Alfred Bellebaum . Robert Hettlage (Hrsg.) Glück hat viele Gesichter
Alfred Bellebaum Robert Hettlage (Hrsg.)
Glück ...
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Alfred Bellebaum . Robert Hettlage (Hrsg.) Glück hat viele Gesichter
Alfred Bellebaum Robert Hettlage (Hrsg.)
Glück hat viele Gesichter Annäherungen an eine gekonnte Lebensführung
I
VS VERLAG
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS verlag für Sozialwissenschaften I Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010 Lektorat: Frank Engelhardt / eori Mackrodt VS verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg umschlagbild: "Einer der seiner wege geht." Hans Dieter Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17517-1
Inhalt
Grundlegung Das Prinzip "Glück" Robert Hettlage
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Glücksforschung Glück. Erscheinungsvielfalt und Bedeutungsreichtum Alfred Bellebaum
31
Die Glücksforschung kommt voran Alfred Bellebaum
57
Kulturen und Traditionen Philosophie als Lehre vom glücklichen Leben. Antiker und neuzeitlicher Glücksbegriff Malte Hossen/elder Die Angst vor dem Glück. Anthropologische Motive KarI-Siegbert Rehberg Contemplativus in actione. Glücksvorstellungen im Kulturvergleich Thomas Bargatzky
75 93 113
Haltungen und Maßstäbe Der ideale Körper. Gesundheit, Jugendlichkeit, Schlankheit und kulturelle Werte Alfred Bellebaum
127
6
Generalisierter oder konkreter Anderer? Gertrud Nunner- Winkler Selbstdisziplin: Begründungen, Normen und Praktiken asketischer Lebensweisen Robert Hettlage Maßhalten - Pädagogische Ansichten über eine traditionsreiche Tugend Erwin Hufnagel
Inhalt
153
173 203
Lebensgrundlagen und Erwartungen Historische Lehren für eine ökologische Glücksökonomie Herbert Schaaff Ein glückliches Leben statt immer mehr materiellen Wohlstand. Konsequenzen der Glücksforschung für die Ökonomie Mathias Binswanger Das wohlfahrtsstaatliche Weltbild in der Postmoderne Manfred Prisching
245
275 293
Verheißungen und Visionen Das Glück und die Schatten der Vergänglichkeit. Religiösphilosophische Konzeptualisierungen von Glück im alten Indien Heinrich von Stietencron Heilsverkündigung und Heilserwartungen im Neuen Testament Alfons Weiser Die Erleuchteten sind unter uns. Spiritualität als moderner Weg zum Glück? Gerhard Schmied
335 353
371
Erlebnisse und Gefühle Lesen als Überlebensmittel Aleida Assmann
389
Inhalt
7
Das Glück des Gourmets Alois Hahn
407
Vermittelte Unmittelbarkeit. Das Glück der ästhetischen Erfahrung Hans-Georg Soeffner
427
Forschungsmethoden
Empirische Glücksforschung. Ein schwieriges Unterfangen Hans Braun
449
Autorenverzeichnis
463
Grundlegung
Das Prinzip "Glück" Robert Hettlage
Um glücklich zu sein, muss man schon eine Menge Glück haben. Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass das Glück einen überrascht wie ein Lottogewinn. Der Einsatz ist oft relativ gering, das Ergebnis lässt auf sich warten, aber man darf die Hoffnung nie aufgeben. Ob der Glücksfall dann auch wirklich eintrifft, wissen wir nicht. Erzwingen können wir ihn jedenfalls nicht. Ob wir dann richtig glücklich werden, wissen wir auch nicht. Wir sind aber guten Mutes, dass uns dann, wenn uns keiner mehr in der Sonne stünde, dazu schon etwas Zufriedenstellendes einfallen würde. Etwas erfahrungsgesättigter ist die Überzeugung der meisten Menschen, dass man mit einem dauerhaften Glück in diesem Leben wohl nicht zu rechnen hat. Manche halten es - wie die sauren Trauben - gar nicht für erstrebenswert, weil ihnen das Leben dann eintönig vorkäme. Aber die meisten würden dieses Risiko gern auf sich nehmen, wenn das "Schweineglück" in Form von Geld, Erfolg, Macht oder sonstiger Güter bei ihnen vorbeischauen würde. Die tiefere Frage ist allerdings, ob man Anstrengungen unternehmen kann, um glücklich zu sein und nicht nur Glück zu haben, ja ob man sogar glücklich sein kann auch ohne Glück zu haben (Marie von Ebner-Eschenbach). Dafür müsste man aber schon genauer wissen, was das Glück eigentlich ist, wie man es erlangt, wie man es bewahrt und an welche subjektiven und sozialen Vorbedingungen und Anforderungen es geknüpft ist. Daraus wird ersichtlich, dass Glück wohl auch etwas mit Erwartungen und Mentalitäten, mehr noch mit Lebensplanung und Lebensführung zu tun hat. Jedenfalls ist das Bekommen und Haben weniger sicher als das beharrliche Handeln (Aristoteies EN I, 10) . Je nachdem, wie man sein Leben in die Hand nimmt, wachsen die Chancen, etwas Vernünftiges oder wenigstens Tragfähiges daraus zu machen. So gesehen wäre Glück eine Art rechtzeitige, oder vielleicht lebenslange Vorbereitung auf Gelegenheitsstrukturen oder - wie Novalis es zuspitzte - "Talent für das Schicksal". Das ist eine seit Jahrhunderten genährte Auffassung, in der die Philosophen und Theologen mit dem Alltagsverstand vieler Menschen übereinstimmen. Was es mit diesem "Gold der Seele" (Plato) auf sich hat, soll im Folgenden in groben Strichen umrissen werden.
Robert Hettlage
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1. Glück als Prinzip? Die Formulierung "Glück als Prinzip" lässt den erfahrenen Leser an die bekannten Bücher von Ernst Bloch (Das Prinzip Hoffnung, 1973) und Hans Jonas (Das Prinzip Verantwortung, 1984) denken, die sich ebenfalls auf sehr grundsätzliche Fragen des menschlichen Lebens richten. Beide sagen aber nichts darüber, was es mit dem Terminus" Prinzip" auf sich hat. Unter Prinzip wurde von der antiken bis zur neuzeitlichen Philosophie ein Ausgangs- oder Endpunkt bzw. eine Grundlage (arche) verstanden von dem anderes in seiner Entwicklung oder Zielrichtung abhängt und ursächlich beeinflusst wird. Dabei werden verschiedenen Ebenen unterschieden (vgl. Ros 1989: 173 ff.): •
Seins- und Erkenntnisprinzipien: was seinsmäßigen Vorrang hat, kann im Erkennen durchaus "später" erfolgen, da jede Erkenntnis sich zunächst einmal der Sinne bedienen muss (Aristote1es);
•
Logische Prinzipien (Axiome), von denen Schlussfolgerungen ihren Ausgang nehmen;
•
Wert- und Handlungsprinzipien: Erstere leiten die praktische Vernunft in Fragen des Sollens (z.B. die Goldene Regel) an, letztere berücksichtigen bei der Umsetzung der Wertprinzipien im Alltag, dass der zu erreichende Zweck einen beträchtlichen Tribut an die historisch-soziale Verankerung der Menschen zu zahlen hat.
Diese Unterscheidung ist für die Glücksthematik bedeutsam. Ob Glück ein Wertoder Handlungsprinzip ist, lässt sich von verschiedenen Seiten her durchdenken. Als Wertprinzip ist das Glück traditionellerweise Gegenstand der Glücksphilosophie. Sie befasst sich seit der Antike damit, was es inhaltlich bedeutet, wenn Menschen ihr Leben auf das Glück als hohes Gut und als verpflichtende Norm ausrichten. Das ruft nach einer Seinsbestimmung des Menschen. Philosophen, sofern sie sich noch als Metaphysiker verstanden, hatten im Gegensatz zu den Sprachanalytikern und den empirisch verfahrenden Sozialwissenschaftlern bemerkenswert wenig Probleme damit festzulegen, was das "Menschsein" seinem Wesen nach ausmacht. Meist bediente man sich der platonisch-aristotelischen Vorarbeiten, wonach Menschen vernunftbegabte, geistige, freie und reflexionsbeflihigte Wesen seien, deren höchstes Glück (eudaimonia) es sein müsse, dieser Wesensbestimmung zu seiner höchsten Erfüllung zu verhelfen. Glücklich kann der Mensch nur sein, wenn er sein Leben so durchgängig als " animal rationale" führen könne, dass er aus diesem Programm nicht mehr herausfallen kann, wenn also Seins- und Erkenntnisprinzip zusammenfallen. Das ist in diesem Leben nicht oder nur annäherungsweise zu erreichen. Theoretisch ist es aber der Fall, wenn man - mit Begrif-
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fen der platonischen Tradition gesprochen - zur Anschauung der höchsten Ideen des Wahren, Schönen und Guten gelangt. Sie sind ontologisch so vereinnahmend, dass man sich von dieser beseligenden "Schau" (visio beatifica) schlechterdings nicht mehr entfernen kann. Der Aufstieg in diese Sphäre des Seins und Erkennens gelingt den "Sterblichen" aber nur unter großen Mühen und dann nur schrittweise. In der christlichen Tradition wurden Platon und Aristoteles religiös umgedeutet. Der Aufstieg zur Seligkeit (des Paradieses) liegt, was die Zielordnung anbelangt, in der dem Menschen geoffenbarten Möglichkeit, Gott nahe zu kommen, sich als homo novus mit ihm zu vereinigen. Das ist die vollkommenste Seinsweise des Menschen. Sie zu erreichen ist voraussetzungsreich. Denn einerseits müssen die Menschen sich in ihrem Alltag Gott unterstellen. Sie müssen sich bemühen, ein Gott gefälliges, tugendhaftes Leben zu führen, also die Gesetze Gottes (z.B. die 10 Gebote) zu beachten. Das ist durchaus mit Härten gegen sich selbst und seine Leidenschaften oder Impulse verbunden und kann oberflächlichen Zufriedenheitsvorstellungen diametral entgegenstehen. Auf der anderen Seite bedarf die "schwache Kreatur" des ständigen göttlichen Entgegenkommens (d.h. seiner Gnade). Wie die Gnade und die "Werke" ins Verhältnis zu setzen sind, hat den christlichen Konfessionsstreit seit 1517 zu weiten Teilen beherrscht. Andere Weltreligionen kennen ähnliche Konzepte vom menschlichen Aufstieg zur höchsten Vollkommenheit des Seins und der Erkenntnis, auch wenn sie einen jeweils anderen Gottesbegriffhaben und sich auf andere Heilige Schriften beziehen. Für die von christlichen Glaubensvorstellungen inspirierte Sozialethik (vgl. Utz 1958, Messner 1966) stellte sich das Problem, wie ein solches verpflichtendes Streben nach Glückseligkeit in der Gesellschaft auf "menschliche" Weise zu organisieren sei. Wertprinzipien müssen als Verhaltensregelungen konkretisiert werden. Denn jenseits aller abstrakten Betrachtung über den Menschen und das Glück als solche ist ja davon auszugehen, dass die konkreten Menschen mit ihren jeweils gegebenen Verhältnissen zielführend umgehen müssen - auch wenn sie im Prinzip nach dem großen Glück streben. Menschen sind eben unterschiedlich begabt, trainiert oder willens, sich auf den voraussetzungsreichen Weg zur beatitudo zu machen, nicht zu reden von den differenzierten sozialen Voraussetzungen wie Status, Macht, Reichtum, die die Spannweite der Lebenschancen beträchtlich beeinflussen. Einige sind gut ausgestattet mit "Dienstgütern", die das Streben nach Glück erleichtern, andere hingegen sind "minder bemittelt". Einige sind asketische Naturen, die sich über materielle Voraussetzungen erheben können, andere können der rigiden Selbstbegrenzung wenig abgewinnen; einige lieben die abstrakte Sphäre der Wesensbetrachtung, anderen bleibt sie gänzlich fremd. Hier liegen jeweils harte Grenzen der Beeinflussung und der Kurskorrektur. Außer-
