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G.F. UNGER Ein Begriff für Western-Kenner G.F. UNGER ist der erfolgreichste WesternSchriftsteller deutscher Sprache. BASTEILÜBBE veröffentlicht in dieser Reihe exklusiv seine neuesten Romane.
Fort der Gejagten Die schöne Josy Boston will zu ihrem Bruder, der ins Fort der Gejagten floh, nachdem man ihn unschuldig wegen Mordes zum Tode verurteilte. Inzwischen hat sich Jubal Bostons Schuldlosigkeit herausgestellt und das Urteil gegen ihn wurde aufgehoben, aber er weiß davon nichts. Josy findet in dem Banditenjäger John Klingman einen kundigen und starken Führer und kann es nicht mehr erwarten, dem Bruder die befreiende Nachricht zu bringen. Aber bis die beiden das verborgene Fort inmitten der Wildnis des Oberen Missouri erreichen, vergeht eine Menge Zeit und passieren viele Dinge, und so kann das Paar nicht ahnen, welche Hölle sie dort erwartet …
BASTEI LÜBBE TASCHENBUCH Band 45 245 1. Auflage: April 2003 Vollständige Taschenbuchausgabe Bastei Lübbe Taschenbücher ist ein Imprint der Verlagsgruppe Lübbe Originalausgabe All rights reserved © 2003 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach Lektorat: Will Platten Titelillustration: Royo/Norma Agency, Barcelona Umschlaggestaltung: QuadroGrafik, Bensberg Satz: Wildpanner, München Druck und Verarbeitung: AIT Trondheim, Norwegen Printed in Norway ISBN 3-404-45245-3 Sie finden uns im Internet unter http://www.bastei.de oder http://www.luebbe.de Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer
Ein Western – das ist Urtümlichkeit Gerade in seiner Einfachheit und Schlichtheit spricht er alle Urelemente des menschlichen Daseins an. Er zeigt die Reinen und die Sündigen und predigt doch keine aufdringliche Botschaft. Ein Western ist Ehrlichkeit. Direkt und ungeschminkt nennt er die Dinge beim Namen. Und wenn es auch nur eine einfache Geschichte ist, sollte man sie doch mit der Kraft eines Homer erzählen. G. F. Unger
1 Als sie das Steilufer des kleinen Flusses erreichen und anhalten, da bricht das Pferd von Dan Miles unter dessen Gewicht zusammen. Miles kommt noch halb aus dem Sattel, doch dann wird sein rechter Unterschenkel eingeklemmt und bricht. Und so erstarrt er fluchend mitten in der Bewegung und stöhnt dann nur noch vor Schmerz. Sie alle sitzen nun ab und begreifen, dass sie verloren haben. Denn noch zwei weitere Tiere fallen auf die Knie. Sie sind zwölf Mann aus Kinkaid, einer kleinen Stadt. Und sie sind ein Aufgebot auf einer langen Fährte. Diese Fährte führt auf der anderen Seite des Flusses weiter nach Norden. Eine Weile ist es still bis auf das schmerzvolle Stöhnen und Fluchen von Dan Miles. Dann aber fluchen sie alle. Und auch die Pferde schnauben nun lauter, stöhnen und röcheln, so als fürchteten sie sich, dass es bald weiter gehen würde. Doch dann müssten sie durch den Fluss, dessen Strömung stark ist. Einige Pferde würden ertrinken, vor Schwäche einfach untergehen. Sie alle sind mit flockigem Schweiß bedeckt, ein Zeichen dafür, wie völlig erschöpft sie sind und wie groß die Gefahr ist,
dass sie im kalten Wasser sofort einen Herzschlag bekommen würden. Ja, sie haben verloren. Earl Peters spricht heiser: »Wir sind keine Langreiter mehr. Das waren wir mal während des Krieges. Doch das scheint mir nun tausend Jahre her zu sein. Einige von uns haben Bäuche bekommen. Wir wurden brave Bürger einer kleinen Stadt. Oder ist es nicht so, Colonel?« Nun richten sich alle Blicke auf ihren Anführer. Und dieser war wirklich mal ihr Colonel während des Krieges. Sie hören ihn heiser sagen: »Holt erst mal Miles unterm Pferd hervor.« »Das wird aber auch höchste Zeit«, grollt der stöhnende Miles. Nun, sie befreien Miles endlich. Einer von ihnen sagt trocken: »Mit diesem Bein kannst du gewiss nicht zurück nach Kinkaid laufen. Und auf einem Bein hüpfen auch nicht.« »Deine Späße taugten noch nie etwas, Rusty«, grollt Miles. Sie alle richten den Blick wieder auf Colonel Clay Wesburry, der sie durch den ganzen Krieg führte und der nach dem Krieg immer noch ihr Anführer blieb, zu einer Art Vater für sie wurde, der sie aus dem Süden weit nach Norden führte und mit ihnen die kleine Stadt Kinkaid gründete.
Sie sehen einen graubärtigen, scharfgesichtigen Mann, der auf sie wie ein alter, zerzauster Falke wirkt. Ja, er wurde alt. Und noch einmal hatte er sie angeführt – bis jetzt. Nun sehen sie, dass er körperlich am Ende ist. Er muss sich an seinem Pferd festhalten, kann nur so auf den Beinen bleiben. Aber mit einer wie trotzig wirkenden Bewegung holt er Kautabak aus der Tasche und beißt davon ein Stück ab. Ja, seine Zähne sind noch gut, wenn auch braun geworden. Doch er kann noch beißen. Sie erinnern sich daran, dass er während des Krieges stets ein Stück Kautabak abgebissen hat, wenn es rauchig wurde, fast aussichtslos die Situation, und er sie dann aus der Klemme führte. Und jetzt? Das fragen sie sich, und ihnen allen wird wieder bewusst, was für sie und ihre kleine Stadt auf dem Spiel steht. Denn nach dem Krieg wurden sie Büffeljäger unter seiner Führung. Drei Jahre lang töteten sie Tausende von Büffeln und sammelten den Erlös für die Häute. Sie stanken drei Jahre lang nach Büffeln und Blut, und sie hassten und verachteten sich wegen ihres Büffelmordens. Dann hatten sie genügend Kapital zusammen für den Aufbau einer kleinen Stadt.
Nun sind einige Frachtwagenzüge zu ihnen unterwegs, deren Lieferungen sie mit dem Rest ihres Häutegeldes bezahlen wollten. An die siebzehntausend Dollar hatten sie noch besessen. Aber dann kam die Bande – und sie raubte nicht nur das Geld aus dem Haus des Colonels, sondern nahm auch dessen Haushälterin als Geisel mit. Und jetzt sind sie hier am Ende. Sie können nicht mehr. Sie wurden von einer Bande Langreiter geschlagen. Und Langreiter – nun, so bezeichnet man Reiter, die länger auf zähen Pferden im Sattel bleiben können als alle Verfolger – es sei denn, auch diese gehörten zur Sorte der Langreiter. Doch das sind der Colonel und dessen Männer nicht mehr. Sie wurden Städter, Handwerker, Geschäftsleute, Bürger von Kinkaid. Und der Name ihrer Stadt ist der Name eines Kameraden, der sich während des Krieges für sie opferte: Captain James Kinkaid. Sie alle schweigen länger als eine Minute, und immer noch nicht kümmern sie sich um Dan Miles und dessen gebrochenen Unterschenkel. »Jemand sollte mir den Stiefelschaft aufschneiden«, grollt Dan Miles nun ziemlich böse.
Aber sie achten immer noch nicht auf ihn, sondern blicken auf ihren Colonel. Dieser aber richtet seinen Falkenblick auf einen Mann, der eigentlich nicht zu ihnen gehört, also kein Bürger ihrer Stadt ist, eigentlich ein Fremder, der dann aber mit ihnen ritt und dessen Namen sie nicht einmal kennen. Dieser Fremde, der im Saloon einen Drink nahm und auf das Steak wartete, das die Frau des Saloonbesitzers schon in der Pfanne zischen ließ, erwidert den Blick des Colonels ruhig, verhält sich jedoch abwartend. Sie sehen einen großen, indianerhaft wirkenden, sehnigen Burschen, einen von der Sorte, die sich überall behaupten kann. Und so wie der Mann, so wirkt auch das Pferd. Dieser hagere, graue Wallach ist ein Kriegspferd, wahrscheinlich ein Indianerpferd. Denn solche Tiere – man nennt sie Appalousas – werden im Nordwesten von den Nez Percé gezüchtet. Diese Appalousas sind gefleckte Tiere. Die eirunden Flecken sind von schwarzer, brauner und rotbrauner Farbe. Appalousas sind besonders klug, ausdauernd und auch schnell. Einst war diese Pferderasse in China geheiligtes Eigentum der Dynastien, die mit Kaiser Wu Ti begannen, und das war etwa 500 vor Christus. Von China aus kamen diese gefleckten Pferde nach Afrika, von dort nach Spanien und von dort mit den spanischen Eroberern nach Nordamerika.
Nun, solch ein Tier reitet also dieser Fremde, der in seiner Lederkleidung wie ein Scout und Jäger wirkt, seinen Revolver aber wie ein Revolvermann trägt. Er erwidert ihre Blicke und dreht sich dabei eine Zigarette, ohne auf seine arbeitenden Finger zu achten. Wahrscheinlich könnte er sich solch eine Zigarette auch mit einer Hand in der Hosentasche drehen. Sie wissen, dass es solche »Künstler« gibt. Dann hören sie den Colonel fragen: »Mister, warum ritten Sie mit uns? Sie sind für uns ein Fremder. Aber Sie ritten mit uns, als wären Sie ein Bürger von Kinkaid.« Nun warten sie alle auf die Antwort des Fremden. Selbst Dan Miles vergisst seine Not. Und sie hören den Fremden erwidern: »Mein Name ist Kingman, John Kingman. Und ich wusste ziemlich sicher, dass dieses Aufgebot nicht durchhalten würde. Ihr alle wurdet Bürger einer kleinen Stadt. Früher gehörtet ihr zu einer anderen Sorte. Doch jetzt … Und auch eure Pferde sind nicht zäh genug. Ich sah also voraus, was jetzt geschehen ist. Ihr müsst die Verfolgung aufgeben, doch ich will für euch reiten. Ich bringe euch die Beute der Banditen zurück – und auch die Frau. Und dann zahlt ihr mir zehn Prozent für meine Bemühungen.« »Und wenn nicht?« Einer von ihnen fragt es wild und biestig.
John Kingman nimmt einen Zug aus der Zigarette. Dann grinst er: »Ich könnte mir die ganze Beute nehmen.« Sie fluchen. Dann starren sie auf den Appalousa, der noch kein bisschen müde wirkt. Einer sagt: »Solch ein Pferd müsste man haben …« Langsam spricht der Colonel: »Also gut, Mister Kingman. Sie bekommen zehn Prozent von der zurückgebrachten Beute. Offenbar müssen wir Sie für einen ehrlichen Mann halten. Sonst wären Sie auf der Fährte einfach weiter nach Norden geritten. Aber es ist eine gefährliche Mordbande. Sie ließen zwei Tote in unserer Stadt zurück.« »Ich weiß.« John Kingman nickt, tritt die Zigarette am Boden aus und steigt wieder in den Sattel. Sie sehen ihm schweigend nach, beobachten, wie er das Steilufer hinunter in den Fluss reitet. »Der ist ein Wolf, ein zweibeiniger Wolf«, spricht einer. »Verdammt, kümmert euch endlich um mein Bein«, verlangt Dan Miles. Es ist eine Stunde später, und die Fährte der drei Banditen ist immer noch deutlich und klar, also leicht zu verfolgen. Sie gaben sich nicht die geringste Mühe, ihre Fährte zu verbergen und
schwerer verfolgbar zu machen. Doch die Erklärung ist ganz einfach. Sie sind Langreiter und verlassen sich ganz und gar darauf, dass niemand sie einholen kann, weil sie länger und zäher in den Sätteln bleiben können als jeder andere. Und das traf ja auch zu, was die Verfolger aus Kinkaid betraf – bis auf den einen Mann, der einen Appalousa ritt. Aber das ahnen sie nicht. Obwohl sie auch jetzt schon ein Problem haben, nämlich die Haushälterin des Colonels, die sie als Geisel mitnahmen. Gewiss, die Frau ist eine Halbindianerin und deshalb in der Lage, ebenfalls lange im Sattel zu bleiben. Aber irgendwann wird sie gewiss ein Hindernis für die Bande werden. Was werden sie mit ihr tun? Da gibt es nur zwei Möglichkeiten. Sie könnten sie auf dem Pferd festbinden, vielleicht sogar quer über dem Sattel, oder sie einfach zurücklassen, weil sie als Geisel keinen Wert mehr für sie hat, da sie zu der Überzeugung kamen, entkommen zu sein. Nun, es ist dann eine Stunde her, dass John Kingman mit seinem Appalousa den Fluss durchschwommen hat, als er von seinem Instinkt ein Zeichen bekommt. Und so hält er an und blickt auf seiner Fährte zurück.
Wenig später zeigt es sich, dass ihn sein untrüglicher Instinkt wieder einmal nicht im Stich ließ. Denn aus einer Bodensenke sieht er einen Reiter kommen. Und so wartet er. Zuerst vermutet er, dass dieser Reiter zum Aufgebot, gehört und mit seinem Pferd doch nicht so erschöpft ist wie die anderen Männer aus Kinkaid. Der Mann ist ein Halbblut mit einem merkwürdigen Hut auf den Kopf, an dem eine Adlerfeder steckt. Die Weißen nennen ihn Cheyenne Pierce, die Roten einfach nur Warface, also Kriegsgesicht. Und dieser Name passt zu seinem wild und verwegen wirkenden Gesicht. Es drückt ständig eine animalische Wildheit aus, so als würde dieser Mann gegen nichts auf dieser Erde Gnade kennen – auch nicht gegen sich selbst, wenn es darum geht, etwas zu wagen und einen Kampf zu gewinnen. Man traut diesem Mann zu, dass er immer wieder aufsteht, so lange noch ein Funken Leben in ihm ist. Er kommt ruhig herangeritten, lässt seinen Cheyenne-Mustang ruhig traben. Aber dieser Mustang ist ein echter Criollo, ein Tier also mit arabischem Blut in den Adern. Die beiden Reiter halten dann voreinander. Ihre Pferde beschnüffeln sich fast wie Hunde,
schnauben sich an, so als fänden sie Gefallen aneinander. Die Reiter betrachten sich forschend. »Ich sehe dich«, spricht Warface dann kehlig und gebraucht dabei die Wortwahl der Sioux und Cheyenne, wenn sie einen Bekannten treffen. John Kingman nickt nur. Als er dann spricht, klingt seine Stimme ganz ruhig: »Wir kennen uns«, sagt er. »Und wir haben schon eine Menge über uns gehört.« Warface nickt. »Und deshalb haben wir Respekt voreinander, richtig?« »Richtig«, erwidert Kingman ruhig. Warface grinst plötzlich blinkend, zeigt ein Raubtiergebiss, das die Wildheit seines Gesichtes noch verschärft. »Sie nahmen eine Frau als Geisel mit«, spricht er dann. »Maria ist meine Schwester. Ich war sehr froh, dass sie den alten Colonel als Haushälterin versorgen konnte, also einen guten Job bekam. Sie haben sie mitgenommen. Maria ist sehr schön. Irgendwann, wenn sie nicht mehr auf der Flucht sind und eine längere Pause einlegen werden, dann fallen sie gewiss über sie her. Reiten wir zusammen weiter, Kingman?« Dieser starrt in Warfaces glitzernde Augen und fragt dann: »Heißt sie wirklich Maria und nicht Mary?« »Die Padres tauften sie Maria.« Warface grinst. »Und die soll die Mutter von Jesus
gewesen sein. Es ist ein heiliger Name. Und Maria ist zu gut für die drei Mistkerle.« John Kingman nickt und zieht die Nase seines Appalousas wieder nach Norden. Denn in diese Richtung führt immer noch die Fährte der vier Pferde. Und auf einem dieser Pferde sitzt Warfaces Schwester. Sie reiten, bis die Nacht über das Land herfällt und mit ihrer Schwärze tausend Geheimnisse verbirgt. Ja, es ist eine schwarze Nacht ohne Mond und Sterne. Sie halten an und denken nach. Dann fragt Kingman: »Hast du eine Idee, wohin sie wollen, Pierce?« Dieser lacht leise und spricht mit einem Lachen in der Kehle: »Siehst du, das gehört zu unserem gegenseitigen Respekt. Du nennst mich Pierce, nicht Warface. Aber was würdest du tun, wenn ich nicht nur meine Schwester befreien, sondern auch die Beute für mich haben wollte?« »Das würde sich finden, Pierce. Sag mir lieber, wohin sie vermutlich reiten mit deiner Schwester und dem ganzen Bargeld von Kinkaid, mit dem die kleine Stadt einige Wagenzüge voller Fracht bezahlen wollte, um den Winter zu überstehen. Die haben in der Schmiede nicht mal mehr ein Hufeisen. In Kinkaid fehlt es an vielen Dingen.« »Auch an Feuerwasser.« Warface lacht heiser.
Er denkt dann offenbar nach. Beide sitzen sie noch in den Sätteln und wittern nach Norden, so als könnten sie von dorther etwas spüren im leichten Nachtwind. Schließlich spricht Warface: »Weit im Norden – etwa dreihundert Meilen von hier entfernt –, da gibt es ein kleines Fort. Du kennst es sicherlich auch, Kingman – oder hast zumindest davon gehört.« »Gewiss«, erwidert dieser. »Es soll ein ehemaliges Handelsfort sein, das einst die kanadischen Pelzjäger bauten. Dieses Fort wurde in den vergangenen Jahren eine Zuflucht für Gejagte, Geächtete, Deserteure – für alle, die dem Gesetz und den Prämienjägern, den Rächern und sonstigen Verfolgern entkommen konnten. Nun geben sie sich dort gegenseitig Schutz. Und vielleicht werden sie deine Schwester dort verkaufen. Ja, ich glaube, wir müssen zum verborgenen Fort der Gejagten reiten, wenn wir die drei Mistkerle nicht vorher einholen.« Er reitet wieder an, obwohl die Nacht schwarz ist und man keine zehn Yards weit sehen kann. Warface folgt ihm sofort. Und sie sind immer noch nicht so erschöpft, dass sie eine Rast einlegen müssten. Auch ihren Pferden merkt man den langen Weg noch nicht an.
Es vergeht etwa eine halbe Stunde. Zumeist ritten sie im Schritt. Die Sicht ist für ein schnelleres Tempo zu schlecht. Kingman verlässt sich nun ganz und gar auf den Instinkt des Halbblutmannes. Dieser hält immer wieder an, um zu lauschen, zu wittern. Und einmal sitzt er sogar ab und entfernt sich ein Stück, um besser lauschen zu können, weil die Pferde einige Geräusche machen. Als er zurückkommt, da spricht er ruhig: »Es muss meine Schwester sein, die ich da vor uns höre. Sie stöhnt manchmal, hustet und keucht. Ich spüre die Nähe meiner Schwester. Vielleicht betet sie zum Himmel, denn sie glaubt an Gott. Gehen wir zu Fuß weiter.« Er nimmt sein Pferd an die langen Zügel und setzt sich in Bewegung. Kingman sitzt ab und folgt ihm. Aber sie müssen fast vierhundert Yards – also eine Viertelmeile etwa – laufen, bis sie die Stelle erreichen, wo das Husten der Frau ganz deutlich zu hören ist. Warface ruft in die sonst so stille Nacht: »Mary, hier ist dein Bruder Pierce! Bist du allein?« »Ja, Pierce, ich bin allein. Als ich vom Pferd in den Dornenbusch fiel, da ritten sie lachend weiter. Sie brauchten mich nicht mehr als Geisel. Komm, Bruder, ich bin voller Dornen.«
2 Es ist etwa eine Stunde später – und die Nacht wurde endlich etwas heller – als sie am Feuer hocken und Warface ruhig zu Kingman spricht: »Du musst allein weiter, Kingman. Ich habe mich jetzt um meine Schwester zu kümmern. Einige der Dornen verletzten sie fast wie Dolche. Ich muss sie nach Kinkaid schaffen, bevor sie eine Blutvergiftung bekommt. Viel Glück, Kingman.« Er hat alles gesagt. Im Feuerschein betrachten sie sich. Und abermals spüren sie den Respekt, den sie füreinander empfinden, obwohl sie so sehr verschieden sind, dass sie niemals Freunde werden könnten. Kingman wirft noch einen Blick auf Pierces Schwester. Ja, sie ist auf eine rassige Art schön. Sie liegt erschöpft auf einer Decke und erwidert seinen Blick. Und so spricht er zu ihr: »Ma’am, die drei Kerle werden dafür bezahlen.« Dann tritt er zu seinem Appalousa, zieht den Sattelgurt stramm und sitzt auf. Als er in der Nacht nach Norden zu verschwindet, da folgt ihm die Stimme der Frau. »Viel Glück, mein Freund!«
»Danke!« So ruft er zurück, und es ist ein böser Zorn in ihm. Denn was die drei Kerle dieser Frau antaten, muss bestraft werden. Bisher wollte er sich nur die Prämie für die Wiederbeschaffung der Beute verdienen. Doch nun wurde alles anders. Er fühlt sich als Rächer in einem gesetzlosen Land. Und in solch einem Land dürfen die Guten die Bösen nicht davonkommen lassen. Denn sonst herrschen bald nur noch die Bösen, weil sie rücksichtsloser und gnadenloser sind als die Friedfertigen. Er muss langsam reiten in der schwarzen Nacht. Und er weiß, dass die drei Banditen nicht mehr sehr weit vor ihm sein können auf ihrem Fluchtweg nach Norden. Wahrscheinlich sind nun auch ihre gewiss sehr zähen Pferde erschöpft. Und sie selbst werden glauben, ihre Verfolger längst abgeschüttelt zu haben, weil diese keine Langreiter sind wie sie. John Kingman ist sich also fast sicher, dass die drei Banditen nach Anbruch der Nacht angehalten haben, weil sie sich einbilden, aus dem Schneider zu sein. Er würde sich nicht wundern, wenn er bald auf ihr Campfeuer stoßen würde, das sie in einer Senke unter dem dichten Blätterdach eine Baumes angezündet haben.
Er reitet also vorsichtig, hält immer wieder an und lauscht. Doch die Nacht ist still. Ihre Schwärze verbirgt alle Geheimnisse, und das Rascheln und Fiepen, das zu hören ist, wird von Kleingetier verursacht, das in dieser schwarzen Nacht vor den jagenden Falken und anderen Raubvögeln sicher sein kann. Er hält endlich an, denn er und sein Appalousa brauchen eine Ruhepause. Er sitzt ab, nimmt den Sattel herunter und beginnt den Hengst abzureiben und durchzumassieren, bevor er an sich selbst denken kann. Er isst später einige Bissen von seinem Proviant und liegt dann still unter der Decke. Er weiß, was vor ihm liegt, macht sich keine Illusionen. Er wird kämpfen und töten müssen oder selbst getötet werden. Doch eine solche Situation ist nicht neu für ihn. Er hat schon auf vielen Wegen und Fährten gekämpft und musste manchmal Blut vergießen oder gar töten, um selbst am Leben bleiben zu können Überhaupt sein Leben … Einst war es ein glückliches Leben auf seiner kleinen Ranch daheim in Texas, mit einer Frau und zwei Kindern. Doch dann kamen während seiner Abwesenheit die Banditen. Sie wollten eigentlich
nur frische Pferde zur Fortsetzung ihrer Flucht vor dem Aufgebot. Doch seine Frau trat ihnen mit der Schrotflinte entgegen. Sie nahmen keine Rücksicht darauf, dass sie eine Frau war. Sie schossen sie nieder. Als er heimkam mit dem AppalousaZuchthengst, da hockten die Kinder weinend neben ihrer toten Mutter vor dem Haus im Staub. Er brachte die beiden Kleinen zur Schwester seiner Frau und wurde zum gnadenlosen Verfolger. Es war damals fast so wie jetzt. Er blieb länger als das Aufgebot im Sattel und erledigte sie alle. Es war für ihn wie eine gnadenlose Wolfsjagd. Und danach wurde er ein Kopfgeldjäger. Er begann steckbrieflich gesuchte Banditen und Mörder zu jagen, auf deren Ergreifung Prämien ausgesetzt waren. Er führte ein Leben im beständigen Hass gegen die Bösen. Und so ist es immer noch. Er kann immer noch nicht einschlafen, denn die Erinnerungen lassen ihn auf solchen Fährten niemals los. Er möchte manchmal zu gerne heim nach Texas und zu seinen Kindern, denen die Tante nun die liebevolle Mutter ersetzt. Doch dann muss er wieder hinter den Bösen her, Rache nehmen an ihrer ganzen Kaste. Und so erging es ihm auch in der kleinen Stadt Kinkaid,
wo er bei einem Drink saß und auf das Steak wartete. Er schläft endlich ein, sinkt für zwei Stunden in bodenlose Tiefen und vergisst alles. Dieses Vergessen ist wie eine Gnade für ihn. Als es Tag wird, ist er wieder unterwegs. Und obwohl er in der Nacht nach Norden ritt, stößt er bald wieder auf die Fährte. Dann erreicht er in einer Senke unter einem mächtigen Baum das erloschene Feuer. Die Asche ist noch warm, und so weiß er, dass er die Bande ziemlich dicht vor sich hat. Sie reiten nun langsam, lassen ihre Pferde nur dann und wann traben, aber auch sehr oft sogar im Schritt gehen. Ja, sie fühlen sich inzwischen sicher, glauben entkommen zu sein mit ihrer Beute. Und gewiss halten sie sich wieder einmal mehr für unbesiegbare Langreiter auf erstklassigen Pferden. Wie sollten sie auch wissen, dass es einen unbesiegbaren Appalousa-Hengst gibt und einen Langreiter, die noch zäher und härter sind als sie und ihre Pferde! Es ist dann am späten Vormittag oder frühen Mittag, als er sie von einem Hügelkamm weit vor sich über eine Ebene reiten sieht. Ja, da sind sie – drei Reiter mit einem ledigen Pferd, von dem Warfaces Schwester in den Dornenbusch fiel, der sie böse verletzte, sodass
sie wahrscheinlich gestorben wäre, wenn er und Warface nicht gekommen wären. Ja, da reiten sie! Er holt sein Fernglas aus der Satteltasche und betrachtet die drei Kerle in achtfacher Vergrößerung. Wird er sie töten müssen? Oder werden sie ihn töten? Er sieht sie jenseits der kleinen Ebene zwischen flachen, bewaldeten Hügeln verschwinden und folgt ihnen. Am späten Mittag hat er sie dann noch näher vor sich, abermals von einem Hügel aus. Diesmal sind es nur etwa vierhundert Yards, also eine Viertelmeile, die sie noch trennen. Er zieht die schwere Buffalo Sharps aus dem Sattelschuh und stellt das Visier auf gut fünfhundert Yards ein, sitzt ab und zieht seinen Hengst so herum, dass er den Sattel als Auflage benutzen kann. Dann nimmt er Ziel auf. Im Zielfernrohr – es stammt aus Germany – wirkt das Ziel sehr nahe, keine hundert Yards entfernt. Zu seinem Appalousa-Hengst spricht er: »Bleib ganz ruhig, Nez Percé; denn gleich macht es Bumm in deinen Ohren!« Der Hengst kennt diesen Spruch und schnaubt. Aber er wird nun bewegungslos und wie aus Stein gehauen verharren, kaum noch atmen.
Denn Appalousas sind besonders kluge Pferde und lassen sich eine Menge beibringen, fast ebenso wie Hunde. Sie sind nun mal eine besondere Rasse. John Kingman zögert noch einige Sekunden. Ja, es ist eine schwere Entscheidung, die er auf sein Gewissen nehmen muss. Doch wie anders sollte er handeln? Er kann es allein gegen drei Mordbanditen, die in Kinkaid zwei Tote zurückließen, nicht versuchen. Drei sind zu viel für ihn, zumal sie Revolvermänner der bösen Sorte sind. Und so schießt er. Es kracht höllisch laut in den stillen Tag. Dann hören die drei Banditen die schwere Kugel heranrauschen. Ja, Sharpskugeln pfeifen nicht, sie rauschen fast wie kleine Granaten. Und dann sitzen nur noch zwei der Banditen auf ihren Pferden. Und sie wissen sofort Bescheid und lassen erkennen, wie erfahren sie sind. Denn eine Buffalo Sharps ist einschüssig, muss nach jedem Schuss nachgeladen werden. Und mit einer Sharps kann man auf sich schnell bewegende Ziele keine Schnappschüsse anbringen. Das kann man nur mit kurzläufigen Waffen auf kurze Entfernung. Sie begreifen also blitzschnell ihre einzige Chance, reißen ihre Pferde herum und greifen an.
Da ihre Pferde kleine Hindernisse überspringen oder ihnen ausweichen müssen, kann man sie nicht ruhig anvisieren. John Kingman versucht es auch gar nicht. Er schiebt die Sharps wieder ins Sattelholster, sitzt wieder auf und reitet ihnen den Hügelhang abwärts entgegen. Sie begreifen schnell, dass er sich ihnen stellen will. Und so lassen sie ihre galoppierenden Pferde wieder in einen ruhigen Trab fallen und kommen ruhig herangeritten, bis sie keine zwanzig Yards entfernt von ihm anhalten. Und so betrachten sie sich einige Atemzüge lang schweigend, wobei ihr böser Hass ihn wie ein heißer Atem trifft. Einer fragt: »Bist du aus Kinkaid?« »Bin ich«, erwidert John Kingman. Als er verstummt, da nicken sie anerkennend. »Dann bist du so hart und zäh wie wir und sitzt auf einem noch besseren Pferd!« Einer ruft es wild. Dann aber reiten sie an und haben plötzlich ihre Revolver in den Fäusten, beginnen sofort zu schießen. Nein, sie sind nicht feige und riskieren alles, wollen sich durch Kühnheit behaupten wie zwei gestellte und in die Enge getriebene Wölfe, die den Jäger angreifen. Sie haben ja auch keine andere Wahl. Doch ihr Fehler ist es, dass sie sich bewegen mit ihren
Pferden. Und in Bewegung kann man nicht so gut zielen. John Kingman sitzt ruhig auf seinem Hengst. Ihre Kugeln pfeifen an ihm vorbei. Seine Kugeln treffen. Und so ist es schnell beendet. Er verharrt noch eine Weile im Sattel. Wieder einmal hat er gekämpft und der menschlichen Gemeinschaft gewiss einen Dienst erwiesen. Er versucht ein Gefühl von Triumph oder Befriedigung zu verspüren. Doch er spürt nur Bitterkeit darüber, dass ihm keine andere Wahl blieb. Und so ist es immer, wenn er in einem gesetzlosen Land gegen die Bösen antreten muss, weil er glaubt, dass dies seine Pflicht wäre. Er hört die beiden Kerle wenig später stöhnen und vor Schmerzen fluchen. Und so weiß er, dass er sie nicht getötet hat. Also wird er sie nach Kinkaid bringen müssen, damit sie dort an den Hälsen aufgehängt werden. Denn einen anderen Urteilsspruch kann es für sie nicht geben, ließen sie doch zwei Tote in der Stadt zurück. Er reitet an, um die Pferde einzufangen. Und dann kümmert er sich um die angeschossenen Kerle und versorgt sie, so gut es für ihn möglich ist. Vielleicht überstehen sie den Ritt nicht, und er kann sie gar nicht lebend nach Kinkaid bringen.
3 Es ist ein langer und mühevoller Rückweg nach Kinkaid. Einer der beiden Banditen hat einen Schulterdurchschuss, dem anderen riss die Kugel eine tiefe Wunde wie von einem Schwerthieb über eine der rechten Rippen und brach diese. Beide verloren sie eine Menge Blut. Aber sie sind ja harte Burschen, Langreiter, zäh wie Leder und hart wie Stahl. Und so bleiben sie in den Sätteln trotz ihrer Not. Denn Kingman sagte ihnen, dass er sie sonst quer über die Sättel gebunden transportieren müsse. Der dritte Bandit ist tot und liegt schon quer über seinem Pferd. So sind sie also auf dem Rückweg nach Kinkaid. Manchmal verfluchen sie John Kingman, aber er reagiert nicht darauf. Er versteht, dass sie so ihre Not zu lindern versuchen. Doch Mitleid spürt er nicht. Sie haben geraubt und gemordet. Sie werden in Kinkaid hängen, und dann wird es zwei Böse weniger auf der Erde geben. Dass er so denkt und fühlt, ist verständlich. Er ist kein Heiliger. Banditen haben seine Frau getötet und seinen Kindern die Mutter genommen.
