label eben nicht auf >Pop 2000< beschränken, sondern mit Neu! oder Bombay 1 auch zeigen, dass er ein echtes Musikerlabel hatte.« Dahlke ist sehr zufrieden mit Grönemeyers Grönland: »Ich kenne wenig Leute in diesem Business und dieser Größenklasse, die so integer sind und so persönlich.« Neben »Bombay 1« veröffentlichte Grönland bislang das schwelgerische Album »Lunz« der gleichnamigen Band. Die Songs haben allesamt komische Titel
(»Carnickel And Pocketboat«, »Uferlose Sea«, »Wobbly Flu Twilight«), klingen aber wunderschön - ein wenig so, als könnte man sie zu Miniaturen falten, in eine Streichholzschachtel stecken und immer mit sich herumtragen. Außerdem kamen zwei Maxisingles der Mannheimer Band Allee der Kosmonauten heraus, »Brich mir dein Herz« und »Schneetrick«, teilweise produziert von Mitgliedern der Grönemeyer-Band im bandeigenen Trickstudio in Rauenberg. Die Singles lassen hoffen auf ein geniales Album! Einen Fehler will Grönemeyer jedenfalls nicht machen: sich nur auf etablierte Bands verlassen. Die großen Plattenfirmen »hatten durch die teuren CDs bei weniger Plattenverkäufen den gleichen Gewinn. Aber nun sind die fetten Jahre vorbei. Und man hat es versäumt, neue Bands aufzubauen. Das rächt sich jetzt massiv. Alle Plattenfirmen hetzen nun völlig hysterisch hinter jungen Bands her«, sagt er. Und dann kam »Mensch«. Eine Single und ein Album der Superlative, das Grönemeyers Erfolg eine neue Ebene hinzufügte. Wenn Fans ihrem Idol einen Brief schreiben, müssen sie damit rechnen, dass sie im besten Falle eine Autogrammkarte bekommen, dass im schlechtesten Falle aber auch einfach kein Mensch ihren Brief liest. Dennoch schrieben Tausende von Fans Herbert Grönemeyer Beileidsbriefe zum Tod seines Bruders und seiner Frau und die wurden gelesen, sie halfen: »Die Intensität und das Mitgefühl haben mich überrascht«, gesteht Grönemeyer gerührt. »Ich bin, glaube ich, ein ausgesprochener Menschenfreund, das habe ich von meinem Vater, der sehr gute Freunde hatte und hat, und in dieser schweren Phase hat sich das bestätigt, dass genau das, woran ich immer geglaubt hatte, beim Menschen auch zum Tragen kam. Das hat mich sehr überrascht und hat mir sehr geholfen.« Es sei geradezu »unfassbar, wie viele Leute mir seitenlange, einfühlsame
Briefe geschrieben haben, um mir Mut zu machen. Dieses Ausmaß an Anteilnahme hat mein Weltbild bestätigt.« Der Trost, die Unterstützung, aber auch das Drängen der Fans, weiterzumachen, ließen Grönemeyer vielleicht früher wieder ans Klavier treten, ins Studio gehen. Aber auch wenn die entstandene Platte »Mensch« keine Therapie darstellt, so markierte sie doch den Versuch, nicht aufzugeben. »Mir haben viele Freunde geholfen und auch die Briefe, die ich bekommen habe«, gesteht Grönemeyer. »Aber man muss sich in seiner Trauer sehr viel Zeit lassen. Man kann das nicht beschleunigen. Da gibt es keine Rezepte und auch keine Bücher, und das hört letztendlich auch nicht auf. Aber man kann sich auch nicht nur kasteien. Man wird von den Kindern extrem beobachtet, und man darf ihnen nicht das Gefühl geben, sie müssen nun auch noch den Vater aufheitern, das kann ich schon selbst. Die Trauer wird für mich immer da sein. Auch beim Lachen. Aber irgendwann kann man das auch als neue Farbe im Leben akzeptieren.« Um besser mit der Trauer fertig zu werden, absolvierte Grönemeyer ein so genanntes Bereavement Counseling (eine Therapie speziell für Hinterbliebene), »und das war ganz hilfreich. Aber es sind eher die Freunde, die einen zurechtrücken.« Letztlich kehrte er mit Annas Segen ins Aufnahmestudio zurück: »Ich weiß, wie sie denkt, und glaube, sie will, dass ich weitersinge. Sie will, dass ich Musik mache, weil sie weiß, wie wichtig mir das ist.« Ihm war auch klar, dass die Musik einen Fixpunkt seines Lebens darstellte - verlöre er sie, verlöre er den letzten Halt: »Wenn man so eine Katastrophe erlebt, ist man völlig hysterisch, zerrüttet und ängstlich. Musik ist für mich eine Form von Begeisterung und ein Ventil, das mein Leben in Balance hält. Sie ist mein privater Hochsicherheitstrakt. Mein Geheimnis, das mich überallhin begleitet und das mir keiner nehmen kann. Ich dachte: Wenn du dieses Zentrum deines Lebens auch noch verlierst, ist Schluss.« Den Grundgedanken für sein Album »Mensch«, das im Herbst 2002 erschien, formulierte Herbert Grönemeyer
