Die sieben Altäre von Dûsarra Ein Roman von Lawrence Watt-Evans
Zweiter Roman des Zyklus >Die Herren von Dûs<
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Die sieben Altäre von Dûsarra Ein Roman von Lawrence Watt-Evans
Zweiter Roman des Zyklus >Die Herren von Dûs
Mitbrüder< schieben werden, auf dass sich Zwietracht und Misstrauen ausbreiten. Du hast dein Werk bereits für uns begonnen.« Die Anspielung auf seine Unterhaltung mit dem Schwertmann im Stall des Gasthofs entging ihm nicht. Es war offensichtlich, dass der Kult des Aghad über hervorragende Möglichkeiten der Informationsbeschaffung verfügte, ganz gleich ob dies vermittels magischer Kräfte bewerkstelligt wurde oder über ein höchst wirkungsvolles System von Spitzeln und Agenten. Gleichwohl fand er es fast unglaublich, dass diese Leute von ihm verlangten, dass er ihre eigenen Landsleute tötete. »Ihr dient einem sonderbaren Herrn, Priester des Aghad.« »Nicht sonderbarer als deiner, Garth von Ordunin, zuletzt um triebig in Skelleth.« Garth verbarg seine Verblüffung; welches auch immer ihre Methoden sein mochten, es gab keinen Grund zu dem Glauben, dass sie auf diese Stadt beschränkt waren. Es war mehr als wahrscheinlich, dass der Kult des Aghad sein Spitzelnetz über alle Reiche der Menschenwesen ausgedehnt hatte. »Und wenn ich mich weigere, euren Preis zu zahlen?« »Die Entscheidung liegt ganz bei dir, elender Wicht; wir stellen dich lediglich vor folgende Wahlmöglichkeiten, die du annehmen kannst oder nicht, ganz wie es dir beliebt: Du darfst das, was du auf unserem Altar findest, mitnehmen und in Frieden deines Weges ziehen – sofern du unsere Forderung erfüllst. Du kannst das, was du auf unserem Altar findest, mitnehmen und den Preis, den wir dafür verlangen, zu entrichten dich weigern – und sterben, ehe du Dûsarra verlässt. Oder – die letzte Möglichkeit – du schlägst unser Angebot ganz aus und darfst am Leben bleiben, -173-
aber mit dem Wissen, dass du mit deiner Feigheit unseren Gott und unseren Kult schwer beleidigt hast.« »Keine dieser Wahlmöglichkeiten ist besonders verlockend.« »Das kümmert uns nicht. Wenn du nun unseren Altar sehen möchtest, Sklave; geh an dem Springbrunnen vorbei, und vor dir liegt die Tür zum Allerheiligsten.« Garth überlegte fieberhaft. Er hatte nicht den Wunsch, noch mehr Blut zu vergießen. Anderer seits war es durchaus möglich, dass er nicht umhin kam, weitere Priester zu töten, wie es ja bereits in den ersten beiden Tempeln der Fall gewesen war – was bedeuten würde, dass er gewisserma ßen ohne es zu wollen die Forderung der Aghad-Priester erfüllte. Aber das war etwas anderes. Er hatte jedenfalls nicht die Absicht, mutwillig Priester zu töten, nur um den perversen Gelüsten dieser Bestien zu willfahren. Wenn es sich nicht als notwendig erweisen würde, die geforderten vier Priester abzuschlachten, dann würde er es auch nicht tun. Er würde auf seine eigene Kraft und seinen Witz vertrauen und versuchen, aus der Stadt zu entkommen. Vorsichtig ging er an dem Springbrunnen vorbei in Richtung Tempel, doch nur, um jäh stehenzubleiben. Auf dem Kies hinter dem Brunnen lag, mit dem Gesicht nach unten, die Leiche eines Menschenwesens; direkt neben seiner im Todeskampf zu sammengekrampften Hand lag ein leerer Zinnbecher. »Was ist das?« »Achte auf den Geruch des Springbrunnens, Hexenbrut.« All mählich begannen die ständigen Beleidigungen, die der ver borgene Priester in seine Reden flocht, seinen Groll zu erwecken. Er gehorchte jedoch und schnupperte an dem kristallklaren Wasser. Der Geruch von Bittermandeln stach ihm in die Nüstern; hätte er eine Nase gehabt, er hätte sie angewidert gerümpft. »Sehr hübsch.«
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»Der arme Tor bat uns um einen kühlen Trunk; eine solch be scheidene Bitte konnten wir ihm doch nicht abschlagen, oder?« Der Priester brach in schallendes Lachen aus, ein Lachen, in dem ein Anflug von Hysterie mitschwang. Garth vermutete allmählich, dass der Mann verrückt war. Eine Vermutung, die nur logisch er schien; würde ein geistig normaler Mensch einem solchen Gott dienen? Beunruhigt ging er weiter, das Schwert in der Hand. Die Kolonnade war vielleicht zehn Fuß von ihm entfernt, eine Distanz, die immer noch ausreichte, um die Sicht auf die Tempel wand zu versperren; die Säulen, an denen die Fackeln befestigt waren, schirmten alles Licht ab, da die Fackeln allesamt zur Hof seite hin angebracht waren. Garth zögerte, in den Schatten hinter der Kolonnade zu treten, zumal er die Tür nicht sehen konnte, von der der Priester gesprochen hatte. Plötzlich jedoch öffnete sich ein Tor in der Dunkelheit, und blutrotes Licht fiel heraus. Garth trat durch das zweiflügelige Portal und gelangte in einen mit Wandbehängen geschmückten Raum. Das rote Licht rührte von Leuchtern, die hinter Scheiben aus dunkelrotem Glas brann ten, welche zwischen den Wandbehängen in die Wände einge lassen waren. Der Raum war nicht allzu groß, und Garth fragte sich, ob dies tatsächlich schon das Allerheiligste war oder le diglich ein Vorraum; er maß kaum mehr als zwanzig Fuß im Qua drat. Er sah keinen Altar, aber es gab auch keine Tür außer jener, durch die er hereingekommen war. Er ging weiter bis in die Mitte des Raums, und prompt schloss sich das Portal hinter ihm. Allmählich gewöhnte er sich an diese Gaukeleien. Das rote Licht machte es schwierig, Einzelheiten zu erkennen; er vermochte nicht zu erkennen, was auf den Wandbehängen abge bildet war. Er stand da und wartete, was als nächstes passieren würde.
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Irgendwo von oben kam ein seltsames rhythmisches Geräusch, wie von Schlägen, und von vorn hörte er eine Stimme, zu hoch für einen Mann oder Übermann, die einen unterdrückten Laut von sich gab. Gleich darauf ertönte grelles, grausames« Lachen, das anschwoll und immer höher und schriller wurde; die Schläge ver stummten oder wurden vielleicht auch nur von dem Lachen über tönt, und der Wandbehang direkt vor ihm glitt nach oben in die Decke und gab den Blick auf einen Alkoven frei. Das Licht, das aus diesem flutete, war normaler: es stammte von Hunderten von Kerzen, die ringsum an allen drei Wänden des Alkoven brannten und einen kunstvoll verzierten goldenen Altar beleuchteten. Die Oberfläche des Altars bestand aus einer Platte aus rot emailliertem Holz und war fast vollkommen bedeckt mit goldenen und roten Münzen. Als Garth näher an den Altar herantrat und vorsichtig die Hand nach den Münzen ausstreckte, fragte er sich, woraus die roten wohl bestanden; noch nie hatte er ein Metall gesehen, das eine fast karmesinrote Tönung hatte, und Münzen aus Stein waren zu selten und zu spröde für den alltäglichen Gebrauch. Er nahm eine Handvoll Münzen auf und sah sofort, dass es ganz gewöhnliche Goldmünzen waren; das Rote war frisches Blut — Blut, das ihm am Handgelenk herunterlief und ihm von den Fingern tropfte. Angewidert warf er die Münzen zurück auf den Altar und wandte sich ab. Der Wandbehang glitt wieder herunter; jetzt saß er in dem Alko ven gefangen. Zuvor hatte er jedoch gerade noch sehen können, dass die Vorderwand des ersten Raumes nackt und glatt war; die Tür, durch die er hereingekommen war, hatte sich schlicht in Luft aufgelöst! An ihrer Stelle war nur noch nackter Stein! Das Lachen gellte jetzt lauter denn je zuvor.
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Kapitel 12 Garth war für einen Moment vor Überraschung wie erstarrt; ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn herumwirbeln: Der Altar war nicht mehr da! An seiner Stelle kauerte ein zum Sprung geduckter Panther! Garth hob sein Schwert und wich zurück zum Wandbe hang, damit die Raubkatze weiter springen musste und so an Schwung verlöre. Aber es kam kein Angriff. Statt dessen fiel ein schwerer Samt vorhang zwischen ihn und die Bestie, so dass er nun einge schlossen war in einen Raum von kaum mehr als drei Fuß Breite. Ein paar von den Myriaden von Kerzen befanden sich jedoch mit in dem durch den Vorhang abgetrennten Raumabschnitt, so dass er wenigstens sehen konnte. Er drückte mit der Hand gegen die samtene Barriere; sie gab nicht nach. Irgend etwas hielt sie straff. Sie wurde offenbar rings um von soliden Verankerungen festgehalten. Er lehnte sich mit seinem vollen Gewicht dagegen — vergebens, der Vorhang hielt stand. Er zuckte die Achseln und wandte sich dem Vorhang zu, der ihn von dem Hauptraum trennte. Doch dieser war ebenso fest veran kert. Er sah sich um. Sein Gefängnis war vielleicht acht Fuß lang; er stand in der Mit te. An jeder der beiden Seiten brannte ein Dutzend Kerzen; sie steckten in schwarzen Eisenhaltern, die mit Bolzen in der Wand verankert waren. Der Fußboden bestand aus einer einzigen festen Steinplatte, vermutlich Schiefer. Er inspizierte die Decke; sie war mit Blattgold belegt und mit kunstvollen Ornamenten und Blu menmotiven verziert. An einem Ende, halb im Schatten, hing et was herab, das aussah wie eine Kordel; ihr unteres Ende befand -177-
sich oberhalb seiner Augenhöhe, was erklärte, wieso er sie bis jetzt übersehen hatte. Er machte ein, zwei Schritte und wollte nach ihr greifen, in der Hoffnung, es sei vielleicht die Zugkordel für einen der beiden Vorhänge; doch statt einer Kordel sah er sich plötzlich einem Schlangenkopf gegenüber, der hochfuhr und wütend seine Hand anzischte. Langsam wurde es ihm zu bunt; er durchtrennte die KordelSchlange mit einem Schwertstreich und hieb dann gegen den Vor hang. Die Klinge drang mühelos durch den Stoff. Garth spähte durch den Schlitz; der Panther war fort, wenn er überhaupt je wirklich dagewesen war, und der Altar stand wieder an seinem alten Platz, und das Gold lag noch genauso da, wie es zuletzt gelegen hatte, nur war das Blut inzwischen fast getrocknet. Er fragte sich, wieviel von alledem Sinnestäuschung war, wie viel Magie und wie viel auf simplen mechanischen Tricks beruhte. »Sehr gut, Garth.« Das Lachen hatte aufgehört, und es sprach wieder die schon bekannte höhnische Stimme. »Du hast eine harmlose Felsenschlange getötet und einen tausend Jahre alten yeshitischen Wandbehang zerstört. Nimm dein Gold und verschwinde. Stoße dich nicht an dem Blut; es stammt von einer orunischen Jungfrau von gerade sechzehn Jahren, aber sie war keine von deiner Art. Du brauchst also ihren Tod nicht zu bedau ern.« Der Priester kicherte obszön, und Garths Wut geronn zu Hass. Im hintersten Winkel seines Bewusstseins wusste er, dass der Priester genau dies wollte, dass er, genau wie sein widerwärtiger Gott, auf Hass gedieh und aufblühte — aber dieses Wissen diente nur dazu, seinen Hass noch mehr zu steigern. Mit einem unterdrückten Knurren stieg er durch den Riss im Vorhang, steckte sein Schwert zurück in die Scheide, zog den Sack aus sei
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nem Gürtel und fegte mit einem Armschwenk die Goldmünzen hinein, das getrocknete Blut ignorierend. »Fein gemacht, Bursche; vielleicht könnten wir dich als Stuben mädchen einstellen, solltest du den Mut aufbringen, dich für einen solch verantwortungsvollen Posten zu bewerben. Und nun geh und schlachte uns vier Priester ab, wenn du das schaffst; oder meinetwegen auch Priesterinnen, falls das mehr deinem Ge schmack entspricht – wiewohl Bheleu und der Letzte Gott nur männliche Diener haben. Nun geh schon, Abschaum, und beläs tige uns nicht länger mit deiner nichtsnutzigen Gegenwart!« Er hörte ein klickendes Geräusch hinter sich; als er sich umdreh te, war der Vorhang verschwunden, und das zweiflügelige Portal stand wieder offen. Ein plötzlicher Windstoß, der aus dem Nichts zu kommen schien, stob ihm entgegen: Die Kerzen erloschen, und nur das rote Licht der Fackeln hinter den Glasscheiben erhellte noch den Raum. Er machte einen Schritt auf den Ausgang zu, verharrte dann aber plötzlich. In einem letzten Akt des Trotzes zückte er sein Schwert, stellte den Sack mit dem Gold ab, packte das Heft seiner Waffe mit beiden Händen, dann drehte er sich um, holte aus und hieb mit einem mächtigen Streich die emaillierte Altarplatte in Stücke. Noch ein Hieb, und das Goldfiligran zersplitterte und zer barst. Er schob sein Schwert in die Scheide, spie auf die Trümmer des Altars, dann hob er den Sack auf und schritt zur Tür hinaus. Diesmal folgte ihm kein Gelächter. Der Vorhang glitt hinter ihm herunter, und die Türflügel fielen krachend ins Schloss. Er schritt durch die Kolonnade und durch querte den Hof. Die Leiche, die neben dem Springbrunnen ge legen hatte, war nicht mehr da. Er wandte den Blick auf das silber ne Tor – und blieb abrupt stehen.
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Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Quer über das Tor war der ausgemergelte runzlige Körper eines alten, ural ten Mannes genagelt, die Füße auf dem einen Flügel, die ausge streckten Arme auf dem anderen. Voller Entsetzen sah Garth, dass sich der schmale Brustkorb noch hob und senkte, langsam und un regelmäßig. Das Gesicht des Mannes war in Todespein verzerrt, seine Augen fest geschlossen. Garth bebte vor Zorn und Abscheu, als er sah, dass aus den Flanken des Greises Hautstreifen her ausgeschnitten und ebenfalls an das Tor genagelt worden waren. Von Ekel geschüttelt, donnerte mit zornbebender Stimme der Übermann: »Ihr grausamen Bestien! Warum ist dieser Mann hier?« Für einen Moment herrschte Stille, während das Echo seines Schreis durch den Hof hallte und sich zwischen den Säulen verlor; dann, ganz leise, erklang wieder die schon vertraute, höhnische Stimme. »Es scheint dir Spaß zu machen, dein Schwert zu schwingen, Kind; warum benutzt du es nicht auch zum Öffnen des Tores?« Für einen langen Moment stand Garth reglos da. Dann stellte er den Sack mit den Münzen ab und ging zum Tor; und mit aller Be hutsamkeit, derer er fähig war, begann er, die Nägel herauszuzie hen, mit denen der Mann an das Tor geschlagen worden war. Es war eine knifflige, schwierige Aufgabe; sie waren tief hineinge trieben, und er musste all seine Kraft aufwenden, um sie locker zubekommen, ohne allzu sehr an ihnen zu wackeln oder zu dre hen; jede überflüssige Bewegung riss das Fleisch noch weiter auf und bereitete dem armen geschundenen Greis neue Schmerzen. Er war daher sehr froh, dass der Mann ohnmächtig wurde, bevor er den ersten Nagel herausgewunden hatte. Zum Glück war das Metall, aus dem die Torflügel bestanden, re lativ weich und hielt die Nägel nicht so fest, wie Holz es getan -180-
hätte; die übermenschliche Kraft von Garths Fingern reichte aus, sie herauszuziehen. Nur bei den Nägeln, die die Füße hielten, musste er ein wenig mit dem Dolch nachhelfen. Schließlich, nach langem, mühseligem Zerren, Drehen und Wa ckeln, hatte er den Mann frei und legte ihn vorsichtig auf den Kies; das Tor ließ sich ohne Anstrengung öffnen. Er raffte seinen Sack auf und trat durch das Tor nach draußen, um sich zu verge wissern, dass niemand in der Nähe war. Er hatte vor, den Mann zum Gasthof der Sieben Sterne zu tragen und dafür zu sorgen, dass er die bestmögliche Pflege erhielt, aber es war gewiss nicht günstig für ihn, wenn man ihn mit einem halb zu Tode ge schundenen Körper über die Schulter die Straße der Tempel entlangmarschieren sah. Die Straße war leer; er wandte sich um, um zurück-zugehen, und sah, wie im selben Moment die Torflügel zuschwangen. Verzweifelt sprang er vorwärts, um sie aufzuhalten — durch den schmalen Spalt sah er den alten Mann auf dem Kies liegen —, aber er war nicht schnell genug; das Tor fiel zu und drückte ihn auf die Straße zurück. Mit einem Wutschrei warf sich Garth erneut gegen das Tor; es gab nicht nach. Die Wucht des Aufpralls war so groß, dass ihm trotz seines Stepphemdes und seines Kettenpanzers ein heftiger Schmerz durch die Schulter zuckte. Er riss sein Schwert aus der Scheide und hieb auf das Metall ein; die Waffe hatte ihm gute Dienste geleistet, aber unter der Bean spruchung stark gelitten, die er ihr zugemutet hatte, als er Funken aus dem Altar im Tempel des Andhur Regvos geschlagen hatte. Seine wütenden Schläge gegen das Tor gaben ihr den Rest, und sie zerbrach: Metallspäne flogen in alle Himmelsrichtungen, und in der Hand hielt er nur noch das Heft mit einem etwa zehn Zoll langen Klingenstumpf. Das Tor indes war unversehrt; lediglich
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der obere Teil der GH-Rune war zerbeult und wies ein paar Kratzer auf. Und wieder hörte er das schon vertraute Gelächter. Etwas kam über die Mauer geflogen und landete mit einem dumpf klingenden Aufprall auf dem Pflaster zu seinen Füßen. Es war die Leiche des alten Mannes; sie war in zwei Teile zerhackt, genauso, wie sie es gewesen wäre, hätte er zum Öffnen des Tores sein Schwert benutzt, wie es der Priester des Aghad vorgeschlagen hatte. Sprachlos vor Entsetzen starrte Garth einen Moment lang auf die blutigen Überreste, dann wandte er sich ab und ging davon, ver folgt von hysterischem Gelächter.
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Kapitel 13 Der Mond stand noch ein Stück über dem Horizont; Garth schätzte, dass es noch gut drei Stunden bis zum Morgengrauen waren. Unter normalen Umständen hätte er sich mit seiner Aus beute zufriedengegeben und wäre zum Gasthof der Sieben Sterne zurückgekehrt, aber die Ereignisse im Tempel des Aghad hatten ihn erzürnt, und er war viel zu erregt und aufgewühlt, als dass er sich jetzt ruhig hätte schlafen legen können. Einem spontanen Ent schluss folgend, schlug er die Richtung zum Palast des Oberherrn ein, die ihn zum nächstgelegenen Tempel führen würde. Er war sich darüber im klaren, zumindest mit einem Teil seines Bewusst seins, dass sein Vorhaben an Tollkühnheit grenzte, nämlich mit einem abgebrochenen Schwert und zusätzlich behindert durch den schweren Sack in einen Tempel einzudringen, aber er war zu erregt, um kühl abzuwägen. Am liebsten hätte er gleich wieder kehrtgemacht, um den Tempel des Aghad zu zerstören und den Besitzer dieser höhnischen Stimme aufzustöbern und niederzu strecken, aber er wusste, dass er keine Chance hatte; die Priester rechneten zweifelsohne mit seiner Rückkehr und wären daher ent sprechend auf seinen Angriff vorbereitet. Aber er würde statt dessen seinen ganzen Zorn an denen auslassen, die den nächsten Tempel bewachten, wer auch immer er oder sie sein mochten. Auch wenn er nur einen Dolch und einen Schwertstumpf hatte, konnte er es noch immer mühelos mit jedem Menschenwesen aufnehmen, auch mit zweien oder dreien. Er bedauerte, dass er seine Streitaxt bei seinen anderen Sachen in Koros‘ Stall zurückgelassen hatte, weil er damit kein unnötiges Aufsehen in den Straßen hatte erregen wollen. Der Tempel, dem er sich jetzt näherte, war der bizarrste von allen, die er bis jetzt gesehen hatte; waren die anderen aus -183-
schwarzem Basalt oder Marmor oder ähnlichem Stein gebaut, so bestand dieser ganz aus schimmerndem Obsidian, übersät mit scharfkantigen Graten, Zacken und Spitzen, die allenthalben aus dem Gemäuer herausragten. Es war ein hohes schmales Gebäude, überdacht von einer spitz zulaufenden Kuppel und zur Straße hin mit einem kleinen Vorhof abgesetzt. Der Hof maß vielleicht zwanzig Fuß im Quadrat und war von einer acht oder neun Fuß hohen Mauer aus Obsidian umgeben; auf der Vorderseite befand sich ein zweiflügeliges, durchbrochen gearbeitetes großes Eisen tor. Garth fragte sich, wo man — auch wenn dies eine Vul kangegend war — soviel Obsidian gefunden hatte. Und wie hatte man es angestellt, daraus ein Gebäude zu errichten? Obsidian war nicht als Baumaterial geeignet. Es musste eine Fassade sein, ent schied er, unter der sich herkömmliches Mauerwerk verbarg. Im Gegensatz zum Tor des Aghad-Tempels gab das Tor dieses Tempels keinen Hinweis auf den Namen der Gottheit, die hier verehrt wurde; auch auf den zerklüfteten Mauerwänden konnte Garth nichts dergleichen entdecken. Dafür fiel dieses Tor aber durch eine andere, im wahrsten Sinne des Wortes hervorste chende Besonderheit auf: die Flügel waren aus verdrehten, za ckigen Eisendornen gemacht, die so zusammengeschweißt waren, dass das Ganze aussah wie ein Wall aus Stacheln. Es gab keine Klinken oder Knäufe, und aus jedem der größeren Dornen ragten Dutzende nadelfeiner kleinerer Dornen. Wo für diese kein Platz war, war das Metall mit sägeblattartig gezackten Kanten versehen. So wütend er auch war; dieses Tor nötigte ihm kühles Nachden ken ab: Er konnte es nirgendwo anfassen, ohne Gefahr zu laufen, dass er sich verletzte. Die Spitzen und Stacheln waren rasier messerscharf. Angemessen, dachte er, für den Gott der Schärfe, sollte es einen solchen geben. Was für ein verrückter Kult mochte
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ein solches Ding gebaut haben? Er steckte den Stumpf seines Schwertes durch einen der Ritze in dem glitzernden Gewirr aus Eisendornen und zog; zu seiner Überraschung ließ sich das Tor mühelos öffnen. Er hatte damit gerechnet, dass es über Nacht abgeschlossen war. Er trat hindurch und bemerkte erst jetzt, dass der Hof mit Ob sidian gepflastert oder besser — ausgelegt war; auch hier ragten, ähnlich wie aus der Mauer, unzählige Zacken und Spitzen hervor. Das Gehen darauf war mühselig und halsbrecherisch, und selbst durch die dicken Sohlen seiner Stiefel spürte er, wie die scharfen Kanten und Grate aus vulkanischem Glas ihm in die Füße schnitten. Vorsichtig bahnte er sich einen Weg über den zackigen Un tergrund zum Portal des Tempels. Dieses war wie das Hoftor aus stählernen Dornen zusammengeschweißt. Er stieß mit dem abge brochenen Schwert dagegen; er rutschte ab, und ein langer nadel spitzer Dorn riss ihm den Finger auf, aber die Tür schwang auf. Sie war, wie das Tor, unverschlossen. Als sie aufging, merkte Garth plötzlich, dass die Nacht nicht still war; von irgendwoher drang ein leiser Chor klagender Stimmen an sein Ohr, ein weh leidiges Jammern; wie in großem Schmerz oder unendlicher Verzweiflung. Im gleichen Moment war ihm klar, woher das Weh klagen kam: Es drang aus dem Innern des Tempels. Und noch etwas flutete ihm entgegen: Licht — ein grelles weißes Licht, ein Licht, das vollkommen anders war als das gelbe Licht von Fackeln oder der rote Schein von Feuer. Dieses Licht hatte einen bläulichen Stich, wie ein Blitzstrahl. Er ignorierte es. Er war nicht in der Stimmung, Vorsicht walten zu lassen. Er ging durch die Tür.
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Er befand sich am Fuße einer unregelmäßigen schiefen Treppe. Die Stufen waren selbst für einen Übermann hoch und allesamt krumm und schief. Er erklomm sie und trat in das Tempelinnere. Es bestand aus einem einzigen großen Raum von zwanzig Fuß Breite, hundert Fuß Länge und mindestens fünfzig Fuß Höhe, die Kuppelwölbung nicht mitgerechnet. Die Wände bestanden aus rauem ausgezackten Stein und schienen sich nach innen zu neigen; Garth war nicht sicher, ob es sich um eine optische Täu schung handelte oder ob der Raum sich tatsächlich nach oben hin verengte. Der Fußboden war mit zerbrochenen schiefen Stein platten ausgelegt, aber weit besser begehbar als der mit Vulkan kiesel gepflasterte Hof. Das Licht kam von Dutzenden von Leuch tern, die allesamt an einer Wand loderten und ein grelles, blendendes Licht er-zeugten, welches scharfkantige schwarze Schatten von den etwa zwanzig Gläubigen warf, die vor dem Altar knieten. Die Schatten bewegten sich nicht; die Leuchter brannten gleichmäßig hell, ohne das tröstliche, behagliche Fla ckern, das gewöhnlichen Flammen eigen war. Der Altar bestand aus einem einzigen Granitblock; hinter ihm standen drei Priester in schwarzen Roben, deren Gesichter von Kapuzen verhüllt waren, und auf dem Altar lag eine nackte junge Frau – vielleicht sogar noch ein Mädchen. Garth vermochte das Alter und das Reifestadium von Menschenwesen nur schwer abzuschätzen. Der Priester in der Mitte hielt einen langen dünnen Dolch in der Faust; der Mann zu seiner Rechten hielt eine Peitsche, und der dritte Priester hielt eine Schlinge aus gewöhnlichem Tau. Das Wehklagen kam von den Gläubigen; die Priester und das Mädchen auf dem Altar gaben, soweit Garth hören konnte, keinen Laut von sich.