John Kingman hasst die Bösen dieser Welt. Ja, er möchte sie alle vernichtet sehen, damit die Guten und Schwachen friedlich und in Sicherheit leben können. Es wird also für die verwundeten Banditen ein harter Ritt zurück nach Kinkaid. Als sie einmal rasten, er ihnen also eine Pause gönnt, da sagt einer wütend zu ihm: »Du bist dir doch darüber klar, dass sie uns in Kinkaid hängen werden? Warum hast du dir dann die Mühe gemacht, unsere Wunden zu versorgen und machst dir noch die Mühe, uns nach Kinkaid zu bringen? Du hättest uns erschießen können, als wir am Boden lagen.« Er lässt den Mann eine Weile auf die Antwort warten, dreht sich erst eine Zigarette und raucht einige Züge. Dann aber erwidert er: »Als ihr nicht mehr kämpfen konntet, hätte ich nicht mehr in Selbstverteidigung gehandelt. Das hätte mich zum Mörder gemacht – oder zu einem selbst ernannten Richter und Henker. Doch das zu sein steht mir nicht zu. Nur die Bürger von Kinkaid können euch richten und hängen – nur die.« Sie fluchen nun beide böse. »Du bist dennoch unser Henker«, knirscht einer, »und fühlst dich wohl sauber und rein als Gutmensch. Aber vielleicht kommst du genauso in die Hölle wie wir. Dann werden wir uns dort Wiedersehen, verdammt.«
Kingman erwidert nichts. Er tritt die Zigarettenkippe am Boden sorgfältig aus und spricht ruhig: »Aufsitzen, denn es geht weiter!« Und abermals fluchen sie. Denn es fällt ihnen schwer, wieder in die Sättel zu kommen. Und sie fürchten sich vor dem Reiten. Ihre Schmerzen werden dann noch schlimmer werden. Und die Wunden unter den primitiven Notverbänden werden wieder bluten. Auch wissen sie, dass sie ihrem Ende entgegenreiten und hängen werden. Sie verbringen die Nacht an einem Creek. Dann geht es weiter. Beide haben sie nun leichtes Wundfieber. Nur der Tote spürt nichts mehr. Als sie aufbrechen, verfluchen sie Kingman erneut, aber der kümmert sich nicht darum. Es ist dann gegen Mittag, als ihnen ein Reiter entgegenkommt. Dieser Reiter ist kein anderer als Warface oder Cheyenne-Pierce. Er kommt sehr stolz und verwegen wirkend auf seinem schwarzen Pferd herangeritten und erwartet sie auf dem schmalen Pfad, als wollte er ihnen den Weg versperren. Kingman hält mit seinen Gefangenen und dem Toten an. Er betrachtet Warface ernst und fragt dann ruhig: »Was ist mit deiner Schwester? Du kannst sie nicht nach Kinkaid gebracht haben und jetzt schon wieder hier auftauchen.«
Warface grinst, zeigt wieder sein blinkendes Raubtiergebiss und schüttelt dann den Kopf, sodass ihm die langen schwarzen Haare, die unter seinem merkwürdigen Hut herabfallen, um die Schultern fliegen. »Aaah, du machst dir Sorgen um meine Schwester Mary. Gut, gut! Sie ist sehr schön, wunderschön, nicht wahr? Aber du musst dir wegen ihr keine Sorgen machen. Ich brachte sie zu unserer Großmutter. Es gibt nicht weit von hier in einem verborgenen Tal ein kleines Dorf. Dort lebt unsere Großmutter. Bei ihr ist Mary in den besten Händen.« Er macht eine kleine Pause und betrachtet die beiden Gefangenen und den Toten, der ja quer über seinem Pferd festgebunden ist. »Das sind sie also«, spricht er lauernd. »Warum machst du dir diese Mühe mit ihnen? Sie sind doch ohnehin so gut wie tot, ›tela nun vela‹ sagen die Indianer, und das heißt so viel wie ›tot, obwohl noch lebendig‹. Aber was kümmern mich deine Bewegungsgründe? Sag mir lieber, ob du auch die Beute bei ihnen gefunden hast. Es könnte ja sein, dass sie das ganze Vermögen von Kinkaid versteckt haben. Hast du also ihre Beute?« »Siebzehntausend Dollar«, erwidert Kingman ruhig. »Und ich sehe dir an, dass du verdammt scharf darauf bist.«
»Mächtig scharf.« Warface grinst blinkend. »So scharf, dass ich mit dir darum kämpfen werde, wenn es unvermeidlich sein sollte. Weißt du, Kingman, ich mag dich eigentlich. Und auch meine Schwester war von dir angetan trotz ihrer körperlichen Not. Sie mag dich ebenfalls. Und so könnten wir die Beute dieser Verlierer unter uns teilen. Ich würde die Zeugen unseres Übereinkommens erschießen. Du brauchtest es nicht zu tun. Auf jeden von uns kämen achteinhalbtausend Dollar. Ich würde auf eine Menge Geld verzichten, nur um nicht mit dir um die ganze Beute kämpfen zu müssen. Ist das kein Angebot unter Freunden oder gar Brüdern?« Er verstummt mit einem lauernden Klang in der Stimme. Und auch in seinen Augen ist ein lauerndes Funkeln. Doch John Kingman schüttelt den Kopf. »Du denkst und fühlst wie ein Indianer, obwohl du nur ein halber bist. Und du fühlst dich wie ein stolzer Krieger, der ehrenhaft um eine Beute kämpfen will, um seinen Stolz nicht zu verlieren. Pierce, wenn du nicht aufgeben kannst, dann müssen wir es auskämpfen.« Dieser verharrt noch einige Atemzüge lang auf seinem schwarzen Pferd. Dann nickt er bedauernd und spricht klirrend: »Also gut, Wasicun, dann kämpfe mit einem Indianer!«
Er sitzt ab. Als er von seinem Pferd wegtritt, zieht er sich seinen merkwürdigen Hut mit beiden Händen fester auf den Kopf und spricht dabei: »Wenn du mich schaffen solltest, Wasicun, dann verscharre mich mit meinem Hut auf dem Kopf. Ich will nicht ohne ihn zum Sammelplatz aller Seelen, nach Wanagi Yata.« Als er verstummt, hat er alles gesagt. Und er gebrauchte zwei indianische Wörter, nämlich Wasicun für Weißer und Wanagi Yata für den Ort, wohin die Seelen der Toten fliegen. Nun wartet er, und er trägt seinen Revolver wie ein Revolvermann und ist gewiss auch einer. John Kingman hockt immer noch im Sattel und lässt einen bedauernden Seufzer hören. Denn irgendwie mag er diesen wilden Halbblutmann, der zwischen Gut und Böse lebt und sich deren Grenzen offenbar nicht bewusst ist, sodass er sie gewiss immer wieder überschreitet. Er ist offenbar zu sehr Indianer. Die beiden verwundeten Gefangenen schweigen. Denn für sie gibt es nichts zu gewinnen in diesem bösen Spiel. Gewinnt Warface, wird er sie als Zeugen töten. Gewinnt Kingman, bringt der sie zum Henker. So einfach ist das. Kingman sitzt ab, und ihm fällt ein Spruch ein, den er, als er noch ein Junge war, seinen Vater
einmal sagen hörte: »Der feige Hund wird am meisten geprügelt, mein Sohn.« Das hatte er sich gemerkt. Und so ist er niemals in seinem Leben feige gewesen. Auch jetzt ist es so. Ruhig tritt er Warface gegenüber. Einige Atemzüge lang verharren sie so und sehen sich an. Die Entfernung zwischen ihnen von Mann zu Mann beträgt etwa ein Dutzend Schritte. »Bist du bereit, Wasicun?« So fragt Warface. »Sicher, Rothaut«, erwidert Kingman, »du kannst anfangen.« Da zögert Warface nicht länger, sondern stößt scharf das Wort »Jetzt!« hervor und schnappt dabei nach seinem Revolver. Ja, er hat einen winzigen Vorteil, aber nur einen winzigen. Denn als er seinen Revolver hochschwingt und abdrückt, da stößt ihn schon Kingmans Kugel. Und dieses Stoßen um einen Sekundenbruchteil früher als Warfaces Abdrücken, verändert dessen Schussrichtung um Millimeter. Doch auf eine Entfernung von zwölf Schritten macht das eine Menge aus. Warface taumelt rückwärts. Seine Hand kann den Revolver nicht mehr halten, denn die Kugel riss ihm den Unterarm auf.
Er will sich nach dem entfallenen Revolver bücken und ihn mit der Linken greifen. Doch Kingmans Stimme spricht hart: »Lass es bleiben, wenn du nicht sterben willst!« Und da staunt Warface nur noch, hält sich den blutenden und höllisch schmerzenden Arm mit der Linken wie einen Säugling an die Brust gepresst und fragt heiser: »Warum hörst du auf, Kingman? Warum tötest du mich nicht?« »Wenn ich das wüsste …«, murmelt Kingman. »Vielleicht liegt es daran, dass du mehr ein Indianer als ein Weißer bist.« Er wendet sich ab, tritt zu seinem Appalousa und sitzt auf. Aus dem Sattel spricht er zu Warface hinüber: »Jetzt kann sich deine Cheyenne-Großmutter auch um deinen Arm kümmern. Grüße deine Schwester von mir. Vielleicht ließ ich dich auch wegen ihr am Leben.« Er reitet im Schritt an, zieht die anderen Pferde an der langen Lassoleine mit sich Warface macht ihnen Platz. Dann ruft er hinter ihnen her: »He, ihr Pfeifen, jetzt könnt ihr beide noch etwas leben – bis zur Hängepartie in Kinkaid auf dem Marktplatz!« Obwohl ihm der Arm höllisch schmerzt, lacht er laut hinter den Reitern her und ruft dann: »He, Kingman, ich werde deine Grüße an meine Schwester ausrichten!«
Es ist am späten Nachmittag, als John Kingman mit seinen Gefangenen und dem Toten wenige Meilen vor Kinkaid den Wagenweg erreicht und die Postkutsche kommen sieht. Er hält an. Die Postkutsche hüllt sie alle beim Anhalten in eine Staubwolke ein. Denn es hat hier im Norden schon lange nicht geregnet. Der Fahrer und dessen Begleitmann blicken von oben auf die Reiter nieder. »Was ist geschehen?« So fragt der Fahrer. »Ach, die hatten die Stadtkasse von Kinkaid geplündert, zwei Tote hinter sich gelassen und konnten dann nicht lange genug im Sattel bleiben.« Indes er diese Antwort gibt, blickt er auf die Frau, deren Kopf und Oberkörper er im offenen Fenster der Kutsche sehen kann. Und er weiß vom ersten Moment an, dass er diese Frau nicht mehr vergessen wird – nicht den wunderschönen Anblick, den sie bietet. Vielleicht ist sie gar nicht besonders schön, auf jeden Fall aber eine Frau mit einer besonderen Ausstrahlung, die ihn trifft wie ein Anprall. Er kann sie jedoch nicht länger betrachten, denn der Fahrer fragt von oben nieder: »Sollen wir den Toten aufs Kutschdach legen? Sonst ist die Kutsche voll. Drinnen ist kein Platz mehr.« Aber Kingman schüttelt den Kopf.
»Die letzten Meilen schafft der Tote auch noch so«, erwidert er. »Aber sagen Sie den Bürgern von Kinkaid, dass ich ihnen die Banditen mitsamt der Beute bringe.« »Die werden sich freuen.« Der Fahrer grinst, und sein Begleitmann ruft trocken: »Vielleicht werden Sie Ehrenbürger der Stadt, oho!« Die Kutsche fährt wieder an und hüllt sie abermals in eine Staubwolke ein. Kingman aber sieht wieder das Bild jener Frau im Kutschfenster vor sich. Es wirkte im Fenster wie eingerahmt. Und er verspürt ein starkes Verlangen danach, diese Frau Wiedersehen zu können. Er erinnert sich auch an ihre grünen Augen und an ihr schwarzes Haar. Warfaces Schwester war schon wunderschön anzusehen – aber diese Frau in der Kutsche, die beeindruckte ihn noch mehr. Aber er bremst nun seine Bewunderung in seinen Gedanken. Denn er denkt: Oho, was ist, wenn sie dicke und krumme Beine und einen Hintern wie ein Pferd hat, he? Dennoch verspürt er immer noch eine starke Neugierde in sich und wünscht sich, dass sie in Kinkaid aussteigen und nicht weiter nach Norden fahren würde.
Verdammt, was für ein Zauber ging von ihr aus auf mich, was für ein Zauber! Dies fragt er sich mehrmals auf den letzten Meilen. Und er will die Antwort darauf noch an diesem Tag oder in dieser Nacht finden. Es ist schon fast Abend. Die Sonne steht tief und rot im Westen, als er in Kinkaid einreitet. Und die letzte Meile bettelten seine Gefangenen ihn an und verfluchten ihn schließlich. Es geht ihnen nicht gut, und das Wundfieber hat sie voll erfasst. Dennoch ist ihnen bewusst, dass der Galgen auf sie wartet. Die Bürger stehen vor den Häusern und Läden und empfangen ihn mit Beifall, begleiten ihn und die Gefangenen dann zum Markplatz, wo das City House steht und Colonel Wesburry ihn mit den Stadträten erwartet. Aber als er an dem Hotel vorbeireitet, da sieht er die Schöne aus der Kutsche auf dem Balkon stehen. Und er stellt fest, dass sie vollendet gewachsen ist. Er kann das durch das Gittergeländer des Balkons deutlich erkennen. Und so ist er erleichtert und zieht sogar den Hut. Sie nickt dankend zu ihm nieder. Doch dann hält er vor der Bürgerschaft, die sich um den Colonel versammelt hat.
»Da habt ihr sie«, spricht er. »Und in den Satteltaschen ist euer Geld aus der Stadtkasse.« Sie schweigen, weil sie wissen, dass ihr Colonel und Bürgermeister nun gewichtige Worte sagen wird. Sie hören Colonel Clay Wesburry würdevoll sprechen: »Mister Kingman, Sie sind ein redlicher Mann und gehören zum Salz der Erde.« Und dann klatschen alle. Eine Stunde später liegt er in einem Bottich in der Badestube des Barbiers und fühlt sich wie ein Mann, der einen bitteren Job erfolgreich hinter sich gebracht hat, aber keine wirkliche Freude darüber verspüren kann. Er wird sich neu einkleiden können unter seinem Lederanzug, und er freut sich auf die frische Unterwäsche, die neben dem Badezuber auf einem Schemel liegt. Ja, man hat ihm sofort die Prämie ausgezahlt. Der Colonel hielt Wort und mit ihm der Stadtrat von Kinkaid. Indes er so im warmen Wasser liegt und sich entspannt, da denkt er über seine Zukunft nach. Was soll er tun? Will er weiter als Prämien- oder Kopfgeldjäger sein Leben führen auf rauchigen Fährten? Will er weiter die Bösen jagen, immer wieder kämpfen, Blut vergießen und sich in Gefahr begeben?
Er spürt immer mehr, dass er immer weniger zufrieden ist mit dieser Art von Leben. Er hat lange genug Rache genommen an den Bösen für das, was einige von ihnen seiner einst so glücklich in Texas lebenden Familie antaten. Aber was soll er anfangen? Wie soll es weitergehen? Er besitzt mitsamt der Prämie und den dreihundert Dollar, die zuvor in seiner Tasche waren, zweitausend Dollar. Das ist eine Menge Geld zu dieser Zeit. Ein Cowboy in Texas müsste dafür fast zehn Jahre arbeiten. Er könnte nach Texas zurückgehen und dort seine verlassene Ranch wieder aufbauen. Denn die Wasserrechte dort gehören immer noch ihm. Sie sind auf seinen Namen eingetragen, und stets hat er die Grundsteuern bezahlt durch Überweisungen, egal wo er auch war. Ja, er könnte nach Texas zurück. Und da sind ja auch noch seine Kinder bei der Schwester seiner Frau. Sie wurden drei Jahre älter. Ob sie ihn noch erkennen würden? Er möchte es gern herausfinden. Doch plötzlich denkt er wieder an die Frau in der Postkutsche, die bei seiner Ankunft mit den Gefangenen auf dem Hotel-Balkon stand. Was für eine Frau! So denkt er wieder und bricht dann seine Gedanken einigermaßen abrupt ab.
Doch irgendwie ahnt er, dass er mit dieser Frau noch zusammenkommen wird, so als wären sie vom Schicksal füreinander bestimmt. Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Und so wächst in ihm eine Ungeduld. Ja, er will nun möglichst schnell herausfinden, ob sein Gefühl ihm etwas vormacht, er sich nur etwas einbildet – oder ob es ein untrügliches Ahnen ist. Er bleibt dennoch so lange in dem Badefass, bis ihm das Wasser zu kalt wird. Als er wenig später hungrig im Speiseraum des Hotels auftaucht, da sind nur wenige Tische besetzt. Und an einem Tisch sitzt sie – ja, sie. Und sie blickt ihm mit ihren grünen Augen entgegen, so als hätte sie auf ihn gewartet. Er spürt abermals instinktiv, dass er sich nicht irrt. Sie hat auf ihn gewartet. Und so bewegt er sich nach kurzem Anhalten wieder und tritt zu ihr an den Tisch. »Darf ich?« So fragt er. »Ich habe auf Sie gewartet«, erwidert sie schlicht. »Ich wusste vom ersten Moment an, dass sie mich kennen lernen wollten. Und das wollte ich auch, doch meine Gründe sind anders als die Ihren. Nehmen Sie Platz, Mister!« Er kann sein Erstaunen nicht ganz verbergen, doch er setzt sich und murmelt dabei: »Mein Name ist Kingman, John Kingman.« »Aus Texas.« Sie lächelt. »Nicht wahr, aus Texas? Und Sie sind jetzt weit weg von Texas
hier im Norden. Ich bin Josephine Boston. Ich habe mit der Bestellung des Abendessen auf Sie gewartet. Es gibt guten Hammelbraten. Essen wir erst.« Sie gibt der Bedienung ein Handzeichen. Dann aber betrachten sie sich beide eine Weile, schweigend, und je länger er sie aus der Nähe im Lampenschein ansehen kann, umso mehr gefällt sie ihm. Denn ihm wird mit jeder Sekunde klar, dass er eine Frau sieht, die das Leben kennt und der nichts mehr fremd ist auf dieser Erde. Er sieht eine schöne, rassige Frau, in deren Gesicht einige Linien sind, die ihm verraten, dass sie Enttäuschungen überstand und selbstbewusst immer wieder aufstand und dann stets stärker war als zuvor. Und jetzt … Er sucht nach einem Vergleich, und da fällt ihm nur eine wunderschöne, edle Panterkatze ein. Und so fragt er sich, ob er ihr gewachsen wäre, ebenbürtig. Aber vielleicht ist er gegen sie nur ein Wolf. Sie essen dann schweigend, doch sie sehen sich immer wieder in die Augen, können in ihnen lesen, spüren auch alle Strömungen, die von dem anderen ausgehen. Ja, sie halten stumme Zwiesprache. Als sie dann die Teller zurückschieben, sich zurücklehnen und auf den Kaffee warten, den es
zusammen mit Apfelkuchen zum Nachtisch gibt, da fragt er: »Nun gut, Josy, was wollen Sie von mir? Was erwarten Sie? Gewiss wollen Sie mich nicht in Ihr Hotelbett holen. Also was ist es?« Er nennt sie einfach Josy, und ihre Wimpern senken sich kurz. Dann aber beugt sie sich etwas vor und sieht ihn fest an. »Ich brauche einen Beschützer, der mich zu jenem verborgenen Fort der Gejagten führt, das irgendwo im Norden an einem Zufluss zum Missouri liegen soll. Ich muss zu diesem alten Handelsfort, das zur letzten Zuflucht aller Verfolgten wurde. Sie tragen Lederzeug wie ein Jäger und Trapper. Sie kennen sich gewiss aus im Norden des Big Muddy. Bringen Sie mich hin und beschützen Sie mich. Ich zahle tausend Dollar.« Diesmal kann er seine Enttäuschung besser verbergen. Er fragt knapp: »Und Sie glauben, Ma’am, dass ich der richtige Mann für diesen Job bin?« »Nennen Sie mich weiter Josy«, sagt sie und lächelt. »Wir werden viele Tage und Nächte unterwegs sein und uns zueinander wie gute Freunde verhalten. Ja, ich halte Sie für den richtigen Mann, für einen redlichen Mann. Sie haben diese Stadt gerettet, denn sie kann nun vor dem Winter alle Warenlieferungen bezahlen. Sie hätten mit der Beute der Banditen nicht zurück nach Kinkaid kommen müssen. Niemand zwang
Sie dazu, nur Ihre eigene Ehre. Sie haben gekämpft und getötet. Sie sind ein Mann wie sonst kein zweiter unter zehntausend anderen Männern. Wollen Sie mir helfen?« Er blickt wieder fest in ihre grünen Augen. »Und warum wollen Sie zu diesem Fort mitten im Indianerland, zu dieser Zuflucht der Gejagten?« Nun senken sich wieder ihres Wimpern und verbergen das Funkeln in ihren Augen. Er kann ihr nun ansehen und es auch spüren, wie sehr sie tief in ihrem Kern auf ihren Instinkt lauscht und sich fragt, ob sie ihm alles sagen soll. Dann sieht sie ihn fest an und spricht: »Mein Bruder ist dorthin geflüchtet, bevor man ihn hängen konnte. Ich liebe meinen Bruder. Wir sind Zwillinge. Er wurde zu Unrecht verurteilt. Sie hätten ihn wirklich gehenkt. Aber ich sorgte für seine Flucht aus der Todeszelle. Inzwischen fand ich heraus, wohin er geflüchtet ist. Nun lebt er bei Banditen, Deserteuren, Geächteten jeder Sorte – und in ihm ist ein Hass auf das Gesetz, das ihn zu Unrecht verurteilte. Ich muss ihn retten, denn inzwischen hat sich seine Unschuld erwiesen. Er hatte einen Doppelgänger, den man fassen konnte und der sterbend meinen Bruder entlastete. Verstehen Sie mich jetzt, John?« Ihre Augen brennen in ihrem schönen, rassigen Gesicht. Sie kann ihre Gefühle nicht
mehr verbergen. Er kann sie auf ihrem lebendigen Gesicht erkennen und lesen. Und so spricht er langsam: »Josy, ich bringe Sie hin.«
4 Warface, dessen Name ja auch Cheyenne-Pierce ist, erreicht zu dieser Zeit das kleine Dorf im verborgenen Tal, wo seine und Marias Großmutter die Medizinfrau ist, die erfahrene Heilerin, die ihre Heilkunst von ihren Vorgängerinnen übernahm. Es ist ein kleines Dorf von einem Dutzend Zelten, und da man auf ein Tipi im Schnitt fünf Seelen zählt – also Alte, Squaws, Kinder und Krieger – leben in diesem Dorf genau zweiundfünfzig Menschen. Davon sind elf Krieger. Der Anführer ist ein alter Krieger mit Namen Wolkenreiter. Der verwundete Warface wird freundlich empfangen. Die Großmutter versorgt die böse Armwunde und verspricht ihm: »Du wirst mit diesem Arm wieder kämpfen können, Warface, mein Enkelsohn. Aber auf welcher Seite wirst du kämpfen? Bist du ein Weißer oder Roter?« »Das wird sich irgendwann ergeben, Großmutter«, murmelt er knirschend, denn sie ist dabei, ihm die lange und tiefe Wunde zuzunähen. Maria, seine Schwester, hockt bei ihnen im Zelt und hält eine Lampe, denn es ist Nacht. Maria fragt plötzlich: »Hast du von diesem Mann noch etwas gehört?«
Er weiß sofort, von wem Maria spricht und erwidert: »Ja, ich traf ihn. Er hat einen der drei Banditen getötet und die anderen verwundet. Er war unterwegs mit ihnen nach Kinkaid. Man wird sie dort hängen. Er hat sein Wort gehalten, welches er dir gab. Sie bezahlen für das, was sie dir antaten. Wenn du willst, bringe ich dich zurück nach Kinkaid. Der Colonel wird sich freuen, wenn du ihn wieder als seine Haushälterin umsorgst. Willst du also?« »Noch nicht«, erwidert sie. »Vielleicht in einigen Tagen. Ich möchte noch bei unserer Großmutter bleiben. Aber eines Tages möchte ich auch diesen Mann Wiedersehen. Wie war sein Name?« »Kingman, John Kingman«, erwidert Warface, und er sagt ihr nicht, dass er von Kingman angeschossen wurde und Kingman ihn am Leben ließ, weil er nicht mehr kämpfen konnte. Nein, er sagt es ihr nicht. Sie würde ihm böse sein. Und er liebt sie. Es vergehen einige Tage in dem kleinen Tal, in dem sich das kleine Dorf einer CheyenneGruppe verbirgt und in Frieden lebt. Da der Winter bald von Kanada her über das Land herfallen wird mit Blizzards und klirrender Kälte, sind die Krieger des Dorfes ständig auf der Jagd. Die Frauen und Kinder sammeln essbare Wurzeln, Pilze und die letzten reifen Beeren.
An einem Tag kommen die Krieger besonders erfolgreich von der Jagd zurück. Auf ihren Pferden transportieren sie Büffelfleisch und berichten, dass sie drei Büffel aufgespürt und erlegt hätten. Und so danken sie alle im Dorf Wankan Tanka, dem Großen Geist, der ihnen drei Ptes schenkte, drei Büffel. Immer wieder rufen sie zum Himmel hinauf: »Ha-ho, Woyouonihan, Wankan Tanka!« Denn das kleine Dorf ist mit dem Fleisch von drei Büffeln bis zum Frühling versorgt. Sie haben ja auch noch anderes Fleisch, auch gedörrten Fisch, Wurzeln, Beeren, Pilze. Sie werden gut durch den Winter kommen. Und gewiss werden die Krieger in diesem Winter ihren Squaws einige Kinder machen. Das kleine Dorf wird wachsen. Ja, vielleicht ist ihr Denken einfältig. Denn einige Tage später kommt alles ganz anders. Es ist ein schöner Spätherbstvormittag, als die Armeepatrouille von einem Scout geführt in das verborgene Tal geritten kommt. Es sind ein junger Lieutenant, ein Scout und zwölf Mann mit einem Wimpel. Die elf Krieger des Dorfes bilden sofort vor den Tipis eine Linie und halten ihre Gewehre bereit. Sie alle haben gute Gewehre, und sie fürchten sich nicht vor den Mila Hanskas, den
Pferdesoldaten mit den langen Messern, also Säbeln. Auch die Soldaten bilden eine Front. Und der junge Lieutenant reitet mit dem Scout ein Stück vor und ruft einige Worte mit schneidender, befehlsgewohnter Stimme, die der Scout dann ganz ruhig mit eigenen Worten in die Sprache der Cheyenne übersetzt. Und das hört sich so an: »Oh, Leute, ihr habt keine guten Karten, also seid ihr nun Verlierer. Es wurde Gesetz, dass alle Roten in Reservate einzubringen sind – wenn nötig mit Gewalt. Es gibt keine freien Dörfer mehr. Ihr müsst jetzt eure Siebensachen auf eure Schleppschlitten packen. Das freie Leben ist vorbei. Und im Reservat sorgt der große weiße Vater für euch. Also vorwärts, packt euren Krempel zusammen! Wir geben euch eine Stunde! Vorwärts!« Er hat nun alles gesagt. Und eine Sekunde später ist er tot. Denn Warfaces Arm ist inzwischen so gut verheilt, dass er ihn wieder als schnellen Revolverarm gebrauchen kann. Und weil er ein so schneller Revolvermann ist, schießt er weiter und trifft mit seiner zweiten Kugel den jungen Lieutenant. Nun ist die Patrouille ohne Führung. Und die elf Cheyenne-Krieger ballern ebenfalls los. Es ist nichts mehr aufzuhalten.
Die ganze Sache dauert keine zwei Minuten. Dann sind die Soldaten tot. Und von den elf Kriegern sind nur noch sechs auf den Beinen. »Wir haben gut gekämpft«, spricht Wolkenreiter hart und sieht Warface an. »Und was jetzt, Warface?« So fragt er hart. Der Halbblutmann, der sich in einer Minute entschied, ein Cheyenne zu sein, wischt sich mit dem Unterärmel übers Gesicht. Dann spricht er: »Ich kenne einen Ort, wo wir sicher sind unter anderen Gejagten, die zusammen eine starke Kriegsmacht ausmachen. Ich führe euch hin.« Sie sind dann zwei Stunden später unterwegs. Auf den Schleppschlitten transportieren sie ihre Habe, die vier verwundeten Krieger und das wertvolle Büffelfleisch. Sie wissen, dass sie bald verfolgt werden. Denn wenn eine Patrouille überfällig wird, wird eine andere Patrouille nach ihr suchen und die Toten finden. Sie werden Tag und Nacht auf der Flucht sein, aber in Freiheit bleiben, nicht eingesperrt in einem Reservat, das für die Weißen nichts anderes ist als ein Alibi für ihren Mord an den roten Völkern, die den Landsuchern im Weg sind und die lieber in Freiheit sterben als sich zu unterwerfen.
Was wird aus den wenigen Seelen von Wolkenreiters Dorf werden, zu denen nun auch die Geschwister Mary und Warface gehören? Es ist zwei Tage später, als sie Kinkaid verlassen. Josy Boston reitet auf einer roten Stute. Das Gepäck und die ganze Camp-Ausrüstung schleppt ein starkes Maultier Josy Boston trägt einen ledernen Reitanzug und hat eine Felljacke hinter sich am Sattelzwiesel festgeschnallt. Und sie ist bewaffnet mit einem kurzläufigen Colt. Es ist ein so genanntes Reb-Nord-Modell, Kal. 36, dessen Lauf nur 12,8 cm lang ist. John Kingman erkennt schon vom ersten Moment an, dass diese Frau wie ein Cowgirl reitet, nicht wie eine der Ladies, die dann und wann ausreiten und dabei zumeist einen Damensattel bevorzugen. Er weiß nun wieder etwas besser über Josephine Boston Bescheid. Und bevor sie das Hotel verließen, übergab sie ihm einen gefüllten Geldgürtel. »Den können Sie besser unter der Kleidung tragen als ich«, sprach sie dabei. »Es sind fünftausend Dollar – und eintausend davon gehören Ihnen, John.« Er zögerte ein wenig, den Gürtel anzunehmen. Doch jetzt, da sie Kinkaid verlassen, trägt er ihn unter dem Flanellhemd und der Lederjacke.
