Seewölfe 154 1
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Es war wie verhext. Seit sie den spanischen Zweidecker "Inmaculada" geentert und später ...
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Seewölfe 154 1
John Curtis 1.
Es war wie verhext. Seit sie den spanischen Zweidecker "Inmaculada" geentert und später weit draußen im Atlantik versenkt hatten, schien das Meer um sie herum spanische Kriegsgaleonen nur so auszuspucken. Immer wieder tauchten Mastspitzen über dem Horizont auf, manchmal auch die Umrisse eines großen Zweideckers, den der Seewolf auf mindestens vierzig Kanonen schätzte. Vielleicht sogar mehr, das war auf die große Entfernung nicht genau festzustellen. Und der Seewolf hütete sich, den spanischen Schiffe zu nahe zu geraten. Er wußte genau, daß das erste Seegefecht vor der spanischen Küste das Ende der Isabella bedeuten würde. Denn der Kanonendonner würde die spanische Flotte, zumindest die Schiff die auf der Reede von Cadiz ankerten, sofort alarmieren. Big Old Shane, Ben Brighton und Ed Carberry standen auf dem Achterdeck der Isabella. Dan O'Flynn, der normalerweise inzwischen zur Schiffsführung gehörte und als Navigator oft für das Wohl und Wehe der Isabella verantwortlich war, hockte im Großtopp. Denn Dan hatte die schärfsten Augen von allen Seewölfen, und Hasard wollte genau über alles informiert werden, was sich auf dem Atlantik in Sichtweite der Isabella tat. Und das war nicht eben wenig. "Die segeln alle Kurs Cadiz", murrte Ed Carberry und sah Big Old Shane an, der unmittelbar neben ihm stand. "Den, welcher Meinung bist du?" fragte er ein paar Sekunden danach den ersten Offizier der Isabella, der zugleich auch der Stellvertreter des Seewolfs war. Ben Brighton blickte wie seine Gefährten zu den Spaniern hinüber, von deren Schiffen hin und wieder eins wie ein Schemen gegen den Abendhimmel über dem Horizont auftauchte. "Da braut sich ganz gehörig was zusammen. Die Dons sammeln ihre Flotte in Cadiz, die haben etwas vor, soviel ist klar. Mir ist schleierhaft, warum die von uns überhaupt keine Notiz zu nehmen scheinen. Entweder
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halten sie uns auch für eins ihrer Schiffe, oder die Kerle pennen." Ben Brighton schüttelte den Kopf. "Gut, daß es bald dunkel wird, Ben", sagte Old Shane, der riesige Schmied und einstige Waffenmeister aus Arwenack, und reckte die Schulter. "Wir sollten uns im Schutz der Dunkelheit von den Dons absetzen. Ich fürchte mich vor diesen verdammten Schneckenfressern nicht, das wißt ihr. Aber manchmal ist Klugheit eben doch der bessere Teil der Tapferkeit. Und wenn ihr mich fragt, ich möchte England doch noch wiedersehen!" Ed Carberry, der Profos der Isabella, nickte düster. "Genau das habe ich eben auch gedacht. Aber ich wittere Unheil, ich spüre, daß es mit England noch gute Weile haben wird. Verflixt, was treibt Hasard eigentlich so lange in seiner Kammer?" "Er wollte sich die Karten der spanischen Küste ansehen. Er hat vorhin angedeutet, daß auch er nach irgendeiner Möglichkeit sucht, uns mitsamt der Isabella erstmal verschwinden zu lassen, bis die Dons sich wieder beruhigt haben oder bis wenigstens das Gros ihrer Schiffe auf der Reede von Cadiz liegt. Hasard geht davon aus, daß die Dons ganz gewiß nach uns suchen werden, wenn sie von unserem Gefecht mit einem ihrer Verbände erfahren. Und erst recht, wenn sie merken, daß auch die AdmiralsGaleone auf unser Konto kommt." Ed Carberry wußte so wenig wie seine Gefährten, daß sie im dunkel der Nacht einen Verband englischer Schiffe angegriffen hatten, der unter dem Kommando von Sir Francis Drake. Und auch Drake ahnte nichts davon, daß es der Seewolf gewesen war, der ihn attackiert hatte. Ed Carberry hob plötzlich den Kopf und musterte mißtrauisch den bedeckten Himmel, an dem dunkle Wolke von einem frischen Wind nach Norden getrieben wurden. Dann leckte er den Zeigefinger der Rechten an und streckte ihn hoch. Die anderen beiden beobachteten ihn, und Ben Brightons Züge spannten sich. Er kannte den Profos. Carberry hatte einen
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untrüglichen Instinkt dafür, wenn der Wind sich änderte und wenn Schlechtwetter bevorstand. Er merkte das meist schon einige Stunden vorher. "Wir kriegen Sturm", sagte Carberry in die Stille auf dem Achterdeck, die in diesem Augenblick nur vom Singen des Windes in der Takelage und dem Rauschen der Bugwellen durchbrochen wurde. "Und ich wette - in ein paar Stunden bricht er los. Der Wind beginnt zu schralen. Los, Freunde, hurtig, hurtig, hurtig. Wir wollen uns auf den Tanz vorbereiten. Stürme an dieser Küste sind tückisch." In diesem Moment enterte der Seewolf zum Achterdeck auf. Hasard hatte die letzten Worte Carberrys gehört. Das war kein Kunststück, denn selbst wenn der Profos sich Mühe gab, seine gewaltiges Organ zu dämpfen, verstand man ihn mühelos noch auf dem Geschützdeck. Der Seewolf warf ebenfalls einen Blick zu den dahinziehenden Wolken hoch. Und wie zur Bestätigung von Carberrys Prophezeiung fegte ein kurzer Windstoß in die Segel der Isabella und ließ sie nach Steuerbord krängen. ”Ed hat recht”, sagte er nur. ”der Sturm wird in den nächsten Stunden losbrechen, und er wird aus West blasen. Aber wir warten nicht ab, bis der Tanz losgeht. Ich habe auf einer der Karten eine Bucht entdeckt, rund fünfzig Meilen südlich von Cadiz. Ich erinnere mich, daß mir der Fischer, der Ben und mir damals bei eurer Befreiung von der ‘Tortuga’ half, erzählte, diese Bucht sei wie geschaffen dazu, sich in einer ihrer Verästelungen zu verstecken. Auch mit einer Galeone. Und von der Landseite her ist diese Bucht ebenfalls ziemlich unzugänglich.” Der Seewolf sah seine Gefährten an, und plötzlich begann er zu grinsen. ”Ed, man braucht wirklich kein Hellseher zu sein, um zu wissen, an was du jetzt denkst”, sagte er dann. Der Profos hob unbehaglich die Schultern. ”Na, dann wundert es mich um so mehr, daß du an diesem Wahsinnsplan festhalten willst”, antwortete er. ”Fünfzig Meilen unterhalb von Cadiz. Fast in der Höhle des
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Löwen. Da braucht uns nur irgend so ein Kerl zu entdecken und nach Cadiz zu rennen, dann sitzen wir in der Falle. Ein paar Dons vorn in der Bucht genügen, um uns zur Hölle zu schicken!” Carberrys Stimme wirkte in diesem Moment wie fernes Donnergrollen. Und es geschah nur ganz selten, daß er so mit dem Seewolf redete. Aber Hasard ließ ihn gewähren. Er hatte sich längst angewöhnt, wichtige Unternehmungen mit den Männern der Schiffsführung, zu der Carberry gehörte, durchzusprechen. “Was sollen wir deiner Meinung nach tun, Ed?” fragte er daher. Wieder hob der Profos unbehaglich die breiten Schultern. “Das ist es ja eben”, grollte er. “Wir könnten in den Atlantik hinaussegeln. Die Dons sind langsamer als unsere Isabella, wir würden ihnen schon entwischen. Andererseits aber müssen wir wissen, was sich hier in Cadiz zusammenbraut. Das können wir nur herauskriegen, wenn wir uns in Cadiz umhören, anders geht das nicht. Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß die Dons irgend etwas gegen unser Land, gegen England im Schilde führen. Und das sollten wir unbedingt herausfinden, ganz gleich, wie miserabel man uns damals nach unserer Rückkehr in den Hafen von Plymouth behandelt hat. Es ist unsere Pflicht, für unser Land etwas zu tun, wenn es nötig ist. Aber trotzdem, Hasard, diese Sache mit der Bucht...” Der Seewolf nickte. “Ich habe mir auch schon den Kopf darüber zerbrochen, was wir statt dessen tun könnten, aber die einzige Möglichkeit bleibt die, uns samt der Isabella zu verstecken und uns dann in Cadiz umzuhören. Denn auch wenn wir die spanische Flagge setzen und spanische Uniformen anziehen - daß wir ein spanisches Schiff sind, das nehmen uns die Dons nicht ab. In Cadiz haben wir es bestimmt nicht mit lauter Dummköpfen zu tun.“ Hasard sah die drei Männer abermals an. „Oder hat einer von euch eine bessere Idee?“ Nochmals, ich gebe Ed recht, die Sache ist verdammt gefährlich, aber es wäre ja
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schließlich nicht das erstemal, daß wir ein Wagnis eingehen. Also, was denkt ihr?“ Ben Brighton tauschte einen Blick mit Old Shane. Dann antwortete er für den hünenhaften Waffenmeister gleich mit. „Wir müssen es wagen. In einer Stunde ist es dunkel. Ich weiß, welche Bucht du meinst, und die finden wir auch im Dunkeln. Wir werden unbemerkt mit gelöschten Lichtern einlaufen, eventuell müssen wir am nächsten Morgen noch in das endgültige Versteck verholen, das wird sich zeigen. Ich bin für deinen Plan.“ „Ed?“ Er warf dem Profos einen fregenden Blick zu Carberry nickte, aber sein Narbengesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck. Er hatte ein verdammt ungutes Gefühl und ahnte nicht, wie sehr sich seine Bedenken als berechtigt erweisen sollten. „Klar, Hasard. Ich habe dir gesagt, was ich über die Sache denke, aber ich sehe auch keine andere Möglichkeit. Und wenn einer dieser Dons seinen neugierigen Dummkopf zu nahe an unsere Isabella ransteckt, dann kriegt er von mir persönlich eins über den Schädel. Ich glaube, ich sollte die Männer jetzt mal informieren, also!“ Carberry setzte sich in Marsch. An der Schmuckbalustrade blieb er stehen. Im nächsten Moment dröhnte seine gewaltige Stimme über Deck. „He, ihr Decksaffen, alles mal herhören!“ Die Männer unterbrachen ihre Arbeit und versammelten sich in der Kuhl. Erwartungsvoll sahen sie den Profos an. Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, packte seine gewaltige Axt fester, und Batuti, der riesige Gambianeger, ließ seine Muskeln spielen und rollte die Augen. Der alte O’Flynn humpelte ebenfalls so schnell herbei, wie sein Holzbein das zuließ, und Dan beugte sich zusammen mit dem Schimpansen Arwenack aus dem Mars. Dann begann Carberry den Männern zu erklären, um was es ging. Der Seewolf, Ben Brighton und Big Old Shane standen hinter ihm und beobachteten die Gesichter der Seewölfe.
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Die Männer in der Kuhl hörten Carberry schweigend zu. Ihre Gesichter waren ernst. Sie wußten, was ein solches Unternehmen in unmittelbarer Nähe des größten Kriegshafens der Spanier bedeutete. Als Carberry schließlich schwieg, trat Smokey, der Decksälteste der Isabella vor, zog seine Mütze und brachte drei Cheers auf Merry Old England aus - und damit traf er genau das, was die Seewölfe alle in diesem Augenblick empfanden. Donnernd fielen sie ein, und dann brandete plötzlich der Schlachtruf der Seewölfe über die Isabella. „Arwenack - Arwenack -Arwenack...“ Sir John, der Bordpapagei, der auf einer Rah vor sich hingedöst hatte, fiel vor Schreck fast an Deck. Kreischend und zeternd flatterte er davon. Eine halbe Stunde später, die Isabella lag bereits auf ihrem neuen Kurs, verkroch sich das letzte Tageslicht hinter dem Horizont. Der Wind hatte aufgebrist und sang in der Takelage. Auf den Wogen erschienen erste Gischtkämme und leckten gierig am Rumpf der Isabella hoch. In etwa drei Stunden würden sie vor der spanischen Küste stehen. Hin und wieder warf einer der Seewölfe Ben Brighton einen verstohlenen Blick zu. Die Männer fragten sich, ob Ben es wirklich schaffen würde, bei Nacht und trotz des beginnenden Sturmes die Bucht anzulaufen. Der Mond ging auf, und durch Wolkenlöcher warf er seinen bleichen Schein über die aufgewühlte See, auf der die Isabella sich hob und senkte. Noch bevor drei stunden verstrichen waren, meldete sich Dan aus dem Mars. Er hatte Bill, den Schiffsjungen und die beiden Söhne Hasards bei sich, die auch über beachtlich gute Augen verfügten und begannen, sich an Bord einzugewöhnen. „Achtung, Deck!“ rief Dan, und sofort gab Hasard ihm Antwort. „Bucht Steuerbord voraus zu erkennen. Wir halten ziemlich genau auf die Einfahrt zu, ich kann sie deutlich im Mondlicht erkennen. Weit und breit kein Schiff!“ Der Seewolf verlor keine Zeit. Er schlug Ben Brighton nur noch rasch auf die Schulter,
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eine Anerkennung, wie er sie nur selten zuteil werden ließ, dann enterte er auf. Er suchte die Einfahrt der Bucht sorgfältig mit seinem Spektiv ab. Aber Dan hatte recht, die Bucht lag frei und verlassen da. „Wir laufen sofort ein, Dan. Bleib oben, beobachte mit Bill und den beiden Jungs weiter. Ich möchte keine Überraschung erleben, denn die Bucht ist zerklüftet, wir müssen ziemlich tief hinein. Aber ich denke, unser altes Kriegsglück bleibt uns auch diesmal treu!“ Damit enterte der Seewolf wieder ab. „Ed, klar bei Segelmanöver, beide Wachen an die Brassen. Erst wenn ich es sage, runter mit den Lappen, vorläufig lassen wir noch volles Zeug stehen!“ Carberry nickte, dann scheuchte seine Donnerstimme die Männer auf die Manöverstationen. Al Conroy, der Geschützmeister der Isabella, stand mit einigen Männern auf dem Geschützdeck. Die Geschützpforten waren offen, die Lunten brannten. Ein Vorsichtsmaßnahme für den alleräußersten Fall, die auf der Isabella nie versäumt wurde, und durch die schon ein paarmal dem Untergang entronnen war. Eine knappe Viertelstunde später lief die Isabella mit gelöschten Lichtern in die Bucht ein, die am Anfang, an ihrer breitesten Stelle, gut eine halbe Meile maß, dann aber rasch enger wurde. Auf der Isabella wurde kein Wort gesprochen. Selbst Carberry schwieg, und das wollte etwas heißen. * Der Seewolf ließ einen Teil der Segel bergen. Die Isabella lief nur noch so viel Fahrt, daß sie dem Ruder gehorchte. Der Wind hatte weiter aufgebrist und heulte jetzt vom Atlantik her in die Bucht. Er blies aus West, was für die Isabella und ihre Seewölfe äußerst günstig war, denn so konnten sie mühelos weiter und weiter in die Bucht gleiten, die schon bald in dem leicht ansteigenden Gelände einen tiefen Einschnitt bildete.
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Ben Brighton hatte Pete Ballie, die Rudergänger der Isabella, abgelöst. Er spähte in die vom Mondlicht erhellte Nacht. Dann atmete er plötzlich auf. An Steuerbord der Isabella war ein Seitenarm der Bucht zu erkennen, der fast rechtwinklig nach Süden abbog. „Das ist er, Hasard“, sagte Ben. „An die Brassen, Männer, Ferris, den Anker klar zum Werfen!“ wies er den Schiffszimmermann an, der mit einer Gruppe von Seewölfen auf der Back am Spill stand. Die Isabella schwang herum, dann glitt sie in den Seitenarm. Er war tief, aber er wurde immer schmäler, je weiter sie vordrangen. Dann tauchte die Landzunge auf, nach der Ben Brighton schon die ganze Zeit Ausschau gehalten hatte. „Wenn wir hinter die Landzunge verhohlen, sind wir gegen Sicht gedeckt, selbst wenn Fischer auf dem Hauptarm vorbeisegeln sollten. Der Wald dort wächst auf einer Felsbarriere, die hoch genug ist, daß wir die Isabella hinter ihr verbergen können. Das Schiff kann bis fast ans Ufer, das Wasser hier ist tief. Um aber vor Überraschungen sicher zu sein, sollten wir trotzdem nicht direkt am Ufer vertäuen.“ Der Seewolf nickte und gab die notwendigen Anweisungen. „Ed, wir müssen die Isabella so verankern, daß ihr Bug in offene Meer zeigt. Vielleicht bleibt uns keine Zeit zum Wenden, wenn wirklich etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Ab sofort doppelte Wachen, außerdem herrscht weiterhin Stille auf dem Schiff. Auch Arwenack und Sir John verschwinden unter Deck, ich will keinerlei Risiko eingehen. Alle Mann tragen spanische Uniformen, außerdem wird die spanische Flagge aufgezogen, alles klar?“ Der Profos nickte, aber sein Gesicht hatte immer noch den gleichen verbissenen Ausdruck wie vor Stunden. „Und ich sage dir noch mal, Hasard, das ist eine ganz verdammte Mausefalle. Wir stecken bis zum Hals drin. Das ist meine Meinung.“
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Carberry verzog sich knurrend und erteilte der Mannschaft mit erstaunlich gedämpfter Stimme die notwendigen Befehle Der Seewolf blickte ihm nach. „Was ist eigentlich mit Ed los, Ben?“ wandte er sich an Brighton, der immer noch am Ruder stand. Ben Brighton hob die Schultern. „Ed mault seit Stunden. Ihm gefällt die Sache mit der Bucht immer noch nicht, und mich wundert das. Denn normalerweise wäre er für ein bevorstehendes Spähtruppunternehmen nach Cadiz Feuer und Flamme gewesen.“ Ben Brighton schwieg eine Weile, übergab Pete Ballie wieder das Ruder und ging zum Seewolf hinüber, der inzwischen am Steuerbordschanzkleid lehnte und die Manöver der Isabella verfolgte. „Bedenklich stimmt mich aber“, fuhr Brighton fort, „daß Ed manchmal nahendes Unheil im voraus spürt. Er wird dann immer so unleidlich. Es hat auch gar keinen Zweck, ihn zu befragen, er weiß nämlich selber nicht, was da in ihm rumort. Ich habe mal mit dem Kutscher darüber gesprochen, er sagt auch, daß es so was gibt. Seien wir also auf alles gefaßt!“ Hasard schüttelte den Kopf. „Jetzt fängst du auch schon an, wie der alte O’Flynn zu reden, Ben. Himmel noch mal, was ist mit euch los? Ich glaube, wir sollen möglichst rasch nach Plymouth verhohlen, damit ihr alle wieder einen richtigen Landgang kriegt. Das wird euch auf andere Gedanken bringen.“ Ben Brighton grinste. „Keine schlechte Idee. Wenn ich an den alten Plymson und seine ‘Bloody Mary’ denke, also dann..“ Er sagte nicht, was dann sein würde, aber der Seewolf wußte es auch so. Aber Ben war noch gar nicht fertig. Als vom Vorkastell die gedämpften Kommandos des Schiffszimmermanns herüberklangen und gleich darauf der Anker ins Wasser klatschte, fragte er den Seewolf: „Was meinst du, wer von uns nach Cadiz gehen soll, um zu spionieren?“ Der Seewolf blickte seinen Stellvertreter an. „Wir beide, du und ich. Genau wie damals, Ben, als wir unsere Männer von Sevilla aus
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suchten. Und ich denke, wir werden auch wieder unseren Spaß haben, genau wie damals. Außerdem sind wir beiden außer Bill die einzigen an Bord, die ein akzentfreies, perfektes Spanisch sprechen. Na, hast du Lust?“ Ben Brighton strahlte plötzlich. „Ob ich Lust habe, fragst ausgerechnet du? Also...“ „Schon gut, Ben, also abgemacht. Aber wir werden unser Äußeres verändern müssen. In dieser Ecke sind wir keine Unbekannten!“ Die beiden Männer ahnten nicht, daß genau in diesem Moment draußen auf dem Atlantik Dinge geschahen, die ihnen ein dicken Strich durch ihre Pläne ziehen sollten. Der stark aufbrisende Wind war zum handfesten Sturm geworden. Er heulte durch die Bucht und entrang manchem der Seewölfe einen saftigen Fluch, die eben in die Takelage aufenterten und damit begannen auch die restlichen Segel der Isabella zu bergen. 2. Man schrieb das Jahr 1587. Im spanischen Ausrüstungshafen Cadiz herrschte Hochbetrieb. Auf der Reede ankerten eine Vielzahl schwerbewaffneter Kriegsgaleonen. Darunter mächtige Brocken von über tausend Tonnen. Und immer noch liefen neue Schiffe die Reede von Cadiz an. Offiziere und Mannschaften der heransegelnden Schiffe wußten nicht, warum man sie nach Cadiz beordert hatte, und an Bord der Verbände kursierten die wildesten Gerüchte. Aber mit einem ganz entscheidenden Handicap hatte die spanische Flotte zu kämpfen: Viele Schiffe waren zu alt und den Anforderungen bei Sturm kaum noch gewachsen. Außerdem mangelte es der spanischen Flotte entschieden an guten Seeleuten und Kapitänen, die Erfahrung genug hatten, um auch mit schwierigen Situationen fertig zu werden. Hinzu kam noch der Umstand, daß gerade manche der kleinen Galeonen hoffnungslos überladen war und tief im Wasser lag, das laufende und stehende Gut der Takelage zu wünschen
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übrigließ und obendrein noch die Ladung in den Schiffen unsachgemäß verstaut und gegen plötzliches Übergehen nur unzureichend gesichert war. Solche Verhältnisse und Zustände herrschten auch einigen Schiffen des andalusischen Kampfverbandes, der am Vortag die Straße von Gibraltar passiert hatte und sich jetzt durch den plötzlich aufkommenden schweren Sturm mit Kurs Cadiz durch die vom Atlantik heranrollenden Brecher kämpfte. Admiral Don Nerja stand auf dem Achterdeck seines Schiffes, der fast achthundert Tonnen große Kriegsgaleone Almeria. Die Almeria war ein Zweidecker neuester Bauart. Die Reise nach Cadiz war zugleich auch ihre Jungfernfahrt. Sie führt als Bewaffnung fünfzig Zwanzigpfünder, etliche Mörser schwersten Kalibers und auf dem Vor- wie Achterkastell verteilt insgesamt zehn Drehbassen. Die Beseglung der Almeria verteilte sich auf vier Masten, der Mast auf dem Achterdeck hatte einen gewaltigen Lateinerbesan. Admiral Nerja ließ seine Blicke über das Hauptdeck, das durch Schiffslaternen erhellt wurde, gleiten. Die Achthundert-TonnenGaleone war viel zu schwach bemannt. Er wußte das, und deshalb beunruhigte ihn der Sturm. Denn nicht nur sein Schiff verfügte über eine zahlenmäßig viel zu schwache Besatzung, sondern auch etliche der anderen. Sein Verband zählte acht Schiffe, darunter auch drei völlig veraltete Zweihundertfünfzig-Tonner. Der Teufel mochte wissen, warum er so plötzlich nach Cadiz hatte aufbrechen müssen, aber der königliche Kurier hatte keinerlei Zweifel daran gelassen, daß der Befehl umgehend zu befolgen sei und keinerlei Fragen gestellt werden dürften. Auch nicht von ihm, Admiral Don Nerja. Die Almeria arbeitet trotz ihrer achthundert Tonnen schwer in der hochgehenden See. So groß sie war, so schwerfällig zeigte sie sich bei diesem Wetter. Da war ihr manches der kleineren Schiffe des Verbandes weit überlegen. Die Almeria segelte als letztes Schiff. Das war nicht die vorgeschriebene Ordnung,
