Ein Strick für Billy King
scanned by: Crazy2001
corrected by: Goldnugget
@ Dezember 2003
Jäh zerriß ein peitschend...
22 downloads
524 Views
2MB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Ein Strick für Billy King
scanned by: Crazy2001
corrected by: Goldnugget
@ Dezember 2003
Jäh zerriß ein peitschender Knall die Stille. Die Kugel stieß über den kleinen Hof hinweg und zertrümmerte das helle Fenster. Im einsam gelegenen Haus schlug jemand die Lampe vom Tisch; schlagartig wurde es dunkel. Wie Schatten kamen sie aus der Nacht, glitten näher, umstellten das Gehöft, richteten die Waffen auf Tür und Fenster und duckten sich wie Tiere zum Sprung. „King!“ schrie ein Mann mit heiserer Stimme über den Hof. „Kommen Sie raus! Das Haus ist umstellt! Hier ist Marshal Donnery. Sie haben keine Chance. Geben Sie auf, oder wir schießen das Haus zusammen!“
- 1 -
Niemand im Haus antwortete. Der Nachtwind bewegte die zundertrockenen Sträucher am Rande des Hofes und fuhr durchs zerschossene Fenster. „Haben Sie nicht gehört, King?“ Wieder tönte diese mitleidlose Stimme durch die Nacht. „Antworten Sie, oder wir machen Sie fertig! Es ist genug, King — einmal erwischt es jeden Halunken. Ich bin kein Richter; darum kann ich Ihnen nichts versprechen. Geben Sie endlich auf, kommen Sie raus!“ Der Mann im Haus schwieg. Marshal Donnery hob die linke Hand und gebot den Männern, zurückzuweichen. Er rechnete mit einer Verzweiflungstat des umstellten Banditen. Im bleichen Sternenlicht hatten sie hinreichend Schußlicht. King wür de niemals lebend von hier wegkommen. Die Männer wichen geduckt zurück und kauerten sich nieder. Sie ließen Tür und Fenster nicht aus den Augen. „Es hat doch keinen Sinn, King!“ rief Donnery bitter. „Vor Jahren sind Sie mit mehreren Halunken durch das Land geritten und haben Gehöfte überfallen. Ihre Komplizen sind alle an den Galgen gekommen, einer nach dem anderen — und einer hat nicht dichtgehalten und ihr Versteck verraten. Ich habe den Auftrag, Sie gefangenzunehmen, King. Seien Sie vernünftig, kommen Sie ohne Waffen heraus, ergeben Sie sich.“ Die Stimme verklang ohne Echo hinterm Haus. Donnery sah zum Himmel empor. Wolken schoben sich von den Bergen heran. „King, zwingen Sie mich nicht dazu, das Haus anzuzünden! Wenn Sie herauskommen und sich ergeben, dann wird Ihnen nichts geschehen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort, King.“ Im Haus rührte sich nichts. - 2 -
Reglos stand King nahe am Fenster und starrte hinaus. Er sah die dunklen Gestalten auf der anderen Seite des sandigen Hofes, dort, wo die Sträucher und der Stall standen. Sternenlicht zuckte jedesmal herein, wenn sich die Gardine bewegte, und fiel auf Kings verkniffenes Gesicht; der Ausdruck des Verlorenseins lag auf diesem narbigen Gesicht. „Dad!“ flüsterte es im dunklen Hintergrund. „Sag ihnen doch, daß es ein Irrtum ist! Sag ihnen, daß du niemals als Bandit geritten bist!“ King glitt vom Fenster weg und starrte ins Dunkel. Leise wie ein Hauch war seine Stimme, als er antwortete: „Sei ruhig, mein Junge, verrate dich nicht. Sie wissen doch nicht, daß du hier bist; sie vermuten nur mich im Haus. Ja, Billy, sie wissen nicht, daß ich einen prächtigen Sohn habe. Du sollst leben, mein Junge. Sei still, ver kriech dich, leg dich unters Bett und rühr dich nicht.“ Doch der Sohn hörte nicht auf ihn. Steif und verkrampft kam er näher und umfaßte mit zitternden Händen den Arm des Vaters. „Dad, ich glaub' diesem Marshal kein Wort, hörst du? Er lügt, dieser verdammte Kerl! Ich kenn' dich doch, Dad, du kannst gar kein Bandit gewesen sein. So ein guter Kerl wie du überfällt keine Gehöfte!“ Sie standen sich im dunklen Raum gegenüber und konnten einander kaum erkennen, aber King hörte den heißen Atem seines Sohnes und spürte das Zittern, das von seinen Händen ausging. „Billy“, sagte er schwer, „du hast jahrelang bei guten Freunden von mir gelebt und nie gewußt, was dein Vater in jener Zeit getan hat. Ja, ich bin mit Männern geritten, Billy — quer durch den Westen, von einem Gehöft zum anderen, und wir haben uns immer alles genommen, war - 3 -
wir haben wollten. Ja, Billy — ich bin ein Bandit gewesen. Dieser Marshal Donnery irrt sich nicht. Ich habe dir nie davon erzählt, weil ich glaubte, daß uns hier niemand finden würde. Ich wollte ein anderes, besseres Leben beginnen und dir endlich ein Zuhause geben, mein Junge. Kriech jetzt unters Bett, Billy, und komm erst wieder hervor, wenn es Tag geworden ist. Ich muß hinausgehen, sonst werden sie auch auf dich schießen. Du sollst aber leben, mein Junge, und irgendwo endlich glücklich werden.“ „Das kann ich nicht ohne dich, Dad!“ stöhnte Billy verzweifelt. „O nein, ich lass' dich nicht allein, Dad, Ich geh' mit raus. Wohin du gehst, da gehe ich mit.“ „Sei ruhig, Billy. Sie dürfen dich nicht hören.“ Billy zitterte; ihm war sehr kalt, und er nahm die Hände vom Arm seines Vaters und verkrampfte sich. „Geh nicht, Dad!“ „Doch, Billy, ich muß gehen, aber ich werde nicht am Galgen hängen wie meine Komplizen...“ Kings Stimme sank zu einem tiefen Flüstern herab. „Ich werde in dieser Nacht sterben, mein Junge, aber das ist besser, als am Galgen zu hängen. Werde nie wie dein Vater, Billy! Geh immer den guten Weg, das lohnt sich mehr.“ Er schlang die Arme um seinen. Sohn und preßte ihn fest an sich. Mit bewegter Stimme flüsterte er: „Ich wollte dich glücklich sehen, Billy, und für dich diese kleine Ranch aufbauen. Du solltest niemals wissen, wer ich gewesen bin, aber nun weißt du es. Verdamm mich nicht, mein Junge. Es war eine andere Zeit, als ich mit ein paar Männern durch den Westen ritt. Wir waren arme Hunde, die nirgendwo einen Job fanden und verhungert wären. Ich habe niemals einen Menschen bei diesen Überfällen getötet, Billy, aber das zählt jetzt nicht. Die Männer - 4 -
draußen werden mich zum Galgen zerren wollen, sie werden mir die Schuld geben an allem, was damals geschehen ist.“ „Nein!“ schrie Billy auf. „Nein, ich…“ Hart preßte King die Hand auf den Mund des Sohnes und brachte ihn zum Schweigen. Draußen rief Donnery: „Ich kann auch anders, King. Ich gebe Ihnen noch eine Minute, dann lasse ich das Haus in Brand setzen!“ King hörte die Worte des Marshals nicht. Langsam nahm er die Hand vom Mund des Sohnes und zog ihn wieder an sich. „Billy, hör mir zu“, flüsterte er mit leerer Stimme. „Was auch geschieht, bleib im Haus. Wenn sie es anzünden, dann steig in den kleinen Keller hinunter. Ich muß jetzt raus. Wenn ich weiß, daß du weiterleben wirst, dann wird es mir nicht schwer fallen, mein Junge...“ „Vater“, Billy preßte die Hände auf den Rücken seines Vaters, „ich werde niemals schlecht über dich denken, niemals! Für mich bist du der beste Mann, den es gibt.“ Er war verzweifelt, doch er glaubte unerschütterlich an seinen Vater. „Ja, Billy“, sagte King, „glaub daran. Du bist jetzt zwanzig Jahre alt, das ganze Leben liegt noch vor dir. Mach was Gutes daraus und bleib auf dem richtigen Weg. Versprich mir das, mein Junge.“ Sie lösten sich voneinander, und Billy nickte zuckend. „Ich verspreche es dir, Dad.“ Seine Stimme klang gefroren und fremd. Die Gardine schwappte hin und her, und Sternenlicht fiel auf sein schmales gutgeschnittenes Gesicht, auf das schwarze Haar und in die braunen Augen. Er war um einen ganzen Kopf größer als sein Vater, schlank und sehnig. - 5 -
„Gut, mein Junge“, sagte King leise und bemühte sich, der Stimme einen festen Klang zu geben, „gut, das wollte ich hören. Und nun leb wohl, mein Junge. Komm mir nicht nach. Bleib auf unserer kleinen Ranch und . . .“ „King“, unterbrach ihn die heisere Stimme des Marshals, „die Zeit ist um!“ King schluckte schwer und nahm den Sechsschüssigen in die rechte Hand. Langsam wandte er sich von seinem Sohn ab und sah zum Fenster. Das Gesicht erschlaffte und wurde grau, aber Billy sah es nicht. „Ich komme, Donnery!“ rief King stockheiser. „Dad!“ Billy umklammerte den Vater, als wollte er ihn für alle Zeit im Haus festhalten. „Geh nicht mit dem Colt raus! Sie werden auf dich schießen!“ „Nein, mein Junge“, sagte King, aber er sprach nicht die Wahrheit. „Ich werde die Waffe erst draußen wegwerfen. Geh nun, Billy, und versteck dich. Komm mir nicht nach, Billy!“ Gewaltsam löste er den Griff des Sohnes und ging zur Tür. Er öffnete die Tür und sah hinaus. „Ich komme!“ rief er krächzend. Billy stand wie festgenagelt im Haus. Er wollte schreien, doch er konnte es nicht. Er sah seinen Vater als dunkle Silhouette vor dem hellen Hof und drüben zwei Männer, die sich erhoben hatten. Der Schatten der ersten Wolke wischte über den Hof hinweg. Weit hinten wuchsen die Berge empor, und die weiten Hänge schimmerten im Mondlicht. Draußen wartete der Tod. King trat hinaus, hielt die Waffe verdeckt, sah umher und ging weiter, Schritt für Schritt, bis er die Hofmitte erreicht hatte. Dann hob er die Faust mit dem Colt und tat, als wollte er abdrücken ... - 6 -
Viele Schüsse peitschten, und Mündungsfeuer flammten aus dem Dunkel der Nacht. Der Wind bewegte die Tür, die knarrend aufglitt. Billy King sah, wie sein Vater zusammenbrach und in den Staub schlug. Dann lief der Schatten einer Wolke wieder über den Hof, und er sah nichts mehr. Was er nun tat, stand nicht mehr unter seinem Willen. Er riß das Gewehr an sich, schrie laut auf und stürzte aus dem Haus. Er erblickte die Umrisse eines Mannes und schoß darauf, während er über den Hof hetzte. Sekundenlang war es mondhell. Die Männer sahen ihn, wollten auf ihn schießen — aber er war schon hinterm Haus und rannte hinaus in die bodenlose Schwärze der Nacht. Er kannte das Land und wußte von den geheimen Wegen in die Wildnis. Hinter sich hörte er Schreie und Schüsse und jemanden, der schrie, daß es den Marshal tödlich erwischt hätte. Mein Gott, dachte er, du hast den Marshal erschossen! Warum hast du auf den Mann geschossen, der aus der grauen Wand gekommen war? Jetzt bist du verloren! Und er lief weiter, immer weiter in diese Nacht hinein, die seinem Leben die entscheidende Wende gebracht hatte... *** Sterbend wälzte sich Donnery auf die Seite und sah mit flackernden Augen zu King hinüber, der keine fünf Schritt von ihm entfernt leblos im Sand lag. Fackeln erhellten den Hof, und überall standen Männer und hielten ihre Pferde am Zügel. „Holt... euch ... den Kerl!“ ächzte Donnery. „Jagt ihn, bis ihr ihn habt. Donnery begriff nicht mehr, daß Billy King in seiner - 7 -
grenzenlosen Verzweiflung abgedrückt hatte, nicht um zu töten, nur um sich zu wehren. Donnery wollte, daß dem Gesetz Genüge getan wurde. In den letzten Minuten seines Lebens dachte er an Rache, an das Gesetz und an das Auslöschen eines jungen Lebens. „Er ist... Kings Komplize!“ flüsterte er. „Jagt ihn zu Tode! Er ist... ein... Bandit, ein Mörder! Sorgt dafür, daß überall... sein Steckbrief ausgehängt wird. Ihr habt ihn doch ... gesehen. „Ich will, daß ihr...“ Die Stimme verwehte. Marshal Donnery war tot. Das hatte Billy King nie gewollt, aber es war geschehen. Unabänderlich und unwiderruflich war der Tod. In dieser Nacht begruben Männer Billys Vater, und andere suchten nach ihm. Er hörte den trommelnden Huf schlag der vorwärts gepeitschten Pferde und die heiseren Rufe der Jäger, die ihm nach dem Leben trachteten. Zitternd verkroch er sich unter einen der dürren Sträucher und hielt den Atem an. Das Herz schlug ihm wild und heftig, und er hatte das Gefühl, zu ersticken. Die Reiter kamen bedrohlich näher, als hätten sie ihn schon entdeckt. Die Wolkendecke zerriß, und Billy sah die Reiter dicht und riesengroß vor sich. Sie hielten Gewehre und Revolver und suchten mit scharfen Blicken das Land ab. Der Staub wehte zu ihm herüber, und er durfte ihn nicht einatmen. Kaum wagte er, das Gesicht anzuheben und zu den Reitern hinüberzublicken. Er befürchtete, sie könnten sein Gesicht hinterm Strauch erkennen. Schweißnaß saugten sich die Hände am Schaft des Gewehres fest. Er war bereit, sich seiner Haut zu - 8 -
wehren, doch er hatte Angst davor, abzudrücken. „Los, verteilt euch!“ hörte er die heisere Stimme eines Mannes. „Er darf uns nicht entkommen! Hängen soll er, bis er tot ist, dieser hundsgemeine Kerl!“ Ich hab's doch nicht gewollt! schrie es in Billy, und er kauerte sich wie ein getretener Hund zusammen. Ihr habt meinen Vater erschossen, und ich wollte nicht im Haus bleiben! Sie würden ihn zu Tode schleifen, das wußte er. Sie würden nun auch stundenlang nach ihm suchen und das ganze Land im Umkreis von ein paar Meilen durchkämmen. Die Hufe trappelten und stampften auf ihn zu. Schwarze Schatten jagten vorüber und verschwanden in der Nacht. Billy nahm die klammen Hände vom Winchestergewehr und horchte angespannt. Nur leise tönten die Stimmen von der kleinen Ranch seines Vaters herüber. Als es wieder sternenhell wurde, sah er, daß die Männer des Aufgebotes Marshal Donnery aufs Pferd gelegt hatten. Sie ritten nacheinander vom Ranchhof und vorbei an der kleinen Herde. Wieder geriet er in Gefahr, entdeckt zu werden. Wieder näherten sich Reiter ihm und suchten. Es war sein Glück, daß die Wolken den Himmel verdunkelten und die Männer seine Spur nicht entdecken konnten. Als sie vorbeigeritten waren, erhob er sich, stand geduckt am Strauch und starrte zum Ranchhaus hinüber. Das Haus lag dunkel im Tal, und der Wind trieb den Staub vom kleinen Korral herüber und über den Hof. Billy war ohne Pferd verloren. Er mußte zurück zur Ranch und sein Pferd nehmen. Jede Sekunde war kostbar und bedeutungsvoll. Er verlor keine Zeit, schlich zurück - 9 -
und duckte sich jedesmal, wenn es hell wurde, stand steif und reglos und verließ sich dann nur auf sein Gehör. Die Reiter waren in der Nähe. Sie trieben die Pferde über die Hänge und durchs Tal. Immer wieder waren ihre krächzenden Stimmen zu vernehmen. Endlich hatte er das Haus erreicht und sah das Grab seines Vaters. Sie hatten ihn eilig unter die Erde ge bracht. Er schluckte würgend, glitt weiter und näherte sich dem Stall. Zwei Pferde standen im Stall. Er hörte sie rumoren und schlich ans Stalltor heran, das die Männer zu einem schmalen Spalt offengelassen hatten. Verkrampft hielt er das Gewehr und spähte unsicher umher. Auf dem Hof lag noch der Coltrevolver seines Vaters. Er duckte sich noch tiefer und bewegte sich auf den Colt zu, packte die Waffe und eilte zurück in den Schlagschatten des Pferdestalles. Hier lehnte er das Gewehr an und ging dann mit dem Colt in der Hand in den Stall hinein. Sicher fand er sein Pferd im dunklen Stall und sattelte es in fieberhafter Eile. Als er dann das Pferd am Zügel hinausziehen wollte, geschah es. Urplötzlich spürte er zwei Arme, die ihn umschlangen. Jemand stieß ihm grausam hart das Knie in den Rücken und riß ihn dabei zurück. Er stürzte rücklings zu Boden und konnte sich gerade noch zur Seite stoßen. Dumpf schlug der Gewehrkolben in den Sand. Der Schlag hätte ihn augenblicklich bewußtlos werden lassen. Fauchend sprang der Mann auf ihn zu, trat auf ihn und versuchte, ihn wieder zu treffen. Billy entwickelte in seiner Angst und Verzweiflung gewaltige Kräfte und schnellte katzenhaft elastisch über den Stallgang hinweg. Krachend stürzte er gegen eine Boxwand und hatte das Gefühl, den Arm gebrochen zu haben. - 10 -
Mit einem verhaltenen Schrei kam der Mann wieder auf ihn zu und holte aus. Knallhart prallte der Gewehrkolben auf die obere Kante der Box und ließ das Holz platzen. „Ich schaff dich auch allein, du Hundesohn!“ keuchte der Mann. „Du kommst nicht mehr von hier weg! Ich wußte doch, daß du zurückkommen würdest!“ Billy war für diesen Mann ein Stück Freiwild, das er einfach umbringen konnte, ohne jemals dafür zur Verant wortung gezogen zu werden. Der Tod des Marshals hatte Billy zu einem Gesetzlosen und Vogelfreien gemacht, den jeder umlegen konnte. Billy King hatte sein Leben verwirkt... Aber Billy gab nicht auf. Er wollte nicht immer zurückweichen und sich in die letzte dunkle Ecke treiben lassen. Sobald er in seiner Bewegungsfreiheit gehemmt wäre, würde der Mann zum vernichtenden Schlag ausholen können. Dann hätte Billy keine Chance. Sie sprangen im dunklen Stall hin und her und belauerten sich. Der Mann schlug ein paarmal wild mit dem Gewehr ins Leere. Als er wieder einmal ausholte, wußte Billy, daß er handeln mußte — und er sprang los, rammte dem Mann den Kopf in den Bauch und schlug gleichzeitig mit dem Colt nach oben. Das Gewehr flog gegen die Bretterwand, und der Mann stürzte bewußtlos unter Billys Pferd. Das Tier wieherte und wich zurück. „Still!“ krächzte Billy und riß den Zügel an sich, zog das Pferd hinaus und griff zum Gewehr. Er schwang sich in den Sattel und trieb es sofort an, ritt hinter den Stall und verhielt. Die Reiter waren noch im Tal. Einige waren auch hinter den Bodenwellen verschwunden und suchten nach ihm in den Hügelfalten. Er stieß das Gewehr in den - 11 -
Scabbard und beugte sich im Sattel weit vor. Unruhig bewegten sich die Rinder und murrten gereizt. Zum letztenmal war Billy auf der kleinen Ranch seines Vaters. Er nahm Abschied von diesem Fleckchen Erde und peitschte dann das Pferd vorwärts. Der Hufschlag wurde sofort von den Männern gehört, und schon flammten die ersten Mündungsfeuer grellrot auf. Kugeln umfauchten ihn und das Pferd. Er spürte den Gluthauch der Geschosse und gab sich keine Chance mehr. Die Verfolger versuchten, ihm das Pferd unter dem Sattel zusammenzuschießen, aber sie konnten während des wilden Rittes nicht gut genug zielen. Billy zwang das Pferd hin und her, um den Verfolgern das Zielen zu erschweren. Schrill wiehernd jagte das Pferd auf den Talrand zu. Billy erkannte abseits mehrere Männer, die ihm den Weg abzuschneiden versuchten und auf ihn schossen. Mehrere Kugeln streiften ihn, doch er spürte keinen Schmerz. Dann jagte er auch schon über den Talrand hinweg und den Bergen zu, die sich dunkel und zerklüftet vor ihm erhoben. Brüllend und schießend folgten ihm die Männer des Aufgebotes, die ihn für einen Banditen und Komplizen hielten. Kein klärendes Wort könnte ihn retten. Jeder Versuch, sich mit den Männern auseinanderzusetzen und ihnen alles zu erklären, wäre der sichere Tod. Sie wollten nicht mit ihm reden und ihn verstehen. Sie wollten sein Leben. Langsam schossen sie sich auf ihn ein. Ihre Schüsse fauchten immer dichter an ihm vorbei. Jeden Augenblick konnte es ihn erwischen und vom Pferd stoßen. Niemals zuvor in seinem Leben hatte er soviel Angst gehabt. Er konnte nicht über den Tod seines Vaters nachdenken. Er hatte nur einen Gedanken: Du mußt durchkommen! - 12 -
Im Felsengewirr der Bergausläufer fand er Deckung, doch die Verfolger blieben dicht hinter ihm. Es waren mehr als sieben Mann, die in seinem Staub ritten und auf ihn schossen. Doch er hatte einen riesengroßen Vorteil: Er kannte das Land! So ritt er in den Canyon hinein, folgte der engen Schlucht und floh durch den Seitencanyon in die Berge. Stunden später hockte er auf einem Bergzug und sah in der Ferne das väterliche Tal. Dort schlugen helle Flammen aus dem Haus und leuchteten weithin durch die Nacht. *** „Donnery!“ Ein Mann kam über die Straße von Roswell gelaufen und rief immer wieder den Namen, erreichte den Saloon und blieb keuchend stehen. „Verdammt, wo ist der Kerl?“ stieß er hervor und sprang auf den ausgedörrten Gehsteig. „Donnery, wo stecken Sie?“ Er stieß die Schwingtür des Saloons auf und kniff die Augen zusammen. Im Halbdunkel konnte er zuerst nichts erkennen. Hinter ihm war die grelle Helle des heißen Nachmittags. „Donnery, sind Sie es?“ fragte er und starrte zum Tisch im Hintergrund. Dort saß ein knochiger Mann mit eckigen Schultern und hatte die Hand um das Whiskyglas gelegt. „Ja, was ist?“ tönte die rauhe Stimme aus dem Halbdunkel. „Was schreist du meinen Namen?“ „Donnery“, der andere holte pfeifend Atem und bemühte sich, der Stimme einen festen Klang zu geben, „Ihr Bruder kommt zurück! Ich hab' die Reiter soeben - 13 -
gesehen, ganz deutlich. Sie müssen gleich in die Stadt kommen.“ Mark Donnery erhob sich, schob den Stuhl zurück und ging zur Theke, zahlte und näherte sich dann der Tür. „Das will ich sehen“, knurrte er. „Mein Bruder wird bestimmt nicht ohne diesen King zurückkommen.“ „Donnery“, der Mann an der Tür hob die Hand an, als wollte er Donnery aufhalten, „hören Sie mich erst an, bevor Sie rausgehen. Ein Toter liegt auf einem Pferd, aber das ist nicht King — das ist Ihr Bruder!“ „Du bist so dumm, daß dich die Flöhe beißen!“ erwiderte Mark Donnery grimmig. „Mein Bruder, der Marshal, läßt sich von keinem Menschen abknallen, schon gar nicht von diesem King. Du hast nicht richtig gesehen.“ Wütend stieß er den Mann beiseite und trat hinaus. Sporenklirrend wanderte er über den Gehsteig und stieg auf die Straße hinunter. Die buschigen grauen Augen brauen zogen sich finster zusammen, als er die Reiter entdeckte, und in den kalten blauen Auen flackerten unheilvolle Lichter. Deutlich erkannte er seinen Bruder; die Arme des Toten pendelten auf der einen Seite des Pferdes hin und her. Stricke hielten den Marshal fest... Sie hatten sich nie gut verstanden; immer war es nur eine unterkühlte Freundschaft gewesen. Aber nun vergaß Mark Donnery die Streitigkeiten mit seinem Bruder und versteifte sich beim Anblick des Toten. Die Leute, die auf die Straße gekommen waren, bemerkten dieses fiebrige Zucken der Mundwinkel und glaubten, sein tiefes Stöhnen zu hören. Er ging plötzlich weiter und dem Reitertrupp entgegen. Vor dem Marshal's Office verhielt das Aufgebot, und Mark Donnery trat ans Pferd heran - 14 -
und sah in das Gesicht seines Bruders. Die Hitze und der lange Ritt hatten es anschwellen lassen. Es war kein schöner Anblick. Die Männer saßen ab, und sekundenlang war Donnery in Staub gehüllt. Nicht alle Männer waren zurückgekom men. Frauen liefen herbei und fragten ängstlich nach ihren Männern. „Die sind noch hinter dem Kerl her, der den Marshal erschossen hat“, erklärte einer der Männer. Langsam drehte Donnery sich halb herum und starrte die Männer feindselig an. „Und ihr habt aufgegeben, nicht wahr?“ flüsterte er. „Ihr habt diesen Mörder entkommen lassen!“ „So ist es nicht gewesen, Donnery“, bekam er zur Antwort. „Wir mußten schließlich mit Ihrem Bruder zurückreiten. Sehen Sie sich Ihren Bruder doch an! Wir wollten ihn nicht auf der King-Ranch begraben.“ „Wer hat ihn erschossen?“ Donnery stand gekrümmt vor den Männern und hatte die Hände zu Fäusten geballt. „Los, redet schon!“ „Ein junger Bursche. Wir haben ihn nur kurz gesehen, als er aus dem Haus gerannt kam, aber wenn jemand hier gut zeichnen kann, dann kriegen wir das Bild schon hin.“ Der Mann sprach weiter, und Donnery hörte zu. Jegliches Leben schien aus ihm gewichen zu sein. Sein Blick war in weite Fernen gerichtet, als bekäme er von dort die Antwort auf all seine Fragen. „Kings Komplize also“, sagte Donnery schließlich mit rasselnder Stimme. Rote Flecken waren auf seinem Gesicht erschienen, und Schweiß rann über die hohlen Wangen. „Ich wollte nicht mitkommen“, sprach er vor sich hin, „weil mein Bruder schließlich der Marshal war. Zwei Donnerys hätten sich nicht verstanden. Meinem - 15 -
Bruder war es nur recht gewesen, daß ich hiergeblieben war. Jetzt ist er tot, und sein Mörder reitet noch frei herum...“ Er hob die Schultern an und warf einen langen dunklen Blick auf den Toten. „Bringt ihn endlich ins Office!“ brüllte er plötzlich laut los. „Wie lange soll er noch in der Sonne sein?“ Sie erschraken, lösten dann die Stricke und wollten Donnery ins Office tragen, als ein Mann über die Straße kam, der sich schon seit Tagen in Roswell aufhielt. Mit eingefrorenem Grinsen schlenderte der Mann dicht ans Pferd heran, blickte auf den Marshal und suchte dann Mark Donnerys Gesicht. „Wieviel Belohnung wird das bringen, Donnery?“ fragte er ruhig. „Immerhin ist ein Marshal erschossen worden, nicht irgendeiner dieser gewöhnlichen Kerle...“ Mark Donnery hatte es schwer, sich zu beherrschen. Seine Stimme zersprang fast, als er antwortete: „Gehen Sie mir aus dem Weg, Locker! Der Halunke, der meinen Bruder erschossen hat, gehört mir! Mischen Sie sich da nicht ein. Suchen Sie von mir aus nach anderen Halunken.“ Locker ließ sich nicht einschüchtern. Mit der Gelassenheit eines Mannes, der schon viele Menschen erschossen hatte und wußte, wieviel er wert war, erwi derte er schleppend: „Wir werden sehen, Donnery. Ich bin Kopfgeldjäger, das wissen Sie. Wo ich einen Braten rieche, da bleibe ich. Das ist mein Job, und niemand, auch Sie nicht, wird mich daran hindern können, Halunken zu jagen, bis ich sie tot vor den Stiefeln liegen habe. Ihr Bruder war Marshal. Die Belohnung wird hoch sein. Das lasse ich mir doch nicht entgehen!“ Einen Augenblick lang sah es so aus, als wollte Donnery sich auf Locker stürzen, aber er war viel zu - 16 -
beherrscht, um sich mit Locker zu schlagen. „Ich warne Sie, Locker. Kommen Sie mir nicht in die Nähe — ich würde Sie vom Pferd schießen!“ Locker lächelte sanft. Er verschränkte die Arme und legte die Hände auf die buntgefertigten indianischen Armringe, die viele Schlaufen hatten, in denen Patronen steckten. Sein Waffengurt war glatt und ohne Munition. Im breiten braungebrannten Gesicht war der Ausdruck von Hohn. „Tun Sie das besser nicht, Donnery. Ich werde nicht allein sein. Der Mörder gehört auch mir. Ich habe die Nase für Mörder, ich kann sie meilenweit riechen. Sie werden zu spät kommen, Donnery...“ Er ließ die Hände lässig fallen und deutete dann auf den Toten. „Tausend Dollar sind doch bestimmt drin, nicht wahr?“ Feindselig legte Mark Donnery die Hand auf den Colt und kniff den Mund hart zusammen. Locker verstand, lächelte und winkte ab. „Schon gut, Donnery. Wir sehen uns im Westen wieder...“ Dann ging er davon und zum anderen Saloon, trat ein und setzte sich zu einem dunkelhäutigen Mann an den Tisch. „Wir haben Arbeit, Tule ...“ Tule war Halbblut. Der Hals zeigte noch immer Würgemale und war einst von einer Schlinge aufgerissen worden. Die Wunden waren längst vernarbt. Angetrunkene Banditen hatten versucht, ihn aufzuknüpfen, und Locker war hinzugekommen und hatte ihn befreit. Gemeinsam hatten sie die Banditen erschossen. Das war der Beginn ihres gemeinsamen blutigen Weges gewesen. Eine fatale Freundschaft verband beide miteinander. „Bueno“, nickte Tule lässig, „diese Stadt widert mich - 17 -
