Andreas Hadjar (Hrsg.) Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten
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Geschlechtsspezifische B...
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Andreas Hadjar (Hrsg.) Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten
Andreas Hadjar (Hrsg.)
Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Frank Engelhardt / Cori Mackrodt VS Verlag für Sozialwissenschaften ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Layout: Joëlle Arensdorff, Luxemburg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Ten Brink, Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-17288-0
Inhaltsverzeichnis
Andreas Hadjar Einleitung .............................................................................................................. 7 Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten im Überblick Andreas Hadjar/Joël Berger Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Europa: Die Bedeutung des Bildungs- und Wohlfahrtsstaatssystems .............................. 23 Rolf Becker/Walter Müller Bildungsungleichheiten nach Geschlecht und Herkunft im Wandel ................... 55 Sandra Hupka-Brunner/Robin Samuel/Evéline Huber/Manfred M. Bergman Geschlechterungleichheiten im intergenerationalen Bildungstransfer in der Schweiz ..................................................................................................... 77 Markus Lörz/Steffen Schindler Geschlechtsspezifische Unterschiede beim Übergang ins Studium .................... 99 Auf der Suche nach Ursachen Gudrun Quenzel/Klaus Hurrelmann Entwicklungsaufgaben und Schulerfolg: Stehen geschlechtsspezifische Bewältigungsmuster hinter dem Bildungserfolg von Frauen? .......................... 125 Heinz Leitgöb/Johann Bacher/Norbert Lachmayr Ursachen der geschlechtsspezifischen Benachteiligung von Jungen im österreichischen Schulsystem ...................................................................... 149 Judith Lupatsch/Andreas Hadjar Determinanten des Geschlechterunterschieds im Schulerfolg: Ergebnisse einer quantitativen Studie aus Bern ................................................ 177 Elisabeth Grünewald-Huber/Stefanie Gysin/Dominique Braun Wie inszenieren sich Schülerinnen und Schüler im Unterricht? Ergebnisse aus den qualitativen Daten einer Berner Studie .............................. 203
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Inhaltsverzeichnis
Martin Neugebauer Werden Jungen von Lehrerinnen bei den Übergangsempfehlungen für das Gymnasium benachteiligt? Eine Analyse auf Basis der IGLU-Daten............... 235 Dirk Baier/Christian Pfeiffer Mediennutzung als Ursache der schlechteren Schulleistungen von Jungen ........................................................................................................ 261 Tina Hascher/Gerda Hagenauer Wohlbefinden und Emotionen in der Schule als zentrale Elemente des Schulerfolgs unter der Perspektive geschlechtsspezifischer Ungleichheiten .................................................................................................. 285 Rebecca Lazarides/Angela Ittel Soziale und individuelle Bedeutungsfaktoren für mathematisches Fachinteresse und geschlechtsspezifische Varianzen ........................................ 309 Rückblicke auf die Debatte um geschlechtsspezifische Ungleichheiten und den Bildungsmisserfolg der Jungen Heike Diefenbach „Bringing Boys Back in“ revisited: Ein Rückblick auf die bisherige Debatte über die Nachteile von Jungen im deutschen Bildungssystem............. 333 Becky Francis/Christine Skelton Geschlecht und Bildungserfolg – Eine Analyse aus der Perspektive der Feminist Theory .......................................................................................... 367 Hannelore Faulstich-Wieland Werden tatsächlich Männer gebraucht, um Bildungsungleichheiten (von Jungen) abzubauen? .................................................................................. 393 Regula Julia Leemann/Christian Imdorf Zum Zusammenhang von Geschlechterungleichheiten in Bildung, Beruf und Karriere: Ein Ausblick ................................................... 417 Elisabeth Grünewald-Huber Was können wir aus den Befunden lernen? Empfehlungen für Lehrpersonen, Lehrpersonenausbildende und die Bildungspolitik .............. 441 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren.......................................................... 449
Einleitung Andreas Hadjar
Der wissenschaftliche Diskurs um geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten hat sich – parallel zu strukturellen Entwicklungen, die zu einem Abbau geschlechtsspezifischer Ungleichheiten beigetragen haben – in den letzten Jahren stark gewandelt: weg von einer geringeren Bildungs- und Erwerbsbeteiligung der Frauen, hin zur Benachteiligung der Männer im Bildungssystem. Der geringere Bildungserfolg von Schülern – im Hinblick auf Bildungszertifikate, Schulnoten oder Leistungstests – ist zum viel beachteten Thema geworden. Davon zeugen Thematisierungen von „angeknacksten Helden“, „Jungenkatastrophe“ oder Männer überholenden „Alpha-Mädchen“ (Der Spiegel). Es stehen verschiedenste Erklärungsansätze in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion, die oftmals mehr oder weniger ad-hoc in den Raum gestellt wurden. Die einen fokussieren dabei das Aufholen der Mädchen, die anderen den Bildungsmisserfolg der Jungen. Inzwischen gibt es auch eine ganze Reihe empirischer Befunde zu geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten, die einige der diskutierten Hypothesen stützen und andere widerlegen. Dieser Sammelband zielt darauf, einen aktuellen Überblick über den sozialwissenschaftlichen Stand der Forschung anhand ausgewählter empirischer Befunde zu geben. Der abschließende Teil des Buches enthält Rückschauen auf die Debatten um Geschlechterunterschiede aus unterschiedlichen Perspektiven. Im Rahmen dieser Einleitung, die mit Absicht kurz gehalten ist, um zu starke Überschneidungen mit den einzelnen Beiträgen zu verhindern, sollen zunächst anhand aktueller Zahlen die Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg beschrieben werden. Dann wird auf einige derzeit diskutierte Ursachenfaktoren eingegangen. Schließlich werden der Aufbau und die Beiträge dieses Buches kurz dargestellt.
Die Ausgangslage Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten manifestieren sich aktuell in einer geringeren Chance von Jungen, höhere Schulformen der Sekundarbildung zu besuchen, oder in schlechteren Schulnoten der Jungen. Während hinsichtlich der Bildungsübergänge und der Schulleistungen Jungen klar benachteiligt erA. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4_1, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einleitung
scheinen, sind die Geschlechterunterschiede in den Kompetenzen, die im Rahmen der PISA-Studien gemessen wurden, geringer ausgeprägt. Beachtet werden muss auch das Schulfach: Mädchen haben einen klaren Vorsprung in den Leseund Sprachkompetenzen – den sie offenbar bereits seit längerem haben. Jungen hingegen weisen bessere Fähigkeiten in Mathematik auf (vgl. u.a. Baumert et al. 2001 für Deutschland oder Zahner Rossier 2004 für die Schweiz). Neben der in diesem Buch fokussierten vertikalen Dimension von Geschlechterungleichheiten im Bildungssystem sind aber auch horizontale Ungleichheiten zu beachten, die sich in geschlechterdifferentiellen Präferenzen in der Fächer-, Berufs- und Studienfachwahl manifestieren. Beispielhaft soll nun die aktuelle Ausgangslage anhand den Befunden des Jahresgutachtens des Aktionsrats Bildung von 2009 (Blossfeld et al. 2009) zu Geschlechterdifferenzen im deutschen Bildungssystem skizziert werden, dass zu den aufeinander folgenden Bildungsphasen Stellung nimmt. Hinsichtlich der vorschulischen Bildung im Kindergarten sind noch keine Geschlechterunterschiede in der Beteiligung an formellen und informellen Bildungsangeboten feststellbar. Allerdings ist auf Verhaltens- und Interessenunterschiede zwischen Jungen und Mädchen bereits vor dem Primarschulalter zu verweisen, die aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Resultat geschlechtsspezifischer Sozialisation – u.a. auch geschlechtsspezifischer Erziehungspraxen der Eltern und Erziehenden für Kleinkinder – sind. Jungen erweisen sich als aggressiver und weniger kreativ als Mädchen, sie interessieren sich stärker für Fahrzeuge und weniger für Puppen. Auf der Primarstufe (Grundschule) konstatiert der Bericht von Blossfeld et al. (2009: 79-94) geschlechtsspezifische Einschulungsquoten. Jungen werden häufiger als Mädchen verspätet eingeschult. Mehr Mädchen als Jungen werden vorfristig eingeschult. Es zeigt sich bereits im 4. Schuljahr ein geringer Leistungsvorsprung der Mädchen gegenüber den Jungen bei den Leseleistungen. In Mathematik und Naturwissenschaften schneiden in den IGLULeistungstests (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) wiederum Jungen etwas besser ab als Mädchen. Der Aktionsrat Bildung weist für den Übergang von der Grundschule in die Sekundarschule in Deutschland auf eine deutliche Benachteiligung der Jungen hin: „Diese müssen für eine Gymnasialempfehlung eine höhere Leistung erbringen als Mädchen. Dies führt zu einer ungerechten Verteilung der Mädchen und Jungen auf weiterführende Schulen. Jungen sind in Gymnasien unterrepräsentiert und in der Hauptschule überrepräsentiert“ (Blossfeld et al. 2009: 15). Bei den Schulabbrechenden, die die Schule ohne Abschluss verlassen, finden sich ebenfalls mehr Jungen als Mädchen. Wenngleich Geschlechterunterschiede in den Leistungen und Kompetenzen auf Sekundarniveau geringer sind als die Unterschiede im Schulerfolg, d.h. hinsichtlich der Schulnoten oder erfolgreicher Bildungsübergänge, sind sie doch von
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großer Bedeutsamkeit: In der Lesekompetenz weisen Leistungstests wie PISA, IGLU oder die TIMSS-Studie (Trends in International Mathematics and Science Study) einen klaren Vorteil für Mädchen aus, in den Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften besteht ein – geringerer – Leistungsvorsprung für die Jungen. Ein geringerer Bildungserfolg von Jungen zeigt sich beim Übergang von der Sekundarschule in die Berufsausbildung. Da Jungen schlechtere Sekundarschulabschlüsse aufweisen und häufiger als Mädchen ohne Abschluss auf den Ausbildungsmarkt kommen, erleben sie in Deutschland seltener als Mädchen einen reibungslosen Übergang in die Berufsausbildung und müssen häufiger Übergangsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Starke horizontale Geschlechterunterschiede (Stichwort: Geschlechtersegregation) zeigen sich beim Blick auf die immer noch stark geschlechterdifferentiell geprägte Berufswahl. Die Folgen davon, dass – aus geschlechterdifferentiellen Kosten-NutzenAbwägungen heraus, aber auch in Orientierung an traditionellen Rollenbildern – Mädchen „weibliche“ Dienstleistungsberufe anstreben und Jungen technische Berufe, zeigen sich auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. So sind für viele Mädchen, die überlaufene, weiblich konnotierte Dienstleistungsberufe (z.B. Friseuse) anstreben, Phasen der Arbeitslosigkeit bereits vorprogrammiert, während es in typisch männlichen Berufen oftmals zu wenige Bewerber gibt (Blossfeld et al. 2009: 16). Im deutschen Hochschulsystem zeigt sich erst seit kurzem die Tendenz, dass es mehr Studienanfängerinnen als -anfänger gibt. Dies gilt jedoch nicht für wissenschaftliches Personal. Hier zeigt sich weiterhin eine „leaky pipeline“ (Leemann et al. 2010): Mit jedem weiteren Schritt in der Hierarchie vergrößert sich die Überrepräsentation der Männer gegenüber der Frauen. Auf der Stufe der Ordinarien sind Professorinnen weiterhin stark untervertreten. Wie Schubert und Engelage (2010) zeigen, scheint sich aber hier ebenso ein langsamer Abbau von Geschlechterungleichheiten abzuzeichnen. Auch bei der Studienfachwahl lösen sich die Geschlechterunterschiede nur langsam auf. Frauen sind weiterhin stark übervertreten in pädagogischen Fächern, in technischen Fächern gibt es weiterhin mehr Männer als Frauen. Frauen folgen offenbar bei der Studienfachwahl nicht nur Geschlechterstereotypen, sondern achten zudem auf die Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie (Franzen et al. 2004), was wiederum geschlechtsspezifische Bildungsrenditen – geringere Einkommen und Aufstiegsmöglichkeiten bei Frauen – zur Folge hat (Blossfeld et al. 2009). Bei der Beschreibung aktueller Bildungsungleichheiten ist immer wieder zu betonen, dass diese in den letzten Jahrzehnten einem rapiden Wandel unterworfen waren. Noch vor zwanzig Jahren bestanden über den gesamten Bildungsverlauf hinweg Bildungsungleichheiten zu Ungunsten von Frauen (vgl. Hadjar und Berger 2010). Die vertikalen Geschlechterunterschiede haben sich über die letzten 50 Jahre aufgelöst und in vielen Ländern sogar umgekehrt. Dies nicht
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Einleitung
zuletzt wegen eines sich wandelnden Frauenbildes, aber auch als Folge neuer Erfordernisse des Arbeitsmarktes (Hecken 2006) sowie neuer Anreize für Frauen, in Bildung zu investieren. Während vertikale Unterschiede in der Bildungsbeteiligung zum Nachteil der Frauen europaweit reduziert wurden, erweisen sich horizontale Geschlechterunterschiede – Fächersegregation bei der Berufsund Studienwahl – von stärkerer Persistenz (Müller et al. 1997: 217).
Auf der Suche nach Ursachen Werden die diskutierten Ursachenfaktoren geschlechtsspezifischer Ungleichheiten in Betracht gezogen, kristallisieren sich verschiedene Aspekte heraus. Die frühere mangelnde Bildungsbeteiligung von Frauen wird meist humankapitaltheoretisch (Becker 1964) damit begründet, dass eine Bildungsinvestition in Frauen nicht sinnvoll sei, wenn sie ihr Humankapitel später – zu Gunsten familialer Reproduktionsaufgaben – nicht in Einkommen und Status umsetzen. Im Hinblick auf die Geschlechtersegregation, d.h. die geschlechtstypischen Präferenzen bei der Berufs- und Studienfachwahl, werden unterschiedliche Interessenbereiche von Mädchen und Jungen thematisiert, die verknüpft sind mit geschlechtsspezifischen Selbstbildern bzw. Einschätzungen der Leistungsfähigkeit in bestimmten Fächern (vgl. Köller et al. 2000). Interessen, Wahrnehmungen über die Sinnhaftigkeit von Bildungsinvestitionen und das Selbstbild scheinen wiederum mit im Zuge der geschlechtsspezifischen Sozialisation erworbenen Rollenbildern verbunden zu sein (Jonsson 1999), die teilweise im Unterricht reproduziert werden (Dick 1991). Aber auch die Wahrnehmung der Benachteiligung von Frauen auf dem Ausbildungsmarkt (Borkowsky 2000) oder dem Arbeitsmarkt – Stichwort: statistische Diskriminierung – ist von Belang für die Bildungsentscheidungen von Frauen (Hecken 2006). Die aktuelle Diskussion um den Bildungsmisserfolg der Jungen kreiste von Beginn an um die Lehrperson bzw. deren Geschlechtszugehörigkeit. In Reaktion auf die Befunde von Diefenbach und Klein (2002), dass in allen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland Jungen gegenüber Mädchen Nachteile bezüglich der erreichten Sekundarschulabschlüsse haben, dies aber in unterschiedlichem Ausmaß, und dass in Bundesländern mit einem hohen Anteil an Primarschullehrerinnen der Geschlechterunterschied im Hinblick auf die Sekundarschulabschlüsse zu Ungunsten der Jungen stärker ausgeprägt ist als in Bundesländern mit niedrigerem Anteil an Primarschullehrerinnen, wurde in der Öffentlichkeit der Ruf nach mehr Lehrern für die Primar- und Sekundarstufe I laut. Die Idee dahinter ist, dass einerseits Lehrerinnen das Jungenverhalten anders wahrnehmen und sanktionieren würden als ihre männlichen Kollegen, was
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einer bewussten oder unbewussten subtilen Diskriminierung gleich käme. Andererseits wird in diesem Zusammenhang aber auch das Fehlen männlicher Rollenvorbilder beklagt, das als Ursache einer Krise der Jungen angesehen wird. So beschreibt der Schweizer Psychiater Guggenbühl (2008) die Schule insgesamt als weibliches Biotop mit zu wenig Wettbewerb und Kampfgeist, das Jungen nicht integrieren könne. Eine andere Sichtweise fokussiert auf die Schülerinnen und Schüler selbst und sucht nach Ursachen, die in unterschiedlichen Charakteristiken auf der individuellen Ebene liegen. Ein Argumentationsstrang baut auf dem Befund auf, dass Jungen ein stärkeres Selbstbild haben als Mädchen (z.B. in den PISAStudien; Baumert et al. 2003); sie überschätzen sich selbst hinsichtlich ihrer Begabungen und Leistungen und zeigen als Folge einen geringeren Einsatz in der Schule, der zu einem geringeren Schulerfolg führt (vgl. Rustemeyer und Jubel 1996). Der geringere Pflichteifer und die höhere Anstrengungsvermeidung von Jungen (Stichwort: Faulpelzsyndrom; Weinert und Helmke 1997) ist Ausdruck eines geschlechterdifferentiellen Lernverhaltens, das vielen als plausible Ursache des Geschlechterunterschieds im Schulerfolg erscheint. Nicht nur Lernverhalten, sondern auch deviantes Verhalten wird in Beziehung mit dem Bildungserfolg gesetzt. So ist zu fragen, inwieweit die eher nonkonformen Verhaltensweisen der Jungen (Eagly und Chravala 1986) diese vom Lernen abhalten und zu einer Sanktionierung durch die Lehrpersonen führen. Ebenso erscheinen außerschulische Verhaltensweisen als bedeutsam: Offenbar wirkt sich der höhere Medienkonsum der Jungen leistungsmindernd aus (Mößle et al. 2007), wobei sicher nach den Inhalten (z.B. Gewalt versus Bildung) zu unterscheiden ist. Die geschlechtsspezifische Wahrnehmung der Schule und entsprechende Bewertungen sowie motivationale Faktoren sind zudem zu nennen, die – wie einige andere der bisher genannten Erklärungsfaktoren – mit Geschlechterrollenvorstellungen verbunden sein können. In traditionellen Sichtweisen auf das Geschlechterverhältnis scheint ein Widerspruch zwischen Männlichkeit und Schule entstanden zu sein. Teilweise wird schulischer Erfolg als unmännlich abgewertet (Phoenix und Frosh 2005). Jungen sind weniger zufrieden mit der Schule und haben weniger Lust auf Schule als Mädchen (Baumert et al. 2000). Zu den in den Beiträgen dieses Sammelbandes thematisierten Erklärungsfaktoren des geschlechterdifferentiellen Schulerfolgs gehören Aspekte des Bewusstseins der Schülerinnen und Schüler wie Wohlbefinden in der Schule, Schulentfremdung, Bildungsaspirationen und Geschlechterrollenvorstellungen sowie Aspekte des Verhaltens der Lernenden wie Schuldelinquenz, Lernverhalten und Medienkonsum. Aber auch Elternhaus, Lehrpersonen, und Peergruppen werden betrachtet.
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Einleitung
Der Aufbau des Buches Im Aufbau folgt das Buch folgender Gliederung: In einem ersten Teil wird das Ausmaß an geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten im Hinblick auf zeitliche Entwicklungen – über die Bildungsexpansion bzw. die Kohortenabfolge – sowie im Bildungsverlauf betrachtet. Im zweiten Teil des Buches stehen Faktoren hinter den Geschlechterungleichheiten, insbesondere hinsichtlich des geringeren Bildungserfolgs der Jungen, im Fokus. Die Beiträge haben verschiedene inhaltliche und methodische Zugangsweisen zum Thema und beleuchten so auch bisher vernachlässigte Faktoren hinter den Geschlechterunterschieden im Bildungssystem. Schließlich wird im dritten Teil des Sammelbands zurückgeblickt auf die Debatten um Geschlechterungleichheiten. Es wird gefragt, wie diese Ungleichheiten im Bildungserwerb zu bewerten sind. Zudem werden Schlussfolgerungen für die Bildungs- und Schulpolitik sowie das alltägliche Handeln abgeleitet. Der erste Teil, der einen Überblick zu geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten bietet, beginnt mit einem Beitrag von Andreas Hadjar und Joël Berger, in welchem eine europäische Perspektive eingenommen wird. Gefragt wird, inwieweit sich in Europa die Geschlechterdifferenzen in den Chancen, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erwerben, über die Kohortenabfolge (Geburtsjahrgänge 1924-1974) verändert haben. Die in die Analyse einbezogenen 25 europäischen Länder werden nach dem Stratifizierungsgrad des Bildungssystems und dem Wohlfahrtsregime kategorisiert. Die Ergebnisse zeigen, dass sich über die Kohortenabfolge – und damit im Zuge der Bildungsexpansion – die Bildungsungleichheiten zu Ungunsten von Frauen verringert haben. In gering und mittel stratifizierten Bildungssystemen sowie in sozialdemokratischen, postsozialistischen und familienorientierten Wohlfahrtsregimes haben sich die Ungleichheiten in den jüngsten Kohorten sogar zu Ungunsten der Männer umgekehrt. Rolf Becker und Walter Müller beleuchten im Rahmen ihrer Untersuchung der Bildungschancen westdeutscher Geburtskohorten (1919-1987) ebenfalls den Wandel von Bildungsungleichheiten. Von Interesse sind dabei insbesondere die Verschränkungen zwischen Differenzen im Bildungserwerb zwischen den Geschlechtern und sozialen Herkunftsschichten. Eine ihrer Kernthesen ist dabei, dass der höhere Bildungserfolg der Frauen auch damit zu erklären ist, dass die Unterschiede in den Bildungschancen zwischen den Sozialschichten bei Frauen geringer sind als bei Männern. Die Befunde der Analyse mit Lebensverlaufsdaten zeigen, dass geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten zu Ungunsten der Frauen abgebaut werden konnten. Vor allem bei den Frauen haben sich auch
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herkunftsbezogene Ungleichheiten verringert; insbesondere die Töchter aus Arbeiterfamilien haben gegenüber den Arbeiterjungen stark aufgeholt. Anhand der Schweizer TREE-Daten (Projekt „Transition von der Erstausbildung ins Erwerbsleben“) zeichnen Sandra Hupka-Brunner, Robin Samuel, Evéline Huber und Max Bergman Bildungsverläufe von jungen Männern und Frauen in der Schweiz nach. Ziel ist dabei, Benachteiligungen an verschiedenen Stellen des Bildungsverlaufs zu identifizieren. Aus den Resultaten kann abgeleitet werden, dass sich nach sieben Jahren trotz anfänglicher Unterschiede die Erwerbs- sowie Tertiärquoten von Frauen und Männern angleichen. Multivariate Analysen bestätigen den Einfluss der verschiedenen Kapitalsorten im Sinne von Bourdieu (1982) auf die Bildungswege für beide Geschlechter, wobei sich geschlechtsspezifische Muster dergestalt andeuten, dass zum Beispiel junge Frauen von objektiviertem kulturellen Kapital der Familie stärker profitieren können als Männer. Hinsichtlich der Wirkung des inkorporierten kulturellen Kapitals auf die zeitliche Strukturierung von Bildungsverläufen unterscheiden sich die Geschlechter jedoch nicht. Die Analysen von Markus Lörz und Steffen Schindler beziehen sich auf den Übergang ins Studium. Im Rahmen ihrer längsschnittlichen Analysen untersuchen sie die Entwicklung der geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Übergang ins Studium. Während sich die Chancen der Frauen beim Übertritt und erfolgreichen Absolvieren der Sekundarstufe II stark verbessert haben, ist für den Übergang ins Studium keine kontinuierliche Verbesserung der Bildungschancen von Frauen festzustellen. Frauen erweisen sich als sensibler gegenüber Kosten und Erträgen von Bildungswegen, d.h. eine wahrgenommene Verteuerung der Kosten des Studierens hält Frauen stärker als Männer vom Studieren ab. Im Studierverhalten spiegeln sich zudem unterschiedliche Akzente in der Berufs- und Lebensplanung von Frauen und Männern wider. Dies gilt insbesondere auch für die ausgeprägten Unterschiede in der Studienfachwahl. Am Beginn des zweiten Teils, im Rahmen dessen spezifische Ursachen der Geschlechterunterschiede im Schulerfolg detailliert betrachtet werden, fokussieren Gudrun Quenzel und Klaus Hurrelmann auf vier Entwicklungsaufgaben, deren Bewältigung im Jugendalter eine besondere Bedeutung hat: Qualifikation, Ablösung und Bindung, Regeneration und Partizipation. In Geschlechterunterschieden hinsichtlich der Bewältigung der einzelnen Entwicklungsaufgaben lassen sich eine Vielzahl von Anhaltspunkten identifizieren, warum sich Bildungsungleichheiten zu Ungunsten von Jungen verschoben haben. Als Datenbasis der längsschnittlichen Betrachtungen dienen die Shell-Jugendstudien von 1953 bis 2010. Zu den Entwicklungen, die im Beitrag thematisiert werden, gehören unter anderem der Wandel der Lebensziele und die wachsende Bildungsmotivation der Mädchen, der Wandel des Freizeitverhaltens hin zur verstärkten
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Einleitung
Nutzung elektronischer Medien – vor allem Jungen verbringen immer mehr Zeit am Computer – sowie die zunehmende prekäre Situation in vormals von Männern dominierten Arbeitsmarktsegmenten. Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Österreich stehen im Zentrum des Beitrags von Johann Bacher, Heinz Leitgoeb und Norbert Lachmayr. Analysegrundlage ist dabei ein theoretisches Kausalmodell zur Erklärung geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Bildungswahl, das als Erklärungsvariablen unter anderem Aktivitäten nach der Schule, geschlechtsspezifische Bevorzugungen durch die Lehrkräfte, die Anzahl der weiblichen Lehrkräfte und die Bildungsaspirationen hinsichtlich eines höheren Schulabschluss (Matura) beinhaltet. In den empirischen Analysen erweisen sich Bildungsaspirationen als wichtigster Faktor für die Wahl einer maturaführenden Schule. Bildungsaspirationen vermitteln sowohl den Geschlechter- als auch den Herkunftseffekt auf die Schulwahl. Auf der anderen Seite konnten weder Einflüsse des Lehrpersonengeschlechts, noch der familiären bzw. institutionellen Betreuung am Nachmittag nachgewiesen werden. Die nächsten beiden Kapitel gründen auf Daten einer Studie zum geschlechtstypischen Schulerfolg im Kanton Bern, die sowohl quantitative als auch qualitative Elemente enthielt. Judith Lupatsch und Andreas Hadjar berichten Ergebnisse einer Fragebogenuntersuchung in 8. Klassen. Bei der Erklärung der Geschlechterunterschiede im Schulerfolg werden Schulentfremdung als motivationaler Faktor, Geschlechterrollenorientierungen und schulerfolgsrelevante geschlechtstypische Verhaltensweisen (Schuldevianz) sowie die Einstellungen der Peergruppe zur Schule fokussiert. Jungen erweisen sich als stärker schulentfremdet und zeigen häufiger deviante Verhaltensweisen in der Schule als Mädchen. Die Freundesgruppen der Jungen haben einen negativeren Blick auf die Schule. Zudem hängen Jungen stärker traditionellen Geschlechterrollen an. All diese Faktoren sind direkt oder indirekt mit einem geringeren Schulerfolg der Jungen verknüpft. Den qualitativen Teil der Berner Schulstudie stellen Elisabeth Grünewald, Stefanie Gysin und Dominique Braun vor. Aufbauend auf eine Betrachtung des „Arme Jungen“-Diskurses suchen sie in Daten aus Gruppendiskussionen in geschlechterhomogenen Teilklassen (Klassenstufe 8) und Unterrichtsbeobachtungen (Videos) von jeweils einer Deutsch- und Mathematiklektion Hinweise auf Wahrnehmungen und subjektive Erklärungsmuster hinsichtlich des geschlechtstypischen Schulerfolgs aus Perspektive der Schülerinnen und Schüler. Die Ergebnisse weisen auf ein eher faires Verhalten der Lehrpersonen hin. Jungen berichten etwas häufiger von Diskriminierungen durch (weibliche und männliche) Lehrpersonen. Schülerinnen zeigen im Vergleich zu Schülern öfter hohe Leistungsaspirationen und legen mehr Wert auf gute Noten. Jungen versu-
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chen ihren Arbeits- und Lerneinsatz möglichst gering zu halten. Dies trifft besonders auf Jungen in Realklassen – dem niedrigsten Schulniveau in der Schweiz – zu. Martin Neugebauer widmet sich ebenfalls primär der Fragestellung, ob die Geschlechtszugehörigkeit der Lehrperson einen Einfluss auf die Beurteilung der Schulleistungen von Schülerinnen und Schülern hat und ob Jungen von Lehrerinnen benachteiligt werden. Im Brennpunkt des Interesses liegt die Grundschulempfehlung (GSE), in der die Lehrpersonen empfehlen bzw. festlegen, welche Art der weiterführenden Schule ein Kind nach der Grundschule besuchen soll. Datenbasis der quantitativen Analysen bildet die IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung). Die Ergebnisse sprechen klar gegen die These, Lehrerinnen würden einen Nachteil für Jungen bedeuten. Vielmehr bewerten Lehrer offenbar bei gleicher Kompetenzlage der Kinder sowohl Jungen als auch Mädchen etwas strenger als Lehrerinnen. Geschlechterdifferenzen im Schulerfolg scheinen sich vielmehr daraus zu ergeben, dass Jungen eine geringere Lernbereitschaft aufweisen als Mädchen. Den enormen Anstieg des Konsums von Bildschirmmedien in den letzten 15 Jahren thematisieren Dirk Baier und Christian Pfeiffer als wesentliche Ursache für die Umkehrung der Geschlechterdifferenzen im Schulerfolg. Im Rahmen ihres Beitrags untersuchen sie den Zusammenhang zwischen Medienkonsum und Schulleistungen sowie inwieweit Geschlechterunterschiede in den Leistungen auf geschlechtsspezifische Medienumgangsweisen zurückzuführen sind. Die anhand einer Querschnitt- und einer Längsschnittstudie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen gewonnenen Befunde weisen darauf hin, dass die elterliche Investition in den Bildungserfolg ihrer Kinder geschlechtsspezifisch variiert und die schlechteren Schulnoten der Jungen hauptsächlich darauf zurückzuführen sind, dass sie im stärkeren Maße jugendgefährdende Videos und Computerspiele konsumieren. Keine Belege finden sich hingegen für die Argumentationen, dass Lehrerinnen mitverantwortlich für den geringeren Schulerfolg der Jungen seien und dass Mädchen wegen häufigerer kreativer Freizeitaktivitäten bessere Schulleistungen hätten. Tina Hascher und Gerda Hagenauer wenden sich in ihrem Beitrag emotionalen Faktoren zu. Sie untersuchen anhand von Daten aus internationalen Längsschnittstudien (Schulstichproben aus der Schweiz, Deutschland, den Niederlanden, Tschechien und Österreich) die Bedeutung des Wohlbefindens in der Schule für den Schulerfolg. Die Ergebnisse zeichnen ein komplexes und diffiziles Bild. Festgehalten werden kann, dass Mädchen mehr Freude in der Schule erleben als Jungen und positiver gegenüber der Schule eingestellt sind. Bei Schülerinnen und Schülern verschlechtern sich Emotionen und Einstellungen gegenüber der Schule im Laufe der Sekundarstufe I gleichermaßen. In den hö-
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Einleitung
heren Klassen der Sekundarstufe 1 scheinen Mädchen stärker von Sorgen, Problemen und Beschwerden belastet zu sein als Jungen. Die Autorinnen resümieren, dass Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität im Hinblick auf Schülerinnen und Schüler notwendig sind. Das Fachinteresse als ein wichtiger Bestimmungsgrund für Schulerfolg wird von Rebecca Lazarides und Angela Ittel beleuchtet. Als Erklärungsfaktoren des Mathematikinteresses werden die schulische Förderung durch die Familie, die wahrgenommene Unterstützung durch die Fachlehrkraft in Mathematik und die schulischen Selbstwirksamkeitserwartungen untersucht. Die Ergebnisse weisen auf viele Gemeinsamkeiten für Jungen und Mädchen bei den Zusammenhängen zwischen den Erklärungsvariablen und Mathematikinteresse hin, aber es gibt auch Unterschiede zu konstatieren: Der familiären Förderung als auch der Unterstützung durch die Fachlehrkraft in Mathematik kommt bei Jungen eine geringere Bedeutung für das Fachinteresse Mathematik zu als bei Mädchen. Ein schulförderndes Elternhaus bewirkt nur bei Jungen eine Erhöhung der Einschätzung eigener Fähigkeiten und dient damit auf diesem Weg allein den Jungen zur Interessenförderung. Die Rückblicke auf die Debatten und Befunde im letzten Teil des Buches werden angeführt von Heike Diefenbach, die Anfang des neuen Jahrtausends als gemeinsam mit Michael Klein in einem Artikel mit dem Titel „Bringing Boys Back in: …“ deutliche Nachteile von Jungen im deutschen Bildungssystem nachwies und damit das Thema auf der wissenschaftlichen Agenda platzierte. Im Zentrum ihres Beitrags in diesem Buch steht der Umgang von Wissenschaft und Politik mit diesem Thema. Sie weist auf Tabus hin, die sich letztlich blockierend auf die Untersuchung und breite Diskussion von Geschlechterunterschieden im Bildungssystem auswirken, und darauf, wie stark ideologisch bzw. wie wenig wissenschaftlich in einigen Institutionen mit diesem Thema umgegangen wird. Aus ihren eigenen Erfahrungen nach der Veröffentlichung von „Bringing Boys Back in“ – im Rahmen derer sie sich teilweise „zwischen allen Stühlen“ im Spannungsfeld zwischen anti-feministischen und feministischen Positionen wiederfand – ist abzuleiten, wie wichtig eine kritische Reflexion der eigenen Ideologie sowie der Positionen des wissenschaftlichen Umfelds für das wissenschaftliche Arbeiten ist. Die Betrachtung von Hannelore Faulstich-Wieland beschäftigt sich mit der Fragestellung, ob ein Mehr an männlichen Lehrpersonen die vermeintliche „Krise der Jungen“ lösen kann. Im Fazit hinsichtlich einer Vielfalt an Begründungsmustern und empirischen Befunden regt sie eine andere Sichtweise auf die Forderung nach mehr Männern in der Grundschule an: Würde diese Idee verbunden mit der politischen Vorstellung einer Geschlechterparität in allen gesellschaftlichen Bereichen, dann ginge es bei der Implemention von mehr Männern
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in das Lehrpersonal der Primarstufe nicht um das geschlechtsspezifische oder vermeintlich jungenadäquate Ausfüllen des Lehramts, sondern im Sinne eines diversity managements darum, der Vielfalt der Kinder – die sich nicht nur nach Geschlecht, sondern auch nach sozialer Schicht oder ethnischer Herkunft unterscheiden – eine Vielfalt an Lehrpersonen gegenüber zu stellen. Der Blickwinkel der feministischen Theorie wird explizit vertreten durch Becky Francis und Christine Skelton, die auf die Debatte um „failing boys“ in Großbritannien zurückschauen. Sie zeigen anhand empirischer Befunde, dass der vielfach dramatisierte Leistungsvorsprung der Mädchen nicht neu ist und einige in der Öffentlichkeit breit diskutierte Erklärungsversuche – Feminisierung von Schule, Lehrplan und Bewertung, essentielle Geschlechterunterschiede – einer empirischen Prüfung nicht Stand halten. Geschlechterkonstruktionen von Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern, die Auswirkungen auf Motivation und Verhalten haben, erscheinen aus Sicht der Autorinnen am ehesten als plausible Faktoren, wenn nach den Ursachen des Bildungsmisserfolgs der Jungen gesucht wird. Lehrpersonen sollten ihre Schülerinnen und Schüler zu einer Erweiterung ihrer geschlechtsspezifischen Horizonte und VerhaltensRepertoires anregen, statt bestehende Stereotype im Rahmen ihrer Lehraktivitäten zu festigen. In ihrem Ausblick beleuchten Regula Julia Leemann und Christian Imdorf die Konsequenzen der in den vorherigen Beiträgen untersuchten Geschlechterunterschiede im Bildungssystem für spätere Chancen in Beruf und Karriere. Eine solche Betrachtung ist dahingehend von Bedeutung, wenn gefragt wird, ob diese Geschlechterunterschiede in der Primar- und Sekundarbildung ein gesellschaftliches Problem darstellen und entsprechend eine Dramatisierung dieser Unterschiede sinnvoll ist oder nicht. Im Fokus des Beitrags stehen die Bildungswege von Frauen und Männern im Berufsbildungs- und Hochschulsystem, die von stabilen geschlechtsspezifischen Mustern – insbesondere bei der Geschlechtersegregation – gekennzeichnet sind und die zu Geschlechterunterschieden in den Berufschancen führen. Schließlich wird der Blick auf die höhere Ebene des Hochschulsystems gerichtet, auf der sich Geschlechterunterschiede zu Ungunsten hochqualifizierter Frauen trotz Abbautendenzen als relativ stabil erweisen. Aus der Perspektive der Lehrpraxis beleuchtet Elisabeth Grünewald-Huber im Schlusskapitel, was Lehrerinnen und Lehrer sowie die Lehrerbildung aus den Beiträgen des Sammelbands ableiten können und weitet dann die Perspektive hin zu einer bildungspolitischen Betrachtung, um schließlich auch gesamtgesellschaftliche Maßnahmen anzuregen. Dieses Buch, in dem Geschlechterungleichheiten im Bildungssystem aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven, aber auch aus unterschiedlichen
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Einleitung
gesellschaftspolitischen Blickwinkeln heraus betrachtet werden, soll als Teil einer Debatte verstanden werden. Dabei ist nicht auf die eine oder andere Geschlechterkategorie zu fokussieren – Verbesserungen hinsichtlich der Integration in die Schule und den Lernprozess, der Schulleistungen und Kompetenzen sowie des Schulerfolgs im Sinne von Schulnoten und Abschlüssen sind für Schüler und Schülerinnen gleichermaßen wünschenswert.
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Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten im Überblick
Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Europa: Die Bedeutung des Bildungs- und Wohlfahrtsstaatssystems1 Andreas Hadjar und Joël Berger
1 Geschlechterunterschiede im Bildungserwerb im Wandel Wenngleich die Bildungsexpansion in Europa nicht zu einem radikalen Abbau schichtspezifischer Bildungsungleichheiten geführt hat, ist doch ein Ergebnis der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte unzweifelhaft: Frauen gehören zu den Gewinnerinnen der Bildungsexpansion, denn ihre Bildungsbeteiligung und ihr Bildungsniveau haben stetig zugenommen (Hadjar und Becker 2009; Hecken 2006). Wurde früher das „katholische Arbeitermädchen vom Lande“ (Dahrendorf 1965: 48) thematisiert, sind in den letzten Jahren Jungen zum Problemfall geworden (Diefenbach und Klein 2002). Offenbar hat eine Verschiebung von Geschlechterungleichheiten im Bildungssystem stattgefunden – weg von einer Überrepräsentation von Jungen in höheren Bildungsgängen, hin zu einer Überrepräsentation von Jungen in niedrigen Bildungsgängen (vgl. Blossfeld et al. 2009). Die vielfältigen Analysen und Befunde zu geschlechtstypischen Mustern des Bildungserwerbs sollen im Rahmen dieses Beitrags ergänzt werden um eine europäische Perspektive unter Fokussierung auf institutionelle Arrangements – das Bildungssystem und den Wohlfahrtsstaat. Ausgehend von einer rationalen Perspektive der Bildungswahl kann angenommen werden, dass diese institutionellen Settings spezifische Anreizstrukturen darstellen, welche die Chancen von Frauen und Männern im Bildungssystem mitbestimmen. Im Kern der Analysen stehen die geschlechtstypischen Chancen, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen. Die Untersuchung soll dabei eher beschreibender Natur sein; die sozialen Mechanismen hinter den Geschlechterungleichheiten werden in den folgenden Beiträgen detailliert untersucht. Zu den verfolgten Problematiken gehören die Fragen danach, wie sich Geschlechterungleichheiten im Zuge der Bildungsexpansion in Europa gewandelt haben und ob Unterschiede nach Bildungssystem und Wohlfahrtsstaatsregime auszumachen sind. Die Entwicklung der Bildungsungleichheiten nach Geschlecht in Europa wird über Kohortenunterschiede (Geburtskohorten 1924 bis 1974) in den Bil1
Wir danken Edith Busse, Dirk Baier und Judith Lupatsch für die hilfreichen Kommentare zum Manuskript.
A. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4_2, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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dungschancen rekonstruiert. Dabei wird jeweils auch für die soziale Herkunft (das Bildungsniveau der Eltern) kontrolliert. Als Datenbasis dient der European Social Survey/ESS 2004 (für Großbritannien 2006). Die Analyse bezieht sich auf 25 Länder bzw. Territorien (Ostdeutschland, Westdeutschland), in denen im Rahmen des ESS die benötigten Merkmale – Geschlecht, Geburtsjahr, Bildung der Eltern – auf der Individualebene erhoben wurden. Im folgenden theoretischen Abschnitt werden einige hinter den Bildungsungleichheiten nach Geschlecht vermutete Ursachen betrachtet – wobei diese Mechanismen in den späteren Analysen nicht detailliert Berücksichtigung finden, sondern nur der Ableitung von Hypothesen zu Geschlechterungleichheiten dienen. Ziel eines Abschnitts zur Bildungsexpansion ist es, Hypothesen über Wandlungsprozesse zu gewinnen. In einem weiteren theoretischen Abschnitt werden dann die Einflüsse von Bildungssystem und Wohlfahrtsstaat thematisiert. Daran schließt sich ein methodischer Abschnitt an, der Informationen zum Untersuchungsdesign, zu verwendeten Datensätzen und Messinstrumenten sowie eine Kategorisierung der einbezogenen Länder/Territorien hinsichtlich ihrer institutionellen Settings (Bildungssystem, Wohlfahrtsstaat) enthält. Am Beginn des Ergebnisteils stehen Graphiken zur Entwicklung des Einflusses des Geschlechts auf den Bildungserwerb über die Kohortenabfolge – getrennt nach Stratifizierungsgrad des Bildungssystems und nach Typus des Wohlfahrtsstaats. Dann folgen nach diesen systemischen Merkmalen getrennte, binär-logistische Mehrebenenmodelle zum Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung. Unabhängige Variablen sind dabei das Geschlecht, die Kohortenzugehörigkeit sowie die Bildung der Eltern als Kontrollvariable. Schließlich werden Mehrebenenmodelle präsentiert, in denen die Stratifiziertheit des Bildungssystems und das Wohlfahrtsstaatsregime als unabhängige Variablen auf der Makroebene Berücksichtigung finden – gefolgt von Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse.
