Seewölfe 176 1
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Seewölfe 176 1
Burt Frederick 1.
An diesem Septembertag des Jahres 1588 zeigte sich das Wetter von seiner unfreundlichen Seite. Eine. kühle Brise, die den Geruch von Salzwasser und Tang nach Cornwall trieb, ließ den Sommer vergessen und düstere Herbstzeit ahnen. Nebelschwaden, die sich während des ganzen Tages nicht aufgelöst hatten, trieben über die Mill Bay. Regenschwangere Wolken verhüllten den Himmel über der Hafenstadt Plymouth. Dennoch schien es an diesem Tag in Plymouth nicht einen einzigen Menschen zu geben, dem die Witterung auf das Gemüt schlug. Überschwängliche Freude hatte sie alle gepackt - wie ein Fieber, das in rasender Geschwindigkeit um sich griff. Jeder, der seine Beine noch gebrauchen konnte, war hinausgeeilt an die Piers der Mill Bay. Dorthin, wo sich jenes denkwürdige Geschehen abspielte, das diesen Tag zu einem besonderen Tag in den Geschichtsbüchern von Plymouth werden ließ. Sie waren heimgekehrt! Die Sieger. Die tapferen Männer, die Englands Schicksal zur See zum Guten gewendet hatten. Die Männer, die wieder einmal mitten in die Hölle gesegelt waren, um den Teufel am Schwanz zu ziehen. Doch diesmal hatten sie nahezu Übermenschliches geleistet, die erdrückende Übermacht der Armada geschlagen und die spanischen Galeonen zu Treibholz zerlegt. Die Kunde von dem Sieg über Spaniens einst ruhmreiche Seestreitmacht hatte sich in ganz England wie ein Lauffeuer verbreitet. Jedermann in Englands Häfen, der bislang schon geheime Bewunderung für die tollkühnen Seefahrer Ihrer Majestät gehegt hatte, schrie diese Bewunderung jetzt hinaus. Niemand übte mehr vornehme Zurückhaltung. Selbst Englands Bürger aus den nobelsten Kreisen gaben sich dem Freudentaumel hin wie einem Rausch. Philip Hasard Killigrew, Kapitän der „Isabella VIII.“, und Jean Ribault, sein
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treuer Kampfgefährte, waren sprachlos. Ribaults Zweimast-Karacke „Le Vengeur“ lag neben der schlanken Galeone des Seewolfs an der Pier. Den Männern an Bord der beiden Schiffe erging es nicht anders als ihren Kapitänen — kaum hatten sie Zeit zum Festmachen gefunden. Mit ohrenbetäubendem Jubel wogte die Menschenmenge der „Isabella“ und der „Vengeur“ entgegen, und hätten die Schiffe ausreichenden Tiefgang gehabt, so hätten sich die Massen mit ihrem frenetischen Freudengeschrei buchstäblich über das Schanzkleid hinweg an Deck ergossen. Hasard hatte Jean Ribault gerade noch rechtzeitig signalisieren können, herüberzueilen. Noch während des Anlegemanövers war Jean Ribault an Land gesprungen und hatte sich schnell und geschickt seinen Weg auf die Kuhl der „Isabella VIII.“ gebahnt. Gemeinsam lenkten Hasard und Jean das Chaos in halbwegs geordnete Bahnen. Unablässig tönten die freudigen .Willkommensrufe vom Kai, zumeist im Chor. „Ein Hoch den tapferen Seewölfen!“ „Willkommen in Plymouth!“ „Sieger, seid gegrüßt!“ Männer, Frauen und Kinder drängten sich am Kai. Trubel und Geschrei wollten nicht abreißen. Mehrere prunkvolle Kaleschen standen inmitten der Menge. Die Zugpferde schnaubten und tänzelten nervös, und die Kutscher hatten Mühe, die Tiere unter Kontrolle zu halten. Die Crew der „Vengeur“ hatte sich lachend und winkend am Schanzkleid versammelt. Sie genossen es offensichtlich, von den johlenden Menschen gefeiert zu werden. Nur auf der „Isabella“ war ein Landgangsteg ausgebracht und rasch wieder eingeholt worden, nachdem der Seewolf die Leute an Bord gelassen hatte, denen er einen Empfang nicht verwehren konnte. Außenbords brandete die Menschenmenge bis an die Beplankung, doch das Schanzkleid war zu hoch, daß sie es erklimmen konnten. Es war eine distinguierte Gesellschaft, die sich auf den blankgeschrubbten
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Decksplanken der Galeone versammelt hatte. Eine kleine Gruppe von elegant gekleideten Ladys und Gentlemen nur — und doch jene Gruppe, die in Plymouth den Ton angab, wie man zu sagen pflegt. Selbst für unbeteiligte Beobachter war es unschwer, festzustellen, daß diesem Empfangskomitee die am Kai wartenden Kaleschen gehörten. Die Kunde von der bevorstehenden Heimkehr der „Isabella VIII.“ und der „Le Vengeur“ war früh genug in der Hafenstadt eingetroffen. Man hatte also Zeit gehabt, Garderobe zu machen und die Pferde anspannen zu lassen. Es ziemte sich nicht für einen Angehörigen der oberen Gesellschaftsschicht, zu Anlässen dieser Art zu Fuß zu gehen. Schließlich wußte man in Plymouth den besonderen Ruf zu würdigen, den der Kapitän der „Isabella“ spätestens nach der Rückkehr von seiner letzten Weltumsegelung. genoß. An Bord dieses Schiffes, auf diesen Decksplanken, hatte Königin Elizabeth I. den Seewolf zum Ritter geschlagen. Dann hatte Sir Hasard Killigrew, wie er sich nun nennen durfte, einen Kaperbrief aus königlicher Hand erhalten. Sonderrechte also, wie sie nur sehr wenigen englischen Seefahrern jemals eingeräumt worden waren. Ja, die Ladys und Gentlemen von Plymouth wußten die Ehre zu schätzen. Die Ehre, auf eben diesen, von königlichem Fuß geweihten Decksplanken den ruhmreichen Seewolf und seine mutigen Kampfgefährten willkommen zu heißen. Wegen des Freudengeschreis am Kai war ein Gespräch auf der Kuhl der Galeone nur schwer möglich. Nach dem Einlaß durch die Pforte im Schanzkleid hatten die Ladys und Gentlemen unter der Führung ihres Bürgermeisters eine kleine Gruppe gebildet. Gemessenen Schrittes näherten sie sich den beiden Kapitänen, die sie beim Großmast höflich lächelnd erwarteten. Die Männer der Isabella-Crew hatten sich auf das Achterkastell und auf das Vordeck zurückgezogen. Was sich da unten
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abspielte, bereitete ihnen Unbehagen. Diese hochgeschraubten Rituale, die sich die obere Gesellschaft unter dem Begriff Vornehmheit selbst geschaffen hatte, waren den Seewölfen fremd und sinnlos. Sie, die im Kampf gegen ihre Feinde und im Kampf gegen die Naturgewalten ständig dem Tod ins hohle Auge schauten, hatten nichts übrig für eine Lebensform, die an Standesdünkeln und Regeln für gutes Benehmen gemessen wurde. Gemischte Gefühle bewegten auch Philip Hasard Killigrew und Jean Ribault. Gewiß, es war ihnen angenehm, so herzlich begrüßt zu werden. Doch der Sieg über Spaniens Armada war der wesentliche Grund für diesen überschwänglichen Empfang. Ein glorreicher Sieg. Und als solcher sollte er in die Geschichte eingehen. Die öffentliche Meinung wollte es so und konnte nicht anders. Hasard und Jean Ribault konnten es den Menschen nicht einmal verübeln. Niemand hatte miterlebt, was sich nach der Niederlage der Spanier vor den Küsten Englands, Schottlands und Irlands abgespielt hatte. Niemand, der sein Leben an Land lebte, hatte den Leidensweg des geschlagenen Gegners beobachten können. Es war ein menschenunwürdiger Weg gewesen. Für die meisten der von Hunger und Krankheit und Verzweiflung gezeichneten Spanier hatte dieser Weg in der Hölle geendet. Zu viele zweibeinige Hyänen hatte es gegeben, die dem besiegten Gegner nicht das letzte bißchen Würde zugestanden hatten. Für die Seewölfe lag der Sieg über die Armada weit zurück. Im Vordergrund ihrer Erinnerung standen die hinterhältigen und grausamen Anschläge, die vor Schottland und Irland auf die kläglichen Überreste der spanischen Schiffe und ihrer Besatzungen verübt worden waren. Die Seewölfe hatten geholfen, wo sie helfen konnten. Sie hatten hilflose spanische Crews mit Proviant und Trinkwasser versorgt und ihnen den Rückweg in die Heimat ermöglicht. Dabei hatten sie den eigenen Verbündeten gezeigt, was Fairneß und Menschlichkeit
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gegenüber einem besiegten Feind bedeuten. Nach diesen Erlebnissen gab es zu viele Wermutstropfen in der Siegesfreude. Doch andererseits waren Hasard und seine Männer höflich und verständnisvoll genug, um der aufrichtigen Begeisterung dieser Menschen in Plymouth nicht mit Schroffheit zu begegnen. Der Bürgermeister von Plymouth war ein hochgewachsener Mann mit silbergrauem Haar, das ihm bis auf die Schultern fiel, wo eine weiße -Halskrause den Abschluß seiner weinroten Amtsrobe bildete. Lord Mayor Abbot Cummings, so lauteten Titel und Name dieses Mannes, hatte trotz eines entbehrungslosen Lebens kein überschüssiges Fett angesetzt. Die Furchen seines scharfgeschnittenen. Gesichts spiegelten Energie und Entschlußfreudigkeit - Eigenschaften, ohne die ein Mann in seinem Amt nicht existieren konnte. Hasard stufte zumindest den Lord Mayor als einen Menschen ein, der sich auf Titel und Würden nichts einbildete. Über der Brust trug Cummings die goldene Kette mit den Insignien seines Bürgermeisteramtes. Zwei Schritte vor den beiden Kapitänen verharrte das Komitee. Hasard und Jean Ribault spürten die Blicke, in denen Bewunderung und Neugier zugleich lagen. Besonders waren dies. die Blicke der Ladys, die in ihren kostbaren Roben und mit den Duftnoten erlesenen Puders den teuren Hauch einer fremden Welt an Bord brachten. Der Lord Mayor verneigte sich knapp. Dann blickte er den beiden Männern in die Augen. Er mußte seine Stimme erheben, um gegen das Geschrei der Menschenmenge zu bestehen. „Sir Hasard, Monsieur Ribault! Ich begrüße Sie und Ihre Männer im Namen des Rates der Stadt Plymouth. Diese Stadt ist sich der Ehre bewußt, Sie in ihren Mauern zu wissen. Um dieser Ehre gerecht zu werden, haben sich einige Mitglieder des Stadtrates und ihre Ehefrauen eingefunden.“
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Es folgte die Vorstellung der Honoratioren und ihrer Ladys. Die Frau des Bürgermeisters, Lady. Bethesda Cummings, war gleichfalls grauhaarig, kräftig gebaut, fast vollschlank. Ihr mit Goldlitzen besetztes Kleid war aus kostbarer Seide gefertigt und stammte mit Sicherheit von einem der hochbezahlten Londoner Schneider. Nicht minder eindrucksvoll war die Eleganz. die die übrigen Ladys mit ihren Roben und ihren kunstvollen Haartrachten in Szene setzten. Erster Stellvertreter des Lord Mayor war Anthony Bishop, ein rundlicher kleiner Mann mit leuchtender Glatze. Seine Frau überragte ihn fast um Haupteslänge. Charles Henderson, zweiter stellvertretender Bürgermeister, war zwar etwas größer von Wuchs, trug aber einen mächtigen Bauch vor sich her. Der oberste Geistliche der Stadt, Father Crowley, hatte ein Raubvogelgesicht, das in krassem Widerspruch zu den salbungsvollen Worten stand, mit denen er die Seewölfe in seiner Kirchengemeinde willkommen hieß. Doctor Abraham Shafter, ein untersetzter Mann mit rötlicher Knollennase, gehörte ebenfalls dem Stadtrat an. Desgleichen James Collins, Harvey Shrubbs, Gordon Temble und Hugh Croydon - allesamt von ihrer besseren Hälfte begleitet. Hasard blickte in die Runde, nachdem sich das Komitee um ihn und Jean Ribault zu einem Halbkreis gruppiert hatte. „Ladys und Gentlemen, ich bedanke mich für diesen überaus herzlichen Empfang in Plymouth. Diesen Dank spreche ich auch im Namen von Kapitän Ribault und den Besatzungen unserer beiden Schiffe aus.“ Die Ladys und Gentlemen klatschten dezenten Beifall. Der Lord Mayor brauchte einen Moment, bis das Stimmengewirr vom Kai vorübergehend nachließ und es ihm ermöglichte, zu sprechen. „Wir hoffen sehr, Sir Hasard, daß wir Sie und Ihre Gefährten recht lange in unserer Stadt bewirten dürfen. Wegen der geringen Zeit, die wir zur Verfügung hatten. mußten wir mit leeren Händen erscheinen. Doch es ist uns eine Selbstverständlichkeit, daß wir
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den Empfang unserer siegreichen Seefahrer noch in würdigerem Rahmen feiern werden.“ Hasard bedankte sich nochmals, wie es ihm überhaupt klar war, daß er sich während des Aufenthalts in Plymouth noch etliche Male für alles mögliche würde bedanken müssen. Das weitere Gespräch verlief in Floskeln, wie es immer dann üblich war, wenn sich Würdenträger an Bord der „Isabella“ einfanden. Während sich die Männer unterhielten, sonderten sich die Ladys tuschelnd ab. Ihre Blicke, die fast verstohlen waren, glitten über das Schiff. Was an diesem Schiff besonders eindrucksvoll erschien, waren die wild und verwegen aussehenden Männer, diese rauhbeinigen Burschen, die den Ladys allein durch ihr Äußeres einen gelinden Schauer über den Rücken jagten. Der Seewolf selbst, breitschultrig und schmalhüftig, schwarzhaarig und blauäugig und über sechs Fuß groß, war schon ein Mann wie aus dem Bilderbuch. Auch der schlanke Jean Ribault, der mit seinen dunklen Haaren so aussah, wie man sich einen Franzosen vorstellte, vermochte in den Ladys Gedanken zu erwecken, die keine von ihnen auch nur im Traum auszusprechen gewagt hätte. Gedanken, die sich aber umso stärker bemerkbar machten, je mehr sie den leicht deformierten Körperbau ihrer männlichen Ehehälften mit der geballten Ansammlung von urwüchsiger Männlichkeit an Bord dieses Schiffes verglichen. In dieser Umgebung an einen Hauch von Sünde zu denken, war den hochwohlgeborenen Ladys schon ein unerhörter Nervenkitzel. Da war zum Beispiel dieser bullige Kerl, dessen Kreuz an das Format eines massiveichenen Wäscheschrankes erinnerte. Edwin Carberry, Profos auf der „Isabella“, lehnte an der Schmuckbalustrade des Achterkastells und stützte sein Rammkinn in beide Hände. Er konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen, denn er wußte nur zu gut, daß Sein wüstes Narbengesicht Furcht einzuflößen vermochte.
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Was er nicht wußte, war, daß er bei den Ladys neben dieser Furcht ein kribbelndes, wohliges Unbehagen hervorrief. Nun, er war eben ein Mann, der mit den Fäusten zuzupacken verstand. Keiner' von der Sorte des ewig mürrischen Ehemanns, der allabendlich nichts anderes zu tun wußte, als die Beine im Kaminsessel auszustrecken und sich Pantoffel auf die bestrumpften Füße schieben zu lassen. Nicht minder eindrucksvoll wirkte Ferris Tucker, der Schiffszimmermann, ein rothaariger Riese mit einem Kreuz so breit wie ein Rahsegel. Und Batuti, der schwarze Herkules aus Gambia, entblößte lachend seine schneeweißen Zahnreihen und ließ 'die Ladys verschämt den Blick niederschlagen. Doch sobald sie wieder aufblickten, fuhren sie fort, diese Ausbünde an Augenweide auf Vordeck und Achterkastell zu betrachten. Da war Ben Brighton, erster Offizier und Stellvertreter des Seewolfs. Ein Mann, der ruhig und besonnen aussah, untersetzt, breitschultrig und dunkelblond. Dann Smoky, der Decksälteste, eine bullige Kämpfernatur. Er war es gewohnt, sich seinen Rang immer aufs Neue mit den Fäusten zu erkämpfen. Und welche furchtbaren Erlebnisse mochte Matt Davies hinter sich haben, der dort, wo sich einmal seine rechte Hand befunden hatte, eine lederne Prothese mit einem spitzgeschliffenen Eisenhaken trug? Mit seinen grauen Haaren sah der kräftig gebaute -Matt älter aus als er in Wirklichkeit war. Sicher hätten die Ladys voller Verzückung gelauscht, wenn er über jene Nacht berichtet hätte, die er als Schiffbrüchiger in der Karibik inmitten eines Rudels mordgieriger Haie zugebracht hatte. In dieser einen Nacht, bevor seine Kameraden ihn gerettet hatten, waren seine Haare grau geworden. Auch Jeff Bowie, ein stämmiger Engländer, der aus Liverpool stammte, trug eine Hakenprothese, allerdings am linken Arm, wo ihm blutrünstige Piranhas vor Jahren die Hand zerfleischt hatten. Da waren die vielen anderen verwegenen Burschen, die zur fast schon legendären
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Crew des Seewolfs Killigrew gehörten: Blacky, der schwarzhaarige Kämpfer mit dem bemerkenswert braunen Teint. Pete Ballie, der kleine, stämmige Rudergänger, dessen Fäuste die Größe von Ankerklüsen hatten. Gary Andrews, der hagere Fockmastgast, dem man die unglaubliche Zähigkeit schon von weitem ansah. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, der mit Drehbassen und Culverinen umgehen konnte wie kein Zweiter. Donegal Daniel O'Flynn, der hochgewachsene junge Mann, dessen scharfe Augen vor Unternehmungslust und Mut funkelten. Sam Roskill, der draufgängerische ehemalige Karibik-Pirat. Bob Grey, der drahtige blonde Kerl, der mit seinem Wurfmesser auf zehn Yards .Entfernung eine Fliege an die Wand nagelte. Big Old Shane, der frühere Schmied von Arwenack, ein Meister im Bogenschießen und so kraftvoll, daß er einem Gegner mit bloßen Händen die Rippen zu brechen vermochte. Stenmark, der große blonde Schwede, war so reaktionsschnell und verwegen wie die anderen Männer der Crew. Und Luke Morgan, der kleine, pfiffig aussehende Engländer, trug eine furchterregende Messernarbe auf der Stirn sowie die Zeichen schwerer Verbrennungen. Einen eher gemäßigten Eindruck machten dagegen Will Thorne, der grauhaarige Segelmacher, und Old Daniel Donegal O'Flynn, der rauhbeinige Vater des jungen Donegal. Old O'Flynn war zur Fortbewegung auf ein Holzbein angewiesen, das sein Sohn nur in schlechter Erinnerung hatte. Denn mit eben jenem Holzbein pflegte der Alte den kleinen Donegal zu verprügeln, wenn er einen seiner unzähligen Streiche ausgebrütet hatte. Kleine Rufe des Entzückens wurden aus den Reihen der Ladys laut, als sie Arwenack, den Schimpansen, entdeckten, der hoch oben in den Wanten turnte und durch fröhliches Keckern alle Aufmerksamkeit auf sich zu lenken versuchte.
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Eine schrille, durchdringende Stimme mischte sich in das Keckern Arwenacks. Eine Stimme, die den vornehmen Ladys und Gentlemen durch Mark und Bein ging und sie gleichzeitig zu einem betroffenen Stirnrunzeln veranlaßte. „Kakerlaken! Miese Kakerlaken! Euch ziehe ich die Haut in Streifen von euren Affenärschen! Affenärschen! Miese Kakerlaken Moses Bill, der sich aus dem Hintergrund an die Schmuckbalustrade des Achterkastells gedrängt hatte, griff sich den Papagei „Sir John'', zog ihn von seiner Schulter und stopfte ihn hastig unter sein Hemd. Sir Johns präzise artikulierten Zitate endeten in einem wütenden Zetern, dessen Lautstärke allerdings durch Bills Hemdenstoff gedämpft wurde. Edwin Carberry verlor das Grinsen aus dem Gesicht und wandte sich verlegen ab. Vorsorglich, denn er wußte, daß er gleich mit einem durchbohrenden Blick Hasards zu rechnen hatte. Schließlich war .der immer wiederkehrende Wortschatz des Profos die beste und zugleich schlechteste Schule für den karmesinroten AraraPapagei. „Keiner von uns weiß, wo er diese furchtbaren Sprüche gelernt hat“, sagte Hasard laut und deutlich. „Als wir ihn an Bord nahmen, stellte er sich stumm. Erst auf hoher See fing er mit diesen vulgären Redensarten an. Aber da brachten wir es nicht mehr fertig, ihn über Bord zu werfen.“ Edwin Carberry verzog sich außer Sichtweite. Lord Mayor Abbot Cummings war der einzige, der mit einem verschmitzten Lächeln reagierte. Die übrigen Gentlemen und ihre Ladys verzogen pikiert die Gesichter, um einen Anflug von vornehmer Abscheu auszudrücken. Der Lord Mayor reichte dem Seewolf und Jean Ribault die Hand. „Gentlemen, ich bitte Sie beide, eine offizielle Einladung der Stadt Plymouth anzunehmen. Seien Sie heute abend unsere
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Gäste bei einem Festbankett, das Ihnen zu Ehren gegeben wird.“ Hasard und sein treuer Kampfgefährte bedankten sich höflich und nahmen die Einladung an. Es folgte das Zeremoniell der Verabschiedung. Das Empfangskomitee der Stadt Plymouth gab sich die Ehre, mit der gebotenen Gemessenheit wieder von Bord zu gehen. 2. Es waren beinahe düstere Gedanken, die den bulligen Profos auf seinem Rückzug in Richtung Heckbalustrade bewegten. Er spürte, wie sie insgeheim über ihn kicherten. Verdammt, immer dann, wenn er ihnen nicht die Hammelbeine langziehen konnte, amüsierten sie sich über ihn. Immer dann, wenn er gezwungen war, den Mund zu halten. Und immer war es das verfluchte Federvieh. das es richtig darauf anzulegen schien, ihn herauszufordern. Oder es waren die beiden Lausebengels, die Söhne des Seewolfs, die ihm mit ihrem scheinheiligen Geplapper schon mehr als einmal heiße Ohren verschafft hatten. Aber glücklicherweise hatte es eine Weile Ruhe vor den kleinen Strolchen gegeben. Rechtzeitig vor den Kämpfen mit den Dons hatte Hasard seine Sprößlinge in die Obhut von Doc Freemont gegeben. Mit zusammengekniffenen Augen starrte Edwin Carberry über das Hafenbecken. Die Menge, die zu seiner Linken noch immer vor Begeisterung tobte, beachtete er nicht. O ja, sobald hier an Bord wieder normale Verhältnisse herrschten, würde er ihnen allen mächtig Dampf unter dem Hintern machen. Wenn sie dann nicht spurten, diese Himmelhunde, dann würde er ihnen die Haut in Streifen von ihren... Ed biß sich auf die Lippen und zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu denken. Plötzlich war da etwas, das ihn zu einem Blinzeln veranlaßte. Etwas, was erst jetzt in sein Bewußtsein drang. Immerhin war es verzeihlich. daß er es nicht sofort bemerkt hatte. Schließlich hatte er in seinem Leben Hunderte von Häfen gesehen, und
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irgendwie sahen sie alle gleich aus mit ihren Piers, ihren Speichern, ihren Werften, ihren Docks... Mit jäh- erwachtem Interesse beugte er sich vor. Da war so ein Dock gleich nebenan, unmittelbar achteraus von der „Isabella“. Und der Kahn, den sie dort aufgeslippt hatten, sah für den Profos so wohlvertraut aus, daß er selbst im Schlaf jede Planke und jeden Fetzen Tuch hätte beschreiben können. Hölle und Verdammnis, das war… „Die ,Revenge“, murmelte Ed Carberry entgeistert. Er blinzelte noch einmal und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Doch es war kein Trugbild. Es war die pure, -unglaubliche Wirklichkeit. Was sich da unter dem grauen Himmel Südenglands ins Baudock verkrochen hatte, war kein geringeres Schiff als die „Revenge“. Das Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Sir Francis Drake in der Schlacht gegen die spanische Armada. Carberrys Verblüffung wich einem belustigten Grinsen, als er sah, woran die Werftarbeiter und Crewmitglieder des stolzen Flaggschiffes eifrig arbeiteten. Es war ein neues Ruderblatt, das sie der „Revenge' maßgerecht verpaßten. Im Augenblick allerdings hatten die Männer ihre Hämmer und Sägen beiseitegelegt, denn der Lärm und das Gewühl am Kai waren Grund genug, ihre Aufmerksamkeit abzulenken. Vor allem der Anblick der „Isabella'' mußte den Revenge-Leuten jetzt wie ein knüppeldicker Dorn im Auge erscheinen. Das Grinsen des Profos wurde noch breiter, als er einige der Männer aus Admiral Drakes Crew auf dem Achterkastell des Flaggschiffes erkannte. Er konnte sogar ihre Gesichter beobachten, denn die Entfernung betrug kaum mehr als einen Steinwurf. Und es waren verdammt lange Gesichter, die der Empfangstrubel zu Ehren der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ hei ihnen hervorrief.
