Gorgar, der Tyrann
von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Ein Blitz zuckte über den Hi...
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Gorgar, der Tyrann
von Joachim Honnef scanned by : horseman kleser: Larentia Version 1.0
Ein Blitz zuckte über den Himmel, an dem sich dunkle Wolken ballten, und tauchte den Hohlweg in gespenstisches Licht. Hanno, der Kutscher, fluchte lästerlich über das Gewitter. Ein Donnerschlag ließ ihn verstummen. Hastig bekreuzigte er sich und blickte zum Himmel, von dem ihm der Regen ins Gesicht peitschte. »Verzeiht, Herr«, murmelte er, »Ihr werdet schon wissen, weshalb Ihr dieses Sauwetter auf die Erde schickt. Bestimmt zürnt Ihr dort oben mit den Bösewichtern hier unten, zum Beispiel mit Gorgar, der hier im Frankenwald sein Unwesen treiben soll. Mag er vom Blitz getroffen
werden, dieser verdammte...«
Wieder zerriß ein Blitz die dunklen Wolken, und Hanno zuckte zusammen. »Schon gut, Herrgott, ich fluche nicht mehr.« Er versuchte, die Dunkelheit mit den Augen zu durchdringen, trieb die Gespannpferde zu schnellerem Tempo an und dachte an einen Krug Bier, den er am Ziel in der Lindenschenke trinken wollte, bevor er die dralle Barbara in Frankenforst besuchte. Bei dem Gedanken an seine beiden geliebten B's - Bier und Barbara - lächelte Hanno. Dann traf ihn der Pfeil, und er lächelte nicht mehr. Er glaubte, der Schmerz müsse ihm die Brust zerreißen. Mit einem ächzenden Laut sank er auf dem Kutschbock zusammen, die Zügel entglitten seiner kraftlosen Hand, und unbewußt krallte sich seine Rechte um den Pfeilschaft, der aus seiner Brust ragte. Er stürzte nicht vom Bock, denn der Pfeil hatte ihn dort regelrecht festgenagelt. Die Kutsche raste weiter über den schlammigen Hohlweg. Als sie eine mächtige Buche passierte, deren weit ausladende Zweige hoch über den Fahrweg ragten, sprang eine schwarze Gestalt von einem Ast herunter wie eine Raubkatze. Sie landete neben Hanno auf dem Kutschbock, fing sich geschickt ab und ergriff die Zügel. Hanno erfaßte erst richtig, was geschehen war, als die Kutsche hielt und durch das Rauschen des Regens und das Donnergrollen Stimmen erklangen. Plötzlich waren ringsum Gestalten, drohende Schemen in der Finsternis. Hanno nahm alles wie durch einen Vorhang aus blutrotem Regen wahr. Und dann erschauerte er. Denn er glaubte einen Schrei aus tausend rauhen Kehlen zu hören: »Gorgar! Gorgar! Gorgar!« Nur der Mann neben ihm hatte es gesagt, nicht einmal laut, doch es hallte in Hanno nach wie mit Pauken geschlagen. Es gibt ihn also doch, dachte er voller Entsetzen und Todesfurcht. Herr, hilf mir ... Dann wurde es völlig still und dunkel um Hanno. Er spürte nicht mehr, wie er vom Kutschbock hinabgeworfen wurde. Er hörte nicht mehr, wie sein Passagier in der Kutsche um Gnade flehte, als ihm
einer der Räuber ein Schwert an die Kehle setzte. Der Passagier war Gotthilf vom Berge, ein berühmter Dichter, der auf Burg Fichtenau erwartet wurde. Offenen Mundes starrte er auf das Schwert. »Gnade!« keuchte er. »Habt Erbarmen. Ich gebe Euch alles, was ich besitze. Es ist nicht viel, denn ich bin nur ein Dichter, aber ...« Der Mann mit dem Schwert unterbrach ihn mit wildem Lachen. »Wir wissen, daß du ein Verseschmied bist. Deshalb sind wir hier. Du wirst deinen Grips für unseren Herrn anstrengen müssen, wenn du am Leben hängst.« Er zog das Schwert zurück, stieg in die Kutsche und zog den Schlag zu. »Jago, fahr los!« rief eine rauhe Stimme aus dem Dunkel am Wegesrand. Der Mann auf dem Kutschbock zog die Peitsche aus der Halterung und trieb das Gespann an. In der Kutsche fragte Gotthilf bang: »Was - was hat das zu bedeuten? Wer - ist Euer Herr, und wohin fahren wir?« Der Mann neben ihm lachte spöttisch. »Wir fahren geradewegs in die Hölle. Zu Gorgar! Zu Gorgar, dem Schrecken des Frankenwaldes!« * »Das soll eine Soße sein?« Gorgars finstere Miene nahm einen noch grimmigeren Ausdruck an. Angewidert blickte er auf die Schale mit der Bratensoße, in die er einen Kanten gesäuertes Brot getunkt hatte. Dann heftete er den Blick seiner schwarzen zornfunkelnden Augen auf den Bratenmeister. Cuthbert, der Bratenmeister und Vorkoster, schien unter diesem Blick zu schrumpfen. Allmächtiger, stimme ihn gnädig! dachte er. “Ich warte auf eine Erklärung«, sagte Gorgar mit unheilschwangerer Stimme. Sie erinnerte an nicht mehr allzu fernes Donnergrollen.
Cuthbert wurde es heiß, und das lag weder an der Mittagssonne, die über der Schlucht stand, noch an dem Lagerfeuer, über dem ein halber Ochse am Spieß briet. Cuthbert suchte verzweifelt nach einer Rechtfertigung. Aber es wollte ihm einfach keine glückliche Ausrede einfallen. So stammelte er nur: »Majestät, wenn ich Euren Geschmack nicht getroffen habe, so bin ich untröstlich.« »Ich auch!« brüllte Gorgar und warf seinem Bratenmeister die Schale mit der Soße ins Gesicht. »Wagst du es noch einmal, mir solch laffes Wässerchen anzubieten, so lasse ich dich teeren und federn!« Gorgars Donnerstimme hallte durch die Schlucht. »Hinfort mit dir!« Cuthbert, noch benommen, mit tränenden Augen und brennendem Gesicht, vermochte sein Glück kaum zu fassen. Hurtig lief er davon. Er war froh, so glimpflich davongekommen zu sein. Er hatte schon damit gerechnet, dreißig Peitschenhiebe zu bekommen wie vor vier Wochen und zwei Tagen, als er die Soße versalzen hatte. Als er sich wieder sicherer fühlte, wagte er, sich übers Gesicht zu wischen. Er leckte sich über die Lippen. So laff ist die Soße gar nicht, dachte er, mache es einer diesem Tyrannen recht! Und Trotz regte sich in ihm. Im Zelt ließ er seinen Unmut an der Magd Waldegunde aus. Das dumme Ding kicherte, als sie den Bratensaft auf dem roten Gesicht ihres Meisters sah. Cuthbert versetzte ihr eine schallende Ohrfeige und knurrte sie an: »Alberne Gans! Steh nicht und halte Maulaffen feil. Richte geschwind eine neue Soße an. Gorgar ist verstimmt!« Da wurden Waldegundes große Kulleraugen noch größer, sie dachte Madonna! und beeilte sich, den Befehl zu befolgen. Indessen praßte Gorgar am Feuer. Mit beiden prankenartigen Händen, deren Rücken narbig und behaart waren, hielt er eine Bratenkeule, riß mit seinen kräftigen weißen Zähnen große Stücke des saftigen zarten Fleisches heraus und kaute schmatzend. Fett tropfte auf die
Bärentatzen, die als Trophäen über seinem Kettenhemd hingen, doch Gorgar kümmerte es nicht. Er trank aus einem Becher Wein, rülpste vernehmlich und wischte sich mit fettiger Hand über die wulstigen Lippen. Sein breites, von wucherndem schwarzen Vollbart und wahrer Löwenmähne umkränztes Gesicht nahm einen zufriedeneren Ausdruck an. Seine beiden Vertrauten, Wenzel der Bogenschütze, und Kuno, der sich selbst der Tapfere nannte, nahmen es zufrieden wahr. Als ihr Herr gar herzhaft furzte, entspannten sie sich etwas. Gorgars Grimm war verraucht, so schien es. Doch da klang Hufschlag am Zugang zur Schlucht auf. Unwillig blickte Gorgar auf. Auch Wenzel und Kuno drehten die Köpfe. Zwei Reiter trieben ihre Rösser in die Schlucht zu Gorgars Lager. Und sie hatten einen dritten Mann dabei. Doch dieser verfügte über kein Pferd, und nur ein Dummkopf hätte gedacht, daß der reiterlose Mann freiwillig auf dem Wege zu Gorgar war. Denn der Unglückselige hing an einem Strick, den einer der beiden Reiter um seinen Arm geschlungen hielt, und wurde über den rissigen und staubigen Boden geschleift, so daß Wams und Hose in Fetzen gingen. Der Mann am Strick bot wirklich einen bedauernswerten Anblick. Er holperte über den Grund, versuchte sich aufzurappeln, doch es wollte ihm nicht gelingen. Auf dem ganzen Weg - es mochten hundert Klafter bis zu Gorgars Feuer sein - stieß der Gepeinigte schrille Schreie aus, die in ein Schluchzen und Wimmern übergingen, als die Wachen ihre Rösser zügelten und die wilde Jagd zu Ende war. Gorgar wandte sich an Wenzel. »War diese Vorführung im Programm zu meinem Wohlgefallen geplant?« »Nein«, beeilte sich Wenzel zu sagen, »Ihr hattet befohlen, daß nur der Dichter euch preisen sollte.« Und er fügte schnell ein »Majestät« hinzu, denn Gorgar konnte im Jähzorn einen Mann töten, der ihm nicht genügend Respekt zollte. Einer der Reiter stieg vom Roß, löste den Strick von seinem
Handgelenk und schritt steifbeinig zu dem Gepeinigten, dessen Schreie und Schluchzer verstummt waren. »Es ist der Dichter, Majestät«, rief der zweite Mann. »Er stahl sich durch das Birkenwäldchen und versuchte zu fliehen.« Der andere packte den Dichter und zerrte ihn auf die Beine. Gorgar legte die Bratenkeule ins Gras neben dem Feuer und erhob sich. Er war ein Hüne, breit und schwergewichtig und furchteinflößend. Seine schwarzen Augen musterten den kleinen schmächtigen Mann im Griff des Wachtpostens. Der grinsende Geselle ließ den Kleinen los, und er stürzte zu Boden, weil er seinen geschundenen Körper nicht aus eigener Kraft aufrecht halten konnte. Die Wachtposten lachten rauh. Gorgars wulstige Lippen verzogen sich zu einem amüsierten Grinsen. Wenzel feixte und Kuno kicherte. Nur dem Dichter stand nicht der Sinn nach Lachen. Aus brennenden Augen starrte er bangen Herzens zu Gorgar. »Gnade!« rief er, »Gnade... Gnade ...« »Er wiederholt sich«, sagte Gorgar mit dröhnender Stimme, aber in heiterem Tonfall, so daß der Dichter wieder ein wenig Hoffnung schöpfte. »Wie heißt er?« »Gotthilf...« »Potztausend, er soll nicht beten, sondern seinen Namen nennen!« grollte Gorgars Stimme. »Gotthilf - Gotthilf vom Berge«, stammelte der Dichter. »So lautet mein Name.« Das drohende Funkeln aus Gorgars Augen verschwand. Der Wachtposten versetzte Gotthilf einen rüden Tritt. »Sag Majestät zu unserem Herrn, oder es setzt was!« Drohend hielt er Gotthilf die geballte Rechte vor die Nase. »Ma-majestät!« stotterte Gotthilf. Gorgar gebot mit gebieterischer Geste Einhalt. Finster starrte er auf den schmächtigen Dichter hinab. »Für seinen Namen kann er nichts«, sagte er wie im
Selbstgespräch. »Er kann auch nichts dafür, daß er reimt und denkt, statt sich wie ein rechter Mann im Kampfe zu schlagen.« Er kratzte sich am schwarzen Bart, fand etwas darin, betrachtete es interessiert und schob es dann in den Mund. Es war ein Krümel Braten, den er kaute, bevor er mit erhobener Stimme weitersprach. »Aber er kann etwas dafür, daß er sich meinen Befehlen widersetzt und aus der Schlucht fliehen wollte!« »Ein Narr, der das Unmögliche versucht«, erklärte einer der Wachtposten mit grimmiger Genugtuung. »Ja, ein Narr«, pflichtete Gorgar bei. »Und gleich ein toter Narr!« Gotthilf erschauerte bis ins Mark. Kuno zog sofort sein Schwert. Solch günstige Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen. Ein wehrloses Opfer hielt er für genau das richtige, um die Zahl der Toten, derer er sich rühmte, um eins zu vergrößern. »Erbarmen, Erbarmen!« flehte Gotthilf und fügte ein hastiges »Majestät«, hinzu, denn er war nicht dumm und hatte erkannt, daß die anderen ihren Herrn so anredeten. Er richtete sich eilig auf und warf sich auf die Knie. Er hätte genausogut liegenbleiben können, doch in seiner Aufregung fiel ihm das nicht ein. Außerdem war er ein gelehrter Mann, der wußte, wie ein Kniefall zu wirken hatte. Kuno blickte seinen Herrn begierig an. Die Klinge des Schwertes blitzte im Sonnenlicht. Doch Gorgar gab noch nicht die Erlaubnis. »Ich denke, er ist ein Dichter?« Gorgar warf Wenzel einen fragenden Blick zu. Wenzel nickte. »Ich denke, er sollte eine Hymne vortragen?« sagte Gorgar zu Wenzel. »Das sollte er, Majestät«, sagte Wenzel. Die Ader an Gorgars Stirn schwoll an. »Und warum tut er's nicht?« brüllte er jähzornig. Alle starrten jetzt Gotthilf an. Angst hielt ihn im Griff. Sein Herz pochte wild. Er glaubte ohnmächtig zu werden.
Er schluckte und brachte kaum ein Wort hervor. Erst beim dritten Versuch gelang es ihm. »Ich - mir - mir ist nichts eingefallen!« Es war, als sei der Knoten in seiner Kehle geplatzt. Immer schneller sprudelte er jetzt die Worte hervor. »Ich hatte doch nur eine Stunde Zeit, Majestät. Ich war noch wie betäubt von meiner Gefangennahme. Ich konnte nicht klar denken. Ich flehe Euch um Gnade an!« »Das höre ich«, sagte Gorgar spöttisch. »Aber es nutzt dir nichts. Einen Dichter, der nicht klar denken kann, den kann ich nicht gebrauchen.« Er blickte zu Kuno. »Und außerdem hat er mich bei meinem Mahl gestört. Also - köpft ihn!« * Trompetengeschmetter hallte von den Türmen der Burg Falkenstein. Wie immer blies einer der Trompeter abscheulich daneben und einer verdächtigte den anderen. Doch an diesem strahlenden Tag ärgerte sich niemand darüber. Lambert von Falkensteins Sohn war geboren. Eleonore hatte Lambert das lang ersehnte Kind geschenkt, den Erben, Lambert II. Alle auf Burg Falkenstein waren glücklich, daß das Werk endlich doch gelungen war; jeder erhielt an diesem Tag sieben Dukaten von Ritter Lambert, denn sieben Jahre hatte er auf den Erbsohn gewartet. Am glücklichsten war Lambert. Oh, er hatte nur zu gut gewußt, daß man hinter vorgehaltener Hand im Lande schon über ihn getuschelt hatte. Sieben Jahre lang waren alle Anstrengungen vergebens gewesen - Eleonore hatte kein Kind bekommen. Lambert hatte einen Arzt gefragt, den Pfaffen und die Wahrsagerin. Die Wahrsagerin hatte ihm immer wieder aus dem Kaffeesatz prophezeit, daß ihm ein gesunder Erbsohn geboren werde - früher oder später. Der Pfaffe hatte von Gottes Willen und Geduld gesprochen. Und der Arzt, dieser eingebildete Kerl, hatte sich erdreistet, Lamberts Manneskraft anzuzweifeln - natürlich nur in Andeutungen, dieser
Feigling - und er hatte ihm geraten, mehr Schalotten und kräftig gewürztere Speisen zu essen, auf daß er feurig wie ein Stier sein werde. Nun, die Wahrsagerin hatte recht gehabt, dachte Lambert zufrieden. Und auch der Pfaffe hat das Richtige gesagt, indem er mir zu Geduld riet. Ha, dachte Lambert, mit Geduld und Spucke fängt man eben eine Mucke. Der Vergleich amüsierte ihn. Doch dann mußte er an den Arzt denken, und seine Miene verdüsterte sich. Dieser verdammte Quacksalber mit seinem Gerede! Er - Lambert hatte tatsächlich manches Mal an sich selbst gezweifelt. Haufenweise hatte er Schalotten verzehrt und seine Speisen so kräftig würzen lassen, daß ihm förmlich Feuer aus dem Mund gelodert war, als er Eleonore in ihrem Schlafgemach besucht hatte. Ob die Schalotten doch geholfen hatten? Unsinn, dachte Lambert. Genau das Gegenteil war der Fall. Als er mit klopfendem Herzen und brennend vor Gewürzen von Verlangen zu Eleonore geeilt war, hatte sie nur die Nase gerümpft und gesagt: »Mich dünkt, Ihr riecht nach Zwiebeln.« Und die ganze Stimmung war im Eimer gewesen. Nein, an den Schalotten konnte es nicht liegen. Da waren ganz andere Kräfte im Spiel, dachte Lambert selbstzufrieden. Stolz blickte er in die Wiege, auf das kleine Wesen mit dem roten kahlen Kopf hinab. »Mein Sohn!« sagte er gerührt. »Lambert II. Der Erbe von Burg Falkenstein.« Nach diesen erhabenen Worten herrschte eine Weile Stille in dem Gemach, bis Lambert II. zu weinen begann. Sofort eilten alle Umstehenden an die Wiege. Philomena, die Amme, waltete ihres Amtes, und sie war wohl eine gute Amme oder Lambert II. ein gutes Kind, denn das Plärren verstummte sogleich sehr zum Wohlgefallen des Vaters, der besorgt gedacht hatte: Es wird ihm doch nichts fehlen? Lambert von Falkenstein blickte zu Eleonore. Sie lag noch etwas blaß auf dem Bett, aber ihre blauen Augen strahlten vor Mutterglück,
ihr goldenes Haar schimmerte, und sie erschien Lambert so schön wie nie zuvor. »Ich danke Euch«, sagte Lambert ein wenig unbeholfen. Eleonore lächelte liebreizend und senkte dann fast verschämt den Blick. Lambert war so wohlgelaunt, daß er sich dazu hinreißen ließ, allen im Gemach Anwesenden ebenfalls zu danken, dem Pfarrer, der sogleich zu beten begann, der Amme, welche die Wiege schaukelte, dem Arzt, dem Lambert in seinem Überschwang die damaligen anzüglichen Bemerkungen nicht nachtrug, und Magnus von der Lohe, dem Vertrauten, der ernsten Gesichtes abseits stand und keine Miene verzog. »Sagt, Magnus«, rief Lambert, »mich dünkt, Ihr seid so ernst wie bei einer Beerdigung. Doch nicht Trauer ist an diesem Tage geboten, sondern Jubel. Freut Ihr Euch denn gar nicht?« Magnus, ein großer, schlanker Mann mit männlich hartem Gesicht, in dem die grauen Augen Kühnheit und Energie verrieten, zeigte nur die Andeutung eines Lächelns. »Natürlich freue ich mich.« Er zuckte leicht mit den Schultern. »Auch wenn es nicht mein Sohn ist, so ...« »Das will ich hoffen!« unterbrach Lambert gutgelaunt, trat zu Magnus und klopfte ihm auf die Schulter. »Das will ich hoffen!« Er lachte wie über einen Spaß und blickte strahlend in die Runde. Magnus fiel herzlich in das Lachen ein und bewies, daß er doch nicht so ernst und kühl war, wie er meistens wirkte. Der Pfaffe unterbrach sein leise gemurmeltes Gebet und blickte den Burgherrn leise tadelnd an. Der Scherz mißfiel ihm. Auch Eleonore war augenscheinlich nicht sehr angetan von der Bemerkung ihres Gemahls. Ihre Wangen röteten sich leicht, und sie senkte die Lider. »Verzeiht mir meine Worte, die im Überschwang des Glücks geboren«, sagte Lambert hastig. Und dann hielt er es für angezeigt, schnell das Thema zu wechseln. Er wandte sich an Magnus. »Habt Ihr alles vorbereitet für die Feier? Ich wünsche das schönste Fest, das es im Frankenlande je gegeben hat. Sieben Tage und Nächte wollen wir feiern. Mit erlesenen Speisen und köstlichen Weinen. Mit Ritterspielen, Komödianten und Musikanten. Gebt
Kunde im ganzen Land, daß Lambert II. geboren ist!« »Ich werde für alles Verantwortung tragen«, sagte Magnus. Er verneigte sich leicht vor Lambert, blickte dann kurz zu Eleonore und verbeugte sich noch etwas tiefer. Dann verließ er das Gemach. Draußen erklang seine Stimme. Er sprach mit den Wachen vor der Tür. Waffen klirrten, Schritte stampften davon. Versonnen blickte Lambert von Falkenstein auf seinen Sproß nieder. »Ein schönes Kind«, sagte er stolz. »Mich dünkt, er kommt auf mich.« »Ich finde eher, er ähnelt mir«, sagte Eleonore mit sanfter Stimme. »Nun ja, von Euch, Gemahlin, hat er sicherlich die Schönheit«, sagte Lambert, bemüht, galant zu sein. »Aber von mir hat er sicherlich ...« Den Verstand und die Kühnheit hatte er sagen wollen, aber er rettete schnell die Situation, indem er fortsetzte: »auch einiges mitbekommen, so daß ein ruhmreicher Ritter aus ihm wird.« Das habe ich elegant hingekriegt, dachte er selbstgefällig, als er Eleonores Lächeln sah. In diesem Moment ging die Tür auf, und Magnus eilte in das Gemach. Er hielt eine Botschaft in der Hand. »Ein Kurier hat eine Botschaft am Tor abgegeben«, sagte er und reichte sie Lambert. »Er wollte nicht auf Antwort warten.« »Schon die ersten Glückwünsche?« murmelte Lambert, als er lächelnd das Siegel brach. Dann las er, und sein Lächeln erstarb. All seine Glücksgefühle waren schlagartig dahin. Es war, als sei aus heiterem Himmel ein Blitzschlag auf ihn herabgezuckt, als sei Donner und Hagel über ihn hereingebrochen. Er erbleichte. Denn die Nachricht lautete: »Lambert II. ist nicht Euer Sohn. Wenn Ihr wissen wollt, mit wem Euch Eure Gemahlin betrog, so kommt zur Mühle am Teufelsgrund. Allein. Und bringt 100 Dukaten mit. Ein Freund.« *
Kuno hob die Hand mit dem Schwert. Gotthilf der Dichter zitterte am ganzen Leib. Todesangst schnürte seine Brust ein wie ein Eisenpanzer. Er brachte nicht mal mehr einen Schrei hervor. Sie hatten ihm die Hände auf den Rücken gebunden, und er kniete vor Kuno. Atemlose Stille herrschte in Gorgars Lager. Rund zwei Dutzend der wachfreien Männer, die Gorgar als seine Landsknechte bezeichnete, die aber nichts anderes als Mörder, Räuber und Plünderer waren, hatten sich eingefunden, um das grausige Schauspiel zu verfolgen. Gorgar hatte sich wieder am Feuer niedergelassen und aß schmatzend Ochsenbraten, während er beinahe gelangweilt zu Kuno und dem Dichter blickte, der hilflos dem Tod ins Angesicht sah. Die Sonnenstrahlen brachen sich gleißend auf Kunos Schwert, das er mit beiden Händen hoch über den Kopf hielt. Kuno war klein, nicht größer als Gotthilf, wohl aber von etwas kräftigerer Statur. Böse Zungen behaupteten, das einzig Große an Kuno sei sein Mund. Selbige Leute machten sich auch hinter vorgehaltener Hand lustig über Kunos Kämpfernamen - der Tapfere. Denn manches Mal hatte Kuno in gefährlicher Situation eher den Eindruck erweckt, ein Feigling zu sein. Niemand hatte ihn je im offenen Kampf Mann gegen Mann gesehen. Wenn es auf Raubzüge ging, war Kuno stets im Lager geblieben, um Gorgar zu beraten und ihm Ärger vom Leibe zu halten, wie er sagte. Aber niemand wagte es, ihm zu widersprechen oder ihn aufzufordern, eine Probe seiner Kampfkraft abzulegen. Zum einen, weil man nicht genau wußte, wie es nun wirklich mit seiner Tapferkeit und seinem Können stand, zum anderen, weil Kuno die Hinterlist in Person war. Man mußte damit rechnen, daß er bei Gorgar, der offenbar einen Narren an ihm gefressen hatte, intrigierte, und es bestand die Gefahr, daß man im Dunkel hinterrücks erdolcht oder vergiftet oder sonstwie umgebracht wurde. Deshalb hörte man Kunos Prahlereien schweigend an und hütete seine Zunge.
Ein Zweig knackte im Feuer. Dann war wieder nur Gorgars Schmatzen zu hören. Gotthilf der Dichter sah durch einen Schleier von Tränen Kuno, das triumphierende Leuchten in dessen kleinen grünen Augen, den grausamen Zug um den schmallippigen Mund. Das Schwert blitzte. Gotthilf schickte ein stummes Gebet gen Himmel und hob den Blick, als könnte er dort oben den Herrn sehen. Statt dessen sah er einen Adler, der im Blau kreiste und dann jenseits der östlichen steil aufragenden Felswand hinabstieß. Kuno holte zum Schlag aus. Gotthilf schloß die Augen. Eine Träne rann über seine Wange. Aus, durchfuhr es ihn. Herr, vergib mir meine Sünden ... Er wußte nicht, daß er die Worte murmelte. »Haltet ein!« Die Stimme klang wie aus weiter Ferne durch den Trommelwirbel, der durch Gotthilf s Ohren zu dröhnen schien. Gotthilf hörte zu beten auf, und Kuno verharrte. Gorgar, der gerade genüßlich den Wein im goldenen Becher geleert hatte, wischte sich über die Lippen und blickte unwillig zum Purpurzelt. Aller Köpfe ruckten herum, auch der von Gotthilf, der noch nicht fassen konnte, daß sein Kopf noch da war. Kuno verharrte mit erhobenem Schwert, und seine Miene nahm einen mißmutigen Zug an. Aus dem Purpurzelt war Konstanze getreten, Gorgars Geliebte, die er bald zu seiner Königin zu machen gedachte. Sie raffte den langen Rock, als sie über den Steg schritt, der über den Graben führte, welcher das große Purpurzelt umgab. Unzählige Giftschlangen befanden sich in diesem Graben, der mit einem Netz bedeckt war, so daß die Schlangen nicht heraus konnten. Mit dem Steg hatte es eine besondere Bewandtnis. Er war eine teuflische Erfindung von Wenzel. Gorgar hatte vergebens versucht, mit seinen verkommenen Mannen eine kleine Burg einzunehmen. Er war auf der Suche nach
einem würdigen Hauptquartier, von dem aus er seine Raubzüge starten und sein Reich immer mehr vergrößern konnte. Die Sache war schiefgegangen. Gorgar hatte mehr als die Hälfte seiner wilden Schar verloren und fliehen müssen. Er hatte sich in diese Schlucht zurückgezogen, seine Männer Versager geheißen und voller Groll auf Rache gesonnen. Und da er sich zunächst nur mit einem Zeltlager bescheiden mußte, hatte er überlegt, wie er es zur Festung machen könnte, die so sicher war wie eine Burg. Wenzel hatte einen Geistesblitz gehabt, der ihm Gorgars Gunst und zehn Dukaten eingebracht hatte. Er hatte den Graben anlegen und ihn voller Giftschlangen füllen lassen - die von Gorgars Reitern gesucht und ins Lager gebracht worden waren, wobei zwei der Schlangenfänger ihr Leben gelassen hatten - und hatte den Steg gebaut. Der Steg konnte nicht hochgezogen werden wie eine Zugbrücke, sondern er konnte zur Seite abgekippt werden, blitzschnell wie eine Falltür, so daß jeder Eindringling in die Schlangengrube fiel. Innen im Zelt brauchte nur ein Hebel betätigt zu werden - und schwups bekamen die Schlangen Gesellschaft. Gorgar hatte die Konstruktion schon einmal an einem Verräter ausprobiert, und sie hatte vorzüglich funktioniert. Konstanze schritt mit wiegenden Hüften anmutig über den Steg zu Gorgar. Sie war groß und von betörender Schönheit. Eng spannte sich das Mieder um ihren wogenden Busen. Ihr rotes Haar flammte wie flüssiges Gold. Es wurde von einem güldenen Ring auf der Stirn gehalten. Der Ring war bei einem von Gorgars Raubzügen erbeutet worden und hatte mal einer reichen Kaufmannstochter gehört. Wohlgefällig tastete Gorgars Blick über die reizvollen Formen der Frau, und er gedachte, nach dem Essen mit Konstanze ins Zelt zu gehen, um sich nach Ochsenbraten und schwerem Wein anderen Genüssen hinzugeben. »Weshalb wollt Ihr diesen Mann töten lassen?« fragte Konstanze mit dunkelgetönter Stimme. Gorgars Bartgestrüpp klaffte auf, und grinsend erwiderte er: »Er ist ein Dichter, der mich rühmen sollte. Aber es ist ihm nichts
eingefallen.« Konstanzes sinnlich schwellende Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. In ihren olivgrünen Augen funkelte es amüsiert. »Und Ihr glaubt, daß er ohne Kopf denken kann?« fragte sie. Einer der Zuschauer lachte, doch er verstummte sofort, als Gorgar in seine Richtung blickte. In Gorgars schwarzen Augen blitze es auf. Einen Augenblick lang sah es so aus, als wolle er Konstanze zornig zurechtweisen. Doch dann verzogen sich seine wulstigen Lippen zu einem Grinsen. Damit wollte er verbergen, daß er sich ärgerte. Er dachte: Es geht nicht an, daß sie so keck spricht, statt demütig zu sein. Noch dazu vor meinen Leuten. Ich werde ihr zeigen, wer der Herr ist... »Er braucht nicht mehr zu denken«, sagte er. »Er hat sein Leben verwirkt.« Kuno packte das Schwert fester. »Nein!« rief Konstanze heftig. Die Ader an Gorgars Stirn schwoll an. »Ihr wollt mir Einhalt gebieten?« grollte er. »Ihr dürft ihn nicht töten lassen!« beharrte Konstanze. »Er ist ein Dichter. Poeten und Barden sind besondere Menschen. Künstler des Geistes und der Zunge.« Gorgars Miene verlor den zornigen Ausdruck. »So was habt Ihr natürlich gern.« Sie erwiderte seinen Blick, und ihre Zungenspitze glitt über die schwellenden roten Lippen. »Ihr etwa nicht?« Sekundenlang tauchten ihre Blicke ineinander, und es war, als fochten sie mit diesen Blicken eine unsichtbare Schlacht. Potztausend! dachte Gorgar. Dieses Weib macht mich verrückt! Mit ihrem weiblichen Reiz und ihrer List bezwingt sie mich - mich, Gorgar, vor dem alle zittern! Mein Schwert schmilzt unter ihrem Feuer wie Wachs. Aber sie wird mich mit ihrer Leidenschaft und ganz besonderer Hingabe belohnen, wenn ich ihren Wunsch erfülle. Teufelsdreck, sie hat mich schon immer weich bekommen, wenn sie es wollte!
