Entwicklung Haptischer Geräte
Thorsten A. Kern (Hrsg.) Marc Matysek · Oliver Meckel Jacqueline Rausch · Alexander Rettig Andreas Röse · Stephanie Sindlinger
Entwicklung Haptischer Geräte Ein Einstieg für Ingenieure
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Dr.-Ing. Thorsten A. Kern TU Darmstadt Inst. für Elektromechanische Konstruktionen Merckstr. 25 64283, Darmstadt
ISBN 978-3-540-87643-4
e-ISBN 978-3-540-87644-1
DOI 10.1007/978-3-540-87644-1 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 Springer-Verlag Berlin Heidelberg Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Herstellung: le-tex publishing services oHG, Leipzig Einbandgestaltung: WMXDesign, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem Papier 987654321 springer.de
Die Idee zu diesem Buch wurde bereits 2003 geboren. Damals als Möglichkeit der Weiterentwicklung einer Dissertation formuliert sollte das Buch eine schmerzlich empfundene Wissenslücke des Herausgebers füllen: Welche Quellen stehen einem technisch interessierter Menschen zur Verfügung, wenn er oder sie erstmalig mit der Aufgabe konfrontiert wird, ein haptisches Gerät zu entwerfen? Neben einer Vielzahl von Tagungsveröffentlichungen, Zeitschriftbeiträgen oder Dissertationen gab es kein Werk, welches einen Querschnitt durch diese technisch so anspruchsvolle Thematik zieht. Bestärkt durch die Kollegen, insbesondere Herrn Prof. Dr.Ing. Dr.-med. Ronald Blechschmidt-Trapp und Hr. Dr.-Ing. Christoph Doerrer, reifte der Wunsch zur Umsetzung über die Jahre. Während der parallel stattfindenden Dissertation stellte sich heraus, dass die in einem solchen Buch zu behandelnden Themenfelder noch umfangreicher waren, als dies 2003 eingeschätzt wurde. Mein Doktorvater, Hr. Prof. Dr.-Ing. habil. Roland Werthschützky ermutigte mich, das Projekt dennoch im Rahmen einer Zeit als Post-Doc zu verwirklichen, und eine Förderung der DFG (Kennzeichen KE 1456/1-1) zur Vertiefung der Entwurfsmethodik haptischer Geräte ermöglichte die wirtschaftliche Seite dieses Vorhabens. Nach einer Strukturierung der Themen stellte sich schnell heraus, dass die Inhalte sehr durch das Hinzuziehen von Spezialisten auf den einzelnen Gebiete gewinnen würde. So entstand das Multiautorenprojekt, wie Sie es heute in den Händen halten. Doch nicht nur die genannten Autoren haben Inhalte beigesteuert, auch ehemalige und aktuelle Kollegen wie Dr.-Ing. Markus Jungmann oder Ingmar Stöhr um wenigstens zwei zu nennen, haben sich für das Projekt begeistert. Die ersten Anfragen bei dem für die Veröffentlichung favorisierten Springer Verlag ergaben eine beeindruckend positive Reaktion. Die Zusammenarbeit mit Hr. Dr. Christoph Baumann von Springer war jederzeit konstruktiv und gemeinsam wurde das Projekt in der endgültigen Umsetzung, was Sprachversionen und Zeitpunkte der Veröffentlichung anbelangt, definiert. Viele Korrekturleser haben die wesentlichsten Fehler aus dem Manusskript beseitigt, allen voran Anika Kohlstedt, Sebastian Kassner und viele ungenannte Helfer in Form von Familienmitgliedern und Freunden der Autoren. Die Autoren bedanken sich bei all den oben genannten und den vielen vergessenen Helfern für die konstruktive Kritik. Ohne Ihre Unterstützung hätte das Buch nicht den vorliegenden Reifegrad erreicht. Weiterhin bedankt sich der Herausgeber explizit für die hervorragende Unterstützung, die er und viele der Co-Autoren am Institut für Elektromechanische Konstruktionen der Technischen Universität Darmstadt in ihrer Forschung und Arbeit erfahren haben.
die Autoren, i.A. Thorsten A. Kern
Vorwort
”Haptik”, ist im Gegensatz zur ”Optik” oder ”Akustik” ein für die Mehrheit der Anwender von Produkten noch nicht bekannter Begriff. Als ”haptisch” wird alles bezeichnet, was sich auf den Berührungssinn/Tastsinn bezieht. Haptisch ist also mehr als die pure mechanische Interaktion, sondern umfasst auch thermische und schmerzsensitive (nozizeptiv) Wahrnehmung. ”Haptisch” ist alles und alles ist ”haptisch”. Nur durch ”Haptik” kann der Mensch die ”Grenzen seines physischen Seins” begreifen, denn der Tastsinn macht es uns möglich, zu erkennen, wo ”ich” als Körper beginne und ende. Der Tastsinn ist hier deutlich leistungsfähiger als die Augen, sowohl in der Auflösung als auch im abgedeckten Raumwinkel: Wir realisieren in der Hitze eines Basketballspiels durch eine Berührung am Rücken sofort, dass aus dieser Richtung ein Gegner versucht uns anzugreifen. Wir bemerken die Intensität des Kontaktes, die Bewegungsrichtungen durch Scherung unserer Haut oder einen Luftstrom an Körperbehaarung. Und all dies, ohne dass wir ihn oder sie sehen. ”Haptische Systeme” 1 gliedern sich in wenigstens zwei Klassen. Da gibt es die zeitinvarianten Systeme (die Tasten meiner Tastatur), die bei Betätigung einen im Wesentlichen immer gleichen haptischen Eindruck vermitteln. Hierzu zählen auch Oberflächen z.B. die Holzmaserung, aus der mein Tisch besteht. Derartige haptische Oberflächen werden gerne als ”haptische Textur” bezeichnet. Weiterhin gibt es aktive rekonfigurierbare Systeme, die in Abhängigkeit z.B. von einer Menüauswahl ihre haptischen Eigenschaften ganz oder teilweise verändern. Außerdem gibt es Kombinationen und hybride Formen beider Systeme, die in Beispielen in den entsprechenden Kapiteln diskutiert werden. Der Schwerpunkt dieses Buches liegt allerdings auf den technischen Entwurfskriterien für aktive rekonfigurierbare Systeme, welche die haptische Kopplung im Sinne einer vor allem mechanischen Interak1
In der Technik gibt es drei Begriffe, die häufig verwendet werden und deren Definition nicht eindeutig ist: Gerät, Komponente und System. Systeme sind je nach Aufgabenstellung des Entwicklers entweder Gerät oder Komponente. Ein Motor ist eine Komponente eines Fahrzeugs, für den Entwickler des Motors ist es aber ein Gerät, das sich teilweise aus Komponenten (Zündkerzen, Kolben, Klopfsensoren, ...) zusammen setzt. Liest man nun technische Texte ist es manchmal hilfreich, alle drei Begriffe mit dem Wort ”Ding” zu ersetzen. Wenn auch nicht ganz ernst zu nehmen, so gewinnen die Inhalte in der Regel an Verständlichkeit.
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Vorwort
tion ermöglichen. Thermische und nozizeptive Wahrnehmung werden entsprechend ihrer Bedeutung eingeordnet, aber nicht tiefergehend diskutiert, ebenso die passiven haptischen Systemen. Die Tatsache, dass Sie dieses Buch gekauft haben, zeigt Ihr Interesse und Verständnis für die Problematik rund um das Thema ”Haptik”. Vielleicht haben Sie schon einmal den Entwurf eines technischen Systems versucht, das den haptischen Sinn täuschen soll, und waren mehr oder weniger erfolgreich bei dem Design des mechanischen Entwurfs und der Wahl der Aktoren. Vielleicht planen Sie auch nur ein entsprechendes Vorhaben im Rahmen Ihres Studiums oder als kommerzielles, industrielles Produkt mit dem Ziel, Bedienung zu vereinfachen oder neuartige Bedienkonzepte zu ermöglichen. Derartige Ansätze gibt es viele. Einige der ersten aktiven haptischen Systeme wurden in Flugzeugen eingesetzt, um durch Vibrationen am Steuerknüppel kritische Situationen kenntlich zu machen. Das am weitesten verbreitete haptische System ist mit Sicherheit der Vibrationsalarm an Mobiltelefonen, der auch ohne Sicht- oder Hörkontakt die Information über den Empfang einer Nachricht vermittelt - und dabei sogar im übermittelten Signal die Art der Nachricht, SMS oder Telefonat, kodiert. Komplexere haptische kommerzielle Systeme sind im Bereich der Automobilindustrie durch rekonfigurierbare Drehsteller als zentrales Bedienelement komplexerer Oberklassefahrzeuge zu finden. Weiterhin gibt es seit kurzem Bestrebungen auch außerhalb von speziellen Navigatons- und Modellierungsaufgaben im Computergrafikbereich mehrdimensionale haptische Interaktion für Computerspieler zugänglich zu machen. Vielleicht kommen Sie auch aus der beliebten und haptisch äußerst aktiven Seite der Medizin und insbesondere der Chirurgie. Für minimal-invasive chirugische Eingriffe werden immer komplexere Laparoskope, länglich ausgedehnte mechanische Werkzeuge, mit denen durch natürliche oder künstlich geschaffene Körperöffnungen komplizierte Eingriffe vorgenommen werden, verwendet. Dies ist automatisch mit einem Verlust des direkten Kontakts des Chirurgen mit dem operierten Organ/Gewebe verbunden. Eine seit Jahrzehnten beständige Motivation für den ersten Kontakt von Forschern und Entwicklern mit dem haptischen Sinn stellt der Wunsch dar, den Verlust des Tastsinns bei derartigen minimal-invasiven chirurgischen Eingriffen zu kompensieren, oder alternativ Trainingsmöglichkeiten für derartige Vorhaben zu schaffen. Wohl gemerkt, trotz aktueller, viel versprechender Entwicklungen im Bereich Telemanipulation oder Simulation ohne einen zufriedenstellenden kommerziellen Durchbruch. Trotz oder gerade ob der Vielfalt dieser mit haptischen Systemen arbeitenden Industrie ist das Verständnis der ”Haptik” und der damit direkt verknüpften Begriffe ”taktil” und ”kinästhetisch” mitnichten so eindeutig und unumstritten, wie es sein sollte. Wir, die Autoren, möchten Ihnen mit diesem Buch eine Hilfe anhand geben, sich im Bereich der Entwicklung haptischer Geräte zukünftig mit größerer Sicherheit zu bewegen. Diese Sicherheit wird aus der richtigen Einordnung und dem richtigen Umgang mit Begrifflichkeiten beginnen, wird über ein tiefergehendes Verständnis der Haptik und der vereinfachten Beschreibungsmöglichkeiten reichen und wird schließlich und endlich in konkreten Handlungsanweisungen und Empfehlungen beim Entwurf technischer, haptischer Systeme enden.
Vorwort
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Neben dem Bestreben, konkrete und projektbezogene Hardwareentwicklung durchzuführen, gibt es noch einen weiteren Grund sich mit der haptischen Geräteentwicklung auseinander zu setzen. Es ist das ständige Bestreben, das Wissen zur haptischen Wahrnehmung zu erweitern. Diese Disziplin wird Psychophysik genannt. Dies ist eine ”ungenaue” nicht deterministische Wissenschaft, die Hypothesen aufstellt und diese an Experimenten systematisch überprüft. Diese Experimente bilden eine Schlüsselrolle und die Qualität der dabei berücksichtigten Parameter ist essentiell für die Güte der Aussage. Eine Art Nebenprodukt dieser Wissenschaft ist eine Vielfalt an Geräten und technischen Systemen. In der Tat nutzt die Psychophysik viele Kompetenzen aus unterschiedlichsten Disziplinen, um ihre Fragestellungen zu klären, so dass bedeutende Ingenieure und Wissenschaftler wie Frau Prof. W ONG TAN sowie Hr. Prof. V INCENT H AYWARD für diese Klärung der psychophysikalischen Grundfragen auch die mit leistungsfähigsten haptischen Systeme entwickelt haben. Die Psychophysik ist hochdynamisch. Jedes Jahr werden neue Erkenntnisse in hunderten von Vorträgen auf Kongressen und in Zeitschriften veröffentlicht. Dieses Buch hat nicht den Anspruch, mit jedem Detail dieser psychophysikalischen Entwicklung schrittzuhalten, wobei es aber versucht, möglichst viele der Erkenntnisse mit in die Darstellung der haptischen Geräteentwicklung einfließen zu lassen. Vielmehr stammt dieses Buch von und richtet sich an Ingenieure der zuerst beschriebenen Disziplin haptischer Geräteentwicklung: dem Entwickler, sei es im konstruktiven Maschinenbau, hardwarenahen Elektrotechnik, der Regelungstechnik, Software-Entwicklung oder als Synergie mit Expertise in allen Disziplinen in der Mechatronik. Der haptische Sinn gewinnt zweifellos an Bedeutung. Dies spiegelt sich nicht nur in der Zahl der wissenschaftlichen Veröffentlichungen wieder, sondern ist vielmehr auch direktes Resultat der einfachen Tatsache, dass die Fernsinne Sehen und Hören im Alltag bereits mit synthetischen Informationen in nahezu perfekter Qualität versorgt werden. ”Perfekte Qualität” nimmt je nach Fragestellung viele Bedeutungen in diesem Zusammenhang an. So kann eine möglichst realistische Wiedergabe des Sinnerlebnisses ein Ziel sein. Die Auflösung eines dreidimensionalen Monitors muss in farblicher Dynamik und räumlichen Abstand der Bildelemente unterhalb des Auflösungsverhaltens des Auges liegen. Klänge müssen im Raum ortbar sein, und dürfen schon lange nicht mehr durch Artefakte des Speicher- oder Übertragungsmediums - also Rauschen - überlagert werden. Eine andere ”perfekte Qualität” kann es sein, Aufmerksamkeit zu erregen. Warnungen im Armaturenbrett des KFZ sind so ein optisches Beispiel, akustische Alarme im Flugzeug ebenfalls. Auch hohe Unterscheidbarkeit bei gleichzeitig großer Tragweite kann von Bedeutung sein, man denke nur an die Lichtsignale zur Navigation auf dem Wasser. Beide Bereiche - Optik und Akustik - sind bereits seit wenigstem einem Jahrhundert Gegenstand intensiver Untersuchungen und das Ziel vieler Geräteentwicklungen. So weit, dass in vielen Fällen die Grenzen der Wahrnehmung der dargebotenen Informationen erreicht sind. Es ist also naheliegend, einen weiteren Sinneskanal des Menschen zur Informationsvermittlung zu nutzen. Eine andere Motivation liegt in der Simulation möglichst realistischer virtueller Umgebungen. Nachdem die graphische Darstellung sowie die
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Vorwort
akustische Präsentation einen hohen Standard erreicht haben, richten sich die Interessen auf den Tastsinn als nächsten bedeutenden Sinn. Nur dieser Sinn macht Grenzen spürbar und ermöglicht eine Synergie aus Interaktion und Wahrnehmung. Als weiteren Bereich gibt es noch die Telemanipulations- oder Telepräsenzsysteme. Hier ist eine intuitive und unverzögerte Rückmeldung für den sicheren Umgang z.B. mit wertvollen oder gefährlichen Materialien unerlässlich. Mehr als genug Gründe um sich mit der Entwicklung haptischer Geräte zu beschäftigen, denn der Markt fordert es und Experten sind rar. Doch der Einstieg in die Thematik ist schwierig. Der Entwurf haptischer Systeme erfordert einen interdisziplinären Wissensschatz. Dazu gehören Grundlagen über die Eigenschaften haptischer Wahrnehmung, ihre Dynamik in Amplitude und Frequenz. Darüber hinaus ist es hilfreich einen Überblick über erfolgversprechende technische Ansätze zu haben, seien es hardwaretechnische Realisationen von Aktoren, Kinematiken oder ganzen Systemen bis hin zu den gängigen Softwarelösungen für deren Anbindung an Simulationssysteme. Innerhalb der Simulation wiederum ist ein Überblick über die Methoden haptischen Renderings hilfreich um die Kommunikation zwischen Hard- und Softwareingenieuren zu erleichtern. Die Autoren sehen ihren Auftrag erfüllt, wenn dieses Buch dazu beitragen kann, dass sich mehr Entwickler für den Bereich haptischer Geräteentwicklung begeistern lassen, und dadurch schneller bessere Systeme am Markt erscheinen.
Darmstadt, Juli 2008
Thorsten A. Kern
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Autoren Dr.-Ing. Thorsten A. Kern Technische Universität Darmstadt/Institut für Elektromechanische Konstruktionen Merckstr. 25 Darmstadt, D-64283
[email protected] Dipl.-Ing. Marc Matysek Technische Universität Darmstadt/Institut für Elektromechanische Konstruktionen Merckstr. 25 Darmstadt, D-64283
[email protected] Dipl.-Ing. Oliver Meckel Technische Universität Darmstadt/Institut für Flug- und Regelungstechnik Petersenstr. 30 Darmstadt, D-64287
[email protected] Dipl.-Ing. Jacqueline Rausch Technische Universität Darmstadt/Institut für Elektromechanische Konstruktionen Merckstr. 25 Darmstadt, D-64283
[email protected] Dipl.-Math. Alexander Rettig Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung Fraunhoferstr. 5 Darmstadt, D-64283
[email protected] Dipl.-Ing. Andreas Röse Technische Universität Darmstadt/Institut für Elektromechanische Konstruktionen Merckstr. 25 Darmstadt, D-64283
[email protected] Dipl.-Ing. Stephanie Sindlinger, geb. Klages Technische Universität Darmstadt/Institut für Elektromechanische Konstruktionen Merckstr. 25 Darmstadt, D-64283
[email protected] Inhaltsverzeichnis
Formelzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . xx Teil I Grundlagen des haptischen Entwurfs 1
Motivation und Anwendungen haptischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Bedeutung der Haptik aus philosophischer und sozialer Sicht . . . . . . 1.1.1 Haptik als Grenze des physischen Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Was prägte den Tastsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Besonderheiten im Entwurfprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Der Tastsinn im medizinischen Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Der Tastsinn im Cockpit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Der Tastsinn am Schreibtisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Der Tastsinn in der Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 7 7 11 13 15 16 18 19 19
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Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Wissenschaftliche Disziplinen in der haptischen Forschung . . . . . . . 2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen 2.2.1 Grundbegriffe der Haptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Definition haptischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Eigenschaften haptischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.4 Charakterisierung haptischer Objekteigenschaften . . . . . . . . . 2.2.5 Technische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 23 25 25 26 30 32 33
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Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Biologie des Tastsinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Haptische Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Psychophysikalische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Frequenzabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Kennwerte haptischer Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Schlussfolgerungen aus der Biologie der Haptik . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 44 44 50 55 60
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3.3.1 3.3.2
Steifigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Ein Kiloherz - Bedeutung für den technischen Entwurf . . . . . 62
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Nutzermodellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Zuordnung der Frequenzbereiche auf das Nutzermodell . . . . . . . . . . . 4.2 Modell des Nutzers als mechanische Last . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Griffarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Messverfahren und Messmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Modellparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Modellbildung haptischer Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Kinästhetisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Taktiles System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Beispielanalysen im Zeit- und Frequenzbereich . . . . . . . . . . . 4.5 Zusammenfassende Anmerkungen zur Anwendung der Methodik . .
65 65 69 71 72 73 76 84 88 88 90 91 95
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Strukturen haptischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.1 Systembetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.1.1 Impedanz-gesteuert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5.1.2 Impedanz-geregelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 5.1.3 Admittanz-gesteuert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 5.1.4 Admittanz-geregelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 5.1.5 Qualitative Gegenüberstellung der möglichen Systemstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 5.2 Abstraktion der weiteren Systembestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5.2.1 Grundlegende Systemzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 5.2.2 Analyse der Systemanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108
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Teil II Entwurf haptischer Systeme 6
Identifikation von Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.1 Die richtigen Fragen für Spezifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 6.1.1 Interaktion als Klassifizierungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.1.2 Cluster “Kinästhetik“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.1.3 Cluster “Surface-tactile“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6.1.4 Cluster “Vibro-Taktil“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 6.1.5 Cluster “Vibro-Directional“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 6.1.6 Cluster “Omni-Dimensional“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6.1.7 Cluster “always“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6.2 Experimente mit dem Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 6.3 Das Pflichtenheft eines haptischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6.4 Abfolge der zu treffenden Technologie-Entscheidungen . . . . . . . . . . 132
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Methoden zur Regelung haptischer Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 7.2 Methoden der Systembeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 7.2.1 Klassische Methoden für lineare Eingrößensysteme . . . . . . . 136 7.2.2 Beschreibung linearer Systeme im Zustandsraum . . . . . . . . . 141 7.2.3 Methoden für nichtlineare Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 7.3 Stabilität gekoppelter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 7.3.1 Stabilitätsanalyse linearer Systemanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 7.3.2 Stabilitätsanalyse nichtlinearer Systemanteile . . . . . . . . . . . . . 150 7.3.3 Passivität gekoppelter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.4.1 Ansätze zur Strukturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 7.4.2 Anforderungsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 7.4.3 Reglerentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 7.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168
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Kinematikentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 8.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 8.1.1 Mechanismen und deren Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 8.1.2 Kinematische Berechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 8.1.3 Übertragungsverhalten und die Jakobi Matrix . . . . . . . . . . . . . 176 8.1.4 Optimierung des Übertragungsverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . 180 8.2 Serielle Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 8.2.1 Topologiesynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 8.2.2 Berechnung der kinematischen Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . 183 8.2.3 Beispiel eines seriellen Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 8.3 Parallele Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 8.3.1 Topologiesynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 8.3.2 Berechnung der kinematischen Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . 192 8.3.3 Beispiel eines parallelen Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
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Inhaltsverzeichnis
8.4 Gesamtablauf des kinematischen Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 9
Aktorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 9.1 Allgemeines zum Aktorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 9.1.1 Übersicht über nutzbare Aktorprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 9.1.2 Aktor-Auswahlhilfe Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 9.1.3 Getriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 9.2 Elektrodynamische Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 9.2.1 Der Elektrodynamische Effekt und seine Einflussgrößen . . . 208 9.2.2 Aktorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 9.2.3 Aktorelektronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 9.2.4 Beispiele elektrodynamischer Aktoren in haptischen Geräten 234 9.2.5 Fazit zum Entwurf elektrodynamischer Aktoren . . . . . . . . . . 238 9.3 Elektromagnetische Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 9.3.1 Magnetische Energie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 9.3.2 Auslegung des Eisenkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 9.3.3 Beispiele elektromagnetischer Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 9.3.4 Magnetische Aktoren in haptischen Geräten . . . . . . . . . . . . . . 249 9.3.5 Fazit zum Entwurf magnetischer Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . 252 9.4 Piezoelektrische Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 9.4.1 Der piezoelektrische Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 9.4.2 Bauformen und Eigenschaften piezoelektrischer Aktoren . . . 259 9.4.3 Entwurf piezoelektrischer Aktoren für haptische Systeme . . 270 9.4.4 Vorgehen beim Entwurf piezoelektrischer Aktoren . . . . . . . . 270 9.4.5 Piezoelektrische Aktoren in haptischen Systemen . . . . . . . . . 276 9.5 Elektrostatische Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 9.5.1 Größen des elektrischen Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 9.5.2 Bauformen kapazitiver Luftspaltaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 9.5.3 Dielektrische Polymeraktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 9.5.4 Elektrorheologische Fluide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 9.6 Sonderformen haptischer Aktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 9.6.1 Haptisch-Kinästhetische Geräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 9.6.2 Haptisch-Taktile Geräte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317
10 Kraftsensorentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 10.1 Randbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 10.1.1 Struktur des Displays . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 10.1.2 Kontaktsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 10.1.3 Mechanische Eigenschaften des Messobjekts . . . . . . . . . . . . . 328 10.1.4 Textur des Messobjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 10.1.5 Ermittlung der Entwurfskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 10.2 Sensorprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 10.2.1 Grundlagen der Elastomechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 10.2.2 Resistive Dehnungsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 10.2.3 Piezoresistive Silizium-Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342
Inhaltsverzeichnis
xvii
10.2.4 Weitere resistive Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 10.2.5 Kapazitive Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 10.2.6 Optische Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 10.2.7 Piezoelektrische Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 10.2.8 Exoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 10.3 Auswahl eines geeigneten Sensors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 11 Einsatz von Positionssensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 11.1 Grundprinzipien der Positionsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 11.2 Anforderungen im haptischen Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 11.3 Optische Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 11.4 Magnetische Sensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 11.5 Weitere Wegsensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 11.6 Elektronik für absolute Positionssensoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 11.7 Beschleunigung und Geschwindigkeitsmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 11.7.1 Integration und Differentiation von Signalen . . . . . . . . . . . . . 385 11.7.2 Induktionssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 11.7.3 Kraftsensoren als Beschleunigungssensoren . . . . . . . . . . . . . . 388 11.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 12 Schnittstellenauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 12.1 Grenzfrequenzen im Übertragungsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 12.1.1 Bandbreite in Telemanipulationssystemen . . . . . . . . . . . . . . . . 390 12.1.2 Bandbreite bei Simulator-Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 12.1.3 Datenraten und Latenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 12.2 Konzepte zur Bandbreitenreduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 12.2.1 Betrachtung der wirklich auftretenden Dynamiken . . . . . . . . 393 12.2.2 Lokale haptische Modelle im Regler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 12.2.3 Ereignis-orientierte Haptik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 12.2.4 Bewegungsextrapolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 12.2.5 Kompensation extremer Totzeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 12.2.6 Kompression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 12.3 Standardschnittstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 12.4 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 13 Softwareentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 13.1 Überblick über das Themenfeld „Virtual Reality“ . . . . . . . . . . . . . . . . 404 13.2 Aufbau und Architektur von VR-Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 13.2.1 Hardware-Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 13.2.2 Anbindung von Geräten und Geräteabstraktion . . . . . . . . . . . 408 13.2.3 Software-Komponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 13.2.4 Simulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 13.2.5 Darstellungs-Subsysteme, „Renderer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 13.2.6 Entkopplung des Haptik-Renderers von anderen Sinnesmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419
xviii
Inhaltsverzeichnis
13.2.7 Haptische Interaktionsmetaphern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 13.3 Algorithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 13.3.1 Virtuelle Wand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 13.3.2 „Penalty“-Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 13.3.3 Constraint-basierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 13.3.4 6 DoF-Interaktion: Voxmap-PointShell-Algorithmus . . . . . . . 434 13.4 Kollisionserkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 13.5 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 14 Abschließende Betrachtung zum Entwurf haptischer Systeme . . . . . . . 451
Inhaltsverzeichnis
xix
Teil III Anhang 15 URLs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 16 Mechanische Impedanzen und Admittanzen bei translatorischen und rotatorischen Systemen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 17 Erläuterung zur Gyrator und Transformator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481
xx
Formelzeichen
Zeichen
Beschreibung
a a
m Beschleunigung s2 Reiz-Konstante Verschiebung (Denavit-Hartenbergm Parameter) Vektor, in dem Aktorwege und Winkel ai zusammengefasst werden (Kap.8) virtuelle Verschiebung der Antriebe (Kap.8) m Fläche m2 Querschnittsfläche einer Wicklung m2 Fläche einer Leiterschleife m2
a a
δa A ACoil AConductor ACore AEisen AG An
Δ A j , j=1,2,3 A(ω ) A α αc
Einheit
Fläche der effektiv leitenden Kupferseele m2 Querschnittsfläche des Eisenkerns m2 Querschnittsfläche im Luftspalt eines elektro- 2 m magnetischen Aktors Querschnittsfläche des Elements n eines ma- 2 m gnetischen Kreises Flächenelemente m2 Amplitudengang (Kap.7) dB Matrix eines LGS
B B
Rollwinkel (Drehung um x-Achse) Grad Grenzwinkel (Kap.8) Grad Drehung (Denavit-Hartenberg-Parameter) Grad (Kap.8) Temperaturausdehnungkoeffizient K−1 Übertragungsfaktor für differentielle Bewegungen magnetische Flussdichte im Eisenkern T = V·s m2 magnetische Flussdichte im Luftspalt eines T elektromagnetischen Aktors magnetische Flussdichte im Element n eines T magnet. Kreises Remanenzflussdichte T magnetische Flussdichte T Matrix eines LGS
BHmax
Energiedichte
αi αV K b0 BEisen BG Bn Br
J m3
Formelzeichen
xxi
Zeichen
Beschreibung
Einheit
β c
Nickwinkel (Drehung um y-Achse) Wahrnehmungskonstante
Grad
ci jlm
elastische Konstanten
C,CQ C0
Cd
Kapazität F= photoelastischer Koeffizient Bragg-Gitter Kopplungskapazität (bei mechanischer FestF bremsung) N Feldsteuerkonstante eines ERF V2
Cs C
materialspezif. Feldsteuerkonstante eines ERF Matrix eines LGS
ΔC C0
bezogene Kapazitätsänderung
circ
Umfang einer Leiterschleife
d di j,k
D
N Dämpfung/Reibung m·s V piezoelektrische Ladungskonstante m Verschiebung (Denavit-Hartenbergm Parameter) dielektrische Verschiebung/Verschiebungs- C m2 dichte (Durchgangs-)Matrix eines LGS
DL ΔD
Differenz Limen/Amplitudenauflösung positionsdiskrete Auflösung
δ e ei E E E0
Phasendifferenz (Kap.10) piezoelektrische Spannungskoeffizient
Cb
di D
Ere f E
ε ε ε ε0
richtungsangebender Einheitsvektor E-Modul elektrische Feldstärke (mit Dielektrikum) elektrische Feldstärke ohne Dielektrikum Referenzfeldstärke, für die Cs eines ERF angegeben ist elektrisches Feld Permittivität (ε = ε0 · εr ) relative Dielektrizitätskonstante bei konst. mech. Spannung Restfehlerschwelle (Kap.7) elektrische Feldkonstante (ε0 = 8, 854 · C 10−12 V·m )
m2 N
N V2
m
A·s m2 N m2 V m V m V m V m A·s V·m A·s V·m
C V·m
A·s V
xxii
Formelzeichen
Zeichen
Beschreibung
εr
realtive Permittivität (εr =
η f f0 , fR fb
Einheit E0 E )
Grundviskosität Frequenz
m2 s
Hz
Fb Fe
Resonanzfrequenz Hz Grenzfrequenz Hz Summe der Gelenkfreiheitsgrade eines Mechanismus Freiheitsgrad des i-ten Gelenks eines Mechanismus Summe der identischen Bindungen eines Mechanismus Dynamik der Erfassung der Inkremente bei der Hz Positionserfassung statische Nichtlinearität Getriebe-/Bewegungsfreiheitsgrad eines Mechanismus Kraft in Richtung der Kantenlänge a N am Punkt A angreifende Kraft N Kraft in Richtung der Kantenlänge b N Eingangskraft auf Masse m eines Systems N
FFeder FF
Federkraft Gegenkraft
N N
Fin Fl
Eingangskraft Kraft in Richutng von l
N N
FN Fnorm
Nennkraft Normalkraft
N N
Fw Fx
Wandler Eingangskraft Kraft in x-Richtung
N N
Fy Fz,el
Kraft in y-Richtung Kraft im elektrischen Fel in z-Richtung
N N
Fη
geschwindigkeitsabhängige Viskositätskraft
N
Fτ Fξ
feldabhängiger Spannungsterm
N
Kraft am Ort ξ
N
F FD
Kraft gerätbezogene Kraft
N N
Fm
Kraft auf Masse m
N
fges fi , i . . . g fid fink f (.) F Fa FA
Formelzeichen
xxiii
Zeichen
Beschreibung
Einheit
F noise F out
Störkraft Ausgangskraft/erzeugte Kraft
N N
F
Kraft N Vektor aller Kräfte/Momente auf die angetrieN benen Gelenke Gegenkraft N Lorentzkraft N Vektor aller Kräfte/Momente auf den Tool N Center Point Kraft zur Verschiebung in x-Richtung N Kraft zur Verschiebung in y-Richtung N Kraft im elektrischen Fel in z-Richtung N
Fa FF FLorentz Fx Fx Fy Fz,el
ΔF Δ Fi , i = 1, 2, 3 φ φ (ω ) Φ Φ Φ g g G GCD GDn , n ∈ ℵ
Kraftauflösung Ersatzkräfte
N N
magnetischer Fluss Phasengang
Wb=V · s Grad
Phasenwinkel Phasenverschiebung
rad rad
Reiz Anzahl der Gelenke eines Mechanismus (Kap.2) piezoelektrische Spannungskonstante Übertragungsfunktion
GFSense GHn , n ∈ ℵ
Übertragungsfunktion eines Reglers gerätbezogene Übertragungsfunktion Übertragungsfunktion eines Treibers (Umwandlung von Kraftsignal in Energie) Feedforward-Übertragungsfunktion Übertragungsfunktion für Umrechnung der Wahrnehmung einer oszillierenden Schwingung Übertragungsfunktion eines Kraftsensors nutzerbezogene Übertragungsfunktionen
GK GM
Übertragungsfunktion eines Kompensators Übertragungsfunktion eines Messgliedes
GR
Übertragungsfunktion des Reglers
GED GFF GFIP
V·m N
Formelzeichen
xxiv
Zeichen
Beschreibung
G(s)
Übertragungsfunktion im Laplacebereich Übertragungsfunktion der Strecke/des Aktuators Störübertragungsfunktion Gierwinkel (Drehung um z-Achse) Grad
GS GSZ γ γ˙
Einheit
h
Scherrate Höhe
s−1 m
H Hc
magnetische Feldstärke Koerzitivfeldstärke
HFe
A m A m A m
i
magnet. Feldstärke bei Spule mit Eisenkern magnet. Feldstärke im Luftspalt eines Magnet- A m kreises magnet. Feldstärke im Element n eines ma- A m gnet. Kreises Strom A
iL iSource
Strom durch Induktivität L Quellstrom
iw I
JND k
Wandler Eingangsstrom A Flächenträgheitsmoment m4 Strom am Eingang eines OperationsverstärA kers A Stromdichte m2 Jacobi-Matrix mit Aktorfreiheitsgraden a und FG des Tool Center Points x Just-Noticeable-Differenz bauformabhängige Konstante für ERF m·s
k k
Füllfaktor Spule (≥ 1) Geradensteigung im Popov-Kriterium
k k
Kopplungsfaktor oder auch k-Faktor Kettenzahl eines Mechanismus
k kL
Steifigkeit (mechanische) Steifigkeit im Leerlauffall
K
Nutzerreaktion
HG Hn
Ib j J=
Kkrit KR K˜
∂x ∂a
kritische Verstärkung Reglerverstärkung Wahrnehmungsraum
A A
N m N m
xxv
Formelzeichen
Zeichen
Beschreibung
Einheit
ΔK K K l lConductir
zeitl. Änderung der Wahrnehmungskurve Kraftwahrnehmung
dB
Verstärkungsmatrix Länge
m m
lMag ln
Länge einer Leiterwickung Länge einer Spule mit Eisenkern/eines Magnetkreises Länge eines Seltene-Erd-Magneten Länge des Elements n eines magnet. Kreises
L LM
Induktivität Successiveness Limen
H= s
L λ
Verstärkungsmatrix mechanisches Steuerverhältnis
λ
Wellenlänge m Ausgangswellenlänge an best. Stelle eines m Spektrums Bragg-Wellenlänge m Bragg-Gitterperiode m Masse kg Eingangsmoment in Achsrichtung des AntrieNm bes Biegemoment Nm Drehmoment Nm Momentquelle
lFe
λ0 λb Λ m Mα Mb M M0
μ μ μ μ μ0 μr n, N n n0 , ni nK δ n¯e f f ektiv
Beweglichkeit der Ladungsträger Reibwert Mittelwert Permeabilität (μ = μ0 · μr ) magnetische Feldkonstante relative Permeabilität
m m m
m2 V·s
V·s A·m H m
Zahl ∈ ℵ Nachgiebigkeit
N m
Brechungsindex Nachgiebigkeit der Kopplung bei Kurzschluss
N m
Mittelwert der Indexmodulation
V·s A
Formelzeichen
xxvi
Zeichen
Beschreibung
Δ nRK NConductor
Nachgiebigkeit der rotatorischen Kopplung bei Kurzschluss Anzahl an Leiterschleifen/Windungszahl
NA ω
numerische Apertur Rotationsgeschwindigkeit
ω,Ω p, P P Pel pel , Pel PLoss Pmech PSource PVerlust Pη Pτ
Winkelgeschwindigkeit Druck
π
piezoresistive Koeffizienten
πl
piezoresistiver Koeffizient in Längsrichtung
πq Ψ q, Q qi , i ∈ ℵ q r r ri , i ∈ ℵ R R0 Rcoil Ri , i ∈ ℵ RL Rm
piezoresistiver Koeffizient in Querrichtung
N m2 N m2 m2 N m2 N m2 N
Wahrnehmungsamplitude elektrische Ladung
C = A·s
RMag RmFe
Polarisation elektrische Verlustleistung
Einheit N m
s−1 rad s N m2 C m2
W = V·A A·V·s m3
elektrostatische Druck Verlustleistung
W
mechanische Leistung Quellleistung
W W
Verlustleistung viskositätsbedingter Druckverlust feldabhängiger Druckverlust
W
angetriebenes Gelenk i Vektor der angetriebenen Gelenke qi Abstand Radius
m m
aktive Widerstände elektrischer Widerstand
Ω= Ω Ω Ω Ω Ω
elektrischer Grundwiderstand Wicklungswiderstand Referenzwiderstände Leitungswiderstand magnetischer Widerstand/Reluktanz magnetischer Widerstand von Seltene-ErdMagnete magnet. Widerstand des Eisenkreises in einem Magnetkreis
A V·s A V·s A V·s
V A
xxvii
Formelzeichen
Zeichen
Beschreibung
RmG
magnet. Widerstand des Luftspaltes in einem A V·s Magnetkreis Messwiderstand in einer PWM Ω spezifischer Widerstand Ω
RSense Rspez f . dR R0
Δ Rinch Δ Rmm ρ ρ ρ s
Einheit
relative Widerstandsänderung Positionsauflösung angegeben in Dots-PerDPI Inch Positionsauflösung angegeben in Millimetern mm bel. kleine Zahl ≥ 0 Dichte spezifischer Widerstand/Leitfähigkeit
kg m3
Ω ·m m2 N
S
Elastizitätskonstante bei konstanter Feldstärke Maß für die Stärke der Modulation in einer optischen Faser Summe der passiven Bindungen eines Mechanismus externe Versorgungsrate
S S
mechanische Dehnung/Verformung Zwangsbedingungen in einem Mechanismus
Si , i ∈ ℵ
i-ter Schalter
Sx Sz
Querdehnung Längsstauchung
m m
σ σ t tr T T
Leitfähigkeit Standardabweichung
S m
Zeit/Zeitpunkt Übersetzungsverhältnis eines Getriebes
s
s s
Tl Tmax
N mechanische Spannung m2 Zeitkonstante s Anregelzeit (100% des Sollwertes werden zum s ersten Mal erreicht) Vorhaltezeit s N mechanische Spannung in Längsrichtung m2 Zeitpunkt für xd,max s
TN Tq
Nachstellzeitkonstante mechanische Spannung in Querrichtung
s
Tt
Totzeit
s
Tan TD
N m2
=
A V·m
Formelzeichen
xxviii
Zeichen
Beschreibung
T T
Transparency N Spannung m2 Spezialfall der homogenen Transformationsmatrix Ausregelzeit bis zu ε s Tool Center Point Scherkraft N Zeitkonstante der Sprungantwort eines elektris schen Übertragungssystems (τ = RL ) Fließspannung eines elektrorheologischen N m2 Fluides N dynamische Fließgrenze m2
T Tε TCP τ
τ τERF τF,d τF,s τMRF τy θ Θ Θ Θc ϑ u uC uRi , i ∈ ℵ uSource u U Ub Uin Uind U pull−in USense va ve
Einheit
N statische Fließgrenze m2 Fließspannung eines magnetorheologischen N m2 Fluides N Fließspannung m2 Rotationswinkel (Denavit-HartenbergGrad Parameter) magnetische Durchflutung A
Massenträgheit Akzeptanzwinkel
kg · m2 Grad
Temperatur Spannung
K V
Spannung am Kondensator
V
Spannung am Widerstand Ri V Quellspannung V mehrdim. Eingangsgröße eines linearen Systems elektrische Spannung V Betriebsspannung V Eingangsspannung V induzierte Spannung V Betriebsspannung bei welcher der Pull-in einV tritt Strom-proportionale Spannung über RSense V m Geschwindigkeit im Punkt A s m Eingangsgeschwindigkeit eines Systems s
Formelzeichen
xxix
Zeichen
Beschreibung
Einheit
vexplor vin
Geschwindigkeit der Bewegung Eingangsgeschwindigkeit
vm vmax
Geschwindigkeit der Masse m Maximalgeschwindigkeit
v v0
Geschwindigkeit Geschwindigkeit einer linearen Bewegung
vD
Bewegungsgeschwindigkeit des Gerätes
vH vind
m s m s m s m s m s m s m s m s m s
V
nutzerbezogene Geschwindigkeit Geschwindigkeit einer induzierten Bewegung Ausgangsgeschwindigkeit/erzeugte Ge- m s schwindigkeit m Geschwindigkeit einer spontanen Bewegung s Geschwindigkeit über einen mechan. Impe- m s danz magnetische Spannung A
V VERF
Volumen Volumen bzgl. elektrorheologischer Fluide
VMRF
Volumen bzgl. magnetorheologischer Fluide m3 skalare, nichtlineare, pos. definite Speicherfunktion der Systemzustände x Vorfiltermatrix
vout vspo vZ
V (x) V V˙
ΔV w w Wel Wel,ERF Wel,MRF Wmag Wmech δ Wα
δ Wx x xd (t)
Volumenstrom Volumenelement
m3 m3
m3 s m3
allgem. bezeichnete Ein- und Ausgangsgröße Wellenamplitude des Stators m elektrische Arbeit/Energie J= elektrische Energie bzgl. elektrorheologischer J Fluide elektrische Energie bzgl. magnetorheologiJ scher Fluide magnetische Energie J mechanische Arbeit J virtuelle Arbeit am Schubzylinder J virtuelle Arbeit am Antrieb
J
Wegstrecke Regelabweichung im Regelkreis
m
kg·m2 s2
xxx
Formelzeichen
Zeichen
Beschreibung
Einheit
xd,max x
maximale Überschwingweite im Regelkreis Auslenkung/Weg
m
x = (x, y, z) x
karthesische Koordinaten innere Zustände eines linearen Systems Vektor, in dem Wege und Winkel x j der Bedienplattform zusammengefasst werden virtuelle Verschiebung des Tool Center Points m Ortsauflösung m Lage eines Punktes im 3dim. Raum
x
δx Δx Δx X ξ ξG dξ y
transformatorische Wandlerkonstante Auslenkung
m
Luftspaltlänge eines Magnetkreises
m
räumliche Verschiebung
Y
Regelgröße mehrdim. Ausgangsgröße eines linearen Systems gyratorische Wandlerkonstante
Y YH
Admittanz nutzerbezogene Admittanz
zi z(t)
Störgröße Störsignal im Regelkreis
Z ZD
Impedanz (meist mechanisch) Display-/Interface-Impedanz
ZD ZH
Impedanz des Gerätes (Device) Nutzer-Impedanz
Z in Z max
Impedanz als Eingangsgröße maximale Hemmung/Vollast
Z min
Massenträgheit in Freiraumbewegeung
Z out Z rot
Impedanz als Ausgangsgröße rotatorische Impedanz des Motors (=
Ztransl
translatorische Impedanz des Motors Impedanzweite, Maß für Leistungsfähigkeit (Z width = Z max − Z min )
y
Z width
m N·s m N·s
M α ) (= Fv )
N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m N·s m
1
Gliederung des Buches Das Buch gliedert sich in zwei Abschnitte. In Abschnitt I ”Grundlagen des haptischen Entwurfs” wird der Tast- und Bewegungssinn sowie die Verwendung des Begriffes ”Haptik” in unterschiedlichen wissenschaftlichen wie populären Formen erläutert, und somit der spezielle Bereich definiert, in dessen Kontext Haptik im Folgenden behandelt wird. Über die Definition der verwendeten Begrifflichkeiten wird eine Einführung in die biologischen Grundlagen haptischer Wahrnehmung gegeben, um einen Einblick in die Besonderheiten dieses räumlich verteilten Sinnesorgans zu geben und den Blick auf technische Systeme zur Täuschung des haptischen Sinnes zu schärfen. Im Anschluss werden grundlegende Strukturen und Klassen haptischer Systeme eingeführt und daraus eine erste Ableitung von technischen Anforderungen abgeleitet. Der Abschnitt schließt mit einer Betrachtung von Möglichkeiten zur quantifizierten Bewertung haptischer Wahrnehmung in Theorie und am Beispiel. In Abschnitt II ”Entwurf haptischer Systeme” wird der konkrete technische Entwurfsprozess in den für haptische Systeme relevanten Facetten vorgestellt. Beginnend mit dem Kapitel Anforderungsermittlung werden Methoden zur Regelung besprochen und der Blick auf die Zusammenhänge des gesamten technischen Systems gelenkt. Es schließt der Entwurf von Kinematiken mit einem besonderen Schwerpunkt auf den aufgrund ihrer Steifigkeit bei haptischen Systemen beliebten parallelkinamtischen Strukturen an. Das umfassende Kapitel des Abschnitts II beschäftigt sich mit dem Aktorentwurf. Hier werden alle bekannten Aktorprinzipien kurz erläutert und bezogen auf die Anwendungen in haptischen Geräten diskutiert. Im Kapitel Kraftsensorik wird die für Telemanipulations- und rückgekoppelte Systeme relevante Kraftsensor-Technologie beschrieben. Im Anschluss beschäftigt sich ein Kapitel mit Positionssensorik und den Möglichkeiten, die für haptische Anwendungen notwendigen Auflösungen zu erreichen. Eine Vorstellung von möglichen Schnittstellen und besonderen Interfacesystemen schließt den hardwareseitigen Entwurf ab. Im anschließenden Kapitel Softwareentwurf werden Begrifflichkeiten aus der Informationstechnologie in dem Maße eingeführt, wie sie für den Hardwareingenieur für ein umfassendes Verständnis des Einsatzes und der Problematik der Anbindung von Hardware an z.B. Simulationsumgebungen notwendig ist. Der Abschnitt schließt mit einer abschließenden Betrachtung zum Entwurf haptischer Systeme sowie einem Fazit.
Teil I
Grundlagen des haptischen Entwurfs
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Der Entwurf haptischer Systeme hat immer zum Ziel, den Tast- sowie den Bewegungssinn des Menschen zu täuschen. Dazu wird in diesem Teil des Buches ein grundlegendes terminologisches Verständnis, sowie ein übergeordneter Blick auf die Biologie und die Anwendung der physiologischen Erkenntnisse auf die technischen Problemstellungen vermittelt: • Kapitel 1 fasst die Motivation zum Entwurf haptischer Systeme zusammen. Es beschreibt die Bedeutung der Haptik im gesellschaftlichen Kontext sowie im beruflichen Alltag, um die Bedeutung dieses Sinnes und die daraus resultierende Verantwortung bei dessen Täuschung bewusst zu machen. • Kapitel 2 dient der Einführung übergreifender Begrifflichkeiten und dem Verständnis der an der haptischen Forschung beteiligten unterschiedlichen Disziplinen. • Kapitel 3 vermittelt ein grundlegendes Verständnis der an der haptischen Wahrnehmung beteiligten biologischen Sensoren (Rezeptoren) von Vorteil, um die Parameter technischer Einflussnahme einzuschätzen und ein Gefühl für die Fähigkeiten dieses komplexen Sinnes zu erhalten. • Als logische Konsequenz aus der technischen Einflussnahme beschreibt Kapitel 4 die technische Modellierung des Menschens als mechanische Last (Abschnitt 4.2) für das System und als frequenzabhängiger mathematischer Parameter (Abschnitt 4.3) für die Wahrnehmung. Zusammen ergibt dies ein Modell für die Mensch-Maschine-Interaktion und die Wahrnehmung dynamischer, physikalischer Größen. • Kapitel 5 führt ausgehend von diesem Modell die wichtigsten Klassen haptischer Geräte ein und leitet aus einer Sinn-bezogenen Betrachtung über zum technischen Entwurf haptischer Systeme.
Kapitel 1
Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
T HORSTEN A. K ERN
1.1 Bedeutung der Haptik aus philosophischer und sozialer Sicht Haptik beschreibt den Tastsinn und den Bewegungssinn. Ein Ingenieur ist geneigt die Haptik in Form von Kräften, Auslenkungen, Frequenzen, mechanischen Spannungen und Scherkräften zu beschreiben. Dies ist selbstverständlich vernünftig und fördert die Möglichkeiten zum technischen Entwurf. Dennoch ist die Haptik mehr als das. Haptische Wahrnehmung reicht von einer selbstverständlichen Nebensächlichkeit im Interaktionsalltag, beim Trinken aus einem Glas oder dem Schreiben dieses Textes, über ein Mittel der sozialen Kommunikation, beim Händeschütteln und Auf-die-Schulter-Klopfen, bis hin zu sehr persönlichen und privaten zwischenmenschlichen Erfahrungen. Das folgende Kapitel legt die Bandbreite und den Einfluss der Haptik auf den Menschen jenseits von technischen Beschreibungen dar, und ist nicht zuletzt ein Hinweis an den Entwickler, verantwortungsvoll und bewusst mit der Fähigkeit zur Täuschung dieses Sinnes umzugehen.
1.1.1 Haptik als Grenze des physischen Seins Haptik stammt vom griechischen Begriff ”haptios” und bezeichnet etwas Greifbares. Tatsächlich hat sich das Bewusstsein für den haptischen Sinn in der Menschheitsgeschichte mehrfach gewandelt. A RISTOTELES setzt bei einer Aufzählung der fünf Sinne den Tastsinn an die letzte Stelle 1. sight, Gesichtssinn 2. hearing, Hörsinn 3. smell, Geruchssinn
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1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
4. taste, Geschmackssinn 5. touch, Tastsinn bescheinigt dem Sinn aber auch gleichzeitig eine hohe Bedeutung im Sinne einer Unentbehrlichkeit [3]:
Manche Tierarten haben alle Sinne, manche nur einige davon, manche nur einen, den am wenigsten zu entbehrenden, den Tastsinn. Die gesellschaftliche Einschätzung des Tastsinns hat alle denkbaren Phasen durchlebt. So war er häufig mit dem Makel des Schmutzes behaftet, da durch ihn hindurch Lust vermittelt werden kann: ”Das Sehen unterscheidet sich vom Tasten durch die Reinheit, und ebenso unterscheidet sich Gehör und Geruch vom Geschmack: in gleicher Weise sind auch die Lustempfindungen unterschieden [281].” Er wurde als Sinn der Ausschweifung [78] bezeichnet und bei einer pauschalen Einteilung zwischen niederen und höheren Sinnen fast kontinuierlich als Sinn niederer Klasse geführt. Im westlichen Umfeld hat darüber hinaus die Kirche und deren Einflussnahme auf die zwischenmenschliche Berührung den Tastsinn und die damit verbundenen Freuden als verbotenen Sinn gebrandmarkt. Im 18. Jahrhundert veränderte sich hingegen die öffentliche Wahrnehmung des Tastsinns, K ANT wird folgende Aussage zugeschrieben [123]: ”Dieser Sinn ist auch der einzige von unmittelbarer äußerer Wahrnehmung; eben darum auch der wichtigste und am sichersten belehrende, dennoch aber der gröbste.... Ohne diesen Organsinn würden wir uns von einer körperlichen Gestalt gar keinen Begriff machen können, auf deren Wahrnehmung also die beiden anderen Sinn der ersten Klasse (Anm.: Sehen und Hören) ursprünglich bezogen werden müssen, um Erfahrungswissen zu verschaffen” K ANT weist damit auf die eine zentrale Funktion des Tastsinns hin. Der Tastsinn ist dazu da, die räumliche Wahrnehmung zu schulen. Erst das Anfassen ermöglicht es, die räumlichen Zusammenhänge, die wir aus den anderen Sinnen erlangen, einzuordnen und in Beziehung zueinander zu setzen. Zwar sind wir früh in der Lage, räumlich zu sehen und zu hören, aber die erstmalige Interpretation des Gesehenen, die Verknüpfung der beiden getrennt dargebotenen Bilder erfordert in der frühen Entwicklung ein Erfahren von Entfernungen zu Objekten. Dies wiederum kann nur über einen Sinn vermittelt werden, der den gesamten Raum von der Verkörperung des Seins bis hin zu dem Objekt überbrücken kann. Ein solcher Sinn ist der Tastsinn, der sich über die gesamte Grenze des physischen Selbst erstreckt, der Haut.
1.1 Bedeutung der Haptik aus philosophischer und sozialer Sicht
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Ein schönes Beispiel hierfür ist das Tragen einer Brille. Kurzsichtigkeit führt dazu, dass Brillen durch Ihren räumlichen Abstand zur Linse eine Verkleinerung der Abbildung der Umwelt auf der Netzhaut herbeiführen. Brillenträger haben also beim Tragen der Brille eine veränderte Sicht von Größe, so auch z.B. von der eigenen Körpergröße gegenüber dem Zeitraum, wenn sie Kontaktlinsen tragen. Bei jedem Wechsel zwischen den beiden Sehhilfen muss sich die Wahrnehmung des Körpers anpassen. Je nach Grad der Fehlsichtikeit ist dies ein durchaus bewusst wahrnehmbarer Prozess und in der Regel aber nach Einsatz von bekannten Bezugsgrößen (also Arme, die etwas berühren und Beine, die gehen) in wenigen Sekunden vollzogen.
Gerade im 20. Jahrhundert spricht auch die Kunst den Tastsinn an bzw. spielt mit diesem. Die Pelztasse (Abb. 1.1) macht einem auf drastische Art und Weise die Bedeutung von haptischer Textur als Oberflächenbeschaffenheit bewusst. Während die generelle Form der Tasse erkennbar und bekannt ist, ist die glatte Keramikoberfläche von Haaren überzogen. Der Kampf mit dem Schlamm (Abb. 1.2) erinnert daran, dass mitnichten nur Hände und Finger für den haptischen Sinn relevant sind, sondern vielmehr dieser Sinn sich als Hautsinn über den ganzen Körper erstreckt. Das ”Tapp- und Tastkino” (Abb. 1.3), bei dem 1968 VALIE E XPORTS nackte Haut durch einen Vorhang von Besuchern 12 s betastet werden durfte, war nach Vorstellung der Künstlerin Voyeurismus, die entscheidende Möglichkeit durch den direkten taktilen Kontakt sexuelle Freiheit ohne Voyeurismus erlebbar zu machen [70]. Und dies sind nur einige der Beispiele, bei denen Kunst und Künstler mit der haptischen Wahrnehmung in ihrer Mannigfaltigkeit gespielt haben.
Abb. 1.1 M ERET O PPENHEIM: Die Pelztasse 1936 [70][180].
Aber auch die haptische Interaktion mit virtuellen Welten und Empfindungen wird zur Kunst erhoben, wie an den Exponaten parallel zu den WorldhapticsKonferenzen regelmäßig eindrucksvoll durch das MIT Media Labaratory unter Prof. I SHII oder die Graduate School of Systems and Information Engineering der Uni-
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1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
Abb. 1.2 K AZUO S HIRAGA : Doro ni idomu (Kämpfen mit Schlamm) 1955 [70][211].
Abb. 1.3 VALIE E XPORT: Tapp- und Tastkino 1968 [70].
versität Tsukuba unter Prof. I WATA demonstriert werden (Abb. 1.4). Und diese Exponate sind nur aufsehenerregende Ausprägungen der Disziplin von ”Tangible user interfaces” (TUI) , die unter Schwerpunkt auf eine intuitive Nutzerschnittstelle haptisch erfahrbare und auch rekonfigurierbare Objekte mit visuellen Displays kombinieren. Es existiert viel mehr, wenn man gelernt hat danach zu suchen. Der Tastsinn ist also vieles, eine Begrenzung des physischen Selbst, die hilft Entfernungen einzuschätzen und andere Sinne wie das Sehen zu kalibrieren. Er ist darüber hinaus ein Mittel sozialer Kommunikation und gerade durch seine begrenzende Funktion ein Mediator sehr persönlicher Erfahrungen. Weiterhin ist er wie alle anderen Sinne auch ein Zielobjekt der Kunst, die durch Täuschung, Verzeichnung und Überhöhung die Bedeutung des Sinns bewusst macht. Neben diesen Facetten ist er
1.1 Bedeutung der Haptik aus philosophischer und sozialer Sicht
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Abb. 1.4 Beispiel für ”Tangible Bits”, bei denen das Öffnen einzelner Flaschen unterschiedliche Daten, hier die einzelnen Instrumentalstimmen eins Trios, aktivieren und hörbar machen [108] .
aber auch in seiner Funktion und seinen dynamischen Eigenschaften ein beeindruckender Sinn. Dies zu erläutern ist Gegenstand der folgenden Abschnitte.
1.1.2 Was prägte den Tastsinn Wie im vorangegangenen Kapitel bereits erläutert, erfüllt der Tastsinn eine Vielzahl von Funktionen. Das Wissen über diese Funktionen ermöglicht es dem Ingenieur, Anforderungen an das technische System zu formulieren. Es hilft, sich kurz über den Sinn und Zweck dieses Sinnes Gedanken zu machen. Wir wählen dazu (noch) nicht den Weg die Kenndaten des Sinnes zu messen, sondern betrachten vielmehr die Eigenschaften der Objekte, die durch den Sinn unterschieden werden können. Neben der Wahrnehmung der Grenzen des Körpers dient er insbesondere zur Analyse von Oberflächenbeschaffenheiten. Der Mensch und seine Vorfahren mussten Strukturen von Früchten und Blättern ertasten können, um z.B. den Reifegrad zu beurteilen oder eine pelzige, eventuell ungenießbare Beere von einer glatten Frucht zu unterscheiden. Der haptische Sinn ermöglicht es, eine potentiell verletzende Struktur, z.B. einen stacheligen Samen, so vorsichtig zu greifen und mit ihr zu hantieren, so dass der Inhalt trotz der umgebenden Nadeln zugänglich gemacht werden kann. Der Tastsinn ist also darauf optimiert, Oberflächenrauhigkeiten wahrzunehmen und zu unterscheiden. Diese Oberflächenrauhigkeiten reichen von keramischen oder lackierten Oberflächen mit Strukturweiten im niedrigen μ m Bereich über angerauhte Oberflächen von beschichteten Schreibtischen bis hin zu grob ge-
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1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
webten Kord-Stoffen mit Maschenweiten in Millimeter-Abmessungen. Der Mensch hat sich dafür eine typische Art der haptischen Interaktion mit Oberflächen angeeignet, die Rückschlüsse auf den zugrunde liegende Wahrnehmung liefert. Er bewegt dazu seine Finger relativ zur Oberfläche (Abb. 1.5), so dass Scherkräfte in die Haut eingeleitet werden. Die Höhe der Scherkräfte ist somit abhängig von der Güte der Reibkopplung zwischen Oberfläche und Haut, der tangentialen Elastizität der Haut in Abhängigkeit von der mechanischen Vorspannung resultierend aus der Normalkraft Fnorm und der Geschwindigkeit Fexplr der Bewegung und der Art der Kopplung μ.
m
Fnorm vexplor
Abb. 1.5 Illustration des Zusammenspiels aus Bewegung, Normalkraft auf die Fingerbeere und Reibkopplung .
Wer schon einmal eine technische Reibkopplung entworfen hat weiß, dass zwischen zwei Oberflächen über viskose Reibung lediglich mechanische Kopplungsfaktoren zwischen Anpresskraft und Scherkraft von bestenfalls μr = 0.1 erreicht werden können. Um dennoch effizienter Scherkräfte in die Haut einzuleiten, hat sich die Natur an den zum Ertasten wichtigsten Stellen eine besondere Hautoberfläche einfallen lassen, den Fingerabdruck. Über die Papillarleisten werden Scherkräfte effizienter in die Haut eingekoppelt, da über die Stege der Leisten die Reibkraft ein Biegemoment in den oberen Hautschichten erzeugt. Außerdem erlauben die Leisten für Strukturweiten in ähnlicher Größenordnung sogar geringe Formschlüsse, also Verkantungen zwischen Haut und ertasteter Oberfläche. Diese im ersten Moment überraschende aber unter Betrachtung der Tatsache, dass die Natur keine Struktur am Körper ohne Grund einführt, dann doch logische Erkenntnis hat zwei praktische Auswirkungen. Zum einen ist das Verständnis der Einleitung von Scherkräften über die Papillaren Gegenstand aktueller Forschung, um die physikalischen Mechanismen physiologischer Wahrnehmung besser zu verstehen [65] und das Design von taktilen Displays zu optimieren. Zum anderen ist die Anwendung dieser Erkenntnis zur Verbesserung der Messgenauigkeit kommerzieller Kraftsensoren nutzbar [267]. Weitere Details zu den biologischen Grundlagen taktiler Wahrnehmung werden in Kapitel 3 dargestellt. Der Tastsinn wurde also vor allem durch die Notwendigkeit zur Unterscheidung von Oberflächen geprägt. Nun ist die Haut zwar unser empfindlichstes, nicht aber unser einziges haptisches Sinnesorgan. In den Muskeln und Gelenken sitzen wei-
1.1 Bedeutung der Haptik aus philosophischer und sozialer Sicht
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tere Rezeptoren, die uns einen Eindruck von wirkenden Kräften vermitteln. Dieser Eindruck wird als kinästhetische Wahrnehmung bezeichnet. Wer schon einmal ein Gewicht von ein bis zwei Kilo (z.B. ein gut gefüllter Krug) am ausgestreckten Arm waagrecht zum Boden gehalten hat, der wird weniger den taktilen Eindruck der Oberflächenbeschaffenheit des Henkels in Erinnerung haben, sondern vielmehr das Gefühl von angespannten Muskeln, die langsam ermüden, und die dadurch resultierende Änderung der Winkelstellung der Gelenke. Letzteres wird als ”kinästhetische” Wahrnehmung bezeichnet. Während taktile Wahrnehmung v.a. die in Kräften (≈ 5 mN..5 N) und Auslenkungen (≈ 1 μ m..1 mm) niedrige und in Frequenzen hohe (≈ 10 Hz..1000 Hz) Interaktion zwischen Haut und Objekt beschreibt, so werden in Amplitude und Auslenkungen höhere und im Frequenzbereich niedrigere Kräfte vor allem in Gelenken aufgenommen. Dies macht es dem Menschen, aber auch jedem anderen Lebewesen mit Muskulatur und starrer Stützstruktur, sei es ein Chitinpanzer oder Röhrenknochen, möglich, sich koordiniert zu bewegen und gezielt mit der Umwelt zu interagieren. Während die taktile Wahrnehmung bei passiver (z.B. eine Relativbewegung zwischen still-stehende Fingerspitze und einer sich bewegenden Oberfläche) und aktiver (z.B. die Fingerspitze bewegt sich über die relativ dazu ruhenden Oberfläche) Interaktion ähnliche Wahrnehmungen hervor ruft, so ist die kinästhetische Wahrnehmung komplexer, weil durch weitere Faktoren beeinflusst. Der Mensch kann sich in seinem mechanischen Verhalten willentlich ändern. Ein Händeschütteln des gleichen Menschen kann steif und fest sein, es kann aber auch locker und freundschaftlich sein. Alleine die Kopplung aus Muskulatur, Gelenkstellungen und Wahrnehmung ermöglicht eine bewusste Einflussnahme auf die Kinästhetik des Menschen, so dass auch die Intensität kinästhetischer Wahrnehmung bei unveränderlicher Umwelt angepasst werden kann. Dies ermöglicht es uns, mit den gleichen Händen einen Schlag abzublocken, mit denen wir ein Baby in den Schlaf wiegen. Es ermöglicht uns eine Struktur vorsichtig taktil abzutasten, bevor wir sie fest greifen. Die Grenzen zwischen Aktio- und Reaktio, Aktiv und Passiv verschwimmen in der Kinästhetik. Diese Erkenntnis hat hohe Bedeutung für die Anforderungen an die regelungstechnischen Strukturen, die für den Entwurf haptischer Systeme genutzt werden können (Kapitel 5). Gleichzeitig stellt diese Anpassungsfähigkeit und die Unschärfe der Systemgrenzen haptischer Interaktion ein Problem für den Entwurf des technischen Gerätes dar.
1.1.3 Besonderheiten im Entwurfprozess Der Entwurf eines beliebigen technischen Systems ist immer eine lange Reihe von Kompromissen. Die Leistung des Ingenieurs liegt darin, die Kompromisse entsprechend bestehender Vorgaben, den Anforderungen, so auszuwählen, dass diese dennoch erreicht werden. Häufig sind die Kompromisse finanziell motiviert - ein Produkt sollte zumeist günstig in der Herstellung sein, ohne dabei Leistung einzubüßen. Eine Optimierung von Systemen mit Schnittstellen zu anderen rein technischen Systemen ist häufig hinsichtlich dieser Anforderungen elegant möglich, da
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1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
die technischen Systeme in Ihren Kenndaten recht genau bekannt sind und ein technischer Entwurf die Kenndaten mit gewissen Sicherheitsannahmen berücksichtigen kann. So ist die Auslegung eines Sensors zur Erfassung einer Rotationsgeschwindigkeit eines Rades, z.B. ein Tachometer, eine relativ übersichtliche Aufgabe, da die erforderlichen Geschwindigkeiten bekannt sind, und Störgrößen wie Temperaturbereiche sowie Feuchtigkeit identifiziert oder mit hoher Genauigkeit gemessen werden können. Lautet die Aufgabe eine zweidimensionale Bewegung eines von einem Menschen geführten Gerätes auf einer ebenen Oberfläche zu messen - z.B. eine Computermaus -, dann sind die Anforderungen ebenfalls relativ einfach zu identifizieren. Die Temperaturbereiche sind bekannt, die Störgrößen lassen sich auf die optische, sowie mechanische Oberflächen-Beschaffenheit eingrenzen und dann gezielt ermitteln. Alleine die Geschwindigkeit ist nicht mehr eindeutig durch ein technisches System gegeben, sondern resultiert aus der Überlegung, welche maximalen Geschwindigkeiten eine menschliche Hand erreichen kann. Hier treten bereits Unsicherheiten auf, da die Dynamik menschlicher Bewegung zwar messtechnisch erfasst werden, dennoch aber eine hohe Streuung zwischen einzelnen Menschen auftreten kann. Diese Streuung betrifft die technischen Anforderungen von jedem durch den Menschen genutzten Objekt, und seien es nur die Abmessungen von Tischen und Stühlen. Der Umgang mit derartigen Streuungen und den dazugehörigen Messmethoden und statistischen Analysemethoden findet Anwendung in der anthropometrischen Modellbildung zur ergonomischen Gestaltung von Arbeitsplätzen [148] sowie der ergonomischen Normung ISO 9241/DIN 33 402 1 . Die Lehre der Anthropometrie gilt im statischen (Längen, Größen) und dynamischen (Geschwindigkeiten) Fall. Fakt ist: Jede Menschen-bezogene Kenngröße unterliegt einer so breiten Streuung, dass bei der Angabe von ergonomischen oder anthropometrischen Daten nur eine prozentuale Abschätzung in Form von Percentilen (Abb. 1.6)getroffen werden kann. Die Percentile sind ein Prozentwert über die Gesamtheit der interessierenden Daten (z.B. europäische weibliche Kinder zwischen 10 und 15 Jahren) und schließt je nach Zusammenhang die Menschen ein oder aus, die aufgrund ihrer Körpermaße das entsprechende Percentil übersteigen bzw. niedrige liegen. Bezüglich der Beschreibung von Körpermaßen und Dynamiken hat sich die oben vorgestellte Beschreibung über Percentile etabliert, was der natürlichen Streuung der Menschen gerecht wird. Bezüglich der Beschreibung von Sinnesorganen und deren Leistungen werden meistens Mittelwerte als Näherungen z.B. eines Schwellwertes verwendet2. Im Falle der Täuschung von menschlichen Sinnen lautet die Lösung für die Kompromisssuche häufig, die Amplitude, Amplitudenänderung oder Dynamik, die ein technisches System aufweisen muss, um einen ”realistischen” oder ”ausreichenden” haptischen Eindruck zu erzeugen. Die Wortwahl zeigt be1
Ergonomie ist die Wissenschaft von der Gesetzmäßigkeit menschliche Arbeit Die Verwendung von Mittelwerten zur Beschreibung der Fähigkeiten von Sinnesorganen ist zweifelhaft, findet aber in den meisten Veröffentlichungen Anwendung. Die Angabe von Streuungen würde der Variabilität der Wahrnehmung unterschiedlicher Menschen näher kommen. Eine Vermutung, warum dieses Vorgehen dennoch Anwendung findet, könnte sein, dass die Datenlage und somit die Zahl der Messungen nicht hinreichend genau ist, um ein den Percentilen vergleichbares Konzept anzuwenden.
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1.2 Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag
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Abb. 1.6 Anthropometrische Gestaltung von Sitz- und Steharbeitsplätzen unter Berücksichtigung des 5% und des 95% Percentil nach DIN 33406.
reits, dass die Anforderungen selten konkrete nachprüfbare Messwerte beinhalten, sondern sie sollen zumeist einen bekannten Zustand nachbilden, so dass eine Personengruppe - oder einfach nur der Vorgesetzte oder der Aufsichtsrat - mit dem haptischen Eindruck zufrieden ist. Dies ist in der Regel eine unbefriedigende Anforderung und wird im Verlaufe des Buches und insbesondere in Kapitel 6 noch tiefer gehend diskutiert.
1.2 Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag unterscheidet sich in Abhängigkeit des betrachteten Berufes. Bei handwerklichen Berufen (handcraft) impliziert bereits der Name die Bedeutung der Haptik für die Ausführung der Tätigkeit. Kein Maurer, Schreiner, Metzger, Elektroinstallateur, Klempner oder Friseur wäre in der Lage den Beruf auszuführen, wenn nicht der Tastsinn wichtige Informationen über das Werkstück vermitteln würde, seien es die Haare zwischen den Fingern, die Feuchtigkeit der Wand (als geänderte Wärmekopplung), die Kabelseele in der Isolation, der Unterschied zwischen Sehne und Muskelfleisch, die Maserung von Kiefer und Buche, die Konsistenz des Speißes. Nicht umsonst steigt auch beim aktuellen Stand der Technik mit der geforderten Präzision der handwerklichen Tätigkeit die Einfachheit der Werkzeuge und somit die Involvierung des Menschens. Während eine erste Erdschicht mit einem Bagger ausgetragen werden kann, ist bei der Annäherung an eine in der Erde verbogenen Struktur der Einsatz einer Schaufel, vielleicht eines Spatels und bei Präzisionsarbeiten eines Pinsel oder eben des nackten Fingers notwendig. Doch auch im Handwerk hat mit dem Einsatz von immer flexibleren Maschinen die Abwendung vom Werkstück und dessen Eigenschaften eingesetzt. Heute bemängeln Meister, dass Lehrlinge entweder kein ”Gefühl” mehr für Materialien und ihre Eigenschaften haben, oder zwar das manuelle Geschick, nicht aber
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1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
den informationlastig-technologischen Überbau in ihrem Berufszweig zur Steuerung der Maschinen mitbringen. Durch die Optimierung der Schnittstelle zwischen handwerklicher Arbeit und Maschinenprogrammierung wird versucht, in einigen Sparten diesem Trend entgegen zu steuern. Doch in anderen Berufssparten, fernab dessen, was die Bezeichnung Hand im Namen trägt, hat der Verlust des Tastsinns im beruflichen Alltag schon stattgefunden:
1.2.1 Der Tastsinn im medizinischen Alltag Ein akademischer Beruf, der große handwerkliche Fähigkeiten verlangt, findet sich in vielen medizinischen Disziplinen wieder. Sowohl zur Diagnostik, wie zur Therapeutik werden die Fähigkeiten des Tastsinns eingesetzt. Sei es zur Identifikation von Hauterkrankungen, Gelenkdiagnostik, Abtasten der inneren Organe von außen wie durch Körperöffnungen, oder der direkte chirugische Eingriff mit der Transplantation eines Herzens, dem Sägen eines Schädelknochens oder der Punktion des Spinalkanals. Der Tastsinn vermittelt dem Mediziner eine Mannigfaltikeit an Informationen über Textur, Steifigkeit und Temperatur der Organe. Informationen, die er anders nicht in solch direkter Form erlangen würde. Dennoch gibt es sowohl in der Diagnostik, wie in der Therapeutik Möglichkeiten und auch Notwendigkeiten, den Tastsinn zu substituieren. So können durch Magentresonaztomographie die Bänder und Menisci des Kniegelenkes eindeutig dargestellt werden. Eine beanspruchende, manuelle Untersuchung des Bewegungsraumes ist daher nicht zwingend notwendig, vor allem, da die Durchführung und Interpretation der haptisch gefühlten Begrenzungen Erfahrung benötigt. Darüber hinaus sind die Resultate dem Patienten schwerer zu kommunizieren, als dies durch einen bildhaften Beweis möglich ist. Vergleicht man lediglich den Aufwand in der Datenerhebung, so wäre aus gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten die haptische Diagnose vorzuziehen. Ein Kompromiss stellen Geräte wie der ”Wristalyzer” [77] dar, die Gelenkbewegungen - hier des Handgelenks - mit unterschiedlichen Lasten beaufschlagen können oder aktiv bewegen, und parallel die Drehmoment vs. Winkel Kennlinien oder vollständige Elektro-Myogramme der beteiligten Muskeln aufnehmen. In einer Ausbaustufe mit aktiver Krafterzeugung können vergleichbare Systeme für Rehabilitations- und Trainingszwecke in allen Gelenkbereichen der Extremitäten, Hals-Wirbelsäule und Beckenbereich gefunden werden. Unter Berücksichtigung aller Faktoren ist im Moment eine Tendenz zur Technisierung derartiger Diagnostik und Therapeutik zu beobachten. In der Chirurgie ist die zwingende Notwendigkeit zur Technisierung und dem damit verbundenen Verlust des Tastsinns eher gegeben. Der Wunsch nach geringen kosmetischen Beeinträchtigungen durch Narben nach Operationen von dem Blinddarm (appendix) angefangen, über den Leistenbruch bis hin zur Herzbeipass führt zu der Entwicklung von laparoskopischen Instrumenten (Abb. 1.7), die durch ihre Länge und den mechanischen Aufbau einen Filter für haptische Informationen bilden. Die Entkopplung hat mit dem DaVinci-System (Abb. 1.8) - einem laparoskopischen Telemanipulationssystem ohne Kraftrückkopplung - ihren vorläufigen
1.2 Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag
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Höhepunkt. Da der Verlust des Tastsinns für chirurgische (wie auch sonstige internistische) Eingriffe bedauert wird, gibt es eine Vielzahl von Forschungsprojekten, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Verlust durch die Anwendung alternativer Technologien [73] oder verbesserter Instrumente mit integrierter Kraftrückkopplung [203] zu kompensieren (Abb. 1.9).
Abb. 1.7 Starre laparoskopische Zange von Karl Storz.
Chirurg an der Steuerkonsole
Chirurgisches Robotersystem DaVinci
R Abb. 1.8 Chirurgischer Telemanipulator DaVinci von Intuitive Surgical, Installationin München .
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1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
Bedienund Kontrollelement
15 mm
Aktortopf Ultraschallaktorik
Prallelkinematische Instrumentenspitze
Abb. 1.9 Funktionsmusters eines handgehaltenen laparoskopischen Telemanipulators mit erhöhter Zahl an Freiheitsgraden an der Instrumentenspitze sowie vorbereiteter intrakorporaler Kraftmessung und haptischem Feedback auf dem Kontrollelement [203].
1.2.2 Der Tastsinn im Cockpit Neben dem Ziel der Informationsgewinnung von bereits mechanisch vorliegenden Informationen (Elastizität, Oberflächenstruktur, etc.), gibt es die Notwendigkeit in informationslastigen Arbeitsumfeldern zusätzliche Daten auf die verschiedenen Sinne sinnvoll zu verteilen. Solche Arbeitsumfelder sind zumeist ControllingAufgaben, in denen der Mensch zeitkritische und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen hat, wie in einem Jet, Flugzeug oder aber auch am Steuer des eigenen PKWs. Die Entwickler und Designer dieser Cockpits haben i.d.R. die Wahl zwischen der Verwendung des optischen, akkustischen und des haptischen Sinneskanals. Bereits die Wahl eines Scrollrades mit Endanschlägen statt eines reinen Inkrementalgebers wird durch die Erkenntnis beeinflusst, dass z.B. eine Bereichswahl eher möglich ist, wenn Anfang und Ende des Bereiches haptisch spürbar gemacht werden können [14]. Bedienelemente wie der i-drive in BMW ermöglichen eine Veränderung der haptischen Eigenschaften im Betrieb und daher eine weitere Dimension der Informationsvermittlung. Warnsignale werden bereits jetzt durch Vibrationsmotoren und sogenannte Taktons vermittelt. Insbesondere im militärischen Bereich ist eine komplexe räumliche Orientierung auf Basis von vibrierenden Kleidungsstücken (Abb. 1.10) für Marine und Flugpersonal Gegenstand aktueller Forschung [259, 113]. Bereits praktische Anwendung haben aktive Sidesticks im Flugzeug und vibrierende Bremsassistenten im PKW gefunden.
1.2 Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag
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Abb. 1.10 Mit Vibratoren bestückte Weste zur räumlichen Kodierung von Lagekoordinaten (TNO, Netherlands) [259].
1.2.3 Der Tastsinn am Schreibtisch In kaum einem anderen beruflichen Feld hat der Tastsinn so stark an Bedeutung verloren. Während der Umgang mit Papier, Stiften unterschiedlicher Art, Linealen, Aktenordnern, Ablagen noch vor wenigen Jahrzehnten den Tastsinn mannigfaltig gefordert hat, so ist die Schnittstelle eines Büroarbeitsplatzes heute eindeutig durch Tastatur und Maus definiert. Die Haptik von Tastaturen ist aufgrund der Konzentration auf diese eine Schnittstelle von außergewöhnlich hoher ergonomischer Bedeutung. Neben der Schaltcharakteristik der Taste ist die Oberflächenbeschaffenheit, die taktile Markierung auf den Buchstaben F und J (Abb. 1.11), sowie die Form und Größe der Taste ein unbedingt zu berücksichtigendes Entwurfskriterium. ISO 9241-400 definiert klare Entscheidungspfade, sowohl für den Designer als auch für den Käufer von Tastaturen. Dennoch steht es außer Frage, dass ökonomischer Gewinn beim Entwurf von Schnittstellen im Büro nicht durch die Änderung an Tastatur oder Maus erreicht werden kann, sondern vor allem durch Optimierung der Softwareergonomie. Dies führt dazu, dass in vielen Fällen der Begriff des ”Interface” ausschließlich auf graphische Interfaces beschränkt ist. R ASKINs ”The Humane Interface” [197] ist eine dezidierte und unterhaltsame Aufstellung von Softwarelösungen mit unergonomischen graphischen Interfaces und gibt Methoden und Entwurfskriterien zu deren Verbesserung.
1.2.4 Der Tastsinn in der Musik Von einem abstrahierten Standpunkt aus betrachtet hat der haptische Sinn vielfältige Parallelen zur akustischen Wahrnehmung. Beide dienen der Erfassung mechanischer Schwingungen und liegen in einem vergleichbaren Frequenzbereich, wobei
20
1 Motivation und Anwendungen haptischer Systeme
Abb. 1.11 Tastatur des Autors mit taktilen Markern auf den Buchstaben J und F.
der haptische Sinn zwei Dekaden niedrigerer Frequenzen (1 kHZ) besser erfasst. Diese Parallelen werden in der Musik gerne genutzt. Aber nicht nur um die Schwingungen einer Saite einer hochwertigen Geige oder einer Harfe zu ertasten, oder um das sanfte Vibrieren eines Blasinstrumentes beim tiefen A zu spüren, sondern auch bei sehr hilfreichen Ergänzugen zur Studiotechnik. Geräte wie der ”ButtKicker” (Abb. 1.12) von The Guitammer Company sind elektrodynamische Aktoren, die dazu genutzt werden, in einem Konzert das untere Frequenzband des Hörschalls auf den Stuhl des Schlagzeugers zu übertragen. Dies ermöglicht dem Schlagzeuger ein Feedback des Rythmus in der Band, ohne die Akustik des eigenen Schlagzeugs zu übertönen. Gleichzeitig ist eine Verringerung des Schalldrucks für die Musiker mit einer solchen taktilen Lösung verbunden, da diese nicht zwangsläufig darauf bedacht sind, dieselben Schalldruck-Pegel zu erfahren wie ihre begeisterten Zuhörer. Derartige Aktoren werden auch für die Stühle von Computerspielern und für Couchen von Heimkinos zur Steigerung der Wahrnehmung von lauten, Bass-lastigen Effekten angeboten. Der Vorteil ist auch hier, dass der taktile Effekt von der Empfindung ähnlich intensiv ist wie ein deutlicher Bass-Stoß, dabei aber wenig Schalldruck und somit auch quasi keine störende Beeinträchtigung Anderer erzeugt.