äußerst präzise am 15. Februar 2003 in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Pop-Preises Echo an die Gruppe Can (übrigens auch auf der »Pop-2000«Compilation vertreten) für ihr Lebenswerk. Er sagte: »Wir mögen in Deutschland keine Überraschungen, wir scheuen das Experiment, und wir misstrauen gerne dem Risiko.« Der Wunsch, dies zu ändern, könnte Pate gestanden haben bei dem Album, für das er selbst an jenem Abend gleich zwei Echos bekam: »Mensch«. Die CD vereinigt Grönemeyers klares, direktes Songwriting mit hippen Blips und Beats zu etwas Neuem, das doch noch verdaulich (und damit verträglich) bleibt. »Mensch« war nicht - wie der parallele Erfolg der »Deutschland sucht den Superstar«-Hits - der kleinste gemeinsame Geschmacksnenner, sondern der größte gemeinsame Teiler: noch nicht elitär, aber schon anspruchsvoll. Dabei war »Mensch« aber melodielastiger, aussagekräftiger als das musikalisch ähnliche Album »Bleibt alles anders«, und die Stimme ist weiter nach vorn gemischt, so dass Grönemeyer erstmals mühelos verständlich ist. Künstlerisch hatte es bei ihm eine ähnliche Entwicklung schon einmal gegeben: Auch auf »Gemischte Gefühle« finden sich schon alle Elemente, die auf »Bochum« wiederkehren. Aber auf »Bochum« sind sie fokussierter, konzentrierter - präziser. Ähnlich war es diesmal wieder: Die musikalische Erweiterung, die auf »Chaos« begonnen und auf »Bleibt alles anders« weitergeführt worden war, wich nun einer klaren Konsolidierung. Weniger Experimente, eindeutige Strukturen, leichtere Erfassbarkeit. Das Neue war gezähmt, das Alte wieder hörbar. Zudem schwangen in den Texten (und auch in den Melodien) eine Liebe, eine Hoffnung - aber auch eine Mitleid erregende Trauer - mit, ein geballtes Konglomerat an echten Gefühlen, wie man es selten zu hören bekommt. Bereits 1998 hatte das österreichische Magazin »News« berichtet: »Musik, so reflektierte Grönemeyer in einem Interview, sei für ihn eine Quelle, aus der er stets schöpfen könne: >Singen hat mir immer geholfen, wenn
ich etwas nicht verstand. Schon als Junge habe ich mich ins Dunkle gesetzt und gesungen.Lullaby< - und nicht >A Forestplage de la vieEs tut gleichmäßig wehMenschMensch< sollte im Gegenteil lebensfroh und witzig sein, ein Video für junge und nicht so junge Leute. Deshalb spielte ein Eisbär die Hauptrolle, und Herbert sang dazu Karaoke am Strand. Einige fanden es vielleicht seltsam, aber es wurde mehr als fünfhundertmal gesendet, niemand wechselte den Kanal, und >Mensch< blieb für sechs Wochen Nummer eins in den Charts.« Selbst Grönemeyers alter Weggefährte Jürgen Triebel Komponist der allerersten deutschsprachigen Grönemeyer-Songs - ist begeistert von dem Track: »Das ist eine sehr gut abgemischte Produktion, die hat mich sofort gegriffen. Das beste Stück, das er je gemacht hat außer >Currywurst< - ist >MenschSmashing Pumpkins«Eure Beats sind ziemlich dünn. Aber macht ihr das mal so. Ihr seid ja auch schon ein bisschen älter.Oh, da kommt plötzlich, da keimt so Hoffnung auf, also jetzt