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dem widerspricht es unserem Verständnis von menschlichem Leben, sollten wir von irgendeiner Instanz zum Glück gezwungen werden. Ein solcher Versuch der "Zwangsbeglückung" gebiert in der Regel Ungeheuerliches (was nicht besagt, dass gerade dies in der Geschichte utopischer Lebensentwürfe, religiöser Unterwerfungen oder sich areligiös gebender Diktaturen nicht immer wieder versucht wurde). Deswegen hat es in der Sozialethik eine gewisse Tradition, zwischen der Ebene der Wertprinzipien und der Handlungsebene (Handlungsprinzipien) zu unterscheiden. Beide müssen in Einklang gebracht werden. Die allgemeine Wertverpflichtung (z.B. der kategorische Imperativ, dass das Gute zu tun ist), darf nicht an der Komplexität sozialer Situationen scheitern und sich in Be1iebigkeit auflösen. Umgekehrt darfdas freie Handeln nicht überspielt werden, so dass das Risiko der Wertverfehlung nolens volens in Kauf genommen werden muss. Man kommt einfach nicht darum hemm, dass die Individuen selbst - trotz aller Erziehung für ihren jeweiligen Lebensentwurf gerade stehen müssen. Sie müssen ihren Alltag handelnd bewältigen, und das heißt auch: ihre Perspektive gesellschaftlich aushandeln. Also müssen sie auch ihre "Fal;:on", ihrem Weg zum Glück finden, ohne auf Orientierungsmaßtäbe gänzlich verzichten zu können. Das stellt heute ein großes Problem des sich nunmehr gänzlich wertfrei gebenden gesellschaftlichen Diskurses dar. Glück als "Handlungsprinzip" heißt in dieser Denktradition, dass der sicherste Weg zur menschlichen Anstrengung auf dem Weg zur Glückseligkeit in einer gewissen Doppelspurigkeit besteht: Die Energien, die die Menschen dafür einsetzen, um "ihr Glück" in diesem Leben zu finden, müssen so gebündelt werden, dass sie die Wertprinzipien nicht verraten. Das ist der Doppelnatur des Menschen als impulsiv-reflexives, individuell-soziales, körperlich-geistiges, selbstgesteuertesfremdgeleitetes, selbst- und fremdbezogenes Wesen geschuldet. Der Weg über die individuelle, freie Bestimmung der jeweiligen Glücks ist deswegen eine Art "produktiver Umweg" zum allgemeinen, menschlichen Glück der Seele. In der modemen europäischen Kulturgeschichte ist diese Perspektive weitgehend systemfremd geworden. Denn die religiöse Einbindung der Weltanschauung hat stark an Zustimmung eingebüßt. Im "nachmetaphysischen" Zeitalter schrumpft die inhaltlich-materiale Rationalität (des Glücks) zur formalen "insofern, als die Vernünftigkeit der Inhalte zur Gültigkeit der Resultate verflüchtigt. Diese hängt von der Vernünftigkeit der Prozeduren ab, nach denen man Probleme zu lösen versucht" (Habermas 1989:42). Rechtssystem, wissenschaftliche Diskursgemeinschaft und demokratische Ordnung sind die einzigen Garantien der Vernunft. "Als vernünftig gilt nicht länger die in der Welt angetroffene oder die vom Subjekt entworfene bzw. aus dem Bildungsprozess des Geistes erwachsene Ordnung der Dinge, son-
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dem die Problemlösung, die uns im verfahrensgerechten Umgang mit der Realität gelingt. Die Verfahrensrationalität kann eine vorgängige Einheit in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nicht mehr garantieren" (ebd. 42 f.). Die traditionale Verklammerung zwischen Diesseits und Jenseits ist gelöst. Für die moderne Wissenschaft war "Gott" anfangs noch eine mögliche Hypothese, später nur noch eine Leerstelle. Seither versucht das Erkenntnisprogramm gänzlich ohne den Verweis auf eine transzendente Sphäre auszukommen. Für die Behandlung der Glücksthematik zeitigt das weitreichende Folgen. Denn von nun an kann Glück nur noch immanent bestimmt werden. Es wird nicht mehr durch den Verweis auf eine transzendente Vollkommenheit und durch "seinsgerechte" (Hyper-)Güter beschrieben, von denen das diesseitige Leben seinen Maßtab erhält. Glücksgüter sind jetzt solche, auf die sich Menschen in der ganzen Mannigfaltigkeit ihres Strebens und Sehnens ausrichten, welche dies in concreto immer seien. Die Soziologie bringt das auf die Formel: Glück ist das, was die Menschen im sozialen Austausch als solches definieren. Und da es keine verpflichtenden Wertprinzipien mehr gibt, die den vemunftgeleiteten Willen steuern könnten (zumal sie als unerkennbar oder als sozial irrelevant gelten), bleibt kein anderes Verfahren mehr als die individuelle Sinnsuche zum einzigem Handlungsrnasstab für das Glück zu erklären. Bezeichnend dafür sind die Arbeiten zur Glückssoziologie und -psychologie. Der letzte Bezugspunkt der Sinnhaftigkeit allen Tuns muss im Individuum und seinen Impulsen und Empfindungen liegen. Glück ist das, was Menschen im sozialen Verkehr durchsetzen und was sie als Glücksempfinden dabei registrieren (Zufriedenheit). Eine andere systematische Verortung gibt es nicht mehr. Wer mehr will, kann das natürlich suchen, aber sein Denken und Tun bleibt hermetisch auf die private Entscheidung innerhalb eines sozialen Kontextes fixiert. Wer sein Glück beim Lesen, Essen, Wandern, Briefmarkensammeln oder in Sexualerfolgen sucht, bitte schön. Andere finden ihre Zufriedenheit im Freizeitsport, beim Fernsehen, in Ayurveda-Sitzungen, beim Bungee-Jumping, beim Heimwerken oder bei SMSpielen. ,,Anything goes", sofern es auf das Einverständnis anderer triffi: oder diese wenigstens nicht belästigt oder beeinträchtigt. An diesen kulturellen Variationen ist die Soziologie vor allem interessiert. Happiness ist alles, was gesteigerte Lebensintensität verspricht und Energieüberschuss (Flow) erzeugt. Korrekturen gibt es nur durch Enttäuschung oder Unvermögen, Langeweile oder Erschöpfung. Verpflichtende Bestimmungen des allgemein-menschlichen Glücks werden - individuell und kollektiv - nicht mehr gesucht. Jeder gestaltet seine Lebensorientierung auf eigenes Risiko. Wenn er es nicht "richtig" angestellt hat, hat er sein (einziges) Leben eben verwirtschaftet.
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"Jeder ist seines Glückes oder Unglückes Schmied". Das scheint uns subjektiv kaum in Frage zu stehen, auch wenn es sich bei genauerem Hinsehen als illusionär erweist. Angesichts so harter Tatsachen wie der unumgänglichen sozialen Einbettung, aber auch der unverschuldeten Katastrophen, des Elends oder Unglücks, der biologischen Grenzen des Alters oder der Krankheit scheint ein solches Prinzip doch etwas kurzschlüssig zu sein. Jedenfalls löst die ungemütliche Tatsache der Selbstverantwortung, die nur auf dem Boden einschränkender Lebensbedingungen zu denken ist, ihre eigenen, auch für die modeme Welt typischen Fragen aus: 1.
2.
3.
Da wir angeblich nur dieses eine hiesige Leben haben, kommt es schon auf die richtige Strategie und den geordneten Einsatz der Kräfte an. Es "muss" doch gelingen, glücklich zu werden. Wenn einzelne Glücksgüter "das" Glück nicht herbeischaffen, dann muss eben noch intensiver nach dem "großen Glück" gesucht werden. Vielleicht ist es doch der große Lottogewinn ("el gordo" wie die Spanier sagen). Er könnte alles auf einen Schlag möglich machen und eine Art von Seligkeit herbeiführen - wohl wissend oder halb wissend, dass dem nicht so sein wird: weder was den Gewinn selbst, noch was die Sinnerfüllung des Lebens angelangt. Denn ein objektives Kriterium fehlt; bleibt nur der individuelle Beweggrund, glücklicher zu werden. Die Ambivalenz der Gefühle bringt es mit sich, dass alles auf seine Beglükkungsqualität hin überprüft werden muss. Daher setzt in der Modeme ein hastendes, immer hektischeres Suchen nach Vergnügungen und Befriedigungen ein, die zwar nicht das Glück selbst, aber doch eines seiner Elemente sind. Das Unglückliche dabei ist nur, dass Wiederholungen nicht zur Zielerreichung führen. "In dem Maß, wie wir uns an ein bestimmtes Glück gewöhnen, flieht es uns, und wir müssen aufs neue versuchen, es wieder zu finden. Wir müssen das Vergnügen, das verlöscht, mit Hilfe stärkerer Reize aufs neue entfachen, d.h. die Reize, über die wir verfügen, vervielfältigen und sie intensivieren" (Durkheim 1977: 292). So jagen sich Trends, Moden, Gelegenheiten, Stile und Selbstdarstellungen, die für das modeme Leben typisch sind. Denn es muss sich, seiner inneren Konstitution nach, ständig nach Neuem sehnen. Diese Hektik bringt neue Arbeit, Hektik, Stress, Erschöpfung und Unlust hervor, die wiederum bekämpft werden müssen, um endlich zum ,,reinen" Glück zu führen. Ist dieser soziale Motor einmal angesprungen, so kann er nur schwer gestoppt werden. Denn nichts, was in "diesem" Leben existiert, befriedigt auf Dauer. Das Glücksbedürfnis ist dafür zu diffus. "Es schließt uns an nichts Präzisem an, da es ein Bedürfnis nach etwas ist, das nicht ist. Es ist also nur zur Hälfte konstituiert, denn ein vollständiges Bedürfnis fordert zweierlei:
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eine Willensanstrengung und ein bestimmtes Objekt. Da das Objekt nicht von außen kommt, kann es keine andere Wirklichkeit haben als die Wirklichkeit, die wir ihm geben. Dieser Prozess ... führt uns nicht aus uns hinaus. Es ist nur eine innere Bewegung, die einen Weg nach außen sucht, ihn aber noch nicht gefunden hat" (Durkheim 1977: 295). Das Leben ist immer zu kurz, so dass wir den Drang haben, möglichst alles in diese kurze Spanne hineinpressen zu müssen. Wer weiß, wie lange wir noch Sport treiben, leckere Dinge essen und interessante Reisen unternehmen können? Bevor das Leben vergeht, enden schon viele Möglichkeiten, sich zu vergnügen und "flow" zu erleben. Aber es ist immer noch unser Leben, das mit Anstand oder Grandezza gelebt sein will. Gibt es da kein Glück mehr? Das ,,kleine Glück kann jeder" (K.Tucholsky) - aber das große am Gesamterfolg gemessene Lebensglück? So bleibt doch die Frage bestehen, was das Glück sei, wenn man es auf ein ganzes Leben hin auslegt und man ihm wenigstens im Rückblick, eine weniger flatterhafte Note verleihen will.
2. Glück und Lebensführung Auf den ersten Blick erscheint es uns einleuchtend, dass "alle" Menschen irgendwie glücklich sein wollen und nach dem Glück suchen, auch wenn das nicht oder nicht dauerhaft gelingt. Die empirisch verfahrenden modemen Wissenschaften sind jedoch gegenüber sogenannten ,,Allaussagen" skeptisch eingestellt.