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Hinter den Priestern, eingemeißelt in die Rückwand des Tem pels, sah Garth das Bild einer lächelnden nackten Frau, die die Hände zum Altar hin ausstreckte; die Schatten der Priester, die auf das Bild fielen, machten es schwierig, nähere Einzelheiten zu erkennen. Aber obwohl die Statuette, die Garth auf dem Markt platz gesehen hatte, eine Robe und Waffen getragen hatte, erkannte er sie sogleich an ihrem Gesicht und ihrem boshaften Lä cheln wieder: Es war Sai, die Göttin des Schmerzes und des Leids. Niemand nahm Notiz von ihm. Er stellte seinen Sack mit dem blutbesudelten Gold der Aghaditen ab und schlenderte nach vorn zum Altar. Als er näher kam, sah er, dass der Dolch des Priesters an der Spitze rot war und dass der Leib des nackten Mädchens über und über mit feinen, nicht allzu tiefen Schnittwunden be deckt war. Er fragte sich, ob die Zeremonie mit dem Tode des Mädchens enden sollte oder ob die Priester sie nur zu foltern und dann freizulassen beabsichtigten. An ihrem Gesicht war jedenfalls deutlich abzulesen, dass sie nicht freiwillig an dieser Zeremonie teilnahm. Eine grimmige Vorfreude erfüllte Garth bei der Vorstel lung, diesen Sadisten ihr grausames Spiel zu verderben. Es würde ihm fast soviel Genugtuung bereiten, wie die Aghad-Priester zu töten. Gleichwohl hoffte er, keinen von den Sai-Priestern töten zu müssen, nicht nur deshalb, weil er unnötiges Blutvergießen hasste, sondern auch weil er den Aghaditen diesen Triumph nicht gönnen wollte. Er war jetzt direkt hinter der knienden Gläubigenschar. »Halt!« donnerte er, als der Priester erneut das Messer ansetzte, um dem Mädchen eine weitere Schnittwunde beizubringen. Er wollte nicht, dass das Mädchen noch weiter gequält wurde. Schließlich war sie das, was er auf dem Altar vorgefunden hatte und deshalb dem Vergessenen König mitbringen musste. Er fragte sich, was der alte Mann wohl mit ihr anfangen würde.
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Verdutzt hielt der Priester in seiner Bewegung inne; der Klagegesang der Menge verstummte. »Lass das Messer fallen, Priester, oder du bist des Todes!« Er stieß eine der knienden Gestalten beiseite, die ihm im Weg war, und trat vor den Altar; er hielt noch immer das abgebrochene Schwert in der Hand, und wenn es auch kaum noch die fürchterli che Waffe war, die es einmal gewesen war, so konnte es doch immer noch schneiden. Für dieses Gesindel, dachte er, würde es allemal reichen. Der Priester wich zurück, ließ aber den Dolch nicht fallen. Garth zog seinen eigenen Dolch, der jetzt länger war als sein Schwert, aber auch länger als die Klinge des Priesters, war er doch für einen Übermann gemacht und nicht für einen Menschen. Er sah, dass. das Opfer an den Altar gefesselt war, und schnitt die Stricke durch. Sofort rollte sich das Mädchen vom Altar, sprang auf und wollte zur Tür rennen; doch ehe es mehr als einen Schritt gemacht hatte, hatte Garth es schon beim Arm gepackt und hielt es fest. Den Schwertstumpf hatte er blitzschnell fallenlassen; den Dolch hielt er jedoch in der Hand für den Fall, dass ein Priester oder einer der Gläubigen versuchen sollte, ihn anzugreifen. Er hielt sie beim Arm gepackt, nicht allzu sanft, und befahl: »Warte. Du kommst mit mir.« Sie zuckte zusammen und nickte. Totenstille herrschte jetzt in dem Tempel; die Gläubigen starrten bestürzt auf den Übermann. Der Mann mit dem Dolch, vermutlich der Hohepriester, schrie: »Gotteslästerer! Das Mädchen ist unser Opfer!« Garth erwiderte mit breitem Grinsen: »Es war euer Opfer, Pries ter.« Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass er, wenn er zu einem anderen Zeitpunkt gekommen wäre, vielleicht etwas ganz anderes auf dem Altar vorgefunden hätte, etwas, das mehr nach dem Ge -188-
schmack des Vergessenen Königs gewesen wäre, und er fügte hin zu wich bin hergesandt worden, das zu holen, was auf diesem Altar liegt.« Er war allerdings ganz froh darüber, dass er just zu diesem und keinem anderen Zeitpunkt gekommen war; es war ganz of fensichtlich, dass das Mädchen nicht freiwillig hier war. »Du hast einen Fehler gemacht! Sie ist bloß ein Opfer!« »Was pflegt sonst auf diesem Altar zu liegen?« »Wer hat dich hergeschickt? Irgendein Zauberer?« »Ich komme vom Tempel des Aghad.« Es bereitete Garth ge radezu Vergnügen, Zwietracht zwischen den Bestien beider Kulte zu schüren; abgesehen davon sprach er ja tatsächlich die Wahr heit. »Was wollen die Aghaditen mit unseren Ritualwaffen?« »Niemand hat irgend etwas von irgendwelchen Waffen gesagt.« »Bemüh dich nicht, nach Ausflüchten zu suchen; du bist hier, um die Peitsche und den Dolch zu holen. Was ...« Die Stimme des Priesters erstarb in einem Gurgeln, als Garth mit einem Satz über den Altar sprang und ihn bei der Kehle packte. »Du redest zuviel, Priester. Gib mir den Dolch!« Garth wunderte sich über die Dummheit des Mannes; es war bemerkenswert ent gegenkommend von ihm; gewesen, so rasch und bereitwillig zu verraten, was normalerweise auf dem Altar lag. Verzweifelt versuchte der Priester, Garth den Dolch in die Seite zu stoßen; wirkungslos glitt die Klinge an Garths Kettenhemd ab. Sein eigener Dolch indessen glitt nicht ab; er stieß ihn dem Priester durch das Handgelenk, und die Finger öffneten sich. Der Dolch fiel klirrend zu Boden. Jetzt kam plötzlich Leben in den Priester, der die Peitsche hielt; wie alle anderen im Tempel hatte er in starrer Bewegungslosigkeit -189-
zugeschaut, zu verwirrt und überrascht, um irgend etwas gegen den Eindringling zu. Unternehmen; doch jetzt sprang er zu dem Dolch, hob ihn auf und stürmte auf Garth zu. Er stieß mit der Waffe nach Garth; der Übermann parierte den Stoß, und der Priester wich zurück. Der Hohepriester wand sich indessen in Garths eisernem Griff. Er hängte sich an Garths Arm und zerrte aus Leibeskräften; da durch behinderte er den Übermann ein wenig in seiner Bewe gungsfreiheit, als der andere Priester erneut anstürmte und mit dem Dolch zustieß. Die Klinge verfehlte Garth nur um Haaresbrei te. Wütend schleuderte Garth den Hohepriester von sich; er prallte zu Füßen des Götzenbildes gegen die Wand, sackte leblos zu Boden und blieb reglos liegen. Nun wandte Garth sich dem anderen zu; dieser hatte trotz seiner Robe, die ihn behinderte, eine korrekte Messerkampf-Stellung eingenommen. Da sprang der dritte Priester Garth von hinten an und legte ihm eine Schlinge um den Hals. Den Priestern mochte es so scheinen, als gewönnen sie dadurch die Oberhand; für den Übermann freilich bedeutete der Angreifer kaum mehr als ein lästiges Insekt. Mit der Linken den Priester mit dem Dolch in Schach haltend, langte er mit der Rechten blitz schnell hinter sich und packte den Angreifer bei der Gurgel. Als der Mann versuchte, die Schlinge festzuziehen, verstärkte Garth seinen Klammergriff und grub beide Daumen der rechten Hand in den Hals des Mannes. Er schätzte die Stärke seines Genicks falsch ein: Es gab ein lautes Knacken, und der Priester rutschte von seinem Rücken herunter; seine Augen waren bereits glasig, als er zu Boden sackte. Er schlug mit dem Kopf auf die Kante des steinernen Altars, und erneut hörte Garth das kurze trockene Knacken brechender Knochen. Es bestand kein Zweifel daran, dass der Mann tot war. -190-
Der übriggebliebene Priester erstarrte; er stand mit dem Gesicht zu der Wand mit den gleißenden Leuchtern, so dass die untere Hälfte seines Gesichts trotz der tief heruntergezogenen Kapuze zu sehen war. Garth sah, wie sein Kinn herunterfiel und das Blut ihm aus dem Mundwinkel tropfte; der Dolch und die Peitsche ent glitten seinen zitternden Fingern. »Mädchen! Heb sie auf!« Garths Stimme klang hart und gebiete risch, und das Mädchen beeilte sich, seinen Befehl zu befolgen. Sie hatte den Kampf beobachtet und wusste nun, dass jeglicher Widerstand gegen ihren Befreier — oder neuen Peiniger (sie war sich noch nicht sicher, ob sie in Garth den ersteren oder den letz teren sehen sollte) — aussichtslos war und dass es wohl das beste war, ihm zu gehorchen. Sie huschte flugs um den Altar herum, den rauen, kantigen Fußboden ignorierend, der ihr in die Fußsoh len schnitt, und hob die Waffen auf. Der Priester gab ihr den Weg frei, ohne zu protestieren. »Geh und warte auf den Stufen!« befahl Garth. »Und«, fügte er drohend hinzu, »wer es wagt, sie daran zu hindern, ist des Todes.« Wieder gehorchte das Mädchen ohne Murren, und keiner der Tempelbesucher machte Anstalten, es aufzuhalten. Garth folg te ihr in etwas gemächlicherem Schritt; unterwegs bückte er sich und hob den Schwertstumpf vor dem Altar auf. Vor der Treppe angekommen, steckte er seinen Dolch in die Scheide zurück und hob den Sack mit den Münzen auf, den er dort beim Eintreten abgestellt hatte: Dabei fiel sein Blick auf die Füße des Mädchens. Sie bluteten, und der mit Obsidianscherben gepflasterte Hof war viel schlimmer als die zerbrochenen Steinfliesen des Tempelbodens. Er reichte ihr den Sack mit der Anweisung, ihn zu halten; sie nahm ihn entgegen und ließ ihn fast fallen, überrascht von seinem Gewicht. Er legte den Arm um ihre Körpermitte, hob sie hoch mitsamt Dolch, Peitsche und Sack und
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legte sie sich vorsichtig über die Schulter. Nach einigem Hin- und Herrücken.. fand er eine Stellung, die für sie beide einigermaßen bequem war, wenngleich er vermutete, dass sein Kettenhemd ihre nackte Haut stärker kratzte, als sie zugeben wollte, und ging die Stufen hinunter. Einen Moment später waren sie den Blicken der Verehrer Sais entschwunden, die schweigend das ganze Ge schehen verfolgt hatten.
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Kapitel 14 Die Tür und das Hoftor waren noch offen, was er als höchst erfreulich empfand; er hatte fürs erste wahrlich genug von Toren, die sich selbsttätig schlossen. Mit dem Gewicht des Mädchens auf der Schulter geriet der Gang über die Obsidiansplitter zu einem noch mühseligeren Unterfangen als auf dem Hinweg; die Spitzen und Zacken bohrten sich tief in die Sohlen seiner Stiefel. Als er schließlich durch das Tor auf die Straße der Tempel hinaustrat, konnte er fühlen, dass eine Spitze die Sohle glatt durchbohrt hatte; sein Fuß blutete zwar nicht, aber der Stiefel war ruiniert. Er seufz te. Sein Ausflug in den Tempel der Sai war, was das Abreagieren seiner Wut anging, ein voller Erfolg gewesen; aber er würde mit Gewissheit unliebsame Folgen nach sich ziehen, von denen ruinierte Stiefel gewiss nur die geringsten waren. Abenteuer dieser Art schienen Füßen und Schuhwerk offenbar besonders zuzusetzen; schon seine erste Mission im Dienste des Vergessenen Königs hatte ihn ein gutes Haar Stiefel und mehrere selbstgefertigte Notbehelfe gekostet und ihm überdies ein stattli ches Sortiment von Abschürfungen, Schnittwunden und Blasen eingetragen. Er fand die Seitenstraße wieder, auf der er gekommen war, und bog von der Straße der Tempel ab. Sobald er außer Sichtweite der Allee und damit einigermaßen sicher vor möglichen Verfolgern war, steckte er den Schwertstumpf zurück in die Scheide und lud das Mädchen von seiner Schulter. Er sah nicht ein, wieso er sich den ganzen Weg bis zum Gasthof der Sieben Sterne unnötig mit ihr abmühen sollte; sie musste eigentlich imstande sein, selbst zu gehen. Abgesehen davon war es schwierig, sich mit ihr zu un
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terhalten, wenn er sie über der Schulter trug, und er hatte eine Reihe von Fragen, die er ihr stellen wollte. Sie war anscheinend ganz froh, wieder auf ihren eigenen Füßen zu stehen; sie wischte sich notdürftig den Schmutz ab, wobei sie jedesmal einen leisen Schmerzensschrei ausstieß, wenn sie zufällig mit den Fingern an eine der zahllosen Schnittwunden kam, die sich kreuz und quer über ihren Bauch und ihre Brüste zogen. Be stürzt schaute sie auf die Wunden und die roten Flecken, die Garths Finger, die noch immer feucht waren vom Blut der getöte ten Aghaditen, hinterlassen hatten. Garth vermutete, dass die Schnittwunden sehr schmerzhaft sein mussten; trotzdem kamen kein Wort der Klage und kein Laut des Schmerzes über ihre Lippen. Sie stand wortlos da und wartete, dass er etwas sagte. »Folge mir; wir gehen in meinen Gasthof.« Sie nickte, zögerte aber. »Was ist?« fragte er. »Mein Herr, ich bin nackt.« Das war nicht zu übersehen, aber Garth hatte sich keine Gedanken darüber gemacht. »Ist das schlimm?« »Es ... es schickt sich nicht. Ich kann nicht nackt durch die Stra ßen gehen.« Garth seufzte. »Es wird dir wohl nichts anderes übrig bleiben; ich habe keine Kleider für dich dabei.« »Aber jeder wird mich angaffen!« Das war natürlich ein schlagendes Argument. Garth wollte tun lichst vermeiden, Aufmerksamkeit auf sich zu, lenken. Obwohl er geglaubt hatte, vor den Anhängern Temas und Andhur Regvos‘ sicher zu. Sein, wussten die Aghaditen, dass er für die Schändung der beiden Tempel – und natürlich ihres eigenen – verantwortlich ;war; und eben noch waren mindestens zwanzig Personen Augen -194-
zeuge seines Eindringens in den Tempel der Sai gewesen. Wenn er seine Taktik beibehielt und sich weiter wie bisher in der Öffent lichkeit zeigte, so als habe er nichts zu verbergen, war er ziemlich sicher, dass die meisten Dûsarraner keine große Notiz von ihm nehmen würden; bisher hatten sie das schließlich auch nicht ge tan. Wenn jedoch der Anblick einer unbekleideten Frau genügte, um soviel Aufmerksamkeit zu erregen, dann konnte er es sich keinesfalls leisten, mit einer solchen gesehen zu werden. Jemand konnte auf ihn zeigen, wenn zufällig gerade ein Aghadit oder ein Anhänger der Sai in der Nähe war, denen er sonst womöglich gar nicht aufgefallen wäre. Er löste seinen Gürtel, schälte sich aus seinem Kettenhemd und begann die Schnüre seines Stepphemdes zu lösen. Er hielt jäh inne, als er merkte, dass das Mädchen ängstlich zurückwich. »Was fehlt dir? Ich will dir bloß dieses Hemd zum Anziehen ge ben; ich habe sonst leider nichts, was ich dir geben könnte.« »Oh!« Das Mädchen war sichtlich erleichtert; Garth streifte das wattierte Unterhemd ab und überreichte es ihr. Ein wenig unbe haglich stand er für einen Moment da, mit nichts am Leibe außer seiner Hose aus weichem Leder und seiner natürlichen Körperbe deckung aus dünnen schwarzem Fell. Das Mädchen nahm das Hemd entgegen, zog es jedoch nicht sofort an, sondern starrte ihn mit einer Mischung aus Neugier und Faszination an, während er sein Kettenhemd wieder anlegte. Er schaute sie mit fragendem Blick an. »Du hast ja ein Fell!« platzte sie heraus. »Du nicht«, erwiderte er trocken. »Nun zieh schon das Stepp hemd an; die Nachtluft ist kühl.« »Oh!« Leicht errötend zog sie sich das viel zu große Hemd über den Kopf; Garth sah, dass sie vor Schmerzen zusammenzuckte, als sie es an ihrem Körper herunterzog. Es musste ihr höllische -195-
Schmerzen bereiten, als es an den Schnittwunden scheuerte, die ihr der Sai-Priester mit dem Dolch beigebracht hatte. Trotzdem ließ sie nur ein einziges Mal einen kleinen leisen Schmerzensschrei hören. Als sie es endlich geschafft hatte, das Hemd ganz herun terzuziehen, band sie die Schnüre an beiden Seiten zu. Das Hemd, das Garth gerade bis zur Hüfte reichte, ging ihr bis zu den Knien; es verdeckte nicht nur ihre Blöße, sondern verbarg auch vollstän dig die Schnittwunden, was nur von Vorteil sein konnte, wenn es ihr nur nicht allzu weh tat. Als sie das Hemd so gut wie möglich zurechtgezupft hatte, frag te sie: »Haben alle Übermänner Fell?« Garth, der sich noch immer damit abmühte, das Kettenhemd in möglichst bequemen Sitz zu ziehen, ließ sich Zeit mit der Antwort und beschränkte sich auf ein knappes »Ja.« Als er die Kettenglieder endlich so arrangiert hatte, dass sie nicht übermäßig auf der Haut kratzten oder scheuerten, richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Mädchen. Jetzt, dachte er, zahlte sich aus, dass er sein Kettenhemd und seine übrigen Kleider schwarz gefärbt beziehungsweise angestrichen hatte, um in der Dunkelheit besser getarnt zu sein: Die Wattierung des Hemdes war im Dunkeln kaum zu sehen; wäre der Stoff heller ge wesen, wäre sie sicherlich ins Auge gefallen. Aus der Entfernung konnte man es, sofern man nicht genauer hinschaute, durchaus für ein gewöhnliches Gewand halten — abgesehen davon, dass es le diglich bis zu den Knien des Mädchens reichte. Aber es war immer noch besser als gar nichts. Er hob den Dolch und die Peit sche auf, steckte sie in den Sack zu dem Gold und warf sich den Sack über die Schulter. »Gut. Komm jetzt!« Das Mädchen gehorchte, und er schlug die Richtung zum Gast hof der Sieben Sterne ein. Er hielt sich im Schatten der -196-
Häuserwände und benutzte Seitengassen, wann immer es möglich war, und machte einen weiten Bogen um den Marktplatz. Diese Taktik war recht erfolgreich. Die wenigen Passanten, denen sie begegneten, widmeten ihnen kaum mehr als einen flüchtigen Blick. Dieser nächtliche Marsch durch die Straßen und Gassen der Stadt zerrte an Garths Nerven; jeden Moment war er darauf gefasst, jemanden schreien zu hören: »Da ist der Tempelschänder; ergreift ihn!« Doch nichts dergleichen geschah, und sie erreichten schließlich die Herberge und stahlen sich durch den Torweg in den Stall. Dugger, der Stallbursche, hatte noch Dienst; Garth gab ihm ein Zeichen, Stillschweigen zu bewahren, und der Junge grinste verschwörerisch und nickte. Koros hatte sich zwar zum Schlafen zusammengerollt, nahm aber immer noch den größten Teil der Box ein, die für kleinere Tiere gedacht war als das Kriegstier eines Übermannes. Garth trat in die Box und machte es sich auf der anderen Seite im Stroh be quem, neben seinen Sachen und den Beutestücken aus den ersten beiden Tempeln; mit nur geringem Zögern gehorchte das Mäd chen seiner Geste und setzte sich neben ihn. Er kramte einen Schwamm aus seinem Bündel, tränkte ihn mit Wasser aus einer seiner Feldflaschen (er würde sie bald wieder auffüllen müssen) und sagte: »Zieh das Ding aus, damit ich deine Wunden reinigen kann.« Sie nestelte die Schnüre auf und zog sich das Hemd über den Kopf. Trotz der Behutsamkeit, mit der sie dabei zu Werke ging, sah Garth, dass einige der Wunden durch das Reiben des Stoffes wieder aufgegangen waren und erneut bluteten. Er begann, das geronnene Blut und den Schmutz so behutsam wie möglich abzu waschen; trotzdem zuckte sie ein paarmal zusammen.
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Während er hiermit beschäftigt war, fragte er: »Nun, Mädchen, sag, wer bist du?« »Ich heiße Frima.« Sie hatte eine hohe, aber angenehme Stimme, die ein wenig schüchtern klang. »Bist du Dûsarranerin?« »Ja, natürlich!« »Wie kam es, dass du Sai geopfert werden solltest? Bist du eine ihrer Anhängerinnen?« »O nein! Ich verehre Tema. Die Priester Sais entführten mich gestern Abend aus dem Geschäft meines Vaters.« »Wie kommt es, dass die Zeremonie zu dieser Stunde abgehal ten wurde? Ich dachte, nur die Kulte der Tema und des Andhur Regvos erwachten bei Nacht zum Leben.« »Das stimmt; deshalb werden ja auch die Opferriten zu Ehren Sais stets – aua! - zu nächtlicher Stunde abgehalten.« »Ich verstehe nicht.« »Der Sai-Kult ist geheim; seine Anhänger tun ihre – au! - Zuge hörigkeit nicht öffentlich kund. Deshalb halten sie alle ihre Ze remonien in der Nacht ab, wenn – uuh! - die Dunkelheit sie schützt und ihre Abwesenheit von ihrem üblichen Tagwerk nicht auffällt.« »Sind die anderen Kulte auch so geheimnistuerisch?« »Die Tageskulte, ja. Autsch! Das ist einer der Gründe, weshalb die Anhänger der Nachtkulte denen der Tageskulte aus dem Weg gehen; würdest du mit jemandem Umgang pflegen wollen, der den Schmerz – aua! Verdammt sollen sie sein! - oder die Krankheit anbetet? Es heißt, dass viele von denen, die am Tage wachen, überhaupt keine Götter anbeten, aber das ist auch nicht viel besser; und es gibt keine Möglichkeit zu erkennen, wer von ihnen einem Tageskult anhängt und wer überhaupt keinem.« Garth war jetzt mit dem Reinigen der Wunden fertig und kramte in seinem -198-
Bündel nach dem Beutel mit Heilkräutern, den er stets auf Reisen mitführte. »Eure Stadt frönt einer sehr komplizierten Lebensweise. Sind solche Entführungen wie die, deren Opfer du wurdest, hier etwas Normales?« Er fand die Kräuter und rieb ein paar von ih nen in den Schwamm. »O ja, ständig verschwinden hier Leute.« »Und euer Oberherr duldet das?« Er begann die Kräuter behut sam über jede der Schnittwunden zu reiben; das Mädchen unter stützte ihn dabei, indem es so still hielt, wie es eben konnte, wäh rend es seine Fragen beantwortete. »Er kann nichts dagegen tun. Die Leichen werden niemals ge funden, und es gibt keine Möglichkeit herauszubringen, welcher Kult für die Tat verantwortlich ist.« »Warum verbietet und zerschlägt er dann nicht einfach alle Kulte, die Menschenopfer praktizieren?« »Oh, so etwas darf niemals geschehen! Die Götter selbst haben Dûsarra ausgewählt; die Dunklen Götter müssen hier Tempel haben, andernfalls geschähe ein großes Unglück! Außerdem weiß niemand, welche Kulte Menschenopfer bringen und welche nicht.« »Es dürfte wohl auf der Hand liegen«, sagte Garth, als er mit dem Auftragen der Heilsalbe fertig war, »dass der Kult des Gottes-Dessen-Namen-Man-Nicht-Ausspricht, Menschenopfer verübt; kann der Oberherr nicht zumindest diesen Kult zer schlagen? Mir ist aufgefallen, dass selbst in Dûsarra die meisten Leute nichts mit diesem Gott zu schaffen haben wollen.« »In diesem Fall gibt es gar keinen Kult, den man zerschlagen könnte; niemand verehrt den Letzten Gott, außer einem einzigen alten Priester. Der Gott selbst ruft Opfer in seinen Tempel, und keiner von denen, die seinem Ruf gefolgt und in den Tempel ge gangen sind, wurde je wieder gesehen – außer dem Priester. Nie -199-
mand weiß, was in dem Tempel ist; man findet nie Spuren von den Opfern. Keine Kleider, keine Leichen. Wenn ein Dûsarraner sterben möchte, aus welchem Grund auch immer, geht er einfach in den Tempel des Letzten Gottes, und wenn der Gott nicht zufrie den mit der Anzahl von Selbstmorden ist, macht er die Menschen irre, so dass sie in den Tempel gehen, ohne zu wissen, was sie tun. Der Oberherr würde es nicht wagen, dem Priester auch nur ein Haar zu krümmen oder gar den Tempel zu schleifen, denn dann würde er vielleicht selbst gerufen werden.« Garth bemerkte nichts weiter zu dem Thema; statt dessen sagte er: »Es tut mir leid, aber ich kann deine Wunden nicht gehörig verbinden; es sind zu viele, und ich habe nicht das nötige Tuch. Ich hoffe, sie schmerzen nicht allzu sehr und verheilen rasch.« Er lehnte sich zurück, um über seine Situation und das nachzuden ken, was Frima ihm soeben gesagt hatte. Jetzt war es Frima, die zögernd eine Frage an ihn richtete. »Wer bist du? Warum hast du mich gerettet?« »Ich bin Garth von Ordunin, und ich bin nach Dûsarra gekom men, um zu stehlen, was immer ich auf den sieben Altären vor finden würde. Du warst auf dem Altar der Sai, und also stehle ich dich und werde dich mit nach Skelleth nehmen.« »Würdest du mich schänden?« Garth blickte sie überrascht an. Ihre Frage erklärte ihr ängstli ches Zurückweichen, als er sich seines Unterhemdes entledigt hatte, um es ihr zu geben, aber die Ignoranz, von der sie zeugte, war schon verblüffend. »Das könnte ich gar nicht, selbst wenn ich es wollte. Wir gehören zu verschiedenen Gattungen, so verschie den wie Koros hier und eine Hauskatze. Übermänner interessieren sich für nichts anderes als für Überfrauen.«
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»Oh.« Er konnte in der Dunkelheit nicht sehen, wie sie errötete, und selbst wenn er es gesehen hätte, hätte er nicht verstanden, was es bedeutete. »Ich nehme dich mit nach Skelleth, weil ich dich auf dem Altar der Sai gefunden habe; ein anderes Interesse habe ich nicht an dir.« Er fragte sich, ob ihre sexuellen Erwartungen oder – was ihn anging, Befürchtungen – wohl durch ihr Aussehen gerechtfertigt waren; sie schien durchaus sauber und gesund, war nicht zu fett, aber auch nicht so dünn, dass die Rippen zu sehen waren; aber darüber hinaus vermochte er ebenso wenig zu beurteilen, ob sie schön war, wie ein Bulle es vermocht hätte. Überfrauen waren ebenso nasenlos, flachbrüstig und behaart wie er selbst; sie erreg ten durch ihren Geruch, nicht durch ihre äußere Erscheinung, und Frima war für ihn um keinen Deut interessanter als jedes andere Tier. Er nahm an, dass sie auf Männer anziehend wirkte, auch wenn ihre Brust, selbst nach menschlichen Maßstäben, ziemlich üppig war. Sie schwieg einen Moment, dann platzte sie heraus: »Ich will nicht nach Skelleth! Übrigens, wenn du aus Ordunin bist, wieso willst du dann überhaupt mit mir nach Skelleth? Und wo liegt dieses Ordunin überhaupt? Und wo ist Skelleth?« »Ordunin ist in der Nordwüste. Skelleth ist in Eramma. Ich füh re diese Mission für jemanden aus, der in Skelleth wohnt. Es inter essiert mich wenig, ob du dorthin willst oder nicht, und ich rate dir, dich nicht zu widersetzen. Es besteht nämlich keine Abma chung darüber; in welchem Zustand ich dich dort hinbringe.« Garth war nicht ernstlich verärgert, sondern wollte lediglich in Ruhe nachdenken, und er hatte nur deshalb so barsch zu ihr gesprochen, damit sie endlich Ruhe gab. Der Kniff zeigte die erhoffte Wirkung: Frima hielt sofort den Mund und drückte sich eingeschüchtert ins Stroh.