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hatte sich jedoch bei Ausbruch des Sturmes so ergeben. Nur hin und wieder erschien auf den heranrollenden Wogen auch der Schatten von einem der anderen Schiffe des Verbandes und verschwand sogleich wieder in einem Wellental. „Madre de Dios!“ sagte der Admiral, als die Almeria schwer nach Steuerbord überholte. Er wurde gegen die an Steuerbord befindliche Nagelbank geworfen, rutschte auf dem nassen, glitschigen Deck aus und stürzte zu Boden. Fluchend und stöhnend rappelte er sich wieder auf. Seinem ersten Offizier, der sofort herbeigeeilt war, dankte er durch eine Handbewegung. „Danke, Senor Esteban, nicht nötig. Aber etwas anderes bereitet mir bei diesem Wetter Sorgen: Nehmen Sie sofort ein paar Leute und kontrollieren Sie die Ladung mittschiffs. Sie wissen, daß wir eine ganze Ladung Kanonen und Lafetten an Bord haben. Von den Eisenkugeln, der Unmenge von Pulverfässern, Musketen und anderen Waffen ganz abgesehen. Wenn diese Ladung verrutscht, Senor...“ Der Admiral sprach nicht aus, was dann geschehen würde. Sein erster Offizier wußte es auch so. Er wußte sogar noch mehr: Durch die Hektik des Aufbruchs war es unvermeidlich gewesen, daß einfache Seesoldaten einen Teil der Ladung in der Almeria gestaut hatten. Niemand hatte mit einem solchen Sturm gerechnet. Schließlich stellte die Reise von Gibraltar nach Cadiz normalerweise kein Problem dar, zumal die Schiffe meist auch noch günstigen Wind hatten. So hatte man im Verband des Admirals ziemlich sorglos auf das Glück vertraut. Genau das sollte der Almeria zum Verhängnis werden. Senor Esteban winkte einen der Bootsmänner herbei und erteilte ihm die entsprechenden Befehle. Dann salutierte er kurz. „Senor Admiral, ich werde mich um diese Sache persönlich kümmern. Ich erstatte Ihnen dann später ausführlich Meldung.“ Admiral Don Nerja nickte. Gleichzeitig beschloß er, einen Rundgang über das Schiff
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zu unternehmen, um sich zu vergewissern, daß jeder auf seinem Posten war. Er kontrollierte den Kurs, gab den Steuerleuten auf dem Achterdeck entsprechende Befehle und stieg aufs Hauptdeck hinunter. Er mußte damit rechnen, von überkommenden Seen durchnäßt zu werden, aber das war ihm im Augenblick höchst gleichgültig. Den Admiral plagten ganz andere Sorgen. * Ein paar Meilen vor dem AchtuhundertTonnen-Giganten des Admirals kämpfte eine Zweihundertfünfzig-Tonnen-Karacke erbittert mit dem Sturm. Das Schiff war uralt und knackte nicht nur in allen Verbänden, wenn es von einem der gewaltigen Brecher überrollt wurde, sondern es war auch hoffnungslos überladen. Ebenfalls mit Kanonen, Pulver und Proviant. Der Kommandant, ein noch junger und ziemlich unerfahrener Offizier, klammerte sich auf dem wild hin und her torkelnden Achterkastell fest. Er war vor Seekrankheit grün im Gesicht und hatte sich so oft übergeben, daß sein Magen nun nur noch mit äußerst schmerzhaften Krämpfen reagierte. Er sah gerade noch den Brecher, der von Backbord her auf das Schiff zurollte. Die Karacke lag ohnehin schon tief und schwerfällig in der See. Nur unwillig richtete sie sich wieder auf, wenn einer der Brecher sie nach Steuerbord überrollte und dabei in die aufgewühlte See drückte. Längst war ein Teil der völlig unerfahrenden Seesoldaten über Bord gewaschen worden, andere waren von den wenigen erfahrenen Seeleuten unter Deck gescheucht worden. Aber selbst etliche der Seeleute hatten sich inzwischen an Wanten oder Masten festgelascht, weil sie den Gewalten der Brecher nicht mehr standzuhalten vermochten. Der Brecher rollte heran, und der Kommandant der Karacke starrte ihm aus weit aufgerissenen Augen entgegen. Im Mondlicht glänzte der gigantische Wasserberg tückisch auf, ehe er die todwunde Karacke, die sowieso schon viel
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zu viel Wasser genommen hatte, unter sich begrub. Dem Kommandanten war, als ob um ihm herum das Inferno ausgebrochen sei. Er wurde von den Wassermassen vom Achterdeck auf Hauptdeck hinuntergespült und verfing sich irgendwie zwischen zwei Geschützen. Nur das bewahrte ihm davor, von dem Brecher in die See hinausgespült zu werden. Er merkt nicht, wie die See zwei der drei Masten erbarmungslos abknickte, sie die schweren Geschütze an Steuerbord aus den Brocktauen riß und über Bord spülte, nachdem die schweren Rohre das Schanzkleid und die Stückpforten zerschlagen hatten. Er hörte auch nicht, wie die schweren Lateinersegel an Deck klatschten und die herunterkrachenden Gaffelruten etliche Männer erschlugen. Und er merkte nichts mehr davon, daß die Karacke endgültig aus dem Ruder lief und in der tobenden See sofort querschlug, denn auf dem Achterkastell gab es keinen Mann mehr, der am Ruder stand. Und doch überlebte der Kommandant dieses Mal noch, aber nur, damit ihm der grauenhafte Anblick nicht erspart blieb, der sich seinen Augen bot, als er das Bewußtsein wiedererlangte, Wasser spuckte und sich auf die Füße quälte. Der gepeinigte Mann, den man zum Dienst auf See dereinst gepreßt hatte, glaubte, die Hölle habe ihre Sendboten persönlich geschickt, um ihn ins Fegefeuer zu zerren. Er sah den gigantischen Schatten, den Berg von einem Schiff, das auf die sinkende und von der wilden See völlig zerschlagene Karacke mit schäumender, gischtender Bugwelle zuhielt und sich rasend schnell zu nähern schien. Dann war die Luft, die ganze Welt erfüllt von berstenden Krachen, vom Splittern des Holzes und vom Schreien der wenigen Überlebenden, als sich die Achthundert-Tonnen-Rumpf der Almeria in die Karacke bohrte. Der Kommandant spürte den wahnsinnigen Schmerz, als sich der Rumpf seines Schiff wie eine Pappschachtel unter der Wucht des Anpralls zusammenschob und ihn zu Tode
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quetschte. Er schrie, aber auch sein letzter Schrei verhallte ungehört. Und so versank er in dieser Sturmnacht mit seinem Schiff und mit seinen Männern, während die schwere Kriegsgaleone alles zermalmend über die Karacke hinwegwalzte. * Admiral Don Nerja wurde bei dem Anprall auf Achterdeck geschleudert. So heftig, daß er sich diesmal nicht sogleich wieder erhob. Das Wrack der Karacke, über das sich die Almeria schob, ehe sie es unter Wasser drückte, schlug ein Loch in den mächtigen Bug und drückte einen Teil der Backbordseite ein. Gurgelnd schoß das Wasser in die Galeone, während sie weit nach Steuerbord überholte - so weit, daß die Ladung, die Senor Esteban und seine Männer wieder festzurren wollten endgültig überging. Donnernd lösten sich die schweren Geschützrohre, zermalmten Kisten und einen Teil der Männer und rutschten zusammen mit den Lafetten gegen die Steuerbordwand des Rumpfes. Aber die Almeria hatte Glück - der mächtige Rumpf hielt der Belastung stand. Trotzdem krängte das Schiff von diesem Moment an stark nach Steuerbord, und der heulende Sturm drückte es zusammen mit den Brechern noch tiefer in die See. Wenig später hasteten die Zimmerleute über Deck. Die Leckstelle war gemeldet worden, und der Kampf ums Überleben begann. Die Leckdichtungstrupps leisteten Übermenschliches in dieser Nacht, aber sie schafften es. Auch wenn die Almeria viel Wasser genommen hatte, auch wenn Senor Esteban und die Männer, die den Zusammenprall im Laderaum mittschiffs überlebt hatten, irgendwann vor Erschöpfung umkippten – die Almeria schwamm, sie überstand den Sturm. Admiral Don Nerja hatte schnell gehandelt, als er den ersten Überblick über die Katastrophe, von der sein eigenes und ein anderes Schiff seines Verbandes betroffen worden war, gewonnen hatte.
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Ihm war sofort klar geworden, daß die Almeria nur dann eine Überlebenschance hatte, wenn es ihm gelang, auf dem kürzesten Weg die Küste anzulaufen und das Schiff entweder auf Grund zu setzen oder einen geschützten Ankerplatz zu finden. Don Nerja war erfahren genug, um auch zu begreifen, daß es für sein angeschlagenes Schiff jetzt das beste war, vor dem Sturm herzulaufen. Deshalb trieb er die Männer an die Brassen und steuerte Kurs Ost. Cadiz konnte nicht mehr weit sein, aber es war ihm im Moment auch völlig gleichgültig, wo er auf die Küste stieß. Es gab eine ganze Reihe von Buchten, und selbst der drohende Legerwall, also vom Sturm an die Küste getrieben zu werden, erschien ihm immer noch besser, als hier draußen in den tobenden Elementen sein Ende zu finden. Außerdem verfügte die Almeria über sehr große und sehr starke Anker. Im übrigen erlaubten der eingedrückte Bug sowie das angeschlagene und nur notdürftig abgedichtete Vorschiff auch gar keine andere Maßnahme, als vor dem Sturm herzulaufen und den Brechern wenigstens an der kritischen Stelle keine Angriffsmöglichkeit mehr zu bieten. Daß seine Entscheidung - zwar nur mit sehr viel Glück – richtig gewesen war, das merkte Admiral Don Nerja, als der Sturm etwas abflaute und sich die Morgendämmerung über die Kimm schob. Seine Galeone steuerte geradewegs eine Bucht an, die Don Nerja kannte. Er wußte, daß sie etwa fünfzig Meilen südlich von Cadiz lag. Und besser hätte er es gar nicht treffen können, denn diese Bucht bot auch gleichzeitig Schutz vor dem Sturm. Don Nerja entschloß sich schnell. Zusammen mit Don Esteban, der mit blutverschmiertem Gesicht auf dem Achterdeck neben ihm stand, nachdem das weitere übergehen der von ihm und seinen Männern in todesmutigem Einsatz verhindert worden war, beriet er, wo sie am besten ankern sollten. Sein Schiff war zu groß, um einen der Seitenarme anzusteuern, außerdem auch viel zu schwerfällig, um in dem engen Gewässer manövrieren zu können.
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„Senor Admiral, ich würde raten, noch etwas weiter in die Bucht zu segeln, dort zu ankern, und zwar an einer Stelle, die für ein späteres Wenden noch breit genug ist, und alle Segel schon jetzt bergen. Wir laufen genug Fahrt, um den Ankerplatz zu erreichen. Unsere Segelmanöver dauern andernfalls mit den wenigen erfahrenen Seeleuten zu lange und würde unser Schiff erneut gefährden.“ Der Admiral nickte, und Senor Esteban gab die nötigen befehle. Eine gute halbe Stunde später hatte die Almeria ihren Ankerplatz erreicht. „Senor Esteban, lassen Sie den Anker ausbringen. Anschließend den Heckanker, damit das Schiff auch bei diesem Wetter sicher gehalten wird. Lassen Sie die Almeria aber so legen, daß unsere Geschütze sowohl die Einfahrt als auch den inneren Teil der Bucht unter Kontrolle haben. Ich glaube nicht an Feinde, aber dieses verdammte Piratengesindel könnte in dieser Bucht vor dem Sturm Zuflucht gesucht haben. Wir werden die Bucht später absuchen. Eine alte Vorsichtsmaßnahme von mir, die Sie sich merken sollten, sobald Sie selber einmal Kommandant eines Schiffes sind!“ Senor Esteban salutierte. Minuten später rauschte die schwere Ankertrosse auf, und der Anker klatschte ins Wasser der Bucht. Abermals Minuten später folgte auch der Heckanker. Dann lag die AchthundertTonnen Galeone still in der Bucht, eine drohende Silhouette, die die Bucht beherrschte. Das Unerwartete geschah eine halbe Stunde später. Auf dem oberen Geschützdeck löste sich durch die Unvorsichtigkeit eines Seesoldaten donnernd der Schuß aus einem der Zwanzigpfünder. Der Sturm, der genau aus der richtigen Richtung wehte, trug den Explosionsdonner zur Isabella hinüber, die nach wie vor versteckt im gar nicht weit vom Ankerplatz der Almeria entfernten Seitenarm der Bucht an ihrer Ankertrosse zerrte. 3.
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Ed Carberry, der sich gerade auf einem Inspektionsgang über die Decks der Isabella befand, war kein schreckhafter Mensch. Im Gegenteil. Aber als er das dumpfe Grollen des Zwanzigpfünders vernahm zuckte er doch zusammen. Völlig entgeistert blieb er stehen, und zwar haargenau neben Ferris Tucker, dem rothaarigen und hünenfaften Schiffszimmermann der Isabella. „Ferris, hast du das gehört?“ fragte er leise. Und weil er so leise sprach, trat Ferris Tucker sofort einen ganzen Schritt zurück und starrte ihn mißtrauisch an. „He, Ed, was ist mit dir, bist du krank?“ fragte er besorgt. Aber der Profos war nicht zum Scherzen aufgelegt. Mit einem Satz war er bei Tucker und packte ihn am offenen Hemd. „Ich habe dich gefragt, du verdammte Bilgenkakerlake, ob du das gehört hast. Los, Ferris, ich will jetzt auf der Stelle von dir hören, was da gerumst hat. Ich weiß, daß du verdammt gute Ohren hast!“ Der Schiffszimmermann, dem die Bedeutung dieser Frage erst in diesem Moment so ritig klar wurde, nahm Carberrys Hand von seinem Hemd. „Eh, Ed, du meinst , das war ein Schiffsgeschütz? Ich will verdammt sein und lasse mich glatt kielholen, wenn das nicht mindestens ein Zwanzigpfünder war!“ Ein paar Männer hatten sich neugierig um die beiden versammelt, sie befanden sich in einem Kreis von Seewölfen. „Ferris hat recht, das war ein schweres Kaliber. Der Schuß ist da vorn in der Bucht gefallen“, sagte Al Conroy, der Stückmeister der Isabella. Smoky, der Decksälteste, nickte ihm zu. Batuti, der sich ebenfalls an die beiden Männer herangeschoben hatte, rollte die Augen. „Sein Dons, Profos recht gehabt, Bucht nix gut für Isabella. Haben Falle zugeklappt, rums! Müssen kämpfen! Batuti werden Dons auf Köpfe klopfen, so!“ Er hob seinen fürchterlichen Morgenstern und schwang ihn wie ein Spielzeug um den Kopf. Aber Ed Carberry sah gar nicht hin. Er hatte sich von Tucker gelöst und blickte dem
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Seewolf entgegen, der eben über die Schmuckbalustrade aufs Hauptdeck flankte. Langsam ging der Seewolf auf seinen Profos zu. „Ed, du hast recht gehabt! Das war ein Schiffsgeschütz, ziemliches Kaliber sogar. Verdammt, wie konntest du das wissen?“ Seine eisblauen Augen schienen den Profos zu durchbohren. Aber Carberry schien wie ausgewechselt, jetzt als die Gafahr da war und in der Bucht auf sie lauerte. „Gar nichts habe ich gewußt“, erwiderte er. „Aber ich hatte von Anfang an ein ungutes Gefühl. Außerdem kann ich immer noch zwei und zwei zusammenzählen. Bei einem solchen Sturm kann leicht ein Schiff gezwungen sein, einen Nothafen anzulaufen. Und die Dons werden doch wohl ihre eigene Küste kennen, was, wie?“ Er sah den Seewölfe an, die sich inzwischen vollständig versammelt hatten. „Damit das klar ist, ihr verdammten Decksaffen: Es war völlig in Ordnung, daß wir in diese Bucht hier eingelaufen sind. Wir müssen wissen, was in Cadiz los ist und die Dons im Schilde führen. Wer auch nur mit einem Wort daran zweifelt, dem ziehe ich die Haut von seinem verdammten Affenarsch in Streifen ab, und ich meine das diesmal erst. So, damit wäre das schon einmal klar. Und jetzt zu dem, was geschehen muß.“ Er sah den immer nach reichlich verblüfften Seewolf an. „Der Kerl hat nur ein einziges Mal gefeuert. Wenn das ein Signalschuß war, dann liegen hier entweder noch mehr Dons, und wir sind in der Dunkelheit an ihnen vorbeigesegelt, aber das kann ich mir nicht denken. Oder aber es segeln von See noch mehrere heran. Und eins ist für uns so beschissen wie das andere. Eine bessere Erklärung für den Schuß habe ich im Moment nicht. Wir sollten uns schleunigst vergewissern, wer da vorn in der Bucht liegt und warum. Was meinst du, und du, Ben? Der Seewolf hatte seine Überraschung überwunden. „In Ordnung, Ed. Los, ein Boot zu Wasser. Umwickelt die Riemen, und keiner brüllt jetzt rum. Verursacht so wenig Geräusche wie irgend möglich. Wir rudern
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bis zum Ende des Seitenarms, von da aus schwimmen Dan und ich, wenn wir dann noch keine Klarheit haben sollten...“ „Halt, Hasard, einen Augenblick!“ unterbrach ihn Big Old Shane. „Es ist gleich hell. Die Sonne wird jeden Moment aufgehen. Wir sollten kein Boot nehmen, sondern es auf dem Landweg versuchen. Die Gefahr, daß wir uns dabei verraten, ist geringer. Wir müssen damit rechnen, daß die Dons, oder wer sonst immer in der Bucht liegen mag, aufpassen.“ Der Seewolf tauschte einen raschen Blick mit Ben Brighton. Dann sah er Bog Old Shane an. „Du hast recht, Shane. Ich muß heute einen verdammt schlechten Tag haben. Versuchen wir es auf dem Landweg, von irgendwo werden wir die Bucht überblicken können. Dann sehen wir weiter. Ed, Ferris, Dan, Shane – begleitet mich. Du, Ben übernimmst das Kommando. Und du Old O’Flynn, kümmerst dich um die beiden Jungs. Sorge dafür, daß sie inzwischen nichts anstellen. Wenn nötig, nimm dir noch einen Mann dazu.“ Bill, der Schiffsjunge, drängte nach vorn. „Sir, ich – ich ...“ Hasard sah ihn nur groß an. In den Jungsaugen von Bill lag ein großes Bitten, daß er nicht widerstehen konnte. Ob er wollte oder nicht, er mußte lachen. „Also gut, Bill, in drei Teufels Namen. Aber keine Eigenmächtigkeiten, verstanden?“ Bill strahlte. Dann rannte er los, um sich noch seine Segeltuchjacke zu holen. Ed Carberry verzog sein Narbengesicht zu einem breiten Grinsen. Er war wieder ganz der alte. „Aus dem verflixten Bengel wird noch mal was“, sagte er. „Überlasse ihn ruhig mir, ich werde auf das Bürschchen schon achtgeben. Also vorwärts!“ Ein Boot wurde abgefiert, denn die Isabella hatte keine Verbindung zum Land, sie ankerte im freien Wasser des Seitenarms. Smoky, Batuti – den Hasard wegen seiner auffälligen schwarzen Hautfarbe nicht mitgenommen hatte -, Stenmark und Luke Morgan ruderten sie an Land. „Wartet hier auf uns, aber verhaltet euch ruhig. Bei Gefahr kehrt ihr sofort zum Schiff
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zurück. Wenn ihr einen Musketenschuß hört, dann ist das ein Alarmzeichen, klar?“ * Unter der Führung von Hasard schlichen die sechs Seewölfe über die Landzunge durch den dichten Baumbestand. Sie waren froh, daß ihnen die Bäume eine so gute Deckung gegen Sicht vermittelten. „Der Schuß muß vorn in der Einfahrt der Bucht gefallen sein“, sagte Carberry, und es gelang ihm tatsächlich, zu flüstern. Der Seewolf nickte. Das Gelände führte ziemlich steil bergan. Die Seewölfe hatten sich mit Entermessern, Musketen und Pistolen bewaffnet. Bill schleppte die Pulverhörner, aber er hielt Schritt mit den Männern. Nach einer halben Stunde lichtete sich der Wald, und plötzlich lag die Bucht vor ihnen. Der Seewolf blieb so abrupt stehen, daß Carberry gegen ihn prallte und ihn fast über den Haufen rannte. Und als Carberry den ersten Blick in die Bucht geworfen hatte, erging es ihm nicht besser. Sie legten sich auf den Boden und robbten zu einer Stelle, von wo aus sie die Buch übersehen konnten. „O verdammt! Bei allen Stürmen und Mastbrüchen – das ist ein ganz schöner Brocken, der da liegt!“ Carberry sagte das für seine Verhältnisse sehr leise und fast andächtig. „An dem segelt auch die Isabella nicht vorbei, wenn er das nicht will. Den schätze ich auf fünfzig bis sechzig Kanonen. Von der Anzahl der Seesoldaten, die dieser Eimer an Bord hat, gar nicht zu reden. Himmel, Arsch und Schotbruch – wo haben die Dons denn nur alle diese Riesenkästen her? Und was geht hier eigentlich vor? Also, an ein Saufgelage im Hafen von Cadiz zu Ehren Ihrer Allerkatholischten Majestät glaube ich nicht!“ Der Profos starrte die Achthundert-Tonnen Galeone noch eine Weile an, während Hasard längst sein Sektiv am Auge hatte und das Schiff sorgfältig nach Hinweisen absuchte, die auf den Grund seines Aufenthaltes in dieser Bucht schließen ließen.
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„Dan, nimm! Sag mir dann, was du siehst!“ forderte er den jungen O’Flynn schließlich auf. Dan nahm das Spektiv. Schon nach wenigen Augenblicken setzte er es wieder ab. „Ich habe es vorher schon gesehen, war meiner Sache aber nicht ganz sicher. Der Don hatte eine Kollision. Der ganze Bug ist eingedrückt, ein Teil der Bordwand schwer beschädigt. Er hat Glück gehabt, daß er den Sturm noch abwettern und sich in die Bucht retten konnte. Mann, mit dem Brocken möchte ich allerdings nicht zusammenknallen, auch wenn er nicht ganz so groß ist die Admirals-Galeone. Die war noch eine Klasse deftiger.“ Der Seewolf nickte. Die gleichen Beobachten hatte er auch angestellt. Dan reichte das Spektiv an Bill, der schon ganz zappelig neben ihm lag, dann kriegten es nacheinander die anderen auch. „Aber warum hat dieser Himmelhund einen Schuß abgefeuert?“ fragte der Seewolf. Das mußte irgend etwas zu bedeuten haben. Daß so etwas versehentlich geschehen konnte, daruf kam keiner der Seewölfe, weil sich keiner von ihnen so eine verdammte Schlamperei vorstellen konnte. Zu sehen war die Isabella von der Bucht aus nicht, das stand fest. Die Sonne war aufgegangen und übergoß die Bucht mit ihrem rötlichen Schein. „Ferris“, wandte sich der Seewolf an den Schiffszimmermann, der direkt neben ihm lag. Traust du dir zu, diesen Brocken da mit einer Sprengladung, die wir wahrscheinlich an seiner bereits beschädigten Bordwand anbringen müssen, zu den Fischen zu schicken?“ Der Schiffszimmermann starrte aus engen Augen zu dem spanischen Schiff hinüber. „Sicher. Aber das will vorbereitet sein. Außerdem können wir das nur bei Nacht erledigen. Das Wasser ist um diese Jahreszeit in diesen Breiten zu kalt. Wir frieren und den Hintern ab und versaufen wie die Ratten. Wir müssen das Boot nehmen und nur das letzte Stück schwimmen.“ Der Seewolf wußte, das Tucker recht hatte. Und er wußte, daß sie tatsächlich bis zum
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Anbruch der Nacht warten mußten, wenn nicht länger. Dieser Gedanke behagte ihm absolut nicht. Hasard überlegte fieberhaft. Aber welchen Plan er auch entwickelte – alles war zu gefährlich. Ein Schiff dieser Größe war – außer man traf sofort die Pulverkammer – mit der ersten Salve nicht zu versenken. Dann aber würden die Dons ebenfalls feuern, das bedeutete eine volle Breitseite aus mindestens zwanzig schweren Geschützen oder sogar mehrere. Nein, kam nicht Frage, von dem Lärm, den ein solches Gefecht verursachen würde, ganz abgesehen. Außerdem war es unwahrscheinlich, daß die Isabella bei einem solchen Kampf nicht selber schwere Beschädigungen und Verluste einstecken mußte. Geschah aber das, dann würden die Dons sie stellen und vernichten. „Wir kehren zum Schiff zurück. Zwei Mann von uns bleiben hier und behalten das Schiff im Auge. Sie werden später abgelöst. Jede verdächtige Aktivität wird mir sofort gemeldet. Dan, Bill – ihr seid die ersten. Wenn was passiert, läufst du wie der Blitz zur Isabella, klar, Bill?“ Das Bürschchen nickte, und sein junges Gesicht glühte vor Eifer. Und er sollte Gelegenheit kriegen, seine Schnelligkeit und Gerissenheit unter Beweis zu stellen. Viel eher, als das den Seewölfen lieb war. * Es war tatsächlich etwas passiert, ohne daß die Seewölfe etwas davon ahnten. Capitan Huelva war bei dem Schuß, der sich an Bord der Almeria versehentlich gelöst hatte, genauso zusammengefahren wie Ed Carberry an Bord der Isabella. Capitan Huelva lag mit seiner Kriegsgaleere Sevilla seit jener Sturmnacht ebenfalls in der Bucht. Er hatte dort vor dem Sturm nicht nur Zuflucht suchen müssen, sondern er wollte am nächsten Morgen ohnehin in jenen Seitenarm der Bucht verholen, der ganz an ihrem Ende lag und an dessen Ufer sich ein Lager für Galeerensträflinge befand. Grund: Seine eigenen Ruderer waren total ausgemergelte und erschöpfte Gestalten.