kriegt das Ganze etwas mehr Druck und Spannung.< Und als ich den Chorus geschrieben habe, da habe ich gedacht: >Aha, jetzt kannst du dich auch wieder heranwagen an härtere Sachen, schnellere Sachen.< Das war so der Drehmoment zwischen Balladen und wieder zu sagen: >Okay, jetzt schreib mal wieder, jetzt komm mal auf den Punkt.20 MinutenIm Namen von Herrn Herbert Grönemeyer weisen wir darauf hin, dass dieser keinerlei Berichterstattung über sein Privatleben wünscht und hiergegen unverzüglich rechtliche Schritte einleiten wird.< Wenige Stunden später untersagte sein Anwalt Dr. Christian Schertz, dass irgendwelche Details über die junge Frau veröffentlicht werden dürfen. Nicht, wie alt sie ist, nicht, wo sie arbeitet, und auch nicht, wo sie sich kennen gelernt haben. Inzwischen fragen sich viele enttäuschte Fans, die ihrem Idol so viel Zuneigung und Bewunderung entgegenbringen: Warum dürfen wir nicht wissen, ob Herbert privat glücklich ist? Schließlich hat wohl jeder dem Musiker eine neue Liebe gegönnt, vier Jahre nach dem Krebstod seiner Frau Anna.« Auch er sich selbst: »Wenn das Leben will, dass da noch mal jemand um die Kurve kommt, dann soll es so sein. Wenn nicht, ist es
auch okay. Wenn Anna die Liebe ist, die mein ganzes Leben bestimmt, dann ist das völlig in Ordnung.« Schließlich stellte Grönemeyer immerhin klar, warum er sich offen zu seiner neuen Liebe bekannte: »Es gibt niemanden, der Anna ersetzen kann, auf der anderen Seite finde ich, dass man dazu stehen muss. Man kann sich nicht immer rumdrücken. Das ist dem anderen gegenüber nicht fair.« Also: Offiziell stehen zur neuen Partnerin wollte er schon, sie aber zugleich - wie Anna, wie seine Kinder - aus der Berichterstattung heraushalten. »Gala« fand: Herbert Grönemeyer »singt von Trauer und neuer Liebe - und versteckt sie um jeden Preis. Das ist sein gutes Recht. Auch wenn es Millionen Fans vielleicht enttäuscht.« Die »Bunte« hingegen maulte: »Ja doch, man fühlt sich ein wenig betrogen, wenn gerade er jetzt für sich behält, wie man ins Leben und Lieben zurückkehren kann.« Und: Sie wohne »dort, wo auch die Schweiz ohne Hochglanz ist. So was wie Stardust wird ihr wenig begegnet sein. Die Gegend ist >bünzlige säähr Hübschemägeli Muckmagere Mücke< heißt.« Grönemeyers Exberater Jürgen Otterstein bringt die Sache jedoch auf den Punkt: »Herbert Grönemeyer war nach dem Tod seiner Frau ein geschlagener Mensch. Er hat sich ausschließlich den Kindern gewidmet, und wenn das Leben ihm nun eine Frau geschenkt hat, sollte man das sicher dankbar entgegennehmen. Ich halte die Sache eher für eine Medienüberlegung: Wie können wir daraus jetzt etwas machen?« Bald schon wurde die damals aktuelle Single »Demo (Letzter Tag)« als »Hymne an die Frau nach Anna« gehandelt: »Du bist ein Leuchtstreifen aus der Nacht / du holst mich aus dem grauen Tal der Tränen (...) Ich lieb dich mehr als mich.« Diese Vermutung lag vor allem auch
deswegen nahe, weil Grönemeyer selbst zugegeben hatte: »Wir waren im Grunde genommen fertig mit der Platte, und diese Nummer hing immer noch fragmentarisch so herum. Wir hatten schon mal die Streicher aufgenommen, aber ich hatte auch keinen Text. Am allerletzten Tag vor dem Mastering kam ich, ich hatte in der Nacht einen Text geschrieben, und wollte singen.« Producer Alex Silva gefiel die Nummer nicht, er fand die Musik »altbacken«. Grönemeyer bestand auf dem Track, nannte ihn aber »Demo (Letzter Tag)«, damit alle Hörer Bescheid wüssten. »Letztendlich haben wir, auch bei den Konzerten, gemerkt, das ist eine schöne Nummer, ein schönes Lied, und ich bin froh, dass es drauf ist.« »Demo (Letzter Tag)« zeigt auch einen alten Unterschied zwischen Grönemeyers durchaus schwelgerischem Geschmack und den straighten Vorlieben der Band auf: »Ich habe meine Mitmusiker als Begleitband angetroffen, wir haben uns dann mit der Zeit näher kennen gelernt und sind zu einer Einheit geworden. Meine Kompositionen werden innerhalb der Gruppe partnerschaftlich ausarrangiert. Andererseits mag ich Klavier, Streicher und so, in den Balladen, da weiche ich dann vom Gruppensound ab«, erklärte Grönemeyer bereits vor Jahren. Aber war das Stück nun der neuen Schweizer Freundin gewidmet oder nicht? »Die gesamte CD - einschließlich der jetzigen Single - war bereits aufgenommen, bevor