C.H.GUENTER
Ein Freund in der Hölle ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
1. Zwei Monate lang, von Januar bis März, ...
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C.H.GUENTER
Ein Freund in der Hölle ERICH PABEL VERLAG GMBH, 7550 RASTATT
1. Zwei Monate lang, von Januar bis März, bereiteten die Perser ihre Offensive vor. Von Basra bis Hamid zogen sie elfhundert Panzer, zweitausend Geschütze und eine Viertelmillion Soldaten zusammen. Anfang April schlugen sie los. Dieser Übermacht todesmutiger Kämpfer hatten die Iraker nur ihre moderneren Waffen, französische Mirage-Jagdbomber, russische Panzer und britische Raketen entgegenzusetzen. Schon am Abend des ersten Tages zeigte sich, daß die Hauptstraße nach Bagdad nicht zu halten sein würde. Wo die Iraker die Wellen der Angreifer niederbombten, standen hinter ihnen neue auf. Den Namen des Propheten auf den Lippen fielen die jungen Perser bataillonsweise. In der Nacht konnte die irakische Luftwaffe keine Einsätze fliegen, und am Morgen standen die ersten persischen Panzer am Ufer des Tigris. Damit war die wichtigste Nachschubstraße gesperrt. Die Perser zogen ihre Artillerie soweit vor, daß sie Basra erreichte, das nun erbarmungslos zusammengeschossen wurde. In dieser kritischen Lage entschied sich das Oberkommando in Bagdad zum Einsatz des letzten verfügbaren Abwehrmittels. 3
Es war fünfunddreißig Stunden nach Beginn der Offensive, als der Wind günstig stand. Er wehte von Westen, also vom Schatt el Arab hinein in die Wüste. Ab 14.00 Uhr Mittelostzeit verfeuerte die irakische Artillerie Giftgasgranaten. Sie explodierten vor den Linien der Perser. Wolken von Senf- und Blausäuregas quollen auf und trieben über die Stellungen der Perser. Die Soldaten des Ajatollah waren nur mit dem Nötigsten ausgestattet und hatten keine Gasmasken. Sie starben zu Tausenden und wurden zu Zehntausenden kampfunfähig. Auf diese Weise gelang es den Irakern, die Offensive noch einmal aufzuhalten. Nach schweren Kämpfen konnten sie auch die Straße nach Bagdad freiräumen. - Die Perser zogen sich vorerst zurück.
Im Verteidigungsministerium in Bagdad sprach General Indra vor dem Kriegsrat. „Noch einmal Gas einsetzen und sie damit stoppen ist nicht möglich.“ „Warum?“ wurde eingeworfen. „Wegen des Geschreis, das die internationale Presse anstimmt?“ „Nicht deswegen“, sagte der General, den sie auch die Bulldogge nannten, „sondern weil Teheran eine Million Gasmasken beschaffen wird. Wo immer in der Welt sie welche kriegen.“ Der Minister, ein enger Freund des Staatschefs, der bisher schweigend zugehört hatte, sagte: „Die Perser haben ihre Ölförderung angekurbelt. Das verschafft ihnen die Mittel, die sie brauchen. Ich hörte, sie kaufen chinesische Seidenraupenra4
keten und alles, was Libyen an Panzern und Artillerie entbehren kann.“ „Und Flugzeuge“, ergänzte der Chef der Luftwaffe, „nicht zu vergessen.“ Hochrechnungen wurden angestellt, wann mit der nächsten persischen Großoffensive zu rechnen war. Es sah bedrohlich aus. Der anwesende Stratege vom Armeestab schätzte, daß Persien bis zum Frühherbst seine Verluste ausgeglichen haben konnte. „Dann muß man“, sagte General Indra, „ihnen den Geldhahn wieder abdrehen. Bombardierung ihrer Ölfelder und der Ölverladeinseln. Wir werden jeden Tanker mit persischem öl versenken.“ „Das lassen die USA und die NATO-Mächte nicht zu“, wurde befürchtet. Allmählich gelangten sie zu dem gleichen Ergebnis wie bei allen anderen Sitzungen des Kriegsrats: Auf konventionelle Weise war der Krieg nicht zu beenden. „Sie werden angreifen“, faßte der General zusammen, „und wir werden ihre Angriffe durch Gegenangriffe abwehren. Solange, bis wir alle ausgeblutet sind, bis wir uns gegenseitig zusammenkartätscht haben. Teheran ein Schutthaufen, Bagdad ein Schutthaufen. - Und was dann?“ „Frieden ist nicht machbar, General.“ „Ihre Forderungen sind zu unverschämt. Man kann nicht ein ganzes Volk zwingen, eine andere Lehre anzunehmen, und dann noch den Islam in seiner extremsten Form.“ Ein Ratsmitglied, das als einziges arabische Kleidung trug, Burnus und Kaffije, hob die Hand und sagte: 5
„Meine Partei und ich sind für andere Methoden.“ „Für harte? Die wenden wir längst an, Scheik Hadr.“ „Für radikale.“ „Über eine Atombombe verfügen wir leider nicht. Die Anlagen dazu haben uns die Israelis zerstört.“ „Ich dachte an subtilere Methoden“, antwortete der Scheik. „An weitere chemische Waffen etwa?“ „Oder biologische.“ Der Mann im Burnus knetete jetzt seine Hände. Er hatte lange, knochige Finger mit Gichtknoten. „In diesen Tagen kommt mein Freund, Professor Aba Ahui vom Weltkongreß der Virologen in Kalifornien zurück. Schon vor seiner Abreise machte ich ihn mit meinen Gedanken vertraut. Er versprach, die Augen offen zu halten.“ „Doktor Aba Ahui ist ein versponnener Gelehrter, kein Soldat und kein politischer Mensch“, wurde eingeworfen. „Er steckt die Nase kaum aus seinem Labor.“ „Ich kenne Ahui“, erklärte der General. „Er ist ein Alchimist, ein Goldmacher, ein Märchenerzähler. „ „Aber eiskalt“, unterbrach der Sprecher der Falken ihn, „und berechnend. Ein Mann jenseits von Gefühl, Moral und Religiosität. Er hat mich angerufen. Ich glaube, er ist fündig geworden.“ Der letzte Satz ließ die Anwesenden aufhorchen. „Wo? In Kalifornien?“ „Aba Ahui machte Andeutungen vielversprechender Natur.“ „Was das wieder kostet“, stöhnte der Vertreter des Finanzministers. 6
„Was kostet ein T-72-Panzer, bitte“, wurde ihm entgegengehalten. Die Mitglieder des Kriegsrates kamen überein, daß der ehrenwerte Scheik Hadr mit Dr. Aba Ahui nach dessen Rückkehr sofort Verbindung aufnehmen sollte. Die nächste Sitzung finde in drei Tagen statt. „Gleicher Ort, gleiche Stunde“, fügte der General noch hinzu.
Der Virologe Dr. Aba Ahui vom Stamme Ur war schon deshalb weniger geachtet, weil er der herkömmlichen Auffassung, wie ein Wissenschaftler auszusehen und zu leben hatte, nicht entsprach. Man konnte ihn eher für einen schlitzohrigen Kamelhändler halten. Meist war er unrasiert, seine Leinenanzüge waren zerknittert und auch nicht sonderlich weiß. Er lebte in einem großen alten Haus nördlich der Stadt am Tigrisufer. Im Keller, wo es stets kühl war, betrieb er sein Laboratorium. Den Lebensunterhalt bestritt er hauptsächlich durch Gewebeuntersuchungen, Blut- und Urinanalysen. Vermutlich verstand er von Gen-Technologie mehr als jeder andere Mediziner im Irak. Das bedeutete aber nichts. Gen-Forschung wurde in diesem Land ebensowenig betrieben wie Organtransplantationen. Als Scheik Hadr ihn besuchte, bejammerte der Wissenschaftler, daß der Staat kein Geld für die Wissenschaften übrig habe. Aber der Scheik erinnerte ihn daran, daß er auf Kosten der Regierung in den USA gewesen sei. 7
„Wir geben nicht ein Tausendstel unseres Staatshaushaltes für Forschung aus“, sagte Dr. Ahui. „Wir geben überhaupt nichts dafür aus.“ „Wir leben auch seit Jahren im Krieg“, antwortete der Scheik. „Wozu sollten wir auch forschen. Die anderen tun es für uns. Wir kaufen ihre Produkte billiger, als wenn wir sie selbst entwikkeln würden.“ „In Bagdad wurde noch nie eine Leber übertragen“, gab Abu Ahui zu bedenken. „Der Koran verbietet die Verlängerung des Lebens, indem man sich der Herzen oder Nieren anderer Menschen bedient,“ „Nur weil Mohammed diese Möglichkeit damals nicht vorhersehen konnte“, warf Aba Ahui ein. Der Scheik setzte sich und holte ein goldenes, mit Saphiren besetztes Etui aus seinem weiten Mantel. Sie rauchten. Bei der milden ägyptischen Zigarette beruhigte sich Dr. Ahui und der Scheik kam zum Grund seines Besuches. „Wir versprachen uns viel von Ihrer Reise zu dem Kongreß, Professor,“ „Ich fürchte, zuviel.“ „Nun, Ihre Andeutungen klangen vielsagend.“ Dr. Ahui überlegte immer sehr genau, was er von sich gab und äußerte dann: „Es geht um die Suche nach einer Möglichkeit, den Krieg gegen diese verrückten Schiiten zu beenden.“ „Ohne daß Tausende unserer Brüder verbluten, ohne daß jährlich Milliarden Dollar im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert werden.“ Aba Ahui glaubte, daß sich die Absichten der Radikalen auch auf die Aufwertung von Forschung 8
und Lehre in Bagdad auswirken würden. Entsprechend wachen Sinnes war er den Vorträgen in Kalifornien gefolgt. Andererseits stammte er von Beduinen ab und äußerte sich gern in Form von Geschichten. „Ist Ihnen der Mongolenfürst Temudschin ein Begriff?“ setzte er an. „Sie meinen den großen Dschingis Khan, dessen Reich vom Schwarzen Meer bis zum Stillen Ozean reichte.“ „Der die Tataren besiegte, Peking eroberte, Turkmenistan unterwarf und die Russen schlug. Er lebte um das Jahr 1200 christlicher Zeitrechnung. Damals gab es noch keine Kanonen.“ „Dafür gab es noch Reiter, die im Sattel schliefen und Pferde, die am Tag hundert Kilometer zurücklegten.“ „Und“, wandte Dr. Ahui mit erhobenem Zeigefinger ein, „man konnte noch mit List eine Stadt erobern. Heute geht das nur mit Granaten, Bomben und Raketen. Aber es gibt Ausnahmen. Nämlich dann, wenn die List groß genug ist.“ Der Scheik fragte höflich, ob er von der List des Dschingis Khan mehr erfahren dürfe, denn darauf laufe es wohl hinaus. Dr. Ahui beugte sich im Sessel vor und stützte die Ellbogen auf den Arbeitstisch. Dann massierte er seinen Drei-Tage-Bart und lächelte. „Auf seinem Zug nach Europas stand der große Temudschin eines Tages vor einer Stadt. Er mußte sie erobern, denn sie war wichtig. Wenn er sie nicht einnahm, konnten sie ihm den Nachschub abschneiden. Leider war die Stadt sehr gut befestigt, und die Einwohner wehrten sich tapfer. Bis er sie ausge9
hungert hatte, konnte ein Jahr vergehen. Was also tun? - Temudschin ließ alle Katzen, derer er habhaft werden konnte, vor den Toren einfangen, band an ihre Schwänze Pechfackeln und steckte diese in Brand. Die wild fliehenden Katzen drangen durch ihre Katzenlöcher in die Stadt ein. Es war Nacht und die Stadt aus Holz gebaut. Sie ging in Flammen auf.“ Der Scheik hatte verstanden. „In unserem Planspiel ist Teheran diese Stadt.“ „Oder Täbris oder Gom oder Esfahan.“ „Sie sind aus Stein gebaut. Mit Feuer geht da nichts.“ „Auch nicht mit Katzen“, ergänzte Dr. Ahui. Nun begann er, den Scheik mit gesenkter Stimme, so als könne man sie belauschen, einzuweihen. Es klang unglaublich, aber Dr. Ahui versicherte, daß es der einzig gangbare Weg sei. Falls man sich nicht scheue, die neuesten Erkenntnisse auf dem Gebiet der Gen-Technologie und der Virologie zu nutzen. „Was kann das kosten?“ fragte der Scheik, der auch im Finanzausschuß der Regierung saß. „Weniger als ein Mirage-Jäger“, schätzte Aba Ahui, „für den wir umgerechnet zwanzig Millionen Dollar berappen, wenn ich richtig informiert bin.“ „Mehr noch“, bedauerte der Scheik. „Kann man die erforderliche Gen-Technik kaufen?“ „Geld öffnet alle Türen.“ „Bei Wissenschaftlern nicht immer. Nehmen Sie sich selbst als Beispiel.“ „Der Mann, den wir brauchen“, erklärte Dr. Ahui, „ist kein Wissenschaftler, nicht einmal Doktor. Aber einer der begabtesten Techniker, was den 10
Umgang mit dem Mikroskalpell mit dem Lasermesser betrifft. Seine Hand ist so ruhig, daß er imstande ist, unter dem Mikroskop selbst einen Zellkern zu teilen. Gegen ihn sind Uhrmacher wahre Grobschmiede.“ „Und dieser Mann wäre in der Lage...?“ „Unbedingt. Und nur er.“ „Wilder es tun?“ Dr. Ahui hob die Schultern. ,,Das, Scheik Hadr, ist Sache Ihrer Abgesandten.“ „Und sein Name?“ Dr. Ahui zog einen Zettel aus der Tasche des Labormantels. Buchstabierend las er. „B-e-r-ge-r-.“ „Klingt nicht amerikanisch.“ „Vorname: J-u-s-t-u-s-.“ ,,Das ist absolut unenglisch.“ „Weil er aus Deutschland eingewandert ist“, erklärte Aba Ahui, „wie ich mir sagen ließ.“ Scheik Hadr wußte nicht, ob er das gut oder schlecht finden sollte. „Nun, mit Deutschen kann man reden. Sie sind Realisten.“ „Die meisten von ihnen“, schränkte Dr. Ahui ein. „Aber es gibt welche, die leiden noch unter dem Nazitrauma. Sie verhalten sich, als hätten sie den Humanismus neu erfunden. Sie sind Idealisten. Fanatiker. Und bei einem fanatischen Idealisten erreichen Sie so gut wie überhaupt nichts.“ Der Scheik lächelte. Er war ein erfahrener Mann. „Es gibt“, deutete er an, „noch andere Möglichkeiten als Geld.“
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2. Justus Berger war sechsundzwanzig Jahre alt. Er arbeitete in den Livermoore Laboratorys nahe der Universität von Kalifornien. Als technischer Assistent verdiente er 36 000 Dollar im Jahr, Sein Vertrag lief noch sieben Jahre. Da er keinerlei Sport trieb, kein teures Hobby pflegte und sich mit einem Chevrolet aus den Siebziger Jahren begnügte, kam er gut zurecht. Berger war rundum zufrieden, wenn auch nicht restlos glücklich. Es lag daran, daß er ein Girl liebte, das sich wenig aus ihm machte. Aber als geborener Deutscher kannte er einige hilfreiche Spruchweisheiten. Die eine lautete: Man kann nicht alles haben. Und die andere lautete: Kommt Zeit kommt Rat. Da Berger äußerst beständig war, wenn auch nicht sonderlich ehrgeizig, hoffte er, bei der Biologiestudentin Sussy Cameron eines Tages doch noch Land zu gewinnen. Woran es lag, daß er sie nicht faszinierte, glaubte er zu wissen. Es lag an seiner Bescheidenheit und an seinem Aussehen. In einer Karrieregesellschaft wie in Kalifornien stellte ein Typ wie er nicht den Traum jeder Frau dar. Doch er hatte andere Vorzüge. Er wußte, daß ohne ihn in den Labors nicht mehr viel ging. Das gab ihm soviel Selbstvertrauen, als hätte man ihm den Nobelpreis verliehen. An diesem Tag im Mai machte er um 16.00 Uhr Schluß und verließ das Institut. Draußen am Parkplatz öffnete er erst einmal das Dach seines Cabrios. 12
Da die Klimaanlage nicht arbeitete, war es angenehmer, offen zu fahren. Leider war auch die Verdeckautomatik defekt. Also klappte er es mit der Hand auf. Der alte Achtzylinder sprang ohne Mucken an. - Berger fuhr nur wenige hundert Meter. Als er eine leere Telefonzelle sah, rief er bei Sussy Cameron an. Sie war zu Hause. „Keine Zeit“, sagte sie. „Montag ist Zwischenexamen.“ Das bedeutete, daß er sie am Wochenende nicht sehen konnte. „Gehn wir wenigstens eine Pizza essen“, schlug er vor. „Mag keine Pizza“, erklärte sie, „das könntest du dir mal merken. Übrigens, hast du dich endlich zur Vorlesung eingeschrieben?“ Sie wollte immer, daß er ein Studium anfing. Sie hielt ihn für begabt. Er aber tat nur Dinge, die er tun wollte und die ihm leicht fielen. „Alles überfüllt“, log er. „Du mit deinen Beziehungen. Ein Wort des Präsidenten, und du bist drin.“ „So leicht geht das nicht.“ „Sie brauchen dich, Justus, du aber nicht sie. Kapier das endlich. Sag ihnen, entweder einen Doktorgrad oder adio, und du bekommst ihn. Wer hat die neue Schnittechnik entwickelt? Du oder wer sonst?“ „Na schön“, sagte er, um des Friedens willen. „Was, na schön?“ „Du hast ja recht.“ Sie gab keine Ruhe, sondern kam regelrecht in Fahrt 13
„Wann änderst du endlich deinen Namen?“ „Ich werde es beantragen.“ „Justus und Berger heißt in diesem Land kein Mensch.“ „Was schlägst du vor?“ „Nicht Adolf Hitler, du Idiot.“ So behandelte sie ihn immer. Herablassend wie ein reiches Mädchen einen armen buckligen Jungen, der sie anschmachtete. Besonders gut sah er wirklich nicht aus. Das kam noch hinzu. Früher hatte ihn das gequält. Seitdem er in Kalifornien lebte, nicht mehr. Hier gab es nur Kerle, schön wie Filmstars. Mit seinem Quaderkopf und den Hasenzähnen hob er sich wohltuend aus der Masse ab. Es wurde heiß in der Telefonkabine. Berger fürchtete, daß er zu keinem Ergebnis kommen würde. „Also keine Pizza.“ „Lad mich zu Romanoff ein.“ „Bin kein Millionär.“ „Selbst schuld. Du könntest längst einer sein.“ „Wer hat dir den Floh ins Ohr gesetzt, Sussy?“ „ Kollegen an der Universität. Wenn du die Berger-Mikroschnittechnik privat vermarktest, brauchst du in drei Monaten nur noch Dollar zu zählen.“ „Und was, bitte, mache ich mit einer Million?“ „Du kannst dir jedes Girl kaufen.“ „Will ja nur dich.“ „Aber ich dich nicht.“ Sussy hängte auf. Gewöhnlich rief er sie dann noch einmal an. Das wußte sie. Heute hatte er keine Lust. Verstimmt fuhr er nach Hause.
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Das Zuhause von Justus Berger war ein zwölf Meter langer Wohnwagen in einer Wohnwagenkolonie nahe dem Pazifikstrand. Der Trailer hatte drei Räume. Küche, Dusche mit WC und Wohnschlafzimmer. Außerdem verfügte er über Strom-, Wasser-, Abwasser-, Telefon- und Kabel-TV-Anschlüsse. Der Trailer hatte schon ein Dutzend Jahre auf dem Buckel, war aber nicht besser und nicht schlechter als die anderen MobilHomes auf dem Platz. Daß auch Mexikaner und Chinesen hier wohnten, störte Berger kaum. Was ihm weniger gefiel waren einige Damen, die dem horizontalen Gewerbe nachgingen. - Dafür war die Miete niedrig. Berger brachte jeden Monat zwei Tausender auf die Seite. Irgendwann würde er sich ein Haus kaufen. Nicht aus Holz, sondern eines aus Stein oben in den Hügeln, wo es kühler war, vielleicht an einem Stausee. Aber erst, wenn Sussy Cameron okay sagte - oder eine andere. Aber, zum Teufel, er wollte keine andere. Als sein Cabrio neben dem Trailer in einer Sandwolke zum Stehen kam, sah Berger unter der Markise zwei Männer sitzen. Sie gehörten nicht hierher. Abgesehen von den konservativen Anzügen - kein Mensch in Kalifornien trug noch Krawatte - wirkten sie wie Südamerikaner. Nein, wie Araber. Als er auf sie zuging, erhoben sie sich höflich. „Hallo!“ rief er. „Mister Berger?“ „Was kann ich für Sie tun, Gentlemen?“
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„Wir können auch deutsch miteinander sprechen“, schlug der Kleinere, der mit den vielen goldenen Ringen, vor. „Habe ich fast schon verlernt“, erwiderte Berger. Also blieben sie bei Englisch. Die Fremden überreichten ihre Visitenkarten. Sie waren Geschäftsleute aus Bagdad. „Wir dürfen Sie von Professor Aba Ahui grüßen.“ „Ahui?“ fragte Berger. Dann fiel es ihm ein. Er hatte beim Kongreß über seine Schnittechnik und die Möglichkeiten, die sich daraus ergaben, referiert. Anschließend war ein irakischer Wissenschaftler auf ihn zugekommen und hatte ihn mit Fragen gelöchert. „Ja, ich erinnere mich.“ Berger bat sie in den Trailer, bot ihnen Platz und ein Bier an. Sie bevorzugten Orangen-Juice mit Eis, aber sie rauchten wie die Schlote. Er saß da und wartete. Er fragte nicht, was er für sie tun könne, denn es war ihm gleichgültig. Der Streit mit Sussy Cameron beschäftigte ihn mehr als alles andere. Rasch kamen sie zur Sache. Rasch, das bedeutete bei Arabern nach längerer Einleitung. „Ist es richtig, Sir“, fragten sie, „daß es Ihnen gelungen ist, durch Beeinflussung der Vererbungsmerkmale dem Menschen analoge, oder einfacher ausgedrückt, ihm ähnliche Modelle im Tierreich zu züchten?“ Berger nickte und reagierte bescheiden. „Das ist bekannt. Ich habe Vorträge darüber gehalten und Berichte veröffentlicht. Im Grunde geht es um folgendes: Nur im Schimpansen vermehren sich gewisse Erreger menschlicher Krankheiten. 16
Aber die Zahl der für Versuche verfügbaren Schimpansen ist lächerlich gering. Um den Engpaß zu überbrücken, habe ich Kleintiere so manipuliert, daß sie als Vermehrer von Viren, die für Menschen tödlich sind, dienen können. Das ist alles.“ „Durch einen gentechnischen Trick.“ „Wie auch immer.“ „Bei den erwähnten Kleintieren handelt es sich um Meerschweinchen, Mäuse und Ratten.“ „Die Liste ist verlängerbar“, deutete Berger an. Die Besucher gingen ins Detail. Als sie von Berger die Bestätigung für Dr. Ahuis Behauptung hatten, kamen sie zu ihrem Vorschlag. „Wir sind sehr an Ihnen interessiert“, erklärten sie. „Könnten Sie sich vorstellen, für uns tätig zu sein?“ Berger lachte. „Was ich mir nicht vorstellen kann, das ist wofür und wozu.“ „Überlassen Sie das ruhig uns.“ „Ich fürchte, Sie schätzen meine Fähigkeiten zu hoch ein, Gentlemen.“ Da winkten sie ab. „Ihre Technik ist nobelpreisverdächtig. Sie sind der einzige, der das kann. Wir wissen es.“ „Na schön, vielleicht.“ Berger hielt sich zurück. Andererseits mußte er an den Streit mit Sussy Cameron denken. „Arbeiten Sie für uns“, drängte der mit den Ringen, „Es ist die größte Chance Ihres Lebens.“ „Ich bin zufrieden hier.“ „Wir bieten Ihnen als Handgeld eine Million Dollar und pro Monat Ihrer Tätigkeit für uns weitere fünfzigtausend.“ 17
Das klang fantastisch. Wieder dachte Berger an Sussy Cameron. Aber irgend etwas an den Besuchern mißfiel ihm. Doch das allein war es nicht. „Ich verdiene genug“, wich er aus. „Genug hat man nie“, entgegneten sie. „Ich möchte in Kalifornien bleiben, Gentlemen.“ Sie versprühten weiter ihren Honig. „Es würde sich um ein Jahr oder weniger handeln. Irgendwo in Nahost. Vermutlich in Bagdad zu optimalen Arbeitsbedingungen. Was immer Sie wünschen, steht Ihnen zur Verfügung. Moderne Labors, Geräte, Mitarbeiter. Man würde Sie zum Ehrendoktor, zum Professor unserer Universität ernennen.“ Das klang ungeheuer reizvoll. Aber nur in den Ohren. Das Angebot wirkte nicht bis in Bergers Psyche. „Gentlemen“, erwiderte er. „Ich bin Vollwaise, habe keine Familie mehr. Meine Eltern kamen bei einem Hotelbrand ums Leben. Ich wanderte in die Vereinigten Staaten aus, um frei zu sein, in dem Sinn, wie ich Freiheit verstehe. Der Irak ist kein freies Land.“ „Wir geben Ihnen jede gewünschte Garantie.“ Die Sache schmeckte ihm einfach nicht. „Nein, danke“, entschied er. Aber sie waren erfahrene Unterhändler. „Denken Sie darüber nach. Unser Angebot steht.“ „Nicht nötig.“ „Zwei, drei Tage“, schlugen sie vor. „Oder eine Woche.“ „Und dazu dies“, sagte der Kleine mit den goldenen Ringen. Er zog einen Umschlag aus seiner 18
Sakkotasche. Man sah, daß er dick mit großen Dollarnoten gepolstert war. „Nur als Geschenk für die Mühe des Nachdenkens, Sir. Der andere legte noch einen Vertragsentwurf auf den Tisch. Dann erhoben sie sich. „Dürfen wir Sie anrufen?“ „Warum nicht.“ „Ist es Ihnen morgen recht, oder Montag?“ „Ich fürchte, meine Entscheidung steht schon heute fest“, betonte Berger. Sie schienen daran zu zweifeln. Die Araber ließen ein Taxi kommen und fuhren weg. Berger blickte ihnen nach. Klar, mitunter litt er an seiner eigenen Dämlichkeit am meisten. Aber so, wie er jetzt lebte, war es ihm gerade recht. Er wünschte, abgesehen von Sussy Cameron, keine Veränderung. Ob es ihm Sussy Cameron näher brachte, wenn er auf den Vorschlag der Araber einging, das bezweifelte er instinktiv. Als die Iraker ihn am Montag anriefen, äußerte er klar und deutlich, daß er nicht daran denke, ihren Job anzunehmen, „Wie können Sie bei dem Angebot noch schlafen“, fragten sie noch scherzhaft. „Mit geschlossenen Augen, Gentlemen“, antwortete er. Doch nun begannen sie zu drohen. „Dann wird Ihre Familie möglicherweise bald Trauer tragen, Mister Berger.“ „Ich habe keine Familie, Gentlemen.“
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„Vielleicht ein Teil der Familie, die Sie zu gründen beabsichtigen, Sir.“ Da wurde er wütend und unhöflich. „Sie können mich mal“, sagte er und legte auf. Aber ein Gefühl der Unruhe verließ ihn fortan nicht mehr.
3. Die zwei Männer, denen der BND-Agent Robert Urban von Wien aus gefolgt war, übernachteten in einem viertklassigen Hotel. Urban nahm dort ebenfalls ein Zimmer. Als er sich schlafen legte, ahnte er es bereits, und in der Nacht bestätigte es sich dann. Im Stockwerk tiefer betrieben sie einen Puff voller Nutten. Es ging zu wie in einem Taubenschlag, nur nicht so leise. Die Freier betranken sich, und die Mädchen schrien, wenn sie von den Männern durch die Gänge gejagt wurden. Später wurde es ruhiger. Man vernahm nur noch beischlafähnliche Geräusche. Zum Frühstück gab es Bratkartoffeln mit fetten Krakauer Würsten und Bier statt Kaffee. Die zwei Reisenden arabischen Aussehens tranken Mineralwasser, telefonierten viel und schienen dann auf einen Anruf zu warten. Er kam gegen zehn Uhr morgens. Beide machten sie einen gediegenen Eindruck. Der Kleinere trug schwere goldene Ringe an allen möglichen Fingern. Daß sie in diesem Haus und nicht im Goldenen Hirschen in Salzburg abgestiegen waren, diente offenbar nur der Tarnung. Hier fühlten sie sich weniger beobachtet. 20
Als sie ihre Taschen zu dem gemieteten Lancia hinaustrugen, wandte der BND-Agent Robert Urban sich an die Frau in der Küche. Sie übte hier eine Multifunktion aus. Sie machte Frühstück, kassierte die Rechnung, und in der Nacht sprang sie ein, wenn Not an Mädchen herrschte. Zumindest sah sie in ihrem Schlafrock, mit den rotgefärbten Haaren und der grauen Haut so aus. Urban schob ihr einen Hundert-Schilling-Schein hin. „Mit wem haben die beiden telefoniert?“ „Bist du ein Bulle?“ „Wenn das hier kein Bordell ist, bin ich auch kein Polizist. Ist es ein Bordell?“ „Wo denkst du hin.“ Sie würde es niemals zugeben. „Also, mit wem haben die Araber telefoniert?“ Sie wischte sich eine hennarote Haarsträhne aus der Stirn. An der Schläfe hatte sie Pickel. „Wohin, wohin“, zischte sie unfreundlich. „Von hier aus kannst du nach Amerika durchwählen.“ „Nach Amerika schon.“ Und dann sagte er, was er bemerkt hatte: „Das Gespräch wurde angemeldet.“ Demnach mußte es mit einem Land geführt worden sein, wo es mit der Fernwahl noch Schwierigkeiten gab. Die Rote schaute auf den Zetteln nach, die an einem Nagel hingen, und fand nichts. „Polizisten und Huren“, sagte Urban, „haben immer zusammengearbeitet.“ „Bist du einer?“ „Bist du etwa eine?“
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„Außerdem“, entgegnete sie, „sind es nicht Polizisten und Huren, sondern Huren und Ganoven.“ Sie fand den Zettel, riß ihn ab und reichte ihn Urban. „Es waren vierzig Einheiten.“ Er dankte ihr. Bevor er den beiden Arabern folgte, schoß er aus der offenen Gasthaustür noch eine Reihe Fotos von ihnen. Er hoffte, daß sie brauchbar sein würden. Das Licht war gut und die Minox ein zuverlässiges Gerät Die Araber fuhren nach Salzburg hinein, durch Salzburg hindurch in Richtung Grenze, aber sie vermieden die Autobahn.