Aber wie soll ich nachgeben, überlegte er, ohne das Gesicht zu verlieren?« »Verschont ihn«, sagte Konstanze, und ihr Blick schien tief in sein Innerstes vorzudringen und seine Gedanken und geheimen Wünsche zu erraten. »Erweist mir diese Gunst.« Es wird dein Schaden nicht sein, signalisierte ihr lockendes, sinnliches Lächeln, das ein prickelndes Gefühl der Erregung in Gorgar weckte und seinen Unmut vertrieb. Er suchte nach einer Lösung und glaubte, sie gefunden zu haben. »Ihr wißt, daß ich euch gern jede Gunst erweise.« Er lächelte lüstern. »Aber seid Ihr sicher, daß dieser Kümmerling dort -«, er wies auf Gotthilf, der gebannt den Wortwechsel verfolgt hatte und zwischen Bangen und Hoffen hin- und hergerissen wurde, »- Eure Fürsprache verdient? Ich kenne Eure Vorlieben für Künstler und habe Verständnis dafür, wenn ich sie auch nicht ganz teile. Aber dieser Wicht scheint mir kein Dichter zu sein. Nicht einen einzigen Reim hat er zu meinem Ruhme verfaßt! Deshalb bezweifle ich, daß er Gnade verdient.« Die schwarzen Augen blickten listig. »Aber ich erfülle Euch gern Euren Wunsch, die Kultur am Leben zu erhalten. Legt er jetzt sofort eine Probe seiner Kunst ab, so soll er leben. Fällt ihm immer noch nichts ein ...« Er ließ den Rest unausgesprochen, doch seine Handbewegung sagte mehr als alle Worte. Gotthilf schien unter den Blicken aller noch kleiner zu werden. Am liebsten wäre er im Erdboden verschwunden. Auch Konstanze schaute ihn an. Sie lächelte leicht, mitleidig und aufmunternd. »Nun sagt etwas«, forderte sie ihn auf. »Versöhnt Gorgar mit einem Reim über seine Tapferkeit.« Gotthilfs Gedanken jagten sich. Doch so viele stürmten auf ihn ein, so daß sich alles in seinem Kopfe zu drehen schien und ihm der rettende Einfall nicht kommen wollte. Verwirrt sprach er, und seine Worte waren aus Verzweiflung geboren. »Wer - wer fürchtet weder Teufel - noch Tod ...« Gorgars finstere Miene schien sich etwas aufzuhellen, und hastig
fuhr Gotthilf fort: »Wer - stellt sich dem feuerspeienden Drachen im Abendrot...« Der Blick von Gorgars schwarzen Augen schien Gotthilf zu durchdringen wie glühende Dolche. »Du wagst es, mich mit diesem verdammten Roland zu vergleichen, der Glück gehabt haben und den Drachen vom Odenwald besiegt haben soll, wie man erzählt? Papperlapapp! Vermutlich nur eine Erfindung! Ich habe noch nie einen Drachen hier im Wald gesehen, aber wenn ich einen sehe, erlege ich ihn mit einer Hand! Ein jämmerlicher Drache - daß ich nicht lache. Ha! - Ich bin Gorgar, der Schrecken vom Frankenwald!« Seine Stimme überschlug sich, und seine Worte hallten durch die Schlucht. »Er hat Euch bestimmt nicht mit Ritter Roland vergleichen wollen«, sagte Konstanze besänftigend. »Mir hat es gefallen. Horcht doch, wie es weitergeht ...« Auffordernd blickte sie Gotthilf an. »Wer erlegt einen Bären mit bloßer Hand... Wer ist der Tapferste im ganzen Land ... Vor dem selbst die Pferde zittern ... Wenn sie ihn nur wittern ... Ihr erfahret es sobald ... Es ist Gorgar, der Schrecken vom Frankenwald!« Bei den letzten Worten hatte er verzweifelt die Stimme erhoben. Jetzt schloß er die Augen. Das konnte nicht gutgehen. Das war der dümmste Reim, den er je verfaßt hatte. Die Hochrufe ringsum erschienen ihm wie Hohngelächter. Doch dann glaubte er seinen Ohren nicht trauen zu können. Denn Gorgar sagte: »Schon besser. Noch etwas ungeschliffen und zu untertrieben, aber für den ersten Versuch will ich zufrieden sein.« Er blickte von Konstanze zu Wenzel und Kuno. »Er wird Gelegenheit haben, es auszuarbeiten und heute abend zu deklamieren. Bringt ihn in sein Quartier und gebt ihm Papier, Feder und Tinte!« Kuno ließ enttäuscht das Schwert sinken. Gotthilf glaubte vor Glück ohnmächtig zu werden. Konstanze trat zu Gorgar. »Ich danke Euch«, sagte sie leise. »Ihr seid wahrlich ein großherziger Mann.«
Voller Härte, so daß eine Frau in seinen Armen vor Wonne erschauert, dachte sie, doch wie Wachs in meinen Händen. Bei diesem Gedanken verspürte sie ein Gefühl der Macht. »Dankt mir nicht - mit Worten«, raunte Gorgar. »Kommt mit ins Zelt.« »Ja, Herr«, sagte Konstanze. Etwas anderes hatte sie auch nicht erwartet. * »Ein feines Pferd hat dein Herr.« Der Schmied wischte die schmutzigen Hände an der noch schmutzigeren Lederschürze ab. Er streckte die schwielige Rechte aus. »Na los, wo sind die fünf Dukaten fürs Beschlagen des Gauls?« fragte er barsch. Roland war erstaunt. In welchem Tonfall beliebte der Schmied mit ihm zu reden? »Dein Herr«, hatte er gesagt. Offenbar verwechselte er ihn mit einem Knecht. »Na, was ist los, was glotzt du so?« Das rote schweißglänzende Gesicht des Schmiedes verzog sich ärgerlich. »Ich wundere mich über den teuren Preis«, bemerkte Roland lächelnd. »Und ich wundere mich über deine Dreistigkeit.« Der Schmied starrte ihn offenen Mundes an. Dann ballte er die Hände, und seine schwergewichtige Gestalt straffte sich. »Dreistigkeit?« Er trat einen Schritt näher auf Roland zu. »Werde nur nicht frech, mein Junge. Fünf Dukaten hat mir dieser andere Nichtsnutz versprochen, und die bekomme ich.« Mit »dieser andere Nichtsnutz« konnte nur Knappe Louis gemeint sein. Er hatte Rolands Pferd in die Schmiede gebracht. Der Schmied hält mich also für einen Knappen, dachte Roland amüsiert. Und Knappen hält er offenbar für Nichtsnutze. »Du hast keine gute Meinung von unsereinem?« stellte Roland lächelnd fest, ohne sich zu erkennen zu geben. »Gute Meinung?« Der Schmied entblößte ein kräftiges gelbliches Gebiß. Er neigte sich etwas vor, so daß sein Gesicht mit dem
kantigen Kinn, der breiten Nase und den kleinen blauen Augen dicht vor Roland war. »Pack seid ihr, lumpiges!« Roland blickte an sich hinab. Seine Ausrüstung war in der Herberge. Er trug Hemd, Wams, Hose und leichte Stiefel. »So lumpig fühle ich mich aber gar nicht«, sagte er, bemüht, seinen Unmut zu unterdrücken. »Papperlapapp! Ihr seid alle gleich. Haltet euch für etwas Besseres, nur weil ihr irgendeinem popeligen Ritter dient! Knechte seid ihr! Was könnt ihr denn schon außer Saufen und Huren und euch herumschlagen? Ich dagegen bin ein Handwerksmann. Ohne meine Künste könnte euer feiner Herr nicht durch die Lande reiten, weil sein Roß keine Hufeisen hätte. Und er könnte nicht in den Kampf ziehen und Ruhm erwerben, wenn ich nicht strahlende Harnische, prangende Helme und Beinschienen aus feinstem Zinn schmiedete!« Er hatte sich immer mehr in Erregung geredet. »Ja, ich habe etwas Richtiges gelernt! Und meine Söhne werden ebenfalls meine Künste erlernen, obwohl sie Flausen im Kopfe haben und von Heldentaten, Ruhm und ausschweifendem Leben träumen, um es Ritter Roland gleichzutun!« »Mich dünkt, du hast keine hohe Meinung von Ritter Roland«, sagte Roland. »Doch - aber nicht von euch Knappen.« »Dann laß deine Meinung nicht meine Knappen hören«, sagte Roland. »Sie könnten es dir übelnehmen.« »Deine Knappen?« Der Schmied blinzelte. Roland nickte. »Ich bin übrigens Ritter Roland, von dem du sprachst.« Der Schmied blinzelte noch mehr. »Soso, du bist Ritter Roland. Haha! Roland, der Ritter mit dem Löwenherzen! Der kühne Ritter Roland, der Fasolt, den feuerspeienden Drachen aus dem Odenwald, bezwungen hat!« Er schüttelte den Kopf. »Der Mann, den meine Söhne vergöttern, bei dem mein Weib feucht wird in den Augen, wenn es nur den Namen hört. Und das willst du sein! Haha, ich lache mich gleich weg!«
Er lachte, bis ihm Tränen in die Augen traten, und er schnaufte wie ein Blasebalg. Draußen war Hufschlag erklungen. Dann stürmte Louis in die Schmiede. Der schwarzbärtige Knappe mit dem verwegenen Gesicht eilte auf Roland zu. Er ignorierte den immer noch prustenden Schmied und sagte hastig: »Roland, ich habe Euch Wichtiges zu berichten.« Der Schmied blickte verwundert. Roland lächelte. »Was soll das heißen?« sagte der Schmied. »Wollt ihr mich auf den Arm nehmen, ihr zwei?« Louis bedachte ihn mit einem mißmutigen Blick. »Du hältst die Klappe, wenn ich Wichtiges mit meinem Ritter spreche!« »Ich verlange ...« Louis ging das heißblütige Temperament durch. Bevor der Schmied wußte, wie ihm geschah, packte Louis ihn am Kragen und zog ihn an sich heran. »Ich wiederhole mich nicht, Eisenbieger!« Jetzt hatte sich der Schmied von seiner Überraschung erholt. Als Louis ihn freigab, wollte er ihm wütend einen Schwinger verpassen. Doch da war er an den falschen geraten. Der ehemalige Räuberhauptmann blockte den Hieb mit dem Unterarm ab und gab dem Schmied eine Ohrfeige, daß es nur so schallte. Dann ging er in die Hocke, packte den verdutzten Mann und warf ihn sich über die Schulter. Der Schmied war weiß Gott nicht leicht, doch Louis verfügte über große Kräfte. Bevor der Schmied wußte, wie ihm geschah, setzte Louis ihn auf der Esse ab. Der Schmied brüllte. Er trat nach Louis. Louis wich gedankenschnell aus und hob die geballte Rechte... Roland gebot Einhalt. Louis ließ sofort die Faust sinken. Der Schmied sprang von der Esse herunter, rieb sich den angesengten und rußgeschwärzten Hosenboden und vollführte einen wahren Veitstanz, wobei er aus Leibeskräften brüllte und sämtliche
Knappen der Welt in die Hölle wünschte. Louis schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. »Hier kann man nicht in Ruhe reden«, sagte er zu Roland. »Folgt mir nach draußen. Bitte, es ist dringend.« Roland entging nicht, daß Louis' Stimme aufgeregt klang. Er verließ mit Louis die Schmiede. Draußen berichtete der Knappe. »Ich war, wie Ihr wißt bei der Mühle im Teufelsgrund, während Ihr hier auf Euren Freund Volker vom Hohentwiel wartet.« »Ja, du wolltest deinen Cousin Eugen besuchen.« Louis rieb sich über den schwarzen Bart und wirkte etwas verlegen. »Das auch. Aber als ich in ih - äh - seiner Kammer war, hörte ich etwas Sonderbares. Da waren einige wilde Gesellen in der Mühle. Sie wollen jemanden in eine Falle locken. Mehr konnte ich nicht belauschen. Sie bedrohten den Müller. Ich wäre trotz der Übermacht dazwischen gegangen, doch ich war nackt - äh - so gut wie, denn ich hatte mich zu einem Schlummer hingelegt.« Roland ahnte etwas. Doch er ließ sich nichts anmerken. »Da passiert heute abend etwas«, fuhr Louis fort, »und ich bin in großer Sorge wegen Eu-Eugen.« »Seit wann stotterst du?« fragte Roland. »Das ist die Aufregung. Himmel, ich bin flugs hergeritten. Ich dachte, Ihr wollt in der Mühle nach dem Rechten sehen? Ich hätte alleine gekämpft, aber noch ist ja nichts geschehen, und außerdem...« »... warst du nackt«, ergänzte Roland nachdenklich. »Wie viele wilde Gesellen waren es denn?« »Ein Dutzend.« »Besonnen von dir, nichts allein zu unternehmen«, sagte Roland. »Gut, sag Pierre Bescheid. Wir reiten gleich los.« Louis freute sich über Rolands Lob. Denn Roland hatte ihn schon manches Mal getadelt, wenn er - Louis - sich in wildem Zorn zu unbesonnenem Handeln hatte hinreißen lassen. »Mir fällt ein Stein vom Herzen, Roland. Ich wußte, daß Ihr nicht tatenlos bleiben werdet, wenn Ihr erfahrt, daß Menschen Hilfe
brauchen. Und ehrlich gesagt, ein. Dutzend war mir doch ein bißchen viel auf einmal.« Er lachte. Roland nickte. »Nur ein Narr überschätzt seine Möglichkeiten. Zu dritt werden wir den Überfall vereiteln. Beeil dich, und hole Pierre. Übrigens - ich freue mich darauf, deinen Eu-Eugen kennenzulernen. Du stellst ihn mir doch vor?« Er tat, als bemerkte er Louis' entgeisterte Miene nicht, wandte sich um und ging in die Schmiede, um den Schmied zu entlohnen und sein Pferd zu holen. * Lambert von Falkenstein spornte seinen Hengst an. Der Falbe flog förmlich über den Waldweg, der zum Teufelsgrund führte. Doch Lambert ging es nicht schnell genug. Unruhe nagte in ihm. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Eleonore zur Rede zu stellen. Doch er hatte es nicht über sich bringen können. Was hätte er auch damit erreicht? Sie hätte natürlich geleugnet, und er wäre der Trottel gewesen, der auf einen Schabernack hereingefallen war. Schabernack? Lambert wünschte nichts sehnlicher, als daß sich alles als dummer und gemeiner Scherz herausstellen würde. Der Coup eines Gauners, der hundert Dukaten erpressen wollte. Sollte sich das herausstellen, konnte der Mann nicht mit Beweisen aufwarten, so würde Lambert ihn zum Duell fordern. Niemand legt Ritter Lambert herein, dachte er grimmig, als er in gestrecktem Galopp gen Teufelsgrund ritt. Doch dann fraßen wieder Zweifel in ihm. Wenn es doch stimmte? Wenn Eleonore tatsächlich ...« Unbewußt schüttelte er den Kopf. Der Gedanke war zu ungeheuerlich. Nein, es mußte ein dreister Erpresser sein. Warte nur, dir werde ich's zeigen, dachte Lambert. Er hatte die hundert Dukaten mitgenommen. Für alle Fälle. Damit der Bursche plauderte. Aber er würde sie nur bekommen, wenn er
tatsächlich Beweise hatte. Wenn nicht, würde er statt der Dukaten in die Tasche das Schwert ins Herz bekommen ... Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne färbten die Hügel und Tannen im Westen mit rötlichem Schimmer. Schnell dämmerte es. Ein Hirsch wechselte ein paar hundert Klafter vor dem Reiter über den Waldweg und verschwand im schon dunklen Tann. Vögel stiegen kreischend auf, als fürchteten sie den Reiter. Lambert erreichte das Ende des Waldwegs und preschte den Hügel hinauf, hinter dem er den Teufelsgrund wußte. Es ging die Sage, daß dort einmal eine Hexe gehaust und jeden in einen Drachen verwandelt hatte, der dort verweilt hatte. Lambert glaubte nicht daran. Das war sicher eine Erfindung der abergläubischen Mägde und Knechte. Neuerdings erzählten sie sich hinter vorgehaltener Hand von einem Ungeheuer namens Gorgar, das sein Unwesen im Frankenwald treiben sollte. Weibergewäsch, dachte Lambert. Er glaubte nur, was er sah. Und er hatte bisher keinen Drachen und keinen Gorgar gesehen. Er gelangte auf den Hügelkamm und sah die Mühle im Teufelsgrund. Er parierte das Pferd und ließ seinen Blick wandern. Der Teufelsgrund war von mächtigen dunklen Tannen umgeben. Kein Licht brannte in der alten Mühle am kleinen Bach, im angrenzenden Wohnhaus und dem Schuppen, der als Stall und Lagerraum diente. Es war ein düsterer Anblick. Ein unbehagliches Gefühl erfaßte Lambert. Doch dann schalt er sich einen Narren. Seit über vierzig Jahren lebte der Müller mit seiner Familie dort, und in all der Zeit war niemals irgend jemand von einer Hexe in einen Drachen verwandelt worden. Hatte ihn die ungeheure Botschaft so sehr aus der Fassung gebracht, daß er schon phantasierte? In versammeltem Galopp näherte er sich der Mühle. Schwacher Lichtschein fiel plötzlich aus einem Fenster des Wohnhauses. Dann schwang knarrend die Tür auf, und ein Mann trat heraus. Er hielt eine Laterne in der Rechten und blickte dem Reiter
entgegen. Lambert erkannte den Müller. Es war ein wohlbeleibter älterer Mann mit einer runden Kappe auf dem haarlosen Haupte. »Oh, welch hoher Besuch«, rief der Müller und verneigte sich untertänig. Lambert zügelte das Roß und saß ab. Er rückte das Schwert zurecht. »Wollt Ihr hier rasten, Ritter Lambert?« fragte der Müller. »Meine Tochter wird euch sogleich Speis und Trank auftragen.« »Danke«, sagte Lambert. Er überlegte, wie er sein Problem zur Sprache bringen konnte, ohne die Neugierde des Müllers zu wecken. Er mußte unter vier Augen mit dem angeblichen Freund reden, und niemand durfte ihn dabei belauschen, wie auch immer die Sache ausgehen mochte. »Ich kam zufällig des Weges«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel, »und wollte hier mein Pferd versorgen.« »Ihr werdet erwartet«, sagte der Müller. Täuschte sich Lambert, oder grinste der Müller? Genau war das nicht zu erkennen, weil er die Hand mit der Laterne gesenkt hatte und sein Gesicht im Dunkel lag. »So?« Lambert tat überrascht. »Von einem gewissen Wulf«, sagte der Müller mit gesenkter Stimme. Dabei blickte er sich unruhig um. »Wulf? Ich kenne keinen Wulf«, erwiderte Lambert. »Er sagte, er sei hier mit Euch verabredet.« Die Stimme des Müllers nahm einen verschwörerischen Klang an. »So?« Lambert fiel ein, daß er behauptet hatte, zufällig bei der Mühle zu sein. Er ärgerte sich über diese unvorsichtige Bemerkung. »Ich bin mit niemandem verabredet«, sagte er barsch. »Offensichtlich handelt es sich um eine Verwechslung. Aber es interessiert mich doch ein bißchen, wer dieser Wulf sein mag. Wo ist er?« »Er wartet in der Mühle«, sagte der Müller jetzt fast flüsternd. »Nehmt die Laterne, damit Ihr Euch im Dunkel zurechtfindet.« Er hielt Lambert die Laterne hin.
Lambert nahm sie und sagte: »Nun, dann werde ich mir diesen Wulf mal ansehen und das Mißverständnis aufklären.« »Ich sorge dafür, daß alles hergerichtet wird, Ritter.« Der Müller wandte sich um und eilte ins Haus. Es sah fast wie eine Flucht aus. Lambert war es nur recht, daß der Müller ihn allein ließ. Er verharrte vor dem Eichentor der Mühle, das einen Spalt offenstand. Magnus hatte ihm abgeraten, allein die Burg zu verlassen. Nun, der Gute kann nicht wissen, weshalb dieser Ritt nötig ist, dachte Lambert. Er hatte seinen Vertrauten nicht eingeweiht. Wieder war dieses unbehagliche Gefühl in ihm. »Ich bin hier«, sagte eine Stimme aus dem Dunkel. Dann schwang der schwere Torflügel quietschend weiter auf. Die Silhouette eines Mannes schälte sich aus dem Dunkel. »Ich bin Wulf«, sagte er im Flüsterton. »Habt Ihr die Dukaten mitgebracht?« Lambert hob die Lampe mit der Linken höher. Er sah in ihrem gelben Schein einen mageren, bärtigen Mann in zerlumpter Kleidung und waffenlos. Lambert entspannte sich. Ein Bettler oder ein kleiner Strauchdieb, dachte er. Er gab keine Antwort auf die Frage. Statt dessen zückte er das Schwert. Erschrocken wich Wulf zurück und hob die Hände. »Du wirst mir jetzt erzählen, was der Unfug soll«, sagte Lambert mit knirschender Stimme und drückte Wulf das Schwert vor die Brust. »Und bete schon mal für den Fall, daß du keine vernünftige Erklärung hast, du Schmutzfink!« »Ihr werdet mir nichts tun«, sagte Wulf, und plötzlich wirkte er gar nicht mehr verängstigt. Seine Augen funkelten verschlagen. Er kicherte sogar. »Denn tot kann ich Euch nichts nützen. Dann werdet Ihr nie erfahren ...« »Schweig!« fuhr Lambert ihn an, denn Wulf hatte die letzten Worte immer lauter gesprochen. Lambert stieß ihn leicht mit der Schwertspitze an. »Hinein mit dir!«
Wulf gehorchte sofort. Er betrat vor Lambert die Mühle. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und wandte sich langsam um. Er wirkte jetzt gelockert und selbstsicher, und das irritierte Lambert. »Rede!« forderte er und stellte mit der Linken die Laterne auf die Dielen. »Erst die Dukaten«, sagte Wulf, »oder Ihr erfahrt keinen Ton.« Lambert preßte die Zähne aufeinander. Er zögerte, dann holte er einen Lederbeutel hervor, entnahm ihm einige Dukaten und warf sie Wulf angewidert vor die Füße. Wulf ließ sich auf die Knie fallen und klaubte gierig die Goldmünzen auf. Eine war bis zu einem Stapel von Mehlsäcken gerollt. Wulf kroch auf allen vieren dorthin, um die Münze ebenfalls an sich zu reißen. »Rede!« sagte Lambert und hob drohend das Schwert. »Zahlt Ihr dann den Rest?« fragte Wulf lauernd. »Wer sagt mir, daß Ihr Wort haltet, wenn Ihr alles wißt?« Das Unbehagen in Lambert war stärker denn je. Dieser Kerl schien tatsächlich einen Trumpf zu haben, der ihm Sicherheit verlieh. »Ich gebe dir mein Ritterwort«, erwiderte Lambert gepreßt. »Dafür kann ich mir zwar nichts kaufen«, sagte Wulf dreist und zuckte mit den Schultern, »aber gut. Ihr wollt also wissen, wer der Vater des Kindes ist, das wie ein Kuckucksei in Eurer Wiege liegt?« Zornesröte schoß Lambert ins Gesicht. Die Hand mit dem Schwert bebte. Für einen Augenblick war er versucht, auf Wulf zuzuspringen und ihm das Schwert ins Herz zu stoßen. Doch er bezwang sich. Wulf kicherte. »Nun, ich will es Euch sagen, und Euch wird ein Licht aufgehen. Ach, was sage ich, gleich ein ganzer Kandalaber.« Wieder kicherter er. »Der Vater des Kindes ist -«, er legte bewußt eine Pause ein, um Lamberts Spannung auf den Höhepunkt zu treiben, und sagte dann mit lauterer Stimme: »Ritter Roland!« *
Es war Lambert, als hätte ihn ein Keulenhieb getroffen. »Roland?« wiederholte er benommen, während seine Gedanken durcheinander wirbelten wie Blätter im Herbstwind. So ungeheuerlich die Behauptung auch war, sie stach Lambert ins Herz. Es konnte nicht sein, durfte nicht sein, und doch ... »Hast du Beweise?« fragte er mit belegter Stimme. »Die Spatzen pfeifen es von den Türmen Eurer Burg«, sagte Wulf spöttisch. »Aber natürlich erfährt es der Gehörnte als letzter - wenn überhaupt. Ihr wollt Beweise? Erinnert Ihr Euch nicht mehr daran, daß Roland Gast auf Burg Falkenstein war? Vor neun Monaten?« Es stimmte. Lambert mußte schlucken. »Habt Ihr nicht bemerkt, wie Ritter Roland Eure Frau umwarb, wie er Eleonore mit schmachtenden Blicken begehrte?« Wulf grinste hämisch. »Nun, beim Werben und den Blicken ist es nicht geblieben.« Alles in Lambert weigerte sich, das Unfaßbare zu glauben. »Woher - weißt du, daß Roland mein Gast war?« hörte er sich benommen fragen. »Von Gor ... aaah!« Er taumelte zurück, und sein Aufschrei ging in ein Röcheln über und erstarb ganz, als er zu Boden stürzte. Entsetzt starrte Lambert auf den Pfeil, der aus Wulfs Brust ragte. Dann überstürzten sich die Ereignisse. Eine Gestalt sprang aus dem Dunkel auf Lambert zu. Eine Keule fegte ihm das Schwert aus der Hand. Es klirrte gegen die Laterne. Männer tauchten aus den finsteren Ecken und Winkeln der Mühle auf, sprangen hinter Mehlsäcken und Kisten hervor und warfen sich von der Verkleidung des Mühlrades auf Lambert. Sie schienen von überall her zu kommen, und aus rauhen Kehlen ertönte der Schrei wie ein Schlachtruf: »Gorgar! Gorgar!!!!« Ein wuchtiger Hieb mit der Keule traf Lambert an der rechten Schulter. Heftige Schmerzen zuckten durch seinen Arm bis in die Fingerspitzen und betäubten ihn. Verzweifelt warf sich Lambert
herum und kämpfte. Er schleuderte einen Angreifer mit dem linken Ellenbogen zur Seite. Der Kerl schwankte mit einem ächzenden Laut zurück und preßte beide Hände auf den Bauch. Lambert fegte einen zweiten Angreifer mit einem Fausthieb zur Seite und schnellte sich auf sein Schwert zu. Er ergriff es mit der Linken. Ein Stiefel trat ihm aufs Handgelenk. Dann traf ihn wiederum ein Schlag mit der Keule. Die Schatten ringsum verschwammen vor seinen Augen. Er stürzte vornüber und stieß mit der Stirn gegen die Laterne. Grelle Sterne schienen vor ihm zu zerplatzen und dann zu tiefer Schwärze zu erlöschen. Wie aus weiter Ferne hörte er ein Keuchen und eine zornige Stimme: »Wenn du ihn erschlagen hast, zieht Gorgar dir die Haut vom Leibe!« »Warum hast du Wulf getötet?« fragte jemand. »Er hat sich nicht an meinen Befehl gehalten und wollte frühzeitig den Namen Gorgar nennen!« »Aber Lambert erfährt doch ohnehin, daß Gorgar ...« »Befehl ist Befehl. Und außerdem - warum sollten wir die Dukaten mit ihm teilen?« Rauhes Lachen war das letzte, was Lambert hörte, bevor er in Ohnmacht fiel. Ein Mann beugte sich über ihn. Es war Odulf, der Anführer der gemeinen Horde, die von Gorgar ausgeschickt worden war. »Der schläft nur«, sagte er. »Dein Glück, Jakob. So, und jetzt will ich ...« Keiner sollte mehr erfahren, was Odulf wollte. Denn Roland fuhr wie der Leibhaftige zwischen die Burschen. Er flog förmlich durch die dunkle Mühle. Er hing an dem Seil, mit dem der Müller Lasten zum Lagerboden hochhievte. Drei von Gorgars wilder Horde riß er von den Beinen, bevor er das Seil losließ, federnd aufsetzte und das Schwert zog. Gleichzeitig tauchte Pierre in der Tür auf, und Louis sprang vom Mühlrad hinab. Schwerter klangen. Schatten zuckten gespenstisch im Schein der
Laterne durch die Mühle. Bevor Gorgars Horde sich von der Überraschung erholt hatte, lagen drei Männer am Boden. Dann stellten sich die anderen zum Kampf. Roland focht mit einem bärtigen Hünen, der sein Schwert geschickt handhabte. Es war Odulf, der Anführer. Roland trieb den Kerl bis an die aufgestapelten Mehlsäcke. Geschickt parierte er eine Attacke und konterte. Odulf prallte gegen die Mehlsäcke. Roland bemerkte seitlich von sich eine Bewegung und schlug aus der Drehung heraus mit dem Schwert zu. Ein Schrei gellte. Eine Gestalt wirbelte durch die Luft und plumpste auf die Mehlsäcke. Roland wich gedankenschnell Odulfs Hieb aus und stieß mit dem Schwert zu. Der bärtige Hüne vermochte im letzten Moment auszuweichen. Das Schwert streifte ihn nur an der Schulter und bohrte sich in den Mehlsack. Mehl wölkte auf und hüllte alles wie in gespenstischen Nebel. Roland schlug dem Hünen das Schwert aus der Hand und wirbelte zum nächsten Gegner herum. Der Mann schwang eine Keule mit beiden Händen. Brüllend ließ er die Keule los, als Roland ihm mit dem Schwert auf die Finger schlug. Jemand stieß gegen Rolands Rücken. Roland zuckte herum, bereit, den Angreifer mit dem Schwert niederzumachen. Doch im letzten Augenblick hielt er erschrocken inne. Es war Louis, der gegen ihn geprallt war. Er war vor einem Gegner zurückgewichen und stieß ihm gerade das Schwert in die Brust. Die Klinge war dunkel vom Blut, als er sie herausriß und ausholte, um den vermeintlichen Gegner - Roland - einen Kopf kürzer zu machen. Roland vertraute nicht nur darauf, daß sein Knappe ihn im Halbdunkel noch rechtzeitig erkannte. Geistesgegenwärtig sprang er zurück, und das war sein Glück. Zu spät erkannte Louis seinen Irrtum, wollte noch erschrocken innehalten, doch er war zu sehr in Schwung gewesen. Die Klinge wischte nur eine Handbreit an Roland vorbei.