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Es hatte nicht in seiner Absicht gelegen, die Sai-Priester zu töten, auch wenn ihn Folter und Menschenopfer anwiderten; er hoffte, dass der Hohepriester überlebte, und wenn er eine noch so große Bestie war. Er bedauerte, dass er dem anderen Priester das Genick gebrochen hatte, nicht so sehr aus Respekt vor dem Menschen leben, das er dadurch ausgelöscht hatte, sondern weil sich die Ag haditen darüber freuen würden. Es war indes unvermeidlich ge wesen; er war angegriffen worden und hatte darauf entsprechend reagiert. Zudem hatte der Tod des Mannes die angenehme Neben wirkung gehabt, dass die anderen eingeschüchtert waren. Vier der sieben Altäre hatte er geplündert. Somit blieben noch drei, von denen sich zwei an der Straße der Tempel befanden. Sei ne Ausflüge in die Tempel Temas und Andhur Regvos‘ waren zwar nicht ganz komplikationslos abgelaufen, aber zumindest hatte er dabei seine Identität verheimlichen können; in den Tem peln Aghads und Sais indes hatte man ihn gesehen, und die Ag haditen kannten sogar seinen Namen. Frima behauptete nun zwar, dass die beiden letzteren Kulte geheime Vereinigungen waren, was ihn zu der berechtigten Hoffnung veranlasste, dass sie ihr Wissen um seine Identität nicht in der Öffentlichkeit verbreiten würden, andererseits aber die Befürchtung nährte, dass sie versu chen würden, ihn auf eigene Faust aufzuspüren und zu erledigen. Die ganze Sache begann langsam kompliziert zu wer-den. Er hatte ursprünglich die Absicht gehabt, sein Zimmer im Gast hof ganz normal zu benutzen und in einem bequemen Bett zu schlafen; dass er bis jetzt nicht dazu gekommen war, lag allein daran, dass er schon vorher vor Erschöpfung eingeschlafen war. Unter den gegebenen Umständen freilich war es nicht ratsam, sein Zimmer aufzusuchen und dort zu nächtigen, auch wenn er nicht unmittelbar gefährdet war. Er würde hier in diesem Stall bleiben. Er war unbequem und primitiv, aber hier war Koros und hier
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waren seine Beutestücke und seine Waffen. Solange sein Kriegstier in seiner Nähe war, würde sich niemand heimlich an ihn her anschleichen und ihn im Schlaf überraschen können. Zudem war ihm hier — außer, man belagerte ihn und hungerte ihn aus — nur schwerlich beizukommen; der Stall war zu klein, als dass eine grö ßere Anzahl von Angreifern gleichzeitig über ihn hätte herfallen können, und die wenigen, die gleichzeitig durch die Tür gepasst hätten, waren keine Gegner für ihn und sein Kriegstier. Er wusste, ohne sich zu überschätzen, dass er es mindestens mit drei Men schen gleichzeitig aufnehmen konnte und Koros mit wenigstens doppelt so vielen. In sein Zimmer im Gasthof konnten durchaus ein halbes Dutzend Bewaffnete gleichzeitig eindringen und ihn überwältigen; hier im Stall, mit Koros an der Seite, hätten dieselben sechs Männer nicht die geringste Chance. Des weiteren sprach für den Stall, dass ihm hier keine un angenehmen Fragen bezüglich Frimas gestellt wurden, etwa, was eine Menschenfrau in Begleitung eines Übermannes zu suchen habe und wieso sie einen solch merkwürdigen Aufzug frage. Das erinnerte ihn daran, dass sie unbedingt etwas zum Anzie hen brauchte; ihm fiel ein, dass irgendwo in seinem Bündel noch ein zweites Gewand steckte, welches er bei förmlichen Anlässen anzuziehen pflegte und das sie sicher besser kleidete als sein Stepphemd. Und selbst wenn es ihr nicht gefallen sollte, hatte er wenigstens wieder die gewohnte Polsterung unter seinem Ketten hemd, dessen Glieder sich schmerzhaft in seinen Rücken bohrten, an der Stelle, wo er sich gegen die Wand der Stallbox lehnte. Er langte nach seinem Bündel und musste feststellen, dass er es nicht mehr sehen konnte; der Mond war, während er nachge grübelt hatte, unter dem Horizont versunken, und die Morgen dämmerung ließe noch mindestens zwei Stunden auf sich warten. Er tastete nach seinem Feuerzeug, und als er es nicht fand, fiel ihm
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wieder ein, dass er eg ja den Priestern des Andhur Regvos ausge händigt hatte. Nun, sicher gab es im Gasthof eine Laterne oder Fackel oder ir gendein sonstiges tragbares Licht. »Warte hier!« befahl er dem Mädchen und verließ den Stall. Draußen im Hof war es ein klein wenig heller als in der Stallbox, ein seltsames rötliches Licht. Er hob den Blick zum Himmel, um die Quelle dieses merkwürdigen Lichts zu erforschen (von den Sternen konnte es schwerlich herrühren; Sterne, die rotes Licht aussendeten, gab es nicht), und sah, dass vom Osten her Wolken aufgezogen waren, die schon fast den ganzen Himmel bedeckten; das rötliche Licht war der Widerschein der Vulkane und der Fa ckeln, die den Marktplatz der Stadt erleuchteten. Der Streifen klaren Himmels über dem westlichen Horizont wurde zusehends schmaler, ein sich rasch schließender schwarzer Spalt zwischen der Stallwand und der grauroten Wolkendecke. Er zuckte die Achseln. Ein bisschen Regen tat niemandem weh. Er schlenderte durch den Torweg zu der angrenzenden Taverne. Die Schankstube war nicht sehr voll; etwa ein halbes Dutzend Gäste in dunklen Roben saßen an den Tischen. Von den zwei Dienstmädchen oder ihrem Bruder war nichts zu sehen; an ihrer Statt bediente eine Frau mittleren Alters und von ungesundem Aussehen. »Ho, Bedienung!« Die Frau warf einen kurzen Blick in seine Richtung, ging jedoch weiter und brachte erst einmal ihre Bierkrüge an den Mann, bevor sie sich den Weg durch die Tische zu ihm bahnte, und dabei mit dem Fuß die Stühle unter Tische schob, zu denen sie jeweils ge hörten. »Und was kann ich für Euch tun?« fragte sie den Übermann.
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»Habt Ihr eine Laterne? Ich würde mich gern um mein Reitpferd kümmern, aber das Licht im Stall reicht nicht aus.« »Eine Laterne? Nicht zum Verkaufen.« »Könnte ich mir denn eine leihen? Ich kann bezahlen.« Sie zuck te die Achseln. »Wie Ihr wünscht.« Sie wandte sich um, ging wieder zwischen den Tischen und Stühlen hindurch zum hinteren Ende der Schankstube und verschwand durch eine Tür. Kurz dar auf tauchte sie wieder auf, eine geschlossene Laterne in der Hand. Garth nahm sie entgegen, bedankte sich, steckte ihr eine Münze in die Hand und ging hinaus; er bemerkte nicht den musternden Blick, mit dem einer der Gäste ihn taxierte, und war auch schon über den Torweg verschwunden, als derselbe Mann von seinem Tisch aufstand und schnellen Schritts in die Richtung des TemaTempels entschwand.
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Kapitel 15 Frima war alles andere als angetan von dem Gewand. Es war kaum länger als das Stepphemd, und sie behauptete hartnäckig, ein kalter Luftzug streiche ihr über die Unterschenkel, obwohl Garth nicht den geringsten Lufthauch spüren konnte. Außerdem war es mit roten und goldenen Stickereien versehen, wie es sich für ein Kleid schickte, das ein Prinz von Ordunin bei förmlichen Anlässen trug; sie aber schien solcherlei Zierat als ein Zeichen von Dekadenz zu betrachten. Sie wies ihn darauf hin, dass kein Dûsar raner jemals ein Kleid anziehe, das mehr als eine Farbe habe; das Mitternachtblau des Gewandes sei ja durchaus akzeptabel, nicht aber die roten und goldenen Stickereien, die, so ließ sie ihn wissen, finde sie geradezu abscheulich. Garth ließ sie nörgeln; solange sie das Ding nur anzog und er sein Stepphemd wiederbekam, war er es zufrieden. Er sagte ihr, es sei ihm nur recht, wenn sie für eine Fremdländerin gehalten werde, worauf sie erwiderte, sie habe gar nicht gewusst, dass Fremdländerinnen einen derart scheußlichen Geschmack hätten. Trotz ihrer Vorbehalte ließ sie sich schließlich dazu breit schlagen, das Gewand anzuziehen. Garth schlüpfte zufrieden wieder in sein gewohntes Unterhemd, streifte das Kettenhemd darüber, warf den Schwertstumpf und die jetzt nutzlos ge wordene Scheide beiseite ins Stroh und schnallte sich seine Streitaxt auf den Rücken. Er wünschte sich jetzt, er hätte einen zweiten Umhang mitgenommen; er nahm sich vor, bei zukünf tigen Abenteuern daran zu denken – und an ein Paar Ersatzstiefel. Der Gedanke, offen mit Kettenhemd und Streitaxt durch die Stra ßen zu marschieren, behagte ihm ganz und gar nicht; es erweckte den Eindruck, als suche er Streit. Aber er hatte keine andere Wahl;
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es war unbestreitbar sicherer als vollkommen ungeschützt und unbewaffnet aufzutreten. Überdies baute er darauf, dass die Menschenwesen gewiss nicht damit rechnen würden, dass ein gesuchter Mörder und Tempel räuber sich offen unter ihnen zeigte. Er hatte bis jetzt noch keine genauen Vorstellungen, wie er wei ter vorgehen sollte; es galt, noch drei Tempel zu berauben, und er war müde und hungrig und hatte eine Gefangene, auf die er auf passen und um die er sich kümmern musste. Ihm fiel ein, dass er gut daran getan hätte, etwas zu essen mitzubringen, als er in die Taverne gegangen war, um die Lampe zu holen. Er beugte sich über die Tür der Stallbox und spähte durch den Torweg hinaus auf die Straße. Ein Passant ging vorbei, und eine Sekunde später folgte ein Ochsenkarren. Am östlichen Himmel machten sich die ersten Anzeichen des Morgengrauens bemerkbar, zunächst nur sichtbar als eine kaum wahrnehmbar hellere Grauabstufung in der Wolkendecke, aber dem scharfen Auge des Übermannes nicht ver borgen bleibend. Dugger, der Stallbursche, war fort, und vermut lich trat jeden Moment einer seiner Tageskollegen seinen Dienst an; Garth hatte keine Lust, noch mehr von seinem Gold als Schweigegeld für Stallburschen zu vergeuden. Gleichwohl kam er zu dem Entschluss, dass er keinen Drang verspürte, schon jetzt loszuziehen. Statt dessen kramte er erst einmal den kargen Rest seines Reiseproviants hervor. Frima beäugte mit argwöhnischer Miene die Streifen Trocken fleisch und die gedörrten Beeren, die er ihr offerierte, aber dann nahm sie sie nach einigem Zögern doch und aß sie; Garth stopfte sich ebenfalls eine Handvoll von dem trockenen, fade schme ckenden Zeug in den Mund und spülte es mit dem metallisch schmeckenden Wasser aus seiner Feldflasche hinunter. Etwas von
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dem Wasser ließ er in der Flasche, damit seine Gefangene das glei che tun konnte. Er war überrascht, dass sie den Fraß klaglos hin unterwürgte. Um so besser, dachte er, denn auf dem langen Ritt zurück nach Skelleth müsste sie mit ähnlicher Kost vorlieb nehmen. Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, lehnte er sich zurück und überlegte, ob er die verbleibenden Tempel bei Tage oder bei Nacht in Angriff nehmen sollte; nach einigem Nachdenken kam er zu dem Schluss, dass er einfach nicht genügend Informationen hatte, und so fragte er Frima nach ihrer Meinung. »Was wäre sicherer: wenn ich die Tempel des P‘hul und des Bheleu bei Tag oder bei Nacht ausraubte, Mädchen?« Frima, die keinen Laut mehr von sich gegeben hatte, seit sie auf gehört hatte, über ihr neues Gewand zu nörgeln, antwortete schlicht: »Das weiß ich nicht.« »Die Anhänger dieser Kulte wachen bei Tage, halten aber ihre Zeremonien bei Nacht ab, richtig?« »Ja.« »Und was ist mit den Priestern? Wann schlafen die?« »Das weiß ich nicht. Vielleicht brauchen Sie überhaupt keinen Schlaf.« »Jeder, egal ob Mensch oder Übermensch, braucht Schlaf.« Wie es aussah, konnte das Mädchen ihm bei der Entscheidung auch nicht weiterhelfen. Er vermutete indes stark, dass die Priester tagsüber schliefen, dass somit die günstigste Zeit für das Unter nehmen der Tag war; andererseits wiederum, wenn er am helllich ten Tag draußen gesehen wurde, riskierte er, von den Anhängern der Sai gesehen und angegriffen zu werden. Und bei Nacht drohte ihm natürlich dasselbe von seiten der Ge folgsleute Temas und Andhur Regvos‘. -208-
So kam er offensichtlich nicht weiter; es war nicht möglich, auf der Grundlage der Fakten, die er kannte, eine Entscheidung zu treffen. Also überlegte er, was er tun sollte, wenn er beschloss, das Unternehmen zunächst einmal hinauszuschieben. Das Nächstliegende wäre, sich auszuruhen und zu schlafen. Wollte er überhaupt schlafen? Nun, wenn er es sich recht überlegte, war er doch ziemlich müde und konnte ein Nickerchen gut gebrauchen. Nun gut, er würde ein Nickerchen machen, und sobald er aufwachte, würde er den nächsten Tempel in Angriff nehmen Nachdem er sich endlich zu dieser Entscheidung durchgerungen hatte, verkündete er seiner Gefangenen: »Wir schlafen jetzt.« Ohne lange abzuwarten, was Frima dazu zu sagen hatte, machte er es sich so gut wie möglich im Stroh bequem und fiel rasch in tiefen Schlummer. Frima folgte nicht sofort seinem Beispiel, sondern blieb erst ein mal sitzen und ließ die Ereignisse dieser Nacht und des vorausge gangenen Tages an ihrem inneren Auge vorüberziehen. Sie hatte den Laden ihres Vaters gehütet, während er der allnächtlichen Ze remonie im Tempel beiwohnte, als plötzlich drei große Männer hereingekommen waren, und an einem Topf, den sie angeblich dort gekauft hatten, eine fehlerhafte Naht reklamiert hatten. Sie hatte sofort gewusst, dass sie logen, denn ihr Vater war zweifellos der beste Kesselflicker in Dûsarra. Trotzdem hatte sie sich den Topf angeschaut. Plötzlich jedoch wurde sie gepackt und von zwei der Männer festgehalten, während der dritte sie knebelte und fesselte. Dann wurde sie in einen Sack gesteckt und davonge schleppt. Den darauffolgenden Tag hatte sie irgendwo in einem kleinen engen Verlies verbracht; lange Zeit hatte sie sich wachge halten, da sie zu viel Angst gehabt hatte, um einzuschlafen, ob wohl es schon weit nach Morgengrauen gewesen sein musste. Als -209-
sie dann schließlich doch eingenickt war, wurde sie kurze Zeit später von denselben drei Männern unsanft wieder geweckt. Sie wurde nicht nur von ihren Fesseln, sondern auch von ihren Kleidern befreit und alsdann in den Tempel der Sai geschleppt. Sie hatte sofort, von dem Moment an, als man ihr den Knebel in den Mund presste, gewusst, dass sie von einem der Tageskulte entführt wurde. Das, wovor sie von Kindesbeinen an Angst ge habt hatte — eine Angst, die sie mit allen Kindern der Anhänger der Nachtkulte teilte —, war plötzlich schreckliche Realität ge worden. Sie hatte keine Hoffnung gehabt zu entkommen; noch nie war jemandem die Flucht aus den Tempeln geglückt. Also hatte sie versucht, sich in ihr unvermeidliches Schicksal zu fügen, tapfe ren Herzens dem Tode ins Auge zu sehen, wie es einer treuen Anhängerin der Nachtgöttin und der Tochter des besten Kesselflickers der Stadt würdig war. Und dann, als die Zeremonie schon in vollem Gange war und sie nichts mehr wahrgenommen hatte als den Schmerz, den der Priester ihr mit seinem Dolch zu fügte, war plötzlich dieses große rotäugige Ungeheuer mit seinen blutverschmierten Händen aufgetaucht und hatte sie befreit. Sie war vertraut mit dem Anblick von Übermännern; es kam immer mal wieder vor, dass einer von ihnen in den Laden kam, um eine Gürtelschnalle zu kaufen oder einen Harnisch reparieren zu lassen, jedoch nie, um die Töpfe und Kessel zu kaufen, die der ganze Stolz ihres Vaters waren. Sie sprachen derb und ungeschlif fen und trugen Schwerter und hatten Gesichter wie der leibhaftige Tod — oder zumindest wie Bheleu, dessen furchterregendes Gesicht sie von den Figuren kannte, die sie auf dem Marktplatz gesehen hatte. Sie mochte diese Übermänner nicht; sie waren groß und gefährlich und geheimnisvoll, und es hieß, dass sie über die Götter lachten und dennoch nicht niedergeschmettert wurden, was bewies, dass sie über irgendwelche magischen Kräfte
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verfügen mussten, wiewohl sie noch nie etwas von einem Über mann-Magier gehört hatte. Doch ein solcher Übermann hatte sie nun gerettet, und plötzlich verdankte sie ihr Leben einem unmenschlichen Monstrum. Diese Kreatur zerbrach beiläufig mit einer Hand das Genick eines Mannes und sprach davon, sie zu töten, als wäre sie nicht viel mehr als einer der Straßenköter, die in den Gassen herum streunten, um sie einen Moment später zu kleiden, ihre Wunden auszuwaschen und ihr zu essen zu geben. Und nicht einmal vergewaltigt hatte er sie; dass er, wie er behauptet hatte, dazu nicht in der Lage sei, nahm sie ihm nicht ab. Sie war in der Tat noch Jungfrau; der Hohepriester Sais hätte sie im Verlaufe der Ze remonie noch geschändet, als Teil des Rituals, aber so weit war er nicht mehr gekommen. Und ihre drei Entführer hatten nicht ge wagt, das Privileg, das ihrem Hohepriester vorbehalten war, für sich in Anspruch zu nehmen. Des weiteren sprach Garth, anders als jeder ändere Übermann, den sie je kennengelernt hatte, höflich und zivilisiert mit ihr, und er schlug sie nicht, sondern drohte ihr lediglich. Und dann sprach er davon, dass er aus irgendeinem geheimnisvollen Wüstenland komme und dass er die Absicht habe, sie in das verbotene Land Eramma mitzunehmen, ob sie wollte oder nicht. Es war alles sehr verwirrend. Übermänner kamen von der Yprischen Küste und ritten auf Ochsen oder großen Pferden und nicht auf riesigen schwarzen Panthern. Sie fand die ganze Geschichte unverständlich und war sich ihrer Gefühle für Garth unsicher. Er hatte sie entführt, aber gleichzeitig hatte er sie vor dem Tode gerettet; er hatte gedroht, sie zu töten, doch nun lag er friedlich schlafend neben ihr und vertraute ihr sein eigenes Leben an. Was sollte sie daran hindern, zu fliehen oder ihn sogar mit seinen eigenen Waffen zu töten? Sie stand auf.