Herbert Grönemeyer die Frau kennen lernte«, ließ der Künstler über seine Plattenfirma verbreiten. So muss es aufgrund der technischen Vorläufe auch gewesen sein: Damit die CD im September erscheinen konnte, mussten die Aufnahmen spätestens Ende Juli abgeschlossen sein. Und noch im August 2002 hatte Grönemeyer erklärt: »Es gibt keine neue Liebe. Aber jeder Mensch geht damit verschieden um. Da gibt es kein Prinzip. Es kollabieren die Gefühle, und das wieder aufzubauen, um irgendwann wieder fähig zu sein, auf jemand anders zuzugehen - mag sein, dass das möglich ist. Wenn Gott es will, wird es passieren, dann werde ich mich dem auch nicht entziehen
können. Wenn er es nicht will, ist es auch in Ordnung. Das kann man nicht planen.« Noch im Dezember 2002 hatte er - ganz abstrakt, ganz prinzipiell - beschrieben, wie es sich anfühlt, wenn er sich verliebt: »Man ist von dem anderen Menschen erfüllt. So sehr, dass man denkt, der Magen dreht durch. Man atmet und spürt, irgendwas sitzt da. Ein emotionaler Druck, der sich im Körper breit macht und den man nur los wird, wenn man dem anderen ständig ins Ohr beißen darf.« Zeilen wie »Du bist / eine kluge Prognose / das Prinzip Hoffnung / ein Leuchtstreifen aus der Nacht / irgendwann find und lieb ich dich« erweisen sich also tatsächlich »nur« als kluge Prognose Grönemeyers, und wie es so oft geschieht, wenn man sich wieder öffnet und bereit ist für eine neue Entwicklung: Dann kommt sie schneller als erwartet. Tatsächlich ebbte das Medieninteresse - sicher auch dank der Drohungen des Anwalts - schnell ab. Und die meisten Fans fanden Grönemeyers vehementen Schutz seiner Privatsphäre ohnehin schon immer verständlich und bei aller Neugier auch eher sympathisch. Es mag Leute amüsieren, wenn sich Dieter Bohlen in seiner Biografie »Nichts als die Wahrheit« über Verona Feldbuschs Brüste äußert, doch von Herbert Grönemeyer erwartet niemand Derartiges. Und so freuten sich alle, als Herbert Grönemeyer am 15. Februar 2003 gleich zwei Echo-Preise bekam: als »Künstler national« (verliehen von Tote-Hosen-Sänger Campino, nominiert waren zudem Laith Al-Deen, Reinhard Mey, Xavier Naidoo, Westernhagen) sowie für die »Rock-Pop-Single national«, »Mensch«. Als Grönemeyer den Echo als »Künstler national« entgegennahm, erklärte er mit Blick auf seine Band, seine engsten Mitarbeiter: »Wir sind seit zwanzig Jahren zusammen, wir gucken uns an wie Ehepaare, die nicht genau begreifen, was gerade passiert. Wir sind völlig überwältig von der Zuneigung und Zustimmung, die uns entgegenschlägt in dieser Zeit. Wir sind wirklich völlig baff.« Der Preis gehe nicht an ihn, sondern an das ganze
Team: die Band, Alex Silva sowie alle anderen, die geholfen hätten, vor allem Management und Plattenfirma. »Bleibt gesund, bleibt Mensch, und habt einen schönen Frühling«, schloss er. Wenig später trat Grönemeyers Freund Günter Jauch (Grönemeyer war sogar bei der Einschulung von Jauchs Tochter Kristin dabei) auf die Bühne und begann: »Vor ein paar Monaten ist es mir so gegangen, dass ein Stück und dann auch das dazugehörige Album wirklich meine Seele richtig überfallen hat. Und ich weiß, dass es Millionen anderen Menschen genauso gegangen ist. Dass jeder, der irgendwann mal geliebt hat oder der Liebeskummer gehabt hat oder der traurig war oder der Abschied genommen hat oder der krank war oder der Angst gehabt hat oder der eifersüchtig gewesen ist und alles das, was es an Abgründen für die menschliche Seele gibt, und jeder hat diese finsteren Zeiten, dass ich das in dieser Musik wiedergefunden hab. Mit einer ungeheueren Kraft, mit einer Kraft, die einen auch getröstet hat, und wenn man merkt, dass auf einmal Musik so etwas in der eigenen Seele auslösen kann und eben auch bei so vielen anderen, dann ist das ein ungeheures Glück.« All das sagte er, bevor er zum Umschlag griff und diesen öffnete mit den Worten: »Und nun hoffe ich nur, dass die Jury das ganz genauso sieht, denn sonst habe ich hier ein echtes Problem.