Der Schreck fuhr Louis so sehr in die Glieder, daß er für Sekunden nicht merkte, was um ihn herum geschah. Roland jedoch behielt die Übersicht. Er sah den Schatten seitlich von Louis aus dem Dunkel springen, sah eine Klinge funkeln und handelte sofort. Es blieb keine Zeit mehr, Louis zu warnen oder dem Angreifer selbst entgegenzutreten. So schleuderte Roland sein Schwert. Es zischte dicht an Louis vorbei und drang dem Angreifer in die Brust. Der Mann ließ sein Schwert fallen, stolperte zurück und stürzte schreiend auf einen bereits gefallenen Kumpan. Louis zuckte herum, erfaßte die Situation und hieb mit seinem Schwert zu. Dann riß er Rolands Schwert aus der Brust des Toten und warf es Roland zu, der es geschickt auffing. Gerade noch rechtzeitig, denn Odulf hatte derweil sein Schwert von neuem ergriffen und griff ungestüm an. Roland focht mit ihm, daß Funken von der Klinge sprühten. Er trieb Odulf wiederum gegen die Mehlsäcke. »Achtung, Roland!« Durch das Klingen der Schwerter erkannte Roland Pierres Stimme und sprang zur Seite. Der Kerl, der vom Gebälk neben dem Mühlrad auf ihn herabhechtete, um ihn niederzureißen, erkannte, daß er sein Ziel verfehlen mußte und schrie noch kurz auf, bevor er dicht neben Roland krachend aufschlug, daß die Dielen erbebten. Der Schrei klang »Aaaaahr ...»oder so und endete abrupt mit dem Aufprall. Roland wirbelte bereits zu Odulf herum. Der bärtige Hüne attackierte verbissen. Er war ein Mörder, Räuber, Brandstifter und Vergewaltiger, aber ein Feigling war er nicht. Obwohl er erkannt hatte, daß er gegen Roland nicht bestehen konnte, griff er wild an. Roland parierte und konterte, doch dann stolperte er gegen eine reglose Gestalt und stürzte. Sogleich war Odulf bei ihm und schwang das Schwert zum alles entscheidenden Hieb. Roland riß die Rechte mit dem Schwert hoch. In Odulfs Augen blitzte es triumphierend auf, als seine Klinge auf den am Boden liegenden Roland
hinabschmetterte. Da traf ihn ein Pfeil in den Rücken. Der Schütze hatte den Pfeil Roland zugedacht, doch durch Rolands Straucheln und Odulfs Bewegung erwischte er den eigenen Kumpan. Der bärtige Hüne wäre auf Roland gefallen, wenn der Ritter sich nicht gewandt zur Seite gerollt hätte. Verzweifelt schnellte sich Roland weiter, wollte aus dem Lichtkreis der Laterne gelangen. Denn der heimtückische Bogenschütze, der irgendwo beim Mühlrad im Dunkel sein mußte, konnte jeden Augenblick einen zweiten Pfeil abschießen. Roland hatte kaum an die tödliche Gefahr gedacht, als auch schon ein Pfeil in den Boden zackte. Ein eisiger Schauer überlief Roland. Der Pfeilschaft zitterte kaum eine Handbreit neben seinem Kopf in den Dielen. Roland hechtete ins Dunkel in Deckung der Mehlsäcke. Mehlstaub drang ihm in die Augen und ließ sie tränen. Sein Herz pochte wild, und er rang keuchend um Atem. Er hörte das Klirren von Schwertern und einen gellenden Schrei. Vorsichtig riskierte er einen Blick an den Mehlsäcken vorbei. Ein Pfeil bohrte sich in einen der Säcke. Roland zuckte zurück. Weiß wallte es vor ihm auf. Tollkühn wagte sich Roland von neuem hinter der Deckung hervor. Dann stockte ihm der Atem. Die Laterne war zerschellt, mochte von einem Schwert oder Pfeil oder einer Keule getroffen worden sein, und Flammen züngelten über die trockenen Dielen und die reglose Gestalt, die neben den Scherben der Laterne lag. Ein Mann brach unter einem Keulenhieb zusammen, der ihn hinterrücks traf. Es war Pierre! Bevor Roland etwas unternehmen konnte, warf sich der Kerl, der Pierre niedergeschlagen hatte, herum und ergriff die Flucht durch die halboffen stehende Tür. Rolands Blick zuckte in die Runde. Louis streckte gerade einen Gegner nieder. Roland glaubte, eine Bewegung im Dunkel oben auf dem Gebälk beim Mühlrad auszumachen. Der hinterlistige Bogenschütze! »In Deckung, Louis!« schrie Roland entsetzt. Louis, der sich soeben über seinem besiegten Gegner aufrichten wollte, warf sich zur Seite. Rolands Warnruf hatte ihm wohl das Leben gerettet. Der Pfeil verfehlte den Knappen um Haaresbreite.
Roland hatte bereits sein Messer aus der Scheide gezogen. Bevor der Bogenschütze einen zweiten Pfeil auf Louis abschießen konnte, traf ihn Rolands Messer. Kopfüber stürzte er ab und verschwand mit gellendem Schrei hinter dem Mühlrad. Louis wischte sich über die Stirn und atmete auf. Sein Blick ging in die Runde. Er sah keinen Gegner mehr. Nur reglose Gestalten im Schein der züngelnden Flammen, Schwerter und Keulen. Es waren mehr Waffen als Besiegte. Nicht nur einer mußte die Flucht ergriffen haben. Roland sprang auf. Er wies mit dem Schwert zur Tür. »Ihnen nach, Louis!« Louis hetzte schon los. Roland war sogleich beim Feuer und der reglosen Gestalt, die schon dort gelegen hatte, als Roland und seine Knappen Gorgars Horde überrascht hatten. Ohne Zweifel war es das Opfer der Kerle, das sie in die Falle gelockt hatten. Trotz scharfen Rittes waren Roland und seine Knappen zu spät im Teufelsgrund eingetroffen - so schien es. Roland zerrte den Mann vom Feuer fort und erstickte die Flammen an seiner Kleidung. Dann drehte er die reglose Gestalt auf den Rücken, und seine Augen weiteten sich in jähem Erschrecken. Lambert von Falkenstein! Das Gesicht des Ritters war blutüberströmt, und er sah wie tot aus. Der Anblick stach Roland ins Herz. Doch dann stellte er erleichtert fest, daß das Blut nur von einer Platzwunde an der Stirn stammte und daß Lambert atmete. Roland zuckte herum, als er ein Geräusch hinter sich hörte. Er hatte nicht mehr mit einem Gegner gerechnet. Er schalt sich schon einen Narren, so unvorsichtig gewesen zu sein, doch dann nahm er den Narren zurück, denn es war Pierre, der sich stöhnend aufgesetzt hatte. Aufatmend ließ Roland sein Schwert sinken. Pierre tastete an seinen schmerzenden Kopf und murmelte: »Wäre ich doch nur auf Camelot geblieben.«
Roland lächelte. Er wußte, daß der verwöhnte Pierre, der früher Page auf Camelot gewesen war, es bisweilen bereute, Camelots seidene Sessel mit dem harten Handwerk des Knappen vertauscht zu haben. Aber Roland war froh, daß dem treuen Burschen nichts Ernst haftes geschehen war. Pierre blickte, noch etwas benommen, in die Runde, nahm Roland wahr und sagte: »Denen haben wir's aber gezeigt. Wo ist denn Louis?« »Hinter Flüchtenden her. Hol den Müller und Wasser. Schnell, bevor die ganze Mühle brennt.« Pierre rappelte sich auf, ergriff das Schwert, das ihm entfallen war, und eilte aus der Mühle. Roland begann die Flammen auszutreten, damit sich der Brand nicht ausweitete. Die mit Mehlstaub bedeckten Dielen waren zundertrocken. Flammen krochen auf die Mehlsäcke zu. Pierre tauchte auf, gefolgt von dem zeternden Müller. »Ich konnte nichts dafür«, jammerte der Mann. »Sie haben mich gezwungen. Beim Leben meiner Frau und Tochter. Ich konnte Ritter Lambert nicht helfen!« »Quatsch nicht, sondern lösche!« knurrte Pierre und schüttete aus einem Eimer Wasser auf die Flammen, so daß es zischte. Der Müller folgte seinem Beispiel. Schnell war der Brand gelöscht. »Jetzt ist es stockdunkel«, stellte der Müller äußerst scharfsinnig fest. »Hol schon eine Laterne«, sagte Roland. Es drängte ihn, sich um Lambert zu kümmern. Ein solches Wiedersehen hätte er nie erwartet. Wann war er Gast bei dem noblen und herzlichen Ritter auf Burg Falkenstein gewesen? Im Vorjahr, vor vielleicht zehn oder neun Monaten. Wie ein Freund hatte ihn Lambert beherbergt. Es freute Roland, daß es ausgerechnet Lambert war, dem er hatte helfen können. Er hatte die Absicht gehabt, ihn auf dem Weg in Falkenstein zu besuchen. Jetzt hatte der Zufall sie schon früher zusammengeführt. Und unter welchen Umständen! Der Müller kam mit der Laterne, die er rasch aus dem Wohnhaus
geholt hatte. Roland kniete sich neben Lambert und legte sein Schwert ab. In diesem Moment ertönte hinter dem Müller eine helle, aufgeregte Mädchenstimme: »Louis, wo bist du? Louis?« Der Müller verharrte auf der Türschwelle und wandte sich um. »Wer ist denn das? Warum bleibst du nicht im Haus? Kennst du etwa einen von den Kerlen?« Die Frage klang äußerst mißtrauisch. »Nein, aber ...« »Geh in deine Kammer, Tochter! Dies hier ist kein Anblick für dich!« »Laß mich, Vater ... wenn Louis etwas geschehen ist...« Es klang wie ein Schluchzen. Dann zwängte sich die junge Maid auch schon an seinem Vater vorbei in die Mühle. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie am Rande des Lichtkreises eine reglose Gestalt in einer Blutlache sah. Sie schlug eine Hand vor den Mund. Bevor sie noch mehr sehen konnte, trat Roland ihr entgegen und verdeckte ihr die Sicht. »Ihr Vater hat recht«, sagte Roland und lächelte das Mädchen an. »Seid unbesorgt, Louis ist wohlauf.« »Aber wo ist er?« Roland ergriff das Mädchen am Arm und zog es sanft mit sich hinaus. »Ich will es Euch erzählen.« Er bemerkte den verwunderten Blick des Müllers und sagte zu ihm: »Geh hinein und kümmere dich um Ritter Lambert.« Der Müller gehorchte. Er fragte sich verdutzt, wer dieser Louis sein mochte. Der Mond stand jetzt über den Spitzen der Tannen, und sein silberner Schein fiel auf das Gesicht des Mädchens. Es war ein zierliches Mädchen, mit dennoch prallen Formen an den richtigen Stellen, mit madonnenhaftem Antlitz und langen blonden Haaren. »Louis hat keinen schlechten Geschmack«, sagte Roland galant.
»Ihr seid ein schöner Cousin.« »Wie - meint Ihr das?« fragte das Mädchen verwundert. »Wollt ihr einen Spaß mit mir treiben?« Nur zu gern, doch Louis kann ich das nicht antun, dachte Roland, aber er hütete seine Zunge. Er stellte sich vor. »Ihr seid der berühmte Roland? Der Ritter, von dem mir Louis erzählte, als er mich in meiner Kammer...« Sie verstummte errötend und senkte den Blick. »Ich weiß, daß Louis Euch besuchte«, erwiderte Roland lächelnd. Und er dachte: Louis muß es geschickt angestellt haben, dieses holde Kind ohne Wissen des Vaters zu besuchen. »Darf ich fragen, wie Ihr heißt?« Euphrosine. Aber sagt, was spracht Ihr von einem Cousin?« »Verzeiht mir, das war ein Irrtum.« Roland überlegte, was er weiter zu dem erstaunten Mädchen sagen sollte, und es fiel ihm nichts rechtes ein. Er war froh, als sich Hufschlag näherte. Es war Louis, der zwischen den Tannen hervorritt. »Da kommt Louis«, sagte Roland. »Entschuldigt mich bitte, ich muß nach Ritter Lambert sehen.« Er wandte sich um, als er Lamberts Stimme in der Mühle hörte. Lambert war zu sich gekommen und wollte wissen, wer seine Retter waren. Pierre sagte es ihm. »Roland?« Lambert stieß es völlig entgeistert hervor. Roland trat lächelnd über die Schwelle, um Lambert herzlich zu begrüßen. Dann stockte sein Schritt, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt, und sein Lächeln verlor sich. Denn Lambert riß das Schwert hoch, das er gerade aufgehoben hatte, und schrie mit wutverzerrtem Gesicht: »Stirb, du Hundsfott!« Dann stürmte er auch schon mit erhobenem Schwert und wie von Sinnen auf Roland zu.
*
»Vorzüglich«, sagte Gorgar zufrieden, nahm die Schale mit Bratensaft und schlürfte sie aus. Cuthbert, der Bratenmeister, strahlte übers ganze Gesicht. »Ich preise mich glücklich, wenn ich Euren Geschmack getroffen habe, Majestät«, dienerte er. Gorgar wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, verteilte dabei etwas des kräftigen, scharf gewürzten Saftes im Bartgestrüpp und rülpste laut. Cuthbert gab Waldegunde ein Zeichen, und sie reichte Gorgar die Platte mit Broten. »Ah, gesäuertes Brot mit gesalzenem Schmalz zu besserem Durst!« Gorgar biß herzhaft in eine Scheibe Brot und kaute schmatzend. Dann kniff er Waldegunde, die mit großen Kulleraugen zuschaute, ins stramme Hinterteil. Sie kicherte - eines der beiden Dinge, die sie am besten verstand und Gorgar grinste breit. An diesem Abend war er prächtiger Laune. Seine Mittagsruhe hatte bis zum Sonnenuntergang gewährt, und die Wonnen, die Konstanze ihm gewährt hatte, klangen noch in ihm nach. Cuthbert schenkte Wein aus einer Karaffe in den goldenen Becher seines Herrn. Blutrot schimmerte der Rebensaft, als er in den Becher floß. Gorgar nahm den Becher und leerte ihn in einem Zug. Dann hielt er den Becher, der im Schein des Feuers funkelte, Cuthbert hin, und Cuthbert füllte ihn von neuem. Gorgar fragte satt und zufrieden. »Holt den Dichterling!« befahl er wohlgelaunt. Sofort eilte Kuno, der mit Wenzel abseits des Feuers gestanden und dem Vollen seines Herrn zugeschaut hatte, davon. Gotthilf wirkte äußerst verwirrt, als er kurz darauf vor Gorgar trat. »Nun«, sagte Gorgar mit milder Stimme. »Trag vor, was du zu meinem Ruhme gedichtet hast.« Gotthilf schluckte. So sehr er auch gegrübelt hatte, es war ihm
nicht viel mehr eingefallen. Er hatte nur verlängert und ausgeschmückt, was er bereits am Mittag in Verzweiflung erfunden hatte. Unsicher deklamierte er. Als er geendet hatte, blickte er furchtsam zu Gorgar, dessen Miene sich immer mehr verfinstert hatte. »Mich dünkt, das alles schon gehört zu haben«, grollte Gorgar und maß den Dichter mit angewidertem Blick. »Weiter!« Gotthilf spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Mehr hat mir die Muse nicht eingegeben - Majestät«, bekannte er kläglich und verneigte sich ein paarmal untertänig. »Seid geduldig mit mir. Ich werde ...« »Geköpft wirst du!« brüllte Gor gar, daß seine Worte durch die Schlucht hallten, bis hin zum Purpurzelt, ja sogar bis zu den Wachen. Er gab Kuno einen herrischen Wink. Kuno zückte begierig sein Schwert. »Gnade!« jammerte Gotthilf und warf sich vor Gorgar auf die Knie. »Gnade!« In diesem Augenblick tauchte Konstanze wie auf ein Stichwort hin aus dem Purpurzelt auf. Kuno seufzte, denn er ahnte, daß er wiederum nicht zum Zuge kommen würde. Verdammte Hexe, dachte er, doch er hütete sich, auch nur eine verdrossene Miene zu zeigen. Konstanze schritt anmutig zum Feuer. Sie trug ein atemberaubend enges, scharlachrotes Gewand, das nur ein verruchter Schneider entworfen haben konnte. Es war an den Seiten geschlitzt. Das tiefe Dekolleté, mit einem Hauch weißer Spitze besetzt, verhüllte kaum ihren üppigen Busen - bei genauerem Hinsehen konnte man die stolzen Knospen ihrer Brüste hinter dem Hauch von Spitze erkennen. Bei Hofe hätte dieser Anblick den Damen die Schamröte ins Gesicht getrieben - wie es sich geziemte. Einige wären insgeheim neidisch gewesen, weil die Natur sie nicht so verschwenderisch begünstigt hatte wie Konstanze. Aber bei allen normal empfindenden Männern hätte dieser Anblick gar prickelnde Gefühle und Wünsche geweckt.
Gorgar betrachtete sie mit Wohlgefallen und unverhohlener Lüsternheit. Meine Königin! dachte er stolz und erregt. Bald werden wir auf Burg Falkenstein Hochzeit halten Konstanze blieb neben dem knienden Gotthilf stehen und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Mit betörendem Lächeln schaute sie Gorgar an. »Gewährt ihm noch etwas Zeit, Gorgar!« sagte sie. »Den Geist kann man nicht zwingen!« »Ich will ihn nicht zwingen, sondern köpfen!« sagte Gorgar verdrossen. Es war ihm klar, wie die Sache ausgehen würde. Konstanze würde neuerlich ihren Willen bekommen und ihn - Gorgar - dafür so herrlich belohnen. Dieser Dichter ist mir ein Geschenk des Himmels, dachte Gorgar. Möge ihm nie etwas einfallen, so daß ich Konstanze in Spannung halten kann. Er setzte seine finsterste Miene auf und sagte: »Ihr wollt Euch wiederum für ihn verwenden, Konstanze?« Sie nickte leicht. »Seid barmherzig mit ihm, Gorgar. Er wird es Euch mit einer brillanten Hymne danken.« Und ich, so sagte ihr Blick, werde es dir mit etwas anderem Brillanten danken. Gorgar schlug in gespieltem Zorn eine Fliege tot, die es gewagt hatte, sich auf seinem Knie niederzulassen. »Ihr strapaziert sehr meine Nerven!« polterte er. »Nur die Nerven?« fragte Konstanze mit einem Lächeln, das nur Gorgar zu deuten wußte. Er grinste. »Auch die Geduld. Ihr reizt mich, Konstanze!« Sie verneigte sich lächelnd, wie in Demut, doch es war wohlberechnet, und in Gorgar, der auf den im Feuerschein schimmernden Busen starrte, keimte der Verdacht, daß sie schon vor ihm auf die Idee gekommen sein mochte, den Dichter zu nutzen, um die Leidenschaft zwischen ihnen zu schüren. »Treibt es nicht auf die Spitze«, fügte Gorgar hinzu, aber sein Tonfall verriet, daß er genau das Gegenteil meinte.
Konstanze richtete sich auf und atmete tief und wie erleichtert auf, so daß sich ihre Brüste hoben und senkten. Ihre Blicke tauchten ineinander. Sie sah das Funkeln der Begierde in seinen schwarzen Augen und war sehr zufrieden. Er würde wiederum voller leidenschaftlicher Glut sein, um ihr zu beweisen, daß er der Stärkere war. Sie schürte das Feuer, indem sie sich dem Dichter zuwandte, ihn huldvoll anlächelte und ihm die Hand hinhielt. »Ihr steht unter meinem Schutz, Poet«, sagte sie. »Folgt mir und deklamiert mir und der Zofe Eure Verse.« Wie betäubt, ohne einen klaren Gedanken fassen zu können, ergriff Gotthilf die zarte Hand mit den langen schlanken Fingern und hauchte einen Kuß darauf. In diesem Augenblick dachte er nicht daran, wie tollkühn das in Gorgars Gegenwart sein mochte. »Ich danke Euch, ich danke Euch«, sagte er bewegt. »Ich werde Eure Schönheit und Güte preisen in den besten Reimen.« Sie drückte seine Hand und gab ihm mit einem leichten Ruck zu verstehen, daß er aufstehen möge. Sie blickte zu Gorgar, dessen Miene grimmig war. »Ich bin sicher, die Muse wird ihn noch küssen.« Gorgars wuchernder Bart klaffte auf, als wollte er etwas sagen, doch dann preßten sich die wulstigen Lippen wieder aufeinander, und er nahm den Weinbecher und leerte ihn in einem Zuge. Konstanze aber schritt mit Gotthilf, der wie hypnotisiert wirkte, zum Zelt davon. Stumm starrte Gorgar dem ungleichen Paar nach, bis es im Zelt verschwunden war. Dann hieb er zornig mit der geballten Rechten ins Glas. Der Bratenmeister und Waldegunde bekamen als erste seine Wut zu spüren. »Was steht ihr hier herum und haltet Maulaffen feil?« fuhr er sie an. Cuthbert und Waldegunde verneigten sich hastig und eilten davon,
daß es wie eine Flucht ausah. »Weshalb hältst du das Schwert, als sei es in deiner Pfote festgewachsen?« knurrte Gorgar Kuno an. In der Tat hielt Kuno das Schwert immer noch wie zum Schlag erhoben. Jetzt ließ er es sofort sinken. Gorgar bedachte Kuno noch mit einem ärgerlichen Blick. Dann starrte er Wenzel an. »Du bist doch mein schlauer Ratgeber«, sagte er in milderem Tonfall. Wenzel nickte eifrig. »Du kannst vortrefflich mit dem Bogen schießen«, fuhr Gorgar fort. »Neun Pfeile in einer Minute«, prahlte Wenzel. »Davon habe ich nicht viel gemerkt, als wir gegen die Burg zogen«, bemerkte Gorgar bissig. »Die Übermacht war zu groß«, versuchte sich Wenzel zu verteidigen. »Und sie hatten außerdem die neuen Armbrüste und ...« »Lassen wir das«, schnitt Gorgar ihm barsch das Wort ab. Die Niederlage fraß immer noch an seinem Stolz. »Du bist also ein schlauer Ratgeber ...« Wenzel nickte. «... und ein leidlicher Bogenschütze.« Wenzels Mundwinkel verzogen sich beleidigt. In der Tat war er ein exzellenter Bogenschütze, denn er brachte sechs Pfeile in einer Minute von der Sehne, wovon die meisten auch ins Ziel trafen. Aber er wagte nicht zu widersprechen. Das konnte bei Gorgars augenblicklicher Laune gefährlich sein. In lauerndem Tonfall fuhr Gorgar fort: »Nun hast du Gelegenheit zu beweisen, daß du auch ein weiser Mann bist. Du hörtest, daß dieser Verseschmied von einer gewissen Muse sprach und Konstanze gar vom Küssen derselben. Nun glaubte ich deiner Miene entnehmen zu können, daß du nicht genau weißt, was mit dieser Muse gemeint war. Oder sollte der Eindruck getrogen haben?« »Ich widerspreche Euch nicht gern«, sagte Wenzel eifrig, in einem
Tonfall, der eher auf das Gegenteil schließen ließ. »Aber da muß ich eine falsche Miene aufgesetzt haben, so daß ich Euch täuschte Majestät. Ich weiß sehr wohl, wovon die Rede war. Die Muse ist eine Göttin der Künste.« »Ahso«, entfuhr es Gorgar überrascht. Und er hatte schon wer weiß was angenommen! »Es gab deren neun«, prahlte Kuno mit seinem Wissen, »im alten Griechen ...« »Das weiß ich, du Narr!« unterbrach ihn Gorgar gefeizt. »Ich brauche keine Belehrungen!« »Ich meinte nur...«, begann Kuno, doch Gorgars Donnerstimme ließ ihn verstummen. »Schweig!« brüllte Gorgar so zornig, daß Kuno zusammenzuckte. Gorgars Stimmung wechselte schnell. Er grinste Wenzel an und sagte in ruhigerem Tonfall: »Gut, gut, du bist nicht nur ein hervorragender Bogenschütze, sondern auch ein schlauer Ratgeber mit großem Wissen.« Wenzel lächelte geschmeichelt. »Nun berichte mir über die Lage, bevor ich mich zur Ruhe begebe.« Gorgar dachte an Konstanze und aß noch schnell ein Schmalzbrot zu besserer Kraft. Wenzel berichtete. »Burg Falkenstein wird in spätestens drei Tagen Euer sein, Majestät. Nach meinem - äh - Eurem genialen Plan, wird Lambert Euch die Burg - äh -schenken, und wir übernehmen sie ohne Kampf mit Mann und Maus.« »Auf die Mäuse kann ich verzichten«, sagte Gorgar grinsend. »Die Waffen, Rüstungen, das Gold, die Dukaten und sämtliche Mannen sind interessanter.« Auch Wenzel und Kuno grinsten jetzt. »Ein wirklich genialer Plan von Euch, Majestät«, schmeichelte Kuno, um wieder in Gorgars Gunst zu steigen. Gorgar nickte selbstzufrieden. Er sah sich schon als Herr der stolzen Burg Falkenstein. Es war ihm nicht gelungen, eine kleine
Burg zu erobern. Es hatte ihm an Waffen, Rüstung und Kriegern gefehlt. Doch all dies würde er bald haben. Und von Falkenstein aus würde er sich das ganze Land Untertan machen ... »Wir brauchen nur noch alles zu übernehmen«, sprach Wenzel weiter, »den Verräter zu töten ...« Gorgar winkte ab. »Warum sollte ich ihm das Leben nehmen? Er hat mir doch einen großen Dienst erwiesen.« Wenzel blickte erstaunt. »Wenn er Lambert verraten hat, wird er später womöglich auch Euch verraten.« Gorgar kratzte sich am Bart. »Gar nicht so dumm gedacht. Nun, ich werde mir noch überlegen, was mit ihm geschieht. Vielleicht lasse ich ihn auf der Hochzeitsfeier zur Belustigung vierteilen. Ist für die Feier alles vorbereitet?« »Noch nicht ganz«, bekannte Wenzel. »Ihr wolltet noch Eure diesbezüglichen Befehle geben.« »Dann wird es Zeit. Ich will ein Fest, wie es das Land noch nie erlebt hat. Ein Fest, das eines Kaisers würdig ist. Mit allen leiblichen und geistigen Genüssen, die man sich nur denken kann. Ich will Spiele aller Art. Gaukler, Sänger, Musikanten - und, verdammt noch mal, einen besseren Dichter. Also kümmert euch darum!« Wenzel und Kuno nickten eifrig. »Es soll ein würdiger Rahmen für meine Hochzeit mit Konstanze sein. Habt ihr schon einen Pfaffen besorgt für die Zeremonie?« »Auf Falkenstein ist einer, wie ich hörte«, sagte Wenzel. »Ach was.« Gorgar winkte mißmutig ab. »Ein einfacher Betbruder, den Lambert sich hält. Ich will einen Bischof, der die Trauung vollzieht. Also schleppt mir einen an!« Ein Bischof! dachte Wenzel. O Gott! Das wird nicht einfach sein und seine Zeit brauchen. Warum muß Gorgar auch so anspruchsvoll sein! Demnächst verlangt er noch, daß wir den Papst entführen! Aber er sagte nichts. Mit funkelndem Blick fuhr Gorgar fort: »Es wird also das Fest aller Feste. Und da ich gerade guter Laune bin, will ich euch auch schon verraten, was der Höhepunkt der Feierlichkeiten sein wird.«
»Eine Hexenverbrennung?« riet Kuno. »Eine Folter?« mutmaßte Wenzel. Gorgar schüttelte das massige Haupt. »Das sind nur kleine Vorspiele, sozusagen die Einleitung. Der Höhepunkt wird ein ganz anderer sein -« Er legte bewußt eine Pause ein, um die Spannung zu steigern und sagte dann: »Der Höhepunkt wird Ritter Roland sein.« »Roland?« fragten Wenzel und Kuno wie aus einem Munde. »So ist es. Der ruhmreiche Roland. Ich werde ihn Konstanze zum Hochzeitsgeschenk machen.« Ein fanatisches Feuer loderte jetzt in seinen Augen. »Sie hat von seinen Heldentaten gehört und erregt sich, wenn sie seinen Namen vernimmt. Ja, ich werde ihn ihr schenken. Aber sie wird nicht die Freuden haben, die sie sich in wilden Träumen vorstellt, wenn sie mich im Geiste mit ihm betrügt. Denn Roland wird ihr nicht als heißblütiger Galan gegenübertreten, der die Herzen der Damen erzittern läßt, noch als drachentötender Held, dessen Kühnheit im ganzen Land gepriesen wird. Er wird ganz kalt und stumm und tatenlos vor ihr im Drecke liegen. Und ein bißchen tot.« * Roland war einen Lidschlag lang wie erstarrt, als er Lambert wie von Sinnen mit dem Schwert in der Hand auf sich zustürmen sah. Er selbst war waffenlos. Sein Schwert lag in der Mühle. Roland handelte gedankenschnell. Er schnellte zurück und warf die schwere Tür zu. Gerade noch rechtzeitig. Lamberts Schwert bohrte sich ins Holz. Lambert schrie auf. »Stell dich, du ehrloser Lump!« brüllte er. »Dein Schwert!« rief Roland Louis zu, der gerade abgesessen war. Louis zog es und warf es Roland zu, der es schnell auffing. Die Tür flog auf, und Lambert sprang heraus. Dann klirrten auch schon die Schwerter in wildem Kampf.