2.1 Anthropologische Konstanten? Das heutige Wissenschaftsverständnis ist anti-essentialistisch geprägt. Fragen nach dem Wesen der Dinge entfallen. Deswegen gehen sie auch gegenüber angeblichen "anthropologischen Konstanten" aufDistanz. Erkenntnistheoretisch und verfahrenstechnisch gesehen sind totale Induktionen zur Überprüfung von Allaussagen bzw. Totalerhebungen die ganze Menschheit betreffend gar nicht möglich (vgl. Popper 1969). Denn es kann immer eine Abweichung vom Trend vorkommen. Auf das Glücksthema bezogen besagt das, dass es vielleicht irgendwo auf der Welt Menschen gibt, die vom Glück nicht fasziniert sind, sondern vom Unglück. Theoretisch vorstellbar ist, dass einige Vertreter dieser Spezies in erster Linie nicht nur vom Unglück verfolgt sind, sondern dieses sogar suchen. Sie sind vom Selbst- und Fremdhass zerfressen. Sie frönen der Missgunst, der Melancholie und dem Missvergnügen an der Welt. Sie können sich weder an sich noch an anderen, weder an der Welt, wie sie ist, noch wie sie sein könnte, erfreuen. Von Natur aus sind sie
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skeptisch, depressiv, missmutig oder pessimistisch gestimmt. Dass Menschen sozial inkompetent, handlungsgestört und wenig glücksfähig sind, kommt wohl auch praktisch nicht allzu selten vor. Destruktive Tendenzen kann jeder an sich wahrnehmen. "Unglückliche" Verhaltenstypen sind seit Jahrhunderten in der Geistesund Kulturgeschichte bekannt. Dennoch ist "absoluter" Selbsthass nicht lebbar. Er muss in Selbstzerstörung enden. "Reiner" Pessimismus ist kein Programm, das sich leicht durchhalten lässt. Vielfach ist es wohl so, wie uns die Psychiatrie und Psychoanalyse lehren, dass auch in selbstzerstörerischen Handlungsweisen noch versteckte, verschüttete, möglicherweise vor-bewusste Glücks- und Zufriedenheitsbestrebungen zum Tragen kommen - und seien es solche, die darin bestehen, sich und anderen nach Möglichkeit ein Bein stellen zu wollen. Haben die Menschen damit Erfolg, sind sie für den Moment zufrieden. Ganz ohne Beglückung im Unglück kommen auch sie nicht aus. Je länger und tiefer sie sich analytisch auf sich selbst einlassen und sich ihrer selbst bewusst werden, desto weniger müssen sie ihren Selbstund Fremdschädigungszwängen gehorchen und können sich mit ihrem Bild und seinen Unzulänglichkeiten, Ängsten und Begrenzungen befreunden, also glücksfähiger werden. Wie überall ist es die Mischung verschiedener Elemente, die den Unterschied der jeweiligen Realitäten ausmacht und die im modemen Sinn wissenschaftlich "interessant" sind. Folglich macht es wenig Sinn, von einem seelischen und sozialen Tendenzmonismus auszugehen. Da ist die Maxime realitätsnäher, dass wir es im Allgemeinen mit Menschen zu tun haben, die in ihrem Leben auf irgendeine Weise ihr Glück suchen. Zumindest ist das eine höchst plausible und empirisch bestens belegte Hypothese, die sogar im Kulturvergleich Bestand hat. Die Glücksgüter mögen verschieden sein, die Glückssuche als soziale Tatsache nicht. Die Frage ist nur, ob man dabei ein zeitlich begrenztes Gut, eine daraufbezogene Zufriedenheit oder eine das ganze Leben übergreifende Perspektive im Auge hat. Max Weber hat die Prägekraft von (letzten) Überzeugungen für den Lebensentwurf einzelner oder vieler mit dem Terminus "Lebensführung" bezeichnet (1980:320 ff.; 1988,1: 2 ff.).
2.2 Lebensführung Nach Weber "führt" jemand sein praktisches Leben, wenn er es zielbewusst, systematisch planend nach einem einheitlichen Regelwerk gestaltet. Er stellt sein Leben unter ein Prinzip. Lebensführung meint darüber hinaus eine prinzipielle, meist gruppenspezifische Haltung, einen Habitus, der nicht nur das Denken und Handeln der betreffenden Gruppe beeinflusst, sondern oft auch zum Leitmotiv des Handeins anderer Nachahmer-Gruppen wird und somit eine ganze Gesellschaft prägt. Dabei
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wird im Rück- und Vorausblick - und unter den kritischen Augen der Vor-, Mitund Nachwelt - das ganze Leben der Akteure auf den Prüfstand einer gelungenen Sinnorientierung gestellt. Wer als Gruppenmitglied dem etablierten Muster nicht oder (als Aufsteiger) noch nicht entspricht, wird als nicht normal abqualifiziert. Er führt eine unglückliche Existenz, die zum Rückzug zwingt und /oder neue Energien freisetzt. Lebensführung ist oft von religiösem Vorwissen geprägt. Sie kann beispielsweise mehr weitabgewandt, asketisch und passiv, oder mehr weltzugewandt, hedonistisch und aktiv geformt sein. So folgt die feudale "Herren"-Existenz dem Prinzip der ritterlichen Standesehre, deren Normkomplex allzeit eingeübt und verteidigt werden muss. Als steuerndes Denk-, Gefühls- und Handlungsschema wird dies über die höfische Gesellschaft auch für das aufstrebende Bürgertum relevant. Die Lebensführung der mönchischen Gemeinschaft stand unter dem Prinzip der bis in den Stundentakt hinein geregelten, systematischen Vorbereitung aufdie von der Erlösungshoffnung getragene Gemeinschaft mit Gott. Die Distanz zur Welt nahm Vorbildcharakter an und hat das Gemeindeleben der "minderwertigen" Laien in vielfältiger Weise zur Nachahmung angeregt. Die Lebensführung des chinesischen Beamtenstaats basiert auf der Hochschätzung von Ausbildung und wissensbasiertem Einfluss. Dafür wurden lange, komplizierte Ausbildungs- und Auswahlverfahren in Kauf genommen, als deren Kompensation der hohe gesellschaftliche Status der literarisch geschulten, weltlich-rationalistischen Bildungsschicht galt. ,,Die religiöse ... Standesethik dieser Schicht hat die chinesische Lebensführung weit über jene selbst hinaus bestimmt." Denn andere Schichten strebten dem Bildungsideal nach und richteten das Leben ihrer Nachkommen darauf aus. Für das implizite Sinn- und Glücksversprechen waren die Eltern bereit, hohe Entbehrungen auf sich zu nehmen. Die modeme, methodisch-rationale Lebensführung des Kapitalismus setzt implizit auf das allgemeine ,,Priestertum der Gläubigen". Sie folgt damit in den Grundzügen dem "protestantischenArbeitsethos", wonach Arbeit, Beruf, Rechenhaftigkeit, Zeitkontrolle, Selbstdisziplin und Verlässlichkeit zum "Gottesdienst" werden. Wer "immer strebend sich bemüht" und sein Leben unter das Prinzip asketischer Selbstkontrolle stellt, verrät es nicht an niedere Leidenschaften und darf sich der Erlösung, also des rechten Wegs zur ewigen Glückseligkeit einigermaßen sicher sein. Zwar verblasst in der Hochblüte der Wirtschaftsentwicklung diese religiöse Komponente der Lebensplanung. Aber auch wenn der alte "Geist" aus dem Gehäuse des Lebens entwichen ist, bleibt die Form der Lebensführung bis heute nicht nur für die Gottsucher, sondern auch für die breiten Schichten selbst bis in manche Formen leistungsorientierter Freizeitbeschäftigung hineinbestimmend. Allerdings hat sich damit auch die Definition von Lebensführung
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und Lebensglück verschoben. Die Lebensplanung steht heute überwiegend auf zwei Säulen: Einerseits beruht sie auf einem harten Arbeitsregime, in dem Rechnen um des Rechnens willen, Gewinn als Selbstzweck gilt. Auf der anderen Seite bedarf es als Spannungsausgleich der punktuellen Glücksbeschaffung, die der diversifizierten, auf Entspannung, Enthemmung und Emotion getrimmten Freizeitkultur aufgebürdet wird.
2.3 Lebensführung und Lebensglück Die Lebensführung des bildungsbürgerlichen "Kulturmenschen" ist heute laut Weber eine gebrochene. Sicher schätzt er Bildung und Wissen hoch und verachtet alles Triviale und Kurzatmige, aber auch er kann dem dominanten Zeitgeist nicht entrinnen, dem die Tiefe der Weltdeutung oder gar der Kampf um den richtigen Begriff des Glücks abhanden gekommen ist. Als Kulturmensch darf er zwar nicht aufgeben, aber er :führt einen tragischen Abwehrkampf, den er vielleicht persönlich, aber nicht mehr für "die Welt" gewinnen kann. Ja, selbst persönlich kann er die alten Orientierungssicherheiten nicht mehr zurückholen. Im nachmetaphysischen Zeitalter bleibt er als Zweifler "unerlöst" und muss in einem heroischen "dennoch" den Sinnverlust aushalten. Einen Weg zurück gäbe es nur zu einem hohen Preis, nämlich zum "Opfer des Intellekts". "Bewusstlos" kann er nicht werden, orientierungslos muss er bleiben. Die Einheit von Lebensführung und Lebensglück ist unwiederbringlich zerbrochen. Seine Elemente gleichen einem Puzzle, das man nicht mehr zu einem Ganzen zusammensetzen kann. Überall herrscht die gleiche Unruhe bei der Glückssuche. Da ein verbindliches nachahmenswertes Muster der Lebenskunst nicht mehr aufzufinden ist, kommt es zu einer immer markanteren Aufsplitterung der Lebensstile in (bürgerliche) Hochkultur, Spannungs-, Trivial-, Milieu-, Themen-, Jugend- und Vergnügungskulturen (vgl. Sinus-Studie), die sich zwar nur auf Teilaspekte des Lebens konzentrieren, aber dafür doch eine Gesamtperspektive beanspruchen. Mehr kann man angesichts der Fragmentierung und De-Institutionalisierung des Lebens offenbar nicht wollen, auch wenn diffus im Bewusstsein zurückbleibt, dass das nicht die ganze Wahrheit über ein "gekonntes Leben" sein kann. Aber es gibt eben keine vertrauenswürdigen Institutionen mehr, die Führungsaufgaben bei der Lebensführung übernehmen könnten. Gäbe es sie - und manche beanspruchen sie noch- dann würden sie - als der modemen Leitidee der autonomen Lebensgestaltung widersprechend - rundweg abgelehnt werden. Privatheit gilt als Bedingung und Axiom der Modeme. Sie beinhaltet einen "Kampf gegen das Prinzipielle" (Fisch 1999). Jeder macht "sein eigenes Ding" und muss auch jenseits der religiösen Konnotation nach seiner F~on selig werden. Er muss seinen individuell passenden Weg
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finden. Das Handlungsprinzip der Selbststeuerung hat sich dabei der Orientierung an übergreifenden Wertprinzipien entledigt. Die ethische Innenleitung ist der sozialenAußenleitung gewichen (Riesman 1950). Das muss zur Krise der Philosophie des "großen" Glücks führen. Denn - wie Berger es für die religiöse Sinnsuche beschrieben hat- sieht man keine Notwendigkeit mehr, sich in den festen Rahmen einer Interpretationsgemeinschaft einzufügen. Diese Ligaturen sind nicht mehr plausibel. An eine umgreifende Lebensführung werden keine Ansprüche mehr gestellt. Man kann die tiefgründigen ("großen"), an die Seins-Vollkommenheit zielenden Fragen getrost offen lassen und sich statt dessen auf die ephemeren "events" und Moden konzentrieren. Auf dem Supermarkt der Ideen und Stile sucht man das, was momentan passt, was "fun" verspricht oder gerade jetzt "in" ist. Da bleibt nichts anderes als dort nach dem schnellen Glück zu haschen, wo es gerade aufzublitzen scheint. "Glück" ist schon das, was nicht gerade unglücklich macht und wenigstens momentane Zufriedenheit gewährt. Ob sich später Reue, Ekel, Langweile und Leere einstellen, wird wenig problematisiert. Man wird im Fall der Enttäuschung schon wieder etwas Neues ausprobieren. Denkerisch die Folgen für den Lebensentwurf an sich zu antizipieren, erscheint angesichts der kurzatmigen Bastelmentalität unangebracht zu sein. Wohl ist man in eine bestimmte Perspektive mit ihrer eigenen sozialen Schwerkraft hineingeboren, aber es ist ein glücklicher Umstand der Moderne, dass man sie wenigstens tentativ und punktuell verlassen kann. Eine geglückte Perspektive ist weniger inhaltlich als prozedural bestimmt. Denn es scheint doch ein Glück zu sein, dass man sich autonom fühlen darf und dass man sich für dieses oder jenes, vermeintliche oder reale Glücksgut entscheiden kann. Die neuen Belastungen, die die permanenten Entscheidungszwänge mit sich bringen (vgl. Gross 1994), werden vorerst heruntergespielt. Man fühlt sich zunächst als "Lebenskünstler" (Bauman 2010), der sein Leben selbst in die Hand nehmen kann. Diese Tatsache ist aber nur dann eine Gewähr von Glück, wenn dahinter auch wertvolle, sich selbst tragende Glücksguter in den Blick geraten. Andernfalls verblasst die Zufriedenheit zu "good vibrations", die durch immer neue Optionen und den dazu gehörigen Entscheidungsstress abgelöst werden. Auch daran mag man erkennen, dass der Blick auf die Lebensführung als Ganzes nicht ständig eingeklammert werden kann. Zufriedenheit, die nicht als Strohfeuer verpuffi, muss am dauerhaft "gekonnten" Leben Maß nehmen. Kenner- und Könnerschaft sind nicht nur verfahrensmäßig zu bestimmen. Sie bedürfen der tragenden Inhalte. Insofern knüpft die moderne Glücksthematik ungewollt doch wieder vorsichtig an die traditionelle Glücksphilosophie an, die von jenen Glücksgütern und Verhaltensweisen ausging, die "dem" Menschen an sich gut tun. Die moderne Glückssoziologie
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verfährt so nicht mehr. Jedoch sucht auch sie nach empirisch greifbaren Maßstäben für ein glückendes Leben. Andernfalls könnte sie lediglich registrieren, was Menschen zu verschieden Zeiten, an verschiedenen Orten, in verschiedenen Kulturen und unter verschiedenen sozialen Zwängen jeweils mit dem Begriff"Glück" bezeichnen. (In der Politikwissenschaft hat man dafür den Terminus "cash register theory" eingeführt). Mit dem Begriff der Lebensführung wagt sie aber mehr: nämlich eine den konkreten Umständen angepasste Maßeinheit aufzubauen, an der erkennbar wird, ob es sich um ein momentanes "kleines Glück" oder um stabile, "große", die Modekonjunkturen überdauernde, sogar ethisch gerechtfertigte Lebensentwürfe und Glücksstrategien handelt. Die hier versammelten Aufsätze sind mehrheitlich stark von dieser Perspektive getragen. Das machen die Zwischentitel schon deutlich. Die Autoren fragen nach den großen Traditionen und Kulturen, beschäftigen sich mit Verheißungen und Visionen, entwickeln Masstäbe und Haltungen und zielen auf die historischen und modemen Lebensgrundlagen, die unser Weltbild heute trotz aller hektischen Verdrängungsprozesse prägen oder prägen könnten. Selbst partielle Erlebnisse und "gute Gefühle" sind in ihren Restbeständen noch davon imprägniert. Einige der Aufsätze machen aber auch den Perspektivwechsel hin zur modemen Glücksforschung deutlich. Alle diese Studien setzen aber einen Kontrapunkt zur kurzatmigen Ratgeber- und Eventliteratur, für die sich die Glücksthematik in vordergründiger ,,happiness" und Zufriedenheit erschöpft. Die Problematik der eudaimonia ist aus dem modemen Diskurs weitgehend verschwunden. Luck, happiness, well being und Eudämonie besagen aber nicht dasselbe, auch wenn sie im Deutschen univok jeweils mit "Glück" bezeichnet werden. Das kommt in allen von uns ausgewählten Studien gut zum Ausdruck und rechtfertigt unsere Entscheidung, sie hier wieder abzudrucken. Gleichzeitig erlauben sie uns, verschiedene Richtungen aufdem Weg zu einer Bestimmung von Glück voneinander abzugrenzen. Angeregt von Alfred Schütz' (1971 :237 ft) Untersuchung zu den "mannigfaltigen Wirklichkeiten" könnte man von vier Sinnprovinzen der Glücksforschung sprechen, in denen jeweils eine eigene Wirklichkeitsakzentuierung zum Tragen kommt.
