in der Beck’schen Reihe
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in der Beck’schen Reihe
Indien hat Europäer seit jeher fasziniert – früher hauptsächlich durch seine vielgestaltige Religiosität und fremdartige Kultur, heute fast mehr durch die boomende Software-Industrie. Verständlich wird der indische Subkontinent aber erst vor dem Hintergrund seiner Jahrtausende alten wechselvollen Vergangenheit. Dietmar Rothermund beginnt seine Darstellung der Geschichte Indiens im 6. Jahrhundert, als rivalisierende Regionalreiche das letzte große Gesamtreich des alten Indien ablösten. Er beschreibt die Eroberung dieser Reiche durch islamische Reiterkriege im Spätmittelalter, die mehr als zwei Jahrhunderte währende, glanzvolle Zeit der Mogulkaiser, an die heute noch Bauwerke wie das Taj Mahal erinnern, sowie die Zeit der britischen Kolonialherrschaft. Ein Schwerpunkt liegt auf dem 20. Jahrhundert, in dem das Land in einem langwierigen und dramatischen Freiheitskampf um den Preis der Teilung in die beiden Staaten Indien und Pakistan die Unabhängigkeit errang und schließlich mit mehr als einer Milliarde Einwohnern zur weitaus größten Demokratie der Welt wurde.
Dietmar Rothermund, geboren 1933, ist emeritierter Professor für die Geschichte Südasiens am Südasien-Institut der Universität Heidelberg. Er ist Fellow of the Royal Historical Society, London, und Vorsitzender der European Association of South Asian Studies. Zahlreiche, in viele Sprachen übersetzte Veröffentlichungen haben ihn international bekannt gemacht. Bei C. H. Beck hat er das Handbuch «Indien. Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt» (1995) herausgegeben. Außerdem erschienen «Mahatma Gandhi. Eine politische Biographie» (1997) sowie «Geschichte Indiens. Von der Induskultur bis heute» (zusammen mit Hermann Kulke, 2. Aufl. 1998).
Dietmar Rothermund
GESCHICHTE INDIENS Vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Verlag C. H. Beck
Mit 2 Karten
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Rothermund, Dietmar: Geschichte Indiens : Vom Mittelalter bis zur Gegenwart / Dietmar Rothermund. – Orig.-Ausg. – München : Beck, 2002 (C. H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe ; 2194)
isbn 3 406 47994 4
Originalausgabe © Verlag C. H. Beck oHG, München 2002 Druck und Bindung: Druckerei C. H. Beck, Nördlingen Umschlagentwurf: Uwe Göbel, München Printed in Germany isbn 3 406 47994 4 www.beck.de
Inhalt
I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
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1. Feudale Herrschaft im «Kreis der Nachbarn» 2. Das Mächtegleichgewicht der «streitenden Reiche» 3. Der Niedergang des Buddhismus 4. Die Entwicklung des Hinduismus II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
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1. Das Delhi-Sultanat: Kavalleriestaat der Sklaven und Usurpatoren 2. Die Sultanate des Hochlands 3. Die Hindu-Reiterkrieger des Südens III. Das Reich der Großmoguln
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27 30 32
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1. Akbars Verwaltungsreform und Religionspolitik 2. Jahangir, Shah Jahan und Aurangzeb 3. Der Aufstieg der Marathen 4. Die indischen Mächte im 18. Jahrhundert
39 43 45 47
IV. Vom Kolonialstaat der Ostindiengesellschaft zum viktorianischen Kaiserreich 53
1. Der europäische Handel mit indischen Textilien 2. Die Errichtung der britischen Territorialherrschaft in Bengalen 3. Der große Aufstand von 1857 4. Königin Victorias indisches Kaiserreich 5. Die Radikalisierung des indischen Nationalismus V. Krieg, Krise, Krieg und Freiheitskampf
53 56 60 62 66
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1. Der Protest gegen das Ermächtigungsgesetz des Richters Rowlatt 2. Die Kampagne der Nichtzusammenarbeit
74 76
3. Vom Salzmarsch zur Konferenz am Runden Tisch 4. Die Wirtschaftskrise und der Kongress als Bauernpartei 5. Die «Quit-India»-Kampagne und die August-Revolution VI. Die Tragödie der Teilung
78 81 85
90
1. «Pakistan-Resolution» und «Zwei-Nationen»-Theorie 2. Jinnahs Verrat an der muslimischen Diaspora 3. Der Erfolg der Veto-Politik 4. Lord Mountbatten und die «Vivisektion Indiens» 5. Das Kashmirproblem 6. Das Erbe der Teilung VII. Wachstum und Wandel der Republik Indien
1. Die Veränderungen der politischen Struktur und der Aufstieg der «Mittelklasse» 2. Die Bharatiya Janata Party und die Kongresspartei 3. Wirtschaftsreform und Staatsfinanzen VIII. Von der Bündnisfreiheit zum Atomstaat
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103 105 106
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1. Afro-asiatische Solidarität und friedliche Koexistenz 109 2. Die Bewegung der Bündnisfreien 111 3. Indiens Aufstieg zur Regionalmacht in Südasien 112 4. Indiens Achillesferse und die Gefahr der nuklearen Eskalation 113 114 5. Indiens Weltgeltung und die USA Zeittafel Weiterführende Literatur Register Die indischen Bundesländer
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Karten
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
Indiens Geschichte hat einen großen Tiefgang. Schon vor rund 8000 Jahren gab es in den Randgebieten des Industals sesshaften Ackerbau. Die Menschen dort domestizierten das Buckelrind (Bos indicus), das ihnen Nahrung gab und den Pflug zog. Sie konnten schließlich das gewaltige Schwemmland des Indus erobern, der doppelt soviel Wasser führt wie der Nil. Mit einem ebenfalls hier domestizierten dürrebeständigen Rundkornweizen erzielten sie reiche Ernten. Die Bevölkerung wuchs, große Städte entstanden. Gewaltige Mauern mit genormten Ziegeln, ein einheitliches System von Maßen und Gewichten und eine sich bis an den Rand der nördlichen Gangesebene und bis nach Gujarat und Maharashtra erstreckende Herrschaft zeugen von der Größe einer der frühen Kulturen der Menschheit. Da es weder Paläste noch Königsgräber, wohl aber religiös-rituelle Plätze und Siedlungen einer Elite in den Zitadellen der Städte gab, nimmt man an, dass eine Art Priesterschaft für die Normensetzung und die lange Erhaltung dieser Kultur zuständig war. Die auf vielen Siegeln befindliche Schrift dieser Kultur ist bisher nicht entziffert worden. Sie diente wohl in erster Linie der Übermittlung kommerzieller Informationen. Das Fernhandelsnetz der Induskultur war weit gespannt. Es bezog die südliche Arabische Halbinsel und Mesopotamien ein und reichte wohl bis nach Afrika. Von dort bezog man die afrikanischen Hirsearten, die es der Induskultur erlaubten, in Hochlandgebiete vorzudringen, in denen sich kein Weizen anbauen ließ. Diese Hirsearten sind bis auf den heutigen Tag für die Landwirtschaft dieser Gebiete bestimmend geblieben. Um 1900 v. Chr. setzten klimatische Veränderungen und vermutlich auch tektonische Umbrüche der Induskultur ein Ende. Man nimmt an, dass die Niederschläge beträchtlich zurückgin-
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
gen, auch soll die Yamuna, die heute nach Osten fließt und in den Ganges mündet, früher wohl nach Südwesten geflossen sein, wo sie weite Landschaften östlich des Indus bewässerte. Als die Induskultur bereits dem Untergang geweiht war, lebten in Afghanistan, sozusagen im Vorhof Indiens, nomadische Hirten, die sich selbst «Arya» (die Edlen) nannten. Ihre Krieger zogen auf schnellen, leichten Streitwagen in den Kampf. Die Induskultur kannte das Pferd nicht und damit auch keine kriegerische Elite von der Art, die auf Streitwagen daherkam und sich Indien untertan machte. Die Trockenzeit, die die Waldungen der Gangesebene ausdörrte, ermöglichte es den Streitwagenkriegern, Brandrodungsbau zu betreiben und nach Osten vorzustoßen. In ihren mündlich überlieferten heiligen Schriften, den Veden, ist von dem Feuergott Agni die Rede, der ihnen auf dem Weg nach Osten «vorangeflammt» sei. Am Gandak (Sadanira), dem westlichen Grenzfluss des heutigen indischen Bundeslandes Bihar, machte Agni Halt. Das Land jenseits dieses Flusses galt den «Arya» lange Zeit als unreines Land. Sie konsolidierten ihre Herrschaft in der mittleren Gangesebene, wo es zu einer zweiten Urbanisierung kam. Die Städte, die hier ab ca. 550 v. Chr. entstanden, waren zwar nicht so bedeutend wie die der Induskultur, die rund 1500 Jahre zuvor erbaut worden waren, aber sie sind doch Zeugen einer eindrucksvollen urbanen Kultur mehrerer Königreiche, die jedoch bald von den Großmächten des Ostens besiegt wurden. Der «unreine» Osten (Bihar und Bengalen) bot den dort entstehenden Großreichen eine enorme Machtbasis. In den Tiefebenen wuchs der Reis und damit auch die Bevölkerung. Im nahen südlichen Hügelland gab es Eisenerz, das von geschickten Handwerkern zu Werkzeugen und Waffen verarbeitet wurde. In den angrenzenden Wäldern konnte man Elefanten fangen und zähmen. Der Kriegselefant wurde zur Wunderwaffe der neuen Reiche. Er war dem Streitwagen in jeder Hinsicht überlegen. Dort im Osten entstanden aber auch neue religiöse Bewegungen, die die alte Religion der Veden herausforderten. Gautama begründete hier den Buddhismus, Mahavira den Jainismus. Diese Lehren fanden im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr.
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eine rasche Verbreitung. Ashoka (268–233 v. Chr.), der dritte Herrscher der Maurya-Dynastie, war selbst ein Laienbruder des buddhistischen Ordens und verkündete in seinen Fels- und Säulenedikten, die von Afghanistan bis Ost-Bengalen und im Süden bis in die Gegend des heutigen Bangalore zu finden sind, eine Art buddhistischer Staatsethik. Sein Riesenreich war kein flächendeckender Territorialstaat. Seine Herrschaft stützte sich auf die Kontrolle der Fernhandelsstraßen und auf das fruchtbare Kerngebiet seines Reiches um die Hauptstadt Pataliputra (Patna). Bald nach seinem Tod löste sich dieses Riesenreich wieder auf. Im Osten herrschten regionale Könige, im Norden lösten sich Invasoren aus Zentralasien ab. Erst in der Zeit von 320 bis 497 n. Chr. gelang es der Gupta-Dynastie nochmals ein Großreich zu errichten, dessen Kerngebiet dasselbe war wie das des Ashoka. Ihre mächtigsten Rivalen waren die Vakatakas, die in Zentralindien herrschten. Mit ihnen gingen sie eine Heiratsallianz ein. Man spricht daher auch von der Gupta-VakatakaDynastie. Unter ihrer Herrschaft erlebte Indien eine kulturelle Blütezeit. Es entstand die klassische Sanskritdichtung, die Tempelskulptur zeichnete sich durch die große Schönheit ihrer lebensvollen Gestalten aus. Der Glanz dieser urbanen, höfischen Kultur strahlte auf die späteren Regionalreiche aus. Indiens «klassisches Altertum» endete mit dem Hunneneinfall, der dem Guptareich den Todesstoß versetzte. Die Hunnenkönige Toramana und Mihirakula, die Nordwestindien von ca. 506 bis 528 beherrschten, vernichteten dort die urbane Kultur und wohl auch die buddhistischen Klöster. Lokale indische Fürsten vertrieben schließlich die Hunnen, die auch in Zentralasien Niederlagen erlebten, die ihre Macht versiegen ließen. Doch ein indisches Großreich konnte nun für lange Zeit nicht wieder entstehen. Indische Nationalisten des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich im Freiheitskampf auf die Suche nach einer brauchbaren Vergangenheit begaben und im «klassischen Altertum» das goldene Zeitalter sahen, betrachteten das Mittelalter meist als finstere Epoche des Herrschafts- und Kulturverfalls. Dagegen versuchten indische Marxisten, in dieser Epoche Spuren eines indischen Feudalismus zu finden, um die indische Geschichte in
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
díe universale Stufenfolge einzuordnen, die Marx vorgezeichnet hatte. Marx selbst sah zwar Indien in ewiger Stagnation verharrend, zu der es durch die «asiatische Produktionsweise» verdammt war; seiner Ansicht nach hatten erst die Briten durch ihre Kolonialherrschaft dieser Stagnation ein Ende gesetzt und Indien dem Kapitalismus unterworfen. Dieses Urteil des Meisters war für indische Marxisten jedoch unerträglich. Sie mussten versuchen, einen indischen Feudalismus nachzuweisen. Dabei stießen sie auf die Kritik nicht-marxistischer Historiker, die sich an den Rechtsformen des europäischen Feudalismus orientierten und auf deren Fehlen in Indien hinwiesen. Diese Debatten spornten die Erforschung des indischen Mittelalters an, das sonst «finster» geblieben wäre. Doch sowohl die Marxisten als auch ihre Kritiker sahen den Feudalismus im Grunde als ein negatives Phänomen, anstatt ihn als eine mittelalterliche Inkorporationsstrategie zu betrachten, die es auf ihre Weise ermöglichte, «Staat zu machen». Der feudale Staat war ein Personenverband. Der Herrscher musste mit den ihm zur Verfügung stehenden kulturellen Strategien diesen Verband stabilisieren und die Personen, auf die es dabei ankam, in seinen «Hofstaat» inkorporieren.
erstellt von ciando
1. Feudale Herrschaft im «Kreis der Nachbarn»
Die frühen Großreiche waren noch in der Lage, ihre Ordnung sozusagen «von oben» durchzusetzen. Ihre Herrscher trafen selten auf ebenbürtige Gegner. Unzugängliche Stammesgebiete, deren Eroberung mehr gekostet als eingebracht hätte, ließen sie unbeachtet und konzentrierten sich auf die Kontrolle der Handelswege und einiger fruchtbarer Kerngebiete. Eroberungszüge großer Herrscher dienten in erster Linie der Verbreitung ihres Ruhms und der Erringung von Beute. Besiegte Gegner wurden meist wieder eingesetzt und zu Abgabenleistungen und zum Erscheinen bei Hofe des Siegers verpflichtet. Die Allahabad-Inschrift Samudraguptas (ca. 350) zeigt dies in allen Einzelheiten. Die Machtmittel (Heer und Kriegselefanten), die einem Herrscher wie Samudragupta zur Verfügung standen, waren be-
1. Feudale Herrschaft im «Kreis der Nachbarn»
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trächtlich. Kein Zeitgenosse konnte ihm darin gleichkommen. Doch solche Machtdemonstrationen der Guptas hatten auch eine Vorbildwirkung. Ihr Herrschaftsstil und ihre Kriegstechnik ließen sich von vielen regionalen Herrschern später nachahmen. Nur konnten diese ihren Willen nicht mehr «von oben» durchsetzen, sondern mussten durch Inkorporationsstragien sozusagen «von unten» her ihre Herrschaft aufbauen und sichern. Von besonderer Bedeutung waren dabei die Beziehungen des Herrschers zu den Brahmanen und zu seinen fürstlichen «Kollegen». Diese Beziehungen waren auf vielfältige Weise miteinander verknüpft, sie sollen aber hier nacheinander dargestellt werden. Könige und Brahmanen hatten schon in den vorangegangen Epochen der indischen Geschichte ein symbiotisches Verhältnis zueinander. Der König unterhielt und belohnte die Brahmanen und diese legitimierten seine Herrschaft, indem sie ihre kulturelle Manifestation gestalteten. Sie gaben die Themen vor, die der König von Künstlern in Tempeln darstellen ließ. Sie schufen literarische Werke, die nicht selten dem Lob der Taten des Herrschers gewidmet waren. All dies nahm in den mittelalterlichen Regionalreichen eine neue Qualität an. Brahmanen wurden sozusagen «berufen» und mit genau dokumentierten Landschenkungen versehen. Diese Dokumente wurden auf Kupfertafeln eingraviert und haben so dem Zahn der Zeit widerstanden. Wir verdanken ihnen entscheidende Einblicke in die mittelalterliche Geschichte Indiens. Das Formular ähnelt in vieler Weise dem mittelalterlicher europäischer Dokumente – insbesondere in seinem operativen Teil einschließlich der Garantie von Immunitäten, der Pönformel, die dem Strafen androhte, der den Bestimmungen zuwider handelte, etc. Doch im Unterschied zu den europäischen Dokumenten dieser Art haben die indischen jeweils eine lange Einleitung (prashasti), in denen die Taten des Herrschers und seiner Vorfahren beschrieben werden. Vermutlich wurden diese Dokumente von dem beschenkten Brahmanen bei entsprechenden Anlässen laut vorgelesen und dienten damit der Herrschaftsmanifestation. Der Brahmane wurde so zum «Königsmann». Nicht selten wurde er gerade dorthin ver-
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
pflanzt, wo es dem König ganz besonders auf eine solche Manifestation ankam. Die Brahmanen wussten um ihren Wert und müssen oft geradezu «Berufungsverhandlungen» geführt haben. Das geht aus einem Stilvergleich von Dokumenten verschiedener Regionen hervor, der ergibt, dass zu bestimmten Zeiten z. B. in Bengalen ein neues Formular auftaucht, für das sich Parallelen anderswo (Gujarat) feststellen lassen. Die Brahmanen hatten offenbar das Formular zu ihren Berufungsverhandlungen mitgebracht, um sich ihre Rechte besser zu sichern. Die Entstehung von Regionalreichen in allen Teilen Indiens – einschließlich des zuvor in dieser Hinsicht noch weniger entwickelten Südens – schuf einen großen «Arbeitsmarkt» für Brahmanen. Sie schwärmten von ihren ursprünglichen Siedlungsgebieten in der Gangesebene nach allen Richtungen aus. Mancher Herrscher, der zuvor kaum mehr als ein Stammeshäuptling gewesen war, ließ sich von den Brahmanen zeigen, wie man «Staat macht» und sich zum König emporstilisiert. Dieser «Arbeitsmarkt» erstreckte sich bald über Indien hinaus bis nach Südostasien. Das Modell des indischen Königtums bewährte sich als «Exportartikel». Im Unterschied zu den großen buddhistischen Klöstern, die oft umfangreiche Ländereien besaßen, waren die Brahmanen als Kulturbringer «kostengünstiger». Die Schenkung an eine Brahmanenfamilie bestand meist nur aus einem Dorf, von dessen Abgaben sie leben konnte. Der Brahmane durfte nach seinen Kastenregeln selbst nicht in der Landwirtschaft mitarbeiten, aber er konnte entsprechendes Wissen vermitteln und Neuerungen einführen. Vor allem aber war er als «Königsmann» vor Ort von unschätzbarem Wert. Die feudale Inkorporationsstrategie des mittelalterlichen Indiens beruhte im Wesentlichen auf diesem brahmanischen Element. Der mittelalterliche indische Regionalkönig konnte sich freilich nicht nur auf die Brahmanen stützen. Er musste auch das Verhältnis zu seinen fürstlichen Kollegen im Sinne einer Inkorporationsstrategie entwickeln. Der Bedeutungswandel des Wortes «samanta» (wörtlich «Nachbar») zeigt an, wie das geschah. Zunächst wurde aus dem eigenständigen Nachbarn ein unterworfener, aber in seinem Herrschaftsbereich im Wesentlichen
1. Feudale Herrschaft im «Kreis der Nachbarn»
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autonomer «Vasall». Er hatte Abgaben zu leisten und musste zu gewissen Anlässen bei Hofe erscheinen. Der «Kreis der Nachbarn» (samantachakra), die ihm so verpflichtet waren, gereichte dem König zu Ehre und Ansehen. Sie umringten als gekrönte Häupter seinen Thron. Wuchs das Reich, so erlangten bald auch einige der Samantas administrative Stellen bei Hofe und erhielten gar den Titel «Mahasamanta» (großer Nachbar). Sie waren dann eigentlich keine «Nachbarn» mehr, sondern befanden sich ständig in der Umgebung des Königs. Um diesen «Nachbarn» nicht allein die Macht bei Hofe zu überlassen, ernannte der König auch Prinzen von Geblüt zu Ministern, die dann den Titel «Kumaramatya» (Prinzminister) trugen. Die Brahmanen bekleideten ebenfalls Positionen bei Hofe und waren nicht nur als «Königsmannen» in der Provinz vertreten. Jeder König hatte seinen brahmanischen «Rajguru» (Königslehrer), der nicht selten sein Erzieher in seiner Jugend gewesen war und später sein engster Berater wurde. In der Feinabstimmung von Inkorporationsstrategien kam diesem Rajguru eine Schlüsselrolle zu. Daneben gab es eine Vielzahl brahmanischer Beamter – vor allem in den Bereichen, in denen Kenntnisse des Schreibens und Rechnens von Bedeutung waren. Oft hatte jedes Dorf einen brahmanischen Steuerschreiber. Die eigentliche Funktion des Brahmanen als Priester wurde von den meisten Brahmanen gar nicht mehr wahrgenommen. Sie schauten sogar auf solche Priester, die nicht durch Landschenkungen oder Beamtenpositionen abgesichert, sondern auf die Zuwendungen ihrer «Kunden» angewiesen waren, mitleidig herab. Einige Priester machten allerdings Karriere, als die Könige in der höchsten Stufe mittelalterlicher Inkorporationsstrategie dazu übergingen, große Reichstempel zu errichten, die auf ganz besondere Weise der Herrschaftslegitimation und -manifestation dienten. Im alten Indien gab es keine Tempel. Die Brahmanen errichteten für ihre hochkomplizierten Opferrituale temporäre Altäre auf freiem Feld. Ein Großteil ihrer Ritualkenntnisse bezog sich gerade auf die Bestimmung von Ort und Zeit für die Errichtung solcher Altäre. Erst in der Zeit der Guptadynastie wurden mit
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
eindrucksvollen Skulpturen versehene Tempel errichtet, die aber noch von bescheidenen Ausmaßen waren. Im frühen Mittelalter (6.–7. Jahrhundert) entstanden vielerorts Höhlentempel, deren eindrucksvolle Skulpturen in ihrer Schönheit und Ausdruckskraft später kaum noch übertroffen wurden. Der Höhlentempel von Elephanta im Hafen von Mumbai (Bombay) ist ein großartiges Beispiel dieser religiösen Kunst. Er ist dem Gott Shiva gewidmet und zeigt ihn in seinen vielen Erscheinungsformen. Sicher wurde dieser Tempel errichtet, um eine religionspolitische Botschaft zu übermitteln. Die Verehrung Shivas erreichte damals einen Höhepunkt – gerade auch in der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus. Bei der Darstellung der religiösen Bewegungen wird hierauf näher eingegangen werden. Zunächst soll nur die Rolle der Tempel im Dienste der Herrschaftsmanifestation betont werden. Sie fand ihren besten Ausdruck im steil aufragenden Tempelturm. Kleine Türme dieser Art wurden bereits im frühen Mittelalter errichtet, doch erst im 11. Jahrhundert entstand der Typ des großen Reichstempels mit dem über 60 Meter weithin sichtbar in die Höhe ragenden Turm. Dies ist die Zeit, in der auch der deutsche «Reichstempel», der Dom zu Speyer, errichtet wurde. Für die indischen Könige war der Tempelbau Teil einer neuen Inkorporationsstrategie. Der Reichsgott war auf besondere Weise mit dem König identifiziert, beanspruchte aber auch die Aufmerksamkeit der Großen des Reiches, die ihm generöse Stiftungen angedeihen ließen. Dem Tempel dienten Scharen von Brahmanen. Dem König kam eine besondere rituelle Stellung im Dienste des Gottes zu, dem der Tempel geweiht war, und er konnte dies gegenüber seinen «Samantas» ausspielen. Einige Regionalkönige gingen so weit, ihr Reich dem Gott zu übertragen und sich selbst nur als Sachwalter des Gottes zu bezeichnen. Illoyalität wurde damit zur Unbotmäßigkeit gegenüber diesem Gott. Vom einfachen «Samantachakra» bis zu dieser Art der Organisation ritueller Souveränität hatte die Inkorporationsstrategie beachtliche Fortschritte gemacht. Sie trug zur Konsolidierung der Regionalreiche bei, die freilich untereinander in ständigem Wettstreit lagen, dabei aber immer wieder kul-
2. Das Mächtegleichgewicht der «streitenden Reiche»
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turelle Anleihen beieinander machten. Im Grund trug dieser Wettstreit zur Verbreitung einer gemeinsamen indischen Kultur bei, die jedoch bedeutsame regionale Varianten aufwies. Gerade darin bestand der Reichtum dieser Kultur. 2. Das Mächtegleichgewicht der «streitenden Reiche»
In China gilt die Periode der «streitenden Reiche» (480 –249 v. Chr.) als ein Ausnahmezustand, während der Bestand eines einheitlichen Großreiches die Regel war. Im indischen Mittelalter war die Existenz streitender Reiche die Regel, der Ausnahmezustand eines einheitlichen Reiches trat erst sehr viel später wieder ein. Die indischen Regionalreiche waren sich in ihrer Struktur sehr ähnlich. Das ergab sich aus der Gleichförmigkeit der Inkorporationsstrategien. Sie waren sich aber auch in Bezug auf die Kriegstechnik ähnlich, die sich bis zum Erscheinen der islamischen Reiterkrieger nicht änderte. Der Kriegselefant war schon die Wunderwaffe der alten Großreiche gewesen, er blieb es auch für die Reiche des Mittelalters. Elefanten konnten nicht domestiziert, sondern nur gezähmt und dressiert werden. Neue Elefanten konnten nur in den Wäldern des indischen Ostens gefangen werden. Der Elefantentreiber (mahout) war meist ein Stammesangehöriger aus dem Waldland, aus dem die Elefanten stammten. Er war kein Krieger und blieb auch in der Schlacht unbewaffnet. Auf einer auf dem Rücken des Elefanten befestigten Plattform war Platz für eine Schar von Bogenschützen, die ihre Pfeile nach allen Richtungen schießen konnten. Auch der Feldherr – oft der König selbst – thronte auf einem Elefanten, der für ihn ein mobiler Feldherrnhügel war. Das Fußvolk diente meist nur dazu, die Elefanten gegen Angriffe des Gegners abzuschirmen. Durchtrennte man mit einem Schwerthieb die Sehnen des Elefanten, dann war es um ihn und seine Besatzung geschehen. Solche Attacken musste das Fußvolk verhindern. Es war dabei aber oft auch den eigenen Kriegern im Wege. Das in Indien erfundene Schachspiel bildet die traditionelle indische Strategie getreulich ab. Im Unterschied zum alten indischen Streitwagen, der nur auf
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
einem ebenen Schlachtfeld eingesetzt werden konnte und nicht für unwegsames Gelände geeignet war, konnte der Elefant überall eingesetzt werden. Er konnte Berge überwinden, Wälder durchqueren, durch Flüsse schwimmen und sich überall von den Blättern der Bäume ernähren. Doch seine Anschaffung und Haltung waren kostspielig. Nur mächtige Herrscher konnten sich Kriegselefanten in großer Zahl leisten. Damit trug der Elefant zur Zentralisierung der Macht bei. Andererseits konnte jeder Machthaber, der genügend Mittel hatte, um sie in Kriegselefanten zu investieren, seinen Gegner übertrumpfen. Die dem Herrscher zur Verfügung stehenden Mittel standen im Verhältnis zu seiner Herrschaftsreichweite. Darunter ist der Radius des Gebiets zu verstehen, in dem Souveränität unmittelbar ausgeübt werden konnte. Er betrug im Mittelalter selten mehr als 150 –200 Kilometer. Die Interventionsreichweite eines Herrschers konnte jedoch wesentlich größer sein als seine Herrschaftsreichweite. Eroberungszüge über mehr als 1000 Kilometer waren keine Seltenheit. Solche Interventionen über große Entfernungen hinweg konnten natürlich nur sporadischer Art sein. Sie dienten allenfalls der Machtdemonstration und der Erringung von Kriegsbeute. Wichtiger schon war das enger begrenzte, aber dauerhafte Interventionspotenzial, das Entfernungen bis etwa 600 Kilometer betraf. Dieses Potenzial bewirkte, dass sich jeweils keine zweite Macht gleicher Bedeutung in einer der indischen Großregionen halten konnte. Etwas vereinfachend sollen hier die nordindische Ebene, der Osten (Bengalen, Orissa), das südliche Hochland und die Südostküste als solche Großregionen bezeichnet werden. Die Schwerpunkte der jeweiligen Hegemonialmächte in den Großregionen konnten von Zeit zu Zeit verschieden sein. Damit veränderte sich auch das Interaktionsmuster der Großregionen. Lag der Schwerpunkt im Norden in der mittleren Gangesebene und im Süden im nördlichen Hochland, dann kam es öfter zu Konflikten zwischen diesen beiden Großregionen. Über 2000 Kilometer hinaus gingen auch sporadische Interventionen kaum. So konnte es zur beziehungslosen Zeitgenossenschaft großer Könige des äußersten Südens mit Eroberern des Nordwestens kommen.
2. Das Mächtegleichgewicht der «streitenden Reiche»
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Die Eroberungszüge des Königs Lalitaditya von Kashmir, der im 7. Jahrhundert bis tief nach Süden und danach auch noch nach Zentralasien vorstieß, waren die einsame Ausnahme. Lalitaditya zog wie ein Komet über den Himmel Indiens und bewirkte nichts. Die kriegerischen Auseinandersetzungen anderer Regionalherrscher führten jedoch zu einem mehr oder weniger stabilen Gleichgewicht der Mächte. Bereits rund ein Jahrhundert nach dem Untergang des Guptareiches artikulierten sich die «streitenden Reiche» der Großregionen nach dem oben beschriebenen Muster. Im Norden gelang es König Harshavardhana, der seine Hauptstadt in Kanauj in der mittleren Gangesebene errichtete, noch einmal den Glanz des Guptareiches wiederaufleben zu lassen. Doch im Osten stand ihm zunächst König Sasanka von Bengalen als ebenbürtiger Widersacher entgegen. Nach Sasankas Tod konnte er den Osten weitgehend unterwerfen. Als er dann aber nach Süden zog, trat ihm der Chalukya-König Pulakeshin II. entgegen und bereitete ihm (ca. 630) eine empfindliche Niederlage. Pulakeshin wiederum maß seine Kräfte mit den Pallava-Königen Mahendravarman und Narasimhavarman, deren Hauptstadt Kanchipuram in der Nähe von Madras lag, etwa 600 km südöstlich von Pulakeshins Hauptstadt Badami, das im heutigen Karnataka liegt. Beiden Seiten gelang es in mehreren Kriegen jeweils die gegnerische Hauptstadt einzunehmen, aber keine Seite trug letztlich einen nachhaltigen Sieg davon. Dabei beeinflussten diese beiden streitenden Reiche des Südens einander kulturell. Zunächst vermittelten die Chalukyas den Pallavas das Erbe der Guptakunst des Nordens, dann nahmen sie ihrerseits Anregungen der Pallavakunst auf. Neue Akzente im Ringen der streitenden Reiche wurden im 9. Jahrhundert gesetzt, als die Rashtrakutas, einst Vasallen der Chalukyas, ihr Machtzentrum im nördlichen Teil des Hochlands errichteten, während gleichzeitig die Gurjaras-Pratiharas in Kanauj ihre Herrschaft festigten und im Osten die PalaDynastie eine Reihe fähiger Herrscher hervorbrachte. Dreieckskämpfe zwischen diesen Reichen tobten über nahezu 200 Jahre. Das Kriegsglück und die Abfolge mehr oder weniger fähiger
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
Herrscher begünstigte einmal die eine, dann wieder die andere Seite. Zunächst schienen im 9. Jahrhundert die Palas die Mächtigsten zu sein, dann gewannen die Gurajara-Pratiharas unter König Bhoja (836–885) die Oberhand, doch im 10. Jahrhundert stiegen die Rashtrakutas unter Krishna III. (939–986) zur größten Macht Indiens auf und besiegten auch die Herrscher der Südostküste. Krishna III. ließ in Ellora den herrlichen Kailastempel von oben aus dem Stein meißeln und setzte sich so ein bleibendes Denkmal. Wenige Jahre nach dem Tod dieses mächtigen Königs fand seine Dynastie ein Ende und wurde durch die Chalukyas von Kalyani ersetzt, die den Anspruch erhoben, von den Chalukyas von Badami abzustammen, die seinerzeit von den Rashtrakutas gestürzt worden waren. Befreit vom Druck der Rashtrakutas konnten nun im äußersten Süden die Cholas aufsteigen, die mit ihren beiden großen Königen Rajaraja (985–1014) und Rajendra (1014–1047) sowohl in Indien als auch darüberhinaus eine geradezu beispiellose Machtentfaltung demonstrierten. Sie waren beziehungslose Zeitgenossen des Eroberers Mahmud von Ghazni, der von 1000 bis 1027 in insgesamt 17 Eroberungszügen ganz Nordindien in Schrecken versetzte und ungeheure Schätze nach Afghanistan brachte. Rajendra Chola war 1022 nach Nordosten gezogen und hatte in Bengalen den Ganges erreicht. Er nannte sich danach stolz «Gangaikondachola» (der Chola, der den Ganges erobert hat). Doch Mahmud von Ghazni ist er nicht begegnet. Ihre beziehungslose Zeitgenossenschaft hatte aber einen überraschenden Aspekt, der ihnen nicht bewusst sein konnte. Die von Mahmud in Nordindien geraubten Schätze erreichten zu einem großen Teil den Persischen Golf und belebten den internationalen Seehandel, der bis nach China reichte, wo sich unter der Song-Dynastie der Schwerpunkt des Reiches nach Süden verlagerte. Die Cholas schalteten sich in diesen Seehandel ein. Eine Warenangebotsliste, die bereits Rajaraja einem Botschafter mitgab, den er an den chinesischen Kaiserhof entsandte, zeigt, dass es sich um Waren handelte, die die Cholas selbst aus anderen Regionen importierten, mit denen sie also einen lukrativen Zwischenhandel betrieben. Sie hatten von der Bele-
2. Das Mächtegleichgewicht der «streitenden Reiche»
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bung des Handels mit dem Persischen Golf einerseits und mit China andererseits profitiert. Diese Profite wollten sie sich durch das Reich von Srivijaya, das die Meerenge von Malakka beherrschte, nicht schmälern lassen. Sie hatten zuvor freundschaftliche Beziehungen zu diesem Reich und anderen südostasiatischen Staaten unterhalten. Aber als Srivijaya den Zwischenhandel mit den für China bestimmten Waren an sich bringen wollte, hörte die Gemütlichkeit auf. Rajendra entsandte 1025 eine Flottenexpedition nach Srivijaya, die offenbar den gewünschten Erfolg hatte und die Meerenge für den Handel der Cholas öffnete. Die Cholas hatten gute Beziehungen zu großen Händlergilden, die im Überseehandel aktiv waren, und nahmen durch die Kontrolle des Handels wohl mehr ein als durch die Besteuerung der Landwirtschaft. Deshalb dehnten sie ihre Interventionsreichweite nach Südostasien aus. Zwar konnte von einer dauerhaften staatlichen Initiative nicht die Rede sein, aber die indischen Händler blieben in Südostasien präsent, und nach wie vor unterhielten die Cholas freundschaftliche diplomatische Beziehungen zu den Herrschern Südostasiens, insbesondere in der Zeit Kulottungas I. (1070 –1120). Dieser König war ein Chalukya, der im Krishna-Godaveri-Delta herrschte und durch Erbfolge auf den Chola-Thron kam, weil seine Dynastie durch eine Heiratsallianz mit den Cholas verbunden war. Der von ihm angenommene Name Kulottunga («Familienoberhaupt») sollte andeuten, dass er rechtmäßig auf den CholaThron gekommen war. Mit der Thronbesteigung verließ er sein Reich im Delta und siedelte nach Thanjavur um. Unter ihm erlebte das Chola-Reich seine letzte Blüte. Um die «streitenden Reiche» war es zu jener Zeit bereits still geworden. Keine der anderen Großregionen war mehr von herausragenden Machthabern besetzt. Lediglich Orissa, wo Anantavarman Chodaganga von Kalinga 1112 das Mahanadidelta eroberte und dann seine Macht bis nach Bengalen ausdehnte, spielte noch bis ins 13. Jahrhundert eine bedeutsame Rolle und bot sogar dem Delhi-Sultanat die Stirn. Doch insgesamt war Indien schlecht darauf vorbereitet, dem Ansturm der islamischen Reiterkrieger zu trotzen, der gegen Ende des 12. Jahrhunderts einsetzte.