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Die offenkundige Mißstimmung unter Drakes Getreuen gab dem Profos keinerlei Rätsel auf. Denn für die Ruderblatt-Reparatur war kein anderer als Hasard verantwortlich, der zielsicher der „Revenge“ die Ruderanlage zerschossen und dem sehr ehrenwerten, aber auch sehr beutegierigen Admiral Drake damit zur Manövrierunfähigkeit verdammt hatte. Das war in der Nordsee passiert, nachdem die Schlacht gegen die Armada längst entschieden gewesen war. Sir Francis Drake hatte sich nicht gescheut, die zum Wrack geschossene spanische Kriegsgaleone „San Mateo“ wie ein ausgehungerter Geier zu verfolgen, um sie auszuplündern und das Massaker an den längst wehrlosen Spaniern fortzusetzen. Hasard und Jean Ribault hätten diese menschenunwürdige Verfolgungsjagd verhindert und der „San Mateo“ und ihrer zusammengeschmolzenen Besatzung die Flucht mit Kurs auf Norwegen ermöglicht -indem sie den Geier Drake am Zupacken hinderten und die hilflosen Spanier mit Wasser und Proviant versorgten. Fassungslosigkeit hatte dieser Akt der Menschlichkeit auf beiden Seiten hervorgerufen. Sowohl bei Drake, der einen seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle erlitt, als auch bei den Spaniern, die soviel Fairneß und Ritterlichkeit von einem Gegner zuvor nicht erlebt hatten. Edwin Carberry winkte seine Gefährten herbei, und ausnahmsweise verwendete er dazu keinen einzigen seiner poltrigen Sprüche. Ein Fingerzeig des Profos genügte. Die Seewölfe brauchten keine Erklärungen, um zu begreifen. was sich hier. .im heimatlichen Hafen Plymouth anbahnte. Denn die wuterfüllten Blicke der RevengeLeute sprachen Bände. Hätten diese Blicke Bleikugeln getragen, dann wären sämtliche Mitglieder der Isabella-Crew zersiebt zu Boden gesunken. * „Verdammter Mist“, knurrte Robert Parsons, erster Offizier an Bord des
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Flaggschiffes „Revenge“. Es störte ihn nicht im geringsten, daß diese höchst unfeine Ausdrucksweise einigen Männern aus der Crew zu Gehör gelangte, die sich in seiner Nähe auf dem Achterdeck befanden. In dieser Angelegenheit, die den gottverdammten Killigrew und dessen Hundesöhne betraf. waren sie ohnehin eine verschworene Gemeinschaft - vom hochverehrten Admiral Drake bis zum Schiffsjungen. Denn darin, daß sie Killigrew, Ribault und Konsorten bis in den finstersten Schlund der Hölle wünschten, waren sie sich alle einig. Wieder einmal schienen es die elenden Kerle geradezu darauf angelegt zu haben, im höchst unpassenden Moment auf der Bildfläche zu erscheinen. Robert Parsons kniff die Lippen zusammen, daß sie einen dünnen Strich bildeten. Die feixenden Visagen dort drüben brachten seine Wut zum Kochen. Er witterte geradezu, daß diese dreimal verdammten Strolche ihnen, den tapferen Männern des ruhmreichen _Admirals, wieder alles kaputtmachen würden. Aber diesmal sollte es ihnen nicht gelingen! Parsons dachte beinahe wehmutig an die eigene Ankunft in Plymouth Auch die „Revenge“, ihr Kapitän und die gesamte Crew waren nicht minder stürmisch gefeiert worden als diese Bastarde, die das Schwarze unter den Nägeln nicht verdienten. Letzten Endes war für Sir Francis Drake und seine Crew ein solchermaßen triumphaler Empfang mehr als angebracht gewesen. Daß der Admiral und seine Offiziere den Kampf gegen die Armada so geschildert hatten, wie er eigentlich hätte verlaufen sollen, war nach Parsons' Meinung durchaus legitim. Diese Stubenhocker an Land begriffen sowieso nicht. welche Bedeutung die Einzelheiten einer Seeschlacht hatten. Also mußte man ihnen die Einzelheiten so erläutern, daß sie es auch verstehen konnten. Deshalb hatten Drake und seine Getreuen den ehrfürchtig staunenden Bürgern von
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Plymouth jene Geschichte aufgetischt. von der auch Robert Parsons überzeugt war, daß sie sich in dieser Weise mit Sicherheit hätte zutragen können. Mitten im härtesten Gefecht, so hatte Drake gestenreich berichtet, habe ihnen ein vorwitziger Spanier das Ruder weggeschossen. Und das just in dem Moment, als die „Revenge“ bereits mit Enterkurs auf die „San Martin“ losgegangen sei, das Flaggschiff der Armada. Natürlich hätten er, Drake, und seine Mannen zu diesem Zeitpunkt bereits wesentlich zum Sieg der englischen Flotte beigetragen. Doch ohne das Mißgeschick mit dem Ruder wäre das Schicksal der „San Martin“ besiegelt und damit die Schlacht endgültig entschieden gewesen. Natürlich hatten auch die Bürger von Plymouth schon von Killigrews wahnwitzigem Branderangriff vor Calais gehört Deshalb jetzt auch dieser Zirkus bei der Ankunft der „Isabella“ und der „Le Vengeur“. Aber Admiral Drake hatte nur lächelnd abgewinkt, als—der Lord Mayor die Sprache auf diesen angeblich entscheidenden Branderangriff brachte. Das sei eine zwingende Maßnahme gewesen, die von jedem anderen Kapitän der königlichen englischen Flotte mit der gleichen Schlagkraft ausgeführt worden wäre. Schließlich, so sagte Parsons zu sich selbst, hatten sich die Bastarde unter Killigrew und Ribault ohnehin eine unglaubliche Frechheit herausgenommen, als sie den Angriff der „Revenge“ auf die „San Mateo“ verhinderten. Ein ehrenhafter englischer Seefahrer mußte sich schämen, daß es solche Disziplinlosigkeiten innerhalb der eigenen Flotte überhaupt gab. Je länger Parsons darüber nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß Admiral Drake völlig korrekt gehandelt hatte. Es war sogar seine Pflicht gewesen, den Vorfall in der Nordsee zu verschweigen. Denn diese Dreistigkeit, die auf Killigrews Konto ging, war ganz einfach eine Schande für die gesamte Navy.
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Ja. im Grunde konnte Killigrew froh sein. wenn niemand erfuhr, was er sich geleistet hatte. Der Mistkerl mußte sogar dankbar sein, daß Admiral Drake sich so generös verhielt und die Unverschämtheit eines Emporkömmlings nicht ans Tageslicht brachte. Immerhin hatte die Sache in der Nordsee allem die Krone aufgesetzt. was Killigrew sich vorher schon geleistet hatte. Robert Parsons' Gedankengänge führten so weit, daß er nach einer Weile fest an das glaubte, was er sich selbst einredete. Aber natürlich würden diese Bastarde sich selbst wieder ins beste Licht rücken. Diese Hundesöhne, die sich selbst in maßloser Übertreibung als Seewölfe bezeichneten. * Moses Bill blickte mit leuchtenden Augen zu seinem Kapitän auf, als dieser ihm einen ledernen Geldbeutel in die Hand drückte. „Ich verlasse mich auf dich, mein Junge“, sagte Philip Hasard Killigrew ernst. „Du wirst dir ein gutes Pferd nehmen und zu Doc Freemonts Landsitz am River Tavy reiten. Du übergibst ihm diese Botschaft.“ Hasard reichte dem Schiffsjungen einen zusammengerollten und versiegelten Brief. „Darin steht, daß ich den Doctor mit meinen Söhnen hier in Plymouth erwarte. Erledige deinen Auftrag gut, Bill.“ „Ja, Sir.“ Strahlend verstaute Bill den Brief und den Lederbeutel unter seinem Hemd, das er sorgsam wieder zuknöpfte. Dann blickte er noch einmal in die Runde, voller Stolz. Die Augen der Männer spiegelten väterliches Wohlwollen, Freundschaftlichkeit und Güte. Sie alle ersetzten ihm, dem aufgeweckten schwarzhaarigen Jungen, den Vater. Sie wußten, welcher Vertrauensbeweis es war. daß Hasard ihn damit beauftragte. die Zwillinge zurück an Bord zu holen. Die Gedanken, die die Männer der ,.Isabella“ in diesem Moment bewegten, gerieten ins Melancholische. Bill verkörperte für sie ein Stück eigene Vergangenheit, und wenn sie auch oftmals fluchten und wetterten
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und ihre Wut an ihm ausließen, so wußten sie doch nur zu gut, wie schwer er es an Bord hatte. Sie alle hatten einmal auf diese oder ähnliche Weise angefangen, ein Seefahrer zu werden. Und Bill war fest entschlossen, sich an Bord von Philip Hasard Killigrews Schiff zu bewähren. Daß er jetzt diesen Auftrag erhalten hatte, bewies ihm, daß er auf dem richtigen Weg war. Seinen Traum. auch einmal ein richtiger Seewolf zu werden, träumte er seit damals. Seit die Männer ihn auf Jamaika aufgelesen hatten. Dort hatte er seinen Vater verloren, mit dem er zusammen auf dem englischen Schiff „Sea-Eagle“ gefahren war, bevor sie beide in spanische Gefangenschaft gerieten. Bill wandte sich mit einem entschlossenen Ruck ab, eilte mit langen Schritten über den Landgangsteg zum Kai und war kurz darauf in der Menschenmenge verschwunden, die, dort noch immer ausharrte und das berühmte Schiff der nicht weniger berühmten Seewölfe bestaunte. Die Männer an Bord der „Isabella“ blickten dem Schiffsjungen noch minutenlang schweigend nach. Mit dem Auftrag, den er auszuführen hatte, würde sich eine bedeutsame Wende im Leben ihres Kapitäns vollziehen. Hasard hatte eine endgültige Entscheidung getroffen. Seine Söhne, die Zwillinge Philip und Hasard, sollten jetzt für immer bei ihm an Bord bleiben. Sie, die ihre Mutter durch ein tragisches Unglück verloren hatten, hatten für sich selbst ohnehin längst entschieden, daß sie keine Landratten werden wollten. Ihr Vater erfüllte nun ihnen und sich selbst den Wunsch, der ihnen als das einzig Vernünftige erschien. An Bord der „Isabella“ sollten sie die Seefahrt von Grund auf kennenlernen, sollten sich bewähren und ihr Handwerkszeug meisterlich beherrschen lernen. Daß sie die Fähigkeit dazu hatten, wußte Hasard schon lange. Kurze Zeit nachdem er sie in Tanger wiedergefunden hatte. hatten sie auf der Galeone bereits bewiesen, welcher Tatendrang und welche
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Zähigkeit in ihnen schlummerten — trotz ihres noch kindlichen Alters. Für die Dauer der Schlacht gegen die Armada hatte Hasard die Zwillinge wohlweislich in Doc Freemonts sichere Obhut gegeben. Nun, wenn sie ganze Kerle waren, würden sie es zum Kapitän bringen, wie ihr Vater. Hasard verscheuchte die Gedanken und wandte sich zu seinen Männern um. „Ben!“ „Sir?“ Der erste Offizier der „Isabella“ trat einen Schritt vor. „Du wirst die Bordwache übernehmen. Zusammen mit Old O'Flynn und Will Thorne.“ „Aye, aye, Sir.“ Die Gesichter der übrigen Männer begannen zu leuchten. Dann stimmten sie ein begeistertes Gebrüll an, daß die Decksplanken zu erzittern schienen. Sie hatten gewußt, daß Hasard wieder einmal Verständnis zeigen würde. Denn auch sie wollten den Sieg feiern; für den sie selbst von den Stadtbewohnern gefeiert wurden. Für die Seewölfe war es indessen mehr die Tatsache, daß sie seit dem Monat Juli ununterbrochen im Einsatz gewesen waren. Strapazen und Entbehrungen waren Anlaß genug, jetzt endlich einmal wieder die Puppen tanzen zu lassen. In dem Gejohle winkte Hasard den Profos zu sich heran und zog ihn beiseite. „Hör zu, Ed. Ich erwarte von dir, daß du die Männer zur Ordnung rufst, wenn es sein muß." „Aye, Sir“, antwortete Carberry grinsend. „Ich will nicht, daß ihr wieder unnötiges Aufsehen erregt: „Aye, Sir.“ „Es ist noch nicht lange her, daß ihr Plymsons ,Bloody Mary' zu Kleinholz zerlegt habt. Das soll nicht noch einmal passieren. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?' „Aye. Sir. Wenn diese Stinte nicht spuren, ziehe ich ihnen die Haut in Streifen von ihren Affenärschen. Darauf kannst du dich verlassen.“ Der Profos sagte es mit einem treuherzigen Augenaufschlag. Hasard mußte sich abwenden, denn er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
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Die Seewölfe gerieten in Bewegung. Eile war geboten. Denn bis zum Einbruch der Dämmerung hatten sie gerade noch genug Zeit, um sich landfein zu machen. Und dann — hol's .der Teufel, dann würde es rundgehen. Allerdings würde die Einrichtung der „Bloody Mary“ besonders liebevoll und schonend behandelt werden. Das nahmen sie sich alle fest vor. 3. Da waren etliche fremde Gesichter an diesem frühen Abend, Gesichter, die sich sonst nie hierher verirrten. Nathaniel Plymsons nutzte einen arbeitsfreien Moment, um sich nachdenklich am Hinterkopf zu kratzen. Der Ansatz seiner Perücke bewegte sich dabei rhythmisch auf und ab. Rostrot leuchtete seine käuflich erworbene Haarpracht jetzt. Er hatte beschlossen, daß diese Farbe gut zu ihm paßte. Die Erinnerung an seine letzte Perücke, die blond gewesen war, bescherte ihm Gedanken voller Unbehagen. Dieses Unbehagen wurde noch bestärkt durch jene fremden Gesichter. Bürger aus Plymouth zwar. Aber Leute, denen normalerweise die Zeit zu schade war für eine Schenke von der Art der „Bloody Mary“. Sie hatten sich abgesondert von Plymsons Stammkundschaft, den zwielichtigen Gestalten, die sich bei ihm stets wohlfühlten. Denn dies war nun einmal kein normaler Tag. Der dicke Plymson spürte es mit jeder Faser seiner Nerven. Auch die Stammkunden, die sich an der Theke niedergelassen hatten, waren weniger gesprächig als sonst. Eine unbeschwerte Unterhaltung, wie sonst, wollte nicht aufkommen. Die unbekannten Gäste verharrten sowieso in fast andächtiger Stille an den Tischen im Hintergrund. Immerhin: Die Einrichtung der „Bloody Mary“ konnte sich sehen lassen. Alles nagelneu. Das Holz von Tischen, Stühlen, Bänken, Tresen und Regalen strömte noch den, gleichen frischen Geruch aus, mit dem
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die Zimmerleute es hereingeschleppt und zusammengenagelt hatten. Hölle und Teufel, sagte Plymsons ahnungsvolle innere Stimme, egal, in welche Richtung man denkt, man landet immer wieder bei diesen dreimal verfluchten Kerlen! Die Seewölfe waren der Grund, warum die Fremden hier im Schankraum auf Sensationen harrten. Die Seewölfe waren schuld daran, daß keine rechte Stimmung entstehen wollte. Die Seewölfe waren für die soundsovielte Erneuerung des Bloody-Mary-Inventars verantwortlich. Und die Seewölfe hatten auch Plymsons vorige blonde Perücke in das Hafenhecken der Mill Bay befördert. Die ganze Stadt wußte von ihrer Ankunft. Außerdem noch dieses Franzosenschiff! Die Isabella-Crew allein war für Nathaniel Plymson schon Anlaß genug, klein und häßlich zu werden. Gemeinsam mit Ribaults Leuten aber waren Sie der Ausbund der Hölle. Und mit einer Wahrscheinlichkeit von neunundneunzig zu eins war damit zu rechnen, daß die rauhbeinigen Burschen an diesem Abend in der „Bloody Mary“ aufkreuzten. Denn die Schenke, in der Nähe des Hafens, an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street gelegen, war schon seit Jahren das Stammlokal der Männer unter Philip Hasard Killigrew. Nicht etwa, weil sie den dicken Plymson besonders ins Herz geschlossen hatten. Nein, es lag vielmehr an der anheimelnden Art von rohgezimmerter Gemütlichkeit, die diesen Schankraum prägte. Wie an diesem Tag, dachte Nathaniel' Plymson stets. mit gemischten Gefühlen an die Seewölfe. Sie hatten die unangenehme Gabe, ihm bis auf den Grund seiner schwarzen Seele schauen zu können. Manchmal brachte es ihn schier zur Verzweiflung, wie sie ihn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei seinen dunklen Geschäften ertappten. Wie sie ihm auf die Finger klopften, wenn er Seeleute an Pressgangs verscherbelte, oder unter dem Tresen mit Beuteware aus der
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unergründlichen Weite der englischen Seefahrt schacherte. Ganz zu schweigen davon, wie oft sie ihn erwischt hatten, wenn er jemandem gepanschten Wein andrehte. Völlig zu Unrecht, so bemitleidete er sich selbst, bezeichneten ihn Killigrews Kerle als Schlitzohr und Geizkragen. Er betrachtete sich als einen angesehenen Bürger der Stadt Plymouth. Schließlich war er Geschäftsmann. Inhaber eines eigenen Unternehmens. Sein mächtiger Bauch- und das schwammige Dreifachkinn waren für ihn die außeren Zeichen hart erarbeiteten Wohlstands. Wehmütig betrachtete Plymson den ausgestopften Stör, der über der Theke hing. Der mächtige Fisch hatte als einziges Einrichtungsstück alle Unbilden der Zeit überdauert. Gewiß, die Seewölfe bezahlten immer ausreichend für das, was sie zertrümmerten. Meist blieb dabei sogar noch ein Gewinn übrig. Aber es war vor allem deprimierend, daß die Burschen ihn nicht für voll nahmen, daß sie es ihm nicht abkauften, wenn er den ehrenwerten Geschäftsmann mimte. „Nat, schenk nach“, sagte einer der Stammkunden unwirsch. Plymson erwachte aus seinen unbehaglichen Überlegungen, nickte, griff sich die Bierkrüge und schob sie unter den Zapfhahn des schweren Eichenfasses. Plötzlich schrak er auf, und alle Köpfe im Schankraum ruckten herum. Alle Augen richteten sich auf die Eingangstür, die im matten Schein der Öllampen nur undeutlich zu erkennen war. Schritte. Rauhe Stimmen. Gelächter. Der Wirt der „Bloody Mary“ wechselte einen ahnungsvollen Blick mit seinen Stammkunden. Die Tür der Schenke flog auf und krachte gegen die Innenwand. Edwin Carberry mußte sich beim Eintreten ducket denn der Türrahmen war zu niedrig für ihn. Während die anderen hinter ihm hereindrängten, blieb er einen Moment stehen, breitete die Arme aus und strahlte über das ganze furchterregende Narbengesicht.