sowieso an. Ich hab's schon gesehen. Donnery ist tot...“ Drüben trugen die Männer den toten Marshal ins Office und legten ihn auf sein Lager. Mark Donnery schickte sie hinaus und blieb lange allein am Lager des leblosen Bruders ... Als die Sonne sank, kam er aus dem Office und ging, um sein Pferd zu holen. Kaum war er auf dem Hinterhof, als er den Hufschlag von zwei Pferden hörte, die hart die Straße hinaufgetrie ben wurden. Er lief zurück und verharrte am Straßenrand. „Locker!“ rief er mit peitschender Stimme den Reitern nach. „Kommen Sie mir nicht vors Gewehr, Sie und das Halbblut!“ Mit schallendem Gelächter peitschte Locker das Pferd vorwärts, während Tule sich im Sattel halb umwandte und einen Schuß zu Mark Donnery hinüberjagte. Fluchend sprang Donnery zurück und legte die Hand auf den Colt, aber die Kopfgeldjäger waren schon zu weit entfernt, als daß er sie mit dem Colt hätte treffen können. Düster starrte er ihnen nach, wie sie in die untergehende Sonne hineinritten und sich schwarz vor dem wallenden Staub abhoben. Er war bereit, auf diese Männer zu schie ßen, sollten sie ihm den Mörder seines Bruders entreißen wollen. Langsam erstarb der Hufschlag vor der Stadt, und Donnery ging zum Stall zurück, holte das Pferd und sattelte es. Dann besorgte er genug Proviant und füllte die Wasserflasche. Vor vielen Jahren schon hatte er den ersten Gegner erschossen. Seitdem waren viele Kerben auf den Colts hinzugekommen. Einst war er sogar Marshal gewesen — wie sein Bruder. Doch man hatte ihn seines Postens enthoben, als er einen unschuldigen Bürger bei einem - 18 -
Duell mit Banditen erschossen hatte. Oft hatte ihm sein Bruder gerade das vorgehalten, und er hatte sich mehr und mehr zurückgezogen und eine Mauer des Schweigens und der Ablehnung vor sich aufgebaut. An diesem Spätabend ging es ihm nicht um Rache. Er wurde sich nicht über seine Gefühle klar. Was er tun wollte, war einfach gnadenlose Menschenjagd. Der Tod des Bruders war nur Vorwand, um sich wieder in diesen schlimmen Rausch des Tötenwollens stürzen zu können. Dann verließ auch er die Stadt und ließ sich vom Fieber der Jagd hinaustreiben ... *** Zweimal hatte Billy sich verraten. Unterwegs hatte er mit einem Gewehrschuß einen Berghasen erlegt. Der Schuß war weithin hörbar gewesen. Und jetzt briet er diesen Hasen über dem offenen Feuer, kauerte neben dem Feuer und starrte in die zuckenden Flammen. Die Nacht war still, und der Wind bewegte die Äste der Bäume über ihm und ließ die Blätter rauschen. Der Flammenschein blendete Billy, und das Geräusch der Blätter übertönte die anderen leisen Laute in weiter Runde. Billy glaubte, vor den Verfolgern sicher zu sein, und zum erstenmal war er leichtsinnig geworden. Die drei Verfolger waren schon in seiner Nähe und sahen das rote Auge des Feuers zwischen den Baumstäm men. Sie gaben sich Zeichen und stiegen von den Pferden, die sie rücksichtslos durch die Bergwelt gehetzt hatten. Einer der Männer machte eine weit ausholende Handbewegung. Sie trennten sich und bewegten sich leise und geduckt auf das Feuer zu. Schwarz ragte die - 19 -
Baumkette am Rio Hondo empor. Dunkel gähnte es unter den Bäumen. Hungrig sah Billy auf den Braten. Er wartete erst gar nicht ab, bis das Fleisch gut durchbraten war. Gierig griff er zu, verbrannte sich fast die Fingerkuppen und biß hinein. Dann hielt er den Braten am Holz und kaute heftig. Das Pferd schnaubte. Horchend beugte er sich vor und starrte unter die Bäume. Nichts Auffälliges war zu entdecken. Er rückte vom Feuer ab und verharrte unter den Bäumen. Er grub die Zähne tief ins Fleisch und riß einen Brocken heraus. Kauend spähte er umher und ging dann zurück. Das Gewehr lag am Feuer. Bläulich schimmerte der Lauf im flackernden Schein. Irgendwo knackte ein Zweig. Sofort stand Billy still und lauschte angestrengt, hatte dabei den Mund geöffnet und noch den Bissen zwischen den Zähnen. Erst jetzt wurde er mißtrauisch, und ein kalter Schauer zog ihm über den Rücken. Wenn sie sein Pferd und dazu noch das Gewehr an sich bringen könnten, wäre er verloren ... Sie könnten ihn zu Pferde so lange jagen, bis er zusammenbrechen würde. Hatte er sich nun geirrt, oder waren wirklich die Verfolger in der Nähe? Er wollte nicht länger warten! Heftig spie er das Stück Fleisch aus und rannte zum Feuer. Er kam aus dem dunklen Schatten hervor und lief in den Lichtkreis hinein. In dieser Sekunde peitschte der erste Schuß unter den Bäumen hervor und zerfetzte ihm den Hemdsärmel. Er schrie erschrocken auf, schleuderte den Braten ins Feuer und warf sich aufs Gewehr. Als er es gepackt hatte, rollte - 20 -
er wie eine Katze weg vom Feuer — und dicht neben ihm schlugen die Kugeln ein. Jetzt flammten auch an einer anderen Stelle die Mündungsfeuer auf. Billy warf sich ins Gestrüpp hinein, durchbrach das Unterholz und stürzte über eine Baumwurzel, schlug der Länge nach hin und entging nur so dem Bleihagel. Er hörte es aufpeitschen und die Baumrinde platzen und zerfetzen. Das Pferd dachte er und sprang auf, lief am Fluß entlang und kroch dann wieder den Uferrücken hinauf. Gnadenlos hatten sie auf ihn geschossen und ihn dadurch herausgefordert, mit derselben Rücksichts losigkeit zu antworten. Es ging um sein Leben, und er war bereit, es bis zur letzten Patrone zu verteidigen. Sekundenlang lag er still, hielt den Atem an und hörte Schritte und Stimmen. Zweige brachen, ein Fluch ertönte — dann war es totenstill. Geräuschlos glitt er zurück, näherte sich dem Pferd und sah das Feuer in der kleinen Mulde flackern. Schon wollte er weiterkriechen, als er den Mann erkannte, der keine drei Schritt von ihm entfernt stand und ihm den Rücken zukehrte. Deutlich sah er, daß der Mann einen Colt in der rechten Hand hielt und den Hahn zurückgezogen hatte... Ihr sollt mich nicht wie einen Hund abknallen! dachte er, kam hoch und schlug mit dem Gewehr zu. Der Schlag war nicht tödlich, aber der Mann stürzte augenblicklich vornüber. Dabei löste sich ein Schuß. Die Kugel fuhr in den Boden. Billy hetzte schon weiter, über den Bewußtlosen hinweg. Da sah er eine schattenhaft verschwommene Gestalt unter den Bäumen und den Flammenstoß. Er spürte den harten Schlag im Arm und stürzte gegen einen Baum, - 21 -
rutschte daran vorbei und fiel auf die Knie. „Sherman!“ schrie eine heisere Stimme. „Ich hab' ihn erwischt! Komm her!“ Hinter dem Baum richtete Billy sich wieder auf. Blut rann am Arm hinunter und ließ die Hand am Gewehr kle ben. Er sah den Mann näherkommen und drückte ab. Mit dem Aufpeitschen des Schusses fiel der Gegner, rollte in die Mulde hinunter und blieb dicht am Feuer liegen. Mit flackernden Augen starrte Billy sekundenlang auf den Mann. Heftiges Zucken geisterte über sein graues Gesicht. Sie zwangen ihn ja dazu, sich zu verteidigen. Wenn er nicht zurückschoß, würden sie ihn erschießen! „Sherman!“ brüllte er mit heiserer, sich überschlagender Stimme. „Ich bin hier! Kommen Sie, Sherman, Sie wollen mich doch umbringen! Versuchen Sie es doch!“ Mehrere Schüsse waren die Antwort. Holz brach, der Gegner lief hinter den Bäumen entlang. Immer wieder flammte es auf. Billy rannte weg, kniete nieder, starrte zurück. Mondlicht fiel zitternd durch die Baumkronen und malte zuckende Figuren auf den Boden. Sekundenlang sah Billy den letzten Gegner, aber er wußte nicht genau, ob er es mit drei oder mehr Gegnern zu tun hatte. Sherman verharrte im Schatten und horchte. Er hatte auf einmal Angst, die Deckung zu verlassen. Das Jagdfieber war jäh erloschen. Die Vernunft sagte ihm, daß er umkehren sollte. .“Sherman!“ schrie Billy King heiser und sah umher. „Kommen Sie, versuchen Sie es! Ich bin kein Hund, den man einfach abknallt! Ich schieße zurück, Sherman!“ Schweißnaß harrte Sherman in der Deckung aus. Viele Gedanken stürmten auf ihn ein, und er dachte an Roswell - 22 -
und an die Jahre, die er noch verleben wollte... Billy wartete in verbissener Wut. Urplötzlich hörte er, wie Sherman davon hastete. Billys Anspannung löste sich mit leisem Lachen. Er lief zum Pferd, sprang auf und trieb es an, ritt zum Feuer und sprang ab, stieß den Hasenbraten aus der Glut und packte ihn, saß wieder auf und ritt zum Fluß hinunter. Die Hufe seines Pferdes trommelten durch das Flußbett, und hoch spritzte das Wasser auf. Nebel hüllten ihn ein, verschlangen ihn — und er verschwand hinter der Flußbiegung, verhielt und horchte. Irgendwo klapperten Hufe durch die Nacht. Langsam ritt er weiter, verließ den Fluß und lenkte das Pferd zum Bergrücken empor. *** Ein Licht leuchtete durch die Nacht, glimmte und flackerte, wurde hell und dann wieder schwach. Billy starrte mit trockenen Augen zum fernen Licht hinüber und überlegte. Der linke Arm war fast gefühllos geworden, und das Fieber breitete sich mehr und mehr aus und zehrte an seinen Kräften. Er hatte keine andere Wahl. Jemand mußte ihm helfen. So ritt er auf das Licht zu. Während er näher ritt, erkannte er eine windschiefe Hütte, die groß genug für eine vielköpfige Familie war. Sie stand so einsam im Bergland, daß er sich fragte, wie hier Menschen leben konnten. Doch das Licht bedeutete Leben und die Nähe von Menschen, und er war froh, die Hütte entdeckt zu haben. Tags wäre er sicherlich vorbeigeritten, ohne die Hütte zu bemerken. Hohe Kakteen standen im Tal, Felsen erhoben sich haushoch — und Dornengestrüpp war die einzige - 23 -
Vegetation, die mit den Kakteen um die letzte Nahrung im Sand kämpfte. In diesen Sekunden fielen Billy die Worte seines Vaters wieder ein, die er damals gesagt hatte. Vertraue keinem Fremden, mein Junge. Er krächzte vor sich hin und preßte einmal die Hand auf die pulsierende Wunde. Dann hatte er die Hütte erreicht und sah mit fiebrig geröteten Augen auf das Licht, das aus dem einzigen Fenster fiel. Ölpapier verkleidete das Fenster. „He“, krächzte er. „He ...“ Knarrend glitt die Tür auf, Licht fiel fächerförmig hervor — und ein Mann sagte auf der Türschwelle: „Guy, hast du ihn?“ „Ja“, ertönte eine kalte Stimme hinter Billy, „ich hab' ihn vor dem Lauf! Wenn er aufmuckt, knall' ich ihn ab!“ Beim Klang der plötzlichen Stimme zuckte Billy zusammen und öffnete unwillkürlich die Hand, als wollte er zum Colt greifen, aber er konnte noch so schnell denken, um die Hand sofort wieder aufs Sattelhorn zu legen. Das Fieber hatte ihn träge und vorübergehend auch gleichgültig gegenüber vielen Dingen gemacht. Nach dem Schreckmoment erschlaffte er und sah den Mann auf der Türschwelle ohne Feinseligkeit an. „Das ist kein guter Empfang“, sagte er dumpf. „Ich brauche Hilfe. Mein linker Arm ist angeschwollen, und die Kugel sitzt noch drin.“ Der Mann in der Tür drehte sich halb um und nickte in die Hütte hinein. „Ihr könnt rauskommen“, murmelte er. „Der Kerl ist allein.“ Mit wuchtigen Schritten stapfte er dann auf Billy King zu und packte ihn jäh am Hosengurt, riß ihn vom Pferd - 24 -
und schlug mit der geballten Faust zu. Billy spürte nur den gewaltigen Schlag und den Kopf in den Nacken rucken, dann verlor er das Bewußtsein und stürzte neben die Hufe seines Pferdes. „Guy“, sagte der Mann kalt, „durchsuch seine Taschen und alles. Ich will wissen, was er bei sich hat.“ Ein bleichgesichtiger Mann kam aus dem Dunkel hervor und beugte sich über Billy, legte das Gewehr in den Sand und drehte Billy auf den Rücken. Sternenlicht fiel auf Billys Gesicht, das auch jetzt noch die schreck lichen Erlebnisse der letzten Tage offenbarte. Billy merkte nicht, wie seine Taschen durchwühlt wurden, wie der Mann dann auch die Satteltaschen durchsuchte. Inzwischen waren die anderen drei Männer aus der Hütte gekommen und hatten sich neben den Mann gestellt, der Billy niedergeschlagen hatte. Wachsam sahen sie auf Billy, und ihre Gesichtszüge verrieten kein Mitleid und keine Anteilnahme. Sein Schicksal schien ihnen völlig egal zu sein. „Hat er was?“ „Nein.“ Guy hockte sich wieder neben Billy hin. „Sieht noch verdammt jung aus, der Kerl. Könnte ein Cowboy sein. Es hat ihn wirklich am Arm erwischt, Howard. Der Bursche scheint schon Fieber zu haben ... Was wollen wir mit ihm machen?“ Howard Gunnison überlegte mit finster brütendem Gesicht und betrachtete Billy ununterbrochen. „Wenn er Coyboy ist, dann müssen wir ihn erledigen“, sagte er schließlich. „Ich will nicht so schnell wieder ein paar schießwütige Kerle auf der Spur haben ... Yeah, er ist vielleicht von irgendeinem Viehdieb angeschossen worden. Wir werden es herausbekommen, und wenn wir - 25 -
ihn halb totschlagen müßten. Bringt ihn ins Haus und nehmt ihm den Colt ab.“ Sie zogen Billy hoch und schleiften ihn zum Haus, zerrten ihn über die Türschwelle und legten ihn in der Hütte auf den erdenen Boden. „Chip, bring sein Pferd weg“, sagte Howard Gunnison zum jüngsten Mann, der vielleicht ein Jahr älter als Billy sein mochte, „und bleib draußen. Halt die Augen auf. Vielleicht sind noch andere Burschen in der Nähe.“ Der junge Mann nickte und gehorchte sofort. Er schloß hinter sich die Tür und entfernte sich mit dem Pferd. In unmittelbarer Nähe der Hütte standen viele hohe Felsen, hinter denen die Pferde abgestellt worden waren. „Ein Messer“, knurrte Gunnison und kniete bei Billy nieder. Einer der Männer hielt die Klinge des Messers über die Flamme und brachte ihm dann das Messer. Gunnison löste den einfachen Verband, tastete über die Wunde und stach zu, holte die Kugel heraus und setzte Billy das Knie auf die Brust, als er stöhnend mit dem Oberkörper hochkommen wollte. „Immer schön ruhig, Kleiner“, knurrte Gunnison gelassen, ließ sich Verbandszeug geben und legte den Verband an. Dann richtete er sich auf und trat zurück. Billy lag wie tot auf dem Boden. Im zuckenden Lichtschein schien sein Gesicht zu leben. Es sah aus, als grinste er. Aber er war ohnmächtig, lag still und hörte nicht, was die Männer über ihn sagten. Wohl eine gute halbe Stunde lag er ohne Bewußtsein. Als er allmählich wieder zu sich kam, begann das Fieber ihn zu martern. Er bewegte die Lippen und flüsterte im Fieber wirre Worte. - 26 -
Die Männer hockten am Tisch und hörten zu. Langsam begriffen sie die Zusammenhänge und grinsten sich an. Gunnison spielte mit dem Messer und hielt die Klinge so, daß sie das Licht reflektierte. „Ich wette, daß er seine tausend Dollar wert ist“, sagte Gunnison in die Stille hinein und starrte die anderen Männer lauernd an. „Der Bursche hat einen Marshal erschossen. Ich glaube, daß wir von hier verschwinden müssen. Bestimmt wird der Kerl verfolgt. Wir ziehen in die Berge.“ Er stieß einen Fluch aus und schleuderte das Messer quer durch die Hütte. Hart schlug die Klinge ins Holz der Wand, und der Griff zitterte und surrte sekundenlang. „Dieser Mistkerl hetzt uns noch Leute auf den Hals, aber vielleicht ist er was wert für uns. Los, sagt Chip, daß er die Gäule heranbringen soll. Wir brechen sofort auf.“ *** Etwas Kühles berührte Billys Gesicht, glitt darüber hinweg und streifte seinen Hals. Flackernd öffnete er die Augen und sah eine schlanke Gestalt breitbeinig über sich stehen. Der Mann hielt einen nassen Lappen und fing mit dem Körper das grelle Sonnenlicht auf. Billy erschien er wie ein Riese vor dem weiten hellen Himmel. Langsam drehte Billy den Kopf zur Seite und sah jenseits des Tals die schroffen Berge mit den Sand- und Geröllhalden, tiefen Einschnitten und dunklen schattigen Höhlen. Er sah auch vier Männer, die abseits im Schatten hockten. Nur langsam kam ihm die Erinnerung. Er sah den Mann über sich wieder an und atmete gepreßt. Er wollte fragen, doch da stieg der Mann über ihn hinweg und kniete an seiner Seite nieder. - 27 -
„Hallo ...“, sagte der Mann. „Ich bin Chip. Gut, daß du das Fieber überstanden hast. Das hat verdammt lange ge dauert. Seit zwei Tagen sind wir schon hier.“ Erst jetzt konnte Billy das schmale sonnenverbrannte Gesicht mit den klaren dunklen Augen erkennen. Lockiges dichtes Haar glänzte schwarz wie Lack. Staub lag auf dem jungenhaften Gesicht: Sympathisches Lächeln zog den Mund auseinander, und weiße Zähne schimmerten sauber und gesund. Der feindselige Ausdruck war wie weggewischt. „Du wirst bestimmt bei uns bleiben“, sagte Chip. „Jetzt bin ich wohl nicht mehr der Jüngste hier. Wie heißt du?“ „King“, flüsterte Billy, „Billy King.“ Er wollte sich mit dem Oberkörper aufrichten und spürte dabei den festen Verband am Arm. Chip drückte ihn sanft zurück. „Bleib liegen, Billy King. Niemand wird dich hochtreiben. Du hast viel im Fieber gesprochen. Wir kennen deine Geschichte. Ich hab' noch keinen Marshal umgelegt, dafür aber mehrere andere“ Chip grinste und nickte zufrieden vor sich hin. Billy hob den Kopf etwas an und sah zu Chips Begleitern hinüber. „Wer hat mich verbunden, Chip?“ „Der Boß — Howard Gunnison. Er versteht was davon. Zuck, und er hatte die Kugel herausgeholt.“ „Ich werde ihm dafür danken ...“ „Quatsch. Gunnison will keinen Dank. Wir haben über dich gesprochen. Er will, daß du mit uns reitest. Hör gut zu, Billy King: Wenn Gunnison was will, dann mußt du gehorchen — oder er legt dich um!“ Starr blickte Billy den jungen Mann an. Trotz des sympathischen Gesichtes war Chip schon verroht und zu - 28 -
einem Killer geworden. Billys Hirn begann zu arbeiten. Er dachte über die Männer nach, die er bei der alten Hütte getroffen hatte. Die Worte dieses jungen Chip verrieten schon sehr viel. Allmählich begriff Billy, und als er Chip wieder anblickte, nickte Chip grinsend. „Sag, was du denkst, Billy King. Ich sehe es dir an, Junge! Aber du brauchst keine Angst zu haben. Wir werden dich nicht erschießen, um an die Belohnung heranzukommen. Das wäre auch viel zu gefährlich für uns selber, weil einer von uns dann ja mit dir zum nächsten Sheriff reiten und dich dort abliefern müßte. Nein, du bist bei uns sicher.“ Billys Kopf fiel kraftlos zurück in den heißen Sand. Er lag schlaff vor Chip und flüsterte mit staubheißer Stimme: „Ihr seid Banditen, nicht wahr?“ „Du bist lustig“ meinte Chip. „Redest von Banditen und bist selbst einer! Ja, natürlich sind wir Banditen! Du hast großes Schwein gehabt, Billy King. Wärst du anderen in die Arme geritten, dann würdest du jetzt schon unterwegs zum Galgen sein. Hast du noch nie von der Gunnison-Bande gehört, he? Das sind wir!“ Billy schluckte trocken und bewegte die rechte Hand. Chip drückte ihm daraufhin das durchnäßte Tuch in die Hand, und er rieb sich selber das Gesicht ab. „Warum sagst du nichts, King?“ fragte Chip. „Bist du etwa nicht froh, daß du zu uns gekommen bist?“ Chip schien stolz darauf zu sein, Mitglied der Gunnison-Bande zu sein. Irgend etwas mußte ihn schon früh in seinem jungen Leben vom rechten Weg heruntergetrieben haben, doch er nahm das alles wohl mit der Leichtfertigkeit seiner Jugend hin. „Froh?“ flüsterte Billy und sah ihn trübe an. „Ja, ich bin froh, Chip ...“ - 29 -
„Das wollte ich von dir hören“, nickte Chip. „Hier hast du meine Hand. Wir beide werden uns schon gut verstehen.“ Er preßte Billys Hand, erhob sich und rief zu den anderen hinüber: „Er ist wieder bei sich, Boß.“ Howard Gunnison und die Komplizen richteten sich auf und kamen mit rasselnden Sporen heran, blieben bei Billy stehen und sahen auf ihn herunter. „Steh auf“, knurrte Gunnison. „Ich brauche keinen Schwächling.“ Billy biß die Zähne zusammen und kam schwankend hoch, hielt sich mühsam auf den Beinen und kämpfte gegen die Schwäche an. Seit Tagen hatte er nichts mehr gegessen, und das Fieber hatte ihn innerlich ausgebrannt. Aber er wollte vor Gunnison und den anderen nicht ein Schwächling sein. „Chip, hast du ihm alles gesagt?“ knurrte Gunnison. „Ja, Boß.“ „Du solltest mehr deine Klappe halten, Chip...“ Gunnison sah Billy durchdringend an. „Dann weißt du ja alles. Du bist der einzige von uns, der noch so jung ist und schon einen Marshal erledigt hat, aber das gefällt mir an dir. Hast du einen Namen?“ Bevor Billy antworten konnte, hatte Chip den Namen schon gesagt. Gunnisons finsteres Gesicht schien zu vereisen, so starr und reglos wurde es. In den Augen tanzten seltsame Lichter, als würde er sich jeden Moment auf Billy stürzen. „King?“ fragte er frostig. „Dann hieß dein Vater also auch King? Du hast im Fieber gesagt, daß sie ihn erschossen hätten.“ Billy nickte. „Ja, Simon King war mein Vater, ein feiner Mensch und Freund. Er hatte alles nur für mich ge - 30 -
tan.“ Gunnison antwortete nicht, starrte ihn an und atmete schwer. Im hellen Sonnenschein war die narbige, von vielen kleinen Entzündungen einst aufgerissene Gesichtshaut deutlich zu erkennen. Vielleicht hatte Gunnison in frühen Jahren Pocken gehabt, oder er war mit dem Gesicht noch in eine Schrotladung hineingekommen. Billy spürte jenen Hauch der Wildnis und des ewigen Jagens und Gejagtwerdens, der von Gunnison ausging, und er wurde unruhig, als Gunnison ihn noch immer anstarrte. „Simon King“, murmelte Gunnison endlich und lächelte auf einmal, „das ist ein Zufall! Dein Vater und ich sind vor vielen Jahren mal zusammen geritten, aber dann trennten wir uns, weil sie hinter uns her waren. Er ritt später mit anderen, und auch ich habe mir meine Leute gesucht... Du also bist sein Sohn. Dann hat er also doch noch die Jennifer Fields geheiratet... Das hätte ich nicht gedacht. Sie war eine schöne Frau, aber sie konnte einem Manne das Leben auch zur Hölle machen und ...“ „Sie verdammter Lügner!“ schrie Billy auf und stürzte sich auf Gunnison. „Das ist nicht wahr! Meine Mutter war eine großartige Frau!“ Er versuchte, Gunnison von den Beinen zu reißen, so jäh und heiß flammend war sein Zorn. Blindlings lief er in Gunnisons hochzuckende Faust hinein. Der Schlag warf ihn in den Sand. Stöhnend wälzte er sich durch den Staub und wollte dann aufstehen, doch Gunnison war schon bei ihm und setzte ihm den Stiefel auf die Brust. „Ich hätte dich erschossen, wenn du nicht Kings Sohn wärst!“ sagte er drohend und drehte den Stiefel, daß es schmerzte. „Ich könnte dir noch viel mehr über deine - 31 -
Mutter sagen, aber du würdest sie vielleicht dann hassen. Ich will dir nur eins sagen, Kleiner: Dein Vater war mein Freund. Er hat mir sogar einmal das Leben gerettet. Das vergesse ich ihm nie. Wenn du vernünftig bist, dann wirst du uns alle hier zu Freunden haben, denn genau das hatte auch dein Vater immer gewollt.“ Er nahm den Fuß zurück und ging davon, setzte sich in den Schatten und holte sein Rauchzeug hervor. Die anderen Männer sahen Billy schweigend und nachdenklich an und gingen dann ebenfalls. Nur Chip blieb bei Billy und ging in die Hocke. „Tu das nie wieder, Billy!“ flüsterte er. „Gunnison wird alles für dich tun, aber er wird dich auch erschießen, wenn du gegen ihn sein solltest! Los, hier, nimm die Flasche und trink was! Ich geh' jetzt und mach' Feuer. Wir sind hungrig, ich werde uns allen was zu essen machen. Geh nachher zum Feuer und setz dich dorthin. Sei doch froh, daß du uns getroffen hast...“ Dann ging er und ließ Billy allein. Billy trank und setzte die Flasche zwischen den Beinen ab. Die Sonne trieb ihn in den Schatten der Felsen und Kakteen. Er ließ sich dort nieder, trank wieder und sah schließlich geistesabwesend zu den Bergen hinüber. *** Still lag Billy unter der wärmenden Decke und tat, als schliefe er. Dabei blickte er unter der über den Kopf ge zogenen Decke hervor und beobachtete Gunnison, Chip, Guy, Brave und Montoya. Die fünf Banditen hatten sich wie er in die Decken gerollt. Deutlich sah Billy ihre Gewehre, die sie neben sich gelegt hatten, um sie jederzeit schnell packen zu können. - 32 -
Die Nacht in den Bergen war von geheimnisvollen Geräuschen erfüllt. Billy hörte den Wind trocken wispern, die verbrannten Gräser leise rascheln und die Wölfe auf den Höhenzügen heulen. Er hatte sich abseits hingelegt, ganz in der Nähe der Pferde. An diesem Tag hatte er mit den Banditen am Feu er gehockt und gegessen, und Gunnison hatte ihm einmal mit schwachem, zögernden Lächeln zu verstehen gege ben, daß er bei ihnen willkommen war. Gunnisons alte Freundschaft zu Billys Vater sollte noch immer gültig sein und sich nun auf Billy übertragen. Vielleicht waren der blaßgesichtige Guy, der bucklige Brave und der Mexikaner Montoya seine Freunde. Bei Chip hatte Billy keine Zweifel. Dennoch wollte er nicht in der Gemeinschaft der Banditen bleiben. Er war zu einem Verfolgten geworden, aber er würde niemals den Weg in ein ordentliches Leben zurückfinden, wenn er bei den Banditen bliebe. Er mußte sie verlassen, so schwer ihm das gerade jetzt auch fiel. Unendlich langsam hob er den Kopf an und sah zu den Pferden hinüber. Sie trugen die Sättel, und er könnte sofort losreiten. Vorsichtig zog er die Decke weg, machte sich frei und drehte sich herum, kroch auf Händen und Knien weg vom Schlafplatz. Immer wieder blickte er zurück, aber die Banditen rührten sich nicht. Lautlos bewegte er sich zu den Pferden. Die Tiere blickten ihn an und hatten die Ohren aufgerichtet. Für sie war selbst ein kriechender Mensch ein Tier, und sie würden gleich schnauben. Billy begriff das noch rechtzeitig und richtete sich auf, stand steif und hielt den Atem an. Der Arm schmerzte, aber die Schwellung war zurückgegangen, die Wunde pochte nicht mehr, und die Heilung hatte be - 33 -