2 Geschlecht und Bildungserwerb 2.1 Primäre und sekundäre Geschlechtereffekte auf den Bildungserwerb Im Anschluss an die klassische bildungssoziologische Unterscheidung von Boudon (1974) in primäre und sekundäre Effekte der sozialen Herkunft soll an dieser Stelle ein theoretischer Rahmen entwickelt werden, im Lichte dessen die später untersuchten Geschlechterunterschiede plausibel erscheinen. Primäre Herkunftseffekte basieren auf schichtspezifischen Ressourcen und Defiziten – etwa die Bildung der Eltern, die monetären Ressourcen des Eltern-
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hauses, soziale Unterstützung durch das Elternhaus oder das Umfeld –, aus denen Unterschiede in den Schulleistungen resultieren. Sekundäre Herkunftseffekte beziehen sich auf Bildungsaspirationen bzw. auf an einem Statuserhaltsmotiv orientierte Kosten-Nutzen-Abwägungen hinsichtlich bestimmter Bildungsabschlüsse sowie die Einschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit des Bestehens ihrer Kinder im Bildungssystem bzw. in den einzelnen hierarchisch gegliederten Schultypen (vgl. Becker 2004). Die Unterscheidung von primären und sekundären Herkunftseffekten soll nun auf Bildungsungleichheiten nach Geschlecht übertragen werden. Primäre Geschlechterungleichheiten im Bildungserwerb beziehen sich in dieser Argumentation auf im Zuge der geschlechtsspezifischen Sozialisation erworbene Motivations-, Einstellungs- und Handlungsmuster der Jungen und Mädchen. Dazu gehören etwa die bei Mädchen stärker ausgeprägte intrinsische Motivation (Kampshoff 2007), die bei Jungen größere Schulentfremdung (Hadjar und Lupatsch 2010), die stärkere Ausprägung störender Verhaltensweisen bei den Jungen (Hannover 2004) sowie der größere Fleiß der Mädchen (Weinert und Helmke 1997; Fend 1997). Sekundäre Bildungsungleichheiten basieren auf geschlechtsspezifischen Bildungsentscheidungen der Eltern, der Lehrpersonen – als wichtige Gatekeepers für höhere Bildungsgänge (Solga 2008: 30-31) – oder der Lernenden selbst. Die dahinterstehende Annahme ist, dass Bildung bzw. Bildungszertifikaten je nach Geschlecht ein anderer Nutzen zugewiesen wird, einen Abschluss in bestimmten (höheren) Bildungsgängen zu erreichen, bei Frauen und Männern unterschiedlich kalkuliert wird. So wurde lange Zeit der Bildungserwerb von Frauen als weniger ertragreich und entsprechend weniger sinnvoll – auch hinsichtlich eines Statuserhaltsmotivs (vgl. Becker 2004) – angesehen als der Bildungserwerb der Männer. Andererseits könnte angenommen werden, dass die breiten öffentlichen Diskussionen um den Bildungsmisserfolg der Jungen in den letzten Jahren dazu führen könnten, dass Eltern und Lehrpersonen die Erfolgswahrscheinlichkeiten der Jungen an höheren Schulen als tendenziell geringer als die der Mädchen einschätzen, was schließlich die Einschätzungen der Leistungen von Jungen und insbesondere die Entscheidungen hinsichtlich der Schullaufbahn von Jungen negativ beeinflussen könnte (Self-Fulfilling Prophecy). So könnten Geschlechterstereotype über die Leistungsfähigkeit und die schulische Motivation einen Einfluss auf Entscheidungen der Lehrpersonen und der Eltern haben. Dies wäre eine Form statistischer Diskriminierung (Arrow 1973): Aus Gruppenmittelwerten zum Schulerfolg – etwa die niedrigen Schulnoten von Jungen – würden dann das Leistungsniveau sowie die Erfolgswahrscheinlichkeiten hinsichtlich der Absolvierung höherer Bildungsgänge für alle Jungen abgeleitet. Dieses Argument bezieht sich auf die Annahme von Ankereffekten, d.h.,
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dass Lehrpersonenurteile bei der Leistungsbeurteilung durch Vorinformationen oder generelle Wissensbestände bezüglich bestimmter Sozialgruppen verzerrt sind (vgl. z.B. Mußweiler et al. 2004; vgl. Dünnebier et al. 2009). Sekundäre Geschlechtereffekte sowie institutionelle Benachteiligungen können aus der Perspektive der Humankapitaltheorie (Becker 1964) heraus betrachtet werden: Aus Kosten-Nutzen-Erwägungen heraus – ohne Berücksichtigung nicht-monetärer Bildungserträge oder von intrinsischem Nutzen – erscheint eine Investition in Bildung von Frauen nur dann als sinnvoll, wenn Frauen diese Investition später in Status und Einkommen transformieren können. Frauen setzen aber im Verlaufe ihres Lebens ihre Bildungsinvestitionen nicht im gleichen Maße wie Männer in Produktivität und damit in Einkommen und Status um (Hecken 2006; Schiener 2006), da ihre Funktion bei den familiären Reproduktionsleistungen Erwerbsunterbrechungen zur Folge hat, die je nach Struktur der Gesellschaft gering oder stark karrierehemmend sind. Die Umsetzung der Bildungsinvestitionen auf dem Arbeitsmarkt wird zusätzlich durch die Arbeitsmarktlage beeinflusst. Frauen werden von Arbeitgebern als Risiko betrachtet, da eine verminderte Erwerbskontinuität und Einsatzfähigkeit aufgrund von familiären Verpflichtungen qua Geschlecht unterstellt (These der statistischen Diskriminierung; Anker 1997, vgl. Engelage und Hadjar 2008) wird. Daraus ergibt sich, dass Frauen vor allem dann ermutigt werden, in Bildung zu investieren, wenn sie Chancen auf dem Arbeitsmarkt wahrnehmen, die ihnen die Umsetzung ihrer Investitionen in Status und Einkommen erlauben. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn eine gute Vereinbarkeit von familiären Reproduktionsleistungen (Erziehung von Kindern, Haushaltsarbeit etc.) und Erwerbsarbeit wahrgenommen wird, was ebenfalls verbesserte Chancen zur Umsetzung von Bildung in Status bedeutet. Diese humankapitaltheoretische Argumentation entspricht letztlich der patriarchalen Sichtweise, die in diesem Fall als Frame von Entscheidungsprozessen (u.a. zu Bildungsentscheidungen) thematisiert werden kann. Als solche Rahmen fungieren patriarchale Geschlechterstereotype, die Männern Rollen in der Berufswelt zuweisen, während Frauen auf ihre Rolle im Haushalt reduziert werden. Dies ist gleichbedeutend mit einer Arbeitsteilung in männliche Erwerbsarbeit und weibliche Haushaltarbeit (Coltrane 2000). Die antizipierte Rolle als Ehefrau und Mutter hatte somit lange Zeit einen Einfluss darauf, dass Eltern für ihre weiblichen Kinder höhere Bildungsabschlüsse als relativ nutzlos erachteten. Eine höhere Bildungslaufbahn für Frauen erschien mit Blick auf den antizipierten traditionellen Rückzug in die Familie nach der Geburt des ersten Kindes als Fehlinvestition in Bildung.
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Werden nun neuere Entwicklungen 2 – von denen nur die jüngeren untersuchten Geburtskohorten betroffen sind – zunächst in den Hintergrund gestellt, ergibt sich folgende Hypothese: Hypothese 1: Frauen haben eine geringere Chance, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erlangen, als Männer.
2.2 Die Bildungsexpansion und Bildungsungleichheiten nach Geschlecht Die politischen Debatten um die Bildungsreformen in den 1950er und 1960er Jahren werden sowohl in den kapitalistischen als auch in den staatssozialistischen Ländern durch zwei Motive dominiert: Während aus einer ökonomischen Motivation die Bildungssysteme ausgebaut werden sollten, um die Grundlage für wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritt zu schaffen, erwuchs aus einer egalitären Perspektive das Ziel der Einebnung von schicht- und geschlechtsspezifischen Benachteiligungen im Bildungssystem. Beide Aspekte lassen sich beispielhaft anhand der Diskurse im westlichen Teil Deutschlands nachvollziehen: Die 1960er Jahre wurden dominiert durch die aus einer ökonomischen Argumentation heraus geführten Diskussion um die deutsche „Bildungskatastrophe“ und den „Bildungsnotstand“, die vor allem von Picht (1964) geprägt wurde. Picht malt ein Szenario, das dominiert wird von der Sorge, dass das für den wirtschaftlichen Fortschritt – insbesondere auch für den Wettlauf um die Vormachtstellung in der Welt zwischen kapitalistischen und staatssozialistischen Industriestaaten – benötigte Bildungsniveau der westdeutschen Gesellschaft nicht gehalten werden könne, weil Schulen, Ausstattung und Lehrerinnen und Lehrer fehlen und Wissenschaftler zunehmend das Land verlassen. Parallel zu dieser ökonomischen Sorge, die sich vor allem auch vor dem Hintergrund des „Sputnik-Schocks“ 1957 entwickelt hatte, findet sich in den Debatten der 1960er Jahre auch die sozialdemokratische und liberale Position, das Bildungssystem auszubauen, in der Hoffnung, Benachteiligungen im Hinblick auf bildungsferne Schichten und Frauen aufzulösen. Diese konflikttheoretische Argumentation findet ihren Ausdruck in der Forderung von Dahrendorf (1965) nach Bildung als Bürgerrecht. Ziel war es, allen gesellschaftlichen Gruppen die gleichen Bildungsangebote zu offerieren und somit herkunfts-, geschlechts-, konfessions- oder regionenspezifische Unterschiede zu reduzieren. Dabei wird Bil-
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Angesprochen ist hier das Kernthema dieses Sammelbands: die Umkehrung der Bildungsungleichheiten in vielen Ländern zu Gunsten der Frauen, d.h., dass nun Frauen eine höhere Chance haben, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen.
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dung im Sinne kognitiver Fähigkeiten verstanden, die Grundlage von Gestaltungs- und Partizipationsmöglichkeiten sind. Bei der Betrachtung des Abbaus von Bildungsungleichheiten kann zwischen geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und Unterschieden in den Bildungschancen nach sozialer Herkunft, die sich als relativ persistent erweisen (vgl. Hadjar und Becker 2009), differenziert werden. Bezüglich der geschlechtsspezifischen Bildungsbeteiligung hat im allgemeinen Bildungssystem ein deutlicher Abbau vertikaler Unterschiede – d.h. im Bildungsniveau zwischen Männern und Frauen – stattgefunden (vgl. Henz und Maas 1995; Geißler 2002; Blossfeld et al. 2009). Frauen haben in ganz Europa Männer in verschiedenen Bereichen des Bildungssystems überholt, so dass die weibliche Geschlechterzugehörigkeit keine zentrale Kategorie der Bildungsbenachteiligung mehr darstellt (Thiel 2005). Nur in tertiären Bildungseinrichtungen ist die Entwicklung weniger schnell vorangegangen. Horizontale Unterschiede in der Fächerwahl und in den Berufsfeldern haben sich aber nur wenig verändert. So sind in der Mehrheit der europäischen Länder weiterhin Frauen in geistes- und sozialwissenschaftlichen Studienfachrichtungen über- und in mathematisch-naturwissenschaftlichen Richtungen untervertreten (Müller et al. 1997; Blossfeld et al. 2009). Als Motoren für den zunehmenden Bildungserwerb von Frauen im Zuge der Bildungsexpansion kristallisieren sich die „Entfaltung des neuen und emanzipierten Verständnisses der Rolle der Frau“ (Müller 1998: 91) und damit verbundene „gravierende Veränderungen individueller, familiärer und sozialstruktureller Rahmenbedingungen“ (Reinberg et al. 1995: 314) sowie insbesondere der erweiterte Arbeitskräftebedarf im Dienstleistungssektor (vor allem Sozial-, Erziehungs- und Gesundheitswesen) heraus (Hecken 2006: 126). Aus Sicht nutzentheoretischer Argumentationen wird eine Investition in Bildung für Frauen zunehmend sinnvoller, wenn die Chancen auf eine adäquate Umsetzung dieser Bildungsinvestitionen auf dem Arbeitsmarkt in Status und Einkommen steigen, d.h., wenn freie Arbeitsmarktkapazitäten vorhanden sind, um Frauen aufzunehmen (vgl. Hadjar und Berger 2010). Nicht zu vernachlässigen sind auch die sich im Zuge der Bildungsexpansion und der veränderten strukturellen Gegebenheiten der europäischen Gesellschaften verbessernden Möglichkeiten der Vereinbarkeit von Bildung, Beruf und Familie, die auf Verbesserungen bei den öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, der Sozialleistungen für Frauen und der Bildungsfinanzierung zurückzuführen sind (vgl. Lewis 2004). Hypothese 2: Der Geschlechterunterschied im Bildungserwerb zu Ungunsten von Frauen verringert sich über die Bildungsexpansion bzw. über die Kohortensukzession.
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3 Bildungssystem, Wohlfahrtsstaatstypus und Geschlechterunterschiede im Bildungserwerb Komparative Studien, etwa der 13-Länder-Vergleich von Blossfeld und Shavit (1993) oder vergleichende PISA-Studien (vgl. Hradil 2006: 156), legen offen, wie stark das Ausmaß an Bildungsungleichheiten zwischen Ländern variiert. Bei der Analyse der Bildungsungleichheiten nach Geschlecht in Europa werden zwei Merkmale auf der gesellschaftlichen Ebene betrachtet: der Grad der Stratifizierung des Bildungssystems und der Typus des Wohlfahrtsstaats, der mit spezifischen Genderregimes (Kulawik 2005) korrespondiert. Beide Charakteristika stehen für institutionelle Settings, welche die Möglichkeiten des Bildungserwerbs und die Kosten-Nutzen-Rechnungen hinsichtlich der verschiedenen Bildungsalternativen beeinflussen. Als theoretischer Hintergrund für diese Annahme dient das Modell der Bildungsentscheidung nach Esser kombiniert mit der Annahme, dass unter bestimmten Bedingungen die Unsicherheit über eine adäquate Entscheidung zunimmt (Esser 1999) und die Entscheidung dadurch weniger an rationalen Kosten-Nutzen-Überlegungen orientiert ist, sondern Substitute hinzugezogen werden, welche geschlechtsspezifische Disparitäten erhöhen.3 Einerseits beeinflussen die unterschiedlich ausgestalteten Bildungssysteme wie auch die Wohlfahrtsstaatsregimes die individuellen Logiken der Selektion, indem sie den Akteuren unterschiedliche Opportunitäten und Restriktionen auferlegen. Andererseits üben der Zeitpunkt der Entscheidung sowie die Anzahl der Entscheidungsalternativen einen Einfluss darauf aus, mit welcher Sicherheit die Erfolgswahrscheinlichkeit – des erfolgreichen Abschlusses eines höheren Bildungsgangs – geschätzt werden kann (Ambiguität; Esser 1999). Zudem sind die untersuchten Länder bzw. Territorien auch als Makrokontexte zu verstehen, die durch einen bestimmten Wertekosmos hinsichtlich der Stellung der Frau in der Gesellschaft bzw. im Bildungssystem gekennzeichnet sind und individuelle Entscheidungen und Handlungen beeinflussen.
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Esser (1999) fasst Bildungsentscheidungen in Form einer Kosten-Nutzen-Kalkulation auf Grundlage der subjektiven Wert-Erwartungstheorie (SEU-Theorie) in der Formel EU(A) = U + (c x SV) > C/p. Eine Bildungsalternative A wird dann gewählt bzw. angestrebt, wenn die Bildungsmotivation aus Nutzen (U) und dem Nutzen aus der Verhinderung des Statusverlusts c x SV höher ist als das Investitionsrisiko, das sich aus den Kosten dieser Bildungsalternative (C) und der Wahrscheinlichkeit des Eintretens des Bildungserfolgs (p) zusammensetzt.
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3.1 Der Grad der Stratifizierung des Bildungssystems In der bildungssoziologischen Literatur wird dem Grad der Stratifizierung von Bildungssystemen, der erheblich zwischen den verschiedenen Ländern variiert, ein beträchtlicher Einfluss auf das Ausmaß an Bildungsungleichheiten zugeschrieben. Eine hohe Stratifizierung geht in der Regel mit ausgeprägtem, früh einsetzendem Tracking einher und führt zu sozial selektiver Zuteilung der Schülerschaft auf die verschiedenen Oberstufenzüge (Müller und Shavit 1998: 506; Müller et al. 1997: 220). Unter Stratifizierung wird entsprechend die Anzahl der parallel existierenden Oberstufenzüge (Tracks) verstanden, die spezifische Bildungslaufbahnen zur Folge haben und weitere Bildungschancen, Erwerbschancen und schließlich Lebenschancen determinieren. Oftmals wird der Zeitpunkt (das Alter) der Selektion mit in die Definition einbezogen. Sowohl aufgrund theoretischer Überlegungen als auch aufgrund empirischer Befunde kann davon ausgegangen werden, dass das Alter der Selektion wie auch die Anzahl paralleler Oberstufenzüge einen Einfluss auf das Ausmaß herkunftsbezogener Bildungsungleichheiten haben (vgl. z.B. Becker 2009; Horn 2008; Blossfeld und Shavit 1993). Zu fragen ist nun, inwieweit der Stratifizierungsgrad als strukturelles Merkmal auch einen Einfluss auf Geschlechterunterschiede auf der individuellen Ebene hat. Ein Einfluss des Stratifizierungsgrads des Bildungssystems auf Geschlechterunterschiede im Bildungserwerb kann dadurch erklärt werden, dass systematische Benachteiligungen an den „Gelenkstellen“, d.h. an den Bildungsübergängen, entstehen. Je mehr Übergänge und je mehr Tracks in einem Bildungssystem bestehen, desto mehr Einfluss hat die Deutungsmacht von Gatekeepern. Dadurch steigt die Chance, dass beim Selektionsprozess auf bestimmte Bildungswege Irrtümer entstehen (Solga 2008: 30-31). Zudem gilt: Je früher die selektiven Übergänge stattfinden, desto weniger Informationen stehen Lehrpersonen, aber auch Eltern zur Verfügung, um die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum erfolgreich einen höheren Bildungsgang absolvieren kann, adäquat einzuschätzen. Es handelt sich um eine Entscheidung unter Unsicherheit. Das Informationsdefizit in Bezug auf die Erfolgswahrscheinlichkeit – die Ambiguität (vgl. Esser 1999: 289-292) – wird u.a. durch die bewusste oder unbewusste Orientierung an subjektiven Theorien, welche Sozialschicht oder welches Geschlecht die besten Erfolgschancen auf höheren Bildungswegen hat, ausgeglichen (vgl. Esser 1999). Diese subjektiven Theorien beinhalten Aspekte statistischer Diskriminierung: So erscheint die Investition in Bildung von Frauen wegen ihrer – pauschal angenommenen – späteren Verortung im familialen Reproduktionsbereich bzw. ihrer unterstellten geringeren Produktivität und des höheren Risikos von Erwerbsunterbrüchen (Anker 1997) als weniger nutzbringend.
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Geschlechterstereotype über die Leistungsfähigkeit und die schulische Motivation sind ebenso in subjektiven Theorien enthalten. Lehrpersonenurteile orientieren sich bei der Beurteilung von Schülerinnen und Schülern auch an Ankerwerten (vgl. z.B. Dünnebier et al. 2009) – etwa den im Durchschnitt geringeren Schulleistungen der Jungen. Die Folgerung aus beiden Argumentationen wäre nun, dass in stratifizierten Systemen mit frühen selektiven Übergängen aufgrund von Informationsdefiziten subjektive Theorien bzw. Stereotype über die Geschlechter einen größeren Einfluss auf Entscheidungen haben. Je nach vorherrschenden Stereotypen hat das eine oder andere Geschlecht eine geringere Chance, auf den höheren Bildungsweg hin orientiert zu sein bzw. für diesen empfohlen zu werden. Ausgeprägtes Tracking und frühe Selektion fungieren also als Verstärker, die bereits existierende Ungleichheiten vergrößern, indem sie – infolge der Problematik des Informationsdefizits bei früher Selektion – ermöglichen, dass vorherrschende Stereotype einen größeren Einfluss auf das Handeln der Akteure haben. Da in den untersuchten Kohorten vor allem der Stereotyp vorherrschte, dass höhere Bildung für Frauen unwichtig ist, kann folgende Hypothese aufgestellt werden: Hypothese 3: In stratifizierten Systemen sind die Bildungsungleichheiten zu Ungunsten der Frauen stärker ausgeprägt. Da bestimmte Schultypen häufig in einem bestimmten Wohlfahrtsstaatstyp anzutreffen sind, erscheint es sinnvoll, den Typus des Bildungssystems und den Typus des Wohlfahrtsstaats simultan zu untersuchen. Zudem variiert das Ausmaß, inwieweit Frauen von Arbeitgebern als Risikofaktor angesehen werden, je nach Wohlfahrtsstaatsregime, die auch in bestimmte Genderregimes (Kuwalik 2005) eingeordnet werden können. Entsprechend erscheint es erfolgversprechend, den Typus des Wohlfahrtsstaates ebenfalls in die Analysen einzubeziehen.
3.2 Typen des Wohlfahrtsstaats und Geschlechterunterschiede im Bildungserwerb Nicht allein die Ausgestaltung des Bildungssystems kann für die Chancenstruktur innerhalb von Nationalstaaten verantwortlich gemacht werden. Auch der Grad und die Richtung der politischen Steuerung spielt eine Rolle. Denkbar wäre, dass durch Beratungsangebote und die Bereitstellung außerhäuslicher Kinderbetreuungseinrichtungen gezielt Frauen gefördert werden können. Staatliche Maßnahmen können die für die Bildungsinvestitionen der Frauen relevante
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Erwerbsbeteiligung lenken. Wohlfahrtsstaaten stellen eine Konfiguration institutioneller Arrangements dar, welche das Handeln der Individuen im Allgemeinen und ihre Bildungsentscheidungen im Speziellen systematisch beeinflussen, indem sie unterschiedliche Constraints setzten bzw. Opportunitäten bereitstellen (vgl. hierzu Blossfeld 1996). Insbesondere ist zu erwarten, dass sich in postsozialistischen und sozialdemokratischen Regimes die Bildungschancen der Frauen schneller erhöhten. In solchen Staaten war Frauenerwerbstätigkeit relativ früh der Normalfall, und dementsprechend wurden Kinderbetreuungseinrichtungen flächendeckend ausgebaut (Hofmeister et al. 2006; vgl. für die ehemalige DDR z.B. Hadjar und Berger 2010). Eine Assoziation zwischen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements und Bildungsungleichheiten scheint deshalb plausibel, weil sich die Wohlfahrtsstaatstypen im Umgang mit sozialer Ungleichheit unterscheiden. Sie sind daher „key institutions in the structuring of class“ (Esping-Andersen 1990: 55). Entsprechend sind auch die Bildungssysteme je nach Wohlfahrtsstaatstypus unterschiedlich beschaffen, d.h., je nach Typus variiert die institutionelle Ausgestaltung der Bildungssysteme im Hinblick darauf, inwieweit diese auf den Abbau herkunfts- und geschlechtsspezifischer Unterschiede im Bildungserwerb zielen. Aber auch in Bereichen außerhalb des Bildungssystems halten Wohlfahrtsregimes politische Regelungen bereit, die indirekt die Bildungsbeteiligung der Frauen beeinflussen. Ein Defizit an Möglichkeiten der Umsetzung von Bildungsinvestitionen in Status und Einkommen führt dazu, dass (höhere) Bildung für Frauen weniger sinnvoll erscheint. Dieser Mechanismus dürfte vor allem in Ländern mit schlecht ausgebauter Infrastruktur zur Kinderbetreuung greifen (vgl. Blossfeld und Hofmeister 2006). Bevor Hypothesen hinsichtlich des Ausmaßes der Benachteiligung von Frauen in bestimmten Wohlfahrtsstaatsregimes aufgestellt werden, wird zuerst auf die zentralen Merkmale der Wohlfahrtsstaatstypen nach Esping-Andersen (1990; konservativer, liberaler und sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaat) sowie den Ergänzungen von Ferrera (1996; südländischer Wohlfahrtsstaat) und Blossfeld et al. (2008; postsozialistischer Wohlfahrtsstaat) eingegangen – allgemein und konkret im Hinblick auf Geschlechterunterschiede entsprechend der Konzeptualisierung von Hofmeister et al. (2006). Eingebracht werden ebenfalls die neueren Unterscheidungen von Esping-Andersen (1999) zu familialisierten versus de-familialisierten Wohlfahrtsstaaten: Familialisierte Regimes bauen ihre sozialen Sicherungssysteme fast vollständig auf die Familien auf, denen weiterhin sämtliche Reproduktionsaufgaben obliegen. In de-familialisierten Regimes
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werden einige Aufgaben, z.B. die Kinderbetreuung, von Staat oder Markt übernommen und die Familien und insbesondere Frauen entsprechend entlastet. 4 In konservativen Wohlfahrtsstaaten wie Deutschland und Frankreich ist die Umverteilung über Steuern und Sozialleistungen eher gering. Der konservative Wohlfahrtsstaat ist darauf ausgerichtet, soziale Ungleichheiten trotz eines breiten sozialen Sicherungssystems zu erhalten (Esping-Andersen 1990: 58). Es gilt das Subsidiaritätsprinzip, d.h., der Staat leistet erst Unterstützung, wenn sich die Familien oder Individuen nicht selbst helfen können. Insgesamt sind konservative Wohlfahrtsstaaten daher eher familienorientiert ausgerichtet, weil zunächst Familien in der Pflicht sind, Fürsorgeleistungen zu übernehmen. Das Geschlechterverhältnis wird vom konservativen Modell des „male breadwinner“ bestimmt, das durch steuerliche und sozialstaatliche Regelungen zusätzlich gestützt wird. Auch wenn in den letzten Jahrzehnten die Erwerbsbeteiligung – und auch die Einschätzung des Nutzens einer höheren Bildungsbeteiligung – von Frauen zugenommen hat, sind diese konservativen Wohlfahrtsstaaten noch weit vom geschlechteregalitären „dual earner“-Modell (Hofmeister et al. 2006: 14-16) entfernt. Das öffentliche Dienstleistungsangebot an familiären Leistungen wie Kinderbetreuung ist ebenfalls gering. Der liberale Wohlfahrtsstaat zielt darauf, möglichst nicht in das Marktgeschehen einzugreifen und lediglich auf Basis punktueller Unterstützungsleistungen das größte Elend zu verhindern (EspingAndersen 1990: 64-65). Für Frauen zeigt sich ein Mangel an staatlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ein Defizit an öffentlichen Kinderbetreuungseinrichtungen stellt eine große Hürde für Frauen dar, voll erwerbstätig zu sein (Hofmeister et al. 2006: 18). Liberale Wohlfahrtsstaaten sind entsprechend als eher familialisiert im Sinne von EspingAndersen (1999) einzustufen. Andererseits sind infolge mangelnder Absicherungen auch ökonomische Zwänge für Frauen vorhanden, erwerbstätig zu sein. In den sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten nach dem skandinavischen Modell hat sich ein besonders ausgeprägter Wohlfahrtsstaat durchgesetzt. Es findet eine starke finanzielle Umverteilung über Steuern und Sozialleistungen statt (Esping-Andersen 1990: 68-69). Frauen sind nicht nur in den Gesetzen den Männern gleichgestellt, sondern auch faktisch stark in den Arbeitsmarkt integriert (Hofmeister et al. 2006: 16). Sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten sind überwiegend de-familialisiert und fördern entsprechend die Unabhängigkeit des Einzelnen von der Familie und entlasten Frauen von familiären Reproduktionsleistungen (vgl. Esping-Andersen 1999). Frauenförderung und die Gleichstel4
Damit wird quasi das ältere Konzept von Esping-Andersen (1990), das noch wegen seiner Vernachlässigung der Situation der Frau im Erwerbsbereich und in der Familie aus feministischer Sicht kritisiert wurde (Lewis 2004), verbunden mit aktuelleren Kategorisierungen, anhand deren die soziale Situation der Frauen thematisiert werden kann.
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Andreas Hadjar und Joël Berger
lung der Geschlechter betreffen sowohl das Erwerbssystem als auch das vorgelagerte Bildungssystem. Dies lässt eine vergleichsweise hohe Bildungsbeteiligung von Frauen erwarten. Zusätzlich zu diesen Typen kann das familienorientierte bzw. das südliche Modell unterschieden werden. Dieses ist durch einen schwachen Staat gekennzeichnet, wohlfahrtsstaatliche Leistungen werden zu einem beträchtlichen Teil durch Klientelismus und Patronage-Systeme bereitgestellt – wobei aber auch punktuelle wohlfahrtsstaatliche Institutionen existieren (Ferrera 1996: 29-30). Griechenland, Italien oder Portugal können unter diesen Typ subsumiert werden. Fehlende staatliche Kinder- und Altenbetreuungseinrichtungen fördern den Erhalt traditioneller Familienstrukturen (Großfamilien), in denen den Frauen vor allem Betreuungsaufgaben im Haushalt zukommen (Hofmeister et al. 2006: 19). Damit entsprechen diese Länder dem Idealtypus des familialisierten Wohlfahrtsstaats (Esping-Andersen 1999). Bei den postsozialistischen Staaten (Blossfeld et al. 2008: 28) ist hervorzuheben, dass die vorliegend untersuchten Kohorten ihre Schulzeit großmehrheitlich während der kommunistischen Ära absolviert haben. Es sind daher die politischen Rahmenbedingungen während der Vorherrschaft des Staatssozialismus zu fokussieren, der durch massive sozialpolitische Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheit und staatliche Kontrolle gekennzeichnet war. Insbesondere hinsichtlich herkunftsbezogener Ungleichheiten ist aber auch auf einen Bruch zwischen Ideologie und Realität zu verweisen.5 Die Stellung der Frau im Erwerbsleben wurde in diesen ex-staatssozialistischen Staaten über viele Jahrzehnte gestärkt, vollerwerbstätige Frauen stellten die Norm dar. Kinderbetreuungseinrichtungen standen zur Verfügung, und Frauen waren somit weitgehend von familiären Reproduktionsleistungen befreit, weshalb diese Staaten als stark de-familialisiert einzuordnen sind. Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen ist allerdings weniger auf moderne bzw. egalitäre Geschlechterrollen zurückzuführen als vielmehr auch auf die „socialist practice of setting salaries at levels that required two salaries for each family and enacting legislation that required men and women to be in the labor market“ (Hofmeister et al. 2006: 17). Allerdings waren infolge der erhöhten Arbeitslosigkeit im Zuge der wirtschaftlichen Umbruchprozesse in den ex-staatssozialistischen Ländern viele Frauen gezwungen, den Arbeitsmarkt zu verlassen oder nutzten die neuen ökonomischen Möglichkeiten, nicht mehr in Vollzeit oder gar nicht erwerbstätig zu sein. 5
Während in der Öffentlichkeit propagiert wurde, dass die Klassengegensätze abgebaut würden, war dies in Bezug auf Bildungsungleichheiten nur während der Aufbauphase der realsozialistischen Staaten der Fall. Sobald sich die neue Elite etablierte, nutzte sie die bürokratische Macht, um sich Privilegien zu sichern und die unteren Schichten am sozialen Aufstieg zu hindern (sozialistische Transformationshypothese; vgl. Blossfeld und Shavit 1993; Mayer und Solga 1994; Hadjar und Berger 2010).
Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Europa
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Aus den Überlegungen zum Zusammenhang zwischen Bildungserwerb und der später antizipierten Position der Frauen im Erwerbsleben können die Hypothesen zu den einzelnen Wohlfahrtsregimes (vgl. Hofmeister et al. 2006: 15) folgendermaßen zusammengefasst werden: Hypothese 4: Die Geschlechterunterschiede in der Bildungsbeteiligung zu Ungunsten von Frauen sind in ex-staatssozialistischen und sozialdemokratischen Staaten am geringsten ausgeprägt, dahinter folgen liberale Wohlfahrtsstaaten. In konservativen und familienorientierten Wohlfahrtsstaaten sind stärkere Ausprägungen an Geschlechterungleichheit zu erwarten.
4 Datenbasis und Messinstrumente Als Datenbasis der Analysen zu Geschlechterungleichheiten in Europa dient der European Social Survey 2004, weil dieser in Bezug auf die interessierenden Variablen die größte Anzahl an Erhebungsgebieten aufweist sowie durch eine hohe Datenqualität hinsichtlich der Stichprobenauswahl und der Messinstrumente gekennzeichnet ist (Keil 2009). Zudem wurde der ESS-Datensatz für Großbritannien aus der Erhebung 2006 mit in die Analysen aufgenommen. Insgesamt enthält der verwendete Datensatz Informationen aus 25 Ländern, darunter osteuropäische Länder wie Polen, Tschechien und die Ukraine, nordeuropäische Länder wie Schweden und Finnland, zentraleuropäische Länder wie Frankreich und Deutschland – wobei zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland unterschieden wird – sowie südeuropäische Länder wie Spanien und Griechenland. Im Zentrum der Analysen steht die Chance, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen. Die entsprechende abhängige Variable ist das erreichte höchste Bildungsniveau. Das bis zum Untersuchungszeitpunkt erreichte Bildungsniveau wird für den Vergleich in eine zweistufige Variable überführt. Eine solche Komplexitätsreduktion erscheint für den internationalen Vergleich und vor dem Hintergrund der verschiedenartigen Bildungssysteme als sinnvoll. In der niedrigen Kategorie (Referenzkategorie 0) sind Personen ohne Abschluss und Personen mit Hauptschulabschluss sowie Personen mit einem Abschluss mittlerer Reife (mit oder ohne berufliche Ausbildung) zusammengefasst (CASMIN-Gruppen 1a,b,c, 2a,b; Braun und Müller 1997). In Kategorie 1 finden sich die Personen, die als höchsten Bildungsabschluss zumindest eine Hochschulzugangsberechtigung erworben haben (CASMIN-Gruppen 2c, 3a,b). In dieser Gruppe sind somit nicht nur Personen mit Hochschulzugangsberechti-
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Andreas Hadjar und Joël Berger
gung, sondern auch Individuen mit tertiären Bildungszertifikaten (Fachhochschule, Hochschule) enthalten. Die Kernvariable des Geschlechts wird dichotom entsprechend der Angabe zur biologischen Geschlechtszugehörigkeit erhoben. Die soziale Herkunft wird über den höchsten Bildungsabschluss der Eltern – entweder Mutter oder Vater – bestimmt, um auch Ein-Eltern-Familien zu berücksichtigen und der zunehmenden Frauenerwerbstätigkeit zu entsprechen (vgl. Hadjar 2004, Sørensen 1986). Es werden drei Bildungsgruppen unterschieden: 1) Personen ohne Abschluss bis hin zu Personen mit mittleren Bildungsabschlüssen (CASMIN-Gruppen 1a,b,c, 2a,b; Braun und Müller 1997), 2) Personen mit Hochschulzugangsberechtigung (CASMIN-Gruppe 2c) sowie 3) Personen mit tertiären Abschlüssen (Fachhochschule, Hochschule; CASMINGruppe 3a,b). Aufgrund der eher mäßigen länderspezifischen Fallzahlen werden nur drei Kohorten voneinander unterschieden. Die Einteilung der Geburtsjahrgänge in Kohorten erfolgt in Anlehnung an Bürklin et al. (1994: 598; vgl. Klein 1995), wobei allerdings bei der Interpretation weniger der politisch-soziale Sozialisationskontext um das 15. Lebensjahr der jeweiligen Geburtsjahrgänge als vielmehr der Verlauf der Bildungsexpansion, im Zuge der die Bildungsbeteiligung von Frauen gestiegen ist (vgl. Hecken 2006), betrachtet werden soll. Die Referenzgruppe bildet die Kohorte der zwischen 1924 und 1945 Geborenen, deren Mitglieder vor oder im Zweiten Weltkrieg geboren wurden und deren Ausbildung weitgehend vor der Bildungsexpansion stattgefunden hat. Die zweite untersuchte Generation beinhaltet die zwischen 1946 und 1964 Geborenen, die in politischen Betrachtungen meist als „1968er Generation“ gekennzeichnet werden und die stark von der Bildungsexpansion profitieren konnten. Die dritte Kohorte der zwischen 1965 und 1974 Geborenen ist ebenso eine Kohorte der Bildungsexpansion, wurde aber vor dem Hintergrund sich abzeichnender Wachstumsgrenzen und sozialer Probleme (Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Krisen) sozialisiert.
Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Europa
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Tabelle 1: Länderübersicht: Bildungssystem und Wohlfahrtsstaat
Belgien Dänemark Deutschland West Deutschland Ost Estland Finnland Frankreich Griechenland Großbritannien Irland Italien Luxemburg Niederlande Norwegen Österreich Polen Portugal Schweden Schweiz Slowakei Slowenien Spanien Tschechien Ukraine Ungarn
Bildungssystem (Stratifizierungsgrad) mittel gering hoch gering gering gering mittel mittel mittel mittel mittel mittel hoch gering hoch gering mittel gering hoch gering gering mittel gering gering gering
Wohlfahrtsstaat konservativ sozialdemokratisch konservativ ex-staatssozialistisch ex-staatssozialistisch sozialdemokratisch konservativ familienorientiert liberal familienorientiert familienorientiert konservativ konservativ sozialdemokratisch konservativ ex-staatssozialistisch familienorientiert sozialdemokratisch liberal ex-staatssozialistisch ex-staatssozialistisch familienorientiert ex-staatssozialistisch ex-staatssozialistisch ex-staatssozialistisch
Auf der Makroebene werden zwei Kategorisierungen in die Modelle integriert: der Stratifizierungsgrad des Bildungssystems und der Wohlfahrtsstaatstypus. Entsprechend der Einteilung von Müller und Shavit (1998) bzw. Müller et al. (1997) wird zwischen gering, mittel und hoch stratifizierten Bildungssystemen unterschieden.6 Hoch stratifiziert heißt dabei, dass es ein früh einsetzendes Tracking gibt, mehrere hierarchisch positionierte Bildungswege parallel laufen und nur wenige Möglichkeiten, zwischen den vorgegebenen Bildungswegen zu wechseln, bestehen. Die Schweiz, Westdeutschland und Österreich erweisen sich als besonders hoch stratifiziert, während die Bildungssysteme der skandinavischen Länder wie Norwegen und Finnland oder ehemaliger Ostblockstaaten wie Ungarn und Estland besonders gering stratifiziert sind. Die ehemaligen 6
Bei der Eingruppierung wurde neben den genannten Quellen auch auf EU-Informationen zu den Bildungssystemen von Eurydice zurückgegriffen (http://eacea.ec.europa.eu/education/eurydice/ eurybase_en.php).
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Andreas Hadjar und Joël Berger
staatssozialistischen Staaten wurden im Hinblick auf die vor den Umbrüchen in den Jahren 1989 und 1990 bestehenden Bildungssysteme klassifiziert, da die vor diesen Ereignissen ausgebildeten Kohorten von Interesse sind. 7 Der Typus des Wohlfahrtsstaats wird über die an Esping-Andersens (1990) klassische Typologie angelehnte und um familienorientierte und ex-staatssozialistische Länder erweiterte Kategorisierung nach Blossfeld und Hofmeister (2006) bestimmt (vgl. Zuordnung der Länder, vgl. Tabelle 1 oben).8
5 Ergebnisse Zur Betrachtung der sich verändernden Bildungsungleichheiten werden zunächst deskriptive Analysen präsentiert, in denen die Unterschiede zwischen den Bildungssystemen und Wohlfahrtsstaatstypen anschaulich dargestellt werden können, bevor dann Ergebnisse aus Mehrebenenanalysen erläutert werden.
5.1 Kohortenspezifische Geschlechterunterschiede nach Bildungssystem und Wohlfahrtsstaat Kohortenunterschiede in den Bildungsungleichheiten nach Geschlecht in den verschiedenen Bildungssystemtypen sind in Abbildung 1 dargestellt. Die präsentierten Chancenverhältnisse (odds ratios) beziehen sich auf die Fragestellung, wie hoch die Chancen von Frauen im Vergleich zu Männern sind, eine Hochschulreife zu erwerben: Werte über 1 weisen auf Vorteile für Frauen hin, Werte unter 1 zeigen, dass Frauen schlechtere Chancen als Männer haben, über eine Hochschulzugangsberechtigung zu verfügen. Der Wert 1 würde auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Bildungserwerb hinweisen. Der Stern über oder unter dem odds ratio-Wert zeigt an, dass die Abweichung von der Geschlechtergleichverteilung mindestens auf dem 5-Prozent-Niveau statistisch 7
Für die Analysen werden die gering und mittel gegliederten Bildungssysteme zu einer Kategorie zusammengefasst. Dieser Schritt ist notwendig, weil in den vorliegenden Daten kein einziges sozialdemokratisches oder postsozialistisches Land mit einem nicht gering gegliederten Bildungssystem vorliegt. Ohne Kategorisierung könnten die Modelle aufgrund des empty cell problems nicht geschätzt werden (vgl. Long 1997). 8 Es ist zu beachten, dass in den ehemals staatssozialistischen Ländern frühe Geburtskohorten meist in einem vorsozialistischen System ausgebildet wurden, während die zwischen 1946 und 1964 Geborenen einen Großteil ihrer Bildungslaufbahn in gesamtschulartigen staatssozialistischen Bildungssystemen absolvierten. Die jüngsten Kohorten (Geburtsjahrgänge 1965-1974) begannen hingegen ihre Bildungslaufbahn im staatssozialistischen System, um die Tertiärstufe in einem neustrukturierten Bildungssystem abzuschließen.
Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Europa
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bedeutsam ist. Bei den zwischen 1924 und 1945 Geborenen zeigt sich ein klares Missverhältnis zu Ungunsten von Frauen, das in hoch stratifizierten Bildungssystemen stärker ausgeprägt ist als in gering oder mittel stratifizierten Ländern. In hoch stratifizierten Systemen hatten Frauen der Kohorten 1924-45 eine um den Faktor 0,32 geringere Chance, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erhalten, als Männer, d.h. dass die Chancen der Frauen um 68 Prozent geringer sind als die der Männer. Während das Geschlechterverhältnis in den niedrig und mittel stratifizierten Ländern in den Folgekohorten (Geburtsjahrgänge 1946-64) fast ausgeglichen ist, sind in hoch stratifizierten Ländern Frauen weiterhin benachteiligt. In den jüngsten betrachteten Kohorten (1964-74) haben sich in den Bildungssystemen mit niedrigem und mittlerem Stratifizierungsgrad die Bildungsungleichheiten hinsichtlich des Erwerbs der Hochschulreife zu Gunsten der Frauen umgekehrt – d.h., dass diese nun eine im Vergleich zu Männern um 35 Prozent höhere Chance auf eine Hochschulzugangsberechtigung haben –, während in hoch stratifizierten Systemen in diesen Kohorten auch weiterhin ein Rest an Benachteiligung von Frauen zu konstatieren ist. Entsprechend der Theorie (vgl. Müller et al. 1997) erweisen sich Ungleichheiten – auch nach Geschlecht – in hoch stratifizierten Systemen als besonders resistent. Abbildung 1: Geschlechterunterschiede im Bildungserwerb im Wandel nach Stratifizierungsgrad des Bildungssystems 10
* 1.35 0.98 1 0.6
*
0.72
0.58
*
*
0.32
* 0.1 Kohorten 1924-45
Kohorten 1946-64 niedrige und mittlere Stratifikation
Kohorten 1965-74 hohe Stratifikation
Anmerkungen: odds ratios, Signifikanz: * p < .05 Quelle: ESS 2004 (UK 2006)
Abbildung 2 ermöglicht einen Vergleich der kohortenspezifischen Geschlechterungleichheiten zwischen verschiedenen Wohlfahrtsstaatstypen. Tendenziell
Andreas Hadjar und Joël Berger
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nimmt die Benachteiligung der Frauen im Bildungserwerb in allen Wohlfahrtsstaatstypen ab. In den jüngsten Kohorten der 1964-74 Geborenen kommt es allerdings nur in sozialdemokratischen und postsozialistischen Wohlfahrtsstaaten sowie relativ unerwartet auch in familienorientierten Gesellschaften zu einer Umkehrung der Geschlechterungleichheiten zu Ungunsten von Männern. In liberalen und konservativen Wohlfahrtsstaaten ist die Geschlechterverteilung bezüglich der Chance, die Hochschulreife zu erwerben, nahezu ausgeglichen. Abbildung 2: Geschlechterunterschiede im Bildungserwerb im Wandel nach Wohlfahrtsstaatsregime 10
1.17 1.15
* 1.64 * 1.39
* 1.34
1 0.57 0.47 * 0.44 * *
0.79 * 0.53
0.87
0.990.89
0.7 0.7 * *
*
0.1 Kohorten 1924-45 familienorientiert
konservativ
Kohorten 1946-64 liberal
Kohorten 1965-74
sozialdemokratisch
postsozialistisch
Anmerkungen: odds ratios, Signifikanz: * p < .05 Quelle: ESS 2004 (UK 2006)
In einem Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass in Europa über die Kohortenabfolge Geschlechterunterschiede beim Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung zu Ungunsten von Frauen abgenommen haben. Am stärksten ist diese Entwicklung in gering und mittel stratifizierten Bildungssystemen sowie in sozialdemokratischen, postsozialistischen und familienorientierten Wohlfahrtsstaaten. Hier erlangen in der jüngsten untersuchten Kohorte mehr Frauen als Männer die Hochschulreife (CASMIN 2c-Niveau).
Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten in Europa
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5.2 Mehrebenenmodelle zum Wandel der Geschlechterungleichheiten Die nachfolgenden multivariaten Analysen werden mittels binär-logistischer Multilevel-Regressionsverfahren (random intercept) durchgeführt (vgl. Guo und Zhao 2000). Solche Modelle werden der hierarchischen Datenstruktur gerecht: Stichprobenelemente innerhalb sozialer Einheiten, hier Nationalstaaten, sind voneinander in der Regel nicht statistisch unabhängig – es existiert eine gewisse Intraklassenkorrelation. Inhaltlich bedeutet dies, dass Menschen einander innerhalb von Nationalstaaten aufgrund einer gemeinsamen Kultur und ähnlichen Lebensbedingungen in Bezug auf bestimmte Merkmale ähnlicher sind als Menschen zwischen verschiedenen Staaten. 9 Dies betrifft nicht zuletzt auch das abhängige Merkmal der folgenden Analysen: die Chance, eine Hochschulzugangsberechtigung zu erreichen. Zunächst wird die Bildungsbeteiligung der Frauen im Vergleich zu Männern nach Stratifizierungsgrad des Bildungssystems – gering stratifizierte Bildungssysteme versus mittel bis hoch stratifizierte Systeme – beschrieben (Tabelle 2). Dabei werden auf der Individualebene die Kohortenzugehörigkeit und die Bildung der Eltern kontrolliert. In einem zweiten Schritt wird exploriert, ob – wieder unter Berücksichtigung von Kontrollvariablen – unterschiedliche geschlechtsspezifische Bildungschancen zwischen den einzelnen Wohlfahrtsstaatstypen vorliegen (Tabelle 3). Dann werden die unterschiedlichen Modelle integriert (Tabelle 4), und es wird geprüft, ob zwischen den verschiedenen Kontexten (Bildungssysteme und Wohlfahrtsstaats-Typen) tatsächlich systematische Differenzen in Bezug auf geschlechtsspezifische Bildungschancen bestehen. Dabei werden Struktur des Bildungssystems und Ausprägung des Wohlfahrtsstaates simultan getestet, um der Frage nachzugehen, ob eigenständige Effekte 9
In Random intercept-Modellen fängt eine länderspezifische Fehlerkomponente solche idiosynkratischen Momente auf (Kreeft und De Leeuw 2007: 9-10; vgl. auch Rabe-Hesketh und Skrondall 2008). In der Tat zeigen die von Null verschiedenen Schätzer für den Rho-Wert in den leeren Modellen für die einzelnen Wohlfahrtsstaatsregimes (Tabellen 1 und 2) deutlich, dass Intraklassenkorrelation vorhanden ist. Sie variiert von ρ = 0.07 in familienorientierten bis zu ρ = 1.10 in postsozialistischen Staaten. Da gerade bei großer Fallzahl innerhalb der Cluster bereits geringe Werte um 0.01 das Risiko eines Alpha-Fehlers deutlich erhöhen können (Kreeft und De Leeuw 2007: 10; vgl. auch Hadler 2004), sind Mehrebenen-Modelle adäquate Verfahren für die Analyse der vorliegenden Daten. In den berichteten Modellen wird jeweils die residuale Intraklassenkorrelation (d.h. die Intraklassenkorrelation hinsichtlich der unabhängigen Variablen) angegeben. Je kleiner die residuale (bedingte) Intraklassenkorrelation ausfällt, desto besser gelingt es zu erklären, warum sich Beobachtungen innerhalb von Ländern ähnlicher sind als zwischen den Ländern (Rabe-Hesketh und Skrondal 2008: 58-59). Die Entscheidung, nur ein Random interceptModell mit fixen Koeffizienten zu schätzen, stützt sich auf Snijders und Berkhof (2008). Damit können Aussagen über die inkludierten Länder getroffen werden, aber keine Generalisierungen für Gesamt-Europa. Dies würde aber auch keinen Sinn ergeben, weil die selektierten Länder keine Zufallsauswahl europäischer Länder darstellen.