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„Plymson! Du dickbäuchige Kakerlake! Wie schön, dich endlich mal wiederzusehen!“ Nathaniel Plymson erschauerte. Er spürte, wie ihm eine unsichtbare Hand über den Rücken kroch. Die Männer der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ untermalten Carberrys Begrüßungsworte mit beifälligem Johlen. Wie ein Schwarm verteilten sie sich nach allen Seiten und konzentrierten sich zunächst darauf, die Theke zu umlagern. Längst hatten die Stammkunden Reißaus in eine geschützte Ecke des Schankraumes genommen. Der Profos der Isabella-Crew ließ seine Riesenfaust auf die Theke krachen. Krüge und Kannen vollführten einen Satz. Nathaniel Plymson zuckte zusammen und drehte das Handtuch in seinen schwammigen Händen einer Zerreißprobe entgegen. Für einen Augenblick wurde es still. „Herhören, ihr Rübenschweine!“ sagte Carberry dröhnend. „Die Order für den heutigen Abend lautet: Rücksicht und gutes Benehmen! Nichts und niemand wird zu hart angefaßt! Nichts wird umgekippt oder fallengelassen! Und nichts wird kaputt gehauen! Das gilt auch für unsere Freunde von der ,Le Vengeur`. In dieser Stadt sind wir immer freundlich empfangen worden, besonders in dieser netten, gemütlichen Saufbude. Also werden wir den besten Eindruck hinterlassen. Die königliche Lissy soll sich unserer nicht schämen. Ist das klar, wie, was?“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte die Meute im Chor. Edwin Carberry grinste breit und nickte dem dicken Schankwirt zu. „Das war eine verdammt lange Ansprache, Nat. Meine Kehle ist davon trocken geworden. Und die Jungens wollen auch nicht zusehen. Also schwenk dich, alter Lappen!“ „Sofort. Sir, sofort“, dienerte Plymson und begann. die Krüge aus seinen Regalen zu räumen. Stenmark und Gary Andrews sprangen mit ein und unterstützten den Wirt bei seinem
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plötzlichen Arbeitsanfall. Denn sie alle hatten ein Interesse daran, den ersten guten Tropfen an Land möglichst schnell zwischen die Kiemen rinnen zu lassen. Und außerdem wußten sie aus Erfahrung. daß es gut war, dem dicken Plymson ein wenig auf die Finger zu schauen. Dann geriet er nicht in Versuchung, aus Versehen die Register seiner Panschkunst zu ziehen. Plymson arbeitete in fliegender Hast, füllte die Bierkrüge reihenweise und überließ den beiden Helfern die Whiskybecher. Hin und wieder warf er der lärmenden Schar verstohlene Blicke zu. Himmel, sie schienen alle noch ein paar Grade wilder und härter geworden zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Und die Crew des Franzosen Ribault war dem Wirt der „Bloody Mary“ ebenfalls noch in guter Erinnerung. So gut, daß er abermals einen Schauer über seinem fettgepolsterten Rücken spürte. Karl von Hutten, dieser große blonde Bursche, sah noch genau so unheimlich aus wie früher. Ein Mann, der die Spanier haßte wie die Pest, und er mußte wohl Grund dazu haben, denn er war der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter. Pierre Puchan trug eine Perücke. Aber Nathaniel Plymson würde es niemals wagen, mit dem Franzosen über seine Erfahrungen bezüglich künstlicher Haartracht zu fachsimpeln. Weil Puchan sich über seine Glatze ärgerte, und weil er höchst grantig reagierte. wenn jemand ihn darauf ansprach. Da war noch so ein Franzose, der einen das Fürchten lehren konnte: Grand Couteau, das „große Messer“. Ein kleiner, dunkelhaariger Bursche, der seinen Namen nach seinem vertrautesten Handwerkszeug erhalten hatte. Jan Ranse, der Steuermann der „Le Vengeur“, war Holländer und ehemaliger Karibik-Pirat. Er trug noch immer diesen wüsten blonden Vollbart. Roger Lutz, ein weiterer Franzose, war mit seinen prachtvollen schwarzen Haaren der typische Frauenheld. Der englische Koch an Bord des Franzosenschiffes hieß Eric
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Winlow, sah reichlich beleibt aus, hatte eine Glatze und Fäuste wie Bratpfannen. Seine Fettleibigkeit trog. In Wahrheit verfügte er über beachtliche Muskeln, die sich lediglich unter wohlgerundeter Außenhaut verbargen. Ebenfalls unter dem Kommando von Jean Ribault fuhren die Engländer Tom Coogan, Dave Trooper, Fred Finley, Donald Swift und Mel Ferrow. Gordon McLinn, dessen Haut stets leicht gerötet wirkte, war Schotte von Geburt und Überzeugung. Nathaniel Plymson stellte fest, daß vier Männer der Ribault-Crew als Bordwache zurückgeblieben sein mußten: Bootsmann Nils Larsen, Rudergänger Piet Straaten, Decksmann Sven Nyborg und derSchiffsjunge Jonny. Nun, auch ohne die Bordwachen schlugen die vereinigten Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ noch mit Leichtigkeit jede Kneipe in Plymouth zu Kleinholz. Mehr als das. Plymson erinnerte sich seufzend an Zeiten, in denen sogar eine kleine Handvoll von Killigrews Leuten seinen Laden in Trümmer gelegt hatte. Es brauchte nur jemand da zu sein, der die Himmelhunde herausforderte versehentlich oder absichtlich. Nathaniel Plymson schickte ein stummes Stoßgebet zum Himmel. letzterer möge ihn und die Seewölfe an diesem Abend von jedweder Herausforderung verschonen. Ein Teil der Männer, mit gefüllten Krügen und Bechern versorgt, ließ sich an den freien Tischen nieder, um sich mit Würfeln die Zeit zu vertreiben oder sich ganz einfach in lautstarke Gespräche zu vertiefen. Hasards Männer genossen es; endlich einmal wieder mit den Freunden von der „Le Vengeur“ an einem Tisch zu sitzen. Schließlich hatten sie während der meisten Zeit auf See nur Sichtkontakt gehabt. Ed Carberry, Ferris Tucker, Smoky, Batuti, Matt Davies und Gary Andrews blieben gemeinsam mit Karl von Hutten und Jan Ranse an der Theke. „Trinken wir auf England“, sagte Karl von Hutten und hob seinen Bierkrug. „Und darauf, daß die königliche Lissy immer
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eine Spur gewitzter bleibt als der spanische Philipp!“ „Auf England!“ wiederholte Ed Carberry mit dröhnendem Organ. „Das ist ein Wort!“ rief Matt Davies und stieß seinen Eisenhaken in die Luft, während er mit der linken Hand den Humpen an die Lippen führte. Nathaniel Plymson erschauerte von neuem. Der dunkle Gerstensaft rann den Männern wie Öl durch die Kehlen. Mit vernehmlichen wohligen Lauten setzten sie die geleerten Krüge ab. Plymson hatte noch nie begreifen können, wie sie es schafften, eine Viertel-Gallone auf einen Zug herunterzukippen. „Nachfüllen“, befahl der Profos der „Isabella“, und Plymson beeilte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Nun, das eine Fünfzehn-Gallonen-Faß würde an diesem Abend garantiert nicht ausreichen. Zumindest war also ein Rekord-Umsatz gewährleistet. Und Killigrews und Ribaults Leute waren nicht nur rauhe, sondern auch sehr zahlungskräftige Burschen. Ferris Tucker sah sich betont ausgiebig in der Schenke um. „Du machst dich, Plymson“, sagte er schließlich anerkennend. „Gute Arbeit. Du hast bestimmt den besten Zimmermann von ganz Plymouth für die neue Einrichtung beschäftigt.“ Der Schankwirt blickte verlegen auf seine Wurstfinger, die mit Bier und Schaum benetzt waren. „Nun ja, Sir, äh ... Sie haben immer gut bezahlt, wenn in meinem Geschäft etwas, äh, beschädigt wurde.“ „Beschädigt?“ fragte der riesenhafte Schiffszimmermann verblüfft. Die anderen grinsten. „Zu Klump gehauen haben wir deine Bude. Du willst doch wohl nicht behaupten, daß wir halbe Arbeit geleistet hätten?“ „Nein, Sir, natürlich nicht, Sir.“ Plymson begann zu schwitzen. Doch das lag nicht daran, daß er sich mächtig anstrengte, die Krüge schneller als gewöhnlich nachzufüllen. Er hoffte inständig, daß sie
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die Sprache nicht auf ein bestimmtes Thema brachten. „Eigentlich ist er viel zu gut bedient 'Borden“, meinte Gary Andrews. „.Jedenfalls liegt mir die Sache mit Red Fox Killarney immer noch im Magen. Ich kann es noch immer nicht ganz glauben, daß unser Freund Plymson seine Fettfinger nicht in dem schmutzigen Spiel gehabt hat.“ Der Dicke duckte sich unwillkürlich. Da war es. was er befürchtet hatte. Wie, zum Teufel, sollte er beweisen. daß er die Seewölfe dem irischen Banditen nicht ans Messer geliefert hatte? Das Fatale war, daß er eben zu oft in undurchsichtigen Geschäften mitgemischt hatte. Und so eine undurchsichtige Sache war es nun einmal gewesen, die der irische Halunke in Plymouth durchzuziehen versucht hatte. „Hätte Plymson eigentlich Entschädigung zahlen müssen an uns“, meldete sich Batuti zu Wort, wobei er seine schneeweißen Zähne zu einem breiten Grinsen entblößte. „Tja“, sagte Edwin Carberry gedehnt, „die Meinung ist im Grunde gar nicht so verkehrt.“ „Darf man erfahren, um was es geht?“ erkundigte sich Karl von Hutten, wobei er den Schankwirt durchdringend musterte. „Ist doch klar“, sägte Jan Ranse feixend, „wenn einer eine krumme Sache veranstaltet, ist Plymson mit im Spiel.“ Der Eigentümer der „Bloody Mary“ hielt es für angebracht, seine Ehre zu retten. Beschwörend hob er die schwitzenden Handflächen, nachdem er die vollen Krüge auf die Theke geschoben hatte. „Ich versichere Ihnen, Gentlemen, ich hatte mit der Angelegenheit nichts...“ Weiteren Erklärungen wurde er entbunden, denn zum zweiten Male an diesem Abend flog die Eingangstür der „Bloody Mary“ krachend auf. Die Männer an der Theke drehten sich um. An den Tischen wurden Würfelspiele und Gespräche unterbrochen. Wer sich solchermaßen polternd in Szene setzte, hatte keinesfalls vor, fromm und andachtsvoll sein Bier zu konsumieren.
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Der Anblick derer, die sich durch die offene Tür drängten, ließ den Männern der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ blitzartig klar werden, was die Stunde geschlagen Hatte. Robert Parsons war der erste, der sich mit funkelnden Augen einen Weg durch die dichten Tischreihen bahnte. Hinter ihm quollen die anderen herein. Es schien kein Ende zu nehmen. Die gesamte Crew der „Revenge“ hatte sich auf die Socken gemacht. „Himmel, Arsch und Zwirn“, sagte Edwin Carberry, „das ist alles andere, nur kein Zufall.“ Für ihn gab es keinen Zweifel, daß Drakes Strolche sie auf dem Weg in die „Bloody Mary“ beobachtet hatten. Daß sie nur auf die Gelegenheit gewartet hatten, sich für das zu bedanken, was in der Nordsee passiert war. Nathaniel Plymson blickte verzweifelt zu den verräucherten Deckenbalken seiner Schenke hoch. „Bitte nicht schon wieder!“ flehte er leise. In grausamer Deutlichkeit sah er die schöne neue Einrichtung in tausend zersplitterten Trümmerstücken vor seinem geistigen Auge. Es war unheimlich still geworden in der „Bloody Mary“. Hätte jemand die berühmte Nadel fallengelassen, so hätte es geklungen wie das Klirren eines Säbels. Der erste Offizier der „Revenge“ hatte mehr als fünfzig Männer mitgebracht. Wie ein Rattenschwanz folgten sie Robert Parsons auf seinem herausfordernd langsamen Weg in Richtung Theke. Im freien Raum zwischen den Tischreihen wurde es eng. Noch immer strömten weitere Männer von draußen herein und brachten kühle Abendluft in die „Bloody Mary“. Nathaniel Plymsons Stammkunden verdrückten sich eilends durch die Hintertür. Die fremden Schaulustigen zögerten noch und waren offenbar nicht in der Lage, die Situation richtig einzuschätzen. Robert Parsons war ein muskulöser, stämmig gebauter Mann.
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Edwin Carberry und die anderen blickten Drakes ,Erstem' gelassen entgegen. Daß die Burschen nicht zu ihrem Vergnügen aufkreuzten, war allen klar. Vor allem war es die Geschichte mit dem zerschossenen Ruderblatt, die ihnen noch immer höllisch an die Nieren ging. Jetzt wollten sie das, was der Name ihres Schiffes so schön ausdrückte: Revenge — Rache. Einen Schritt vor dem Profos der „Isabella“ blieb Parsons breitbeinig stehen. Hinten stand die Tür noch immer offen. Plymsons Schenke war nicht groß genug für die vielen rauhen Gestalten.. „Es zieht, Mister Parsons“, sagte Edwin Carberry. Seine Worte tropften wie flüssiges Blei in die Stille. Parsons verzog die schmalen Lippen zu einem spöttischen Lächeln. „Das liegt daran, Mister Carberry, daß hier ein paar Leute zuviel sind. Es ist nicht genug Platz für uns alle.“ „Richtig, richtig.“ Der Profos nickte, immer noch ruhig. „Ein paar von uns werden wohl gehen müssen. „Das meine ich auch“, sagte Parsons höhnisch. „Am besten trinkt ihr schnell aus und verschwindet. Meine Leute haben einen guten Tropfen verdient. Hinter uns liegen anstrengende Wochen und Monate. Die Jungens sind leicht reizbar. Wenn sie nicht schnell genug ihr Bier und ihren Whisky kriegen, könnte es sein ...“ Was er noch sagen wollte, blieb ihm im Hals stecken. Denn Carberrys Riesenfäuste zuckten urplötzlich vor und packten den Kragen seiner Jacke. Den urgewaltigen Kräften des Profos hatte Parsons fast nichts entgegenzusetzen. Er wehrte sich vergeblich, als Carberry ihn dicht zu sich heranzog. „Ihr wollt also Stunk, was, wie? Den sollt ihr haben, du Hering!“ Mit einem jähen Ruck stieß der Profos ihn von sich. Robert Parsons segelte rückwärts auf seine Männer zu. Sie fingen ihn auf und bewahrten ihn davor, der Länge nach auf den harten Steinfußboden zu stürzen. Angriffslustiges Gemurmel entstand in den Reihen der „Revenge“-Crew.
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Stühle fielen polternd um. Die Seewölfe sprangen von ihren Tischen auf. Edwin Carberry reckte seine massige Gestalt, spuckte in die Pranken und rief: „Männer, es geht los! Hier wackelt jetzt die Bude! Bringt den unverschämten Rübenschweinen die Flötentöne bei!“ Er schnappte seinen Bierkrug, und während er ihn mit einem langen Zug leerte, peilte er über den Rand des Kruges bereits die Lage. Inder Schenke entstand Gewühl. Die Zaungäste hatten jetzt endlich begriffen, daß es ungemütlich wurde. Fluchtartig sprangen sie von ihren Tischen auf und eilten zu der Tür, durch die zuvor schon Plymsons gewitztere Stammkunden verschwunden waren. Robert Parsons riß sich von seinen Gefolgsleuten los und setzte zum Sturmangriff an. Carberry schleuderte seinen leeren Bierkrug haarscharf über den Kopf des ersten Offiziers weg. Das brachte Parsons aus dem Konzept. Verwirrt zuckte er zusammen. Hinter ihm traf der Krug gleich zwei Schädel seiner Gefährten. Tonscherben ergossen sich in einem wahren Regen ins Gewühl. Das war das Zeichen zum Angriff. Nichts hielt die Seewölfe jetzt mehr auf ihren Plätzen. Robert Parsons stieß einen gellenden Wutschrei aus und ging auf den Profos der „Isabella“ los. Links und rechts von ihm stießen sich Ferris Tucker, Batuti, Karl von Hutten, Jan Ranse und die anderen von der Theke ab. „Um Himmels willen, nein!“ schrie Nathaniel Plymson in höchster Not. „Ihr habt doch gesagt, daß nichts zu hart angefaßt wird, daß nichts kaputtgehen wird, daß ...“ Er mußte hinter der Theke Deckung suchen, denn ein Schemel schwirrte heran, streifte den ausgestopften Stör, der in heftige Pendelbewegungen geriet, und krachte gegen das neue Holzregal. Ein Dutzend Krüge und Becher ging zu Bruch. Abermals gab es einen Scherbenregen, diesmal über Plymsons feistem Rücken.
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Der Tanz hatte begonnen. Carberry trieb den ersten Offizier der „Revenge“ mit zwei, drei Fausthieben in die keuchenden, drängenden Reihen seiner Männer zurück. Der Profos hatte ihnen nicht die Zeit gelassen, sich zum Angriff zu formieren. Genau das geriet ihnen jetzt zum Nachteil. Die Seewölfe hatten den Vorteil, daß sie weiträumiger in der Schenke verteilt waren. Mit Gebrüll gingen sie auf die „Revenge“-Männer los, die in den engem Tischreihen noch nach einer besseren Ausgangsposition suchten. Dan O'Flynn, Jeff Bowie und Sam Roskill hatten blitzschnell die offene Eingangstür erreicht, versperrten denen, die schon drinnen waren, den Weg und trieben die anderen wieder hinaus, die den Eintritt noch nicht geschafft hatten. Ein halbes Dutzend Kerle von Drakes Flaggschiff waren es, die sich auf dem Straßenpflaster vor der Schenke, plötzlich drei wirbelnden, wild entschlossenen Kämpfern gegenübersahen. Und jäh begriffen Parsons Gefährten, daß sie zu sehr auf ihre zahlenmäßige Überlegenheit vertraut hatten, daß sie ein leichtes Spiel erwartet hatten und ihnen dieser verbissene Kampfgeist fehlte, den Killigrews und Ribaults Männer von einem Atemzug zum anderen zu entfachen verstanden. Die gleiche wilde Entschlossenheit entfesselten sie auch drinnen, im Schankraum der „Bloody Mary“. Edwin Carberry setzte Parsons nach und erwischte ihn von neuem beim Kragen. „Ho-ho!“ brüllte der Profos, daß die Wände wackelten. „Drauf, Männer! Gebt's den gottverdammten Bastarden!“ Seine Riesenfäuste trieben den ersten Offizier zurück in das Gedränge wie einen unangespitzten Pfahl. Und die Seewölfe stimmten in das Kampfgebrüll mit ein. Es flogen die Fetzen. Stühle und Tische gingen zu Bruch. Immer neue Scherbenregen entstanden, wenn Krüge und Becher zersplitterten. Nathaniel Plymson wagte nicht mehr, hinter seinem schönen neuen Tresen hervorzutauchen.
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Plötzlich erschauerten die Männer der „Revenge“, die sich vor wenigen Minuten noch so überlegen gefühlt hatten. Denn ein Ruf hallte von den Wänden wider, ein Ruf, in dem sich die Männerstimmen in unbändiger Wildheit zu einem wahren Donnergrollen vereinten. „Ar-we-nack! Ar-we-nack: Ar-we-nack!“ Die Betonung lag auf der ersten Silbe, die beiden letzten klangen abgehackt. Das ergab jenen dröhnenden Rhythmus, der auf schauerliche Weise an eine heranmarschierende Streitmacht erinnerte. Unaufhaltsam, Schritt für Schritt. Es war der alte Kampfruf derer von der Feste Arwenack, hoch über Falmouth an der Küste von Cornwall gelegen. Philip Hasard Killigrew und seine Männer hatten diesen Schlachtruf übernommen und über die sieben Meere getragen. Und immer dort, wo sie ihr „Ar-we-nack“ dem Gegner entgegengeschleudert hatten, da hatten sie Angst und Schrecken verbreitet. Die Männer der „Revenge“, gerieten aus der Fassung. Diese Wildheit, die ihnen entgegenbrandete, war zuviel. Mit nichts dergleichen hatten sie gerechnet. Und diejenigen von ihnen, die unter schmetternden Fausthieben zusammenbrachen, trugen allein durch ihren jämmerlichen Anblick dazu bei, die anderen zu demoralisieren. Dan O'Flynn, Sam Roskill und Jeff Bowie stürmten zurück in die Schenke. Draußen gab es nichts mehr zu tun. Sechs „Revenge“Männer lagen langgestreckt auf dem Straßenpflaster, erlöst im Traumland, in dem es keine Schmerzen gab. Und mit der Rückkehr der Drei wallte der Schlachtruf „Ar-wenack“ von neuem auf. Von wirbelnden Fäusten, splitternden Stühlen und zischenden TonkrugGeschossen umgeben, stapfte Edwin Carberry durch das Gewühl wie ein Fels in der Brandung. Parsons hatte noch immer nicht genug. Er rappelte sich von neuem in dem Durcheinander auf und ging abermals auf den Profos los. Carberry knurrte unwillig. Jetzt reichte es. Mit einem kurzen Blick in die Runde stellte er fest, daß die Horde der Drake-
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Mannen bereits auf weniger als die Hälfte zusammengeschmolzen war. Und immer noch wirbelten die Fäuste der Seewölfe, die über Tische und Stühle turnten, als sei dies die leichteste und selbstverständlichste Art der Fortbewegung. Carberry ließ den Angriff Parsons an seinen Unterarmen abprallen. Dann blies er dem ersten Offizier des sehr ehrenwerten Admirals den Marsch, daß Sie Francis Drake das Heulen gekriegt hätte, wenn er Zeuge geworden wäre. Robert Parsons erzitterte unter einem Trommelfeuer von Hieben, die den letzten Funken Mut aus ihm herausdroschen. Es sah kläglich aus, als er trotzdem versuchte, die Fäuste noch einmal gegen den bulligen Profos zu erheben. Carberry gab ihm mit einem letzten gnadenlosen Haken den Rest. Parsons segelte durch die Tischreihen und landete in einem Haufen von Armen und Beinen, die zum bereits kampfunfähigen Teil seiner Meute gehörten. Und Parsons rührte sich nicht mehr. Die übrigen „Revenge“-Männer, die noch kämpften. bemerkten es mit wachsender Verwirrung. Es war wie immer: „Wo der Anführer die Segel strich, war auch mit dem Rest der Mannschaft nicht mehr viel anzufangen. Carberry und die anderen droschen weiter auf den zusammengeschmolzenen Haufen ein. Bewußtlose, zersplitterte Stuhl- und Tischbeine bildeten ein wirres Durcheinander. Die Öllampen schaukelten bedrohlich unter den Deckenbalken. Ferris Tucker sah sich plötzlich allein auf weiter Flur. Desgleichen Karl von Hutten und Jan Ranse. Ihre Fäuste hatten pausenlos reiche Ernte gefunden, doch auf einmal war ihre Umgebung wie leergefegt. Und die übrigen Seewölfe sahen sich unvermittelt. in der gleichen Lage. Die letzten von der „Revenge“ sanken seufzend zu Boden. Aus. Die plötzliche Stille war unheimlich. Jedenfalls für Nathaniel Plymson, der nur zögernd hinter seiner Theke hervorzukriechen wagte. Dann, als er die Bescherung sah, schloß er verzweifelt die
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Augen. Es war haargenau das Bild, das er schon vor Beginn der wilden Schlacht gesehen hatte. Und es war ein höllisch vertrautes Bild, das er schon viel zu oft erlebt hatte. Edwin Carberry blickte abermals in die Runde. Seine Gefährten sahen zwar einigermaßen zerrupft aus. Aber zerrissene Kleidungsstücke und ein paar Schrammen waren bedeutungslos angesichts des Sieges, den sie errungen hatten. Wieder einmal. Die Männer der „Revenge“ mußten bald an sich selbst verzweifeln. Immer wieder kriegten sie von den Seewölfen einen mehr als sprichwörtlichen Tritt in den Hintern verpaßt, und jedesmal wurde die Niederlage noch bitterer für sie. Immerhin hatte es bei den Vorfällen auf See bislang keine Zeugen gegeben. Aber hier, in Plymouth, hatten die Crews der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ ihnen in aller Öffentlichkeit die Jacke vollgehauen. „Na bitte“, sagte der Profos der „Isabella“ mit zufriedenem Nicken und wischte sich die Hände an den Hosenbeinen ab. „Dann wollen wir mal, Männer! Fangt an mit dem Aufräumen! Unser, alter Freund Plymson soll die ganze Arbeit nicht allein tun. Ich denke, unsere lieben Kameraden von der ,Revenge' brauchen ein bißchen Abkühlung, damit sie schneller wieder aufwachen und auf vernünftigere Gedanken kommen!“ Beifälliges Johlen war die Antwort. Carberry brauchte den Männern nicht zweimal zu erklären, was er meinte. Die Mill Bay lag quasi vor der Haustür. Nathaniel Plymsons Augen waren vor Entsetzen geweitet, als er sah, wie sie die Bewußtlosen hinausschleiften. Das Klatschen, das anschließend in sehr kurzen Abständen zu hören war, ließ keine Zweifel offen. Diese Himmelhunde verhalfen der Crew des sehr ehrenwerten Admirals Drake doch tatsächlich zu einem kühlen Bad in der Mill Bay! Plymson fröstelte. Der Abend hatte erst begonnen. Was mochte die Nacht noch bringen?
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Bestimmt nichts Gutes. Denn die Seewölfe dachten nicht daran, schon in ihre Kojen zurückzukehren. Trotz des zertrümmerten Mobiliars war ihnen die „Bloody Mary“ noch gemütlich genug, um einen ordentlichen Schluck auf den Sieg zu trinken. 4. Der große Rathaussaal der Stadt Plymouth war erfüllt von feinen, dezenten Geräuschen. Zwei Lautenspieler, auf einem Podium an der Stirnseite des Saales, zupften englische Tänze und Lieder. Sanfte Melodiefolgen und Akkorde bildeten den erhabenen Hintergrund für das Ereignis, das Lord Mayor Abbot Cummings und die Mitglieder des Town Council wirkungsvoll in Szene gesetzt hatten. Vier mächtige Kronleuchter, mit insgesamt mehr als zweihundert Kerzen, tauchten den etwa fünfzig Quadratyards großen Raum in einen festlichen Glanz. Einzelne Kerzen erhellten auch die Tafel, die bereits fertig gedeckt war. Silbernes Geschirr funkelte im Schein des Kerzenlichts. Die dunkelroten samtenen Fenstervorhänge waren zugezogen und verstärkten dadurch die behagliche Atmosphäre. Noch hatten sich die Gäste des Banketts nicht an der Tafel niedergelassen. Vor Beginn des Festessens hatte der Bürgermeister einen trockenen spanischen Rotwein der Provenienz Rioja kredenzen lassen. Vor dem prasselnden Kaminfeuer am anderen Ende des Saales - dem Podest der Lautenspieler gegenüber -klirrten leise die kristallenen Gläser, wenn die Honoratioren, die Ladys und ihre Gäste sich zuprosteten. Hasard und Jean Ribault hatten ihre nobelsten Kleidungsstücke angelegt. Beide trugen unter dem eleganten Wams weiße Seidenhemden, die aus dem Fernen Osten stammten. Ihre weichen, glänzenden Stulpenstiefel bildeten einen wirkungsvollen Kontrast zu den enganliegenden schwarzen Beinkleidern.