Noch in Salzburg hatte Urban die Nummer zum Hauptquartier in Pullach durchgegeben. Minuten später summte sein Autotelefon. „Ihre Befürchtungen treffen leider zu“, übermittelten sie ihm. „Es handelt sich um zwei Materialbeschaffer aus Bagdad. Ziemlich heiße Burschen.“ „Sie wirken wie grundsolide arabische Basarkaufleute.“ „Aber sie telefonierten nicht mit ihrem Basar.“ „Wem gehört die Nummer in Bagdad?“ „Der staatlichen irakischen Energiebehörde.“ Urban fluchte verhalten. „Gewiß nicht zu deren Abteilung für Elektrizitätsversorgung. „ „Auch nicht zur Abteilung für Ölförderung.“ Nun gab es nicht mehr viele Möglichkeiten. Ehe
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Urban es aussprach, nannte es der Experte in Pullach. „Abteilung für Kernforschung.“ „Dann sind die beiden auf dem Weg nach Frankfurt, zu Nukem oder Alkem, um ein paar Pfund Uran oder anderes waffenfähiges Kernmaterial einzukaufen. Wir müssen zusehen, daß sie sich die Finger verbrennen.“ Urban gab die Beschreibungen durch. „Sie fahren einen Mietwagen, Typ Lancia Thema, Turbodiesel. Kennzeichen W wie Wien.“ Fünf Ziffern folgten. „Wo sind sie jetzt?“ „Auf der Straße Nr. 305 nach Berchtesgarden. Noch vier Kilometer vor dem Grenzübergang.“ In Pullach schien man zu rechnen. „Wir können wenig tun“, lautete das Ergebnis. „An der Grenze ist meine Aufgabe erledigt“, bedauerte Urban. Ihnen nur zu folgen und sie zu beschatten, lag schon am Rande seines Kompetenzbereiches. In der Bundesrepublik war das Sache der Kriminalämter oder des Verfassungsschutzes. „Man könnte sie bei der Einreise festnehmen lassen.“ „Mit welcher Begründung“, fragte Urban. „Binnen weniger Stunden bringt sie jeder Anwalt wieder auf freien Fuß. Dann sind sie gewarnt, und Bagdad schickt zwei andere Leute.“ Inzwischen hatten sie in der Zentrale eine Konferenzschaltung hergestellt. Der Operationschef mischte sich ein und sprach mit Urban. „Sind Sie sicher, daß es sich um Einkäufer für Atombombenmaterial handelt?“ 23
„Oder für Reaktorausrüstung,“ „Dafür gibt es bei uns nur ein paar prominente Adressen. Die lassen wir überwachen. Wenn sie dort auftauchen, liefern sie einen Grund zur Festnahme.“ „Einen zumindest besseren, als wir ihn jetzt hätten.“ „Also dranbleiben“, bat der Oberst. „Bis München“, erklärte Urban. „Dann sollen gefälligst die Leute, denen wir die Butter aufs Brot liefern, das Butterbrot auch essen.“ Nicht, daß er verärgert gewesen wäre. In mühsamer Arbeit hatte er zusammengepusselt, daß der Irak jetzt auch in der Bundesrepublik intensiv Waffen zu kaufen versuchte. Zu jedem Preis und mit jedem Risiko. Dabei gab es hier klare Gesetze, die die Lieferung von Waffen in Spannungsgebiete verboten. Natürlich hatte die Industrie Wege gefunden, dennoch zu liefern. Und zwar über koproduzierende Waffenkonzerne in Frankreich oder England, wo man ungeniert jeden versorgte, der bezahlen konnte. Aber daß sie zwei Leute nach Deutschland schickten, die womöglich Kernsprengstoff kaufen sollten, war eine höhere Form von Unverschämtheit. Zwischen einem Kampfpanzer und einer Atombombe klaffte ein Unterschied wie zwischen einer Fliegenpatsche und einer Tellermine. Deshalb beschattete Urban die zwei Iraker noch bis München, obwohl es nicht Aufgabe eines TopAgenten sein konnte, an einem sonnig heiteren Tag gemütlich durchs Gebirge zu gondeln. Hinter Schneizelreuth an der Alpenstraße vergrößerte er den Abstand. Professionelles Vorgehen 24
hätte erfordert, daß er das Fahrzeug wechselte. Da er die Iraker nur weiterreichte, war dies nicht eingeplant gewesen. Also ließ er sich, besonders in den Ortsdurchfahrten, zurückfallen. Plötzlich bemerkte er, daß er die Araber unterschätzt hatte. In Reit im Winkel stand der Lancia auf einem Hotelparkplatz. Urban fragte im Hotel. Sie hatten sich dort nicht eingemietet. Er fuhr zum Bahnhof, fragte dort. - Ergebnis negativ. Um diese Zeit fuhren keine Züge. An der Bushaltestelle standen die beiden auch nicht Möglicherweise hatten sie ein Taxi genommen. Doch bei den ansässigen Taxiunternehmen hatte sich kein Wagen für eine längere Fahrt abgemeldet. Wieder auf dem Hotelparkplatz untersuchte Urban den Lancia. Im Innern lag nichts herum. Sogar den Ascher hatten sie geleert. Nahe daran aufzugeben, sah er drüben die Tankstelle. Er ließ seinen BMW mit Super vollmachen. „Ich suche zwei Araber.“ Er beschrieb sie. Der Tankwart, ein älterer, mürrischer Mann nickte zunächst nur. Als Urban bezahlte, legte er einen Zehner drauf. „Araber?“ fragte der Tankwart. „Ja, waren welche da.“ „Jetzt sind sie weg.“ „Schon eine Stunde her. Wollten erst ein Taxi rufen. Dann kam ein Ford Kombi, brauchte nur Luft und Wasser. Altes Modell, rostiger Granada, 'ne Türkenkutsche. Sie sprachen mit dem Fahrer und überzeugten ihn wohl mit einem Blauen. Er nahm sie mit.“ 25
„Farbe und Kennzeichen des Kombi?“ „Sagen wir rahmspinatgrün“, meinte der Tankwart, „Kennzeichen weiß ich nicht. Vielleicht hatte er vorne dran ein H und noch was.“ „Wie Hamburg?“ „Ja, wie Hamburg.“ „Oder Hannover.“ „Oder wie Hanau.“ Das ist es, dachte Urban und telefonierte es nach München durch.
4. Jeder andere wäre vor dem Spiegel in Verzweiflung geraten. Justus Berger hatte nicht nur einen Quaderkopf, den die Brikettfrisur noch verstärkte, sondern auch eine Haarfarbe, die gar keine war, nämlich einen Mittelton zwischen Semmelblond und grau. Dazu kamen die hellen Augen und die Hasenzähne. Er setzte die Sonnenbrille auf. Die Gläser, wie aus einer Colaflasche geschnitten, verbesserten sein Aussehen auch nicht gerade. Berger dachte an seinen Lehrer in der Schule in Deutschland. Du bist ein netter Junge, pflegte der zu sagen, auch wenn du noch nie die Kletterstange hochgekommen bist. An deiner Stelle würde ich Beamter werden. Da merkt keiner, ob es dich gibt oder nicht. In diesen Tagen kam noch etwas hinzu, das Berger einen tiefen Blick in sein Inneres gewährte. Er stellte fest, daß er feige war und Angst hatte. Nachdem es ihm endlich gelungen war, Sussy 26
Cameron zu treffen, fuhr er mit ihr zur Beach. Sussy wollte baden. Er genierte sich. Sein Körper war unproportioniert, so gut wie ohne sichtbare Muskeln, und seine Haut war weiß wie Milch. „Madonna, was bist du bloß für eine Type“, rief Sussy und zog die Jeans aus. Darunter trug sie nur noch die Andeutung eines Höschens. „Ich will nicht baden. Muß mit dir reden“, sagte Berger. „Immer nur reden, quatschen, diskutieren.“ „Ich werde verfolgt“, gestand er ihr unvermittelt. Sie lachte hell auf. „Klar“, sagte sie. „Du wirst verfolgt, ausgerechnet du, und tausend wichtige Leute hier in Kalifornien, bei denen es sich lohnen würde, bleiben unbehelligt. Ist doch nur eine Ausrede, Kleiner.“ „Wofür?“ Sie zählte es an den Fingern ab. „Daß du erstens dich nicht immatrikuliert hast, daß du zweitens deinen Namen nicht änderst und drittens deine Patente nicht anmeldest, Justus Berger.“ Was die Fixigkeit des Denkens betraf, war sie ihm einfach überlegen. Auch das liebte er an ihr. Sie kippte den Sitz zurück und aalte sich in der Sonne. Er stellte den Rückspiegel so, daß er sie sehen konnte. Sie hatte von Natur aus zartbraune Haut, schwarzes sehr dichtes Haar. Sie rasierte es in den Achselhöhlen und an den Schenkeln. Trotzdem kräuselte es sich unter dem dünnen Slip und ein wenig darüber. Ihre Familie war vor dem Krieg aus Mexiko 27
eingewandert. Die Camerons hatten damals Cameronne geheißen. Inzwischen hatten sie sich voll amerikanisiert. Mit Fleiß, Sparsamkeit und Geschäftstüchtigkeit waren sie im Sherryhandel zu etwas gekommen. Nur in die Gesellschaft waren sie nicht so hoch aufgestiegen, wie es ihrem Vermögen entsprach. Darunter litten sie. Deshalb sollte Sussy auch die akademische Laufbahn einschlagen. Und einen Burschen aus besseren Kreisen heiraten. Berger nahm einen braunen Umschlag aus seiner Jacke und legte ihn Sussy auf den Bauch. Sie fühlte ihn, tastete ihn ab, öffnete ihn und stieß einen Schrei des Entzückens aus. „Das sind mindestens zehntausend.“ „Hunderttausend genau.“ Sie umarmte ihn, küßte ihn - leider nur aufs Ohr - und lachte sogar mit den Augen. „Wofür, Justi?“ „Anzahlung für ein paar Handgriffe.“ „Mann, was zahlen die erst, wenn du richtig hinlangst.“ „Eine Million, zwei. . .“ „Und warum tust du es nicht sofort?“ Er zuckte mit den Schultern. Zwar blickte er durch, aber nicht ganz. - Er sagte ihr, was er wußte. „Die Araber, Iraker, stehn im Kampf mit den Persern, Sie versprechen sich von meiner Hilfe eine entscheidende Wende des Krieges.“ Ihr Strahlen trübte sich ein. „Wie denn? Du bist weder Chemiker noch Biologe.“ „Es geht um einen neuartigen Träger von Viren. Sie sind gut informiert. Ich habe im Institut gezeigt, 28
wie man Kleintiere durch Genschnitte manipuliert.“ Sie hatte ihm geraten, daß er seine Technik patentieren ließ. Schneller als erwartet stand er nun vor der Möglichkeit, sie zu vermarkten. „Und“, fragte sie neugierig, „steigst du ein?“ „Sie machen Krieg, Baby. Sie sind brutal und unmenschlich. Sie setzen Giftgas ein und wollen etwas noch Schlimmeres. Sie würden auch Atombomben werfen, wenn sie welche hätten. Ein Mann, der tötet, ist ein Mörder. Und ein Mann, der bei Massenmord mitwirkt, was ist er?“ „Für die Seite, die gewinnt, ist er ein Held.“ „Für den Verlierer ein Henker, ein Kriegsverbrecher“, erwiderte er, an die Nürnberger Prozesse denkend. ,Auf diese verlogene Philosophie lasse ich mich nicht ein.“ Sie winkte mit dem Geldtimschlag. „Warum hast du dann die Dollar angenommen?“ „Sie ließen sie einfach da“ „Gib sie zurück, oder behalte sie und...“ „Zurückgeben, an wen?“ „Sagtest du nicht, sie verfolgen dich. Verfolger sind erkennbar, aufspürbar. Ich schätze, sie rufen an und fragen, wie du dich entschieden hast. Dann wirf es ihnen vor die Füße.“ Er saß da, die Hände am Lenkradkranz, verkrampft am ganzen Körper. „Sie lassen sich nicht blicken. Sie rufen an und fragen und drohen.“ „Lächerlich. Es gibt Polizei und FBI. Wende dich an sie.“ „Meine Familie wird Trauer tragen, warnen sie. Schön, ich habe keine Familie, aber...“ 29
Sie fand irgendwo Kaugummi, wickelte ihn aus, kaute darauf, blickte in die Sonne und wartete. Als es ihr zu lange dauerte, faßte sie nach. „Was aber?“ „Sie wissen, daß ich keine Familie habe, aber daß ich in dich verliebt bin. Sie wissen alles. Deinen Namen, wo du wohnst. Ich traue ihnen zu, daß sie dir etwas antun, um mich damit zu erpressen.“ Es schien sie nicht aufzuregen, daß sie mit hineingezogen wurde, obwohl sie nicht einmal seine feste Freundin war. „Ich kenne ein paar Leute beim FBI und bei der CIA, denen erzähle ich das.“ „Vor Killern hat das noch nie jemanden geschützt. „ „Na schön, du germanischer Schlauberger, was schlägst du vor?“ Er schluckte erst, dann wagte er es. „Laß uns verschwinden, Sussy.“ „Wohin?“ „In die Versenkung.“ „Genau das“, höhnte sie, „ist der dir gemäße Ort.“ Allerdings mußte sie bis zum Sommer kein Examen schreiben, und er hatte noch Urlaub vom letzten Jahr gut. Er schilderte ihr mit dürren Worten, wie schön es sei, durch die Welt zu gondeln. „Durch Amerika?“ „Durch Europa. Ich zeige dir Deutschland.“ „Wenn schon, dann bitte Paris, Venedig und Rom. Aber ich nehme nur Zimmer mit Bad und WC. Womit willst du das bezahlen? Etwa mit diesen schmutzigen Dollars?“ 30
„Ich habe gespart.“ „Du hast gespart? Wieviel? Fünfhundert?“ „Etwa soviel, wie in dem Umschlag steckt.“ „Wow! Rockefeller auf Schlicht und Einfach“, staunte sie. „Ich will es mir überlegen.“ „Viel Zeit haben wir nicht“, deutete er vorsichtig an.
Justus Berger war überrascht, daß Sussy Cameron seinen Vorschlag nicht rundweg abgelehnt hatte. Wenn sie mitfuhr, sah er seine Chancen in jeder Hinsicht wachsen. Er entging den Forderungen der Iraker, brachte sich und Sussy vor ihren Drohungen in Sicherheit, und in den Wochen der Reise gelang es ihm vielleicht, Sussy zu überzeugen, daß er so übel nicht war. Vielleicht konnte sie sich dann eine gemeinsame Zukunft mit ihm vorstellen. Immerhin war er ein solides, wenn auch nicht sonderlich attraktives Angebot. Wenn das Telefon ging, hob er nicht ab. Seinen Wohntrailer betrat er stets noch bei Tag und verließ ihn erst wieder, wenn die Sonne aufging. Sobald er drinnen war, schloß er ab und verriegelte die Fenster. In der Nacht ließ er Licht brennen und verstopfte die Frischluftgitter, bis auf die am Boden. Er fürchtete, sie könnten Gas hereinlassen. In den Nächten schlief er schlecht. Er träumte immer wieder, daß sie ihn entführten. Zwei Tage später erhielt er Post. Der Brief war mit Maschine getippt. Hinten war etwas auf den Bogen geklebt. Zwei aus einem Waffenkatalog ausgeschnittene Pistolen. Magnum 357. Darum
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Vollmantelgeschosse gruppiert, die einen Cadillac von vorne bis hinten durchschlagen konnten. In dem Brief stand nur wenig. Die eine Kanone ist für dich, die andere für Sussy Cameron. Wir haben bezahlt. Du bist unser Partner. Wir geben dir noch 24 Stunden. Sussy rief im Labor an. Was sie dazu bewegen hatte, wußte er nicht, aber sie sagte: „Einverstanden.“ „Du kommst mit?“ „Wann fliegen wir?“ „Alles ist gebont. Ich muß die Tickets nur abholen. - Morgen?“ „Ja, morgen“, entschied sie. Ihrem Zögern entnahm er, daß sie noch etwas auf dem Herzen hatte. „Doppelzimmer?“ fragte sie. „Es ging nicht anders.“ „Na schön, aber zu einer Bedingung.“ „Jede“, versprach er beglückt. „Ohne bumsen“, forderte sie. Das versprach er. Es gab da ein deutsches Sprichwort: Gelegenheit macht Liebe. „Okay.“ „Garantiert?“ „Willst du es schriftlich?“ „Drei heilige Eide genügen“, sagte sie. „Ich bin Jungfrau, sagen wir Halbjungfrau, und möchte es noch für eine Weile bleiben.“ Da er sich unbedingt berufen fühlte, diesen Rückstand bei ihr nachzubessern, ging er darauf ein. „Ich schwöre es.“ Die Aussicht, mit Sussy mehrere Wochen in 32
einem fernen Land allein zu sein, unterzutauchen, den Verfolgern zu entgehen, das beflügelte Berger nicht nur, es enthusiasmierte ihn geradezu. 5. Die Miene des Chefs in der CIA-Residentur Frankfurt/Main verfinsterte sich dermaßen, daß man ohne Übertreibung sagen konnte: Es war Nacht, und das Licht ging aus. Er starrte auf die Fotos, überflog die Agentenberichte und überlegte, wen er zuerst anrufen sollte: sein Headquarter in Washington oder den BND in München. Beide Gespräche würden unerfreulich verlaufen. Das wußte er jetzt schon. Aus Washington wü rde es Vorwürfe hageln, und aus München würde Schadenfreude dröhnen. Warum auch, zum Teufel, hatte er sich danach gedrängt, die zwei Iraker zu übernehmen. Natürlich hatte es Washington gefordert, und die Deutschen hatten ihm die Sache nur zu gern überlassen. Der Mißerfolg war nun sein Problem. Er mußte damit fertigwerden. Am besten, indem er den Spieß umdrehte. Er drückte eine Taste des Wählcomputers. Der arbeitete sich automatisch bis Washington durch. Als die Verbindung stand, summte der Apparat. Tyson hob ab. Ohne Anlaß, nur um optimistisch zu wirken, gab er seiner Stimme einen forschen Ton. „Schätze, wir kriegen die beiden in Algerien,
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Sir“, sagte er, an das Gespräch vor wenigen Stunden anknüpfend. „Vorgestern hieß es: Schätze, wir kriegen sie in Frankfurt“, höhnte der Europachef der CIA. „Sie schätzen zuviel, Tyson. Legen Sie in Zukunft eine genaue Meßlatte an, und versprechen Sie nur, was Sie auch halten können. Die Burschen sind uns wieder durch die Lappen gegangen und Sie sind schuld,“ „Es lag auch am Kompetenzwirrwarr bei den deutschen Behörden, Sir.“ „Dachte, der BND hätte Sie direkt informiert.“ „Inoffiziell, Sir. Wir bekamen einen Tip von befreundeten Kreisen aus München. Auch der BND kann Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz nicht umgehen.“ Es klang zu sehr nach einer Entschuldigung, als daß der Mann in Langley es akzeptiert hätte. „Diese zwei Iraker sind Operativagenten des Geheimdienstes in Bagdad, ausgestattet mit enormen Vollmachten. Wir haben sie schon des öfteren beobachtet. Kein Zwe ifel, sie haben versucht, in Deutschland Kernsprengstoff zu kaufen. Irgendein Dussel wagte sich zu weit vor. Das irritierte sie, und sie gaben Fersengeld.“ „Immerhin wissen wir, daß sie nach Algerien flogen“, wandte Tyson ein. „Ohne uns hätten die Deutschen möglicherweise zugegriffen.“ „Wohl kaum“, erwiderte Tyson. „Die nehmen keinen mehr fest, den sie später für eine Geisel austauschen müssen.“ „Trotzdem.“ Der Mann in den USA stellte seine Forderung hart aber deutlich, „wir müssen die 34
beiden kriegen. Bagdad versucht weltweit, eine kriegsentscheidende Waffe zu kaufen. Das liegt nicht in unserem Interesse. Lassen Sie sich etwas einfallen, Major Tyson.“ „Wir haben unsere Leute in Algerien informiert.“ „Algerien war und ist schon immer eine dicke Brühe zum Untertauchen für Fische aller Art gewesen. Araber haben in Algerien nun mal einen gewissen Platzvorteil. Was Sie auch unternehmen, wir erwarten eine Erfolgsmeldung. Binnen vierundzwanzig Stunden.“ Nach diesem Gespräch saß der Chef der Frankfurter CIA erstmal eine Weile benommen herum. Dann rief er in München an. Er wählte die Nummer der Operationsabteilung des BND in Pullach und wünschte Robert Urban zu sprechen. Der sei unterwegs, hieß es. „Ich lasse für die Fotos danken“, sagte Tyson. „Bitte richten Sie ihm das aus. Und ich bin heute abend in München.“
Wenige Autominuten westlich von Pullach stellte Agent Nr. 18 seinen alten Kampf-BMW ab. Urban zog sich bis auf Sporthose und T-Shirt aus und wechselte die Gucci-Slipper gegen Laufschuhe. Dann tauchte er ins dunkle Grün des Forstenrieder Parks, einem Waldgebiet von etwa vierhundert Hektar Größe. Er hatte sich vorgenommen, zwanzig Kilometer zu traben. Dann wurden es laut Schrittzähler doch nur vierzehn. Seit einem Monat hatte er trainings35
mäßig geschlampt. Kein Wunder. Im harten Einsatz in Spanien und Galizien blieb wenig Zeit, um morgens gemütlich Runden zu drehen. Körperlich lieferte er bestenfalls achtzig Prozent Leistung. Das wollte er nun in Ordnung bringen. Sauna, FitneßCenter, Joggen. Wenn man ihn diese Woche in Ruhe ließ, kam er schnell auf seinen Sollstand. Auf seiner Runde war er nur einem einsamen Radler begegnet. Bald sah er sein stahlblaues Coupe durch die Bäume schimmern. Am Rand des Fichtengehölzes warf er die Arme hoch und atmete tief durch. Aus, ein, aus, ein. - Die Überventilierung mit Sauerstoff machte ihn einen Augenblick schwindlig. Er schaute auf die Rolex. 16.00 Uhr. Weg durch Zeit gerechnet, war er gar nicht so schlecht gerannt. Er sperrte den BMW auf, schob sich hinein und suchte nach Zigaretten. Sie lagen meist im Handschuhfach. Also beugte er sich hinüber. Da sah er etwas. Ein paar Grasreste lagen auf dem Teppich vor dem rechten Sitz. Wie kam das Gras hierher? - Auf dem Sitz des Beifahrers hatte seit Tagen, sogar schon seit zwei Wochen, niemand gesessen. Er zerrieb das Gras. Es war grün, nicht frisch, aber auch nicht dürr. Nun bückte er sich unter das Armaturenbrett. Nichts zu sehen. Vorsichtig, um den Wagen nicht zu erschüttern, stieg er aus, legte sich auf den Rücken und zog sich unter das Auto. Mit fachkundigem Blick prüfte er Hinterachse, Differential, die Radhäuser, Innenseite der Felgen, Motorraum und Vorderachse. Alles war ziemlich verdreckt, aber nichts deutete auf eine Schweinerei hin. 36
Auf der anderen Seite kroch er hervor und dachte nach. Dabei schaute er von rechts in das Coupe. Hinten im schmalen Fußraum vor den Sitzen lag etwas, das nicht dorthin gehörte. Ein ovaler Ballen Laub. Urban sperrte nun auch rechts auf und klappte den Sitz vor. Ein Igel. Der Bursche mußte vorhin, als er sich umgekleidet hatte, durch die Tür geschlüpft sein. So wenig Scheu brachten Tiere nur auf, wenn sie die Tollwut hatten. Igel wurden aber nicht tollwütig. Von dem Igel konnte durchaus auch das Gras stammen. Er bewegte sich nicht, fuhr aber seine Stacheln wie zur Verteidigung aus. Urban berührte sie. Keine Reaktion des Tieres. Noch ein Versuch. Der Igel zuckte nicht einmal. Er war tot. Und tote Igel gingen nicht spazieren. Also stammte das Gras von einem Schuh eines Fußes eines Mannes, der den Igel hier hineingesetzt hatte. Der Mann hatte sich die Mühe gemacht, ihm zu folgen, ihn zu beobachten und in seiner Abwesenheit den Wagen zu öffnen. Demnach war der tote Igel kein Schokoladenigel, sondern eine mit Sprengstoff gefüllte Autobombe. - Und weil man sie offen hingelegt hatte, eine Bombe mit mehreren Zündkreisen, die auf Berührung und Erschütterung reagierte und dazu noch mit einem Zeitzünder kombiniert war. Urban hatte mehrere Möglichkeiten. Er konnte losfahren und sich umbringen. Er konnte die Handbremse lösen, den Wagen bergab rollen lassen und ihn opfern. Er konnte einen Experten für
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Höllenmaschinen anfordern oder selbst etwas versuchen. Zentimeterweise zog er den blauen Velourteppich, auf dem der Igel lag, nach hinten. Dann rauchte er eine Zigarette und fragte sich, ob er bescheuert sei, ein solches Risiko einzugehen. Andererseits reizte ihn das Spiel mit der Gefahr. Wäre es anders gewesen, hätte er seinen Job aufgeben müssen. Vorsichtig wie ein Chirurg beim Einfädeln der Nadel bog er die Enden des Teppichs hoch. Nun hatte er eine halboffene Teppichröhre, in der der Igel lag. Ohne anzustoßen, aber mit angehaltenem Atem brachte er sie ins Freie und dachte daran, sie im Gras abzusetzen. - Doch jetzt wollte er es genau wissen. Mit weitausholendem Schwung schleuderte er den Igel kraftvoll vom Teppich in die Luft. Er sah ihn abheben und in einer weiten Bahn, deren höchster Punkt vielleicht bei acht Metern lag, davonfliegen. Der fliegende Igel näherte sich schon wieder der Erde. Ungefähr dreißig Meter östlich des Waldrandes schlug er auf. - Tschakbumm! Ein Blitz, ein schmetternder Ton, hart und trocken, ohne Echo. Ein Luftdruck, wie von zwei explodierenden Handgranaten, wie von einer Fallbö, aber heiß und nach TNT stinkend. Und schon wärst du tot, dachte Urban. Jetzt brauchte er einen Schluck Bourbon und eine filterlose Blonde. Er suchte nach Fetzen des Igels, fand aber keine. Also zog er sich um und fuhr zum Hauptquartier hinüber. Das war's dann, dachte er. 38
Nein, das war es noch lange nicht, befürchtete er.