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Capitan Huelva hatte den Befehl erhalten, die Sevilla für eine längere Unternehmung vorzubereiten – mit dieser Mannschaft von Ruderern war daran nicht mehr zu denken. Der Schuß hatte sein Ablegen verzögert. Die Sevilla gehörte zu einem Galeerentyp, der zwar kampfkräftig, aber nicht übermäßig stark bemannt war. Huelva wußte genau, daß er gegen eine Kriegs-Galeone, gleich ob von irgendwelchen Piraten oder sonstigen Freibeutern, nicht geringste Chance. Und das zwang ihn zur Vorsicht. Sein Schiff lag in guter Deckung, es konnte – genau wie die Isabella, von deren Anwesenheit Huelva nichts ahnte – von der Bucht aus nicht gesehen werden. Nachdem das Dröhnen des Zwanzigpfünders der Almeria verklungen war, hatte Huelva – auch wieder genau wie die Isabella – sofort einen Spähtrupp ausgesandt, der feststellen sollte, wer sich in der Bucht befand und warum dort eins der schweren Schiffsgeschütze abgefeuert worden war. Unter Führung von seinem ersten Offizier, Leutnant Lucena, war sofort ein Trupp von Seesoldaten aufgebrochen. Voller Ungeduld harrte der Capitan der Rückkehr seiner Männer. Endlich hörte er das Geräusch im Takt eintauchender Riemen. Das ausgesetzte Beiboot kehrte zurück. Capitan Huelva beugte sich über das Schanzkleid des Achterdecks und sah das rasch herangleitende Boot. Der Leutnant salutierte. Minuten später, während die Männer noch damit beschäftigt waren, das Boot zu vertäuen, erstattete er seinem Kommandanten Bericht. „Ein spanischer Zweidecker liegt in der Bucht, Senor Capitan“, sagte er. „Aber er liegt so, daß er mit seinen Kanonen beide Teile der Bucht bestreichen kann. Ich konnte nicht erkennen, aus welchem Grund er hier ankert, denn daß er vor dem Sturm in dieser Bucht Zuflucht gesucht hat, erscheint mir unwahrscheinlich, dazu ist das Schiff zu groß. Ein Viermaster übrigens.“ Der Capitan hatte seine Oberlippe zwischen die Zähne gezogen, und der Leutnant
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erkannte daran, daß er angestrengt nachdachte. „Sind Sie absolut sicher, daß der Zweidecker ein Spanier ist, Leutnant?“ fragte er schließlich. Ja, absolut, Senor Capitan. Die spanische Flagge war deutlich am Mast zu erkennen. Außerdem wüßte ich nicht, welche andere Nation ein solches Schiff haben sollte.“ Der Capitan schwieg und kämpfte mit sich. Aber dann gab er sich einen Ruck. „Gut, lassen Sie ablegen, wir werden nachsehen.“ Der Leutnant gab die notwendigen Kommandos. Laute Kommandos, die sich mit den Flüchen der Rudersklaven vermischten, erfüllte das Schiff. Das Lateinersegel wurde hochgezogen, der Schlagmann gab für die Ruderer den Takt an. Dumpf dröhnte seine Trommel durch die Galeere. Sie Sevilla gewann an Fahrt. Sie brauchte knapp zehn Minuten, dann schob sie sich um die Landzunge herum, und Capitan Huelva sah den großen Zweidecker, der tatsächlich so in der Bucht ankerte, daß weder ein Schiff hinein- noch eins hinaussegeln konnte, ohne in die Reichweite seiner schweren Geschütze zu geraten. „Ein verdammt gerissener Bursche, dieser Kommandant“, kommentierte der Capitan seine Beobachtungen. Dabei zogen sich seine starken, tiefschwarzen Augenbrauen zusammen. Er warf einen Blick auf das Vorschiff hinüber, wo Seeleute eben den schweren Mörser gefechtsklar machten. Wie im Selbstgespräch schüttelte er den Kopf. Wenn dieser Zweidecker dort ein Feind war, dann hatten sie keine Chance. Sie konnten einem so großen Gegner höchstens ihren eisenbeschlagen Rammsporn in die Seite bohren, aber dabei würden sie dann selbst draufgehen. Unruhig warf er einen Blick zur spanischen Flagge hoch, die an dem einzigen Mast über dem Lateinersegel flatterte, und dann einen Blick auf die, die am Hauptmast des Zweideckers knatterte.
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Langsam drehte die Galeere auf die Almeria zu – und da bemerkte der Capitan, daß man auf dem Zweidecker ebenfalls nicht schlief. Denn einige der großen Stückpforten öffneten sich. Capitan Huelva kannte sich aus. Dort standen jetzt die Kanoniere mit der brennenden Lunte neben Kanonen, bereit, die tödlichen Ladungen sofort aus den Rohren zu jagen. Capitan Huelva biß die Zähne zusammen. Er würde den Kurs halten. Irgend etwas stimmte mit diesem Zweidecker dort nicht, denn sonst würde er nicht in dieser Bucht liegen, sondern sich auf den Weg nach Cadiz befinden. Erst als die Galeere nahe genug heran war, sah der Capitan, daß die große KriegsGaleone offenbar eine schwere Kollision überstanden und in der Sturmnacht in dieser Bucht Zuflucht gesucht hatte, um nicht zu sinken. Als er noch schärfer hinsah, bemerkte er auch, daß die Almeria Schlagseite nach Steuerbord hatte. „Leutnant, die haben eine schwere Kollision gehabt. Vielleicht können wir helfen oder wenigstens Hilfe aus Cadiz herbeiholen. Dieser Zweidecker darf unter keinen Umständen verlorengehen.“ Der Leutnant nickte. „Es ist Zeit, das Schiff anzurufen, Capitan“, sagte er. „Anrufen!“ bestätigte der Capitan kurz. Gleich darauf setzte sich wahrer Hühne von Gestalt zum Vorschiff in Bewegung. * Admiral Don Nerja starrte der Galeere entgegen. Auch er wußte nicht, ob sie Freund oder Feind darstellte. Die spanische Flagge allein besagte gar nichts, denn die zogen auch Piraten auf. Dann vernahm er, wie die Almeria angerufen wurde. „Welches Schiff? Im Namen des Königs, antworten Sie!“ Admiral Don Nerja atmente auf. Denn nahezu im selben Moment erkannte er auch
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den Namen, der in goldenen Lettern am Bug der Galeere prangte. „Es ist die Sevilla“, sagte er zu Capitan Esteban, der neben ihm auf dem Achterdeck stand. „Ich kenne das Schiff, sie war früher in Almeria stationiert. Lassen Sie antworten, Senor Esteban.“ Der Capitan wies sofrt den Ausrufer der Almeria an. Und dieser Mann hatte tatsächlich ein Organ, das mit dem Ed Carberrys fast zu vergleichen war. Gespannt wartete der Admiral die Reaktion der Galeere ab. Dann sah er, daß das Lateinersegel geborgen wurde und die Ruderer ihren Takt verlangsamten. In Rufnähe drehte die Sevilla bei, und Don Nerja unterrichtete den Kommandanten der Sevilla kurz über seine Lage. „Ich würde Sie an Bord bitten, Capitan“, ließ er hinüberrrufen. „Aber zunächst muß ich Sie bitten, die Bucht mit Ihrem Schiff abzusuchen, ob etwa irgendwo noch ungebetene Gäste liegen. Ich kann mir keinerlei Nachlässigkeit in dieser Hinsicht leisten, denn mein Schiff ist schwer havariert. Ich brauche Hilfe aus Cadiz, eine Überfahrt wage ich in diesem Zustand nicht.“ „Es befindet sich nieman außer uns in der Bucht, Senor Admiral“, ließ Capitan Huelva antworten. „Ich bitte, an Bord kommen zu dürfen, ich...“ Don Nerja lief rot an. Was er auf den Tod nicht ausstehen konnte, war, wenn man seine Befehle diskutierte. Was bildete sich dieser Capitan eigentlich ein.? „Senor Esteban, lassen Sie dem Kommandanten der Galeere mitteilen, daß ich ihm hiermit befahle, die Bucht und alle Seitenarme zu inspizieren. Anschließend wünsche ich einen genauen Bericht, und dann wird die Sevilla schleunigst Cadiz anlaufen und Hilfe für uns herbeiholen. Material, Schiffszimmerleute, damit ich diesmal genau verstanden werde!“ Don Nerja wandte sich abrupt ab. Capitan Huelva kochte, als er den Befehl vernahm. Aber er wußte, daß er gegen den einflußreichen Don Nerja nichts ausrichten konnte, sondern sich allergrößste
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Schwierigkeiten einhandelte, wenn er die Befehle des Admirals nicht sofort befolgte. „Sie haben es gehört, Leutnant. Lassen Sie das Segel aufziehen, wir inspizieren zunächst den rückwärtigen Teil der Bucht. Beginnen wir mit dem weiter hinten gelegenen Seitenarm an Steuerbord.“ Noch voller Zorn verließ er das Achterdeck, ohne einen weiteren Blick auf die Almeria zu werfen. In seiner Kammer holte er eine Flasche besten Rum aus den Schrank und goß sich ein. Manchmal kotzte ihn dieses Kommando an. Wenn er allein an den Gestank dachte, der je nach Windverhältnissen aus dem Ruderdeck zu ihm heraufdrang, dann verspürte er bereits Übelkeit. Aber das würde er gründlich ändern. Die nächste Rudermannschaft würde er sich im Lager persönlich aussuchen. Und diese Leute sollte der Teufel holen, wenn sie nicht unter der Aufsicht von Seesoldaten Reinschiff machten, wann immer sich dazu Gelegenheit bot. Capitan Huelva schüttete sich noch einen Rum ein. Überhaupt – sinnierte er weiter -, wie sollte er die Bande von Ruderern eigentlich bei Laune und Leistung halten, wenn er ihnen nicht einmal genügend zu essen und zu trinken geben konnte? Einfach weil die spanische Krone es nicht für nötig hielt, den Proviant der Galeeren entsprechend zu bemessen. Nein, es war zum Kotzen, alles. Jawohl! Und damit trank er den dritten Becher Rum. Er wußte genau: wenn er nicht bald aufhörte, müßte der Leutnant diesen Dreckskahn allein weiter befehligen. Es wäre nicht das erstemal. Vor Anbruch der Dunkelheit würden sie ohnehin nicht wieder bei dem Zweidecker sein, dafür würde er persönlich sorgen. Denn die Ruderer würde er vorher schon austauschen, da konnte sich der Admiral von ihm aus auf den Kopf stellen. Und damit goß er sich den vierten Becher ein. 4. Dan O’Flynn und Bill hatten den Zwischenfall voll atemloser Spannung
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verfolgt. Dan noch mit viel gemischteren Gefühlen als Bill, denn er hatte bereits mit den meisten anderen Seewölfen als Rudersklave auf einer Galeere gesessen und die Peitsche des Aufsehers zu spüren gekriegt. Was aber ganz verteufelt auf ihn wirkte, war, daß die diese Galeere der Tortuga, auf der er und seine Kameraden in Ketten gesessen hatten, verdammt ähnlich sah. In Dan stieg in diesem Moment die ganze schlimme Erinnerung an jene Zeit in spanischer Gefangenschaft wieder hoch. Zugleich wußte er natürlich, welch eine ungeheure Gefahr dieses Schiff mit dem großen Rammsporn am Bug für die Isabella bedeutete. Aber was, zum Teufel, konnten sie tun? Wenn die Dons merkten, daß sie in der Bucht lagen, dann hatten sie unweigerlich die Galeere und den Zweidecker auf dem Hals. „Mann, Bill, bete, daß diese verdammte Galeere in Richtung Atlantik verschwindet“, flüsterte er Bill zu, der mit roten Ohren neben ihm lag und gerade durch das Spektiv des Seewolfs beobachtete, was sich bei dem Viermaster abspielte. „Wenn die das nicht tut, sich wir im Eimer. Wir kriegen die Isabella nicht einmal schnell genug flott, um...“ Dan unterbrach sich. Und auch Bill hatte sich vor Aufregung weiter unter den Büschen hervorgeschoben. Denn die Galeere wendete in diesem Moment, und mit den sich im Takt bewegenden Riemen sah sie wie ein riesiger Tausendfüßler aus, der über das Wasser kroch. Aber sie wurde schneller. Und schon nach einigen Minuten wurde Dan und Bill klar, daß sie Kurs auf jenen Seitenarm nehmen würde, in dem die Isabella ankerte. Dan preßte vor Schreck die Lippen zusammen. Zu allem Unglück näherte sie sich auch noch dem Ufer, an dem sie sich befanden. Aus den Rudersklaven schien man das letzte herauszuholen. Dan kannte sich da aus. „Verdammt, Bill, das geht ins Auge. Die Kerle müssen irgendwie Wind davon gekriegt haben, daß wir dort in dem Seitenarm liegen und wir...“
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Bill unterbrach ihn. „Wir müssen die Dons aufhalten, Dan. Ich habe einen Plan, höre mir zu !“ Dan O’Flynn hatte sich auf die Ellenbogen aufgerichtet und starrte den Schiffsjungen an. „Aufhalten? Die da?“ fragte er nur und wies auf die schnell heranrudernde Galeere, auf der jetzt auch noch das große Lateinersegel hochgezogen wurde. „Wie willst du das denn wohl schaffen, he? Streck doch einfach den Arm auf und sage ihnen, daß sie stoppen sollen. Oder nimm dein Hemd und wink ihnen zu, damit sie...“ „Ja, verdammt, Dan, das ist es. Genau das werde ich tun!“ Dan packte den Jungen. „Bist du total übergeschnappt, Bill! Was soll der Unsinn? He, laß dein Hemd gefälligst an, Mensch, bist du verrückt geworden?“ Er schrie diese Worte fast, während Bill bereits aufsprang und wie wild sein Hemd durch die Luft schwenkte . Dabei rief er Dan etwas zu, und Dan verstummte, denn er konnte den Jungen nicht mehr packen, ohne sich auch noch zu zeigen. „Hör auf, das ist doch glatter Wahnsinn“, erwiderte Dan leise, aber er hatte doch begriffen, welche riesige Chance in dem tollkühnen Plan steckte, den Bill soeben entwickelt hatte. „Dan, wenn du schnell genug bei der Isabella bist, klappt alles“, sagte er nur, „und Himmel, du solltest dich beeilen. Eine andere Möglichkeit bleibt uns nicht mehr!“ Er sprang ins Wasser und schwamm wie ein Wilder auf die Galeere zu. Dan stieß einen ellenlangen Fluch aus. Wenn die Kiste schiefging, konnte er sich aber auf was gefaßt machen. Wenn Bill was passierte oder die Dons schlauer waren, als Bill dachte, und ihn in die Mangel nahmen... Dan warf noch einen Blick auf den davonkraulenden Bill, dann hetzte er los. Egal, was passierte, Zeit gewann die Isabella auf jeden Fall, und schon das allein war lebenswichtig. Aber dieser Bill! Dan lief, was seine Beine hergaben. Er riskierte die waghalsigsten Sprüne, schlidderte Abhänge hinunter, überschlug
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sich ein paarmal war aber sofrt wieder auf den Füßen. Total ausgepumpt langte er bei der Isabella an. Er verzichtete darauf, erst das Boot zu rufen, sondern warf sich ins Wasser und schwamm wie noch nie zuvor in seinem Leben. Ferris Tucker, der ihm an Bord half, sank er fast in die Arme. Dann brach die wahnsinnigste und tollste Geschichte stoßweise aus ihm heraus, die die Seewölfe je von ihm gehört hatten. Sogar der alte O’Flynn, sein Vater, verstummte, und das wollte was heißen. Schließlich starrte ihn der Seewolf an, und Carberry kratzte sich, ohne es zu bemerken, am Schädel. „Los, Männer, dieser Bill ist ein Teufelskerl. Ich sage euch, der Bursche schafft das, der haut uns raus. Junge, Junge, das Kerlchen hat sich ganz schön gemausert!“ Un Hasard dachte daran, daß gerade Bill es war, der die Isabella schon einmal vor ihrem sicheren Ende bewahrt hatte. Ed, Ferris, Shane zu mir. Du, Dan erklärst den anderen, um was es geht, aber schnell. Ben übernimmt das Kommando über die Isabella. Viel Zeit haben wir nicht mehr, und Bill soll sein Leben nicht umsonst riskieren. Soe, wie er uns hilft, werden wir ihm auch helfen! Beeilt euch!“ Die Männer, die Hasard zu sich gerufen hatte, bildete im Nu einen Halbkreis um ihn, und dann erklärte er ihnen, was er vorhatte. „Jeder von euch übernimmt eine kleine Gruppe. Runter mit den spanischen Uniformen, weg mit der spanischen Flagge. Zwei Doppelwachen bleiben an Deck, gut zu sehen für die Dons. Los jetzt!“ Auf der Isabella begann eine rasende Geschäftigkeit. Sir John, der Papagei, wurde unter wüstem Gezeter unter Deck verstaut. Arwenack flog in die Takelage und ließ sich nicht greifen. Die beiden Söhne des Seewolfs wurden in Hasards Kammer untergebracht, Old O’Flynn mußte sie bewachen, damit sie nicht im unrechten Moment etwas anstellten, was den ganzen Plan platzen ließ. Aber sie hatten sich ohnehin schon gut eingewöhnt auf der Isabella, und sie hatten viel mehr begriffen, als sie durch die paar
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Englischbrocken, die sie mittlerweile konnten, mitzuteilen wußten. Denn sie hatten beide den scharfen Verstand ihres Vaters und auch seine überaus rasche Auffassungsgabe. Noch bevor zehn Minuten verstrichen waren, herrschte auf der Isabella wieder Ruhe. Es war, als läge der Segler dort vor Anker und als seien die herumlungernden Wachen, die überhaupt nicht mehr aussahen wie Seewölfe, die einzigen lebenden Wesen an Bord. * Längst hatte man Bill vom Achterdeck der Galeere aus bemerkt. Mißtrauisch starrte Leutnant Lucena zu dem Schwimmer hinüber, der durch unmißverständliche Zeichen zu verstehen gab, daß er an Bord wolle. Denn noch immer winkte Bill mit seinem hellen Hemd zur Galeere hinüber, die direkt auf ihn zulief. Der Leutnant war kein Dummkopf. Dieser Bursche da wollte etwas von ihnen, und möglicherweise war es sogar wichtig. Wissen konnte man das in dieser Gegend nie. „Auf Riemen!“ gab er an seinen Bootsmann den Befehl, und der gab ihn ans Ruderdeck weiter. Sofort verlor die Sevilla an Fahrt. Ein paar der Seeleute eilten zum Schanzkleid, denn natürlich war ihnen der Schwimmer auch nicht entgangen. Als die Galeere bei dem Jungen anlangte, warfen sie ihm ein Tau zu. Sofort packte Bill zu, gleich darauf wurde er an Bord der Sevilla gehievt. Eine Wasserlache breitete sich unter Bill aus, aber keiner nahm Notiz davon. Sie brachten Bill sofort aufs Achterdeck. Der Leutnant musterte ihn, und sein Gesichtsausdruck wurde immer finsterer, je mehr er erkannte, daß er es nicht mit einem Mann, sondern mit einem jungen Kerl zu tun hatte. Als er den Capitan mit hochrotem Gesicht zum Achterdeck aufentern sah, zog er Bill mit einem Ruck zu sich heran. Er kannte den Capitan, wenn der erst einmal angetrunken war. Nüchtern konnte man hingegen mit ihm ganz gut auskommen.
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„So, Junge, ich hoffe für dich, daß du eine gute Erklärung dafür weißt, warum du die Fahrt einer Galeere Seiner Majestät des Königs von Spanien unterbrochen hast. Und du kannst sie gleich dem Capitan, dem Kommandanten dieses Schiffes, der gerade das Achterdeck betritt, erzählen. Also? Wir warten!“ Der Leutnant klärte Capitan Huelva mit ein paar Sätzen auf, und auch die Züge des Capitans verfinsterten sich. „Leutnant, lassen Sie weiterrudern!“ befahl er und trat dann unwillkürlich einen Schritt zurück, den Bill war ihm nicht nur ins Wort gefallen, sondern hatte sogar seinen einen Arm gepackt. „Nein, Senor Capitan, bitte nicht! Lassen Sie die Galeere anlegen, bitte, Sie dürfen den Seitenarm dort nicht überqueren!“ „Jetzt reichts mir!“ brüllte der Capitan und schüttelte Bill ab wie ein lästiges Insekt. „Ich soll den Seitenarm nicht überqueren? Ich soll meine Galeere am Ufer anlegen lassen? Ich will dir etwas sagen, du Bastard: Ich werde in den Seitenarm rudern, und ich denke gar nicht daran, anzulegen!“ Er drehte sich um, seine Augen glitten über das Achterdeck, und dann hatten sie gefunden, was sie suchten. „Profos!“ brüllte der Capitan wie von Sinnen, und seine Züge verzerrten sich. „Ziehen Sie diesem Verrückten auf der Stelle ein paar mit der Peitsche über, damit er wieder normal wird!“ Der Profos, ein Hüne von Gestalt, war mit einigen Sätzen heran. Er schwang die Peitsche hoch und schlug zu, noch ehe irgend jemand das verhindern konnte. Bill krümmte sich unter der Wucht des Schlages und vor Schmerz zusammen, aber er biß die Zähne zusammen und gab keinen Laut von sich. Als der Profos der Sevilla zum zweiten Schlag ausholte, griff der Leutnant ein. Ihm tat der Junge, der nur mühsam die Tränen zurückdrängte, leid. „Halt! Capitan, ich schlage vor, daß wir anhören, was uns dieser Junge zu sagen hat. Er ist bestimmt nicht umsonst an Bord
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geschwommen, ich habe eher den Eindruck, daß er vor jemandem geflogen ist.“ Es war, als erwache der Capitan aus dem Zustand der Raserei. Leutnant Lucena kannte das schon bei ihm. Der Capitan gab dem Profos, der immer noch abwartend dastand, mit der Hand ein Zeichen, einzuhalten. „Also heraus mit der Sprache. Was willst du?“ fuhr er Bill an, der dem Leutnant ein dankbaren Blick zuwarf und sich im stillen vornahm, sich später für diesen Mann bei dem Seewolf zu verwenden. „Senor Capitan“, begann Bill, während die Galeere mehr und mehr an Fahrt verlor, weil inzwischen auf Befehl des Leutnants auch noch das Segel herabgelassen wurde, „dort hinten in dem Seitenarm, in den Sie wollen, lag eine Fischersiedlung, alles ehrbare spanische Fischer.“ Er sah, wie der Capitan aufmerksam wurde. „Ja, und weiter?“ Bill seufzte, und er spielte seine Rolle gekonnt. „Gestern abend erschien dieser verdammte Pirat. In der Abenddämmerung. Er ankert noch in dem Seitenarm. Die Kerle überfielen die Siedlung. Viele wurden getötet, meine Mutter und meine Schwester – oh, Senor Capitan...“ Bill verbarg das Gesicht in seinen Händen. Der Capitan wurde noch aufmerksamer. Er trat auf Bill zu und packte ihn am Arm. „Sie liegen dort im Seitenarm vor Anker?“ fragte er und seine Augen begannen zu funkeln. Blitzschnell überdachte der seine Lage. Zusammen mit den Seesoldaten des Zweideckers mußte es gelingen, diesen Piraten zu überwältigen. „Weiter, Junge!“ drängte er deshalb. „Was passiert dann? Wo sind die Piraten, wo ist diese verfluchte Brut? Und wieso bist du nicht gefangen?“ Bill nahm die Hände vom Gesicht. Trotz aller Anstrengung war es ihm nicht geglückt, die Tränen rollen zu lassen. Um so mehr beeilte er sich, den beiden Offizieren keine Zeit zu lassen, darüber erst nachzudenken oder ihn prüfend zu mustern.