1.2 Die Bedeutung der Haptik im beruflichen Alltag
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Abb. 1.12 Elektrodynamischer Aktuator ”ButtKicker” zur Erzeugung niederfrequenter Schwingungen auf einen Schlagzeughocker.
Kapitel 2
Begriffsklärungen
T HORSTEN A. K ERN
Im Rahmen der Einführung wurde bereits eine Vielzahl von Begriffen benutzt, die aus dem Kontext haptischer Forschung und Entwicklung stammen. Mit diesem Kapitel ”Begriffsklärungen” wird nun ein systematischer Einstieg in das Feld haptischer Geräteentwicklung begonnen. Die folgenden Abschnitte erläutern die an Forschung und Entwicklung beteiligten Disziplinen, führen in die Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen ein und illustrieren dies mit einigen technischen Beispielen.
2.1 Wissenschaftliche Disziplinen in der haptischen Forschung In der haptischen Forschung sind im Wesentlichen drei Interessengruppen (Abb. 2.1) auszumachen, deren Grenzen fließend sind. Die Beschäftigung mit der haptische Wahrnehmung (haptic perception) arbeitet nach strengen deduktiven wissenschaftlichen Prinzipien: Aus einer Beobachtung wird eine Hypothese abgeleitet. Zu der Hypothese wird ein Experiment entworfen, das unter Ausschluss weiterer veränderlicher Parameter ausschließlich den Gegenstand der Hypothese testet. Die Hypothese wird durch die Resultate des Experiments veri- oder falsifiziert, was zu einer neuen verbesserten Hypothese führen kann. Die haptische Wahrnehmung wird dabei von zwei Disziplinen adressiert. Die Psychophysik beschäftigt sich mit der Analyse der Wirkung von physikalischen Stimuli - im Falle der Haptik vor allem mit Schwingungen und Kräften unterschiedlicher Raumrichtung und Orientierung - auf den Menschen und deren subjektive Wahrnehmung. Ziel der Psychophysik ist ein erklärendes Modell der Wahr-
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2 Begriffsklärungen Produkt Wissen Anforderungen
Service orientierte Forschung
Industrie
Haptische Messtechnik !
Grundlagenforschung
Haptische Wahrnehmung Psychophysik !
! !
Wahrnehmung von ! - maximalen und minimalen Kräften ! - absoluten Schwellwerten - Auflösung und Abhähgigkeiten - Dynamik ! Interaktion ! - Strategien - Spontane reaktionen ! ...
! ! !
Standardisierung und Normung Kraftmessung Schwingungsmessung Bewegungs-, Geschwindigkeits- und Beschleunigungsmesstechnik
Neurobiologie Rezeptoren in Typ und Dichte Zusammenhänge zwischen Rezeptoren und kombinierte Wahrnehmung Nerven-Übertragung Ort- und Vorgänge in der Informationsverarbeitung Reaktionen
Angewandte Forschung
Haptische Synthese
Virtual Reality !
!
!
Hardware Interfaces - taktie - kinästhetisch - Information verarbeitung - Aktore und Kinematikentwurf Software Simulation - Algorithmik - Graphik and Haptik - Augmented reality Regelungstechnik für zeitdiskrete Systeme
Telemanipulation !
! ! ! !
Hardware Interfaces - taktile - kinästhetisch - Aktor und Kinematikentwurf Hardware Schnittstelle - Kraftmessungt Regelungstechnik für rückgekoppelte Systeme Telepräsenz Kommunikation und Totzeiten
Abb. 2.1 Übersicht über die an der haptischen Forschung beteiligten Disziplinen.
nehmung. Die Neurobiologie betrachtet die biologisch messbaren Zusammenhänge und analysiert damit die direkte Wandlung physikalischer Stimuli in neuronale Signale und deren Weiterverarbeitung im Gehirn. Beide Disziplinen ergänzen sich, so dass die neurobiologische Modellvorstellung Teile des psychophysikalischen Modells erklären können sollte. Diese wissenschaftlichen Disziplinen formulieren zur Durchführung der Experimente technologische Aufgaben, die in der Interessensgruppe der ”Haptischen Synthese” und der ”Haptischen Messtechnik” bearbeitet werden. Alternativ erhalten diese Gruppen Aufträge aus der Industrie, und bedienen sich dabei dem Wissen aus der Forschung zur haptischen Wahrnehmung. Diese Gruppen arbeiten im Gegensatz zur ersten Gruppe nach ingenieurstechnischen Lösungsstrategien: Aus einer technischen Fragestellung wird eine Annahme technischer Anforderungen auf Basis des aktuellen Wissensstand abgeleitet. In einem Entwicklungsprozess unter mehrfacher Überprüfung der Einhaltung sowie der Sinnhaftigkeit der ursprünglichen Annahmen wird ein Funktionsmuster und später ein Produkt entwickelt, das die technischen Anforderungen erfüllt. Dieses Produkt kann dann unter anderem zur Analyse haptischer Wahrnehmung eingesetzt werden, es kann aber auch als kommerzielles Produkt in der Spiele-, Automobil- oder Luftfahrtindustrie genutzt werden.
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
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Im Falle der Erzeugung haptischer Eindrücke für Virtual-Reality (VR) Anwendungen betreffen technische Fragestellung in der Regel den Entwurf haptischer Displays für entweder taktile oder kinästhetische oder für kombinierte Anwendungen. Hierbei liegt ein Schwerpunkt auf der Auswahl der richtigen Aktoren, der Steuerungselektroniken und Treiberstufen sowie auf der Signalverarbeitung. Durch die in diesen Anwendungen häufig vorliegende Kopplung an Simulationen, also technische Systeme mit zeitdiskreter Signalverarbeitung, ist eine Berücksichtigung der Diskretisierung und ihr Einfluss auf die Güte der haptischen Darstellung notwendig. Im Falle von Telemanipulationssystemen sind die technischen Fragestellungen vergleichbar, sie unterscheiden sich aber vor allem in der jetzt notwendigen Messtechnik zur Erfassung eines haptischen Eindrucks. Weiterhin ist die regelungstechnische Aufgabenstellung komplexer, da es sich um ein rückgekoppeltes, geschlossenes System handelt mit unbekannten Lastgrößen auf beiden Seiten.
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen Die Definition der Begriffe in Zusammenhang mit haptischen Systemen ist aktueller Gegenstand der ISO 9241-910 Norm. Viele der hier vorgestellten Definitionen sind teilweise oder ganz an die dort vereinbarte Terminologie angelehnt. Die hier vorgestellte Terminologie ist eine Empfehlung, die nach Meinung und Erfahrung der Autoren von der Mehrheit der im haptischen Umfeld tätigen Wissenschaftler geteilt wird. Es wird aber darauf hingewiesen, dass es keinen verbindlichen Konsens über die Anwendungen der Begriffe gibt, so dass viele vergangene wie aktuelle Veröffentlichungen von den hier vorgestellten Definitionen abweichen. Die hier vorgestellte Nomenklatur resultiert aus den Veröffentlichungen von H AYWARD [88], C OLGATE [171], H ANNAFORD [83], B URDEA [34], A DAMS [2] sowie einer Vielzahl weiterer Autoren.
2.2.1 Grundbegriffe der Haptik Entsprechend Abbildung 2.2 ist Haptik als die Wahrnehmung von mechanischen, thermischen und nozizeptorischen1 Sinneseindrücken zu verstehen. Sie definiert sich also eher aus dem Ausschluss von optischer, akkustischer, olfaktorischer2, gustatorischer3 Wahrnehmung von der Summe der Sinneswahrnehmungen. Demzufolge untergliedert sich die Haptik in nozizeptive, thermosensitive, kinästhetische und taktile Wahrnehmung. Der Gleichgewichtssinn nimmt eine Sonderstellung ein, 1 2 3
schmerzhaften geruchlicher geschmacklicher
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2 Begriffsklärungen
da er nicht zu den klassischen fünf Sinnen des Menschen mit eigenen Rezeptoren zählt, aber in seiner Funktion eindeutig vorhanden ist und Gebrauch macht von den Rezeptoren der anderen Sinne, inbesondere den haptischen, macht. Haptik beschreibt die sensorischen wie motorischen Fähigkeiten in der Haut, Gelenken, Muskeln und Sehnen bzw. Bändern.
Menschliche Sinne: Haptik Riechen
Hören
Sehen
Schmecken
Gleichgewicht
Wärme
Schmerz
Taktil
Kinästhetik
Abb. 2.2 Aufteilung der Sinne.
Taktil bezeichnet die mechanische Interaktion mit der Haut. Taktile Wahrnehmung ist also die Wahrnehmung von ausschließlich mechanischer Interaktion. Man beachte, dass Taktilität nicht exklusiv an Kräfte oder Bewegungen gebunden ist. Kinästhetisch bezeichnet sowohl aktorische wie sensorische Eigenschaften der Muskeln und Gelenke, und bezieht sich daher auf deren Kräfte, Momente, Bewegungen, Positionen und Winkel. Dies hat zur Folge, dass per Definition bereits jede externe kinästhetische Interaktion eine taktile Komponente hat!
2.2.2 Definition haptischer Systeme Die technischen Begriffe sind vom Speziellen ins Allgemeine gegliedert und durch Blockdiagramme illustriert. Die Pfeile zwischen den Komponenten der Blockdiagramme können je nach Ausführungsform des technischen Gerätes unterschiedliche Informationen repräsentieren und bleiben daher unbeschriftet. Mit haptischen Geräten können sowohl Auslenkungen, Kräfte als auch Temperaturunterschiede, und in wenigen Realisationen auch Stimulationen der Schmerzrezeptoren übertragen werden.
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
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Die Begrifflichkeiten System und Gerät und Teil lassen sich nicht zufriedenstellend übergreifend definieren. In Abhängigkeit der Sichtweise kann dasselbe Objekt für den Hardwareentwickler ein Gerät, für den Softwareentwickler ein System und für einen weiteren Hardwareentwickler nur ein Teil sein. Die Begriffe sind dennoch Gegenstand des ingenieurstechnischen Sprachgebrauchs und werden demzufolge hier entsprechend verwendet.
Ein haptisches Gerät ist ein System, das Ausgangsgrößen erzeugt, die haptisch wahrgenommen werden können. Es hat also entsprechend Abbildung 2.3 wenigstens einen Ausgang, aber nicht zwangsläufig einen Eingang. Die Markierungen auf den Buchstaben F und J einer Tastatur sind taktile Markierungen, die eine Information, nämlich die korrekte Lage des Zeigefingers, vermittelt. Diese Tasten sind durch ihre Oberfläche bereits taktile Geräte. Betrachtet man die Taste weiter, so hat diese bei Betätigung einen spürbaren Schaltpunkt, der die Information enthält, dass die Taste gedrückt wurde. Diese Information wird unter anderem kinästhetisch durch Wechselwirkung der Muskel und Gelenke mit der Mechanik der Taste vermittelt. Die Taste ist also ein haptisches Gerät. Ein Nutzer ist in dem Kontext haptischer Systeme ein Empfänger haptischer Informationen. Ein haptischer Regler bezeichnet eine Komponente eines haptischen Systems, welche spezifisch zu Aufbereitung der haptischen Informationen und zur Verbesserung ihrer Übertragung dient. Pragmatisch ist dies im Falle eines Telemanipulators häufig ein Feder-Dämpfer Kopplungselement zwischen Endeffektor und Bedienelement, oder ein lokales Modell des Interaktionsbereiches zur Kompensation von Verzögerungen auf der Übertragungsstrecke. Im Falle eines haptischen Simulators ist es häufig ein einfaches LTI-Modell mit hoher Mess- und Ausgabefrequenz, welches durch die Simulation in relativ zu dieser Ausgabefrequenz langsamen Zeitabschnitten durch Parameterübergabe aktualisiert wird.
Haptischer Regler
Haptisches Gerät
Nutzer
Abb. 2.3 Haptische Geräte, Nutzer und Regler.
Haptische Interaktion bezeichnet die haptische Übermittlung von Informationen. Die Übermittlung kann sowohl bi- als auch unidirektional sein (Abb. 2.4).
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2 Begriffsklärungen
Weiterhin kann spezifischer taktile (unidirektional) oder kinästhetische (uni- oder bidirektional) Interaktion stattfinden. Eine Markierung in Blindenschrift auf einem Geldschein resultiert z.B. in einer taktilen Kommunikation von Informationen durch haptische Interaktion.
Haptisches Gerät
Nutzer
: optional Abb. 2.4 Haptische Interaktion.
Adressierbarkeit haptischer Systeme beschreibt die Unterteilung (z.B. räumlich oder zeitlich) des Ausgangssignals eines Gerätes (häufig Kraft) oder des Nutzers (häufig Positionen). Auflösung haptischer Systeme beschreibt die Fähigkeit, eine Unterteilung (z.B. räumlich oder zeitlich) des Eingangssignals zu erfassen. In Bezug auf ein Gerät entspricht dies der Messgenauigkeit. Mit Bezug auf den Nutzer entspricht dies der Wahrnehmungsgrenze. Haptischer Marker bezeichnet eine Markierung, die eine Information über das die Markierung tragende Objekt über eine bekannte Codierung haptisch kommuniziert. Praktische Beispiele sind Markierungen in Blindenschrift auf Geldscheinen oder Stadtplänen. Häufig sind die Markierungen ausschließlich taktil, es gibt aber auch kinästhetisch wirksame z.B. in Form von Gehwegbegrenzungen und Ampelmarkierungen für Sehbehinderte. Ein Haptisches Display ist ein haptisches Gerät, das eine haptische Interaktion ermöglicht und bei dem die haptisch übermittelten Informationen einer Änderung unterliegen (Abb. 2.5). Es gibt sowohl ausschließlich taktile wie haptische Displays. Eine Haptische Schnittstelle ist ein haptisches Gerät, das eine haptische Interaktion ermöglicht und bei dem die haptisch übermittelten Informationen einer Änderung unterliegen sowie eine Messgröße der haptischen Interaktion vom haptischen Gerät übermittelt wird (Abb. 2.6). Ein haptisches Interface betrachtet also immer
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
Haptisches Gerät
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Nutzer
: optional Abb. 2.5 Haptisches Display.
die Kombination aus Daten und Gerät.
Haptisches Gerät
Nutzer
Force Feedback/ Kraftrückkopplung/ Haptisches Feedback Abb. 2.6 Haptische Schnittstelle.
Kraft-Rückkopplung/Force-feedback bezeichnet die Information, die bei kinästhetischer Interaktion ausgetauscht wird (Abb. 2.6). Force-Feedback (FFB) ist ein durch kommerzielle Produkte wie FFB-Joysticks, FFB-Lenkräder oder sogar FFBMäuse geprägter Begriff und wird daher nicht immer konsistent mit der sonstigen Terminologie verwendet. Ein Haptischer Manipulator ist ein System, das mit Objekten mechanisch interagiert, und dabei Informationen über die Raumlage sowie die wirkenden Kräfte und/oder Momente misst. Ein Telemanipulationssystem bezeichnet ein System, das eine räumlich getrennte haptische Interaktion mit einem realen physischen Objekt ermöglicht. Es gibt rein mechanische Telemanipulationssysteme (Abb. 2.7), die Kräfte und Wege über ein Hebel-Seilzugsystem skalieren. Im Umfeld haptischer Schnittstellen sind vor allem elektronische Telemanipulationssysteme entsprechend Abbildung 2.8 relevant, die eine unabhängige Skalierung von Kräften und Wegen, sowie eine Rege-
30
2 Begriffsklärungen
lung von haptischer Schnittstelle und Manipulator ermöglichen.
Abb. 2.7 Mechanischer Telemanipulator zur Gefahrguthandhabung (CRL Model L) .
Manipulator
Haptischer Regler
Haptisches Gerät
Nutzer
Objekt
Abb. 2.8 Schema eines elektronischen Telemanipulators.
Haptischer Simulator ist ein System, das haptische Interaktion mit einem virtuellen Objekt ermöglicht (Abb. 2.9). Es bedarf immer eines Computers zur Abbildung der pyhsikalischen Eigenschaften. Haptische Simulatoren und Simulationen sind die eigentlichen Triebfedern, sei es für ernsthafte Trainingsanwendungen von z.B. Chirurgen, oder Spieleanwendungen für den Freizeitbereich, für die Entwicklung haptischer Geräte (siehe Kapitel 13).
2.2.3 Eigenschaften haptischer Systeme In [151] definiert L AWRENCE die Transparency (Transparenz) T als Faktor zwischen Impedanz als Eingangsgröße des haptischen Interfaces Z in und der tatsächlich
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
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Simulation Haptischer Regler
Haptisches Gerät
Nutzer
Virtuelles Objekt
Abb. 2.9 Haptischer Simulator.
gefühlten Impedanz Z out als Ausgangsgröße des Gerätes T=
Z in . Z out
(2.1)
Das Prinzip der Transparency findet vor allem im Bereich regelungstechnischer Stabilitätsbetrachtungen Anwendung und sollte um ± 3 dB liegen. T kann als einziger etablierter, frequenzabhängiger, charakteristischer Kennwert haptischer Interfaces bezeichnet werden. Häufig wird lediglich der Betrag der Transparenz betrachtet. Eine Transparenz nahe eins zeigt, dass die eingangsseitig vorherrschende Impedanz, also der Widerstand einer Struktur oder die Masse eines bewegten Objektes, durch das technische System nicht beeinflusst wird. Der Nutzer am haptischen Geräte als Ende der Übertragungstrecke erfährt die am Eingang anliegenden mechanischen Eigenschaften unverfälscht. Die Transparenz kann dabei sowohl auf Telemanipulationssysteme wie auch auf haptische Simulatoren angewendet werden. C OLGATE beschreibt in [39] die Impedanzweite (Z-width) eines haptischen Systems Z − width = Z max − Z min (2.2) als Differenz der maximalen Hemmung/Vollast Z max ohne die spürbare Reibung, Massenträgheit in der Freiraumbewegung Z min . Die Z-width beschreibt die Leistungsfähigkeit einzelner Geräte und erlaubt eine Vergleichbarkeit zwischen Geräten nach technischen Änderungen, z.B. der Integration einer Regelung über eine Kraftmessung. Aktive haptische Geräte sind Systeme, die eine externe Energiequelle zur Darstellung der haptischen Information benötigen. Es handelt sich in der Regel wenigstens um haptische Displays. Im Gegenzug sind passive haptische Geräte Systeme, die alleine durch ihre mechanische Formgebung haptische Informationen übermitteln. Hier besteht die Gefahr eines gefährlichen Trugschlusses: Ein passives System ist im regelungstechnischen Verständnis ein System, dessen Energiefluss bezogen auf den Eingang immer negativ ist, d.h. ein System, das keine Energie abgibt. Dies ist ein wichtiges regelungstechnisches Stabilitätsmerkmal und wird im Detail in Kapitel 7.3.3 beschrieben. Hier sei darauf hingewiesen, dass passiv in einem All-
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2 Begriffsklärungen
gemeinverständnis von haptischen Systemen nicht gleichbedeutend mit Passivität ist4 . Die mechanische Impedanz Z beschreibt den komplexen Koeffizienten aus Kraft F und Geschwindigkeit v bzw. Drehmoment M und Winkelgeschwindigkeit Ω . Sie und ihr Kehrwert, die mechanische Admittanz Y dienen zur Beschreibung dynamischer technischer Systeme. Eine hohe Impedanz ist ein Maß dafür, dass ein System ”steif” oder ”träge” ist oder ”reibt”. Eine niedrige Impedanz spricht für ein ”leichtes” und/oder ”weiches” sowie ”gleitendes” System. Das Konzept der Impedanz wird unter dem Begriff Display-Impedanz oder Interface-Impedanz Z D auf das haptische System angewendet, und bezeichnet damit die Impedanz, die ein System an dessen mechanischem Ausgang (z.B. dem Griff) aufweist, wenn es bewegt wird. Wie bei technischen Systemen eignet sich die Impedanz darüber hinaus auch zur vereinfachten Beschreibung des Nutzers und seines mechanischen Einflusses auf das technische System. Hierzu wird der Begriff der Nutzer-Impedanz Z H verwendet. Die Nutzer-Impedanz - wie steif sich ein Nutzer verhält - kann teilweise willentlich beeinflusst werden. Ein Händeschütteln kann entweder fest oder weich sein. Der Grad dieser Beeinflussung ist frequenzabhängig, so ist auch ohne willentliche Veränderung durch den Hände-Schüttler bei niedrigen Frequenzen dieselbe Hand weicher als bei hohen Frequenzen, was sich alleine durch die zu bewegende Masse ergibt. Eine detaillierte Darstellung der Modellbildung sowie der Anwendung des Konzepts der Nutzer-Impedanz erfolgt in Abschnitt 4.2. Eine Einführung in die komplexe Rechnung mit mechanischen Größen wird in Anhang 16 gegeben. Da das Verständnis der komplexen Rechnung sowie der mechanischen Impedanzen aber grundlegend für den Entwurf haptischer Systeme im Sinne dieses Buches ist, wird zur Auffrischung bzw. Selbst-Studium auf bekannte Literatur der Elektromechanik [153] wie Regelungstechnik [162] verwiesen.
2.2.4 Charakterisierung haptischer Objekteigenschaften Neben den Begrifflichkeiten für die haptischen Systeme und deren Eigenschaften werden auch die haptischen Eigenschaften von Objekten mit festgelegten Begriffen bezeichnet. Eine haptische Textur bezeichnet die Objekteigenschaften, die ausschließlich taktil wahrgenommen werden kann. Die Rauhigkeit der Oberfläche, die Struktur eines Leders, sogar die haptischen Markierungen sind haptische Texturen der Objekte, auf denen sie zu finden sind. In einigen Fällen wird zwischen tangentialer und normaler Textur unterschieden, wobei sich die Richtungsbezeichnungen auf die Hautoberfläche bezieht. Diese Unterscheidung ist eher ein Resultat von technischen Beschränkungen denn von Besonderheiten taktiler Wahrnehmung, da taktile 4
wobei sich aber ein passives haptisches Gerät im Sinne dieser Definition tatsächlich auch im regelungstechnischen Sinne durch Passivität auszeichnet
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
33
Displays häufig nicht in der Lage sind definiert einen drei Freiheitsgrade umfassenden taktilen Eindruck hervorzurufen. Eine haptische Gestalt bezeichnet die Objekteigenschaften, die vor allem kinästhetisch wahrgenommen werden können. Dies kann die Form eines Glases sein, was in der Hand gehalten wird. Es kann aber auch die Geometrie eines Tisches sein, der z.B. in einer virtuellen Umgebung haptisch erfahrbar gemacht wird. Tatsächlich sind die Begriffe Textur und Gestalt in ihrer Verwendung analog zu ihren Bedeutungen in der graphischen Programmierung und Softwaretechnik von Drahtgittermodellen (meshes) als Gestaltgeber und Oberflächentexturen (surfacetextures) als Farb- und Strukturgebung zu verstehen. Die haptische Textur beschreibt aber im Gegensatz der graphischen Textur vor allem dreidimensionale Oberflächeneigenschaften, die neben der reinen Struktur der Oberfläche auch auf molekularer Ebene die Anheftung oder die Reibung abbilden. Eine realistische haptische Textur ist also deutlich komplexer in ihren Parametern als eine graphische Textur, selbst unter der Berücksichtigung von Konzepten von Bump- und Normalmaps. Daher gibt es eine Vielzahl von Oberflächeneigenschaften, die spezifische haptische Oberflächeneffekte aus Sicht des Programmierers beschreiben. Diese Oberflächeneffekte besitzen teilweise physikalische Entsprechungen realer Objektoberflächen, sind aber streng genommen softwaretechnisch motivierte Konzepte, um den Realitätsgrad haptischer Texturen zu verbessern: • Die Oberflächenreibung bezeichnet die viskose (geschwindigkeitsproportionale) Reibung eines Kontaktpunktes auf einer Oberfläche. • Die Oberflächenhaftung bezeichnet eine Kraft, die die Bewegung eines Kontaktpunktes an eine Oberfläche bindet. Durch dieses Konzept können z.B. Klebeund Magnetkräfte abgebildet werden. • Die Rauhigkeit bezeichnet eine gleichmäßige, sinusförmige Struktur definierter geringer Amplitude, welche die Bewegung eines Kontaktpunktes auf einer Oberfläche rau erscheinen lässt.
2.2.5 Technische Beispiele Im Folgenden wird anhand einiger technischer Beispiel die Verwendung der zuvor eingeführten Begriffe gezeigt. Gleichzeitig dient dieses Kapitel einer weiteren Klärung der Zusammenhänge einzelner Begriffsgruppen. Die Beispiele beschreiben reale technische Systeme. Die Systeme sind als illustrierende Beispiele zu verstehen und sind nicht zwingend technologische Meilensteine oder haben außergewöhnliche Eigenschaften.
34
2 Begriffsklärungen
2.2.5.1 Force-Feedback Bedienelement Es existieren einige kommerzielle haptische Bedienelemente am Markt, die gerne für Aufgaben im Bereich Design, CAD und Modellierung eingesetzt werden. R Martkführer ist SensAble mit ihrer PHANTOM-Reihe mit dem aktuell kostengünstigstem Vertreter des PHANTOM Omnis (Abb. 2.10a). Die PHANTOM-Reihe zeichnet sich durch die freie Positionierung eines Stift-ähnlichen Griffes im Raum aus. Dessen Position und Orientierung wird gemessen (drei Translationen, drei Rotationen). Je nach Modell der Serie kann auf die Spitze in wenigstens drei translatorischen Freiheitsgraden eine Kraft ausgeübt werden. Die Krafterzeugung erfolgt über elektronisch kommutierte elektrodynamische Aktoren, die im Fuß des Gerätes angeordnet sind, und über Hebel- und Seilzüge, die Kräfte auf die relevanten Gelenke übertragen. Das Übertragungsverhalten des PHANTOMs ist durch die Hebelübersetzungen nichtlinear, diese Nichtlinearitäten werden aber für den statischen Fall im Software-Treiber kompensiert. Die PHANTOMe werden an handelsübliche PCs über je nach Produktgeneration unterschiedliche Schnittstellen angeschlossen, R z.B. dem Parallelport, eine eigene IDE Karte, oder dem IEEE FirewirePort. R Die PHANTOM-Geräte von SensAble sind haptische Geräte (Abb. 2.10c) die in mehreren Freiheitsgraden vor allem die kinästhetische Wahrnehmung der ganzen Hand sowie des Armes adressieren. Da die Krafteinleitung über einen handgehaltenen Stift erfolgt, gelten automatisch taktile Anforderungen an den technischen Entwurf. Der Nutzer hat mit dem Gerät eine haptische Schnittstelle, mit der bidirektional in Form eines haptischen Displays haptische Informationen aus einer Anwendung auf dem PC dargestellt, umgekehrt aber auch Positionen und Bewegungen des Nutzers an die Anwendung übertragen werden.
M0 Q
F0 dR
F0=M1/l W1
Fout
m v0
ZH
v0=W1 l a)
b) Fout
FSignal Haptisches Gerät
xSignal
Nutzer
xout
c) R Abb. 2.10 Haptisches Werkzeug am Beispiel eines SensAble PHANTOM Omnis(a) und zugehöriges mechanisches Netzwerk eines Freiheitsgrads (b) sowie Blockstruktur (c).
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
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Die Netzwerkdarstellung eines Freiheitsgrades (Abb. 2.10b) zeigt den elektronisch kommutierten elektrodynamischen Motor als Momentenquelle M 0 mit Massenträgheit Θ des Rotors und rotatorischer Dämpfung dR durch Lager und Gelenke. Über einen Wandler wird durch die Hebelgesetze die rotatorische Bewegung in eine lineare Bewegung mit der Kraft F 0 und der Geschwindigkeit v0 gewandelt. Eine Masse m beschreibt die Masse des handgehaltenen Stifts. Der Anteil der gegenüber dem Nutzer dargestellten Kraft F out ist Abhängig von der Display-Impedanz als Summe aller Einzelimpedanzen und der Nutzerimpedanz Z H .
2.2.5.2 Rekonfigurierbares Tastenfeld Das rekonfigurierbare Tastenfeld (Abb. 2.11a) besteht aus einer Vielzahl einzelner Aktoren, die in einer Matrix angeordnet sind. Die Aktoren sind elektrodynamische Antriebe mit bewegtem Magneten. Jeder Aktor kann individuell zum einen als Kraftquelle, über eine Positionsregelung aber im Verbund auch als Positionsaktor gesteuert werden. Als Kraftquelle kann über die bekannte Position eine Schaltkennlinie einer Taste abgefahren werden, so dass die Aktoren unterschiedliches Schaltverhalten nachbilden können. Ziel des rekonfigurierbaren Tastenfelds [46] ist es, ein Pendant zu einem klassischen Touchscreen zu schaffen. Das heißt, eine Oberfläche zur Verfügung zu stellen, die in Abhängigkeit der Bediensituation z.B. in einem Menue unterschiedliche Funktionen bereitstellen kann. Einzelne Aktoren kombinieren sich hierzu zu größeren Tasten oder verändern sich in Größe und SchaltCharakteristik. Das rekonfigurierbare Tastenfeld ist ein haptisches Gerät (Abb. 2.11c) das vor allem die kinästhetische Wahrnehmung adressiert, somit aber automatisch taktile Wahrnehmung beachten muss. Der Nutzer ist der Bediener des Tastenfelds, der durch haptische Interaktion durch die Veränderung des Tastenfeldes in der Gestalt und der Tastkennlinien Informationen über z.B. die gerade aktivierte Menüebene erhält. Das Tastenfeld ist also wenigstens ein haptische Display, da es darüber hinaus aber auch Informationen über die Betätigung der Tasten an eine weitere Einheit kommuniziert ist es eine haptische Schnittstelle/haptic interface. Die Netzwerkstruktur (Abb. 2.11b) einer einzelnen Taste zeigt die gesteuerte Kraftquelle F 0 des elektrodynamischen Aktors, die Masse des bewegten Magneten m sowie die Reibung in den Führungen d. Eine Nachgiebigkeit existiert nicht, da im Gegensatz zu klassischen elektrodynamischen Aktoren z.B. aus Lautsprechern keine federnde Aufhängung vorgesehen ist. Der Aktor ist in der Lage eine Kraft Fout zu erzeugen, die im Wesentlichen abhängig ist von dem Verhältnis der komplexen Impedanz des haptischen Displays Z D = s m + d zu der Nutzerimpedanz Z H ist.
2.2.5.3 Taktiles Pin-Array Taktile Pin-Array sind die Urform von Systemen, die dem haptischen Sinn ortskodiert dynamische Informationen zur Verfügung stellen. Sie sind motiviert als Wei-
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2 Begriffsklärungen
F0
Fout m
d ZH
a)
b)
F/x Kurve
FSignal Haptisches Gerät
Haptischer Regler Tastendruck Ereignis
Fout
xSignal
Taste
Nutzer
xout
c) Abb. 2.11 Haptische Taste als rekonfigurierbare Aktoren mit einem Freiheitsgrad (a) und zugehöriges mechanisches Netzwerk (b) [46] sowie Blockstruktur (c).
terentwicklung der Braille-Displays, zu deren psychophysikalischen Wirkprinzipien seit Mitte des 20. Jahrhunderts, z.B. durch B ÉKÉSY [23], umfangreiche Studien gemacht wurden. Taktile Pin-Arrays bedienen sich unterschiedlicher Aktorprinzipien. Von elektromagnetischen Aktoren aus Nadeldruckköpfen [225] über Piezobieger [144] bis hin zu pneumatischen [284], hydraulischen [224], elektrostatischen [282] und thermischen [5] Aktoren wurde vieles versucht. Die taktilen Pin-Arrays waren vor allem Arrays mit haptischer Stimulation in normaler Hautrichtung. Erst in jüngster Vergangenheit wurden auch ortsverteilte Arrays zur Lateralkrafterzeugung erprobt [137]. Ein taktiles Pin-Array mit Anregung in Normalenrichtung ist ein haptisches Gerät (Abb. 2.12c) das schwerpunktmäßig die taktile Wahrnehmung adressiert. Der Nutzer befindet sich in haptischer Interaktion mit dem Gerät und erhält haptische Informationen in Form von ortskodierten Höhenveränderungen. Ein taktiles PinArray ist also ein haptisches Display. Im Gegensatz zu den vorherigen Systemen wird aber bei einem üblichen taktilen Pin-Array keine Information durch die Interaktion des Displays mit dem Nutzer an das System zurück gemeldet. Es handelt sich daher nicht zwangsläufig um ein haptisches Interface5 . Im mechanischen Netzwerk (Abb. 2.12) entspricht ein taktiles Pin-Array einer Positions- oder Geschwindigkeitsquelle v mit nachgeschalteter mechanischer Steifigkeit k eines technischen Systems (einer Kombination aus Aktorik und Kinematik). Wird dieses ausreichend steif ausgelegt, so ist die mechanische Admittanz des 5 Es sind durchaus taktile Systeme denkbar, bei denen z.B. die Lage des Fingers auf einer größeren Matrix eine Information an die steuernde Einheit übergibt, so dass die Begrifflichkeit haptisches Interface gerechtfertigt ist.
2.2 Begriffe und Bezeichnungen beim Umgang mit haptischen Systemen
k
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Fout
v0
a)
vH
ZH
b) xSignal
xout Haptisches Display
Nutzer
Fout c) Abb. 2.12 Klassisches taktiles Display in Form normal zur Displayoberfläche stehender Pins [268] (a) und zugehöriges mechanisches Netzwerk (b) sowie Blockstruktur (c).
technischen Systems klein, so dass die Auslenkung der Quelle vollständig am Nutzer anliegt. Das System ist positionsgesteuert.
2.2.5.4 Vibrations-Motor Vibrations-Antriebe dienen dazu, die Aufmerksamkeit auf Ereignisse zu lenken. In jedem modernen Mobiltelefon befindet sich ein Vibrationsantrieb entsprechend Abbildung 2.13a bestehend aus einem Antrieb und einem exzentrisch angeordentem Gewicht auf der Achse. Die Rotationsgeschwindigkeit der Vibrationsantriebe wird durch die anliegende Spannung gesteuert und bewegt sich zwischen 7000 und 12000 Umdrehungen pro Minute. Durch diese Spannungssteuerung ist es möglich, amplitudenabhängig Informationen zu kodieren. Dies wird bei Mobiltelefonen gerne dazu verwendet, die Klingelton-Melodie auch haptisch spürbar zu machen. Ein Vibrations-Antrieb ist ein haptisches Gerät (Abb. 2.13c) das die taktile Wahrnehmung adressiert. Der Nutzer befindet sich in haptischer Interaktion mit dem Gerät und erhält haptische Informationen in Form von in Frequenz und Amplitude kodierten Schwingungen. Ein Vibrations-Antrieb ist also ausschließlich ein haptisches Display, genaugenommen ein taktiles Display. Bei Vibrations-Antrieben ist der relevante, wirkende Krafteffekt die Zentripetalkraft. Unter der Annahme einer Rotationsgeschwindigkeit von ω = 2π 1000060RPM Hz und einer bewegten Masse von 0.5 g auf einem Radius von 2 mm ergibt sich eine re-
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2 Begriffsklärungen
k F0
Fout m
a)
d
ZH
b) xSignal
xout Haptisches Display
Nutzer
Fout c) Abb. 2.13 Vibrations-Motor eines Mobiltelefons (a) und zugehöriges mechanisches Netzwerk (b) sowie Blockstruktur (c).
sultierende Kraftamplitude von F = m ω 2 r = 1.1 N, also bei der Rotation eine sinusförmige Kraft mit einer Spitze-Spitzen-Amplitude von 2.2 N. Dies ist ein beeindruckender Wert für einen Antrieb von typischerweise 20 mm Länge. Betrachtet man die Netzwerkstruktur (Abb. 2.13b), dann kann der Vibrationsantrieb als Krafquelle mit sinusförmigen Verlauf betrachtet werden. Dieser muss eine Gehäusung mit der Masse m beschleunigen, das über eine Kopplung (z.B. Kleidung) an den Menschen koppelt. Wichtig ist, dass die Impedanz des Zweiges aus Feder/Dämpfer Kopplung und Nutzerimpedanz Z H groß ist gegenüber der Masse m, damit die Vibrationsenergie zum großen Teil auf den Menschen und somit zur Wahrnehmung geleitet wird.
Kapitel 3
Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
T HORSTEN A. K ERN
3.1 Biologie des Tastsinns In den vorangegangen Kapiteln wurden Beispiele haptischer Systeme diskutiert und die Bedeutung des haptischen Sinns erörtert, ohne eine genaue Vorstellung der Funktion der haptischen Wahrnehmung zu vermitteln. Um einen Entwurf eines haptischen Systems durchführen zu können, ist die Kenntnis grundlegender biologischer Kennwerte notwendig, da nur so Anforderungen an das technische System identifiziert und festgelegt werden können. Dieses Kapitel vermittelt die wichtigsten Begrifflichkeiten sowie Grundlagen zum Verständnis der Neurobiologie haptischer Wahrnehmung. Man beachte, dass die Forschung zur haptischen Wahrnehmung nicht abgeschlossen ist. Demzufolge stellt die hier präsentierte verkürzte Darstellung der komplexen biologischen Zusammenhänge eine fundierte Arbeitshypothese dar, die aber durch neuere Forschung teilweise widerlegt und erweitert werden kann. Um Informationen aus seiner Umwelt aufzunehmen, stehen dem Menschen fünf Sinneskanäle zur Verfügung: Gehörsinn, Geruchssinn, Geschmackssinn, Gesichtssinn und Tastsinn. Die Sinnesphysiologie unterscheidet fünf von dieser populärwissenschaftlichen Formulierung abweichende Sensoren und Sinnsysteme [213], die durch ihre Klassifikation eine dem technischen Vokabular verwandtere Betrachtungsweise zulassen: • Thermische Sensoren, die die Änderung der Temperatur vor allem in der Haut registrieren • Chemische Sensoren, die auf Geschmacks- und Geruchsstoffe, also chemische Reize reagieren • Optische Sensoren, die auf den Einfall von Photonen reagieren, insbesondere die Stäbchen und Zapfen der Retina
39
40
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
• Schmerz Sensoren, auch Nozisensoren, die spezialisiert sind chemische aber auch physikalische Gewebsschäden zu registrieren • Mechanische Sensoren, die mechanische Spannungen und Dehnungen z.B. in der Haut oder in der Muskulatur registrieren Die Kanalkapazität der Sensoren und ihre Bedeutung für die menschliche Wahrnehmung werden unterschiedlich bewertet. Die optischen Sensoren registrieren demnach ≈ 10 Mio. bit/s, der Tastsinn ≈ 1 Mio. bit/s und der Hörsinn ≈ 100 kbit/s [18]. Die Verarbeitung der sensorisch erfassten Größen erfolgt in der Großhirnrinde (zerebraler Kortex). Diese wird in funktionale Hirnareale eingeteilt. Die primäre motorische Rinde ist dabei der physische Ort der Signalverarbeitung zum Tastsinn. Die Visualisierung der Aufteilung der Körperareale (somatotropen Anordnung) in der motorischen Rinde zeigt, dass ein signifikanter Anteil des Tastsinns auf die Finger und die Hand konzentriert ist (Abb. 3.1). Die in diesem Areal stattfindende sensomotorische Wahrnehmung kommt in ihrer Bedeutung für den Menschen direkt nach der visuellen Wahrnehmung und noch vor dem Hören.
Abb. 3.1 Darstellung der funktionalen Hirnareale mit motorischen Bezug (Somatotrope Anordnung)[53].
Innerhalb der Sensomotorik hat der haptische Sinn die größte Bedeutung. Es handelt sich dabei um eine Gruppe von mechanischen Sensoren, die innerhalb der Haut, Gelenke und Muskulatur, die aus Kräften resultierende Verformung der Gewebe erfassen. Haptische Wahrnehmung ist also die Summe der Signale einer Vielzahl von Messstellen am menschlichen Körper durch wenigstens sechs Typen von Sensoren. Diese Sensoren werden in zwei grundlegende Gruppen unterschieden: Taktile und kinästhetische Sensoren (Abb. 3.2).
3.1 Biologie des Tastsinns
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Haptische Rezeptoren
NociiRezeptoren
Tactile Rezeptoren
Kinästhetische Rezeptoren
- angeordnet in der Haut - hohe Bandbreite >100 Hz - reagieren auf Dehnung im umgebenden Gewebe
RA FA-I - schnell anpassend - Meisner corp. - dx/dt
SA-I - langsam anpassend - Merkel-cell - dx/dt & dx
SA-II
Thermische Rezeptoren
- angeordnet in Muskeln und Gelenken - niedrige Bandbreite < 100 Hz - reagieren auf Dehnung oder Spannung
PC FA-II
Spindel Spannungs Rezeptoren
Spindel Dehnungs Rezeptoren
- Pacinian corp. - langsam - parallel zu Muskel- schnell anpassend fasern anpassend - d²x/d²t - Ruffini corp. -x - strittig ob in unbehaarter Haut überhaupt vorhannuclear nuclear den
bag fibres
chain fibres
- in Serie zu Muskelfasern
Golgi tendon organ
- klein und dünn - Kraft-sensitiv - frequenzabhängig - konstante Kräfte auf Dehnung
DBF
SBF
- Dynamic Bag - Static Bag Fibres Fibres - Statische Kräfte - Geschw. abhängig
Abb. 3.2 Klassifizierung der haptischen Rezeptoren und deren Benennung, angelehnt an [229].
Taktile Sensoren befinden sich in den äußersten Schichten der Haut an exponierten Stellen (z.B. den Fingerkuppen). Sie reagieren auf Dehnungen der Haut und unterscheiden sich dabei, ob sie Auslenkungs-proportional, Geschwindigkeitsproportional oder Beschleunigungs-proportional aktiviert werden. Die Neurophysiologie unterscheidet zwischen vier verschiedenen Typen von taktilen Sensoren [229],[213]: • Rapid-adaption oder Fast-Adaption (RA oder FA-I) Meissner corpuscles - mit geschwindigkeitsabhängiger Aktivierung • Slow-adapting (SA-I und SA-II) Merkel cells und Ruffini-corpuscles - mit geschwindigkeitsabhängiger bzw. Auslenkungs-proportionaler Aktivierung, allerdings mit niedrigerer Dynamik1 als die Meissner Körperchen • Fast-Adaption (FA-II) Pacinian corpuscles - mit beschleunigungsabhängiger Aktivierung 1
Dynamik Bezeichnet die Breite des Frequenzbereiches, für den ein Sensor oder Aktor ausgelegt ist; im Gegensatz zu ”Amplitudendyamik”, was die Höhe des Hubs eines Aktorausgangs oder Sensoreingangs bezeichnet.
42
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
Die Verteilung der Sensortypen variiert in den verschiedenen Hautarealen (Abb. 3.3) und ist Gegenstand der aktuellen Forschung. So ist nach [187] die Existenz von Meissner Körperchen in der unbehaarten Haut, entgegen der gängigen Lehrmeinung, gänzlich in Frage zu stellen.
Cornea Epidermis
Corium
MerkelZellen
RuffiniKörperchen
Subcutis PaciniMeissnerKörperchen Körperchen
Abb. 3.3 Anordnung der Sensortypen in den Hautschichten [46].
Kinästhetische Sensoren sind im Gegensatz zu den taktilen Sensoren vorwiegend innerhalb der Muskulatur, den Gelenken sowie den Sehnen angeordnet. Sie erfassen ausschließlich Kräfte, die auf ganze Extremitäten wirken. Die Anforderungen an die Dynamik sind durch das mechanische Tiefpassverhalten der vorgelagerten Extremitäten (ihre Massen, Dämpfungen und Steifigkeiten) gering. Die Anforderungen an die relative Auflösung der geringst möglichen wahrnehmbaren Kräfte relativ zur maximal wirkenden Kraft (Amplituden-Dynamik) ist jedoch vergleichbar. Kinästhetische Sensoren gliedern sich in zwei Gruppen: • spindle-stretch-receptors Dynamic Bag fibres and Static Bag fibres - in paralleler Anordnung zu den Muskelsträngen • spindel-tension-receptors Golgi tendon organ - in serieller Anordnung zu den Muskelsträngen Fasst man die Informationen zu den an der haptischen Wahrnehmung beteiligten Sensoren zusammen, dann ist bemerkenswert, dass die Natur eine Lösung zur Wahrnehmung von Kräften und Vibrationen hervorgebracht hat, die sich nicht signifikant von der technischen Lösung vergleichbarer Fragestellungen unterscheidet. Da die technischen Messverfahren älter als das Verständnis der biologischen Zusammenhänge sind, lässt sich vermuten, dass die physikalischen Randbedingungen nur derart optimierte Lösungen zulassen. Außer der Betrachtung dieser Sensoren als erstes Glied der haptischen Wahrnehmungskette, ist die Berücksichtigung eines Modells zur neuronalen Verarbeitung haptischer Informationen notwendig, um ein Gefühl für die Komplexität der beteiligten Einheiten und die Abgrenzung der für den Entwurf haptischer Systeme relevanten Komponenten zu vermitteln.
3.1 Biologie des Tastsinns
43
Abb. 3.4 Neuronale Verarbeitungskette am Beispiel des menschlichen Greifens nach einem Glas Wasser: A, B, C sind nicht näher definierte Entscheidungsglieder; τi Verzögerungsglieder.
In Abbildung 3.4 sind die an der Aufgabe ”Greifen eines Wasserglases” beteiligten neuronalen Komponenten dargestellt. Beginnend mit dem Handlungsantrieb aufgrund von z.B. zu hohem Salzgehalt, und unter Kenntnis eines Glases an der Position x wird in der Entschlussphase eine Entscheidung getroffen, ein Wasserglas zu greifen. Dies resultiert in der Programmierphase in der Definition von Bewegungen der einzelnen Körperglieder, die wiederum in der Bewegungsdurchführung durch untergeordnete Positionsregler geführt werden. Feedback geben dabei die Positionskontrolle der Winkelstellung der Gelenke als übergeordneter Regelkreis und die visuelle Kontrolle als untergeordneter Positionsregelkreis. Der visuellen Kontrolle untergeordnet existiert ein Regelkreis mit Kraft-Feedback, der, basierend auf einer anvisierten Maximalkraft, das sichere Halten des Glases ermöglicht. Alternativ kann auch eine Rückkopplung angenommen werden, der die Kraft nachregelt, um ein Durchrutschen des Glases zu vermeiden. Bemerkenswert ist die Analogie zu technischen Regelkreisen. Entschlussphase, Programmierphase und Durchführung sind anerkannte Abbildungen zentralnervöser Pläne [213]. Die Struktur der Positions- und Kraftregler ergibt sich aus der Anschauung der Dynamikbereiche und Messfehler, in dem die am Regelkreis beteiligten Komponenten arbeiten können. Die Positionsregelung über den Bewegungsapparat und kinästhetische Sensoren weist nach [279],[81] einen Dynamikbereich von ≤ 10 Hz auf. Weiterhin ist die Winkelstellung und absolute Positionsermittlung ohne Sichtunterstützung stark fehlerbehaftet (2◦ bis 10◦ in Abhängigkeit der beteiligten Gelenke [34]). Bewegung unter visueller Kontrolle sind deutlich präziser. Die optische Wahrnehmung kann Reize mit Frequenzen von 30 Hz, abhängig von der Beleuchtungsstärke, auflösen. Auch ist es dem Menschen durchaus möglich, unter
44
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
optischer Kontrolle bis unmittelbar vor einem physischen Kontakt eine Position zu erreichen und zu halten. Etwas, was bei geschlossenen Augen und Kenntnis der Zielposition unmöglich ist. Die taktilen Sensoren der Kraftregelung wiederum weisen eine Dynamik im Bereich von mehreren hundert Herz auf. Dies, in Kombination mit der hohen Amplitudenauflösung, ermöglicht es dem Menschen, auch glatte, fragile Objekte sicher zu halten, ohne sie zu zerbrechen.
3.2 Haptische Wahrnehmung Zur Formulierung der Anforderungen für den Systementwurf ist eine Kenntnis der Kennwerte haptischer Wahrnehmung notwendig. Da der haptische Sinn als Hautsinn nicht räumlich konzentriert, sondern über den Körper verteilt ist, gibt es für jede Körperpartie unterschiedliche Kennwerte. Weiterhin ist haptische Interaktion immer bidirektional. Das heißt, dass vor allem im kinästhetischen Fall erst die Berücksichtigung von Positionen und Winkel der Gliedmaßen wie auch Kraft- und Momentenkennwerte mechanischer Vorspannungen beim Zugreifen, Drücken oder Halten die haptische Interaktion ausreichend genau abbilden. Als sei dies noch nicht ausreichend, zeichnet sich die haptische Wahrnehmung außerdem noch durch eine deutliche Abhängigkeit von der Dynamik der Anregung über einen breiten Frequenzbereich aus. Zu guter Letzt gibt es noch den Aspekt der Multimodalität2. So werden haptisch unauffällige Schalter und Taster aufgrund des Rast-Geräusches als qualitativ höher bewertet, als leise Taster mit identischen haptischen Eigenschaften. Die Komplexität der sich damit ergebenden Zusammenhänge haptischer Wahrnehmung resultiert darin, dass jegliche Kennwerte kritisch und im Kontext des jeweiligen Versuchsaufbaus und der Sorgfalt des zur Ermittlung verwendeten Experiments zu hinterfragen sind. Tatsächlich sind die in diesem Kapitel vorgestellten Kennwerte lediglich als Anhaltspunkte zu verstehen, die durch zukünftige Experimente erweitert, modifiziert und auch widerlegt werden können.
3.2.1 Psychophysikalische Konzepte Zum Verständnis der Kennwerte haptischer Wahrnehmung ist ein grundlegendes Verständnis einiger psychophysikalischer Konzepte notwendig. Die hier vorgestellten Definitionen basieren auf G. A. G ESCHEIDER [66], das jedem Leser als Einstiegslektüre bei Interesse mit diesem Schwerpunkt empfohlen wird.
2
Multimodalität: Kummulierter Einfluss unterschiedlicher Sinneswahrnehmungen zu einer Wahrnehmung eines Ereignisses.
3.2 Haptische Wahrnehmung
45
3.2.1.1 Thresholds und Differenz Limen In der Psychophysik unterscheidet man zwei wesentliche Analysekonzepte von Schwellwerten (thresholds). Zum einen die Messung von Schwellwerten zur differentiellen Wahrnehmung (thresholds of differential sensitivity) und die Erfassung von Schwellwerten zur absoluten Wahrnehmung (thresholds of absolute sensitivity). Alle Messmethoden der Psychophysik gliedern sich diesen beiden Kategorien unter. Sie unterscheiden sich in den Dimensionen (z.B. räumlich, zeitlich, spektral3), in denen die Stimuli dargeboten werden. Der absolute Schwellwert (Abb. 3.5) eines Reizes bezeichnet den Wert, ab dem ein Reiz φ überhaupt wahrgenommen wird. F stnd mean stnd
n1 n2 n3 ... nm Abb. 3.5 Ermittlung des absoluten Schwellwertes eines Reizes φ aus m Probandenversuchen .
Als weitere Messgröße ist die Änderung eines Stimulus interessant, die eine Just-Noticeable-Differenz (JND) 4 hervorruft. Die Änderung des Stimulus wird als difference threshold oder auch als Differenz Limen (DL) bezeichnet. Der DL ist also die Messung von Δ φ als Unterschied eines Reizes φ0 von einem anderen Reiz φ1 . Die JNDs werden dabei diskret als JND ∈ N gezählt. Der erste JND wäre also der erste DL nach dem absoluten Schwellwert, der zweite JND wäre der auf die Summe aus absoluten Schwellwert und erstem DL folgende DL, u.s.w. (Abb. 3.6). Die JND ist also die kleinste physiologische Skaleneinheit der linearisierten Wahrnehmung eines physikalischen Reizes φ . DL = Δ φ = φ0 − φ1
(3.1)
Die DL von Reizen wird unter unterschiedlichen Fragestellungen untersucht. Die dabei zur Anwendung kommenden unterschiedlichen Methoden lassen Rückschlüsse auf die neuronale Verarbeitung der Reize zu. Die klassische Methode zur Analyse des DL wäre die Präsentation eines Referenzreizes, und der Vergleich mit einem zweiten Reiz, der entweder im Wechsel automatisiert oder durch den Probanden gewählt dargeboten wird (Abb. 3.7). 3 4
also unterschiedlicher Frequenz selten auch Just-Noteable-Differenz
46
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
F
JND JND4
F4 F3 F2 F1 F0
JND3
DL3
JND2 DL2 DL1
Physikalisch
JND1 DL0
JND0
Physiologisch
Abb. 3.6 Konzept der physikalischen Skala des Reizes φ und der linearisierten physiologischen Skala der diskreten JNDs.
F DF1
DF2
DF
DFm DF. .
stnd mean stnd
n1
n2
...
nm =F0
n1 =F1
n2
...
nm
n
=DF=>JND
Abb. 3.7 Ermittlung des DL als Resultat einer Just-Noticeable-Differenz (JND) Δ φ zwischen den Stimuli phi0 und phi1 aus m Probandenversuchen.
Es existieren aber noch weitere Aspekte, unter denen eine Analyse durchgeführt wird. Zum einen unter dem Aspekt des Maskings mit der Fragestellung: ”Ab wann werden zwei Reize in Abhängigkeit eines Parameters als zwei unterschiedliche Reize wahrgenommen?” Häufig untersuchte Parameter sind die Zeitabhängigkeit und die Ortsabhängigkeit. Daher existieren die festgelegten Begriffe des temporal masking sowie des spatial masking.
3.2 Haptische Wahrnehmung
47
Beispiel Masking: Die Wahrnehmung einer Änderung der Frequenz einer mechanischen Schwingung bei gleicher Amplitude soll untersucht werden. Hierzu werden dem Probanden die Summe aus zwei oszillierenden Reizen dargeboten. Der Proband hat nun die Möglichkeit die Frequenz eines der Reize zu variieren, bis er zwei voneinander unterschiedliche Reize wahrnimmt. Das Maß der Änderung der Frequenz Δ f ist der Wert des DL bezogen auf den Referenzreiz. Die Ergebnisse derartiger Experimente sind immer exakt und kritisch zu betrachten. Zum Beispiel kann das zuvor geschilderte Experiment durchaus auch so interpretiert werden, dass nur eine JND der maximalen Amplitude eines Summensignals untersucht wurde, und nicht eine DL einer Frequenzänderung. Daher ist in einer Folge von Hypothesen und derern Verifikationen oder Falsifikationen zu testen, ob z.B. ein Experiment, bei dem die Summenamplitude beider Signale unabhängig von der Frequenz identisch ist, einen systematischen Unterschied in den Ergebnissen der damit ermittelten JND aufweist.
Beispiel temporal Masking: Ein Reiz φ0 einer Frequenz wird über einen langen Zeitraum t dargeboten. Im Folgenden werden Reize φn z.B. in Abhängigkeit der Frequenz dargeboten. Die Wahrnehmung der Reize (zum Beispiel derer Absolutschwellwerte) wird in Abhängigkeit der Dauer t variieren. Das Maß dieser Variation ist der temporal-Masking-effect.
Beispiel spatial Masking: Zwei Reize φ0 und φ1 zum Beispiel in Form von Nadeln auf der Haut werden mit einem räumlichen Abstand d voneinander dargeboten. Ab einem Abstand d werden beide Reize unabhängig voneinander wahrgenommen. Dies ist ein spezielles Beispiel für spatial masking, das als Zweipunktschwelle eine eigenständige Begrifflichkeit erhalten hat.
Ein anderer Aspekt ist die Analyse des Successiveness Limen (LM) mit der Fragestellung: ”Wie viele aufeinander folgende Reize werden wahrgenommen?” Beispiel LM: Mit einem Vibrationsmotor werden an einer Körperstelle eine Folge von Reizen dargeboten. Die Reize variieren in dem zeitlichen Abstand zueinander. Der LM ist der zeitliche Abstand, bei dem die Folge korrekt wahrgenommen werden kann.
3.2.1.2 Psychophysikalische Gesetze Eine wichtige Form der Darstellung des DL Δ φ ist als bezogene Größe des Referenzstimulus φ0 in der Form
Δφ =c φ0
(3.2)
E.H. W EBER hat 1834 herausgefunden, dass der Wert c ein konstanter Quotient für eine spezifische Wahrnehmung aufweist. In seinem Experimenten hat er Ge-
48
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
1 wichte auf der Haut platziert und herausgefunden, dass c ungefähr 30 beträgt. Das heißt, das nächsthöhere Gewicht, das man über die untersuchten Hautareale von ei1 nem Gewicht von 200 g unterscheiden kann, ist ein Gewicht von 30 · 200 g+ 200 g = 206, 66 g. Der Wert von c unterscheidet sich deutlich bei der Untersuchung unterschiedlicher Stimuli, aber der sinnesübergreifende Zusammenhang nach Gleichung 3.2 (Weber’s law) scheint in weiten Bereichen universell zu sein. Eine Konsequenz aus Webers Gesetz ist, dass man unterschiedliche Sinne und deren Wahrnehmung in ein Verhältnis zueinander setzen kann. Eine Ausnahme bilden niedrigen Stimuli (Abb. 3.8a) in der Höhe des absoluten Schwellwertes, bei denen sich c für denselben Stimulus deutlich erhöht.
DF/F
a)
Stimulus Intensität
DF/(F+a)
b) Stimulus Intensität
Abb. 3.8 Ermittlung der Just-Noticeable-Differenz (JND) Δ φ zwischen den Stimuli phi0 und phi1 aus m Probandenversuchen.
Eine Anpassung von Weber’s law
Δφ =c φ0 + a
(3.3)
kompensiert die Abhängigkeit der Wahrnehmung bei Stimuli niedriger Intensität (Abb. 3.8b). Die Konstante a ist wie auch schon c spezifisch für den jeweiligen Sinn und gegenüber c relativ niedrig. Die physiologische Ursache für a ist nicht abschließend geklärt. Eine Hypothese lautet, dass sie ein Maß für das somatosensorische Hintergrund-Rauschen der jeweiligen Rezeptoren ist. Einige Sinne, vor allem der akkustische und aber auch der haptische Sinn, weisen eine nichtlineare logarithmische Abhängigkeit der wahrgenommenen Intensität der physikalischen Anregung auf. Für den Stimulusbereich, in dem Weber’s law in der ursprünglichen Version nach Gleichung 3.2 als korrekt angenommen werden kann, ist es daher möglich über eine Beziehung, die als Fechner’s law bezeichnet wird,
3.2 Haptische Wahrnehmung
49
Ψ = k log φ
(3.4)
ein lineares Maß Ψ der Wahrnehmungsamplitude zu erreichen. Fechner’s law hat heute vor allem historische Bedeutung. Es wurde durch ein von S. S. S TEVENS 1975 vorgeschlagenes Gesetz ersetzt, das die Intensität von Stimuli über einen Exponentialzusammenhang darstellt:
Ψ = kφ a
(3.5)
Dieser als Power-Law bezeichnete Zusammenhang ermöglicht über die Konstanten a und k eine Abbildung einer Vielzahl von Wahrnehmungs-Abhängigkeiten. Wenn a = 1 gilt, dann zeigt Gleichung 3.5 einen linearen Zusammenhang. Bei Werten von a > 1 einen mit steigender Stimulus-Intensität verstärkten, bei a < 1 gedämpften Zusammenhang. Logarithmiert man Gleichung 3.5, so erhält man einen für Diagramme mit logarithmischen Achsen (Abb.3.9) günstigen Zusammenhang logΨ = log k + a log φ
(3.6)
mit y-Achsenabschnitt logk und einer Geradensteigung a.
Abb. 3.9 Logarithmische Darstellung hypothetischer Messungen entsprechend Gleichung 3.6 (nach [66]) .
Tabelle 3.1 zeigt einen Auszug aus den von S TEVENS veröffentlichten Daten [235] des Koeffizienten a entsprechend Gleichung 3.5.
3.2.1.3 Mittelwerte und Perzentile Die Analyse von psychophysikalischen Messungen ist aufgrund großer Streuweiten und daher notwendiger hoher Probandenzahlen oder speziell trainierter Versuchpersonen immer aufwendig. Es bietet sich daher die Nutzung statistischer Versuchspla-
50
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
Tabelle 3.1 Exponent a der Power-Law Gleichung 3.5 für die Berechnung des Zusammenhangs zwischen sensorischer Amplitude und Stimulus-Intensität. Auszug aus [235] Kontinuum
gemessener Exponent gültig für Stimuli
Lautstärke Vibration
0.67 0.95
Vibration
0.6
Geschmack Geschmack Kälte Wärme Muskelkraft Druck auf Handfläche Finger Spanne Rotationsbeschleunigung Elektrischer Schock ...
1.3 0.8 1.0 1.6 1.7 1.1 1.3 1.4 3.5 ...
Schalldruck eines 3 kHz Schwingung mit 60 Hz Frequenz von unbekannter Amplitude auf Finger Schwingung mit 250 Hz Frequenz von unbekannter Amplitude auf Finger Zucker Süßstoff Metallkontakt am Arm Metallkontakt am Arm Statische Kontraktion Statische Kraft auf Haut Dicke von Blöcken 5-sec Drehung Strom durch Finger ...
nungen sowie die Anwendung von Signaldetektions-Algorithmen an. Für die Details dieser Verfahren wird auf generelle Literatur der statistischen Versuchsplanung sowie [66] verwiesen. Generell sind aber folgende Anmerkungen von Bedeutung: Bezüglich der psychophysikalischen Wahrnehmung hat sich gezeigt, dass Versuchsergebnisse sowohl bezogen auf den einzelnen Probanden in mehreren aufeinanderfolgenden Experimenten wie auch auf eine Gruppe von Probanden häufig einer Gauss’schen Normalverteilung gehorchen. Sie sind also durch Mittelwert μ und Standardabweichung σ eindeutig zu beschreiben. Ein Mittelwert beschreibt demnach das Maß, bei dem genau 50% der gegebenen Menge (z.B. von Versuchen) oberhalb und unterhalb liegen. Bezüglich der Angabe von Größen mit einer Verteilung die nicht einer Normalverteilung entspricht, ist die Verwendung von Perzentilen vorteilhaft. Ein typisches Beispiel für die Verwendung sind anthropometrischen Größen in der Ergonomie. Das x-te Perzentil beschreibt demnach den Wert auf einer Skala, unter den x Prozent der Probanden fallen. Im Sonderfall einer Normalverteilung ist das fünfzigste Perzentil identisch mit dem Mittelwert (Abb. 3.10).
3.2.2 Frequenzabhängigkeit Wie bei der Begriffsdefinition in Abschnitt 2.2 erläutert, hat jede kinästhetische Interaktion eine taktile Komponente. Aus den Betrachtungen zum ”Greifen eines Wasserglases” in Abschnitt 3.1 ist bekannt, dass die taktile Komponente der Inteaktion in der innersten Rückkopplungsschleife liegt, und daher den höchsten Anfor-
3.2 Haptische Wahrnehmung
51
n
Normalverteilung
m-s
m
m+s
F
n
Beliebige Verteilung
Perzentil 5%
Perzentil 50%
Perzentil 95%
F
Abb. 3.10 Gegenüberstellung einer Normalverteilung mit Angabe von Mittelwert μ und Standardabweichung σ und einer beliebigen Verteilung mit Angabe von Perzentilen.
derungen an die dynamischen Eigenschaften genügen muss. Dieser Abschnitt dient der Darstellung von Wahrnehmungsschwellwerten und Differenz-Limen, wie sie in Neurologie und Psychophysik ermittelt wurden, und ist daher eine Vorbereitung der Anforderungsermittlung für technische Systeme, die mit dem haptischen Sinn interagieren. Die Dynamik haptischer Wahrnehmung kann rezeptorseitig im Rahmen neurologischer oder wahrnehmungsseitig vor allem im Rahmen psychophysikalischer Untersuchungen durchgeführt werden. Bei der rezeptorseitigen Analyse ist die getrennte Betrachtung taktiler und kinesthätischer Sensoren möglich, da die Potentiale der unterschiedlichen Nervenstränge getrennt voneinander gemessen werden können. In [119] wurden die einzelnen taktilen Sensortypen (vergleich Abb. 3.2 auf Seite 41) in Bezug auf ihre Frequenzabhängigkeiten (Dynamik) und den Schwellwerten (threshold) der Detektion von Hautdeformationen (Abb. 3.11) untersucht. Man erkennt deutlich, wie die Frequenzbereiche der Slow-adapting (SA) und der rapidadapting (RA) Sensoren sich gegenseitig ergänzen und überlappen. Der SA-II Sensortyp ist dabei konzentriert auf einen Bereich um ≈ 8 Hz. Nach dieser Studie erreicht der mittlere Schwellwert der isolierten Sensoren seine maximale Empfindlichkeit bei ≈ 300 Hz mit 10 μ m Auslenkung. W ILKINSON hat in [279] eine Studie bezüglich der Schwellwerte an isolierten Golgi-Sehnen Rezeptoren durchgeführt (Abb. 3.12). Die Ergebnisse zeigen einen beinahen linearen Zusammenhang zwischen der Antwort des Rezeptors in mV und der Stimulation in μ m über der Frequenz. Der relevante Frequenzbereich dieser Rezeptoren ist natürlich deutlich niedriger als jene der taktilen aus Abbildung 3.11, da die Massen sowie die Steifigkeiten der Gliedmaßen eine ausgeprägte Tiefpasscha-
52
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
Bereich der JND Bereich der höchsten Empfindlichkeit Mittlere Wahrnehmungsschwelle
Abb. 3.11 Frequenz-Dynamik und Schwellwerte zur Detektion von Hautdeformationen nach [119], reproduziert in [117] .
rakteristik aufweisen, und daher hochfrequente Anteile an Kräften und Auslenkungen von den kinästhetischen Sensoren abhalten. Es ist zu vermuten, dass kinästehtische Sensoren daher möglicherweise nie ausgeprägte Empfindlichkeit in hochfrequenten Bereichen entwickelt haben. Amplitude Rezeptor [mV/mm] 10
1
0.1 0.1
1
10
100
f [Hz]
Abb. 3.12 Schwellwerte von isolierten Golgi-Sehnen Rezeptoren [279].
Beim Entwurf haptischer Systeme liegt der Fokus dennoch weniger auf dem einzelnen, biologischen Rezeptoren, sondern vielmehr in der Wahrnehmung des Menschen, die aus der Summe aller taktilen und kinästhetischen Sensoren resultiert. In diesem Feld wurden eine Vielzahl von Studien gemacht, von denen drei hier representativ die Spannweite der Ergebnisse vorstellen. H UGONY hat bereist 1935 über die Wahrnehmung von Schwingungen in Abhängigkeit der Frequenz des Stimulus [99] veröffentlicht. Zusätzlich hat er verschiedene Stimulus-Level quantifiziert, die von dem Wahrnehmungschwellwert bis hin zu einem Schmerz-Schwellwert (Abb. 3.13a) definiert sind. TALBOT fügte dieser generellen Erkenntnis als wich-
3.2 Haptische Wahrnehmung
53
tiges Detail den Zusammenhang zwischen dem isolierten biologischen Sensor und der Wahrnehmung (Abb. 3.13b) hinzu. Beide Forscher zeigten, dass die Empfindlichkeit der Wahrnehmung bis zu einer Frequenz von ≈ 200 Hz (H UGONY) und ≈ 300 Hz (TALBOT) steigt. Für die Messungen wurde eine Auslenkungs-geregelte Schwinungsquelle verwendet. Diese, sowie andere Studien, wurden durch H AND WERKER [213] zu einer kombinierten Kurve haptischer Wahrnehmungsschwellwerte (Abb. 3.14) kombiniert.
10
-1
8 6 4
50 dB
Amplitude [mm]
2
a)
10
37,5
-2
8 6 4 25
2 10
Amplitude der Sinus-Schwingung am physiologischen Schwellwert [mm]
2000
-3
8 6 4
12,5
2 -4
10
0
100
JND 200 300 Frequenz [Hz]
1000
ANESTHESICED NORMAL 100
10
b) 400
500
100 10 Frequenz der Sinus-Schwingung
300
Abb. 3.13 Schwellwert der Wahrnehmung von Schwingungen nach H UGONY 1935 [99] (a) und Studie von TALBOT zur Wahrnehmung von Schwingungen [242](b).
Eine empfehlenswerte Quelle für Analysen zur haptischen Wahrnehmung sind in den Veröffentlichungen von G ESCHEIDER zu finden, der eine sehr stringente Analysemethodik und Diskussion haptischer Sinneswahrnehmung, seit 1970 bis zuletzt 2002 in allein 14 medizinisch/somatosensorische Veröffentlichungen direkt zu dem Thema, und einer Vielzahl weiterer Veröffentlichungen zu verwandten Themen, vorweisen kann. Als weitere hervorzuhebende Quelle dienen die Arbeiten von B ÉKÉ SY [23] sowie J OHANSSON . Neben dem Einfluss haptischer Wahrnehmung von der Frequenz existiert eine Abhängigkeit der wirkenden Fläche: großflächiger Einleitung von Kräften (A > 1 cm2 ) und der Einleitung von Kräften über kleine Flächen (A < 1 mm2 ) (Abb. 3.15). Bei kinästhetischen Displays handelt es sich immer um eine großflächige Ankopplung über die Finger. Bei taktilen Displays müssen geringe Flächen der Ankopplung angenommen werden. Die Wahrnehmungskurve setzt sich aus den Ausgangssignalen der vier Sensortypen zusammen und hat ein Minimum (Punkt maximaler Empfindlichkeit) bei ≈ 350 Hz. Die Frequenzabhängigkeit ist somit auch hier unbestritten. Lediglich der exakte Verlauf, als auch das Minimum der
54
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung Eindringtiefe [mm]
1000
Pacinian
100
RA 10
WahrnehmungsSchwellwert
1 1
10
100
350
1k
f [Hz]
Abb. 3.14 Kombinierte Kurve eines Schwellwerts haptischer Wahrnehmung [213].
Auslenkung [dB, rel. to 1µm Spitzenwert]
Wahrnehmungskurve (Frequenz maximaler Empfindlichkeit), variiert im Bereich von ≈ 100 Hz. Bemerkenswert ist, dass die Wahrnehmung besonders niedriger Frequenzen < 0, 1 Hz nicht abschließend dokumentiert ist. Man kann sich behelfen, indem ab ≈ 1 Hz die Wahrnehmungskurve als ein konstanter Wert angenommen wird.
A1 A2
PA & RA Rezeptoren SA I & SA II Rezeptoren
f [Hz]
Abb. 3.15 Frequenzabhängige Wahrnehmung von Schwingungen für zwei unterschiedliche Kontaktflächen A1 und A2 [67]. PA-, RA-, SA-Rezeptoren siehe Abbildung 3.2
3.2 Haptische Wahrnehmung
55
Neben der Frequenzabhängigkeit existieren noch weitere Abhängigkeiten haptischer Wahrnehmung. Anhaltende mechanische Reize haben eine reversible Desensibilisierung der Rezeptoren zur Folge. Diese zeitliche Abhängigkeit der Wahrnehmung wird in [69] dazu genutzt, einzelne Rezeptorklassen zu maskieren, um den Anteil anderer Klassen an der Wahrnehmung in den überlappenden Frequenzbereichen zu studieren. Die zeitliche Änderung der Wahrnehmungskurve Δ K in dB kann entsprechend Gleichung 3.7 genähert werden
Δ K(t) = 12 · (et )12 .
(3.7)
Daraus ergibt sich, dass die Desensibilisierung in einem zeitlichen Rahmen von einer Sekunde (Frequenzanteile unter 10 Hz) stattfinden. Daher ist ihre Berücksichtigung bei der Analyse von haptischen Displays, Telemanipulationssystemen oder Simulatoren wegen des großen Verhältnisses der Nutzungsdauer zur Desensibilisierung nicht notwendig, sondern es wird immer von einem eingeschwungenen, desensibilisierten Zustand ausgegangen. In der Praxis ist diese Näherung jedoch nicht immer zutreffend, da z.B. bei der Nutzung von taktilen Geräten auf Basis von Pinoder Scherkraftsystemen aus eigener subjektiver Beobachtung des Autors heraus eine Verringerung der Wahrnehmung einzelner Pins nach Minuten noch auftritt. Die Amplitudenauflösung (DL) der haptischen Wahrnehmung weist analog zur visuellen und akkustischen Wahrnehmung beim Menschen ein logarithmisches Verhalten auf. Die Wahrnehmung von kleinsten Änderungen in Abhängigkeit einer in der Amplitude veränderlichen Grundanregung wurde in [68] untersucht. Messungen wurden an zwei Frequenzen (25 Hz, 250 Hz) und mit weißem Rauschen gemacht. Die nachgewiesene Abhängigkeit des DL von der Amplitude der Grundanregung ist nichtlinear mit einer maximalen Abweichung von ≈ +3 dB. Sie ist für niedrige Amplituden der Grundanregungen höher. Dies legt nahe, dass zur Beschreibung der Wahrnehmung das in Abschnitt 3.2.1.2 vorgestellte Power-Law (Gl. 3.6) eingesetzt werden kann, wobei die Koeffizienten für jede Kontaktsituation bestimmt werden müssen.
3.2.3 Kennwerte haptischer Interaktion Neben den Dynamikverläufen aus dem vorangegangenen Kapitel existieren eine Vielzahl vereinzelter Werte aus Experimenten, die einen Eindruck der Fähigkeiten haptischer Interaktion ergeben. Die Ergebnisse teilen sich in zwei Gruppen. In der Tabelle zur haptischen Wahrnehmung (Tab. 3.2) sind rezeptorseitige Eigenschaften zusammen gefasst, während in der Tabelle der aktiven Bewegungen (Tab. 3.3) Grenzwerte und Fähigkeiten der aktiven Komponenten des haptischen Systems zusammengefasst sind. Die Tabellen beruhen auf einer Sammlung von D OERRER aus [46] und wurden um weitere Quellen ergänzt. Generell gilt aber beim Umgang mit derartigen Werten die Aussage von B URDEA [34] ”that it is dangerous to bank on recommendations for the design of haptic devices, especially when they are taken
56
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
from different experiments, with varying methods, and when only a small number of participants took part”. Die hier vorgestellten Kennwerte können nur einen Auszug aus den in der Literatur vorgestellten Untersuchungen abbilden. Für eine recht aktuelle und ausreichend umfangreiche Zusammenstellung wird auf [116] verwiesen.
3.2 Haptische Wahrnehmung
57
3.2.3.1 Kennwerte haptischer Wahrnehmung
Tabelle 3.2 Kennwerte der Wahrnehmungsfähigkeit der menschlichen Hand. Grundgröße
Statische Auslenkung / Position
Kennwert
Körperstelle
Wert
Quelle
Hautauslenkung, Absolutschwelle (a)
Fingerspitze (taktil) Fingerspitze (taktil) Handfläche (taktil) Fingergelenk (kinästhetisch) Handgelenk (kinästhetisch) Finger (taktil) gesamter Körper (kinästhetisch) Fingerspitze, Handfläche (taktil)
10 μ m (b)
[120]
Zweipunktschwelle (c) (Räumliche Auflösung)
Positionsauflösung, Differenzschwelle (DL)(g) Frequenz, Obergrenze (taktile Wahrnehmung) Frequenz, Obergrenze (kinästhetische Wahrn.) Dynamische Auslenkung (Vibration)
Maximale Empfindlichkeit
Fingerspitze, Amplitude, Absolutschwelle Handfläche (taktil) Amplitudenauflösung, Differenzschwelle (DL)(g) Frequenzauflösung, Differenzschwelle (DL) Kraft, Absolutschwelle
Kraft und Druck
Kraft, Differenzschwelle (DL) Druck, Absolutschwelle Druck, Differenzschwelle (DL)
Drehmoment
Differenzschwelle (DL)
Nachgiebigkeit
Differenzschwelle (DL)
Fingerspitze (taktil) Fingerspitze (taktil) Fingerspitze (l) (taktil) Handfläche (taktil) gesamter Körper (kinästhetisch) Finger (taktil) Handgelenk (kinästhetisch) Daumen, Zeigefinger (kinästhetisch) Daumen, Zeigefinger (kinästhetisch)
2-3 mm (d, e, f) [34][120] 10-11 mm
[120] [223]
2,5 ◦
[244]
2,0 ◦
[244]
5-10 kHz
[31][34]
20-30 Hz
[31]
bei 200-300 Hz 0,1-0,2 μ m bei 200-300 Hz
[15][25] [120] [15][25] [120]
(h, i, j)
10-25 %
[25]
8-10 % (k)
[25]
0,8 mN
[34]
1,5 mN
[34]
5-10 % (ca. 7 %) (m, n, o)
[186]
0,2 N/cm2
[222]
(p)
4-19 % (q)
[244]
12,7 % (r)
[112]
5-15 % (s, t)
[243]
58
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
Bemerkungen und Ergänzungen zu Tabelle 3.2 (a) Absolutschwelle: Ab diesem absoluten Grenzwert wird der Reiz wahrgenommen. (b) Wird eine Bewegung des Fingers zugelassen, so können Oberflächenstrukturen mit 0,85 μ m Höhe wahrgenommen werden [136]. (c) Zwei Reize mit einem örtlichen Abstand größer der Zweipunktschwelle werden unterscheidbar wahrgenommen. Die räumliche Auflösung ist der Kehrwert der Zweipunktschwelle. Die Tabellen zur Zweipunktschwelle am menschlichen Körper sind sehr umfangreich. Generell nehmen die Werte beginnend von der Fingerspitze mit 1 mm bis zu Bauch und Rücken mit 10 mm zu. Die Bedeutung der Zweipunktschwelle wird widersprüchlich diskutiert, da die Wahrnehmung von Scherungen der Haut heute mehr Bedeutung zugesprochen wird. Dennoch vermittelt die Zweipunktschwelle einen guten qualitativen Eindruck der Rezeptordichten am Körper. (d) Bei vibrotaktiler Stimulation (Vibrationen) befindet sich die Zweipunktschwelle an der unteren Grenze von 2 mm [120]. (e) Die Zweipunktschwelle wird kleiner, wenn die Reize nicht gleichzeitig, sondern zeitlich nacheinander dargeboten werden [120]. (f) Eine Positionsveränderung eines Reizes kann örtlich zehnfach besser aufgelöst werden als die Zweipunktschwelle [120]. (g) siehe Abschnitt 3.2.1.1 (h) Die Wahrnehmungsschwelle hängt stark von der Vibrationsfrequenz, dem Ort der Reizung und der Größe der Reizfläche ab [25][120][223]. (i) Amplituden größer als 0,1 mm werden an der Fingerspitze als lästig empfunden [25]. (j) Bei Reizung mit konstanter Frequenz und Amplitude findet eine Desensibilisierung statt, die bis zu einem Taubheitsgefühl führen und nach Beenden der Reizung noch mehrere Minuten andauern kann [35][119]. (k) Die Fähigkeit Reize zu unterscheiden reduziert sich ab 320 Hz [31]. (l) Die Absolutschwelle der Kraftwahrnehmung wird von taktilen Mechanorezeptoren durch die Verformung der Haut registriert. (m)Der Wert von 7 % wurde als weitgehend unabhängig vom betreffenden Muskelsystem und vom Betrag der Kraft ermittelt [186]. (n) Ein spezieller Versuch bezüglich Kräften zwischen Daumen und Zeigefinger zeigte eine JND von 5-10 % für Referenzkräfte zwischen 2,5 und 10 N bei einem Fingerabstand von 45 bis 125 mm. Für kleinere Kräfte wird eine größere JND vermutet [186]. (o) Bei einem Versuch zur Unterscheidung von Massen unterschiedlicher Gegenstände wurde eine JND von 10 % festgestellt [15]. (p) Die taktile Wahrnehmung des Menschen ist besonders empfindlich für Druckgradienten und speziell für Objektkanten [244]. (q) Versuch bei einem Referenzdruck von 1,8 N/cm2 . JND stark ansteigend mit abnehmender Kontaktfläche: 4,4 % bei 5,06 cm2 , 18,8 % bei 1,27 cm2 [244]. (r) Versuch bei einem Referenzdrehmoment von 60 mNm. (s) Versuch bei einer Referenznachgiebigkeit von 4 mm/N und einem Federweg von 15 bis 35 mm. (t) Bei der Wahrnehmung der Nachgiebigkeit spielt die geleistete Arbeit beim Stauchen und die Verformung der Objektoberfläche eine Rolle [34].