Zunächst ging Urban in die technisch-wissenschaftliche Abteilung, kurz Labor genannt. Sie befand sich tief in Pullachs Erde und breitete sich über mehrere tausend Quadratmeter unter dem BND-Gelände aus. Es ging nicht um eine Untersuchung. Er hatte nichts, was sich untersuchen ließ. Er wollte Professor Stralman sprechen, den Obereierkopf dieses Ladens. Stralman war anwesend. Urban konnte sich kaum erinnern, Stralman in den letzten zehn Jahren einmal nicht angetroffen zu haben, wenn er ihn brauchte. Demnach war er auch da, wenn man ihn nicht brauchte. Folglich immer. Zwar hatte er noch irgendwo eine landhausartige Villa, wo er seine fürchterlichen Schnäpse brannte, aber auch dort war er stets, wenn man anrief. Ein absolutes Geheimnis, wie er das fertigbrachte. Heute war Mittwoch, ein ungerader Tag, also trug er den braunen Labormantel. Der Rest war wie immer. Goldrandzwicker, weißes Haar, abstehend wie ein Heiligenschein, die alte Nuckelpfeife, das gütige Lächeln mit dem ironischen Zucken um die Mundwinkel Er duzte Urban vom ersten Tag an. „Freue mich, dich zu sehen, Junge. Bringst du Post?“ „Keine Post.“ „Ist eine gute Post“, sagte Stralman. „Schnaps gefällig?“ 39
„Stralman brutal für Elefanten und Seeleute?“ „Stralman grausam“, ergänzte der Professor, „für Agenten und verstopfte Kanalrohre.“ Urban lehnte dankend ab, berichtete kurz und schloß mit einer Frage: „Wer bedient sich der Hülle kleiner Tiere als Behälter für Bomben?“ Stralman kratzte sich mit dem Pfeifenstiel an der Kinnlade. „Eigentlich alle“, meinte er. „Wer alle? Kindergärtnerinnen und Missionare auch?“ „Alle, die mit solchen Schweinereien umgehen. Im Krieg war es ein bevorzugtes Tarnungsmittel der OSS-Kommandos. Aber seinen Ursprung nahm es wohl anderswo.“ „Ja, es gehört Fantasie und ein Schuß Romantik dazu. Du schenkst deinem Feind einen kleinen bunten Vogel, und er ist eine Höllenmaschine.“ Stralman schien nachzudenken. „Leider ist das nicht mein Spezialgebiet, aber ich glaube, es war im Orient, kurz nach der Erfindung des Schießpulvers. Man packte den Sprengstoff nicht in profane Behälter, sondern schmückte den Todesbringer und versteckte ihn in wertvollen Vasen, kostbaren Büchern, Karaffen duftenden Öls...“ „Und in Igeln.“ „Und Mäusen.“ „Es war ein Igel“, wiederholte Urban. „Jemand machte sich die Mühe, ihn mit TNT auszustopfen, Er muß darin geübt sein, es also gelernt haben. In einer Spezialschule. Wo gibt es solche Schulen?“
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„In Nahost“, bemerkte Stralman, mehr fragend als feststellend. Urban nickte zögernd. „Dann weiß ich, wer es gewesen ist. Dachte, sie hätten nicht bemerkt, daß ich sie verfolgte. Sie haben es aber sehr wohl bemerkt. Und sie sind nachtragend. Oder sie wollen mich warnen: Laß die Finger von uns, oder du wirst eines elenden Todes sterben.“ Stralman stopfte sich die Pfeife. Er tat es stets mit dem gleichen Genuß, mit dem er sie rauchte. „Wer sind diese Leute?“ „Iraker vermute ich.“ Stralman steckte die Pfeife an. Der Tabak glühte auf. Er drückte die Glut mit seinem hornigen Daumen hinein. „Iraker“, wiederholte er und telefonierte. Er stellte einem Mann mehrere Fragen, mußte warten und legte auf. Kurz darauf wurde er angerufen, lauschte und lächelte. Diesmal zeigte sein Lächeln eine Spur von Allwissenheit, „Die Mekka-Leute, meint unser Arabologe.“ „Schon gehört von ihnen.“ „Eine radikale Sekte, verbreitet vom Libanon bis Jordanien, auch in Syrien und im Irak.“ „Wickeln sie ihre Sprengstoffgeschenke in Igelböige?1 „Und andere. Das ist geradezu ein Markenzeichen ihrer Killertrupps. Den Namen Mekka haben sie von der Stadt Mekka.“ „War die auch so radikal?“ fragte Urban. Stralman wußte nur, was er von seinem Experten erfahren hatte. Er gab es wieder. „Die Stadt Mekka war Mohammed, dem Prophe41
ten, feindlich gesinnt. Damit drücken die MekkaLeute von heute ihre Gegnerschaft zu den Mullas in Teheran aus, die unerbittlich nach Mohammeds Lehre und dem Koran leben.“ „Wurde Mohammed nicht in Mekka geboren?“ „Er lebte lange dort. Aber die Mekkaner - anders als die Menschen in Medina - bekämpften ihn und seine Anhänger. Mohammed verließ Mekka. Von Medina aus wirkte er gegen Mekka. Erst nach fünfzehn Jahren kam es zu einem Waffenstillstand, und Mohammed kehrte nach Mekka zurück.“ Urban faßte zusammen: „Dann ist Mekka eine Organisation, die den totalen Krieg Bagdads gegen Teheran schürt.“ „Und nichts anderes als den Sieg mit allen Mitteln will.“ Urban wußte wieder ein wenig mehr. Sie hatten ihn töten wollen, weil er ihre Kreise störte. Sie waren also erschreckend gut im Bilde. „Das Haus war dunkel“, sagte Urban. ,Jetzt ist ein Fenster halb offen.“ „Wir sind dazu da, die Sonne hereinzulassen“, antwortete Stralman. Urban brauchte keinen Schnaps zu nehmen. Zum zweiten Mal kam er heute lebend davon.
Urban sah ihn, weil er winkte. Er saß in der hintersten Ecke eines Boulevardcafes an der Leopoldstraße, ziemlich oben beim Siegestor. Tyson hatte einen Whisky vor sich und den Ascher. Wie immer rauchte er Kette und trank ständig, wenn auch in kleinen Schlucken. Da er ein 42
Maul wie ein Karpfen hatte, fragte Urban sich, ob er etwa nur die Lippen befeuchtete. „Hallo, Ty!“ rief er und setzte sich. Der Amerikaner benutzte stets Urbans Kriegsnamen Dynamit, und Urban sagte Ty zu ihm. Schon längst befürchtete Urban, daß Tyson gar keinen Vornamen hatte. Sie kannten sich seit Urzeiten, wenn auch nicht sehr gut. Sie hatten selten miteinander zu tun gehabt und schätzten sich auch nicht sonderlich. Andererseits war Urban nichts Nachteiliges über Major Tyson in Erinnerung. „Wir werden alles tun, daß das nicht wieder vorkommt“, versprach Tyson. „Was ist schon alles?“ fragte Urban. „Kann jedem passieren. Dürfte natürlich nicht, aber...“ „Es waren clevere Burschen“, Urban half ihm über die Niederlage hinweg. Urban ließ die Sache mit dem Igel unerwähnt. Er war nicht ganz sicher und hatte noch andere Feinde, die ihn gerne in der Pfeife geraucht hätten. „Und dann diese Scheißfotos“, sagte der Amerikaner. „Deshalb bin ich hier.“ Urban hatte ihn informiert und ihm Kopien der Fotos der Iraker zugehen lassen. Trotzdem waren der CIA diese Leute entwischt. Aber um ihm das zu sagen und gemeinsam mit ihm darüber zu jammern, war Tyson nicht nach München gefahren. Bierliebhaber war er auch nicht. Warum also saßen sie hier? Tyson legte Fotos auf den Tisch. Urban kannte sie alle. „Das sind meine Aufnahmen.“ Nun legte Tyson neue Fotos dazu. Sie zeigten 43
zwei Männer. Urban kannte auch sie. Es handelte sich um die Burschen aus Wien, die in Frankfurt verlorengegangen waren. Aber der Hintergrund zeigte Palmen. Der Rest wirkte amerikanisch. „Geknipst in Kalifornien“, erklärte Tyson. „Wann?“ „Vor zwei Wochen.“ „Dann sind die zwei verdammt stramm unterwegs.“ „Kein Wunder bei Operativagenten und Waffeneinkäufern.“ „Was suchten sie in Kalifornien?“ Tyson unterrichtete Urban. „Sie pirschten sich an einen Gen-Techniker des Livermoore-Institutes heran. Aber er ließ sie abblitzen“ „Was wollten sie von ihm?“ „Vermutlich ging es um seine Fertigkeiten, Erbanlagen bei Kleintieren zu beeinflussen.“ „Wozu soll das gut sein?“ „Wissen wir nicht.“ Urban nahm auch einen Bourbon. Der Kellner mit der bodenlangen, weißen Wickelschürze brachte ihn. „Die CIA weiß es nicht?“ bemerkte Urban ungläubig. ,fragt ihn doch mal.“ „Er ist verschwunden.“ „Einfach so?“ „Auf Europareise mit der Freundin.“ Urban tippte blind. „Der Liebe oder der Angst wegen?“ „Schätze, beides sind die Motive. Als die Sache durchanalysiert war und wir zugreifen wollten, war die Stätte leer. Fort die Iraker, weg dieser Junge.“ 44
Urban hatte alles verstanden, aber nichts begriffen. „Was, bitte, haben wir mit der Sache zu tun?“ Tyson antwortete, wenn auch nicht direkt. „Es sind alles Mekka-Leute von der radikalen Truppe. Sie würden noch heute eine Atombombe auf Teheran fallen lassen, wenn sie eine hätten.“ „Das verdanken wir dem israelischen Mossad, der ihnen den Laden hopsnahm.“ „Euch gefährdet dieses Pulverfaß mehr als uns.“ Urban wagte dies zu bezweifeln. „Wir sind nicht irgendwelcher Staaten Schutzmacht.“ „Wir auch nicht.“ „Warum erzählst du mir das?“ wollte Urban endlich wissen. Er fragte sich, weshalb Tyson sich nach seiner Niederlage an ihn wandte, welchen Dreh er sich ausgedacht hatte, um den BND zu aktivieren. „Es geht um den Jungen und das Mädchen.“ „Die Mekka-Leute geben gewiß nicht auf“, stimmte Urban ihm zu. „Der Junge heißt Justus Berger.“ Plötzlich ahnte Urban, wohin die Kugel rollte. „Justus Berger. Das war wohl Sache seiner Eltern, oder?“ „Er ist Deutscher“, sagte Tyson, „immer noch. Er hat sich keine Spur amerikanisiert.“ „Er wird schon wissen, warum.“ Tyson versuchte, abfällig zu grinsen. „Schätze, du weißt jetzt auch warum ...“ „... du dich hierher bemüht hast“, ergänzte Urban. Tyson ging es also darum, eine Scharte auszuwet45
zen. Er versuchte alles, und es sah so aus, als habe er Erfolg. Justus Berger war Deutscher. Er hatte etwas, das die Iraker für ihren Endsieg brauchten. Die Mekka-Leute waren hinter ihm her. Nicht unbedingt ein Grund einzugreifen, aber auch kein Grund, gar keine Hand zu rühren. „Du bist ein Hundesohn, Ty“, zischte Urban. „Ja, wir ändern uns nie. Laß uns noch einen heben, Dynamit.“ „Danke. Ein Hundesohn pro Tisch ist genug.“ Urban zahlte und ging.
6. Sie lagen in der Sonne, halb im Hotelzimmer, die Füße auf dem Balkon. „Warum gehen wir nicht an den Strand?“ fragte Sussy Cameron. „Ich darf nicht im Meer schwimmen“, antwortete Berger. „Muttersöhnchen.“ „Es ist mir vertraglich untersagt.“ „Warum nehmen wir nicht ein Segelboot?“ „Ich kann nicht segeln.“ „Ein intelligenter Junge wie du?“ „Außerdem darf ich auch nicht segeln.“ „Ich weiß“, spottete sie. „Deine Mutter hat es dir verboten.“ „Nein, Paragraph neun meines Vertrages. Nicht im Meer schwimmen, nicht segeln,“ „Oben in den Seealpen liegt Schnee. Wir könnten zur Abwechslung Ski fahren.“
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„Paragraph neun“, erwähnte er. „Nur Langlauf ist gestattet. Und das geht im Sommer nicht.“ Was sie auch vorschlug, er wußte immer etwas, um es ihr auszureden. „Mieten wir ein Motorrad, Justy.“ Entsetzt hob er beide Hände. „Fahren auf Motorrädern und Fliegen in einmotorigen Flugzeugen ist mir nicht nur untersagt, sondern sogar strengstens verboten.“ „Nur bumsen nicht, he? Das probierst du doch in einer Tour.“ „Verzeihung, Gnädigste, wenn ich in zwei Wochen einmal diesen Wunsch äußerte.“ „Du bist betrunken. Alkohol sollte besser auch gegen Paragraph neun verstoßen.“ Er schwieg, und das brachte sie regelmäßig auf die Palme. „Was zum Teufel ist an dir besonderes dran, daß sie dir solche Verträge aufzwingen?“ Erst dachte er nach, dann antwortete er in aller Bescheidenheit: „Ohne mich läuft wenig, Baby.“ „Das ich nicht kichere.“ Sie provozierte ihn, wo immer es ging. Oft lief sie nackt vor ihm herum, ließ sich aber nicht anfassen. Sie reizte ihn mit Bemerkungen, daß er ein Schlappschwanz, ein Milchbubi sei so sehr, daß er glaubte, sie wartete darauf, daß er Gewalt anwende. Doch als er es einmal versuchte, kratzte und biß sie ihn blutig und trat ihm so zwischen die Beine, daß er drei Tage lang fürchtete, er sei für den Rest seines Lebens impotent. Immerzu überlegte Berger, wie er das ändern
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könne. Es mußte doch einen Trick geben, mit dem man sie herumkriegte. „Ohne meinen kleinen Justijungen läuft nichts“, höhnte sie. „Ich breche gleich zusammen.“ Da hob er beide Hände und deutete jeweils mit dem Mittelfinger in eins seiner farblos gelblichen Augen. „Es ist nicht schwer, wenn man es kann. Und es ist überhaupt kein besonderes Verdienst. Okay, ich habe es ein bißchen geübt, aber es ist wohl angeboren. Der eine kann stundenlang über nichts reden, der andere hat ein perfektes Gehör, der dritte eine ruhige Hand.“ „Du schneidest doch diese winzigen Dinger nicht mit dem Messer durch, oder?“ „Sie sind meist nicht größer als ein Tausendstel Millimeter. Man sieht sie nur unter dem Mikroskop, aber ich habe ein Gerät konstruiert, mit dem man diesen Winzlingen beikommt.“ „Und was machst du mit ihnen?“ „Ich nehme aus ganz bestimmten Bezirken jener Ketten, die die Erbanlagen weitergeben, gewisse Abschnitte heraus und setze dafür andere ein, die wir dort haben wollen.“ „Dadurch gewinnt man aus Eierlegern Säugetiere?“ „Dafür, daß du Biologie studierst“, entgegnete er, „stellst du recht dämliche Fragen.“ Aber es war wohl Absicht von ihr. Er fuhr fort zu dozieren: „Es geht uns in der Hauptsache um die Änderung der Immunabwehr bei Tieren. Nimm zum Beispiel einen Aasfresser. Warum stirbt er nicht an Leichengift? - Nimm einen Elefanten. Warum begnügt er 48
sich mit Pflanzennahrung? - Nimm einen Affen. Er ist unempfindlich gegen Gelbsucht. Warum? - Es gibt Kleintiere, die widerstehen jedem Schlangenbiß. Warum? - Das möchten wir wissen. Man erfährt es, indem man ihnen Defekte einbaut. So kann man den Geheimnissen auf den Grund gehen. Vielleicht läßt der Mensch sich eines Tages auf eine Weise manipulieren, daß Krebszellen keine Chance mehr haben.“ „Daran arbeitest du aber nicht.“ „Nein“, gestand er. „Es gibt andere mindestens ebenso akute Probleme.“ Das Zimmertelefon summte. Sussy erhob sich. Dabei fiel das Handtuch, das sie zwischen Nabel und Oberschenkeln gelegt hatte, zu Boden. Verstohlen blickte er ihr nach. Er sah, wie sich die runden Hälften ihres Gesäßes bewegten, wie sie sich mit leicht geöffneten Beinen bückte. Das erregte ihn sehr. Sussy hob ab, fragte, schimpfte und legte wieder auf. Jetzt zeigte sie sich von vorn. Sie hatte das schwarze Schamhaar gekürzt. Es war nur noch ein feines Persianervlies. Wozu, überlegte er, die Kosmetik, wenn sie keinen Gebrauch davon macht. „Wer war dran?“ „Niemand.“ „Schon der dritte Anruf mit niemand dran“, stellte er fest. „In so großen Hotels kommt das vor.“ „Auch regelmäßig um diese Zeit?“ Die Anruferei gefiel ihm nicht. Er fürchtete, die Leute aus Los Angeles hätten sie eingeholt. Dann 49
allerdings waren sie sehr geschickt. - Er hielt die Augen offen, konnte sie aber nicht sehen. „Wo waren wir stehengeblieben?“ Sie legte sich wieder in den Streifen Sonne zwischen Zimmer und Balkon. Diesmal ohne sich zu bedecken. „Ach ja, was zum Beispiel ist ebenso wichtig wie der Kampf gegen Krebs?“ „Der Kampf gegen Aids etwa.« „Justus Berger, der große Sieger über Ha-i-Vau.“ „Unsinn“, fiel er ihr ins Wort. „Aber nimm mal ein Schwein. Es hat ähnliche innere Funktionsabläufe wie der Mensch, aber es ist unempfindlich gegen gewisse Erreger. Also kann man es nicht als Testobjekt für neue Medikamente benutzen. Nun gehe ich her, ve rändere die Gene des Schweins auf eine Weise, daß es nicht mehr unempfindlich gegen diese Erreger ist und an der Krankheit ebenso leidet wie der Mensch. Damit ist es als Versuchsobjekt tauglich. - Laienhaft ausgedrückt.“ Sie reckte sich in der Wärme. Dabei berührte sie zufällig seinen Körper und zuckte sofort zurück. „Du bist“, rechnete sie, „seit Wochen nicht mehr im Institut. Wer übernimmt an deiner Stelle diese Erb-Montage?“ „Keiner.“ „Deine Werkzeuge stehen doch jedem zur Verfügung.“ „Klar kann man den Umgang damit erlernen“, erklärte er, „aber das dauert länger als ein Eingeborener vom Amazonas braucht, um einen Düsenjet fliegen zu können. Außerdem schaffen es nur wenige.“ „Es gibt also keinen außer Justus Berger, der auf
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diesem eleganten Weg aus Skorpionen Schmetterlinge macht.“ „Du lachst mich immer nur aus“, stellte er bedauernd fest. „Ein Genie“, spottete sie, „kann das ertragen. Ein Genie steht über allem.“ Berger lag da und hatte die Augen geschlossen. „Mag sein“, sagte er. „Gibt ja auch überhebliche Weiber.“ „Trotzdem“, entgegnete sie. „Wer bist du schon, Justus Berger?“ Nun spielte er seinen letzten Trumpf aus. „Übrigens“, fragte er, „kennst du die neueste Ausgabe der Enzyklopedia Americana?“ „Meinst du dieses große Universallexikon?“ „Seit dem Frühjahr“, erwähnte er bescheiden, „stehe ich drin.“ - Kleiner Mexikanerarsch, setzte er in Gedanken hinzu.
Im Hotelzimmer klappte es nicht, nicht am Strand und in den Diskos erst recht nicht. Sie bot sich ihm dar, wie eine exotisch duftende Blume, aber sie ließ sich nicht brechen. Justus Berger glaubte, daß es etwas gab, wo alle Mädchen hinschmolzen, nämlich wenn es romantisch wurde. - Aber wie waren die Tage an der Riviera noch zu steigern. - Sie wohnten ja schon in Antibes, einer dieser romantischen Städte an einer der schönsten Küsten der Welt. Am nächsten Tag, als sie durch den Markt streiften, sah er eine Geschäftsanzeige. Das ist es, dachte er blitzartig. Wenn das nicht 51
hinhaut, hilft gar nichts. Es handelte sich um das Angebot eines Autoverleihers. Sie vermieteten Jeeps mit Zelt und Campingausrüstung. Ein, zwei Nächte in der freien Natur, im Zelt oben in den Bergen, an einem rauschenden Bach. Er dachte an Mimosenduft, an zirpende Grillen, an die Sterne, den Mond, ein Lagerfeuer, Champagner gekühlt in einer Quelle. Geschickt richtete er es ein, daß sie auf dem Rückweg zum Hotel an dem Büro vorbeikamen. Er machte sie auf das Angebot aufmerksam. Sie war sofort begeistert. Drinnen fragten sie erst, wie morgen und übermorgen das Wetter sein würde. „Unverändert“, versicherte man ihnen. Als sie herauskamen, hatten sie einen Suzuki samt Ausrüstung für drei Tage gemietet. Am nächsten Morgen punkt 8.00 Uhr stand der Suzuki vor dem Hotel. Sie brauchten nur einzusteigen und loszufahren. Sogar eine Straßenkarte mit eingezeichneten Routen steckte im Türfach. Im Hotel hinterließen sie, daß sie erst am Wochenende zurückkämen. Unterwegs kauften sie noch ein. Drei große Tüten voll „Das Telefon ging, als ich duschte“, fiel Justus Berger ein. „Der Mann von der Rezeption meldete, daß der Wagen da ist.“ „Dachte, schon wieder so ein mysteriöser Anruf wie jeden Tag.“ „Gestern fiel er aus“, stellte sie fest. „Richtig. Vielleicht doch nur eine Fehlschaltung der Zentrale.“ 52
„Ich bin sicher“, sagte Sussy. Über Dinge, die sie nicht erklären konnte, ging sie gern hinweg. Sie war nicht oberflächlich. Wenn ein Problem auftauchte, suchte sie eine Lösung. Gab es keine, dann ab damit in den Papierkorb. Sie fuhren über Cannes hinauf nach Grasse und weiter zum Gorges du Verdon, der großen Schlucht. Sussy Cameron war den ganzen Tag über strahlender Laune. Sie alberte und erzählte, zwischendurch sang sie alte Hollywoodschlager von Irvin Berlin bis Cole Porter. Sie fragten einander aus, in welchen Filmen wer was gesungen hatte. Gegen Mittag rasteten sie im Schatten von Pinien, öffneten eine Flasche, tranken und putzten eine geräucherte Poularde bis auf die Knochen weg. „So stelle ich mir mein Leben vor“, gestand Sussy. „Wenig Arbeit, viel Spaß.“ „In der Wirklichkeit ist es andersherum.“ „Oder man ist reich.“ „Damit ist die Langeweile schon programmiert.“ „Ich würde es riskieren“, sagte sie. „Für Geld kannst du dir eine Masse Zeitvertreib kaufen. Wetten, daß sich Arme eher langweilen als Reiche. Wetten?“ „Wie immer kommt es auf die Mischung an.“ Berger legte seine Hand auf ihr Knie und tastete höher. Ihre Haut war trocken. Er spürte den feinen Flaum. Sussy nahm seine Hand nicht weg. Sie ließ ihn gewähren. Doch als er in intime Zonen geriet, schlug sie ihm erst auf die Finger, dann ins Gesicht. „Lunch beendet, Berger.“ Immerhin war er weiter gekommen als je zuvor. Sie fuhren noch bis zum späten Nachmittag. 53
Auch an den Ufern des Lac de Saint Cruoax begegneten sie kaum Leuten. Ein paar Wohnmobile campten wild, hie und da sah man am Ufer ein Zelt. Sie suchten sich eine Stelle mit weitem Blick. In der Nähe gab es Trinkwasser und Bäume. Berger holte das Zelt aus dem Suzuki. Während er noch die Gebrauchsanleitung studierte, hatte Sussy das Zelt schon aufgebaut. „Blas die Matratzen auf“, rief sie. „Dann suchst du Holz - falls du dürres von grünem unterscheiden kannst.“ Er nahm eine Flasche Champagner mit und marschierte los. Den Dom Perrignon legte er in das frische Quellwasser. Dürre Zweige fand er auch in Massen. Alles war wie im Roman. Alles lief nach Wunsch. Nur noch der Mond fehlte. Sie hatte eine Feuerstelle gebaut, wie man es bei den Pfadfindern lernte, geschützt vom Wind, ein paar Steine, Platz dazwi schen, so daß es gut zog und das Feuer brannte. In der Pfanne brutzelten Koteletts. Berger röstete Stangenbrot auf den heißen Steinen. Sie leerten eine Flasche Chablis und kratzten den zerlaufenen, aber sagenhaften Camembert vom Staniolpapier. Danach verdrückte Sussy noch eine Packung Madeleines. „Jetzt noch Kaffee und eine Zigarre“, schwärmte Berger. „Du und Zigarren.“ „Und eine zentnerschwere Lady.“ „Die Dame ist müde.“ Die Sterne blitzten, der Mond kam über den Bergen heraus. Draußen auf dem See trieb ein
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Segelboot vorbei. Schmalzige Radiomusik dröhnte herüber. Sussy gähnte, zog sich aus, stieg in den Trainingsanzug und kroch ins Zelt. Kaum lag Berger neben ihr, da fiel es ihm ein. „Der Schampus.“ „Kannst ihn alleine trinken.“ „Bin schon selig.“ „Dann laß es.“ No, dachte er, nicht in so einer Nacht. Und wenn er einsam am Feuer saß und sich einen ansoff. Also verließ er das Zelt wieder, ging die hundert Meter bis zum Bach und fand die Flasche nicht gleich. Er zog die Schuhe aus, watete aufwärts und vernahm plötzlich ein Geräusch. Er fuhr herum. Hinter ihm stand und atmete einer. Er hatte ein blankes, sehr spitzes Messer in der Rechten und viele goldene Ringe an den Fingern. Berger kannte diesen Mann. Die Absichten des Irakers waren eindeutig. Berger wollte um Hilfe schreien. Der Iraker preßte ihm die Hand vor den Mund. Berger fühlte die Spitze des Messers dicht am Hals und dann den Stich. Der Stahl drang nur fingertief hinein. Der Schmerz war sofort sehr stark. Doch als er das warme Blut über die Schulter rinnen fühlte, war der Schock noch größer. „Du kommst jetzt mit uns, Junge“, flüsterte der Iraker, „oder du wirst eines elenden Todes sterben.“ Berger versuchte, sich loszureißen. Da spritzte das Wasser des Baches unter den Sprüngen des zweiten Mannes auf. Sie überwanden ihn ohne allzu große Mühe. 55
Du bist feige, dachte Berger, als sie ihn fesselten, du hast nicht gekämpft. Aber er hatte an Sussy Cameron gedacht, an der sie sich vielleicht schadlos gehalten hätten. Und mit einemmal kam er sich nicht mehr so feige vor.
Es lag am Wein, daß Sussy Cameron bis zum Morgen schlief. Sie erwachte, als die strahlende Sonne hell auf die Zeltwand stand. Berger lag nicht neben ihr. Sein Schlafsack war unberührt. Gewiß war er beleidigt und hatte am Feuer geschlafen. Sie ging hinaus und sah ihn nicht. Sie nahm an, daß er am Geländewagen herummachen oder Wasser holen würde. Nach einer Weile ging sie hinauf zum Bach. Die Champagnerflasche lag noch dort, wo er sie versteckt hatte. Sie rief nach ihm. Keine Antwort. Er will dich ärgern, dachte sie, oder sich wichtig machen. Er führt sich so auf, daß du dich um ihn sorgst. Aber da kann er lange warten. Er ist und bleibt ein bescheuerter Typ. Die Stunden, in denen sie bereute, sich auf diese Reise eingelassen zu haben, waren im Vergleich zu den anderen, in denen sie es lustig fand, weit in der Überzahl. Von wegen verfolgt, dachte sie. Er leidet an Verfolgungswahn, dieses Würstchen. An diesem Morgen, als sie zum Lagerplatz zurückkehrte, beschloß sie, die Reise abzubrechen
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und nach Kalifornien zurückzukehren. Sie würde es Berger sagen, sobald er aufkreuzte. Aber dazu kam es nicht mehr. Sussy Cameron wartete noch ein paar Minuten, dann machte sie Frühstück. Sie rührte MaxwellInstant-Kaffee in heißes Wasser, nahm Sahne aus der Dose, aß dazu ein Croissant. - Noch schmeckte es ihr. Sie war gespannt, was er sich wieder ausgedacht hatte, dieser Spinner. Aber Berger kam nicht, und sie begann, ihn zu suchen. Sie suchte bis zum Nachmittag und fragte bei den wenigen Leuten, die sie traf. Sie hatten Berger nicht gesehen und auch nichts Auffälliges bemerkt. Sie geriet in Unruhe und in Wut, aber nicht in Sorge. Sie blieb noch eine Nacht oben am See. Am nächsten Morgen packte sie zusammen und fahr mit dem Geländewagen zurück nach Antibes. Gnade ihm Gott, wenn er sich einen Scherz erlaubt hatte und im Hotel auf dem Bett lag. Im Hotel hatte man ihn aber auch nicht gesehen. Allmählich kam Sussy Cameron zu der Überzeugung, daß irgend etwas nicht stimmte. Ihr fiel wieder ein, daß er sich bedroht gefühlt hatte. Und dann diese merkwürdigen Anrufe. Sie beschloß, zur Polizei zu gehen. Aber als amerikanische Staatsbürgerin rief sie zunächst dort an, wo Amerikaner in Bedrängnis zuerst Hilfe suchten, nämlich bei ihrer Botschaft. Kaum hatte sie der American-Embassy in Paris ihren Namen genannt, hörte sie zu ihrer Überraschung: „Miß Sussy Cameron aus LA?“ 57
„Die bin ich.“ „Sind Sie mit Mister Justus Berger unterwegs?“ „Das war ich“, erklärte sie. „Er ist verschwunden. Deshalb rufe ich Sie an.“ „Ich verbinde.“ Es dauerte nur Sekunden. Dann meldete sich ein Mann mit klarer, ein wenig harter Radiosprecherstimme. „Mein Name ist Tyson. Bill Tyson von der CIA in Frankfurt. Wir suchen Sie seit Wochen, Madam. Wir sind in großer Sorge. Fein, daß Sie sich melden. Hoffentlich nicht aus schlimmer Ursache.“ „Das“, antwortete Sussy Cameron, „müssen Sie selbst beurteilen, Mister Tyson.
7. Die persischen Streitkräfte schlugen am Freitag an allen Brennpunkten des Krieges gleichzeitig zu. Die persische Artillerie nahm die irakischen Städte Subair und Haretha sowie Basra unter Artillerie- und Raketenbeschuß. Das Feuer währte die ganze Nacht über und führte zu starken Zerstörungen. Auch im Nordwesten tobten heftige Kämpfe. Die persischen Truppen eroberten die von Irakern besetzte Stadt Nowsud zurück. Ihre Angriffswellen überrannten die irakischen Garnisonsstädte Taula und Bjara. Wie die Teheraner Agentur ERNA meldete, bombardierte die persische Luftwaffe in Nordosten des Irak die Städte Mosul und Erbil. Angeblich schoß
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ihre Luftabwehr acht irakische Kampfflugzeuge des Typs Mirage F-1 ab. Im Verlauf der Offensive fielen auf irakischer Seite 9 000 Soldaten. Gleichzeitig beschoß Bagdad die persische Hauptstadt mit Raketen. Insgesamt wurden aber nur sieben Mittelstreckenraketen abgefeuert.