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Ein leises Knurren ertönte, und sie setzte sich rasch wieder hin. Sie hatte geglaubt, das riesige schwarze Untier schlafe auch; statt dessen beobachtete es sie mit seinen goldenen Augen, die im Licht des jetzt hereinsickernden Morgens glänzten. Sie starrte zurück. Es blinzelte, dann senkte es wieder den Kopf und schien wei terzuschlafen. Sie starrte noch einen Moment lang auf das schwarze Ungetüm, dann fiel die Spannung von ihr ab. Es hatte keinen Zweck, sich mit dem Monstrum anzulegen. Immer noch vollkommen verwirrt, lehnte sie sich zurück. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, wie er schöpft sie war. Kurze Zeit später schlief sie ein. Sie schlief unruhig, und als Garth aus dem ersten tiefen Erschöp fungsschlaf in eine leichtere Schlafphase glitt, wurde er prompt von ihrem Gestöhn und Herumgezappel wach. Im ersten Moment war er noch so schlaftrunken, dass er sich nicht erinnerte, wo er war, und seine Hand fuhr instinktiv zu seiner Axt, aber dann fiel ihm wieder ein, wo er war, und er ließ die Hand sinken. Nicht viel hätte gefehlt, und er hätte dem Mädchen den Schädel gespalten. Es war später Morgen; er hatte vier oder fünf Stunden ge schlafen. Frima war erst nach dem Morgengrauen eingeschlafen, und er sah keinen Grund, warum er sie wecken sollte. Ihr unru higer Schlaf war immer noch besser als gar keiner. Garth vermute te, dass die zahllosen unverbundenen Schnittwunden schuld dar an waren, dass sie sich immer wieder im Schlaf hin und her wälz te; er bedauerte, dass er sie nicht anständig hatte verbinden können (vorausgesetzt natürlich, sie hätte das erlaubt), aber er hatte zumindest getan, was er konnte. Obwohl er sicherlich noch ein wenig Schlaf hätte brauchen können, beschloss er wachzubleiben. Er stand auf und klopfte sich das Stroh vom Kettenhemd; dann schnallte er sich die Axt auf den
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Rücken, stopfte sich einen Sack unter den Gürtel, sagte Koros ein paar beruhigende Worte und ging aus dem Stall. Bis jetzt hatte er alle seine Missetaten in der Nacht begangen. Er hoffte, dass sein nächstes Unternehmen, indem er es am helllich ten Tag durchführte, um so überraschender und unerwarteter sein würde. Für einen, der gesucht wurde, war es nur von Vorteil, wenn er in seinen Aktionen unberechenbar war. Einer der zwei Stallburschen, mit denen er am Tag zuvor gesprochen hatte, saß im Torweg und schnitzte gelangweilt mit einem alten Küchenmesser an einem Holzscheit herum; nichts deutete darauf hin, dass er die Anwesenheit des Übermannes be merkte. Das konnte Garth nur recht sein; zum ersten Mal kam ihm der Gedanke, sich einmal umzusehen, ob es nicht vielleicht noch eine andere Möglichkeit gab, von dem Hof herunterzukommen. Die Sonne, die schon hoch am östlichen Himmel stand, war nur schwach sichtbar, da sie von einer dicken Wolkenschicht verdeckt war. An anderen Stellen waren die Wolken noch dichter zu sammengeballt, und nirgendwo hatte der Himmel eine andere Farbe als Grau. Selbst die ewige Glut der Vulkane wurde aufgeso gen von dem allgegenwärtigen trüben Grau des Tageslichts. Es regnete nicht, aber die Pfützen auf dem Hof zeigten ihm, dass es geregnet hatte, während er geschlafen hatte. Er schaute sich um, studierte erneut die Reihen von Stallboxen an den Seiten des Hofs, die kahle Mauer, den offenen Torweg. Letzterer war der einzige Zugang zum Hof. Es gab keinen wirklich zwingenden Grund, ihn nicht zu benutzen. Der Stallbur sche stellte gewiss keine Bedrohung für ihn dar. Garth schaute erneut zu dem Burschen hinüber, der noch immer in seine lustlose Schnitzerei vertieft war; es war der, der ihn be harrlich gefragt hatte, warum er ein Schwert trug. Garth kam der
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Gedanke, dass es dem Jungen vielleicht merkwürdig vorkommen mochte, wenn er ihn jetzt plötzlich ohne die Waffe sah. Garth kam zu dem Schluss, dass es besser sei, wenn der Junge ihn nicht sähe. Überhaupt war es das beste, wenn niemand ihn beim Verlassen des Stalles sah; er wollte nicht, dass noch mehr Leute ihn mit diesem Ort in Verbindung brachten, als es ohnehin schon der Fall war. Ganz abgesehen von logischen Erwägungen passte ihm der Gedanke rein gefühlsmäßig nicht. Seine Lage war mittlerweile so kompliziert geworden, dass er mit seiner Logik am Ende war, und er beschloss deshalb, sich ganz auf seinen Instinkt zu verlassen. Und dieser sagte ihm, dass es besser sei, sich nach einem zweiten Ausweg aus dem Stallhof umzusehen. Auf Bodenhöhe gab es, wie er bereits festgestellt hatte, keine andere Möglichkeit, von dem Hof hinunterzukommen, es sei denn, er schlug ein Loch in die Mauer. Und sich einen Tunnel un ter der Mauer hindurch zu graben, dazu hatte er nicht die Zeit. So blieb ihm nur eine Richtung — die nach oben. Er öffnete die breite Tür von Koros‘ Stallbox so weit, dass sie im rechten Winkel zur Stallwand stand; der Abstand zwischen ihrem oberen Rand und dem Stalldach war nicht sehr groß. Er prüfte die Festigkeit der Tür; sie war zwar nicht ganz so stabil, wie er es sich gewünscht hätte, aber es würde reichen. Er schwang sich an der Tür hoch, stemmte sich mit beiden Armen empor, zog einen Fuß nach, setzte ihn auf dem Rand der Tür, lehnte sich vorsichtig gegen die Stall wand und drückte sich, die Wand als Seitenhalt benutzend, lang sam hoch, bis er mit beiden Füßen auf der Tür stand. Schon wäh rend er sich hochdrückte, legte er den linken Arm über die Dach kante, und gleich darauf, als er Halt hatte, den rechten Arm und den Oberkörper. Vorsichtig stemmte er sich hoch, bis sein ganzes Gewicht auf den nassen roten Ziegeln ruhte.
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Zu seiner Freude hatte er beim Hinaufklettern kaum Geräusche gemacht; so war das Fehlen seines Schwertes wenigstens in dieser einen Hinsicht von Vorteil; die Scheide wäre beim Hinaufklettern mit Sicherheit mehrere Male gegen die Tür oder die Stallwand ge prallt, und das Klirren hätte den Stallburschen aufgescheucht. Vorsichtig richtete er sich auf, sorgfältig mit dem Fuß die Festig keit der Ziegel prüfend, bevor er es wagte, sein ganzes Gewicht darauf zu verlagern. Dann ließ er den Blick ringsum schweifen. Das Dach, auf dem er stand, war ungefähr zehn Fuß breit und fünfzig Fuß lang und fiel zur Hofseite hin leicht ab; dem Hof gegenüber lag ein zweiter, der im wesentlichen identisch mit dem ersten war, und beide Höfe waren an beiden Enden durch eine schmale Mauer miteinander verbunden, die breit und stabil genug aus-sah, dass er darauf gehen konnte, wenn es nötig sein sollte — aber wirklich nur im äußersten Notfall. Hinter dem gegenüber liegenden Dach ragte die Wand des Obergeschosses des Gasthofs auf. Das obere Ende des Daches, auf dem er sich befand, wurde von einer kahlen grauen Steinmauer von einer Höhe von mindes tens zwanzig Fuß begrenzt. Er fragte sich, was hinter dieser Mauer liegen mochte; er hatte von der Straße aus nicht darauf geachtet, was für ein Gebäude an der Stelle stand, und die nackte graue Mauer selbst gab keinerlei Aufschluss. Jedenfalls gab es in diese Richtung keinen Fluchtweg; die Mauer war zu hoch zum Über springen, und er war kein besonders guter Kletterer. Die steinerne Wand des Gasthofs auf der gegenüberliegenden Seite wies eine Reihe von Fenstern auf, ein halbes Dutzend an der Zahl, deren Läden jedoch, wie er zu seiner Erleichterung sah, alle samt geschlossen waren; es bestand also keine Gefahr, dass er von den Bewohnern der dahinterliegenden Räume gesehen wurde. Die Wand dort war niedriger; die Fenster lagen alle auf gleicher Höhe, und er schätzte den Abstand zwischen dem Dach des Stalles und dem des Gasthofs auf nicht mehr als zwölf Fuß, eher -215-
sogar noch weniger. Das Dach des Gasthofs war mit den gleichen Ziegeln gedeckt wie das, auf dem er stand, nur dass es erheblich steiler war, und zwischen den Schornsteinkappen waren mindes tens zwei Oberlichter zu sehen. In diese Richtung gab es also auch keinen Fluchtweg. An dem einen Ende des Hofes, hinter der Mau er, lag die Straße. Somit blieb nur noch eine Richtung, nämlich das hintere Ende des Hofes; was jedoch hinter der nackten Mauer lag, die die Rückseite des Hofes eingrenzte, vermochte er von der Stelle des Daches, an der er stand, nicht zu übersehen. Zwar rag ten weiter hinten die Obergeschosse weiterer Häuser auf, aber zwischen ihnen und der Mauer musste eine größere Lücke klaffen. Vorsichtig bewegte er sich über das schräg abfallende Dach, sorgfältig darauf achtend, nicht aus Versehen mit dem Fuß einen der zerbrochenen Ziegel herunterzutreten, bis er einen Schritt vor dem Rand des Daches stand. Er spähte hinunter in einen kleinen ummauerten Hof, der mit Abfall übersät war und nach dem nächtlichen Regen halb unter Wasser stand. Ein unangenehmer fauliger Geruch stieg von dem Hof auf und drang ihm an die Nüstern. Der hintere Teil des Hofs wurde von einem schlichten zweistö ckigen Gebäude eingenommen, offensichtlich einem gewöhnli chen Wohnhaus; hinter den fünf oder sechs Fuß hohen Mauern, die den Hof zu beiden Seiten begrenzten, befanden sich zwei wei tere Höfe von ähnlicher Art und Größe, die er jedoch von seinem Standort aus nicht voll einsehen konnte. Der Hof zur Linken war, soweit er sehen konnte, sauberer als der direkt unter ihm liegende; in den rechten Hof war ihm der Einblick fast vollständig verwehrt. Er überlegte einen Moment lang und schaute zurück auf den Stallhof; von seiner erhöhten Position aus konnte er sehen, dass der Trog, in dem er seinen Mantel verbrannt hatte, jetzt gut einen
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Zoll hoch mit schmutzigem Regenwasser gefüllt war, das schwarz war von der Asche seines Umhangs. Sich die Mühe zu machen, zu dem Hof zur Rechten hinüberzu klettern, war überflüssig, da die beiden anderen Höfe von dem Dach aus zu erreichen waren, auf dem er stand. Der mittlere Hof erstreckte sich über die gesamte Breite des Stallhofes und reichte auf beiden Seiten bis jeweils zur Mitte der überdachten Ställe; der linke Hof, der direkt an den mittleren angrenzte, erstreckte sich unterhalb der anderen Hälfte des Daches entlang der ver bleibenden vier bis fünf Fuß des Stalles. Der Sprung in den Hof zur Linken war der höhere, da das Dach zu der Seite hin anstieg; deshalb ging Garth zur unteren Dachecke hinüber, wo die graue Steinmauer direkt unterhalb der Ziegel entlanglief, ließ sich vorsichtig auf den Mauervorsprung hinunter und sprang. Er landete mit einem platschenden Geräusch und spürte sofort, wie Wasser durch das Loch, das er sich im Vorhof des Sai-Tem pels in die Sohle gebohrt hatte, in seinen rechten Stiefel drang. Es war kalt und schmutzig; vermutlich bestand es mehr als zur Hälf te aus Schlamm. Er hätte sich in diesem Moment gewünscht, eben so fluchen zu können wie die Menschen; er murmelte verdrossen die Namen von ein paar Göttern, aber das verschaffte ihm keine Erleichterung, und so zog er es statt dessen vor, einmal tief und herzhaft zu knurren. Es war schwierig, die exakte Tiefe des Wassers zu schätzen, weil seine Stiefel unter dem Gewicht seines Körpers und des Ketten hemdes tief in den Schlamm einsanken; aber es war mindestens einen Zoll tief. Er mühte sich über den kleinen Hof, angewidert von den verfaulten Obstschalen und matschüberzogenen alten Knochen, die unter seinen Stiefeln hervorquollen, und stieg auf die steinerne -217-
Stufe einer Türschwelle, die, aus der schlammigen Brühe ragte; er fühlte, wie das Wasser langsam aus seinem ruinierten Stiefel ab lief; zurück blieb ein schleimig unter seinem Fuß schmatzender Rest. Die Tür befand sich in der Mitte der Hauswand. Links und rechts von ihr waren zwei schmale Fenster, dunkel und mit zuge zogenen Vorhängen, aber geöffneten Läden. Das ließ darauf schließen, dass irgendwo im Haus jemand war, höchstwahrschein lich jedoch nicht in den zum Hof liegenden Zimmern. Er drückte die Klinke hinunter und lehnte sich gegen die Tür. Sie war abge schlossen. Er stieß ein gereiztes Knurren aus und stemmte sich fester gegen die Tür, wobei er den linken Fuß in die Schmutzbrühe setzte, um sich besser abstoßen zu können. Die Tür gab immer noch nicht nach. In einer plötzlichen Aufwal lung von Wut zog er die Axt hinter dem Rücken hervor und hieb damit gegen das widerspenstige Hindernis. Splitter flogen umher. Er schlug ein zweites Mal zu und fühlte, wie die Schneide durch das Holz in den leeren Raum dahinter fuhr. Er zog die Axt mit einem kräftigen Ruck heraus und beugte sich vor, um durch das Loch zu spähen, das er in das Holz geschlagen hatte. Der Raum war dunkel, und er vermochte nichts zu sehen. Er trat einen Schritt zurück und ließ erneut seine Axt gegen die Füllung sausen; das Holz gab nach und barst splitternd nach innen. Jetzt klafften zwei große Löcher in der Tür. Er schlang sich die Axt wieder um die Schulter und brach das Holz wischen den beiden Löchern heraus; die so entstandene Öffnung war groß genug, dass er mit der Hand hindurchgreifen konnte. Er langte hinein und stellte wie erwartet fest, dass die Tür verriegelt war. Der Riegel befand sich jedoch nur wenige Zoll unterhalb der Öffnung, so -218-
dass es keiner großen Fingerfertigkeit bedurfte, ihn hochzuheben und nach unten auf den Fußboden fallenzulassen. Ihm wurde bewusst, dass er ziemlich viel Lärm machte, doch bis jetzt war noch niemand aufgetaucht, ihn ob seines gewaltsamen Eindringens zur Rede zu stellen; offenbar war das Glück auf sei ner Seite. Der Gedanke, dass er mit viel weniger Aufwand und Lärm durch eines der Fenster hätte einsteigen können, kam ihm nicht. Er drückte erneut die Klinke hinunter und presste den Ell bogen gegen die Tür. Sie wollte sich noch immer nicht öffnen lassen. Er drückte stär ker. Sie bog sich nach innen, gab aber nicht nach. Es musste also noch weitere Riegel geben; der Art, wie sie sich bog, nach zu urtei len, saß einer oben und einer unten. Seine Geduld, seit seinem demütigenden Erlebnis von Ohn macht im Aghad-Tempel arg auf die Probe gestellt, war zu Ende. Mit einem Wutschrei riss er erneut seine Axt aus dem Tragegurt und schmetterte sie horizontal gegen das Holz. Es regnete Splitter, und ein großes Stück von einem der Bretter, aus denen die Tür bestand, brach heraus und platschte in das schmutzige Wasser. Und wieder schlug er zu, indem er alle Kraft in den Hieb legte. Die Schneide biss in das Holz und ließ einen erneuten Splitterregen über die Stufe und seine Füße herniedergehen. Er riss sie heraus, wobei sich ein weiteres großes Stück aus dem Brett löste, und langte mit der freien Hand durch das jetzt erheblich vergrößerte Loch. Er erreichte mit den Fingerspitzen den oberen Riegel, aber sein Unterarm war zu kurz, um ihn herauszuheben; er zog den Arm wieder heraus, steckte den anderen Arm mit der Axt hindurch und schlug mit der Axt den Riegel aus der Halterung. Er machte beim Herunterfallen noch mehr Lärm als der erste. Alsdann taste te er nach dem dritten Riegel und hakte ihn mit der Kante der
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Axtschneide heraus; sein Fall erzeugte nur ein leises Klirren. Dann, immer noch wütend, drückte er die Klinke abermals hinun ter. Die Tür ließ sich einen Spaltbreit öffnen. Er zog seinen Arm mit der Axt aus der Öffnung und drückte die Tür mit voller Wucht auf; der durch seine wuchtigen Axthiebe arg traktierte Rahmen zerbrach, als er gegen die Wand krachte, und was eben noch eine Tür war, hing jetzt nur noch als verzogenes Trümmerwerk aus zerborstenen Brettern an den verbogenen Angeln. Garth trat ein. Er stand in einer kleinen Küche; an einer Wand befand sich ein Spülstein, die anderen Wände waren mit Tischen und Schränken vollgestellt. Kein Lebenszeichen war zu entdecken, aber es war sauber, und nirgends lag Staub; das Haus war ohne Zweifel be wohnt. Vielleicht war der Besitzer taub; denn wenn er — oder sie — da war, konnte er den Lärm unmöglich überhört haben. Vielleicht war er aber auch ausgegangen und hatte sich nicht die Mühe gegeben, die Läden zu schließen. Oder aber er war bettläge rig. Wie auch immer, Garth scherte das nicht sonderlich; er hatte lediglich einen anderen Ausweg aus dem Stallhof finden wollen. Er durchquerte die Küche und schlenderte durch die offene Tür, die in einen großen Vorderraum führte. Im Gegensatz zur Küche nahm dieser die volle Breite des Hauses ein, gut zwanzig Fuß, wie er schätzte; er war in der Breite etwas größer als in der Tiefe, und die niedrige Decke ließ ihn noch breiter erscheinen. Garth musste sich sogar ein wenig ducken, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen. In der Küche hatte er sich voll aufrichten können, so lange er nicht direkt unter den Balken stand, die das Obergeschoss trugen; dieser größere Raum jedoch hatte eine Bohlendecke. Hinter ihm in der Wand war eine Tür, die, wie er vermutete, in eine Vorratskammer neben der Küche führte, und auf der linken -220-
Seite führte eine Treppe zum Obergeschoss hinauf. Diverse Stühle, Teppiche und Tische füllten den Raum; die rechte Wand nahm ein mächtiger Kamin ein. Auf der Vorderseite waren zwei breite Bo genfenster mit zugezogenen Vorhängen, dazwischen befand sich eine schwere Eichentür. Er ging hinüber zu der Tür, schob den Riegel zurück, öffnete sie einen Spalt und lugte hinaus; es schien eine reine Wohngegend zu sein, denn er konnte weder Geschäfte noch öffentliche Gebäude sehen. Er öffnete die Tür und schlüpfte hinaus. Die Sonne war inzwischen durch die Wolken gebrochen; die Straße war menschenleer. Er zog die Tür hinter sich zu und wand te sich nach rechts, die Richtung, in der, sofern sein Orientierungs sinn ihn nicht trog, die Straße der Tempel lag.
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Kapitel 16 Er hatte großes Glück gehabt, dass er auf einer leeren Straße her ausgekommen war; er fand davon nur wenige andere auf seinem Weg quer durch Dûsarra, aber irgendwie erreichte er sein Ziel, ohne unterwegs angesprochen worden zu sein. Zwar hatten meh rere Passanten neugierige Blicke in seine Richtung geworfen, und häufig war ihm ein Raunen gefolgt, aber niemand hatte gewagt, ihm in den Weg zu treten. Jetzt schlenderte er offen die Straße der Tempel entlang und hoffte, dass sein Glück anhielt. Er näherte sich einem Tempel, dem drittletzten vor dem Palast des Oberherrn; düster ragte er vor ihm auf, ein riesiger Würfel aus schwarzem Stein, mit dunklen Fenstern gesprenkelt und von einer breiten Kuppel überdacht. Sieben flache Stufen führten zu seinem offenen Portal; es gab kein Tor und keinen Hof und keinen Hin weis darauf, welcher Gott hier verehrt wurde. Er war nur noch ein paar Schritte von der untersten Stufe entfernt, als jemand hinter ihm rief: »Halt, Übermann!« Er beschleunigte seinen Schritt und hastete die Stufen hinauf; er hörte, wie jemand hinter ihm hergerannt kam, als er durch das Portal in ein Vorzimmer trat. Das Zimmer war klein und hatte einen hölzernen Fußboden, der bedenklich unter seinen Füßen nachgab; die Wände waren mit vermoderten, verblichenen Tapisserien behängt. Für einen kurzen Moment kam ihm der Gedanke, dass der Tempel vielleicht längst aufgegeben und verlassen war; da die Tageskulte im geheimen wirkten, war es gut möglich, dass einer von ihnen ausgestorben war, ohne dass es jemandem aufgefallen wäre. Ihm gegenüber war eine Tür mit einem rostigen Knauf; als Garth nach ihm griff, zerbröckelte er unter seiner Hand. Er hob -222-
die Faust, um gegen die Tür zu pochen, in der Hoffnung, dass ir gend jemand ihn hereinließe; zu seiner Verblüffung flog die Tür beim ersten Schlag mit quietschenden Angeln nach innen auf. Staubwolken wirbelten auf, und er bekam einen Hustenanfall, aber er schaffte es, hineinzustolpern. Gleichzeitig wurde ihm be wusst, dass die Schritte seines Verfolgers verstummt waren; statt dessen rief eine entsetzte Stimme: »Wir können dort nicht hinein gehen!« Er hielt inne. Wenn er nicht verfolgt wurde, gab es keinen Grund zur Hast. Er wischte sich den Staub aus den brennenden Augen und sah sich um. Die Tür, durch die er hereingekommen war, stand neben ihm, und jetzt war offensichtlich, warum sie so schnell nachgegeben hatte: sie war von innen völlig zerfressen von Termiten und Fäulnis, so dass sein Schlag ihr Werk lediglich vollendet hatte. Der Schnäpper, der sie im Schloss gehalten hatte, war geblieben, wo er war, bis auf den Rahmen durchgerostet, und das Holz um ihn her um war zu Staub zerfallen, so dass in der Kante der Tür jetzt ein riesiges Loch klaffte. Der Raum, in dem er sich befand, war vielleicht fünfzehn Fuß tief und zwanzig Fuß breit; anders als die anderen Tempel, die er bisher besucht hatte, hatte dieser einen Holzfußboden, der sich zur Mitte hin unter dem Gewicht eines dicken Teppichs be denklich senkte. Auch die Wände waren aus Holz, bis auf eine, welche aus Stein war und offensichtlich gleichzeitig eine der Außenmauern des Tempels bildete; denn sie war von drei schma len Fenstern durchbrochen, durch die das Tageslicht hereinfiel. Die Decke des Raums war mit Seide ausgeschlagen, die mit Dutzenden von Flecken aller Art übersät und an manchen Stellen schwarz von Fäulnis war. Auch sie hing, wie der Fußboden, in der Mitte durch. Überall hingen Spinnweben.
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Auch Möbel waren vorhanden: Zwei mit kunstvollem Schnitz werk verzierte Tische standen vor der gegenüberliegenden Wand, eine Tür flankierend, und eine Anzahl staubbedeckter Stühle standen verstreut herum. Über allem hing der Gestank von Fäulnis, Moder und Schimmel; Garth glaubte plötzlich ziemlich sicher zu wissen, in wessen Tem pel er sich befand. Er machte behutsam einen Schritt vorwärts; der Fußboden knarrte unheilvoll, und neue Gerüche von Zerfall bestürmten sei ne Nüstern. Er legte eine Hand vorsichtig auf eine der holzgetä felten Wände, doch nur, um sie sogleich wieder erschrocken zu rückzuziehen, als er spürte, wie das Holz nachzugeben drohte; auch hier war das Holz von Würmern und Fäulnis zerfressen. Es konnte kein Zweifel mehr bestehen: Dies war der Tempel P‘huls, der Göttin des Zerfalls. »Sei gegrüßt, Fremder!« Die Stimme kam von irgendwo zu sei ner Rechten; der übliche gutturale Dûsarranische Akzent war von einem seltsamen Lispeln verfremdet. Er wandte sich in die Rich tung, aus der die Stimme gekommen war, und sah, dass eine Gestalt in grauer Robe in den Raum getreten war. Er wollte etwas erwidern, hielt aber inne, als die Gestalt ihre Ka puze zurückstreifte und den Grund für das Lispeln offenbarte. »Stimmt irgend etwas nicht?« Die Stimme der Priesterin klang besorgt. »Nein. Ich war bloß verblüfft.« Die Unterlippe der Frau war eine geschwollene, auf-geworfene Masse schwärenden Fleisches, und ein großer Teil ihres Halses und ihres Gesichts war aufgeschwollen und bis zur Unkenntlich keit entstellt; an einer ihrer Hände fehlte ein Finger. An der Art ih rer Entstellungen erkannte Garth die Menschenkrankheit Lepra, und ein Schauer rieselte ihm den Rücken hinab. Seine Verfolger -224-
hatten wahrlich andere Gründe als religiöse gehabt, warum sie vor dem Portal kehrtgemacht hatten. Die Priesterin lächelte, ein Lächeln, das durch die Entstellungen nur um so schauriger wirkte. »Natürlich. Es ist Brauch, dass die Diener der P‘hul das Werk ihrer Herrin auf dem Fleisch tragen; gleichwohl vermag ich mir vorzustellen, dass es jenen, die einen solchen Anblick nicht gewohnt sind, im ersten Moment vielleicht einen Schrecken einjagen kann. Warum bist du gekommen? Was führt einen gesunden Übermann in den Tempel des Verfalls?« Garth bemerkte, dass sie sich ihres Lispelns sehr wohl bewusst war und sich größte Mühe gab, den Namen ihrer Göttin korrekt auszusprechen. Er spürte, wie sich Mitleid in ihm regte. »Ich war einfach neugierig.« »Das überrascht mich. Nur selten kommen Fremde zu uns. Was kann ich tun, um deine Neugier zu befriedigen?« »Erzähl mir von deiner Göttin!« Garth war zwar nicht sonder lich erpicht, etwas von P‘hul zu erfahren, aber er wollte Zeit zum Nachdenken gewinnen, und er vermutete, dass die Priesterin, erfüllt von ihrem Glauben, wie sie war, ihm auf den leisesten An stoß hin über Stunden hinweg erschöpfende Auskunft über sämt liche Aspekte und Details ihrer Religion erteilen würde. Hätte er sofort ihren Verdacht erregt, wenn er sie über irdischere Dinge befragt hätte, so war er überzeugt, dass sie in ihrem Enthusiasmus nichts seltsam daran fände, wenn er bereitwillig weitschweifige Ausführungen über ihre Religion über sich ergehen ließ. »Wenn du das wünschst, gern! Ich bin sicher, du weißt über die grundsätzliche Natur P‘huls Bescheid; sie ist die Ursache und die Essenz jedweder Krankheit und jedweden Zerfalls. Auf unserer ganzen Welt. Sie ist es, die uns altern lässt, die uns zur leichten Beute für den Tod werden lässt, auf dass die Alten den Jungen Platz machen. Sie lässt das grüne Laub braun werden, lässt es von -225-
den Bäumen fallen und verfaulen, so dass es der Erde neue Nah rung geben kann. Sie zerfrisst die Früchte, auf dass die Samen dar in aufgehen und erblühen. Durch Krankheit und Seuchen vertilgt sie die Schwachen und Unwerten. Die Würmer der Erde und die niederen Insekten dienen ihr, indem sie alles verschlingen, was sie ihnen gibt; doch sie wiederum sind es, die die Vögel am Himmel und die Tiere des Feldes nähren. Sie ist die Magd des Todes.« Während die Priesterin mühsam ihre Worte formte, ließ Garth noch einmal die Ereignisse der jüngsten Zeit an seinem Geiste vor überziehen; ihm war schlagartig bewusst geworden, dass er sich, seit er den Aghad-Tempel verlassen hatte, höchst unvorsichtig, ja geradezu schon idiotisch verhalten hatte. Dass er offen in den Tempel der Sai marschiert war, war äußerst töricht gewesen, auch wenn er dadurch zufällig ein unschuldiges Menschenleben vor dem Opfertode bewahrt hatte. Sein ganzer Auftritt dort zeugte von erschreckender Planlosigkeit; selbst sein Kampf mit den Pries tern war alles andere als ein Ruhmesblatt gewesen, hätte er doch in der Lage sein müssen, sie zu überwältigen, auch ohne sie gleich zu töten. »Es gibt manche, die sagen, der Tod sei das große Übel unserer Welt«, fuhr die Priesterin fort, »und daher müsse P‘hul als seine Dienerin gleichfalls schlecht sein. Das ist nicht der Fall; der Tod würde auch existieren, wenn es P‘hul nicht gäbe. Die Göttin macht uns bereit für seine Berührung. Ist es nicht besser, alt und müde zu sterben, als auf der Höhe seiner Kraft und Gesundheit aus dem Leben gerissen zu werden?« Sein Verhalten am heutigen Morgen hatte sich durch noch grö ßere Plan- und Ziellosigkeit ausgezeichnet. Er hatte keinen zwingenden Grund gehabt, auf Dächern herumzuklettern und die Türen unbescholtener Bürger einzuschlagen. Seine berser kerhaften Ausbrüche hatten lediglich dazu gedient, den Zorn, der
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immer noch in ihm brodelte, an unschuldigen Dingen auszu lassen. »Da wir nun einmal alle nach einer vorherbestimmten Zahl von Jahren sterben müssen, ist es da nicht besser, wenn der Tod uns als Ende eines langen Niedergangs ereilt, als Endpunkt des Zerfalls, und nicht, solange wir noch jung und in der Blüte un seres Lebens sind? Unser Leben bleibt auf diese Weise im Gleich gewicht; auf der einen Seite der Waage steht der Aufstieg vom Kinde zum Erwachsenen, welchem auf der anderen Seite der Ab stieg zum Greise gegenübersteht. Aal, der Herr des Wachstums, ist P‘huls Zwillingsbruder und Widerpart; keiner von beiden könnte ohne den anderen existieren. Aal herrscht über unsere Jugend, P‘hul über unser Alter.« Offenbar ärgerte er sich noch immer über die Hilflosigkeit, die er im Aghad-Tempel empfunden hatte. »Damit es Wachstum geben kann, muss es Verfall geben; damit das Neue wachsen und gedeihen kann, muss das Alte vergehen, sonst würde die Welt unter dem Wachsenden ersticken.« Es lag auf der Hand, dass die Verbannung aus seiner Heimat noch immer in ihm nagte, in welche er sich durch den törichten Eid, den er dem Baron von Skelleth geleistet hatte, selbst hinein geritten hatte. »Das mag ja sein; aber selbst wenn wir die Notwendigkeit des Verfalls akzeptieren müssen, bedeutet das doch noch lange nicht, dass wir auch die Göttin verehren müssen.« Noch viel tiefer aber saß der Ärger über den Vergessenen König, der ihn wie ein dummes Kind behandelte und ihn manipulierte wie eine Marionette, und auf die Weisen Weiber von Ordunin, im Vertrauen auf deren Orakel er überhaupt erst nach Skelleth ge gangen war.