3. Sinnprovinzen der Glücksforschung Schütz nennt "finite provinces ofmeaning" jene Form der Wirklichkeitserfahrung, die von spezifischen Bewusstseinsspannungen geleitet sind, aus denen sich eigene ,,Aufmerksamkeiten auf das Leben", mit ihren jeweiligen thematischen Einklammerungen, ihren Selbsterfahrungen und Kommunikationsformen ableiten (ebd. S. 264 ff.). Er unterscheidet dabei den Alltag, von den Bereichen der Phantasie,
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des Traums und der Wissenschaft. Die Sinnprovinz des Alltags etwa ist ganz auf die Notwendigkeit des praktischen Handelns ausgerichtet, während Wissenschaft und Traum von Handlungen entlastet sind. Übertragen auf die Glücksforschung ergeben sich somit vier Modi der Aufmerksamkeit: Der erste Modus, repräsentiert durch die traditionelle Glücksphilosophie, ist essentiell ausgerichtet, während die drei anderen eher einem existentiellen, dem empirisch operierenden Wissenschaftsmodus (Geschichte, Soziologie, Psychologie etc.) entsprechenden Ansatz folgen. 1. Glücksphilosophie und Glückstheologie setzen - jenseits aller historisch-kulturell gegebenen Unterschiede in der jeweiligen Lebensweise von Menschen - bei einer philosophisch-, theologisch-anthropologischen Wesensbestimmung des Menschen an. Sie versuchen auf diese Weise diejenigen Güter (bona) zu bestimmen, die die höchste Glücksfülle gewährleisten. Diese Güter sind mit der Wesensbestimmung des Menschen gleichzusetzen. Daraus leitet sich ab, dass Menschen am besten danach trachten, diese Güter auch dauerhaft zu erwerben. Dieses Streben kommt nur zum Erfolg, wenn die Menschen einen festen Habitus erwerben, der den wechselnden Anforderungen und Herausforderungen der Zeitläufe die Stirn bieten kann. Diese stabile Charakterform (hexis) bezeichnen die antiken Philosophen mit Tugend (arete). Die damit umschriebene Haltung wird nur durch konstante Anstrengung, also Überwindung von Leidenschaften und Unlustgefühlen, erworben - woraus sich eine bedeutsame Spannung zwischen vordergründigem und hintergründigem Glück ergibt. Von dieser Überlegung ausgehend wurden in den späteren Jahrhunderten ausgefeilte Tugendkataloge (z.B. die sog. Kardinaltugenden) und Verfehlungsregister (Todsünden) entwickelt. Erstere sollen "den" Menschen vor dem Absturz in die Verfehlung seines Wesens und in die Beliebigkeit bewahren. Tatarkiewicz (1984) hat aber wohl recht, wenn er feststellt, dass dieser an sich empirische Ansatz bei den "Bedingungen der Möglichkeit" von Glück über einen Handlungsschematismus kaum hinauskommt. Denn die Aufmerksamkeit der Philosophen war eben ganz auf die Betrachtung der "Wesensguter" gerichtet, die das höchste Glück, die Seligkeit, garantieren sollen. Der Besitz der wertvollsten (geistigen und moralischen) Güter und die Zufriedenheit mit dem Leben fallen zusammen (beatitudo, eudaimonia). ,,Das griechische Denken über das Glück, das in seinen Anfängen einen religiösen Charakter hatte und sich auf das von den Göttern herab gesandte Wohlergehen konzentriert hatte, verwarf in seiner klassischen Periode diese transzendentalen Ideale, um freilich gegen Ende wiederum zu ihnen zurückzukehren" (ebd. 42).
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Ähnlich sieht das die Scholastische Philosophie (Kluxen 1978: 77 ff.). Sie folgt hier Plato, für den Glück eine Erscheinungsweise der Vollkommenheit ist. Deshalb entscheidet die Zufriedenheit gar nicht über das Glück. Sie ergibt sich vielmehr aus dem Glück, d.h. aus dem Besitz der wertvollsten Güter. Zufriedenheit ist nicht Inhalt, sondern Folge des Glücks oder besser: des geglückten Lebens. Man kann also ein gekonntes Leben führen, ohne immer gleich nach den guten Gefühlen schielen zu müssen. Vermutlich geht das aber nur, wenn man in einer philosophischen Tradition steht, die ,,zwei Etagen" des Lebens, eine diesseitige und eine jenseitige, anerkennt. Dann hat man den langen Atem, um im Diesseits auf manche emotionale Gratifikation verzichten zu können.
Abbildung: Sinnprovinzen der Glücksforschung Vormoderne
Moderne
Glücksphilosophie
Empirische Glücksforschung
Essenzielle Glücksebene
Existenzielle Glücksebenen
1. Betrachtung d. Glücksgüte
n. Alltagsglück
,eudaimonia"
..fortuna", ,,Juck" ~ ,,happiness", ..weil being"
Verheißungen, Visionen
Variabilität d. Glücksgüter: Gefühlsäquivalente
Haltungen, Maßstäbe
Erlebnisse, Spaß ~ emotiona1er Gewinn
Philosophische Anthropologie
t
Kumulation der Güter
I I I
L
:llI. Zufriedenheitsglück
~ Genuss, Lust, Freude
y
""-
/
IV. Lebensführungsglück Habitus, Verhaltensstile u1Uuvariationen,Tnulitionen Leb entwurf als Ganz t st"; Daue eflexivität "Lebens
-
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Modernisierungsbruch, Wechsel der Perspektive
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2. Dem ersten Anschein nach folgt die moderne, empirische Glücksforschung diesem philosophisch-theologischen Denkmodus nicht mehr. Sie wendet sich zunächst der Sinnprovinz des gelebten Alltags der unterschiedlichen Menschen und Gruppierungen zu. Das Erkenntnisinteresse richtet sich deswegen zunächst auf die konkret feststellbaren, höchst variablen, komplexen, sich zum Teil widersprechenden Bedürfnisse, Ziele, Wertvorstellungen und Handlungsweisen der Menschen in ihrer Lebenswelt. Ihr Zugriff zur Glücksthematik ist nicht mehr von der philosophischen Wesensbetrachtung her bestimmt, sondern von der Vielfalt der sozialen Tatsachen. Daher ist auch mit gegensätzlichen Glücksbestimmungen und -strategien der Menschen zu rechnen, wie uns viele Sprichwörter zu verstehen geben. "Glücklich ist, wer vergisst" ("bad memory and good health" in Hemingways Version), oder ist glücklich nur der Wissende? "Das Glück ist blind" (Cicero), oder ist jeder seines Glückes Schmied? "Den einen gibt, den anderen nimmt das Glück" (Menander), oder: "Glück hat auf die Dauer nur der Tüchtige" (Moltke). Oder ist es doch so, dass niemand vor seinem Tod glücklich zu preisen ist, wie Solon schon bemerkte. Die Liste sich widersprechender Glücksbestimmungen lässt sich leicht fortsetzen. Oft ist der Gegensatz jedoch nur ein scheinbarer, da einfach unterschiedliche soziale Lagen, Biographien, Situationen Generationen, Zeiten etc. angesprochen und ins Verhältnis gesetzt werden. Da kommen jeweils ganz bestimmte Glücksaspekte zum Tragen. Bedeutsam für diesen ersten Modus der Glücksbetrachtung ist: 1.
2.
3.
dass der Alltag der Menschen mit seinen Glücksvariationen und -kumulationen im Vordergrund steht. Diese sind nicht etwa unbedeutend, denn sie sind das, wovon Menschen in ihrem Leben überzeugt sind, es leisten, schaffen, gewinnen zu können. Sie ist das, was man realistischer Weise ,,haben" kann. Seins- und Vollkommenheitsfragen werden höchstens jenseits dieses Horizonts gestellt. dass die Menschen sich entweder als auf sich gestellte Glücksucher, als "Macher" (homo faber) ihres Glücks verstehen oder als solche, die dem Glück nur am Rande auf die Sprünge helfen können, weil es mehr mit fortuna (luck) zu tun hat; dass die Beziehung zwischen Glückssuche, Glücksgütern und Zufriedenheit ("well being") als sehr eng angesehen wird. Zufriedenheit und Glück bedingen sich. Dieser Zusammenhang ist aber nicht durchgängig, denn die Treffsicherheit bei der Suche nach Glücksgütern ist nicht sehr hoch, noch kann man verhindern, dass wiederholter Genuss seine Zufriedenheitsspannung verliert und schal wird ("fading").