„Warum nur sieben Raketen als Antwort?“ fragte der Minister im Kriegsrat in Bagdad. „Weil wir nicht mehr Raketen haben“, antwortete General Indra. „Und warum schweigen unsere Agenturen? INRA hat kaum Meldungen an die Weltpresse weitergegeben.“ „Weil es nichts zu melden gibt, Exzellenz“, erklärte einer der Befragten. „Oder sollen wir unsere Niederlage zugeben?“ „Wir geben nie einen Rückschlag zu.“ „Es hat sich erwiesen, daß Stillschweigen besser ist als die Unwahrheit.“ „Aber Schweigen wird als Eingeständnis gegnerischer Erfolge gewertet.“ Wie immer stritten sie, anstatt Maßnahmen zu beschließen. Die Polstertür ging auf. Ein Offizier brachte die neuesten Zeitungen. General Indra überflog sie und reichte sie an Scheik Hadr weiter. Dieser bat, als er den Leitartikel gelesen hatte, ums Wort. „Freunde! Brüder!“ rief er. „Darf ich euch ein Interview vorlesen, das die ägyptische Zeitung al59
Ahram mit unserem Staatschef führte und soeben veröffentlichte.“ Der Minister winkte ab. „Kenne ich.“ „Trotzdem interessant.“ „Laß hören“, bat der anwesende Luftwaffenchef. Mit seiner gleichmäßig hohen Stimme zitierte der Scheik: „Saddam Hussein erklärte, daß ihn seine Rüstungsindustrie über Verbesserungen des gegenwärtig benutzten Raketentyps unterrichtet. Der Staatschef wörtlich: Meine Brüder in der militärischen Produktion haben mir gestern - ich betone gestern - mitgeteilt, sie hätten unsere Raketen soweit modernisiert, daß sie nun eine Reichweite von neunhundert Kilometern besitzen. Das bedeutet eine Erweiterung des Wirkungsbereiches um zweihundertfünfzig Kilometer. Die Rakete befindet sich im Test. Die Ergebnisse müssen noch abgewartet werden.“ Einer der Anwesenden applaudierte. Doch General Indra dämpfte den Beifall. „Sie sind längst getestet.“ „Und warum setzt man sie nicht ein?“ „Weil wir keine haben.“ „Und warum haben wir keine?“ „Weil wir sie nicht selbst bauen.“ „Wir kaufen sie also?“ „Richtig.“ „Wer liefert sie? Moskau?“ Der General senkte die Stimme. „Nordkorea. Aber sie verlangen mehr, als der Ersatz für sie kostet. Die neuen Raketen aus der
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UdSSR, womit sie ihren Schrott ergänzen, sind moderner und billiger.“ „Bei Allah, was für ein mieses Geschäft“, stöhnte der Staatssekretär der Finanzen. „Der Nachteil“, eröffnete der General, „wäre zu schlucken, wenn genug Nachschub käme. Der aber sieht so aus, daß wir in zwei Tagen gerade eine Rakete abfeuern können.“ „Pro Tag also eine halbe“, bemerkte einer sarkastisch. „Oder sieben in zwei Wochen.“ „Da lachen die Mullas doch nur.“ Immerhin beschloß man, den Krieg im Golf zu verschärfen, Ölfelder anzugreifen und Tanker zu beschießen. Die NATO-Staaten sollten glauben, daß der Irak überlegen und zu allem entschlossen war. Aber eine dauerhafte Lösung war das nicht. „So“, befürchtete der General, „werden wir niemals den Sieg erringen.“ Das machte sie ratlos. Einer stellte die brennende Frage: „Wie dann, bitte, Bruder Indra?“ Der General ließ erst eisgekühlten Tee servieren. „Es gibt vielleicht eine Lösung“, deutete er an. Dies aber nur als schwachen Trost, damit ihnen der Tee und die Vanilleplätzchen besser mundeten.
Spät in der Nacht wurde der General vom Chef des Geheimdienstes angerufen. Es war zu der Stunde, als persische Granaten die Grenzstädte im Norden verwüsteten und Panzer und Infanterie des Gegners weit auf irakisches Gebiet vordrangen. 61
„Ich weiß, was an der Front los ist“, sagte Indra. „Ich bin General.“ „Es gibt zwei Fronten“, erwiderte der Geheimdienstchef daraufhin. „Die sichtbare und die unsichtbare.“ „Sieht es dort etwa besser aus?“ „Vielleicht“, deutete der Geheimdienstchef an. „Dann bereiten Sie mir die Freude“, bat Indra. „Operation Dschingis Khan kann weiterlaufen“, meldete der Mann vom Geheimdienst. Sie hatten dem Projekt diesen Decknamen in Anlehnung an den Trick gegeben, mit dem einst Dschingis Khan eine Festung erobert hatte. Der Geheimdienstchef kannte zwar nicht sämtliche Einzelheiten und nicht die wissenschaftlichen Details, aber die Vorarbeiten waren jetzt abgeschlossen. „Haben Sie diesen widerspenstigen Experten endlich?“ erkundigte Indra sich. „Wir fanden Berger mit seiner Freundin in einem Hotel an der französischen Riviera. Offenbar aus Langeweile mieteten sie einen Geländewagen mit Zeltausrüstung und fuhren in die Berge. Dort entführten wir ihn. Inzwischen wurde er auf einer Yacht nach Tunis gebracht. Von dort aus Jetten wir ihn nach Bagdad.“ „Wann kann er hier sein?“ „In ein, zwei Tagen, General.“ „Bereiten Sie alles vor“, forderte der General. „Einen Komplex nach Sicherheitsstufe eins, ausreichend groß für die Einrichtung eines Labors, für Kleintierställe, Unterkünfte für Wachen und Hilfspersonal.“ „Sicherheitsstufe eins gilt hierzulande aus62
schließlich für den Staatschef“, gab der Anrufer zu bedenken. „Dieser Berger ist für mehrere Wochen oder Monate von ähnlicher Wichtigkeit. Seine Arbeit wird den Krieg entscheiden.“ „Dann“, erklärte der Geheimdienstchef, „kann ich ihn weder in einer Stadt noch in einer Oase unterbringen.“ „Woran dachten Sie?“ „An eine Garnison. Am besten ein Fort in der Wüste.“ „Wählen Sie von all den sicheren Orten den sichersten“, riet der General, „damit jeder Befreiungsversuch von vornherein aussichtslos ist.“ „Andere Geheimdienste sind schon hinter ihm her. Die CIA und auch der BND suchen ihn.“ „Kann ich mir denken“, erwiderte Indra. „Das beunruhigt mich einerseits, auf der anderen Seite bestätigt es, daß wir den richtigen Mann ausgewählt haben. Ich wünsche über jeden Schritt informiert zu werden. Dieser Mann ist unsere Geheimwaffe.“ Der Anrufer versprach, den General täglich zu unterrichten. „Um das Madchen muß man sich ebenfalls kümmern“, fügte er noch hinzu. „Sie hat ihre Botschaft um Hilfe gerufen. Die Amerikaner setzten alle möglichen Organisationen in Alarm. Sürete, Interpol, die NATO-Geheimdienste.“ Der General räusperte sich, als wolle er Zeit zum Nachdenken gewinnen. Dann äußerte er seine Meinung. „Dieses Mädchen kann uns tot wenig nützen, lebend aber um so mehr. Berger ist ein sturer Typ, 63
aber in das Mädchen ist er verliebt. Man muß sie weiterhin als Druckmittel einsetzen. Wie war's, wenn wir mit fotografischen Dokumenten, die man Berger zu gegebener Zeit vorlegt, seiner Einsatzfreude auf die Sprünge helfen?“ „Gute Idee“, erklärte der Anrufer. „Ich beauftrage Goldring damit. Er kennt die Verhältnisse. Frauen sind seine Spezialität.“ „Und alles“, wünschte der General, „möglichst ohne großen Wirbel. Wir haben genug negative Presse.“ „Eine schwierige Aufgabe.“ „Und absolut lautlos, wenn ich bitten darf.“ „Deshalb ist es ja eine so schwierige Aufgabe“, betonte der Anrufer noch einmal.
„Hier können Sie nicht bleiben“, rief Bob Urban, als er das Hotelzimmer betrat. Sussy Cameron lag nackt auf einem Handtuch in der Sonne, den Oberkörper im Zimmer, die andere Hälfte auf dem Balkon. Ohne sich zu bedecken oder auch nur die Lage zu verändern, bemerkte sie: „Der Zimmerkellner würde anklopfen. Wer sind Sie?“ „Bundesnachrichtendienst Germany.“ „Ich habe alles gesagt, was ich weiß.“ „Aber nicht getan, was man Ihnen riet“, entgegnete Urban und setzte sich aufs Bett. Diese Frau hatte den Körper einer schnittigen Limousine, auch jetzt, als sie sich herumrollte und
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ihr Hinterteil darbot. Sie hob den Kopf und blickte ihn an. Dabei lächelte sie spöttisch. „Und was tun Sie so als Agent?“ Er antwortete so ernsthaft, wie sie gefragt hatte. „Ich trinke, schlafe zu wenig und rauche zu viel.“ „Das macht Sie sympathisch. Sympathische Männer haben es leicht bei mir. Die anderen, die bis jetzt vorbeikamen, waren Dummköpfe oder grapschten mir an die Wäsche.“ „Sie sind in Lebensgefahr“, fuhr er fort. „Warum? Verstehe ich nicht. Ich weiß nicht mal, wieviel Uhr es ist, wie soll ich da erst...“ Er warf ihr den Bademantel zu. „Unnötig, daß Sie etwas verstehen“, antwortete er. „Los, ziehen Sie sich an, und kommen Sie mit. Sie erfahren alles unterwegs.“ Sie benutzte den Frotteemantel nur, um sich Sonnenöl und Schweiß aus dem Nacken und von den Brüsten zu wischen. Dabei brachte sie ihre Verstimmung zum Ausdruck. „Ich schätze es wenig, kommandiert zu werden, Sir.“ „Uns bleibt keine andere Wahl.“ „Das macht Sie nicht beliebter bei mir, Sir.“ „Ich war nie beliebt“, erklärte er und steckte sich eine Zigarette an. Endlich stand sie auf, träge wie ein Reptil, dem es zu kalt war, und ging ins Bad. Kaum war sie drinnen, kam sie wieder heraus und blieb, an den Türrahmen gelehnt, stehen. „Wie kommen Sie hierher, Sie Agent, Sie?“ „Wie all die anderen.“ „Die fragten mich nur aus.“ „Berger ist immer noch deutscher Staatsbürger“, 65
machte Urban ihr klar. „Und man behauptet, er sei auf einem bestimmten Gebiet so etwas wie ein einsamer Experte. Da es Zusammenhänge gibt, nämlich mit der Beschaffung von Waffen von Seiten des Irak, mußte ich mehr oder weniger aktiv werden.“ „Okay“, sagte sie. „Werden Sie es lieber weniger als mehr, und duften Sie ab, Mann.“ „Sind Sie reisefertig, Gnädigste?“ „Das werde ich überhaupt nicht sein.“ „Dann müßte ich Sie dazu zwingen.“ Sie strich das Haar nach hinten. „Sie wollen mich entführen, wie Berger entführt wurde. Dann sind Sie nicht besser als diese Kidnapper.“ „Los, beeilen Sie sich!“ drängte er ohne weiteren Kommentar. Ohne sich von der Stelle zu rühren, musterte sie ihn. Seine schwarzen Slipper, die dunkelblaue Gabardinehose, den zweireihigen Glenchecksakko, das Seidenhemd, die schmale, unifarbene Krawatte aus Strickgewebe. Dabei schätzte sie seine Größe und seinen Körperbau ab. „Wem sehen Sie ähnlich?“ „Mir“, antwortete Urban. Er hatte kein unangenehmes Äußeres. Vielleicht waren dem einen oder anderen seine hellgrauen Augen ein wenig zu durchdringend. Anderen mißfiel seine gesunde Bräune, das braune Haar, das er ein wenig zu lang trug, oder das Kinn voll Kraft und Energie, Am wenigsten geschätzt war der Ausdruck um seine Mundwinkel. Viele fühlten sich auf den Arm genommen.
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„Warum grinsen Sie immer?“ fragte Sussy Cameron. „Das ist leider angeboren. Ein kleiner Muskeldefekt. Die Hebamme paßte nicht auf.“ „In Ihrem Job kriegt man oft was auf die Nase. Warum ist Ihre Nase noch so gerade? Sind Sie feige?“ „Ich dreh mich meistens schnell weg.“ „Schön, dann drehen Sie sich auch jetzt weg, oder haben Sie noch keinen weiblichen Hintern gesehen?“ „Ist lange her.“ „Mindestens eine Woche, he?“ „Drei Tage“, bedauerte er. Urban hörte die Dusche. Es dauerte nicht lange, dann kam sie abgetrocknet aber unbekleidet zurück. Er schaute auf die Uhr. „Es wird bald dunkel. Wir haben eine lange Fahrt vor uns.“ „Wohin verfrachten Sie mich?“ „In Sicherheit.“ „Und was wollen Sie dort von mir? Mit dem, was Ihre Vorgänger wollten, geht nichts bei Sussy Cameron.“ „Wir müssen über Berger reden. Sie erzählen mir, was Sie wissen. Es hilft uns, ihn zu finden.“ Sie schlenderte zum Schrank, öffnete ihn und war unschlüssig, was sie anziehen sollte. „Sie kriegen immer, was Sie wollen, he?“ stellte sie fest. „Ich nehme es mir einfach.“ „Nicht bei mir.“
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Sie drückte die Schranktür zu und warf sich aufs Bett. „Ein Sonnenbad ist einschläfernd wie Mohnpaste. Kommen Sie in einer Stunde wieder, schöner Mann.“ „Also in einer Stunde“, sagte er. „Mein Name ist übrigens Urban.“ „Nur Urban?“ „Für Sie“, betonte er, „nur Urban.“
An der Hotelbar nahm Urban einen einfachen, denn sie hatten nur Scotch. Er schaute auf die Uhr, steckte sich eine MC an und blätterte in den Gazetten. Figaro und Messaggero lagen auf. Nach zehn Minuten ging er hinaus. Sein KampfBMW stand drüben am Parkplatz, aufgetankt und fahrbereit. Nach der Uhr war bald Abendessenzeit. Die Sonne stand schon schräg. Gutes Licht zum Fotografieren. Verdammt, dachte er so für sich, warum brauchen Frauen eine Stunde, um sich anzuziehen und die paar Klamotten zu packen. Sie mußten noch ein gutes Stück fahren, um Sussy Cameron an einen Ort zu bringen, den man für sicher hielt. Diese Sussy Cameron war zwar nicht die Königin von Saba, gewiß bemühten sich die Mekka-Leute aber noch einmal um sie. Und dies aus vielerlei Gründen. Die Mekka-Bande hatte bisher nicht schlecht, fast professionell gearbeitet. Sie hatten
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beobachtet, Infos gesammelt, das Terrain vorbereitet und zugeschlagen. Während Urban an den Igel dachte und über das Meer schaute, hatte er entlang der Rückgratlinie ein frostiges Gefühl. Die Mekka-Leute wollten etwas von Sussy Cameron, davon ging man aus, und deshalb brachte er sie auch in Sicherheit. Diese Burschen beschatteten die Amerikanerin, also mußten sie auch bemerkt haben, daß er in Aktion getreten war. Urban warf die Kippe weg, nahm sich nicht einmal Zeit, sie auszutreten, eilte ins Hotel und hastete die Treppe hinauf, weil der Lift unterwegs war. Im Dritten empfing ihn ein gähnend leerer Korridor. Die letzten Meter schlich er, dann lauschte er an der Tür. Kein Ton war zu hören. Vielleicht litt er auch an Wahnvorstellungen. - Er drehte am Knopf. Die Tür war innen verriegelt. „Miß Cameron!“ rief er. Die Antwort war ein Schrei, abgepreßt durch eine Hand. Urban trat zurück und nahm Anlauf. Die Schließnase am Schloß fetzte aus dem Holz. Die Tür federte nach innen. Urban blickte in zwei Öffnungen. In den Lauf einer schallgedämpften Pistole und in das Objektiv einer Kamera. Ein untersetzter Killertyp mit zu vielen Goldringen hatte die Kamera vor dem Bauch und die Luger in der Rechten. Mit dem linken Arm hatte er Sussy Camerons Kopf in einer Stellung, die man Schwitzkasten nannte. Die Hand hielt ihr den Mund zu. „Du kommst gerade recht“, zischte der Iraker. 69
„Flossen hoch, hinsetzen. Ganz langsam. Eine ungestüme Bewegung, und du bist ein Name am Stammbaum deiner Ahnen.“ Sussy Cameron war sogar schon angekleidet. Sie trug einen Fummel, bunt wie eine Tischdecke vom Kaufhof, aber noch war sie nur halb geschminkt. Der Bursche mußte sie bei der Toilette überrascht haben. „Sie erscheinen nur, wenn man Sie nicht braucht“, keuchte Sussy Cameron. Die Absicht des Mekka-Killers war eindeutig. Er brauchte ein paar eindrucksvolle Fotodokumente, um Bergers Arbeitseifer zu beflügeln. Die Kamera war ungefährlich, aber die Kanone mit dem dicken Auspuff-Vorsatz hatte Kaliber 9 Millimeter. Eine Luger war für diese Arbeit immer noch das geeignetste Instrument. Es gab andere Pistolen, modernere, die besser schössen als diese siebzig Jahre alte Konstruktion, die mit ihrem mittelalterlichen Kniehebelverschluß schon beinah ein Museumsstück darstellte, aber mit Schalldämpfer war sie immer noch das perfekte Tötungsinstrument. Wenn man bei der Luger an einer bestimmten Stelle herumfeilte, dann wurde sie sogar zur Maschinenpistole und ballerte ihr ganzes Magazin zack-zack-zack heraus. Urban kannte die Luger gut. Sie hatte links, wo der Daumen gut hinkam, ein Schiebestück, halb so groß wie ein in der Mitte abgebrochenes Streichholz und geriffelt. Wenn man es bewegte, wurde ein roter Punkt frei. Dann war sie entsichert. - Doch Urban konnte den roten Punkt nicht sehen. Er fragte sich, ob das bei einem Profi vorkommen 70
durfte. - Aber klar. Gerade bei einem Profi, der sich im Umgang mit einer Luger-Pistole - auch null neun genannt - auskannte, war das zu erwarten. Die Luger ging nämlich verdammt schnell los, wenn man sie entsichert hatte. Und daß sie losging, hatte der Goldringträger wohl gar nicht beabsichtigt. Er war als Fotograf gekommen. Urban riskierte es. Er nutzte die Chance, die vielleicht gar keine war. Blitzschnell schlug er zu. Erst einmal auf Distanz mit der Schuhkante. Der Iraker zeigte kaum Reaktion. Er wankte nur ein wenig aus der Zielrichtung und riß dabei am Abzug der Waffe. Die Luger reagierte nicht. Noch ehe er automatisch entsicherte, schickte Urban die nächste Kante nach. Diesmal die der Hand. Er wuchtete sie ihm gegen den Halsansatz, als wollte er einen Bullen narkotisieren. Der Iraker war offenbar hart im Nehmen. Es schien ihn kaum zu beeindrucken. Aber er hatte ein Nervensystem mit Verzögerungszünder. Mit einemmal weiteten sich seine Augen. Zwar hatte er entsichert, und er schoß auch zweimal, aber ungezielt und in die Tapete. Den Rest gab ihm Urbans dritter Treffer. Der schloß ihm das weitgeöffnete Äug. Mit einem Grunzlaut, der sich fast friedlich anhörte, kreiselte er nach links. Wie ein Korkenzieher, der sich in eine Flasche drehte, wurde er kleiner, schien sich in den Fußboden zu bohren und fiel dann nach vorne. So lag er da, mit Katzenbuckel auf der Kamera. „Wurde aber Zeit“, bemerkte die Cameron erleichtert.
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Mit vorgetäuschter Ruhe schmiß sie ihre Sachen in den Koffer. „Können wir?“ fragte sie. „Moment noch“, bat Urban und telefonierte. Er rief eine Nummer in Paris. „Tyson“, sagte er. „Einen habe ich. Bedient euch. Quetscht ihn aus. - So long!“ Dann fesselte er den Iraker an Händen und Füßen. Bevor sie das Hotel verließen, wandte Urban sich an den Manager. „Sorgen Sie dafür, daß niemand Zimmer dreivierzehn betritt, ehe die Polizei kommt.“ „Hört das denn niemals auf“, jammerte der Direktor.
Sie fuhren an der Küste entlang in Richtung Genua. Jenseits der Grenze, auf italienischem Boden, schien die Amerikanerin den Schock überwunden zu haben. „Urban“, sagte sie, „ist kein Vorname.“ „Richtig.“ „Dann bin ich nur die Cameron für dich.“ „In Ordnung, Cameron“, sagte er. „Wie alt bist du, Urban?“ „Dreißig“, log er. „Dann trennen uns ja Dezennien.“ „Höchstens eines.“ „Das reicht.“ „Warum hast du diese Kanaille hereingelassen, Cameron?“ Sie hing lässig im Beifahrersitz, die Arme im 72
Nacken gekreuzt, den Saum des Geblümten hoch über den Schenkeln. „Ich habe keine Angst vorm Schwarzen Mann.“ Er schätzte, daß sie entweder indianisches Blut in sich hatte oder mexikanisches. Aus solchen Mischungen entstanden äußerst attraktive Frauen. „Du bist schön“, sagte er, um sie irgendwie zu kaufen. „Und verrückt.“ „Deshalb bist du ja so schön, Cameron.“ „Sprich es ruhig aus“, sagte sie. „Was? Kannst du Gedanken lesen?“ „Du willst wissen, wie ich mich mit Berger einlassen konnte. Mit Justus, diesem Totalflop.“ „Okay, und warum?“ „Er war ein Freund. Jetzt ist er wohl in der Hölle.“ „Warum diese gemeinsame Reise?“ „Es ist das Abenteuerblut in mir. Aber es war verdammt kein Abenteuer.“ „Hast du noch nicht genug?“ Sie schielte aus den Augenwinkeln. „Es fangt erst an, oder?“ „Träume“, tat er es ab. „Träume einer Jungfrau.“ „Jungfrau, na und.“ „Mit Zwanzig noch Jungfrau. Empfindest du es als Makel?“ „Neunzehn“, verbesserte sie ihn. „Also, wohin geht die Reise?“ Es war jetzt dunkel, und er knipste die Scheinwerfer an. Die Autostrada führte durch Tunnels und immer wieder Tunnels. „In ein Häuschen bei Santa Margherita.“ „Deines?“ 73
„Von Freunden.“ „Von CIA, FBI, Interpol oder wie diese bescheuerten Bastardvereine alle heißen.“ „Laß dich überraschen, Cameron.“ „Ich bin verdammt abgebrüht“, prahlte sie. Sie hatte eine Menge verschiedener Rollen drauf. Doch es störte ihn wenig. „Und wozu soll diese Reise gut sein, Urban?“ „Zu deinem Besten.“ „Oder zu eurem.“ „Auch wenn du dir wenig aus Berger machst, mitgegangen - mitgehangen, heißt es.“ „Ich liebe ihn“, betonte sie ein wenig falsch. „Ja, von Herzen.“ „Ehrlich.“ „Klar“, spottete er. „Ehrlich wie Schaumwein, der als Champagner verkauft wird.“ „Dann kann ich ja pennen, oder?“ „Wäre nicht schlecht.“ Er half ihr, den Sitz abzukippen. Sie war im Nu weg. Sie schlief hundert Kilometer, bis er anhielt und den Motor abstellte. Es war Nacht. Man konnte weder den tropischen Garten noch das Haus richtig sehen. „Trag mich ins Bett“, flüsterte sie. Er wunderte sich über gar nichts mehr. Er hatte schon zu viel erlebt. Er stieg aus und riß rechts die Tür auf, daß sie beinah ins Freie fiel. „Erst ein Dinner for two“, sagte er, „dann ein Gespräch for two.“ „Dann ein Bett for two“, fiel sie ihm ins Wort. „Aber da hast du dich geschnitten, Urban.“ Sie dehnte sich wie eine Katze nach langem 74
Schlaf und folgte ihm widerwillig in den alten Palazzo. Unsichtbare Geister hatten das Kaminfeuer angezündet und für alles andere gesorgt. Die Organisation war perfekt. Urban hoffte, daß auch der Rest des Abends gelingen möge.
„Ein Meisterkoch“, schwärmte sie. „Alles nur aufgetaute Kühlkost.“ „Der Wein ist fantastisch.“ „Der Doppelliter kostet tausend Lire im Supermarkt.“ „Wem gehört das Häuschen?“ „,Der Mafia.“ Sie nahm das Dessert vom Servierwagen, löffelte das Tiramisu mit dem gleichen Appetit wie die Lasagne, tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab und lehnte sich zurück. „Feine Henkersmahlzeit“ „Du kannst davon ausgehen, Cameron, daß es kein Hochzeitsschmaus sein sollte.“ „Dann komm zur Sache, Urban.“ Er hatte schon den ganzen Abend darauf zugesteuert. Jetzt ließ er sich nicht zweimal bitten. „Was genau wollen die Iraker von Berger?“ „Seine zärtlichen Hände.“ „Du mußt sie ja kennen.“ „Vielleicht.“ Sie seufzte. „Aber der Rest war auch nur aus der Kühltruhe.“ Sie wirkte ein wenig unzufrieden. Daran änderte
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auch die Kerzenbeleuchtung nichts. Nur der Glanz in ihren Augen paßte nicht zu ihrem Benehmen. Er fragte weiter, und sie antwortete nicht. Statt dessen stand sie auf und ging nach oben. Aber nicht ins Badezimmer, sondern in das Schlafzimmer mit der lila Tapete und dem Himmelbett. Er hörte, wie sie die Tür schloß. Er wartete, trank, rauchte und wartete. Nach einer halben Stunde wurde es ihm zu dumm. Er folgte ihr. Die Schlafzimmertür war nur angelehnt. Drinnen herrschte schwüle Dunkelheit. „Komm nur“, sagte sie, „Urban.“ „Was ist, Cameron?“ „Das Dessert war nicht besonders.“ In der Richtung, aus der er ihre Stimme vernahm, lag das Bett. Vorsichtig machte er noch zwei Schritte. Das Licht aus der Wohnhalle mußte um viele Ecken bis hierher. Alles was er sah, war einer der gedrechselten Bettpfosten aus schwarzem Olivenholz. Aber er hörte sie atmen und ein Geräusch, als gleite eine Schlange über Seide. Es war ihre Hand. Ein feines Knacken folgte. Sie hatte den Schalter für die elektrischen Kerzen betätigt. Sussy Cameron hatte nur noch die Halskette an. Sie lag völlig nackt unter den herabgelassenen Gazevorhängen des Bettes. Kein sensationeller Anblick. So kannte er sie schon. Aber was sie dann flüsterte, war neu. „Los, mach es mir, gib es mir.“ Dabei wagte sie nicht, ihn anzusehen. Offenbar erschreckte sie ihre eigene Kühnheit.
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Sie strich sich über die Brüste und winkelte das rechte Knie an, ehe sie die Schenkel öffnete. „So schlecht war das Dessert auch wieder nicht, Cameron.“ Urban hob den Gazevorhang und setzte sich neben sie. Schon zerrte sie an seiner Krawatte. Hastig öffnete sie seine Hemdknöpfe und die Gürtelschließe. - Es war nicht nur Theater, sie hatte wirklich die Absicht, mit ihm zu schlafen. Daß Frauen unberechenbar waren, das wußte er, und daß sie gewisse Dinge von einem Mann wünschten, wenn der nicht im entferntesten daran dachte, war ihm auch schon vorgekommen. Aber daß es so schnell, so heftig und ungestüm ging, das überraschte ihn. Sie war schon abgefahren und auf Tempo hundert. „He, drück drauf, nimm gleich den vierten Gang“, flüsterte sie. Sie bewegte sich heftig und verwechselte die Sache offenbar mit gewissen Turnübungen. Dazu keuchte und stöhnte sie, wie sie es vielleicht in einem Pornofilm gehört hatte. Genaugenommen war sie aber verkrampft, und auf Frechheiten reagierte sie ausgesprochen zickig. ,,Los, gib es mir!“ feuerte sie ihn an. ,,Du nimmst es ja nicht.“ ,,Doch, gib es mir. Mit Peitsche und Sporen.“ Er tat ihr den Gefallen, aber das Ergebnis war wie bei dem Versuch, einen Luftballon aufzublasen. Ohne Gas flog er nicht davon. Sie bäumte sich auf, fiel zurück, sie biß ins Kissen. Einmal riß sie ihn an sich, dann stieß sie ihn wieder weg. 77
„O Madonna, vergib mir.“ „He, wer hat dich denn entjungfert?“ fragte er endlich. „Ich selbst“, stieß sie heraus. „Dann wundert mich nichts mehr.“ Im Grunde verhielt sie sich wie eine Indianerin bei der Vergewaltigung. Sie nahm es ergeben hin.
Als sie es am Ende doch noch mächtig gepackt hatte, und sie es nicht verbeigen konnte, da genierte sie sich plötzlich. „Danke, das genügt, Urban.“ Er war rechtschaffen bedient, wohl als Folge dieser merkwürdigen Kombination aus Sex und Job. Er rollte sich neben sie, steckte sich eine MC an und rauchte. Gespannt wartete er ab, was noch kam. „Berger“, begann sie nach einer Weile, „soll in Bagdad Ratten erbanlagenmäßig verändern.“ „Ratten also.“ „Persische Ratten.“ „Gibt es die?“ „Ja, eine Spezies, die hauptsächlich in Teheran vorkommt. - Angeblich.“ „Okay Ratten. Und?“ „Ratten vermehren sich schnell.“ „Und wie schnell. Ein Paar kann es im Jahr auf mehrere hundert Nachkommen bringen.“ „Ich nehme an, es handelt sich um eine Abart der asiatischen Wanderratte.“
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„Sie verbreiten sich um die ganze Welt und sind gefürchtet als Träger von Pest und Trichinen.“ „Dabei dürfte es sich um mittelalterliche Krankheiten handeln“, bemerkte die Cameron. „Bergers Auftraggeber dachten an etwas anderes.“ „Kann ich mir denken.“ „Nichts kannst du dir denken, Urban“, entgegnete sie. „Die Epimys-Gattung der mausartigen Nagetiere ist gegen bestimmte Krankheiten, die den Menschen gefährlich werden können, immun. Diese Immunsperre läßt sich durch Beeinflussung der Erbanlagen verändern. Wenn das geschehen ist, infizieren sie sich mit epidemischen Krankheiten, ohne daran zugrunde zu gehen. Sie verbreiten sie nur. Botulinusviren, also Fleischgift oder Leichengift, oder Hepatitisviren, die Gelbsuchterreger, sind noch die harmlosesten darunter. Es gibt neue Formen der Pest, gegen die ist man machtlos wie gegen Aids.“ „Retroviren“, sagte er. „Na fabelhaft. Möglich, daß auf diese Weise ein ganzes Volk binnen kurzem ausgelöscht wird. Stell dir vor, wie rasch sich das über die ganze Erde ausbreiten kann.“ „Nicht mein Problem“, sagte sie, „aber vielleicht eures.“ Er fragte, und sie antwortete. Doch bald erschöpfte sie sich. „Jetzt weißt du alles über Berger“, sagte sie, „und über die Cameron. Und die Cameron ist jetzt müde.“ Sie löschte das Licht, drehte sich um, drängte ihr Hinterteil wärmesuchend an ihn und schlief. Das, dachte er, war kaum der Mühe wert. Als ihr Atem regelmäßig klang, ging er hinunter, 79
nahm einen doppelten Bourbon, telefonierte und nahm noch einen Bourbon. Wie immer rauchte und trank er zuviel. Morgens sah es dann manchmal schlimm aus. Deshalb suchte er nach den kleinen weißen Nothelfern. Er drückte eine Thomapyrin aus der Folie und legte sie griffbereit. Für alle Fälle.