« Er riss den Umschlag auf. »Demzufolge geht hoffentlich ...« Er schaute in den Umschlag. »... und er geht! Der Echo 2003 an Herbert Grönemeyer!« Die Kameras suchten sofort Grönemeyer im Zuschauerraum. Statt des erwarteten Titelhits »Mensch« lief jedoch »Der Weg«, während er zur Bühne ging. Wie in Zeitlupe kämpfte sich Grönemeyer die zwanzig Meter zur Bühne; mit jeder Liedzeile, die durch den Saal des Berliner ICC hallte, wurde sein Gesichtsausdruck gequälter, sein Gang schwerer. Der Song für Anna brachte ihn sichtlich aus dem Gleichgewicht, auf der Bühne wischte er sich eine Träne aus dem Gesicht. »Ich
bin gerade etwas überrascht, weil grad ... >Der Weg< ... also ich versteh es nicht ganz, aber vielen Dank!«, begann er unsicher. Dann fing er sich: »Die Platte heißt >MenschHerbert, mach weiter!< Ich hab mit dem Eisbär gerechnet [eine Anspielung auf das Video zu »Mensch«] und nicht mit diesem Lied gerade. Das bringt mich jetzt etwas durcheinander. Ich hab mich auch nur umgezogen, weil ich dachte, ich muss noch was singen. Ich wusste gar nicht, dass das noch kommt, jetzt. Auf jeden Fall meinen Freunden und dem Wertvollsten, was ich habe, meinen beiden Kindern Felix und Marie ... « Seine Stimme versagt einen Moment lang. »... Es hat sich auch hier in Deutschland bestätigt, als die Flutkatastrophe passierte, dass wir in der Lage sind, aufeinander zuzugehen, füreinander Mitgefühl zu empfinden. Und ich hoffe, dieses Jahrhundert wird ein Jahrhundert der Menschlichkeit, nicht nur in Deutschland, sondern auf der Welt, dass wir es nicht mit Kriegen lösen, sondern aufeinander zurücken, aufeinander zugehen. « Er hebt den Echo. »Felix und Marie, das ist für euch - und für alle meine Freunde, für alle Menschen. Macht's gut. Vielen herzlichen Dank, das ist wirklich sehr, sehr lieb!« Nicht nur Grönemeyer selbst wurde an jenem Abend zweifach ausgezeichnet - die Emi (mittlerweile umbenannt in Capitol) bekam ebenfalls einen Preis für das Marketing zu »Mensch« und Alex Silva einen für die Produktion. Beim großen Echo-Finale schließlich standen Holger Czukay, Jaki Liebezeit und Irmin Schmidt von Can, laut Grönemeyer »vielleicht die größten Musiker, die dieses Land in den letzten vierzig Jahren hervorgebracht hat«, neben Dieter Bohlen und seinen Superstars des Jahres
und schunkelten im Rhythmus von »We Have A Dream«. Can hätten - vermutlich genauso wenig wie Grönemeyer heutzutage noch eine Chance auf einen Plattenvertrag. Das sieht auch Superstar-Juror Bohlen so: »Wenn Grönemeyer zum Vorsingen für >Deutschland sucht den Superstar< gekommen wäre, hätte ihn unsere Jury durchfallen lassen.« Der habe nur »Charisma, aber keine überragende Stimme«. Zur Party nach der Preisverleihung kam Grönemeyer in Begleitung seiner neuen Freundin, spazierte mit der schönen Blonden stolz durch die Reihen der VIP-Gäste. Doch auf Reporterfragen zum jungen Glück reagierte er wie üblich - abweisend: »Was soll das? Das ist Privatsache.« Langsam kehrt bei Grönemeyers in London so etwas wie Normalität ein. Der Sänger lädt Freunde ein, sitzt mit ihnen in der Küche und plaudert, im Hintergrund erklingt entspannte Jazzmusik aus dem Radio. Doch kaum war der größte Rummel um »Mensch« abgeklungen, ging Grönemeyer schon wieder ins Studio, schrieb die Musik für Bob Wilsons Berliner Inszenierung von »Leonce und Lena«. »Das werden zum Teil Songs sein, die ich schon für >Mensch< geschrieben habe, aber auch neue. Ich muss immer weitermachen«, erklärt er. »Wenn eine Platte fertig ist, denke ich sofort an die nächste.« Premiere hatte das Werk kurz vor dem Start der zweiten Hälfte der »Von Gestern bis Mensch«-Tour am 1. Mai 2003 in Berlin. Robert »Bob« Wilson inszenierte 1990 am Hamburger Thalia Theater nach Motiven aus dem »Freischütz« das Musical »The Black Rider«, für das er Tom Waits als Songwriter gewonnen hatte. Nach ähnlichem Muster schufen Grönemeyer und er nun eine akustische Untermalung zu Georg Büchners Satiremärchen »Leonce und Lena«, in den Hauptrollen Markus Meyer, Nina Hoss, Stefan Kurt. Wilson und Grönemeyer waren sich bislang nur privat begegnet, Anfang der Achtziger hatte Wilson in Köln mit Anna Henkel-