Sie reiten nach Norden. Der Tag ist noch grau. Die Sonne ist im Osten mit ihren ersten Strahlen sichtbar. Es wird ein schöner, klarer Tag werden. Und dennoch ist der nahe Winter schon zu wittern. Dies ist der Monat der fallenden Blätter. So nennen die Roten den November. Jeden Tag kann ein Blizzard von Norden her wie ein orgelndes und brüllendes Ungeheuer über das Land kommen. Doch es kann auch noch ein goldener November bleiben. Denn nichts ist sicher auf dieser Erde – nichts. John Kingman hat nur eine ungefähre Vorstellung, wo das verborgene Fort der Gejagten liegen könnte. Er war noch niemals dort, hat aber von diesem Fort schon gehört. Er weiß nur, dass sie zum Big Muddy reiten und ihn weit oberhalb von Fort Buford und der Cheyenne-Mündung überqueren müssen. Sie reiten schweigend Meile um Meile, und John Kingman bewundert seine Begleiterin immer mehr. Josy ist schön, ganz und gar eine Frau, doch sie besitzt offenbar die Härte und Zähigkeit eines Cowgirls. Indes er darüber nachdenkt, wird er sich darüber klar, dass sie ihn noch in vielen anderen Dingen und mit Eigenschaften überraschen wird,
die man einer schönen Frau eigentlich nicht zutraut und auch nicht von ihr erwartet. Sie rasten gegen Mittag, kochen Kaffee und essen kalten Proviant. Kauend betrachten sie sich immer wieder. Es ist zunehmend eine Art stillschweigendes Einverständnis zwischen ihnen, so als würden sie sich schon länger kennen, sehr viel länger. Doch das liegt vielleicht daran, dass sie – obwohl Frau und Mann – zu einer Sorte gehören. Sie spricht plötzlich nach einem Schluck Kaffee, den sie vorsichtig vom heißen Becherrand nippt: »Nicht wahr, John, du denkst ständig über mich nach?« Er nickt stumm. Sie lächelt ihn an. Dann spricht sie ruhig: »Ich wuchs einst als einziges Mädchen mit vier Brüdern auf und befand mich ständig mit ihnen im Wettstreit, um von meinem Vater so geliebt werden wie sie. Denn damals brauchte ein Vater, der sich ein Königreich erobern wollte, möglichst viele Söhne. Am besten verstand ich mich mit meinem Zwillingsbruder Jube.« Sie verstummt mit einem seltsamen Klang in der Stimme, den John Kingman nicht zu deuten vermag, aber gewiss ist jetzt Mitleid, Bedauern und Bitterkeit in ihr. Er murmelt: »Du musst mir nicht alles erzählen. Mir genügt es, dass du so bist, wie ich
dich sehe. Aber ich würde schon gerne wissen, was aus eurer Familie wurde.« »Sie sind alle tot – bis auf Jube«, erwidert sie. »Wir besaßen eine große Ranch am Rio Grande und züchteten die besten Pferde weit und breit. Als der Krieg ausbrach, zogen meine Brüder wie viele Texaner ins Feld, in diesen Bruderkrieg zwischen Nord und Süd. Nur Jube kehrte zurück. Unser Vater war gestorben. Wir nahmen die Ranch wieder in Betrieb, brändeten mit unseren Reitern fünftausend Rinder und trieben sie nach Abilene. Mit dem Erlös bezahlten wir noch rechtzeitig unsere Grundsteuern, bevor die Yankees die Ranch versteigern lassen konnten und einer von ihnen sie für einen Spottpreis erwarb. Wir hatten gewonnen. So glaubten wir wenigstens. Doch dann wurde mein Bruder des Mordes bezichtigt. Meineidige Zeugen sagten gegen ihn aus. Ich verkaufte die Ranch und bezahlte Helfer, die meinen Bruder aus der Todeszelle holten. Ich bestach auch einen Deputy und sorgte für eine erstklassige Fluchtmöglichkeit.« Wieder macht sie eine Pause und versinkt in tiefes Nachdenken. Dann sieht sie John Kingman fest an. »Das ist drei Jahre her. Ich hörte nichts mehr von meinem Bruder. Und ich war ziemlich mittellos. Seine Befreiung hatte viel Geld gekostet. Ich wurde eine Glückssucherin und
Spielerin. Ja, ich sang auf vielen Bühnen für betrunkene Männer. In Saint Louis saß ich einem Spieler gegenüber, der von Fort Benton heruntergekommen war. Dieser Mann hatte mein Bild gesehen, das ich meinem Bruder mitgegeben hatte. Ja, er hatte meinen Bruder kennen gelernt. Sie waren so etwas wie Freunde geworden. Aber dann trennten sich ihre Wege. Denn auf die Ergreifung meines Bruders – tot oder lebendig – war eine hohe Prämie ausgesetzt. Mein Bruder wagte sich nicht mehr dorthin, wo es Recht und Gesetz gab. Er wollte zum geheimnisvollen Fort der Gejagten, zu jenen Ausgestoßenen, die sich gegenseitig Schutz geben und eine Gemeinschaft gebildet haben. Er weiß nicht, dass er längst entlastet ist durch eine Aussage des wirklichen Mörders. Es stand in den Zeitungen des Südens, aber eine solche wird er nie zu Gesicht bekommen haben. Nun, ich will meinen Bruder dort herausholen, wo er unter Verbrechern und Geächteten lebt, unter Deserteuren und all dem anderen Abschaum. Ich befürchte, dass Jube sonst einer von ihnen werden könnte. Und er hat ein anderes, besseres Leben verdient. Nun weißt du alles, John Kingman – fast alles von mir. Und ich will und muss dir vertrauen. Jetzt erzähle mir was von dir.« Sie fordert es ziemlich hart, und er weiß, dass er sich ihr öffnen muss, will sie ihm weiterhin vertrauen können.
Er leert erst den heißen Kaffee und schüttet den Kaffeesatz ins Feuer. Dann sagt er es ihr mit wenigen Worten: »Ich hatte in Texas eine Familie, eine Frau und zwei Kinder. Meine Frau wurde von Banditen auf unserer Ranch getötet. Und ich wurde ein Banditenjäger. Ich jagte zuerst die Mörder meiner Frau, dann aber all die anderen Bastarde. Ja, ich nahm Rache an allen, die zu dieser Sorte gehören.« Als er verstummt, da starrt sie ihn mit geweiteten Augen an. »Und deine Kinder?«, so fragt sie. »Die leben nun schon drei Jahre bei der Schwester meiner Frau, die ihnen alle Liebe gibt«, murmelt er. »Du armer Mann«, murmelt sie. »Dein Hass auf die Bösen machte dich zu einem unerbittlichen Rächer, aber er führte dich auch gewiss in die Hölle – oder nicht?« Er nickt langsam. »Wenn ich dich zu deinem Bruder gebracht habe«, murmelt er, »kehre ich heim nach Texas. Vielleicht erkennen mich meine Kinder dann noch wieder. Ich habe ihnen dann und wann geschrieben. Ihre Tante wird ihnen meine Briefe vorgelesen haben.« Er erhebt sich mit einer leichten, geschmeidigen Bewegung und verharrt auf der
anderen Seite des Feuers, blickt so auf Josephine nieder. Und sie sitzt auf einem Stein und sieht zu ihm hoch. Sie sieht einen großen, indianerhaft wirkenden Mann, der unerschütterlich wie ein Fels wirkt. Es geht eine sanfte und dennoch irgendwie stählerne Höflichkeit von ihm aus, eine Beherrschung, die all sein Fühlen und Denken tief in ihm verborgen hält. Doch sie spürt, dass er dennoch zwei Seiten besitzt, nicht nur diese harte, sondern auch eine andere. Und diese andere Seite würde sie zu gerne in ihm wieder zum Vorschein kommen lassen. Er ist kein schöner Mann, gewiss nicht. Aber er wirkt in seiner Männlichkeit auf Frauen gewiss sehr anziehend. Es kann gar nicht anders sein. Sie weiß es plötzlich. Und so denkt sie: Er ist einer von dieser Sorte, die zu lieben sich lohnen würde. Sie erhebt sich nun ebenfalls leicht und geschmeidig. Und abermals verharren sie voreinander, nur getrennt durch das erlöschende Feuer, in dessen Asche noch die Kaffeekanne steht. Doch dann wenden sie sich ab. Jeder geht einer Beschäftigung nach, so als wären sie ein schon eingespieltes Team. Und dann reiten sie weiter nach Norden.
Denn dort im Norden fließt der Missouri von West nach Ost, bevor er den großen Bogen nach Süden macht. Und irgendwo dort an einem Zufluss oder Nebenarm liegt das verborgene Fort der Gejagten. John Kingman wird es finden, da ist Josy sicher.
5 Die Prärie dehnt sich meilenweit vor ihnen, und ein kalter Wind kommt ihnen entgegen. Aber Josy hält sich wunderbar im Sattel und klagt nicht. Sie wissen beide nicht, dass irgendwann auf dieser Prärie sich unendlich weite Weizenfelder wie ein gelbes Meer im Wind wiegen werden. Doch das wird erst sein, wenn der Völkermord an den Ureinwohnern – den stolzen Stämmen der Hochprärie – beendet ist und die Flut der Weißen das Land in Besitz genommen hat. Es wird noch dauern. Aber der Mord an den gewaltigen Büffelherden ist fast schon beendet. Es gibt nicht mehr viele dieser so friedlichen Tiere. Einst waren es fünfzig Millionen, jetzt sind es kaum mehr als hunderttausend, verstreut in kleinen Herden weiter im Süden. Es ist für Josy und John ein gefährliches Reiten. Denn es gibt hier auf der Hochprärie zwischen dem Yellowstone und dem Missouri immer noch kleine und größere Banden von Indianern und auch Weißen, die jetzt vor dem nahen Winter besonders gierig auf Beute aus sind. Und die Armeepatrouillen von Fort Buford können dieses weite Gebiet unmöglich kontrollieren.
Josy erkennt immer wieder, wie vorsichtig und ständig witternd wie ein Wolf John durch das Land reitet, jede Bodenwelle als Deckung benutzt und stets über jeden Kamm blickt, bevor sie ihn überqueren. Diese Prärie ist wie ein erstarrtes Meer, bedeckt mit braunem Büffelgras. Sie schlagen zweimal in geschützten Senken ihr Camp auf. Und weil es nicht genug Holz für ein Feuer gibt, sammeln sie den trockenen Büffeldung, der wie Torf brennt. Wenn sie unter ihren Decken liegen, haben sie stets das Feuer zwischen sich, und John Kingman stellt sich dann manchmal vor, wie es wäre, wenn Josy mit ihm unter seinen Decken läge. Es fällt ihm dann ziemlich schwer, diese Gedanken, die zugleich auch Wünsche sind, zu verdrängen. Er ist Texaner – und für Texaner sind Frauen so etwas wie Königinnen, unantastbar und beschützenswert. Frauen waren in Texas von Anfang an der kostbarste Besitz eines Mannes, denn sie schenkten ihm Kinder. Ohne Frauen wäre Texas niemals aufgeblüht. Und dennoch sagte man von Texas, dass es ein gutes Land gewesen sei für Männer und Hunde, doch die Hölle für Frauen und Ochsen. Ja, es war ein schweres Leben für die Frauen. Und deshalb waren sie für jeden Texaner so beschützenswert. Und diese Einstellung hat sich auch auf die Söhne der ersten Texaner vererbt,
obwohl es die Frauen in Texas nun zumeist viel besser haben als ihre Mütter und Großmütter. Es ist dann am dritten Morgen nach der zweiten Nacht unter freiem Himmel am Büffeldungfeuer, als sie Besuch bekommen. Es sind drei Reiter, wahrscheinlich ein Vater mit zwei Söhnen. Und sie wirken wie ein alter, erfahrener Wolf mit zwei Jungwölfen, die aber längst schon das Jagen und Beutemachen lernten. Man könnte sie fast für Indianer halten, die sich als Weiße verkleidet haben, zumindest für Halbblutmänner. Doch sie sind Weiße, denn ihre Haare sind blond, fast rötlich. Sie tragen schmieriges Lederzeug und Federn an den Hüten. Ihr Gepäck in den Sattelrollen ist spärlich. Irgendwie wirken sie wie hungrige Wölfe. Die drei halten bei dem Paar und erkennen, dass da ein Mann ist, der eine wunderschöne Frau bei sich hat. Josy und John sind dabei, ihr Camp abzubrechen und ihr Lagergerät mit den Decken auf das Maultier zu packen. Doch jetzt halten sie inne. Bewegungslos erwarten sie die Besucher. Diese halten grinsend an. Der ältere Mann zeigt schwarze Zähne und einige Zahnlücken zwischen seinem grauroten Vollbart.
Und er sagt heiser: »Ich hoffe, wie sind euch willkommen, Leute – oder? In diesem Land müssen wir Weißen zusammenhalten – oder?« Die letzten Worte seiner beiden Fragen kommen stets herausfordernd, fast drohend, so als duldete er keinen Widerspruch. Seine beiden Söhne – ja, es müssen seine Söhne sein, denn die Ähnlichkeit ist unverkennbar – starren gierig auf Josy. John Kingman aber spricht ganz ruhig: »Haut ab! Reitet einfach weiter. Ihr gefallt mir nicht besonders. Und hier gibt es nichts für euch, gar nichts. Haut ab!« Sie schweigen eine Weile und starren ihn an. Dann steckt einer der Jungen den Finger ins Ohr, rüttelt darin und zieht ihn wieder heraus. Er wendet sich an den älteren Mann und fragt: »Habe ich richtig gehört, Dad? Hat der soeben gesagt, dass wir uns verpissen sollen?« »Das hat er gemeint, mein Junge.« Der Alte grinst. »Er hat uns beleidigt, weil er keine Gastfreundschaft kennt. In diesem Land müssen Weiße besonders zusammenhalten. He, stinken wir?« Er fragt es zuletzt böse und scharf an John Kingman gewandt. Seine beiden Jungen lachen wild. Einer ruft heiser: »He, Langer, verkaufst du uns die Schöne für einen Dollar? Wir hatten lange keine Frauen und sind jetzt scharfe Böcke. Einen Dollar zahlen
wir. Oder willst du mit uns um deine Schöne kämpfen?« Sein Bruder aber ruft: »Ja, kämpfen wir! Das wäre mir lieber! Und wir sparen einen Dollar!« Sie lachen wieder wild, fühlen sich zu dritt sehr überlegen und sind sich ihrer Sache restlos sicher. Sie spielen ein böses Spiel und glauben, dass der Lange – wie sie Kingman ja nannten – es nicht wagen wird, gegen ihre Übermacht um die Frau zu kämpfen. Ja, sie sind Böse, Abschaum dieses Landes, wahrscheinlich Geächtete und Gejagte, die von Raub und Mord leben. Und sie wollen gewiss nicht nur die Frau, sondern auch die Ausrüstung und die Pferde des Paares. Für John Kingman ist alles klar. Und so wartet er keine Sekunde länger. Er hat plötzlich wie durch Zauberei seinen schweren Colt in der Faust und schießt. Wie anders hätte er sich verhalten können oder sollen! Er kennt sich aus mit den Bösen dieser Sorte. Und ihre Drohungen waren unmissverständlich. Sie wollten mit ihm um die Frau kämpfen. Und so nimmt er die Herausforderung an und schießt sie von den Pferden – nur den Alten nicht. Denn der hebt brüllend die Hände gen Himmel. Ja, er wollte brüllend das drohende Unheil aufhalten.
Doch es war nicht mehr aufzuhalten, weil es in Sekundenbruchteilen in Gang kam. Und so sieht er – dabei mit erhobenen Händen im Sattel sitzend –, wie seine beiden Jungs aus den Sätteln fallen und schwer am Boden aufschlagen. Er brüllt nun nicht mehr, sondern stößt einen seltsamen Laut aus, der wie ein Röcheln klingt. Dann hört er John Kingman bitter sagen: »Die hast du schlecht erzogen, denke ich. Oder siehst du das anders?« Der Mann – er mag fünfzig Jahre zählen – beginnt am ganzen Körper zu zittern. »Aber sie sind alles, was ich besitze«, spricht er heiser. Dann sitzt er ab und geht zu den leblosen Körpern hin. Doch diese bewegen sich nun und beginnen zu stöhnen. »Sie leben noch«, ruft er heiser und voller Hoffnung. »Du konntest sie nicht auslöschen, du verdammter Hurensohn! Und wenn ich sie gesund bekomme, dann werden wir nach dir suchen, dich finden und über einem Feuer rösten!« Er brüllt alles wie von Sinnen heraus. John Kingman aber wendet sich an Josy und sagt: »Reiten wir!« Er zieht mit schnellen Griffen die Packlast auf dem Maultier fest und sitzt auf.
Als sie anreiten, folgt ihnen das Geheul des Mannes, und sie hören seine Drohungen noch eine halbe Meile weit. Aber sie blicken sich nicht mehr um, reiten schweigend. Nur manchmal tauschen sie Blicke, wenn sie nebeneinander Steigbügel an Steigbügel reiten. Und sie spüren beide, dass sich zwischen ihnen etwas verändert hat, was keiner Worte bedarf, um es zu erklären. Sie wissen es plötzlich. Als sie bei Nachtanbruch in einem kleinen Tannenwald auf einer Lichtung ihr Camp aufschlagen und diesmal mit richtigem Holz ein Feuer unterhalten können, nicht mit stinkenden Büffeldung, da schweigen sie immer noch. Doch als sie sich zur Ruhe legen, da kommt Josy unter seine Decken. Es geschieht ganz selbstverständlich. »Ich will dir gehören«, flüstert sie. »Es ist nicht nur Dankbarkeit, John – nein, nicht nur. Ich will in deinen Armen liegen, weil du ein Mann bist, den ich lieben möchte.« Und so werden sie in dieser Nacht ein Paar. In dieser Nacht spürt er nicht jene verdammte Einsamkeit, die er sonst verspürt, wenn er gekämpft, Blut vergossen oder gar getötet hat. Irgendwann in dieser Nacht wird er wach und löst sich aus ihren Armen, um Holz nachzulegen. Nachdem er sich wieder hingelegt und sie in die
Arme genommen hat, fragt er sich, ob sie wohl eines Tages mit ihm nach Texas kommen wird. Aber das liegt ja noch in weiter Ferne, in sehr weiter Ferne. Erst müssen sie das verborgene Fort finden, das einst ein Handelsfort kanadischer Pelzjäger und Händler war, dann aber eine Zuflucht der Gejagten wurde. Es muss irgendwie ein Rätsel um dieses Fort geben. Denn warum ist es plötzlich so schwer zu finden? Warum wurde es ein verborgenes Fort irgendwo an einem Zufluss des Missouri-Oberlaufes, den man hier oben Big Muddy nennt, also Großer Schlammfluss? Am nächsten Morgen, nachdem sie fertig sind zum Aufbruch, da treten sie noch einmal zueinander, küssen sich. »Ich bin glücklich und fühle mich beschützt«, spricht sie dann. »Uns hat ein Schicksal zusammengeführt, welches uns ganz besonders gewogen ist. Manche Menschen erleben nie dieses wunderbare Gefühl.« Er blickt fest in ihre grünen Augen und kann darin erkennen, dass sie aus dem Herzen spricht. Dass er für sie gekämpft hat, beschleunigte nur ihr endgültiges Zusammenkommen. Es wäre ganz gewiss passiert, je länger sie beisammen geblieben wären und nach dem Fort gesucht hätten. Und so brechen sie auf, um weiter zu suchen.
Sie nähern sich nun dem Missouri oberhalb von Fort Buford und müssen bald die Mündung des Frenchman River erreichen. Und dann? Das ist die große Frage. Denn sie müssen über oder durch den Missouri und dann gewiss am Milk River nach Nordwesten. Aber der Missouri ist kein harmloser Creek, sondern ein gewaltiger Strom. Wie wird er mit Josy und dem Packtier auf die andere Seite kommen? Die Strömung wird stark sein, das Wasser schon sehr kalt. Dieser Missouri ist eine fast unüberwindliche Barriere auf dem Weg zum Fort der Gejagten. Wahrscheinlich können die Menschen sich dort deshalb vor dem Gesetz so sicher fühlen. Es ist drei Tage später, als sie den Strom bei der Mündung des Frenchman River erreichen. Es gibt hier einen Holzplatz für die Dampfboote, die weiter nach Fort Benton wollen, und auf diesem letzten langen Stück – es sind noch mehr als vierhundert Flussmeilen – ist die Strömung besonders stark. Das Gefälle aus den Bergen sorgt für einen gewaltigen Wasserdruck. Es ist hier fast eine kleine Siedlung entstanden. Ja, es gibt sogar einen Saloon, den eine dicke Frau betreibt. Man nennt sie Mrs Bulldog, und sie hat zwei Huren unter ihren Fittichen, die stets
gute Geschäfte machen, wenn die Steamer Holz übernehmen und die männlichen Passagiere nach der wochenlangen Reise von Saint Louis herauf Zerstreuung suchen. Ja, man macht selbst hier in der Wildnis am Oberen Big Muddy noch Geschäfte, nicht nur mit Holz. Und der Saloon trägt den Namen »Blood Bucket«, was ja so viel wie Bluteimer heißt. Als Josy und John vor dem Saloon absitzen und ihre Tiere anbinden, da sitzen die beiden Mädchen vor dem Saloon an der Hauswand in der mittäglichen Novembersonne. Eine spricht: »Sieh ihn dir an, Rosy, der hat schon seine Wärmeflasche bei sich. Mit dem können wir selbst zu zweit kein Geschäft tätigen.« Aber dann lächeln sie John Kingman an. Eine fragt: »Sie ist wohl nicht deine Schwester – oder?« »Nein«, sagt er und lächelt ernst. »Sie ist meine Frau.« Die dicke Mrs Bulldog quetscht sich nun durch die schmale Tür und betrachtet das angekommene Paar. »Wollt ihr hier übernachten? Soll ich ein Zimmer herrichten? Ich habe zwei gute Zimmer oben – ohne Läuse.« Die letzten beiden Worte spricht sie mit gewichtigen Stolz.
»Ma’am, wir möchten ein gutes Essen«, erwidert John Kingman höflich, »und meine Frau würde gern ein heißes Bad nehmen. Ist das möglich?« »Wir baden auch«, erwidert die Dicke. »Glauben Sie, dass wir drei Frauen hier nicht baden? Wollen Sie Wild oder Fisch? Wir fingen hier einen großen Wels.« »Fisch«, meldet sich Josy. »Und wir sind Ihnen sehr dankbar, Ma’am. Aber übernachten möchten wir nicht. Wenn es möglich ist, möchten wir noch heute auf die andere Seite gelangen.« »Da müssen Sie mit den Lonnegans reden. Denen gehört der Holzplatz und auch das kleine Dampfboot. Doch für Pferde ist das zu klein. Die Lonnegans bringen Reiter oder gar Wagen auf einem Floß hinüber, das von dem kleinen Dampfboot gezogen wird. Gehen Sie nur hin. Wir kümmern uns um Ihre Frau. Sie haben mächtig Glück, Mister, denn sie ist sehr schön. So war ich auch mal – vor zwanzig Jahren, ehe ich so fett wurde.« Sie verstummt, stolz und traurig zugleich.
6 Bis zur Landebrücke des Holzplatzes sind es etwa zweihundert Schritte. Drei Männer arbeiten hier. Sie sägen und spalten Holz. Die Scheite sind so lang wie ein Unterarm, aber mehr als doppelt so dick. Denn so und nicht anders wollen die Heizer der Dampfboote das Holz für die Feuerbuchsen unter den Kesseln haben. Der ältere Mann tritt Kingman einige Schritte entgegen, hält jedoch die Axt mit der Rechten am langen Stiel gefasst. Er wirkt misstrauisch. Doch das Misstrauen und eine ständige Wachsamkeit sind hier wohl notwendig. »Hallo«, sagt John Kingman. »Was kann ich für Sie tun, Mister?« Der Mann fragt es lauernd, so als wüsste er genau, dass er alle Trümpfe in der Hand hat, weil der Fremde als Bittsteller kommt. Es kann gar nicht anders sein. »Wie komme ich mit meiner Frau, zwei Pferden und einem Maultier über den Fluss?« John Kingman fragt es mit ruhiger Stimme. Doch der Mann blickt in seine Augen und erkennt offenbar etwas darin, was ihn plötzlich warnt und ihn höflich antworten lässt: »Mister, wir hatten hier ein Floss für solche Fälle, doch das haben wir zu Brennholz gemacht
für die Helena. Denn die Helena wird wohl schon morgen hier festmachen. Sie ist vor dem Winter das letzte Boot, das sich noch den Strom hinauf wagt. Wohin wollen Sie überhaupt?« Die Frage kommt lauernd. Kingman glaubt, dass der Mann ganz genau weiß, wohin er, John Kingman, mit seiner Frau will. Und so beschließt er, die Karten offen auf den Tisch zu legen. Er erwidert: »Es soll dort drüben irgendwo ein altes Fort geben …« Die Augen des Mannes werden einen Moment schmal. Dann spricht er: »Das Fort der Gejagten. Ja, das gibt es dort drüben in diesem Land. Was zahlen Sie mir für eine sehr wertvolle Auskunft?« »Wenn sie gut ist …« »Sie ist gut! Sie ist zumindest hundert Dollar wert!« Der Mann spricht es hart und fordernd. »Dann werde ich zahlen, Mister.« »Ich bin Allan Lonnegan. Das da sind meine Söhne. Und wir verlangen stets einen fairen Preis. Also?« Kingman greift in die Tasche seiner Lederjacke und bringt fünf Zwanzigdollarstücke zum Vorschein, zeigt sie Allan Lonnegan auf der flachen Hand. »Also?« So fragt er auf die gleiche Art. Lonnegan zögert einige Sekunden. Dann aber spricht er: »Sie haben Glück, Mann, großes
Glück. Die Helena ist das Versorgungsboot des alten Forts. Und nur der Lotse der Helena kennt den Weg zum alten Fort durch das Flussgebiet des Milk River. Man kann zwar auch auf dem Landweg hin, doch der ist beschwerlich, weil man viele Seitenarme durchschwimmen und Seen umreiten muss. Man kann sich leicht verirren. Die Biber in diesem Land haben große Staudämme errichtet und große Gebiete unter Wasser gesetzt. Alles dort hat sich in den letzten zwanzig Jahren total verändert. Das alte Fort wurde zur letzten Zuflucht für Gejagte, aus welchen Gründen sie auch zu Gejagten wurden. Ich frage nicht, warum Sie und Ihre Frau gejagt werden, nein, ich frage es nicht, Mister. Aber ich sage Ihnen: Wenn Sie kein Gejagter sind, wenn Sie nicht zu dieser Kaste gehören, dann geraten Sie dort wie ein Hund unter Wölfe. Und wenn Sie jetzt immer noch hin wollen, dann warten Sie auf die Helena und reden Sie mit dem Kapitän. Vielleicht nimmt er Sie mit, wenn Sie den Fahrpreis bezahlen können. Und der wird nicht billig sein. Was ist jetzt mit den hundert Dollar?« »Sie sind ein fairer Preis für diese Auskunft«, erwidert Kingman und lässt die fünf Goldstücke in Lonnegans Hand fallen. Dann geht er davon. Als er den Saloon wieder erreicht, empfängt ihn Mrs Bulldog mit den Worten: »Unsere Badestube ist nobel. Der Hausneger hat schon das
Feuer unter dem großen Kessel angemacht. Ihr werdet reichlich heißes Wasser bekommen. Und auch das Badefass ist groß genug für zwei. Denn auch meine Mädchen baden mit ihren Freiern darinnen und haben mächtig viel Spaß. Ich bekomme von Ihnen zwanzig Dollar. Das ist die Miete für zwei Stunden. Ihre Frau sagte mir, dass Sie den Preis fair finden würden.« John Lonnegan grinst und blickt in die harten Augen der Dicken. Er kann kaum glauben, dass diese Frau einmal wunderschön gewesen sein soll. Aber warum sollte sie lügen? »Wir bleiben hier, bis die Helena kommt«, sagt er ruhig. »Hoffentlich ist das Zimmer wirklich ohne Läuse.« »Wenn ich es sage …« Mrs Bulldog grinst und lässt weiße Zahnreihen blitzen, die vermuten lassen, dass sie vor zwanzig Jahren wirklich einmal eine schöne Frau war. »Das Zimmer kostet ebenfalls zwanzig Dollar«, verlangt sie. »Aber dafür stellen wir Ihre Pferde in unseren Stall und geben ihnen Futter als besonderen Service. Gut so?« Er nickt nur und holt das Geld aus der Tasche. Als Mrs Bulldog es nimmt und dabei in seine Augen blickt, da erkennt sie darin eine stählerne Härte und begreift jäh, dass sie den Bogen nicht überspannen sollte.
Und so murmelt sie: »Mein Freund, das Leben hier ist die Hölle. Und wir wollen hier nicht als arme Kirchenmäuse weg. Verstehen Sie?« Er nickt nur und geht ins Haus. Denn man hat ihr Gepäck schon hineingebracht. Josy muss dafür gesorgt haben. Als sie am nächsten Morgen beim Frühstück sitzen, da wirken sie fast wie ein Ehepaar auf der Hochzeitsreise nach einer langen Liebesnacht in einem Bett. Ja, sie schliefen nach ihrem langen Reiten und den kalten Nächten unter freiem Himmel und an Feuern, die von Büffeldung genährt wurden, wie zivilisierte Menschen in einem Bett, nachdem sie gebadet und sauberes Nachtzeug angezogen hatten. Dennoch hatte Kingman ständig seinen Revolver griffbereit unter dem Kopfkissen, indes sie sich liebten und später dann schliefen. Nun, sie wirken also glücklich wie ein Brautpaar nach der ersten Liebesnacht, als sie an diesem späten Morgen beim Frühstück sitzen. Mrs Bulldog bedient sie. Es gibt guten Kaffee, frische Bisquits und Eier mit Speck. »Man lebt hier nicht schlecht«, sagt die Dicke einmal. »Die Dampfboote bringen ja alles her, was man haben will, wenn man nur den Preis zahlen kann. Und oben im Goldland, das man von Fort Benton aus landeinwärts mit Postkutschen
erreichen kann, da gibt es richtige Amüsierpaläste. Uns haben sie damals aus Last Chance City gejagt, weil wir freie Unternehmerinnen bleiben und keine Schutzgelder zahlen wollten. Die Welt ist schlecht, meine Lieben.« Sie verharrt noch einige Sekunden am Tisch und betrachtet John Kingman. Dann sagt sie: »Ich weiß, dass Sie ein harter Bursche sind, Mister – ein Revolvermann wahrscheinlich. Aber Sie werden eine Menge Ärger in diesem Fort bekommen, weil Ihre Frau so schön ist. Es wird dort mehr als einen zweibeinigen Wolf geben, der sie haben möchte.« Nach diesen Worten verschwindet sie in der Küche, wo ihre beiden Mädchen mit einer Näharbeit oder mit Strickzeug am warmen Ofen sitzen und auf das nächste Dampfboot mit Kundschaft warten. Josy Boston betrachtet John Kingman ernst. »Vielleicht verlange ich zu viel von dir«, murmelt sie. »Aber wenn mein Bruder dort ist – noch dort ist, wirst du mich nicht allein beschützen müssen. Mein Bruder Jubal ist auch kein Weichei. Der gehört zu deiner Sorte, John. Und gewiss hat er sich dort Respekt verschafft.« John nickt nur. Er betrachtet Josy ernst und dennoch mit einem Ausdruck der Bewunderung. Und dabei denkt er: Oha, Josy, ich würde alles für dich tun.
Er möchte sie zu gerne fragen, ob sie mit ihm nach Texas kommen wird, wenn alles vorbei ist und sie ihren Bruder weggeholt haben aus dem Fort der Geächteten. Ja, er würde gerne schon jetzt wissen, ob sie danach mit ihm nach Texas kommen will. Doch er fragt nicht. Sie ist zu sehr auf seinen Schutz und seine Hilfe angewiesen. Seine Frage könnte wie eine Erpressung wirken. Sie schlendern durch die Siedlung und am Holzplatz vorbei, machen sich ein wenig Bewegung und ertragen den kalten Wind, der aus den Bergen Kanadas und den Rockies im Nordwesten, wo die Bitter Roots die Grenze zu Idaho bilden, den ersten Schneegeruch mit sich bringt. Idaho, dies ist der indianische Ausdruck für »Licht auf den Bergen«. Sie stehen auch lange auf der Landebrücke. Josy spuckt in den Strom, und so sagt er neckend: »Das macht keine Lady.« »Ich bin keine«, erwidert sie. »Weißt du, ich würde gerne wieder in Texas auf einer Rinderranch leben und über die Weide reiten. Warum hast du mich noch nicht gefragt, ob das ein Leben für mich wäre? Aber jetzt weißt du es. Muss ich dich jetzt fragen, ob du mich mitnehmen würdest nach Texas?«
»Ich hätte dich schon noch gefragt«, erwidert er, »aber erst später.« Ihre Unterhaltung wird nun jählings durch das Tuten eines Dampfhorns unterbrochen. Einer der Männer, die bei der Landebrücke das Holz stapeln, ruft nun scharf: »Da kommt sie! Da kommt die schöne Helena!« Und so ist es auch. Zuerst sieht man hinter der Landzunge nur die Rauchwolke, dann kommt das Dampfboot um die Spitze herum. Es ist ein recht kleines Schiff. Ein Seitenraddampfer mit nur wenig Tiefgang, der auch bei Niedrigwasser noch die Seitenarme befahren und in den Zuflüssen auch dann noch hinaufgelangen kann, wenn die großen Frachtsteamer längst schon festsitzen würden. »Da kommt sie also«, murmelt John Kingman. »Vielleicht hilft uns nun deine Schönheit, Josy.« Sie bleiben auf der Landebrücke und warten, bis die Helena festgemacht hat. Einige Männer – offenbar Passagiere – stürmen über die Gangway auf die Landebrücke und von dieser an Land. Einer ruft zu den Lonnegans hinüber: »He, Lonnegan, ist die Dicke mit ihren beiden Katzen noch da?« »Die warten auf euch!« So ruft einer der Lonnegans. Oben beugt sich ein Mann aus dem Ruderhaus, dessen roter Vollbart im Wind weht.