9. Mit einem Kurierflugzeug brachten sie Berger nach Bagdad. Die zweimotorige Sky-Servant mußte den Umweg über Ägypten und Saudi-Arabien nehmen. Nach der Landung stellte sich Berger krank. Im Armeehospital untersuchten die Ärzte ihn, konnten aber nichts finden. „Er simuliert“, stellten sie fest. „Er klagt über rasenden Kopfschmerz und Übelkeit.“ „Das kann man leider nicht messen“, meinte der Stabsarzt. „Objektiv fehlt ihm nichts. Er ist kerngesund. Wahrscheinlich muß man dem Burschen psychologisch kommen.“ Das versuchte sein Begleiter auf der Fahrt vom Hospital hinauf zu der alten Festung. „Sie können uns natürlich gewisse Zeit für dumm verkaufen“, warnte er Berger, „aber wenn Sie es übertreiben und wir den Eindruck gewinnen, daß Sie zu nichts nütze sind, dann erinnern wir uns jener Methoden, in der wir Meister sind.“ „Foltern“, brach es aus Berger heraus. „Erpressen, Kidnappen, ja darin seid ihr großartig.“
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„Speziell im Erzeugen von Schmerzen“, ergänzte der andere. „Ich bin sehr empfindlich“, erklärte Berger, „und zu nichts mehr fähig, wenn man mich quält.“ „Zunächst“, meinte sein Begleiter, „lassen wir Sie unangetastet.“ „Das rate ich Ihnen auch.“ „Und unterziehen andere unserer Spezialbehandlung.“ Berger verstand die Andeutung sofort. „Laßt die Finger von meinem Mädchen.“ Der Iraker, der neben Berger in der Armeelimousine saß, zog ein Foto aus seiner Tasche. Das erste aus einer Reihe von Schnappschüssen. Das Foto einer Polaroid in Farbe aufgenommen, zeigte ein Stück Wiese über einem See. Darauf ein Zelt und Sussy Cameron. Sie war gerade beim Zähneputzen. „Wehe, wenn ihr sie anfaßt“, drohte Berger. „Was dann?“ „Dann schalte ich auf stur.“ „Es gibt noch viele Fotos“, kündigte der Iraker an. „Auf diesem geht es ihr noch gut, Wollen Sie die anderen sehen?“ Er bluffte nur. Er hatte zwar noch Aufnahmen, aber die wirksamen fehlten, weil Goldring ausgefallen war. „Und jeden Tag geht es ihr ein wenig schlechter.“ „Was wollt ihr von meinem Mädchen?“ Bergers Begleiter antwortete ausweichend. „Das wissen Sie besser.“ Das Zimmer in der Festung hatte zwar ein Bad, war aber trotzdem ein Kerker. Berger bekam Schreibmaterial und sollte binnen
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einer Stunde notieren, was er brauchte, um mit der Arbeit beginnen zu können. Ratten, schrieb er auf den Zettel, aber ein paar von euch Kanaillen genügen auch. Er wußte nicht, woher er diesen Mut nahm. Am Abend kam der Arzt und verabreichte ihm eine Spritze. Zu dritt mußten sie ihn bändigen, damit man ihm die Nadel hineinstoßen konnte. In der Nacht litt er an fürchterlichen Alpträumen. Am Morgen, als er schweißgebadet erwachte, zeigten sie ihm etwas. Im Bildlabor der Luftwaffe hatten sie an Fotos gewisse Montagen vorgenommen. Im wesentlichen handelte es sich um Folterszenen an einer jungen Frau, der man den Kopf von Sussy Cameron aufmontiert hatte. Berger musterte sie voll Entsetzen, dann zerriß er die Bilder und warf die Fetzen vor die Füße. „Das ist nicht wahr“, schrie er. „Möchten Sie die Negative sehen, Berger?“ „Alles nur Retuschen.“ „Wir haben auch Tonbandaufnahmen mitgeschnitten. Wollen Sie sie hören? Sie werden doch wohl die Stimme von Miß Cameron erkennen.“ Bald war er soweit. Er erklärte sich bereit, alles zu tun, was sie verlangten, wenn sie mit diesen Schweinereien an Sussy Cameron aufhörten. Zwar war er nicht sicher, ob sie das Mädchen wirklich hatten, aber die Möglichkeit, daß es so war, deprimierte ihn so, daß er auf ihre Wünsche einging. Er notierte, was er an Material und Versuchstieren brauchte.
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Kaum hatte er die Liste abgegeben, erfuhr er, daß alles schon bereitstand. Sie hatten nie daran gezweifelt, daß sie ihn kleinkriegen würden.
Ein Russe, der bei der sowjetischen Botschaft angestellt war, aber für den KGB arbeitete, traf am Nachmittag den zweiten Mann im irakischen Geheimdienst. „Moskau ist besorgt“, sagte Kervin. „Wir auch“, antwortete der Araber. „Wo bleiben die Waffen?“ „Welche Waffen?“ „Die wir bezahlt haben.“ „Dann sind sie unterwegs.“ Sie saßen in einem Cafe am Suweirah Platz und tranken Tee. Sie sahen aus wie andere Bürger, vielleicht wie Bürger, denen es ein wenig besser ging als der Masse. Überall spürte man die Folgen des jahrelangen Krieges. Es fuhren weniger Autos, und die Autos, die fuhren, waren ältere Typen und heruntergekommen. Die Eleganz der Frauen wirkte schäbig. Auch die Auslagen der Läden leerten sich auffallend. Der Iraker sagte: „Wir warten. Bald müssen wir Entscheidendes unternehmen. Die neue Offensive der Perser steht bevor.“ Der Russe rührte den Zucker im Tee auf. „Heute Nacht gab es sieben Stunden keinen Strom. Stimmt es, daß die Perser den Stausee und das Kirkuk-Kraftwerk eroberten?“ „Nur für einen Tag.“ 83
Der Russe steckte sich eine filterlose Papirossy an. Dann stellte er eine provozierende Frage: „Brauchen Sie die Waffen überhaupt noch?“ „Wie kommen Sie darauf, Kervin?“ tat der Iraker erstaunt „Man hört so manches, Major. Unter anderem, daß Sie sich mit der Entwicklung neuartiger biologischer Abwehrmittel befassen.“ Der Iraker wußte, daß Lügen bei dem KGBOffizier wenig halfen. „Im Krieg versucht man dies und das.“ „Seien Sie vorsichtig“, riet Kervin. „Keiner weiß, ob es je funktionieren wird.“ ,Aber wenn es funktionieren sollte, kann es außer Kontrolle geraten. Tun Sie nichts, was meine Regierung in Besorgnis stürzen würde.“ „Unsere Not rührt den Kreml ja auch nicht sonderlich.“ Kervin erwähnte die Ziele der sowjetischen Politik „Wir wünschen in diesem Teil der Erde keinen Sieger, sondern nur Frieden. „Wir sind bereit dazu“, beteuerte der Iraker. ,,Das behauptet Teheran auch.“ „Unsere Bedingungen sind akzeptabel.“ „Die der Mulas etwa nicht?“ „Sie bedeuten ein religiöses Diktat“, sagte der irakische Major. „So kommen wir nicht weiter. Also müssen wir alles versuchen. Und da Sie uns mit konventionellen Waffen verhungern lassen, versuchen wir es auf unkonventionelle Art“ „Die Panzer kommen“, versprach Kervin. „Aber wann?“ Da der Russe dies nicht wußte, wollte er dem 84
Iraker auf andere Weise entgegenkommen. Er lieferte ihm einen Tip. „Der Biotechniker, den Sie haben, ist Amerikaner?“ Der Iraker bestätigte es mit Kopfnicken. „Dann ist der Bursche, den wir zufällig in Bagdad beobachteten, von der CIA.“ „Möglicherweise eine Art Führungshalter“, sagte der Major. „Sie möchten wissen, was wir mit Berger vorhaben.“ „Und das müssen Sie verhindern, denke ich.“ „Schenken Sie uns den Mann“, bat der Iraker, „als Trostpflaster, weil wir auf die Waffen so lange warten müssen.“ Der Russe nannte dem Araber zwei Adressen. Ein Hotel in der Altstadt und den Namen eines Händlers im Basar, wo der Mann, den sie für einen CIAAgenten hielten, gesehen worden war. Die Geheimdienstfunktionäre trennten sich. Der Russe hoffte, daß er die Iraker durch den Tip für eine Weile stillhielt, und der Major hoffte, heute nacht die Scharte auszuwetzen, die durch falsche Feindlagebeurteilung am Schatt el Arab seine Karriere beeinträchtigte.
Ihre Autos waren um das Hotel Ballaki gruppiert, und im Basar hielten sich vier Mann immer in der Nähe des Messingwarenhändlers Akuna Akra auf. Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Nach dreißig Stunden erst tauchte der beschriebene Amerikaner im Basar auf. Aber er schien die Gefahr zu wittern, eilte an 85
Akuna Akras Laden vorbei und verschwand in der Menge. Die Männer des Geheimdienstes verloren ihn, obwohl sie über Sprechfunkgeräte verfügten und überall an den Basarausgängen Fahrzeuge postiert hatten. Dann dauerte es so lange, daß ihre arabische Geduld fast überbeansprucht wurde. Erst in der übernächsten Nacht - es regnete sogar, was um diese Jahreszeit Seltenheitswert besaß - näherten sich zwei Gestalten der Gasse, in der das Hotel Ballaki lag. Die Männer, zweifellos Europäer, trugen helle Trenchcoats und Popelinehüte. Die Kragen hatten sie hochgeschlagen, denn es war windig. Der eine hatte eine getönte Brille, die er aber vor der dunklen Gasse abnahm. Der Weg der beiden vom Akaba-Platz zum Hotel wurde Schritt für Schritt verfolgt. Der Polizist im Lieferwagen am Akaba-Platz meldete zur Zentrale: „Ob es der Amerikaner ist, kann ich nicht garantieren.“ „Was heißt das?“ ,,Daß ich den anderen kenne.“ „Woran erkennst du ihn?“ wollte der Einsatzleiter wissen. „Woran wohl? An seinem Gesicht, Mann. Es ist Abraham.“ Daraufhin mußte sich der Einsatzleiter erst einmal beruhigen. „Unmöglich. Nach meinen Informationen ist Abraham in Tel Aviv.“ „Wie weit ist es von dort bis zu uns?“ 86
„Na ja, eine Flugstunde.“ „Es ist der Mossad-Mann“, beharrte der Agent im Lieferwagen. „Bin zwar keine Eule, aber er ist es.“ In der Zentrale kombinierten sie nun: Wenn sich Abraham, einer der fähigsten Mossad-Agenten, nach Bagdad wagte, dann nicht, um in der Moschee zu beten. Dann war der Mann, mit dem er ging, der gesuchte CIA-Agent aus Washington, und die beiden arbeiteten an einer heißen Sache. Was für ein Festschmaus, wenn es gelänge, beide zu schnappen. Der Einsatzchef unterrichtete das Hauptquartier und bekam freie Hand. „Versucht alles“, wandte er sich über Funk an seine Männer. „Wir brauchen sie lebend. Aber wenn es lebend nicht geht, dann besser tot als gar nicht.“ Die Polizisten hielten sich daran. Die zwei Agenten wurden nicht mehr aus den Augen gelassen. Sie schlenderten die Gasse entlang und betraten das Hotel. Wenig später ging oben Licht an. Jetzt betraten zwölf Mann das Ballaki. Sie machten eine Art lautlosen Sturmangriff. Sie besetzten alle Ein- und Ausgänge, auch die WCs und stürmten in den zweiten Stock. In dem Zimmer, das der Amerikaner gemietet hatte, spielte ein Radio. Sie klopften. Einer rief, er sei der Etagenkellner. Das war sein Fehler, denn der Amerikaner hatte nichts bestellt. Er öffnete nicht. Also rammten sie die Tür ein. Der Amerikaner war allein und hatte eine Handgranate in der Linken., „Wo ist der andere?“ fragten sie. „Welcher andere?“ „Abraham, der Israeli.“ 87
Der Amerikaner gewann den Eindruck, daß sie alles wußten. Ehe sie es verhindern konnten, zog er die Eierhandgranate ab. Sie explodierte zehn Zentimeter vor seiner Brust. Die Iraker warfen sich in Deckung. So wurden nur zwei von ihnen durch Splitter verletzt. Von dem Amerikaner war nicht mehr viel übrig. „Er wollte lieber sterben“, sagte einer der Polizisten bestürzt. „Er kennt unsere Verhörkeller.“ Den Israeli erwischten sie trotz Großfahndung nicht Als General Indra davon hörte, traf er eine blitzschnelle Entscheidung: „Bringt Berger in die Wüste!“ befahl er. „Daß die Amerikaner hinter ihm her sind, damit haben wir gerechnet aber daß die Bluthunde vom Mossad sie dabei unterstützen, das mißfällt mir.“ Wenn in Nahost jemand gefürchtet war, dann war es der israelische Geheimdienst.
10. Die CIA-Zentrale hatte Major Tyson nach Langley beordert. „Unser Mann in Bagdad“, erfuhr er, „hat sich eigenhändig ins Jenseits befördert. Er zog den schnellen Tod einem langsamen vor.“ „Was soll ich dazu sagen?“ fragte der CIA-Chef aus Frankfurt bedauernd und ratlos. Nahost gehörte nicht zu seinem Bereich. „Auf Ihre Veranlassung hin haben wir unseren Mann dort auf Berger angesetzt.“ 88
„Aber ich riet ihm nicht, sich erwischen zu lassen“, konterte Tyson, der sofort spürte, daß man einen Sündenbock suchte. Es war die alte Tour. Wenn etwas schiefging, wollte es keiner gewesen sein. „Leider konnte er die wirklich heiße Meldung nicht mehr absetzen“, erfuhr Tyson im weiteren Verlauf des Gesprächs. „Die Mekka-Leute sind gerissen, brutal und vorsichtig“, kommentierte Tyson. „Sie fühlen sich von allen Freunden im Stich gelassen. Die Franzosen liefern Waffen und Flugzeuge nur noch gegen bar. Die Russen verlangen sogar Vorkasse.“ „Und liefern dann gar nicht.“ „Wie man hört, lassen sie Bagdad schwer hängen. Es soll schon zu bösen Auseinandersetzungen auf höchster Ebene gekommen sein“, erwähnte einer. Tyson wollte auch etwas beisteuern. „So etwas führt immer zu Unabhängigkeitsbestrebungen. Bagdads bester Bundesgenosse, der Libyer, verlangt neuerdings, daß jeder irakische Soldat sein grünes Gebetbuch im Tornister mitführt. Kein Wunder also, daß sie versucht haben, die Atombombe zu bauen.“ „Das haben die Israelis ihnen versalzen.“ „Jetzt schießen sie mit Giftgas.“ „Solange der Vorrat reicht. Der geht aber auch bald zu Ende.“ Damit waren sie bei dem Punkt angelangt, dessentwegen Tyson vor seinem Chef saß. „Deshalb die Operation Berger, Deckname Dschingis Khan.“ Der Abteilungsleiter Nahost trommelte mit der Spitze des Brieföffners auf die Glasplatte seines 89
Schreibtisches, was ein helles federndes Geräusch verursachte. „Konnten Sie Berger denn nicht in Sicherheit bringen?“ Hilfesuchend schaute Tyson sich im Kreise um. Alle zeigten ve rsteinerte Gesichter. Also verteidigte er sich, indem er angriff: „Berger und sein Mädchen wurden in Europa nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt. Man nahm offensichtlich an, mit dem Kontakt der Mekka-Leute in Los Angeles sei die Sache erledigt. Als Sussy Cameron meldete, daß Berger verschwunden sei, war es zu spät.“ „Eigeninitiative, Tyson“, forderten sie. „Muß man euch da draußen denn jeden Löffel Brei in den Mund füttern?“ Das war ungerecht. Machte man zuviel, hagelte es Vorwürfe, tat man zu wenig, dann auch. Tyson fühlte, wie sich die Gewitterwolken über ihm zusammenbrauten. Dabei war Frankreich gar nicht sein Gebiet. - Doch er ließ es unerwähnt. Es klang zu sehr nach Entschuldigung. „Nun werden Sie sagen“, bemerkte sein Abteilungsdirektor, „daß Frankreich nicht Ihr Gebiet sei. Okay, Frankreich wird CIA-mäßig von Paris aus gesteuert. Aber wer saß denn in Paris herum und versuchte, denen hineinzudirigieren? Waren Sie das nicht, Major Tyson? Was hatten Sie in Paris zu suchen?“ „Berger“, konterte der Angeklagte. „Und dann ist Ihnen dieser Mekka-Killer zum zweiten Mal entwischt, obwohl er in Antibes wie auf dem Servierbrett lag.“ „Die französische Polizei kam zu spät.“ 90
Es ging hin und her, aber die Kugel traf nicht so, wie sie es sich vorstellten. Schließlich wurden die Vorwürfe eingestellt, weil sie im Grunde alle Schuld hatten. Der Europadirektor öffnete einen Geheimordner. „Ohne den Bericht des BND säßen wir schön auf den Trockenen.“ Tyson durfte Einblick nehmen. Dann hieß es, er solle sich bereithalten. Weitere Maßnahmen hingen von drei Gesprächsrunden ab. Mit einem Biologen aus Los Angeles, mit den Russen und mit Oberst Shimon Abraham, von dem jeder wußte, daß er beim Geheimdienst in Tel Aviv eine bedeutende Rolle spielte.
Der Gen-Biologe Dr. Highlander, Professor an der Universität Kalifornien und einer der Direktoren des Lawrence-Livermoore-Instituts, wartete schon seit Stunden in seinem Washingtoner Hotel. Endlich kam ein Anruf und wenig später eine schwarze Dienstlimousine. Sie fuhren ihn am Potomac entlang, hinaus in den Wald von Langley, wo der riesige CIA-Komplex stand. Die Unterhaltung mit Prof. Highlander verlief auf hoher Ebene. „Wir sind Ihnen eine Erklärung schuldig“, sagte der CIA-Vizedirektor. „Natürlich hätte man das auch telefonisch abklären können, aber Sie wissen ja, die langen Leitungen nach Kalifornien. Über nahezu zweitausend Meilen läßt sich manches Gespräch abhören. Und derzeit hat der Fall Berger Geheimstufe cosmic.“ 91
Sie stellten ihre Fragen, und der Gen-Biologe stand Rede und Antwort. Er kannte die Akte mit den BND-Erkenntnissen und erklärte: „Gentlemen, ich halte Mister Berger für durchaus befähigt, die Forderung, die man in Bagdad an ihn stellt, zu erfüllen. Für ihn handelt es sich dabei nur darum, Arbeiten nachzuvollziehen, die er für uns am Institut bereits mit Erfolg durchgeführt hat. Er verwandelte Versuchstiere, das heißt, die Nachkommen von Versuchstieren, zu Trägern von RetroViren, indem er die Erbanlagen der Eltern entsprechend veränderte. Dabei geht es um den Austausch gewisser Bausteine in den Gen-Ketten. - Das wird zunächst enzymatisch gemacht. Allerdings muß man dann die Erbträger wieder einmontieren, und zwar mit Hilfe eines hochkomplizierten Verfahrens. - Aber der erste Elektronenrechner schien auch sehr kompliziert zu sein. Heute trägt jeder Grundschüler einen in der Hosentasche.“ Der verantwortliche CIA-Chef deutete auf den unscheinbaren grauen Hefter mit dem CosmicStempel. „Es handelt sich um Versuche mit persischen Ratten.“ „Wir nennen sie die gemeine asiatische Wanderratte. Und es sind keine Versuche, Gentlemen. Aus dem Versuchsstadium sind wir längst heraus.“ „Wie schnell kann Berger arbeiten?“ „Sie meinen, wie lange es dauert, bis genügend als Giftträger programmierte Ratten zur Verfügung stehen.“ „Das meinte ich“, bestätigte der Vizedirektor. „Nun, Rattenweibchen werfen so gut wie andau92
ernd Junge. In wenigen Wochen können die ersten vererbungsmäßig präparierten Ratten gezeugt, ausgetragen und geboren sein. Man wird die GenÄnderung aber an einer ganzen Reihe von Versuchstieren vornehmen. Ratten können schon im Alter von wenigen Monaten Junge kriegen.“ „Wie wird man dann weiter vorgehen?“ „Sind die Ratten erst einmal geimpft, ich meine zu Gift- oder Virusträgem gemacht, schickt man sie an den Ort, wo sie aktiv werden sollen.“ „Das wären persische Großstädte wie Teheran, Isfahan, Täbris und so weiter. Aber wie bringt man sie dorthin?“ „Hier“, fürchtete der Gen-Biologe, „sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Ich nehme an, man wählt die erprobten Kanäle. Seien es Kamelkarawanen, Lastwagen, Kuriere, Schmuggler, Schiffe, Flugzeuge. Doch das wissen Ihre Fachleute besser als ich.“ Des weiteren interessierte die CIA-Oberen, auf welchem Wege die verwandelten Ratten ihre tödlichen Fähigkeiten dorthin bringen konnten, wo sie den Persern am meisten Schaden zufügten. „Ratten beißen und nagen“, erwähnte Prof. Highlander. „In Nahost, gerade in den großen Städten, sind sie eine Plage, derer man nie Herr wurde. Sie überfallen Kinder und Erwachsene. Sie infizieren andere Haustiere, die wiederum in den Lebensbereich der Menschen eindringen. Ratten treten nachts, wenn es dunkel ist, und die Menschen schlafen, die Herrschaft an. Sie können alles verseuchen. Am Ende die ganze Welt.“ „Und wie kann man dieser Versuchung entgegensteuern? Angenommen, sie breitet sich so aus und 93
schädigt den Gegner so, wie man sich das in Bagdad vorstellt?“ Der Wissenschaftler aus Los Angeles zuckte mit den Schultern, „Wie wird man einer Seuche Herr? Erst vor kurzem grassierte in Shanghai eine Gelbsuchtepidemie. Tausende starben. Ob Cholera oder Typhus, es hat sich gezeigt, daß man im Grunde wenig dagegen tun kann. Oder nehmen Sie unsere derzeitige Hauptseuche Nummer eins: Aids. Milliarden werden für ihre Bekämpfung eingesetzt. Ergebnis: Die Zahl der Infizierten potenziert sich. Es gibt keine Rettung für sie.“ Irgendwann sagte der zweite Mann der CIA: „Professor Highlander, wir danken Ihnen für das Gespräch.“
Die CIA ließ nichts unversucht und wandte sich an das State Department. Ein hoher Beamter des Außenministeriums traf sich mit einem russischen Diplomaten zum Abendessen. Behutsam führte der Amerikaner das Gespräch auf die Lage in Nahost. Zunächst ging der Russe nicht darauf ein und gab Erklärungen über die Israelis und die Palästinenser ab. Damit konnte er den Amerikaner nur für kurze Zeit ablenken. Beim Hauptgang war dann doch der irakischiranische Krieg das Thema. „Am Golf wird es immer riskanter, eine Ladung Öl abzuholen“, gestand der Mann aus Moskau ein. 94
„Dafür haben wir ja - Sie Ihre rote, wir unsere siebente Flotte dort.“ „Unsere Schiffe wurden noch nicht angegriffen“, stellte der Russe klar. „Wen wundert's“, entgegnete der Amerikaner, „das Schiffeversenkspiel wird ja hauptsächlich von der irakischen Luftwaffe betrieben. Und mit der sind Sie gut Freund.“ Damit hatte er den Russen dort, wo er ihn haben wollte. „Man hört interessante Dinge aus Bagdad, Mister Ivanoff.“ Der Diplomat hob seine buschigen Brauen. „Wirklich? Was Sie nicht sagen.“ „Ivanoff“, wurde der Amerikaner nun eindringlich. „Sie wissen soviel wie ich. Wahrscheinlich sogar mehr. Aber eines muß auch Ihren Strategen im Kreml klar sein. Wenn die Iraker fortfahren, mit biologischen Waffen zu arbeiten, dann wird das zum Bumerang. Epidemien, die man in das Gebiet des Gegners trägt, lassen sich nicht auf dessen Land begrenzen. Im Nu haben wir eine neue Weltseuche.“ Der Russe hatte einen Moment aufgehört zu essen. Nun speiste er genußvoll weiter. „Wovon reden Sie eigentlich, mein Lieber?“ „Aktion Berger.“ „Nie gehört.“ „Aber die radikalen Mekka-Leute sind Ihnen ein Begriff.“ „Leider bin ich kein Nahost-Experte“, meinte Ivanoff kauend. „Dazu genügt es, in diplomatischen Diensten zu stehen“, antwortete der Amerikaner. Gegen diesen Vorwurf versteckte der Russe sich 95
hinter dem Weinglas. Aber daß die Amerikaner sich um gewisse Entwicklungen sorgten, mußte ihm klar sein. „Wir sind beunruhigt“, betonte der Amerikaner. „Sie etwa nicht?“ „Ich persönlich, nein.“ „Und die Verantwortlichen im Kreml?“ „Da müßte man sich erkundigen.“ „Nun, Ivanoff, würden Sie das vielleicht mal abchecken?“ Der Russe wäre töricht gewesen, wenn er etwas anderes als heiße Luft von sich gegeben hatte. „Wie ein Gerücht entsteht, wissen wir doch, oder? Ohne Anlaß keine Befürchtungen.“ Sie speisten zu Ende. Den Kaffee nahmen sie schon in Eile. Dann verließen sie das LuxusRestaurant. Bevor sie sich trennten, sagte der Amerikaner: „Höre ich von Ihnen, Ivanoff?“ „Vielleicht“, deutete der Russe an. Von Seiten der Sowjetunion kam keine Reaktion. Weder auf unterer noch auf mittlerer Ebene. Als der US-Außenminister den sowjetischen Außenminister anläßlich der Beerdigung eines Staatschefs in Asien traf und auf die Sache hin ansprach, fragte der Russe erstaunt, wovon der Amerikaner eigentlich rede.