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
Das indische Mittelalter war aber nicht nur durch feudale Inkorporationsstrategien und das Gleichgewicht der «streitenden Reiche» gekennzeichnet, es war auch die Zeit eines religiösen Wandels, der wiederum Kultur und Sprache entscheidend prägte. Der «Hinduismus» entstand erst in dieser Zeit. Sein Sieg über den Buddhismus war ebenfalls ein Phänomen des Mittelalters, zu dessen Beginn der Buddhismus noch eine beachtliche Stellung im Land seiner Herkunft hatte. Ehe die verschiedenen religiösen Bewegungen dargestellt werden, die in ihrer Summe den «Hinduismus» ausmachen, soll zunächst über den Niedergang des Buddhismus berichtet werden. 3. Der Niedergang des Buddhismus
Stärke und Schwäche des Buddhismus zugleich ist es, dass er eine Selbsterlösungslehre ist, die in letzter Konsequenz nur von Mönchen befolgt werden kann. Der Buddha tolerierte die andersartigen religiösen Präferenzen der Laien, bot ihnen aber keine Hilfe zur Erlösung durch Mächte außerhalb des eigenen Ich an. Obwohl nun der buddhistische Orden (Sangha) eine Gemeinschaft von Mönchen war, die je für sich ihr Heil suchten, war er doch gut organisiert. Seine Klöster wurden zu wohlhabenden Korporationen. Die Institution des Ordens und der von ihm getragenen bedeutenden Universitäten war für die Existenz des Buddhismus lebenswichtig. Die Herrscher, die den Orden begünstigten, fühlten sich dafür zuständig, über seine Disziplin zu wachen. Im frühen Mittelalter waren oft auch Hindu-Könige Patrone des Ordens – insbesondere im Osten Indiens. Mit dem Reichtum des Ordens nahm aber auch seine Anfälligkeit für politische Wechselfälle zu. Der «Familienbetrieb» der Brahmanen war demgegenüber viel flexibler und widerstandsfähiger. Als Träger eines sich dynamisch wandelnden Hinduismus waren die Brahmanen dem Orden überlegen. Einer dieser Brahmanen, ein Nambudiri aus Kerala namens Shankaracharya (788–820), ersann eine philosophische Lehre, die die Vedanta-Philosophie der Brahmanen mit Elementen der buddhistischen Philosophie verband, weshalb ihn seine Kritiker
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auch einen «Kryptobuddhisten» nannten. Diese Synthese ermöglichte es ihm, viele Buddhisten in gelehrten Debatten zu schlagen. Nach indischem Brauch ist aber der, der sich in einer solchen Debatte geschlagen geben muss, dazu verpflichtet, die Lehre des Siegers anzunehmen. So war es Shankaracharya möglich, viele Buddhisten für seine Art des Hinduismus zu gewinnen. Dies kam besonders dem Shivaismus zugute, über den später berichtet werden soll. Nach und nach gingen so in den buddhistischen Klöstern die Lichter aus. Der chinesische Buddhist Hsiuen-tsang (Xuanzang), der sich um die Mitte des 7. Jahrhunderts mehrere Jahre in Indien aufhielt und das ganze Land bereiste, konnte noch von vielen Klöstern berichten. Nur über den Stand der Dinge im Reich der Pallava äußerte er sich kritisch, sonst fand er den buddhistischen Orden noch weitgehend gut vertreten. Wäre er zwei Jahrhunderte später gekommen, so wäre sein Bericht wohl sehr pessimistisch ausgefallen. Die «brahmanische Gegenreformation» war inzwischen überall auf dem Vormarsch. Die berühmte buddhistische Universität in Nalanda, Bihar, die im 5. Jahrhundert gegründet worden war und viele ausländische Studenten aus Ost- und Südostasien anzog, wurde zwar erst vom Gründer des Delhi-Sultanats um 1200 zerstört, aber ihre Bedeutung war schon vorher zurückgegangen. 4. Die Entwicklung des Hinduismus
In den indischen Sprachen gibt es den Ausdruck «marga» (Pfad) für die verschiedenen Wege zu Gott, denen ein Hindu folgen kann. Man unterscheidet drei Grundrichtungen: Karmamarga (der Pfad der Werkgerechtigkeit), Jnana-marga (der Pfad der rechten Erkenntnis) und Bhakti-marga (der Pfad der Andacht und Verehrung Gottes). Die drei Pfade schließen sich nicht gegenseitig aus. Der große Philosoph Shankaracharya, ein prominenter Vertreter des Jnana-marga, hat zum Beispiel auch Gedichte geschrieben, die der Gottesandacht gewidmet sind. Im Übrigen beschränkt sich der Ausdruck «marga» nicht auf die drei Grundbedeutungen, er kann auch weitere Präferenzen, wie
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
etwa die Verehrung eines bestimmten Gottes bezeichnen. Im Mittelalter artikulierte sich die Vielfalt dieser Pfade, und dies trug wesentlich zur Bereicherung des Hinduismus bei. «Bhakti» als Gottesliebe inspirierte religiöse Dichter, die nicht mehr im «klassischen» Sanskrit, sondern in den Regionalsprachen schrieben und deren Entwicklung auf diese Weise vorantrieben. Der «Jnana-marga» der brahmanischen Gelehrten, die im Mittelalter ihre großen Kommentare zu den überlieferten Texten schrieben, wurde natürlich bevorzugt in Sanskrit artikuliert. Sanskrit und die Regionalsprachen standen aber in engem Kontakt miteinander. Selbst die dravidischen Sprachen des Südens nahmen viele Sanskrit-Lehnwörter auf. Zusätzlich zu den überlieferten religiösen Texten entstanden im Mittelalter die Puranas («alte Texte») und Mahatmyas («Verherrlichungen»). Die Puranas waren in erster Linie der Hindu-Mythologie gewidmet. Sie synthetisierten alte und neue Überlieferungen, oft zum Lobpreis bestimmter Götter. So war das berühmte Bhagavatapurana, das im 10. oder 11. Jahrhundert entstand, dem Gott Krishna gewidmet, der im Mittelalter zunehmend an Bedeutung gewann. Die Mahatmyas bezogen sich meist auf die Traditionen bestimmter Tempel, so etwa das Chidambaram Mahatmya, das die Verehrung Shivas als Nataraja (König des Tanzes) im Tempel von Chidambaram zum Gegenstand hat. Nataraja war der Schutzpatron der Cholas und erlangte daher besondere Bedeutung. Ein Grundzug mittelalterlicher Frömmigkeit war die Hervorhebung heiliger Stätten, an denen ein Gott sich auf die eine oder andere Weise offenbart hatte und wo er auch weiterhin residierte und seine Gläubigen empfing. Oft stand am Anfang solcher Verehrung nur ein besonders geformter Stein, den man als Götterbild ansah, das ohne menschliches Zutun von selbst (swayambhu) entstanden war. Verehrungswürdige Stätten wurden zu Wallfahrtsorten, deren Einzugsgebiet oft überregional war. Das Pilgerwesen trug sehr zur Integration des Hinduismus bei. Die Bhakti-Bewegungen, die sich an verschiedenen Göttern orientierten, die jeweils als «alleinseligmachend» angesehen
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wurden, durchzogen ganz Indien. Die Literatur, die sie hervorbrachten, ist noch heute für Indien bedeutsam. In gewisser Weise bildeten diese Bewegungen ein Gegengewicht zu dem sich ebenfalls im Mittelalter ausdifferenzierenden Kastenwesen. In der Gottesliebe waren alle Gläubigen gleichgestellt, es gab keine Kastenunterschiede. Im Kastenwesen dagegen hatte jeder seinen festen Platz in der Gesellschaft. Zur Versöhnung dieser gegenläufigen Tendenzen konnte man darauf hinweisen, dass Bhakti zum Bereich der individuellen Erlösung (moksha) gehört, während das Kastenwesen der Weltordnung (dharma) unterliegt. Das Kastenwesen wurde nur von den Brahmanen, die normative Texte schrieben, als ein «System» gedeutet. In Wirklichkeit gestattete es eine flexible Zuordnung und erlaubte es, Gemeinschaften verschiedener Art, darunter Einwanderer und Stammesangehörige, einen Platz in der indischen Gesellschaft anzuweisen. In Indien wurden solche Gemeinschaften nicht vergesellschaftet, sondern «verkastet». Die Regeln der Kommensalität, die bestimmten, mit wem man gemeinsam essen durfte, und die Praxis der Endogamie (Heirat nur innerhalb der Kaste) sorgten dann für den Erhalt der kastenspezifischen Identität. Genau wie man Göttern Mythen andichtete, die ihren Platz im Hindu-Pantheon definierten, wurden Ursprungsmythen verschiedener Kastengruppen ersonnen und überliefert. Es ergibt sich hier eine Analogie zu den oben beschriebenen feudalen Inkorporationsstrategien. Alles wurde in Indien auf die eine oder andere Weise «kontextualisiert». Selbst der intimste Bereich menschlicher Erfahrung, der der Sexualität, wurde religiös gedeutet und zum Gleichnis des Strebens der menschlichen Seele nach der Vereinigung mit Gott gemacht. Diese Gleichnishaftigkeit konnte verschiedene Ausdrucksformen haben, die vom sublimen Gefühl mystischer Gottesliebe bis zum rituellen Beischlaf reichten. Jayadevas Dichtung «Gitagovinda», in der Radha, die Geliebte des Gottes Krishna, die menschliche Seele und ihr Erlösungsstreben verkörpert, zeigt den ersten Aspekt, die Praktiken der «Shaktas» und ähnlicher Sekten sind dem zweiten Aspekt gewidmet. Für den Shakta hat Gott eine ihm
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I. Mittelalterliche Reiche und religiöse Bewegungen
zugeordnete weibliche Kraft (Shakti). Der Beischlaf gilt als Analogie zu dieser göttlichen Vereinigung. Er wurde oft in Tempeln vollzogen, an deren Wänden erotische Skulpturen Anschaungsmaterial dafür bieten. Die mittelalterlichen Tempel von Khajuraho südlich der Gangesebene sind für ihre erotischen Skulpturen berühmt. Sie entstanden im 10.–11. Jahrhundert. Ihr Ritual war wohl einer feudalen Elite vorbehalten. Die Struktur der Tempel mit ihren kleinen Vorhallen zeigt, dass sie für einen die Massen ansprechenden Kult ungeeignet waren. Vielleicht war der Kult, der hier praktiziert wurde, Bestandteil einer besonderen feudalen Inkorporationsstrategie, bei der der Herrscher seinen Hofstaat durch die gemeinsame Teilnahme an religiös sanktionierten sexuellen Riten integrierte. Khajuraho ist übrigens keineswegs ein Sonderfall, ähnliche Darstellungen finden sich an vielen anderen Tempeln, so etwa an dem riesigen Tempel des Sonnengottes von Konarak an der Küste Orissas, den König Narasimha I. im 13. Jahrhundert errichten ließ. Es muss sich also bei diesen Praktiken um einen im hohen Mittelalter (10.–13. Jahrhundert) weit verbreiteten höfischen Kult gehandelt haben, dessen künstlerische Darstellung der Herrschaftsmanifestation diente. Die Masse der Bevölkerung wird zu diesen Formen höfischen Liebesspiels keinen Zugang gehabt haben, sie fand ihren Trost in den bewegenden Gedichten der Bhakti-Heiligen, die noch heute von Bedeutung sind, während die höfischen Kulte auf Unverständnis stoßen. Sie sind jedoch ein Zeichen für die Spannweite der Hindu-Religiosität, die vielerlei Ausdrucksmöglichkeiten fand. Man kann diese höfischen Kulte freilich auch als ein Zeichen von Dekadenz deuten. Indiens verfeinerte höfische Kultur fiel bald dem Ansturm der Reiterkrieger zum Opfer, dem die indischen Herrscher zunächst nichts entgegenzusetzen hatten, bis sie selbst ihre Staaten zu Kavalleriestaaten machten.
II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
Bereits Mahmud von Ghazni hatte den Erfolg seiner indischen Raubzüge seinen Reiterkriegern zu verdanken. Doch da diese Raubzüge sporadisch blieben und er keine Herrschaft in Indien errichtete, blieben seine Interventionen wirkungslos. Die mittelalterliche indische Kriegstechnik mit den Kriegselefanten als zentrale Waffengattung blieb weiterhin erhalten. Für den Übergang zur neuen Kavalleriestrategie fehlte es in Indien sowohl an guten Pferden als auch an ausgebildeten Reitern. Das indische Klima ist für die Aufzucht von Pferden, die ja aus Zentralasien stammen, nicht günstig. Pferde sind gesundheitlich anfällig und bedürfen sachkundiger Pflege. An entsprechenden Fachkräften fehlte es in Indien. Auch später noch, als indische Herrscher sich auf die Kavalleriestrategie einstellten, hatten sie stets große Verluste zu verbuchen und mussten Pferde zu hohen Preisen aus Westasien importieren. Das zweite Problem – der Mangel an ausgebildeten Reitern – war für Indien ebenso bedeutsam wie der Mangel an Pferden. Die islamischen Herrscher Westasiens waren in dieser Hinsicht bestens versorgt. Die erste Ausbreitung islamischer Macht war noch von arabischen Stammeskriegern vorangetrieben worden. Doch je größer die islamischen Reiche wurden, umso mehr verließen sie sich auf Sklaven, die von frühester Jugend an als Reiterkrieger ausgebildet wurden und daher jedem überlegen waren, der sein Ross zu spät bestiegen hatte. Solche Sklaven, die meist auf den Märkten Zentralasiens erworben wurden, konnten, wenn sie sich als tüchtig erwiesen, schnell Karriere machen und schließlich selbst zum Herrscher aufsteigen. Islamische Sultane, die sich auf Sklavenkrieger stützten, hatten es nicht nötig, besondere Inkorporationsstrategien zu entwickeln. Ihr Patrimonialismus war unbeschränkt. Die Sklaven waren ihr persönliches Eigentum.
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II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
In einer Beziehung mussten sich freilich auch islamische Sultane darum bemühen, ein Feudalsystem zu errichten. Die Versorgung der Truppen ließ sich nicht aus dem Haushalt des Herrschers bestreiten, sie musste dezentralisiert erfolgen. So entwickelte sich das Militärlehnswesen. Kavalleriekommandeure erhielten Steuerzuteilungen (iqta) und mussten sich selbst um die Eintreibung der Steuern bemühen. Nun war der Reiterkrieger ein guter Steuereintreiber, der die Bauern buchstäblich von oben herab zur Kasse bitten konnte. Das System bewährte sich bestens und verhinderte auch die Bildung von Hausmacht. Kavalleriekommandeure waren mobil und dort, wo sie eingesetzt waren, meist Fremde ohne Bindung an die lokale Bevölkerung. Eine Auflehnung gegen ihren Oberherrn war zwecklos, weil die «Kollegen» einen Aufrührer leicht besiegen konnten, es sei denn, er ging aufs Ganze und stürzte den Sultan. Deshalb war die Herrschaft der Reiterkrieger oft eine Herrschaft von Usurpatoren. Das Hauptproblem aller Reiterkriegerstaaten war die Unterhaltung von Hunderttausenden von für den Kriegsdienst geeigneten Reitpferden. Diese Pferde kosteten oft mehr als der Sklave, der sie ritt. Während ein europäischer Ritter sein Pferd in der Regel selbst besaß, waren die Pferde in Asien «Staatseigentum». Im Frankenreich soll ein Reitpferd den Wert von sechs Kühen gehabt haben, im Delhi-Sultanat dagegen von dreißig Kühen. Das lässt erahnen, welche Abgabenlast die Bevölkerung in den Militärfeudalstaaten der Reiterkrieger zu tragen hatte. Die Bedeutung der Reitpferde machte den Pferdehändler in den Militärfeudalstaaten zu einem reichen und mächtigen Mann. Es gibt etliche Beispiele für den Aufstieg von Pferdehändlern zu hohen politischen Positionen. Das galt besonders für Indien, wo geeignete Pferde meist nur über den Fernhandel bezogen werden konnten. Die Rolle, die die Fugger und Welser in Europa spielten, kam in Indien den Pferdehändlern zu. Sie stammten zumeist aus Persien und hatten gute Beziehungen zu den Herkunftsgebieten der Pferde. Auf diese Weise machten sie sich unentbehrlich. Indien wurde erst vergleichsweise spät von den islamischen
1. Das Delhi-Sultanat
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Reiterkriegern erobert. Die enorme Interventionsreichweite von professionellen Reiterkriegerheeren hätte eine frühere Eroberung erwarten lassen. Doch wer Indien erobern wollte, musste sich für Indien entscheiden. Es genügte nicht, dort nur einen Außenposten zu errichten. Mahmud von Ghazni hatte nicht die Absicht, für Indien zu optieren. Der Erfolg seiner Raubzüge genügte ihm. Als Mohammad von Ghor fast 200 Jahre später seinem Beispiel folgte, wollte auch er sich nicht in Indien niederlassen. Erst sein fähiger Heerführer, der Sklave Qutbuddin Aibak, der bei Mohammads Tod den Ghoriden die Gefolgschaft aufsagte,entschied sich für Indien und errichtete 1206 das Sultanat von Delhi, um die Unabhängigkeit von seinen einstigen Herren zu erringen. 1. Das Delhi-Sultanat: Kavalleriestaat der Sklaven und Usurpatoren
Qutbuddin Aibak hatte im Dienste seines Herrn bereits fast ganz Nordindien mit seinen Reiterscharen erobert. Er etablierte dort das Militärlehnswesen, das er aus Westasien kannte, und errichtete einen Militärfeudalstaat, der als solcher stabil blieb, wenn auch die Herrscher rasch wechselten. Qutbuddin wurde durch seinen Schwiegersohn Iltutmish beerbt, der ein kompetenter Herrscher war und zudem vom Kalifen offiziell als Sultan anerkannt wurde. Auf ihn folgte ein turbulentes Interregnum, das nur durch wenige Jahre der Herrschaft von Iltutmishs sehr fähiger Tochter Raziyya unterbrochen wurde. Dann setzte sich der Usurpator Balban durch, ein überaus grausamer Herrscher, der die Macht des Sultanats mehrte und – wie bereits seine Vorgänger – Indien vor dem Einfall der Mongolen bewahrte. Auch ihm folgte wieder ein Usurpator, Jallaluddin Khalji, dem es gelang eine Dynastie zu gründen. Doch sein Nachfolger war schlimmer als ein gewöhnlicher Usurpator. Es war sein Neffe und Schwiegersohn Alauddin Khalji, der ihn ermorden ließ, um an die Macht zu kommen. Alauddin (1297–1316) war der bedeutendste Herrscher des Delhi-Sultanats. Es gelang ihm, weiterhin die Mongolen abzu-
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II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
wehren, die eine ständige Bedrohung für Indien blieben. Der Mongole Hülägü hatte 1258 Bagdad eingenommen und den Kalifen vom Thron gestoßen. Das war ein Signal gewesen, das die ganze islamische Welt erschüttert hatte. Auch für Delhi zeigte es die künftige Bedrohung an. Die Verteidigung kostete viel Geld, und Alauddin hatte Probleme, seine Hindu-Untertanen angemessen zu besteuern. Der Herrschaftsstil der islamischen Reiterkrieger war der eines Überlagerungsfeudalismus, beim dem eine fremde Herrenschicht die einheimische Bevölkerung unterjochte. Inkorporationsstrategien gab es hier nicht. Allein brutale Gewalt zählte. Alauddin war bereit, sie anzuwenden, sah aber ein, dass ihm dabei nur begrenzte Erfolge beschieden waren. Nur in seiner Hauptstadt Delhi konnte er seine Maßnahmen mit großer Härte durchsetzen. Er drückte den Sold der Truppen und diktierte zum Ausgleich dafür die Lebensmittelpreise auf dem Markt. In seiner größten Ausdehnung kam Allauddins Reich schon dem des späteren Großmoguls Akbar gleich, doch seiner zentralistischen Verwaltungsreform war weniger Erfolg beschieden als der Akbars. Letztlich konnte er seine Staatskasse nur mit dem Erlös der Kriegsbeute füllen, die sein großer General Malik Kafur von seinen blitzartigen Eroberungszügen durch Südindien mitbrachte. Der Sklave Malik Kafur, ein zum Islam bekehrter Hindu aus Gujarat, verstand es wie kein anderer, die enorme Interventionsreichweite der Kavallerie zu nutzen. Die Herrschaftsreichweite ließ sich freilich mit dieser Strategie nicht ausweiten. Der Kavallerieblitzkrieg hatte einen Demonstrationseffekt. Alle Hindu-Herrscher, die diesem Ansturm gewachsen sein wollten, mussten ihre Reiche in Kavalleriestaaten verwandeln. Der Kakatiya-König Prataparudra von Warangal, dessen Territorium im heutigen Andhra Pradesh dem Machtbereich des Delhi-Sultanats sehr nahe war, wurde bereits im 13. Jahrhundert zum Pionier der Einführung eines Hindu-Kavalleriestaats. Bei den Hindus gab es keine Militärsklaverei, statt dessen entstand ein neuer Militäradel der Nayaks (Kavalleriehauptleute), die auf ähnliche Weise mit Militärlehen ausgestattet wurden
1. Das Delhi-Sultanat
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wie die Kommandeure der Truppen des Delhi-Sultanats. Prataparudra dachte sich aber noch eine zusätzliche Maßnahme aus, die an die feudalen Inkorporationsstrategien früherer Zeiten gemahnte. Er wies den Nayaks seines Reiches jeweils eine Bastion seiner Hauptstadt zu und umgab sich so mit einem Kreis von Reiterkriegern – sozusagen eine neue Version des Samantachakra («Kreis der Nachbarn»). Doch auch das Kakatiya-Königreich wurde von Malik Kafur bezwungen, sein König dann aber von Alauddin als «Statthalter» wieder eingesetzt. Als solcher hatte er in der Folgezeit freie Hand, bis der nächste Eroberer aus Delhi heranrückte. Dieser nächste Eroberer war Muhammad bin Tughluk (1325–1351), der auf ähnlich heimtückische Art an die Macht gekommen war wie seinerzeit Alauddin. Er hatte seinen Vater Ghyasuddin Tughluk, der 1320 den Thron bestiegen hatte, ermorden lassen, indem er eine auf dessen Geheiß erbaute Empfangshalle einstürzen ließ, nachdem dieser sie betreten hatte. Muhammad bin Tughluk war ein maßloser Eroberer, der nicht nur Warangal, sondern weitere südindische Reiche bezwang und schließlich seine Hauptstadt in den Norden des Hochlandes nach Daulatabad verlegte. Dieser Ort liegt nur wenige Kilometer von Aurangabad entfernt, wohin der Großmogul Aurangzeb drei Jahrhunderte später zog – ebenfalls um ein Reich zu beherrschen, das vom fernen Delhi nicht mehr zu kontrollieren war. Doch während es Aurangzeb 25 Jahre in Aurangabad aushielt, eilte Tughluk sehr bald nach Delhi zurück, weil er sonst dort die Kontrolle verloren hätte. Da es noch keine Feldartillerie mit beweglichen Kanonen gab, die die Zentralmacht stützen konnten, war das Delhi Sultanat viel angreifbarer als das Mogulreich. Tughluk litt wie Alauddin zuvor an Geldmangel. Er kam daher auf die aberwitzige Idee, Kupfermünzen einzuführen, und verwandelte so nahezu jedes Haus seines Reiches in eine Falschmünzerwerkstatt. Der Größenwahn wurde Tughluk zum Verhängnis. Schon zu seinen Lebzeiten zerfiel sein Reich. Was von ihm noch verblieb, vererbte er seinem Vetter Firoz Shah (1351–1388), der so einer der wenigen Sultane von Delhi war,
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II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
die auf friedliche Weise auf den Thron kamen, den er dann sehr lange innehaben sollte. Unter ihm blieb die Macht des Sultanats auf Nordindien beschränkt. Doch dort war seine Herrschaft sicher. Wenige Jahre nach Firoz Shahs Tod überfiel der große Eroberer Timur Indien, raubte Delhi aus und versetzte dem Sultanat den Todesstoß. Erst Jahrzehnte später sollte es unter der afghanischen Lodi-Dynastie noch einmal aufblühen, bis Ibrahim Lodi 1526 vom Großmogul Baber, einem Nachfahren Timurs, vernichtend geschlagen wurde. 2. Die Sultanate des Hochlands
Das Delhi-Sultanat sollte nicht das einzige Sultanat auf indischem Boden bleiben. Als Tughluk Daulatabad aufgab, füllten nicht Hindu-Könige das so entstandene Machtvakuum, sondern ein Abenteurer namens Zafar Khan, der sich dann Bahman Shah nannte und das Bahmani-Sultanat begründete. Er eroberte 1345 Daulatabad, verlegte aber dann seine Hauptstadt nach Gulbarga im nördlichsten Teil des heutigen Karnataka. Gulbarga liegt in einem fruchtbaren Becken und hat eine für die Beherrschung des Hochlandes sehr günstige Lage. Das frühe Machtzentrum der Rashtrakutas lag auch in dieser Gegend. Ein späterer Bahmani-Sultan verlegte die Hauptstadt dann nach Bidar, das etwa auf halbem Wege zwischen Gulbarga und Haiderabad liegt. Die Bahmani-Sultane waren wie die Perser Shiiten. Die Glaubensspaltung des Islam zwischen Shiiten und Sunniten hatte bereits früh eingesetzt und ist bis heute bedeutsam geblieben. Die Shia (= Partei) des Ali, Vetter und Schwiegersohn des Propheten, hatte sich gegen die ersten drei Kalifen (Nachfolger des Propheten) gestellt. Ali wurde 656 der vierte Kalif, aber er wurde 661 ermordet und 680 auch sein Sohn Husein. Die Shiiten erkannten die späteren Kalifen nicht an, sondern folgten nur ihren Imamen (= Vorbeter). Außer in Persien, wo die Safawiden den Glauben der Shia zur Staatsreligion erklärten, blieben die Shiiten eine Minderheit unter den Muslimen. Die Gefolgschaft der Kalifen behauptete die Tradition (= Sunna) des Propheten zu wahren. Die Safawiden nutzten ihre Be-
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ziehungen zu den shiitischen Sultanen des indischen Hochlandes, um sie gegen das sunnitische Delhi-Sultanat auszuspielen. Der Einfluss persischer Kunst und Hofkultur prägte das Bahmani-Sultanat. Den Höhepunkt seiner Macht erreichte dieses Sultanat unter dem fähigen Minister Mahmud Gawan, der von 1461 bis 1481 die Zügel in der Hand hatte und für seinen Herrn das südliche Indien von Küste zu Küste eroberte – freilich mit der Ausnahme des Hindu-Reichs Vijayanagar, über das noch zu berichten sein wird. Gawan war ein persischer Pferdehändler, der auf besonders eindrucksvolle Weise demonstrierte, wie man von dieser Position aus politischen Einfluss und schließlich die Macht im Staate erringen konnte. Der Sultan dankte Mahmud Gawan seine großen Verdienste nicht, sondern ließ ihn 1481 hinrichten. Erst danach wurde ihm bewusst, welchen Verlust sein Sultanat auf diese Weise erlitten hatte. Es zerfiel in seine Einzelteile, in denen sich die Gouverneure selbst zu Sultanen erklärten. Dies war eine Ausnahme von der Regel, nach der die Zentralmacht erhalten bleibt, weil nur ein Usurpator, der aufs Ganze geht, die Chance hat, an die Macht zu kommen. Doch das Bahmani-Sultanat war zu rasch gewachsen und zu heterogen, um zusammenzuhalten. Gawan hatte mit gewissem Erfolg eine zentrale Verwaltungsreform eingeführt, aber gerade dadurch den Widerstand der Großen des Reichs erregt, die an seiner Hinrichtung nicht unschuldig waren. Als seine starke Hand das Sultanat nicht mehr im Griff hatte, setzten zentrifugale Tendenzen ein. So entstanden vier neue Sultanate, die von Bijapur, Ahmednagar und Golkonda – und der Rumpfstaat von Bidar, in dem der ohnmächtige Bahmani-Sultan von der Dynastie der Barid Shahis zur Legitimation ihrer usurpierten Macht erhalten wurde. Die prächtigsten und mächtigsten dieser neuen Sultanate waren die von Bijapur und Golkonda. Bijapur beeindruckt den Besucher noch heute durch das Mausoleum des Sultans Muhammad Adil Shah, das 1659 erbaut wurde und Gol Gumbaz genannt wird. Es ist der größte Kuppelbau der Welt. Ebenso beeindruckt ist der Besucher von der mächtigen Festung in der
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II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
Nähe von Haiderabad, die die Sultane von Golkonda errichtet haben. Ihre nahe gelegenen Mausoleen geben ein interessantes Beispiel für die Anreicherung persischer Baukunst mit Elementen der Hindu-Tempelarchitektur. Die Sultanate von Bijapur und Golkonda waren die nächsten Nachbarn des Hindu-Reichs von Vijayanagar, mit dem sie ständig in Fehde lagen, wobei sie sich nicht selten gegeneinander ausspielen ließen. Das alte Muster der streitenden Regionalreiche schien hier aufs Neue zu entstehen. Orissa spielte dabei auch eine Rolle, es wurde neben Vijayanagar zum bedeutendsten Hindu-Reich. Daneben gab es auch ein Sultanat von Bengalen, das vom Rückgang der Macht des Delhi-Sultanats profitierte. Es soll hier nicht näher beschrieben werden, weil neben den Nachfolgestaaten des Bahmani-Sultanats nur die HinduStaaten besondere Aufmerksamkeit verdienen. 3. Die Hindu-Reiterkrieger des Südens
Der Rückgang des Interventionspotenzials des Delhi-Sultanats ermöglichte den Aufstieg rivalisierender Reiche in Südindien, die sich nun bereits völlig auf die Kavalleriestrategie umgestellt hatten. Wie ähnlich diese Reiche in ihrer Struktur dem DelhiSultanat waren, zeigt das größte Hindureich des Südens, das ebenfalls nicht einen dynastischen Namen trug, sondern nach seiner Hauptstadt Vijayanagar benannt wurde und in dem auch Usurpatoren an die Macht kamen. Der Sohn eines solchen Usurpators, der größte Herrscher Vijayanagars, Krishnadevaraya, sah diese Ähnlichkeit sehr klar und bezeichnete sich selbst einmal als einen «Hindu-Sultan». Die dominante Schicht dieses Reichs waren Telugu-Reiterkrieger, deren Herrschaft im tamilischen Süden durchaus auch als Überlagerungsfeudalismus bezeichnet werden kann. Die Gründer des Reichs von Vijayanagar waren die Brüder Harihar und Bukka, die nacheinander von 1346 bis 1377 den Thron innehatten. Die Gründung dieses Reichs erfolgte nahezu gleichzeitig mit der des Bahmani-Sultanats, mit dem es in ständiger Fehde liegen sollte. Vijayanagar war von vornherein ein
3. Die Hindu-Reiterkrieger des Südens
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Kavalleriestaat. Seine tragende Schicht waren die hier Amaranayakas genannten Kavalleriehauptleute und Militärlehnsherren. Einen frühen Höhepunkt seiner Macht erlebte Vijayanagar unter dem König Deva Raya II. (1406–1422), der die tamilische Küstenregion eroberte, die einst der Mittelpunkt der Herrschaft der Cholas gewesen war. Wie im Norden, so prägte auch im Süden der Militärfeudalstaat einen neuen Stadttyp. Die Städte waren zugleich Garnisons- und Verwaltungsstädte sowie Marktflecken. Der Kavalleriehauptmann war Garnisonskommandant und Haupt der Bezirksverwaltung, als solcher hatte er auch einen gewissen Einfluss auf das Marktgeschehen. Ältere Formen lokaler Selbstverwaltung wurden auf diese Weise ausgelöscht. Kavalleriehauptleute konnten unter Umständen auch Stadtgründer werden, wie Kempe Gowda, der noch heute als Gründer Bangalores geehrt wird. Städte diesen Typs wirken steril und nüchtern, wenn man sie mit älteren Tempelstädten und Kulturzentren vergleicht. Sie bringen zum Ausdruck, dass der Feudalstaat der Reiterkrieger in erster Linie auf der Ausübung militärischer Gewalt beruhte und nur in geringem Maße die kulturellen Leistungen erbrachte, die die Hindu-Staaten früherer Zeit aufzuweisen hatten. Selbst die Bauwerke Vijayanagars lassen bei aller Prachtentfaltung den Reiz früherer Kunst vermissen. Sie wirken grob im Vergleich zur Chola-Kunst. Vijayanagar war nicht die einzige Bastion der Hindus gegen die Übermacht der Muslime. Orissa hatte ebenfalls eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gezeigt, obwohl es den Zentren muslimischer Macht in Nordindien viel näher lag. Dabei kam Orissa die Struktur seiner Landschaft zugute, die es für Invasoren recht unzugänglich macht. Die Küstenebene ist von einem Kranz von hügeligem Waldland umgeben, das sich als Rückzugsgebiet geradezu anbietet. Die Ebene wird von Flüssen durchzogen, die in der Regenzeit oft über die Ufer treten und dieses Gebiet unpassierbar machen. Im frühen und hohen Mittelalter gab es dort Reiche, die ihre Eigenständigkeit wahrten, aber im Konzert der großen Regionalreiche kaum mitspielten. In einer Hinsicht war Orissa aber von besonderer Bedeu-
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II. Die Herrschaft der Reiterkrieger
tung: Dort lebten die meisten Elefanten, die überall in Indien als Kriegselefanten begehrt waren. Die Könige von Orissa hatten daher den Beinamen «Gajapati» (Herr der Elefanten) und waren als solche bekannt und geachtet. Nach der Invasion der Reiterkrieger musste auch Orissa zum Kavalleriestaat werden, und es ist bezeichnend, dass sein größter Herrscher, Kapilendra (1434–1467), aus den Reihen der Nayaks hervorging, den Thron usurpierte und die Suryavamsha-Dynastie gründete. Es kam Kapilendra zugute, dass er nach Deva Raya II. von Vijayanagar lebte und seine größten Erfolge hatte, ehe Mahmud Gawan das Bahmani-Sultanat auf den Gipfel seiner Macht führte. Seine siegreichen Heere stießen im Norden bis nach Bengalen und im Süden bis ins Tamilgebiet vor, wo er Vijayanagar die Vorherrschaft streitig machte, die Deva Raya II. dort erst kurz zuvor errichtet hatte. Kapilendras große Interventionsreichweite demonstrierte, dass auch Hinduherrscher nun die Kavalleriestrategie erfolgreich nutzen konnten. Als dann Krishnadevaraya (1509–1529) das Reich Vijayanagar auf den Gipfel seiner Macht führte, musste Orissa wieder zurückstecken. Auch die tamilische Küste kam nun wieder unter die Herrschaft Vijayanagars. Mit einer großen Tempelbauaktion in seiner tamilischen «Ostmark» versuchte Krishnadeva seine Herrschaft dort auch religiös zu legitimieren. Als Sohn eines Usurpators, der Vijayanagars dritte Dynastie begründet hatte, war Krishnadeva, der «Hindu Sultan», auf solche symbolischen Gesten besonders bedacht. Er war Zeitgenosse des Großmoguls Baber, von dessen Sieg über Ibrahim Lodi er noch gehört haben mag, aber wie einst die großen Cholakönige Rajaraja und Rajendra, die Zeitgenossen Mahmud von Ghaznis gewesen waren, konnte auch Krishnadeva seine Kräfte nicht mit dem großen Herrscher des Nordens messen. Eine solche beziehungslose Zeitgenossenschaft gab es im Laufe der indischen Geschichte immer wieder. Wenige Jahrzehnte nach Krishnadevas Tod wurde das Heer Vijayanagars von den vereinten Heeren der benachbarten Sultanate bei Talikota (1565) vernichtend geschlagen. Nach der Schlacht eroberten die Feinde auch noch Vijayanagar und plün-
3. Die Hindu-Reiterkrieger des Südens
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derten es aus. Es konnte nun seinem Namen («Siegesstadt») keine Ehre mehr machen. Dafür entfalteten jetzt einige der Nayaks (Kavalleriehauptleute) ihre Herrschaft, so etwa Tirumala Nayak von Madurai. Er umgab sich ähnlich wie zuvor der Kakatiya-König Prataparudra mit einem Kreis von Nayaks, denen er Bastionen seiner Hauptstadt zuordnete. Madurai war früher die Hauptstadt der im Wettstreit mit den Cholas stehenden Pandyas gewesen. Vorübergehend war es die Hauptstadt des südlichsten indischen Sultanats gewesen und dann zum Außenposten Vijayanagars geworden. Es blühte nun noch einmal unter der Herrschaft der Nayaks auf. Mit seinem berühmten Minakshi-Tempel blieb es ein bedeutendes Kulturzentrum Südindiens und stach vorteilhaft von den militärfeudalen Städten ab. Hier kann man wie nur in wenigen anderen indischen Städten die Jahrhunderte alte historische Substanz einer indischen Stadt bewundern.