Der Mann starrt auf Josy nieder und ruft dann röhrend: »Hoiii, Lady, Sie wollen doch wohl nicht mitfahren ?« »Das will ich, Kapitän, das will ich!« Josy ruft es lachend. »Ist das Ihr Mann?« »Ja, das ist mein Mann, Kapitän!« Nun lacht der Vollbart röhrend wie aus einem Fass und fragt lachend: »Und was ist, wenn ich nur Sie mitnehme, Lady?« »Dann fahre ich nicht mit!« In Josy Bostons Stimme ist ebenfalls ein Lachen. Der Kapitän winkt beschwichtigend. »Wir gehen in einer Stunde, wenn das Holz an Bord ist, wieder in den Strom. Schaffen Sie ihr Gepäck an Bord.« Nun meldet sich John Kingman. »Wir haben zwei Pferde und ein Maultier. Die müssen mit.« »Wenn sie mir nicht das Vorderdeck voll scheißen …« Der Kapitän ruft es wie einen Scherz, aber er meint es ernst. Er ist offensichtlich ein mehr als merkwürdiger Bursche, bei dem man nie richtig weiß, ob er Scherze macht oder nicht. Es ist tatsächlich nur eine Stunde später, als der Ladebaum den letzten Ladekorb an Bord hievt. Dieser Ladekorb wird umgekippt und lässt zwei Kubikmeter Brennholz an Bord zurück, wird vom
Ladebaum mit Hilfe der Dampfwinde wieder an Land geschwenkt. »Es ist genug!« So ruft der Bootsmann hinüber. Dann röhrt das Dampfhorn der Helena warnend. Und aus dem Saloon kommen die Kerle herausgelaufen, die sich eine knappe Stunde mit Mrs Bulldogs Schönen amüsieren durften. Einer – er ist der letzte Mann – zieht sich im Laufen noch die Hosen hoch. Josy und John haben ihre Tiere an Bord gebracht und stehen bei ihnen, um sie ruhig zu halten beim gewaltigen Prusten des Dampfhorns. Gewiss haben die Tiere noch niemals solch eine Stimme gehört und müssen sie für das Gebrüll eines gewaltigen Ungeheuers halten. Die Helena macht die Leinen los. Die Schaufelräder beginnen zu drehen, dann immer schneller und kräftiger zu rattern und zu patschen. Das Dampfboot nimmt wieder den Kampf gegen die Strömung auf. Denn auch der Frenchman River hat ein starkes Gefälle, nachdem er sich weiter im Norden mit dem Milk River vereinigte. Josy und John müssen nicht lange warten, als ein Mann der Crew zu ihnen tritt und sich an Josy wendet. »Ma’am, jetzt ist die Kabine frei für Sie«, sagt er höflich. »Der Kapitän hat den Spieler Kisco rausgeworfen. Und dieser ist mächtig wütend.
Aber was will er machen, hahaha! Kommen Sie, Ma’am. Ich bin der Steward und werde Ihnen alle Wünsche erfüllen, so dies auf unserem Boot möglich ist.« Josy schenkt dem Mann ein dankbares Lächeln. Dann fragt sie: »Wie ist der Name des Kapitäns – und auch Ihrer?« »Den Kapitän nennen sie auf den Strömen alle nur Rotbart-Harrison. Ich bin Charly, Ma’am, und Sie sind die schönste Lady, die ich jemals in meinem Leben sah.« Der Steward richtet seinen listigen Fuchsaugenblick auf Kingman. »Achten Sie auf den Spieler Kisco«, sagt er warnend. »Der ist mächtig böse auf Ihre Frau. Aber weil er ihr nichts tun darf – sonst wirft ihn Rotbart-Harrison ohne Gnade über Bord –, wird er sich wahrscheinlich mit Ihnen anlegen.« Er geht davon, gefolgt von Josy, die John noch einen Blick zuwirft, in dem er ein Bedauern erkennen kann. Denn er muss hier bei den Tieren bleiben. Rotbart-Harrison hat ihn gewarnt. Wenn ihm die Tiere das Vordeck voll machen und das nicht sofort gesäubert wird, dann lässt er die Tiere über Bord werfen. Und für seinen Appalousa würde John Kingman eine Menge mehr tun, als nur die Äpfel wegzuräumen. Nein, er betrachtet es nicht als Demütigung. Und er weiß, so ein Kapitän ist an
Bord der absolute Herrscher, der Herrgott über alles. Doch noch benehmen sich die beiden Pferde und das Maultier manierlich. Aber er hält sich in ihrer Nähe an der Reling auf und beobachtet sie ständig, erträgt den kalten Wind, der von Norden kommt und gegen den die Helena zusätzlich zur starken Strömung ebenfalls ankämpfen muss. Überhaupt Helena! John kennt die Geschichte jener sagenhaften und berühmten Helena, die die schönste Frau des Altertums war, Tochter der Leda und des Zeus, Gattin des Melenaos von Sparta, die von Paris entführt und Ursache des Trojanischen Krieges wurde. O ja, er hat die Geschichte von Homer gelesen. Aber das kleine Dampfboot Helena ist nicht großartig, sondern nur ein zerbrechlicher Dampfkahn und wegen seiner beiden Seitenschaufelräder besonders anfällig gegen Treibgut. John Kingman dreht sich eine Zigarette und hat einige Mühe, sie im scharfen Wind anzuzünden. Als er endlich raucht, tritt ein Mann zu ihm, den er sofort für jenen Spieler Kisco hält, der seine Kabine für Josy räumen musste. Kisco ist groß, hager und wirkt sehr geschmeidig – etwa wie ein Raubtier in menschlicher Gestalt. Er trägt einen dunklen
Anzug und darüber einen offenen Pelzmantel. Auch die Anzugjacke trägt er offen. Man sieht die Kolben zweier Revolver aus den Schulterholstern ragen. Die Blicke der Männer treffen sich. Dann grinst Kisco, zeigt weiße, scharfe Zahnreihen. »Sie ist sehr schön«, spricht er, »wunderschön. Und sie hat Rotbart-Harrison verzaubert. Ich musste für die Schöne meine Kabine räumen und bin ziemlich wütend deswegen. Können Sie das verstehen, Mann?« »Das kann ich«, erwidert Kingman ruhig. »Aber was haben Sie auf dem Herzen, Kisco?« »Aaah, Sie kennen schon meinen Namen, gut, gut, aber ich nicht Ihren.« »Kingman, John Kingman. Kisco, was wollen Sie?« Dieser zeigt wieder seine scharfen Zahnreihen unter dem sorgfältig gestutzten Oberlippenbart. »Das wird ein besonderes Spiel«, spricht er dann. »Rotbart-Harrison rechnet damit, dass ich auf Sie losgehe. Denn er kennt mich. Wahrscheinlich hofft er, dass ich Sie erledige und Ihre Frau schnell eine Witwe wird. Er will Ihre Frau haben. Und er ist ein verdammter Hurensohn und Pirat, der sich alles nimmt, was er haben will. Ich tue ihm den Gefallen nicht. Er wird selbst auf Sie losgehen müssen, Kingman.«
Nach diesen Worten lacht er schallend gegen den Wind und geht wieder davon, um sich hinter den Aufbauten einen windgeschützten Platz zu suchen. Es gibt außer ihm noch mehr als ein Dutzend anderer Passagiere, die keine Kabinenplätze haben und die Fahrt auf dem Hauptdeck hinter sich bringen müssen. Denn in die Laderäume dürfen sie nicht. Und auch im Speiseraum, der zugleich der Salon der Helena ist, dürfen sie sich nicht aufhalten. Es sind fast alle ziemlich hartgesottene Burschen, wahrscheinlich auf der Flucht vor dem Gesetz oder irgendwelchen Feinden oder Rächern. Zwei Soldaten sind unter ihnen, die offenbar desertiert sind. Und für alle ist das Schiff die letzte Chance, vor dem nahen Winter ihren Verfolgern zu entkommen. Kingman wirft die Zigarettenkippe über Bord und tritt zu den Tieren, beschäftigt sich mit ihnen. Sie sind angebunden, aber immer noch nervös. Die Fahrt auf einem Dampfboot ist völlig neu für sie. Ständig rattern die Schaufelräder, vibriert das Schiff beim Kampf gegen die Strömung. Und die Auslassventile machen fauchende Geräusche, die wahrscheinlich meilenweit zu hören sind flussauf- und flussabwärts. Nur zu beiden Seiten des Flusses werden sie vom Wald verschluckt.
Manchmal blickt Kingman vom Vorschiff zum Ruderhaus hinter dem hohen Schornstein hinauf. Dann kann er Rotbart-Harrison hinter dem großen Fenster erkennen, der das Boot stromauf steuert. Harrison grinst manchmal zu ihm nieder. Dann muss Kingman Pferdeund Maultieräpfel aufkehren. Man gab ihm Besen und Schaufel, auch einen Eimer mit einer langen Leine, sodass er aus dem Fluss Wasser herausholen kann. Die Tiere entleeren sich immer wieder. Oben im Ruderhaus klappt der Kapitän die Windscheibe hoch und ruft durch das Rattern der Schaufelräder zu ihm nieder: »Machen Sie nur alles pickfein sauber! Sonst werfe ich Sie mit den verdammten Scheißern über Bord!« In Kingman beginnt ein böser Zorn zu wachsen. Und er muss an die Worte des Spielers Kisco denken. Denn dieser sagte sinngemäß: »Rotbart-Harrison ist ein verdammter Hurensohn, der sich alles nimmt, was er haben will.«
7 Sie müssen in der ersten Nacht in einer Bucht festmachen, denn es wird eine sehr schwarze Nacht, in der die Helena nicht im Strom bleiben kann. Gegen Mitternacht fällt der Schnee fast lautlos vom Himmel nieder. Denn der Wind schlief ein unter den Schneewolken. John klopft an Josys Kabinentür. Doch als sie öffnet, da kann er im Lichtschein der Deckslaterne sehen, dass sie ihren kurzläufigen Colt in der Hand hält. Dann zieht sie ihn herein und wirft sich in seine Arme. »Die Koje ist zu schmal für uns beide«, flüstert sie. »Doch wir könnten das Bettzeug auf den Boden legen und …« »Ich muss wieder zu den Tieren«, unterbricht er sie. »Ich wollte nur nach dir sehen, um zu wissen, wie es dir geht. Es sind ja noch drei Frauen an Bord.« »Ja, ich sah sie beim Abendessen«, erwidert Josy. »Es sind Frauen, die zu ihren Männern wollen, Frauen von Banditen oder Deserteuren, deren Treue riesengroß ist, sodass sie alles auf sich nehmen.« »Nimm dich vor dem Kapitän in Acht«, murmelt er und küsst sie.
Als er sie wieder frei gibt, da lacht sie verächtlich und erwidert: »Der klopfte schon vor einer Stunde an meine Tür. Doch als ich öffnete, sah er den Revolver in meiner Hand. Da lachte er wie über einen Spaß und fragte nur, ob es mir gut ginge und ich noch irgendwelche Wünsche hätte. Danach ging er wieder. John, ich kenne diese Sorte. Die versucht es überall. John, wann werden wir das Fort erreichen?« »Übermorgen«, erwidert er. »Ich fragte den Bootsmann. Nur gut, dass wir einen Sack Mais mitgenommen haben. Sonst würden die Tiere hungern. Ich muss wieder zu ihnen. Träume von mir, Josy, mein Augenstern.« Sie kommt noch einmal in seine Arme und flüstert: »Ich freue mich auf Texas.« Und dann lässt sie ihn wieder hinaus. Der Schnee fällt immer noch lautlos vom Himmel. Auf dem Vorschiff sucht er sich in der Nähe der Tiere einen geschützten Platz unter den Aufbauten. Hier zwischen dem gestapelten Brennholz hocken und liegen noch einige andere Gestalten. Jemand spricht knurrend: »Vor zehn Tagen lag ich noch mit einer Squaw unter einer Decke. Die wärmte mich mit ihrer Glut und brachte mich zum Schwitzen. Wenn nur nicht der Mann gekommen wäre, dem sie gehörte. Ich musste den Narren erschießen und habe nun seine Brüder auf
der Fährte. Verdammt, warum gibt es keine Rosen ohne Dornen?« John Kingman hört es. Auch andere Männer hörten es. Denn einige lachen schadenfroh. Es ist zwei Tage später, als die Helena einen Seitenarm des Milk River erreicht, der jedoch nicht als Zufluss in ein Seengebiet erkennbar ist. Dieses Seengebiet wurde von Bibern geschaffen, die überall ihre Dämme bauten, die zu Staudämmen wurden. Die Mündung dieses Seitenarmes wird von einem Floß verborgen, das mit Sträuchern und kleinen Bäumen bewachsen ist, sodass es wie ein festes Ufer wirkt. Aber die Helena setzt ein Boot aus und bringt eine Leine hinüber, die dann von der Dampfwinde eingeholt wird. Und so öffnet sich das Ufer plötzlich wie ein langes Schleusentor. Die Einfahrt ist an die zwanzig Yards breit, und das ist breit genug für die Helena. Sie zieht die »Eingangstür« dann wieder hinter sich zu. Und von dem kleinen Boot aus wird alles wieder festgemacht und das Boot wieder an Bord genommen. Nun geht die Fahrt weiter den Seitenarm hinauf, von dem aus kleine Arme immer wieder angestaute Seen mit Wasser füllen. Man sieht überall die Biberbauten, ja, man kann sogar in
einiger Entfernung Biber bei der Arbeit – beim Holzfällen – sehen. John und Josy stehen mit anderen Passagieren an der Reling. Der Bootsmann kommt vorbei uns sagt: »Wir haben den richtigen Wasserstand und werden diesmal nicht behindert. Noch vor Anbruch der Nacht – oder zumindest im hellen Mond- und Sternenschein – sind wir beim Fort. Oho, die werden sich freuen, wieder ein paar neue Gesichter zu sehen. Leute, ihr habt dort einen langen Winter vor euch, einen langen und harten Winter – es sei denn, ihr wollt auf dem Landweg nach Westen zu den Goldfundgebieten.« Die Helena hat ihre Fahrgeschwindigkeit stark gedrosselt. Langsam und vorsichtig gleitet sie dahin, hat manchmal leichte Grundberührung und sucht sich den Weg durch ein Seengebiet, das durch enge Kanäle miteinander verbunden ist. Man kann sich kaum noch vorstellen, dass es vor zwanzig Jahren hier noch keine Seen gab, nur kleine Creeks, die von den Bibern angestaut wurden. Josy flüstert einmal neben John: »Ich bin sehr neugierig auf meinen Bruder Jube. Was mag aus ihm geworden sein?« Aber John erwidert nichts. Er weiß nur, dass er vor Einbruch des richtigen Winters mit Josy längst wieder heraus sein will. Denn wahrscheinlich ist das Fort eine verdammte Falle.
Ein Ort, an dem nur Gesetzlose leben, kann während eines langen Winters die Hölle auf Erden werden. Es wird eine helle Nacht, und so fährt die Helena vorsichtig weiter. Mond – und Sternenschein färben das Wasser golden. Doch ganz gewiss gilt hier noch mehr als irgendwo sonst das Sprichwort, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Der Bootsmann kommt an Josy und John vorbei, die an der Reling stehen wie fast alle Passagiere, neugierig und voller Erwartungen und Hoffnungen. Er verhält bei dem Paar, lehnt sich neben diesem so wie sie über die Reling. »Man könnte dieses ganze Gebiet wieder trocken legen«, spricht der bullige Bootsmann, »wenn man die alten Biberdämme einfach in die Luft sprengte. Dann fließt alles Wasser in den Milk River, von ihm in den Frenchman und schließlich in den Big Muddy. Man sollte nicht glauben, was einige Bibergenerationen in zwanzig und noch mehr Jahren alles verändern können – ein ganzes Land, oho! Dann wäre das alte Fort eines Tages wieder leichter zu erreichen.« »Aber es ist doch auch auf dem Landweg zu erreichen – oder?« John Kingman fragt es ruhig und wie beiläufig. Der Bootsmann lacht leise und antwortet dann: »Gewiss, es gibt einige Landwege von Norden
und Westen her. Aber der Wasserweg von Süden, den wir benutzen, ist auf einem Dampfboot mit wenig Tiefgang viel kürzer und bequemer. Das Fort lässt sich auf dem Wasserweg auch leichter versorgen. Sie werden uns unsere Fracht fast mit Gold aufwiegen, denke ich.« Er will mit einem kehligem Lachen weiter, doch John Kingman fragt: »Können die Menschen im Fort denn alles bezahlen? Die haben doch keine Esel, die statt Äpfel Dollars fallen lassen?« Nun lacht der Bootsmann lauter. »Goldesel! Oho, diese Geschichte kenne ich auch! Aber die Leute vom Fort zahlen wirklich mit Gold. Das besorgen sie sich am Missouri. Sie überfallen die Goldtransporte – oder die heimkehrenden Goldgräber, die mit ihrer Goldausbeute heim zu ihren Familien oder auch nur zurück in die Zivilisation wollen. Der Geldumlauf im Fort ist gering. Man zahlt mit Nuggets oder Goldstaub, auch mit Barren. Man sagt, dass im Hurenhaus von China Molly der größte Goldschatz der Vereinigten Staaten liegt.« Als er mit seinem unbändigen Lachen in der Kehle verstummt, da dröhnt das Dampfhorn der Helena in die mondhelle Nacht. Der Bootsmann sagt zufrieden: »Jetzt sind wir gleich am Ziel. Nur noch um die bewaldete Landzunge herum. Dann könnt ihr das alte Fort bewundern. Es wurde errichtet, als das Land
zwischen den vielen Creeks noch trocken war, lange, bevor die Biber sich vermehrten und die Creeks anstauten. Denn dieses Fort wurde aus Steinen errichtet, versteht ihr, aus Steinen, damit man es nicht abbrennen konnte. Nun liegt es auf einer Insel.« Er geht weiter. Man hört dann seine raue Stimme rufen: »Hoiii, Decksmänner, macht euch bereit! Wir legen gleich an und leichtern die Fracht! Macht die Dampfwinde und den Lademast klar! Öffnet die Ladeluke! Es geht gleich los! Alle auf Station!« Und indes er diese Befehle ruft, biegt die Helena um die Spitze der Landzunge. Nun erblicken sie alle im Schein der Gestirne das alte Fort. Irgendwie geheimnisvoll und zugleich auch drohend wirkt es, obwohl es doch im silbernen Schein von Mond und Sternen liegt. In diesem Licht erkennen sie ein Stück vom Fort entfernt auf einem Felsen einen in Leder gekleideten Mann. Es ist ein riesiger Bursche mit einem schweren Gewehr, wahrscheinlich einer Buffalo Sharps, mit der man auf eine Viertelmeile noch einen gewaltigen Büffelbullen erlegen kann, wenn man aufgelegt und mit Hilfe eines Zielfernrohres schießt. Der Mann winkt zu ihnen herüber. Sie fahren unterhalb des Felsens an ihm vorbei. Vor dem Fort sind einige Indianertipis zu erkennen.
Und dann sehen sie auch die Landebrücke. Dort sammeln sich die Fortbewohner. Das Tuten des Dampfhorns hat sie alarmiert. Einer der Decksmänner, die sich bereit halten zum Festmachen an der Landebrücke und die auch die Gangway hinüber schieben werden, lacht heiser: »Denen ist gewiss die Pumaspucke ausgegangen, hahaha! Die haben keinen Schnaps mehr im Saloon. Die freuen sich über unser Kommen wie die Kinderchen aufs Christkind, ohooo!« Aus dem Ruderhaus tönt die Stimme von Kapitän Rotbart-Harrison nieder: »He, Bootsmann, zuerst kommen die drei verdammten Scheißer von Bord!« Harrison meint natürlich die beiden Pferde und das Maultier. Und so bekommen John und Josy zu tun und führen nach dem Anlegen sofort die drei Tiere auf die Landebrücke. Sie werden von einer neugierigen Menge empfangen, denn sie müssen ja mitten durch die zusammengelaufenen Fortbewohner hindurch. Eine heisere Stimme ruft: »Seht euch diesen Engel an! Da hat uns der Himmel wahrhaftig eine Schöne gesandt!« Aber die Worte gehen unter in einem Gewirr von anderen Rufen. Eine Stimme brüllt lauter als alle anderen. »Hoiii, habt ihr auch genug Brandy mitgebracht!« Josy und John kümmern sich nicht um das wilde, lärmende Durcheinander, das nun entsteht.
Sie wollen ihre drei Tiere von der Landebrücke auf festen Boden bringen, denn die Tiere sind nervös geworden von dem Lärm, der sie so plötzlich umbrandet. John schätzt die Zahl der Menschen auf ein halbes Hundert. Und es kommen immer noch mehr vom Fort herüber. Als sie von der Landebrücke herunter sind, tritt ihnen ein kleiner, krummbeiniger Mann mit einem großen Texashut entgegen. »Aaah, ein kostbarer Appalousa«, sagt er anerkennend und schnalzt mit der Zunge. »Soll ich mich um die Tiere kümmern? Ich versorge fast alle Pferde des Forts. Meine Hütte steht außerhalb. Ich habe Corrals und eine Scheune voller Winterfutter. Ich nehme einen Dollar pro Tier.« John Kingman betrachtet den kleinen Excowboy im Licht der Gestirne. Ja, der Bursche war einmal ein TexasCowboy. Man hört es an seinem Slang und sieht es an seinem Hut. Nach einigen Sekunden des Betrachtens spricht John Kingman: »He, Shorty, wie bist du hierher gekommen?« Der Kleine stutzt, tritt dann näher, starrt zu Kingman hoch, der zwei Köpfe größer ist als er und beginnt zu staunen. Dann tritt er wieder zurück: »Diese Welt ist klein«, ruft er und grinst. »Kingman, John
Kingman, Sie hätte ich hier niemals erwartet. Ist das Ihre Frau?« Er nimmt vor Josy den Hut ab und lässt seine Glatze im Mondlicht spiegeln. »Wir vertrauen dir unsere Tiere an, Shorty. Aber sag uns vor allen Dingen eines: Gibt es hier einen Mann mit Namen Jubal Boston?« »Warum fragen Sie nach ihm, John Kingman?« »Sie ist seine Schwester.« John Kingman deutet auf Josy. »Es ist ein schwesterlicher Besuch, wenn er hier ist. Oder ist er nicht hier?« Der kleine Excowboy hebt die Hand und wischt sich über sein Gesicht. Dann spricht er zu Josy: »Ma’am, Ihr Bruder ist hier. Und er ist der Kommandant des Forts, der Boss!« Als Josy das hört, atmet sie langsam aus. Und als sie in Richtung zum Fort blickt, da sieht sie ihren Bruder kommen. Er kommt mit ruhigen, festen Schritten, hat es nicht eilig. Und er wird begleitet von drei Männern, die wie seine Leibwache wirken. Ja, sie sind gewiss Revolvermänner. Und jeder, der ihn mit diesen drei Begleitern kommen sieht, spürt instinktiv: Da kommt ein Boss. Sie wollen nun an der kleinen Gruppe und den drei Pferden vorbei. Aber Josy ruft halblaut: »He, Jube!«
Er hält inne und blickt herüber. Dann macht er einige Schritte auf sie zu, hält inne und fragt mit ziemlich rauer Stimme: »Oh, Josy, was zum Teufel willst du hier?« »Was ist das denn für eine Begrüßung!« Sie ruft es lachend und läuft in seine Arme. Ja, sie umarmen sich und halten sich lange fest umschlungen. Und so sieht eigentlich alles wie eine glückliche Fügung aus, gewollt von einem Schicksal, das ja so oft den Menschen gewogen ist und ihre Wege steuert. Und so ist in John Kingman die leise Hoffnung, dass sie mit der Helena wieder von hier nach Süden können, sobald die Fracht entladen ist – also noch vor dem Wintereinbruch. Denn wenn Josy dem Bruder erst begreiflich gemacht hat, dass er nicht mehr steckbrieflich als Mörder gesucht wird und kein Galgen mehr auf ihn wartet, dann wird er sich gewiss beeilen, in sein früheres Leben zurückzukehren. Josy löst sich nun von dem Bruder und zieht ihn an der Hand zu John Kingman. »Das ist John«, spricht sie dann. »Ich liebe ihn. Wir sind ein Paar und werden von hier aus nach Texas gehen und seine Ranch wieder aufbauen. Du kannst mitkommen. Denn ich bin sicher, dass ihr Freunde werden könnt, weil ihr euch sehr ähnlich seid.«
Als sie mit einem frohen und glücklichen Klang in der Stimme verstummt, tritt Jubal Boston nahe an John Kingman heran und blickt ihm in die Augen. Es ist ein witterndes Prüfen. Dann tritt er einen Schritt zurück und streckt Kingman die Hand entgegen. »Gut«, spricht er, »sehr gut. Dann ist Josy bei Ihnen ja bestens aufgehoben. Deshalb werden Sie Josy übermorgen mit der Helena wieder von hier wegbringen. Ich komme nicht mit, ich muss hier bleiben.« »Nein, das musst du nicht, Jube! Du bist entlastet. Deine Unschuld wurde vom wirklichen Täter bestätigt. Das ist gerichtlich verbürgt. Wir können alle drei wieder von hier zurück in die Gemeinschaft der Redlichen.« »Nein«, erwidert Jubal Boston. »Es ist zu spät. Denn inzwischen wurde ich wirklich schuldig und gehöre zu den Menschen hier im Fort.«
8 Es ist ein harter Weg für Wolkenreiter und sein kleines Dorf. Sie transportieren ja nicht nur ihre Büffelhautzelte auf den Schleppschlitten und ihre ganze Habe, sondern auch nach ihre Verwundeten. Sie müssen ihre kleine Pferdeherde treiben, denn die ist ihr kostbarster Besitz. Schon vom ersten Tag an, da sie aufbrachen, um den Soldaten zu entkommen, übernahm Warface die Führung. Denn er versprach ihnen, sie zu einem Ort zu führen, an dem sie sicher leben und ihre Freiheit behalten könnten, in ein Land, in dem es noch viele Biber gäbe und sie auf Gleichgesinnte träfen, deren Macht und Kampfstärke sie noch verstärken würden. Und so ziehen sie stetig nach Norden. Da sie kein Dampfboot wie die Helena zur Verfügung haben, werden sie gewaltige Umwege hinter sich bringen müssen, um von Norden her auf dem Landweg in jenes Gebiet zu gelangen, von dem ihnen Warface Wunderdinge erzählt. Warface trägt immer noch den seltsamen Hut mit der Feder. Doch sonst hat er seine Seite gewählt. Er ist kein Halbblutmann mehr, der wie ein Weißer leben will. Jetzt ist er ein Cheyenne-Krieger.
Und der bisherige Häuptling des kleinen Dorfes – Wolkenreiter – überlässt ihm die Führung. Sie alle glauben und hoffen, dass er sie in Sicherheit bringen wird. Was ihre Verfolgung durch die Armee betrifft, so verlassen sie sich auf den zurückgelassenen Krieger, Rothorn, der das beste Pferd von allen besitzt. Er wartet bei den toten Soldaten, bis eine Patrouille angeritten kommt, die nach der vermissten sucht und sie tot am Kampfplatz vor dem verlassenen Dorfplatz vorfindet. Wölfe, Coyoten und andere Aasfresser schlichen sich davon, als sie den klirrenden Trab der sich nähernden Patrouille hörten. Und auch einige Geier flogen auf und kreisen nun über dem Geschehen. Die Soldaten der Patrouille fluchen dann böse und voller Hass. Denn sie wissen, dass auch sie hier liegen könnten, wäre ihre Patrouille an der Stelle der vermissten gewesen. Rothorn beobachtet alles. Er sieht, wie man die Reste der Toten beerdigt und der Offizier zwei Reiter zum Fort zurückschickt. Dann aber – es wurde inzwischen Nachmittag – nimmt die Patrouille die Verfolgung des wandernden Dorfes auf. Die Fährte ist auch nach den inzwischen vergangenen Tagen leicht zu verfolgen, denn
Schleppschlitten ziehen nun einmal deutliche Furchen über den Boden. Die Patrouille reitet schnell, obwohl der Offizier weiß, dass das wandernde Dorf erst eingeholt werden kann, wenn es längere Zeit rastet. Denn der Vorsprung ist zu groß. Rothorn, der alles beobachtet hat, macht sich auf seinem schnellen und zähen Mustang auf den Weg. Er bleibt in diesen Stunden einhundertfünfzig Meilen im Sattel. Es ist ein Armee-McClellan-Sattel, in dem einst ein Soldat ritt. Er reitet die ganze Nacht und dann den ganzen Tag. Und als es wieder Nacht ist, da sieht er die Feuer des lagernden Dorfes vor sich. Wolkenreiters Dorfgemeinschaft hatte jeden Tag an die fünfzehn Meilen zurückgelegt. Nur die Krieger ritten. Frauen, Kinder und Alte wanderten. Und die Verwundeten wurden auf den Schleppschlitten und in den langen, kalten Nächten wieder einigermaßen gesund, sodass sie nun acht kampffähige Krieger sind. Rothorn hofft, dass auch sein Bruder Gelbvogel inzwischen gesünder wurde. Er selbst ist hungrig und erschöpft. Ja, er sehnt sich nach der Wärme eines Feuers und einem großen Stück Büffelfleisch aus dem Kochtopf seiner Mutter.
Er meldet sich aus einiger Entfernung mit dem Erkennungsruf des Dorfes und hält dann sein erschöpftes Tier neben einem Feuer an, bei dem sich sofort alle Krieger versammeln. Sie sehen ihm an, wie hart er geritten ist auf seinem zähen und schnellen Mustang. Und so wissen sie, dass er nicht mit guten Nachrichten kommt. Wolkenreiter und Warface stehen nebeneinander, und obwohl Warface jetzt der Anführer ist, überlässt er aus Respekt dem älteren Wolkenreiter das Fragen. »Du bist schnell geritten, Rothorn«, spricht Wolkenreiter. »Was hat dich angetrieben zu dieser Eile?« »Sie kommen«, erwidert Rothorn. »Die Mila Hanska folgen unserer Fährte. Aber es sind noch nicht viele, nicht mehr als jene, die wir besiegten. Aber ihr kleiner Häuptling sandte zwei von ihnen zurück zum Fort. Und so werden uns bald sehr viel mehr folgen. Sie wollen Rache für ihre Toten und uns schlimm bestrafen. Das ist alles. Ich habe gesprochen.« Als Rothorn geendet hat, rutscht er von seinem schwankenden Pferd. Und sie alle schweigen eine Weile. Dann aber spricht Warface ruhig: »Rothorn ist schnell geritten. Das können die Mila Hanskas nicht. Unser Vorsprung ist immer noch groß. Wir schaffen es bis zu den Bergen, bevor sie uns
einholen. Und dann lassen wir sie in unsere Falle reiten. Wir brechen auf, bevor es Tag wird.« Als er verstummt, da stoßen die Krieger um Wolkenreiter ihr kurzes »How« aus. Und so ist alles beschlossen. Ja, sie werden um ihre Freiheit kämpfen. Sie sind die Ureinwohner dieses Landes. Ihre Vorfahren lebten hier seit ewigen Zeiten im Einklang mit der Natur. Dann aber kamen die Weißen, die Wasicuns. Und sie wurden immer gieriger nach Land und Bodenschätzen. Und zuletzt begannen sie mit dem Büffelmorden und dem Einsperren der roten Völker und Stämme in Reservate. Aber Wolkenreiter und dessen kleine Dorfgemeinschaft wollen ihre Freiheit behalten. Und so werden sie auf Warface weiterhin all ihre Hoffnungen setzen. Denn Warface, der einen Wasicun als Vater hatte und lange Jahre bei den Weißen lebte, kennt diese besser als sie. Und er will sie zu einem Ort führen, wo sie sicher und in Frieden leben können. Ja, sie vertrauen ihm. Denn hat er sich nicht letztlich entschieden, ein Cheyenne zu sein? Hat er nicht gewählt und sich für das Volk seiner Mutter und Großmutter entschieden? Ja, er entschied sich. Und so vertrauen sie ihm.