Andreas Hadjar und Joël Berger
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beider Merkmale auf das Ausmaß an geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten vorliegen. Tabelle 2: Geschlechtsspezifischer Bildungserwerb in Europa nach Stratifizierungsgrad des Bildungssystems Binär-logistische Regressionsmodelle unter Berücksichtigung der Mehrebenenstruktur (random intercept model; Maximum Likelihood Schätzung) Stratifizierung des Bildungssystems
Abhängige Variable: Erwerb einer Hochschulzugangsberechtigung
Niedrige und mittlere Stratifizierung OR s.e. Sig.
Hohe Stratifizierung OR s.e. Sig.
Ebene der Gesellschaften Individuelle Ebene Geschlecht (Ref. Mann) Frau
.58
.03
***
.28
.03
***
1946-1964 1965-1974
2.05 2.60
.10 .16
*** ***
1.88 2.50
.23 .39
*** ***
Interaktionseffekt Geschlecht • Geburtskohorten (Ref. Frau x 1924-45) Frau x 1946-1964 Frau x 1965-1974
1.70 2.50
.11 .21
*** ***
2.30 2.84
.37 .58
*** ***
Soziale Herkunft Bildung der Eltern (Ref. niedrige Bildung) Mittlere Bildung Hohe Bildung
5.22 12.10
.24 1.00
*** ***
5.47 13.52
.50 2.29
*** ***
Geburtskohorten (Ref. 1924-45)
Log Likelihood -13322.87 N Länder 21 N Individuen 26892 ρ 0.06 SD Interzept 0.47 Nullmodell: LL; ρ -8151.55 ; 0.09 Anmerkungen: Signifikanz: * p …@ zwei Bedingungen erfüllen, um als Erklärungen für die Befunde in Frage zu kommen: Sie müssen einerseits in allen Bundesländern gleichermaßen die Nachteile für Jungen gegenüber Mädchen produzieren, andererseits in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich stark ausgeprägt sein, denn nur so ist der (doppelte) Befund zu erklären, nach dem Jungen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse gegenüber Mädchen in allen Bundesländern Nachteile haben, diese Nachteile aber nicht in allen Bundesländern gleich stark ausgeprägt sind. Ein Merkmal, das diese Bedingungen erfüllt, ist der Anteil der männlichen Grundschullehrer an allen vollbeschäftigten Grundschullehrern in den verschiedenen Bundesländern: Wenn es stimmt, dass in allen Bundesländern die Mehrzahl der Grundschullehrer weiblich ist und dass dies für Schülerinnen einen Vorteil beziehungsweise für Schüler einen Nachteil darstellt, der sich zum Beispiel in der Leistungsmotivation, der Leistungs13 Eine Erklärung der Vorfälle oder eine Entschuldigung erhielt ich von keinem Mitglied des Herausgeberkreises. Erst, nachdem ich beim Verlag darauf hingewiesen hatte, dass Herr Tillmann mit mir einen konkludenten Vertrag geschlossen habe, der einklagbar sei und ich daher nicht bereit sei, die Angelegenheit ohne Weiteres auf sich beruhen zu lassen, wurde ich für die Arbeit, die ich mit dem Verfassen des Textes hatte, finanziell geringfügig entschädigt. Die entsprechende Kommunikation und Transaktion verlief zwischen mir und besagter Verlagssekretärin.
346
Heike Diefenbach
fähigkeit oder der Bildungsempfehlung für eine weiterführende Schulart niederschlägt, dann kann erklärt werden, warum in allen Bundesländern Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich der Abschlüsse bestehen, .... Wenn außerdem das Verhältnis zwischen Grundschullehrern und Grundschullehrerinnen in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich ist ..., so kann erklärt werden, warum die Nachteile für Jungen gegenüber Mädchen in den verschiedenen Bundesländern unterschiedlich stark ausgeprägt sind“ (Diefenbach und Klein 2002: 948/949). Eigentlich sollte hieraus deutlich werden, dass die Befunde in der spezifischen Form, in der sie sich darstellen, bestimmte formale Anforderungen an die in Frage kommenden Erklärungen stellen. Solche Erklärungen müssen gesucht und getestet werden, unabhängig davon, ob man sie sympathisch findet oder nicht. 14 Anschließend nehmen wir in „‘Bringing Boys Back in’ ...“ Bezug auf Arbeiten, die eine theoretische Begründung oder empirische Belege für den Zusammenhang zwischen unterschiedlich großem Schulerfolg von Jungen und Mädchen einerseits und dem Geschlecht von Lehrkräften andererseits liefern (Diefenbach und Klein 2002: 949). Von männlichen Bezugspersonen ist bei uns nicht die Rede und auch nicht von „Männerarmut“15 in der Schule. Dennoch mutieren wir in Boldts Beschreibung zu Befürwortern einer „Erhöhung des Männeranteils“ (Boldt 2008: 142).16 Diesbezüglich besonders peinlich ist Boldts Rezeption insofern als ich mich bereits ein Jahr früher in einer Publikation kritisch zu einer Erhöhung des Grundschullehreranteils zum Zweck, den Schulerfolg von Jungen zu erhöhen, geäußert hatte (Diefenbach 2007: 111). Boldt hat diese Publikation, die in einem Band über „Sozial Arbeit mit Jungen und Männern“ erschienen ist und daher angesichts seiner Berufsposition für Boldt einschlägig sein sollte, offensichtlich nicht zur Kenntnis genommen. Auch dann, wenn man berücksichtigt, dass wir unterschiedlichen Disziplinen und wissenschaftlichen Paradigmen angehören, sollte wir uns soweit über die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens einig sein, dass die Texte derer, zu deren Forschungsergebnis14 Darüber hinaus halten wir in „‘Bringing Boys Back in’: ...“ explizit fest: „Zum einen besteht die Möglichkeit aktiver Benachteiligung von Jungen gegenüber Mädchen durch Lehrerinnen. ...Wir halten es jedoch für wahrscheinlicher, dass die Nachteile, die Jungen gegenüber Mädchen durch die Betreuung durch Lehrerinnen haben, eine unbeabsichtigte Folge des Handelns der Lehrerinnen sind, die das Verhalten von Jungen und Mädchen unterschiedlich interpretieren und bewerten“ (Diefenbach und Klein 2002: 949). 15 Den Begriff benutzt Boldt nicht nur fälschlich mit Bezug auf unsere Aussagen, sondern auch falsch mit Bezug auf die deutsche Sprache, in der Männerarmut die Genitivkonstruktion „Armut der Männer“ ersetzt, aber nicht die Konstruktion „Armut an Männern“. 16 Genau formuliert Boldt: „Kreienbaum, die durchaus auch [!] eine Erhöhung des Männeranteils befürwortet, ...“ (Boldt 2008: 142), womit er unterstellt, wir (und Kreienbaum) würden eben dies tun.
“Bringing Boys Back in” revisitedr
347
sen man Stellung nehmen möchte, zunächst genau zu lesen sind. In diesem wie in anderen Fällen wird neben der Wirkung von Konformitätsdruck und professionellen Ideologien, aufgrund derer sich die jeweiligen Personen eher als Multiplikatoren politisch korrekter Inhalte betrachten denn als Wissenschaftler, ein erheblicher Mangel an dem erkennbar, was im englischsprachigen Raum als „scientific literacy“ bezeichnet wird, was man nicht ganz treffend mit "wissenschaftlicher Grundbildung" übersetzen kann. Aufgrund dieses Mangels werden Arbeiten, die man wegen ihrer Inhalte emotional ablehnt, in unangemessener Weise beurteilt: Unfähig zur argumentativen oder methodischen Kritik, aber gleichzeitig den Druck verspürend, man müsse eine irgendwie wissenschaftlich klingende Kritik äußern, um ernst genommen zu werden, benutzt man probeweise Floskeln wie beispielsweise „mangelnde Datenqualität“ in der Hoffnung, die in Frage stehenden Arbeiten damit diskreditieren zu können. So behauptet der Sozialpädagoge Jürgen Budde in einer Auftragsarbeit für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), unsere Ergebnisse seien „empirisch keineswegs abgesichert“ (Budde 2008: 49) und die „Kausalität des postulierten Zusammenhangs [gelte] ebenso wie die Datenauswahl der Studie als höchst umstritten“ (Budde 2008: 49). Diesen Formulierungen merkt man die Fremdheit an, die Budde gegenüber der Hypothesen testenden Sozialwissenschaft und quantitativen Daten beziehungsweise Analysen empfinden muss: Erstens wird der Grad der Bewährung von Forschungsergebnissen anhand der Anzahl der überstandenen Falsifizierungsversuche gemessen, die bei einem neu beschriebenen Phänomen nicht gegeben sein kann, so dass logischerweise auch keine entsprechende Kritik an einer Studie, die ein Phänomen erstmals beschreibt, formuliert werden kann. Zweitens gehört es zu den Grundkenntnissen, die in einer Methodenausbildung vermittelt werden, dass statistische Korrelationen Zusammenhänge, eben Korrelationen, ausweisen, aber keine Kausalitäten. Kausalitäten werden durch inhaltliche Hypothesen formuliert, mit denen eine Korrelation vereinbar ist oder nicht. Insofern es für Korrelationen konkurrierende Erklärungen unter Rückgriff auf unterschiedliche kausale Zusammenhänge gibt, also verschiedene mögliche Kausalitäten mit der Korrelation vereinbar sind, ist es ein normaler Zustand, dass „die Kausalität des postulierten Zusammenhangs >...@ umstrit-
348
Heike Diefenbach
ten“ ist – was sonst?17 Inwiefern dies gegen unsere Vorgehensweise in „‘Bringing Boys Back in’: ...“ sprechen soll, bleibt Buddes Geheimnis. Eben weil die beobachteten Nachteile von Jungen zumindest auf den ersten Blick durch verschiedene Argumentationsketten erklärt werden können, erhofften wir uns von unserer Publikation, dass sie eine Forschung zu den möglichen Erklärungen für die beschriebenen Nachteile auslösen würde. Drittens ist es mehr oder weniger albern, eine „Datenauswahl“ zu kritisieren, wenn einer Analyse eine Vollerhebung zugrunde liegt, die sämtliche Jungen und sämtliche Mädchen ebenso wie sämtliche Lehrkräfte an Grundschulen in sämtlichen Bundesländern für einen Zeitraum von sechs Jahren umfasst. Das „Auswahl“Problem kann sich in diesem Fall nur auf den ausgewählten Zeitraum beziehen, und dass Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen vielleicht nicht feststellbar gewesen wären, wenn man Daten aus den 1940er- oder 1950er-Jahren herangezogen hätte, ist nicht nur möglich, sondern sehr wahrscheinlich, war aber nicht die Frage, die wir stellten. Wir stellen die Frage nach den Verhältnissen in der jüngeren Vergangenheit. Festgehalten werden kann auf jeden Fall, dass die wenigsten empirischen Studien in den Sozialwissenschaften von sich behaupten können, auf einer auch nur annähernd vergleichbar umfassenden Datenbasis zu beruhen. Wie für Boldt gilt auch für Budde, dass er die Grundregeln wissenschaftlichen Arbeitens verletzt, wenn er für eine starke Behauptung wie die, eine Studie sei methodisch stark umstritten, nicht durch entsprechende Literaturhinweise belegt. Weil Herr Klein und ich bis dahin nichts davon wussten, dass u.a. „die Datenauswahl“ unserer Studie „stark umstritten“ sei, hat sich Herr Klein bei Herrn Budde danach erkundigt. Herr Budde war jedoch nicht im Stande, ihm entsprechende Zitationen zu nennen. Statt dessen zog er sich auf die Position zurück, dass Frau Faulstich-Wieland, Professorin für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten „Koedukation, Geschlechterverhältnisse im Bildungssystem, Mädchen/Frauen und Technik/Naturwissenschaften“ (wie man ihrem Internet-Auftritt entnehmen kann) und bei mehreren Gelegenheiten Koautorin von Herrn Budde, dies behauptet habe. Auch dann, wenn dies den 17 Es ist interessant zu beobachten, wie stark sich die Sicht einiger Kollegen wie Budde mit Bezug auf das, was in „‘Bringing Boys Back in’…“ zu lesen ist, auf den Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen mit Bezug auf ihre Sekundarschulabschlüsse einerseits und den Anteilen von Männern an den Grundschullehrern in den verschiedenen Bundesländern andererseits verengt. Wenn Budde von der Kausalität „des“ postulierten Zusammenhangs spricht, unterschlägt er, dass noch ein anderer Zusammenhang geprüft (nicht nur postuliert) wurde, nämlich derjenige zwischen dem Ausmaß der beobachteten Nachteile von Jungen mit den Arbeitslosenquoten in den verschiedenen Bundesländern. Zu diesem Zusammenhang Stellung zu nehmen, verspürte Budde offensichtlich keinen Drang oder Zwang, vermutlich, weil er im Kontext seiner professionellen Ideologie symbolisch unbesetzt, also neutral, ist.
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Tatsachen entsprechen sollte, erstaunt es uns, dass Herr Budde einer Äußerung einer von quantitativen Methoden vergleichsweise unbedarften Kollegin so viel Gewicht beimisst, dass sie für ihn ein „starkes Umstritten-Sein“ begründet. (Wie Budde im e-Mail-Verkehr mit Herrn Klein selbst eingeräumt hat, hat unsere angeblich „empirisch keineswegs abgesicherte“ Studie, deren Datenauswahl angeblich „stark umstritten“ sei, eine „große positive Resonanz“ erhalten, was ihm aber anscheinend keine kognitiven Dissonanzen bereitete und ihn nicht davon abhielt zu versuchen, die in der Studie berichteten Befunde weiterhin zu (dis-)qualifizieren, indem er eine Strategie verwendet, die man im Anschluss an Moscovici (1976: Kapitel 8) als Normalisierung bezeichnen könnte. Es handelt sich um den Versuch, die von uns berichteten Forschungsergebnisse, wenn sie schon nicht erfolgreich bestritten werden können, dann doch als weniger bedeutungsvoll erscheinen zu lassen als sie es sind. Bei Budde nimmt dieser Normalisierungsversuch die Form an, unsere Forschungsergebnisse mit Behauptungen zu verbinden, die niemand aufgestellt hat, und diesen Behauptungen dann zu widersprechen. So schreibt Budde: „Zusammenfassend zeigt sich, dass sich keineswegs für alle Jungen Probleme zeigen, sondern dass sie zum großen Teil sehr erfolgreich agieren. Wir müssen also differenzieren, wo wir welche Probleme sehen. Probleme zeigen sich bei Jungen aus benachteiligten Schichten und mit Migrationshintergrund. Hier können sich riskante Lebenslagen verfestigen“ (Budde 2007: 18). Festzuhalten ist aber, dass der Nachweis deutlicher Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen bezüglich ihrer Sekundarschulabschlüsse keineswegs gleichbedeutend ist mit der Behauptung, dass sich“für alle Jungen [gemeint ist: im Bildungsbereich] Probleme zeigen“. Wenn gezeigt werden kann, dass sich nicht „für alle Jungen Probleme zeigen“, ändert dies also nichts an der Existenz der beobachteten Nachteile für Jungen, weswegen sein Kommentar mit Bezug auf sie logisch irrelevant ist. Erkennbar wird hier auch wieder der bereits angesprochene Mangel an wissenschaftlicher Grundkompetenz, denn im Rahmen einer Aggregatdatenanalyse, wie Herr Klein und ich sie vorgenommen haben, könnten so deutliche Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bezüglich ihrer Sekundarschulabschlüsse, wie wir sie beobachtet haben, nicht beobachtbar sein, wenn es zuträfe, dass nur ein vergleichsweise kleiner Teil von Jungen Nachteile gegenüber Mädchen hätte, denen ein großer Teil gegenübersteht, bei dem sich keine „Probleme zeigen“ (was immer das auch genau heißen mag). Gerade diese Mengenverhältnisse bildet eine Aggregatdatenanalyse aber zuverlässig ab, besonders dann, wenn sie gleichzeitig eine Vollerhebung ist, worauf oben schon hingewiesen wurde, und die in Frage stehende Aggregatdatenanalyse hat nun einmal deutliche Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse ergeben.
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Es sind vor allem diejenigen Kollegen und Kolleginnen in Positionen an Institutionen, denen die Frauenforschung oder Frauenpolitik direkt aufgetragen ist, die sich dem Normalisierungsversuch mit Bezug auf unsere Forschungsergebnisse widmen. So äußerte sich die bereits erwähnte Leiterin der Abteilung Geschlechterforschung und Frauenpolitik des Deutschen Jugendinstitutes, Waltraud Cornelißen, gegenüber der Frankfurter Rundschau unmissverständlich dahingehend, dass die aktuell statistisch beobachtbaren Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen im Schulsystem der Bundesrepublik „dringend erforderlich“ seien, damit Mädchen, die heute zur Schule gehen, ihre spätere Situation auf dem Arbeitsmarkt verbessern könnten (Cornelißen 2003). Sie betrachtet unsere Befunde also nicht als Hinweise auf eine im Sinne des meritokratischen Prinzips ungerechte Verteilung von Qualifikationen zu Ungunsten von Jungen, sondern als eine Verteilung, die unabhängig davon, wie sie zustande kommen mag, nicht kritisierbar, weil begrüßenswert ist, und zwar weil sie dem „höheren“ Ziel dient, historisches Unrecht an einem über Raum und Zeit transzendiertem Geschlechtskollektiv auszugleichen. Hierfür ist sie bereit, die Verletzung von Individualrechten und des meritokratischen Prinzips18, also die Einschränkung, wenn nicht Abwesenheit, von Chancen- und Leistungsgerechtigkeit für jeden individuellen Schüler an deutschen Schulen in 18 Es sollte an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass ich nicht der Auffassung bin, dass das meritokratische Prinzip hauptsächlich die Funktion habe, bestehende soziale Ungleichheiten zu legitimieren, wie beispielsweise der Titel des Buches von Andreas Hadjar „Meritokratie als Legitimationsprinzip“ (2008) nahelegen könnte, und ihm daher insgesamt skeptisch zu begegnen sei. Erstens ist dies so pauschal empirisch nicht zutreffend (so hat die Einführung des meritokratischen Prinzips in die Schulsysteme Bayerns und Preußens eine weitreichende Umstrukturierung der Sozialstruktur bewirkt; vergleiche. Herdegen 2009: 163-170; Jeismann 1998: 150/151), und zweitens ist mir keine Alternative zu diesem Prinzip bekannt, die nicht in Konflikt mit Individualrechten und anderen Aspekten einer freiheitlichen Zivilgesellschaft gerät. Solange keine entsprechende Alternative verfügbar ist und solange sich die Institutionen des Bildungssystems selbst auf das meritokratische Prinzip berufen, ist es m.E. von grundlegender Wichtigkeit, dass sich Bildungsforscher damit beschäftigen, zu betrachten, wo und wie das Prinzip in bzw. durch die Institutionen des Bildungssystems verletzt wird und wie man ihm zu einer konsequenten Anwendung verhelfen kann, statt den Missbrauch des Prinzips oder seine in Teilen zu beobachtende Wirkungslosigkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung zu stellen. Drittens wird in vielen Bereichen (beispielsweise im Hinblick auf Migrantenfamilien; vergleiche Diefenbach 2006) die Bedeutung der Ressourcenausstattung der Herkunftsfamilie für den Bildungserfolg überschätzt, so dass das Argument, nach dem die Chancengleichheit, die das meritokratische Prinzip voraussetzt, nicht existiere und das Prinzip deshalb als unrealistisch abzulehnen sei ebenfalls nicht pauschal zutrifft. Darüber hinaus haben verschiedene Autoren in ihren Untersuchungen gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungsniveau, vermittelt durch Institutionen des Bildungssystems, häufig nicht auf tatsächlichen Schüler-Leistungen basiert, sondern auf leistungsfremden Faktoren, die in die Beurteilung von Leistungen und Leistungschancen von Schülern einfließen und zur Grundlage für weitere Entscheidungen hinsichtlich des Bildungsweges der Schüler gemacht werden (Becker 2000; Berg et al. 2006; Geißler 2005; Gomolla und Radtke 2000; Kottmann 2006).
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Kauf zu nehmen. Der Normalisierungs- und Legitimierungsversuch besteht hier darin, dass unser Befund in einen Kontext gestellt wird, innerhalb dessen die Nachteile von Jungen als notwendiges Opfer für die einfach aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit vorausgesetzten Kollektivinteressen von Mädchen und Frauen erscheinen. Andere Autoren würden am liebsten die gesamte Forschung über differentiellen Bildungserfolg mit einem Bann belegen, jedenfalls dann, wenn sie den Vergleich zwischen Jungen und Mädchen involviert, weil darin eine Dramatisierung von Unterschieden zwischen Männern und Frauen beziehungsweise Jungen und Mädchen gesehen wird und jede „Dramatisierung zugleich eine Form der Festschreibung von Geschlecht beinhaltet – theoretisch gesprochen die Gefahr der Reifizierung von Weiblichkeit [aber anscheinend nicht von Männlichkeit] als Natürlichem und nicht als sozial Konstruiertem besteht. Entdramatisierungen erlauben die Bezugnahme auf weitere soziale Differenzierungen wie Klasse, Ethnie, Region usw.“ (Expertengruppe des Forum Bildung 2002: 73). Eine Reifizierung soll also dadurch relativiert werden, dass man ihr weitere Reifizierungen beigesellt oder sie durch andere Reifizierungen ersetzt: Wenn man den Bezug auf bestimmte Kategorien wie zum Beispiel die Kategorie „Geschlecht“ unterlässt und sich statt dessen auf andere Kategorien bezieht, dann kann man logischerweise keine auffällig schiefen Verteilungen mit Bezug auf die tabuisierte Kategorie feststellen, und somit die Welt vor einer unangenehmen Nachricht bewahren der Vogel-Strauß-Politik folgend, nach der das, was man nicht sehen möchte, auch nicht existiert, weshalb man es vorzieht, woanders hinzuschauen. Abgesehen vom zweifelhaften logischen Status der Argumentation der „Expertengruppe“ stellt sich die Frage, wer mit welcher Kompetenz oder Legitimation entscheidet, wann ein Sachverhalt dramatisiert wird und wann nicht (ganz zu schweigen von dem Problem, die ontologischen Frage danach zu beantworten, welche Kategorien menschlichen Denkens und menschlicher Sprache als Reifikationen betrachtet werden müssen und welche nicht beziehungsweise ob es überhaupt welche gibt, die nicht als Reifikationen gelten müssen). Es ist daher wichtig, dass man ein Kriterium nennt, vor dessen Hintergrund ein Befund einzuschätzen ist. Für uns lieferte das Bekenntnis der Institutionen des Bildungssystems zum meritokratischen
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Prinzip dieses Kriterium.19 Und weiter fragt man sich, warum man soziale Missstände ggf. entdramatisieren wollen sollte, noch dazu auf zynische Weise, indem man darauf hinweist, dass es schließlich auch noch andere soziale Missstände wie die ungleiche Verteilung von Bildungszertifikaten auf verschiedene soziale Schichten gebe. Wer, wenn nicht die Bildungsforschung, übernimmt die Aufgabe zu prüfen, inwieweit das meritokratische Prinzip, das sich das Bildungssystem selbst als Maßstab gesetzt hat und das in jedem Schulgesetz formuliert ist, tatsächlich verwirklicht ist? Kommt in einer Zivilgesellschaft den Sozialwissenschaften nicht auch eine Art Kontrollfunktion im Rahmen des derzeit bei Bildungspolitikern so beliebten Monitoring und im Sinne der Identifizierung einer „best practice“ zu? Und auch denjenigen Bildungsforschern, die sich dieser „watch dog“-Funktion entziehen und „reine Wissenschaft“ betreiben möchten, muss es möglich sein, all diejenigen Zusammenhänge zu untersuchen, deren Untersuchung ihnen Aufschlüsse verspricht, seien sie nun politisch korrekt oder unkorrekt, weil sonst keine (neuen) Erkenntnisse möglich sind. In Anlehnung an Dahrendorf kann man festhalten, dass Wissenschaft jegliche Daseinsberechtigung verliert, wenn sie als reine Magd der Wirtschaft oder der Politik oder einer umfassenden bürokratischen Ideologie, wie sie derzeit der Staatsfeminismus darstellt, dient und damit gegen die Interessen des Steuerzahlers agiert, der die institutionalisierte Wissenschaft finanziert. In einer weiteren Variante der Reaktionen auf „‘Bringing Boys Back in’ ...“ wurde die Publikation zwar zustimmend rezipiert und bereitwillig zitiert, aber aus Gründen und in einer Art und Weise, die sich nicht mit den Hoffnungen decken, die Michael Klein und ich mit der Publikation verbanden. Die entsprechenden Reaktionen zeigten solche Sozialpädagogen, die ein Interesse daran haben, die Jungenarbeit zu etablieren und ihr ein ähnliches Gewicht zu verschaffen wie der Mädchenarbeit. Dieser Personenkreis kann nach unserer Wahrnehmung in zwei Gruppen unterteilt werden: Für die eine Gruppe geht es in der Jungenarbeit darum, Jungen von den Zwängen und Beschränkungen zu befreien, die ihnen die „patriarchalische“ Gesellschaft auferlegt. Schon Jungen im Kindergarten- und Grundschulalter sollen – so kann man beispielsweise 19 Nach unserer Kenntnis hat unter denjenigen Kollegen, die versucht haben, unsere Befunde zu diskreditieren, allein Frau Cornelißen das für sie relevante Kriterium für ihre von der unsrigen abweichende Bewertung unseres Befundes angegeben, nämlich dasjenige der historischen Nachteile von Mädchen, für die die aktuellen Nachteile von Jungen so etwas wie eine „Wiedergutmachung“ darstellen. Man mag dieses Kriterium – wie wir – für der Sache völlig unangemessen halten bzw. es geradezu als Bestӓtigung der Vermutung betrachten, dass das meritokratische Prinzip an Schulen in Deutschland nicht nur verletzt wird, sondern seine Verletzung auch aus ideologischen Gründen gebilligt wird, aber immerhin ist es eines, vor dem die Einschätzung von Frau Cornelißen nachvollziehbar wird.
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einer Broschüre des Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V. über Jungenarbeit in Sachsen-Anhalt entnehmen – durch eine antisexistische Jungenarbeit für die „kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Macht- und Gewaltverhältnissen, auch im Sinne der Patriarchatskritik, ...“ sensibilisiert werden (KgKJH 2006: 18). Die andere Gruppe möchte für Jungen als Jungen Partei ergreifen, und stützt sich dabei mehr oder weniger explizit auf längst überwunden geglaubte biologistische Thesen, die die „naturgegebene“ Unterschiedlichkeit von Jungen und Mädchen zur Erklärungsgrundlage für soziale Phänomene machen möchte.20 Auch diese Gruppe ist in der Sozialpädagogik und ihren Einrichtungen repräsentiert, teilweise sogar in denselben Einrichtungen, die eine antisexistische Jungenarbeit anbieten. So bietet das bereits erwähnte Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe Sachsen-Anhalt e.V. neben antisexistischer Jungenarbeit eine parteiliche Jungenarbeit an, bei der „im Gegensatz zur antisexistischen Jungenarbeit ... für die Jungen Partei ergriffen [wird]“ (KgKJH 2006: 19), woraus man folgern muss, dass die antisexistische Jungenarbeit anscheinend Partei gegen Jungen – und für Mädchen? – ergreift, was nicht unbedingt das ist, was man mit dem Begriff „Jungenarbeit“ verbindet, aber auch nicht das, was man unter „antisexistisch“ verstehen würde. Für solche, die sich weder mit antisexistischer noch mit parteilicher Jungenarbeit anfreunden können, bietet das Kompetenzzentrum eine bewusste Jungenarbeit an, die „als Antwort auf die beginnende emanzipatorische Mädchenarbeit zu verstehen“ (KgKJH 2006: 18) sein soll.21 Grundsätzlich wird in der Broschüre des Kompetenzzentrums betont: „Jungenarbeit versteht sich nicht als ‚Konkurrenz’, sondern sie sucht das solidarische Neben- und Miteinander zu Mädchenarbeit und will eine Sicherung und Erweiterung der Ressourcen in der geschlechtsbezogenen Arbeit herbeiführen“ (KgKJH 2006: 14; Hervorhebung d.d.A.). Davon abgesehen, dass es logisch nicht möglich ist, ein „Neben- und Miteinander“ zu praktizieren, sondern nur ein Nebeneinander oder ein Miteinander, ist diese Textstelle bemerkenswert, weil selten in dieser Klarheit formuliert wird, dass es in der Geschlechterpädagogik darum geht, weitere Stellen für pädagogisches Personal und eine entsprechende weitere finanzielle Aus20 Vergleiche hierzu zum Beispiel den Beitrag von Bischof-Köhler (2008) über „[g]eschlechtstypisches Verhalten von Jungen aus evolutionstheoretischer und entwicklungspsychologischer Perspektive“ im von Matzner und Tischner herausgegebenen „Handbuch JungenPädagogik“. Man beachte bei der Lektüre, wie erschreckend selten es die Autorin für notwendig hält, die vorgebrachten Thesen durch Hinweise auf Forschungsergebnisse zu stützen. 21 Dabei bleibt offen, ob die beiden vorher genannten Varianten der Jungenarbeit dann als unbewusste Jungenarbeit zu gelten haben oder beide im beschrieben Sinn als Unterkategorien von bewusster Jungenarbeit aufzufassen sind.
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stattung zu akquirieren, denn die „Sicherung und Erweiterung der Ressourcen in der geschlechtsbezogenen Arbeit ... darf nicht auf Kosten bestehender Mädchenarbeit passieren oder gar [!] finanziert werden“ (KgKJH 2006: 14). Es geht hier also offensichtlich nicht um Jungenarbeit als Reaktion auf bestimmte beobachtete Mißstände, sondern um die Sicherung der Interessen einer bestimmten Berufsgruppe in Form von Arbeitsplätzen und Fördergeldern. 22 Zumindest ein Teil der positiven Reaktionen aus den Reihen der Sozial- und besonders der Geschlechterpädagogen auf „‘Bringing Boys Back in’: ...“ ist meines Erachtens vor diesem Hintergrund zu sehen: Die Publikation ist ihnen willkommen, weil sie meinen, dass sie ihnen – wie indirekt auch immer – Argumente für die Notwendigkeit von Jungenarbeit liefere. Wir bedauern diese Entwicklungen in Sachen Jungenpädagogik beziehungsweise Jungenarbeit, weil es ihr offensichtlich nicht darum geht, Chancengleichheit für Jungen und Mädchen herzustellen, sondern darum, Jungenarbeit lediglich als (weiteres) Instrument zur Beförderung dessen zu benutzen, was von einer bestimmten Gruppe von Erwachsenen mit einer spezifischen Ideologie als Interessen von Mädchen betrachtet wird, oder eine Lobby für Jungen (als solche) zu schaffen. In beiden Fällen basiert Jungenarbeit auf unzutreffenden Beschreibungen der Welt, in der wir leben, indem entweder auf ein nicht existierendes „Patriarchat“ verwiesen wird oder eine den wissenschaftlichen Befunden unangemessen große Relevanz des biologischen (oder genetischen?) Geschlechts für das Handeln in einer sozialen Welt zugeschrieben wird (vgl. hierzu u.a. Costa et al. 2001; Fausto-Sterling 1992, Hyde et al. 1990; Hyde und Linn 1988 sowie Williams und Best 1990). Um es noch einmal klar zu stellen: Wenn in „‘Bringing Boys Back in’: ...“ eine Verteilung von Sekundarschulabschlüsse auf Jungen und Mädchen betrachtet wird, dann nicht deshalb, weil wir mit der Variable eine „Essenz“ verbinden, der die insti-
22 Mit Bezug auf das während der 1970er- und 1980er-Jahre in der Sozialpädagogik beliebte Konstrukt der „fremden Frau“, besonders der „imaginären Türkin“, haben Diehm und Radtke ähnliche Bestrebungen, „... die Bedeutung der eigenen Arbeit zu unterstreichen und einen immer unzureichenden Ressourcenbedarf zu plausibilisieren“ (Diehm und Radtke 1999: 90/91), beobachtet. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass bereits Helene Lange, eine zentrale Figur der bürgerlichen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert, die später die Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenvereins (ADLV) in Preußen wurde, mit ihrem Einsatz für die Mädchenbildung das handfeste Interesse an größeren Beschäftigungsmöglichkeiten für Lehrerinnen verband und zu diesem Zweck mit zwischen Jungen und Mӓdchen unterschiedlichen Geschlechtscharakteren argumentierte, die von einer Entwicklung durch eine gleichgeschlechtliche Lehrkraft profitieren sollten (Lange 1928, zitiert nach Jacobi 1990: 213; Kraul 1991: 282f). Die uns von Boldt unterstellte Forderung nach mehr männlichen Lehrkräften zur Förderung von Jungen wäre also nichts anderes als eine Anwendung des Argumentes der Speerspitze der bürgerlichen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert in Deutschland unter veränderten Vorzeichen.
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tutionelle Bildung gerecht werden müsste, sondern weil wir – im Gegenteil – darauf hinweisen wollen, dass im Bildungsbereich (wie in anderen Bereichen auch) der Variable „Geschlecht“ eine reale Bedeutung zukommt, und zwar – wie wir vermuten – deshalb, weil Fähigkeiten und Verhaltensweisen von Schülern (von ihnen selbst, ihren Eltern, ihren Lehrern, Schulpsychologen oder Bildungspolitikern) als geschlechtsspezifisch konstruiert und wahrgenommen werden. Diese Konstruktion steht dem meritokratischen Prinzip im Bildungsbereich entgegen beziehungsweise transformiert es in einer Weise, in der dem Prinzip seine eigentliche Grundlage, nämlich das individuelle Recht auf Behandlung und Bewertung nach einem einheitlichen Maßstab, entzogen wird. Gegen beide Varianten der Entwicklungen in Sachen Jungenpädagogik beziehungsweise Jungenarbeit ist einzuwenden, dass sie einen Aktivismus darstellen, bei dem man tätig werden will, ohne das in Frage stehende Phänomen überhaupt hinreichend durchdrungen zu haben. So ist es schwerlich möglich, Einfluss auf bestimmte Ergebnisvariablen zu nehmen, wenn man nicht weiß, welche Größen auf welche Weise auf diese Ergebnisvariable wirken, oder anders gesagt:. Im Bildungsbereich wie in anderen Bereichen auch werden Zielvorstellungen aus ideologischen Überzeugungen heraus formuliert, aber die Mittel, durch die diese Zielvorstellungen erreicht werden sollen, können nicht auf ideologische Überzeugungen gegründet werden, wenn sie in der Realität wirksam sein sollen. Vielmehr müssen Interventionen müssen auf zuverlässiger, replizierbarer und systematischer Forschung statt auf Ideologien und persönlichen Überzeugungen beruhen, wenn sie eine Chance haben sollen, tatsächlich in die gewünschte Richtung zu wirken. Das Bewusstsein hierfür scheint jedoch im Rahmen der professionellen Ideologie vieler Sozialpädagogen nur sehr mangelhaft entwickelt worden zu sein.
4 Der derzeitige Stand der Diskussion und der Forschung zum Thema Die Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen im deutschen Schulsystem, die in „‘Bringing Boys Back in’: ...“ identifiziert wurden, aber auch solche, die im Anschluss an unsere Studie in anderen Bereichen der schulischen Bildung als den Sekundarschulabschlüsse beobachtet wurden, sind inzwischen als empirische Tatsache akzeptiert. Insbesondere diejenigen Kollegen, die institutionell vom Staatsfeminismus vergleichsweise unabhängig sind, also viele Kollegen aus der universitären soziologischen Ungleichheits- oder Bildungsforschung, widmen sich ihnen zunehmend, wie der vorliegende Band illustriert. Institutionell eher abhängige oder ideologisch stärker an den Staatsfeminismus gebundene Kollegen haben es weitgehend aufgegeben, die Existenz der Nachteile
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von Jungen gegenüber Mädchen im deutschen Schulsystem zu ignorieren oder zu bestreiten, und widmen sich nunmehr – zwar immer noch zurückhaltend, manchmal auch noch in relativierender Absicht, aber doch in Einsicht der Unumgänglichkeit empirischer Fakten – ihrer Beschreibung und in Ansätzen sogar ihrer Erklärung (siehe beispielsweise Hannover 2004 oder Stanat und Bergann 2009 mit Bezug auf die PISA-Studie). Was die Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen im Schulsystem betrifft, so ist die Situation aber nach wie vor sehr unbefriedigend, weil die Forschung sich nicht systematisch auf die Prüfung bestimmter Erklärungen für spezifische Nachteile bezieht beziehungsweise häufig das zu erklärende Phänomen in der Form, in der es sich darstellt, aus den Augen verliert. Häufig bezieht sich die Forschung nur lose auf das weite Thema „Geschlecht und Bildung“, ohne zu spezifizieren, welche Zusammenhangshypothesen genau geprüft werden und wie diese Hypothesen bestimmte beobachtete Nachteile erklären könnten. Zum Beispiel bleibt eine Forschung darüber, wie „doing gender“ in der Schule stattfindet (wie sie unter anderen Budde betreibt; vgl. Budde 2005), irrelevant für die Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen, wenn nicht gezeigt werden kann, wie genau dieses „doing gender“ bestimmte schulische Nachteile für Jungen produziert. So ist es möglich, dass das „doing gender“ bei Jungen eine ablehnende Haltung zur Schule und zum Lernen produziert, aber dies müsste anhand empirischer Daten, die sich möglichst nicht in einzelnen Fallgeschichten erschöpfen, gezeigt werden. Auch dann, wenn dies gezeigt werden könnte, könnte dieser Befunde nicht umstandslos als „Erklärung“ für die schulischen Nachteile von Jungen interpretiert werden, solange nicht auch – möglichst anhand desselben Samples – gezeigt werden kann, dass diese ablehnende Haltung tatsächlich in schlechteren Schulleistungen resultiert. Wenn auch dies geleistet würde, könnte man sagen, dass Jungen aufgrund der spezifischen Inhalte ihres „doing gender“ schlechtere Schulleistungen erbringen. Aber dies ließe immer noch offen, ob sich dieser Zusammenhang aufgrund eines lernrelevanten Verhaltens auf Seiten der Jungen ergibt oder aufgrund einer bestimmten Interpretation des „doing gender“ auf Seiten der Lehrkräfte, die zu einer schlechteren Bewertung der Leistungen von Jungen führt. Der Mechanismus beziehungsweise die Mechanismen, durch den beziehungsweise durch die ein Zusammenhang zwischen „doing gender“ und schlechteren Schulleistungen ggf. zustande käme, müsste/n also im Detail und unter Verwendung eines zur Prüfung der einzelnen, aufeinander aufbauenden Zusammenhangshypothesen geeigneten Untersuchungsdesigns getestet werden. Nehmen wir weiter an, dies sei ebenfalls geleistet worden und es ließe sich zeigen, dass das „doing gender“ bei Jungen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber der Schule führt, die wiederum zu einem Verhalten auf Seiten der Jungen führt, das ihr Lernverhalten
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beeinträchtigt, das sich wiederum negativ auf die Schulleistungen der Jungen auswirkt. Dann könnte man sagen, dass Jungen aufgrund des „doing gender“ Nachteile gegenüber Mädchen mit Bezug auf ihre Schulleistungen haben. Hieraus ließe sich aber nicht schließen, dass das „doing gender“ vermittelt über die schlechteren Schulleistungen auch (vollständig oder überhaupt) die Nachteile erklärt, die Jungen gegenüber Mädchen bezüglich ihrer Sekundarschulabschlüsse haben, denn die erworbenen Sekundarabschlüsse sind ein Ergebnis eines Filterprozesses, durch den Kinder im Verlauf ihrer Schulkarriere gehen und an dessen verschiedenen Selektionsstufen, zum Beispiel bei der Grundschulempfehlung, „Leistung“ unterschiedlich interpretiert und mit anderen Faktoren gewichtet wird (Becker 2000; Berg et al. 2005; Lehmann und Peek 1997; Terhart 2001). Verletzungen des meritokratischen Prinzips im Bereich schulischer Bildung sind daher an verschiedenen Stufen im Selektionsprozess und durch verschiedene Wirkmechanismen möglich. Wenn man die Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen im schulischen Bereich unter Gesichtspunkten der Verteilungsgerechtigkeit gemäß des meritokratischen Prinzips betrachten möchte und nicht deshalb, um Argumente im ideologischen Kampf um Ressourcen zu gewinnen, genügt es also nicht, die Forschung auf einen einzigen Zusammenhang, zum Beispiel zwischen „doing gender“ und Schulleistungen zu beschränken und aus den jeweiligen Befunden auf die Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen im schulischen Bereich (fehl) zu schließen. Grundlegend wichtig ist auch, dass man sich klar macht, dass die Erklärung von differentiellem Schulerfolg, also eines Befundes, bei dem eine Personengruppe größeren oder geringeren Schulerfolg hat als eine andere, unabdingbar den Einschluss beider Gruppen in alle empirischen Analysen erfordert, denn differentieller Schulerfolg ist per definitionem eine relationale Größe. Die Erklärung einer Relation mit Bezug auf Schulerfolg kann nicht daraus gewonnen werden, dass man die Determinanten des Schulerfolges von einer der beiden Gruppen feststellt, aber unbeachtet lässt, wie der Schulerfolg der anderen Gruppe zustande kommt. Aus diesem Grund kann eine Untersuchung zum Beispiel des „doing gender“, die sich nur auf das „doing gender“ von Jungen bezieht, schulische Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen nicht erklären: aus einer solchen Studie erfährt man nicht, welche Effekte das „doing gender“ von Mädchen auf ihr Lernverhalten oder ihre Schulleistungen hat. Wenn „doing gender“ als erklärende Größe für den differentiellen Schulerfolg von Mädchen und Jungen in Frage kommen soll, setzt dies aber voraus, dass das "doing gender" von Jungen und Mädchen differentielle Effekte auf Lernverhalten und Schulleistungen hat. Diese lassen sich, sofern vorhanden, nur
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auffinden, wenn man Jungen und Mädchen gleichermaßen in eine entsprechende Untersuchung mit einbezieht. Die Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse erfordert also eine systematische Erforschung des Zusammenhangs einer Reihe verschiedener, einander ergänzender oder miteinander konkurrierender Wirkmechanismen. Eine angemessene Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse in Deutschland muss aber auch die spezifische Verteilung der beobachteten Nachteile auf die verschiedenen Bundesländer Deutschlands in Rechnung stellen, und daher muss jeder Erklärungsvorschlag darauf hin geprüft werden, ob er theoretisch dazu geeignet ist, diese Verteilung zu erklären, bevor er einer empirischen Prüfung unterzogen wird, denn wenn er dies nicht ist, dann ist der sich ergebende Befund einer empirischen Prüfung möglicherweise ein interessantes Ergebnis in eigenem Recht, aber für die Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse so, wie sie sich in der Bundesrepublik Deutschland derzeit beziehungsweise in der jüngeren Vergangenheit darstellen beziehungsweise dargestellt haben, irrelevant. Erklärungsvorschläge, die allein auf Wirkmechanismen auf der individuellen Ebene rekurrieren, haben schlechte Chancen, diese theoretische Vorab-Prüfung zu bestehen, denn es ist sehr schwierig, die Variation der schulischen Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen über die verschiedenen Bundesländer durch eine Erklärung zum Beispiel aufgrund biologischer Unterschiede oder aufgrund eines in der westlichen Welt kulturell tradierten Bildes von Männlichkeit zu plausibilisieren. Es scheint daher besonders wichtig, bei der Erklärung der Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse Wirkmechanismen auf der institutionellen Ebene mit einzubeziehen, und dies ist der Hintergrund, vor dem unsere Vorgehensweise in „‘Bringing Boys Back in’: ...“ zu sehen ist. Bislang ist aber hierüber hinausgehend nichts geleistet worden, so dass festgehalten werden muss, dass auch acht Jahre nach Erscheinen von „‘Bringing Boys Back in’: ...“ keine nennenswerten Fortschritte im Hinblick auf die Erklärung der dort beschriebenen Nachteile gemacht worden sind. 23 23 Die Ausnahme hiervon stellt der Erklärungsvorschlag dar, den Hannover mit Bezug auf die in „‘Bringing Boys Back in’...“ festgestellte ungleiche Verteilung der Nachteile von Jungen zwischen west- und ostdeutschen Bundesländern gemacht hat. Sie argumentiert wie folgt: „Möglicherweise wird der pädagogische Alltag in den Schulen der neuen Bundesländer noch durch während der DDR-Zeit propagierte Erziehungsziele beeinflusst, so dass positive Arbeitstugenden (die Mädchen häufiger mitbringen) besonders gewertschätzt bzw. normabweichende Verhaltensweisen (die Jungen häufiger zeigen) besonders stark sanktioniert werden“ (Hannover 2004: 88). Hannover ist meines Wissens die einzige, die bei ihren Überlegungen zu den Nachteilen von Jungen gegenüber
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Inwieweit die Beiträge im vorliegenden Band dazu geeignet sind, dieser Situation Abhilfe zu schaffen, bleibt der Beurteilung durch die Leser des vorliegenden Bandes vorbehalten.