3.2 Haptische Wahrnehmung
59
3.2.3.2 Kennwerte aktiver Bewegungen
Tabelle 3.3 Kennwerte der Ausgabefähigkeit der menschlichen Hand.
Grundgröße Geschwindigkeit
Bewegung
Kennwert Maximale Geschwindigkeit
Bandbreite (Bewegung und Kraftausübung)
Maximale Kraft Kraft
Ausübungsgenauigkeit
Drehmoment
Maximales Drehmoment
Körperstelle
Wert
Quelle
Finger (handnächstes Gelenk) Finger (mittleres Gelenk) Finger Arm, unerwartete Reaktion Arm, periodische Bewegung gelernte Trajektorie Reflex Zeige-, Mittel-, Ringfinger Daumen Handgelenk zwischen 2 Fingern: Fingerspitzengriff (d) zwischen 2 Fingern: Schlüsselgriff (f) Fingerspitze (mit visuellem Feedback)(g) Fingerspitze (ohne visuelles Feedback) Finger (handnächstes Gelenk) Finger (mittleres Gelenk) Finger (handfernstes Gelenk)
17 rad/s (a)
[85]
18 rad/s (a)
[85]
(b)
[31]
5-10 Hz 1-2 Hz
[232]
2-5 Hz
[232]
bis 5 Hz bis 10 Hz
[232] [232]
40-50 N (c)
[34]
85-100 N 35-65 N
[85] [34]
45-65 N (e)
[34]
76-109 N
[34]
40 mN (h)
[232]
11-15 % (i)
[232]
370-500 Ncm (j)
120-289 Ncm
[85]
(j)
[85]
40-85 Ncm (j)
[85]
60
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
Bemerkungen und Ergänzungen zu Tabelle 3.3 (a) Für langsame Bewegungen werden Geschwindigkeiten von 3-6 rad/s für handnächste und mittlere Fingergelenke angegeben [85]. (b) Die Bandbreite der Ausgabefähigkeiten ist situationsabhängig: unerwartete Signale: 1-2 Hz, periodische Signale: 2-5 Hz, bekannte Bewegungsabläufe: ca. 5 Hz, Reflex- reaktionen: ca. 10 Hz [31]. (c) Bei gestreckten Fingern und Bewegung nur am handnächsten Gelenk. Diese Werte sind weitgehend unabhängig von der Gelenkstellung (Beugung zwischen 0 und 80 ◦ ) [34]. (d) Es müssen verschiedene Griffpositionen der Finger unterschieden werden. Fingerspitzengriff bedeutet, dass ausschließlich die Fingerspitzen am Griff beteiligt sind. Eine Übersicht der Griffpositionen ist in [34] zu finden. (e) Die Maximalkraft kann nicht auf Dauer ausgeübt werden. Bei einer periodischen Kraftausübung von 25 % der Maximalkraft für 15 s mit anschließender Pause von 15 s entsteht schon nach 10 min der Eindruck einer Erschöpfung. Bei 15 % der Maximalkraft entsteht dieser Eindruck erst nach 104 min [278]. (f) Beim Schlüsselgriff drückt der Daumen an den seitlichen Bereich des Zeigefingers. (g) Aufgabe der Versuchsteilnehmer war das Ausüben einer konstanten Kraft. Dabei wurde auf einem Monitor die aktuell ausgeübte Kraft visuell rückgemeldet [232]. (h) Dieser durchschnittliche Fehler wurde weitgehend unabhängig vom Betrag der auszuübenden Kraft zwischen 0,25 und 1,5 N festgestellt. Die Kräfte wurden 14 s aufrechterhalten [232]. (i) Ohne visuelle Rückmeldung wird der Fehler deutlich größer und hängt von der auszuübenden Kraft ab, weshalb die Angabe in Prozentwerten erfolgt [232]. (j) Die Werte wurden rechnerisch aus Fingerkräften und -abmessungen bestimmt [85].
3.3 Schlussfolgerungen aus der Biologie der Haptik Neben dem Studium der reinen Kennwerte haptischer Wahrnehmung ist es sinnvoll, sich die Bedeutung von μ m-Auslenkungen, Frequenzen von 1 kHz und mehr in Bezug zu technischen und biologischen Systemen zu setzen. Dies ist eine kleine Fingerübung, um sich auf die Herausforderungen beim Entwurf haptischer Systeme vorzubereiten und basiert auf einem Vortrag von N IEMEYER.
3.3.1 Steifigkeiten Bereits die initiale Berührung eines Materials gibt uns Informationen über dessen haptische Eigenschaften. Der Mensch ist in der Lage sofort zu unterscheiden, ob er mit dem Finger auf einen Holztisch, ein Stück Gummi oder eine massive Betonwand trommelt. Dabei spielen neben den akkustischen und thermischen Eigenschaften vor allem die taktilen und kinästhetischen Rückmeldungen eine große Rolle. Unter der vereinfachenden Annahme einer zweiseitig eingespannten Platte, lässt sich über das E-Modul die Steifigkeit k dieser Platte näherungsweise mit
3.3 Schlussfolgerungen aus der Biologie der Haptik
k=2
b h3 ·E l3
61
(3.8)
ermitteln [153]. Abbildung 3.16a zeigt die Berechnung der Steifigkeiten einer Platte von 1 m Kantenlänge und 40 mm Höhe. Im Vergleich dazu wird die Steifigkeit kommerziell erhältlicher haptischer Systeme (Abb. 3.16b) gesetzt. Es ist offensichtlich, dass die Steifigkeit kommerzieller Systeme um Zehnerpotenzen unterhalb der Steifigkeiten massiver, aber dennoch alltäglicher Körper wie Tischen und Wänden liegt. Dennoch ist die Steifigkeit eines Gerätes nur ein Kriterium für die Auslegung eines guten, haptischen Systems. Dieser Vergleich soll bewusst machen, dass die pure Nachbildung von massiven Gegenständen nicht alleine aus einem technischen System kommen kann, vielmehr braucht es eine Kombination aus steifer5 und dynamischer Hardware, da - wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt - vor allem die dynamischen Interaktionen in hohen Frequenzbereichen die Qualität der Haptik bestimmen.
Abb. 3.16 Vergleich zwischen Steifigkeiten einer 1x1x0.04 m3 Platte unterschiedlicher Materialien (a) mit den darstellbaren Steifikeiten kommerzieller haptischer Systeme (b).
5
im Sinne eines vertretbaren, technischen Aufwands
62
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
3.3.2 Ein Kiloherz - Bedeutung für den technischen Entwurf Die haptische Wahrnehmung erstreckt sich in Frequenzbereiche bis zu 10 kHz, wobei der Schwerpunkt unterhalb von 1 kHz liegt. Die hohe Bandbreite der Wahrnehmung ermöglicht es uns, Mikrostrukturen von Oberflächen wahrzunehmen, wie auch hochdynamische Ereignisse, z.B. den Moment des Kontaktes beim Trommeln auf einer Tischplatte, genau zu erkennen. Nimmt man in einer Überschlagsrechnung ein Materialmodell entsprechend Abbildung 3.17 als eine Parallelschaltung aus einer bewegten Masse m und einer Feder k an, dann ergibt sich unter der Annahme eines für alle Materialien gleichen ”virtuellen” Volumen V und der individuellen Dichte ρ für einen qualitativen Vergleich die Möglichkeit zur Berechnung der Grenzfrequenz einer sprunghaften Anregung nach k k 1 1 = fb = . (3.9) 2π m 2π V ρ Abbildung 3.17 zeigt, dass alleine die Kollision mit Gummi und weichen Kunststoffen Grenzfrequenzen unterhalb von 100 Hz haben. Bereits festerer Kunststoff (Plexiglas) und alle weiteren Materialien weisen Grenzfrequenzen oberhalb von 700 Hz auf. In einem Umkehrschluss bedeutet das, dass für eine qualitativ hochwertige Abbildung einer solchen Kollission sowohl das signalverarbeitende, wie das mechanische Systeme wenigstens derartige Dynamiken aufweisen müsste, da der Mensch in diesem Frequenzbereich noch taktil empfindsam ist.
1.000
m
k
v
3dB - border-frequency [Hz]
F 100
10
fb de nu m
St ea l
ol yb M
on lic Si
G la s
lo y Al
G ra ni te
Co nc re te
s
W oo d
en e
ex ig la Pl
ro py l
Po lyp
Ru bb er
1
Abb. 3.17 3 dB Grenzfrequenzen f b einer Anregung eines einfachen mechanischen Modells verschiedener Materialien.
Daher wird beim Entwurf haptischer Systeme häufig empfohlen, das technische System so auszulegen, dass es in der Lage ist die volle haptische Bandbreite von
3.3 Schlussfolgerungen aus der Biologie der Haptik
63
1 kHz (bei manchen Quellen auch bis zu 10 kHz) zu übertragen. Dieser Forderung ist aus Sicht der Software- und Nachrichtentechnik nicht abwegig, da sowohl Abtastsysteme wie auch Algorithmen derartige Rechengeschwindigkeiten erreichen können. Betrachtet man aber den hardwareseitigen Entwurf, so sind Dynamiken von 1 kHz gewaltig, wenn nicht sogar utopisch. Abbildung 3.18 zeigt eine Beispielrechung der Schwingungsamplitden nach F0 = |x · (2π f )2 m|.
(3.10)
Betrachtet wird eine Kraftquelle, die eine Ausgangskraft F 0 generiert. Die Last des Systems ist eine Masse (z.B. ein Handgriff) von 10 g (!!). Das System ist unbelastet, d.h. es muss keine haptisch wirksame Ausgangskraft zu einem Nutzer generieren. Angenommen wird eine periodische Schwingung der Frequenz f und der Amplitude x. Bei einer angenommenen Amplitude der Schwingung von 1 mm, ist bei 10 Hz eine Kraft von ungef. 10 mN notwendig. Bei einer Frequenz von 100 Hz sind bereits 2-3 N notwendig. Bei einer Frequenz von 700 Hz bereits 100 N - und das nur zur Bewegung einer Masse von 10 g! Natürlich ist es so, dass in Kombination mit der Nutzerimpedanz als Last bei Frequenzen >100 Hz Amplituden im Bereich von 100μ m und weniger auftreten werden, dennoch macht diese Rechnung deutlich, dass die energetische Betrachtung mechanischer Systeme für in der Haptik relevante Frequenzbereiche absolut notwendig ist.
Linien gleicher Kräfte |F0| [N] 100
50
100
10
1
0.5
0.1
0
0.01
0.05
-2
10
10
500
100
50
10
5
00
1
0.5
0.1
0.05
0.01
50
0 1 00
0
10
500
0.5
0.01
x [m]
10
50
-3
0
0.1
0.05
Fm
10
5
F0
100
1
m=0.01 kg
50 100
10 -4
50
5
10
10
0
10
1
f [Hz]
10
2
10
3
Abb. 3.18 Äquipotentiallinien von identischen, notwendigen Kräften in Abhängigkeit der Amplitude und der Frequenz bei der Beschleunigugn einer Masse von 10 g.
64
3 Biologische Grundlagen haptischer Wahrnehmung
Der Entwurf eines technischen, haptischen Systems ist also ein Kompromiss aus Bandbreite, Steifigkeit, Dynamik der Signalverarbeitung und maximalen Kraftamplituden. Der Entwurf führt den Entwickler bereits bei einfachen Systemen an die Grenzen der technischen Möglichkeiten. Es ist daher notwendig, ein gutes Modell für den Nutzer des technischen Systems in Bezug auf seine Eigenschaften als Last der mechanischen Einheit, wie auch in Bezug auf seine haptische Wahrnehmung zu haben, um einen optimierten Entwurf des technischen System durchführen zu können. Mit dieser Modellbildung beschäftigen sich das folgende Kapitel.
Kapitel 4
Nutzermodellbildung
T HORSTEN A. K ERN
Das vorangegangene Kapitel hat gezeigt, dass die für die haptische Wahrnehmung relevanten Mechanorezeptoren frequenzabhängig sind. Die Amplitude einer Schwingung über den Frequenzbereich wird also unterschiedlich intensiv wahrgenommen. Weiterhin hat das letzte Kapitel deutlich gemacht, dass die Dynamik haptischer Wahrnehmung große Anforderungen an den Entwurf technischer Systeme stellt. Da bei haptischen Systemen der Nutzer immer Rückwirkungen auf das mechanische System hat, ist es also notwendig diesen in seinen mechanischen Eigenschaften bei der Auslegung des technischen Systems zu berücksichtigen. Dieses Kapitel setzt sich im ersten Teil mit dieser Beschreibung des Nutzers als Last auseinander. Diese Beschreibung erfolgt zweigeteilt in Abhängigkeit des betrachteten Frequenzbereiches. Im zweiten Teil des Kapitel wird ein Modell der frequenzabhängigen Wahrnehmung für hochfrequente Schwingungen vorgestellt. Das Kapitel schließt mit Anwendungsbeispielen und einer Zusammenfassung.
4.1 Zuordnung der Frequenzbereiche auf das Nutzermodell Betrachtet man den Frequenzbereich haptischer Wahrnehmung (Abb. 4.1), so erstreckt sich diese von quasi statisch (wenigstens 10 s) bis hin zu 1 kHz oder mehr. Der Bereich höchster Empfindlichkeit liegt dabei zwischen 100-300 Hz.
65
66
4 Nutzermodellbildung
Tatsächlich ist die haptische Wahrnehmung nicht statisch. Die untere Grenzfrequenz ist allerdings nicht exakt ermittelt. Als einfaches, persönliches Experiment versuche man nach einer Ruhephase (z.B. beim Liegen auf der Couch oder auf dem Bett) sich der Lage seiner Gliedmaßen, der Struktur der Decke oder des Polsters bewusst zu werden. Man wird feststellen, dass der haptische Sinn nach einer langen Ruhephase wenige mechanischen Informationen (aber durchaus Wärme) wiedergibt. Erst nach einer Bewegung wird z.B. die Textur des Stoffs der Decke wieder tastbar.
Der Bereich aktiver haptischer Interaktion - Bewegungen, die bewusst oder unbewusst vom Menschen ausgeführt werden - sind in der Bandbreite begrenzt. Die Quellen unterscheiden sich (siehe auch Abschnitt 3.2.3) bezüglich der Dynamik menschlicher Bewegung. Die schnellste bewusste Bewegung können Menschen mit ihren Fingern durchführen. Hier wurden Geschwindigkeiten der Tastendrücke von von bis zu 8 Hz1 gemessen. Da die Grenzfrequenz der Bewegung oberhalb dieses Wertes liegt, ist eine Annahme einer Grenzfrequenz von 10 Hz in den meißten Fällen angemessen. Man bemerke jedoch, dass diese Grenze aktiver haptischer Interaktion fließend und tätigkeitsabhängig sein kann. Der weitaus größere Teil des Spektrums haptischer Wahrnehmung ist passiv (passive haptische Wahrnehmung, auch passive haptische Interaktion) in der Form, dass der Nutzer keine aktive Rückwirkung in diesem Übertragungsbereich hat. Tatsächlich kann der Nutzer sein Lastverhalten auch in diesem Frequenzbereich zum Beispiel durch Änderung der Kraft beim Fassen eines Knaufes verändern, diese Änderung beeinflusst zwar diesen Frequenzbereich, findet aber selbst zeitlich in dem niedrigeren Frequenzbereich aktiver haptischer Interaktion statt. 0.1
1
10
100
1k
Haptische Wahrnehmung
10k f [Hz]
aktive haptische Interaktion passive haptische Interaktion
Abb. 4.1 Grenzfrequenzen f b einer Anregung eines einfachen mechanischen Modells verschiedener Materialien.
Betrachtet man die beiden großen Klassen haptischer Systeme (taktile und kinästhetische Systeme), so hat die obige Modellverstellung im Detail abweichende Auswirkungen: • Die Ausgangsgröße des kinästhetischen Systems F out (Abb. 4.2a) erzeugt zwei Reaktionen am Nutzer. Über die mechanischen Eigenschaften der Fingerspitze 1 8 Hz entsprechen einer Anschlagsgeschwindigkeit von 480 Anschlägen pro Minute. 400 Anschläge gelten als sehr gut für eine professionelle Schreibkraft, 300-200 Anschläge sind gut, 100 Anschläge schaffen die meisten Gelegenheitsschreiber.
4.1 Zuordnung der Frequenzbereiche auf das Nutzermodell
67
(je nach Griff auch der gesamten Handinnenfläche, also den Nachgiebigkeiten der Haut) wird eine spontane, nicht direkt beeinflussbare Reaktion in Form einer Bewegung vspo hervorgerufen. Weiterhin findet eine Wahrnehmung der Kraft statt. Diese Wahrnehmung K 2 wird entsprechend der aktuellen Situation bewertet und in eine Reaktion des motorischen Apparates überführt. Diese bewusste (induzierte) Reaktion vind resultiert in Summe mit der spontanen Reaktion in die Ausgangsgröße vout des Nutzers. • Die Bewegung des taktilen Geräts vout (Abb. 4.2b) summiert sich zusammen mit der bewussten durch den Nutzer durchgeführten Bewegung vind zu einer gemeinsamen Verschiebung bzw. Geschwindigkeit. Diese Verschiebung wirkt auf die Haut, die über ihre mechanischen Eigenschaften die Ausgangsgröße des Nutzers F out erzeugt. Die bewusste Bewegung vind addiert sich bei entgegengesetzten Bewegungsrichtungen zu vout , da bei entgegengesetzten Bewegungen eine größere Auslenkung der Haut und somit eine höhere Kraft zwischen Nutzer und technischen System ergibt. Sie subtrahiert sich analog bei gleichgerichteter Bewegung, da dann das Gerät (oder der Nutzer, je nach Betrachtungsrichtung) der Kraftwirkung ausweicht und bestrebt ist, eine kleine Deformation und somit eine geringe wahrgenommene Kraft zu bewirken. Ausschließlich die Ausgangsgröße F out der kombinierten Bewegung wird nach diesem Modell wahrgenommen, und bedingt die weiteren bewussten Bewegungen.
vor allem kinästhetischhaptisches Gerät (Kraftquelle)
Nutzer
Haut
vspo vind Muskeln &
xout
a)
xout
b)
Wahrnehmung
= xout
vor allem taktiles haptisches Gerät (Positionsquelle)
K
Fout
Fout
xout
1 s
s
+ +
vout
vout
-
+
vout- vind Nutzer
K'
Gelenke
vind Mukeln & Gelenke
K'
Haut
=
Fout Fout
Wahrnehmung
K
Abb. 4.2 Nutzermodelle als Blockstruktur bei kinästhetischen (a+c) und taktilen (b+d) Systemen.
2
Wobei K hier willkürlich gewählt ist und eher ein Zugeständnis an die Notation des Blockschaltbildes ist, denn dass es einer realen neurologischen Größe entspricht.
68
4 Nutzermodellbildung
Überführt man die Modellverstellung aus Abbildung 4.2 in eine abstrakte Notation, dann entsprechen alle Blöcke konkreten Übertragungsfunktionen GHn . Berücksichtigt man außerdem, dass die Nutzerreaktion K sich aus einem komplexen Handlungsmuster sowie der Wahrnehmung K zusammen setzt, und daher im Rahmen der Modellbildung nur als in der Bandbreite begrenzte Störgröße betrachtet werden kann, dann ergibt sich eine Blockschaltbild entsprechend Abbildung 4.3c für kinästehtische und 4.3d für taktile Systeme. Die Übertragungsfunktion GH3 entspricht dabei der mechanischen Admittanz des Griffs oberhalb der angenommenen Grenzfrequenz der aktiven Nutzerinterkation fg . Die Übertragungsfunktion GH1 ist ein Modell zur Quantifizierung haptischer Wahrnehmung, und wird in Kapitel 4.3 näher betrachtet.
Fout
GH1 GH3
xout
1 s
vspo + + vind vout
Fout
K
K' xout
1 s
vspo + + vind vmax fg
vout
c)
a)
xout
s
vout
+
vind
+
vout+ vind
GH2
xout K'
1/GH3 Fout b)
?
GH3
=
GH2
K
GH1
vout
-
vind vmax
+
fg
vout- vind
?
1/GH3
=
GH1
s
K Fout
GH1
K
d)
Abb. 4.3 Überführung der Blockstruktur der Nutzermodelle in Übertragungsfunktionen inkl. Vereinfachungen der Modellvorstellungen im Bereich aktiver haptischer Interaktion für kinästhetische (a+c) und taktile (b+d) Systeme.
Zu dem Einsatzbereich der hier vorgestellten Modellvorstellung sind zwei Anmerkungen zu beachten: • Die in Abbildung 4.2 und 4.3 vorgenommene Notation von Wegen x und Kräften F als Ein- bzw. Ausgangsgrößen des Nutzers stellen eine Möglichkeit der Notation dar. Tatsächlich existiert zwischen Nutzer und haptischem System eine Impedanzkopplung, so dass nicht eindeutig zwischen Ein- und Ausgangsgrößen unterschieden werden kann. Da dennoch das isolierte haptische System oh-
4.2 Modell des Nutzers als mechanische Last
69
ne Kopplung an den Nutzer in der Regel der Auslegung einer Positions- oder Kraftquelle folgt, ist eine Betrachtung in der hier vorgestellten Form häufig sinnvoll. Außerdem gibt es abweichende Aktorsysteme (z.B. Ultraschallaktoren), die sich nicht eindeutig einer dieser Klassen zuteilen lassen. Daher sollte bei der Beschreibung des jeweiligen Systems bewusst mit der Vorzeichenwahl und somit der Richtungsdefintion der Pfeile umgegangen werden! • Der Zweck der hier vorgestellten Modellvorstellung liegt in der Beschreibung einer mechanischen Last zur optimierten Auslegung eines haptischen Systems. Um eine regelungstechnische Stabilität einer Simulation oder eine Telemanipulators zu gewährleisten, ist eine Betrachtung des Frequenzbereiches aktiver haptischer Interaktion 20 Hz.
Kombiniert hat das Modell die Übertragungsfunktion Z H = Z 3 Z B ⎛ s ZH = ⎝ + d 3 s + k3
⎞ −1 −1 s s2 m2 + k1 + d1 s 1 −1 ⎠ + + s d2 s + k2 sm1
(4.6)
(4.7)
76
4 Nutzermodellbildung
4.2.4 Modellparameter Zu dem obigen Modell (Gl. 4.7) können durch Messungen und Approximationen nun Werte ermittelt werden. Bei den hier vorgestellten Parametern wurden zwischen 48 und 194 Messreihen approximiert. Der hierzu verwendete automatische Näherungsalgorithmus besteht aus einer evolutionären Näherung, gefolgt von einem Curve-fit mit Optimierung nach N EWTON [30], um die finale Anpassung der evolutionär ermittelten Startwerte an die Messwerte durchzuführen. Die Messungen variierten in der mechanischen Vorspannung - der Griffkraft - mit der die Bedienelemente betätigt oder gehalten wurden. Die Griffkraft wurde durch Sensoren in den Handstücken erfasst. Sie war während der Messung quasi statisch und wurde für die Dauer eines Sinus-Sweeps im Bereich von 5% des Nennwertes durch die Probanden beibehalten. Die resultierenden Modellparameter konnten daher in Abhängigkeit von der Griffsituation sowie von der Greifkraft ermittelt werden. Sie werden im Folgenden vorgestellt.
4.2.4.1 Kraft-Griffe In der Klasse der Kraftgriffe wurden drei Griffarten untersucht. Beim Umfassungsgriff eines Zylinders mit der ganzen Hand (Abb. 4.9, Tab. 4.1) und beim Griff einer Kugel mit ähnlichen Abmessungen (Abb. 4.10, Tab. 4.2) zeigt sich eine Impedanz zwischen 35 und 45 dB. Die Impedanz weist eine Antiresonanz im Bereich 80 Hz auf, die sich für den Griff eines Zylinders für geringe Griffkräfte etwas zu höheren Frequenzen verschiebt. Die Perzentile, insbesondere die Impedanz des 5% Perzentils, zeigen, dass die gemessene Impedanzen mit einer deutlichen Streuung und Unsicherheit für niedrige Griffkräfte behaftet sind. Es ist zu vermuten, dass durch die Wahl der Probanden und die rein physiologisch großen Unterschiede der Handgröße die Impedanzen für schwache Griffe mit niedrigen Kräften große Variabilität aufweisen. Beim Griff zweier Ringe zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger (Abb. 4.11, Tab. 4.3) bewegen sich die gemessenen Impedanzen zwischen 15 und 35 dB. Es zeigt sich eine deutliche Antiresonanz der Impedanz im Frequenzbereich zwischen 70 und 100 Hz, die eine deutliche Abhängigkeit von der Griffkraft aufweist. Die Antiresonanz verschiebt sich mit steigender Vorspannung zwischen den Fingern zu höheren Frequenzen und auch zu höheren Impedanzen. Diese Resonanzverschiebung ist ein Resultat der Abhängigkeit der Parameter k1 und m2 von der Griffkraft, die als zentrales Element von Z 1 die Antiresonanz beeinflussen. Das System ”Hand” wird zwar steifer, die an der Bildung der Impedanz beteiligten Masse m2 nimmt aber ab. Eine Erklärung für diesen Effekt ist nicht sofort ersichtlich. m1 stellt mit 10 kg ein quasi steifes Gegenlager dar.
4.2 Modell des Nutzers als mechanische Last
77
20 log|ZH| [dB]
60
95. Perzentil
50 50. Perzentil
5N 10N 15N 20N
45
40 30
40 5. Perzentil
20 35
10 0 1 10
2
3
10
1
10
2
10
3
10
10 f [Hz]
Abb. 4.9 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kraftgriffe auf einem Zylinder (Ø25 mm, definiert für 20 Hz bis 400 Hz). Tabelle 4.1 Modellparameter aus Abbildung 4.8 für Griffe aus Abbildung 4.9 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−62.4 F + 1360 −0.216 F + 4.88 1.46 F + 21.20 −0.409 F + 39, 3 −365 F + 36800 1330 F + 5300 3.27 F + 133 0.00426 F + 0.0652
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
412.61 1.577 43.43 33.06 31271.39 15007.10 182.77 0.13
20 log|ZH| [dB] 60
95. Perzentil 44
5N 10N 15N 20N
50. Perzentil 42
40 5. Perzentil
20
40 38 36
0 34 -20 1 10
2
10
3
10
32 1 10
2
10
3
10 f [Hz]
Abb. 4.10 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kraftgriffe um eine Kugel (Ø40 mm, definiert für 20 Hz bis 600 Hz).
78
4 Nutzermodellbildung
Tabelle 4.2 Modell Parameter von Abbildung 4.8 für Griffe aus Abbildung 4.10 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−49.0 F + 3250.0 −0.111 F + 6.01 −0.0359 F + 46.3 −0.788 F + 43.4 13.3 F + 20800.0 109.0 F + 8090.0 4.94 F + 75.2 0.000150 F + 0.0961
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
2500.74 4.32 45.72 31.35 21033.88 9743.13 150.60 0.098
20 log|ZH| [dB]
35
40 35 30 25
95. Perzentil
30
50. Perzentil 5. Perzentil
25 20
20
15
15 10 1 10
5N 10N 15N 20N
2
10
3
10
4
10
10 1 10
2
10
3
4
10
10 f [Hz]
Abb. 4.11 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kraftgriffe auf zwei Ringe (Ø25 mm des inneren Rings, definiert für 20 Hz bis 2 kHz). Tabelle 4.3 Modell Parameter aus Abbildung 4.8 für Griffe aus Abbildung 4.11 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
2.26 F − 14.0 −2.26 × 10−16 F + 10.0 −0.00538 F + 0.107 0.143 F + 5.47 304.0 F + 1590.0 150.0 F + 811.0 1.72 F + 10.5 −0.000287 F + 0.0206
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
17.71 10.0 0.032 31.35 5843.70 2906.79 34.53 0.016
4.2.4.2 Präzisionsgriffe Bei den Präzisionsgriffen wurden zwei Griffarten untersucht. Bei einem von oben gegriffenen horizontalen Stift (Abb. 4.12, Tab. 4.4) zeigt sich eine ausgeprägte Antiresonanz bei Frequenzen zwischen 80 und 150 Hz. Die Impedanz verschiebt sich für höhere Griffkräfte zu höheren Impedanzen sowie niedrigeren Frequenzen, was auf einen Anstieg der Masse m2 zurückzuführen ist. Mit steigender Griffkraft zwischen den Fingern erhöht sich die Menge an Haut, die mit dem Griff in Kontakt
4.2 Modell des Nutzers als mechanische Last
79
kommt und zu Schwingungen angeregt wird. Bei einem in der Manier eines normalen Stiftes gehaltenen Zylinders (Abb. 4.13, Tab. 4.5) zeigt sich eine weniger deutlich ausgeprägte Antiresonanz der Impedanz, die bei etwas höheren Frequenzen liegt. 20 log|ZH| [dB] 50
2N 5N 7N 10N
30
95. Perzentil
40 30
25
50. Perzentil
20
0 1 10
20
5. Perzentil
10 2
10
3
10
4
10
1
10
2
10
3
4
10
10 f [Hz]
Abb. 4.12 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Präzisionsgriffe auf ein Stift-ähnliches Objekt in horizontaler Lage (Ø10 mm, definiert für 20 Hz bis 2k Hz).
Tabelle 4.4 Modellparameter aus Abbildung 4.8 für Griffe aus Abbildung 4.12 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−27.5 F + 391.0 0.560 F − 0.371 1.13 F + 0.193 −0.619 F + 12.2 380.0 F + 19600.0 229.0 F + 2190.0 0.409 F + 11.1 0.00883 F − 0.0144
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
212.49 3.26 7.56 8.15 22092.31 3672.75 13.73 0.043
Tabelle 4.5 Modell Parameter von Abbildung 4.8 für Griffe entsprechend Abbildung 4.13 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−74.3 F + 1840.0 0.0616 F + 1.34 −0.776 F + 28.4 0.0247 F + 3.11 −134.0 F + 37500.0 363.0 F + 1190.0 0.551 F + 8.64 0.00372 F + 0.00447
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
1357.07 1.7376 23.3773 3.269 36672.20 3544.55 12.22 0.029
80
4 Nutzermodellbildung 20 log|ZH| [dB]
60 50
2N 5N 7N 10N
30
40 95. Perzentil
30
25
50. Perzentil
20
5. Perzentil
20
10 0 1 10
2
10
3
10
1
10
2
3
10
10 f [Hz]
Abb. 4.13 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Präzisionsgriffe auf ein Stift-ähnliches Objekt in einer Lage vergleichbar mit dem Schreiben (Ø10 mm, definiert für 20 Hz bis 950 Hz).
4.2.4.3 Ein-Finger Kontaktgriff Im Falle der Kontaktgriffe sind die Impedanzen des Fingers in Abhängigkeit von der Anregungsrichtung und der anregenden Fläche interessant. Die Impedanz eines Zeigefingers gemessen normal zur Fingerkuppe (Abb. 4.14, Tab. 4.6) liegt zwischen 10 und 20 dB und zeigt eine Antiresonanz, die in Abhängigkeit der mechanischen Vorspannung sich von ≈ 150 Hz zu Frequenzen um die 70 Hz verschiebt. Die Impedanz desselben Fingers in lateraler Messrichtung zur Fingerkuppe (Abb. 4.15, Tab. 4.7) ist vom absoluten Betrag her ähnlich, was auf eine vergleichbare Beteiligung von Geweben und Knochen an der Impedanzbildung schließen lässt. Weiterhin weist sie eine von der Vorspannung unabhängige Antiresonanz bei ≈ 120 Hz auf. Im Gegensatz dazu zeigt die Impedanz des Zeigefingers in distaler Richtung (Abb. 4.16, Tab. 4.8) eine deutliche Abhängigkeit von der Anpresskraft, so dass eine bei niedrigen Kräften noch ausgeprägte Antiresonanz bei höheren Anpresskräften vollständig gedämpft wird. Die für die Auslegung taktiler Systeme relevante Resonanz bei kleinen Durchmessern der Kontaktfläche (Abb. 4.17, Tab. 4.9) unterscheidet sich von den Untersuchungen der großen Kontaktflächen. Auch hier resultiert eine Erhöhung der Vorspannung in einer Erhöhung der mechanischen Impedanz, das System wird steifer. Allerdings ist die Lageabhängigkeit der Antiresonanz bezüglich der Frequenz nicht gegeben. Die Antiresonanz verharrt bei ≈ 150 Hz. Postuliert man, dass hochfrequente Schwingungen dann besser wahrgenommen werden, wenn die Auslenkungen an der Fingerbeere maximiert sind (die Fingerbeere weich ist), dann bedeutet dies, dass Schwingungen bei leichten Berührungen besser wahrgenommen werden, da die Impedanz des Nutzers hier kleiner ist - er also ”weicher” berührt und daher eher intensiver mitschwingt. Hingegen harte steife Berührungen resultieren in einer schlechteren Wahrnehmung der Schwingung. Dies ist ein Effekt, den jeder leicht beobachten kann, wenn die Vibration eines Motors (eines Lüfters, CD-ROMs oder eines Autos) durch Oberflächenschwingungen erstastet werden. Auch hier führt eine
4.2 Modell des Nutzers als mechanische Last
81
leichte Berührung in der Regel zu einer bessern Wahrnehmung der Gehäusevibrationen. 20 log|ZH| [dB] 40 95. Perzentil
1N 2N 4N 6N
20
30 50. Perzentil
20
15 5. Perzentil
10
10 0 1 10
2
10
3
10
4
10
1
10
2
10
3
10
4
10 f [Hz]
Abb. 4.14 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kontaktgriffe auf ein Platte, welche sich in normaler Richtung zum Zeigefinger bewegt (definiert für 20 Hz bis 2k Hz).
Tabelle 4.6 Modellparameter aus Abbildung 4.8 für Berührungen aus Abbildung 4.14 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
0.0187 F + 0.0311 −5.95 F + 56.6 0.861 F + 0.993 −0.233 F + 3.94 −1940.0 F + 15600.0 374.0 F − 375.0 1.48 F + 4.75 0.000675 F + 0.0159
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
0.091 37.28 3.79 3.18 9273.52 839.92 12.22 0.018
Tabelle 4.7 Modellparameter aus Abbildung 4.8 für Berührungen aus Abbildung 4.15 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−14.0 F + 100.0 −0.0000000106 F + 10.0 0.117 F − 0.0558 0.509 F + 3.23 1250.0 F + 8860.0 63.3 F − 14.1 0.363 F + 3.25 0.00141 F + 0.0133
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
54.60 10 0.323 4.88 12935.82 191.626 4.4342 0.0178
82
4 Nutzermodellbildung 20 log|ZH| [dB]
20
16
95. Perzentil
1N 2N 4N 6N
14
15 10
50. Perzentil
12
5. Perzentil
10 8
5 0 1 10
6 2
3
10
4 1 10
4
10
10
2
3
10
4
10
10 f [Hz]
Abb. 4.15 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kontaktgriffe auf ein Platte, welche sich in lateraler Richtung zum Zeigefinger bewegt (definiert für 20 Hz bis 2k Hz).
20 log|ZH| [dB]
40
25
30
1N 2N 4N 6N
20 95. Perzentil
20
15
50. Perzentil
10
5. Perzentil
10 0 1 10
2
10
3
10
4
10
1
10
2
10
3
10
4
10
f [Hz]
Abb. 4.16 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kontaktgriffe auf ein Platte, welche sich in distaler Richtung zum Zeigefinger bewegt (definiert für 20 Hz bis 2k Hz).
Tabelle 4.8 Modellparameter aus Abbildung 4.8 für Berührungen aus Abbildung 4.15 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−291.0 F + 1720.0 0.0571 F + 9.71 1.61 F + 4.22 −0.711 F + 5.31 −8590.0 F + 50800.0 367.0 F + 811.0 0.266 F + 3.17 0.00405 F + 0.00636
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
777.563 9.892 9.4437 3.0034 22874.36 2004.00 4.0377 0.0195
4.2 Modell des Nutzers als mechanische Last
83
20 log|ZH| [dB] 40
30
95. Perzentil 50. Perzentil
20
1N 2N 4N 6N
20
15
10 5. Perzentil
0 -10 1 10
2
10
10
3
10
4
10
1
10
2
10
3
10
4
10 f [Hz]
Abb. 4.17 Impedanz mit Perzentilen (a) und bei verschiedenen Kraft-Leveln (b) für Kontaktgriffe auf einen Pin mit einem Durchmesser von 2 mm, welche sich in normaler Richtung zum Zeigefinger bewegt (definiert für 20 Hz bis 2k Hz). Tabelle 4.9 Modell Parameter aus Abbildung 4.8 für Berührungen aus Abbildung 4.17 Parameter 50. Perzentil
Funktion der Kraft
Einheit
k1 m1 d1 d2 k2 k3 d3 m2
−124.0 F + 606.0 15.2 F + 25.5 −0.088 F + 2.09 −0.0106 F + 3.2 −1350.0 F + 11000.0 −36.3 F + 361.0 1.84 F + 2.39 −0.00202 F + 0.0180
N/m kg Ns/m Ns/m N/m N/m Ns/m kg
203.2139 75.0194 1.8054 3.1672 6656.03 478.73 8.3689 0.0114
84
4 Nutzermodellbildung
4.3 Modellbildung haptischer Wahrnehmung Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches existiert kein allgemein anerkanntes und standardisiertes Verfahren zur Quantifizierung haptischer Wahrnehmung. Dennoch besteht ein Bedarf daran, haptische Wahrnehmung in Werte zu überführen, die in einer irgendwie gearteten Relation zueinander stehen, und somit Vergleiche zulassen. Bei der Auslegung technischer Systeme ist es von immensen Vorteil, bereits in der Entwicklung ein Werkzeug an der Hand zu haben, das es erlaubt, die Güte der technischen Entwicklung einzuschätzen. Dies kann zeitdiskret durch Simulation, aber auch analytisch durch Kennwertermittlung erfolgen. In der Optik und Akustik sind derartige Methoden seit Jahrzehnten bekannt. Mit Hilfe der v(λ ) bzw. der v (λ ) Kurven wird in der Lichttechnik der Helligkeitseindruck einer Lichtquelle oder eines beleuchteten Objektes spektral entsprechend einer normierten Wahrnehmungskurve der Wellenlängen bewertet. In der Akustik wird das Spektrum eines dynamischen Druckes entsprechend der Wahrnehmungskurven in phone und sone berechnet. Umso überraschender ist es, dass für den haptischen Sinn kein solches Verfahren etabliert ist. Dies ist wahrscheinlich auf die Vielfältigkeit haptischer Interaktion - also die schiere Zahl möglicher Berührungen und den immer anderen Lastund Wahrnehmungsfällen - und die Interaktion als solche zurück zu führen. Denn allein der haptische Sinn wirkt auf das wahrgenommene Objekt direkt zurück, es verändert also seine mechanischen Eigenschaften. Ein Effekt, der beim akustischen und optischen Sinn zwar auch zutrifft, aber vernachlässigbar ist4 . Die Betrachtung der haptischen Wahrnehmung ist außerdem nicht die Betrachtung der Übertragungseigenschaften eines technischen Systems, z.B. in der Art wie es durch die Transparency (Abschn. 2.2.3) durchgeführt wird. Die Parameter des technischen Systems können Teil einer Optimierung der haptischen Wahrnehmung sein, sie sind dann aber nur ein Teilaspekt der Übertragungsstrecke. Löst man sich von allen Erklärungsversuchen der unterschiedlichen Disziplinen und wirft einen ingenieurstechnisch motivierten Blick auf die haptische Wahrnehmung, dann wäre folgende Definition ein möglicher Ansatz:
4
Natürlich nimmt man optische Strahlung wahr, indem die Photonen absorbiert werden und daher einem Betrachter in der zweiten Reihe nicht mehr zur Verfügung stehen. Man wirft einen Schatten, dies ist aber i.d.R. trivial und für die eigentliche technische Auslegung des Displays irrelevant. Genauso verändert man die Akustik eines Raumes durch die eigenen Präsenz. Diese Effekte liegen aber zumeist jenseits der Wahrnehmung des durchschnittlichen Betrachters.
4.3 Modellbildung haptischer Wahrnehmung
85
“Der Sinneseindruck einer wirkenden Kraft beschreibt die Wahrnehmung der Präsenz einer wirkenden mechanischen Energie, die aber noch nicht als Positionsänderung erfahren wird.“ (T.A. Kern) Die Haut, Muskeln und Gelenke funktionieren vereinfacht gesagt wie ein Kraftsensor. Kleinste Auslenkungen stehen im funktionalen Zusammenhang mit der wirkenden Kraft. Die Haut ist aber im Gegensatz zum technischen System von der Auslenkungs/Weg Kennlinie sowie der Primärsensorverteilung her nichtlinear.
Betrachtet man die haptische Wahrnehmung durch die Haut, Muskeln und Gelenke also analog zu einem Kraftsensor, dann muss es eine Übertragungsfunktion geben, die eine Frequenzabhängigkeit der Messgröße Kraft beschreibt. Weiterhin sollte es möglich sein, eine Last des Kraftsensors für das vermessene System zu definieren. Und zu guter Letzt muss es eine Auflösungsgrenze bedingt durch ein Rauschen geben, das eine minimal messbare Kraft und einen Absolut- und Relativfehler definiert. All diese Eigenschaften sind uns für die Haptik bereits bekannt, sie verstecken sich nur unter anderen Begriffen. Die Übertragungsfunktion kennen wir als Wahrnehmungskurven mechanischer Schwingungen. Die Auflösungsgrenzen sind die JNDs. Die DLs und das Power-law geben uns Werte für die Absolut- und die Relativfehler an. Die Krux bei der Quantifizierung haptischer Wahrnehmung ist nun, dass die Messwerte und die Methoden sich über unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen über mehrere Jahrzehnte entwickelt haben. Sie weisen daher Lücken in der Dokumentation der Versuche, dem statistischen Datenmaterial oder einfach in der Zahl der durchgeführten Versuche oder in der Betrachtung der Einflussparameter auf. Zusätzlich streuen die Werte wie bei vielen psychophysiologisch motivierten Untersuchungen stark, so dass eine hohe Versuchszahl notwendig ist, und das für viele unterschiedliche Griffsituationen. Es ist daher notwendig, aus den bestehenden Daten und Veröffentlichtungen zu lernen und Arbeitshypothesen zu formulieren, die aufwendig und langfristig mit neuen Versuchen und Analysen verifiziert werden. Derartige Untersuchungen finden an wenigstens zwei Forschungsinstituten5 statt. Die Vollendung und Verifikation des hier formulierten Verfahrens zur Quantifizierung haptischer Wahrnehmung wird aber noch einige Jahre (Stand 2008) benötigen. Dennoch bietet es bereits jetzt einen Ansatz, um technische Entwürfe auf ihre zu erwartenden haptischen Eigenschaften hin abzuschätzen. Bereits in Abschnitt 4.2.4.3 wurde spekuliert, ob die Deformation der Haut in einem Zusammenhang mit der Höhe haptischer Wahrnehmung liegt. G ESCHEIDER und viele andere haben durch ihre Messungen der Wahrnehmungsschwellen von mechanischen Schwingungen (Abschn. 3.2.2) gezeigt, dass es funktionale Zusammenhänge gibt, die als eine Art Filter zwischen physikalisch messbaren Amplituden und physiologischen und/oder psychologischen Wahrnehmungen darstellt. Betrachtet man den Aufbau der Haut und die Lage der Sensoren, dann ist die Erkenntniss 5
Institut für Elektromechanische Konstruktionen, Technische Universität Darmstadt, Deutschland; Haptic Interface Research Labaratory, Purdue University, Indiana USA
86
4 Nutzermodellbildung
geradezu aufdringlich, dass Verformungen und Dehnungen für eine Wahrnehmung mechanischer Reize verantwortlich sein müssen. Wie in Abschnitt 4.1 begonnen, soll die Übertragungsfunktion GH1 die physikalische Kraftwirkung F out und eine Wahrnehmung der Kraft K 6 in Beziehung zueinander setzen. Es gilt K GH1 = (4.8) F out Die bekannten Kennlinien haptischer Wahrnehmung beschreiben lediglich die Wahrnehmung oszillierender mechanischer Schwingungen. Es existiert also eine Übertragungsfunktion GFIP =
K , x
(4.9)
wobei der Index FIP als Bezeichnung für die Umrechnung eines Eindrucks (Impression) einer oszillierenden Schwingung, unabhängig ob diese durch eine Auslenkungsamplitude x oder eine Kraftamplitude F vorgegeben zur Kennzeichnung verwendet wird. Abbildung 3.15 aus Abschnitt 3.2.2 zeigt eben diesen Wahrnehmungsschwellwert für die haptische Wahrnehmung am Finger in Abhängigkeit der Kontaktfläche und einer osziellierenden Auslenkung. Die Kurven lassen sich approximieren (Abb. 4.18) und auf ihr jeweiliges Maximum normieren. Für die Kontaktfläche von A = 2.9 cm2 gilt dann die Näherung GFIP A2.9 =
K (1 + Tn1 s) (1 + Tn2 s)4 (1 + Tn3 s)3 (1 + Tp1 s) (1 + Tp2 s)9 (1 + Tp3 s)2 (1 + Tp4 s)2
(4.10)
mit den Koeffizienten entsprechend Tabelle 4.10. Für eine Kontaktfläche A = 0.008 cm2 gilt analog die Näherung GFIP .008 =
K (1 + Tn1 s)2 (1 + Tp1 s)2 (1 + Tp2 s)9 (1 + Tp3 s)8
(4.11)
mit den Koeffizienten entsprechend Tabelle 4.11. Innerhalb des für die Wahrnehmung haptischer Schwingungen relevanten Frequenzbereiches von 10 Hz bis 10 kHz eignen sich die damit ermittelten Kurven um Schwingungen entsprechend ihrer Wahrnehmung zu gewichten. Da die Nutzermodelle nach Abschnitt 4.1 die Wahrnehmung auf der Basis von Kräften beschreiben, ist es notwendig einen Umrechnungsfaktor zur Überführung der Gleichung 4.9 in Gleichung 4.8 zu finden. Eigene Experimente und die Ergebnisse aus [109] lassen vermuten, dass die Nutzerimpedanz Z H als Umrechnungsfaktor geeignet ist. Aus der Modellvorstellung in Abschnitt 4.2 folgt, dass die Übertragungsfunktion 4.1 auch die Admittanz des Nutzers darstellt. Es gilt: 6
Wobei K ein willkürlich gewählte Bezeichnung ist.
4.3 Modellbildung haptischer Wahrnehmung
87
10
A2= 0.008 cm²
0
K x [d B ]
-10 -20
A1=2.9 cm²
-30 -40 -50 -60 -1 10
Messdaten von Gescheider Angenähertes, normiertes Polynom 0
1
10
2
10
10
3
10
4
10 f [Hz]
Abb. 4.18 Näherung der Kurven nach G ESCHEIDER aus Abbildung 3.15.
GH3 =
1 F mit Z H = out ZH vspo
(4.12)
Mit diesem Zusammenhang und dem Wissen, dass x = vs ist, ergibt sich aus Gleichung 4.9 nun GFIP =
K Ks K s ZH = = x vspo FH
(4.13)
und somit für GH1 (mit F out = −F H ) die Beziehung: GH1 =
K G = − FIP F out s ZH
(4.14)
Gleichung 4.14 ermöglicht es also unter den gegebenen Annahmen für die Nutzerimpedanz Z H sowie die Kennlinie GFIP die Anmutung eines technischen, haptischen Systems durch die Betrachtung dessen Ausgangskraft zu quantifizieren. Tabelle 4.10 Parameter für die Näherung aus Abbildung 4.18 für eine Kontaktfläche von 2, 9 cm2 nach Gleichung 4.10 Parameter
Wert
K Tn1 Tn2 Tn3 Tp1 Tp2 Tp3 Tp4
5 10−3 (2 π 2)−1 (2 π 80)−1 (2 π 320)−1 (2 π 15)−1 (2 π 200)−1 (2 π 420)−1 (2 π 1000)−1
88
4 Nutzermodellbildung
Tabelle 4.11 Parameter für die Näherung aus Abbildung 4.18 für eine Kontaktfläche von 0, 008 cm2 nach Gleichung 4.11 Parameter
Wert
K Tn1 Tp1 Tp2 Tp3
0.0785 (2 π 3)−1 (2 π 11)−1 (2 π 3000)−1 (2 π 4000)−1
4.4 Anwendungsbeispiele Das Modell aus Abbildung 4.3 kann in eine Darstellung eines mechanischen Schaltbildes auf Basis konzentrierter Bauelemente überführt werden (Abb. 4.19). Dies vereinfacht die Formulierung von Abhängigkeiten der Interaktion zwischen dem Menschen und dem technischen System und erlaubt die Betrachtung einiger einfacher Beispiele.
4.4.1 Kinästhetisches System Für ein kinästhetisches System (Abb. 4.19) nehmen wir ein vereinfachtes Modell mit einer idealen Kraftquelle (F 0 ) sowie einer unbekannten mechanischen Impedanz des Gerätes (Device) (Z D ) an.
Fout
F0 FD ZD
haptisches Gerät
ZH
vspo
vind
vD
Nutzer
Abb. 4.19 Mechanisches Netzwerk des Modells haptischer Interaktion (Abb. 4.3) mit dem Beispiel aus einer idealen Kraftquelle und einer komplexen Impedanz nachgebildeten Gerätes.
4.4 Anwendungsbeispiele
89
Die Knotengleichung für das Modell (Abb. 4.19) ergibt F 0 = F D + F out .
(4.15)
Unter Verwendung der Gleichung 4.14 gilt für die Wahrnehmung einer Ausgangskraft eines technischen Systems die Beziehung K=−
F out G . s Z H FIP
(4.16)
Gleichung 4.15 nach F out aufgelöst und in Gleichung 4.16 eingesetzt ergibt K=
Z D vD − F 0 GFIP s ZH
(4.17)
Die Bewegungsgeschwindigkeit vD des Gerätes ist als Summe von vind und vspo gleichzusetzen mit vout aus Abbildung 4.3. Die Lösung dieses Modells aus Abbildung 4.19 entsprechend Gleichung 4.17 ist geeignet, die haptische Anmutung eines jeden Gerätes zu quantifizieren, das durch eine Kraftquelle angenähert werden kann. Möchte man den umgekehrten Weg gehen, und einen Entwurf eines Systems anhand einer Modellinteraktion berechnen, dann ist es hilfreich die Gleichung 4.17 in Abhängigkeit von vind zu überführen. Dies ist am einfachsten über einen Maschenumlauf der Geschwindigkeiten möglich vD = vspo + vind .
(4.18)
Die Geräte-Geschwindigkeit vD über die Impedanz ersetzt und vspo = xspo s integriert ergibt FD = xspo s + vind . ZD
(4.19)
Unter der Verwendung von Gleichung 4.15 und mit F out = Z H xspo s kann man nun Gleichung 4.19 in F 0 − vind Z D = xspo s ( Z D + Z H )
(4.20)
überführen. Dies nach xspo aufgelöst und mit einer Abwandlung von Gleichung 4.16 mit der Wahrnehmung K in Verbindung gebracht, ergibt die Beschreibung eines beliebigen haptischen Systems mit Kraftquelle auf Basis nutzerinduzierter Bewegungen: K = −xspo GFIP =
vind Z D − F 0 G s ( Z D + Z H ) FIP
(4.21)
90
4 Nutzermodellbildung
4.4.2 Taktiles System Für ein taktiles System (Abb. 4.20) nehmen wir ein vereinfachtes Modell mit einer idealen Geschwindigkeitsquelle (v0 ) sowie einer unbekannten mechanischen Impedanz des Gerätes (Device) (Z D ) an.
ZD
Fout
ZH
vspo
vZD v0
vind
vD
Nutzer
haptisches Gerät
Abb. 4.20 Mechanisches Netzwerk des Modells haptischer Interaktion (Abb. 4.3) mit dem Beispiel eines aus einer Geschwindigkeitsquelle und einer komplexen Impedanz nachgebildeten haptischen Gerätes.
Die Lösung dieses Modells (Gl. 4.25) ist geeignet, die haptische Anmutung eines jeden Gerätes zu quantifizieren, das durch eine Geschwindigkeits- oder AuslenkungsQuelle angenähert werden kann. Für die für die Wahrnehmung dominierende spontane Auslenkungs-Reaktion an der Nutzerimpedanz gilt vspo = v0 − vind − vZD .
(4.22)
Nach Integration und Einsetzen in Gleichung 4.9 ergibt sich somit v0 − vind − vZD GFIP . (4.23) s Dies noch etwas strukturiert und in Abhängigkeit der Ausgangskraft (F 0 ) gebracht, ergibt: K = GFIP x =
K=(
F v0 vind − − 0 ) GFIP , s s ZD s
(4.24)
bzw. in einer Notation mit Auslenkungen: K = (x0 − xind −
F0 )G Z D s FIP
(4.25)
Gleichungen 4.24 bzw 4.25 lassen sich für “übliche“ taktile Systeme häufig deutlich vereinfachen da,
4.4 Anwendungsbeispiele
91
• bei taktilen Systemen i.d.R. die Auslenkung der Haut in einem Frequenzbereich relevant ist, in dem der Mensch nicht mit dem technischen System interagiert, es gilt vind = 0, • weiterhin ist häufig die Steifigkeit des technischen Systems sehr hoch. Die erste Annahme führt zu einer Vereinfachung von Gleichung 4.24 zu der deutlich übersichtlicheren Beziehung K=(
F v0 − 0 ) GFIP . s ZD s
(4.26)
Unter der zweiten Annahme ergibt sich aus Gleichung 4.26 selbstverständlich K=
v0 G = x0 GFIP , s FIP
(4.27)
was die Herkunft der Übertragungsfunktion GFIP aus einer Auslenkungs-proportionalen Messung wiederspiegelt.
4.4.3 Beispielanalysen im Zeit- und Frequenzbereich Basierend auf den Modellen aus den Abbildungen 4.19 und 4.20 und den dazugehörigen Systembeschreibungen nach Gleichungen 4.17, 4.21 und 4.25 lassen sich eine Reihe von Fragestellungen beim Entwurf und der Analyse haptischer Systeme betrachten. Im Folgenden werden exemplarisch die Ansätze dreier Fragen diskutiert.
4.4.3.1 Einfluss der Diskretisierungsstufen auf die haptische Wahrnehmung In vielen Anwendungen wird die Kraft F 0 durch zeitdiskrete Systeme erzeugt. Es stellt sich die Frage, wie weit die Zeitdiskretisierung zulässig ist, wo also die Untergrenze der technischen Anforderungen liegen. Jede Diskretisierung eines beliebigen dynamischen Signals erzeugt einen Sprung in dem Rythmus der Ausgabefrequenz. Ein solcher Sprung hat die maximale Amplitude bei der maximalen Steigung des zu übertragenden Signals und enthält, als ein Rechteck, Frequenzanteile deren Amplitude ausgehend von der Diskretisierungsfrequenz quadratisch abnehmen. Das heißt, dass bei einer Diskretisierung um 100 Hz die Sprünge deutlich spürbar sein müssten7 . Es ist jedoch unklar, wie stark sie hervortreten und ab welcher Frequenz die Welligkeit der wahrgenommenen Kraft ausreichend gering ist. Abbildung 4.21 zeigt die Berechnungen auf Basis der vorgestellten Methodik für einen 2 Hz Sinus mit einer Amplitude von 2 N bei einem einfachen mechanischen System bestehend aus einer Masse mit 20 g und eine Reibung von 0.1 Ns/m. Die Kraft wird mit den Frequenzen 100 Hz und 10 kHz diskretisiert (a), was in der FFT (b) das übliche Bild 7
Ein Grund, warum eine so langsame Kraftausgabe nicht praktisch durchgeführt wird.
92
4 Nutzermodellbildung
mit dominierender Grundfrequenz bei 2 Hz und den Spitzen der ganzzahligen Vielfachen der Diskretisierungsfrequenz zeigt. Betrachtet man nun den Wahrnehmungsraum K im Vergleich, also die Filterung der Kraft F 0 durch die haptische Wahrnehmung, dann erkennt man, dass die mit 100 Hz diskretisierte Kraft sehr viel weichere Stufen aufweist, und die mit 10 kHz diskretisierte Kraft keinerlei Stufen zeigt (c). Dies bildet sich auch in der FFT (d) ab, in der nur noch einzelne Oberschwingungen der Diskretisierung mit 100 Hz verblieben sind. Dies ist darauf zurückzführen, dass die haptische Wahrnehmung wie ein Filter wirkt, der die hochfrequenten Anteile der Diskretisierung dämpft. Man erhält durch die Anwendung der Methode also eine Visualisierung und Quantifizierung über die Zulässigkeit von Stufen in der erzeugten Ausgangskraft bei zeitdiskreten Systemen.
F0
Kraft-Bereich F0
2 0 -2 0
2
K-Bereich 1
2
t [s]
-5
K(F0)
1
2
x 10
1
0
0 -1
a)
F0 diskretisiert c) @100Hz
-2 0
20 log |F0 |
0.5
-2 0
1
F0 diskretisiert @10kHz
t [s]
120
20 log |K(F0) |
80 60 40
1
t [s]
0 -20 -40 -60
20
-80
0
-100
-20 0 10
0.5
20
100
b)
-1
5
10
f [Hz]
d) -120
0
10
5
10
f [Hz]
Abb. 4.21 Darstellung der haptischen Wahrnehmung einer sinusförmigen Kraft, diskretisiert mit 100 Hz und 10 kHz Tastfrequenz im Zeit- und Frequenzbereich.
4.4.3.2 Einfluss der Diskretisierungszeit auf die haptische Wahrnehmung Ein anderer Nebeneffekt der Diskretisierung ist die aus der Digital/Analog-Wandlung resultierende Totzeit des Systems. Totzeiten sind bekanntlich nichtlinear und daher innerhalb der hier vorgestellten linearen Analyse nur näherungsweise zu berück-
4.4 Anwendungsbeispiele
93
sichtigen. Eine solche Näherung ist die Approximation der Totzeit Tt durch ein PT1 Glied mit der Zeitkonstante Tt entsprechend GT =
1 . 1 + TT s
(4.28)
Generell sind Verzögerungsglieder in der Signalverarbeitungskette gleichbedeutend mit einer Reduktion der Dynamik des Gesamtsystems, was sich praktisch in der haptischen Darstellung harter Kontakte wiederspiegelt. Eine Kollision z.B. in einer Simulation zwischen zwei Objekten und die haptische Ausgabe der wirkenden Kräfte mit einem haptischen Gerät wird als härter wahrgenommen, umso größer der wieder-gegebene Frequenzbereich ist. Systemingenieure beobachten, dass eine Obergrenze des Frequenzbereiches nicht bei der üblicherweise angenommenen Wahrnehmungsschwelle taktiler Interaktion von 1 kHz liegt, sondern dass eine Ausgabe von berechneten Kräften mit bis zu 10 kHz noch einmal eine deutliche Steigerung der haptisch wahrnehmbaren Härte ergibt. Dies muss sich in der Analyse des Systems entsprechend obiger Methode wiederspiegeln. Den Graphen in Abbildung 4.22 liegt das identische System des vorherigen Abschnitts zu Grunde. Es wird jetzt von einem Sprung zum Zeitpunkt t=0.5 angeregt. Die Diskretisierung hat auf die Welligkeit des Sprungs keinen Einfluss, alleine aus diesem Effekt des vorangegangenen Abschnitt heraus sollte es also keinen Unterschied in der Wahrnehmung des Sprungs geben. Das PT1 Glied als Näherung des Totzeitgliedes bewirkt jedoch, dass die Kraft auf den Sprung dynamisch reagiert. Was in der FFT der Kraft (b) noch keine dramatischen Auswirkungen hat, wird in der Darstellung im Zeitbereich des Wahrnehmungsraums (c) deutlicher. Während die bei 100 Hz relativ langsam diskretisierte Funktion einen deutlich weicheren Anstieg hat, ist zwischen der 10 kHz und dem 1 kHz in der Amplitude nur noch ein geringer Unterschied zu erkennen. Die FFT (d) zeigt weiterhin, dass der Frequenzgang der 10 kHz diskretisierten Funktion zwanzig bis dreißig Herz mehr Dynamik abdeckt. Ein Effekt, der sich taktil deutlich auszahlt, zumal die Unterschiede im Sprung direkt im Bereich maximaler Empfindlichkeit liegen.
4.4.3.3 Frequenzganganalyse in der Entwurfsphase Eine weitere Möglichkeit der Anwendung obiger Methode liegt in der Frequenzganganalyse während der Entwurfsphase eines haptischen Systems. Abbildung 4.23 zeigt den Frequenzgang des Modells nach Abbildung 4.19 eines kinästhetischen Systems, bei dem alle Komponenten mit entsprechenden Transformationsfunktionen angenähert wurden. Als Eingangsgrößen wurde eine PT2 Approximation von der nutzerinduzierten Geschwindigkeit vind mit der Grenzfrequenz 10 Hz sowie von der Aktor-Kraftausgabe F 0 mit der Grenzfrequenz 100 Hz angenommen. Weiterhin wurden zwei Fälle betrachtet, zum einen mit maximaler Ausgangskraft F 0 sowie im Leerlauf, mit ausschließlicher Anregung durch vind . Das technische System weist eine Masse von m=20 g und einen Reibfaktor von 0.1 Ns/m auf. Das Diagramm zeigt
94
4 Nutzermodellbildung F0 2.5 2
Kraft-Bereich
K-Bereich
1.5 1 0.5 0 0
F0
0.5
-5
1
x 10
K(F0)
t [s]
2
4 2
1
a)
c) 0 0.49
0.5
t [s] 20 log |F0 |
F0 diskretisiert @ 1kHz F0 diskretisiert @10kHz
100 80 60 40
b)
0
F0 diskretisiert @100Hz
0.51
0.5
-20 -40 -60 -80
0
-100
d)
5
10
t [s]
0
20
-20 0 10
0.52 0.54 0.56 0.58
20 log |K(F0) |
-120 0
5
10
10
f [Hz]
f [Hz]
Abb. 4.22 Darstellung der haptischen Wahrnehmung eines Kraftsprungs zum Zeitpunkt t = 0.5 s bei den Diskretisierungs-Frequenzen 100 Hz, 1 kHz und 10 kHz im Zeit- und Frequenzbereich.
weiterhin die absolute Wahrnehmungsschwelle bei -138 dB, ein Wert der sich ausschließlich für die Approximation der Wahrnehmungskennlinie nach Näherung in Gleichung 4.10 ergibt. Der betrachtete Fall ist also die großflächige Anregung eines Fingers über einen Stößel normal zur Fingerbeere. Bemerkenswert ist, dass sogar im Leerlauf dieses sehr leichten und dynamischen Systems die Kennlinie Kmin nur für Frequenzen 300 N/m oder kleiner) (Abb. 6.2). • Entscheidung bezüglich der Kinematik auf Basis von Berechnungen zum Arbeitsraum und der anvisierten Steifigkeit (Kap.8) • Mit einer dann bekannten mechanischen Struktur kann der Aktorentwurf durchgeführt werden. Hierbei ist eine Grobentscheidung entsprechend Kapitel 9.1 zur Orientierung möglich, aber erst die konkreten Berechnungen der Aktoren werden eine abschließende Betrachtung erlauben. • In Abhängigkeit der gewählten regelungstechnischen Struktur kann parallel zum Aktorentwurf die Kraftsensorik bearbeitet werden (Kap. 10). • Relativ unkritisch für die Konstruktion ist dann der Entwurf der Positionssensorik (Kap. 11).
6.4 Abfolge der zu treffenden Technologie-Entscheidungen
133
• Die elektronische Schnittstelle ordnet sich allen vorher festgelegten Gegebenheiten unter (Kap. 12). • Der Softwareentwurf des haptischen Renderings wiederum ist in vielen Punkten so unabhängig von den vorhergehenden technologischen Entscheidungen, dass er von der konkreten technologischen Realisation in fast allen Punkten entkoppelt werden kann (Kap. 13) Man beachte aber dennoch, dass z.B. eine Kinematikauslegung selbstverständlich nicht vollständig entkoppelt von den im zu Verfügung stehenden Bauraum realisierbaren Kräfte - also den Aktoren - bzw. der messtechisch noch zu erfassenden Wege - also der Wegsensorik - durchzuführen ist. Die obige Reihenfolge stellt also eine Empfehlung der Detaillierung und Abarbeitung der einzelnen Punkte dar, entbindet aber keinesfalls von der Pflicht des Entwicklers einen ausreichenden Überblick über die anderen Teilprobleme und deren wechselseitige Beeinflussung zu haben. Entscheidung auf die regelungstechnische Struktur
Taktil
Kinästhetisch
Zmin "groß" nur Ausgabe
Ein- und Ausgabe
Zmin "small"
Zmax 300 N/m
Scalare Eingabe Impedanzgeregelt
Admittanzgesteuert mit Schaltereignis
Admittanzgeregelt
Impedanzgesteuert
Abb. 6.2 Entscheidungshilfe für die Auswahl der regelungstechnischen Struktur.
Admittanzgeregelt
Kapitel 7
Methoden zur Regelung haptischer Systeme
O LIVER M ECKEL
7.1 Einführung Die regelungstechnische Analyse und Beurteilung technischer Systeme und Prozesse begründet sich im allgemeinen durch den Wunsch nach einer sicheren und verlässlichen Einflussnahme auf die maßgebenden physikalischen Systemgrößen und das Gesamtverhalten. Der Begriff des Systems abstrahiert dabei die durch die physikalischen Gesetze verankerten Zusammenhänge und bringt diese auf eine Betrachtungsebene, in der eine systematische Beurteilung verschiedener physikalischer Systeme möglich wird. Auf dieser Abstraktionsebene gelingt die Behandlung regelungstechnischer Fragestellungen durch verschiedene Methoden und Techniken, die nicht auf eine einzige Systemklasse beschränkt bleibt. Das Ziel bei der Beschreibung, der Analyse und der regelungstechnischen Betrachtung von Systemen liegt letztendlich immer in der Sicherung der ablaufenden physikalischen Prozesse. Der Technik seinen Willen aufzwingen ist die grundlegende Motivation, mit der es gilt, die Auswirkung einer gezielten Einflussnahme auf ein System auszulegen und die Zuverlässigkeit nachzuweisen. Die abstrakte Betrachtung eines Systems unter regelungstechnischen Gesichtspunkten beinhaltet dabei zunächst die mathematische Abbildung der physikalischen Gesetze, denen das System unterworfen ist. Dabei erfolgt eine Gleichbehandlung verschiedener Systeme unterschiedlicher technischer Natur mit den gleichen Mitteln. Die Formulierung von Differentialgleichungen beziehungsweise Differentialgleichungssytemen ermöglicht die Abbildung vielfältiger Systemzusammenhänge. Analogien gestatten es diese Zusammenhänge und damit bekannte Verhaltensweisen eines Systems in den technischen Kontext eines anderen Systems zu übertragen. Die mathematische Systembeschreibung verlangt hierzu allerdings eine eindeutige Definition der betrachteten Systemgrößen beziehungsweise Zustände die für die re-
135
136
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
gelungstechnische Betrachtung von Interesse sind. Nach der Überführung des physikalischen Kontextes in eine mathematische Abbildung, im Folgenden auch als Modellierung bezeichnet, erfolgt die eigentliche Systemanalyse im Hinblick auf das dynamische Verhalten sowie dessen Klassifizierung. Mit den gewonnenen Erkenntnissen lassen sich bewährte Auslegungsverfahren zur Entwicklung eines geschlossenen Regelkreises anwenden. Dabei stehen mehrere Ziele im Fokus der Reglerauslegung: • Systemstabilität: Die ureigenste Forderung nach Stabilität begründet die Basis der Regelungstechnik und ist als Hauptziel zu verstehen. • Regelgüte: Die quantitative Erzielung der Systemzustände auf die geforderten Sollwerte steht als weitere Anforderung im Vordergrund regelungstechnischer Betrachtungen. Ein System unterliegt Einflüssen im Folgenden auch als Störgrößen bezeichnet, die eine Sicherstellung des gewünschten Systemverhaltens unmöglich machen. Daher muss eine gezielte Einflussnahme beziehungsweise Regelung erfolgen, die durch ein geeignetes Reglerentwurfsverfahren ausgelegt wird. • Dynamik: Die Forderung nach Systemstabilität und Regelgüte wird durch den Wunsch nach einer geeigneten Dynamik für das geregelte System abgerundet. Hierbei tritt neben der quantitativen Erzielung der Systemzustände auf geforderte Sollwerte, die Qualität im Hinblick auf zeitliche Vorgaben in Verbindung mit dem benötigten Aufwand sowie der Zulässigkeit beim Wechsel von einem Sollwert auf den nächsten in den Vordergrund. Die Herausforderung bei der Bewältigung der gestellten Aufgabe bei der Reglerauslegung liegt häufig in der Behandlung von Zielkonflikten, die sich durch die einzelne Charakteristik der genannten Schwerpunkte ergeben. Nicht selten werden diese Fragestellungen in den verschiedenen Auslegungsverfahren unterschiedlich gewichtet und damit keine optimale sondern lediglich eine optimierte Lösung erzielt.
7.2 Methoden der Systembeschreibung Zur mathematischen Beschreibung von dynamischen Systemzusammenhängen existieren eine Reihe von Methoden. Eine mögliche Giederung trennt dabei die Methoden zur Beschreibung linearer Systeme von denen der nichtlinearen Systeme. Im folgenden werden die verschiedenen Verfahren kurz aufgegriffen und ihre Verwendung erläutert.
7.2.1 Klassische Methoden für lineare Eingrößensysteme Die in Kapitel 5 gezeigte unterschiedliche Beschreibung haptischer Displays als Impedanz- beziehungsweise Admittanz-geregelte Systeme resultiert in der unter-
7.2 Methoden der Systembeschreibung
137
schiedlichen Verwendung der entsprechenden Systemgrößen. Die Beschreibung des Übertragungsverhaltens lässt beide Ausführungen zu. Die Abbildung der physikalischen Zusammenhänge führt dementsprechend auf unterschiedliche Differentialgleichungen. Beispielhaft sei ein mechanisches schwingungsfähiges System 2. Ordnung betrachtet. Abbildung 7.1 zeigt ein entsprechendes schematisches Modell eines gedämpften Ein-Massenschwingers mit den konzentrierten Parametern Masse m, geschwindigkeitsproportionaler Reibung mit Reibungskoeffizient d sowie einer linearen Steifigkeit k.
x, x, x d m
f(t)
k
Abb. 7.1 Ein-Massen-Schwinger.
Aus den mechanischen Grundlagen folgt die Differentialgleichung: mx(t) ¨ + d x(t) ˙ + kx(t) = f (t)
(7.1)
Hierin ist x die momentane Position der Masse m. In dieser Formulierung dient die zeitliche Ableitung der Position dx dt = v als Flussgröße. Eine entsprechende Ableitung der Differentialgleichung liefert: mv(t) ˙ + dv(t) + k
v dt = f (t)
(7.2)
Ensprechend der Analogie zu den elektrischen Systembeschreibungen erhält man aus einem einfachen RLC-Netzwerk nach Abbildung 7.2 ebenfalls eine lineare gewöhnliche Differentialgleichung. L
di(t) 1 + Ri(t) + dt C
i dt = u(t)
(7.3)
Die analoge Beziehung der Differentialgleichungen verknüpft hier die Energiespeicher im mechanischen System – Masse und Feder als Träger kinetischer beziehungsweise potentieller Energie – mit den elektrischen Energiespeichern – Induktivität beziehungsweise Kapazität. Schließlich efolgt eine Verknüpfung der dissipativen Systemelemente nämlich dem elektrischen Widerstand mit der mechanischen geschwindigkeitsproportionalen Reibung.
138
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
R
L
C
i u(t)
Abb. 7.2 RLC-Netzwerk.
Eine geänderte Herangehensweise an die Verknüpfung der mechanischen mit den elektrischen Systemgrößen erfolgt durch Wahl der Analogie 2. Art. Sie führt auf das durch folgende Differentialgleichung beschriebene Systemverhalten: C
du(t) 1 1 + u(t) + dt R L
u dt = i(t)
(7.4)
Die hieraus ableitbare elektrische Impedanz Z = ui beschreibt dabei das Übertragungsverhalten des fließenden Stroms i auf die Spannung u. Der Kehrwert führt auf die elektrische Admittanz Y = Z1 . Analog zu den elektrischen Netzwerken ist die Formulierung der Impedanz beziehungsweise Admittanz in die mechanischen Systeme übertragbar. Anhang 16 beschreibt die allgemeine Formulierung sowie die Impedanzen für translatorische und rotatorische mechanische Systeme. Der wesentliche Unterschied besteht in der Festlegung der Systemeingangs- beziehungsweise Ausgangsgrößen. Zur Formulierung mechanischer Impedanzen wird als Systemeingangs-größe eine Geschwindigkeit beziehungsweise eine Geschwindigkeitdifferenz betrachtet. Als Ausgangsgröße wird eine resultierende Kraft definiert. Bei einer Beschreibung durch mechanische Admittanzen erfolgt die Umkehrung der Betrachtungsweise. Eine Kraft als Eingangsgröße wirkt auf die Energiespeicher des System und beeinflusst eine Geschwindigkeit als Systemausgangsgröße. Obgleich die Beschreibung mechanischer insbesondere ungefesselter Systeme im Ansatz auf ein Kräftegleichgewicht zurückgreift und mit der Wahl der Eingangsgröße Kraft eine Beschreibung des Übertragungsverhaltens als Admittanz festgelegt wird, erfolgt durch die Beschreibung mit mechanischen Impedanzen keine Fehlinterpretation sondern lediglich eine anders gerichtete Betrachtungsweise auf das gleiche Systemverhalten. Als erläuterndes Beispiel werde folgendes mechanisches System betrachtet: Die Betrachtung des Systems mit der Kraft Fe , die an der Masse m angreift, als Eingangsgröße und der Geschwindigkeit im Punkt A des Systems va führt auf die Differentialgleichung: mv˙m + dvm = Fe (7.5) Zusammen mit der Kinematik der Hebelübersetzung vm = ba va folgt daraus a a m v˙a + d va = Fe b b
(7.6)
7.2 Methoden der Systembeschreibung
139
va
A b
a Fe
m
d Abb. 7.3 Mechanisches Admittanzbeispiel.
Die Betrachtung des Systems mit der Kraft im Punkt A als Systemausgangsgröße und der Massengeschwindigkeit vm = ve als Systemeingangsgröße gemäß nachfolgender Abbildung
Fa
A b a
d
m
ve Abb. 7.4 Mechanisches Impedanzbeispiel.
liefert den Zusammenhang a a Fa = m v˙e + d ve b b
(7.7)
Mit der Transformation der Impedanzen beziehungsweise Admittanzen in den Laplacebereich erfolgt eine Abstraktion der Systembetrachtung und eine flexible Behandlung der Verkettung und Kopplung verschiedener Systemkomponenten. Zur
140
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
einheitlichen Behandlung erfolgt in der Regelungstechnik die Beschreibung des Systemverhaltens durch eine Übertragungsfunktion im Laplacebereich G(s). Insbesondere für Eingrößensysteme hat sich diese Beschreibungsweise stark bewährt und ermöglicht den Zugang zu direkt anwendbaren Methoden der Stabilitätsanalyse, der Systemklassifikation sowie den Verfahren zum Reglerentwurf. Eine Unterscheidung in impedanz- beziehungsweise admittanzgekoppelte Systemstrukturen ist hierin nicht mehr notwendig. Die Transformation der aus dem gegebenen Beispiel formulierten Differentialgleichungen in den Laplacebereich liefert je nach Ansatz Fa (s) a = · (d + m · s) bzw. ve (s) b
(7.8)
va (s) b 1 = · . Fe (s) a d +m·s
(7.9)
Kraft Fa
Geschwindigkeit va
Es wird deutlich, dass sich beide Ansätze jeweils durch Kehrwertbildung in die korrespondierende Darstellung überführen lassen. Eine Betrachtung der Phasenbeziehung der jeweiligen Eingangs- und Ausgangsgrößen zeigt allerdings den wesentlichen und erwartungsgemäßen Unterschied auf. Bei der Systembeschreibung durch Admittanzen nach Gleichung 7.6 eilt das Eingangssignal Fe (s) dem Ausgangssignal va (s) voraus, während sich dies bei der Beschreibung durch Impedanzen nicht so verhält. Zum Vergleich seien die jeweiligen Sprungantworten des Systems betrachtet. Es wird deutlich, dass das beschriebene System in Abhängigkeit der Wahl der
Zeit t
Zeit t
Abb. 7.5 Sprungantworten zur Systembeschreibung.
Eingangs- und Ausgangsgrößen unterschiedliche Sprungantworten aufweist. Das Überragungsverhalten, das durch Formel 7.8 beschrieben wird zeigt erwartungsgemäß die Sprungantwort eines klassischen PT1 -Verhaltens. Durch die Formulierung des Systemverhaltens über Formel 7.9 ergibt sich die Umkehrung in ein typisches voreilendes DT1 -Verhalten.
7.2 Methoden der Systembeschreibung
141
In Abbildung 7.5 ist links die Sprungantwort des Systems aufgrund einer sprungförmigen Änderung der Eingangskraft Fe dargestellt. Die rechte Abbildungseite zeigt dagegen die Systemantwort, bei einer sprungförmigen Änderung der Geschwindigkeit ve . Die unterschiedliche Dynamik ist offensichtlich und auf die entsprechend dem Ansatz verschiedenen Lösungen der jeweiligen homogenen beziehungsweise partikulären Differentialgleichungen zurückzuführen. Ungeachtet der gezeigten Zusammenhänge besteht keine grundsätzliche Vorgabe bei der Systembeschreibungsweise. Insbesondere durch die Formulierung von Übertragungsfunktionen im Laplacebereich Gi (s) sind jegliche Verknüpfungen verschiedener Systemanteile, unabhängig vom jeweiligen Ansatz der Beschreibung möglich. Zur Transformation des durch Impedanzen beziehungsweise Admittanzen formulierten Systemverhaltens in eine Übertragungsfunktion sowie zu den Methoden der Systembeschreibung im Laplacebereich wird auf die Literatur zur linearen Regelungstechnik [256], [61] und [160] verwiesen.
7.2.2 Beschreibung linearer Systeme im Zustandsraum Eine weitere Beschreibungsweise zur Formulierung von Systemzusammenhängen erfolgt durch die Verwendung der Zustandsraumdarstellung. Bei einer linearen Beschreibung von Systemen durch eine gewöhnliche Differentialgleichung nter Ordnung erfolgt hier eine Überführung in ein Differentialgleichungssystem mit n Differentialgleichungen 1. Ordnung. Neben der vereinfachten Handhabung insbesondere bei der Anwendung numerischer Lösungsmechanismen bietet sich hier der maßgebende Vorteil der Behandlung von Mehrgrößensystemen, deren Kopplungen zwischen den mehrdimensionalen Systemeingängen, den inneren Systemzuständen sowie den Systemausgängen systematisch erfasst und abgebildet werden. Die Darstellung von Systemen im Zustandsraum erfolgt im Zeitbreich, im Gegensatz zu den bisher eingeführten Übertragungsfunktionen G(s) des Frequenzbereichs. Die Formulierung des Systems erfolgt dabei über die Systemgleichung x˙ = Ax + Bu
(7.10)
y = Cx + Du.