Sie brechen zwischen Mitternacht und Morgen auf. Es ist eine kalte Nacht mit einem heftigen Nordwind, gegen den sie ankämpfen müssen. Einige kleine Kinder weinen. Aber weil man sie unter die Pelzdecken auf den Schleppschlitten legt, schlafen sie bald wieder ein. Die größeren Kinder laufen mit den Squaws neben den Schlitten. Einige größere Knaben treiben die kleine Pferdeherde des Dorfes. Warface reitet an der Spitze. Neben ihm schreitet seine und Marias Großmutter rüstig zu Fuß durch das Büffelgras. Ja, die Alte geht zu Fuß wie alle Squaws. Warface würde das gerne ändern, aber er weiß, dass er keine Chance hätte. Squaws gehen stets zu Fuß. Und Krieger sitzen stolz im Sattel. Das ist seit Urzeiten so und wird immer so bleiben. Es wird endlich Tag, und sie bleiben in Bewegung, bilden eine lange Schlange. Als im Osten die Sonne hochkommt, spüren sie deren Wärme auf ihrer rechten Seite nur wenig, denn der Wind ist zu kalt. Die Krieger sind weit zurück geblieben. Man kann das jetzt bei Tageslicht und Sonnenschein erkennen. Vor sich sehen sie die zerhackten Hügelketten, und sie wissen, dass dort der Missouri fließt, den
sie bezwingen müssen mit all ihrer Habe, den Alten und den Kindern. Wolkenreiter kommt nach vorn zu Warface geritten. »Der große Fluss …«, sagt er nur, mehr nicht. Warface grinst ihn an und spricht: »Es gibt da einen Holzplatz mit einem kleinen Dampfboot. Die Wasicuns werden uns helfen müssen, bevor wir sie töten, damit sie nicht auch den Mila Hanskas über den Fluss helfen. Wenn wir drüben sind, wird unser Vorsprung wieder größer sein. Vertraut nur auf mich.« Es ist dann früher Vormittag, als sie auf den Missouri nieder blicken und den großen Holzplatz und die kleine Siedlung erkennen. Die Krieger reiten nun voraus und benutzen ein noch nicht abgeholztes Waldstück als Deckung. Sie kommen überraschend, lassen den Menschen der Siedlung keine Chance. Nicht einmal die so wehrhaften Lonnegans wagen einen Kampf, zumal Warface ihnen zuruft: »Wir wollen nur auf die andere Seite! Und je schneller ihr uns hinüber bringt, umso eher seid ihr uns los! Hinter uns kommen noch ein halbes hundert Krieger!« Es ist ein aus der Not geborener Bluff, aber er wirkt. Und so beeilen sich die Lonnegans und die paar anderen Männer – auch Mrs Bulldogs riesiger Hausneger – mächtig.
Das kleine Dampfboot schafft die Squaws, die Kinder und die Alten hinüber. Und dann zeigen die großen Knaben des Dorfes, dass sie fast schon so gut wie erwachsene Krieger sind. Denn sie treiben die Pferdeherde in das kalte Wasser des Missouri, dessen Strömung sie alle sofort gnadenlos mitreißt und eine halbe Meile abwärts auf eine Sandinsel wirft, auf der sie sich erholen können. Dann müssen sie noch einmal hinein in die kalte Flut. Der Missouri ist an dieser Stelle etwa dreihundert Yards breit, aber sie schaffen ihn. Etwa eine Meile stromabwärts kommen sie an Land, und die Knaben stoßen gellende Siegesschreie aus, so als hätten sie eine Schlacht gewonnen. Sie verloren drei Mustangs, aber keiner von ihnen ertrank. Und so fühlen sie sich als Sieger über den Big Muddy, den Großen Schlammfluss. Sie treiben die Herde nun oben auf dem Ufer flussaufwärts. Das kleine Dampfboot hat schon fast alle Frauen und Kinder herübergebracht, und die fünf Knaben des Dorfes werden nun jubelnd von ihnen begrüßt. Eine der Squaws ruft ihnen zu: »Ihr seid heute Krieger geworden!«
Drüben beim Holzplatz wird noch ein großes Floß gebaut unter der Leitung der Lonnegans, indes einige Krieger nach Süden zu sichern. Doch von den Soldaten ist noch nichts zu sehen. Warface treibt die drei Lonnegans und deren Helfer immer wieder an. »He, wenn ihr am Leben bleiben wollt, dann schafft uns hinüber, bevor die Soldaten kommen. Denn sonst gibt es hier einen blutigen Kampf!« Die Lonnegans sind inzwischen misstrauisch geworden. Sie glauben nicht mehr daran, dass noch hundert Cheyennne-Krieger nachfolgen werden. Sie beginnen zu ahnen, dass sie es nur mit den wenigen zu tun haben, von denen sie sich überrumpeln und entwaffnen ließen. Der alte Lonnegan spricht bitter zu Warface herauf, als dieser wieder einmal zu ihnen geritten kommt, um sie anzutreiben: »Mann, du bist doch wohl ein halber Weißer. Wahrscheinlich war dein Vater einer dieser Trapper, der sich für den langen Winter eine lebende Wärmflasche unter die Decken nahm. Warum bist du gegen das Volk deines Vaters und stehst auf der Seite der Cheyenne? Du bist doch nur ein halber.« »Weil sie besser sind als ihr Wasicuns, mutiger, stolzer. Weil sie ständig belogen, betrogen und verjagt werden von euch. Und weil meine Großmutter eine besondere Squaw ist, und weil ich für euch Weiße nur ein verdammtes
Halbblut bin, ein Bastard. Ich kann dir noch eine Menge weiterer Gründe nennen. Doch das hält dich nur von deiner Arbeit ab. Macht weiter! Wir wollen hinüber, bevor es Nacht geworden ist. Beeilt euch, verdammt! Vielleicht sind wir dann gnädig zu euch!« Er spricht den letzten Satz drohend. Der alte Lonnegan blickt in die Runde. Er sieht nur noch vier Cheyenne-Krieger auf Pferden. Die anderen sind bei den Häusern oder sichern nach Süden zu. Und sie alle sind mit Karabinern bewaffnet. Warface aber trägt zwei Revolver wie ein Revolvermann. Und so macht sich der alte Lonnegan eine Menge Sorgen um seine Söhne. Er beginnt wieder heftig zu arbeiten und die anderen Männer anzutreiben. Und so schaffen sie das Floß noch vor Anbruch der Nacht und bringen mit Hilfe des kleinen Dampfbootes alle Schleppschlitten mitsamt deren Zugtieren hinüber. Und dann bricht in der Dämmerung die Minute an, in der es um Leben oder Tod für die Menschen der kleinen Holzplatz-Siedlung geht. Wolkenreiter kommt vom Floß herunter zu Warface geritten und fragt hart: »Töten wir sie, damit sie nicht auch die Soldaten herüberschaffen können?« »Sollen sie doch«, grinst Warface. »Wir können die Ausrüstung und die Waffen mit
Munition der Mila Hanskas gut gebrauchen. Lassen wir sie kommen. Denn unsere Falle wird gut sein.« Er verstummt hart. Sie sehen sich in die Augen. Wolkenreiter verzerrt sein Gesicht. »Ja, töten wir die Mila Hanskas!«, spricht er. »Sie jagen uns, wollen uns töten oder einfangen, als wären wir wilde Tiere. Doch wir waren schon hier, bevor sie kamen. Wir sind im Recht. Sie haben schon zu viele von uns getötet. Sie töten die Büffel, damit ihnen unser Land gehört. Ja, töten wir sie, wenn sie unserer Fährte immer noch folgen und selbst der Big Muddy sie nicht aufhält.«
9 Die Patrouille ist noch zehn Reiter stark, dazu kommen der Lieutenant und der Scout. Denn zwei Soldaten hat der Lieutenant zurück zum Fort geschickt und ihnen auf einem Blatt aus seinem Patrouillenbuch die Nachricht mitgegeben: Sir, wir fanden die Überreste der vermissten Patrouille und bestatteten sie auf dem Kampfplatz. Ich nehme die Verfolgung auf, denn es handelt sich nur um eine kleine Gruppe, die selbst einige Verluste hatte. Es waren etwa ein Dutzend Zelte. Wahrscheinlich wollen sie zum Missouri und sind auf dem Weg nach Kanada. Ich will sie einholen und bestrafen. Ich rechne mit Ihrem nachträglichen Einverständnis, Sir. Lieutenant Pug Slater Als der Colonel im Fort diese Zeilen liest, da flucht er, wie ein alter Soldat nur fluchen kann. Und er sagt zu seinem Adjutanten: »Dieser verdammte Narr! Wenn er nicht auf seinen Scout hört – und das wird er nicht, weil er zu ehrgeizig ist –, reitet auch diese Patrouille in eine Falle. Schicken Sie Captain Merville mit einer Schwadron los. Und ein schneller Reiter soll nach Fort Buford hinauf, damit die von dort das Dampfboot Wareagle hinaufdampfen lassen.
Denn wie soll Captain Merville sonst mit fünfzig Mann über den Big Muddy kommen? Vorwärts!« Der Adjutant salutiert und stürmt aus der Kommandantur. Und dann wird es im kleinen Fort oberhalb der Cheyenne-Mündung lebendig. Die Armee gerät nun wie eine große Maschine in Bewegung. Denn Niederlagen kann sie nicht hinnehmen. Es muss eine Bestrafung geben, koste es was es wolle. Man kann das kleine, flüchtende Dorf mit den wenigen Kriegern nicht nach Kanada entkommen lassen. Indes also im Fort alles in Bewegung gerät, erreicht der ehrgeizige Lieutenant Pug Slater gegen Mitternacht den Holzplatz der Lonnegans. Der alte Lonnegan empfängt sie mit den bösen Worten: »Ohooo, auch schon da, ihr stolzen Ritter? Ich soll euch ausrichten, dass sie uns am Leben ließen, damit wir euch möglichst schnell über den Strom bringen. Denn sie warten ungeduldig auf euch. Die wollen eure Skalpe.« Er verstummt höhnend. Und der junge Lieutenant, der erst vor einem Jahr aus West Point an die Indianergrenze kam, erwidert ebenso böse: »Na los, dann bringt uns hinüber. Ich will die roten Affen nicht zu lange warten lassen.« Aber Old Lonnegan grollt: »Nicht in der Nacht. Und das Floß ist über eine Meile abgetrieben. Morgen früh treffen wir uns ein
Meile flussabwärts. Dann bringen wir Sie hinüber. Unser kleines Dampfboot kann das Floß nicht stromauf ziehen.« Die zehn Reiter und der Scout hören es, und jeder von ihnen atmet erleichtert auf. Denn sie bekommen nun sozusagen eine Gnadenfrist, können sich noch einmal ausruhen mit dem Bewusstsein, noch am Leben zu sein. Denn am nächsten Tag … Sie wollen nicht daran denken, haben sie doch die Überreste der anderen Patrouille gesehen, die sie beerdigen mussten. Der Schauder schüttelt sie noch, wenn sie daran denken. Die Stimme des jungen Lieutenants klirrt metallisch vor Anspannung, als er halblaut den Befehl gibt: »Sergeant, lassen Sie absitzen. Dort drüben ist ein großer Schuppen. Dort nehmen wir Quartier. Die Männer sollen abkochen und sich dann ausruhen. Denn morgen wird es gewiss ein harter Tag.« Er sitzt ab. Der Sergeant will schon seine Stimme erheben, um die Befehle, die jeder Mann der Patrouille ohnehin schon hörte, zu wiederholen, weil das nun einmal so üblich ist bei der Armee, aber er kommt nicht mehr dazu. Mrs Bulldog ist mit den anderen Menschen der Siedlung herbeigekommen. Nun ruft sie lockend, bevor die Stimme des Sergeanten ertönt: »Hey, Lieutenant, vielleicht
gönnen Sie sich und Ihren Männern vor dem Ritt zum Sterben noch einmal eine Freude? Ich habe zwei wunderschöne Mädchen in meinem Haus. Und ihr seid ja nicht so viele Männer. Wir können euch alle glücklich machen, wenn ihr dafür unsere Preise bezahlt. Gönnen Sie Ihren Reitern eine letzte Freude am Leben!« Sie verstummt mit einen sarkastisch klingenden Lachen in der Kehle. Im Laternenschein steht sie massig und breitbeinig mit in die Hüften gestemmten Fäusten da. Und hinter ihr stehen ihre Mädchen. Eines sagt laut genug: »Jungs, wir freuen uns auf euch.« Doch nun bellt die vor Wut heisere Stimme des Lieutenants: »Sie müssen ja völlig verrückt sein, Frau! Wenn Sie auf diese Weise die Moral meiner Reiter schwächen wollen, dann betrachte ich das als einen feindlichen Akt. Sehen Sie sich also vor! Und hauen Sie endlich ab! Verschwinden Sie mit Ihren Katzen im Hurenhaus und lassen Sie sich nicht mehr sehen, bis wir fort sind!« Die Stimme des Lieutenants überschlägt sich zuletzt, weiß er doch, dass er diese Nacht keinen Schlaf bekommen wird. Denn zumindest einige seiner Männer würden sich sonst von der Abteilung entfernen und zu den Frauen schleichen.
Der Sergeant gibt nun endlich die Befehle, indes die Frauen sich mit ihrem riesigen Hausneger entfernen. Sie lachen dabei herausfordernd und verächtlich zugleich, denn sie hatten ihren Spaß und wissen genau, wie sehr sich die Soldaten nun ärgern. Der Scout Jeff Harris aber sitzt nicht wie die Soldaten ab. Er reitet den drei lachenden Frauen nach bis zu deren Haus. Mrs Bulldog sieht dann zu ihm hoch und fragt: »Freund, haben Sie keine Angst, dass Ihnen der Lieutenant den Kopf abreißt?« »Nein«, erwidert Jeff Harris, der ein erfahrener Trapper, Bergläufer und Indianerkämpfer war, bevor er Armeescout wurde. »Ich bin kein Blaubauch. Und ich möchte bei euch eine Nacht wie im Paradies verbringen. Was wird es kosten?« »Für zwanzig Dollar bekommst du das Paradies auf Erden«, verspricht Mrs Bulldog. »Unser George wird auch dein Pferd versorgen.« Es ist schon fast Mitternacht, als die Männer der Patrouille nebeneinander im Schuppen liegen, dessen Ausgang vom Lieutenant bewacht wird. Denn der Offizier hat sich quer davor in seine Decken gerollt. Wer hinaus will, muss über ihn hinwegsteigen.
Die Soldaten Mike Ross und Dan Stillwell liegen nebeneinander. Sie wurden Freunde und halten zusammen. Ross spricht leise zu Stillwell: »Warum bin ich nur zur Armee gegangen, verdammt! Welcher Teufel hat mich damals geritten? Ich hatte es daheim doch bestens. Was hat mich damals nur so gejuckt?« Dan Stillwell lacht leise. Er wurde bei der Armee ein Mann, der stets über alles lacht, mag es gut oder böse sein. Und wahrscheinlich würde er auch lachend in den Tod reiten, weil das Lachen für ihn nichts anderes ist als die Möglichkeit, seinen Frust und seinen Trotz auszudrücken. Er sagt dann: »Oha, Mike, auch mich hat es mal gejuckt. Und da habe ich ein Mädchen geschwängert daheim in unserem Dorf. Dieses Mädchen hatte fünf Brüder, die mich drei Tage und Nächte jagten, nachdem ich mich weigerte, die Katze zu heiraten. Ja, sie war eine Katze, die es mit vielen Katern trieb. Ich wäre mir mein ganzes Leben lang nicht sicher gewesen, ob ich es war, der ihr das Kind machte. Sie hat es zwar ihren Brüdern geschworen, aber …« Er bricht ab und dreht sich auf die andere Seite und murmelt nur noch: »Die Armee nahm mich als Flüchtling in ihre Arme. Die fünf Brüder hätten mich sonst totgeschlagen wie einen Hund. Also gehört mein Leben der Armee.«
Nach diesen Worten beginnt er zu schnarchen. Und Mike Ross denkt neidvoll: Warum kann ich das Leben nicht so nehmen wie er und alles lachend hinnehmen, mag es gut oder schlecht sein? Er hört dann merkwürdige Geräusche an der hinteren Wand des Schuppens und kann sie sich zuerst nicht erklären. Aber dann erkennt er, dass es die Soldaten Nick Dolan und Bart Skinner sind, die dort zwei Bretter aus der Rückwand herausnehmen, sodass sie sich durch den Spalt quetschen können. Sie machen sich dann auf den Weg zu Mrs Bulldogs Haus. Doch dann steht plötzlich der Lieutenant vor ihnen, wortlos, aber mit dem Revolver in der Faust. Sie halten inne und bleiben ebenfalls wortlos, während sie sich umwenden und den Rückzug antreten. Erst als sie im Schuppen wieder unter ihren Decken liegen, fluchen sie in sich hinein. Doch einer ihrer Nachbarn murmelt leise: »Das war wohl nichts, ihr Pfeifen?« »Halt’s Maul, Blinky«, grollt Nick Dolan. Und dann ist Ruhe im Schuppen. Auch der Lieutenant liegt wieder quer vor dem Ausgang. Die Nacht bleibt immer noch schwarz. Der Missouri rauscht. Am nächsten Tag müssen sie hinüber.
Und dann … Doch sie schlafen nun alle mehr oder weniger fest. Sie waren zu erschöpft und ausgebrannt vom langen Reiten. Rothorn auf seinem hageren Mustang schlug sie um viele Meilen, und selbst der Big Muddy war für Rothorn kein Hindernis. Es ist dann im Morgengrauen, als die Stimme des Sergeanten tönt: »Kommt hoch, ihr Helden der glorreichen US-Armee! Hoch die müden Leiber! Draußen warten nackte Weiber!« Sie kommen hoch, packen ihre Siebensachen zusammen, kauen dann Speck und harten Zwieback, schlürfen heißen Kaffee und machen ihre Pferde bereit. Die Lonnegans, der riesige Neger und die zwei anderen Männer der Holzplatzsiedlung warten schon, hocken auf einem Wagen, der von einem Ochsen gezogen wird, mit dessen Hilfe sie sonst die Baumstämme vom Wald zum Holzplatz ziehen. Doch solch ein Ochse bewegt sich nicht schnell. Deshalb reiten die Soldaten voraus und erwarten sie beim Floß, das in einer Bucht festgemacht wurde. Auch das kleine Dampfboot ist schon da. Old Man Lonnegan sagt zum Lieutenant: »Wir müssen zweimal hinüber. Das Floß trägt nicht alle. Die zweite Überquerung findet eine Meile weiter unterhalb statt.«
Nun flucht der junge Lieutenant fast wie ein alter Soldat. Dann sieht er den Scout kommen, und als dieser neben ihm verhält und mit ihm zusieht, wie die Männer des Holzplatzes das Floß klarmachen, da fragt der Lieutenant grollend: »Haben Sie sich gut amüsiert im Hurenhaus, Mister Harris?« »Und wie«, erwidert dieser. »Für zwanzig Dollar war ich im Paradies. Sehen Sie, das sind die kleinen Vorrechte eines Zivilscouts.« »Hoffentlich sind Sie jetzt körperlich und geistig noch in der Lage, Ihren Dienst als Scout zu versehen.« Da lacht Jeff Harris schallend. Er sitzt auf einem großen, hageren grauen Wallach, an dem einige Kriegsnarben zu erkennen sind. Nun lenkt er diesen Wallach ins Wasser. Der Lieutenant ruft ihm nach: »He, wollen Sie hinüber schwimmen?« »Ein Bad tut uns gut, Lieutenant! Und drüben warte ich an einem warmen Feuer auf euch Pferdesoldaten!« Der Wallach hat nun tiefes Wasser erreicht und beginnt zu schwimmen. Der Scout aber liegt der Länge nach auf dem Rücken des Tieres. Sie werden schnell abgetrieben, und die Rufe der Soldaten folgen ihnen. Es sind anerkennende Rufe. Denn sie alle begreifen wieder einmal mehr, das so ein Scout und Angehöriger der
Hirschlederbrigade ein anderer Mensch ist, zu einer ganz anderen Sorte gehört. Aber auch Rothorn hat ja vor vielen Stunden auf die gleiche Art den kalten und schlammigen Big Muddy durchquert. Es wird dann früher Mittag, bis der Lieutenant seine Patrouille vollständig auf der anderen Seite hat. Die Männer vom Holzplatz zerlegen nun das Floß wieder, denn das kleine Dampfboot kann jeweils nur drei Stämme gegen die Strömung zurück zum Holzplatz ziehen. Die Patrouille versammelt sich am großen Feuer, das Jeff Harris angezündet hat, um seine nassen Sachen zu trocknen. Er hatte ja einige Stunden Zeit dazu. Inzwischen fing er auch einige Fische, die er am Rand des Feuers an Stecken über der Glut brät. Er grinst sie alle an und wendet sich an den Lieutenant. »Lassen Sie abkochen an diesem schönen Feuer. Denn danach wird es ein hartes Reiten werden, Mister.« »Nennen Sie mich nicht Mister, sondern Lieutenant«, verwahrt sich dieser. Aber dann gibt er dem Sergeanten wieder die notwendigen Befehle, die jeder hört, jedoch vom Sergeanten noch einmal wiederholt bekommt, weil dies zum Ritual der Armee gehört. Denn Offiziere stehen weit über den einfachen
Mannschaften und sollen nach Möglichkeit nie direkt mit ihnen in Kontakt treten. Aber so ist es ja auch bei der Seefahrt. Dort geben die Bootsmänner die Befehle des Kapitäns weiter. Es ist dann etwa eine Stunde später – ungefähr gegen Mittag –, als die Patrouille aufsitzt und sich in Doppelreihe auf den Weg macht. Der Lieutenant reitet an der Spitze und folgt dem Scout, der weit voraus immer wieder sichtbar wird. Dann folgen fünf Glieder der Doppelreihe, also zehn Mann. Sie sind ein lächerlich kleiner Haufen, vor dem sich das unermessliche Land dehnt. In der Ferne sind die Vorberge zu erkennen, sie liegen weit, weit jenseits des Milk River und schon in Kanada. Irgendwie wirkt die kleine Patrouille verloren in dieser Unermesslichkeit. Sie alle können im braunen Büffelgras die Schleifspuren der Schleppschlitten erkennen. Jemand in den hinteren Doppelreihen sagt böse mit heiserer Stimme: »Hoiii, Jungs, freut euch! Genießt diesen Tag noch mal so richtig und denkt nicht daran, dass dies unser letzte Ritt ist, der Ritt zum Sterben, hohoho!« Einige fluchen, andere lachen.
Und Johnny Mahoun, der ständig unter Blähungen leidet, hebt den Hintern aus dem Sattel und lässt einen donnernden Furz ab. Diesmal lachen sie alle, so wie Soldaten lachen aus Trotz und Hilflosigkeit, weil sie unter Befehl stehen und einem Offizier völlig ausgeliefert sind. Lieutenant Pug Slater hört das alles hinter sich im klirrenden Trab. Ja, es ist ein klirrender Trab. Denn an ihnen und den Pferden rasseln und klirren viele Ausrüstungsteile: Metallschnallen, Pferdegebissketten, Säbelgehänge, Sporenrädchen. Es ist das typische Geräusch reitender Kavallerie. Der Lieutenant hört es also, aber er ist mit seinen Gedanken weit voraus. Er will die Mörder der anderen Patrouille und glaubt, dass er sie besiegen kann, weil sie ja auch nicht zahlreicher als seine Abteilung sein können. Ja, er verspürt den Ehrgeiz eines jungen Offiziers, der auf der West Point geformt wurde und dessen Denk- und Vorstellungswelt mit der eines einfachen Soldaten nicht zu vergleichen ist. Und so wird er alles wagen und niemals an die Möglichkeit einer Niederlage denken.
10 Eigentlich heißt der Junge, den die Armee zum Offizier machte und dem sie das Leben von Männern anvertraute, Lesly Slater. Doch als Kind und Junge war er ein zweibeiniger Mops mit einer Stupsnase, ein kleiner Stups – also Pug. Und auf der Offiziersakademie behielt er den Namen, weil einige Kadetten ihn von früher kannten. Nun ist er schlank und drahtig. Aber die Stupsnase behielt er. Sie erreichen am nächsten Tag den Milk River, dessen milchige Farbe von den Kreidefelsen seines Quellgebiets gefärbt wurde. Aber der Milk River ist längst kein so gewaltiger Strom wie der Missouri, dessen Oberlauf Big Muddy genannt wird. Die Patrouille wird ihn also, nachdem sie eine Furt erreicht haben, problemlos durchreiten können. Es ist die Furt, wo der Steamer Helena – obwohl er nur knapp einen Yard Tiefgang hatte – Grundberührung bekam. Der Scout Jeff Harris erwartet die Patrouille am Ufer der Furt. Bis zum anderen Ufer sind es keine hundert Yards.
Pug Slater lässt die Reiter anhalten und treibt seinen Rotfuchs neben das narbige Kriegspferd des Scouts. »Na, was ist, Mister Harris? Warum sind Sie noch nicht drüben und erkunden voraus?« Er fragt es barsch und ungeduldig, starrt dabei gierig auf die Fährte des wandernden Dorfes. Diese Fährte ist mehr als deutlich zu sehen, denn die Stangenenden der Schleppschlitten zogen durch den Ufersand tiefe Furchen. Der Scout betrachtet den Lieutenant mit einem Ausdruck von Bitterkeit und Mitleid in seinem Blick. Pug Slater spürt es deutlich. Und das ärgert ihn. »Na los, hinüber, Mister Harris!« Doch dieser deutet mit der Hand zu der Stelle, wo aus der Furt eine breite Furche zum oberen Uferrand hinaufführt. Die Furche ist deshalb so breit, weil sie seit langer Zeit von den wandernden Büffelherden benutzt wird. Auf dem Uferrand stehen Bäume zwischen Kreidefelsen, wachsen Büsche, von denen einige ihr grünes Laub auch im Winter nicht verlieren. Zwischen dem Grün leuchten rote Beeren, es sind Kanaskabüsche. Aus den Beeren stellen die Indianer rote Farbe her. Der Scout deutet also hinüber und spricht dann: »Lieutenant, ich traue mich nichts, und Sie sollten es auch nicht. Denn ich denke, dort oben
auf dem Uferrand liegen einige dieser roten Jungs und warten nur darauf, dass wir mitten in der Furt sind. Wollen Sie denn unbedingt so jung sterben, mein Junge?« Die letzten Worte fragt er leise. Und ebenso leise, doch vor Zorn heiser knirschend, erwidert der Lieutenant: »Ich bin nicht Ihr Junge, Mister Harris, verdammt!« Dann starrt er über den Fluss, kann aber nichts erkennen, obwohl er wirklich gute Augen hat. Dort drüben wirkt alles friedlich und verlassen auf ihn, ganz und gar nicht unheilvoll und gefährlich. Der Scout schnauft verächtlich und fragt dann: »Mister Harris, was glauben Sie, warum ich als Jäger und Scout in all den Jahren in diesem Land noch am Leben bin, he, was glauben Sie, ist wohl der Grund?« Sie starren sich wieder an, und der Junge, dem die Armee Befehlsgewalt über Männer verlieh, fühlt sich vom Scout, der sein Vater sein könnte, herausgefordert. »Vielleicht, weil Sie ein zu vorsichtiger Mann sind, Harris«, spricht er dann. Aber er gibt dem Wort »vorsichtig« eine besondere Betonung. Er hätte ja auch das Wort »feige« benutzen und gesagt haben können: »Weil sie feige sind, Harris.« Dieser grinst ihn nun mitleidig an und spricht ruhig: »Lieutenant, ich reite hier nicht hinüber. Und ich will Ihnen auch noch sagen, warum ich
noch lebe. Ich habe Instinkt. Man muss in diesem Land geboren sein oder viele Jahre in ihm gelebt und gejagt haben, um diesen Instinkt zu besitzen. Hören Sie auf mich, Lieutenant.« Als er verstummt, hat er alles gesagt. Nun liegt die Entscheidung bei Pug Slater. Dieser spürt plötzlich die Verantwortung wie eine schwere Last und beginnt aus seinem innersten Kern heraus gegen sie anzukämpfen. Ein Trotz wächst in ihm. Er wendet sich im Sattel und blickt auf die Doppelreihe seiner zehn Reiter zurück. Jäh spürt er deren Abneigung, Feindschaft und Hass. Ja, in diesem Moment hassen sie ihn, weil sie unter seinem Befehl stehen und er sie in den Tod führen will. Er fühlt sich plötzlich wie ein Spieler, der gern seine Karten ausspielen möchte, aber nicht genau weiß, ob sie auch gut genug sind, weil er die Karten seiner Gegenspieler nicht kennt. Ja, er verspürt Zweifel, und ein Gefühl sagt ihm, dass er besser umkehren sollte. Doch dies müsste er im Patrouillen-Tagebuch begründen. Und wie würde der Colonel im Fort das beurteilen? Würden die anderen Offiziere ihn für einen Feigling halten? In Pug Slater ist ein Wirbel von Gefühlen und Gedanken.
Gleichzeitig aber meldet sich wieder sein Trotz. Und was ist, wenn der Scout sich täuscht, wenn es dort drüben gar keine Gefahr gibt? Er sieht Jeff Harris noch einmal an. »Und Sie wollen nicht hinüber, um als Scout Ihre Pflicht zu tun?«, fragt er. »Es ist überflüssig hinüberzureiten«, erwidert der Scout. »Ich kann Ihnen auch so sagen, dass die roten Jungs drüben auf uns warten. Ich weiß es, weil ich sie wittern kann wie Pumascheiße!« Jeff Harris spricht es hart und drastisch. Nein, er ist kein feiner Mann. Pug Slater entschließt sich plötzlich. Er spürt nur noch Verachtung für den primitiven Scout. Und so wendet er sich im Sattel und ruft seinem Sergeanten zu: »Sersch, wir reiten in breiter Front hinüber so schnell es geht! Linke Reihe links von mir, rechte Reihe rechts! Marsch! Zieht die Revolver! Anreiten! Galopp!« Es geht nun alles sehr schnell, denn sie haben das ja oft genug geübt. Und so funktioniert die kleine Patrouille wie ein Uhrwerk. Als sie anreiten, da tönt ihr Johooo wild und trotzig – und dabei hoffen sie alle, dass sie jetzt nicht in den Tod reiten. Denn dort drüben ist ja nicht die geringste Gefahr zu erkennen. Sie jagen in das aufspritzende Wasser des Flusses. Noch reicht es den Pferden nur bis zu den Knien, und sie können galoppieren.
Dann aber wird es tiefer. Das Wasser reicht nun bis zu den Sätteln, und so kommen sie nur langsam vorwärts. Auf dem Kamm des gegenseitigen Ufers regt sich nichts. Und so beginnen sie schon zu glauben, dass der Scout sich getäuscht hat. Unbeschadet erreichen sie das andere Ufer. Der Lieutenant treibt sein Tier auf der Fährte des wandernden Dorfes von Wolkenreiter die breite Furche hinauf. Oben angekommen, stößt Pug Slater einen sieghaften Schrei aus, und mit diesem Schrei in der Kehle stirbt er als erster Reiter seiner Patrouille. Der Scout Jeff Harris blieb am Ufer zurück und beobachtet das Geschehen. Er sieht sie alle sterben. Manche ergreifen noch die Flucht, wollen zurück durch den Milk River, der sich von ihrem Blut rot färbt. Es erscheinen dort oben auf dem Uferrand kaum mehr als ein halbes Dutzend Krieger. Doch sie feuern mit Repetiergewehren, können schnell durchladen, repetieren also. Es sind gute Waffen, Winchester und Spencer-Karabiner. Ihre Feuerkraft ist groß. Die Patrouille hat keine Chance. Der Junge, der wie ein Spieler handelte, wollte alles gewinnen und furchtlos wagen. Doch er führte alle in den Tod.