III. Das Reich der Großmoguln
Das Mogulreich verdankte seinen raschen Aufstieg ähnlich wie die zeitgenössischen Reiche der Osmanen und der persischen Safawiden dem schlachtentscheidenden Einsatz der Feldartillerie. Man hat in diesem Zusammenhang von «Schießpulverreichen» gesprochen, doch dieser Ausdruck trifft nicht den Kern der neuen Strategie. Schießpulver und Kanonen hatte es schon lange gegeben. Die bewegliche Feldartillerie, die, auf Lafetten gesetzt und von Pferden, Ochsen oder Elefanten gezogen, rasch überall eingesetzt werden konnte, war die neue Waffengattung, die sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts geradezu schlagartig verbreitete. Der osmanische Sultan Selim I., der Grausame, bezwang damit die Mameluken-Sultane von Syrien und Ägypten und führte die Artillerie kurz darauf auch gegen Shah Ismail, den Gründer der Safawiden-Dynastien, ins Feld, doch dieser war bereits ebenso gerüstet und konnte sich gegenüber dem Osmanen behaupten. Wenige Jahre darauf besiegte der Großmogul Baber auf dem Schlachtfeld von Panipat das zahlenmäßig weit überlegene Heer des Sultans von Delhi mit seiner Feldartillerie, die von nun an die Großmoguln in alle Schlachten begleitete. Babers Einsatz der neuen Waffe war an sich erstaunlich, denn er war mit ihr noch nicht lange vertraut. Er war als geschickter Bogenschütze bekannt. Die Usbeken hatten ihn aus seinem Stammland Ferghana, östlich von Samarkand, vertrieben. Er hatte sich dann in Kabul festgesetzt und startete von dort aus seinen Feldzug nach Indien, das er als Nachkomme Timurs als sein rechtmäßiges Erbe betrachtete. Als Baber schließlich zur Schlacht gegen den Sultan von Delhi antrat, war dessen Heer ihm weit überlegen. Auch hatte er kaum Kriegselefanten und musste sich auf seine Reiter – und eben die Feldartillerie verlassen. Er hatte einen türkischen Kanonengießer in seinen
III. Das Reich der Großmoguln
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Diensten, der es verstand, vor Ort Kanonen herzustellen. Baber berichtet darüber in seiner Autobiografie, die ein literarisches Meisterwerk ist. Dort schildert er auch seinen Schlachtplan. Er stellte seine Kanonen in breiter Front auf und ließ sie mit Lederriemen verbinden. Außerdem postierte er Musketenschützen zwischen den Kanonen. Seine Reiter trieben dann mit wiederholten Flankenangriffen das Heer des Sultans auf die Kanonen zu. Als dessen Elefanten von den Kanonenkugeln getroffen wurden, gab es kein Halten mehr. Das Heer des Sultans geriet in heillose Verwirrung, er selbst fiel auf dem Schlachtfeld. Baber nahm Delhi ein, doch was er dort erbeutete, gab er gleich für die weitere Produktion von Kanonen aus, die er zu Schiff den Ganges hinunter transportieren ließ. So gelang es ihm, bald auch Bengalen zu erobern. Auch der Sultan von Bengalen hatte Kanonen, doch er wusste nicht mit ihnen umzugehen, wie Baber mit ironischem Unterton berichtet. Die Kanonen schossen nur ab und zu, wohl nur um zu beweisen, dass es sie gab. Was Baber hier bemerkte, traf auch später noch auf die Artillerie vieler indischer Herrscher zu. Ihr Einsatz beschränkte sich oft auf ein Imponiergehabe ohne strategisches Konzept. Die Großmoguln aber wussten mit dieser Waffengattung umzugehen und hüteten das Geheimnis der Herstellung von Kanonen. Selbst als die Rajputenfürsten ihre treuesten Gefolgsleute wurden, weihten sie sie nicht in diese Kunst ein. Es dauerte lange, bis die Rajputen selbst ihre ersten Kanonen gossen. Der brillante Baber hatte in Indien leichtes Spiel, doch seine Tage waren gezählt. Er starb bald nachdem er nahezu ganz Nordindien erobert hatte. Sein Sohn Humayun, der auf dem Schlachtfeld von Panipat an seiner Seite gekämpft hatte, war nach Kabul entsandt worden, um dort die Stellung zu halten. Er kehrte nach Delhi zurück, als sein Vater erkrankt war und wurde dann selbst todkrank. Baber betete darum, dass Gott ihn selbst sterben lasse und das Leben seines Sohns erhalten möge. So geschah es, und Humayun trat seine Nachfolge an. Das war nicht selbstverständlich, denn «Kronprinzen» gab es bei den Moguln nicht. Jeder Mogulprinz oder auch
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andere Verwandte konnte nach der Krone streben. Man kann hier von einem dynastischen Darwinismus sprechen, der zur Stärkung der Dynastie beitrug. Es kam immer der Stärkste und Rücksichtsloseste an die Macht und nicht der, der gerade an der Reihe war. Später sollten Mogulprinzen sogar oft vorbeugend nach der Macht greifen, solange der Vater noch am Leben war. Bei der Thronfolge Humayuns war das noch nicht der Fall, doch wäre auch er beinahe einer Intrige bei Hofe zum Opfer gefallen. Sein Glück währte jedoch nicht lange. Der Afghane Sher Shah raubte Humayun die Herrschaft, und er musste wie einst sein Vater nach der Vertreibung aus Ferghana als Flüchtling davonziehen. Auf der Flucht wurde ihm 1541 der Sohn Akbar geboren, der der größte Großmogul werden sollte. Humayun fand bei dem Safawiden Tamhasp in Persien Zuflucht und verbrachte dort viele Jahre im Exil, während Akbar bei einem Bruder Humayuns in Kabul aufwuchs. Erst als nach Sher Shahs Tod dessen schwache Nachfolger die Kontrolle über das Reich verloren, konnte Humayun es wagen, mit persischer Hilfe Indien noch einmal zu erobern. Sher Shah war ein fähiger Verwaltungsmann gewesen und hatte sowohl dem Münzwesen als auch der Grundsteuerveranlagung eine gute Grundlage gegeben. Darauf konnte Humayun aufbauen und die Macht der Großmoguln konsolidieren. Doch es war ihm keine lange Regierungszeit vergönnt. Er starb an einem Sturz von der steilen Treppe seiner Bibliothek. Akbar folgte ihm im Alter von 13 Jahren auf den Thron. Die Regierung blieb zunächst Regenten überlassen. Doch Akbar musste selbst schon in so jungen Jahren am Kampf gegen einen kühnen Herausforderer teilnehmen, der die Gunst der Stunde nutzen wollte, um der Macht der Großmoguln ein Ende zu bereiten. Der Herausforderer war der Hindu Hemu, der sich zur Legitimation seines Herrschaftsanspruchs den Königsnamen Vikramaditya zulegte. Hemu war ein ernst zu nehmender Gegner, denn er hatte als Premierminister eines Nachfolgers von Sher Shah viele Schlachten für seinen Herrn gewonnen. Doch jetzt verließ ihn das Kriegsglück. Von einem Pfeil ins Auge getroffen stürzte er zu Boden. Akbars Ge-
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neral forderte den jungen Knaben auf, den Gegner eigenhändig zu enthaupten – und er tat es. Akbar hatte einen bemerkenswerten Mangel: Er war Analphabet. Da Baber und Humayun literarisch gebildet waren und Akbar selbst hochintelligent war, ist dieser Mangel nicht leicht zu erklären. Manche haben es auf seine Jugend im rauen Afghanistan zurückgeführt, andere meinen, er sei vielleicht Legastheniker gewesen. Jedenfalls machte er diesen Mangel durch ein erstaunliches Gedächtnis wett. Er beteiligte sich an Debatten mit führenden Gelehrten. Dazu ließ er eine besondere Diskussionshalle errichten, in deren Mitte eine Säule stand, zu der vier Brücken von den Ecken der Halle hinführten. Er saß in der Mitte, die Diskutanten standen an den Enden der Brücken. Das Publikum konnte in dem Saal darunter den Debatten zuhören. Akbar stellte viele Fragen und bekam viele Antworten. Auf diese Weise konnte er viele Informationen sammeln. Sein Reich dehnte sich rasch aus. Mit der Eroberung Gujarats (1574) und Bengalens (1576) konsolidierte er seine Herrschaft in Indien. Zugleich betrieb er eine kluge Außenpolitik. Der Shah von Persien und der Herrscher der Usbeken, Shah Abdullah, umwarben Akbar gleichermaßen. Der Usbeke schlug ihm vor, Persien zu überfallen und es untereinander aufzuteilen. Der Shah von Persien wollte dagegen gemeinsame Sache mit Akbar gegen die Usbeken machen. Das war eine große Versuchung, denn es hätte Akbar eventuell ermöglicht, Ferghana zurückzugewinnen. Doch er lehnte beide Ansinnen ab und unterhielt zu beiden Reichen freundschaftliche Beziehungen. Dabei war es ihm sogar möglich, Persien Kandahar zu entreißen und damit die Grenze des Mogulreiches an den Helmand-Fluss zu verlegen. Dennoch unterhielt er weiterhin gute Beziehungen zum Shah von Persien. 1. Akbars Verwaltungsreform und Religionspolitik
Akbar war aber nicht nur als Eroberer und Außenpolitiker erfolgreich. Er führte auch grundlegende Verwaltungsreformen durch, die für seine Nachfolger maßgebend blieben. Das vom
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Delhi-Sultanat übernommene System der Landzuteilung (iqta) fügte er in eine neue Rangordnung ein. Die höchsten Beamten des Reichs – meist Prinzen – hatten den Rang 7000, und am Ende der Hierarchie standen solche mit dem Rang 500 oder gar nur 100. Jedem Rang war eine bestimmte Gehaltshöhe und die Zahl der zu unterhaltenden Kavalleristen zugeordnet. Damit war für Flexibilität gesorgt, Offiziere konnten in dieser Ordnung ebenso untergebracht werden wie zivile Beamte oder gar Gelehrte und Hofmusikanten, die natürlich keine Kavalleristen zu unterhalten brauchten. Die Landzuteilung (jagir) entsprach dem Rang (mansab). Eine Beförderung war daher zwangsläufig mit einer Versetzung verbunden. Dies wiederum verhinderte die Bildung von Hausmacht. Provinzgouverneure standen an der Spitze der Rangordnung, doch nicht selten gab es in den Provinzen bedeutende Festungen, deren Kommandanten ebenfalls einen hohen Rang hatten und so ein Gegengewicht zu den Gouverneuren bildeten. Ein weiteres Problem, das Akbar zu lösen hatte, war die genaue Bewertung der Landzuteilungen und die Festlegung des Steuerbetrags. Letzeres war der Natur der Sache nach eine Willkürentscheidung, die nur der Herrscher persönlich treffen konnte. Er mußte dabei den Stand der Ernte unter den Bedingungen des Monsuns beurteilen, die einmal besser, einmal schlechter sein konnten. Mit der Ausdehnung des Reichs waren regionale Unterschiede zu berücksichtigen, die der Großmogul in seiner Entscheidung, die er mitunter gar auf dem Schlachtfeld treffen musste, kaum im Blick haben konnte. Akbar löste alle diese Probleme, indem er sämtliche Landzuteilungen einziehen ließ und das Land zehn Jahre lang der zentralen Steuerverwaltung unterstellte, die den Offizieren und Beamten ihre Bezüge direkt auszahlte. In diesen zehn Jahren mussten die Steuerschreiber alle Ernteerträge genau registrieren. Daraus ließ sich ein Zehnjahresdurchschnitt berechnen (dasalnama), der eine Fortschreibung ermöglichte. Danach wurden die Landzuteilungen wieder vorgenommen. Die Verwaltung wusste nun genau, inwieweit die Zuteilung dem Rang des Betreffenden entsprach. Außerdem blieb durch die Fortschreibung der Durch-
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schnittswerte dem Großmogul die jährliche Entscheidung erspart, die mit der Größe des Reiches immer willkürlicher werden musste. Solange Akbar über dieses System wachte, bewährte es sich. Unter seinen Nachfolgern wurden es korrigiert, um die Inflation auszugleichen oder mehr Offiziere und Beamte in der Rangordnung unterzubringen. Neben den Empfängern staatlicher Landzuteilungen (Jagirdar) gab es noch die mit dem Sammelbegriff «Zamindar» bezeichneten Grundherren. Das konnten unterworfene Kleinkönige, Stammeshäuptlinge, Lehnsträger früherer Regime etc. sein. Im Prinzip waren sie alle verpflichtet, Grundsteuer zu zahlen. Doch war die Verwaltung sich dessen bewusst, dass es bei widerspenstigen Grundherren oft nichts zu holen gab. Grundsätzlich erforderte die Grundsteuerveranlagung eine Landvermessung (zabt), doch wo das nicht möglich war, konnte die Veranlagung auch aufgrund einer pauschalen Schätzung erfolgen (nasaq). Ferner ging die Steuerverwaltung davon aus, dass der veranlagte Betrag (jama) mit dem, der tatsächlich eingetrieben wurde (hasil), nur selten übereinstimmte. Für die Erhaltung des riesigen Reichs der Großmoguln war es unabdingbar, dass die Grundsteuer in Geld errichtet wurde. Das machte ein gutes Münzwesen erforderlich. Experimente wie die, die der Sultan Tughluk mit den Kupfermünzen gemacht hatte, leisteten sich die Großmoguln nicht. Der Wert ihrer Silberrupie entsprach dem in ihr enthaltenen Silber. Silberbarren konnten jederzeit zur Münzanstalt gebracht werden und wurden dort gegen geringe Gebühr in Münzen verwandelt. Die einzige ausgesprochen geldpolitische Maßnahme der Mogulverwaltung bestand darin, Silberrupien nur im Jahr ihrer Prägung bei staatlichen Stellen zum vollen Nennwert zu akzeptieren. Danach wurde für jedes Jahr ein Abschlag berechnet. Auf diese Weise versuchte man, dem Horten von Münzen entgegenzuwirken und ihre Zirkulation anzuregen. Die Umlaufgeschwindigkeit war ohnehin langsam, da sie durch den landwirtschaftlichen Jahreszyklus bestimmt wurde. Weil Indien keine Silberbergwerke besaß, konnte die Zahl der Münzen nicht beliebig vermehrt werden. Man war voll und ganz auf die Versorgung
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mit Silber durch den maritimen Handel angewiesen, dem die Großmoguln daher keine Hindernisse in den Weg legten. Auch als die Europäer in wachsender Zahl an Indiens Küsten erschienen, hieß man sie willkommen, weil sie Silber mitbrachten. Die indische Wirtschaft und das Münz- und Steuerwesen entwickelten sich unter Akbars Herrschaft sehr positiv. Er war aber darüberhinaus auch daran interessiert, den religiösen Frieden in Indien zu wahren. So schaffte er die verhasste Kopfsteuer (jiziya) für Nicht-Muslime ab. Er verzichtete so auf beträchtliche Steuereinnahmen, erwarb aber auf diese Weise die Loyalität der Hindus, die ja weiterhin die große Mehrheit seiner Untertanen stellten. In diesem Sinnne heiratete er auch eine Rajputenprinzessin und zwang sie nicht, sich zum Islam zu bekehren. Orthodoxe Muslime sahen diese Toleranz nicht gern, sie regten sich aber noch weit mehr darüber auf, dass Akbar sich anmaßte, in Glaubensdingen verbindliche Urteile zu fällen. Nach den Normvorstellungen der islamischen Gelehrten hatte der «fromme Sultan» sich strikt an den Koran zu halten und dessen Auslegung eben jenen Gelehrten zu überlassen. Akbar beanspruchte eine eigenständige spirituelle Autorität aufgrund eines mystischen Erlebnisses, das ihm im Jahre 1578 widerfahren sein soll. In der Berufung auf diese Autorität ging er sogar so weit, eine eigene religiöse Lehre, «Din-i-Illahi» (Gottesglaube), zu verkünden. Dies war jedoch keine Lehre, zu der er die Masse des Volkes zu bekehren dachte, sondern eher ein Orden, in den er auserwählte Große seines Reichs aufnahm. Das gemahnte an die feudalen Inkorporationsstrategien, von denen zuvor die Rede war. Natürlich waren solche «unislamischen» Tendenzen der Orthodoxie ein Ärgernis. Auch die Praxis der Großmoguln, Herrscherporträts anfertigen zu lassen, die mit einem Heiligenschein versehen waren, galt selbstverständlich als «unislamisch», denn nach dem Koran ist die bildliche Darstellung von Menschen überhaupt verboten, vom Heiligenschein ganz zu schweigen. Doch die Großmoguln waren absolutistische Herrscher. Die islamischen Gelehrten mochten ihre Kritik äußern, ändern konnten sie an diesen Praktiken nichts. Die Hindu-Untertanen brachten natürlich sehr viel mehr
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Verständnis für das «Gottesgnadentum» und das dynastische Charisma der Großmoguln auf. Akbars lange Herrschaftszeit endete mit seinem Tod im Jahre 1605. Bereits zu seinen Lebzeiten hatte sich sein Sohn Salim gegen ihn erhoben, der sich dann als Großmogul Jahangir nannte. Solche Nachfolgestreitigkeiten spalteten die imperiale Elite, doch während sie für Mogulprinzen meist tödlich ausgingen, wurden die Großen des Reiches, die auf der falschen Seite gestanden hatten, nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern vom Sieger in ihren Ämtern bestätigt, dem ja daran gelegen war, seine Herrschaft zu konsolidieren. Es ergab sich so eine Kontinuität in der Ämterführung. Die hohen Ämter waren im Prinzip nicht erblich, aber die Listen der Amtsinhaber zeigen, dass die Angehörigen bestimmter Familien immer wieder in den hohen Rängen der imperialen Hierarchie zu finden sind. Man kann also geradezu von einem Amtsadel des Mogulreichs sprechen. 2. Jahangir, Shah Jahan und Aurangzeb
Unter Jahangir, dessen schöne Frau Nur Jahan aus Persien stammte, nahm der Einfluss der persischen Hofkultur zu, die für die Großmoguln ohnehin von Bedeutung war. Persisch war die Amtssprache des Reichs, daneben entwickelte sich Urdu als Volkssprache. Urdu glich in seiner Grundstruktur und im elementaren Wortschatz der alten Volkssprache Hindi, wurde aber in persischer Schrift geschrieben und enthielt eine große Zahl persischer und arabischer Lehnwörter. Nur Jahan hatte ihrem Vater Itimad ud Daula das Amt des Premierministers (Wesir) des Reichs verschafft und damit den Einfluss der Perser bei Hofe gemehrt. Für Jahangir, der nicht zu den bedeutendsten Großmoguln zählte, war der Schwiegervater eine starke Stütze. Jahangirs Sohn und Nachfolger Shah Jahan («Herr der Welt») war nach Akbar der größte Großmogul. Er hatte sich bereits als General seines Vaters durch große Eroberungen ausgezeichnet und die Macht des Reichs in Südindien ausgedehnt. Leider hatte er nicht das außenpolitische Augenmaß Akbars und ließ sich auf das hoffnungslose Abenteuer ein, Ferghana zurückerobern
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zu wollen. Das Mogulheer unter der Leitung des Prinzen Aurangzeb kam nur bis Balkh und konnte schließlich auch Kandahar nicht halten. Aurangzeb ließ sich das eine Lehre sein und beschränkte, als er an die Macht kam, seine Eroberungslust auf Südindien. Shah Jahan war nicht nur ein kühner Feldherr, sondern auch ein großer Bauherr. Das Taj Mahal in Agra, das Mausoleum seiner geliebten Frau Mumtaz Mahal, und das Rote Fort in seiner neuen Hauptstadt Jahanabad (Alt-Delhi) sind bleibende Zeugnisse der Mogularchitektur. Das Taj Mahal blieb Shah Jahan ständig vor Augen, als er die letzten Jahre seines Lebens als Gefangener seines Sohnes Aurangzeb im Fort von Agra verbrachte. Aurangzeb hatte sich nach Mogulmanier gegen seinen Vater erhoben und seinen Bruder Dara Shikoh ausgeschaltet, auf den die Hindus große Hoffnungen gesetzt hatten, denn er hatte Interesse für die Hindu-Philosophie gezeigt und die Upanishaden vom Sanskrit ins Persische übersetzt. Aurangzeb war dagegen ein geradezu bigotter Muslim. Er führte die Kopfsteuer (jiziya) wieder ein und war – wie man heute sagen würde – ein «Fundamentalist». Hindu-Historiker haben den Zerfall des Mogulreiches auf die Religionspolitik Aurangzebs zurückgeführt, aber die Überdehnung des Reichs und die hohen Kriegskosten trugen vermutlich eher zu diesem Zerfall bei. Aurangzeb war persönlich bedürfnislos und bestand sogar darauf, seinen Lebensunterhalt mit eigener Handarbeit zu verdienen. Er bestickte Kopfbedeckungen und Schuhwerk. Auch ließ er kein Mausoleum für sich errichten. Sein Grab liegt unter freiem Himmel an einer Landstraße bei Aurangabad. Seine fast ununterbrochenen Kriegszüge belasteten die Staatskasse jedoch übermäßig. Er pervertierte Akbars klug berechnetes System der imperialen Hierarchie, indem er die höchsten Ränge vermehrte, um die Großen des von ihm eroberten Hochlands darin unterzubringen. Das Steueraufkommen des kargen Hochlands stand jedoch in keinem Verhältnis zu den Kosten, die durch die Kopflastigkeit des Systems verursacht wurden. Zum «Inflationsausgleich» reduzierte er die Zahl der Kavalleristen, die die Offi-
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ziere gemäß ihrem Rang zu unterhalten hatten. Er schrieb Akbars System fort, unterhöhlte es aber auf diese Weise. 3. Der Aufstieg der Marathen
Aurangzebs ärgste Feinde waren die Marathen, ein Volksstamm des Hochlands, der mit seiner Guerrillastrategie erfolgreich gegen die schwerfällige Mogularmee antrat. Ihr Anführer Shivaji legte zudem auf den steilen Tafelbergen des Hochlands eine ganze Reihe von unbezwingbaren Festungen an. Aurangzeb schenkte ihm zunächst keine Beachtung, aber als Shivaji sich erkühnte, Surat, den Haupthafen des Mogulreiches, 1664 zu brandschatzen, wurde eine große Armee gegen ihn entsandt. Er musste sich der Mogulmacht beugen und einen Diktatfrieden akzeptieren, der ihn dazu verpflichtete, einen Großteil seiner Festungen zu übergeben und bei Hofe zu erscheinen, wo Aurangzeb ihm einen niedrigen Rang (500) in der imperialen Hierarchie anbot. Doch Shivaji ließ sich nicht kaufen und floh von Delhi zurück ins Hochland. Dort führte er eine hohe Grundsteuerveranlagung ein, um Mittel für neue Unternehmungen zu haben. Die Bauern mussten die Hälfte des Ernteertrags abliefern, erhielten aber auch staatlichen Kredit, um ihre Produktion zu steigern. Shivaji ließ sich 1674 mit allen Hindu-Zeremonien feierlich zum König krönen. Er starb 1680, doch sein Sohn Sambhaji führte den Widerstand gegen das Mogulreich fort. Er erhielt dabei unerwartete Unterstützung, als Aurangzebs Sohn Akbar sich gegen diesen erhob und bei Sambhaji Zuflucht suchte. Er wollte mit der Unterstützung der Hindus Großmogul werden und die tolerante Politik seines Ahnherrn gleichen Namens wieder aufnehmen. Hätte er damit Erfolg gehabt, dann wäre die Geschichte des Mogulreichs wohl anders verlaufen. Aber Aurangzeb besiegte ihn. Akbar floh nach Persien, wo er wenige Jahre später starb. Sambhaji aber wurde auf Aurangzebs Geheiß grausam zu Tode gefoltert. Aurangzeb verlegte nun seine Hauptstadt nach Aurangabad, um seine Erzfeinde aus nächster Nähe bekämpfen zu können.
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Auch eroberte er die Sultanate von Bijapur und Golkonda. Als junger Prinz war Aurangzeb Vizekönig des Hochlands gewesen und mochte schon damals die ehrgeizigen Pläne geschmiedet habe, die Sultanate zu annektieren. Im hohen Alter konnte er diese Pläne nun verwirklichen. Er starb 1707 im Alter von 89 Jahren. Sein Sohn Muazzam, der ihm auf den Thron folgte, war selbst schon 63 Jahre alt und konnte den Zerfall des Reichs nicht mehr aufhalten. Nicht nur die großen Feinde des Reichs, sondern auch aufständische Bauern machten ihm zu schaffen, die mit auf dem Lande hergestellten Musketen die Steuereinnehmer des Großmoguls vertrieben. Edikte gegen den Waffenbesitz der Bauern geben über diese Entwicklung Aufschluss. Muazzam, der sich als Großmogul Bahadur Shah nannte, versuchte, Frieden mit den Marathen zu schließen, indem er Shahu, den Enkel Shivajis, der als Geisel am Hofe Aurangzebs aufgewachsen war, als Raja von Satara einsetzte, doch damit gab er dem Widerstand der Marathen ein neues Zentrum. Shahu war zwar kein Krieger, aber ein kluger Diplomat. Die Regierungsgeschäfte überließ er einem fähigen Majordomus (Peshwa), dem Brahmanen Balaji Viswanath, dessen Familie in der Folgezeit ähnlich wie die Shogune in Japan die eigentliche Macht im Staate hatte. Als Balaji 1720 starb, wurde sein Sohn Baji Rao, der erst 19 Jahre alt war, Peshwa und erwies sich bald als kühner Krieger, der mit seinen Truppen sogar Delhi stürmte. Er zog sich freilich gleich darauf wieder zurück, etablierte aber seine Macht im Gebiet südlich von Delhi, wo seine Heerführer Scindia, Gaekwad und Holkar später zu Maharajas von Gwalior, Baroda und Indore wurden. Baji Rao soll im Hinblick auf das Mogulreich gesagt haben, dass man den Stamm abhacken muss, wenn man einen Baum fällen will. Die Zweige fielen einem dann von selbst zu. Doch er war nicht in der Lage, diesen Stamm wirklich abzuhacken. Die Macht des Großmoguls verblich zwar zu einem Schatten, aber dieser Schatten lag noch lange über Indien. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts ließ sich der damals mächtigste Führer der Marathen, Mahadaji Scindia, Maharaja von Gwalior, sogar vom ohnmächtigen Mogul zum «Reichsverweser» ernennen.
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Der junge Peshwa Baji Rao war nicht nur kühn, sondern auch klug und berechnend. Das musste der Wesir des Mogulreichs erfahren, dessen großes Heer Bai Rao zweimal besiegte, dann aber jedesmal gegen hohes Lösegeld davonziehen ließ. So hatte Baji Rao genügend Geld, um seine Truppen zu bezahlen, und es blieb ihm das Schicksal vieler berühmter Feldherrn Indiens erspart, die zwar Schlachten gewannen, aber dann erleben mussten, dass ihre Truppen davonliefen, weil sie ihnen den Sold schuldig geblieben waren. Als der Wesir mit einem großen Aufgebot der besten Mogultruppen 1739 wieder einmal Baji Rao entgegenzog, nahm der Perser Nadir Shah diese Gelegenheit wahr und überfiel Delhi. Er raubte den berühmten Pfauenthron der Großmoguln und viele ihrer Schätze und zog sich mit seiner Beute wieder nach Persien zurück. Baji Rao, der den Wesir besiegte, ließ sich von ihm im Namen des Großmoguls die Herrschaft über alle Gebiete südlich von Delhi, die er erobert hatte, übertragen. Danach blieb vom Mogulreich nicht mehr viel übrig. Der Wesir zog die Konsequenz daraus, kehrte Delhi endgültig den Rücken und begründete im Süden die Dynastie der Nizams von Haiderabad. Andere Große des Reichs taten es ihm nach und wurden praktisch unabhängige Herrscher der Provinzen, deren Gouverneure sie waren. Sie behielten dabei weiter den Titel Nawab (Gouverneur) und erkannten die symbolische Oberhoheit des Großmoguls an. Der Baum war nicht gefällt worden und seine Zweige grünten noch einige Zeit, aber sein Stamm war nun hohl. 4. Die indischen Mächte im 18. Jahrhundert
Das 18. Jahrhundert hatte lange Zeit eine «schlechte Presse». Historiker beschrieben es als eine Zeit des Zerfalls, der zwangsläufig zum Verlust der Freiheit Indiens führen musste. Neuere Forschungen haben ergeben, dass zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht in der ersten Hälfte des Jahrhunderts kein Grund zur Klage war. Silber floss reichlich ins Land, die ausländische Nachfrage regte die gewerbliche Produktion an. Auch der Wie-
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deraufstieg regionaler Mächte war an sich nicht ungewöhnlich. Es hätte sich durchaus ein neues Mächtegleichgewicht in Indien ergeben können. Wie einst nach dem Zerfall des Guptareichs war wiederum ein gemeinsamer Herrschaftsstil überall verbreitet. Die Praxis der Mogulverwaltung, aber auch die Art der militärischen Rüstung wurden überall kopiert. Die florierende Geldwirtschaft leistete freilich auch einer «Kommerzialisierung der Macht» Vorschub. An vielen Höfen regionaler Herrscher hatten reiche Kaufleute die eigentliche Macht im Staat. Sie engagierten sich oft als Steuerpächter weiter Gebiete und übernahmen gar die Finanzverwaltung der an sie verschuldeten Herrscher. Ein großer militärischer Arbeitsmarkt bot jedem, der das Geld dazu hatte, die Möglichkeit, Söldner anzuwerben. In dieses Muster fügte sich auch die britische Ostindiengesellschaft gut ein. Großbritannien hatte bereits im 17. Jahrhundert eine «Kommerzialisierung der Macht» erlebt, und die Ostindiengesellschaft war ein integraler Bestandteil dieser Entwicklung. So passte sie denn auch in die indische politische Landschaft. Im Unterschied zu den indischen Machthabern, die jeder für sich agierten, war die Ostindiengesellschaft jedoch eine moderne Organisation, die Informationen speicherte und sozusagen ein kollektives Gedächtnis besaß. Sie brachte aus ihren Reihen schließlich auch kühne Eroberer hervor, diese unterstanden jedoch der Kontrolle eines Direktoriums im fernen London, das immer den Rechenstift zur Hand hatte und auf «shareholder value» achtete. Das machte die eigentliche Überlegenheit der Ostindiengesellschaft aus. Eine militärische Überlegenheit durch bessere Bewaffnung hatte sie nicht. Alle zeitgenössischen Waffen standen in Indien zur Verfügung, allein die Art ihres Einsatzes war entscheidend. Auf diesem Gebiet machten die Europäer in Indien aus der Not eine Tugend. Sie hatten nur wenig Kavallerie zur Verfügung und verließen sich daher auf die auch in Europa gerade erst in jüngster Zeit eingeführte Infanterie, die mit Präzision eine Salve nach der anderen abschoss und so heranstürmenden Reitern zum Verhängnis wurde. Einige wenige europäische Drillsergeanten genügten, um aus indischen Söldnern moderne Infanteristen zu machen.