5 Zusammenfassung und Schlussbemerkung Die Zusammenstellung der oben berichteten Reaktionen auf die Publikation von „‘Bringing Boys Back in’: ...“ sollte gezeigt haben, wie stark die Rezeption und Diskussion der dort berichteten Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen hinsichtlich ihrer Sekundarschulabschlüsse zumindest anfänglich von Personen besetzt war, denen es nicht um das Phänomen als solches (soziale Ungleichheit im Bildungsbereich) oder um das Phänomen als Ausdruck gesellschaftlicher Missstände (Verletzung des meritokratischen Prinzips) ging und geht, sondern um die Legitimierung einer spezifischen politischen oder professionellen Ideologie. In den acht Jahren, die seit der Veröffentlichung von „‘Bringing Boys Back in’: ...“ vergangen sind, wurden die Bildungsnachteile von Jungen gegenüber Mädchen (auch) im deutschen Bildungssystem – gegen den nunmehr eher passiven Widerstand einiger Kollegen – als Faktum anerkannt, und die Erkenntnis, dass diese Nachteile als gesellschaftliche Tatsache der Aufmerksamkeit und Erforschung bedürfen, hat sich weitgehend durchgesetzt. In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass nunmehr auch andere Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen im deutschen Schulsystem als diejenigen, die sich auf die Sekundarschulabschlüsse beziehen, betrachtet und berichtet werden. Eine Bestandsaufnahme der im Schulsystem existierenden Nachteile von Jungen erfolgt also inzwischen, wenn auch unsystematisch. Was die Erklärungen für die verschiedenen beobachteten Nachteile betrifft, so wurden bislang so gut wie keine Fortschritte gemacht, und zwar vor allem deshalb, weil persönlich interessierende Forschungsfragen im Bereich von „Geschlecht und Bildung“ assoziativ mit den beobachteten Nachteilen von Jungen gegenüber Mädchen im Schulsystem verbunden werden, aber ohne expliziten und ausformulierten Erklärungsanspruch spezifischer Nachteile bleiben. Es liegen daher derzeit nur solche Befunde vor, die möglicherweise Bestandteile einer Erklärung für die schulischen Nachteile von Jungen sind und sich in Zukunft vielleicht als solche erweisen, sofern eine entsprechende zielgerichtete Forschung erfolgen sollte. Solange knappe Ressourcen an Einrichtungen oder Lehrstühle gebunden bleiben, die aufgrund ihrer Position im Mädchen im Schulsystem explizit auf die spezifische Verteilung der in „‘Bringing Boys Back in’...“ berichteten Nachteile eingeht.
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Institutionengefüge oder aufgrund ihres offiziellen Auftrages der dominanten Ideologie verpflichtet sind und von denen daher nur wenig oder gar keine für die Realität relevante Forschung zu erwarten ist, sind die Chancen, dass eine solche zielgerichtete Forschung stattfindet, bedauerlicherweise eher gering, denn die dort gebundenen Ressourcen fehlen eben an anderen Stellen, an denen sie sinnvoll verwendet werden könnten. Sowohl die anfängliche Rezeption von „‘Bringing Boys Back in’: ...“ als auch die Entwicklung der Diskussion und Forschung zu den Nachteilen von Jungen im deutschen Schulsystem in neuerer Zeit verweist auf die Relevanz grundlegender Fragen nach den Funktionen der Sozialwissenschaften im Kanon der Wissenschaften, aber auch in anderen gesellschaftspolitisch relevanten Institutionen der Gesellschaft. Mit diesen Fragen verbunden ist die Frage nach der eigenen professionellen Identität und derjenigen von Kollegen aus unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Disziplinen oder in unterschiedlichen Berufsfeldern, die jeweils ihre eigenen Zwänge und Gelegenheiten mit sich bringen. Wie die Rezeptionsgeschichte von „‘Bringing Boys Back in’: ...“ zeigt, wird die Verständigung unter Kollegen aus verschiedenen Disziplinen und verschiedenen Berufsfeldern dadurch erschwert, dass man sich der Relevanz der damit verbundenen Unterschiede hinsichtlich der professionellen Ideologien sowie hinsichtlich der Inhalte und Methodologien, mit denen die eigene Tätigkeit und die der Kollegen verbunden sind, nicht hinreichend bewusst ist beziehungsweise sie nicht hinreichend akzeptiert (und aus dieser Kritik nehme ich mich selbst keineswegs aus). 24 Der Pluralismus der professionellen Ideologien und der – zumindest im akademischen Alltag – meist unproblematische Pluralismus der Methodologien in den Sozialwissenschaften werden zu umso größeren Problemen, je stärker interdisziplinär ein Forschungsgegenstand ausgerichtet ist, und je mehr Kooperation zwischen Kollegen in verschiedenen beruflichen Positionen beziehungsweise mit verschiedener institutioneller Anbindung notwendig ist. Da sich abzeichnet, dass For24 In „‘Bringing Boys Back in’: ...“ haben Michael Klein und ich eine Methodologie verwendet, die in der Soziologie weit verbreitet ist und in vieler Hinsicht keiner detaillierten Erläuterung bedarf, wenn die Adressaten der Arbeit Sozialwissenschaftler sind, die im Rahmen der Methodologie der Hypothesen testenden quantitativen Sozialforschung arbeiten. Zwar hatten wir uns bemüht, beim Verfassen des Aufsatzes in Rechnung zu stellen, dass viele, wenn nicht die meisten der Leser der Zeitschrift für Pädagogik keine Soziologen sein und wahrscheinlich auch nicht in der verwendeten Methodologie bewandert sein würden, aber offensichtlich haben wir die Verbindlichkeit oder die Eingängigkeit der Methodologie, nach der wir arbeiten, dennoch überschätzt. Überschätzt haben wir auch die Urteilsfähigkeit einiger unserer Leser mit Bezug auf ihre eigenen Kenntnisse der verwendeten Methodologie; anders können wir uns so unangemessene Kommentare zu unserem Text wie diejenigen von Boldt oder Budde nicht erklären.
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schung in Zukunft immer häufiger unter diesen Bedingungen stattfinden wird, ist es wichtig, die Diskussion darüber aufzunehmen, wie wir mit diesem Pluralismus umgehen können und wollen, wenn er nicht destruktiv, sondern konstruktiv wirken soll. Ich würde mir daher wünschen, dass Michael Klein und ich mit „‘Bringing Boys Back in’: ...“ und den dort beschriebenen Nachteilen von Jungen gegenüber Mädchen bezüglich ihrer Sekundarschulabschlüsse nicht nur einen neuen Aspekt in die Debatte über die (Gerechtigkeit der) Verteilung von Bildungschancen im deutschen Schulsystem eingeführt haben und dass die Forschung hierüber in absehbarer Zeit systematisch erfolgen und vergleichbare beziehungsweise aufeinander aufbauende Ergebnisse produzieren möge, sondern auch, dass diese Debatte möglichst vielen Kollegen Anlass sein wird, die eigene professionelle Ideologie wie diejenige ihrer Kollegen kritisch zu reflektieren, beide in Rechnung zu stellen, bevor sie sich ӓußern, und mӧglichst auch diese professionellen Ideologien selbst zur Debatte zu stellen.
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Geschlecht und Bildungserfolg – Eine Analyse aus der Perspektive der Feminist Theory1 Becky Francis und Christine Skelton
1 Einleitung Die Beziehung zwischen Geschlecht und Bildungserfolg bildet eine kontroverse Thematik. Während die second wave feminists (frühe 1960er Jahre bis späte 1970er Jahre) den Bildungsmisserfolg von Mädchen fokussierten, hat sich in den letzten Jahren eine internationale Sorge hinsichtlich des scheinbaren Bildungsmisserfolgs von Jungen herausgebildet. Diese Entwicklung geht soweit, dass viele Kommentatoren das Engagement in Medien und Politik zu diesem Thema inzwischen als moral panic bezeichnen. Die Debatte um den Bildungsmisserfolg der Jungen hat sich in Großbritannien und Australien fest etablieren können und entwickelt sich auch in vielen anderen OECD-Nationen (Hayes und Lingard 2003; Francis und Skelton 2005; Jha und Kelleher 2006). Die Thematik ist auch zu einer Angelegenheit der Bildungspolitik geworden, was sich in einem beispiellosen Verbrauch an Energie, Ressourcen sowie Zielen und Empfehlungen an Schulen, das gender gap zu schließen, manifestiert. Aus feministischer Perspektive werden derweil Bedenken laut, dass solche Maßnahmen a) fehlgeleitet sind und b) die andauernden Bedürfnisse der Mädchen marginalisieren. Dieser Beitrag zielt auf eine Analyse von Befunden zu Geschlecht und Bildungserfolg. Wir wollen einige Annahmen und Erklärungen zum Bildungsmisserfolg der Jungen herausgreifen, um zu einer ausgewogeneren Darstellung des Forschungsfeldes zu gelangen. In Großbritannien hat sich eine Sorge um ein offensichtliches Leistungsdefizit der Jungen im Bildungssystem im Zuge der Einführung von so genannten school league tables (Schulranking entsprechend der Leistungen der Schülerinnen und Schüler) im Jahr 1992 herausgebildet. Archiviert wurden dabei die Leistungen der ca. 16jährigen Schülerinnen und Schüler in den GCSE exams (General Certificate of Secondary Education) am Ende der obligatorischen
1
Eine Version des Beitrags in englischer Sprache ist 2010 in dem Sammelband von Kris Van den Branden, Piet Van Avermaet und Mieke Van Houtte „Equity and Excellence in Education. Towards Maximal Learning Opportunities for All Students” bei Routledge (London) erschienen. Übersetzung: Andreas Hadjar.
A. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4_15, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Becky Francis und Christine Skelton
Schulzeit in Großbritannien, wobei eine Unterscheidung von Jungen und Mädchen möglich ist. In den Statistiken wurde ersichtlich, dass Mädchen daran waren, die Jungen in Mathematik und Naturwissenschaften einzuholen, dann Mitte der 1990er Jahre auch das gleiche Niveau erreichten und zudem in vielen anderen Fächern sogar eine bessere Performanz zeigten als die Jungen. Diese Befunde verursachten ein Aufsehen in den nationalen britischen Medien. Journalisten spekulierten im großen Rahmen über das Ausmaß des gender gaps und Erklärungen für diese plötzliche Umkehrung der Geschlechterunterschiede (Epstein et al. 1998; Delamont 1999). Tatsächlich hatten die Mädchen die Jungen in einer Mehrzahl der Schulfächer bereits vor der Einführung des nationalen Lehrplans in Großbritannien 1988 überholt, aber solange dies nur wenig prestigeträchtige Schulfächer betraf blieb diese Entwicklung unbemerkt (Arnot et al. 1999). Die Einführung des obligatorischen Lehrplans zwang Mädchen dazu, erstmals naturwissenschaftliche Fächer bis zum GCSE level zu verfolgen, was mit einer schnellen Verbesserung ihrer naturwissenschaftlichen Schulleistungen einherging. Die Jungen verbesserten sich hingegen nicht gleichermaßen in den Sprachfächern. Die Größe des Geschlechterunterschieds wurde im wissenschaftlichen Diskurs breit debattiert, ebenso die Validität der unterschiedlichen Interpretationen der verschiedenen Statistiken (Gorard et al. 1999; Connolly 2006; 2008). Des Weiteren wurde der Fokus auf das Geschlecht als diskrete, eigenständige Variable kritisiert. Entsprechend richtete sich das Augenmerk einiger Forscherinnen und Forscher auf den (stärkeren) Einfluss anderer sozialer Variablen auf den Bildungserfolg (vgl. z.B. Epstein et al. 1998; Arnot et al. 1999; Gillborn und Mirza 2000; Francis und Skelton 2005; Archer und Francis 2007). Wie die OECD PISA Studien zeigen, gibt es signifikante Unterschiede in bestimmten Gebieten des Lehrplans. In England und Australien – und zunehmend auch in anderen Ländern – haben Entscheidungsträger und Personen der Praxis Ziele, Ressourcen und Strategien für das Klassenzimmer ausgearbeitet, um den Bildungserfolg der Jungen zu steigern. Diese Maßnahmen haben zwar eine direkte Wirkung auf die Schulen, aber nicht in der beabsichtigten Weise (vgl. Skelton et al. 2009). In Rahmen dieses Beitrags betrachten wir einige geschlechtsspezifische – aber auch von anderen sozialen Faktoren abhängende – Muster in ihrer Beziehung zum Bildungserfolg. Wir fokussieren das englische Bildungssystem auf Basis englischer Befunde und breiterer PISA-Ergebnisse der OECD. Im Anschluss an einen Blick auf quantitative Befunde, werden wir unterschiedliche Erklärungen des offensichtlichen gender gaps im Bildungserfolg untersuchen, die unterschiedliche Herangehensweisen in Politik und Praxis untermauern. Wir werden zeigen, wie viele der common sense Erklärungen, aus denen Maßnah-
Geschlecht und Bildungserfolgr
369
men abgeleitet wurden, auf empirisch nicht bewiesenen stereotypen und oft frauenfeindlichen Annahmen beruhen.
2 Bildungserfolg in der obligatorischen Schule in England Im Folgenden werden wir Daten aus dem obligatorischen Schulsektor betrachten und einige Muster im Hinblick auf Geschlecht und Bildungserfolg identifizieren.2 Die diskutierten Daten entstammen dem kürzlich in Department for Children, Schools and Families (DCSF) umbenannten Department for Education and Skills (DfES), dem Universities & Colleges Admissions Service (UCAS), der Higher Education Statistics Agency (HESA) und der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD). Informationen auf der Webseite des Department for Children, Schools and Families (DCSF) unterstützen tendenziell die Sichtweise, dass Jungen über die verschiedenen Bereiche des Lehrplans hinweg, einen geringeren Bildungserfolg erzielen als Mädchen (vgl. Analysen von Skelton et al. 2007). Tatsächlich gibt es jedoch keinen signifikanten Geschlechterunterschied im Hinblick auf zwei der drei im nationalen englischen Lehrplan verankerten Schlüsselfächer (Mathematik, Naturwissenschaften, Lesen/Englisch). In den Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler nicht statistisch bedeutsam. Über die verschiedenen Stadien der obligatorischen Bildung hinweg zeigen Mädchen und Jungen in England recht vergleichbare Leistungen in Mathematik und Naturwissenschaften. Im Leistungskurs Mathematik (higher level maths) ist sogar weiterhin eine Tendenz dahingehend auszumachen, dass sich die Jungengruppe durch eine bessere Performanz von den Mädchen abhebt. In Tabelle 1 sind Resulte des Keys Stage 2 exams (KS2) am Ende der Grundschule (ca. 10./11. Lebensjahr) dargestellt. Es zeigt sich in Tabelle 1, dass Jungen und Mädchen annähernd gleiche Leistungen auf Niveau 4 (Key Stage 2) sowohl in Mathematik als auch in Naturwissenschaften aufweisen. Auf dem Niveau 5 besteht sogar eine Tendenz, dass Jungen bessere Leistungen in Mathematik haben als Mädchen. Der größte Geschlechterunterschied besteht jedoch in Englisch, insbesondere auf dem Niveau 5: Hier haben Mädchen die Jungen im Bildungserfolg überholt. 2
In diesem Beitrag werden Daten des Department for Children, Schools and Families verwendet, die auf der Standard Webseite veröffentlicht wurden. Wir sind uns bewusst, dass die hier verwendeten Statistiken, ihre Nutzung und Rezeption, auf Kritik gestoßen sind (vgl. die Debatte zwischen Gorard et al. 1999, 2006 und Connolly 2006, 2008), dennoch ist es unsere Absicht, die Informationen in der Form zu untersuchen, die durch die entsprechenden Regierungsorganisationen Lehrenden und Eltern zur Verfügung gestellt wird.
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Tabelle 1: Key Stage 2 Ergebnisse für England, 2007 KS2 National Curriculum test Fach
Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler auf Niveau 4 und höher Englisch
Jungen 76 Mädchen 85 Datenquelle: DCSF
Mathematik 78 76
Naturwissenschaften 87 88
Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler auf Niveau 5 und höher Englisch
Mathematik
28 39
35 30
Naturwissenschaften 46 46
Dieser Trend setzt sich im späteren Bildungsverlauf fort, wie GCSE Prüfungsergebnisse am Ende der obligatorischen Schulzeit in England (um das 16. Lebensjahr) zeigen. In Tabelle 2 sind die Anteile der Schülerinnen und Schüler dargestellt, welche die wichtigen Noten zwischen C und A* in den betrachteten Schlüsselfächern erhalten haben. Tabelle 2: Anteile der Schülerinnen und Schüler mit den Noten A*-C in den Schlüsselfächern, 2006/7 GCSE Prüfungen Fach Jungen Mädchen Datenquelle: DCSF
Prozentsatz der Schülerinnen und Schüler mit den Noten A* bis C Englisch Mathematik Naturwissenschaften 53 53 50 68 56 52
Tabelle 2 bestätigt den Trend weitgehend. Analysen, in denen die Zahlen weiter aufgeschlüsselt wurden, legen wiederum nahe, dass Jungen häufiger in spezialisierten naturwissenschaftlichen Fächern Aufnahme finden und bessere Noten in Mathematik erwerben (S & E Indicators 2006). Andererseits ist wiederum der starke Geschlechterunterschied in Englisch sichtbar. Diese Muster sind auch im weiteren OECD-Zusammenhang zu beobachten. OECD-Daten liefern Informationen über die Performanz von Schülerinnen und Schülern in verschiedensten Ländern. PISA bietet einen international standardisierten Leistungstest für Kompetenzen in Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften, der bei 15jährigen in Schulen der beteiligten Länder angewendet wird. Die Studie findet alle drei Jahre statt. Die PISA-Studie 2003 zum Bildungserfolg in Mathematik, Naturwissenschaften und der jeweils nationalen Sprache in OECD- und Partnerländern verweist auf einen Trend hin zu mehr Geschlechtergleichheit in der
Geschlecht und Bildungserfolgr
371
Performanz in Mathematik und Naturwissenschaften, allerdings zeigten sich auch signifikante Geschlechterunterschiede zu Gunsten der Jungen in Naturwissenschaften (OECD 2004). In den Ergebnissen der PISA-Studie 2006 deutet sich ein ähnlicher Trend zur Angleichung zwischen den Leistungen von Schülerinnen und Schülern in Mathematik und Naturwissenschaften an. Andererseits zeigte sich ein größeres gender gap in Mathematik zu Gunsten der Jungen (OECD 2007). Hinsichtlich der durchschnittlichen Kompetenzen in Naturwissenschaften zeigten sich bei den 15 Jährigen in der Mehrzahl der Länder, in 22 von 30 OECD Ländern, keine Geschlechterunterschiede. Und selbst in den Ländern, wo statistisch bedeutsame Unterschiede zu Gunsten oder Ungunsten von Jungen zu finden waren, erwiesen sich diese als sehr klein. Allerdings erscheinen geschlechtsspezifische Tendenzen in der Wahrnehmung von Naturwissenschaften und der Fähigkeiten in den naturwissenschaftlichen Fächern als relativ stabil, was einen Teil der geschlechtsspezifischen Fächerwahl erklären dürfte: Jungen zeigten substantiell bessere Leistungen, wenn sie mit Fragen zu physischen Systemen konfrontiert wurden; und die britischen Jungen hatten eine signifikant positivere Einstellung gegenüber Naturwissenschaften als Mädchen. Das größte gender gap im Selbstbild betrifft die Naturwissenschaften – die Jungen schätzten ihre Fähigkeiten in den Naturwissenschaften weit höher ein als die Mädchen. Diese Befunde gehen mit einigen grundlegenden Befunden aus der Perspektive der feministischen Perspektive konform, dass Jungen ein größeres Vertrauen in ihre akademischen Fähigkeiten artikulieren als Mädchen. Gleichermaßen sind Jungen in Mathematik besser als Mädchen: in 35 von 57 Ländern zeigten Jungen die signifikant besseren Werte in den PISA-Tests, u.a. in Großbritannien. Nur in einem Land hatten Mädchen bessere Mathematik-Leistungen, in Quatar. Beide PISA-Studien konnten ein signifikantes gender gap in den Leistungen im jeweils nationalen Sprachfach in allen europäischen Ländern identifizieren. Auch wenn der Geschlechterunterschied im Falle Englands gleichermaßen substantiell ist, ist er doch relativ klein im Vergleich zu vielen anderen Nationen. Wir haben an anderer Stelle bereits argumentiert, dass die Größe des Geschlechterunterschieds im jeweiligen nationalen Sprachfach vor allem dazu angeregt hat, dass Entscheidungstragende und Kommentierende nun für alle Bereiche annehmen, dass Mädchen besser als Jungen abschneiden (Francis und Skelton 2005). Und wir haben auch angenommen, dass der disproportionale Misserfolg der Jungen in der nationalen Sprache einen Einfluss auf ihre Leistungen in anderen Gebieten des Lehrplans haben könnte: wenn die sprachlichen Fähigkeiten begrenzt sind, treten auch Probleme in den Prüfungen in anderen Fächern auf. Cassen (2008) stellt diese These ebenso auf und zeigt,
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wie viele der Jungen mit Schulproblemen in seiner Studie auch ein Problem mit der nationalen Sprache haben (vgl. Cassen und Kingdon 2007). Wenn der Geschlechterunterschied in den Sprachkompetenzen/nationale Sprache betrachtet wird, darf nicht vergessen werden, dass – im Unterschied zu den Vorannahmen vieler Kommentatoren und Kommentatorinnen zu diesem Thema – diese Problematik nicht neu ist. In Tabelle 3 werden die Anteile der CA Noten in England im früheren GCE ‚O’ level exam und im heutigen GCSE (als Ersatz für das O level exam) verglichen. Tabelle 3: Anteil erfolgreicher Abschlussprüfungen im Fach Englisch (GCE/GCSE grades A-C) Jungen Mädchen Datenquelle: DCSF
1976 GCE 56 65
2006 GCSE 55 69
Tabelle 3 illustriert eindrücklich, dass der Geschlechterunterschied bereits in den 1970er Jahren ein substantielles Ausmaß hatte, auch wenn er in der Zwischenzeit leicht angewachsen ist und so den verbesserten Bildungserfolg der Mädchen als Gruppe widerspiegelt. Feministische Forschende in Großbritannien haben rasch aufgezeigt, dass andere Faktoren stärkere Prädiktoren des Bildungserfolgs sind als das Geschlecht (gender). Ethnische Herkunft und soziale Schicht bzw. Klassenzugehörigkeit, für sich genommen, haben einen stärkerern Effekt auf die Schulleistungen – auch wenn es in jeder sozialen Gruppe einen Geschlechterunterschied in den Sprachkompetenzen zu Gunsten von Mädchen gibt. Die Pionierarbeit auf diesem Gebiet aus feministischer Perspektive (vgl. z.B. Epstein et al. 1998; Arnot et al. 1999) wurde von vielen unterschiedlichen Forschenden aus mannigfaltigen Disziplinen elaboriert.3 Der Einfluss der Klassenzugehörigkeit auf die Leistungen ist insbesondere in Großbritannien besonders evident, wie die OECD PISA Studien zeigen. Tabelle 4 illustriert dies für England auf Basis des Indikators der kostenlosen Schulessen (Free School Meals, FSM) als Proxyvariable für relative Armut.4
3
Vgl. z.B. Gilborn und Gipps (2000); Gillborn und Mirza (2000); Francis und Skelton (2005); Archer und Francis (2007); Cassen und Kingdon (2007); Skelton et al. (2007). 4 Es ist anzumerken, dass die Variable der kostenlosen Schulessen die Klassenlage und selbst die Armut nur suboptimal abbilden kann. Allerdings stellen Schulessen den einzigen Aspekt der sozialen Lage dar, der für englische Schulen erhoben wird.
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Tabelle 4: Schulleistungen am Key Stage 4, GCSE Qualifikationen 2006, nach kostenlosem Schulessen und Geschlecht GCSE
5 oder mehr A* - C Berechtigte Schülerinnen und Anteil der Erfolgreichen (in %) Schüler Jungen Mädchen Gesamt Jungen Mädchen Gesamt 39,498 38,589 78,087 28.7 37.4 33.0 261,971 252,545 514,516 56.2 66.0 61.0
Kostenloses Schulessen Ohne kostenloses Schulessen Unklassifiziert 814 717 1,531 42.3 47.7 Alle Schülerinnen und 302,283 291,851 594,134 52.6 62.2 Schüler Datenquelle: standards.dfes.gov.uk/genderandachievement/understanding/analysis/
44.8 57.3
Tabelle 4 zeigt Geschlechterunterschiede in den Anteilen derer, die ein kostenloses Schulessen erhalten bzw. die kein kostenloses Schulessen erhalten (einen 9-Prozent-Unterschied bei denen mit kostenlosem Schulessen, einen 10Prozent-Unterschied bei denen ohne kostenloses Schulessen). Der Geschlechterunterschied in den Schulleistungen hinsichtlich der Personen mit kostenlosem Schulessen ist besonders stark ausgeprägt. Die Tabelle zeigt, dass fast doppelt so viele Mädchen und Jungen, die kein kostenloses Schulessen erhalten (zumeist Schülerinnen und Schüler aus der Mittelklasse), fünf oder mehr GCSE A*-C Noten erreichen, als diejenigen, die ein kostenloses Schulessen erhalten (meist Kinder aus der Arbeiterklasse). Und dies beinhaltet einen Unterschied von 19 Prozentpunkten zwischen Jungen mit kostenlosem Schulessen (56 Prozent) und Mädchen mit kostenlosem Schulessen (37 Prozent). Dieser Unterschied illustriert wie Mittelklassen-Schüler Schülerinnen aus der Arbeiterklasse in den Leistungen überholen. Tabelle 4 illustriert somit zwei Aspekte: Erstens, wie die Klassenlage in England den Geschlechterunterschied in den Schulleistungen zusammenschrumpfen lässt. Und zweitens, daraus folgend, wie problematisch es ist, das Geschlecht als isolierten Faktor mit Leistung in Beziehung zu setzen. Geschlecht und ethnische Herkunft (‚race’) stehen mit sozialer Schicht (class) in manchmal unvorhersagbaren Wechselwirkungen: Stärke und Bedeutsamkeit der Effekte der sozialen Schicht und des Geschlechts auf die Schulleistung variieren nach ethnischer Herkunft. Die Komplexität der Beziehungen, wenn Ethnizität und soziale Schicht (Indikator: kostenloses Schulessen/FSM) zusammen mit dem Geschlecht in ihrer Wirkung auf die Leistung berücksichtigt werden, ist in den Tabellen 5a und 5b ersichtlich.
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Tabelle 5: Schulleistungen Key Stage 2 (Fach Englisch), 2006 nach Ethnizität, kostenlosem Schulessen und Geschlecht Key Stage 2 Englisch
Weiß davon britische Herkunft Gemischt Asiatisch Schwarz Chinesisch andere ethnische Gruppe Alle Schülerinnen und Schüler
Key Stage 2 Englisch
kein kostenloses Schulessen Berechtigte Schülerinnen und Schüler Anteil der Erfolgreichen (in %) Jungen Mädchen Gesamt Jungen Mädchen Ges. 208,080 201,597 6,817 15,798 7,788 890 1,853
198,748 192,597 6,670 14,779 7,646 917 1,655
406,828 394,194 13,487 30,577 15,434 1,807 3,508
79 79 81 75 72 83 69
88 88 90 84 85 90 78
83 83 85 79 78 86 73
245,446
234,421
479,867
78
88
83
kostenloses Schulessen Berechtigte Schülerinnen und Schüler Anteil der Erfolgreichen (in %) Jungen Mädchen Gesamt Jungen Mädchen Ges.
Weiß 34,258 32,742 67,000 52 davon britische Herkunft 32,280 30,936 63,216 52 Gemischt 2,313 2,250 4,563 61 Asiatisch 5,571 5,405 10,976 62 Schwarz 4,529 4,480 9,009 56 Chinesisch 119 89 208 76 andere ethnische 1,070 1,010 2,080 57 Gruppe Alle Schülerinnen und 48,701 46,755 95,456 54 Schüler Datenquelle: standards.dfes.gov.uk/genderandachievement/understanding/analysis/
66 66 77 74 70 90 66
59 59 69 68 63 82 62
68
61
Auch wenn die Aufmerksamkeit nur auf große substantielle ethnische Gruppen gerichtet wird, da die Anzahl der Mitglieder einzelner ethnischer Gruppen sehr klein ist, offenbart sich in Tabelle 5 doch eine große Diversität der Leistungsmuster nach ethnischer Herkunft, sozialer Schicht und Geschlecht. Es zeigt sich eine Tendenz zu kleinen Unterschieden nach sozialer Schicht in den ethnischen Minderheitengruppen (vgl. Archer und Francis 2007), während für die weiße britische Mehrheit große Schichtunterschiede (gemessen durch den Proxy kos-
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tenloses Schulessen) in den Schulleistungen zu konstatieren sind. Während bei den weißen britischen Jungen aus privilegierten Herkunftsschichten (ohne kostenloses Schulessen) 79 Prozent erfolgreich abgeschlossen haben, sind es bei den Jungen aus benachteiligten Schichten (kostenloses Schulessen) nur 52 Prozent. Bei den Mädchen ist der Schichtunterschied etwas geringer, aber ebenfalls vorhanden. Bei den Chinesen etwa sind diese Unterschiede nach sozialer Schicht viel geringer ausgeprägt. In allen Gruppen sind Mädchen erfolgreicher als Jungen. Einen kritischen Standpunkt gegenüber solchen Analysen nimmt Mirza (2008) ein und warnt, dass solche Analysen zu erfolgreichen und unerfolgreichen ethnischen Gruppen implizieren, ethnische Gruppen seien in einem Wettbewerb befindliche homogene Einheiten. Des Weiteren würden auf diese Weise pathologische Gruppen (z.B. schwarze Jungen) und ModellMinderheiten (z.B. chinesische oder indische Gruppen) konstruiert. Tatsächlich gibt es aber wenige Evidenzen, dass die relativ erfolgreichen ethnischen Gruppen in Großbritannien „gefeiert” würden, stattdessen wird auch ihr Bildungserfolg von Lehrpersonen als „auf die falsche Weise erworben“ thematisiert. Mit anderen Worten: Trotz ihres höheren Schulerfolgs werden Zweifel geäußert an ihren Methoden, zum Erfolg zu kommen, mit der Implikation, ihre Leistungen wären durch unauthentische und problematische Mittel, Übereifer und großen Druck seitens der Eltern erzeugt worden (Brah1994; Archer und Francis 2005, 2007). Die Nutzung der Terminologie der “ModellMinderheiten“ – selbst bei kritischem Gebrauch – ignoriert die Pathologisierungen und den Rassismus, welchen diese erfolgreichen Minoritäten alltäglich ausgesetzt sind (vgl. u.a. Archer und Francis 2006). Die Kritik von Mirza (2008) weist auf die Gefahren solcher Analysen hin, die potenziell Unterschiede reifizieren bzw. vergegenständlichen können und bestimmte Gruppen als erfolgreich oder unerfolgreich klassifizieren. Es tut sich ein Spannungsfeld auf zwischen der Notwendigkeit, Leistungsmuster zu analysieren, um Ungleichheiten zu identifizieren, und der Gefahr, diese Ungleichheiten im Zuge der Erforschung zu verschlimmern. Dennoch bieten solche Darstellungen die Möglichkeit, Mythen vom Misserfolg der Jungen (oder vom Misserfolg der Schwarzen) zu entzaubern, wie dies Mirza (1992) selbst in den frühen 1990er Jahren getan hat.5 Zudem sind solche Analysen im britischen Fall deshalb sinnvoll, weil so der Einfluss von Reichtum bzw. Armut auf den Bildungserfolg aufge-
5
Die bedeutsame Studie von Mirza (1992) zeigte, wie Mädchen und Jungen in der Diskussion um den Misserfolg der Schwarzen in den 1980er Jahren einfach zusammen betrachtet wurden, obwohl farbige Mädchen im Vergleich zu weißen Mädchen zu dieser Zeit relativ erfolgreich waren. Dieses Muster blieb im Diskurs jedoch infolge des Fokus auf den Bildungsmisserfolg farbiger Jungen verborgen.
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zeigt werden kann. Letztlich ist es wichtig, dass man sich bewusst ist, dass solche Analysen abhängig sind von den Beziehungen und Überschneidungen der vielfältigen sozialen Indikatoren. Es ist zudem immer zu wiederholen, dass im Rahmen dieser Analysen nur Muster identifiziert werden. Viele Schülerinnen und Schüler lassen sich in diese Tendenzen nicht einordnen, deshalb dürfen die Muster nicht für Stereotypisierungen herangezogen werden. Alles in allem, zeigt sich in Tabelle 5 die immense Bedeutung der sozialen Schichtzugehörigkeit für den Bildungserfolg und, dass es nicht nur bei den Jungen Problemgruppen gibt, sondern auch eine Problemgruppe weißer britischer Mädchen, die nicht erfolgreich sind. Diese Mädchengruppe hat eine Schulperformanz, die unter jener der Jungen aus den privilegierten Herkunftsschichten liegt. Dies macht deutlich, dass der Diskurs der letzten 15 Jahre in den Medien und in der Bildungspolitik um den Misserfolg der Jungen die Bedürfnisse vieler Mädchen vernachlässigt. Und die Tabellen legen auch die Marginalisierung der weißen britischen Arbeiterjungen offen. Nachdem die Komplexität der Leistungsmuster sowie die Bedeutsamkeit, multiple Faktoren der Identität zu betrachten, illustriert wurde, sollen nun die vielfältigen Annahmen und Erklärungen betrachtet werden, auf denen die Auffassung vom Misserfolg der Jungen sowie entsprechende Gegenmaßnahmen beruhen.
3 Erklärungsversuche der panischen Sorge um den schulischen Misserfolg der Jungen Es existieren drei hauptsächliche Erklärungsmuster, auf denen die Debatten um den Bildungsmisserfolg der Jungen gründen und die häufig auf Sprachfähigkeiten bezogen, manchmal auch breiter abgestützt sind: die Feminisierung der Schulbildung, essentielle bzw. essentialistische Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen sowie die soziale Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit. Im Folgenden werden die Argumentationen betrachtet.
3.1 Gibt es eine Feminisierung der Schulbildung? Der Begriff „Feminisierung“ ist irreführend und frauenfeindlich, was insbesondere auch dessen Anwendung im Bereich des Kontexts von Bildung betrifft (vgl. Francis und Skelton 2005). Da dieses Konzept in viele Strategien eingeflossen ist, die Leistungen von Jungen zu steigern, erscheint es wichtig, diesen Erkläransatz hier näher zu untersuchen.
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Sehr häufig wird der Ausdruck “Feminisierung der Schulbildung” genutzt, wenn thematisiert wird, dass in Großbritannien (und zunehmend auch in vielen anderen EU-Ländern) mehr weibliche als männliche Lehrpersonen lehren, insbesondere auf der Primarstufe. Es gibt fünf Mal mehr Primarlehrerinnen als Primarlehrer, allerdings sind Männer weiterhin überrepräsentiert auf der Schulleitungsebene (Francis und Skelton 2005). Männliche Lehrpersonen haben in Primar- und Sekundarschulen statistisch höhere Chancen, Schulleiter zu werden, als ihre Kolleginnen (Hutchings 2002). Des Weiteren ist auszuführen, dass seit der Einführung des staatlichen Schulsystems in Großbritannien im Jahr 1870 immer schon mehr Lehrerinnen als Lehrer in den Schulen lehrten (Thornton und Bricheno 2006). Kommentatoren der Überzahl weiblicher Lehrpersonen in Primarschulen scheinen sich dieser Tatsache nur selten bewusst zu sein und sehen sie als ein neues Phänomen an. Das relative Defizit an männlichen Lehrpersonen wird häufig als schädlich für die Bildungserfahrungen und (Bildungs-)Chancen der Jungen angesehen (Biddulph 1997; Sewell 1997) sowie als Faktor des wahrgenommenen Bildungsmisserfolgs der Jungen mit der Implikation, Jungen hätten bessere Schulleistungen, wenn sie von Männern unterrichtet würden. Was allerdings niemals erklärt wird ist, warum die große Anzahl weiblicher Lehrpersonen offenbar in vergangenen Jahrzehnten nie als Problem für die Jungen thematisiert wurde, als Jungen in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit noch als die leistungsmäßig besseren Schüler galten. In der Zwischenzeit hat sich eine Menge empirischer Forschungsarbeiten mit der unterstellten Verbindung zwischen dem Geschlecht der Lehrperson, dem Geschlecht der Auszubildenden und ihrer Schulleistungen entwickelt, wobei nur wenige Evidenzen für diese Annahmen sprechen. Einige Arbeiten haben sogar Korrelationen zwischen einem Geschlechter-Match (Lehrperson/Auszubildende) und Bildungsmisserfolg zu Tage gebracht (siehe Carrington et al. 2007a oder Carrington et al. 2007b zur Diskussion). In unserer eigenen Forschung finden sich ebenfalls Hinweise für einen solchen Zusammenhang. Befunde unserer groß angelegten qualitativen Studie zum „gender match” (vgl. z.B. Francis et al. 2008; Carrington et al. 2007a; Skelton et al. 2009) weisen darauf hin, dass Primarschülerinnen und –schüler sowie Lehrpersonen in Interviews das Geschlecht als bedeutsamen Faktor der Beziehung zwischen Primarschüler/in und Primarlehrperson sowie als Faktor, Jungen mehr für die Schule zu engagieren, eher zurückweisen (Francis et al, 2008). Entsprechend stützen diese Ergebnisse die Befunde von Lahelma (2000) und Ashley (2003), dass Kinder das Geschlecht ihrer Lehrpersonen nicht als bedeutsam wahrnehmen und dass sich Kinder mehr mit der Qualität und den Fähigkeiten ihrer Lehrpersonen beschäftigen als mit der Frage, ob diese männlich oder weiblich sind (vgl.
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Lahelma 2000). Die Konsistenz der Angaben auf verschiedene Fragen zum Geschlechtermatch Schüler/in-Lehrperson in unserer Studie untermauert das Fehlen einer Korrelation zwischen Lehrperson-Schüler/in-Geschlechter-Match und Schulerfolg in quantitativen Arbeiten (vgl. Carrington et al. 2007a, 2007b). Des Weiteren zeigt sich, dass in der Minderheit der Fälle, in der Kinder das Geschlecht der Lehrperson als bedeutsam empfinden, keine einfache Erklärung daraus konstruiert, keine klare Verbindung zu einer verbesserten Schüler/inLehrpersonen-Beziehung aufgebaut und schließlich die Idee, die Übereinstimmung von Geschlecht der Lehrperson und dem Geschlecht der Auszubildenden hätte eine positive Wirkung, nicht gestützt wird. Stattdessen erscheint unser Befund, dass Kinder das Geschlecht der Lehrperson nicht als bedeutsamen Faktor für die Schüler/in-Lehrpersonen-Beziehung ansehen, besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, wie oft sich Kinder auf Geschlechterdiskurse beziehen und Differenzen in vielen Aspekten der Interaktion konstruieren. Der Ausdruck „Feminisierung der Schulbildung“ wird auch in einem anderen Zusammenhang thematisiert, nämlich in Verbindung mit der Idee, dass die Dominanz weiblicher Lehrpersonen zu einer Verweiblichung des Managements und der Organisation des Klassenzimmers sowie zu einer feminineren Umsetzung des Lehrplans und von Prüfungspraktiken geführt habe. Aber was bedeutet es für Schulen, verstärkt „feminine“ Praxen anzuwenden? Forschungen zeigen, dass Primarschulen weit weg davon sind, im fortschrittlichen Sinne „feminisiert“ zu sein, sondern stattdessen hinsichtlich ihres Managementregimes eher zunehmend „männlicher“ werden (Mahony und Hextall 2000). Das Gesetz zur Bildungsreform 1988 (Education Reform Act) hat die englische Schulbildung zu einem Quasi-Markt werden lassen, in der die Rolle der Lehrperson immer mehr darauf fokussiert wird, den Erfolg der Schülerinnen und Schüler in öffentlichen Leistungstests abzusichern, die in staatlich regulierten Lehrplänen verankert wurden. Haywood und Mac an Ghaill (2001) haben argumentiert, dass eine remaskulinisierte Schulbildung – neben einer intensivierten Aufsicht und stratifizierten Lehrplan- und Test-Technologien – eine Konsequenz des restrukturierten Autoritätssystems darstellt.
3.1.1 Ein feminisierter Lehrplan? Im Rahmen der „Feminisierungsdebatte” ist auch der Lehrplan selbst in die Kritik geraten: Teilweise wird argumentiert, dass der implementierte Fokus auf Sprachkompetenzen bzw. auf Sprachfächer Jungen benachteiligen würde. Viele Forschende halten an der Argumentation fest, dass innerhalb der dominanten Geschlechterkonstruktion das Schreiben und der Englisch-Lehrplan an briti-
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schen Schulen als feminin einzuordnen und daher ungeeignet für Jungen seien (vgl. z.B. Millard 1997; Marsh 2003). Es ist interessant, wie Debatten um politische Maßnahmen in diesem Bereich dazu tendieren, Lehrpersonen, Lehrpraktiken oder den Lehrplan im Hinblick auf den geringeren Bildungserfolg der Jungen zu problematisieren, statt auch nach Ursachen bei den Jungen selbst zu suchen. So werden Lehrpersonen häufig kritisiert, zu langweilig zu sein und nicht zum Lernen anregen zu können sowie für ihren Fokus auf präsentierende Aspekte des Schreibens und ihren Subjektbezug, weil Jungen dies verwirrend finden könnten und diese Dinge außerhalb ihrer Konstruktionen von Männlichkeit liegen (wie z.B. Gedichte oder viele Romane). Diese Ansätze ziehen in Betracht, dass die Männlichkeitskonstruktionen der Jungen ihre Sprachkompetenzen behindern können. Aber statt diese Konstruktionen in Frage zu stellen, wird versucht, diesen Konstruktionen besser gerecht zu werden (z.B. wenn der Lehrplan korrigiert wird hinsichtlich der angenommenen Interessen der Jungen). Diese Argumente werden von vielen feministischen Forschenden in Frage gestellt, die sich mit Geschlecht und Sprachkompetenzen auseinandergesetzt haben. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Präferenzen und Geschlechterkonstruktionen von Jungen und Mädchen von den Lehrpersonen in Frage gestellt und diversifiziert werden sollten, statt stereotypisiert und verengt. Brownyn Davies und Mitarbeitende äußern eine noch radikalere Kritik: Forschende würden ignorieren, wie die Vermittlung von Sprachkompetenzen implizit traditionelle Geschlechterkonstruktionen unterstützt und produziert. Innerhalb bestimmter Ansätze erschienen Sprachkompetenzen als „a desirable but innocent generic skill.“ Tatsächlich stünden aber Fähigkeiten und geschlechtsspezifische Sozialisation in Zusammenhang: „being gendered shapes individual interest and engagement in literate practices. Literate practices in turn shape the ways in which one becomes gendered“ (Davies und Saltmarsh 2006). Davies und Saltmarsh zeigen in ihrer Studie wie Jungen und Mädchen sich selbst in geschlechterspezifischen Weisen beim Schreiben konstruieren – sowohl in ihrer Schreibpraxis, als auch im Hinblick auf die Themen, über die sie schreiben. Jungen konstruieren sich dabei als eher aktiv, Mädchen als tendenziell passiv und unterwürfig. Zum Beispiel beschreiben Davis und Saltmarsh, wie sich Mädchen im Schreiben selbst regulieren und disziplinieren – in ihrem improvisierten Schreiben (neat production), aber auch in den internalisierten physischen Schreibpraxen. Hinsichtlich ihrer Analysen kindlicher Schreibpraxen argumentieren Davies und Saltmarsh (2006), dass viele Jungen Widerstand leisten gegen Gewissenhaftigkeit, Passivität und Unterwürfigkeit, die notwendig sind, um eine ästhetisch-schöne Handschrift zu erlangen und eine Arbeit abzuliefern, die den schulischen Anforderungen gerecht wird. Eine solche Arbeit und der gewissenhafte Fleiß, der benötigt wird, um eine entsprechende Arbeit abzuliefern, wür-
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den weibliche Arbeitsweisen bedingen, die von Jungen tendenziell umgangen werden (vgl. auch Millard 1997; Kanaris 1999). Davies und Saltmarsh (2006) vermerken jedoch auch, dass Jungen andererseits sehr viel Anstrengung darin investieren, dominante Positionen in der sozialen Ordnung des Klassenzimmers und des Spielplatzes zu erlangen und beizubehalten, was wiederum auf die männliche Dominanz in der weiteren sozialen und ökonomischen Ordnung bezogen ist.
3.1.2 Feminisierte Bewertung? Das finale Argument innerhalb des Diskurses um die „Feminisierung der Bildung” ist, dass die Bewertungspraktiken Mädchen systematisch bevorteilen würden. In England wurde der steigende Anteil der bewerteten Unterrichtsarbeit für den geringeren Erfolg von Jungen in den GCSE und ‚A’ level-Prüfungen (äquivalent zum Abitur) verantwortlich gemacht, da die bewerteten Aufgaben im Unterricht nicht den von Jungen präferierten Lernstilen entsprächen. Sequentielle Bewertungsmethoden, die konsistente Anwendungen beinhalten, werden als vorteilhaft für Mädchen wahrgenommen, die hier bessere Erfolge erzielen (Smithers and Robinson 1995). Bleach (1998: 14) fasst diese Annahme kontrovers als „diligent and plodding approach that is a characteristic of girls”. Mädchen seien weniger gut in „sudden death”-Prüfungen – das sind zeitlich fixierte Prüfungen, deren Inhalte vorher unbekannt sind und deren Bestehen eine kurzfristige erneute Wiederholung des Lernstoffs sowie Selbstsicherheit voraussetzen. Diese Art von Prüfung wird als vorteilhaft für Jungen angesehen (Bleach 1998) und bildete die Grundlage der O level-Prüfungen, die den GCSEPrüfungen in Großbritannien vorausgingen. Tatsächlich haben sich die Resultate der Mädchen in Abschlussprüfungen allerdings bereits vor Einführung des GCSE-Prüfungsmodells verbessert (Bleach 1998). Arnot et al. (1999) diskutieren zudem, dass die Reduktion der Komponente der Unterrichtsarbeit in den allgemeinen Prüfungen in den 1990er Jahren nur wenig am Muster des geschlechtsspezifischen Schulerfolgs verändert hat. Diese Befundlage spricht gegen die Annahme, die Geschlechterunterschiede in den Schulleistungen könnten über einen Wandel der Prüfungsformen in der Schule erklärt werden. Auf der anderen Seite sind im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede in den Interaktionsformen durchaus auch Geschlechtereinflüsse auf bestimmte Aspekte des Prüfens an Schulen anzunehmen. So haben sich zum Beispiel verschiedene Forschungen mit den geschlechtsspezifischen Wahrnehmungen der Lehrpersonen beschäftigt und wie über diese das Prüfungsniveau für die Schülerinnen und Schüler bestimmt wird (z.B. Elwood und Murphy
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2002; Harlen 2004). Diese Tendenzen sozialer und kultureller Erwartungen, die den Prüfungsprozess beeinflussen, sind von anderen Aspekten der sozialen Identität beeinflusst – von sozialer Klasse, Ethnizität und Geschlecht. Viele Arbeiten haben gezeigt, wie stark Lehrpersonen die Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern je nach deren Klassenzugehörigkeit und ethnischer Herkunft unterschiedlich einschätzen (z.B. Wright 1987; Sewell 1997; Reay 2001; Majors 2001; Crozier und Reay 2005; Archer und Francis 2005). Diese komplexen Befunde müssen berücksichtigt werden, wenn der Einfluss des Geschlechts auf die Prüfungsresultate betrachtet wird. Allerdings demonstrieren die dargelegten Resultate auch, dass eine einfache Attribution des höheren Bildungserfolgs von Mädchen in einigen Schulfächern auf feminisierte Bewertungsinstrumente nicht gerechtfertigt ist.