(7.11)
sowie über die Ausgangsgleichung
Die vektoriellen Größen u und y beschreiben die mehrdimensionalen Eingangsbeziehungsweise Ausgangsgrößen. Der Vektor der inneren Systemzustände wird durch den Vektor x beschrieben. Zur Verdeutlichung soll das eingangs bereits behandelte Schwingungssystem zweiter Ordnung nach Abbildung 7.6 in Zustandsraumdarstellung beschrieben werden. Die Differentialgelichung, welche das System beschreibt lautet bei zeitinvarianten Parametern:
142
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
my¨ + d y˙ + ky = u
(7.12)
Abbildung 7.7 zeigt das dargestellte PT2 -System als Blockschaltbild.
y, y, y d m
f(t)
k
Abb. 7.6 Schwingungssystem zweiter Ordnung.
u –
1 — m
.. y
ò
. y
ò
y
–
d k
Abb. 7.7 Blockschaltbild
Die vorliegende Differentialgleichung zweiter Ordnung lässt sich in ein Differentialgleichungssystem erster Ordnung überführen. Hierzu erfolgt eine zweckmäßige Wahl der Integratorausgänge als Zustandsgrößen: x1 = y ⇒ x˙1 = x2 k d 1 x2 = y˙ ⇒ x˙2 = − x1 − x2 + u m m m
(7.13)
Daraus lassen sich folgende vektoriellen Größen ableiten und als Gleichungssystem aufstellen:
0 1 0 x˙1 x1 = + 1 u (7.14) x˙2 x2 − mk − md m Diese Formulierung wird als Systemgleichung bezeichnet:
7.2 Methoden der Systembeschreibung
143
x˙ = A x + B u
(7.15)
Sie enthält mit x den Zustandsvektor. Seine Komponenten beschreiben die inneren Größen des Prozesses, die bei der bisherigen Betrachtung nur implizit in der Differentialgleichung bzw. Übertragungsfunktion enthalten waren. Die Formulierung des Systemausgangsvektors geschieht über die Ausgangsgleichung. Für das gewählte Beispiel nach Abbildung 7.6 ergibt sich der Systemausgang y in Abhängigkeit von den Zustandsgrößen x wie folgt:
oder in Vektorschreibweise
y = x1
(7.16)
x1 y= 1 0 x2
(7.17)
Eine allgemeine Form der Ausgangsgleichung wird beschrieben durch: y = Cx + Du
(7.18)
Die allgemeine Form der Zustandsraumdarstellung liefert für Ein- oder Mehrgrößensysteme in Anlehnung an das Blockschaltbild aus Abbildung 7.8: x˙ = A x + B u y = Cx+Du
x0 (t) u (t) B
x× (t)
ò
x (t)
y (t) C
A
D
Abb. 7.8 Allgemeines Blockschaltbild der Zustandsraumdarstellung.
Die im gewählten Beispiel nicht vorkommende Durchgangsmatrix D tritt bei der Systembeschreibung dann in Erscheinung, sobald ein System einen direkten Durchgriff des Systemeingangs u auf den Systemausgang y ohne Zeitverzögerung
144
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
aufweist. In diesem Fall wird das System als sprungfähig bezeichnet. Zur weiteren Erläuterung der Bedeutung der Gleichungsmatrizen A, B, C und D sei auf [159] verwiesen.
7.2.3 Methoden für nichtlineare Systeme Die Einbeziehung nichtlinearer Systemzusammenhänge stellt eine Herausforderung im Hinblick auf eine geeignete und für weitere Systembetrachtungen und Methoden verwendbare Systembeschreibung dar. Für statische Nichtlinearitäten stehen die Wiener- beziehungsweise Hammersteinmodelle zur Verfügung, welche die statischen Nichtlinearitäten im geschlossenen Regelkreis in einem Übertragungsglied zusammenfassen und von der restlichen Systemdynamik trennen. Abbildung 7.9 zeigt die Anordung eines linearen Systemanteils beliebiger Dynamik in Reihe geschaltet mit einer folgenden statischen Nichtlinearität. Das in dieser Form beschrie-
u
G(s)
~ u
f(.)
y
Abb. 7.9 Wiener-Modell.
bene Wiener-Modell eines nichtlinearen Systems führt auf die Formulierung u(s) ˜ = G(s) · u(s) y(s) = f (u(s)). ˜ Entsprechend beschreibt das Hammersteinmodell nach Abbildung 7.10 die Reihenschaltung aus einer statischen Nichtlinearität vor einem linearen zeitinvarianten dynamischen Systemanteil. Für die mathematische Systembeschreibung folgt dement-
u
Abb. 7.10 Hammerstein-Modell.
sprechend
f(.)
~ u
G(s)
y
7.2 Methoden der Systembeschreibung
145
u(s) ˜ = f (u(s)) ˜ y(s) = G(s) · u(s). Komplexere Strukturen weisen eine Kombinationen aus beiden Modellformen auf. Die mit diesen Formulierungen mögliche Abbildung von Systemzusammenhängen stößt bei höhergradigen Nichtlinearitäten an ihre Grenzen. Beispielhaft zeigt an dieser Stelle Abbildung 7.11 den Fall eines Systems mit einer Limitierung der inneren Änderungsrate.
u
ò
K –
y
Abb. 7.11 System mit interner Sättigung.
Klassische Fälle aus der Praxis sind beispielsweise elektrische Maschinen, deren generierbare Antriebsmomente durch Sättigungseffekte begrenzt werden. Infolgedessen bleibt die verfügbare Motorbeschleunigung auf einen Maximalwert begrenzt. Über die herkömmlichen Beschreibungsweisen sind derartige Nichtlinearitäten nur sehr schwer oder überhaupt nicht zu erfassen und lassen sich nicht in eine verwendbare mathematische Systembeschreibung pressen. Die Erfassung von Systemen mit verschiedenartigen Nichtlinearitäten gelingt zumeist durch die Verwendung der allgemeinen Zustandsraumdarstellung, die in der nichtlinearen Form eine hohe Vielseitigkeit bietet. Ausgehend von den Gleichungen 7.10 und 7.11 wird der allgemeine Systemansatz für nichtlineare zeitvariante Ein- beziehungsweise Mehrgrößensysteme wie folgt formuliert: x˙ = f(x, u,t) y = g(x, u,t). Die in dieser Form erfolgende Beschreibung von Systemen liefert eine hohe Flexibilität sowie eine weitreichende Vielseitigkeit zur Erfassung nichtlinearer verkoppelter Systemzusammenhänge.
146
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme Wie in Abschnitt 7.1 bereits erwähnt liegt die wichtigste Zielsetzung der Regelungstechnik darin begründet, die Stabilität von Systemen während des Betriebes sowie in Ruhelagen sicherzustellen. Insbesondere für die Beurteilung des Stabilitätsverhaltens haptischer Systeme, die aufgrund der Kopplung dieser Systeme an den Menschen und den damit verbundenen sicherheitstechnischen Aspekten besondere Anforderungen aufweisen, soll dieser Abschnitt einen Einblick in die gängigen Verfahren geben. Grundlegend hierfür ist eine geeignete Systembeschreibung, welche einerseits die dynamischen Zusammenhänge ausreichend darstellt, andererseits mit den beschriebenen Analysemethoden vereinbar ist. Zur Beurteilung von Systemanteilen, Gesamtsystemen bis hin zu geschlossenen Regelkreisen von Ein- oder Mehrgrößensystemen im Hinblick auf Stabilität stehen eine Reihe von Methoden zur Verfügung deren Einsatzmöglichkeiten an dieser Stelle näher betrachtet werden sollen.
7.3.1 Stabilitätsanalyse linearer Systemanteile Die klassische Stabilitätsanalyse linearer zeitinvarianter Systeme erfolgt durch die Beurteilung der Polstellenlage. Die aus einem charakteristischen Polynom einer Differentialgleichung beziehungsweise aus dem Nenner einer Übertragungsfunktion G(s) berechenbaren Polstellen eines Systems liefern durch Ihre Lage in der komplexen Zahlenebene eine unmittelbare Aussage zur Stabilität des betrachteten Systems. Maßgebend ist dabei die Lage bezüglich der Imaginärachse. Polstellen mit negativem Realteil werden als stabile Polstellen bezeichnet, instabile Polstellen besitzen einen positiven Realteil. Der Bezug zur Stabilität wird aus der Bedeutung des Realteils für die homogene Lösung einer gewöhnlichen Differentialgleichung deutlich. Für ein System gelte die Differentialgleichung T y(t) ˙ + y(t) = Ku(t).
(7.19)
Der Ansatz zur homogenen Lösung der Differentialgleichung erfolgt über y h = eλ t
1 hier mit λ = − . T
(7.20)
Es wird direkt deutlich, dass das System eine positive Zeitkonstante T haben muss, damit der Pol lambda = − T1 in der linken Hälfte der komplexen Zahlenebene liegt. In diesem Falle verschwindet die homogene Lösung bei einer Grenzwertbetrachtung für t → ∞, während die homogene Lösung im instabilen Fall exponentiell über alle Grenzen wächst. An dieser Stelle soll nicht vertieft auf die Herleitung der linearen Stabilitätstheorie eingegangen werden, daher wird zur Schaffung eines grundlegenden Verständnisses auf die einschlägige Literatur zur Regelungstechnik
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme
147
insbesondere der Grundlagen verwiesen. Erwähnenswert bleiben verschiedene Methoden in der Herangehensweise zur Stabilitätsanalyse. Hierbei lässt sich eine Unterscheidung treffen zwischen solchen Verfahren, die eine direkte Stabilitätsanalyse des betrachteten Systems beinhalten und jenen, die eine Stabilitätsaussage über einen geschlossenen Regelkreis treffen, der neben dem betrachteten System zusätzliche Reglerstrukturen enthält. Die direkte Stabilitätsanalyse wird für lineare Systeme wie oben erwähnt beispielsweise mittels der Beurteilung der Polstellenlage durchgeführt. Neben der direkten Berechnung der Systempolstellen lässt sich über das Routh-Hurwitz-Stabilitätskriterium eine Aussage über die Lage der Pol- beziehungsweise Nullstellen des betrachteten Systems treffen, ohne diese explizit zu bestimmen. Dies erleichtert in den Fällen, in denen es keine geschlossene Lösung zur Bestimmung von Polstellen gibt, die Stabilitätsanalyse des betrachteten Systems. Zur Bestimmung der Stabilität von geschlossenen Regelkreisen ist die Beurteilung dessen Polstellenlage ebenfalls ohne Einschränkung zulässig. Daneben existieren weitere Methoden, die durch eine geschickte Anwendung über die reine Stabilitätsanalyse für einen vorab festgelegten geschlossenen Regelkreis hinausgehen. Zu den bekanntesten Verfahren zählen • das Wurzelortskurvenverfahren sowie das • Nyquist-Stabilitätskriterium. Auf die Anwendungsmöglichkeiten beider Verfahren soll im folgenden kurz eingegangen werden, ohne deren Herleitung tiefgehend zu erläutern. Das Wurzelortskurvenverfahren bietet bei der Stabilitätsanalyse die Möglichkeit, die Lage der Polstellen des geschlossenen Regelkreises in Abhängigkeit von variablen Systemparametern darzustellen. Variable Systemparameter sind beispielsweise schwankende Zeitkonstanten, sowie Systemverstärkungen. Bei der Einbeziehung dieses Verfahrens in den Reglerentwurf wird allerdings vornehmlich die Gesamtverstärkung des offenen Regelkreises −Go = GR GS
(7.21)
betrachtet. Hierin ist GR eine Reglerübertragungsfunktion, GS die Übertragungsfunktion der Strecke. Anhand von definierten Skizzierregeln ist die Abhängigkeit der Lage der Polstellen von der Verstärkung des offenen Regelkreises K darstellbar. Hierbei muss allerdings stets beachtet werden, dass die Stabilitätsaussage für den geschlossenen Regelkreis GR GS Gg = (7.22) 1 + G R GS gilt. Beispielhaft wird hier ein IT2 -System betrachtet, das eine zu regelnde Strecke darstellt. 1 1 1 GS = · · (7.23) s 1 + s 1 + 4s Zur Regelung wird ein Proportionalregler mit GR = KR eingesetzt. Für den offenen Regelkreis gilt somit
148
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
−Go = GR GS =
KR s(1 + s)(1 + 4s)
(7.24)
Über die Anwendung der in der Literatur mehrfach angegebenen [160], [256] Skizzierregeln ergibt sich eine Wurzelortskurve mit einem Verlauf, wie er in Abbildung 7.12 dargestellt ist.
Abb. 7.12 IT2 -Wurzelortskurve.
Die Polstellenverläufe zeigen, dass für kleine Verstärkungen KR die Polstellen des geschlossenen Kreises in der linken Halbebene liegen und Stabilität erreicht wird. Für wachsende Verstärkungen wandern allerdings zwei Polstellen in die rechte Halbebene, so dass ab eine kritischen Verstärkung Kkrit der geschlossene Regelkreis instabil wird. An diesem vergleichsweise einfachen Beispiel soll deutlich werden, dass sich diese Methode in den Reglerentwurf einbeziehen lässt und eine Aussage über das Stabilitätsverhalten des geschlossenen Regelkreises liefert ohne eine direkte Stabilitätsanalyse an diesem durchzuführen. Für die Verwendung des Nyquist-Stabilitätskriteriums gilt in gleicher Weise, dass die Analyse anhand der Kenntnis des offenen Regelkreises durchgeführt wird, eine Stabilitätsaussage allerdings für den geschlossenen Regelkreis getroffen wird. Bei der Darstellung der Vorgehensweise wird sich an dieser Stelle auf das vereinfachte Nyquist-Stabilitätskriterium beschränkt. Maßgebend für die Stabilitätsanalyse ist die Betrachtung des Frequenzgangs des offenen Regelkreises −Go ( jω ) = GR ( jω )GS ( jω )
(7.25)
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme
149
Das Nyquist-Verfahren nutzt hierbei die für die Stabilität geltenden Zusammenhänge von Amplituden- zu Phasengang. Beispielhaft sei wieder das vorab vorgestellte IT2 -System zusammen mit einem Proportionalregler betrachtet. Für den Frequenzgang zeigt Abbildung 7.13 folgende Verläufe im Amplituden- und Phasengang:
Bodediagramm
Amplitudengang [dB]
40 20 0 -20 -40 -60 -80 -100 -120
Phasengang [Grad]
-90
-135
jR -180
-225
-270 10
-2
10
-1
10
0
10
1
10
2
BodediagrammFrequenz [rad/sek]
Abb. 7.13 IT2 -Frequenzgang.
Für Stabilität muss über den gesamten Frequenzbereich gewährleistet sein, dass die Phase ϕ (ω ) > −180◦ ist, sofern der Amplitudengang A(ω ) oberhalb der 0 dBLinie liegt. Aus Abbildung 7.13 wird ersichtlich, dass durch eine entsprechende Wahl der Reglerverstärkung der Verlauf des Amplitudengangs gedanklich vertikal verschoben wird, der Phasengang in diesem Fall davon unabhängig ist. Die im Rahmen der Reglerauslegung häufig an spezifische Anforderungen geknüpfte Phasenreserve ϕR ist ebenfalls dargestellt. Diese Anforderungen müssen vorab durch den Entwickler festgelegt sein um eine gezielte Reglerauslegung zu ermöglichen. Der in diesem einfachen Beispiel gezeigte vergleichsweise geringe Einfluss auf Amplituden- und Phasengang durch die Reglerverstärkung KR genügt hier, um eine vorgegebene Phasenreserve einzustellen. Die Verwendung weiterer Reglerstruktu-
150
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
ren (PI, PIDTn , Lead-Lag) erhöht die Möglichkeiten der Einflussnahme und der gezielten Anpassung an die gestellten Anforderungen. Neben dem hier vorgestellten vereinfachten Nyquist-Stabilitätskriterium existiert zur Anwendung auf instabile Regelstrecken das allgemeine Nyquist-Stabilitätskriterium. An dieser Stelle soll allerdings auf die Herleitung und K AZMAREK Behandlung nicht näher eingegangen werden. Eine ausführliche Diskussion erfolgt in [160] und [256].
7.3.2 Stabilitätsanalyse nichtlinearer Systemanteile Die bisherigen vorgestellten Verfahren zur Stabilitätsanalyse beschränkten sich in ihrer Anwenung auf lineare zeitunabhängige Systeme. In realen Anwendungsfällen treten jedoch sehr häufig nichtlineare Systeme beziehungsweise Systemanteile in Erscheinung. Zur Behandlung dieser Systeme lässt sich über eine Linearisierung in einem Arbeitspunkt die Betrachtung des Systems in diesem fokussieren und die bisher vorgestellten Verfahren anwenden. Ist die Betrachtung des Systems in diesem einen Arbeitspunkt nicht ausreichend, so müssen weitergehende Verfahren zur Stabilitätsanalyse von nichtlinearen Systemen angewendet werden. Hierzu existieren ein Vielzahl von Methoden, die unterschiedliche Betrachtungsweisen zugrundelegen. Zu erwähnen sind hierbei: • • • • •
Gleichung der harmonischen Balance Analyse der Phasenebene Popov-Kriterium sowie das Kreiskriterium Stabilität nach der direkten Methode von Lyapunov Passivitätsanalyse
Ohne auf die Herleitung und mathematische Beweisführung einzugehen, sollen an dieser Stelle ausgewählte Verfahren vorgestellt und die Anwendung demonstriert werden. Eine Vollständigkeit kann aufgrund des thematischen Umfangs nicht eingehalten werden. Für eine tiefergehende Betrachtung wird die entsprechende Fachliteratur [59], [57], [58], [257], [130] und [227] empfohlen. Die Behandlung von geschlossenen Regelkreisen mit einer statischen Nichtlinearität lässt sich beispielsweise mittels des Popov- beziehungsweise Kreiskriteriums durchführen. Abbildung 7.14 zeigt die entsprechende Struktur eines geschlossenen Regelkreises: Hierin ist G(s) eine lineare Übertragungsfunktion und f (.) eine statische Nichtlinearität im Rückwärtszweig. Wird G(s) im Zustandsraum beschrieben x˙ = Ax + Bu˜ y = Cx so folgt die Zustandsraumdarstellung, welche das Gesamtsystem beschreibt zu:
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme
151
~ u
w –
G(s)
y
f(.)
Abb. 7.14 Regelkreis mit stat. Nichtlinearität.
x˙ = Ax − B f (y) y = Cx. Für den Sonderfall, dass f (y) = k · y, wird die Betrachtung auf ein lineares Eigenwertproblem zurückgeführt. Bei einer beliebigen nichtlinearen Funktion f (y) erhöht sich die Komplexität. Daher wird zunächst gefordert, dass die nichtlineare Funktion innerhalb eines Sektors liegt, der durch eine durch den Ursprung laufenden Geraden mit der Steigung k begrenzt wird. Abbildung 7.15 zeigt schematisch die geforderte Lage von f (y). Mathematisch formuliert lautet die Forderung 0 ≤ f (y) ≤ ky.
(7.26)
Das Popov-Kriterium liefert eine einfach anzuwendende Handhabungsweise zur Stabilitätsbetrachung für das gezeigte System. Das beschriebene System ist um seine Ruhelage x˙ = x = 0 global asymptotisch stabil wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: • Der lineare Anteil ist asymptotisch stabil und vollständig steuerbar. • Der nichtlineare Anteil erfüllt die Forderung nach der Lage innerhalb des gezeigten Bereichs nach Abbildung 7.15. • Für eine beliebig kleine Zahl ρ ≥ 0 existiert eine beliebige positive Zahl α , so dass folgende Ungleichung erfüllt ist: ∀ω ≥ 0 Re[(1 + jαω )G( jω )] +
1 ≥ρ k
(7.27)
Die durch die Gleichung 7.27 beschriebene Bedingung wird als Popov-Ungleichung bezeichnet. Sei G( jω ) = Re(G( jω )) + jIm(G( jω )) (7.28) so liefert Gleichung 7.27
152
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
f(y)
k
y
1
Abb. 7.15 Sektorforderung.
Re(G( jω )) − αω Im(G( jω )) +
1 ≥ρ k
(7.29)
Definiert man eine bezogene Übertragungsfunktion G∗ = Re(G( jω )) + jω Im(G( jω ))
(7.30)
dann folgt aus Gleichung 7.29, dass die grafische Auftragung von G∗ , die sogenannte Popov-Ortskurve, in der komplexen Zahlenebene unterhalb der Geraden y = α1 (x + 1k ) liegen muss. Abbildung 7.16 zeigt beispielhaft die grafische Auftragung der Popov-Ortskurve in der durch die Popov-Ungleichung geforderten Lagebedingung. Die Verwandschaft zum Nyquist-Kriterium zur Betrachtung der Stabilität für lineare Systeme wird hier sehr deutlich. Während beim Nyquist-Kriterium die Lage der Ortskurve von G( jω ) bezüglich des kritischen Punktes (-1,0) beurteilt wird, erfolgt hier die Analyse der Lage der Popov-Ortskurve im Vergleich zu einer Geraden. Die Verwendung des Popov-Kriteriums bietet für die beschriebene Systemstruktur den großen Vorteil, eine Stabilitätsaussage zu treffen, ohne dass eine explizite Beschreibung der vorhandenen Nichtlinearität existieren muss. Die Forderungen an die Nichtlinearität begrenzen sich auf die Lage im beschriebenen Sektor sowie auf ihr gedächtnisloses Übertragungsverhalten. Die Schwierigkeit bei der Verwendung liegt in den meisten Fällen darin, das betrachtete System in die geforderte Struktur durch geschickte Transformationen zu überführen. Zur Vollständigkeit soll an
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme
153
f(y)
1/a
-1/k 1
y
G*(jw)
Abb. 7.16 Popov-Ortskurve.
dieser Stelle auf das Kreis-Kriterium verwiesen werden. Die Sektorbedingung ist hierbei nicht mehr nur durch eine Gerade beziehungsweise der x-Achse festgelegt, vielmehr wir als Sektorbedingung für die Nichtlinearität durch k1 ≤
f (y) ≤ k2 y
(7.31)
beschrieben. Zur weiteren Anwendung und den veränderten Bedingungen sei auf die entsprechende Literatur [257], [130] und[227] verwiesen. Eine weitere Methode zur Stabilitätsanalyse nichtlinearer Systeme ist die Direkte Methode nach Lyapunov. Der Grundgedanke zielt darauf ab, dass für lineare wie für nichtlineare Systeme, die einem stabilen Gleichgewichtszustand zustreben, gelten muss, dass die gesamte Energie des Systems kontinuierlich dissipiert werden muss. Folglich besteht die Möglichkeit, eine Aussage über die Systemstabilität zu treffen, indem die Eigenschaften der Funktion, die den Energiezustand des Systems charakterisiert, analysiert wird. Dabei basiert die direkte Methode von Lyapunov darauf, dass die Betrachtung der Systemenergie verallgemeinert wird, indem eine künstliche skalare Funktion generiert wird, die nicht zwangsweise die Energie des betrachteten dynamischen Systems beschreibt, allerdings in ähnlicher Weise das Verhalten einer Energiefunktion in einem dissipativen System aufweist. Diese Funktionen werden als Lyapunov-Funktionen V (x) bezeichnet. Für die Betrachtung der Systemstabilität wird die eingangs eingeführte Systembeschreibung
154
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
x˙ = f(x, u,t) y = g(x, u,t). herangezogen. Nach dem Lyapunov-Theorem muss für die Stabilität eines Gleichgewichtzustands im Urspung mit x˙ = x = 0 gelten: 1. Es existiert eine skalare Funktion V der Systemzustände x, die positiv definiert ist. Dies bedeutet, dass für die Funktion gelten muss: V (0) = 0 und V (x) > 0∀x = 0. 2. Die zeitliche Ableitung V˙ ist negativ definit, das heisst V˙ (x) ≤ 0. 3. Es muss weiterhin gelten, dass V (x) → ∞ sofern x → ∞. Werden die Bedingungen nach positiver beziehungsweise negativer Definitheit der Lyapunov-Funktionen sowie der Zeitableitungen in einem begrenzten Bereich um den Gleichgewichtszustand erfüllt, ist dieser Gleichgewichtszustand im Ursprung lokal asymptotisch stabil. Ist diese Beschränkung der Gültigkeit nicht vorhanden und ist die Forderung V (x) → ∞ sofern x → ∞ erfüllt, so gilt die Gleichgewichtslage als global asymptotisch stabil. Zur Verdeutlichung soll das nichtlineare System 1. Ordnung x˙ + f x = 0
(7.32)
betrachtet werden. Hierbei stellt f(x) eine kontinuierliche Funktion mit x · f x > 0 und f (0) = 0 dar. Mit diesen Randbedingungen lässt sich eine Lyapunov-Funktion V = x2
(7.33)
als Kandidat heranziehen. Die zeitliche Ableitung von V liefert V˙ = 2xx˙ = −2x f (x).
(7.34)
Für die beschriebenen Eigenschaften von f (x) sind alle Bedingungen nach der direkten Methode von Lyapunov erfüllt und das System um seine Ruhelage global asymptotisch stabil. In diesem Fall ist eine genaue Kenntnis des Funktionsverlauf nicht vonnöten, die Forderung der Existenz von f (x) im 1. und 3. Quadranten genügt zur Sicherstellung der negativen Definitheit von V˙ (x). Als weiteres Beispiel soll ein nichtlineares Mehrgrößensystem betrachtet werden x˙1 = x2 − x1(x21 + x22 ) x˙2 = −x1 − x2 (x21 + x22 ) Auch hier ist der Ursprung des Zustandsraums ein Gleichgewichtszustand des Systems. Über die Lyapunov-Funktion V (x1 , x2 ) = x21 + x22 sowie deren zeitliche Ableitung
(7.35)
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme
155
V˙ (x1 , x2 ) = 2x1 x˙1 + 2x2x˙2 = −2(x21 + x22 )2
(7.36)
folgt direkt für den gesamten durch x1 und x2 definierten Zustandsraum die positive Definitheit für V (x1 , x2 ) und die negative Definitheit von V˙ (x1 , x2 ). Der Ursprung des Zustandsraum ist für dieses System ebenfalls ein gobal asymptotisch stabiler Gleichgewichtszustand. Das Auffinden von gültigen Lyapunov-Funktionen für spezifische Anwendungen stellt eine besondere Schwierigkeit bei der Verwendung der gezeigten Methode dar.Hierfür existiert keine geschlossene Vorgehensweise, worin eine großer Nachteil der Methode liegt. Als Ansätze zur Strukturierung der Vorgehensweise behandelt Slotine [227] folgende Methoden: • die Krasovskii Methode, • die Variable Gradienten Methode. Daneben werden die Möglichkeiten zur Einbeziehung physikalischer Zusammenhänge, sofern bekannt, bei der Bestimmung von Lyapunov Funktionen für komplexe nichtlineare dynamische Systeme vorgestellt.
7.3.3 Passivität gekoppelter Systeme Eine weitere Methode zur Stabilitätsuntersuchung von dynamischen Systemen besteht im Passivitäts-Formalismus. Die Behandlung von Systemen mittels der Beschreibung des Energieverhaltens durch Lyapunov-Funktionen führt auf den Ansatz, diese Betrachtungsweise auf Kombinationen von Systemen auszuweiten. Der Passivitäts-Formalismus bedient sich hierbei wiederum einer nichtlinearen positiv definiten Speicherfunktion V (x) mit V (0 = 0), welche die gesamte Energie des betrachteten Gesamtsystems darstellt. Die Änderung dieser Systemenergie bestimmt, ob ein System passiv ist. Ein System x˙ = f(x, u,t) y = g(x, u,t). ist passiv zur externen Versorgungsrate S = yT u sofern die Ungleichung V˙ (x) ≤ yT u
(7.37)
erfüllt ist. Khalil unterscheidet diese Systempassivität je nach Art der systemeigenen Dissipationseigenschaften in verschiedene Fälle (Lossless, Input Strictly Passiv, Output Strictly Passiv, State Strictly Passiv, Strictly Passiv) [130], worauf an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll. Ist ein System bezogen auf die externe Versorgungsrate S passiv, so ist es im Sinne von Lyapunov stabil. Werden passive Einzelsysteme parallel geschaltet und über eine Rückführung miteinander verknüpft, so resultiert dies jeweils wieder in einem neuen passiven
156
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
Gesamtsystem. Über die Verbundenheit der Passivität auf Stabilität im Sinne von Lyapunov lässt sich auf diese Weise der Rückschluß auf die Stabilität eines Systems ziehen, indem die Passivität der einzelnen Systemanteile nachgewiesen wird und die Verschaltung der Anteile dergestalt ist, dass das Gesamtsystem passiv ist. Zur Verdeutlichung soll das Beispiels eines RLC-Netzwerkes nach [130] auszugsweise vorgestellt werden. Betrachtet wird das folgende Netzwerk nach Abbildung 7.17: uR2=f(iL)
L iL
U(t)
C
uC i3=f(uR3)
i1=f(uR1)
Abb. 7.17 Passivitätsbestimmung am Beipiel eines RLC-Netzwerkes Sektorforderung.
Für die Behandlung werden folgende Größen als Systemzustände betrachtet: iL = x1 uC = x2 Als Eingangsgröße u wird die angelegte Spannung der Spannungsquelle U, als Ausgangsgröße y der Strom i definiert. Die Widerstände werden durch nichtlineare Zusammenhänge von Strom zu Spannung beschrieben: i1 = f1 (uR1 ) i3 = f3 (uR3 ) Für die Spannung am Widerstand, welcher mit der Induktivität in Reihe geschaltet ist gilt UR2 = f2 (iL ) = f2 (x1 ) (7.38) Dies führt auf das nichtlineare Differentialgleichungssystem zur Beschreibung des dynamischen Verhaltens: Lx˙1 = u − f2 (x1 ) − x2 Cx˙2 = x1 − f3 (x2 ) y = x1 + f1 (u)
7.3 Stabilität gekoppelter Systeme
157
Das beschriebene RLC-Netzwerk ist passiv, solange die folgende Bedingung erfüllt ist: t V (x(t)) − V (x(0)) ≤ u(τ )y(τ )d τ (7.39) 0
Die in diesem Falle im System gespeicherte Energie wird durch die Speicherfunktion 1 1 V (x(t)) = Lx21 + Cx22 (7.40) 2 2 beschrieben. Aus der Passivitätsbedingung 7.39 lässt sich die Bedingung V˙ (x(t), u(t)) ≤ u(t)y(t)
(7.41)
ableiten. Dies bedeutet, das der Leistungszufluss in das RLC-Netzwerk größer oder gleich sein muss, wie die Änderung der im System gespeicherten Energie. Das Einsetzen von V (x) in die Passivitätsbedingung liefert: V˙ (x, u(t)) = Lx1 x˙1 + Cx2x˙2 = x1 u − f2(x1 ) − x2 + x2 x1 − f3 (x2 ) = x1 u − f2(x1 ) + x2 f3 (x2 ) = x1 + f1 (u) u − u f1(u) − x1 f2 (x1 ) − x2 f3 (x2 ) = uy − u f1(u) − x1 f2 (x1 ) − x2 f3 (x2 ) Dies führt auf den Zusammenhang u(t)y(t) = V˙ (x, u(t)) + u f1(u) + x1 f2 (x1 ) + x2 f3 (x2 ).
(7.42)
Sind die Funktionen f1 , f2 und f3 selbst passive Untersysteme, das heisst, dass die Funktionen zur Beschreibung der nichtlinearen Widerstandscharakteristik nur im 1. und 3. Quadranten liegen dürfen, so ist V˙ (x, u(t)) ≤ u(t)y(t) und somit das RLC-Netzwerk passiv. Die Verschaltung dieses Netzwerkes mit anderen passiven Systemanteilen, parallel oder in einer Rückführungsstruktur, führt wieder auf ein passives System. Zur Beurteilung der Passivität und damit der Stabilität von komplexen nichtlinearen Systemen bietet diese Methode einen strukturierten Ansatz, der eine hohe Flexibilität aufweist. Abschließend soll festgehalten werden, dass die in diesem Abschnitt vorgestellten Methoden zur Stabilitätsanalyse linearer und nichtlinearer Systeme verschiedenartige Vor- und Nachteile aufweisen, im Hinblick auf die Anwendbarkeit, Aussagekraft und Komplexität. Die Verwendung der einzelnen Methoden ist daher immer für den jeweiligen Anwendungsfall zu überprüfen. Alle hier behandelten Verfahren zeigen nur einen Ausschnitt aus dem Spektrum der Stabilitätsanalyse und sind in vielen Abschnitten bewußt nicht in der nötigen Ausführlichkeit behandelt worden, um den begrenzten Gesamtumfang Rechnung zu tragen. Eine Vertiefung über die gegebene Literatur sei dem Leser daher nahegelegt.
158
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme Zu Beginn dieses Kapitels wurde die Notwendigkeit regelungstechnischer Strukturen allgemein aufgezeigt und die verschiedenen Motivationen besprochen. Zur Regelung der maßgebenden Systemgrößen innerhalb eines haptischen Systems bedarf es daher einer Kenntnis der grundlegenden Strukturen und Verfahren zum Entwurf der notwendigen Regler. Bei der Betrachtung haptischer Systeme obliegt es daher dem Entwickler, eine Vielzahl von Fragestellungen zu lösen und mit dem Gesamtentwurf in Einklang zu bringen. Während bei der Regelung eines haptischen Displays verstärkt der über den Anwender geschlossene Regelkreis im Fokus der Analyse steht, wird bei einem Telemanipulationssystem die Betrachtung auf den manipulierten Prozess beziehungsweise das manipulierte Objekt ausgedehnt. So verdoppelt sich hier der Aufwand, sowie die Vielfalt der Fragestellungen. Insbesondere die mechanische Kopplung des Menschen auf Bedienerseite und eventuell auch auf Prozessseite erfordern den Einsatz von Regelungsstrukturen, um eine ununterbrochene Kontrolle auf das Gesamtsystem zu erzielen. In den folgenden Abschnitten werden gängige Regelungsstrukturen und Auslegungsverfahren vorgestellt. Mit dieser Auswahl soll dem Leser das Grundwerkzeug mit auf den Weg gegeben werden, mit dessen Hilfe der analytische Reglerentwurf für haptische Systeme durchgeführt werden kann. Die in den vorangegangen Abschnitten behandelten Verfahren zur Modellbildung beziehungsweise zur Stabilitätsanalyse finden hier als Basis der Auslegungsverfahren wiederum Verwendung. Insbesondere die Aufgabe der Modellbildung erfordert den Überblick über die anzuwendenden Reglerauslegungsverfahren, da beides miteinander vereinbar sein muss.
7.4.1 Ansätze zur Strukturierung In Kapitel 5 wurden verschiedene Strukturen haptischer System vorgestellt, deren maßgebliche Unterschiede hier noch einmal aufgegriffen werden sollen: • Impedanz-gesteuert: Dem Bediener wird hierbei ein Krafteindruck vermittelt, der über eine Steuerkette aus einem Vorgabewert generiert wird. Kapitel 5 zeigt mit Abbildung 5.1 das grundsätzliche Schema dieser Struktur. • Impedanz-geregelt: Abbildung 5.3 zeigt die Struktur des haptischen Displays bei einer Impedanzregelung. Hierbei wird das dem Bediener als Systemausgangsgröße aufgeprägte Kraftsignal gemessen und über eine Rückführung einem Regler zugeführt. An dieser Stelle entsteht daher die Aufgabenstellung zur Auslegung des eingesetzten Reglers. • Admittanz-gesteuert: Abweichend von den vorherigen Ansätzen wird bei Admittanz-gesteuerten Systemen dem Bediener ein Positionssignal aufgeprägt. Neben diesem grundsätzlichen Unterschied erfolgt jedoch auch hier die Generierung des Ausgangssignals rein gesteuert auf Basis einer Positionsvorgabe. Abbildung 5.5 zeigt schematisch die Struktur dieser Methode.
7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme
159
• Admittanz-geregelt: Als vierte Variante beschreibt Abbildung 5.7 eine Admittanzregelung. In diesem Fall wird die durch den Bediener auf das haptische Display ausgeübte Kraft gemessen und auf den Vorgabewert zurückgeführt. Damit wird ebenfalls ein Regelkreis über den Bediener geschlossen. Abweichend im Vergleich zur Impedanzsteuerung zeigt sich das Übertragungsverhalten dieser Struktur. Als Sollwert wird hier eine Kraft SF vorgegeben und mit der Regelgröße SS verglichen, die Ausgangsgröße ist allerdings eine Position xout . Der Bediener ist hier also in sehr viel größererem Maße in den geschlossenen Regelkreis eingebunden als bei Impedanz-geregelten Systemen Allen genannten Methoden liegt eine Grundstruktur zugrunde, die durch eine Aufteilung nach Abbildung 5.11 deutlich wird. In dieser Struktur werden sämtliche geschlossenen Regelkreise deutlich, die im gesamten Telemanipulationssystem auftreten. • Auf der Seite des haptischen Displays wird ein Regelkreis über den Bediener geschlossen. Dies gilt für alle beschriebenen Methoden, sobald die Aktion beziehungsweise Reaktion durch den Bediener auf das zentrale Schnittstellenmodul zur Datenverarbeitung und Regelung zurückgeführt wird. • In gleicher Weise wird auf Prozessseite ein Regelkreis gschlossen, sofern die eventuell messbaren Reaktionsgrößen aus dem Prozess zur Datenverarbeitung und Regelung im zentralen Schnittstellenmodul zurückgeführt werden. • Daneben existieren untergeordnete Regelkreise, deren Auslegung ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf das Gesamtsytem haben. Hierzu gehören die spezifischen je nach eingesetzten Aktuatortyp unterschiedlichen Regelkreise beispielsweise Strom- und Geschwindigkeitsregelkreise innerhalb einer Kaskadenregelung. Es wird deutlich, dass die Aufgabenstellung der Regelung haptischer gekoppelter Systeme vielschichtig und vielfältig ist. Eine allgemein gültige Vorgehensweise lässt sich daher nicht geben. Vielmehr muss im ersten Schritt eine geeignete Strukturierung erfolgen, um das Gesamtproblem handhabbar zu machen. Die gezeigten Regelkreisstrukturen erfordern im Einzelnen die Auslegung folgender Regler: 1. Auslegung der Teilregler der Akutatorsysteme 2. Auslegung des übergeordneten Reglers für das haptische Display 3. Auslegung des übergeordneten Reglers für den Prozessmanipulator In vielen Fällen wird eine Trennung dieser Anteile nicht möglich sein, da sich je nach Anwendung die Funktionen der genannten Regler überschneiden. Daher ist bei der Auslegung bereits sehr früh darauf zu achten, welche Regler zum Einsatz kommen müssen, und welche Funktionen diese übernehmen werden. Zur Verdeutlichung sei folgendes Gedankenbeispiel genannt: Die Flughöhenregelung eines Passagierflugzeuges wird auf Basis von gemessen Prozessgrößen (Isthöhe, verbrauchter Treibstoff, Beladung, Wetter, Freigaben) vorgenommen. Auf dieser Ebene erfolgt in einem geschlossenen Regelkreis die Bestimmung einer Sollwertvorgabe an untergeordnete Regelkreise, die für Manövrierung des Flugzeugs verantwortlich sind. In
160
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
diesen Regelkreisen erfolgt die Regelung der Aktuatorik zur Verstellung der Steuerklappen beziehungsweise zur Trimmung. Für die Regelung haptischer Systeme lässt sich eine vergleichbare Funktionsverteilung vornehmen. Sowohl für die Regelung der Prozessmanipulation als auch des haptischen Displays erfolgt eine Generierung der Sollwertvorgaben innerhalb des zentralen Schnittstellenmoduls zur Regelung und Datenverarbeitung, das Kraftbeziehungsweise Positionssollwerte generiert, die durch die untergeordneten Regelkreise geregelt werden. Diese Sollwertvorgabe geschieht durch eine geeignete Verarbeitung in Form von ausgelegten Regelgesetzen. Zur Auslegung dieser Regelgesetze lassen sich die nun folgenden Vorgehensweisen betrachten. Entsprechend der unterschiedlichen Anforderungen lassen sich verschiedene Auslegungs- und Optimierungsverfahren betrachten und bei der Bestimmung geeigneter Regelgesetze verwenden. Im folgenden erfolgt daher eine Aufstellung typischer Anforderungsspektren an geschlossene Regelkreise gefolgt von einer Sammlung von Methoden zum Reglerentwurf.
7.4.2 Anforderungsdefinition Neben der grundlegenden Anforderung der Systemstabilität mit ausreichenden Stabilitätsreserven lassen sich an die Regelgüte geschlossener Regelkreise verschiedene Anforderungen im Hinblick auf Dynamik und Genauigkeit stellen. Um die Anforderungen an einen geschlossenen Regelkreis quantitativ greifbar zu machen, lässt sich beispielsweise aus der Sprungantwort des geschlossenen Kreises eine Merkmalsliste generieren und für die einzelnen Merkmale ein Zielbereich definieren. Betrachtet man allgemein die Sprungantwort eines geschlossenen Regelkreises, so ergibt sich in vielen Fällen das nach Abbildung 7.18 charakterisierte Führungsverhalten: Wie erkennbar ist, wird der geforderte Sollwert durch den geschlossenen Regelkreis erreicht und das Regelungsziel sichergestellt. Daneben treten Merkmale in Erscheinung die eine Beurteilung der Regelgüte erlauben. Im Einzelnen sind dies: xd, max Tmax Tε Tan
-
maximale Überschwingweite Zeitpunkt für xdmax Ausregelzeit (bis zur Restfehlerschwelle ε ) Anregelzeit (100% des Sollwertes werden zum ersten Mal erreicht)
Für die genannten Größen lassen sich entsprechende Anforderungen quantitativ formulieren. Des Weiteren sind zusätzliche Anforderungen zu stellen, beispielsweise die Anzahl der Über- und Unterschwinger sowie deren Frequenzverhalten. Übergeordnet über dem hier betrachteten Führungsverhalten muss insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen für haptische Systeme eine Betrachtung des zulässigen Frequenzspektrums erfolgen. Kapitel 4.2 und 4.3 analysieren die Nutzerimpedanz für verschiedene Anordnungen. Hieraus ergeben sich zum einen Frequenzbereiche,
7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme
161
maximale Überschwingweite xd, max e
Sollwertvorgabe w(t) Regelgröße y(t)
Tan Tmax
Te z.B. 95%
Zeitachse t
Abb. 7.18 Sprungantwort eines geschlossenen Regelkreises mit Anforderungskriterien .
die durch den Regelkreis im haptischen Display nicht angeregt werden dürfen, zum anderen muss eine maximale Eckfrequenz bei einer vorgegebenen Amplitude eingehalten werden. Für die Regelkreisauslegung zur Prozessmanipulation sind identische Aspekte maßgebend. In diesem Falle gewinnt die Resonanzvermeidung jedoch noch stärker an Bedeutung. Als Maßnahmen zur Vermeidung ungewollter Frequenztanteile in den jeweiligen Regelgrößen lassen sich entsprechende Filtermethoden einsetzen. Die Ermittlung der Anforderungen darf sich allerdings nicht nur auf das Führungsverhalten beschränken. Die in der Modellbildung haptischer Systeme vorgenommenen Annahmen und Interpretationen von Reaktionen als Störgrößen erzwingen, dass bei der Auslegung der Regelkreisstrukturen das Störverhalten mit einbezogen wird. Abbildung 7.19 zeigt hierzu vergleichbare Merkmale, wie ein geringer Störeinfluss quantitativ und qualitativ erfasst werden kann. Vielfach erzeugen die Anforderungen im Hinblick auf das Stör- und Führungsverhalten einen Zielkonflikt, da die Optimierungsmethoden nur begrenzt eine gleichwertige Berücksichtigung beider Forderungen zulassen. Je nach Anwendungsfall ist daher eine Abschätzung der Störanfälligkeit ratsam um aus den möglichen Ansätzen den gewinnträchtigsten zu bestimmen. Die aufgrund der Ermittlung der Anforderungen qualitativen und quantitativen Merkmale des Verhaltens geschlossener Regelkreise sind nicht in allen Fällen als direktes Gütekriterium in Regleroptimierungsverfahren verwendbar. Vielfach müssen die aufgezeigten Merkmale erst in mit den Auslegungsverfahren vereinbare Größen umformuliert werden. So lässt sich beispielsweise die Anregelzeit TAn nicht direkt in einem analytischen Optimierungsverfahren anwenden, sondern muss, da die geforderte Dynamik auch durch eine entsprechende Polstellenlage charakterisiert wird, in diese nutzbare Forderung gewandelt werden. Des weiteren erlauben Simulationen und Versuche ein iteratives Vorgehen bei der Bestimmung des optimalen Regelgesetzes. Jedoch sei hier Vorsicht geboten, da hier sehr schnell von der analytischen
162
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
maximale Überschwingweite xd, max Regelabweichung xd(t)
e
0
Störsignal z(t)
Taus Tmax
Te, aus z.B. 5%
Zeitachse t
Abb. 7.19 Anforderungskriterien für das Störverhalten eines geschlossenen Regelkreises
Vorgehensweise abgewichen wird und mittels Trial and Error eine Lösung herbeigeführt wird.
7.4.3 Reglerentwurf Die zur Regelung der angesprochenen Systeme einsetzbaren Regler sollen in diesem letzten Abschnitt vorgestellt werden und für eine Vorauswahl charakterisiert werden. Zur Optimierung der zunächst wählbaren Reglerparameter stehen verschiedene Optimierungsverfahren zur Verfügung, die an dieser Stelle ebenfalls angesprochen werden, ohne auf die exakten Herleitungen einzugehen. Aus den betrachteten Methoden zur Systembeschreibung gehen verschiedene Ansätze zum Aufbau von Reglerstrukturen hervor. An dieser Stelle sollen die klassischen PID-Regler, strukturellen Erweiterungen, sowie der Zustandsregler mit Beobachter vorgestellt werden.
7.4.3.1 Der klassische PID-Regler Der wohl am häufigsten eingesetzte Regler ist eine additive Kombination aus proportionalem, integralem und differenzierendem Regler. Diese Kombination lässt sich je nach Anwendung als reiner P-Regler, als PI-Regler, als PD-Regler und als PID-Regler einsetzen. Der PID-Regler vereinigt in einer Reglerstruktur alle Vorteile der einzelnen Inhalte. Seine Übertragungsfunktion wird beschrieben durch:
7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme
163
1 + TV s GR = KR 1 + TN s
(7.43)
Abbildung 7.20 zeigt das entsprechende Signalflussdiagramm. Die hierbei auftretenden Parameter sind die Proportionalverstärkung des Reglers KR , die Nachstellzeitkonstante TN sowie die Vorhaltezeit TD .
xd
KR
1 ¾¾ Tns
u
Tvs
Abb. 7.20 Signalflussdiagramm des PID-Reglers
Durch eine optimierte Einstellung dieser Parameter lassen sich sehr viele regelungstechnische Aufgabenstellungen lösen. In dieser Anordnung profitiert man beim Entwurf einerseits von der hohen Dynamik des P-Reglers, andererseits gewährleistet der Integralteil des Reglers, dass im Führungsverhalten keine bleibende Regelabweichung auftritt. Die Verwendung des differentiellen Anteils bietet einen zusätzlichen Freiheitsgrad zur gezielten Lagebeeinflussung der Polstellen des geschlossenen Regelkreises. Zur Auslegung lassen sich sehr viele Verfahren heranziehen. Beispielhaft seien hier folgende genannt: • Das Wurzelortskurvenverfahren: Dieses Verfahren dient zur aktiven Platzierung der Polstellen des geschlossenen Regelkreises bei gleichzeitiger Berücksichtigung der wählbaren Reglerverstärkung KR . Hierbei wird durch die Wahl der Parameter TN und TD die Lage der Nullstellen des PID-Reglers beeinflusst. Wie aus der Stabilitätsanalyse mittels Wurzelortskurvenverfahren deutlich wird, ist die Form der Wurzelortskurve und damit die Lage der Polstellen des geschlossenen Regelkreises unmittelbar davon abhängig. So wird es möglich, die Polstellen des geschlossenen Regelkreises und damit einen maßgeblichen Aspekt der Dynamik einzustellen bei gleichzeitger Stabilitätsanalyse. • Über die Methodik der Integralkriterien wird eine Optimierung der zugrundegelegten Systemantwort, beispielsweise Führungs- oder Störgrößensprünge, vorgenommen. Dabei erfolgt die Optimierung der Reglerparameter durch eine Minimierung des eingesetzten Integralkriteriums. Die Vorgehensweise ist wie folgt: Die sich aufgrund eines Eingangssignals einstellende Regelabweichung xd (auf unterschiedliche Weise zeitlich gewichtet) des geschlossenen Regelkreises wird über der Zeit integriert und dieses Integral in Abhängigkeit der wählbaren Reg-
164
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
lerparameter minimiert. Konvergiert das Intergral der Regelabweichung gegen einen Minimalwert, so lassen sich die hieraus abgeleiteten Reglerparameter bestimmen. Eine ausführliche Behandlung der Auslegungsverfahren zur Reglereinstellung lässt sich an dieser Stelle nicht durchführen. Zur Vertiefung wird auf die gängige Literatur zur Reglerauslegung verwiesen [160], [159].
7.4.3.2 Strukturelle Erweiterungen Neben dem Regler lassen sich im geschlossenen Regelkreis mehrfach strukturelle Erweiterungen einsetzen, welche das Gesamtverhalten beeinflussen, auf die Stabilität allerdings keine Auswirkung haben. Betrachtet werden sollen hierbei die Störgrößenaufschaltung die Hilfsgrößenaufschaltung sowie einsetzbare Führungsfilter zur Beeinflussung des Frequenzspektrums im Ausgangssignal.
Störgrößenaufschaltung Der Grundgedanke der Störgrößenaufschaltung liegt darin, bekannte, messbare und in ihrer Auswirkung eindeutig nachweisbare Störgrößen, die auf ein System oder Systemanteile wirken, derart zu nutzen, dass die Auswirkung durch gezielte Verarbeitung und Aufschaltung der gemessenen Störgröße kompensiert wird. Abbildung 7.21 zeigt schematisch den beschriebenen Ansatz. In dieser modellhaften Anmessbare Störung z
GSZ Kompensator
Störübertragungsfunktion
GK
GR
GS
Abb. 7.21 Vereinfachter Störgrößeneinfluss
nahme wirkt die Störgröße z über die Störübertragungsfunktion GSZ auf den geschlossenen Regelkreis. Die gemessene Störgröße wird über einen Kompensator
7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme
165
GK geführt und auf den Reglerausgang aufgeschaltet. Es wird deutlich, dass bei einer geeigneten Auslegung von GK die Auswirkung der Störgröße z vollständig kompensierbar wird. Eine derartige Auslegung wird formuliert durch GK =
−GSZ GS
(7.44)
In dieser idealen Anschauung verbleibt allerdings die Fragestellung, ob eine Inversion von GS mathematisch und vor allem praktisch möglich ist. In vielen Fällen, wo dies nicht der Fall ist, verbleibt es, für GK eine Approximation vorzunehmen. Aus Abbildung 7.21 wird ebenfalls deutlich, dass diese unterstützende Struktur keinen Einfluss auf das Stabilitätsverhalten des geschlossenen Kreises hat und somit unabhängig davon entworfen werden kann. Neben der Umsetzbarkeit muss allerdings auch hier der Grad des zusätzlichen Aufwandes betrachtet werden. Dieser steigt schon allein durch die notwendige Erfassung der Störgröße sowie der zusätzlichen Signalverarbeitung im zu realisierenden Störgrößenkompensator.
Hilfsgrößenaufschaltung - Vorsteuerung In ähnlicher Weise wie bei der Störgrößenaufschaltung wird bei der Hilfsgrößenaufschaltung die Kenntnis zusätzlicher Signale genutzt, um das gesamte Regelungsverhalten zu verbessern. Hierzu stehen mehrere mögliche Strukturen zur Verfügung. Abbildung 7.22 zeigt als Beispiel, eine Vorsteuerung durch die Aufschaltung des Sollwertes w auf das Stellsignal u unter Zuhilfenahme einer FeedforwardÜbertragungsfunktion GFF .
Vorsteuerungsfilter GFF
w
GR
u
Abb. 7.22 Schematisches Beispiel zur Vorsteuerung
GS
y
166
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
7.4.3.3 Regelung im Zustandsraum Neben den bislang gezeigten Verfahren und Strukturen, die sich hauptsächlich in Eingrößensystemen wiederfinden, werden insbesondere für Mehrgrößensysteme Zustandsregler eingesetzt. Wie in diesem Kapitel unter dem Abschnitt 7.2.2 beschrieben, bietet sich für die Systembeschreibung von Mehrgrößensystemen die Zustandsraumdarstellung an. In dieser Formulierung lässt sich eine entsprechende Reglerstruktur umsetzen, die die betrachteten Systemzustände aufgreift und auf vorgegebene Sollwerte regelt. Der Vorteil der eingesetzten Auslegungsverfahren besteht darin, dass die zur Regelung der einzelnen Zustandsgrößen notwendigen Regler nicht als Einzelregler ausgelegt werden müssen sondern dass eine ganzheitliche Auslegung vorgenommen wird. Auf diese Weise lassen sich selbst für komplexe Mehrgrößensysteme mit verkoppelten Eingangs-, Ausgangs- und Zustandsgrößen Regler als Ergebnis eines geschlossenen Optimierungsverfahren auslegen. An dieser Stelle sollen die grundlegenden Strukturen der Regelung im Zustandsraum vorgestellt werden. Hierbei werden die Zustandsrückführung, sowie der Zustandsbeobachter angesprochen. Eine detaillierte Behandlung der verschiedenen Auslegungsverfahren ist hierbei nicht zweckmäßig und es wird auf die ensprechende Fachliteratur verwiesen [159], [257].
Zustandsrückführung Abbildung 7.23 zeigt die Struktur der klassischen vollständigen Zustandsrückführung. Vergleichbar zu Abbildung 7.8 wird auch hier die Regelstrecke in Zustands-
D
x0 (t) w (t)
x× (t)
u (t) V
B
ò
A
K
Abb. 7.23 Vollständige Zustandsrückführung
x (t)
y (t) C
7.4 Regelung haptischer gekoppelter Systeme
167
raumdarstellung mit den Matrizen A, B, C und D beschrieben. Die Zustände x des Systems werden nun zurückgeführt und über die Verstärkungsmatrix K auf vorgegebene und über eine Vorfiltermatrix V geführte Sollwerte geschaltet und der Systemeingangsvektor u gebildet. Es wird deutlich, dass sowohl K und V nicht quadratisch sein müssen, da eine Systembeschreibung im Zustandsraum unterschiedliche Dimensionen im Zustands- und Eingangsvektor beziehungsweise im Vektor der Sollwerte und dem Eingangsvektor zulässt.
Zustandsbeobachter Die vorab vorgestellte Struktur einer Zustandsrückführung erfordert, dass sämtliche zurückgeführte Zustände des System messbar sind und für die Regelung beziehungsweise die Signalverarbeitung zur Verfügung stehen. Dies ist in Abhängigkeit vom betrachteten System nicht immer der Fall. Vielfach stehen nicht die technischen Möglichkeiten zur Verfügung um alle interessierenden Zustandsgrößen zu messen. Des Weiteren steigt der erforderliche Aufwand und die damit verbundene Kostenfrage rückt in den Vordergrund. Um diesem Umstand Abhilfe zu leisten, bedient man sich der Methodik, aus den verfügbaren und mit vertretbarem Aufwand gemessenen Ausgangsgrößen, die nicht verfügbaren Systemzustandsgrößen zu rekonstruieren. Abbildung 7.24 zeigt die gesamte Struktur der auf einen Zustandsbeobachter basierenden Regelung im Zustandsraum. Parallel zur Regelstrecke mit den Parametermatrizen A, B, C und D wird eine weitgehend exakte Nachbildung, beschrieben durch die Parametermatrizen A∗ , B∗ , C∗ und D∗ , ebenfalls mit dem Stellgrößenvektor u beaufschlagt. Diese Nachbildung dient als Beobachter und schätzt die Systemzustandsgrößen x∗ sowie den Systemausgang y∗ . Die Differenz zwischen dem tatsächlich messbaren Ausgangsvektor y und y∗ wird über eine Verstärkungsmatrix L auf den Beobachter zurückgeführt. Hierdurch wird erreicht, dass die aufgrund der zur realen Regelstrecke immer vorhandenen Abweichungen in den Parametermatrizen geschätzten Systemzustände korrigiert werden und nicht aufrund der unbekannten Anfangszustände auseinanderdriften. Die nun verfügbaren geschätzten und korrigierten Zustände x∗ lassen sich nun wiederum über eine Verstärkungsmatrix K zurückführen und zur Regelung verwenden. Die hier beschriebene Form des Beobachters wird als Luenberger-Beobachter bezeichnet. Hierbei werden sämtliche zur Regelung eingesetzen Systemzustände durch den Beobachter geschätzt. In der Praxis wird dagegen die direkte Zustandsmessung oftmals kombiniert mit beobachterbasierten Schätzung von nur einigen Zuständen. Diese Struktur wird dann als unvollständiger Beobachter bezeichnet. Ansätze zur Auslegung von Beobachtern finden sich beispielsweise in [159] und [257].
168
7 Methoden zur Regelung haptischer Systeme
D
x0 (t) w (t)
x× (t)
u (t) V
B
x (t)
ò
y (t) C
A
L
-
D* x× (t)*
B*
ò
x (t)* C* y (t)*
A*
K
Abb. 7.24 Zustandsbeobachter
7.5 Fazit Mit der Aufgabe der Regelung haptischer Systeme wird der Entwickler mit einer vielschichtigen Sammlung von Fragestellungen konfrontiert. Der Wunsch nach einer sicheren und zuverlässigen Einflussnahme auf alle im gesamten haptischen System verankerten Prozesse und Größen erfordert eine gezielte Vorgehensweise zur Bewältigung und Lösung dieser Aufgabenstellung. Das vorliegende Kapitel erfasst dabei die grundlegenden Themen, die dem Entwickler begegnen werden und stellt verschiedene Verfahren und Methoden vor, die ihn bei regelungstechnische Analyse und Synthese unterstützen. Bei der regelungstechnischen Analyse von Systemen erfolgt zu Beginn eine Abstraktion des Systemverhaltens und eine mathematische Modellbildung des vorliegenden Systems. Hierbei steht eine Vielzahl an Methoden zur Verfügung, die in Abhängigkeit von der gewünschten Komplexität eingesetzt werden können. Neben
7.5 Fazit
169
der Beschreibung linearer beziehungsweise linearisierter Systeme oder Systemanteile, bieten nichtlineare Systemformulierungen vielfach die Möglichkeit komplexe Strukturen mit erhöhter Genauigkeit zu erfassen. Ebenso stehen Methoden zur Verfügung, welche die Kopplungen von Mehrgrößensystemen formulierbar und einer weiteren Analyse zugänglich machen. Allen Methoden und ihrer Anwendung zur Erzielung eines möglichst exakten Modells des vorliegenden physikalischen Systems steht die Notwendigkeit gegenüber, dass die mathematische Beschreibung für weitere Analysemethoden und Reglerauslegungsverfahren dienen soll. Daher muss hier ein Kompromiss gefunden werden, um die abgebildete Komplexität und damit die Modellgenauigkeit so hoch wie möglich zu erfassen und gleichzeitig eine in vertretbarem Aufwand handhabbare und für weitere Analysemethoden nutzbare Systembeschreibung zu erhalten. Zur Analyse muss in besonderem Maße die Stabilität des gesamtem Systems sichergestellt sein und auf ihre Robustheit hin überprüft werden. Die auszugsweise vorgestellten Verfahren lassen sich je nach Ausprägung rein auf lineare Systeme oder auch auf nichtlineare Systeme anwenden. Vielfach steigt auch hier der Aufwand mit der Komplexität der Systembeschreibung. Demgegenüber steht, dass die Stabilitätsanalyse anhand einer nicht exakten Systembeschreibung auch nur eine Stabilitätsaussage für dieses vereinfachte Modell der Realität liefert. Die zugrundegelegten Annahmen und Abweichungen müssen in ihrer Auswirkung eingeschätzt werden und die Robustheit der Stabilität sicherestellt werden. Die eigentliche Aufgabe zur Regelung haptischer Systeme besteht allerdings im Entwurf der Regelungsstrukturen, die im System an verschiedenen Stellen eingesetzt werden müssen. Dabei enthält dieser Entwurf sowohl die Auswahl geeigneter Regler mit zusätzlichen unterstützenden Strukturen als auch eine Optimierung der wählbaren Parameter. Mit den in der Literatur mehrfach behandelten Verfahren zur Regleroptimierung sind dem Entwickler damit die notwendigen Bausteine an die Hand gegeben, um im Rahmen der Entwicklung haptischer Systeme den Ansprüchen der regelungstechnischen Anforderungen gerecht zu werden.
Kapitel 8
Kinematikentwurf
A NDREAS RÖSE In diesem Kapitel werden die Grundzüge des kinematischen Entwurfs haptischer Displays behandelt. Haptische Displays erzeugen selten Kräfte in nur einer Raumrichtung. In diesem Fall wäre die kinematische Struktur des Bedienelements einfach. Viel interessanter ist die Eingabe von Wegen und Winkeln sowie die Ausgabe von Kräften und Momenten mit zwei, drei oder mehr Freiheitsgraden. Für die Umsetzung von Kräften in mehreren Raumrichtungen werden Mechanismen benötigt, die die Kräfte von mehreren Aktoren an den Ort ihres Wirkens (die Hand) umsetzen. In der Theorie und anhand von einigen Beispielen werden hier zwei grundsätzlich unterschiedliche kinematische Strukturen erläutert: seriell kinematische und parallelkinematische Strukturen. Die vorliegende Betrachtung beschränkt sich auf den kinematischen Entwurf von haptischen Systemen. Sie deckt daher nicht die komplette Entwicklung von Mechanismen ab. Vor allem Betrachtungen zur statischen und dynamischen Analyse sind der weiterführenden Literatur zu entnehmen. Dieses Kapitel kann als Leitfaden verstanden werden, um eine geeignete kinematische Struktur des haptischen Systems auszuwählen und zu entwerfen.
8.1 Grundlagen 8.1.1 Mechanismen und deren Einordnung Die Kinematik (die Lehre der Bewegung) beschäftigt sich mit der Berechnung von Bewegungsvorgängen mechanischer Systeme. Im Gegensatz zur Kinetik werden innere und äußere Kräfte in dem System vernachlässigt. Es geht ausschließlich um die Beschreibung der Bewegungen. Ergebnis von kinematischen Betrachtungen sind daher die idealen Übertragungseigenschaften des untersuchten masselosen mechani-
171
172
8 Kinematikentwurf
schen Systems. Selten hat man es bei haptischen Bedienelementen mit Bewegungen mit nur einem Freiheitsgrad zu tun. Diese können auch mittels Direktantrieb ohne weitere Mechanismen zur Bewegungsumsetzung aufgebaut werden. Im Allgemeinen benötigt man jedoch eine kinematische Struktur, die ebene oder räumliche Bewegungen umsetzt bzw. Kräfte in mehreren Raumrichtungen erzeugt. Wir werden uns hier daher mit der Entwicklung und der kinematischen Beschreibung von (nichtlinear übersetzenden) Mechanismen mit mehreren Freiheitsgraden beschäftigen. Bei der Entwicklung ist es üblich zunächst mittels kinematischer Betrachtungen eine Tolpologie für einen Mechanismus festzulegen, dann seine Übertragungseigenschaften zu berechnen und ihn im Bedarfsfall weiter zu untersuchen. Der Begriff Topologie bezeichnet hierbei die Anordnung von Gelenken und Starrkörpern innerhalb eines Mechanismus. Wenn die Anordnung festgelegt ist, folgt im Allgemeinen eine Dimensionierung der Abmessungen, damit der Mechanismus bestimmten Anforderungen wie z.B. dem Erreichen eines bestimmten Arbeitsraums genügt. Ein angetriebener Mechanismus (auch: Roboter, Roboterarm), besteht im Allgemeinen sowohl aus angetriebenen Gelenken (auch: Motoren, Aktoren, Aktuatoren) und nicht angetriebenen Gelenken (auch: passive Gelenke). Ein angetriebener Mechanismus enthält genau so viele Aktoren (bzw. Aktorfreiheitsgrade), wie er Bewegungsfreiheitsgrade besitzt. Sonderbauformen arbeiten mit mehr Aktoren, als der Mechanismus Bewegungsfreiheitsgrade besitzt, um die Struktur zu versteifen. Diese Bauformen liegen außerhalb der hier betrachteten Menge an Mechanismen. Bei Mechanismen mit mehreren Freiheitsgraden unterscheiden wir die zwei grundsätzlichen Bauweisen: parallelkinematisch und seriell kinematisch. Eine Mischform aus beiden nennen wir hybrid kinematisch. In der Abbildung 8.1 sind Beispiele für einen seriellen, einen parallelen und einen hybriden Mechanismus gezeigt. Rein serielle Mechanismen enthalten keine passiven Gelenke; alle Aktoren liegen seriell angeordnet in einer einzigen kinematischen Kette. Parallele Mechanismen bieten die Möglichkeit, alle Antriebe gestellfest anzuordnen und damit die bewegte Masse zu minimieren. Dies macht sie für haptische Anwendungen besonders interessant. Als Gestell wird hier der Starrkörper innerhalb eines Mechanismus bezeichnet, der nicht bewegt wird.
Beispiele Es gibt zahllose Beispiele für unterschiedliche Roboter, Positioniersysteme und Mechanismen. Allen gemeinsam ist, dass sie über Antriebe und über Starrkörper verfügen, aus denen sie aufgebaut sind. Bei einigen Robotern wird die Antriebsleistung über Seilzüge umgesetzt, so auch in einigen haptischen Bedienelementen (Abb. 8.2). Da allen Mechanismen die Auslegung gemein ist, werden an dieser Stelle zwei Beispiele genannt, die nicht im Bereich der Haptik zu finden sind.
8.1 Grundlagen
173
Abb. 8.1 Serieller a), paralleler b) und hybrider c) Mechanismus. Bei einem parallelen Mechnismus können alle Antriebe gestellfest angeordnet werden.
Abb. 8.2 Haptisches Bedienelement Falcon der Firma Novint mit parallelkinematischer Struktur, bei dem die Antriebsleistung über Seilzüge umgesetzt wird. Quelle: Firma Novint
Die Abbildung 8.3 zeigt einen voll parallelen Mechanismus der Firma PI mit sechs Beinen - einen Hexapoden. Diese Struktur wird in der Literatur oft als StewardGough-Plattform bezeichnet, da sie von D. Steward und V. E. Gough aber auch von K. L. Cappel unabhängig voneinander etwa zeitgleich entwickelt wurde. Der Tool Center Point kann im Raum in sechs Freiheitsgraden positioniert werden. Die Bewegung wird von sechs Linearantrieben erzeugt, die jeweils die Basis mit dem Tool Center Point verbinden. Für haptische Anwendungen ist eine solche Struktur gut geeignet, da ihre kinematischen Beziehungen bereits analytisch gelöst sind [101]. Der abgebildete Hexapod der Firma Physik Instrumente (PI) GmbH & Co. KG ist
174
8 Kinematikentwurf
jedoch ein Positioniersystem. Er verfügt nicht über die nötige Dynamik für ein haptisches Bedienelement. Die Abbildung 8.4 zeigt einen SCARA-Roboter (Selective Compliance Assembly Robot Arm) der Firma Mitsubishi Electric. Diese Art Roboter wird häufig in der Fertigungsautomatisierung als Pick and Place Roboter eingesetzt. Hier soll lediglich die serielle kinematische Struktur des Roboters gezeigt werden. Für eine präzise Bewegung ist die Auslegung der Aktoren sehr entscheidend. Jeder Aktor bewegt alle folgenden Aktoren.
Abb. 8.3 Parallelkinematischer Hexapod der Firma Physik Instrumente (PI) GmbH & Co. KG. Der Mechanismus besitzt sechs Freiheitsgrade, die über Linearantriebe angesteuert werden. Quelle: Firma PI (www.pi.ws)
Abb. 8.4 SCARA Roboter der Firma Mitsubishi Electric zum Einsatz in der Fertigungsautomatisierung. Quelle: Firma Mitsubishi Electric
8.1 Grundlagen
175
8.1.2 Kinematische Berechnungen Die kinematische Beschreibung eines Mechanismus für haptische Anwendungen reduziert sich auf die Beschreibung der Beziehungen der Ein- und Ausgangsgrößen Kräfte, Momente und Wege an den Aktoren und an der Bedienplattform (bei Robotern auch Tool Center Point, TCP). Sei a = (a1 , a2 , ..., an ) der Vektor, in dem die Aktorwege und Winkel ai zusammengefasst werden und x = (x1 , x2 , ..., xm ) der Vektor, in dem die Wege und Winkel der Bedienplattform x j zusammengefasst werden. Man formuliert dann das direkte kinematische Problem (auch direkte Kinematik, Vorwärtskinematik) x = f (a)
(8.1)
und seine Umkerfunktion das inverse kinematische Problem (auch Rückwärtskinematik, Inverskinematik) a = f −1 (x)
(8.2)
Für haptische Anwendungen benötigen wir meistens die Vorwärtskinematik nach Gleichung (8.1). Sie enthält den Zusammenhang, der zur Eingabe von Wegen benötigt wird. Die Hand greift an dem TCP (x-Koordinaten) an und bewegt ihn. Die Aktoren werden über den Mechanismus zwangsweise mitbewegt. Man möchte nun wissen, wo sich die Hand befindet. Wenn die Stellung der Aktoren mit Sensoren (z.B. Drehwinkelgeber) bestimmt wird, kann mittels der Vorwärtskinematik die Position der Hand errechnet werden. Auch für die Berechnung der Kraftausgabe an der Hand wird die vorwärtskinematische Beziehung benötigt. Die Kraftberechungen werden später unter Zuhilfenahme der Jacobi-Matrix ermittelt. Bei seriellen Mechanismen ist die Berechung der vorwärtskinematischen Beziehung (8.1) relativ einfach über die Methode der Denavit-Hartenberg-Parameter (Abschn. 8.2.2) möglich. Bei parallelen Mechanismen hingegen ist die inverskinematische Beziehung oftmals mittels Vektorzügen zu lösen, die Vorwärtskinematik ist jedoch im Allgemeinen nicht analytisch lösbar. Für viele parallelkinematische Anwendungen ist die Vorwärtskinematik in der Literatur schon gelöst, so dass man hier auf eine analytische Lösung zurückgreifen kann [249]. Anmerkung: Das zuvor Gesagte trifft auf die größte Klasse der haptischen Bedienelemente, die impedanzgesteuerten bzw. -geregelten zu. Bei admittanzgesteuerten oder -geregelten Systemen spielt zusätzlich die Inverskinematik eine wichtige Rolle. Hier wird die Information benötigt, wie weit der TCP sich relativ zur Hand bewegen muss, um eine Kraftänderung hervorzurufen. Die Berechnung der Lageänderung des TCP ist in der Inverskinematik abgebildet.
176
8 Kinematikentwurf
Beispiel Betrachten wir zum Beispiel einen Delta Roboter (Abb. 8.5). Er gehört zu der Gruppe der parallelkinematischen Mechanismen (Abschn. 8.3) Der Delta Roboter hat einen Gesamtfreiheitsgrad von 3, er kann sich also in 3 unabhängigen Koordinaten bewegen. Die 3 Bewegungsfreiheitsgrade des Tool Center Points sind kartesische Koordinaten (Bewegung entlang orhtogonaler Achsen). Die kinematischen Probleme für den Delta Roboter sind in der Literatur gelöst [249]. Er verfügt auch über 3 (rotatorische) Antriebe. Wenn man einen Delta Roboter als haptisches Display verwenden möchte, ist man an der Beschreibung der Bewegung des TCP interessiert, da dieser ähnlich einem Joystick für die Steuerung eines Manipulators eingesetzt werden kann. Man will mit dem Tool Center Point auch eine Kraftrückmeldung an den Bediener realisieren und muss daher die Antriebe so ansteuern, dass die gewünschte Kraft am Tool Center Point vorliegt. Daher benötigt man, wie wir später sehen werden, ebenfalls die Vorwärtskinematik nach Gleichung (8.1).
Abb. 8.5 Der Delta Roboter hat 3 rotatorische Aktoren und 3 Freiheitsgrade seines Tool Center Points, die sich am besten in kartesischen Koordinaten beschreiben lassen. Bei einem haptischen Display würde der TCP als Eingabeelement dienen. (Quelle: Firma ABB)
8.1.3 Übertragungsverhalten und die Jakobi Matrix Für das Verständnis dieses Abschnitts ist es nötig, sich nochmals vor Augen zu führen, dass wir es hier mit nichtlinear übersetztenden Getrieben mit mehreren Freihetsgraden zu tun haben. Ihr Übertragungsverhalten (die kinematischen Beziehungen) lässt sich nicht über lineare Gleichungssysteme ausdrücken. Das Übersetzungsverhältnis von Wegen und Kräften ändert sich über dem Arbeitsraum. Man muss in einem haptischen Display diesen nichtlinearen Zusammenhang hinterlegen.
8.1 Grundlagen
177
Wenn man ein Stab-Gelenk-Getriebe nur wenig um einen Arbeitspunkt bewegt, dann kann das Übertragungsverhalten von Aktoren zum Tool-Center-Point in diesem Arbeitspunkt linearisiert werden. Wir betrachten ein Getriebe mit einem Freiheitsgrad wie in Abbildung 8.6(a). Diese Anordnung ist nichtlinear übersetzend. Als Eingangsgröße definieren wir einen Rotationsantrieb mit dem Rotationswinkel α und als Ausgangsgröße den Weg der Schubstange x. Die Vorwärtskinematik berechnet sich offensichtlich zu x = a · sin(α )
(8.3)
Sie ist in der Abbildung 8.6(b) als Funktion geplottet.
Abb. 8.6 Nichtlinear übersetzendes Getriebe mit einem Freiheitsgrad. a) Aufbau, b) vorwärtskinematische Übertragungsfunktion
Wenn wir die Funktion an einer beliebigen Stelle α0 linearisieren, erhalten wir dx|α0 =
dx |α · d α = cos(α0 ) · d α = b0 · d α dα 0
(8.4)
und damit den Übertragungsfaktor b0 für differentielle Bewegungen. Die Ableitung b0 an der Stelle α0 enthält sowohl das Wegübertragungsverhalten an der Stelle α0 als auch das Kraftübertragungsverhalten. Über das Prinzip der virtuellen Arbeit berechnen wir mit einer virtuellen Arbeit am Antrieb δ W x und am Schubzylinger δ Wα :
δ Wx Fα · δ α Fα Fx Mα · α Fx
= δ Wα = Fx · δ x δx = δα δx = δα
(8.5)
178
8 Kinematikentwurf
Damit ist das Kraft-Moment-Übertragungsverhalten an der Stelle α0 Mα · α 1 = Fx b0
(8.6)
also der Kehrwert des Wegübertragungsverhaltens. Hierbei ist Mα das Eingangsmoment in Achsrichtung des Antriebs und Fx die Ausgangskraft in Richtung von x. Anmerkung: Virtuelle Größen kennzeichnet man mit δ , um sie von differentiellen Größen (d) zu unterscheiden. Nach dem Prinzip der virtuellen Arbeit wird der Mechanismus an einer Stelle betrachtet. Es tritt eine infinitesimal kleine (also nur eine virtuelle) Verschiebung des Mechanismus auf. Damit ist die geleistete Arbeit unabhängig von Verschiebungen, und es können die Kraftübertragungen ausgedrückt werden. Selbstverständlich wird auch bei der Differentialrechnung eine infinitesimal kleine Veränderung betrachtet. Daher wird mit den Ableitungen der Weggrößen gerechnet. Sie gehen in die Ergebnisse ein. Eine singuläre Stellung tritt auf, wenn b0 = 0 wird (z.B. bei α = 90◦ ). Dort kann die Schubkurbel keine definierten Kräfte mehr übertragen, also nicht mehr in einem haptischen Display zur Kraftübertragung eingesetzt werden.
Übergang zum Mehrdimensionalen Wir betrachten hier kinematische Zusammenhänge mit mehreren Freiheitsgraden und müssen daher Abbildungen Rn → Rm betrachten. Dort wird ebenfalls eine Linearisierung durchgeführt, die jedoch nicht zu einem Übertragungsverhalten führt, sondern in der Jacobi-Matrix J ausgedrückt wird. Die Jacobi-Matrix berechnet sich bei n Aktorfreiheitsgraden a = (a1 , a2 , ..., an ) und m Freiheitsgraden des Tool Center Points x = (x1 , x2 , ..., xm ) zu ⎛ ⎞ ∂ x1 / ∂ a 1 · · · ∂ x1 / ∂ a n ∂x ⎜ ⎟ .. .. .. =⎝ J= (8.7) ⎠ . . . ∂a ∂ xm / ∂ a 1 · · · ∂ xm / ∂ a n Damit ist sie Träger aller Übertragungsinformation der Vorwärtskinematik. Die Inverse Jacobi-Matrix J−1 stellt die gleiche Information für die Rückwärtskinematik dar. Das (differentielle) Wegübertragungsverhalten lässt sich mit der Jacobi-Matrix folgendermaßen ausdrücken: dx = J · da da = J−1 · dx
(8.8)
Wir haben nunmehr ein lineares Gleichungssystem mit der Koeffizientenmatrix J. Wenn die Bewegung des TCP in genauso vielen Koordinaten beschrieben wird, wie
8.1 Grundlagen
179
es Antriebe gibt, dann hat das Gleichungssystem eine quadratische Koeffizientenmatrix. Aus der linearen Algebra ist bekannt, dass ein Gleichungssystem mit quadratischer Koeffizientenmatrix unendlich viele Lösungen erhält, wenn die Determinante der Koeffizientenmatrix verschwindet. Daraus folgt, dass ein Aktorfreiheitsgrad bzw. ein TCP-Freiheitsgrad frei gewählt werden kann, wenn det(J) = 0 bzw. det(J−1) = 0
(8.9)
ist. Dies ist gleichbedeutend damit, dass von den Aktoren zun TCP oder von TCP zu den Aktoren keine Kräfte von dem Mechanismus übertragen werden können, was für ein haptisches Display bedeutet, dass es nicht mehr funktioniert. Die Stellungen, in denen die Determinante von J bzw. J−1 zu Null wird, nennen wir singuläre Stellungen, die Übertragungsfunktionen haben hier eine Singularität (im Gegensatz zu allen anderen Stellungen, in denen die Kinematik eindeutig bestimmt, also regulär ist). Für die Auslegung eines haptischen Displays bedeutet dies, dass der Arbeitsraum so zu wählen ist, dass die Singularitäten außerhalb liegen. Dieses Problem tritt in der Praxis von Haptischen Displays vorzugsweise bei parallelkinematischen Mechanismen auf (auch Abschn. 8.3), weshalb sich hier der Entwurf komplizierter darstellt als bei seriellen Mechanismen. Anmerkung zu Singularitäten: In der Praxis werden selbstverständlich auch nicht-quadratische Systeme vorkommen. Das ist immer dann der Fall, wenn die Bewegung des TCP in mehr Koordinaten beschrieben wird, als es Antriebe gibt. Wenn z.B. ein Mechanismus vier Antriebe besitzt und daher nur vier Bewegungsfreiheitsgrade aufweist, sich aber im Raum bewegen kann, dann ist es oftmals sinnvoll, ihn in sechs Koordinaten zu beschreiben. Diese können drei kartesische Raumrichtungen und drei Euler-Winkel sein. Der TCP bewegt sich dann immer gleichzeitig in mehreren dieser Koordinaten. Die Koordinaten sind nicht vollständig unabhängig steuerbar. In diesem Fall erhalten wir eine 6 × 4 Jacobi-Matrix. Die Bedingung für eine Singularität wird hier über den Rang der Jacobi-Matrix bestimmt [30]. Ist der Rang von J oder J−1 kleiner als vier, dann ist die Stellung singulär. Für die Herleitung des Kraftübertragungsverhaltens kann eine ähnliche Betrachtung wie die aus Gleichung (8.5) auch im mehrdimensionalen Fall bei Positioniersystemen mit mehreren Freiheitsgraden erfolgen [249]. Wir bezeichnen fa = ( fa1 , fa2 , . . . , fan )T als Vektor aller Kräfte und/oder Momente fai auf die angetriebenen Gelenke und fx = ( fx1 , fx2 , . . . , fxm )T als Vektor aller Kräfte und/oder Momente fx j auf den Tool Center Point. Die virtuellen Verschiebungen der Antriebe bezeichnen wir als δ a = (δ a1 , δ a2 , . . . , δ an ), die des Tool Center Points bezeichnen wir als δ x = (δ x1 , δ x2 , . . . , δ xm ). Hierbei korrespondieren die Indizes mit den Bezeichnungen aus Gleichung (8.7). Mit der Betrachtung der virtuellen Arbeit erhalten wir
180
8 Kinematikentwurf
fTx
δ Wx = δ Wa · δ x = fTa · δ a
Mit dem Zusammenhang dx = J · da aus Gleichung (8.8) folgt fTx · J · δ a = fTa · δ a Die Betrachtung der virtuellen Arbeit gilt bei einer nichtsingulären Konfiguration für jede virtuelle Verschiebung δ a. Daher folgt fTx · J = fTa Durch Transponieren der Gleichung erhalten wir schließlich fa = J T · fx
(8.10)
also den Zusammenhang zwischen den Kräfte und Momenten auf die Antriebe und auf den Tool Center Point. Auf die gleiche Art erhält man auch die Umkehrung fx = J−T · fa
(8.11)
Anmerkungen: • Die Gleichung (8.10) ist von großer Wichtigkeit für die Ansteuerung von haptischen Displays. In ihr steht explizit der Zusammenhang des Kraftübertragungsverhaltens. Wenn eine Kraft- und Momentensituation am TCP ausgegeben werden soll, dann berechnet sich mit der Gleichung (8.10) die notwendige Ansteuerung der Antriebe, um die gewünschten Ausgangskräfte- und Momente zu erhalten. • Die Gleichungen (8.10) und (8.11) ergeben sich durch rein kinematische Betrachtungen und vernachlässigen dynamische Kräfte sowie Kräfte durch die Erdbeschleunigung. Bei einem haptischen Bedienelement, das eine vergleichsweise schwere Mechanik besitzt, müssen diese Kräfte berücksichtigt werden [249]. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Kräfte durch beschleunigte Massen oder durch die Erdbeschleunigung in Größenordnungen liegen, die nicht vernachlässigt werden können. Wenn man z.B. eine Masse von m = 5 g in t = 0, 1 s auf s = 1 mm konstant beschleunigt, erhält man bereits eine Kraft von F = m · s/t 2 = 0, 5 N.