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»Wir verehren, sie, weil wir tiefere Schönheit erkennen, die ih rem Werk zugrunde liegt; weil wir erkennen, dass Verfall Frieden bringt und dass wir in ihm Zufriedenheit und Glück finden können. Sie setzt unserem Kampf gegen unser unvermeidliches Schicksal ein Ende und befreit uns von Sorge und Kummer.« Dies alles waren natürlich Symptome seines Zorns über seine eigene Ohnmacht und Hilflosigkeit, seines Ärgers über seine eigene Bedeutungslosigkeit im Kosmos; es war sein Unvermögen, die Welt nach seinem Willen und Geschmack zu formen, das sei ner Wut über alle diese Erscheinungsformen seiner Ohnmacht zu grunde lag. »Jeder Bauer betet zu Aal; alle Eltern heranwachsender Kinder verehren ihn. Er bedarf nicht der Verehrung solch niederer Krea turen wie uns bei der Flut von Schmeicheleien und Lobhudelei, mit der er allenthalben überschüttet wird. Und doch wäre er nichts ohne seine Schwester, und wir haben uns entschieden, ihr die Anerkennung zu zollen, die sie verdient, als Dank für die Male, die sie uns aufgedrückt hat.« Im Verlauf des gelispelten Vortrags der Priesterin hatten beide auf dem ihnen am nächsten stehenden Stuhl Platz genommen; die Priesterin hatte die Staubwolke, die beim Hinsetzen aus dem Polster hochwirbelte, mit Todesverachtung ignoriert, und Garth hatte versucht, es ihr gleichzutun, wobei seine Befürchtungen ohnehin in erster Linie um die Frage kreisten, ob das wurmsti chige Möbelstück seinem Gewicht standhielte. Jetzt beugte sich die Dienerin der P‘hul vor, wobei ihr Stuhl beängstigend unter ihr knarrte, und fragte: »Hast du irgendwelche Fragen?« »Ich ...« Garth hatte seinem Hauptanliegen, nämlich der Plünderung des Altars, bisher überhaupt noch keinen Gedanken gewidmet; er stockte einen Moment lang und stellte dann eine Frage, die ihn nur vage interessierte. »Ich habe gehört, dass dies
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das Dreizehnte Zeitalter der Welt ist, das Zeitalter des Zerfalls, und als solches wird es von P‘hul regiert. Könntest du mir das er klären? Herrschen denn nicht alle Götter stets über ihre eigene Do mäne, ungeachtet des Zeitalters?« »Doch, natürlich tun sie das. Die Zeitalter der Welt sind le diglich eine Theorie, die die Theologen, Philosophen und Astro logen ausgearbeitet haben, und doch scheinen sie in gewisser Weise zuzutreffen. Ich verstehe nicht, wie die Zeitalter festgelegt sind, aber es heißt, dass es bestimmte Zeichen gibt, die jede Ära markieren. Unser jetziges Zeitalter ist gekennzeichnet von sin kender Bevölkerung, sinkendem Wohlstand und Verlust an Wissen, und daher wird es P‘hul zugeschrieben, denn dies sind die Symptome eines Verfalls der Menschheit — und Über menschheit — als Ganzem, so wie die Krankheiten P‘huls Ursache für den Verfall von Individuen sind. Die Theologen sagen, dies sei so, weil P‘hul in diesem Zeitalter auf dem Höhepunkt ihrer Macht sei, während die Götter, die ihr ebenbürtig oder die gar größer als sie sind, in einem Zustand der Ruhe verharren würden oder auf andere Weise geschwächt seien. Der Verfall schreitet schneller voran als das Wachstum; aber es gibt noch immer Wachstum, und wenn dieses Zeitalter zu Ende geht, wird das Gleichgewicht zwi schen P‘hul und Aal wiederhergestellt werden, und eine andere Gottheit wird sich vorübergehend über das kosmische Gleichge wicht erheben. Die Astrologen sagen, dass unser Zeitalter gerade jetzt zu Ende geht; dass das Vierzehnte Zeitalter vielleicht sogar schon angefangen hat, und wenn nicht, dass es jedenfalls sehr bald schon anfangen wird.« Letzteres erregte Garths Aufmerksamkeit; ein paar Monate zu vor hatte der Vergessene König zu ihm gesagt, dass es sinnlos sei zu versuchen, dem Ausufern von Tod und Zerfall Einhalt zu ge
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bieten, solange das Zeitalter P‘huls noch andauere. Wenn es erst zu Ende gehe, brächen vielleicht bessere Zeiten an, eine Ära, in der große Dinge vollbracht würden. »Wie wird das Vierzehnte Zeitalter sein? Welcher Gott wird es beherrschen?« »Das weiß ich nicht. Das Zwölfte Zeitalter war das Zeitalter Ag hads, welches von Krieg und Verrat gekennzeichnet war, und vieles von der Geschichte der Welt ging in jenem Zeitabschnitt verloren, der erheblich länger dauerte als die drei Jahrhunderte von P‘huls Herrschaft, so dass außer vielleicht ein paar Gelehrten niemand mehr etwas über das Elfte Zeitalter weiß. Daher vermag ich auch keinen Plan dahinter zu erkennen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass einer der Eir, der Herren des Lebens, zur Macht empor steigt; obwohl ich einer Dame der Dûs diene, würde ich solch einen Wechsel nicht bedauern.« »Könnte nicht auch irgendein anderer Gott regieren? Ich habe von Göttern gehört, die weder den Dûs angehörten noch den Eir.« »Solche Götter, sofern sie überhaupt existieren, sind nur von nie derem Rang – ausgenommen natürlich Dagha. Es gibt die sieben Dûs, die sieben Eir und den Gott der Zeit, der sie alle geschaffen hat; diese fünfzehn sind die großen Götter, und du kannst gewiss sein, dass einer von ihnen das Neue Zeitalter der Welt regieren wird.« »Dies ist das Dreizehnte Zeitalter; das Vierzehnte wird bald be ginnen. Aber es gibt nur fünfzehn von diesen höheren Göttern. Was wird geschehen, wenn jeder von ihnen sein Zeitalter gehabt hat?« »Vielleicht beginnt dann der Zyklus von vorn.« Garth lehnte sich zurück und dachte darüber nach. Das ganze System klang ziemlich .an den Haaren herbeigezogen; Zeitalter von verschiedener Länge und in einer unbekannten Reihenfolge? -230-
Und nur fünfzehn, die als Herrscher in Frage kamen? So inter essant sich das Ganze auch anhörte, und wenn auch die Charakte risierung der letzten drei Jahrhunderte als ein Zeitalter des Zerfalls und die der Periode, die mit den Rassenkriegen zu Ende gegangen war, als ein Zeitalter des Hasses scheinbar zutrafen – für ihn stand fest, dass das ganze System nicht mehr war als eine wei tere menschliche Übung in fruchtlosem Theoretisieren. Schließlich und endlich konnten die Menschen nicht einmal die Existenz auch nur eines einzigen ihrer unzähligen Götter beweisen; wie konnte man da auch nur einen Hauch von Vertrauen in ein System setzen, das auf eben diesen Göttern basierte? Im übrigen, wenn dies das Dreizehnte Zeitalter war, dann musste es logischerweise vor langer Zeit einmal ein Erstes Zeitalter gegeben haben; und was war davor gewesen? Er schüttelte den Kopf. »Ich bin verwirrt. Vielleicht könntest du mir ein wenig euren Tempel zeigen, während ich diese neuen Erkenntnisse verdaue.« »Wenn du es wünschst.« Die Priesterin stand auf; Garth folgte ihrem Beispiel, erfreut, dass sie so bereitwillig auf seinen Wunsch einging. Bei einer Führung durch den Tempel würde er mit Si cherheit auch den Altar zu sehen bekommen. Die Frau in der grauen Robe führte ihn durch eine knarrende Tür in einen düsteren Korridor mit Holzfußboden und zerfetzten, vermodernden Wandbehängen; er war überrascht zu sehen, dass von beiden Seiten mehrere Türen abgingen. Der Tempel war kom plizierter, als er gedacht hatte. »Dies sind die Studierstuben unserer Scholaren«, erklärte seine Führerin. Sie öffnete eine der Türen, scheinbar aufs Geratewohl, und ein kleiner Raum kam zum Vorschein, kaum mehr als eine Zelle, angefüllt mit Regalen, die sich unter dem Gewicht von Hunderten von Büchern, Schriftrollen und Papieren bogen, und er-hellt vom Licht eines einzigen winzigen Fensters. Ein schmaler
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Schreibtisch stand in der Mitte, dahinter ein wackliger Stuhl; auf dem Schreibtisch lagen weitere Papiere ausgebreitet; als Brief beschwerer diente ein menschlicher Schädel. »Der Schädel ist nur eine Erinnerung an die Sterblichkeit des Menschen«, erklärte die Priesterin. »Wie kommt es, dass euer ... dass ihr solche Gelehrten un terhaltet? Ich habe anderswo in Dûsarra kein Zeichen solcher Ge lehrsamkeit gesehen.« »Das entspringt der Natur unseres Glaubens. Je mehr wir von der Welt wissen, desto mehr wissen wir von den Göttern, die sie erschaffen haben; und je mehr wir über die Götter wissen, um so besser können wir unserer Göttin dienen. Ich habe gehört, dass es auch unter den Anhängern Aghads viele Gelehrte gibt, wenn dies wohl auch mehr dem Wunsch entspringt, der Menschheit zu schaden, als den Göttern zu dienen; und es gibt eine ausgezeich nete Bibliothek im Tempel der Tema. Die Priester Andhur Regvos‘ sind natürlich außerstande zu lesen. Die Priester des Bheleu bringen nicht die Geduld zum Studieren auf. Über die Kulte Sais und des Letzten Gottes weiß ich nichts.« Während die Priesterin sprach, führte sie ihren Gast wieder aus der Studierstube und Schloss die Tür hinter sich. Am Ende des Ganges angekommen – ein zweiter Gang zweigte rechtwinklig von ihm ab -, stieg sie eine schmale Wendeltreppe aus rostigem Eisen hinauf, die bedenklich unter dem Gewicht der beiden schwankte. Garth fragte sie, wohin der zweite Korridor führte. »Zum Schlafsaal«, erwiderte sie. »Hast du einen besonderen Grund, dass du ihn mir nicht zeigst?« »Ich glaubte nicht, dass er dich interessieren würde; unsere Un terkünfte sind schlicht. Außerdem schlafen die meisten meiner Mitpriesterinnen zur Zeit, und ich wollte sie nicht stören. Haben -232-
wir nicht genauso ein Recht auf Ruhe und Privatleben wie andere, normale Menschen? Unsere Krankheiten machen uns zu Ausge stoßenen, aber wir sind trotzdem immer noch Menschen.« »Natürlich; ich habe es nicht böse gemeint. Eure Zeremonien finden also des Nachts statt?« »O ja, gewiss doch! Die Herren von Dûs sind schließlich die Dunklen Götter; und sie alle sind Götter der Nacht, ganz gleich, welche Gewohnheiten ihre Anhänger haben.« Während sie dies sagte, erreichten sie das Ende der Wendeltreppe. Sie standen in einem ziemlich großen Vorraum, dessen hintere Wand von einer riesigen doppelflügeligen Tür beherrscht wurde; beide Seitenwände waren mit Holz getäfelt und mit verblichenen Wandbehängen geschmückt, deren Vermoderungsprozeß so weit vorangeschritten war, dass Garth sich nicht schlüssig war, ob sie ursprünglich einmal Banner, Tapisserien. Oder sonstwas gewesen waren. Die Wendeltreppe war in einer halbrunden Nische in der Rückwand, welche aus schmucklosem schwarzen Basalt war. Sie war durchbrochen von drei schmalen Spitzbogenfenstern. Die Priesterin durchquerte den Raum mit sicherem, leichtfüßigem Schritt, was Garths wachem Auge nicht unbemerkt blieb. Die Frau mochte zwar krank sein, aber bisher jedenfalls schien ihr Gebre chen sie nicht ernstlich geschwächt zu haben; sie bewegte sich ge nausogut wie die meisten Menschenwesen. Ihr Alter war schwer zu schätzen; sie hatte zweifellos ihre Jugend hinter sich, gleich wohl hatte sie noch nicht das weiße Haar und die gebeugte Haltung der Greisin, darüber hinaus aber vermochte er keine Anzeichen zu entdecken, die Aufschluss über ihr Alter gegeben hätten. Die Schwellungen in ihrem Gesicht hatten alle Falten ge glättet, aus denen er sonst das Alter vielleicht hätte herauslesen können.
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Sie öffnete die große Doppeltür, und die beiden traten in den da hinter liegenden Raum. Garth sah sich genötigt, die Luft anzuhalten, bis der Staub sich etwas gelegt hatte. Der Raum wirkte riesengroß, größer, als er in Wirklichkeit war; er füllte die gesamte restliche Höhe des Tempels aus, einschließ lich der Kuppel. Er war annähernd quadratisch, mit einer Seiten länge von rund vierzig Fuß, aber seine Dimensionen wurden verzerrt durch den Rauch und den Staub, die in dichten Schwaden in der abgestandenen Luft schwebten. Trübes Licht sickerte durch die schmutzverkrusteten Fenster aus farbigem Glas herein und malte dunkle Muster auf den abgetretenen Holzfußboden und auf die kunstvoll geschnitzten Geländer, die die in drei übereinander liegenden Reihen rings um den Saal laufenden Galerien zierten. Ein heller Kegel ungefärbten Lichts, das durch einen Ring von Fenstern in der Basis der Kuppel hereinflutete, tauchte das Zentrum des Raumes in Helligkeit. In der Mitte dieses Licht kreises stand, nur vage erkennbar, der Altar. Das gleißende Sonnenlicht ließ ihn in hellem Glanz erleuchten, versteckte ihn aber zugleich hinter einer Wand aus ebenso hell beleuchteten Spinnweben, Weihrauchschwaden und Staubwolken. Der Altar bestand aus einer breiten quadratischen Fläche, die sich zwei oder drei Fuß oberhalb des Fußbodens erhob; er war aus Holz gefertigt, die Seiten waren mit Seide ausgepolstert, und die Kanten waren mit Kupferbeschlägen versehen, die mit einer di cken Schicht Grünspan überzogen waren. Die Oberfläche war mit verblichenem, halb verschimmeltem Stoff bespannt, und in der Mitte war ein Quadrat aus Mahagoniholz ausgespart. Das einzige, was auf dem Altar lag, war eine dicke Staubschicht. Garth starrte angewidert darauf.
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»Dies ist natürlich das Allerheiligste des Tempels. Hier führen wir unsere Zeremonien durch, hier tun wir der Göttin unsere Frömmigkeit kund, flehen sie an, unserer zu gedenken und uns gnädig zu sein.« Sie schwieg einen Moment lang, auf eine Erwiderung Garths wartend; der Raum war wunderschön oder war es zumindest ein mal gewesen, und sie schien sicher, dass der Übermann das würdigen würde. Garth indes war mit den Gedanken nicht ganz bei der Sache und sagte nichts. Unschlüssig, ob dies als schlichte Unhöflichkeit zu werten war oder ob er zu beeindruckt von dem Raum war, um zu einer direkten Antwort fähig zu sein, fügte sie hinzu: »Viele von uns kommen gern hierher, auch außerhalb der Zeremonien, einfach um die Atmosphäre und Schönheit dieses Raums zu genießen.« Garth riss sich aus seiner Versunkenheit. »Verzeih mir. Ich war mit den Gedanken woanders.« Er ließ sei nen Blick weiter schweifen, über die von Spinnweben überzo genen Galerien, über die gesprungenen und schmutzüberdeckten Fenster, die von Rauch und Staubwolken milchige Säule aus Sonnenlicht. Trotz des allgegenwärtigen Verfalls hatte der Raum etwas Liebliches, Warmes, Einladendes an sich; vielleicht war es gerade der Verfall selbst, der diesen Eindruck hervorrief, indem er allzu grelle Farben milderte, scharfe Kanten runder erscheinen ließ, Fehler und Makel unter einer gnädigen Staubschicht verbarg. Der Gedanke ging ihm durch den Kopf, dass solche Schönheit an einem solchen Ort irgendwie unpassend war. Erwartete man nicht an einer Kultstätte des Verfalls Fäulnis und Gestank? Rechnete man nicht damit, allenthalben auf Schimmel und Verwesung zu stoßen? »Es ist nicht das, was ich erwartet hatte«, sagte er wahr heitsgemäß, als er sah, dass die Priesterin noch immer auf irgend eine Äußerung wartete. »Oh?«
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»Nein. Ich ... hatte gedacht, es gäbe ein Standbild eurer Göttin.« »Vielleicht gab es ein solches früher einmal; der größte Teil dessen, was ursprünglich in diesem Tempel war, ist längst zu Staub zerfallen. Wie es für unseren Glauben unvermeidlich ist, wurde jeder Teil des Tempels mindestens einmal renoviert; da wir nur vergängliche Materialien verwenden dürfen und alles tun müssen, was wir können, ihren Verfall zu beschleunigen, zerfallen sie schließlich gänzlich und müssen ersetzt werden, wenn der Sinn und Zweck des Tempels erhalten bleiben soll. Bis auf das Glas und den Stein ist wohl kaum etwas in diesem Gebäude älter als vier oder fünf Jahrhunderte.« »Vier oder fünf ...« Garth schwindelte fast bei der Vorstellung. Seine Geburtsstadt Ordunin war weniger als dreihundertfünfzig Jahre alt, die älteste noch bestehende Übermenschenansiedlung. »Wie alt ist der Tempel?« »Oh, er ist erst zwei oder dreitausend Jahre alt, aber er ist natür lich nicht der ursprüngliche Tempel; es hat seit der Gründung Dûsarras immer einen P‘hul-Tempel gegeben.« »Wann war das?« »Das weiß niemand genau.« »Oh.« Garth war noch nie der Gedanke gekommen, dass die Stadt, oder überhaupt irgendeine Stadt, älter als zweitausend Jah re sein konnte. Es fiel ihm schwer, sich das vorzustellen. »Nun, jedenfalls, solange ich lebe, hat es hier kein Bild P‘huls gegeben.« »Oh.« Garth hatte gehofft, das Thema irgendwie unauffällig auf den leeren Altar bringen zu können, aber seine Hoffnung schien vergeblich – wenngleich diese Ausführungen durchaus informativ und interessant waren. Er beschloss, es auf einem direkteren Weg zu probieren.