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So steht auch der zweite Betrachtungsmodus, der die mit Glücksgütern einhergehenden seelischen Befindlichkeiten (,,zufriedenheitsglück") im Auge hat, unter dem Siegel der Variation ("happiness"). Zufriedenheiten sind nicht gegenüber allen Glücksgütern gleich intensiv. Auch kommen sie bezogen auf ein Gut im Plural vor, denn im Zeitablaufhaben sich meist die Situationen gewandelt. Glück ist eine mehrdimensionale Kategorie. Zufriedenheit ist also u.a. abhängig von der Dauer des Genusses, der Art der Menschen und ihrer Bedürfnisse, den sozialen Lagen, dem Lebensalter, der Kohorte, der Qualität der Güter usw. Diese Unterschiede müssen im Forschungsprozess differenziert erhoben werden. Dafür macht sich die (Sozial-)Psychologie stark. Der dritte moderne Betrachtungsmodus richtet sich auf die fundamentalen existentiellen Fragen der Lebensplanung. Verstärkt durch die Tatsache der hohen Kulturdiversität aller Glücksaspekte wird die alte Frage wieder virulent, ob Zufriedenheit eine notwendige und/oder eine hinreichende Bedingung für das dauerhafte "Lebensführungsglück" ist. Ersteres mag für eine kurzfristige Analyse gelten, denn erfahrungsgemäss peilen die meisten Menschen bei ihrer Lebensgestaltung ein zumindest akzeptables Zufriedenheitsniveau an. In der langfristigen Güterabwägung kann das vordergründige "happiness"- und "well being"-Motiv jedoch stark an Dringlichkeit verlieren. Selbst wenn es eine notwendige Bedingung für Glückserfahrung sein sollte, ist es wohl keine hinreichende. Bedingung. Gratifikationsaufschübe können ein Leben lang dauern, ohne dass die Glücksqualität des Lebens davon im Grundsatz beeinträchtigt würde. Dauerhafte und ephemere Glücksbestimmungen können jedenfalls in Widerspruch geraten. Insofern müssen Zufriedenheits- und Glückserwägungen empirisch auseinandergehalten werden. Dadurch wird es möglich, Zufriedenheiten zu skalieren und auf die zu erreichende "Lebensqualität" zu beziehen. Wer die Frage nach dem gekonnten Lebensstil aufwirft, fragt einerseits nach der gesellschaftlichenAusprägung eines Habitus bei den bestimmenden Statusgruppen, andererseits und in einer leicht veränderten Fokussierung auch nach dem ,,richtigen Lebensglück". Hier gilt Th.w. Adornos berühmte Formel, dass es kein richtiges Leben im falschen geben könne. Auf das Prinzip Glück bezogen lautet sie: "Es gibt kein richtiges Glück im falschen." Die traditionelle Glücksphilosophie könnte das unterschreiben. Dass sie die zur Bestimmung des "Richtigen" als notwendig erscheinenden Lebensziele und die entsprechende Lebenskunst nicht mehr mitliefern darf, ist unser heutiges Schicksal. Angesichts dieser Lage plädiert Höffe (2009:103) aber nicht etwa für eine Erwartungsreduktion, sondern für eine Doppelstrategie. "Die Zufriedenheit mit dem kleineren ... Glück behält sich für das größere Glück eine Erwartungsreser-
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ve zurück. Wer sich mit dem ,kleinsten Glück' der Üblichkeiten und der Routine zufriedengibt, entgeht (zwar) dem Risiko, das eigentlich Lohnenswerte vielleicht nie zu erreichen. Der Preis für seine,Versicherungsmentalität in der Lebensführung', der rigorose Verzicht auf eine Steigerung des Lebens, ist aber erstaunlich hoch. Denn die Routine hilft nur über Durststrecken der Glückssuche, löscht jedoch nicht den Durst. Man kann zwar den Durst verringern, aber der Durst der bleibt, will gelöscht werden, wozu die Routine - bestätigt die empirische Glücksforschung - außerstande ist."
Literatur: Bauman, Zygmunt (2010): Wir Lebenskünstler. FrankfurtJMain Bloch, Ernst (1973): Das Prinzip Hoffnung. 3 Bände, FrankfurtJMain Durkheim, Emile (1977): Über die Teilung der sozialen Arbeit. Frankfurt/Main Fisch, Stanley (1999): The Trouble with Principle. CambridgelMass. Gross, Peter (1994): Die Multioptionengesellschaft. Frankfurt/Main Habermas, Jürgen (1989): Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze. Frankfurt/Main, 3. Auflage Höffe, Otfried (2009): Lebenskunst und Moral oder macht Tugend glücklich? München Jonas, Hans (1997): Das Prinzip Leben. Ansätze zu einer philosophischen Biologie. Frankfurt/Main Jonas, Hans (1984): Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik fiir die technologische Zivilisation. FrankfurtIMain Kluxen, Wolfgang (1978): Glück und Glücksteilhabe. Zur Rezeption der aristotelischen Glückslehre bei Thomas vonAquin. In: Bien, Günther (Hg.): Die Frage nach dem Glück. Stuttgart: 77-92 Messner, Johannes (1966): Das Naturrecht. Handbuch der Gesellschaftsethik, Staatsethik und Wirtschaftsethik. Innsbruck,Wien,München, 5. Auflage Popper, Karl R.(1969): Logik der Forschung. Tübingen Riesman, David (1950): Die einsame Masse. Reinbek bei Hamburg Ros, Arno (1989): Begründung und Begriff. Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentationen. Band I: Antike, Spätantike und Mittelalter. Hamburg Schütz, Alfred (1971): Über die mannigfaltigen Wirklichkeiten. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze, Band 1. Den Haag: 237-298 Tatarkiewicz, Wladyslaw (1984): Über das Glück. Stuttgart, 3.Auflage Dtz, Arthur F. (1958): Sozialethik. 1. Teil: Die Prinzipien der Gesellschaftslehre. Heidelberg, Löwen Weber, Max «1920) 1988): Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Band I.Tübingen, 9. Auflage Weber, Max «1921) 1980): Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen 1980, 9.Auflage
Glücksforschung
Glück. Erscheinungsvielfalt und Bedeutungsreichtum Alfred Bellebaum
1. Zum Auftakt In manchen anspruchsvolleren Abhandlungen über Glück wird häufig Sigmund Freud zitiert, der in seinem Werk "Das Unbehagen in der Kultur" die (ganz ernst gemeinte?) Auffassung vertritt: "Die Absicht, dass der Mensch ,glücklich' sei, ist im Plan der ,Schöpfung' nicht enthalten." Wer den christlich begründeten Hinweis "Geheimnis des Glaubens" ernst nimmt und ein Geheimnis ein Geheimnis bleiben lässt, der wird in sanfter agnostischer Gesinnung über einen vorgeblichen Plan der Schöpfung nichts wissen. Es genügt ihm die hinlänglich bekannte Tatsache, dass die Menschen seit eh und je sich nach Glück gesehnt und Glück - ungeachtet unendlich vielen Unglücks und Leids in dieser Welt - auch erleben können und erlebt haben. Der prominenteste und immer wieder zitierte Zeuge ist Aristoteles: ,,Alle Menschen wollen glücklich sein. "1 Nietzsehe hat zwar bissig notiert: ,,Der Mensch strebt nicht nach Glück, nur der Engländer tut das. "2 Dieser Einwand bestreitet aber nicht ein menschliches Streben nach Glück schlechthin, sondern verurteilt nur das "Englische Glück mit Comfort und Fashion, Wohlbefinden" - was im übrigen zu manchen Missverständnissen des in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 behaupteten pursuit ofhappiness3 (=Streben nach Glück) als eines Menschenrechtes geführt hat. Von dieser Zwischenbemerkung abgesehen, bündelt
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Aristoteies, Nikomachische Ethik, I098a16, Darmstadt 1979. Vgl. auch: " ... Platon undAristoteles, Thomas v. Aquin und Kan!, Pascal und Rousseau, sie alle stimmen in diesem Punkt überein: ,alle wünschen sich ein glückliches Leben', ,omnes beatam vitam optent' (Seneca); ,das letzte Ziel des Menschen ist das Glück', ,ultimus finis hominum est beatitudo' (Thomas v.Aquin)", N. Hinske: Die Frage nach dem Glück als die Frage nach dem Menschen. Etwas von den fachspezifischen Aufgaben der Philosophie, in: Veritas filia temporis? ... Festschrift für Rainer Specht, hrsg. R W. Puster, Berlin/New York 1995: 85. Nietzsche, zit. G. Kamphausen: Recht auf Glück? Pragmatisches Glücksstreben und heroische Glücksverachtung, in: A. Bellebaum, Hrsg., Glück und Zufriedenheit. Ein Symposion, Opladen 1992: 98. Vgl. H. Mandt: Streben nach Glück - Menschenrecht und staatliche Garantie, in: A. Bellebaum/H. Braun/E. Groß, Hrsg., Staat und Glück. Politische Dimensionen der Wohlfahrt, Opladen/ Wiesbaden 1998: 69ff.
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Alfred Bellebaum
ein neuzeitlicher Philosoph die traditionsreiche Auffassung von einem natürlichen Glücksstreben des Menschen mit der These: "Die Vorstellung vom Glück ist unauthebbar mit der Existenz des Menschen verknüpft.'''' Von dem im allgemeinen positiv bewerteten Glück heißt es freilich andernorts, dass es sich um psychiatric disorder handle5; dass leidenschaftliche Liebe blind machen kann, ist verbÜTgt.6
2. Eine Forschungsinitiative - Erste Erfahrungen Angesichts der kaum noch übersehbar vielen Ansichten7 und Veröffentlichungen über Glück könnte man meinen, dass über Glück nicht weiter nachgedacht und geschrieben zu werden braucht. Und es mag schon gar nicht für erforderlich gehalten werden, ein "Institut für Glücksforschung" zu gründen (1990)8. Diese wissenschaftliche Einrichtung wurde allerdings in Teilen der Öffentlichkeit aufmerksam, ab und zu verwundert und manchmal mit Spott und Hohn registriert. Berichte im Rundfunk, Sendungen im Fernsehen, Artikel in Zeitungen und Zeitschriften, wissenschaftliche Tagungen9 , Kurse in meditativer und ratgebender 4
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N. Hinske: Lebenserfahrung und Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986: 31. Natürliches Glücksstreben, s. auch H. v. Stietencron: "... so geht es vor allem um ,kulturspezifische Reaktionen des denkenden Geistes auf das natürliche Glücksstreben des Menschen. Er kann es fördern oder zu unterdrücken versuchen ...", in: Das Glück und die Schatten der Vergänglichkeit. ReligiösPhilosophische K.onzeptualisierungen von Glück im alten Indien, in: A. Bellebaum, Hrsg., Vom guten Leben. Glücksvorstellungen in Hochkulturen, Berlin 1994: 154. In: H. P. Bentall: A proposal to classify happiness as psychiatrie disorder,in: Journal of medical ethics, I 8/1 992:94ft: Auch sonst wird Glück nicht allemal uneingeschränkt akzeptiert. Vgl. beispielsweise K. S. Rehberg: Die Angst vor dem Glück. Anthropologische Motive, in: A. BellebaumIK. Barheier, Hrsg., Glücksvorstellungen. Ein Rückgriffin die Geschichte der Soziologie, Opladen 1997: 153ff. (Betrifft: M. Scheler, H. Plessner, A. GeWen.) - Zur Begriffsgeschichte siehe: W. Sanders: Glück: Zur Herkunft und Bedeutungsentwicklung eines mittelalterlichen Schicksalsbegriff, Köln/Graz 1965. - M. Pelz: Am Beispiel Glück, in: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 2-3/ 1980: 81ft: - M. Pelz: Die Entstehung des neuzeitlichen Glücksbegriffs im 16. und 17. Jahrhundert, Diss. Wien 1984. - I. M. Greverus: Das wandelbare Glück in der westlichen Welt, in: Dies., Die anderen und ich. Vom Sich-Erkennen, Erkannt- und Anerkanntwerden. Kulturanthropologische Texte, Darmstadt 2. Aufl. 1995: 1455. - E. Pankoke: Modernität des Glücks zwischen Spätaufklärung und Frühsozialismus, A. Bellebaurn/Barheier, Hrsg., Glücksvorstellungen: 75ff. Z.B. O. Höffe: Glück/Glückseligkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, BaselStuttgart 1974: Sp. 679ft: Anders orientiert ist: "Kofuko-no-Kagaku. The Institute for Research ofHuman Happiness". Es handelt sich um eine der Neuen Religionen in Japan und Kofukono-Kagaku ist "Wissenschaft vom Glück". (Vgl. dazu K. Antoni: Fuku und sachi - die religiöse Konzeption des Glücks in der japanischen Kultur, in: A. Bellebaum, Hrsg.,Vom guten Leben ... (Anm. I): 223 ff.) Beispielsweise: Das Glück ist ein neuer Gedanke in Europa, ScWoss RaabslTaya, 1994. - Don't worry, be happy, Bensberg 1995. - Glück - gelungenes Leben, Meißen 1995. - Was ist Glück? Leben im Spannungsfeld von Leben und Scheitern, München 1996. - Ist Glück lernbar oder