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In den wenigen Jahren von 1757 bis 1764 bestimmten vier Schlachten, die in keiner Verbindung zueinander standen und auf weit voneinander entfernten Kriegsschauplätzen stattfanden, den weiteren Verlauf der indischen Geschichte. Die erste dieser Schlachten war eher ein Scharmützel als eine große Schlacht, und sie wurde durch Verrat und nicht durch militärische Überlegenheit entschieden. Es war die Schlacht von Plassey (1757), in der Robert Clive den Nawab von Bengalen besiegte. Clive war als junger Schreiber der Ostindiengesellschaft nach Madras gekommen und 1751 mit einem Schlage berühmt geworden, als er die Stadt Arcot erfolgreich gegen eine große Übermacht verteidigte. Er wurde mit einem Kontingent von Truppen der Ostindiengesellschaft nach Bengalen entsandt, als der junge Nawab von Bengalen, Siraj-ud-Daula, Kalkutta angriff. Die Ostindiengesellschaft hatte ihre Niederlassung in Kalkutta befestigt, ohne vom Nawab die Erlaubnis dazu zu haben. Dieser forderte die Schleifung der Festung. Als die Briten sich weigerten, besetzte er Kalkutta, wurde aber bald darauf von Clive vertrieben, der ihn bis nach Plassey verfolgte. Clive hatte eine geheime Abmachung mit dem Minister Mir Jafar getroffen, der dann in der Schlacht mit seinen Truppen zu den Briten überlief. Siraj-ud-Daula wurde getötet, und Clive setzte Mir Jafar als neuen Nawab von Bengalen ein. Der ohnmächtige Großmogul im fernen Delhi, der schon lange keinen Steueranteil von den Nawabs bekommen hatte, bot Clive die «Diwani» (zivile Verwaltung) von Bengalen an. Clive plädierte dafür, dass diese Position nicht im Namen der Ostindiengesellschaft, sondern der britischen Krone übernommen werden sollte. Nach den Bestimmungen der königlichen Charter der Gesellschaft fielen eventuelle Eroberungen der Krone zu. Doch der britische Premierminister William Pitt, der befürchtete, dass König George III., der ohnehin absolutistische Neigungen hatte, sich mit den Einkünften aus Bengalen von der Kontrolle des britischen Parlaments emanzipieren könne, lehnte den Plan ab, und Clive durfte die «Diwani» zunächst nicht übernehmen. Drei Jahre nach der Schlacht von Plassey schlugen königliche
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britische Truppen in der Schlacht von Wandiwash bei Madras die Truppen der 1664 gegründeten französischen Ostindiengesellschaft vernichtend und setzten damit ihrer Macht in Indien ein Ende. Diese Schlacht stand im Zusammenhang mit den weltweiten Auseinandersetzungen zwischen Großbritannien und Frankreich, die von Amerika bis Indien reichten und 1763 im Frieden von Aachen zugunsten Großbritanniens entschieden wurden. Mit dem Geschehen in Indien hatte die Schlacht von Wandiwash eigentlich nur wenig zu tun. Es war ein europäischer Konflikt auf indischem Boden, freilich ausgetragen von indischen Söldnern, die auf beiden Seiten zum Einsatz kamen. Der französische Generalgouverneur Dupleix war der Pionier auf dem Gebiet der Rekrutierung und Ausbildung indischer Infanterietruppen gewesen. Die Briten waren seinem Beispiel dann rasch gefolgt. Die Truppen, die in Wandiwash besiegt wurden, unterstanden nicht ihm, sondern einem hochfahrenden und mit Indien gar nicht vertrauten General Lally, der direkt aus Frankreich entsandt worden war und nach seiner Rückkehr zur Verantwortung gezogen und hingerichtet wurde. Dupleix verlor zwar nicht sein Leben, aber seinen Posten. Die französische Ostindiengesellschaft wurde zunächst einmal aufgelöst und den Briten das Feld völlig überlassen. Vor diesem Hintergrund ist nun die dritte Schlacht zu betrachten, die 1761 auf dem traditionellen Schlachtfeld von Panipat nördlich von Delhi stattfand. Mit ihr hatten Briten und Franzosen gar nichts zu tun. Ein großes Heer der Marathen traf dort auf den afghanischen Eroberer Ahmad Shah Durrani, der ähnlich wie einst Mahmud von Ghazni zu periodischen Raubzügen nach Indien einfiel, ohne sich dauerhaft dort zu engagieren. Das Heer der Marathen war nicht mehr die leichte Kavallerietruppe, mit der Shivaji einst so erfolgreich gewesen war, sondern eine riesige Kriegsmaschine mit großer Feldartillerie, ganz im Stil der Großmoguln. Die Artillerie kam in der Schlacht aber kaum zum Zuge. Ahmad Shah hatte eine eigene Taktik entwickelt, die sich als überlegen erwies. Er ließ kleine Kanonen auf dem Rücken von Kamelen montieren, die in den Reihen der Gegner Verwirrung stifteten. Die Schlacht, die einen weit grö-
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ßeren Einsatz von Truppen mit sich brachte als die von Plassey und Wandiwash, endete mit einem Sieg Ahmad Shahs. Doch beide Kontrahenten zogen sich zurück, Ahmad Shah nach Afghanistan und die Marathen nach Süden. Damit entstand ein Machtvakuum, das den Briten zugute kam. In diesem Kontext war nun die vierte Schlacht von Bedeutung, die von Baxar in Bihar im Jahre 1764, bei der die vereinten Heere des Großmoguls und des Nawabs von Bengalen von den Briten geschlagen wurden. Mir Jafar war inzwischen von Mir Kasim als Nawab von Bengalen ersetzt worden, und dieser hatte sich mit den Briten überworfen, die ihn völlig ausgebeutet hatten. Der besiegte Großmogul bot den Briten nun erneut die «Diwani» von Bengalen an, und Clive übernahm sie schließlich im Namen der Ostindiengesellschaft, da Pitt weiterhin eine Übernahme durch die Krone für nicht ratsam hielt. So wurde die Grundlage für die Errichtung eines Territorialstaats durch eine Handelsgesellschaft gelegt. Wenn diese Entwicklung auch im Nachhinein als entscheidend bezeichnet werden kann, so beeindruckte sie die großen Regionalmächte Indiens zu jener Zeit kaum. Die Marathen hatte in ihrem jungen Peshwa Madhav Rao I. noch einmal einen Feldherrn vom Range Baji Raos. Er bemerkte sehr treffend, dass die Briten mit ihrer Seemacht einen Ring um Indien gelegt hatten, doch er konnte diesen Ring nicht sprengen und musste sich mit einem Herausforderer auseinander setzen, der in dieser Zeit ganz Südindien in Atem hielt. Es war der Usurpator Haider Ali, der 1761 seinem Herrn, dem Maharaja von Mysore, die Macht entrissen und in kurzer Zeit ein sehr schlagfähiges Heer organisiert hatte. Er hatte von den Europäern gelernt und sich nach ihrem Vorbild eine Infanterie zugelegt. Er hielt sich französische Militärberater und errichtete eine effiziente Staatsverwaltung. Er war und blieb ein Reitergeneral, aber er hütete sich davor, mit seiner Kavallerie in die Schusslinie der Infanterie zu geraten. Madhav Rao I. war für ihn ein gefährlicher Gegner. Er wurde mehrfach von ihm besiegt, aber dann starb Madhav Rao bereits 1767. Nun hatte Haider Ali freie Hand und konnte den Briten trotzen, die im Bunde mit dem Nizam von
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Haiderabad gegen ihn kämpften. Bereits 1769 erschien Haider Ali vor Madras und zwang den Briten einen Diktatfrieden auf, der für ihn sehr günstig war. Nach Haider Alis Tod (1780) folgte ihm sein ebenso fähiger Sohn Tipu Sultan, der für die Briten zum größten Herausforderer wurde, gegen den sie drei Kriege führen mussten. Erst beim dritten Krieg wurde er 1799 endgültig besiegt und getötet. Tipu Sultan hatte sich mit den Franzosen verbündet und so auf die falsche Karte gesetzt. Er war sogar ein Bewunderer der Französischen Revolution und hatte in seiner Hauptstadt einen Jakobinerklub gegründet, dessen Mitglieder ihn als «Citoyen Tipu» anreden durften. Dies war wohl die seltsamste Inkorporationsstrategie, die die indische Geschichte verzeichnen konnte. Tipus Allianz mit den Franzosen gab den Briten in Indien den Vorwand, ihre kostspieligen Kriegsanstregungen gegen ihn gegenüber dem Direktorium in London zu rechtfertigen, das stets zur Sparsamkeit mahnte. Die französische Gefahr, die von den Briten in Indien gar nicht besonders ernst genommen wurde, lieferte ein überzeugendes Argument, das im fernen London großen Eindruck machte. Als Tipu Sultan gefallen war, blieben noch die Marathen als Bedrohung der britischen Macht. Sie bewältigten sie, indem sie mit den Maharajas von Gwalior, Baroda und Indore Verträge schlosssen, die ihnen ein Überleben im britisch-indischen Reich ermöglichten. Die Peshwas blieben jedoch weiterhin die Träger des Widerstands. Ihre Macht wurde schließlich 1818 gebrochen. Inzwischen war den Briten aber noch ein letzter Widersacher entstanden: Maharaja Ranjit Singh, der Führer der Sikhs im Panjab. Wie Tipu Sultan verstand er es, ein modernes Heer zu organisieren. Amerikanische Artillerieoffiziere standen in seinen Diensten. Bis zu seinem Tod im Jahre 1839 konnte er der britischen Macht standhalten. Doch als man ihm einmal eine Landkarte zeigte, in der alle britischen Eroberungen rot eingetragen waren, sagte er, dass bald alles rot werden würde. Das hatte er richtig eingeschätzt, denn unter seinen schwachen Nachfolgern fiel dann auch sein Reich den Briten zum Opfer.
IV. Vom Kolonialstaat der Ostindiengesellschaft zum viktorianischen Kaiserreich
Die Errichtung eines Staats auf indischem Boden durch eine britische Handelsgesellschaft war ein erstaunliches Phänomen, vor allem, wenn man bedenkt, dass Großbritannien Mitte des 18. Jahrhunderts nur eine Einwohnerzahl von etwa 5 Millionen hatte, während die des Mogulreichs auf 150 Millionen geschätzt wurde. Ferner ist zu bedenken, dass die Eroberung indischen Territoriums kaum den Einsatz britischer Mittel erforderte, sondern zumeist auf Kosten der indischen Steuerzahler erfolgte. Als Premierminister Pitt dafür sorgte, dass nicht die Krone, sondern die Ostindiengesellschaft die «Diwani» von Bengalen übernahm und damit als Puffer zwischen dem indischen und dem britischen Staatswesen erhalten blieb, mochte er auch das Risiko bedacht haben, das darin bestand, dass eventuell Verteidigungskosten entstehen mochten, die vom britischen Steuerzahlern zu tragen gewesen wären und dann zu heftigen Debatten im Parlament Anlass gegeben hätten. Ab 1765 stand das reiche Grundsteueraufkommen Bengalens, von dem der Großmogul weiterhin kaum etwas bekam, den Briten zur Verfügung. Viel von dem Silber, das die Briten nun wieder aus Bengalen herauszogen, hatten sie zuvor hineingepumpt, um die Baumwolltextilien zu erwerben, für die in Europa ein großer Bedarf bestand. 1. Der europäische Handel mit indischen Textilien
Die niederländische Ostindiengesellschaft, die nur zwei Jahre später gegründet worden war als die britische, die 1600 entstand, war im 17. Jahrhundert weitaus bedeutender als die noch sehr kleine britische Konkurrenz. Sie handelte zunächst mit Pfeffer und anderen Gewürzen, wie die Portugiesen es be-
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IV. Vom Kolonialstaat zum viktorianischen Kaiserreich
reits zuvor getan hatten. Die Niederländer errichteten aber auch Handelsposten an der indischen Südostküste, wo sie indische Textilien erwarben, die sie mit großem Gewinn in anderen Teilen Asiens absetzten. Da die Importe der niederländischen Ostindiengesellschaft in Amsterdam in Auktionen abgesetzt wurden, die es erlaubten, ständig den Finger am Puls des Marktes zu haben, verkauften sie schließlich auch indische Textilien auf diese Weise in Europa. Der Wert dieses Textilhandels überstieg schon gegen Mitte des 17. Jahrhunderts den Wert des Pfefferhandels. Die Briten schalteten sich in dieses lukrative Geschäft ein, und bald machten ihre Auktionen in London denen in Amsterdam scharfe Konkurrenz. Die Briten kalkulierten ihre Unternehmungen sorgfältiger als die Niederländer, die eine riesige Handelsflotte betrieben, deren Unterhaltung aufwendig und keiner Kosten-Nutzen-Analyse zugänglich war. Die Briten verzichteten ab 1660 darauf, für die Ostindiengesellschaft eine eigene Flotte zu unterhalten, sondern mieteten statt dessen die Schiffe von Schiffseignern, die sich darum bemühten, der Ostindiengesellschaft die schnellsten und besten Schiffe anzubieten. Die Frachtkosten waren dementsprechend hoch, und die Schiffe mussten einen genauen Fahrplan einhalten. Diese Methode des «leasing» erlaubte eine flexible Anpassung an ein schwankendes Handelsvolumen. Der britische Handel innerhalb der asiatischen Gewässer wurde nicht von den teuren, gemieteten Schiffen betrieben, sondern blieb kleineren Schiffen von Privatunternehmern vorbehalten, die ihrerseits eine erstaunliche Aktivität entfalteten. Der Handel mit indischen Baumwolltextilen, der zum Hauptzweig des Geschäfts der britischen Ostindiengesellschaft wurde, erforderte ein sehr viel intensiveres Engagement vor Ort als der mit Pfeffer und Gewürzen. Zunächst kauften die Briten einfach auf, was ihnen angeboten wurde. Dann griffen sie immer stärker in den Produktionsprozess ein und drangen dabei ins Innere des Landes vor. So erwarben sie sich auch die Landeskenntnisse, die später politisch relevant werden sollten. Gehandelt wurde zunächst mit bedruckten Textilien, die in Europa sehr beliebt waren. Das einheimische Handwerk in
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Großbritannien litt unter der Konkurrenz der indischen Produkte und setzte schließlich ein gesetzliches Verbot des Imports bedruckter Textilien für den Binnenmarkt durch. Sie durften nur noch für den Re-Export importiert werden. Dieses Gesetz trat 1700 in Kraft, und darauf blühte das Gewerbe der Londoner Textildrucker auf, die oft bis zu 400 Arbeiter pro Betrieb beschäftigten und beträchtliches Kapital investierten. Sie waren nun auf den Import weißer Baumwolltuche aus Indien angewiesen, die als Halbfertigfabrikate in ihre Produktion eingingen. Die feinsten und besten weißen Baumwolltuche wurden aber in Bengalen hergestellt, das in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts seine Produktion enorm ausweitete, um die britische Nachfrage zu befriedigen. Doch mit der Zeit wurde die Versorgung mit indischen Textilien problematisch. Da ging man in Großbritannien dazu über, Baumwolle selbst zu spinnen und zu weben – und so nahm die industrielle Revolution ihren Lauf. In Großbritannien fehlte es nämlich an Arbeitskräften, und so mussten mechanische Werkzeuge erfunden werden, die die Produktivität steigerten. In Indien herrschte nie Mangel an Arbeitskräften, deshalb kam es dort nicht zu einer industriellen Revolution. Die industrielle Revolution kehrte den Warenstrom um. Nach wenigen Jahrzehnten wurde Indien aus Großbritannien mit Textilien versorgt, und der Generalgouverneur Lord Bentinck sah «die Knochen der Weber in den Ebenen Bengalens bleichen». Karl Marx wiederholte später diese Aussage, und so wurde sie zum geflügelten Wort. Man beurteilte danach übereilt das Schicksal aller Weber Indiens. Doch wo sie hauptsächlich für den Binnenmarkt arbeiteten, der im frühen 19. Jahrhundert von Deflation geprägt war, konnten sie mit billiger Baumwolle und billiger Nahrung ihre Ware kostengünstig produzieren und so überleben. Die Weber Bengalens freilich, die hauptsächlich für den Export gearbeitet hatten, waren in der Tat von dessen Rückgang stark betroffen.
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IV. Vom Kolonialstaat zum viktorianischen Kaiserreich
2. Die Errichtung der britischen Territorialherrschaft in Bengalen
Organisatorisch war die Ostindiengesellschaft für die Übernahme der territorialen Herrschaft schlecht gerüstet. Ihre Angestellten, die «covenanted servants», kamen durch Patronage zu ihren Posten und wurden schlecht bezahlt, mussten aber aufgrund ihres Vertrags (covenant) eine hohe Kaution stellen, die ihr Jahresgehalt um ein Mehrfaches überstieg. Man erwartete geradezu von ihnen, dass sie in die eigene Tasche arbeiteten. Nur durften sie dabei die Interessen der Ostindiengesellschaft nicht schädigen – deshalb die hohe Kaution. Der «covenanted service» hatte dennoch bereits einige Eigenschaften einer modernen Bürokratie. Es gab eine regelrechte Laufbahn mit Beförderungen und Versetzungen, aber die Fähigkeiten, die dabei gefragt waren, betrafen den Handel und nicht die Territorialverwaltung. Freilich konnten die Aufgaben vor Ort in manchem jungen Mann, der meist im Alter von 18 Jahren seinen ersten Posten in Indien antrat, erstaunliche Fähigkeiten wecken. So wurde Robert Clive zum Kriegshelden und Gouverneur von Bengalen, und Warren Hastings, der erste Generalgouverneur Indiens, kam im Alter von 39 Jahren auf diesen hohen Posten und wurde zu einem bedeutenden «empire builder», der die britische Territorialherrschaft weit über Bengalen ausdehnte. Der Posten des Generalgouverneurs wurde 1784 durch ein Gesetz des britischen Parlaments geschaffen, das die Regierung Indiens regeln sollte, ohne die Rechte der Ostindiengesellschaft zu schmälern. In London stand dem Generalgouverneur ein «President of the Board of Control» gegenüber, der Vorläufer des späteren Indienministers. Dem Generalgouverneur wurde zudem ein Exekutivrat von vier Beamten beigegeben, die von London entsandt wurden und den Generalgouverneur überstimmen konnten. Das machte Hastings lange Zeit das Leben schwer, zumal ein Mitglied dieses Rats, Philipp Francis, sich offensichtlich für fähiger hielt als Hastings. Francis war es denn auch, der den Plan eines «Permanent Settlement» für Bengalen entwarf. Er war von physiokratischen Ideen beeinflusst und
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wollte nur die Grundsteuer als alleinige Steuer gelten lassen und alle anderen Steuern, die den freien Handel behinderten, abschaffen. Diese Grundsteuer aber sollte ein für allemal festgelegt werden, und die Grundherren, die sie entrichten mussten, sollten ein unbeschränktes Eigentumsrecht haben. Hastings kümmerte sich nicht um diese Pläne und führte zunächst die Praxis der Nawabs von Bengalen fort, die die Steuereinzugsrechte an den Meistbietenden versteigerten, der dann sehen mochte, wie er zu seinem Geld kam. Die unbarmherzige britische Steuereintreibung und Missernten führten 1770 zu einer großen Hungersnot in Bengalen, die etwa ein Drittel der Bevölkerung dahinraffte. Bauern wurden auf diese Weise knapp und konnten sich aussuchen, welchem Grundherrn sie dienen wollten. Die Grundherren wiederum klagten ständig darüber, dass ihnen die Bauern entlaufen seien und sie daher ihre Steuer nicht zahlen konnten. Daher sah sich Hastings Nachfolger, Lord Cornwallis, dazu gezwungen, das «Permanent Settlement» einzuführen und das Verhältnis von Grundherr und Pächter nach englischem Recht zu regeln, das dieses Verhältnis als privates Schuldverhältnis definierte. Klagen über entlaufene Bauern gingen den Staat nun nichts mehr an, und der Besitz des Grundherrn konnte zwangsversteigert werden, wenn er die Steuer nicht zahlte. Über die Motive dieser Konstruktion ist viel spekuliert worden. Wollte Cornwallis indische Grundherren in englische verwandeln, oder vielleicht auch nur in irische? War er von dem Plan, den Francis gemacht hatte, überzeugt? Bei diesen Spekulationen wurde nicht beachtet, welche aktuellen Probleme Cornwallis auf den Nägeln brannten. Er hatte zuvor den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg verloren und wollte nicht in Indien noch einmal als Feldherr versagen. Er musste in Südindien Krieg gegen Tipu Sultan führen und brauchte dafür dringend Geld, und das konnte nur die Grundsteuer Bengalens erbringen. Daher war sein «Permanent Settlement» eine Notmaßnahme, die wenig mit grundsätzlichen Überlegungen zu tun hatte. Daneben traf Cornwallis auch Vorkehrungen für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Bürokratie. Er erhöhte die
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Gehälter der für die Territorialverwaltung eingesetzten Angestellten der Ostindiengesellschaft und bekämpfte die Korruption mit strengen Strafen. Er hatte weit mehr Vollmachten als Hastings. Dies hatte er sich ausbedungen, als er den Posten des Generalgouverneurs annahm. Hastings dagegen war von seinem Posten abberufen und in London wegen seiner ungerechtfertigten Eroberungen in Indien angeklagt worden. Der große liberale Politiker Edmund Burke trat als sein Ankläger auf, aber er verlangte nicht, dass die Territorien, die Hastings unrechtmäßig erobert hatte, den Indern zurückgegeben werden sollten – so weit gingen die liberalen Forderungen denn doch nicht. Bereits unter Hastings hatte nicht nur eine Konsolidierung der Territorialverwaltung, sondern auch eine rasche Verbreitung des britischen Gerichtswesens in Indien stattgefunden. Dies war durchaus kein altruistisches Unternehmen. Die hohen Gerichtsgebühren trugen nicht nur die Kosten der Gerichte, sondern brachten dem kolonialen Staat ein zusätzliches Einkommen. Ferner stützte die Gerichtshoheit natürlich auch die Territorialherrschaft. Das Recht der «Diwani» war schon unter einheimischen Herrschern Gewohnheitsrecht gewesen, das nicht mit dem islamischen Recht identisch war. Die Briten bauten dieses Recht aus und ergänzten es durch ihr gläubigerfreundliches Recht. Der britische Richter William Jones, der eigentlich als oberster Richter des königlichen Gerichtshofs in Kalkutta in erster Linie für die Briten zuständig war, die nicht der indischen Gerichtsbarkeit unterlagen, schaltete sich auch in die «Diwani»-Gerichtsbarkeit ein und bemühte sich insbesondere um die Kodifizierung des Hindu-Rechts. Er war ein Sanskrit-Gelehrter und arbeitete eng mit Brahmanen zusammen, die ihn bei dieser Kodifizierung unterstützten. Brahmanen waren immer gern bereit, normative Texte zu verfassen. Doch wenn sie im einheimischen Rechtswesen beratend tätig waren, fielen ihre Urteile oft so aus, dass sie sich den jeweiligen Bedingungen anpassten. Diese Flexibilität war ein charakteristisches Merkmal traditioneller Rechtsprechung. Sie blieb natürlich auf der Strecke, als Jones seinen Kodex drucken ließ, der dann allen britischen Richtern zur Verfügung stand, die für solche Hilfe-
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stellung dankbar waren, weil sie selbst kaum etwas vom indischen Recht verstanden. Mit der Verbreitung des britisch-indischen Rechtswesens wuchs die Zahl der indischen Rechtsanwälte und schließlich auch der indischen Richter, die nach britischer Praxis aus den Kreisen der besten Anwälte rekrutiert wurden. Damit zogen die Briten sich freilich auch die künftigen Kritiker ihrer Herrschaft heran, die die Grundsätze des britischen Rechts zitieren konnten, wenn es darum ging, die Auswirkungen der Fremdherrschaft anzugreifen. Im frühen 19. Jahrhundert hatten die Briten noch ein ungebrochenes zivilisatorisches Sendungsbewusstsein, und es kam ihnen gar nicht in den Sinn, dass die Inder, denen sie die Segnungen dieser Zivilisation gebracht hatten, ihnen Widerstand leisten könnten. Lord Macaulay, der 1835 als erster Justizminister nach Indien entsandt wurde, war ein typischer Repräsentant dieses Sendungsbewusstseins. Er schaltete sich in die Debatte über die Verwendung des Geldes ein, das die Ostindiengesellschaft für die Bildung der Inder zur Verfügung stellte. «Anglizisten» und «Orientalisten» standen sich in dieser Debatte gegenüber, die einen plädierten dafür, sich auf die Vermittlung von Bildung in englischer Sprache zu konzentrieren, die anderen wollten das Studium der indischen Sprachen fördern. Die «Anglizisten» bekamen unerwarteten Beistand von dem indischen Gelehrten Radhakanta Deb, der eine große Sanskrit-Enzyklopädie verfasst hatte. Er wusste, dass die junge Generation mit dergleichen keine Karriere in britischen Diensten machen konnte und empfahl die Ausbildung in englischer Sprache. Lord Macaulay sprach sich in demselben Sinne aus, führte aber Argumente an, die Radhakanta Deb sicher nicht gebilligt hätte. Er behauptete nämlich, die ganze orientalische Literatur sei nicht so viel wert, wie die Bücher, die auf einem einzigen Bücherregal einer europäischen Bibliothek zu finden seien, und forderte die Erziehung indischer «gentlemen», die nur noch dem Blute nach Inder seien, sonst aber britisch denken und fühlen würden. Als die Briten später tatsächlich mit solchen «gentlemen» konfrontiert wurden, die besser Englisch sprachen und schrieben als die Kolonialherren und dazu auch
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noch ihren Shakespeare auswendig konnten, wurde ihnen das unheimlich. Aber zunächst drohte ihnen von dieser indischen Bildungsschicht keine Gefahr. Die erste Herausforderung der Kolonialherrschaft kam von ganz anderer Seite: Die indischen Söldner der Ostindiengesellschaft verschworen sich gegen sie zum großen Aufstand von 1857. 3. Der große Aufstand von 1857
Die Söldnertruppen der Ostindiengesellschaft waren ständig gewachsen. Sie hatten in den Kriegen gegen die Sikhs, die zur Unterwerfung des Panjabs führten, große Erfolge erzielt, ebenso 1852 in dem Krieg, der mit der Annexion Unter-Birmas endete. Schon beim Einsatz in Birma hatte es Probleme mit Soldaten gegeben, die die Reise über See als unvereinbar mit ihren Kastenvorschriften betrachteten. Die See, das «schwarze Wasser» (kala pani), war von den Brahmanen verteufelt worden, die die Rettung der indischen Kultur in einer Abschirmung gegenüber der Außenwelt sahen. Viele der Söldner waren selbst Brahmanen aus Nordindien. Die Armee wurde zwar «Bengal Army» genannt, weil sie der «Bengal Presidency» zugeordnet war, aber es gab in ihr kaum Bengalen. Die Briten setzten prinzipiell nur britische Offiziere ein und ließen Inder allenfalls zum Rang eines Unteroffiziers oder Feldwebels aufsteigen. Auf diese Weise hofften sie, die Disziplin ihres Söldnerheeres zu wahren. In früheren Zeiten hatten diese Offiziere viel Indienerfahrung und verstanden die Probleme ihrer Untergebenen. Mit der Ausweitung der Armee waren immer mehr junge und unerfahrene britische Offiziere nach Indien gekommen, die ihre Autorität meist nur durch einen schneidigen Kommandoton wahren konnten. Sie sahen denn auch gar nicht ein, warum die bei der Einführung eines neuen Gewehrs verteilten Patronen, die Schutzhülsen hatten, die mit Tierfett eingeschmiert waren, die indischen Soldaten in Gewissensnöte brachten. Sie mussten diese Hülsen nämlich vor Verwendung der Patronen abbeißen. Das war nicht nur für Hindus verunreinigend, auch Muslime fühlten sich betroffen, weil das Tier-
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fett ja auch Schweineschmalz sein konnte. Bei der Austeilung solcher Patronen in der nordindischen Garnison Meerut wollte der zuständige britische Offizier ein Exempel statuieren und ließ die Soldaten, die die Annahme der Patronen verweigerten, sofort in Ketten legen. Noch in der folgenden Nacht ermordeten die Soldaten ihre britischen Offiziere und zogen nach Delhi, wo sie den greisen Großmogul dazu aufforderten, ihre Führung zu übernehmen. Der Aufstand verbreitete sich wie ein Lauffeuer und erhielt nicht nur Zulauf von immer weiteren Einheiten der Armee, sondern auch von unzufriedenen Bauern und Grundherren Nordindiens, die unter einer besonders strengen Grundsteuerveranlagung litten. Die Briten hatten nämlich das «Permanent Settlement» nicht nach Nordindien ausgedehnt, sondern dort eine Grundsteuerveranlagung eingeführt, die periodisch erhöht wurde. Zugleich hatten sie aber das drakonische Zwangsversteigerungsrecht für Steuerschuldner eingeführt und auf diese Weise viele Bauern um Haus und Hof gebracht. Die meuternden Soldaten konnten mit der Sympathie dieser Bauern rechnen, doch es fehlte ihnen ein erfahrener militärischer Führer. Der Großmogul hatte schließlich einen alten Artilleriefeldwebel aufgetrieben, der zum General der Aufständischen avancierte, doch ihm fehlte jegliche Generalstabserfahrung. Dennoch taten die Briten sich zunächst schwer, Herren der Lage zu werden. Der Aufstand war völlig überraschend gekommen. Es war zunächst kaum möglich, seine Ausmaße richtig einzuschätzen. Die gerade neu eingerichtete Telegraphenlinie, die Delhi mit Kalkutta verband, war in dieser Hinsicht ein große Hilfe und trug letztlich entscheidend dazu bei, dass der Aufstand unterdrückt werden konnte. Von besonderer Bedeutung war für die Briten freilich auch der Beistand der Sikhs, die mit ihren irregulären Truppen Delhi zurückeroberten. Die Sikhs hassten die «Bengal Army», die sie erst wenige Jahre zuvor unterworfen hatte. Sie waren daher gern bereit, den Briten zu Hilfe zu eilen. Von jener Zeit an waren sie der Briten «liebstes Kind» – oder um es im Originalton ihrer Militärterminologie auszudrücken, die beste der indischen
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«martial races» – wurden nach dem Aufstand bevorzugt für die britisch-indische Armee rekrutiert. Die indische Bildungsschicht, die sich nicht an dem Aufstand beteiligt hatte, weil sie in dem restaurativen Regime, das die Aufständischen im Sinn hatten, keinen Platz gehabt hätte, wurden von den Briten eher mit Verachtung gestraft. Die Briten zogen aus dem Aufstand die Lehre, dass es galt, sich auf die indische Aristokratie zu stützen, die «natural leaders of the people», denen die Bauern zu folgen bereit waren. Das liberale Sendungsbewusstsein blieb dabei auf der Strecke. Der Aufstand setzte auch der Ostindiengesellschaft ein Ende, die als Herrschaftsinstrument ausgedient hatte und durch den Aufstand in den finanziellen Ruin getrieben worden war. Die Gesellschaft war schon lange keine Handelsgesellschaft mehr gewesen. Bei der Erneuerung ihrer Charta durch das Parlament hatte sie 1813 das Handelsmonopol verloren, bei einer weiteren Erneuerung hatte man ihr 1833 schließlich verboten, überhaupt Handel zu treiben. Sie war so eine reine Regierungsagentur geworden, die aber immerhin noch Dividende an die Aktionäre der Gesellschaft zahlte. Diese Anomalie wurde 1858 beendet, als der britische Staat unter der Ägide Königin Victorias Indien übernahm. 4. Königin Victorias indisches Kaiserreich
Die Bedenken, die Premierminister Pitt im 18. Jahrhundert gegen die Übernahme Indiens durch die Krone geäußert hatte, trafen nun nicht mehr zu. Die Herrschaft des Parlaments war unerschütterlich, und Königin Victoria war eine zuverlässige konstitutionelle Monarchin. Zudem waren Macht und Gewicht Großbritanniens inzwischen enorm gestiegen. Eine Organisation, die als Puffer zwischen Indien und dem britischen Staat stand, war nicht mehr erforderlich. Das Selbstbewusstsein Großbritanniens wuchs immer mehr und bis 1914 herrschte «Pax Britannica». Königin Victoria nahm ihre neue Aufgabe sehr ernst. Die Proklamation, mit der sie die Herrschaft über Indien über-
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nahm, war eine Botschaft der Hoffnung und des guten Willens. Viele Anghörige der indischen Bildungsschicht waren geneigt, dies auch in diesem Lichte zu sehen und wurden «Victorian gentlemen». Königin Victoria aber lernte von einem indischen Hauslehrer Hindi und lud den in Oxford lehrenden deutschen Indologen Friedrich Max Müller zu Privatvorlesungen in ihren Palast ein. Der Großmogul war durch seine Beteiligung am Aufstand kompromittiert worden. Die Briten dachten nun daran, seine Rolle mit Königin Victoria zu besetzen. Premierminister Palmerston trug ihr den Titel einer Kaiserin von Indien («Kaiser-iHind») an, und sie akzeptierte ihn. Der Vizekönig Lord Lytton veranstaltete 1877 in Delhi einen «Imperial Darbar» im Stil der Großmoguln. Den Titel «Vizekönig» hatte der Generalgouverneur seit der Übernahme der Herrschaft über Indien durch die britische Krone. Lord Lytton konnte sich nun gar im geborgten Glanz der Kaiserwürde sonnen. Die indischen Fürsten versammelten sich auf seine Einladung in großer Zahl und huldigten ihrer neuen Kaiserin, die allerdings selbst nicht nach Indien reiste. Doch derselbe Lord Lytton sorgte bald darauf für einen politischen Eklat, der das «Kaiserreich» nicht im besten Licht erscheinen ließ. Die Briten hatten sich mehrere Jahrzehnte eine außenpolitische Zurückhaltung in Indien auferlegt. Lytton aber sandte ein Expeditionskorps nach Afghanistan, das dort bis auf einen Mann den Tod fand. Der eine Überlebende kehrte zurück und berichtete über das ganze Ausmaß der Katastrophe, die dann auch in Großbritannien Aufsehen erregte. Eigentlich bestand in Großbritannien eine stillschweigende Übereinkunft, die Indienpolitik aus dem Streit der Parteien herauszuhalten. Aber diesmal machte der Führer der Liberalen, William Gladstone, die von dem konservativen Lord Lytton verschuldete Niederlage zum Wahlkampfthema. Nach Gladstones Sieg wurde Lytton abberufen und durch den liberalen Lord Ripon ersetzt. Der liberale Triumph wurde von der indischen Bildungsschicht als ein Sieg in eigener Sache gefeiert. Lord Lytton hatte
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sich die Sympathien der Bildungsschicht durch ein Pressegesetz verscherzt, mit dem er den Druck von Zeitungen in indischen Sprachen untersagte. Er fürchtete, dass die Zeitungen, deren Inhalt die Briten kaum kontrollieren konnten, Aufruhr unter der Bevölkerung verbreiten könnten. Die Bildungsschicht, die sich erst langsam vom Schock des Aufstandes erholt hatte, war in letzter Zeit aufmüpfig geworden, und die Redakteure der verbotenen Zeitungen gehörten ihr an. Ein besondere Klage, die diese Vertreter eines aufkeimenden Nationalismus führten, war der praktische Ausschluss der Inder vom höheren britisch-indischen Verwaltungsdienst. In der Proklamation Königin Victorias waren gleiche Chancen versprochen worden, aber die Ausführungsbestimmungen waren so restriktiv, dass kaum ein Inder in den Beamtendienst gelangen konnte. Das Höchstalter für die Eingangsprüfung wurde auf 19 Jahre festgesetzt, auch wurden die Prüfungen nur in Großbritanninen abgehalten. Inder konnten da nur mithalten, wenn ihre Eltern sie schon in jungen Jahren nach Großbritannien zur Schule schickten, damit sie die Prüfung bestehen konnten. Aber selbst wenn ihnen das gelang, konnten sie wegen eines geringfügigen Fehlers entlassen werden, dem man einen Briten nachgesehen hätte. So erging es Surendranath Banerjee, der dann zum bedeutendsten Wortführer des frühen indischen Nationalismus wurde. Der Korpsgeist des «Indian Civil Service», des Elitebeamtendienstes, der alle führenden Stellen im britisch-indischen Kaiserreich innehatte, war bewundernswert. Selbst junge Beamte konnten sich kritisch äußern und wurden von ihren Vorgesetzten gefördert. Dabei wollte man natürlich unter sich sein. Die «Eingeborenen» (natives) konnten diesen Korpsgeist nur stören. In der indischen Bildungsschicht nahm man das sehr wohl zur Kenntnis und betrachtete es als ein Symptom einer wohletablierten Fremdherrschaft. Ein gewisser Rassismus der Kolonialherren machte sich im Zeitalter des Sozialdarwinismus ebenfalls bemerkbar. Die Fremdherrschaft galt dieser Theorie zufolge als «naturgegeben». Die indischen Nationalisten beriefen sich dagegen auf liberale Philosophen wie John Stuart Mill und Herbert Spencer.
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Natürlich standen diese Autoren auch auf dem Lehrplan der britisch-indischen Colleges, aus deren Absolventen sich die Bildungsschicht rekrutierte. So gesehen unterminierte das britische Bildungsgut die britische Fremdherrschaft in Indien. Dadabhai Naoroji, einer der bedeutendsten frühen indischen Nationalisten, brachte es auf den Punkt, als er seinem Buch, in dem er die britische Herrschaft kritisierte, den Titel gab «Poverty and Un-British Rule in India» (Armut und unbritische Herrschaft in Indien). Mit diesem Titel wurde bekundet, dass der indische Nationalismus auch ein wirtschaftlicher Nationalismus war. Naoroji rechnete in seinem Buch vor, wie die Briten den indischen Außenhandel so manipuliert hatten, dass es zu einem «Drain of Wealth» (Abfluss des Reichtums) gekommen war. Andere Nationalisten wie der Richter Kashinath Trimbak Telang kritisierten bereits 1877 die britische Freihandelstheorie unter Berufung auf Friedrich List. Telangs Zeitgenosse, der Richter Mahadev Govind Ranade, rügte den Mangel an Investitionen, die die britisch-indische Regierung als größter Kapitalist im Lande hätte vornehmen sollen. Alle Strömungen des indischen Nationalismus flossen schließlich im Nationalkongress (All-India National Congress) zusammen, der seine erste Sitzung 1885 in Mumbai (Bombay) abhielt. An diesem Ereignis hatte der pensionierte britische Beamte Allan Octavian Hume einen nicht unbeträchtlichen Anteil. Er war von den Ideen der Theosophie inspiriert und sympathisierte mit Indien. In der Amtszeit Lord Ripons hatte er die Beziehungen geknüpft, die zu dieser Gründung führten. Dem neuen Vizekönig Lord Dufferin hatte er ebenfalls klar gemacht, dass es besser sei, eine organisierte Vertretung der öffentlichen Meinung in Indien zu haben, als nur zu mutmaßen, was in Indien vorgehe. Lord Dufferin hatte dies akzeptiert, änderte aber seine Meinung rasch, als der Nationalkongress in einer seiner ersten Resolutionen die Annexion Ober-Birmas verurteilte, die Dufferin gerade vollzogen hatte. In dieser Resolution wurde betont, dass Indien mit seinen Nachbarn in Frieden leben wolle und gegen eine Politik der imperialen Expansion sei, die letztlich wieder vom indischen Steuerzahler getragen werden müsse.