Der Scout Jeff Harris verharrt noch ein Weile auf seinem nervös tänzelnden Wallach. Die Roten drüben auf dem anderen Ufer drohen nun mit den Gewehren zu ihm herüber. Was kann er tun? Er zieht seinen narbigen Wallach herum und reitet davon. Ja, er wird im Fort dem Colonel von der Dummheit des Lieutenants berichten. Und er wird auf dem Weg zum Fort auf Captain Jack Merville und dessen Schwadron treffen, den der Colonel seinem Lieutenant und dessen Patrouille nachgeschickt hat, um ihn zu retten. Und dann wird die Maschinerie der Armee erst richtig in Gang kommen. Es kann nicht anders sein. Für Wolkenreiter, Warface und deren Krieger ist es ein großer Sieg ohne eigene Verluste. Sie bekommen die ganze Ausrüstung der Soldaten, ihre Waffen, Pferde und ihren Proviant. Das kleine Dorf von Wolkenreiter ist nun noch besser ausgerüstet für den Winter. Sie holen das wandernde Dorf mit ihrer Beute erst am nächsten Tag wieder ein. Die Frauen und Kinder und auch die Alten empfangen die Krieger mit Jubelrufen. Maria sieht jedoch besorgt zu ihrem Bruder Warface empor, als dieser sein Pferd neben ihr verhält. Sie kann das Glitzern und Funkeln in
Warfaces Augen erkennen und weiß, dass Pierce Cheyenne – denn dies ist ja sein Name – nun ganz und gar ein Krieger der Cheyenne wurde. Er spricht auf sie nieder: »Ich sehr dir an, Schwester, dass du dir Sorgen machst, denn du kennst die Macht der Wasicuns so wie ich. Aber ich sage dir, ich führe uns alle zu einem Ort, wo die Gejagten eine Macht sind, die selbst eine starke Truppe nicht besiegen kann – und schon gar nicht im Winter. Wir werden in Frieden und in Sicherheit leben in einem Fort, das wie eine Burg ist.« Sie möchte es glauben und nickt. Dann aber spricht sie: »Unsere Großmutter ist schwach geworden und wird jeden Tag schwächer. Du solltest uns sehr schnell zu diesem Ort führen, bevor der erste Blizzard über uns herfällt. Unsere Großmutter sollte dann in ihrem Zelt am warmen Feuer sitzen und schlafen können. Ich muss noch viel von ihr lernen, wenn ich ihre Nachfolgerin als Medizinfrau werden will.« Er lächelt auf sie nieder und legt seine Hand auf ihr rabenschwarzes Haar. »Auch du bist eine Cheyenne geworden«, spricht er. »Unser Volk braucht uns. Und wir hier sind ja nur eine winzige Gruppe. Doch selbst die Kleinen haben ein Recht auf Freiheit. Schwester, wir wurden ganz und gar Cheyenne, weil uns die Weißen nicht anerkannten, weil wir für sie
Bastarde waren: du ein wunderschöner Bastard zwar – ich dagegen nur der hässliche Abkömmling einer Squaw, die ein Weißer einige Winter lang unter seine Decke nahm.« Er verstummt hart. Dann reitet er zu Wolkenreiter an die Spitze ihres Zuges, der die Wanderung wieder aufnimmt. Sie ziehen immer noch nach Norden, denn sie müssen das Gebiet der vielen Biberseen und vielen Flussläufe nach Norden zu umgehen, dann nach Westen abbiegen und schließlich wieder nach Süden ziehen, um von Norden her das Fort zu erreichen. Der Wind kommt ihnen kalt und scharf entgegen. Und es riecht wieder nach Schnee. Am nächsten Morgen werden die Creeks und Seen an den Ufern die ersten Eisränder haben. Und wehe ihnen, wenn sie von einem Blizzard aufgehalten werden. Sie wissen es alle, und so mühen sich auch die Alten durchzuhalten. Denn sie wollen keine Last sein. Manchmal ertönt ein Gesang von Frauen und Kindern. Mit diesem Gesang machen sie sich Mut. Für sie ist das Fort das Gelobte Land, zu dem zu allen Zeiten die Pilger zogen, fast immer mit Gesängen, die Ausdruck ihrer Hoffnung waren, Bitten an das Schicksal oder an die Götter, welche auch immer es sein mochten.
Warface aber spürt zum ersten Mal in seinem Leben ein Gefühl der Pflicht und der Verantwortung. Bisher verschwendete er sein Leben und war mehr oder weniger ein Böser, ein Bandit und Sünder. Jetzt aber wird er gebraucht, wurde der Anführer von Gejagten und Verfolgten. Das macht ihn stolz. Als er wieder einmal dicht neben Wolkenreiter reitet, sieht dieser ihn seltsam an. »Was ist, Wolkenreiter?« So fragt Warface. Der ältere Mann hebt die Schultern und lässt sie wieder sinken. Dann aber spricht er: »Du wolltest ein Weißer sein, so wie dein Vater. Doch nun wurdest du einer von uns. Was war der Grund?« »Ihr wolltet eure Freiheit behalten«, erwidert er schlicht. »Und ich wollte nicht länger als halbwilder Bastard gelten unter den Wasicuns.«
11 Das alte Fort ist aus Steinen gemauert wie eine Burg. Und es gibt viele Räume in ihm. Auch in der Steinmauer mit ihren Wehrtürmen gibt es Räumlichkeiten. Die Händler, die einst das Fort errichteten – und es muss Jahre gedauert haben, bis es fertig war – brauchten ja auch Magazine und Werkstätten. Es ist alles vorhanden. Rings um das Fort liegt eine Siedlung wie ein Dorf im Schutz einer Trutzburg. Josys Bruder ist tatsächlich der Chef hier, der Boss oder wie man seine Position auch nennen mag. Es zu werden, war gewiss nicht einfach für ihn. Denn er kam ja gewissermaßen wie ein Wolf in einen Käfig voller Raubtiere und musste sich seinen Platz unter ihnen erst noch erkämpfen. Josy und John bekommen von ihm ein Quartier zugewiesen und richten sich darin ein. Und der Bruder sagt zu seiner Schwester: »Josy, wir reden morgen oder übermorgen über alles. Ich habe zurzeit eine Menge zu tun. Es kam ein Schiff voller Waren, die gerecht verteilt und bezahlt werden müssen.« Nach diesen Worten eilt er davon. Josy sieht John verwirrt an.
»John, was ist mit ihm geschehen? Es muss mit ihm etwas passiert sein. Er hat sich total verändert. Und er sagte, dass er nun wirklich schuldig wurde und mein Kommen zu spät sei. John, was mag er getan haben?« Sie verstummt voller Sorge und sieht John fragend an, so als könnte er das Rätsel lösen. Sie stehen noch voreinander mitten in dem kleinen Raum, den ihnen Jubal Boston zugewiesen hat. Der Raum, der einer Kasematte gleicht – und das sind schusssichere Unterkunftsund Vorratsräume in Festungen, also Forts – ist gut eingerichtet. Josy und John werden es hier bequem haben. Doch sie nehmen das noch gar nicht wahr. Josy sucht immer noch nach einer Erklärung für das Verhalten und die Worte ihres Bruders. Auch John möchte solch eine Erklärung finden. Er nimmt Josy in die Arme und spricht dann leise zu ihr nieder: »Dein Bruder ist hier in eine andere Welt gekommen, Josy. Das muss vor zwei Jahren gewesen sein. Er war ein zu Unrecht Verfolgter, ein Gejagter und Geächteter. Sie wollten ihn damals hängen. Und er wusste immer, dass er unschuldig war. Was muss er die menschliche Gesellschaft, die sich für gut und redlich hielt, gehasst haben. Denn sie gaben ihm keine Chance, sodass er zu den Bösen flüchten und unter ihnen leben musste. Nur ein Heiliger hätte sich an seiner Stelle nicht gewandelt zu
einem Sünder. Und er scheint hier der Chef zu sein, der Boss oder Anführer. Josy, wir werden das alles noch geklärt bekommen und besser verstehen können. Wir sollten uns hier auf eine längere Zeit einrichten. Die Helena wird ohne uns und deinen Bruder wieder von hier abfahren, um dem Winter zu entkommen. Wir müssen aber bleiben, wenn du deinen Bruder nicht aufgeben willst.« Sie löst sich von ihm, tritt einen Schritt zurück und sieht mit geweiteten Augen zu ihm auf, so als würde sie ihn zum ersten Mal richtig sehen. Dann flüstert sie: »Oh, John, nun weiß ich, dass du mich mit dem Herzen liebst und deshalb noch auf deine Rückkehr nach Texas warten kannst. John, ich danke dir. Ich weiß, was du um meinetwillen auf dich zu nehmen bereit bist, denn wir werden ja noch lange Zeit hier leben müssen – unter Bösen und Geächteten.« Er nickt und erwidert: »Ja, so ist es. Und ich will sie mir ansehen. Auch um unsere Pferde und das Maultier muss ich mich kümmern. Man hat schon unser ganzes Gepäck hergeschafft. Du kannst auspacken und uns hier einrichten. Denn wir werden hier lange leben müssen, wie du schon sagtest. Ich gehe.« Er wendet sich ab und verlässt den Raum. Sie aber verharrt noch, hat ihre Hände gegen den Halsansatz gedrückt, als könnte sie so das Klopfen ihres Herzens dämpfen.
Nach einer Weile sieht sie sich um. Es gibt hier ein breites, bequemes Lager, indianische Teppiche, einen Tisch und zwei Armstühle, dazu eine große Truhe, Wandhaken und ein Regal. Das Fenster nach draußen ist klein, und die Fensterbank lässt erkennen, wie dick die Mauer ist. Gewiss könnte sie Granaten aus Kanonen aushalten. Josy seufzt. Dann aber packt sie alles aus, was bisher ihr Packtier trug und sich in den Satteltaschen ihrer Pferde befand. John Kingman findet ihre beiden Pferde und das Maultier außerhalb des Forts in einem Corral unweit der Landebrücke, an der die Helena festgemacht ist und geleichtert – also entladen – wird. Ja, sie hat eine Menge Fracht mitgebracht. Es herrscht allerhand Betrieb und Bewegung bei der Landebrücke. Und der Ladebaum schwingt den Ladekorb immer wieder an Land. Doch Kingman kümmert sich nicht darum. Ein kleiner Mexikaner, den es verdammt weit aus dem tiefsten Süden in den Norden verschlagen hat, kommt zu ihm und sagt: »Ich bin Paco. Unser Capitano sagte mir, dass diese Tiere besonders gut versorgt werden müssen, weil sie seiner Schwester und deren Hombre gehören. Sind Sie dieser Hombre?«
John Kingman nickt. »Bin ich, Paco, bin ich. Und morgen will ich die Tiere ein wenig bewegen. Sie standen zu lange an Bord. Kann man hier in der Umgebung reiten?« »Und wie, Hombre, und wie. Von hier aus kann man zweihundert Meilen weit bis nach Fort Benton am Missouri reiten, also nach Norden und Westen. Nach Süden allerdings gibt es keine Möglichkeit. Nach Süden kommt man nur mit einem Boot oder mit der Helena, hihihi!« Er verstummt mit einem heiseren Lachen. Irgendwie spürt Kingman, dass dieser kleine Mexikaner gerne wieder nach Süden möchte und sich vor dem Winter fürchtet. Aber offenbar erwartet ihn im Süden der Tod und entkam er irgendwelchen Rächern. Ja, so könnte es wohl sein. Im Corral befinden sich noch viele andere Pferde. Es gibt noch weitere Corrals und Weidekoppeln. Das Umland des Forts ist besiedelt und mit einem kleinen Dorf zu vergleichen, das sich um eine Schutz- und Trutzburg gebildet hat. Kingman sieht im Mond- und Sternenschein auch, dass die Pferde in den Corrals und auf den Weidekoppeln alle zu jener Sorte von Tieren gehören, auf denen man lange Ritte unternehmen kann. Es sind mehr oder weniger Langreiterpferde.
Und so beginnt er zu begreifen, dass die Gemeinschaft hier immer wieder weite Ritte unternimmt, um irgendwo reiche Beute zu machen. Denn sie alle hier müssen ja irgendwie leben. Der Steamer Helena aber bringt seine Fracht nicht umsonst. Kapitän Rotbart-Harrison lässt sich gewiss alles sehr teuer bezahlen und macht hier ein besseres Geschäft, als er es in Fort Benton machen könnte, dem äußersten schiffbaren Punkt des Big Muddy. John Kingman nimmt sich Zeit, alles in der Umgebung des Forts zu erkunden. Er weiß, dass Josy jetzt schon besorgt auf seine Rückkehr wartet. Aber er will die Umgebung genau kennen und sich dann auch im Fort umsehen. Die mond- und sternenhelle Nacht hilft ihm dabei. Es ist fast taghell. Alle aufragenden Dinge werfen Schatten fast wie bei Sonnenschein. Er geht auch an dem kleinen Indianerdorf vorbei, das nur aus wenigen Tipis besteht. Hier brennt inmitten der Zelte ein Feuer, um das einige in Decken gehüllte Gestalten hocken. Aus einem der Zelte tönt plötzlich das zarte Stimmchen eines Neugeborenen. Ja, offenbar findet dort drinnen gerade eine Geburt statt. John hält inne, und er muss nicht lange warten. Dann tritt eine Squaw aus einem Zelt – wahrscheinlich die Geburtshelferin – und ruft einige Worte zu den Gestalten am Feuer hin.
Sie erheben sich alle. Ihre Stimmen klingen anerkennend. Einer der Indianer kommt zu John Kingman, verhält vor diesem, starrt zu ihm hoch und sagt kehlig: »Wasicun, wir Crows sind nun eine Seele mehr. Willst du dem zukünftigen Krieger ein Geschenk machen? Denn das Geschenk eines Fremden ist ein gutes Omen für seinen Lebensweg. Er wird dann stets Hilfe finden unter uns Menschen.« John Kingman staunt den Alten an. Ja, es ist ein schon recht verhutzelter Krieger. Und er ist ein Crow. Und die Crows werden von allen anderen Stämmen gehasst, weil sie sich mit den Weißen verbündeten. Diese Crows hier fanden Schutz bei geächteten Weißen. John Kingman weiß nicht, warum er es tut, aber er holt einen goldenen Doppeladler heraus und reicht ihn dem Alten. Dieser nimmt ihn wortlos und ohne Dank, starrt ihn nur an. Da geht Kingman weiter. Und erst als er schon zehn Schritte gemacht hat, holt ihn die Stimme des Alten ein: »Er wird ihn wie ein Amulett an einer Lederschnur am Hals tragen, Wasicun.« John Kingman dreht sich nicht um, erwidert auch nichts. Einen Moment bedauert er seine Großzügigkeit, und überdies wird das goldene
Zwanzigdollarstück durch das Loch für die Lederschnur entwertet. Er sieht vor sich einen großen Baum, unter dem ein Feuer brennt. Der Baum ist eine riesige Burreiche mit weit ausladenden Ästen, die nun kahl sind. Sie ist gewiss zwei- oder gar dreihundert Jahre alt, ein Monarch unter allen anderen Bäumen. Ein großes Feuer brennt unter dem Baum. Und etwa zwei Dutzend Männer haben sich um das Feuer versammelt. John Kingman setzt sich in Bewegung. Denn er erkennt Josys Bruder am Feuer. Jubal Bostons Stimme klingt scharf und schneidend herüber. Kingman kann jedes Wort verstehen. Und so hört er: »Wir alle sind Gejagte, Geächtete, Gehasste! Und wir leben hier wie Aussätzige, müssen rauben, Beute machen, Blut vergießen und auch töten. Wir sind der Abschaum der menschlichen Gesellschaft. Doch das gibt keinem von uns das Recht, hier mitten unter uns zu rauben und zu töten. Hier in diesem alten Fort muss Frieden herrschen, Sicherheit. Und deshalb werden wir dich hängen, Mike McLowry! Du hast einen von uns beraubt und getötet!« John Kingman begreift nun endlich, was hier vorgeht. Josys Bruder ist im Fort auch der Richter.
Vor einer Stunde hat er ihn noch beim Leichtern der Helena gesehen. Dort sorgte Jubal Boston mit seinen Leuten für Ordnung und einen reibungslosen Ablauf der Arbeiten. Nun sprach er hier wie ein Richter das Urteil. John Kingman kann dann sehen, wie sie einen Mann am Hals hochziehen. Es ist eine gespenstische Szene im Feuerschein, der den Schatten der mächtigen Äste erhellt. John Kingman wendet sich ab und geht zum Fort zurück. Nun weiß er, wie sehr sich dieser Jubal Boston gewandelt und verändert hat und versteht, dass er mit seiner Schwester nicht mehr zurück in die Gesellschaft der Redlichen will. Jubal Boston gehört längst selbst zu den Verlorenen. Und bald schon wird Josy das erfahren und begreifen. Soll er Josy also gegen ihren Willen wieder auf die Helena und zurück in die andere Welt bringen? Wenn es sein muss, sogar mit Gewalt? Als er sich das fragt, indes er sich rückwärts gehend Schritt für Schritt von der gespenstischen Szene entfernt, da weiß er mit seinem nächsten Gedanken, dass er Josy dann verlieren würde. Nein, er muss hier bei ihr bleiben, darf sie nicht gegen ihren Willen fortbringen.
Als er in ihren kleinen Wohnraum tritt, der wie eine Kasematte wirkt, da sitzt sie am Tisch und sieht ihm mit großen Augen entgegen. Vor sich hat sie auf einem Holzteller ihr Abendbrot. Aber sie rührte es nicht an. Sie spricht nur: »Der Tee ist schon kalt. Warum hast du mich so lange allein gelassen, John? Was ist geschehen? Ich sehe dir an, kann es auch spüren, dass dort draußen etwas geschehen ist.« In ihrer Stimme ist ein energisches Fordern. Sie ist ja eine energische Frau, keines dieser oft so hilflos sich gebenden Hühner, deren Hilflosigkeit ihre Waffe ist, die sie geschickt einsetzen. Er setzt sich zu ihr an den Tisch und blickt in ihre grünen Augen, kann darin erkennen, wie hart und energisch sie sein kann. Denn das ist ihre andere Seite. Er kennt nun beide Seiten. Und so entschließt er sich und erzählt ihr von der Hängeparty. Er endet dann mit den Worten: »Josy, dein Bruder ist ein anderer Mensch geworden. Seine Bitterkeit gegenüber der so genannten Gesellschaft der Reinen und Guten, die ihn damals hängen sehen wollte, hat ihn verändert. Er fühlt sich inzwischen so sehr als Geächteter und Böser, dass er sich nicht wieder zum Guten wandeln kann. Und hier hat er eine Aufgabe. Er hält hier Ordnung auf die raue Art, die diese Gesellschaft hier allein respektiert. Ich
kann mir denken, dass er hier als Revolvermann gekämpft und getötet hat, bis sie ihn anerkannten und sich ihm unterwarfen. Josy, er ist für deine und meine Welt verloren. Aber ich denke, du wirst dennoch nicht morgen oder übermorgen, wenn die Helena wieder die Rückreise antritt, mit ihr nach Süden fahren. Du willst noch nicht mit mir nach Texas?« Als er endet, schließt sie die Augen, und er kann ihr ansehen, dass sie nun tief in sich hineinlauscht. Sie tut ihm Leid, denn er weiß, wie sehr sie innerlich mit sich kämpft. Und so murmelt er: »Josy, wie du dich auch entscheidest, ich bleibe bei dir.« Da öffnet sie wieder die Augen und spricht: »Was für ein Glück für mich, dass es dich gibt. Aber ich muss erst mit meinem Bruder reden. John, ich kann jetzt nicht einfach fortlaufen. Weißt du, ich kam her, weil ich befürchtete, was nun tatsächlich eingetreten ist, nämlich dass mein Bruder hier inmitten der Geächteten und Verlorenen ein anderer Mensch wurde, der den Hass der menschlichen Gemeinschaft, die ihn hängen wollte, mit seinem Hass erwidert. Dabei könnte er jetzt in Texas ein neues Leben als unbescholtener Bürger anfangen. Vielleicht gibt es ja doch eine Hoffnung. Vielleicht ist doch noch nicht alles verloren. Ich muss es wenigstens versuchen, John.«
Er nickt nur. Dann aber spricht er: »Lass uns etwas essen. Dadurch, dass wir hungern, bessert sich nichts. Wir müssen bei Kräften bleiben. Also iss den Schinken und das Brot, Josy, mir zuliebe, auch wenn die Sorge dir die Kehle zuschnüren will.« Sie sieht ihn eine Weile wortlos an, und es ist eine tiefe Dankbarkeit in ihrem Blick. Dann beginnt sie zu essen.
12 Es ist am Tag nach dem Untergang von Lieutenant Pug Slater und dessen Patrouille, als der Scout Jeff Harris auf Captain Merville und dessen Schwadron trifft. Der Captain lässt anhalten, und als der Scout Jeff Harris neben ihm sein Pferd verhält, da fragt er hart: »Was ist geschehen, Harris?« Dieser betrachtet den Captain ruhig und fest. Eigentlich mag er diesen Captain, denn er gehört zu jener Sorte, die nicht nur hart und erfahren, sondern auch gerecht ist. Die ganze Truppe achtet diesen Offizier. Und so spricht er zu Merville: »Captain, Sie kommen zu spät. Der Junge ritt mit seiner Patrouille in die Falle, vor der ich ihn warnte. Vielleicht hätte ich ihn aus dem Sattel schlagen sollen. Doch was hätte dann die Armee mit mir gemacht?« »Am Hals aufgehängt!« Der Captain grinst grimmig. »Und warum sind Sie nicht mit der Patrouille gestorben?« »Bin ich verrückt, Captain?« Jeff Harris fragt es hart und so richtig biestig. Dann aber berichtet er und schließt mit den Worten: »Es ist also nur eine kleine Gruppe, aber sie hat zwei Patrouillen vernichtet. Die wenigen Krieger haben gute Gewehre, Repetiergewehre.
Und sie alle schießen hervorragend. Doch was besonders schlimm ist, sie werden von einem Halbblutmann geführt, den ich deutlich erkennen konnte. Es handelt sich um Pierce Cheyenne oder Cheyenne Pierce, den man auch Warface nennt, wegen seines wilden Gesichtsausdrucks. Ich kenne ihn gut genug. Warface wollte stets zu den Weißen gehören, aber diese behandelten ihn immer wie einen Wilden, obwohl er ständig einen Hut trug. Er ist ein erfahrener Jäger, schlau und listig. Nun hat er sich wohl dazu entschieden, ein Cheyenne zu sein. Ich kann mir denken, wohin er die kleine Gruppe, zu der auch Alte, Frauen und ein knappes Dutzend Krieger gehören, führen will.« »Wohin, Harris, wohin?« Der Captain fragt es schnappend. Jeff Harris deutet mit den Daumen über die Schulter hinweg nach Norden. »Es gibt da ein Fort, ein altes Handelsfort, das kanadische Pelzjäger und Händler vor mehr als hundert Jahren bauten. Es ist wie eine Burg. Von Süden her kann man nur mit Booten hin. Die Biber haben fast alle Creeks durch Dämme angestaut. Es gibt viele Seen. Nur von Norden her kann man auf dem Landweg hin. In dieser alten Handelsburg, gemauert aus Bruchsteinen, lebt eine verschworene Gemeinschaft von Banditen, Geächteten, Deserteuren und Gejagten, die ihre Raubzüge bis zu den Goldfundgebieten
unternehmen. Und die Bande erhält ständig Zuzug von neuen Gesetzlosen, und sie wird auch Warface und dessen Cheyenne aufnehmen, um noch stärker zu werden.« Als Captain Merville das hört, denkt er eine Weile nach. Dann aber grinst er blinkend zwischen seinem schwarzen Bart. »Na gut«, sagt er. »Von Fort Buford kommt das Kanonenboot Wareagle den Missouri herauf, um mich zu unterstützen. Es bringt Proviant, Waffen, einen Doc und Infanterie. Wir werden die Wareagle an der Mündung des Milk River treffen. Und dann werden wir sehen. Hey, Scout Harris, führen Sie uns zu dieser Burg der Gesetzlosen.« Jeff Harris, der Scout, nickt ein wenig widerwillig. Dann spricht er: »Das wird ein richtig großer Feldzug der Armee mit hohen Verlusten.« Captain Merville nickt nun ebenfalls, aber nicht widerwillig wie der Scout, sondern mit dem Ausdruck grimmiger Härte im Gesicht. Dann spricht er: »Bei jedem Feldzug gibt es Verluste, Mister Harris. Also los, packen wir es an!« Er wendet sich an einen seiner drei Lieutenants, die nach vorne kamen. »Anreiten, Lieutenant Bennet!«
Und Lieutenant Frank Bennets Stimme klingt auch sofort begeistert: »In Doppelreihe anreiten – marsch!« Die drei Züge der Schwadron reiten wieder an, und das Johooo der Reiter klingt trotzig, so als wollten sie ihre Angst auf diese Art überschreien. Das Wetter bleibt wider Erwarten freundlich. Es wird noch einmal wärmer, der kalte Wind von Norden her lässt nach. Und die Blizzards, die schon drüben in Kanada lauerten und auf dem Sprung nach Süden waren, legen sich nochmals zur Ruhe, so als wollten sie noch mehr Energie in sich aufbauen, um dann besonders kräftig über alles herzufallen, was ihnen im Weg liegt. Das wandernde Dorf ist ständig in Bewegung. Sie legen große Strecken zurück. Unterwegs sterben zwei der Alten, nämlich Nebelkrähe, eine betagte Squaw, und der greise Krieger Großer Donner. Man lässt sie mit ihrer wenigen Habe auf hohen Gerüsten, dem Himmel möglichst nahe, zurück. Wolkenreiters und Warfaces kleine Gemeinschaft kann großzügig sein mit der Habe der beiden Alten, denn die Krieger haben reichlich Beute gemacht. Die Ausrüstung der Soldaten, ihre Waffen, der Proviant und die Pferde machten die kleine Dorfgemeinschaft für indianische Verhältnisse reich.
Doch wie lange wird das Wetter noch gnädig zu ihnen sein? Wird Warface sie vor Einbruch des Winters zu jenem Ort geführt haben, wo es Schutz und Sicherheit geben wird für sie alle? Und wie wird man sie dort aufnehmen? Aber sie werden ja nicht als Bettler kommen, sondern gut ausgerüstet bis zum nächsten Frühling – nicht zuletzt mit Büffelfleisch. Und sie haben genug Pferde, um alles zu transportieren. Alle reiten sie jetzt. Und dennoch treiben ihre Knaben eine Remuda lediger Mustangs. Die Helena legt zwei Tage später von der Landebrücke ab. Sie ist bis auf die wenigen eigenen Vorräte entladen und hat nun noch weniger Tiefgang. Und das ist gut für sie, denn es hat in den vergangenen Tagen nicht geregnet. Alle Wasserspiegel sanken um einige Zoll. Jubal Boston steht neben seiner Schwester und John Kingman, als die Helena ablegt. Er spricht mit einem Klang von Bedauern und Bitterkeit in der Stimme: »Josy, du weißt, dass ich dich wirklich wie ein Bruder liebe. Und schließlich sind wir Zwillinge. Alle Zwillinge haben stets ein besonderes Verhältnis zueinander. Ich hätte euch zur Abreise mit der Helena zwingen sollen. Ich bedaure das jetzt schon.« Er wendet sich nach diesen Worten ab, um wieder zum Fort zu gehen.
Doch dann hält er noch einmal inne und spricht über die Schulter zu ihnen zurück: »Das jetzt wieder milde Wetter wird noch einige Tage anhalten. Deshalb reite ich noch einmal mit einer starken Mannschaft zum Wagenweg aus dem Goldland nach Fort Benton. Meine Männer wollen noch einmal Beute machen. Goldtransporte werden zu den letzten Schiffen unterwegs sein. Und vielleicht komme ich nicht wieder zurück von dem Beutezug. Wenn das Schicksal es so bestimmt hätte, wäre es mir auch recht.« Er geht davon. Josy will ihm nach. Doch John hält sie zurück. »Lass es, Josy«, sagt er zu ihr. »Es hätte keinen Erfolg. Er ist hier der Anführer. Will er es bleiben und alles unter Kontrolle halten, will er nicht zulassen, dass hier unter den verschiedenen Gruppen Machtkämpfe stattfinden, dann muss er mit seinen Männern Beute machen. Er ist der Leitwolf eines stets hungrigen Rudels. Wenn du ihn verändern und umstimmen willst, Josy, dann braucht das lange Gespräche und Zeit, viele Wochen Zeit. Aber er hält sich für einen Verlorenen und wird nicht mehr zurückwollen zu den Gutmenschen, die ihn einst verurteilten und hängen wollten, obwohl er unschuldig war. Er hat den ganzen Hass der menschlichen Gemeinschaft, der so genannten Guten und Reinen zu spüren bekommen. Nun hasst er sie ebenfalls. Josy, ich
kann dir keine Hoffnung machen. Und dort fährt die Helena davon.« Als er verstummt, sieht sie ihn mit weit geöffneten Augen an. Dann flüstert sie: »John, ich kann die Hoffnung nicht aufgeben.« Er möchte ihr sagen, dass es keine Hoffnung geben kann. Denn Jubal Boston reitet mit einer Banditenbande aus, um Beute zu machen. Und das bedeutet auch, um zu kämpfen und zu töten – in diesem Falle also morden. Aber er kann es ihr so drastisch nicht sagen. Noch nicht. Sie tut ihm Leid. Doch dieser Jubal Boston tut ihm nicht Leid, denn er ist der Meinung, dass jeder Mann sein eigener Hüter ist. Trotz allem, was man Josys Bruder antat, hätte er diesen Weg nicht einschlagen dürfen. Die Tage und Nächte vergehen. Das späte Herbstwetter – es müsste schon längst Winter sein – hält immer noch an. Aber dieser äußere Zustand täuscht, in Wirklichkeit braut sich über der kleinen Siedlung schon das Unheil zusammen, hängt über den Menschen des Forts schon eine drohende Wolke, aus der bald gnadenlos die Blitze niederfahren werden. Das Verhängnis nähert sich von drei Seiten.
Von Süden her dringt die Wareagle in das Gebiet der angestauten Biberseen und Creeks ein, sucht sich mühsam den Weg und trifft auf die Helena. Kapitän Rotbart-Harrison unterwirft sich sofort der Armee und erklärt sich bereit, das Kanonenboot durch das Seengebiet zum Fort zu führen. Das zweite Unheil kommt von Westen. Denn die von Jubal Boston angeführte Bande greift zwar auf dem Wagenweg vom Goldland nach Fort Benton einen Goldtransport und dessen Begleitmannschaft an, wird dann jedoch selbst von einem starken Vigilanten-Aufgebot angegriffen werden, das in der Last Chance Gulch vom Vigilantenkomitee, dem Ausschuss der Wachsamen des Goldlandes, zusammengestellt wurde. Diese Vigilanten benutzen den Goldtransport als Köder. Und so ist ein Vigilanten-Aufgebot von mehr als fünfzig Mann hinter der Bande von Jubal Boston her. Die Vigilanten hätten gewiss keine Chance gegen die Banditen und spätestens vor dem Fort würden sie – schon allein wegen der drohenden Blizzards – wieder umkehren müssen. Aber sie stoßen auf die Armee, die ja von Süden her durch das Seegebiet von der Helena und von Norden her vom Scout Jeff Harris herangeführt wird.
Und so schließt sich ein Ring um das Fort. Wie also sieht nun deren Zukunft aus? Was hat das Schicksal den Belagerten bestimmt? Wird ein Blizzard ihnen beistehen? Oder wird das Fort der Gejagten noch vor dem Blizzard genommen werden können? Das Leben im Fort verändert sich in den nächsten zwei, drei Tagen. Denn all jene Männer, die nicht mit Jubal Boston ritten, bekommen nun die Oberhand. Niemand hält sie mehr unter Kontrolle. Sie alle sind ja keine Guten, sondern kamen schon als Böse auf der Flucht her. Die Helena hatte eine Menge Brandy hergebracht. Der Saloon außerhalb des Forts und auch die Kantine innerhalb der Mauern sind ständig gefüllt mit durstigen Kehlen. Einige Frauen streichen wie Katzen um die Trinker und Spieler herum. Es sind sicherlich arme und bedauernswerte Geschöpfe, die ihren Männern gefolgt waren und inzwischen Witwen wurden, oder Gefährtinnen und Geliebte, deren Liebhaber starben. Nun müssen sie selbst für sich sorgen, und so bieten sie sich den Männern an. Nur wenige fanden neue Beschützer, die für sie sorgen und in deren Unterkünften sie leben können.