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Absicht mit und ohne Dalai Lama, wissenschaftliche Abhandlungen etc. - dies alles hat seit Beginn der 90er Jahre Hochkonjunktur und ist zugleich ein lohnendes Forschungsobjekt. Nach der erwähnten Gründung gab es erheiternde und aufschlussreiche Erlebnisse. Ein Bettler tippte wegen des Türschildes auf Eheanbahnung. In einer weit verbreiteten Funkzeitung wurden ungefährliche Mittel zur Erlangung von Glück genannt, nämlich: Jogging, Kneippbäder und Seminare des Instituts für Glücksforschung. - Als Folge dieses Artikels tuschelte man in der Nachbarschaft über Rotlicht-Milieu. - Eine Sprechstundenhilfe erkundigte sich, mit was für Patienten wir es zu tun hätten. - Ein Handwerker fragte, ob es im Institut auch einen Automaten mit Präservativen gebe ... Wem beim Wort "Glück" sonst nichts einfällt, der kann natürlich mit der Intention wissenschaftlicher Glücksforschung lO nichts anfangen. Es ist freilich nicht zwingend erforderlich, für die alltägliche Lebensführung und für die oft als "kleines Glück" diffamierten Emotionen über wissenschaftliches Wissen zu verfügen und sich daran zu orientieren. "Glück" muss nicht reflektiert werden, um es erleben zu können. In zahlreichen Interviews für Funk und Pressemedien wurden in den vergangenen Jahren vor allem drei Fragen gestellt: Warnm ist das Institut gegründet worden? Was versteht man unter Glück? Sind Sie glücklich? - möglichst knappe Antworten in maximal drei Minuten. Sämtliche Bemühungen, differenziert zu antworten, blieben unverstanden. Sie widersprechen dem Gebot einer in vielen Medien gepflegten kurzweiligen Unterhaltung. Die Maxime lautet: Man darf Hörer/ Leser nicht strapazieren. In anspruchsvolleren Medien ll wurde natürlich mehr erwartet und nach wissenschaftlich belegbaren Erkenntnissen gefragt. Und doch hatte man es mit aller-
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Wieviel Philosophie braucht das Glück?, 1996. - Glück. Ein Symposion, Köln 1996. - Die Frage nach dem Glück. Philosophie und christlicher Glaube, Nümberg 1996. - Von Gott, dem Menschen und seinem Glück. Die Aktualität von Spinozas Ethik, Loccum 1996. - Einstein-Forum: Zum Glück, Potsdam 2001. - Inselglück. Der Traum vom glücklichen Leben, Badenweiler 2002. Erwähnenswert sind natürlich auch die vielen einschlägigen Tagungsbände. Zur Wortprägung "Glücksforschung" siehe u.a. bei H. Weinrich: Welcher Hans in welchem Glück? Plädoyer fiir die Glücksforschung, in: Süddeutsche Zeitung 4.1.1987. - W. Gehmacher: Glücksforschung - ein Plädoyer, in: Sozialwissenschaftliehe Rundschau 2/1987. - J. Thiele: Plädoyer fiir die Glücksforschung, in: Ders.: Glück. Das Buch der schönen Augenblicke, Stuttgart 1987. - E. Noelle-Neumann: Stationen der Glücksforschung. Ein autobiographischer Beitrag, in: A. Bellebaum/L. Muth, Hrsg., Leseglück. Eine vergessene Erfahrung?, Opladen 1996: 15 ff. - H. Braun: Empirische Glücksforschung. Ein schwieriges Unterfangen (in diesem Band). Beteiligt an Beiträgen/lnterviews/Berichten u.a.: Der Mensch ist ein glücksuchendes Wesen, Zeit Magazin 11/1993. - Vlelfältiges Glück, Universitas 6/1995. - Wer weiß was über Glück?, fit for fun 1/1997. - Vlelfliltiges Glück, in: Architekt. Zeitschrift des Bundes deutscher Architekten BDA 8/1997: 471 fI. - 288 Ansichten über Glück, in: taz 8/l997.-Erkläre mir einer das Glück, Die Bunte 12/1998. - Glück verbraucht sich, bild der wissenschaft 3/1999. - Was man besitzt,
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lei Problemen zu tun. Ein Punkt betraf die zahlreichen, in weiten Teilen der wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit unbekannten Aspekte von Glück: etwa Ökonomie, Staatsrecht, EthiklMoral, ArbeitlFreizeit, Jenseitsvorstellungen, innerweltlich orientierte politische Bewegungen ... - Überdies gibt es eine verbreitete Auffassung, dass es sich bei "Glück" um eine vorwiegend subjektiv-private Angelegenheit handle. Hinweise auf kollektive, also von mehreren Menschen geteilte, sowie geschichtlich und kulturell verschiedene Glücksvorstellungen blieben meistens unverstanden. Es gelang selten, deutlich zu machen, was Soziologen meinen, wenn sie von "gesellschaftlich bedingt" sprechen. 12
3. Wiederentdeckung des Glücks Wissenschaftsintem gab es - von einigen älteren Publikationen abgesehen 13 - ab Ende der 80er Jahre eine auffällige Aufbruchsstimmung, und die Zahl der Veröffentlichungen nimmt nach wie vor zu. Man kann sagen: ,,Der Glücksdiskurs zieht unsere Sozialwelt in ihren Bann wie ein Gottesdienst."14
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verliert den Reiz, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt 1/1999. - Auf der Suche nach dem Glück, Muth 7/1999. - Stachelbeeren, Mozart und andere Glücksf"alle, weil fit/Freundin 1/2000. - Nur im Deutschen hat das Wort Glück zwei Bedeutungen, in: P. M. Perspektiven, 2000. - Wunschlos glücklich, Cosmopolitan 10/2000. - Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, Credit Suisse Bulletin 1/2000: 7 ff. - 33 Wege zum Glück, Hörzu 7/2001-Blitzwege zumLebensglück. Einfach glücklich, Für Sie, 8, 11/200I. - Einfach glücklich. Ohne Stress zum schönsten Gefiihl der Welt, Focus 3/2002. - Tagung Fachverband Glücksspielsucht/Herford am 22.123. 11.2002 in Stuttgart. Fr. Fürstenberg: "Glück ist also offensichtlich doch keine ganz persönliche Angelegenheit des einzelnen Menschen, sondern auf vielfältige Weise sozial vermittelt", in: Soziale Muster der Realisierung von Glückserwartungen, in: H. Kundler, Hrsg., Anatomie des Glücks, Köln 1971: 58. Z. B.: H. Kundler, Hrsg.: Anatomie des Glücks, Köln 1971. - U. Hommes, Hrsg.: Was ist Glück? Ein Symposion, München 1976. - G. Bien, Hrsg., Die Frage nach dem Glück, Stuttgart/BadCannstatt 1978. - E. Martens, Hrsg.: Was heißt Glück? - K. Meyer-Abich/D. Birnbacher, Hrsg. Was braucht der Mensch um glücklich zu sein? Bedürfnisforschung und Konsurnk:ritik, München 1979. - G. Höhler: Das Glück, DüsseldorflWien 1981. - Recht auf Glück? Träume, Anspruche, Erfahrungen heute, Freiburg 1984. - Schon 1983 kann man lesen: "Eine Durchsicht aktueller Zeitschriftenliteratur, der Feuilletons überregionaler Zeitungen und der Verlagskataloge in der Bundesrepublik zeigt, dass das Thema ,Glück' in den letzten Jahren gar zu einem Modethema avanciert ist ... " (R. M. Bäumer/G. Helmes: Tendenzen der gegenwärtigen Glücksdiskussion. Ein Literaturbericht in zwei Teilen, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, 50/1983: 61 G. Schulze: Kulissen des Glücks. Streifzüge durch die Eventku1tur, Frankfurt/New York 1999: 9.
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a) Philosophie Das trifft beispielsweise für die Philosophie zu. In einem 1967 erschienenen Buch ,,Die Antworten der Philosophie heute" ist auf 444 Seiten von Glück und Enttäuschung keine Rede. Das ist eigentlich erstaunlich, denn Thema der antiken Philosophie war schließlich "Eudaimonia, das Gelingen des eigenen Lebens, das jeder will, und von dem doch den meisten nicht klar ist, worin es besteht". Cicero meinte sogar: "Die Untersuchung des glücklichen Lebens ist der einzige Gegenstand, den sich die Philosophie zum Zweck und Ziel setzen muss." Dies wurde mindestens seit Kant'S, der "Glück" als einen unbestimmten Begriff ansah, nicht mehr so gesehen. Neuerdings sind die antiken Lehrmeister des Glücks geradezu wieder entdeckt und unter anderem auf ihre aktuelle Bedeutung hin untersucht worden 16 • Letzteres geschieht in besonderer Weise für den pädagogisch-schulischen Bereich 17 sowie in philosophischen Praxen.
b) Empirische Glücksforschung Erwähnenswert ist sodann die inzwischen aufbreiter Front betriebene Empirische Glücksforschung vor allem psychologischer und sozialwissenschaftlicher Art. Es interessieren dabei verständlicherweise weniger die altehrwürdigen moralphiloso15
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Bei einem mit der Geschichte der Philosophie Vertrauten heißt es: Seit Kant "ist das Glück aus der großen Philosophie in der Tat so gut wie ganz verschwunden. Seitdem ist das Wort ,Eudämonismus' zu einem besseren Schimpf- und Hohnwort geworden, wenn auch Kant selber es durchaus noch mit Ernst und Hochachtung gebraucht hat." (D. Sternberger: Das Menschenrecht, nach Glück zu streben, in: Ders., Ich wünschte ein Bürger zu sein, Frankfurt 1967: 134). - Zu den Antworten, die Philosophie heute gibt, vgl. N. Hinske: Glück und Enttäuschung, in: H. Kundler, Hrsg. (Anmerkung 2): 217. - Eudaimonia = Einen guten Dämon haben = Glück, R. Spaemann: Glück und Wohlbefinden. Versuch über Ethik, Stuttgart 1989: 9. Zur antiken Philosophie vgl. u.a. M Hossenfe1der: Epikur, München 1991. - M. Hossenfe1der: Antike Glückslehren. Quellen in deutscher übersetzung, Stuttgart 1996. - H. Schöndorf: Was ist ein glückliches Leben. Vergangene und heutige Antwortversuche, in: Herder-Korrespondenz, 4/ 1996: 198ff. - F. Laupies: L~on philosophique sur le bonheur, Paris 1997. - D. Bourdin/G. Guislain/P. Jacopin: Le Bonheur, Rosny 1997. - P. Simmarano/E. Vergnou: Le bonheur. Premil:res reflexion sur le bonheur, Paris 1997. - Chr. Horn: Antike Lebenskunst. Glück und Moral von Sokrates bis zu den Neuplatonikern, München 1998. - U. Wolf: Die Philosophie und die Frage nach dem guten Leben, Reinbek 1999. - Plutarch: Die Kunst zu leben, Frankfurt/Leipzig 2000. - W. Schmid: Philosophie der Lebenskunst. Eine Grundlegung, 7. Aufi. Frankfurt 2000. - F. 1. Wetz: Glück, Stuttgart 2002. - E. Hufnagel: Philosophie des guten Lebens. Antike Lehnneister des Glücks (in diesem Band). Zur Pädagogik vgl. u.a. 1. Riemen: Die Suche nach dem Glück als Bildungsaufgabe. Zur Rehabilitierung einer verschwundenen pädagogischen Kategorie. Mit einer Auswahlbibliographie ,Glück', ,Glückseligkeit', Essen 1991. -Arbeitsgruppe Ethik, Hrsg., Glück, Donauwörth 1986. - L. HorsterlN. Thelen: Glück und Utopie, Frankfurt 1988. - V. Steenblock: Klassische Glücklehren aktualisiert. Ein Unterrichtsbeispiel, in: Philosophie heute, 10/1997: 66ff. - Glücklich leben, in: N. Martens, Hrsg.: Gut leben. Fragen zur Ethik, München 2001. - Glück und Sinn, in: H. Nink, Hrsg.: Standpunkte der Ethik. Oberstufe, Paderborn 2001.