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Dufferin verfügte darauf, dass Regierungsbeamten die Teilnahme am Kongress künftig verboten sei. Das traf Nationalisten wie den Richter Ranade und andere seinesgleichen, die an der ersten Sitzung noch teilgenommen hatten. Ranade hielt danach jeweils nach den Sitzungen des Kongresses die Sitzungen der Sozialkonferenzen (National Social Conference) ab, die dem Thema der Reform der indischen Gesellschaft gewidmet waren und als «unpolitisch» galten. Unter den indischen Nationalisten war die Sozialreform jedoch umstritten. Ranade meinte, ein «weißglühender Puritanismus» müsse die Unreinheiten und abergläubischen Praktiken der Hindus verzehren. Dagegen hatte im Prinzip auch sein Gegenspieler Bal Gangadhar Tilak nichts einzuwenden, der aber strikt dagegen war, dass die Sozialreform durch Gesetze der britisch-indischen Legislative gefördert wurde. Damit würde die Einmischung der Briten in die inneren Angelegenheiten der indischen Gesellschaft nur noch stärker verankert. Ranade war ein nationalliberaler Politiker, der solche Gesetzgebung für die Nationsbildung für notwendig hielt. Tilak war dagegen ein Nationalrevolutionär, der davon überzeugt war, dass Indien schon immer eine Nation gewesen sei und nur die Fesseln der Fremdherrschaft abwerfen müsse, um seinen ursprünglichen Zustand wieder zu erlangen. Das waren unvereinbare Standpunkte, die die künftige Entwicklung des indischen Nationalismus je auf ihre Weise prägten. 5. Die Radikalisierung des indischen Nationalismus
Der letzte Vizekönig, der sein Amt noch zu Lebzeiten Königin Victorias antrat, war Lord Curzon. Zu Beginn seiner Amtszeit herrschte in Indien politische Ruhe. Die 1892 erfolgte Reform der zentralen Legislative (Imperial Legislative Council) hatte die Hoffnungen der nationalliberalen Kongressmitglieder weitgehend erfüllt. Männer wie Surendranath Banerjee waren Abgeordnete geworden und übten sich nun in parlamentarischen Debatten statt in agitatorischen Reden. «Der Kongress stolpert seinem Fall entgegen, und ich werde alles tun, um ihm dabei zu
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helfen», schrieb Lord Curzon 1899 an den Indienminister in London. Doch Curzon tat statt dessen alles, um durch unpopuläre Maßnahmen dem indischen Nationalismus wieder Auftrieb zu geben. Er wollte die übergroße Provinz Bengalen aufteilen, die damals noch, zusätzlich zum eigentlichen Bengalen, Assam, Bihar und Orissa umfasste. Nun hätte er Bihar und Orissa zu einer neuen Provinz machen können, wie es 1911 bei einer Revision seiner Teilung dann auch geschah. Doch er teilte Ost-Bengalen von West-Bengalen ab und schuf auf diese Weise eine Muslimprovinz, die nahezu dem heutigen Bangladesh entsprach. Er scheute sich auch nicht, diesen religionsgemeinschaftlichen Aspekt ausdrücklich hervorzuheben und den Muslimen die neue Provinz zu empfehlen. Kein Wunder, dass er damit bei den Hindus einen Aufschrei der Empörung hervorrief. Von den Boykottdemonstrationen, die 1905 zur Zeit der Teilung Bengalens von der Bildungsschicht organisiert wurden, waren manche auch nachher wieder im Arsenal agitatorischer Aktivitäten zu finden. Der Kauf britischer Waren wurde verurteilt und dafür der nationaler Produkte (swadeshi = im eigenen Land erzeugt) propagiert. Ferner beschloss man, britische Bildungsinstitutionen zu boykottieren und dafür nationale zu schaffen. Doch das hatte nur einen beschränkten Erfolg, weil solche neuen Institutionen keine staatlichen Zeugnisse ausstellen konnten, die allein eine Karriere versprachen. Die Reaktion auf die Teilung Bengalens verschärfte die Spannungen zwischen Nationalliberalen und Nationalrevolutionären im Kongress. Die sogenannten «Extremisten» wollten die Agitation verschärfen, während die «Gemäßigten» ihre Hoffnungen auf die britischen Liberalen setzten, die 1906 einen Wahlsieg errangen und mit dem Philosophen John Morley, einem Schüler John Stuart Mills, einen Indienminister stellten, den die indischen Nationalliberalen verehrten und von dem sie eine gute Verfassungsreform erwarteten. Da erschien es unklug, in Indien eine radikale Agitation zu betreiben. Gopal Krishna Gokhale, ein Gefolgsmann Ranades, der 1905 Präsident des Nationalkongresses war, reiste in den folgenden Jahren mehrfach zu Gesprächen mit Morley nach London. Zunächst gelang
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es Gokhale, eine Spaltung des Nationalkongresses zu verhindern, unter anderem dadurch, dass er 1906 den alten Dadabhai Naoroji dafür gewann, die Sitzung des Kongresses in Kalkutta zu präsidieren. Naoroji war liberaler Abgeordneter im Parlament in London, wurde aber auch von den «Extremisten» verehrt. Aber 1907 kam es dann zum Bruch. Die «Extremisten» verließen den Kongress und die «Gemäßigten» konsolidierten ihre Position durch eine Änderung des Statuts des Nationalkongresses. Es wurde eine begrenzte Delegiertenkonferenz (All-India Congress Committee) geschaffen, die künftig alle wesentlichen Entscheidungen zu treffen hatte. Ihre Zusammensetzung hing nicht mehr vom Zufall ab, wie die der jährlichen Sitzungen des Kongresses, sie konnte auch nicht «unterwandert» werden. Als die Verfassungsreform 1909 endlich verabschiedet wurde, enttäuschte sie die Erwartungen der «Gemäßigten». Morley hatte sich als weniger «liberal» erwiesen, als man erhofft hatte. Als britische Kritiker ihm vorwarfen, er wolle in Indien einen für dieses Land völlig ungeeigneten Parlamentarismus einführen, redete er ihnen nach dem Munde und beteuerte, er wolle den Indern ebensowenig den Parlamentarismus empfehlen wie das Tragen eines Pelzmantels im indischen Sommer. In der Folgezeit sollten die Inder, gerade weil ihnen die Briten den Parlamentarismus vorenthielten, nur noch entschiedener danach verlangen. Ein besonderer Schönheitsfehler der neuen Verfassung war die Einführung separater Wählerschaften für die indischen Muslime. Morley war davon gar nicht begeistert, aber der konservative Vizekönig, Lord Minto, und dessen Staatssekretär im Innenministerium, Sir Herbert Risley, waren eifrige Verfechter dieser Neuerung. Minto hatte eine Delegation unter Führung des Agha Khan 1906 in seine Sommerresidenz in Simla eingeladen und dort die Einführung solcher Wählerschaften versprochen. Risley belehrte Morley, dass territoriale Wählerschaften nur für homogene Gesellschaften geeignet seien, aber nicht die angemessene Vertretung konfessioneller Minderheiten sichern könnten. Er erwähnte das Beispiel von Protestanten und Katholiken in Nordirland, um Morley zu überzeugen, der zuvor
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einmal für Irland zuständig gewesen war. Über die Auswirkungen dieser separaten Wählerschaften soll im Kapitel über die Tragödie der Teilung noch mehr gesagt werden. Im Kontext des Jahres 1909 erschienen sie zunächst noch unproblematisch, denn die indische Legislative hatte damals genau wie der zeitgenössische deutsche Reichstag noch keine entscheidenden Rechte. Es konnten dort nur Meinungen vorgetragen, aber keine Mehrheitsentscheidungen getroffen werden, die die Politik der Regierung geprägt hätten. So gesehen waren Risleys Argumente in Bezug auf die Reform von 1909 eigentlich unzutreffend. Doch Morley war das offenbar gar nicht aufgefallen. Da die «Extremisten» isoliert oder inhaftiert waren, und die Führer der «Gemäßigten» Sitze in der reformierten Legislative einnahmen, waren die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg verhältnismäßig ruhig in Indien. Es kam hinzu, dass anlässlich des Besuchs von König George V. in Indien das Kaiserreich sich 1911 recht harmonisch präsentierte. Zur Feier des Tages war auch die Teilung Bengalens revidiert worden, allerdings zahlten die Bengalen dafür den Preis, dass die Reichshauptstadt von Kalkutta nach Delhi verlegt wurde, wo in der Folgezeit eine prächtige imperiale Hauptstadt gebaut werden sollte, freilich zu einer Zeit, als die Tage des Kaiserreichs bereits gezählt waren.
V. Krieg, Krise, Krieg und Freiheitskampf
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs setzte eine turbulente Zeit der europäischen Selbstzerfleischung ein, die schließlich auch Indien die Freiheit bescherte. Doch legte man in Indien nicht die Hände in den Schoß, um sich die Freiheit durch den Gang der Geschichte zufallen zu lassen. Es begann ein intensiver Freiheitskampf unter der Führung Mahatma Gandhis, der das politische Leben Indiens für lange Zeit prägte. Während des Krieges war davon natürlich noch nichts zu merken, weil alle politischen Aktivitäten durch das Kriegsnotstandsgesetz (Defence of India Act) unterbunden wurden. Tilak, der Führer der «Extremisten», der 1908 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt worden war, kehrte 1914 in die indische Politik zurück. Er hielt sich unter den gegebenen Umständen politisch zurück. Bald aber wurde man wieder auf ihn aufmerksam, als er 1916 im Auftrag des Nationalkongresses einen Pakt mit Mohammed Ali Jinnah, dem Führer der Muslim Liga, schloss. Jinnah hatte sich schon vor dem Krieg als brillanter Anwalt und Vertreter der Muslim-Interessen in der zentralen Legislative profiliert. Er war ein liberaler Nationalist, dem Gokhale ein Vorbild war. Der Muslim Liga war er erst beigetreten, als man ihm zusicherte, dass dies nicht im Konflikt mit seiner Mitgliedschaft im Nationalkongress stehe. Die panislamischen Sympathien der indischen Muslime mit dem türkischen Kalifen, der im Krieg zum Gegner der Briten wurde, entflammten sozusagen einen «Quasi-Nationalismus» bei ihnen. Jinnah war kein Panislamist. Man konnte ihn daher auch nicht als «Quasi-Nationalisten» bezeichnen, aber als Politiker machte er sich nichtsdestoweniger zum Sprecher der von diesem Gefühl übermannten Muslime. Der Pakt, den er mit Tilak schloss, betraf eine Übereinkunft über die Sitzverteilung in den Landtagen der britisch-indischen Provinzen bei der nach dem Krieg zu erwartenden weiteren
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Verfassungsreform. Tilak kam Jinnah im Interesse der Zusammenarbeit von Kongress und Liga in der Frage der Vertretung der Muslime in den Provinzen, in denen sie in der Minderheit waren, weitgehend entgegen und räumte ihnen dort mehr Sitze ein, als es ihrem Bevölkerungsanteil entsprochen hätte. Die Zeche sollten die Provinzen mit muslimischer Mehrheit (Bengalen und Panjab) bezahlen, die darauf verzichteten, dort die Mehrheit der Sitze zu beanspruchen. Jinnah war in erster Linie der Sprecher der Muslim-Diaspora, daher war es ihm durchaus recht, dass er für sie einen guten Handel abgeschlossen hatte. Tilak musste besonders auf die Hindus in Bengalen achten, er konnte darüber froh sein, das Jinnah ihm dort entgegenkam. Doch der ganze Handel war nur dann unproblematisch, wenn es bei der künftigen Verfassungsreform wieder nicht darum ging, regierungsfähige Mehrheiten zu erhalten. In dieser Hinsicht machte aber die Ankündigung des Indienministers Edwin Montagu vom August 1917 einen Strich durch die Rechnung der Pakt-Partner. Montagu verkündete, dass es das Ziel der nächsten Verfassungsreform sein werde, «responsible government» in Indien einzuführen. Das bedeutete eine Beteiligung von Indern an der Exekutive, die sich dann auf Mehrheiten in der Legislative stützen mussten. Wie Montagu und der Vizekönig Lord Chelmsford in ihrem gemeinsamen Bericht, der nach dem Kriege veröffentlicht wurde, deutlich feststellten, waren separate Wählerschaften mit diesem Prinzip nicht vereinbar, konnten aber nicht wieder abgeschafft werden, weil sie von den Muslimen inzwischen als politischer Besitzstand betrachtet wurden. Bei der Verteilung der Sitze in den Landtagen berief man sich dann auf den Kongress-Liga-Pakt, ohne zu berücksichtigen, dass er eine andere Geschäftsgrundlage hatte. Zugleich mutete man aber den Provinzen mit muslimischer Mehrheit nicht zu, die Zeche zu bezahlen. Jinnah konnte zufrieden sein, aber den Kongress hatte man über den Tisch gezogen. Tilak starb 1920 und erlebte daher die Perversion des Pakts, für den er verantwortlich gewesen war, nicht mehr mit. Tilak war der prominenteste Führer der indischen Nationa-
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V. Krieg, Krise, Krieg und Freiheitskampf
listen gewesen. Doch schon vor seinem Tod hatte Mahatma Gandhi die Führung übernommen, ohne Tilak direkt herauszufordern. Sein politischer Werdegang war ganz anders verlaufen als der des großen «Extremisten». Nach dem Jurastudium in London war Gandhi als junger Anwalt von einem reichen muslimischen Händler nach Südafrika gesandt worden, um dort dessen Geschäftsfreund in einem Rechtsstreit zu vertreten. Gandhi löste den Fall durch einen Vergleich und erwarb sich die Achtung beider Seiten. Nun hätte er nach Indien zurückkehren können, doch da sollte gerade den Indern in Südafrika das Wahlrecht entzogen werden. Gandhi war empört und organisierte den Widerstand gegen diese ungerechte Maßnahme. Doch es folgten noch viele andere diskriminierende Gesetze, gegen die Gandhi ankämpfen musste. Er wurde zum allseits geachteten Führer der indischen Minderheit. Als solcher schuf er neue Formen des gewaltfreien «passiven» Widerstands. Weil dieser Widerstand aber gar nicht «passiv» war, gab er ihm einen neuen Namen: Satyagraha (Festhalten an der Wahrheit). In diesem Sinne nannte er später seine Autobiographie «Experimente mit der Wahrheit», denn für ihn bewährte sich die Wahrheit erst dadurch, dass man sich für sie einsetzte. Dieser Einsatz musste jedoch gewaltfrei sein, denn es galt, den Gegner zu überzeugen und nicht mit Gewalt zu bezwingen. Sein tiefstes Erlebnis in Südafrika war der Zulu-Aufstand (1906), bei dem schwer bewaffnete Weiße die nur mit Speeren bewaffneten Zulus reihenweise niedermachten. Wie zuvor schon im Burenkrieg hatte Gandhi auch diesmal wieder eine freiwillige Sanitätertruppe organisiert. So erlebte er die Grausamkeit dieses Kampfes aus nächster Nähe mit. Unter diesem Eindruck beschloss er, seinen Beruf aufzugeben und sich künftig nur noch dem Dienst am Gemeinwohl zu widmen. Auch legte er ein Keuschheitsgelübde ab, das im Kontext indischer religiöser Lehren zu verstehen ist. Die sexuelle Enthaltsamkeit verleiht dem Menschen Kräfte, mit denen er auf die Welt einwirken kann. Wenn Gandhi später immer wieder erleben musste, dass trotz seines gewaltfreien Einsatzes dennoch Gewalt ausbrach, die er nicht verhindern konnte, nahm er dies oft gerade-
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zu «persönlich» und bedauerte, dass seine Kraft nicht ausreichte, solchem Geschehen entgegenzuwirken. Erst im Alter von 46 Jahren kehrte Gandhi 1915 nach Indien zurück. Im Nationalkongress war er als Führer der indischen Minderheit in Südafrika bekannt und geachtet. Er hatte sich auch schon zu nationalen Fragen geäußert. Sein politisches Manifest «Hind Swaraj» war bereits 1909 erschienen. Darin deutete er bereits seine spätere Politik der «Nichtzusammenarbeit» an. Er betonte, dass die Briten ohne Unterstützung durch die Inder gar nicht in der Lage wären, Indien zu beherrschen. Zugleich enthielt «Hind Swaraj» eine harte Kritik an der westlichen Zivilisation. Für die durch die britische Bildung geprägten Inder war diese Kritik unverständlich. Gandhi hatte es nicht leicht, sie von seinen Ansichten zu überzeugen. Ein solches Musterbeispiel der anglisierten Elite traf er gleich bei seiner Ankunft in Indien: Mohammed Ali Jinnah. Er galt als glänzender Redner, deshalb hatten die Gujarati-Kaufleute ihn eingeladen, die Willkommensansprache für Gandhi zu halten. Er hielt sie in seinem besten Englisch – und da fuhr ihm Gandhi in die Parade. Er bat ihn, Gujarati zu sprechen, da doch er und alle anderen Anwesenden Gujaratis seien. Gandhi hatte das nicht in böser Absicht gesagt, aber wie er später einmal bemerkte, hatte er es sich damit ein für allemal mit Jinnah verdorben, dessen Kenntnisse der Muttersprache keinen Vergleich mit seiner englischen Rhetorik aushielten.Während des Krieges konnte Gandhi sich nur in einigen lokalen Kampagnen «unpolitischer» Art für das Wohl seiner Landsleute einsetzen. Er rekrutierte dabei aber wichtige Mitarbeiter, die ihm über Jahrzehnte die Treue hielten, so etwa den späteren indischen Staatspräsidenten Rajendra Prasad, der ihn in Bihar unterstützte, oder den späteren Innenminister Vallabhbhai Patel, mit dem er in Gujarat zusammenarbeitete. Auch sein langjähriger Sekretär und engster Berater Mahadev Desai stieß damals zu ihm. Erst nach dem Krieg war eine nationale Kampagne zu erwarten. Der Wegfall des Kriegsnotstandsgesetzes ermöglichte dies und gab zugleich den Anlass für Gandhis Einsatz.
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1. Der Protest gegen das Ermächtigungsgesetz des Richters Rowlatt
Die britischen Kolonialherren hatten der Aufhebung dieses Gesetzes mit Bedenken entgegengesehen und den Richter Rowlatt beauftragt, ein Ermächtigungsgesetz zu entwerfen, das die Prinzipien des Kriegsnotstandsgesetzes in die Friedenszeit hinüberrettete. Gandhi und viele andere Inder sahen in diesem Gesetz einen Ausdruck krassen Undanks. Viele Inder hatten die Briten im Krieg unterstützt. Über eine Million indischer Soldaten hatten an vielen Fronten Seite an Seite mit den Briten gekämpft. Gandhi organisierte 1919 eine Protestkampagne gegen das Gesetz. Da es aber nur ein Ermächtigungsgesetz war und nie angewandt wurde, ließ es sich auch nicht gezielt übertreten. Statt dessen rief Gandhi zu einem «Hartal» auf, das ist eine Art Generalstreik aller Händler, die überall im Lande ihre Läden schließen. Dies war eine altbekannte Form des Protests gegen die Obrigkeit in Indien. Gandhi brauchte nur einen Aufruf ergehen lassen. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass es an einigen Stellen zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, und nannte daher nachher seinen Aufruf «einen Fehler von der Größe des Himalayas». Er lernte daraus, bei künftigen Kampagnen genaue Handlungsanweisungen zu geben und den Gegenstand der Kampagne einzugrenzen, um das Abgleiten in sporadische Gewalttätigkeiten zu verhüten, die den Kolonialherren den willkommenen Anlass gaben, hart zuzuschlagen. Ein solcher Anlass hatte sich bereits während der Kampagne gegen das Ermächtigungsgesetz ergeben. Dieser Anlass wurde wohl von Provokateuren geschaffen, um dem Militär die Gelegenheit zu geben, ein Exempel zu statuieren. Eine unbewaffnete Menschenmenge versammelte sich im Jalianwala Bagh von Amritsar, einem von Mauern umgebenen Platz, der sich als grausame Falle erwies, als der britische General Dyer den Befehl erteilte, auf die Menge zu schießen. Über 400 Menschen sollen auf der Strecke geblieben sein. Man sprach von einem Massaker. General Dyer behauptete später, dass dieses abschreckende Beispiel die gewünschte Wirkung im Panjab erzielt
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habe, wo es damals gärte. In Indien deutete man das Massaker aber ganz anders. Eine Kolonialmacht, die sich nur noch mit nackter Gewalt halten konnte, hatte offenbar ausgespielt. Das ganze Ausmaß der Ereignisse im Panjab wurde aber erst nach und nach in der indischen Öffentlichkeit bekannt. Es bestand eine Nachrichtensperre. Gandhi, der in den Panjab reisen wollte, wurde von der Polizei aus dem Zug geholt und nach Mumbai (Bombay) zurückgebracht. Die Jahressitzung des Nationalkongresses Ende 1919 verlief noch wie die Ruhe vor dem Sturm. Es wurde hauptsächlich darüber debattiert, ob man Montagus Verfassungsreform akzeptieren solle oder nicht. Jene, die für eine Ablehnung plädierten, konnten sich nicht durchsetzen. Darauf brachten Gandhi und Jinnah gemeinsam eine Resolution ein, mit der man Montagu für die Reform dankte. Danach trennten sich ihre Wege. Schon wenige Monate später führte Gandhi die Nichtzusammenarbeitskampagne des Nationalkongresses und die Khilafatkampagne der indischen Muslime. Letztere galt dem Protest gegen die Behandlung des im Weltkrieg besiegten Kalifen durch die Briten, der die Herrschaft über die heiligen Stätten der Muslime verlieren sollte. Jinnah war gegen beide Kampagnen. Den Einsatz der indischen Muslime für den türkischen Kalifen hielt er für eine reaktionäre Sache, der kein Erfolg beschieden sein konnte. Jinnah war ein säkularisierter Muslim, außerdem war er seiner Herkunft nach Shiit, deshalb war der Kalif für ihn ohnehin bedeutungslos. Wenige Jahre später schafften die Türken selbst das Amt des Kalifen ab und die indische Khilafatbewegung lief ins Leere. Doch Gandhi hatte sich ihr angeschlossen, weil er glaubte, auf diese Weise die Muslime für den Freiheitskampf gewinnen zu können. Zudem fand er bei den Muslimen mehr Verständnis für seinen Aufruf zur Nichtzusammenarbeit mit den Briten als beim Nationalkongress, wo viele diese Idee skeptisch beurteilten.
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2. Die Kampagne der Nichtzusammenarbeit
Den Anstoß zur Radikalisierung der indischen Politik hatte die Berichterstattung über das Massaker im Jalianwala Bagh und das Militärregime im Panjab gegeben. Die Briten hatten eine Untersuchungskommission unter Vorsitz von Lord Hunter eingesetzt, deren Bericht die Ereignisse im Panjab beschönigte. Eine Kommission des Nationalkongresses hatte ebenfalls einen Bericht geschrieben, der hauptsächlich von Gandhi stammte. Dieser Bericht war sachlich und enthielt keine unbewiesenen Behauptungen. Der Leser konnte sich selbst ein Bild machen – und das war schrecklich genug. Der Kontrast der beiden Berichte beeindruckte die indische Öffentlichkeit. Man wollte protestieren – aber wie sollte man den Protest artikulieren? Da kam Gandhis Programm der Nichtzusammenarbeit wie gerufen. Honoratioren sollten die Orden und Ehrenzeichen, die sie von den Briten erhalten hatten, zurückgeben. Studenten sollten die Universitäten, Rechtsanwälte die Gerichtshöfe boykottieren. Schließlich sollte man sich auch an den Wahlen, die unter der neuen Verfassungsreform bevorstanden, nicht beteiligen. Ferner schlug Gandhi den Boykott britischer Textilien vor. Da viele der Muslime, die die Khilafatbewegung unterstützten, Importeure britischer Textilien waren, wollte Gandhi ihnen nicht zu nahe treten und setzte beim Verbraucher statt beim Händler an. Patriotische Inder zogen ihre britischen Jacken aus und warfen sie ins Feuer. Gandhi brauchte für seine nationale Kampagne aber einen Beschluss des Nationalkongresses und regte die Einberufung einer Sondersitzung an, die im September 1920 in Nagpur stattfand. Er fand dort nur eine knappe Mehrheit. Tilak war kurz vor dieser Sitzung gestorben. Als Gandhi diese Nachricht erhielt, sagte er: «Mein stärkstes Bollwerk ist dahin.» Nun war Tilak eher ein Rivale als ein Gefolgsmann Gandhis gewesen. Er hatte bis zuletzt gezögert, Gandhis Aufruf zur Nichtzusammenarbeit zu unterstützen. Doch Gandhi erwartete wohl, dass er ihn unterstützen werde, wenn er die Entscheidung nicht länger
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aufschieben konnte. Mit Tilak wäre dann auch dessen beträchtliche Gefolgschaft zu Gandhi gestoßen; ohne ihn war Gandhi sich dieser Gefolgschaft nicht sicher. Bei der regulären Sitzung des Kongresses, die Ende 1920 in Kalkutta stattfand, erhielt Gandhi eine überwältigende Mehrheit. Dazu hatte der Boykott der Wahlen entscheidend beigetragen. Dieser Boykott war zwar keineswegs so erfolgreich gewesen, wie Gandhi gehofft hatte. Aber die Kongressmitglieder, die ihre Kandidaturen aufgegeben hatten und nun zusehen mussten, wie ihre liberalen Rivalen die Mandate errungen hatten und nun sogar Ministerposten bekleideten, konnten nun gar nichts anderes tun, als Gandhis Kampagne zu unterstützen. Doch um die stand es 1921 nicht mehr so gut wie im Vorjahr. Die Feuer, in denen die Patrioten ihre britischen Kleidungsstücke verbrannt hatten, waren bald verloschen. Um dem Boykott der britischen Textilien eine positive Wendung zu geben, propagierte Gandhi das Handspinnen und trat überall mit einem kleinen Spinnrad auf, um so persönlich ein Signal zu setzen. Doch auch dies wurde bald zur Routine. Die Verfügung, dass Kongressmitglieder ihren Mitgliedsbeitrag nicht mehr in Geld, sondern in selbstgesponnenem Garn zu entrichten hatten, ließ schließlich das Signal zur Geste erstarren. Die Briten merkten, dass die Kampagne im Sande verlaufen würde, und hüteten sich, ihr durch eine Verhaftung Gandhis neue Nahrung zu geben. Schließlich wollte es Gandhi wagen, von der Nichtzusammenarbeit zum bürgerlichen Ungehorsam überzugehen, und er hatte dazu den Unterbezirk Bardoli in Gujarat ausgewählt, wo eine Kampagne für die Verweigerung der Grundsteuer beginnen sollte. Doch noch ehe es dazu kam, erreichte Gandhi die Nachricht von Ausschreitungen in dem Dorf Chauri Chaura im nordindischen Bezirk Gorakhpur. Ein fanatisierter Mob hatte dort eine Gruppe von Polizisten in ihrer Station eingeschlossen und verbrannt. Darauf sagte Gandhi die gesamte nationale Kampagne ab und erntete damit viel Kritik von jungen Gefolgsleuten wie Jawaharlal Nehru, die nicht verstehen konnten, warum wegen einer sporadischen Ausschreitung nun die ganze Kampagne beendet werden sollte. Gandhi aber be-
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fürchtete wohl, dass die Aktion so wie seinerzeit der «Hartal» von 1919 in Gewalttätigkeiten ausarten würde. Nachdem Gandhi die Kampagne abgeblasen hatte, schlug die Kolonialregierung zu. Er wurde verhaftet und wie einst Tilak zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. Gandhi verzichtete auf eine Verteidigung und hielt dem Gericht eine Rede, die an die berühmte Rede des Sokrates gemahnte, die Gandhi in Südafrika ins Gujarati übersetzt und als das Bekenntnis eines «Satyagrahi» bezeichnet hatte. Gandhi verbüßte nur zwei Jahre seiner Strafe, weil er nach einer Operation 1924 aus Gesundheitsgründen entlassen wurde. Die Zeitgenossen hielten Gandhi damals für einen Mann ohne Zukunft. Die Kampagne der Nichtzusammenarbeit war zusammengebrochen, die Khilafatbewegung hatte ihren Gegenstand verloren. Der politische Alltag wurde von den Kongressmitgliedern beherrscht, die sich wieder zur Wahl stellten und den agitatorischen Ruhm in einen Erfolg an der Wahlurne ummünzten. Doch dann ergab sich eine neue Konstellation, in der Gandhi als Führer einer nationalen Kampagne wieder gefragt war. 3.Vom Salzmarsch zur Konferenz am Runden Tisch
Nach einem Jahrzehnt stand eine neue Verfassungsreform an. Es wäre ein mutiger Schritt gewesen, Indien nun eine Dominionverfassung zu gewähren und es damit faktisch in die Unabhängigkeit zu entlassen, also ihm den Status zu geben, den Australien und Kanada bereits hatten. Die Labour Party hatte 1929 einen Wahlsieg errungen. Ihr Premierminister Ramsay Macdonald galt als Freund Indiens. Der Vizekönig Lord Irwin, der der konservativen Partei angehörte, wäre bereit gewesen, Indien einen beträchtlichen Verfassungsfortschritt zu gewähren. Er regte denn auch an, die Verfassungsreform in einer «Konferenz am Runden Tisch» in London zu beraten und die Vertreter Indiens als gleichberechtigt zu betrachten. Doch zu jener Zeit profilierte sich Winston Churchill als harter Imperialist, der Indien allenfalls eine «provincial autonomy», also die Bildung indischer Landesregierungen bei voller Erhaltung der
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britisch-indischen Zentralmacht, gewähren wollte. Auf der anderen Seite formierte sich im Nationalkongress eine Gruppe um Jawaharlal Nehru und Subhas Chandra Bose, die die völlige Unabhängigkeit Indiens forderte und dazu eine «Indian Independence League» gegründet hatte. Sie wollten eine entsprechende Resolution schon Ende 1928 im Nationalkongress durchsetzen. Doch da trat Gandhi auf und bat um ein Jahr Aufschub. Man solle dem Vizekönig Zeit für seine Verhandlungen mit der britischen Regierung lassen. Doch als Lord Irwin mit leeren Händen aus London zurückkehrte, musste auch Gandhi der Verabschiedung der Unabhängigkeitsresolution zustimmen. Darauf wurde er vom Nationalkongress beauftragt, eine Kampagne des bürgerlichen Ungehorsams zu leiten. Gandhi tastete sich langsam an ein geeignetes Programm heran. Zunächst benannte er den 26. Januar als «Tag der Unabhängigkeit». Er wurde im unabhängigen Indien der «Tag der Republik». Dann stellte er 11 Punkte zusammen, die er als «Substanz der Unabhängigkeit» bezeichnete. Jawaharlal Nehru war ratlos, als er diesen seltsamen Katalog verschiedener Forderungen las. Aber Gandhi hatte mit sicherem Gespür konkrete Klagen verschiedener Kreise der indischen Bevölkerung artikuliert. Auch die Bezeichnung «Substanz der Unabhängigkeit» war treffend, denn hätten die Briten diese Forderungen erfüllen wollen, dann hätten sie Indien nicht mehr beherrschen können. Einer der 11 Punkte war die Abschaffung der Salzsteuer, die gerade die Ärmsten in Indien hart traf. Im heißen Indien ist der Verzehr von Salz lebenswichtig. Selbst wer sich nichts anderes kaufen kann, muss Salz kaufen – und damit auch die Salzsteuer entrichten. Die Regierung wahrte ihr Salzmonopol streng. Privates Salzsieden, ja selbst das Auflesen von Salz am Meeresstrand war bei Strafe verboten. Hier war ein ungerechtes Gesetz, das sich leicht übertreten ließ. Gandhi inszenierte diesen Gesetzesbruch sehr sorgfältig. Er versammelte eine Schar auserwählter Gefolgsleute und begab sich auf einen langen Marsch an die Küste, der von der nationalen und internationalen Presse aufmerksam verfolgt wurde. Am 6. April 1930 erreichte er den Strand bei Dandi in Gujarat und machte sich durch das
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Auflesen eines Salzkorns strafbar. Überall im Lande tat man es ihm nach, und die Gefängnisse füllten sich bis zum Bersten. Gandhi hatte eine symbolische Revolution inszeniert. Sie blieb freilich auch symbolisch und hätte ihre Wirkung bald verloren, wenn nicht durch die Auswirkung der Weltwirtschaftskrise die nationale Agitation weiteren Auftrieb bekommen hätte. Als Gandhi den Salzmarsch begann, hatten die Auswirkungen der Krise Indien noch nicht erreicht. Aber im Sommer 1930 fiel der Weizenpreis um die Hälfte und im Januar 1931 folgte der Reispreis. Die Bauern mussten nun mit halbem Einkommen weiterhin dieselben Steuern und Schuldzinsen zahlen wie zuvor und gerieten in große Not. Gandhi hatte schon früher dafür gesorgt, dass die Kongresslandesverbände sich den Bauern zuwandten und nicht auf die städtische Bildungsschicht beschränkt blieben. Jetzt konnte der Kongress eine reiche Ernte einfahren. Steuer- und Pachtverweigerungskampagnen setzten ein, nachdem die Salzkampagne den Reiz der Neuheit verloren hatte. Lord Irwin war sehr daran interessiert, mit Gandhi ins Gespräch zu kommen. Er befürchtete einen allgemeinen Bauernaufstand in Indien. In Birma, das damals noch zu Britisch-Indien gehörte, brach Anfang 1931 ein solcher Aufstand aus. Die Briten brauchten zwei Jahre, um diesen Aufstand blutig niederzuschlagen. Lord Irwin wusste also, worum es ging. Auch wollte er bewirken, dass der Kongress an der zweiten Konferenz am Runden Tisch teilnahm, nachdem er die erste 1930 boykottiert hatte. Gandhi wiederum war daran interessiert, seine symbolische Revolution auf angemessene Weise zu beenden, ehe sich das wiederholte, was 1922 geschehen war. So kam es im Frühjahr 1931 zum Gandhi-Irwin-Pakt, bei dem Gandhi sich verpflichtete, seine Kampagne zu suspendieren und an der Konferenz am Runden Tisch teilzunehmen. Irwin machte ihm dafür fast keine Zugeständnisse, aber für Gandhi war es natürlich ein Triumph, als Gleichberechtigter mit dem Vizekönig zu verhandeln. Churchill sah das genauso und sprach von dem halbnackten Fakir, der es habe wagen dürfen, mit dem Repräsentanten des Königs zu verhandeln. Gandhi paktierte aber wohl
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auch deshalb mit Irwin, weil er hoffte, bei seinem Besuch der Konferenz am Runden Tisch in London einen Pakt mit Premierminister Macdonald schließen zu können. Doch als Gandhi im September 1931 in London eintraf, war Macdonalds Regierung gerade gefallen, weil sie die Wirtschaftskrise nicht bewältigen konnte. Macdonald blieb zwar Premierminister einer «nationalen Regierung», war aber nur noch eine Geisel in der Hand der Konservativen, die nun wieder die Indienpolitik bestimmten. Als Gandhi endlich seine Audienz bei Macdonald bekam, erschien ihm dieser wie eine Sphinx. Die Verhandlungen am Runden Tisch waren für Gandhi frustrierend, und er kehrte enttäuscht nach Indien zurück, wo er umgehend ins Gefängnis geworfen wurde. Der neue Vizekönig Lord Willingdon verachtete Gandhi und fand, dass sein Vorgänger Irwin ihn unnötig aufgewertet hatte. Zwei Jahre lang herrschte Willingdon mit harter Hand und hatte damit einen gewissen Erfolg, nur konnte er so nicht auf die Dauer fortfahren, da ja Verfassungsreformen und Wahlen anstanden, zu denen eine solche Politik nicht passte. Bei Neuwahlen zum Zentralparlament, die bereits 1934 stattfanden, konnte der Nationalkongress bereits einen beachtlichen Erfolg verbuchen. 4. Die Wirtschaftskrise und der Kongress als Bauernpartei
Die Briten berücksichtigten bei der Erweiterung des Wahlrechts für die kommenden Landtagswahlen, an denen etwa 10 Prozent der indischen Bevölkerung teilnehmen sollten, besonders die reicheren Bauern, die in den Genuss der britisch-indischen Pächterschutzgesetze gekommen waren. Man hoffte, dass sie für konservative Agrarparteien und nicht für den aufmüpfigen Kongress stimmen würden. Doch die Wirtschaftskrise trieb dem Kongress die Bauern in die Arme. Als Wähler erwarteten die Bauern vom Nationalkongress, dass er in den Provinzen Regierungen bildete, die Gesetze verabschieden konnten, die ihnen zugute kamen. Diese Erwartungen standen im Widerspruch
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V. Krieg, Krise, Krieg und Freiheitskampf
zur Politik Jawaharlal Nehrus, der die eigentliche Wahlkampflokomotive des Kongresses bei den Landtagswahlen von 1936/37 gewesen war. Nehru wollte durch den Wahlerfolg beweisen, dass der Kongress und nicht die Briten das Mandat der Inder hatte. Er wollte dann die Verfassungsreform torpedieren und den Freiheitskampf intensivieren. Doch damit hatte er buchstäblich die Rechnung ohne den (Land)Wirt gemacht. Die Bauern brachten für eine solche Verweigerungshaltung kein Verständnis auf. Gandhi schaltete sich vermittelnd ein, Nehru musste zurückstecken – und in sieben der neun britisch-indischen Provinzen, in denen der Kongress die Mehrheit errungen hatte, bildete er nun auch Regierungen. Im Panjab und in Bengalen, den Provinzen mit muslimischer Mehrheit, waren regionale Parteien an die Macht gekommen. Im Panjab regierte die Unionist Party, eine konservative Agrarpartei, in der muslimische und hinduistische Grundbesitzer einen gemeinsamen Nenner gefunden hatten, und in Bengalen konnte die Krishak Proja Party, eine Partei der muslimischen Pächter, mit einigen Koalitionspartnern eine Regierung bilden. Die Zwiespältigkeit des Kongresses bei der Übernahme der Regierungsverantwortung kam darin zum Ausdruck, dass eine Resolution verabschiedet wurde, die bestimmte, dass Regierungsmitglieder ihre Posten in den Landesverbänden aufgeben mussten. Dort rückten zumeist die innerparteilichen Rivalen auf, die es nicht geschafft hatten, einen Ministersessel zu erhalten. Persönliche Rivalität wurde nun ideologisch artikuliert. Subhas Chandra Bose, der eine Politik vertrat, die im Widerspruch zu der Gandhis stand, fand bei den Funktionären der Landesverbände Unterstützung gegen den «ministeriellen Flügel», der zumeist aus alten Gefährten Gandhis bestand. Bose wollte den kommenden Krieg dazu nutzen, um mit Unterstützung der Achsenmächte die britische Fremdherrschaft abzuschütteln. Bose war kein Faschist, sondern eher ein Sozialist, aber er glaubte an den alten Grundsatz «der Feind deines Feindes ist dein Freund». So wurde er zur tragischen Figur des indischen Freiheitskampfes. Es gelang ihm, im Krieg auf abenteuerliche Weise auf dem Landweg von Indien nach Deutsch-
4. Die Wirtschaftskrise
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land zu fliehen, wo er hoffte, bei Hitler Unterstützung zu finden. Doch darin hatte er sich getäuscht, denn Hitler war ein Bewunderer der britischen Kolonialherrschaft und dachte gar nicht daran, den Indern zu helfen. Er ermöglichte Bose lediglich die U-Boot-Fahrt nach Japan, wo er von der japanischen Regierung für Propagandazwecke eingespannt wurde. Die «Indian National Army», die er aus indischen Kriegsgefangenen zusammenstellte und an deren Spitze er nach Delhi marschieren wollte, wurde von den Japanern als Hilfstruppe verheizt. Er selbst stürzte 1945 mit einem Flugzeug auf Taiwan ab. Nachdem auch die japanische Hoffnung verflogen war, hatte er sich in die Sowjetunion begeben wollen, um dort noch Hilfe für die Befreiung Indiens zu bekommen. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, unterschrieb der Vizekönig Lord Linlithgow die Kriegserklärung im Namen Indiens, ohne die indische politische Führung dabei zu konsultieren. Dazu war er rechtlich befugt, aber es wäre politisch klüger gewesen, die Unterschrift hinauszuzögern und zunächst die indische Führung auf seine Seite zu bringen. Nehru war ein entschlossener Antifaschist. Gandhi hatte das Prinzip, niemals einem Gegner in den Rücken zu fallen. Beide hätte er für eine Unterstützung der Briten im Krieg gewinnen können, und es wäre dann nicht zum Rücktritt der Landesregierungen gekommen, der den Kongress zur politischen Wirkungslosigkeit während des Krieges verdammte. Nach dem Rücktritt dieser Regierungen war wieder eine agitatorische Geste fällig, die aber unter Kriegsbedingungen nur sehr symbolisch sein konnte. Gandhi benannte «individuelle Satyagrahis», die Reden gegen die Unterstützung der britischen Kriegsanstrengungen hielten und dafür ins Gefängnis wanderten. Mehr konnte er nicht tun. Linlithgow hatte Notverordnungen in seiner Schublade, die mit dem Titel «Crush Congress» (Zerschlage den Kongress) bezeichnet waren. Der Inhalt dieser Verordnungen war natürlich geheim, aber man konnte sich leicht vorstellen, was er tun würde. Bis 1941 verlief der Krieg in Indien ohne besondere Ereignisse. Die Regierung war damit beschäftigt, sich ein Interven-
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tionsinstrumentarium aufzubauen, mit dem sie die indische Industrie für die Produktion von Kriegsbedarf einspannen und Vorkehrungen für die Bewältigung von Nahrungsmittelengpässen treffen konnte. Vor dem Krieg war der Stab der britischindischen Regierung sehr klein gewesen. Die wenigen Ministerien legten nur politische Richtlinien fest, hatten aber keine Organe, die exekutiv in die Wirtschaft eingreifen konnten. Dafür wurde nun im Krieg ein Direktorat nach dem anderen aus dem Boden gestampft. Diesen ganzen Apparat erbte später die Regierung des unabhängigen Indien, die ohne das staatliche Interventionsinstrumentarium ihre planwirtschaftlichen Vorstellungen gar nicht hätte verwirklichen können. Im Frühjahr 1942 wendete sich das Kriegsglück auf dramatische Weise. Wie ein Taifun näherten sich die Japaner Indien. Singapur und Rangun fielen. Schon erschienen japanische Schiffe vor der indischen Küste. In dieser Notlage bat Roosevelt Churchill dringend, etwas zu tun, um die Inder auf die Seite der Alliierten zu bringen. Churchill dachte gar nicht daran, ihm entgegenzukommen, aber er verschaffte sich gern ein Alibi, indem er das Angebot seines Kabinettsmitgliedes Stafford Cripps annahm, der sich erbot, nach Indien zu fliegen, um dort mit der Kongressführung zu verhandeln. Cripps war ein Labour-Politiker und Freund Nehrus, den er noch kurz vor dem Krieg in Indien besucht hatte. Er hielt Linlithgow für eine Fehlbesetzung und wäre wohl selbst gern Vizekönig geworden, aber da er das nicht war, hatte er keine Möglichkeit, in den Verhandlungen mit Nehru verbindliche Zusagen zu machen. Linlithgow aber hielt sich bedeckt und weigerte sich, mit Cripps zusammenzuarbeiten. Churchill stärkte ihm dabei den Rücken. So lief Cripps ins Messer, seine Verhandlungen scheiterten. Doch anstatt Churchill für den Fehlschlag verantwortlich zu machen, meinte er, Gandhi habe die Verhandlungen vereitelt. Churchill ließ ihn gern in diesem Glauben.