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»Wie ich sehe, ist euer Altar leer, wohingegen in allen anderen Tempeln der Stadt dort kostbare Gegenstände oder zeremonielle Geräte aufbewahrt werden.« »Ich weiß nicht, wie die anderen es halten; wir jedenfalls bewah ren nichts auf dem Altar auf. Er dient lediglich als Tafelaufsatz für unsere Rituale. Manchmal steigen auch Bittsteller hinauf, um zu beten; es heißt, dass solche Gebete eher erhört werden.« »Ist denn überhaupt je etwas auf ihm aufbewahrt worden?« »Nicht dass ich wüsste, abgesehen vom Staub; der liegt natürlich überall. Warum fragst du?« Garth sah keinen Grund, warum er die Wahrheit verschweigen sollte. »Ich wurde gebeten – von einem sogenannten Philosophen — zu schauen, ob ich das, was auf eurem Altar stünde, bekommen könnte.« »Oh, ich verstehe.« Sie lächelte, und die Grimasse, zu der sie ihr entstelltes Gesicht bei dieser mimischen Äußerung zwang, wirkte durch das grüne Licht, das durch ein nahes Fenster auf sie fiel, noch abstoßender. »Dann musst du ja sehr überrascht gewesen sein, als du sahst, dass er leer ist.« »Das war ich in der Tat.« »Du darfst dich gern von dem Staub bedienen, wenn du möch test.« »Vielen Dank; ich weiß diese Geste zu schätzen.« »Es macht uns nichts aus; wir wischen ohnehin alle paar Monate den Staub vom Altar.« »Oh.« Garth zog den Beutel aus seinem Gürtel hervor und be trachtete ihn skeptisch; er war aus ziemlich grob gewebtem Stoff genäht. Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass er den Staub gut halten würde. Aber was machte das schon? Es war schließlich und endlich nichts als gewöhnlicher Staub. Er wusste nichts von Magie und
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Zauberei, aber er wusste, dass Staub Staub war. Er kam sich ziem lich idiotisch dabei vor, als er ein Meines Häufchen Staub auf dem Altar zusammenfegte und es in den Beutel wischte. Dann knotete er den Beutel zu und schob ihn wieder unter seinen Gürtel. »Danke«, wiederholte er. »Ist das alles, weswegen du hergekommen bist?« »Ja.« »Dann habe ich also ganz umsonst zu dir gesprochen?« Garth gefiel der Ton nicht, der in der Stimme der Priesterin lag. »Ich fand deine Worte sehr interessant, Frau. Du musst nicht das Gefühl haben, dass du deine Zeit vergeudet hast.« »Habe ich das nicht?« »Nein. Dieser Besuch war mein bisher aufschlussreichster, wirklich.« »Er könnte vielleicht mehr als das sein.« Sie lächelte wieder. »Wie meinst du das?« »Du bist seit einiger Zeit in unserem Tempel; vielleicht liegt die Hand der Göttin schon auf dir.« »Wie soll ich das verstehen?« »Alle, die P‘hul dienen, tragen ihre Male; ihre Priester sind die Altersschwachen, die Kranken, die, die Lepra haben und Krebs und Tuberkulose und alle die vielen anderen zehrenden Leiden. Die Luft dieses Heiligtums ist geschwängert mit Krankheiten. Du hast lange mit einer Leprakranken gesprochen, vor der die meis ten Menschen mit Grauen fliehen, wenn sie sie nur ansieht. Es ist sehr gut möglich, dass du schon irgendeine Krankheit in dir trägst; wenn nicht meine, dann vielleicht eine von den anderen.« Garth erwiderte nichts; er fühlte einen kurzen Moment lang Panik in sich aufsteigen, unterdrückte sie aber sogleich, indem er
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sich ins Bewusstsein rief, dass, ganz gleich, was diese Kreatur auch glauben mochte, kein Übermann jemals an Lepra erkrankt war. Auch vor den meisten anderen Krankheiten brauchte er sich nicht zu fürchten; nur sehr wenige menschliche Krankheiten konnten auch Übermenschen befallen, und die, die es vermochten, waren entweder nicht ansteckend, oder es waren solche, die einen rasch dahinrafften, keineswegs aber solche von der langwierigen, zehrenden Art. Übermenschen hatten ihre eigenen Krankheiten und Gebrechen. »Soll ich dich nun hinausbegleiten? Du hast ja nun das, wofür du gekommen bist.« »Ich habe es nicht eilig. Ich möchte deine Göttin nicht be leidigen, indem ich hastig aus ihrem Tempel fliehe.« »Wahrhaftig? Vielleicht habe ich dir in meinen Gedanken doch unrecht getan.« Garth zuckte die Achseln. Hinter ihnen war ein Geräusch; beide drehten sich um und sa hen eine gebeugte, schlurfende Gestalt am Ende der Wendeltreppe an der Rückseite des Vorzimmers auftauchen. Es war ein Mann; er trug die graue Robe eines Priesters der P‘hul. Er war welk vom Alter und bewegte sich nur ganz langsam vorwärts, als litte er Schmerz. Sein weißes Haar hing ihm in ver filzten Strähnen ins Gesicht und verflocht sich übergangslos mit seinem struppigen Bart. Er schaute den Übermann und die Pries terin mit blinzelnden Augen an. »Sei gegrüßt, Tiris. Dieser Übermann hat unseren Tempel be sucht.« Die Priesterin sprach laut und langsam und artikulierte je des Wort so sorgfältig, wie sie es mit ihrer deformierten Lippe vermochte. Der Greis schlurfte näher; sie sagte leise zu Garth: »Er kann kaum noch hören. Tiris ist der älteste unserer Priester. Es
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heißt, er genieße die besondere Gunst der Göttin und könne Dinge sehen, die andere nicht sehen.« Garth war nicht sonderlich beeindruckt. Er hatte die Menschen gut genug kennengelernt, um zu wissen, dass sie bei weitem leichtgläubiger waren als sein eigenes Volk; oft genug reichten Alter und ein mysteriöses Gehabe aus, um den Ruf eines Zaube rers angedichtet zu bekommen. Er konnte nicht bestreiten, dass es echte Zauberer gab und dass überall in der Welt magische Kräfte wirkten; er hatte mehr als einmal unliebsame Erfahrungen mit wirklicher Magie machen müssen. Aber das bedeutete nicht, dass er gewillt war, sich vor jedem verrückten Greis, der ein paar Ta schenspielertricks beherrschte, ehrfurchtsvoll zu verneigen. Er sagte höflich: »Sei gegrüßt, Tiris.« Der alte Mann blieb stehen und musterte Garth eingehend mit schielenden blauen Augen. Und dann sagte er ganz plötzlich, mit einer Stimme, die nicht zitterte, einer Stimme, die weit kräftiger war, als es die eingeschrumpfte, unscheinbare Gestalt hätte vermuten lassen: »Sei gegrüßt, Bheleu.«
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Kapitel 17 Für einen Moment standen alle drei wie angewurzelt; Garth und die Priesterin vor Verblüffung, und der alte Mann, weil er sich of fenbar durch das Treppensteigen zu sehr verausgabt hatte. Dann sagte Garth: »Ich bin nicht Bheleu. Ich heiße Garth von Ordunin.« Tiris zuckte die Achseln und erwiderte: »Wie du meinst.« Garth war verärgert, bemühte sich aber, es nicht zu zeigen. Es schien fast verständlich. Er erwog, ihn auf die Figuren hinzuweisen, die auf dem Marktplatz verkauft wurden; vielleicht wusste der senile alte Trottel nicht einmal, dass er ein Übermann war, sondern glaubte, dass die Figuren ein einmaliges, einzigartiges Wesen darstellten. Merkwürdig hätte ihm jedoch vorkommen müssen, dass der vermeintliche Bheleu – abgesehen davon, dass es höchst absurd war, dass ein Gott in einem Tempel herumspazieren sollte, der nicht der seine war – weder Schwert noch Helm trug. Aber nach kurzem Überlegen verwarf er den Gedanken wieder; er war zu dem Schluss gekommen, dass es wenig Sinn haben würde. Die Priesterin wich ängstlich von ihm weg. Er fand das amüsant; eine Aussätzige, das am meisten gemiedene Wesen auf der ganzen Welt, wich vor einem gewöhnlichen Übermann zurück, weil ein alter Mann ihn mit dem Namen eines Gottes angeredet hatte. »Ich versichere Euch, ich bin kein Gott.« »Wie du möchtest. Doch was auch immer du bist, du wirst von unserer Göttin geliebt; wenn du nicht ihr Brudergott bist, dann bist du seine Verkörperung. Das Zeitalter des Bheleu beginnt heu te Nacht, musst du wissen; du bist gerade zur rechten Zeit gekom men.« »Zur rechten Zeit? Zur rechten Zeit wofür?«
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»Um P‘huls Dienste entgegenzunehmen. Ihre Kraft schwindet, da ihre Ära sich dem Ende zuneigt, aber sie schuldet ihrem älteren Bruder Treue; bevor sie sich aus unserem sterblichen Reich zu rückzieht, wird sie ihre Pflicht erfüllen und dir dienen, um die Sa che des Herrn der Zerstörung zu unterstützen.« Die Priesterin wich jetzt offen vor dem Übermann zurück. Garth murmelte: »Das ist absurd. Ich stehe in keinerlei Beziehung zu ir gendeinem Gott.« Er fühlte sich unbehaglich an die Prophezei ungen erinnert, die der Seher von Weideth zitiert hatte; die Leute schienen überzeugt, in ihm einen Bringer von Leid und Zerstö rung zu sehen. »Vielleicht bist du dir deiner Rolle nicht bewusst. Wir alle dienen den Göttern, und du mehr als jeder andere.« Garth war nicht sicher, ob der angeblich schwerhörige alte Pries ter seine Bemerkung gehört hatte oder ob er lediglich seine Ge danken erraten hatte. Ganz gleich, es gefiel ihm nicht. Er wollte scharf erwidern, dass er niemandem diente, als ihm bewusst wurde, dass das ja nicht der Wahrheit entsprach, denn er diente ja in der Tat dem Vergessenen König. Der alte Mann mochte ja selt sam sein, aber er war kein Gott. War er das wirklich nicht? Wie sah ein Gott aus? Woran erkannte man ihn? Konnte der mysteriöse Greis vielleicht doch eine Art Gottheit sein? Es schien unwahrscheinlich. »Ich diene keinem Gott«, sagte Garth. Tiris zuckte die Achseln, sagte aber weiter nichts; statt dessen wandte er sich ab und schlurfte weg, an einer Seite des Altar raums entlang. Garth wandte sich seiner Führerin zu, die jetzt fast bis zur Wand zurückgewichen war und in ängstlich geduckter Haltung dastand.
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Es bestand kein Zweifel, dass zumindest sie voll an die geheimnis vollen seherischen Fähigkeiten des alten Priesters glaubte. Empört marschierte er an ihr vorbei, durchquerte das Vor zimmer und stieg die rostige Wendeltreppe hinab; er hatte bekom men, was er wollte. Er ging durch den Korridor, das Knarren des Fußbodens ignorierend. Die Tür am Ende des Ganges stand immer noch offen; er ging durch sie hindurch und dann durch die Tür, die er mit der Faust eingeschlagen hatte. Erst als er schon draußen auf der sonnenbeschienenen Treppe stand, fiel ihm wieder ein, dass er ja bis zum Eingang des Tempels verfolgt worden war, und dass es sehr gut möglich war, dass der oder die Verfolger draußen auf ihn warteten. Aber es war niemand zu sehen. Es war früher Nachmittag; die Straße war voll von Spa ziergängern, die die warme Sonne genossen, die längst alle Pfützen des nächtlichen Regens weggetrocknet hatte. Mehrere sa hen ihn, als er aus der Dunkelheit des P‘hul-Tempels ins helle Licht der Sonne trat, aber erhoben kein Geschrei, sondern zogen es schlicht vor, einen weiten Bogen um ihn zu machen. Als er an das entstellte Gesicht der leprakranken Priesterin dachte, verstand er ihr Verhalten und war dankbar dafür. Für eine Weile würde er unbehelligt bleiben, zumindest so lange, wie offenbar war, woher er gerade kam. Er hatte ein wenig Hunger, war aber überhaupt nicht müde. Jetzt hatte er nur noch zwei Tempel vor sich. Er schob den Ge danken an Essen beiseite und schloss sich dem Spa ziergängerstrom nach Norden an, wo sein nächstes Ziel lag. Er warf einen kurzen Blick nach Südosten, zum Aghad-Tempel, und empfand tiefe Genugtuung darüber, dass er im P‘hul-Tempel niemandem etwas zuleide getan hatte.
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Bald tauchte vor ihm der vierte Tempel der Straße auf, und vermutlich der letzte, falls nicht der siebte und letzte Tempel der Stadt doch noch irgendwo weiter unten an der Straße versteckt lag. Er sah sofort, dass es eine Ruine war. Es war ihm in der Nacht nicht aufgefallen, als das Schwarz des Himmels mit dem Schwarz des Tempels verschmolzen gewesen war; aber jetzt, bei Tageslicht, war es nicht zu übersehen. Die große Kuppel war nur noch ein Gerippe, ein metallenes Skelett, verbogen und halb eingesackt; nur noch ein paar zerbrochene Fragmente waren von der steiner nen Außenhaut übrig geblieben. Das breite niedrige Gebäude selbst war zum größten Teil von den umliegenden Häusern verdeckt, aber durch die Lücken konnte er die breiten Risse und klaffenden Löcher im Gemäuer erkennen. Dies war entweder der Tempel der Zerstörung oder der Tempel des Todes; in beiden Fällen war eine Ruine durchaus passend. Deshalb nahm er auch nicht an, dass das Gebäude verlassen war. Er vermutete, dass es der Tempel des Bheleu war; das würde be deuten, wenn er mit seiner Vermutung richtig lag, dass der letzte Tempel, den er noch nicht entdeckt hatte, der Tempel des GottesDessen-Namen-Man-Nicht-Ausspricht war, was nur logisch war: Ein Gott, dessen Name sogar geheim war, würde seinen Tempel kaum offen an einer belebten Allee haben. Als er näher kam, sah er, dass der Tempel einen Vorhof hatte, ähnlich denen des Aghad- und des Sai-Tempels. Zwei offen stehende stählerne Torflügel, von denen nur noch die Rahmen üb rig waren – der Rest war regelrecht zerfetzt -, hingen verbogen in ihren Angeln. Garth fragte sich, welche Kraft sie wohl so zugerich tet haben mochte; warum sie so waren, war klar, war doch der Tempel das Symbol der Zerstörung, immer vorausgesetzt, es war wirklich der Tempel des Bheleu; aber er konnte sich nicht vor
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stellen, mit welchen Mitteln ein solches Zerstörungswerk voll bracht worden war. Der Hof war eine schuttbedeckte Steinfläche; zwischen den schiefen und zerborstenen Steinplatten wucherte ungehindert das Gras. Der Eingang zum Tempel wurde durch einen Holzhaufen versperrt, der vor einem zerschmetterten Türrahmen aufgeschich tet war. Von den Türflügeln selbst war keine Spur mehr zu sehen. Die rohen Bretter und Scheite sahen aus wie Brennholz; Garth fragte sich, was in aller Welt sie dort zu suchen haben mochten. Er hatte noch nie in seinem Leben gesehen, dass jemand Brennholz vor seiner Haustür lagerte. Er blieb vor dem Tor stehen, und plötzlich merkte er, dass er in den Brennpunkt der Neugier der Passanten zu rücken drohte. Mehrere von ihnen hatten bemerkt, wie er sich dem Tempel genä hert hatte und ihn neugierig studierte — und waren stehenge blieben, um ihn ihrerseits zu studieren, wenngleich keiner von ih nen wagte, sich ihm zu nähern. Er kam zu der Überzeugung, es sei besser, bis zum Einbruch der Dunkelheit zu warten. Einstweilen würde er sich erst einmal et was zur Stärkung besorgen. Er wandte sich von dem zerstörten Tempel ab und ging wieder in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Er glaubte sich zu erinnern, dass er irgendwo in der Nähe des Palastes des Oberherrn Geschäfte gesehen hatte. Seine Erinnerung hatte ihn nicht getrogen; er fand eine Metzge rei, eine Bäckerei und einen Weinladen. Eine Scheibe gut abge hangenen Rindfleisches, gebraten im besten Teig des Bäckers und heruntergespült mit einer Flasche süßen Rotweins, stillte seinen Hunger fürs erste. So gestärkt, entschloss er sich, zum Gasthof zurückzukehren und dort den Einbruch der Dunkelheit abzuwarten. Es musste -245-
ziemlich leicht sein, im Schutze der Dunkelheit in den Tempel des Bheleu zu gelangen, zumal er in einem nur tagsüber belebten Teil der Stadt stand. Natürlich musste er auch diesmal darauf gefasst sein, dass er wieder mitten in eine Zeremonie hineinplatzte; er würde also beim Herannähern größte Vorsicht walten lassen müssen. Er hoffte, kurz nach Sonnenuntergang dort einzutreffen, wenn die nächtlichen Festlichkeiten, falls sie überhaupt statt fanden, noch nicht begonnen hätten. Wäre es später am Tag gewesen, dann hätte er vielleicht vorge zogen, irgendwo in der Nähe des Tempels zu warten; aber es war erst früher Nachmittag, und ihm war nicht sehr wohl bei dem Ge danken, Frima den ganzen Tag über allein zu lassen. Außerdem war es an der Zeit, dass Koros etwas zu fressen bekam, und er wollte sich nicht unbedingt darauf verlassen, dass Dugger daran dachte, dem Tier Futter zu besorgen. Dementsprechend lenkte er, als er die Weinhandlung verließ, seine Schritte in Richtung Südwesten; er hatte kaum einen Block hinter sich gebracht, als er einen Tumult hinter sich hörte. Er wollte sich gerade umdrehen, um die Ursache des Lärms zu erkunden, als er eine Stimme schreien hörte: »Übermann! Halt! Bleib stehen!« Sofort rannte er los und tauchte in die nächstbeste Seitengasse; hinter sich hörte er die Schritte und Rufe der Verfolger. Auf freiem Feld war es kein großes Kunststück für einen Über mann, selbst dem schnellsten Menschen davonzulaufen, aber er war sich nicht sicher, ob ihm das in den winkligen Straßen und Gassen von Dûsarra so ohne weiteres gelingen würde; deshalb rannte er vorsichtshalber weiter, auch nachdem die Rufe seiner Verfolger lange hinter ihm verstummt waren. Überall, wo er vor beistürmte, blieben die Passanten erschrocken stehen und gafften ihm verblüfft nach. Übermänner an sich waren zwar kein unge
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wohnter Anblick für die vermummten Bürger der Stadt, aber ein Übermann, der wie von Furien gehetzt durch die Straßen stürmte, mit klirrendem Kettenhemd und wippender Streitaxt auf dem Rücken, war etwas, das man fürwahr nicht alle Tage sah. Schließlich fand er sich in einer leeren Seitenstraße wieder; von seinen Verfolgern war nichts mehr zu hören. Er blieb stehen, nach Atem ringend, und versuchte sich zu orientieren. Er war in dieser Straße noch nicht gewesen. Er hatte sich verlaufen. Seine Flucht, soviel wusste er, hatte ihn in ungefähr südwestli che Richtung verschlagen; da die Sonne inzwischen ihren Zenit überschritten hatte, brauchte er, um nach Westen zu gelangen, wie ursprünglich vorgesehen, folglich nur der Sonne entgegenzuge hen. Er machte sich also auf den Weg. Immer der Sonne folgend, bewegte er sich vorsichtig von Straße zu Straße, vorsichtig um jede Ecke spähend, bevor er Einmündungen und Kreuzungen überquerte. Er war offenbar in ein Stadtviertel geraten, das von Anhängern eines Nachtkults bewohnt wurde; er sah nirgends Leute auf den Straßen, und an einer Straßenecke sah er einen Schrein, auf dem eine Statue Temas aus schwarzem Onyx stand. Es überraschte ihn ein wenig, dass ein solch kostbares Kunstwerk so offen an einer Straßenecke stand; entweder war es auf irgendeine – auf den ersten Blick nicht erkennbare – Weise gegen Diebstahl gesichert, oder sogar die Anhänger der Tageskulte wagten es nicht, die beliebteste Göttin der Stadt zu erzürnen. Nach einer Weile wurden die Straßen enger, und ihre Kurven und Windungen zwangen ihn einige Male, von seinem beab sichtigten Kurs abzuweichen, bis er die nächste Straßenecke er reicht hatte; so machte er einmal, ohne es zu wollen, einen großen Umweg um einen besonders verwinkelten dreiseitigen -247-
Häuserblock und musste ein ganzes Stück weiter nach Süden ge hen, ehe er endlich wieder eine Straße fand, die nach Westen ver lief. Die anhaltende Stille und Verlassenheit der Straßen lullte ihn ein, und seine Vorsicht ließ mit jeder Straßenecke nach, hinter der wieder nichts als geschlossene Geschäfte, verriegelte Fensterläden und trocknender Straßenmatsch zum Vorschein kamen. So wäre er fast, ohne es zu merken, auf den Marktplatz gelaufen, der ur plötzlich vor ihm auftauchte. Im letzten Moment jedoch bemerkte er seinen Fehler; schlagartig wieder hellwach, machte er kehrt und schlug einen weiten Bogen um den Platz. Sein Umweg führte ihn durch Viertel, die nicht gänzlich im Schlummer lagen, und er sah sich verstohlen um Häuserecken spähen und geduckt von Gasse zu Gasse huschen. Schließlich bog er in die Straße ein, wo das Haus stand, in das er eingebrochen war; allem Anschein nach war es noch immer verlassen. Vorsichtig versuchte er, die Tür zu öffnen, und fand sie unverriegelt. Vermutlich war der Bewohner des Hauses noch nicht zurückgekehrt. Er ging durch das Haus in den Hof, wo das Regenwasser inzwi schen bis auf ein paar kleine Pfützen versickert und verdunstet war; von hier aus war es nur eine Kleinigkeit für ihn, sich auf die Mauer zu schwingen, die den Hof vom angrenzenden trennte, und von dort aus auf das Stalldach zu klimmen. Es war später Nachmittag; die Sonnenstrahlen fielen etwa im gleichen Winkel ein wie am Morgen, als er aufgebrochen war, nur dass die Sonne jetzt im Westen statt im Osten stand. Er ließ sich vorsichtig über den Rand des Daches gleiten und landete im Stall hof. Die Stallbox war so, wie er sie verlassen hatte, außer dass Koros jetzt wach war und ruhig dastand; Frima indes schlief noch -248-
immer. Garth steckte den Beutel mit dem Staub in den größeren Sack, in dem sich jetzt die zwei Altarsteine, die blutbefleckten Goldmünzen sowie der Dolch und die Peitsche aus den anderen Tempeln befanden, dann setzte er sich und überlegte, was er bis zum Einbruch der Dunkelheit tun sollte. Nichts drängte sich auf; er Schloss die Augen, um ein kleines Nickerchen zu machen, und war Sekunden später fest einge schlafen.
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Kapitel 18 Als er erwachte, schien ihm der Mond ins Gesicht; sein Licht tauchte den Stallhof in Silber, milderte den gelb-braunen Dreck zu einem milchigen Grau und ließ die verschiedenen Grauschattierungen des Holzes und des Steins zu einem einzigen blassen Ton verschwimmen. Mit einem wütenden Knurren sprang er auf; er hatte sich verschlafen. Es war offenbar mindestens zwei bis drei Stunden nach Sonnenuntergang. Etwas bewegte sich schattenhaft in der Dunkelheit der Stallbox. Er spähte in die Finsternis und sah, dass es Frima war. Aufge schreckt von seinem Knurren, war sie zusammengezuckt und vor ihm zurückgewichen. Ein Schreck durchfuhr ihn, als er bemerkte, wo sie war; sie stand neben Koros, ihre kleine Hand lag auf dem großen schwarzen Kopf des Tieres und kraulte zärtlich sein Fell. Offensichtlich hatten die beiden sich in der Zwischenzeit miteinander angefreundet. In der anderen Hand hielt sie die Drahtbürste, die Garth zum Striegeln seines Reittieres gekauft hatte, und die Augenlider des Tieres waren halb geschlossen, ein Zeichen woh liger Zufriedenheit; offenbar kamen die zwei prächtig miteinander aus. Garth tat es leid, dass er so jäh in dieses liebliche Idyll hinein geplatzt war. »Entschuldige«, sagte er, »aber ich habe verschlafen. Ich wollte eigentlich bei Sonnenuntergang aufwachen.« »Oh! Das konnte ich nicht wissen; ich hätte dich geweckt, wenn ich es gewusst hätte.« Frimas Stimme klang aufrichtig zerknirscht, obwohl sie keine Schuld an seinem Verschlafen trug, und Garth spürte erneut Ärger in sich aufkeimen. Dieses Mädchen verwirrte -250-
ihn immer wieder aufs neue mit seinen abrupten Gefühls schwankungen, in denen er keine Logik erkennen konnte. Er ver kniff sich jedoch weitere Bemerkungen und bereitete sich statt dessen auf seinen Besuch im Tempel des Bheleu vor; er brachte sein Kettenhemd (das, wie sich einmal mehr gezeigt hatte, als Schlafgewand denkbar ungeeignet war) wieder in den richtigen Sitz, massierte sich die schmerzenden Glieder und überprüfte sei nen Dolch und seine Axt. Er hätte einiges dafür gegeben, dass seine Stiefel unversehrt ge wesen wären; er stellte fest, dass der Matsch in seinem rechten Stiefel zu einer harten Kruste getrocknet war, die schmerzhaft an den Fußsohlen und Zehen scheuerte. Er zog den Stiefel aus und reinigte ihn so gut es ging mit einem der Säcke. Das erinnerte ihn daran, dass er einen Sack in seinen Gürtel stecken musste, was er sofort tat, nachdem er sich den Stiefel wieder angezogen hatte. Das Schlafen mit Stiefeln an den Füßen hatte letztere nicht ge rade appetitlicher gemacht, wie er nicht zuletzt dem Geruch ent nehmen konnte, der ihnen entströmte; er beschloss, sich bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit ein langes, wohlduftendes Bad zu gönnen. Frima schaute ihm schweigend zu, wobei sie geistesabwesend den Hals des Kriegstiers kraulte. Schließlich fragte sie: »Wohin willst du gehen?« »Zum Tempel des Bheleu.« »Um den Altar zu plündern?« »Ja.« »Ist das dann der letzte?« »Nein; ich muss auch noch den Altar im Tempel des Todes plündern.«
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»Aber das kannst du nicht! Noch nie ist jemand dort lebend wieder herausgekommen!« »Außer dem alten Priester, und was der kann, das kann ich auch.« Sie schien davon nicht sehr überzeugt. »Was soll ich tun, wenn du stirbst?« »Das steht dir frei.« »Aber das Tier wird mich nicht gehen lassen!« »Darüber brauchst du dir keine Sorgen zu machen; wenn ich nicht binnen eines Tages zurückkomme, wird Koros auf Jagd ge hen. Er braucht bald wieder etwas zu fressen, und wenn sein Hunger zu groß wird, wird er sich etwas zu fressen jagen. Ich würde dir nahelegen, dass du dir eine Waffe suchst; unter meinen Sachen findest du einen Dolch, und außerdem ist da ja noch der Dolch aus dem Sai-Tempel. Vielleicht gelingt es dir, ihn damit zu überzeugen, dass er es vorzieht, sich andere Nahrung zu beschaf fen, die leichter zu bekommen ist als du, zumal er weiß, dass ich nicht möchte, dass dir ein Leid geschieht.« »Er frisst Menschen?« Sie zog ihre Hand hastig vom Nacken des Tieres zurück. »Es; er ist ein Neutrum, kein Männchen. Ja, es isst Menschen. Einmal hat es sogar einen Zauberer verspeist.« »Oh!« ächzte sie mit tonloser Stimme. »Aber ich würde mir nicht allzu viel Sorgen machen; es scheint dich zu mögen.« Sie gab ein leises Seufzen von sich, als Garth mit einem letzten prüfenden Blick an sich hinunterschaute. Zufrieden mit seinen Vorbereitungen, befahl er Frima und Koros: »Wartet hier!« Und er marschierte zur Tür hinaus. Dugger hatte Dienst, wie er es erwartet hatte. Es bestand daher kein Grund, den Umweg über das Dach und durch das Nachbar haus zu nehmen; außerdem war er über seine Wut, die ihn am -252-
Vormittag so unvorsichtig hatte agieren lassen, ziemlich hinweg. Sie schlicht zu erkennen, hatte ihm dabei beträchtlich geholfen; zudem war er jetzt ausgeruhter — wenn er sich auch noch immer ein wenig darüber ärgerte, dass er verschlafen hatte. Er schlenderte zum Torbogen und fragte den dösenden Stallbur schen: »Hast du dafür gesorgt, dass mein Reittier etwas zu fressen bekommt?« Der Junge schrak hoch und rief: »Oh! Ihr seid es!« »Ja.« »Ihr seid der Tempelräuber!« »So? Bin ich das?« »Seid Ihr es denn nicht? Ich ... ich ... sie haben gesagt, es sei ein Übermann, und Ihr seid der einzige Übermann, den ich seit Wo chen hier gesehen habe.« »Du siehst aber doch nicht jeden Fremden, der nach Dûsarra kommt, oder?« »Nein.« »Also kannst du auch nicht ganz sicher sein, dass ich derjenige bin, der den Tempel ausgeraubt hat, nicht wahr?« Der Junge zögerte einen Moment, dann sagte er kleinlaut: »Das stimmt.« »Und solange du zweifelst, solltest du mir recht geben. Doch nun zu etwas anderem: Ich beauftragte dich gestern Nacht, meinem Tier Futter zu besorgen; hast du dich darum gekümmert?« »Ich habe es vergessen.« »Nun, es sei dir noch einmal verziehen.« Ihm war eingefallen, dass jeder, der seinem Tier das Futter brachte, auch Frima sehen und ob ihrer Anwesenheit natürlich stutzig werden würde. Ein
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Übermann hatte normalerweise mit einer Menschenfrau nichts zu schaffen, und schon gar nicht hatte er sie in einem Stall gefangenzuhalten. Dugger hatte sie zwar hereinkommen sehen, aber er, Garth, musste ihn nicht unbedingt daran erinnern, indem er ihn in den Stall schickte; wahrscheinlich dachte der Junge – wenn er überhaupt noch an Frima dachte -, dass sie längst wieder ge gangen war. »Ist draußen die Luft rein? Andere könnten mich wo möglich auch mit dem Tempeldieb verwechseln, und ich möchte nicht unnötig aufgehalten werden.« »Oh.« Der Junge beugte sich hinaus und spähte in beide Rich tungen. »Ich sehe niemanden.« »Gut.« Garth trat an dem Jungen vorbei, vergewisserte sich selbst und machte sich auf den Weg zur Straße der Tempel. Er kam unbehelligt voran; allmählich kannte er sich in der Stadt aus und wusste, welche Straßen nachts belebt waren, welche tags über und in welchen rund um die Uhr Passanten anzutreffen waren. Wie schon in der Nacht zuvor war die Straße der Tempel toten still, nicht ein einziger Passant bewegte sich über das mondbe schienene Pflaster. Garth ging raschen Schritts zu dem verfallenen Tempel. Doch kurz davor blieb er jäh stehen: Leises Gemurmel drang durch die Stille der Nacht; es kam von der zerstörten Kuppel. Verärgert blies er die Luft durch die Zähne. Schon wieder eine Zeremonie! Offenbar war er dazu verdammt, jedesmal gerade dann anzukommen, wenn irgendein albernes Ritual ablief. Jedenfalls blieb ihm diesmal die Möglichkeit, auf Beobachtungs posten zu gehen und in Ruhe sein weiteres Vorgehen zu planen; entweder zu warten, bis die Zeremonie zu Ende war, oder mitten in sie hineinzuplatzen, oder einfach wieder umzukehren und es
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später noch einmal zu versuchen. Auf leisen Sohlen schlich er durch das zerborstene Tor in den Hof. Das Brennholz, das vor der Eingangstür gelegen hatte, war ver schwunden; die türlose Öffnung gähnte ihm entgegen wie ein zahnloses Maul; orangefarbenes Licht fiel von innen heraus. Er nä herte sich vorsichtig von der Seite und spähte hinein. Das Innere der Ruine präsentierte sich als ein riesiger leerer Raum; wenn es dort je Innenwände gegeben hatte, dann waren sie jetzt nur noch ein Teil des Staubes, der allenthalben den Fußboden bedeckte. Die schwarzen Steinwände und der zerfetzte Metall rahmen der zerstörten Kuppel wurden beleuchtet von den Flammen eines großen Feuers, das in der Mitte des Tempels lo derte, und um das Feuer herum tanzten etwa zwanzig Gestalten in roten Roben. Sie sprangen und hüpften, seltsame Verrenkungen vollführend, im Kreis umher und füllten den Tempel mit schau rigen Gesängen: ihre langen schwarzen Schatten huschten un heimlich über die vom flackernden Feuerschein rot beleuchteten Wände. Die Szenerie hatte etwas seltsam Faszinierendes an sich. Garth starrte gebannt. Von einem Altar war nichts zu sehen, es sei denn, das Feuer selbst diente als ein solcher; jedenfalls bildete es den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Tänzer. Garth kniff die Augen zusammen und sah sich die lodernden Flammen etwas ge nauer an. Ihre Nahrung fanden sie zweifellos in dem Holz, das vorher den Eingang versperrt hatte. Klötze und Scheite aller Grö ßen waren auf einen großen Haufen geworfen worden; aus der Mitte ragte, kaum sichtbar hinter den Flammen, ein einzelnes dünnes, fast senkrecht stehendes Scheit heraus. Garth blinzelte erneut, um besser sehen zu können. Der Gesang schien jetzt anzuschwellen. Irgend etwas an dem einzelnen her ausragenden Stab störte ihn. Es war kein Holz; es glänzte, sein Rot
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leuchtete eine Spur zu hell. An seinem oberen Ende glaubte er ein kurzes Querstück zu erkennen. Ein dumpfes Rumpeln drang an sein Ohr, für einen kurzen Moment den Gesang übertönend, der seinen Kopf auszufüllen schien; vermutlich fernes Donnergrollen, sagte er sich. Er blickte hoch und sah, dass die Sterne hinter einer Wolkendecke ver schwunden waren. Das Unwetter musste außerordentlich schnell heraufgezogen sein, dachte er, oder aber er hatte dem Tanz länger zugeschaut, als ihm bewusst gewesen war. Der Mond, der bei sei nem Eintreffen noch klar und deutlich zu sehen gewesen war, war hinter den Wölken verschwunden. Er wandte seinen Blick wieder auf die Zeremonie, wenn man das, was dort vorging, denn als eine solche bezeichnen konnte; sie hatte nicht den Pomp und die Würde anderer Rituale, die er gesehen hatte, aber ihr wohnten ganz unbestreitbar eine eigene Kraft und Faszination inne. Der Gesang erfüllte ihn erneut, und sein Blick wurde wie magisch von den Flammen angezogen. Während er gebannt dem Schauspiel zuschaute, drang erneut ein dumpfes Grollen an sein Ohr; wie als Antwort darauf sackte der mittlere Teil des Feuers nach innen in sich zusammen, so dass dort, wo eben noch ein mächtiger Feuer kegel gelodert hatte, nun ein Ring aus Flammen waberte, in dessen Zentrum nun deutlich der seltsame, aufrecht stehende Stab zu erkennen war. Es war ein Schwert, ein riesiges Zweihandschwert, das in der Mitte des glühenden Scheiterhaufens stak. Ein großer roter Edel stein funkelte in seinem Knauf. Es war breit und kerzengerade und ragte um gut eine Elle aus dem glühenden Haufen heraus. Das Heft war schwarz und lang genug, um selbst den mächtigen Pranken eines Übermannes genügend Platz zum Greifen zu bieten. Garth schätzte seine volle Länge auf mindestens sechs Fuß, den Proportionen des Hefts und des Querstücks nach zu urteilen.