gonnen. Das verdankte er zweifellos Gunnison. Sie hatten ihm den Colt zurückgegeben, nachdem Gunnison ihn sorgsam betrachtet und gehört hatte, daß die Waffe seinem Vater entfallen war. Im Scabbard steckte noch das Gewehr. Die Flucht müßte ihm gelingen. Es kam nur darauf an, lautlos zu verschwinden. Billy ging mit tastenden Schritten zwischen die Pferde und nahm den Zügel seines Pferdes. Er sah über den blanken Sattel hinweg zu den Banditen. Der blaßgesichtige Guy schnarchte laut. Brave, der auf dem Bauch lag, bewegte sich schwach und stöhnte. Deutlich war das gutgeformte, fast schöne Gesicht des jungen Chip im Mondlicht zu erkennen. In diesen wilden Bergen war es einsam, und ihr Versteck war so gut gewählt, daß Gunnison auf eine Wache verzichtet hatte. Sonst wäre Billy keine drei Schritte weit gekommen. Geduckt ging er mit dem Pferd weg und blieb dabei hinter den anderen Pferden, damit die Banditen ihn nicht so schnell sehen könnten. Er folgte einem sandigen Weg und wich den vielen Kakteen und Felsen aus. Als er sich weit genug entfernt glaubte, stieg er in den Sattel und ritt langsam in westlicher Dichtung davon. „Billy!“ schrie es plötzlich hinter ihm. „Komm zurück, Billy! Mach keinen Unsinn!“ Hohl hallte die Stimme durch das weite Tal, und das Echo rief immer wieder seinen Namen. „Billy ... komm zurück — zurück. Billy ... mach ... keinen Unsinn ... Billy — Billy...“ „Nein!“ flüsterte er und peitschte das Pferd vorwärts. Im Galopp jagte er durch das Tal und auf die zerklüfteten Berghänge zu. - 34 -
Chip schrie ihm nach und lief auf die Felsenterrasse, winkte heftig und schrie wieder. Ein Staubwirbel wanderte durch das Tal und in den tiefen Bergeinschnitt hinein. „Laß ihn“, sagte Gunnison und trat neben Chip, „er wird schon noch zur Besinnung kommen. Er ist einfach durchgedreht. Bestimmt glaubt er, daß die Verfolger ihn einholen könnten. Er will uns nicht in Gefahr bringen.“ , Chip fuhr mit der Hand übers Gesicht und ließ die Schultern fallen. Mit braunen flackernden Augen starrte er durch das Tal und zur Staubwolke hinüber, die langsam verwehte. Er schluckte trocken und wandte sich dann ab. Ihm war so, als hätte er einen Freund verloren. Er sah Guy herankommen, Brave und Montoya standen bei den Pferden und wollten Billy folgen. „Vertrau diesem jungen King nicht, Howard“, sagte Guy heiser. „Er braucht nicht wie sein Alter zu sein.“ „Überlaß das mir“, erwiderte Gunnison zornig. „Er hat immerhin einen Marshal erschossen. Der Junge braucht uns. Allein kommt er vor die Hunde. Ich werde ihm helfen. Das bin ich Simon King schuldig. Er hat mir das Leben gerettet. Jetzt werde ich mich um seinen Sohn kümmern. Räumt alles zusammen, wir brechen auf und folgen ihm.“ Als sie den Schlupfwinkel verließen und sich auf Billys Spur setzten, war Billy schon tief in den Bergen und sah weit vor sich das Hügelland. Er suchte den harten Felsboden auf und verwischte seine Spur. Zu Fuß wanderte er die steilen Pfade empor und zog das Pferd am Zügel hinter sich her. Mitten in der Einsamkeit sah er ein Rudel dürrer Bergwölfe, das über eine Anhöhe hinweghuschte. Hoch über ihm leuchteten die Sterne und tauchten das Bergland in bleiches, geister - 35 -
haftes Licht. Der Morgen graute, als er den höchsten Punkt erreicht hatte und sich erschöpft setzte. Die Banditen waren nir gends zu sehen, und im Westen schien das Land frei und menschenleer zu sein. Stöhnend stieg er aufs Pferd und ritt abwärts. Als kleiner Punkt bewegte er sich aufs Hügelland zu. Fern im Westen lag Tularosa, die Stadt, um die er einen weiten Bogen hätte reiten sollen, aber er tat es nicht. Doch noch war er nicht in Tularosa, sondern verbarg sich zwischen den Hügeln und harrte dort zwei Tage lang aus. Dann trieben ihn Hunger und Durst weiter nach Westen. Er wußte nicht, daß Gunnison und seine Banditen sich getrennt hatten, daß nun jeder Bandit allein nach ihm suchte... *** Der bucklige Brave zog durch die amberfarbene Dämmerung und stieß auf den Weg, der aus der Sierra Bianca herunterkam. Es war die Postkutschenroute, und Brave entdeckte schon wenig später die Pferde wechselstation in einem von Alkalistaub gefüllten Tal. Langsam näherte er sich der Station und starrte zum Licht hinüber, das eine Stall-Laterne in die Dämmerung hinausschickte. Er brauchte Wasser, wollte Ruhe für sich und sein Pferd und dann zum verabredeten Treffpunkt reiten. Seit langem war er allein unterwegs und glaubte nicht mehr, Billy King zu finden. Über der Station lag lastende Stille. Der Hof vor dem Pferdestall war leer. Die Postkutsche war längst vorbeigekommen und hatte die Fahrt nach Tularosa - 36 -
fortgesetzt. Auf dem Grullapferd näherte er sich dem Haus und sah den trüben Lichtschein hinter dem Fenster. Am Rande des Hofes stieg er ab und nahm das Pferd am Zügel. Nur sein Gesicht war auf alten Steckbriefen, und er hoffte, daß der Mann, der hier auf der Station lebte, diesen Steckbrief nicht kannte. Am Pferdestall ließ er sein Pferd zurück und ging dann zur Haustür. Es war Nacht geworden, und die StallLaterne flackerte im Wind und knarrte am eisernen Haken. Er öffnete die Tür und trat ein. Es war ein großer Raum mit einem primitiven Tresen, ein paar Tischen und Bänken und einer Petroleumlampe, die von der Decke herunterhing. Das Licht reichte nicht aus, um auch die Ecken zu erhellen. Aus dem Hinterraum kam ein alter bärtiger Mann, der Brave musterte und ihn dann begrüßte. Brave war diesem Mann also nicht bekannt, und der Bandit atmete auf. Er ging zur Theke und ließ sich einen doppelten Whisky geben. „Ist ein junger Bursche hier vorbeigekommen?“ fragte er und nippte am Whisky. „Nein. Seit Tagen ist niemand gekommen, nur einmal die Kutsche.“ „Geben Sie mir noch einen Doppelten.“ Der Bandit sah, wie der Stationsmann das Glas füllte. Plötzlich spürte er den kalten Luftzug und sah, wie die Lampe heftig flackerte. Da knarrte auch schon die Tür, und die Schritte von zwei Männern waren zu hören. Brave versteifte sich, aber er drehte sich nicht um. Jedes auffällige Gebaren vermied er eiskalt. Die Arme auf den Tresen gelegt, suchte er im Gesicht des Stationsmannes - 37 -
nach irgendwelchen warnenden Anzeichen, aber der Alte sah ruhig zur Tür, die nun geschlossen wurde. Völlig geräuschlos hatten sich die beiden Männer an die Station heranbewegt, als machten sie Jagd auf irgendeinen Mann. „Verdammter Staub“, hörte Brave die heisere Stimme eines Mannes hinter sich. „Gut, daß wir die Station er reicht haben...“ Sie kamen näher, und Brave merkte, wie sie ihn in die Mitte nahmen und ihn anstarrten. Langsam drehte er sich halb nach rechts und sah in ein breites Gesicht. Der Mann trug die Patronen in Armschlaufen... „Whisky“, murmelte Locker. Brave sah zur anderen Seite. Ihm fiel sofort der zernarbte Hals des dunkelhäutigen Halbblutes auf. „Wen haben wir denn da?“ dehnte Tule und starrte Brave an. Der Bandit stand reglos. Er witterte bereits tödliche Gefahr und roch den Tod, der von diesen Fremden ausging. „Ich hab' ein ziemlich gutes Gedächtnis“, murmelte Locker und grinste eisig. „Hast du ein Zigarillo für mich, Tule?“ Tule nickte und holte zwei Zigarillos hervor. Über Braves Buckel hinweg reichte er Locker die schwarze Tabakstange. Sie klemmten die Zigarillos zwischen die Zähne und zogen die Hölzer hervor. Suchend sah Locker um sich. Sein Blick fiel auf die Lederjacke des Banditen, die glatt und straff auf dem Buckel lag. Grinsend nahm er das Schwefelholz und riß es über dem Buckel des Banditen an. „Richtig praktisch“, meinte er aufreizend kalt. Brave nahm die Arme vom Tresen, als auch Tule das Holz an seinem Buckel angerissen hatte. Langsam wich - 38 -
er rückwärts zurück und starrte die Kopfgeldjäger mit gelben Katzenaugen an. Die Hände öffneten sich zu Krallen ... Locker und das Halbblut grinsten. Sie wußten, was auf sie zukam, aber sie hatten keine Furcht. „Seit wann treibt sich einer der Banditen der Gunnison-Bande hier herum?“ dehnte Locker zynisch. „Dich kenne ich doch. Du bist Brave, nicht wahr? Sechshundert Dollar sind immerhin auf deinen Kopf ausgesetzt. Das lassen wir uns nicht entgehen, nicht wahr, Tule?“ Brave wußte, daß er ohne Kampf nicht das Haus verlassen konnte. Die Kopfgeldjäger standen schon breitbeinig am Tresen, und keine zehn Schritt trennten sie voneinander. Der alte Stationsmann wich zur Seite und kauerte sich am Ende des Tresens nieder. Locker und das Halbblut zogen gleichzeitig. Sie warteten erst gar nicht ab, bis Brave nach den Waffen griff. Er war vogelfrei, und sie konnten ihn erschießen, wann und wo es auch immer war. Ihre Schüsse peitschten durch den Raum und stießen Brave gegen die Tür. Unter dem Aufprall ging die Tür auf, und der Bandit stürzte leblos über die Türschwelle. Pulverrauch wallte um die Lampe und zog in blauen Schleiern zur Tür hinüber. „Das war's“, sagte Locker kalt, nahm sein Glas und trank. „Tule, wirf ihn auf sein Pferd. Wir reiten gleich weiter.“ Das Halbblut glitt hinaus, stieg über Brave hinweg und zog ihn an den Armen über den Hof. Voller Kraft warf er den Banditen über den Sattel und kam zurück. „Bestimmt sind auch die anderen der Gunnison-Bande - 39 -
nicht weit“, sagte er und griff zum Glas. Mit dunklen Augen starrte er den alten Mann an. „Was wollte er hier? Hat er was gefragt?“ „Ja“, flüsterte der Mann, „er fragte nach einem jungen Burschen.“ „Es gibt viele junge Burschen“, sagte Locker nachdenklich, „aber wir sind hinter einem ganz bestimmten Burschen her. Sollte der Kerl zur GunnisonBande gestoßen sein, Tule?“ „Wir werden es schon noch erfahren“, meinte das Halbblut und verließ das Haus. Locker zahlte. „Nichts für ungut, Alter“, sagte er lächelnd, nickte ihm zu und folgte Tule. Die Tür glitt im Nachtwind hin und her. Der alte Mann sah, wie die Kopfgeldjäger vorbeiritten und den toten Banditen mitnahmen. Schnell verklang der Hufschlag im staubigen Tal. Zitternd füllte er ein Glas und trank hastig. Dann ging er hinaus und sah durchs Tal. Tule und Locker waren be reits verschwunden. Mondlicht lag auf den Talhängen. „Ihr Teufel“, flüsterte der Alte, „ihr schießt, um zu töten. Hoffentlich bekommt ihr den jungen Boy niemals vor eure Schießeisen. Was er auch getan haben mag, ich wünsche ihm, daß er euch Mördern entkommt...“ *** Spät in der Nacht kam Billy von den Bergen herunter und sah das Tularosa-Becken unter sich weit und zerklüftet liegen. Wie ein Tier, das sich vor dem Feuer fürchtet, näherte er sich der dunklen Stadt. Tularosa schlief. - 40 -
Billy sah nicht die beiden Reiter, die die Straße hinaufzogen und vor dem Sheriff's Office abstiegen, hineingingen und mit dem Sheriff sprachen. Er war auch nicht Zeuge, als die beiden Männer den Toten vom Pferd hoben und hinters Office in den Stall brachten. Erst zwei Stunden später war er der Stadt so nahe gekommen, daß er die einzelnen Häuser unterscheiden konnte. Er ritt vorsichtig hinter den Adobe- und Holzhäusern entlang und mied die Straße. So sah er auch nicht das Licht, das zu dieser späten Stunde noch im Sheriff's Office brannte. Auf einem Hinterhof stieg er vom Pferd, stand horchend neben einem alten Stall und sah wachsam umher. Tiefe Schatten lagen zwischen den Häusern, und bleiches Mondlicht lag auf der Straße und auf den freien Flächen. Bohrender Hunger ließ ihn durch die Stadt schleichen. Er wagte sich nicht auf die Straße und durchsuchte all die Ställe. Manchmal schlug ein Kettenhund an, und dann machte er, daß er weiterkam. Auf der Suche nach Eßba rem kam er dem Hof des Sheriff's Office immer näher. Auf dem Nachbarhof stahl er in seiner Verzweiflung ein paar Eier, schlug sie auf und trank sie leer. Die Hände zitterten ihm vor Schwäche, und er suchte weiter, kam an einen Brunnen, zog den Eimer herauf und trank gierig. Den vollen Eimer schleppte er zu seinem Pferd und ließ es saufen. Dann war er wieder unterwegs, um Proviant zu holen. Ein Stalltor stand weit auf. Er ging geduckt darauf zu und betrat den Stall. Leise tastete er sich im Dunkeln weiter und erschrak. Er glaubte im ersten Moment, gegen einen schlafenden Mann gestoßen zu haben, und er fürchtete, entdeckt zu werden. Aber der vereintliche - 41 -
Schlafende rührte sich nicht, und Billy ging in die Knie und tastete umher, fühlte Zeug, Stiefel und dann ein Gesicht. Es war starr und kalt. Billy wurde ganz steif. Er hatte den Wunsch, hinauszulaufen, aber er fühlte dann weiter und merkte, daß der Tote ein buckliger Mann war. Hastig zog er ein Schwefelholz hervor, riß es am Pfosten an, der im Gang stand und das Dach stützte, und hielt die Flamme dicht über dem Boden. Das leblose Gesicht des Banditen Brave starrte ihn an! „Brave!“ stöhnte er entsetzt, sprang hoch und schlug die kleine Flamme aus. „Brave ...“ Nichts verband ihn mit diesem Banditen, und doch war er erschrocken und erschüttert. Das tote Gesicht noch vor Augen, lief er aus dem Stall, um zu seinem Pferd zu gelangen. Kaum war er aus dem Stall, als eine harte Hand nach ihm griff, ihn festhielt und herumriß. Gleichzeitig spürte er den Lauf eines Colts und sah das verkniffene Gesicht eines Mannes, das so rauh wie eine Baumrinde war. Heiß traf ihn der Atem des Mannes, und er erkannte das hellglänzende Stück Metall an der Weste. „Du kennst also Brave!“ knurrte der Sheriff grimmig. „Ich möchte wissen, welchen Fang ich mit dir gemacht habe, Bursche! Nicht rühren, oder es knallt!“ Billy war wie gelähmt, er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Jäh war er in der Gewalt eines Sheriffs, der nicht danach aussah, als würde er ihn laufen lassen. „Wie heißt du, Bursche?“ fragte der Sheriff drohend. „Los, heraus mit der Sprache!“ Billy war noch zu sehr verwirrt, um lügen zu können. „Billy King.“ „Wirklich?“ dehnte der Sheriff. „Du heißt nicht zufällig Chip und gehörst zur Gunnison-Bande? Du - 42 -
siehst diesem Chip aber verdammt ähnlich, 'Boy! Der Steckbrief ist mir in guter Erinnerung. Ich hab' die Steckbriefe gerade eben noch durchgesehen. Dein Pech, Halunke. Zwei Männer haben deinen Komplizen erwischt. Sie sind noch in der Stadt. Bestimmt werden sie dich erkennen ... Los, vorwärts!“ Der Druck des Coltlaufes verstärkte sich und bereitete Billy unerträglichen Schmerz. Heftig stieß der Sheriff ihn vorwärts. Dabei entriß er ihm zugleich den Colt. Billy mußte über den Hof gehen. Er sah die dunklen Häuser und das Licht, das in einem schmalen Streifen durch die angelehnte Hintertür fiel. Hohe kleine Fenster befanden sich im Seitengebäude, und Billy begriff, daß er niemals wieder freikommen würde, sollte er erst einmal hinter diesen Mauern sein. Es war das Gefängnis von Tularosa! „Ich bin Eph Stone“, murmelte der Sheriff hinter ihm. „Wenn du kein Bandit bist, wirst du wieder freikommen. Das verspreche ich dir.“ Billy antwortete nicht, atmete gepreßt und pfeifend und dachte nur an Flucht. Sie kamen der Tür immer nä her, und er wußte, daß er nur dort noch eine kleine Chance haben würde. Nur ein paar Schritte noch zwischen Freiheit und Galgen! Lieber wollte er auf der Flucht erschossen werden, als am Galgen zu enden. „Wenn du versuchst zu fliehen, schieß ich dich ab, Freundchen“, warnte Eph Stone unmißverständlich, „ob du schuldig oder unschuldig bist, das ist mir dann egal. Die Gunnison-Bande hat schon zuviel Unheil angerichtet und zu viele Männer erschossen. Zunächst bist du für mich dieser Chip ...“ „Ich bin nicht Chip!“ beteuerte Billy, aber zugleich - 43 -
wußte er, daß es sinnlos war, den Sheriff überzeugen zu wollen. Dort war die Tür, und dahinter begann die Gefangenschaft, das Leben in einer kleinen grauen Zelle, aus der der Weg nur zum Galgen führen würde. Stone knurrte grimmig nach Billys Worten und stieß ihn auf die Tür zu. „Los, mach sie auf!“ befahl er hart. Billy streckte die Hände aus und umfaßte die Türkante. Er tat so, als wollte er hineingehen, zog die Tür auch auf, hielt sie mit der Rechten fest, trat ein und riß sie plötzlich mit ganzer Kraft hinter sich zu. Hart prallte die Tür gegen Eph Stone und quetschte ihn halb ein. Billy wirbelte herum und schlug Stone den Colt aus der Hand. Stone ließ die Waffe fallen. Schon stieß Billy die Tür wieder auf und sprang Stone an. Beide stürzten auf den dunklen Hinterhof zurück. Billy haßte Stone nicht, aber Stone wollte ihn einsperren. Billy kämpfte um seine Freiheit. Die Verzweiflung gab ihm große Kraft, und er schlug auf Stone ein, als wäre dieser sein schlimmster Feind. Stone konnte die Schläge nicht abwehren. Schon Sekunden später lag er bewußtlos im Sand. Billy kam keuchend hoch und suchte nach seinem Colt, riß ihn an sich und hetzte über den Hof. Schneller, als Billy geglaubt hatte, kam Eph Stone zu sich, sah Billy davonlaufen und fand seinen Colt auf der Erde. „Halt!“ rief er stöhnend. Billy machte große Sprünge, setzte über einen Lattenzaun hinweg und rannte weiter. Fluchend schoß Stone hinter ihm her. Die Kugeln stießen den Staub hoch und klatschten drüben in den Nachbarstall. - 44 -
Schon saß Billy im Sattel und trieb das Pferd an. Er ritt hinter den dunklen Häusern entlang, bog dann ab und jagte an den lichtlosen grauen Mauern vorbei. Keuchend rannte Eph Stone auf die Straße und sah Billy King gerade noch hinter dem letzten Haus verschwinden. Hart trommelten die Hufe des Pferdes davon und ins weite Tal hinaus. „Du verdammter Halunke!“ stieß Eph Stone erbittert hervor. „Du sollst mir nicht entkommen!“ Er lief zurück zum Stall, holte sein Pferd hervor, sattelte es in fieberhafter Eile und saß dann auf. Als er durch die Hofeinfahrt ritt und die Straße erreichte, sah er Locker und Tule herangelaufen kommen. Ihnen folgten mehrere Einwohner von Tularosa, die durch die Schüsse aus ihren Häusern getrieben worden waren. Stimmen schwirrten über die Straße, überall riefen Männer durcheinander, dann wurde es still. Eph Stone hielt das unruhige Pferd am kurzen Zügel und rief heiser: „Holt eure Pferde! Ich brauche Männer, die mit mir einen Banditen der Gunnison-Bande jagen! Los, Männer, beeilt euch, wir dürfen keine Zeit verlieren!“ Locker warf Tule einen schnellen Blick zu, trat dann dicht an Stones Pferd heran und sah den Sheriff düster an. „Wer ist es?“ „Dieser Chip! Ich hörte ihn im Stall rumoren. Er hatte sich verraten, als er diesen buckligen Brave sah.“ Locker blieb kalt. „Hat er zugegeben, Chip zu sein?“ „Nein, natürlich nicht. Er sagte, daß er Billy King hieße. Natürlich ist das gelogen.“ - 45 -
„King?“ flüsterte das Halbblut, und in den dunklen Augen glühte es unheilvoll auf. „Das ist sein richtiger Name, Sheriff. Dieser Billy King hat einen Marshal erschossen — Marshal Donnery!“ „Verdammt!“ sagte Locker und sah ins Tal hinaus. „Er ist der Sohn von Simon King, nicht der Komplize. Jetzt wissen wir's, Tule! Der Kerl bringt uns mehr als tausend Dollar ein! Hol unsere Gäule!“ „Was reden Sie da, Locker?“ Eph Stone beugte sich vor und starrte den Kopfgeldjäger durchdringend an. „Si mon Kings Sohn?“ „Ja, ich hatte es Ihnen schon gesagt, Stone. Wenn wir den Kerl erwischen, dann machen wir wirklich eine fette Beute! Wir sind schon lange hinter ihm her.“ Auf der Straße sammelten sich einige berittene Männer. Das Halbblut brachte Lockers Pferd heran. Locker schwang sich in den Sattel und ritt sofort mit Tule los. Wenig später verließ auch das Aufgebot die Stadt und ritt in die Nacht hinaus. Nur langsam suchten die Männer, die auf der Straße gestanden hatten, ihre Häuser auf. Allmählich wurde es in Tularosa wieder ruhig. Von der anderen Seite der Stadt kam ein Reiter heran. Mit geröteten und verengten Augen starrte Mark Donne ry die Straße hinauf und sah das Licht im Sheriff's Office. Er roch den Staub und blickte zum Hotel. Todesstille herrschte in der Stadt. Eine Windböe kam und trieb einen kleinen abgestorbenen Strauch jäh vorwärts. Der Strauch rollte vor Donnerys Pferd, das wild zur Seite sprang. Das geschah so plötzlich und für Donnery so unerwartet, daß er vom Pferd stürzte und auf den angewinkelten Arm fiel. Laut stöhnte er auf und erhob sich, preßte die Rechte - 46 -
auf den Arm und fluchte. Unter den Schmerzen des ge brochenen Arms verzerrte sich sein Gesicht zu einer Fratze von erschreckender Häßlichkeit. Immer noch fluchend, ging er zu seinem Pferd und riß am Zügel, so daß das Pferd aufwieherte und wild stampfte. Schlaff hing der gebrochene Arm herunter, als Donnery das Pferd auf den Hof des Hotels zerrte und es in den Stall brachte. Mühsam zog er das Gewehr hervor, schlug das Stalltor zu und ging nach vorn, trat gegen die Tür des Hotels und ging hinein. »Ist hier niemand?“ brüllte er durch die Vorhalle und schlug auf den Klingelteller. „Was soll der Lärm?“ ertönte eine Stimme. „Kann man in dieser Nacht überhaupt nicht mehr ruhig schlafen?“ Fast angezogen kam der Hotelbesitzer hervor und sah Mark Donnery ungehalten und zornig an. „Ich brauch' ein Zimmer“, sagte Donnery, kam näher und starrte den Mann düster an. „Und dann will ich, daß der Arzt zu mir kommt, verstanden?“ „Was, zum Teufel, berechtigt Sie dazu, mir Befehle zu geben?“ begehrte der Hotelbesitzer auf, verstummte aber sofort, als er in die kalten blauen Augen sah. Er hatte schon viele Menschen bewirtet und besaß eine gehörige Portion Menschenkenntnis. So erkannte er jetzt auch, daß Donnery zu jener Sorte Männer gehörte, die jeden Widerstand brach und auf Menschen Jagd war. Donnerys Gesicht war eine knochige verzerrte Maske aus Staub und Schweiß, und die Augen waren so eiskalt wie die Gletscher hoch oben auf den Mountains. „Ich sehe, wir verstehen uns“, murmelte Donnery. „Welches Zimmer bekomme ich?“ „Nummer neun, Mister. Gehen Sie nur rauf, ich werde - 47 -
den Doc holen. Es ist der Arm, nicht wahr?“ Donnery nickte, ging an dem Mann vorbei und stieg langsam die Treppe empor, zog dabei wie lahm die Füße nach und schleppte sich kraftlos und vom langen Ritt zerschunden ins Zimmer. Ächzend warf er sich aufs Bett und wartete auf den Arzt. Der Sturz vom Pferd hinderte ihn daran, dem Aufgebot nachzureiten. Noch wußte er nicht, was geschehen war, aber er sollte es vom Arzt erfahren. *** Billy floh in die Hügel. Wieder ritt der Tod hinter ihm her. Er war verzweifelt und hatte einmal den Wunsch, einfach aufzugeben. Aber dann dachte er an den Galgen, der ihm sicher war, und peitschte sein Pferd weiter in die dunklen Schattenfelder zwischen den Hügeln hinein. Die Verfolger kamen immer näher, holten auf und schwärmten bereits auseinander. Weit hinter sich hörte er das Klappern der Hufe im Arroyo. Plötzlich sah er ein Tal, in dem Rinder weideten und ein Campfeuer glühte. Unten im Tal zogen zwei Reiter wachend um die Herde. Er warf sich vom Pferd, nahm es am Zügel und ging zwischen die Felsen am Uferrücken, zerrte das Pferd hinter sich her und ließ die Herdenwache nicht aus den Augen. Als sie nicht zu ihm heraufsahen, überquerte er den Talrand und verbarg sich unter den Bäumen am Talrand. Er zwang sich dazu, ruhig zu sein, und er legte dem Pferd die Hand auf die feuchten Nüstern. Die Verfolger jagten im Arroya vorbei. Billy hörte die Stimmen und Flüche und sah dann, wie vier Reiter ins Tal jagten und auf die Herdenwache zuhielt. Sie trafen - 48 -
mit den Cowboys zusammen und machten wilde Handbe wegungen. Billy konnte nichts verstehen, aber er wußte, daß sie über ihn sprachen. Die Nacht war kühl, und Billy zog fröstelnd die Schultern an und suchte die Wärme seines Pferdes. Unter den dunklen Bäumen blickte er hervor und beobachtete die Männer im Tal. Wenn er nur einen einzigen Mann fände, dem er alles erzählen könnte und der ihm helfen würde, dann hätte er noch eine Chance. Er selber konnte sich nicht rechtfertigen, weil sie nicht auf ihn hören und ihm nichts glauben würden. Unten im Tal rissen die vier Verfolger ihre Pferde herum und ritten schräg aus dem Tal. Die Cowboys wachten weiter bei der Herde. Der Hufschlag des Aufgebots entfernte sich mehr und mehr, und Billy konnte keinen Laut mehr hören. Zitternd stand er neben dem Pferd und schlang die Arme um den Pferdehals. Die Armwunde schmerzte nicht mehr. Sie juckte ständig. Auf einmal dachte er an Howard Gunnison und an die anderen Banditen. Bei ihnen würde er keine Geborgenheit für viele Jahre finden, aber er wäre nicht mehr allein. Wo aber sollte er sie suchen? Stundenlang stand er unter den Bäumen. Die Nacht ging dahin, und heller Sonnenschein kam ins Tal. Die Rinder weideten muhend und gemächlich im Tal. Die Cowboys ritten weiterhin umher. Manchmal blickten sie zum Talrand, und einmal starrten sie zu den Bäumen herauf. Billy wagte sich nicht hervor. Er hatte das Pferd festgebunden und sich hingehockt. Ununterbrochen beobachtete er die Cowboys. Er wußte nicht, daß das Aufgebot aufgegeben hatte - 49 -
und zurückgeritten war. Doch noch suchten zwei Männer nach ihm und zogen wie Bluthunde durch das Hügelland. Am Nachmittag kamen andere Cowboys ins Tal und lösten die Herdenwache ab. Wieder waren es zwei Männer, die um die Herde ritten. Endlich wurde es Abend. Billy wartete auf die Dämmerung und machte sich bereit. Der Weg ins ausgetrocknete Flußbett zurück war nicht weit, aber bei hellem Sternenschein konnten die Cowboys ihn entdecken. Billy war entschlossen, viele hundert Meilen weit zu reiten. Er wollte in ein fernes Land ziehen, wo ihn niemand, kannte. Brennend rot sank die Sonne. Ihre letzten Strahlen streiften die Baumwipfel und lagen auf der anderen Talseite. Unten im Tal flackerte ein Feuer auf, und der laue Abendwind brachte den Rauch zu Billy herauf. Aus der Ferne kamen die blauen Schatten und hüllten die Herde ein. Die Sonne verschwand, die Dämmerung war wie eine graue Wand. Es war soweit. Billy nahm sein Pferd und verließ die Deckung der Bäume. Geduckt ging er über den Talrand hinweg und erreichte den Arroya. Aufatmend ließ er den Zügel los, saß auf und ritt durchs Flußbett. Verlassen lagen die Hügel vor ihm. Er ritt nach Westen, wo irgendwo der Rio Grange das Mexican-Plateau durchschnitt, wo das Land der Apachen begann und ihn eine heiße, betäubende Ödnis erwartete. Das Schicksal aber gab ihm keine Chance. Als er noch zwischen den Hügeln war, geschah es. Zu spät sah er die Reiter. Sie hatten sich hinter den mannshohen Strauchhecken verborgen und die Gewehre bereits auf ihn gerichtet. Jäh stießen sie aus der Deckung - 50 -