3.2 Essentielle Geschlechterunterschiede Einige Autoren und Autorinnen beziehen sich bei der Erklärung von Geschlechterunterschieden auf Theorien über einen inherenten Unterschied in der Beschaffenheit des Gehirns und unterstellen, Jungen seien biologisch im Schreiben und in der Kommunikation benachteiligt. Zu einer solchen Argumentation gehört auch die Annahme, dass Babys mit einer biologischen bzw. genetischen Vorliebe geboren werden, die sie im Hinblick auf ihr späteres Interesse an bestimmten Schulfächern prägt und sie wiederum andere Schulfächer ablehnen lässt. Solche Positionen basieren auf so genannten brain sex-Theorien, die das männliche und weibliche Gehirn als unterschiedlich beschaffen ansehen, was nach dieser Argumentation schließlich mit unterschiedlichen Lernfähigkeiten verbunden ist. Das praktische Problem solcher Perspektiven auf als „natürlich” wahrgenommene Unterschiede in den Schulleistungen ist, dass sie die Möglichkeit von Wandel negieren. Andererseits argumentieren die Befürworter biologischer Sichtweisen aber auch, dass Jungen mehr Unterstützung als Mädchen benötigen würden. Es ist generell zu fragen, ob das gender gap auf die „Natur“ zurückgeführt werden kann. Der Überblick von Diane Halpern (1992) lässt den Schluss zu, dass sowohl nature als auch nurture einen Anteil an den Geschlechterunterschieden haben. Wir haben diese Frage bereits an anderer Stelle besprochen (Francis und Skelton 2005), wobei wir differenzierte Positionen eingenommen haben. Selbst Neurowissenschaftler/-innen geben zu, dass sich die Wissenschaft in dieser Frage noch in den Kinderschuhen befindet und dass es mehr Unterschiede innerhalb der Gruppen der Mädchen und der Jungen gibt als zwischen den Gruppen (vgl. Slavin 1994). Für Lehrpersonen insbesondere von Bedeutung
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ist die Annahme, dass das Gehirn nicht bereits vor der Geburt fixiert ist, sondern ein Organ mit hoher Plastizität darstellt, das auf äußere Reize reagiert. Die Neurowissenschaftlerin Lesley Rogers (2000) erklärt, dass auch Hormone durch Umweltfaktoren beeinflusst werden. Das bedeutet, dass selbst wenn sich eine Beziehung zwischen Geschlechterunterschieden in der Beschaffenheit des Gehirns und dem geschlechtsspezifischen Bildungserfolg andeuten würde, diese Geschlechterunterschiede im Gehirn immer noch ein Resultat sozialer Erfahrungen und Einflüsse statt unveränderlicher innerlicher Dispositionen darstellen könnten. Dass das Ausüben bestimmter Fähigkeiten oder auch das Lernen einer bestimmten Fähigkeit bestimmte Bereiche des Gehirns entwickelt, haben bereits Blakemore und Frith (2005) demonstriert. Unterrichtspraktiken, die auf die wahrgenommenen Stärken und Schwächen von Mädchen und Jungen in den einzelnen Bereichen des Lehrplans und präferierte Lernstile gerichtet sind, würden die Geschlechterunterschiede im Bildungserfolg somit vergrößern. Zusammenfassend weist die Mehrheit der Evidenzen auf die Bedeutsamkeit sozialer Faktoren für die Fähigkeiten der Kinder hin und nicht auf biologische Faktoren. Bedenkt man, dass die sozialen Faktoren durch Lehrpersonen kontrolliert werden können, würde man einen Fokus der Betrachtungen auf diesem Punkt erwarten. In den letzten Jahren hat sich dennoch als Antwort auf die Panik um den Bildungsmisserfolg der Jungen ein Schwerpunkt um das Konzept der geschlechtsspezifischen Lernstile herausgebildet, auf dem viele Strategien, den Bildungserfolg der Jungen zu verbessern, gründen (Skelton et al. 2009).
3.2.1 Geschlechterspezifische Lernstile Das Interesse an Lernstilen hat sich in den letzten Jahren rapide entwickelt (Coffield et al. 2004). Wahrgenommene Differenzen in den Lernstilen von Jungen und Mädchen bilden eine der häufigsten Erklärungen für den Geschlechterunterschied in den Schulleistungen (Duffy 2003; Maby 2004). Diese Argumentation basiert u.a. auf der Annahme, dass wenn sich die „Natur“ von Jungen und Mädchen unterscheidet, dieses geschlechtsspezifische biologische Muster auch mit unterschiedlichen Herangehensweisen an Lernprozesse einhergehen müsste (Noble and Bradford 2000; Gurian 2002). Mit den präferierten Lernstilen wird häufig erklärt, warum sich Jungen stärker zu naturwissenschaftlichen Fächern hingezogen fühlen mit ihrem Schwerpunkt auf abfragbaren Gesetzmässigkeiten, Fakten und kurzen, abstrakten Antworten, und warum Mädchen stärker zu geisteswissenschaftlichen Fächern neigen, die mehr auf reale Situationen im Alltagsleben bezogen sind und elaborierte und detaillierte Antworten erfordern
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(Gipps und Murphy 1994; Arnot et al. 1998). Natürlich gibt es Befunde, die zeigen, dass Jungen und Mädchen als Gruppen tendenziell unterschiedliche Herangehensweisen an das Lernen bevorzugen. Aber es ist auch wichtig, daran zu erinnern, dass diese nur auf Trends hinweisen, die eben nicht auf alle Mädchen und auch nicht auf alle Jungen zutreffen. Diese Tendenzen können unter Bezugnahme auf soziale Faktoren erklärt werden – und sicherlich weist die Verbesserung der Schulleistungen in Mathematik und Naturwissenschaften der letzten Jahre darauf hin, wie sich solche sozialen Phänomene wandeln können, während aus der biologistischen Sichtweise solche Entwicklungen gar nicht möglich erscheinen. Aber wenn es geschlechterspezifische Präferenzen beim Lernen gibt, wäre dann eine geschlechterhomogene Klassenzusammensetzung die Lösung und/oder sollten Lehrpersonen diese geschlechterspezifischen Präferenzen bedienen? Die Befunde im Hinblick auf single-sex classes als Methode die Leistungen von Jungen und Mädchen zu verbessern sind am ehesten als ambivalent zu bezeichnen. Es zeigt sich, dass Lehrpersonen in gemischten als auch in geschlechterhomogenen Klassen die gleichen Lehrpraktiken anwenden und gleichermaßen den Lehrplan als Normalfall durcharbeiten (Warrington und Younger 2001; Jackson 2002). Dort, wo Lehrpersonen das Geschlecht der Lernenden berücksichtigen, werden Geschlechterstereotype eher verstärkt als eingeebnet (Jackson 2003; Ivinson und Murphy 2007). Auch wenn sich die Befunde teilweise widersprechen, zeigt sich doch, dass selbst in koedukativen Schulen, in denen in den letzten Jahren geschlechterhomogene Klassen eingeführt wurden, um dem geringeren Bildungserfolg der Jungen zu begegnen, sich eher die Leistungen der Mädchen als die der Jungen verbessern (Warrington und Younger 2002, 2003). Es scheint somit eher unwahrscheinlich zu sein, dass Jungen solche geschlechterhomogenen Klassen als unterstützend und angenehm empfinden (Jackson 2002). Wie gegenüber der Thematik der geschlechtsspezifischen Lernstile besteht auch große Skepsis gegenüber der Bestimmung von gegeneinander abgrenzbaren Lernstilen (vgl. Coffield et al, 2004). Das Ausmaß an geschlechterspezifischen Lernpräferenzen bleibt stark umstritten (Elwood 2005; Younger et al. 2005), da viele Schülerinnen und Schüler den angenommenen Tendenzen in ihren Lernstilen widersprechen. Aus den Evidenzen in der Literatur kann abgeleitet werden, dass Lehrpersonen sich zwar durchaus der präferierten Lernweisen ihrer Schülerinnen und Schüler bewusst sein sollten, diese aber nicht als Lernstile von den Jungen oder den Mädchen bezeichnen sollten, um nicht traditionelle Geschlechterstereotype zu verfestigen.
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3.3 Die soziale Konstruktion des Geschlechts Die einzige Erklärung für den Geschlechterunterschied, die stark und konsistent in vielen groß angelegten Studien (aus unterschiedlichen Perspektiven) zum Ausdruck kommt ist, dass die Konstruktionen des Geschlechts durch Schüler und Schülerinnen mit unterschiedlichen Verhaltensweisen einhergehen, die wiederum einen Einfluss auf den Bildungserfolg haben. Kinder konstruieren ihre eigenen Geschlechteridentitäten aktiv in Relation zum jeweils anderen Geschlecht – Männlichkeit ist das, was nicht weiblich ist und vice versa – und nehmen bestimmte Verhaltensmuster an, um ihrer Geschlechterzugehörigkeit (Davies 1989) Ausdruck zu verleihen. Geschlechtsspezifische Verhaltensweisen sind habituell und oft unbewusst. Multiple Faktoren haben einen Einfluss auf die Geschlechterkonstruktionen der Lernenden – etwa das Alter, der Schultyp, sozialräumliche Merkmale, soziale Schicht und Ethnizität (z.B. Reay 2001, 2006; Ali 2003; Connolly 1998, 2004; Archer und Francis 2006). Feministische Forscherinnen und Forscher haben demonstriert, wie die Produktion der Geschlechterunterschiede und der Geschlechterungleichheit das gesamte Schulsystem durchzieht – etwa den Lehrplan, Managment- und Disziplinierungspraktiken, die Rekrutierung der Lehrpersonen (Personalmanagement), Unterricht und Prüfungen, Lehrpersonenerwartungen, Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Lernenden sowie Interaktionen unter Lernenden. Im Hinblick auf die soziale Konstruktion der Geschlechter durch Schülerinnen und Schüler kommt den Freundesgruppen (peer groups) eine besondere Bedeutung zu. Lehrpersonen beobachten im Schulalltag häufig, dass sich Schülerinnen und Schüler meist in gleichgeschlechtlichen Gruppen zusammensetzen. Freundesgruppen bestehen ebenfalls meist aus Freunden des gleichen Geschlechts (Thorne 1993). Davies (1989) und Lees (1993) zeigen detailliert, wie Lernende in Primar- und Sekundarschulen die geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen ihrer Peers quasi „überwachen” und von traditionellen Geschlechterrollen abweichende Verhaltensweisen sanktionieren. Viele Forschungen zeigen, dass eine spezifische Konstruktion von Maskulinität mit einem hohen Status in der Peergruppe in Sekundarschulen verbunden ist. Dies gilt sogar bereits für die letzten Jahre der Primarschulbildung. Dieses konstruierte Männlichkeitsmuster wird allgemein als „laddish“ bezeichnet, d.h. als machohafte bzw. draufgängerische Maskulinitätskonstruktion. Das Ziel, ein „draufgängerischer“ Kumpel zu sein, zieht bei vielen Jungen hedonistische Verhaltensweisen nach sich. Dazu gehören sich lustig machen, störende Verhaltensweisen, Alkoholkonsum, Frauen zu Objekten machen und sich vor allem für verschiedene Zeitvertreibe und männlich konnotierte Themen interessieren. Solche hedonistischen Praktiken und Konstruktio-
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nen, um „cool“ für die Schule zu sein, wurden auch bei einigen jungen Frauen beobachtet (Jackson 2006). Eine Schlüsselannahme im Hinblick auf die Beziehung zwischen Geschlecht und Bildungserfolg ist, dass die „laddish construction“, d.h. das traditionelle Bild von Männlichkeit, als anti-akademisch gilt – es ist einfach nicht „cool“, hart zu arbeiten oder in der Schule gute Leistungen zu erbringen – und daher mit einem geringeren Bildungserfolg einhergeht. Einige Forschende sehen als Ursache für diese Beziehung einen Konflikt zwischen machohaften Werten und der Schulkultur: Mit dem tradtionellen Männlichkeitsbild einhergehende Verhaltensweisen („laddish behaviours“) haben einen negativen Effekt auf die Leistungen bzw. den Bildungserfolg von Jungen und ihre Schulkameraden, weil sie stören und ablenken sowie andere Interessen gegenüber der Arbeit in der Schule Priorität haben (Salisbury und Jackson 1996; Francis 2000; Skelton 2001). Andere Forschende sehen Jungen mit traditionellen Männlichkeitsbildern als besonders anti-swot (gegen so genannte Streber gerichtet) und negativ gegenüber Arbeit eingestellt an (Willis 1977; Mac an Ghaill 1994; Martino 1999): Schularbeit, Gewissenhaftigkeit und Fleiß werden als feminin angesehen; einige Jungen versuchen sich von solchen Merkmalen zu distanzieren, um ihre eigene Konstruktion von Männlichkeit aufrecht zu erhalten. Während früher insbesondere Jungen aus der Arbeiterklasse akademischen Fleiß als weiblich einstuften und gegenüber dem Lernen eine entsprechend distanzierte Position einnahmen, werden diese Einstellungen inzwischen auch immer mehr von Jungen aus der Mittelklasse angenommen (Martino 1999). Solche Männlichkeitskonstruktionen variieren nach ethnischer Herkunft, sozialer Herkunft (Schichtzugehörigkeit) und Geschlecht (Wright et al. 2000; Haynes et al. 2006). Hinsichtlich der Lage von schwarzen Jungen im britischen Bildungssystem zeigt Warren (2005) auf, dass es ein Fehler ist, die gegen die Autorität gerichteten Positionen dieser Schüler als Ablehnung von Schule und Bildung zu interpretieren. Stattdessen könnte diese Ablehnung auch Ausdruck einer wahrgenommenen Ungleichheit sein, weil diese black boys von den Lehrpersonen als problematisch stereotypisiert werden (Connolly 1998). Tatsächlich weisen bestimmte Befunde darauf hin, dass einige Jungen (black und working class) traditionell männliche Verhaltensweisen als Reaktion auf ihre negativen Schulerfahrungen und die daraus erwachsende Enttäuschung produzieren (Jackson 2002, 2003; Bleach 1998). Aus dieser Perspektive heraus erscheinen diese „laddish expressions of masculinity“ als alternative Methode, um ihren Selbstwert wiederherzustellen, der durch negative Schulerfahrungen beeinträchtigt wurde. Andererseits unterstellt diese Deutung, die sich in vielen Dokumenten der Bildungspolitik wiederfindet, dass solche Jungen ein negatives Selbstbild
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hätten – was im Widerspruch zu Befunden über ein stärkeres Selbstbewusstsein und ein stärkeres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten bei Jungen steht. Aus einer etwas anderen Perspektive erscheinen die störenden Verhaltensweisen der Jungen als Resultat schlechter Schulleistungen, die ihrerseits auf kompetitive Verhaltensweisen zurückgeführt werden – und nicht auf ihr geringes Selbstbild (z.B. Salisbury und Jackson 1996; Epstein 1998; Jackson 2006). Solche Jungen sind an verschiedenen Wettbewerbssituationen beteiligt – z.B. der größte Rebell zu sein oder der Beste im Sport etc. – oder sie haben die Einstellung, wenn sie nicht gewinnen können, soll auch niemand anderes gewinnen, stören entsprechend den Unterricht und verspotten Leistungsanstrengungen und Schulerfolg. Diese Sichtweise fokussiert ein angenommenes Bedürfnis von Jungen, Macht und Erfolg als Aspekte ihrer Männlichkeit zu praktizieren. Ungeachtet der Debatten um die Ursachen von solchen extrem maskulinen Verhaltensweisen bei Jungen hat ein gewichtiger Teil an Forschungsarbeiten gezeigt, dass diese Männlichkeitskonstruktionen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen negativen Einfluss auf den Bildungserfolg von Jungen – manchmal auch von ihren Schulkameraden – haben.6 Diese vielfältigen Studien haben gezeigt, dass die Konstruktionen geschlechtsspezifischen Verhaltens eine Schlüsselerklärung für den Geschlechterunterschied in den Schulleistungen liefern. Wie auch hinsichtlich anderer Erklärungen für die geschlechtsspezifischen Leistungsmuster, ist es extrem schwierig, das Ausmaß nachzuvollziehen, mit dem die traditionellen Männlichkeitskonstruktionen der Jungen ihre Leistungen beeinträchtigen. Offensichtlich scheinen einige Jungen in der Lage zu sein, trotz solcher machohaften Verhaltensweisen Leistung zu erbringen. Einige der angesprochenen Studien haben das Verhalten einzelner Jungen in Beziehung gesetzt zu ihrem Bildungserfolg. Alles in allem weisen die Evidenzen aber durchaus überzeugend auf die Erklärung hin, dass der Bildungsmisserfolg einiger Jungen auf solche Männlichkeitskonstruktionen zurückzuführen ist. Dies ist eines der wenigen Erklärungsmuster, zu dem es im Moment keine ambivalenten bzw. dagegen sprechenden Befunde gibt. Einen bedeutsamen Aspekt, dessen Berücksichtigung in der Diskussion um den geschlechtsspezifischen Bildungserfolg unabdingbar ist, stellt die Komplexität der Geschlechterkonstruktionen durch Schülerinnen und Schüler dar und wie die Bildungsinstitutionen solche Konstruktionen unterstützen oder hemmen sowie der Einfluss dieser Konstruktionen auf die Leistungen. Unsere eigene aktuelle Studie – finanziert durch das britische Economic and Social Research 6
Vgl. z.B. Studien von Salisbury und Jackson (1996); Epstein (1998); Francis (2000); Younger et al. (1999); Warrington et al. (2000); Skelton (2001); Martino (1999; 2000); Martino und PallottaChiarolli (2003); Mills (2001); Francis und Skelton (2005); Younger et al. (2006).
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Council7 illustriert diese Aspekte. In dieser Studie lag der Fokus auf Schülerinnen und Schülern mit sehr guten Leistungen. In der Stichprobe finden sich auch Schülerinnen und Schüler, die sowohl hohe Leistungen zeigten als auch populär waren. Offenbar können einige Schülerinnen und Schüler – im Unterschied zu den vorher diskutierten Implikationen aus den Forschungen zu den problematischen machohaften Verhaltensweisen – ihre Popularität in ihrer Peergruppe trotz ihrer hohen akademischen Leistungen beibehalten. Dieser simultane soziale und akademische Erfolg konnte sowohl von einigen Mädchen als auch von einigen Jungen erzielt werden – aus unterschiedlichen ethnischen und sozialen Gruppen (Schichten). Diese Befunde weisen darauf hin, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler mit guten Leistungen lächerlich gemacht oder als Streber (swots) marginalisiert werden und auch nicht alle Jungen ein geringeres akademisches Leistungsniveau anstreben, um ihren sozialen Status in der Gruppe zu erhalten. Auf der anderen Seite haben wir auch festgestellt, dass die physische Erscheinung der Schülerinnen und Schüler – bei Jungen insbesondere auch die physischen Fähigkeiten und die Sportlichkeit – einen wichtigen Faktor für die Balance zwischen hohen Leistungen und Popularität darstellt. Auffassungen von Attraktivität sind ebenso sozial konstruiert (vgl. Francis et al. 2009). Dies gilt im gewissen Ausmaß auch für sportliche Fähigkeiten von Jungen. Unsere Befunde deuten somit auf die zentrale Rolle des Körpers für die geschlechtsspezifische subjektive Wahrnehmung und die Aufrechterhaltung einer Balance zwischen Popularität und akademischem Erfolg hin. Aber das Erscheinungsbild ist nicht der einzige bedeutsame Faktor. Wir haben auch herausgefunden, dass populäre Schülerinnen und Schüler mit hohen Leistungen kontinuierlich an ihrer Identität arbeiten. Ihre Verhaltensweisen sind dabei aber kaum exzessiv: Ihre akademischen Leistungen werden so dargestellt als seien sie ohne viel Aufwand erzielt worden. Diese Schülerinnen und Schüler sind zudem sowohl permanent in Interaktionen mit ihren Peergruppen als auch in ihre akademischen Aufgaben involviert (vgl. Francis et al. forthcoming). Ihre Verhaltensweisen sind auch weniger störend: Sie tendieren mehr zu harmlosen Späßen als zu offener Konfrontation. Damit erreichen populäre Schülerinnen und Schüler die Balance zwischen Leistung und Freundschaftlichkeit („sociability“), die für Schülerinnen und Schüler nach Jackson (2006) so bedeutsam ist. Die Darstellung solcher anstrengungsloser Leistungen ist selbst ganz und gar nicht anstrengungslos, denn dafür ist kontinuierliche Arbeit an der eigenen Identität notwendig. Diese Identitätsarbeit ist stark geschlechtsspezifisch und ist nach unseren Ergebnissen auch bei populären Schülerinnen und
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Studie “The gender subjectivities of high achieving pupils”, ESRC Projekt-Nr. RES062230462.
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Schülern mit hohen Leistungen auf normative Konstruktionen des „doing boy“ und des „doing girl“, d.h. auf Geschlechterbilder, bezogen (Francis et al. 2009).
4 Schlussfolgerungen Wir hoffen, anhand der berichteten quantitativen und qualitativen Befunde zum Zusammenhang zwischen Geschlecht und Schulleistungen die Komplexität des Feldes deutlich gemacht und auf die Fehlschlüsse der generalisierenden Diskussionen um „die Mädchen“ und „die Jungen“ sowie der Annahmen zum Bildungsmisserfolg der Jungen hingewiesen zu haben. Wir haben Leistungsverteilungen betrachtet und gezeigt, dass Geschlechterunterschiede ganz und gar nicht eindeutig in eine Richtung gehen und zudem mit Unterschieden nach sozialer und ethnischer Herkunft (sowie auch nach Schultyp und weiteren Variablen) verknüpft sind. Wir haben einige Diskurse und Annahmen hinter den Schlüsselargumentationen um den Bildungsmisserfolg analysiert – einschließlich der Vorstellungen von einer „Feminisierung der Schule“, „essentiellen Geschlechterunterschieden“ und der „sozialen Konstruktion der Geschlechter“. Wir haben auf den Mangel an empirischen Befunden bezüglich einiger dieser vereinfachenden Vorstellungen sowie auf deren gefährliche Wirkungen hingewiesen. Aufbauend auf Literatur zum Einfluss sozialer Geschlechterkonstruktionen auf subjektive Präferenzen und Bildungserfolg haben wir eigene Befunde in die Debatte eingebracht, welche die Komplexität und die nuance at stake unterstreichen und auf das komplexe Netz der verschiedenen Einflussfaktoren – einschließlich der physischen Erscheinung – auf Geschlechterkonstruktionen und geschlechtsspezifische Schulleistungen verweisen. In England ist das Einbringen bildungspolitischer Maßnahmen hinsichtlich des geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs gerade sehr populär. Das Department for Children, Schools and Families (DCSF) hat eine Schlüsselposition inne, wenn es um das Verbreiten von Mythen zum Bildungsmisserfolg der Jungen und die Empfehlung von Strategien gegen diese Geschlechterunterschiede geht, die solche Stereotype eher unterstützen als auflösen. Andererseits scheint sich inzwischen auch die Einsicht herauszukristallisieren, dass ein Strategiewechsel notwendig ist. In den Jahren 2008 und 2009 hat das DCSF eine „Gender Agenda“ lanciert, um dieses Thema verstärkt aufzugreifen. Dabei wurden auch einige akademische Forschende, uns selbst eingeschlossen, konsultiert. Wir vermuten, dass diese Wende auf verschiedene Faktoren zurückgeht: Erstens ist die geschlechtsspezifische Leistungsverteilung trotz der 15jährigen Anwendung der Strategien zur Steigerung der Leistungen der Jungen im Unterricht relativ stabil geblieben. Zweitens gilt ein neuer bildungspolitischer Fokus dem
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Aspekt der sozialen Schicht. Dieser Fokus hat es auch ermöglicht, einige Forschungsbefunde zu sozialer Identität und Bildungserfolg in die politischen Dokumente einzubringen – einschließlich kritischer Anmerkungen zum früheren Augenmerk der Bildungspolitik auf dem Bildungsmisserfolg der Jungen und gegenüber entsprechender Strategien (vgl. DCSF 2009a, 2009b). Die Hauptaussage dieser wissenschaftlichen Inputs in die bildungspolitischen Debatten ist, dass Lehrpersonen sich mehr bewusst werden müssen, dass es geschlechterspezifische, aber auch klassen- und ethnienspezifische Lern- und Leistungsmuster gibt und diese Tendenzen als sozial konstruiert und nicht allgemeingültig zu interpretieren sind. Lehrpersonen sollten ermutigt werden, Horizonte und (Verhaltens-)Repertoires ihrer Schülerinnen und Schüler zu erweitern, statt bestehende Stereotype im Rahmen ihrer Lehraktivitäten zu festigen. Wie wir im Rahmen unserer Forschungsarbeit herausgefunden haben, wird diese neue Sichtweise noch lange brauchen, um die Schulen zu erreichen. Viele Schulen versuchen noch immer, „jungenfreundliche“ Strategien und Lehrmethoden auszuprobieren (Skelton et al. 2009). Es wird interessant sein, mitzuverfolgen, wie sich die bildungspolitische Meinung hier weiter entwickeln wird und ob Geschlechterunterschiede aus dem Blickfeld verschwinden werden. Aber wie die Entwicklung auch immer weiter gehen wird, es erscheint unerlässlich, dass feministische Forschende ihre Forschungen zu geschlechtsspezifischen Ungleichheiten weiter voranbringen und immer wieder darauf hinweisen, in welcher Weise geschlechtsspezifische Leistungsmuster den weiteren sozialen Diskurs reflektieren, der auch hinter der Stabilität der Geschlechterordnung liegt.
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Werden tatsächlich Männer gebraucht, um Bildungsungleichheiten (von Jungen) abzubauen? Hannelore Faulstich-Wieland
Die Forderung nach mehr männlichen Lehrkräften hält schon seit etlichen Jahren an. Sie wird vor allem in den Medien von Journalisten artikuliert, allerdings auch von Politikern und Wissenschaftlern vertreten. Im Folgenden sollen zunächst kurz die Argumente skizziert werden, die für die Notwendigkeit von mehr Männern angeführt werden. Sie betreffen zum einen eine erwartete Leistungssteigerung bei Jungen, zum anderen die vermeintliche Notwendigkeit von männlichen Vorbildern. Anhand von empirischen Studien – überwiegend qualitativen, aber auch einigen quantitativen – sollen diese Argumente geprüft werden. Dazu wird im Abschnitt 2 das erste Argument auf seine Stichhaltigkeit hin getestet. Lassen sich Belege für einen Zusammenhang zwischen der Schülerleistung und dem Geschlecht der Lehrkräfte finden? Die Vorbildwirkung von Pädagogen wird im Abschnitt 3 aus Sicht der Kinder und Jugendlichen hinterfragt. Im Abschnitt 4 wird die Perspektive gewechselt: Welche Erwartungen haben Lehrerinnen an männliche Kollegen, welche Widersprüche zeigen sich? Im Abschnitt 5 geht es um die Erfahrungen, die die männlichen Lehrer selbst machen: Lassen sich hier Spannungsfelder entdecken? Im abschließenden Teil wird die Frage danach, ob tatsächlich Männer als Vorbilder benötigt werden, noch einmal neu gestellt und auf der Basis von sozialisations- und gendertheoretischen Überlegungen beantwortet.
1 Argumente für die Notwendigkeit von männlichen Lehrkräften Spätestens seit den PISA 2000-Ergebnissen, die einen signifikant schlechteren Mittelwert der Leseleistungen von Jungen in fast allen Ländern ans Tageslicht brachten, ist eine Debatte um die Ursachen dieses als „Bildungsbenachteiligung der Jungen“ wahrgenommenen Zustands entbrannt. Das ungleiche Geschlechterverhältnis unter den Lehrenden kommt dabei sehr schnell in den Blick. So werden in England z.B. explizit die Leistungsdifferenzen zwischen Mädchen und Jungen den fehlenden Männern in der Erziehung angelastet (Jones 2003: 566) – zwar nicht als einzige Ursache, aber doch als wichtige.
A. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4_16, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Hannelore Faulstich-Wieland
In Deutschland argumentierte der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, in einer „Stellungnahme zur fortschreitenden Feminisierung im Lehrerberuf“ in der Kölnischen Rundschau vom 8.1.07: Das Fehlen von Männern in der familiären Erziehung sowie in der Grundschule sei „für Jungen und Mädchen gleichermaßen ungünstig, denn sie lernen damit keine männlichen Verhaltensmuster kennen. Letzteres wäre nötig – sei es als Vorbild, sei es, um sich daran reiben zu können (auch im Sinne des Erlernens eines konstruktiven Umgangs mit Gewaltimpulsen)“.1 Auch die neue Familienministerin Kristina Schröder argumentiert in diese Richtung, wenn sie meint, es sei Tatsache, „dass viele Jungen ohne Männer aufwachsen. Ihnen fehlen damit realistische Vorbilder“. Zugleich lastet sie die geringeren Bildungserfolge von Jungen der „Feminisierung“ an: „Das schlechtere Abschneiden von Jungen liegt unter anderem daran, dass Kindergärten und Schulen weiblich dominiert sind“ (Interview in Die ZEIT vom 22.4.10).2 Zwar finden sich ausgelöst durch eine Pressemeldung des Wissenschaftszentrums Berlin3 über Reanalysen von empirischen Studien mittlerweile auch Gegenstimmen wie z.B. die folgende von Birgit Menke in Spiegel Online vom 6.3.2010: „Lehrerinnen schaden Schülern nicht.“4 Dennoch schürt gerade Spiegel Online durch seine Verlinkungs-Praxis zugleich die Meinung, die „Feminisierung“ der Schule sei schuld an den Problemen von Jungen. Dies soll exemplarisch an Interviews mit dem Bildungssoziologen Klaus Hurrelmann und dem Diplompädagogen Wolfgang Bergmann gezeigt. Hurrelmann äußert in einem Interview am 23.4.2010 u.a.: „Ziel muss es sein, den Jungen in der Schule erst einmal die Sicherheit zu geben, dass sie männlich sein dürfen und sollen. Alle Lehrkräfte, ob Männer oder Frauen, sollten darin geschult werden, dass sich Jungen selbstbewusst entfalten können. Jungen setzen nun mal gerne klare soziale und körperliche Duftnoten, verhalten sich schon mal laut und auffällig, haben mehr Aggressionen. Sie dürfen nicht immer nur die Ansage bekommen, ihr Verhalten sei falsch. Im Rahmen ganz klarer Regeln und Sanktionen sollte das in der Schule zugelassen werden. Ich denke, das können auch weibliche Lehrkräfte bewerkstelligen, aber wenn wir einer dauerhaften Feminisierung der Umgangsformen entgehen wollen, gehören gleich viele männliche Lehrkräfte in jede Schule und in jeden Kindergarten. Nur so kann es gelingen, junge Männer aus ihrer engen traditionellen Geschlechtsrolle herauszulocken.“ 5
1
http://www.lehrerverband.de/ (unter Kommentare und Denkschriften - letzter Zugriff 1.5.2010); vgl. auch Preuss-Lausitz 2006 mit einer ähnlichen Argumentation. 2 http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles,did=134950.html – Zugriff 4.5.10 3 http://www.wzb.eu/presse/mitteilungen_2010/die_frauen_sind_schuld.de.htm - Zugriff 4.5.10 4 http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,682019,00.html – Zugriff 4.5.10 5 http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,688659-2,00.html – (Zugriff 1.5.2010)
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Hurrelmann stellt hier ab auf ein vermeintlich natürliches Jungenverhalten, dem in der Schule Rechnung zu tragen sei. Zwar gesteht er Lehrerinnen durchaus zu, dieses zu können, allerdings warnt er dann doch vor einer „dauerhaften Feminisierung der Umgangsformen“. Diese Textstelle ist zugleich als Link markiert und führt zu dem Interview mit Wolfgang Bergmann vom 5.4.2010 unter der Überschrift „Wohlfühl-Kuschel-Pädagogik geht Jungs gewaltig auf die Nerven“ 6 , in dem Bergmann meint, „in Kindergärten wie Schulen dominiere ein verhuscht-weibliches Klima“. In seiner Logik allerdings geht es dann nicht um mehr männliche Erzieher oder Lehrkräfte, sondern um offenbar so etwas wie „gestandene Männlichkeit“: „Man müsste die Schulen und Kindergärten öffnen und Männer reinholen. Gar keine gelernten Pädagogen, die tun den Kindern meist ohnehin nicht so gut. Stattdessen Handwerker, Bildhauer, Männer mit Lebenserfahrung und einer starken Biografie, auch mit autoritären Zügen, an denen man sich orientieren kann. Jungs brauchen das. Sie lernen gegenständlicher, materialhafter. Schauen Sie doch nur, wie die am Hausmeister hängen, wenn das ein kinderlieber Mann ist. Die fahren voll auf diesen praktischen Typen ab“ (Interview mit Wolfgang Bergmann 2010).
Unterstellt wird in den Stellungnahmen, dass Jungen über die Identifikation mit gleichgeschlechtlichen Vorbildern bessere Leistungen und mehr Interesse entwickeln könnten; Mädchen wie Jungen männliche Rollenvorbilder kennen lernen sollten, solche werden entweder pauschal als positiv bezeichnet oder spezifiziert. Genannt wird männliche Gewalt, expressives, ungebärdiges, vorlautes, raues und aggressives Verhalten als moderne Männlichkeit. Mit solchem nicht konfrontiert zu werden, so wird befürchtet, gefährde Mädchen wie Jungen seelisch und körperlich. Vor allem Jungen bräuchten solche „Vorbilder“ als Orientierung. In diesen Annahmen stecken eine Reihe von problematischen Aussagen, die in ihrer Konsequenz zu einer sexistisch motivierten Abwertung der Erziehungsund Bildungsleistungen von Frauen zum Zwecke der Aufwertung von Männern führen (die plötzlich, nach langer Abstinenz von allem, was mit Kindern zu tun hat, pädagogische Naturtalente zu sein scheinen). Die Annahme „natürlicher“ Eigenschaften bei Mädchen/Frauen und Jungen/Männern, sowie die Unterstellung, sie seien in Bezug darauf jeweils eine homogene Gruppe und die Differenzen zwischen ihnen seien das Entscheidende, ist theoretisch wie empirisch nicht haltbar. Dennoch ist es sinnvoll, genauer zu prüfen, welche Belege es für die Bedeutung des Geschlechts der Lehrkräfte im Unterricht gibt.
6
http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/0,1518,545037,00.html – (Zugriff 1.5.2010)
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Als erstes soll dazu geprüft werden, ob es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Leistung von Schülerinnen und Schülern und dem Geschlecht ihrer Lehrkräfte gibt.
2 Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Geschlecht der Lehrkräfte? Bisherige Studien, die versucht haben, einen Zusammenhang zwischen der Leistung und dem Geschlecht der Lehrenden herauszufinden, waren überwiegend im Bereich von „post-secondary education“ angesiedelt und erbrachten keine einheitlichen Ergebnisse (Dee 2007: 529). Für die Grundschule sind mir auch nur wenige Studien bekannt. Die umfangreichste veröffentlichte Studie stammt aus England von der Forschungsgruppe Bruce Carrington, Peter Tymms und Christine Merrell vom Centre for Evaluation and Monitoring der Durham University. Geprüft wurde bei fast 9000 Elfjährigen, die am PIPS-Projekt (Performance Indicators in Primary Schools) teilgenommen haben, ob Leistungsunterschiede bei Kindern in Abhängigkeit vom Geschlecht der Lehrkraft nachweisbar sind. Getestet wurden Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften, Englisch, sowie nonverbale Fähigkeiten (räumliches Erkennen), außerdem wurden Einstellungen zu Schulfächern sowie zur Schule allgemein erhoben. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt keine Zusammenhänge zwischen den Leistungen und dem Geschlecht der Lehrkräfte. Die Autor/innengruppe resümiert: „… the results gave little support for those who advocate recruitment drive with role models in mind” (Carrington et al. 2008: 315). Im Gutachten des Aktionsrats Bildung wird auf die IGLU-Auswertungen verwiesen, die ebenfalls keinen Zusammenhang feststellen können: „So zeigen in Deutschland wie auch in den Niederlanden sowohl Mädchen als auch Jungen nominell höhere Lesekompetenzen, wenn sie von einer weiblichen Lehrkraft unterrichtet werden; andererseits dokumentieren in Luxemburg sowohl Mädchen als auch Jungen nominell höhere Lesekompetenzen, wenn sie von einer männlichen Lehrkraft unterrichtet werden (…). Keine dieser Differenzen ist aber signifikant“ (vbw-Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft 2009: 92). Christian Pfeiffer und Dirk Baier vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen haben eine „repräsentativen Schülerbefragung“ zum Thema „Lehrer im Urteil ihrer Schüler“ vorgelegt (Pfeiffer und Baier 2008) – allerdings erfährt man im Bericht, der nur Grafiken und kurze Zusammenfassungen ent-
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hält, nichts über die Methode, eine angekündigte Veröffentlichung liegt bisher nicht vor.7 Zum Aspekt Schulleistungen und Geschlecht der Lehrkräfte fanden die Autoren, dass Lehrer im 4. Jahrgang schlechtere Noten in Deutsch, Mathematik, Sport und Sachkunde vergeben als Lehrerinnen, während sich im 9. Jahrgang keine Zusammenhänge zeigten. Für das österreichische Bildungssystem haben Johann Bacher, Martina Beham und Norbert Lachmayr Geschlechterunterschiede in der Bildungswahl überprüft. Als Datenbasis verwendeten sie die Studie des Österreichischen Instituts für Berufsbildungsforschung „Soziale Situation beim Bildungszugang“, in der die Übergänge in die Sekundarstufe I, die Sekundarstufe II sowie in den Tertiärbereich untersucht wurden. Für alle drei Schulstufen konnten außer in Mathematik signifikante Unterschiede in den Noten festgestellt werden, d.h. Jungen erbrachten schlechtere Schulleistungen als Mädchen. Auf der Primarstufe sind die Unterschiede gering, nehmen im Laufe der Sekundarstufe I zu. Für die Frage nach dem Geschlecht der Lehrkräfte lassen sich zwei zentrale Erkenntnisse festhalten: Erstens ist das Ergebnis bedeutsam, „dass der Sekundarstufe I und der Jugendphase ein größeres Gewicht zukommt als der Primarstufe und damit der Kindheitsphase. Damit einher geht der Befund, dass der Anteil weiblicher Lehrkräfte in der Volksschule keinen statistisch nachweisbaren Einfluss auf den Bubenanteil in der AHS hat, wie dies die These der Feminisierung der Grundschule annimmt.“ (Bacher et al. 2008: 14).8 Zweitens aber zeigt sich beim Übergang in die Sekundarstufe II ein Einfluss des Geschlechts der Klassenlehrkraft: „Buben erzielen schlechtere Noten, wenn sie einen männlichen Klassenvorstand haben.“ (ebd.: 152). Die Autoren interpretieren dies als Widerlegung der Annahme, „dass Burschen männliche Lehrkräfte als Vorbilder benötigen, um gute schulische Leistungen erzielen zu können“ (ebd.). Eine Studie aus den USA ermittelte dagegen Zusammenhänge zwischen der Leistung der Jugendlichen und dem Geschlecht ihrer Lehrkräfte: Thomas S. Dee wertete die Daten der National Education Longitudinal Study von 1988 aus, in der sowohl Daten von Schülerinnen und Schülern wie auch von Lehrkräften
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Es gibt zwar einen Abschlussbericht zu der repräsentativen Befragung (allerdings nur des 9. Jahrgangs), der auch eine detaillierte Beschreibung der Stichprobenziehung und der Durchführung der Untersuchung enthält, jedoch nicht den 36 bis 43 Seiten langen Fragebogen und auch keine Hinweise auf die Fragestellung des Zusammenhangs von Leistung und Geschlecht (Baier et al. 2009: 29). 8 Die österreichische Volksschule entspricht der deutschen Grundschule; AHS steht für Allgemeinbildende Höhere Schule und entspricht den Hauptschulen in Deutschland.
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enthalten sind.9 Zudem wurden die Lehrkräfte veranlasst, die Schülerinnen und Schüler hinsichtlich verschiedener Merkmale zu beschreiben. Es ist so möglich, Daten einer großen Gruppe von ca. 25.000 Jugendlichen der 8. Klassen in Mittelschulen zu analysieren. Dee geht davon aus, dass Lehrkräfte mit Mädchen und Jungen je anders umgingen. Auf der Basis von verschiedenen Regressionsanalysen bestätigt er, dass es einen Unterschied mache, ob die Jugendlichen von einer gleich- oder gegengeschlechtlichen Lehrkraft unterrichtet werden: „This effect size implies that just one year with a male English teacher would eliminate nearly a third of the gender gap in reading and would do so by improving the performance of boys and simultaneously harming the performance of girls” (Dee 2007: 550).
Genaue Erklärungen, woran dies liegen könne, ließen sich jedoch nicht anbieten, Dee spricht sich deshalb auch klar gegen segregierende Maßnahmen als Konsequenz aus. Vielmehr müsse es darum gehen, die Zusammenhänge in den Interaktionen zwischen Schüler/innen und Lehrer/innen genauer zu erforschen: „this study‘s results do not identify the likely consequences of segregating students and teachers by gender, which would change the composition of student peers and raise a variety of other moral and practical concerns. Instead, what the reduces-form results presented here do suggest is that the gender interactions between students and teachers are consequential and that it would be worthwhile to know more about why such student-teacher interactions matter” (Dee 2007: 551f.).
Betrachten wir deshalb in einem nächsten Schritt Aussagen von Kindern und Jugendlichen selbst zur Interaktion mit ihren Lehrkräften.
3 Wie sehen Jugendliche ihre Lehrkräfte? Eine Möglichkeit, die Relevanz des Geschlechts der Lehrkräfte im Blick auf die Vorbildwirkung zu erfassen, besteht darin, die Kinder und Jugendlichen selbst zu befragen. Debra Myhill und Susan Jones haben in 36 englischen Klassen der 1., 4., 5., 8., 9. und 10. Jahrgänge die Schülerinnen und Schüler gefragt: „Do you think boys and girls are treated the same?“ (Myhill und Jones 2006). 62 Prozent der Kinder und Jugendlichen waren der Meinung, Jungen würden von den Lehrkräften unfairer behandelt als Mädchen. Die Befragten sprachen dabei das Geschlecht der Lehrkräfte von sich aus an, d.h. ohne danach gefragt worden zu sein. Sie waren – die Autorinnen bezeichnen das als Überraschung – der 9
Wobei man natürlich auch fragen kann, ob für solche Fragestellungen Daten, die mehr als 20 Jahre alt sind, tatsächlich eine geeignete Basis darstellen, da sich Auffassungen von „Geschlechtsadäquatheit“ mittlerweile auch in den USA gewandelt haben.
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Meinung, dass Lehrerinnen sich weniger vom Geschlecht der Schülerinnen und Schüler beeinflussen lassen als Lehrer. Insofern schlussfolgern sie, dass vor allem der Blick der Lehrkräfte auf Geschlechterstereotype und deren Abbau nötig ist. Allerdings kritisieren Becky Francis und ihre Forschungsgruppe an der Fragestellung die Dramatisierung von Geschlecht. Sie selbst haben ein Projekt zum Thema ‘Investigating gender as a factor in primary pupil–teacher relations and perceptions’ durchgeführt, in dessen Rahmen 51 Klassen des 3. Jahrgangs in Grundschulen in London sowie in Nordengland untersucht wurden (vgl. Francis et al. 2006; Hutchings et al. 2007; Skelton et al. 2009). Je die Hälfte wurden von einer Lehrerin bzw. einem Lehrer unterrichtet. Neben Interviews mit diesen Lehrkräften und Unterrichtsbeobachtungen wurden je drei Schülerinnen und drei Schüler pro Klasse (153 Jungen, 154 Mädchen) teilstandardisiert zu ihren Vorbildern im Alltag, ihrer Einschätzung der Lehrkräfte sowie zu ihrer Einschätzung des Zusammenhangs von Geschlecht und Lehrkraft interviewt. Die Mehrheit verneinte Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Lehrkräften, ging von einer „sameness“ aus, die vor allem der gleichen professionellen Tätigkeit („teachers first“) geschuldet war. Unter denen, die Unterschiede annehmen, gab es keine Einigkeit über deren Art. Wie bei Myhill und Jones haben auch sie die Kinder gefragt, ob die Lehrkräfte Unterschiede machen würden – allerdings ohne Dramatisierung des Geschlechts, sondern mit der Frage „Do you think your teacher treats everyone the same?“ Nur von einer Minderheit wurde gemutmaßt, dass sie jeweils das eigene Geschlecht bevorzugen würden (Francis et al. 2006: 21). Elina Lahemla hat in Finnland mit 90 13-14jährigen Jugendlichen und mit 60 davon vier Jahre später Interviews über ihre Lehrkräfte geführt. Geschlecht spielte dabei so gut wie keine Rolle. Im ersten Interview, das während des ersten Schuljahres in der Sekundarstufe durchgeführt wurde, zielten die Fragen nicht explizit auf das Geschlecht der Lehrkräfte, sondern darauf, welche bzw. welche Art von Lehrkräften sie mochten oder nicht. Im zweiten Interview ging es um einen Rückblick auf die eigenen Lehrkräfte, einige wurden auch explizit auf die Debatte um die fehlenden Lehrer angesprochen und um ihre Meinung dazu gebeten. Die Lehrkräfte, über die gesprochen wurde, waren dem Forschungsteam aus ethnografischen Beobachtungen bekannt. Die Schülerinnen und Schüler nannten eine Reihe von Charakteristika, die sie gut bei Lehrkräften finden, die jedoch nicht gegendert sind: „Characteristics like fairness, sense of humour, considerateness and gentleness were mentioned by several girls and boys, and were attributed to their male as well as female teachers. Teachers’ qualities as teachers seemed to be central, not their personal traits. Both girls and boys respected teachers who can teach, who use varying methods and are helpful. They are attracted to
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teachers who do not shout, do not give too much home work and are not too strict, but who nevertheless make sure that the students work” (Lahelma 2000: 176).