Beide hielten sich für die besten Geheimdienste der Welt. Die amerikanische CIA ebenso wie der israelische Mossad. Sie hatten beide unrecht. Aber in der Second 96
class achtete man stets besonders auf die Einhaltung der Regeln. Deshalb fand das Gespräch weder in Washington noch in Tel Aviv statt, sondern auf den Bahamas. Tyson und Abraham saßen an Deck einer Yacht unter dem Sonnensegel und schlürften Eisdrinks. Mit den Worten: „Wir wollen es genießen, solange der Blasebalg mitmacht“, steckte Abraham sich eine Havanna an. „Unser Mann in Bagdad hat leider schlechte Arbeit geleistet“, sagte Tyson. Er wirkte zerknittert und versuchte, indem er seinen eigenen Dienst heruntermachte, den Mossad zu bewundern. Erfahrungsgemäß erzeugte man dadurch ein hohes Maß an Mitleid und Entgegenkommen. „Nun“, meinte Abraham, „so schlecht war es auch wieder nicht. Er hatte das Pech, daß man ihn zu früh enttarnte.“ „Wer mag ihn wohl verraten haben?“ „Schätze, der KGB.“ „Kervin?“ „Ich entkam ihnen um Haaresbreite“, erzählte Abraham. „General Indra übte auf den Geheimdienst in Bagdad ungeheuren Druck aus, daß sie mich erwischen sollten. Sie marschierten auch buchstäblich einen Meter an mir vorbei, ohne mich aber zu sehen. Ich war, als ich sie kommen hörte, aufs Dach des Hotels geflüchtet. Dort lag ich bis zum Morgen im Regen.“ „Und wie kamen Sie unbemerkt vom Dach wieder hinunter?“ wollte Tyson wissen. Abraham schüttelte jetzt noch den Kopf über sein Glück. 97
„Ich lag auf dem Dach, bis die Sonne aufging. Da sah ich auf einem anderen Dach einen kohlrabenschwarzen Burschen aus einem Schornstein klettern. Den Kaminfeger, - Was der aufwärts kann, dachte ich, das kannst du abwärts. Es gelang mir in einer wahren Höllenfahrt, den Keller des Hotels zu erreichen. Dadurch bekam ich eine derart rußige Tarnung, daß ich damit an den Polizisten vorbeikam, ohne kontrolliert zu werden.“ „Hätte“, setzte Tyson an, „unser Mann das irakische Verhör überstanden, wenn sie ihn bekommen hätten?“ „Er hätte ihnen zweifellos sein Wissen preisgegeben.“ „Wie groß war es?“ „Groß genug, um mich anzurufen und mich aus Tel Aviv nach Bagdad zu locken. Er hinterließ mir ein paar Mosaiksteine, die ich ergänzte und zusammensetzte.“ „Wo fand unser Mann diese Steine?“ „Einmal im BND-Report“, sagte der Israeli, „und dann draußen in der Wüste.“ „Da gibt es doch nur Sand.“ „Die irakischen Wüsten sind vorwiegend steinig.“ „Und zu was ergänzten Sie das Mosaik, Oberst Abraham?“ „Zum Drehbuch für einen Actionfilm“, bemerkte Abraham. „Nach dem Zwischenfall mit Ihrem Mann in Bagdad, drang Indra darauf, daß das Projekt Dschingis Khan sofort durchgezogen wurde. Noch in der Nacht setzten sich Lastwagen in Fahrt. Am Morgen brachten Hubschrauber Berger und andere Leute nach Norden.“ „Was ist da im Norden?“ 98
„Berge. Wüste mit einigen so gut wie uneinnehmbaren Festungen.“ „Und auf welche der uneinnehmbaren Wüstenfestungen schaffte man Berger?“ Der Israeli trank langsam. Sein heißer Atem beschlug das kühle Glas. „Auf die uneinnehmbarste.“ „Hat sie einen Namen?“ „Nur eine Ziffer. Fort drei-null.“ „Ist dies ein Gerücht, eine Annahme?“ „Nennen wir sie einigermaßen zuverlässig. Aber alles spricht dafür, daß die Mekkaner ihre Schweinerei dort aushecken. Das Fort bietet sich dafür geradezu an. Es liegt besonders günstig, was in diesem Fall - und für uns - besonders gemein bedeutet. Ein spitzer Kegel in einem absolut platten Wüstengebiet. Man könnte ihn ein Kunstwerk nennen, wenn er nicht ein Steinhaufen wäre. Nur eine Straße führt zu ihm, und sie läuft durch ein Salzsumpfgebiet, das die Wüste an drei Seiten begrenzt.“ „Eine Straße durch den Sumpf?“ äußerte Tyson ungläubig. „Pioniere haben eine Pontonbrücke über den Sumpf gelegt. Sie läßt sich schwenken oder einziehen.“ Tyson hatte aufmerksam zugehört. Nun legte er den Finger auf den Punkt. „Drei Seiten Sumpf. Und die vierte Seite?“ „Kein Terrain für Rad- oder Kettenfahrzeuge jeglicher Art. Ein kahles, unwegsames, bizarres Gebirge wie tausend übereinandergeworfene Empire State Buildings. Bis heute gelang es nicht, eine Eisenbahnlinie oder eine Straße hindurchzu99
ziehen. Selbst mit Maultieren ist es da irgendwo zu Ende.“ Der Amerikaner wurde recht mutlos. „Falls ein Wort mit Shit erlaubt ist, möchte ich sagen: Das ist ein großer Shitkram.“ Abraham berichtete weiter, was er in Erfahrung gebracht hatte. Dann saßen sie schweigend da. Beide wußten, warum man sie auf dieser Luxusyacht zusammengebracht hatte. „Wir sollen hier ein Brainstorming veranstalten“, sagte Tyson, „Ideen liefern, Lösungsvorschläge erarbeiten.“ „Ich bin Operativagent“, gestand der Israeli. „Das Kuchenbacken im Sandkasten, ich meine das taktische Planspiel, war nie meine Stärke.“ „Und meine Qualitäten liegen dort, wo ich an einem Schreibtisch mit sieben Telefonen sitzen kann, um meinetwegen den dritten Weltkrieg zu organisieren“, erklärte Tyson. Der Israeli blinzelte in die Sonne und wischte sich den Schweiß ab. Die Hitze, die Drinks und die Probleme vertrugen sich nicht miteinander. „Wir sind die falschen Leute“, befürchtete Tyson, „Mir fällt da einer ein“, sagte Abraham nach einiger Zeit „Dynamit“, sprach Tyson es aus. „An den dachte ich auch schon.“ „Wir sollten ihn beteiligen. Er erledigte gut ein Drittel der Vorarbeiten.“ Tyson befürchtete, daß es nicht darum ging, den BND-Agenten Nr. 18, Robert Urban, an der Sache zu beteiligen, sondern ihn erst einmal soweit zu bringen, daß er wieder einstieg. 100
„Er hat seinen Abschlußbericht verfaßt, und damit ist für ihn basta.“ „Für einen Mann wie Bob“, meinte Abraham, „ist vielleicht mal Schluß, Ende, fini oder aller Tage Abend - aber niemals basta.“ Tyson schaute sich um. „Gibt es hier Telefon?“ Einer der Yachtstewards, der beauftragt war, jeden Wunsch der Gentlemen zu erfüllen, verschwand unter Deck und brachte einen schnurlosen Apparat. Er überwand die Entfernung bis zur Relaisstation an Land per Funk. „Soll ich, oder wollen Sie, Abraham?“ fragte Tyson. Der Israeli schaute auf die Uhr. „In München ist es jetzt später Abend. Am besten wäre, wenn Sie eine weibliche Stimme hätten, Tyson.“ Der Amerikaner verzog sein Karpfenmaul und begann, eine lange Nummer in den Hörer zu tasten.
11. Man beschloß einen blitzartigen Schlag. Und zwar so schnell, daß die Iraker noch gar nicht damit rechnen konnten. Binnen 72 Stunden wurde die Organisation in einem Wahnsinnsprogramm durchgezogen. Es war später Nachmittag, als sie im MossadHauptquartier in Tel Aviv noch einmal über den Karten, Plänen und Zeittabellen brüteten. Bill Tyson, Shimon Abraham und Robert Urban hatten sich die Aufgaben geteilt. Hinzu kam noch 101
ein gewisser Ben Citronenbaum, ein kleiner, drahtiger Captain. Er war für sie als Verbindungsoffizier zur Armee tätig. Wie bei einer Lagebesprechung referierte jeder über seinen Abschnitt. Tyson begann: „Die Schwierigkeit liegt bei den ungewöhnlichen Distanzen. Von hier aus ist Dreinull tausend Kilometer entfernt. Von der türkischen Grenze aus nur einhundertsechzig. Also ist unsere Absprungbasis Silopi, eine türkische Garnison in Südwestanatolien. Sie verfügt über die nötige Infrastruktur. Der Flugplatz ist für Transporterstarts lang genug. Eine Herkules mit Dummies und dem Halbkettenfahrzeug steht seit heute früh bereit.“ Oberst Shimon Abraham wandte sich an Captain Citronenbaum: „Wie ist die Funksituation?“ Citronenbaum legte neue Fotos vor. „Die letzten Aufklärerbilder, Gentlemen. Das Wetter war günstig, so daß unsere Maschine tief hinuntergehen konnte. Wie befürchtet, verfügt das Wüstenfort Dreinull über Radar und alle nötigen Sende- und Empfangseinrichtungen für drahtlose Kommunikation. Unsere Aufgabe besteht nun darin, den Funkverkehr zwischen Fort Dreinull und dem Hauptquartier zu unterbrechen. Andererseits muß das Radar in Funktion bleiben. Sie sollen ja unsere Fallschirmjäger und das Halbkettenfahrzeug erkennen, sonst klappt das Ablenkungsmanöver nicht. Wir haben also vorgesorgt, daß man ihre Notrufe in Bagdad nicht auffangen kann, die Störungen aber für eine atmosphärische Erscheinung halten wird. 102
„Und das zwingt sie zu einem Ausfall“, fuhr Abraham fort. „Der Ausfall verringert die Fortbesatzung, Nur wenn sie dezimiert ist, hat der Hauptangriff Aussicht auf Erfolg.“ Urban war noch nicht an der Reihe. Er trank Kaffee und rauchte eine Monte-Christo, deren Schwaden die Klimaanlage sofort absaugte. „Eine Herkules“ fuhr Tyson fort, „kann auf der Straße landen, die durch den Salzsumpf führt. Die Länge ist kein Problem, die Straße läuft schnurgerade. Knapp wird es bei der Breite. Die feste Straßendecke, ein mit Öl und Bitumen festgewalzter Splitt, trägt zwar das Gewicht der Herkules, sie ist aber nur zwei Meter breiter als das Fahrwerk. Der Pilot wird also sein Bestes geben müssen.“ „Noch mehr“, befürchtete Urban, „als das.“ „Wir kriegen den fähigsten Transporterpiloten der US-Luftstreitkräfte in Europa. Ein Mann, der mit dem Bugrad den Mittelstreifen einer Autobahn ausradiert.“ Urban nickte nur und hörte weiter zu. Nun war Abraham an der Reihe. „Die Operation Berger verläuft in drei Abschnitten“, begann er. „Ablenkung, Angriff und Rückkehr. Die Ablenkung bringen Fallschinnjäger, die im Rücken der Festung Dreinull abspringen und deren Angriff vom Radar erkannt wird. - Zweite Stufe der Ablenkung ist die Landung der Herkules auf der Piste vor dem Sumpfgürtel. Das Halbkettenfahrzeug erreicht die Brücke durch den Sumpf vierzehn Minuten später. Es wird radarmäßig erfaßt und so den Kommandanten von Dreinull zwingen, Abwehrmaßnahmen zu ergreifen. Da man seine Stellung besser im Vorfeld, als im Zentrum vertei103
digt, die Verbindungen nach Bagdad aber gestört sind, wird er schnell und eigenmächtig handeln.“ „Hoffentlich“, steuerte Urban bei. Abraham blickte ihn an und kam nun zu der Hochrechnung, die Stärke und Bewaffnung der Fortbesatzung betreffend. „Eine Kompanie gut ausgebildeter Leute mit drei Haubitzen, Maschinenwaffen und Sprengmitteln, um Angreifer schon an den Steilhängen zu stoppen.“ „Wir kommen ja vom Himmel“, sagte Urban. „Aber wie steht es mit der Bodenpanzerung des Hubschraubers?“ „Wird noch montiert“, versprach Tyson. „Die Hubschrauberpiloten meckern zwar über die Erhöhung des Gewichts, was eine Verringerung der Transportkapazität bedeutet, aber wir haben es durchgerechnet, und es wird klappen.“ „Besser eine fingerdicke Titanplatte unterm Hintern, als hauchdünnes Aluminium“, bemerkte Urban, goß Kaffee nach, und Abraham sagte: „Eigentlich bist du jetzt dran, Dynamit.“
Sie gingen in den Nebenraum. Er war verdunkelt. Von der Wand hatten sie zwei Bilder abgehängt und benutzten sie nun als Projektionsfläche für den Diawerfer. Urban rief das erste Luftbild ab. Man sah nicht mehr als einen braunen Kreis in einer gelben Fläche. „Festung Dreinull von oben.“ „Wie ein Fußball im Sandkasten.“ 104
Die nächste Aufnahme war nicht aus 10000 Meter, sondern aus 2000 Meter Höhe geschossen worden. Nun konnte man erkennen, daß es sich um eine Art Kegel handelte. Bis nahezu an seine Spitze bestand der Kegel aus massivem Fels. Die Spitze bildete das Fort. Man hatte grobes Gestein mit Beton verarbeitet. „Drittes Foto“, bat Urban. Auf ihm sah man das Fort von der Seite. Für Touristen stellte es eine Attraktion, für die Männer, die das Fort einnehmen sollten, eher ein Horrorgemälde dar. Auf einem kegelförmigen Sockel aus Granit mit nahezu senkrechten Wänden, saß oben ein kleiner Punkt. Zinnenbewehrte Mauern, Bunker, verschiedene Gebäude, ein Turm und viele Antennen. Das nächste Foto zeigte alles sehr genau. Die Haubitzen, die Fla-Kanonen und die Maschinengewehrnester. „Sie haben auch Flammenwerfer“, erwähnte Captain Citronenbaum. „Damit braten sie jeden Angreifer in den Felsen wie Grillhähnchen.“ „Wir kommen ja von oben“, äußerte Urban noch einmal. Das letzte Foto zeigte das Fort wieder in der Draufsicht, aber so nahe, daß selbst das Unkraut zwischen den Bunkern und den Brunnen zu erkennen war. „Keine Chance für eine Landung“, erklärte Abraham. Urban, der selbst alles flog, was Propeller, Düsentriebwerke und Rotoren hatte, leerte die Kaffeetasse. 105
„Leider. Es gibt keinen brauchbaren Hubschrauber, der in dieser Enge aufsetzen kann. Selbst auf den Dächern ist es unmöglich. Sie sind zu schräg. Und die Bunker liegen zu gut im Flankenfeuerbereich. Es bleibt also dabei. Der Hubschrauber wird in der Luft, mit rasenden Rotoren, in etwa sechs Meter Höhe über dem Innenhof geparkt. Das hat Nachteile, gewiß, aber der Lärm wird die Verteidiger hoffentlich irritieren. Dazu kommen künstlicher Nebel und der Feuerschutz, den man uns geben wird.“ Abraham deutete auf Urban. „Du und ich.“ „Es bleibt dabei. Nur wir zwei.“ Sie hatten berechnet, wie lange sie brauchten, um aus dem Helikopter zu steigen, im Feuerschutz den Bunker, in dem sie Berger gefangen hielten, zu erreichen und mit Berger wieder in den Helikopter zu steigen. In den schußsicheren Kombinationen waren sie recht unbeweglich. Und irgendwelche Zwischenfälle gab es immer. „Vier Minuten“, schätzte Urban, „müssen genügen, wenn sie uns decken und aus allen Rohren ballern.“ „Als erstes werfen wir Nebeltöpfe“, steuerte Citronenbaum bei. „Dann setzen wir, falls Wind den Nebel verweht, Blendgranaten ein, und dann die schweren Ballermänner, die sich wie Luftminen anhören. Sie müssen sich also mit Atemmasken und Ohrschutz ausrüsten, Gentlemen.“ Schritt für Schritt wurde der Angriff festgelegt und die nötige Zeit kalkuliert. Plus minus der Toleranzen. 106
Später änderten sie noch einmal die Art der Waffen, die sie beim Verlassen des Hubschraubers mitfuhren würden. Urban bevorzugte die Scorpion MPi, Abraham die FN. Wenn einer verletzt wurde, sollte er per Seillift in den Hubschrauber gezogen werden. Die anderen mußten versuchen, die Drahtseilleitern zu erreichen und sich daran festklammern, bis der Hubschrauber sie auf dem Heimweg bergen würde. „Rückzug also in die Türkei.“ Dies war der Punkt, der Abraham mißfiel. „Die Türken gehören zur Nato“, betonte Urban. „Aber Israel nicht.“ „Die Operation verläuft top-secret.“ „Und das Mädchen im Hotel?“ „Die Cameron weiß nichts.“ „Was tut sie hier?“ „Anderswo würde man sie finden und töten.“ Auch das mißfiel Abraham. „Nach unserer Erfahrung gibt es kein top-secret. Alles wird irgendwie und irgendwann verraten.“ „Haben wir einen Kampfhubschrauber, der tausend Kilometer hin- und zurückfliegen kann? Und vergessen wir nicht, daß von Tel Aviv aus Syrien zu überfliegen wäre“, wandte Urban ein. „Ich weiß. Gefällt mir trotzdem alles ganz und gar nicht.“ „Deshalb müssen wir so schnell wie möglich zuschlagen“, riet Urban. „Wie steht es mit dem Wetter?“ Dafür war Tyson zuständig. Er hatte die neueste Vorhersage soeben hereinbekommen. „Es sieht gut aus.“ Von Norden her näherte sich dem Irak die Front 107
eines Tiefdruckgebietes. Sie würden gutes Wetter mit Bodensicht über Dreinull vorfinden, und Wolken würden den Rückzug decken. „X-Zeit?“ fragte Urban. „Nächster möglicher Termin.“ „Morgen früh also.“ „Vierzig Minuten vor der Dämmerung. Das ist zwei Uhr fünfzig Ortszeit über Dreinull.“ Es gab keine Einwände. Noch einmal wurde telefoniert und der Klarstand abgecheckt. Dann fuhren sie zum Flugplatz, wo eine Zweimotorige bereitstand, die sie nach Anatolien brachte.
Wie in einem Katalog aufgereiht lag die Ausrüstung auf dem Rollfeld der türkischen Garnison. Der mächtige Lockheed C-130 Transporter, ein viermotoriges Ungetüm von vierzig Meter Spannweite, mit einem Leitwerk so hoch wie ein mehrstöckiges Haus, konnte fünfzig Tonnen laden. Mit dem Halbkettenfahrzeug, einem Jeep und den Fallschirmdummies war ihre Kapazität nicht voll ausgenutzt. Anders bei dem Hubschrauber. Es handelte sich um einen Kampfzonentransporter mit Panzerschild vom Typ Stallion. Urban und Abraham eingerechnet, hatte er nur ein Dutzend Männer an Bord. Aber alle waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Der Rest war Treibstoff. Um von der Grenze aus bis zu Dreinull in der irakischen Wüste und wieder nach Hause zu kommen, mußte der CH-53/E immerhin dreihundertvierzig Kilometer zurücklegen. 108
Mit Tyson ging Urban die Ausrüstung durch. „Staubfilter?“ frage Urban die Hubschrauberpiloten. „Für alle drei Turbinen, Colonel.“ „Denkt daran, warum Präsident Carters Versuch, die Geiseln in Teheran zu befreien, scheiterte. Die Hubschrauber gerieten in einen Sandstorm, und der Sand verschliß die Triebwerke.“ „Kein Sandstorm gemeldet, Colonel“, sagte einer der Piloten vorlaut. „Bei Carters Operation war auch keiner gemeldet.“ „Die Filter sind dran, Sir, und alle Kennzeichen wurden grün übermalt.“ Die übrige Besatzung des Hubschraubers war unterrichtet und trainiert. Sie sollte von der schwe benden Kampfplattform aus den Einsatz der zwei Agenten unterstützen und decken. „Blendgranaten, Nebelgranaten, Big-Boosters, Handgranaten, Maschinenpistolen, Munition alles vollzählig, Sir“, meldete der Sergeant der Spezialeinheit. Letzte Wettermeldungen wurden eingeholt. „Ab Null zwei Uhr zwanzig beginnen israelische Sender und Träger der 6. US-Flotte, die vor der Küste des Libanon liegen, den Frequenzbereich irakischer Militärstationen zu stören“, bestätigte Tyson. „Dann los!“ sagte Urban. „Bringen wir es hinter uns.“ Das Halbkettenfahrzeug und der Jeep wurden über die Rampe des Helikopters gefahren. Die Fallschirmjägerpuppen waren schon an Bord.
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Die Motoren wurden angelassen. Der Tr ansporter rollte zur Piste. Punkt 1.40 Uhr, also vor dem Helikopter, hob er seine Nase in den Nachthimmel.
Die Meteorologen behielten recht Die Schlechtwetterfront lag hoch im Norden, also weit hinter ihnen. Der Hercules-Transporter überflog auf 400 Meter Höhe, also sehr tief, die türkisch-pakistanische Grenze bei Dernakh. Dann hielt er präzisen Kurs auf Fort Dreinull. Sie überflogen den Tigris und näherten sich der Straße von Mosul nach Syrien, als eines der Geräte rot blinkte. Das Blinkzeichen erfolgte im Abstand von zehn Sekunden. Allmählich wurde die Frequenz kürzer. Bald blinkte die Lampe alle drei Sekunden. Am Ende leuchtete sie konstant. „Radarwarnung“, meldete der Bordfunker. „Wir sind in Peilung.“ „Na fabelhaft“, bestätigte der I. Pilot. Sie hielten ein wenig westlich, bis zu den Ausläufern des Jabal-Sinar-Gebirges. Nach weiteren zwanzig Minuten Flugzeit stand die knapp 600 km schnelle Hercules über dem Koordinationspunkt, an dem die Paletten mit den Fallschirmdummies abgeworfen werden mußten. Der Bordmechaniker öffnete auf ein Zeichen vom Cockpit den Heckraum. Auf ein weiteres Signal entriegelte er die Paletten. Sie rollten hinten hinaus. Die Rampe schloß sich. Sprengsätze an den Paletten gaben die Fallschirmjägerpuppen frei, die sich automatisch mit Preßluft aufbliesen. Die Schirme öffneten sich, die 110
Puppen verhielten sich ganz so wie abspringende Soldaten. Das Radarecho mußte so aussehen, als würde eine Luftlandetruppe zum Angriff antreten. - Genau das war die Absicht. Im Fort Dreinull sollten sie einen Überfall befürchten und dort den Gegner annehmen. Die Puppen überwanden die Entfernung bis zum Boden in etwa einer halben Minute. Kaum auf der Erde, trat ein Mechanismus in Aktion. Sprengsätze wurden gezündet und zerfetzten die Puppen zu Bestandteilen in Fingerkuppengröße. So klein also, daß der nächste Sandsturm sie verwehte. Sämtliche Zünder arbeiteten einwandfrei. Spuren der Puppen würde man nicht mehr finden. Der Kommandant in Dreinull würde nun, wenn er militärisch korrekt handelte, Maßnahmen ergreifen. Da sein Funkkontakt mit Bagdad aber überlagert wurde, mußte er einen Spähtrupp losschicken. Das verringerte seine Besatzung um mindestens zwanzig Prozent.
Inzwischen war der Hercules-Transporter wieder auf Südkurs gegangen. Er hatte das Wüstenfort mit wenigen Kilometern Abstand überflogen und begann nun, die Verbindungsstraße zu suchen. Er fand sie im Licht der ersten Dämmerung, etwa zehn Minuten später als berechnet. Dann allerdings landete der Pilot den Transporter schon beim ersten Versuch. Nicht weit von den Sümpfen kam die Hercules 111
zum Stehen. Über die Rampe wurden das Halbkettenfahrzeug und der Jeep herausgefahren. Der Half-Track, besetzt mit einem Mann und beladen mit fünfhundert Kilo Sprengstoff, setzte sich in Richtung auf den Sumpf in Fahrt. Der Jeep folgte ihm mit Abstand. Die Meine Besatzung der Schwenkbrücke sah den Half-Track kommen und telefonierte aufgeregt mit dem Fortkommandanten. Der geriet jetzt in Panik. Fallschinnspringer im Rücken, ein Kommando im Anrollen auf seine Festung und keine Funkverbindung, um Unterstützung aus Bagdad herbeizuholen. „Zieht die Pontons ein“ befahl er. „Versucht, sie aufzuhalten. Ich schicke jeden Mann, den ich entbehren kann.“ Dadurch wurde die Fortbesatzung um weitere dreißig Prozent der Sollstärke verringert. Noch rechnete der irakische Major mit allem, nur nicht mit einem direkten Angriff auf Punkt Dreinull. Wenig später ereignete sich in den Sümpfen eine Explosion. Die Stichflamme war in den Ferngläsern deutlich zu erkennen. Der Major kurbelte am Feldtelefon. „Verdammt! Was ist passiert?“ „Wir wollten gerade die Brücke einziehen“, hörte er, „da rollten sie mit einem Half-Track hinauf und sprengten sie in Fetzen!“ „Wir kommen!“ schrie der Major durch den Draht. „Feuer frei aus allen Rohren!“ Inzwischen war der Fahrer des Half-Tracks mit dem Jeep zur Hercules zurückgekehrt. Die Zündung
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war über Funk ausgelöst worden. Die Hercules startete sofort. Beim Rollen kam sie mit einer Fahrwerkseite von der Straße ab. Dabei geriet sie in gefährliche Schräglage. Aber die Urgewalt der vier Propellerturbinen riß das nahezu leere Flugzeug von der Erde. Die C-130 erledigte noch einige Aufgaben, womit sie das Festungsradar irritierte, und kehrte dann zur Ausgangsbasis in die Türkei zurück.
Zwei Minuten früher als im Plan vorgesehen, hing der Hubschrauber über dem Fort. Die amerikanische Besatzung setzte sich aus farbigen und weißen Soldaten zusammen. Die Marins befehligte ein schwarzer Sergeant, den Hubschrauber flog ein Captain der Air-force als erster Pilot. Außerdem waren noch zwei Perser an Bord. Schwarzhaarige, verwegene Burschen. - Urban und Abraham hatten ihr Äußeres so verändert, daß man sie für Abgesandte des Ajatollah halten mußte. Lange hatten sie überlegt, ob es richtig sei, sich auf diese Weise zu tarnen. Aber die Vorteile überwogen die Zahl der Minuspunkte. Man sollte sie für Perser halten. - Für Männer eines Kommandos aus Teheran, das Berger befreite. „Wenn sie allerdings einen von uns kriegen“, hatte Abraham gesagt, „werden sie ihn in dieser Maskerade wie einen Partisanen oder Spion behandeln. Und was mit denen geschieht...“ „Wenn sie uns kriegen“, entgegnete Urban, „ist es 113
ohnehin ein Scheißspiel gewesen. Aber sie kriegen uns nicht.“ „Wettest du?“ „Ich wette nie mit dem Tod“, antwortete Urban. Das war vor einer Stunde in Silope gewesen. Jetzt hingen sie über dem Vulkan, und der SikorskyStallion ging tiefer, um sie in seinen brodelnden Schlund zu werfen. Noch war es still. Verdächtig still. Der Gegner würde erst schießen, wenn sie tief genug waren. Daß man sie nicht hörte, war auszuschließen. Aber einen größeren Gefallen, als mit dem Abwehrfeuer zu warten, konnten ihnen die Verteidiger nicht tun. „Wind null“, erklärte der zweite Pilot. „Keine spürbare Abdrift.“ „Wann wünschen Sie den Nebel?“ fragte der Hubschrauberkommandant. „Jetzt“, sagte Urban. Die Nebelsprüher begannen zu blasen. Sofort breitete sich der beißende Gestank des Kunstnebels aus, obwohl ihn der Rotor zur Erde drückte. Um den Nebel zu verstärken, warfen sie noch vier Kanister ab, Nebeltöpfe, Inhalt je zwanzig Pfund, die beim Aufprall platzten. Unten herrschte jetzt Nullsicht. „Höhe über Fort fünfzig Yards“, begann einer zu zählen, „vierzig - dreißig ...“ Urban und Abraham standen im weitgeöffneten Ausstieg. Jeder ließ seine Aluleiter ausrollen. Letzte Überprüfung des Sprechfunks, Unten wallte gelb der Nebel. In den mußten sie hinein. Jetzt fingen sie unten an zu schießen. Einzelfeuer noch ungezielt. 114
Die Marins, die beiderseits der Schiebetür hockten, gaben Dauerfeuer mit allem, was sie in den Läufen hatten. Sie warfen die ersten Big-Booster ab. Ihr Aufschlagen hörte sich an, als ginge eine Atombombe los. Der Hubschrauber hatte jetzt die richtige Höhe. Der Nebel verdichtete sich weiter. Die Schießerei von beiden Seiten konnte kaum ärger sein. Kugeln pfiffen, schlugen ein, bissen sich in die Panzerung an der Rumpfunterseite. „Feuer einstellen“, schrie Abraham, „bis wir rot blinken.“ Sie stiegen in die Drahtleitern und ließen sich Hand über Hand in die Waschküche hinab. Der Wind des siebenblättrigen Rotors riß an ihnen wie ein Orkan. Abraham verfehlte eine Leitersprosse, schien zu fallen, fing sich jedoch mit einer Hand und kam sicher unten auf. Gebückt stand er da und schoß, was seine MPi hergab. Urban landete neben ihm. Ein Schatten tauchte auf. Urban trat ihn nieder und riß Abraham mit sich. Der Nebel hatte etwas Gutes. Die Besatzung wußte nicht, wo Freund und Feind standen. Sie schössen nach oben, nicht zur Seite. Urban und Abraham kamen nur tastend vorwärts. Aber sie hatten sich jeden Meter des Terrains eingeprägt. Urban stieß gegen den Tiefbrunnenkasten. Abraham war nur noch schemenhaft durch die Gläser der Schutzmaske zu sehen. Urban packte ihn am Koppel und zog ihn nach links. Sie prallten mit zwei Soldaten zusammen. Der eine hatte ein MG auf der Schulter, und der andere schoß. – Mit 115
Kolbenschlägen bahnten sie sich den Weg zum Bunker. Der Nebel, der Lärm, das Heulen der drei Turbinentriebwerke des Stallion, die Schießerei, es war die Hölle. Sie fanden die Bunkertür, hinter der nach MossadInformation Bergers Labor und Unterkunft Hegen sollten. Sie blinkten rot nach oben. Die Marins schössen jetzt wieder. In Deckung knetete Abraham den Sprengstoff in die Ritzen am Schloß. „Im Namen Gottes“, sagte Abraham. Da traf ihn die Kugel. Es riß ihn schier herum, als hätte ihn eine Tigerpranke an der Schulter erwischt. Abraham faßte an die Stelle. Es war eine der wenigen, die nicht mit Titan-Schindeln abgedeckt war. Seine Hand war rot und feucht. „Glatter Durchschuß“, keuchte er. „Los, weiter!“ Er war hart im Nehmen, das mußte man ihm lassen.