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Wer noch lebt, liegt gefesselt auf ihrem Schiff, einer starken modernen und gut bewaffneten Galeone. Die Piraten selbst befinden sich im Inneren des Landes, weil sie neuen Proviant brauchen und morden und plündern wollen. Ich war noch mit einem Boot bei den Netzen draußen“, log Bill ungeniert weiter. „Ich hörte das Schießen im Dorf, und bei der Rückfahrt entdeckte ich das fremde Schiff, da wußte ich Bescheid. Ich bin natürlich nicht mehr zur Siedlung zurückgerudert, sondern habe mich von Land angeschlichen und alles beobachtet. Senor Capitan, das sind keine Menschen, das sind wilde Tiere!“ Wieder barg Bill sein Gesicht zwischen den Händen, aber der Leutnant zog ihm die Hände weg. „Und woher willst du so sicher wissen, daß die Piraten nicht an Bord ihres Schiffes sind?“ fragte und sah Bill starr an. In diesem Moment wußte Bill, daß dieser Mann sich nicht so leicht täuschen lassen würde wie der Capitan, der angetrunken zu sein schien. „Ich habe sie weggehen sehen“, erwiderte er trotzig. „Erst als sich auf dem großen Schiff dort draußen der Schuß löste, bin ich zur bucht gelaufen, in der Angst, daß noch ein zweites Schiff eingelaufen sein, wieder ein Pirat. Aber ich erkannte sofort, daß das ein Spanier war. Im Namen des Königs, ich bitte Sie um Hilfe! Befreien Sie meine Leute, vernichten Sie diese verfluchten Piraten. Außerdem wäre die Galeone bestimmt eine gute Beute für Sie!“ Bill verstummte. Der Capitan und der Leutnant sahen sich an. „Die Piraten werden Schuß der Almeria auch gehört haben, Senor Capitan, und zu ihrem Schiff zurückgekehrt sein“, wandte der Leutnant ein. Bill fuhr sofort dazwischen. „Nein, die Wachen werden den Schuß gehört haben, die Piraten sind fort. Sie wollten die umliegenden Dörfer nach Proviant absuchen und nach Beute, nach Mädchen auch!" fügte er hinzu und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich habe selber gehört, daß sie erst gegen Mittag zurück, sein würden. Ihr Anführer wischte die Bedenken seines Unterführers,
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daß sie entdeckt werden könnten, wenn sie sich allzuweit vom Schiff entfernten, einfach mit der Bemerkung weg: Die blöden Dons haben jetzt keine Zeit für uns. Weißt du denn nicht, daß sich alle ihre Schiffe auf der Reede von Cadiz versammeln und ein Konvoi nach dem anderen dahinsegelt? Der Teufel mag wissen, was diese Schneckenfresser vorhaben! Das haben die Piraten gesagt, Senor Capitan, ich habe das nur wiederholt. Wenn Sie sich mit Ihren Seesoldaten auf dem Landweg an das Piratenschiff heranschleichen, kann ich Sie führen. In einer Stunde gehört die Galeone ihnen!"' Bills Gesicht glühte vor Begeisterung, und dabei brauchte er sich nicht einmal zu verstellen, aber die Spanier legten das natürlich anders aus. „Hört sich gut an, Leutnant", sagte der Capitan. „Gut, wir brechen sofort auf, lassen Sie die ,Sevilla‘ am Ufer vertäuen. Sie und sechs Mann bleiben an Bord zurück, für alle Fälle. Die anderen folgen mir. Lassen Sie sofort Handfeuerwaffen ausgeben!" Der Leutnant warf dem Capitan und auch Bill einen unbehaglichen Blick zu. Aber er schwieg. Er wußte, daß jeder Widerspruch jetzt völlig nutzlos war. Capitan Huelva brauchte nach etlichen Versagern, die er sich geleistet hatte, dringend Erfolge. Und hier winkte einer. Er warf Bill abermals einen prüfenden 'Blick zu, der dem Jungen durch Mark und Bein ging, aber er ließ sich nichts anmerken. Dann begann Leutnant Lucena die Befehle des Capitans auszuführen. Wäre es nach ihm gegangen, er wäre zur „Almeria" zurückgekehrt und hätte dem Admiral vorgeschlagen, den Zweidecker bis zum Seitenarm zu schleppen und ein starkes Kommando von Seesoldaten an Land zu bringen. Leutnant Lucena wurde aus seinen Gedanken gerissen. „Verdammt, Leutnant, beeilen Sie sich gefälligst, meine Befehle auszuführen!" hörte er den Capitan brüllen. Dann passierte noch etwas, was Lucena stutzig werden ließ. Bill trat auf ihn zu. „Der Capitan wünscht,
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daß wir hinter jener Landzunge dort am Ufer vertäuen. Dort kann die ,Sevilla' nicht mehr von der ,Almeria' aus gesehen werden." Leutnant Lucena schob Bill kurzerhand zur Seite und ging zu seinem Kommandanten hinüber.' Er wiederholte, was Bill ihm gesagt hatte, und der Capitan blaffte ihn an: „Natürlich habe ich das befohlen. Oder glauben Sie etwa, ich mache unter den Augen Admiral Don Nerjas hier am Ufer fest? Der weiß doch gar nicht, was sich inzwischen ereignet hat und würde uns unser Vorhaben : vielleicht durch unbedachtes Eingreifen seinerseits vereiteln. Verdammt, Leutnant, Sie wissen doch so gut wie ich, wie dieser Don Nerja ist! Wenn wir aber Erfolg haben und die Galeone aufbringen und besetzen, dann sieht für uns die Sache ganz anders aus, auch in Cadiz!" Capitan Huelva drehte sich abrupt um und ließ seinen ersten Offizier kurzerhand stehen. Eine knappe Viertelstunde später vertäute die Sevilla außer Sichtweite der „Almeria" am Ufer hinter der Landzunge. Der Capitan und seine Seesoldaten verließen mit etlichen Seeleuten die Galeere, neben dem Capitan Bill, der den ganzen Trupp anführte. Der Leutnant blickte den schwerbewaffneten Männern nach, dann hob er resignierend- die Schultern. Was bedeutete bei der Spanischen Krone schon so ein junger Leutnant wie er, der zudem sein erstes Kommando als erster Offizier auf einer Galeere des Königs hatte? Außerdem konnte dieser Junge ja auch durchaus die Wahrheit gesagt haben. 5. Die Seewölfe lagen auf der Lauer. Hasard und Big Old Shane hatten in der Nähe der „lsabella" einen Hinterhalt gelegt, eine Falle, in die die Soldaten der Sevilla unweigerlich stolpern mußten, falls sie heranmarschierten, um die Isabella zu besetzen. Ed Carberry, Smoky und Batuti befanden sich auf dem Weg zur Bucht, um dort zu sehen, ob die Galeere nun am Ufer lag oder nicht, oder ob sie gar wieder zum spanischen
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Zweidecker draußen in der Bucht gerudert war, um noch Verstärkung zu holen. Die Zeit verstrich nur langsam. Aber dann hörten die Seewölfe plötzlich gedämpfte Stimmen. Und gleich darauf auch die Stimme Bills, aber gar nicht gedämpft, sondern recht laut. „Da vorn, Senor Capitan, da vorn liegt sie! Ich kann sie schon durch die Bäume erkennen, drauf auf die Hunde!" Bill rannte los. „Halt, du verdammter Bastard, halt, oder ich lasse feuern!" brüllte der Capitan, dem in diesem Moment aufging daß der gerissene Bursche ihn vielleicht doch in eine Falle gelockt hatte und sich jetzt aus dem Staub machen wollte. Er lief hinter Bill her, der eben hinter einem Gebüsch verschwand. Capitan Huelva keuchte. Der viele Alkohol war seiner Kondition nicht gerade zuträglich gewesen. Er drang in das Gebüsch ein, riß gleichzeitig seine Pistole heraus und spannte die beiden Hähne. Das war aber auch schon das letzte, was er tat, denn in diesem Moment traf ihn der sausende Hieb eines Belegnagels. Capitan Huelva stolperte noch ein paar Schritte weiter, dann brach er zusammen. Gleichzeitig brachen die Seewölfe von zwei Seiten aus den Büschen und hinter den Stämmen der Bäume hervor. Nahezu lautlos stürzten sie sich auf die total überrumpelten Soldaten. Es dauerte nur Minuten, bis diejenigen, die noch auf ihren Beinen standen, ihre Waffen fallenließen und die Hände hoben. Hasard beugte sich zu Capitan Huelva nieder. Der Offizier hatte eine Kopfverletzung davongetragen und befand sich noch in tiefer Bewußtlosigkeit. „Kutscher, sieh nach ihm. Den brauchen wir ganz sicher noch. Der kann uns bestimmt eine ganze Menge über Cadiz verraten." Der Kutscher hockte sich neben dem Capitan nieder und begann ihn zu untersuchen und zu verbinden. Unterdessen wandte sich der Seewolf an einen der spanischen Soldaten. Seine eisblauen Augen blitzten, während er gleichzeitig den soeben wieder
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auftauchenden Bill angrinste und ihm auf die Schulter schlug. „So, Senor, jetzt zu Ihnen", sagte Hasard in tadellosem Spanisch. „Sie werden mir jetzt ein paar Fragen beantworten, wenn Ihnen an Ihrem Leben etwas liegt. Und. damit wir uns auch sofort richtig verstehen, sage ich Ihnen, wer ich bin. Man nennt mich den Seewolf." Hasard legte eine Pause ein, um die Wirkung seiner Worte zu beobachten. In diesem Moment kam der Capitan wieder zu sich, er hatte die letzten Worte des Seewolf s gehört. Trotz seiner Schmerzen richtete er sich ruckartig auf. „Madre de Dios, der Seewolf!" stieß hervor, und auf seinen Zügen zeichnete sich tiefste Erbitterung gemischt mit Furcht ab. Hasard wandte sich ihm zu und blickte ihn kalt an. „Sie haben richtig gehört, Capitan. Also werden Sie jetzt meine Fragen Beantworten. Wo liegt Ihre Galeere?“ Bill schob sich heran, und das versetzte den Capitan in rasende Wut. Viel schneller, als man es ihm in seinem Zustand zugetraut hätte, sprang er auf, riß seinen Degen heraus und drang sofort auf Bill ein. „Du dreckiger Bastard, du Hundesohn!" brüllte er und stieß den Degen gegen Bill vor. „Du hast uns in diese Falle gelockt, ich werde dich...." Der Seewolf wollte eingreifen aber dann stoppte er mitten in der Bewegung und kriegte plötzlich ganz große Augen. Bill hatte den Degen unterlaufen. So blitzschnell, daß das mit bloßen Auge kaum zu verfolgen gewesen war. Der Capitan brüllte auf, krümmte sich zusammen, und in diesem Moment rammte ihm Bill den Kopf unters Kinn. Capitan Huelva .verdrehte die Augen und schlug rückwärts zu Boden. Bill blieb vor ihm stehen. Dann sah er die Seewölfe an, dunkle, lodernde Wut in den Augen. Mit einer einzigen Bewegung riß er sich seine Segeltuchjacke vom Leib und drehte den Seewölfen seine rechte Körperseite zu. Ein blutroter, aufgeplatzter Striemen zog sich über seine Rippen.
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„Dieser Dreckskerl hat mich schlagen lassen!" sagte er. .„Die Rechnung hätte ich sowieso noch beglichen. Ich bin ein Seewolf, und niemand schlägt einen Seewolf ungestraft mit der Peitsche!" Seine Geführten standen wie erstarrt. Aber dann trat Ferris Tucker plötzlich vor, packte Bill und hob ihn kurzerhand auf seine Schultern. „Jawohl, du bist ein richtiger Seewolf, Junge! Und was für einer! Los, Freunde, kommt her und laßt Bill hochleben! Und heute abend macht der alte Ferris ein Faß auf, und dann wirst du zum Seewolf getauft!" Die Seewölfe liefen herbei. Nur Hasard hielt sich zurück, weil er die Spanier nicht aus den Augen lassen wollte, die die Seewölfe aus großen Augen entgeistert und mit immer noch hocherhobenen Händen anstarrten. • Sie Seewölfe umringten Bill, und dann brandete plötzlich ihr alter Schlachtruf auf:„Ar-we-nack!" Er dröhnte über die Lichtung vor der Isabella, er fuhr wie ein Ungewitter, durch die Bäume, und sogar Ed Carberry, Smoky und Batuti hörten das Geschrei. Der riesige Gambianeger grinste übers ganze Gesicht. „Dons in Falle gelaufen, auf Schädel geklopft. Los, wir jetzt holen verdammte Galeere, sechs, sieben Dons, ? Batuti machen ganz alleine!" Smoky grinste ebenfalls, während er dem Profos einen Blick zuwarf. „Batuti hat recht, schnell, ehe die Kerle überhaupt begreifen, was los ist, sind wir schon über ihnen!" Carberry rieb sich die Pranken. „Und ob!" sagte er, und es klang wie Donnergrollen. „Und dann werden wir diesen Kerlen die Haut in..." Aber er brachte seinen Lieblingsspruch nicht mehr zu Ende, denn die beiden anderen stürmten bereits los, und er mußte ihnen wohl oder übel folgen. * Der Seewolf hatte auch keine Zeit verloren, nachdem die Spanier entwaffnet und
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gefesselt waren. Bill, führe mich jetzt mit ein paar Seewölfen zur Galeere. Wie ich unseren Profos kenne, wird er versuchen, das Schiff im Alleingang zu nehmen, wenn er merkt, daß nur noch sechs Seesoldaten an Bord sind. Und dann habe ich einen Plan, aber davon später." Bill hatte nur genickt. Hasard hatte rasch ein paar Mann bestimmt, die ihn begleiten sollten. Big Old Shane, Dan O‘Flynn, Pete Ballie, Ferris Tucker und Matt Davis. Es durfte jetzt keine Panne geben, oder sie gerieten trotz allem noch ganz hübsch in die Klemme. Dann nämlich, wenn es der „Sevilla'' gelang, den Zweidecker draußen in der Bucht zu alarmieren. Die Seewölfe hetzten los und ließen die Spanier unter Bewachung zurück. Wie recht der Seewolf hatte, hörten sie schon nach ein paar Minuten. Von der Blicht her drang ein wüstes Gebrüll zu ihnen herüber. „Was, ihr verdammten Schneckenfresser!“ hörte sie die gewaltige Stimme Ed Carberrys herüberdröhnen. „Ihr wollt euch auch noch mausigmachen? Na .gut, das könnt ihr , haben. Jetzt sollt ihr den alten Carberry mal kennenlernen! Batuti, Smoky - hierher! Wir nehmen die Kerle auseinander, daß von diesem alten Kahn hier keine Planke mehr auf der anderen bleibt. Vorwärts, klopft ihnen die Jacken aus und haut ihnen Beulen in die Helme. Ho, schade, daß jetzt der Wikinger nicht dabei ist, der verstand sich wenigstens noch auf den Umgang mit verbeulten Helmen!" Carberry lachte dröhnend, denn er dachte in diesem Moment an den Tag, an dem der Wikinger Thorfin Njal an Bord seines Viermasters auf den Planken gesessen und seinen eigenen kuriosen Kupferhelm wieder ausgebeult hatte, weil man ihm während des Kampfes sein kostbarstes Stück total demoliert hatte. Die Spanier begriffen gar nichts mehr. Sie sahen nur noch den riesigen Carberry, der jetzt aufs Achterdeck losstürmte, das breite Entermesser in der Faust. Neben ihm Batuti, seinen entsetzlichen Morgenstern in der, Rechten, den er wie ein Spielzeug durch die
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Luft schwang, und kurz hinter den beiden Smoky, der einen krummen Türkensäbel um den Kopf wirbelte und mit voller Lautstärke „Arwenack" brüllte. Die sechs Seesoldaten wichen zurück, denn die drei Seewölfe sahen zum Fürchten aus. Besonders dieser riesige Schwarze, der in langen Sprüngen heranjagte. Ein Sergeant riß seine Muskete hoch. „Verdammt!" schrie er auf spanisch. „Das sind nur drei! Schießt endlich, oder wollt ihr euch von diesem Gesindel die Schädel einschlagen lassen?" „Gesindel?" Ed Carberry glaubte, nicht richtig gehört zu haben, denn auch er verstand eine ganze Menge spanischer Ausdrücke. „Ich werde dir jetzt ganz persönlich das Maul stopfen, mein Freund da! " Der Belegnagel, den er im Gürtel stecken gehabt hatte, wirbelte auf den Sergeanten zu. Carberry traf so genau, daß dem Spanier die Muskete aus der Hand geprellt wurde und im aufklatschenden Wasser verschwand. Der Sergeant brüllte auf. Sein Gesicht verzerrte sich vor Wut, zumal seine Gefährten ihre Musketen immer noch nicht hochgerissen hatten. Auch aus dem Deck, in dem die Ruderer angekettet auf ihren .Bänken saßen, drangen Gebrüll und Flüche nach oben. Carberry hatte den Spanier erreicht, der inzwischen seinen Degen gezogen hatte. „Na gut, Freundchen, wie du willst. Dein alter Butt-Stecher schert mich einen Dreck. Paß auf, wie man mit so einem lächerlichen Piekser umgeht!" Carberry hatte den Degen mit seinem Entermesser zur Seite geschlagen, packte mit der. Linken das Handgelenk des Spaniers. Dann riß er den Mann herum und duckte sich ab, während er gleichzeitig mit dem ganzen Körper eine kreisende Bewegung ausführte. Der Spanier brüllte abermals auf, flog in hohem Bogen über Deck und krachte auf das Geländer des Laufganges, auf dem sich sonst die Aufseher befanden. Unter der Wucht des Anpralls dröhnte das Geländer. Der Spanier stürzte ins Ruderdeck hinunter. Batuti war ebenfalls heran. Schon hatte er
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den Morgenstern zum tödlichen Schlag erhoben, da wurde er von der scharfen Stimme des Seewolfs gestoppt. „Halt! Männer ergebt euch, es hat keinen Sinn mehr. Hände hoch!" Die Spanier, ohnehin geschockt, ließen die Waffen fallen. Sie hoben die Hände, und der Seewolf stürmte mit seinen Gefährten an Deck. Seine eisblauen Augen blitzten, als er Ed Carberry und die beiden anderen ansah. „Gute Arbeit, Ed. Dein Glück, daß die Kerle nicht mehr dazu gekommen sind, ihre Musketen abzufeuern, das hätte man auf dem Viermaster da draußen gehört. Dann wär's für uns vielleicht doch noch brenzlig geworden!" Carberry grinste. „Ihr wart zu früh. Es ging gerade so schön richtig los. Gesindel hat dieser Kerl da unten uns genannt. Im übrigen liegt da noch einer, ein Leutnant glaube ich. Der wollte unbedingt mit seiner Pistole herumspielen, als wir höflich fragten, ob wir an Bord dürften. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn über das Geländer zu werfen. Seitdem ist der Bursche verschwunden. Ich muß direkt mal nach ihm sehen!“ Ed Carberry lachte dröhnend, und die anderen fielen ein. Aber der Seewolf brachte sie mit einer energischen Handbewegung wieder zur Ruhe. „Ed, seht jetzt nach dem Leutnant und dem Sergeanten. Ihr anderen", er blickte seine Männer an, „entwaffnet und bindet die fünf auf dem Achterdeck. Ich werde jetzt mit den Ruderern reden, denn wir werden sie brauchen. Anschließend erkläre ich euch, was ich mit der Galeere vorhabe." Ferris Tucker warf Hasard einen schiefen Blick zu, während Ed Carberry Bill nun ebenfalls anerkennend auf die Schulter klopfte und mit sich zog ins Ruderdeck.. Der rothaarige Schiffszimmermann der seine riesige Axt ganz locker in den Pranken hielt, trat an den Seewolf heran. „Ich kenne dich. Du hast etwas ganz Bestimmtes vor, und ich ahne auch schon, was es ist. Mann, das wird vielleicht wieder so ein Ding, an das die Dons noch lange denken werden, und die Sevilla wird bei ihnen bestimmt eins der
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berühmtesten Schiffe der Flotte werden. Eine verdammt traurige Berühmtheit, wenn mich nicht alles täuscht" Der rothaarige Hüne lachte. Auch der Seewolf mußte grinsen, wenn er daran dachte, was anschließend wieder bei den Dons für ein Aufstand herrschen würde. „Du kennst mich verdammt gut, Ferris", sagte er. „Und neuerdings scheinst du sogar Gedanken lesen zu können. Aber darin hast du recht: Die Dons werden sich an diese Galeere noch lange erinnern. Nur wird das eine hundsmiserable und erbärmliche Erinnerung sein. Das fängt gleich heute abend hier in dieser Bucht an. Los jetzt, wir wollen uns mal anschauen, wer da unten auf den Ruderbänken sitzt, davon wird eine ganze Menge abhängen.“ * Sie prallten zurück, als sie das Ruderdeck betraten. Der Gestank der ihnen entgegenströmte, war kaum zu ertragen. Weiter vorn hörte Hasard den Profos lauthals fluchen, der eben mit Bill versuchte, den bewußtlosen Leutnant Wieder zum Leben zu erwecken. Hasard und Ferris Tucker sahen sich um. Im Halbdunkel des Ruderdecks registrierten sie die vielen Augenpaare, die sie anstarrten, fragend, voller Hoffnung, voller Zweifel und voller Furcht. Denn wer sagte diesen Männern, daß die neuen Herren nicht noch viel schlimmer waren als die alten? Einer der Männer, ein großer Kerl, in dem auch noch viel Kraft zu stecken schien, klirrte mit den Ketten. Dann erhob er sich, soweit die Ketten das zuließen. „Wer seid ihr? Und was geschieht jetzt mit uns?" fragte er auf Spanisch. „Schlimmer als es bisher war, kann es kaum noch werden. Deshalb ist es besser, wenn ihr uns gleich sagt, was ihr von uns wollt!" In der Stimme des großen hageren Mannes schwang abgrundtiefe Verbitterung mit, und auch die anderen klirrten mit ihren Ketten. Hasard trat auf den Mann zu. „Ich weiß nicht, was euch auf diese Galeere brachte, aber die meisten meiner Männer
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haben sich in genau der gleichen Lage befunden wie ihr. Sie haben monatelang euer Leben geführt, angekettet an die Ruderbänke der Galeere ‚Tortuga‘. Ein Raunen ging durch die Ruderer, und wieder klirrten die Ketten. Mehr und mehr der Seewölfe, die Hasard begleitet hatten, scharten sich um den Seewolf. Auch in ihnen stieg die Erinnerung an jene Monate wieder hoch, die die bisher schlimmsten in ihrem Leben gewesen waren. „Wer sind Sie? Sie sprechen Spanisch, ich kann keinen fremden Akzent heraushören." „Man nennt mich den Seewolf. Ich bin Engländer, der größte Teil meiner Männer auch.“ Hasard wurde durch das: heftige Kettenklirren unterbrochenen „Der Seewolf!" riefen einige der Ruderer und Versuchten, von Ihren Bänken aufzuspringen. „Männer, das bedeutet Rettung!" brüllte einer von ihnen. „Ich habe von diesem Seewolf gehört, er ist Spaniens Feind Nummer eins. Männer, der Seewolf läßt uns nicht auf dieser Drecksgaleere verrecken!“ Lautes Gebrüll erhob sich, aber Hasard verschaffte sich schnell wieder Ruhe. „Hört zu, Männer " übertönte er die Galeerensträflinge. „Es ist mir gleichgültig, aus welchen Gründen ihr auf dieser Galeere seid. Meine Männer und ich wissen aus eigener Erfahrung, wie leicht man in eine solche Situation geraten kann. Ich verspreche euch die Freiheit, mehr noch, ihr werdet von mir dieses Schiff erhalten, und ihr könnt mit dieser Galeere nach Afrika hinüberrudern oder irgendwohin, das ist eure Sache. Ihr werdet auch von meinem Koch anständig verpflegt, damit ihr wieder zu Kräften gelangt. Geschlagen wird von uns auch keiner mehr. Aber ihr müßt euch eure Freiheit verdienen, ihr müßt mir und meinen Männern helfen, den Spaniern eine Schlappe zuzufügen. Um es klar auszudrücken: Ihr werdet mich heute abend bei Einbruch der Nacht zu dem Viermaster in der Bucht hinüberrudern. Was dort geschehen soll, das teile ich euch später mit. Wenn ihr meinen Anweisungen genau folgt, wird bei diesem
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Unternehmen keinem von euch ein Haar gekrümmt werden, Anschließend werdet ihr diese Galeere auf die Außenreede von Cadiz rudern, weil ich erkunden will, was dort vor sich geht .Wenn das vorbei ist, seid ihr frei, meine ;lsabella' wird euch noch eine Weile das Geleit geben, bis ihr in Sicherheit seid. Wenn ihr einverstanden seid, laßt es mich wissen, sobald wir bei der, lsabella‘ angelangt sind. Sie liegt im nächsten Seitenarm dieser Bucht vor Anker." Hasard sah den Mann an, der der Sprecher der anderen zu sein schien. „Wenn du von mir gehört hast, dann weißt du auch, daß der Seewolf sein Wort noch nie gebrochen 'hat.“ Hasard war zum Du übergegangen, weiter wußte, daß er auf diese Weise bei den Männern im Ruderdeck viel schneller Vertrauen gewinnen würde, und darauf kam es jetzt , an. Denn sie mußten noch ein wenig herumrudern, um die in der Bucht ankernden Spanier nicht, erst mißtrauisch werden zu lassen. Die Ruderer diskutierten eine Weile miteinander, aber dann hatte sich ihr Anführer Gehör verschafft und seine Meinung durchgesetzt. „Gut, Seewolf, wir sind einverstanden. Wir akzeptieren den Preis, den wir für unsere Freiheit bezahlen müssen. Einige von uns sind Spanier, andere sind Portugiesen. Warum der einzelne von uns hier ist, spielt keine Rolle, aber wir sind keine Mörder und Banditen, sondern Männer, die die spanische Krone unter fadenscheinigen Vorwänden zu diesem Sklavendasein gepreßt hat. Deshalb werden wir auch gegen unser eigenes Land kämpfen, denn wir alle haben uns längst von Spanien losgesagt. Wenn du uns Vertrauen beweisen willst, dann laß uns die Fesseln abnehmen und uns diesen verfluchten Schweinestall von Ruderdeck reinigen, hinten im Seitenarm. Wenn ihr wirklich wie wir Galeerensträflinge gewesen seid - ich kenne die ‚Tortuga‘ ,dann werdet ihr diese Bitte verstehen.“ Hasard sah den Sprecher prüfend an. Seine Blicke glitten über die anderen verhärmten Gestalten. Carberry und Bill schleiften den immer noch
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halbbewußtlosen Leutnant heran. „Ed, der Leutnant wird die Schlüssel zu den Fesseln haben. Durchsucht ihn. Ich werde diese Männer losschließen lassen. Vertrauen gegen Vertrauen. Aber ich warne euch: Wer von euch Vorrat zu üben versucht, der stirbt. Wenn ihr mein Vertrauen nicht mißbraucht, werde ich euch sogar noch belohnen, damit ihr auch materiell die Grundlage habt, irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Es liegt jetzt alles bei euch. Ed, schließe die Männer los!" Ferris Tucker und auch Big Old Shane warfen dem Seewolf einen bedenklichen Blick zu, aber Hasard reagierte nicht. Er .verließ sich auf sein Gefühl, und das sagte ihm, daß er diese Männer dort auf den Bänken richtig behandelte. Es gab Jedoch noch einen weiteren Grund, warum ihm die Bitte des Sprechers sehr gelegen kam: Bei dem, was er mit der Galeere und dem Viermaster in der Bucht vorhatte, konnte nur allzuleicht etwas schiefgehen. Dann aber wäre absolut keine Zeit mehr geblieben, die Männer loszuschließen. Der Seewolf wußte, daß gerade Galeerensklaven rettungslos verloren waren, sobald ihr Schiff im Gefecht tödlich getroffen wurde. Das aber empfand Hasard als so unmenschlich, daß er statt dessen lieber jedes andere Risiko einging. Außerdem schien das Verhalten der Ruderer ihm recht zu geben. Denn der Sprecher wandte, sich erneut an ihn, als alle Männer im Ruderdeck losgeschlossen waren. „Du hast unser Wort, Seewolf. Keiner von uns wird Verrat üben. Wir hassen die Spanier. Wir werden mit Freuden tun, was du von uns verlangst, besonders jetzt, da wir frei sind und nicht mehr jämmerlich wie die Ratten ertrinken müssen, wenn ; der Galeere etwas zustößt Hier meine Hand, Seewolf, und dieser Handschlag gilt für alle!" Der Seewolf - schlug ein, und dann umringten die Ruderer die Seewölfe plötzlich, und erst jetzt sahen der Seewolf, Big Old Shane, Ferris Tucker, Ed Carberry, Bill und die anderen, was diese Männer durchgemacht haben mußten. „Wie lange seid ihr schon auf diesem Schiff?"