8.1.4 Optimierung des Übertragungsverhaltens Eine bestimmte Topologie (eine Anordnung von Antrieben, Streben und passiven Gelenken) eines mehrdimensional übersetzenden Getriebes hat ein nichtlineares
8.2 Serielle Mechanismen
181
Übertragungsverhalten, das maßgeblich von den Längenverhältnissen abhängig ist. Für parallele Mechanismen macht Merlet die Aussage, dass ein paralleler Roboter mit gut entworfenen Dimensionen eine bessere Leistung bringen kann, als ein von der Topologie besser geeigneter paralleler Roboter mit schlecht gewählten Dimensionen [169]. Optimieren bedeutet hier das Verändern von Größenverhältnissen innerhalb des Mechanismus mit dem Ziel, bestimmte als optimiert angesehene Eigenschaften zu erhalten. Dies kann z.B. ein möglichst großer Arbeitsraum mit homogener Verteilung der am TCP wirkenden Kräfte auf die Antriebe sein. Die systematische, auch numerische, Optimierung wird hauptsächlich in parallelkinematischen Anordnungen angewendet. Dies liegt sicher daran, dass serielle Roboterarme oft anhand der geometrischen Problemstellung entworfen werden können, und dass ihre Singularitäten durch Strecklagen offensichtlicher zu finden sind als bei parallelen Mechanismen. Selbstverständlich kann das Übertragungsverhalten bei seriellen Mechanismen auch durch Verändern der Strebenlängen beeinflusst und optimiert werden. Um eine Optimierung automatisiert durchführen zu können, müssen folgende Schritte erfolgen: 1. Festlegen der zu optimierenden Größen und ihrer Wertebereiche (z.B. Strebenlängen 2. Formelmäßige Beschreibung des Optimierungsproblems 3. Mathematische Optimierung z.B. mittels Gradientenverfahren oder evolutionärer Algorithmen. Diese Vorgehensweise wird in [179] und besonders auch in [133] beschrieben. Eine der schwierigsten Aufgaben ist die formelmäßige Beschreibung des Optimalzustands. In [24] werden verschiedene Optimierungsprobleme genannt, die mittels der Singulärwerte der Jacobi-Matrix, also direkt mit dem Übertragungsverhalten als Maßzahl beschrieben werden. Für eine Optimierung muss die zu optimierende Maßzahl im gesamten Arbeitsraum durch Abtasten ermittelt und mit einer gezielten Veränderung der Mechanismusabmessungen maximiert oder minimiert werden. Diese Vorgehensweise dauert unter Umständen sehr lange. In der Praxis empfiehlt sich hier mehr als sonst zunächst die Literaturrecherche, um zu ermitteln, ob die betrachtete Topologie bereits verschiedenen Optimierungen unterzogen wurde, die für die eigene Arbeit relevant sind. Die Optimierung von komplexen Mechaniken z.B. mittels mehrkriterieller Optimierung oder evolutionärer Algorithmen ist ein weites Feld, in das viel Forschungsarbeit für einen Erfolg investiert werden muss.
8.2 Serielle Mechanismen In diesem Abschnitt wird die Vorgehensweise zum Entwurf einer seriell kinematischen Struktur für ein haptisches Display beschrieben. Der Entwurf gliedert sich in drei Teilbereiche • Topologiesynthese: Das Entwerfen einer Anordnung von Streben und Aktoren
182
8 Kinematikentwurf
• Berechnung der Kinematik: Berechnungen zur Eingabe von Wegen über den Bediener und zur Ausgabe von Kräften an den Bediener • Dimensionierung: Das Festlegen der Abmessungen (Abschn. 8.1.4)
8.2.1 Topologiesynthese Ein serieller Mechanisus ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Streben und Aktoren, wobei die Aktoren als angetriebene Gelenke aufgefasst werden können. Für die Komplexität der kinematischen Beschreibung ist nebensächlich, ob es sich um lineare oder rotatorische Aktoren handelt. Für den Arbeitsraum und die Orientierung der Bedienplattform ist es jedoch von entscheidender Bedeutung. Ein räumlicher serieller Mechanismus mit drei rotatorischen Antrieben hat in seinem Arbeitsraum z.B. eine ständig wechselnde Orientierung. Wenn auf die Bedienerhand keine Momente aufgebracht werden sollen, dann muss diese Rotation an dem Griffstück von zusätzlichen passiven Gelenken aufgenommen werden. Vergleiche hierzu die Abbildung 8.7. Die Momente werden von der Hand entkoppelt. Das Griffstück muss hier nicht im Tool Center Point liegen, da die Momente von den passiven Gelenken eliminiert werden. Kraftvektoren sind beliebig im Raum verschiebbar. Auf das Griffstück wirken somit die gleichen Kräfte wie auf den TCP.
Abb. 8.7 Das PHANTOM Omni haptic device der Firma SensAble Technologies Beispiel für ein räumlich arbeitendes seriell kinematisches Bedienelement. Die Hand ist hier mit passiven Gelenken von den Rotationsbewegungen des Roboterarms entkoppelt, so dass keine Momente in die Hand eingekoppelt werden.
8.2 Serielle Mechanismen
183
Bei der Auslegung eines seriellen haptischen Displays sind im Bezug auf die Wahl der Gelenke die folgenden Punkte zu beachten: • Lineare Gelenke neigen dazu, bei Belastung quer zu ihrer Bewegungsachse zu verkanten. Daher ist der Mechanismus so aufzubauen, dass möglichst keine Kräfte quer zu Lineargelenken wirken oder aber die lineare Lagerung muss geeignet konstruiert sein. Angetriebene Gelenke werden vom Bediener während der Wegeingabe mitbewegt. Sie wirken für die Bewegung des Bedieners also wie passive Gelenke. Daher gilt das vorab genannte auch für Linearaktoren. • Rotatorische Gelenke können keine definierten Kräfte übertragen, wenn sie in Strecklage stehen und in der Streckrichtung belastet werden. Bei der Schubkurbel aus Abbildung 8.6 tritt dieser Fall bei α = π /2 auf. Das passive Gelenk an der Außenseite des Kreises liegt in Strecklage. Wie in Gleichung (8.5) gezeigt wurde, kann in dieser Stellung keine definierte haptische Rückmeldung erzeugt werden. Gleiches gilt für Kräfte radial zu Schubgelenken. • Allgemein gilt, dass die Gelenke möglichst reibarm aufgebaut sein müssen, damit die errechneten Kräfte von den Aktoren auch tatsächlich an der Bedienplattform verfügbar sind. Eine Methode zur Minimierung der Reibung ist der Einsatz von Kugellagern. Der Lauf der Kugellager ist jedoch speziell bei Linearlagern spürbar. Da Menschen mit vielen seriellen kinematischen Ketten ausgestattet sind (z.B. Arme, Beine) ist der Bewegungsraum einer seriellkinematischen Anordnung intuitiv fassbar. Das macht es einfach, ein solches haptisches Bedienelement zu entwerfen. Wie in Abschnitt 8.4 zusammenfassend verdeutlicht wird, ist dies allerdings nicht das einzige bedeutsame Kriterium. Der Entwurf kann auf geometrische Weise mit Zirkel und Lineal geschehen. Es sollte jedoch das Folgende beachtet werden: • Alle Aktoren bedeuten bewegte Massen. In seriellen Mechnanismen liegen alle Aktoren hintereinander. Dies wirkt sich negativ auf die Dynamik der Kraftübertragung aus. Eine dynamische Betrachtung sprengt dieses einführende Kapitel und kann z.B. [249] und [100] entnommen werden. • Als einfaches Entwurfskriterium können die Aktoren alle so nah wie möglich an der Basis angeordnet werden.
8.2.2 Berechnung der kinematischen Probleme In Abschnitt 8.1.3 wurde die Bedeutung der kinematischen Beziehungen für ein haptisches Display dargelegt. Demnach benötigt man für das Kraftübertragungsverhalten eines Mechanismus die Vorwärtskinematik. Im Folgenden wird eine Methode
184
8 Kinematikentwurf
dargestellt, mit der die Vorwärtskinematik eines beliebigen seriellen Mechanismus berechnet werden kann: Die Methode der Denavit-Hartenberg-Parameter. Die Methode basiert darauf, sich an einer seriellen kinematischen Kette Glied für Glied „entlangzuhangeln“ und jedes mal durch Multiplikation mit einer homogenen Koordinatentransformationsmatrix die Koordinaten eines Gliedes auf das jeweils vorherige zu beziehen. Dabei wird jede Transformationsmatrix durch maximal vier Parameter, die Denavit-Hartenberg-Parameter, bestimmt. Wenn man auf diese Weise entlang der gesamten Kette wandert, dann kennt man die kinematische Beziehung des TCP bezogen auf die Basis in Abhängigkeit der Aktorstellungen und damit die Vorwärtskinematik. Eine geeignete homogene Koordinatentransformation lässt sich durch die Matrix T ⎛ ⎞ R1,1 R1,2 R1,3 t1 ⎜ R2,1 R2,2 R2,3 t2 ⎟ Rt ⎟ =⎜ T= (8.12) ⎝ R3,1 R3,2 R3,3 t3 ⎠ 0 1 0 0 0 1 beschreiben [100]. Mit homogenen Transformationsmatrizen lassen sich im Allgemeinen auf einfache Weise Rotationen, Translationen, Skalierungen und perspektivische Transformationen [249] beschreiben. Für die Anwendungen in der Robotik verwendet man jedoch den Spezialfall der homogenen Transformationsmatrix nach Gleichung (8.12). Diese bildet Rotationen und die Translationen ab. Anmerkungen: • Matrizenmultiplikationen sind assoziativ, jedoch nicht kommutativ. Die Reihenfolge der Multiplikationen ist im Folgenden entscheidend für die Berechnung der Vorwärtskinematik (s.u.). • Die Zahlen in der letzten Zeile der Matrix bewirken, dass sich die Rotationen und die Translationen gegenseitig nicht beeinflussen. So ist es möglich, auf einem Rechner durch einfache Matrizenmultiplikationen sowohl die Rotation als auch die Verschiebung abzubilden. Dies erhöht die Übersichtlichkeit der Implementierungen erheblich. Das ist sicher ein Grund, warum homogene Koordinatentransformationen zur Berechnung in der Robotik oft eingesetzt werden. Mittels einer homogenen Transformationsmatrix T kann ein Vektor p, der in homogenen Koordinaten beschrieben ist, durch skalare Multiplikation aus einem Koordinatensystem (0) in ein anderes (1) überführt werden: p1 = T · p0
(8.13)
Für eine Multiplikation mit einer 4 × 4-Matrix müssen die Vektoren vom Typ 4 × 1 sein. Dies ist bei Vektoren in homogenen Koordinaten der Fall. In der Robotik werden nur Rotationen und Translationen ausgeführt. Ein Vektor p ist daher von der Form
8.2 Serielle Mechanismen
185
p = (px , py , pz , 1)T
(8.14)
wobei px , py und pz die kartesischen Vektorkoordinaten sind. Die Berechnung der Vorwärtskinematik geschieht in den folgenden Schritten: 1. Definition eines gliedfesten Koordinatensystems am unteren Ende von jedem Glied, ausgehend von einem gestellfesten Basiskoordinatensystem und endend in einem am TCP befestigten Koordinatensystem. Die Koordinatensysteme müssen so auf den Gliedern des Mechanismus liegen, dass sich ein nachfolgendes Koordinatensystem (i+1) aus dem vorherigen (i) durch die folgenden Veränderungen ergeben kann: • Drehung θ um die zi -Achse (Drehungen nach „Korkenzieherregel“, also im Uhrzeigersinn, wenn man entlang der Drehachse schaut) • Verschiebung d entlang der zi -Achse • Verschiebung a entlang der xi+1 -Achse • Drehung α um die xi+1 -Achse („Korkenzieherregel“) 2. Aufstellung einer Tabelle mit allen Denavit-Hartenberg-Parametern (θ , d, a, α ) der gesamten Kette (Die Kette bestehe hier aus n-Koordinatensystemem). 3. Aufstellen von einer Transformationsmatrix (Ti ) für jeden Satz Denavit-Hartenberg-Parameter (s.u.). 4. Multiplikation der Transformationsmatrizen um die Gesamttransformation Tges zu berechnen. Tges = Tn · . . . · Ti · . . . · T0 Die so berechnete gesamte Transformationsmatrix Tges überführt die Basiskoordinaten p0 in die TCP-Koordinaten pTCP und entspricht damit der Vorwärtskinematik. pTCP = Tges · p0
(8.15)
Jede Matrix Ti wird aus den Denavit-Hartenberg-Parametern in der folgenden Form berechnet: ⎛ ⎞ cos(θi ) −sin(θi ) · cos(αi ) sin(θi ) · sin(αi ) a · cos(θi ) ⎜ sin(θi ) cos(θi ) · cos(αi ) −cos(θi ) · sin(αi ) a · sin(θi ) ⎟ ⎟ Ti = ⎜ ⎝ 0 ⎠ sin(αi ) cos(αi ) d 0 0 0 1 (8.16) Die Matrix Tges = ∏ni=0 Ti ist abhängig von jedem Denavit-Hartenberg-Parameter. Sie entspricht der Hintereinanderausführung von n + 1 Transformationen im Raum und enthält den Zusammenhang zwischen dem TCP-Koordinatensystem und dem Basiskoordinatensystem. Dieser Zusammenhang ist durch drei translatorische und drei rotatorische Freiheitsgrade vollständig beschrieben. Tges ist daher von der Form:
186
8 Kinematikentwurf
Tges = ⎞ ⎛ cosα · cosβ cosα · sinβ · sinγ − sinα · cosγ cosα · sinβ · cosγ + sinα · sinγ x ⎜ sinα · cosβ sinα · sinβ · sinγ + cosα · cosγ sinα · sinβ · cosγ − cosα · sinγ y ⎟ ⎟ ⎜ ⎝ −sinβ cosβ · sinγ cosβ · cosγ z⎠ 0 0 0 1 (8.17) Hierbei sind x, y und z die kartesischen Koordinaten des TCP bezogen auf das Ursprungskoordinatensystem. α , β und γ entsprechen dem Roll-, Nick- und Gierwinkel, also einer Rotation um die x-Achse (rollen, α ), einer Rotation um die neue (verdrehte) y-Achse (nicken, β ) und einer Rotation um die daraus resultierende zAchse (gieren, γ ). Sie können durch einfache Berechnungen aus der Matrix wieder extrahiert werden. Anstelle von Roll- Nick- und Gierwinkel können selbstverständlich auch andere Konventionen, wie z.B. Eulerwinkel zugrunde gelegt werden. Dann ändert sich die Interpretation der Matrix Tges Die Inverskinematik ist bei seriellen Mechanismen nur schwer zu berechnen. Hierzu werden in [249] Methoden vorgeschlagen. Die Inverskinematik ist für haptische Displays jedoch nur von untergeordneter Bedeutung. Sie wird lediglich benötigt, wenn ein Mechanismus in einem admittanzgesteuerten bzw. -geregelten System eingesetzt werden soll.
8.2.3 Beispiel eines seriellen Mechanismus In der Abbildung 8.8 ist ein Beispiel eines seriellen Mechanismus dargestellt. Die angetriebenen Gelenke sind mit q1 bis q4 bezeichnet. Es existieren drei rotatorische und ein linearer Antrieb. In das Zentrum jedes Antriebs sowie in den Tool Center Point (TCP) werden Koordinatensysteme (1 bis 5) gelegt. Ein Weltkoordinatensystem (0) bezeichnet einen bekannten Punkt des Gestells. Die einzelnen Koordinatensysteme wurden so gelegt, dass ein nachfolgendes Koordinatensystem aus einem vorhergehenden mit den vier zur Verfügung stehenden Denavit-Hartenberg-Parametern berechnet werden kann (siehe Abschnitt 8.2.2). Hier soll die Vorwärtskinematik des Mechnanismus gelöst werden. Zunächst werden in der Tabelle 8.1 die notwendigen Denavit-Hartenberg-Parameter aufgestellt.
8.2 Serielle Mechanismen
187
Abb. 8.8 Beispiel eines seriellen Mechanismus Tabelle 8.1 Denavit-Hartenberg-Parameter des Mechanismus aus Abbildung 8.8 n
0 1 2 3 4
θ d d α (Rotation (Verschiebung in (Verschiebung in (Rotation um zn ) zn -Richtung) xn+1 -Richtung) um xn+1 ) 90◦ 0 90◦ −q4 0
q1 l1 l2 l3 l4
0 0 0 0 0
90◦ −q2 −q3 0 0
188
8 Kinematikentwurf
Nun können die Transformationsmatrizen T0 bis T4 aufgestellt werden. ⎛ ⎞ 001 0 ⎜1 0 0 0 ⎟ ⎟ T0 = ⎜ ⎝ 0 1 0 q1 ⎠ 000 1 ⎛ ⎞ 1 0 0 0 ⎜ 0 cos(−q2 ) −sin(−q2) 0 ⎟ ⎟ T1 = ⎜ ⎝ 0 sin(−q2 ) cos(−q2 ) l1 ⎠ 0 0 0 1 ⎛ ⎞ 0 −cos(−q3) sin(−q3 ) 0 ⎜1 0 0 0⎟ ⎟ T2 = ⎜ ⎝ 0 sin(−q3 ) cos(−q3 ) l2 ⎠ 0 0 0 1 ⎛ ⎞ cos(−q4 ) −sin(−q4 ) 0 0 ⎜ sin(−q4 ) cos(−q4) 0 0 ⎟ ⎟ T3 = ⎜ ⎝ 0 0 1 l3 ⎠ 0 0 0 1 ⎛ ⎞ 100 0 ⎜0 1 0 0 ⎟ ⎟ T4 = ⎜ ⎝ 0 1 0 l4 ⎠ 000 1 Die gesamte Vorwärtskinematik Tges ergibt sich durch die Multiplikation Tges = T4 · T3 · T2 · T1 · T0 und ist nur von den geometrischen Abmessungen (l1 , l2 , l3 , l4 ) und von der Stellung der angetriebenen Gelenke (q1 , q2 , q3 , q4 ) abhängig. Anmerkungen: • Die Lösung wird durch die vielen Multiplikationen von sin- und cos-Termen recht unhandlich, lässt sich jedoch für einen gegebenen Wert von (q1 , q2 , q3 , q4 ) durch Matrixmultiplikation schnell berechnen. • Die Jacobi-Matrix der Vorwärtskinematik wird noch wesentlich aufwändiger, muss aber für das Kraftübertragungsverhalten berechnet werden. Eine unerlässliche Hilfe beim Berechnen stellen Programme dar, die die Lösung in einer symbolischen Form errechnen können (z.B. die symbolic toolbox von Matlab).
8.3 Parallele Mechanismen
189
8.3 Parallele Mechanismen Bei einem parallelkinematischen Mechanismus werden im Gegensatz zu seriell kinematischen Anordnungen sowohl passive Gelenke als auch aktive Gelenke miteinander gekoppelt. Die Kopplung geschieht im Allgemeinen so, dass jedes aktive Gelenk (jeder Aktor) zu einem Bewegungsfreiheitsgrad beiträgt. Damit gelten wie bei seriellen Mechanismen alle schon bekannten Vorüberlegungen aus dem Abschnitt 8.1.3. In diesem Abschnitt wird die Vorgehensweise zum Entwurf von parallelen Mechanismen beschrieben. Er gliedert sich in die Teilprobleme • Topologiesynthese: Das Entwerfen einer Anordnung von Streben und Aktoren • Berechnung der Kinematik: Berechnungen zur Eingabe von Wegen über den Bediener und zur Ausgabe von Kräften an den Bediener • Dimensionierung: Das Festlegen der Abmessungen (Abschn. 8.1.4)
8.3.1 Topologiesynthese Die Grübler Formel Wenn aktive und passive Gelenke so gekoppelt werden sollen, dass der resultierende Mechanismus genau so viele Freiheitsgrade besitzt, wie er Aktoren enthält, dann muss die Anzahl der Gelenkfreiheitsgrade genau bestimmt sein und gewissen Verteilungsregeln entsprechen. Die Anzahl der zu verteilenden passiven Gelenke wird durch die Formel von Grübler bestimmt, die sich anschaulich herleiten lässt [169][100][24]. Ein Mechanismus mit n Starrkörpern (einschließlich Gestell) ohne Kopplung der einzelnen Elemente hat im allgemeinen 3-dimensionalen Fall F = 6 · (n − 1) Freiheitsgrade. Jeder Körper hat sechs Freiheitsgrade im Raum. Das Gestell steht fest, es hat keinen Freiheitsgrad. Bei Kopplung mit g Gelenken von Freiheitsgrad fi (i = 1 . . . g) wird F um je (6 − fi) eingeschränkt. Es folgt g
F = 6 · (n − 1) − ∑ (6 − fi ) i=1
g
= 6 · (n − g − 1) + ∑ fi
(8.18)
i=1
F wird als Getriebefreiheitsgrad bezeichnet. Nach [100] herrscht in einem Getriebe „Zwangslauf“, wenn jeder Stellung eines beliebigen Getriebegliedes (verschieden vom Gestell) die Stellung der übrigen Getriebeglieder eindeutig zugeordnet ist. Der Getriebefreiheitsgrad F ist die Anzahl der
190
8 Kinematikentwurf
relativen Einzelbewegungen, die in einem Getriebe verhindert werden müssen, um die Bewegungsunfähigkeit aller Getriebeglieder zu erreichen. Wenn also die Anzahl der Gelenkfreiheitsgrade nach der Gleichung (8.18) bestimmt wird, dann handelt es sich um einen Mechanismus, der sich durch F Aktoren in F Freiheitsgraden antreiben lässt. In der Berechnung müssen noch sogenannte identische Bindungen fid und Zwangsbedingungen s korrigiert werden, damit die Gelenkanzahl exakt bestimmt ist. g
F = 6 · (n − g − 1) + ∑ fi − fid + s
(8.19)
i=1
F n g fi fid s
Getriebefreiheitsgrad Anzahl der Glieder Anzahl der Gelenke Freiheitsgrad des i -ten Gelenks Summe der identischen Bindungen Summe der passiven Bindungen
Anmerkung: Eine identische Bindung liegt z.B. vor, wenn ein Stab an beiden Enden Kugelgelenke enthält. Dann kann der Stab um seine Achse rotiert werden, ohne dass eine Zwangslaufbedingung verletzt wird. Ein anderes Beispiel für eine identische Bindung sind zwei koaxial angeordnete Schubgelenke. Passive Bindungen liegen laut [118] vor, wenn Zwangsbedingungen herrschen. Wenn z.B. 5 Gelenkachsen parallel zu einer 6-ten liegen müssen, damit eine Bewegung stattfinden kann, dann gilt z = 5. Eine anderes Beispiel für eine passive Bindung sind zwei Schubgelenke, die parallel zueinander liegen müssen, damit eine Bewegung möglich wird.
Berechnung der zu verteilenden Gelenkfreiheitsgrade Zu dem Zeitpunkt des Entwurfs der Mechanismus-Topologie ist im Allgemeinen die Anzahl der Getriebeglieder und der Gelenke noch nicht festgelegt. Man startet mit der Vorstellung, welchen Gesamtfreiheitsgrad F der Mechanismus erhalten soll. Dieser Freiheitsgrad ist gleich der Anzahl der aktiven Gelenke. Ein parallelkinematischer Mechanismus wird in [100] nach seinem Parallelitätsgrad klassifiziert. Enthält der Mechanismus genauso viele Beine wie Freiheitsgrade (siehe z.B. den Hexapoden aus Abbidung 8.3), dann nennt man ihn voll parallel. Weitere Bauformen werden teilweise parallel oder hochgradig parallel genannt. Wir beschränken uns hier auf voll parallele Bauformen. Bei diesen bestimmt sich der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Ketten k, der Gelenke g und der Glieder n nach n = g−k+2
(8.20)
8.3 Parallele Mechanismen
191
Basis und Tool Center Point zählen auch als Glieder in die Anzahl n. Sie werden auf der rechten Seite durch den Summand „2“ berücksichtigt. Durch Einsetzen dieses Zusammenhangs in (8.19) ergibt sich ein Zusammenhang zwischen Kettenanzahl k, Getriebefreiheitsgrad F und Summe der Gelenkfreiheitsgrade fges = ∑gi=1 fi g
fges = ∑ fi = F + 6 · (k − 1) + fid − s
(8.21)
i=1
Anmerkungen: • Bei voll parallelen Mechanismen wird in jeder Kette, die von Basis zu Tool Center Point geführt wird (in jedem Bein), genau ein Antrieb mit einem Freiheitsgrad platziert. • Die Anzahl der Ketten k ist daher bei voll parallelen Mechanismen gleich der Anzahl der Freiheitsgrade F. Damit vereinfacht sich die Gleichung (8.21) zu fges = 7 · F − 6 + fid − s
Kinematisches Schema und Gelenkverteilung Zum Entwurf eines Mechanismus bietet es sich an, sich die Verteilung der Gelenkfreiheitsgrade (inklusive Aktoren) auf kinematische Ketten anhand eines kinematischen Schemas zu verdeutlichen. Für einen Delta Roboter wie aus Abbildung 8.5 ist das kinematische Schema in der Abbildung 8.9 dargestellt. Der Delta Roboter besitzt k = 3 Ketten, weist F = 3 Freiheitsgrade auf und besitzt weder identische Freiheitsgrade noch Zwangsbindungen. Nach der Gleichung (8.21) müssen daher fges = F + 6 · (k − 1) = 15 Gelenkfreiheitsgrade auf die 3 Ketten verteilt werden. Dies geschieht oftmals (wie auch hier) symmetrisch, so dass jede Kette 5 Gelenkfreiheitsgrade enthält. Abbilding 8.9a zeigt die Verteilung der Gelenkfreiheitsgrade auf die Ketten, die von der Basis zum Tool Center Point geführt werden. In jedem Bein befindet sich hier ein Rotationsantrieb, der einen der Gelenkfreiheitsgrade darstellt. Die restlichen Gelenkfreiheiten sind als Kardangelenk ausgeführt, so dass sich eine Verteilung der Gelenkfreiheitsgrade wie in Abbildung 8.9b ergibt. Eine andere Verteilung der Gelenkfreiheitsgrade ist selbstverständlich möglich und führt zu einer anderen Topologie des Mechanismus. Hier wird in den meisten Fällen intuitiv konstruiert. Als einfache Konstruktionsregeln können die folgenden Punkte beachtet werden: • Gelenkfreiheitsgrade konzentrieren. Kugelgelenke oder Kardangelenke vereinfachen die Konstruktion gegenüber Gelenken mit nur einem Freiheitsgrad. Dies macht sich vor allem in der Bestimmung der kinematischen Beziehungen bemerkbar. Weiterhin wird dadurch das Gelenkspiel konzentriert und der Mechanismus lässt sich leichter ohne merkliches Spiel aufbauen.
192
8 Kinematikentwurf
Abb. 8.9 Kinematisches Schema des Delta Roboters aus Abbildung 8.5. Der Mechanismus besitzt 15 Gelenkfreiheitsgrade, die auf 3 Beine aufgeteilt sind (a). Jedes Bein enthält einen als Rotationsantrieb ausgeführten Freiheitsgrad (b). Die Gelenkfreiheitsgrade eines Gelenks sind jeweis in den Kreisen notiert.
• Möglichst ortsfeste Aktoren einsetzen. Die Antriebe in dem Beispiel des Hexapoden sitzen in den Streben und werden während des Positionierens mitbewegt. Da die Streben sich in diesem Fall nicht besonders stark bewegen, wirkt sich das nicht gravierend auf die Dynamik des Hexapoden aus. Wenn die Antriebe basisfest liegen, dann sind die besten dynamischen Eigenschaften zu erwarten, da ihr Gewicht nicht beschleunigt werden muss. • Freiheitsgrade gleichmäßig verteilen. Eine symmetrische Konstruktion ist in jedem Fall gegenüber einer unsymmetrischen zu bevorzugen. Die kinematischen Berechnungen vereinfachen sich hierdurch sehr. In unsymmetrischen Fällen ist mit höherer Wahrscheinlichkeit keine analytische Lösung der Vorwärtskinematik zu finden. Für die ersten Entwürfe von parallelkinematischen haptischen Systemen ist eine Anlehnung an bekannte parallelkinematische Mechanismen zu empfehlen. Diese sind im Allgemeinen schon ausführlich in der Literatur beschrieben. Viele Beispiele zu parallelkinematischen Anordnungen finden sich in [179], [24] und [169].
8.3.2 Berechnung der kinematischen Probleme Parallelkinematische Mechanismen haben die Eigenschaft, dass sich Ihre Inverskinematik im Allgemeinen leichter berechnen lässt als Ihre Vorwärtskinematik (bei seriellen Mechanismen ist es umgekehrt). Selbst bei einfachsten Anordnungen ist es oftmals analytisch nicht möglich, die Vorwärtskinematik zu berechnen, die jedoch für das Kraftübertragungsverhalten in haptischen Bedienelementen benötigt wird. Bei Systemen, bei denen Symmetrien zur Berechnung genutzt werden können und bei denen mehrere Freiheitsgrade von passiven Gelenken z.B. als Kardangelenk oder als Kugelgelenk konzentiriert sind, besteht die Möglichkeit, dass eine analytische Lösung angegeben werden kann. In [251] und [250] finden sich analytische Lösungen der Vorwärtskinematik von einfachen Manipulatoren mit 3 Freiheitsgra-
8.3 Parallele Mechanismen
193
den. Weitere Betrachtungen können [249] und [101] entnommen werden. Eine Vorgehensweise für die Berechnung der Inverskinematik kann folgendermaßen angegeben werden: 1. Aufstellen von geschlossenen Vektorzügen getrennt für jedes Bein, die von einem basisfesten Koordinatensystem (0) über den TCP zurück zu dem Koordinatensystem (0) verlaufen. 2. Aufspalten der Vektorzüge nach allen (kartesischen) Bewegungskoordinaten des Beins. 3. Auflösen des so entstandenen Gleichungssystems nach den TCP-Koordinaten. Ein Beispiel für diese Berechnung befindet sich in Abschnitt 8.3.3. Die Übertragungsfunktionen von parallelkinematischen Mechanismen und insbesondere auch die Vorwärtskinematik enthalten Singularitäten (Abschn. 8.1.3). Diese liegen anschaulich gesprochen oft bei Strecklagen von passiven Gelenken. Bei dem Entwurf von Mechanismen ist dies in jedem Fall zu beachten.
8.3.3 Beispiel eines parallelen Mechanismus In der Abbildung 8.10 ist ein Beispiel eines planar arbeitenden parallelkinematischen Mechanismus dargestellt. Die beiden angetriebenen Gelenke sind mit q1 und q2 bezeichnet und können in dem Vektor q zusammengefasst werden. Die Längen der beiden Streben auf der rechten Seite sind gleich gewählt (a) und greifen an beiden Enden im gleichen Abstand (b) an. Sie bilden also eine Parallelschwinge. Somit bewegt sich der TCP in kartesischen Koordinaten x = (x, y) ohne sich zu verdrehen. Ein Weltkoordinatensystem ist mit 0 bezeichnet. Das mit dem TCP verbundene Koordinatensystem ist mit T bezeichnet. Im Sinne der Grübler Berechnung für die zu verteilenden Mechanismus-Freiheitsgrade (8.21) ist dies eine Zwangsbedingung. Weitere fünf Zwangsbedingungen ergeben sich dadurch, dass die fünf Achsen der rotatorischen Gelenke parallel zu der Achse des 6. rotatorischen Gelenks liegen müssen, damit eine Bewegung stattfinden kann. In Summe ergeben sich S = 6 Zwangsbedingungen. Der Mechanismus verfügt über k = 3 Ketten, soll F = 2 Bewegungsfreiheitsgrade (Bewegung in der x-y-Ebene) aufweisen. Identische Freiheitsgrade (vgl. Abschn. 8.3.1) enthält der Mechanismus nicht ( fid = 0). Nach der Gleichung (8.21) müssen fges = F + 6 · (k − 1) + fid − s = 8 Freiheitsgrade in Gelenken untergebracht werden, damit der Mechanismus mechanisch bestimmt ist. Zwei von diesen Freiheitsgraden sind durch die Linearantriebe q1 und q2 gegeben. Es sind also 6 Freiheitsgrade in passiven Gelenken unterzubringen, damit der Mechanismus beim Festbremsen der Antriebe starr wird. Dies ist mit den 6 passiven Rotationsgelenken erfüllt. Im Folgenden soll nun exemplarisch die Inverskinematik (q = f (x)) berechnet wer-
194
8 Kinematikentwurf
Abb. 8.10 Beispiel eines seriellen Mechanismus
den, da diese analytisch noch einfach darstellbar ist. Mit der Inverskinematik könnte der vorgestellte Mechanismus z.B. in einem admittanzgeregelten haptischen Display eingesetzt werden. Für ein impedanzgeregeltes /-gesteuertes System wäre die Vorwärtskinematik notwendig. Die Inverskinematik berechnet sich am einfachsten durch zwei geschlossene Verktorzüge im Weltkoordinatensystem über den Tool Center Point, in denen seine Koordinaten x = (x, y) enthalten sind. Die Vektorzüge gehen über die Beine auf der rechten bzw. linken Seite und sind nach der x- und der y-Koordinate aufgespalten. 2 c − d2 − x d x = c − a · cos(α ) − ⇒ sin(α ) = 1 − (8.22) 2 a b b ⇒ q2 = y − a · sin(α ) − 2 2 2 d x− 2 d x = a · cos(β ) − ⇒ sin(β ) = 1 − 2 a
y = q2 + a · sinα +
y = q1 + a · sinβ ⇒ q1 = y − a · sin(β ) Durch einsetzen von 8.22 in 8.23 und 8.24 in 8.25 ergibt sich
(8.23) (8.24) (8.25)
8.4 Gesamtablauf des kinematischen Entwurfs
195
2 x − d2 q1 = y − a · 1 − a 2 c − d2 − x b q2 = y − a · 1 − − a 2 Dies ist die gesuchte inverskinematische Beziehung. Anmerkungen: • Die Vorwärtskinematik x = f (q) ist selbstversändlich ebenfalls notwendig, um bei Messung der Wege an den Antrieben die Position des TCP zur Ortseingabe zu bestimmen. Falls sie nicht berechnet wird, muss die Bestimmung des TCPOrtes zur Nutzung als haptisches Bedienelement auf anderem Wege geschehen (z.B. durch zusätzliche Sensoren). • Die Umformungen der Gleichungen enthalten sin(φ ) = 1 − cos2(φ ) als Ersetzung. Der Radikant der Wurzel darf für reelle Lösungen nicht negativ werden. Hiermit wird plausibel, dass die Mechanik Singularitäten enthält, bei denen das Übertragungsverhalten unbestimmt ist.
8.4 Gesamtablauf des kinematischen Entwurfs In den vorangegangenen Abschnitten wurden die Grundlagen des kinematischen Entwurfs behandelt. Hier soll nun noch einmal der Gesamtablauf skizziert werden. Abbildung 8.11 fasst den groben Ablauf zusammen. Auf die einzelnen Punkte wird im Folgenden eingegangen.
Abb. 8.11 Gesamtablauf des kinematischen Entwurfs.
196
8 Kinematikentwurf
Auswahl der Struktur Grundsätzlich besetehen die beiden Lösungen: seriellkinematische und parallelkinematische Anordnungen. Eine Mischform aus beiden bezeichnet man als hybrid kinematisch, es können also auch einige Freiheitsgrade parallel und andere seriell aufgebaut werden. Hierbei nutzt man die Vorteile der beiden Konzepte, muss allerdings auch mit allen Nachteilen leben. Die Tabelle 8.2 listet die für haptische Anwendungen interessanten Eigenschaften auf und wertet sie qualitativ. Genauer wurden die beiden möglichen Anordnungen in den Abschnitten 8.2 und 8.3 betrachtet. Tabelle 8.2 Für haptische Anwendungen interessante Eigenschaften von seriellen und parallelen Mechanismen Eigenschaft Mechanische Impedanz Verhältnis Arbeitsraum/Bauraum Berechnung der Vorwärtskinematik
Serielle Mechanismen Parallele Mechanismen hoch groß einfach
niedrig klein schwierig
Das wichtigste Kriterium in der Tabelle 8.2 ist in der mechanischen Impedanz zu sehen. Diese sollte bei haptischen Bedienelementen so gering wie möglich sein, um eine möglichst unverfälschte Übertragung der Antriebskräfte auf den TCP zu gewährleisten. Das kann am besten durch eine parallelkinematische Anordnung mit Umsetzung von Streben in leichter Bauweise und reibarmem Aufbau der Gelenke geschehen. Die Aktoren sollten in diesem Konzept so angeordnet sein, dass sie möglichst ortsfest innerhalb des Mechanismus platziert sind (z.B. gestellfest), oder die Antriebsleistung sollte mittels Seilzügen übertragen werden, so dass durch die Antriebe keine großen bewegten Massen entstehen. Das haptische Bedienelement „Delta.3“ der Firma Force Dimension (Abb. 8.12) mit der kinematischen Struktur eines Delta Roboters (vergleiche Abbildung 8.5) erfüllt diese Anforderungen und ist daher ein gutes Beispiel für eine gut gewählte kinematische Struktur. In dem haptischen Bedienelement der Firma Novint (Abb. 8.2), das die gleiche kinematische Struktur aufweist, wird die Antriebsleistung zusätzlich über Seilzüge auf den Mechanismus übertragen. Die intensive Nutzung der Delta-Struktur zeigt, wie gut sie für haptische Anwendungen geeignet ist. Wenn die Impedanz des übersetzenden Mechanismus hoch ist (hohe Massen, große Reibungen), dann ist es von der Struktur des gesamten haptischen Bedienelements sinnvoll, eine geregelte Anordnung zu verwenden. Bei Mechanismen mit geringen Impedanzen kann oft auf eine Regelung verzichtet werden.
8.4 Gesamtablauf des kinematischen Entwurfs
197
Abb. 8.12 Das haptische Bedienelement „Delta.3“ der Firma Force Dimension besitzt eine parallelkinematische Struktur mit gestellfest angeordneten rotatorischen Aktoren. Die Streben sind möglichst leicht gehalten, um eine geringe mechniasche Impedanz zu erzielen.
Entwurf einer dem Problem angepassten Topologie Der Entwurf einer geeigneten Topologie wurde bereits in den Abschnitten 8.2.1 und 8.3.1 umrissen. Bei seriellen Strukturen ist ein Topologieentwurf oftmals intuitiv erstellbar, da der Arbeitsraum einfach mit Lineal und Zirkel gefasst werden kann. Parallele Strukturen weisen hier größere Schwierigkeiten auf. Nachdem die Anzahl der benötigten Freiheitsgrade bestimmt und ein kinematisches Schema entworfen wurde (Abschn. 8.3.1), empfiehlt es sich hier, zunächst ein einzelnes Bein zu entwerfen, das von der Basis zum Tool Center Point reicht. Dieses Bein legt bereits die Bewegung grob fest. Beim Hinzufügen von weiteren Beinen werden dann Bewegungen von vorher entworfenen Beinen z.B. durch erzwungene Parallelbewegung weiter eingeschränkt. Bei parallelen Mechanismen empfiehlt sich zusätzlich die Literaturrecherche über industrielle Handhabungsroboter, aber auch über Werkzeugmaschinen (z.B. [169] [179] [249]).
Berechnung der kinematischen Probleme Nach Auswahl bzw. Entwurf steht man je nach Art der eingesetzten Topologie vor einem analytisch unlösbaren Problem: der Berechnung der Vorwärtskinematik. Ggf. muss auch die Inverskinematik bekannt sein, wenn man mit Admittanzregelung arbeitet. In Abschnitt 8.2.2 wurde eine allgemeingültige Methode zum Berechnen der Vorwärtskinematik von seriellen Mechanismen vorgestellt. Bei parallelen Mechanismen gibt es keine allgemeingültige Methode. Zudem ist die Vorwärtskinematik in vielen Fällen nicht analytisch lösbar. Hier hilft bei einer bereits aus anderen Anwendungen bekannten Struktur die Literaturrecherche. Bei nicht analytisch lösbaren Problemstellungen kann inzwischen auch über eine numerische Echtzeit-Lösung nachgedacht werden. In einem einfachen Newton-Raphson-Näherungsverfahren,
198
8 Kinematikentwurf
können Lösungen (Nullstellen) für geschlossene Vektorzüge gefunden werden. Auf einem PC mit einigen GHz Taktfrequenz ist diese Berechnung für haptische Regelungen noch nicht schnell genug. Angepasste Hardware wie z.B. Field Programmable Gate Arrays (FPGA) sind jedoch für diese Berechnungen geeignet und bieten das Potential, kinematische Probleme numerisch innerhalb von deutlich unter 1 ms zu berechnen.
Optimierung der Strukturabmessungen In Abschnitt 8.1.4 wurde bereits auf die Schwierigkeiten bei einer automatisieren Optimierung von Mechanismen hingewiesen. Wenigstens sollte eine Analyse der Lage der Singularitären und ggf. eine intuitive Optimierung der Struktur durchgeführt werden, damit das Bedienelement in jedem Punkt des Arbeitsraums eine Kraftübertragung gewährleistet.
Kapitel 9
Aktorentwurf
T HORSTEN A. K ERN , M ARC M ATYSEK , S TEPHANIE S INDLINGER
Während in den beiden vorangegangenen Kapiteln mit den Grundlagen der Regelungstechnik sowie der Kinematik Themen mit eher strukturierendem Charakter behandelt wurden, wird in diesem und den folgenden Kapiteln der Entwurf einzelner Komponenten diskutiert. Die Aktoren stellen dabei die wichtigste Komponente jedes haptischen Systems da, da deren Auswahl bzw. Konstruktion maßgeblich zu dem haptischen Eindruck des Systems beiträgt. Das Kapitel behandelt die bei haptischen Systemen häufig eingesetzten Aktoren entsprechend ihren physikalischen Wirkprinzipien gegliedert. Für jeden Aktortyp werden die wichtigsten physikalischen Grundlagen vermittelt, Beispiele für ihre Auslegung gegeben und eine oder mehrere Anwendungen diskutiert. Andere, selten für haptische Systeme genutzte Aktorprinzipien werden mit kurzen Beispielen im Abschnitt 9.6 ”Sonderformen” behandelt, bzw. in der Übersicht über die physikalischen Wirkprinzipien in Abschnitt 9.1 eingeordnet. Die Erfahrung zeigt, dass es für haptische Anwendungen geeignete Antriebe selten ”von der Stange” gibt. Sie stellen immer besondere Anforderungen, sei es in der Drehzahl, Leistungsdichte oder Geometrie. Dies bedingt, dass auch reine Anwender von Aktuatoren über die Möglichkeiten der Modifikation bestehender Antriebe, aber auch die physikalischen Grenzen eines Antriebsprinzips informiert sein sollten. Dieses Kapitel richtet sich daher sowohl an die Anwender als Leser, die lediglich einen geeigneten Aktor auswählen wollen, sowie die Hardwareingenieure, die einen spezifischen Aktor für ein haptisches Gerät selbst entwerfen wollen.
199
200
9 Aktorentwurf
9.1 Allgemeines zum Aktorentwurf T HORSTEN A. K ERN
Vor der endgültigen Auswahl der für ein haptisches System geeigneten Aktorik sollte die Kinematik und die regelungstechnische Struktur entsprechend den vorangegangenen Kapiteln feststehen. Um diese beiden Fragestellungen wiederum sinnvoll bearbeiten zu können, ist ein grundlegendes Verständnis der für haptische Anwendungen zur Verfügung stehenden Aktoren und der damit realisierbaren Energiedichten, Kräfte und Wege notwendig. Dieser Abschnitt macht einige Vorschläge, die helfen eine Vorselektion geeigneter Aktoren anhand der aus den Spezifikationen bekannten Parameter zu treffen.
9.1.1 Übersicht über nutzbare Aktorprinzipien Es gibt eine Reihe allgemeiner Ansätze, eine beliebige Energie in mechanische Energie zu wandeln. Jeder dieser Wege beschreibt einen Aktortyp und wird als “Wirkprinzip“ bezeichnet. Die bekanntesten häufig genutzten Wirkprinzipien sind: • Elektrodynamisches Prinzip - Kraft, so genannte Lorentzkraft, die auf einen strom-durchflossenen Leiter in einem Magnetfeld wirkt. • Elektromagnetisches Prinzip - Kraft, die auf einen Magnetkreis wirkt um die in diesem enthaltene Energie zu minimieren. • Piezoelektrisches Prinzip - Kraft, die in Folge einer angelegten Spannung auf einen Kristallverbund wirkt und diesen deformiert. • Kapazitives Prinzip - Kraft, resultierend aus dem Bestreben von Ladungen die in einem Kondensator gespeicherte Energie zu minimieren. • Magnetorheologisches Prinzip - Viskositätsänderung einer Flüssigkeit die aus dem Bestreben von Partikeln resultiert, die in einem Magnetkreis enthaltene Energie zu minimieren. • Elektrochemisches Prinzip - Hub bzw. Druck in einem geschlossenen System, bei dem unter Anwendung elektrischer Energie ein Material ausgast und somit sein Volumen ändert. • Thermisches Prinzip - Längenänderung eines Materials aufgrund der gezielter Temperaturänderungen resultierend aus dem thermischen Ausdehnungskoeffizienten. • Formgedächtnis-Legierung - Formänderung eines Materials aufgrund von relativ niedrigen Temperaturänderungen (≈ 500◦ C) in eine Ursprungsform, die bei der Herstellung unter hohen Temperaturen (≈ 1000◦C) eingeprägt worden war. Jedes dieser Wirkprinzipien wird in unterschiedlichen Ausführungsformen genutzt. Diese unterscheiden sich in der Wirkrichtung z.B. eines Kraftvektors (das
9.1 Allgemeines zum Aktorentwurf
201
elektromagnetische Prinzip teilt sich auf in Magnetische Antriebe und Reluktanzantriebe; das piezoelektrische Prinzip z.B. in drei Aktorformen in Abhängigkeit der Stellung zwischen dem elektrischen Feld und der Bewegungsrichtung) oder dem Bauprinzip (Resonanzantriebe vs. Direktantriebe). Resultat sind eine Vielzahl von geprägten Begriffen für Aktuatoren, die im Folgenden eingeordnet werden: • Elektromotor - der allgemeinste Begriff überhaupt. Kann jeden elektromechanischen Wandler beschreiben, meint aber in der Regel einen Aktor der eine kontinuierliche, rotatorische Bewegung macht, bei der Ströme entweder durch Kommutierung (mechanisch oder elektrisch) oder über ein Drehstromsystem geschaltet werden. Es handelt sich in der Regel um Synchronläufer, also ein Antrieb, bei dem der Rotor sich synchron mit dem Drehfeld bewegt. Der Begriff umfasst aber im allgemeinen Sinne bei Drehstromsystemen auch Hysteresemotoren und Käfigläufer, die aber bisher für haptische Anwendungen nicht einmal in Sonderfällen Bedeutung erlangt haben. • EC-Antrieb - Spezielle Form des Synchronmotors und bei haptischen Anwendungen sehr verbreitet. Motor nach elektromagnetischen oder elektrodynamischen Prinzip mit gezielter elektronischer Steuerung des Drehfeldes (elektronisch kommutiert, electronic-commutated) • DC-Antrieb - Eine andere spezielle Form des Synchronmotors und bei haptischen Anwendungen gerne aufgrund seiner geringen Kosten genutzt. Motor nach elektromagnetischen oder elektrodynamischen Prinzip mit gezielter mechanischer Steuerung des Drehfeldes über geschaltete Kontakte (mechanisch kommutiert. mechanically-commutated ) • Resonanzantrieb - Oberbegriff für Aktuatoren nach unterschiedlichen Wirkprinzipien. Beschreibt einen Aktor, bei dem eine Komponente des Antriebs in einer mechanischen Resonanz (in einer Mode) oder nahe dieser Mode betrieben wird. Das Element macht dabei meist elliptische Schwingungen mit der Resonanzfrequenz, und treibt dabei über Reibkopplung ein zweites Element mit diesen schnellen Schritten. Durch die hohe Frequenz wirkt die Bewegung des zweiten Elementes kontinuierlich. Der Begriff wird vor allem in Verbindung mit piezoelektrischen Aktoren gerne verwendet. • Ultraschallmotor - Resonanzantrieb, der Schritte mit einer Frequenz im Ultraschallbereich (>15 kHz) durchführt. Diese Aktoren werden quasi immer nach dem piezoelektrischen Wirkprinzip gebaut. • Tauchspulmotor (voice-coil actuator) - Antrieb nach dem elektrodynamischen Prinzip, bei dem ein auf einen Zylinder gewickelter Leiter in einem spezielle angeordneten Magnetkreis bestromt wird, so dass eine Abstoßung zwischen Spule und Magnetkreis auftritt. Gibt es mit “bewegten Magneten“ und “bewegter Spule“. • Shaker - Andere Form des Tauchspulmotors ergänzt um eine elastische Aufhängung der Spule, so dass durch den Gleichgewichtszustand zwischen Feder der Aufhängung und Kraft auf die Spule eine Auslenkung eingestellt werden kann. Wird gerne in Zusammenhang mit der schnellen (dynamischen) Bewegung von Massen verwendet um Schwingungstests durchzuführen (daher der Begriff
202
• •
•
• • •
• •
•
9 Aktorentwurf
“Shaker“). Ist aber quasi nichts anderes, als ein Lautsprecher ohne räumlich ausgedehnte Membran als Schallwandler. Tauchanker - Aktor nach dem elektromagnetischen Prinzip, bei dem ein Stab aus ferromagnetischen Material in einen mit einer Spule versehenen Eisenkreis gezogen wird. Stark nichtlinear in der Kraft-Weg-Kennlinie. Schrittmotor - Oberbegriff für alle Aktorprinzipien, die sich schrittweise fortbewegen. Der Unterschied zu den Resonanzantrieben liegt darin, dass hier keine Komponenten des Aktors in einer mechanischen Resonanz betrieben werden. Die Frequenzen der Schritte liegen deutlich unterhalb derer von Resonanzantrieben. Der Begriff wird am häufigsten auf rotatorische Antriebe angewendet, die nach dem Reluktanzprinzip oder einem anderen elektromagnetischen Antriebsprinzip arbeiten. Pneumatik und Hydraulik - Dies sind Aktorprinzipien, die keine elektrische Eingangsgröße haben. Sie wandeln Druck und Volumenfluss in Auslenkung und Kraft. Medium der Druckübertragung ist bei der Pneumatik die Luft, bei der Hydraulik eine Flüssigkeit, i.d.R. ein Öl. Die Druckerzeugung erfolgt meist über den elektrischen Aktor in Form eines Kompressors. Biegeaktor - Aktor, häufig Piezoaktor, der sich zusammen mit einem mechanisch passiven Substrat durch innere mechanische Spannungen bei der Ansteuerung der elektrisch aktiven Schicht(en) verbiegt. Piezostapel - Mehrere piezoelektrische Schichten mechanisch in Reihe geschaltet, so dass die kleinen Auslenkungen der Schichten sich zu einer großen, nutzbareren Auslenkung addieren. Piezomotor - Oberbegriff für alle piezoelektrischen Antriebe. Bezeichnet insbesondere Antriebe, die über einen Reibschluss einen Rotor oder einen Translator quasi kontinuierlich bewegen, ohne dabei zwingend in Resonanz betrieben zu werden. Kapazitiver Aktor - Vor allem in der Mikrotechnik verbreiteter Aktor mit kammartig verzahnten Elektrodenpaaren, der Kräfte im mN-Bereich bei μ m Auslenkung ermöglicht. Formgedächtnis-Draht (Shape-memory wire) - Draht auf der Basis des Formgedächtnis-Prinzips, der zu Verkürzungen im Prozentbereich (≈ 8% der Gesamtlänge) bei Änderung der Temperatur (z.B. durch Kontrolle des durch den Draht fließenden Stromes) fähig ist. Oberflächenwellen (surface wave) - Oberbegriff für eine Gruppe von Aktoren, die durch hochfrequente Schwingungen in mechanischen Strukturen stehende Wellen erzeugen oder die Resonanzmoden der Struktur anregen. Dieser Aktor hat häufig piezoelektrische Aktoren als Grundlage und wird seit einigen Jahren gerne im Bereich von haptischen Textursimulationen eingesetzt.
Jedes dieser Aktorprinzipien hat bereits Anwendung in taktilen und/oder kinästhetischen Systemen gefunden. Um bei der Vielfalt der Möglichkeiten ein Entscheidungskriterium zu haben, lassen sich diese Aktuatoren in Klassen zusammenfassen. Die meisten dieser physikalischen Wirkprinzipien und deren Realisation in konkre-
9.1 Allgemeines zum Aktorentwurf
203
te Produkte lassen sich in “selbsthemmende“ Systeme und “freilaufende“ Systeme, oder kurz • Positionsquellen (x) bzw. Winkelquellen (α ) • Kraftquellen (F) bzw. Drehmomentenquellen (M) gruppieren. Aus dem Verständnis für die grundlegensten haptischen Strukturen (Kap. 5) lässt sicher vermuten, dass beide Klassen in unterschiedlichen haptischen Systemen zum Einsatz kommen. In Tabelle 9.1 sind die Strukturen haptischer Systeme und die dabei typischerweise eingesetzten Aktoren zugeordnet. Die Tabelle zeigt eine Tendenz. Es ist aber unter der geschickten Kombination von passiven Bauelementen prinzipiell möglich jeden Aktor für jede Klasse einzusetzen. Tabelle 9.1: “Klassische“ Einsatzgebiete der Aktorprinzipien bei haptischen Systemen X: wird häufig von mehreren Gruppen verwendet bzw. ist kommerzialisiert; (X): einige Aufbauten, vor allem Forschung; -: sehr selten bis gar nicht, und wenn nur in Forschungskontext); T YP: Gibt einen Anhaltspunkt, welcher Aktortyp (translatorisch oder rotatorisch) häufiger zum Einsatz kommt. Wenn der Aktor ungewöhnlich ist, aber existiert, dann ist die Markieerung in Klammern gesetzt.
1 2
Kontroll-Typ: Typ
Aktor
Admittanz Impedanz Reg. Steuer. Steuer. Reg.
Rot. Rot. & transl. Rot & transl. Rot & transl. Rot & transl. Transl. Transl. Transl. Rot. (& transl.) Transl. (& rot.) Transl. (& rot.) Transl. Transl. Transl. & rot. Transl. Transl. Transl.
Elektromotor1 EC-Motor DC-Motor Resonanz-Motor Ultraschall-Motor Voice-Coil Shaker Tauchanker Schrittmotor Pneumatisch Hydraulisch Biegeaktor Piezo-Stapel Piezo-Aktor Kapazitiv Formgedächtnis Oberflächenwelle
X X X X X X (X) (X) X -
X X X X X X X X X X (X) (X) (X)
(X)2 X X (X) (X) X X -
X X X -
im Sinne eines mechanisch Kommutierten Antriebes mit einer Leistung von 10 bis 100 W durch hochfrequente Vibrationen der Kommutierung
204
9 Aktorentwurf
9.1.2 Aktor-Auswahlhilfe Dynamik
Kraft [N] Drehmoment [Nm]
Die verschiedenen Bauformen der Aktoren eines Prinzips decken Leistungsbereiche in Form eines erzielbaren Hubs oder einer erzielbaren Kraft bzw. Moment ab. Abbildung 9.1 setzt auf Basis der Erfahrungen des Autors diese Eigenschaften in Bezug zu dem für Haptikanwendungen interessanten Dynamikbereich. Die wichtigsten Aktorprinzipien sind hier über Rechtecke realisierbaren Hüben (a)3 und typischen Ausgangskräften bzw. Drehmomente (b) zugeordnet. Der tatsächlich durch einen spezifischen Aktor eines Prinzips individuell abgedeckte Bereich ist allerdings in der Regel geringer als die hier angezeigte Fläche. Das Diagramm ist so zu lesen, dass es zum Beispiel für Haptik-Anwendungen sinnvoll nutzbare elektromagnetische Linearaktoren gibt, die bis zu ≈ 50 Hz bei 5 mm Hub arbeiten. Diese Ausführungsform ist aber nicht spezifisch dieselbe die gleichzeitig ≈ 200 N Kraft generiert, da bei elektromagnetischen Systemen die nutzbare Kraft mit kleinem absoluten Hub quadratisch (siehe Abschnitt 9.3) steigt. Die Diagramme aus Abbildung 9.1 verdeutlichen die Bandbreite möglicher Realisationen nach einem bestimmten Aktorprinzip und zeigen den bevorzugten Dynamikbereich. Bei der Verwendung der Diagramme muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Grenzen fließend sind und immer im Kontext des Einsatzes und von dem individuellen Aktorentwurf betrachtet werden müssen.
Weg [mm]
Hydraulisch
100
Elektromagnetisch Rotatorisch
Hydraulisch Piezo-Stapel
100
E.-magnetisch linear
E.-Magnetisch Rotatorisch
Reluktanz rotatorisch (Schrittmotor)
10 Linearer Reluktanzmotor (Schrittmotor)
Ultraschall linear
El.-dyn. rotatorisch
Reluktanz (Schrittmotor) rotatorisch
El.-dyn. rotatorisch
10
El.-dyn. linear
El.-dyn. linear
E.-Magnetisch linear
Piezo-Biege Piezo-Biege
1
1
Kapazitiv Piezo-Stapel
a) 1
10
100
Ultraschall linear
Reluktanz (Schrittmotor) linear
b) 1000
f [Hz]
Kapazitiv
1
10
100
1000
f [Hz]
Abb. 9.1 Einordnung der Aktorprinzipien entsprechend den erzielbaren Hüben (a) und Kräfte bzw. Momente (b) über den Dynamikbereich.
3
für kontinuierliche, rotatorische Systeme ist der Hub natürlich quasi unendlich.
9.1 Allgemeines zum Aktorentwurf
205
9.1.3 Getriebe Die Anwendung von Getrieben ist im allgemeinen Maschinen- und Gerätebau das Mittel der Wahl, Aktoren an ihre Last und Lasten an die Antriebe anzupassen. Getriebe existieren in einer Vielzahl von Formen. Ein einfacher Hebel kann ein Getriebe sein, eine komplexe Kinematik entsprechend Kapitel 8 ist immer ein stark nichtlineares Getriebe. Spezielle Getriebeformen werden in den jeweiligen Kapiteln zu den Aktorprinzipien diskutiert. Es gibt aber eine allgemeine Überlegung beim Einsatz von Getrieben, die für haptische Systeme eine besondere Bedeutung erhält: Die Skalierung der Impedanzen.
aout Mout
ain Min r2
a)
ain Min
xout Fout xout Fout
r1 b)
l2
l1
xin Fin
r1
c)
Abb. 9.2 Einfache Getriebeanordnungen für Wälzräder (a), einen Hebel (b) und ein Seilzug (c) .
Prinzipiell spricht nichts gegen den Einsatz von Getrieben beim Entwurf haptischer Systeme. Jedes Getriebe (Abb. 9.2), sei es rotatorisch/rotatorisch (Zahnrad oder Reibräder), translatorisch/translatorisch (Hebel bei kleinen Auslenkungen), rotatorisch/translatorisch (Seilzug) hat eine Übersetzungsverhältnis “tr“. Dieses Übersetzungsverhältnis skaliert unter der Vernachlässigung von Verlusten und Reibung Kräfte und Momente entsprechend Fout l2 = tr = , Fin l1
(9.1)
Mout r2 = tr = , Min r1
(9.2)
Fout 1 = tr = , Min 2π r1
(9.3)
und Wege bzw. Winkel entsprechend xin l2 = tr = , xout l1
(9.4)
αin r2 = tr = , αout r1
(9.5)
206
9 Aktorentwurf
αin 1 = tr = . xout 2π r1
(9.6)
Die Geschwindigkeiten und Winkelgeschwindigkeiten skalieren analog als Differential obiger Gleichungen. Ausgehend von der Definition der Impedanz des Motors Z transl = Fv bzw. Z rot = M α
bedeutet das, dass für die mit einem Motor zu treibenden Impedanzen Z out (Lastfall) gilt: Z transl = Z rot =
1 1 F in F = out 2 = Z transl out 2 vin vout tr tr
(9.7)
M in M 1 1 = out = Z rot out 2 2 α α tr tr
(9.8)
Das Übersetzungsverhältnis tr geht quadratisch in die Berechnung der Impedanzen ein. Die zu treibende Impedanz des Systems wird also mit einem Getriebe der Übersetzung größer Eins aus Sicht der Aktors klein. Dies ist günstig für den Aktorentwurf (und der eigentliche Grund für den Einsatz von Getrieben). Bei haptischen Systemen, insbesondere den impedanzgesteuerten, ist allerdings auch der umgekehrte Fall zu betrachten, der einen Leerlauf des Systems widerspiegelt. Bei einem Übersetzungsverhältnis größer Eins4 steigt die wahrgenommene mechanische Impedanz eines Systems Z out quadratisch mit der Übersetzung an. Dies ist insofern kritisch, da eine gewollte Erhöhung der Ausgangskraft nur linear mit dem Übersetzungsverhältnis ansteigt, während z.B. die ungewollte Wahrnehmung der Massenträgheiten eines Rotors quadratisch skalieren. Dieser Effekt ist jedem bekannt, der versucht hat ein hochübersetzendes Getriebe (tr = 100) am Abtrieb zu drehen. Die Massenträgheit des Motors und die internen Reibungen sind quasi gleichzusetzen mit einer Selbsthemmung des gesamten Systems. Als ein Resultat dieser Abhängigkeiten ist die Verwendung von Getrieben bei Kraftgesteuerten haptischen Systemen auf Übersetzungsverhältnisse von 1 bis maximal 20 (mit deutlichen Schwerpunkt auf die Übersetzungsverhältnisse 3 bis 6) sinnvoll. Für höhere Übersetzungsverhältnisse haben sich insbesondere Systeme nach Abbildung 9.2c und Gleichung 9.6 bewährt. Sie werden in vielen kommerziellen Systemen eingesetzt, da hier durch die Definition tr = 2π1r1 und den darin enthaltenen Faktor 2π sich leicht ein niedriges Übersetzungsverhältnis generieren lässt. Bei entsprechenden rotatorischen Aktoren (typisch: EC-Antriebe) mit sehr niedriger Impedanz hat diese Anordnung ausgesprochen gute dynamische Eigenschaften. An dieser Stelle noch ein Hinweis aus der Erfahrung: Zahnräder können bei haptischen Systemen eingesetzt werden, aber nur wenn die durch die Verzahnung resultierenden Welligkeiten im Drehmoment beachtet und konstruktiv weitestgehend minimiert werden. Das heißt, die Zahnräder sollten spielfrei (Achtung, geringes Spiel resultiert immer in einer höheren Reibung und hohen Verlusten), am Besten durch 4
was dem Regelfall entspricht, da üblicherweise sich schnell bewegenden Aktoren in langsame Bewegungen übersetzt werden müssen.
9.1 Allgemeines zum Aktorentwurf
207
Materialpaarungen mit einem weichen Material, entworfen werden und zumindest einseitig mit einer Geradverzahnung (also keiner Evolventenverzahnung) versehen werden.
208
9 Aktorentwurf
9.2 Elektrodynamische Aktoren T HORSTEN A. K ERN
Elektrodynamische Aktoren sind aufgrund der direkten Proportionalität ihrer Steuergröße (dem elektrischen Strom) und der Ausgangsgröße (Kraft oder Drehmoment) die bevorzugten Aktoren für viele haptische Anwendungen. Im Falle kinästhetischer Systeme werden sie zumeist als steuerbare Kraftquellen eingesetzt. Aber auch bei taktilen Systemen finden sie als sehr dynamischer Aktor Anwendung zur Schwingungsstimulation von Hautarealen. Sie werden hierbei gleichermaßen rotatorisch wie translatorisch eingesetzt. Mal bewegen sich die Spulen, mal wird der Magnet bewegt. Das folgende Kapitel gibt eine kurze Einführung in die Berechnungsgrundlagen elektrodynamischer Systeme, stellt dann einige Bauformen der Aktoren im Detail vor und schließt mit einem Blick auf die Möglichkeiten zur Ansteuerung der Aktoren für haptische Anwendungen.
9.2.1 Der Elektrodynamische Effekt und seine Einflussgrößen Elektrodynamische Aktoren basieren auf der L ORENTZ-Kraft FLorentz = i · l × B,
(9.9)
die auf bewegte Elektronen in einem magnetischen Feld wirkt. Die L ORENTZKraft ist abhängig vom Strom i, der magnetischen Induktion B sowie der Länge der Wicklung l. Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit der Optimierung der einzelnen Parameter zur Maximimierung der erzeugten Ausgangskraft FLorentz . Elektrodynamische Aktoren bestehen immer aus drei Komponenten: • Magnetfelderzeugung (Spule, oder meistens Magnet), • Flussführung (auch Eisenkreis), • elektrischer Leiter (meistens als Spule oder komplexe Wicklung ausgeführt). Bei oberflächlicher Betrachtung wird gerne die Empfehlung zur Maximierung des Stroms i in dem elektrischen Leiter ausgesprochen. Ein gegebener Bauraum für die Leiterlänge l (Wicklungsqeurschnitt) und die ebenso nicht unendlich steigerbare Flussdichte (typisch 0,8 bis 1,4 T) B beschränkt die Wirksamkeit dieser Schrittes meistens, was an einem Rechenbeispiel deutlich gemacht wird.
9.2.1.1 Wirkungsgrad elektrodynamischer Aktoren Exemplarisch wird eine der einfachsten Konstruktionen eines elektrodynamischen Aktors in Form des AVM 20-10 (Abb. 9.3) betrachtet, bestehend aus einer gewi-
9.2 Elektrodynamische Aktoren
209 Wicklung
FLorent z
Pol-Schuh
i B S N
Eisenrückschluss
Magnet
Abb. 9.3 Tauchspul-Aktor Baureihe AVM von adrive-technology als Grundlage für das Rechenbeispiel.
ckelten Spule und einem permanentmagnetisch-erregten Eisenkreis. Die elektrische Verlustleistung Pel dieses elektrodynamischen Systems in Form einer kleinen Tauchspule mit einem Wicklungswiderstand von Rcoil = 3.5 Ω und einem Nennstrom i = 0.78 A ergibt sich zu Pel = Rcoil i2 = 3.5 Ω · 0.78 A2 = 2.13 W.
(9.10)
Bei dieser elektrischen Verlustleistung generiert der Aktor bei einer Flussdichte von B=1.2 T, einer orthogonalen Leiteranordnung, und einer Leiterlänge im Luftspalt von l=1,58 m die Kraft FLorentz = i l B = 0.78 A · 1.58 m · 1.2 T = 1.48 N.
(9.11)
Geht man davon aus, dass das System im Leerlauf betrieben wird, d.h. ausschließlich die Spulenmasse mit m=8.8 g aus dem Ruhezustand hinaus beschleunigt, dann wird die elektrische Leistung bei einem Hub von x=10 mm für einen Zeitraum von x xm t= 2 = 2 = 0.011 s (9.12) a F benötigt. Die elektrische Verlustenergie ergibt sich also zu Wel = Pel · t = 23, 4 mJ.
(9.13)
mech Dies ergibt einen Wirkungsgrad von W W+W = 38% für den Leerlaufbetrieb. el mech Nimmt man nun an, dass derselbe Aktor eine Fingerkuppe mit einer Kraft von 1 N über einen Zeitraum von z.B. zwei Sekunden beaufschlagen soll, dann ergibt sich Wel = 2.13 W · 2s = 4.26 J, was einem Wirkungsgrad des Systems «1% entspräche. Und tatsächlich liegt der Wirkungsgrad elektrodynamischer Aktoren in vielen haptischen Anwendungen mit statischen Kräften in diesen geringen Bereichen. Diese
210
9 Aktorentwurf
einfache Rechnung verdeutlicht das Problem elektrodynamischer Systeme auf drastische Weise: Die elektrische Leistung, deren Wärme abgeführt werden muss, überwiegt die mechanisch abgegebene Leistung um ein Vielfaches. Es ist daher notwendig, beim Entwurf elektrodynamischer Aktoren der Optimierung der Leistung im Aktorvolumen und dem Wärmemanagement gehobene Aufmerksamkeit zu schenken.
9.2.1.2 Minimierung der Verlustleistung Typische Bauformen elektrodynamischer Aktoren nutzen einen gewickelten Leiter in selbsttragender Form oder auf einem Spulenträger gewickelt (Abb. 9.4). Da der Bauraum für die Wicklung, der innerhalb eines homogenen Magnetfeldes zur Verfügung steht, begrenzt ist (Querschnittsfläche ACoil ), ist die Anzahl der Leiterschleifen NConductor innerhalb der Fläche abhängig von den geometrischen Abmessungen der Querschnittsfläche sowie der Fläche AConductor , die ein einzelner Leiter im gewickelten Zustand benötigt (Gl. 9.15). Diese Fläche entspricht nicht nur der Fläche der effektiv leitenden Kupferseele ACore , sondern berücksichtigt auch die Dicke der Isolation sowie die räumliche Ordnung, die unterschiedliche Drahtdurchmesser bei maschineller Wicklung einnehmen. Derartige Parameter sind tabellarisch hinterlegt [181] und werden hier als Faktor k ≥ 1 angenommen (Gl. 9.15). Die Länge l des Leiters ergibt sich durch Multiplikation der Anzahl der Leiter mit dem Umfang Circ (Gl. 9.16). i
ASpule
B
Pole-Schuh des Magnetkreises
Acore
Aconductor
Zylindrische Wicklung im Querschnitt
FLorent z
Abb. 9.4 Schnitt durch einen zylindrischen elektrodynamischen Aktor nach dem Tauchspulprinzip.
Die Wahl des Drahtdurchmessers hat über die Fläche ACore deutlichen Einfluss auf den Widerstand der Wicklung. Der spezifische längenbezogene Widerstand Rspezf eines Drahtes ergibt sich aus Gl. (9.17). Große Drahtdurchmesser mit großer Fläche ACore ermöglichen Wicklungen mit hohen Strömen bei geringer Spannung aber in begrenztem Bauraum mit weniger Windungen. Kleine Drahtdurchmesser ermöglichen die Begrenzung von den notwendigen Strömen bei hohen Spannun-
9.2 Elektrodynamische Aktoren
211
gen, aber mehr Windungen innerhalb eines begrenzten Bauraumes. Durch eine gute Auslegung des Drahtdurchmessers kann die Wicklung als Last an eine zugehörige Quelle angepasst und maximale Leistung entnommen werden. Die Leistung, die innerhalb einer Wicklung umgesetzt werden darf, ist allerdings begrenzt. Die Begrenzung resultiert aus der umgesetzten Verlustleistung PVerlust (Gl. 9.18) und der dabei entstehenden Wärme, die abgeführt werden muss. Die Möglichkeiten hierzu sind abhängig von der Betriebsdauer, dem Bauvolumen des Aktors, den verwendeten Materialien und einer eventuellen Kühlung. AConductor = k · ACore NConductor =
ACoil AConductor
lConductor = NConductor ·Circ Rspezf. =
lConductor ρ AConductor
PLoss = i2 · RCoil Aus Gl. 9.18 folgt
i=
Mit Gl. (9.17) ergibt sich:
(9.14) (9.15) (9.16) (9.17) (9.18)
PLoss RCoil
(9.19)
PLoss ACore ρ lConductor
(9.20)
i=
Eingesetzt in (9.9) (und unter Beibehaltung der Richtung des Stromflusse ei ) gilt: PLoss ACore lConductor ei × B (9.21) FLorenz = ρ Unter Verwendung von Gl. (9.15) bis (9.16) ergibt sich: PLoss ACoil N Circ FLorenz = ei × B ρk
(9.22)
Die Gleichungen 9.15 bis 9.18 in Gleichung 9.9 eingesetzt, ergibt eine präzisere Betrachtung der Einflussgrößen auf die L ORENTZ-Kraft nach Gleichung 9.22. Die Höhe der L ORENTZ-Kraft wird bestimmt durch die Verlustleistung PLoss, die in der Spule umgesetzt werden darf. Besteht noch Einfluss auf die geometrische Gestaltung, dann muss die Fläche der Wicklung sowie der Umfang des Wicklungskörpers maximiert werden. Weiterhin kann durch Materialwahl (z.B. Aluminium statt Kupfer) der spezifische Widerstand minimiert werden. Außerdem sollte der Füllfaktor k verringert werden. Hierbei bietet sich z.B. die Verwendung von Drähten mit rechte-
212
9 Aktorentwurf
ckigem Querschnitt an, um leere Zwischenräume zu vermeiden. Die Frage nach dem maximalen Strom ist lediglich in Verbindung mit der zur Verfügung stehenden Spannung relevant, wenn eine Leistungsanpassung des Wicklungswiderstandes an die Quelle erfolgen muss. Hierbei muss für iSource und uSource der entsprechende Wicklungswiderstand entsprechend Gl. (9.24) ausgewählt werden. PSource = uSource · iSource = i2Source · RCoil RCoil =
PSource i2Source
(9.23) (9.24)
Bemerkenswert ist, dass aus der Sicht des Entwurfs bei realistischer Betrachtung der L ORENTZ-Kraft nach Gl. 9.22 eine Steigerung des Stroms nicht erstrebenswert ist. Die Möglichkeit PLoss zu optimieren, indem Kühlung vorgesehen wird oder die Betriebs- und Ruhezeiten genau analysiert werden, ist viel bedeutender. Weiterhin zeigt die Rechnung, dass die Flussdichte B einen relativ zu den anderen beteiligten Größen quadratisch höheren Einfluss auf die Maximalkraft hat.
9.2.1.3 Maximierung der magnetischen Flussdichte B Generell ist für die Optimierung elektrodynamische Aktoren eine Maximierung der magnetischen Flussdichte B an der Stelle notwendig, an der die stromführenden Leiterschleifen liegen. Diese Stelle ist in der Regel ein Luftspalt. Die Höhe der magnetischen Flussdichte wird vornehmlich durch die Auslegung des Magnetmaterials bzw. der Erregerwicklung des statischen Grundfeldes, sowie die Auslegung der Flussführung beeinflusst. Im Rahmen dieses Buchs geben wir einige grundlegende Entwurfshinweise an die Hand. Für eine weiterführende Betrachtung und Optimierung dieser Auslegung wird auf [122] verwiesen.
Grundlagen der Berechnung magnetischer Kreise Die Berechnung magnetischer Kreise weist Parallelen zu der Berechnung elektrischer Netzwerke auf. Man kann entsprechend Tabelle 9.2 Analogien zwischen elektrischen und magnetischen Größen definieren. Hierbei ist die direkte Analogie von dem magnetischen Fluss φ die elektrische Ladung Q. Für die Arbeit mit den Größen bietet es sich jedoch an, in elektrischen Strömen I als Analogon zum magnetischen Fluss zu denken. Man beachte jedoch, dass dies eine pure Denkhilfe ist, die mathematisch nicht der Realität entspricht. Das direkte Analogon im magnetischen Fall wäre ein zeitabhängiger magnetischer Fluss dφ dt , der üblicherweise nicht mit einem eigenen Formelzeichen definiert ist. Die Besonderheit in der Modellvorstellung ist die magnetische Durchflutung Θ , die analog
9.2 Elektrodynamische Aktoren
213
Tabelle 9.2 Analogien zwischen elektrischen und magnetischen Größen. Beschreibung
Elektrisch
Magnetisch
Fluss differentieller Fluss
Ladung Q [C=As] I = dQ dt [A]
magnetischer Fluss φ [Vs]
Flussgröße
Verschiebunsdichte D [C/m2 ] Q = DdA
Flussdichte B [T=Vs/m2 ] φ = BdA
A
Stromdichte J [A/m2 ] I = JdA
A
A
Spannung U [V] Elektromechanische Kraft (EMK)
Durchflutung Θ [A] Magnetomechanische Kraft (MMK)
Induktionsgesetze
U = −N ddtφ
Θ = N dQ dt Θ =NI (N= Windungszahl)
Feldgröße
el. Feldstärke E [V/m]
magn. Feldstärke H [A/m]
Differentialgröße
Spannung U [V] U = ab Eds
magnetische Spannung V [A] V = ab Hdl
Maschengleichung
Uges = ∑ Ui
Θ = ∑ Vi
el. Widerstand R [Ω ]
magn. Widerstand Rm [A/Vs] Reluktanz Rm = Vφ
El.-Mag. Kopplung auch früher:
i
Widerstandsgröße
R=
U I
i
Kopplungsfaktoren
Permittivität ε = ε0 εr (ε0 = 8, 854 · 10−12 C/Vm)
Permeabilität μ = μ0 μr (μ0 = 1, 256 · 10−6 Vs/Am)
Kopplung zwischen Feld und Flussgrößen
D=εE
B=μH
Leistung [W]
Pel = U · I
Energie [J]
Wel = Wel t
Wmag = φ V Wmag = ∑ Hn ln · Bn An n
zu einem Umlauf im elektrischen Netzwerk die Summe aller magnetischen Spannungen darstellt. Sie wird dennoch gesondert behandelt, da häufig Anwendungen die Erzeugung einer magnetischen Durchflutung im Eisenkreis durch eine Spule mit einer Windungszahl N und einem Stromfluss I vorsehen. Die Kopplung zwischen Feld- und Flussgrößen ist im elektrischen Fall die Permittivität ε und im magnetischen Fall die Permeabilität μ . Man erkennt, dass sich die Feldkonstanten ε0 und μ0 um den Faktor 106 unterscheiden. Dies ist ein wesentlicher Grund dafür, warum
214
9 Aktorentwurf
in makroskopischen Systemen der elektromagnetische Effekt deutlich stärkere Antriebe ermöglicht, und daher beim Bau von Aktoren bevorzugt wird5 . Es existiert aber noch eine weitere Besonderheit: Während im elektrischen Fall die elektrische Permittivität auch für komplexe Aktoren in weiten Bereichen (siehe auch Kapitel 9.5) als linear im Arbeitspunkt angenommen werden kann, weist die Permeabilität μr gängiger flussführender Materialien eine nichtlineare Abhängigkeit auf. Die Materialien geraten in Sättigung. Der Höhe des magnetischen Flusses im magnetischen Material unter Vermeidung von Sättigungseffekten kommt also eine besondere Bedeutung bei der Auslegung magnetischer Kreise zu. B [T]
1 Graugruss 2 Sintereisen 3 X12CrMosS17 1.4104 4 X4CrMoS geglüht 1.4105 5 ST37 1.0254 6 CoFe-Legierungen H [A/cm]
Abb. 9.5 Sättigungsverhalten von üblichen magnetischen Materialien[122] .
Eisenkreis Für die Maximierung der magnetischen Flussdichte ist die mathematische Berechnung und/oder die Simulation des magnetischen Kreises notwendig. Für die Simulation magnetischer Felder wird auf marktübliche Software von CAD und FEM Herstellern verwiesen6. In der Berechnung unterscheidet man bei magnetischen 5 In mikrotechnischen Systemen ist die Energiedichte bezogen auf das Bauvolumen der zu optimierende Faktor. Die Fertigung von miniaturisierten Platten für kapazitive Aktoren hat gegenüber der Fertigung von Spulen mit miniaturisierten Eisenkreisen hier deutliche Vorteile, und wird daher bevorzugt eingesetzt. 6 Für den Anfang gibt es auch frei verfügbare Programme zur Magnetfeldberechnung, z.B. für rotationssymmetrische oder planare Systeme von DAVID M EEKER unter dem Namen “Femm“.