Einige Jungen erinnerten sich besonders gern an Lehrer – dies hing jedoch mehr damit zusammen, dass zu ihren Lieblingsfächern Sport und Werken gehörte – beides Fächer, in denen sie im finnischen Bildungssystem nur männliche Lehrkräfte haben konnten. Als deutsche Studien lassen sich zwei Arbeiten anführen. Zum einen ist die qualitative Studie von Andreas Krebs zu nennen, der ausführliche Interviews mit zwanzig Jungen im Alter zwischen 14 und 18 Jahren geführt hat. Die Hälfte von ihnen berichtet von Episoden, in denen sie auf das Geschlecht der Lehrkräfte explizit Bezug nehmen. Krebs spricht von „Schülererlebensweisen“ und sortiert sie in fünf Aspekte (Krebs 2002: 259): Drei Schüler berichten über Erlebnisse, bei denen sie sich zurückgesetzt fühlten von einer Lehrerin, weil diese Mädchen „fördern“ wollte; ein weiterer Schüler sah bei mädchen-/frauenbezogenen Unterrichtsthemen keinen Weg, sich mit seiner Jungensicht richtig einzubringen; einer ging von grundlegenden Geschlechterunterschieden aus und fühlte sich entsprechend im Umgang mit Lehrern besser als mit Lehrerinnen; zwei Schüler berichteten positiv von jungenspezifischen Angeboten und drei Schüler schließlich betonten explizit, dass sie keine Unterschiede wahrgenommen hätten. Andreas Krebs resümiert diesen Teil seiner Auswertungen als „uneindeutig“: „Blickt man auf die Schilderungen der Jungen zu der Frage, welche Bedeutung das Geschlecht von Lehrkräften für sie haben mag, dann komme ich zu keiner eindeutigen Antwort. Vielmehr scheint es auch hierin deutliche individuelle Unterschiede zu geben“ (Krebs 2002: 269). Im Rahmen einer quantitativen Studie in Nordrhein-Westfalen wurden 1.635 Jungen aller Schulformen im Alter zwischen 14 und 16 Jahren in Dortmund standardisiert zu den Themen Freizeitgestaltung, Freundschaften, Beziehung zum Vater, Rollenbilder, Schulleben und Einstellungen zum Thema Gewalt befragt (Koch-Priewe et al. 2009: 108ff): 59 Prozent der Jungen geben an, dass es ihnen egal sei, ob sie von einem Mann oder einer Frau unterrichtet werden, 18 Prozent würden das vom Unterrichtsfach abhängig machen. Von den übrigen Schülern möchte die Mehrheit lieber von einer Frau unterrichtet werden (17 Prozent); ausschließlich von einem Mann möchten nur 6 Prozent unterrichtet werden. Kann man als Zwischenergebnis bis hierhin bereits sagen, dass weder „objektive“ Daten noch „subjektive“ Einschätzungen die in den Medienaussagen postulierte Bedeutung des Geschlechts der Lehrkräfte bestätigen, so soll im Folgenden die Perspektive gewechselt werden: Wir fragen nun, welche Bedeu-
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tung die Lehrkräfte selbst dem Geschlechterthema beimessen. Zunächst soll es dazu um die Meinung der Lehrerinnen gehen, deren Arbeit durch die Forderung nach Männern ja in der Kritik steht.
4 Wie sehen Lehrerinnen die Notwendigkeit von Kollegen? Die wenigen Studien, in denen Lehrerinnen dazu befragt wurden, ob sie einen Unterschied zwischen ihrer Arbeit und der von Lehrern sehen würden, kommen überwiegend zu dem Ergebnis, dass die Lehrkräfte die Bedeutung des Geschlechts ebenso wenig betonen wie die Schülerinnen und Schüler dies tun. Zugleich zeigen sich aber Widersprüche, wenn im Interview das Geschlecht für die Tätigkeit dramatisiert wird. Ingolfur Asgeir Johannesson hat 14 Lehrerinnen isländischer Grundschulen zu ihren Erfahrungen und Einstellungen zum Unterricht von Mädchen und Jungen ebenso wie zur „boys‘ debate“ interviewt. Die Befragten betonen sowohl bezogen auf die Schüler/innen wie auf die Lehrkräfte, dass individuelle Aspekte wesentlich relevanter seien als Genderdifferenzen. Sie beschreiben zwar Geschlechterdifferenzen im Verhalten der Kinder, verweisen aber zugleich auf die große Bandbreite individueller Unterschiede. Sie wenden sich gegen die Vorstellung von männlichen „Rollenmodellen“ und fordern stattdessen, dass Lehrkräfte bereit und in der Lage sein sollten, Mädchen wie Jungen zu unterrichten (Johannesson 2004). Becky Francis und ihre Kolleg/innen haben die 51 Lehrkräfte der von ihnen befragten Grundschulkinder – in der oben bereits beschriebenen Studie – ebenfalls interviewt. Ähnlich wie schon die Kinder wiesen auch die Lehrkräfte zum überwiegenden Anteil die Bedeutung des Geschlechts für ihre Praxis zurück. Nur etwa ein Viertel der Lehrkräfte – mehrheitlich Männer – sahen einen Zusammenhang zwischen dem Geschlecht und der Förderung von Jungen. „Like their pupils, the majority of teachers rejected the notion of matched pupil-teacher gender as salient in teacher-pupil relationships, and the rationale upon which the policy drive to recruit male teachers is based; maintaining instead that individual teacher abilities have the greatest bearing on engaging pupils. Only a quarter of teachers in our sample supported the arguments on which the policy rests, and in some cases these respondents related the benefits of ‘gender matching’ only to boys from single-parent (mother-led) families. However, these (mainly male) teachers did reiterate arguments utilised by policy makers concerning male role modelling and bonding to support their perceptions” (Francis et al. 2006: 23f.).
Die mit der Forderung nach männlichen Vorbildern verbundenen Widersprüche sollen im Folgenden exemplarisch an einer Studie deutlich gemacht werden, die sich mit der Sicht der Lehrerinnen zur Forderung nach mehr Männern befasst
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hat (Jones 2003): Deborah Jones hat in England dreizehn Grundschullehrerinnen interviewt zu ihrer Meinung und ihren Erfahrungen mit der Einstellung von männlichen Kollegen. Während zu Beginn des Interviews überwiegend Zustimmung zu den Kampagnen für mehr Grundschullehrer geäußert wurde, gab es im Verlauf immer mehr Zweifel und Widerstände. Die Lehrerinnen rekurrierten in ihren Vorstellungen auf konkrete Erfahrungen, die sie mit Kollegen gemacht hatten, so dass Jones hieraus das Bild des gewünschten Lehrertyps herausarbeitet. Zwar äußerten auch die Lehrerinnen übereinstimmend die Meinung, in der Kindheit seien männliche Rollenmodelle von Nöten, die Präzisierung, was das meinen könnte, ließ jedoch mindestens fünf unterschiedliche Aspekte erkennbar werden: „Balance“ – hierunter wurde verstanden, dass es „gesünder sei“, wenn nicht nur ein Geschlecht vorhanden wäre. Unklar blieb jedoch, wie Männer dazu beitragen könnten. „Family“ – als Beispiele werden die abwesenden oder die sich falsch verhaltenden Väter genannt. Lehrer sollten dagegen ein „besseres“ Modell bieten. Unterlegt ist dabei die Normalität der heterosexuellen Familie und unterstellt wird eine weite Verbreitung von männlichem Fehlverhalten. „Literacy“ – Männer sollen vor allem für Jungen ein Modell abgeben, sich auch mit Sprache und Literatur zu beschäftigen. „Better for boys“ – während die Lehrerinnen das allgemein verbreitete Argument wiedergaben, wonach vor allem Jungen durch Männer motiviert oder auf sie hören würden, stellten sie auf der Basis ihrer Erfahrung dies zugleich in Frage. „Sport“ – Männern wird in gewisser Weise zugesprochen, sportlicher zu sein und damit ein besseres Vorbild für Jungen abzugeben. Die Interviews machen deutlich, dass die Lehrerinnen nicht „Männer an sich“ als Kollegen wollen, sondern „the right kind of men“ benötigt würde. Dieser soll folgende Eigenschaften haben: “enthusiastic about young children and hold an ‘early years philosophy’, a listener – not arrogant, a team worker with a sense of humour, macho – not a ‘wimp’!“ (Jones 2003: 570f.) Im ersten Punkt widerspiegeln sich in den Ausführungen die unterschiedlichen Auffassungen über die Rolle von Lehrkräften kleiner Kinder. Die Lehrerinnen stellen die Stereotype von Beziehung/Betreuung (caring) und fachlicher Unterrichtung (teaching) gegeneinander. Für die Kinder finden sie das erste wichtiger, von den Lehrern erwarten sie eine Präferenz für das zweite, sich selbst schreiben sie aber die Betonung des caring zu. Im Effekt heißt das, sie sind eigentlich der Meinung, dass Frauen die besseren Grundschullehrkräfte seien.
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Die Widersprüche, die sich in diesem Punkt zeigen, finden sich ebenfalls in der letzten Anforderung. Männer sollten sowohl maskulin und nicht „weiblich“, „effeminate“ sein, dennoch sollen sie einfühlsam, sensibel sein. „At this point how can the ‘right kind of man’ be represented? He is constructed at one and the same time by partial discourses of traditional masculinity, fused with more progressive discourses constructing men as sensitive and caring. He is strongly heterosexual, a macho man who can display sensitivity and gentleness. This man is at one and the same time an action man and in tune with his emotions. This, it seems, is what women want.” (Jones 2003: 572).
Deborah Jones identifiziert dieses Bild mit postmodernen Vorstellungen von Männlichkeit, die eine Chance bekommen sollten, sich durchzusetzen. Eigentlich bedeuten die Anforderungen der Lehrerinnen an Kollegen jedoch einen double bind, d.h. dass die Männer es nie richtig machen können. Sie bleiben in dem Widerspruch, hegemoniale Männlichkeit verkörpern zu sollen, die zugleich gefordert wie als untauglich für Grundschularbeit angesehen wird. Betrachten wir deshalb im nächsten Schritt, welche Erfahrungen Lehrer machen, die sich in das Feld der Grundschule begeben haben. Es lassen sich zwei Formen von Problemen unterscheiden: Zum einen jene, die sich aus der Tatsache ergeben, dass Männer in ein „weibliches“ Arbeitsfeld eintreten, zum anderen jene, die durch den Anspruch bedingt werden, sie sollen hier als „männliche Vorbilder“ auftreten.
5 Wie sehen Lehrer selbst ihre Position in der Schule? Zu den Erfahrungen von (Grundschul)Lehrkräften gibt es bisher vor allem Untersuchungen aus Australien, Neuseeland, England und den USA. Ein wichtiger Aspekt betrifft die Frage, wieso Männer überhaupt Grundschullehrer werden wollen. Dazu liegen vor allem qualitative Studien vor. Penni Cushman hat mit insgesamt 17 Grundschullehrern in Neuseeland Gruppendiskussionen durchgeführt, um ihre Berufsmotivation, ihren Weg in den Beruf und ihre Erfahrungen dort zu erforschen. Hauptmotiv für die Berufswahl war der Wunsch, mit Kindern zu arbeiten – wobei „the positivity about teaching“ (Cushman 2005: 330) im Vordergrund steht, d.h. weniger der „care“Aspekt, sondern die Verbindung von Spielerischem und Fachlichem. Zwölf der 17 Befragten hatten erst andere Berufe ausgeübt, bevor sie Grundschullehrer wurden. Die Reaktionen auf die „untypische“ Berufswahl waren sehr gemischt, von Seiten der Eltern erfuhren diese Lehrkräfte allerdings überwiegend Unterstützung.
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Ben Lupton (Lupton 2006) hat in England Interviews mit 27 Männern in untypischen Berufen geführt, um herauszufinden, warum sie dort tätig sind. Er berichtet zum einen darüber, dass diese Männer sich mit der Infragestellung ihrer Männlichkeit konfrontiert sehen – ein Grundschullehrer erzählt von entsprechenden Reaktionen der Eltern. Als ein Motiv für die Berufswahl gilt ihnen jedoch durchaus die größere Chance für einen Aufstieg, z.B. vom Lehrer zum Schulleiter. Entscheidender als Fragen des Geschlechts sind nach Lupton solche der sozialen Herkunft. Es waren zu größeren Anteilen Söhne aus Arbeiterfamilien und für diese gab es zum einen keine große Unterstützung bei der Berufswahl durch das Elternhaus, zum anderen bedeuteten die Berufe, in die sie einmündeten, eine gesicherte Jobposition und einen gewissen Aufstieg. Paul Sargent hat in seinen ethnografischen Studien in den USA insbesondere die Probleme herausgearbeitet, mit denen Grundschullehrer konfrontiert sind. Zunächst hat er mit 23 Grundschullehrern gearbeitet (Sargent 2000), später hat er weitere 54 Grundschullehrer, zehn Schulleiterinnen von Grundschulen, sechs Leiterinnen von Kindertagesstätten und acht Hochschullehrer interviewt (Sargent 2005). Alle arbeiten in Kalifornien, Oregon oder Washington. Die Lehrer fühlen sich unter einer ständigen Beobachtung/ Kontrolle (scrutiny): Dies gilt vor allem für körperliche Berührungen von Kindern – die zugleich als essentiell für Grundschularbeit angesehen werden. Körperliche Berührungen bergen immer die Gefahr, für pädophil oder schwul gehalten zu werden. Die Kontrollbehörden haben Vorschriften erlassen für das Verhalten gegenüber Kindern – diese werden aber nach Geschlecht unterschiedlich exekutiert. In der Folge müssen die Männer ein anderes Verhalten entwickeln, das wiederum den Eindruck erweckt, Männer könnten keine „source of love and nurturing“ sein (Sargent 2000: 415). Sargent bestätigt damit, was Judith Allen bereits 1994 beklagte: „Allen says it is ironic that the very aspects of masculinity that ought to be modeled – responsibility and care for children – are the very things that are the most suspect“ (Sargent 2005: 417).
Die Lehrer sprechen von sich aus an, „role models” zu sein oder sein zu sollen. Dabei bleibt allerdings sehr unklar, was sie darunter verstehen bzw. wer welche Anforderungen an sie stellt. Wenn sie überhaupt präziser werden, dann im Blick auf ihre Rolle gegenüber Mädchen – für sie wollen sie eine Männerrolle zeigen, die jenseits von trinkenden und schlagenden Vätern liegt; ihre Rolle gegenüber Jungen bleibt dagegen vollkommen vage – für sie genügt das biologische Geschlecht. Seitens der Eltern nehmen sie Erwartungen wahr, die den Geschlechterstereotypen entsprechen. Sich selbst sehen sie jedoch keineswegs stereotyp.
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Ein zweiter Aspekt der konkreten Erfahrungen betrifft die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: Den Lehrern kommt sehr häufig zu, Arbeiten zu erledigen, die traditionellerweise an Männer delegiert werden: Schwere Dinge zu tragen, Möbel umzustellen, Technik zu bedienen. Außerdem werden ihren Klassen in der Regel die „schwierigen Schüler“ zugewiesen, weil von ihnen mehr Disziplinierung erwartet wird. Die befragten Lehrer trauten sich nicht, gegen diese Anforderungen zu protestieren, damit aber wird zur normalen Praxis, was letztlich als Geschlechterdifferenz verstanden und perpetuiert wird. Bei der Suche nach Bewältigungsmöglichkeiten für die widersprüchliche Situation, nicht gleichzeitig ein guter Grundschullehrer und ein Mann sein zu können, finden sich drei Muster: Rejection stance: Die Wichtigkeit des Beziehungsmomentes in der Grundschule wird zurückgewiesen zu Gunsten der Betonung des Fachlich-Sachlichen. Defiance stance: Diese Lehrer ignorieren die Gefahr, die ihnen droht, wenn sie sich auf die Kontakte zu Kindern einlassen. Compensatory stance: Diese Lehrer betonen, dass die Kinder von ihnen etwas anderes bekämen – wenig konkret festgemacht am „männlichen Lehrer“. Durch Formen von Begrüßungen (high five) oder andere vorsichtige Belohnungen von Kindern, versuchen die Lehrer eigene Formen zu finden. Zugleich spüren sie die Ausgrenzung von den „eigentlichen“ Anforderungen an ihre Tätigkeit qua Geschlecht. Sargent schließt aus seinen Ergebnissen, dass es nicht primär eine Frage der Motivierung von Männern für das Grundschullehramt sei, sondern dass strukturelle Faktoren deren Arbeit erschwerten und diese – ähnlich wie beim Versuch Frauen in „Männerberufe“ zu integrieren – angegangen werden sollten. Die Interviews, die Sargent im weiteren Verlauf seiner Forschungen durchgeführt hat, bestätigen die hochgradige Vergeschlechtlichung des Arbeitsfeldes, die vor allem hergestellt wird durch die Assoziation der Tätigkeiten mit den Aufgaben von Müttern: „The image of teaching and childcare as women’s work is powerfully supported by the use of ‘mother’ and ‘mothering’ as metaphors for, respectively, the job positions and job functions within ECE (early childhood education)” (Sargent 2005: 253).
Da zugleich die Anforderung an die Lehrer ergeht, ein männliches „Rollenmodell“ zu repräsentieren, bringt dies Widersprüche mit sich, da mit Vaterschaft eher das Ernährermodell und/oder der „disciplinarian“ verbunden sind: „Because early childhood education is framed through the metaphor of motherhood, men cannot fit this metaphor while simultaneously living up to expectations of hegemonic masculinity and fatherhood.” (Sargent 2005: 255).
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Sargent interpretiert seine Ergebnisse im Licht des Connellschen Systems von Männlichkeiten (Connell 1995; Connell 1999). Er geht davon aus, dass hier untergeordnete Männlichkeit vorliegt: “I will argue that men in ECE10 are attempting to present a ‘subordinate’, or alternative, form of masculinity, but are constrained by powerful negative sanctions embedded in the culture of ECE. The behaviors presented by the men are artifacts of the gendered organization, not tools of the men as they attempt to organize their work life“ (Sargent 2004: 258).
Damit verweist Sargent auf den Widerspruch, der sich aus den Möglichkeiten für Männer in einem „weiblichen“ Arbeitsfeld und den Anforderungen an sie ergibt: Als Vertreter von hegemonialer Männlichkeit – um „Vorbild“ zu sein – geraten sie in eine marginalisierte Position. Dies muss allerdings keineswegs so sein. Andere Studien zeigen, dass Männer in der Grundschule durchaus auf Hegemonie setzen und sich damit gegen ihre Kolleginnen abgrenzen. Die Notwendigkeit, sich abzugrenzen, entsteht aus der oppositionellen Definition von Männlichkeit und Weiblichkeit. Becky Francis und Christine Skelton zeigen in einer Zusammenstellung entsprechender Literatur und eigener Forschungsbeispiele, wie maskuline und feminine Eigenschaften konstruiert sind (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1: “Masculine/feminine attributes in Western society” Masculine Rationality Strength Aggression Competition Mind Science Activity Independence Quelle: (Francis und Skelton 2001): 11
Feminine Emotion Frailty Care Cooperation Body Nature/Arts Passivity Dependence
Am Beispiel der Beschreibungen, die Francis und Skelton zusammentragen, soll im Folgenden exemplarisch verdeutlicht werden, wie „heterosexuelle Maskulinität im Klassenraum“ – so der Titel des Beitrags – hergestellt wird. Eine Möglichkeit dazu bietet die Infragestellung von Männlichkeit bei Jungen als Disziplinierungsform. Die beiden Autorinnen beschreiben ein Beispiel aus der eigenen Forschung: 10
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“Rick (an Afro-Caribbean boy who presents himself as ‘hard’) asks Mr Q a question, suggesting an interpretation and asking if he is on the right track. Mr Q responds: Mr Q: Duuuuuuuhhh … it’s not about sound, [it’s about] Rick: I won’t have any confidence if you go ‘duuhh’ all the time. Mr Q: [laugh] It’d take a lot to destroy your confidence, pal. Rick: [affronted] Thass, thass what you think … I’m not a confident person you know. Mr Q: [dry] You’re a tender flower are you?” (Francis und Skelton 2001: 13).
Durch den Tonfall stellt der Lehrer Ricks Intelligenz in Frage. Als Rick dem Lehrer zu verstehen gibt, dass dies sein Selbstvertrauen unterminiere und ihn daran hindere, seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, reagiert der Lehrer mit einer klaren Zurückweisung. Diese beinhaltet interessanterweise eine Bestätigung von Ricks Männlichkeit: Als Mann könne er doch nicht an Mangel an Selbstvertrauen leiden! Da Rick jedoch weiterhin darauf besteht, Hilfe in Anspruch nehmen zu wollen, „verweiblicht“ der Lehrer ihn. Damit bringt er ihn vermutlich zum Schweigen. Weitere Formen beinhalten den Einsatz von Homophobie und Misogynie, wie folgendes aus einer Studie von Mahony zeigt, bei der ein Lehrer ankündigte, „‘Quick boys there’s a naked woman running across the playground’. When all the boys bar one rushed to the window, the teacher told them: ‘All right you can sit down now, I was just checking you were normal’. The boy who had not left his seat said, ‘I think that’s sexist sir’. Mahony recounts how the teacher replied, ‘Thank you S … now we know who isn’t normal’“ (Francis und Skelton 2001: 14).
Eine dritte Form bilden Ansätze, die zwischen Belästigung und Verführung liegen, in denen also mit Flirt und Anmache gespielt wird. Folgendes Beispiel zeigt dies: “As I go in to Nathan’s woodwork class to get him, a youngish male teacher is working with a big group of boys including Nathan. I say, ‘Can Nathan come with me for an interview, if he’s willing?’ Teacher eyes me roguishly and then the boys and says loudly, ‘Now there’s an offer you can’t refuse, Nathan’. The boys in the group laugh and tut and one says, ‘Oh sir’ reprovingly. (Francis, field notes)” (ebd.; 16; vgl. auch Haase 2008; für weitere Beispiele und Literaturangaben s. z.B. Lingard et al. 2009).11
Die bisher referierten Forschungen zeigen, dass es nicht allein vom guten oder bösen Willen der Männer, die als Grundschullehrer tätig sein wollen, abhängt, welche Rolle das Geschlecht in der täglichen Arbeit spielt. Während Sargent 11 Lehrerinnen sind – entgegen den Argumenten der „Vorbild“-Befürworter – durchaus beteiligt an der Herstellung von hegemonialer Männlichkeit in der Sozialisation der Jungen – für eine qualitative Forschung aus Südafrika dazu vgl. Bhana 2009.
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stärker auf die strukturellen Widersprüche aufmerksam gemacht hat, zeigen die Beispiele von Francis und Skelton den aktiven Part der Lehrer. Die Debatte um die Notwendigkeit von Männern im Schuldienst dramatisiert Geschlecht und erzwingt so eine Positionierung. Auch Schulleitungen erwarten dann „männliches“ Verhalten – wie eine neuseeländische Studie von Penni Cushmann (Cushman 2008) verdeutlicht. Lingard et al. können am Fallbeispiel des australischen Grundschullehrers Brian deutlich machen, wie eine solche Positionierung eine gute Lehrtätigkeit gefährden kann. Während in der Schule, an der Brian unterrichtet, die Lehrer in der Regel in den oberen Jahrgängen (im deutschen Schulsystem wäre das bereits in der Sekundarstufe I) eingesetzt sind, unterrichtet Brian eine 2. Klasse. Es ist seine zweite Lehrerstelle, er ist Mitte 20 und neu an dieser Schule. Er liebt lesen, Jungen wie Mädchen sind begeistert von ihm. Er wird nicht laut gegenüber Kindern, sein Klassenraum ist wunderschön mit den Arbeiten der Kinder dekoriert, seine Klassentür ist stets offen für Besuch. In den Pausen bewegt Brian sich sowohl im „Männer-“ wie im „Frauenbereich“ des Lehrerzimmers, er führt in beiden Bereichen Gespräche über Angelegenheiten der Kinder oder der Schule. D.h. weder erzählt er bei den Kolleginnen über sein Leben, noch beteiligt er sich bei den Kollegen an Diskussionen über Fußball. Wenn er diskutiert, dann über die Fächer, die er an der Universität studiert oder über Bildungspolitik. Brian gerät allerdings zunehmend unter Druck, mehr „Sonderaufgaben“ zu übernehmen: So sollte er das Fußballteam der 4. Klasse trainieren, was er ablehnte. Der Schulleiter – der sehr froh darüber ist, Brian an seiner Schule zu haben – drängte ihn, Koordinator des „Responsible Thinking Classroom“ zu werden, einem Bereich, zu dem viele störende Jungen für eine „Auszeit“ geschickt werden. Auch das hat er abgelehnt. Stattdessen überlegt er, den Lehrerberuf am Ende des Schuljahres aufzugeben (Lingard et al. 2009: 127ff). Lingard et al. zeigen an Brians Fall Gründe auf, warum Lehrer aussteigen. Oberflächlich sieht es so aus, als sei alles bestens, alle lieben Brian und lassen ihn das auch spüren. Aber: Er soll ein „männlicher“ Lehrer sein, nicht einfach ein Lehrer. „This expectation involves him being a disciplinarian and a sports coach“ (Lingard et al. 2009.: 128). Zwar respektieren ihn Eltern, Kolleginnen und Kollegen sowie die Schulleitung. Dennoch gehen sie davon aus, das er „mehr“ wollen müsste, nämlich Funktionen und Leitungen übernehmen. „It is interesting to note that many of the early childhood female teachers are not under the same pressure. The misogyny within this system works to suggest that they are happy with their lot, at the same time as working to suggest that Brian should not be. Brian’s lack of ambition and his dislike of sport position him as not a ‘real’ man. Whilst he appears to be valued within the school community, and appears to have a sense of that value, underpinning this valuing are discourses that police the boundaries of normalized masculinities. His stocks as a
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male teacher are likely to be dependent upon his conformity to such a construction of masculinity” (Lingard et al. 2009: 128).
Lingard et al. sehen gerade in der Debatte um männliche Lehrer mit dem damit einher gehenden Diskurs um Männlichkeit die Gefahr, Lehrer, die einfach nur gut sein wollen, aus dem System zu verdrängen: „It is also ironic that the very attempts to ‚masculinize‘ some men within the system are what can drive them away“ (Lingard et al. 2009: 129). Weitere Fallbeispiele, die auf Konflikte verweisen, mit denen Lehrer konfrontiert sind, wenn sie nicht dem hegemonialen Bild entsprechen (wollen), finden sich sowohl im Band von Lingard et al. wie z.B. in Mills et al. (2008) oder in Martino (Martino 2008). Haben die Aussagen sowohl von Lehrerinnen wie von Lehrern deutlich gemacht, dass die Forderung nach mehr männlichen Lehrkräften keineswegs zu einer einfachen Lösung von Geschlechterungleichheiten führt, so stellt sich abschließend die Frage, ob es dann nicht besser wäre, die Debatte zu beenden. Ist es nötig, den „Frauenberuf Grundschullehrerin“ zu einem neutralen zu machen?
6 Werden Männer tatsächlich als Vorbilder gebraucht? Anna Borkowsky, die für die Schweiz statistische Daten zum „Thema Gender und Bildung von Lehrpersonen“ zusammengetragen hat, merkt an, dass die Bezeichnung „Frauenberuf“ in mindestens drei Bedeutungen gebraucht werden kann: „im kulturell-normativen Sinne – gemeint ist ein Beruf, der den Eignungen und Neigungen von Frauen besonders entsprechen soll, im soziologischen Sinne – gemeint ist ein Beruf, der sich mit den anderen sozialen Rollen der Frauen, insbesondere ihren Verpflichtungen in der Haus- und Familienarbeit, besonders gut verbinden lässt, und im statistischen Sinn – gemeint ist ein Beruf, den Frauen besonders häufig ausüben“ (Borkowsky 2001: 366).
Die ausgewerteten Studien machen deutlich, dass in vielen Fällen den Vorstellungen über das Grundschullehramt die erste Bedeutung zugrunde liegt. Damit aber entstehen unüberbrückbare Widersprüche bei der Forderung nach mehr Männern in diesem Beruf – und vor allem die konkreten Erfahrungen von Grundschullehrern verweisen auf diese Widersprüche. Versteht man jedoch unter „Feminisierung“ die dritte Bedeutung der Bezeichnung „Frauenberuf“ und setzt als politische Vorstellung eine Geschlechterparität in allen gesellschaftlichen Bereichen, dann erhalten Versuche zur Veränderung der Teilhabe von Männern am Grundschullehramt einen anderen
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Sinn. Dann werden damit keine inhaltlichen Vorstellungen über geschlechtsspezifische Ausfüllungen des Amtes verbunden, sondern im Sinne eines diversity managements geht es darum, der Vielfalt der Kinder eine Vielfalt der Lehrkräfte gegenüber zu stellen. Das verweist jedoch zugleich auf die Notwendigkeit, nicht allein Geschlecht in den Blick zu nehmen, sondern weitere soziale Kategorien zu beachten. Migrationsstatus und soziale Herkunft sind zwei zentrale Differenzierungen, die bisher keineswegs in gleicher Weise im Blick sind wie das Geschlecht. Deshalb soll im Folgenden versucht werden, die Notwendigkeit von unterschiedlichen Erwachsenen in der Sozialisation von Mädchen und Jungen theoretisch zu begründen. Sozialisation bezeichnet den Prozess, in dem ein Mensch zum integrierten Angehörigen seiner kulturellen und gesellschaftlichen Bezugsgruppe wird. Dieser Prozess stellt eine aktive Auseinandersetzung des einzelnen mit seiner materiellen wie sozialen Umwelt dar. Für die Person selbst bedeutet der Sozialisationsprozess die Entwicklung einer eigenen Identität, welche sie zu etwas Einzigartigem macht, das dennoch nicht isoliert und unverbunden dasteht. Man kann den Sozialisationsprozess als ein „Mitgliedwerden“ bezeichnen. Die Mitgliedschaft bezieht sich dabei auch auf die Geschlechtszugehörigkeit, denn die wird keineswegs „natürlich“ gesteuert, sondern bedarf vielfältiger Lern- und Aushandlungsprozesse. Geschlecht ist ein Merkmal, dessen Erwerb, Erhalt und Ausfüllung eingebettet ist in die Sozialisationsprozesse des Mitgliedwerdens allgemein. Entscheidend ist dabei, dass Menschen in konkrete regionale, soziale und historische Situationen hinein geboren werden (vgl. Faulstich-Wieland 2000). Spätestens mit der Geburt und der Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht beginnt der Sozialisationsprozess, in dessen Verlauf das Mädchen bzw. der Junge sich aneignen muss, was diese Zuordnung bedeutet. Die dabei entstehende Verhaltenssicherheit befähigt sie, der Geschlechtszugehörigkeit Kontinuität zu verleihen, indem Mädchen bzw. Jungen sich in den Interaktionen jeweils wieder als Mädchen bzw. Jungen inszenieren und ihren Interaktionspartnerinnen und -partnern jeweils Gleich- oder Gegengeschlechtlichkeit zuschreiben. Dies ist mit dem Begriff „doing gender“ (West und Zimmerman 1991; Faulstich-Wieland 2004) gemeint, der darauf abhebt, dass Geschlecht „getan“ werden muss, weil man es nicht einfach ein für alle Mal „hat“. Candace West und Don Zimmerman, die als erste vom doing gender als der Herstellung und ständigen interaktiven Reproduktion von geschlechtsangemessenem Verhalten gesprochen haben, sehen in der Bewertung – also in der Frage nach der Geschlechtsangemessenheit – das entscheidende Moment. Allerdings geht es durchaus nicht darum, sich normativ korrekt zu verhalten – so wie es sich für
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eine Frau oder einen Mann idealerweise „gehört“, sondern das Verhalten eines Menschen kann immer vor der Folie der Geschlechtszugehörigkeit beurteilt werden. Doing gender „is to engage in behavior at the risk of gender assessment“ (West und Zimmerman 1991: 23). Inhaltlich existieren Geschlechterstereotype als „Wissen“ darum, wie Frauen bzw. Männer „sind“. Dabei handelt es sich nur bedingt um ein klar definiertes Wissen und zugleich um eines, das auf konkrete Personen keineswegs zutreffen muss, schon gar nicht „100-prozentig“. Adäquates Geschlechterverhalten (Goffman spricht von „Genderism“, Goffman 1994) wird zum einen durch explizite Ge- und Verbote über das, was sich für ein Mädchen oder einen Jungen „schickt“, gelernt, aber mindestens genauso entscheidend, wenn nicht noch wichtiger, sind die Geschlechterbilder, die durch Medien und durch reale Personen gelebt werden. Sie vermitteln die Normalität und Angemessenheit des Handelns von Frauen und Männern. Das heißt, in unserem alltäglichen Verhalten präsentieren und aktualisieren wir immer die Geschlechterdifferenz. Trotzdem verändern sich die kulturellen Formen von gender – gibt es je nach historischer und gesellschaftlicher Situation höchst unterschiedliche Bestimmungen dessen, was „accountable“ – geschlechtsangemessen – ist. Diese Veränderungen haben viel damit zu tun, dass einzelne Personen gegen die vorherrschenden Regeln verstoßen und so dokumentiert haben, dass anderes möglich ist. Vom Prozess her betrachtet gehen diese Einzelnen immer ein hohes Risiko ein, nämlich zumindest das Risiko der Ausgrenzung und Diskriminierung als „unweiblich“ oder „unmännlich“. Umgekehrt dienen sie leicht auch der Bestätigung der Geschlechterstereotype, weil sie als Ausnahmen zugleich auf die Gültigkeit der Regel verweisen. Eine „kritische Masse“ allerdings lässt die Bedeutsamkeit einer Eigenschaft oder Verhaltensweise als „typisch“ verschwinden. Das Hochschulstudium ist ein gutes Beispiel, um diese Entwicklung zu zeigen: Während es noch im 19. Jahrhundert heftige Auseinandersetzungen darum gegeben hat, ob Frauen überhaupt studierfähig seien, die Pionierinnen dann die berühmten Ausnahmen darstellten, sind Studentinnen heute nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern stellen schon fast eine Mehrheit. Im Blick auf „studieren“ allgemein oder auf „Studierfähigkeit“ hat also eine Entkoppelung mit dem Geschlecht stattgefunden. Geht man zurück auf die Aussage, dass Sozialisationsprozesse viel mit doxischen Selbstverständlichkeiten zu tun haben, so vermittelt die Existenz von Studentinnen im Studienalltag zugleich ihre Normalität. Wir wissen, dass dies nicht für alle Studienfächer gilt und insofern spezifische Zuschreibungen nach wie vor greifen. Diese gelten eben auch für das Grundschullehramt und – als Konsequenz für die Grundschule als weiblichem Arbeitsfeld. Die Koppelung des Feldes mit Geschlechterstereotypen – Beziehungsarbeit wird als wichtiger angesehen als Fachlichkeit und
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diese wird den Frauen zugesprochen – ist sozialisationsrelevant für Kinder. Eine Entkoppelung durch die Selbstverständlichkeit von Männern in diesem Feld darf man folglich theoretisch annehmen. Solange allerdings die Argumente an eine Dramatisierung von Geschlecht gebunden sind – also an die oben genannte erste Position des Verständnisses von Feminisierung des Berufs im kulturell-normativen Sinne –, müssen die Widersprüche von den einzelnen ausgehalten werden. Männer sollen dann „das Andere“ verkörpern, nämlich „Männlichkeit“ – und damit kann nur hegemoniale Männlichkeit gemeint sein, denn nur diese ist im allgemeinen Verständnis positiv konnotiert, während komplizenhafte, untergeordnete oder marginalisierte Männlichkeiten selbst mit Anerkennungsproblemen zu tun haben. Hegemoniale Männlichkeit ist zugleich gekennzeichnet durch eine Abgrenzung gegenüber Weiblichkeit. In der Konsequenz führt das zu sexistischen und misogynen Abwertungen der Arbeit von Lehrerinnen und zugleich zu Homophobie bei Lehrern (vgl. Francis und Skelton 2001; Haase 2008; Lingard et al. 2009). 12 Eine Entdramatisierung wäre vermittelt über das Diversity-Konzept möglich: Die Forderung nach Lehrkräften ganz unterschiedlicher sozialer Zugehörigkeit – das betrifft dann tatsächlich nicht nur das Geschlecht, sondern auch die soziale Herkunft, den Migrationsstatus und nicht zuletzt die Individualität der einzelnen – müsste einher gehen mit der Entkoppelung der Aufgabenbeschreibung an stereotypisierende Anforderungen (Skelton 2009). Das ist nicht ganz leicht, weil z.B. der Aufbau einer Beziehung zu den Lernenden genauso wichtig ist wie die Vertretung einer fachlichen Expertise. Dies gilt allerdings keineswegs nur für die Grundschule, sondern auch für die Sekundarstufen. Die Entkoppelung würde hier bedeuten, einerseits Beziehungsfähigkeit nicht für eine weibliche Eigenschaft zu halten – was sie ja auch keineswegs „natürlich“ ist, andererseits Fachlichkeit als zentrales Element gerade auch für qualitativ hochwertige Arbeit in der Grundschule herauszustellen – und diese nicht an Männlichkeit zu binden. Mehr Männer im Grundschullehramt ist sozialisationstheoretisch eine sinnvolle Forderung. Allerdings werden sie nicht als Vorbild für hegemoniale Männlichkeit benötigt, sondern gerade als Teil von vielfältigen Persönlichkeiten und Lebensgestaltungen – insofern genauso wie die Lehrerinnen als Teil von diversity. In einer pluralen Welt zu leben, erfordert auch für Sozialisationsprozesse die Mitgliedschaften weit zu fassen, aus ihren orientierenden Funktionen heraus Neugier und Anerkennung für andere entwickeln zu können. Dazu könnte die Schule einen weit größeren Beitrag leisten als sie es derzeit tut. 12
Frauen sind durchaus beteiligt an der Herstellung hegemonialer Männlichkeit – wie beispielsweise Deevia Bhana an vier Fallbeispielen aus Südafrika verdeutlicht (Bhana 2009).
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Die aufgezeigten Probleme mit Sexismus und Misogynie, die im Gefolge der Dramatisierung von Geschlecht im Diskurs um mehr Männer als Lehrer nahezu zwangsläufig sind, bedürfen zu ihrer Beseitigung jedoch mehr als einfach nur einer Erhöhung des Anteils von Männern im Lehrberuf. Becky Francis und Christine Skelton haben bereits 2001 auf die Notwendigkeit verwiesen, explizit gegen Sexismus vorzugehen. Dazu gehört als erstes, entsprechendes Verhalten von Schülern (und Schülerinnen) nicht zu akzeptieren: „it is imperative that teachers challenge their pupils‘ homophobic and misogynist remarks, as to ignore such behaviour condones and supports it as ‚normal‘ and acceptable“ (Francis und Skelton 2001: 18).
Darüber hinaus allerdings müssen die Lehrkräfte ihr eigenes Verhalten überprüfen: “teachers must go further and interrogate their own behavior, addressing any language or behaviour which is homophobic or sexist. However, if the use of such discourses is simply a strategy in the construction of masculinity, the implication is that the root problem must be tackled: in other words, the construction of the genders as different” (Francis und Skelton 2001: 18).
Die Dramatisierung des Geschlechts der Lehrkräfte, die Forderung nach Männern, die Männlichkeit verkörpern sollen, kommt aus dieser Falle nicht heraus. Insofern ergeht auch und gerade an Männer in diesem Beruf die Aufgabe, sich selbst über derartige Geschlechterbilder klar zu werden und sie mit ihren Schülern und Schülerinnen zu bearbeiten. Martin Mills, Wayne Martino und Bob Lingard bringen diese Argumentation für mehr Lehrer auf den Punkt: „While we are heavily critical of attempts to attract more male teachers that are based upon fallacious assumptions about the supposed benefits for boys of having men in their lives, we do believe that men need to take greater responsibility for the welfare of children – both boys and girls. Such a responsibility would involve ensuring that both girls and boys receive a quality education and also working to resist the limitations imposed upon students by dominant constructions of gender. This responsibility is unlikely to be carried out unless some attention is given to creating a school environment where misogyny and homophobia are not tolerated” (Mills et al. 2004: 366).
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Zum Zusammenhang von Geschlechterungleichheiten in Bildung, Beruf und Karriere: Ein Ausblick Regula Julia Leemann und Christian Imdorf
1 Einleitung Ziel der folgenden Ausführungen im abschließenden Teil dieses Sammelbands zur Entwicklung und Genese von geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten ist es, den Blick zu öffnen in Richtung Berufsleben. Wie sind die verbesserten Bildungsmöglichkeiten von Frauen zu interpretieren? Ist es in den letzten Jahrzehnten gelungen, eines der grundlegendsten gesellschaftlichen Ungleichheitsverhältnisse zu beseitigen? Oder beginnt sich dieses sogar zu verkehren in eine gesellschaftliche Benachteiligung der Männer? Wir gehen bei unseren Überlegungen von der These aus, dass ein Abbau von Benachteiligungen der Frauen im Bildungssystem für sich genommen noch wenig aussagekräftig ist, wenn wir uns mit der klassischen soziologischen Frage der Persistenz bzw. des Wandels von gesellschaftlichen Ungleichheiten befassen wollen. Erst wenn die ganze Verknüpfung von Bildung und gesellschaftlicher Ungleichheit in den Blick genommen wird und sich dabei zeigt, dass Frauen ihre Bildungsgewinne auch in entsprechende Chancen im Beschäftigungssystem umsetzen können, sind ihre verbesserten Bildungschancen ein Gewinn für die Individuen und ein Fortschritt für die Gesellschaft – und erst dann könnten mögliche Bildungsvorteile von Frauen, wie sie in den vorliegenden Aufsätzen z.T. diagnostiziert werden, gar als neue gesellschaftliche Benachteiligungen von Männern skandalisiert werden. Was meinen wir damit? Die Bedeutung von Bildung hat sich im Laufe der letzten 150 Jahre von einem persönlichen Gut, einem Mittel der individuellen Konsumption, hin zu einem gesellschaftlichen Gut gewandelt, das als Element des gesellschaftlichen Reichtums, als Triebkraft individueller und kollektiver Entwicklung, und als Moment des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses begriffen wird (Krais 1983: 217). Zu dieser gemeinhin geteilten Überzeugung bezüglich des Wertes und der Wichtigkeit von Bildung im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess gehört auch die Vorstellung, dass mittels Bildung und der im Bildungssystem institutionalisierten Meritokratie gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse legitimiert sind (Becker und Hadjar 2009; Solga 2005).
A. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4_17, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Konzeptionell können dabei zwei Aspekte unterschieden werden, welche zusammengenommen das Verhältnis von gesellschaftlicher Ungleichheitsstruktur und Bildung verständlich machen (Graf und Lamprecht 1991). Einerseits werden im pyramidal angelegten Bildungssystem über die Zertifizierung von (legitimen) Wissensbeständen, über die Ausdifferenzierung, Hierarchisierung und Kanalisierung von Bildungswegen sowie die damit einhergehende Konstruktion von höherer Bildung als knappes Gut Bildungsungleichheiten hergestellt. Es stellt sich hinsichtlich der Legitimation von sozialer Ungleichheit die empirisch zu beantwortende Frage, in welcher Beziehung die Ungleichheiten in den Bildungswegen und Bildungsergebnissen (Bildungsstatus) mit den institutionell verfestigten Positionen in der Sozialstruktur (Herkunftsstatus, Geschlechtsstatus, Migrationsstatus) der sich im Bildungssystem befindlichen nachwachsenden Generation stehen, inwiefern also gesellschaftliche Ungleichheiten in ungleiche Bildungslaufbahnen überführt werden. In den in diesem Band versammelten Aufsätzen wird dieser erste Aspekt hinsichtlich Geschlechterungleichheiten in den Blick genommen, indem die Entwicklungen in den Bildungsergebnissen nach Geschlecht in ihrem historischen Wandel dargestellt und mögliche Erklärungen dafür ausgebreitet werden. Andererseits sind in modernen Gesellschaften Fragen der Verteilung von sozialen Gütern und Lebenschancen, d.h. die Regelungen des Zugangs zu gesellschaftlichem Ansehen, Einkommen und Einfluss sowie zu den damit verknüpften Privilegien weitgehend an das Bildungssystem und die institutionalisierte Form von Tauschbeziehungen, den Markt, übertragen worden (Bornschier und Aebi 1992: 544). Bildungsabschlüsse (Zertifikate, Titel) sind eine Art "Geldmittel" oder "Kapital", welche zu bestimmten "Wechselkursen" in andere Formen von sozialen Gütern – insbesondere im Berufs- und Beschäftigungssystem – umgewandelt werden können. Voraussetzung dafür ist eine relativ enge Entsprechung der Hierarchien im Bildungs- und im Beschäftigungssystem. Bildungszertifikate berechtigen ihre Besitzer, bestimmte soziale Positionen innerhalb der gesellschaftlichen Sozialstruktur einzunehmen. Es stellt sich hier die ebenfalls empirisch zu beantwortende Frage, welchen gesellschaftlichen Wert bestimmten Bildungswegen und -titeln zugesprochen wird, und in welcher Beziehung diese mit weiteren Bildungsmöglichkeiten sowie beruflichen Wegen stehen, inwiefern also die Umwandlung von Bildungsstatus in gesellschaftlichen Status, Laufbahn- und Lebenschancen legitim verläuft oder durch soziale Ungleichheitsverhältnisse in den verschiedenen gesellschaftlichen Teilsystemen moderiert wird. Die im Anschluss an die Bildungszugewinne von Frauen zu verfolgende Frage ist deshalb, ob Frauen diese im weiteren Lebensverlauf auch in entsprechende berufliche Positionen und Karrierechancen umsetzen können. Führen die
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von Frauen eingeschlagenen Bildungswege im Vergleich zu den von Männern beschrittenen zu gleichen Beschäftigungschancen? Haben sich parallel zu den vergrößerten Bildungschancen auch ihre beruflichen Möglichkeiten verbessert und sind sie im Erwerbsleben womöglich daran, die Männer zu überholen? Um diese Zusammenhänge untersuchen zu können, sind selbstredend umfassende und komplexe Forschungsdesigns notwendig, welche mittels Kohorten- und Panelanalysen den Wandel von Bildungschancen, Berufswegen und beruflichen Statusindikatoren sowie deren Beziehungen einfangen können, sowie internationale Vergleichsstudien, um den Dimensionen der nationalspezifisch unterschiedlichen Institutionalisierungen von Bildung und Beschäftigung gerecht zu werden. In den folgenden Ausführungen, welche sich einer institutionentheoretischen Herangehensweise verpflichten, beschränken wir uns im Sinne eines Ausblickes auf einige ausgewählte Aspekte des geschlechtsspezifischen Verhältnisses von Bildungswegen, Beruf und Karriere. Sie verweisen darauf, dass die proklamierten Bildungserfolge von Frauen bei genauerer Betrachtung relativiert werden müssen, da die in den gesellschaftlichen Institutionen Bildung, Arbeitsmarkt und Familie eingelassenen Geschlechterordnungen die Bildungs- und Berufswege von Frauen und Männern nach wie vor ungleich strukturieren. Um die Komplexität der Thematik etwas zu reduzieren, greifen wir in erster Linie auf empirische Resultate aus der Schweiz zurück, d.h. beschränken uns auf die spezifischen kulturellen und strukturellen Ausprägungen eines ausgewählten nationalstaatlich verfassten Gesellschaftssystems, das jedoch in vielen Bereichen Ähnlichkeiten mit Deutschland aufweist. Im Kapitel 2 und 3 befassen wir uns mit dem Zustandekommen von horizontaler Geschlechtersegregation in Bildung und Beruf und den Folgen für die Beschäftigungschancen von Frauen und Männern. Kapitel 4 fragt danach, ob Frauen ihre gestiegene Bildungspartizipation in eine entsprechende verbesserte berufliche Integration umwandeln können. In Kapitel 5 wird anhand einer eigenen Studie zu wissenschaftlichen Laufbahnen von Doktorierten des Schweizer Hochschulsystems für eine lebenslauftheoretische Sicht plädiert, welche die geschlechtsspezifisch ungleiche institutionelle Einbindung in die Familie sowie die Konstellation von Paaren miteinbezieht. Abschließend wird in Kapitel 6 eine Einschätzung vorgenommen zur Frage, ob die Bildungserfolge von Frauen in den letzten Jahren Anlass zur Befürchtung geben, dass sich das gesellschaftliche Geschlechterverhältnis in nächster Zeit zu Ungunsten der Männer umkehren wird.
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2 Vergeschlechtlichte Bildungswege Um die Frage der geschlechtsspezifischen Verhältnisse von Bildung, Beruf und Karriere zu analysieren, werden im Folgenden die Bildungswege von Frauen und Männern und hierbei insbesondere das Zustandekommen horizontaler beruflicher Segregation durch vergeschlechtlichte Bildungswege analysiert. In den OECD-Ländern – mit Ausnahme der Schweiz und der Türkei – schließen Frauen heute häufiger eine Ausbildung auf Sekundarstufe II (ISCED 3) ab als Männer (OECD 2009: 45). Beim Zugang zur tertiären Ausbildung (ISCED 5) haben Frauen Männer ebenfalls überholt – auch in der Schweiz. Der Frauenanteil auf Tertiärstufe beträgt in allen Ländern mehr als die Hälfte, im Durchschnitt aller Länder 54 Prozent (OECD 2008: 53). Die damit verbundenen Bildungslaufbahnen sind je nach Modellierung der nationalen Bildungssysteme sehr unterschiedlich (OECD 2009: 295ff).1 Auf Sekundarstufe II sind allgemeinbildende, berufsbildungsvorbereitende und berufsbildende Bildungsgänge zu unterscheiden. Die berufsbildenden Wege sind nochmals zu differenzieren in solche mit rein schulischer Ausrichtung und solche des dualen Systems, in solche mit direkten Anschlussmöglichkeiten an das tertiäre Bildungssystem dank Hochschulzugangsberechtigung bzw. Maturität (ISCED 3a) und solche, welche dies nicht erlauben (ISCED 3b). Auf Tertiärstufe sind neben den klassisch universitären (ISCED 5a) auch stärker auf Berufsfelder ausgerichtete Fachhochschulen inkl. Pädagogische Hochschulen (ISCED 5a) oder höhere Fachschulen (ISCED 5b) vorhanden, wobei die Fachhochschulen und höheren Fachschulen bislang keine direkten Anschlussmöglichkeiten zu einem Doktoratsstudium eröffnen.
2.1 Geschlechterunterschiede in den Bildungswegen auf Sekundarstufe II Diese Wege im berufsbildenden und allgemeinbildenden Bildungssystem – in ihrer Gestalt historisch gewachsen – sind keineswegs geschlechterneutral (für eine Übersicht zur Schweiz für die Sekundarstufe II vgl. Imdorf 2005: 69ff). Die Geschlechter wurden – schon von Anbeginn der Institutionalisierung des öffentlichen Bildungssystems – spätestens nach der obligatorischen Volksschulzeit auf unterschiedliche Bildungswege gelenkt, welche die weiteren Bildungsmöglichkeiten sowie daran anschließende beruflichen Wege kanalisierten (Eidgenössische Frauenkommission 2010; Imdorf 2005: 144ff; für Deutschland Krüger
1
Für die Schweiz siehe SKBF 2010 und http://www.edudoc.ch/static/web/bildungssystem/grafik bildung_d.pdf, für Deutschland Cortina et al. 2008.
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1995: 209ff). Dies wird im Folgenden zuerst für den berufsbildenden, anschließend für den allgemeinbildenden Weg dargestellt.
2.1 1 Berufsbildender Weg In der Schweiz beginnen innerhalb von zwei Jahren nach der obligatorischen Schulzeit rund zwei Drittel der Schulabgängerinnen und Schulabgänger eine Berufsausbildung (Hupka 2003: 35), wobei insbesondere in der Deutschschweiz dies in Form einer Lehre im dualen System erfolgt. Gemäß BBT (2010: 11f.) absolvieren nur 17 Prozent aller Berufslernender eine berufliche Vollzeitschule (Deutschschweiz 13 Prozent, Westschweiz 28 Prozent, Tessin 24 Prozent).2 In der Deutschschweiz absolvieren Mädchen dabei häufiger eine berufliche Vollzeitschule als Jungen (Meyer 2009: 31). Diese geschlechtsspezifische Segregationslinie zwischen dualem und vollzeitschulischem System scheint sich jedoch in den letzten Jahrzehnten verkleinert zu haben. 1980 besuchten noch 21 Prozent der Frauen im Vergleich zu 9 Prozent der Männer eine Vollzeitschule. 1998 waren es noch 17 Prozent der Frauen und 11 Prozent der Männer (Borkowsky 2000), was auf die Gründung von Informatikerschulen sowie die wachsende Beliebtheit der Handelsschulen zurückzuführen ist. Wie Hupka et al. (in diesem Band) zeigen, wählen Knaben generell häufiger den Weg über die Berufsbildung als Mädchen. Zwei Jahre nach Schulabschluss befinden sich rund 55 Prozent der Mädchen, jedoch 75 Prozent der Knaben in einer Berufsausbildung. Hirschi (2009) weist nach, dass dies zum einen mit dem kleineren Ausbildungsplatzangebot frauentypischer Berufe im Verhältnis zu männertypischen Ausbildungsberufen zusammenhängt, zum anderen mit dem tendenziell höheren schulischen Anspruchsniveau der frauentypischen Ausbildungsberufe, was Mädchen auf dem anforderungstieferen Niveau der Sekundarstufe I bei der Ausbildungsplatzsuche benachteiligt (Imdorf 2005: 144). Die Einrichtung der Berufslehre – aus historischen Gründen stark im gewerblich-industriellen Wirtschaftssektor verankert (Jenzer 1998; Gonon 1998) – ist demnach immer noch stärker auf die Knaben ausgerichtet, auch wenn – im Zusammenhang mit dem Übergang der Berufsbildung in den Bereichen Gesund-
2
Seibert et al. (2009: 599) berücksichtigen in ihren Berechnungen nur die Ausbildungsplätze des ersten Ausbildungsjahres und berechnen auf dieser Grundlage für das Jahr 2004 mit 19,6% Vollzeitberufsschulen gegenüber 80,4% dualen Ausbildungen einen etwas höheren Anteil an Vollzeitschulen an sämtlichen voll qualifizierenden Berufsausbildungen. Dieser variiert dabei beträchtlich nach Kanton und schwankt zwischen 58% (Kt. Genf) und 0% (Kt. Nidwalden) (ebd., 601).
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heit, Soziales und Kunst in die Verantwortung des Bundes – in den letzten Jahren für die von den Mädchen präferierten Berufe im sozialen und pflegerischen Bereich Berufslehren mit einem eidgenössisch anerkannten Fähigkeitszeugnis (EFZ) geschaffen wurden (Fachangestellte Betreuung, Fachangestellte Gesundheit), welche nach der Lehre Anschlussmöglichkeiten an die entsprechenden Berufsausbildungen an den Fachhochschule erlauben (SKBF 2010: 164). Über die letzten Jahrzehnte sind die geschlechtsspezifischen Berufswahlmuster auf der Sekundarstufe II von großer Kontinuität gekennzeichnet. Wie Tabelle 1 zu entnehmen ist, kommt es auf der Hitliste der zehn am häufigsten gewählten Berufe zwischen 1980 und 2000 kaum zu Veränderungen. Neben den von beiden Geschlechtern bevorzugten Berufsgruppen kaufmännische Angestellte und Büroberufe sowie Verkäufer und Detailhandelsangestellte figurieren Elektromonteure und -installateure, Mechaniker, Automechaniker, Maurer und Schreiner, Hoch- und Tiefbauzeichner, Landwirte und Küchenpersonal bei den Knaben an wichtiger Stelle. Primarlehrerin, medizinische Praxisassistentin und Arztgehilfin, Apothekenhelferin, Krankenschwester und Coiffeuse, Kindergärtnerinnen und Zahnarztgehilfinnen sind durchwegs prioritär für die Mädchen.
Tabelle 1: Die zehn häufigsten Ausbildungsberufe, 22-24jährige Frauen und Männer mit Ausbildungsabschluss Sekundarstufe II, 1980-2000 Rang
3
Männer Sekundarstufe II 1980 (22-24 Jährige) Kaufmännische Angestellte, Büroberufe Elektromonteure und installateure Mechaniker
4 5 6
Automechaniker Maurer Landwirte
Elektromonteure und installateure Automechaniker Landwirte Schreiner
7 8 9
Hoch- und Tiefbauzeichner Schreiner Verkäufer, Detailhandelsangestellte Primarlehrer Anteil der 10 häufigsten Ausbildungsberufe an allen Ausbildungsberufen: 52%
Maurer Küchenpersonal Verkäufer, Detailhandelsangestellte Maler, Tapezierer Anteil der 10 häufigsten Ausbildungsberufe an allen Ausbildungsberufen: 48%
1 2
10
Männer Sekundarstufe II 1990 (22-24 Jährige) Kaufmännische Angestellte, Büroberufe Mechaniker
Männer Sekundarstufe II 2000 (22-24 Jährige) Kaufmännische Angestellte, Büroberufe Elektromonteure und installateure Automechaniker Mechaniker Hoch- und Tiefbauzeichner Verkäufer, Detailhandelsangestellte Küchenpersonal Schreiner Elektronikerberufe Maurer Anteil der 10 häufigsten Ausbildungsberufe an allen Ausbildungsberufen: 46%
Zum Zusammenhang von Geschlechterungleichheiten in Bildung, Beruf und Karrierer
Rang
5
Frauen Sekundarstufe II 1980 (22-24 Jährige) Kaufmännische Angestellte, Büroberufe Verkäuferinnen, Detailhandelsangestellte Primarlehrerinnen Medizinische Praxisassistent., Arztgehilfinnen Krankenschwestern
6
Coiffeusen
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Spitalgehilfinnen, Hilfsschwestern Kindergärtnerinnen uvB
1 2 3 4
8 9
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Frauen Sekundarstufe II 1990 (22-24 Jährige) Kaufmännische Angestellte, Büroberufe Verkäuferinnen, Detailhandelsangestellte Coiffeusen Krankenschwestern
Frauen Sekundarstufe II 2000 (22-24 Jährige) Kaufmännische Angestellte, Büroberufe Verkäuferinnen, Detailhandelsangestellte Primarlehrerinnen Coiffeusen
Medizinische Praxisassistent., Arztgehilfinnen Primarlehrerinnen
Krankenschwestern
Zahnarztgehilfinnen Andere Berufe des Gastgewerbes Apothekenhelferinnen
Medizinische Praxisassistent., Arztgehilfinnen Apothekenhelferinnen Zahnarztgehilfinnen
Teleoperatricen und TeleKindergärtnerinnen uvB fonistinnen 10 Schneiderinnen Servicepersonal Floristinnen Anteil der 10 häufigsten Anteil der 10 häufigsten Anteil der 10 häufigsten Ausbildungsberufe an allen Ausbildungsberufe an allen Ausbildungsberufe an allen Ausbildungsberufen: 77% Ausbildungsberufen: 66% Ausbildungsberufen: 60% Datenquelle: Eidgenössische Volkszählungen, BFS Darstellung aus Leemann und Keck 2005: 75 Kursiv: In allen drei Kohorten gehört dieser Beruf zu den zehn häufigsten erlernten Ausbildungsberufen. Kursiv und fett: In allen drei Kohorten und sowohl für Frauen wie für Männer gehört dieser Beruf zu den zehn häufigsten erlernten Ausbildungsberufen. "uvB" (und verwandte Berufe)
Die Wahl von gegengeschlechtlichen Berufen ist nach wie vor mit großen Hürden verbunden. Im Kanton Zürich beispielsweise mündete im Jahr 2004 nur eine kleine Minderheit von 5 Prozent (9,1 Prozent der Frauen vs. 1,7 Prozent der Männer) in einen gegengeschlechtlichen Beruf. 61 Prozent der Frauen gegenüber 33 Prozent der Männer befanden sich in einem der gemischtgeschlechtlichten Berufe, welche tendenziell höhere schulische Anforderungen verlangen (Abraham und Arpagaus 2008: 213ff). Die Berufswahl ist – so können wir festhalten – nach wie vor von ausgeprägten horizontalen geschlechtsspezifischen Segregationen gekennzeichnet, welche trotz bemerkenswerten kulturellen Wandlungsprozessen ein außerordentliches Beharrungsvermögen erkennen lassen (SKBF 2010: 158). Auszubildende im dualen System der Schweiz haben seit 1970 die Möglichkeit, statt der die Lehre begleitenden Berufsfachschule die anspruchsvollere Berufsmittelschule zu besuchen (Criblez 2001). 1994 wurde sie in die sog. Be-
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Regula Julia Leemann und Christian Imdorf
rufsmaturitätsschule BMS überführt, welche erlaubt, eine Berufsmaturität zu erlangen und daran anschließend an eine Fachhochschule überzutreten. 3 Im Jahr 2009 wurden 56 Prozent der Berufsmaturitätszeugnisse an Männer ausgestellt, 44 Prozent an Frauen (BFS 2010: 45, eigene Berechnungen). Damit ist der Anteil der Frauen, der diesen Schultyp besucht, von 30 Prozent im Jahre 1988 (Gonon 2001: 63) auf heute 44 Prozent zwar beträchtlich gewachsen. Die Verteilung der Berufsmaturitätstitel, die nach beruflichen Richtungen ausgestellt werden, sind aufgrund der geschlechtsspezifischen Berufwahlmuster jedoch ebenfalls hochgradig geschlechtersegregiert – gesundheitliche, soziale sowie gestalterische Titel gehen mehrheitlich an Frauen, naturwissenschaftliche und technische Titel an Männer. Ausgeglichen ist das Geschlechterverhältnis bei den kaufmännischen und gewerblichen Titeln (vgl. BFS 2010). Diese Geschlechtertypik hat in der Folge Auswirkungen auf die Geschlechterverteilung an den verschiedenen Fachhochschulen, da die Berufsmaturitätstypen auf den Fachhochschulstudiengang abgestimmt sind und damit den weiteren Bildungs- und Berufsweg vorspuren (SKBF 2010: 147). Frauen treten des Weiteren nach einer Berufsmaturität mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit in ein Fachhochschulstudium über als Männer, wobei sich die Geschlechterunterschiede in den letzten Jahren stetig abgebaut haben (SKBF 2010: 156f).
2.1 2 Allgemeinbildender Weg Insgesamt befinden sich heute rund 20 Prozent der Knaben und 33 Prozent der Mädchen zwei Jahre nach der obligatorischen Schule in allgemeinbildenden Schulen (Gymnasien, Fachmittelschulen) der Sekundarstufe II (Hupka et al. in diesem Buch), Mädchen sind demnach klar übervertreten. Im Kanton Zürich hatten die weiblichen Jugendlichen schon um 1960 mit einer Mittelschülerquote von 10.5 Prozent mit den männlichen Jugendlichen (10.7 Prozent) gleichgezogen. Wenn jedoch die Schultypen betrachtet werden, wird erkennbar, dass die Mädchen damals in den sog. Diplommittelschulen DMS übervertreten waren, die Gymnasien dagegen noch von den Knaben dominiert wurden. Erst 1980 näherte sich die Gymnasialquote der Mädchen jener der Knaben an (Rieger 2001: 46).
3
Die Berufsmaturitätsschule wird während der Lehrzeit besucht und umfasst rund 1 Tag mehr Unterricht pro Woche als die Berufsfachschule (D: Berufsschule). Sie kann aber auch nach Abschluss der Berufslehre absolviert werden, dauert ein Jahr (Vollzeitschule) oder bis zu zwei Jahren (Teilzeitschule) und wird ebenfalls mit der Berufsmaturität abgeschlossen.
Zum Zusammenhang von Geschlechterungleichheiten in Bildung, Beruf und Karrierer
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Die Wurzeln dieser geschlechtsspezifischen Wege gehen bis ins 19. Jahrhundert zurück. Als die Mädchen um die Jahrhundertwende immer stärker in die höheren Bildungsgänge strömten, wurden sie in die auf die bürgerliche Frauenrolle und auf Frauenberufe vorbereitenden höheren Töchterschulen und Handelsdiplomschulen – die Vorläufer der DMS – gelenkt (Rieger 2001), was dazu führte, dass diese Bildungsgänge bis heute mehrheitlich von Mädchen besucht werden (Imdorf 2005: 146). Im Jahre 2007/08 waren rund drei Viertel der Schülerschaft Mädchen (SKBF 2010: 164). In den letzten Jahren sind die DMS in sog. Fachmittelschulen FMS überführt worden, welche mit einer Fachmaturität abgeschlossen werden können. Diese bieten jedoch nach vier Jahren keinen berufsqualifizierenden Abschluss auf Sekundarstufe II, sondern bereiten auf einen Studiengang im nichtuniversitären Bereich vor (SKBF 2010: 166). Die FMS ist ein institutionalisierter Weg zu Ausbildungen in den klassischen Frauenberufen im pflegerischen, sozialen sowie pädagogischen Bereich4, welche seit rund zehn Jahren an Fachhochschulen5 angesiedelt sind. Bis heute gilt deshalb das Fazit von Krüger (1995: 211), dass dieser frauenspezifische Weg im Vergleich zum Weg über die duale Lehre eher höhere Ausbildungsvoraussetzungen erfordert6 (und damit die schulischen Vorsprünge von Mädchen sozusagen absorbiert werden), erheblich längere Ausbildungszeiten benötigt sowie finanziell größere Aufwendungen mit sich bringt, da die Lernenden in einer Berufslehre ein Lehrgeld erhalten und nach drei bis vier Jahren in den Arbeitsmarkt übertreten können. Für unsere Thematik ist des Weiteren die Tatsache interessant, dass die Fachmaturität nach vier Jahren nachobligatorischer Ausbildungszeit keinen Zugang zu den universitären Hochschulen ermöglicht7, im Gegensatz zum Weg über die Berufsbildung mit Berufsmaturität, bei dem neben dem direkten Übergang auf eine Fachhochschule eine sogenannte Passerelle (Übergang) zu den Universitäten eingerichtet
4
Für die Ausbildung zur Lehrerin/zum Lehrer auf Volksschulstufe (nur gewisse Kantone) und die Ausbildung für den Unterricht auf Sekundarstufe I wird jedoch eine gymnasiale Maturität verlangt. Mit der Erweiterung der Profile im Zusammenhang mit der Umwandlung von DMS in die FMS werden weitere Berufsfelder wie Bibliothekswesen, Tourismus oder Musik und Theater anvisiert. 5 Im Gegensatz zur französischsprachigen Schweiz verbleiben in der deutschsprachigen Schweiz jedoch einige Ausbildungen auf der Stufe der höheren Fachschulen (SKBF 2010: 164). 6 Die meisten Schüler/innen kommen aus der Sekundarstufe I mit erweiterten Ansprüchen, oder wechseln aus anderen allgemeinbildenden Schulen der Sekundarschule II. Nur 3% haben die Sekundarstufe mit Grundansprüchen besucht (SKBF 2010: 164). 7 Die Abgänger einer Fachmaturität können nur über den Weg eines erworbenen Bachelorabschlusses an einer Fachhochschule anschließend in ausgewählte Studiengänge (z.T. auch auf Masterniveau) an der Universität übertreten. In diesem Bereich ist zurzeit im Schweizer Bildungssystem sehr viel in Bewegung, so dass es nicht möglich ist, generalisierende Aussagen über Zugangswege zu machen.
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ist. Mit einer Ergänzungsprüfung kann ein universitäres Hochschulstudium begonnen werden. Ab den 1990er Jahren begannen die Mädchen die Knaben bezüglich Gymnasialbesuchs zu überholen, was u.a. auch auf die Auflösung der seminaristischen Ausbildung zur Lehrerin/zum Lehrer der Volksschule zurückgeführt werden kann (SKBF 2010: 122). Der aktuelle Anteil der Mädchen im Gymnasium von 57 Prozent wird gemäß Prognosen bis Ende dieser Dekade konstant bleiben (Babel und Strubi 2010). Zurzeit liegt die Maturitätsquote bei den Frauen bei 22.8 Prozent (Vergleichsgruppe sind alle 19-Jährigen), bei den Männern bei 15.8 Prozent (SKBF 2010: 136). Mädchen und Knaben wählen im Gymnasium unterschiedliche Schwerpunktfächer (fachliche Profile). Die Mädchen sind im neusprachlichen, musischen sowie im Profil PPP (Philosophie, Pädagogik, Psychologie) übervertreten. Von diesen Profilen aus wird seltener ein universitäres Studium und öfters ein Studium an einer pädagogischen Hochschule oder Fachhochschule angestrebt (Ramseier et al. 2005: 151-155). Größere geschlechtsspezifische Ungleichverteilungen zu Gunsten der Knaben finden sich im Profil PAM (Physik & angewandte Mathematik) und im Profil Wirtschaft & Recht. Von diesen Profilen aus wird sehr oft ein Universitätsstudium angestrebt. Im Ergebnis planen Mädchen am Ende des Gymnasiums signifikant seltener, an eine universitäre Hochschule überzutreten als Knaben, beabsichtigen dagegen häufiger, eine berufliche Ausbildung an einer Pädagogischen Hochschule oder Fachhochschule zu beginnen (Denzler und Wolter 2008). Das gewählte Profil hat nicht nur Auswirkungen auf den Hochschultyp, der nach der Maturität angepeilt wird, sondern auch auf die Studienwahl an der Universität (Bieri Buschor et al. 2008), vor allem in den Bereichen Sprachen und Mathematik. Als Fazit können wir festhalten: Die mit den erreichten Bildungstiteln sich eröffnenden weiteren Bildungswege auf der Sekundarstufe II sind nicht gleichwertig. Zu erwähnen ist insbesondere, dass bei dem von Frauen bevorzugten Weg über die Fachmittelschulen keine Passerelle an die Universitäten eingerichtet ist, im Gegensatz zum Weg über die Berufsmaturität. Für die von Mädchen und Knaben eingeschlagenen Bildungswege gelten zudem unterschiedliche schulische Anforderungen. Die von Mädchen präferierten Berufslehren sowie die rein schulischen, von Mädchen häufiger besuchten Wege über die Gymnasien und Fachmittelschulen sind intellektuell und kognitiv anspruchsvoller. Mädchen müssen also mehr leisten, um zum gleichen Bildungstitel zu kommen. Sie bringen aber dadurch bessere Voraussetzungen für die Aneignung der zukünftig immer wichtiger werdenden allgemeinen, überfachlichen „Schlüsselkompetenzen“ mit (Kupfer 2010).
Zum Zusammenhang von Geschlechterungleichheiten in Bildung, Beruf und Karrierer
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Berufsqualifizierende Abschlüsse, bei denen die jungen Männer überrepräsentiert sind, erlauben einen sofortigen, relativ gut abgesicherten Übergang ins Beschäftigungssystem und damit einen frühen Aufbau einer beruflichen Laufbahn mit entsprechenden Einkommensmöglichkeiten. Allgemeinbildende Abschlüsse dagegen – von Mädchen präferiert – erfordern weitere zeitliche und finanzielle Investitionen in Bildung, um im zertifikationsorientierten Beschäftigungssystem längerfristig gute berufliche Chancen zu erhalten. Der Strukturwandel Richtung Dienstleistungsgesellschaft wird innerhalb des Ausbildungssystems in erster Linie von den Frauen vollzogen. Das Beharrungsvermögen der männlichen Berufswahl insbesondere auf Sekundarstufe II kann inzwischen für die jungen Männer auch ein Beschäftigungsrisiko darstellen und muss von ihnen beim Übergang ins Berufsleben individuell durch einen Berufswechsel, verbunden mit einem sektoralen Wechsel, bewältigt werden (Leemann und Keck 2005).
2.2 Geschlechterunterschiede in den Bildungswegen auf Tertiärstufe Die im vorhergehenden Kapitel geschilderten geschlechtsspezifischen Differenzen in den eingeschlagenen Bildungswegen auf Sekundarstufe II ziehen eine unterschiedliche Verteilung der Geschlechter auf die einzelnen Studienfächer auf der Tertiärstufe (Fachhochschulen und Universitäten) nach sich. Im internationalen Vergleich fällt vor allem der tiefe Anteil der Frauen in den Natur- und Technischen Wissenschaften auf (OECD 2008: 53). Diese Unterrepräsentanz der Frauen in den sog. MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) auf Tertiärniveau ist sehr ausgeprägt: Im Vergleich mit 44 verschiedenen Ländern nimmt die Schweiz einen Spitzenplatz ein (Charles und Bradley 2009: 942). Dieses "sex segregation regime" wird von Charles und Bradley (2009) mit den in (post-)modernen Gesellschaften ausgeprägten Geschlechterideologien bezüglich Fähigkeiten von Frauen und Männern in Zusammenhang gebracht. Es ist jedoch nicht nur kulturell institutionalisiert, sondern auch durch die bildungsbiografisch frühe Berufs- und Profilwahl bedingt. Der Frauenanteil in den Fachhochschulen hat in den letzten Jahren zugenommen, und seit 2006 bilden Frauen erstmals die Mehrheit der Eintretenden. 8 Dies ist vor allem auf strukturelle Veränderungen in der Fachhochschullandschaft zurückzuführen. Im Zuge der Tertiarisierung der Lehrpersonenausbildung in den letzten Jahren wurden die Pädagogischen Hochschulen, und damit viele 8
Siehe http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/15/06/key/ind6.indicator.60202.602. html (Zugriff: 7.9.2010).
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Frauen, in die Fachhochschullandschaft integriert. Die Geschlechter verteilen sich – bedingt durch die geschilderten kanalisierenden und geschlechtlich geprägten Bildungswege – z.T. sehr ungleich auf die einzelnen Fachhochschulen. So sind im Jahre 2010 im Bereich Gesundheit nur knapp 14 Prozent, im Bereich angewandte Linguistik (Übersetzung und Dolmetschen) 18 Prozent männliche Studierende zu finden. Im Bereich Technik und IT gibt es hingegen nur 8 Prozent weibliche Studierende, im Bereich Architektur, Bau- und Planungswesen 26 Prozent. Zu den geschlechterausgeglichenen Studiengängen können Musik, Theater und andere Künste (Frauenanteil 55 Prozent) oder Wirtschaft und Dienstleistungen (Frauenanteil 45 Prozent) gezählt werden. Auch an den Universitäten treten mit 52 Prozent mehr Frauen als Männer ein. Die Frauen haben im Studienjahr 2001/02 die Männer anzahlmäßig das erste Mal überholt (Kunz 2010: 28ff). Die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Fächerwahl ist sehr ausgeprägt (Franzen et al. 2004), mit über die letzten Jahrzehnte stabilen Präferenzen der Frauen für Geistes-, Sozial- und Sprachwissenschaften, und denjenigen der Männer für Ingenieurwissenschaften (Leemann und Keck 2005: 77). Medizin, die Rechts- und die Wirtschaftwissenschaften dagegen werden von beiden Geschlechtern in ähnlichen Ausmaßen gewählt. Im Ergebnis sind die Studienfächer durch unterschiedliche Geschlechteranteile gekennzeichnet (SKBF 2010: 202). Dennoch sind auf Tertiärstufe eher Wandlungsprozesse erkennbar und die Geschlechterordnungen scheinen hier im Vergleich zur Sekundarstufe II weniger rigide zu sein (Leemann und Keck 2005: 122; Buchmann und Kriesi 2009). Die geschlechtsspezifische Struktur in der Studienwahl hat Implikationen für die letzte Bildungsstufe, das Doktorat. In den Sozial- und Geisteswissenschaften, welche sich durch eine hohe Konzentration von Frauen auszeichnen, sind die Geschlechterunterschiede in den Promotionschancen zu Ungunsten der Frauen am größten, und auch bei den jüngsten Jahrgängen mit Hochschulabschluss 1999-2001 haben innerhalb von fünf Jahren doppelt so viele Männer wie Frauen einen Doktortitel erworben (Dubach 2010: 48f). Mit Blick auf die für wissenschaftliche Laufbahnen in einigen Disziplinen relevante Habilitation kann ergänzt werden, dass auch hier in den Sozial- und Geisteswissenschaften innerhalb von 12 Jahren nach Erhalt des Doktorats Frauen signifikant seltener habilitieren (Dubach 2010: 54). Wie wir gezeigt haben, ist die geschlechtsspezifische Segregation im Bereich der Berufs- und Hochschulbildung nach wie vor markant und zeigt starke Beharrungstendenzen. In den letzten Jahrzehnten veränderten sich durch den Zustrom der Frauen die Geschlechterordnungen nur in einigen Fächern im Hochschulbereich. In der Schweiz gibt es demnach wenig Evidenz für ein säkulares „degendering“ in Bildungsinstitutionen (Charles und Bradley 2009: 959).
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3 Vergeschlechtlichte Wege vom Bildungs- ins Beschäftigungssystem Das stark ausdifferenzierte Schweizer Ausbildungssystem strukturiert durch seine berufliche Ausrichtung sowohl der traditionellen Berufsbildung als auch der tertiären Studiengänge die horizontale Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt und die damit verbundenen beruflichen und sozialen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen maßgeblich vor (Charles 2005; Charles und Buchmann 1994, Buchmann und Kriesi 2009; Smith und Steinmetz 2008).9 Auf der Ebene der konkreten Berufswahlen und des ersten ausgeübten Berufes zeigen Analysen der Volkszählungen zwischen 1970 und 2000, dass eine frappant hohe Kongruenz zwischen der Struktur der Berufsausbildungen und derjenigen der ausgeübten Tätigkeiten vorhanden ist. Ein Grossteil der Erwerbstätigen findet sich im selben Beruf oder zumindest in einem berufsnahen Tätigkeitsfeld wieder (Leemann und Keck 2005). Verantwortlich dafür sind zum einen die ausgeprägte berufsfachliche Segmentierung des Schweizer Arbeitsmarkts und die damit einhergehenden beruflichen Mobilitätsbarrieren (Sacchi, in Vorbereitung). Der über die Berufswahl eingeschlagene berufliche Weg ist nur schwer zu revidieren (Charles und Buchmann 1994). Zum anderen zwingt das Schweizer wie auch das Deutsche Bildungssystem Jugendliche bereits in jenem Alter, in welchem die geschlechtstypischen Identitätsbildungsprozesse ausgeprägt sind, sich beruflich zu orientieren. Geschlechtertypische berufliche Orientierungen sind unter dieser Voraussetzung besonders verbreitet, ohne dass sich die weiblichen Jugendlichen zu diesem Zeitpunkt bereits der praktischen Nachteile von Frauenberufen bewusst sind (Buchmann und Charles 1995: 73; Abraham und Arpagaus 2008: 223). Geht man von der begründeten Annahme aus, dass Jugendliche die Entscheidungen zu ihrer beruflichen Zukunft schrittweise fällen, dann erklärt die Ungleichheit bei der Wahl der Ausbildung rund 92 Prozent der geschlechtsspezifischen Gesamtsegregation auf dem Arbeitsmarkt (Flückiger und Falter 2004: 41). Das Berufsprinzip ist in Westdeutschland (im Gegensatz zur ehemaligen DDR) kein geschlechtsneutraler Mechanismus der Arbeitsmarktallokation (Solga und Konietzka 2000). Die verminderte gesellschaftliche Wertschätzung von frauentypischen Tätigkeiten (gemessen an Entlöhnung, Prestige, Aufstiegschancen) resultiert in einer geschlechtsspezifisch differenten Wirksamkeit der Verwertbarkeit von Berufsabschlüssen. Dies gilt auch für die Schweiz, wo die vertikale Geschlechtersegregation des Arbeitsmarktes im internationalen Vergleich besonders stark mit der horizontalen Segregation zusammenhängt (Brid9
Für Deutschland siehe die wegweisende Studie Ende der 1980er Jahre von Blossfeld (1989).
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ges 2003). So zeigt Jann (2008) anhand der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung in der Schweiz für den Zeitraum 1991-2006, dass die horizontale berufliche Segregation nach Geschlecht (Frauenanteil in Beruf und Branche) ein wichtiger Faktor für Erklärung von Einkommensungleichheiten zwischen den Geschlechtern ist. Zum selben Ergebnis kommen Holst und Busch (2009), welche den "gender pay gap" für Führungspositionen in der Privatwirtschaft (Deutschland) untersuchen. Für Deutschland konnte Trappe (2006: 66ff) zeigen, dass Frauen in Westdeutschland einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt sind, unterhalb ihrer Qualifikation zu arbeiten, wenn sie einen frauentypischen Beruf (im Unterschied zu einem Misch- oder Männerberuf) erlernt haben. Dieses Risiko ist für Männer dann gegeben, wenn sie nicht einen männertypischen Beruf erlernt haben. Mütter mit einem typischen „Frauenberuf“ sind im Weiteren seltener erwerbstätig als Mütter in einem Männerberuf oder in einem geschlechtergemischten Beruf (vgl. Buchmann et al. 2002). Männerberufe oder integrierte Berufe bieten dank größerer Flexibilität in der Arbeitsgestaltung die besseren Möglichkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren. Diese Berufe fördern zudem eine kontinuierliche Erwerbstätigkeit, weil ein längerer Unterbruch zu erhöhten Opportunitätskosten führt. Die typischen Frauenberufe in der Kategorie wie beispielsweise Detailhandelsangestellte, Friseurin oder Betagtenbetreuerin sind dagegen infolge ungünstiger Arbeitsbedingungen wie Schichtarbeit, Wochenendarbeit und langen Arbeitszeiten nur schwer mit den Zeiten der öffentlichen Kinderbetreuungsstätten und Schulen zu vereinbaren (Jurczyk 1993).
4 Geschlechterungleichheiten bei der Umwandlung von Bildungstiteln in berufliche Positionen und Laufbahnchancen Wie gezeigt wurde, haben Frauen in der Schweiz bezüglich formaler Bildung aufgeholt, die damit verbundenen schulischen und beruflichen Bildungswege unterscheiden sich jedoch zwischen den Geschlechtern nach wie vor in ihrer fach- und berufsspezifischen Ausrichtung. Im Folgenden gehen wir der Frage nach, ob Frauen ihre gestiegene Bildungspartizipation in eine entsprechende verbesserte berufliche Integration umwandeln können. Wie Buchmann et al. (2002) sowie Hecken (2006) in der Aufarbeitung des Forschungsstandes für die Schweiz und Deutschland zeigen, führt das gestiegene Bildungsniveau zu einer stärkeren Berufsorientierung von Frauen, d.h. zu weniger und kürzeren Erwerbsunterbrechungen im Zusammenhang mit der Gründung einer Familie. Seit 1970 hat die Erwerbsbeteiligung von Frauen als auch der Anteil an Erwerbstätigen markant zugenommen. Gleichzeitig arbeiten immer mehr Frauen Teilzeit
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(Buchmann und Kriesi 2008). Frauen und Männer unterscheiden sich heute kaum in ihrem durchschnittlichen Umfang der Erwerbstätigkeit, solange sie kinderlos sind. Sind aber Kinder vorhanden, reduziert sich bei den Frauen die durchschnittliche Anzahl Arbeitsstunden um die Hälfte (Bühler und Heye 2005). Inwiefern angeglichene Bildungschancen und erhöhte und konstantere Arbeitsmarktintegration auch in verbesserte Einkommens- und Karrierechancen umgemünzt werden, ist dagegen nicht vollständig geklärt. Mehrere Studien belegen, dass sich die geschlechtsspezifischen Barrieren in der Bildung zwar aufgelöst haben, im Berufsleben aber fortbestehen (vgl. den Forschungsstand in Buchmann et al. 2002 sowie Hecken 2006). Engelage und Hadjar (2008) untersuchen in diesem Zusammenhang für die Schweiz die Frage, ob sich eine Promotion beim Berufseinstieg für Frauen gleichermaßen auszahlt wie für Männer. Sie können erstens nachweisen, dass promovierte Frauen in allen Fächern weniger verdienen als Männer, insbesondere in den Ingenieurs- und Sozialwissenschaften. Zweitens zeigen sich deutliche Geschlechtereffekte zu Ungunsten der Frauen, wenn der Lohnvorteil einer Promotion im Vergleich zu einem Masterabschluss betrachtet wird. Frauen haben durch eine Promotion, Ausnahme sind die Ingenieurwissenschaften, geringere Lohnvorteile als Männer. Die Promotion lohnt sich offenbar mehr für die Männer. Ebenfalls promovierte Frauen und Männer in der Schweiz haben Engelage und Schubert (2009) hinsichtlich der Frage der Ausbildungsadäquatheit der Beschäftigung fünf bis zehn Jahre nach dem Doktorat untersucht. Dabei zeigt sich, dass der Zugang zu Führungspositionen für Frauen wesentlich schwieriger ist als für Männer, was bedeutet, dass sie hinsichtlich vertikaler ausbildungsadäquater Beschäftigung benachteiligt sind. Diese inadäquate Beschäftigung kann vor allem auf die überwiegend von Frauen ausgeübte Teilzeitarbeit zurückgeführt werden. Hecken (2006) untersucht in einer Kohortenstudie in der Schweiz den Zusammenhang von gestiegener Bildungsbeteiligung und höheren Bildungsniveaus mit dem erreichten Berufsstatus. Auch sie kommt zum Schluss, dass Frauen ihre (verbesserten) Ausbildungsabschlüsse – auch unter Kontrolle der Kohorten – nicht gleich gut in beruflichen Status umwandeln können wie Männer. Für jedes weitere Schuljahr ist die Bildungsrendite der Frauen geringer als jene der Männer. Heirat und insbesondere Teilzeitarbeit verringern diese Renditen nochmals. Hecken begründet dies einerseits mit der in der Schweiz nach wie vor ausgeprägten geschlechtsspezifischen Segregation der Ausbildungen und ausgeübten Berufe, andererseits mit der Tatsache, dass der zunehmenden Integration von Frauen ins Erwerbsleben nicht im gleichen Maße Veränderungen in den Mustern der familiären Arbeitsteilung gefolgt sind. Den Geschlechterordnungen in Bildung, Beruf und Familie kommen, so können wir festhalten, eine
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entscheidende Rolle zu für die Frage der Umsetzung verbesserter Bildungschancen von Frauen in berufliche Integrations- und Laufbahnchancen.
5 Geschlechterverhältnisse im Lebensverlauf Mayer und Blossfeld (1990) haben schon vor zwanzig Jahren in dem für die Analyse der gesellschaftlichen Konstruktion von Ungleichheit im Lebensverlauf richtungsweisenden Aufsatz anhand empirischer Befunde aufgezeigt, dass die Berücksichtigung von lebenszeitlichen Aspekten der Ungleichheit und die Verknüpfung individueller Lebensläufe mit der Ebene gesellschaftlicher Institutionen für eine Beurteilung der Unterschiede von Frauen und Männern unverzichtbar ist, und dass die vergangene Lebensgeschichte die zukünftigen Lebenschancen endogen mitbestimmt. Krüger und Levy (2000, 2001) haben diese lebenslauftheoretische Perspektive ergänzt und erweitert und mit Blick auf die „verlinkten Leben“ von Paaren und Familien dafür plädiert, nicht nur die Laufbahnen von Individuen in den Blick zu nehmen, um die komplexen Konstruktionsprozesse von geschlechtsspezifischen Ungleichheiten über den Lebenslauf hinweg zu verstehen. Ihr institutionenorientierter Lebenslaufansatz fokussiert neben normativ-kulturellen im Weiteren strukturelle, in und durch Organisationen geformte Handlungsspielräume oder -imperative, welche die Lebensläufe von Männern und Frauen strukturieren. Insbesondere verweisen sie auf die folgenden Dimensionen: Neben der Konzeption des Lebenslaufes als Sequenz von drei relevanten Lebenslauf-Institutionen (Bildung, Arbeitsmarkt, Pension), welche in einer diachronen Abfolge durchlebt werden, wird in einer synchronen Perspektive die gleichzeitige Einbindung in verschiedene soziale Institutionen, insbesondere auch in die Paarbeziehung und Familie als bedeutsam bewertet. Die Institution Familie führt verschiedene Lebensläufe und Lebenspläne zusammen: Partner mit ihren unterschiedlichen beruflichen Aspirationen und Einbindungen, Kinder mit ihren Beziehungen und (Bildungs-)Aktivitäten, weitere Familienmitglieder (z.B. Großeltern) mit ihren Bedürfnissen (Pflege) oder Unterstützungen (Kinderbetreuung). Dies erfordert, Lebensverläufe nicht als eine Angelegenheit von Einzelpersonen, sondern als Paar- oder Familienkonstruktionen zu verstehen. Neben der Institution Familie ist die Strukturierungskraft von Anliegerinstitutionen mitzubedenken. Moderne Gesellschaften sind funktional stark ausdifferenziert in verschiedene Subsysteme und Organisationen, welche das Alltagsleben und die Lebensläufe von Individuen und Familien prägen. Zu denken ist u.a. an Anforderungen und kulturelle Normen im Beschäftigungssystem (z.B. Flexibilität) oder Angebote, Öffnungs- und Betreuungszeiten wichtiger privater wie
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staatlicher Versorgungsinstitutionen (Schule, familienergänzende Betreuungsinstitutionen) (vgl. auch Buchmann und Charles 1995). Diese Institutionen erleichtern oder erschweren die Vereinbarung von Kindern und Erwerbsarbeit und damit die innerfamiliären Muster von Arbeitsteilung. Geschlecht als Masterstatus strukturiert die Lebensläufe ungleich für Männer und Frauen. Auf der Mikroebene wirkt Geschlecht durch ein „doing gender“ in den alltäglichen Interaktionen der Akteure in einer durch Zweigeschlechtlichkeit strukturierten Welt. Auf der Meso-Ebene ist Geschlecht als Strukturkategorie in mannigfaltiger Form in die Institutionen insbesondere des Bildungs-, Beschäftigungs- und Familiensystems und die Verknüpfungen und Interdependenzen der drei Systeme eingelassen.10 Die Bedeutung von geschlechtsspezifischen Bildungsungleichheiten für Berufsleben und Karriere, so unsere These, kann nur unter Bezugnahme auf diese komplexe und umfassende Perspektive theoretisch wie empirisch angemessen bearbeitet und beantwortet werden. Dies soll zum Abschluss anhand einiger ausgewählter Resultate einer Längsschnittuntersuchung zu geschlechtsspezifischen Laufbahnchancen in der Wissenschaft illustriert werden. In der vom Bundesamt für Statistik betreuten Panel-Studie wurden alle im Jahre 2002 in der Schweiz Doktorierten ein Jahr (2003) und fünf Jahre (2007) nach Abschluss der Dissertation zu ihrer weiteren beruflichen Entwicklung befragt. Zusätzlich wurden mit einer ausgewählten Stichprobe vertiefende Interviews geführt (vgl. Leemann und Stutz 2008). Dank Zusatzmodulen in den beiden Panels zu Bedingungen und Entwicklungen von wissenschaftlichen Laufbahnen konnte die Karriereentwicklung von Nachwuchsforschenden analysiert werden, wobei die Ursachen und Ausprägungen der „Leaky Pipeline“, des überproportionalen Verlusts weiblichen wissenschaftlichen Nachwuchses, im Zentrum stand. Bei gleichem Bildungsniveau der Befragten (Promotion) zeigen sich innerhalb des Beobachtungszeitraums von fünf Jahren für eine erfolgreiche wissenschaftliche Laufbahn ungleiche Entwicklungen nach Geschlecht, welche auch im weiteren Berufsverlauf geringere Karrierechancen von Frauen erwarten lassen. Geschlecht als Masterstatus macht sich bei der Förderung und Integration der Nachwuchsforschenden bemerkbar. So haben Nachwuchswissenschaftlerinnen eine signifikant geringere Chance – weniger als halb so groß wie männliche Nachwuchskräfte – in der Postdocphase einen Professor oder eine Professorin
10 In Studien zu Erwerbsverläufen von Frauen werden die (trotz erfolgreicher Bildungsabschlüsse) eingeschlagenen statusgeringeren Wege nicht selten damit erklärt, dass Frauen – ihre zukünftige Rolle als Mutter und Ehefrau antizipierend – entsprechende Laufbahnentscheidungen treffen, als würden die sozialen Verhältnisse in der Institution Familie nicht mit der Arbeitssphäre zusammenhängen.