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Lord Mayor Abbot Cummings und seine Ratsherren waren vorerst abgeschrieben. Die Ladys und ihre unverheirateten Töchter umlagerten die beiden Kapitäne und hatten sie mit Beschlag belegt. Hasard und Jean Ribault konnten sich der vielen Fragen kaum erwehren, und gleichzeitig spürten sie immer eindringlicher die schwärmerischen, bewundernden Blicke vor allem von den Töchtern der Honoratioren. Am Rand des Saales, vor den Türen zu den angrenzenden Korridoren, standen die Rathausdiener in abwartender Hab-AchtStellung. Die Männer trugen dunkle Kleider mit weißen Halskrausen, die die Tradition ihres Berufes symbolisierten. „Eine Frage hätte ich noch, Sir Hasard“, plapperte eins der Mädchen, eine blonde Schönheit mit sorgfältig frisiertem Haar und kostbarer Robe. „Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie und Ihre Männer ein feindliches Schiff entern? Ich meine, was empfinden Sie in solchen Momenten? Angst? Oder Wut?“ Hasard schüttelte lächelnd den Kopf. „Nichts dergleichen, Miß. Meistens wird es einem erst hinterher bewußt, was alles hätte passieren können.“ „Geht es Ihnen genauso, Monsieur Ribault?“ fragte ein anderes Mädchen. brünett und mit einer kleinen Gruppe von Sommersprossen in der Umgebung der hübsch geschwungenen Nase. „Ja, natürlich“, antwortete Jean Ribault, während sich die schwärmerischen Blicke der versammelten Weiblichkeit auf ihn .richteten. „Mein Freund Hasard hat es richtig beschrieben. Würde man über das nachdenken, was man tut, während man es tut - nun, dann könnte es doch sein, daß einem vor der eigenen Courage angst und bange wird, nicht wahr?“ Die Mädchen lachten leise und vornehm, tauschten Blicke aus und tuschelten hinter vorgehaltener Hand.: „Oh, Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, Gentlemen“, sagte Lady Bethesda Cummings, die Frau des Bürgermeisters. „Jedermann in England weiß, welche siegreichen Schlachten Sie
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geschlagen haben. Wir können uns zwar die Einzelheiten nicht recht vorstellen, aber wir können uns sehr wohl vorstellen, wie viel Mut und Tapferkeit dazugehören, um solche Siege zu erringen.“ Hasard und Jean wehrten das Lob höflich ab. Geduldig ließen sie die vielen Fragen der Ladys und ihrer Töchter über sich ergehen. Irgendwann, Minuten später, sah Hasard, daß ein Rathausdiener die Tür öffnete. Jemand überbrachte eine Nachricht. Der Diener nickte, schloß die Tür wieder und ging mit würdevollen Schritten auf den Lord Mayor zu, der mit den Ratsherren in der Nähe des Kamins versammelt war. Hasard stellte fest, daß sich Cummings' Miene erhellte, als der Diener ihm etwas ins Ohr flüsterte. Dann, als der Livrierte wieder an seinen Platz zurückgekehrt war, klatschte der Bürgermeister in die Hände, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Ladys unterbrachen ihr Geplapper. „Sehr verehrte Ladys und Gentlemen!“ rief Cummings. „Ich darf Sie jetzt bitten. Platz zu nehmen. Das Festbankett zu Ehren unserer Gäste soll sogleich eröffnet werden.“ Die Ladys und Gentlemen setzten sich in Bewegung. Diener eilten mit silbernen Tabletts herbei. um die leeren .Rotweingläser fortzuschaffen. Die Lautenspieler unterbrachen ihre Zupfmusik, bis das Stühlerücken beendet war. Dann setzten sie das HintergrundKonzert mit einer betont rhythmischen Ecossaise fort. Lord Mayor Abbot Cummings nahm am Kopf ende der Tafel Platz. Links neben ihm begann die Reihe mit Philip Hasard Killigrew, dann Lady Bethesda Cummings und Jean Ribault. Neben dem Kapitän der „Le Vengeur“ hatte sich Mistreß Gilda Bishop niedergelassen, gefolgt von ihrem Ehemann Anthony Bishop, dem ersten stellvertretenden Bürgermeister. An derselben Seite der Tafel saßen auch der zweite stellvertretende Bürgermeister Charles Henderson mit Ehefrau, außerdem Father Crowley und Doctor Abraham Shafter und dessen Frau.
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Der Platz rechts neben dem Lord Mayor war frei geblieben. Die übrigen Plätze belegten die Council-Mitglieder James Collins, Harvey Shrubbs, Gordon Temble und Hugh Croydon, jeweils von ihren Ladys flankiert. Die unverheirateten Töchter der Honoratioren hatten sich um das andere Ende. der Tafel gruppiert, von wo sie wehmütige Blicke zu Hasard und Jean Ribault schickten. Abbot Cummings klopfte mit dem Messer an eines der noch leeren Weingläser, das einen hellen Glockenklang von sich gab. Das Gemurmel endete. Alle Blicke richteten sich auf das Kopfende der Tafel. „Ladys und Gentlemen“, sagte Cummings mit geheimnisvollem Lächeln. „Sie alle wissen, daß dieses Festbankett zu Ehren von Sir Hasard Killigrew und Monsieur Jean Ribault stattfindet. Um diesem feierlichen Anlaß aber einen noch würdigeren Rahmen zu geben, ist es mir mit einiger Mühe gelungen, einen Ehrengast einzuladen, der seine Teilnahme auch zugesagt hat. Bitte empfangen Sie ihn jetzt auf angemessene Weise.“ Abermals brach die Lautenmusik ab. Andächtige Stille kehrte ein, als die Doppelflügel der großen Saaltür geöffnet wurden. Schritte hallten vom Korridor herein. Zwei Diener flankierten den Ehrengast, der jetzt in der offenen Tür erschien und zielstrebigen Kurs auf das Kopfende der Tafel nahm. Die Ladys und Gentlemen erhoben sich von ihren Plätzen. Ein respektvolles Raunen wurde ]aut. Dann klatschten sie spontanen Beifall. Hasard hatte das Gefühl: einen Schlag ins Gesicht zu erhalten. Notgedrungen waren auch Jean Ribault und er aufgestanden. Der Ehrengast war von kleinem Wuchs, aber kräftig gebaut. Ein Spitzbart und ein Schnurrbart mit hochgezwirbelten Enden zierten sein rundes, leicht rötliches Gesicht. Seine hellen Augen blickten energisch und selbstbewußt. Er trug ein teures braunes Wams, das mit goldenen Litzen besetzt war. Das Ende seines Spitzbarts reichte bis in die Rüschen seines
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weißen Hemds. Seine etwas kurz geratenen Beine steckten in schwarzen Stiefeln, die zu spiegeln dem Glanz poliert waren. Abbot Cummings gab ein dezentes Handzeichen, noch bevor der Ehrengast die Tafel erreicht hatte.. Der Beifall, an dem Hasard und Jean Ribault sich nicht beteiligt hatten, verebbte. „Ich habe die Ehre, unseren hochverehrten Admiral, Sir Francis Drake, in Unserer Mitte begrüßen zu dürfen!“ Wieder Beifall. Drake verbeugte sich lächelnd, als er vor dem Lord Mayor stehenblieb. Gönnerhaft ließ er seinen Blick in die Runde schweifen - und versteinerte. Das Lächeln fiel aus seinem Gesicht wie ein überreifer Apfel vom Baum. Blanker Zorn erglühte in der Tiefe seiner Pupillen. Seine blassen Lippen verdünnten -sich zu einem kaum noch erkennbaren Strich. Philip Hasard Killigrew lächelte frostig. Mühelos hielt er dem Blick des ehrenwerten Admirals stand. Drake indessen zog es vor, seine Aufmerksamkeit wieder dem Bürgermeister' zuzuwenden. Der unbeugsamen Härte in den eisblauen Augen des Seewolfs schien Drakes zorniger Blick nicht gewachsen. Der Lord Mayor war sichtlich verwirrt. Der jähe Wandel in Drakes Gesichtsausdruck war ihm keineswegs entgangen. „Ich danke für die Einladung, Lord Mayor“, sagte Drake mit einer Stimme, die vor Kälte klirrte. „Doch ich hätte es sehr begrüßt, wenn Sie mich zuvor über die Teilnehmer dieser Tafelrunde informiert hätten.“ „Ich verstehe nicht, Sir Francis“, entgegnete Cummings verblüfft, während an der Festtafel ein aufgeregtes Tuscheln einsetzte. „Dieses Festbankett gibt der Rat der Stadt Plymouth zu Ehren von Sir Hasard Killigrew und Monsieur Jean Ribault. Da wir rechtzeitig von der bevorstehenden Ankunft der beiden ruhmreichen Kapitäne erfahren hatten, hielt ich es für eine nette Geste, auch Sie, Sir Francis, zu diesem Bankett einzuladen.“
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Der ehrenwerte Admiral erbleichte. Seine Augen wurden groß und weit, wie er den Bürgermeister fassungslos anstarrte. „Sind Sie bei Trost, Mann?“ fauchte er. „Dieses Bankett wird nicht zu meinen Ehren gegeben?“ Hasard und Jean Ribault konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen, als sie einen raschen Blick wechselten. Drake hatte es noch nie vertragen können, an die zweite Stelle gesetzt zu werden - egal, in welcher Situation. Abbot Cummings schnappte nach Luft. Ihm fehlten die Worte. Für ihn mußte es ein kleiner Schock sein, daß die erhoffte Überraschung total mißlungen war. Er hatte letzten Endes damit gerechnet, daß sich die Sieger der Schlacht gegen die Armada unter tosendem Beifall um den Hals fallen würden. Daß sie sich aber offensichtlich spinnefeind waren, das hatte der Lord Mayor nicht im Traum erwartet. Hasard sprang für den sprachlosen Bürgermeister in die Bresche. „Eines versichere ich Ihnen mit Brief und Siegel, Admiral“, sagte er eisig, „wenn Kapitän Ribault und ich von Ihrer Anwesenheit gewußt hätten, wären wir diesem Bankett so fern wie nur irgend möglich geblieben!“ Es wurde totenstill im Saal. Der Bürgermeister ließ sich mit einem Seufzer auf den hohen Stuhl sinken, dessen Lehne die Ornamente seiner Amtswürde trug. Cummings schlug beide Hände vor das Gesicht. Er brauchte eine Weile, um seine Fassung wiederzugewinnen. Drake sah unterdessen die Chance, den Bastard Killigrew vor aller Öffentlichkeit in Grund und Boden zu stampfen. Mit zwei wütenden Schritten trat der Admiral auf den Platz zu, der ohnehin für ihn vorgesehen war. Nun stand er dem Bastard, der ihn schon mehrfach gedemütigt hatte, Auge in Auge gegenüber. Zornbebend stemmte Drake beide Fäuste auf die Tischplatte. Die Tatsache, daß dieser Kerl auch noch sein unbeeindrucktes Lächeln beibehielt, fachte seinen Zorn zu unermeßlicher Glut an.
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„Jetzt ist es genug, Killigrew!“ schrie Drake mit schriller Stimme. „Endgültig genug! Ich dulde nicht, daß Ihre Vermessenheit und Ihre Unverschämtheit noch länger hingenommen werden. Die Öffentlichkeit soll jetzt erfahren, welche unglaublichen Dreistigkeiten Sie sich herausgenommen haben! Und ich werde nicht länger ein Blatt vor den Mund nehmen. Ich werde Ihre Unverschämtheiten nicht länger mit dem Mantel der Verschwiegenheit zudecken!“ Er räusperte sich und holte tief Luft. „Dann legen Sie mal los, Verehrtester“, sagte Jean Ribault trocken. Drake schluckte, lief puterrot an und hatte sichtliche Mühe, nicht vor Wut zu platzen. Aber einmal in Fahrt geraten, war er nicht mehr zu bremsen. „Sie allein haben die Schuld, Killigrew!“ schrie der Admiral mit sich überschlagender Stimme. „Sie und Ihr französischer Kumpan sind schuld daran, daß die spanische Armada nicht mit Stumpf und Stiel vernichtet worden ist! Sie haben sich nicht gescheut, den Spaniern auch noch zu helfen, als es darum ging, ihnen den entscheidenden Todesstoß zu versetzen. Das haben Sie sogar mit Waffengewalt durchgesetzt - zu dem Zeitpunkt nämlich, als ich mit meinem Schiff zum maßgeblichen Schlag gegen den Feind angesetzt hatte. Dabei wurde die ,Revenge' sogar beschädigt. Das ist eine Ungeheuerlichkeit, die endlich einmal zur Sprache gebracht werden muß. Ich werde nicht länger schweigen wie bisher, als ich das eigene Nest nicht beschmutzen wollte!“ Unter anderen Umständen hätten Hasard und Jean Ribault den Drang verspürt, in schallendes Gelächter auszubrechen. Aber der sehr ehrenwerte Admiral war nun einmal ein Mann, den man trotz aller Lächerlichkeit seiner Behauptungen ernstnehmen mußte. Die Teilnehmer der Tafelrunde verfolgten die blindwütigen Anschuldigungen Drakes mit entsetzten Mienen. Auch der Lord Mayor hatte sich von seinem ersten
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Schreck erholt und starrte den Admiral ungläubig an. „Was Sie sich geleistet haben, Killigrew!“ fuhr Drake lautstark fort, „ist nichts anderes als Feigheit vor dem Feind! Ich werde bei Hof Anklage gegen Sie erheben. Und ich werde dafür sorgen, daß Sie dort enden, wo Sie hingehören: am Galgen! Die Besatzungen Ihrer Schiffe werden im Tower landen. Bürgermeister! Ich verlange von Ihnen, daß Sie Killigrew und Ribault sofort in Ketten legen lassen!“ Lord Mayor Abbot Cummings sperrte sekundenlang ungläubig den Mund auf. Dann sprang er mit einem Ruck auf. „Admiral Drake!“ sagte er schneidend. „Sie begreifen hoffentlich die Ungeheuerlichkeit Ihres Ansinnens!“ „Nichts da!“ fauchte Drake. Zornig stampfte er mit dem Fuß auf. „Auf der Stelle führen Sie meinen Befehl aus, Lord Mayor. Sonst werde ich dafür sorgen, daß auch Sie zur Rechenschaft ...“ „Halten Sie den Mund!“ brüllte Cummings, dem der Kragen platzte. Er war kein Mann, der sich wie eine Marionette behandeln ließ. In der Beziehung hatte Drake in ihm den Falschen gefunden. Der sehr ehrenwerte Admiral schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und brachte kein Wort mehr hervor. Cummings schlug die Faust auf den Tisch, daß es krachte. „Erstens“, fuhr er mit unverminderter Läutstärke hervor, „hin ich in diesem Haus der Gastgeber. Und zweitens, Admiral Drake, haben Sie mir keine Befehle zu erteilen. Merken Sie sich das! Was Ihre Anschuldigungen gegen Sir Hasard betrifft, so frage ich mich, ob denn etwa die Meldungen über den Branderangriff vor Calais nicht der Wahrheit entsprechen. Diese Meldungen beweisen einwandfrei, welch ein tapferer Mann Sir Hasard ist. Außerdem erscheint es mir auch mehr als merkwürdig, daß Sir Hasard aus irgendwelchen niederen Motiven Ihr Schiff, die ,Revenge', angegriffen und beschädigt haben soll. Sir Hasard...“ Abbot
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Cummings wandte den Kopf. „Sind Sie bereit, eine Stellungnahme abzugeben?“ Francis Drake war weiß im Gesicht. Er starrte sein Gegenüber an, als wolle er ihn im nächsten Moment mit Haut und Haaren verschlingen. Aber er wußte auch, daß er vielleicht einen Schritt zu weit gegangen war. Unbehagen keimte in ihm auf. „Selbstverständlich“, sagte Hasard ruhig und nickte dem Lord Mayor zu. Dann wandte er seinen Blick den Teilnehmern des Banketts zu. „Ladys und Gentlemen, es geht hier nicht um Fachsimpeleien aus der Seekriegsführung, hinter denen sich irgend jemand verschanzen müßte.. Es handelt sich ganz einfach um die grundsätzliche Einstellung zu jedweder Art von Kriegsführung -einerlei, ob zu Lande oder zu Wasser. Noch einfacher ausgedrückt geht es um die Frage der Menschenwürde schlechthin. Gewiß, jeder Krieg ist grausam. Doch es gibt einen Unterschied zwischen Barbarei und fairem Kampf. Lassen Sie mich das am Beispiel der Schlacht gegen die Armada verdeutlichen. Die spanische Seestreitmacht wurde von der englischen Flotte besiegt. Das ist eine Tatsache, an der auch Admiral Drake nicht vorbeikommt. Allerdings ist es sicherlich eine Frage der persönlichen Einstellung, ob man sich damit zufrieden gibt, einen Gegner zu besiegen, oder ob man das barbarische Verlangen verspürt, ihm noch den Säbel ins Herz zu stoßen, obwohl er längst hilflos am Boden liegt. Um nichts anderes handelte es sich im Falle der Armada.“ Hasard legte eine kurze Atempause ein. Es war totenstill geworden. Die Blicke der Bankett-Gäste hingen wie gebannt an seinen Lippen. Niemand dachte mehr an das Festessen, das eigentlich längst hätte beginnen müssen. Und Drakes Gesicht war noch immer weiß vor ohnmächtiger Wut. Doch er wagte es nicht, erneut das Wort an sich zu reißen. Zu deutlich spürte er, daß er im Augenblick keinerlei Sympathien auf seiner Seite hatte. „Ich gebe zu“, fuhr Hasard fort, „daß ich nach dem Sieg über die spanische Flotte
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nichts weiter getan habe, als dem geschlagenen Gegner zu helfen. Das gilt auch für meinen Freund Jean Ribault. Nachdem die Niederlage des Gegners für uns einwandfrei erwiesen war, hielten wir jeden weiteren Angriff auf die Spanier schlicht für unwürdig. Denn wir hatten es nicht mehr mit einem Gegner zu tun, der überhaupt noch zum Kämpfen fähig war. Nein, das waren hilflose Menschen, von Verwundungen, Krankheit und Entbehrung gezeichnet. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Seefahrt hatten wir es mit erbarmungswürdigen Schiffbrüchigen zu tun. Und nach den gleichen ungeschriebenen Gesetzen war es unsere Pflicht, ihnen zu helfen. Sie waren nicht mehr in der Lage zu kämpfen - auf Schiffen, die zu Wracks zerschossen waren, ohne Munition und ohne Proviant. Diese Menschen waren restlos am Ende und hatten kaum noch Hoffnung, überhaupt ihre Heimat wiederzusehen. Geschweige denn, daß sie in der Lage waren, sich gegen die Hyänen zu schützen, die überall an den Küsten Englands, Schottlands und Irlands lauerten. Strandräuber und Piraten, denen die wehrlosen Spanier mit ihren teilweise manövrierunfähigen Schiffen wie reife Trauben in den Schoß fielen. Wir haben es erlebt, wie Kranke und Verwundete von unseren eigenen Landsleuten brutal erschlagen wurden. Einziges Motiv dafür war die Gier nach dem bißchen Geld und Gut, das sich auf den spanischen Galeonen befand. Ja, ich gebe unumwunden zu, daß wir die hilflosen Spanier vor solchen Meuchelmördern geschützt haben, wo wir nur konnten. Wir haben den einstigen Feind mit Proviant versorgt, haben die Wracks repariert, so gut es ging, und ihnen sogar Munition gegeben - nur damit sie in der Lage waren, ihre Heimat zu erreichen. In manchen Fällen waren ihre Chancen dafür immer noch gering. Aber wir haben wenigstens das getan, wozu man einem Schiffbrüchigen gegenüber verpflichtet ist. Ich betone noch einmal: Wir konnten es nicht mit ansehen, daß man wehrlose
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Menschen wie Tiere erschlägt!“ Hasard hielt einen Moment lang inne. Einer der Ratsherren an der Tafel machte den Anfang und klatschte spontan in die Hände. „Bravo, Sir .Hasard! Sie haben recht getan! Ein Hoch auf die Menschlichkeit! Wir wollen mit Barbaren nichts gemein haben, denn wir sind zivilisierte Menschen!“ Donnernder Beifall brach so unvermittelt aus, daß Admiral Drake ungewollt zusammenzuckte. Seine Hände begannen zu zittern. Er schien zu spüren, daß dies eine der schlimmsten Niederlagen war, die er jemals erlitten hatte. Hasard wartete ab, bis der Beifall versiegte. Und dann gab er dem ehrenwerten Admiral den Fangschuß. Drake hatte es nicht anders verdient. Es waren bereits zu viele Unverschämtheiten, die er sich ungestraft geleistet hatte. „Was nun unseren Admiral Drake betrifft“, sagte Hasard, „so gibt es auch dafür eine Erklärung. Jean Ribault und ich wurden zufällig Zeuge, wie die ,Revenge' im Begriff war, über die fast manövrierunfähige spanische Galeone ,San Mateo` herzufallen. Die Besatzung dieser Galeone war zu einem kläglichen Haufen zusammengeschmolzen und hatte keine Unze Pulver mehr, um sich überhaupt noch zur Wehr zu setzen. Beim Anblick dessen, was sich abzuspielen drohte, habe ich meine Entscheidung getroffen. Jean Ribault und ich haben verhindert, daß Admiral Drake einen wehrlosen Haufen von .Schiffbrüchigen aus purer Beutegier umbringen konnte. Als wir uns mit der ,Isabella' und der ,Le Vengeur schützend vor die ,San Mateo' schoben, ging die ,Revenge' zum Angriff auf uns über und versuchte, die ‚Isabella' zu rammen. Deshalb, und nur deshalb, habe ich dem Flaggschiff des Admirals das Ruder zerschossen. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“ Atemlose Stille folgte den Worten des Seewolfs. Lord Mayor Abbot Cummings erhob sich von seinem Stuhl.