hervor und nahmen ihn in die Mitte. „Das ist doch der Kerl, der Sheriff Stone entwischt ist!“ knurrte einer der beiden Cowboys grimmig und lud hart durch. „Nimm schon die Hände hoch, Halunke! Wir fackeln nicht lange. Es kostet uns keine Anstrengung, dich vom Pferd zu knallen!“ Aus, dachte Billy, jetzt haben sie dich! Die Cowboys drängten die Pferde an ihn heran und entwaffneten ihn. Sie hielten ihn für einen Mörder und würden ihn bei einem Fluchtversuch wirklich vom Pferd schießen. Mitleidlos sahen sie ihn an. Im Sternenlicht erschienen ihm ihre Gesichter wie Teufelsfratzen. „Runter vom Gaul!“ befahl ein Cowboy. Er gehorchte. Sie nahmen sein Pferd und ließen ihn vorausgehen. Steif und verkrampft schritt er durch die Hügelfalte und hörte die Hufe hinter sich dumpf schlagen, das Sattelleder knarren und die Radsporen an den Stiefeln der Cowboys leise klirren. Er brauchte nicht zurückzusehen, um zu wissen, daß ihre Gewehre auf seinen Rücken gerichtet waren. Starr sah er voraus. War es der kühle Wind, der seine Augen auf einmal tränen ließ? Billy King hatte keine Hoffnung mehr. Er war der Hase, der den vielen Hunden nicht entwischen konnte. Eine Welt des Hasses hatte sich vor ihm aufgerichtet. Viele Männer suchten ihn. Ihr Haß war wie eine sengende Hitze, in der er verglühen mußte. Billy wußte nicht, daß zwei Kopfgeldjäger nach ihm suchten, die ihn erbarmungslos umbringen wollten. Diese Männer würden noch nicht einmal den Versuch machen, ihn lebend einem Sheriff auszuliefern. „Tausend Dollar soll er wert sein“, sagte einer der - 51 -
Cowboys hinter ihm. „Hast du das auch gehört?“ „Ja“, klang es heiser zurück. Billy glaubte nicht mehr an das Gute dieser Welt. Sie alle machten ihn langsam, aber sicher zu einem reißenden Wolf. Als er weit vor sich das Gestrüpp sah, das bis in die Hügelfalte hineinwucherte, stand sein Entschluß fest. Dort wollte er alles riskieren und zu fliehen versuchen. Langsam kamen sie immer näher. Billy horchte nach hinten. Die Pferde trotteten dahin. Einer der Cowboys hielt Billys Pferd. Sie würden nicht mit seiner Ver zweiflungstat rechnen, glaubten sie doch, ihn sicher in ihrer Gewalt zu haben. Und jetzt war es soweit. Billy sah das Gestrüpp links und rechts seines Weges und ging weiter. Die Cowboys konnten nicht mehr nebeneinander reiten. Billy spannte alle Muskeln, wirbelte herum und schnellte auf das Pferd des ersten Cowboys zu. Das Pferd scheute und richtete sich auf, stieß mit den Vorderbeinen wild in die Luft hin ein. Schon hechtete Billy ins Dornengestrüpp, spürte die scharfen Dornen im Gesicht, an den Armen und Beinen — aber er warf sich weiter durch, das Gestrüpp, kroch unter den Sträuchern entlang und hörte, wie die Cowboys schossen. Die Kugeln durchschlugen das Gestrüpp und zerfetzten Blätter und Zweige. Die Cowboys konnten ihn nicht sehen, sie schossen blindlings in die Sträucher hinein und hofften dabei, ihn zu treffen. Immer wieder spürte Billy die Hitze der Kugeln, sah den Staub unter den Sträuchern hochstieben und Zweige brechen. In Todesangst kroch er höher, durchdrang das Gestrüpp und hörte, wie ein Cowboy unten entlang ritt. Plötzlich roch er Rauch. Er warf sich auf die Seite und sah zurück. Unter ihm leuchtete es rot und gelb. Flammen prasselten durchs Ge - 52 -
strüpp. Im aufwärts treibenden Wind fraß sich das Feuer schnell empor. Sie wollen dich bei lebendigem Leib verbrennen! dachte er und stöhnte auf. Er sprang hoch und hastete höher. Der Cowboy unten in der Hügelfalte schoß wieder auf ihn, aber der wallende Rauch hüllte Billy ein und ließ keinen sicheren Schuß mehr zu. Der Rauch trieb über ihn hinweg, und er hustete schwer, kroch auf allen vieren auf den Hügel, sah Täler vor sich, kam torkelnd hoch und lief hinunter. Da hörte er Hufschlag und sah, wie der andere Cowboy auf ihn zugejagt kam. Der Cowboy schwang das Gewehr, holte ihn ein und schlug nach ihm. Billy wich den Schlägen aus, so gut er konnte. Dann traf es ihn an der Schulter. Er stürzte und rollte zur Seite. Grell flammte es über ihm auf, und die Kugel streifte ihn an der Hüfte. „Du Mistkerl entkommst uns nicht!“ fauchte der Cowboy und legte entschlossen an. „Ich knall' dich ab wie einen Hund!“ Dicht vor Billy stampfte das erregte Pferd heftig den Boden und warf Schaumflocken auf ihn. Hart lud der Cowboy durch und legte den Finger an den Abzug. Wenn er jetzt schoß, wäre Billy verloren. Nichts konnte ihn ret ten. Abwehrend hob Billy die flatternde Hand und stöhnte verzweifelt. „Nicht schießen! Ich hab' euch doch nichts getan!“ „Du uns nicht“, antwortete der Cowboy, „aber wir wissen, daß du gesucht wirst. Du bist tausend Dollar für mich wert, und die lasse ich mir nicht entgehen.“ „Nein, nicht schießen!“ schrie Billy schrill auf, sah in - 53 -
das Gesicht des Cowboys und wurde auf einmal ganz still. Das Leben zog in bunten und auch in grauen Bildern schnell an ihm vorbei, und die Vergangenheit wurde noch einmal wach. Billy gab sich seinem Schicksal hin. Ein einzelner Mensch konnte unmöglich gegen all diese haßerfüllten Jäger etwas ausrichten. So sank er zurück und nickte zuckend. „Schieß“, flüsterte er mit verwehender Stimme. „Bring mich doch um ...“ Diese Worte ließen den Cowboy zögern. Mit flackernden Augen sah er auf den jungen Billy King und hörte, wie der andere Cowboy über den Hügel geritten kam, wo der Rauch in wallenden Wolken emporstieg. „Du willst sterben?“ fragte er dumpf und zweifelnd. „Du willst wirklich, daß ich dich erschieße?“ Billy lag auf dem Rücken. Er spürte nicht den Schmerz, der von der Hüfte ausging. Ihm war der Atem ausgegangen. Die vielen Hunde hatten den Hasen gestellt. Wie aus weiter Ferne vernahm Billy King den Hufschlag des anderen Pferdes und hörte, wie der Cowboy über ihm sagte: „Du, der will, daß ich ihn erschieße. Verstehst du das?“ „Der ist fertig, das sieht man doch“, ertönte die Stimme des anderen. „Nehmen wir ihn mit zur Ranch. Ich kann ihn jetzt nicht so einfach erschießen. Zum Teufel, ich bin kein Mörder und Kopfgeldjäger. Wie ist es mit dir?“ „Ich auch nicht...“ „Dann los, werfen wir ihn auf sein Pferd.“ Sie stiegen ab, rissen Billy hoch und stießen ihn aufs Pferd. Schon ritten sie weiter und paßten höllisch wachsam auf ihn auf. Zusammengesunken hockte er im Sattel. Nur langsam - 54 -
begriff er, daß er noch ein wenig Zeit gewonnen hatte, daß der Tod noch auf ihn wartete. Hinter den Reitern schlugen die Flammen über den Hügel und leuchteten weithin sichtbar durch die Nacht. Rauch wehte zu Tal und holte die Reiter noch ein. Die Cowboys schwiegen in eisiger Ablehnung und warfen Billy nur kalte Blicke zu. Drei Reiter kamen von weit hinten durchs Tal und jagten ihnen entgegen. „Der Boß kommt“, sagte ein Cowboy. Billy sah mit trockenen Augen den Reitern entgegen. In der Mitte ritt ein mittelgroßer, klotzig wirkender Mann. Sie rissen die keuchenden Pferde vor den beiden Cowboys und Billy zurück und blickten schnell zum brennenden Hügel hinüber. „Was ist hier los?“ knurrte der Rancher grimmig und starrte Billy an. „Wer ist denn das?“ „Das ist der Kerl, den sie alle suchen, Boß. Billy King soll er doch heißen ...“ Der Rancher musterte Billy eingehend und nickte schließlich grimmig. „Ja, er ist es. Sheriff Stone ist mit dem Aufgebot auch auf der Ranch gewesen und hat mir diesen Kerl be schrieben. Ihr wolltet ihn mir bringen?“ “Ja, Boß.“ „Well, mit Banditen und Mördern machen wir hier immer kurzen Prozeß“, sagte der Rancher. „Hier sind wir unsere eigenen Richter. Tausend Dollar kämen mir gerade recht, nachdem es im letzten. Jahr die große Dürre gegeben hat und etliche Rinder verreckt sind. Los, kommt!“ Sie ritten mit Billy weiter und näherten sich dem Talende. Dunkel klaffte vor ihnen der Hügeleinschnitt, - 55 -
hinter dem das Nebental begann. Buschige Bäume standen am Hang und raschelten im Wind. Niemand war in der Nähe. Dad, dachte Billy, jetzt haben sie mich. Ich hab' selber die Schuld an allem, nicht du. Ich hätte auf dich hören und im Haus bleiben sollen. Sie werden mich erschießen oder aufhängen. Ich habe das nicht gewollt... „Halt!“ sagte der Rancher scharf und verhielt. Teilnahmslos saß Billy auf dem Pferd. Die vier Cowboys sahen den Rancher fragend an. „Laßt ihn reiten!“ „Was? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Boß!“ „Doch, das ist mein Ernst. Laßt den Mörder reiten.“ Die Worte des Ranchers drangen nur langsam in Billys Bewußtsein ein. Er drehte den Kopf und blickte den Rancher leer an. Einen Atemzug lang glaubte er, gleich in Freiheit zu sein, aber dann erkannte er in den Augen des Ranchers mitleidlose Kälte. Da wußte er, was geschehen sollte: Sie würden ihn vom Pferd schießen ... Zögernd wichen die Cowboys zurück. Für sie war er kein skrupelloser Mörder, der keine Gnade zu erwarten hatte. Vielleicht hätte Billy an ihrer Stelle genauso gehandelt — vielleicht. Es war das ungeschriebene Gesetz des Westens. Diese Männer brauchten ein Wild, das sich bewegte, um darauf schießen zu können — ein Wild, das Mensch war. Erst wenn sie ihn davonreiten sähen, könnten sie ihm in den Rücken schießen. „Worauf wartest du, Halunke?“ stieß der Rancher grollend hervor. „Mach, daß du wegkommst!“ Billy schluckte und sah auf den Hügeleinschnitt. Dorthin sollte er reiten. Dicht vor dem dunklen Einschnitt würden ihn die Schüsse einholen. „Ich hab' den Marshal erschossen“, flüsterte er mit - 56 -
klangloser Stimme, „aber ich hab' es nicht gewollt. Warum glauben Sie mir nicht? Ich bin kein Mörder!“ „Verschwinde!“ fauchte der Rancher. „Sonst überlegen wir es uns noch anders ...“ Billy schloß die Augen, riß sie wieder auf, sah starr voraus und ritt langsam an. Er fürchtete sich davor, das Pferd anzutreiben, denn dann würden sie sofort auf ihn schießen. „Schneller!“ schrie einer der Cowboys heiser. Die Anspannung machte ihn langsam verrückt... Aber Billy ritt nicht schneller. Er hörte unter sich die Hufe dumpf schlagen und hinter sich das metallische Knacken, als die Gewehre durchgeladen wurden. Der Hügeleinschnitt rückte näher. Die Cowboys folgten ihm im Schrittempo, achteten aber darauf, daß der Abstand gleichblieb. Aus einem jungenhaften Burschen war in wenigen Tagen ein Mann geworden. Billy King war im Innern ein alter Mann. Das Äußere war jung geblieben, doch sein Herz erkaltet. Auf all seinen Wegen war nur immer Haß. Wie konnte er da die Menschen noch lieben, die ihm nach dem Leben trachteten, obwohl er kein Mörder war? Gleich würden die Schüsse aufpeitschen. Er würde vom Pferd fallen und tot am Boden liegen, und die Männer würden ihm seinen Colt in die Hand drücken und das Gewehr wieder in den Scabbard schieben. Und Stunden später würde der Sheriff in diesem Tal sein und auf ihn herniederblicken ... Er schrie plötzlich auf und jagte los. Immer wieder riß er am Zügel und trieb das Pferd in eine andere Richtung, ließ es kleine Haken schlagen und hoffte, den Kugeln zu entgehen. Schon peitschten die ersten Schüsse hinter ihm. - 57 -
Gellend schrie er durch die Nacht und ritt um sein Leben. Er sah die Hügelfalte und die Bäume, die Sträucher und die Felsen. Er dachte an nichts mehr — und plötzlich traf es ihn mit weißglühender Hitze ins Bein. Die Kugel stieß das Bein richtig hoch und aus dem Steigbügel. Er drohte vom Pferd zu fallen, klammerte sich noch gerade fest — da hörte er einen Mann laut ru fen. „Hier, Billy!“ schrie der Mann. Das war Howard Gunnison! Billy sah ihn zwischen den Bäumen hervorpreschen und auf Cowboys und Rancher schießen. Hinter Gunnison tauchten der blasse Guy, Montoya und Chip auf. Sie alle hielten Gewehre und schössen auf die Männer hinter Billy. „Nicht... schießen!“ schrie Billy noch, aber es war zu spät. Gunnison schoß mitleidlos. Billy erreichte die Hü gelfalte und ritt näher. Er sah zurück, als er die Bäume fast erreicht hatte. Unten im Tal liefen reiterlose Pferde umher. Ein Tier zog seinen Reiter hinter sich her. Der Fuß hatte sich im Steigbügel verfangen. Hart riß Gunnison sein Pferd herum und ritt zu Billy King. Breites Lächeln verzog das narbige Gesicht. Rasselnd atmete Gunnison ein und sagte krächzend: „Du hast verdammt viel Glück gehabt, daß wir das Feuer entdeckten. Sonst hätten sie dich erledigt.“ „Ihr habt sie alle... erschossen?“ stöhnte Billy, dem allein der Gedanke furchtbar war. „Nein“, sagte Gunnison frostig. „Sie sind schwer verwundet. Ob sie allerdings durchkommen, weiß ich nicht, und das ist mir auch ziemlich egal. Uns hätten sie jedenfalls getötet. Los, reite weiter, du junger Narr! Hoffentlich hast du endlich begriffen, daß du zu uns gehörst!“ - 58 -
Billy blickte zurück ins Tal und zog erschauernd die Schultern an. Dort unten lagen die Cowboys wie leblos, die Arme ausgebreitet, und neben ihnen lagen die Waffen. Das Echo der Schüsse grollte noch in den Tälern. Auf einmal ritt Billy zurück. Gunnison schrie ihm nach, sofort zurückzukommen, doch er gehorchte nicht. Bei den Cowboys angekommen, versuchte er, vom Pferd aus seine Waffen zu erfassen, aber er schaffte es nicht. Chip kam ihm nachgeritten, sprang ab und hob die Waffen auf, übergab sie ihm und schwang sich sofort wieder in den Sattel. „Los, schnell weg von hier!“ stieß er hervor und blickte unruhig umher. „Die anderen Cowboys werden bald hier sein...“ Billy nickte und ritt an. Das Bein hing schlaff herunter und bereitete ihm große Schmerzen, die ihn an den Rand der Ohnmacht trieben. Blut sickerte aus dem Bein und auch aus der ungefährlichen Hüftwunde. Er biß die Zäh ne zusammen und folgte Chip. Die Banditen ritten mit ihm über den Hügel und dann in die Berge. Billy war dem Tode noch einmal entkommen, doch nun gehörte er für immer zur Gunnison-Bande. Die Cowboys würden bald zu sich kommen und allen Leuten sagen, daß ihm die GunnisonBande geholfen hatte. In dieser, endlosen Nacht nahm Billy King Abschied von jenem Leben, das er bisher geführt hatte. Unter dem Sternenhimmel schwor er sich, niemals wieder den Weg zurück in das Leben zu suchen, das er einst geführt hatte. Die Menschen wollten ihn nicht — sie wollten sein Leben und seinen Kopf. Er war bereit, diesen Banditen zu folgen, und als sie - 59 -
nach zwei Stunden Ritt in der Einsamkeit der Berge Rast machten und Howard Gunnison sich seines Beines annahm, Billy verarztete und ihm einen Verband anlegte, als Billy ihm in die Augen sah, da glaubte er, Freunde gefunden zu haben. Es war der Irrtum eines jungen Mannes, den haßerfüllte Menschen schon zu lange gehetzt hatten. Billy brauchte einen Halt, und er fand ihn bei den Banditen. Es war ein Irrweg, aber er wurde sich nicht darüber klar. „Danke, daß du mir das Bein verbunden hast“, flüsterte Billy. „Reden wir nicht mehr darüber“, sagte Gunnison rauh. „Du gehörst zu uns. Noch einmal wirst du nicht mehr verschwinden.“ Der Bandit nickte ihm lächelnd zu. „Du bist fast wie dein Vater, Billy. Bestimmt wird aus dir auch mal so ein harter Kerl, wie er es gewesen ist. Komm, steh auf, ich schieb' dich in den Sattel.“ Er ergriff Billys Hand, zog ihn hoch und legte sich Billys Arm über die Schultern. Langsam geleitete er Billy zum Pferd, half ihm in den Sattel und wollte selber aufsteigen. Da sagte Billy leise und bedrückt: „Ich hab' Brave gesehen...“ Gunnison stockte inmitten der Bewegung, wandte sich dann sehr langsam zu Billy um und starrte ihn an. Auch Guy, Chip und Montoya sahen ihn mit seltsam fiebernden Augen an. „Brave?“ ächzte Gunnison. „Ja, Brave“, flüsterte Billy und stützte den Oberkörper aufs Sattelhorn. „In Tularosa hab' ich ihn gesehen. Er lag in einem Stall hinterm Sheriff's Office. Tot und ganz grau im Gesicht. Als ich abhauen wollte, erwischte mich der - 60 -
Sheriff, und der sagte, daß zwei Männer Brave erwischt hätten und noch in der Stadt wären.“ „Sprich weiter!“ krächzte Gunnison. „Weiter, sag' ich!“ „Mehr ist es nicht. Ich konnte dem Sheriff entwischen und mich zwischen den Hügeln verbergen. Dann bekamen mich zwei Cowboys vor die Gewehre, und zwei andere und der Rancher kamen hinzu. Das wißt ihr ja.“ „Wie ist Brave umgekommen, Billy?“ wollte Gunnison wissen und kam steif näher. „Mehrere Kugeln haben ihn getroffen.“ Billy sah über Gunnison hinweg und in die Gesichter der anderen Banditen. Guy und der Mexikaner machten ein Gesicht, als wollten sie sofort nach Tularosa reiten. Chip war blaß unter der braunen Haut geworden und hatte sich verkrampft. Vielleicht war ihm der Gedanke gekommen, eines Tages so wie Brave zu enden. „Zwei Männer also“, sprach Gunnison und zwang sich dazu, nicht von den wilden Gefühlen übermannt zu werden. „Diese Kerle werden wir schon finden. Erst einmal müssen wir in die Berge, aber wir werden sie uns schon holen.“ Er ging zum Pferd, stieg auf und ritt wortlos an. Sie zogen weiter. Chip blieb etwas zurück, bis er an Billys Seite war. Schweiß rann ihm trotz der kühlen Nacht übers Gesicht. „Er sah bestimmt schrecklich aus, nicht wahr?“ flüsterte er. „Ja“, nickte Billy. Chip starrte voraus. In der Ferne schimmerten die schneebedeckten hohen Berggipfel im Sternenlicht. „Manchmal hab' ich Angst, Billy.“ „Ich auch, Chip.“ - 61 -
„Wenn ich nur einen ordentlichen Job fände, irgendwo, weit weg von hier, wo mich niemand kennt.“ „Ich will nach Norden, Chip.“ „Nein, Billy. Gunnison wird dich jetzt nicht mehr loslassen. Ich hab's ihm an gesehen. Er hat verdammt viel für dich übrig. Weißt du, daß er einen Sohn hatte? Der wäre jetzt so alt wie wir, Billy. Gunnison sucht in dir seinen Sohn, erst in mir, jetzt in dir.“ Trotz der flammenden Schmerzen im Bein und dem Stechen in der Hüfte vergaß Billy die eigene Not und sah Chip überrascht an. „Und wo ist sein Sohn jetzt?“ „Irgendwo, Billy. Liegt unter der Erde. Er wurde von einem Aufgebot erschossen. Mehr weiß ich nicht. Mehr hat Gunnison niemals gesagt. Ich hörte ihn einmal im Schlaf reden . . .“ Die Verlorenen ritten immer tiefer in die Bergwelt hinein, schlugen einen Bogen und näherten sich allmählich Tularosa. Es war schon Tag, als Gunnison abstieg und sie rasteten . . . *** Den gebrochenen linken Arm in der Schlinge tragend, verließ Mark Donnery an diesem heißen Tag das Hotel und sah die beiden Kopfgeldjäger Locker und Tule vor dem Saloon im Schatten des Vordaches sehen. Langsam schlenderte er heran, blieb in der glühenden Sonne stehen und blickte die Kopfgeldjäger düster und feindselig an. „Laßt die schmutzigen Finger von dem Mörder meines Bruders“, sagte er kalt. „Ich knall' euch ab, wenn ich euch draußen treffe.“ - 62 -
Sie stießen sich von der Wand ab und spreizten die Beine. Locker zog die Mundwinkel nach unten und lächelte gehässig. „Nimm die Klappe nicht so voll, Donnery. Ich sehe, daß du einen Arm in der Schlinge hast. Mit der einen Hand wirst du uns nicht schaffen. Es wird uns gar nichts ausmachen, dich hier in Tularosa fertigzumachen, Donnery. Oder glaubst du, wir hätten vor so einem Großmaul wie dir Angst? Daß ich nicht lache! Wenn du willst, dann versuchen wir es doch gleich.“ „Ich habe Zeit“, erwiderte Donnery kalt. Ohne Hast ging er weiter und kehrte ihnen den Rücken, wanderte schräg über die Straße und blickte in die Fensterscheiben, die wie Spiegel waren. Deutlich sah er, wie das Halbblut die Hand auf den Colt legte und wie Locker ihm den Arm festhielt und den Kopf schüttelte. Er unterschätzte die Kopfgeldjäger nicht, doch er vertraute der Schnelligkeit seiner rechten Hand. Als er auf den Gehsteig stieg, kam ein Reiter in die Stadt und hielt vor dem Sheriff's Office, sprang ab und lief hinein. Donnery war mit ein paar Schritten neben der offenen Tür und hörte, was der Cowboy zum Sheriff sagte. Danach war ein Cowboy erschossen und die anderen und der Rancher verwundet worden. Deutlich hätten sie noch die Banditen gesehen. „Die Gunnison-Bande“, sagte Eph Stone bitter und ballte die Hände. „Dieser Brave liegt im Stall. Billy King wird Gunnison sagen, daß der Bucklige in meinem Stall liegt. Hölle, ich glaub', es wird noch schlimme Tage geben.“ „Ich soll den Doc holen, Sheriff“, sagte der Cowboy. „Kommen Sie zur Ranch?“ - 63 -
„Vielleicht. Geh nur, hol den Doc.“ Der Cowboy kam herausgelaufen, sah Donnery, stockte, lief dann zum Pferd und ritt zum Haus des Arztes. Unruhig ging Stone im Office auf und ab. Lässig kam Donnery herein und blieb an der Tür stehen. „Ich muß mit Ihnen reden, Sheriff.“ „Kommen Sie später wieder“, knurrte Stone gereizt. „Ich hab' jetzt andere Dinge im Kopf.“ Donnery trat dennoch näher und blieb am Tisch stehen. Seine knochige, düstere Erscheinung ließ Eph Stone aufmerksam werden. „Was haben Sie? Ich kenne Sie nicht.“ „Ich bin Mark Donnery, der Bruder des Marshals, den dieser Billy King erschossen hat.“ „Donnery? Davon haben mir die beiden Kerle berichtet.“ Stone war im Grunde genommen ein kreuz braver Mann, der lieber den Frieden und die Ruhe wollte, als in heißen Kämpfen den Ruhm zu suchen. Dennoch war er hart genug und entschlossen, keinem Kampf auszuweichen. „Sie haben an der Tür gehorcht, wie? Dann wissen Sie also, daß der bucklige Brave in meinem Pferdestall liegt, ein Mitglied der Gunnison-Bande.“ „Ja.“ Donnery setzte sich auf die Tischkante. „Ich will Billy King erschießen, Sheriff, damit Sie klarsehen. Drüben auf der anderen Seite stehen Tule und Locker, die sich die Kopfprämie unter ihre dreckigen Fingernägel reißen wollen. Daraus soll nichts werden, solange ich lebe. Sie, Sheriff, brauchen nicht mit einem Aufgebot die Bande zu suchen. Ich wette, daß sie herkommt. Die Banditen werden ihren Komplizen rächen wollen. Ich habe viel - 64 -
über die Gunnison-Bande gehört. Diese Halunken haben so etwas wie einen Gemeinschaftsgeist. Sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Haben Sie gegenüber King irgend etwas über die Kopfgeld Jäger verlauten lassen? Daß zwei Männer Brave erschossen hätten?“ „Ja, warum fragen Sie?“ Donnery lächelte. „Dann weiß Gunnison also, daß die Männer in Tularosa zu finden sind. Er wird mit seinen Banditen herkommen. Und vielleicht ist Billy King dabei. Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, Sheriff.“ „Schießen Sie los.“ „Well, Sie nehmen sich die Bande vor und überlassen mir King. Ich helfe Ihnen, die Bande fertigzumachen.“ Sheriff Eph Stone sah nachdenklich durch die offene Tür hinaus auf die heiße Straße. Er hatte Donnerys Gefühle erkannt und wußte, wie schlimm es in Donnery aussah. Aber warum sollte er nicht zusagen? „Gut, einverstanden, Sie sind der Bruder des Marshals. Das spricht für Sie. Mit diesen beiden Kopf geldjägern würde ich so einen Pakt nicht schließen, damit Sie's wissen.“ „Ich sehe, Sie sind ein vernünftiger Mann, Sheriff. Warten wir also auf die Bande. Ich glaube, Sie haben sogar Zeit, um zur Ranch zu reiten. Guten Tag, Sheriff.“ Er verließ das Office und ging zurück. Locker und Tule waren in den Saloon gegangen. Mittags sah Donnery aus dem Fenster seines Hotelzimmers auf die Straße. Er hörte die Hufe von zwei Pferden durch den Staub schlagen und sah Locker und Tule aus der Stadt reiten. Sie hatten Proviant für viele Tage mitgenommen ... *** - 65 -
Billy hockte im Schatten der alten brüchigen Mauern und hatte sich mit dem Rücken an die rauhe Wand ge lehnt. Die Augen geschlossen, lauschte er den verhal tenen Stimmen der Banditen und hörte die Pferde nebenan stampfen. Einst waren Franziskanermönche aus dem tiefen Süden, aus Mexiko, heraufgekommen und hatten hier, im Nordwesten von Tularosa, eine Mission gegründet. Längst fehlte das Dach, längst waren die Mauern zerbröckelt, der Brunnen versiegt und versandet, längst hatte wild wucherndes Unkraut weite Flächen innerhalb der Mauern bedeckt. Kakteen standen in der Mission, Flugsand hatte den Boden und den Patio bedeckt. Doch noch jetzt war zu erkennen, daß hier vor vielen Jahren fleißige Hände tätig gewesen waren. In dieser alten Missionsruine hatte die Bande Unterschlupf gefunden. Für Billy hatten Tage flüchtigen Friedens begonnen. Gunnison hatte oft nach der Beinwunde gesehen und ihm auch mehrmals den Verband gewechselt. Seitdem Billy von Chip erfahren hatte, daß Gunnison einen Sohn gehabt hatte, sah er Gunnison mit anderen Augen, und auch der innere Widerstand gegenüber Gunnison war geschwunden. Die Stille ließ Billy träumen. Irgendwo in der Ferne lag sicherlich ein Land, in dem er Ruhe finden könnte. Aber würde er jemals die Nacht vergessen, in der sein Vater erschossen wurde? Schritte kamen näher. Lächelnd blieb Gunnison vor ihm stehen. „Wie geht's dem Bein, Kleiner?“ „Schon besser“, sagte Billy mit sehr schwachem Lächeln. „Bestimmt kann ich bald wieder in den Sattel - 66 -
steigen.“ „Daraus wird erst einmal nichts“, erwiderte Gunnison kopfschüttelnd. „Das Bein braucht Ruhe. Die Kugel hat ziemlich viel angerichtet. Du wirst dich noch einige Tage hier ausruhen können. „Vielleicht suchen sie uns noch immer“, murmelte Billy und blickte in das fleckige Gesicht des Banditen. „Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß sie in der Nähe sind.“ „Du bist noch nicht lange genug auf dem rauchigen Trau“, sagte Gunnison sanft, „sonst würdest du schon wissen, daß es hier weit und breit kein Aufgebot gibt, daß die Leute aufgegeben haben und schon lange nach Tularosa zurückgekehrt sind ...“ Er kniete nieder und besah sich Billys Verband. „Noch Schmerzen?“ „Manchmal.“ „Das geht vorbei.“ Howard Gunnisons schweiß glänzendes Gesicht war dicht vor Billy. „Denkst du noch daran, wegzureiten, Kleiner?“ „Nein.“ Über Billys Gesicht zog ein dunkler Schatten. Die Lippen wurden schmal und hart. „Was soll ich schon anderswo?“ Gunnison nickte vor sich hin und richtete sich dann auf. Forschend blickte er über die Mauer hinweg und hinaus ins verlassene Land. Die weiten Berg täler dehnten sich vor der Ruine aus. Die Mission war auf einem erhöhten Platz erbaut worden, und die Banditen hatten einen weiten Blick nach Süden und Osten. „Vergiß niemals, wie sie alle zu dir gewesen sind, Billy King“, sagte er rauh. „Sie haben dich wie einen Hund gehetzt und hätten dich umgebracht. Du hast keine Freunde mehr — außer uns. Wir halten zu dir, wir alle. Ohne uns wirst du keinen Frieden mehr finden, Kleiner. - 67 -