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fragte Big Old Shane einen der Männer. „Über sechs Monate, und dieser verdammte Kahn .war dauernd unterwegs." Einer der Männer sagte es langsam und schwerfällig. „Ich habe früher nie daran geglaubt, daß es eine Hölle gibt, aber jetzt weiß ich es." Er holte mühsam Atem. „Und weißt du, warum ich auf dieser Galeere bin?" Old Shane schüttelte den Kopf. „Dann will ich es dir sagen: Weil ich versucht habe, meinen Sohn von Bord einer Galeone zu holen, nachdem ihn eine Preßgang auf dieses Schiff verschleppt hatte. Bei der Auseinandersetzung habe ich einen spanischen Offizier verwundet, deshalb bin ich hier. Lebenslänglich, wenn ihr uns nicht befreit hättet!" „Und dein Sohn, was wurde aus ihm?" fragte Old Shane und hatte einen bitteren Geschmack im Mund, weil er sich denken konnte, wie die Antwort ausfallen würde. Der Mann hob die Schultern. „Ich weiß nichts von ihm", sagte er leise. „Vielleicht befindet er sich längst in der Neuen Welt, vielleicht ist er tot, vielleicht ist es ihm geglückt, zu fliehen. Ich habe für ihn gebetet, ich kann nur hoffen, sonst nichts." Der Mann wandte sich ab und ging zu seiner Ruderbank zurück. Eine halbe Stunde später legte die Sevilla vom Ufer ab. Die Spanier waren, gefesselt, und auch der Leutnant befand sich wieder bei Bewußtsein. Er warf Bill einen wütenden Blick zu, als der an ihm vorüberging. „Ich habe gewußt, daß du ein ganz verdammter Bastard bist", sagte er. „Ich hätte dir deine Geschichte nie abgenommen. Du hast Glück gehabt, daß der Capitan wieder einmal betrunken war, sonst wäre es dir und seinen Seewölfen schlecht ergangen!" Ed Carberry schob sich näher. „Maul halten!" fuhr er den Leutnant an.„,0der ich erinnere mich daran, daß ich Profos auf der ‚Isabella' bin und ihr diesen Jungen geschlagen habt, verstanden?" Carberry starrte den Leutnant so drohend an, daß der erschrocken schwieg. Denn er spürte, daß dieser Mann das, was er sagte, auch meinte.
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Admiral Don Nerja wanderte unruhig auf dem Achterdeck der „Almeria" auf und ab. Bei seinem ersten Offizier, Capitan Esteban, blieb er stehen. „Senor Esteban", sagte er, „verstehen Sie das?" In seiner Stimme schwang Ärger mit. „Seit heute morgen ist diese Galeere unterwegs, um die Bucht abzusuchen. Sind Sie nicht wie ich der Meinung, daß dieser Capitan Huelva mit seinem .Schiff so langsam wieder bei uns erscheinen müßte, um die verlangte Meldung zu erstatten?". Capitan Esteban antwortete nicht sofort. Er blickte über die Bucht, über die die Nacht bereits ihre Schatten breitete. „Senor Admiral", sagte er „es besteht die Möglichkeit, daß Capitan Huelva seine Galeere zunächst am Ende dieser Bucht mit neuen Ruderern versorgt. Seine Leute sind wahrscheinlich erledigt. Ich weiß, daß es dahinten ein Sträflingslager gibt, wo die Galeeren ihre Ruderer austauschen können. Wenn der Kommandant der Sevilla so gehandelt hatte, sollten Sie ihn deswegen nicht tadeln. Wahrscheinlich hatte er sogar Order dazu und ist von Cadiz extra hierher gesegelt, um das zu tun." Admiral Don Nerja war ruckartig stehengeblieben. Seine Stirn furchte sich. „Das würde - bedeuten, daß sich Huelva meinen Befehlen widersetzt hätte. Sie wissen, Capitan, daß ich dergleichen nicht dulde. Er hatte von mir den strikten Befehl, die Bucht nach Feinden auszusuchen und dann sofort hierher zurückzukehren, um aus Cadiz Hilfe für uns zu holen. Glauben Sie denn, ich kann hier ewig liegenbleiben, wenn sich in Cadiz die spanische Flotte sammelt?" „Natürlich nicht, aber aus dem gleichen Grund wird der Capitan seine Entscheidung auch getroffen haben. Sie erinnern sich bestimmt, daß, ich auch einmal zwei Jahre lang eine Galeere befehligt habe. Diese Schiffe sind nicht einfach zu führen. Ein ganzes Deck voller Galgenvögel, die ihnen sofort den Hals abschneiden, wenn sie dazu auch nur die geringste Gelegenheit erhalten. Ein Schiff, das mit der Peitsche regiert wird,
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auf dem jeder Mann, der schlappmacht, sofort die Fahrtgeschwindigkeit herunterdrückt. Nein, und wenn Sie mir einen Verweis erteilen, ich hätte meine Rudersklaven anstelle von Capitan Huelva ebenfalls ausgetauscht, denn seine Galeere ist sonst überhaupt nicht mehr gefechtsfähig!" Der Admiral schüttelte den Kopf, aber die Sache begann ihn zu interessieren. Von Galeeren und ihren Problemen verstand er absolut nichts. „Ein Sträflingslager, sagten Sie, läge dahinten in der Bucht? Soll das heißen, daß die Kerle dort nach ihrem Austausch jedesmal wieder aufgepäppelt werden ?" Wieder schwang unüberhörbarer Ärger in der Stimme des Admirals mit. Capitan Esteban hatte Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Er staunte im stillen, wie primitiv die Vorstellungen seines Admirals zu sein schienen. „Aufgepäppelt halte ich für übertrieben. Wer jedoch den Betrieb auf einer Galeere kennt, weiß, daß beispielsweise die Rationen mehr als knapp bemessen sind und die Ruderer. für ihre schwere Arbeit völlig unzureichend verpflegt werden. Da diese Männer dann auch noch mitunter wochenlang in ihrem eigenen Unrat sitzen, da man sie oft nicht einmal zum Schlafen mit den vorgeschriebenen Erleichterungen versieht, verfallen Galeerensträflinge ziemlich schnell, Ausnahmen bestätigen nur die Regel. Hinzurechnen muß man auch noch die schwärenden Wunden, die die Peitschen auf ihren Körpern hinterlassen, hinzurechnen muß man ferner, daß viele Galeerensklaven rein körperlich dieser Arbeit und diesen Anstrengungen nicht gewachsen sind und eventuell bereits nach wenigen Tagen auf den Ruderbänken jämmerlich zugrundegehen. Unter diesen Umständen, und das ist noch eine sehr gemäßigte Schilderung, Senor Admiral, bedeutet für Galeerensklaven alles bereits Erholung, was sich nicht auf der Galeere, im stinkenden Ruderdeck und unter den Peitschen der Aufseher und im Rhythmus der Trommel des Schlagmannes abspielt." Admiral Don Nerja sah seinen ersten Offizier
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konsterniert an. So kannte er diesen sonst so schweigsamen und gewissenhaften Offizier ja gar nicht. Das grenzte ja bereits an Aufruhr, an Verrat. Wenn nicht an Schlimmeres. Er trat an Capitan Esteban heran. „Sie haben eben sehr gefährliche Dinge gesagt, Senor. Ich glaube nicht, daß man bei der Flotte für derartige Meinungen Verständnis zeigen würde. Haben Sie eigentlich vergessen, daß auf diesen Galeeren Schwerverbrecher, Diebe und Mörder, die dem Henker nur gerade noch entgangen sind, Dienst tun? Daß es für diese Subjekte eine Ehre sein muß, wenn sie überhaupt eine Galeere des Königs rudern dürfen?" Er trat einen Schritt zurück. „Senor Esteban, ich werde mir überlegen müssen, ob Sie auch weiterhin auf diesem Schiff als erster Offizier und stellvertretender Kommandant Dienst tun können. Männer mit einer derartig defätistischen Einstellung sind, unzuverlässig, für mich unbrauchbar..." Ein, lauter Ruf auf dem Ausguck des Großmastes unterbrach den Admiral. „Galeere an Steuerbord. Hält Kurs auf uns. Signalisiert, daß sie längsseits gehen will!" Der Admiral warf seinem ersten Offizier noch einen vernichtenden Blick zu. „Senor Esteban, ich werde überprüfen, ob dieser Capitan Huelva meinem Befehl zuwidergehandelt hat und die Ruderer austauschen ließ, statt unverzüglich hierher zurückzusegeln. Sollte er das getan haben, werde ich ihn seines Kommandos entheben, dann werden Sie bis auf weiteres die Führung der Galeere übernehmen, damit Sie Gelegenheit finden, Ihre Anschauungen zu revidieren. Alles weitere entscheidet sich sodann in Cadiz, wo Sie sich unverzüglich nach dem Einlaufen der ,Almeria' bei mir melden werden. Verstanden?" Capitan Esteban kochte. Aber er beherrschte sich. Hatte sein erster Eindruck ihn also doch nicht getäuscht. Admiral Don Nerja war genau der eingebildete Lackaffe, für den er ihn von Anfang an gehalten hatte. „Senor Esteban, bereiten Sie alles für die Ankunft der ,Sevilla' vor. Ich wünsche sofort den Kommandanten dieses Schiffes zu sprechen, außerdem werde ich eine
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Inspektion der Galeere vornehmen." Der Admiral wandte sich brüsk ab. Man mußte diesen Kerlen ganz einfach einmal zeigen, wo sie zu weit gegangen waren. Eine Frechheit, ihn, den Admiral Don Nerja, belehren zu wollen! Die Sevilla näherte. sich rasch. Gleichmäßig tauchten die Riemen im Takt ein. Dumpf war das Geräusch der Trommel zu hören, die der Schlagriemen schlug. Manchmal schien der dicke, mit Eisen beschlagene Rammsporn der Sevilla im letzten Abendlicht aufzuglühen, während er gischtend das Wasser zerteilte. Admiral Don Nerja beobachtete die Galeere, die eben ihren Kurs etwas korrigierte. „Die Kerle sollten bald mit ihrem Tempo runtergehen", murmelte er vor sich hin. „Oder die rennen mir ihren verdammten Rammsporn in den Rumpf. Verdammt, sind die denn total verrückt geworden?" Don Nerja stürzte aufgelegt zum Schanzkleid des Achterdecks, und auch einige seiner Seesoldaten starrten der mit voller Fahrt heranrudernden Galeere entgegen, während das Tom-Tom des Schlagmannes immer lauter, und wie es schien, auch immer schneller wurde. „Verdammt, Senor Esteban, lassen Sie gefälligst, aber das ist ja, das . . ." Der Gleichtakt auf der Galeere geriet durcheinander. Die langen Riemen schienen sich zu verwirren. Kommandos ertönten, Menschen hasteten an Deck hin und her und begannen wie wild zu gestikulieren, während die Galeere mit rauschender Bugwelle auf die „Almeria" zuschoß. * Der Seewolf hatte nichts dem Zufall überlassen, sondern alles genau geplant. Die Männer auf der Sevilla waren verpflegt worden, für alle hatte es eine doppelte Portion Rum gegeben. Gleichzeitig hatte Hasard ihnen und seinen Seewölfen seinen Plan erläutert. Der war zwar mehr als einfach, aber er konnte für die Männer auf der Sevilla verdammt ins Auge gehen, wenn auch nur irgendeine Kleinigkeit nicht klappte. Besonders die Sache mit den Riemen, mit
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dem angeblichen falschen, mißglückten Längsseitsmanöver mußte unbedingt echt aussehen. Hasard stand auf dem Achterdeck der Sevilla. Es lag höher, er hatte von dort den besten Überblick. Ed Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane befanden sich im Ruderdeck. Sie beaufsichtigten die Männer auf den Ruderbänken und sorgten dafür, daß nichts querlaufen konnte. Außerdem hielt der Seewolf eine gewisse Kontrolle über die, Ruderer für gut. Zwar mißtraute er den armen Teufeln da unten nicht, denn was würden sie schon gewinnen, wenn sie sich nicht an ihre Vereinbarungen hielten? Aus Spanien mußten sie sowieso verschwinden. Aber - und das war eine alte Erfahrung von ihm - sich nur aufs Gefühl in einer solchen Situation zu verlassen, wäre sträflicher Leichtsinn gewesen. Nein, eine gewisse Kontrolle war besser. Der Seewolf gab das verabredete Kommando, während die „Almeria" vor der Sevilla wie ein riesiger Schatten aus dem Wasser wuchs. Der Seewolf hörte, wie die Männer im Ruderdeck von den drei Seewölfen die notwendigen Befehle erhielten, und gleich darauf ging der Spektakel los. Von der „Almeria" brüllten Leute zur Sevilla hinüber, während die Galeere herumschwang. Sekunden später zeigte ihr Rammsporn genau auf die Stelle in der Bordwand des Zweideckers, die ohnehin von den Schiffszimmerleuten unter Einsatz ihres Lebens nur notdürftig geflickt worden war. Der Seewolf warf einen Blick zum Vorschiff der Sevilla hinüber. Dort befanden sich Luke Morgan, Stenmark, Smoky, Batuti, dem sie das dunkle Gesicht weiß gefärbt hatten und der dadurch zumindest aus der Nähe zum Fürchten aussah, und Pete Ballie, der Mann mit den Fäusten wie Ankerklüsen. Hasard sah, daß auch diese Gruppe auf dem Posten war. Gleichzeitig ahnte der Seewolf, daß es von diesen Männern abhängen würde, ob sie rasch genug von der Galeone wieder freikamen oder nicht. Die Galeone schien der Sevilla
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entgegenzurasen. Der Seewolf korrigierte den Kurs ein letztes Mal. Während er das tat, wußte er, daß von der restlichen SeewölfeCrew auf der Isabella unter dem Kommando Ben Brightons bereits der Anker gelichtet wurde. Alles mußte reibungslos ablaufen, nichts durfte schiefgehen, niemand versagen. Die Sevilla war heran. Der Seewolf sah, wie der Admiral Don Nerja ans Schanzkleid stürzte und zur Sevilla etwas hinunterbrüllte, dann krachte es auch schon. Der Rammsporn der Sevilla bohrte sich in den havarierten Viermaster und traf genau die richtige Stelle. Die Bordwand der „Almeria" gab dem Anprall nach und brach ein, als ob sie aus morschem, verfaultem Holz bestünde. Bis weit unter die Wasserlinie entstand ein riesiges Loch, und noch immer trieb die Sevilla den Rammsporn tiefer in die Achthundert-Tonnen-Galeone hinein. Voller Schrecken erkannte der Seewolf, daß sie die „Almeria" mit zuviel Fahrt gerammt hatten und die Sevilla sich zu tief in das andere Schiff bohrte. „Ed, Ferris, Shane!" schrie der Seewolf und ließ das Ruder fahren. „Schnell nach vorn, wir stecken viel zu tief in der ,Almeria' drin. Wenn wir nicht innerhalb der nächsten Minuten wieder los sind, dann drückt sie uns mit ihrem schweren Rumpf runter, und der Rammsporn verkantet sich in ihrem Innern!" Der Seewolf stürzte nach vorn, auch Ed Carberry, der Schiffszimmermann Ferris Tucker und Big Old Shane hatten sofort erkannt, in welcher Gefahr sie schwebten. Daß der Seewolf nicht übertrieben hatte, merkten sie, als sie keuchend auf dem Vorschiff standen. Durch das riesige Leck im Rumpf der „Almeria" schoß das Wasser, An der Oberfläche der Bucht bildeten sich sogar Strudel. Über ihnen, an Deck des Viermasters, fluchte und brüllte alles durcheinander. Und genau das hatte der Seewolf bezweckt: Der Rammstoß sollte wie ein Unfall aussehen. Dadurch gewann er Zeit und stiftete Verwirrung an Bord der „Almeria". Beides, Zeit und das Durcheinander auf dem Viermaster, brauchte
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er, um sich unauffällig wieder von der „Almeria" absetzen zu können. Je mehr die Dons dort oben fluchten und durcheinanderrannten, je weniger riskierte er, daß der Admiral doch noch erkannte, welches Spiel man mit ihm und seinem Flaggschiff, trieb. Denn das wäre für Hasard und seine Männer äußerst gefährlich gewesen. Dieser Don Nerja war imstande und schickte ihnen sogar noch von seinem sinkenden Schiff aus eine Breitseite hinterher. Das alles schoß dem Seewolf durch den Kopf, als er aufs Vorschiff stürmte. Ed Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane tauchten ebenfalls auf dem Vorschiff der Galeere auf. „O verdammt, der steckt ganz schön tief drin. Rasch, ein paar Riemen vom Ruderdeck, wir müssen von dieser Galeone weg, die nimmt uns sonst mit zu den Fischen!" Carberry drehte sich um, während die anderen schon damit begannen, die Galeere mit aller Kraft abzudrücken. „Schnell, ein paar Riemen und ein paar Männer, die Kraft haben. Aber beeilt euch, wenn ihr nicht absaufen wollt!" schrie er mit seiner Donnerstimme zum Ruderdeck hinüber. „Und die anderen pullen voll zurück! Smoky, runter mit dir ins Ruderdeck, gib die Kommandos!" Ed Carberry warf einen Blick auf die „Almeria". Immer noch schoß das Wasser mit unverminderter Kraft in ihren Rumpf, an ihrer Wasserlinie hatte sich ein trichterförmiger Strudel gebildet. Nur die Dons fluchten und schrien immer noch wie wild durcheinander, sie hatten offenbar die eigentliche Gefahr noch nicht erkannt, die ihrem Schiff drohte. Eine Ausnahme war der Admiral. Er war zum Vorschiff gelaufen, lehnte sich weit über das Schanzkleid und starrte auf die Galeere hinunter. Dann sah er, daß die Männer auf der Sevilla gar keine Uniformen trugen. Sofort erwachte sein Mißtrauen. Er konnte sich das alles zwar nicht zusammenreimen, aber irgend etwas mit dieser Galeere stimmte nicht.