Sie schossen von oben und von unten. Die Iraker husteten, übergaben sich. Sie kotzten, keuchten und stöhnten. Im Fort herrschte das totale Chaos. Der Kommandant versuchte, per Lautsprecher Ordnung in die Verteidigung zu bringen, aber der Nebel wurde noch dichter. Auf Armlänge erkannte keiner mehr den anderen. Urban hatte den Zünder in den Plastikbatzen an der Türfuge gesteckt. Deckung! - Zehn Sekunden Wummm! Der Bunker bebte, die Tür war auf und weg. 116
Dahinter gähnte ein rauchendes, schwarzes Loch. Urban sprang hinein, Abraham deckte ihn. Nebelschwaden zogen in den Bunker. Weiter hinten war noch einigermaßen klare Luft. Dort, wo es um die Ecke ging, tauchte einer auf. Er war so erschrocken, daß er abzuziehen vergaß. Urban mit Helm, Maske und schußsicherem Kampfoverall mußte auf ihn wirken wie ein Marsmensch. Er versetzte ihm. einen Schlag, der ihm reichte. Am Boden mochte er von einer Raumstation träumen. Urban stellte fest, daß es nur einen Wächter gab. Er hatte auch die Schlüssel. Urban zerrte sie ihm vom Gürtel. Draußen tobte das Gefecht. Hubschrauberlärm, Geschrei, Lautsprecherbefehle, einzelne Schüsse, sehr nahe das Hämmern einer Maschinenpistole. Eine FN, die Waffe von Colonel Abraham also. Urban sperrte die erste Tür auf. Es stank wie im Hühnerstall. Er leuchtete hinein. Käfige, alle leer. Nächste Tür. Eine Kammer, ein Kühlaggregat summte. Dritte Tür. Ein Labor, karger ausgestattet als das in einem Provinzgymnasium. Letzte Tür. Ein Wohnraum mit WC und Dusche. Auf dem Bett ein Mann. Urban leuchtete ihn an. Er hatte Fotos von Berger gesehen. Das mußte er sein. Ein blonder Quaderkopf, fast farblose Augen. - Auf dem Hocker neben dem Bett eine Brille mit Gläsern wie aus einer Milchflasche geschnitten. „Justus Berger?“ „Berger, Ja.“ Er hatte feuchtglänzende Augen und war schweißnaß. 117
„Was ist da draußen los?“ „Remmidemmi, Jetzt komm hoch, Junge!“ „Kann nicht.“ „Bist du krank?“ „Fieber.“ „Willst du hier krepieren, Mann? Was glaubst du, warum wir Kopf und Kragen riskieren? Los, auf die Füße!“ Urban riß ihn geradezu aus dem Bett. Doch Berger sackte, kaum auf den Beinen, wieder zusammen wie ein Twistballen. Urban packte ihn unter den Achseln, schleifte ihn ein Stück mit. So geht es nicht, dachte er. „Auf den Rücken. Häng dich an meinen Hals.“ Berger tat es. Beim Hinauswanken sah Urban in der Ecke einen Drahtkäfig. Darin hockte eine Ratte. Sie hatte einen weißen Punkt auf dem schwarzen Rückenpelz. Er nahm den Käfig mit der Hand, in der er die MPi hatte. - Nichts wie raus hier! Der Nebel dampfte jetzt auch in den Bunker herein. Nichts mehr zu sehen. Urban tastete sich an der Wand entlang. Einmal mußte es um die Ecke gehen. Der Lärm nahm zu. „Abraham!“ schrie Urban. Etwas taumelte näher. Abraham nahm ihm die Waffe und den Rattenkäfig ab. Urban riß das Sprechfunkgerät an die Gesichtsmaske. „Hubschrauber, Achtung! Wir kommen!“ „Wird höchste Zeit. Erhalten laufend Treffer.“ Sie hasteten hinaus. Urbans Atem ging heiß und schwer unter der Maske. Einen Moment wußte er nicht wohin. Abraham riß eine Blendgranate ab und 118
warf sie hinter ach. In ihrem Blitz sahen sie das hohe Gebäude mit dem Turm, früher einmal die Waffenkammer. Dann den Brunnen mitten im Festungshof. Abraham ruderte umher wie ein Schlafwandler. Dann hatte er die erste Drahtleiter ertastet. An der Leiter hing das Seil für den Elektrolift. Sie schnallten Berger den Rettungsgurt um. Berger hing darin völlig apathisch. Urban gab ihm einen Klaps. „Hoch!“ schrie er ins Mikrofon. Der Windenmotor zog an. Berger schwebte empor. „Können uns nicht mehr halten“, quäkte es aus dem Sprechgerät. Abraham hing schon in der Leiter. Endlich bekam auch Urban seine zu fassen und nahm die letzte Sprosse unter die Achsel. Das Abwehrfeuer verstärkte sich, als hätten sie bemerkt, daß für die Angreifer die Post abging. Urban sah Berger über sich pendeln und kreiseln. Mit einemmal zuckte sein Körper. Er versteifte sich. Nach einem erneuten Zucken hing er wieder schlaff und tot im Gurt. Wenn es ihn erwischt hatte, dann war alles umsonst gewesen. „Nichts wie weg hier! „ schrie Urban. Die Triebwerke bekamen Vollgas. Wie mit dem Expreßlift ging es aufwärts. Nach Sekunden hatten sie schon klare Sicht. Der Helikopter schoß aus der Wolke dichten Nebels. Nach hundert Metern glich das Fort einer Nadel mit einem grauen Wattebausch auf der Spitze. Und dann blendeten sie die ersten Strahlen der Sonne.
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12. Der Militärarzt in der türkischen Garnison versorgte Abrahams Wunde, dann untersuchte er Berger. „Zwei Treffer. Einer in Herznähe und ein Lungenschuß“, diagnostizierte der Doktor. „Erstaunlicherweise ist die Kugel in Herznähe nicht das, was ihm zusetzt, sondern der Lungenschuß.“ Berger hatte Blut verloren. Das Blut ersetzten sie durch Infusionen, aber der dringend notwendige Eingriff war hier nicht durchzuführen. „Wo?“ fragte Urban. „In Ankara.“ „Das sind neunhundert Kilometer“, rechnete Tyson. „Dann können wir ihn auch auf unseren Flugzeugträger bringen.“ „Nur kann dort kein normales Flugzeug landen“, wandte Urban ein. „Dann eben Tel Aviv. Dort haben sie Spitzenärzte und moderne Intensivstationen. Und viel weiter ist es auch nicht.“ Tyson, der mit allen Vollmachten ausgestattet war, rief vom nächsten Nato-Stützpunkt einen Lear-Jet, der eine Druckkabine hatte, was für den Transport Bergers Voraussetzung war. Die Maschine traf wenig später ein. Der Truppenarzt versorgte den Schwerverletzten so gut es ging, und Abraham ließ in Tel Aviv alles für die Operation vorbereiten. Der Jet startete um 6.25 Uhr Ortszeit in Südanatolien. Berger ging es zusehends schlechter. „So eine gottverdammte Scheiße“, fluchte Abraham. „Wir haben nur ein paar Kratzer davongetra120
gen. Aber ausgerechnet ihn, auf den es ankommt, mußten sie sich als Zielscheibe aussuchen.“ „Ironie des Schicksals“, tat Urban es ab und fühlte sich auf merkwürdige Weise fixiert. Er drehte den Kopf zur Seite und schaute nach unten. Es waren die Augen der schwarzen Ratte mit dem weißen Punkt, die ihn anstarrten. „Ob man sie füttern muß?“ fragte Tyson. „Ratten halten lange durch ohne zu fressen.“ Der Tropf, an dem Berger hing, leerte sich beängstigend schnell. Urban, der einiges von Medizin verstand, maß den Blutdruck, die Temperatur und Bergers Puls. Sein Gesichtsausdruck war offenbar besorgt, denn Abraham fragte: „Wird er durchkommen?“ „Bis Tel Aviv bringen wir ihn vielleicht.“ „Und wenn er abmarschiert?“ fragte Tyson. „Täte mir leid um den Jungen“, äußerte Urban. „Aber das Unternehmen ist gelungen. Wir haben Berger und die Ratte, und die Iraker haben sie nicht.“ „Operation Berger gelungen“, bemerkte Urban bitter, „Patient liegt im Sterben.“ Der Jet mußte einen Umweg nehmen. Weder irakisches noch syrisches Gebiet durfte er überfliegen. Der Umweg kostete reichlich fünfzehn Minuten. Endlich setzte er in Lod zur Landung an. Als sie Berger in den Notarztwagen brachten, atmete er noch. „Ob man diese Miß Cameron verständigen sollte?“ überlegte Tyson. „Schaden kann es nicht“, meinte Urban. 121
„Nun, wenn es nichts schadet, vielleicht nützt es etwas.“ „Verständigt sie“, riet Urban. „Sie macht sich zwar nichts aus ihm, aber er ist über beide Ohren in sie verknallt. Wenn sie an seinem Krankenlager aufkreuzt ...“ „... und seine Hand hält“, fügte Abraham hinzu. „Wie gesagt, schaden kann es nicht“, meinte Urban. „Ich rufe sie im Hotel an und bringe ihr ein paar Verhaltensmaßregeln bei.“ Urban nahm den Rattenkäfig und schwang sich auf einen der Armeejeeps. „Wohin damit?“ rief Abraham. „Per Luftfracht nach München.“ „Die Ratte nimmt keiner als Frachtgut an.“ „Sie wird erster Klasse in einem LufthansaCockpit reisen. Zu Stralman.“ „Mossad hat auch tüchtige Experten.“ „Schenk mir die Ratte“, schlug Urban vor, „dann schenke ich dir den Ruhm, Berger gerettet zu haben.“ „Ich brauche keine Geschenke“, sagte Abraham, „ich habe ihn gerettet.“ „Und ich?“ fügte Tyson hinzu. „Ich etwa nicht?“ Als Berger sich auf dem Weg zur Notoperation befand, Abraham ins Mossad-Hauptquartier und Tyson zu seiner Botschaft fuhr, flog die weißgepunktete persische Ratte schon Richtung München.
Berger lag nicht mehr auf der Intensivstation. Auch das Pflegepersonal verhielt sich anders, als im Umfeld eines Schwerkranken üblich. 122
Es wurde laut geredet, irgendwo spielte ein Radio, niemand trug sterile grüne Kleidung oder Mundschutz. Das konnte nur Schlechtes bedeuten. - Berger lag im Sterben. Der Chefarzt, der Urban und Sussy Cameron empfing, schaute auf die Uhr. Dann hob er beide Hände. „Eine Stunde noch oder eine halbe.“ „Ist er bei Bewußtsein?“ „Er war es kurz.“ „Ob er mich erkennt?“ fragte das Mädchen. „Schwerlich. Aber bei Sterbenden weiß man das nie.“ Urban packte fest ihren Ann. „Also, sei nett zu ihm.“ „Idiot!“ zischte sie. Sussy Cameron trat an Bergers Bett, blieb aber am Fußende stehen. Sie starrte Berger an, beugte sich vor, als wollte sie ihn ganz genau mustern, ging herum und setzte sich auf den Hocker neben dem Bett. Sie suchte nach Bergers Hand, zuckte aber davor zurück, sie zu berühren. Noch einmal beugte sie sich über ihn, dann drehte sie sich zu Urban um. Dabei wirkte sie ratlos. „Was ist?“ fragte er. „Kann man etwas tun, damit er die Augen öffnet?“ „Ich kann ein Lid hochziehen“, schlug der Arzt vor. Er versuchte es. In diesem Moment öffnete Berger die Augen und blickte zur Decke. Er mußte Sussy Cameron gesehen haben, aber er fixierte die Decke und nahm keine Notiz von ihr. Es dauerte nur wenige Sekunden. Berger bewegte 123
die Lippen, versuchte die Hand zu heben. Mit einem Seufzer schloß er die Augen wieder. Der helle Punkt am Herzoszillator beschrieb nur noch eine flache Wellenlinie. Ein Zeichen, daß es zu Ende ging. Sussy Cameron hatte Tränen in den Augen. Mit einer Bewegung, die Hilflosigkeit ausdrückte, stand sie auf, wandte sich von Berger ab und ging zum Fenster. Dabei schüttelte sie den Kopf. Nicht schnell, aber fortwährend. „Nein.“ „Was nein?“ „Unmöglich“, flüsterte sie. Und immer wieder: „Unmöglich.“ Urban bot ihr eine Zigarette an. Sie rauchte hastig. „Was ist unmöglich?“ Sie gab sich einen Ruck und antwortete gefaßt: „Das ist nicht Justus Berger.“ Urban fiel aus allen Wolken. „Was sagst du da?“ „Er mag eine gewisse Ähnlichkeit mit Berger haben, aber er ist es nicht.“ Urban kam selten ins Stottern - diesmal schon. „ ... und ... du ... du bist sicher?“ Sie schien nachzudenken. „Er hat eine merkwürdig geformte Blinddarmnarbe. Wie ein Halbmond, die sich an den Enden nach oben krümmt.“ Urban sprach mit dem Arzt. Sie hoben das Laken an. Berger lag nackt da. Sein Oberkörper war ziemlich verpflastert, aber zwischen Nabel und Oberschenkel war er frei. „Keine Narbe“, stellte der Arzt fest. 124
„Schauen Sie genau hin. Schauen Sie noch einmal hin“, forderte Urban in seiner Bestürztheit. „Ich bitte Sie, Colonel. Ich bin Chirurg und in der Lage, eine Hautfalte von einer Narbe zu unterscheiden. Der Mann im Bett hat seinen Blinddarm noch.“ „Also nicht Berger“, murmelte Urban. „Wer ist dieser Knabe dann?“ Sussy Cameron wußte es auch nicht, überwand den Schock aber schnell. „Ein anderer.“ „Dann hätte man uns ja eine Falle gestellt.“ „Mit einem auf Berger hingetrimmten Europäer, dem man wer weiß was bot, daß er für eine Weile Berger spielte.“ „Dann muß ein Verräter unter uns sein.“ „Anzunehmen“, bemerkte Sussy Cameron sachlich. Urban ging in Gedanken durch, wer alles informiert gewesen war und wer die Iraker von dem geplanten Angriff auf Dreinull gewarnt haben konnte. Oder war es noch ganz anders gewesen? Später, im Mossad-Hauptquartier, stellte Abraham eine eigene Theorie auf. „Sie spielten mir und meinem CIA-Kollegen in Bagdad den falschen Ort zu. Jetzt im nachhinein fällt mir auf, wie leicht es war, den Code Dreinull zu bekommen. Sie führten uns absichtlich in die Irre. Und ich will verdammt sein, wenn nicht Kervin, dieser Fuchs vom KGB, dahintersteckt.“ Urban hörte sich alle Erklärungen an, auch die von Tyson. Daß es eine undichte Stelle gab, kam ihnen gar nicht in den Sinn. Für sie war die Sache eindeutig. - Für Urban überhaupt nicht. Schon deshalb nicht, weil davon auszugehen war, daß 125
Berger weiterhin im Irak saß und munter an dieser teuflischen Waffe bastelte. „Genaugenommen“, äußerte Tyson in einem Anflug von Selbstkritik, „ist es der Reinfall des Jahres.“
Spät in der Nacht telefonierte Urban mit München. Nachdem er dem Chef der Operationsabteilung seinen Zwischenbericht geliefert hatte, sagte Oberst Sebastian: „Und was jetzt? Wie geht es weiter?“ Urban gestand, daß er ratlos sei. „Wie kann man diese Scharte auswetzen, Nummer achtzehn?“ „Es ist nicht mein Messer, das die Scharte trägt“, wand Urban sich heraus. „Berger ist von Geburt Deutscher. Wenn er Schuld an dieser Riesensauerei in Nahost mit vielleicht Millionen Opfern trägt, dann wird man mit Fingern auf uns deuten und sagen: Von diesem Volk der Dichter und Denker kommt wirklich nur Übles.“ Das brauchte der Alte Urban nicht zu erzählen. Auch nicht, daß Berger einer Generation angehörte, von der man glaubte, sie habe alles, was je mit Nazigreueln zu tun hatte, weit hinter sich gelassen. „Sparen Sie sich die Opern“, sagte Urban und bat, mit Stralman verbunden zu werden. Der Professor war nicht mehr im Labor. Also rief Urban zu Hause an. Dort lag Stralman noch wach. „Strecke Verblasen“, meldete er weidmännisch. „Ratte tot.“
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„Berger auch“, berichtete Urban. „Aber der Tote ist nicht Berger.“ „Ach du guter Gott!“ entfuhr es Stralman. „In Bagdad denken sie, wir merken es nicht.“ Stralman wollte genau wissen, wie sie dahintergekommen waren. „Demnach arbeitet der echte Berger noch mit voller Kraft an seinem Wahnsinnsprojekt.“ „Aber wo?“ „Junge, bin ich Geograph?“ reagierte Stralman voll echten Mitgefühls. „Aber sie kennen die Wissenschaft im großen und ganzen. Und die Wissenschaftler im besonderen.“ „Na schön. Und was kann ich tun?“ Urban holte ein wenig aus. Er gab die Fragen wieder, die ihm in den letzten Stunden gekommen waren und die er zu einem Komplex zusammengesetzt hatte. „In Bagdad“, begann er, „kommt keiner mir nichts dir nichts auf diese Idee mit den Ratten. Irgendeiner muß das den Generälen ins Ohr geflüstert haben. Einer, der auch von Berger wußte, also die Szene kennt.“ Stralman versuchte zu pfeifen. Etwas, das ihm schon immer mißglückte. Der Ton kam schief wie von einer alten Lokomotive. „Letzten Monat fand in Kalifornien eine Biologentagung statt.“ „Ging es da auch um Gen-Veränderungen?“ „Wen ich mich recht an das Programm erinnere ich bekam ebenfalls eine Einladung -, hielt Justus Berger sogar einen Vortrag.“ „Waren auch Gäste aus Nahost anwesend?“ „Sicherlich. Das läßt sich keiner entgehen.“ 127
„Wer käme als irakischer Gast in Frage?“ Stralman schien nachzudenken, kam aber weder auf Namen noch Personen. „Ich informiere mich und rufe zurück.“ „Gut, ich warte“, sagte Urban. Daß er voll Ungeduld wartete, brauchte er nicht zu erwähnen. Früh am Morgen meldete Stralman sich aus München. „Professor Aba Ahui“, sagte er und buchstabierte den Namen. „Iraker?“ „Universität Bagdad. Ihre einzige Kapazität auf dem Gebiet der Virologie.“ „Kann er als Spiritus Rektor, als Tipgeber, in Frage kommen?“ „Wenn einer, dann nur er. Er war auch in Los Angeles.“ Sie rechneten. Der Druck auf Berger hatte erst begonnen, nachdem Dr. Ahui nach Bagdad zurückgekehrt war. „Dann dürfte Ahui das Rattenprojekt leiten.“ „Zumindest überwachen.“ „Das bedeutet, er hat Kontakt zu Berger.“ „Zweifellos“, stimmte Stralman dieser Kombination zu. „Das bedeutet weiter: Findet man Dr. Ahui, dann findet man auch Berger.“ „Ich würde sagen, das ist von einer gewissen Logik“, räumte Stralman ein. „Nur, wie findet man Ahui?“ „Mönchlein!“ Stralman zitierte jenen Satz, mit dem Kaiser Karl V. beim Reichstag zu Worms Luther gewarnt hatte. „Mönchlein, du gehst einen schweren Gang.“ 128
13. Die persische Armee war im Norden des Irak durchgebrochen und besetzte unter anderem die Stadt Halabja. Halabja wurde hauptsächlich von Kurden bewohnt, die den Angreifern keinen Widerstand entgegensetzten. Dies wurde in Bagdad als Verrat aufgefaßt. Daraufhin belegte die irakische Luftwaffe das Gebiet mit Giftgasbomben. Dabei wurden mehr als tausend Zivilisten getötet und ebenso viele verletzt.
In der Nacht zum Freitag griffen Mirage-Jäger der irakischen Luftwaffe zwei Schiffe an. An Bord eines cypriotischen Tankers brach ein Brand aus. Die Mannschaft konnte das Feuer nicht löschen und ging in die Rettungsboote. Da der brennende Supertanker auf die Küste zutrieb, wurde er von einer britischen Fregatte durch Torpedofangschuß versenkt. Die Besatzung wurde von einem amerikanischen Zerstörer aufgenommen.
Im Süden des Irak wurden mehrere Grenzstädte von persischer Artillerie beschossen. Der nachfolgende Infanterieangriff führte zu erbitterten Kämpfen, bei denen taktisch wichtige Stellungen der irakischen Armee überrannt wurden. 129
Von irakischer Seite erfolgten keinerlei Meldungen über den Kriegsverlauf. Das Stillschweigen über die Kämpfe um Nowsud deutete darauf hin, daß der Irak dort schwere Rückschläge erlitt.
Die irakischen Streitkräfte würden, nach Andeutungen des Staatschefs, bald in der Lage sein, im Krieg gegen Persien neuartige Waffen einzusetzen. Saddam Hussein betonte, daß es sich nicht um konventionelle Waffen wie Panzer, Artillerie, Flugzeuge oder Raketen handle. Auch mit Waffen des atomaren oder chemischen Sortiments habe diese neue Waffe nichts zu tun. Sie sei aber für Persien absolut vernichtend. Mit ihrem Einsatz könne in wenigen Monaten gerechnet werden.
Seit Anfang der Woche herrschte im Golfkrieg eine gefährliche Ruhe. Auf beiden Seiten wurde keine Rakete abgefeuert. Es kam weder zu Angriffen zu Lande noch zu Wasser oder in der Luft. Es sah so aus, als würden beide Kombattanten Kräfte für den entscheidenden Schlag sammeln.
14. Bagdad wurde von der Sonne gekocht. Der Asphalt weichte auf. Über Stadtvierteln mit nicht befestigten Straßen lagen gelbe Staubwolken. Um die Mittagsstunden verließ niemand ohne 130
triftigen Grund den Schatten der Häuser. Auch der BND-Agent Robert Urban blieb in dem kleinen Hotel in der Nähe des Basars. Seine traditionelle Kleidung hatte er gegen einen hellbeigen Popelineanzug vertauscht. Nußöl mit einem Spezialzusatz, der die Haltbarkeit der Färbung verlängerte, hatte seiner Haut einen dunkleren Ton gegeben. Aufgrund des Oberlippenbärtchens und der Sonnenbrille zweifelte niemand daran, daß er der war, für den er sich ausgab, nämlich der Metallwarenkaufmann Octavio Orena aus Beirut. In der Reisetasche führte er ein Sortiment Nadeln und Prospekte mit. Sich als Händler von Nadeln aller Art, von Steck- und Schließ- bis zu Wirk- und Nähnadeln sämtlicher Größen und Formen, auszugeben, hatte zwei einfache Gründe: Nadeln waren im kriegführenden Irak Mangelware geworden, und das Sortiment paßte in ein Etui von Brieftaschengroße, Nach zwei Tagen Anwesenheit in Bagdad war er schon mehrmals überprüft worden. Seinen erstklassig gefälschten Paß hatte die Ausländerpolizei im Hotel abgeholt und unbeanstandet wieder zurückgebracht. Am Abend, als er in einem Restaurant gespeist und später noch einen Kaffee getrunken hatte, war sein Zimmer durchsucht worden. Er wußte es, weil die Positionen von Schuhen, Mantel, Socken, Wäsche und Rasierzeug geringfügig verändert waren. Außerdem hatten sie das ziehharmonikaartig gefaltete Blatt Papier unter dem Teppich plattgetreten. Damit hatte Urban gerechnet. Auch richtete er sich auf seinen Wegen durch Bagdad auf weitere Kontrollen ein. Als Vertreter für Nadeln war es nur 131
natürlich, daß er mit dem Taxi durch die Stadt und in die nähere Umgebung fuhr, um Kunden aufzusuchen. Hier und dort führte er auch Verkaufsgespräche, wobei sich jeder wunderte, daß er als Libanese nur englisch sprach. Staunen rief auch hervor, daß der zerstörte Libanon in der Lage sei, Nadeln zu liefern. „Sie kommen aus Europa“, pflegte Urban zu antworten. „Sicher, wir haben Krieg, aber es ist nur ein Bürgerkrieg. Und wann gelang es Kriegen je, Handel und Wandel zum Erliegen zu bringen.“ Daraufhin winkten die irakischen Kaufleute müde ab. „Nicht der Krieg“, erklärten sie, „der Devisenmangel ist es. Es sei denn, wir können mit unseren Papierfetzen bezahlen.“ „Ich muß leider auf Dollar bestehen“, bedauerte der Händler Orena regelmäßig, woraufhin kein Abschluß zustande kam. Urban richtete es so ein, daß er mehrmals das Hatis von Prof. Aba Ahui am nördlichen Stadtrand passieren mußte. Das Haus machte den Eindruck, als hätte sein Eigentümer es für längere Zeit verlassen. Die Holzläden an Fenstern und Türen waren zu. Über den Zaun hatte der Wind Papier geweht. Papier lag auch auf dem Weg von der Straße zum äußeren Tor. Niemand hob es auf, weil niemand hinaus- oder hineinging. Demnach weilte der Professor an einem anderen Ort. Genaueres hoffte Urban im Basar zu erfahren. Er hatte eine Adresse dort. Es handelte sich um einen Laden in der Gasse der Messingwarenhändler. Doch der Laden war geschlossen. 132
Urban fragte nicht, warum oder wann der Laden wieder geöffnet würde. Das nahm er sich für den nächsten Tag vor. Doch rechtzeitig erhielt er eine Warnung.
In der Nacht nahm er Funkkontakt mit Shimon Abraham auf. Dazu war es nötig, an dem kleinen Transistorradio, das er für die Fremdenpolizei gut sichtbar neben dem Bett stehen hatte, eine spezielle Schaltung vorzunehmen. Er zog den Batteriedeckel ab und steckte an der Platine einige Transistoren um. Nun arbeitete der zweite Lautsprecher als Mikrofon. Als Antenne benutzte er die Dachrinne. Mit der Bettdecke dämpfte er die Unterhaltung. Aber um diese Zeit ging es in dem Hotel ohnehin laut zu. „Wie läuft die Nachforschung?“ fragte Abraham. „Schlecht.“ „Ich habe dich gewarnt.“ „Der Professor ist nicht in der Stadt, und der Kontaktmann im Basar hat den Laden geschlossen.“ Trotz starker Störungen war Abraham zu verstehen. „Geh nicht wieder hin“, riet der Israeli. „Ich werde den Verdacht nicht los, daß sie ihn enttarnt haben. Mit ihm fing die ganze Sauerei damals an, als sie mich und den Amerikaner jagten.“ „Sind ja feine Aussichten“, kommentierte Urban. „Einer unserer Leute wird sich bei dir melden“, versprach Abraham. „Kennwort?“ „Unnötig. Er ist nicht zu verwechseln. Im Sinai133
Krieg hat er ein Auge verloren. Große, scharf gebogene Nase, gespaltenes Kinn und einen Habichtmund.“ „Okay, ich warte auf ihn.“ „Er wirkt brutal und verschlagen“, fügte Abraham hinzu, „ist aber zuverlässig.“ „Morgen pirsche ich mich an die Käfighändler heran“, übermittelte Urban. „Sei vorsichtig!“ „Die Fähigkeiten eines Agenten“, sagte Urban, „bestehen unter anderem darin, eine Gefahr zu wittern, ehe sie ihn überrascht.“ „Jehova möge dir diese Fähigkeit erhalten“, wünschte Abraham. Damit war der Kontakt beendet. Urban baute den Sender wieder zu einem Radio um, zog die Strippe ein und ging noch einen Kaifee trinken. Als er zurückkam, sagte der Portier, daß nach ihm gefragt worden sei. Urban ließ sich den Mann beschreiben. - Der Israeli war es nicht. Als er in sein Zimmer kam, fehlte das Radio. Irgendeiner von der Staatspolizei hatte es mitgehen lassen.