Sobald du wieder allein wärst, würden sie dich jagen. Diese Männer, die so tun, als wären sie gut und lebten nach Recht und Gesetz, sind scheinheilige Halunken. Es macht ihnen höllische Freude, uns umzubringen. Wir dürfen ihnen nur nicht vor die Gewehre kommen ... Du hast Brave gesehen. Vergiß ihn nicht.“ Er ging zurück zu den anderen, und Billy hörte noch seine Schritte hinter der Mauer. Vielleicht enden wir alle so wie Brave, dachte Billy und lehnte sich zurück, schloß wieder die Augen und spürte das Bein. Als er lange so gesessen hatte, versuchte er aufzustehen. Mit dem gesunden Bein drückte er sich mühsam hoch, schob sich mit dem Rücken an der Mauer empor und stand steif da. Dann setzte er den Fuß des verletzten Beines auf den Boden und verlagerte vor sichtig das Körpergewicht darauf. Der Schmerz flammte jäh auf und ließ ihn zur Seite fallen. Hart schlug er gegen die Mauer und verbiß die Schmerzen, aber er stöhnte so laut, daß die anderen ihn hörten und herankamen. „Sei kein Narr, Junge!“ grollte Gunnison. „Du kannst noch lange nicht gehen. Darum bleibst du auch hier.“ Billy sah in die Gesichter der Banditen und schüttelte heftig den Kopf. „Ich will nicht länger liegen!“ „Hört euch den Burschen an!“ rief Gunnison unterdrückt. „Spuckt große Töne, aber fällt um. Hör mal, Kleiner“, er beugte sich zu Billy hinunter, „du tust, was ich sage, verstanden? Du bleibst hier, bis wir zurück kommen. Wir lassen dir genug Wasser und Proviant hier. Damit hältst du vier, fünf Tage durch, und bis dahin sind wir auch zurück.“ „Ihr wollt weiterreiten?“ flüsterte Billy fast erschrocken. „Nicht weiterreiten“, sagte Gunnison dunkel, „sondern - 68 -
nach Tularosa. Wir wollen uns diese beiden Kerle vornehmen, die Brave erschossen haben.“ „Das könnt ihr doch nicht tun!“ stieß Billy warnend hervor. „In Tularosa werden sie auf euch warten! Sie knallen euch ab wie Hasen! Ihr habt noch nicht einmal die Nase um das erste Haus gesteckt, dann werdet ihr schon tot sein!“ „So schnell lassen wir uns nicht in die Hölle jagen, Kleiner“, lächelte Gunnison düster. „Wir putzen jeden weg, der uns vor die Eisen kommt. Es wird sich rumsprechen, daß die Gunnison-Bande jeden erwischt, der einen von uns erschossen hat. Mach dir keine Sorgen, Kleiner. Wir werden schon vorsichtig genug sein. Ich kann keinen von uns hierlassen. Du mußt schon allein hier bleiben. Verlaß diese Ruine nicht. Laß dich nicht sehen, verkriech dich, wenn Reiter kommen. Wir werden unsere Spuren verwischen. Niemand wird dich hier vermuten.“ Billy schluckte schwer. Es hatte keinen Sinn, die Männer zurückhalten zu wollen. Gunnison hatte sich ge schworen, Braves Mörder zu suchen und zu töten. „Wir brechen jetzt sofort auf“, murmelte Gunnison und legte Billy die Hand auf die Schulter. „Mach's gut, Kleiner, und bleib hier.“ Dann ging er, und Montoya und Guy folgten ihm zu den Pferden. Nur Chip blieb noch, betrachtete Billy nachdenklich und zwang sich zu einem flüchtigen Lächeln. „Wartest du hier auf mich, Billy?“ „Ja, Chip.“ „Fein von dir, Billy...“ Chip atmete tief und schwer ein. „Ich hab' so ein komisches Gefühl im Bauch. Billy, als wenn was schiefgehen würde. Aber ich will alles versuchen, um wieder hier herzukommen. Ich will nicht - 69 -
so jung sterben, verstehst du? Ich wäre froh, wenn ich auch was mit dem Bein hätte. Dann brauchte ich nicht nach Tularosa zu reiten. Du kannst ruhig Feigling zu mir sagen, Billy...“ Chip lehnte sich stehend an die Mauer und starrte nach Südosten. „Du weißt, wie ich darüber denke, Chip. Sieh zu, daß es dich nicht erwischt. Zieh den Kopf ein, wenn du in die Stadt reitest.“ „Wir alle sind Banditen“, sagte er leise vor sich hin, „und jeden von uns erwischt es irgendwann. Ich weiß es.“ Hastig ging er davon und ließ Billy allein. Billy horchte. Die Pferde trappelten durch den Staub innerhalb der Mauern, und Sattelleder rieb, als die Männer aufsaßen. Chip kam mit Billys Pferd in den Schatten der Mauer. Dann sah er Billy seltsam verloren an, schwieg und schritt davon. Wenig später ritten sie aus der Ruine, zogen Sträucher über ihre Spur hinweg und lenkten die Pferde in die ab fallenden Täler hinunter. Mit verbissenem Gesichtsausdruck quälte Billy sich empor und starrte ihnen nach. Er sah Gunnison vorausrei ten, dann folgten Guy und Montoya. Chip ritt am Schluß und blickte einmal zurück. Er konnte Billy nicht erken nen . . . Billy prägte sich den Anblick der davonreitenden Banditen ein. Die Sträucher an den Lassos wirbelten viel Staub auf, der sich wie eine Wand hinter den Reitern auftürmte. Doch noch lange sah Billy am Schluß den jungen Chip im wallenden Staub. Die Banditen verließen das Tal. Irgendwo im kargen Buschland ließen sie die Sträucher zurück. - 70 -
*** Jaulend kamen die ersten scharfen Windstöße heran und fegten mit prasselndem Sand über die Ruine hinweg. Billy schloß die Augen. Sandschauer trafen die Decke. Irgendwann hörte er Stimmen. Hufe stampften, und jemand stieß einen Fluch aus. Da war er hellwach, riß die Decke weg und erhob sich, hinkte zum Mauerdurchbruch und sah auf den Platz der Missionsruine hinaus. Im treibenden Sandsturm erkannte er die verschwommenen Umrisse von zwei Männern und zwei Pferden. Die Männer zerrten ihre Pferde hinter die Wände auf der anderen Seite des Hofes und verschwanden. Billy stützte sich an der Mauer und überlegte fieberhaft. Er war nicht mehr allein in der Ruine. Zwei Fremde waren nicht weit von ihm. Schon wollte er durch die einzelnen dachfreien Räume humpeln, als er sich besann. Er war ein gesuchter Mann, für alle anderen ein Bandit. Vielleicht gehörten diese beiden Männer zum Aufgebot? Er ahnte nicht, daß zwei Kopfgeldjäger in die Ruine gekommen waren, um hier Schutz vor dem Sturm zu fin den. Er wußte auch nicht, daß diese beiden Männer gerade ihn suchten, um ihn zu töten. Das Mißtrauen wuchs in ihm und ließ ihn umkehren. Er ließ sich nieder und deckte sich mit der Decke gut zu, ließ aber vor dem Gesicht eine Öffnung, um hinaussehen zu können. Sein Pferd stand still und verriet ihn picht. Der Sturm ließ Locker und das Halbblut hinter den Mauern der Ruine bleiben. Sie kamen gar nicht auf den - 71 -
Gedanken, die Ruine zu durchsuchen. . Reglos hockten sie im Schatten der Mauer und ließen den Sand über sich hinwegprasseln. Sie sprachen kein Wort miteinander und starrten mit verengten Augen zu Boden. Ein paar Stunden später war der Sturm vorbeigetobt, und die eintretende Stille war schon unheimlich. Steif kam Billy hoch, ging stöhnend zum Pferd und hielt es fest. Er hörte, wie die beiden Männer auf den versandeten Platz hinausgingen und die Pferde nachzogen. „Wir kriegen den Kerl schon noch“, hörte Billy eine heisere Stimme. „Bestimmt ist die Belohnung schon gestiegen. Es lohnt sich, King zu suchen.“ Eine andere Stimme antwortete mit zynischem Lachen: „Lebend kommt er keinem Sheriff in die Hände. Wir haben noch nie viel Aufhebens gemacht. Vorsichtig sah Billy über die Mauer und zu den Männern hinüber. Deutlich erkannte er das Gesicht des Halbbluts und Lockers breites Gesicht, das bärtig und von Sand und Staub behaftet war. Sie suchten ihn. Sie waren seine Feinde und würden ihm nicht die geringste Chance geben. Ihr ganzes Sinnen und Trachten galt ihm und seinem Tode. Als Billy das begriff, erfaßte ihn vernichtender Zorn. Warum sollte er sich diese Chance entgehen lassen? Nein, er wollte sie nicht reiten lassen! Jetzt wollte er um sein Leben kämpfen und diese Kopfgeldjäger über wältigen! Hastig beugte er sich hinunter, um das Gewehr zu packen — dabei verlor er den Halt und stürzte in den Staub. - 72 -
Trotz des gewaltigen Schmerzes stöhnte er nicht auf, denn er durfte sich nicht verraten. Zitternd nahm er das Gewehr und stemmte sich auf einem Bein hoch. In diesem Moment hörte er Hufschlag, und als er über die Mauer sah, jagten Tule und Locker gerade aus der Ruine und ins Tal hinunter. Er legte noch an, aber er schoß nicht. Eigentlich konnte er froh sein, daß sie ihn nicht entdeckt hatten. Sie würden nicht mehr zurückkommen. Unten im Tal ritten sie langsam weiter und näherten sich den Berghöhen. Der Tod ritt davon. Billy King sank hinter der Mauer zu Boden und lag lange still. Schließlich rollte er sich in die Decke und schlief bald ein. Wieder waren die Träume da und quälten. Tausend Dollar! schrie es in seinen Träumen. Tötet ihn! Zertretet ihn, diesen hundsgemeinen Mörder! Habt ihr nicht gehört? Er hat den Marshal Donnery erschossen, und dann ist er mit der Gunnison-Bande verschwunden. Den Rancher haben sie vom Pferd geschossen und die Cowboys. Er ist abgrundtief schlecht, ein Mörder, kein Mensch mehr. Er heißt King — Billy King! Kraftlos lag Billy hinter der Mauer — ein Häufchen Mensch, den die Welt ausgestoßen und gebrandmarkt hatte, den niemand verstehen und niemand anhören wollte. *** Howard Gunnison verhielt am Rande des Lavafeldes und sah ins weite Tularosa-Becken hinunter. Die Komplizen verhielten an seiner Seite. Alkalistaub wehte - 73 -
herüber und ließ Montoya arg schimpfen. „Caramba, in meinem Mexiko gibt es nicht diesen verfluchten Staub. Warum kommt ihr nicht mit mir nach Mexiko, Amigos? Wir haben schöne Täler, Flüsse und Berge, und die Senoritas bringen Feuer in eure Herzen! Was soll das, mein Freund Howard — warum willst du Brave rächen? Reiten wir nach Mexiko, nach Süden.“ „Angst, Montoya?“ knurrte Gunnison rauh. „Hast du dir schon die Hosen vollgemacht?“ „Zum Teufel“, antwortete Montoya wütend, „das mache ich nie! Du weißt, es. Aah, diese Senoritas in meinem Land! Sie sind heiß wie Feuer und scharf wie die Comadornen hier überall, und sie können dich ver wöhnen, daß der Himmel zu dir herunterkommt! Stell dir vor, Amigo, du sitzt unter Palmen, schaukelst in einer Hängematte, läßt dich bedienen. Du siehst Augen wie Sterne, so schön, und trinkst Mescal und Pulque. Keine Sorgen mehr, Amigo!“ „Da geht einem ja das Messer auf“, brummte Guy trocken. „Hast du noch so eine Story auf Lager, Montoya?“ „Si“, strahlte der Bandit Montoya, der schon mehr Menschen erschossen als Hühner geschlachtet hatte, „si, schöne Geschichten. Willst du wissen, wie es in Libertad gewesen ist? Ich sag' dir...“ Jäh wechselte der Ge sichtsausdruck, als Montoya das hintergründige Grinsen des bleichgesichtigen Komplizen sah. „Was denkst du von mir, du Bleichgesicht?“ fauchte er. „Glaubst du, du könntest mich aufziehen? Auf den Arm nehmen kann ich mich selber, verstanden?“ „Ruhe, ihr beiden“, sagte Gunnison kalt. „Es ist keine Zeit, um sich gegenseitig zu ärgern. Da unten ist Tularosa. Hinterm Sheriff's Office liegt Brave. Wir - 74 -
trennen uns und reiten einzeln hinunter.“ Montoya schnaufte grimmig und warf Guy einen zornigen Blick zu. „Die Zecken sollen dich fressen, Amigo!“ „Ruhe, sagte ich!“ fuhr Gunnison auf. „Schluß jetzt mit dem Gerede vom schönen Mexiko! Ich will die beiden Halunken vor den Colt bekommen. Seid ihr bereit?“ „Ja“, sagte Chip leise und mit flackernder Stimme, „ich bin bereit.“ Vielleicht war Chip der einzige, in dessen Herzen es noch saubere Flecken gab. Vielleicht war er noch nicht so verkommen wie die anderen, die nur immer töteten, aber auch er hatte viel Schlimmes getan — und es gibt eine alte Weisheit, die besagt, daß jeder für seine Untaten bezahlen muß, irgendwann, wenn das Schicksal es so will. Howard Gunnison sah Chip forschend an. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war Gunnison zu Chip wie ein Vater gewesen. „Keine Angst, Chip. Wenn du willst, kannst du hier oben bleiben.“ „Nein, nein“, schüttelte Chip den Kopf, „ich reite mit hinunter. Ich bin doch kein Feigling.“ Das hatte Gunnison hören wollen. Er hatte den jungen Chip schon lange zurechtgeknetet und ihm viel von seinem Willen genommen. Aber Chip hatte Angst, verzehrende und nerven zerrüttende Angst, wie sie noch niemals zuvor so groß gewesen war. „Ich will, daß Brave gerächt wird!“ sagte Gunnison fauchend und ballte die Hand zur Faust, stieß sie ins Tal und starrte auf die Lichter der Stadt, die durch die - 75 -
Abenddämmerung glühten. „Brave gehörte zu uns. Ich will, daß seine Mörder sterben. Wir schießen auf jeden, der sich uns in den Weg stellt. Wir sind vier Mann, und wir alle können verdammt gut schießen. Jeder fällt in den Staub, der euch in den Weg kommt.“ Chip krümmte sich unmerklich im Sattel und blickte zu Gunnison hin. Das war der andere Gunnison, der Mörder und Räuber, der gewalttätig seinen Weg ging und kein Menschenleben achtete. Immer wieder war Chip hin- und hergerissen worden zwischen Gut und Böse, hatte Gunnison verflucht und ihn wiederum verehrt. An diesem Abend aber ahnte Chip, daß es zu Ende ginge, daß die Gunnison-Bande in den Tod reiten würde. Dennoch wollte er nicht umkehren, nicht zurück bleiben. Er dachte an Billy King, zu dem er sich hingezogen fühlte, aber er war Gunnison treu ergeben. Ein Verrückter, würden viele Leute sagen, würden sie Chip kennen. Er konnte nicht anders handeln. „Los!“ zischte Gunnison. Die Bande verließ den Rand des Talbeckens und ritt abwärts, vorbei am verwitterten Gestein, an Kakteen, Co mas und Felsen, und stieß bald auf den Weg, der in die Stadtführte. Gunnison hielt an. „Wir trennen uns hier. Jeder reitet hinter den Häusern entlang. Jeder sieht sich genau um. Wir suchen zwei Männer. Sie haben Brave erschossen. Wenn ihr zwei Männer irgendwo seht, dann wißt ihr, daß ihr sie gefunden habt, und dann schießt ihr. Ich werde ins Sheriff's Office gehen. Chip, du kommst mit mir und hältst mir den Rücken frei.“ Sie ritten weiter und trennten sich vor der Stadt. Gunnison lenkte das Pferd hinter dem ersten Haus auf - 76 -
den Hinterhof. Chip folgte langsam. Sie kamen in den Schatten der Häuser und stiegen von den Pferden. Gunnison winkte Chip, und sie glitten wei ter, erreichten den Hinterhof des Sheriff's Office und verharrten am Stall. In Tularosa ertönten viele Geräusche. Einwohner waren noch unterwegs. In den Saloons hatten sich manche Gäste eingefunden. Vor dem Hotel lehnte Mark Donnery am Pfosten des Vordaches und rauchte. Im Office saß Sheriff Eph Stone und sah grübelnd ins Licht der leise summenden Lampe. Die Zeit zum Kon trollgang war längst gekommen, doch an diesem Abend verzichtete er darauf. Hinter dem Office stand Gunnison und gab Chip ein Zeichen, ihm zu folgen. Gunnison glitt in den Stall hin ein, suchte nach dem Komplizen und fand ihn nicht. Sie glitten zurück, entfernten sich und erreichten den Friedhof. Viele Kreuze ragten aus dem sandigen Boden und bezeichneten die Gräber. Es gab viele Inschriften und Gedenktafeln, auf denen die Namen der Ver storbenen standen. Zwischen all den eingesunkenen Gräbern häufte sich ziemlich frische Erde. Hier gab es kein Kreuz und keine Tafel, aber auf dem Grab lag ein Waffengurt. Gunnison beugte sich hinab und hob den Gurt auf. Mit flackernden Augen sah er darauf und wandte sich Chip steif zu. „Erkennst du ihn, Chip?“ „Ja“, flüsterte Chip, „das ist Braves Gurt.“ „Ja, und hier liegt Brave begraben“, dehnte Gunnison und starrte zur Stadt zurück. „Sie haben ihn unter die Erde gebracht wie einen Hund, der die Tollwut hatte. Weißt du, Chip, ich bin ein Bandit und Mörder. Ich hab' - 77 -
viele Menschen erschossen. Es hat mir nie leid getan, weil ich nicht darüber nachgedacht habe. Heute weiß ich, was der Tod bedeutet. Brave ist tot, Chip. Damit ist für ihn alles aus. Auch meinen Sohn haben sie erschossen. Ja, er war ein Bandit wie sein Vater. Es gibt Leute, die sagen, daß das alles richtig wäre. Aber ich denke das nicht.“ Chip sah ihn seltsam an, aber Gunnison bemerkte es nicht. Chip erkannte, daß Howard Gunnison ein von Er innerungen zermürbter Mann war. In Gunnison war das Tier und war der Mensch, aber das Tierische war stärker. „Ich mußte meinen Sohn begraben, Chip“, sagte er. „Ich mußte den schlaffen, leblosen Körper in die Grube lassen und die Erde darauf schaufeln. Glaubst du, daß das leicht wäre, Chip? Nein, Junge, wenn du das tun mußt, dann — dann wirst du anders. Chip, du bist jung, so jung wie mein Sohn gewesen ist, als sie ihn erschossen. Geh zurück, steig aufs Pferd und reite weg.“ „Aber...“ „Nichts da! Du tust, was ich sage. Verschwinde, reite zu Billy King!“ „Aber ich kann dich doch jetzt nicht im Stich lassen.“ „Ich will es, Chip, hörst du? Ich, Gunnison, will es. Geh!“ Es war die Stunde der Wahrheit. Chip erkannte den wahren Gunnison. Dieser Bandit hatte sich selber aufge geben, von einer Minute zur anderen. Gunnison wollte sterben. Er suchte den Tod, um zu seinem ewigen Vergessen zu kommen. Was einst geschehen war, konnte Chip nicht erfahren. Vielleicht war Howard Gunnison früher ein ordentlicher Mann gewesen. Zu spät, um darüber nachzudenken. „Was willst du tun?“ flüsterte Chip. - 78 -
„Ich geh' ins Office, Junge. Mach, daß du weg kommst.“ Da lief Chip davon, eilte zum Pferd und hielt sich am Sattelhorn fest. Dann sah er Gunnison vom Friedhof kommen. Gunnison ging gebeugt, als trüge er eine schwere Last, die ihn zu Boden drückte. Unterwegs holte er einen Colt hervor. Von der Straße fiel Licht in die Hofeinfahrt, und Gunnison blieb einen Atemzug lang im Licht stehen. Deutlich sah Chip, wie sich sein Gesicht verhärtete, wie er einatmete. Dann ging Gunnison weiter und erreichte die Straße. Chip lief ihm nach. Als er den Straßenrand erreichte, stand Gunnison schon vor der Tür des Sheriff's Office. In diesen Sekunden tauchten auch Guy und Montoya vor dem Saloon auf, sahen hinein, liefen weiter. Vor dem Hotel stand noch immer Mark Donnery. Er sah, wie die beiden Banditen durch die Lichtbahn liefen, und er begriff, daß die Gunnison-Bande in die Stadt gekommen war. Lässig warf er das Zigarillo weg und wandte sich ab, ging ins Hotel und nickte den bewaffneten Männern zu, die auf ihn gewartet hatten. „Es ist soweit“, sagte er. „Verteilt euch.“ Die Männer liefen nach hinten, rannten über den dunklen Hof und verschwanden. Jeder kannte den ihm zugewiesenen Platz. Mark Donnery hatte es auf Billy King abgesehen und hoffte, ihn zu stellen, aber er konnte ihn nirgendwo entdecken, als er wieder aus dem Hotel kam. Chip sah Mark Donnery. Der Mann kam ihm unheimlich vor. Sein Gebaren warnte ihn. Schnell sah er zu Gunnison hin. Gunnison öffnete die Tür des Office und trat ein. - 79 -
„Howard!“ schrie Chip. „Eine Falle!“ Gunnison stand auf der Türschwelle, sah Eph Stone, den Sheriff, kalt an, wirbelte dann herum und stürzte hin aus. In diesen Sekunden geschah es. Schüsse peitschten über die nächtliche Straße. Die Kugeln erreichten Guy und Montoya und warfen sie hin. Der bleichgesichtige Bandit Guy rutschte vom Gehsteig und überschlug sich, lag still. Montoya, der Mexikaner, torkelte noch ein paar Schritte auf die Straße hinaus und schrie: „Mexiko, Mexiko!“ Dann starb auch er. Gunnison versuchte, zu Chip zu kommen. Deutlich sah Chip Gunnisons verzerrtes Gesicht, diesen grauenhaften Ausdruck — dann fiel auch Gunnison unter den Schüssen der Männer von Tularosa. Chip stand wie erstarrt. Er sah, wie die Männer zu Guy, Montoya und Gunnison liefen. Schrille Rufe tönten über die Straße, und aus den Saloons brachen viele Männer hervor. Chip floh. Er erreichte sein Pferd, warf sich hinauf und wollte wild losreiten, doch in diesem Augenblick war sein Ver stand so scharf wie noch nie, und er zwang sich dazu, ganz langsam und leise wegzureiten. Das rettete ihm das Leben. Niemand hörte ihn. Er ritt hinaus ins Tularosa-Becken und entkam. Die dunklen Bergfalten nahmen ihn auf. Er sah zurück zu den Lichtern von Tularosa und war dem Weinen nahe. „Sie sind alle tot“, flüsterte er mit gefrorener Stimme, „alle tot...“ Er jagte davon. Die Todesangst umkrallte ihn, peitschte ihn vorwärts. Tot! Gunnison, Montoya, Guy. - 80 -
Flieh, sonst werden sie auch dich töten! Ein junger Bandit irrte durch die nächtlichen Bergtäler. In Tularosa waren alle Menschen hellwach. Niemand schlief, auch die Kinder nicht. Hinter erhellten Fenstern waren Frauen und Kinder zu erkennen. Sie sahen hinaus und hatten die Stirn an die Scheiben gelegt. Die Männer hatten sich auf der Straße bei den toten Banditen versammelt. Sheriff Eph Stone kniete bei Gunnison nieder und drehte ihn auf den Rücken. Ohne Triumph sah Stone in das leblose Gesicht des Banditen. „Er war noch ins Office gekommen“, murmelte Stone dumpf, „und er sah mich starr an, als jemand draußen laut schrie und was von einer Falle brüllte. So schnell werde ich wohl nicht seinen Gesichtsausdruck ver gessen...“ Er schloß Gunnisons Augen mit sanfter Handbewegung und richtete sich auf, stapfte zu Montoya hinüber, betrachtete ihn ohne Haß und Groll, ging schließlich zu Guy und wandte sich dann ab. Sein Blick fiel auf Mark Donnery, der mitten auf der Straße stand und grübelnd vor sich hin starrte. Langsam ging Stone zu ihm. „Es gibt die Bande nicht mehr“, sagte er. „Nur ein einziger ist entkommen, dieser Chip — falls er noch zur Bande gehört und nicht schon anderswo erschossen worden ist. Vielleicht wissen wir nichts davon.“ Donnery starrte ihn ausdruckslos an. „Dieser Chip interessiert mich nicht, Sheriff“, entgegnete er eisig. „Möglich, daß er in einer anderen Stadt erschossen worden ist. Aber Sie vergessen Billy King. Der junge King ist zweifellos mit der Gunnison - 81 -
Bande geritten. Die Bande hat ihm schließlich auch geholfen, als die Cowboys ihn gestellt hatten. Ja, Sheriff, King lebt und treibt sich in diesem Country herum. Vielleicht hat King auch Gunnison warnen wollen und über die Straße geschrien ...“ „Möglich“, murmelte Stone und maß Donnery mit ernsten und abtastenden Blicken. Donnerys eisige Haltung mißfiel ihm. Donnery war zu einem Bluthund geworden. Er stand den Kopfgeldjägern Locker und Tule in nichts nach. „Ja, möglich, daß er geschrien hat. Sie werden ihn suchen, nicht wahr?“ „Ja“, nickte Donnery, und in den blauen Augen war keine menschlich weiche Regung zu erkennen, „ja, ich erschieße ihn, so wie er meinen Bruder erschossen hat. Auge um Auge, Sie wissen doch, Sheriff. Von mir aus können Sie diese drei Halunken begraben lassen.“ „Das hat Zeit bis morgen“, meinte Stone und blickte zu Gunnison hinüber, um den sich etliche Männer geschart hatten. „Sie, Donnery, sind auf die Idee gekommen, die Bande hier unschädlich zu machen. Sie haben viel getan, um das zu erreichen. Ihnen steht die Belohnung zu.“ „Ich will sie nicht“, entgegnete Mark Donnery heiser. „Ich will den Tod von Billy King, nichts weiter.“ „Locker und Tule sind in den Bergen und suchen nach King ...“ „Ich weiß. Wenn sie mir in die Quere kommen, dann gnade ihnen Gott.“ Eph Stone fröstelte. Donnerys Worte berührten ihn zutiefst. Er wollte nicht in Billy Kings Haut stecken. Wer könnte Donnery auf die Dauer schon entkommen? Niemand! Eines Tages würde Donnery den jungen Mann gestellt haben. - 82 -
„Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, daß King in großer Verzweiflung geschossen haben könnte, Donnery?“ fragte er mit klirrender Stimme. „Können Sie sich vorstellen, wie es in diesem jungen Burschen aussieht?“ „Sie hätten Prediger werden sollen, Sheriff. Ich frage niemals danach, was ein anderer denkt und empfindet. Für mich gibt es nur die Tatsachen. Und er hat meinen Bruder erschossen.“ Steif wandte Donnery sich ab und entfernte sich. Dabei - hielt er den gebrochenen linken Arm reglos in der Binde und steckte erst jetzt den Coltrevolver zurück. Stone sah ihm grübelnd und mit gemischten Gefühlen nach und ging erst los, als Donnery im Hotel verschwun den war. Von Tularosa aus würde der Ruhm hinausgehen in den Westen, und überall würde man darüber sprechen, daß die Gunnison-Bande in Tularosa gestellt wurde. Eph Stones Name würde mitgenannt werden, das wußte er, aber irgendwie konnte er nicht stolz darauf sein. Er machte auch keine Anstalten, ein Aufgebot zusammenzutrommeln, um dem einzigen Banditen, der offensichtlich entkommen war, zu folgen. Mit brüchig klingender Stimme wies er die Männer an, Gunnison, Guy und Montoya in den alten Schuppen am Stadtrand zu schaffen. Dann ging er ins Office zurück, setzte sich und sah auf die Tür. Vor kaum zehn Minuten hatte Gunnison hereingesehen. Nun war er tot. Stone seufzte und lehnte sich zurück. Versunken in viele freudlose Gedanken, starrte er ins trübe Licht der Lampe und hatte immer wieder das schmale, gut aussehende Gesicht des jungen King vor sich, das schwarze Haar und die braunen Augen. - 83 -
Ich sollte den Jungen suchen, dachte er plötzlich. Vielleicht kann ich irgend etwas für ihn tun ... Draußen murmelten Stimmen, und die schweren Schritte der Männer, die die Banditen forttrugen, waren zu hören. Die Postkutsche war längst fällig. Sheriff Stone erhob sich, ging hinaus und verharrte vor dem Office. Da kam auch schon die Kutsche, folgte den Wegen aus den Bergen und rasselte ins Tularosa-Becken hinein, donnerte heran und rollte durch die Stadt, hielt vor dem Post Office und nebelte die Häuser mit Staub ein. Stone hörte, wie der Fahrer fluchte und was von einem gebrochenen Rad sagte. Zwei Reisende entstiegen der Kutsche und entfernten sich zum Hotel hin. Ohne Hast ging Stone über die Straße und um das Gefährt herum. Keuchend und schweißnaß standen die vier Pferde im Geschirr. Der Fahrer kletterte herunter und schlug den Staub aus der Kleidung. „Aah, Sheriff“, brummte er, „für Sie hab' ich auch etwas.“ Er zerrte eine Kiste unter dem Bock hervor, öffnete sie und reichte Stone drei zusammengerollte Bogen Papier. Stone nahm sie schweigend an und ging zurück. Im Office breitete er sie aus. Es war dreimal der gleiche Steckbrief, und gesucht wurde Billy King! Tausendzweihundert Dollar Belohnung, tot oder lebendig, zu überstellen dem nächsten Sheriff oder Marshal... Stone kannte den Text der Steckbriefe. Es waren immer dieselben Texte. Er sah auf die Zeichnung, die King zeigte, und schüttelte den Kopf.