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„Senor Esteban!“ rief er in das allgemeine Durcheinander. „Sofort einen Trupp Seesoldaten zu mir, ich werde mir diese Leute da unten auf der ‚Sevilla' mal ansehen!" Der erste Offizier, der sich ganz in der Nähe des Admirals befand, wollte gerade einem Bootsmann die notwendigen Anweisungen geben, da stürzte einer der Schiffszimmerleute heran und blieb keuchend bei Don Nerja stehen. „Senor Admiral, wir sinken!" stieß er atemlos hervor. „Unmöglich, das Leck wieder abzudichten. Unter der Wasserlinie ist die Bordwand auf mehr als acht Fuß Länge eingedrückt, die ,Almeria‘ läuft voll. Das Schiff ist nicht mehr zu retten!" Don Nerja fuhr herum. In seiner ersten Wut packte er den Schiffszimmermann. „Sind Sie wahnsinnig? Die ,Almeria' sinkt? Nein, das glaube ich nicht, mein Flaggschiff und sinken! Sofort zeigen Sie mir das Leck, ich will mich mit eigenen Augen davon überzeugen, ehe ich Ihnen daß abnehme!" Der Schiffszimmermann machte kehrt. Gemeinsam mit dem Admiral und dem ersten Offizier eilten sie zu einem der Niedergänge und verschwanden im Innern des Schiffes. Ohne es zu ahnen, gaben sie damit dem Seewolf genau die Zeit, die er brauchte. Die Seewölfe hatten schnell begriffen, daß sie allem es nicht schaffen würden, sich von der „Almeria" wieder zu lösen. Sie hatten einen Teil der Ruderer mobilisiert, denn es ging auch um deren Leben. Mit den schweren Riemen drückten sie gegen die mächtige Bordwand der Galeone, während die anderen pausenlos versuchten, die Sevilla durch Rückwärtspullen wieder flott zu kriegen. Ungewollt drückten die vielen Männer, die sich auf dem Vorschiff befanden, die Galeere tiefer ins Wasser, Das hatte zur .Folge, daß sich der Rammsporn, durch die schnell sinkende Galeone bereits eingeklemmt, wieder lockerte. Mit einem Ruck löste sich die Sevilla aus dem Rumpf der „Almeria". Schnell gewann sie das freie Wasser. Genau in dem Moment, in dem Admiral Don Nerja, Senor Esteban
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und der Schiffszimmermann an der Stelle erschienen, an der sich der Rammsporn in die „Almeria" gebohrt hatte. Eine Flut von Wasser schoß den Männern entgegen. Durch den plötzlichen Wassereinbruch lösten sich ein paar Planken aus der zerfetzten Bordwand. Eine von ihnen traf den Admiral und riß ihn von den Füßen. Das eindringende Wasser wirbelte ihn ins Innere des Schiffes, noch ehe Don Esteban oder der Schiffszimmermann ihn packen konnten. Im nächsten Augenblick hatte auch sie das schwallwartig hereinschießende Wasser ergriffen. Don Esteban und dem Schiffszimmermann gelang es, sich an einem der Niedergänge festzuhalten und sich auf die Stufen zu ziehen. „Der Admiral!" keuchte Don Esteban. „Schnell, holen Sie ein paar Männer mit Schiffslampen! Wir müssen ihn finden, verstanden?" Der Schiffszimmermann warf einen raschen Blick auf das tosende, schäumende und gurgelnde Wasser, das von Sekunde zu Sekunde schneller einzudringen schien. Dann nickte er nur kurz und verschwand. Er dachte gar nicht daran, noch Leute zu holen. Er kannte sich mit Schiffen aus und wußte, daß der „Almeria" nur noch kurze Zeit blieb - ganz besonders bei der Ladung, die sie in ihrem Innern barg: Geschützrohre, Lafetten, Pulver, Waffen. Nein, sie würde entweder ganz plötzlich wie ein Stein absacken oder kentern. Möchte der Admiral sehen, wie er seine Haut rettete, er mußte jetzt zunächst an seine eigene Sicherheit denken. Er hastete den Niedergang hinauf. Dort sah er seine Befürchtungen bereits bestätigt. Die „Almeria" krängte schon jetzt stark nach Steuerbord, das Vorschiff lag tief im Wasser. Gehetzt warf er einen Blick über die Bucht. Er war zwar kein guter Schwimmer, aber trotzdem mußte es ihm möglich sein, das Ufer zu erreichen. Nur von Bord! dachte er, bevor dieser Kahn kentert und uns alle mit in die Tiefe reißt. Der Schiffszimmermann sprang. Andere, die
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das sahen, folgten seinem Beispiel. Bootsmänner brüllten Befehle, Don Esteban, der ebenfalls genau gespürt hatte, wie sich die „Almeria" weiter und weiter nach Steuerbord neigte, enterte an Deck. Ohne. Licht und allein konnte er den Admiral nicht finden. Wie erstarrt blieb er stehen, als er sah, wie ein großer Teil der Männer über Bord sprang und andere damit beschäftigt waren, in fliegender Eile ein Boot zu Wasser zu lassen. „Halt!" schrie er in das Chaos an Deck. „Das ist Meuterei, ich werde jeden eigenhändig erschießen, der ohne Befehl das Schiff verläßt! Ich werde..." In seinem Schädel schien etwas zu explodieren, als er gerade die Pistole aus der Halfter an seinem Gürtel herausgerissen hatte. Jemand hatte ihm einen Belegnagel auf den Kopf geschlagen. Don Esteban stürzte kopfüber aufs Deck und blieb dort regungslos liegen. Die Männer schwammen wie die Wahnsinnigen. Sie hatten Grund dazu, denn die „Almeria" neigte sich weiter und weiter nach Steuerbord. Auch auf der Sevilla ruderten die Männer mit allen Kräften, um aus dem Bereich ihrer hohen Masten zu gelangen. Hasard und seine Seewölfe starrten zu dem großen Schiff hinüber. Sie sahen, wie es sich neigte und das Vorschiff tiefer und tiefer eintauchte. Und plötzlich kenterte die „Almeria". Eine Weile hörten sie das dump fe Rumoren, mit dem die schwere Ladung im Innern ihres Rumpfes überging. Fast zwei Minuten lag sie bewegungslos auf der Seite. Durch die Dunkelheit drang das Zischen und Blubbern zu den Seewölfen herüber, mit dem die Luft aus dem gewaltigen Schiff entwich. Dann war es soweit. Die „Almeria" wälzte sich herum, der Schiffsboden erschien über der Wasseroberfläche. Wieder vernahmen sie das dumpfe Poltern, mit dem die schweren Geschützrohre das Oberdeck durchschlugen. Nur Sekunden später verschwand der Koloß im nachtdunklen Wasser der Bucht. Emporschießende Wrackteile und
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aufsteigende Luftblasen kennzeichneten noch eine Weile die Stelle, an der das Flaggschiff des Admirals Don Nerja seine letzte Fahrt angetreten hatte. Dann herrschte plötzlich Stille in der Bucht. Nur noch - vereinzelte Rufe von Schwimmern und das leise Geräusch eintauchender Riemen drangen zu den Männern auf der Galeere hinüber. „Wir müssen ohnehin auf die ,lsabella‘ warten", sagte der Seewolf in das Schweigen hinein. „Ich denke, wir suchen die Untergangsstelle noch nach Überlebenden ab, das ist unsere Christenpflicht." Ed Carberry nickte nur, dann gab er im Ruderdeck die notwendigen Kommandos, und die Sevilla setzte sich in Bewegung. Aber sie fanden nichts außer Wrackteilen, und einem kieloben im Wasser treibenden Boot, das der Seewolf, einem plötzlichen Impuls folgend, bergen ließ. Es wurde an Bord gehievt und dort festgezurrt. „Wir werden hier warten. Haltet Ausschau nach der ‚Isabella'. Die anderen an Bord wissen Bescheid, sie werden sich in spanischer Maskierung in unserer Nähe halten. Nur nach Cadiz läuft die ‚Isabella' nicht mit uns ein, sondern wartet draußen vor der Bucht. Es könnte dort ein Spanier liegen, der unser Schiff kennt, dieses Risiko können wir nicht eingehen!" Die Seewölfe scharten sich um Hasard. Auch die Ruderer verhielten sich ruhig, ihre Riemen hingen wie die Beine eines schlafenden Rieseninsekts in der See. Einige der Männer aus dem Ruderdeck waren an Deck geentert, um Luft zu schöpfen. Etwa eine halbe Stunde später tauchte in der Bucht ein Schatten auf, der sich ihnen rasch näherte. „Die Isabella‘ sagte der Seewolf. „Auf, Männer, Kurs Cadiz! Wenn wir das hinter uns haben, seid ihr frei, die Galeere gehört euch!" * Es war tatsächlich die ,Isabella‘. Ben Brighton hatte das Ruder übernommen. Die wenigen Männer, die sich noch an Bord des Schiffes befanden, waren voll damit
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beschäftigt, die Segel im Trimm zu halten. Auf dem Hauptdeck, gefesselt, lagen die gefangenen Spanier. Unter ihnen auch Capitan Huelva. Ben Brighton fragte sich voller Sorge, wie sie es anstellen sollten, diese Kerle wieder loszuwerden. An Bord bleiben konnten sie auf keinen Fall, in der Bucht durfte man diesen Capitan ebenfalls nicht aussetzen und seine Männer schon gar nicht, denn die Kerle wußten einfach zu viel von ihren Plänen. Immerhin hatten sie wegen der Ruderer auf der Galeere auch Spanisch sprechen müssen. Ben rief Matt Davis und AI Conroy, den Stückmeister .zu sich. „Bindet zwei der Kerle los, sie sollen dann die anderen in die Vorpiek schaffen. Ich will die Burschen vom Hauptdeck weg haben. Was wir später mit ihnen tun, wird sich aus der Lage ergeben. Paßt mir besonders auf diesen Capitan auf, der Bursche führt etwas im Schilde, das sehe ich ihm an!" AI Conroy und Matt Davies gingen an die Arbeit. Die Hakenprothese störte Matt Davies dabei nicht im geringsten, im Gegenteil, er hielt sie dem Capitan unmißverständlich unter die Nase. „Wenn ich du wäre, würde ich es nicht drauf ankommen lassen!" sagte er auf Spanisch. „Es gibt ein paar Dinge, da werde ich dann stocksauer, kapiert? Hoch jetzt, du bist der erste, den ich persönlich in die Vorpiek sperre!" Capitan Huelva kochte vor Wut. Er ahnte, was mit seiner Sevilla geschehen war und wozu die Seewölfe sie mißbraucht hatten. Er war kein Dummkopf, und die paar Brocken, die er aufgefangen hatte, hatten genügt. „Ihr werdet hängen, alle!" sagte er, und die Wut verlieh .seiner Stimme einen zischenden Klang. „Und diesen verfluchter Bengel, der mir das Ganze eingebrockt hat, werde ich foltern lassen, bis er um Gnade winselt!" Matt Davies versetzte ihm einen derben Stoß in den Rücken. „Halt die Klappe, Mann. Ehe du unserem Bill auch nur ein Haar krümmst, lernst du, was ich mit meinem Haken alles anstellen kann. Denk daran, du Schneckenfresser. Und jetzt ab mit dir!" Er beförderte den Capitan mit einem
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weiteren Stoß in die Vorpiek und baute sich anschließend neben dem Schott auf, um auch die anderen zu empfangen. Ein paar Minuten später waren die Spanier alle verstaut, und AI Conroy schob den schweren Riegel vor. „Schade, AI", sagte Matt Davies, „wir hätten die Kerls an die Brassen und Fallen stellen sollen, aber wahrscheinlich wären , die selbst, dazu noch zu dämlich!" Er lachte und folgte dem ebenfalls grinsenden AI Conroy aufs Hauptdeck hinunter. Aber der Stückmeister der Isabella drehte sich plötzlich um. „Matt, du übernimmst' die erste Wache vor dem Schott. Wir dürfen diese Kerle nicht ohne Aufsicht lassen. Auch dann nicht, wenn wir glauben, daß wir sie sicher haben." Matt Davies stieß einen? Fluch aus. „Mann, wir können uns so einen Luxus bei den paar Figuren, die noch an Deck unserer ,lsabella' herumturnen, nicht leisten. Wir brauchen jede Hand. Weißt du Was? Schick mir die beiden Jungs von Hasard, daß man sich auf diese Kerlchen verlassen kann, habe ich längst raus. Die können hier Wache schieben und uns beim geringsten verdächtigen Geräusch aus der Vorpiek verständigen. Was sagst du zu meinem Vorschlag?" AI Conroy dachte einen Moment nach. „Das könnte gehen, ich werde aber noch mit Ben darüber reden, solange bleibst du vor dem Schott." Es dauerte knapp fünf Minuten, dann waren Hasard und Philip zur Stelle. Sie strahlten übers ganze Gesicht, als Matt versuchte, ihnen ihre Aufgabe zu erklären. Die beiden hatten erstaunlich schnell gelernt, sich. mit den Seewölfen zu verständigen, auch wenn ihre Englischbrocken manchmal noch geradezu haarsträubend klangen. Der Wortführer der beiden war zumeist Hasard. Er grinste Matt Davies an, und seine eisblauen Augen blitzten dabei: „Verstehen. Beide Dons nix raus hier, sonst..." Er fuhr mit der kleinen Hand zum Segeltuchgürtel, den Will Thorne ihm angefertigt hatte, und zog ein Entermesser heraus, das er Ferris Tucker abgeschwatzt hatte. Dann schwang
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er die Klinge bedrohlich vor Matt Davies' Nase hin und her. Sein Bruder, genauso ausgerüstet wie er. folgte sofort seinem Beispiel. Es sah aus, als wenn auf der Back der Isabella zwei kleine Wilde einen Kriegstanz aufführten. Matt Davies begann zu lachen. Er konnte nicht anders. Aber dann wurde er plötzlich wieder ernst. „Hört zu, ihr beiden Rangen, das ist kein Spiel, das ist kein Spaß. Da drinnen stecken Spanier, Männer, die unsere Feinde sind, kapiert? Feinde! Aufpassen. Wenn ihr was hört, sofort melden!" Die beiden nickten ernsthaft und zogen grimmige Grimassen. „Kapiert. Dons nix raus hier, sonst tot. Was, wie?" kopierten sie Ed Carberry. Matt Davies sah die beiden kopfschüttelnd an. „Na, das laßt den alten Ed man lieber nicht hören, ihr beiden Bilgenläuse. Oder der zieht euch die Haut von euren.. .Na, ja, egal. Also, ihr wißt jedenfalls Bescheid! " Matt ging, um seine Position an den Brassen und Fallen wieder einzunehmen, denn die Isabella mußte kreuzen, ehe sie aus der Bucht raus war. Im Gegensatz zur Sevilla, die sich durch ihre Riemen im Vorteil befand und inzwischen auch schon ganz schöne Fahrt vorlegte. 7. Der Himmel klarte auf: Helles Mondlicht ergoß sich über die Bucht. Auf der Isabella fluchten die Männer nicht schlecht, sie mußten schuften wie die Wilden bei der Kreuzerei. Dabei mußten sie sich sputen, mit der Sevilla überhaupt noch Schritt zu halten. Hasard stand neben Pete Ballie, der das Ruder bediente. Der Seewolf , war, sich im klaren darüber, daß der gefährlichste Teil des ganzen Abenteuers jetzt erst begann. Denn sie segelten geradewegs in die Höhle des Löwen. Er hatte darauf verzichtet, die Spanier zu vernehmen. Der Capitan schwieg ohnehin wie ein toter Fisch, und Hasard konnte ihm
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das nicht einmal verdenken. Seine Karriere war durch die Vorkommnisse sowieso ruiniert. Möglicherweise wartete sogar eine Kriegsgerichtsverhandlung auf ihn. In der spanischen Flotte war man in derlei Dingen nicht eben zimperlich. Hin und wieder warf der Seewolf einen Blick zurück, um nach der Isabella Ausschau zu halten. An das dumpfe Tom-Tom des Schlagmannes hatte er sich inzwischen gewöhnt. Und im Ruderdeck wußte er Ed Carberry, Ferris Tucker und Big Old Shane. Dort konnte nach menschlichem Ermessen nichts schiefgehen. Denn die drei hatte der Seewolf dort nicht nur postiert, damit sie dafür sorgten, daß im Ruderdeck alles klappte, sondern auch, damit sie die Ruderer im Auge behielten. Mochte der Prozentsatz der Kriminellen auch gering sein, Spanien preßte seine Rudermannschaften für die Galeeren mittlerweile unter jedem noch so fadenscheinigen Vorwand an Bord dieser Schiffe, ein paar gab es ganz bestimmt. Wieder warf Hasard einen Blick nach achtern. Die dunkle Silhouette der Isabella überquerte eben die silberhelle Lichtbahn des Mondes im pechschwarzen Wasser der Bucht. Ein herrlicher Anblick! schoß es ihm durch den Kopf, und in diesem Moment verliebte der Seewolf sich wieder einmal in sein Schiff. Mit der Isabella hatten sie auf jener Werft in Plymouth einen wahrhaft guten Kauf getätigt. Der Seewolf nahm sich vor, die Isabella auf dieser Werft vom Top bis zum Kiel überholen und auch modernisieren zulassen, sobald sie den Hafen von Plymouth erreichten. Bill erschien auf dem Achterdeck. Trotz der Dunkelheit sah der Seewolf, daß die Wangen des Jungen vor Begeisterung glühten. .Weiß der Himmel, dieses Bürschchen hatte sich gemausert,, und wie! „Was gibt's Bill?" fragte er freundlich. „Ich sehe dir doch an, daß du etwas Wichtiges entdeckt hast. Nur raus mit der Sprache!“ Bill trat noch einen Schritt näher.' „Ja, Sir“, sagte er dann. „Ganz zufällig. Ich habe auf Befehl des Profos die Galeere durchsucht, und dabei bin ich auf eine ganze, Menge Fässer gestoßen. So groß, wie ich sie
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noch nie gesehen habe! Sie sind außerdem ganz schwarz, wie mit Teer übergossen, Sir!" Der Seewolf sah den Jungen an. Es war nur natürlich, daß sich Fässer auf einer Kriegsgaleere befanden, denn. immerhin hatte die .Sevilla auf der Back einen ganz hübschen Brocken von Mörser stehen. Der verschlang ganz bestimmt pro Schuß eine Menge Pulver. Aber Pulverfässer mußten problemlos zu mannen sein, es war also sinnlos, sie zu groß und zu schwer zu bauen. „Komm, Bill, wir sehen uns die Sache einmal an. Sag Ferris Bescheid, er wird uns begleiten." „Du weißt Bescheid, Pete. Sobald wir das offene Wasser erreichen, Segel setzen und Kurs auf Cadiz. Signal an die ,Isabella', sie muß auf See längsseits gehen, wir brauchen spanische Uniformen, daran haben wir vorhin im Eifer des Gefechts, als wir mit der ,Sevilla‘ den 'Seitenarm verließen, leider nicht gedacht." Pete Ballie nickte nur kurz. „Geht in Ordnung. Ich lasse die ,Isabella‘ mit einer Schiffslaterne anblinken. Aber wie ich Ben kenne, hat er das längst bemerkt und wird ganz von selber reagieren.!“ Da war etwas dran. Der Seewolf ging, von Bill gefolgt, über den Laufgang der Galeere. Während Bill den Schiffszimmermann der Isabella holte, erreichte der Seewolf bereits den Niedergang, der ins Innere des Vorschiffs der Sevilla führte. Als Ferris Tucker von der Sache hörte, zog er sofort ein nachdenkliches Gesicht. Als er und Bill am Niedergang ins Vorschiff anlangten, .wartete der Seewolf schon auf sie. „Was hältst du von der Sache, Ferris?" fragte er den rothaarigen Hünen, der wie fast immer seine überlange Axt in der Rechten hielt. Tucker zögerte einen .Moment. Dann fuhr er sich mit der Linken über die Stirn, eine bei ihm nur seltene Geste. „Ich erinnere mich, während meiner Zeit auf der ,Tortuga‘ schon einmal von derartigen Fässern gehört zu haben. Ed müßte das auch, noch wissen. Aber niemand kannte sich aus: Am besten sehen wir mal nach!“ Damit nahm er seine Axt und stieg, ins Schiff
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hinunter. An der letzten Stufe nahm er die Schiffslaterne vom Haken und ließ Bill vorbei. „So, und jetzt zeig uns, wo die Dinger liegen, Bill!" forderte er das Bürschchen auf. Bill .ging voraus. Nach kurzer Zeit gelangten sie in den Laderaum, in dem sich die Fässer befanden. „Da, das sind sie!" Bill schlug gegen eins der Fässer. Ferris Tucker und der Seewolf traten näher heran. Der Schiffszimmermann nahm sich eins der Fässer vor. „Stimmt, was Bill gesagt hat, Hasard", erklärte er dann. „Die Fässer sind mit Teer bestrichen und gegen Wasser .abgedichtet Worden, aber warum, zum Teufel?. Dafür gibt es eigentlich nur eine einzige Erklärung : Daß sie. dämlich einen Inhalt haben der Wasser nicht verträgt und daß auch kein Wasser eindringen soll, selbst wenn sie einmal im Wasser liegen sollten.“ Der Schiffszimmermann klopfte wieder mit seiner Axt gegen eins der Fässer. „Und die Dinger sind rappelvoll, irgendeine Flüssigkeit scheidet aus, das höre ich am Klang." Hasard hatte ebenfalls eins der Fässer untersucht. „Pulver", sagte er dann. „Diese Fässer enthalten Pulver, Ferris, und wahrscheinlich noch einiges mehr." Wieder nickte der Schiffszimmermann. „Ich sagte es schon. Auf der ,Tortuga' habe ich von solchen Fässern munkeln hören. Ob wir welche an Bord .hatten, weiß ich nicht, schließlich waren wir angekettet und konnten nicht in die Laderäume der Galeere. Aber diese Fässer sollen voll Pulver sein, das mit gehacktem Blei und dicken Eisenstücken gemischt ist." Hasards Brauen hatten sich zusammengezogen, Ferris konnte das auch im flackernden Schein der Schiffslaterne ganz deutlich erkennen. „Du meinst, man will diese Fässer auf Brandern oder auf Flößen verwenden, sie gegen ankernde Schiffe treiben lassen und dann zünden?" Der Schiffszimmermann nickte. „Stell dir
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vor, ein Boot, ein paar von diesen Fässern an Bord, zur richtigen Stelle hin verdämmt. Wenn die Dinger auch nur in der Nähe eines Schiffes hochgehen, dann muß die Wirkung verheerend sein. Gnade, uns Gott, wenn die spanische Flotte mit diesen Dingern ausgerüstet ist. So allmählich möchte ich wirklich wissen, was da in Cadiz eigentlich gespielt wird!" „Wir müssen das herausfinden. Laß eins dieser Fässer, nach oben an Deck schaffen, öffne es und sieh nach. Aber nimm dir ein paar Mann, paß ja auf, daß nichts passiert, oder das hier ist unsere letzte Reise. Ich könnte auch Capitan Huelva fragen, aber ich habe keine Lust, den Kerl zu foltern. Tu ich es aber nicht, dann lügt er uns sowieso die Hucke voll. Los, ich helfe dir. Und du, Bill, ruf Batuti her. Zu dritt sollten wir ein Faß schon an Deck kriegen!" Bill sauste los. Als er weg war, warf Ferris Tucker dem Seewolf einen scharfen Blick zu. „Du hast mit den Dingern was vor, und zwar auf der Reede von Cadiz, oder irre ich mich?". Der Seewolf grinste. „Ich kann zwar nicht die ganze Reede in die Luft sprengen, aber die Dons ein wenig zur Ader lassen, das können wir schon. Die sollen an die ,Sevilla' noch lange denken!" Der Schiffszimmermann rieb sich die Hände. Dann polterten Schritte den Niedergang hinunter. Batuti tauchte auf. Als er die schwarzen Fässer sah, blieb er stehen und grinste über das ganze Gesicht. „Was, lausiges, kleines Faß drei Mann schleppen?" radebrechte er in seinem fürchterlichen Englisch. „Batuti: sich halb totlachen! Nix mehr Murks in den Knochen, was, wie?" fragte er, nahm eins der Fässer und umschlang es mit seinen langen Armen. Er wollte es heben und zerrte aus Leibeskräften daran, aber es rührte sich nicht. Der Schiffszimmermann trat von hinten an ihn heran. „He, du Großmaul, was ist? Nix mehr in den Knochen, was? Paß bloß auf, daß dich dein eigener Morgenstern nicht eines Tages erschlägt, weil du ihn nicht mehr halten
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kannst!" Der Schiffszimmermann brach in ein röhrendes Lachen aus. Batuti ließ das Faß los, seine dunklen Augen funkelten Ferris Tucker an. „Batuti Großmaul, wie? Du sehen, du rothaariges Decksaffe, aufpassen, .Batuti dir zeigen!" Er bückte sich abermals, schlang seine Arme um das Faß und wuchtete es mit einem gewaltigen Ruck vom Schiffsboden hoch. Im Flackern der Schiffslaterne sahen der Seewolf, Ferris Tucker und Bill, der den Schwarzen mit offenem Munde anstarrte, wie Batutis gewaltige Muskelstränge unter der dunklen Haut hervortraten. „Halt, Batuti, warte, das Ding ist zu schwer, ich..." Ferris, Tucker und der Seewolf sprangen gleichzeitig hinzu, aber Batuti hatte den Niedergang schon erreicht. „Mit eigenem Morgenstern totschlagen Batuti sich selbst, ha!" brüllte er, und niemand wußte, woher er dazu auch noch die Luft nahm. „Batuti nix Kraft, wie? Ich euch zeigen, und wenn nicht gleich still und verschwinden, Batuti euch Faß an Kopf schmeißen, ha!" Der Schwarze stieg die Stufen hinauf. Der Niedergang ächzte, aber Batuti schaffte es. Mit wild rollenden Augen erreichte er das Deck und setzte das Faß dort ab. Dann reckte er sich und sah sich wild um. Als Ferris Tucker an Deck erschien, packte ihn der Schwarze. „Du Batuti nie wieder beleidigen, Mister Tucker. Diesmal Spaß, aber nicht immer Spaß, verstanden?" Damit trollte er sich. Ferris Tucker grinste nicht. Er wußte, wie empfindlich Batuti manchmal reagierte. Er eilte hinter dem Schwarzen her und hielt ihn fest. „Hör zu, Kerl, das war wirklich Spaß", sagte er. „Ich hätte nie gedacht, daß du das Faß schaffen würdest Und du weißt genau, daß ich auch kein Schwächling bin. Nach Cadiz saufen wir einen, klar?" Er hieb dem Schwarzen auf die Schulter, und der Gambianeger nahm die Entschuldigung
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des Schiffszimmermanns an. „Hilfst du mir jetzt, Batuti? Wir müssen das Faß öffnen, wir wollen sehen, was es enthält. Wahrscheinlich Pulver, gehacktes Blei und Eisen." Batuti nickte. „Klar, Batuti helfen. Nix mehr böse mit Ferris. Fangen an, Batuti Dons persönlich in Luft sprengen, so wumm!" Er strahlte übers ganze Gesicht. Ferris mußte lachen. Aber er war - genau wie der Seewolf - weit davon entfernt, den Schwarzen für einen Primitivling zu halten. Batuti war äußerst sensibel, hatte einen überaus scharfen Verstand und schon manche Situation durch seine schnellen und überlegten Entschlüsse gerettet. Ferris Tucker .ging mit dem Schwarzen zum Vordeck. Die beiden Männer begannen sofort damit, die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Vor allem verbannten sie alle Deckslaternen aus ihrer Nähe, der Mondschein war hell genug. Auch der Seewolf blieb bei ihnen, als Ferris Tucker anfing, das Faß langsam und vorsichtig zu öffnen. Das Ergebnis fiel aus wie vermutet. Das Faß enthielt tatsächlich hochwertiges Pulver, das mit gehacktem Blei und großen Eisenstücken durchsetzt war. Der Schiffszimmermann rieb sich die Hände. „Na, die Dons werden ihre helle Freude an uns haben. Unten befinden sich immerhin sechs Fässer, und ein Boot haben wir auch!" Er warf einen Blick zum Achterdeck hinüber, auf dem das Boot kieloben lag, das sie an der Untergangsstelle der „Almeria" geborgen hatten. „Du hast vermutlich nichts dagegen, wenn ich gleich damit beginne, das Boot entsprechend vorzubereiten, oder?" fragte er den Seewolf. „Batuti könnte mich gut im Ruderdeck ablösen. Außerdem wissen sie, daß sie im selben Boot sitzen wie wir. Von denen bricht bestimmt keiner mehr aus. Nicht mehr seit die ‚Almeria‘ abgesoffen ist!" „Ja, fang an, Ferris. Batuti soll dich im Bootsdeck ablösen, aber drei von uns möchte ich dort unten wissen, sicher ist
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sicher. Ich werde dir helfen, Ferris. Außerdem sollten wir jetzt nach der Isabella' Ausschau halten, wir brauchen die Uniformen. Und mit Ben will ich mich auch noch einmal genau abstimmen. Denn wenn es auf der Reede von Cadiz kracht, dann ist dort im Nu der Teufel los!" Der Seewolf wandte sich um, blieb , dann aber noch einmal stehen. „Ich habe im Ruderdeck noch etwas zu erledigen, komm, Batuti, wir werden das sofort tun." Der Gambianeger und der Seewolf verschwanden im Ruderdeck, während der Schiffszimmermann bereits zum Achterdeck ging, um sofort mit allen notwendigen Vorbereitungen zu beginnen. Aber er brauchte noch einiges von seinem Werkzeug dazu, und das befand sich auf der Isabella Unterdessen hatte Hasard das Ruderdeck erreicht. „Alles mal herhören!" sagte er mit lauter Stimme, und alle Köpfe fuhren herum, während das Rudern auf Kommando von Carberry eingestellt wurde. „Ihr wißt, daß wir die Reede von Cadiz anlaufen. Um den Schein zu wahren und nicht durch einen dummen und zugleich sehr gefährlichen Zufall entdeckt zu werden, ist es nötig, daß ihr eure Fesseln wieder anlegt..." Die sofort einsetzende Unruhe beendete er mit einer energischen Handbewegung. „Natürlich nur zum Schein. Keine Kette wird zugeschlossen, aber es müssen sich Ketten an euren Fußgelenken befinden. Immerhin kann es sein, daß einer der spanischen Offiziere an Bord der ‚Sevilla‘ entert, dann muß alles echt aussehen. Ed, veranlasse bitte sofort alles Notwendige, wir nehmen jetzt Kurs auf Cadiz, das Lateinersegel wird gerade hochgezogen, der Wind steht günstig. Keiner der Ruderer erhob Widerspruch, die Begründung des Seewolfs leuchtete ihnen allen ein. Eine halbe Stunde später gab es die letzte. Unterbrechung der Fahrt. Die Sevilla ging für kurze Zeit an Lee derIsabella längsseits. Die spanischen Uniformen wurden hinübergereicht, Ferris Tucker holte sich an Werkzeug, Zündschnüren und Material, was er benötigte, und der Seewolf sprach seinen
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Plan mit Ben Brighton genau ab. Ben musterte ihn nachdenklich. Das ist wieder typisch für dich. Den Löwen aufjagen in seiner eigenen Höhle. Aber paß auf dich und die anderen auf. Was du vorhast, ist eine verdammt heiße Sache!" „Nur keine Sorge, Ben. Wenn es kracht, ist die ,Sevilla' schon wieder unterwegs. Wichtig ist nur, daß du mit der ,lsabella' zur Stelle bist, klar?“ „Klar, wir werden da sein!" Die beiden alten Kampfgefährten trennten sich. Gleich darauf warf die ‚Sevilla‘ die Leinen los und glitt wieder in die Nacht hinaus. * Die Lichter von Cadiz tauchten in der zweiten Nachthälfte an Steuerbord auf. Hasard musterte die Stadt durch sein Spektiv. Er wußte, daß Cadiz auf einer Landzunge lag und die Einführt zum Hafen von schweren Festungsbatterien beherrscht wurde. Er empfand keine großen Sympathien für diese Stadt, denn die Erinnerungen, die er an sie hatte, waren alles andere als gut. Er riß sich von seinen Gedanken und Empfindungen los. Das alles hatte keinen Zweck, vor ihnen allen lag eine gefährliche und schwierige zweite Nachthälfte. Denn auch soviel war absolut klar: Noch ehe es hell wurde, mußten sich die Isabella und- die „Sevilla‘ längst wieder draußen auf der offenen See befinden. Alles, was sie vorhatten, mußte längst gelaufen sein. Hasard suchte den Horizont an Backbord ab. Irgendwo, dort segelte die,Isabella, sie hatte sich vor einer guten halben Stunde von der Sevilla abgesetzt, um nicht entdeckt zu werden. Einmal glaubte der Seewolf, ihre Silhouette über der Kimm im gleißenden Mondlicht wahrzunehmen, aber er konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Ed Carberry enterte hoch aufs Achterdeck. „Im Ruderdeck ist alles ruhig. Die Kerls pullen, daß es eine Freude ist.; Ich habe ihnen noch mal von Bill ein Quart Rum ausschenken lassen, das hat sie sichtlich beflügelt!"