Roland wußte Lamberts seltsames Verhalten nicht zu deuten. Was mochte nur in den Ritter gefahren sein? Lambert war voller Haß und wollte ihn, seinen Retter, töten! Hatte er den Verstand verloren? Hin und her ging der Kampf. Mal hatte Roland Vorteile, mal drängte Lambert ihn zurück. Lambert wußte gut die Klinge zu schlagen, und seine Raserei trieb ihn zur Tollkühnheit. Gebannt verfolgten die Knappen, der Müller und seine Tochter den erbitterten Kampf. Lambert fintierte, wich etwas zurück und sprang dann plötzlich vor, um mit dem Schwert zuzustoßen. »Stirb!« schrie er triumphierend. Dann weiteten sich seine Augen in jähem Entsetzen. Roland hatte sich im allerletzten Augenblick zur Seite geschnellt, so daß die Schwertspitze an seiner Schulter vorbei ins Leere stieß. Lambert war zu siegessicher gewesen. Er hatte geglaubt, Roland den vernichtenden Hieb zu versetzen und alle Vorsicht außer acht gelassen. Er konnte seinen Schwung nicht mehr bremsen und Rolands Schlag nicht mehr parieren. Mit einem wuchtigen Hieb schmetterte Roland dem Gegner das Schwert aus der Hand. Lambert strauchelte und verlor die Balance. Bevor er sein Schwert ergreifen und aufspringen konnte, war Roland über ihm und setzte ihm die Klinge an die Kehle. Lamberts Augen traten aus den Höhlen. Für einen Augenblick flackerte Todesangst in seinem Blick. Doch dann strafften sich seine Schultern, und furchtlos blickte er Roland in die Augen: »Du hast mich besiegt«, sagte er mannhaft. »Stoß schon zu und bring es zu Ende!« Roland schüttelte den Kopf und zog das Schwert zurück. »Ich will nicht dein Leben, Lambert. Du bist verletzt, und deine Sinne waren verwirrt. So warst du kein gleichwertiger Gegner, und ich will dir deine Beleidigung verzeihen. Sag, was trieb dich, mich zu beschimpfen und haßerfüllt anzugreifen?« »Das fragst du noch?« Roland unterdrückte ein Seufzen. »Ja, du hörtest richtig, das fragte ich.«
»Töte mich oder gib mir mein Schwert, damit ich den Kampf fortsetzen kann!« forderte Lambert. »Ich will dich nicht töten«, sagte Roland. »Es ist unlauter und feige, einem bereits geschlagenen Feinde, der kein ebenbürtiger Gegner war, den Todesstoß zu versetzen. Außerdem betrachtete ich dich bis jetzt nicht als Feind. Wenn du mir triftige Gründe für eine Feindschaft nennen kannst, so werde ich dir ein richtiges Duell gewähren, wenn du dich von deinen Blessuren erholt hast.« Lambert blickte prüfend zu ihm auf. »Dein Wort darauf?« Roland reichte ihm die Hand. »Mein Wort darauf.« Da ergriff Lambert die Hand und richtete sich auf. Wortlos hob er sein Schwert auf. Roland blickte zu Louis, der bei Euphrosine stand, die mit großen Augen den Kampf verfolgt hatte. »Du bist ohne einen Gefangenen zurückgekommen«, stellte Roland fest. Louis zuckte mit den Schultern. »Ihre Pferde standen näher im Tann als meines. Ihr Vorsprung war zu groß, und in der Dunkelheit war eine Verfolgung sinnlos.« Roland nickte. »Vielleicht erfahren wir von Ritter Lambert, wer dieses verruchte Gesindel war, das ihm nach dem Leben trachtete.« Er warf einen Blick zu Euphrosine. »Oder dein Cousin weiß Näheres.« Louis blickte verdutzt. Dann stahl sich ein Lächeln um seine Lippen. »Mit Eurer Erlaubnis werde ich ihn befragen. Kommt, Euphrosine, und führt mich zu ihm.« Er bot der verwunderten Müllerstochter galant den Arm und schritt mit ihr zum Haus davon. Roland schüttelte lächelnd den Kopf. Der Müller, der mit Pierre vor der Mühle stand, starrte seiner Tochter und Louis offenen Mundes nach. »Welcher Cousin?« murmelte er dann. »Eugen«, erklärte Roland. »Mich dünkt, du weißt nicht genau, welche Verwandten du in deinem Hause beherbergst.«
Der Müller sah aus, als verstünde er die Welt nicht mehr. Verständlich, wenn man bedachte, daß er bis zum heutigen Tage keinen Eugen in seiner recht großen Verwandtschaft gehabt hatte. Roland wandte sich an Lambert, der dumpf vor sich hinstarrte. »Willst du mir sagen, was das alles zu bedeuten hatte?« fragte er den Ritter. Lambert blickte wie erwachend auf. Ein schmerzlicher Ausdruck war in seinen Augen. »Ja«, sagte er mit schwerer Stimme. »Ich werde dir die Gründe nennen, weshalb du jetzt mein Todfeind bist, damit du mir im Duell Genugtuung gibst.« Er warf einen Blick zu Pierre und dem Müller. »Laß uns unter vier Augen sprechen«, sagte er und schritt von der Mühle fort. Roland nickte und folgte ihm. Pierre und der Müller verschwanden in der Mühle. Schließlich blieb Lambert stehen und wandte sich Roland zu. Und dann berichtete er mit zornbebender Stimme, weshalb er zur Mühle im Teufelsgrund geritten war. Roland verschlug es die Sprache. »Und deshalb hasse ich dich und werde dich töten, um die Schmach zu tilgen, die du mir angetan hast«, schloß Lambert mit vor Bewegung zitternder Stimme. Roland schüttelte den Kopf. Ungeheuerlich, was Lambert ihm da unterstellte. Eine Intrige, auf die er hereingefallen sein mußte! »Es betrübt mich, daß du, den ich für einen Freund gehalten habe, mir so etwas zutraust«, sagte Roland. »Nie wäre mir in den Sinn gekommen, deine Frau auch nur unziemlich anzublicken, als ich dein Gast war.« »Lüge!« zischte Lambert. »Glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du sie angehimmelt hast?« »Ich bewunderte ihre Schönheit, die Reinheit ihres Wesens. Ich huldigte ihr, wie es die Höflichkeit und Schicklichkeit gebot. Nie hätte ich gewagt, dein Vertrauen zu mißbrauchen und auch nur in Gedanken ...« »Lüge!« unterbrach Lambert. »Ich selbst sah dich beim Rosenstock
im Burghof lachen und turteln und um Eleonores Gunst buhlen.« »Wir plauderten in allen Ehren.« »Und dann hast du ihr das Kind gemacht!« brüllte Lambert, so daß es bis zur Mühle schallte. Erschrocken senkte er die Stimme und fuhr wütend und mit flammendem Blick fort: »In allen Ehren, du Haderlump, wie?« Die Blicke der Männer krallten sich förmlich ineinander. Zorn wallte jetzt auch in Roland. Doch er bezwang sich. »Ich gebe dir mein Ritterwort, daß nichts zwischen Eleonore und mir war«, sagte er ruhig. »Es verletzt mich, daß du so etwas von mir denkst. Daß du einem verkommenen Strolch mehr Glauben schenkst als mir! Und es ist beschämend, daß du an der Treue deines lieben Weibes zweifelst. Was sagt sie zu deiner lächerlichen Anschuldigung?« »Ich habe noch nicht mit ihr darüber gesprochen«, erwiderte Lambert zerknirscht. »Ich wollte mir erst Gewißheit verschaffen.« »Und - hast du die etwa jetzt?« fragte Roland mit bitterem Lachen. »Du hast nichts als das Wort eines Strolches, der dich um hundert Dukaten erleichtern wollte. Und du hast mein Wort. Nun wähle.« In diesem Augenblick trat Pierre aus der Mühle. »Roland, ich kann Euch sagen, wer Ritter Lambert in die Falle lockte«, rief er aufgeregt und lief zu Roland und Lambert. Roland wandte sich ihm zu. »Dann sage es.« »Einer der Burschen war noch nicht tot. Bevor er starb, konnte er noch etwas sagen. Und wißt Ihr was?« »Nein«, sagte Roland trocken. »Aber du wirst es mir bestimmt gleich verraten.« »Er sagte nur ein Wort -«, Pierre legte eine gewichtige Pause ein und schaute Roland bedeutungsvoll an, bevor er weiter sprach, »- er sagte: Gorgar!« »Gorgar?« fragte Lambert verblüfft. »Gorgar!« wiederholte Pierre mit ernster Miene. Roland zuckte mit den Schultern, weil er nichts mit »Gorgar« anzufangen wußte. »Na und?«
»Der Müller ist vor Schreck fast umgefallen«, sagte Pierre. »Er hat mir erzählt, wer dieser Gorgar sein soll. Ein Ungeheuer, das sein Unwesen im Frankenwald treibt. Gorgar soll noch gefährlicher und schrecklicher sein als Fasolt, der Drache, den Ihr zur Strecke brachtet.« Roland blickte zu Lambert. »Hast du ihn schon mal gesehen?« Lambert schüttelte den Kopf. »Aber davon gehört. Das Gesindel und die Weiber erzählen furchtbare Geschichten über ihn. Ich hielt es für abergläubisches Geschwätz - aber nun ...« Er blickte sich unsicher um, als erwartete er, jeden Augenblick ein feuerspeiendes, alles vernichtendes Ungetüm aus dem dunklen Tann auftauchen zu sehen. Auch Roland verspürte ein unbehagliches Gefühl. Doch es währte nur kurz. Der Gedanke, wiederum eine Herausforderung anzunehmen und gegen ein Ungeheuer in den Kampf zu ziehen, um den Ruhm zu mehren, faszinierte ihn. »Allerdings waren die Kerle aus Fleisch und Blut und von menschlicher Gestalt«, murmelte Lambert nachdenklich vor sich hin. Pierre blickte Roland an. »Glaubt Ihr, daß sich Gorgar Menschen Untertan macht und sich ihrer bedient, um Tod und Verderben in die Welt zu bringen?« Roland zuckte mit den Schultern. »Ich werde es herausfinden.« »Vergiß darüber nicht das Duell«, sagte Lambert, von neuem mit zorniger Stimme. »Ich erwarte dich in sieben Tagen auf Falkenstein!« Dann wandte er sich abrupt ab und ging davon, ohne Roland noch eines Blickes zu würdigen. »Ihr wollt Euch duellieren?« fragte Pierre. Von Wollen kann keine Rede sein, dachte Roland. »In sieben Tagen!« rief er Lambert nach. Dann sagte er zu Pierre: »Aber erst will ich mich noch für diesen Gorgar interessieren.« *
Gorgar genoß derweil Wenzels und Kunos Überraschung. Beide waren begeistert. Ihr Herr wollte den ruhmreichen Ritter Roland töten! Die Kunde davon würde sich wie ein Lauffeuer im ganzen Land ausbreiten. Alle würden fortan vor Gorgar zittern - und etwas vom Ruhme des Herrn würde auch auf sie - Wenzel und Kuno - abfallen. Doch dann dachten sie daran, daß sie wohl - wie fast immer - für Gorgar die Arbeit erledigen mußten, und die Begeisterung schwand rasch. »Es wird einige Zeit dauern, bis wir Roland gefunden haben«, gab Wenzel zu bedenken. »Ich hörte, er soll im Odenwald sein.« »Kein Problem«, sagte Gorgar. »Wir werden ihn schnell finden. Lambert wird uns zu ihm führen.« Wenzel und Kuno tauschten erstaunte Blicke. »Lambert?« fragte dann Wenzel. Gorgar nickte. »Überleg doch mal, schlauer Ratggeber«, sagte er spöttisch. »Weshalb habe ich Lambert weismachen lassen, Roland hätte seiner Frau ein Kind gemacht?« »Um ihn von der Burg zu locken, damit er von uns gefangengenommen wird.« »Das auch. Aber das hätte auch geklappt, wenn wir Lambert irgendeinen anderen Namen genannt hätten - zum Beispiel den des richtigen Vaters.« »Dann hätte Lambert nicht allein die Burg verlassen«, wandte Kuno ein, »sondern hätte den Mann an Ort und Stelle niedergemacht.« Kuno kam sich sehr schlau vor, doch dann bereute er seine Worte, denn Gorgar wurde so fuchsteufelswild, daß Kuno kaum noch zu atmen wagte. »Ich werfe dich gleich in die Schlangengrube, du Schwachkopf!« tobte Gorgar. »Ich lasse dich vierteilen, aufhängen und auspeitschen, wenn du weiterhin so dummes Zeug redest!« Kuno zog den Kopf ein. Etwas ruhiger fuhr Gorgar fort: »Nach meinem Plan ist Lambert
schon in der Mühle, wenn er den Namen erfährt. Also wäre es völlig egal, welchen Namen er hört. Aber er hört den Namen Roland, der zudem in Frage kommen könnte, denn Roland war, wie wir ja wissen, damals auf Falkenstein und galant zu Eleonore. Er hat dort genächtigt, und nach allem, was Lambert erzählt wird, muß er annehmen, daß Roland tatsächlich Eleonore geschwängert hat. Und was tut ein gehörnter vor Eifersucht und verletztem Stolz rasender Ritter, um die Schmach zu tilgen?« Er gab selbst die Antwort: »Er reitet los, um den Verhaßten vor sein Schwert zu holen. Und da er Roland kennt, wird er wissen, wo er ihn finden kann.« »Logisch«, sagte Wenzel. Kuno schwieg, um sich nicht den Mund zu verbrennen, nickte aber anerkennend und schaute Gorgar in gespielter Bewunderung an. »Wenn Lambert mein Gefangener ist«, setzte Gorgar fort, wird er mir unter Folter die Burg schenken - und ich werde ihm das Leben schenken und seinen Haß auf Roland schüren, auf daß er losreitet, um ihn zu vernichten. Wir brauchen Lambert nur noch zu folgen, lassen ihn auf Roland losgehen, und während die zwei sich streiten, werde ich der lachende Dritte sein und Roland töten. Dann steigt die Hochzeit auf Falkenstein, und ich lege Rolands Leiche Konstanze vor die Füße. So einfach ist das.« Er lachte zufrieden, als er sich Konstanzes Miene vorstellte. Nie wieder würde sie ihn auf dem Liebeslager mit Andeutungen über Rolands Heldentaten bis zur Weißglut treiben ... Hufschlag erklang am Zugang zur Schlucht. Gorgar blickte auf. Ein Reiter parierte bei den Wachen sein Roß und sprach mit ihnen. Dann durfte er passieren. »Er wird von Odulf vorausgeschickt worden sein, um mir die frohe Kunde zu bringen«, sagte Gorgar. »Gut so.« Als der Reiter herangaloppierte, erkannte Gorgar, daß es Jakob war. Er erhob sich und rief: »Alles erledigt?« Jakob zügelte sein erschöpftes Pferd und saß ab. Betrübt schüttelte er den Kopf. Als er näher ans Feuer und vor Gorgar trat, sah Gorgar eine blutige Schramme an Jakobs linker Wange - dort hatte ihn eine
Schwertklinge gestreift - und eine dicke Beule an der Stirn. »Was ist passiert?« fragte Wenzel. Jakob schluckte und suchte offenbar nach Worten. »Rede!« grollte Gorgar. Stammelnd berichtete Jakob, was sich im Teufelsgrund zugetragen hatte. »Wie viele Gegner waren es?« fragte Gorgar erstaunlich ruhig. »Drei... dreizehn«, stammelte Jakob. »Und sie kamen wie ein Ungewitter über uns.« »Dreizehn?« sagte Gorgar. »Und damit seid ihr nicht fertig geworden?« Seine Stimme verkündete drohendes Unheil. Nicht mal mit dreien, dachte Jakob. Wie die Teufel kämpften die! Ein unbehagliches Gefühl stieg in ihm auf. Jetzt bereute er plötzlich, zu Gorgar zurückgeritten zu sein. Zwei seiner Kumpane hatten sich für immer davongemacht, was er aber nicht wußte. Er war der Meinung, als einziger entkommen zu sein. Er hatte gedacht, Gorgar würde milde gestimmt sein, wenn er ihn so schnell wie möglich über die Ereignisse in Kenntnis setzte. Die genaue Zahl der Gegner würde Gorgar wohl kaum jemals erfahren, und wenn alle Stricke rissen, konnte er die Schlappe immer noch den toten Kumpanen anlasten und behaupten, daß Odulf ihn zur Bewachung der Pferde eingeteilt hätte, so daß er gar keine Chance zum Eingreifen gehabt hätte. Irgendeine Ausrede würde ihm dann schon einfallen. So dachte Jakob, denn er war ein einfältiger Mann. Gorgar stampfte auf ihn zu. Breitbeinig blieb er vor Jakob stehen. Der Riese überragte Jakob um fast zwei Haupteslängen. »Du wagst es, mir noch unter die Augen zu treten, du feiger Versager?« »Ich - ich habe gekämpft wie ein Löwe!« stammelte Jakob. »Aber es waren zu viele, und ich hatte nur eine Keule, und sie schlugen alle das Schwert und -«, dann glaubte er, den rettenden Einfall zu haben, »- außerdem war Ritter Roland dabei!« In Gorgars schwarzen Augen blitzte es auf. »Roland?« »Ja«, beteuerte Jakob. »Sein Name wurde genannt. Und nach
allem, was ich über ihn gehört habe, kann nur er es gewesen sein. Er ist mit dem Teufel im Bunde! Selbst Viktors Pfeile konnten ihm nichts anhaben.« Gorgars Augen wurden schmal. »Soweit ich weiß, reitet dieser Hundsfott von Roland nur mit zwei Knappen, die für ihn die Klinge wetzen müssen. Sollte er inzwischen gar zwölf Helfer haben?« Fast ansatzlos schlug er mit dem Handrücken zu. »Antworte!« Jakob taumelte zurück. Blut schoß aus seiner Nase und lief über seine aufgeplatzte Oberlippe. »Jaja - es waren – drei-dreizehn«, stotterte er. »Oder solltest du dich erdreistet haben, mir etwas vorzuflunkern?« Wieder schlug Gorgar zu. Diesmal mit der geballten Rechten. Jakob wurde von der Wucht des Hiebes durch die Luft geschleudert, überschlug sich und fiel vier Schritte von Gorgar entfernt ins Gras. »Gnade!« wimmerte er, vor Schmerzen und Angst fast ohnmächtig. »Für feige Lügner gibt es keine Gnade«, sagte Gorgar. »Egal, ob es drei oder dreizehn waren - du hast dein Leben so oder so verwirkt. Kuno, das Schwert!« Kuno zückte das Schwert und reichte es Gorgar. Gorgar ergriff es und schritt langsam auf Jakob zu. Jakob wollte wegkriechen, doch er war vor Grauen wie gelähmt. »Gnade!« Doch Gorgar, der Schrecken vom Frankenwald, gewährte ihm keine Gnade. Schließlich war Jakob kein Dichter wie Gotthilf und hatte keine Fürsprache von Konstanze. Gorgar tötete den Unglückseligen mit dem Schwert. Dann wandte er sich zu Wenzel und Kuno um. »Genauso wird es Roland ergehen. Hört zu, welch neuen Plan ich habe!« * »Der Met schmeckt vortrefflich«, sagte Volker vom Hohentwiel. Der
berühmte Minnesänger nippte an dem Becher und leckte sich genießerisch über die Lippen. »Schenk allen ein, Wirt, auf daß ich mit meinen Freunden auf das Wiedersehen anstoßen kann.« Der wohlgenährte Wirt der Schenke im Erlengrund, dessen fetter Wanst verriet, daß er sich gern an Speis und Trank labte, rollte verzweifelt die Augen und rang die Hände. »Der Met ist alle. Damit kann ich Euch nicht mehr dienen. Ihr bekamt den letzten Tropfen!« Das feiste Gesicht schwitzte, und die kleinen Augen blickten unstet hin und her, zu Roland und seinen Knappen, zu den vier anderen Gästen am Tisch in der Ecke, zu Volker, zur Tür und wieder zurück. Er war nervös und benahm sich nahezu, als sei es ein Verbrechen, keinen Met mehr anbieten zu können, und als fürchtete er eine Bestrafung von seinen Gästen. Volker lächelte mit blitzenden Zähnen. »Dann bringt Wein.« Der Wirt nickte ein paarmal und zog sich hastig zurück. Volker wandte sich wieder Roland zu. Der Minnesänger war soeben in Erlengrund eingetroffen und Roland hatte ihn schon leise über die Ereignisse der letzten Tage informiert. In den vergangenen zwei Tagen waren Roland und seine Knappen nicht untätig gewesen. In weitem Umkreis hatten sie sich nach Gorgar erkundigt. Viel war bei den Nachforschungen nicht herausge kommen. Niemand hatte Gorgar je gesehen, niemand wußte, wo er zu finden war. Aber jeder wußte um den Schrecken, den er im Frankenwald verbreitete, wenn auch nur vom Hörensagen. Bei vielen Leuten waren Roland und seine Knappen auf verstocktes Schweigen gestoßen, bei fast allen auf Angst. Man fürchtete sich und wagte kaum, den Namen Gorgar laut auszusprechen. Man glaubte an Übersinnliches, an eine grausame Bestie, an eine Ausgeburt der Hölle, die alles sah und hörte und die sich rächen könnte, wenn man offen etwas über seine Greueltaten erzählte. Menschen waren verschwunden. Man munkelte, daß Gorgar sie zu sich geholt hatte. Erst kürzlich war eine Kutsche auf dem Weg nach
Fichtenau überfallen und der Kutscher ermordet worden. Ein Dichter war spurlos verschwunden. Spuren führten von der Kutsche fort in den Wald und endeten wie ein Spuk. Auch Volker vom Hohentwiel hatte auf dem Weg zu seiner Verabredung mit Roland in einem kleinen Dorf von Gorgar gehört. In der Nacht waren dort wilde Reiter eingefallen, hatten getötet, geraubt, geschändet und gebrandschatzt. Und ihr Schlachtruf war »Gorgar« gewesen. »Ein Ungeheuer, das sich menschlicher Verbrecher bedient«, griff Volker das Thema wieder auf, das sie in den letzten Minuten seit seiner Ankunft beschäftigt hatte. Er kratzte sich am dunklen Lockenkopf und lächelte mit glänzenden Augen und blitzenden Zähnen. »Ein guter Stoff für eine Ballade.« »Roland nickte. So kann es sein, nach allem, was wir erfahren haben.« Nachdenklich drehte er seinen leeren Becher. »Aber so muß es nicht sein.« »Ihr meint, es könnte doch nur abergläubisches Gewäsch sein und sich um eine einfache Räuberbande handeln?« fragte Pierre. »Ja, möglich wäre es. Ich frage mich, was fängt ein Ungeheuer mit weltlichen Dingen an? Weshalb läßt es rauben, schänden und brandschatzen? Weshalb läßt es Lambert in eine Falle locken, weshalb einen Dichter entführen?« »Vielleicht will es sich was reimen lassen«, bemerkte Louis verschmitzt. Volker lachte. »Da muß ich aufpassen, daß es mich nicht auch holt, auf daß ich ihm etwas singe.« Der Gedanke erheiterte ihn. »Wäre keine schlechte Idee. Ich verfasse eine Ballade über diesen Unhold und ...« Er ließ den Rest unausgesprochen, denn der Wirt trat mit einem Krug Wein an den Tisch. Immer noch wirkte er beunruhigt, ja fast verzweifelt. Er stellte den Krug auf den Tisch, blickte schwitzend hin und her und entfernte sich eilig. Pierre ergriff den Krug und schenkte Wein in das Glas, aus dem er zuvor Met getrunken hatte. Er nippte daran und verzog das Gesicht.