- 84 -
Darauf paßt jeder junge schwarzhaarige Bursche“, brummte er freudlos. Hoffentlich wird nicht noch der fal sche Mann umgebracht. Miserabel gemacht, das alles. So ein Mist!“ Mit der Hand fegte er die Steckbriefe vom Tisch und stapfte zur Tür. Dicht am Office ritt Mark Donnery vorbei. „Bis bald, Sheriff“, sagte er kalt. , „Ja, bis bald“, antwortete Stone dunkel. Er sah die mit Proviant gefüllten Satteltaschen und die Wasserflaschen. Donnery machte sich auf die Menschen-Jagd ... Noch lange stand Stone vor seinem Office. Die Straße war leer geworden, die Kutsche war auf den Hinterhof gerollt, die Pferde waren ausgespannt und in den Stall gebracht worden. Worauf wartest du noch, Eph Stone? fragte er sich und schluckte trocken. Überlaß die Suche nach King nicht diesen verdammten Kopfgeldjägern und diesem Donnery, den der Haß zu einem Tier gemacht hat. Nimm endlich den Sattel und reite! Mit einem Ruck drehte er sich um, ging ins Office und packte seine Sachen. Zu später Stunde ging das Licht im Office aus. Dann klapperten die Hufe eines Pferdes die Straße hinauf. Eph Stone ritt... *** „Billy! Billy...!“ Schaurig klang der Schrei durch das weite Tal und ließ Billy King sofort hochkommen. Mühsam humpelte Billy zur äußeren Mauer und sah darüber hinweg. Im weichen roten Schein der untergehenden Sonne ritt Chip durch - 85 -
das Tal und schlug auf sein Pferd immer wieder ein ... Chip kam allein. Unwillkürlich wurde Billy grau im Gesicht, und Flecken ließen es wie krank erscheinen. Eine ungeheure Rastlosigkeit erfaßte ihn. Er hatte den Wunsch, aufs Pferd zu steigen und davonzureiten, weit weg, nur heraus aus diesene Bergen. Aber er blieb stehen und starrte Chip entgegen. Chips Gesicht war von der Anstrengung und von der Angst gerötet. Deutlich sah Billy, wie er nach Luft rang und die Augen weit aufriß. „Gerechter“, flüsterte er, „Chip ist allein!“ Unter Schmerzen humpelte er an der Mauer entlang bis zum Durchbruch, hinkte hinaus auf den sandigen Hof und ins letzte Sonnenlicht hinein. Dann kam auch schon Chip herangeritten, riß das schweißtriefende Pferd zurück und warf sich aus dem Sattel, knickte in den Knien ein und stürzte in den Sand, wühlte sich zitternd empor und krallte die Hände in Billys Schultern. ' „Billy!“ röchelte er. „Billy, Freund, wir müssen verschwinden, sofort, oder sie bringen auch uns um!“ Er rüttelte an Billys Schultern und wollte sich nicht beruhigen. Sein angstverzerrtes Gesicht war dicht vor Billy. Plötzlich ließ er Billy los, sank auf die Knie und schlug die Fäuste in den mehligen Staub. „Diese Halunken, diese Dreckskerle!“ stöhnte er und krümmte sich wie unter ; gewaltigen Schmerzen. „Alle haben sie erschossen, Howard Gunnison, Guy und Montoya! Ich hab' sie sterben sehen, Billy. Überall waren Männer mit Waffen. Es knallte und krachte. Hörst du, Billy, sie haben alle erschossen! Nur ich konnte entkommen, nur ich!“ - 86 -
Billy war wie gelähmt. Die Augen begannen zu tränen, so starr sah er nach den Bergen, deren Gipfel glühten. Er hörte Chip wimmern und röcheln. „Steh auf, Chip“, sagte er mit rasselnder Stimme, „wir werden sofort verschwinden.“ Chip sah zu ihm auf und blickte ihn ganz leer und fremd an. „Gunnison war manchmal wie ein Vater zu mir, Billy... Jetzt ist er tot. Wir haben keine Freunde mehr...“ Gewaltsam schüttelte Billy all die düsteren Gedanken von sich ab. Es mußte ja schließlich weitergehen, ir gendwie. „Komm hoch, Chip. Ich hab' nie Freunde gehabt. Gunnison und die anderen sind nie meine Freunde gewesen. Ja, sieh mich nur an, Chip. Ich bin kein Mörder. Ich habe diesen Marshal nicht absichtlich erschossen, wenn das auch alle Leute glauben. Komm, Chip, wir reiten. Vergiß Gunnison und die anderen. Du lebst, und nur das ist im Augenblick wichtig...“ Chip schlug die staubigen Hände ans Gesicht und stöhnte. Er war fertig. Der Tod hatte nach ihm gegriffen, und wohl zum erstenmal in seinem jungen Leben hatte er erfahren, was der Tod bedeutet. Das ist das endgültige Ende. Mit blutig gebissener Unterlippe stand Billy vor ihm und streckte die Hand aus. „Nun komm schon, Chip“, sagte er weich. Chip wandte das Gesicht der Sonne zu, und der rote Schein verklärte es. Auf einmal war Frieden in ihm. Er stand auf und wischte über das Gesicht, schneuzte in den Hemdsärmel und ließ die Hände müde und kraftlos sinken. „Wohin, Billy?“ flüsterte er. - 87 -
„Irgendwohin, Chip, weit weg. Hol dein Pferd.“ „Ja“, wisperte Chip, ging mit schlurfenden Schritten durch den Sand und nahm sein Pferd am Zügel. „Ich könnte sie alle erschießen, Billy...“ „Sag nicht so etwas, Chip“, murmelte Billy und ging zum Mauerdurchbruch. „Vergiß nicht, daß ihr alle gesucht wurdet, daß Gunnison und die anderen Banditen waren — daß du es noch bist und daß auch ich gesucht werde. Was die Männer in Tularosa getan haben, war einfach ihre Pflicht... Reden wir nicht mehr darüber.“ Er humpelte zu seinem Pferd, hob alles auf, schnürte es fest und kam mit dem Pferd auf den Platz zurück. Chip stand wie betäubt in der hereinbrechenden Dämmerung. Das schmale Gesicht war erbarmungslos vom Schrecken der Nacht gezeichnet, das lockige schwarze Haar war zerwühlt und verstaubt, und die braunen Augen waren in weite Fernen gerichtet. „Wenn ich das alles nur rückgängig machen könnte, Billy“, flüsterte er. „Ich hab' soviel Schlimmes getan ... Sie werden mich suchen und umbringen wollen.“ „Erst einmal müßten sie uns finden Chip“, sagte Billy, und ein frostiger Unterton war in seiner gepreßten Stim me. „Bitte, hilf mir aufs Pferd!“ Chip kam steif näher, stützte Billy und half ihm in den Sattel. Dann stieg er selber auf. Langsam ritten sie aus der Ruine und bogen gleich scharf nach rechts ab, lenkten die Pferde nach den Höhenzügen. Die Dämmerung hüllte sie ein. Niemand sah sie davonreiten. Auf einsamen, wilden Pfaden suchten sie die Höhen der Berge und ritten in die Wildnis. Doch sie durften sich nicht zu weit vom Wasser entfernen, wollten sie lange abseits jeder menschlichen Behausung ausharren. Billy - 88 -
erkannte, daß Chip dringend Ruhe brauchte. Chip war mit der Kraft am Ende, doch noch viel schlimmer war das Erlebnis für ihn, das ihn, den einst lächelnden Burschen, immer mehr zu zermürben drohte. Ihr Irrtum war es, zu glauben, in den Bergen sicher zu sein. Sie hatten vor der Ruine deutliche Spuren hinterlassen, die die Richtung ihres Fluchtweges verrieten... Sie waren Ausgestoßene der menschlichen Gesellschaft. Wie Tiere mußten sie in der Wildnis leben und stündlich mit Verfolgern rechnen. Die Verfolger waren schon bei der alten Ruine. Locker und Tule waren auf Chips Spur gestoßen und ihr gefolgt. Im Sternenschein sahen sie nun deutlich die Spur der beiden Pferde und durchsuchten die Ruine. Sie ent deckten Fetzen von Verbandsstoff, die blutig waren, und sie wußten, daß Billy King von einem Cowboy eine Kugel ins Bein bekommen hatte. „Den haben wir bald“, sagte Locker mit bösem Grinsen und blickte das Halbblut triumphierend an. „Wen ich in den Krallen habe, den lasse ich nicht mehr los. Bestimmt ist der andere dieser Chip. Die beiden sind in die Berge geritten.“ Tule nickte und witterte wie ein Coyote in den Nachtwind. Er war zur Menschenjagd geboren. In seinen Adern floß Indianerblut. Er konnte eine Spur auch dann noch sehen, wenn andere es längst aufgegeben hatten, nach Spuren zu suchen. „Ich möchte nur wissen, wo die anderen Banditen sind“, sagte er dunkel. „Die Halunken müssen sich getrennt haben...“ Locker nickte. Sie wußten ja nicht, daß Gunnison und seine Komplizen in Tularosa den Tod gefunden hatten. - 89 -
Schon stiegen sie auf die Pferde und verließen die Ruine, setzten sich auf die Spur und ritten nach den Bergen, die sich dunkel und massig vor ihnen erhoben. In dieser Nacht nahm der Wind wieder einmal zu, und das Halbblut. hatte es immer schwerer, die Spuren zu er kennen. Sie verloren viel Zeit... Wie graue, unförmige Wesen zogen sie durch die Sandwolken und in die Bergregionen hinauf. Sie haßten Billy King nicht, aber sie wollten das Kopfgeld haben und waren bereit, einen Menschen gnadenlos dafür umzubringen. Oft verhielt das Halbblut und betrachtete den Boden, ritt dann weiter und fand die Spuren wieder. Mit dem un trügbaren Instinkt eines Indianers tastete er sich immer wieder an die Spuren heran. Locker brauchte ihm nur zu folgen. Wieder ritt der Tod hinter Billy King her... *** Ein Mann kam in die Stadt geritten. Für den Fremden schien Tularosa eine ruhige, besinnliche Stadt zu sein, in der seit Wochen nichts Bemerkenswertes geschehen war. Der Reiter sah die Einwohner ihrer täglichen Beschäftigung und Arbeit nachgehen und erblickte Männer, die miteinander re deten. Kinder spielten wie überall laut und lärmend miteinander, und Frauen besorgten im Store und anderswo den täglichen Bedarf an Nahrung. Überall, wo der Fremde vorbeikam, verstummten die Gespräche, blieben die Einwohner stehen. Sie sahen einen bärtigen Mann in alter Lederkleidung, bewaffnet mit zwei langläufigen Revolvern und einer - 90 -
Winchester. Die Augen des Fremden waren fast wasserhell und abstoßend unangenehm. Aus der schmierigen und verstaubten Kleidung schien noch jetzt der beizende Rauch vieler Lagerfeuer zu entweichen. Aber das alles war es nicht, was die Leute verstummen ließ. Am Gurt des Mannes hing ein Skalp! Es war der Skalp eines langhaarigen Mannes. Im ersten Augenblick glaubten die Leute, daß es der Skalp eines Indianers wäre, doch dann sahen sie noch etwas von der hellen Kopfhaut und wußten, daß er einst einem Weißen gehört hatte. Von nun an hieß dieser Fremde in Tularosa „Der Mann mit dem Skalp“. Vor dem Saloon zügelte er das Pferd, überlegte wohl, ritt dann weiter und stieg vor dem Hotel ab. Er ging hinein und verlangte ein Zimmer, erschien wieder draußen, brachte das Pferd weg und schleppte Sattel, Gewehr und Proviant mit ins Hotel. Wenig später überquerte er die Straße und betrat den Saloon. Er stellte sich an die Theke und sagte: „Einen Whisky, aber schnell, verstanden?“ Drei Einwohner saßen im Saloon und blickten zu ihm herüber. Er spürte ihre Blicke im Nacken, drehte sich halb um und entblößte die Zähne. „Ich bin Sol Hazelwood“, sagte er schleppend. „Dieser Skalp hat dem Mörder meiner Frau gehört. Ist schon lange her. Zehn Jahre und mehr. Ich hab in Roswell was über so einen Burschen gehört, der einen Marshal er schossen hat. Tausendzweihundert Dollar ist sein Kopf wert. Wißt ihr, wo der Kerl ist?“ Die Männer am Tisch wußten nun, daß wieder ein Kopfgeldjäger nach Tularosa gekommen war. Die - 91 -
Belohnung lockte die Menschenjäger heran wie das Licht die Insekten. Bestimmt würden in zwei, drei Wochen noch mehrere Kopfgeldjäger nach Tularosa kommen. All diese Menschenjäger zogen von einem County ins andere und immer dorthin, wo Banditen gesucht wurden und wo Belohnungen winkten. „Sie haben Pech gehabt“, antwortete ein Mann voller Unbehagen, „Billy King ist verschwunden, irgendwo in den Bergen, und die Gunnison-Bande ist hier aufgerieben worden. Wir werden auch ohne Kopfgeldjäger fertig in Tularosa, Mister.“ „Verstehe.“ Sol Hazelwood grinste leblos. Er kannte die Abneigung der Menschen und ihre Gefühle ihm gegenüber. Sie alle verachteten ihn und die anderen Kopfgeldjäger. Er hatte sich längst damit abgefunden. „Dann hab' ich also Pech gehabt und bin zu spät gekommen. Sind noch andere hinter dem Kerl her?“ „Ja — Locker und ein Halbblut.“ „Locker? Ist der Kerl wieder vor mir da? Wann erwischt es ihn endlich?“ Er grinste kalt. „Die beiden haben die richtige Nase dafür. So was braucht unsereiner, wenn er nicht verhungern will.“ Er drehte sich um und legte die Ellbogen auf die Theke. Langsam trank er und starrte vor sich hin. „Ich werde hier bleiben. Mein Gaul braucht Ruhe. Vielleicht kommen Locker und das Halbblut ohne den Kerl zurück. Dann kann ich immer noch reiten ...“ „Machen Sie sich man keine Hoffnungen“, sagte der Keeper. „Locker wird ihn kriegen. Der sieht ganz danach aus.“ „Halt's Maul!“ fauchte Hazelwood wütend. „Noch einen Whisky!“ „Schon gut, Mister“, erwiderte der Keeper. „Man kann - 92 -
ja wohl mal was sagen...“ Durchdringend sah Hazelwood ihn an, nahm das Glas und schlürfte laut den Whisky in sich hinein. Wortlos zahlte er dann und verließ den Saloon, schlug den Weg zum Sheriff's Office ein, betrat es und kam so gleich wieder hervor, fragte nach dem Sheriff und schlenderte zum Hotel zurück. Es gab Leute in Tularosa, die sagten, daß dieser Mann mit dem Skalp noch viel Unheil anrichten würde. Vielleicht sollten sie recht behalten ... *** „Halt mal“, sagte Billy und zog am Zügel, „ich glaub', hier können wir bleiben.“ Unter ihnen lag ein unübersichtlicher Bergeinschnitt, angefüllt mit Hunderten von Kakteen, Comas und Felsen. Drüben wuchteten die Felsmassen steil empor, und zwischen den Sandhalden gähnten die dunklen Löcher vieler Höhlen, die reißende Gewässer vor Jahrhunderten in die Felsen hineingespült haben mußten. „Ja“, flüsterte Chip, „hier ist es richtig, Billy. Hier können wir eine Zeitlang bleiben.“ Billy sah ihn forschend an. Chip schien sich gefangen zu haben. Er hatte nicht ein einziges Wort mehr über das Sterben in Tularosa gesagt. Langsam ritten sie hinunter, wichen den vielen Kakteen aus und stiegen vor den Höhlen ab. Wenig später flackerte ein Feuer. Der Wind trieb und zerpflückte den Rauch noch im Bergeinschnitt. Chip braute Kaffee in einem Topf. Billy sah in die blassen Flammen und war in Gedanken weit fort. Was ist das für ein Leben, dachte er. Immer auf der - 93 -
Flucht, immer an die Verfolger denken müssen. Was sind wir für arme Teufel. Sieh dir doch Chip an. Der ist mit seinen Jahren schon fertig, fast ein alter Mann. Er hat Angst vor dem Galgen — und du hast diese Angst auch. Bald reiten wir nach Norden, ganz weit weg, und nie mand wird uns folgen, niemand... „Kaffee“, sagte Chip und reichte ihm den heißen Becher. Er nahm ihn und trank vorsichtig. Über ihnen war der helle Himmel dieses heißen Tages. Die Luft zitterte vor Hitze und ließ die Felsen flimmern. „Billy“, sagte Chip plötzlich, „verachtest du mich? Ich meine, könntest du mein Freund sein? Ich kann nicht allein sein, verstehst du? Ich muß wissen, ob ich einen Freund habe, der alles für mich tun würde, der mich auch aus der Hölle herausholen würde...“ Billy starrte in den Becher, wo der schwarze Kaffee schwappte. „Warum fragst du, Chip?“ „Nur so, Billy.“ Chip sah in den Himmel. „Ohne Freund ist man doch verloren. Wenn es mich mal erwischt, dann muß ich jemanden haben, der mich nicht im Stich läßt. Ich würde dir immer helfen, Billy.“ Er meinte es ehrlich. Mit flackernden Augen sah er unsicher über das Feuer hinweg. Er suchte in Billys Ge sicht nach einer Antwort. Billy nickte. „Ich verachte dich nicht, Chip. Wenn du nicht Gunnison kennengelernt hättest, dann wärst du nie zu einem Banditen geworden.“ „Nein, Billy, ich hab' die Schuld, nicht Gunnison.“ „Wenn du es sagst, Chip ...? Jedenfalls würde ich alles für dich tun.“ - 94 -
Chips Augen leuchteten auf. Er schluckte trocken und nickte. „Ich hab's gewußt, Billy.“ Sie tranken und horchten in die Stille hinein. Dieser Tag war einer von wenigen, die wirklich friedlich waren. Bald erhob Billy sich und drang in die Höhlen ein. Er fand eine besonders große Höhle, in der auch die Pferde untergestellt werden konnten. Alles schien in Ordnung zu sein. Sie glaubten sich hier sicher und freuten sich auf die Zeit der Ruhe und des Friedens. Nach diesen Tagen wollten sie für immer nach Norden reiten und das Land suchen, in dem sie eine neue Heimat fänden. Aber die Verfolger waren schon unterwegs zu ihnen. Billy sprach viel mit Chip, und er erkannte, daß Chip im Grunde ein Mann war, auf den er sich verlassen konnte. Dann wurde es Abend. Sie brachten die Pferde in die Höhle, gaben ihnen Wasser und rollten die Decken aus. Die blaue Dämmerung kam zwischen die Berge und ließ die Wölfe auf die Suche nach Wild gehen. Bei jeder Bewegung empfand Billy noch Schmerzen. Chip streckte sich auf der Decke aus und sah zum Höhlenausgang. Dort stand Billy. „Leg dich doch auch hin, Billy“, sagte er. „Wir sind hier bestimmt sicher. Hier findet uns kein Mensch.“ Billy sah in die dunkle Höhle hinein und erkannte Chip als Schatten am Boden. „Ich bin noch nicht müde“, log er. „Schlaf nur. Ich bleib' noch etwas draußen.“ Dann humpelte er mit dem Gewehr davon, ging zwischen die Felsen und Kakteen und setzte sich. Chip war bestimmt ein feiner Kerl, aber Billy wollte an diesem - 95 -
Abend allein sein. Er spürte eine Unruhe in sich, die ihm höchst unangenehm war und die er sich nicht erklären konnte. Alles war doch still in weiter Runde. Das Mondlicht brach durch und lag auf den steilen Hängen. Heulend zogen die Wolfsrudel in die Täler. Das war alles, was Billy hören konnte. Und doch blieb die Un ruhe. Er stellte das Gewehr aufrecht an den Felsen und tastete dann das Bein ab. Daß er immer wieder mit dem Leben davongekommen war, erschien ihm wie ein Wunder. Längst hätte es ihn erwischen können. Warum gehst du nicht zurück, dachte er, du bist doch hundemüde. Denkst du an Gefahr? Suchend blickte er umher, aber nichts war zu sehen, das auf Gefahr schließen ließ. Er schob sich vom Felsen hinunter, setzte sich in den Sand und legte den Rücken an den Fels. So blieb er sitzen und dachte an Chip und an alle anderen. Dabei schlief er ein. Auch Chip schlief in der Höhle. Die Zeit rann dahin. Hoch stand der Mond am Himmel, und raunend kam der Wind über die Kakteen und Felsen hinweg. Das Ge wehr glitt plötzlich ab und schlug mit einem dumpfen Geräusch in den Sand. Sofort war Billy wach und griff schon nach dem Colt. Er glaubte, daß die Verfolger gekommen wären — doch außer ihm gab es kein Lebewesen in der tiefen Bergfalte. Er nahm das Gewehr hoch, stützte sich darauf und drückte sich hoch, stand vornüber gebeugt hinter den Felsen und spürte die Kühle der Nacht. Nach dem Stand des Mondes zu urteilen, mußte er schon etliche Stunden geschlafen haben. Ohne Decke war es zu kühl. Er wollte zurück in die Höhle und sich - 96 -
dort niederlegen. Auf einmal hörte er leise, unklare Geräusche im Bergeinschnitt. Das Gelände war viel zu unübersichtlich, als daß er überall hinsehen konnte. Vielleicht war es auch Chip, der die Geräusche verursachte. Trotzdem blieb Billy stehen. Angestrengt horchte er und zog dabei das Gewehr hoch, lud vorsichtig und leise durch und wartete. Nichts geschah. Chip kam nicht. Er mußte sich geirrt haben. Wer sollte auch schon ihnen gefolgt sein? Sie hatten auch alles getan, um ihre Spuren zu verwischen. Nein, Feinde könnten sie unmöglich finden. Es gab kein besseres Versteck in den Bergen... Der Schmerz im Bein hatte sich verstärkt, und Billy ließ sich auf den Felsen nieder und streckte das Bein aus. Er sah und hörte nicht das Halbblut, das wie eine Schlange in den tiefen Bergeinschnitt kroch und über die Sandwellen glitt. Lautlos bewegte Tule sich um die Kakteen und Comas. Er achtete darauf, keinen Staub aufzustoßen. Mit schmalen, kalten Augen starrte er umher. Der suchende Blick tastete über die Felswand hinweg und drang in die Höhlen ein, aber Chip und die Pferde konnte auch Tule nicht entdecken. Geschmeidig glitt er weiter und hatte den Colt zwischen die Zähne geklemmt. Sein Pferd stand weit hinten. Unterwegs legte er sich einmal auf den Rücken und sah empor. Oben am zerklüfteten Hang hockte Locker mit einem schußbereiten Gewehr. Der Kopf geldjäger war kaum zu erkennen ... Billy ahnte nicht, wie nahe der Tod war. Das Heulen der Wölfe wurde lauter, kam näher und schallte von - 97 -
einem Berg zum anderen. Chip erwachte in der Höhle und sah sofort zu Billys Lager hinüber. Als er Billy dort nicht liegen sah, wurde er unruhig, kroch aus der zusammengerollten Decke hervor und ging geduckt zum Höhlenausgang ... Das Unheil nahm seinen Lauf. Langsam trat Chip aus der dunklen Höhle hervor und suchte nach Billy. Als er ihn nirgendwo entdecken konnte, rief er leise: „Billy?“ Wie ein Hauch wehte die Stimme durch den Bergeinschnitt und ließ Billy zusammenfahren. Er packte sofort das Gewehr und erhob sich. Schon wollte er gehen, als es geschah ... Tule, das Halbblut, war bei Chips Stimme in den Staub zurückgesunken. Vorsichtig drehte er sich auf den Bauch halb herum und sah mit schmalen Augen lauernd zur Höhle. Er konnte Chip ganz deutlich erkennen. „Billy, antworte!“ rief Chip ein wenig lauter. „Wo steckst du denn? Komm doch zurück, Billy!“ Tule hob die Hand, nahm den Colt zwischen den Zähnen hervor und zielte. Er hatte Chip genau vor dem Lauf. Chip wollte hinuntergehen und nach Billy suchen. Er machte eine rasche Bewegung, wollte springen — da zerriß der Schuß die Stille mit lautem, peitschendem Knall. Die Kugel riß Chip von den Beinen und ließ ihn abwärts rollen. Staub wallte hoch und fiel auf ihn. Reglos lag er vor den Dornensträuchern. Billy wollte laut aufschreien, doch der Schrei blieb ihm in der Kehle stecken. Chip! schrie es in ihm. Chip, was ist los? Hat es dich erwischt? Nur sekundenlang währte die panikartige Stimmung, - 98 -
dann wurde Billy furchtbar kalt. Er konnte sich nicht um Chip kümmern. Lautlos kroch er zwischen den Strauchgruppen und Felsen entlang, richtete sich vorsichtig auf und sah Chip unterhalb der Höhlen wie tot im Sand liegen. Mit flackernden Augen sah Billy umher und blickte auch nach oben. Nur für eine Sekunde erkannte er die Gestalt dort oben zwischen den grauen Felsen. Er wußte sofort, daß er jenen Mann schon in der alten Missionsruine gesehen hatte. Der Mann war nicht allein gewesen. Das Halbblut mußte also unten vor den Höhlen sein. Billy zitterte wie Gras im Wind. Er konnte sich kaum beruhigen. Dabei wußte er, daß nur die besseren Nerven entscheiden würden. Er durfte sich nicht verraten, mußte so reglos wie die Felsen verharren und abwarten. Jetzt also hatten die Verfolger sie gestellt. Es waren zwei Männer, aber sie waren gefährlich und hemmungslos. Ohne Chip angerufen zu haben, hatte das Halbblut geschossen. Diese beiden Männer waren kaltblütige Mannstöter. Sie suchten bestimmt nach ihm. Er rührte sich nicht. Die Halsschlagader flatterte heftig, und er atmete mit geöffnetem Mund. Schweißnaß klebten die Hände am Gewehr, saugten sich fest. Er achtete nicht auf die Schmerzen im Bein. Nicht eine einzige Sekunde durfte er sich ablenken lassen. Plötzlich sah er, wie eine dunkle Gestalt lautlos über den Boden hinwegwischte, wie sie sich Chip näherte. Das Halbblut! dachte er. Wenn Chip noch lebt, bringt das Halbblut ihn um! Tule lief geduckt auf Chip zu. Er vertraute Lockers Schießvermögen und dessen Treffsicherheit. Locker - 99 -