9.2 Elektrodynamische Aktoren
215
Kreisen zwischen stationären, quasistationären und dynamischen Magnetfelder. Bei stationären Magnetfeldern findet keine zeitliche Änderung des Magnetkreises statt und ein eingeschwungener Zustand der Flussdichte wird angenommen. Bei quasistationären Felder wird die Induktion berücksichtigt, die durch Änderungen im Magnetfeld-erzeugenden Strom oder durch Bewegung der Anker hervorgerufen wird. Dynamische Magnetfelder berücksichtigen weitere Effekte von den dynamischen mechanischen Eigenschaften bewegter Komponenten bis hin zu Änderungen der Geometrie des Eisenkreises sowie der Luftspalte im Betrieb. Für elektrodynamische Aktoren ist häufig die Betrachtung von statischen Eisenkreisen für eine erste Dimensionierung ausreichend. Die relevanten dynamische Rückwirkungen für elektrodynamische Aktoren werden in Abschnitt 9.2.1.4 vorgestellt. Es stehen prinzipiell zwei Möglichkeiten zur Verfügung, die magnetische Flussdichte im Bereich der stromführenden Wicklung zu erzeugen: 1. Erzeugung über einen gewickelten Leiter in Form einer Spule (Erregerwicklung) 2. Erzeugung über einen Permanentmagneten Beide Ansätze haben spezifische Vor- und Nachteile: Bei einem gewickelten Leiter ist die Flussdichte mit B = μ (N I − HFe lFe ) theoretisch beliebig steigerbar. In der Praxis geht aber das flussführende Material in Sättigung (Abb. 9.5), so dass die Flussdichte begrenzt ist. Weiterhin wird über den ohm’schen Widerstand der Erregerwicklung Verlustleistung erzeugt, die zusätzlich zu den Verlusten aus dem elektrodynamischen Prinzip (Abschnitt 9.2.1.1) abgeführt werden muss. Durch den Verzicht auf flussführendes Material und die Verwendung von außerordentlich niederohmigen Erregerwicklungen sind theoretisch sehr hohe Feldstärken möglich7, der technologische Aufwand wird für haptische Geräte jedoch bisher nicht betrieben. Bei der Verwendung eines Permanentmagneten ist man in der maximal zur Verfügung stehenden Flussdichte (Remaneszenzflussdichte Br ) durch das Magnetmaterial beschränkt. Außerdem ist ein Magnet am ehesten mit einer Quelle vergleichbar, die eine Leistung zur Verfügung stellt. Die Flussdichte als für elektrodynamische Aktoren relevante Größe ist daher nicht unabhängig von der magnetischen Last am Permanentmagneten. Weiterhin sind die magnetischen Eigenschaften des Magnetmaterials temperaturabhängig und bei bestimmten Magnetmaterialien kann eine falsche Handhabung die magnetischen Eigenschaften des Materials beschädigen. Dennoch stellen moderne Dauermagnetmaterialien aus sogenannten “Seltenen Erden“ die bevorzugte Wahl zur Erzeugung von statischen Magnetfeldern für elektrodynamische Aktoren dar. Im Folgenden werden die Berechnungsgrundlagen für einfache Magnetkreise gezeigt. Über die hier gezeigten Verfahren hinaus ist eine analytische Präzisierung der Berechnung möglich [122]. Es wird jedoch empfohlen, 7
Magnetresonanztomographen zur medizinischen Bildgebung erzeugen in Luftspalten von bis zu einem Meter Durchmesser Feldstärlen von 2 Tesla durch die Verwendung supraleitender Spulen und quasi keiner Flussführung.
216
9 Aktorentwurf
früh im Entwurfsprozess Simulationsprogramme einzusetzen. Insbesondere Streufelder stellen für den Entwurf magnetischer Kreise eine große Herausforderung dar, und gerade Anfänger sollten sich durch die Computervisualisierung ein Gefühl für deren Verlauf entwickeln. Gleichstromerregtes Magnetfeld Abbildung 9.6a zeigt einen Magnetkreis aus Eisen mit der Querschnittsfläche A, der an einer Stelle einen Luftspalt der Länge ξG (G=Gap) aufweist. Der Magnetkreis ist von einer Spule mit N Windungen umwickelt, durch die ein Strom I fließt. Die mittlere Länge des Magnetkreises ist lFe . Für die Berechnung lässt sich der Magnetkreis in ein magnetisches Ersatzschaltbild (Abb. 9.6b) überführen. Entsprechend den Analogien aus Tabelle 9.2 erzeugt die magnetische Induktion eine Durchflutung Θ , die eine Differentialgröße ist. In Kombination mit den zwei magnetischen Widerständen des Eisenkreises RmFe und des Luftspaltes RmG ergibt sich ein magnetischer Fluss φ .
f
lFe
I N
xG
B
a)
Q
RmFe
RmG
b)
Abb. 9.6 Magnetische Felderzeugung B über stromdurchflossene Spule mit N Wicklungen (a) und zugehöriges magnetisches Ersatzschaltbild (b) .
Für die Berechnung der Flussdichte B im Luftspalt gilt die Annahme, dass der magnetische Fluss φ im Luftspalt identisch mit dem Fluss im Eisenkreis ist. Streufelder sind in diesem Beispiel nicht berücksichtigt8. Für die Flussdichte im Eisen gilt dann: B=
φ A
(9.25)
Die magnetischen Widerstände von Materialien und Übergangsflächen sind von deren Geometrie abhängig, die tabellarisch hinterlegt sind [122]. So ergibt sich für den 8
Eine Berücksichtigung von Streufeldern würde einer Parallelschaltung weiterer magnetischer Widerstände zu dem Widerstand des Luftspaltes entsprechen.
9.2 Elektrodynamische Aktoren
217
magnetischen Widerstand eines Zylinders der Länge l und des Durchmesser d z.B. ein Zusammenhang entsprechend Gleichung 9.26. Rm =
4l μ π d2
(9.26)
Für den gegebene Eisenkreis nehmen wir also die Widerstände RmFe und RmG als bekannt bzw. berechenbar an. Dann gilt für den magnetischen Fluss
Θ , RmFe + RmG
(9.27)
Θ . (RmFe + RmG ) A
(9.28)
φ= und somit für die Flussdichte B=
Mit diesem Vorgehen lässt sich durch geschicktes Annähern der magnetischen Widerstände ein beliebig komplexes Netzwerk magnetischer Kreise berechnen. Im gegebenen Fall des simplen Hufeisenmagnets mit Luftspalt gibt es zur Berechnung noch einen alternativen Ansatz: Unter der Annahme, dass die magnetische Flussdichte im Luftspalt identisch mit der Flussdichte im Eisen ist (keine Streufelder, siehe vorher) gilt für die Flussdichte B der Zusammenhang: B = μ0 μr H
(9.29)
Unter der Annahme, dass μr entweder als Faktor oder als Kennlinie (wie Abb. 9.5) vorliegt, ist also lediglich die magnetische Feldstärke im Eisen zu berechnen. Mit B B lFe + ξG μ0 μr μ0
Θ = HFe lFe + HG ξG =
(9.30)
ergibt sich für die Flussdichte B=Θ
1 lFe μ0 μr
+ ξμG0
,
(9.31)
und kann daher direkt angegeben werden. Permanent-Magnet erregtes Feld Wie zuvor erwähnt, stellt im Falle elektrodynamischer Aktoren gegenüber der elektromagnetischen Felderzeugung die Felderzeugung via Permanent-Magnet das üblich Vorgehen dar. Da Permanentmagnete nicht hinreichend als einfache Fluss- oder Feldstärkenquellen betrachtet werden können, ist hierzu ein Grundverständnis von
218
9 Aktorentwurf
Magneten notwendig. Vereinfacht gesagt, ist ein Magnet eine Quelle magnetischer Energie, die proportional zum Volumen des Magneten zunimmt. Magnete werden aus unterschiedlichen Werkstoffen hergestellt (Tab. 9.3), die sich in der maximal erreichbaren Flussdichte (Remaneszenzflussdichte Br ), den maximalen Feldstärken (Koerzitieffeldstärken Hc B und Hc J ), der Energiedichte (BHmax ) sowie den Temperaturkoeffizienten unterscheiden. Man unterscheidet weiterhin bei identischen Materialien zwischen isotropen und anistropen Zellanordnungen. Bei isotropen Materialien besteht das Magnetmaterial aus einem homogenen Material, das entsprechend einer Vorzugsrichtung magnetisiert werden kann. Bei anisotropen Magneten wurde ein Magnetpulver mit einem Bindemittel (z.B. Epoxidharz) gemischt und durch ein Guss- oder Spritzgussverfahren in Form gebracht. Letzteres ermöglicht quasi beliebige Formgebungen und eine sehr freie Gestaltung der Polverteilungen. Anisotrope Magnete zeichnen sich allerdings durch etwas schlechtere Kennwerte in ihrer Energiedichte sowie in den maximalen Feldstärken und Flussdichten aus. Tabelle 9.3 Magnetische Eigenschaften von Dauermagnetstoffen [122] Werkstoff
Br [T]
Hc B [kA/m]
(BH)max [kJ/m3 ]
AlNiCo (isotrop) AlNiCo (anisotrop) Hartferrite (isotrop) Hartferrite (anisotrop) SmCo (anisotrop) NdFeB (anisotrop)
0,5 ... 0.,9 0,8 ... 1,3 0,2 ... 0,25 0,36 ... 0,41 0,8 ... 1,12 1,0 ... 1,47
10 ... 100 50 ... 150 120 ... 140 170 ... 270 650 ... 820 790 ... 1100
3 ... 20 30 ... 70 7 ... 9 25 ... 32 160 ... 260 200 ... 415
Abbildung 9.7 zeigt den zweiten Quadranten der B-H-Kennlinie (nur dieser ist für den Betrieb in Aktoren wirklich relevant) mehrerer Magnetmaterialien. Die Remaneszenzflussdichte BR beschreibt die Flussdichte bei ideal kurzgeschlossenen Polflächen (ein Magnet, der von magnetisch ideal leitendem Eisen umfasst wird). Befindet sich in dem Eisenkreis ein Luftspalt, dann ergibt sich eine magnetische Feldstärke H als Last. Als Reaktion stellt sich ein Arbeitspunkt, wie hier exemplarisch auf der NdFeB Kennlinie für eine Flussdichte von -200 kA/m dargestellt, ein. Die tatsächlich zur Verfügung stehende Flussdichte an den Magnetpolen sinkt entsprechend. Da an elektrodynamische Aktoren für haptische Anwendungen hohe Anforderungen bezüglich ihrer Energiedichte gestellt werden, finden quasi ausschließlich Magnetmaterialien auf Basis seltener Erden (NdFeB, SmCo) Anwendung. Dies ist auch für den Entwurf der Magnetkreise vorteilhaft, da nichtlineare Effekte nahe der Koerzitieffeldstärken wie beim AlNiCo oder Barium-Ferrit keine Rolle spielen9 . Für die Seltene-Erd-Magneten lässt sich dank ihrer sehr linearen 9
Die geringe Koerzitieffeldstärke dieser Materialien hat z.B. zur Folge, dass ein im Eisenkreis eingebauter, aufmagnetisierter Magnet nach dem Entfernen und Wiedereinbau aus dem Kreis
9.2 Elektrodynamische Aktoren
219
B/H-Kennlinien der magnetische Widerstand in Form einer Geradengleichung definieren (siehe auch Abb. 9.8c): RMag =
Hc lMag V = φ Br A
1 Barium-Ferrit 2 AlNiCo 500 3 NdFeB kunststoffgebunden 4 SmCo5 5 Sm2Co17 6 NdFeB (N35) 7 NdFeB (N50)
(9.32)
B [T] Br
H [kA/m] Hc
Abb. 9.7 Entmagnetisierungskennlinien unterschiedlicher Dauermagnetstoffe [122] .
Mit diesem Wissen berechnet sich der magnetische Kreis entsprechend Abbildung 9.8a und dem zugehörigen Ersatzschaltbild (Abb. 9.8b) analog zu dem elektrisch erregten Eisenkreis. Für die Flussdichte im Eisen gilt erneut:
φ (9.33) A Für den gegebene Eisenkreis nehmen wir die Widerstände RmFe und RmG als bekannt bzw. berechenbar an. Aus Gleichung 9.32 kennen wir den magnetischen Widerstand des Permanentmagneten. Die Quelle im Ersatzschalbild wird bestimmt durch die Koerzitieffeldstärke und die Länge des Magneten Hc lMag . Damit ergibt sich B=
Hc lMag , RmFe + RmG + RMag
(9.34)
Hc lMag . (RmFe + RmG + RMag ) A
(9.35)
φ= und somit für die Flussdichte B=
(der temporären Vergrößerung des Luftspaltes) seine ursprüngliche Flussdichte nicht mehr erreicht. Weiterhin ist die Temperaturabhängigkeit der Koerzitieffeldstärke und der RemaneszenzFlussdichte so kritisch, dass niedrige Temperaturen knapp unter dem Nullpunkt eine Entmagnetisierung des Materials bewirken können.
220
9 Aktorentwurf
A N c)
lFe N S
lMag
f
xG
B
lMag
S
RmFe HClMag
a)
b)
RmG
RMag
Abb. 9.8 Magnetische Felderzeugung B über Permanentmagneten (a) und zugehöriges Ersatzschaltbild (b), sowie Detailskizze Magnet (c).
Etwas umgeformt und RMag eingesetzt ergibt sich die Beziehung B=
Br Hc
lMag A
(RmFe + RmG ) BR + Hc
lMag A
,
(9.36)
l
die durch den Faktor Br Hc Mag A verdeutlicht, dass es häufig sinnvoll sein kann für eine maximale Flussdichte B im Luftspalt den Magneten mit maximaler Länge bei gleichzeitig kleinstmöglicher Fläche (die durch den Arbeitshub und die Sättigungsfeldstärke im Eisenkreis bestimmt ist) zu betreiben.
9.2.1.4 Weitere Kopplungen in elektrodynamischen Aktoren Zur vollständigen Beschreibung eines elektrodynamischen Aktors gehören wenigstens drei weitere Effekt, die im Folgenden kurz in Ihren Auswirkungen skizziert werden.
Induktion Zur vollständigen Beschreibung eines elektrodynamischen Aktors gehört neben der Betrachtung des magnetischen Kreises sowie dem mechanischen Aufbau der Wicklung und der Verlustleistung auch seine elektrischen Eigenschaften. Der elektrodynamische Aktor ist bei dieser Betrachtung ein zweipoliger Transformator (Abb. 9.9).
9.2 Elektrodynamische Aktoren
i0
R
221
L
F0 F0=B l i0
u0
u1
v0
m
k
d
u1=B l v0 Abb. 9.9 Elektrische und mechanische Beschreibung eines elektrodynamischen Aktors als transformatorisches Ersatzschaltbild.
Ein Strom i0 erzeugt gekoppelt über die durch die Konstruktion festgelegte Propotionalitätskonstante B l eine Kraft F 0 , die den Aktor an diesem hängende Lasten in Bewegung versetzt. Die Bewegung selbst resultiert in eine Spannung v0 , die ihrerseits über das Induktionsgesetz über die Proportionalitätskonstante in eine induzierte Spannung u1 resultiert. Durch Messung von u1 kann bei Stromspeisung eines elektrodynamischen Aktors die Rotationsgeschwindigkeit bzw. die Bewegungsgeschwindigkeit bestimmt werden, bei Spannungsspeisung steht mit der Messung von i0 ein Kraft- bzw. Drehmomentenproportionales Signal zur Verfügung. Dies ist der Ansatz, der in den admittanzgeregelten Geräten von Haption für die Regelgröße verwendet wird (siehe Abschnitt 5.1.4). Die Induktion ist ein messbarer Effekt, muss aber auch nicht überschätzt werden. In der Regel werden elektrodynamische Aktoren bei haptischen Systemen als Direktantriebe bei kleinen Rotationsgeschwindigkeiten bzw. geringen Bewegungsgeschwindigkeiten eingesetzt. Typische Kopplungsfaktoren bei rotatorischen Antrieben liegen in Abhängigkeit der Baugröße im Bereich zwischen 100 bis 10 Umdrehungen , so dass bei einer für Direkantriebe bereits schnellen Drehzahl von 10 Hz sV eine induzierte Spannungsamplitude |u1 | von 0.1 bis 1V erreicht wird, was in der Regel zwischen 1% bis 5% der Steuerspannung des Antriebs liegt.
Elektrische Zeitkonstante Ein weiterer Aspekt, der sich aus der Modellvorstellung nach Abbildung 9.9 ergibt, ist die Betrachtung der elektrischen Übertragungseigenschaften. Typische Induktivitäten L elektrodynamischer Aktoren liegen im Bereich 0,1 mH bis 2 mH. Der ohm’sche Widerstand der Wicklungen ist in hohem Maßen vom Entwurf abhängig, bewegt sich aber häufig im Bereich 10 Ω bis 100 Ω . Die Sprungantwort i des elektrischen Übertragungssystems u0 hat demnach eine Zeitkonstante τ = RL = 0 10 μ s bis 30 μ s und liegt daher in einem Frequenzbereich »10 kHz und deutlich oberhalb der für haptische Anwendungen relevanten Dynamiken.
222
9 Aktorentwurf
Feldrückwirkung Ein nicht zu vernachlässigender Faktor bei elektrodynamischen Aktoren für hohe Kräfte, ist die Rückwirkung, die der magnetische Fluss der Wicklung zur elektrodynamischen Krafterzeugung auf die magnetische Flussdichte im Luftspalt haben kann. Betrachtet man den Aktor aus dem Eingangsbeispiel (Abb. 9.3 auf Seite 209) so ist bei positiven Strömen das durch die Spule erzeugte Feld dem durch den Magneten im Eisenkreis erzeugte Feld entgegen gerichtet. Es kann durch Substitution mit dem vom Magneten erzeugten, statischen Magnetfeld berücksichtigt werden. Je nach Bestromungsrichtung addiert sich das zusätzliche Magnetfeld auf das statische Grundfeld, oder es schwächt dieses. Bei ungünstigen Dimensionen und Auslegungen kann dies zu einer richtungsabhängigen Veränderung der Aktoreigenschaften führen. Die Schwierigkeit liegt hier weniger in einer potentiellen Schädigung des Magneten, die modernen Magnetmaterialien sind hinreichend stabil, sondern in einer Variation der im Luftspalt zur Verfügung stehenden Flussdichte. Eine tiefergehende Beschreibung elektrodynamischer Aktoren auf Basis konzentrierter Bauelemente ist in [153] zu finden.
9.2.2 Aktorentwurf Wie bereits zuvor erwähnt, bestehen elektrodynamische Aktoren aus drei Grundkomponenten: Spule/Wicklung, Eisenkreis, magnetische Erregung. Im Folgenden wird aufbauend auf diesen Grundkomponenten ein Vorgehen zum Entwurf elektrodynamischer Aktoren empfohlen. Da generell üblich, wird bei der magnetischen Erregung von einem Permanentmagneten als Quelle ausgegangen.
9.2.2.1 Aktor-Topologie Die grundsätzliche Frage am Anfang des Entwurfes eines elektrodynamischen Aktors liegt in der generellen Aktortopologie. Zumeist ist bekannt, ob das System translatorische oder rotatorische Bewegungen ausführen soll. Im Anschluss können die Komponenten Eisenkreis, Magnetanordnung, Polschuh sowie Spule nach belieben systematisch variiert werden. Auf diese Weise entstehen nahezu hundert sinnvolle Varianten. Einige wenige gängige und häufig umgesetzte Strukturen sind in Abbildung 9.10 für translatorische Aktoren und in Abbildung 9.11 für rotatorische Aktoren dargestellt. Beim Entwurf elektrodynamischer Aktoren sollte auch immer die Frage gestellt werden, ob die Spule oder der Eisenkreis bewegt wird. Durch diese Variation lassen sich häufig scheinbar komplexe räumliche Anordnungen deutlich vereinfachen. Man beachte jedoch, dass ein bewegter Eisenkreis oder Magnet schwerer und daher weniger dynamisch als eine bewegte Spule ist. Andererseits hat man keine Kontaktierungs- oder Kommutierungsprobleme bei fesstehenden Spulen.
9.2 Elektrodynamische Aktoren
223
FLorent z
FLorent z
FLorent z
FLorent z
Polschuh Wicklung
S
Rückschluss
S
S
N
N
S N
S N
N
a)
b)
c)
d)
Abb. 9.10 Varianten elektrodynamischer Aktoren für translatorische Bewegung mit bewegtem Magneten (a), bewegter Spule (b), als Tauchanker (c) sowie als Flachspule (d). rotating, self supported coil
I S N
N S Eisenrückschluss
a)
feststehender Magnet
b)
S N
Abb. 9.11 Varianten elektrodynamischer Aktoren für rotatorische Bewegung als selbsttragende Wicklung (a) und als Scheibenläufer-Wicklung (b).
Bewegte Spule Elektrodynamische Aktoren nach dem Prinzip der bewegten Spule mit feststehendem Magnetkreis, werden als “Tauchspule“ im translatorischen bzw. als “eisenloser Rotor“ im rotatorischen Fall verwendet. Sie weisen geringe bewegte Massen und daher eine hohe Dynamik bei Wegen von mehreren Millimetern auf. Sie werden vor allem im Audiobereich als Lautsprecher eingesetzt. Aktoren nach dem Prinzip der Tauchspule weisen zwei Nachteile auf:
224
9 Aktorentwurf
• Da die Spule bewegt wird, ist die elektrische Kontaktierung mechanischen Belastungen ausgesetzt. Bei großem Hub des Aktors muss sie dementsprechend stabil sein. • Möchte man Tauchspulen als reine Kraftquellen mit großem Hub ausführen, dann ist nur ein geringer Prozentsatz der stromdurchflossenen Wicklung innerhalb des Luftspaltes und somit an der Krafterzeugung beteiligt. Bei hohen Hüben haben Tauchspulen einen geringen Wirkungsgrad. Dies kann durch ein Schalten der relevanten Spulenbereiche kompensiert werden, was aber mehr Zuleitungen erfordert. Ähnlich verhält es sich mit rotatorischen Systemen. Basierend auf dem elektrodynamischen Prinzip gibt es zwei Typen von Wicklungen, die für rotatorische Servosysteme zum Einsatz kommen: die FAULHABER und die M AXON-Wicklung der gleichnamigen Hersteller. Diese Aktoren sind insbesondere als “eisenlose Motoren“ bekannt. Beide Wicklungsprinzipien ermöglichen die Herstellung freitragender Spulen, die durch die schräge Anordnung der Leiterbahnen nach einem Backvorgang eine ausreichende Stabilität gegen die im Betrieb wirkenden Fliehkräfte haben. Die verbackenen Leiterbahnen werden über eine Scheibe mit der Achse verbunden und bilden den kompletten Rotor des Antriebs (Abb. 9.12). Durch die geringe rotierende Masse der Wicklung weisen derartige Aktoren ein exzellentes Dynamikverhalten auf. Dies ermöglicht es, dass die Wicklung um einen feststehenden, diametral magnetisierten Magneten angeordnet wird. Dadurch ist eine weitere Volumenreduktion gegenüber konventionellen Aktoren möglich, da die Gehäusung lediglich den Eisenrückschluss des Magnetkreises bilden muss.
Anschluss Kabel
Bürstenkappe Lager 2 Gehäuse
Kommutator Träger Selbsttragende Korbwicklung Wicklung
Achse
Permanentmagnet Lager 1
Abb. 9.12 Aufbau eines elektrodynamischen Aktors mit freitragender Wicklung nach dem FAUL HABER Prinzip [95].
In der selbsttragenden Spule selber sind Bereiche parallel verlaufender Leiter zu Polen zusammengefasst10. Bei bewegter Spule ist immer eine Form von spezieller 10
Die FAULHABER und die M AXON Wicklungen zeichnet es aus, dass durch die geschickte Wickeltechnik in Form eines rotierenden Zylinders bzw. einer flach gedrückten Vierkantwicklung das
9.2 Elektrodynamische Aktoren
225
Kontaktierung notwendig, die entweder über Schleifringe und elektronische Kommutation oder über mechanische Schaltvorgänge erreicht werden muss. Die oben genannten freitragende Wicklungen sind in Abhängigkeit der Polzahl an mehreren Stellen kontaktiert. Die Kontaktierungen werden auf die Achse des Rotors geführt und über Bürsten mit dem feststehenden Teil des Antriebes, dem Stator, verbunden. Diese Anordnung ermöglicht eine kontinuierliche Bewegung des Rotors, wobei die Veränderung des Stromflusses in der Wicklung rein mechanisch über das gleiten der Bürsten über die Kontaktstellen der Wicklungsabschnitte auf der Achse erfolgt. Diese mechanische Kommutation ist ein Schaltvorgang mit einer parallel geschalteten Induktivität. Da diese Antriebe dank ihrer mechanischen Kommutierung direkt an eine Gleichspannung angeschlossen werden können, werden sie auch als DC-Antriebe bezeichnet. Der Term “DC-Antrieb“ beschränkt sich aber nicht auf Aktoren nach dem elektrodynamischen Prinzip, sondern kann auch auf Antriebe nach einem elektromagnetischen Prinzip verwendet werden.
Bewegter Magnet Aktoren nach dem Prinzip des bewegten Magneten haben im translatorischen (Abb. 9.10a) Fall zum Ziel, große Hübe mit kompakten Wicklungen zu ermöglichen. Der bewegte Teil des Aktors besteht fast vollständig aus magnetischem Material, dessen Polarisationsrichtung in unterschiedlichen Ausführungsformen variieren kann. Aktore nach diesem Prinzip können sehr hohe Leistungen umsetzen, sind aber durch die große Menge an Magnetmaterial teuer. Weiterhin ist der bewegte Magnet schwer, die Dynamik des Aktors ist somit geringer als im Fall der bewegten Spule. Im Falle rotatorischer Systeme ist der prinzipielle Aufbau eines Antriebs mit bewegtem Magneten dem eines Antriebs mit feststehenden Magneten vergleichbar. Abbildung 9.13 zeigt einen solchen Antrieb. Die gestellfeste Wicklung ist mit den zu Strängen zusammengefassten Leiterbahnen um einen diametral magnetisierten Magneten angeordnet. Dieser rotiert auf einer Achse, die zumeist auch den Eisenrückschluss bewegt. Der bewegte Eisenrückschluss minimiert Wirbelströme durch das bewegte Magnetfeld des Rotors. Um die Leiterbahnen richtig zu bestromen ist eine Kenntnis der Rotorlage notwendig. Zu diesem Zweck werden Sensoren genutzt, die über den Halleffekt oder auch über eine Kodierscheibe die Winkellage messen. Elektrodynamische Antriebe mit bewegtem Magneten werden als EC-Antriebe (Electronic-Commutated) bezeichnet. Da aber auch elektronisch kommutierte elektromagnetische Antriebe existieren, wird auch diese Bezeichnung nicht exklusiv für Antriebe nach dem elektrodynamischen Prinzip verwendet.
Zusammenfassen in Pole mit der Kontaktierung eines nicht unterbrochenen Drahtes an einzelnen Punkten erreicht werden kann.
226
9 Aktorentwurf
Abb. 9.13 Komponenten eines EC Antriebs und äquivalentes Ersatzschaltbild.
Elektronisch kommutierte Aktoren (ob elektrodynamisch oder elektromagnetisch) werden in Zusammenschluss mit den geeigneten Treiberstufen häufig auch als Servoantriebe bezeichnet. Unter einem Servoantrieb wird dann ein Aktor verstanden, der in der Lage ist ein definiertes Bewegungsprofil abzufahren. Servoantriebe sind für kinästhetische haptische Geräte nur selten sinnvoll einzusetzen. Häufig werden daher EC-Antriebe mit für haptische Anforderungen geeignete Treiberstufen ausgestattet. 9.2.2.2 Kommutierung bei haptischen Systemen Die insbesondere bei rotatorischen Aktoren immer notwendige Kommutierung zur Strom-Weiterschaltung hat Einflüsse auf die Güte der Kraft- bzw. Drehmometenausgabe. Mechanisch kommutierte Aktoren Bei mechanisch kommutierten Aktoren wird der Stromfluss plötzlich unterbrochen. Es entstehen zwei Effekte schaltender Kontakte: Die Spannung an den Kontaktstellen steigt, es kann zu Funkenbildung - dem sogenannten “Bürstenfeuer“ kommen. Weiterhin induziert der verbleibende Stromfluss in der abgeschalteten Wicklung ein Drehmoment, das am Abtrieb messbar wird. Abbildung 9.14b zeigt die Messung einer Kraft auf einem von einem Aktor angetriebenen Stab entsprechend Abbildung 9.14a. Die Kraftspitzen können deutlich werden, da sie um ≈ 100 mN die Grundkraft von 1, 3 N, also um 8%, übersteigen. Transformiert man die Messkurve in den (Abb. 9.14c) nach der Methode Bewertung haptischer WahrWahrnehmungsraum K nehmung (Abschnitt 4.3), dann wird der Unterschied noch deutlicher. Die durch die Kommutierung hervorgerufenen Wahrnehmungsspitzen übersteigen die kontinuierliche Wahrnehmung um 25%. Diese Überhöhung ist darauf zurückzuführen, dass die niederfrequente Schwingung deutlich gedämpft wird, während die Kommutierungsspitzen, relativ zum Rauschen verstärkt werden. Die hohen Frequenzen der
9.2 Elektrodynamische Aktoren
227
steilen Kommutierungsflanken bestimmen überproportional die haptische Wahrnehmung. 2
2x10
-6
Fab
1.6 1.4 1.2
Weg
MMotor a)
Fab [fOsc]
Fab [N]
1.8
1
b)
1x10-6 10 20
30
Weg [mm] c) 10
20
30 20
Weg [mm]
Abb. 9.14 Gemessene und wahrgenommene Kraft bei einem mechanisch kommutierten Aktor. a) Messanordnung, b) gemessener Kraftverlauf, c) wahrgenommener Kraftverlauf nach der FIPMethode.
Die Strom- und Momentenüberhöhungen können zwar durch Einbringen von Widerständen und Kapazitäten in der Wicklung reduziert werden. Dies führt jedoch zu höheren Massen des Rotors und schlechteren Dynamikeigenschaften. Außerdem ist eine vollständige Kompensation nicht möglich. Dennoch werden mechanisch kommutierte Antriebe für kostengünstige haptische Systeme eingesetzt. Das Phantom Omni von Sensable sowie der Falcon von Novint haben derartige Aktoren.
Elektronisch kommutierte elektrodynamische Aktoren Elektronisch kommutierte elektrodynamische Aktoren unterscheiden sich in der Messtechnik, die zur Winkelmessung und somit als Basis für das Schalten der Ströme verwendet wird. Es gibt vier gängige Verfahren: • Bei sensorlosen Verfahren (Abb. 9.15a) wird die in einer Wicklung induzierten Spannung gemessen. Beim Null-Durchgang wird eine Wicklung entsprechend einer Drehzahl nach extrapolierten 30◦ mit einer Spannung beaufschlagt. In der Kombination von Messung der Induktion und nachgeschalteten Spannungsaufschlag erfolgt eine kontinuierliche Drehbewegung mit “schubweiser“ Anregung. Dieses Verfahren ist für langsame Drehzahlen durch die dann geringe, induzierte Spannung und den damit schwierig zu bestimmenden Schaltpunkt, und aufgrund hoher Drehmoment-Schwankungen von bis zu 20% für haptische Anwendungen nicht geeignet. • Blockkommutierungsverfahren (Abb. 9.15b) basieren auf dem Einsatz einfacher Hall-Schalter oder Feldplatten zur Lagedetektion des Rotors. Drei um 120◦ phasenversetzte Sensoren ermöglichen die Detektion von sechs unterschiedlichen
228
9 Aktorentwurf
Rotorlagen. Entsprechend dieser Rotorlagen werden diskret die Wicklungen angesteuert. Die Reduktion auf insgesamt sechs Zustände pro Umdrehung machen auch diese Verfahren nur schlecht geeignet für haptische Systeme. Die Drehmomenten-Schwankungen liegen auch hier bei >15% auf einer Umdrehung. • Sinus-Kommutierungsverfahren mit analogen Signalen basieren auf der Messung der Rotorlage über wenigstens zwei Hall-Sensoren. Diese sind mit einem Winkel von meist 120◦ oder 90◦ an der Stirnseite des Rotors befestigt. Sie liefern ein rotorlage-proportionales Signal mit einem Phasenversatz, meist eine analoge Spannung, entsprechend ihrer konstruktiven Anordnung. Dies ermöglicht über Vorzeichenbetrachtung der Spannungen und Auswertung ihrer Höhe eine absolute Lageinformation zu errechnen, und für die Kommutierung der Antriebe zu verwenden. Weisen die Sensoren einen Phasenversatz auf, der identisch mit der Lage der Wicklungen ist, dann ist eine direkte Steuerung der Stromtreiber über das analoge Signal ohne zwischengelagerten Rechenschritt möglich. • Sinus-Kommutierungsverfahren mit digitalen Codescheiben (Abb. 9.15c) basieren auf der Messung der Rotorlage über eine zumeist optische Codescheibe. Durch reflektive oder transmittive Messung wird die Rotorlage mit hoher Auflösung (z.B. 128 Positionen / Umdrehung) abgetastet. Diese relative Lageangabe kann nach einmaliger Kalibrierung zur inkrementellen Positionsmessung genutzt werden. Je nach Auflösung der Codescheibe ist eine sehr glatte sinusförmige Ansteuerung der Wicklung möglich. Die Sinus-Kommutierungsverfahren stellen aufgrund ihrer Eignung für langsame Drehzahlen und ihrer geringen Drehmomentenschwankungen in Abhängigkeit der Rotorlage die bevorzugte Ansteuerung elektronisch kommutierter Aktoren für haptische Systeme dar.
9.2.3 Aktorelektronik Zum Betrieb elektrodynamischer Aktoren sind einige spezifische Schaltungen notwendig. Im folgenden Abschnitt werden die gängigen Anforderungen an diese Elektroniken erläutert.
9.2.3.1 Treiberstufen Treiberstufen sind elektronische Schaltungen, die ein Signal niedriger Leistung (einige Volt, wenige Milliampere) in einen zum Antrieb eines Motors geeigneten Spannungs- und/oder Strompegel wandeln. Für elektrodynamische Aktoren in haptischen Anwendungen ist es in der Regel notwendig Treiberstufen zu entwickeln, die einen geregelten Strom in einem weiten Dynamikbereich bis einige Kiloherz zur Verfügung stellen. Dieser Abschnitt beschreibt generelle Konzepte und Ansätze für deratige Schaltungen.
9.2 Elektrodynamische Aktoren
229
Abb. 9.15 Technologien unterschiedlicher Kommutierungsverfahren: Sensorlos (a), Blockkommutierung (b) und optische Codescheibe (c)
Topologie elektronischer Quellen Treiberstufen für Antriebe, unabhängig von dem zu Grunde liegenden Aktorprinzip, werden entsprechend der vom Treiber zugelassenen Flussrichtung elektrischer Energie (Abb. 9.16) klassifiziert. Man unterscheidet vier Klassen an Treiberstufen: • 1-Quadranten Regler können nur positive Ströme bei positiver Spannung generieren. Ein angeschlossener Antrieb ist in der Lage, in eine definierte Richtung zu drehen. Sie arbeiten ausschließlich im 1. Quadranten entsprechend Abbildung 9.16a. • Geschaltete 1-Quadranten Regler ermöglichen eine Richtungsumkehr der Bewegung durch ein Logiksignal. Sie arbeiten im 1. und 3. Quadranten entsprechend Abbildung 9.16a, haben aber durch das Schalten einen nichtlinearen Sprung in Ihrer Kennlinie nahe des 0-Punkts (Abb. 9.16b). • Echte 2-Quadranten Regler sind in der Lage eine im Nullpunkt stetige Kennlinie zu erzeugen. Sie arbeiten im 1. und 3. Quadranten entsprechend Abbildung
230
9 Aktorentwurf
9.16a, sind aber nicht für unterschiedliche Flussrichtungen für Strom und Spannungen vorgesehen. • Vier-Quadranten Regler arbeiten in allen Quadranten entsprechend Abbildung 9.16a. Sie sind in der Lage Ströme bei beliebigen Spannungspegeln (oder umgekehrt) zu regeln. In mobilen Antriebs-Anwendungen erlauben Vier-QuadrantenRegler eine Rückspeisung der induzierten Ströme in einen Energiespeicher. Für haptische Geräte ist einerseits der geschaltete 1-Quadranten Regler interessant, da für viele haptische Systeme keine Notwendigkeit einer Steuerung des Gerätes um den Spannungs- und Strom-Nullpunkt besteht. Andererseits ist für Systeme mit hoher Dynamik und geringer Impedanz der 2-Quadranten-Regler oder auch der 4-Quadranten Regler relevant, da bei solchen Systemen die aus der Unstetigkeit resultierende Hysterese im Schaltpunkt spürbar würde.
2-Quadranten Regler
U 2. Quadrant Generatorbetrieb Drehrichtung 1
Geschalteter U 1-Quadranten Regler
1. Quadrant Motorbetrieb Drehrichtung 1
I
I 3. Quadrant Motorbetrieb Drehrichtung 2
M
U I
4. Quadrant Generatorbetrieb Drehrichtung 2
a)
b)
Abb. 9.16 Darstellung der vier Quadranten eines Motorbetriebs im durch Strom und Spannung aufgespannten Arbeitsraum
Pulsweitenmodulation und H-Brücke Mit Ausnahme von wenigen Telemanipulationssystemen sind die die Aktoren steuernden Quellen immer digitale Prozessoren. Da die Aktoren ein analoge Spannung oder Strom benötigen, um Kräfte bzw. Drehmomente zu generieren, ist eine Wandlung zwischen dem digitalen Signal und der analogen Steuergröße notwendig. Hierzu existieren zwei gängige Verfahren: 1. Verwendung eines digital-analog Wandlers (D/A-Wandlers) 2. Verwendung einer Puls-Weiten-Modulation (PWM) Die Verwendung von A/D-Wandlern als externe Bausteine oder integriert in Mikrocontrollern wird nicht weiter behandelt, da sie einerseits sehr einfach ist, andererseits aber durch die relativ hohen Kosten verursacht durch den Schaltungsaufwand
9.2 Elektrodynamische Aktoren
231
im Mikrocontroller üblicherweise nicht eingesetzt wird. Das Mittel der Wahl für Treiberschaltungen elektrodynamischer Aktoren zur Wandlung zwischen digitaler und analoger Größe stellt die PWM dar (Abb. 9.17a). Bei der PWM wird ein digitaler Ausgang eines Controllers mit hoher Frequenz (>10 kHz)11 geschaltet. Die Periode der PWM ist dabei festgelegt, über das Programm wird das Tastverhältnis zwischen Einschalt- und Ausschaltzeit eingestellt. In der Regel steht dafür ein Byte zur Verfügung, was einer Auflösung von 256 Stufen innerhalb einer Periode entspricht. Wird das PWM Signal gefiltert, entweder durch einen elektrischen Filter oder durch ein mechanisches Tiefpass-Übertragungsverhalten im Motor selber, ergibt sich ein geglättetes Ausgangssignal. Umax
Uout/Uin
t
µC
f
t
Iout
a)
U
S2 I
S1 S2
S3 M
S4 b)
U
S5
U
I
RSense
S4
S3 M S5
c) USense ~ I
Abb. 9.17 Prinzip der Puls-Weiten-Modulation (PWM) an einem digitalen μ C-Ausgang (a), Prinzip der H-Brücken-Schaltung (b) und erweiterte H-Brücke mit PWM (S1) Strommessung an (RSense )(c)
11 Übliche PWM Frequenzen liegen bei 20 KhZ oder 50 kHz. Dennoch werden im Bereich der Automobilindustrie für Stromtreiberschaltungen von LEDs auch PWMs mit Frequenzen deutlich unter 1 kHz genutzt. Frequenzen in diesem Bereich sind für haptische Anwendungen ungeeignet, da das Schalten durch den Aktor übertragen wird, und daher wahrgenommen werden kann. Übliche Gerätedesigns haben zwar auch bei einigen hundert Herz bereits ein stark gedämpftes Übertragungsverhalten zwischen Eingangssignal und generierter Kraft am Ausgang, dennoch ist durch die Sensitivität der taktilen Wahrnehmung im Frequenzbereich um 200 Hz erhöhte Aufmerksamkeit bezüglich schaltender Signale notwendig.
232
9 Aktorentwurf
Puls-Weiten-Modulationen werden häufig in Verbindung mit H-Brücken eingesetzt (Abb. 9.17b). Die Bezeichnung H-Brücke kommt von dem H-förmigen Bild des Motors umgeben von vier Schaltern. Die H-Brücke kennt zwei Betriebszustände für zwei Bewegungsrichtungen und zwei Bremszustände. Werden entsprechend Abbildung 9.17b die Schalter S2 und S5 geschaltet, dann fließt der Strom I in positiver Flussrichtung durch den Motor M. Werden stattdessen die Schalter S3 und S4 geschaltet, dann fließt der Strom I in negativer Flussrichtung. Ein zusätzliches, digitales Signal, das auf die H-Brücke wirkt ermöglich die Motordrehrichtung umzukehren. Dies ist das gängige Verfahren bei geschalteten 1-Quadranten Reglern. Weitere Schaltzustände sind das Schließen der Schaltergruppen S2 und S3 bzw. S4 und S5. Beides bewirkt einen Kurzschluss des Motors und bremst somit dessen Betrieb. Nicht zulässige Zustände sind das gleichzeitige Schalten von S2 und S4 bzw. S3 und S5, was immer in einen Kurzschluss der Versorgungsspannung führt und in der Regel in eine Zerstörung der zum Schalten verwendeten Halbleiter. Um die H-Brücke mit einer PWM zu kombinieren, können nun entweder die Schaltergruppen S2 und S5 im Takt der PWM geschaltet werden, oder ein weiterer Schalter S1 (Abb. 9.17c) wird in Reihe mit der H-Brücke geschaltet, der die Versorgungsspannung U moduliert. In der praktischen Realisation wird letzteres bevorzugt umgesetzt, da das Timing der Schaltvorgänge an S2 bis S5 kritisch ist, um eventuelle Kurzschlüsse der Versorgungsspannungen zu vermeiden. Der Aufwand dies in der Geschwindigkeit einer PWM durchzuführen ist zumeist deutlich höher, als die Kosten eines weiteren Schalters. Die praktische Umsetzung von H-Brücken erfolgt über Feldeffekt-Transistoren. Der diskrete Aufbau von H-Brücken ist möglich, aber nicht einfach. Insbesondere das exakte Timing der Schaltvorgänge, das Verhindern von kurzzeitigen Kurzschlüssen während des Schaltens, und die Absicherung der Elektronik gegen Induktionsströme durch das Schalten ist nicht trivial. Am Markt existieren eine Vielzahl von integrierten Bausteinen, die bereits entsprechende Schutzschaltungen vorsehen und nach außen ein Minimum an Steuerleitungen zur Verfügung stellen. Die ICs L6205 (2A), L293 (2.8A) und VNH 35P30 (30A) seien hier als für Experimentalaufbauten geeignete Beispiele genannt. Für EC-Antriebe gibt es weiterhin spezielle Bausteine, welche das Timing der Feldeffekt-Transistoren übernehmen und die Anzahl an benötigten PWMs am Mikrocontroller reduzieren. Die IR213xx Serie beispielsweise schaltet drei Kanäle mit je einer externen Halbbrücke aus N-MOS Transistoren mit einem sicheren Timing der Schaltvorgänge. Die oben beschriebene PWM mit H-Brücke entspricht einer gesteuerten Spannungsquelle. Für elektrodynamische Systeme ist eine deartige Ansteuerung zumeist hinreichend für einen akzeptablen haptischen Eindruck. Dennoch muss bei hochdynamischen Systemen mit einer Gegeninduktion (Abschnitt 9.2.1.4) aus der Bewegung gerechnet werden, was bei einer gesteuerten Spannungsquelle in eine Variation des Stroms in der Spule resultiert und somit in einer unkontrollierten Änderung der L ORENTZ-Kraft. Weiterhin kann die hohe umgesetzte Verlustleistung in den Spulen (Abschnitt 9.2.1.1) in eine erhöhte Temperatur an der Spule und daher zu einer temperaturabhängige Veränderung der Leitfähigkeit des Kupfermaterials führen. Der mit steigender Temperatur steigende Spulenwiderstand wird bei einer gesteuerten Spannungspeisung zu einen geringeren Stromfluss führen. Ein Aktor wird alleine
9.2 Elektrodynamische Aktoren
233
durch die Spannungsspeisung nach längerer Betriebsdauer und gestiegener Temperatur im Aktor-Inneren eine geringere Kraft bei gleicher Steuergröße generiert. Es ist daher bei entsprechend hohen Anforderungen an die Güte des haptischen Eindrucks sinnvoll, einen Stromregler zu integrieren. Hierzu kann im Falle der PWM ein niederohmiger Messwiderstand (RSense in Abbildung 9.17c) integriert werden, an dem eine Strom-proportionale Spannung USense über eine A/D-Wandlung gemessen wird. Im Mikrocontroller wird dann der Stromregelkreis geschlossen. Sowohl die A/D-Wandlung wie auch die Regelung ist aber für hoch-dynamische Systeme im Bereich von Dynamiken bis zu mehreren Kilohertz zeitlich kritisch und stellt hohe Anforderungen an die regelnde Elektronik. Es ist daher üblich, bei der Anforderung an geregelte Ströme auch analoge Stromquellen in Betracht zu ziehen.
Analoge Strom-Quellen Analoge Stromquellen sind vereinfacht formuliert gesteuerte Widerstände im Strompfad des Antriebs, die dynamisch an den gewünschten Stromfluss angepasst werden können. Identisch zu klassischen Widerständen setzen analoge Stromquellen bei einer zur Verfügung gestellten konstanten Spannung, die nicht im Antrieb benötigte Leistung in Wärme um. Sie sind also im Gegensatz zu den geschalteten Quellen mit hohen Verlusten behaftet. Zwei generelle Schaltungsausführungen sind in Abbildung 9.18 dargestellt. Durch die Verwendung eines diskreten Stromreglers (Abb. 9.18a) können analoge Stromquellen mit nur durch die Feldeffekt-Transistoren (FET) begrenzten, nahezu beliebigen Ausgangsströmen aufgebaut werden. Diese müssen zur Wärmeabfuhr auf entsprechend Kühlkörper gesetzt werden. An die Operationsverstärker bestehen nur geringe Anforderungen. Diese Regeln die FET im linearen Bereich proportional der über RSense abfallenden Spannung, die ihrerseits proportional zum Stromfluss im Motorpfad ist. Je nach dem im Betrieb genutzten Quadranten (1 oder 3) ist entweder der N-MOS Transistor oder der P-MOS Transistor leitend. Deutlich weniger Komponenten und im Aufbau auch weniger fehleranfällig ist die Verwendung von Leistungs-Operationsverstärkern (z.B. LM675, Abb. 9.18b). Als nicht-invertierender oder invertierender Operationsverstärker beschaltet, können diese über einen Messwiderstand RSense als spannungsgesteuerte Stromquelle genutzt werden.
9.2.3.2 Temperaturüberwachung Durch den geringen Wirkungsgrad und die hohe Verlustleistung bei elektrodynamischen Aktoren, ist häufig eine Temperaturüberwachung in den Spulen sinnvoll. Anstatt einen Messwiderstand wie den PT100 in Spulennähe zu platzieren, ist ein gängiges Verfahren die Überwachung des ohm’schen Widerstands der Spule selber. Entsprechend dem Wicklungsmaterial (z.B. Kupfer, Cu) ist die Leitfähgikeit der Spule proportional von der Spulentemperatur abhängig. Bei Kupfer beträgt dieser Faktor 0,39% pro Kelvin Temperaturänderung. Da bei den Treiberschaltungen ent-
234
9 Aktorentwurf U+ RSense + +
10k
U-
PMOS -
1k
+ 1k + Uin -
a)
NMOS
RSense = 4 W
U+ 10k
Uin
Iout
Iout
M 1k RSense -
M
b)
U-
Abb. 9.18 Diskreter Stromregler [247] (a) und Stromregler mit Leistungs-Operationsverstärker (b)
weder Strom oder die Spannung am Aktor durch die Steuergröße bekannt sind, ist eine Temperaturüberwachung durch die Messung der jeweils anderen Größe problemlos möglich.
9.2.4 Beispiele elektrodynamischer Aktoren in haptischen Geräten Elektrodynamische Aktoren werden vor allem als Kraft- bzw. Momentenquellen in kinästhetischen Systemen eingesetzt. Insbesondere EC-Antriebe finden sich in den Produkten von Quanser, Forcedimensions, Immersion oder Sensable wieder. Mechanisch kommutierte elektrodynamische Aktoren werden in kostengünstigen kinästhetischen Systemen, wie dem Phantom Omni oder dem Novint Falcon eingesetzt. Für taktile Anwendunge kommen sie in Form von Tauchspulantrieben zur Schwinungserzeugung zum Einsatz. Die Möglichkeit über den Spulenstrom Frequenz und Amplitude unabhängig voneinander zu steuern macht die Antriebe für Taktoren interessant. Taktoren (Abb. 9.19) sind kleine, scheibenförmige Aktoren, die z.B. in Kleidung oder mobile Geräte eingesetzt werden können, um Informationen über taktile Stimulation kleiner Hautareale zu vermitteln.
9.2.4.1 VDO-Kreuzspulsystem Neben freitragenden Spulen sind elektrodynamische Aktore nach dem Kreuzspulsystem eine weitere Möglichkeit, definierte Drehmomente zu erzeugen. Continental VDO (ehemals Siemens VDO, Mannesmann VDO) hat Anfang 2000 einen haptischen Drehsteller als zentrales Bedienelement für die Anwendung im Automo-
9.2 Elektrodynamische Aktoren
235
Abb. 9.19 Elektrodynamischer Tatkor von Frequenzbereich zwischen 100 Hz und 800 Hz.
Audiological
Engineering
Inc..
Arbeits-
bil entwickelt (Abb. 9.20). Er besteht aus einem diametral magnetisierten NdFeBMagnet, der rotatorisch gelagert ist. Der Magnet ist von einem Eisenrückschluss umgeben. Die Feldlinien verlaufen von dem Zylindermagneten zum Eisenrückschluss. Die um 90◦ versetzten Spulen umschließen diesen Magneten, die elektrodynamisch wirksamen Wicklungsanteile liegen im Luftspalt zwischen Eisenrückschluss und Magnet. Die Lagemessung erfolgt über zwei um 90◦ zueinander versetzte HallSensoren. Der Antrieb ist in der Lage ≈ 25 mNm Drehmoment bei einem Durchmesser von 50 mm zu erzeugen.
Kreuzspulsystem
Eisenrückschluss
Magnet N
S
Leiterplatte Hall-Sensoren
Abb. 9.20 Elektrodynamisches Kreuzspulsystem mit bewegtem Magneten als haptischer Drehsteller.
236
9 Aktorentwurf
9.2.4.2 H ANNAFORD-Flachspulsystem Das Flachspulsystem (Abb. 9.21) von der Arbeitsgruppe um H ANNAFORD ist Teil eines Fingertip-Haptic-Displays. Die Aluminium-Spule (geringerer spezifischer Widerstand als Kupfer) wurde in der Ebene gewickelt und ist über einen Backvorgang selbsttragend fixiert worden. Sie ist zur besseren thermischen Ableitung der Verlustleistung in einen Aluminium Träger eingebettet, der an einer Achse rotatorisch aufgehängt ist. Der Magnetkreis schließt sich über zwei Schenkel dieser Spule durch diametral magnetisierte Flachmagnete. Das System ist in der Lage Drehmomente von 160 mNm und mehr zu erzeugen. Das Wärmemanagement zur Abführung der Verlustleistung und die Analysen zur Konvektion sind in [155] beschrieben. Magnetpole
N
Wicklung Spulenträger
Drehachse
I S
Abb. 9.21 Elektrodynamisches Flachspulsystem zur Erzeugung von Kräften auf die Fingerkuppen[155].
9.2.4.3 K UNSTMANN-Telemanipulator Das elektrodynamische haptische Gerät des K UNSTMANN-Telemanipulators ist teil eines Mikromontage-Arbeitsplatzes. Ziel war es auf zwei Fingerkuppen sowie zur Schwerkraftgenerierung Kräfte zu erzeugen. Hierzu wurde eine Lösung (Abb. 9.22) bestehend aus einer rechteckig gewickelten Flachspule gewählt, die über ein Eisenjoch geführt ist. Über diametral magnetisierte Flachmagnete wird ein normal zum Joch stehendes B-Feld erzeugt. Die langen Seiten der Spule sind somit elektrodynamisch wirksam. Es können Kräfte von bis zu 3 N im Dauerbetrieb erzeugt werden.
9.2.4.4 D OERRER-HapKeys Die HapKeys von D OERRER wurden bereits in Abschnitt 2.2.5.2 erwähnt. Die zu Grunde liegenden elektrodynamische Linearaktoren basieren auf einem gleitgela-
9.2 Elektrodynamische Aktoren
237
Abb. 9.22 Elektrodynamisches Rechteck-Flachspulprinzip ähnlich einer Tauchspule[142].
gerten, bewegtem Magneten mit Polschuhen innerhalb von zylindrisch gewickelten, feststehenden Spulen mit Innendurchmesser 5,5 mm und Außendurchmesser 8 mm. Der Eisenrückschluss ist ein von den benachbarten Elementen magnetisch entkoppeltes, 0,7 mm starkes Rohr aus einer Cobald-Eisen Legierung mit besonders hoher Sättigungsflussdichte. Die Kräfte pro Aktor erreichen bis zu 1 N im Dauerbetrieb.
Abb. 9.23 Elektrodynamischer Linearaktor mit bewegtem Magneten [46].
238
9 Aktorentwurf
9.2.5 Fazit zum Entwurf elektrodynamischer Aktoren Elektrodynamische Aktoren stellen durch ihre Proportionalität zwischen der Steuergröße Strom und der Ausgangsgröße Kraft oder Drehmoment das bevorzugte Aktorsystem für kinästhetische Impedanz-gesteuerte Geräte dar. Der Markt bietet durch DC- und EC-Antriebe eine Vielzahl von Lösungen, so dass für jede Anwendung ein Kompromiss aus haptischer Güte und Preis des Aktors gefunden werden kann. Sind spezielle Anforderungen zu erfüllen, dann ist die Auslegung, Konstruktion und Inbetriebnahme spezieller elektrodynamischer Aktoren relativ einfach. Die Schwierigkeiten durch thermische und magnetische Auslegung sind überschaubar, so lange einige Grundregeln beachtet werden. Die Beispiele für spezielle haptische Systeme aus den vorangegangenen Abschnitten belegen dies eindrücklich. Alleine die für haptische Geräte geeigneten Treiberelektroniken mit den Anforderungen an eine schnelle Stromregelung und echtem 2-Quadranten-Betrieb stellen immer noch eine Ausnahme im Katalog der auf die Automatisierungstechnik fokussierten Hersteller dar, und müssen daher meist selbst gebaut oder teuer eingekauft werden. Kommerzielle Hersteller haptischer Geräte, z.B. Quanser, bieten daher ihre Haptik-geeigneten Treiberstufen unabhängig von ihren eigenen Systemen am Markt an. Für den Entwurf von niedrig-Impedanzsystemen führt aktuell kein Weg an Antrieben nach dem elektrodynamischen Prinzip vorbei. Andere in diesem Buch ebenfalls vorgestellte Aktorprinzipien benötigen durch die hohe innere Reibung eine Regelung inklusive einer irgendwie gearteten Messtechnik in Form zusätzlicher Sensoren oder der Überwachung innerer Aktorgrößen, um ähnlich leichtgängig und dynamisch eingesetzt werden zu können. Diesen großen Vorteil elektrodynamischer Systeme erkauft man sich mit dem geringen Wirkungsgrad und den damit relativ niedrigen Energiedichten pro Bauvolumeneinheit des Aktors.
9.3 Elektromagnetische Aktoren
239
9.3 Elektromagnetische Aktoren T HORSTEN A. K ERN
Elektromagnetische Aktoren stellen in der allgemeinen Automatisierungstechnik die verbreitetsten Antriebsprinzipien dar. Sie sind durch die einfache Herstellung, die nicht zwingende Notwendigkeit eines Magneten und ihre Robustheit bezüglich äußerer Einflüsse das Mittel der Wahl, um in Haushaltsantrieben von Waschmaschine und Trockern bis hin zur Wasserpumpe im Kaffeeautomaten oder der Umlenkung von Papierwegen im Drucker eingesetzt zu werden. Dennoch ist ihre Nutzbarkeit für den Entwurf haptischer Geräte vielfach nicht gegeben. Der Schwerpunkt ihrer Anwendung in der Haptik liegt in taktilen Systemen, was durch die spezifischen Eigenschaften elektromagnetischer Wirkprinzipien begründet ist. In diesem Kapitel wird die theoretische Grundlage für das Verständnis eletkromagnetischer Aktoren gelegt. Es werden technische Umsetzungen an einigen Beispielen gezeigt, wobei zuerst allgemeine Konstruktionen und später spezifische Aktoren vorgestellt werden. Das Kapitel schließt mit einigen Beispielen aus haptischen Anwendungen elektromagnetischer Aktoren.
9.3.1 Magnetische Energie Die einer Bewegung in einem magnetischen Antrieb zu Grunde liegende Größe ist die magnetische Energie. Sie wird in den flussführenden Elementen des Antriebes gespeichert. Zu diesen flussführenden Elemten zählen der Eisenkreis (vergleiche auch Abschnitt 9.2.1.3 auf Seite 212) und der Luftspalt, sowie alle Streufelder, die hier aber nicht weiter betrachtet werden. Aus Tabelle 9.2 auf Seite 213 ist bekannt, dass die gespeicherte magnetische Energie in einem magnetischen Kreis die Produkte der Flüsse und magnetischen Spannungen in jedem Element des Kreises sind: Wmag = ∑ Hn ln · Bn An
(9.37)
n
Wie jedes System ist auch der magnetische Kreis bestrebt, die in ihm zu haltende Energie zu minimieren12. Bezogen auf elektromagnetische Aktoren betrifft die Minimierung der Energie quasi immer die Reduktion des magnetischen Widerstandes des Luftspalts RmG . Hierzu sind zwei Effekte dankbar, die auch in der Elektrostatik für elektrische Felder auftreten (Abschnitt 9.5): 12
Dieses Bestreben beliebiger Systeme ist auch der Grund, warum Äpfel zu Boden fallen. Sie minimieren ihre potentielle Energie. Auch die Ausweichbewegung einer stromdurchflossenen Spule im Magnetfeld ist Resultat dieses Effektes. Generell ist es häufig hilfreich, beliebige Aktorprinzipien als ”Aufbauten, die bestrebt sind die innere Energie zu minimieren” zu betrachten.
240
9 Aktorentwurf
• Elektromagnetische Längseffekt (Abb. 9.24a, auch Reluktanzeffekt) • Elektromagnetische Quereffekt (Abb. 9.24b)
xL
I
I N
xQ
N
B
a)
B
b)
Abb. 9.24 Elektromagnetischer Quer- (a) und Längseffekt (b).
Die mit dem jeweiligen Effekt erzeugten Kräfte bzw. Momente sind Ableitungen der Energie in der entsprechenden Ortskoordinate, Fξ =
d Wmag , dξ
(9.38)
was für beliebige Magnetkreise einer Kraftberechnung in Richtung der Änderung des Lutspaltes 1 d RmG Fξ = − φ 2 2 dξ
(9.39)
entspricht.
Beispiel: Quereffekt Der magnetische Widerstand eines beliebigen, homogenen, Körpers der Länge l zwischen zwei Grenzflächen (Abb. 9.25a) der Fläche A berechnet sich zu Rm =
l . μA
(9.40)
Dies ergibt für die im Widerstand gespeicherte Energie: Wmag = (B A)2
l . μA
(9.41)
Die Flussdichte B ist abhängig von der Länge des Materials. Nimmt man an, dass der zu betrachtende magnetische Kreis aus nur einem Material besteht, dann gilt für die Durchflutung Θ
9.3 Elektromagnetische Aktoren
241
Θ=
B = N I, μl
(9.42)
woraus folgt
μ . (9.43) l Diese Gleichung für die Flussdichte eingesetzt in Gleichung 9.41 und um einige Größen gekürzt ergibt für die magnetische Energie B = NI
1 Wmag = (N I)2 Aμ . l
(9.44)
Unter der Annahme, dass die magnetische Energie sich im Luftspalt konzentriert, also kein nennenswerter magnetischer Widerstand im Eisenkreis auftritt, ergibt sich die Näherung der Kraft für den Quereffekt in Richtung von l abgeleitet zu 1 1 Fl = − (N I)2 Aμ 2 . (9.45) 2 l Die Kraft weist einen antiproportionalen, quadratischen Zusammenhang (Abb. 9.25b) zum Abstand auf. Umso enger die Pole zueinander stehen, umso größer ist die Anziehungskraft.
Fl B
a)
l
b) l
Abb. 9.25 Elektromagnetischer Quereffekt im Luftspalt (a) und vom qualitativen Krafverlauf (b).
Beispiel: Längseffekt, Reluktanzeffekt Die Berechnung lässt sich für den Längseffekt wiederholen. Unter der Annahme, dass die Fläche A aus Gleichung 9.44 rechteckig und aus den Kantenlängen a und b besteht (Abb. 9.26a), dann gilt für die in Längsrichtung wirkenden Kräfte beim Verringern des Luftspaltes durch ein magnetisch leitbares Material in Richtung a 1 Fa = (N I)2 bμ , l und in Richtung b
(9.46)
242
9 Aktorentwurf
1 (9.47) Fb = (N I)2 aμ . l Der Reluktanzeffekt ist also im Gegensatz zum Quereffekt linear (Abb. 9.26b). Die wirkende Kraft ist lediglich von der Länge der Kante des bewegten Materials abhängig. Zur Auslegung eines elektromagnetischen Aktors ist folglich die Kenntnis der im magnetischen Kreis gespeicherten Energie notwendig. Obige Beispiele entsprechen maximal Überschlagsrechnungen zur Grobabschätzung der Eignung eines Aktorprinzips. Die Netzwerke bei der realen Aktorauslegung müssen Effekte wie magnetische Streuflüsse und Widerstände im Eisenkreis betrachten, da die Ergebnisse der Berechnung für einen Entwurf ansonsten nicht hinreichend genau sind. Es ist daher notwendig, sich mit der Auslegung von Eisenkreisen und deren Berechnung vertraut zu machen.
a
b
Fa, b
B
l
a)
x b)
x
Abb. 9.26 Elektromagnetischer Längseffekt im Luftspalt (a) und vom qualitativen Krafverlauf (b).
9.3.2 Auslegung des Eisenkreises Die grundlegenden Zusammenhänge zur Auslegung von magnetischen Kreisen wurden bereits in Abschnitt 9.2.1.3 für elektrodynamische Aktoren eingeführt. Aus der Betrachtung von Längs- und Quereffekt heraus ergeben sich für elektromagnetische Aktoren eine Reihe von Grundformen (Abb. 9.27). Im Gegensatz zu den elektrodynamischen Aktoren ist man bei der Gestaltung des Luftspaltes von elektromagnetischen Aktoren freier. Es ist nicht mehr nötig, im Luftspalt einen elektrischen Leiter zu führen. Neben den in Abbildung 9.27 gezeigten Geometrien gibt es noch weitere Variationsmöglichkeiten. Die Geometrien können in einen rotationssymmetrischen Aufbau statt der hier dargestellten ebenen Struktur überführt werden. Weitere Spulen oder Dauermagnete im Eisenkreis können ergänzt werden. Der Formenvielfalt sind als einzige Grenzen eine ausreichende Querschnittsfläche der Flussführun-
9.3 Elektromagnetische Aktoren
243
gen gesetzt, um das Material nicht in Sättigung geraten zu lassen, und ein ausreichend großer Abstand zwischen flussführenden Elementen, um einem magnetischen Schluss über die Luft in Form von ungewollten Streufeldern zu minimieren.
Abb. 9.27 Grundformen elektromagnetischer Aktoren.
9.3.2.1 Querschnittsflächen-Überschlagsrechnung Die Berechnung der Querschnittsfläche zur Dimensionierung des Eisenkreises ist einfach. Das übliche, leicht zur Verfügung stehende und in der Feinwerktechnik und Prototypenbau gerne verarbeitet Material ist Stahl ST37. Die B/H-Kennlinie mit dem Sättigungsverhalten ist Abbildung 9.7 auf Seite 219 zu entnehmen. Für dieses Beispiel wählen wir eine für das Material sinnvolle Flussdichte von 1,2 T, die einer Feldstärke im Material von H ≈1000 A/m entspricht. Im Luftspalt soll eine Flussdicht von 1 T herrschen. Für den magnetischen Fluss im Luftspalt gilt
φ = AG BG .
(9.48)
Da der magnetische Fluss unter Vernachlässigung von Nebenschlüssen und Streueffekten vollständig durch das Eisenkreis geleitet werden muss, gilt also AEisen BEisen = AG BG ,
(9.49)
und daher das Verhältnis bei den im Beispiel angenommenen Werten: AEisen BG = = 0, 833 . AG BEisen
(9.50)
244
9 Aktorentwurf
Der Eisenkreis kann also an der engsten Stelle von der Querschnittsfläche im Minimum 83% der Querschnittsfläche des Luftspalts betragen. Wobei mehr Querschnittsfläche in geringere Flussdichten und daher zu geringeren Feldstärken im Material führt, und daher wenn möglich vorgesehen werden sollte. Man beachte jedoch, dass bei technischen Realisationen unter der Vernachlässigung von Streueffekten fast immer AG ≤ AEisen gilt, da die Grenzfläche des Luftspalts ein Pol des Eisenkreises darstellt.
9.3.2.2 Magnetische Energie in Flussführung und Luftspalt Bei den vorangegangen Rechenbeispielen wurde zur Vereinfachung angenommen, dass die im Eisenkreis gespeicherte Energie deutlich geringer als die Energie im Luftspalt ist. Betrachtet man den magnetischen Widerstand eines Körpers, dann gilt Rm =
l . μA
(9.51)
Bei zwei Körpern identischer Länge und Querschnittsfläche skaliert der magnetische Widerstand mit der Permabilität μ : Rm1 μ2 = . Rm2 μ1
(9.52)
Die Permabilitätszahl μr = HBμ0 ist das Verhältnis aus Flussdichte zu Feldstärke in einem Material bezogen auf die magnetische Feldkonstante. Sie ist nichtlinear (Abb.9.28) für alle gängigen flussführenden Materialien in den für den Aktorentwurf relevanten Flussdichtebereichen zwischen 0,5 und 2 T, und entspricht der inversen Steigung im Diagramm 9.7. Die maximalen Permeabilitätszahlen werden häufig in Tabellen angegeben, gelten aber nur für eine Feldstärke im Material. Sie betragen zwischen 6000 für reines Eisen bis hin zu 10000 für Nickel-Legierungen oder gar 150000 für spezielle weichmagnetische Materialien. Mechanische Bearbeitung von dem flussführenden Material, und die daraus resultierenden thermischen Veränderungen im Gefüge können zu einer deutlichen Verschlechterung der Materialeigenschaften führen, die durch einen Glühprozess wieder hergestellt werden können.
Im Allgemeinen lässt sich aber festhalten, dass selbst außerhalb der optimalen Flussdichte jenseits der Stättigung bei zur Flussführung eingesetzten Materialien die gespeicherte Energie um mehrere Zehnerpotenzen geringer ist, als im Luftspalt. Dies legitimiert die Vernachlässigung der gespeicherten Energie für die Überschlagsrechnungen, zeigt aber auch, dass Potential in einer Optimierung elektromagnetischer Aktoren steckt. Dieses Potential erschließt sich vor allem durch den
9.3 Elektromagnetische Aktoren
245
Einsatz gängiger FEM-Software, die zumeist als Module zu eingesetzten CAD Programmen angeboten werden13.
mr
mr max
H Abb. 9.28 Qualitativer Verlauf der Permeabilitäszahl für gängige flussführende Materialien.
9.3.2.3 Permanentmagnete in elektromagnetischen Aktoren Permanentmagnete im Eisenkreis elektromagnetischer Aktoren unterscheiden sich in Ihrer Wirkung nicht wesentlich von mit einem Gleichstrom durchflossenen Spulen. Sie stellen ein polarisiertes Feld dar, das in Kombination mit einem gesteuerten zweiten Feld in eine Anziehung und/oder Abstoßung resultiert. Für die Berechnung kombinierter Magnetkreise kann über Substitution der einzelnen Quellen im magnetischen Ersatzschaltbild gearbeitet werden. Die Berechnung erfolgt dann analog zu den Methoden, die bei den elektrodynamischen Aktoren (Abschnitt 9.2.1.3) vorgestellt wurden. Die Nutzung von einem zusätzlichen Permanentmagneten im Kreis erlaubt entweder • die Realisation eines stromlos gehaltenen Zustands, • oder das Schalten zwischen zwei Zuständen mit nur einer bestromten Wicklung. Ein gutes Beispiel für einen stromlos gehaltenen Zustand in [122] zeigt die Berechnung eines polarisierten Haftmagneten (Abb. 9.29). Bei nicht erregter Spule wird der Fluss durch den oberen Anker gelenkt, und dieser sicher gehalten. Wird die Spule bestromt wird der magnetische Fluss durch den Anker kompensiert. Der magnetische Nebenschluss unterhalb der Spule oberhalb des Magneten verhindert, dass der Dauermagnet über den Knick in der B-H-Kennlinie hinaus ein Gegenfeld erfährt und dauerhaft depolarisiert.
13
Ein frei verfügbares Programm zur Magnetfeldberechnung für rotationssymmetrische oder planare Systeme gibt es z.B. auch von DAVID M EEKER unter dem Namen ”Femm”.
246
9 Aktorentwurf
N S
a)
N S
b)
N S
c)
Abb. 9.29 Permanentmagnet im Eisenkreis mit der Geometrie (a), dem Feldbild bei nicht erregter Spule (b) und dem Feldbild bei eingeschalteter Wicklung (c), wodurch der Anker frei gegeben wird.
9.3.3 Beispiele elektromagnetischer Aktoren Elektromagnetische Aktoren existieren in einer Vielzahl von Realisationen am Markt. Der folgende Abschnitt stellt typische Bauformen für die einzelnen Wirkprinzipien und daraus resultierende kommerzielle Produkte vor. Nicht alle werden in haptischen Systemen eingesetzt. Das Wissen um die Konstruktionen ergibt aber einen Einblick in die Gestaltungsmöglichkeiten.
9.3.3.1 Klauenpol-Schrittmotor Der elektromagnetische Klauenpol-Schrittmotor (Abb.9.30) gehört zu den am häufigsten eingesetzten rotatorischen Antrieben. Er wird aus zwei gestanzten Blechen (1,2) gefertigt, bei denen die Pole - die sogenannten Klauen - um 90◦ abgewinkelt werden. Die Bleche stellen die Flussführung für jeweils eine von zwei Wicklungen (3) dar. Ein Permanentmagnet-erregter Rotor (4) mit einer Poleinteilung, die den einzelnen Klauen entspricht, richtet sich im Ruhezustand gegenüber den Klauen aus. Im Schrittbetrieb werden wechselweise die Spulen (3) bestromt, was in eine kombinierte Abstoßung und Anziehung des Rotors führt. Die Bestromung kann dabei durch einfaches Schalten der Ströme erfolgen. Klauenpol-Schrittmotoren erlauben auch einen Mikroschrittbetrieb, bei dem die Spulen in Stufen bestromt werden, so dass auch für die Dauer der Bestromung stabile Zustände zwischen zwei Polrastungen eingenommen werden können. Klauenpol-Schrittmotoren gibt es mit unterschiedlicher Polzahl, unterschiedlicher Phasenzahl und für unterschiedliche Lasten. Sie haben durch die Permanentmagnet-Erregung ein hohes Haltemoment bezogen
9.3 Elektromagnetische Aktoren
247
auf ihre Baugröße. Die Frequenz der Schritte für schnelle Bewegungen kann bis zu einigen Kiloherz betragen. Durch Zählen der Pulse kann auf die Lage des Rotors rückgeschlossen werden. Schrittverluste - die Tatsache, dass auf ein elektrisches Steuersignal kein mechanischer Schritt erfolgt - sind bei korrekter Auslegung des Antriebsstrangs nicht wahrscheinlich. Klauenpol-Schrittmotoren sind die Arbeitstiere der elektrischen Automatisierungstechnik. 1 3
a)
b) 2
c)
4
Abb. 9.30 Zwei-phasiger Schrittmotor aus Blechbiegeteilen mit permanentmagent-erregtem Rotor in 3D-Skizze (a), Querschnitt (b) und mit Detailaufnahme der Klauenpole (c)[212].
9.3.3.2 Reluktanzantrieb Der rotatorische Reluktanzantrieb (Abb.9.31) basiert auf dem elektromagnetischen Längseffekt. Durch geschicktes Schalten der Wicklungen (2) ist es möglich, den Rotor (3) in kontinuierlicher Bewegung bei minimalen Drehmomentschwankunge zu halten. Hierzu besitzt der Rotor weniger Pole als der Stator. Der Polwinkel des Rotors βr ist größer als der Polwinkel des Stators βs . Reluktanzantriebe können durch Integration von Permanentmagenten auch als Schrittmotoren eingesetzt werden. Generell zeichnen sie sich durch hohe Robustheit der Komponenten und großen Wirkungsgrad bei - für elektromagnetische Aktoren - geringen Drehmomentenschwankungen aus.
9.3.3.3 Elektromagnetische Bremse Elektromagnetische Bremsen (Abb.9.32) basieren auf dem Quereffekt. Sie machen sich die hohe Kraft bei magnetischer Anziehung zu nutze, um auf eine rotierende Scheibe (1) Reibung zu erzeugen. Dazu existieren meist rotationssymmetrische Flussführungen (2), in denen eine Spule (3) eingebettet ist. Die Stirnflächen der Flussführungen bzw. die Bremsscheiben (1) sind bei elektromagnetischen Bremsen
248
9 Aktorentwurf
a)
c)
b)
Abb. 9.31 Geschalteter Reluktanzantrieb mit Pol- und Spulenanordnung (a), im Längsschnitt (b) und mit Flusslinien bei magnetischer Erregung (c)[212].
für höhere Lastfälle mit speziellen Beschichtungen versehen, um den Verschleiß und die Reproduzierbarkeit des Bremsmomentes über viele Betriebsstunden positiv zu beeinflussen. Die Strom/Bremsmomenten-Kennlinien von elektromagnetischen Bremsen sind stark nichtlinear. Dies ist zum einen durch die quadratische Abhängigkeit der Kraft-Stromkennlinie des elektromagnetischen Effekts selber bestimmt, zum anderen liegt dies an der zum Bremsen verwendeten Reibpaarung. Sie werden dennoch für haptische Geräte zur Simulation ”harter Kontakte” und Anschläge eingesetzt. Durch die zeitliche Veränderung ihrer Eigenschaften aufgrund von Verschleiß, die schwierige Ansteuerung für definierte Bremsmomente und die Tatsache, dass sie nur bremsend (passiv) aber nicht aktiv genutzt werden können, bleibt ihnen eine breite Anwendung für haptische Systeme bisher versagt. 1
3 2
Flight-Depot.com
3 2
a)
b) 1
Abb. 9.32 Elektromagnetische Bremse im Querschnitt (a) und als technische Umsetzung für Modellflugzeuge (b).
9.3 Elektromagnetische Aktoren
249
9.3.3.4 Tauchanker Elektromagnetische Tauchanker (Abb.9.33) basieren in der Regel auf dem elektromagnetischen Quereffekt. Sie werden vor allem für Schalt- und Steueranwendungen eingesetzt, die das Erreichen definierter Zustände fordern. Über einen meist lediglich geblechten Eisenrückschluss (2) wird ein durch eine Spule (3) induzierter magnetischer Fluss in einen zentralen Anker gelenkt, der über ein Joch (4) angezogen wird. Die Form des Jochs bestimmt signifikant die Kennlinie des Tauchankers. Durch Variation der Geometrie ist eine Linearisierung der Kraft-Weg Kennlinie in gewissen Grenzen möglich. Auch stark nichtlineare Zugkraft-Charakteristika können so erreicht werden. Tauchanker gibt es mit zusätzlich integrierten Magneten und mit weiteren Spulen auch als mono- und bistabile Schalter. Durch Variation des Drahtdurchmessers und der Anzahl der Windungen können sie leicht auf sehr unterschiedliche Spannungspegel angepasst werden. 2
3
3
4 2 1
a)
b)
1
Abb. 9.33 Tauchankersystem (a) mit Kennlinienbeeinflussung (4) und Umsetzung als Zuganker (b) mit geblechtem Eisenrückschluss (2).
9.3.4 Magnetische Aktoren in haptischen Geräten Elektromagnetische Antriebe kommen in haptischen Anwendungen vor allem bei taktilen Geräten zum Einsatz. Dennoch existieren bei admittanzgeregelten Systemen Lösungen, die unter Verwendung von Schrittmotoren mit Kraftmessung beeindruckende Ergebnisse erzielen. Neben dem kommerziellen System des ”HapticMaster” von Moog (Abschnitt 5.1.4) ist vor allem eine Idee von L AWRENCE in den letzten Jahren aufgefallen.
250
9 Aktorentwurf
9.3.4.1 Feder-Bogen-Antrieb In [152] beschreibt er einen kostengünstigen Antrieb für kinästhetische haptische Systeme (Abb. 9.34) bestehend aus einem elektromagnetischen Schrittmotor, der über ein Kabel an einem Stift ankoppelt, der durch eine mechanisch parallel geschalteten Feder mit beiden verbunden ist. Der Stift ist analog zu anderen haptischen Geräten die Schnittstelle zum Bediener, und ist weiterhin mit einem Kraftsensor auf Basis eines mit DMS versehenen Verformungskörpers ausgestattet. Um die beim elektromagnetischen Prinzip immer auftretenden Schwankungen im Drehmoment durch das Rasten der Polung zu kompensieren, wurde ein externer Encoder am Motor ergänzt, und eine Drehmomenten/Drehwinkel Kennlinie aufgenommen. Ein mathematischer Spline-Fit dieser Kennlinie dient der Kompensation der Schwankungen. Weiterhin erlaubt eine angepasste Steuerungselektronik anders zu üblichen Schrittmotorelektroniken eine Sinus-förmige Ansteuerung des Motorstroms über jeden einzelnen Schritt. Neben der Kompensation der Schwankungen beinhaltet die Regelung auch die Kompensation von Reibungseffekten. Resultat ist eine Kraftquelle, die für Bewegungen mit eingeschränkter Dynamik eine Kraftübertragung mit geringen Störeffekten bei hohen Steifigkeiten von bis zu 75 kN/m zeigt.
Abb. 9.34 Elektromagnetischer Schrittmotor mit Feder im admittanzgeregelten Betrieb [152].
9.3.4.2 Elektromagnetischer Pin Array Die Verwendung elektromagnetischer Aktoren zur Ansteuerung von einzelnen Stiften in Arrayverbünden ist sehr verbreitet. Die ersten Anwendungen gingen auf Druckköpfe von Nadeldruckern in den 80er und 90er Jahren zurück. Moderne Ver-
9.3 Elektromagnetische Aktoren
251
fahren sind deutlich spezfischer und machen sich auch Fertigungsverfahren der Mikrotechnologie zu Nutze. In [45] wird ein Aktorarray (Abb. 9.35) bestehend aus Spulen mit 430 Windungen auf 0,4 mm Wicklungskernen vorgestellt. Über ihnen ist ein Magnet in einem Polymer-Verbund eingebettet, der durch den im Eisenkreis induzierten Fluss abgestoßen wird. Mit einem Aktor mit Durchmesser von 2 mm ist eine Spitzenkraft von bis zu 100 mN möglich. Weiterhin umfasst das Projekt auch eine induktive Messung der Aktorposition.
a)
b)
Abb. 9.35 Elektromagnetischer monostabiler Aktor mit Permanentmagnet: Prinzipskizze (a) und Aktorverbund (b) [45].