»Kein Bier, kein Met mehr und saurer Wein! Diesem Wirt sollte man die Ohren langziehen.« Volker vom Hohentwiel hielt Roland den mit Met gefüllten Becher hin. »Wenn der Wein nichts taugt, so will ich mit dir den letzten Met teilen.« Roland ergriff den Becher und trank einen kräftigen Schluck. Er sah Louis' begierigen Blick. Auch Louis und Pierre hätten wohl lieber Met getrunken als sauren Wein. Vielleicht bezog Volker sie in die Runde ein. Roland gab dem Minnesänger den Becher zurück und sagte: »Wirklich ein köstlicher Met. Ich danke dir, mein Freund.« Pierre probierte noch einmal den Wein. »Das ist ja wirklich ...« Weiter kam er nicht mehr. Von einem Augenblick zum anderen verdrehte er die Augen und sank vornüber. Wie haltsuchend wischte seine Hand über die blankgescheurte Tischplatte, und er fegte dabei den Weinkrug um, der auf dem Boden zerbrach. Louis sprang auf, als ihn Wein bespritzte. »Paß doch auf ...«, rief er ärgerlich, doch dann erfaßte er die Situation. Und schon überstürzten sich die Ereignisse. Einer der vier Gäste am Tisch in der Ecke war aufgesprungen. Er warf sich kopfüber aus dem Fenster, das offenstand, denn es war ein schwüler Tag. Roland und Volker waren bereits auf den Beinen. Ein Stuhl fiel polternd um. Louis ergriff sein Schwert, das er neben seinem Stuhl abgelegt hatte, um es beim Zechen gemütlicher zu haben. »Gift!« schrie er. »Verrat!« Draußen gellte ein Ruf. »Nicht, Bruno, sie haben nicht...« Doch die Worte, offenbar als Warnung gedacht, kamen zu spät. Die Tür flog schon auf, und drei Männer, zwei mit Keulen bewaffnet, einer mit einem Schwert, stürmten in die Schenke. Wilde Gestalten, die bestimmt nicht gekommen waren, um friedlich zu zechen. Zwei weitere Kerle tauchten in der Tür auf, die zur Küche führte, in die sich der verängstigte Wirt zurückgezogen hatte. Einer der beiden, in Helm, Kettenhemd und Beinschienen, war mit einem
Schwert bewaffnet. Brandrotes Haar fiel ihm bis auf die Schultern. Das narbige Gesicht verzerrte sich, als er sah, daß nur einer aus Rolands Kreis kampfunfähig war. Die drei noch verbliebenen fremden Gäste versuchten es dem Mann gleichzutun, der sich durch das Fenster in Sicherheit gebracht hatte, nachdem er am schnellsten begriffen hatte, daß der gemeine Plan nicht gelingen konnte. Sie ergriffen die Flucht. Jeder wollte als erster aus dem Fenster, und so behinderten sie sich gegenseitig. »Feiglinge!« brüllte der Rothaarige mit dem Schwert. »Kämpft! Kämpft für Gorgar!« Nur zwei der Feiglinge besannen sich und vergaßen die Fluchtgedanken. Einer packte einen Stuhl, der andere bewaffnete sich mit einem Weinkrug. Derweil stürzten die Kumpane schon auf Roland, Volker und Louis zu. »Gorgar!« schallte es aus rauhen Kehlen, und es war nicht ganz klar, ob sie mit diesem Schlachtruf Angst einjagen oder sich selbst ermutigen wollten. In Wahrheit war letzteres der Fall. Denn sie hatten sich alles so einfach gedacht und waren von der Entwicklung der Dinge überrascht worden. Sie hatten Roland und seine Knappen aufgespürt. Den Wirt gezwungen, den Wein mit einem Betäubungspulver zu servieren, den sie vorsorglich aus dem Lager mitgenommen hatten. Dann hätten sie die drei Zecher nur noch einzusammeln brauchen. Doch dann war dieser verdammte Minnesänger aufgetaucht und hatte den Plan zunichte gemacht, indem er seinen Met mit Roland geteilt hatte. Ein offener Kampf war nicht eingeplant gewesen. Jetzt mußten sie kämpfen. Und wie! Roland schleuderte mit der angewinkelten Linken einen keulenschwingenden Angreifer zur Seite, wirbelte herum und stellte sich dem Rothaarigen, den er für den Anführer und den gefährlichsten hielt. Funken stoben auf, als die Schwerter aufeinander knallten. Ungestüm ging Roland in die Offensive.
Wuchtige Hiebe trieben Gorgars Gesell zurück. Indessen focht Louis mit dem zweiten Schwertträger. Volker schmetterte einem Angreifer einen Stuhl an den Kopf. Brüllend ging der Mann zu Boden. Ein zweiter Gegner tauchte seitlich von Volker auf und holte mit der Keule zum Schlag aus. Volker sprang zur Seite, und die Keule streifte ihn nur an der linken Schulter. Gott sei Dank, denn der Hieb hätte ihm vermutlich den Schädel gespalten, wenn er getroffen hätte. Volker prallte gegen den Tisch, verschob ihn, und Pierre kippte mitsamt dem Stuhl um. Er merkte nichts von dem Kampfgetümmel ringsum. Roland drängte mit schwingendem und klirrendem Schwertschlag seinen Gegner zurück, bis er mit dem Rücken gegen die offenstehende Küchentür prallte. Sie knallte zu. Rolands Schwertspitze streifte das Kettenhemd des Gegners und bohrte sich in die Tür. In den Augen des Gegners blitzte es triumphierend auf. »Bruno wird dich töten!« brüllte er siegessicher. Er holte zum alles entscheidenden Stoß aus und sah sich schon als Bezwinger des berühmten Roland. Gorgar hatte zwar befohlen, Roland und seine Knappen lebend zu bringen, doch in diesem Augenblick dachte Bruno nicht daran. Er wollte den berühmten Ritter Roland besiegen. Doch er hatte nicht mit Rolands Schnelligkeit gerechnet. Noch während Roland sein Schwert aus der Tür riß, ließ er sich geistesgegenwärtig nach hinten fallen. Brunos Schwert stach über Rolands Kopf hinweg ins Leere. Roland riß beide Beine hoch und rammte sie dem Angreifer gegen die Beinschienen. Bruno taumelte zurück und krachte gegen das Regal neben der Tür. Glas zerklirrte. Gluckernd lief Wein aus. Roland war bereits aufgesprungen. Doch einer aus Gorgars Horde griff ihn von hinten an. Es war der Kerl, der von Volker mit dem Stuhl niedergeschlagen worden war und seine Keule verloren hatte. Ein Arm legte sich von hinten um Rolands Hals und schnürte ihm die Luft ab. Roland hieb mit dem Schwert hinter sich und traf den
Angreifer an der Hose. Der Kerl sprang brüllend zur Seite, lockerte aber den Würgegriff nicht. Blitzschnell wechselte Roland das Schwert in die Linke und hieb wiederum hinter sich. Doch diesmal war der Angreif er auf der Hut und schon zuvor nach rechts ausgewichen, wobei er sich mit Roland gedreht hatte, so daß das Schwert nur die Luft zerschnitt. Geschickt drehte er sich jetzt mit Roland, und sein Arm preßte sich noch stärker um Rolands Kehle. Nun wollte Roland sich weder im Griff eines Gegners im Kreise drehen, noch sich erwürgen lassen. Zudem rappelte sich gerade Bruno auf und hob das Schwert, um von neuem anzugreifen. Und Roland bekam kaum noch Luft. Schleier wallten bereits vor seinen Augen. So verzichtete Roland darauf, weiter mit dem Schwert hinter sich herumzustochern, und entschloß sich, den Angreifer auf andere Weise loszuwerden. Urplötzlich ging er in die Hocke und schleuderte den überraschten Gegner über seinen Kopf hinweg. Der Griff des Kerls löste sich. Er stürzte zu Boden und wollte sich just in dem Moment aufrichten, in dem sein Anführer mit zum Stoß vorgerecktem Schwert über ihn hinweg auf Roland zustürzen wollte. So starb der Unglückselige an Brunos Klinge. Aus den Augenwinkeln sah Roland, wie Volker seinen Gegner mit dem Schwert besiegte, und wie Louis einem Angreifer die Keule aus der Hand schmetterte und dem Kerl einen Tritt versetzte, so daß er gegen die Wand krachte, daran herabrutschte und sitzenblieb, als sei er von einem Augenblick zum anderen eingeschlafen. Doch das nahm Roland nur am Rande wahr. Er mußte um sein Leben kämpfen, denn Bruno griff wieder an. Roland kreuzte mit ihm die Klinge. Bruno strauchelte, gerade als Roland zum Stoß ausholte, und so traf ihn Rolands Schwert tödlich. Mit einem Röcheln stürzte Bruno rücklings zu Boden, das Schwert entglitt seiner kraftlosen Hand, und er blieb reglos liegen. Heftig atmend ruckte Roland herum. Ein Mann floh gerade durch das Fenster. Louis, der gestürzt war, rappelte sich auf und nahm die
Verfolgung auf. Volker richtete sich über einem besiegten Gegner auf. Auch sein Schwert war blutig. Roland hörte draußen Hufschlag, der sich nach Norden entfernte. Dann fluchte Louis. Offenbar war ihm der Fliehende entkommen. Die Schenke bot einen schlimmen Anblick. Zwischen umgestürzten und zerschlagenen Stühlen, zwischen Bechern, Scherben und Weinlachen reglose Gestalten. Roland eilte zu Pierre. Der Knappe atmete, wurde aber nicht wach, als Roland ihn rüttelte. Volker schaute sich Gorgars Gesellen an. Einer der vier Männer regte sich gerade. Es war der Mann, dem Louis die Keule aus der Hand geschlagen und den er gegen die Wand geschleudert hatte. Blinzelnd öffnete er die Augen, tastete ächzend an seinen Kopf und schien nicht zu wissen, was geschehen war. Volker tippte ihm mit dem Schwert gegen die Brust. Die Augen des Kerls weiteten sich, und es sah aus, als wollte er durch die Wand kriechen. Dann setzte wohl seine Erinnerung ein. Er begann zu zittern. Er stotterte etwas, das wie »Ggggnanade« klang. Roland schritt zu ihm. »Wie heißt du?« »Hart-Hartmut.« Nun, der Name paßte in diesem Augenblick nicht so recht zu ihm. Alle Härte und aller Mut hatten ihn verlassen. »Ich nehme an, Hartmut, du willst uns etwas erzählen«, sagte Roland. »Was hattet ihr vor!« fuhr Volker den verschüchterten Mann an. »Gnade - ich sage alles!« Abwehrend hielt Hartmut die Hände vors Gesicht. Und dann bekannte er alles. Sie hatten den Befehl von Gorgar, Roland und seinen Knappen zu betäuben, gefangenzunehmen und zum Lager zu bringen, genauer gesagt in das Wäldchen vor der Schlucht. Dort wären die Gefangenen von Gorgar persönlich getötet worden. Er wollte das nicht im Lager besorgen, weil Konstanze es nicht sehen sollte.
Gorgar wollte sie ja bei der Hochzeitsfeier mit Rolands Leiche überraschen. Immer wieder tauschten Roland und Volker Blicke, während Hartmut alles preisgab, was er wußte. Roland ließ Hartmut eine Weile plaudern, ohne ihn zu unterbrechen. Als der Redefluß versiegte, stellte er gezielte Fragen, und das Bild rundete sich immer mehr ab. Hartmut war gut informiert, denn Kuno hatte bei den Räubern, die sich selbst als Gorgars Landsknechte bezeichneten, mit seinem Wissen geprahlt und Gorgars Pläne ausgeplaudert. So erfuhren Roland und Volker alles über Gorgar, auch über seinen teuflischen Plan mit Lambert. Und Hartmut beschrieb den Weg zu Gorgars Lager tief im Frankenwald und gab weitere Einzelheiten preis. Der Wirt tauchte auf. Er warf sich auf die Knie und beteuerte: »Sie haben mich gezwungen, glaubt mir! Sie haben gesagt, Gorgar würde mich und mein Weib zu sich holen und wir müßten Höllenqualen erleiden.« Er bekreuzigte sich. »Er würde uns verzaubern und ...« »Gorgar kann nicht zaubern«, unterbrach Roland. Ungläubig starrte der Wirt ihn an. »Nicht?« Roland schüttelte den Kopf. »Er ist ein ganz gewöhnlicher Sterblicher. Ein Unhold aus Fleisch und Blut.« »Aber ...« Um es dem einfachen Manne verständlicher zu machen, sagte Volker lächelnd: »Er furzt genauso wie du.« »Wirklich?« Schlagartig verschwand der Ausdruck der Furcht aus den Augen des feisten Wirtes. Sein Blick glitt zu Hartmut. Er sprang auf und wollte sich auf den Mann stürzen. »Und ihr Lumpenpack habt gesagt ...« Roland packte das Handgelenk des Wirtes, der auf den angeschlagenen und vor Roland und Volker zitternden Hartmut eindreschen wollte, und schob den zornbebenden Mann zurück. »Hol lieber Wein!« sagte er. »Und zwar richtigen.« »Er hat bestimmt auch noch Met«, warf Volker ein.
Jetzt fiel dem Wirt wieder ein, welch übles Spiel er getrieben hatte, wenn auch unter Zwang. Er warf sich von neuem auf die Knie. »Sie haben mich gezwungen und gesagt ...« »Das hast du schon erzählt«, unterbrach Roland das Lamento. »Hol Met!« »Und zwar geschwind!« fügte Volker mit gespielt finsterer Miene hinzu. »Sofort, sofort.« Der Wirt rappelte sich schwerfällig auf und eilte in die Küche. Roland zog Volker zur Seite und beriet sich leise mit ihm, so daß Hartmut nicht zuhören konnte. Sie überlegten, wie es weitergehen sollte. Lambert mußte so schnell wie möglich in Kenntnis gesetzt werden. Gorgar würde von neuem versuchen, ihn in seine Gewalt zu bekommen. Der Verräter auf Burg Falkenstein - Hartmut wußte den Namen nicht, hatte nur gehört, daß der Unwürdige hohe Spielschulden und eine verbotene Liebschaft hatte, was Gorgar sich zunutze gemacht hatte - mußte entlarvt werden. Und vor allem mußte Gorgar das Handwerk gelegt werden. Aber wie? Die Schlucht besaß nur einen Zugang und war praktisch uneinnehmbar wie eine Festung, denn sie wurde scharf bewacht. »Ich könnte hinreiten«, schlug Volker vor, »mich als Sänger vorstellen und ...« »Zu gewagt«, sagte Roland mit einem Kopf schütteln. »Gorgar weiß über mich Bescheid und wird wissen, daß wir Freunde sind. Allein hättest du auch keine Chance gegen ein paar Dutzend Gegner. Wir müssen uns eine andere List einfallen lassen.« Er hob lauschend den Kopf. Hufschlag näherte sich von Norden. Es war Louis, der zurückkehrte. Kurz darauf eilte er in die Schenke. »Roland, ich...«, begann er, dann bemerkte er Hartmut und verstummte. Roland erkannte, daß sein Knappe nicht in Gegenwart
von Hartmut reden wollte. So ging er Louis entgegen und nahm ihn zur Seite. Volker gesellte sich zu ihnen. »Du kommst schon wieder mit leeren Händen?« fragte Roland leise. Louis grinste verwegen. »Nicht ganz. Ich hätte den Kerl nur zu gerne lebend gefaßt, aber das ging nicht. Ich verfolgte ihn wie der Teufel, und da wollte er mir ein schnippchen schlagen und eine Abkürzung reiten. Er übersah dabei, daß besagte Abkürzung an einem steilen Abhang endete. Das Pferd war schlauer und bremste noch. Doch der Reiter flog kopfüber in die Tiefe und brach sich so einiges. Doch bevor er starb, konnte er mir noch Interessantes erzählen.« Er berichtete, was er gehört hatte und war enttäuscht, daß Roland es im großen und ganzen schon von Hartmut erfahren hatte. Hartmut glaubte sich unbeobachtet, und Roland, Louis und Volker standen ein paar Schritte von ihm entfernt. So faßte Hartmut sich ein Herz, sprang auf, hetzte auf das Fenster zu und hechtete hinaus. Louis wollte sofort die Verfolgung aufnehmen. Roland hielt ihn jedoch zurück. »Laß ihn.« »Aber er wird Gorgar informieren«, wandte Louis ein. »Es sind auch noch andere entkommen, als wir kämpfen mußten und nicht daran denken konnten, sie uns zu schnappen. Gorgar wird also so oder so erfahren, daß sein Plan mißlungen ist.« »Wenn die Kerle sich zu ihm zurücktrauen«, warf Volker ein. Roland lächelte. »Wenn sie ein bißchen Grips haben, werden sie sich nicht mehr bei ihm sehen lassen. Aber der schlaueste schien mir dieser Hartmut zu sein.« Der Wirt brachte den Met. Louis war erstaunt, daß es nun doch welchen gab. Roland setzte ihn über die Einzelheiten ins Bild, die Louis noch nicht wußte. Der Wirt wollte in seiner Schenke aufräumen, doch Roland schickte ihn, den Schmied zu holen, der gleichzeitig Dienst als Totengräber versah, wenn es in Erlengrund erforderlich war. So konnte Roland mit Volker und Louis noch eine Weile ungestört
beraten. Als Volker noch einmal auf seinen Vorschlag zurückgriff, sich als Sänger, verkleidet und mit anderem Namen, in Gorgars Lager einzuschleichen, schlug sich Louis mit der flachen Hand vor die Stirn. »Das hatte ich ganz vergessen zu berichten«, sagte er und schaute Roland entschuldigend an. »Gorgars Mann wollte vor dem Tod sein Gewissen erleichtern. So beichtete er mir alle seine Sünden, sogar zukünftige, zu denen er keine Gelegenheit mehr hat. Er sagte, Gorgar hätte ihm und den anderen befohlen, als nächstes Gaukler und Musi kanten zu entführen. Sie sollen zu Gorgars Hochzeitsfeier mit irgendeinem verlotterten Weib aufspielen. Aber zuvor sollen sie in sein Lager gebracht werden und eine Probe ihres Könnens ablegen. Ein Trupp von fünf Reitern ist bereits auf dem Weg nach Birkenfeld, um dort Bertram von der Weyden und seine Künstler zu schnappen, die übermorgen dort eintreffen sollen. Die anderen wollten dort zu ihren Kumpanen stoßen.« »Bertram?« sagte Volker überrascht. »Von dem habe ich gehört. Nicht schlecht als Sänger, aber er lehnt sich doch stark an meine Balladen an. Aber ich verüble ihm das nicht so sehr, als daß ich wünschte, er würde Gorgar in die Hände fallen.« Roland lächelte. »Das ist die Idee«, sagte er nachdenklich. »Ihr wollt den Überfall verhindern?« fragte Louis. Roland nickte. »Und dann werden wir in die Rolle der Gaukler schlüpfen, Gorgars Wachen werden uns ins Lager lassen, und wir greifen uns Gorgar.« »Eine prächtige Idee«, meinte Louis begeistert. »Aber jemand muß auch Lambert warnen«, murmelte Volker, »und den Verräter entlarven.« »Was hältst du davon, dieser Jemand zu sein?« fragte Roland. »Ich möchte lieber Gorgar die Flötentöne beibringen«, erwiderte Volker. Doch Roland bat den Freund, nach Burg Falkenstein zu reiten. »Lambert ist in einer Verfassung, in der ich für ihn das bin, was
das rote Tuch für den Stier«, erklärte Roland. »Er wird mir kaum Glauben schenken, ja vielleicht denken, das sei alles eine Erfindung von mir. Möglicherweise geht er in seinem Zorn gleich auf mich los, ohne mich überhaupt anzuhören.« Volker, der ja Hartmuts Worten entnommen hatte, mit welcher Intrige Gorgar Roland in Verdacht gebracht und Lambert aufgehetzt hatte, grinste wissend. »Gut, ich reite.« Und scherzhaft fügte er hinzu: »Ich will mich vergewissern, ob Lambert II. dir nicht doch ähnelt.« Lachend schenkte Roland Met ein. Sie tranken. Pierre schnarchte immer noch. Vielleicht träumte er von Camelot. * Die Dämmerung senkte sich über Burg Falkenstein, als Volker vom Hohentwiel am nächsten Tage dort eintraf. Der listenreiche Volker gab sich bei den mißtrauischen Wachtposten als Elmar, ein Bote von Ritter Roland aus, der eine Nachricht persönlich übermitteln wollte. Niemand wußte, was der Burgherr inzwischen über Roland dachte, und so wurde Volker freundlich eingelassen. Lambert empfing ihn mit grimmiger Miene. Schon als er nur den Namen Roland gehört hatte, waren wieder all die Zweifel in ihm aufgestiegen, die ihn seit den Ereignissen in der Mühle geplagt hatten. Manch schlaflose Nacht hatte er seither verbracht, und er sah blaß und unglücklich aus. In den letzten Tagen war Lambert ein einsamer Mann gewesen. Er hatte sich keinem offenbart, hatte weder mit Eleonore gesprochen, noch Magnus, seinem Vertrauten erzählt, was geschehen war. Immer wieder hatte er an die Worte des schmierigen Wulf denken müssen, an die Bemerkungen der Räuber, die er noch vernommen hatte, bevor er ohnmächtig geworden war. Ritter Roland hatte ihm sein Wort gegeben, und nur zu gern hätte Lambert daran geglaubt. Doch sein Mißtrauen war geblieben. Die Wahrsagerin, die er befragt hatte, hatte ihm prophezeit, daß über kurz
oder lang eine wichtige Entscheidung in seinem Leben bevorstünde, durch die alle Zweifel beseitigt werden würden. Für Lambert war klar, daß damit nur das Duell mit Roland gemeint sein konnte. Lambert hielt das bevorstehende Duell für eine Art Gottesurteil. Entweder würde er, Lambert, an Rolands Schwert sterben, oder er würde Roland besiegen. Alles ist besser als diese quälende Ungewißheit, dachte Lambert. Er musterte Volker. »Man meldete mir, du hast eine Nachricht?« fragte er. Volker nickte leicht. Er blickte zu Magnus, der mit ernster Miene bei der Tür stand, dann zu den beiden Wachtposten, die links und rechts neben der Tür Aufstellung genommen hatten. »Ich soll Sie Euch persönlich vortragen«, sagte Volker und zwinkerte Lambert kaum merklich zu. »Unter vier Augen.« Lambert verstand. Er gab Magnus einen Wink. Der Berater verneigte sich gemessen und gab den Wink an die Wachtposten weiter. Alle drei verließen den Raum. Als die Tür geschlossen war, fragte Volker im Flüsterton: »Sind wir hier vor Lauschern sicher?« Lambert nickte. »Komm schon zur Sache«, sagte er ungeduldig. Und Volker kam zur Sache. Es war eine lange Botschaft - mehr ein Bericht über alles, was Roland inzwischen herausgefunden hatte. Lamberts Mienenspiel wechselte von Überraschung zu Ungläubigkeit. Mal blickte er hoffnungsvoll, mal zweifelnd. »Eine abenteuerliche Geschichte«, sagte er schließlich mit schwerer Stimme, als Volker geendet hatte. »Sollte ich Roland bitter Unrecht getan haben? Sollte ich auf ein verruchtes Spiel hereingefallen sein?« Volker nickte lächelnd. »Irgendeiner von Burg Falkenstein arbeitet mit Gorgar Hand in Hand und hat ihn mit allen Informationen versorgt, die Gorgar brauchte, um seinen gemeinen Plan in Angriff zu nehmen und Roland und Euch gegeneinander auszuspielen.« Volker spürte, daß Lambert einen geistigen Kampf mit sich ausfocht. Der Ritter wollte nur zu gern glauben, daß alles stimmte,
was er da erfahren hatte. Er wollte an die Treue seiner Frau glauben und die letzten Zweifel niederkämpfen. »Und wenn Roland die Geschichte nur erfunden hat, um mich zu täuschen?« murmelte Lambert. »Traut Ihr ihm das zu?« fragte Volker. Lambert blickte ihn lange nachdenklich an. Dann schüttelte er langsam den Kopf. »Nein. Aber ich hätte ihm auch nicht zugetraut, daß er ...« Er ließ den Rest unausgesprochen und wich Volkers Blick aus. »Ach, es ist alles so kompliziert.« »Erlaubt mir, daß ich widerspreche«, sagte Volker. »Wenn es noch eines Beweises bedarf, so werde ich ihn erbringen.« »Und wie?« fragte Lambert mit zweifelnder Miene, aber in hoffnungsvollem Tonfall. »Der Verräter, erklärte Volker. »Ist Euch Beweis genug, wenn er entlarvt wird?« Lambert nickte. »Ich habe einen Plan«, sagte Volker. »Doch es bedarf Eurer Mithilfe.« »Ich werde alles tun...«, begann Lambert. »Gut«, fiel Volker ihm keck ins Wort. »Dann hört, wie ich mir die Sache vorstelle.« * Bertram, der Minnesänger, der davon träumte, eines Tages so berühmt zu werden wie Volker vom Hohentwiel, griff einen letzten schwingenden Akkord auf der Laute. Dann blickte der große, schlanke Mann beifallheischend in die Runde der am Lagerfeuer versammelten. Balduin, der Gnom, der bei Hofe die Ritter und Damen mit Purzelbäumen und drolliger Akrobatik erfreute, war eingeschlafen, sehr zu Bertrams Mißfallen. Der Mime, der Narr und der Lyraspieler dagegen hatten Bertrams langer und schwermütiger Ballade vom Heldentod eines unglücklich verliebten Ritters angehört.
»Nun, wie findet Ihr mein neuestes Werk?« fragte Bertram. »Werde ich damit in Birkenfeld Ehre einlegen?« Der Narr kicherte. »Es ist die beste Ballade, die du je verfaßt hast«, sagte er mit seiner schrillen Stimme und rückte seine Narrenkappe zurecht. Bertram lächelte geschmeichelt. Er war sehr eitel und begierig auf jedes Lob. »Du müßtest nur den Text ändern und eine andere Melodie erfinden«, fuhr der Narr fort, und sein Gesicht mit den vielen Falten und Runzeln verzog sich zu schelmischem Grinsen. Bertram funkelte ihn zornig an. »Du bist ein Dummkopf, Edgar, der meine Kunst nicht zu würdigen weiß.« »Ich bin kein Dummkopf, sondern Narr«, korrigierte Edgar kichernd. »Das ist ein großer Unterschied. Narr sein ist in den heutigen Zeiten schon eine Kunst für sich. Ich halte den Leuten mit meinen Possen einen Spiegel vor, und sie lachen, weil sie so dumm sind, sich nicht wiederzuerkennen.« Der Mime gähnte. »Soll ich jetzt meine Rolle als Drachentöter vorspielen? Oder legen wir uns schlafen?« Der Lyraspieler verzog das Gesicht. »Nichts gegen deine Pantomime. Aber es ist wirklich schon spät. Ich schlage vor, wir wickeln uns in unsere Decken. Wir können morgen noch einmal proben, bevor wir in Birkenfeld auftreten.« Bertram schlug die Laute an. »Mir kommt da gerade eine Idee ...« »Er hat eine Idee!« kicherte der Narr. »O Gott, da müssen wir noch weiterleiden.« Beleidigt ließ Bertram die Laute sinken. »Ich kann über dich nicht lachen, Edgar. Ich weiß gar nicht, weshalb ich dich nicht längst zum Teufel geschickt habe, statt mit dir Stänkerer durchs Land zu ziehen.« »Ich bin eine Bereicherung deines Programms«, erwiderte Edgar schmunzelnd. »Und du kannst nicht über mich lachen, weil du ein ehrlicher und kluger Mann bist, der erkennt, daß ich die Wahrheit hinter Narretei verstecke.«
»Streitet euch nicht«, sagte der Mime. »Gewiß hat Bertram eine schöne Musik zur Untermalung meiner Pantomime.« Auffordernd blickte er den Sänger an. »Ich habe eine hervorragende Melodie«, sagte Bertram. »Aber jetzt hat Edgar mir alle Lust verdorben, sie vorzutragen. Ich bin es leid, mir sein Gemecker anzuhören.« »Prächtig«, sagte Edgar kichernd. »Dann stört ja nichts mehr unsere Nachtruhe.« Er erhob sich vom fast niedergebrannten Feuer und ging zu dem Ochsenkarren, der mit einer buntbemalten Plane bedeckt war. Er kletterte auf den Wagen und legte sich zwischen die Requisiten und Kostüme. Jedesmal, wenn sie statt in einer Herberge oder bei Hofe in freier Natur übernachten mußten, würfelten sie aus, wer auf dem Wagen nächtigen durfte, der so vollbepackt war, daß er nur einem Schläfer bequem Platz bot. An diesem Abend hatte Edgar mit einem Sechserpasch gewonnen. Die anderen legten sich ebenfalls hin und wickelten sich in die Decken, auf denen sie beim Feuer gesessen hatten. Es war eine milde Sommernacht. Unzählige Sterne blinkten am wolkenlosen Himmel. Mücken tanzten Ringelreihen unter den Buchen am Rande des Lagers. Edgar streckte sich behaglich aus und lauschte noch eine Weile den Geräuschen der Natur. Ein Eulenschrei klang vom nahen Wäldchen im Osten herüber. Vogelgezwitscher antwortete im Westen. Die Blätter der Bäume und Büsche ringsum raschelten leise unter dem Streicheln des Windes. Irgendwo knackten Zweige. Wild, das durch den Wald streicht, dachte Edgar, bevor er einschlummerte. Doch es war kein Wild. Schatten huschten zwischen Büschen hervor, schlichen fast lautlos auf das Lager zu. Im Nu waren der Wagen und die Schläfer am nur noch schwach glosenden Lagerfeuer umzingelt. Und dann gab es ein schlimmes Erwachen für sie.