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Er warf einen Blick in die Runde. Dann sah er Ferris Tucker, der immer noch an dem geborgenen Boot herumwerkte. „He, .Ed, noch immer nicht, fertig? Langsam wird's aber Zeit, Cadiz liegt querab", sagte er. Ferris richtete sich auf. „Alles in Ordnung, Ed. Wenn dieses Osterei hierzu Wasser gefiert wird und losgeht, dann ist da drüben bestimmt der Teufel los. Außerdem habe ich mit Batuti noch ein niedliches kleines Floß vorbereitet. Was hältst du von einem kleinen Bad in spanischen Gewässern, Ed? Schließlich kann man auf einem Bein nicht. Stehen, oder?" Der Profos grinste, in seinem Narbengesicht hinterließ das Mondlicht viele Schatten. „Gar nicht so übel, die Idee, Ferris. Ich hätte sowieso längst mal wieder gern ein Bad genommen, aber man kriegt das nicht immer hin. Nun, an mir soll's nicht liegen!"' Ferris Tucker nickte ihm zu; dann hämmerte er weiter, Batuti, den er sich doch wieder geholt hatte nachdem Hasard sich mehr und mehr um die Führung der „Sevilla “ kümmern mußte, half ihm emsig dabei. Ed Carberry streckte abermals seine Nase in den Wind. „Ist direkt 'n Glück, diese alte Gegend mal wiederzusehen“, sagte er, und seine Miene hatte jenen Ausdruck angenommen, den der Seewolf nur zu gut kannte. So sah Carberry aus, wenn alle Zeichen bei ihm auf Sturm standen. Ihm ging es wie allen anderen Seewölfen. Alte Erinnerungen wurden wieder lebendig, alte Narben begannen erneut zu brennen. „Merkwürdig glatt verlaufen alles bisher", sagte, er nach einer Weile, „Zu glatt für meinen Geschmack. Da ist irgendwo noch ein dicker Knoten im Tampen, das habe ich im Gespür.“ Der Seewolf nickte. Ihm ging es genauso. Die Sache mit der „Almeria“ in der Bucht war so glatt verlaufen, wie er es sich nicht einmal im Traum erhofft hätte. Auf der Fahrt nach Cadiz weit und breit kein spanisches Schiff. Die Ruderer auf der Galeere spielten mit. Außerdem hatten sie diese prächtigen schwarzen Fässer diese Branderbomben an
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Bord der Sevilla gefunden – nein, das alles war schon geradezu unheimlich. „Mann, Ed,. beschrei das nicht“, sagte er nur. Dabei kam er sich schon fast vor wieder alte 0'Flynn, der immer irgendwo Meergeister und Gespenster sah. Ed Carberry warf einen letzten Blick in die Runde, dann hob er nur die Schultern. „Also, mir wäre es am liebsten, alle Dons sprengten sich von selber in die Luft. und das ganze Cadiz gleich mit, aber ich fürchte, die werden uns was husten!" Damit verschwand er wieder im Ruderdeck. Die .erste Schwierigkeit tauchte genau eine halbe Stunde später auf, und zwar in Form einer großen Galeere, die genau auf die Sevilla zuhielt und sie auch mit Leichtigkeit einholte. Der Seewolf blickte ihr entgegen und sah den schlanken Spanier auf dem Achterdeck. „Ed!" rief er ins Ruderdeck hinunter. „Laß das Rudern einstellen, die Kerle wollen etwas von uns, sie haben uns eben aufgefordert, zu stoppen. Sollte etwas schiefgehen, dann voll drauf, ohne Rücksicht!" „Aye, aye, Sir!" dröhnte es zurück. „Geht in Ordnung. Der alte Carberry ist gerade in der richtigen Stimmung, um ein paar Dons aufs Haupt zu schlagen!" Hasard hörte, wie Carberry die nötigen Befehle gab, unterstützt von Smoky und Luke Morgan, der Batutis Stelle dort eingenommen hatte. „Pete, Kurs halten", befahl der Seewolf leise. „Wollen erst mal sehen was die mit uns vorhaben." Pete Ballie nickte nur. Ihn brachte das Ganze keineswegs aus der Ruhe, da waren sie schließlich schon mit ganz anderen Situationen fertig geworden. Die große Galeere glitt heran, dann verlangsamte auch sie ihr Tempo. „Welches Schiff, wohin?" tönte es spanisch über das Wasser. Hasard richtete sich in seiner spanischen Uniform auf. „Bestimmungshafen Cadiz. Kriegsgaleere ‚Sevilla'. Capitan Huelva. Wir haben Sonderorder der .Almeria'. wir müssen für die ,Almeria' Hilfe anfordern, sie liegt
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havariert in einer Bucht etwa vierzig Meilen südlich. Wir waren dort, um, im Lager unsere Ruderer auszutauschen, sahen sie einlaufen und Anker werfen. Die ,Almeria hatte eine Kollision im Geleit." Der Spanier schwieg ein paar Minuten. „Was, der alte Admiral Don Nerja? Sein Flaggschiff wurde beschädigt?" Hasard atmete auf. Das war so impulsiv gesagt worden, daß dahinter keine Falle zu vermuten war. Aber bisher hatte er nicht gewußt, wer das Kommando auf der „Almeria" führte, denn der Capitan hatte nichts darüber verlauten lassen. Seine Männer hatten nichts gewußt. „Ganz recht. Admiral Don Nerja, hat mich beauftragt, aus Cadiz Hilfe zu holen. Die ‚Almeria' schwimmt, aber sie ist so schwer beschädigt, daß, er nicht einmal mehr die Überfahrt nach Cadiz wagen wollte." Wieder schien der Spanier eine Weile zu überlegen. Dann hatte er seine Entscheidung getroffen. „Laufen Sie Cadiz an. Sie finden. auf der Reede einen großen Zweidecker, die ,Cadiz'. Auf ihr hält sich außer dem kommandierenden Admiral zur Zeit auch der Hafenkommandant auf, sprechen Sie mit ihm, er wird alles Notwendige veranlassen. Die Flotte hat in Cadiz etliche Schiffe liegen, die über Zimmerleute, und Material für derartige Zwecke verfügen. Die endgültige Reparatur kann sowieso erst in Cadiz auf der Werft durchgeführt werden." „Welches Schiff führen Sie, und wie ist Ihr Name und Ihr Rang?" fragte Hasard zurück, weil ihn in diesem Moment der Teufel ritt und er blitzschnell einen Plan gefaßt hatte. „Capitan Puerto, mein Schiff ist die königliche Kriegsgaleere ,Guadalquivir'. Grüßen Sie den HafenKommandanten, Senor Ortega, von mir. Er kennt mich gut. Gute Reise, Senor!" Hasard atmete zum zweiten Mal auf, als die große Galeere wieder Fahrt aufnahm und in Richtung auf das offene Meer verschwand. „Leute, das ist noch mal gutgegangen", sagte er ein paar Minuten später, als die Seewölfe zu ihm aufs Achterdeck stürmten. „Aber Jetzt wird es Ernst, Alle überprüfen noch
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einmal peinlichst genau ihre Uniformen, daß mir da keine Schlampereien passieren. Ich werde bei dem Zweidecker ,Cadiz' längsseits gehen. Mal sehen, wo der liegt. Mir geht es vor allem darum, herauszufinden, wie viele Schiffe sich auf der. Reede vor Cadiz versammelt haben und warum. Ich werde wahrscheinlich an Bord der ,Cadiz‘ entern, um das herauszufinden Inzwischen müßt ihr beide, Ferris und du, versuchen, eins der Fässer oder das ganze Boot unter dem Heck der ,Cadiz' zu vertäuen. Bringt es jetzt schon aus, damit wir es bereits auf der Reede ganz unverdächtig im Schlepp haben. Batuti läßt sich an Oberdeck nicht sehen, die Dons haben keine Schwarzen als Soldaten auf ihren Schiffen. Batuti hält Wache im Ruderdeck zusammen mit Smoky und Bill, Und schärft dem Jungen ein, daß er sich dort nicht wegzurühren hat. So clever das Bürschchen auch ist und so sehr er uns allen aus der Klemme geholfen hat, auf der Reede von Cadiz könnten irgendwelche Eigenmächtigkeiten Bills unser Ende bedeuten. Ist das alles völlig klar? Die Männer nickten. Das war klar und deutlich genug und wieder eine Sache nach ihrem Geschmack. Ed Carberry setzte eine grimmige Miene auf, als er ins Ruderdeck hinunterstieg. Dann nahm er Bill zur Seite. Nach ein paar Minuten wußte Bill, was er wissen mußte. „Hör zu, Bill, du bist ein wahrer Teufelsbraten. Aber das hier, Cadiz, wo sich die spanische Flotte versammelt hat und vielleicht zu einem Krieg gegen unser eigenes Land in See gehen will, das ist etwas anderes. Der erste Fehler, der uns auf der Reede von Cadiz unterläuft, kann unser letzter sein. Hasard, unser Kapitän, ist genau der Mann, der das alles so hinzubiegen vermag, wie wir das brauchen. Wir helfen ihm am besten, wenn wir genau das tun, was er von uns verlangt. Denk ans Höllenriff auf der Schlangeninsel, kapiert, Bill?“ Der Junge nickte. „Sie können sich auf mich verlassen, Sir. Bestimmt. In der Bucht da war ich nicht eigenmächtig, da mußte ich doch..." Carberry strich ihm übers Haar - eine für ihn
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ganz und gar ungewöhnliche Geste. „In der Bucht, das war ganz in Ordnung. Da mußtest du selber entscheiden und hast das Richtige für uns alle getan. Das werden wir auch noch feiern, so, wie Ferris dir das versprochen hat. Aber hier, in Cadiz, hat der Seewolf zu entscheiden. Denn er ist ja da und befehligt dieses Schiff. Verstehst du den Unterschied, Söhnchen?“ Wieder nickte der Junge. Klar, Sir! Alles klar." Carberry wandte sich zufrieden ab. Es war manchmal nötig, daß man so einem Bürschchen alles ganz genau erklärte. Aber soviel stand fest: Aus dem Bengel wurde noch mal was! 8. Die Außenreede von Cadiz öffnete sich vor den Blickender Seewölfe. Mit Ausnahme einer Wache im Ruderdeck hatten sich alle Seewölfe, die mit Hasard auf dieSevilla umgestiegen waren, auf dem Achterkastell versammelt. Die Reede breitete sich im hellen Mondlicht vor ihren Augen aus. Die Wasserfläche schien wie mit Silber übergossen. In dem Silber aber schwammen die dunklen Silhouetten der dort ankernden Schiffe. Und von Steuerbord her blinkten die Lichter von Cadiz zu .ihnen herüber. Der Anblick verschlug sogar dem Seewolf die Sprache. Er konnte die Galeonen, Karacken und Galeeren, die dort um ihre Ankertrossen schwoiten, nicht zählen. Aber nach einer groben Schätzung mußten das nicht nur hundert, sondern weit eher zweihundert oder sogar noch mehr Schiffe sein. Ed Carberry stieß laut und vernehmlich die Luft aus. „Mein lieber Freund", sagte er, „das haut selbst den stärksten Seemann vom Mast. So was habe ich noch nie gesehen. Himmel, wie mag das erst bei Tage aussehen, das ist doch glatt zum Verrücktwerden. Die Kerle bereiten einen Angriff auf England vor, nur zu diesem Zweck haben die hier eine solche Versammlung veranstaltet."
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Die anderen schwiegen. Was hätten sie auch sagen rollen? Ferris Tucker faßte seine Axt fester, Hasard stand wie erstarrt und wollte nicht glauben, was er sah, Bill krampfte seine kleinen Hände um das Schanzkleid der Galeere, Batuti, Pete Ballie und sogar Big Old Shane schüttelten nur noch die Köpfe. Sie waren sonst nicht so leicht zu erschüttern. Aber auch der hitzige Luke Morgan war verstummt, und der bedächtige Stenmark nagte an seiner Unterlippe herum. „Einer soll Smoky ablösen", sagte der Seewolf in die Stille hinein. „Diesen Anblick will ich ihm nicht vorenthalten, das muß jeder von uns gesehen haben, damit wir es nie mehr vergessen." Ed Carberry wollte sich in Bewegung setzen, aber Ferris Tucker hielt ihn zurück. „Laß nur, Ed, ich geh schon. Mir reicht's, so viele Dons sind einfach zum Kotzen, das hält kein ehrlicher Christenmensch aus." Der riesige Schiffszimmermann packte seine Axt und ging mit schweren Schritten in Richtung Ruderdeck davon. Smoky, der wenige Augenblicke später auf dem Achterkastell erschien, erging es nicht anders als seinen Gefährten. „O verdammt", brachte er lediglich heraus, dann verstummte er. Hasard hatte .seine Überraschung als erster überwunden. Aber er sollte rund ein Jahr später vor den Küsten Englands immer wieder an diesen Anblick erinnert werden. Er sollte ihn die ganze erbarmungslose, lange Schlacht der Engländer gegen die spanische Armada über verfolgen und fast zum Alptraum werden. „Ein oder zwei dieser Brocken da drüben", er deutete auf die deutlich zu erkennenden großen Zweidecker, die ziemlich weit draußen in der Bucht von Cadiz ankerten, „werden wir versenken. Das wird die Dons wütend machen, sie werden uns jagen, aber wir müssen es riskieren, das sind wir England schuldig. Denn wenn diese Flotte wirklich dazu bestimmt sein sollte, England anzugreifen, dann kann jede Kanone, die noch zuviel da ist und feuert, die Schlacht
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entscheiden. Ein Jammer, daß kein englischer Flottenverband in der Nähe ist, der diese Schiffe angreifen kann. Schade, daß jetzt der Schwarze Segler mit Thorfin Njal, unserem Wikinger, und Siri-Tong nicht wenigstens zur Stelle ist, oder Jean Ribault und von Hutten mit ihrer Crew. Ich glaube, zusammen mit diesen beiden Schiffen und Besatzungen könnte unsere gute alte ,Isabella' hier gehörig aufräumen, und wir brauchten uns nicht nur mit einem oder zwei von den Dons zu begnügen. Wenn ich das später einmal Thorfin erzähle, platzt dem vor Wut darüber, daß er nicht auch dabei gewesen ist und mitmischen konnte, bestimmt der Helm. Oder?" Sie Seewölfe brachen bei dieser Vorstellung in ein wildes Gelächter aus. Und damit hatte Hasard den Bann gebrochen. „Los, Männer, auf Stationen. Alles läuft wie besprochen, solange die Dons unser Spiel mitspielen, klar?" Die Seewölfe nickten. Dann verschwanden sie. Auf dem Achterkastell zurück blieben Hasard und Pete Ballie, der am Ruder stand. Ohne kontrolliert oder angerufen zu werden, glitt die Sevilla in die Bucht von Cadiz. Das dumpfe Tom-Tom des Schlagmannes war weithin und deutlich zu hören. Im Schlepp der Galeere folgte das Boot, das Ferris Tucker in mühseliger Arbeit an Deck der Sevilla zusammen mit Batuti in eine schwimmende Bombe verwandelt hatte. Der Seewolf gab Pete Ballie immer wieder Anweisungen. Er hatte direkten Kurs auf zwei große Viermaster genommen, die sich deutlich gegen die mondlicht beschienene Wasserfläche abhoben und deren Schiffslaternen zu ihnen herüberleuchteten. Eine kleinere Galeere kreuzte den Kurs der ,Sevilla‘ und den Seewolf ritt der Teufel. „Achtung, hier Galeere ‚Sevilla‘. Wir suchen die ,Cadiz', wo liegt sie? Wir haben eine wichtige Nachricht für ihren Kommandanten!" Das Erstaunliche geschah, die Galeere antwortete sofort. „Da vorn, der erste Zweidecker, ihr lauft geradewegs auf ihn zu." Die letzten Worte klangen schon ziemlich
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schwach herüber, denn die beiden Galeeren entfernten sich rasch voneinander. „Stenmark, Luke, löst jetzt Ed und Ferris ab. Sie müssen ins Boot umsteigen. Ich weiß nicht, wieviel Zeit uns nachher dazu bleibt." Der Seewolf hatte das aufs Hauptdeck der Sevilla hinuntergerufen, und sofort verschwanden die beiden im Ruderdeck. „Batuti, Shane - ihr übernehmt das Floß. Es muß unter das Heck des zweiten Zweideckers. Prüft die Zündschnüre noch einmal, aber erst zünden, wenn wir euch mit der Schiffslaterne dazu das Zeichen geben. Wir nehmen euch anschließend wieder an Bord. Schafft ihr das allein, oder wollt ihr noch jemanden mitnehmen, das Floß ist verdammt schwer, es ist keine Kleinigkeit, das Ding schwimmend dort hinüberzuschaffen." Batuti wollte antworten, ober Old Shane ließ ihn durch eine Handbewegung verstummen. „Ich glaube tatsächlich, daß ein dritter Mann gut wäre. Smoky ist ein guter Schwimmer und hat Kraft. Er soll uns begleiten. Batuti, sei vernünftig, hol ihn rauf. Ein anderer soll ihn im Ruderdeck ablösen." Der Seewolf nickte. „Paßt bloß auf, daß euch die Kerle nicht erwischen. Auf diesen Zweideckern gehen bestimmt eine ganze Menge Deckswachen. Ihr müßt jedes Geräusch vermeiden. Wenn ihr mit allem fertig seid, schickt schon zwei zurück, wir wissen dann Bescheid. Dem dritten geben wir das Signal, sobald wir ebenfalls fertig sind und uns mit der ,Sevilla' verzupfen. Macht's gut. Shane winkte Batuti zu sich heran. „Hol jetzt Smoky. Wir müssen sofort mit unseren Vorbereitungen beginnen. Das Floß muß zu Wasser sein, ehe irgendein Don seine neugierige Nase in unsere Angelegenheiten steckt und Hasard an dem Koloß da vorn festmacht." Batuti nickte, inzwischen war auch. ihm klar, geworden, das Old Shane recht hatte, Smoky als; dritten Mann mitzunehmen. Das Wasser war um diese Jahreszeit nicht gerade warm, es war gut, wenn sie zu dritt am Floß hingen, sie würden schneller vorankommen.
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Von der „Cadiz" wurden sie angerufen als sie fast heran waren. Der Seewolf konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, Sehr wachsam sind die Kerle jedenfalls nicht. Die fühlen sieh auf dieser Reede in ihrem Riesenverband absolut sicher. Na, Pete, wir werden sie schon aufwecken!" Pete Ballie lachte leise. Das war wieder der echte Seewolf, so, wie er ihn all die Jahre hindurch kannte. Pete war nicht das Blitzen in den eisblauen Augen Hasards entgangen. Ed Carberry und Ferris Tucker lagen längst unter der Persenninge die die im Boot installierten Fässer verbarg. Sie grinsten beide bis über die Ohren, als sie hörten, wie Hasard den Don verschaukelte. „Ich bitte an Bord kommen zu dürfen!" hörten sie ihn eben sagen. „Ich habe für den Hafenkommandanten und für den Kommandanten der ‚Cadiz' eine wichtige Mitteilung. Sie betrifft die ,Almeria', das Flaggschiff Admiral Don Nerjas. Von der Galeere ,Guadalquivir' wurde ich an Sie verwiesen, Capitan Ruerto sagte mir freundlicherweise, daß die ,Cadiz die richtige Stelle für meine Nachricht wäre." „Warten Sie. Ich muß den Admiral Verständigen." Der Offizier der Deckswache verschwand. Pete Ballie konnte sich seinen Kommentar nicht verkneifen, „Himmel und Hölle, diese Dons scheinen tatsächlich mehr Admirale als Mannschaften zu haben. Offenbar sitzt auf jedem der großen Pötte so ein Lamettafritze! Das ist doch, glatt zum Totlachen." Der Rudergänger Pete Ballie hatte das nur leise zum Seewolf gesagt, aber Hasard hatte ihn genau verstanden. Ihm paßte der Admiral an Bord der „Cadiz" überhaupt nicht in den Kram. Eine weniger hohe Charge wäre ihm bedeutend lieber gewesen. Und hoffentlich kannte dieser Admiral Capitan Huelva nicht persönlich, sonst gerieten sie sofort in Teufelsküche. „Pete, gib Ferris und Ed das verabredete Zeichen, aber paß auf, daß man es von Bord des Zweideckers nicht sehen kann, sonst . . ."