Grönemeyer »the CIVIL warS« auf die Bühne gebracht. »Ich mochte Anna sehr, weil sie auf der Bühne so rätselhaft und geheimnisvoll wirkte«, sagt Wilson. Nun rief er Grönemeyer an und fragte, ob der ihm Songs schreiben würde. Grönemeyer lachte, sagte dann sofort: »Ja, >ich habe zwar seit zwanzig Jahren nichts mehr mit dem Theater zu tun, aber okay, ich fühle mich geehrt und mache mit.Woher komme ich? Warum bin ich hier? Wohin gehe ich?< Wenn du aber vor einem Kuss zu lange nachdenkst, kommt es nie zum Kuss.« »Rock der sanfteren Art (...) nett bloß«, so die Kritiker, wurde es, »eher jazzig, balladenhaft, gospelig und sentimental«, nannte es Grönemeyer selbst. Die Texte, eng gebunden an vorgegebene Motive, erreichen auch nicht die gewohnte Freistiltiefe. »Nirgendwo zu Hause, überall dein Gesicht«, singt die von Leonce nicht mehr geliebte Rosetta, Lena und Leonce hauchen: »Haben Träume eine Seele, macht Weinen Sinn, muss Leben sein«, Leonces Diener Valerio singt: »Wer will schon lange leben / wir sind hier nun mal eben / tot ist erst, wer nicht mehr trinkt.« Das zu texten hat sicher Spaß gemacht, ist aber doch nur Grönemeyer light. »Leonce und Lena« war für Grönemeyer aber nicht nur eine Rückkehr ans Theater, er traf auch einen alten Förderer wieder: Claus Peymann, für den er in Stuttgart auf der Bühne stand, ist mittlerweile Hausherr des Berliner Ensembles, wo Wilsons Inszenierung aufgeführt wurde. Trotzdem sieht ein anderes mögliches GrönemeyerProjekt vielversprechender aus. Herberts Bruder, der Arzt
Dietrich Grönemeyer, kaufte für seine Firma Medicus GmbH die Filmrechte an Noah Gordons Bestseller »Der Medicus«. »Wenn es in ein paar Jahren noch gute Angebote für ältere Männer gibt«, hatte Herbert erst 2002 wieder betont, »dann drehe ich vielleicht auch wieder.« Also spekulierte die »Gala«: Wer läge als »Medicus«Hauptdarsteller »näher als Dietrichs Bruder Herbert«? Das wäre mal ein Comeback! In Zukunft werde er sich vielleicht auch mehr noch als heute seinem Label Grönland widmen und nur noch in längeren Abständen Platten einspielen: »Ich kann mir schwer vorstellen«, sagt Grönemeyer, »nicht mehr auf der Bühne zu stehen. Aber nach und nach kann das passieren. Das ist mein Bereich, ich fühl mich da wohl. Aber es könnte sein wie bei Peter Gabriel: Die Abstände zwischen Platten und Tourneen waren schon lang, jetzt werden sie noch länger. Es kann sein, dass ich weiter in den Hintergrund trete, noch hin und wieder mit Platten komme, dann aber umso intensiver.« Für den Herbst 2003 ist eine DVD von Herbert Grönemeyer angekündigt worden.
Bleib dir treu Was Grönemeyer ausmacht »Mein Beruf ist künstlerischer, allein erziehender Vater«, sagt Herbert Grönemeyer. Im Mittelpunkt seines Lebens stehen seine Kinder, sein Vaterdasein, nicht seine Platten, seine Musik. Er sagt: »Das musste ich auch erst noch herausfinden: Geht das, als allein erziehender Vater eine Platte zu machen?« Könne er den Kindern »das zumuten - dieses Ausbrechen in ein doch recht extremes Ego, das damit verbunden ist?« Er sagt auch: »Ich trage Anna nach wie vor in mir und setze immer noch alles in Beziehung zu ihr. Egal, was ich denke: Es kommt mir bedeutungslos vor, wenn ich nicht weiß, was sie davon hält. Das hat etwas sehr Positives, weil ich das Glück erfahren habe, zwanzig Jahre sehr liebevoll und eng mit ihr zusammen gewesen zu sein. Die Engländer sagen: Du kannst klagen, dass sie tot ist - du kannst dankbar sein, dass sie gelebt hat.