Denn schaurig schallte es aus rauhen Kehlen: »Gorgar! Gorgar! Gorgar!« * Volker riß die Tür auf. »Haltet ihn!« gellte hinter ihm Lamberts Stimme. Dann ging der Ruf in ein schreckliches Röcheln über. Volker hetzte über den Gang. Sein Schatten geisterte an den Wänden entlang, an denen Fackeln in eisernen Haltern flackerten. Dumpf pochten seine Schritte über die steinernen Fliesen und hallten von den Wänden wider. Eine Tür flog auf. Magnus stürmte aus einer Kammer. Am Ende des Gangs ertönten aufgeregte Rufe. Dann tauchten die beiden Wachtposten auf. Seit der Geburt von Lamberts Sohn standen immer zwei Männer vor dem Kinderzimmer auf Wache. Sie hatten den Schrei ihres Herrn gehört und eilten herbei. Da war Volker schon heran. Er rannte sie förmlich über den Haufen, stieß sie mit angewinkelten Ellenbogen um und jagte weiter. Bevor sich die beiden Überraschten aufrappeln konnten, war Volker um die Biegung verschwunden. Sie hörten ihn davonlaufen. Einer fluchte. »Hinterher!« rief der andere und rannte los. Doch als er um die Ecke bog, waren die Schritte verstummt und nichts und niemand war zu sehen. Der Wachtposten verharrte und blinzelte. Ob er vielleicht alles nur geträumt hatte? Schon manches Mal war er bei der Wache eingenickt. Einmal war er sogar in süßem Schlummer vornübergestürzt, was ihm eine schlimme Beule und eine Strafe von Ritter Lambert eingetragen hatte. Seither nannte man ihn auf Falkenstein »Träumer«. Dann hörte er wiederum Lamberts Schreie, und er erkannte, daß er nicht geträumt hatte. Aber was war geschehen?
Magnus stellte derweil Ritter Lambert besorgt die gleiche Frage. Lambert hielt sich den Kopf und atmete schwer. »Verrat!« keuchte er. Magnus wurde blaß. »Es war kein Bote von Roland«, sagte Lambert mit knirschender Stimme. »Es war ein Schurke, den Gorgar geschickt hat.« »Gorgar?« Magnus erschrak. »Ja. Sagt dir der Name etwas?« »Nichts Genaues.« Magnus schüttelte heftig den Kopf. »Aber man hört so einiges.« »Ich durchschaute ihn jedoch«, fuhr Lambert fort. »Doch bevor ich ihn zu packen bekam, ergriff er die Flucht. Schnell, schnell! Trommel alle zusammen! Er muß gefaßt werden! Und zwar lebend. Damit er mir alles über Gorgars teuflischen Plan gesteht.« »Jaja.« Magnus wirkte in diesem Augenblick ziemlich verwirrt. Der Ratgeber schien ratlos zu sein. Er lief aus dem Zimmer. Seine Stimme hallte über den Gang. Schritte und aufgeregte Rufe waren zu vernehmen. Waffen klirrten. Magnus gab herbeigeeilten Männern Anweisung, jeden Winkel der Burg zu durchsuchen und die Wachen am Tor und auf den Türmen zu verstärken. Bald darauf schleppten sie Volke? als Gefangenen zu Lambert. Volker hatte es ihnen leicht gemacht. Er war just in dem Augenblick aus der Kammer getreten, in der er zuvor Zuflucht gesucht hatte, als draußen auf dem Gang vier Männer vorbeigeeilt waren. Kampflos hatte sich Volker überwältigen lassen. »Auf die Knie mit dir!« befahl Lambert und hob drohend das Schwert. Volker gehorchte. Lambert starrte mit seiner finstersten Miene auf ihn hinab. »Du wirst sterben!« sagte Lambert mit bebender Stimme. »Doch zuvor wirst du mir alles erzählen, was du über Gorgar weißt.« Die Umstehenden blickten erschrocken. Auch Eleonore, die aus ihrer Kammer geeilt war. »Gorgar?« murmelte einer und bekreuzigte sich.
»Ich weiß nichts!« rief Volker. »Dir wird schon was einfallen, wenn Hunger und Durst in deinen Eingeweiden wüten. Für einen Schluck Wasser und einen Krümel Brot wirst du alles ausplaudern, was ich wissen will. Ich kann warten.« Er trat einen Schritt zurück. »Durchsucht seine Taschen. Vielleicht hat er ein Messer versteckt.« Sie fanden natürlich kein Messer. Statt dessen entdeckten sie ein Papier. Mit lauter Stimme las Lambert vor: »Töte Ritter Lambert. Noch in dieser Nacht. Oder dein Spiel ist aus!« Eleonore, in einem langen schwarzen Gewand, preßte eine Hand vor den Mund. »Ich wollte es nicht - ich sollte es nicht!« stammelte Volker. »Ich sollte nur die Botschaft...« »Es ist dir nicht gelungen, du Lump!« unterbrach Lambert ihn zornig. »Versuche nicht zu leugnen. Werft ihn in den Kerker!« »Wir könnten ihn auch gleich foltern«, murmelte einer der Umstehenden. »Auf der Streckbank würde er schon ...« »Hast du nicht gehört, was dir befohlen wurde!« wies Magnus den Mann mit harter Stimme zurecht. Sie brachten Volker in das dunkle Verlies. Die eiserne Tür fiel hinter ihm zu, ein Schlüssel drehte sich knirschend im Schloß. »Viel Vergnügen mit den Ratten!« rief einer der Männer, die Volker eingesperrt hatten. Rauhes Lachen verhallte. Schritte entfernten sich. Volker war allein in der tiefen Finsternis. Etwas huschte raschelnd über den feuchten, rissigen Felsboden. Es roch nach Moder und Fäulnis. Volker seufzte. Hoffentlich brauchte er nicht so lange zu warten, bis der Verräter in die Falle tappte ... * Bertram und die Gaukler schreckten aus dem Schlaf. Fünf drohende Schatten näherten sich im Kreis.
Eine Schwertklinge schimmerte im Mond- und Sternenschein. »Wer seid Ihr?« rief Bertram und hob die Hände. »Wir sind fahrendes Volk, das für Speis, Trank und ein paar Dukaten den Herren Kurzweil bietet. Wir besitzen nichts, was euch ...« »Halt's Maul«, unterbrach ihn der Anführer der fünf Kerle. Er war mit einem Schwert bewaffnet, während die anderen Keulen trugen. »Wir wissen daß ihr arme Schlucker seid, bei denen nicht viel zu holen ist. Und wir wissen auch, daß ihr feige Memmen seid und wir nicht zu kämpfen brauchen. Ihr werdet jetzt auf den Karren klettern, und dann begleiten wir euch zu unserem Herrn. Hoffentlich wißt Ihr die Ehre zu schätzen, vor Gorgar euren Blödsinn darzubieten.« Er lachte, und die anderen fielen ein. Bertram, der sich als Meister der kleinen Truppe fühlte, ergab sich als erster in das Unvermeidliche, schritt zum Wagen und kletterte hinauf. »Ich habe ein Messer!« flüsterte Edgar, der Narr, ihm aus dem Dunkel unter der Wagenplane zu. »Sei kein Narr«, wisperte Bertram. »Wir können nichts unternehmen. Es sind wilde Kerle, und wir hätten keine Chance.« »Hast du bisher an das Gerede über diesen Gorgar geglaubt?« fragte Edgar. »Nein«, erwiderte Bertram ebenso leise. »Aber es muß ihn geben. Und er scheint mir ein Kunstliebhaber zu sein.« Edgar kicherte. »Euch wird das Lachen noch vergehen«, rief einer von Gorgars Gesellen. »Ihr werdet nämlich um euer Leben spielen müssen. Los, los!« Er trieb den Gnom mit seiner Keule vor sich her. »Ihr seid wohl närrisch!« rief der Zwerg. »Wir werden für euren verdammten Oberschurken überhaupt nichts darbieten, wenn ihr uns nicht anständig behandelt!« »Hört, hört!« erwiderte Gorgars Räuber spöttisch. »Der Winzling hat fast so 'ne große Klappe wie Kuno.« Lachend packte er den Gnom am Kragen und hob ihn mühelos hoch, um ihn dann von sich zu schleudern.
Der Zwerg überschlug sich in der Luft, rollte sich mit akrobatischem Geschick ab und verlängerte die Rolle mit Purzelbäumen bis zum Wagen. »Eh, der Kleine gefällt mir«, rief einer lachend. »So eine Nummer hab' ich noch nie gesehen.« Bertram streckte dem Gnom die Hand hin und zog ihn auf den Wagen hinauf. »Los, schirrt die Ochsen ein«, befahl der Anführer. »Und holt unsere Pferde. Wir wollen so schnell wie ...« Er verstummte abrupt, und sein Blick irrte in die Runde. Denn urplötzlich preschten Reiter heran. Niemand hatte zuvor Hufschlag gehört, und die Reiter schienen wie aus dem Nichts zu kommen. Es waren Roland und seine Knappen. Sie hatten vom Wäldchen aus das Lager der Gaukler beobachtet, als Gorgars Gesellen sich angeschlichen hatten. Eilig hatten Roland und seine Knappen die Hufe ihrer Pferde mit Lappen umwickelt, und die Tiere bis zwischen die Büsche am Rande des Lagers geführt, um sich nicht durch Hufschlag zu verraten. Jetzt fuhren sie wie Geisterreiter zwischen Gorgars überraschte Gesellen. Der Mann, der auf dem Weg zu den Ochsen war, die am Ufer des kleinen Baches angebunden waren, riß seine Keule hoch. Doch schon rammte ihn Rolands Pferd und warf ihn zu Boden. Roland schwang sein Schwert und galoppierte auf den Anführer zu, während Louis und Pierre von zwei anderen Seiten heranjagten. Der Anführer stieß einen wilden Schrei aus und hielt sein Schwert zum Stoß vorgereckt, dem heranfliegenden Reiter entgegen, um das Pferd zu treffen und sich zur Seite zu schnellen. Doch Roland erkannte die Absicht des Gegners rechtzeitig genug und parierte scharf das Roß, so daß der Stoß ins Leere ging. Im nächsten Augenblick warf sich Roland schon aus dem Sattel. Gewandt rollte er sich ab und war auf den Beinen, als der Anführer mit erhobenem Schwert heranstürmte. Roland fing den Hieb mit dem Schwert ab. Hell klangen die Klingen. Roland konterte. Er trieb Gorgars Gesell quer durch das
erloschene Lagerfeuer. Asche wirbelte auf. Ein wuchtig geführter Schlag ließ den Anführer straucheln. Roland sprang auf ihn zu und duckte sich geistesgegenwärtig. Das Schwert des Gegners wischte über ihn hinweg. Bevor der Feind von neuem ausholen konnte, traf ihn Rolands Schwert. Röchelnd sank der Anführer ins Gras. Roland wirbelte herum, als er eine Bewegung hinter sich wahrnahm. Doch es war Pierre, der gerade einen Keulenschwinger bezwang. Da ertönte vom Wagen her ein wilder Schrei: »Hört auf, oder die Gaukler sterben! Werft die Waffen weg und ergebt euch!« Roland erschrak. Einer von Gorgars Gesellen war zum Wagen gehetzt. Drohend hielt er einen Dolch in der vorgereckten Faust. Louis fluchte. Pierre zügelte sein Pferd. Zwei von Gorgars Männern ergriffen die Flucht. »Bleibt hier, wir haben sie doch ...« rief der Mann mit dem Dolch. Dann stieß er einen gurgelnden Laut aus und sank hintenüber. Edgar hatte ihm aus dem Dunkel des Wagens heraus sein Messer ins Herz gestoßen. Rolands Erstarrung löste sich. »Ihnen nach!« rief er Louis und Pierre zu, die bereits ihre Pferde antrieben. »Sie dürfen nicht entkommen, denn sie könnten Gorgar warnen.« Er lief zum Wagen. Bertram sprang gerade herunter. Die anderen folgten ihm. »Wie kommt Ihr her?« fragte Bertram. »Mit dem Pferd«, erwiderte Roland trocken. Der Narr kicherte. »Euch hat uns der Himmel geschickt. Die Kerle wollten uns entführen.« Roland nickte. »Ich weiß. Wir kamen zu spät, um euch zu warnen und euch zu raten, nur ja keinen Widerstand zu leisten. Gut, daß ihr vernünftig wart. Weniger vernünftig dünkt mir, daß ihr keine Wache hieltet. Man hätte euch im Schlaf bestehlen können. Reist ihr immer so sorglos durch die Lande?« »Bei uns ist nicht viel zu holen«, sagte Bertram mit einem
Schulterzucken. »Was nützen schon Wachen, wenn wir doch nicht die Absicht haben zu kämpfen? Wir sind mal von Wegelagerern überfallen worden. Sie haben uns nichts abgenommen, als wir ihnen etwas vorspielten. " Wir sind eben nicht zu dem Kampf geboren, sondern für die Kunst. Doch sagt, wer seid Ihr?« Roland sagte es ihnen. »Der berühmte Ritter Roland, über den ich eine Ballade verfaßte?« rief Bertram erfreut. »Soll ich sie Euch vortragen?« Roland schüttelte den Kopf. »Jetzt nicht. Wir warten nur, bis meine Knappen zurückkehren. Dann unternehmen wir gemeinsam eine kleine Reise - das heißt, wenn ihr uns diesen Wunsch erfüllt.« »Ihr habt uns gerettet«, sagte Bertram. »Wir sind nicht undankbar. Natürlich erfüllen wir Euren Wunsch. Wir werden zwar morgen in Birkenfeld erwartet, aber dort kann man ruhig noch etwas länger warten. Um so gespannter ist dann das Publikum, um so größer der Applaus.« »Wohin soll's denn gehen?« fragte der Narr und kratzte sich an der Kappe. »Zu Gorgar«, antwortete Roland. Die Augen der Gaukler wurden groß. Der Gnom starrte offenen Mundes zu Roland hoch. Roland erklärte seinen Plan, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. »Heißa, das wird ein Spaß«, sagte der Narr. Der Zwerg schlug einen Purzelbaum. Auch Bertram und die anderen waren begeistert. An die Gefahr dachte offenbar niemand. Roland erklärte ihnen, auf welches Wagnis sie sich da einlassen wollten und schlug vor, daß die Gaukler ihm und den Knappen nur den Wagen, Kostüme und Instrumente ausliehen, selbst aber nicht an dem Unternehmen teilnahmen. »Das geht nicht«, sagte Bertram. »Wir sind zu bekannt. Und der weiß, daß Balduin -«, er wies auf den Zwerg hinab, »- immer bei mir ist. Und in den könnt Ihr Euch nicht verkleiden.« »Ich bin eben einmalig«, rief der Kleine und legte einen Salto hin, daß Roland staunen mußte.
»Außerdem sind wir nicht feige«, sagte der Narr. »Und solch eine Posse würde mich königlich amüsieren.« »Ja, nehmt unsere Hilfe an«, drängte Bertram. »Wir werden Gorgar aufspielen, und er wird von unserem Können begeistert sein, uns mit Freude aufnehmen und uns kein Härchen krümmen. Dann könnt Ihr in Ruhe alles auskundschaften. Hei, welch amüsantes Spiel, wenn ich Gorgar die Ballade vom Ritter Roland vorspiele, während Ihr verkleidet dabei seid und ihn Euch anschließend schnappt.« Roland lächelte. Bertram und die anderen kannten ja nicht alle Zusammenhänge. »Besser singt ihr nichts von mir«, sagte er. »Es würde ihn nur unnötig reizen. Er kann mich nämlich genausowenig leiden wie ich ihn.« * Es mochte gegen Mitternacht sein, als Volker das Klopfen an der Kerkertür hörte. Er war eingenickt und schreckte auf. Eilig erhob er sich und schlich zur Tür. Wer mochte der Besucher sein? Die schwere Tür wurde nur einen kleinen Spalt geöffnet. »Du bist von Gorgar geschickt?« fragte eine Männerstimme gedämpft. »Waren meine Worte nicht deutlich genug?« erwiderte Volker. »Ich wollte nur ganz sichergehen«, klang es leise aus dem Dunkel. »Denn bisher hat Gorgar niemals dich geschickt. Du hast dich zu spät zu erkennen gegeben. Wie kamst du nur auf die Idee, dich als Bote Rolands auszugeben? Du hättest doch am Tor nach mir verlangen können, anstatt dieses gewagte Spiel zu treiben! Und dann hast du auch noch irgendeinen Fehler begangen, so daß Lambert dich durchschaute!« Der Tonfall war ärgerlich und verriet zugleich Mißtrauen. Deshalb war der Verräter also gekommen! Er fand das Verhalten von
»Gorgars Mann« sonderbar. Gorgar kannte ja den Verräter. Folglich mußte der sich über die Umständlichkeit des Boten wundern. Aber es war Volker nichts anderes übriggeblieben. Hätte er gefragt: »Hallihallo, wer ist der Verräter, hätte sich wohl kaum jemand gemeldet. »Es war Gorgars Befehl«, sagte Volker in ruhigem, selbstsicherem Tonfall. »Ich sollte mich als Bote Rolands ausgeben, um mir erstmal Zutritt in die Burg zu verschaffen. Dann sollte ich dir in günstiger Situation die Botschaft zustecken.« »Seltsam«, murmelte der Verräter. »Weiß Gorgar denn nicht, daß zwischen Lambert und Roland Todfeindschaft herrscht, nachdem Lambert in der Mühle laut Plan erfahren hat, daß angeblich Roland der Vater seines Sohnes ist?« Volkers Gedanken jagten sich. Der Verräter war gerissener als er, Volker, und Lambert angenommen hatten. »Nein, Gorgar weiß nichts davon«, sagte Volker gespielt überrascht. »Ich hatte auch keine Ahnung. Keiner ist von der Mühle zurückgekehrt, um Gorgar zu berichten, was wirklich dort vorgefallen ist. Sag, woher weißt du es?« »Ich habe mich beim Müller erkundigt«, erwiderte der Verräter. »Ganz harmlos, versteht sich, so daß er keinen Verdacht schöpfte. Der Müller war recht gesprächig. Er hat gehört, daß Lambert und Roland in Feindschaft schieden und sich duellieren wollen ...« »Deshalb hat mich Lambert gleich durchschaut, als ich ihm Grüße und ein paar Belanglosigkeiten von Roland ausrichtete«, murmelte Volker und schlug sich gegen die Stirn. »Ja«, sagte der Verräter, »jetzt verstehe ich das auch.« Sein Mißtrauen war anscheinend verschwunden. Er legte eine Pause ein und fragte dann: »Wie lautet Gorgars Befehl genau?« »Lambert muß sterben. Noch heute nacht. Gorgar hat entschieden, daß Lambert den Giftbecher bekommen soll.« »Aber ...« Es klang betroffen. »Kein Aber«, sagte Volker in verschwörerischem Tonfall. »Du weißt, daß dir keine Wahl bleibt. Also spute dich, sonst könnte Gorgar auf die Idee kommen, auf deine Dienste zu verzichten und
Lambert die Augen zu öffnen, daß du der Vater seines Sohnes bist.« »Ja, er hat mich in der Hand«, murmelte der Verräter. »Manchmal verfluche ich den Tag, an dem Gorgars Spitzel alles über meine Spielschulden und die Affäre mit Eleonore herausfanden. Nun, er zahlt nicht schlecht für meine Informationen, also will ich mich nicht beklagen. Aber ich verstehe nicht, weshalb ich Lambert jetzt töten soll. Das hätte ich doch schon längst erledigen können. Doch Gorgar hatte andere Pläne. Weshalb dieser plötzliche Gesinnungswandel?« Volker spürte, daß der Verräter wiederum mißtrauisch geworden war. Jetzt durfte er kein falsches Wort sagen! Jede Einzelheit hatte er mit Roland besprochen, sich Punkt für Punkt eingeprägt, was Gorgars Räuber gestanden und was Roland noch zusätzlich erzählt hatte. Bis ins Detail war er vorbereitet, ja er wußte sogar, daß der Verräter mit »du« angeredet wurde und daß es tatsächlich einen Elmar in Gorgars Horde gab. Doch jetzt mußte er improvisieren. »Gorgar hat eine andere List ersonnen, nachdem Lamberts Entführung nicht klappte«, sagte er, während er sich flugs eine Geschichte ausdachte. »Er will nach Lamberts Tod mit seinen Mannen nach Falkenstein reiten. In kleinen Gruppen und einzeln werden sie sich einschleichen und sich als trauernde Bekannte und Verwandte ausgeben. Dann will Gorgar die Burg von innen heraus einnehmen. Das hält er für besser als einen weiteren Entführungsversuch. Lambert ist gewarnt und wird nicht mehr allein in eine Falle reiten. Und für einen offenen Angriff fehlt es Gorgar an Ausrüstung und Leuten. Deshalb die neue List.« »Nicht schlecht«, murmelte der Verräter. »Ja, das läßt sich arrangieren. Ich selbst werde Gorgar zu gegebener Zeit das Tor öffnen lassen, denn Eleonore wird mir nach Lamberts Tod alle Verantwortung übertragen, so daß ich schalten und walten kann, wie ich will.« »Weiß sie eigentlich, daß du für Gorgar ...?« Volker bereute seine Worte, schon bevor er sie ganz ausgesprochen hatte. Wenn Gorgar und seine Horde über diesen Punkt im Bilde sein mußten, dann
konnte die Frage das Mißtrauen des Verräters wecken. Doch das Gegenteil war der Fall. Der Mann lachte leise. »Sie hat keine Ahnung, daß ich für Gorgar arbeite. Wenn sie es erfährt, ist es wohl mit ihrer Liebe aus. Damit ist es ohnehin vorbei. Sie bereut es, daß sie damals schwach wurde und sich meinem Werben ergab, weil Lambert sie wochenlang vernachlässigte. Ja, sie wird mich verabscheuen und hassen, wenn sie die Wahrheit erfährt. Aber das ist mir dann egal. Wenn wir die Burg übernommen haben, kann ich mir andere gefälligere Frauenzimmer halten.« Verkommener Lump, dachte Volker, aber er lachte wie zustimmend. Einen Augenblick lang war er versucht, dem Kerl die Tür an den Schädel zu rammen und ihn zu überwältigen. Doch zweierlei sprach dagegen: Er, Volker, war waffenlos, und der andere mochte bewaffnet sein, auf den Schutz, den Lambert ihm zugesagt hatte, mochte sich Volker nicht verlassen. Und selbst wenn es ihm gelang, den Verräter zu überrumpeln, konnte der immer noch alles ableugnen und als Hirngespinst des Gefangenen abtun. Nein, es war besser, den mit Lambert besprochenen Plan einzuhalten. Lambert war kein dummer Junge. Er würde auf der Hut sein. Auch der Giftbecher war einkalkuliert worden, genauso wie ein Meuchelmord. Lambert würde die ganze Nacht über wachen, sich in seinem Zimmer aufhalten und auf den Verräter warten. »Also, dann sei es«, sagte der Verräter leise. »Willst du mich nicht rauslassen?« fragte Volker. »Hier ist es nicht gerade bequem.« »Ein, zwei Stunden wirst du es noch aushalten«, sagte der Verräter. »Ich habe zwar dafür gesorgt, daß es hier keine Wachen gibt, aber man könnte mich doch durch Zufall auf dem Weg hierher gesehen haben. In der allgemeinen Aufregung nach Lamberts Tod werde ich dich freilassen, und du kannst verschwinden und Gorgar melden, daß alles erledigt ist.« Er stieß die Tür zu und drehte den Schlüssel herum. Seine Schritte entfernten sich. Volker setzte sich wieder. Er ließ sich noch einmal alles durch den
Kopf gehen. Doch es waren noch keine zwei Minuten vergangen, als sich der Schlüssel wiederum im Schloß drehte, die Tür aufgezogen wurde und eine Stimme flüsterte: »Ihr könnt herauskommen. Er ist weg.« Volker erhob sich ohne Hast. Es mußte der Mann sein, den Lambert ihm zum Schutz geschickt hatte, denn es war immerhin möglich, daß der Verräter auf die Idee kam, den Gefangenen für immer zum Schweigen zu bringen, aus Furcht, er könnte sein Wissen ausplaudern. Es war ein junger Pferdeknecht. Lambert hatte ihn als Findelkind aufgenommen und hielt ihn für absolut treu und vertrauenswürdig. Er hatte ihn in groben Zügen eingeweiht und ihm den Auftrag gegeben, den Kerker aus einer dunklen Nische heraus zu beobachten und einzugreifen, sollte dem Gefangenen Gefahr drohen. »Ich habe fast alles belauscht und kann es bezeugen«, sagte der Bursche und schob seinen Dolch unters Wams. »Im Dunkeln konnte ich nicht sehen, wer es war, aber ich glaube die Stimme wiedererkannt zu haben. Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.« »Wir werden es bald genau wissen«, sagte Volker. * Louis zügelte sein Pferd und saß ab. Roland trat zu ihm. »Wo ist Ritter Roland?« fragte Louis. »Hier«, erwiderte Roland. Louis blickte verblüfft. Im Dunkeln hätte ich Euch glatt für einen Gaukler gehalten.« Roland lachte. »Die Verkleidung erfüllt also ihren Zweck. Habt ihr die beiden erwischt?« »Einer ist entkommen. Der andere ist tot.« »Er ließ mir keine Wahl«, rief Pierre, der sich ebenfalls vom Roß schwang. »Der hinterlistige Kerl ergab sich nur zum Schein und griff mich dann mit einem Messer an. Aber ich war schneller.«
»Wir haben ihre Pferde mitgebracht«, sagte Louis. »Der Entkommene wird Gorgar nicht rechtzeitig informieren können. Zu Fuß braucht er mehr als zwei Tage bis zu der Schlucht, wenn er überhaupt Lust zu einem so langen Spaziergang hat. Sind die Gaukler einverstanden mit Eurem Plan?« Roland nickte. Dann stellte er die Knappen Bertram und seine Truppe vor, und sie besprachen noch einmal ihren Plan. Sie ahnten nicht, daß sie belauscht wurden. Der Entkommene hatte sich zwischen Büschen versteckt. Die Dunkelheit war sein Verbündeter gewesen. Louis war nahe an ihm vorbeigeritten, hatte ihn jedoch nicht entdeckt. Gorgars Gesell war bis an den Rand des Lagers gekrochen, weil er angenommen hatte, man würde in weitem Umkreis nach ihm suchen und nicht so nahe beim Wagen. Jetzt lauschte er gebannt. Welch raffinierter Plan von Ritter Roland! Ohne Zweifel würde er in der Rolle des Gauklers in die Schlucht hereingelassen werden. Niemand würde Verdacht schöpfen, denn Bertram und seine Gaukler wurden ja erwartet. Gorgar wußte nicht mal, wie viele Begleiter Bertram hatte. »Wir werden erzählen, daß Gorgars Leute uns den Weg erklärt hätten«, sagte Roland gerade. »Aber wie erklären wir das Fehlen der fünf Kerle?« fragte einer der Knappen. »Wir sagen, sie seien hinter einem gewissen Roland her«, erwiderte der Ritter. »Irgendeine glaubwürdige Geschichte wird uns auf dem Weg schon einfallen.« Gorgars Gesell wischte sich die schweißnassen Hände an der Hose ab. Teufel, dachte er, das wird Gorgars Ende sein. Da muß ich mir einen neuen Herrn suchen. Oder? Man müßte Gorgar warnen. Er kann manchmal sehr großzügig sein. Ja, er würde mir viele Dukaten schenken, wenn ich ihm von Ritter Rolands Plan erzählte. Oh, er würde zufrieden mit mir sein. Vielleicht würde er mich sogar wie Wenzel und Kuno zu seinem Berater ernennen ...