Bis zum Mittag stellte Urban fest, daß in ganz Bagdad kein einziger Drahtkäfig aufzutreiben war. Die Sorte aus feinmaschigem Geflecht, zum Transport von kleinen Vögeln oder Küken war restlos ausverkauft. „Letzte Woche hatten wir noch zweihundert 134
Stück auf Lager“, sagte der Mann in der Tierhandlung. „Wann kriegen Sie wieder welche herein?“ „Vorerst nicht“, bedauerte der Händler. „Der Hersteller muß alles an die Armee liefern. Können Sie mir sagen, wozu die Armee Vogelkäfige braucht?“ „Vielleicht machen sie Mausefallen daraus.“ „Ein Armeelastwagen holte die ganze Ladung ab. Nein, es war ein Wagen der Luftwaffe. Überall beschlagnahmten sie diese Käfige. Ich hörte, daß sie draußen auf der Luftbasis einen ganzen Hangar damit vollgestapelt hätten.“ „Neue Geheimwaffe“, scherzte Urban, verstärkte sein Grinsen und ging weiter. Für ihn bestand nicht der geringste Zweifel darüber, wozu sie die Käfige brauchten. Bei dem Händler hatte noch ein alter, ziemlich verrosteter Käfig gestanden. Wenn ein Meerschweinchen hineinpaßte, dann paßte auch eine Ratte hinein. Hängte man an die Öffnung eine Feder und band sie mit einer Schnur fest, dann war es eine Frage der Zeit, bis die Ratte die Schnur durchgeknabbert, den Käfig geöffnet hatte und herausmarschierte. Und zwar dort, wo die Käfige hingebracht worden waren. Sei es durch Schmuggel, mit Kamelen, auf Lastwagen, durch Fallschirmabwurf oder wer weiß wie. Die Iraker zogen das Rattenprojekt professionell durch. Gewiß hatte das Kriegsministerium die Operation in die Hand genommen. Aber wo, zum Teufel, war Berger, sein Labor und die Rattenzuchtstation? Auch an diesem Tag gelang es Urban nicht, über Prof. Ahui etwas zu erfahren. 135
Der Kontakt mit Abraham war abgeschnitten, und auch der Einäugige meldete sich nicht. Allmählich fragte Urban sich, was er hier noch sollte. Irgendwann würden sie ihn enttarnen. Das war nur eine Frage von Tagen. Wenn ein einigermaßen guter Elektrotechniker das Radio in die Hand bekam, fand er schnell heraus, daß es sich um ein Agentenfunkgerät handelte. Urban beschloß eine letzte Aktion. Im Dunkel der Nacht wollte er in die Villa des Virologen Professor Aba Ahui einsteigen. Gegen 23.00 Uhr verließ er das Hotel. Mit einem langen Spaziergang in der Altstadt schüttelte er mögliche Beschatter ab. Dann hatte er das Gefühl, daß ihm ein Wagen folge. Zunächst mit Abstand, allmählich rückte er näher. Es handelte sich um einen älteren Peugeot 404 Diesel, ein in Bagdad beliebter Typ. Er wurde als Taxi, aber auch von den Behörden gefahren. - Der Wagen war dunkelblau. In einem so heißen Land eine eher ungünstige Farbe. Urban ging schneller, überquerte einen Platz. Plötzlich hörte er hinter sich den Motor aufheulen. Reifen pfiffen, dann kreischten Bremsen. Der Peugeot fuhr ihn fast um. Der Fahrer drückte rechts die Tür auf. „Los, springen Sie rein, Mann!“ rief er. Zwar hatte er zwei Augen, aber eine Hakennase, und er sah aus wie ein syrischer Messerstecher. Kaum saß Urban neben ihm, fuhr er sehr schnell weiter, raste drei Kilometer durch die Stadt und hielt dann unterhalb der Festungsmauern, wo die Busse parkten. „Ich bin Max“, stellte er sich auf Deutsch vor. 136
„Wo haben Sie das zweite Auge her, Max?“ „Glas.“ Schon hatte er es mit geübtem Griff in der Hand liegen. „Das war nicht nötig“, sagte Urban. Max befeuchtete das Glasauge mit Spucke und steckte es wieder in die Höhle. „Bei Tag kann ich mich mit Ihnen nicht sehenlassen. Mich mögen sie nicht, und Sie sind auch nicht koscher. Wenn man uns zusammen erwischt, brauchen die Iraker nur zusammenzuzählen. Eins und eins...“ „Macht zwei.“ Max vollführte eine Bewegung, als schnitte er sich den Hals durch. „Die sehen in jedem einen Spion.“ „Sind wir ja auch.“ Max feixte. „Ich nicht. Sie etwa?“ „Leute, die sich bedroht fühlen, können gefährlich werden.“ „Gefährlicher geht es nicht mehr“, erklärte Max. „Also, Abraham ist mein Boß. Was wollen Sie wissen? Sie fragen und ich antworte.“ Urban zögerte nicht lange. „ Im ganzen Land gibt es keine Drahtkäfige mehr.“ „Man sammelt sie auf der Luftbasis. Eine Liebesgabe für Teheran gegen die Rattenplage.“ „Sie sind auf Zack, Max.“ „Bin geborener Berliner“, erzählte der israelische Agent. „Als Säugling lernte ich noch ein KZ von innen kennen. Wer sich da rausgemogelt hat, der hat alle Tricks drauf. Oder?“ „Stapeln sie die Käfige vorerst nur?“ „Nein, sie montieren etwas daran. Letzte Woche 137
machten sie auch Versuche. Abwurf aus Flugzeugen und so. Doch mit einemmal sieht es so aus, als hätten sie jegliches Interesse an den Käfigen verloren. Schätze, sie testen eine andere Transportmöglichkeit.“ „Noch sind die Ratten ja nicht geboren“, bemerkte Urban. „Wo könnte die Rattenfarm denn sein?“ „Keine Ahnung. Wirklich.“ „Wo die Farm ist, da ist auch Berger.“ „Und sein Labor“, ergänzte Max. „Und gewiß auch Professor Ahui. Ein Experte muß das Programm ja wissenschaftlich überwachen.“ Der Mossad-Mann massierte sich die Kinnspalte. „Aba Ahui habe ich kürzlich gesehen.“ „Sein Haus ist verschlossen.“ „Schätze, man hat ihn kaserniert. Ich sah ihn mit General Indra und Scheik Hadr wegfahren.“ „Ganz zufällig?“ „Zufälle gibt es in diesem Geschäft niemals nicht“, antwortete der Israeli. „Eigentlich bin ich auf Kervin angesetzt. Ist Ihnen Kervin ein Begriff?“ „Ein höherer KGB-Offizier.“ „Wir nehmen an, daß er es war, der den Irakern den Tip lieferte, mit dem sie einen CIA-Agenten und Abraham aus der Stadt trieben. Die Kontakte zum sowjetischen Geheimdienst sind herzinnigst. - Ich beobachtete also Kervin und folgte ihm zum Verteidigungsministerium. Dort tagte gerade der Kriegsrat. Manchmal ist auch ein Russe dabei. Man erklärt ihm die Frontlage, um Waffen loszueisen. Danach fuhren Kervin, der General, Scheik Hadr und Professor Ahui zusammen weg.“ „Wohin?“ 138
„Wenn ich das wüßte.“ „Wie kann man es ...“ „Übermorgen“, unterbrach Max ihn, „tagt der Kriegsrat wieder. Wenn wir Glück haben und eine tüchtige Portion Lebensüberdruß...“ „Ich bin kein Glückskind“, gestand Urban, „und lebensmüde auch nicht. Aber ich werde zur Stelle sein.“
Bei Dunkelheit sah Max nicht sehr vertrauenerwekkend aus. Bei Tageslicht aber zum Fürchten. Er schien es zu wissen. „Verstehen Sie, warum Kinder vor mir Angst haben?“ fragte er, als sie unweit des Ministeriums parkten. „Nein.“ „Ich schon. Aber gewisse Frauen stehen auf mich. Die perversen.“ „Frauen sind wild auf das Außergewöhnliche.“ „Auf die Kraft meiner Lenden“, sagte Max. „Kretins verfügen über einen riesenhaften Geschlechtstrieb.“ „Nicht nur Kretins“, schränkte Urban ein. „Die aber meistens.“ Als es danach aussah, daß Max die Betrachtungen über sein Sexualleben vertiefen wollte, öffnete sich drüben das eiserne grüne Tor in der Mauer des Parks, in dem das Ministerium lag. Aber nur ein Kastenlieferwagen verließ die starkgesicherte Anlage. Max' Hand war schon am Anlasser. „Fehlanzeige“, sagte er und startete dann doch. Denn kaum war das Tor wieder zu, schwang es 139
erneut auf, und ein sechs Meter langer schwarzer Buick schob seine Chromschnauze heraus. „General Indras Limousine.“ „Ohne Begleitschutz?“ wunderte Urban sich. „Gepanzert.“ Max folgte ihm und wagte sich ziemlich nahe heran. „Drei Mann“, stellte er fest, nachdem er sich an einer Ampel neben ihn gesetzt und ihn sogar überholt hatte. „Der Chauffeur, der General und einer, den ich nicht kenne.“ Urban wollte es nicht glauben, aber es war so. „Dafür kenne ich ihn.“ „Diesen eierblonden Typen mit dem Brikettschädel und der Kaulquappenbrille?“ „Das ist Berger“, sagte Urban. „Etwa der echte von den beiden, aus denen Sie den falschen aussortierten?“ „Falls es nicht sogar drei gibt.“ „Die wenden jede Schweinerei nur einmal an. Aber daß Sie darauf reinsegelten - ich meine, zwei Männer mit einem Ruf wie Donnerhall, Sie, Dynamit, und Abraham der Große -, will mir nicht in den Kopf.“ Der schwer in den Federn liegende gepanzerte Buick nahm die Straße nach Süden. „Aha!“ Max schmalzte. „Da-Ura! Das ist die Piste nach Da-Ura.“ „Aber nicht die zu den Tempeln.“ „Die zur neuen Waschmittelfabrik“, vermutete Max. „Die Armee betreibt sie.“ „Dann sieden sie dort gewiß keine Seife.“ „Reinigungsmittel, um die Wüste von den bösen Perserbuben zu reinigen; Senfgas, Nervengas, Blau140
säuregas und all diesen Mist. Ein riesiges Gelände. Platz genug für hundert Labors und eine Million Ratten.“ „Wie stark befestigt?“ „Ich würde sagen, Fort Knox, wo das amerikanische Gold liegt, ist dagegen offen wie eine Pißbude.“ Sie ließen zwei andere Autos zwischen sich und den Buick „Aber ...“ setzte Max an, verzichtete jedoch auf die Fortführung des Satzes. ,Aber?“ „Er muß von der Hauptstraße runter. Sie haben die Fabrik in die Wüste gebaut. Eine Nebenstraße, gerade und arschglatt, führt ein paar Kilometerchen durch die Öde.“ Urban blickte Max an und stellte keine Fragen mehr. „Haben Sie Angst, Colonel?“ „Was ist das?“ Max kicherte, dann spitzte er die Lippen seines Habichtmundes. „Zum Küssen das Ganze!“ „Finde ich auch.“ „Also.“ „Probieren wir es“, schlug Urban vor. „Wenn Sie eine Chance sehen, Colonel.“ Max nahm die Rechte vom Lenkrad und deutete mit abgespreiztem Daumen nach hinten. Urban kletterte über die Lehne und hob die Rücksitzbank ab. Darunter lag eine stinkende Kameldecke, aber dann kamen zwei FN-Maschinenpistolen, Magazine, bis obenhin voll, und Handgranaten. „Tarnmützen stecken links in der Türtasche.“ 141
Max leckte sich die Lippen, als wollte er eine Gans tranchieren. „Ich setze mich vor den Buick“, sagte er, „und stell den Diesel quer. Sie nehmen Berger, ich den General.“ „Und der Fahrer?“ „Kriegt was vor den Latz.“ Urban fragte gar nicht erst, wie sie da herauskommen würden. Er hatte einfach das Gefühl, daß es klappen könnte - aus irgendeinem nicht definierbaren Grund. Seiner Meinung nach präsentierten sie sich viel zu offensichtlich, als daß dies nicht Absicht gewesen wäre. „Das Leben des Generals“, sagte Max, „ist in diesem Land zu wichtig, als daß man sich dafür nicht was einhandeln könnte.“ Urban fühlte sich verstanden. „Ja, er gehört zu den Leuten, die einen langen Schatten werfen.“ „Aber nur in der schrägen Abendsonne“, höhnte Max. „Deshalb greifen wir mittags an, wenn die Sonne hoch steht und ihr Schatten klein ist wie ein stinkender Furz.“ Er gab Gas und überholte.
Die Straße war so leer, die Stille so vollkommen, das Licht so grell und die Hitze so brütend, daß es weh tat. Auf der einsamen Straße durch die Wüste, als sich der Peugeot vor den Buick quergestellt hatte und der Buick ihn rammte, sprangen sie heraus, Masken vo r
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dem Gesicht, die Maschinenpistolen in den Fäusten. Sie gaben Dauerfeuer himmelwärts. „Vorsicht!“ schrie Urban. Der Buickfahrer hatte die Panzerglasscheibe spaltbreit heruntergelassen, der Lauf einer Pistole schob sich ins Freie. Max hämmerte ihm den MPi-Kolben auf die Hand. Urban riß den Schlag auf, packte den Fahrer, warf ihn auf die Straße und schleifte ihn weg. Max trat ihm aufs Genick und preßte ihm die Visage in den Staub. Die hinteren Türen blieben zu. Die Gentlemen im Fond glaubten offenbar, sie wären in ihrem Käfig aus Stahl und Glas sicher. Sie hatten die Türen von innen verriegelt. Urban drosch mit dem MPi-Kolben gegen das Fenster. Nicht ein Kratzer war zu sehen. Er legte an. Aber der General drinnen grinste nur und hob den Telefonhörer ab. Am Armaturenbrett gab es eine Menge Schalter. Urban betätigte einen nach dem anderen. Doch die Trennscheibe zum Fond bewegte sich nicht um einen Millimeter. „Sprengen wir sie in die Luft“, rief Max. „Und Berger?“ Urban baute lieber auf den psychologischen Effekt von drei Handgranaten. Er bündelte sie zusammen und zeigte sie dem General. Indra, einem alten Landsknecht, der sich vom Feldwebel zum Armeechef hochgedient und so manchen Krieg mitgemacht hatte, war selbstverständlich die Wirkung einer geballten Ladung bekannt. Wenn man sie unter den Buick plazierte, blieb nichts mehr ganz. 143
Er starrte Urban an, schien zu überlegen, klemmte den Telefonhörer wieder auf die Konsole und nickte. - Die Tür schwang auf. Der General war ein starker Mann, bullig, aber kleiner als erwartet, höchstens einssiebzig. „Sie auch, Berger.“ Doch Berger schien nichts zu hören und blieb sitzen. Er hatte einen Käfig auf den Knien, in dem eine Ratte herumhüpfte. Eine auf dem Rücken weiß markierte. „Ich schicke dir eine Einladung“, zischte Max, eilte um das Heck des Wagens und zog Berger ins Freie wie einen alten Anzug, den man aus dem Schrank riß, um ihn auf den Müll zu werfen. General Indra hatte die Hände erhoben. Urban nahm ihm seine Dienstpistole weg und schleuderte sie in die Wüste. Der Fahrer bewegte sich wieder, versuchte aufzuspringen und wegzurennen. Max holte ihn ein, warf ihm die FN ins Kreuz, und als er dalag, fesselte er ihn fluchend. Urban kümmerte sich um Berger und um die Ratte. Es handelte sich um die gleiche Rasse, die mit fast schwarzem Fell und dickem Schwanz, wie aus Fort Dreinull. Nur die Markierung am Rücken war eine andere. Der Punkt schien heller zu sein und irgend etwas hing im Fell, das wie die Reste von trockener Farbe, wie Farbkrümel, aussah. Das Fell der Ratte im Fort Dreinull war mit Wasserstoffsuperoxyd aufgehellt worden. Hier hatte man einfach Farbe verwendet. „Hol die Ratte raus“, sagte Urban zu Berger. Er sprach englisch. Berger schien ihn nicht zu verstehen. 144
„Bist du taub??“ Berger blickte hilfesuchend den General an. „Die Ratte ist infiziert“, erklärte Indra. Urban wollte es nun genau wissen. Er stellte den Käfig auf das Dach des Buicks, zielte und riß durch. Ein Schuß, ein Kreischen. Das Tier zuckte und war tot. Urban öffnete den Drahtbehälter und schüttelte die Ratte auf den Boden. Dann bückte er sich und strich über den weißen Markierungspunkt. Er war trocken, trotzdem hatte Urban weißes, kreideartiges Pulver an den Fingern. Er schnupperte daran. - Pfefferminzgeruch. Urban blickte Max an. Der deutete mit der MPi auf Indra. „Soll ich ihn umlegen?“ „Bloß nicht. Er ist unsere Übergabegarantie.“ „Und dieser Berger-Bastard? - Was haben Sie, Colonel? Sie schauen so kariert Ist Ihnen nicht gut?“ Urban konnte es noch immer nicht ganz einordnen. „Zahnpasta“, sagte er, „Zahnpasta.“ „Wie? Wo?“ „Sie haben die Ratte mit Blendax markiert.“ Um nicht untätig zu sein, fesselte der MossadAgent nun auch den General. Urban schaute sich um. Nirgendwo war etwas zu sehen. Er hängte die MPi am Riemen über die Schulter, steckte sich eine Monte-Christo an und wandte sich nun an Berger. „Ziehen Sie sich aus, Junge.“ Berger reagierte, als wäre er taub - nämlich gar nicht „Klamotten runter, Mann!“ 145
Berger tat immer noch, als verstünde er kein Wort, „Er will, daß Sie sich entkleiden“, sagte der General auf Arabisch zu ihm. „ Den müssen sie zu heiß gebadet haben“, fürchtete Max, der das alles nicht verstand. Berger fing bei den Schuhen an. „Hose runter“, sagte Urban, „genügt.“ Mit zitternden Händen führte Berger den Befehl aus, bis Urban alles gesehen hatte. „Danke.“ Und zu Max sagte Urban: „Rückzug.“ „Moment mal. Sie wollen alle dalassen?“ „Den General nehmen wir mit.“ „Und Berger, das Rattenaas?“ „Unwichtig. Vergiß ihn.“ „Ich jage ihn hinter seinen Ratten her in den Rattenhimmel“, rief Max und legte auf Berger an. Urban hielt ihn nur mühsam davon ab, daß er Berger umlegte. Sie fesselten ihn nur und packten ihn neben den Fahrer. Max, der längst nicht mehr durchblickte, fragte, wie es weitergehe. „Das war doch alles viel zu einfach, um nicht verdammt kompliziert zu sein, Colonel.“ „Mehr als das“, antwortete Urban ausweichend. Sie beschlossen, für die Rückfahrt den Buick zu nehmen. Max holte noch sein Funkgerät aus dem Peugeot. „Fackeln wir ihn ab?“ fragte er. „Aber wenn sie in der Fabrik draußen die dunklen Rauchschwaden sehen, werden sie kommen.“ „Sie wissen längst Bescheid“, erklärte Urban. „Das alles ist ein hundsgemeines Spiel. Aber wir spielen mit.“ Sie schoben Indra in den Buick. 146
Urban fuhr. Max hielt die Antenne des Funkgerätes aus dem Fenster und versuchte, seine Zentrale zu bekommen. Dann setzte er einen Notruf ab. Es dauerte einige Zeit. Sie rasten schon auf der Hauptstraße nach Südwesten, als Max Kontakt hatte. Es ging hin und her. Sie verständigten sich in einem unverständlichem Code. „Sie holen uns raus“, übersetzte Max. „Aber es muß ein Ort in der Wüste sein, wo sie landen können.“ Urban rechnete. Der Buicktank war voll. Sie würden verfolgt werden, aber man würde nicht wagen, sie anzugreifen. Sie hatten den General. Außerdem lag den Irakern daran, daß sie heil aus dem Land kamen. - Nur darum ging es ihnen. „Wann wird es dunkel?“ „In fünf Stunden.“ „Sag ihnen, südlich Sharaf. Das ist an der Straße zur saudischen Grenze. Wir brennen den Buick als Landezeichen ab.“ Max gab es durch. Ein Problem stellte noch die große Euphratbrücke bei Musaijab dar. Der Verkehr war sehr dicht, und es ging nur langsam vorwärts. Offenbar kontrollierten sie schon. „Hör zu, Indra“, drohte Max dem General. „Dich kennt jeder in diesem Land. Du bist auf einer stinknormalen Dienstfahrt. Ein Wort, eine falsche Bewegung, und ich mache dich erst zum Eunuchen, ehe ich dich umlege.“ Er klemmte eine Handgranate zwischen die Beine des Generals. So kamen sie hinüber. Wenig später wußte Urban, daß sie verfolgt 147
wurden. Allerdings blieben die Beschatter auf Distanz. „Eigentlich“, gestand Max, als sie schon der sinkenden Sonne entgegenfuhren, „verstehe ich weniger als gar nichts mehr. Schätze, ich war Ihnen keine erstklassige Hilfe, Colonel Urban. Gewöhnlich erhält man sich die Zuneigung eines Mannes durch gute Behandlung und großzügige Bezahlung. Reden wir nicht von Geld, aber zeigen Sie mir Ihr Vertrauen, indem Sie mich informieren. Sie wissen doch etwas, Sie brüten was aus.“ „Allerdings“, gestand Urban. „Soll ich vor Neugier platzen, Sir?“ „Können Sie bis Tel Aviv warten, Max?“ „Okay“, sagte der Israeli. „Falls wir es je erreichen.“ 15. „Hat das nicht bis morgen Zeit?“ fragte Shimon Abraham. „Ich möchte es hinter mich bringen“, wünschte Urban. Also fuhren sie vom militärischen Teil des Flugplatzes Lod, wo die alte DC-3 sie abgesetzt hatte, nicht zum Mossad-Hauptquartier, sondern nach Tel Aviv hinein, „Hat ja noch einmal geklappt“, sagte Abraham stolz. „Zum hundertsten Mal gerade noch einmal“, bemerkte Urban zynisch. Nur Max war sauer. „Da findest du nach Jahren endlich eine Frau, die 148
zu dir paßt, und dann gehst du ohne Abschied übern Jordan.“ „So schnell können Sie nach Bagdad nicht zurück“, befürchtete Urban. Max erinnerte ihn daran, daß sie jetzt in Tel Aviv seien und Urban ihm eine Antwort schuldete. „Wohin fahren wir, Colonel?“ „Zur Dizengoff-Straße, vielmehr in eine Seitenstraße davon. In ein Hotel.“ „Gegen eine Dusche wäre nichts einzuwenden. Aber müde bin ich nicht. No, Sir.“ „Wir besuchen ein Mädchen“, erklärte Urban. „Sussy Cameron.“ „Die Geliebte von diesem Ratten-Berger?“ „Das wäre zuviel gesagt.“ „Warum, zum Teufel, mußte er sich in der Wüste ausziehen, Colonel?“ fiel es Max plötzlich wieder ein. „Wegen der Blinddarmnarbe“, antwortete Urban. „Er hatte keine.“ „Und weil er entweder taub ist oder nur Arabisch versteht.“ „Als Amerikaner?“ „Die Ratte war auch auf die Schnelle markiert worden. Mit Zahnpasta, denn sie hatten kein Wasserstoffsuperoxyd zur Hand.“ „Und warum, zum Teufel, bitte?“ „Weil sie uns täuschen und für blöd verkaufen wollten.“ „Fuhren sie deshalb ohne Begleitschutz ausgerechnet auf dieser einsamen Straße in die Wüste?“ Urban ersparte sich die Antwort. Außerdem waren sie jetzt da. Vor dem Hotel standen zwei Autos. Eines davon 149
identifizierte Abraham als Dienstfahrzeug des Mossad. Sie gaben Sussy Cameron unauffällig Personenschutz. - Von den Agenten war jedoch keiner zu sehen. „Wir gehen gleich rauf, entschied Urban. „Sie schauen sich ein bißchen um, Max“, befahl Abraham. „Ich würde auch gern dabei sein. Steht mir doch zu, oder?“ „Ein Zeuge genügt“, winkte Urban ab. Wenige Minuten später klopften sie oben. Die Amerikanerin fragte, wer sie seien. Urban nannte seinen Namen. Sie öffnete und lächelte kaum, Urban kam es fast so vor, als sei sie überrascht, ihn zu sehen. Er warf sie auf das Bett, was ihr Schmerz zu bereiten schien, zog einen Hocker heran und setzte sich vor sie. „Berger ist tot“, begann er ohne Einleitung. Sie bekam kreisrunde Augen, preßte die Hände vor die Lippen und heuchelte Entsetzen. „O Gott!“ „Nichts Neues für dich“, fuhr Urban fort. „Du weißt es längst. Du warst dabei, als er starb.“ Hilfesuchend blickte sie Abraham an, aber von dem strömte Eiseskälte aus. „Berger starb im Hospital hier in Tel Aviv.“ „Das war nicht Berger!“ schrie sie hysterisch und sprang auf. Urban packte ihren Arm und zwang sie, sich wieder hinzusetzen. Seine Stimme klang eindringlich. „Es war Berger, und du hast uns belegen. Das mit der Blinddarmnarbe war nur eine Finte. Bergers 150
Blinddarm ist niemals entfernt worden. Der Bursche, den sie in Bagdad als Berger ausgaben, hatte ihn auch noch. Aber er war nicht Berger. Er verstand weder Deutsch noch Englisch. Auch die Ratte war ein recht harmloses Vieh!“ Sussy Cameron spielte ihre Rolle ausgezeichnet. „Wer hat dich erpreßt?“ fragte Abraham ruhig. „Erpreßt, wozu?“ „Zu dieser falschen Aussage. Denn wenn herauskam, daß wir den einzigen und wahren Berger aus Fort Dreinull gerettet hatten, brach das ganze Rattenprojekt in sich zusammen. Das wollten die Iraker aber verhindern, denn der Feind in Teheran sollte in Panik geraten, weil ein Gegner in Panik ein ungefährlicher Gegner ist. Sie wollten den Schein aufrechterhalten, Berger wäre am Leben und der Bursche aus Fort Dreinull ein Doppelgänger, benutzt als Honig für den Bären. Deshalb mußten sie ihn auch unbedingt erledigen, ehe er den Hubschrauber erreichte.“ „Warum“, fragte Urban, „hast du dabei mitgemacht? Das Leben vieler tapferer Helfer war in großer Gefahr. Von meinem nicht zu reden.“ Tränen traten in ihre Augen. Langsam knöpfte sie die Bluse auf und zog sie aus. Sie hatte wunderschöne Brüste, aber einen Rücken, der aussah, als habe man sie mit Stacheldraht gepeitscht. Die Striemen waren blutverkrustet, manche waren entzündet und eiterten. „Deshalb“, gestand sie. „Man drohte, mich zu foltern, wenn ich nicht nach ihren Vorgaben handeln würde.“ „Na dann“, sagte Urban erschüttert.
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Sie entschieden, daß Sussy Cameron mit ihnen kam. Sie brauchte ärztliche Hilfe. Sie ging ins Badezimmer. Abraham begleitete sie. Er ließ sie nicht mehr aus den Augen.
Urban steckte sich eine MC an. Nach ein paar Zügen kam es ihm mit einemmal verdächtig still vor. - Was trieben die beiden bloß im Badezimmer. „Cameron!“ rief er. Keine Antwort. „Abraham?“ Plötzlich ein dumpfer Schlag, ein Stöhnen. Mit einem Satz hechtete Urban über das Bett, war an der Badezimmertür und stieß sie auf. Drinnen stand die Amerikanerin neben Abraham. Jeder hatte den Lauf einer Waffe im Nacken. Hinter ihnen ein Araber vom Typ der finster Entschlossenen. „Legen Sie Ihre Mauser weg, Mister Dynamit“, befahl er, „oder die beiden sind tot! Gleichzeitig. Auf die Sekunde genau.“ Urban blieb keine Zeit zum Nachdenken. Erst mußte er den Killer ablenken. Vielleicht durch ein paar aufreizende Fragen. „General Indra hat aber schnell geschaltet“, sagte er anerkennend. „Donnerwetter!“ „Wäre besser gewesen, ihn nach Tel Aviv mitzunehmen“, meinte Abraham mit schiefem Kopf. „Kaum war unsere Maschine gestartet, schon setzte er seine Killer an.“ „Damit nicht im letzten Moment noch die Wahr152
heit ans Licht kommt“, ergänzte Urban. „Indra nahm an, daß ich den Bluff durchschaute.“ „Deshalb waren auch meine zwei Agenten nicht zu sehen“, ergänzte Abraham. „Die liegen gefesselt hinten im Hof“, sagte der irakische Killeragent. „Ich muß Sie jetzt leider umlegen. Alle drei.“ Er wird es tun, dachte Urban und ging das Risiko ein. Er würde sich seitlich von der Tür in Deckung werfen und ohne Zögern schießen. Diesmal gewiß. Er holte noch einmal Luft, um es zu tun. Ohne Rücksicht, ohne Gnade. Da fühlte auch er ein Stück Eisen im Genick. Klar, daß der Killer nicht allein arbeitete, aber daß sich der zweite Mann im Kleiderschrank oder auf dem Balkon ... Sie saßen verdammt in der Zange. Die Backen der Zange näherten sich einander, und sie würden darinnen zerquetscht werden. Eigentlich gab Urban nie auf. Irgend etwas fiel ihm immer ein. Auch diesmal. Und zwar zu dem Zeitpunkt, als der Killer hinter ihm sagte, er solle die Arme heben. Urban stand genau in der Tür. Die Tür war schmal Als er den linken Ann hob, streifte die Hand am Holzrahmen entlang. Dicht daneben war der Lichtschalter. Als Urban ihn fühlte und betätigte, schrie er: „Deckung!“ Aus zwei Waffen wurde gleichzeitig geschossen. Der hinter ihm schoß und auch der Agent, der Sussy und Abraham hatte. Urban fühlte den glühenden Strich, den die Kugel an seinem Hals gezogen hatte. Dann trat er dem Iraker in den Unterleib, und
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Abraham gab einen Ton von sich wie Judokämpfer, wenn sie zuschlugen. Neue Stichflamme. Eine Kugel fetzte in den Mauerputz. Ein Körper ging zu Boden. Im fahlen Schein der Nachttischlampe sah Urban, daß es der von Sussy Cameron war. Der Mann hinter ihm kam hoch, und auch der zweite Iraker gewann die Orientierung wieder. Während der eine Urban den Lauf ins Kreuz bohrte, legte der andere auf Sussy Cameron an. Abraham hämmerte auf seinen Arm. Ein Schuß fiel und dann noch einer. Fensterglas splitterte. Eine wütende Ballerei entstand, ein Chaos aus heiserem MPi-Rattern, blauen Mündungsflammen, sirrenden Projektilen und stinkenden Pulvergasen. Urban lag am Boden und spürte Blut tropfen. — Dann kehrte Stille ein. Licht ging an. Breitbeinig über Urban stand Max. Der Lauf seiner Maschinenpistole war grau von Pulverschleim. Der Mossad-Agent, der durch das Fenster gekommen war, ließ den zweiten Iraker los, wie einen schmutzigen Putzlappen. Er fiel in die Badewanne. Tot. „Das war haarscharf“, stellte Max fest. „Ich ging in den Hof, um zu pinkeln, da sah ich die Kollegen liegen. Max, da läuft eine Sauerei, dachte ich mir.“ „Ohne dich sähen wir schlecht aus“, mußte Abraham anerkennen. Er war als einziger unverletzt. Sussy Cameron hatte eine Kugel in den Oberschenkel bekommen.
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Urbans Wunde am Hals ließ sich mit Klebeverband versorgen. „Sie muß sofort ins Hospital“, entschied Abraham und versuchte, die stark blutende Wunde abzubinden. „Dann“ bemerkte Sussy tapfer lächelnd, „geht alles in einem dahin.“ Der Notarztwagen kam und holte sie ab. Wenig später stieß Tyson von der CIA zu ihnen und rieb sich die Hände. Sie gingen hinunter in die Bar und bestellten Whisky. Der israelische Whisky galt schon immer als eines der übelsten Erzeugnisse dieser Art. Aber sie tranken ihn wie den zehn Jahre abgelagerten Edeltropfen einer Luxusmarke. „Mann, haben wir die vernascht“, sagte Max. „War noch was?“ fragte der Amerikaner. „No, Sir“, antwortete Urban. „Nicht, daß ich wüßte.“ „Hundesöhne, diese Iraker“, stellte Abraham fest. Urban nickte. „Aber wir und alle anderen“, meinte er, „ sind auch nicht besser.“
Tyson führte sich als Sieger auf. Wie ein Schauspieler, der nie eine Bühne betreten hatte, kassierte er den Applaus. Der Mossad-Agent Abraham lieferte seinen Bericht ab. Was ihn dann für längere Zeit ins Bett warf, war eine ordinäre Sommergrippe. „Nie mehr so einen Zirkus“, sagte er. „Lieber küsse ich einen Spucknapf.“ 155
Sussy Cameron kehrte in die USA zurück. Im College erzählte sie überall herum, was sie erlebt hatte. Aber genaugenommen verstand sie soviel davon, als hätte sie es im Lexikon nachgelesen. Der BND-Agent Robert Urban benahm sich wie ein ausgekochter Profi. Er versuchte, die Geschichte zu vergessen und all die entgangenen Genüsse des Lebens nachzuholen. Nur das Gefühl, daß er mittelmäßige Ar beit geleistet hatte, das blieb. - Und das wurmte ihn noch lange. ENDE
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