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„Merkwürdig, nicht wahr, Admiral Drake?“ sagte er und konnte sich einen Anflug von Hohn in seiner Stimme nicht verkneifen, „Wir haben hier eine ganz andere Geschichte über dieses zerschossene Ruder gehört. Sie haben es mit keinem Wort dementiert, als Ihre Leute prahlerisch erzählten, das Ruder sei beim Enterkurs auf das Flaggschiff der spanischen Armada beschädigt worden. Ich muß schon sagen, das ist mehr als merkwürdig. Vielleicht wollen Sie jetzt die Güte haben, dazu eine Stellungnahme abzugeben. Welche Version stimmt denn nun wirklich?“ Sir Francis Drake starrte den Bürgermeister einen Atemzug lang zornbebend an. Dann traf ein haßerfüllter Blick den Seewolf. Doch kein Wort kam über die blassen Lippen des Admirals. Jäh drehte er sich auf dem Absatz um und hastete mit kurzen, schnellen Schritten aus dem Saal. „Nun, ich denke, diese Antwort genügt uns“, murmelte Bürgermeister Cummings. Hasard und Jean Ribault erwiderten nichts darauf. Für Hasard hatte dieser Sieg über den Admiral einen bitteren Beigeschmack. Er wußte, daß er sich einen Todfeind geschaffen hatte. Einen Todfeind zwar, dem er mit ehrlichen Mitteln jederzeit gewachsen war. Aber gegen Intrigen konnte selbst ein Mann von Hasards Format nicht immer etwas ausrichten. Und Drake war ein Meister in der Kunst des Intrigierens. Für den Seewolf hieß es von nun an, höllisch auf der Hut zu sein. An der Bewunderung, die er aus den Blicken der Honoratioren von Plymouth spürte, vermochte er sich nur wenig zu erfreuen. 5. Sein linkes Auge war geschlossen und brannte so mörderisch, als hätte sich das gesamte Höllenfeuer auf ihn konzentriert. Was indessen noch mehr in ihm brannte, war die Wut über die erlittene Niederlage. Finstere Gedanken beherrschten Robert Parsons, als er seine Kammer verließ. Er
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hatte sich gründlich gewaschen, seine Blessuren einigermaßen beseitigt und trockene Kleidung angezogen. Nur die veilchenblaue Färbung seines linken Auges konnte er nicht vertuschen. Grund genug, seine Wut in ständigem Siedezustand zu halten. Leichter Nieselregen empfing ihn, als er über die Kuhl der „Revenge“ stapfte. Er hatte alle Lampen an Bord löschen lassen, nachdem er und seine Männer auf so schmähliche Weise zurückgekehrt waren. Niemand brauchte zu sehen, in welchem Zustand sie über die Decksplanken gekrochen waren — triefend naß und krumm und blau geschlagen. Aber nach Möglichkeit sollte auch niemand mitkriegen, was sich in Kürze abspielen würde. Der erste Offizier der „Revenge“ hatte in dieser Beziehung schon äußerst handfeste Überlegungen angestellt. Hölle und Teufel. diesmal würden sie dem Namen ihres Schiffes alle Ehre machen. Rache - das war das einzige, was jetzt noch zählte. Mit vorsichtigen Bewegungen stieg Parsons in das Mannschaftslogis hinunter. Er fühlte sich unsicher, weil es ihm Schwierigkeiten bereitete, mit nur einem Auge sehen zu müssen. Im stickigen Logis brannten nur zwei Öllampen. Die Luft roch nach Schweiß und Brackwasser. Ihre nasse Kleidung hatten die Männer zu einem Haufen in der Nähe des Niedergangs gestapelt. Zur Zeit war nicht daran zu denken, die Sachen zu trocknen. Draußen, im Freien, war die Luftfeuchtigkeit ohnehin zu hoch. Und im Augenblick gab es Wichtigeres. als ein wärmendes Kombüsenfeuer zu entfachen. Parsons blieb vor dem Niedergang stehen und atmete tief durch. Die Männer boten einen erbärmlichen Anblick. Einige von ihnen trugen leuchtendweiße Verbände wie Turbane auf ihren Köpfen. Schrammen und Platzwunden hatten alle davongetragen, mehrere von ihnen auch ähnlich blaue Augen wie der „Erste“, der an Bord das Kommando führte, solange sich Admiral Drake auf seinem Landsitz in der Nähe von Plymouth befand. Immerhin
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sahen sie mit ihrer frischen Kleidung aber wieder wie halbwegs brauchbare Menschen aus. Die halblauten Gespräche verstummten bei Parsons Erscheinen. „Herhören, Männer“, sagte er. „Das Maß ist jetzt voll. Wir können es nicht länger hinnehmen, was sich Killigrews und Ribaults Strolche uns gegenüber ständig herausnehmen. Ein Vergeltungsschlag ist fällig. Sofort. Und zwar so, daß sie sich nicht wieder davon erholen. Ist jemand anderer Meinung?“ Keiner widersprach. „Zeigen wir es den Bastarden“, knurrte einer der Männer, dessen Kopf verbunden war. „Und diesmal gibt es kein Pardon. Diesmal hauen wir sie zu Klump, daß sie ihren eigenen Namen nicht mehr kennen.“ „Anders herum“, entgegnete Parsons. „Wir werden sie an ihrer empfindlichsten Stelle treffen. Um das zu erreichen, müssen wir sehr schnell handeln. Ich habe festgestellt, daß sie aus der ,Bloody Mary' noch nicht zurückgekehrt sind. Wahrscheinlich gießen sie mehr als einen hinter den Kragen und fühlen sich als die ganz großen Sieger. Umso leichter wird es für uns sein, ihnen eins überzubraten, daß ihnen Hören und Sehen vergeht.“ In knappen Worten schilderte Parsons seinen Plan, der so einleuchtend wie einfach war. Die Augen der „Revenge“-Männer begannen zu funkeln. Verdammt, ja, das war eine hervorragende Idee -und ohne großes Risiko zu bewerkstelligen. Die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ würden an der Pier versenkt werden! Ein Vergeltungsschlag, der in die Geschichte eingehen sollte. Als mahnendes Zeichen für alle, die jemals an ähnliche Dreistigkeiten denken sollten, wie sie sich die Hundesöhne unter Killigrew und Ribault geleistet hatten. * Es war still geworden im Hafen von Plymouth. Nur die vereinzelten Lampen der in der Mill Bay vertäuten Schiffe warfen einen matten Schimmer auf die
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glatte Wasseroberfläche. Längst hatten sich die Schaulustigen verzogen, noch vor Einbruch der Dunkelheit. Stimmen waren jetzt nur noch aus den zahlreichen Schenken in der Umgebung der Schiffsliegeplätze zu hören. Heisere, grölende Stimmen von Sealords, die nach langen Monaten auf See ein Faß aufmachten. In Plymouth gehörte diese abendliche Geräuschkulisse aus den Hafenschenken zur Gewohnheit. Nichts, woran die Bürger im Stadtinneren noch Anstoß nahmen. Im übrigen lebte diese Stadt von der Seefahrt, also mußte man den Seeleuten ihr kleines bißchen Narrenfreiheit lassen. Ben Brighton genoß die Ruhe, die ihn auf dem Achterkastell der „Isabella“ umgab. Er schlug seinen Kragen höher und zog die. Mütze tiefer in die Stirn. Dieser feine Regen gehörte zu jener Sorte, die einem bis auf die Knochen zu dringen schien. Trotzdem war es für Hasards Stellvertreter kein Grund, sich an einen trockenen Platz zurückzuziehen. Er brauchte die frische Luft so nötig wie das tägliche Brot. Er, der sich den Wind der sieben Weltmeere um die Ohren hatte wehen lassen, gehörte nicht zur Art der Stubenhocker. Auch war er kein Mann von vielen Worten. Lärmende Siegesfeiern jener Art, wie sie derzeit in der „Bloody Mary“ vonstatten ging. gefielen ihm schon gar nicht. Zwischen ihm und dem Seewolf bestand bei solchen Anlässen ein stillschweigendes Übereinkommen: Ben Brighton zog es meistens vor, an Bord die Stellung zu halten, wenn die anderen in einer dieser ewig gleichen Kneipen ihren Übermut ertränkten. Der erste Offizier der „Isabella“ hatte ohnehin keinen Anlaß zu einer Siegesfeier gesehen. Was während und nach der Schlacht gegen die spanische Armada geschehen war, war nichts anderes als Pflichterfüllung gewesen. Nicht mehr und nicht weniger. Ben Brighton warf einen Blick zum Vordeck. Er sah die Silhouette in der Nähe des Fockmastes, .bewegungslos. Will Thorne, der Segelmacher, stand dort
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drüben auf Posten, Den alten O'Flynn hatte Ben unter Deck geschickt, damit er sich aufs Ohr haute. Zur Ablösung konnte er später geweckt werden. Beruhigt wandte sich Ben Brighton wieder um. Will Thorne war ein zuverlässiger Mann, einer dem man nicht ständig sagen mußte, was er tun sollte, der vielmehr auch eigene Gedanken und Entschlüsse entwickelte. Ben Brighton wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Umgebung achteraus zu. Seine Augen hatten sich längst an die Dunkelheit gewöhnt, und der matte Lichtschein der vereinzelten Schiffslaternen unterstützte ihn dabei. Drüben, auf der „Revenge“ brannte kein einziges Licht. Nur als dunkler Schattenriß waren die Umrisse von Drakes Flaggschiff im Dock zu erkennen. Ben Brighton hatte gesehen, wie die Männer des Admirals fluchend und schreiend aus der Mill Bay an Land gekrochen und zurück an Bord ihres Schiffes gestolpert waren. Danach war verdächtige Ruhe eingekehrt auf der stolzen Kriegsgaleone des sehr ehrenwerten Admirals. Seitdem hatte Hasards Stellvertreter das Dock ständig im Auge behalten. Eine unbestimmte Ahnung sagte ihm, daß sich Robert Parsons und seine Leute keineswegs schon zur endgültigen Ruhe begeben würden. Plötzlich bestätigte sich diese Ahnung. Ben Brighton beugte sich über die Heckbalustrade und spähte angestrengt in die Dunkelheit hinaus. Im nächsten Moment wußte er, daß es kein Trugbild war, das ihm seine eigenen Sinne vorgaukelten. Huschende Schatten bewegten sich an Deck der „Revenge“ und im Dock. Kein Laut war indessen zu hören. Sie dämpften ihre Schritte sehr sorgfältig. Trotzdem war es nicht finster genug, um die „Revenge“Männer ungesehen bleiben zu lassen. Boote wurden zu Wasser gelassen, Ausrüstungsgegenstände übernommen. Ben Brighton hatte genug gesehen. Er wandte sich ab und huschte auf leisen Sohlen den Niedergang zur Kuhl hinunter. Wenig später war er bei Will Thorne, der
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ebenfalls spitzgekriegt hatte, daß sich dort drüben beim Dock etwas rührte. Ben erklärte es ihm mit wenigen knappen Worten. „Lauf hinüber zur ,Bloody Mary“', fügte er hinzu, „hoffen wir, daß sie noch nicht bis zum Stehkragen voll sind. Sie sollen ihre Beine in die Hand nehmen und so schnell wie möglich hier antanzen.“ „Aye, aye, Sir“, entgegnete Will Thorne halblaut, wirbelte herum und eilte von Bord. Seine Schritte waren nicht zu hören. Er wußte, auf was es ankam. Ben Brighton ging unter Deck und rüttelte den alten O'Flynn wach. Gemeinsam begannen sie sofort, die Beiboote der „Isabella“ zu klarieren. Jede Sekunde war jetzt wertvoll. Denn lange konnte es nicht mehr dauern, bis die „Revenge“-Crew ihre Vorbereitungen beendet hatte. Eins stand für Ben Brighton jedoch fest: Parsons und seine Leute unterschätzten die Wachsamkeit der Seewölfe. Einen Sieg bei einer Wirtshausprügelei errungen zu haben, bedeutete für sie noch lange nicht, dass sie hinterher alle Vorsichtsmaßregeln vergaßen. Selbst der stets besonnene und ruhige Ben Brighton mußte bei der Vorstellung grinsen, welcher höllisch unfreundliche Empfang den „Revenge“-Leuten bereitet werden würde. * Schlagartig wurde es lebendig auf den Kais rings um die Mill Bay. Der plötzliche Aufbruch der Seewölfe und ihrer Freunde aus der „Bloody Mary“ war in den benachbarten Hafenschenken nicht unbemerkt geblieben. Überall strömten die Schaulustigen. ins Freie. Die Fackeln am Rand der Piers wurden angezündet. Stimmengewirr und ungewohnte Helligkeit weckten auch die Einwohner in den weiter entfernt gelegenen Häusern. So ergab es sich, daß die Schar der Menschen auf dem Kai rasch anschwoll, wie es bereits tagsüber der Fall gewesen war. Niemand konnte indessen schon erkennen, was der Anlaß für die plötzliche
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Betriebsamkeit von Philip Hasard Killigrews und Jean Ribaults Männern war. Zu undurchdringlich war noch die Dunkelheit über der weiten Wasserfläche der Mill Bay. Die Männer der „Le Vengeur“ hatten sich nicht erst die Mühe bereitet, an Bord zu gehen. Weiter voraus, an den Stegen, lagen genügend Jollen, deren Festmacher man nur zu lösen brauchte. So waren die Gefährten aus Jean Ribaults Crew die ersten, die mit insgesamt drei Booten auf die Bucht hinauspullten. Piet Straaten und die anderen, die als Bordwache zurückgeblieben waren, ließen ein Beiboot von der „Le Vengeur“ zu Wasser. Sie mannten genügend Enterbeile, um damit auch ihre Kameraden ausrüsten zu können. Klatschende Ruderschläge bestimmten jetzt die Szenerie in der Mill Bay. Längst mußte die noch unsichtbare Meute von der „Revenge“ begriffen haben, daß ihr heimliches Manöver nicht so unbemerkt geblieben war, wie sie es erhofft hatten. Edwin Carberry verteilte die „Isabella“Crew auf vier Beiboote. Dadurch hatten sie den Vorteil größerer Beweglichkeit. Und zur Überraschung aller gelang es dem Profos bei dieser Blitzaktion sogar, seine Donnerstimme so zu dämpfen, daß es ihnen wie ein Flüstern erschien. In fieberhafter Eile wurden die Boote zu Wasser gelassen, und kurz darauf klatschten die Riemen in die bis eben noch stille Oberfläche der Mill Bay. Lediglich der alte O'Flynn und Will Thorne blieben auf der Kuhl der „Isabella“ zurück. Doch sie hatten keineswegs Zeit, die Hände in den Schoß zu legen. Ihnen fiel eine besondere Aufgabe in dieser grimmigen Abwehraktion zu, die die Seewölfe so blitzschnell entfesselten. Alle waren sie schlagartig nüchtern geworden, als der Segelmacher mit der alarmierenden Nachricht in die „Bloody Mary“ gestürmt war. An Land verdichtete sich die Menschenmenge zusehends. Schon übertönte das aufgeregte Stimmengewirr die Rudergeräusche in der Bucht.
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Sie waren etwa zehn, zwölf Yards von der „Isabella“ entfernt, als Edwin Carberry sich zu voller Größe im Boot aufrichtete und seinen Befehl hinausbrüllte. „Feuer frei!“ Die Donnerstimme des Profos ließ die Zuschauer auf dem Kai still werden. Doch es gab kein Krachen von Pistolen und Musketen, wie sie es fast geglaubt hätten. Auf der Galeone der Seewölfe flammten kleine Lichtpunkte auf. Dann ein scharfes Zischen in rascher Reihenfolge. Grelle Funkenbahnen stiegen schräg zum Nachthimmel empor, und dann erfolgten mehrere dumpfe Donnerschläge. Gleißende, grellweiße Feuerbälle entfalteten sich hoch über der Mill Bay und tauchten den ganzen Hafen von Plymouth in taghelles Licht. Langsam. wie von unsichtbaren Vögeln in den Klauen getragen, schwebten die Feuerbälle in die Bucht hinunter. Aber noch bevor sie knapp über der Wasserfläche verglühten, erfolgten neue Donnerschläge, und neue Lichtkugeln öffneten sich in großer Höhe. Will Thorne und der alte O'Flynn arbeiteten auf der Kuhl der „Isabella“ ohne Pause und zündeten Rakete auf Rakete. Der faszinierende Anblick des chinesischen Feuers verwandelte die Menschen auf dem Kai in eine vor Staunen erstarrte Menge. Erst nach einer Weile vermochten sie ihre Aufmerksamkeit von diesem Wunder aus dem Fernen Osten loszureißen. Das Geschehen, das sich auf der Mill Bay abzuspielen begann, erinnerte unter der Festbeleuchtung an ein grandioses Schauspiel - eine Aufführung unter freiem Himmel, die Drama und Komödie zugleich war. Da waren die Boote der „Revenge“, insgesamt fast ein Dutzend, die sich in wohlgeordneter Formation auf die an der Pier liegenden Schiffe des Seewolfs und Jean Ribaults zubewegten. Die Gruppierung, die sie eingenommen hatten, glich einem Halbmond, dessen äußere Enden nach vorn, auf den „Feind“, gerichtet waren. In einem der mittleren Boote stand Robert Parsons, der erste
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Offizier, und seine Positur erinnerte an die eines Flottenkommandanten hinter der Schmuckbalustrade einer mächtigen Kriegsgaleone. Einige der Zuschauer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war mittlerweile bekannt, welche Formation die spanische Armada bei ihrem Angriff auf die königlich englische Flotte eingenommen hatte. Und haargenau diese Formation kopierten jetzt die Männer von Admiral Drakes Flaggschiff. Daß sie dies in ihren Ruderjollen taten, hatte etwas höchst Groteskes. Der weiße Feuerregen, der plötzlich vom Himmel fiel, brachte die „Revenge“Männer in sichtliche Verwirrung. Allen Schaulustigen wurde jetzt klar, daß Parsons und seine Leute damit gerechnet haben mußten, daß sie unbemerkt die „feindlichen“ Schiffe erreichen würden. Und dann noch die Tatsache, daß von der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ ebenfalls Boote „in See gegangen“ waren - Boote, deren Besatzungen in äußerst ungeordneter Formation zum Gegenangriff ansetzten. Zusätzliche Demoralisierung bewirkte bei Parsons Mannen das plötzliche wilde Gebrüll, das die Seewölfe und ihre Kampfgefährten anstimmten. Ihr Schlachtruf hallte wie Donnerbrausen über die weite Wasserfläche der Mill Bay. „Ar-we-nack! Ar-we-nack!“ Immer wieder stießen sie diesen Ruf aus, während sie mit kräftigen Schlägen auf den Gegner zupullten. Letzterer geriet in jähes Durcheinander. Die eben noch präzise Schlachtordnung löste sich auf, und es hatte den Anschein, als wußte Robert Parsons nicht recht, ob er zum Rückzug oder zum Angriff blasen sollte. Sein offenkundiges Zögern wurde zu einem nicht wieder auszubügelnden Nachteil für die „Revenge“-Männer. Die Zuschauer an Land hielten den Atem an. Es war schon ein schaurigeindrucksvoller Anblick; den die Verteidiger der beiden stolzen Schiffe boten. Im Bug jedes Bootes standen mindestens zwei oder drei von ihnen bereit zum Angriff, während die anderen pullten,
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als gelte es, dem Teufel persönlich ins Gesicht zu springen. Die Männer der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ waren mit Enterbeilen bewaffnet, die sich hoch über ihren Köpfen schwangen. Aber da gab es noch andere, die einem unbeteiligten Beobachter leicht einen Schauer über den Rücken jagen konnten: der bullige Profos Edwin Carberry, dem seine bloßen Hände genug waren. um es mit den Angreifern aufzunehmen, der riesenhafte Schiffszimmermann Ferris Tucker, der seine schwere Axt mitgeschleppt hatte und dessen Haare im grellen Licht des chinesischen Feuers einen noch rötlicheren Schimmer hatten als gewöhnlich, und da war der schwarze Herkules Batuti, der seinen mörderischen Morgenstern schwang und seine weißen Zähne blitzen ließ. Die Distanz zwischen den gegnerischen Parteien schmolz rasch zusammen. Nur noch zehn Yards, bis sich die ersten Boote begegnen würden. Das Kampfgebrüll der Seewölfe und ihrer Gefährten steigerte sich zu einem donnernden Inferno. Auch Robert Parsons schrie jetzt Befehle und versuchte, Ordnung in seine verwirrte .Flotte zu bringen, um sie nun doch noch zum Angriff zu bewegen. Zu spät. Die „Revenge“-Männer schafften es nicht einmal mehr, ihre Boote auf Kursund die Riemenschläge in einen einigermaßen brauchbaren Takt zu bringen. Eines der „Vengeur“-Boote war zuerst dran, zersplitterte vier Riemen auf einmal unter seinem Kiel, und im Vorbeigleiten ließen Pierre Puchan und Grand.. Couteau auf geradezu elegante Weise ihre Entermesser kreisen. Trockene Schläge hackten in das Holz des „Revenge“Bootes, bevor dessen Besatzung auch nur zu einer Gegenwehr ansetzen konnte. Schon drehte das Boot mit Pierre Puchan und Grand Couteau ab, Und die fassungslosen „Revenge“-Männer mußten erkennen, wie es durch zwei Lecks in ihrer Nuß-schale hereinsuppte.
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Das Gebrüll der Seewölfe steigerte sich zu erstem Triumph. Und dann ging es Schlag auf Schlag, im wahrsten Sinne des Wortes. Ferris Tucker ließ sich seelenruhig auf eins der Gegner-Boote zudirigieren. Während sein Nebenmann Luke Morgan die aufgescheuchten Verteidiger im Heck dieses Bootes auf Distanz hielt, zerschmetterte Tuckers Axt den Spiegel mit weniger als einem halben Dutzend wohlgezielter Hiebe. Das Boot sackte weg wie ein Stein, und seine Besatzung ergoß sich als schreiendes Knäuel in die nachtdunklen Fluten der Mill Bay. Batutis Morgenstern sorgte hei einer anderen Bootsbesatzung für Panik. Schon der Anblick der furchtbaren Waffe, die der gambische Herkules in kreisende Bewegung versetzte, genügte für zwei, drei Männer, fluchtartig über Bord zu springen. Auch die anderen begriffen in ihrer Angst zu spät, daß Batuti nicht sie als Zielscheiben ausgesucht hatte, sondern lediglich die Bootsbeplankung mit wenigen kraftvollen Schlägen seines Mordinstruments in Trümmer legte. Edwin Carberry ließ ein Gegner-Boot, das er aufs Korn genommen hatte, kurzerhand rammen. Mit einem Satz enterte er über. Und wie es der Zufall wollte, handelte es sich um Robert Parsons' Boot. Drakes erster Offizier wurde weiß im Gesicht, als er sich zum zweiten Mal an diesem Abend den Riesenpranken des Profos ausgeliefert sah. Zum zweiten Mal an diesem Abend mähte Carberry Drakes „Ersten“ von den Füßen. Nur gab es diesmal keinen Fußboden, von dem Parsons sich wieder aufrappeln konnte. Er versank gurgelnd, tauchte wieder auf und strebte mit verzweifelten Schwimmzügen dem Kai entgegen. Dorthin, wo sich die Menschenmenge zu immer begeistertem Beifallsgeschrei steigerte. Das, was die Seewölfe und ihre Freunde hier boten, war wirklich eine Augenweide! Eine Seeschlacht im Kleinformat!
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„Die Schlacht auf der Mill Bay !“ schrie jemand, und der Ruf pflanzte sich mit rasender Geschwindigkeit fort. Schon jetzt stand fest, daß auch dieses Ereignis in die Geschichte der Stadt Plymouth eingehen würde -als eine Geschichte, bei der die Großväter noch in hundert Jahren schmunzeln würden, wenn sie sie ihren Enkeln am Kaminfeuer erzählten. Edwin Carberry ließ seine mächtigen Fäuste kreisen, bis er auch den letzten „Revenge“-Mann von Bord gefegt hatte. Dann erst kehrte er auf sein eigenes Boot zurück. Der letzte Widerstand der Drake-Crew schmolz rasch zusammen. Ohnehin hatten sie dem wild entschlossenen Angriff der Seewölfe und der Ribault-Crew nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Denn für ihr Vorhaben. die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ zu versenken, hatten. sie sich mit vorwiegend geräuscharmen Geräten, wie Bohrern und Sägen. ausgerüstet. Die Enterbeile der Seewölfe und ihrer Gefährten blitzten, Ferris Tuckers Axt fand reichliche Ernte. und Batutis Morgenstern kreiste unablässig. Bootsplanken splitterten und krachten, und in rascher Folge ging ein „Revenge“-Mann nach dem anderen über Bord. Unter dem tosenden Johlen der Zuschauer an Land blies Edwin Carberry den Einsatz schließlich ab. Lediglich Old O'Flynn und Will Thorne schossen immer noch ihr chinesisches Feuer ab. Die Feuerkugeln erhellten eine jämmerliche Niederlage der Männer von Drakes Flaggschiff. Nur noch vier Boote waren heil geblieben. In weitem Umkreis trieben Splitter und Planken auf dem Wasser der Bucht, und dort. wo die ..Revenge“ im Halbdunkel lag, kroch eine triefendnasse Gestalt nach der anderen an Land. Mit gemächlichen Riemenschlägen kehrten die Seewölfe und ihre Freunde zur Pier zurück. Wieder hatten sie einen überzeugenden Sieg errungen, und wieder
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wurden sie von den Bürgern der Stadt Plymouth stürmisch gefeiert. „Scheint langsam zur Gewohnheit zu werden, das“, brummte Edwin Carberry, nachdem er auf die ihm vertraute Kuhl zurückgekehrt war. 6. Es war wie eine Erlösung, als sich endlich wieder schützende Dunkelheit über den Hafen legte. Unter der verdammten Festbeleuchtung hatte die schmähliche Rückkehr an Bord für Robert Parsons einen niederschmetternden Beigeschmack gehabt — ungefähr so, als hätte man ihn vor aller Öffentlichkeit entblößt und zur Lächerlichkeit degradiert. Und mit ihm war letztlich auch Admiral Drake gedemütigt worden. Ratlosigkeit befiel den ersten Offizier der „Revenge“, während er sich in seiner Kammer von den Spuren des Kampfes säuberte. Seine Reserve an trockener Kleidung war bald aufgebraucht. Noch einmal konnten sie sich einen solchen Untergang, eine solche Niederlage, nicht leisten. Im blakenden Lampenschein holte Parsons eine Rumflasche aus seinem Schapp. Er entkorkte die Flasche, setzte sie an die Lippen und trank mit langen Schlucken. Der hochprozentige Stoff breitete sich in seinem Inneren wie flüssiges Feuer aus — wohltuend. Er nahm die Flasche zum' Tisch hinüber und ließ sich auf den Schemel sinken. Sein blaues Auge war noch immer verklebt. Doch der Rum brachte seine Überlegungen wieder in halbwegs geordnete Bahnen. Jedenfalls glaubte er das. Eine Tatsache erfüllte ihn indessen nahezu mit Entsetzen: Wieder waren sie mit Pauken und Trompeten untergegangen. Wieder hatten sie eine Niederlage erlitten, die vollkommener war als alle vorherigen. Diese Bastarde, die unter dem Kommando des dreimal verfluchten Killigrew und dieses französischen Strolchs Ribault
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fuhren, mußten mit dem Teufel im Bunde sein. Unbezwingbar. Parsons stieß einen grimmigen Knurrlaut aus. Unbezwingbar? Nein, verdammt noch mal, sie hatten einfach kein Glück gehabt, die Bastarde. Der Zufall war ihnen zu Hilfe gekommen und hatte ihnen die besseren .Chancen gegeben. In ihrer Niedertracht hatten sich die Kerle nicht gescheut, der Crew des ehrenhaften Admirals. eine Demütigung nach der anderen zuzufügen. Jawohl, so war es und nicht anders. Robert Parsons gelangte zu der Überzeugung, daß ihm und seinen Männern furchtbares Unrecht geschehen war und es empörende Frechheiten waren, die sich die Lumpenhunde von der „Isabella“ und der „Le Vengeur“ geleistet hatten — nur, um sich bei den ahnungslosen Leuten an Land in ein günstiges Licht zu rücken. Daran. wer der Angreifer gewesen war, dachte Parsons nicht. Sie, die Männer der „Revenge“, hatten seiner Meinung nach nichts anderes getan, als sich gegen Bosheit und Unrecht zur Wehr zu setzen. Parsons setzte die Rumflasche noch einmal an und genoß das Brennen in der Kehle und die wohlige Wärme im Magen. Dann knallte er die Flasche auf den Tisch und gab sich selbst einen Ruck. Es mußte etwas geschehen. Killigrews und Ribaults Leute brauchten eine gründliche Lektion, damit sie von ihrem hohen Roß herunterstiegen. Für den ersten Offizier der „Revenge“ gab es nicht den geringsten Grund, die Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Nein, jetzt mußten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Jetzt mußte über den Fall sozusagen an höchster Stelle entschieden werden. Es handelte sich mittlerweile um ein Problem, dessen Ausmaße zu schwerwiegend geworden waren, als daß man es noch mit einer Handbewegung abtun konnte. Es ging nicht mehr um kleine Zwistigkeiten. Viel mehr stand auf dem Spiel. Der gute Ruf der gesamten königlichen Flotte nämlich.