Einen Augenblick lang sah Gorgars Gesell die Zukunft in rosigen Farben. Er dachte nicht daran, daß er und seine Kumpane versagt hatten, was ihn unter Umständen das Leben kosten könnte wie Jakob. Er malte sich aus, wie dankbar Gorgar sein würde, dachte an einen Aufstieg in Gorgars Horde und an viele, viele Dukaten. Ja, er mußte Gorgar warnen. Aber wie konnte das gelingen? Sein Blick glitt zu den Pferden, die beim Bach standen und Gras knabberten. Er überlegte nicht lange, sondern zog sich lautlos zurück. Erst im tiefen Schatten der Bäume wagte er es, sich aufzurichten. Auf Zehenspitzen, sorgsam jede Deckung nutzend, schlich er zu den Pferden. Eines der Tiere schnaubte und witterte mit gespitzten Ohren zu ihm hin. Er verharrte und blickte besorgt zum Lager. Niemand schaute herüber. Er schlich weiter. Nur noch ein Dutzend Schritte. Ich schaffe es, dachte er und warf noch einen sichernden Blick zu den Gestalten beim Lagerplatz, die im Mondlicht nur als Silhouetten zu erkennen waren. Dann erschrak er. Ein Mann löste sich von der Gruppe und schritt heran. Was tun? Im ersten Moment war er versucht, alles auf eine Karte zu setzen und zu den Pferden zu hetzen. Doch dann zögerte er. Der Mann, der sich näherte, den Blick zu den Pferden gerichtet, konnte ihn gar nicht übersehen. Er würde sofort Alarm schlagen und dann war alles vorbei. Und mit jeder Sekunde des Zögerns wuchs die Gefahr. Denn jetzt war der Mann, der Kleidung nach einer der Gaukler, schon bis auf zwei Dutzend Schritte heran. Gorgars Gesell begann zu schwitzen. Ruhig Blut bewahren, dachte er. Abwarten, bis er wieder verschwindet. Doch wenn er die Pferde holen will? Dieser Gedanke gefiel ihm gar nicht. Unbehagen erfaßte ihn. Fast unbewußt tastete seine Rechte zum Messer, das er in einer Lederscheide am Gürtel trug. Und ohne langes Überlegen zog er das
Messer. Sofort fühlte er sich sicherer. Der Gaukler hielt direkt auf ihn zu. Er mußte an dem Busch vorbei, hinter dem er kauerte. Noch vier Schritte. Wenn es ihm gelang, den Gaukler lautlos auszuschalten ... Seine Muskeln spannten sich. Er verlagerte sein Gewicht. Ein trockener Ast knackte unter seinem Stiefel. Der Gaukler, es war Bertram, hatte das leise Knacken gar nicht vernommen. Er war in Gedanken und wollte zum Bach, um mit klarem, kühlem Wasser seinen Durst zu stillen. Doch für Gorgars Gesell klang das leise Knacken wie ein Donnerschlag. Er verlor die Nerven, glaubte sich schon entdeckt. So sprang er mit erhobenem Messer auf und stach zu. Bertram wurde starr vor Schreck, als ein Schatten vor ihm auftauchte, wie aus dem Boden gewachsen. Dann traf ihn schon das Messer. Er taumelte zurück und schrie gellend seinen Schmerz hinaus. Alles drehte sich vor seinen Augen, doch er blieb auf den Beinen. Unbewußt krallte sich seine Rechte um den Messergriff, als könnte er so die Ursache des Schmerzes beseitigen. Verschwommen nahm er einen Schatten vor sich wahr. Gorgars Gesell war auf der Flucht, wollte zu den Pferden, doch das erkannte Bertram nicht. Er glaubte an einen erneuten Angriff, und in seiner panischen Angst handelte er, ohne zu denken. Er riß sich das Messer aus der Brust und schleuderte es gegen den Schatten. Er glaubte noch, den Schatten fallen zu sehen, dann stürzte er selbst vornüber, und es wurde stockdunkel um ihn. Als er wieder zu sich kam und sein Blick klarer wurde, erkannte er Roland, der sich gerade über ihn beugte. »Was - ist geschehen?« fragte er mit krächzender Stimme. Roland sagte es ihm. »Der andere ist tot. Aber du hast Glück gehabt. Wir bringen dich nach Birkenfeld zum Feldscher. Aus deinem Auftritt bei Gorgar wird wohl nichts werden.« »Schade«, murmelte Bertram. Dann wurde es wieder dunkel und
still um ihn. * »Ich habe die Amme gefragt. Euer Sohn schläft. Habt Ihr sonst noch irgendeinen Wunsch?« Magnus blickte Ritter Lambert fragend an. »Nein, danke«, sagte Lambert. Er wirkte müde und gedankenverloren. Magnus, wie fast immer mit ernster Miene, verneigte sich, wandte sich um und schritt zur Tür. »Das heißt doch«, rief Lambert. Magnus verharrte und blickte über die Schulter. Lambert hatte seinen gefüllten Weinbecher erhoben. Er setzte ihn jetzt wieder ab und sagte: »Ich kann keinen Schlaf finden, und Probleme drücken auf mein Gemüt. Leiste mir noch ein wenig Gesellschaft. Vielleicht weißt du einen Rat.« »Mit Vergnügen«, sagte Magnus. Er kehrte zurück und setzte sich an den langen Tisch auf einen der schweren Stühle aus Eiche. »Trink mit mir einen Schluck Wein.« Lambert schenkte aus der Karaffe ein. Der rubinrote Rebensaft gluckerte in den Becher. »Gern«, sagte Magnus. Lambert schob seinem Vertrauten den Becher hin. Dann hob er seinen eigenen Becher, der bereits gefüllt vor ihm stand. »Trinken wir auf die Zukunft«, sagte er. Magnus zeigte die Andeutung eines Lächelns. »Auf die Zukunft.« Lambert setzte den Becher an die Lippen und trank in langen Zügen. Dann verzog er das Gesicht. »Hast du selbst den Wein aus dem Ballon abgefüllt?« fragte er. »Natürlich«, erwiderte Magnus. »Das sagte ich doch schon. Der Küchenmeister schlief bereits. Stimmt etwas mit dem Wein nicht? Ich habe doch selbst vorgekostet.« »Das hast du in der Tat«, sagte Lambert. »Aber mich dünkt, der
Wein ist anders im Geschmack als sonst.« Magnus setzte seinen Becher an und trank. »Ich kann keinen Unterschied feststellen«, murmelte er, schüttelte mit erstaunter Miene den Kopf und trank von neuem. »Nun, dann werde ich mich geirrt haben.« Lambert trank seinen Becher leer. In diesem Augenblick verdrehte Magnus die Augen und stieß einen gepreßten Laut aus. Er wurde kreidebleich, und Entsetzen flackerte in seinem Blick. Der Becher entfiel seiner Hand. Lambert sprang auf und ergriff sein Schwert. »Also doch!« schrie er. »Ich wollte es nicht glauben. Du hast es schlau angestellt, indem du kein Gift in die Karaffe getan hast! Als du dir und mir aus der Karaffe einschenktest und als erster trankst. Doch das Gift war schon in dem Becher, den du mir zugedacht und flugs gefüllt hast mit unvergiftetem Wein. Ich habe die Becher vertauscht, als ich dich kurz wegschickte, um die Amme zu fragen, ob mein Sohn schläft. Es ist dir nicht aufgefallen, daß ich den Giftbecher nur etwas auffüllte.« »Nein ...«, schrie Magnus in panischem Entsetzen, preßte die Hände auf den Leib und sank vom Stuhl. Seine Brust hob und senkte sich unter keuchenden Atemzügen. Er versuchte, sich aufzurichten, doch er besaß nicht mehr die Kraft dazu. »Bis zuletzt hatte ich gehofft, es sei kein Gift in dem Becher, du treuloser Verräter!« schrie Lambert. Sein Kopf ruckte herum, als die Tür aufflog und Volker in ihrem Rahmen auftauchte. Volker blieb stehen, als er die Situation erfaßte. Lambert starrte wieder auf Magnus nieder. »Jetzt stirbst du den Tod, den du mir zugedacht hattest!« rief er zornig. »Nein ... Nein!!!« Schaurig verhallten die Schreie. Eine Tür klappte. Schritte näherten sich auf dem Gang. Volker wandte den Kopf. Eleonore eilte aus ihrer Kammer. Ihr langes goldenes Haar flog. Sie war blaß und verstört.
Volker drehte sich zu ihr um und verstellte ihr den Weg, damit sie nicht den Sterbenden sehen konnte. »Was - hat das zu bedeuten?« fragte sie mit bebender Stimme. »Hörte ich Magnus schreien?« Volker wollte zu einer Erklärung ansetzen, doch dann lauschte er auf Lamberts Worte und blickte ins Zimmer. »Willst du noch dein Gewissen erleichtern, deine Missetaten eingestehen und um Vergebung bitten?« schrie Lambert. Magnus bäumte sich auf. Seine Lippen waren blau. Schweiß perlte auf seiner Stirn, die Augen quollen noch weiter hervor. Dennoch war ein verzerrtes, böses Grinsen um seinen Mund. »Dein ... Sohn ...« stieß er hervor. »Mein Sohn? Was ist mit meinem Sohn?« Ein schlimmer Verdacht stieg jäh in Lambert auf. Weshalb redete der Sterbende von seinem Sohn? In Sekundenschnelle rasten Bilder und Szenen an ihm vorbei. Er glaubte Wulfs Worte von neuem zu hören, und der winzige Funke des Zweifels, den er schon erloschen glaubte, loderte zu einer Flamme auf. Volker sah es am Ausdruck von Lamberts Augen, hörte es aus dem Tonfall heraus und überlegte, was er tun könnte. »Mein Gott!« hörte er Eleonore entsetzt flüstern. Er blickte sich zu ihr um. Sie war noch blasser geworden. Sie preßte eine Hand vor die Lippen und sah aus, als würde sie jeden Augenblick ohnmächtig werden. Du mußt verhindern, daß Lambert die Wahrheit erfährt, durchfuhr es Volker. Er ruckte herum. »Lambert...« Doch der Ritter nahm ihn gar nicht wahr. »Sprich!« schrie er mit hochrotem Kopf und setzte Magnus das Schwert an die Kehle. »Was ist mit meinem Sohn? Sollte Ritter Roland doch ...?« »Roland?« Es klang nur noch wie ein Hauch. Mit letzter Kraft schüttelte der Sterbende den Kopf. »Nein ...« Er wollte noch mehr sagen, seine Lippen zitterten, doch er brachte
keinen Laut mehr hervor. Sein Kopf sank zur Seite, und Magnus blieb stumm und starr liegen. Lambert atmete tief ein und aus. Wie erwachend blickte er auf. Erst jetzt schien er Volker richtig wahrzunehmen. Volker hörte hinter sich einen Laut, der wie ein Seufzen klang. Er wandte sich zu Eleonore um und fing sie gerade noch rechtzeitig auf, als sie gegen ihn fiel. Es war zuviel für sie gewesen. Sie war ohnmächtig geworden. »O Gott«, rief Lambert aufgeregt und eilte herbei. »Schnell, bringt sie in ihre Kammer. Ich hole den Arzt.« Er blieb plötzlich stehen, als sei er gegen eine unsichtbare Wand geprallt. »Hat sie - hat sie alles gehört?« Volker nickte. »Ihr werdet bei ihr um Verzeihung bitten müssen.« »Jaja.« Lambert schluckte, dann lief er auf den Gang hinaus. Volker nahm Eleonore auf die Arme und trug sie in das Gemach. Aufgeregt hörte er Lambert nach dem Arzt schreien. Volker blickte auf Eleonore hinab. Sie trug ein langes schwarzes Kleid. Das goldene Haar umrahmte ihr bleiches Gesicht. Volker legte sie sanft auf das Bett. Eleonores Lider flatterten, und dann schlug sie die Augen auf. Sie brauchte einen Augenblick, bis ihr bewußt wurde, was geschehen war. Volker befürchtete, sie würde von neuem ohnmächtig werden, als er den Schock in ihren Augen sah. Er fühlte sich hilflos. »Es ist ja nochmal gutgegangen«i murmelte er mehr zu sich selbst. Eleonore schluckte, und von einem Augenblick zum anderen kehrte etwas Farbe in ihr Gesicht zurück. »Wie - meint Ihr das?« fragte sie fast flüsternd. Sie schaute ihm forschend in die Augen. Volker erwiderte den Blick. »Nun, Euer Gemahl lebt, und Magnus hat nicht mehr...« Er verstummte, als Lambert in der Tür auftauchte. Eleonores Blick sagte Volker mehr als tausend Worte. Sie hatte erkannt, daß er Bescheid wußte. Der Ausdruck ihrer blauen Augen
war eine Mischung aus Scham und Verzweiflung. Und noch mehr las er darin: Eine stumme Bitte, ja fast ein Flehen. Lambert kniete sich neben das Bett und strich zärtlich über Eleonores Haar. »Es ist alles gut. Es ist alles gut.« »Ich - habe alles mit angehört«, sagte Eleonore mit schwacher Stimme. Sie holte tief Luft, und ihre Miene nahm einen stolzen und entschlossenen Ausdruck an. Ihre Augen schimmerten plötzlich feucht, und ihre Stimme zitterte, als sie fortfuhr. »Ich muß gestehen, Lambert...« Sie hat doch nicht vor, ihrem Lambert den Seitensprung einzugestehen? durchfuhr es Volker. Hastig unterbrach er: »Eure Gemahlin hat gehört, daß Magnus im Sterben bezeugt hat, daß nicht Roland der Vater Eures Sohnes ist, wie es ihm mit einer bösen Intrige unterstellt wurde, sondern -«, er blickte in Eleonores Augen, sah den schmerzlichen, beschämten Ausdruck darin und schaute schnell zu Lambert, »- sondern Ihr, Ritter Lambert.« Er zwinkerte Lambert leicht zu, und sein Blick signalisierte dem Ritter: Nun entschuldige dich schon! Lambert verstand. »Wie konnte ich nur so verblendet sein und an Roland zweifeln! Wie schäme ich mich, für einen Augenblick lang mein geliebtes Weib der Untreue verdächtigt zu haben, nur weil ich so durcheinander war!« Er ergriff Eleonores Hand. »Verzeih mir, verzeih mir!« In tiefer Demut senkte er das Haupt. Eleonore blickte über Lamberts Kopf hinweg zu Volker. Es war ein stummer Dank, den sie ihm übermittelte. Sie hatte tatsächlich geglaubt, es bliebe ihr nichts anderes übrig, als den Seitensprung einzugestehen, bevor er die Wahrheit von Volker erfahren würde. Sie hatte gedacht, wenn sie es von sich aus sagte, würde er ihr eher glauben, daß ihr Verhältnis zu Magnus eher platonisch gewesen sei. Diese Lüge hatte Volker ihr erspart. Sie streichelte sanft über Lamberts Haar. »Ja, ich verzeihe dir.« Ein schneller Blick zu Volker, »jeder begeht
mal einen Fehler im Leben. Wir - wir sollten alles vergessen.« »Nie wieder werde ich auf eine Verleumdung hereinfallen und an dir zweifeln«, sagte Lambert mit bewegter Stimme. »Das gelobe ich.« »Und ich gelobe, dir immer eine gute Frau und Lambert eine gute Mutter zu sein.« Gerührt schloß Lambert sie in die Arme. Volker wollte nicht bei der Versöhnung stören und das Gemach verlassen, doch Lambert bemerkte es und löste sich von Eleonore. Er erhob sich und schritt zu Volker. »Bittet in meinem Namen auch Roland um Verzeihung.« Volker nickte lächelnd. »Das Duell findet also nicht statt?« »Natürlich nicht. Wie dumm war ich, in blindem Zorn Freund Roland zum Duell zu fordern! Wie verletzt muß sein Stolz sein, daß ich ihm mißtraute! Wenn er darauf besteht, Genugtuung zu fordern, stehe ich ihm beschämt zur Verfügung.« Volker schüttelte lächelnd den Kopf. »Ritter Roland weiß, daß Ihr nicht ernsthaft an ihm zweifeltet, daß Eure Worte nur im Zorn gesprochen waren. Deshalb hat er mich geschickt. Er mag sich nicht mit Euch duellieren, und er wird Euch nichts nachtragen.« »Sagt ihm, er ist jederzeit willkommen, und er kann immer auf mich rechnen, wenn er eine Heimstatt oder Hilfe braucht. Und dankt ihm.« Volker verneigte sich. »Ich werde es gern ausrichten.« »Und Euch danke ich nochmals«, sagte Lambert. »Ohne Eure Hilfe wäre ich jetzt wohl tot.« »Vergeßt nicht, daß ich den Verräter erst auf die Idee mit dem Giftbecher gebracht habe«, erwiderte Volker mit schelmischem Lächeln. »Allein hätte er wohl nichts unternommen.« »Aber durch Eure List ist er in die Falle getappt«, widersprach Lambert. »Irgendwann hätte ihm Gorgar doch den Befehl gegeben, mich zu töten.« »Ihr werdet auch weiterhin auf der Hut sein müssen, bis Roland
Gorgar das Handwerk gelegt hat. Es könnte sein, daß schon jemand unterwegs ist, um wiederum zu versuchen, Euch zu entführen oder gar zu töten.« »Kein Fremder wird die Burg betreten. Laßt mich wissen, wenn Roland Gorgars Schrecken ein Ende gemacht hat und ich mich wieder sicherer fühlen kann.« Er kratzte sich am Kinn, und seine Miene nahm einen nachdenklichen Ausdruck an. »Halt! Sollte ich nicht viele Reiter losschicken zu Rolands Hilfe?« »Dazu ist es zu spät«, sagte Volker. »Wenn alles nach Plan abgelaufen ist, müßte Roland bereits bei Gorgar sein. Ich bin überzeugt davon, daß ich bald eine neue Ballade verfassen kann. Die Ballade von Gorgar, der einst der Schrecken vom Frankenwald war.« Lambert nickte. »Ich wünsche es. Habt nochmals vielen Dank für alles.« Volker verneigte sich galant vor Eleonore, dann etwas weniger tief vor Lambert. »Lebt wohl.« Als Volker schon an der Tür war, sagte Eleonore leise: »Auch ich danke Euch aus ganzem Herzen.« Und nur Volker und Eleonore wußten, wie die Worte wirklich gemeint waren. * Gorgar kaute schmatzend Ochsenbraten. Er aß überwiegend Ochsenbraten, seltener Fleisch von der Wildsau oder Rehbraten. Er glaubte, Ochsenbraten verleihe ihm mehr Kraft. Konstanze glaubte das auch. Der bärtige Hüne wischte sich die fettigen Pranken im Gras ab, warf die abgenagte Bratenkeule hinter sich und verlangte nach gesäuertem Brot mit gesalzenem Schmalz zu besserem Durst. Waldegunde, die Magd, brachte sie ihm dann. Gorgar kniff ihr lachend ins stramme Hinterteil, und diesmal kicherte Waldegunde etwas gezwungen, denn Gorgar hatte fester zugelangt als sonst.
Gorgar lachte dröhnend. An diesem Abend war er prächtiger Laune. Wenzel und Kuno bemerkten es mit Zufriedenheit. Gorgar leerte den Weinbecher und ließ sich nachschenken. »Eine vortreffliche Darbietung«, sagte er und fuhr sich mit dem behaarten Handrücken über die wulstigen Lippen. »Dieser Bertram und seine Gaukler haben mir richtigen Spaß bereitet.« »Ja, es war eine gute Idee, sie zu verpflichten«, sagte Wenzel grinsend, denn er war es gewesen, der die Idee gehabt hatte, diese Gaukler zu entführen. Kuno ärgerte sich ein wenig, denn er hatte einen anderen Minnesänger vorgeschlagen. »Ich fand es doch ein wenig ungewöhnlich, daß er die Balladen nur vorlas«, sagte er. »Und dann dieser komische Chor! Wie die Wölfe haben die geheult.« Mit diesem Vergleich hatte er nicht einmal so sehr Unrecht. Roland war in Bertrams Rolle geschlüpft. Und weil er damit rechnen mußte, daß irgend jemand aus Gorgars Horde Bertram schon mal irgendwo gehört hatte, war er auf eine besondere Art des Vertrages verfallen. Damit hatte er gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Er selbst hatte Bertrams lange Balladen, die er so schnell nicht auswendig lernen konnte, einfach abgelesen. Der Lyraspieler hatte ihn begleitet, und Pierre und Louis hatten in regelmäßigen Abständen mehr oder weniger melodiös »Uaaaaah« und Dideldum« und Gorgaaaaaar!« dazwischengegrölt, während Balduin nach jeder Strophe wie wild Purzelbäume und lustige Hopser vollführt hatte. Der Pantomime und der Narr waren bei dem verletzten Bertram in Birkenfeld geblieben. Gorgar hatte sich köstlich amüsiert. Besonders eine Ballade hatte es ihm angetan: Eine schreckliche Mär von einem Teufel, dessen sämtliche Schandtaten aufgezählt wurden. Bertrams miesestes Werk, wie Roland fand, aber am geeignetsten, um Gorgar zu beeindrucken. Roland hatte nur den Namen des Bösewichts in Gorgar umgetauft und noch dazu mit ein paar Lobesworten Gorgars Eitelkeit
geschmeichelt. Dazu das schaurige Gebrüll der Knappen und die Hopserei des Gnoms - Gorgar war überwältigt gewesen. »Ach was«, sagte Gorgar zu Kuno, »das ist eine neue Vortragsart. Du hast eben keine Ahnung von der Muse. Bertram und seine Gaukler werden mich bei meiner Hochzeit auf Falkenstein vortrefflich amüsieren.« »Was gedenkt Ihr weiter in puncto Falkenstein zu unternehmen?« fragte Wenzel. »Das fragst du mich, schlauer Berater?« Die schwarzen Augen blickten Wenzel spöttisch über das Feuer hinweg an. »Nun, da ich gut gelaunt bin, will ich es dir verraten: Da mein erster Plan geändert werden mußte, und da meine Reiter immer noch hinter Roland her sind, wie wir ja von Bertram erfahren haben, werde ich derweil zu einer anderen List greifen. Ich werde unserem Freund Magnus eine Botschaft schicken. Er wird Lambert in der Burg töten.« Wenzel und Kuno blickten überrascht. Gorgar trank seinen Weinbecher leer. »Wenn das geschehen ist, wird Magnus das Kommando in der Burg führen. Wir alle besuchen ein kleines Kloster, nehmen den Betbrüdern ihre Gewänder ab und kleiden uns damit ein. Unter unseren Mönchskutten werden wir gepanzert sein und unsere Waffen tragen. Magnus wird uns einlassen. In der Burg machen wir alles nieder, was sich uns in den Weg stellt. Nach diesem listigen Handstreich bin ich der Herr von Burg Falkenstein. So einfach ist das.« »Phantastisch«, schmeichelte Kuno. »Eine hervorragende Idee«, sagte Wenzel. Gorgar nickte selbstzufrieden und zerquetschte einen Käfer im Gras zwischen Daumen und Zeigefinger. »Und von Falkenstein aus werde ich das ganze Land erobern. Denn dann werde ich nicht nur eine schöne sichere Festung haben, sondern auch viele Waffen, Harnische, Pferde und genug Dukaten, um ein ganzes Heer aufzustellen. Alle werden vor Gorgar zittern - vor Gorgar, dem Schrecken aus dem Frankenwald!« Seine Stimme hallte durch die Schlucht.
Kuno überlegte, ob er wie vorhin die Sänger »Uaaaaah!« oder so brüllen sollte, weil das dem Herrn doch so gut gefallen hatte, aber er ließ es dann sein. Bei Gorgar konnte man nie wissen, ob man es ihm recht tat. Er war der unberechenbarste Mann, den Kuno je kennengelernt hatte. Und der gefährlichste. * Roland und seine Knappen blickten zum Lagerfeuer, als Gorgars Stimme bis zu dem Zelt herüber schallte, das man ihnen als Quartier zugewiesen hatte. »Entweder ist er besoffen oder er hat Magendrücken«, mutmaßte Louis. »Kein Wunder bei seiner Völlerei!« »Wenn er platzt, sind wir alle Sorgen los«, sagte Pierre. »Aber ich glaube eher, daß er im Kopf nicht ganz richtig ist.« Er blickte Roland an. »Meint Ihr, wir sollten ihn in dieser Nacht...?« Roland winkte ab. »Nachdem ihm unsere Schau so gut gefallen hat, können wir noch abwarten, uns genauer umsehen und alles besser vorbereiten.« »Ich würde am liebsten alles auf der Stelle erledigen«, murmelte Louis wie im Selbstgespräch. »Der Gedanke, daß wir noch einmal diesen Blödsinn veranstalten müssen, womöglich noch bei Tages licht, gefällt mir gar nicht. Ich hatte schon Mühe genug, ernst zu bleiben.« Pierre blickte Roland fragend an. »Geht es nicht eher, Roland? Wir wissen doch schon, wann die Wachen abgelöst werden, wo alle Pferde sind, wo Gorgar schläft.« »Wir wissen auch, daß Gorgar zumindest einen Gefangenen hält«, erwiderte Roland. »Er sprach von einem Dichter. Ich möchte erst noch Erkundigungen anstellen. Wenn es Gefangene gibt, werden wir sie befreien.« Louis kraulte sich am Bart. »Ob diese schöne Konstanze, die unsere Schau gesehen hat, auch eine Gefangene war?« Seine Augen funkelten unternehmungslustig.
Roland lachte. »Ich glaube nicht. Sie schien sich äußerst wohl zu fühlen, und Gorgar ging mit ihr um, als sei sie seine Braut. Außerdem solltest du lieber an Eugen denken.« Louis grinste. Ernster fuhr Roland fort: »Wir werden auch das herausfinden. Wir haben jedenfalls Zeit. Niemand hat Verdacht geschöpft, nicht mal der Wagen wurde nach Waffen durchsucht. Und Gorgar wartet auf die Rückkehr seiner Reiter, die angeblich hinter Roland und seinen Knappen her sind. Wir können also zumindest bis zur nächsten Nacht warten.« Er erhob sich. »Wo wollt Ihr hin?« fragte Pierre. »Ich sehe mich mal ein bißchen um«, erwiderte Roland. »Mit Gorgars Erlaubnis sammele ich Stoff für eine neue Ballade.« Louis und Pierre lachten leise, als Roland davonschritt. Roland ging gemessen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Kopf gesenkt, wie in tiefem Grübeln versunken. Plötzlich trat eine Gestalt aus dem Dunkel eines Zeltes. »Bertram«, flüsterte eine Stimme. Roland blickte auf. Es war Konstanze in langem blutrotem Gewand, das ihre üppigen Formen umfloß. Sie winkte und huschte in den Schatten der Zeltwand zurück. Was hat das zu bedeuten? dachte Roland. Er verharrte und blickte zum Lagerfeuer. Gorgar schaute nicht herüber. Er plauderte mit den beiden Männern, die er als seine Berater bezeichnet hatte. Roland folgte dem Wink der schönen Frau. Vielleicht ist sie doch eine Gefangene, dachte er. »Endlich«, wisperte sie. Und dann lag sie auch schon an seiner Brust und preßte heiße Lippen auf seinen Mund. Rolands Puls beschleunigte sich. Er spürte die Glut ihres Körpers, und der leidenschaftliche Kuß nahm ihm den Atem. »Komm«, flüsterte sie dann leise, ergriff seine Hand und zog ihn mit sich.
Benommen folgte er ihr. Sie huschte voran um die Zeltwand, und gleich darauf befanden sie sich in dem dunklen Zelt. »Hier sind wir ungestört«, wisperte Konstanze. »Und Gorgar?« fragte Roland ebenfalls im Flüsterton. »Ach, der glaubt, ich sei bei dem Dichter, um mir seine neuen Verse anzuhören. Er kommt erst in einer Stunde zu mir, wenn er sich genug gestärkt hat.« Sie lachte dunkel. »Bist du seine Gefangene?« fragte Roland. »Gefangene?« Das klang verwundert. »Nein, ich bin die Herrin hier.« Sie sagte es voller Stolz. Stoff raschelte, und im nächsten Augenblick drängte sich Konstanze an ihn. Roland verschlug es den Atem. Sie war nackt. »Es soll wie damals in Frankenforst sein«, flüsterte sie, und er spürte, wie sich ihr Busen an seiner Brust unter einem zitternden Atemzug hob und senkte. »Nie vergesse ich, wie du mich in der dunklen Kammer von hinten überraschtest. Wie du mir die Augen im Scherze zuhieltest und mir Liebesworte ins Ohr flüstertest. Oh ... nie werde ich die Wonnen vergessen, die du mir in jener Nacht gewährtest...« Schon spürte er wieder ihre Lippen auf seinem Mund, und ihr Kuß war heiß und verlangend. Dieser Bertram, der zur Zeit verletzt in Birkenfeld weilte, wußte offenbar nicht nur über Minne zu singen, sondern er mußte sie auch selbst stürmisch praktizieren! Diesen Gedanken konnte Roland noch fassen, doch dann gab er sich ganz dem Genuß des Augenblicks hin. Schweratmend löste sich Konstanze schließlich von ihm. »Ihr - küßt so anders als sonst«, flüsterte sie. Roland war noch zu sehr berauscht vom Kuß, um die plötzlich andere Anrede zu bemerken. »Wie - meint Ihr das?« murmelte er. Sie bog sich etwas zurück, und unbewußt streckte er die Hände aus. Er spürte ihre weiche, warme Haut, als er Konstanze sanft an
sich zog. Sie lachte dunkel. »Nun - irgendwie zurückhaltender als sonst.« Das wollte Roland nicht auf sich sitzen lassen. Er zog sie in seine Arme und küßte sie so glutvoll, daß Konstanze vor Leidenschaft erbebte. »Ich muß mich wohl geirrt haben«, flüsterte sie, als sie sich nach einer Ewigkeit, wie es schien, heftig atmend voneinander trennten. Rolands Herz pochte wild, und Erregung durchpulste ihn. Doch eine innere Stimme mahnte ihn zur Vorsicht. Sie wußte von Gorgars Schandtaten und teilte mit ihm das Lager! Und sie bezeichnete sich als Herrin in diesem Räuberlager! Ich muß die Rolle als Bertram weiterspielen, dachte Roland. Sie darf keinen Verdacht schöpfen! »Laß es wie damals sein«, hauchte sie und nestelte mit kundiger Hand an seiner Hose. Die Berührung weckte ein prickelndes Gefühl in seinen Lenden. »Ja, wie damals«, hörte er sich sagen. Und er überlegte, wie stürmisch Bertram damals gewesen sein mochte. Nun, Konstanzes Erwartungen mußte er erfüllen, wollte er nicht sein Leben und das der anderen aufs Spiel setzen. Übertreiben kann nicht schaden, dachte er. Sie wird glauben, das unverhoffte Wiedersehen hätte meine Leidenschaft für sie gesteigert. Nur zu zurückhaltend darf ich nicht sein, denn das hat sie schon vorhin befremdet. »Oh, ich kann mir denken, daß Ihr schon viele Geliebte hattet - seit Frankenbruck«, flüsterte Konstanze. »Nun, wenn man so durch die Lande reist«, sagte Roland in seiner Rolle als Bertram, dem er inzwischen genau diese Äußerung zutraute. Sie zog sich sofort zurück. Schnell fügte er hinzu: »Aber du bist mir unvergessen geblieben.« Er sah sie nicht im dunklen Zelt, hörte nur ihren Atem, aber er hatte das Gefühl, als wartete sie auf etwas. Er hörte das Rascheln von Stoff. Offenbar legte sie sich auf das Lager. Flugs wollte sich Roland entkleiden. Das Wams, der erste Stiefel...