Es ist eine elende Welt. Und so gibt es einige Kämpfe mit Messern und auch Revolvern. John spricht mit Josy darüber, als sie in ihrer kleinen Kammer beim Abendbrot sitzen. Er sagt: »Dein Bruder hat hier mit einigen Getreuen eine Aufgabe übernommen. Er sorgt mit ihnen dafür, dass sich die Meute hier nicht gegenseitig an die Kehle springt. Denn sie sind keine wirkliche Gemeinschaft. Er musste ihnen die Regeln, nach denen sie zu leben haben, mit Gewalt aufzwingen. Dabei halfen ihm einige. Doch seine Getreuen sind alle mit ihm geritten. Die wenigen Vernünftigen, die er zurückließ, können sich gegen die Masse der Übrigen nicht durchsetzen. Es hat schon einige Kämpfe gegeben. Es gab Tote und floss Blut. Josy, ich kann deinen Bruder jetzt besser verstehen. Er fand hier eine Aufgabe unter den Bösen, zu denen er als ein zu Unrecht verfolgter Guter kam. Ja, er fand hier eine Aufgabe und ist dennoch ein Verlorener.« John verstummt mit einem Klang von Bedauern in der Stimme. Josy betrachtet ihn eine Weile stumm und voller Staunen. Dann murmelt sie: »Jetzt fehlt nur noch, dass du während der Abwesenheit meines Bruders an seiner Stelle für Ordnung sorgst. Ja, das würdest du schaffen können wie er. Aber auch du müsstest dann gewiss erst kämpfen und töten. Oh,
verdammt, was ist das für eine Welt! In was sind wie hier hineingeraten?« Er sieht sie fest an und spricht: »Wir haben immer noch unsere Pferde und das Packtier. Wir könnten über Land nach Norden reiten. Ja, es soll viele Wege und Pfade nach Norden und Westen geben. Und dennoch wage ich es nicht mehr mit dir. Denn jeden Tag kann das Wetter umschlagen. Dann könnte uns ein Blaueisblizzard umbringen. Josy, wir werden hier ausharren müssen.« Er verstummt hart. Sie aber sieht ihn an und beißt sich auf die Unterlippe. Dann spricht sie leise: »Verzeih mir, John. Wir hätten tatsächlich mit der Helena wieder nach Süden fahren sollen. Aber jetzt ist es zu spät. Verzeih mir, John. Ich habe in den letzten Tagen und Nächten nachgedacht und weiß nun, dass ich meinen Zwillingsbruder aufgeben muss.«
13 Es ist an einem kalten, doch sehr sonnigen Tag, als sie das alte Fort am angestauten Seitenarm des Milk River zu sehen bekommen. Warface führte sie von Norden her auf dem Landweg nach Süden. Und nun sehen sie den Ort, von dem er ihnen erzählte. Sie sehen aber auch die wenigen Zelte neben dem Fort. Wolkenreiter spricht grimmig: »Warface, das sind Tipis der Crows. Man kann das an der Zahl der Stangen erkennen. Nur Crows nehmen acht Stangen für ein Tipi. Wir Cheyenne und auch die Sioux und Arapaho benutzen zwölf Stangen. Warface, die Crows sind die Feinde aller Stämme, seit sie sich mit den Weißen verbündeten. Müssen wir schon wieder kämpfen?« »Gewiss nicht«, beruhigt ihn Warface. »Dieses alte Händlerfort ist die Zuflucht aller Gejagten. Es gibt dort unter allen Menschen keine Feindschaft mehr. Denn sie müssen zusammenhalten. Du wirst sehen, dass man uns freundlich aufnimmt. Denn durch uns wird die Gemeinschaft dort stärker. Hopo, gehen wir!« Er reitet wieder an, und sie folgen ihm. Sie sehen nun das Ziel vor sich und hoffen, dass ihre Wanderung ein Ende hat.
Warface und Wolkenreiter erreichen an der Spitze ihrer wenigen Krieger zuerst das kleine Dorf der Crows. Ein Dutzend Krieger erwartet sie mit schussbereiten Waffen. Sie haben eine Front gebildet, so als müssten sie ihr kleines Dorf beschützen. So warten sie also, doch einer von ihnen tritt einige Schritte vor und hebt die Hand, sodass Wolkenreiter und Warface anhalten. Der Crow ist ein alter Krieger, und er spricht: »Wir wissen schon seit gestern von unseren Jägern, dass ihr unterwegs zu uns seid. Aber wenn ihr hier bleiben wollt, dann müssen wir Frieden halten. Wir Crows sind vor den Sioux geflüchtet, weil sie uns hassen. Ihr seid Cheyenne und wart immer mit den Sioux verbündet. Doch jetzt seid ihr gewiss vor den Mila Hanskas der Wasicuns geflüchtet, um frei zu bleiben. Wollt ihr mit uns Frieden halten?« »Das wollen wir«, erwidert Warface. »Wir alle sind Gejagte. Das vereint uns. Wie sind die Wasicuns hier im Fort?« »Sie sind Gejagte wie wir«, erwidert der alte Krieger. »Ich bin Tokeya, der Fuchs, und ich sage euch, dass auch die Wasicuns im Fort Gejagte sind. Deshalb halten wir zusammen. Es gibt keine Unterschiede mehr zwischen uns. Die Wasicuns haben einen Anführer, der ein guter Häuptling ist. Sie bestrafen unter seiner Führung jeden Friedensbrecher. Ihr Häuptling ist gerecht. Aber
sie leben von Raub. Sie können sonst die vielen Waren und all die anderen Dinge nicht bezahlen, die ein Dampfboot dann und wann herbringt. Ihr Häuptling ist zurzeit mit vielen Reitern wieder unterwegs, um Gold zu erbeuten. Er kann deshalb im Fort keine Ordnung halten. Es kam vor einigen Tagen viel Feuerwasser mit dem Dampfboot ins Fort. Nun betrinken sich all jene Wasicuns, die nicht mitritten. Es sind nicht genug Squaws im Fort. Wenn diese Betrunkenen eure Squaws sehen, dann kommen sie vielleicht, um welche zu kaufen. Seht euch also vor. Geht vorerst nicht ins Fort. Wartet, bis dort der Häuptling wieder zurück ist.« Tokeya verstummt nach dieser Rede. Wolkenreiter aber erwidert: »Wir danken dir für deine Worte, Tokeya. Ich bin Wolkenreiter. Das ist Warface. Wir werden dort drüben unsere wenigen Tipis errichten und wollen Frieden halten.« Tokeya nickt. »Das wollen wir auch. Erweisen wir uns gegenseitigen Respekt. Ihr habt einige Mila-Hanska-Pferde außer euren Mustangs. Ihr seid gut bewaffnet und habt viele Packtiere. Ihr kommt nicht als Bettler. Das ist gut. Doch ihr habt gewiss mit Mila Hanskas gekämpft.« Er verstummt lauernd. Warface lacht grimmig und spricht: »Sie sind alle tot. Und der Schnee, der bald fallen wird,
verdeckt unsere Fährte. Nein, uns folgen keine anderen Mila Hanskas aus dem fernen Fort.« Da nickt Tokeya beruhigt und spricht: »Ja, wir warten alle auf den ersten Blizzard. Dann sind wir hier bis zum Frühjahr völlig sicher und müssen nicht kämpfen. Seid also willkommen in unserer Nachbarschaft.« Im Fort spricht es sich schnell herum, dass die große Indianersippe, die schon am Vortag von den Scouts des Forts gemeldet wurde, endlich angekommen ist. Ja, man ist im Fort zufrieden über die Verstärkung. Am liebsten würden sie hier eine größere Stadt gründen oder gar ein County mit eigener Gerichtsbarkeit schaffen. Sie glauben, dass dies möglich wäre, wenn sie nur zahlreich und stark genug wären. Josy und John leben in diesen Tagen und Nächten in ihrer kleinen Kammer im Fort. Und in den Nächten lieben sie sich besonders hingebungsvoll, so als spürten sie, dass bald wieder andere Tage und Nächte kommen würden. Josy drängt sich immer wieder in seine Arme, so als suchte sie nicht nur Zärtlichkeit und Geborgenheit, sondern die Kraft für eine schwere Entscheidung. Sie spricht in diesen Tagen und Nächten auch nicht viel, doch das muss sie auch nicht, denn sie verstehen sich auch ohne Worte. In diesen Tagen reiten sie auch immer wieder aus, um die Tiere zu bewegen.
Dann wird Josy von den Männern gesehen, die alle ohne Frauen sind und sich nur dann und wann eine kaufen können. Und John Kingman ist klar: Sie alle hier beneiden ihn um die schöne Frau an seiner Seite. Er hört ja auch die Pfiffe, die ihnen bei ihrem Ausritt folgen. John Kingman erkennt das Problem, das sich für ihn ergibt, aber er glaubt, damit fertig werden zu können. So ist er verhältnismäßig gefasst, denn auch er weiß ja wie alle anderen noch nichts von dem Unheil, das sich aus drei verschiedenen Richtungen dem Fort nähert. Was ihn jedoch immer stärker beunruhigt, ist die Tatsache, dass in den Lokalen jede Nacht mehr getrunken wird. Je länger Jubal Boston und dessen Revolvermänner weg sind, umso mehr fallen bei den Männern die Hemmungen. In den Nächten johlen die Betrunkenen in der Kantine innerhalb des Forts und draußen im Saloon immer wilder und ausgelassener. Und so beginnt alles immer hemmungsloser zu werden. Es fehlt der harte Mann, der die Menschen wie ein Zuchtmeister unter Kontrolle hält. Aber Jubal Boston ist nicht da, und noch niemand ahnt, dass er mit seinen Getreuen selbst in Not geraten ist.
Jubal Boston ritt mit zwei Dutzend Männern los, um Beute zu machen. Und sie waren außergewöhnlich erfolgreich, als sie einen Goldtransport überfielen, der von Last Chance City zur Schiffslandestelle bei Fort Benton unterwegs war. Ja, sie erbeuteten eine Riesenmenge Gold, teils war es Barrengold, teils befand es sich in kleinen Lederbeuteln mit je einem Kilo Goldstaub. Es war eine gewaltige Beute von zusammen gewiss hunderttausend Dollar in Gold. Es gab auch einige Tote und Verwundete, besonders unter der Begleitmannschaft des Goldtransportes. Doch dann tauchte das Aufgebot der Vigilanten aus Last Chance City auf. Und so begann die Jagd. Jubal Boston und seine Männer sind ja allesamt Langreiter. Doch nach einigen Meilen müssen sie Ballast abwerfen. Das Gold droht ihnen zum Verhängnis zu werden. Es wiegt zu schwer. Überdies haben sie vier Verwundete bei sich, die sich aus eigener Kraft nicht mehr in den Sätteln halten können. Die Vigilanten von Last Chance City und aus der Last Chance Gulch aber sind allesamt zähe Burschen. Sie wissen längst, von woher immer wieder die Banditen und Goldwölfe kommen, die ständig – und das schon viele Monate – den Wagenweg aus dem Goldland nach Fort Benton
unsicher machen. Nun soll ein Exempel statuiert werden. Es meldeten sich zu dem Aufgebot die härtesten Männer der Last Chance Gulch. Und nun jagen sie die Bande. Es wird ein erbarmungsloses Rennen, ja, ein Rennen um Leben und Tod. Manchmal heulen Jubal Bostons Männer vor Wut und ohnmächtigem Zorn. Und ständig – Meile um Meile – macht Jubal Boston sich Vorwürfe, weil er seine Mannschaft schlecht geführt hat. Er hätte Scouts nach Westen schicken müssen, um zu erfahren, ob dem Goldtransport noch ein Aufgebot folgt. Aber er tat es nicht. Und so macht er sich Vorwürfe. Und manchmal denkt er auch an seine Schwester und wünscht sich, dass sie nicht mehr im Fort wäre, wenn er es mit seinen Männer bis dorthin überhaupt schaffen sollte. Die Vigilantenabteilung ist mehr als fünfzig Reiter stark. Sie reiten wie ein Trupp der Armee in Doppelreihe – und das wiederum ist ein Zeichen dafür, dass sie fast alle während des Krieges Soldaten waren und einen ehemaligen Offizier als Anführer haben. Jubal Boston und dessen Männer wissen, dass sie noch die ganze Nacht reiten müssen, denn es liegen noch viele Meilen vor ihnen. Sie hoffen,
dass die Nacht schwarz wird, ohne das Licht der Gestirne. Sie wären dann ihren Verfolgern gegenüber im Vorteil, weil sie das Gelände kennen wie ihre Westentasche. Sich zum Kampf zu stellen, können sie nicht wagen. Denn die Übermacht der Vigilanten ist zu groß. Aber wenn sie das Fort erreichen, dann haben die Verfolger keine Chance mehr. Shorty Wells kommt nach vorn zu Jubal Boston geritten und brüllt heiser: »He, Captain, Joe Skinner ist tot! Den halten nur noch die Lassoleinen auf dem Pferd! Und auch Charly Coburn macht es nicht mehr lange!« »Dann schneidet sie los! Lasst sie fallen! Oder wollt ihr anhalten, um sie zu beerdigen?« »Nein, verdammt, nein!« Shorty Wells bleibt wieder zurück. Und weil sie über eine Ebene reiten, sehen sie im letzten Licht des sterbenden Tages eine knappe Meile hinter sich die lange Doppelreihe der Verfolger. Ja, sie alle vom Fort der Gejagten reiten um ihr Leben. Auch in dieser Nacht rollt sich Josy in Johns Arme. Und abermals lieben sie sich, so als wäre es ihre letzte Nacht. Irgendwann – es ist schon nach Mitternacht, und im Fort lärmen immer noch die Betrunkenen
–, da flüstert Josy mit einem Klang von Entschlossenheit: »John, ich bin nun endlich so weit. Ja, ich gebe meinen Bruder auf. Wenn du willst und es möglich ist, dann können wir morgen reiten. Oder wagst du es nicht mehr wegen der zu erwartenden Blizzards?« Er denkt einige lange Atemzüge lang nach. Dann erwidert er: »Ich denke, wir sollten es wagen. Je früher wir von hier wegkommen, umso besser. Überdies will es dein Bruder ganz gewiss, dass ich dich von hier wegbringe. Morgen reiten wir!« Er hat kaum ausgesprochen, als der Vorhang, der ihre kleine Kammer vom Gang trennt, aufgerissen wird. Im Gang hängen in Abständen Öllampen an der Wand. Im Lichtschein erkennen Josy und John zwei schwankende Gestalten. Und eine trunkene Stimme ruft heiser: »He, Texas, jetzt musst du deine Schöne mit uns teilen! Oder wir machen dich alle!« Die beiden Gestalten wollen nun herein. Doch sie kommen nur zwei Schritte weit. Dann bekommen sie das heiße Blei von John Kingmans Colt. Die Kugeln halten sie auf. Einer taumelt rückwärts wieder auf den Gang hinaus, der andere fällt auf die Knie und schießt vor sich in den Steinboden, von dem die Kugel abprallt und in seinen Bauch eindringt. Dann ist es vorbei.
John Kingman erhebt sich und beginnt sich schnell anzukleiden. Aus den Nebenräumen kommen andere Schläfer. Sie betrachten die beiden stöhnenden Kerle. Und offenbar haben sie auch deren Gebrüll zuvor gehört. Einer wendet sich an John Kingman. »Das war dein gutes Recht, Texas«, sagt er ruhig. »Auch Jube Boston hätte sie erschossen. Schaffen wir sie weg zum Doc. Ja, wir haben hier einen richtigen Doc.« Seine Worte gelten einigen anderen Männern, die aus den benachbarten Kammern kamen. John Kingman aber zieht den Vorhang wieder zu und zündet die Öllampe an. Josy sitzt auf dem Bett und hat die Decke bis herauf unters Kinn gezogen. Mit großen Augen sieht sie auf John. »Verdammt«, spricht sie heiser, »dieser Ort hier ist wie ein Käfig voller Raubtiere. Wir sollten sofort aufbrechen.« »Sicher«, erwidert er. »Packen wir unsere Siebensachen zusammen. Dann hole ich unsere drei Tiere vor den Eingang.«
14 Die Nacht ist fast schon um, als sie das Fort verlassen. Und niemand hält sie auf, denn hier wird keiner in seinen freien Entscheidungen behindert. Überdies wurde es still im Fort, auch draußen im Saloon. Sie reiten an den Indianerzelten vorbei. Josy fragt zu John hinüber: »Und wohin reiten wir?« »Nach Fort Benton«, erwidert er. »Vielleicht erwischen wir noch einen der letzten Steamer den Big Muddy abwärts. Und wenn nicht, dann überwintern wir in Fort Benton. Dort können wir auch richtig heiraten – wenn du mich überhaupt willst.« Sie lacht leise durch den Hufschlag ihrer Pferde und ruft ihm dann zu: »War das ein Heiratsantrag?« »Ich kann jetzt im Sattel nicht auf die Knie fallen«, ruft er zurück. »Und ich habe auch keine Blumen!« Sie schweigt eine Weile. Indes reiten sie mehr als eine halbe Meile nach Westen. Hinter ihnen im Osten wird der Himmel heller. Nun ruft sie ihm zu, nachdem sie lange in sich hineinlauschte: »Ich freue mich auf Texas, John! Ob deine beiden Kinder mich mögen werden? Und die Schwester deiner armen Frau?«
»Sie werden dich alle mögen«, ruft er zurück. In ihnen ist für einen Moment ein glückliches Gefühl. Dann aber sieht er ihr an, dass sie wieder an ihren Bruder denkt, den sie aufgeben musste, weil ihr keine andere Wahl blieb. Denn er wurde ein Verlorener, der nicht mehr zu retten ist. Sie reiten nach Westen, haben vor sich Bodenwellen. Das Gelände steigt allmählich an. Es gibt Waldinseln. Wenn sie sich im Sattel umwenden, dann können sie im Licht des werdenden Tages das Fort am Seitenarm des Milk Rivers und vor der Bibersee-Platte immer deutlicher erkennen. Denn es wird ein klarer Tag. Dann aber hören sie vor sich den Hufschlag galoppierender Pferde. Und dann kommen die Reiter um ein Waldstück herum und über eine leichte Bodenwelle abwärts. Josy stößt einen Schrei aus. Ja, es ist ein Schrei, kein Ruf. Es ist ein hilflos wirkender Schreckensschrei. Denn an der Spitze der Reiter erkennen sie Josys Bruder Jubal. Es ist sofort völlig klar, dass Jubal mit seinen Reitern auf der Flucht ist und sie alle das Letzte aus ihren erschöpften Pferden herausholen. Denn vor ihnen – kaum mehr als eine halbe Meile entfernt –, da liegt das Fort, das Ziel der Flüchtenden.
Ihre Tiere stolpern, sind mit flockigem Schaum bedeckt, der auch die Beine ihrer Reiter weiß gefärbt hat. Und eine Viertelmeile hinter ihnen tauchen die Verfolger auf, mehr als doppelt so zahlreich. Es ist für Jubal Boston und dessen Banditen ein Rennen um Leben oder Tod. Josy und John hielten an und zogen ihre Pferde etwas herum, sodass deren Nasen nach Norden gerichtet sind. Die Gejagten galoppieren nur eine halbe Steinwurfweite an ihnen vorbei. »Juuube!« Josy stößt es als einen verzweifelten Schrei hervor. Aber Jubal Boston an der Spitze der Gejagten wirft nur einen kurzen Blick zu ihnen hinüber und winkt kurz ab, so als wollte er ihnen zu verstehen geben: »Kümmert euch nicht um uns!« Dann zieht er seinen Revolver und schießt damit dreimal in die Luft. Das Krachen der Waffe übertönt den Hufschlag ihrer Pferde und wird drüben im Fort gewiss gehört. Josy will ihr Pferd antreiben und dem Bruder folgen. Es ist ein impulsives Reagieren. Doch John ruft scharf: »Nicht, Josy, nicht!« Und da bekommt sie sich wieder unter Kontrolle. Sie verharren weiter auf der Stelle und sehen der flüchtenden Bande nach.
Wenig später – keine halbe Minute ist vergangen – jagen die Verfolger vorbei, und es wird klar, dass sie es nicht schaffen werden. Eine Viertelmeile nur fehlt ihnen. Die Gejagten werden noch rechtzeitig in den Schutz des Forts gelangen. Und längst hat man dort die drei Schüsse gehört. Josy sitzt zitternd im Sattel. »Du kannst nichts tun, Josy«, spricht John zu ihr hinüber. »Und Jube würde das auch nicht wollen. Du kannst nichts tun, gar nichts.« Er verstummt hart. Dann sehen sie zu, wie die Gejagten im Fort verschwinden, dessen Tor sich hinter ihnen schließt. Und auf den Wehrgängen hinter der Mauer tauchen nun die ersten Schützen auf. Die Schüsse knattern in den Morgen und zwingen die Vigilanten aus der Last Chance Gulch zum Abdrehen. John spricht hart: »Reiten wir, Josy! Weiter, weiter, mein Engel!« Aber sie zögert immer noch, obwohl sie weiß, dass der Bruder in der Sicherheit des Forts ist. Denn eines ist klar: Die Verfolger sind nicht stark genug, um diese Burg zu erobern. Sie müssten nicht nur gegen die Mauern, sondern auch gegen eine dreifache Übermacht ankämpfen. Josy und John können nun beobachten, wie die Vigilanten ausschwärmen und einen losen Ring um das Fort zu bilden versuchen.
Doch nun greifen auch die Indianer und all jene Bewohner der Siedlung ein, die sich um das Fort herum niedergelassen haben. Binnen weniger Minuten ist dort alles alarmiert. Gewiss wurden auch die Betrunkenen der letzten Nacht im Saloon sehr schnell wach und halbwegs nüchtern. Denn es geht ja um ihr Leben. Und man war hier stets auf solch eine Situation vorbereitet, hat immer gewusst, dass es einmal so wie jetzt kommen würde. Die Vigilanten aus der Last Chance Gulch und von Last Chance City haben verloren. Sie können es auch nicht wagen, eine Belagerung zu versuchen. Denn die Belagerten müssen nicht einmal aus dem Fort kommen, um sie zu verjagen mit ihrer Übermacht. Nein, es wird der Winter sein, der sie vertreibt und aufgeben lässt. Denn jeden Tag kann das Wetter umschlagen, der erste Blizzard kommen und ihnen den weiten Rückweg fast unmöglich machen. Sie und ihre Pferde sind ja ebenfalls restlos erschöpft. Ja, sie haben verloren. Vielleicht werden sie im Frühjahr mit zweihundert Mann wieder hierher kommen und es dann richtig machen. Aber Josy will immer noch nicht anreiten. Sie verharrt starr im Sattel. John will sie nochmals auffordern, aber dann sieht er, dass einige Reiter des großen Aufgebotes zu ihnen
herübergeritten kommen. Und so entschließt er sich zum Abwarten. Es sind fünf Reiter, die sich nähern und dann vor ihnen anhalten. Sie betrachten die schöne Frau im Sattel staunend, dann starren sie auf John Kingman. Einer fragt hart: »Wer sind Sie? Und wohin wollen Sie? Kamen Sie aus dem Fort?« »Wir haben außerhalb des Forts in einer Scheune übernachtet«, erwidert John Kingman ruhig. »Ich bin John Kingman. Das ist meine Frau. Wir wollen nach Fort Benton und dort ein Dampfboot nach Saint Louis bekommen. Ja, wir haben drüben im Fort übernachtet.« Er macht eine kleine Pause und rechnet damit, dass sie ihm nun noch weitere misstrauische Fragen stellen werden. Aber er kommt dem Sprecher der fünf Reiter zuvor und fragt seinerseits: »Was ist das für ein Aufgebot ? Es ist doch ein Aufgebot – oder?« »Wir sind Vigilanten aus Last Chance City«, erwidert der Mann. »Und wir haben nun endlich das verdammte Banditen- und Mördernest gefunden, von dem aus die wilde Horde unsere Gold- und Lohngeldtransporte überfällt. Wir sind diesmal verdammt lange geritten, aber es hat sich gelohnt. Wo kommen Sie her, Mister? Und warum reiten Sie mit Ihrer schönen Frau und einem Packpferd zu dieser Jahreszeit in diesem Land umher?«
John Kingman zögert ein wenig. Dann aber erwidert er: »Wir kommen aus Kinkaid. Meine Frau sucht in diesem Lande nach ihrem verschollenen Zwillingsbruder. Aber wir fanden ihn nirgendwo. Nun haben wir aufgegeben und wollen zurück.« Als er verstummt, da schweigen die fünf Vigilanten und strömen einen Atem von Misstrauen aus. Ihr Anführer fragt dann noch härter: »Können Sie beweisen, dass Sie aus Kinkaid kommen?« John Kingman nickt stumm und greift dann in die Innentasche seiner Felljacke, holt seine wasserdichte Brieftasche hervor, in dem sich seine Ausweise befinden, auch die Entlassungsurkunde aus der Kriegsgefangenschaft als Captain der Konföderiertenarmee. Aber er holt ein anderes Papier hervor. Auf diesem Papier ist zu lesen, dass er von der Stadt Kinkaid für besondere Verdienste eintausendsiebenhundert Dollar ausgezahlt bekam. Und auch das Datum dieser Auszahlung ist vermerkt. Und alles ist vom Stadtsiegel der Stadt Kinkaid noch glaubhafter gemacht. Er reitet neben das Pferd des Sprechers und gibt ihm das Papier. Der Mann liest aufmerksam, reicht ihm das Papier zurück und sagt: »Viel Glück auf dem Weg nach Fort Benton. Es könnte aber sein, dass
Sie keinen Steamer mehr stromabwärts bekommen. Viel Glück.« Er greift vor Josy an den Hut, zieht sein Pferd herum und reitet mit den anderen Männern zum Fort hinüber, um den losen Belagerungsring wieder zu verstärken. »Sie können das Fort nicht nehmen, Josy«, spricht John. »Und ich würde wetten, dass sie wieder nach Last Chance City abziehen, sobald sie und ihre Pferde sich etwas erholt haben. Komm, reiten wir endlich!« Diesmal will Josy gehorchen. Doch als sie anreiten, da verändert sich die ganze Sachlage total. Denn von Osten her kommt eine Armeeabteilung über eine Bodenwelle geritten, in langer Doppelreihe mit der Fahne der Union und dem Schwadronswimpel flatternd im Winde. Sie hören nun das triumphierende Gebrüll der Vigilanten aus Last Chance City. Und so reiten sie immer noch nicht an. Im Licht des klaren Tages können sie alles wie in einem riesigen Freilichttheater beobachten – oder wie Kriegsberichterstatter von einem Feldherrnhügel aus. »Das ist eine ganze Schwadron, vier Züge zu je vierzig Reitern. Josy, wir können nichts für deinen Bruder tun. Und er würde das auch nicht wollen. Er ist gewiss erleichtert, dass ich dich
noch frühzeitig aus dem Fort gebracht habe. Reiten wir also.« Und abermals wollen sie anreiten. Jedoch gibt es noch eine weitere Überraschung, weil es das Schicksal so will in diesem Spiel um Leben und Tod der Gejagten, die sich hier in ihrer letzten Bastion zusammenfanden. Ja, es ist ein Schicksalsspiel, so als hätte ein mächtiger Regisseur alles für ein großes Drama inszeniert. Denn es kam immer noch kein Blizzard, der alles verhindert hätte. Der Winter blieb freundlich und ließ die nun unausweichliche Katastrophe zu. Von Süden her nämlich, dort, wo hinter dem Seitenarm des Milk Rivers die Biberseen das weite Land bedecken, da tönt brüllend das Dampfhorn eines Steamers durch den kalten und trockenen Morgen. Josy und John können von ihrem erhöhten Haltepunkt über das Fort nach Süden blicken John holt das Fernglas aus der Satteltasche und späht hinüber. Nach einer Weile sagt er: »Josy, es sind zwei Dampfboote. Eines ist die Helena, das andere ist ein Kanonenboot der Armee. Ich sehe die Flagge der Union am Mast. Das Fort wird nun eingeschlossen.« Er macht eine Pause und setzt das Glas wieder ab, reicht es Josy.
Und indes sie zu den beiden Schiffen hinüberblickt, sagt er zu ihr: »Das wird ein Kampf, so wie damals der Kampf um Alamo in Texas. Die Männer im Fort wissen, dass man sie hängen oder für lange Jahre einkerkern wird. Und die Indianer werden um ihre Freiheit kämpfen. Keiner von ihnen wird sich ergeben – so wie die hundertfünfundachtzig Kämpfer von Alamo, die es gegen siebentausend Mexikaner viele Tage und Nächte aushielten, bevor auch der letzte Mann fiel. Ja, so ähnlich wird es auch hier sein: Sie werden sterben – aber nicht für die Freiheit von Texas, welches dann bald eine Republik wurde, sondern weil sie Verlorene sind, die keine andere Wahl haben. Willst du dabei zusehen?« Er fragt es hart. »Nein!« Sie ruft es schrill und reitet an. Ja, es ist eine Flucht vor der schrecklichen Wirklichkeit. Aber ihr Bruder wurde ein Schuldiger, ein Verlorener, ein Geächteter und Gejagter. Sie kann nicht erwarten, dass er davonkommen kann. Und so will und kann sie nicht zusehen bei seinem Untergang. Sie flüchtet. John folgt ihr mit dem Packpferd. Und er weiß, er wird lange brauchen, um sie spüren und begreifen zu lassen, dass ihr Leben doch ein Geschenk des Himmels ist, weil er sie glücklich machen kann. Irgendwann wird sie ihre
Traurigkeit überwinden und das Leben wieder wunderbar finden. Und so lassen sie alles hinter sich zurück. Was könnten sie auch anderes tun? Sie gehören nicht zu den Bösen.
15 Warface erfasst es außerhalb des Forts als Erster, um was es für sie alle geht. Er hat mit seiner Schwester die kleine Gemeinschaft von Wolkenreiter hergeführt, um ihnen die Freiheit zu erhalten. Doch als die beiden Dampfboote an der Landebrücke erscheinen, da weiß er, dass alles umsonst war. Und er weiß noch etwas, weil es stets so war. Schon immer schlugen sich die Crows auf die Seite der Wasicuns. Diese hier unter der Führung von Tokeya, dem Fuchs, flüchteten damals vor den Sioux hierher. Doch jetzt werden sie sich auf die Seite der Weißen schlagen, um ihre Haut zu retten, Vorteile zu bekommen und belohnt zu werden. Und so ruft Warface das knappe Dutzend Krieger zusammen und sagt warnend: »Ihr kennt die Crows, Cheyenne, ihr kennt sie gut. Und ich sage euch, dass sie sich auf die Seite der Mila Hanskas schlagen werden. Ich habe euch an den falschen Ort geführt. Vergebt mir. Wir müssen gegen die Crows kämpfen. Macht euch bereit!« Sie tun es, und als sie zwischen ihren Zelten heraus ins Freie treten, da sehen sie sich den Crows gegenüber.
Das Kanonenboot der Armee aber feuert nun mit seinen zwei Kanonen die ersten Granaten auf das Fort ab. Die Wareagle hat nicht festgemacht wie die Helena. Sie hält sich mit langsam drehenden Radschaufeln gegen die Strömung und feuert. An Land aber, dicht am Ufer, wo die Zelte der Crows und der Cheyenne stehen, da wird nun gekämpft. Der Frieden, den sie im Schatten des Forts halten mussten, war nur erzwungen. Die alte Feindschaft zwischen ihnen bricht wieder aus. Ja, sie beginnen sich gegenseitig umzubringen. Die Cheyenne haben viele Dinge, die eine wertvolle Beute sein können. Die Crows haben weniger an Proviant, Waffen, Pferden und all den anderen Dingen, die ihnen das Leben bis zum Frühjahr erleichtern würden. Und sie wollen den Soldaten wieder dienen wie schon so oft in all den Jahren im Kampf gegen die anderen Stämme. Es ist wie schon so oft in der Geschichte der Menschen, wenn es um Vorteile geht. Irgendwann verraten sie sich, bringen sich gegenseitig um und entschuldigen das mit den Zwängen und Notwendigkeiten der Politik. Ja, für Tokeya, den Fuchs und Anführer der Crows, ist das Politik. Er weiß, warum die Soldaten kamen. Er hat ja die vielen Beutestücke
der Cheyenne gesehen, die Pferde, Waffen und Ausrüstung, die sie erbeutet hatten. Ihm ist sofort klar, dass die Armee – die Mila Hanska – gekommen ist, um zu bestrafen. Und so versucht er zu tun, was die Crows schon immer taten, nämlich, sich auf die Seite der Armee zu stellen, weil sie nun mal mächtiger ist. Aber er stirbt als Erster der Crows, denn Warface Pierce Cheyenne ist nicht nur ein halber Cheyenne, der sich zum Volk seiner Mutter und seinen Großeltern mütterlicherseits bekannte – nein, er ist bei den Weißen auch ein Revolvermann geworden. Und nun schießt er mit zwei Revolvern wie ein solcher. Auf dem Kanonenboot Wareagle beobachtet man den Kampf an Land bei den Indianerzelten, und der Kommandant der Wareagle, Captain Morgan Stonebreaker, ruft dem Lotsen im Ruderhaus zu: »Näher heran, Johnson, näher heran!« Und dann gibt er den Kanonieren den Befehl, nicht mehr auf das Fort, sondern mit Schrapnells auf das kleine Indianerdorf zu schießen – und das sind Artilleriegeschosse mit Eisenfüllungen, also gewissermaßen gewaltige Schrotflintenladungen. Denn Captain Morgan Stonebreaker bekam den Befehl, alle Indianer zu bekämpfen. Uns so haben die Crows und die Cheyenne keine Chance.