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Verblüfft blickte er zum Heck der Galeere, von dem eben noch das Boot zu sehen gewesen war. Aber das Boot und mit ihnen Carberry und Tucker waren spurlos verschwunden. „Diese verdammten Himmelhunde, die haben kapiert, daß sie schnell sein müssen, viel schneller als vorgesehen. Die sind bereits unter das Heck des Viermasters gepullt, noch ehe durch unser Festmachen die Gaffer an Deck auftauchen konnten." Der Seewolf sagte das nicht ohne Anerkennung. Das war eine Crew, mit der man selbst den Teufel aus der Hölle segeln konnte, wenn man das unbedingt wollte. Der Offizier von der Deckswache erschien wieder. „Gehen Sie längsseits, der Admiral erwartet Sie. Ich werde Sie zu ihm bringen, Capitan, aber nur Sie allein." Der Seewolf atmete auf. Das lief ja wie geschmiert,. Rasch warf er noch einen Blick zum Hauptdeck der Sevilla hinunter Er sah gerade noch, wie Batutis Kopf unter dem Schanzkleid verschwand. Unmöglich, das vom Zweidecker aus zu beobachten, dazu war es viel zu dunkel, trotz des Mondlichtes. Also war auch das Floß mit dem Schwarzen, Big Old Shane und Smoky auf der Reise. Der Seewolf warf einen Blick in die Bucht zu dem anderen Zweidecker hinüber, dessen Namen .er nicht kannte. Die Entfernung betrug etwa dreihundert Yards, für Schwimmer wie Batuti, Shane und Smoky kein Problem. Auch das schien zu klappen!' Hasard gab Pete Ballie noch rasch einige Instruktionen. Dann enterte er die inzwischen herabgelassene Jakobsleiter hoch und wurde vom Offizier der Wache in Empfang genommen. Der Seewolf wollte unter allen Umständen versuchen, zu erfahren, was hier auf der Reede vor sich ging. Außerdem würde sein Besuch beim Admiral gar nicht erst den Gedanken an eine Gefahr entstehen lassen. * Das :Wasser war doch kälter, als Shane, Smoky und Batuti angenommen hatten. Der
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Sturm, der noch am Vortag getobt hatte, war nicht .unschuldig daran, denn kaltes Wasser vom Atlantik war in die Bucht geflutet. Besonders Batuti litt unter der Kälte, aber .er ließ sich nichts merken, sondern biß die Zähne zusammen. Die drei Seewölfe achteten peinlich genau darauf, daß das Floß keinerlei verdächtiges Geräusch verursachte. Das Wasser in der Bucht war verhältnismäßig ruhig, lediglich vorn Atlantik her stand noch eine lange Dünung herein. Das aber erwies sich als günstig, denn die Dünung drückte sie in Richtung des Zweideckers, auf den sie das Floß zubugsierten. Ohne Zwischenfälle erreichten sie den Zweidecker, aber dann hob Batuti plötzlich den schwarzen Kopf aus dem Wasser. „Verflixt, sein Dons auf Achtergalerie. Können sehen, wenn Floß hinbringen!" Old Shane und Smoky verhielten in ihren Schwimmbewegungen. Ein Glück nur, daß sie sich bereits im Schatten des großen Schiffes befanden, den es durch das helle Mondlicht auf die Bucht warf. „Batuti hat recht, Shane", sagte Smoky. „He, Batuti, du mußt Katzenaugen haben, die bei Nacht sehen. Ich hätte diese beiden Kerle da oben nie entdeckt, wenn du mich nicht auf sie aufmerksam gemacht hättest. Aber was, zum Teufel, treiben die sich ausgerechnet dort herum? Das gibt es doch gar nicht. Der Seewolf würde uns vielleicht heimleuchten, wenn wir uns ausgerechnet da häuslich niederließen!" Smoky hatte recht. Das war tatsächlich ein Rätsel. Normalerweise hatte der Kommandant seine Kammer im Achterschiff. Auf diesem Riesenschiff mußte das schon fast ein ganzer Saloon sein, wie die Fenster auswiesen, die zum Glück um diese Zeit nicht mehr erleuchtet waren und kein Licht mehr auf die heranrollende Dünung werfen konnten. Wurde dort jemand bewacht? Hatte der Kommandant ausgerechnet auf der Heckgalerie Wachen ausgestellt? Big Old Shane behielt die Ruhe, aber Smoky fluchte in sich hinein. Das Floß mußte unter das Heck. Nur dort konnten sie es so
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vertäuen, daß es nicht gesehen wurde und sich nicht durch ständiges Scheuern am Rumpf des Zweideckers verriet. Die Galeone hing an der Trosse des Bugankers, genauer: zur Sicherheit hatte das große Schiff sogar zwei Buganker ausgebracht. Es richtete den hohen Bug also immer gegen die heranrollende Dünung. Unter dem Heck war damit der einzige Platz, an dem auch das Floß vom Schiff wegdrängte und das Wasser mit am ruhigsten blieb. „Die Kerle dort oben müssen weg. Solange die da sind, ist für uns nichts drin", sagte Smoky. Big Old Shane stimmte ihm zu. Die Kälte, die eben noch vom Wasser her in seine Knochen gekrochen war, war vergessen. Batuti nickte ebenfalls. „Warten hier, Batuti erledigen!" sagte er und tauchte weg, noch ehe Old Shane oder Smoky etwas dazu sagen konnten. Der Decksälteste der Isabella sah Big Old Shane an. „Wenn einer dieses Kunststück schafft, die beiden dort oben ins Land der Träume zu schicken, dann Batuti. Aber, Himmel und Hölle, wenn den die Deckswachen schnappen, dann können wir nur rüberschwimmen und ihn raushauen." Danach schwieg Smoky verbissen. Jetzt hieß es warten. * Batuti erreichte das Schiff innerhalb weniger Minuten. Direkt an der Bordwand tauchte er auf, sein Entermesser, das er auch zu diesem Unternehmen mitgenommen hatte, zwischen den Zähnen. Er fand mühelos die Stelle, an der ein Tampen ins Wasser hing, der oben am Schanzkleid befestigt war. Ohne das geringste Geräusch zu verursachen, zog Batuti sich aus dem Wasser und wartete sorgfältig darauf, das es von seinem Körper ablief, ohne zu plätschern. Dann zog er sich an dem Tampen hoch, bereit, sich augenblicklich fallenzulassen und abzutauchen,. .falls eine der. Wachen über ihm erscheinen und den Kopf übers Schanzkleid des Zweideckers strecken sollte.
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Aber nichts dergleichen geschah. Weiter, und weiter zog Batuti sich hoch, dann konnte er einen ersten Blick auf das Oberdeck des Viermasters werfen. Was er sah entlockte ihm ein Grinsen. Deckslaternen erleuchteten das Schiff nur spärlich. An der ihm abgewandten Seite, nach Cadiz zu, lungerten zwei Wachsoldaten herum und kehrten ihm den Rücken zu. Batuti nutzte seine Chance sofort. Er schwang Sich an Bord und federte den Sprung in den Knien aus. Dann jagte er in einigen lautlosen Schritten zu den beiden Wachsoldaten hinüber, nachdem er einen Beleghagel aus der Nagelbank. herausgerissen hatte. Ehe die beiden sich umwenden konnten, traf sie der Belegnagel, und Batuti gelang es sogar noch, ihre fallenden Körper aufzufangen und den Aufprall zu verhüten, der Lärm verursacht hätte. Mit einer Vorleine fesselte er die beiden, und versenkte sie in eine der dicken Taurollen, die ordentlich aufgeschossen an Deck lagen. „Dons nix bald finden Wachschlafmützen!" murmelte; er .befriedigt in seinem schlimmen Englisch vor sich hin, dann huschte er auch schon weiter. Er. könnte es .einfach nicht begreifen, daß auf diesem Riesenschiff, es war mehr als doppelt so groß als die Isabella, keine weiteren Wachen mehr zu finden sein sollten. Aber, es gab keine, der Zweidecker schlief. Entweder hatte, die, Besatzung Landgang, oder man verließ sich auf den Schutz der Flotte und darauf, daß kein Feind es wagen würde, sieh dieser über und über mit ankernden Kriegsschiffen bedeckten Reede zu nähern. Batuti gelangte zum Achterschiff. Er mußte eine ganze Anzahl von Stufen hoch, bevor er das für seine Begriffe gewaltige Achterdeck überblicken konnte. Dann zog er plötzlich blitzschnell den Kopf wieder ein.0 Ein junger Offizier mit einer jungen Frau am Arm war auf dem Achterdeck erschienen. .Der Richtung nach aus der er heranschlenderte, mußte er sich vorher mit der jungen Frau auf der Heckgalerie befunden haben.
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Batutis Gedanken rasten. Er schaffte es nicht einmal mehr, von einem Ohr zum anderen zu grinsen. Die Frau war gefährlich, den Frauen neigten dazu, zu schreien, wenn sie sich erschreckten. Batuti ihr geben keinen Klaps, nicht will schlagen Lady", murmelte er, und :riskierte noch einen raschen Blick übers Achterdecks. Wieder war das Glück mit ihm. . Der Offizier hatte sich nach ein paar erklärenden. Worten von der jungen Frau getrennt. Sie, lehnte am Schanzkleid und blickte ihm nach. Batuti begriff, daß der Offizier die Wachen kontrollieren wollte, und damit würde es brenzlig. Auf der Batuti abgewandten Seite stieg er den Niedergang hinunter, Der Schwarze handelte schnell. Den Belegnagel in der Rechten hetzte er quer über das Deck. Ganz glückte ihm die Überraschung nicht mehr, der Offizier mußte doch etwas gehört haben und wandte sich um. Er sah die schwarze Gestalt auf sich zufliegen, riß seinen Degen heraus und wollte sich dem Schwarzen entgegenwerfen. Gleichzeitig sah Batuti, wie sich sein Mund zum Alarmschrei öffnete. Batuti mußte jetzt alle Rücksicht fahrenlassen, oder ihr ganzes Unternehmen geriet in ernste Gefahr. Mit dem Belegnagel schlug er den Degen zur Seite, mit der anderen Hand versetzte er dem Spanier einen Hieb, der einen Ochsen gefällt hätte. Es gab einen dumpfen Knall, als der Spanier aufs Deck seines Schiffes geschleudert wurde. Der Degen klirrte. Erschrocken verharrte Batuti, aber nichts rührte sich. Batuti schleifte den Bewußtlosen zur Seite, fesselte ihn ebenfalls und verstaute ihn unter einer Persenning, die neben dem Schanzkleid an Deck lag. „Lady", flüsterte er, Jetzt du!" Er jagte los und schlich die Stufen zum Achterdeck hoch, bis er einen Überblick hatte. Die Lady stand noch immer am Schanzkleid. Sie wandte Batuti den Rücken zu. Der Gambianeger zögerte nicht. In Riesensätzen, nahezu lautlos, flog er auf die
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junge Frau zu, packte sie und preßte ihr eine Hand vor den Mund. Er spürte, wie ein jäher Ruck durch ihren Körper ging und sie in seinem Griff zu strampeln begann. Aber dann erschlaffte sie – der Schreck und auch der Luftmangel hatten ihr die Besinnung geraubt. „Armes kleines Lady", murmelte Batuti, und sie tat ihm wirklich leid, „du nix Soldat. Batuti dich nach vorn bringen, da sicher, wenn Faß in Luft fliegt. Hoffentlich wachen auf bei Rums, sonst vielleicht ertrinken ..." Er untersuchte sie rasch, sie befand sich in einer tiefen, schockähnlichen Ohnmacht. Batuti kannte das von seinen früheren Stammesgenossen und vom Medizinmann, mit dem er sich als Junge schon gut verstanden hatte. Er ließ sie zu den beiden gefesselten Wachsoldaten in die Taurolle gleiten. Dann überquerte er das Deck und glitt an dem Tampen, an dem er an Bord geklettert war, wieder ins Wasser. Kurz darauf tauchte er bei seinen beiden Gefährten auf. „Schnell", schnitt er jede Frage ab, „Luft sein rein. Floß hinbringen, vertäuen!“ Mit mächtigen Stößen begann er zu schwimmen, das Entermesser immer noch zwischen den Zähnen. * Alles weitere ging rasch. Big Old Shane und Smoky banden das Floß mit den Fässern am Ruderblatt der Galeone fest. Und zwar so, daß es sich frei auf der Dünung bewegen konnte, die Explosion aber dennoch Ruder und Teile des Hecks zerreißen mußte. Batuti, Smoky, ihr beide schwimmt zurück. Ich bleibe und werde die Zündschnur in Brand setzen, sobald ich das Zeichen von euch oder Hasard erhalte", sagte Old Shane. Seinen Augen sahen sie an, daß jeder Widerspruch zwecklos war. Smoky unterdrückte einen ellenlangen Fluch und stieß sich ab, während sich Big Old Shane auf das Floß zog und dort niederkauerte. Er begann sofort, das wasserdicht verpackte Schiffsfeuerzeug
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auszuwickeln und bereitzulegen. Auch Batuti schwamm. Die Kälte des Wassers setzte ihm zu. „Aufpassen, Shane", sagte er noch leise. „Vielleicht finden Soldaten Bewußtlose, vielleicht wachen Frau auf und schreien. Aufpassen, dann tauchen Shane - oder tot!" Big Old Shane starrte den Schwarzen an. „Frau?" fragte er nur leise. „Eine Frau war an Bord? Und du hast sie..." „Nix tot. Bewußtlos, Schreck, Batuti packen, Mund zuhalten. War mit Mann auf Heckgalerie, da sehr dunkel. Kapiert?" Big Old Shane begriff. Er bewunderte Batuti. Weder Smoky noch er hätten das geschafft. „Schwimm jetzt, beeil dich und sorg dafür, daß ich hier nicht zu lange warten muß, klar?" Batuti nickte, dann schwamm er zu dem bereits wartenden Smoky hinüber, der die leise geführte Unterhaltung wenigstens teilweise mitgekriegt hatte. „Na, du bist mir schon 'n toller Hecht, Batuti", sagte er anerkennend. „Aber verdammt, ich hätte da oben nicht in deiner Haut stecken mögen!" Batuti antwortete nicht. Denn die kleine Frau tat ihm immer noch leid. Die beiden erreichten die Sevilla gerade in dem Moment, als der Seewolf die Jakobsleiter von der „Cadiz" wieder abenterte und an Deck der Sevilla sprang. Er sah, wie Batuti und Smoky, grau vor Kälte, sich unter Vermeidung jedes Geräusches an Bord zogen und von den anderen in Empfang genommen wurden. Er trat zu ihnen. „Alles klar?" Batuti berichtete kurz, und dabei klapperten ihm die Zähne. „Ausgezeichnet. Los, das Zeichen für Ed und Ferris, dann das Zeichen für Shane. Wir legen sofort ab. Ich habe dem Admiral erklärt, daß ich sofort zur Hafenkommandantur müsse, um alles in die Wege zu leiten. Der Hafenkommandant befand sich gottlob nicht an Bord der ,Cadiz'. Der Admiral will morgen zwei Schiffe mit Material zur .Almeria' in Marsch setzen. Viel Spaß! Die werden sehr lange Gesichter
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ziehen, wenn sie erfahren, daß wir die ,Almeria' auf' dem Gewissen haben. Ich denke, die ersten Seesoldaten und Offiziere des Zweideckers werden morgen in Cadiz auftauchen und berichten, was geschehen ist. Aber dann sind wir längst weg." Pete Ballie trat auf Hasard zu. „Und die Schiffe, was ist mit denen? Warum liegen sie hier?" Der Seewolf hob die Schultern. „Das schien nicht einmal der Admiral zu wissen. Es war unmöglich, noch weiterzubohren, der Kerl hätte Verdacht geschöpft. Also los jetzt, die Zeichen, aber Vorsicht dabei!" fügte er leise hinzu. Und dann: „Leinen los, sobald Ed und Ferris wieder an Bord sind. Wir rudern dann Shane entgegen!" Stenmark ging aufs Achterdeck der Sevilla. In der Rechten hielt er eine abgedeckte Schiffslaterne. Er blinkte zweimal kurz zum Heck der „Cadiz" hinüber. Minuten später stiegen Ed Carberry und Ferris an Bord. „Alles in Ordnung, die Zündschnüre brennen, und sie gehen auch nicht aus, dafür ist gesorgt!" Der Schiffszimmermann und der Profos grinsten. „Junge, Junge, Herr Admiral, das wird dich vielleicht aus der Koje hauen!" sagte Ferris Tucker und warf noch einen Blick auf das Boot, das sich unter dem gewaltigen Heck der „Cadiz" im Rhythmus der Dünung hob und senkte. Stenmark gab Big Old Shane das gleiche Zeichen. Kurz darauf sahen sie es auch unter denn Heck des anderen Zweideckers aufblitzen. Dann warf die Sevilla die Leinen los und das dumpfe Tom-Tom des Schlagmannes dröhnte durchs Schiff, als es sich in Bewegung setzte. Aber kaum jemand nahm davon Notiz, denn fast alle an Bord der beiden Schiffe schliefen. Big Old Shane erreichte die Sevilla bald darauf. Carberry flößte ihm sofort einen Rum ein. Der grauhaarige Riese und einstige Waffenmeister von Arwenack vermochte kaum zu sprechen, so schlugen seine Zähne vor Kälte aufeinander. Die Sevilla schwang herum, das Lateinersegel wurde aufgezogen, und im
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Ruderdeck gaben die Männer das letzte an Kraft, das noch in ihnen steckte. Das TomTom des Schlagmannes wurde schneller und immer schneller. Schließlich pflügte die Sevilla mit weithin im Mondlicht leuchtender Bugwelle durch die schwarze See. Und dann passierte es. * Die Fässer unter dem Heck der „Cadiz" explodierten zuerst. Eine himmelhohe, fast unerträglich helle Stichflamme schoß hoch. In ihrem Schein sahen die Seewölfe, wie das riesige Heck, der „Cadiz" zerbarst. Dann rollte der Donner der Explosion heran und vermischte sich mit dem der zweiten Explosion unter dem Heck des anderen spanischen Zweideckers. Die Seewölfe hatten das Gefühl, als würden die beiden Explosionen ihnen die Trommelfelle zerreißen und sie für immer taub werden lassen. Die „Cadiz" sackte über das Heck weg. Menschen stürzten sich kopfüber ins Wasser und versuchten sich schwimmend zu retten. Flammen schlugen aus dem Schiff, und auch der andere Zweidecker brannte. Auf den Schiffen auf der Reede wurde es lebendig. Menschen stürzten an Deck und sahen die beiden todwunden riesigen Viermaster, von denen sich der eine höchstens noch ein paar Minuten über Wasser halten würde, ehe er sank. Aber auch der andere war verloren. Mehr und mehr krängte er nach Backbord, während die Flammen aufs Deck und auf das Innere des Rumpfes übergriffen. Früher oder später würden sie die Pulverkammer erreichen, und dann nahte das Ende, wenn der Zweidecker nicht schon vorher kenterte. Hasard wandte sich ab. Dort starben Menschen, Seeleute wie er. Aber es war seine Pflicht gewesen, England zu schützen. Die Nation, zu der er gehörte, trotz allem, was man ihm und seinen Seewölfen angetan hatte. Eine erneute Explosion ließ ihn herumfahren. Er sah, wie die „Cadiz" kenterte und versank. Der Himmel hatte sich rot gefärbt
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über der Bucht ein Inferno bahnte sich an, denn auch die Festung Cadiz erwachte jetzt zum Leben. Laute Böllerschüsse, die die anderen Schiffe auf der Außenreede warnen sollten, zeigten das. Der Seewolf sah seine Gefährten an. Kein „Arwenack" dröhnte diesmal durch die Nacht, jeder von ihnen ahnte, daß dies erst die Vorboten dessen waren, was kommen würde, und daß der Krieg, der zwischen Spanien und England unweigerlich bevorstand, seine Knochenhände auch nach ihnen ausstreckte. Sie ahnten in dieser Stunde, in der zwei Achthundert-Tonnen-Galeonen der Spanier in der Bucht von Cadiz sanken, noch nicht, wie bald und unter welchen Umständen sich das Inferno für sie dort fortsetzen sollte. * Die Sevilla stieß erst am frühen Vormittag auf die draußen im Atlantik schon ungeduldig kreuzende Isabella. Ben Brighton atmete auf, als er sie sah. Der Donner der Explosionen in der Bucht von Cadiz war auch bis zur Isabella gedrungen, und Ben Brighton war voller Sorge um Hasard und seine Gruppe gewesen. Die Sevilla ging längsseits. Die Seewölfe enterten an Deck, nachdem sie sich von den Männern im Ruderdeck verabschiedet hatten. Dann wurden die gefangenen Spanier aus der Vorpiek der Isabella auf die Galeere verbracht. Capitan Huelva ahnte als erster, was ihnen blühte. Er fuhr herum und starrte den Seewolf aus blutunterlaufenen Augen an. „Sie werden es nicht wagen, Senor, nein, das werden Sie nicht!" schrie er außer sich vor Zorn. „Der Seewolf sah ihn kühl an. „Auf der ‚Isabella' können Sie nicht bleiben, das Kommando über die ,Sevilla' wird man Ihnen schwerlich wieder übergeben. Was also, glauben Sie, bleibt für Sie und Ihre Männer anderes übrig als die Ruderbank? Und es wird besonders Ihnen, Capitan, sehr gut bekommen, wenn sie erfahren, wie so einem armen Schwein auf der Ruderbank,
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angekettet Tag und Nacht, halb verkommen in seinem eigenen Unrat, zumute ist. Ich habe das Wort der Männer auf der ,Sevilla', daß man sie weder foltern noch töten wird. Mehr konnte ich für Sie nicht tun." Hasard wandte sich ab. Er wollte nicht Zeuge davon sein, wie der Capitan im Ruderdeck angekettet wurde. Aber Mitleid empfand er nicht, denn Capitan Huelva war einer jener Leuteschinder gewesen, für die er nur Verachtung empfand. Die Isabella und die Sevilla trennten sich eine knappe halbe Stunde später. Der Seewolf hatte Wort gehalten, die Männer auf der Sevilla waren von ihm so ausgestattet worden, daß sie irgendwo anders ein neues Leben beginnen konnten. Eine Stunde später verschwand die Sevilla hinter der Kimm, und insgeheim atmeten die Seewölfe auf. Am Abend dieses Tages jedoch gab es ein großes Fest. Sie feierten Bill, und sie feierten ihren Sieg. Als Bill schließlich in Carberrys Armen schlief und sein Kopf an der breiten Brust des Profos ruhte, fuhr er ihm mit seiner Pranke übers Haar. „Ja, Söhnchen, es dauert eben doch eine ganze Weile, bis man so in allen Dingen dieses Lebens ein richtiger Mann ist, was, wie? Und jetzt wird der alte Carberry dich in deine Koje tragen, da liegen auch schon die beiden Rangen des Seewolfs, die es natürlich auch wieder nicht lassen konnten und sich Rum klauen mußten. Na, euch wird morgen allen dreien der Kopf rauchen. Aber gefaulenzt wird nicht, oder ich ziehe euch eigenhändig die Haut von euren Affen ähm ist ja auch egal, was, wie?" schloß er sein Selbstgespräch, das wegen seiner Lautstärke aber auch die anderen Seewölfe aufgeschreckt hätte. Und als er sich erhob, blickte er genau in die eisblauen Augen des Seewolfs, in denen der Schalk nur so tanzte. Aber Carberry verstand nicht, Was der Seewolf zu ihm sagte, denn das ging im brüllenden Gelächter der ganzen Crew unter. Carberry schüttelte den Kopf. „Lacht nur, ihr Saufköppe, ihr dreimal verdammten Rübenschweine. Morgen bin ich
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wieder dran, und dann wird euch das Lachen schon vergehen!" Er verschwand mit Bill auf dem Armen und wußte nicht, daß sich seine Prophezeiung auf
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eine ganz andere Weise erfüllen sollte, als er sich das gedacht hatte. Denn den Seewölfen verging das Lachen wirklich.
ENDE