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Denn für Parsons gab es nur eine Mannschaft, die wirklich berechtigt war, eben jene Flotte zu repräsentieren - die Crew der „Revenge“ unter ihrem ruhmreichen Kapitän, dem hochverehrten Admiral Drake. Ein Emporkömmling vom Schlage eines Killigrews sollte es nicht länger wagen dürfen, an diesem Ruhm zu kratzen. Parsons. steigerte sich in diese Überzeugung, je mehr er diese Gedanken wälzte. Schließlich verließ er seine Kammer und stapfte über die Kuhl zum Mannschaftslogis. Sein Entschluß stand fest. Es mußte gehandelt werden. Sofort. * Der Regen der zurückliegenden Nacht hatte das Land mit einer funkelnden Pracht überzogen. Im satten Grün der Gräser und Büsche, der Hecken und Bäume glitzerten die Regentropfen wie Millionen von kostbaren Diamanten. Die Morgensonne stieg vor einem wolkenlosen Himmel empor, der schon bald von den letzten Dunstschwaden befreit sein würde. Noch lagen Nebelbänke wie riesige Wattebäusche in den Bodensenken. Aber schon jetzt zeigte sich die rasch wachsende Kraft der Sonnenstrahlen. Es würde ein herrlicher Tag werden. Sir Francis Drake pumpte die frische Luft tief in seine Lungen. Die Hände auf den Rücken gelegt, spazierte er mit gemessenen Schritten am Rand des kleinen Weihers entlang, der zu seinem Anwesen gehörte. Das fröhliche Zwitschern der Vögel beflügelte seine Sinne und verscheuchte die düsteren Gedanken, die ihn nach dem Erwachen noch bewegt hatten. Für seinen Morgenspaziergang auf dem eigenen Grund und Boden hatte Sir Francis Drake geruht, nur leichte Kleidung anzulegen. Flache Schuhe, weite Pluderhosen und ein bauschiges Seidenhemd, das von einem breiten, aber butterweichen Ledergürtel zusammengehalten wurde. Um diese
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Jahreszeit waren die Temperaturen in Cornwall meist noch sehr mild, manchmal sogar sommerlich, wenn die Sonne an wolkenlosem Himmel ihre immer noch beträchtliche Kraft ausspielen konnte - wie an diesem Tag. In Größe und Gestaltung ähnelte der Garten einem Park. Rasenflächen, Ziersträucher, Blumenrabatten und Hecken gruppierten sich wirkungsvoll um verschlungene Spazierwege. Der Weiher war von Trauerweiden umrahmt, die sich wie ein schützendes grünes Dach über die stille Wasserfläche bogen. Drake ließ sich auf einer Bank am Rande des künstlichen Teiches nieder. Die Bank, mit Schnörkeln und Putten verziert, war aus gemahlenem weißen Marmor gegossen, eine Spezialanfertigung, die der vorigen Eigentümer des Anwesens direkt aus Italien importiert hatte. Das idyllisch gestaltete Grundstück war wie eine Oase in der unberührten Landschaft und fügte sich dennoch harmonisch in die .menschenleere Umgebung ein. Francis Drake hatte nicht lange gezögert, als ihm das Zwanzig-Zimmer-Haus angeboten worden war. Das Gebäude bot allen Komfort, der für einen Mann seines Standes nicht nur zu persönlichen, sondern auch zu Repräsentationszwecken angemessen war. Schließlich mußte er auch an seine Zukunft denken. Die Jahre auf See würden eines Tages zu Ende gehen. Dann brauchte er einen beschaulichen Platz zum Ausruhen. Schon jetzt genoß er einen Vorgeschmack davon. Er sagte zu sich selbst, daß es sich an einem Ort wie diesem durchaus leben ließ. Die wildromantische, unberührte Landschaft. Cornwalls hatte etwas von der unendlichen Weite der See. Und die Stadt Plymouth war nur eine halbe Tagesreise entfernt. Einen Mangel würde es also nicht geben, in keiner Beziehung. Der vorherige Eigentümer des herrschaftlichen Hauses war ein wohlhabender Kaufmann gewesen, der seinen Firmensitz von Plymouth nach Bristol verlegt hatte. Deshalb hatte sich
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auch der private Wohnsitz in Cornwall nicht länger aufrechterhalten lassen. Drake hatte sofort zugegriffen. Der erste Eindruck von dem Anwesen hatte ihm genügt. Er hatte seine Entscheidung auf der Stelle getroffen, ohne langes Hin und Her. Schließlich war er ein wohlhabender Mann, der sich ein solches Objekt leisten konnte. Plötzliches Hufgetrappel zerstörte die beschauliche Stille. Stirnrunzelnd wandte sich Drake um und spähte zum Gartenportal. Wegen der hohen Hecken, die hier alle Wege säumten, konnte man Besucher erst hören, wenn sie das Grundstück bereits fast erreicht hatten. Es war ein einzelner Reiter, der seinen Braunen aus flottem Trab in den. Schritt fallen ließ und das offene Portal passierte. Auf dem mit groben Steinen ausgelegten Hauptweg verursachten die Pferdehufe ein rhythmisches Klacken. Drake mußte nicht zweimal hinsehen, um festzustellen, daß der Mann alles andere als ein geübter Reiter war. Mit krummem Rücken hing er im Sattel und wurde mehr durchgeschüttelt, als es notwendig war. Die Kleidung des Mannes verdeutlichte überdies, daß er im Normalzustand daran gewöhnt war, Schiffsplanken unter seinen Füßen zu spüren. Der Admiral bequemte sich, dem Ankömmling entgegenzugehen und ihn abzufangen. Dies war niemand, dessen Rang es gebot, ihn im häuslichen Salon zu empfangen. Sir Francis Drake witterte nichts Gutes, als er seine kurz geratenen Beine zu weit ausgreifenden Schritten streckte. All die Erinnerungen an das Debakel im Rathaus von Plymouth wurden plötzlich wieder in ihm wach. Er fing den Reiter ab, bevor dieser dem Haus entgegenstreben konnte. Beim Anblick des Admirals schwang sich der Mann ungelenk aus dem Sattel und straffte sich. Obwohl er eine dumpfe Ahnung gehabt hatte, zog Drake überrascht. die Augenbrauen hoch.
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„Guten Morgen, Sir“, sagte der Mann, „ich bitte um Vergebung, wenn ich Sie stören muß. Aber ...“ „Stopforth!“ sagte Drake entgeistert. „Was, in aller Welt, ist jetzt schon wieder passiert? Was kann so wichtig sein, daß man mir auch noch meine Erholung verleidet?“ Stopforth, ein untersetzter Bursche mit sandfarbenen Haaren, gehörte: zu den Mittschiffsleuten auf der „Revenge“. „Der erste Offizier schickt mich mit einer dringenden Nachricht, Sir.“ Stopforth bemühte sich, standhaft zu bleiben und sich mit keiner Miene das schlechte Gewissen anmerken zu lassen. Wenn der Admiral von den erlittenen Niederlagen in allen Einzelheiten erfuhr, war mit Sicherheit einer seiner gefürchteten Tobsuchtsanfälle die Folge. „Heraus damit“, drängte Drake mit einer ungeduldigen Handbewegung. „Mister Parsons läßt ausrichten. Sir, daß Ihrem Schiff äußerste Gefahr droht." Stopforth konnte den gehobenen Tonfall nicht länger beibehalten. Er war kein Mann von gepflegter Sprache. „Diese elenden Bastarde von Killigrews und Ribaults Schiffen wollen uns wieder mit ihren hinterhältigen Tricks ans Leder, Sir! Deshalb bittet Mister Parsons Sie, so schnell wie möglich nach Plymouth aufzubrechen.“ Admiral Drake lief rot an. Allein der Name Killigrew war geeignet, ihn zum Platzen zu bringen. Und dann auch noch die Nachricht. daß der Dreckskerl schon wieder Schwierigkeiten bereitete! Erst jetzt ließ sich Drake herab, den Boten von der „Revenge“ näher zu betrachten. Stopforths breitflächiges Gesicht war von mehreren Schwellungen verunziert, eine frische Schramme verlief quer über seine linke Wange. Er ahnte die Gedanken des Admirals und schlug verlegen den Blick zu Boden. „Stopforth“, sagte Drake gefährlich leise, „was ist los gewesen in Plymouth? Rede, Mann, oder ich lasse dich kielholen. sobald ich an Bord bin!“
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„Es — es war — es war so, Sir“, stotterte der Mittschiffsmann beschämt, „wir hatten Landgang und sind in einer der Hafenschenken zufällig auf diese Killigrew-Bastarde und die Franzosenmeute gestoßen. Die Kerle waren in der Überzahl, und natürlich haben sie das ausgenutzt. Wir konnten nichts ausrichten. Es waren einfach zu viele.“ Die Schlacht auf der Mill Bay mochte Stopforth nicht erwähnen. Schließlich mußte man nicht alles auf einmal erzählen, und es war ja auch Parsons Idee gewesen, die „Isabella“ und die „Le Vengeur“ zu versenken. Also sollte er gefälligst selbst dem Admiral darüber berichten! Sir Francis Drake knirschte mit den Zähnen. Er begann, nervös auf den Zehenspitzen zu wippen. Seine rote Gesichtsfarbe näherte sich einem purpurnen Ton. Aber er beherrschte sich. Es waren nicht genügend Zuschauer vorhanden, um einen wirkungsvollen Wutausbruch in Szene zu setzen. „Reite sofort zurück, Stopforth“, knurrte er wie ein gereizter Hund. „Melde Parsons, daß ich umgehend nach Plymouth aufbreche. Aber er soll kein Wort darüber verlauten lassen. Niemand braucht zu wissen, daß ich vorzeitig zurückkehre. Ist das klar?“ „Aye, aye, Sir“, antwortete Stopforth unterwürfig. Dann begann er, unschlüssig von einem Bein auf das andere zu treten. „Auf was wartest du noch!“ fauchte Drake. Stopforth zuckte zusammen, drehte sich hastig um und zog sich mühsam in den Sattel. Dann riß er das Pferd herum und trieb es zum Galopp an. Drake sah ihm einen Moment nach, bevor er sich abwandte und zum Haus ging. Daran, daß der Sailor stundenlang unterwegs gewesen war, daß man ihm Essen und Trinken und eine kurze Rast hätte anbieten können daran verschwendete der ehrenwerte Admiral nicht einmal den Anflug eines Gedankens. Er hatte schließlich andere Sorgen. Und es war noch nie seine Art gewesen, an einen einfachen Mann übertriebene Fürsorglichkeit zu verschwenden.
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Im Haus brüllte er nach dem Kutscher. Verdammt noch mal, es wurde Zeit, daß er endlich einmal mit der Faust auf den Tisch schlug. Und zwar so nachhaltig, daß sich gewisse Leute davon nicht mehr erholten. * „Ich habe Hunger“, sagte Philip Junior. „Ich habe Hunger und Durst“, erklärte Hasard Junior energisch. Sein Zwillingsbruder starrte ihn entrüstet von der Seite an. „Spinnst du? Glaubst du, ich habe keinen Durst?“ Hasard Junior feixte. „Was du hast oder nicht hast, ist für mich völlig unwichtig. Mich interessieren nur mein eigener Hunger und mein eigener Durst. Du hast doch selbst einen Mund, um zu sagen, was du willst.“ „Das tue ich auch!“ ereiferte sich Philip Junior. ..Aber du brauchst dich nicht in den Vordergrund zu spielen. Wenn ich sage, daß ich Hunger habe, ist es klar, daß ich auch Durst habe. Aber du mußt natürlich wieder so tun, als ob du der perfektere von uns beiden bist.“ „Bin ich auch“, trumpfte Hasard Junior auf. Sein Zwillingsbruder versetzte ihm einen Boxhieb in die Seite. Hasard klappte zusammen, stieß einen zornigen Schrei aus und setzte zum Gegenangriff an. Im Nu war die schönste Rangelei im Gange, und die weich gefederte Kutsche geriet in Schlingerbewegungen. „Jetzt reicht es aber“, sagte Doc Freemont, der den Söhnen des Seewolfs gemeinsam mit Bill, dem Schiffsjungen, gegenübersaß. „Wollt ihr wohl aufhören! Es vergehen keine fünf Minuten, ohne daß ihr irgendeinen Anlaß findet, eure Fäuste zu gebrauchen.“ „Soll ich sie zur Vernunft bringen?“ fragte Bill, der sich in Situationen dieser Art den Zwillingen gegenüber eher als Erwachsener fühlte. Manchmal dagegen: wenn er mit den Jungen allein war, juckte es ihm allerdings in den Fingern, bei den
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kleinen Streichen mitzumischen, die sie immer wieder ausheckten. Nach einer Weile schienen sie sich an den Anlaß ihrer Auseinandersetzung zu erinnern und ließen die braungebrannten kleinen Fäuste sinken. „Noch einmal“, sagte Philip Junior, und dabei blickte er Doc Freemont an. „Hasard und ich haben Hunger und Durst.“ „So klingt das schon viel besser“, sagte ihr väterlicher Betreuer lächelnd. „Es ist ohnehin Zeit, eine Rast einzulegen.“ Er drehte sich um und gab dem Kutscher ein Zeichen. Drei Wegbiegungen weiter fanden sie einen geeigneten Platz für eine Pause. Die Hecke wich an dieser Stelle nach rechts von den ausgefurchten Räderspuren weg, und Furchen und Hufspuren zeigten, daß das Halbrund am Wegesrand offenbar ein beliebter Rastplatz war. Bis nach Plymouth würden sie noch etwa zwei Stunden brauchen. Grund genug also, auch ein wenig an das leibliche Wohl zu denken. Denn sie waren in den frühen Morgenstunden aufgebrochen. Bill hatte im Hause Doc Freemonts übernachtet, und bis in den späten Abend hinein hatte er den Zwillingen zuvor schildern müssen, was sich an Bord der „Isabella“ ereignet hatte, seit Philip und Hasard wegen der bevorstehenden Auseinandersetzung mit den Spaniern in sichere Obhut gebracht worden waren. Mit leuchtenden Augen hatten die beiden Jungen zugehört, und Bill hatte gespürt, daß sie ein Interesse an allen seemännischen Dingen entwickelten, das geradezu einer Besessenheit ähnelte. Morgens waren Philip und Hasard als erste auf den Beinen gewesen. Die Aufregung hatte sie nicht mehr ruhen lassen. Ihren Vater und die „Isabella“ bald wiederzusehen, war Anlaß genug zu überschwänglicher Vorfreude. Durch die Zweige der Hecke am Wegesrand war der River Tavy zu sehen, der Fluß, an dessen Ufer sich auch der Landsitz Doc Freemonts befand. Hier, nahe Plymouth, wand sich der Fluß jedoch
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schon mit imposanter Breite durch die grüne Landschaft. Der Kutscher versorgte die Pferde, während Doc Freemont und Bill eine Decke auf dem Grasboden ausbreiteten und den Proviantkorb öffneten. Gemeinsam ließen sie sich auf der Decke nieder. Die Haushälterin des Doktors hatte einige schmackhafte Happen mit selbstgebackenem Brot zubereitet und außerdem zwei Tonflaschen eingepackt, in denen der Fruchtsaft herrlich kühl geblieben war. Philip und Hasard entwickelten einen Appetit wie hungrige Wölfe und beanspruchten den größten Teil des Freßkorb-Inhalts für sich. Doc Freemont ließ sie gewähren und beobachtete sie mit einem stillen Schmunzeln. Er wußte, daß sie ihren Weg gehen würden, den ihr Vater für sie ausersehen hatte. Sie waren aus dem gleichen Holz geschnitzt wie Philip Hasard Killigrew, dessen Ruhm als Seewolf mittlerweile ganz England erfaßt hatte. Doc .Freemont ahnte, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen war, an dem, der Seewolf eine endgültige Entscheidung getroffen hatte. Seine Söhne sollten bei ihm. an Bord bleiben und das Leben als Seefahrer führen, wofür sie sich schon jetzt auf so stürmische Weise begeisterten. Die Zwillinge ähnelten sich wie ein Ei dem anderen. Beide waren schlank und schwarzhaarig und geschmeidig wie Katzen. Ihre ernsten und scharfgeschnittenen Gesichter trugen die Züge ihres Vaters. Sie würden bald acht Jahre alt werden. Sicherlich ein Alter, in dem sie dem rauhen Leben an Bord eines Segelschiffes schon gewachsen waren. Die Zeit verging wie im Flug. Dieses Gefühl hatte Doc Freemont wieder einmal, während ihn diese Gedanken bewegten. Die Erinnerung an Gwendolyn drängte sich in sein Bewußtsein, die Trauer um Hasards junge Frau und Mutter dieser beiden Söhne, die auf so tragische Weise ums Leben gekommen war. Dann die langen Jahre, in denen die Jungen verschollen gewesen waren. Und jener wundersame Zufall, durch den die Seewölfe während
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ihres Aufenthalts in Tanger plötzlich diese beiden gewitzten Burschen entdeckt hatten. die niemand anders waren als die schon totgeglaubten Söhne Philip Hasard Killigrews. Ja, Doc Freemont hoffte, daß für sie und ihren Vater nun bessere Zeiten anbrechen würden. Zeiten gemeinsamer Abenteuer und gemeinsamen Glücks, wie es sich alle Väter und Söhne dieser Welt erhofften. Der Seewolf und diese beiden aufgeweckten Jungen hatten solche guten Zeiten mehr als verdient. Philip Junior und Hasard Junior leerten ihre Saftkrüge und hielten sich den Bauch. Doc Freemont, Bill und der Kutscher mußten lachen. „Auch das werdet ihr noch lernen“, sagte Doc Freemont, „die Augen haben immer größeren Hunger als der Magen.“ „Wie kommt das?“ fragte Philip Junior. „Ich bin so vollgefressen, daß ich platzen könnte.“ Sein Bruder knuffte ihn. „Dann beweg dich, du faules Stück.“ Hasard Junior sprang auf und floh vor seinem Ebenbild. „Das ist die menschliche Natur', erklärte Doc Freemont. Aber Philip Junior hörte schon nicht mehr hin. Nach dem einstudierten Ritual hatte er jetzt die Pflicht und Schuldigkeit, sich für den Knuff zu revanchieren–wenn er nicht Gefahr laufen wollte, von seinem Bruder als Hasenfuß eingestuft zu werden. Die beiden Jungen begannen eine rasante Verfolgungsjagd rings um die Kutsche. Beide waren flink wie Wiesel und von unerschöpflicher Ausdauer. So hatte Philip vorerst keine Chance, seinen Bruder zu erwischen. Plötzliches Hufgetrappel und das Mahlen von Wagenrädern unterbrachen ihren Wettlauf. 7. Der Sonnenschein ging Sir Francis Drake auf die Nerven. Er schwitzte. Und es gab kein Anzeichen dafür, daß es kühler werden würde. Im Gegenteil, es deutete
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alles darauf hin, daß es mitten im September noch einmal einen richtig heißen Sommertag geben würde. Drake beugte sich vor, als er plötzlich die Kutsche und die Gruppe der Rastenden am Wegesrand sah. Diese beiden Jungen! Ihr Anblick stach ihm ins Auge. Schlagartig vergaß er alles, was ihn eben noch beschäftigt hatte. Selbst die Schweißtropfen auf seiner Stirn waren jetzt nebensächlich geworden. Die Zwillinge, die vor der haltenden Kutsche stehengeblieben waren und ihr entgegensahen, erkannte er sofort. Ihre Gesichtszüge hatten sich damals in seine Erinnerung gebrannt, weil sie ihrem Vater so sehr ähnelten. Damals, das war bei dem Überfall auf Cadiz gewesen, als der verdammte Killigrew ihn schon einmal vor versammelter Mannschaft gedemütigt hatte. Seinerzeit hatte Drake auch die Söhne des Seewolfs kennengelernt. Admiral Drake brauchte nur Sekunden, um zwei und zwei zusammenzuzählen. Die Söhne seines Rivalen waren auf dem Weg nach Plymouth, vermutlich, um wieder an Bord der „Isabella“ aufgenommen zu werden. Nun, daraus würde vorerst nichts werden. Drake faßte einen blitzschnellen Entschluß. Es war eine Entscheidung, die mit seinem brutalen Freibeuter-Instinkt in ihm durchbrach. Eine verstandesmäßige Erklärung hatte er dafür keineswegs. „Anhalten!“ befahl er dem Mann auf dem Kutschbock, als sie den am Wegesrand haltenden Wagen schon fast erreicht hatten. Der Kutscher zügelt das Zugpferd, und die Kutsche des Admirals blieb unmittelbar neben den Zwillingen stehen. Philip und Hasard blickten freundlich zu dem vornehm gekleideten Mann auf, an dessen Gesicht sie sich erinnerten. Nur wußten sie nicht auf Anhieb seinen Namen und wo sie ihn schon einmal gesehen hatten. „Guten Morgen, Sir“, sagten die beiden höflich und wie aus einem Mund. „Guten Morgen, Kinder“, erwiderte der Admiral mit scheinheiliger Güte. „Ich
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denke, ihr werdet mir bei eurer Rast ein wenig Gastfreundschaft gewähren, nicht wahr?“ „Oh, wir haben schon alles aufgegessen”, antwortete Philip Junior. „Aber zu Trinken ist noch da“, fügte Hasard Junior eifrig hinzu. „Na, dann ist es ja gut'', sagte Drake mit einem Lachen, zu dem er sich zwingen mußte. Er stieg aus und wurde von den beiden Jungen flankiert, als er um die haltende Kutsche herumging. Bill sperrte Mund und Augen weit auf, als er den sehr ehrenwerten Admiral erkannte. Doc Freemont wollte zu einer Begrüßung ansetzen, doch seine Stimmbänder waren plötzlich wie abgeschnitten. Auch der Kutscher, der ebenfalls auf der Decke Platz genommen hatte, brachte kein Wort heraus. Denn statt eines Guten-Morgen-Grußes zog Drake blitzschnell seine kunstvoll ziselierte Radschloß-Pistole aus dem Gürtel und richtete die Laufmündung auf den Doc. „Ich nehme an, Sie führen hier das Kommando, Old Man“, knurrte der sehr ehrenwerte Admiral. „Sie werden mir diese beiden Knirpse übergeben und keine Scherereien veranstalten. Sonst müßte ich von der Waffe Gebrauch machen. Haben Sie mich verstanden?“ Doc Freemont wurde blaß. Er war gewiß kein ängstlicher Mann. Aber er sah, daß dieser elegant gekleidete Fremde von wütender Entschlossenheit beseelt war. Eine kochende Wut, die ihn mit Sicherheit nicht zögern lassen würde, abzudrücken. Weshalb es dieser Mann aus heiterem Himmel auf die Zwillinge abgesehen hatte, das vermochte sich Doc Freemont allerdings beim besten Willen nicht zu erklären. „Wer immer Sie auch sein mögend“, murmelte er tonlos, „Sie müssen den Verstand verloren haben. Wie können Sie es wagen, zwei unschuldige Kinder zu entführen?“ „Das geht Sie einen feuchten Dreck an!“ fauchte Drake in zunehmender Wut. Die Tatsache, daß dieser Kerl ihn, den
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ruhmreichen Admiral, nicht einmal kannte, trieb ihn fast zur Weißglut. Aber er ließ es sich nicht anmerken. Im Moment war es wichtiger, daß diese Angelegenheit zügig abgewickelt wurde. „Wir lassen uns nicht entführen!“ schrie Philip Junior zornig. „Nein, wir gehen nicht mit diesem Mann!“ ereiferte sich auch der kleine Hasard. Beide machten Anstalten, das Weite zu suchen. Drake stoppte den Ansatz ihrer Bewegungen mit schneidender Stimme. „Das werdet ihr hübsch bleiben lassen, ihr kleinen Strolche! Wenn ihr nicht pariert, bin ich gezwungen, eurem Opa, oder was er sonst ist, ein Loch durch den Schädel zu blasen!“ Die Zwillinge erstarrten vor Überraschung. Aus geweiteten Augen blickten sie Doc Freemont an. „Es tut mir leid, Kinder“, sagte dieser voller Bitterkeit. „Aber wir können nichts gegen diesen gemeinen Überfall tun. Nur eins: tut, was der Mann von euch verlangt. Leistet keinen Widerstand. Versprecht ihr mir das?“ Philip und Hasard waren wütend. Aber sie waren beide intelligent genug, um jetzt den tödlichen Ernst dieser Situation zu begreifen. „Ja“, antwortete Philip mit erstickter Stimme. „Ausgezeichnet“, höhnte Drake, „dann hätten wir die Fronten ja geklärt. Los, rüber, ihr beiden! In meine Kutsche!“ Die Jungen befolgten den Befehl und trotteten zu dem Einspänner des Admirals, der in ihren Augen gar nicht mehr so ehrenwert war, wie sie es immer gehört hatten. Drake ging langsam rückwärts, wobei er die schwere Pistole fortwährend auf den Doc gerichtet hielt. Die großkalibrige Kugel dieser Waffe hatte genügend Durchschlagskraft, um einen wilden Stier zu töten. „Kutscher!“ brüllte Drake während seines vorsichtigen Rückzugs. „Spann ihnen die Pferde aus und trieb sie weg! Los, los, Beeilung!“