Die Schrapnells richten einen schrecklichen Schaden an. Die Wareagle schießt alles in Fetzen. Es wird wieder einmal ein gnadenlosen Morden an den wenigen Dutzend noch freien einstigen Herren dieses Landes. Und das alles gehört zum Völkermord, den die Weißen betreiben, seit dem Tag ihrer Landung auf diesem Kontinent. Warface bleibt wie durch ein Wunder ohne schwere Verletzungen. Er wird nur von Kugeln gestreift wie von Peitschenhieben. Und weil ein Weiterkämpfen sinnlos wäre, wendet er sich zur Flucht, sucht sich einen Weg durch das Gewirr von zerschossenen Zelten, kreischenden Squaws und Kinder, Verwundeten und Toten. Es herrscht Panik, Verzweiflung, Chaos. Und immer wieder schießen die beiden Kanonen der Wareagle mit Schrapnellgeschossen. Es gibt keine Gnade. Die Armee hat zwei Patrouillen verloren. Nun nimmt sie Rache. Ja, es ist ein blutiges Rachenehmen. Aber in den Annalen der Armee – also in deren geschichtlichen Tagebüchern – wird dieses bestialische Gemetzel als grandioser Sieg vermerkt werden. Es ist reiner Zufall – oder eine Fügung des Schicksals –, dass Warface in diesem Durcheinander auf seine Schwester Maria trifft, die am Boden hockt und ihre sterbende Großmutter in den Armen hält.
Warface reißt Maria hoch und zerrt sie mit sich. Sie gelangen hinter die schützenden Uferfelsen, an denen die nun zerschossenen Zelte standen. Keuchend verschnaufen sie. »Schwester – ich bringe dich von hier fort«, keucht Warface und tastet nach seinen blutenden Streifwunden. »Ich bringe dich in Sicherheit, denn ich habe schon am Tag nach unserer Ankunft für eine Fluchtmöglichkeit gesorgt. Komm, Schwester, komm! Wir kehren wieder zu den Weißen zurück, zum Volk unseres Vaters.« »Wie könnten wir das schaffen, Bruder Pierce?« Sie fragt es ungläubig. Er lacht heiser und nimmt sie in die Arme, spricht in ihr Ohr: »Ich fand etwas unterhalb des Flusses ein Kanu. Ich versteckte es und belud es mit allen Dingen, die wir unterwegs benötigen. Komm nur, Maria. Dein Bruder sieht stets weit voraus und denkt an alles.« Er zieht sie mit sich. Und sie wollen nichts anderes als fast alle Menschen, wenn sie in der Not sind: überleben, einfach nur davonkommen. Hinter ihnen aber schießen die Schrapnellgeschosse immer noch alles in Fetzen. Für die Soldaten auf dem Kanonenboot gibt es keine Unterschiede zwischen Crows und Cheyenne. Sie haben nicht einmal jemanden an Bord, der ihnen den Unterschied der Zelte erklären könnte, dass nämlich die Crow-Tipis acht und die Cheyenne-Tipis zwölf Stangen
haben. Doch das hätte für Captain Stonebreaker sowieso keine Rolle gespielt. Indes trifft an Land Captain Merville auf den Anführer der Vigilanten, die ja einen losen Ring um das Fort gebildet haben. Bei Captain Merville ist auch der Scout Jeff Harris. Merville fragt hart: »He, Mann, was bedeutet das hier?« »Mein Name ist Bosman, Jake Bosman, Mister Pferdesoldat. Ich führe dieses Aufgebot. Wir sind Vigilanten aus der Last Chance Gulch und von Last Chance City. Wir verfolgten eine Mörderbande, die immer wieder unsere Goldund Lohngeldtransporte überfiel. Diesmal verfolgten wir sie bis zu ihrem Nest. Da ist es, und es ist ein Sammelplatz und ein Zufluchtsort des ganzen Abschaums dieses Landes. Wir sollten es gemeinsam stürmen.« Als er verstummt, da hören sie das Krachen der Geschütze auf der Wareagle. Der Scout mischt sich ein und spricht zu Captain Merville gewandt: »Ich sagte es Ihnen ja schon, Captain. Das alte Fort ist eine Bastion aller Gejagten. Auch die Indianer, deren Fährte wir folgten, flüchteten hierher. Dieses Fort ist eine Eiterbeule gewissermaßen. Stechen wir diese Eiterbeule auf! Unten am Fluss schießt das Kanonenboot das Indianerdorf in Fetzen. Aber
damit kann noch nicht alles getan und vollbracht sein. Captain, Sie könnten verdammt schnell Major werden, nachdem man im Armeehauptquartier Ihren Bericht gelesen hat.« Der Scout Jeff Harris verstummt wie ein Mann, der alles gesagt hat. Und Captain Harris denkt nach und sieht sich dabei vom Sattel aus um. Dann nickt er und wendet sich an den Anführer der Vigilanten. »Also gut, Mister Bosman – dies ist doch Ihr Name? –, also gut. Ich werde mit dem Kommandanten unseres Kanonenbootes Verbindung aufnehmen. Und dann werden wir handeln. Ich betrachte Sie und Ihre Reiter als Bürgermiliz. Doch Sie müssen sich bedingungslos meinem Kommando unterstellen.« Er reitet an. Im Fort, hinter dessen Mauern, beobachtet man alles. Dann versammeln sich die maßgebenden Männer bei Jubal Boston auf dem Turm, von dem aus sie nach allen Richtungen gute Aussicht haben. Sie sehen auch eine halbe Meile weiter flussabwärts ein Kanu fahren, in dem zwei Personen die Paddel eintauchen. Aber das Kanu kümmert sie nicht. Sie können sich aber denken, dass die beiden Menschen im Kanu Überlebende der beiden Zeltdörfer sind.
Jubal Boston sagt: »Klären wir unsere Lage. Ich denke, dass die Armeeabteilung auf der Fährte jener Indianergruppe kam, die neben den Crows ihre Tipis errichtete. Diese Indianer haben uns die Armee auf den Hals geholt. Und von den Vigilanten aus der Last Chance Gulch weiß die Armee jetzt gewiss schon, dass unser Fort eine letzte Zuflucht aller Gejagten ist. Sie werden uns ausräuchern wie ein Hornissennest. Und unten am Fluss haben sie ein Kanonenboot, das von der Helena hergebracht wurde.« Einer der Männer spricht: »Vielleicht haben wir eine Chance, wenn wir uns lange genug halten und ein Blizzard uns zu Hilfe kommt. Wir sind selbst eine starke Truppe von mehr als hundertfünfzig Mann und können lange standhalten. Bestimmt so lange, bis der Blizzard da ist. Dann erfrieren sie dort draußen alle.« Als der Sprecher verstummt – er ist ein desertierter Sergeant der Armee –, da nicken die anderen. Dann aber spricht einer heiser: »Aber es könnte uns auch ergehen wie damals den harten Jungs in Fort Alamo. Ja, wir könnten alle getötet werden.« »Aber ergeben können wir uns nicht«, bellt eine heisere Stimme. »Bevor ich mich hängen lasse, sterbe ich lieber im Kampf.« Sie nicken nun alle und sehen Jubal Boston an.
»Also kämpfen wir«, spricht dieser. »Wir haben ja keine andere Wahl. Zuerst schaffen wir von draußen noch herein, was uns möglich ist. Und wir zünden alle Hütten und Schuppen draußen an – ja, auch unseren schönen Saloon. Niemand außerhalb des Forts soll dort draußen Unterschlupf und Deckung finden können. Und wenn dann ein längst schon fälliger Blizzard kommt …« Es ist ein zwar kleines, doch recht solides Kanu, in dem Maria und Warface abwärts paddeln. Sie werden von der Wareagle und auch von der Helena bemerkt, doch man kann sie nicht verfolgen und will es auch nicht. Sie paddeln auch nicht in der Mitte des Seitenarms des Milk Rivers, sondern folgen den seichten Kanälen zwischen den Sand- und Geröllinseln, kommen immer wieder in Deckung von Felsen. Als sie außer Schussweite sind, lassen sie sich von der Strömung treiben und schweigen lange. Dann erst fragt Maria: »Bruder, was wird sein? Was wird sich abspielen?« Er lacht voller Bitterkeit mit heiserer Stimme. Und längst hat er seinen komischen Hut verloren. Sein langes, rabenschwarzes Haar fällt ihm über die Schultern. Sie sitzt vor ihm und wendet sich nach ihm um, blickt ihn fragend an.
Und er erwidert: »Was wird sein, Schwester, was wird sein …?« Er macht eine Pause, hebt die Hand und wischt sich über sein stets so wild wirkendes Gesicht. Dann spricht er heiser: »Die Soldaten werden vom Kanonenboot an Land kommen und alle Überlebenden töten. Das haben sie schon immer getan, wenn sie Dörfer überfielen. Und oft haben sie die Squaws zuvor vergewaltigt, denn auch sie sind Wilde. Vielleicht lassen sie die kleinen Kinder am Leben. Aber auch das ist nicht sicher. Die Geschichte aller Indianerkriege beweist es. Und eines Tages werden sich die Kinder und Enkelkinder der heutigen Generation wegen dieses Völkermords schämen. Und dennoch – Schwesterherz – müssen wir zurück zu den Weißen. Sie verachten uns Halbbluts zwar, weil wir in ihren Augen Bastarde sind, dennoch sind wir bei ihnen als Halbweiße wenigsten unseres Lebens sicher. Du hattest einen guten Job als Haushälterin von Colonel Clay Wesburry in Kinkaid. Und du kannst diesen Job gewiss wieder bekommen. Und ich werde wieder meine Revolver vermieten.« Er verstummt hart. Sie sind dann schon mehr als zwei Flussmeilen abwärts, als sie den Kanonendonner hören. Und sie hören ihn noch lange in diesem sonst so stillen Land.
Warface lacht einmal voller Spott und ruft dann: »Diese Narren! Sie können mit ihren zwei Schiffskanonen die dicken Steinmauern des Forts nicht zerschießen. Sie müssen stürmen. Und es wird dort viele Tote geben. Aber wir, Maria, sind entkommen. Wenn es einen Gott im Himmel gibt – oder einen Großen Geist, den die Roten – unsere Halbbrüder und Halbschwestern – Wakan Tanka nennen, dann ist uns dieser wohlgesinnt und wird uns weiter beschützen. Schließlich sind wir ja mal von einem Jesuitenpater getauft worden, ohooo!« Er lacht wild, aber es ist irgendwie auch ein bitteres und fast verzweifeltes Lachen. Sie paddeln stetig. Da sie nach Osten paddeln, kommt ihnen von dort die Dunkelheit der Nacht entgegen. Es war ein langer, bitterer und schwerer Tag. Alles hat sich verändert. Dann hält Warface plötzlich inne und wittert nach Norden. Maria wendet sich um. »Was ist, Bruder?« Er wittert immer noch nach Norden. Dann sagt er heiser: »Spürst du es nicht, Schwester? Da hält im Norden der Winterriese seinen mächtigen Atem an. Die ganze Welt ist ohne Atem. Spürst du das nicht, Schwesterherz?« Sie spürt es nun ebenfalls. Ja, der Atem der ganzen Welt wurde angehalten.
Und so fragt sie: »Was ist das, Bruder?« Er deutet mit dem Paddel nach Norden. »Da braut sich etwas zusammen. Waniyetula, der mächtige Blizzardgott, wird bald einen seiner Söhne – einen Blaueisblizzard – auf die Reise schicken. Schwester, unser Glück könnte bald beendet sein.«
16 Zu dieser Zeit, fast auf die Minute genau, stellt auch John Kingman die Veränderung in ihrer Welt hier fest. Doch er kann das alles nicht so sicher deuten wie Warface, der Halbcheyenne. Er ist ja Texaner, ein Mann aus dem Süden. Er kennt die Anzeichen eines bevorstehenden Blizzards nicht, weiß die atemlose Stille nicht zu deuten, denn er ist nun mal kein Sohn dieses Landes. Dennoch warnt ihn sein Instinkt und erzeugt in ihm ein Gefühl von erhöhter Wachsamkeit. Sie reiten in südwestlicher Richtung, denn dort liegt Fort Benton, doch sein Instinkt lässt ihn immer wieder nach Norden wittern. Aber dort im Norden ist noch nichts zu erkennen. Auch Josy bemerkt die atemlose Stille. Denn bisher bekamen sie den Wind von Westen her. Jetzt fühlen sie sich wie in einem luftleeren Raum oder wie unter einer riesigen Glasglocke. »Was ist, John?« So ruft sie zu ihm hinüber. »Ich weiß es nicht«, erwidert er. »Vielleicht dreht nur der Wind.« Sie reiten weiter. Hinter ihnen kommt die Nacht von Osten her, und vor ihnen legt sich die Dämmerung über das Land.
Im letzten Licht des sterbenden Tages erblickt John etwas, aber er kann es nicht sofort erkennen, weiß es nicht zu deuten. Sie reiten wenig später nur eine Steinwurfweite entfernt daran vorbei, und nun weiß er es zu deuten, also einigermaßen zu bestimmen. Denn er hat diese Bauten schon weiter im Süden auf der Kansas-Prärie gesehen, wo die Büffeljäger am Werk waren und die friedlichen Tiere zu Hunderttausenden wegen ihrer Häute abknallten und das blutige Büffelmorden stattfand. Da diese Büffeljägermannschaften oft von Indianerhorden angegriffen wurden, bauten sie sich diese kleinen Befestigungen. Und weil es auf der Prärie kein Holz gab, stachen sie wie Torfstecher so genannte Grasziegel aus, errichteten damit dicke Mauern, schufen sich so kleine Forts, in deren Schutz sie sich flüchten konnten. Und solch ein Buffalo-Wall ist dort drüben. Er hält mit Josy und dem Packtier an. Abermals fragt Josy: »Was ist, John?« Er deutet hinüber. »Wir campieren dort. Komm, Josy!« Und so reiten sie hinüber, sitzen vor den Mauern aus Grasziegeln ab und besichtigen alles im letzten Licht des Tages.
Als sie wenig später wieder ins Freie kommen, um die Tiere in das enge Geviert zu holen, da trifft sie der erste kalte Hauch aus dem Norden. Es ist eine Eiseskälte, der noch schwache Atem des grimmigen Winterriesen, des Waniyetula. Und nun endlich weiß John Kingman Bescheid. Zu Josy spricht er: »Wir haben Glück gehabt. Ich denke, dass wir hier einen Blizzard aussitzen müssen. Denn dies ist der einzige Schutz weit und breit auf der baumlosen Prärie. Josy, wir hatten Glück, dass wir hier vorbeikamen.« Auch Maria und Pierce Cheyenne in ihrem kleinen Kanu auf einem Seitenarm des Milk River spüren den Eishauch. Und weil sie ja echte Kinder des Landes sind, wissen sie die Warnung viel besser zu deuten als John Kingman. Doch wo können sie Schutz finden? Auf keinen Fall dürfen sie mit ihrem Kanu auf dem kleinen Fluss bleiben. Gewiss, dieser Nebenfluss wird auch bei größter Kälte nicht so schnell zufrieren. Denn die Strömung ist zu stark. Es müsste schon wochenlang bitterkalt bleiben, wenn sich darauf ein Eisdecke bilden sollte. Nur an den Rändern und in den Buchten hinter den Biegungen des Flusses wird sich die Eisschicht verstärken.
Warface lenkt das Kanu dicht zum Nordufer hinüber. Der kleine Nebenfluss hat sich tief in das Land eingefressen. An einigen Stellen, wo das Ufer nicht eingebrochen ist, ragt es steil einige Yards empor. Und das letzte Hochwasser hat unten am Fluss die Uferwand da und dort ausgehöhlt. Warface und Maria wissen, dass sie eine besonders tiefe Aushöhlung finden müssen hier am Nordufer. Doch es wird mit jeder Minute dunkler. Der Blizzard hält im Norden noch einmal den Atem an. Doch die Eiseskälte bleibt erhalten. Maria und Warface wissen, dass der nächste Atem des Winterriesen ganz anders kommen wird, nämlich mit Eishagel, dessen Körner so groß und schwer wie Kiesel sind, größer noch als Walnüsse, vielleicht fast so groß wie Hühnereier. Dieser Blaueishagel wird alles zerschlagen und alle kleineren Tiere töten, die keinen Schutz finden. Aber Maria und Pierce finden eine tiefe Uferauswaschung im Steilufer. Sie ziehen keuchend das Kanu an Land, legen es quer vor der Uferhöhle auf die Seite, sodass der Boden nach außen zeigt. Dann machen sie sich im letzten Tageslicht auf die Suche nach angeschwemmtem Treibholz. Sie finden es reichlich in nächster Nähe. Denn niemand war hier, um es einzusammeln.
Sie arbeiten emsig, schleifen und tragen alles herbei. Es wird dann Nacht. Sie können nicht nach Norden sehen, weil das Steilufer ihnen die Sicht versperrt. Könnten sie es, so würden sie die Blitze zucken sehen. Und sie würden auch sehen, wie blau und gelb der Himmel im Licht der Blitze leuchtet. Als sie das Heulen und Brüllen hören, so als würde ein gewaltiges Ungeheuer aus dem Jenseits auf die Erde niederstürzen, um dort alles zu vernichten, da suchen sie endlich den Schutz der Uferhöhle auf. Draußen wird es noch kälter als zuvor. Wahrscheinlich würde ihnen draußen im Sturm der Atem erfrieren und der Eishagel sie schrecklich prügeln und schlagen. Doch Warface macht ein Feuer an. Im Feuerschein betrachten sich die Geschwister mit funkelnden Augen. Warface sagt: »Es wird uns hier gar nicht so schlecht gehen, Schwester!« Sie nickt nur, schweigt aber eine Weile, indes sie all das Lagergerät auspackt, das sie nur aus dem Kanu zu nehmen braucht, dessen offene Seite ja zur Höhle zeigt. Erst später, als sie Tee im Kessel ziehen lässt und getrocknetes Büffelfleisch in dünne Scheiben schneidet, da spricht sie: »Bruder, ich konnte beim Fort diesen Mann nur aus einiger
Entfernung sehen. Du weißt, wen ich meine. Wie mag es ihm nun ergehen im Fort mit der schönen Frau? Ich hätte gern mit ihm gesprochen und ihm dafür gedankt, dass er die Kerle bestrafte, die mir Böses antaten und mich in einen Stachelbusch fallen ließen. Ich bin ihm sehr dankbar. Und du hast ja später auch nicht versucht, ihm das viele Geld der Stadt Kinkaid abzunehmen. Wie mag es ihm jetzt ergehen im Fort?« »Er ist nicht mehr im Fort«, erwidert ihr Bruder. »Ich sah ihn mit der Frau und einem Packtier aus dem Fort reiten. Er ist ein erfahrener Mann. Wohin er auch reiten wollte, er wird den Blizzard mit der Schönen überstehen. Männer seiner Sorte erreichen stets ihr Ziel. Mach dir keine Sorgen um ihn, Schwester.« Auch der erfahrene Scout Jeff Harris weiß sofort, was die Atemlosigkeit der Welt zu bedeuten hat. Und so sucht er Captain Merville auf, der von der Besprechung mit Captain Morgan Stonebreaker zurück ins Camp kommt, das die Schwadron aufgeschlagen hat. Er sagt schlicht: »Captain, wir werden in der nächsten Stunde einen Blaueisblizzard bekommen. Wenn Sie das verdammte Fort nicht in dieser Stunde einnehmen, müssen Sie Ihre Soldaten an Bord der beiden Dampfboote bringen und alle Pferde zurücklassen. Ja, Sie werden alle
Pferde verlieren, Captain, wenn Sie das Fort nicht nehmen.« Captain Merville ist kein Narr, sondern ein in diesem Land und im Indianerkrieg erfahrener Offizier. Und so nickt er nur und erwidert: »Die Wareagle will nun mit Granaten das Tor des Forts aufschießen.« Er hat kaum ausgesprochen, da krachen auch schon die ersten Kanonenschüsse. »Es geht los!« Der Captain grinst. »Die Wareagle bringt nun auch die Infanterie an Land. Die verdammten Banditen haben alle Hütten, Schuppen und auch den Saloon außerhalb des Forts abgebrannt. Meine Männer wissen genau, dass sie sich mitsamt ihren Pferden die Ärsche abfrieren werden, wenn wir das Fort nicht nehmen. Es qualmt immer noch alles rings um das Fort. Und wenn der Eishagel niederbricht, wird es für kurze Zeit noch mehr qualmen. Wir nehmen das Fort, verlassen Sie sich drauf!« Er macht eine Pause und fragt dann hart: »Kämpfen Sie mit uns, Scout?« Jeff Harris schüttelt den Kopf. »Ich habe euch hergeführt«, spricht er dann. »Das war mein Job – mehr nicht. Mir hat es nicht gefallen, wie ihr das Indianerdorf mitsamt den Frauen, Kindern und Alten erledigt habt. Das war Mord. Nein, ich kämpfe nicht auf eurer Seite. Dazu verpflichtet
mich mein Vertrag mit der glorreichen US-Armee nicht.« Er geht nach diesen Worten davon und zu seinem Pferd. Im Norden aber zucken nun die Blitze in der Nacht und beleuchten immer wieder die hellblaue Front des sich nähernden Eishagels. Er hört die harte Stimme des Captains die Befehle rufen. Und zum Schluss hört er die Worte: »Männer, wenn wir das Fort nicht nehmen, dann erfrieren nicht nur eure Pferde. Dann könnt ihr euch in Zukunft das Geld für die Huren sparen, weil euch mit den Ärschen auch die Eier abgefroren sind.« Seine mit heiserer Stimme gerufenen primitiven Worte könnten auch von einem ungehobelten Sergeanten gerufen worden sein. Aber es ist die einzige Sprache, die von den Männern verstanden wird. Sie sind ja alle keine gebildeten Schöngeister. Es ist dann keine halbe Stunde später – und noch vor dem ersten Eishagel –, als das große Tor zerschossen ist und sie das Fort stürmen. Einer der ersten Verteidiger des Forts, der sich ihnen entgegenwirft, ist Jubal Boston. Er tötet mit seinen beiden Revolvern ein halbes Dutzend Soldaten. Dann aber stößt ihm ein junger Lieutenant den Säbel in den Bauch.
Es gibt noch einen schrecklichen und gnadenlosen Kampf im Fort selbst. Denn die Verteidiger wissen zu gut, dass sie verloren sind. Und so kämpfen sie in jeder Kammer und in jedem Raum mit verbissener Wut und dem Mut der Verzweiflung. Denn im Kampf zu sterben, dies erscheint ihnen leichter zu sein als sich zu ergeben und anschließend hingerichtet zu werden. Als dann der erste Blaueishagel niederbricht, da prügelt er nur die Toten. Denn die Überlebenden brachten sich in Sicherheit, holten auch die Pferde in den Schutz der Wehrgänge. Auch der Scout Jeff Harris stellt sein Pferd dort unter. Als er in den Hauptbau des Forts tritt, trägt man dort die Toten heraus, und es sind auch tote Soldaten darunter. Er sieht dann Captain Merville auf einer Bank liegen, um den sich der Feldarzt kümmert, und tritt zu ihnen. Merville starrt zu ihm hoch und knurrt schmerzvoll. »Eigentlich müsste ich Sie aus dem Fort jagen lassen, Harris. Denn Sie haben es nicht mit uns erobert. Verdammt, Doc, warum bekommen Sie nicht die Kugel aus meinem Bein?« Jeff Harris wendet sich ab. Was sollte er auch anders tun?
Draußen brüllt und orgelt nun der Blizzard. Sein Eishagel richtet überall Schaden an. Man kann jetzt nicht einmal die Toten aus dem Fort schaffen, um Platz für die Überlebenden zu haben. Viele Soldaten sind auf die beiden Dampfboote geflüchtet, die nebeneinander an der Landebrücke festgemacht haben, und sie werden es an Bord einigermaßen warm haben, weil die Boote unter Dampf den Blizzard und die Kälte am besten überstehen werden. Jeff Harris, der Scout, trifft in einer der Kammern auf die drei anderen Scouts. Sie grinsen ihn an. Rosebud Charly sagt: »Da sind wir ja mal wieder gut davongekommen.« Harris nickt nur und legt sich auf eine der Schlafpritschen. Denn nun werden gewiss viele Tage und Nächte vergehen, bis der Blizzard sich ausgetobt hat. Und so wird er die meiste Zeit schlafend verbringen.
17 Der Wasiya, den Waniyetula, wie die Roten der Hochprärie den Blizzardgott nennen, nach Süden schickte, damit er mit seinem Blaueishagel die Erde und alle Lebewesen darauf prügelte, hält vier Nächte und vier Tage an. Dann hat er sich ausgetobt. Josy und John haben alles gut überstanden. Das verdanken sie nicht zuletzt den Büffeljägern, die hier wahrscheinlich im vergangenen Herbst vorzeitig abzogen, vielleicht weil es im weiten Umkreis keine Büffel mehr gab. Denn die Erbauer des Buffalo-Wall hatten reichlich trockenen Büffeldung gesammelt, das einzige Brennmaterial auf der Prärie. Büffeldung brennt fast wie Torf. Er muss nur trocken sein. Und so konnten Josy und John immer wieder ein Feuer machen und sich warme Mahlzeiten bereiten. Sie sind nur eingeschneit wie in einer Eishöhle. Selbst für ihre Pferde gab es genügend Futter. Denn die Schlafplätze der Büffeljäger – es müssen hier mehr als zwei Dutzend gehaust haben – waren mit trockenem Büffelgras – also mit Heu – gepolstert.
Die meiste Zeit verbrachten Josy und John zusammen unter den Decken und wärmten sich gegenseitig. Und manchmal liebten sie sich. Als es dann draußen still wurde – fast unheimlich still –, da bahnten sie sich aus dem zugeschneiten Geviert einen Weg ins Freie. Dort stehen sie nun. Das Sonnenlicht blendet sie. Und zugleich wissen sie, dass sie längst noch nicht von hier fort können. Der Schnee über der dicken Eishagelschicht liegt zu hoch. Ihre Pferde würden bis über die Bäuche in ihm versinken. Es wurde warm, denn nicht nur die Wintersonne wärmt den Schnee. Es ist auch die Luft, die mit ihrem warmen Strom von Westen kommt. John sagt: »Josy, mein Herz, wir müssen Geduld haben. Der tiefe Schnee wird zusammenfallen. Und wenn dann wieder Frost kommt, bekommen wir eine hart gefrorene Schneedecke. Dann erst können wir reiten.« »Mir ist es recht, hier mit dir allein zu sein«, spricht sie. »Eigentlich ist das ja wohl so etwas wie unsere Hochzeitsreise, obwohl wir erst danach heiraten können, wenn wir in Fort Benton sind. Ich will jetzt in der Sonne sitzen und zusehen, wie du den Schnee wegräumst in unserer Burg, und besonders vom Büffelhautdach. Denn ich denke mir, dass der nasse Schnee bald zu schwer werden wird.«
Sie verstummt lachend. Er betrachtet sie staunend. Denn er weiß, dass sie sich ein heißes Bad wünscht und all die anderen Dinge einer zivilisierten Welt. Sie ist ja keine Squaw, und sie haben es hier primitiver als in einem Tipi. Aber sie klagt nicht, zeigt ihm, dass sie an seiner Seite immer zufrieden sein wird. Und so nimmt er sie wieder einmal in die Arme und küsst sie sanft und zärtlich. Ihre Haut ist nun spröde und rau. Sie konnte sich lange nicht mehr pflegen. Doch ihre grünen Augen leuchten. Er spricht ruhig: »Irgendwann gelangen wir nach Fort Benton. Und dann geht es weiter nach Texas.« Nun, lieber Leser dieser Geschichte, Josy und John erreichten drei Wochen später das alte Handelsfort Benton, den letzten mit Dampfbooten erreichbaren Ort am oberen Missouri. Und dieser Missouri ist immer noch nicht zugefroren. Nur an seinen Rändern und in den Buchten ist ein wenig Eis. An einer der Landebrücken liegt die Nelson unter Dampf. Sie reiten auf die Landebrücke, wo man schon die Gangway einziehen will. Und auch die Leinen, mit denen die Nelson noch festgemacht ist, werden gleich von den Pollern abgenommen.
John fragt hinüber: »He, können wir noch mit? Habt ihr für die Lady noch eine Kabine frei?« Auf dem Kabinendeck meldet sich ein Mann, der wahrscheinlich der Zahlmeister dieses schwimmenden Hotels ist, also der HotelDirektor. Und dieser Mann ruft herüber: »Ja, ihr könnt an Bord. Wir haben Platz. Nur nicht für eure Pferde. Die können nicht mit!« John Kingman zögert, denn sein Appalousa ist nicht nur ein kostbares Pferd, sondern wurde auch sein vierbeiniger Gefährte und Freund. Er blickt auf Josy. »Wir müssen jetzt nicht mit«, spricht sie. Da tritt einer der vielen Neugierigen, die der Abfahrt der Nelson zusehen wollen, zu ihm und blickt ihn an. »Ich kaufe Ihnen die Tiere ab«, sagt der Mann. »Und ich weiß genau, was dieser magere Appalousa wert ist, wenn ich ihn wieder hochgepäppelt habe. Der hat es bei mir nicht schlechter als bei Ihnen.« John starrt in die Falkenaugen des Mannes und weiß, dass er in die Augen eines Jägers, Scouts und Angehörigen der so genannten Hirschlederbrigade blickt, die seinem Blick standhalten. Er glaubt plötzlich, dass sein Appalousa es bei diesem Manne tatsächlich nicht schlechter haben
wird als bei ihm und dass die beiden ebenfalls Gefährten und Freunde werden würden. Und so erwidert er: »Ich verkaufe ihn nicht, Mister. Aber ich gebe ihn an Sie weiter, wenn Sie mir schwören, dass Sie fair zu ihm sein und ihn respektieren werden. Ja, er verdient Respekt.« »Ich schwöre es«, erwidert der Mann. »Mein Name ist Bridger, Jim Bridger. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört?« »Das habe ich, Mister Bridger.« Nach diesen Worten sitzt John Kingman ab. Auch Josy tut es geschmeidig. Es ist einige Tage später, als sie bei Fort Buford an der Yellowstone-Mündung festmachen. Einige Leute kommen an Bord. Einer von ihnen ist ein Armeecaptain, der sich leicht hinkend mit Hilfe eines Stockes bewegt. Es ist Captain Merville. Doch sie kennen ihn nicht. Dafür kennen sie das Paar umso besser, das mit anderen Passagieren an Bord kommt. Sie sehen Warface Pierce Cheyenne und dessen Schwester Maria. Beide wirken nun sehr zivilisiert. Warfaces Haar ist stark gekürzt. Er trägt auch nicht mehr den komischen Hut mit der Feder. Und seine Schwester Maria ist wie eine Lady gekleidet und wunderschön.
Etwas später sind sie oben auf dem Kabinendeck und treten zu Josy und John. »Ich habe dich gleich erkannt, Kingman.« Warface grinst blinkend. »Ihr wollt wohl auch nicht nach Kinkaid zurück?« »Nein, nach Texas«, erwidert John Kingman. Dann stellt er die Frage: »Was wurde aus dem Fort?« »Es wurde erobert. Es gab ein Massaker. Und nach dem Blizzard wurde es in die Luft gesprengt. Denn das Kanonenboot der Armee hatte genug Sprengstoff an Bord. Habt ihr den hinkenden Offizier an Bord kommen sehen?« Josy und John nicken. »Das ist Captain Merville. Er war der kommandierende Offizier dort und gab die Befehle. Nun reist er zum Hauptquartier der Armee. Sie werden ihn zum Major befördern. Und er hat uns zwei Halbblut-Bastarde nicht einmal erkannt.« »Ihr seht ja auch nicht wie Wilde aus«, sagt Kingman und grinst. Indes betrachten sich Josy und Maria. »Sie haben einen Mann, der zum Salz der Erde gehört«, spricht Maria. »Hat er Ihnen von mir erzählt?« »Ja, auch von dem Stachelbusch.« Josy lächelt. Das Dampfhorn der Nelson prustet nun laut in den Tag. Der Steamer legt endlich ab.
Von der Landebrücke wiehert der Appalousa. Jim Bridger winkt. Langsam spricht John Kingman: »Es gibt immer einen neuen Anfang.« ENDE