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5. Die «Quit-India»-Kampagne und die August-Revolution
Nach dem Scheitern der «Cripps Mission» musste der Kongress wieder ein agitatorisches Zeichen setzen. «Flagge zeigen» war angesagt, zumal nun mit einer japanischen Invasion zu rechnen war. Da gab Gandhi die Losung «Quit India» aus. Er forderte die Briten auf, Indien zu verlassen, solange noch Zeit dazu sei. Sie seien nicht in der Lage, Indien zu verteidigen. Die Inder aber hätten keine Konflikte mit den Japanern. Gandhis Entwurf der «Quit-India»-Resolution, die am 9. Juli 1942 vom Kongress verabschiedet werden sollte, war in diesem Sinne verfasst. Nehru klang sie zu pro-japanisch, er modifizierte sie etwas, und so wurde sie schließlich akzeptiert. Schwieriger war es, eine Kampagne zu ersinnen, mit der dieser Forderung Nachdruck verliehen werden konnte. Gandhi verkündete nur ein vages Schlagwort: «Tat oder Tod» (Do or die). Doch er wollte seine gewaltfreien Truppen gar nicht in den Tod senden, sondern nur betonen, dass es nun kein Zurück mehr gebe und der volle Einsatz gefordert sei. Wie dieser aussehen solle, sagte er noch nicht. Er kam auch gar nicht mehr dazu, denn Linlithgow ließ die gesamte Kongressführung sofort ins Gefängnis werfen. Der Führung beraubt, schlug nun die junge Generation im Kongress auf eigene Faust los. Bei dieser «August-Revolution» wurde hauptsächlich Gewalt gegen Sachen verübt. Telegraphenleitungen wurden zerschnitten, Eisenbahnschienen abgeschraubt, Polizeistationen gestürmt und die Kongressfahne gehisst. Mit solchen Ausschreitungen wussten die Briten umzugehen. Nach der Niederschlagung dieser «Revolution» konnten die Briten in aller Ruhe den Krieg in Indien aussitzen, zumal sich das Kriegsglück nun den Alliierten zuwandte. Die Seeschlacht bei den Midway-Inseln in der Nähe der Datumsgrenze kostete die Japaner drei Flugzeugträger, und sie verloren so die Luftüberlegenheit im Pazifik. Wenige Monate später kam die deutsche Afrikaoffensive bei El Alamein zum Stillstand, und im November wurden die deutschen Truppen in Stalingrad eingekesselt. Linlithgow wiegte sich in Sicherheit und ließ 1943 ein Weißbuch veröffentlichen, in dem er Gandhi die Schuld für die August-
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Revolution anlastete. Als Gandhi ein Fasten begann, um dagegen zu protestieren, nahm er das ungerührt hin und ließ sogar Sandelholzscheite ins Gefängnis schaffen, die zur Verbrennung Gandhis dienen sollten, falls er sich zu Tode fastete. Churchill konnte mit seinem treuen Statthalter Linlithgow zufrieden sein, doch er musste ihn endlich ablösen, weil er die übliche Amtszeit von fünf Jahren schon um zwei Jahre überschritten hatte. Weil er keinen geeigneten Nachfolger fand, beförderte Churchill kurzerhand den General Lord Wavell, der schon als Militärbefehlshaber vor Ort war, zum Vizekönig. Wavell war kein Politiker und tat sich mit indischen und britischen Politikern schwer. Als General war er sich der Probleme bewusst, die die Demobilisierung der riesigen britisch-indischen Armee bei Kriegsende mit sich bringen musste. Zwei Millionen Inder standen an den verschiedenen Fronten unter Waffen. Nur in Indien selbst hatte man sie nicht stationiert. Der Aufstand von 1857 war immer noch nicht vergessen. Notgedrungen hatte man übrigens im Krieg eine alte Regel aufgeben müssen, nach der indische Soldaten immer nur von britischen Offizieren befehligt wurden. Rund 8000 indische Offiziere hatten im Krieg ihr Offizierspatent erhalten. Ihnen standen immer noch rund 34 000 britische Offiziere gegenüber. Aber für eine auf Friedensstärke von rund 500 000 Mann reduzierte Armee lieferten die im Krieg rekrutierten indischen Offiziere einen guten Grundstock. Doch was sollte mit den 1,5 Millionen Soldaten geschehen, die demobilisiert werden mussten? Zur Bewältigung dieses Problems musste eine arbeitsfähige indische Interimsregierung rechtzeitig vor Kriegsende gebildet werden. Diese Frage bedrückte Wavell, der aber bei Churchill überhaupt kein Verständnis für seine Nöte fand. Im März 1945 flog Wavell nach London, um sich die Genehmigung zur Bildung einer indischen Interimsregierung zu holen. Er wollte dazu die Führer von Kongress und MuslimLiga zu einer Konferenz in Simla einladen und erbat sich völlige Verhandlungsfreiheit. Churchill war immer noch nicht bereit zuzustimmen. Erst an dem Tag, als er die Auflösung seines Kriegskabinetts und die Abhaltung von Wahlen ankündigte,
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gab er Wavell plötzlich seinen Segen zu dessen Plan. Wie er später einmal verriet, hatten ihm seine Berater versichert, dass der Plan zum Scheitern verurteilt sei. Im selben Monat Juli 1945, als die Konferenz in Simla stattfand, trat in Großbritannien ein überraschender politischer Wandel ein. Die Labour Party gewann die Wahlen und bildete die neue Regierung. Man muss der Labour Party zugute halten, dass sie vor ernsten internen Problemen stand und die Macht völlig unvorbereitet übernahm. Dennoch hätte man erwarten können, dass sie Pläne zu ihrer Indienpolitik gemacht hatte. Der neue Premierminister Clement Attlee war als Mitglied des Kriegskabinetts Vorsitzender des Indienausschusses gewesen. Stafford Cripps gehörte ebenfalls der neuen Regierung an. Er war aber wohl so sehr von dem Misserfolg seiner «Mission» des Jahres 1942 enttäuscht, dass die Regierung nur verlautbaren ließ, das «Cripps-Angebot» von 1942 gelte immer noch. So gab die neue Regierung das Gesetz des Handelns aus der Hand und versäumte es, durch eine rechtzeitige Regierungserklärung die weitere Entwicklung zu beeinflussen. Statt dessen riet man Wavell, doch erst einmal Wahlen in Indien abhalten zu lassen – dann werde man weitersehen. Was sich daraufhin in Indien abspielte, ist ein schlagender Beweis dafür, dass es gefährlich ist, Wahlen in einer Situation abzuhalten, in der nicht klar ist, was eigentlich zur Wahl steht. Der ratlose Wavell sah sich mit Behauptungen im Wahlkampf konfrontiert, die er nicht widerlegen konnte, weil er zu den betreffenden Fragen keine klaren Anweisungen aus London hatte. Er machte daher dem Indienminister Pethick-Lawrence den Vorschlag, spezifische Fragen im Parlament von einem Abgeordneten stellen zu lassen, auf die der Minister dann eine klärende Antwort geben könne. Doch der Minister antwortete darauf, dass in einer solchen Debatte dann auch Fragen gestellt werden könnten, auf die er keine Antwort wisse. Die Hilflosigkeit der Regierung konnte kaum treffender beschrieben werden. Die Wahlen, die im Februar 1946 abgeschlossen waren, brachten ein Ergebnis, das Wavell das Leben noch schwerer
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V. Krieg, Krise, Krieg und Freiheitskampf
machte. Es stärkte die Position Jinnahs, der sich darin bestätigt sah, sein Veto gegen die Bildung einer Interimsregierung weiter auszuüben, solange ihm die Teilung Indiens und die Errichtung Pakistans nicht ausdrücklich zugesichert würden. Wavell sandte darauf einen «Breakdown Plan» nach London, der die Regierung dort so entsetzte, dass sie beschloss eine «Cabinet Mission» nach Indien zu entsenden, die dort im März 1946 eintraf. Ihr gehörten der Indienminister Pethick-Lawrence und zwei weitere Kabinettsminister, Lord Alexander und Sir Stafford Cripps, an. Wavell wurde von der bevorstehenden «Cabinet Mission» nur unzureichend informiert und wusste nicht einmal, ob sie mit oder ohne ihn tagen sollte. Auch versäumte man es wiederum, eine Regierungserklärung abzugeben. Ohne eine solche Erklärung blieben die Empfehlungen der «Mission» aber nur unmaßgebliche Ratschläge. Im August 1946 zerschlug Wavell den gordischen Knoten, setzte sich über Jinnahs Veto hinweg und beauftragte Jawaharlal Nehru mit der Bildung einer Interimsregierung. Die MuslimLiga mochte sich dieser Regierung nun anschließen oder nicht. Jinnah reagierte darauf zunächst, indem er einen «Tag der direkten Aktion» ankündigte, über den im Zusammenhang mit der Teilung Indiens berichtet werden soll. Dann aber entsandte er doch Minister in diese Regierung, blieb ihr aber selbst fern. Bald machten die Liga-Minister ihren Kongress-Kollegen die Arbeit so schwer, dass Nehru bat, sie wieder entlassen zu dürfen. Nun war Wavell endgültig mit seiner Weisheit am Ende, und Attlee suchte nach einem geeigneten Nachfolger. In dieser Notlage wurde Lord Louis Mountbatten zum letzten britischen Vizekönig erkoren. Er wollte diesen Posten zunächst gar nicht antreten, denn sein Karriereziel war der Posten des Oberbefehlshabers der Marine (First Lord of the Admiralty). Sein Vater, Prinz Alexander von Battenberg, hatte diesen Posten zu Beginn des Ersten Weltkriegs inne und musste ihn wegen seiner deutschen Abstammung aufgeben, obwohl er ein Schwiegersohn Königin Victorias war. Attlee war viel daran gelegen, Mountbatten als Vizekönig nach Indien zu entsenden. Als Cousin des Königs war er auch für die Konservativen ak-
5. Die «Quit-India»-Kampagne und die August-Revolution
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zeptabel. Aber Mountbatten stellte harte Bedingungen. Er verlangte Handlungsvollmachten, die ihn praktisch zum Vorgesetzten des Indienministers machten, und er wollte nicht ohne eine Regierungserklärung nach Indien gehen, in der die Gewährung der Unabhängigkeit deutlich angekündigt wurde – sogar mit der Angabe eines Datums. Zunächst war der August 1948 vorgesehen. Später ließ Mountbatten den Termin um ein Jahr vorziehen, weil er befürchtete, dass die Briten zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch die Macht hätten, die sie übergeben wollten. Mountbatten setzte daher in Indien alle Beteiligten derart unter Zeitdruck, dass sie gar nicht mehr über irgendwelche Einwände nachdenken konnten. Er war entscheidungsfreudig, geschickt im Umgang mit Menschen, aber er hatte wenig Verständnis für verfassungsrechtliche Fragen. Er war davon überzeugt, dass die Teilung Indiens unvermeidlich war, aber wie sie durchgeführt werden sollte, war ihm zunächst nicht klar. Er bemerkte gar nicht, dass ein treffend «Plan Balkan» benannter Teilungsplan, der ihm nach einer Bearbeitung in London zugestellt wurde, in der Tat zu einer Balkanisierung Indiens geführt hätte. In London wollte man sich elegant aus der Affäre ziehen, indem man die Einzelteile Britisch-Indiens – Provinzen und Fürstenstaaten – je für sich in die Unabhängigkeit entließ. Mochten die dann doch sehen, zu welchen neuen Einheiten sie sich zusammenfinden wollten. Mountbatten sah die Konsequenzen dieses Plans nicht, zeigte ihn aber einer plötzlichen Eingebung folgend Nehru, der ihn empört ablehnte und dann doch lieber eine Teilung in Indien und Pakistan durch einen administrativen Akt der scheidenden Briten vorzog. Die von London vorgeschlagene Alternative wirkte so abschreckend, dass die gesamten Kongressführung der Teilung zustimmte, obwohl Gandhi sie doch als «Vivisektion Indiens» bezeichnet hatte.
VI. Die Tragödie der Teilung
Die Tatsache, dass sich Indien und Pakistan heute als Atommächte gegenüberstehen, lässt die Tragödie der Teilung in neuem Licht erscheinen. Als die Teilung vorgenommen wurde, brachte sie vielen Menschen den Tod oder das Flüchtlingselend. Danach verursachte sie immer wieder regionale Auseinandersetzungen, die auf Südasien beschränkt blieben. Erst durch die Konfrontation unmittelbar benachbarter Atommächte wird sie zum weltpolitischen Problem. Auf der Sitzung der Muslim-Liga in Lahore im Frühjahr 1940 wurde eine Resolution gefasst, die die Errichtung von muslimischen Staaten forderte. Jinnah unterstützte diese Resolution mit einer Rede, in der er seine «Zwei-Nationen»-Theorie verkündete. Hindus und Muslime seien nach jeder erdenklichen Definition des Begriffs zwei verschiedene Nationen. Das bedeutete, dass sie auch verschiedene Nationalstaaten bilden sollten, was eine klare Grenzziehung verlangte, die in Anbetracht der Verteilung der Muslime auf dem Subkontinent gar nicht möglich war. Aber darüber schwieg Jinnah, auch den Namen «Pakistan» nahm er noch nicht in den Mund, obwohl er ihm gut bekannt war und er auch nicht verhindern konnte, dass die Resolution von 1940 bald überall die «Pakistan-Resolution» genannt wurde. 1. «Pakistan-Resolution» und «Zwei-Nationen»-Theorie
Der Name «Pakistan» war 1933 in Cambridge von Rahmat Ali erfunden worden. Die Forderung nach der Errichtung eines nordwestindischen Muslim-Staates war schon 1930 von dem damaligen Präsidenten der Muslim Liga, dem berühmten Dichter Mohammed Iqbal erhoben worden. Rahmat Ali erfand lediglich den Namen für dieses Staatsgebilde – ein Akronym,
1. «Pakistan-Resolution» und «Zwei-Nationen»-Theorie
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das sich aus P für Panjab, A für «Afghan Province» (= Northwest Frontier Province), K für Kashmir und S für Sindh zusammensetzt; die letzten Buchstaben sollen bedeuten, dass auch Baluchistan dazugehört. Vom späteren «Ost-Pakistan» war dabei noch nicht die Rede. Als Rahmat Ali darauf angesprochen wurde, erfand er prompt den Namen «Bangistan». Als Jinnah kurz nach der Erfindung des Namens «Pakistan» gefragt wurde, wie er darüber denke, lehnte er «Pakistan» als einen Studentenulk ab. Das entsprach seiner damaligen Überzeugung, denn er war stets der Sprecher der muslimischen Diaspora gewesen, also der großen Gebiete im Norden und Süden Indiens, in denen die Muslime umgeben von Hindumehrheiten leben. Diese Gebiete mussten letztlich in Indien verbleiben. Ein Bekenntnis zu «Pakistan» wäre ein Verrat an dieser Diaspora gewesen. Jinnah lebte damals als Anwalt in London. Er war nach dem Besuch der zweiten Konferenz am Runden Tisch nicht nach Indien zurückgekehrt und wollte in London politische Karriere machen. Er bewarb sich um ein Abgeordnetenmandat der Konservativen, aber sein Antrag wurde abgelehnt. Churchill, zu dem Jinnah gute Beziehungen unterhielt, riet ihm, nach Indien zurückzukehren, da sich im Rahmen der bevorstehenden Verfassungsreformen neue Möglichkeiten für seine politische Tätigkeit ergeben könnten. Jinnah glaubte, bei den Landtagswahlen von 1936/37 leichtes Spiel zu haben. Er übernahm das Wahlprogramm des Nationalkongresses und empfahl sich damit als künftiger Koalitionspartner. Dabei vertraute er darauf, dass die Muslime in den weiterhin bestehenden separaten Wählerschaften sozusagen automatisch für die Muslim Liga stimmen würden. Doch diese Rechnung ging nicht auf. Auch der Nationalkongress stellte Muslim-Kandidaten auf, und im Panjab und in Bengalen hatten ohnehin Regionalparteien die besseren Chancen. Die Muslim Liga war dort kaum vertreten. Sie war und blieb zunächst eine Partei der muslimischen Diaspora.
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VI. Die Tragödie der Teilung
2. Jinnahs Verrat an der muslimischen Diaspora
Für Jinnah war das enttäuschende Wahlergebnis ein schwerer Schlag. Der Kongress hatte so viele Mandate erhalten, dass er keinen Koalitionspartner brauchte. Es wäre wohl politisch klug gewesen, Jinnah dennoch in eine Koalition einzubeziehen. Aber damals erschien er als diskreditierter Politiker, dem man nicht ohne Not wieder auf die Beine helfen musste. Für Jinnah blieb daher nur die Option, sich als nationaler Sprecher der von Regionalparteien regierten Mehrheitsprovinzen der Muslime zu profilieren. Die Regierungschefs von Panjab und Bengalen waren bereit, ihn als nationalen Führer zu akzeptieren, solange er sich nicht in die Angelegenheiten ihrer Provinzen einmischte. Diese Position baute er seit 1938 aus, und es kam ihm dabei zugute, dass mit Kriegsbeginn die Kongressregierungen zurücktraten. Doch da in deren Provinzen nun wieder die britischen Gouverneure herrschten, hatte Jinnah keine Chance, dort politisch tätig zu werden. Wichtiger war es für ihn, dass die Kongressführung durch ihre Verweigerungshaltung auch keine nationale Führungsrolle gegenüber den Briten mehr spielen konnte. Die Verkündung der «Zwei-Nationen»-Theorie war Jinnahs strategischer Schachzug, um seine nationale Führungsrolle zu sichern. Dass er damit die muslimische Diaspora verriet, war ihm gleichgültig. Er fühlte sich wohl selbst durch die Wahlniederlage von 1936/37 von der Diaspora verraten. Den Briten kamen Jinnahs Führungsanspruch und seine Theorie sehr gelegen. Churchill berief sich gern auf seine Verantwortung gegenüber den Muslimen. Gegen Ende des Krieges war Jinnah bereits in einer sehr dominanten Position – und da erwies ihm auch noch Mahatma Gandhi die Ehre, ihn um ein Gespräch zu bitten. Gandhi war 1944 vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Er wollte Jinnah nun sozusagen im Sturm nehmen, indem er ihm Pakistan konzedierte, aber über die Rahmenbedingungen der Teilung sprechen wollte. Er glaubte, dass Jinnah selbst eingestehen müsse, wie absurd der Pakistanplan eigentlich sei. Die Gespräche glichen einem Schachspiel, das Jinnah schließlich
3. Der Erfolg der Veto-Politik
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gewann, weil der Mahatma ungeschickte Züge machte. Als Eröffnungszug hätte er Jinnah sofort die Bildung einer Interimsregierung von Kongress und Liga anbieten müssen. Wavell brauchte eine solche Regierung, und Jinnah hätte einen solchen Vorschlag nicht ablehnen können. Nach dem Scheitern der Gespräche wies Jinnah selbst darauf hin, dass Gandhi dieses Thema nie berührt habe. Während der Gespräche hatte sich Jinnah jedoch gehütet, selbst die Rede darauf zu bringen. Er konnte mit Genugtuung darauf verweisen, dass die Gespräche an einem Punkt scheiterten, bei dem er buchstäblich das Recht auf seiner Seite hatte. Gandhi hatte verlangt, es solle vor der Teilung ein Staatsvertrag abgeschlossen werden, in dem die Zusammenarbeit der beiden Nachfolgestaaten Britisch-Indiens zu regeln sei. Jinnah hatte darauf entgegnet, dass ein solcher Vertrag erst nach einer Teilung abgeschlossen werden könne, weil es vor einer Teilung noch gar keine Vertragspartner geben könne. Jinnah hatte diese Prüfung brillant bestanden, und Gandhi zog sich ratlos zurück. Er hütete sich von nun an, Jinnah erneut an einem Verhandlungstisch zu begegnen. 3. Der Erfolg der Veto-Politik
Jinnahs nächste große Prüfung war die von Wavell einberufene Simla-Konferenz. Hier ging es von vornherein um die Bildung einer Interimsregierung. Jinnah torpedierte die Konferenz mit der Forderung, dass die Muslim Liga alle muslimischen Minister dieser Regierung stellen müsse. Der Kongress, dessen Präsident zu dieser Zeit der muslimische Gelehrte Maulana Abul Kalam Azad war, der Jinnah als Verhandlungspartner gegenübersaß, konnte diese Forderung prinzipiell nicht annehmen. Jinnahs erfolgreiches Veto erhöhte sein Ansehen bei seiner Klientel. Es kam aber noch besser für ihn. Wavell machte nun selbst den Versuch, eine Kabinettsliste zusammenzustellen. In ihr war kein Muslim aus dem Kongress enthalten, wohl aber ein Muslim aus dem Panjab, der nicht der Liga angehörte. Wavell hatte die Erlaubnis der britischen Regierung, diese Liste Jinnah – aber eben nur Jinnah – zu zeigen. Falls dieser ablehnte,
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VI. Die Tragödie der Teilung
durfte er zunächst keinen weiteren Versuch einer Regierungsbildung unternehmen. Jinnah lehnte ab – und da Wavell die Gründe für die Ablehnung nicht nennen durfte, stieg Jinnahs Prestige noch mehr. Die britische Regierung hatte auf geradezu unverantwortliche Weise Jinnah in die Hände gespielt, der von nun an von Veto zu Veto siegreich voranschritt, bis er die Teilung erzwungen hatte. Es kam ihm dabei zugute, dass sowohl die Briten als auch der Nationalkongress an einer Machtübergabe interessiert waren, solange es noch Macht gab, die sich übergeben ließ. Als Wavell sich schließlich über Jinnahs Veto hinwegsetzte und Nehru mit der Bildung einer Interimsregierung beauftragte, erklärte Jinnah den 16. August 1946 zum «Tag der direkten Aktion». Damit griff er zum ersten Mal zum Mittel der Agitation. Da er auf diesem Gebiet völlig unbedarft war, geschah an diesem Tag nichts. Nur in Kalkutta kam es zu einem großen Massaker, das der muslimische Politiker Shahid Suhrawardy sorgfältig geplant hatte. Er war zu jener Zeit Regierungschef von Bengalen und ließ den Tag zu einem Feiertag erklären. Er sorgte dafür, dass allerlei verbrecherische Elemente in die Stadt hereingeholt wurden und sich auf die Siedlungen der hinduistischen Arbeiter aus Bihar stürzten, die in den Jutefabriken Kalkuttas arbeiteten. Diese flohen denn auch in großer Zahl nach Bihar. Suhrawardy hoffte, auf diese Weise die demographische Balance in Kalkutta zugunsten der Muslime zu verschieben, damit die Stadt bei der Teilung Pakistan zugeordnet würde. Das geschah letztlich doch nicht, aber das Massaker war der Auftakt zu vielen anderen, die Indien im Gefolge der Teilung zu erleiden hatte. 4. Lord Mountbatten und die «Vivisektion Indiens»
Als Lord Mountbatten als Vizekönig in Indien eintraf, erschien eine Teilung schon unvermeidlich. Mountbatten fand Jinnah unerträglich, musste aber dennoch mit ihm verhandeln. Vor allem ging es darum, Jinnah beizubringen, dass er nicht den ganzen Panjab und das ganze Bengalen für Pakistan beanspruchen
4. Lord Mountbatten und die «Vivisektion Indiens»
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konnte, sondern nur die Bezirke mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit der beiden Provinzen. Volksabstimmungen lehnte Jinnah ab, er wusste, dass die Teilung nur als administrativer Akt der scheidenden Briten möglich war. Daher musste er der Ernennung eines britischen Richters zustimmen, der die Grenze aufgrund der Volkszählungsdaten bestimmen sollte. Trotz dieser Zustimmung sprach Jinnah von einem «mottenzerfressenen Pakistan», das man ihm gewährt habe, und wollte auch in der entscheidenden Sitzung die Frage nach seiner Zustimmung nicht mit «ja» beantworten. Er hatte sich mit Mountbatten geeinigt, dass er sich nur mit einem Kopfnicken in das Unvermeidliche fügen werde. Mountbatten war so klug gewesen, sich einen Brief von Churchill zu besorgen, in dem dieser Jinnah ermahnte zu tun, was Mountbatten von ihm verlange, anderenfalls könne er keine Unterstützung mehr von ihm erwarten. Weit problematischer war es für Mountbatten, Gandhis Zustimmung zu erhalten, der ja die Teilung als eine «Vivisektion Indiens» bezeichnet hatte. Gandhis Ansprachen an die von ihm täglich abgehaltenen Gebetsversammlungen wurden damals bereits im Radio übertragen. An dem Tag, an dem eine negative Stellungnahme Gandhis zu erwarten war, besuchte ihn Mountbatten und sagte ihm, er habe alles getan, was Gandhi von ihm verlangt habe. Er habe die baldige Unabhängigkeit erwirkt und eine einvernehmliche Lösung der Teilungsfrage herbeigeführt. Gandhi akzeptierte dies und sprach in der Gebetsversammlung dem Vizekönig sein Vertrauen aus. Mountbatten hatte dafür gesorgt, dass die konkreten Teilungspläne erst veröffentlicht wurden, nachdem er am 14. August 1947 in Karachi und am 15. August in New Delhi die beiden neuen Staaten in die Unabhängigkeit entlassen hatte. Er hatte nicht vorausgesehen, welche Tragödie sich bald darauf abspielen sollte. Er war völlig überrascht, als ihm mitgeteilt wurde, dass im Panjab ein großes Morden begonnen habe. Nun begann die schwierigste Periode seines Einsatzes in Indien. Er war nicht mehr Vizekönig, sondern war auf Nehrus Wunsch als Generalgouverneur in Indien verblieben. In Pakistan hatte Jinnah diesen Posten angetreten. Ursprünglich hatte Mountbatten
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VI. Die Tragödie der Teilung
für die Übergangszeit als Generalgouverneur beider Dominien bleiben wollen, was angesichts von Aufgaben wie der Teilung der Armee, der Staatskasse etc. sehr vernünftig gewesen wäre. Nach Jinnahs Entscheidung entfiel diese Begründung. Doch Nehru hatte gut daran getan, Mountbatten in Indien zu behalten, denn dessen Geistesgegenwart und Kriegserfahrung waren in den Krisen, die die noch unerfahrene indische Regierung nun zu meistern hatte, sehr wertvoll. Kurz nach dem Bekanntwerden der Grenze im Panjab, die mitten durch die Siedlungsgebiete der Sikhs verlief, kam es zu Ausschreitungen auf beiden Seiten, die die darauf nicht vorbereiteten Truppen nicht bewältigen konnten. In Bengalen war man seit dem «Tag der direkten Aktion» auf alles gefasst. Die Truppen dort waren vorbereitet. Außerdem hielt sich Mahatma Gandhi in Kalkutta auf. Er nahm Shahid Suhrawardy an die Hand und ging mit ihm in die gefährdetsten Stadtteile. Suhrawardy gestand seine Schuld an dem Massaker vom 16. August ein und zeigte Reue. Gemeinsam konnten Gandhi und er Hindus und Muslime zur Ruhe bringen. Im Panjab aber wurden ganze Flüchtlingszüge von der einen oder anderen Seite leergemordet. Hindus und Sikhs, die sich retten konnten, flohen nach Delhi und fielen der unvorbereiteten Regierung zur Last. 5. Das Kashmirproblem
Das größte Problem, das auf die Regierung zukam, war der Konflikt, der sich durch den Anschluss Kashmirs an Indien ergab. Während die britisch-indischen Provinzen durch Richterspruch geteilt worden waren, blieb es den unzähligen Fürstenstaaten überlassen – so wie im erwähnten «Plan Balkan» vorgesehen –, sich nach eigenem Gutdünken dem einen oder dem anderen Dominion anzuschließen oder gar von Unabhängigkeit zu träumen. Für die meisten dieser Staaten war die Unabhängigkeit keine realistische Option. Ihre Vertreter standen bei dem tatkräftigen indischen Innenminister Patel geradezu Schlange, um ihre Anschlussverträge zu unterzeichnen. Sie wurden auf diese Weise mediatisiert, erhielten aber gewisse Garantien für
5. Das Kashmirproblem
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ihr Eigentum und die Zahlung von Appanagen. Die großen Staaten Haiderabad und Kashmir zögerten jedoch den Anschluss hinaus. In Haiderabad herrschte der Nizam, ein Muslim, über eine Mehrheit von Hindus, in Kashmir herrschte der hinduistische Maharaja über eine Mehrheit von Muslims. Haiderabad war von indischem Territorium umgeben. Eine «Polizeiaktion» der indischen Armee zwang den Nizam zum Anschluss. Kashmirs geographische Lage war für den Maharaja günstiger. Es grenzte sowohl an Indien als auch an Pakistan, außerdem auch noch an China. Der Maharaja zögerte, bis pakistanische Freischärler in seinen Staat einfielen. Da bat er Indien um militärische Hilfe. Mountbatten entschied, dass ohne Anschluss keine Hilfe geleistet werden könne. Der Maharaja fügte sich, und indische Truppen verteidigten Kashmir. Bald griffen auch reguläre pakistanische Truppen in die Kämpfe ein. Nehru kündigte eine spätere Volksabstimmung an und forderte die Vereinten Nationen auf, die Angreifer zu verurteilen und zum Rückzug zu bewegen. Während die Kämpfe schon tobten, stand in New Delhi die Teilung der Staatskasse an. Innenminister Patel sah nicht ein, warum man Pakistan nun auch noch durch die Überweisung seines Anteils an der Staatskasse unterstützen solle. Gandhi aber setzte sich für eine gerechte Teilung ein und begann sein letztes Fasten in diesem Sinne. Natürlich sagte er nicht, dass er gegen Patel faste, aber dieser verstand die Botschaft und lenkte ein. Fanatische junge Hindu-Nationalisten hielten Gandhis Einsatz für Hochverrat. Einer von ihnen, Nathuram Godse, erschoss Gandhi am 30. Januar 1948. Der Mahatma wurde so zum prominentesten Opfer der Teilung. Die Vereinten Nationen, deren Anrufung Gandhi für einen Fehler gehalten hatte, bewirkten zwar einen Waffenstillstand, verurteilten aber Pakistan nicht als Angreifer und bemühten sich um eine «politische Lösung» des Problems. Dabei berief man sich auf Nehrus Versprechen einer Volksabstimmung, das dieser inzwischen bereute. Schließlich war die Teilung Indiens nirgendwo aufgrund von Volksabstimmungen erfolgt. Auch hätte eine solche Abstimmung bedeutet, dass die Betroffenen
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VI. Die Tragödie der Teilung
über die Gültigkeit von Jinnahs «Zwei-Nationen»-Theorie entscheiden sollten. Diese Theorie konnte Indien niemals akzeptieren, weil sie ja letztlich bedeutet hätte, dass Indien die große muslimische Minderheit, die nach der Teilung im Lande verblieben war, hätte ausweisen müssen. Jinnah, der diese Theorie verkündet hatte, starb schon im September 1948, aber der Fluch seiner Theorie schwebte weiterhin über Südasien. Jinnah selbst hatte übrigens Volksabstimmungen über seine Theorie vor der Teilung strikt abgelehnt. 6. Das Erbe der Teilung
Pakistan mit seinen zwei durch Indien voneinander getrennten Landesteilen war ein äußerst labiles Staatsgebilde, das nur als «Gegenstaat» zu Indien eine Identität finden konnte. Es war auch in seiner inneren Struktur sehr unausgewogen. Jinnah hatte das Amt des Generalgouverneurs beansprucht, um dem neuen Staat Gestalt geben zu können. Dabei stützte er sich auf die Bürokratie und die Armee. Da es keine Wehrpflicht gab, die automatisch für eine angemessene Vertretung aller Landesteile gesorgt hätte, musste sich die Regierung um eine solche Vertretung bemühen. Doch in Pakistan blieben die Panjabis nach wie vor das dominante Element der Armee. Die Briten hatten nach dem Aufstand von 1857 die merkwürdige Doktrin von den «martial races» verkündet. Diese «Rassen» waren die Sikhs und die Muslime aus dem Panjab, die die Briten gegen die Aufständischen unterstützt hatten. Ihnen wurde eine «natürliche» Befähigung zum Kriegsdienst zugesprochen. Die britisch-indische Armee hatte zu einem großen Teil aus diesen beiden «Rassen» bestanden. Die Sikhs optierten nach der Teilung für die indische Armee. Die Muslime des Panjab bildeten den Grundstock der pakistanischen Armee – und sind es bis heute geblieben. In Ermangelung einer demokratischen Entwicklung wurde diese Armee zum eigentlichen Träger der politischen Herrschaft – assistiert von den Bürokraten, die immer dem dienen, der Gewalt über sie hat. Da Pakistan als ein letztlich vom Militär getragener Gegen-
6. Das Erbe der Teilung
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staat zu Indien geboren wurde, musste es auch seine Außenpolitik dementsprechend gestalten. Als Indien sich dem amerikanischen Paktsystem verweigerte und eine bündnisfreie Position bezog, schloss sich Pakistan umso begeisterter diesem Paktsystem an. Die Amerikaner sahen in Pakistan ein Bollwerk gegen den Kommunismus. Die Pakistaner rüsteten sich mit amerikanischer Hilfe gegen Indien auf, um ihr prekäres Staatsgebilde zusammenzuhalten. Nach Indiens Niederlage im Grenzkrieg mit China ging Pakistan auch ein Bündnis mit China ein. Solange Nehru lebte, hielt Pakistan still. Aber unter seinem vermeintlich schwachen Nachfolger Lal Bahadur Shastri schlug das von dem Militärdiktator Ayub Khan geführte Pakistan los. Eine rasche Offensive sollte im September 1965 das Kashmirproblem gewaltsam lösen. Doch die pakistanische Armee wurde von der indischen besiegt. Auf der Konferenz von Taschkent, die mit sowjetischer Vermittlung stattfand, musste Ayub Khan eine Gewaltverzichtserklärung unterzeichnen, um den Abzug indischer Truppen zu erreichen. Dieser «Gesichtsverlust» führte schließlich zur Auflösung Pakistans durch die Sezession Bangladeshs. Die West-Pakistanis hatten Ost-Pakistan wie eine Kolonie behandelt und durch eine ungeschickte Politik den Sprachnationalismus der Bengalen provoziert. Schon 1966 legten sie Ayub Khan Autonomieforderungen vor. Als dieser dann am Ende seiner politischen Weisheit war, gab er seine Macht dorthin zurück, woher sie gekommen war – in die Hände der Panjabi-Armee. Der neue Militärdiktator Yahya Khan ließ zum ersten Mal in der Geschichte Pakistans allgemeine Wahlen abhalten, deren Ergebnis die Sezession Bangladeshs beschleunigte. Ein letzter Versuch der Panjabi-Armee, die Bengalen mit Gewalt zu unterdrücken, endete 1971 mit dem Eingreifen der indischen Armee. Nach der Kapitulation hatte Indien 90 000 pakistanische Kriegsgefangene. Zulfiqar Ali Bhutto, der neue Präsident Pakistans, musste, um die Gefangenen auszulösen, 1972 in Simla Indira Gandhi bescheinigen, dass alle künftigen Konflikte nur in bilateralen Verhandlungen zu lösen seien. Damit verzichtete Pakistan darauf, das Kashmirproblem zu «internationalisieren» – was es bisher immer wieder versucht hatte.