würde ihm schon den Rücken freihalten und auf den anderen schießen. Jetzt hatte Tule den jungen Chip erreicht. Billy schluckte schwer und legte das Gewehr an. Diesmal würde er bei klarem Verstand schießen, nicht in Verzweiflung und Panik. Soweit hatten sie ihn schon gebracht. Er wußte nicht, ob Chip noch am Leben war, und er wollte die Gefahr von Chip nehmen. Plötzlich richtete Tule den Colt auf Chips Brust und zog den Hahn zurück. Als Billy das sah, drückte er ab. Grell flammte das Mündungsfeuer aus dem Lauf, und im Krachen des Schusses schnellte Tule hoch und brach zusammen, überschlug sich und fiel ins Dornengestrüpp. Das Echo des Schusses grollte und tobte noch durch die tiefe Bergfalte, als hoch über Billy mehrere Schüsse aufpeitschten. Die Kugeln fauchten vorbei und ließen ihn zurückspringen. Er warf sich gegen einen Felsen und spähte nach oben. Dort schnellte Locker von Fels zu Fels. Billy riß das Gewehr wieder hoch, zielte und schoß mehrmals. Locker zuckte zusammen und verschwand ... Chip bewegte sich ... Mit schlenkernden Bewegungen humpelte Billy zu Chip, warf sich bei ihm hin und stöhnte: „Chip! Still lie gen bleiben! Da oben lauert der andere! Wenn er sieht, daß du dich bewegst, schießt er auf dich, hörst du, Chip, er schießt dann auf dich!“ Chips Gesicht war voller Sand und grau wie die Felsen. Der Atem kam schwer und rasselnd. Flatternd fuhren die Hände durch den Sand und legten sich auf die Brust. „Ich überleb' das nicht, Billy“, flüsterte er verzweifelt. „Es ist aus mit mir, Billy. Du mußt allein weiterreiten. - 100 -
Flieh, solange du es noch kannst!“ „Nein“, stieß Billy heiser hervor, „nein, Chip, wir reiten zusammen. Ich hab's dir versprochen. Ich lass' dich nicht im Stich. Du wirst sehen, wir kommen durch. Bleib liegen, ich hol' die Pferde!“ „Nein, Billy, du schaffst es doch nicht!“ seufzte Chip und sah ihn flehentlich an. „Du mußt allein reiten, Billy, bitte!“ Sie lagen nebeneinander und sahen sich an. Chip hatte Tränen in den Augen und schloß die Hände über der Brust. „Es tut verdammt weh, Billy...“, stöhnte er. „Chip“, Billy preßte Chips Arm, „ich bring' dich zum Doc! Ich hol' den Arzt aus dem Haus und bring ihn zu dir!“ „Nein, Billy, es hat ... keinen Sinn.“ Chip atmete pfeifend und quälte sich. „Flieh, Billy...“ „Nein, ich kann dich nicht einfach hier liegenlassen!“ krächzte Billy erschüttert und sah zum Berghang hinauf. „Ich glaub', ich hab' den Kerl erwischt. Wir verschwinden jetzt, Chip.“ Er erhob sich torkelnd, humpelte an Tule vorbei und zur Höhle hinauf. Dabei beobachtete er immer den anderen Berghang, aber Locker tauchte nicht auf. Vielleicht war er unterwegs zu seinem Pferd, um Billy den Weg abzuschneiden. Billy rannte in die Höhle, zerrte die Pferde am Zügel ins Freie und zu Chip hinunter. Der dunkle Fleck auf Chips Hemd hatte sich schon vergrößert. Als Billy es sah, knirschte er mit den Zähnen, so hart biß er sie zusammen. Er mußte alles versuchen, um Chip zu retten. Schon zog er Chip hoch und setzte ihn aufs Pferd. Dabei schrie er unterdrückt auf, und kaum saß - 101 -
Chip im Sattel, als Billy auch schon zur Seite sank und das Bein umfaßte. Chip schwankte bedrohlich im Sattel. Billy erhob sich keuchend und schnürte den Freund fest. Dann zog er sich in den Sattel und nahm Chips Pferd am langen Zügel. Er ritt los und folgte der Bergfalte. Flieh“, stöhnte Chip immer wieder und kippte nach vorn. „Flieh!“, doch Billy blieb bei ihm. Sie verließen den Bergeinschnitt und ritten durch die helle Sternennacht. Locker kam nicht. Stundenlang waren sie unterwegs. Chip hatte das Bewußtsein verloren. „Dieser Hundesohn!“ flüsterte Billy vor sich hin und dachte an Tule. „Dieser hundsgemeine Kerl!“ Im Morgengrauen hielt Billy an und schob ein sauberes Tuch unter Chips Hemd. Chip sah ihn mit trüben, verschwommenen Augen an. „Billy“, hauchte er, „reit weit weg. Komm nie wieder in dieses Land. Du bist doch kein Mörder — hast du mir gesagt. Laß dich nicht totschießen, Billy...“ „Ich weiß, wo Leute wohnen, Chip“, sagte Billy hastig. „Du mußt es bis dorthin aushalten. Sie werden uns bestimmt helfen!“ „Das weißt du doch nicht...“ „Sie müssen uns helfen!“ schrie Billy verzweifelt. „Du wirst nicht sterben, Chip!“ Und er ritt mit dem Freund weiter, über die Berge und hinab in die Täler ... ***
- 102 -
Es gab ein Haus mitten in der Einsamkeit der Berge, wo die Johnsons mit ihren beiden Farmhelfern lebten. Seit vielen Jahren schon hauste der alte Johnson mit seiner Tochter Debbie in der Wildnis. Noch niemals hatte Debbie ihrem Vater deswegen Vorwürfe gemacht. Immer hatte sie sich mit dem kargen Leben abgefunden. An diesem frühen Abend begehrte sie zum erstenmal auf. „Dad, gib das alles auf. Ich bin jetzt achtzehn Jahre alt, aber wie sehe ich aus? Wie dreißig. Die Hitze trocknet mein Haar aus und macht mein Gesicht runzelig. Willst du, daß ich nicht auch zu meinem persönlichen Glück komme? Ein wenig Glück, Dad, verstehst du das?“ Sie stand ihm gegenüber im Wohnraum und hielt noch den Löffel, mit dem sie in der Suppe gerührt hatte. Durch das Fenster fiel das helle Licht der fernen Sonne und ließ ihr blondes langes Haar rot schimmern. Ohne Zorn und Verbitterung sah sie mit blauen Augen ihren Vater an. Johnson saß in einem alten ächzenden Stuhl und hatte die Augen geschlossen. „Nein, Debbie“, sprach er mit rauher Stimme, „du bist nicht alt, und du siehst auch nicht alt aus. Ich weiß es, Mädel, die Felder sind doch gut hier. Wo fänden wir schon bessere Felder? Du weißt doch, warum ich mit dir hierhergezogen bin. Ich will die Stille hören, die Vögel, das Rauschen der Bäume und das Knarren des Windmühlenrads. In Tularosa würde ich das alles nicht hören, Debbie ...“ „Ach, Vater“, seufzte sie und blickte weich zu ihm hin, „ich verstehe dich doch, aber manchmal habe ich Angst vor dem Altwerden.“ Er schüttelte lächelnd den Kopf. - 103 -
„Mach dich nicht verrückt, Mädel. Wir werden bald mit dem Wagen nach Tularosa fahren, das verspreche ich dir, und wenn wir die Ernte gut verkauft haben, dann kannst du dir ein schönes Kleid im Store aussuchen.“ Da lief sie zu ihm, umarmte ihn im Stuhl und zog ihn an sich. „Sei bitte nicht böse, Daddy, wenn ich so was sage“, bat sie. „Ich bin ein ganz dummes Ding. Ich sollte hier glücklich sein, und ich bin es auch.“ Langsam hob er die Hände und tastete über das Gesicht seiner Tochter hinweg. Die rauhen, schwieligen Hände waren in diesem Moment so weich wie Federn. „Ich denke mir das so, Debbie“, sagte er. „Wir bleiben hier, und zweimal im Monat fahren wir beide in die Stadt für einen Tag, das macht mit Hin- und Rückritt drei Tage. Yeah, das können wir uns jetzt wohl mal erlauben, wie? Sag mal, hast du vielleicht einen Jungen in der Stadt?“ „Aber nein, Dad.“ Sie errötete unwillkürlich, trat zurück und stieß den Löffel in den Suppentopf. „Dann wird es Zeit, Mädel“, brummte er. Langsam erhob er sich und ging zur Tür. Das rote Licht des Sonnenuntergangs fiel in sein faltiges Gesicht. „Schön ist es hier, nicht wahr? Die Sonne ist noch heiß. Gleich wird sie untergehen. Dann werden wir die Erde unserer Felder riechen können, Debbie.“ Er horchte hinaus und hörte das Windmühlenrad leise knarren. „Wo sind Lon und Chase, Debbie? Hast du sie weggeschickt?“ „Ja, Vater. Sie sind im Norden und roden dort die Büsche, damit wir Platz für das Nordfeld bekommen. Sie werden erst zurückkommen, wenn sie damit fertig sind.“ „Hast du ihnen auch genug zu essen mitgegeben?“ „Ja, Dad.“ - 104 -
Er nickte vor sich hin und öffnete die Augen. Sie waren hell und schienen immer zu suchen. Tief atmete er ein und lauschte. Die Blätter der Bäume am Haus raschelten im Abendwind und glucksend floß das Wasser aus der Tiefe des Brunnens in den Bewässerungsgraben. Rastlos arbeitete die Brunnenwinde. „Ich hör' was, Debbie“, sagte er auf einmal mit veränderter Stimme. „Ich glaub', da kommen Reiter.“ Debbie kam sofort an die Tür und blickte über den Hof. Sie erkannte die Silhouetten zweier Reiter vor der Abendröte. Ein Reiter schwankte im Sattel hin und her... „Es sind zwei Reiter, nicht wahr?“ murmelte Johnson. „Ja“, sagte sie, „und einer scheint verwundet worden zu sein.“ „Nimm das Gewehr, Mädel“, knurrte er rauh. „Schieß, wenn es sein muß.“ „Ja, Dad.“ Debbie Johnsons Gesichtsausdruck veränderte sich jäh. War er eben noch weich und mädchenhaft, so war er jetzt hart und verriet Entschlos senheit. Sie lief in den Wohnraum zurück, nahm das Spencergewehr aus dem Schrank, lud und kam wieder an die Tür. „Geh zurück, Dad.“ Er nickte und stellte sich an die Wand neben der Tür. „Immer ruhig bleiben, Mädel. Frag sie erst, was sie wollen. Paß auf ihre Hände auf und sieh in ihre Augen. Wenn es darin gefährlich zuckt, dann weißt du, daß sie schießen wollen, und du drückst sofort ab.“ „Das werde ich, Vater!“ sagte sie hart und blieb auf der Türschwelle stehen. *** „Chip, rief Billy King zurück. „Wir haben es gleich - 105 -
geschafft, Freund. Vor uns ist das Haus. Gleich wirst du dich ausruhen können, Chip, und lange schlafen. Siehst du das Haus, Chip? Du, da steht ein Mädel in der Tür...“ Chips Kinn ruhte auf der Brust. Die Hände lagen wie zum Gebet aufeinander, ruhten auf dem Sattelhorn. Die Stricke hielten ihn fest. Er antwortete nicht, sah noch nicht einmal hoch. Billy ritt etwas schneller, und als er den Hofrand der Farm erreicht hatte, stieg er ab und zog beide Pferde hinter sich her. Mitten auf dem Hof blieb er stehen. „Mein Freund braucht Hilfe!“ sagte er krächzend. „Bitte, helfen Sie uns, Miß!“ Debbie Johnson trat wachsam hervor und hielt das Gewehr auf Billy angeschlagen. Forschend sah sie zu Chip hinüber und überlegte. Was hat er?“ fragte sie mit der Strenge eines Jungen Girls, das jahrelang in dieser Wildnis gelebt hatte und die Gefahren kannte. Eine Kugel“, antwortete Billy heißer. „Sie ist ihm in die Brust gegangen. Bitte, helfen Sie uns, Miß. Mein Freund braucht ein Bett. Die Kugel muß raus.“ Debbie Johnson war noch mißtrauisch. Die Fremden sahen zwar jung, aber verwahrlost aus. Eine dicke Staubschicht lag auf den Gesichtern, auf Pferden und Kleidung. Billys Ge sicht war verzerrt vor Anstrengung. „Laß sie ins Haus, Debbie“, ertönte die rauhe Stimme des Farmers. „Ich hör' an seiner Stimme, daß er kein Ha lunke ist.“ Billy horchte. Die sehr rauhe Männerstimme hatte ihn überrascht. Warum kam der Mann nicht hervor? Stand er am Fenster und zielte auf ihn? „Gut, tragen Sie Ihren Freund ins Haus“, sagte Debbie, senkte den Gewehrlauf und nickte Billy zu. „Sie - 106 -
haben gehört, was mein Vater gesagt hat. Aber ich werde Sie erschießen, sollten Sie versuchen, uns zu überrumpeln!“ Das war deutlich genug gesagt. Billy nickte und humpelte an Chips Pferd heran, zog das Messer hervor und zerschnitt die Stricke. Debbie Johnson beobachtete ihn und Chip. „Komm, Chip“, sagte er leise und streckte die Hände aus, erfaßte Chip und zog ihn vom Pferd. Chips Gewicht ließ Billy fast stürzen, konnte er sich doch nicht voll auf das angeschossene Bein stützen. Als er Chip auf den Ar men hatte, fiel Chips Kopf zurück, die Arme baumelten herunter, der Stetson hing am Kinnriemen. Mühsam schleppte er Chip auf das erbärmlich einfache Haus zu, Debbie Johnson sah in Chips Gesicht. Die Augen des jungen Banditen waren weit geöffnet und ganz starr. Nur Debbie sah es, nicht Billy. Debbie wurde Maß und stellte sich vor die Tür. Billy blieb stehen und sah sie fragend an. „Miß, bitte“, flüsterte er. Debbie atmete flatternd ein und schüttelte den Kopf. Die Strenge wich aus ihrem Gesicht. Sie sah Billy selt sam an und hatte den inneren Widerstand aufgegeben. Nun, da sie wußte, daß er es ehrlich gemeint hatte, empfand sie sogar Mitleid. „Sie brauchen ihn nicht mehr ins Haus zu tragen“, flüsterte sie. „Bringen Sie Ihren Freund in den Stall . . .“ „Aber er . . .“ Billy verstummte, bekam starre Augen, sah Debbie entsetzt an und ging dann zitternd in die Knie, legte Chip auf den Boden des Hofes und sah den Tod in seinen Augen. Chip war im Sattel gestorben . . . - 107 -
„Chip!“ Billys Stimme zitterte. „Chip, du kannst doch nicht einfach aufgeben, Junge! Wir sind doch am Ziel! Sag doch was!“ Aber Chip schwieg für immer. Ausgelöscht war sein junges Leben, verweht der Atem. „Ich hab's noch nicht einmal gemerkt!“ stöhnte Billy auf. „Ich hab' geglaubt, daß er noch lebt, daß er nur bewußtlos ist ...“ Debbie Johnson fand keine Antwort darauf, stand reglos vor dem Haus und hielt das Gewehr gesenkt. Im Westen, wo die dunklen Bergzüge lagen, sank die Sonne, und der Abendwind fächelte über den Hof der Farm hinweg. Billy King starrte in das tote Gesicht und hatte die Umwelt vergessen. Leise ging Debbie ins Haus. Lange hockte Billy bei Chip und schüttelte immer wieder den Kopf. Chip hatte soviel Angst vor dem Ster ben gehabt, hatte immer von der Zukunft geträumt, von einem besseren Leben — und nun war er tot. Mit ein undzwanzig Jahren war sein Leben zu Ende. Hatte sich das Leben bei Howard Gunnison gelohnt? Nein, niemals. Die Johnsons hörten Billy King stöhnen. Debbie sah, wie er den Freund über den Hof und zum Stall schleppte. Er verschwand mit ihm im dunklen Stall und kam lange nicht wieder hervor. Es war schon Nacht geworden, als er ins Haus kam, bleich und kraftlos. „Setzen Sie sich“, sagte Debbie leise und zeigte auf einen Stuhl am Tisch. Er nahm Platz und preßte die Hände ans Gesicht. Debbie ging hinaus und brachte die Pferde in den - 108 -
Stall. Sie machte einen Bogen um den Toten und schloß dann das Stalltor. Als Billy aufblickte, sah er den Farmer im Stuhl sitzen und zum Fenster blicken. Der Farmer hielt einen Colt in der Hand, aber der Lauf zeigte nicht auf ihn. Dann kam die Tochter wieder herein, machte die Tür zu und füllte einen Teller mit Suppe, stellte ihn wortlos vor Billy auf den Tisch und holte dann die Kaffeekanne, goß ihm einen Becher voll und wandte sich ab, ging zu ihrem Vater und blieb, hinter seinem Stuhl stehen. „Wie heißen Sie?“ fragte der Farmer. „King, Billy King.“ „Iß, Billy“, sagte der Mann, „iß, das ist jetzt wichtig für dich. Als meine Frau verstorben war, da wollte ich tagelang nichts essen, aber meine Tochter sorgte dafür. Nun iß schon. Debbie, gib ihm einen Whisky.“ Billy sah auf ihre Hände, als sie das Glas füllte und ihm hinschob. Langsam hob er den Blick und sah in ihr Gesicht. Er wußte nicht, wie spät es schon war. Er hatte alles andere vergessen und dachte auch nicht daran, sich in Sicherheit zu bringen. Locker würde ihm bestimmt folgen. Nein, er dachte an nichts, sah Debbie Johnson nur an und erkannte auf einmal in ihren blauen Augen ein weiches, gutes Licht. Zum erstenmal sah er ganz deutlich und mit Bewußtsein ihr Gesicht. Es war sehr schön, und das Haar war wie fließendes Gold. Sie war aus einer anderen, besseren Welt, in der es keinen Haß gab. Sie war gut, und ihr Kleid , war nicht verstaubt, ihre Gedanken waren nicht böse, und ihr Blick war nicht haßerfüllt. „Danke, Miß“, sagte er leise, „danke.“ Sie ging nicht weg, sah ihn wie gebannt an — und - 109 -
auch er sah sie an.} Ganz plötzlich war zwischen ihnen beiden etwas, was sie zueinander zog. Wie lange schon hatte er kein Mädel von dieser Güte und Schönheit gesehen. Sie erschien ihm wie ein Engel in staubiger Wüste. Allein ihr Anblick ließ ihn Chip und alles andere vergessen. Es war ein Wunder. Und Debbie Johnson, die von Tularosa geträumt hatte, vergaß all ihre Träume und sah nur ihn. Er war in ihr Leben getreten, saß noch nicht lange an diesem Tisch — und doch glaubte sie, ihn schon eine Ewigkeit lang zu kennen. Sie wußten nicht, daß ihre Gefühle zueinander größer waren als Haß, Freundschaft und sonst was. Sie spürten nur, daß es auf einmal zwischen ihnen ein starkes Band gab. Liebe war es, nicht Mitleid, nicht Verzweiflung. Er, der er aus der Wüste der Berge gekommen war und seinen Freund verloren hatte, war ihr an diesem Abend zum erstenmal begegnet. Und sie, die viele Jahre ihrem Vater beigestanden hatte, die ihren Vater liebte, wurde vom Gefühl überwältigt. Mit zitternder Hand nahm Billy den Löffel und begann zu essen. Und Debbie wich zurück, lächelte unsicher, blieb wieder bei ihrem Vater stehen. „Was ist los, Mädel?“ murmelte er. „Warum sagt ihr kein Wort?“ Billy sah in das Gesicht des Farmers und in die Augen. Sie blickten ihn nicht Da begann er zu ahnen, wie es um den alten Johnson stand. Fragend sah er Debbie an. Sie verstand seinen Blick und nickte. Der alte Johnson war blind... - 110 -
„Ich verstehe“, sagte Johnson auf einmal und lächelte still vor sich hin, aber ich will deine Geschichte hören, Billy King. Ich will alles wissen, hörst du? Wer in meinem Haus ist, der ist mein Gast, aber ich will keinem Lumpen einen Platz an meinem Tisch geben. Du bist kein Lump, aber sag uns, was geschehen ist. Vielleicht können wir dir helfen...“ In dieser Nacht sprach Billy über sein Leben. *** Locker war wieder unterwegs. Die Kugel aus Billy Kings Gewehr hatte den Schulterknochen bloßgelegt. Locker hatte sich mühsam den Verband angelegt und dabei sehr viel Zeit verloren. Er war noch in den tiefen Bergeinschnitt geritten und hatte nach Tule gesehen. Als er festgestellt hatte, daß niemand mehr dem Halbblut helfen konnte, hatte er sein Pferd herumgezogen und war losgeritten. Nun folgte er den Spuren der beiden Pferde und ritt hinunter in die Täler. Oft versteifte er sich im Sattel, wenn der Schmerz in flammenden Stößen durch den Körper jagte. Verzerrt und schweißnaß war das breite Gesicht, und die weit auseinanderstehenden Augen waren fast schwarz vor Wut und Haß. Er hatte Billy King so gut wie umstellt gehabt, und doch war King ihm wieder entkommen. Das und der Schmerz brachten Locker in Wut. An Tule dachte er kaum noch. Er trauerte nicht um das Halbblut. Unterwegs zog er Patronen aus den Schlaufen der linken Armbinde und füllte das Magazin des Gewehres. Dann sah er die schäbige kleine Farm. Der Morgen graute. Über den Feldern lag der Dunst. Vorsichtig - 111 -
näherte sich Locker der Farm und drängte das Pferd hinter die Strauchhecke am Rande des Feldes. Noch einmal sah er auf die Spur der Pferde. Sie führte genau zum Haus hinüber. Er wußte nun, daß King in jenem Farmhaus war. Schon wollte er anreiten, als er einen älteren Mann aus dem Haus kommen und zum Stall gehen sah. Der Farmer setzte die Füße sicher und bestimmt voran und zog das Stalltor auf. Wenig später kam er mit einer Schaufel her vor und ging hinter das Haus, schlug wie suchend mit dem Schaufelblatt auf den Boden und begann dann zu graben. Locker beobachtete Johnson lauernd und reglos verharrend. Er überlegte sich in diesen Sekunden, ob er schon zum Haus reiten sollte. Die Morgendämmerung war gut geeignet dafür. So schnell würde man ihn nicht sehen. Doch dann wollte er erst wissen, was der Farmer trieb. Er beobachtete weiter. Johnson ging zurück, blieb auf einmal unter den Bäumen stehen und schien zu lauschen. Mit schweren, erdhaften Schritten stapfte Johnson schließlich zum Stall zurück. Locker sah, wie er den leblosen Körper eines jungen Mannes über den Hof trug und in die Grube hinter dem Haus legte. Zuerst glaubte Locker, daß der Farmer Billy King beerdigte, aber dann dachte er an den Kampf in den Bergen und wußte, daß es der Bandit war, den Tule erschossen hatte. Mitleidloses Grinsen zog über sein Gesicht. Er war ein Mann, in dem nichts Gutes mehr war. Sein Weg hatte im mer von einem Duell zum anderen geführt, von einem Kampf zum nächsten, und immer hatte es Tote gegeben. Viele Gräber säumten Lockers Weg. Ein Mann wie er konnte nicht mehr mitempfinden und ermessen, wie - 112 -
wertvoll ein Leben ist, auch wenn es einem Banditen gehört. Locker war Richter und Henker zugleich. Mit den Steckbriefen der Gesuchten, die er umgebracht hatte, könnte er sich viele Feuer machen. Drüben am Haus schaufelte der Farmer die Erde ins Grab und häufte sie an. Dann ging er ins Haus und zog die Tür zu. Im Osten glühte die Morgenröte. Locker entschloß sich, die Farm noch weiter zu beobachten. Er wußte nicht, mit wieviel Männern er rechnen mußte. Die Farmersleute halfen Billy King. Sie würden gegen ihn kämpfen, sollte er versuchen, King zu erschießen. Locker mußte einen für ihn günstigen Au genblick abwarten. Es kam darauf an, die Farmer zu überrumpeln. Langsam ritt er davon und verbarg sich weit genug abseits, um nicht entdeckt zu werden. An der Bergflanke fand er einen guten Platz, von dem aus er die Farm und die Felder übersehen konnte. Er wußte, daß Billy King ihm nicht mehr entkommen konnte. Sollte King aus dem Haus kommen, würde Locker auf ihn schießen. Die Entfernung war für ein Gewehr nicht zu groß. Das Opfer saß in der tödlichen Falle.. *** „Greifen Sie nur immer zu“, sagte Debbie Johnson lächelnd. „Sie sehen wie ein ausgehungerter Wolf aus.“ Billy saß am Tisch und trank den Morgenkaffee. Ihm gegenüber saßen der Farmer und dessen Tochter. Im ganzen Haus roch es nach dem Kaffee — ein Duft, den Billy schon sehr lange nicht mehr gerochen hatte. Die Johnsons waren gut zu ihm. Er hatte die stille - 113 -
Angst, daß es bald mit der Ruhe und diesem Frieden vorbei sein würde, daß er wieder fliehen müßte. Johnson spürte wohl Billys Blick, denn er sagte leise und ruhig: „Ich hab ihn begraben. Er hat seinen Frieden, der Junge. Ich weiß, wie dir zumute ist, Billy King, aber du mußt essen, sonst hältst du es nicht durch. Deine Feinde sind überall und warten doch nur darauf, daß du zusammenbrichst.“ „Bitte, Dad“, flüsterte Debbie, „sprich nicht darüber.“ In den blinden Augen war ein weicher Glanz. Johnson griff zur Kaffeetasse, als könnte er sie sehen, und trank genüßlich. Debbie erhob sich und öffnete die Tür, sah hinaus und kam an den Tisch zurück. „Niemand ist zu sehen.“ Billy entspannte sich und aß. Das Bein schmerzte, und das war ihm anzusehen. Nach dem Frühstück sagte Debbie, daß er sich hinlegen sollte. Sie wollte nach dem Bein sehen und es neu verbinden. „Nein, danke“, sagte er, „es geht schon.“ „Unsinn, junger Mann“, brummte Johnson. „Ab mit dir und aufs Bett. Hier in diesem Haus bestimmen wir, was zu geschehen hat.“ Da gab Billy den Widerstand auf und humpelte in den Nebenraum, legte sich hin und ließ Debbie den alten Ver band lösen. Er erhob sich sofort, als sie das Bein verbunden .hatte, und ging in den Wohnraum zurück. „Ich werde reiten, jetzt sofort“, sagte er zu Johnson. „Ich kann nicht länger hier bleiben.“ Johnson neigte den Kopf zur Seite und lauschte dem harten Klang der Stimme. Er hatte ein so feines Gehör, - 114 -
daß er die Verzweiflung und Ratlosigkeit aus Billys Stimme heraushörte. „Du bleibst hier, Billy King“, knurrte er. „Wenn du unbedingt reiten willst, dann warte bis zum Abend. Die Hitze würde dich fertig machen. Du hast Blut verloren und viel Schlimmes erlebt. Trau dir nicht zuviel zu, Junge... Wenn es dunkel wird, kannst du wegreiten, und deine Chance ist viel größer, ungesehen wegzukommen. Leg dich aufs Bett und ruh dich aus. In diesem Haus bist du Gast. Wenn das Aufgebot kommen sollte, werden Debbie und ich das Blaue vom Himmel herunterlügen, verlaß dich darauf. Ich kann zwar nicht mehr die Sonne und meine Felder sehen, aber ich merke, wer ein Lump ist und wer nicht.“ Billy gab keine Antwort. Lange stand er grübelnd im Raum und sah hinaus auf den sonnenhellen Hof. Er würde sehr gern für immer bei den Johnsons bleiben. Sie waren die einzigen Menschen, die ihm bisher geglaubt hatten. Ein blinder Mann war es, der ihn nicht Verurteilte und nicht hinaustrieb. . „Gut“, sagte er leise, „ich bleib' bis zum Abend, aber dann werde ich reiten.“ Humpelnd bewegte er sich in den Schlafraum zurück und streckte sich auf dem Bett aus. Debbie arbeitete im Wohnraum und klapperte mit Geschirr. Der alte Johnson rief sie leise zu sich. „Du magst ihn, nicht wahr?“ „Ja, Vater.“ „Er hat einen Marshal erschossen, Debbie. Sein Steckbrief hängt überall. Männer, die nur töten wollen, folgen seiner Spur. Denkst du auch daran?“ „Ja...“ Debbie legte die Hand auf die knochige - 115 -