9.3.4.3 Elektromagnetischer Tauchanker zur taktilen Vermittlung von Sprachinformationen Die teilweise Substitution verloren gegangener Sinne durch haptische Informationen ist eine Grundmotivation für den Entwurf haptischer Geräte. Insbesondere Methoden durch taktile Informationen den Verlust des Gesichtsinns, aber auch des Hörsinns, zu kompensieren werden seit langer Zeit erprobt. Ein Verfahren zur Kodierung von Sprachinformationen auf mehrere durch Schwingung stimulierte Punkte am Unterarm wurde auf der technologischen Basis eines elektromagnetischen Tauchankers nach dem Reluktanzprinzip 1986 an der Technischen Universität Darmstadt durch B LUME entwickelt und erprobt. Der Aktor (Abb. 9.36) beinhaltet zwei symmetrische Tauchanker (zur Horizontalachse), die auf zwei unabhängige, in einem Stößel integrierte magnetische Flussstücke wirken. Der Anker ist im unbestromten Zustand durch den integrierten Magneten bestrebt, eine symmetrische Mittelstellung einzunehmen. In der Mittelstellung wirken sowohl im oberen, als auch im unteren Eisenkreis identische, entgegengerichtete Reluktanzkräfte. Im bestromten Zustand wird in Abhängigkeit der Stromflussrichtung jeweils der Fluss im oberen oder der unteren Eisenkreis verstärkt, die Gegenseite geschwächt. Die Reluktanzkräfte des verstärkten Bereichs ziehen den Anker in eine für den Bereich
252
9 Aktorentwurf
symmetrische Mittelstellung. Der Stößel wird in Richtung des geschwächten Bereiches ausgelenkt. Der Aktor hat bei 20 mm Außendurchmesser eine Dynamik von bis zu 500 Hz bei einem Wirkungsgrad von ≈ 50% erreicht. Die Kräfte liegen bei ≈ 4 N pro Ampere Strom.
Umrandung
Stößel
Spulen
Eisenkreis Federlager
a)
Anker
b)
Abb. 9.36 Elektromagnetischer Aktor nach dem Reluktanzprinzip im ”Gegentakt-Tauchanker” Design mit Permanentmagneten: Querschnitt (a) und Aufbau inklusive Treiberelektronik (b) [25].
9.3.5 Fazit zum Entwurf magnetischer Aktoren Elektromagnete stellen genauso wie elektrodynamische Systeme vor allem Kraftquellen dar. In rotatorischen Antrieben überwiegt die Nutzung von Reluktanzeffekten für kontinuierliche Bewegungen. Bei linearen Antrieben überwiegt die Verwendung von Hubankern und dem nichtlinearen Quereffekt, wobei Ausnahmen für beides existieren und teilweise überraschende Eigenschaften aufweisen (siehe Abschnitt 9.3.4.3). Die translatorischen Systeme sind in der Regel Schalter, die monostabil gegen eine Feder arbeiten (Tauchanker, Bremse, Ventil) oder bistabil zwischen zwei Zuständen schalten. Für beide Effekte gibt es Anwendungen in der Haptik. Während die Reluktanz gleichermaßen bei kinästhetischen Systemen als Antrieb im admittanzgeregelten Fall wie bei taktilen Systemen als Vibrationsantrieb zum Einsatz kommt, sind schaltende Antriebe vor allem bei taktilen Geräten mit einzelnen Pins und Pin-Arrays verbreitet. Elektromagnetische Antriebe haben aufgrund ihrer Massen im Gegensatz zu den sehr schnellen elektrodynamischen Antrieben ihre Stärken bei weniger dynamischen Anwendungen, bei denen sie durch ihr hohes Haltemoment überzeugen können. Dennoch ist insbesondere beim Schalten zwischen zwei Zuständen das Bewegen als solches und das abrupte Abbremsen an Anschlägen ein sehr dynamischer Vorgang. Die dynamische Beschreibung von Schaltvorgängen wurde hier nicht weiter ausgeführt, basiert aber im ersten Entwurf auf der Modellierung einer nichtlinearen Kraftquelle des Elektromagneten und der Betrachtung der bewegten Massen, Federn und Dämpfern im technischen System als
9.3 Elektromagnetische Aktoren
253
konzentrierte Bauelemente. Elektromagnetische Antriebe besetzen durch die relativ hohen Massen des Eisenkreises, die nicht immer leicht zu beherrschenden Nichtlinearitäten der Feldverläufe sowie die geringe Wirkungstiefe beim Quereffekt bei haptischen Anwendungen Nieschen. Dort führt aber kein Weg daran vorbei, ihren Einsatz ernsthaft zu berücksichtigen. Ist eine geeigneter Bereich gefunden, überzeugen sie durch einen im Vergleich sehr hohen Wirkungsgrad und große Robustheit gegenüber Umgebungseinflüssen.
254
9 Aktorentwurf
9.4 Piezoelektrische Aktoren S TEPHANIE S INDLINGER , M ARC M ATYSEK
Neben den elektrodynamischen Aktoren haben sich in den letzten Jahren eine Vielzahl von Anwendungen mit piezoelektrischen Aktoren für haptische Systeme ergeben. Ihre besonderen Eigenschaften in Bezug auf Dynamik und Resonanzbetrieb erlauben es, sie nicht nur als Positionsstellantrieb, sondern vor allem auch als variable Impedanz mit einem breiten Steifigkeitsspektrum zu betreiben. Das folgende Kapitel stellt die Berechnungsgrundlagen für piezoelektrische Materialien vor, zeigt Ausführungsformen piezoelektrischer Aktoren und deren Anwendungen für haptische Systeme. Hierbei wird neben den spezifischen Ausführungen taktiler und kinästhetischer Geräte auch auf die Regelung der Aktoren und die Werkzeuge zu deren Auslegung eingegangen.
9.4.1 Der piezoelektrische Effekt Der piezoelektrische Effekt wurde im Jahr 1880 von den Brüdern Jacques und Pierre Curie erstmals entdeckt. Der Begriff leitet sich ab aus dem Griechischen „piedein piezo“ = „drücken“ [114]. In Abbildung 9.37 ist schematisch ein Quarzkristall (chemische Formel: SiO2 ) dargestellt. Wirkt auf diesen Kristall eine gerichtete, nur von einer Seite wirkende, Kraft, bilden sich mikroskopische Dipole innerhalb der Elementarzellen durch Verschiebung der Ladungsschwerpunkte aus. Die Aufsummierung aller mikroskopischen Ladungsverschiebungen führt zu einer makroskopisch messbaren elektrischen Spannung. Dieser Effekt wird als der reziproke piezoelektrische Effekt bezeichnet. Er ist umkehrbar zum direkten piezoelektrischen Effekt. Wird an ein piezoelektrisches Material eine elektrische Spannung angelegt, erfährt das Material abhängig von der Feldstärke eine mechanische Deformation entlang der Kristallrichtung [7, 8, 218]. Piezoelektrische Materialien weisen ein anisotropes, d.h. richtungsabhängiges Verhalten auf. Der Effekt ist folglich von der Richtung des steuernden elektrischen Feldes und von der betrachteten Wirkrichtung relativ zur Polaristationsebene abhängig. Zur Beschreibung des anisotropen Verhaltens werden den Effekten Indizes zugeordnet. Zur Indizierung wird ein kartesisches Koordinatensystem verwendet, dessen Achsen mit 1, 2 und 3 gekennzeichnet sind. Die Polarisationsebene der piezoelektrischen Materialwürfel wird üblicherweise in Richtung der Ebene 3 dargestellt. Die Scherungen an diesen Achsen werden mit 4, 5 und 6 markiert. Die drei wichtigsten in Abbildung 9.38 schematisch dargestellten Teileffekte, die in einem piezoelektrische Material auftreten können, sind der Längseffekt, der Quereffekt und der Schereffekt.
9.4 Piezoelektrische Aktoren
255
F + + +
+ + +
+ -
Elektrodenfächen
+
O
Si
Si O
+ -
O-
Si
O Si O Si Si O + +
d0
+
d d0
-
-
-
-
-
F
-
-
Abb. 9.37 Schematische Kristallstruktur von Quarz im Grundzustand und unter Belastung [218]
metallische Elektrodenflächen T3,S3
l b
x0 U
U
x0
T1,S1 U h
l
h x0
h
b
l
b
3
2 1
T5,S5
Abb. 9.38 Unter elektrischer Spannung auftretende Effekte: links longitudinaler Effekt (Dickenschwinger), Mitte transversaler Effekt (Längsschwinger), rechts Schereffekt [218]
Der Längseffekt (auch Longitudinaleffekt genannt) wirkt in der gleichen Richtung wie das angelegte elektrische Feld und der sich in dem Material ausbildenden elektrischen Feldstärke E3 . Die resultierende mechanischen Spannungen T3 und Dehnungen S3 liegen folglich ebenfalls in der Ebene 3. Bei dem Quereffekt (oder Transversaleffekt) bilden sich die mechanischen Größen senkrecht zur elektrischen Anregung aus. Auf eine Spannung U3 mit der elektrischen Feldstärke E3 folgt die mechanische Spannung T1 und die Dehnung S1 . Der Schereffekt tritt auf, wenn die elektrische Anregung U in der Ebene 1 senkrecht zur Polarisationsrichtung angelegt wird. Die resultierenden mechanischen Spannung treten tangential zur Polarisationsrichtung, also in Scherrichtung auf, und werden mit der Richtung 5 bezeichnet.
256
9 Aktorentwurf
9.4.1.1 Piezoelektrische Grundgleichungen Der piezoelektrische Effekt wird am einfachsten über die Zustandsgleichungen beschrieben: P = e·T
(9.53)
S = d·E
(9.54)
und mit P S E T
= = = =
Polarisation (in C/m2 ) Verformung (dimensionslos) elektrische Feldstärke (in V/m) mechanische Spannung (in N/m2 )
Die piezoelektrischen Koeffizienten sind • der piezoelektrische Spannungskoeffizient (oder Kraftkoeffizient) e (Reaktion der mechanischen Spannung auf das elektrische Feld) ei j,k =
∂ Ti j ∂ ∂ Ek
(9.55)
• und der piezoelektrische Verzerrungskoeffizient (oder Ladungskoeffizient) d (Reaktion der Verzerrung auf das elektrische Feld) di j,k =
∂ εi j ∂ ∂ Ek
(9.56)
Der Zusammenhang der beiden piezoelektrischen Koeffizienten ist über die elastischen Konstanten Ci jlm definiert durch ei j,k = ∑ Ci jlm · dlm,k (9.57) lm
Die in den oberen Gleichungen aufgeführten Tensoren werden in der Regel in Matrixfom (Voigtsche Notation) notiert. Damit erhält man Matrizen mit sechswertigen Komponenten, welche den oben festgelegten Achsdefinitionen entsprechen. Die untenstehende Matrix beschreibt die Verknüpfung der dielektrischen Verschiebung D, der mechanischen Dehnung S, der mechanischen Spannung T und der elektrischen Feldstärke E.
9.4 Piezoelektrische Aktoren
D1 D2 D3 S1 S2 S3 S4 S5 S6
T1 0 0 d31 s11 s12 s13 0 0 0
257
T2 0 0 d31 s12 s11 s13 0 0 0
T3 0 0 d33 s13 s13 s33 0 0 0
T4 0 d15 0 0 0 0 s44 0 0
T5 T6 d15 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 s44 0 0 2(s11 − s12)
E1 ε11 0 0 0 0 0 0 d15 0
E1 0 ε11 0 0 0 0 d15 0 0
E3 0 0 ε11 d31 d31 d33 0 0 0
Diese Matrix lässt sich für die Spezialfälle des Längs- und Dickenschwingers vereinfachen. Für einen in Richtung 3 kontaktierten Längsschwinger gilt folglich T D3 = ε33 E3 + d31T1
(9.58)
S3 = d31 E3 + sE11 T1 .
(9.59)
Analog gilt für den Dickenschwinger (Quereffekt) der Zusammenhang T E3 + d33T3 D3 = ε33
(9.60)
S3 = d33 E3 + sE33 T3
(9.61)
mit D3 E3 S1 , S3 T1 , T3 T ε33 d31 , d33 sE11 , sE33
= = = = = = =
dielektrische Verschiebung in C/m2 D=0: Leerlauf Feldstärke in V/m E=0: Kurzschluß Δ L/L = Dehnungen, dimensionslos S=0: Festbremsung mechanische Spannungen N/m2 T=0: Freilauf relative Dielektrizitätskonstante bei mechanischer Spannung = 0 piezoelektrische Ladungskonstanten in C/N Elastizitätskonstanten bei Feldstärke = 0
Die Berechnung der piezoelektrischen Koeffizienten vereinfacht sich somit zu den folgenden Gleichungen: Die Ladungskonstante d berechnet sich für elektrischen Kurzschluss, d.h. E = 0, zu D dE=0 = (9.62) T und für mechanischen Leerlauf, d.h. T = 0 zu dT =0 =
S . E
Die piezoelektrische Spannungskonstante ist definiert als
(9.63)
258
9 Aktorentwurf
g=
d . εT
(9.64)
Der Kopplungsfaktor k ist durch die Gl. 9.65 gegeben, und stellt ein Maß für die Energieumwandlung, aber auch für die Größe des piezoelektrischen Effekts dar. Er dient dem Vergleich verschiedener piezoelektrischer Materialien. Er entspricht nicht dem Wirkungsgrad, da Verluste nicht mit berücksichtigt werden. k=
umgewandelte Energie . au f genomme Energie
(9.65)
Die ausführliche Beschreibung des piezoelektrischen Effekts und weitere Berechnungsgrundlagen sowie Werte der piezoelektrischen Kenngrößen sind u.a. in [29, 103, 153] zu finden.
9.4.1.2 Piezoelektrische Materialien Bis 1944 konnte der piezoelektrische Effekt nur bei Einkristallen beobachtet werden. Das sind z.B. bei Quarz, Turmalin, Lithiumniobat, Kalium- und AmmoniumHydrogen-Phosphat (KDP, ADP) und Seignettesalz [7]. Bei diesen ist die Richtung der spontanen Polarisation durch die Richtung der Kristallgitter vorgegeben [114]. Der bekannteste Einkristallwerkstoff ist Quarz. Die Entwicklung des Polarisationsverfahrens ermöglichte 1946 erstmals die nachträgliche Polarisation von Keramiken durch das Anlegen eines äußeren elektrischen Gleichfeldes. Auf diese Weise wurden „Piezokeramiken“ erzeugt. Durch die Entwicklung dieser polykristallinen Werkstoffe mit piezoelektrischen Eigenschaften erreichten die piezoelektrischen Werkstoffe eine hohe technische Bedeutung. Die heute am meisten verwendeten Materialien sind z.B. Bariumtitanat (MaTiO3 ) oder Bleizirkonat-Bleititanat (PZT) [7]. C 82 ist eine Piezokeramik, die sich aufgrund ihres hohen k-Faktors gut als Aktormaterial eignet. Sie weist allerdings wie alle Piezokeramiken im Gegensatz zu Quarz eine geringere Langzeitstabilität und den pyroelektrischen Effekt auf [153]. Seit den 60er Jahren ist der teilkristalline Kunststoff Polyvinylidenfluorid (PVDF) bekannt. Gegenüber den bisher genannten Werkstoffen zeichnet er sich durch eine hohe Elastizität und eine geringe Dicke (6 μ m bis 9 μ m) aus. In Tabelle 9.4 sind die verschiedenen piezoelektrischen Materialien mit ihren spezifischen Kennwerten aufgeführt. Der Vergleich der spezifischen Kennwerte macht deutlich, dass aufgrund des hohen Kopplungsfaktors bei gleichzeitig großem piezoelektrischen Ladungsmodul und hoher Curietemperatur PZT am besten als Aktormaterial geeignet ist. Neben den oben erläuterten piezoelektrischen Größen ist die Curietemperatur eine weitere wichtige Größe, um Eigenschaften piezoelektrischer Materialien zu beschreiben. Wird das Material über die Curietemperatur erwärmt, geht die Polarisation verloren. Die Größe der Curietemperatur ist materialspezifisch (s. Tabelle 9.4).
9.4 Piezoelektrische Aktoren
259
Tabelle 9.4 Ausgewählte piezoelektrische Werkstoffe mit Materialkennwerten [153]. Konstante
Einheit
Quarz
PZT-4
PZT-5a
C 82
PVDF
d33 d31
10−12 m/V
2,3 -2,3
289 -123
374 -171
540 -260
-27 20
e33 e31
A·s m2
0,181 -0,181
15,1 -5,2
15,8 -5,4
28,1 -15,4
108 -
sE33 sE11
10−12 m2 /N
12,78 12,78
15,4 12,3
18,8 16,4
19,2 16,9
-
cE33 cE11
1010 N/m2
7,83 7,83
6,5 8,1
5,3 6,1
5,2 5,9
-
-
4,68; 4,68
1300; 635
1730; 960
3400; -
12 ;12
-
4,52; 4,41
1475; 730
1700; 830
3100; -
-
k33 k31
-
0,1 -
0,7 0,33
0,71 0,34
0,72 0,36
0,20 0,15
ϑCurie
◦C
1
575
328
365
190
80
ρ
kg m−3
2660
7500
7500
7400
1790
T ε33 ε0 ; T ε11 ε0 ;
S ε33 ε0 S ε11 ε0
9.4.2 Bauformen und Eigenschaften piezoelektrischer Aktoren Aktoren, die den piezoelektrischen Effekt nutzen, gehören zu den Festkörperaktoren. Die Umsetzung der elektrischen in mechanische Energie erfolgt ohne bewegte Teile, was eine sehr schnelle Reaktion gegenüber anderen Aktorprinzipien ermöglicht. Ebenso zeichnen sich piezoelektrische Aktoren durch eine hohe Lebensdauer aus. Die Dickenänderungen sind gegenüber anderen Prinzpien sehr gering, die erzeugbaren Kräfte jedoch deutlich höher.
9.4.2.1 Grundlegende piezoelektrische Aktorbauformen Je nach Anwendungsfall können verschiedene Wandlerbauformen eingesetzt werden. Beispielsweise kann in einem Fall ein hoher Stellweg, in einem anderen Fall eine hohe Haltekraft oder Steifigkeit im Vordergrund stehen. Die am häufigsten eingesetzten Bauformen sind der Biegewandler und der Stapelaktor. Der schematische Aufbau dieser beiden ist in Abbildung 9.39 (a) und (c) dargestellt. Stapelaktoren basieren auf dem longitudinalen piezoelektrischen Effekt, dem sog. Längseffekt. Dafür werden mehrere Keramikschichten wechselnder Polarität übereinander gestapelt. Zwischen den Schichten befinden sich Kontaktelektroden zur Ansteuerung. Ein Stapelaktor bildet sehr hohe Haltekräfte bis zu mehreren 10 kN aus. Der mögliche Stellweg ist mit bis zu max. 200 μ m im Vergleich zu anderen Bauformen eher gering. Über eine Hebelanordnung wie in Abbildung 9.39 (b)
260
9 Aktorentwurf
Longitudinaler Effekt: x
x
3
UB (a) Transversaler Effekt:
1
(b) x
x x
UB
x
UB (c)
2
UB
(d)
UB (e)
UB (f)
Abb. 9.39 Wichtige piezoelektrische Wandlerbauformen unterschieden nach longitudinalem und transversalem Effekt: Longitudinaler Effekt: (a) Stapelaktor, (b) Stapelaktor mit Hebelübersetzung, Längenänderung: x = d33 ·UB Transversaler Effekt: (c) Biegeaktor, (d) Tubus, (e) Streifenaktor, (f) Biegescheibe, Längenänderung: x = −d31 ·UB [114] .
kann der Stellweg des Stapelaktors deutlich erhöht werden. Zur Ansteuerung eines Stapelaktors sind hohe Spannungen im Bereich von einigen 100 V notwendig. Biegeaktoren basieren auf dem transversalen piezoelektrischen Effekt, dem sog. Quereffekt. Durch Ausnutzung des Bimorf-Verhaltens kommen sie vor allem dort zum Einsatz, wo hohe Stellwege gefordert sind. Die Verwendung des Quereffekts zeichnet sich durch mögliche geringe Steuerspannungen aus [7, 114]. Durch die realisierbaren geringen Keramik-Schichtdicken senkrecht zur Feldstärke lassen sich bei geeigneter Wahl der Geometrie verhältnismäßig große Stellwege erzielen. Weitere Bauformen, die den Quereffekt nutzen, sind z.B. ein tubusförmiger Aktor, der Streifenaktor oder die Biegescheibe in Abbildung 9.39 (d) bis (f). Aufgrund ihrer Bauform sind die Eigenschaften dieser Aktoren ähnlich denen der den Längseffekt ausnutzenden Aktoren: Die erreichbaren Stellwege sind mit ca. 50 μ m deutlich geringer, während deutlich höhere Stellkräfte als bei dem Biegewandler erreichbar sind. Der Schereffekt wird in der Antriebstechnik selten eingesetzt. Obwohl er etwa doppelt so hohe Ladungsmodule und Kopplungsfaktor wie der Quereffekt besitzt
9.4 Piezoelektrische Aktoren
261
und es zudem möglich ist, durch die Auslegung des Verhältnisses Länge / Dicke (l/h) die Auslenkung x0 im Leerlauffall (Auslenkung ohne äußere Last) zu steigern wird die Klemmkraft FK jedoch nicht beeinflusst. In Tabelle 9.5 sind die Eigenschaften der verschiedenen typischen Bauformen noch einmal zusammengefasst. Dargestellt sind typische Stellwege, Stellkräfte und Betriebsspannungen. Tabelle 9.5 Eigenschaften typischer piezoelektrischer Aktorbauformen [114]. Standardbauformen
Stapel
Typische Stellwege Typische Stellkräfte
Stapel mit BiegeHebelüber- wandler setzung
Tubus
Biegescheibe
20...200 μ m ≤ 1.000 μ m ≤ 1.000 μ m ≤ 50 μ m
≤ 50 μ m
≤ 500 μ m
≤ 30.000 N ≤ 3.500 N
≤ 1000 N
≤ 1000 N
≤ 40 N
60...500 V
120...1000 V 10...500 V
≤ 5N
Typische 60...200 V 60...200 V 10...400 V Betriebs200...500 V 200...500 V spannungen 500...1000 V 500...1000 V
Streifen
9.4.2.2 Ausgewählte Sonderbauformen piezoelektrischer Antriebe Neben den bereits vorgestellten Standardbauformen existieren zahlreiche Variationen an weiteren Bauformen. In diesem Abschnitt sollen exemplarisch Ultraschallaktoren mit Resonator, der Wanderwellenmotor und ein piezoelektrischer Schrittantrieb vorgestellt werden. Zunächst werden zwei verschiedene Ultraschallaktoren vorgestellt. Anhand des grundlegenden Aufbaus werden sie nach Motoren mit stabförmigem Resonator und Motoren mit kreisringförmigem Resonator unterschieden.
Ultraschallaktoren mit stabförmigem Resonator Eine Sonderbauform piezoelektrischer Ultraschallaktoren ist aus einem piezoelektrischen Stapelaktor und einem mechanischen Resonator aufgebaut [114, 252, 253, 255, 272]. Der Resonator dient als Stator des Motors, an dessen schwingendem Ende der Rotor angetrieben wird. Da es sich bei der Bewegung des Aktors um keine fortlaufende sondern um eine stehende Welle handelt, wird diese Bauart auch als „standing wave“ bezeichnet. Die schwingende Bewegung des Stators wird auf den Rotor übertragen und versetzt diesen in Rotation. Obwohl die erzeugbaren Amplituden nur im Bereich von
262
9 Aktorentwurf
einigen μ m liegt sind Geschwindigkeiten von mehreren 100 U/min möglich, wie das nachfolgende Rechenbeispiel zeigt: Die Amplitude am Ende des Resonators beträgt etwa 4μ m. Beträgt die Frequenz der Schwingung 25 kHz, so ergibt sich eine Umdrehungsgeschwindigkeit v von v = 4 μ m · 25 kHz = 100 m/sec.
(9.66)
. Grundlegend werden zwei verschieden Bauformen mit stabförmigem Resonator unterschieden: der monomodale und der bimodale Motor. Beide prinzipiellen Aufbauten sind in der Abbildung 9.40 schematisch dargestellt.
Einspannung
Einspannung x
Rotor
Rotor
x y
monomodaler Resonator
bimodaler Resonator
Abb. 9.40 Schematischer Aufbau des monomodalen (links) und bimodalen (rechts) piezoelektrischen Antriebs mit stabförmigen Resonator [114]. .
Bei dem monomodalen Motor bildet sich nur eine Schwingungsmode aus. Er wird folglich mit einer einzelnen Frequenz angeregt, wodurch der Resonator eine longitudinale Bewegung in Richtung der Stabachse ausführt. Die Spitze des Resonators ist angeschrägt. Der Kontaktpunkt wird asymmetrisch zur Rotorachse platziert, so dass durch die eindimensionale Schwingung des Stators ein „Anstoßen“ des Rotors stattfindet. Der Stator führt eine Ausgleichsbewegung nach oben durch, wodurch der Rotor in Rotation versetzt wird. Die Umkehrung der Rotationsrichtung dieses Motors ist nur durch eine andere Platzierung unterhalb der Symmetrieachse des Rotors möglich. Bei dem bimodalen Motor wird der Resonator in zwei seiner Moden, einer Longitudinal- und einer Biegemode, zum Schwingen angeregt. Die Ansteuerung erfolgt mit zwei Frequenzen, die additiv überlagert werden. Werden die zwei Frequenzen so gewählt, dass die eine Frequenz ein ganzzahliges Vielfaches der ersten Frequenz beträgt, ergibt sich eine geschlossene rotatorische Bewegung (LissajousFigur). Durch die Phasenverschiebung zwischen den zwei Frequenzen ist es möglich, eine Rotation in beide Richtungen zu ermöglichen. Ebenso kann über die Phasenverschiebung die Drehgeschwindigkeit des Rotors definiert geändert werden. Abbildung 9.41 verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die Form der Bewegung der Resonatorspitze wird durch den Phasenwinkel Θ bestimmt. Für den Phasenwinkel Θ = 0 liegt für den Linkslauf ein optimaler Kon-
9.4 Piezoelektrische Aktoren
263
Y0
Y0 Linkslauf
-X0
X0
-X0
X0
-Y0
-Y0 1 Q= 4p
Y0
Q=0
Stillstand -X0
X0
-Y0
Q= 1p
Y0
Y0
2
Rechtslauf
-X0
X0
-X0
X0
-Y0
-Y0
3 Q= 4p
Q=p
Abb. 9.41 Bewegung der Resonatorspitze des bimodalen Resonators bei verschiedenen Phasenverschiebungen. Der Kontaktbereich mit dem Rotor ist dick gekennzeichnet [114]. .
takt zwischen der Resonatorspitze und dem Rotor vor. Die Drehgeschwindigkeit ist folglich maximal. Wird Θ erhöht, ändert sich die Bewegungsform der Spitze und folglich auch die Kontaktzeit und -form zwischen Resonator und Rotor. Beispielhaft ist dies für Θ = π4 dargestellt. Bei einem Phasenwinkel von Θ = π2 liegt kein antreibendes Moment mehr vor. Diese Phase kann genutzt werden, um die Blockierung des Motors im ausgeschalteten Zustand zu überbrücken. Es ist also ein aktiver Entblockierzustand, bei dem die Reibung zwischen Rotor und Resonator durch die schwingende Bewegung der Resonatorspitze aufgehoben wird. Eine weitere Vergrößerung des Phasenwinkels zu Θ = 34 π führt zu einer Umkehrung der Drehrichtung des Motors. Bei Θ = π ist für den Rechtslauf wieder eine optimale Kontaktbedingung mit maximal übertragbarem Drehmoment erreicht. Die Bewegung der Rotorspitze kann nach Abbildung 9.41 durch die folgenden Gleichungen beschrieben werden:
264
9 Aktorentwurf
x = x0 sin(ω1t), y = y0 sin(ω2t + Θ ).
(9.67)
Dabei ist f1 die Frequenz der longitudinalen Schwingung und f2 = 2 · f1 die Frequenz der Biegemode. Beträgt die Biegemode kein ganzzahliges Vielfaches der transversalen Mode, driften die Frequenzen im Betrieb auseinander. In diesem Fall muss eine definierte Phase zwischen den zwei Ansteuerfrequenzen eingehalten werden, um einen definierten Kontakt zwischen der Spitze und dem Rotor zu erzeugen. Untersuchungen zur Optimierung des Kontaktverhaltens sind u.a. in [62, 79, 174, 241, 288] aufgeführt. Die Bewegungsamplitude piezoelektrischer Aktoren mit einem stabförmigen Resonator liegt im Bereich von einigen μ m. Um diese zu vergrößern, kann man die Form des Resonators verändern. Grundsätzlich bieten sich drei verschieden Formen an: Das Stufenhorn, das Exponentialhorn und das sich linear verjüngende Horn. Weitere Informationen sind in zahlreichen Veröffentlichungen u.a. in [16, 252, 253, 255] angegeben. Berechnungsvorschriften und Optimierungskriterien für die Auslegung der Resonatoren piezoelektrischer Aktoren sind in [49, 221, 254, 272] zu finden. Ein kommerziell erhältlicher piezoelektrischer Aktor mit monomodalem Resonator ist der Motor der Fa. Elliptec [163, 260] . Die Form des Resonators und die Anordnung der piezoelektrischen Elemente sind im Vergleich zum grundlegenden Aufbau variiert, wie in Abbildung 9.42 zu sehen ist.
Einspannung
piezoelektrischer Stapel Resonanzkörper
Federelement
Kontaktfläche
Abb. 9.42 Skizze des piezoelektrischen Ultraschallaktors der Firma Elliptec [163]. .
Der Motor besteht aus einem piezoelektrischen Stapelaktor sowie einem Resonanzkörper, an dessen Spitze eine elliptische Schwingung erzeugt wird. In die Spitze ist eine Nut eingebracht, die als Kontaktfläche dient und den angetriebenen Körper zusätzlich führt. Der Motor wird mit Hilfe eines elastischen Elementes, z.B. einer Dreh- oder Blattfeder über einen definierten Winkel an den anzutreibenden Körper gedrückt. Dies kann sowohl ein Zylinder für eine translatorische Bewegung als auch ein kreisförmiger Körper zur Erzeugung einer rotatorischen Bewegung sein. Zu Ansteuerung des Motors wird nur eine Frequenz f1 benötigt. Durch Ansteuerung mit der Frequenz f2 kann die Drehrichtung der elliptischen Bewegung und somit die Antriebsrichtung des Körpers umgekehrt werden.
9.4 Piezoelektrische Aktoren
265
Tabelle 9.6 Technische Eigenschaften des Elliptec-Motors X15G [4]. Symbol Parameter
Werte min. typ. max. Leerlaufbetrieb 300 350 550 Beschleunigung von 0 auf max. Geschwindigkeit bei m = 1, 5g 5 Haltekraft im unbestromten Zustand 0,5 0,8 1,2 Blockierkraft 200 300 500 Betätigungskraft bei 100 mm/s 100 200 350 Betätigungskraft bei 200 mm/s 25 100 200 Blockier-Drehmoment bei 20mm des angetriebenen Rotors 2 3 5 Drehmoment bei 20mm und 95,5 rpm 1 2 3,5 Drehmoment bei 20mm und 191 rpm 0,25 1 2 Frequenz Vorwärtsbetrieb bei vmax 77 81 84 Frequenz Rückwärtsbetrieb bei vmax 93 98 108 Frequenzauflösung 0,2 0,6 temperaturabhängige Frequenzdrift 35 50 70 Wegauflösung var. 5 bis 100 Energie der Treiberelektronik 1,8 max. Strom der Treiberelektronik bei 5 V 300 450 600 Motorspannung (peak-to-peak) 5 7 10
Einheit
v0 a FH FB F100 F200 MB M100 M200 f fw f bw fr fD rs Pp0 Idriver Umotor
mm/s ms N mN mN mN mNm mNm mNm kHz kHz kHz Hz/◦ C μm W mA V
Eine typische Länge des Motors ist 20 mm, der Resonator weist eine Höhe und Breite von je 3 mm auf. Das Gewicht beträgt 1,2 g. Die technischen Daten des Elliptecmotors sind in der folgenden Tabelle 9.6 zusammengefasst Der Elliptecmotor ist preisgünstig in einem Starter Kit mitsamt der zugehörigen Ansteuerelektronik erhältlich.
Ultraschallaktoren mit kreisringförmigem Resonator Neben den Aktoren mit stehender Wellen können auch Aktoren aufgebaut werden, die eine Wanderwelle erzeugen. Sie werden dementsprechend auch als „travelling wave“ bezeichnet. Die bekanntesten Wanderwellenmotoren sind kreisringförmig aufgebaut. Der erste Motor dieser Form wurde 1973 von S ASHIDA aufgebaut [253]. Wanderwellenmotoren zählen ebenfalls zu den Ultraschallaktoren, da ihre Ansteuerfrequenzen zwischen 20 kHz und 100 kHz liegen. Dieser Abschnitt beschränkt sich auf die Vorstellung der kreisringförmigen Wanderwellenmotoren mit umlaufender Biegewelle. Näheres zu linearen Wanderwellenmotoren sind in bekannter Literatur zu finden [55, 90, 91]. Wie Abbildung 9.43 zeigt, besteht der Stator des Motors aus einem Ring mit piezoelektrischen Elementen. Diese sind in abwechselnd positiver und negativer Polarität auf dem Ring platziert. Der Stator ist mit Einschnitten versehen, um die umlaufenden Biegewelle zu ermöglichen. Jeder Punkt an der Oberfläche des Stators des Motors führt, wie in Abbildung 9.43 schematisch dargestellt ist, eine ortsfeste elliptische Bewegung aus (Trajek-
266
9 Aktorentwurf
Ringscheibe mit piezoelektrischen Elementen -
+
Rotor
Reibbelag
- + - + + + +
+ + +
Drehrichtung des Rotors Metallteil
-
Statoroberfläche
Fortpflanzungsrichtung der Wanderwelle
Stator
+ + - + -
Piezokeramik
Abb. 9.43 Piezoelektrischer Wanderwellenmotor: links: Statorscheibe mit piezoelektrischen Elementen und rechts: schematische Darstellung der Funktionsweise eines ringförmigen piezoelektrischen Wanderwellenmotors [114] .
torie). Diese einzelnen elliptischen Bewegungen überlagern sich zu einer fortlaufenden Welle auf dem Stator. Durch Reibschluß wird die Bewegung auf den Rotor übertragen und dieser so angetrieben. Der Kontakt zwischen Stator und Rotor ist dabei ständig vorhanden d.h. zu jedem Zeitpunkt sind gleich viele Punkte in Kontakt. Die Bewegungsgleichung des Wanderwellenmotors ist u(x,t) = A cos(kx − ω t)
(9.68)
Durch Umformen ergibt sich die folgende Form: u(x,t) = A(cos(kx))(cos(wt)) + A(cos(kx − π /2))(cos(kx + π /2))
(9.69)
Der zweite Term der Gleichung 9.69 beinhaltet eine wichtige Information zur Ansteuerung des Wanderwellenmotors. Eine Wanderwelle kann folglich durch zwei zeitlich und räumlich phasenverschobene stehende Wellen erzeugt werden. Typischerweise erfolgt die Ansteuerung mit einer räumlichen Phasenbedingung von x0 = λ /4 und einer zeitlichen Phasenbedingung von Φ0 = π /2. Dies ist die einzige Möglichkeit, in der Struktur eine Wanderwelle zu erzeugen. Die Drehrichtung des Motors kann durch einfache Änderung der zeitlichen Phasenverschiebung von +π /2 auf −π /2 umgekehrt werden [80, 93, 97, 253]. In Abbildung 9.44 ist die Realisierung eines Wanderwellenmotors zu sehen. Ein großer Vorteil des Wanderwellenmotors ist, dass hohe Drehmomente auch bei niedrigen Drehzahlen erzeugt werden können. Er besitzt ein kleines Bauvolumen bei geringem Gewicht. Wie in Abbildung 9.44 zu sehen ist, ist eine flache Bauform möglich. Im passiven Zustand besitzt der Wanderwellenmotor ein hohes Haltemoment von ca. 100 N. Weitere Vorteile sind die gute Steuerbarkeit, die hohe Dynamik, die Unempfindlichkeit gegenüber elektromagnetischer Störstrahlung sowie der geräuschlose Be-
9.4 Piezoelektrische Aktoren
267
Abb. 9.44 Reaslierung eines piezoelktrischen Wanderwellenmotors der Daimler-Benz AG [271]. .
trieb [274]. Eine typische Anwendung des Wanderwellenmotors ist die Realisierung der Autofokus-Funktion in Photoapparaten.
Uchinomotor Der piezoelektrische Motor von K. Uchino [252, 253] weist eine sehr kompakte Bauform auf (s. Abbildung 9.45). Sie besteht aus einem metallischem Rohr, das an zwei seiner Außenseiten so abgeflacht wird, dass zwei aufeinander senkrecht stehende Flächen entstehen. Auf diese Flächen werden zwei quaderförmige piezoelektrische Elemente platziert. y
hohler Metallzylinder PZT-Platte X x
PZT-Platte Y
Abb. 9.45 Schematische Darstellung des piezoelektrischen Ultraschallaktors von Uchino [252, 253].
Wird die Platte X angesteuert, erfährt der metallische Hohlzylinder ein Biegemoment entlang der x-Achse. Wegen der unsymmetrischen Masseverteilung des Zylinders aufgrund der Platte Y wird zusätzlich eine zweite Biegebewegung in y-Richtung induziert. Diese Bewegung ist phasengleich mit der Bewegung in xRichtung. Die resultierende Bewegung ist eine elliptische Bewegung. Diese Bewegung treibt einen Zylinder, der sich innerhalb des hohlen Metallzylinders befindet,
268
9 Aktorentwurf
in translatorischer Richtung an. Um die Drehrichtung des Motors umzukehren, wird die Platte Y angesteuert. Der Motor ist sehr klein. Sein typischer Durchmesser beträgt 2,4 mm bei einer Länge von 12 mm. Er zeichnet sich durch ein sehr einfaches Design und einfache und kostengünstige Herstellung aus. Die Ansteuerfrequenz liegt bei 61 kHz. Im Freilauf wird bei einer Drehgeschwindigkeit von 1800 rpm ein Drehmoment von 1,8 mNm erreicht. Die Geschwindigkeit der erzeugten Linearbewegung kann zwischen 1 μ m/s und 10 mm/s mit einer Auflösung von 0,5 μ m stufenlos variiert werden. Die Ansteuerspannung beträgt typischerweise 80 V.
angetriebene Stange
Ultraschallmotor
Fingerspitze
Abb. 9.46 Photo einer Realisierung eines Ultraschallmotors nach dem Uchinoprinzip der Firma Squiggle Motors [231].
Eine besonders kleine Ausführung dieses Motors hat Abmessungen von 1,5 x 1,5 mm2 bei der Läge von 6 mm der Fa. Squiggle Motors (s.Abb. 9.46). Er ist damit der kleinste Linearmotor, der derzeit erhältlich ist.
Piezoelektrischer Schrittantrieb Eine weitere außergewöhnliche Bauform ist der Motor PI Nexline. Er kombiniert den longitudinalen Effekt mit dem piezoelektrischen Schereffekt. Auf diese Weise wird ein piezoelektrischer Schrittantrieb realisiert. Der prinzipielle Aufbau des Motors ist in Abbildung 9.47 schematisch dargestellt. Die Bewegung des Motors ähnelt dem Inchwormprinzip. Abwechselndes Klemmen, Vortreiben und Loslassen der piezoelektrischen Elemente bewirken die lineare Bewegung der Stange. Die piezoelektrischen longitudinalen Elemente erzeugen dabei die Klemmung in z-Richtung, die Scherelemente die Bewegung bzw. Kraftwirkung in x-Richtung. Werden die Scherelemente um 90◦ gedreht ist ebenfalls eine Bewegung in y-Richtung möglich. Vorteil dieser Aktorbauform ist die hohe Positioniergenauigkeit des angetriebenen Elementes. Bei einem gesamten Stellweg von 20 mm beträgt sie 0,5 nm. Die Schrittfrequenz beträgt, abhängig von der Ansteuerung, bis zu 100 Hz und erlaubt,
9.4 Piezoelektrische Aktoren
269
z-Longitudinalelemente angetriebene Stange piezoelektrische Elemente
P E P E P E P E P E P E P E P E
x-Scheerelemte z
y x
Abb. 9.47 Piezoelektrischer Schrittantrieb, der den Schereffekt und den longitudinalen Effekt ausnutzt [129].
je nach maximaler Schrittlänge Geschwindigkeiten bis zu 1 mm/s. Die Schrittweite kann stufenlos zwischen 5 nm und 8 μ m gewählt werden. Die gewünschte Position kann geregelt oder ungeregelt angefahren werden. Für die geregelten Betrieb steht über dem gesamten Stellbereich ein Linearencoder zur direkten Positionserfassung mit einer Auflösung von 5 nm zur Verfügung. Im ungeregelten Betrieb erreicht der Schrittmotor eine Auflösung von 0,03 nm in einer hochdynamischen DitheringMode. Der Aktor kann Zug- oder Druckkräfte von maximal 400 N erzeugen, die maximale Haltekraft beträgt 600 N. Die reguläre Betriebsspannung liegt bei 250 V. Alle hier angegeben Werte beziehen sich auf den Aktor N-215.00 Nexline der Fa. Physik Instrumente (PI) GmbH & Co. KG (www.pi.ws) [129]. Da durch den Schrittantrieb keine Reibung zwischen den piezoelektrischen Elementen und dem angetriebenen Element auftritt, zeichnet sich diese Bauform zusätzlich durch eine hohe Lebensdauer von über 10 Jahren aus. Eine Anwendung des Schrittmotors zeigt Abbildung 9.48. Hier sind sechs Antriebe in einer Parallelkinematik integriert. Dieser Hexapod kann für große Lasten auch unter starken Magnetfeldern eingesetzt werden.
Abb. 9.48 Anwendung des piezoelektrischen Schrittantriebes in dem Hexapod [129].
270
9 Aktorentwurf
9.4.3 Entwurf piezoelektrischer Aktoren für haptische Systeme Nachdem in den vorherigen Abschnitten die grundlegenden Bauformen piezoelektrischer Aktoren sowie ausgewählte Sonderbauformen vorgestellt wurden, folgt in diesem Abschnitt die Darstellung des Entwurfs piezoelektrischer Aktoren. Zunächst wird das grundlegende Vorgehen bei dem Entwurf beschrieben. Hinweise, welche Bauformen sich für welche Anwendungen eignen, werden gegeben. Im Anschluss werden drei verschiedene Werkzeuge zum Entwurf vorgestellt: Die Beschreibung mit Hilfe elektromechanischer Netzwerke, analytische Gleichungen und Finite-Elemente-Simulationen.
9.4.4 Vorgehen beim Entwurf piezoelektrischer Aktoren In Abbildung 9.49 ist das generelle Vorgehen beim Entwurf eines piezoelektrischen Aktors dargestellt.
Klären der Anforderungen
Auswahl einer grundlegenden Aktorbauform
Analytische Berechnungen
Elektromechanische Netzwerke
FEMSImulationen
Entwurf des Aktors
praktische Verifizierung in Tests
Abb. 9.49 Vorgehen beim Entwurf eines piezoelektrischen Aktors.
Die Auswahl einer grundlegenden Aktorbauform, wie sie in den ersten Abschnitten diesen Kapitels vorgestellt wurden, hängt stark von dem gewünschten Anwendungsfall ab. Zur Orientierung ist in Abbildung 9.50 ein Entscheidungsbaum dargestellt, in den sich die gewünschte Anwendung einordnen lässt.
9.4 Piezoelektrische Aktoren
271
Gerät
taktil
kinästhetisch Art der Anregung
Art der Penetration
senkrecht zur Haut Auflösung des Displays
Braille Vibrotaktil 1
2
lateral zur Haut
passiv
aktiv
Art der Stimulation
diskret
kontinuirlich
3
4
Richtung, die der Nutzer erfahren soll
rotatorisch linear 5
6
rotatorisch linear 7
8
Abb. 9.50 Entscheidungsbaum zur Auswahl einer piezoelektrischen Aktorbauform.
Im Folgenden werden für die aufgezeigten Anwendungen Hinweise zu geeigneten Bauformen piezoelektrischer Aktoren gegeben. Diese Liste garantiert jedoch keine Vollständigkeit! Es ist an dieser Stelle der Kreativität des Entwicklers überlassen, neue und innovative Lösungen zu finden und umzusetzen. Für die Entwicklung eines taktilen Displays können jedoch grundlegende Hinweise aufgestellt werden. Diese sind: 1
Braille Displays müssen der Fingerkraft entgegenwirken. Das erfordert Kräfte im mN-Bereich sowie Auslenkungen von etwa 100 μ m. An die Dynamik werden keine hohe Anforderungen gestellt; sie liegen hier im niedrigen Frequenzbereich. Die kleinsten Abmessungen eines Pixels müssen entsprechend der menschlichen Auflösung am Finger 1 x 1 mm2 betragen. 2 Im Vergleich zum Braille-Display werden bei einem vibrotaktilen Display höhere Frequenzen sowie kleinere Auslenkungen und Kräfte benötigt, um dem Nutzer eine statische Form darzustellen. 3,4 Diese Displays haben zur Zeit noch keine praktische Anwendung und befinden sich bezüglich ihres vermittelten Gefühlseindrucks noch im grundlegenden Forschungsstadium. Zum Einsatz kommen ebenfalls Biegeaktoren. 5-8 Im Gegensatz zu taktilen Displays hängt bei kinästhetischen System die Auswahl der grundlegenden Bauform stärker von der Anwendung ab. Erforderliche Kräfte, Stellwege und Freiheitsgrade bestimmen die Aktorwahl. Weiterhin kann der Bauraum ein anwendungsspezifisches Ausschlusskriterium darstellen. Weitere Hinweise zum Klären der Anforderungen sind in Kapitel 6 aufgeführt. Zur weiteren Orientierung sind in Abbildung 9.51 die Bauformen aus Abschnitt 9.4.2 in ein Kraft - Amplituden - Diagramm eingeordnet worden, um die Auswahl zu erleichtern.
272
9 Aktorentwurf
Amplitude [µm] 1k BiegeStapel wandler BiegeStapel scheibe
100
StreifenStapel aktor, Tubus
10
Stapel mit Hebel
Stapel
1
1
10
100
1k
10k
Kraft [N]
Abb. 9.51 Kraft-Amplituden-Diagramm zur Einordnung der piezoelektrischen Aktorbauformen.
Die Auswahl einer geeigneten Bauform für eine bestimmte Anwendung erfordert viel Erfahrung. Oft kann durch Kombination verschiedener Bauformen ein völlig neues Antriebskonzept entwickelt werden. Jedoch eignen sich auch die am Markt erhältlichen piezoelektrischen Antriebe aus Abschnitt 9.4.2.2 für den Einsatz in haptischen Displays. Ist das grundlegende Aktorprinzip ausgewählt, folgt der Entwurf. Dafür stehen drei verschiedene Methoden zur Verfügung, die im Folgenden vorgestellt werden. Die jeweiligen Methoden werden an dieser Stelle grundlegend vorgestellt, sowie ihre jeweiligen Vor- und Nachteile aufgezeigt. Zudem werden Hinweise auf geeignete weiterführende Literatur gegeben.
9.4.4.1 Methoden und Werkzeuge zum Entwurf Für den Entwurf der Aktoren stehen grundsätzlich drei verschiedenen Entwurfswerkzeuge zur Verfügung: • Beschreibung mit Hilfe elektromechanischer Netzwerke • Analytische Berechnungen • Finite Elemente Simulationen
9.4 Piezoelektrische Aktoren
273
Beschreibung mit Hilfe elektromechanischer Netzwerke Die piezoelektrischen Grundgleichungen in Abschnitt 9.4.1.1 auf Seite 256 dienen als Basis zur Erstellung des elektromechanisches Ersatzschaltbild für einen piezoelektrischen Wandler. Der piezoelektrische Aktor kann als elektromechanisches Schaltbild dargestellt werden. In Abbildung 9.52 ist der Wandler mit einer gyratorischen Verknüpfung dargestellt (a), alternativ ist eine transformatorische Verknüpfung möglich (b) (siehe auch Anhang 17). i u
iw Cb
i
Fw F
( ) ( )( ) u 0 Y v i = 1/Y 0 Fw
nK v
u
Fw Cb
(a)
( ) ( )( ) u j/X 0 v i = 0 jX Fw
F nK
nC v
(b)
Abb. 9.52 Darstellung des piezoelektrischen Wandlers als elektromechanischen Schaltbild als (a) gyratorische und (b) als transformatorische Verknüpfung [153].
Für die gyratorische Verknüpfung sind in den Gleichungen 9.70 bis 9.73 die Beziehungen zur Berechnung der Bauelemente aus den Konstanten e, c, ε sowie den Wandlerabmessungen l und A zusammengefasst [153]. A A = (ε − d 2 · c) l l A 1 l nK = · = s · C A l 1 l s l Y = · = · e A d A d2 e2 = k2 = ε ·c ε ·c Cb = ε ·
für v = 0
(9.70)
für U = 0
(9.71) (9.72) (9.73)
mit der piezoelektrischen Kraftkonstanten e = d ·c =
d s
(9.74)
Für die tranformatorische Verknüpfung gilt: X=
1 ω Cb ·Y
und
nC = Y 2 ·Cb
(9.75)
274
9 Aktorentwurf
In Abbildung 9.53 ist das Ergebnis der Darstellung eines Elementes Δ x aus einem piezoelektrischen Bimorph-Biegewandler (Abmessungen Δ l x Δ h x Δ b) als elektromechanisches Schaltbild dargestellt. x1 +Dx
x1
0
l 3
u
2 1
P P
E3,D3
x h
E3,D3
b
piezoelektrischer Bimorph im Ausgangszustand
Dx DA
M(x1) W(x1)
M(x1+Dx) Betrachtung eines Biegeelemtes im Bereich Dx
W(x1+Dx)
Dx u DCb
Darstellung des Biegeelementes in einer Zehnpolersatzschaltung
(Y) DnRK
M(x1)
M(x1+Dx) W(x1+Dx)
W(x1) F(x1) v(x1)
F(x1+Dx) 2/Dx
Dm
2/Dx
v(x1+Dx)
Abb. 9.53 Ergebnis der Darstellung eines piezoelektrischen Bimorph-Biegeelementes als elektromechanisches Schaltbild im quasistatischen Zustand [153].
Es gilt: T Cb = 4ε33 (1 − kL2 )
Δ nRK ≈ 12 sE11 1 1 d31 = Y 2 sE11
b ·Δx h
(Δ x)3 b · h3 b·h Δx
Der als verlustfrei betrachtete piezoelektrische Wandler verknüpft zunächst die elektrischen mit den mechanisch rotatorischen Koordinaten. Diese sind das Drehm-
9.4 Piezoelektrische Aktoren
275
moment M und die Winkelgeschwindigkeit Ω . Um die Kraft F und die Geschwindigkeit v bestimmen zu können, muss eine zusätzliche transformatorische Verkopplung zwischen dem rotatorischen und dem translatorischen mechanischen Netzwerk eingefügt werden. Als Ergebnis erhält man die vollständige Beschreibung des Teilstückes Δ x aus dem Bimorph in einem Zehnpolersatzschaltbild.
Analytische Berechnungen Eine erste Möglichkeit für den Entwurf piezoelektrischer Aktoren liegt in der Anwendung analytischer Gleichungen. Der Vorteil der analytischen Gleichung liegt in der anschaulichen Beschreibumg der physikalischen Zusammenhänge. Der Einfluss verschiedener Parameter auf eine Zielgröße kann direkt aus den Gleichungen heraus bestimmt werden. Dies ermöglicht eine hohe Flexibilität bei der Variation von z.B. Abmessungen und Materialparametern. Zudem ist der Rechenaufwand zur Lösung der Gleichungen im Vergleich zu Simulationen deutlich geringer. Nachteilig bei analytischen Gleichungen ist, dass sie nur bei einfachen, symmetrischen Geometrien durchgeführt werden können. Komplexere Geometrien lassen sich mit analytischen Gleichungen nur schwer beschreiben. Aber auch bei einfachen Geometrien ist die Beschreibung sehr komplex und erfordert eine relativ lange Einarbeitungszeit und hohes mathematisches Verständnis. Im Folgenden werden relevante Literaturstellen zur Einarbeitung in analytische Berechnungsverfahren sowie Literatur mit Lösungen spezieller Probleme bei dem Entwurf piezoelektrischer Ultraschallaktoren aufgeführt: • Sehr ausführliche Gesamtwerke über den Entwurf piezoelektrischer Aktoren sind [252, 253, 255, 254]. • Die Theorie des piezoelektrischen Effekts und piezoelektrischer Elemente werden in [29, 103, 104] betrachtet. • Die mathematische Beschreibung von Wanderwellenmotoren ist in [208, 285] dargestellt. • Das Kontaktverhalten zwischen Stator und Rotor bei Wanderwellenmotoren behandelt [79, 241, 270, 288] • In [7, 8] wird das statische und dynamische Verhalten piezoelektrischer MultilayerBiegeaktoren beschrieben. • Die Beschreibung des mechanischen Schwingungsverhaltens von Resonanzkörpern ist in [16, 49, 56, 135, 221, 272] ausführlich beschrieben.
Finite Elemente Simulationen Die Anwendung der den vorherigen Abschnitten vorgestellten Lösungsansätze ist auf einfache Geometrien beschränkt. In der Realität treten jedoch komplexe Strukturen auf, die mit analytischen Gleichungen oder mit Hilfe elektromechanischer
276
9 Aktorentwurf
Netzwerke nicht lösbar ist. Diese Strukturen können mit der Methode der Finite Elemente Simulationen (FEM) untersucht werden. Vor allem bietet sich bei dem Entwurf piezoelektrischer Aktoren die Verwendung gekoppelter Systeme an. Ein Beispiel einer FEM-Simulation eines piezoelektrischen Wanderwellenmotors ist in Abbildung 9.54 dargestellt.
Abb. 9.54 FEM-Simulation der Schwingungsform des Stators eines piezoelektrischen Wanderwellenmotors (stark überhöht dargestellt) [274]. .
Zur Lösung der Differentialgleichung stehen auf dem Markt eine Vielzahl verschiedener Simulationsprogramm zur Verfügung. An dieser Stelle sollen nur einige vorgestellt werden. Dies sind z.B. • • • • •
ANSYS (www.ansys.com) ATILA (www.cedrat.com) Comsol Multiphysics (www.femlab.de) ProMechanica (www.ptc.com) oder GiD (http://gid.cimne.upc.es).
Die Simulationsprogramme sind unter den angegebenen Adressen käuflich zu erwerben. Kostenfreie Testversionen sind auch verfügbar, besitzen jedoch Beschränkungen z.B. in der verwendbaren maximalen Knotenanzahl oder den auswählbaren Elemente aus den Bibliotheken. Literatur für den Einstieg in die Finite-Elemente-Simulation bieten die Bücher „FEM für Praktiker“ [173, 234] sowie zahlreiche Dokumentation und Handbücher der jeweiligen Simulationssoftware.
9.4.5 Piezoelektrische Aktoren in haptischen Systemen Piezoelektrische Antriebe gehören zu den am weitesten verbreiteten Antrieben in haptischen Systemen. Die zuvor beschriebenen Bauformen können in unterschiedlichen Auslegungen für eine Vielzahl von Anwendungen optimiert werden. Einer
9.4 Piezoelektrische Aktoren
277
der wichtigsten Gründe für die häufige Verwendung ist die hohe Leistungsfähigkeit dieser Aktoren bei vergleichbar geringem Platzbedarf, also einer hohen Leistungsdichte. Um eine Klassifizierung diverser realisierter haptischer Systeme vorzunehmen, erfolgt eine Einteilung in taktile und kinästhetische Systeme.
9.4.5.1 Piezoelektrische Aktoren in taktilen Systemen Für den Aufbau eines taktilen Displays ist es von großer Bedeutung, in welchem Einsatz es betrieben werden soll. Die Bandbreite reicht hier von makroskopischen Tischaufbauten, die beispielsweise als Blindenschrift-Lese-Systeme unter einer handelsüblichen PC-Tastatur aufgestellt werden und nur wenige Braille-Zeilen darstellen können, bis hin zu hochintegrierten Systemen, die sogar in mobilen Anwendungen zum Einsatz kommen. Gerade hierbei sind die Anforderungen an einen kleinen Bauraum, eine sichere und leise Funktionsweise, aber auch an ein geringes Gewicht bei möglichst geringem Energiebedarf und minimaler Hitzeentwicklung enorm. Die folgenden Beispiele sind in zwei Untergruppen gegliedert, die sich in der Richtung der Kraftwirkung auf die Haut des Nutzers unterscheiden: senkrecht oder lateral.
Taktile Displays mit senkrechter Penetration Braille-Zeilen Als Braille-Zeichen werden die Punktmuster in Form von Erhöhungen aus einer Ebene bezeichnet, die als Blindenschrift dienen. Durch Ertasten der aus acht Punkten (zwei nebeneinander, vier übereinander) bestehenden Kombinationen können 256 Zeichen unterschieden werden. Schon seit den 70er Jahren werden Lesegeräte für Blinde entwickelt, die diese Zeichen in Form einer 2x4 Pin-Matrix darstellen können. Die wichtigsten Kenndaten sind die maximale Auslenkung von 0, 1 − 1 mm und eine Gegenkraft von 200 mN. Schon früh wurden elektromagnetische Antriebe durch piezoelektrische Bimorph-Biegewandler ersetzt, da diese eine viel flachere Bauform erlauben, leiser und schneller sind. Bei typischen Betriebsspannnungen von ±100 − 200 V und einem Nennstrom von 300 mA verbrauchen sie außerdem deutlich weniger Energie. Abbildung 9.55 zeigt den typischen Aufbau eines BrailleZeichens, dass von piezoelektrischen Bimorph-Biegeelementen angetrieben wird. Nachteilig an diesen Systemen ist der recht hohe Preis, da für 40 Zeichen mit je acht Punkten insgesamt 320 Biegeaktoren benötigt werden. Außerdem beanspruchen sie ein heute relativ großes Bauvolumen, da die Biegeelemente eine Länge von einigen cm aufweisen müssen, um die gewünschte Auslenkung zu erreichen. Diese taktilen Anzeigegeräte gehören zur Klasse der gestaltabbildenden Displays. Die statisch ausgelenkten Pins ermöglichen dem Nutzer das Erkennen der abgebildeten Struktur.
278
9 Aktorentwurf
Abb. 9.55 Schematischer Aufbau eines Braillezeichens mit Piezo-Biegeaktoren
Vibrotaktile Displays Bei einem vibrotaktilen Display erkennt der Nutzer nicht die Auslenkung einer Oberfläche, sondern die Hautoberfläche wird in Schwingung versetzt, was bei geringeren Amplituden der Auslenkung zu einem vergleichbaren Gefühlseindruck führt. Der Aufbau von vibrotaktilen Displays entspricht grundsätzlich einer Erweiterung der Braille-Zeichen auf eine N x N - Matrix, die dynamisch angeregt wird. Das erzeugte taktile Bild wird nicht von der Eindringtiefe der Penetration erzeugt, sondern von der Amplitude der Schwingung [106]. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Untersuchung der Anregungsfrequenz, da das menschliche Empfinden bei den meisten Sinnesorganen frequenzabhängig ist. Mit genauer Kenntnis dieser Zusammenhänge lassen sich optimierte taktile Displays bauen, die eine effiziente und gut wahrnehmbare Stimulation erzeugen. Wichtig für diese Art von Displays ist eine ausreichend große Anzeigefläche, da Eigenbewegungen des Fingers eine Störgröße darstellen. Der „Texture Explorer“ ist als vibrierendes 2 x 5 Pin-Array aufgebaut [105] . Mit ihm werden Untersuchungen zur Wahrnehmung von taktilen Reizen, sowie der Überlagerung taktiler Reize mit einer Kraft-Rückmeldung durchgeführt. Die darzustellenden Oberflächen unterscheiden sich sowohl in ihrer Geometrie, als auch in der Oberflächenrauhigkeit. Abbildung 9.56 zeigt den schematischen Aufbau des AktorArrays. Die Kontakt-Pins sind 0, 5 × 0, 5 mm2 groß und mit einem Mittelpunktabstand von je 3 mm angeordnet. Jedes Pin wird separat von einem piezoelektrischen Bimorph-Biegeaktor mit einer Spannung von 100 V und einer Frequenz von 250 Hz betrieben. Die maximale Auslenkung der Pins aus der Oberfläche heraus beträgt 22 μ m und kann auf weniger als 1 μ m genau aufgelöst werden. Ein deutlich aufwändigeres System besteht aus 100 einzeln angesteuerten Pins [237]. Es bietet weiterhin die Möglichkeit zu einer breitbandigen Stimulation von 20 − 400 Hz. Abbildung 9.57 zeigt den schematischen Aufbau. In einem Kreis um die Stimulatorfläche sind 20 piezoelektrische Bimorph-Biegewandler (PZT-5H Morgan Matronic, Inc.) in insgesamt fünf Lagen übereinander angeordnet. An jedem Biegeaktor ist ein Kunststoffpin befestigt, der in der Stimulationsfläche im Ruhezustand 1 mm aus der Oberfläche heraus ragt. Die Pins haben einen Durchmesser von 0, 6 mm und sind in einem Abstand von jeweils 1 mm angeordnet. Bei einer maximalen Spannung von ± 85 V erreichen sie eine Auslenkung von ± 50 μ m. Um die
9.4 Piezoelektrische Aktoren
279
Abb. 9.56 Schematischer Aufbau des „Texture Explorer“ [105]
aktive Fläche herum ist eine Reihe passiver Pins gleicher Höhe angeordnet, um dem tastenden Finger die Begrenzung der Displayfläche anzuzeigen.
Abb. 9.57 Schematischer Aufbau des 100 Pin-Arrays [237]
Ein noch leistungsfähigeres System zeigt [144]. Das deutlich kompaktere 5 x 6 Pin-Array kann sowohl statisch als auch dynamisch bis zu Frequenzen von ≈ 500 Hz betrieben werden. Auch hier kommen piezoelektrische Bimorph-Biegewandler zum Einsatz, die eine Auslenkung von 700 μ m erreichen. Allerdings ist die Blockierkraft mit 60 mN recht gering. Ubi-Pen Der „Ubi-Pen“ stellt eines der am höchsten integrierten taktilen Systeme dar. In einem Stift ist sowohl ein Scheibenmotor, als auch ein taktiles Display integriert [147]. Der Aufbau des taktilen Displays basiert auf dem „TULA35“ UltraschallLinearmotor (Piezoelectric Technologie Co). Den schematischen Aufbau dieser Linearmotoren zeigt Abbildung 9.59. Der Aktor besteht aus einem Antriebselement,
280
9 Aktorentwurf
Abb. 9.58 Schematischer Aufbau des 5x6 Pin-Arrays [144]
einem Stift und dem bewegten Element. Die zwei piezokeramischen Scheiben werden so zu einer Schwingung angeregt, dass der Stift nach oben und unten oszillieren kann. Dabei handelt es sich um eine elliptische Schwingung, bei der der Stift das bewegte Element z.B. langsam mit nach oben führt, in der schnelleren Bewegung nach unten jedoch die Reibkraft überwindet und das Element an der höheren Position verharrt. Der Aktor hat einen Durchmesser von 4 mm und eine Höhe von 0, 5 mm, der Stift ist 15 mm lang und hat einen Durchmesser von 1 mm. Dieser kann damit direkt als „Pin“ genutzt werden, der aus der Oberfläche heraus tritt. Die Blockierkraft des Aktors ist größer 200 mN und bei einer Anregungsfrequenz von 45 kHz kann er eine Geschwindigkeit von 20 mm/s erreichen.
Abb. 9.59 Schematischer Aufbau des Ultraschallmotors „TULA35“ [147]
Abbildung 9.60 zeigt den Aufbau des 3 x 3 Pin-Arrays. Bemerkenswerte ist die geringe Größe des Aufbaus: alle äußeren Kanten haben eine Länge von 12 mm. Die Stifte sind mit einem Punktabstand von je 3 mm angeordnet, insgesamt sind unter einer Fläche von 1, 44 cm2 neun separate Antriebe untergebracht. Um diese
9.4 Piezoelektrische Aktoren
281
hohe Aktordichte erreichen zu können, sind die Stiftlängen unterschiedlich ausgeführt. Somit können die beweglichen Elemente so dicht aneinander gefügt werden, dass sie direkt miteinander verbunden werden können. Wird dieser Block an der Oberkante des Displays befestigt, bewegen sich die Stifte bei einer Aktivierung des Aktors in, bzw. aus der Ebene. Das Gewicht der kompletten Einheit beträgt 2, 5 g. Wird der maximale Stellweg von 1 mm genutzt, so kann eine Bandbreite von 20 Hz erreicht werden.
Abb. 9.60 Taktiles 3x3-Pin-Array [147]
Die Integration in einen Stift, mitsamt eines zusätzlichen Scheibenmotors zur Generation von Vibrationen in der Spitze, ist in Abbildung 9.61 gezeigt. Der zusätzliche Antrieb dient der Darstellung eines Kontaktes des Stifts mit der Oberfläche. Der komplette Stift wiegt 15 g.
Abb. 9.61 Prototyp des „Ubi-Pen“ [146]
Mit dem Ubi-Pen lassen sich sowohl die Oberflächenstrukturen wiedergeben, wie z.B. die Oberflächenrauheit, als auch Hindernisse oder extreme Unebenheiten. Dafür werden Vibrationen mit dem Scheibenmotor überlagert. Besteht ein Kontakt des
282
9 Aktorentwurf
Stifts mit einer druckempfindlichen Oberfläche (Touch-Panel), so kann ein dort dargestelltes grafisches Bild beispielsweise hinsichtlich seiner Grauwerte ausgewertet werden, die dann mit dem taktilen Display in Form unterschiedlich weit ausgelenkter Pins dargestellt werden können. Mit dem System wurden bereits viele Tests zur Wiedererkennung unterschiedlicher dargestellter Informationen durchgeführt [145]. Die erzielten Ergebnisse sind mit einer durchschnittlichen Wiedererkennung von etwa 80 % bei untrainierten Nutzern beeindruckend gut.
Taktile Displays mit lateraler Hautbewegung Diskrete Stimulation Die Stimulation erfolgt nicht über eine lokale Auslenkung senkrecht zur Hautoberfläche, sondern über Scherkräfte, die von der lateralen Bewegung der Kontaktelemente und der Fingeroberfläche erzeugt werden („laterotactile display“) [89]. In Abbildung 9.62 links ist der schematische Aufbau eines eindimensionalen Aktorarrays zu sehen. Die Aktivierung eines Piezoelementes führt zu dessen Dehnung und somit zu einer Deformation des passiven Kontaktkammes (Krone). Wird an dieser Stelle die aufgelegte Haut eines Fingers auseinander bewegt, so wird dies als ein „Kontaktpunkt“ wahrgenommen. In Abbildung 9.62 rechts ist ein 2-D Display
Abb. 9.62 1D Array eines "laterotactile display“ [89] und 2D STReSS2 Display [156]
abgebildet. Bei der Erweiterung eines 1D zu einem 2D Array ist zu beachten, dass die Überlagerung der zwei Bewegungsrichtung zu neuen, komplexeren Bewegungsmustern führt. Eine genauere Untersuchung zur Leistungsfähigkeit dieses Systems zeigt [156], hier wird u.a. die Tauglichkeit des lateralen Dehnungsprinzips als virtuelles 6-Punkt Braille-Diplay nachgewiesen. Kontinuierliche Stimulation Der Übergang von den zuvor beschriebenen diskreten angeregten Punkten wird mit einem piezoelektrischen Wanderwellenmotor gezeigt [22]. Dem tastenden Finger
9.4 Piezoelektrische Aktoren
283
steht eine geschlossene, kontinuierliche Oberfläche gegenüber. Die taktile Darstellung ist damit deutlich höher und unempfindlicher gegenüber Bewegungen des Fingers. Wird die Kontaktoberfläche unter der Haut zu einer stehenden Welle angeregt, so empfindet der Nutzer eine Oberflächentextur, bei einer Relativbewegung zwischen Oberfläche und Finger sogar eine Oberflächenrauheit. Dem bewegten Finger kann über eine Änderung der Gestalt der Wanderwelle eine Tastkraftänderung simuliert werden. Abbildung 9.63 zeigt schematisch den Kontakt zwischen Finger und Wanderwelle, sowie die zugehörigen Bewegungsrichtungen. In einen Testaufbau
Abb. 9.63 Kontaktfläche zwischen Finger und Wanderwelle [22]
von [22] ist ein Stator des Wanderwellenmotors USR60 (Shinsei) verbaut. Dieser bietet mit einer Wellengeschwindigkeit von 15 cm/s eine typische tangentielle Geschwindigkeit und kann dabei Kräfte bis ≈ 2 N ausüben. Mit diesem System können gleichmäßige und verzögernde Eindrücke durch eine Veränderung der Wellenform erzeugt werden. Weiterhin kann durch die Überlagerung eines niederfrequenten periodischen Signals über die Ultraschall-Vibration das Gefühl einer Oberflächenrauheit erzeugt werden. Aktuell wird an der Herstellung eines linearen UltraschallWanderwellen-Displays gearbeitet.
9.4.5.2 Piezoelektrische Aktoren in kinästhetischen Systemen Die in kinästhetischen Systemen eingesetzten piezoelektrischen Antriebe dienen meist als aktive Komponenten, d.h. der Nutzer interagiert direkt mit den vom Aktor generierten Kräften, bzw. aufgebrachten Drehmomenten. Ein klassisches Beispiel hierfür ist der Drehknopf, der direkt von einem Wanderwellenmotor angetrieben wird. Bei passiven Systemen dient der Aktor als schaltendes Element, das entweder diskret oder kontinuierlich abgegebene Leistung eines Aktors oder eingebrachte Kräfte eines Nutzers aufnehmen, bzw. ihnen entgegen wirken kann. Beispiele hierfür sind Bremsen und Kupplungen.
284
9 Aktorentwurf
Aktive kinästhetische Systeme Piezoelektrische Wanderwellenmotoren haben ein sehr hohes Drehmoment zu Masse Verhältnis, verglichen mit klassischen elektrischen Motoren. Sie sind daher prädestiniert für Einsätze in Anwendungen mit einem hohen Drehmoment bei kleineren Drehzahlen, sie benötigen nämlich kein zusätzliches Getriebe oder andere Untersetzung. In kinästhetischen System werden genau diese Antriebscharakteristika benötigt. Mit einem relativ einfachen mechanischen Aufbau lässt sich ein haptischer Drehknopf realisieren: eine drehbar gelagerte Platte, an der der Endeffektor für den Nutzer befestigt ist, wird auf den Stator eines Wanderwellenmotors gedrückt. Den schematischen Aufbau des kritischen Kontaktstücks zeigt Abbildung 9.64. Auf Grund der Eigenschaften eines Wanderwellenmotors kann die Drehzahl des Rotors leicht verändert werden, indem die Wellenamplitude des Stators w erhöht wird. Da es sich bei dem Motorprinzip um einen mechanischen Resonator handelt, wird er mit Spannungen bei Frequenzen in der Größenordnung seiner Resonanzfrequenzen betrieben. An dieser Stelle wird auch der schwierigste Aspekt dieser Konfiguration ersichtlich: die Motoren weisen an der Stator-Rotor-Schnittstelle ein stark nichtlineares Verhalten auf. Dem Ansteuerungskonzept und der Elektronik kommt somit eine große Bedeutung zu. In Abbildung 9.65 ist die Drehzahl/Lastmoment-
Abb. 9.64 Verlauf der Statorwanderwelle unter dem Rotor [72]
Kennlinie für verschiedene Wellenamplituden w des Aktors aus [43] gegeben. Das Drehmoment hängt stark von der aktuellen Drehzahl und der gewählten Wellenamplitude ab. Mit einer Steuerung des Phasenversatzes und einer genau einstellbaren Amplitude der Wanderwelle kann das kinästhetische System auf einen linearen Drehmoment-Drehwinkel-Kennlinienverlauf geregelt werden. Dabei wird ein maximales Drehmoment von ≈ 120 mNm erreicht. Eine genaue Beschreibung der Auslegung der Phasenkontrolle für ein piezoelektrischen Wanderwellenmotor an obigem Beispiel ist in [72] gegeben. Eine spezielle Ausführung eines solchen kinästhetischen Drehknopfes ist zu neurowissenschaftlichen Untersuchungen für den Einsatz in der Magnetresonanztomographie ausgelegt [60]. Um eine Regelung der Admittanz des Systems zu ermöglichen, ist das erfassen des Drehmoments erfor-
9.4 Piezoelektrische Aktoren
285
Abb. 9.65 Drehzahl/Lastmoment-Kennlinie für unterschiedliche Amplituden [43]
derlich. Dies wird wegen der speziellen Einsatzbedingungen mit Lichtleitfasern durchgeführt, das Drehmoment wird über eine Intensitätsmessung des Lichtes an der Spiegelung über eine verbiegbare Polymerprobe ermittelt. Damit das starke Magnetfeld und die schnell geschalteten Gradienten des Magnetfeldes das Gerät nicht stören (und umgekehrt) ist der Aufbau überwiegend aus nicht leitenden Materialien aufgebaut. Bei dem Wanderwellenmotor handelt es sich um eine spezielle MRkompatible Version des „URS60“ (Shinsei). Hybrid-Systeme Eine weitere Klasse kinästetischer Systeme sind die Hybrid-Systeme. Will man mit einem Display eine sehr große Bandbreite von Kräften und Auslenkungen darstellen, so gibt es keinen Antrieb, der alle diese Größen generieren kann. Deshalb sind einige Hybridsysteme entstanden, bei denen zwei (oder mehr) Komponenten zusammen agieren. Ein typisches Beispiel dafür ist die Kombination eines dynamischen Motors mit einer Bremse, letztere ist integriert um deutlich größere Haltemomente zu generieren. Wie im vorigen Abschnitt dargestellt, ist die Regelung eines Wanderwellenmotors auf eine Impedanz sehr herausfordernd. Einen relativ eleganter Weg dies zu umgehen, ist der Einsatz eines Wanderwellenmotors in Kombination mit einer Kupplung. Der Wanderwellenmotor unterscheidet sich von herkömmlichen Motoren vor allem darin, dass er mit einer lastunabhängigen, einstellbaren Geschwindigkeit rotiert. Um am Ausgang ein gewünschtes Drehmoment zu generieren, wird dem System eine Kupplung hinzugefügt. Anstelle einer Kupplung kann auch ein Differenzial und eine Bremse verwendet werden. Ein solches System stellt [37] vor. Wird das System belastet, so reicht allein der Betrieb der Bremse aus, um die Reibung zu erhöhen oder sogar für ein Blockieren zu sorgen. Dem System steht somit die komplette Dynamik des Wanderwellenmotors für aktive Kräfte zur Verfügung, die passiven können durch die Bremse deutlich verbessert werden. Durch den
286
9 Aktorentwurf
einfachen mechanischen Aufbau und die Einsparungen im Energieverbrauch eignen sich diese Systeme sogar für mobile Anwendungen.
Passive kinästhetische Systeme Objekte können mit Hilfe stehender Schallwellen zur Levitation (Schwebung) gebracht werden. Um dies zu erreichen muss mit der Ultraschallquelle eine stehende Welle gebildet werden. In den Druckknoten der Welle entsteht ein Potential, das ein in die Nähe des Knotens positioniertes Objekt anzieht. Die Größe des Objektes ist dabei von entscheidender Bedeutung, da bei zu großer Ausdehnung der Einfluss der nächsten Knoten zu stark wird. Ein System, das auf diesem Prinzip basiert, ist in [140] beschrieben. Es handelt sich um ein Exoskeleton, also ein Handschuh mit externen mechanischen Führungen und Gelenken. Die Gelenke sind als piezoelektrische Kupplungen ausgeführt, deren schematischer Aufbau in Abbildung 9.66 gezeigt ist. Im Ausgangszustand werden die beiden Platten über eine Feder zusammen gepresst, es entsteht ein Haltemoment. Wird der Vibrator angeregt, so tritt der Schwebeeffekt zwischen Rotor und Stator im Spalt h auf, wodurch die Reibung drastisch gesenkt wird und die beiden Platten frei gegeneinander verdreht werden können.
Abb. 9.66 Schematischer Aufbau der „Schwebe-Kupplung“ [140]
9.4.5.3 Zusammenfassung Taktile Systeme werden zunächst nach der Richtung der Bewegung unterschieden. Bei einer senkrechten Bewegung in die Hautoberfläche hinein, unterscheidet man passive Systeme, die mit ihren Pins eine Oberfläche nachstellen, die der Nutzer ertasten kann. Bei aktiven Systemen, den vibrotaktilen Displays, wird die Information durch eine dynamische Anregung der Hautoberfläche übertragen. Dem Nutzer emp-
9.4 Piezoelektrische Aktoren
287
findet dabei ein „stehendes Bild“. Der Vorteil dieser Variante liegt in den deutlich geringeren Anforderungen hinsichtlich der auszuübenden Kraft und Auslenkung, da die menschliche Empfindlichkeit bei dynamischen Auslenkungen der Haut deutlich höher ist. Nachteilig wirken sich jedoch schnell die Eigenbewegungen eines Fingers aus. Bei einer stehenden Bilddarstellung kann der „Leser“ beliebig nachtasten, was bei einer dynamischen, wechselnden Darbietung nur schwer möglich ist. Eine weitere Alternative sind taktile Systemen mit einer lateralen Bewegung der Haut. Bei geeigneter Anregung fühlt der Mensch ebenfalls eine punktuelle Deformation analog zu einer senkrechten Penetration. Besonders komfortabel sind hier Systeme mit einer geschlossenen Oberfläche, allerdings ist hier eine dynamische Anpassung der Darstellung in Abhängigkeit der Fingerposition für größere Flächen sehr herausfordernd. Die darstellbaren Flächen sind generell kleiner, da die Aktorelemente nicht so dicht angeordnet werden können. Die kinästhetischen (Force-Feedback) Systeme werden in aktive und passive Systeme unterschieden. Bei aktiven Systemen können sowohl Gegenkräfte, als auch unterstützende Kräfte generiert werden. Das darstellbare Spektrum ist somit nur auf die mechanisch möglichen Bewegungs-Freiheitsgrade begrenzt. Eine stabile Regelung für aktive Systeme wird schnell sehr aufwändig, da die komplexen Strukturen meist komplizierte Kontroll-Algorithmen erfordern. Es bleibt bei diesen Systemen immer die potenzielle Gefahr, dass bei einer Fehlfunktion das aktive System den Nutzer verletzen kann. Passive Systeme mit Bremsen oder Kupplungen ermöglichen dem Nutzer das Fühlen eines Widerstandes gegen die eigentliche Bewegung (Reaktionskräfte). Diese Aufbauten werden dementsprechend einfacher und können keine Gefahr für den Nutzer darstellen. Grundsätzliche Nachteile passiver Systeme sind ihre vergleichsweise hohe Reaktionszeit, ein im Langzeiteinsatz unstabiler Betrieb und das verhältnismäßig große Bauvolumen. Hybride Systeme, die eine Mischung beider Arten darstellen, meist aber unter Verwendung mindestens eines anderen Aktorprinzips, können das gewünschte Einsatzgebiet deutlich erweitern. Sie vergrößern zwar den mechanischen Aufbau, können aber die Anforderungen an die Regelung deutlich vereinfachen und sind bei großen Haltemomenten, bzw. -kräften extrem energiesparend. Für die dargestellten drehbaren Knöpfe mit variablen Drehmoment/Drehwinkel-Kennlinien stellen sie derzeit eine der besten Lösungen dar.
288
9 Aktorentwurf
9.5 Elektrostatische Aktoren M ARC M ATYSEK
Elektrostatische Wandler gehören neben den piezoelektrischen Wandlern zur Gruppe der elektrischen Wandler, da die elektrischen Größen direkt mit den mechanischen Größen verknüpft sind. Grundsätzlich können dabei beide Wandlungsrichtungen betrieben werden, d.h. die Wandler können als Aktoren und als Sensoren betrieben werden. Elektrostatische Feldaktoren werden bevorzugt wegen ihres vergleichsweise einfachen Aufbaus und geringen Energiebedarfs verwendet. Besonders durch die Fortschritte in den Fertigungsverfahren der Mikrotechnik können die Vorteile von integrierten Aufbauten genutzt werden. Gerade bei der Miniaturisierung gewinnen die elektrostatischen Feldantriebe gegenüber den elektromagnetischen Antrieben an Bedeutung. Zwar ist deren Energiedichte bei makroskopischen Aufbauten deutlich höher, jedoch kann bei entsprechender Verkleinerung vor allem die Wärmebelastung (Verlustleistung) schnell zu einer begrenzenden Einflussgröße werden. [154] Eine wichtige Untergruppe der elektrostatischen Feldaktoren sind Dielektrische Elastomeraktoren, eine Festkörpervariante, bei der ein Elastomer als Dielektrikum verwendet wird. Dieses weist eine höhere Durchschlagfeldstärke als Luft auf, dient als Träger für die Elektroden und kann gleichzeitig als isolierendes Gehäuse genutzt werden. Neben diesen klassischen Feldaktoren gehören auch elektrorheologische Fluide zur Gruppe der elektrostatischen Aktoren. Hier bewirkt ein äußeres angelegtes Feld eine Änderung der physikalischen Eigenschaften des Fluids.