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Während Drake auf halbem Weg verharrte und den Doc und die beiden anderen in Schach hielt, sprang sein Kutscher Vom Bock. Das Klirren von Geschirr war zu hören. Dann die rauhe, anfeuernde Stimme des Mannes. Und schließlich rasendes Hufgetrappel, als die beiden Zugpferde Doc Freemonts ins freie Gelände flohen. Sir Francis Drake stieg auf seinen ledergepolsterten Sitz zurück, als auch der Kutscher wieder seinen Platz einnahm. Die Zwillinge saßen dem Admiral stocksteif gegenüber, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Ihre Augen waren schmal und zornig, als sie ihren Bezwinger anstarrten. Drake schob die Pistole zurück in seinen Gürtel und lächelte. Es war ein kaltes, hämisches Lächeln. Die Zwillinge nahm er kaum wahr. Seine Gedanken waren weit entfernt. Er hatte noch keine klare Vorstellung darüber, was er mit den beiden Jungen anfangen würde. Auf alle Fälle aber würde ihm dieser gelungene Handstreich mehr als nützlich sein. In seinem Bestreben, sich an Killigrew zu rächen, würden sie ihm äußerst brauchbare Werkzeuge sein. Auf die eine oder andere Weise. Nicht einen Moment wurde ihm bewußt, zu welchen erbärmlichen Mitteln er sich damit herabließ. Für ihn zählte nur die Tatsache, daß der Vater dieser Knirpse im Begriff war, ihm den Rang abzulaufen und seinen Ruhm zu schmälern. Das konnte und durfte ein Francis Drake nicht hinnehmen. Jede Methode war seiner Meinung nach gerechtfertigt, um das zu verhindern. Verdammt, ja, diesem Bastard, der sich selbstherrlich als Seewolf feiern ließ, würden die Augen übergehen! Klein und häßlich sollte er vor ihm, dem ruhmreichen Admiral, zu Kreuze kriechen! Drake lehnte sich zurück, nachdem sein Kutscher das Zugpferd angetrieben hatte. * „Oh, mein Gott“, stöhnte Doc Freemont. Langsam, wie unendlich müde, richtete er
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sich auf. „Ich begreife das nicht. Wer ist dieser Mann, daß er einen solchen Haß hat, um zwei hilflose Kinder zu entführen?“ Bill und der Kutscher standen mit betroffenen Mienen neben ihm. „Das war Sir Francis Drake“, sagte Bill leise. „Was?“ Doc Freemont starrte ihn entgeistert an. „Admiral Drake? Der berühmte Drake?“ „Ja, Sir, kein geringerer“, erwiderte Bill. Doc Freemont schüttelte fassungslos den Kopf. „Aber - dann - dann sind Drake und Hasard doch Kampfgefährten! Es ist unglaublich. Bist du auch ganz sicher, Bill? Dieser Mann kann sich doch nicht eines so gemeinen Verbrechens schuldig machen!“ Bill atmete tief durch. „Er hat seine Gründe, Sir. Bestimmt war es ein Zufall, daß er hier auf uns gestoßen ist. Geplant hat er' diese Entführung sicher nicht. Aber ich kann mir gut vorstellen, weshalb er es getan hat.“ Und der Moses der ..Isabella“ schilderte dem erschütterten Doktor, durch welche Geschehnisse das früher gute Verhältnis zwischen Admiral Drake und Philip Hasard Killigrew getrübt worden war. Jene Ereignisse, die auf so tiefgreifende Weise dafür gesorgt hatten, daß dem Seewolf die Augen geöffnet worden waren. Bill, der junge Moses, hatte trotz seiner jungen Jahre schon ein ausreichendes Urteilsvermögen, um jene Differenzen klarzulegen, die spätestens nach der Schlacht gegen die Armada zum offenen Bruch zwischen Hasard und dem Admiral geführt hatten. Vor allem hatte Bill auch begriffen, daß es Drakes ungezügelte Beutegier und sein unmenschliches Verhalten gewesen waren, die Hasard abgestoßen hatten. Doc Freemont nickte bedächtig und verstehend. Die Zusammenhänge wurden für ihn so deutlich wie in einem aufgeschlagenen Buch. Er kannte Hasards Charakter und wußte, daß der Seewolf niemals von seinen Grundsätzen der Fairneß und der Menschlichkeit abweichen
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würde. Umso mehr mußte es ihn schockiert haben, als er den wahren Francis Drake erkannt hatte. Niemand schien indessen in England diese negativen Eigenschaften des ruhmreichen Admirals jemals erlebt zu haben. Sir Francis Drake war eine personifizierte Legende, wie jetzt auch Philip Hasard Killigrew. Verständlich, daß Drake giftig reagierte, seit jemand begonnen hatte, sein wahres Inneres bloßzustellen. Doc Freemont war davon überzeugt, daß Bill in einem wesentlichen Punkt recht hatte: auf einem Plan beruhte diese gemeine Entführung der Zwillinge ganz sicher nicht. Drake mußte einfach die zufällige Gelegenheit beim Schopf ergriffen haben. Jetzt würde er improvisieren müssen, wenn er versuchen wollte, das Druckmittel auszuspielen, das er gegen Hasard in der Hand hatte. „Sir!`“ rief der Kutscher. „Wir müssen die Pferde einfangen! Doc Freemont erwachte aus seiner Erschütterung. Zu sehr hatte ihn die Ahnung dessen beschäftigt, was jetzt möglicherweise heraufbeschworen wurde. Er mochte nicht daran denken, wie Hasard reagierte, wenn er von der Entführung seiner Söhne erfuhr. „Ja, natürlich'', murmelte der Doc zerstreut. Gemeinsam mit Bill und dem Kutscher lief er in die Richtung, in die die Pferde davongetrabt waren. Admiral Drakes Kutsche war längst hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden. * Der rhythmische Gleichklang der Hufgeräusche und das monotone Mahlen der Wagenräder wirkten einschläfernd, außerdem die Wärme der Sonnenstrahlen und die nervliche Entspannung, die Sir Francis Drake jetzt empfand. Er fühlte sich wie nach einem ersten Sieg, den er endlich über seinen verhaßten Widersacher Killigrew errungen hatte. Diese Genugtuung erfüllte ihn mit innerer Ruhe und Zufriedenheit, wie er beides seit
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der Schlacht gegen die Armada nicht mehr erlebt hatte. Die Kindesentführung betrachtete er als ein legitimes Mittel in seiner Auseinandersetzung mit Killigrew. Der Bastard hatte es sich selbst zuzuschreiben, denn die Methoden, die er angewendet hatte, waren weit weniger gerechtfertigt. Nein, nein, dachte Drake beruhigt, wer zu solcher Niedertracht fähig ist wie Killigrew, der darf sich nicht wundern, wenn ihm mit einem empfindlichen Gegenschlag geantwortet wird. Je mehr er sich diese Dinge vor Augen hielt, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß die Entführung der Zwillinge geradezu eine glanzvolle Leistung, ein hervorragendes Beispiel taktischer Kriegslist war. Immerhin - er war noch der alte Francis Drake, der selbst den ausgekochtesten Gegner zu übertrumpfen vermochte. Daran hatte sich nichts geändert, obwohl es eine Zeitlang so ausgesehen hatte, als würde ihm Killigrew den Rang ablaufen. Der sehr ehrenwerte Admiral faltete die Hände über dem Bauch und blinzelte in die Sonne. Diese Schläfrigkeit konnte er sich nicht leisten, das wußte er. Wenn er die Augen schloß, würden die Zwillinge bei der nächsten Gelegenheit aus der Kutsche hüpfen und das Weite suchen. Sie waren eine gerissene Brut - bei dem Vater. Aber sie mußten schon eher aufstehen, wenn sie ihm, dem kampferprobten Admiral einen Streich spielen wollten. Seit er sie in seine Gewalt gebracht hatte, saßen sie schweigend da und starrten ihn an. Unablässig. Ihre Augen hatten etwas Durchbohrendes, Anklagendes. Aber er störte sich nicht daran und nahm es kaum wahr. Kinder zählten für ihn nicht zu dem Personenkreis, den man ernst nehmen mußte. Gewiß, er hätte sie fesseln können, um völlig sicherzugehen. Aber wenn es nicht unbedingt sein mußte, wollte er das vermeiden. Denn es konnte bei etwaigen .Beobachtern einen schlechten Eindruck hinterlassen. So aber sah es aus, als würde er, der gütige Admiral Drake dem alten
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Kampfgefährten Killigrew die Kinder zurückbringen. Eine scheinbar versöhnliche Geste vor aller Augen in Plymouth! Drake schmunzelte bei diesem Gedanken. Killigrew würde natürlich der erste sein, der herausfand, wie es sich wirklich verhielt. Das würde ein teuflisch böses Erwachen für ihn geben. Recht so. Und in der Angst um seine Brut würde er wie ein winselnder Hund angekrochen kommen. So weit, so gut. Die Maßnahmen, die daran anschließend zu ergreifen waren, mußte man noch planen und im einzelnen festlegen. Auf jeden Fall würde es so ablaufen, daß Killigrew dabei den kürzeren zog und nie wieder versucht sein würde, den ruhmreichen Admiral herauszufordern und zu demütigen. Gut so. Drake schmunzelte noch immer und blickte wohlgefällig von oben herab auf die beiden Jungen, die ihrem Vater so verteufelt ähnlich waren. Philip und Hasard erwachten aus ihrer scheinbaren Lethargie. „Es wird Zeit, daß wir etwas unternehmen“, sagte Philip auf Türkisch. _Was denkst du, wie lange brauchen wir noch bis Plymouth?“ Hasard antwortete in derselben Sprache, die ihnen wie eine Muttersprache war. Denn die meisten Jahre ihres jungen Lebens hatten sie in der Obhut von türkischen und persischen Gauklern zugebracht, bevor ihr Vater sie in Tanger wie durch ein Wunder gefunden hatte; „Wenn Onkel Freemont recht hat. dann sind es jetzt vielleicht noch eine oder eineinhalb Stunden. Meinst du, daß die Zeit reicht'?“ „Sicher doch“, sagte Philip, „wir müssen nur genau wissen, was wir wollen. Auf jeden Fall kriegt dieser. Lump von einem Admiral kein Wort mit. Siehst du, wie blöd er dreinschaut?“ „Ja!” Hasard kicherte, ohne den Kopf zu wenden. Sie sahen sich gegenseitig an und vermieden es, Drake auch nur eines Blickes zu würdigen. Der Admiral runzelte verblüfft die Stirn. Was,, in aller Welt, war das für ein
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seltsames Kauderwelsch; in dem diese Bürschchen sich unterhielten? Um Spanisch oder einen spanischen Dialekt handelte es sich jedenfalls nicht. Das hätte er verstanden. Komische Brut, die Killigrew da großgezogen hatte. Wer so redete, der mußte schon eine sonderbare Vergangenheit haben. Nichts, dessen sich ein anständiger Engländer rühmen konnte. Wieder ein Pluspunkt, den man geflissentlich zur Kenntnis nehmen konnte. Es würde sich lohnen, ein wenig in Killigrews Vergangenheit zu forschen. Traten dann gewisse Dinge zutage, die man in der Öffentlichkeit breittreten konnte, würde das seinen frisch erworbenen Ruhm sehr schnell abbröckeln lassen. „Damals, bei den Gauklern haben wir genug gelernt“, fuhr Philip in dem vermeintlichen Kauderwelsch fort. „Sachen, von denen sich dieser aufgeplusterte Knilch garantiert nichts träumen läßt.“ „Hm, eine gute Idee“, antwortet(' Hasard begeistert, „aber eins ist dabei wichtig: wir dürfen nicht zuviel riskieren, bevor wir in Plymouth sind. Denn sonst könnte es sein, dass er uns doch noch wieder reinlegt.“ „Richtig. Gehen wir mal davon aus, daß wir dem Knilch und seinem Kutscher körperlich nicht gewachsen sind. Also können wir sie nur ausschmieren. Und Tricks sollten wir genügend auf Lager haben." „Auch richtig. Wenn nicht körperliche Gewalt, dann nur Waffengewalt. Hast du gesehen, daß er die Pistole wieder in seinen Gürtel gesteckt hat?“ „Sicher. Er rechnet doch nicht damit, daß wir ihm das Ding wegnehmen könnten.“ „Und genau damit hat er sich verrechnet.“ Hasard kicherte von neuem. „Ob die Pistole auch wirklich geladen ist?“ „Natürlich! Glaubst du, so ein Halunke würde mit ungeladener Waffe durch die Gegend zuckeln?“ „Nein, eigentlich nicht.“ „Na also. Wer von uns beiden soll es tun?“ „Ich sitze ihm genau gegenüber“, sagte Hasard, „also werde ich es übernehmen.“
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„Bist du sicher, daß du es schaffst?“ „Na hör mal! Das haben wir schließlich gründlich genug gelernt.“ „Aber wir haben lange nicht mehr geübt.“ „Trotzdem. So was kann man gar nicht verlernen. Das weißt du genau.“ „In Ordnung. Ich verlasse mich auf dich. Es würde zu sehr auffallen, wenn wir die Plätze wechseln, obwohl ich es lieber selbst übernehmen würde.“ „Fängst du schon wieder an zu spinnen!“ fauchte Hasard. „Langsam geht mir das gegen den Strich, daß du neuerdings meinst, du bist der Bessere in allen Dingen.“ Dem Admiral platzte der Kragen. „Ruhe jetzt!“ sagte er konsterniert. „Schluß mit diesem albernen Palaver. Ich will dieses lächerliche Kauderwelsch nicht mehr hören. Habt ihr mich verstanden, oder muß ich böse werden?“ „Ja, Sir - äh, nein, Sir“, antworteten Philip und Hasard artig und wie aus einem Mund. Sir Francis Drake lehnte sich zurück und nickte grimmig. Auf die Idee, den Inhalt des Kauderwelsch-Gesprächs zu erforschen, kam er nicht. Dazu waren seine Gedanken, die er über seinen Erzfeind Killigrew anstellte, viel zu wichtig. Die Zwillinge schwiegen gehorsam. und Admiral Drake hatte ausreichend Gelegenheit, ungestört seinen wohlgefälligen Überlegungen nachzugehen. Die Monotonie der Geräusche und das Schaukeln der Kutsche ließen ihn abermals schläfrig werden. Doch er blieb wach, seiner Überzeugung nach wach genug, um die Killigrew -Brut unter Kontrolle zu halten. Schon nach einer halben Stunde hatte er das unverständliche Palaver der Zwillinge bereits völlig vergessen. Ein jäher Ruck ging durch die Kutsche, als das rechte Hinterrad in ein tiefes Schlagloch knallte. Hasard Junior wurde von seinem Sitz hochgeschleudert. Während Philip sich mit Mühe noch festhalten konnte, verlor sein Zwillingsbruder den Halt und fiel dem Admiral unfreiwillig in die Arme.
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Drake schüttelte sich, fluchte und befreite sich von der Umarmung des KilligrewSprößlings. Hasard Junior rappelte sich unbeholfen auf und schob sich zurück auf seinen ursprünglichen Platz. „Verzeihung, Sir“, sagte er artig und schlug den Blick nieder. „Paß das nächste Mal besser auf“, knurrte Drake und faltete mit einer unwilligen Gebärde erneut die Hände über dem Bauch. Philip und Hasard saßen von nun an wieder schweigend und stocksteif auf ihren Plätzen. Die kunstvoll ziselierte Radschloß-Pistole, die Hasard unter seinem weiten Hemd verborgen hatte, fiel nicht auf. Und Philip war beruhigt. Sein Bruder hatte den Trick nicht schlechter bewerkstelligt, als er selbst es gekonnt hätte. Diese Taschenspielereien hatten sie bei den Gauklern bis zum Erbrechen geübt. Damals waren sie in der Lage gewesen, einem Mann den Ohr- ring abzuziehen, ohne daß er es bemerkte. Und es funktionierte noch immer. Jetzt brauchten sie nur noch auf den richtigen Moment zu warten. 8. Die Männer schufteten im Schweiße ihres Angesichts. Am Kai und auf der Kuhl der „Isabella“ herrschte hektische Betriebsamkeit. Eine stattliche Reihe von Frachtwagen war vorgefahren, mit Kisten und Fässern beladen. Die Seewölfe würden noch mindestens zwei Stunden zu tun haben, bis sämtliche Vorräte an Proviant, Trinkwasser und Munition an Bord gemannt waren. In dem Gewühl war es wieder Edwin Carberry, der die Männer mit seinen gewohnt liebevollen Bemerkungen auf Trab hielt. Der Profos hatte sich am Backbord-Schanzkleid aufgebaut, zum Kai hin, und hielt ein wachsames Auge darauf, daß die Kette der Männer nicht abriß. Mit Kisten oder Fässern auf dem gebeugten Rücken keuchten sie an Bord, während die
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anderen bereits wieder an Land trabten. Die, die für die Arbeit in den Laderäumen der Galeone eingeteilt waren, fanden ebenfalls keine ruhige Minute. „Schlaft nicht ein, ihr Rübenschweine!“ brüllte Carberry. „Oder glaubt ihr Stinte, ihr hättet gestern abend so viel geleistet, daß ihr jetzt die Hände in den Schoß legen könnt, was, wie? Wer saufen und prügeln kann, der kann auch arbeiten! Bildet euch bloß nichts auf gestern abend ein, ihr lausigen Kakerlaken! In einer Stunde will ich die Laderaumschotten dicht sehen! Ist das klar?“ Natürlich antwortete niemand. Denn erstens waren die Männer viel zu sehr beschäftigt, und zweitens wußten sie, daß der Profos ohnehin keine Antwort erwartete. Carberry hielt nur einen Moment inne, um Atem zu holen. Dann fuhr er fort, obwohl die Männer ihr Bestes gaben und ein noch schnelleres Arbeitstempo unmöglich war. Aber er bildete sich ein, daß sie seine Kommentare einfach brauchten. Es mußte für sie wie eine liebgewonnene Geräuschkulisse sein, ohne die sie sich einfach unwohl fühlten. „Zum Teufel, rede ich denn gegen eine Wand? Selbst ein halbverhungerter Hering würde das noch schneller schaffen als ihr! Es dauert nicht mehr lange, und ich ziehe euch tatsächlich die Haut in Streifen von euren Affenärschen!“ Er wurde unterbrochen, denn Sir John, der karmesinrote Ara-Papagei, ließ sich im Sturzflug vom Großmars fallen, bremste seinen Fall mit weit ausgebreiteten Flügeln und landete flatternd auf der breiten Schulter des Profos. Dort wiegte er sich aufgeregt von einer Seite zur anderen und stimmte ein durchdringendes Gezeter an. „Rübenschweine! Affenärsche! Rübenschweine! Kakerlaken! Rübenschweine! Stinte! Rüben ...“ Edwin Carberry packte den Vogel mit einem schnellen Griff und stopfte ihn unter sein Hemd. Sir John zeterte weiter, undeutlicher und gedämpft jetzt. „Hm“, sagte Carberry grimmig. Mehr fiel ihm im Augenblick nicht ein, denn die
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Männer grinsten breit, obwohl ihnen der Schweiß - in Strömen über die Gesichter rann. Aus dem Großmars ertönte ein helles Keckern, das nach Meinung des Profos überaus spöttisch klang. Arwenack, der Schimpanse, hielt dort oben die Stellung, die er vor einer Weile gemeinsam mit Sir John bezogen hatte. Edwin Carberry hatte das Gefühl, daß sich mal wieder alle über ihn lustig machten. Fehlten nur noch die Sprößlinge des Seewolfs mit ihren hinterlistigen Schlingeleien. Es konnte gar nicht mehr lange dauern, bis die beiden mit ihren Hummeln im Hintern wieder an Bord herumquirlen würden. Der Profos seufzte bei diesem Gedanken. Schwere Zeiten standen ihm bevor. Auch drüben im Dock der „Revenge“ wurde hart gearbeitet. Hammerschläge und das Kreischen von Sägen hallten weit über die Mill Bay und ihre Piers. Die Blicke, die aus dem Dock von Zeit zu Zeit zur „Isabella“ und zur „Le Vengeur“ geworfen wurden, waren finster. Aber an Bord der Galeone und der Zweimast-Karacke gab es niemanden, der sich um diese Blicke kümmerte. „Ich habe den Eindruck, als ob es auf Ihrem Schiff niemals langweilig wird, Sir Hasard“, sagte Lord Mayor Abbot Cummings, der mit dem Seewolf vor dem Niedergang zur Kapitänskammer stehengeblieben war. Cummings beobachtete schmunzelnd den Profos, der von neuem sein Donnergebrüll anstimmte und sein unerschöpfliches Repertoire an Kraftausdrücken noch einmal von vorn herunterbetete. Hasard nickte lächelnd. „Wenn wir den Profos und sein Gebrüll nicht hätten, würde sich keiner mehr an Bord wohlfühlen.“ „Tja, der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier, nicht wahr?“ Cummings lachte. „Sicher. Aber Carberry ist ein hervorragender Mann. Seine Sprüche sind nur die äußere Schale, die er nicht ablegen kann.“
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„Oh. das verstehe ich; andernfalls würde ihn die Crew wohl kaum akzeptieren.“ „Mit Sicherheit nicht. Denn jeder von ihnen ist so gut wie der Profos selbst.“ Hasard deutete auf den Eingang zu seiner Kammer. „Gehen wir hinunter?“ „Danke. gern.“ Der Lord Mayor folgte ihm. Die Kapitänskammer lag in ungewohnter Helligkeit. Denn dank der späten Jahreszeit fielen die Sonnenstrahlen flach durch die Heckfenster. Das Licht verlieh dem Raum mit seiner Einrichtung aus dunkel gebeiztem Holz besondere Behaglichkeit. Auf Hasards Aufforderung nahm der Bürgermeister am Tisch Platz. Der Seewolf nahm eine Karaffe aus seinem Schapp und schenkte zwei Gläser halbvoll. Eins bot er seinem Gast an. „Was ist das?“ fragte Cummings und schnupperte. „Rum aus der Karibik“, antwortete Hasard, „ein außergewöhnlich guter Tropfen, den die Eingeborenen normalerweise nur für sich selbst brennen. Auf Ihr Wohl, Lord Mayor.“ „Auf das Ihre, Sir Hasard.“ Cummings nahm einen vorsichtigen Schluck. Seine Augen weiteten als er das Glas absetzte. „Donnerwetter. Das ist wirklich ein handfester Tropfen. Aber ausgezeichnet. Sie haben recht.“ Hasard setzte sich ihm. gegenüber. „Ich nehme -an. Sie sind nicht nur gekommen, um karibischen Rum zu probieren“, sagte er unumwunden. Abbot Cummings wurde ernst. „Nein, keineswegs. Ich halte es für meine Pflicht und Schuldigkeit, nach dem gestrigen Vorfall noch einmal ein klärendes Wort mit Ihnen zu sprechen. Vor allem möchte ich mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Hätte ich die Zusammenhänge gekannt, hätte ich mich niemals zu dieser fatalen DoppelEinladung hinreißen lassen. Dieser Fauxpas ist mir äußerst peinlich, und ich kann nur hoffen, daß Sie Plymouth trotzdem in guter Erinnerung behalten.“ Hasard schüttelte energisch den Kopf.