Da schlug plötzlich die Eingangsplane des Zeltes zur Seite. Roland ruckte herum. Gorgar stand vor ihm. Er hielt einen knüppeldicken, brennenden Ast in der Faust. Die Flamme loderte im Luftzug. Der Schein geisterte über sein wildes, verzerrtes Gesicht und spiegelte sich in seinen weit aufgerissenen schwarzen Augen. Und bevor Roland sich von der Überraschung erholt hatte, schrie hinter ihm Konstanze mit gellender Stimme: »Er ist nicht Bertram! Tötet ihn!« * Louis und Pierre sprangen auf. Sie hatten den Schrei drei Zelte weiter vernommen. Sie wußten nicht, was geschehen war, sie wußten nur, daß Roland Gefahr drohte. Sie hetzten aus dem Zelt zum Wagen, der daneben stand und auf dem sie ihre Schwerter wußten. Sie hatten sie erst in der Nacht ins Zelt holen wollen, denn bisher waren sie noch kaum unbeobachtet gewesen. Unterdessen stand Roland Gorgar gegenüber. Irgendwas muß Bertram anders gemacht haben! durchzuckte es Roland. Oder Konstanze hat von Anfang an Verdacht geschöpft und wollte nur Gewißheit haben. Oder sie hat mich bewußt in diese Falle gelockt. In Wahrheit war es anders gewesen. Konstanze hatte Bertram nur im Dunkeln kennengelernt. Auch die Stimme hatte sie kaum in Erinnerung, denn außer ein paar zärtlich geflüsterten Worten hatte Bertram nicht viel geredet in jener Nacht. Am Morgen, als sie erwacht war, war er bereits verschwunden gewesen. Doch sie wußte vom Wirt der Herberge, daß es Bertram, der Minnesänger gewesen war, der sich nach ihrer Kammer erkundigt hatte, und der neugierige Wirt hatte auch beobachtet, wie Bertram die Kammer wieder verlassen hatte. Nun, Konstanze war eine sehr erfahrene Frau mit sensiblem Gespür. Ihr weiblicher Instinkt hatte ihr gesagt, daß
Roland anders war als Bertram, galanter, irgendwie ritterlicher, und als erst einmal Zweifel in ihr gewesen waren, war sie weiter gegangen. Geschickt hatte sie die Anrede und den Ort Frankenforst in Frankenbruck geändert. Roland, zu verwirrt von der überraschenden Entwicklung der Dinge, hatte es nicht bemerkt. Der Ort Frankenforst war ihm ebensowenig ein Begriff wie Frankenbruck, und zwischen beiden Namen hatte Konstanze ihn mit ihren leidenschaftlichen Küssen abgelenkt. Gorgars Auftauchen war also nicht geplant gewesen. Konstanze, die sich jetzt Gewißheit verschafft hatte, hatte ihn unter einem Vorwand einen Augenblick warten lassen und inzwischen Gorgar alarmieren wollen. Doch Gorgar, gekräftigt mit Ochsenbraten, Schmalzbroten und Wein, dazu in beschwingter Laune, hatte an diesem Abend eher das Bedürfnis nach Entspannung verspürt als sonst an jedem Abend. Er hatte Konstanze gesucht und schließlich gefunden. Doch das alles wußte Roland in diesem Augenblick nicht. Er ahnte nur, daß sein Spiel aus war. Waffenlos stand er Gorgar gegenüber. Und Roland handelte tollkühn. Er schleuderte den Stiefel, den er immer noch in der Hand hielt, mitten in Gorgars verzerrtes Gesicht, warf sich herum und hechtete aus dem Zelt. Im Vorbeifliegen sah er noch, daß Konstanze nicht mehr nackt war, sondern ihr Gewand übergestreift hatte. Das war also das Rascheln vorhin gewesen! Gorgar schleuderte wütend den brennenden Ast hinter ihm her. Beinahe hätte er Konstanze getroffen. Roland rollte sich ab und sprang auf. Er gewann wertvolle Sekunden, denn Gorgar und Konstanze stritten noch miteinander. »Ich habe Verdacht geschöpft, weil seine Stimme so anders klang«, sagte Konstanze. »Stimme!« brüllte Gorgar. »Hat er die vielleicht in der Hose? Darüber reden wir noch. Aber erst wird er sterben!« Er stürmte aus dem Zelt, und seine Stimme hallte durch die
Schlucht. »Verrat! Ein Verräter hat sich eingeschlichen!« Wenzel und Kuno sprangen beim Feuer auf. In diesem Augenblick warf Louis Roland bereits sein Schwert zu. »Schnell!« sagte Roland atemlos. »Unser Plan wie für den Notfall besprochen.« Dann rannte er weiter. Noch sollte Gorgar glauben, es handele sich nur um einen Feind in der Schlucht. »Ich will ihn selber vor dem Schwert haben!« rief Gorgar Wenzel und Kuno zu, als sie zu den Waffen griffen. Und grimmig dachte er bei sich: Er wird mir noch unter Folter gestehen, was Konstanze wirklich getrieben hat... Roland hörte den Ruf und frohlockte. Gorgar wollte einen Zweikampf. Er brauchte also nicht mit unzähligen Gegnern zu rechnen. Vorerst jedenfalls nicht. Männer stürzten aus verschiedenen Zelten. Aufgeregte Rufe wurden laut. Roland wollte von seinen Knappen ablenken und ihnen Zeit verschaffen. So hetzte er nach Norden durch die Schlucht, zum Feuer hin. Dann entdeckten sie ihn zwischen Zelten. Sofort begann die Jagd auf ihn. »Hab ich dich, du feiger Lump!« brüllte Gorgar und stampfte los. Jenseits des Feuers stellte sich Roland zum Kampf. Er parierte Gorgars wütende Attacke. Funken stieben auf, als die Schwerter aufeinanderprallten. Gorgar schlug eine wilde Klinge, und er war für seine Statur und trotz des üppigen Mahles erstaunlich schnell und beweglich. Er trieb Roland fast bis ins Feuer hinein. Roland erkannte, daß Gorgar einer der stärksten Gegner war, mit denen er sich je gemessen hatte. Vehement und geschickt griff Gorgar an. Trotz seines Zorns behielt er die Übersicht und gab sich keine Blöße. Gorgars Gesellen verfolgten den erbitterten Kampf. Und keiner von ihnen bezweifelte, daß Ihr Herr den Gegner, der sich als Bertram eingeschlichen hatte, vernichtend schlagen würde.
Sie ahnten nicht, daß Gorgars Gegner Roland war, der Ritter mit dem Löwenherzen. Doch in diesem Augenblick hatte Roland alle Mühe, Gorgars kraftvollen Hiebe zu parieren. Immer weiter trieb Gorgar Roland zurück, und dabei stieß er zornige Schreie aus, beschimpfte Roland mit unflätigen Worten und malte ihm aus, was er alles mit ihm anstellen werde. Roland sparte seinen Atem und wartete konzentriert darauf, daß der siegessichere Gorgar sich eine Blöße gab. »Lauft weg, Konstanze!« rief Wenzel, als er sah, daß Konstanze gefährlich nahe bei Roland das Geschehen beobachtete. »Der Feigling könnte Euch als Schild nehmen!« Konstanze erschrak, raffte ihr Gewand und lief über den Steg ins Purpurzelt. Roland konterte, doch dann fiel er auf eine Finte herein. Er konnte gerade noch Gorgars zustoßendem Schwert ausweichen. Er prallte gegen den Pfosten des Stegs. Gorgar setzte nach. »Seht alle her, was ich mit diesem Wurm mache!« brüllte er. Und diesmal setzte er seine Prahlerei sogar in die Tat um. Urplötzlich riß er die mit Roland gekreuzte Klinge zurück und hieb aus der Drehung heraus zu. Ein glühendheißer Schmerz stach durch Rolands Hand bis zur Schulter hinauf. Das Schwert entglitt ihm. Er hörte die Zuschauer aufschreien. Es war Beifall, Bewunderung für Gorgar, und so verstand Gorgar es auch. Es war auch an der Zeit, dachte er, daß ich allen mal wieder meine Kampfkraft vor Augen führe. Der Beifall schmeichelte ihm. Ja, er genoß das Gefühl der Macht, der Überlegenheit. Auch Konstanze sollte mal wieder erleben, wie unbesiegbar er mit dem Schwerte war. Gerade sie, bei der er immer wie Wachs wurde. Ihm fiel ein, daß er den falschen Bertram noch verhören wollte, bevor er ihn tötete. Aber jetzt, vor all den Zuschauern? Der Hundsfott konnte etwas ausplaudern, was unter Umständen blamabel für ihn, Gorgar war. Ich könnte ihn jetzt verschonen und gefangennehmen und ihn dann
unter vier Augen befragen, dachte er in diesen zwei, drei Sekunden, in denen Roland sein Schwert verlor und um die Balance kämpfte. Dann hörte Gorgar den Huf schlag und wilde Schreie hinter sich. Es war, als donnerten sämtliche Pferde von Gorgars Horde durch das Lager nach Norden aufs Purpurzelt zu. Und so war es beinahe auch. Louis und Pierre hatten die Mehrzahl der Pferde in Panik versetzt. Während Pierre, Balduin und der Lyraspieler bei den restlichen Pferden warteten, hing Pierre zwischen zwei Rössern und galoppierte im Pulk der Tiere mit. Und gleichzeitig brüllten Pierre und die beiden anderen aus Leibeskräften, als sei eine ganze Horde Angreifer in die Schlucht eingefallen. Gorgar wandte nicht einmal den Kopf. Schlagartig wurde ihm klar, daß der falsche Bertram nicht allein sein konnte. Und sofort erkannte er, daß keine Zeit für Tändelei blieb. Er mußte den Gegner töten. Jetzt. Es waren kaum vier Sekunden vergangen, seit Roland das Schwert entglitten war, seit der Aufschrei der Zuschauer vom Donnern der heranjagenden Pferde und dem Geschrei von Pierre und den anderen abgelöst worden war. Immer hoch verspürte Roland die Schmerzen in der Hand, wo ihn Gorgars Schwertklinge gestreift hatte, und immer noch kämpfte er um sein Gleichgewicht. Roland sah das Schwert auf sich zurasen und schnellte sich zur Seite. Die Schwertspitze ratschte noch an seiner Schulter vorbei, doch Gorgar stürmte ins Leere. Der Hüne war zu sehr in Schwung, um noch anhalten zu können. Er stieß mit der Stiefelspitze gegen die hölzerne Umgrenzung des Grabens und stürzte vornüber. Roland landete halb auf dem Steg, als er Gorgars markerschütternden Schrei hörte. Kopfüber stürzte Gorgar in den Graben. Er hielt sein Schwert noch in der Rechten. Entweder zerschnitt die Klinge das Netz, das den Graben überspannte, oder die Maschen hielten Gorgars schwerem
Gewicht nicht stand. Das Netz zerriß und Gorgars Schreie erinnerten Roland an das Röhren des Drachen Fasolt, als der endlich zusammengebrochen war. Roland sah die herandonnernden Pferde und wußte, daß ihm nur noch Sekunden blieben. Wie eine lebende, unglaublich schnelle Lawine raste der Pferdepulk heran, und die erschreckten Tiere trampelten nieder, was ihnen unter die Hufe kam. Ein Pferd galoppierte in ein Zelt hinein, stürzte und wälzte sich, um freizukommen. Ein anderes Roß war anscheinend durch einen Zelteingang galoppiert und hinten wieder hinaus, denn es trug noch eine Plane auf dem Rücken. Ein Zelt brannte. Es war das Zelt, in dem Konstanze herausgefunden hatte, daß Roland nicht Bertram war. Konstanze hatte den brennenden Ast zu flüchtig ausgetreten, bevor sie hinausgerannt war. Schreie gellten durch das Donnern der Hufe. Gorgars Schreie waren verstummt. Und er war auch nicht mehr aus dem Graben aufgetaucht. Doch all das nahm Roland in Sekundenschnelle nur wie durch einen Wirbel aus Farben und Geräuschen wahr. Er hechtete auf sein Schwert zu. Das rettete ihm wohl das Leben. Denn in diesem Augenblick klappte der Steg zur Seite. Konstanze, die das Geschehen durch eine Klappe im Purpurzelt mit heftig klopfendem Herzen beobachtet hatte und wußte, was Gorgars schreckliche Schreie zu bedeuten hatten, war zum Hebel geeilt und hatte ihn betätigt. Der Mann, der Gorgar getötet hatte, sollte ebenfalls in der Schlangengrube sterben. Roland ergriff das Schwert, und beinahe hätte er es vor Schreck wieder fallen gelassen. Denn er sah die Schlangen in dem Graben, und glaubte zwischen ihnen Gorgars Gestalt auszumachen. Er war wie betäubt vor Entsetzen, denn von der Schlangengrube hatte er nichts gewußt. Davon hatte Gorgars Gesell, von dem Roland nach dem Kampf in der Schenke so viel erfahren hatte, nichts erwähnt. Schon hörte Roland das Rasseln und Zischen, und die ersten Schlangen krochen aus dem Graben, wandten sich über den
hochgeklappten Steg, glitten zum Purpurzelt ... Roland warf sich weiter vom Steg fort, rollte sich über die Schulter ab und sprang auf. Die Pferde donnerten heran. Wenzel, Kuno und andere von Gorgars Gesellen waren noch zu benommen von der unerwarteten Wende und hatte nur den einen Gedanken, sich in Sicherheit zu bringen. Denn die ersten Pferde wa ren nur noch ein paar Längen vom Feuer entfernt. Roland sah, wie der Pulk, seinem Instinkt folgend, zur Seite abschwenkte. Kein Roß der Welt mag Feuer. Pferde mögen auch keine Giftschlangen, doch die hatten sie noch nicht gewittert. Noch schreckte sie der Flammenschein mehr. Roland hetzte bereits zur Seite, auf das Feuer zu, floh vor den alles vernichtenden Hufen des Pferdepulks. Er schaffte es rechtzeitig genug. Dann war die lebende Lawine heran. Die Tiere preschten in vollem Galopp auf das Purpurzelt zu. Einige brachen zur Seite aus, andere jagten in ihrer Panik einfach geradeaus weiter. Ein Tier prallte gegen einen Stegpfosten und stürzte mit schrillem Wiehern. Wild keilten die Hufe aus. Eine Schlange kroch über das graue Fell. Ein zweites Tier stürzte mit den Vorderhufen in den Graben und verendete. Ein drittes Roß nahm den Graben im Sprung und krachte in das Purpurzelt, bevor es zurück in den Graben fiel. Es starb ebenso am Schlangenbiß wie Konstanze im Zelt, deren Eingang aufgerissen war, so daß die Giftschlangen, die sich bereits über die Plane schlängelten, hineingleiten konnten. Ihr gellender Schrei ging im allgemeinem Chaos unter. Roland sah, wie die Mehrzahl der Pferde links und rechts vom Purpurzelt abdrehte und bis zu den Felswänden lief, um nach Süden von neuem durch die Schlucht zu donnern. Er rannte hinter einem versprengten Pferd her, doch er hatte es zu spät bemerkt und konnte es nicht mehr aufhalten. Dann war plötzlich Louis auf dem Rücken eines Pferdes. Ein zweites Roß hielt er am Zügel. Louis parierte sein Tier hart, als er an
Rolands Seite war, konnte aber trotzdem erst ein paar Längen weiter anhalten. Roland rannte bereits los. Er warf sich auf den Rücken des ungesattelten Tieres, und preschte mit Louis davon. Erst jetzt kam irgendeiner von Gorgars Gesellen auf die Idee, etwas zu unternehmen. Es war Wenzel, der sich schon immer als der zweite Mann nach Gorgar gefühlt hatte. Während er einen Pfeil auf die Fliehenden abschoß, in der Hast aber nicht Roland, sondern ein reiterloses Pferd seitlich von Roland traf, schrie er: »Haltet sie auf!« Sein Ruf war wohl für die Wachen am Zugang zur Schlucht gedacht. Die meisten der Männer waren längst in die Schlucht gerannt. Sie hatten ein brennendes Zelt gesehen, die Panik der Pfer de, und sie wußten nicht genau, was los war. Jetzt mußten sie sich schon wieder vor den zurückpreschenden Pferden in Sicherheit bringen. Nur schwach vernahmen sie Wenzels Ruf. Und dann hörten sie im allgemeinen Durcheinander andere Schreie. »Die Schlangen! Rette sich, wer kann! Aaaaaahr ...« Jetzt waren nicht nur die Pferde in Panik, sondern auch die meisten von Gorgars Räubern. Denn sie wußten, wie viele Giftschlangen im Graben waren, und so tapfer sie auch zu sein glaubten, im Dunkeln wollte niemand mit Schlangen kämpfen. So dachten fast alle an ihre eigene Haut, und kaum jemand hörte auf Wenzels Schreie: »Haltet sie auf! Sie dürfen nicht entkommen!« Hätte Gorgar mit seiner Stentorstimme den Befehl gegeben, wäre er vielleicht trotz allem Durcheinander befolgt worden. Denn Gorgars Befehle hatten sie immer blindlings befolgt. Doch Gorgar konnte keine Befehle mehr geben. * Die Flucht war gelungen. Selbst Gotthilf, der Dichter, der das Chaos nutzen und zu Fuß hatte flüchten wollen, war entkommen. Er hatte sich eines der erschöpften Pferde genommen, das nach der wilden Jagd am Zugang zur Schlucht einfach stehengeblieben war, und war
hinter den anderen Flüchtenden hergeritten. Das erschöpfte Roß war von neuem in Panik verfallen, vielleicht, weil Gotthilf wie ein Sack auf dem Pferderücken lag, sich an der Mähne festkrallte und das Tier mit schrillen Schreien anspornte. Der kleine Dichter mit großem Geist war über sich selbst hinausgewachsen. Erst als die Schlucht weit hinter ihm lag, fiel ihm ein, daß er überhaupt nicht reiten konnte, und beim verzweifelten Versuch, das Pferd anzuhalten, stürzte er ab. Er hatte das Glück des Anfängers und verstauchte sich nur einen Knöchel und trug einige Hautabschürfungen davon, aber er brach sich nichts, und man konnte seine erste Reitlektion deshalb als vollen Erfolg werten. »Halt!« rief Roland und zügelte sein Pferd. Alle hielten an. Schon die ganze Zeit über wußte Roland, daß sich ihm, den Knappen und dem mit akrobatischem Geschick reitenden Balduin und dem Lyraspieler drei fremde Reiter auf der Flucht angeschlossen hatten. Jetzt hielt er es für an der Zeit, sich der Burschen zu entledigen. Er zückte sein Schwert, und das war auch das Signal für Louis und Pierre, auf das sie nur gewartet hatten. Beide Knappen setzten Gorgars Gesellen die Schwerter an die Brust. Es waren Männer, die auf Wache gewesen waren und nicht wußten, was sich in der Schlucht tatsächlich abgespielt hatte. Sie waren ins Lager geeilt, hatten »rette sich, wer kann!« gehört und waren mit den vermeintlichen Gauklern der Gefahr entronnen. Jetzt waren sie sehr überrascht. Ebenso überrascht war der vom Sturz noch benommene Gotthilf, als er Rolands Schwert auf sich gerichtet sah. »Sei-seid Ihr nicht die Sänger?« stammelte er. »Nein«, erwiderte Roland. Diesen kleinen schmächtigen Mann, der die ganze Zeit über wie ein Klammeraffe auf dem Pferd gehangen hatte, konnte er sich kaum als einen von Gorgars wilden Reitern vorstellen. »Wer bist du?« »Go-gott-hilf, der Dichter.« Roland ließ das Schwert sinken.
Gotthilf atmete auf. Und er faßte sich ein Herz und fragte: »Und wer seid Ihr?« Roland sagte es ihm. »Roland!« stießen Gorgars Gesellen wie aus einem Munde und voller Furcht hervor. »So ist es«, erwiderte Louis. »Und wir beide -«, er nickte zu Pierre hin, »- sind seine besten Knappen.« Roland lächelte. Er blickte zu den beiden Räubern hin, die vor Angst kaum zu atmen wagten. »Ihr verschwindet! Es gibt keinen Gorgar mehr. Laßt euch nie wieder hier sehen. Und sollte ich euch irgendwann noch einmal unter Räubern finden, gnade euch Gott. Das könnt ihr auch euren Kumpanen sagen. Bald kommen viele Reiter, und jeder von euch, der noch erwischt wird, muß damit rechnen, des Todes zu sein.« Die beiden schworen in ihrem Überschwang alles mögliche. Demnach würden sie fortan das Leben von Mönchen führen und nie nie wieder etwas Böses auch nur denken. Sie waren froh, so glimpflich davongekommen zu sein. Roland und die anderen setzten den Ritt fort. Gotthilf, der Dichter, durfte mit Louis auf dem Pferd reiten. »Hätte nicht gedacht, daß ich mal Amme spielen müßte«, murmelte Louis, als sich der kleine Dichter an ihm festklammerte. »Nun verlang nur ja nicht, daß ich dir auch noch die Brust gebe!« * »Ritter Roland?« fragte der Wirt in Birkenfeld. »Ja, der ist hier. Er und seine Knappen besuchen Bertram, den berühmten Minnesänger, der verletzt darniederliegt.« Volker vom Hohentwiel lächelte. »Dann will auch ich meinen Kollegen begrüßen«, sagte er. »Wo finde ich ihn?« »In der Herberge.« Der Wirt wies mit dem Daumen die Richtung. Volker bedankte sich und ging.
Der Wirt blinzelte verwirrt. »Sagte er - Kollege?« murmelte er. »Zwei Minnesänger hier in Birkenfeld?« Dann zuckte er mit den Schultern und tunkte einen Becher ins Spülwasser. Der siebente Becher war gespült, und der Wirt tauchte gerade den achten in die schmutzige Brühe, als ein Reiter vor der Schenke hielt. Es war ein Junker. Auch er fragte nach Ritter Roland. Der Wirt gab ihm Auskunft. »Sagen Sie nur, Sie sind auch ein Kollege von Bertram?« fragte er. Der Junker lachte. »Wieso?« »Na, eben hat schon einer gefragt, wo er Ritter Roland finden könnte, und als ich's ihm sagte, meinte er, er wollte seinen Kollegen begrüßen.« »Wie sah er denn aus?« »Bertram?« Der Wirt war im Gläserspülen und Einschenken fixer als im Denken. »Nein, der andere.« Der Wirt beschrieb ihn, und der Junker lachte. »Das muß Volker vom Hohentwiel gewesen sein. Fein, daß ich den auch treffe.« Er ließ den Wirt stehen, der ihm offenen Mundes nachstarrte, denn er hatte schon viel über Volker vom Hohentwiel gehört, ihn aber noch nie gesehen. Und der sollte in Birkenfeld sein? Das mußte er gleich seinem Weib erzählen. Der Junker begab sich derweil auf den Weg zur Herberge. Er ließ sein Roß stehen und ging das kurze Stück zu Fuß. Plötzlich stockte sein Schritt. Roland war aus der kleinen Herberge getreten, gefolgt von seinen Knappen und Volker. Sie plauderten, und Roland lachte über etwas, das Volker gesagt hatte. Doch das war es nicht, was dem Junker den Atem nahm. Vier Männer tauchten hinter einem Holzstapel, einer Regentonne und einem Busch neben der Herberge auf. Sie waren mit Schwertern und Lanzen bewaffnet. »Achtung!« schrie der Junker.
Doch Roland und seine Knappen reagierten bereits. Es ging alles so schnell, daß der Junker kaum seinen Augen traute. Kaum war der Warnruf verklungen, als Roland, seine Knappen und Volker bereits den Angriff abfingen. Schwerter blitzten im Sonnenschein. Kampflärm erfüllte die Luft. Roland schmetterte einem der Gegner das Schwert aus der Faust. Louis besiegte einen Gegner, und Pierre focht mit einem dritten Mann. Volker hechtete auf einen Angreifer zu, riß ihn um und schlug ihn mit der Faust nieder. Der Junker war losgerannt und hatte sein Messer aus der Lederscheide gezogen, um Roland und den anderen zu helfen. Doch dann sah er, daß es nichts mehr zu helfen gab. Der hinterlistige Anschlag war fehlgeschlagen. Der Junger atmete auf. Doch dann weiteten sich seine Augen in jähem Entsetzen. Auf dem Dach der Herberge richtete sich, unbemerkt von Roland und den anderen, ein Mann mit einem Bogen auf. Ein Pfeil lag bereits auf der Sehne. Der Mann war Wenzel. Er hatte nur noch wenige Anhänger gefunden. Einer der beiden Kumpane, die in die Schlucht zurückgekehrt waren, hatte von Roland und seinen Worten berichtet, Da waren die meisten von Gorgars Gesellen schlau genug gewesen, sich aus dem Staub zu machen. Gorgar war tot, und er war ihr Herr, ihr Kopf gewesen. Wenzel hatte versucht, sie zusammenzuhalten, Gorgars Nachfolger zu werden, doch es war ihm nicht gelungen. Niemand hatte auf ihn gehört. Er hatte getobt und sie alle erbärmliche Feiglinge genannt, mit gespanntem Bogen, denn die anderen waren in der Überzahl gewesen. »Du bist selbst ein Feigling«, hatten die anderen ihm vorgehalten. »Oder wagst du es, gegen Roland zu kämpfen?« Und da hatte Wenzel sich dazu hinreißen lassen, ihnen den Beweis zu erbringen, daß er ein würdiger Nachfolger Gorgars sein würde. »Ich werde Roland töten!«
Mit Kuno und drei weiteren Männern, denen er versprochen hatte, Unterführer zu werden, war er losgezogen und Rolands Spur gefolgt. Jetzt glaubte er sich am Ziel. Die Kumpane, auch Kuno, hatte er im Grund nur opfern wollen, um Roland und seine Knappen abzulenken. Er hatte von Anfang an bezweifelt, daß sie etwas gegen Roland auszurichten vermochten. Unterführer, ha! Er würde der alleinige Herr sein, ein Herrscher wie Gorgar! In spätestens einer Minute würde alles vorbei sein. Sechs Pfeile in einer Minute - da konnte er sich sogar zwei Fehlschüsse leisten. Und gegen die Pfeile hatten die vier keine Chance. So dachte Wenzel, als er den Bogen spannte und auf Roland hinab zielte. Doch dann flirrte etwas wie ein gleißender Lichtstrahl auf ihn zu, jemand schrie: »Roland!« Und im nächsten Augenblick verspürte Wenzel einen Schlag gegen die Brust. Der Junker hatte sein Messer geworfen. Der Pfeil schnellte noch von der Bogensehne, doch er zischte über Roland hinweg, der sich in diesem Augenblick zu Boden warf. Der Bogen entglitt Wenzel. Wenzel wankte, glaubte rückwärts zu stürzen und ruckte nach vorn. Dabei verlor er vollends die Balance. Kopfüber stürzte er vom Dach, schlug zu Boden und blieb starr liegen. Roland richtete sich auf. Dann sah er den Junker, der nähertrat. »Ihr habt mir das Leben gerettet!« sagte Roland mit belegter Stimme und klopfte sich Staub von der Kleidung. »Ich danke Euch.« Der Junker strahlte. Roland blickte auf die reglosen Gestalten. Er erkannte Wenzel. Gorgars Berater war tot. Der Feldscher rannte herbei. »Allerhand Arbeit«, murmelte er, als er die Verwundeten sah. Roland reichte dem Junker die Hand. »Ich stehe tief in Eurer Schuld. Ihr kennt meinen Namen? Wer seid Ihr?«
»Junker Edwin«, lautete die Antwort. »Ich kam, um Euch eine Botschaft von König Artus zu überbringen.« Er holte das Papier hervor. Roland nahm es überrascht und las. Gespannt blickten ihn die Knappen und auch Volker an. Es verwunderte sie, daß Roland in Gegenwart anderer die Botschaft vorzulesen begann: »Im Frankenwalde soll ein schreckliches Ungeheuer namens Gorgar sein Unwesen treiben. Es geht das Wort um, daß es noch gefährlicher als Fasolt sein soll, und daß es sich menschlicher Mörder und Räuber bedient. Euer Auftrag lautet: Macht dem Schrecken ein Ende und besiegt Gorgar.« »Den Auftrag will ich gern übernehmen«, sagte Roland lächelnd. »Was meint ihr?« Er blickte in die Runde. Dann stimmte er in Pierres, Louis' und Volkers Lachen ein.
ENDE
Nach Wochen kehrt König Artus von einer Reise zurück. Die Freude seiner Untergebenen ist groß, die Welt für sie wieder in Ordnung. Ginevra und Roland aber, Menschen, die König Artus besser kennen, wissen, daß etwas mit Seiner Majestät nicht stimmt. »Das ist nicht mein Mann«, vertraut sich die Königin Roland an. Und der pflichtet ihr bei: »Das ist nicht unser König. Er ist
Der falsche König
Artus
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