« Er versucht, eine neue Normalität zu finden, aber was ist schon normal, wenn der Partner starb? Was ist schon normal für einen millionenschweren Sänger, der in seinem Heimatland nicht mal ungestört Brötchen holen kann? »Wenn man wieder nach dem Leben greift«, gibt Grönemeyer zu, »macht man sich deswegen Vorwürfe. Trauer ist ein sicherer Raum, in dem man sich einschließen und zu Hause fühlen kann. Da hat man seine eigene Welt. Es ist aber egoistisch und unfair, die Tür nicht mehr aufzumachen und sich in seiner Trauer zu vergraben. Der, um den du trauerst, möchte nämlich, dass du rausgehst und gefälligst wieder glücklich wirst. Anna würde sagen: >Jammer nicht rum, Herbert, solange du mich in deinen Gefühlen in Erinnerung behältst, ist
alles in Ordnung. Und jetzt lass dir mal wieder den Wind um die Nase wehen.Mensch< habe ich ihn wiedergetroffen. Das war ein sehr beeindruckender Augenblick in der Kölnarena, da gehen siebzehntausend Leute rein. Ich stand in einem für achthundert bis tausend Medienleute und Gäste abgesperrten VIP-Bereich vor der Bühne. Er sah mich und mitten in der Strophe, mitten im Liedtext grüßt er mich: >Hallo, Koko!< Ich hatte früher den Spitznamen Koko. Der grüßt mich mitten im Songtext vor siebzehntausend Leuten, da ist es mir doch kalt den Rücken runtergelaufen, aber auch ein wenig warm ums Herz geworden. Nach der Show haben wir uns noch backstage und in der Hotelbar wiedergetroffen. Es war sehr angenehm und ungezwungen. Er war ganz der Alte: unglaublich sympathisch und bodenständig. Wir haben über gemeinsame alte Zeiten gesprochen und viel Spaß gehabt.«
ENDE Es folgen noch eine Danksagung und ein schneller Nachspann.
Danke: Bettina, Carolin, Ebba, Gabriele, Heidi, Sabine, Ulrike, Ylva. Danke: Dirk Feldmann, Mariam & Thomas Montasser, Jens Petersen. Danke: allen Gesprächspartnern!
Schneller Nachspann 1956 Herbert Grönemeyer wird am 12. 4. in Göttingen geboren. 1968 Grönemeyer gründet seine erste Band. 1974 Erste Kompositionen für das Schauspielhaus Bochum sowie eine Hauptrolle (Bert) im Beatles-Musical »The Beatles: John, Paul, George, Ringo ... und Bert« (so der offizielle Titel). 1975 Abitur; Studium Musikwissenschaft und Jura (später abgebrochen). 1976 Musikalischer Leiter am Schauspielhaus Bochum sowie weitere Theaterrollen: Grönemeyer ist »Till Uhlenspiegel«, Graf Orlowsky in »Die Fledermaus« und Melchior in Frank Wedekinds »Frühlings Erwachen« unter Regisseur Peter Zadek. 1977 Film »Die Geisel« (mit O. E. Hasse, Hannelore Hoger und Peter Kern; Regie: Peter Zadek); Engagement am Hamburger Schauspielhaus. 1978 Grönemeyer lernt bei den Dreharbeiten zu »Uns reicht das nicht« (Regie: Jürgen Flimm) die Schauspielerin Anna Henkel kennen, seine spätere Ehefrau. »Ein Wintermärchen« am Hamburger Schauspielhaus (Regie:
Peter Zadek). Erste deutschsprachige Demo-Aufnahmen (»Pompeji«). 1979 LP der Gruppe Ocean Orchestra (Eigenvertrieb). TVDarsteller in »Daheim unter Fremden« (Regie: Peter Keglevic). Auftritt am Schauspielhaus Köln als Lorenzo in »Der Kaufmann von Venedig«. Solodebüt »Grönemeyer« erscheint bei der Intercord. 1980 Schauspieler und Schauspielhaus.
musikalischer
Leiter
am
Kölner
1981 Zweite LP »Zwo« mit »Ich hab dich lieb«. Wolfgang Petersens »Das Boot«: Grönemeyer spielt den Fotografen Leutnant Werner (weitere Darsteller: unter anderem Jürgen Prochnow, Heinz Hoenig, Martin Semmelrogge, Uwe Ochsenknecht, Klaus Wennemann, Claude-Oliver Rudolph, Jan Fedder) 1982 Das dritte Album »Total Egal« erscheint, darauf unter anderem »Anna«, »Currywurst«. Hauptrolle des Robert Schumann in »Frühlingssinfonie« (Regie: Peter Schamoni). 1983 Viertes Album »Gemischte Gefühle« mit dem ersten Airplay-Hit: »Musik nur, wenn sie laut ist«. Film »Die ewigen Gefühle« (Regie: Peter Beauvais). Hochzeit von Grönemeyer und Anna Henkel. 1984 Wechsel von der Plattenfirma Intercord zu Emi Electrola (heute: Capitol). Fünftes Album »4630 Bochum«; Single »Männer« macht Grönemeyer zum Star.