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phischen und theologischen Theorien als vielmehr - ein durchaus problemträchtiger Terminus - die "empirisch" erfassbaren Voraussetzungen, Bedingungen, Ausdrucksweisen und Folgen von Glück. Für manche Forschung können Erkenntnisse antiker Philosophie aber durchaus befruchtend sein. Es heißt: "Denn über das Glück (und Unglück) haben schon so viele Generationen nachgedacht, dass wir durchaus mit einigen Hoffnungen bei vielen alten Lehrmeistern des Glücks in die Schule gehen können. Mit ihrer Hilfe sollten wir Glücksforschung betreiben."18 Es gibt in der Tat bemerkenswerte Parallelenl9 zwischen glücksorientierten Überlegungen in der antiken und in der modemen Welt. Der Ausdruck Empirische GlücksforschungW bezeichnet keinen einheitlichen Forschungsgegenstand. Das zeigt schon ein breites Wortumfe1d von Glück. Angrenzende Tennini sind insbesondere: Lebensqualität, Wohlbefinden, Positiverfahrungen, Zufriedenheit. In manchen glücksbezogenen Studien kommt das Wort "Glück" gar nicht vor, in manchen Untersuchungen, etwa über - dies ein breites Forschungsfeld - Lebensqualität, geht es auch um Glück, in noch anderen Arbeiten werden einschlägige Bezeichnungen synonym behandelt. Es gibt zwar Versuche, die vielfältigen Bezeichnungen bedeutungsmäßig zu ordnen, wissenschaftsintem sind jedoch allseits anerkannte und zugleich einsehbare Abgrenzungen nicht vorhanden. Am besten geht man pragmatisch vor, so wie das beispielsweise in dem Titel der kürzlich erstmals erschienenen international orientierten Zeitschrift "Journal ofHappiness Studies. An Interdisciplinary Forum ofSubjective Well-Being"21 zum Ausdruck kommt. Forschungs- und Publikationsaufwand sind beeindruckend. 22 18 19
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H. Weinrich: Welcher Hans in welchem Glück? ... (Anm. 2). Ders., in: H. Gnüg, Hrsg., Literarische Utopie-Entwürfe, Frankfurt 1982: 39ff. U.a.: "... dass nach dem Untergang der griechischen Stadtstaaten in der antiken Welt die Staatsgebilde unübersichtlich geworden waren. Entsprechend unanschaulich war das öffentliche Wohl und Wehe, sofern es sich nicht auf das Glück oder Unglück des Individuums unmittelbar auswirkte. Unter diesen politischen Bedingungen. die denen der Gegenwart nicht ganz unähnlich sind, entwickelten sich die Glückslehren der Epikureer und der Stoiker, jener Philosophenschulen also, die das Glück zu ihrem Hauptgegenstand gemacht haben." Z.B. Ph. Mayring: Die Erfassung subjektiven Wohlbefindens, in: A. Abele/P. Becker, Hrsg., Wohlbefinden. Theorie - Empirie - Diagnostik, Weinheim/Miinchen 1991: 97ff. Das Journal o[Happiness 8tudies - Teil von Kluwer Publications in Social Indicators and Quality ofLife Research, Dordrecht 1999ff., Chief-Editor R. Veenhoven, Editor E. Diener und A. Michalos - ist vorwiegend empirisch orientiert. Die Tradition wird freilich nicht vergessen, vgL Journal ofHappiness Studies.... Guest Editors, K. Barheier/A. Bellebaum: Views on Happiness in Classic Sociology, Volume 1,4/2000. (Bezug: A. Comte/E. Durkheim/G. Simmel/M. Scheler, H. Plessner, A. Gehlen). VgL u.a. W. GlatzerlW. Zapf: Lebensqualität in der Bundesrepublik Deutschland. Objektive Lebensbedingungen und subjektives Wohlbefinden, Frankfurt 1984. Zahlreiche weitere Abhandlungen mit oder ohne Bezug zur Forschung über Sozialindikatoren. - B. Grom: Positiverfahrungen - Ein Forschungsgegenstand der Sozial-und Persönlichkeitspsychologie, in: Ders.,
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4. Anthropologie des Glücks Wenn tatsächlich alle Menschen glücklich sein wollen, es ein natürliches Streben nach Glück gibt und die Vorstellung vom Glück unaufhebbar mit der Existenz des Menschen verknüpft ist - gelegentlich hat man vom Menschen als einem "glücksuchenden Tier"23 gesprochen -, dann hätte man es mit einem zeitlosen menschlichen Bedürfnis zu tun.
a) Theorie der Unruhe Zur Erklärung der erwähnten Ansicht kann - sicherlich nicht die ganze Wahrheitauf die begrenzte Macht körperlicher Instinkteffriebe24 hingewiesen werden, womit ja ein erheblicher Freiheitsspielraum25 einhergeht, den es zu nutzen gilt. Kurz und präzise vermerkt Spaemann: ,,Menschen ,führen' ihr Leben, und sie müssen
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N. Brieskom/G. Haeffner: Glück. Auf der Suche nach dem ,guten Leben', Frankfurt 1987. - R Schwarz u.a.: Lebensqualität in der Onkologie, München 1991. - A. Abe1eIP. Becker, Hrsg., Wohlbefinden. Theorie - Empirie - Diagnostik, Weinheiml München 1991. - F. StrackIM. Argy1e/N. Schwarz, Eds.: Subjective we11being. An interdisciplinary approach, Oxford 1991. G. Seifert, Hrsg.: Lebensqualität in unserer Zeit, Modebegriff oder neues Denken?, Göttingen 1992. - A. BellebaumIK. Barheier, Hrsg.: Lebensqualität. Ein Konzept fiir Praxis und Forschung, Opladen 1994. - Veenhoven, R: World Database ofHappiness: Happiness in Nations. Subjective appreciation oflife in 56 nations 1946-1992, Rotterdam 1993. - R Veenhoven: World Database ofHappiness. Bibliography ofHappiness. 2472 contemporary studies in 69 nations 1911-1994, Rotterdam 1993. - M. Nussbaum/A. Sen, Eds.: The Quality oflife, Oxford 1995. M. und S. Greiffenhagen: Glück. Realitäten eines Traums, München 1988: 39. - Im Zusammenhang mit seiner These, dass alle Menschen nach Glück streben, heißt es bei Aristote1es: ,,Mit Recht werden wir weder ein Rind noch ein anderes Tier glücklich nennen" (worüber sich allerdings schon wegen der Milch von den glücklichen Kühen streiten lässt). Ohne hier einen allgemein verbindlichen Glücksbegriff versuchen zu wollen, sei nur angemerkt, dass inzwischen so genannten ,,nicht humanen Hominiden" - Schimpansen, Gorillas und Drang Utans - mehr Ähnlichkeiten mit Menschen zuerkannt werden, als Aristote1es (Nikomachische Ethik, 1098a16) wissen konnte. Im Zusammenhang mit Tier-Mensch-Verg1eichen unter hirnphysiologischen Aspekten vgl. M. Koch: "Glücksempfindungen. Ergebnisse der Gehirnforschung". Vgl. dazu das seit langem breitdiskutierte Thema der begrenzten Instinktausstattung des Menschen mit erläuternden Begriffen wie Instinktreduktion, Plastizität der Instinkte, Mängelwesen. In neuerer Zeit P. L. Bergerffh. Luckmann: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt 1969; u.ä. Bezug u.a. A. Gehlen: Der Mensch, seine Natur und seine Stellung in der Welt, Ber1in 1940. Neu herausgegeben K. S. Rehberg, Frankfurt 1993. Die hier gemeinte Freiheit ist selbstverständlich nicht grenzenlos, denn menschliches Leben und Zusammenleben sind ohne soziale Regelung verschiedenster Art unmöglich. Was an instinktgebundener Sicherheit fehlt, wird - wenn man es so ausdrücken darf - durch normgeleitetes Handeln kompensiert. Soziale Normen sind natiirlich keine Instinkte, sondern nur so etwas wie Instinktersatz. Siehe A. Bellebaum: Soziale Norm, in: Ders., Soziologische Grundbegriffe, 13. Auflage Stuttgart 2001: 36ff.
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auch das noch lernen."26 Anders: Wir Menschen sind gezwungen, unser Leben zu gestalten und fortwährend tätig zu sein. Berühmt und häufig zitiert heißt es bei Pascal: "Wenn ich mir mitunter vornahm, die vielfältigen Aufregungen der Menschen zu betrachten, die Gefahren und Mühsale, denen sie sich bei Hofe und im Kriege aussetzen, woraus so vielerlei Streit, Leidenschaften, kühne und oft böse Handlungen usw. entspringen, so fand ich, dass alles Unglück der Menschen einem entspringt, nämlich, dass sie unfähig sind, in Ruhe in ihrem Zimmer zu bleiben."27 Von daher gesehen kann man den Menschen als ein unruhiges Lebewesen begreifen. Es gibt viele Beiträge zu einer Anthropologie der Unruhe. Kant schreibt: "Im Leben (absolut) zufrieden zu sein, wäre tatlose Ruhe und Stillstand der Triebfedern."28 Ficino erklärt kurz und bündig: "Wir alle sind wie Tantalus."29 Kohelet stellt resigniert fest: "Ich dachte mir: Auf, versuch es mit der Freude, genieß das Glück: Das Ergebnis: Auch das ist Windhauch." Aristophanes leidet unter der Erfahrung: ,,An allem bekommt man schließlich Überdruss ..."30 Und der Heilige Augustinus seufzt erwartungsvoll: "Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir."3l In diesem Zusammenhang stellt sich unvermeidbar die menschenbewegende Frage nach dem Sinn32 dessen, was wir tun. Sehr wahrscheinlich kann allein nur der Mensch sich selbst zum Objekt der eigenen Nachdenklichkeit werden und beispielsweise fragen: Weshalb? Wieso? Zu welchem Zweck? Mit welchen Folgen? Wozu bin ich aufErden? Was macht das Leben lebenswert? Wie kann mein Leben gelingen und also glücken? Was zeichnet gelingendes = glückliches Leben aus? Auf solche Fragen gab und gibt es keine zeitlos gültigen und allgemein anerkanntenAntworten. Wer eher einer pessimistischen Anthropologie anhängt33, wird sich 26 27 28 29
Spaemann, (Anm. 3): 9. B. Pascal: über die Religion und einige andere Gegenstände (pensees), Tübingen 1948: 139. Kant: Von der langen Weile und der Kurzweil, in: Kant: Werke VII, Berlin 1968: 235. Ficino: De vita libri tres ... in: Ders.: Opera Omnia, Vol. I, Toms I, Turin 1959: 524ff. Kohelet:
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Aristophanes, Pluto: " ... überdruss: Liebe, Semmel, Musenkunst, Zuckerwerk, Ehre, Kuchen, Tapferkeit, Feigenschnitt, Ruhm, Rührei, Kommando und Gemüse." Augustinus: Confessiones, 1. Buch, 1. Kapitel. Zu diesem unerschöpflichen Thema vgl. H. Flam: Soziologie der Emotionen, Konstanz 2002 B. Kanitscheider: Auf der Suche nach dem Sinn, Frankfurt 1995. - P. L. BergerfTh. Luckmann, a.a.O. - Glücken, Begriff bei W. Korff: Wie kann der Mensch glücken, Perspektiven der Ethik, München 1985. Zu einer negativen Anthropologie erfährt man viele interessante Details in der europäischen Denktradition hinsichtlich "Missvergnügen", eine nicht gerade glücksnahe Lebenseinstellung. Am Beginn steht Timon, der Misanthrop. Vgl. W. Binder: über Timen, den Misanthropen, Ulm. 1896. - F. Bertram: Die Timonlegende - eine Entwicklungsgeschichte des Misanthropentypus in der antiken Literatur, Diss. Frankfurt 1906. In der weiteren Entwicklung spielen dann Befindlichkeiten eine Rolle, die Acedia/Melancholie/Ennui/ Spleen! Hypochondrie, Blasiertheit!
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bei dem Vorsokratiker Menander gut aufgehoben fühlen: "Der Mensch an sich ist schon ein hinreichender Grund für Traurigkeit." Ähnlich sah es ein über dreißig Jahre in der Psychiatrie einsitzender und schriftstellerisch begabter Mensch: "Alles ist viel zu sehr umsonst."
b) Vergänglichkeit und Überdruss Teils mit und teils ohne Bezug zu den obigen Ausführungen wird seit eh und je auf die im allgemeinen als negativ empfundene Tatsache hingewiesen, dass es in der Regel keine unbegrenzten Glückserlebnisse gibt. Eine grundsätzliche These: "Es gibt keine dauerhaften Empfindungen. Empfindungen sind keine Zustände: Sie kommen und gehen. Das Glück hat, wenn man es denn als Zustand verstehen will, den Charakter eines Ausnahmezustandes ... Man kann ebenso wenig in einem unaufhörlichen Fest leben wie in einem dauernden Glück. Weder Glück noch Fest sind dem Menschen als Dauerzustand erlebbar"34 - was den Göttern vorbehalten bleibt. Über die Dauer von Glückserlebnissen lässt sich nichts Allgemeines sagen. Von vielen Menschen erlebt ist der ggf. lebenslang die Erinnerung beschäftigende "Glückliche Augenblick".35 Die begrenzte Dauer von Empfindungen und also auch von Glückserlebnissen lässt sich aus einer bestimmten anthropologischen Sicht wie folgt erklären. Was Menschen erreichen und was sie beglückt, kann allemal mit der Zeit in den Hintergrund der Aufmerksamkeit treten und damit an Reiz verlieren. 36 Dadurch werden neue Energien frei und neue Aktivitäten in Gang gesetzt. Der Philosoph Schopenhauer weiß dies auf seine Weise: "Zwischen Willen und Erreichen fließt nun durchaus jedes Menschenleben fort. Der Mensch ist seiner Natur nach Schmerz: die Erreichung (von etwas) gebiert schnell Sättigung: das Ziel war nur scheinbar: der Besitz nimmt den Reiz weg: unter einer neuen Gestalt stellt sich der Wunsch, das Bedürfniß wieder ein. Wo nicht, so folgt Öde, Leere, Langeweile, gegen welche der Kampf ebenso quälend ist, wie gegen die Noth."37 Wer wollte das bestreiten?