9.5.1 Größen des elektrischen Feldes 9.5.1.1 Kraft auf Ladungen Die Größe der zwischen zwei Ladungen Q1 und Q2 im Abstand r wirkenden Kraft F wird durch das C OULOMBSCHE-Gesetz Gleichung (9.76) bestimmt. F=
1 Q1 Q2 4πε0 r2
(9.76)
9.5 Elektrostatische Aktoren
289
9.5.1.2 Elektrisches Feld Der Raum, in dem diese Kraft wirkt, wird als elektrisches Feld E bezeichnet. Die Feldstärke ist definiert als das Verhältnis der auf eine Ladung im Feld wirkenden Kraft F zur Größe dieser Ladung Q. E=
F Q
(9.77)
Die Ladungen sind also die Ursache eines elektrischen Feldes, die Kräfte auf Ladungen im elektrischen Feld sind die Wirkung. Ursache und Wirkung sind einander proportional. Mit der elektrischen Feldkonstante ε0 = 8, 854 · 10−12C/Vm gilt im Vakuum (bzw. in Luft) Gleichung (9.78). D = ε0 E
(9.78)
Die Verschiebungsdichte D gibt das Verhältnis der gebundenen Ladungen zur Größe der geladenen Fläche an. Die Richtung entspricht dem Feldlinienverlauf von einer positiven zu einer negativen Ladung. Wird ein elektrisches Feld mit einem nichtleitenden Stoff (Dielektrikum) gefüllt, so wird ein Teil der Verschiebungsdichte gebunden, da das Dielektrikum polarisiert wird. Dementsprechend sinkt die Feldstärke von E0 auf E (bei gleicher Verschiebungsdichte D). Das Verhältnis der Feldschwächung entspricht also der materialbhängigen Polarisierbarkeit des Dielektrikums und wird als Permittivitätszahl εr = E0 /E bezeichnet.
9.5.1.3 Kapazität Unter der Kapazität einer Anordnung versteht man das Verhältnis der zugeführten Ladung Q zur resultierenden Spannung U. Ein Kondensator mit zwei ungleich geladenen Platten mit der Fläche A und einem festen Plattenabstand d besitzt eine vom Dielektrikum abhängige Kapazität C: C=
Q A = ε0 εr U d
(9.79)
9.5.1.4 Energiebetrachtung Die Energie des gespeicherten elektrischen Feldes berechnet sich nach Gleichung (9.80), bzw. für den Plattenkondensator mit Gleichung (9.79) nach Gleichung (9.81). 1 1 Q2 Wel = CU 2 = 2 2 C
(9.80)
290
9 Aktorentwurf
A 1 Wel = ε0 εr U 2 (9.81) 2 d Mit dieser elektrischen Energie kann eine mechanische Arbeit nach Gleichung (9.82) verrichtet werden. Wmech = Fx
(9.82)
9.5.2 Bauformen kapazitiver Luftspaltaktoren Eine bevorzugte Bauform elektrostatischer Aktoren sind Plattenkondensatoren mit Luftspalt. Dabei ist jeweils eine Elektrode fixiert, während die andere so eingespannt ist, dass sie in der gewünschten Bewegungsrichtung eine hohe Nachgiebigkeit aufweist, in alle anderen Richtungen jedoch eine ausreichende Steifigkeit besitzt. Um Arbeit in Form von Bewegung zu verrichten, wird die Energie des elektrischen Feldes nach Gleichung (9.81) genutzt. Unter Berücksichtigung des Aufbaus der Aktoren lassen sich zwei grundsätzliche Aufbauformen unterscheiden: die Auslenkung kann zu einer Veränderung des Plattenabstandes d oder der Plattenfläche A führen. Beide Anordnungen werden im folgenden näher betrachtet.
9.5.2.1 Bewegung in Feldrichtung
Abb. 9.67 Plattenkondensator als Luftspaltaktor.
Betrachtet man den Plattenkondensator in Abbildung 9.67, so lässt sich die Kapazität CL mit A (9.83) d berechnen. Wie zuvor gezeigt, kann für diese Anordnung die gespeicherte Energie Wel für die angelegte elektrische Spannung U berechnet werden: CL = ε0 ·
9.5 Elektrostatische Aktoren
291
1 1 A Wel = CU 2 = ε0 U 2 (9.84) 2 2 d Entsprechend wird die Kraft zwischen den beiden Platten in z-Richtung berechnet: Fz,el =
∂W 1 ∂C = U2 ∂z 2 ∂z
(9.85)
A 2 U ez (9.86) 2d 2 Hierbei werden die Streufelder an den Kanten der Platten vernachlässigt, was bei entsprechenden geometrischen Verhältnissen von Plattenfläche A und Plattenabstand d zulässig ist. Die bewegliche Elektrode wird durch ein Federelement in ihrer Ausgangslage gehalten. Das bedeutet, dass der Aktor gegen diese Feder arbeiten muss. Der schematische Aufbau dieses Aktors ist in Abbildung 9.68 dargestellt. Der Plattenabstand d ist durch die Dicke der Isolationsschicht dI begrenzt. Durch die Betrachtung des Kräftegleichgewichts nach Gleichung (9.87) lässt sich der Zusammenhang zwischen Auslenkung z und elektrischer Spannung U berechnen: Fz,el = −ε0
Fz (z) = FFeder (z) + Fz,el (U, z) = 0
(9.87)
U2 1 =0 −k · z − ε0 A 2 (d + z)2
(9.88)
U 2 = −2
k (d + z)2 · z ε0 A
Abb. 9.68 Schematischer Aufbau eines Aktors mit veränderlichem Luftspalt.
(9.89)
292
9 Aktorentwurf
Betrachtet man die elektrische Spannung U in Abhängigkeit der Auslenkung z, so lässt sich ein Maximum finden: dU 2 k = −2 (d 2 + 4dz + 3z2) = 0 dz ε0 A
(9.90)
1 4 z2 + dz + d 2 = 0 3 3 1 z1 = − d; z2 = −d (9.91) 3 Damit der Aktor stabil betrieben werden kann, muss die Kraft der Rückstellfeder immer größer als die Anziehungskraft der geladenen Platten sein. Dies ist nur in dem Bereich 1 0>z>− d 3 möglich. Für kleinere Abstände wird die Anziehungskraft größer als die Gegenkraft der Feder und die bewegliche Platte wird auf die feststehende gezogen (Pullin). Da dies zu einem elektrischen Kurzschluss führen würde, ist in jedem praktischen Aufbau mindestens eine Elektrode mit einer Isolationsschicht versehen. Mit Gleichung (9.89) und Gleichung (9.91) kann die Betriebsspannung berechnet werden, bei der der Pull-in eintritt: 8 k 3 U pull−in = d (9.92) 27 ε0 A Die Haltekraft, die benötigt wird, um in diesem Zustand zu bleiben, ist deutlich geringer, als die Kraft im Moment des Pull-in. Es gilt zu beachten, dass die Kraft bei sich verringerndem Abstand der Elektroden quadratisch ansteigt. Eine Grenzwertbetrachtung für d → 0 liefert für die Kraft F → ∞. Die Isolationsschicht erfüllt also auch den Zweck einer Kraftbegrenzung.
9.5.2.2 Wanderkeilantriebe Eine Sonderbauform der Luftspaltaktoren mit veränderlichem Plattenabstand stellen die Wanderkeilantriebe dar. Zur Vergrößerung des Stellweges wird eine gebogene, flexible Gegenelektrode auf einer mit einer Isolation versehenen Grundelektrode angebracht. Der Abstand der Elektroden vergrößert sich keilförmig von der Einspannung zum freien Ende hin. Das resultierende elektrische Feld ist in dem Bereich, in dem die Elektrode aufliegt am größten und nimmt mit steigendem Luftspalt ab. Bei der Auslegung der Steifigkeit der Gegenelektrode muss gewährleistet sein, dass sich diese entlang des engsten Keilspaltes auf der Isolation abrollen kann.
9.5 Elektrostatische Aktoren
293
Abbildung 9.69 veranschaulicht das Prinzip im Ausgangszustand und während der Deformation.[210]
Abb. 9.69 Wanderkeilantrieb vor und während der Auslenkung.
9.5.2.3 Bewegung quer zur Feldrichtung Der wesentliche Unterschied zur vorigen Anordnung besteht darin, dass die Platten bei ihrer Bewegung parallel verschoben werden. Der Plattenabstand d wird also konstant gehalten, während sich die Fläche ändert. Analog zu Gleichung (9.84) kann die Kraft zur Verschiebung in beiden Richtungen der Bewegungsebene berechnet werden: Fx =
∂W 1 ∂C = U2 ∂x 2 ∂x
1 b Fx = ε0 U 2 ex 2 d Fy =
∂W 1 ∂C = U2 ∂y 2 ∂y
1 a Fy = ε0 U 2 ey 2 d
(9.93) (9.94) (9.95) (9.96)
Die Kräfte sind von der Überlappungslänge unabhängig und somit für jede Aktorposition konstant. In Abbildung 9.70 ist die bewegliche Elektrode wieder an einer Feder befestigt. Wird eine elektrische Spannung an diese Kondensator angelegt, so vergrößert sich die Fläche A entlang der Kante a. Dabei wird die Feder ausgelenkt und erzeugt eine Gegenkraft FF FF = −kxEx Für das Gleichgewicht der auf die Elektrode wirkenden Kräfte gilt:
(9.97)
294
9 Aktorentwurf
Abb. 9.70 Elektrostatischer Aktor mit veränderlicher Plattenfläche.
Fx (x) = FF (x) + Fx,el (U)
(9.98)
Aus der Ruhelage (Fx (x) = 0) kann die Auslenkung der Elektrode in x-Richtung berechnet werden: b1 1 x = ε0U 2 (9.99) 2 dk Typischerweise wird dieser Aufbau in Form von zwei Kammstrukturen realisiert, bei der ein Elektrodenkamm in den Gegenelektrodenkamm greift. Dabei handelt es sich um eine elektrische Parallelschaltung von n Kapazitäten, wodurch größere Kräfte erzielt werden können. In Abbildung 9.71 ist eine solche Anordnung gezeigt. Der Fläche der überlappenden Elektroden ist in x-Richtung mit a, in y-Richtung mit b gegeben. Mit dem Plattenabstand d lässt sich die Kapazität nach Gleichung (9.100) berechnen.
Abb. 9.71 Aktor mit Kammstruktur und veränderlicher Plattenfläche.
9.5 Elektrostatische Aktoren
295
ab ·n (9.100) d Wie zuvor kann durch Differentiation der Energie nach der Bewegungsrichtung die elektrische Kraft berechnet werden: CQ = ε0 ·
Fx =
∂W 1 ∂C 1 2 b = U2 = U ε0 · n ∂x 2 ∂x 2 d
(9.101)
9.5.2.4 Zusammenfassung und Beispiele Bei den zuvor beschriebenen Aktoren wirkt die elektrostatische Kraft immer indirekt, nämlich über die bewegliche Gegenelektrode, auf den Nutzer. Eine viel einfachere Gestaltung eines taktilen Displays nutzt die Haut des Menschen als Gegenelektrode, auf die damit direkt die elektrostatische Feldkraft wirkt. Demnach lassen sich Anwendungen hinsichtlich ihrer Kraftwirkung in direkte und indirekte Verfahren unterscheiden.
Direkte Feldkraft Im einfachsten Aufbau wird eine Elektrode, bzw. ein strukturiertes Elektrodenarray unter einer isolierenden Schicht kontaktiert. Der schematische Aufbau ist in Abbildung 9.72 gezeigt. Der Nutzer stellt mit seinem tastenden Finger die Gegenelektrode dar. Durch die Anziehungskraft auf die leitfähige Haut kommt es bei einer Bewegung des Fingers zu einer lokalen Erhöhung der Reibung, die der Nutzer wahrnehmen kann. Diese Systeme sind leicht zu realisieren und lassen sich hervorragend miniaturisieren. Der größte Nachteil dieses Systems liegt in der Empfindlichkeit gegenüber Feuchtigkeit, die jeder Nutzer in Form von Schweiß auf der Oberfläche hinterlässt. Dies kann dazu führen, dass das elektrische Feld nur bis an die Oberfläche der Isolation gelangt, der Nutzer jedoch keine Kraftwirkung wahrnimmt.
Abb. 9.72 Elektrostatischer Stimulator mit Finger als Gegenelektrode [245].
296
9 Aktorentwurf
Indirekte Feldkraft Bei diesen Systemen wird die Feldkraft genutzt, um eine Bedienoberfläche zu bewegen. Der Finger des Nutzers interagiert mit dieser Oberfläche (Schlitten) und erfährt durch dessen Bewegung eine wahrnehmbare Stimulation. Eine Umsetzung mit einem Aktorkamm und Bewegung quer zur Feldrichtung ist in Abbildung 9.73 gezeigt. Die Strukturhöhe beträgt 300 μ m; sie ist bei einer Betriebsspannung von 100 V auf eine Nennkraft von 1 mN ausgelegt. Der gleiche Aufbau mit einem Aktor mit Parallelelektroden kann eine Auslenkung von 60 μ m erreichen, die abgebildeten Kammelektroden sogar eine Auslenkung von 100 μ m.
Abb. 9.73 Elektrostatischer Kammaktor zur tangentialen Fingerstimulation [71].
Zusammenfassung Elektrostatische Antriebe mit Luftspalt erreichen Kräfte im Bereich von mN bis N. Da die Aktoren Feld getrieben sind, ist der Kompromiss aus Plattenabstand und elektrischer Betriebsspannung für jede Anwendung separat zu prüfen. Die Durchschlagfeldstärke von Luft (ca. 3 V/μ m) ist der obere begrenzende Faktor, die Stellwege dieser Aktoren sind auf den μ m-Bereich beschränkt. Dabei kann die elektrische Betriebsspannung einige 100 V betragen. Aufgrund der eingeschränkten Auslenkung sind die Anwendungen in haptischen Systemen fast ausschließlich auf die Darstellung taktiler Reize beschränkt. Für eine konkrete Aktorentwicklung ist es empfehlenswert, sich mit der Modellbildung dieser Aktoren zu beschäftigen, insbesondere mit der Netzwerktheorie nach Lenk [153], da bei diesen Berechnungen vom späteren mechanischen Lastfall bis hin zur elektrischen Ansteuerung das komplette elektromechanische System analysiert werden muss.
9.5 Elektrostatische Aktoren
297
9.5.3 Dielektrische Polymeraktoren Wie in vielen anderen Bereichen, so ersetzen auch in der Aktorentwicklung neuartige Kunststoffe immer häufiger klassische Materialien wie z.B. Metalle. Durch den enormen Fortschritt der Materialentwicklung können die mechanischen Eigenschaften in einem sehr großen Spektrum an die jeweilige Anwendung angepasst werden. Entscheidende Vorteile sind weiterhin die günstigen Materialkosten, es können nahezu beliebige Formen hergestellt werden und das ebenfalls mit verhältnismäßig geringem Aufwand. Polymere, die ihre Gestalt bzw. Form unter Einfluss einer externen Anregung ändern, werden als „aktive Polymere“ bezeichnet. Die Ursachen für diese Gestaltsänderungen können dabei sehr vielfältig sein: elektrische und magnetische Felder, aber auch Licht oder der pH-Wert. Werden diese Materialien in Aktoren verwendet, so sind die resultierenden mechanischen Eigenschaften, wie Nachgiebigkeit, Kraft und Deformation bei gleichzeitig hoher Belastbarkeit und Robustheit denen von biologischen Muskeln sehr ähnlich. [10] Um die große Vielfalt der „aktiven Polymere“ zu klassifizieren, werden diese üblicherweise nach dem physikalischen Wirkprinzip unterschieden. Es erfolgt eine Einteilung in „nichtelektrische Polymere“, die z.B. durch Licht, pH-Wert oder Temperatur chemisch aktiviert werden und „elektrische Polymere“, die von einer elektrischen Größe aktiviert werden, den so genannten „Elektroaktiven Polymeren (EAP)“. Diese werden wiederum in „ionische“ und „elektronische“ EAP unterschieden. Allgemein lässt sich sagen, dass elektronische EAP mit einer möglichst hohen Feldstärke, nahe der Durchschlagfeldstärke, betrieben werden. Je nach Schichtdicke des Dielektrikums sind 1 − 20 kV typische Betriebsspannungen. Dadurch sind sehr hohe Energiedichten und geringe Reaktionszeiten (im Millisekundenbereich) erzielbar. Ionische EAP werden mit deutlich niedrigeren Betriebsspannungen von ca. 1 − 5 V betrieben. Allerdings wird für den Transport der Ionen ein Elektrolyt benötigt, das häufig in Form ein wässrigen Lösung vorhanden ist. Mit diesen Aktortypen werden meist Biegeaktoren aufgebaut, die mit deutlich längeren Reaktionszeiten (Sekundenbereich) große Deformationen an der Biegerspitze erreichen können. Alle EAP-Technologien befinden sich noch in der grundlegenden Entwicklungsphase, jedoch sind zwei Aktorvarianten derzeit schon so erfolgreich, dass sie zu Testzwecken bereits in der Robotik eingesetzt werden: „Ionische Polymer-MetallKomposite“ (IPMC) und „Dielektrische Elastomeraktoren“ (DEA). Eine Zusammenstellung und Beschreibung aller EAP-Typen bietet Kim [132]. Aufgrund der Zugehörigkeit dielektrischer Elastomeraktoren zur Gruppe der elektrostatischen Aktoren, wird deren Funktionsweise im Folgenden erläutert. Einen Vergleich typischer Kennwerte eines dielektrischen Elastomeraktors mit einem menschlichen Muskel zeigt Tabelle 9.7. Durch den Einsatz eines Elastomeraktors mit großen Dehnungen werden auch zusätzliche Mechaniken, wie Getriebe oder Lager nicht mehr benötigt. Weiterhin erlaubt die Verwendung dieser Materi-
298
9 Aktorentwurf
alsysteme den Nachbau komplexer Systeme, wie sie in der Natur vorkommen. So wird z.B. die Fortbewegung von Insekten und Fischen imitiert (Bionik). [11] Tabelle 9.7 Vergleich zwischen einem menschlichen Muskel und einem DEA nach Pei [190] Parameter
menschlicher Muskel
DEA
Dehnung (%) Spannung (MPa) Energiedichte (kJ/m3 ) Dichte (kg/m3 ) Dehnungsgeschwindigkeit (%/s)
20 − 40 0, 1 − 0, 35 8 − 40 1037 > 50
10 bis > 100 0, 1 − 2 10 − 150 ≈ 1000 450 (Acryl) 34000 (Silikon)
9.5.3.1 Dielektrische Elastomeraktoren - elektrostatische Festkörperaktoren
Abb. 9.74 DEA im Ausgangszustand (links) und geladenen Zustand (rechts).
Der Aufbau entspricht typischerweise dem eines Plattenkondensators, allerdings ist in diesem Fall ein elastisches Dielektrikum (Polymer, bzw. Elastomer) zwischen zwei nachgiebigen Elektroden angeordnet. Es handelt sich damit um einen Festkörperaktor. Den schematischen Aufbau eines dielektrischen Elastomeraktors zeigt Abbildung 9.74 links. Im ungeladenen Ausgangszustand entsprechen die Kapazität und speicherbare Energie der des Luftspaltaktors (Gleichung (9.79) und Gleichung (9.80)). Eine Zustandsänderung dieser Konfiguration nach Anlegen einer elektrischen Spannung U ist in Abbildung 9.74 rechts zu sehen: auf dem geladenen Kondensator befinden sich jetzt mehr Ladungen (Q + Δ Q), die Elektrodenfläche ist größer geworden (A + Δ A)während der Abstand der Elektroden (z − Δ z) gleichzeitig geringer geworden ist. Die Änderung der Energie nach einer infinitisimalen Änderung dQ, dA und dz wird mit Gleichung 9.102 berechnet. Q 1 Q2 1 1 Q2 1 dW = dQ + dz − dA (9.102) C 2 C z 2 C A
9.5 Elektrostatische Aktoren
299
dW = UdQ + W
1 1 dz − dA z A
(9.103)
Die Energieänderung entspricht also der Änderung der elektrischen Energie durch die Spannungsquelle und der umgesetzten mechanischen Energie, die von der Geometrie abhängt (sowohl in Feldrichtung (dz), als auch parallel dazu (dA)). Im Vergleich zum Luftspaltaktor in Kapitel 9.5.2 kommt es zu einer Überlagerung der Abstandsänderung und Änderung der Elektrodenfläche. Möglich wird dies durch eine Materialeigenschaft, die näherungsweise für alle Elastomere und einige Polymere gilt, nämlich die Volumenkonstanz: ein in einer Achse gestauchter Körper wird sich entlang den beiden anderen Achsen ausdehnen, da er inkompressibel ist. Damit ist ein direkter Zusammenhang zwischen Abstandsänderung und Änderung der Elektrodenfläche gegeben. Es gilt Gleichung (9.104). A dz = −zdA
(9.104)
Gleichung (9.103) vereinfacht sich damit zu 1 dW = UdQ + 2W dz z
(9.105)
Aus dieser elektrischen Energie kann die resultierende Anziehungskraft der Elektroden bestimmt werden. Bezogen auf die Elektrodenfläche A ergibt sich damit der elektrostatische Druck pel bei dQ = 0 nach Gleichung (9.106) pel =
1 1 dW = 2W A dz Az
(9.106)
und mit Gleichung (9.80)
1 U2 pel = 2 ε0 εr Az 2 2 z
1 = ε0 εr E 2 Az
(9.107)
Vergleicht man das Ergebnis mit dem aus Gleichung (9.85) resultierenden Druck eines Luftspaltaktors mit veränderlichem Plattenabstand, so sieht man, dass für dielektrische Elastomeraktoren gerade ein doppelt so großer Druck erzielt werden kann (bei sonst gleichen Parametern) [192]. Weitere Gründe für die deutlich höhere Leistungsfähigkeit der dielektrischen Polymeraktoren basieren ebenfalls auf dem verwendeten Material. Für die relative Permittivität gilt: εr > 1, je nach Material εr 3 − 10. Durch chemische Behandlung oder Einfügen von Füllstoffen kann die relative Permittivität weiter erhöht werden. Hierbei muss allerdings beachtet werden, dass sich andere Parameter (wie etwa Durchschlagfeldstärke und E-Modul) nicht stärker verschlechtern, als der Gewinn des gesteigerten εr ist. Gerade die Durchschlagfeldstärke stellt einen der wichtigsten limitierenden Faktoren dar. Bei vielen Materialien konnte eine Steigerung der Durchschlagfeldstärke bei planarer Vordehnung beobachtet werden; so sind Durchschlagfeldstärken von 100 − 400 V/μ m keine Seltenheit.
300
9 Aktorentwurf
Der Pull-in-Effekt tritt nicht wie bei Luftspaltaktoren bei z = 1/3 ·z0 auf, sondern erst bei deutlich höheren Dehnungen. Bei einigen Materialien kann durch mechanisches Vorspannen des Aktors der Pull-in sogar soweit verschoben werden, dass vorher die Durchschlagfeldstärke erreicht wird. Grund dafür ist wieder die volumenkonstante dielektrische Schicht, die ein viskoelastisches Verhalten aufweist. Sie entspricht einer „Rückstellfeder“, die für große Dehnungen eine stark nicht-lineare Kraft-Weg-Kennlinie hat. Durch das mechanische Vorspannen wird der Arbeitspunkt entlang der Spannungs-Dehnungs-Kennlinie des Materials verschoben. Für den Einsatz in dielektrischen Elastomeraktoren können viele Materialien verwendet werden. Die Materialeigenschaften decken dabei ein extrem breites Spektrum ab und reichen von gelartigen Polymeren bis hin zu relativ festen Thermoplasten. Grundsätzlich muss jedes dielektrische Material neben einer hohen relativen Permittivität eine hohe Durchschlagfeldstärke und eine hohe Nachgiebigkeit (Elastizität) aufweisen. Silikone bieten die höchste Verformungsgeschwindigkeit und eine hohe Temperaturbeständigkeit. Acryle haben eine höhere Durchschlagfestigkeit und erreichen damit höhere Energiedichten. Folgende Aufzählung stellt eine Auswahl der derzeit am häufigsten verwendeten dielektrischen Materialien dar: • Silkon HS 3 (Dow Corning) CF 19-2186 (Nusil) Elastosil P7670 (Wacker) • Acryl VHB 4910 (3M) Für die erforderlichen dehnbaren Elektroden werden meist Graphitpulver, leitfähige Ruße und pastöse Suspensionen mit leitfähigen Partikeln verwendet.
9.5.3.2 Bauformen dielektrischer Elastomeraktoren Wie bereits erwähnt, werden mit dielektrischen Elastomeraktoren sehr hohe Dehnungen (Stauchungen in Feldrichtung) erreicht (10 − 30%). Um aber die elektrischen Spannungen in einer sinnvollen Größenordnung zu belassen, sind die Schichtdicken (abhängig von der Durchschlagfeldstärke) im Bereich von 10 − 100 μ m. Die daraus resultierenden absoluten Auslenkungen in Feldrichtung sind zu gering, um in einem Aktor sinnvoll genutzt zu werden. Es gibt mehrere Konzepte, wie die absolute Auslenkung erhöht werden kann. Dafür wird zwischen den beiden grundsätzlichen Bewegungsrichtungen unterschieden: der Längseffekt in Feldrichtung (die Dickenänderung) und der Quereffekt in der Ebene senkrecht zur Feldrichtung (die Flächenänderung). Die besondere Bedeutung dieser Unterscheidung liegt wieder in der Volumenkonstanz des Materials: eine uniaxiale Druckbelastung entspricht einer zweiachsigen Zugbelastung in den anderen beiden Raumrichtungen. Die zwei Querdehnungen in der Ebene ergeben somit eine Flächenänderung. Mit der Volumenkonstanz gilt Gleichung (9.108), aus der folgende Merkmale für die Längsstauchung Sz und die Querdehnung Sx ersichtlich werden:
9.5 Elektrostatische Aktoren
301
• bei einer Längsstauchung von 62 % sind beide Dehnungen gerade gleich groß • für kleinere Werte der Längsstauchung ist die resultierende Querdehnung kleiner • für Längsstauchungen > 62 % nimmt die Querdehnung viel schneller zu als die Längsstauchung 1 Sx = √ −1 1 − Sz
(9.108)
Die Flächendehnung SA ergibt sich nach Gleichung (9.109) in Abhängigkeit der Längsstauchung Sz : SA =
Sz dA = A 1 − Sz
(9.109)
Die Zunahme der Fläche unter unaxialer Stauchung ist also immer größer und stellt damit das effektivste Aktorprinzip dar. In Abbildung 9.75 sind drei typische Bauformen skizziert. Mit einem Rollenaktor (links), der als Voll- oder Hohlzylinder aufgebaut sein kann, lassen sich Längenänderungen bis über 10 % erreichen. Kornbluh [138] beschreibt einen Acryl-Rollenaktor, der mit einem Eigengewicht von 2, 6 g eine Maximalkraft von 29 N erreicht und eine Auslenkung von 35 mm. Die Fertigung der großflächigen Elektroden ist sehr einfach. Das Aufrollen der Aktoren unter einer extremen Vordehnung (bis 500 %) kann dagegen recht schwierig werden. Bei dem Stapelaktor (Mitte) lassen sich je nach Herstellungsart extrem dünne dielektrische Schichten herstellen und damit die geringsten Betriebsspannungen für DEA realisieren. Da der Längseffekt genutzt wird, sind die Auslenkungen zwar nur in der Größenordnung von 10 %, dafür lassen sich die Aktoren in der höchsten Packungsdichte direkt nebeneinander herstellen [117]. Die einfachste und effektivste Bauform ist die einer eingespannten Folie, deren komplette Flächenänderung in eine Aufwölbung umgesetzt wird (Diaphragma-Aktor rechts)[139]. Soll dieser Aktor allerding belastet werden, so wird von der unbelasteten Seite eine zusätzliche Kraftquelle benötigt, z.B. ein Druck, der die Auslenkung unterstützt und eine höhere Gegenkraft bietet.
Abb. 9.75 Typische Bauformen von dielektrischen Elastomeraktoren: Rollenaktor (links), Stapelaktor (mitte) und Diaphragma-Aktor (rechts).
302
9 Aktorentwurf
9.5.3.3 Zusammenfassung und Beispiele Wie bei den Luftspaltaktoren sind auch die dielektrischen Festkörperaktoren maßgeblich durch die Durchschlagfeldstärke des verwendeten Dielektrikums begrenzt. Allerdings kann bei geeigneter Auslegung leicht der Pull-in vermieden werden. Die Aktoren weisen dadurch einen größeren Arbeitsbereich auf. Durch die unterschiedlichen Bauformen kann eine Vielzahl von Anwendungen realisiert werden, je nach gewünschtem Stellweg, Maximalkraft oder Aktordichte.
Taktile Displays Eine der einfachsten Formen eines taktilen Displays ist ein Braille-Display. Diese Anzeigegeräte dienen der Darstellung der Blindenschrift, in der Punktmuster kleiner erhabener Punkte ertastet werden. Im Standardbraille werden sechs Punkte genutzt, im computertauglicheren Eurobraille sogar acht. Diese Punkte sind in einer 2x3, bzw. 2x4 - Matrix angeordnet, wie in Abbildung 9.76 dargestellt. In einem Lesegerät werden 40 - 80 Zeichen dargestellt. In der herkömmlichen Bauweise wird für jeden Punkt ein separater Piezobieger verwendet, was zu einem enorm hohen Preis führt. Aus diesem Grund gibt es eine Vielzahl von Prototypen, bei denen die Verwendung kostengünstiger Antriebe, bei gleichzeitig einfachem Aufbau und ausreichender Leistungsfähigkeit im Vordergrund steht. So sind bereits mit Hilfe der drei vorgestellten Bauformen dielektrischer Polymeraktoren Prototypen realisiert. In Abbildung 9.76 ist rechts der schematische Aufbau einer Aktorspalte mit Rollenaktoren aus [200] dargestellt. Vier Rollenaktoren sind hier jeweils unter einem Pin angeordnet, welcher nach Anlegen einer elektrischen Spannung von dem sich längenden Rollenaktor aus der Bodenplatte heraus gedrückt wird. Der Elastomerfilm ist um eine 60 mm lange Feder mit einem Außendurchmesser von 1, 37 mm gewickelt. Bei einem elektrischen Feld von 100 V/ μ m kann die zuvor gestauchte Feder eine Auslenkung von 1 mm erreichen und dabei eine Kraft von 750 mN ausüben. Die eigentliche Kraftquelle ist hier also die durch den passiven Film gestauchte Feder mit einer Federkonstanten von 225 N/m. Die maximal benötigte Auslenkung von 500 μ m im Display wird bereits bei einer Feldstärke von 60 V/μ m erreicht. Der Einsatz von Stapelaktoren nach J UNGMANN [117] ist schematisch in Abbildung 9.77 links dargestellt. Der größte Vorteil dieser Variante besteht in der extrem hohen Aktordichte bei einem einfachen Herstellungsprozess. Außerdem sind die geschlossenen Silikonkörper so flexibel, dass sie an fast beliebige geformten Oberflächen fixiert werden können. Die Oberfläche, die ebenfalls aus Silikon besteht, weist eine gute Rauhigkeit und Temperaturleitfähigkeit auf und wird von vielen Nutzern als angenehm empfunden. Bei einer Feldstärke von 30 V/ μ m und einem Stapel aus 100 dielektrischen Schichten kann eine Auslenkung von 500 μ m erreicht werden. Die Last, die ein lesender Finger auf das weiche Substrat ausübt, führt bei einem typischen Anpressdruck von 4 kPa zu einer Auslenkung von 25 μ m, was deutlich unter der wahrnehmbaren Schwelle von 10 % der Auslenkung liegt. Für den Betrieb
9.5 Elektrostatische Aktoren
303
Abb. 9.76 Darstellung eines Braille-Zeichens durch DE-Rollenaktoren. Links: Geometrie eines Braille-Zeichens; rechts: schematischer Aufbau einer Aktorzeile [200].
ist zu beachten, dass die Arrays in einer negativen Logik betrieben werden müssen: aktivierte Pins werden nach unten gezogen. Der Aufbau eines Braille Displays mit Diaphragma-Aktoren nach H EYDT [92] ist vorteilhaft, weil die Vergrößerung der eingespannten Fläche direkt zu einer Bewegung aus der Ebene führt. Um allerdings eine Kraft ausüben zu können, ist eine mechanische Vorspannung erforderlich. Diese kann beispielweise durch eine Feder oder einen Luftdruck unterhalb des Aktors generiert werden. In Abbildung 9.77 rechts ist der schematische Aufbau für einen Punkt zu sehen, der durch eine Feder mit einem Durchmesser von 1, 6 mm vorgespannt ist. Bei einer Betriebsspannung von 5, 68 kV erreicht der Aktor eine Leerlaufauslenkung von 450 μ m.
Abb. 9.77 links: Aktorzeile einer Stapel-Aktormatrix [117]; rechts: Einsatz von DiaphragmaAktoren [92].
304
9 Aktorentwurf
Künstliche Muskeln Um die Entwicklungsarbeiten voran zu treiben und um das Zukunftspotenzial adaptiver Werkstoffsysteme medienwirksam zu verbreiten, hat YOSEPH BAR -C OHEN (Jet Propulsion Laboratorys der NASA am „Institute of Technology“) im Jahr 2001 einen Wettbewerb in Kalifornien ausgerufen. Im März 2005 kam es dann im Rahmen des SPIE’s Smart Structures and Materials Symposium (Conference on Electroactive Polymer Actuators and Devices EAPAD) tatsächlich zu einem ersten Wettbewerb im Armdrücken, bei dem ein 17-jähriges Mädchen gegen diverse Maschinen, allesamt von EAP-Aktoren angetrieben, antrat. Mit zwei Aktortypen (DEA und IPMC) an einem Kunststoffarm konnte ein künstlicher Arm von Environmental Robots Incorporated (ERI) immerhin 26 Sekunden lang ausreichend Gegenkraft generieren um ein Patt zu halten. Auf Platz zwei landete der Arm der Eidgenössischen Material- und Prüfanstalt (EMPA) aus der Schweiz. In Abbildung 9.78 ist einer der verwendeten „Muskeln“ (bestehend aus sieben Rollenaktoren) zu sehen, der eine Masse von ca. 38 kg anheben kann.
Abb. 9.78 Muskel des Armdrückers der EMPA (EAPAD 2005) [11].
9.5.4 Elektrorheologische Fluide Flüssigkeiten, deren rheologische Eigenschaften (vor allem die Viskosität) von der Stärke und Richtung eines umgebenden elektrischen Feldes beeinflusst werden, werden als Elektrorheologische Fluide (ERF) bezeichnet. ERF gehören damit zur Klasse nichtnewtonscher Fluide, die sich durch eine veränderbare Viskosität bei konstanter Temperatur auszeichnen. Der elektrorheologische Effekt wurde erstmals an einer Suspension von Maisstärke und Öl von Willis Winslow im Jahr 1947 entdeckt.
9.5 Elektrostatische Aktoren
305
Elektrorheologische Fluide weisen Dipole in Form von polarisierbaren Partikeln auf, die in einer nicht leitfähigen Suspension dispergiert sind. Diese Partikel werden durch ein äußeres angelegtes elektrisches Feld ausgerichtet. Es kommt zu einer Interaktion von Partikeln und freien Ladungsträgern. Dabei bilden sich kettenförmige Mikrostrukturen zwischen den Elektroden aus [41, 98, 220]. Dies scheint jedoch nicht der einzige für die Viskositätserhöhung verantwortliche Effekt zu sein, denn selbst nach Zerstörung dieser Mikrostrukturen [188] bleibt eine deutliche Viskositätserhöhung erhalten. Die genaue Analyse der wirkenden Mechanismen ist noch Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten. Je nach Stärke des angelegten elektrischen Feldes ändert sich die Viskosität der Flüssigkeit. Bei einem elektrischen Feld von etwa 1 − 10 kV/mm kann sich bei elektrorheologischen Fluiden die Viskosität um einen Faktor von bis zu 1000 gegenüber dem feldfreien Fall vergrößern. Dieser enorme Unterschied besteht beispielsweise zwischen der Viskosität von Wasser und der von Honig. Ein weiterer Vorteil ist die hohe Geschwindigkeit der Viskositätsänderung: sie ist reversibel und kann innerhalb von etwa 1 ms vollzogen werden. Elektrorheologische Fluide sind damit gut für dynamische Anwendungen geeignet. Werden große Feldstärken angenommen, so lässt sich das ERF als Binghamflüssigkeit modellieren. Diese weist ab einem Schwellwert ein lineares Fließverhalten auf: erst ab der Mindestspannung τF,d (Fließgrenze) beginnt das Fluid tatsächlich zu fließen, unterhalb dieses Grenzwertes verhält sich das Fluid wie ein elastischer Körper. Die Scherkraft τ wird nach Gleichung (9.110) berechnet.
τ = μ γ˙ + τF,d
(9.110)
Dabei entspricht μ der dynamischen Viskosität, γ˙ der Scherrate und τF,d der dynamischen Fließgrenze. Letztere wird proportional dem Quadrat der elektrischen Feldstärke verändert, gemäß Gleichung (9.111)). Der Proportionalitätsfaktor Cd entspricht einer vom Hersteller angegebenen Materialkonstante.
τF,d = Cd E 2
(9.111)
Für komplexere Berechnungen, die den Übergang des Fluids zum und vom Fließen besser beschreiben, wird das Modell zu einem nichtlinearen System nach Gleichung (9.112) erweitert (mit n = 1 entspricht dies Gleichung (9.110))
τ = τF,d + kγ˙n
(9.112)
Diese allgemeinere Form beschreibt die Scherkraft für viskos-plastische Fluide mit Fließgrenze nach Vitrani [265]. Für eine Betrachtung im Ruhezustand, bei der Scherrate γ˙ = 0 muss die statische Fließgrenze τF,s mit τF,s > τF,d eingeführt werden. Bei Erreichen der statischen Fließgrenze wird das ruhende Fluid deformiert. Mit den materialspezifischen Größen Cs und Ere f gilt Gleichung (9.113).
τF,s = Cs (E − Ere f )
(9.113)
306
9 Aktorentwurf
Als Materialien für die Partikel werden meist Metalloxide, Siliziumsäureanhydride, Polyurethane oder Polymere mit metallischen Ionen verwendet. Der Durchmesser der Partikel beträgt 1 − 100 μ m, der Volumenanteil in einer Suspension zwischen 30 und 50 %. Als Trägermedien werden typischerweise Öle (z.B. Silikonöl) oder speziell behandelte Kohlenwasserstoffe verwendet. Auch im Bereich der elektrorheologischen Fluide können durch den Einsatz nanoskaliger Partikel Fluide hergestellt werden, die eine weitere Verstärkung der Viskositätsänderung bewirken („giant electrorheological effect“)([75], [275]). In [50] und [196] wird eine mathematische Modellbildung zum dynamischen Fließverhalten von ER-Fluiden vorgestellt. Die Eigenschaft, die Viskosität reversibel verändern zu können, lässt sich vorteilhaft in Force-Feedback-Geräten, haptischen Displays, sowie in künstlichen Muskeln und Gelenken nutzen. Da die Änderung der Viskosität primär eine Änderung von Gegenkräften bewirkt, nicht jedoch eine eigene Gestaltsänderung oder Kräfte, werden ERF-Aktoren auch als „passive Aktoren“ bezeichnet. Zur Leistungsbeschreibung wird die mechanische Steuergröße, also das Verhältnis aus Materialeigenschaften im stimulierten Zustand zu denen im Ausgangszustand definiert. Dabei kommen grundsätzlich drei Nutzungsszenarien in Betracht [33]:
9.5.4.1 Scherung (shear mode)
Abb. 9.79 Beeinflussung der Schubkraft mit einem ERF-Aktor.
Das ER-Fluid befindet sich zwischen zwei parallelen Platten, eine feststehende und eine dazu relativ bewegliche Platte. Die einzige Randbedingung ist, dass der Plattenabstand d konstant ist. Wirkt eine Kraft F auf die obere Platte, so lenkt sich diese bei der Geschwindigkeit v gerade um x aus. Für die gezeigte Anordnung (siehe Abb. 9.79) lässt sich nach [193] das mechanische Steuerverhältnis λ nach Gleichung (9.116) aus dem Verhältnis der dissipativen Kräfte (feldabhängiger Fließspannungsterm, Gleichung (9.115)) zu dem feldunabhängigen Viskositätsterm (Gleichung (9.114)) berechnen. Dabei ist η die Grundviskosität des ER-Fluids (im nicht erregten Zustand) und τy die Fließspanung, die sich in Abhängigkeit des elektrostatischen Feldes ändert.
9.5 Elektrostatische Aktoren
307
η vab d Fτ = τy ab
Fη =
λ=
τy d Fτ = Fη ηv
(9.114) (9.115) (9.116)
9.5.4.2 Durchfluss (flow mode)
Abb. 9.80 Beeinflussung des akustischen Kanalwiderstandes mit einem ERF-Aktor.
Der schematische Aufbau dieser Konfiguration ist in Abbildung 9.80 zu sehen. Die beiden festen Platten bilden einen Kanal, durch den das Fluid auf Grund eines äußeren Druckes p mit dem Volumenstrom V˙ fließt. Wird zwischen den Platten ein elektrisches Feld E erzeugt, so kommt es zu einem erhöhten Druckverlust über dem Kanal und somit zu einer Reduzierung des Volumenstroms. Analog zur vorigen Anordnung kann ein feldunabhängiger, viskositätsbedingter Druckverlust pη und ein feldabhängiger Druckverlust pτ berechnet werden [193]: 12η V˙ a d 3b cτy a pτ = d Das mechanische Steuerverhältnis entspricht: pη =
λ=
cτy d 2 b pτ = pη 12η V˙
(9.117) (9.118)
(9.119)
Bei entsprechender Auslegung des Fluids kann der Strömungswiderstand durch das elektrische Feld so stark vergrößert werden, dass bei Erreichen einer Grenzspannung das Fluid völlig gestoppt wird. Damit stellt dieser Kanal ein Ventil ohne mechanisch bewegte Teile dar.
308
9 Aktorentwurf
9.5.4.3 Druck (squeeze mode)
Abb. 9.81 Änderung der akustischen Impedanz durch einen ERF-Aktor bei extern wirkender Kraft.
Der Aufbau, um einen Druck ausüben zu können, ist schematisch in Abbildung 9.81 gezeigt. Im Gegensatz zu den beiden vorigen Varianten verändert sich hier der Abstand der beiden Platten relativ zueinander. Wirkt eine Kraft F auf die obere Platte, so bewegt sich diese senkrecht nach unten. Dabei wird das Fluid aus dem Plattenspalt heraus gedrückt. Angenommen wird ein anfänglicher Plattenabstand d0 und eine relative Geschwindigkeit v der sich nach unten bewegenden Platte. Die geschwindigkeitsabhängige Viskositätskraft Fη und der feldabhängige Spannungsterm Fτ werden nach [115] wie folgt berechnet: Fη =
3πη vr4 2(d0 − z)
(9.120)
Fτ =
4πτy r3 3(d0 − z)
(9.121)
Damit gilt für das mechanische Steuerverhältnis:
λ=
8τy 3(d0 − z)2 9η vr
(9.122)
Unter Druck (Kraft auf die obere Platte) wird das Fluid aus dem Spalt gedrückt. Auch bei dieser Konfiguration wird der Kraft-Weg-Zusammenhang bei der Bewegung stark von der elektrischen Feldstärke beeinflusst. Eine Analyse des dynamischen Verhaltens solch eines Aktors wird in [269] beschrieben.
9.5.4.4 Anforderungen für die Aktorauslegung Die von einem ERF-Aktor benötigte maximale Kraft Fτ , bzw. die benötigte mechanische Leistung Pmech sind die Eingangsgrößen bei einem anwendungsbezoge-
9.5 Elektrostatische Aktoren
309
nem Aktorentwurf. Gleichung (9.114) bis Gleichung (9.122) können für alle drei Konfigurationen so kombiniert werden, dass das für die gewünschte mechanische Leistung benötigte Volumen nach Gleichung (9.123) berechnet werden kann: V =k
η λ Pmech τy2
(9.123)
Das Volumen wird also von dem mechanischen Steuerverhältnis, den fluidspezifischen Größen η und τy sowie einer von der gewählten Konfiguration abhängigen Konstante k bestimmt. Die zum Aufbau des elektrostatischen Feldes des Aktors (volumenabhängige) benötigte elektrische Energie Wel entspricht demnach Gleichung (9.124). 1 Wel = V ( ε0 εr E 2 ) (9.124) 2 Neben den elektrorheologischen Fluiden sind die magnetorheologischen Fluide (MRF) sehr ähnlich aufgebaut. Das physikalische Verhalten der Flüssigkeit wird jedoch durch ein Magnetfeld bestimmt. Alle vorigen Berechnungen gelten grundsätzlich auch für MRF. Betrachtet man das für einen Aktor benötigte Volumen nach Gleichung (9.123) und berücksichtigt, dass die Viskositäten von elektrorheologischen und magnetorheologischen Fluiden vergleichbar sind, so ergibt sich ein Volumenverhältnis proportional zum reziproken Verhältnis der Quadrate der Fließspannungen gemäß Gleichung (9.125). VERF τ2 = MRF 2 VMRF τERF
(9.125)
In guter Näherung ist die Fließspannung eines magnetorheologischen Fluids etwa eine Größenordnung höher als die eines ERF. Daraus ergibt sich ein geringeres Volumen für einen MRF Aktor (etwa 2 Größenordnungen kleiner). Abgesehen von dem für eine bestimmte Leistung benötigtem Volumen ist ein Vergleich der beiden Fluide sehr schwierig: für ein ERF werden hohe Spannungen bei relativ niedrigen Strömen benötigt. Die größten Verluste treten durch einen Leckstrom durch das Medium (ERF) selbst auf. Bei einem MRF-Aktor hingegen sind kleine elektrische Spannungen bei sehr hohen Strömen notwendig, um das benötigte Magnetfeld aufzubauen. Die größten Verluste hierbei sind thermisch bedingt, da die Ströme entsprechende Temperaturanstiege verursachen. Die benötigte elektrische Energie für einen MRF-Aktor wird nach Gleichung (9.126) mit der magnetischen Flussdichte B und der magnetischen Feldstärke H berechnet. 1 Wel,MRF = VMRF ( BH) (9.126) 2 Damit kann auch das Verhältnis der benötigten Energien für beide Fluide mit Gleichung (9.127) bestimmt werden.
310
9 Aktorentwurf
Wel,ERF VERF ε0 εr E 2 = Wel,MRF VMRF BH
(9.127)
Bei typischen Werten für alle Parameter kann festgestellt werden, dass die benötigte elektrische Energie zur Aktoransteuerung ungefähr gleich groß ist. Einen guten Überblick über die Entwicklung beider Fluidarten und einen Vergleich gibt [36].
9.5.4.5 Zusammenfassung und Beispiele Elektrorheologische Fluide werden als teilaktive Aktoren bezeichnet, da sie primär die elektrische Größe nicht in eine Bewegung umsetzen, wohl aber in eine Eigenschaftsänderung, die eine Grundbewegung verändern kann. Diese Veränderbarkeit reicht über ein sehr breites Spektrum. Die realisierten Anwendungen reichen daher von kleinen taktilen Displays bis hin zu großen haptischen Systemen.
Taktile Systeme Der erste Einsatz von ERF als taktile Sensoren in einer künstlichen Roboterhand war bereits im Jahr 1989 von Kenaley [124]. Ausgehend von dieser Arbeit entwickelten sich mehrere Ideen, die ERF in taktilen Arrays einzusetzen, um virtuelle Systeme zu unterstützen. So entstanden auch mehrere taktile Displays, u.a. eine 5x5 Matrix von Taylor [246] und eine weitere von Böse [32]. Abbildung 9.82 zeigt den schematischen Aufbau eines taktilen Aktor-Elements. In die mit einem ERF gefüllte Kammer wird vom Nutzer ein über eine Kontaktfläche verbundener Kolben gedrückt. Je nach Aktivierungszustand des ERF kann eine unterschiedliche Gegenkraft erzeugt werden. Damit der Stößel nach dem Drücken wieder in seine Ausgangslage zurückkehren kann, ist an der Oberseite ein elastischer Schaum verbunden, der als Rückstellfeder dient. Bei einem elektrischen Feld von 3 V/μ m kann bei einer Auslenkung um 30 mm eine Kraft von ca 3, 3 N erzeugt werden. Das Schalten der elektrischen Spannung erfolgt von der Unterseite über Leuchtdioden und entsprechende Empfänger (GaAs-Elemente).
Haptischer Drehknopf Eine weitaus näherliegende Art, ERF in haptischen Systemen einzusetzen, ist die Verwendung als „variable Bremse“. Eine typische Anwendung außerhalb haptischer Systeme sind nämlich variable Bremsen und hydraulische Lager (z.B. adaptive Stoßdämpfer). So gibt es einige Anwendungen, bei denen ein Drehknopf eine Scheibe innerhalb eines ERF oder MRF [157] bewegt und somit unterschiedliche Gegendrehmomente erzeugt werden können. Abbildung 9.83 zeigt den schematischen Aufbau für einen MRF-Drehknopf. Wichtig ist dabei die Erfassung der aktuellen Position, hier über ein Potentiometer realisiert. In Abhängigkeit des Drehwinkels
9.5 Elektrostatische Aktoren
311
Abb. 9.82 Schematischer Aktoraufbau eines taktilen Aktors [32]
kann eine gewünschte Gegenkraft, bzw. Drehmoment erzeugt werden. Bei einem ausgereiften System kann der Nutzer beispielsweise ein „einrasten“ des Drehknopfes wahrnehmen - die „Rasttiefe“ kann wiederum in einem großen Bereich simuliert werden. Durch eine veränderliche Reibung können auch Anschläge simuliert werden, ebenso wie Vibrationen und freies Drehen.
Abb. 9.83 Schematischer Aufbau eines haptischen Drehknopfes [157]
Eine Erweiterung dieses eindimensionalen Systems zeigt [273]. Hier sind zwei der obigen Systeme (basierend auf ERF) an einen Joystick mit zwei Freiheitsgraden gekoppelt. So kann in jede Bewegungsrichtung (Kippen) des Joysticks eine beliebige Gegenkraft erzeugt werden. Da mit ERF höhere Drehmomente bei geringerem Energieverbrauch als bei einem elektrischen Motor realisierbar sind, sind sie vor allem auch für mobile Anwendungen, wie z.B. im Auto sehr gut geeignet.
312
9 Aktorentwurf
Force-Feedback Handschuh Für die Entwicklung eines Simulators für Operationen wird ein Force-Feedback Handschuh entwickelt [12]. Mit Hilfe der haptischen Rückmeldungen sollen operative Eingriffe besser trainiert werden können. Das System MEMICA („Remote MEchanical MIrroring using Controlled stiffness and Actuators“) soll einem Arzt die Operation mit Hilfe eines Roboters ermöglichen, in dem es das dringend erforderliche „Gefühl“ des echten Eingriffs wiedergibt. Dabei kommen sowohl auf der Seite des Bedieners als auch an der Stelle der „virtuellen Operation“ ERF-Aktoren zum Einsatz. Die einstellbare Nachgiebigkeit basiert auf dem selben Prinzip wie die taktilen Systeme, für das Generieren von Kräften ist jedoch eine Kraftquelle notwendig. Hier kommt ein neuartiger ECFS („Electronic Controlled Force and Stiffness“) Aktor zum Einsatz. Der schematische Aufbau ist in Abbildung 9.84 zu sehen. Es handelt sich um einen Inchworm-Antrieb, wobei die beiden „Bremsen“ mittels des umgebenden ER-Fluids realisiert sind. Der Antrieb für die eigentliche Vor- und Rückwärtsbewegung besteht aus zwei Elektromagneten.
Abb. 9.84 Schematischer Aufbau eines ERF-Inchwormantriebes [12]
In einem haptischen Exoskeleton werden beide Aktortypen verbaut, wobei sie auf der Außenseite eines Handschuhs befestigt werden, um die natürliche Bewegung der Hand nicht zu behindern. Mittels der Aktoren zwischen allen Fingergelenken können beliebige Kräfte und unterschiedliche Nachgiebigkeiten unabhängig voneinander simuliert werden. Die ECFS-Aktoren können bei einer Betriebsspannung von 2 kV eine Last von 50 N darstellen.
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren
313
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren T HORSTEN A. K ERN
Die bisher vorgestellten Aktorprinzipien sind die am meisten verbreiteten Ansätze zum Antrieb haptischer Geräte. Über diese Prinzipien hinaus gibt es aber auch eine Vielzahl von Forschungsprojekten, Einzelbauten und Sonderklassen haptischer Geräte, deren Kenntnis eine Bereicherung für den interessierten Ingenieur darstellt. Es ist unmöglich im Rahmen eines Buches der Vielfalt von haptischen Geräteentwürfen vollständig gerecht zu werden. In diesem Abschnitt sei dennoch ein Querschnitt durch alternative, aber auch kuriose und unkonventionelle Systeme zur Erzeugung kinästhetischer und taktiler Wahrnehmung zusammen gefasst. Der Querschnitt basiert auf der subjektiven Beobachtung und dem Wissen der Autoren und hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die vorgestellten Systeme wurden nach dem Kriterium ausgewählt, jeweils eine eigene Klasse haptischer Geräte und Aktoren zu beschreiben. Sie sind weder grundsätzlich die ersten Systeme ihrer Art, noch zwangsläufig die Besten. Sie bilden aber Kristallisationspunkte für weitere Recherchen, falls für spezifische Anforderungen besondere Lösungswege gewählt werden müssen. Die hier vorgestellte Vielfalt soll inspirieren, auch kreative Wege zur Erzeugung haptischer Sinneseindrücke nicht zu früh im Entwurfsprozess zu verwerfen.
9.6.1 Haptisch-Kinästhetische Geräte Haptisch kinästhetische Geräte in dieser Kategorie zeichnen sich in erster Linie durch außergewöhnliche Kinematiken und weniger durch besondere Aktorprinzipien aus. Dennoch sollte jeder Entwickler Beispiele aus diesen Geräteklassen kennen und in den gerade bearbeiteten Entwurf einfließen lassen.
9.6.1.1 Spidar-System Der Spidar (Abb. 9.85) basiert auf den Arbeiten von Prof. S ATO und wurde sowohl in Forschungsprojekten [240, 175] wie kommerziellen Systemen mehrfach eingesetzt. Es handelt sich um ein Interaktionswerkzeug, meistens eine Kugel, an der acht Seile befestigt sind. Jedes Seil führt zu einem Aktor in einem zumeist (aber nicht zwingend) rechteckigen Raum. Die Antriebe sind in der Lage Zugkräfte auf die Seile auszuüben, wodurch auf das Werkzeug Kräfte und Drehmomente in sechs Freiheitsgraden dargestellt werden können. Als Aktoren kommen häufig elektrodynamische elektronisch kommutierte Einheiten zum Einsatz. Das SpidarPrinzip kann fast beliebig sakliert werden, so dass sowohl Tisch-große wie auch Raum-große Umsetzungen existieren. Es besticht duch die geringe Anzahl an me-
314
9 Aktorentwurf
chanischen Komponenten und die sehr kleine Reibung. Da über Seile nur Zugkräfte übertragen werden können, ist bemerkenswert, dass dieser Nachteil durch lediglich zwei weitere Aktoren kompensiert werden kann.
a)
http://ascii.jp/elem/000/000/023/23108/
b)
Abb. 9.85 a) Desktop-Version des Spidars mit Kugel-förmigen Interaktionskörper, b) Raumfüllende Version ”INCA 6D” mit 3D Visualisierungsumgebung von Haption.
9.6.1.2 MRT-kompatibel haptisches Gerät Die Konstruktion von elektrodynamischen oder elektromagnetischen Aktoren setzt in der Regel immer die Präsenz eines Magnetfeldes mit der dazugehörigen Flussführung voraus. Gleichzeitig ist man bei der Konstruktion von Aktoren für medizinische Anwendungen dann beschränkt, wenn es um den Einsatz am MagnetResonanz-Tomographen (MRT) geht. In der Nähe der hohen statischen Magnetfelder sind ferromagnetische Materialien nicht zulässig. Im Bereich der Gradientenspulen zur Bilderzeugung können beliebige leitfähige Materialien aufgrund der induzierten Ströme nicht verwendet werden. Für die Verwendung haptischer Systeme im oder nah eines MRTs wurde in [202] ein elektromagnetischer Aktor (Abb. 9.86) entwickelt und erprobt, der das ohnehin vorhandene statische Magnetfeld als Gegenpol zu einem mit zwei Spulen erzeugten Magnetfeld nutzt. Die mit dem System erzeugten Drehmomente betragen beeindruckende 4 Nm bei einer Entfernung von 1 m zum MRT, ohne die Bildgebung negativ zu beeinflussen.
9.6.1.3 Magnetorheologische Flüssigkeiten als dreidimensionale haptische Displays Der Wunsch nach der Erzeugung eines künstlichen haptischen Eindrucks in einem Volumen für Interaktion ist eine grundlegende Motivation für eine Vielzahl von Entwürfen. Die in Abschnitt 9.5 vorgestellten rheologischen Systeme erlauben durch die Kontrolle von magnetischen oder elektrischen Feldern diesen Effekt. Die Arbeitsgruppe um B ICCHI verfolgt seit vielen Jahren die Möglichkeiten zur Erzeu-
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren
a)
315
b)
Abb. 9.86 Funktionsprinzip des MRT Aktors aus [202](a) und Aufbau mit den deutlich sichtbaren Spulenkörpern auf der linken Seite (b).
gung von ortsaufgelösten, unterschiedlich viskosen Bereichen in einem Volumen (Abb. 9.87), um Kraftrückkopplung auf eine Hand zu geben. Die Ergebnisse wurden zuletzt in [20] zusammengefasst. Die Optimierung eines solchen Aktors hängt stark mit der Beherrschung der rheologischen Flüssigkeit zusammen [21]. Die bisher durchgeführten psychophysiolgischen Experimente zeigen, dass mit dem aktuellen Aufbau die Identifikation von einfachen geoemtrischen Strukturen auf Basis eines 4x4 Rasters im rheologischem Volumen möglich ist.
Abb. 9.87 Magnetorheologisches Aktorprinzip nach [20] auf Basis eines 4x4 Rasters für VollHand-Interaktion.
316
9 Aktorentwurf
9.6.1.4 Induktion und Wirbelstrom als Dämpfung Ein aktives haptisches Gerät wird darauf ausgelegt, Kräfte bzw. Drehmomente aktiv zu erzeugen. Durch diese aktive Erzeugung ist das gesamte Spektrum mechanischer Interaktionskörper (Massen, Federn, Dämpfer) abgedeckt. Dennoch ist nur ein Bruchteil haptischer Interaktion aktiv. Dies führt zum Beispiel dazu, dass aktive Systeme bewusst auf Passivität hin überwacht werden müssen. Ein alternativer Ansatz für den Entwurf von Aktoren besteht also darin, Eigenschfaten von Aktoren, die mechanische Energie konsumieren sich zu Nutze zu machen. Die Arbeitsgruppe um C OLGATE hat in [165] eine Erhöhung der Impedanzweite eines elektronisch kommutierten elektrodynamischen Aktors vorgestellt, bei dem zwei Wicklungen durch einen variablen Widerstand kurzgeschlossen waren. Die dadurch mögliche Gegeninduktion hat den rotierenden Motor deutlich gebremst. In [76] geht die Arbeitsgruppe um H AYWARD noch einen Schritt weiter, und fügt einer Pantograph-Kinematik eine Wirbelstrombremse (Abb. 9.88) als zusätzliche, ausschließlich für die Dämpfung verwendete Bremse zu. Mit dieser Methode sind dynamische Änderungen der Dämpfung bis 250 Hz einfach möglich.
a)
b)
Abb. 9.88 Prinzip der Wirkung einer Wirbelstrombremse auf eine rotierende Scheibe (a) und Umsetzung auf ein haptisches System (b) aus [76].
9.6.1.5 MagLev - Butterfly Haptics In den 90er Jahren hat die Arbeitsgruppe um H OLLIS ein haptisches Gerät [17] basierend auf dem elektrodynamischen Aktorprinzip entwickelt (Abb. 9.89). Seit kurzem wird das Gerät von Butterfly Haptics kommerziell vermarktet, und in aktuellen Forschungsvorhaben zur psychophysikalischen Analyse vor allem von Texturwahrnehmungen eingesetzt. In einer Halbkugel sind sechs Flachspulen mit jeweils einem eigenen Magnetkreis angeordnet. Die Kombination der Lorenzkräfte aller Flachspu-
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren
317
len erlaubt einen Antrieb der Halbkugel in drei translatorischen und drei rotatorischen Richtungen. Über drei optischen Sensoren, die jeweils eine Translations- und eine Rotationsrichtung erfassen, wird die Bewegung der Kugel gemessen. Neben der Aktuierung im Raum umfasst die Ansteuerung auch eine Schwerkraftkompensation über die sechs Antriebe, so dass die Lagerung der Halbkugel vollständig über die Lorenzkräfte erzeugt werden kann. Der Luftspalt an den Spulen erlaubt eine Translation um 25 mm und Rotation um ±8◦ in jeder Raumrichtung. Durch die geringe Masse der Halbkugel, dem elektrodynamischen Aktorprinzip als Antrieb und dem Verzicht auf ein mechanisches Lager sind Kräfte mit einer echten Bandbreite von 1 kHz möglich.
Interaction-handle
a)
Flotor Inner Stator magnet assemblies (6) Outer stator b) magnet assemblies (6) Optical sensors (3)
Abb. 9.89 Das MagLev Gerät mit einer Hand auf dem Bediengriff (a) und einer Skizze des internen Aufbaus (b) [17].
9.6.2 Haptisch-Taktile Geräte Haptisch taktile Geräte in dieser Kategorie sind intelligente Kombinationen bekannter Aktorprinzipien zu haptischen Systemen mit hoher Ortsauflösung oder außergewöhnlichen dynamischen Eigenschaften.
9.6.2.1 Thermopneumatisch Ein klassisches Problem taktiler Pin-Arrays ist die hohe Aktordichte, die unterhalb der Pins zur Ansteuerung und Rekonfiguration der Pin-Positionen notwendig ist. Daher werden vielfältige Verfahren erprobt. In [264] wird ein thermopneumatisches System vorgestellt (Abb. 9.90) basierend auf mit einer Flüssigkeit mit niedrigem Siedepunkt gefüllten Röhren (Methyl-Chlorid). Das System erlaubt eine Rekonfi-
318
9 Aktorentwurf
guration der Pins innerhalb von zwei Sekunden, hat aber bei sehr günstigen Einzelkomponenten einen hohen Energiebedarf.
a)
b)
Abb. 9.90 Thermopneumatisches Aktorprinzip im schematischen Aufbau (a) und als Aktor (b) [264].
9.6.2.2 Aggregatzustand als Fixierung Eine alternativer Ansatz wird in [176] über die Änderung des Aggregatzustandes zwischen der festen und flüssigen Phase verfolgt (Abb. 9.91). Die Bewegung der Pins erfolgt dabei mit Hilfe von Druckluft. Die Pins hängen mit einem Ende in einem mit Metall mit niedrigem Schmelzpunkt (U-Alloy) gefüllten Tigel. Jeder Tigel unterhalb eines Pins kann unabhängig voneinander beheizt werden. In der flüssigen Phase des Metalls kann der Pin über eine Druckluftzufuhr bewegt werden, in der festen Phase wird der Pin in der Position fixiert. Raster-Auflösungen von 2 mm sind durch das Prinzip relativ einfach möglich.
9.6.2.3 Fishbone-Illusion Ähnlich wie im Bereich visueller oder akustischer Wahrnehmung unterliegt auch der haptische Sinn beeindruckenden Illusionen. Eine der bekanntesten ist die von NAKATANI konsequent verfolgte Illusion [177] konkave oder konvexe Linien beim Ertasten geometrisch völlig andersartiger Strukturen zu erzeugen. Diese ”Fishbone”Illusion (Abb. 9.92 basiert nach aktuellem Kenntnisstand darauf, angrenzende Gebiete auf der Haut beim Streichen über eine strukturierte Oberfläche unterschiedlichen Scherkräften auszusetzen, die dann ein vergleichbares Muster von Spannungen und Dehnungen erzeugt, wie dies bei einer Interaktion mit realen Formen der Fall
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren
a)
319
b)
Abb. 9.91 Taktiles Display mit Fixierung einzelner Pins durch Änderung des Aggregatzustands eines Metalls im Querschnitt (a) und als Umsetzung (b) [176].
gewesen wäre. H AYWARD, als begeisterter Querdenker haptischer Forschung, hat erst kürzlich eine Übersicht über die bekanntesten taktilen Illusionen veröffentlicht [87], die eine Struktur und Abhängigkeit der Effekte miteinander nahe legt.
a)
b)
Abb. 9.92 Gräten-Struktur zur Erzeugung der Illusion einer konkav gewölbten Linie in realen Proportionen (a) und als Skizze (b) [177].
9.6.2.4 Piezoelectrischer Textur-Aktor Neben der Anwendung für Braille-ähnliche Aufgaben ist der Entwurf taktiler Displays vor allem für die Textur-Wahrnehmung interessant. W INFIELD hat auf der Worldhaptics-Konferenz 2007 ein beeindruckend einfaches taktiles Texturdisplay auf Basis einer piezoelektrischen Scheibe im Resonanzbetrieb vorgestellt [280].
320
9 Aktorentwurf
Durch Variation von Frequenz und Amplitude ist es gelungen, den Finger unterschiedlich stark über der piezoelektrischen Scheibe in Schwebung zu versetzten, also den Reibkoeffizienten zwischen beiden zu variieren. Mit einem optischen Tracking über der Scheibenfläche und einer ensprechenden Modulation der Ansteuerung ergeben sich deutlich wahrnehmbare Texturen mit fühlbaren, räumlichen Auflösungen (Abb. 9.93).
Glas Piezoelectric disc
a)
Mounting ring
b)
Abb. 9.93 Piezoscheibe auf Glassubstrat (a) und Auszug aus den möglichen Texturen (b) [280].
9.6.2.5 Medien-Ultraschall-Aktor Auch aus Piezoaktoren und im Ultraschallbereich, aber unter Verwendung von Schalldruck als auslenkende Kraft, werden die taktilen Displays von I WAMOTO gebaut (Abb.9.94). Das Prinzip verfolgt den Ansatz, über den Schalldruck einer Ultraschallquelle eine Auslenkung der Hautoberfläche zu erzeugen, und somit einen haptischen Eindruck zu vermitteln. Während zuerst mit Hilfe von Ultrschallarrays taktile Punkte in einem flüssigen Medium erzeugt wurden [110], gehen die aktuellen Entwicklungen auf die Luft zur Übertragung der Energie über [111]. Die im Moment erreichten Schalldrücke vermitteln lediglich einen geringen taktilen Effekt. Insbesondere das Luft-basierte Verfahren arbeitet aber völlig kontaktlos, und könnte daher für völlig neuartige Bedienkonzepte in Kombination mit Gestenerkennung interessant sein.
9.6.2.6 Wahrnehmung von Oberflächenhaftung Ein selten adressierter Effekt bei der Interaktion mit Objekten basiert in der Wahrnehmung von Haftung zwischen Haut und Objekt. Dies kann lediglich ein Resultat von Verunreinigungen auf der Oberfläche sein, tritt aber vor allem bei weichen Materialien wie Silikonen, Gummi oder gar Klebstoffen besonders auf. Ein Gerät zur
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren
a)
321
b)
Abb. 9.94 Taktile Displays auf Basis von Ultraschall-Druck mit einem Fluid als Medium [110](a) oder Array zur Luft-Übertragung [111] (b).
Erzeugung von Oberflächenhaftung wird in [283] vorgestellt, und auf zuvor experimentell ermittelte Haftungskennlinien angewandt. Das Gerät (Abb. 9.95) basiert auf drei Vakuumpumpen, die unabhängig voneinander elliptische Ringe unter dem Finger mit einem Druck beaufschlagen können. Über die Variation des Vakuums und des konzentrisch angeordneten Zylinders ist es möglich, beim Abheben eines Fingers von den Ringen die Hautfläche in drei Stufen fest zu halten. Die resultierende Wahrnehmung entspricht der Wahrnehmung vom Haften an unterschiedlich klebrigen Oberflächen.
9.6.2.7 Taktile Kontaktlinse Da die taktile Wahrnehmung der Haut vor allem auf in die Haut eingeleiteten Spannungen und Dehnungen basiert, ist es prinzipiell denkbar die Wahrnehmung von sehr kleinen Strukturen über einen Hebel auf die Hautoberfläche zu bringen, und dort vergrößert abzubilden. Dieses Prinzip wurde in [131] genutzt, um eine taktile Kontaktlinse entsprechend Abbildung 9.96 zu bauen. Die taktile Kontaktlinse ist ein rein mechanisches Gerät, das über an einer Membran aufgehängte Stäbe die Haut bei der Berührung von Unebenheiten stärker dehnt.
9.6.2.8 Taktile Marker durch Scherkräfte Ausgehend von der Erkenntniss, dass vor allem Scherkräfte und Oberflächenspannungen in der Haut taktile Wahrnehmung erzeugen, ist es naheliegend zu untersu-
322
9 Aktorentwurf
Abb. 9.95 Prinzipskizze des in [283] realisierten Gerätes zur Erzeugung von Oberflächenhaftung als taktilen Reiz.
a)
b)
Abb. 9.96 Taktile Kontaktlinse zur Vergrößerung der Scherung an der Hautoberfläche beim Berühren kleiner Grate in Prinzipskizze (a) und Aufbau (b) [131].
chen, ob koordinierte Scherungen der Haut eine vergleichbare Wahrnehmung hervorrufen, wie erhabene Pins auf einer Oberfläche. Die Arbeitsgruppe um H AWYARD entwickelt daher seit Jahren Schwerkraftdisplays für Braille-ähnliche Anwendungen. Das in [156] vorgestellte System (Abb. 9.97) verwendet Piezobieger zur Erzeugung der Scherkräfte. Diese Piezobieger werden zustäzlich zur beressern Kopplung an die Fingeroberfläche in den aktuellen Versionen im Halbkreis angeordnet. Die damit erreichbare Wahrnehmung ist beeindruckend realistisch, und spiegelt die Bewegung eines Pins unter der Fingeroberfläche wieder. Eine verwandte taktile Illusion ist als ”hair-comb-effect” bekannt.
9.6 Sonderformen haptischer Aktoren
a)
323
b)
Abb. 9.97 Array aus piezoelektrischen Biegeaktoren in gerader (a) und der Fingerform angepasster ”STReSS2 ” Anordnung[156].
9.6.2.9 Haptisches Display für Freiraumbewegungen Im Falle der Interaktion mit großen, virtuellen Welten ist es häufig notwendig Geräte zu entwickeln, die am Körper getragen werden. Eine interessante Lösung wurde in [248] vorgestellt, bei der über Bänder (Abb. 9.98) an der Handfläche, sowie an den einzelnen Fingern taktile Wahrnehmungen erzeugt werden. Das Prinzip basiert auf zwei Antrieben pro Band, die bei gleichsinnigem Lauf eine Scherkraft auf die Haut aufbringen können, bei gegensinnigem Lauf eine Normalkraft. Dadurch ist es möglich, in einer virtuellen Welt taktile Effekte beim Greifen eines Objektes zu simulieren, allerdings ohne die zugehörigen kinästhetischen Effekte. Dennoch gibt es positive Nutzerreaktionen auf derartige Systeme.
a)
b)
Abb. 9.98 Körper-basiertes taktiles Gerät zur Erzeugung von Normal- und Scherkräften mit Prinzipskizze für die Handfläche (a) und Gerät an der Hand (b)[248].
324
9 Aktorentwurf
9.6.2.10 Elektrotaktil Da die haptischen Rezeptoren auch elektrisch stimuliert werden können ist es nahe liegend, haptische Geräte zu entwickeln, welche die taktilen Sinnesorgane über geringe Ströme anregen. Die Entwicklung solcher Geräte ist bis in die 70er Jahre zurück zu verfolgen. Eine der letzten Realisationen wurde in [121] (Abb. 9.99) vorgestellt. Elektrotaktile Displays funktionieren, sie haben jedoch den Nachteil, dass neben den Mechanorezeptoren auch die Nocireceptoren des Schmerzempfindens aktiviert werden. Weiterhin ist der elektrische Widerstand zwischen Display und Haut starken Schwankungen unterworfen. Zum einen interpersonell durch Unterschiede in der Hautdicke, zum anderen aber auch durch elektrochemische Prozesse zwischen Hautschweiß und Elektroden über der Zeit. Die erzielbaren taktilen Muster und ihre Unterscheidung sind Gegenstand aktueller Untersuchungen.
a)
b)
Abb. 9.99 Elektrotaktiles Display zum Tragen auf der Stirn mit Sicht auf die Elektroden (a) und Kantenfindungs- und Signalübertragungsprinzip (b) [121].
Kapitel 10
Kraftsensorentwurf
JACQUELINE R AUSCH
Das folgende Kapitel soll als Hilfestellung für die Auswahl bzw. den Entwurf von Kraftsensoren haptischer Systeme dienen. Unter Abschnitt 10.1 werden grundsätzliche Fragen hergeleitet, die notwendigerweise zu Beginn des Sensorentwurfs gestellt werden sollten. Eine Auswahl der zu berücksichtigenden Aspekte erfolgt in Abschnitt 10.1.5. Darauf aufbauend werden die wichtigsten Sensorprinzipien vorgestellt. Neben einer kurzen Beschreibung der Wandlungseigenschaften werden die Sensoreigenschaften nach haptischen Gesichtspunkten beleuchtet und durch ein Anwendungsbeispiel illustriert.
10.1 Randbedingungen Die Struktur eines haptischen Systems bestimmt maßgeblich den Entwurf der Kraftsensorik. Besondere Bedeutung kommt der Anwendungsbestimmung des haptischen Gerätes zu. Allen Systemen ist gemein, dass ein Nutzer mit einem Objekt in Kontakt tritt. Es ist zu klären, zu welchem Zweck das Gerät eingesetzt werden soll, beispielsweise als Telemanipulator für medizintechische Zwecke oder als intelligentes Werkzeug mit haptischer Rückmeldung für den CAD-Bereich. Auch die Eigenschaften des Gerätenutzers, im Falle eines Telemanipulationssystems ebenso die Eigenschaften eines zu bewegenden oder zu manipulierenden Objektes sind beim Sensorentwurf zu berücksichtigen. Diese Faktoren sollen im Folgenden näher erläutert werden.
325
326
10 Kraftsensorentwurf
10.1.1 Struktur des Displays Aus der Anwendungsbestimmung resultiert die Struktur des haptischen Geräts. Es existitieren aus regelungstechnischer Sicht grundsätzlich die in Kapitel 5 beschriebenen vier Varianten, die bezüglich der zu erfassenden Messgrößen genauer betrachtet werden sollen: • Impedanz-Steuerung: Erfassung der durch den Nutzer ausgeübten Auslenkung, Rückmeldung einer Kraft • Impedanz-Regelung: Erfassung der durch den Nutzer ausgeübten Auslenkung und Kraft, Rückmeldung einer Kraft • Admittanz-Steuerung: Erfassung der durch den Nutzer ausgeübten Kraft, Rückmeldung einer Auslenkung • Admittanz-Regelung: Erfassung der durch den Nutzer ausgeübten Kraft und Auslenkung, Rückmeldung einer Auslenkung Im Falle einer Steuerung werden nur die Eigenschaften eines Objekts berücksichtigt. Das Objekt kann hierbei real oder virtuell sein. Virtuelle Objekte treten beispielsweise bei Operations- oder Flugsimulatoren auf. Eine Sensorik zur Erfassung der Objekteigenschaften ist nicht vonnöten. Soll mit einem realen, physikalischen Objekt interagiert werden, wie bei Telemanipulationssystemen (z.B. DaVinciSystem) der Fall, werden die Objekteigenschaften über eine Sensorik detektiert. Die meisten Telemanipulationssysteme basieren auf einer Impedanz-Steuerung. Bei geregleten Systemen wird neben der Impedanz des Objekts auch die Nutzerimpedanz berücksichtigt. Bei einer Impedanz-Regelung ist die Messung der vom Nutzer ausgeübten Kraft, bei Admittanz-Regelung die Messung der vom Nutzer ausgeübten Auslenkung oder Geschwindigkeit zusätzlich zu realisieren (siehe hierzu auch Kapitel 7). Das Messobjekt kann somit entweder ein reales, physikalisches Objekt oder der Nutzer des haptischen Systems sein. Neben den mechanischen Eigenschaften des Messobjekts müssen auch die Art der Interaktion und die Kontaktsituation bekannt sein oder ermittelt werden, um eine Aussage über obere Grenzfrequenz, Nennkraft und Auflösung der zu entwickelnde Sensorik treffen zu können. Die Einflussfaktoren, die im Folgenden genauer beleuchtet werden, sind die Art des Kontakts von haptischem System mit Objekten und die Objekteigenschaften selbst. Hierbei werden die mechanischen Eigenschaften und die Textur des Objekts gesondert betrachtet.
10.1.2 Kontaktsituation Bei der Analyse der Objekteigenschaften ist es aufgrund der unterschiedlichen Interaktionen sinnvoll, zwischen dem Nutzer des haptischen Systems und realen Objekten als Messobjekt zu unterscheiden. Ist der Nutzer das „Messobjekt“, so muss die
10.1 Randbedingungen
327
Kraft gemessen werden, die der Nutzer auf das Bedienelement des haptischen Systems ausübt. Hinsichtlich Kraftamplitude, -Richtung und Frequenz sind allgemeingültige Aussagen schwierig, da die Nutzerimpedanz insbesondere von der Greifsituation, Alter und Geschlecht des Nutzers abhängt (siehe Abschnitt 4.2). In Abschnitt 4.2.1 sind die Greifsituationen in Kraftgriff, Präzisionsgriff und Kontaktgriff klassifiziert.Die daraus resultierenden Randbedingungen sollen im Folgenden quantifiziert werden. Die beiden erstgenannten Griffarten nutzen beispielsweise Finger oder Handfläche als Gegenlager, was zu höheren Griffkräften bis etwa 100 N (vgl. [34], [86]) und einem steiferen Kontakt führt. Neben den Kraftbeträgen ist auch die Kraftrichtung von Bedeutung. So müssen abhängig von Nutzungskontext und Greifsituation bis zu drei Komponenten erfasst werden, um die Kraftwirkung im System korrekt berücksichtigen zu können. Hierbei wird davon ausgegangen, dass keine Momente zwischen Display und Nutzer auftreten. Hat der Nutzer „statischen“ Kontakt mit den Display, so ist die Erfassung der Normalkomponente bezogen auf die Kontaktfläche zwischen Nutzer und Display ausreichend. Übt der Nutzer eine Relativbewegung zum Display aus, so müssen zusätzlich die Scherkräfte detektiert werden und eine Drei-KomponentenMessung ist sinnvoll. Der menschlichen Frequenzwahrnehmung folgend sollten statische und dynamische Signalanteile gleichermaßen erfasst werden (vgl. Kapitel 3). Die untere Grenzfrequenz muss bei haptischen Systemen immer gegen den Wert 0 Hz gehen, da (quasi-) statische Vorgänge, wie sie beim Halten des Bedienelements auftreten, dem Signal überlagert sind und schon kleinste Amplituden eines driftenden Offsets den haptischen Eindruck verfälschen (vgl. kl. wahrnehmbare Kraft in Abschnitt 3.1). Die obere Grenzfrequenz ist jedoch abhängig von der Griffsituationen und der dabei auftretenden Griffkraft. Bei Kraft- und Präzisionsgriff nimmt die Griffkraft tendenziell höhere Beträge an und die obere Grenzfrequenz kann