1985 Grönemeyer spielt Georg Deutz im Film »Väter und Söhne« (Regie: Bernard Sinkel; Co-Stars Julie Christie, Burt Lancaster und Bruno Ganz). 1986 Sechstes Album »Sprünge«; mit den Songs »Lächeln« und »Tanzen« greift Grönemeyer offen Kohl und die Deutschtümelei an. Weiterer Hit: »Kinder an die Macht«. 1987 Geburt von Sohn Felix. 1988 Siebtes Album »Ö« mit Singles wie »Halt mich«, »Vollmond« und »Was soll das?«. Wenig später erscheint sein englischsprachiges Album »What's All This« in Kanada; es folgt dort eine Tournee: Toronto, Quebec, Sudbury, Ottawa, Montreal. Das Konzert am 29. September in der Kölner Sporthalle wird aufgenommen und als Videomitschnitt veröffentlicht. Im TV-Film »Sommer in Lesmona« übernimmt Grönemeyer die Hauptrolle und schreibt den Soundtrack (Grimme-Preis in Gold). 1989 Geburt von Tochter Marie. 1990 Achtes Album »Luxus«, in dem Grönemeyer etwas besserwisserisch den Fall der Mauer reflektiert (»Hartgeld«, »Luxus«).
1991 Das Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle wird mitgeschnitten und auf Video veröffentlicht.
1992 Grönemeyer wird bei der ersten Verleihung des Schallplattenpreises Echo als bester nationaler Künstler 1991 ausgezeichnet. Die englischsprachige Fassung von »Luxus« erscheint, darauf auch eine französische Fassung des Titels »Marie«. 1993 Neuntes Album »Chaos«, Songs kontra Rechtsradikalismus und Wiedervereinigung. Ende des Jahres veröffentlicht Grönemeyer als erster deutscher Musiker eine CDROM (für Windows und Mac) mit drei Videoclips (»Land unter«, »Fisch im Netz«, »Chaos«), Remixen, Bildern, Texten, einem kurzen Lebenslauf. Das Buch »Grönemeyer: Photographien von Anton Corbijn« erscheint. 1994 Noch ein »Echo« als bester nationaler Künstler. Für MTV spielt Grönemeyer als erster nicht englischsprachiger Künstler am 15. Mai in den Potsdamer BabelsbergStudios ein Unplugged-Konzert. Remix-Spezialisten bearbeiten auf »Cosmic Chaos« aktuelle Grönemeyer-Stücke (»Chaos«, »Land unter«, »Morgenrot«, »Die Härte«). Das Album wird - entgegen den Erwartungen der Plattenfirma - eine der erfolgreichsten Technoplatten des Jahres. 1995 Am 30. Oktober erscheinen »Unplugged Herbert« (das MTV Unplugged Konzert) und »Live« (»Chaos«-Tour 1993/94).
1996 Da MTV Unplugged mit Grönemeyer auch international erfolgreich lief, erscheint nun »Chaos« (englischsprachig) international.
1998 Nach fünf Jahren Studiopause erscheint das zehnte Studioalbum »Bleibt alles anders«. Produzent ist der Brite Alex Silva. In der ersten Novemberwoche sterben Grönemeyers Bruder Wilhelm und seine Frau Anna. 1999 »Millennium Award« der »Goldenen Kamera« für Grönemeyers Beitrag zur deutschen Rockmusik und seine filmischen Leistungen. Im Oktober veröffentlicht Grönemeyers Plattenlabel Grönland die AchtCD-Box »Pop 2000. 50 Jahre deutsche Popmusik und Jugendkultur« und die Compilation »Pop 2000. Das gibt's nur einmal«. Nummer-eins-Hit mit Jan Delays NenaCover »Irgendwie, irgendwo, irgendwann«. 2000 Grönemeyer gibt nur vier Konzerte: zwei zur Eröffnung der Expo in Hannover, eins vor dem Brandenburger Tor in Berlin und eins in Bitterfeld. Die Doppel-CD/DVD »Stand der Dinge« dokumentiert seinen Expo-Auftritt am 7. Juni. 2002 Am 5. August erscheint die Single »Mensch«, am 2.September folgt das gleichnamige elfte Studioalbum. 2003 Singles »Der Weg«, »Demo (Letzter Tag)«, »Zum Meer«. Neue Freundin. Zwei Echos (Künstler national Rock/Pop, Nationale Rock/Pop-Single »Mensch«). Insgesamt rund 1,5 Millionen Besucher auf der Tournee 2002/2003. Ende Juni unterzeichnet Grönemeyer einen neuen, langfristigen Künstlervertrag bei seiner derzeitigen Company Capitol ein guter Zeitpunkt, direkt nach über drei Millionen verkaufter »Mensch«-Alben.