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Eine wahrlich herrliche Waffe; dagegen machte sich das Schwert, das er zerstört hatte, wie ein Taschenmesser aus. Er trat in den Türeingang, um es besser in Augenschein nehmen zu können. Die Anhänger Bheleus nahmen ihn überhaupt nicht wahr; immer wilder wurde ihr Tanz, und der Gesang schwoll an und steigerte sich schließlich zu einem furiosen Wechselgesang, der in hypnotischem Rhythmus sich selbst zu jagen schien. Altar hin, Altar her – Garth wusste, dass der Grund seines Kom mens dieses Schwert war; dieses Schwert und nichts anderes wollte er. Mit einer solchen Waffe würde er unbesiegbar sein. Er hatte für nichts anderes mehr Augen als für dieses wunderbare Schwert. Wie hypnotisiert starrte er es an. Der Stahl glänzte im flackenden Schein des Feuers, und der Ge sang vereinte sich mit dem erneut herangrollenden Donner zu einer tosenden Klangwoge, die mit ohrenbetäubender Gewalt über ihn hinwegbrandete. Er nahm nur noch das Feuer und das glühende Schwert wahr; die Tänzer, die über sein Gesichtsfeld huschten, waren plötzlich unwichtig geworden, waren nur noch bedeutungslose Randfiguren. Er würde sich dieses Schwert holen; er würde warten, bis der Tanz zu Ende und das Feuer erloschen war, und dann würde er hingehen und es aus dem schwelenden Scheiterhaufen reißen. Aber warum erst noch lange warten? Nein! Er würde es sich jetzt holen, jetzt sofort! Er würde in den Tempel hineinstürmen, während die Tänzer noch in ihrem ekstatischen Gesang um das Feuer herumsprangen, und es — rotglühend, wie es war — an sich reißen! Und dann würde er fliehen — so dachte er im ersten Moment, doch dieser Gedanke wurde sofort von anderen beiseite gedrückt; er würde nicht fliehen! Fliehen? Ein Übermann sollte vor Menschen fliehen? Nein, er würde nicht fliehen; er würde
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diese prachtvolle Klinge unter ihnen wüten lassen, bis sie so rot war von Blut, wie sie es jetzt war von Glut! Irgendein Teil von ihm sagte ihm, dass das verrückt war, dieses unbezwingbare, dämonische Verlangen nach dem Besitz des Schwertes; dieser Teil seines Bewusstseins kämpfte vergeblich darum, wieder die Überhand über sein Denken und Fühlen zu er ringen. Dieser letzte Rest kühlen Denkens revoltierte gegen die Vorstellung, mutwillig und ohne Not Blut zu vergießen. Es wurde brutal unterdrückt von der unheimlichen, über irdischen Macht, die jetzt von ihm Besitz ergriffen hatte und ihn vollständig beherrschte; sein rationales Denken ging unter in einer Woge von rasender Mordlust, die anders war als alles, was er je zuvor gefühlt hatte. Er kannte die wilde, unbezähmbare Leiden schaft, die einen Übermann verzehrte, wenn er eine Überfrau roch, die in Hitze war; er kannte auch den blindwütigen Blutrausch des Kriegers im wilden Schlachtgetümmel, der einen Sterblichen in einen Berserker verwandelte; doch diese neue, unbekannte Lust war so gewaltig, dass jene anderen Wallungen sich dagegen wie bloße Schatten ausnahmen, wie lächerliche, unbedeutende Ge fühlsanwandlungen. Diese neue Lust vereinte alle anderen Lüste in sich und war doch hundertmal stärker als sie alle zusammenge nommen. Er vermochte sie nicht länger zu bezähmen. Einen Moment später sahen die taumelnden, halb hypnotisierten Tänzer zu ihrer großen Freude die große dunkle Gestalt eines ge panzerten Übermannes mit rot lodernden Augen brüllend in ihre Mitte springen; sie wussten sofort, mit der absoluten, unumstößli chen Gewissheit des Fanatikers, dass dies ihr Gott war. Sie schrien und kreischten vor Ekstase, der Gesang überschlug sich zu ra sendem, chaotischem Freudengebrüll; die Erde unter ihren Füßen erbebte, und Blitze durchzuckten den Himmel.
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Mit kühnem, zielstrebigem Schritt, als wären die Hitze und die lodernden Flammen überhaupt nicht vorhanden, marschierte die Erscheinung geradewegs bis zum Rande des heiligen Schei terhaufens und entriss ihm das geweihte Schwert. Ihre Hände qualmten, als sie sich um das glühende Heft schlossen, und der Gestank versengten Fleisches füllte den Tempel. Der Übermann schien dies gar nicht wahrzunehmen, sondern er hob die Klinge hoch über den Kopf und wirbelte sie im Kreis herum, so dass sie im Feuerschein glänzte und funkelte. »Ich bin Bheleu!« schrie das Ungeheuer in Garths Körper; er stieß die Klinge empor zum Himmel, und als Antwort erscholl ein ohrenbetäubender Donnerschlag, begleitet von einem gleißenden Blitz. Der Blitz schlug krachend in die zerschmetterte Kuppel und pflanzte sich in Gestalt zischender kleiner Feuerzungen strahlen förmig über das metallene Gerippe der Kuppel fort; ein Schauer von Funken regnete auf die Tanzenden herab, die in wilder Eksta se sprangen und tobten und ihre Glückseligkeit herausbrüllten. Dem ersten Blitz folgte sofort ein zweiter; er sprang von den Wolken direkt in die Spitze der Kuppel und von dort in die Spitze des Schwertes; er floss durch Garths Leib und ließ das Feuer zu den Füßen des Übermannes mit einem Knall auseinanderstieben, so dass die brennenden Holzscheite wie Geschosse durch den Tempel sausten. Der Donner hatte sich jetzt zu einem dröhnenden Paukenwirbel unmittelbar aufeinander folgender Schläge gesteigert; der Himmel über Dûsarra war ein einziges gleißendes Spinnengewebe pausen los zuckender Blitze. Garths Hände, die das Heft des Schwertes immer noch fest umklammert hielten, sausten herab, und seine Augen loderten hellrot auf, als die Klinge den Schädel des Hohe priesters von Bheleu spaltete.
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Die Anhänger schrien in wilder Raserei und riefen den Namen ihres Gottes. Die Klinge hob sich, triefend von Blut und golden im Schein des Feuers glänzend; Blitze zuckten, silberner Stahl blitzte für einen Moment auf, und dann sauste das Schwert wieder herab und fuhr durch den Hals eines weiteren Mannes; Blut spritzte im hohen Bo gen auf und fiel in die Reste des Feuers, .wo es zischend und stin kend verdampfte. »Ich bin Zerstörung!« Die Anhänger Bheleus schrien heiser ihren Jubel hinaus und stürmten ihm entgegen, ihren Tanz vergessend. Die Klinge hob sich und sauste herunter; Blut spritzte über Feuer, Boden und Leiber. Nicht eine Spur von Widerstand erhob sich; in fanatischem Eifer warfen sich die Gläubigen in die blutige Bahn des singenden Stahls, während die Erde bebte und der Himmel raste, und das Monstrum, das die todbringende Klinge schwang, lachte nur. Eine halbe Stunde wütete der Gott unter seinen Anhängern, alles niedermetzelnd, was sich ihm näherte; eine wahnwitzige halbe Stunde lang brachte er die totale Vernichtung, die ihr Glau be als heilig erklärte. Die Priester des Bheleu waren Kämpfer und Krieger gewesen, wie es ihr Glaube verlangte. Und keiner von ih nen wich vor dem Blutbad zurück, keiner von ihnen schrak vor dem grausigen Anblick zurück, den die verstümmelten, aufge schlitzten Leichen seiner Kameraden boten; mehr noch: Sie kämpf ten untereinander um das Privileg, als erster dahingeschlachtet zu werden; ihr religiöser Eifer vermengte sich mit der Kampfeslust des alten Kriegers, den Todeswunsch derer manifestierend, die tö ten. Und während des ganzen Gemetzels rollte und trommelte un ablässig der Donner sein arhythmisches Stakkato, zuckte Blitz um Blitz in die offene Kuppel. Immer wieder schlugen Blitze in den -260-
blanken Stahl, und jedesmal erzitterte der Tempel in seinen Grundfesten. Mit der Behändigkeit der Krieger, die sie einst waren, hielten sich die Priester auf den Füßen und drängten vor wärts zum Gemetzel. Schließlich, als sich die bluttriefende Klinge zum letzten Streich hob, ertönte ein fürchterlicher Donnerschlag, gewaltiger als alle zuvor; der letzte Priester sank vor seinem Gott auf die Knie, taub vom Donnerhall und geblendet vom Glanze des Schwerts, das in wütendem Wirbel, rot und golden gegen den Himmel gleißend, über dem Kopf des rasenden Übermann-Monstrums kreiste. Es sauste herab, einem Falken gleich, der aus luftiger Höhe auf sein Opfer herabstößt, und spaltete den Mann vom Haupt bis zu den Schultern; kein Metall war mehr zu sehen: Die Klinge war bis zur Spitze überzogen mit einem blutigen Brei aus Haaren, Haut, Fleisch und Knochensplittern. Der Donnerschlag des letzten Blitzes hallte von den zerborstenen Wänden des Tempels wider, die plötzliche Stille überdeckend, die mit dem Tode des letzten schreienden Priesters eingetreten war; die zerstörte Kuppel sackte in sich zusammen, bog sich durch und zerbrach. Zischende Funken fielen zwischen die erlöschenden Überreste des Scheiterhaufens, und gesch molzenes Metall tropfte herab. Das stählerne Gerippe der Kuppel löste sich langsam in seine Einzelteile auf. Dann brach endlich der Sturm los und peitschte dicke Regentropfen über die in ihrem Blut liegenden Leichen und das zum Himmel gewandte Gesicht ihres Schlächters. Lange Minuten lang stand der Übermann reglos da; Regen füllte seine Augenhöhlen und rann ihm in kühlen Bächen über das Gesicht. Das Schwert hielt er noch immer mit den Händen um klammert, das Heft glitschig von Blut, die Klinge stak immer noch im Leib seines letzten Opfers. Der Wahn, der von ihm Besitz er
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griffen hatte, begann zu schwinden, schrumpfte irgendwo in ihm in sich selbst zusammen; er blinzelte sich das Regenwasser aus den Augen und senkte den Blick. Er schaute auf die zusammengesunkene Gestalt, die auf seinem Schwert stak, auf die zwanzig abgeschlachteten Männer, auf die verstreuten Überreste des Feuers, die zischend im Regen erlo schen. Seine Hände glitten kraftlos vom Heft der Waffe, und Schwert und Kadaver fielen vornüber vor seine Füße. Er wich ent setzt zurück und sank auf die Knie; und dann, zum ersten Mal seit hundertvierzig Jahren, weinte Garth von Ordunin, während das zerborstene Metall der Kuppel rings um ihn herum auf den Tem pelboden krachte.
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Kapitel 19 Er kam zu sich, als der erste Schimmer des Morgengrauens durch die Wolken brach; er lag, alle viere von sich gestreckt, auf dem schmutzigen Boden des Tempels, umgeben von verbogenen, halb geschmolzenen Metalltrümmern und zerlumpten, rotge kleideten Leichen. Asche und verkohle Holzreste lagen zu seinen Füßen verstreut. Vor ihm ragte das lange Heft des großen Breitschwerts aus der Kehle seines letzten Opfers; der Edelstein in seinem Knauf leuch tete rot wie Blut, aber die Klinge war vom Regen abgewaschen worden. In dem halbdunklen Licht wirkte das Metall mattgrau. Er erhob sich mühsam auf die Füße, und die Ereignisse der vergangenen Nacht sickerten in sein Bewusstsein; angeekelt ver zog er das Gesicht zu einer Grimasse. Hier war sie, die Vernich tung, die die Seher von Weideth prophezeit hatten. Was war nur über ihn gekommen? Er war nicht willens, sich einzugestehen, dass in der Tat eine hö here Macht von ihm Besitz ergriffen hatte, dass er, Garth von Or dunin, nichts weiter als eine Marionette, ein willenloses Werkzeug dieser Macht gewesen sein sollte; andererseits konnte er den Ge danken, dass in ihm selbst eine solch berserkerhafte Mordgier schlummern sollte, die noch dazu so leicht zu erwecken war, ebenso schwer akzeptieren. gewiss, seine Wut und sein Hass auf die Aghaditen schwelten noch immer in ihm, desgleichen sein Zorn auf den Baron von Skelleth. Hatte das Gewäsch des senilen alten P‘hul-Priesters die unterdrückte dunkle Seite seines Wesens dazu angestiftet, sich auf diese Weise Bahn zu brechen? Oder hatte vielleicht der Tanz des Bheleu hypnotische Kräfte, die sich dergestalt auf den Beobachter auswirkten, dass er seinen unter
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drückten zerstörerischen Gelüsten freien Lauf ließ? Oder hatten möglicherweise irgendwelche geheimnisvollen Dämpfe ihn in eine Art Trance versetzt? Er hatte gehört, dass Vulkane bisweilen solche Gase freisetzten, und Dûsarra war auf den Hängen eines großen Vulkans gebaut. Aber es war im Grunde auch gleich; was geschehen war, war ge schehen, und er konnte nichts mehr daran ändern. Er erinnerte sich an das tosende Unwetter, von dem nichts übrig geblieben war außer Pfützen und ein paar letzte Wolkenfetzen; die Kuppel war eingestürzt. Er erinnerte sich an den flammenden Blitz – hatte er tatsächlich ihn getroffen? Das konnte nicht sein. Er betrachtete seine Hände; die Innenseiten waren schwarz verkohlt. Er schauderte zusammen. Hatte er tatsächlich das Schwert glü hend aus dem Feuer gezogen? Nein. Er wies den Gedanken strikt von sich. Die ganze Sache konnte unmöglich so abgelaufen sein, wie er sie in Erinnerung hatte; er musste unter irgendeinem magischen Einfluss gestanden haben – ob Hypnose, giftige, bewusstseinsverändernde Dämpfe oder tatsächliche Besessenheit durch eine höhere Macht, vermoch te er nicht zu entscheiden. Er hatte den gesamten Bheleu-Kult aus gelöscht, soviel stand fest; es hatte ein Unwetter gegeben, und ein Blitz hatte die Überreste des Kuppeldachs zerstört, auch das war Fakt; aber alles andere weigerte er sich zu akzeptieren. Er hatte keine Erklärung für seine verbrannten Handflächen oder wie es dazu gekommen war, dass das Feuer auseinandergestoben war; was seine Erinnerung ihm hierzu vorgaukelte, wies er strikt von sich. Seine Hände waren, wie er jetzt feststellte, vollkommen taub; es war gut möglich, dass auch die Nerven zerstört waren. Zumindest waren sie vorübergehend überbeansprucht worden. Wenn sie noch heil waren, konnte jeden Moment das Gefühl in seine Hände
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zurückkehren, und er war ganz sicher, dass das mit fürchterlichen Schmerzen verbunden sein würde, wie er sie noch nie zuvor gelitten hatte — bis auf einmal vielleicht, als ihn ein Zauberer tot gehext hatte und er langsam aus der Todesstarre erwacht war. Der Gedanke machte ihn noch jetzt schaudern. Das war ein Erlebnis, an das er nur mit Grausen zurückdenken konnte. Er hatte immer noch einen Tempel zu plündern und seine Flucht glücklich zu bewerkstelligen; er war eine vielgesuchte Person in Dûsarra. Er konnte es sich nicht leisten, Zeit zu vergeuden. Wenn er erst warten wollte, bis seine Hände geheilt waren, dann konnte das bedeuten, dass er sich noch auf Wochen hinaus in der Stadt versteckt halten musste. Wenn er hingegen rasch zu Werke ging, konnte er seine Mission vielleicht vollenden, bevor der Schmerz einsetzte und bevor eine Infektion eintrat — falls das der Fall sein sollte. Es konnte durchaus sein, dass seine Hände für immer taub blieben. Er hatte keine Lust, sich diesen erschreckenden Gedanken weiter auszumalen; statt dessen zog er das Schwert Bheleus aus der Lei che seines letzten Opfers und wischte das restliche Blut mit der Robe des Toten von der Klinge. Er hatte den Tempel des GottesDessen-Namen-Man-Nicht-Ausspricht noch nicht gesehen, aber ir gendwie glaubte er zu wissen, wo er sich befinden musste. Die To ten sind wieder zu Erde geworden, pflegten die Menschenwesen zu sagen; der Tod ist ein Bestandteil der Welt. Es lag daher nahe, dass der Gott des Todes seinen Tempel in der Erde selbst hatte. Garth marschierte aus dem zerstörten Tempel, durchquerte den schuttbedeckten Hof und trat durch das zerfetzte Tor auf die Stra ße hinaus. Es war noch früh, noch war keiner der Tages kultanhänger unterwegs, und so zog sich die Straße frei und men schenleer dahin vom Palast des Oberherrn bis zum nackten Stein des Vulkans.