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Weltschmerz/Oblomowsche Kranheit/Depression genannt werden. Zusammenfassend A. Bellebaum: Langeweile, a.a.O. J. Assmann: Glück und Weisheit im alten Ägypten, in: A. Bellebaum, Hrsg., Vom guten Leben ..., (Anm. 1): 17f. D. Blothner: Der glückliche Augenblick. Eine tiefenpsychologische Erkundung, Bonn 1993. Siehe u.a.: F. R Tenbruck: Hintergrunderfiillung und Gratifikationsverfall, in: Ders.: Zur Kritik der planenden Vernunft, Freiburg 1972: 88ft: Bezug vor allem zu A. Gehlen, (Anm. 5). A. Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zweiter Teilband, Zürich 1877: 392. - Zu Langeweile siehe ausführlicher A. Bellebaum: ... (Anm. 5).
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c) Physisch-psychische Aspekte Glückserlebnisse sind eine der vielen Ausdrucksfonnen von Emotionen - wie beispielsweise Lachen, Weinen, Angst, Zorn usw. Emotionen sind integraler Bestandteil der menschlichen Natur und für manche Psychologen verstehbar als Reaktionen auf äußere und innere Reize. Was sich im Einzelnen abspielt, wenn Reize wirksam werden, fällt in den weiten Forschungsbereich der Emotionspsychologie, die sich mit subjektiven Gefühslagen und Ausdrucksweisen von Emotionen befasst. In den umfangreichen Forschungsbereich lassen sich auch Psychologie/n des Glücks einordnen. 38 Von den vielen Teilaspekten des komplexen Themas sei hier nur die Psychologie des Flow-Erlebnisses erwähnt. 39 In nahezu aller Munde sind die Studien über Flow bzw. Flow-Erlebnisse. Der Ausdruck Flow zielt auf optimales Erleben bzw. außergewöhnliche Erfahrungen. Zusammenfassend40 ist von einem höchst erwünschten Zustand die Rede, in welchem der Mensch seine Einbindung in Zwecke und Ziele hinter sich lasse und in ein befreiendes Stromerlebnis eintauche. Zu den verschiedenen Aspekten des Flow-Erlebnisses rechnet die autotelische Erfahrung: " ... eine sich selbst genügende Aktivität, eine, die man ohne Erwartung künftiger Vorteile ausübt, einfach, weil sie in sich lohnend ist." Gemeint sind allemal anstrengende Tätigkeiten wie beispielsweise die von Kletterern und nicht zuletzt die von Chirurgen, (die sich in ihren Bastelstuben als Herrgottsschnitzer lustvoll betätigen). Die Frage nach Flow-Erlebnissen ist später auf einen breiten Personenkreis angewendet worden, wie das etwa in der Frage zum Ausdruck kommt: "Kennen Sie das, wenn Sie in eine Tätigkeit so vertieft sind, dass alles andere bedeutungslos wird und Sie die Zeit völlig vergessen?''41 Viele Menschen haben solche Erlebnisse. 38
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Siehe u.a. das schon ältere umfangreiche Werk von C. Izard: Die Emotionen des Menschen, Weinheim/Basel1981 sowie Ph. Mayring: Psychologie des Glücks, Stuttgart 1991. - Emotionen sind freilich auch für die Soziologie interessant, denn die Ausdrucksformen sind in vielfacher Hinsicht sozial geregelt. Man lacht nicht in ungeziemender Weise - und man zeigt in bestimmten Situationen nicht, dass man glücklich ist. VgL 1. Gerhards: Soziologie der Emotionen. Fragestellungen, Systematik und Perspektiven, Weinheim/ München 1988. M. Csikszentmihalyi: Flow. Das Geheimnis des Glücks, Stuttgart 1992. Ders.: Das Flow-Erlebnis, 7. Aufl. Stuttgart 1999. Ders., Kreativität, 5. Aufl. Stuttgart 2001. Ders.: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben. Psychologie für das 3. Jahrtausend, Stuttgart 2000. L. Muth: Leseglück als Flow-Erlebnis. Ein Deutungsversuch, in: A. Bellebaum/L. Muth, Hrsg., Leseglück (a.a.O.): 159. E. Noelle-Neumann: Stationen der Glücksforschung. Ein autobiographischer Beitrag, in: A. Bellebaurn/L. Muth, Hrsg., Leseglück a.a.O: 28. Weitere demoskopische Details in: E. NoelleNeumann/Ih. Petersen: Alle, nicht jeder. Eine Einführung in die Methoden der Demoskopie, München 1996, speziell 186ff. VgL auch H. Braun: Empirische Glücksforschung. Ein schwieriges Unterfangen (in diesem Band).
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Die traditionsreichen Auseinandersetzungen über AnlagelUmwelt sind keineswegs beendet, wenngleich nicht mehr mit der üblichen Verbissenheit gestritten wird. Für das Thema Glück besteht kein Anlass, sich weiterhin der Alternativ-Attrappe AnlagelUmwelt zu bedienen. Im Gehirn ist jener Bereich lokalisiert, der für Emotionen "zuständig" ist. Glücksempfindungen sind freilich nur eine Glückszie1e/Glücksvorstellungen eine andere Sache, nämlich zeit-und kulturbedingte Sachverhalte. Obwohl Glücksziele nicht biologisch erklärbar sind, ist die Bedeutung der physischen Natur dennoch evident. Aus der Gehirnforschung weiß man gut Bescheid über den für Glück wichtigen lirnbischen Teil des Gehirns. Hier gibt es besonders viele Rezeptoren, also Empfänger, an die Endorphine andocken - körpereigene Stoffe mit opiatartiger Wirkung. Von den zahlreichen Gehirnbotenstoffen sind Serotonin, Dopamin und Noradrenalin auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Die Werbung weiß: "Iß Dich glücklich!" - und zwar mit Aminosäuren, aus denen unsere Nervenzellen das "Glückshormon" Noradrenalin bilden. Die Beeinflussung von Serotonin und anderen Neurotransmittern, die an den Nervenenden freigesetzten Übertragungsstoffe, durch Psychopharmaka liegt nahe. Besonders erfolgreich ist nach wie vor das als "Glückspille" bezeichnete Medikament ProzaclFluctin. Der Missbrauch stimmungsauthellender Drogen - wie MorphinelBarbiturate/AlkohollKokain/Cannabis/AmphetaminelKhatlHalluzinogene sowie der neuartigen Designer-Drogen - ist nach Ansicht von Fachleuten weit verbreitet, und das Ausmaß an körperlichen/seelischen/sozialen Folgen ist kaum abschätzbar. Es geht in sehr vielen Fällen eigentlich weniger um die Erlangung von Glück, als vielmehr um Folgen wie UnglücklLeidlVerzweiflung. Der Ausdruck ,,Künstliche Paradiese" trifft sehr genau. 42
5. Glücksvorstellungen Über den engen Zusammenhang zwischen Glücksgefühlen und molekularen Vorgängen im Gehirn braucht man nicht zu erschrecken. Es gibt zwar die invarianten, d.h. den Menschen als Menschen eigenen Prozesse im Gehirn, damit ist aber das Thema Glück nicht schon erledigt. Bedeutsam sind nämlich erhebliche zeit-/ kultur-/schicht- und herkunftsbedingte Unterschiede bei Anlässen für Glücksempfindungen, bei den geltenden Glückszielen sowie bei den genutzten Mitteln ihrer Verwirklichung. 42
Zur Gehirnforschung siehe ausführlich: M. Koch: Glücksempfindungen. Ergebnisse der Gehirnforschung.
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Wir wissen schon, dass die Vorstellung vom Glück unauthebbar mit der Existenz des Menschen verknüpft ist. 43 Es gilt aber auch, dass die Glücksvorstellungen "aufs engste mit dem Zeitgeist verwoben und vom ihm beeinflusst sind". In einer kulturvergleichenden Studie ist die Rede von - wie früher schon einmal erwähnt ,,kulturspezifischen Reaktionen des denkenden Geistes auf das natürliche Glücksstreben des Menschen. Er kann es fördern oder zu unterdrücken versuchen; er kann es in bestimmte Richtungen lenken; er wird auch abzuwägen haben, wie sich individuelles und kollektives Glück zueinander verhalten und wann das Glücksstreben des Einzelnen hinter dem Wohl der Gemeinschaft zurücktreten muss.''44 Ein anderer Kenner führt aus: "Jede Zeit hat ihre Glücksvorstellungen. Kulturen sind nichts anderes als Entwürfe von Glückseligkeit; Religionen sind Erinnerungszeichen dafür, dass keine Glücksvorstellung, die der Mensch selbst entwerfen kann, genügt. Die Biographie des Einzelnen wird zur Einheit durch seine Interpretation des Glücks, die Einheit einer Epoche lässt sich ausmachen an der Übereinstimmung ihrer GlÜckssuche.''45 Dazu einige Belege.
a) Objektivierung und Subjektivierung Für Aristoteies ist eudaimonia das höchste Gut, wonach es sich zu streben lohnt. Einer der (vielen) Interpreten: "Eudairnon ist der Mensch dann, wenn er seine Vernunft zur Vollkommenheit gebracht hat.''46 Wie aber kann der Mensch vernunftgemäß leben? Dazu heißt es: Für Aristoteles sei die Welt ein sinnvoll geordneter Kosmos, in demjedem Ding und jedem Wesen sein bestimmter Platz zugewiesen werde. Daher habe auch jedes Wesen eine bestimmte für es wesenhafte Tätigkeit. Eudaimon/glücklich sei der Mensch dann, wenn er das tue, was ihm zu tun zukomme. Dieses Glückskonzept kommt nicht von ungefähr. Mit Blick auf AristoteIes hat ein Philosoph auf die wichtige Tatsache hingewiesen: "Das Gelingen des Lebens hängt darüber hinaus ab von bestimmten Strukturen des gemeinschaftlichen Lebens, von einer bestimmten Verfasstheit der öffentlichen Institutionen, die das Gehäuse menschlicher Handlungsmöglic1hkeiten und Handlungsorientierung darstellen.''47 Bezug ist die griechische polis, um die es damals nicht mehr zum Besten bestellt war. Etwas zynisch-bissig ist angemerkt worden: "Aristoteies' höchstes moralisches Gut war die Moral des athenischen Bürgers: der für unglei43 44 45 46 47
N. Hinske: Lebenserfahrung ..., (Anm. 1): 31,49. F. v. Stietencron: Das Glück und die Schatten ... (Anm. 1): 154. - Vgl. auch den Beitrag von Tb. Bargatzky in diesem Band. G. Honnefelder, Hrsg.: Vom Glück. Erkundigungen, Frankfurt 1968: 365. M. Hossenfelder: Philosophie als Lehre vom glücklichen Leben. Antiker und neuzeitlicher Glücksbegriff, in: A. Bellebaum, Hrsg., Glück und Zufriedenheit ... (Anm. 1): 16. R. Spaemann: Glück und Wohlbefinden ... , (Anm. 2): 24.
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chen Besitz war und für gleiche politische Rechte - der Vollbürger; und welcher Tiere, Sklaven und Weiber für Dinge hielt. Wer in Harmonie mit dieser Ordnung lebte, war glücklich. ''48 Das ist sicherlich nicht die ganze und vermutlich von vielen Philosophen nicht ernst genommene Wahrheit der aristotelischen eudaimonia. Nur als kleiner Exkurs sei angemerkt, dass auch im Alten Ägypten das Glück im engen Zusammenhang mit der Ordnung des Zusammenlebens gesehen wurde. Einprägsam formuliert: Glück sei für den Ägypter eine Sache gelungener Beziehungen, also eine Frage der Sozialisation. "Glück ... besteht darin, sich möglichst eng in die Ordnung des Zusammenlebens ... zu integrieren, und zwar dadurch, dass man den anderen das Zusammenleben, mit sich selbst ermöglicht und ihren Beifall findet .. .'