Schulter ihres Vaters. „Er ist kein Mörder, Dad. Seine Augen verraten es.“ „Und seine Stimme“, nickte der Farmer. „Er darf nicht reiten, Debbie. In den Bergen wartet der Tod auf ihn, und in jeder Stadt wird sein Steckbrief hängen. Wie ein Wolf wird er umherstreifen und nirgendwo Frieden finden. Den kann er nur bei uns finden.“ Billy hörte die leisen Stimmen nebenan, verstand aber die Worte nicht. Trotz der Nachtruhe übermannte ihn wieder die Müdigkeit, und er schlief ein. Stunden vergingen. Debbie weckte ihn nicht, als es Mittag geworden war. *** Draußen dämmerte es, und die Sonne verschwand hinter den Bergen. Billy stand an der Tür und hielt sein Gewehr. Es war soweit. „Vielen Dank auch für alles“, sagte er unruhig und wich Debbies Blick aus. „Ich werde es nie vergessen.“ Der Farmer saß auf dem Stuhl und horchte. Tief gruben sich die Falten ins Gesicht ein, und die großen rauhen Hände lagen auf den Armlehnen und umschlossen das Holz. „Bleib hier, Billy“, sagte er. „Du reitest in den Tod. Verlaß das Haus nicht.“ „Es muß sein“, antwortete Billy heiser und drückte die Tür halb auf. „Wenn ich hierbleibe, würde es hier irgendwann zu einem schrecklichen Kampf kommen, und das will ich nicht.“ Wie von einer fremden Hand geführt, kam Debbie langsam zu ihm und blieb dicht vor ihm stehen. Ihre - 116 -
Augen schimmerten feucht. „Hör auf meinen Vater“, flüsterte sie. „Hier können wir was für dich tun, nicht in den Bergen. Das Aufgebot kann ruhig kommen, wir wimmeln es schon ab.“ Sie sahen sich ernst an und verstanden sich — und doch war zwischen ihnen eine Mauer. Er sagte kein Wort, schluckte schnell und drehte sich dann um, trat hinaus und ging humpelnd zum Pferdestall hinüber. Debbie verließ das Haus und blickte ihm nach. Die Dämmerung hüllte die Bäume und die Felder ein. Es roch nach der Ernte und dem Bohnengestrüpp, das Debbie an diesem Tag herangeschleppt hatte. Sie hörte ein fremdes Geräusch bei den Bäumen und ahnte nichts Schlimmes, dachte an nichts Böses — aber das Auftauchen eines fremden Mannes ließ sie laut aufschreien. Billy ließ sich sofort fallen. Bei den Bäumen brüllte das Gewehr auf, und Kugeln fauchten über Billy hinweg, hämmerten gegen die Stallwand, rissen Holz los. In Billys Hand lag der Colt seines Vaters, als er über den Boden rollte und Locker heranlaufen sah. Locker hielt die Schultern ganz steif und feuerte mit dem Gewehr wieder auf ihn. Die Kugeln schlugen den Sand hoch und rissen ihm den Stetson vom Kopf. Mündungslichter flammten durch die graue Dämmerung und verrieten deutlich Lockers Standort. Billy schoß in das Mündungslicht hinein und sah, wie Locker jäh erstarrte, als wäre er gegen eine Wand geprallt. Die Schultern sackten ein, die Füße tappten jäh weiter, das Gewehr schlug zu Boden. Verzerrt und haßerfüllt kam das Gesicht des Kopfgeldjägers aus dem wallenden Dunst hervor. Sekundenlang sah er Billy King noch ungläubig an, dann fiel er schwer und leblos auf den - 117 -
Hof der Farm. Locker würde niemals wieder Jagd auf Menschen machen ... Billy lag noch am Boden und hielt den Colt. Erst jetzt begriff er, daß er dem Tode wieder einmal entronnen war. Steif erhob er sich und hinkte zu Locker hin, blieb neben ihm stehen und starrte in das Gesicht. In der dunklen Tür seines Hauses stand Johnson und horchte. „Debbie?“ fragte er mit unterdrückter Stimme. Sie lief zu ihm und umfaßte seinen Arm. Er spürte ihr heftiges Zittern und fragte mit kehliger Stimme nach Billy. „Er hat mich nicht erwischt“, tönte Billys Stimme über den Hof. „Debbie hat gerade noch rechtzeitig den Kerl entdeckt...“ Mit klirrenden Sporen kam er zu den Johnsons und sah Debbie schweigend an. Sie hatte ihm zweifellos das Leben gerettet. Hätte sie ihn nicht gewarnt, wären Lockers Schüsse tödlich gewesen. „Bleib hier!“ flüsterte sie. „Reite nicht hinaus. Immer wieder werden solche Männer kommen und auf dich schießen.“ „Aber es soll nicht hier sein“, erwiderte er dumpf und starrte auf Locker. „Er ist mir den ganzen Weg gefolgt. Sein Komplize hat Chip erschossen.“ Johnson atmete hörbar ein und legte den Arm um seine Tochter. „Überleg dir genau, was du tun willst, Junge“, sagte er mit reibender Stimme. „Wir gehen jetzt ins Haus. Bring diesen Kerl vom Hof, leg ihn am Stall ab. Und dann reite — oder komm ins Haus. Wir warten auf dich.“ Er zog Debbie mit sich ins Haus und schloß die Tür. - 118 -
Billy sah, wie Debbie am Fenster erschien und die alte Gardine vors Fenster zog. Dann flackerte im Haus Licht auf und fiel gelb und weich gegen die Gardine. Er wußte nicht, was er tun sollte. Zu gern wäre er geblieben, doch seine Anwesenheit lockte nur den Tod auf die Farm. Solange schießwütige und skrupellose Männer seiner Spur folgten, solange sein Steckbrief überall aushing, würde er keine Ruhe finden und mußte immer auf der Flucht sein. Angst und Sorge würden Debbie tagein und tagaus auf all ihren Wegen begleiten, und sie würde daran zerbrechen. Das wollte er nicht. Vielleicht würde er später den Weg zur Farm zurückfin den, aber er würde erst dann kommen, wenn ihn niemand mehr suchte. Entschlossen ging er zu Locker, zerrte den Kopfgeld Jäger über den Hof und machte dann das Stalltor auf. Im Haus hörte Debbie das knarrende Stalltor und wenig später die Hufe seines Pferdes dumpf schlagen. Er verläßt uns, Dad“, sagte sie mit flackernder Stimme. „Nie wird er zurückkommen. Sie werden ihn totschießen oder aufhängen. Geh doch, Dad, halt ihn fest! Er weiß ja nicht, was er tut.“ Der Farmer schüttelte den Kopf. „Ich kann ihn nicht halten, Mädel. Er muß selber wissen, was richtig ist. Wir haben kein Recht, ihn festzuhalten. Vielleicht entkommt er seinen Feinden doch noch. Nicht weinen, Mädel.“ „Dad!“ stöhnte sie. „Dad!“ „Laß ihn, Debbie.“
***
- 119 -
Billy ging zum Pferd und hielt sich am Sattel fest. Es war die schwerste Entscheidung, die er hatte treffen müs sen. Reite! Er legte die Hände ums Sattelhorn und wollte sich hinaufziehen, als er einen Mann bemerkte, der im Schlagschatten des Pferdestalles stand und sich nicht rührte. Billy konnte das Gesicht nicht erkennen, wohl aber die angehobene Hand, die einen langläufigen Coltrevolver hielt... „Bleib so stehen“, murmelte der Fremde aus dem Dunkel hervor. „Rühr dich nicht, sonst stirbst du auf der Stelle!“ Es waren leise, aber eiskalte Worte, und Billy zweifelte nicht eine einzige Sekunde lang an den Worten. Jener Mann dort war nicht von der Sorte eines Kopfgeldjägers wie Locker. Dieser Fremde trug den kalten Haß im Leib. So blieb Billy stehen, die Hände ums Sattelhorn gelegt, halb vom Pferd gedeckt. Er hatte auf einmal keine Angst, und auch die Panikstimmung kam nicht mehr. Es war einfach aus, er hatte ausgespielt, die Flucht war zu Ende. Im Haus hatten die Johnsons die Worte des Fremden unmöglich hören können. Es blieb hinter dem hellen Fen ster auch still. Jetzt löste sich der Fremde aus dem tiefen Schatten und trat ins Mondlicht hinaus. Unter buschigen Augenbrauen starrten Billy kalte Augen an. Der linke Arm des Mannes ruhte in einer Armschlinge. Die knochigen eckigen Schultern standen reglos. Verhalten klingelten bei jedem Schritt die Radsporen des Mannes. - 120 -
„Ich bin Mark Donnery“, murmelte der Mann, „der Bruder des Marshals, den du erschossen hast. Jetzt weißt du, was ich mit dir machen werde ...“ Billys Gesicht war wie eingefroren und hatte graue Flecken, als hätte ihn ein eisiger Hauch getroffen. Er sah, wie Donnery einen kleinen Bogen machte und ums Pferd herumging. „Du glaubst, du hättest Locker erschossen, wie?“ dehnte Donnery und verzog das schweißglänzende Gesicht. „Nicht du hast ihn erschossen, sondern ich. Ich stand schon hinter dem Stall, als Locker herankam. Er hätte dich erwischt, wenn ich nicht auf ihn geschossen hätte...“ Donnery sagte die Wahrheit. Er war nicht der Mann, der damit prahlte. „Mein Bruder und ich haben uns nicht immer verstanden“, sprach Donnery weiter, „aber das bedeutet nichts. Du hast ihn erschossen, King. Tausend zweihundert Dollar bist du wert für die Kopfgeldjäger, aber keiner dieser Berufsmörder wird das Kopfgeld bekommen. Endlich habe ich dich, King. Ich habe mir geschworen, dich zu erschießen. Das werde ich jetzt gleich tun. Wenn du noch einen Wunsch hast, dann sag es, und ich werde versuchen, dir diesen Wunsch zu erfüllen.“ „Sie sind zu gütig, Mark Donnery“, flüsterte Billy mit beißendem Hohn. „Wirklich, Donnery, Sie sind ein Menschenfreund, Ich wünsch' mir nur, daß es Sie auch eines Tages erwischt. Sie haben mich vor dem Colt, ich kann der Kugel nicht mehr entkommen. Sie werden mich erschießen, Donnery — einen Unschuldigen. Ja, ich bin der Sohn eines Banditen, aber ich weiß, daß mein Vater ein sauberes - 121 -
Leben führen wollte. Er hatte vom Frieden und von Ruhe geträumt, aber dann kam Ihr Bruder. Mein Vater hat das, was er getan hatte, mit dem Leben bezahlt. Ich sah ihn sterben und wollte nur weg, raus aus dem Haus. Ich schoß und traf Ihren Bruder, den Marshal. Ich hatte ihn nicht töten wollen. Sie glauben mir nicht, Donnery. Sie wollen mir nichts glauben. Warum drücken Sie nicht ab? Bringen Sie es hinter sich!“ „Sicher“, murmelte Donnery kalt, „ich werde es auch tun, oder glaubst du, ich ließe dich wieder laufen, nach dem ich dich viele Tage gesucht habe?“ Billy gab keine Antwort. Er begriff, daß es Donnery nicht um die Gerechtigkeit ging, sondern einzig und allein um die Erfüllung des Schwurs. Er wollte die Rache und hatte sich darin verbissen. Billy konnte ihm nicht entkommen. Allein der Versuch, die Hände vom Sattel horn zu nehmen, wäre tödlich. Im bleichen Sternenlicht ähnelte Donnerys Gesicht einem Totenkopf. In diesem Manne war keine Menschlichkeit mehr. In Donnery waren nur noch Haß und Mordlust. Das Pferd stampfte unruhig und prustete dumpf. Billy hielt sich am Sattelhorn fest und entlastete das verbundene Bein. Suchend blickte er umher, aber er hatte keine Chance. Im Haus blieb es ruhig. Der Farmer konnte ihm nicht helfen, und Debbie durfte nicht zur Waffe greifen. Donnery würde glattweg auf das Mädel schießen. Schweiß rann über Billys Gesicht. Die Angst kam wieder und krampfte ihm den Magen zusammen. Sollte er sich einfach niederschießen lassen, ohne sich gewehrt zu haben? Nein. Er wollte kämpfen, obwohl er nicht die geringste Chance hatte. Donnery sah ihm das an. - 122 -
„Versuch's, King“, sagte er kalt. „Ich warte. Nimm die Hände vom Sattel...“ Billy schluckte schwer und blickte zum hellen Fenster des Farmhauses. Nach den Schüssen würde Debbie her ausgestürzt kommen und ihn tot auf dem Hof liegen sehen. Diesen schlimmen Anblick hatte er ihr ersparen wollen, aber Donnery ließ ihm keine andere Wahl. Unendlich langsam löste er die Hände vom Sattelhorn ... Donnery beobachtete ihn mit kaltem Grinsen. Er hatte den Hahn des Colts zurückgezogen und brauchte nur durchzuziehen. Noch einmal bäumte sich in Billy alles auf. Er dachte an seinen Vater und sah ihn wieder aus dem Haus gehen. Der Vater hatte nicht am Galgen sterben wollen. Auch er wollte es nicht. „Mach schon“, flüsterte Donnery drängend. Billy riß die Hände vom Sattel und griff zum Colt. Er wußte, daß er sterben würde, aber er packte trotzdem die Waffe. Laut peitschte ein Schuß über den Farmhof. Billy fiel und rollte halb unters Pferd. Er glaubte, getroffen worden zu sein, und er wartete auf den Schmerz, auf die ewige dunkle Nacht. Aber es geschah nichts, und als er zu Donnery sah, schlug der Bruder des Marshals gerade der Länge nach zu Boden, fiel aufs Gesicht. Die Rad sporen an seinen verstaubten Stiefeln drehten sich klirrend und standen dann still. Donnery war tot. Aber Billy hatte nicht auf ihn geschossen! Krachend flog die Tür des Farmhauses auf und stieß gegen die Wand. Mit wehendem Haar kam Debbie Johnson herausgelaufen und hielt das Gewehr ihres Vaters. „Debbie!“ schrie Billy auf. Er glaubte, sie hätte - 123 -
geschossen. Sie erstarrte jäh und ließ das Gewehr fallen. Er begriff nicht, was geschah. Keuchend kam er hoch, richtete sich auf und wollte zu Debbie laufen. Ihr Haar glänzte im fächerförmig aus dem Haus fallenden Licht. „Das Eisen weg!“ hörte Billy in dieser Sekunde eine harte, rauhe Stimme hinter sich. Zuckend öffnete er die Hand und ließ die Waffe fallen. Schritte kamen näher, dann legte jemand ihm die Hand von hinten auf die Schulter. „Reiten wir zurück, King!“ Billy sah zurück und in das Baumrindengesicht des Sheriffs von Tularosa. Das Gesicht war ohne Haß, und die Augen blickten ihn gar nicht feindselig an. Eph Stone hatte Donnery erschossen ... „Ich wußte, was Donnery für ein Mensch ist“, sprach Eph Stone ruhig. „Er wollte nur töten. Ich hab' verdammt viel dagegen, wenn irgendwelche Kerle Richter und Henker sein wollen. Du wirst mit mir kommen, Billy King. Ich verspreche dir, daß es eine faire Verhandlung geben wird.“ Billy konnte kein Wort sagen. Der Hals war wie zugeschnürt. Willig ließ er sich von Eph Stone zum Pferd ziehen. „Steig auf!“ Er gehorchte und nahm den Zügel. „Mach keinen Unsinn, Junge“, sagte Stone sanft. „Dies ist deine letzte Chance.“ „Ja, Sheriff“, krächzte Billy. Stone holte sein Pferd, das er hinter den Bäumen zurückgelassen hatte. Debbie kam an Billys Pferd heran und blickte zu ihm auf. Tränen liefen über ihr Gesicht, aber sie war auf ein - 124 -
mal ganz ruhig. „Reite mit ihm, Billy“, flüsterte sie. ..Tu, was er sagt. Er wird dir helfen.“ Billy nickte schweigend. Dann kam Stone herangeritten, nahm Billys Pferd am Zügel und sah zum Farmer hin, der aus dem Haus ge kommen war. „Johnson“, sagte er, „Sie haben einem steckbrieflich gesuchten Mann Asyl gegeben. Sie haben gewußt, daß es gegen das Gesetz ist. Eigentlich müßte ich Sie mit nehmen, Johnson, aber ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie King geholfen haben....“ Dann ritt er mit Billy davon. Debbie lief ihnen bis zum Rand des Hofes nach und wollte Billy nachschreien. Sie grub die Zähne in die Hand und blieb stumm. Mit starrem Blick folgte sie den beiden Reitern, bis die Nacht sie verschluckt hatte. Da lief sie zurück und umfaßte den Arm ihres Vaters. „Dad“, stieß sie ängstlich hervor, „wir müssen Billy helfen! In Tularosa werden sie ihn umbringen! Der Sheriff ist der einzige, der Billy gerecht behandelt, aber die anderen werden das nicht tun! Der Mob wird über Billy herfallen und ihn lynchen! Dad, hörst du .:— wir müssen ihnen nach!“ „Still, Mädel“, entgegnete Johnson und horchte in die Nacht hinaus. „Lon und Case werden die Schüsse gehört haben und herkommen. Wir sollten auf sie warten.“ „Dann kann es schon zu spät sein, Vater!“ „Vielleicht hast du recht. Spann die Pferde vor den Buggy. Wir fahren nach Tularosa.“ Niemals zuvor hatte Debbie Johnson die Pferde so schnell vor den Wagen gespannt. Die Zeit drängte. Sheriff Stone ritt mit Billy durch die schweigende - 125 -
Bergwildnis. Sie sprachen kein Wort zueinander, aber sie verstanden sich. Billy hatte sein Leben diesem Mann in die Hand gegeben. Wäre Stone nicht rechtzeitig gekommen, läge er jetzt tot auf dem Hof der Farm. Vielleicht würde jetzt alles wieder gut werden. Einmal sah Billy zur Seite und in Stones Gesicht. Der Sheriff spürte seinen Blick und lächelte still und beru higend vor sich hin. Warum bin ich nur vor diesem Mann damals geflohen? dachte Billy. Er hätte mir schon damals geholfen . . . *** Der Mann mit dem Skalp war noch immer in Tularosa. Sol Hazelwood hockte an diesem heißen Tag im Saloon und trank vom Whisky. Vor ihm auf dem Tisch lag sein Colt. Der Skalp hing am Gürtel und baumelte neben dem Stuhl. Fast berührten die Haare den Boden. Von den Bergen kam der Hufschlag von zwei Pferden herunter und unterbrach die Stille des heißen Nachmittags. Irgendwo in der Stadt schrie jemand, daß der Sheriff mit King zurückkäme. Sol Hazelwood hörte deutlich die Worte, In den wasserhellen Augen tanzten Irrlichter. Er erhob sich, nahm den Colt, steckte ihn in die Halfter und ging zur Theke. Dabei schwang der Skalp hin und her. „Whisky!“ verlangte er. Er nahm das Glas, drehte sich um, legte den Rücken an die rundum laufende Messingstange der Theke und starrte hinaus auf die helle Straße. - 126 -
Hastig trank er und verlangte dann eine Flasche, zahlte gleich und bewegte sich mit der Flasche zur Tür. Er trat nicht hinaus, beobachtete Eph Stone und Billy King und sah auch die vielen Einwohnern, die den beiden folgten. Vor dem Sheriff's Office saß erst Stone ab, schlang die Zügelenden um die kleine Haltestange und gab dann Billy einen Wink, abzusitzen. Düsteres Lächeln zog über Sol Hazelwoods bärtiges Gesicht. Dieser Kopfgeldjäger hatte noch lange nicht auf gegeben. Ein schlimmer Plan war in seinem Hirn gereift. Er wußte schon, wie er sich die tausendzweihundert Dollar verdienen könnte... „Komm“, sagte Stone zu Billy und nickte ihm zu. „Keine Sorge, diese Leute beißen nicht.“ Billy sah überall Gesichter und Augen. Sie starrten ihn wie einen Aussätzigen an, und in der Menge wurden die ersten Verwünschungen und Flüche laut. Er stieg auf den Bretterweg und betrat das Office. Stone verharrte noch an der Tür und sagte hart und drohend: „Ich bin der Sheriff, ich sorge für den Jungen. Der Steckbrief ist nichts anderes als eine hundsgemeine Sache. King hat den Marshal nicht absichtlich erschossen. Wer King was antun will, soll sich erst einmal überlegen, daß er zuvor mich aus dem Weg räumen müßte.“ Mit harten Schritten ging er ins Office und schlug die Tür hinter sich zu, nahm die Schlüssel und nickte Billy zu. Steif ging Billy ihm voraus und in den Zellengang. Stone öffnete eine Zellentür und ließ ihn eintreten. Dann schloß er die Tür ab und sagte: „Für Essen werde ich sofort sorgen. Du mußt mir vertrauen, King. Morgen schon wird der Richter dich anhören, und die - 127 -
Geschworenen werden ordentliche Leute sein.“ Er ging und ließ Billy allein. Billy setzte sich auf die harte Pritsche und hörte immer wieder die heiseren Stimmen draußen vor dem Office. Unruhig sprang er auf und wanderte in der kleinen kahlen Zelle auf und ab. Zweifel plagten ihn und trieben ihn in die Rastlosigkeit hinein. Er schlug die Fäuste gegen die Steinwand und umklammerte auch die Eisenstangen der Zellentür, rüttelte daran und rief nach Sheriff Stone — aber Stone kam erst nach einer halben Stunde mit einem Teller voll Suppe, schloß die Tür auf und reichte ihm den Teller mit Löffel. „Iß“, sagte er, „und verlier nicht die Hoffnung.“ Wieder war Billy allein. Er aß und ging dann wieder wie ein gefangenes Tier von einer Ecke in die andere. Draußen war es still geworden. Die Männer hatten sich im Saloon versammelt. Stone hielt sich im Office auf. Der Tag ging dahin. Billy sah, wie der Himmel im kleinen Zellenfenster rot flammte, wie die Dämmerung über die Dächer von Tularosa fiel. Es wurde Nacht... Stone machte Licht im Zellengang und im Office und setzte sich an den Tisch. Er hörte plötzlich die Tür leise knarren und blickte auf. Ein bärtiger Fremder kam herein. Am Gurt hing der Skalp. „Es wird Ärger geben, Sheriff“, sagte Hazelwood. „Ich bin noch nicht lange in dieser Stadt, aber ich kenne die Menschen. Im Saloon braut sich was zusammen.“ Er schloß die Tür und kam näher. Der Stetson warf einen Schattenstreifen auf das Gesicht. Stone erhob sich und kam um den Tisch herum. - 128 -
„Gehen Sie, Mister, halten Sie sich heraus“, sagte er. „Es wäre besser, wenn Sie die Stadt verließen.“ „Das werde ich tun, Sheriff“, lächelte Sol Hazelwood, drehte sich halb zur Tür herum und tat, als wollte er hin ausgehen. Doch urplötzlich wirbelte er zurück und riß dabei den Colt hervor. Stone, der ihm sehr nahe war, konnte dem Hieb nicht mehr ausweichen. Bewußtlos stürzte er gegen den Tisch und brach zusammen. Schon durchwühlte Hazelwood die Taschen des Sheriffs, zerrte die Schlüssel hervor und eilte in den Zellengang. „Sie bringen dich um!“ fauchte er Billy an. „Der Mob kommt gleich aus dem Saloon. Du mußt sofort verschwinden!“ Der Schlüssel klirrte im Schloß, und Hazelwood riß die Zellentür auf. Billy stand in der Zelle und wußte nicht, was er tun sollte. „Los, komm schon!“ rief Hazelwood drängend. „Willst du, daß sie dich lynchen? Ich erzähl' dir alles später.“ Er zerrte Billy an der Schulter aus der Zelle und rannte mit ihm ins Office. Billy sah den Sheriff am Boden liegen. Stone bewegte sich gerade. In dieser Sekunde wurde Billy sich darüber klar, welchen Weg er gehen mußte. Ein Mann wie Sheriff Stone würde ihm niemals wieder begegnen. Er sah zu Hazelwood hin und erstarrte. Hazelwood hatte den Colt auf Stone gerichtet und wollte abdrücken. Stöhnend hob Eph Stone den Kopf an und sah die Waffe über sich. Er sah auch das grausam verzerrte Gesicht des Kopfgeldjägers. Billy dachte keine Sekunde lang nach. Er mißachtete die Gefahr, die von Hazelwoods Colt ausging, und - 129 -
sprang den Kopfgeldjäger wild an. Beide stürzten gegen den Röhrenofen, prallten auf den Boden und rollten in erbittertem Kampf umher. Dabei löste sich ein Schuß. Billy zuckte heftig zusammen, aber er hielt durch. Mit der Kraft der Verzweiflung gelang es ihm, Hazelwood den Colt zu entreißen. Die Waffe rutschte polternd über den Boden und blieb vor Stone liegen. Mit einem Fußtritt stieß Hazelwood Billy von sich, riß das Messer hervor und wollte auf Billy stürzen. Eph Stone hatte den Colt schon erfaßt. Vom Boden aus schoß er auf Hazelwood. Der Kopfgeldjäger taumelte durchs Office und fiel zur Tür hinaus. Mühsam richtete Billy sich auf und schwankte zu Eph Stone hin, fiel auf die Knie und wollte reden, aber er rö chelte nur. Durch die aufstehende Tür kam es kalt herein. Viele Leute riefen auf der Straße, und vor dem Office hielt plötzlich ein Buggy. Debbie Johnson sprang vom Wagen und wollte ins Office, doch ihr Vater hielt sie fest und sagte irgend etwas zu ihr. Nebel wallten vor Billys Augen. Er wollte wach bleiben, doch er schaffte es nicht. Ganz langsam fiel er auf die Seite und lag still... Als er zu sich kam, lag er in einem fremden Bett. Er sah Debbie am Bett sitzen und vor Freude weinen. „Billy“, sagte sie leise, „du liegst schon zwei Tage in diesem Bett. Der Doc hat dir die Kugel herausgeholt. Du wirst wieder gesund werden, Billy. Gestern war der Richter hier, er sah in dein Gesicht und ging wieder. Und heute morgen kam Sheriff Stone und sagte, daß sie dich freigesprochen hätten. Endlich, du bist frei, Billy!“ Er schloß die Augen und atmete tief ein. Ein schwerer Druck ruhte auf der Brust, aber es schmerzte kaum. Er - 130 -
hörte, wie jemand hereinkam, und als er die Augen öffnete, sah er Eph Stone am Fußende des Bettes stehen. „Hazelwood wollte dich vor der Stadt erschießen, Billy King“, sagte Stone. „Er hätte auch mich erschossen und später gesagt, daß du es getan hättest. Die Belohnung hätte sich erhöht, und Hazelwood hätte die Belohnung bekommen. Die Geschworenen wussten, daß du um mein Leben gekämpft hast, Billy King. Du bist ein freier Mann.“ Er kam näher, drückte Billy die Hand und lächelte. Dann ging er hinaus. ; „Ich bin frei“, flüsterte Billy, „ein freier Mann, Debbie.“ Sie beugte sich über ihn und küßte ihn. Die Welt war wieder schön. ENDE
- 131 -