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VI. Die Tragödie der Teilung
Bhutto war bestrebt, die Parität mit dem übermächtigen Indien auf andere Weise wiederherzustellen, da Pakistan nun schon zum zweiten Mal in einem konventionellen Krieg Indien unterlegen war. Er sprach daher bereits 1972 von der «islamischen Bombe», die Pakistan bauen müsse. Indien akzeptierte die Herausforderung und detonierte bereits 1974 einen nuklearen Sprengsatz, der jedoch bewusst nicht als «Bombe» bezeichnet wurde. Das nukleare Wettrüsten ging auf beiden Seiten insgeheim weiter, bis zunächst Indien und dann Pakistan im Sommer 1998 ihre Testexplosionen durchführten. Nach herkömmlichen Theorien der nuklearen Abschreckung hätten sich die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan nun stabilisieren müssen. Auch hatte Pakistan ja nun die Parität mit Indien erreicht, um die es sich stets bemüht hatte. Die demonstrative Friedensgeste, die der indische Premierminister Vajpayee mit seinem Besuch in Lahore im Februar 1999 machte, schien zu zeigen, dass die Hoffnung auf eine neue Art der Beziehungen berechtigt war. Aber die zivilen Politiker hatten die Rechnung ohne die Panjabi-Armee gemacht. Für diese bedeutete die nukleare Parität die bedrohliche Perspektive der Abrüstung auf konventionellem Gebiet. Sie musste daher beweisen, dass auch unter den Bedingungen der nuklearen Parität konventionelle militärische Auseinandersetzungen durchaus möglich sind. Dies geschah mit dem Überfall auf indische Stellungen bei Kargil an der strategisch wichtigen Straße von Srinagar nach Leh. Die pakistanischen Truppen griffen dabei buchstäblich von oben herab an. Nach konventioneller Strategie hätte das einen Flankenangriff der Inder nach sich gezogen. Doch dazu hätten sie über die Waffenstillstandslinie vorstoßen müssen, und das hätte zur nuklearen Eskalation führen können. Zwar wurde Pakistan noch rechtzeitig von den Amerikanern zurückgepfiffen, aber die Demonstration, dass konventionelle Konflikte selbst bei nuklearem Gleichgewicht nicht ausgeschlossen sind, war gelungen. Indien setzte danach sofort wieder zum konventionellen Wettrüsten an, was der pakistanischen Armee nur recht sein kann, denn dann muss man auch ihre Wünsche erfüllen. Dabei scheint es dieser Armee gleich-
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gültig zu sein, dass Pakistan in jüngster Zeit am Rande des Staatsbankrotts steht. Die Lage Pakistans ist prekärer denn je. Der Zusammenbruch eines Atomstaats aber könnte Folgen haben, die die ursprüngliche Tragödie der Teilung weit übertreffen würden.
VII.Wachstum und Wandel der Republik Indien
Die Republik Indien, die mit dem Inkrafttreten ihrer Verfassung am 26. Januar 1950 geboren wurde, ist nun bereits ein halbes Jahrhundert alt. Sie ist in dieser Zeit in mehrfacher Hinsicht enorm gewachsen. Ihre Bevölkerung hat sich verdreifacht, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich mehr als verdoppelt. Die Agrarproduktion, die zwar noch durch recht geringe Flächenerträge gekennzeichnet ist, hat immerhin ausgereicht, um jetzt über eine Milliarde Menschen zu ernähren. Dies ist der Ausdehnung der bewässerten Anbaufläche zu verdanken. Sie hat es vermocht, das Land weitgehend von den jährlichen Schwankungen des Monsunregens unabhängig zu machen, und hat den Errungenschaften der «Grünen Revolution» buchstäblich den Boden bereitet. Das industrielle Wachstum ist ebenfalls beachtlich gewesen, doch ist es durch eine interventionistische Wirtschaftspolitik, deren Instrumentarium sich in der Kriegswirtschaft herangebildet hatte, behindert worden. Sozialistische Vorstellungen, die sonst reines Wunschdenken geblieben wären, konnten mit diesem Instrumentarium verwirklicht werden. Die wirtschaftliche Entwicklung hat sektorale und regionale Diskrepanzen hervorgebracht. Die Landwirtschaft erbringt jetzt weniger als ein Drittel des Sozialprodukts, sie beschäftigt aber rund zwei Drittel der Erwerbstätigen. Die Industrie trägt etwa 30 Prozent zum Sozialprodukt bei und beschäftigt rund ein Fünftel der Erwerbstätigen. Der Dienstleistungssektor ist besonders produktiv, er erbringt den größten Anteil am Sozialprodukt mit weniger als einem Sechstel der Erwerbstätigen. Die Industrie hat deutliche regionale Schwerpunkte. Der Westküstenstreifen von Ahmedabad bis Mumbai (Bombay) beherbergt den größten Teil der indischen Industrie. Diese Region ist auch sehr viel stärker urbanisiert als der Rest Indiens, während der
1. Die Veränderungen der politischen Struktur
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Osten Indiens außer der alten Metropole Kolkata (Kalkutta) nur wenige größere Städte aufweist. Die Bindung der großen Mehrheit der Bevölkerung an die Landwirtschaft spiegelt sich im hohen Anteil von Analphabeten wieder. Bei der Volkszählung von 1991 betrug dieser Anteil noch 48 Prozent, er ist 2001 auf 35 Prozent gesunken. Nach wie vor sind die Frauen hier besonders benachteiligt, doch die Zahl der Analphabetinnen, die 1991 noch etwa 60 Prozent betrug, ist auf 46 Prozent zurückgegangen. Dort wo der Analphabetismus besonders hoch war, gab es immer auch hohe Geburtenraten. Doch die vielbeschworene «Bevölkerungsexplosion» Indiens wurde vor allem dadurch verursacht, dass die Sterberate seit 1911 stetig gesunken ist, die Geburtenrate aber erst seit 1961. Der sogenannte «demographische Umschlag» ließ daher in Indien auf sich warten. Er setzt dann ein, wenn dem Rückgang der Sterberate ein ebensolcher der Geburtenrate folgt. Die jüngsten Volkszählungsdaten zeigen jedoch, dass das Wachstum sich auf etwa 1,8 Prozent pro Jahr abgeschwächt hat, aber selbst dieses abgeschwächte Wachstum hat Indien 2001 eine Bevölkerung von 1027 Millionen Menschen beschert. 1. Die Veränderungen der politischen Struktur und der Aufstieg der «Mittelklasse»
Das vielfältige Wachstum hat auch die politische Struktur der Republik entscheidend verändert. In den ersten Jahrzehnten nach Erlangung der Unabhängigkeit blieb die Kongresspartei als staatstragende und staatsgetragene Partei an der Macht. Es kam ihr zugute, dass sie seit der Weltwirtschaftskrise eine Bauernpartei war und andere Interessengruppen noch kaum ins Gewicht fielen. Außerdem sorgte das Mehrheitswahlrecht dafür, dass die Kongresspartei als Partei der Mitte in Dreieckswahlkämpfen, bei denen sich linke und rechte Opposition polarisierten, immer den Sieg davontrug. Aufgrund dieser Erfahrung war die Kongresspartei «koalitionsfeindlich» – und blieb dies auch, als ihr die Mehrheit verlorenging, sie sich aber durch Koalitionsbildung an der Macht hätte halten können. Statt des-
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VII. Wachstum und Wandel der Republik Indien
sen stieg die rechte Bharatiya Janata Party (BJP) zur Regierungspartei auf, die nur durch Wahlallianzen und Koalitionspolitik an die Macht kommen konnte – und diese Chance sehr geschickt nutzte. Der Aufstieg der BJP wurde durch zwei miteinander verbundene Entwicklungen gefördert: vom Wachstum einer «Mittelklasse» und von der Artikulation regionaler politischer Interessen. «Mittelklasse» ist in diesem Zusammenhang eigentlich eine falsche Bezeichnung, man sollte eher von «bemittelter Klasse» sprechen. Es geht um die oberen zehn Prozent der indischen Gesellschaft, doch das sind immerhin 100 Millionen, also keine kleine Oberschicht von Kapitalisten und Großgrundbesitzern. Diese «Mittelklasse» umfasst sowohl urbane Gehaltsempfänger als auch die reichere Bauernschaft, die von der «Grünen Revolution» profitiert hat. Die Politiker entstammen fast ausnahmslos dieser «Klasse». Sie profilieren sich zu einem großen Teil als Vertreter regionaler politischer Interessen. Wachstum und Entwicklung der Republik haben diese regionale Artikulation gefördert. Regionale Parteien haben schon in den Wahlen von 1984 rund 30 Prozent der Stimmen errungen, aber insgesamt nur 70 von 515 Parlamentssitzen bekommen, während die Kongresspartei damals bei 48 Prozent der Stimmen 405 Sitze erhielt. Bei den Wahlen von 1996 erhielten die regionalen Parteien bei nahezu gleichem Stimmanteil 155 Sitze und 1998 dann für 37 Prozent der Stimmen 185 Sitze. Die Kongresspartei und die BJP erhielten 1998 jeweils 26 Prozent der Stimmen und 141 bzw. 179 von insgesamt 547 Sitzen. Ohne Koalitionspolitik war unter diesen Umständen keine Regierungsbildung möglich. Es blieb der BJP überlassen, die verschiedenen regionalen Interessen durch Koalitionsangebote an sich zu binden. Dabei kam ihr zugute, dass sie trotz ihres nationalen Führungsanspruchs eigentlich auch eine Regionalpartei ist. Sie hat ihre Hochburgen in Nordindien und hat im Süden nur durch geschickte Wahlallianzen Fuß fassen können. Die Kongresspartei ist dagegen nach wie vor überall vertreten und steht daher allen Regionalparteien als Rivalin gegenüber.
2. Die Bharatiya Janata Party und die Kongresspartei
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2. Die Bharatiya Janata Party und die Kongresspartei
Die BJP vertritt einen «Hindu-Nationalismus», der angesichts der Vielfältigkeit des Hinduismus nicht leicht zu definieren ist. Er lässt sich am besten an Symbolen festmachen, so wie bei der Wiedergewinnung von «Ramjanmabhumi», jenes Ortes in Ayodhya, wo ein Tempel die Geburtsstätte (janmabhumi) des legendären Königs Rama markiert haben soll. An dessen Stelle wurde unter der Herrschaft des Großmoguls Baber eine Moschee errichtet, die im Dezember 1992 von fanatisierten Hindus abgerissen wurde. Solche Ausschreitungen erschrecken wiederum die Wähler der BJP, die zum großen Teil der «Mittelklasse» angehören und im eigenen Interesse für Ruhe und Ordnung sind. Andererseits fühlt sich diese Mittelklasse zum HinduNationalismus hingezogen. Die Führung der BJP muss daher ein Gleichgewicht zwischen Profilierung und Mäßigung halten. Zugleich muss sie sich bemühen, als Volkspartei und nicht als Interessenpartei der Mittelklasse zu erscheinen. A. B. Vajpayee hat diesen Kurs bisher recht überzeugend repräsentiert, doch bleibt er damit in seiner Partei nicht unangefochten. Der Kongresspartei ist es zum Verhängnis geworden, dass sie das Mandat der «Mittelklasse» verloren hat. Sie hatte sich stets darum bemüht, die großen «Minderheiten» – Muslime (etwa 11 Prozent der Bevölkerung) und Unberührbare (etwa 30 Prozent) – an sich zu binden. Die Unberührbaren sind jene unreinen «Kastenlosen», die von orthodoxen Hindus gemieden werden. Zwar kann die Praxis der Unberührbarkeit heute strafrechtlich verfolgt werden, doch der Tatbestand der Meidung ist schwer nachzuweisen. Die Unberührbaren fühlen sich nach wie vor diskriminiert. Für die Kongresspartei zahlte sich das Werben um solche Minderheiten aus, weil das Mehrheitswahlrecht diesen keine Möglichkeiten bietet, eigene Parteien zu bilden. Eine Muslim-Partei oder eine Unberührbaren-Partei wären unter diesem Wahlrecht zur Marginalität verurteilt. Unter einem Verhältniswahlrecht wäre das ganz anders, es würde immer Koalitionsregierungen produzieren, in denen «Minderheitsparteien» als obligate Koalitionspartner gute Chancen hätten. Sol-
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VII. Wachstum und Wandel der Republik Indien
che Chancen bot die Kongresspartei den Angehörigen von Minderheiten eben innerhalb der Partei. So ist immerhin ein Unberührbarer zum Staatspräsidenten aufgestiegen. Doch gerade die Bemühungen um die Minderheiten wurden zum Gegenstand heftiger Kritik. Die Kongresspartei, so wurde gesagt, vernachlässige die hinduistische Mehrheit zugunsten der Minderheiten. Die Hindu-Mittelklasse hörte auf diese Stimmen, und die BJP nutzte deren Ressentiment. Zwar fällt diese Klasse rein zahlenmäßig nicht so sehr ins Gewicht wie die Summe der «Minderheiten», aber sie ist überall tonangebend. Die regionalen politischen Führer, die aus ihr hervorgingen, konnten schließlich auch in die traditionellen Wählerreservate der Kongresspartei einbrechen. Das wurde unter anderem dadurch ermöglicht, dass die seit 1991 von der Kongresspartei vorangetriebene Wirtschaftsreform bei diesen Wählern bis 1996 noch nicht «ankam». Die Folgen der «Strukturanpassung» waren notgedrungen unpopulär. Die von der BJP geführte Regierung hat daher bei einer grundsätzlich positiven Einstellung zur Wirtschaftsreform bisher nicht gewagt, diese Reform weiter voranzutreiben. 3.Wirtschaftsreform und Staatsfinanzen
Die föderale Verfassung der Republik Indien hat sehr zentralistische Züge, die sich besonders auf dem Gebiet der Staatsfinanzen zeigen. Die Bundesländer sind auf finanzielle Transfers der Zentralregierung angewiesen. Diese mussten unter dem Regime der Strukturanpassung reduziert werden. Die Bundesländer gaben diesen Druck weiter, indem sie die Sozialausgaben kürzten. Die große Masse der Wähler zeigte dafür kein Verständnis. Die Entscheidung für die Wirtschaftsreform war 1991 nicht aus freien Stücken getroffen worden. Indien stand infolge einer Zahlungsbilanzkrise vor dem Staatsbankrott. Finanzspritzen von Weltbank und Weltwährungsfonds waren dringend erforderlich. Die damals gerade von der Kongresspartei gebildete Regierung trat daher die Flucht nach vorn an und widmete sich einer energischen Strukturanpassung, die durchaus erfolgreich war, aber nicht ohne «Bremsspuren» verlief. Außenwirtschaft-
3. Wirtschaftsreform und Staatsfinanzen
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lich konnte Indien Fortschritte erzielen, besonders auf dem Gebiet der Informationstechnologie durch den Export von kundenspezifischer Computer-Software. Binnenwirtschaftlich aber überwogen die Hemmnisse der überkommenen Wirtschaftsstruktur. Es gelang nicht, die Betriebe des aufgeblähten öffentlichen Sektors, die meist nur Verluste machen, zu privatisieren. Die Massenentlassungen von Arbeitskräften ohne soziales Netz, das es in Indien nicht gibt, waren politisch zu gefährlich. Keine Regierung konnte dieses Risiko eingehen – und so kam die dringend notwendige interne Wirtschaftsreform ins Stocken. Die Rücksichtnahme auf die Wähler lähmt die indische Regierung, doch die seit Jahrzehnten bewährte Demokratie ist auch der Stolz und die Stärke Indiens. Nur kurzfristig wich Indira Gandhi 1975 durch die Verhängung eines Notstandsregimes vom Pfad der demokratischen Tugend ab, musste dafür dann aber 1977 eine Wahlniederlage hinnehmen. Die unangefochtene Autorität der zivilen Regierung hat dem Militär keinen Raum zur Machtübernahme gegeben. Es wurde auch niemals ein General zum Verteidigungsminister ernannt. Die Tradition der unpolitischen, professionellen Armee wurde stets gewahrt. Es wäre aber auch weder einer zivilen noch einer militärischen Diktatur möglich, das riesige, vielfältige Land zu regieren. Nach britischem Vorbild basiert viel von dem, was die indische Demokratie bestimmt, auf ungeschriebenen Konventionen. Die indische Verfassung ist zwar die umfangreichste der Welt. Sie regelt viele Einzelheiten, die in anderen Verfassungen nicht erwähnt werden. Aber dafür werden viele wesentliche Fragen von der Verfassung nicht beantwortet. Wie steht es um die Befugnisse des Premierministers, der jederzeit das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen kann? Die Gleichzeitigkeit von Parlaments- und Landtagswahlen, die von 1952 bis 1967 das politische Leben Indiens prägte, war ebenfalls nirgends vorgeschrieben. Als Indira Gandhi 1971 durch vorgezogene Parlamentswahlen diese Gleichzeitigkeit aufhob, stand ihr dabei nichts im Wege. Die Artikulation regionaler Interessen bei den
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VII. Wachstum und Wandel der Republik Indien
auf diese Weise abgekoppelten Landtagswahlen wurde durch diese Entscheidung begünstigt. Die Parlamentswahlen aber hatten von dieser Zeit an den Charakter eines nationalen Plebiszits. Dabei schlug das Pendel der Wählergunst oft hin und her. Das Mehrheitswahlrecht, das dabei eine wahrhaft ausschlaggebende Rolle spielte, war ebenfalls nur als Konvention übernommen worden. Zu den bemerkenswerten Institutionen, die in der indischen Verfassung nicht vorgesehen sind, gehört auch die Planungskommission, die ihre Existenz einem einfachen Kabinettsbeschluss verdankt. Sie hat zwar nur eine beratende Funktion. Ihre Pläne haben keine Gesetzeskraft. Aber der Premierminister ist von Amts wegen Vorsitzender dieser Kommission. Wenn er die Pläne nicht umsetzt, wird er unglaubwürdig. Jawaharlal Nehru, für den die Republik eine moralische Anstalt war, in der die indische Nation heranwachsen sollte, hat in seiner langen Regierungszeit sowohl die parlamentarischen Konventionen etabliert als auch Institutionen wie die Planungskommission geschaffen. Sein prägender Einfluss wirkt bis heute fort, aber die gegenwärtige Republik ist von ganz anderer Art als die, die er einst gestaltet hat.
VIII.Von der Bündnisfreiheit zum Atomstaat
Indiens Weg von der Bündnisfreiheit zum Atomstaat erscheint im Nachhinein als eine folgerichtige, wenn auch nicht begrüßenswerte Entwicklung. Die Bündnisfreiheit, so wie sie Nehru definierte, war keine Neutralität, sondern die Betonung einer eigenständigen Weltgeltung. Indiens Ablehnung des Atomsperrvertrags, der die Hegemonie der Nuklearmächte festschreibt und die nuklearen Habenichtse auf die Dauer zu Staaten zweiter Klasse degradiert, entsprach ebenfalls seinem Anspruch auf eine solche Weltgeltung. Lange Zeit war es Indien möglich, diese Verweigerungshaltung gegenüber dem Atomsperrvertrag mit einer Politik zu verbinden, die man die der «nuklearen Ambiguität» nannte. Doch die politische Entwicklung führte schließlich dazu, dass man die Ambiguität zugunsten eines unzweideutigen Bekenntnisses zum Atomstaat aufgab. Indien demonstrierte im Mai 1998 sein nukleares Potenzial mit einer gewaltigen Testserie. Das Motiv war nach wie vor der Anspruch auf Weltgeltung, nur hatten sich die Mittel, mit denen man ihm Ausdruck verlieh, entscheidend geändert. 1. Afro-asiatische Solidarität und friedliche Koexistenz
Indien hatte seine Unabhängigkeit errungen, als gerade der «Kalte Krieg» begann und die von dem sowjetischen Chefideologen Shdanow so benannten «Zwei Lager» die Welt unter sich aufteilten. Nehru hatte große Sympathien für die Sowjetunion und hatte schon als Interimspremierminister 1946 diplomatische Beziehungen zu ihr aufgenommen, ehe Indien solche Beziehungen zu irgendeinem anderen Land hatte. Aber in ein «Lager» wollte er Indien nicht einbringen. Die gerade erworbene Unabhängigkeit war zu kostbar, als dass man sie gleich wieder aufs Spiel setzen sollte. In diesem Sinne unterstützte Nehru die
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VIII. Von der Bündnisfreiheit zum Atomstaat
Bewegung der afro-asiatischen Solidarität. Sie hielt ihre erste Konferenz 1955 auf Einladung des indonesischen Präsidenten Sukarno in Bandung ab. Hier versammelten sich die Vertreter von Nationen, die erst jüngst ihre Unabhängigkeit von den westlichen Kolonialmächten errungen hatten und sich dafür einsetzten, dass auch den noch verbleibenden Kolonien die Unabhängigkeit gewährt werde. Auf Nehrus Betreiben wurde der chinesische Premierminister Zhou-en Lai nach Bandung eingeladen. Für Nehru war China eine anti-imperialistische Macht. Er hatte diese Einschätzung auch nicht revidiert, als China Tibet besetzte, und hatte 1954 einen Vertrag mit China geschlossen, in dem er Tibet als chinesisches Gebiet anerkannte. Dieser Vertrag enthielt die fünf Prinzipien (Pancha Shila) der friedlichen Koexistenz, die Nehru danach als Doktrin seiner Außenpolitik immer wieder zitierte. Es kam ihm sehr viel darauf an, dass China sich in Bandung zu diesen Prinzipien bekannte und auf dieser Grundlage in die internationale Gemeinschaft der afro-asiatischen Solidarität einbezogen wurde. An sich waren diese Prinzipien (gegenseitiger Respekt, Anerkennung der territorialen Integrität, Nichteinmischung in interne Angelegenheiten des anderen Staates etc.) reine Selbstverständlichkeiten bei normalen internationalen Beziehungen, es war aber gut, sie zu beschwören, wenn es um eine Normalisierung ging. China gegenüber glaubte Nehru wohl an den Nutzen einer solchen Beschwörungsformel, doch es sollte ihn in dieser Hinsicht enttäuschen. Die afro-asiatische Solidarität erwies sich bald als brüchig. Die antikoloniale Stoßrichtung wurde überflüssig, als nach 1960 auch die meisten afrikanischen Kolonien die Unabhängigkeit erlangten. Der chinesische Angriff auf Indien im Grenzkrieg von 1962 zeigte dann, dass Nehrus Beschwörung der afro-asiatischen Solidarität und der friedlichen Koexistenz nichts genutzt hatte. Im Jahr darauf kam es zum Bruch zwischen China und der Sowjetunion und zu engeren indisch-sowjetischen Beziehungen. Indien versuchte darauf, die Sowjetunion in das Forum der afro-asiatischen Solidarität einzubringen. Der Hinweis, die Sowjetunion sei zur Hälfte eine asiatische
2. Die Bewegung der Bündnisfreien
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Macht, wirkte dabei aber nicht sehr überzeugend. So löste sich die afro-asiatische Solidarität auch im Hinblick auf ihre formelle Organisation bald auf. 2. Die Bewegung der Bündnisfreien
Schon vor der Bandungkonferenz von 1955, mit der die afroasiatische Solidarität in Erscheinung trat, hatten sich 1954 Nasser, Nehru und Tito auf der jugoslawischen Insel Brioni getroffen und die Bewegung der Bündnisfreien ins Leben gerufen. Die drei Gründungsväter hatten verschiedene Motive, die sie zusammenführten. Nehru ging es um eine Absage an die «Zwei Lager». Hier trafen sich seine Interessen mit denen Titos, der sich nicht von der Sowjetunion bevormunden lassen wollte. Nasser hatte kurz zuvor die Macht in Ägypten errungen. Er hatte gute Gründe, Anlehnung an Gleichgesinnte zu suchen. Nehru entsprach Nassers Erwartungen, als er 1956 den britisch-französisch-israelischen Angriff auf Ägypten scharf verurteilte. Ihren Höhepunkt hatte die Bewegung der Bündnisfreien bei ihrer Konferenz in Belgrad 1961, als Nehru eine gemäßigte Linie vertrat und Sukarno und Nkrumah das große Wort führten. Nehru wurde zu jener Zeit vor allem von afrikanischen Nationalisten kritisiert, weil er immer noch zögerte, der portugiesischen Kolonialherrschaft in Goa ein Ende zu setzen. Selbst im November 1961, als er mit Präsident Kennedy in Amerika sprach, erwähnte er Goa nicht, was Kennedy ihm übelnahm, als Goa nur einen Monat später ganz überraschend von indischen Truppen besetzt wurde. Es ist anzunehmen, dass Nehru die Befreiung Goas tatsächlich noch nicht geplant hatte, als er mit Kennedy sprach. Nehrus alter Freund, der Verteidigungsminister Krishna Menon, hatte in Goa wohl vollendete Tatsachen geschaffen, und Nehru hatte dem dann zugestimmt. Die Befreiung Goas war denn auch Nehrus letzter Triumph. Im Jahr darauf erschütterte die Niederlage im Grenzkrieg mit China das Fundament seiner Außenpolitik. Da er genötigt war, in dieser Notlage britische und amerikanische Militärhilfe anzu-
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VIII. Von der Bündnisfreiheit zum Atomstaat
nehmen, wurde seine Führungsrolle in der Bewegung der Bündnisfreien kompromittiert. Nehru war nach diesen Erfahrungen ein gebrochener Mann. Er starb im Mai 1964. Die Bewegung der Bündnisfreien überlebte Nehru, aber die Euphorie, die in ihren Anfangsjahren geherrscht hatte, war verflogen. 3. Indiens Aufstieg zur Regionalmacht in Südasien
Nach Nehrus Tod wurde seine in weltpolitischen Dimensionen konzipierte Außenpolitik durch eine Politik der regionalen Hegemonie ersetzt. Das war kein bewusster Entschluss, sondern ergab sich aus dem Gang der Ereignisse. Zunächst gewann Indien den Krieg, den Pakistan ihm 1965 aufgezwungen hatte. Dann wurde es in die Entwicklung hineingezogen, die 1971 schließlich zur Geburt Bangladeshs führte. Der Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion, der 1971 abgeschlossen wurde, war von Indien als Rückversicherungsvertrag gedacht, der es bei der militärischen Intervention absichern sollte, die zur Entstehung Bangladeshs beitrug. Das zeigte, in welchem Maße die indische Außenpolitik nun vorrangig von regionalen Konstellationen beeinflusst wurde. Dieser Vertrag war kein eigentlicher Bündnisvertrag, insofern konnte Indien behaupten, dass seine Bündnisfreiheit weiterhin gewahrt blieb. Doch sehr überzeugend klang das nicht mehr. Von Bangladesh ging die Anregung zur Gründung der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation) aus, die Indien zunächst nicht begrüßte, dann aber ebenfalls unterstützte. So kam das erste Gipfeltreffen der südasiatischen Regierungschefs 1985 in Dhaka zustande. Nach dem Tode Indira Gandhis, die von Indiens Nachbarn eher gefürchtet als geliebt wurde, schien eine Periode der sanften Hegemonie Indiens anzubrechen. Doch die unglückliche Intervention Indiens in Sri Lanka unterbrach diese Entwicklung. Die ursprüngliche Hoffnung auf eine rasche Befriedung durch eine Indian Peace-Keeping Force (IPKF), die auf Einladung des Präsidenten Sri Lankas von Indien entsandt wurde, erwies sich bald als illusorisch.
4. Indiens Achillesferse und die Gefahr der nuklearen Eskalation 113
Die IPKF wuchs schließlich zu einer großen Besatzungsarmee heran, die ihre Aufgabe, die tamilischen Rebellen zu entwaffnen, dennoch nicht erfüllen konnte. Der nächste Präsident Sri Lankas widerrief die Einladung, und die IPKF musste sich unverrichteter Dinge zurückziehen. Die Rebellen fürchteten die Wiederholung dieses Einsatzes aber doch so sehr, dass sie Rajiv Gandhi 1991 ermordeten, weil er nach einem Wahlsieg vielleicht wieder zu einer Intervention geneigt gewesen wäre. 4. Indiens Achillesferse und die Gefahr der nuklearen Eskalation
Indien hat eine Achillesferse, den Kashmirkonflikt, dessen Entstehung bereits beschrieben wurde. Dieser Konflikt hat bewirkt, dass Indien und Pakistan seit den 1970er Jahren einen nuklearen Rüstungswettlauf betrieben haben. Indien hat dabei natürlich auch an China gedacht, das seit 1964 Atommacht ist. Es heißt, dass Indien bereits 1995 Atomtests durchführen wollte, dies aber auf amerikanischen Druck unterließ. Damals regierte die Kongresspartei Indien, sie konnte nicht protestieren, als die BJP-Regierung die Tests durchführte. Im Gegenteil, sie wies auf ihre Vorleistungen hin und betonte, dass die neue Regierung wohl kaum wenige Wochen nach dem Amtsantritt die Bomben hätte zünden können, wenn sie nicht schon bereitgelegen hätten. Es besteht also ein breiter nationaler Konsens, der die Politik der nuklearen Selbstbehauptung unterstützt. Die pakistanischen Tests folgten umgehend. Die indische Friedensoffensive auf der Basis der nuklearen Parität schien eine durchaus konstruktive Reaktion auf diese neue Lage zu sein. Doch wieder erwies sich der Kashmirkonflikt als Achillesferse. Der mit konventionellen Mitteln durchgeführte pakistanische Angriff auf indische Stellungen in Kashmir demonstrierte, dass sich Indien als Atommacht selbst gefesselt hatte, weil es nun eine nukleare Eskalation zu befürchten hatte. Solange der Kashmirkonflikt nicht gelöst ist, wird diese Gefahr der «brinkmanship» hart am Rande der nuklearen Eskalation fortbestehen. Indien hat durch die Entscheidung, sich in eine Atommacht zu ver-
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VIII. Von der Bündnisfreiheit zum Atomstaat
wandeln, zwar ohne Zweifel an Weltgeltung gewonnen, doch der Preis dafür ist hoch. 5. Indiens Weltgeltung und die USA
Die Anerkennung oder Ablehnung des indischen Anspruchs auf Weltgeltung liegt in den Händen der letzten verbleibenden Supermacht – der USA. Das Verhältnis der beiden Staaten zueinander ist zwiespältig. Präsident Roosevelt hatte Sympathien für den indischen Freiheitskampf gezeigt, er war daher in Indien beliebt. Präsident Truman, der den Befehl zum Abwurf der Atombombe auf Japan gegeben hatte, wurde in Indien eher gefürchtet als geliebt. Präsident Eisenhower und sein Außenminister John Foster Dulles handelten nach der Devise «wer nicht für mich ist, ist gegen mich» und grenzten Indien aus. Die indischen Bemühungen um den Frieden in Indo-China wurden von den USA nicht honoriert. Erst die kurze Amtszeit des jungen Präsidenten Kennedy war ein Lichtblick in den indischamerikanischen Beziehungen. Doch unter seinem Nachfolger Johnson trieb der Vietnamkrieg Indien, das gute Beziehungen zu Nord-Vietnam unterhielt, ins sowjetische Lager – für das es sich ja gerade nicht entscheiden wollte. Die amerikanische Entwicklungshilfe für Indien, die die aller anderen Geberländer übertraf, ließ sich kaum in politisches Kapital verwandeln, während die viel bescheideneren Hilfeleistungen der Sowjetunion mehr Aufmerksamkeit erregten. Die ungeschickte amerikanische Außenpolitik belastete die Beziehungen zu Indien immer wieder. Präsident Nixon übertraf schließlich alle bisherigen Missgriffe noch durch eine völlig wirkungslose Bedrohung Indiens. Indira Gandhi hatte ihn gebeten, auf Pakistan einzuwirken, als dieses mit seiner brutalen Repression in Ost-Pakistan (später Bangladesh) einen Flüchtlingsstrom auslöste, der für Indien zur schweren Belastung wurde. Doch Nixon verweigerte nicht nur seine Hilfe, sondern entsandte einen Flugzeugträger in den Golf von Bengalen, als Indien sich zum militärischen Eingreifen genötigt sah. Nixons Drohgeste blieb folgenlos. Indira Gandhi
5. Indiens Weltgeltung und die USA
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aber konnte behaupten, dass sie es gewagt hatte, der Supermacht die Stirn zu bieten. Indien bedauerte den Konflikt der Supermächte, doch bot der «Kalte Krieg» der indischen Außenpolitik auch ein einfaches Orientierungsschema – und als er plötzlich endete, war man in Indien recht ratlos. Zaghaft begann die indische Regierung dann, sich Amerika zu nähern – und vollzog damit eigentlich nur nach, was in der indischen Gesellschaft schon längst um sich griff. Der Besitzer einer «green card», die zum unbeschränkten Aufenthalt in den USA berechtigt, ist in Indien hochangesehen. Viele Familien der indischen «Mittelklasse» haben solche Verwandte in Amerika. Während so die sozialen Beziehungen zwischen Indien und Amerika immer intensiver wurden, blieben die politischen Beziehungen kühl. Die Vorlieben der amerikanischen Regierung für China und Pakistan stießen Indien ab. Die Atomtests und die darauf unvermeidlich erfolgenden amerikanischen Sanktionen belasteten diese Beziehungen noch mehr. Erst der Besuch Präsident Clintons in Indien im März 2000 bedeutete eine entscheidende Wende. Endlich schien die amerikanische Regierung Indiens Anspruch auf Weltgeltung zu akzeptieren. Die Zerstörung des World Trade Center in New York im September 2001 und die darauf folgenden amerikanischen Bemühungen um eine globale Koalition gegen den Terrorismus stellten die indische Außenpolitik vor neue Herausforderungen. Die USA hoben die 1998 gegen Indien und Pakistan verhängten Sanktionen auf, um beide Staaten für diese Koalition zu gewinnen, doch der Konflikt in Afghanistan machte Pakistan wieder zum umworbenen «Frontstaat» wie zuvor in den Jahren von 1979 bis 1989. Indien hoffte, dass der Kampf gegen den Terrorismus auch zur Befriedung Kashmirs führen würde, doch diese Hoffnung erwies sich als illusorisch. Die neugewonnene amerikanisch-indische Freundschaft steht noch vor manchen Bewährungsproben.