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„Sie haben keinen Grund, sich für irgendetwas zu entschuldigen, Lord Mayor. Die Kontroversen zwischen Admiral Drake und mir sind nicht Ihr Fehler. Im übrigen muß ich genauso hoffen, daß Sie meine Crew und die Ribaults ebenfalls in guter Erinnerung behalten, obwohl sie sich gestern abend einiges geleistet haben, was mir nachträglich die Haare zu Berge stehen läßt.“ „Die Geschichte in der ,Bloody Mary?“ rief Cummings amüsiert. „Um Himmels willen, wer würde denn so etwas ernst nehmen! Sie wissen doch selbst, zu welcher niederen Kategorie diese Schenke gehört. Außerdem weiß ich, daß Ihre Männer noch immer für jeden Schaden geradegestanden haben. Plymson, dieser alte Gauner, kann sich gewiß nicht beklagen.“ Hasard wiegte den Kopf auf den Schultern. „Nun, ich habe den Männern jedenfalls die Leviten gelesen. Es ging ja nicht um die ,Bloody Mary' allein. Wenn Admiral Drake von der Schlacht in der Mill Bay hört, wird er mir erst recht die Pest an den Hals wünschen. Ich weiß nicht, ob ich es meinen Männern jemals beibringen werde, daß sie sich an Land wie zivilisierte Menschen benehmen.“ „Weder Sie noch Ihre Leute haben sich irgendwelche Vorwürfe zu machen“, wehrte der Bürgermeister ab. „Die Auseinandersetzung in der Mill Bay haben Drakes Männer schließlich selbst heraufbeschworen. Im Grunde kann der Admiral froh sein, daß es für seine Crew so glimpflich abgegangen ist.“ „Nun, ich brauche mich vor ihm nicht zu verkriechen“, sagte Hasard gedehnt. „Aber Drake ist kein Mann, der mit offenen Methoden kämpft. Er ist ein Meister der Intrige, und dagegen ist manchmal kein Kraut gewachsen.“ „Ich weiß“, erwiderte Cummings, „auch deshalb habe ich Sie noch einmal aufgesucht. Nach dem, was ich gestern abend gehört habe und was mir ohnehin bekannt ist, möchte ich Ihnen noch einmal versichern, daß ich voll und ganz auf Ihrer
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Seite stehe, Sir Hasard. Ich kann in diesem Zusammenhang leider nicht für den gesamten Stadtrat sprechen, denn es gibt Männer, die lieber übervorsichtig sind, als daß sie Partei ergreifen. Wenn Sie aber jemals hier an Land einen Verbündeten brauchen sollten, dann können Sie auf mich zählen. Das ist es, was ich Ihnen ausdrücklich gesagt haben wollte.“ „Ich danke Ihnen, Lord Mayor“, antwortete der Seewolf. Mehr nicht. Große Worte waren überflüssig, und Cummings war ohnehin kein Mann, der etwas von geschwollenen Reden hielt. Das hatte Hasard schon während des mißglückten Festbanketts gespürt. Er wußte es zu schätzen, daß der Bürgermeister der Stadt Plymouth ihm symbolisch die Hand reichte. Vielleicht würde er eines Tages wirklich auf sein Angebot zurückgreifen müssen. Denn es war noch längst nicht abzusehen, wozu Francis Drake in seiner ohnmächtigen Wut fähig war. Hasard konnte noch nicht ahnen, wie nachhaltig sich diese Vermutung schon bald bestätigen sollte. * Ein unregelmäßiges Wechselspiel von Licht und Schatten begleitete die Kutsche auf ihrem Weg durch die engen Gassen von Plymouth. Das Geräusch der Pferdehufe und der Räder klang hell auf dem Steinpflaster und hallte zwischen den gedrängt gebauten Giebeln der Häuser lange nach. Der Kutscher nahm den kürzesten Weg durch die Stadt, denn er wußte, daß der Admiral in höchster Eile war. Doch trotz dieser Eile genoß Drake es, die Menschen zu sehen, wie sie stehenblieben, wie sie sich aus den Fenstern beugten und ihm zuwinkten. Jedesmal hob er gönnerhaft die rechte Hand und bewegte sie bedächtig vor und zurück. Seine Müdigkeit war verflogen. Er fühlte sich in jeder Beziehung bestätigt. Sein Ruhm als sieggewohnter Seeheld war ungebrochen. Die Menschen feierten ihn nach wie vor -
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vielleicht gerade deshalb, weil sie inzwischen wußten, welche Gemeinheiten sich der hirnrissige Bastard Killigrew ihm gegenüber geleistet hatte. Aber diese begeisterten Menschen sahen auch, daß er die beiden Jungen bei sich in der Kutsche hatte. Ihre Freundlichkeit konnte folglich nur bedeuten, daß sie tatsächlich glaubten, er brächte Killigrew die Brut zurück. Nun, alles würde also in der Weise aufgehen, wie er es geplant hatte. Die Zwillinge würde er zunächst auf die „Revenge“ bringen und dort in der Vorpiek einsperren. Dann konnte man einen Boten zur „Isabella“ schicken und Killigrew herbeizitieren. Welche Forderungen er im einzelnen dem Seewolf gegenüber erheben würde, nun, das wollte der sehr ehrenwerte Admiral erst dann festlegen, wenn er mit Robert Parsons gesprochen hatte. Denn zunächst mußte er einmal wissen, was sich während seiner Abwesenheit in Plymouth zugetragen hatte. Davon würde es abhängen, welche Daumenschrauben er dem Bastard Killigrew anlegte. Die Zwillinge waren nach wie vor ruhig und friedlich. Sie schienen begriffen zu haben, daß sie hübsch brav sein mußten, wenn sie nicht den Zorn des Admirals erwecken wollten. Er erwiderte die freundlichen Grüße der Bürger, ohne wirklich hinzusehen. Die Ovationen begannen ihm lästig zu werden. Das ewige Zurückwinken wurde ermüdend. Der Geruch von Salzwasser und Tang, den eine leichte Brise durch die Gassen fächerte, verstärkte sich. Drake fühlte, wie er aufzuleben begann. Das war immer noch seine Welt, der er sich näherte. Die Welt, in der er sich immer noch am besten zurechtfand und in der er nach wie vor der Größte war. Er mußte es nur von Zeit zu Zeit wieder unter Beweis stellen — so wie jetzt. Er fieberte der Ankunft entgegen wie ein Kind. Seine Überlegungen hatten sich auf verschrobene Weise einen Weg zurechtgebastelt. den er selbst für völlig plausibel und gerechtfertigt hielt. Jeden, der ihn
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richtigerweise als Schnapphahn und gemeinen Kindesentführer bezeichnet hätte, hätte ex: ohne Umschweife in der Luft zerrissen. Die Kutsche erreichte die letzte Gasse, die unmittelbar auf das Kaigelände an der Mill Bay mündete. Drake beugte sich vor und spähte am breiten Oberkörper des Kutschers vorbei. Er achtete jetzt nicht mehr auf die Leute, die ihm auch hier zuwinkten. Am Ende der Gasse war bereits der Mastenwald des Hafens zu erkennen. Philip und Hasard wechselten einen verstohlenen Blick. Hasard Junior nickte kaum merklich, beruhigend. Er ahnte, daß sein Bruder womöglich schon wieder Befürchtungen hatte, er könnte seine Sache nicht allein bewältigen. Aber für einen diesbezüglichen Wortwechsel war jetzt zum Glück keine Zeit. Drake ließ sich zufrieden zurücksinken, als die Kutsche den Kai erreichte und nach links abbog. Philip wandte den Kopf halb zur Seite. Er hatte ein besseres Blickfeld als sein Bruder. Zur Linken glitten die Häuserfassaden der Schiffsausrüster. der Segelmacher und der Hafenschenken vorbei. Auf der anderen Seite gab es Wagen und Karren vor den zu löschenden oder zu beladenden Schiffen. Kleinere Kauffahrer überwiegend, aber auch Fischerboote, die weiter draußen an den Piers lagen. Und überall Menschen, die ihre Arbeit unterbrachen, sich umdrehten und dem Admiral zuwinkten. Sir Francis Drake sah nicht, daß es unter den vielen Gesichtern etliche gab, die bei seinem Erscheinen einen spöttischen Zug annahmen. Denn er kannte noch nicht die Geschichte von der Schlacht auf der Mill Bay, die die meisten Leute hier miterlebt oder von anderen gehört hatten. Philip Junior hatte das Gefühl, sein Herz vollführte einen Freudenhüpfer, als er am Rand seines Blickfelds plötzlich die schlanken Umrisse eines Schiffes sah, das er fast genauso gut kannte wie die „Isabella“. Die „Le Vengeur“ !
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Wo das Schiff Jean Ribaults lag, konnte auch die „Isabella“ nicht weit sein. Der kleine Philip spürte, wie die Aufregung in ihm mit Macht anwuchs. Er mußte sich mit aller Kraft beherrschen, um nicht zappelig zu werden. Dann. Sekunden später, tauchte auch die ranke Galeone auf, die niemand anders als dem Seewolf und seinen Männern gehörte. Philip versetzte seinem Bruder einen kaum merklichen Stoß in die Seite. Hasard nickte ebenso unmerklich. Er hatte begriffen, und er musterte den Admiral jetzt sehr aufmerksam. Sir Francis Drake war mit seinen Gedanken bereits weit voraus. Wieder spähte er angestrengt nach vorn und versuchte offenbar, die „Revenge“ im Dock zu erkennen. „Kutscher!“ sagte Drake energisch. „Fahren Sie auf direktem Weg zu meinem Schiff. Egal, was auch passiert. Lassen Sie sich durch nichts und niemanden aufhalten.“ „Aye, aye, Sir“, antwortete der Mann auf dem Bock. Hasard Junior spannte seine Muskeln bis in die letzte Faser, als er unvermittelt die „Le Vengeur“ aus den Augenwinkeln heraus erkannte. Jeden Augenblick mußte es soweit sein. Dann mußten sie den kürzesten Weg zur Galeone ihres Vaters nutzen. Jetzt! Der Bugspriet war unverwechselbar. Dann der Bug selbst, das Vordeck. Jede Planke war den Zwillingen so vertraut, als hätten sie ihr Leben nirgendwo anders verbracht als auf der „Isabella“. Im nächsten Moment war Hasard Junior versucht, einen Triumphschrei auszustoßen. Er sah die Männer, die Kisten und Fässer von Frachtwagen abluden. Luke Morgan, Sam Roskill. Bob Grey, Blacky und all die anderen ... Mit einer beinahe nebensächlich 'wirkenden Bewegung zog Hasard Junior die Pistole unter dem Hemd hervor und richtete den Lauf auf Sir Francis Drake.
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„Sofort anhalten!“ sagte Hasard Junior mit heller, fast schneidend klingender Stimme. „Anhalten, oder ich puste Ihnen ein Loch in den Bauch, Sie Rübenschwein von einem Admiral!“ Drake erbleichte. Fassungslos stierte er auf den Jungen, der die schwere Waffe mit beiden Händen halten mußte. Aber wie er die Pistole hielt, das ließ keinen Zweifel daran, daß er auch damit umgehen konnte. Der Hahn des Radschlosses war gespannt, und der nervige kleine Zeigefinger lag halb gekrümmt um den Abzug. Erst jetzt begriff Drake den Zusammenhang. Ruckhaft klopfte er mit flachen Händen auf seine Hüftgegend, tastete beinahe verzweifelt und konnte doch nur feststellen, daß es in der Tat seine eigene Waffe war, mit der dieser Knirps ihn bedrohte. Aber da war diese Entschlossenheit und die unbändige Wildheit im Gesicht des Jungen, der seinem Vater ebenso ähnelte wie sein Bruder. Sir Francis Drake hatte das Gefühl, daß ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Es war diese furchtbare Ernüchterung, schlagartig alle Felle davonschwimmen zu sehen. Denn ein Blick in das verbissene Gesicht des Jungen ließ ihn keinen Moment daran zweifeln, daß dieser unverschämte kleine Strolch auch wirklich abdrücken würde. Drake begann, um sein Leben zu bangen. Hölle und Teufel, er hatte auf allen sieben Meeren ganze Seestreitmächte bezwungen und dem Teufel lachend in die grinsende Fratze geschaut. Und jetzt sollte es tatsächlich sein, daß er von einem Kind abgeknallt wurde? Der Umstand, daß es wieder ein Killigrew war, der ihn zutiefst demütigte, brachte ihn fast zum Wahnsinn. All diese Gedanken schossen in rasender Schnelle durch seinen Kopf. Es blieb nur die einzig mögliche Schlußfolgerung. „Anhalten“, sagte er mit vibrierender Stimme. Er haßte sich selbst dafür, daß er es aussprechen mußte. „Sofort anhalten, Kutscher.“ „A - aber Sir, wieso ...“
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Philip Junior sprang mit einem Satz auf die Sitzbank und schrie es dem Mann ins Ohr. „Hast du nicht gehört, was dein Admiral sagt? Dreh dich um, dann begreifst du es!“ Der Kutscher zuckte zusammen und befolgte die Aufforderung. Er erstarrte vor Schreck. Viel zu hart zerrte er an den Zügeln. Mit schrillem, protestierendem Wiehern stieg das Zugpferd auf den Hinterbeinen hoch. Die Kutsche stand. Der Mann auf dem Bock wagte nicht, sich zu rühren. Er sah das totenbleiche Gesicht des Admirals und wußte, daß mit dieser Situation nicht zu spaßen war. Philip Junior wandte sich mit breitem Feixen wieder dem sehr ehrenwerten Sir Francis Drake zu. „Ich denke, wir steigen jetzt aus und unternehmen einen kleinen Spaziergang. Nicht wahr, Hasard?“ „Das denke ich auch“, sagte Hasard Junior grimmig und stieß dem Admiral die Laufmündung der Pistole in den Bauch. Sir Francis Drake erschrak wie unter einem Peitschenhieb. „Nein, nicht!“ wimmerte er. „Um Himmels willen, das Ding kann doch losgehen, wenn man sich zu heftig bewegt.“ „Angst hat er auch noch“, sagte Hasard Junior verächtlich. „Als ob ich nicht mit so einem lächerlichen Pistölchen umgehen könnte!“ Seine beiden braungebrannten Hände, mit denen er die Waffe hielt, straften seine Worte Lügen. Doch ihre Wirkung verfehlten sie nicht. „Los aussteigen, oder es knallt!“ Drake hob die Hände, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Als der Junge den Pistolenlauf ein Stück zurückzog, kletterte er mit weichen Knien aus der Kutsche und mußte sich festhalten, bevor seine Füße den Boden erreichten. Hasard Junior war mit einem Satz hinter ihm und rammte ihm die Mündung der Waffe in den Rücken. Drake schrak von neuem zusammen. „Vorwärts!“ bellte Philip Junior, der im selben Moment neben ihm auftauchte. „Wir besuchen das Schiff unseres Vaters!“
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Der Admiral hatte das Gefühl, einer Ohnmacht nahe zu sein. Wie durch einen wallenden Nebelschleier sah er die vielen Gesichter und die spöttischen Augen, die ihn anstarrten. Erst jetzt begriff er, daß dies die größte Niederlage seines Lebens war. Die allerschlimmste Demütigung. Viel schlimmer als alles, was Killigrew Senior ihm zuvor zugefügt hatte: * „Ich danke Ihnen noch einmal, Lord Mayor“, sagte der Seewolf, während er den Bürgermeister zur Pforte im Schanzkleid begleitete. „Nein, nein“, wehrte Cummings ab, „ich habe Ihnen zu danken für Ihren Großmut, Sir Hasard. Sie hätten allen Grund, verärgert zu sein über ...“ Mitten im Satz brach er ab und blickte Hasard an. Der Seewolf spürte es im selben Atemzug. Diese merkwürdige Stille. Kein Wort von Edwin Carberry. Der Profos stand am Schanzkleid und starrte zum Kai, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. Die anderen hatten ihre Arbeit unterbrochen und schienen von jäher Faulheit übermannt worden zu sein. Hasard trat mit zwei schnellen Schritten auf das Schanzkleid zu, gefolgt von Abbot Cummings. Im nächsten Atemzug spürte der Seewolf, wie seine Kinnlade haltlos herabsackte. Nie zuvor in seinem Leben hatte ihn eine solche Entgeisterung gepackt. Der, der dort mit seltsam abgehackten Schritten den Landgangsteg heraufstelzte, war kein geringerer als Sir Francis Drake. Seine Miene war die eines Leichenträgers, der zehn Verblichene auf einmal zu betreuen hat. Hasard sah seine Söhne, die den Admiral mit den grimmigen Gesichtern von Henkersknechten begleiteten. Der Seewolf glaubte, daß es ihn glatt aus den Stiefeln heben müsse. „Gleich trifft mich der Schlag“, murmelte Ed Carberry mit einer Fassungslosigkeit, wie sie der Seewolf noch nie an seinem Profos erlebt hatte.
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Doch dann, als Drake das Schanzkleid erreichte und seinen Fuß auf die Decksplanken der „Isabella“ setzte, konnte Carberry sich nicht mehr halten. Erst war es ein Grollen, das tief aus seiner mächtigen Brust drang. Es ging in ein Dröhnen über und schwoll zu einem röhrenden Gelächter an, das über die gesamte Mill Bay und die gesamte Stadt Plymouth hallte. Dieses urwelthafte Gelächter steckte an, erfaßte die Männer der „Isabella“, pflanzte sich fort zur „Le Vengeur“ und weiter über den Kai. Ein Orkan des Lachens brach aus. Nur drüben auf der „Revenge“ wurde keine Stimme laut. Die Gesichter der DrakeMannen wurden lang und länger. „Halt!“ befahl Hasard Junior mit höchstmöglicher Stimmgewalt, denn er mußte gegen. das donnernde Gelächter ankämpfen. Die Gesichtshaut des sehr ehrenwerten Admirals war purpurrot, und es schien, als würde sein Schädel jeden Moment zerspringen. Sein Blick fand keinen Zufluchtsort, denn von allen Seiten trafen ihn Hohn, Spott und Verachtung. Allmählich beruhigten sich die johlenden und grölenden Männer, denn sie alle hatten ein brennendes Interesse an der Erklärung. Hasard Junior ließ nicht lange darauf warten. Er trat einen Schritt beiseite, und erst jetzt sah sein Vater die kunstvoll ziselierte Radschloßprstole. Der Seewolf schüttelte den Kopf, schloß die Augen und öffnete sie wieder. Nein, es war kein Traum. „Philip und Hasard Killigrew melden sich an Bord zurück, Sir“, sagte Hasard Junior schnarrend. „Melden außerdem, den Admiral gefangengesetzt zu haben, weil er uns entführen wollte.“ „Schlagen vor“, fügte Philip Junior hinzu. „diesen Schnapphahn von einem Admiral mindestens kielzuholen und anschließend zu teeren und zu federn.“ Wieder schwollen die Lachsalven an. Doch dann war Edwin Carberry der erste, der still wurde. Er sah den Blick, diesen furchtbaren Blick, mit dem der Seewolf
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den Admiral maß. Carberrys plötzliches Verstummen griff auf die anderen über. Es wurde totenstill. Abermals erschrak Sir Francis Drake, als sein umherirrender Blick auf die eisblauen Augen Philip Hasard Killigrews traf. Da war eine so eisige Kälte in diesen Augen, daß Drake glaubte, in den Boden versinken zu müssen. „Jetzt ist es genug, Drake“, sagte der Seewolf mit einer Stimme, die so klirrend kalt war wie Gletschereis. „Dies ist das Letzte, was Sie sich herausgenommen haben. Noch so ein Bubenstück, und ich hole Sie mir vor die Klinge! Verschwinden Sie! Aus meinen Augen, Sie Lump!“ Die letzten Worte brüllte Hasard, ohne daß er es gewollt hatte. Drake wich schwankend zurück. Sein Mund öffnete sich, doch er brachte keinen Laut heraus. Entsetzt und angsterfüllt starrte er den Seewolf an. Dann wirbelte er panikartig herum, verlor fast das Gleichgewicht, mußte sich am Schanzkleid festhalten und stolperte schließlich den Steg hinunter. Als er die Kutsche erreichte, verfingen sich seine Füße auf dem Trittbrett, und er stürzte der Länge nach zwischen die Sitzbänke.
Die Sieger
Der Kutscher trieb das Pferd zu rasendem Galopp an - eilends fort vom Schauplatz dieser größten Niederlage des Admirals. Sir Francis Drake, dessen Gesicht auf dem Kutschenholz blutige Schrammen davongetragen hatte, verspürte eine furchtbare Gewißheit. Jetzt war er es selbst, der sich einen Todfeind geschaffen hatte. Am Ende des Kais tauchte eine andere Kutsche auf. Doc Freemont, Bill und der Kutscher empfanden grenzenlose Erleichterung, als sie schon von weitem sahen, was sich abgespielt hatte. An Bord der „Isabella“ schloß Philip Hasard Killigrew schweigend seine Söhne in die Arme. Seine Lippen waren wie versiegelt. Aber Worte waren in diesem Augenblick ohnehin überflüssig. Edwin Carberry rieb sich verstohlen das rechte Auge mit dem Handrücken. Auch alle anderen aus der hartgesottenen, rauhbeinigen Crew standen in stummer Ergriffenheit da. als sie den Seewolf mit seinen Söhnen vereint sahen. Eins wußten sie alle: Sir Francis Drake gehörte nicht zu den Siegern. Nicht mehr ...
ENDE