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Regula Julia Leemann und Christian Imdorf
zu finden, der/die sie im Sinne eines Mentorings entscheidend unterstützt und fördert (Leemann et al. 2010a). Auch die Einbindung von Frauen in internationale Netzwerke ist zum Befragungszeitpunkt 2007 signifikant schlechter als jene ihrer männlichen Kollegen (Leemann et al. 2010b). Dies kann mitunter die Tatsache erklären, dass die weiblichen Nachwuchswissenschaftler seit dem Doktorat im Durchschnitt nur knapp zwei Drittel so viel publiziert haben wie die männlichen (Leemann und Stutz 2008). Auch die Familiensituation der Nachwuchskräfte ist durch geschlechtsspezifische Strukturen gekennzeichnet (vgl. im Folgenden auch Leemann et al. 2010a). Zum Befragungszeitpunkt 2007 leben die Akademikerinnen und Akademiker zwar gleich häufig in einer Partnerschaft. Die Gründung einer Familie ist für Frauen im Vergleich zu den Männern jedoch schwieriger mit einer weiteren Karriere zu verbinden. Dies zeigt sich anhand dreier Phänomene. Erstens haben die Frauen fünf Jahre nach dem Doktorat weniger häufig Kinder. Im Hochschulbereich tätige Frauen haben zu 32 Prozent mindestens ein Kind, wenn sie außerhalb der Hochschule arbeiten, ist dieser Anteil mit 38 Prozent etwas höher. Männer im Hochschulbereich haben in 43 Prozent der Fälle mindestens ein Kind, wenn sie in andere Tätigkeitsbereiche gewechselt haben, sind sie in 57 Prozent der Fälle Vater geworden. Wie weitere Auswertungen zeigen, planen Frauen, falls sie (noch) keine Kinder haben, auch weniger Kinder für die Zukunft als Männer. Die Geschlechterunterschiede bezüglich Elternschaft werden sich demnach noch vergrößern. Diese Ergebnisse verweisen darauf, dass in der Schweiz die Vereinbarung einer wissenschaftlichen Laufbahn mit der Gründung einer Familie nicht nur durch die Geschlechtszugehörigkeit, sondern auch durch institutionelle Faktoren des wissenschaftlichen Feldes erschwert wird, bei beiden Geschlechtern. Zweitens verändert sich das zuvor noch relativ gleichartige erwerbsbezogene Muster der Arbeitsteilung der Paare, wenn die Paartypen befragte Akademikerin & Partner(in) mit befragten Akademiker & Partner(in)11 betrachtet werden, eklatant, wenn Kinder dazu stoßen. Weibliche Doktorierte mit Kindern sind zwar größtenteils (85 Prozent) erwerbstätig, jedoch häufig nur in Teilzeit (66 Prozent der Befragten). In ca. 30 Prozent der Fälle sind auch ihre Partner Teilzeit erwerbstätig, die restlichen 70 Prozent arbeiten Vollzeit. Haben dagegen männliche Doktorierte Kinder, ändern sie ihr Erwerbsverhalten nicht und sind mit wenigen Ausnahmen weiterhin berufstätig, zum größten Teil Vollzeit (80
11 Da es sich in den meisten Fällen um heterosexuelle Paarkonstellationen handeln wird, ist im Folgenden das Geschlecht der Partner jeweils entsprechend als männlich oder weiblich angenommen.
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Prozent). Ihre Partnerinnen aber reduzieren häufig auf Teilzeit (50 Prozent) oder unterbrechen die Erwerbstätigkeit ganz (40 Prozent). Drittens zeigt die Aufteilung der Verantwortung für die Kinderbetreuung in Paarhaushalten auch in dieser Gruppe von Hochqualifizierten die bekannten Muster innerfamiliärer Arbeitsteilung. Die Hälfte der Väter kann sich auf eine Partnerin abstützen, welche die Kinderbetreuung an Werktagen vollumfänglich übernimmt oder organisiert. Dies ist bei den befragten Müttern kaum der Fall. Sie sind immer in die Betreuung involviert, indem sie selbst Betreuungsaufgaben übernehmen und die Betreuung mit Hilfe von Drittpersonen und Betreuungsinstitutionen organisieren.12 Die Relevanz der „linked lives“ – oder in diesem Kontext der „dual career couples“ – macht sich ganz konkret bemerkbar bei der für eine wissenschaftliche Laufbahn bedeutsamen geografischen akademischen Mobilität. Unsere Untersuchungen zeigen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche zum Zeitpunkt des Doktorats in einer Paarbeziehung lebten, sich in der Postdocphase signifikant seltener für eine wissenschaftliche Phase ins Ausland begeben. Der im wissenschaftlichen Feld geforderte Idealtypus eines Wissenschaftlerunternehmers, „nomadic and monadic, de-territorialised, disembodied and dis-embedded“ (Leemann 2010) ist männlich, jung, stammt aus akademischer Herkunftsfamilie, hat (noch) keine Kinder, lebt nicht in fester Partnerschaft und wird wissenschaftlich durch einen Mentor und Institutionen der Forschungsförderung unterstützt. Wie in Kapitel 4 und 5 gezeigt, haben hochqualifizierte Frauen (mit Promotion) bei der Verfolgung einer Karriere in- und außerhalb der Wissenschaft größere Hindernisse zu überwinden als hochqualifizierte Männer. Sie verdienen weniger, werden weniger gefördert und sind schon wenige Jahre nach der Promotion in Führungspositionen untervertreten.
6 Zum Zusammenhang von Bildung, Beruf und Karriere aus Geschlechterperspektive: Ein Fazit Wie ist nun das Aufholen der Frauen – oder gar Überholen der Männer – im Bildungsbereich im Hinblick auf die Frage von Persistenz und Wandel von
12 In der Schweiz ist in der Gesamtbevölkerung die traditionelle Versorgerehe (der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau Teilzeit oder ist nicht erwerbstätig und übernimmt den größten Teil der Familienarbeit) nach wie vor vorherrschend (Strub et al. 2005; Baumgartner 2006). Frauen und Männer sind in der Folge sehr ungleich in die Sphären von Familien- und Erwerbsleben eingebunden, sobald Kinder vorhanden sind.
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gesellschaftlichen Geschlechterungleichheiten abschließend einzuordnen? Ziel des Aufsatzes war es, eine Interpretationsfolie zu dieser Frage zu skizzieren und eine Einschätzung vorzunehmen. Zusammenfassend können wir festhalten, dass Untersuchungen von Geschlechterungleichheiten im Bildungssystem, welche auf der Ebene der ISCEDKlassifikationen operieren, zu kurz greifen. Sie können die in den Kategorien zusammengefassten unterschiedlichen Bildungswege und Bildungstitel und die darin angelegten ungleichen Beschäftigungschancen nicht erfassen. Zwei Charakteristiken des schweizerischen wie auch des deutschen Bildungssystems erfordern differenziertere Analysen. Zum einen ist dies die ausgeprägte Binarität des Systems, mit den biografisch früh eingeleiteten und voneinander getrennten beruflichen und allgemeinbildenden Pfaden, welche in sich nach Fachrichtungen weiter stark ausdifferenziert sind. Zum anderen ist dies der sich nach wie vor stark auf die Institution der Beruflichkeit und der Zertifizierung stützende Arbeitsmarkt, der eine enge Verbindung zum Bildungssystem schafft (Buchmann und Sacchi 1998). Wir haben den Blick auf den Zusammenhang zwischen Bildung, Beruf und Karriere gerichtet und herausgearbeitet, dass Analysen von Transformationen oder Beharrungstendenzen des Geschlechterverhältnisses Phänomene und Wandlungsprozesse in den Institutionen Bildung, Beschäftigung, Familie und Lebenslauf untersuchen und aufeinander beziehen müssen (vgl. Kraus 2006). Empirische Ergebnisse für die gegenwärtige Situation in der Schweiz verweisen auf anhaltende sozial relevante Geschlechterordnungen im Dreieck Bildung, Beruf und Familie, welche im Ergebnis dafür verantwortlich sind, dass Frauen ihre Bildungsgewinne der letzten dreißig Jahre nicht angemessen in berufliche Chancen umwandeln konnten. Es sind dies erstens die in den Ausbildungswegen angelegten Geschlechtersegregationen, welche Frauen und Männer in unterschiedliche berufliche Felder und zu ungleichen beruflichen Beschäftigungschancen führen, zweitens Benachteiligungen von Frauen bei der Umwandlung von gleichen oder vergleichbaren Bildungstiteln in berufliche Positionen und Laufbahnchancen, sowie drittens der Umstand, dass Frauen ihr Bildungskapital durch die ihnen gesellschaftlich zugewiesene Reproduktionsarbeit nicht zu den gleichen Bedingungen in Einkommen, Berufsstatus und formale Autorität ummünzen können und deshalb im Bereich der Familie (mit dem Verzicht auf Kinder) oder im Beruf (mit Teilzeitarbeit und Karriereverzicht) zurückstecken müssen. Befürchtungen, dass sich das Geschlechterverhältnis in den nächsten Jahren nun zu Ungunsten der Männer umkehren wird, scheinen angesichts der großen Persistenz der Frauen benachteiligenden Geschlechterungleichheiten in Beschäftigung und Familie zurzeit unbegründet.
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Was können wir aus den Befunden lernen? Empfehlungen für Lehrpersonen, Lehrpersonenausbildende und die Bildungspolitik Elisabeth Grünewald-Huber
Wie können wir angesichts der Vielfalt der Herausforderungen in der Welt mit nur einem Geschlecht auskommen? Virginia Woolf Die Beiträge in diesem Band zeigen, dass die Gründe für geschlechtertypische Bildungsungleichheiten sehr vielschichtig und komplex sind, sich je nach Ausbildungsdauer oder Lebensphase unterschiedlich manifestieren und in alle zentralen Lebensbereiche hineinreichen bzw. von diesen mitbedingt sind. Vermittelt werden sie auf vielfältige Weisen über normativ-kulturelle wie auch strukturelle Faktoren. Der Abbau bestehender Geschlechterungleichheiten im Schulerfolg sowie in Ausbildungs- und Berufsentscheiden würde Maßnahmen erfordern, die entsprechend vielfältig und auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind sowie den in den Befunden ersichtlichen unterschiedlichen Wechselwirkungen Rechnung tragen. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten skizziert, wie auf verschiedenen Interventionsebenen in Richtung eines Abbaus der heute bestehenden Ungleichheiten hingewirkt werden könnte.
Ebene Schulen/Ausbildung von Schülerinnen und Schülern Unterrichtsebene. In den vielfältigen Analysen haben sich folgende Faktoren herauskristallisiert, die für den im Vergleich zu Schülerinnen geringeren Schulerfolg der Schüler bedeutsam sind: • ein tieferes Commitment für Schulisches/eine tiefere Lernbereitschaft (vgl. Quenzel und Hurrelmann; Bacher et al.; Lupatsch und Hadjar; Grünewald-Huber et al.; Neugebauer in diesem Band), • eine tiefere Lesekompetenz, was sich in praktisch allen Fächern auswirkt (Quenzel und Hurrelmann),
A. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4_18, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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ein schulischem Erfolg entgegen wirkendes oder deviantes Verhalten (z.B. Lupatsch und Hadjar), stärker auf kurzfristige und materielle Gewinne ausgerichtete und so mit Schule wenig kompatible Wertorientierungen (Quenzel und Hurrelmann), unrealistische Leistungsselbstbilder und schön-färbende Misserfolgsverarbeitung (Grünewald-Huber et al.), stärkere Schulentfremdung (Lupatsch und Hadjar), eine Betonung von Begabung gegenüber Anstrengung als relevant für Schulerfolg (z.B. Grünewald-Huber et al.), fehlende Problembewältigungsstrategien und Problemlösekompetenzen im Zusammenhang mit anstehenden Entwicklungsaufgaben (Quenzel und Hurrelmann), ein schlechterer Transfer von elterlichem kulturellem Kapital (Bourdieu) auf die Söhne (Hupka et al.), tiefere Selbstkontrolle als wichtige Voraussetzung für langfristige Ziele (Baier und Pfeiffer), traditionelle Geschlechterbilder mit negativen Auswirkungen auf Interesse, Motivation und Leistungen (Francis und Skelton; Lupatsch und Hadjar, Grünewald-Huber et al.) und eine schulischem Lernen abträgliche Freizeitgestaltung (Baier und Pfeiffer).
Ein Unterricht, der die Erfolgschancen von Jungen erhöht, könnte demnach folgende Elemente berücksichtigen: Ein autoritativer Unterrichtsstil1 baut Schulentfremdung – und damit auch deviantes Verhalten – ab und erhöht das schulische Commitment. Eine realistisch-kritische Rückmeldepraxis an die Schüler betont die Bedeutung von Anstrengung für den Schulerfolg, da nur eine solche die vorhandenen Begabungen zur Anwendung bringt. Jungen erhalten Möglichkeiten, sich die nötigen Kompetenzen für die Bewältigung biographisch anstehender Entwicklungsaufgaben aufzubauen (z.B. Reflexionskompetenz). Die Lehrpersonen, der Unterricht und die Schule als Institution wirken in Richtung eines Abbaus traditioneller Geschlechterbilder. Dies dürfte sich vor allem für Jungen positiv auswirken, da bei ihnen einerseits traditionelle Geschlechterbilder verbreiteter sind und diese andererseits im Widerspruch mit schulischem Erfolg stehen. In diesem Zusammenhang sind auch das Coolness-Diktat und die Angst der schulisch interessierten Jungen als Streber zu gelten, kritisch zu the1
Ein autoritativer Unterrichtsstil zeichnet sich durch eine Kombination aus klarer Führung und empathischer Unterstützung der Schülerinnen und Schüler aus.
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matisieren. Die Lesekompetenz der Jungen sollte mit geeigneten pädagogischen und didaktischen Mitteln verbessert werden. Hier erscheinen u.a. Maßnahmen sinnvoll, welche die Lesemotivation fördern. Jungen brauchen insbesondere Klartext-Rückmeldungen zu ihren Leistungsständen und ihrem (Lern)Verhalten, damit sie sich nicht in falscher Sicherheit wiegen oder die Illusion eigener Genialität pflegen können. Daran anschließend sollten Jungen klare Arbeitsaufträge erhalten, die ihnen jedoch ausreichend selbstgesteuertes Lernen erlauben; dieses wird von Jungen deutlich öfter angemahnt als von Schülerinnen (Grünewald-Huber et al.). Um sich nicht zu überfordern, sollte es Lehrpersonen bewusst sein, dass sich ihnen im Unterricht Spielräume für die Motivations-, Verhaltens- und Leistungsverbesserung ihrer Lernenden bieten, dass es jedoch im Familien- und Peerkontext besonders in den Bereichen Wertorientierung, (traditionelle) Geschlechterrollen und Freizeitgestaltung mehr oder weniger starke Gegenkräfte geben kann. Für Mädchen/Frauen wurden ebenfalls in den verschiedenen Beiträgen dieses Buches Risikofaktoren benannt: • eine erhöhte Vulnerabilität und stark emotionale Reaktionsmuster (Hascher und Hagenauer), • fehlende Selbstwirksamkeitsüberzeugungen (Lazarides et al.), • tiefere Erwartungen an die eigenen Bildungserträge und eine – im Vergleich zu den Jungen – tatsächlich niedrigere Bildungsrendite (Lörz et al.; Leemann und Imdorf), • eine frühe Festlegung auf traditionell weibliche Ausbildungs- und Berufsbereiche mit der Aussicht auf unsicherere und tiefer entlöhnte Anstellungen (Leemann und Imdorf). Ein Unterricht, der den für Mädchen bestehenden Nachteilen Rechnung trägt, könnte sich durch folgende Merkmale auszeichnen: Die besondere Vulnerabilität und Emotionalität von Mädchen in der Pubertätsphase wird berücksichtigt. Tiefe Selbstwerte und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen – insbesondere hinsichtlich männlich konnotierten Fächern wie Mathematik – werden mittels Ermutigung und Reattribuierungen schulischer (Miss)Erfolge verbessert. Mädchen erhalten Gelegenheiten, in unterschiedlichste Fachbereiche einzutauchen und so ihre ganze Begabungspalette zu entwickeln. Männlich dominierte Fächer und Berufsfelder werden ihnen nahe gebraucht und das ihnen anhaftende traditionelle Gendering thematisiert und abgebaut. Geringer Selbstwert und tiefe Fähigkeitsselbstkonzepte führen bei Mädchen tendenziell zu einem überengagierten, wenig gelassenen Arbeitsstil und beeinträchtigen ihr schulisches Wohlbefinden (Hascher und Hagenauer). Es ist des-
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halb bei Mädchen auf einen intakten Selbstwert und mehr Gelassenheit hinzuwirken; damit könnten sie oft dieselben Leistungen mit einem geringeren Aufwand erreichen. Andererseits führt der tiefe Selbstwert der Mädchen mit dazu, dass sie trotz glänzender Bildungsabschlüsse in der Arbeitswelt nicht zu angemessenen Positionen kommen. Auch dies spricht dafür, Mädchen in ihrem Selbstwert zu stärken und eine Korrektur ungünstiger Fähigkeitsselbstkonzepte insbesondere in gegengeschlechtlich zugeschriebenen Fächern anzuregen und zu unterstützen. Die Tatsache der tieferen Bildungserträge durch weibliche Bildungsanstrengungen bleibt ein außerschulisch zu lösendes Problem.
Institutionelle Ebene von Ausbildungsinstitutionen Die institutionelle Ebene wird in den Beiträgen dieses Bandes über allgemeine Hinweise auf ihre Bedeutung für das Thema ungleicher Schulerfolge eher wenig angesprochen. Genannt wird, dass höhere weibliche Anteile bei den Lehrpersonen und in den Klassen zu kleineren Bildungsunterschieden zwischen den Geschlechtern führen (Baier und Pfeiffer) und dass es neben Feminisierungs- auch Remaskulini-sierungstendenzen in Bildungsinstitutionen gibt (Francis und Skelton). Dennoch bestehen auf der Gesamtebene von Bildungsinstitutionen hinsichtlich der von ihnen mit produzierten Bildungs(un)gleichheiten äußerst relevante Parameter, die es gendersensibel einzustellen gilt: Öffentliche Auftritte und Öffentlichkeitsarbeit sollten stärker gendersensibel gestaltet werden (u.a. sprachliche Repräsentation der Geschlechter). Es sollte eine gleiche vertikale und horizontale Geschlechterverteilung angestrebt werden, d.h. – vertikal gesehen – möglichst gleiche Lehrerinnen- und Lehreranteile auf verschiedenen Ausbildungsstufen und Hierarchiestufen (z.B. Schulleitungen) und – horizontal gesehen – gleiche Anteile in verschiedenen Fachbereichen und bei Zusatzaufgaben (z.B. Wartung technischer Geräte). Auch Zeitstrukturen sind zu überdenken; Tagesstrukturen könnten z.B. das Freizeitverhalten der Jungen verbessern. Fächer sollten von ihren Geschlechterkonnotationen – Mathematik als ‚männlich’, Sprachen als ‚weiblich’ – befreit werden, u.a. dadurch, dass sie vorzugsweise vom ‚untypischen’ Geschlecht unterrichtet werden – Lehrer für Sprachund musische Fächer, Lehrerinnen für MINT-Fächer. Die Debatte über schulische Benachteiligungen ist zu versachlichen und an empirischen Befunden zu orientieren. So dürfte den Jungen entschieden besser geholfen sein, wenn sie als handlungs- und lernfähig und nicht als (arme, passive) Opfer betrachtet werden. Und es wäre sachlich nicht haltbar, die höheren Bildungserfolge der Mädchen als Bildungsmisserfolge der Jungen zu verstehen (Neugebauer). In Kampagnen für „Mehr Männer auf die Unterstufe“ (vgl. in der
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Schweiz laufendes Projekt) sollte eine fakten-gestützte Argumentation ohne Abwertung der von Lehrerinnen geleisteten Arbeit und ohne stereotype Erwartungen an männliche Lehrpersonen gewählt werden (Faulstich-Wieland). Eine intensive, professionelle Eltern(zusammen)arbeit kann zusätzliche Verbesserungen für Schülerinnen und Schüler bringen. Zu empfehlen ist, dass Schulen und ihre Kollegien bezüglich der Geschlechter- bzw. Genderthematik einen gemeinsamen, auf empirischen Befunden und professionellen Kriterien abgestützten Kurs fahren und so – unabhängig von einzelnen Lehrpersonen und über die ganze Ausbildungszeit – zu einer förderlichen Entwicklung der Auszubildenden beizutragen. Eine Versachlichung des Arme-Jungen-Diskurses erlaubt Jungen einen Ausweg aus ihrem derzeitigen Opferstatus und ermöglicht ihnen Selbstverantwortung zu übernehmen. Die Unterstützung soll sich an den Forschungsbefunden und der historischen Situation orientieren. Heutige junge Männer befinden sich in einer neuen Situation: Anders als frühere Männergenerationen profitieren Jungen und Männer nicht mehr automatisch von einem „Männerbonus“ oder einer „männlichen Dividende“ aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit, sondern müssen sich in der Folge einer zunehmenden Geschlechtergleichstellung ihre schulischen und beruflichen Erfolge ohne diese Erleichterungen selbst erarbeiten und verdienen. Stellen sich Jungen dieser Realität und verabschieden sich damit von traditionellen, Dominanz beanspruchenden Männlichkeitsvorstellungen, verbessern sie ihre Voraussetzungen für schulischen und beruflichen Erfolg. Mit Unterstützung genderkompetenter Lehrpersonen und informierter Eltern ist eine Verbesserung der schulbezogenen Einstellungen, der Motivation und damit auch der Leistungen von Jungen zu erwarten. Dabei sind Maßnahmen im Genderbereich, wie mehrere Autoren und Autorinnen monieren, nicht isoliert zu konzipieren und realisieren, sondern auch mit Blick auf andere Benachteiligungsfaktoren, namentlich bildungsferne Herkunftsfamilien (soziale Lage und/oder Migrationshintergrund).
Ebene Lehrpersonaus- und -weiterbildungen An die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen im Genderbereich sind entsprechend hohe Ansprüche zu stellen. Diese umfassen zunächst eine Befähigung zu qualitativ gutem Unterricht, da ein solcher zu einer Reduktion von geschlechtstypischen Ungleichheiten führt (Hascher und Hagenauer; GrünewaldHuber et al.). Guter Unterricht zeichnet sich durch einen autoritativen Unterrichtsstil, eine hohe Eigenaktivität der Lernenden (Hascher und Hagenauer; Grünewald-Huber et al.) und Wohlbefinden im Unterricht (Hascher und Hage-
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nauer) aus. Bezogen auf die Genderthematik kommen empirisches Wissen – wie etwa über die Gründe für fachspezifische Leistungsunterschiede – sowie Kenntnisse über die geltende symbolische Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit dazu. Themen letzterer sind Geschlechtersozialisation und alltägliches doing gender. Es gilt, ein Verständnis für „pupils’ constructions of gender“ und „laddish behaviours“ (Francis und Skelton) und für beide Geschlechter förderliche Umgangsweisen damit zu entwickeln. Verschiedene Autoren und Autorinnen empfehlen gleichzeitig mit doinggender-Praktiken auch doing class und doing race und damit die Heterogenitätsproblematik umfassender zu berücksichtigen (Francis und Skelton; Faulstich-Wieland etc.).
Gesellschaftliche und politische Ebene Auf der bildungspolitischen Ebene sind Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die angesprochenen Optimierungen erleichtern. In Betracht zu ziehen sind z.B. Tagesstrukturen mit qualitativ guten Freizeitangeboten. Wie auf der Ebene der Institutionen ist der Diskurs über Ungleichheiten und die Gründe dafür in der Bildungspolitik sachlich, an soliden Forschungsergebnissen orientiert und unbeeinflusst von politischen Instrumentalisierungsversuchen zu führen. Auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene, in Öffentlichkeit, Politik und Gesetzgebung, sind vielfältige Maßnahmen für eine Verbesserung der geschlechttypischen schulischen und beruflichen Disparitäten möglich. Vorrangig erscheinen eine Versachlichung des Arme-Jungen-Diskurses und eine Aufklärung über Forschungsergebnisse in den allgemeinen Medien. Großer Handlungsbedarf besteht nach Leemann und Imdorf bezüglich des Zusammenspiels von Berufs- und Familienarbeit dahingehend, dass Eltern – und aufgrund ihres diesbezüglichen Rückstandes vor allem Väter – mehr Entscheidungs- und Handlungsspielraum erhalten, um die beiden Bereiche unter einen Hut zu bringen, ohne dass sie gravierende Nachteile bei ihrer Berufslaufbahn in Kauf nehmen müssen. Familienfreundliche Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt, Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern und eine Steuergesetzgebung, die doppelverdienende Paare nicht diskriminiert2, könnten einen Abbau von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern begünstigen. 2
In vielen Ländern liegt der Steuergesetzgebung immer noch das Ein-Ernährer-Familienmodell zugrunde und sind doppel verdienende Paare entsprechend steuerlich benachteiligt. So werden z.B. in der Schweiz die Paar-Einkommen addiert und unterliegen damit einem höheren Steuersatz, womit das zweite Einkommen – bei heterosexuellen Paaren meistens das der Frau – unattraktiv wird.
Was können wir aus den Befunden lernen?
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Eine Knacknuss stellt in der Tat – wie Leemann und Imdorf in diesem Band aufzeigen – die horizontale und vertikale Geschlechtersegregation in verschiedene Berufsfelder und berufliche Positionen dar. Dabei scheint sich vertikale Geschlechtersegregation noch eher verändern zu lassen. Das zeigt sich in den skandinavischen Ländern, wo der Frauenanteil in Kaderpositionen deutlich höher ist als im übrigen Europa, wobei auch Quoten (z.B. für Verwaltungsräte) zur verbesserten Situation beigetragen haben. Als besonders hartnäckig erweist sich das Gendering bezüglich Fachausbildungen und Berufsfeldern, also die horizontale Segregation. In ihr manifestiert sich die herkömmliche Geschlechtersozialisation, in der Mädchen und Jungen mittels vorherrschender Geschlechterbilder von früh auf lernen, welche Tätigkeiten und Lebensbereiche für Frauen und Männer als angemessen gelten. Geht es dann für die Jugendlichen um die entscheidenden Weichenstellungen hinsichtlich Ausbildungswegen und Berufsentscheiden, sind die Wahlmöglichkeiten für beide Geschlechter bereits so stark ausgedünnt, dass subjektiv gar keine echte Wahl mehr besteht. Damit junge Menschen künftig in den Bereichen Bildung und Beruf aus dem gesamten Spektrum auswählen und so ihren genuinen Neigungen entsprechen können, sind die traditionellen, historisch eingeübten, konventionalisierten und weitestgehend unbewussten Männlichkeits- und Weiblichkeitsvorstellungen in Richtung individueller, offener Geschlechterkonzepte zu verändern. Eine zeitgemäße und zukunftsfähige Gender-Sozialisation der heranwachsenden Menschen, die ihnen grössere Bildungserfolge, eine höhere Selbstbestimmung jenseits starrer Geschlechterstereotype und damit vielfältigere Lebenslaufchancen eröffnet, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu deren Lösung die Bildungspolitik und Bildungsinstitutionen ganz wesentlich beitragen können.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Bacher, Johann, Professor für Soziologie und empirische Sozialforschung an der Johannes Kepler Universität Linz. Arbeitsschwerpunkte: Methoden der empirischen Sozialforschung, Bildungsforschung, Soziologie der Kindheit und des Abweichenden Verhaltens. Neuere Veröffentlichungen: Clusteranalyse (mit A. Pöge, K. Wenzig), München 2010; Umfrageforschung (mit M. Weichbold, C. Wolf), Wiesbaden 2009; Soziale und politische Folgen von Bildungsarmut (mit H. Hirtenlehner, A. Kupfer), In: G. Quenzel, K. Hurrelmann: Bildungsverlierer, Wiesbaden 2010. Baier, Dirk, Dipl.-Soz., wiss. Mitarbeiter am Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen in Hannover. Arbeitsschwerpunkte: Deviantes Verhalten, Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus, Jugendsoziologie; neuere Veröffentlichungen: Computerspielabhängigkeit bei Jugendlichen (mit F. Rehbein), In: U. Dittler, M. Hoyer: Zwischen Kompetenzerwerb und Mediensucht. München 2010; Kinder und Jugendliche in Deutschland. Gewalterfahrungen, Integration, Medienkonsum (mit C. Pfeiffer, S. Rabold, J. Simonson, C. Kappes), Hannover 2010. Becker, Rolf, Professor für Bildungssoziologie an der Universität Bern. Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, Sozialstrukturanalyse, Lebensverlaufsforschung, Methoden der empirischen Sozialforschung und Statistik, Arbeitsmarkt- und Mobilitätsforschung, empirische Wahlforschung. Neuere Veröffentlichungen: Lehrbuch der Bildungssoziologie (Hg.), Wiesbaden 2010 (2. u. erw. Auflage); Bildung als Privileg (mit W. Lauterbach), Wiesbaden 2010 (4. u. erw. Auflage); Social Inequality of Reading Literacy (mit F. Schubert), Research in Social Stratification and Mobility 28. Berger, Joël, Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Bern. Arbeitsschwerpunkte: Experimentelle Spieltheorie und Sozialtheorie, Methoden der empirischen Sozialforschung und Statistik, Bildungssoziologie. Neuere Veröffentlichungen: Dauerhafte Bildungsungleichheiten in Westdeutschland, Ostdeutschland und der Schweiz (mit A. Hadjar), Zeitschrift für Soziologie 39; Lebenszufriedenheit im Zeitverlauf in Ost- und Westdeutschland (mit A. Hadjar), In: I. Ostner, P. Krause: Leben in Ost- und Westdeutschland, Frankfurt am Main 2010. Bergman, Manfred Max, Professor für Methoden und politische Soziologie der Universität Basel, Visiting Professor University of Johannesburg & Witwatersrand. Arbeitsschwerpunkte: inter- und intra-generationale Ungleichheitstransfers, Bildung und Arbeit, Mixed Methods Designs. Neuere Veröffentlichungen: Mixed Method Research, Newbury Park/London/New Dehli 2008; The Importance of Specificity in Occupation-Based Social Classification (mit P. Lambert, K.L.L. Tan, K. Prandy, V. Gayle), International Journal of Sociology and Social Policy 28. Braun, Dominique, dipl. Lehrerin für die Vorschulstufe und die Primarstufe, studentische Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Bern und an der Universität Bern. Schwerpunkte: Allgemeine und historische Pädagogik, Geschlechterforschung, Unterrichtsforschung. Diefenbach, Heike, Dr. phil. habil., Soziologin und Ethnologin, selbständige wissenschaftliche Beraterin und Autorin. Arbeitsschwerpunkte: Bildungs- und Ungleichheitsforschung, Migrationsforschung, Methodologie der Sozialwissenschaften und soziologische Theorie. Neuere Veröffentlichungen: Kinder und Jugendliche aus Migrantenfamilien im deutschen Bildungssystem, Wiesbaden 2010 (3. Auflage); Jungen – die "neuen" Bildungsverlierer, In: G. Quenzel, K. Hurrelmann: Bildungsverlierer, Wiesbaden 2010.
A. Hadjar (Hrsg.), Geschlechtsspezifische Bildungsungleichheiten, DOI 10.1007/978-3-531-92779-4, © VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Faulstich-Wieland, Hannelore, Prof. Dr. habil., Professorin an der Universität Hamburg. Arbeitsschwerpunkte: Geschlecht und Bildung, Koedukation in Schule und Hochschule, Sozialisation. Neuere Veröffentlichungen: Geschlechtergerechtigkeit in der Schule. Eine Studie zu Chancen, Blockaden und Perspektiven einer gender-sensiblen Schulkultur (mit J. Budde, B. Scholand), Weinheim 2008; Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online. Fachgebiet: Geschlechterforschung (Hg.), Weinheim seit 2009, http://www.erzwiss.online.de. Francis, Becky, Professorin und Direktorin für Bildung an der RSA (Royal Society for the encouragement of Arts, Manufactures and Commerce, London). Gastprofessorin am King’s College London. Arbeitsschwerpunkte: soziale Identitäten (Geschlecht, Ethnie, soziale Schicht) und Bildungserwerb, Feministische Theorie. Neuere Veröffentlichungen: Understanding minority ethnic achievement (mit L. Archer), London 2007; Sage handbook of gender and education (hg. mit C. Skelton, L. Smulyan), London 2006; Reassessing gender and achievement (mit C. Skelton), London 2005. Grünewald-Huber, Elisabeth, Prof. Dr. phil., Dozentin und Forschungsbeauftragte an der Pädagogischen Hochschule Bern, Institut Vorschulstufe und Primarstufe. Arbeitsschwerpunkte: Gender- und Heterogenitätsthematik, geschlechterbezogene Pädagogik und Didaktik. Neuere Publikationen: Werkmappe Genderkompetenz. Materialien zur Förderung von Genderkompetenz in Diskussion, Rollenspiel und Selbsttest (mit A. von Gunten), Zürich 2009; Bildungsverlierer/-innen, Schulentfremdung und Schulerfolg (mit Andreas Hadjar, J. Lupatsch), In: G. Quenzel, K. Hurrelmann: Bildungsverlierer, Wiesbaden 2010. Gysin, Stefanie, lic. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule Bern (PH Bern). Arbeitsschwerpunkte: Familiale und außerfamiliale Bildung und Betreuung, Genderthematik im Zusammenhang mit Schulentfremdung/Schulerfolg sowie schulischer und sozialer Integration von Schülerinnen und Schülern. Hadjar, Andreas, Prof. Dr. habil., Professor an der Universität Luxemburg. Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, Sozialstrukturanalyse, Politische Soziologie, Methoden der empirischen Sozialforschung und Datenanalyseverfahren. Neuere Veröffentlichungen: Expected and Unexpected Consequences of the Educational Expansion in Europe and the US (hg. mit R. Becker), Bern 2009; Bildungsverlierer/-innen, Schulentfremdung und Schulerfolg (mit E. Grünewald-Huber, J. Lupatsch), In: G. Quenzel, K. Hurrelmann: Bildungsverlierer, Wiesbaden 2010. Hagenauer, Gerda, Mag. Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Paris Lodron Universität Salzburg. Arbeitsschwerpunkte: Emotionen/Motivation und Lernen, Lehrer-Schüler-Interaktion, quantitative Methoden. Neuere Veröffentlichungen: Kurzzeitinterventionen versus Langzeitinterventionen, In: T. Hascher, B. Schmitz, Handbuch Interventionsforschung, Weinheim 2010; Schulische Lernfreude in der Sekundarstufe 1 und deren Beziehung zu Kontroll- und Valenzkognitionen (mit T. Hascher), Zeitschrift für Pädagogische Psychologie 25. Hascher, Tina, Prof. Dr., ist Professorin am Fachbereich Erziehungswissenschaft der Universität Salzburg. Arbeitsschwerpunkte: Empirische Schul- und Unterrichtsforschung, Emotionen und Lernen sowie LehrerInnenbildung. Neuere Veröffentlichungen: Learning and emotion – perspectives for theory and research, European Educational Research Journal 9; Forschung zur Wirksamkeit der Lehrerbildung. In: E. Terhart, H. Bennewitz, M. Rothland, Handbuch der Forschung zum Lehrberuf, Münster: 2011.
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Huber, Evéline, Doktorandin NFP60, Institut für Soziologie, Universität Basel. Arbeitsschwerpunkte: Geschlechterungleichheit, Berufsverläufe, Vereinbarkeit Familie und Beruf. Neuere Veröffentlichungen: Work-Life-Balance: Individualisierungsprozesse und Reproduktion von Geschlechterdifferenzen, Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 36. Hupka-Brunner, Sandra, Ko-Leitung Projekt TREE, Institut für Soziologie, Universität Basel. Arbeitsschwerpunkte: Bildungsforschung, soziale Ungleichheit, Migration. Neuere Veröffentlichungen: Wie Ausbildungssysteme Chancen verteilen. Berufsbildungschancen und ethnische Herkunft in Deutschland und der Schweiz (mit H. Seibert, C. Imdorf), Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 61; Social origin and access to upper secondary education in Switzerland (mit S. Sacchi, B.E. Stalder), Swiss Journal of Sociology 36. Hurrelmann, Klaus, Prof. Dr., Professor für “Public Health and Education” an der Hertie School of Governance in Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Sozialisations- und Bildungsforschung sowie die Gesundheits- und Präventionsforschung. Neuere Veröffentlichungen: World Vision Deutschland (hg. mit S. Andresen), Kinder 2010, Frankfurt 2010; Jugend-Vorsorge-Finanzen (hg. mit H. Karch), Frankfurt a. Main 2010. Imdorf, Christian, Assistierender am Institut für Soziologie der Universität Basel. Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, Berufsausbildung, Arbeitsmarktdiskriminierung, Soziologie der Konventionen. Neuere Veröffentlichungen: Die betriebliche Verwertung von Schulzeugnissen bei der Ausbildungsstellenvergabe, Empirische Pädagogik 23; Die Diskriminierung ‚ausländischer’ Jugendlicher bei der Lehrlingsauswahl, In: U. Hormel, A. Scherr: Diskriminierung. Grundlagen und Forschungsergebnisse. Wiesbaden 2010. Ittel, Angela, Professorin für Pädagogische Psychologie an der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Sozio-emotionale Bedingungen des Lernens, migration- und genderspezifische Sozialisationsprozesse, Professionalität von Lehrpersonen. Neuere Veröffentlichungen: Lehrerrolle – Schülerrolle (mit D. Raufelder), Göttingen 2009; Social Development (mit W. Bukowski), European Journal of Developmental Science 3; Gangbare Wege. Einige medienpädagogische Implikationen (mit D. Hoffmann), In: F. Robertz, R. Wickenhäuser: Orte der Wirklichkeit. Berlin 2010. Lazarides, Rebecca, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie der Technischen Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Geschlechtsspezifische Sozialisation, schulische Interessenentwicklung, Fortbildungskonzeptionen für Lehrpersonen. Neuere Veröffentlichungen: Die Bedeutung von Freunden und Fachnote für das schulfachspezifische Interesse bei Mädchen und Jungen, In: A. Ittel et al., Jahrbuch Jugendforschung, Wiesbaden 2011. Lachmayr, Norbert, Studienleiter am Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf). Arbeitsschwerpunkte: Weiterbildung, Höherqualifizierung, Benachteiligte am Arbeitsmarkt und im Schulsystem, Evaluierungen, NQR/ECVET. Neuere Veröffentlichungen: Bildungszugang und soziale Stratifikation, In: P. Schlögl, K. Dèr: Berufsbildungsforschung. Alte und neue Fragen eines Forschungsfeldes, Wien 2010, 223-231; Nur mehr „Wunderwuzzis“ gesucht? Zur Situation formal gering Qualifizierter am österreichischen Arbeitsmarkt, WISO 4/08, Linz, 2009. Leemann, Regula Julia, Professorin für Bildungssoziologie an der Pädagogischen Hochschule, Fachhochschule Nordwestschweiz Basel. Arbeitsschwerpunkte: Bildung und soziale Ungleichheiten, Übergänge von der Ausbildung in der Beruf, wissenschaftliche Laufbahnen, Berufsbildung. Neuere Veröffentlichungen: Gender Inequalities in Transnational Academic Mobility and the Ideal Type of an Academic Entrepreneur. Discourse, Studies in the Cultural Politics of Education 31; Ermöglicht die Flexibilisierung in der Berufsausbildung mehr Chancengerechtigkeit bei der Ausbil-
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Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
dungsplatzvergabe? (mit Ch. Imdorf), In: D. Voss-Dahm, G. Mühge, K. Schmierl, O. Struck: Qualifizierte Facharbeit im Spannungsfeld von Flexibilität und Stabilität, Wiesbaden 2010. Leitgöb, Heinz, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Kepler Universität Linz und an der Fachhochschule Oberösterreich. Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, quantitative Lebensverlaufsforschung und Methoden der empirischen Sozialforschung. Neuere Veröffentlichungen: Testleistungen und Chancengleichheit im internationalen Vergleich (mit J. Bacher), In: C. Schreiner, U. Schwantner: PISA 2006. Österreichischer Expertenbereicht zum Naturwissenschaftsschwerpunkt, Graz 2009; Klassifikation von Verläufen mittels Optimal Matching, In: J. Bacher, A. Pöge, K. Wenzig: Clusteranalyse. Anwendungsorientierte Einführung in Klassifikationsverfahren, München 2010. Lörz, Markus, Projektleiter am HIS-Institut für Hochschulforschung. Arbeitsschwerpunkte: Hochschulforschung, Ungleichheitsforschung, Methoden der empirischen Sozialforschung und Längsschnittsdatenanalyse. Neuere Veröffentlichungen: Educational Expansion and Effects on the Transition to Higher Education (mit S. Schindler), In: A. Hadjar, R. Becker: Expected and Unexpected Consequences of the Educational Expansion in Europe and the US, Bern 2009; Studienabsichten, Studienentscheidungen und Studienverläufe (hg. mit J. Egeln, C. Heine, B. Peters), Hannover 2010. Lupatsch, Judith, Dipl.-Sozialwissenschaftlerin. Arbeitsschwerpunkte: Determinanten von Leistungsunterschieden. Neuere Veröffentlichungen: Der Schul(miss)erfolg der Jungen. Die Bedeutung von sozialen Ressourcen, Schulentfremdung und Geschlechterrollen (mit A. Hadjar), Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 62; Bildungsverlierer/-innen, Schulentfremdung und Schulerfolg (mit A. Hadjar, E. Grünewald-Huber), In: G. Quenzel, K. Hurrelmann: Bildungsverlierer, Wiesbaden 2010. Müller, Walter, Professor a.D. der Universität Mannheim, Projektleiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES). Arbeitsschwerpunkte: Sozialstrukturanalyse, Bildungssoziologie, soziale Ungleichheit und Mobilität. Neuere Veröffentlichungen: Long term-trends in educational inequality in Europe (mit R. Breen, R. Luijkx, R. Pollak), European Sociological Review 26; Nonpersistent inequality in educational attainment: Evidence from eight European countries (mit R. Breen, R. Luijkx, R. Pollak), American Journal of Sociology 114. Neugebauer, Martin, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung, Universität Mannheim. Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, Lehr-LernForschung, Lehrerbildung, Ungleichheitsforschung. Neuere Veröffentlichungen: Bildungsungleichheit und Grundschulempfehlung beim Übergang auf das Gymnasium: Eine Dekomposition primärer und sekundärer Herkunftseffekte, Zeitschrift für Soziologie 39; Unmasking the myth of the samesex teacher advantage (mit M. Helbig, A. Landmann), European Sociological Review [in Druck]. Pfeiffer, Christian, Prof. Dr., Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover; Arbeitsschwerpunkte: Gewaltkriminalität, Strafzumessung, Prävention. Neuere Veröffentlichungen: Mediennutzung, Schulerfolg, Jugendgewalt und die Krise der Jungen (mit T. Mößle, M. Kleimann, F. Rehbein), In: A. Dessecker, R. Egg: Gewalt im privaten Raum: aktuelle Formen und Handlungsmöglichkeiten. Wiesbaden 2008; Media Use and School Achievement - Boys at Risk? (mit T. Mößle, M. Kleimann, F. Rehbein), British Journal of Developmental Psychology 2010.
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Quenzel, Gudrun, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld. Arbeitsschwerpunkte: Bildungs- und Jugendsoziologie sowie soziale Ungleichheit und Geschlecht. Neuere Veröffentlichungen: Bildungsverlierer. Neue Ungleichheiten (hg. mit K. Hurrelmann), Wiesbaden 2010; 16. Shell Jugendstudie: Jugend 2010 – Eine pragmatische Generation bewährt sich (mit M. Albert, K. Hurrelmann, TNS Infratest), Frankfurt a. Main 2010. Samuel, Robin, Assistent, Institut für Soziologie, Universität Basel. Arbeitsschwerpunkte: Soziale Mobilität, soziale Ungleichheit, Wohlbefinden, Methoden der empirischen Sozialforschung und Analyse longitudinaler Daten. Neuere Veröffentlichungen: Successful and Unsuccessful Intergenerational Transfer of Educational Attainment on Wellbeing in the Swiss Youth Cohort TREE (mit S. Hupka-Brunner, B.E. Stalder, M.M. Bergman), Schweizerische Zeitschrift für Soziologie 37. Schindler, Steffen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung der Universität Mannheim. Arbeitsschwerpunkte: Bildungssoziologie, Sozialstrukturanalyse, Methoden der empirischen Sozialforschung. Neuere Veröffentlichungen: Soziale Ungleichheit und differenzierte Ausbildungsentscheidungen beim Übergang zur Hochschule (mit D. Reimer), In: B. Becker, D. Reimer: Vom Kindergarten bis zur Hochschule. Die Generierung von ethnischen und sozialen Disparitäten in der Bildungsbiographie. Wiesbaden: 2010. Skelton, Christine, Professorin für Geschlechterungleichheiten und Bildung, Universität Birmingham, UK. Arbeitsschwerpunkte: Männlichkeit und Primarschule. Neuere Veröffentlichungen: Feminism and the schooling scandal (mit B. Francis), London 2009; Gender policies in Australia and the UK (mit M. Mills, B. Francis), In: W. Martino, M. Kehler, M. Weaver-Hightower: The problem with boys education, London 2009; Gender and achievement: are girls the ‘success stories’ of restructured education systems?, Educational Review 62.