Zeittafel
Die Regionalbezeichnungen entsprechen den Namen der gegenwärtigen indischen Bundesländer. ca. 500 –527 Toramana und Mihirakula, Hunnenkönige in Nordwestindien. 543–566 Pulakeshin I., Chalukya-König in Badami (West-Karnataka). 574–600 Simhavishnu, Pallava-König in Kanchipuram (Tamil Nadu). 606–647 Harshavardhana, König in Kanauj (Uttar Pradesh). 609–642 Pulaskeshin II., Chalukya-König, schlägt um 630 Harshavardhana und fällt, als die Dynastie der Pallavas Badami erobert. 630 –643 Der chinesische Buddhist Xuanzang (Hsien-tsang) bereist Indien. ca. 740 Lalitaditya, König von Kashmir, zieht erobernd durch Indien. 752–756 Dantidurga wird erster Rashtrakuta-König (Maharashtra). 770 –821 Gopala wird erster Pala-König (Bengalen). 783 Vatsaraja wird erster König der Gurjara Pratiharas (Rajasthan). 788–820 Shankaracharya, Philosoph der Advaita-Lehre. 836–885 Bhoja, größter Gurjara-Pratihara-König (Uttar Pradesh). 871–907 Aditya I. wird erster Chola-König (Tamil Nadu). 939–968 Krishna III., größter Rashtrakuta-König (Maharashtra). 973 Der Chalukya-König Taila in Kalyani (Nord-Karnataka) stürzt die Rashtrakutas. 985–1014 Rajaraja I., Chola-König. 1000 –1027 Mahmud von Ghazni (Afghanistan) raubt Nordindien in 17 Beutezügen aus und zerstört den Tempel von Somnath (Gujarat). 1014–1047 Rajendra I. stößt bis zum Ganges vor und entsendet eine Flottenexpedition nach Srivijaya (Sumatra). 1077–1120 Kulottunga I. aus Vengi (Andhra Pradesh) wird durch Erbfolge Chola-König. 1192 Muhammad von Ghor (Afghanistan) erobert Nordindien. 1206 Qutbuddin Aibak gründet das Delhi-Sultanat. 1210 –1236 Iltutmish, Sultan von Delhi. 1246–1297 Rajendra III., letzter Chola-König. 1297–1316 Alauddin Khalji, Sultan von Delhi. Sein General Malik Kafur erobert Südindien, 1309–1311.
Zeittafel 1321–1351
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Muhammad bin Tughluk, Sultan von Delhi, verlegt die Hauptstadt nach Daulatabad (Maharashtra). 1336/1346 Harihar und Bukka gründen das Reich von Vijayanagar (Karnataka). 1347 Bahman Shah gründet das Bahmani-Sultanat in Gulbarga (Karnataka). 1398 Timur (Tamerlan) von Samarkand plündert Delhi. 1406–1422 Devaraja II. von Vijayanagar erobert die Ostküste (Tamil Nadu). 1435–1476 Kapilendra, erster Suryavamsha-König (Orissa). 1461–1481 Mahmud Gawan, Minister des Bahmani Sultanats. 1489–1505 Sikander Lodi, Sultan von Delhi, errichtet die neue Hauptstadt Agra. 1498 Vasco da Gama landet in Calicut (Kerala). 1510 Albuquerque erobert Goa. 1526 Der Großmogul Baber besiegt Sultan Ibrahim Lodi bei Panipat. 1541–1545 Sher Shah vertreibt den Großmogul Humayun, der erst 1554 sein Reich zurückerobern kann. 1556–1605 Großmogul Akbar. 1565 Schlacht von Talikota (Karnataka). Die Nachfolgestaaten des Bahmani-Sultanats besiegen Vijayanagar. 1600 Gründung der britischen Ostindiengesellschaft. 1602 Gründung der niederländischen Ostindiengesellschaft. 1605–1627 Großmogul Jahangir. 1627–1658 Großmogul Shah Jahan. 1646–1680 Shivaji organisiert den Widerstand der Marathen gegen das Mogulreich, überfällt 1664 den Mogulhafen Surat und lässt sich 1674 zum König krönen. 1658–1707 Großmogul Aurangzeb. Er verlegt 1681 die Hauptstadt nach Aurangabad (Maharashtra). 1664 Gründung der französischen Ostindiengesellschaft. 1720 –1740 Baji Rao I., Peshwa (Majordomus) des Marathenkönig Shahu, erobert große Teile Nordindiens und stürmt Delhi. 1724 Der Großwezir des Mogulreichs, Nizam-ul-Mulk, gründet den Staat Haiderabad (Andhra Pradesh). 1739 Der Perser Nadir Shah plündert Delhi. 1742 Der Gouverneur von Pondicheri (Tamil Nadu) Dupleix stärkt den Einfluss der französischen Ostindiengesellschaft. 1757 Robert Clive, Offizier der britischen Ostindiengesellschaft, besiegt den Nawab von Bengalen in der Schlacht von Plassey. 1760 Britische Truppen besiegen die Franzosen in der Schlacht von Wandiwash (Tamil Nadu). 1761 Der Afghane Ahmad Shah Durrani besiegt die Marathen bei Panipat.
118 1764
Zeittafel
Britische Truppen schlagen die des Großmoguls und des Nawabs von Oudh bei Baksar (Bihar). 1765 Die britische Ostindiengesellschaft erhält die Diwani (Steuerhoheit und zivile Herrschaft) von Bengalen. Clive wird Gouverneur. 1761–1782 Der Usurpator Haider Ali von Mysore (Karnataka) erobert große Teile Südindiens. 1773–1785 Warren Hastings wird erster Generalgouverneur von Britisch-Indien. 1782–1799 Tipu Sultan, Sohn Haider Alis, wird von den Briten in drei Kriegen geschlagen. 1785–1793 Der Generalgouverneur Lord Cornwallis führt 1793 das Permanent Settlement von Bengalen ein (Grundsteuer). 1803 Der Nawab von Oudh tritt den Süden seines Staats (Agra bis Allahabad) an die Briten ab. 1818 Britischer Endsieg über die Marathen. 1843–1848 Die Briten annektieren Sind und Panjab. 1857 Großer Aufstand in Nordindien. 1858 Die Ostindiengesellschaft wird aufgelöst. Die britische Krone übernimmt die Herrschaft in Indien. 1877 Königin Victoria wird «Kaiserin von Indien». 1880 Britische Niederlage in Afghanistan. Ablösung des konservativen Vizekönigs Lord Lytton durch den liberalen Lord Ripon. 1885 Gründung des indischen Nationalkongresses. 1905 Teilung Bengalens, Protestagitation. 1906 Gründung der Muslim Liga. 1907 Spaltung des Nationalkongresses in «Gemäßigte» und «Extremisten». 1908 Bal Gangadhar Tilak wird zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt. 1909 Verfassungsreform (Morley-Minto); separate Wählerschaften für Muslime. 1916 Lakhnau-Pakt zwischen Nationalkongress und Muslim Liga. 1917 Montagu-Erklärung: «Responsible Government». 1919 Gandhis Kampagne gegen die Rowlatt-Gesetze; Massaker von Jalianwala Bagh, Amritsar (Panjab). 1920 Verfassungsreform (Montagu-Chelmsford). 1920 –1922 Gandhis Kampagne der Nichtzusammenarbeit; Khilafatbewegung der Muslime. 1930 Gandhis Salzmarsch (Bürgerlicher Ungehorsam). 1930 –1931 Die Weltwirtschaftskrise bewirkt den Verfall der Agrarpreise; Bauernunruhen. 1931 Gandhi-Irwin-Pakt; Zweite Konferenz am Runden Tisch in London.
Zeittafel 1935 1936–1937 1939 1940 1942 1944 1945 1946
1947 1948 1950 1952 1954 1955 1957 1959
1961 1962 1964 1965 1966 1967
1971
1975 1977
119
Verfassungsreform (Government of India Act). Wahlen für die Provinzlandtage; der Nationalkongress bildet Regierungen in sieben Provinzen. Kriegsausbruch; Rücktritt der Kongressregierungen. «Pakistan-Resolution» und «Zwei-Nationen»-Theorie. Cripps Mission; «Quit-India»-Resolution, «August-Revolution». Gespräche zwischen Gandhi und Jinnah bleiben ergebnislos. Simla-Konferenz; die Bildung einer nationalen Interimsregierung scheitert an Jinnahs Forderungen. Die Wahlen ergeben einen Stimmenzuwachs für die Muslim Liga. Im August wird Nehru Interimspremier, darauf «Direct Action Day», großes Morden in Kalkutta. Unabhängigkeit Pakistans (14. August) und Indiens (15. August); Beginn des Kashmirkonflikts. Ermordung Gandhis am 30. Januar. Die Verfassung der Republik Indien tritt in Kraft. Erste allgemeine Wahlen, Sieg der Kongresspartei. Indien vermittelt im Indo-China-Konflikt, Pakistan schließt sich dem amerikanischen Paktsystem an. Bandung-Konferenz (Afro-asiatische Solidarität). Zweite allgemeine Wahlen, erneuter Sieg der Kongresspartei. Amtsenthebung der kommunistischen Landesregierung von Kerala durch die Bundesregierung. Flucht des Dalai Lama nach Indien. Konferenz der bündnisfreien Staaten in Belgrad. Indien befreit Goa. Dritte allgemeine Wahlen, Sieg der Kongresspartei. Grenzkrieg mit China. Tod Nehrus, sein Nachfolger wird Lal Bahadur Shastri. Angriff Pakistans auf Kashmir. Konferenz von Taschkent; Tod Shastris. Seine Nachfolgerin wird Indira Gandhi. Dürrekatastrophe. Vierte allgemeine Wahlen; knappe Mehrheit der Kongresspartei im Bundesparlament, Verluste in mehreren Bundesländern. Indira Gandhi zieht die fünften allgemeinen Wahlen vor und erringt einen großen Wahlsieg. Freundschaftspakt mit der Sowjetunion. Sezession Bangladeshs. Protestbewegung gegen Indira Gandhi, die den Notstand ausruft und die 1976 anstehenden Wahlen verschiebt. Sechste allgemeine Wahlen, Niederlage der Kongresspartei, die Janata Party bildet die Regierung unter dem Premier Moraji Desai.
120 1979 1980
1983 1984
1985 1987 1989 1990
1991
1992 1996
1997
1998
1999
2000 2001
Zeittafel Desai tritt zurück, Interimsregierung unter Premier Charan Singh. Siebente allgemeine Wahlen, Indira Gandhi kehrt an die Macht zurück, ihr Sohn Sanjay, Generalsekretär der Kongresspartei, stirbt bei einem Flugzeugabsturz. Sieg der Telugu Desam Party in Andhra Pradesh. Die indische Armee stürmt den Goldenen Tempel der Sikhs in Amritsar. Sikh-Leibwächter ermorden Indira Gandhi, ihr Nachfolger Rajiv Gandhi gewinnt die vorgezogenen achten Wahlen. Erstes Gipfeltreffen der South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) in Dhaka, Bangladesh. Rajiv Gandhis Abkommen mit Präsident Jayewardene (Sri Lanka). Entsendung der Indian Peace Keeping Force (IPKF). Niederlage Rajiv Gandhis bei den neunten Wahlen; Minderheitsregierung unter Premier Vishwanath Pratap Singh. Lal Advani, Präsident der Bharatiya Janata Party (BJP), führt eine Prozession nach Ayodhya (Babri Masjid/Ramjanmabhumi) und wird verhaftet, V. P. Singhs Regierung stürzt. Zehnte Wahlen, Rajiv Gandhi wird im Wahlkampf ermordet, Minderheitsregierung der Kongresspartei unter Premier P. V. Narasimha Rao. Fanatische Hindus zerstören Babri Masjid, Amtsenthebung von BJP-Regierungen in vier Bundesländern. Elfte Wahlen, Niederlage der Kongresspartei. Die BJP unter Premier A. B. Vajpayee versucht vergeblich, eine Koalitionsregierung zu bilden; 13 Regionalparteien («National Front») bilden eine Regierung unter Premier H. D. Deve Gowda. Die Kongresspartei erzwingt die Umbildung der Regierung der «National Front», neuer Premier wird Inder Kumar Gujral. Zwölfte Wahlen, der BJP gelingt die Bildung einer Koalitionsregierung unter Premier A. B. Vajpayee. Indische und pakistanische Atomtests. Die BJP-Regierung wird durch Austritt eines Koalitionspartners gestürzt, Vajpayee bleibt amtierender Premier. Die pakistanische Armee überfällt indische Stellungen bei Kargil in Kashmir, erster konventioneller Krieg zwischen Atommächten. Die dreizehnten Wahlen führen zu einer erneuten Regierungsbildung der BJP, Vajpayee wird wieder Premier. Der amerikanische Präsident Clinton besucht Indien und unterstützt es gegen Pakistan. Die USA heben die 1998 gegen Indien und Pakistan verhängten Sanktionen auf.
Weiterführende Literatur
Es werden nur deutschsprachige Werke aufgeführt. Mit * gekennzeichnete Titel enthalten ausführliche Literaturverzeichnisse. Ahuja, Ravi, Die Erzeugung kolonialer Staatlichkeit und das Problem der Arbeit. Eine Studie zur Sozialgeschichte der Stadt Madras und ihres Hinterlandes zwischen 1750 und 1800, Stuttgart 1999 Berkemer, Georg, Little Kingdoms in Kalinga. Ideologie, Legitimation und Politik regionaler Eliten, Stuttgart 1993 Bhattacharya, Swapna, Landschenkungen und staatliche Entwicklung im frühmittelalterlichen Bengalen, Stuttgart 1985 Bronger, Dirk, Indien, Gotha 1996* Conrad, Dieter, Zwischen den Traditionen. Probleme des Verfassungsrechts und der Rechtskultur in Indien und Pakistan, Stuttgart 1999 Dharampal-Frick, Gita, Indien im Spiegel deutscher Quellen der Frühen Neuzeit, 1500 –1750, Tübingen 1994 Draguhn, Werner (Hg.), Indien 1998 (1999, 2000, 2001). Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Hamburg 1998 ff. (Jahrbuch, erscheint seit 1998 regelmäßig als Publikation des Instituts für Asienkunde, Hamburg) Förster, Stig, Die mächtigen Diener der East India Company, Ursachen und Hintergründe der britischen Expansionspolitik in Südasien, 1793–1819, Stuttgart 1992 Gutschow, Niels/Jan Pieper, Indien: Bauformen und Stadtgestalt einer beständigen Tradition, Köln 1979 Hellmann-Rajanayagam, Dagmar, Tamil: Sprache als politisches Symbol, Stuttgart 1984 Kölver, Bernhard (Hg.), Recht, Staat und Verwaltung im klassischen Indien, München 1997 Kulke, Hermann, Jagannatha-Kult und Gajapati-Königtum. Ein Beitrag zur Geschichte religiöser Legitimation hinduistischer Herrscher, Wiesbaden 1979 Kulke, Hermann, et al. (Hg.), Städte in Südasien. Geschichte, Gesellschaft, Gestalt, Wiesbaden 1982 Kulke, Hermann, et al., Indische Geschichte vom Altertum bis zur Gegenwart. Literaturbericht über Neuere Veröffentlichungen (Historische Zeitschrift, Sonderheft 10), München 1982* Kulke, Hermann/Dietmar Rothermund, Geschichte Indiens, 2. Aufl. München 1998*
122
Weiterführende Literatur
Kulke, Herrmann/Dietmar Rothermund (Hg.), Regionale Tradition in Südasien, Stuttgart 1985 Leue, Horst-Joachim, Britische Indienpolitik, 1926–1932, Wiesbaden 1981 Lütt, Jürgen, Hindu-Nationalismus in Uttar Prades’, 1867–1900, Stuttgart 1970 Mann, Michael, Britische Herrschaft auf indischem Boden. Landwirtschaftliche Transformation und ökologische Destruktion des «Central Doab», 1801–1854, Stuttgart 1992 Mann, Michael, Bengalen im Umbruch. Die Herausbildung des britischen Kolonialstaats, 1754–1793, Stuttgart 2000* Meyer, Heinz, Geschichte der Reiterkrieger, Stuttgart 1982 Michaels, Axel, Der Hinduismus. Geschichte und Gegenwart, München 1998* Rau, Heimo, Stilgeschichte der indischen Kunst, 2 Bde., Graz 1986/1987 Rau, Wilhelm, Staat und Gesellschaft im alten Indien, Wiesbaden 1957 Rothermund, Dietmar, Die politische Willensbildung in Indien, 1900 – 1960, Wiesbaden 1965* Rothermund, Dietmar, Indien und die Sowjetunion, Tübingen 1968 Rothermund, Dietmar, Indiens wirtschaftliche Entwicklung, Paderborn 1985 Rothermund, Dietmar, Staat und Gesellschaft in Indien, Mannheim 1993 Rothermund, Dietmar, Mahatma Gandhi. Eine politische Biographie, 2. Aufl. München 1998 Rothermund, Dietmar, Delhi, 15. August 1947. Das Ende kolonialer Herrschaft, München 1998 Rothermund, Dietmar (Hg.), Indien. Kultur, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Umwelt. Ein Handbuch, München 1995* Schumann, Hans Wolfgang, Buddhismus. Stifter, Schulen und Systeme, Olten 1976 Schwerin, Gräfin Kerrin, Indirekte Herrschaft und Reformpolitik im indischen Fürstenstaat Hyderabad, 1853–1911, Wiesbaden 1980 von Stietencron, Heinrich, Der Hinduismus, München 2001 Winterfeldt, Volker, Die Konstitution des bürgerlichen Staats in Indien. Zum Verhältnis von Formbesonderung und Klassencharakter, Berlin 1987
Register
Im Text häufig erwähnte Bezeichnungen wie Hindu, Muslim, Brite oder Ländernamen wie Britisch-Indien, Großbritannien, Indien sind nicht im Register verzeichnet. Zeittafel und Literaturhinweise sind in das Register nicht einbezogen. Abdullah siehe Shah Abdullah Afghanistan 8 f., 50 f., 63, 115 Afro-asiatische Solidarität 109–111 Agha Khan 68 Ahmad Shah Durrani 50 f. Aibak, Qutbuddin 27 Akbar (Großmogul) 28, 38 f., 42–45 Akbar (Sohn Aurangzebs) 45 Alauddin siehe Khalji Ali (4. Kalif) 30 Amaranayakas 33 Analphabeten 103 Anantavarman Chodaganga 19 Anglizisten und Orientalisten 59 Ashoka 9 Asiatische Produktionsweise 10 Atomsperrvertrag 109 Atomtests 100, 113 Attlee, Clement 87 f. Aufstand von 1857 60 –62 August-Revolution (1942) 85 Aurangabad 29, 43 f. Aurangzeb (Großmogul) 29 Ayub Khan siehe Khan Azad, Maulana Abul Kalam 93
Belgrad-Konferenz (1961) 111 Bengalen 8, 17, 19, 37, 39, 49, 53, 71, 82, 91 f., 96 –, Teilung von (1905) 66 f., 69 Bentinck, Lord William 55 Bevölkerungswachstum 102 f. Bhagavatapurana 22 Bhakti-marga 21–24 Bharatiya Janata Party (BJP) 104 f., 113 Bhoja (Gurjara-Pratihara) 18 Bhutto, Zulfiqar Ali 99 f. Bidar 30 f. Bihar 8, 21, 67 Bijapur 31 f. Birma 60, 65 Bombay siehe Mumbai Bose, Subhas Chandra 79, 82 f. Brahmanen 11–13, 20, 33, 58, 60 Buddha (der Erleuchtete) siehe Gautama Buddhismus 8, 12, 14, 20 Bürgerlicher Ungehorsam 77 Bündnisfreiheit 99, 109, 111 f. Burke, Edmund 58
Baber (Großmogul) 30, 34, 36 f. Badami 17 f. Bahadur Shah (Großmogul) 46 Bahmani-Sultanat 30 –32 Baji Rao I. (Peshwa) 47 Balban (Sultan) 27 Bandung-Konferenz (1955) 110 Banerjee, Surendranath 64, 66 Bangalore 9, 33 Bangladesh 99, 112 Bauern (als Wähler) 81, 103
Cabinet Mission (1946) 88 Chalukya-Dynastie 17, 19 China 18 f., 99, 110 f. Chola-Dynastie 18 f., 22, 33 f. Churchill, Winston 78, 80, 84, 86 f., 91 f., 94 f. Clinton, Bill 115 Clive, Robert 49, 51, 56 Cornwallis, Lord Charles 57 Covenanted Servants 56 Cripps, Stafford 84, 88 Curzon, Lord George 66 f.
124 Dara Shikoh 44 Dasalnama 40 Daulatabad 29 f. Delhi-Sultanat 19, 21, 27–29, 31, 36 Demobilisierung 86 Desai, Mahadev 73 Deva Raya II. 33 f. Dharma 23 Dienstleistungssektor 102 Din-i-Ilahi 42 Diwani 49, 51, 53, 58 Drain of Wealth 65 Dupleix, Joseph François 50 Dynastischer Darwinismus 38 Eisenerz 8 Elefanten siehe Kriegselefanten Elephanta 14 Ellora 18 Endogamie 23 Erotische Skulpturen 24 Erster Weltkrieg 70 –72 Feldartillerie 29, 37, 50 Ferghana 36, 38 f., 43 Feudalismus 9 f., 26 Firoz Shah 29 Föderalismus 106–108 Francis, Philipp 56 f. Fürstenstaaten 89 Gandhi, Indira 99, 107, 112, 114 Gandhi, Mohandas (Mahatma) 70, 72–77, 80-83, 89, 92–95, 97 Gandhi-Irwin-Pakt 80 Gandhi, Rajiv 111 Garnisonsstädte 33 Gautama (Buddha) 8, 20 Gawan, Mahmud 31, 34 Gemäßigte und Extremisten 66–68 George III., König von England 49 George V., König von England 69 Gerichtswesen 58 Ghazni, Mahmud von 18, 25, 27 Ghor, Mohammed von 27 Gladstone, William 63 Goa 111 Gokhale, Gopal Krishna 67 f. Gol Gumbaz (Mausoleum) 31 Golkonda 31 f. Großregionen 16 f.
Register Grüne Revolution 102 Grundsteuer 57, 61 Gujarat 12, 28, 33, 39 Gupta-Dynastie 9-11, 13, 17 Gurjara-Pratihara-Dynastie 17 f. Haiderabad 32, 52 Haider Ali 51f. Händlergilden 19 Harihar und Bukka (Vijayanagar) 32 Harshavardhana 17 Hartal 74, 78 Hastings, Warren 56, 58 Hemu 38 Herrschaftsmanifestation 11, 24 Herrschaftsreichweite 16, 28 Hindi (Sprache) 43 Hind Swaraj (Gandhis Manifest) 73 Hinduismus 20, 22 Hindu-Nationalismus 105 Hindu-Sultan 32, 34 Hitler, Adolf 83 Hsiuen-tsang (Xuanzang) 21 Hume, Allan Octavian 65 Hülägü 28 Humayun (Großmogul) 37 Ibrahim Lodi siehe Lodi Iltutmish (Sultan) 27 Imam (Vorbeter) 30 Indian Civil Service (ICS) 64 Indian National Army 83 Indus, Induskultur 7 f. Industrie 102 Industrielle Revolution 55 Infanterie 48 Informationstechnologie 107 Inkorporationsstrategien 10 f., 13–15, 20, 23–25, 28, 42, 52 Interimsregierung 86, 88, 93 f. Interventionsinstrumentarium 83 f., 102 Interventionsreichweite 16, 19, 27 f., 34 Iqbal, Mohammed 90 Iqta (Landzuteilung) 40 Irwin, Lord 80 f. Jagir (Militärlehen) 40 f. Jahangir (Großmogul) 43 Jainismus 8 Jalianwala Bagh (Amritsar) 74, 76 Jama und Hasil (Grundsteuer) 41
Register Japan 82, 84 Jinnah, Mohammed Ali 70 f., 73, 88–90, 92–95 Jiziya (Kopfsteuer) 42, 44 Jnana-marga 21 f. Jones, William 58 Kailastempel (Ellora) 18 Kaiserin von Indien (Kaisar-i-Hind) 63 Kakatiya-Dynastie 28 f. Kalif 27 f., 30, 75 Kalinga 19 Kalkutta (Kolkata) 49, 69 Kalter Krieg 109, 115 Kanauj 17 Kandahar 39, 44 Kapilendra (Orissa) 34 Karma-marga 21 Kashmir 17, 91, 96–99, 113 Kasten 12, 23 Kavallerie, Kavalleriestrategie 25, 28, 34, 48 Kennedy, John F. 111 Khajuraho 24 Khalji, Alauddin 27 f. Khan, Ayub 99 Khan, Yahya 99 Khilafatkampagne 75 f. Klöster, buddh. 20 f. Koalitionspolitik 103–105 Kodifizierung (Hindu-Recht) 58 Kommensalität 23 Kommerzialisierung der Macht 48 Konferenz am Runden Tisch (1930/31) 78, 80 Kongress-Liga-Pakt (1916) 70 f. Kongresspartei siehe Nationalkongress Koran 42 Kriegselefanten 8, 10, 15 f., 25, 34, 36 Krishak Proja Party (Bengalen) 82 Krishna 23 Krishna III. (Rashtrakuta) 18 Krishnadevaraya 32, 34 Kulottunga I. (Chola) 19 Kumaramatya 13 Kupfermünzen 29, 41 Kupfertafeln (Landschenkung) 11 Labour Party 78, 87 Lalitaditya 17
125
Landschenkungen 11 f. Landwirtschaft 102 f. Landtagswahlen 82, 91, 107 Leasing (Schiffe) 54 Liberal Party 63 Linlithgow, Lord Victor 83–86 List, Friedrich 65 Lodi-Dynastie 30 Lodi, Ibrahim 30, 34 Lytton, Lord Edward 63 Macaulay, Lord Thomas 59 Macdonald, Ramsay 78, 80 f. Madhav Rao I. (Peshwa) 51 Madurai 35 Mahatmyas 22 Mahasamanta 13 Mahavira 8 Mahendravarman (Pallava) 117 Mahout (Elefantentreiber) 15 Malik Kafur 28 Mansab 40 Marathen 45–47, 50 f. Martial races 62 Marx, Karl 10, 55 Marxisten 9 Menon, Krishna 111 Militärlehen, Militärfeudalstaaten 26, 28, 33 Mill, John Stuart 64, 67 Minakshitempel 35 Mir Jafar 49, 51 Mittelklasse 103-105, 115 Moksha 23 Mongolen 27 Monsun 102 Montagu, Edwin 71 Mountbatten, Lord Louis 88, 94–97 Müller, Max 63 Münzwesen 38, 41 Mumbai (Bombay) 14 Mumtaz Mahal 44 Muslim-Diaspora 71, 91–93 Muslim Liga 70, 88, 90 f., 93 Nadir Shah 46 Nalanda 21 Naoroji, Dadabhai 65 Narasimhavarman (Pallava) 17 Nationalismus 64 –, wirtschaftl. 65
126
Register
Nationalkongress 65, 68, 70 f., 79–81, 91, 94, 103 Nationaliberale und Nationalrevolutionäre 67 National Social Conferences 66 Nayaks 28 f., 33, 35 Nehru, Jawaharlal 77, 79, 82–85, 88, 94–96, 108–111 Nichtzusammenarbeit 73, 75–78 Nizam von Haiderabad 46, 97 Nur Jahan 43 Orissa 19, 24, 33 f., 67 Ostindiengesellschaft –, brit. 48–50, 54–56 –, franz. 50 –, niederl. 53 Pakistan 89–92, 94 f., 97–101, 112 Paktsystem, amerikanisches 99 Pala-Dynastie 18 Pallava-Dynastie 17, 21 Pancha Shila 110 Pandya-Dynastie 35 Panipat (Schlachten 1526, 1761) 36 f., 50 Panjab 71, 74, 76, 82, 94–96, 98 Parlamentarismus 68 Pataliputra (Patna) 9 Patel, Vallabhbhai 73, 96 f. Permanent Settlement 56 f., 61 Persien, Pers. Golf 18 f., 26, 30, 43 f. Pfeffer 53 Pferde, Pferdehändler 8, 25 f., 31 Pitt, William 49, 53 Plan Balkan 99, 96 Planungskommission 108 Plassey (Schlacht 1757) 49 Portugiesen 53 Prasad, Rajendra 73 Prashasti 11 Prataparudra 28 f., 35 Pulakeshin II. (Chalukya) 19 Puranas 22 Quit India Resolution (1942) 85 Qutbuddin Aibak siehe Aibak Rajaraja (Chola) 18, 34 Rajendra (Chola) 18 f., 34 Rajguru 13
Rajputen 37, 42 Ramjanmabhumi (Ayodhya) 105 Ranade, Mahadev 65–67 Ranjit Singh 52 Regionale Parteien 104 Regionalreiche 12 Rechtsanwälte 59 Reichsgott, Reichstempel 13 f. Reis 8, 80 Reiterkrieger 19–21 Responsible Government 71 Ripon, Lord George 65 Risley, Herbert 68 f. Roosevelt, Franklin D. 84, 114 Rotes Fort (Delhi) 44 Rowlatt-Gesetze 74 Rupie 41 Safawiden-Dynastie 30, 36 Salzmarsch 78–80 Samanta 12, 14 Samantachakra 13 f., 29 Sambhaji 45 Samudragupta 10 Sangha 20 Sanskrit 9, 22, 44 Sasanka 17 Satyagraha 72 Schachspiel 15 Selbstverwaltung, lokale 33 Selim I. (Sultan) 36 Sexualität 23 f., 72 Shah Abdullah (Usbeke) 39 Shah Jahan (Großmogul) 43 Shahu (Raja von Satara) 46 Shaktas, Shakti 24 f. Shankaracharya 20 f. Shastri, Lal Bahadur 99 Sher Shah 38 Shia, Shiiten 30 Shiva, Shivaismus 14, 21 f. Shivaji 45 Sikhs 52, 61, 96 Silber 41 f. Simla Agreement (1972) 99 Simla-Konferenz (1945) 86 f., 93 Siraj-ud-Daula 49 Sklaven 25 f., 28 Sokrates 78 South Asian Association for Regional Cooperation (SAARC) 112
Register Sowjetunion 83, 99, 109, 110, 112 Sozialreform 66 Spencer, Herbert 64 Spinnrad (charkha) 77 Sri Lanka 111 Srinagar 100 Srivijaya 19 Staatsethik 9 Streitwagen 8, 15 Strukturanpassung 100 Südafrika 72 f., 78 Suhrawardy, Shahid 94, 96 Sunniten 30 Surat 45 Swadeshi 67 Swayambhu 22 Taj Mahal 44 Talikota (Schlacht 1565) 34 Tamhasp (Safawide) 38 Telang, Kashinath 65 Telegraph 61 Tempel 9, 14 Territorialherrschaft, koloniale 56 Textilien (Baumwollt.) 54 f., 76–78 Thanjavur 19 Theosophie 65 Tilak, Bal Gangadhar 66, 70–72, 77 Timur (Tamerlan) 30, 36 Tipu Sultan 52, 57 Tirumala Nayak 35 Toramana und Mihirakula (Hunnen) 9 Tughluk, Mohammed bin 29 f., 41 Überlagerungsfeudalismus 28 Unabhängigkeitsresolution 79 Unberührbarkeit 105 Unionist Party (Panjab) 82 Upanishaden 44
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Urbanisierung 8 Urdu (Sprache) 43 USA 99, 114–116 Usbeken 36, 39 Usurpatoren 26, 31 f. Vajpayee, Atal Bihari 100, 105 Vakataka-Dynastie 9 Vedanta-Philosophie 20 Veden 8 Vereinte Nationen 97 Verfassung (1950) 102 Verfassungsreformen (1909/1919/1935) 68, 71, 75 Victoria, Königin von England 63–65 Vijayanagar 31–34 Vivisektion Indiens 89, 94 f. Volksabstimmung 97 f. Volkszählungen 103 Waffenstillstandslinie (Kashmir) 100 Wahlrecht 103, 105 Wählerschaften, separate 68 f. Wandiwash (Schlacht 1760) 50 Wavell, Lord 86, 92 f. Weber 55 Weltwirtschaftskrise 80 f., 103 Willingdon, Lord Freeman 81 Wirtschaftsreform 106 Yahya Khan siehe Khan Zahlungsbilanzkrise (1991) 106 Zamindar 41 Zeitgenossenschaft, beziehungslose 16, 18, 34 Zwangsversteigerungsrecht 61 Zwei-Nationen-Theorie 90, 92, 98 Zuluaufstand (1906) 72 Zweiter Weltkrieg 83–85
Die indischen Bundesländer
Name
Hauptstadt
Andhra Pradesh Arunachal Pradesh Assam Bihar Chhattisgarh Goa Gujarat Haryana Himachal Pradesh Jammu & Kashmir Jharkhand Karnataka Kerala Madhya Pradesh Maharashtra Manipur Meghalaya Mizoram Nagaland Orissa Panjab Rajasthan Sikkim Tamil Nadu Tripura Uttaranchal Uttar Pradesh West Bengal
Haiderabad Itanagar Dispur Patna Raipur Panaji Gandhinagar Chandigarh Simla Srinagar Ranchi Bangalore Thiruvanantapuram Bhopal Mumbai Imphal Shillong Aizawl Kohima Bhubaneswar Chandigarh Jaipur Gangtok Chennai Agartala Dehra Dun Lakhnau Kolkata
Indien
Delhi
Fläche (1000 qkm) 275 84 78 94 135 4 196 44 56 222 * 80 198 39 308 308 22 22 21 16 155 50 342 7 130 10 53 241 89 3287
BevölFrauen Sprache kerung pro 1000 (Mio.) Männer 76 1 27 83 21 1 51 21 6 10 ** 27 53 32 60 97 2 2 1 2 37 24 56 0,5 62 3 8 166 80 1027
978 901 932 921 990 960 921 861 970 900 941 964 1058 920 922 978 978 938 909 972 874 922 875 986 950 964 898 934 933
Telugu Gorkhali/Bengali Assamesisch Hindi Hindi Konkani Gujarati Hindi Hindi Kashmiri Hindi/Stammessprache Kanaresisch Malayalam Hindi Marathi Manipuri Khasi/Bengali Stammessprache Stammessprache Oriya Panjabi Hindi Gorkhali/Hindi Tamil Stammessprache Hindi Hindi Bengali (Hindi)
* Die Flächenangabe schließt die von Pakistan und China besetzten Teile des Landes ein. ** Die Bevölkerungsangabe schließt diese Teile nicht ein. Neben den Bundesländern hat Indien eine Reihe von Union Territories, die direkt der Bundesregierung unterstehen.