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Garth schlug den Weg nach rechts ein, zum Vulkan hin. Als er näher kam, gewahrte er das, was er zu finden erwartet hatte; am Ende der Allee, zwischen den schwarzen Schatten und dem schwarzen Stein, war ein noch tieferer Schatten zu erkennen; es war eine Öffnung im Berghang, und dahinter, wusste er, ver barg sich der Tempel des Letzten Gottes. Er kam gar nicht auf den Gedanken, sich zu fragen, wieso er plötzlich mit solch unumstößlicher Gewissheit Dinge wissen konnte, die er vor dem Blutbad im Tempel des Bheleu nicht ein mal erahnt hätte. Das große Breitschwert lag nackt in seinen gefühllosen Händen; es gab keine andere Möglichkeit, es zu tragen. Selbst wenn er noch die Scheide seines alten Schwertes getragen hätte, niemals hätte die fünf Fuß lange Klinge dieser gewaltigen Waffe hineingepasst. Am Rande der Höhle blieb er stehen; es schien fast unglaublich, dass eine solche Höhle innerhalb der Stadtmauern existierte, aber sie tat es tatsächlich. Er spähte in die Dunkelheit, konnte aber nichts erkennen. Er erinnerte sich an das, was Frima gesagt hatte, verwarf es aber sogleich wieder: nichts als bloße Mythen, ausge dacht, um einfältige Menschenwesen zu beeindrucken. Eine Stimme hinter ihm sprach: »Du hast dein Wort gebrochen, Garth.« Er wirbelte herum, konnte jedoch niemanden sehen; der Sprecher musste sich irgendwo verbergen. Garth bemühte sich erst gar nicht, herauszufinden, wo er steckte: Es war derselbe, der ihn schon im Tempel des Aghad verhöhnt hatte. »Ich habe niemandem mein Wort gegeben.« »Du hast durch dein Schweigen unserem Handel zugestimmt, Dieb; gleichwohl hast du im P‘hul-Tempel niemanden getötet.« Garth konnte nur staunen über die Perversität dieser Kreatur; da warf sie ihm doch tatsächlich vor, nicht genügend Menschen getö
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tet zu haben, und das nach dem gigantischen Blutbad, das er in der Nacht im Tempel des Bheleu angerichtet hatte! »Machen denn die vielen Toten im Tempel des Bheleu das nicht mehr als wett?« »Nein. Du solltest auch einen P‘hul-Priester töten.« »Wen? Das leprakranke Mädchen vielleicht? Oder den hinfäl ligen, senilen Greis? Ich habe dergleichen niemals versprochen, feiger Lügner; wenn ich die Bedingungen, die du mir gestellt hast, nicht wortgetreu erfüllt habe, was macht das schon? Hör auf, mich zu belästigen.« »Du solltest einen Priester der P‘hul töten. Und nun schickst du dich an, den Tempel des Letzten Gottes zu betreten, obwohl der Priester des Kultes nicht dort ist. Du verstößt gegen unsere Abma chung. Sei gewiss, auch wenn du lebend aus dieser Höhle zurück kommen solltest, wirst du dennoch dem Tode nicht entrinnen.« »Zweifelsohne werde ich das nicht; auch ich werde eines Tages sterben, aber du kannst gewiss sein, dass dies nicht durch eure Hand geschehen wird! Wenn ich aus dieser Höhle zurückkomme, werde ich die Stadt verlassen, und ich rate euch, versucht nicht, mich daran zu hindern!« »Sag, was du willst, aber wisse, dass wir Informationen ebenso gut verbreiten wie unterdrücken können und dass du es allein uns zu verdanken hast, dass die wütenden Massen, die sich vor dem Tempel Temas zusammengerottet haben, noch nicht den Stall am Gasthof der Sieben Sterne gestürmt haben. Ihr Agent, der dir nachspioniert hat, und der Besitzer des Hauses, in das du so rück sichtslos eingebrochen bist, wurden von den Anhängern Aghads daran gehindert, ihr Wissen zu verbreiten, doch ab sofort ziehen wir unsere schützende Hand von dir zurück; der Knabe Dugger wird für sein Schweigen bestraft, und die braven Leute von Dûsarra werden nicht länger in Schach gehalten.« Für einen kurz en Moment ließen diese Worte echte Sorge in ihm aufkeimen; -267-
doch dann schob er sie mit einem Achselzucken beiseite. Er vertraute auf die Unbesiegbarkeit seines Kriegstiers. Trotzdem; es gab keine Zeit zu verlieren. Die weiteren Dro hungen des Aghaditen ignorierend, tauchte er in die Dunkelheit der Höhle ein; er empfand eine kleine Genugtuung bei dem Ge danken, dass der andere zuviel Angst haben würde, ihm zu folgen. Es gab weder Tor noch Tür noch Wache; der Ruf des Letzten Gottes reichte aus, ungebetene Besucher fernzuhalten. Das Graue Licht des frühen Morgens verblasste hinter ihm, als er den glatten, leicht abschüssigen Höhlenboden hinuntermar schierte, aber irgendwo weiter vorn gewahrte er einen schwachen rötlichen Lichtschein; er würde also nicht mit totaler Dunkelheit zu kämpfen haben. Die Höhle verbreiterte sich allmählich, und der rote Licht schimmer wurde stärker, bis er sich schließlich in einer großen Kammer befand, einer künstlich geschaffenen Vergrößerung der ursprünglichen Höhle. Der Fußboden war glatt und eben, die Wände waren gerade, aber der mittlere Teil der Decke war rau und zerklüftet und ließ erkennen, wo die ursprüngliche Höhle ge wesen war; die Seiten waren niedriger und zu einer leichten Wöl bung ausgekehlt, ganz eindeutig das Werk von Menschenhand. Es war unmöglich, irgendwelche Farben auszumachen, denn das einzige Licht war jener mysteriöse rote Schimmer, der irgend wo von jenseits der hinteren Wand der Kammer kam; er sickerte aus der Fortsetzung des natürlichen Tunnelgangs herauf, der, wie Garth sehen konnte, hinter der Wand steil nach unten abfiel. Eine trockene Wärme schien gleichzeitig mit ihm heraufzusteigen. Formen waren indes deutlich zu erkennen; Garth sah, dass die Wände mit Reliefs von grotesker und widerwärtiger Natur ausge staltet waren: sie stellten verschlungene, halb menschliche, halb -268-
tierische Wesen dar, die sich in obszönen Verrenkungen wanden und einander abschlachteten, während sie sich gleichzeitig in per versesten Stellungen begatteten. Garth fragte sich, was für eine kranke Phantasie solche Scheußlichkeiten geschaffen haben moch te. In der Mitte des Raumes stand der Altar; er war kaum eine Elle breit, maß aber fast fünf Fuß in der Höhe; die Seitenflächen waren aus glattem Stein und verschmolzen nahtlos mit dem Boden. Of fenbar war er aus einer Säule oder einem Stalagmiten herausge hauen worden. Die Oberfläche war verziert und abgeschrägt, so dass der Altar einem Lesepult ähnelte, von der Art, wie man es in den besten Bibliotheken finden konnte, mit kunstvollen Ver zierungen an beiden Seiten. Am oberen Rand der Platte stand ein seltsamer, halb menschlicher Schädel. Die Fläche, auf der, wäre es tatsächlich ein Lesepult gewesen, das aufgeschlagene Buch gestanden hätte, war aus nacktem, glatt poliertem Stein. Das bedeutete, dass der Gegenstand, dessentwegen er gekom men war, der Schädel war. Er ging zum Altar und betrachtete ihn. Er lag in seiner Größe irgendwo zwischen dem eines Menschen und dem eines Übermenschen, nur dass er sehr hoch und sehr schmal war und dass aus den Schläfen zwei aufwärts ge schwungene Hörner sprossen; die Zähne fehlten, und die Kinn lade war halb geöffnet, so dass Garth dadurch das Gefühl hatte, der Schädel grinse ihn an. Er legte sein Schwert beiseite und griff nach dem Schädel; dieser war jedoch auf irgendeine Weise fest in der Altarplatte verankert. Darüber hinaus war er mit einer Art Schleim überzogen, so dass seine tauben Finger von ihm abglitten. Vermutlich handelte es sich bloß um von der Decke tropfendes Wasser, schloss er, wenngleich die warme Luft in der Höhle völlig
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trocken war. Er unternahm einen neuerlichen Versuch, den Schädel von der Altarplatte zu brechen, aber er gab nicht nach. Ein leises Rumpeln ertönte, und er spürte ein leichtes Vibrieren unter den Füßen; er dachte vage, dass es ungewöhnlich war, dass sich nach dem Unwetter der Nacht so rasch ein zweites zu sammenbraute, und ließ seine Finger über die Seiten des Schädels gleiten, um der Natur des seltsamen Schleims auf die Spur zu kommen. Da ihm seine gefühllosen Finger keinen näheren Aufschluss über die Beschaffenheit der glitschigen Masse gaben, löste er die Hände von dem Schädel und betrachtete seine Handflächen; was sie bedeckte, war jedenfalls kein Tropfwasser. Der rote Schimmer wurde ein wenig schwächer; er blickte kurz auf und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder dem Schädel zu. Bei der schleimigen Substanz schien es sich um eine Art Eiter oder Blutwasser zu handeln, was ihm überaus seltsam vorkam, hatte er in der Höhle doch keine Spur von Leben gesehen. Der Schädel, so schien es, war mit einer schweren Niete an der Altar platte befestigt. Er spürte ein leichtes Prickeln in den Händen; die Nerven waren nicht vollkommen abgetötet. Er schaute auf seine Hände herab und bemerkte, dass der rote Lichtschimmer noch schwächer ge worden war. Auf seinen Handflächen begannen sich Blasen zu bilden. Er blickte gerade noch rechtzeitig auf, um zu sehen, wie das Ungeheuer sich auf ihn zubewegte, bevor sein Schatten ihn in völlige Dunkelheit hüllte und das schwache rötliche Licht gänz lich auslöschte.
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Kapitel 20 Das Wesen war ungeheuer groß; sein augenloser Kopf schien den halben Altarraum auszufüllen, und sein gähnender lippen loser Schlund schien groß genug, um einen Übermann mitsamt Kettenhemd und Stiefeln mit einem einzigen Schluck in sich verschwinden zu lassen. Es hatte keinen Hals, auch keinen Kopf im eigentlichen Sinne, sondern nur einen langen, ringförmig ge gliederten Körper, der bis weit in den hinteren Tunnel hineinreichte und ihn so vollständig ausfüllte, dass das rote Licht ihn nicht länger zu durchdringen vermochte. Es war, kurz gesagt, ein riesiger Wurm. Garth wich instinktiv zurück, und als er das Gewicht seiner Axt auf dem Rücken spürte, langte er über die Schulter und zog die vertraute Waffe aus ihrer Halteschlaufe; in diesem Moment dachte er gar nicht an das herrliche Schwert, das neben dem Altar lag. Er stand in völliger Dunkelheit, hatte das Monstrum nur für diesen einen kurzen Augenblick zu Gesicht bekommen; jetzt war er gezwungen, seinen Standort anhand der Geräusche und der Luftbewegung, die es im Vorwärtskriechen verursachte, zu be stimmen. Es schwenkte seinen Kopf blind in der Nähe des Altars umher, dort, wo er noch vor einem Moment gestanden hatte, vermutlich in dem Versuch, nach seinem üblichen Opfer zu schnappen. Vorsichtig, in dem Bewusstsein, dass schon das leiseste Ge räusch das Ungeheuer auf ihn aufmerksam machen konnte — welche Sinne eine solche Kreatur leiteten, war nicht zu sagen —, bewegte er sich rückwärts zum Höhleneingang. Irgendein Teil seines Bewusstseins registrierte zweifelsohne die Vollkommenheit der Schwärze, die ihn umgab; und so war seine -271-
Überraschung auch nur gering, als er feststellte, dass der Eingang durch eine solide Metallbarriere versperrt war, die lautlos zuge glitten sein musste, während er den Altar inspiziert hatte. Er vergeudete seine Kräfte nicht damit, gegen sie zu schlagen; gewiss hatten frühere Opfer das auch schon versucht, wenn vielleicht auch keines, das mit solchen Körperkräften ausgestattet war wie er, und außerdem bot er damit dem Angreifer den ungeschützten Rücken. Statt dessen stellte er sich dem Monstrum in Abwehr haltung entgegen und wartete darauf, dass es angriff. Der Wurm ließ nicht lange auf sich warten; Garth hörte ein schabendes Geräusch, als die Bestie auf ihn zuglitt, und ein hef tiger Luftzug blies ihm entgegen. Er sprang zur Seite und hieb gleichzeitig mit der Axt zu. Die Schneide fuhr mit einem qualligen, klatschenden Geräusch in etwas Weiches, Wabbeliges, aber weder spritzte Blut oder Schleim über seine Hand, wie er erwartet hatte, noch gab das Monstrum irgendeinen Schmerzenslaut von sich. Er riss die Axt heraus und wich zurück, sich mit der Linken an der Wand entlangtastend. Er hätte sich gewünscht, normales Gefühl in den Händen zu haben; er wollte die Schneide seiner Axt prüfen, ob irgend etwas an ihr hing oder ob sie vielleicht mit derselben schleimigen Sub stanz bedeckt war wie der Altar. Er war sich ziemlich sicher, dass der Schleim auf dem Totenschädel von dem Wurmmonster stammte, und irgendwo im Hinterkopf fragte er sich, ob es sich um eine äußerlich aufgetragene Substanz handelte oder ob es vielleicht eine Art Speichel war. Seine Handflächen schmerzten — nicht von der Wucht des Schlages, sondern von seinen Verbrennungen. Der Kopf schwenkte jetzt wieder zu ihm herum, und für einen winzigen Moment fiel ein roter Lichtschimmer durch den Tunnel -272-
herein, als das Ungeheuer seinen Körper zusammenzog, um auf ihn herabzustoßen. Garth sah den wulstigen Hornrand seines zahnlosen Mauls auf sich zukommen und tauchte zur Seite weg, im Sprung mit der Axt zuschlagend. Die Schneide grub sich tief in das Fleisch der Kreatur, und die Axt wurde ihm aus der Hand gerissen. Für einen kurzen Moment stieg Panik in ihm hoch, als ihm be wusst wurde, dass er jetzt völlig unbewaffnet diesem schaurigen Schoßtier des Todesgottes gegenüberstand, doch dann fiel ihm das große Schwert ein, das vermutlich noch immer in der Nähe des Altars lag. Er raffte sich hoch, mit seinen brennenden und pri ckelnden Fingern die Wandreliefs umkrallend, um sie zu fühlen; als der Wurm sich zu einem neuen Angriff aufbäumte, rannte er mit drei schnellen Anlaufschritten unter seinem Kopf hindurch und hechtete mit ausgestreckten Armen zum Altar. Das Klirren von Stahl auf Stein verriet ihm, dass seine Hand die heilige Waffe berührt hatte. Der Schmerz in seinen Händen wurde immer stärker, aber er zwang sich, ihn zu ignorieren, als er nach dem Schwert tastete. Über ihm schnellte der Kopf des Wurms vor, und der Luftzug schmetterte ihn wie eine Faust platt auf den Boden; der Kopf war kaum einen Fuß über ihm, er wand und krümmte sich vor Wut und Enttäuschung darüber, dass er sein Opfer nicht entdecken konnte. Garth zwang seine Hände, sich um das Schwert zu schließen; jede geringste Handbewegung sandte jetzt einen stechenden Schmerz durch seine Arme. Die Klinge kratzte über Stein, und das Monstrum wandte den Kopf und wollte sich zurückringeln, muss te jedoch feststellen, dass der Platz in dem Raum für ein solches Manöver nicht ausreichte.
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Er hörte ein kratzendes Geräusch, gefolgt von einem Klirren, als die Axt, die er im Körper des Monstrums zurückgelassen hatte, an der Wand entlangschleifte und dann zu Boden fiel, als das Unge heuer sie abgestreift hatte. Seine schmerzenden Hände schlossen sich um das Heft des Schwertes, und eine Woge neuer Kraft durchpulste seinen Körper. Adrenalin, redete er sich ein. Der Wurm zog jetzt einen Teil seines Körpers in den Tunnel zu rück, und für einen Moment sickerte wieder etwas von dem roten Licht herein. Er schaffte sich Platz, den Platz, den er brauchte, um seinen Kopf zu bewegen und mit seinem hungrigen Maul nach dem widerspenstigen Bissen schnappen zu können, der dort ir gendwo im Raum sein musste. Garth rollte sich zur Seite, als er den Luftzug im Gesicht spürte, der dem heranschnellenden Kopf des Ungeheuers vorausging. Der Kopf verfehlte ihn, und Garth schwang, nur wenige Zoll von der Flanke des Wurmes entfernt auf dem Rücken liegend, das mächtige Breitschwert. Die Klinge drang tief in den Leib des Mon strums, ohne jedoch spürbare Wirkung zu hinterlassen. Dick flüssiger Schleim rann über das Querstück und über Garths Handrücken. Bevor das Ungeheuer sich zurückziehen konnte (so riesig und stark wie es war, so schwerfällig war es auch, und abgesehen von den schnellen Stößen mit dem Kopf, hinter die es die Wucht seines ganzen Gewichts legen konnte, war es zu keinen schnellen Manö vern fähig), schlug er erneut zu, und wieder fuhr die Klinge mit einem eklig schmatzenden Geräusch in die wabbelige Körper masse des Wurms, ohne die geringste Wirkung zu zeitigen. Es war, als drösche er in einen Matschhaufen. Als sich die Bestie zu einem erneuten Angriff in den Tunnel zu rückzog, holte er aus und schlug noch einmal zu; mit einem ekel -274-
erregenden, saugenden Schmatzen löste sich eine Scheibe seines kalten feuchtschleimigen Fleisches und landete klatschend auf dem Boden. Offenbar war die Klinge dicht neben einer der vo rigen Schnittstellen eingedrungen, und er hatte buchstäblich eine Scheibe herausgehackt. Das brachte ihn auf eine Idee. Die inneren Organe des Mons trums schienen außer Reichweite seiner Klinge zu liegen; aber er konnte sich zu ihnen durchhacken. Wenn es ihm gelang, ge nügend von der gefühlsempfindlichen Schicht an ein und derselben Stelle wegzuhacken, dann würde er früher oder später zu den Innereien vordringen und es vielleicht so stark verletzen können, dass es sich in seinen Tunnel zurückzog und er sich die Tür vornehmen konnte. Kein Lebewesen, das Garth kannte, gleich, wie groß es auch sein mochte, vertrug es, wenn man ihm dicke Fleischstücke aus dem Körper hackte. Ein Jammer nur, dass er nichts sehen konnte! Er warf sich zur Seite, als ein Luftzug den nächsten Angriff ankündigte; wieder schlug er zu, die Klinge diesmal ein wenig schräg führend. Das Monstrum zog sich wieder zurück, ein wenig langsamer als bei den ersten Malen, wie ihm schien; er fragte sich, ob seine Schläge womöglich schon erste Wirkung hinterlassen hatten. Jetzt hielt das Monstrum in seiner Rückwärtsbewegung inne, was Garth daran erkannte, dass das schabende Geräusch, das sein Körper beim Gleiten über den Steinboden verursachte, plötzlich verstummte. Er vermutete den Kopf des Ungeheuers ir gendwo in der Mitte des Raums, vielleicht über dem Altar. Er befand, dass es an der Zeit war, selbst zum Angriff überzuge hen; mit einem gellenden Wutschrei, der weniger dazu dienen sollte, die Bestie zu erschrecken – vermutlich besaß sie ohnehin keine Hörorgane, die in der Lage waren, menschliche oder über menschliche Gefühlsäußerungen zu differenzieren – als vielmehr,
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sein Blut in Wallung zu bringen und ihn in seinem Kampfesmut anzuspornen, sprang er auf und stürzte sich mit zum Streich erhobener Klinge auf die Wurmkreatur. Die Klinge traf mit einem kratzenden, schabenden Geräusch auf das hornige Maul des Monstrums, ohne jedoch einzudringen; gleichwohl bäumte der Wurm sich auf, und Garth warf sich unter ihn. Er fand sich dicht neben dem Altar stehend, und ihm kam der Gedanke, dass dies ein ausgezeichneter Platz war; offenbar konnte das Monstrum den Altar nicht zerstören, denn sonst hätte es das schon Jahre zuvor getan. Wenn er sich nur dicht genug an den steinernen Pfeiler presste, konnte der Wurm weder von oben noch von hinten an ihn heran. Erneut schoss der Kopf herab, doch nur, um sofort wieder zu rückzuzucken, als er gegen die Altarplatte stieß. Garth nutzte die Gelegenheit zu zwei rasch hintereinander folgenden, in ent gegengesetzem Winkel angesetzten Hieben und vernahm zu sei ner Freude, wie ein weiterer Klumpen des teigigen Wurmfleisches auf den Boden klatschte. Das Monstrum zog sich diesmal nicht zurück, sondern schob sich weiter vorwärts in dem hirnlosen Bemühen, sich an dem Altar vorbeizuzwängen. Eine solche Gelegenheit ließ sich Garth nicht entgehen. Auf die selbe Stelle, die er eben mit seinem Doppelschlag aufgerissen hatte, ließ er eine ganze Serie kurz ange setzter Schläge prasseln. Dicke Fleischfetzen lösten sich aus der Wunde oder hingen in losen Streifen an der Flanke des Mons trums herab. Der Schleim, der das Ungeheuer bedeckte, rann in dicken zähen Bächen über seine Hände und Handgelenke, und es schien ihm fast, als lindere er ein wenig den brennenden Schmerz — den er in der Hitze der Schlacht ohnehin ignorierte. Er führte seine Schläge aus einer Kauerstellung neben dem Altar und konnte daher nicht seine ganze Kraft in die Streiche legen; da
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der Kopf vor und zurück pendelte, wagte er nicht, sich voll aufzu richten: zu groß war die Gefahr, dass der Kopf ihn traf, und selbst, wenn er nicht mit voller Wucht zustieß, reichte seine Kraft doch aus, ihn wie eine Spielzeugpuppe gegen die Wand zu schmettern. Gleichwohl wusste Garth, dass er in weitaus kürzerer Zeit weit mehr Schaden anrichten konnte, wenn er sich in eine Stellung bringen konnte, aus der heraus sich seine Klinge frei und unge hindert wirbeln ließe und in der die Schwerkraft nicht gegen ihn wirkte, sondern ihn unterstützte. Wenn er es schaffte, auf den Wurm zu gelangen und seine Streiche von oben zu führen ... Seine Schläge hatten ein ausgefranstes, schleimtriefendes Loch in die Flanke des Untiers gerissen, eine Bresche in seine glatte, glitschige Oberfläche; dieses Loch diente ihm als Fußstütze, als er sich hochschwang, das große Schwert mit der einen schmerzenden Hand mühsam umklammert haltend, während die andere Hand und beide Füße verzweifelt nach Halt auf dem glatten, schmierigen Fleisch des Wurmes suchten. Er spürte rasch, dass er es nicht schaffen würde; er fühlte, wie er langsam abrutschte, als der Wurm plötzlich den Kopf in seine Richtung schwenkte, offenbar als Reaktion auf Garths Gewicht. Einen Moment lang glaubte er, er würde gegen die Wand ge schmettert werden, bevor er es schaffen würde, abzuspringen, und er krallte sich mit der Kraft der Verzweiflung in die glitschige Masse, gleichzeitig mit beiden Beinen strampelnd, um wieder nach oben zu gelangen. Zu seiner großen Überraschung war seine Panikreaktion erfolg reich; der Vorwärtsschwenk des Kopfes hatte ihm den nötigen Schwung gegeben, den er brauchte. Mit Hilfe seines Schwertes, das er wie einen Pfahl in die weiche Fleischmasse rammte, gelang es ihm, sich so weit hochzuziehen, dass er sich rittlings auf den »Nakken« des Wurms setzen konnte.
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Jetzt hatte das Untier keine Möglichkeit mehr, mit seinem Maul an ihn heranzukommen; das einzige, was er jetzt noch befürchten musste, war, dass es sich aufbäumte und ihn gegen die Decke schmetterte. Er zog seinen Dolch aus dem Gürtel und bohrte ihn bis zum Heft in die glitschige Schwarte, um sich mit einer Hand festhalten zu können; dann machte er sich an das widerwärtige Geschäft, sich mit dem Breitschwert in das Monstrum hineinzu metzeln. Um schneller voranzukommen, benutzte er beide Hände; hin und wieder hielt er für einen Moment inne, um Atem zu schöpfen und sich an dem Dolchgriff wieder in die richtige Positi on hochzuziehen, wenn er zu einer Seite hin abzugleiten drohte. Seine breitbeinige Sitzhaltung auf dem Rücken des Ungeheuers gestattete ihm zwar immer noch nicht, mit dem größtmöglichen Schwung zuzuschlagen, aber er kam dennoch recht gut voran. In kurzer Frist hatte er einen Graben freigelegt, in den er hinein kroch, wobei er wahrhaft »übermenschliche« Beherrschung auf bringen musste, um den allgegenwärtigen widerlichen Schleim zu ignorieren, der aus jedem Zoll des Fleisches des Monstrums aus trat. Im Schutze dieses Grabens war er vor dem Abrutschen gefeit und konnte im Knien Weiterhacken. Immer tiefer arbeitete er sich in den Leib der Bestie vor. Diese war offensichtlich nicht gewillt, ihre Beute so ohne wei teres fahrenzulassen; sie zog sich nicht in ihren Tunnel zurück, sondern stöberte mit hin und her pendelndem Kopf weiter in der Tempelkammer herum, offenbar immer noch auf der Suche nach dem kleinen Plagegeist, der sich tiefer und tiefer in ihren Rücken hineinwühlte; mehrere Male glaubte Garth, er würde durch die Heftigkeit ihrer Bewegungen heruntergeschleudert werden, oder das Schwert würde ihm entgleiten. Doch schließlich fühlte er, wie die Klinge in etwas Festeres eindrang als das schwabbelige Fleisch; als er sie herauszog, spru
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delte ein dickflüssiger, scheußlich stinkender Schleim aus der Wunde. Er war zu den Innereien der Kreatur vorgedrungen. Es blieb ihm nicht viel Zeit, sich seines Erfolges zu freuen; die Bestie schüttelte sich in wilden Zuckungen, gegen die ihre frühe ren Bewegungen geradezu sanft waren, und er wurde durch die Luft geschleudert wie ein lästiges Insekt. Er schlug mit dem Kopf gegen die steinerne Wand; das Schwert flog ihm aus der Hand, und die Dunkelheit, die bis jetzt nur äußerlich gewesen war, verschlang ihn völlig. Das letzte, was er wahrnahm, war ein fer nes, kaum hörbares unheimliches Lachen; etwas schien zufrieden mit ihm zu sein.
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Kapitel 21 Frima war nicht glücklich mit ihrer Situation. Gleichwohl muss te sie zugeben, dass es immer noch besser war, in einem Stall von einem menschenfressenden Ungeheuer bewacht zu werden, das auf das Kommando eines Übermanns gehorchte, als auf einem Altar im Sai-Tempel langsam zu Tode gefoltert zu werden. Eine ganze Weile war vergangen, seit Garth aufgebrochen war, die letzten beiden Altäre zu plündern, und Frima war ziemlich si cher, dass er nicht mehr wiederkehren würde. Sie hatte noch nie gehört, dass jemand lebend aus dem Tempel des Todes zurückge kehrt war, und wenn Garth auch gewiss nicht zu den üblichen Opfern des Namenlosen Gottes zu zählen war, so traute sie ihm doch nicht zu, dass er es schaffen würde, sich ungestraft über eine der grundlegenden Gegebenheiten der Existenz Dûsarras hinweg zusetzen. Sie war mithin in diesem Stall festgenagelt, bis Koros es aufgeben würde, weiter auf die Rückkehr seines Herrn zu warten. Der Übermann hatte gesagt, es würde etwa einen Tag ausharren; sie hatte jetzt eine Nacht und einen Vormittag und einen halben Nachmittag gewartet, aber die Bestie zeigte noch keine Neigung zu verschwinden. Sie hatte sie ungestört Garths Sachen durch kramen lassen, und sie hatte das Messer gefunden, das Garth erwähnt hatte; es trug freilich nicht sehr zur Steigerung ihres Selbstvertrauens bei; zum einen, weil sie nicht wusste, wie man eine solche Waffe richtig handhabte, zum anderen, weil sie sich kaum vorstellen konnte, dass ein solch lächerlich kleines Ding ein so ungeheuer starkes Wesen wie das Kriegstier ernsthaft abschre cken konnte. Das Tier war unbestreitbar schön und zudem ausgesprochen freundlich zu ihr; sie hatte es mehrmals getätschelt und gestrei
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chelt, war jedoch jedesmal, wenn ihr dann plötzlich wieder ein gefallen war, was Garth gesagt hatte, wieder ängstlich zurückge schreckt. Es hatte einmal einen Zauberer verspeist! Zauberer waren für sie bis zu ihrer Entführung immer die mächtigsten und stärksten Wesen gewesen, die sie sich hatte vorstellen können, und dieses Tier hatte einen von ihnen schlicht und einfach gefressen, als wäre er nichts als ein einfacher Sterblicher! Sie kam gar nicht auf den Gedanken, an Garths Worten zu zweifeln; was er gesagt hatte, hatte absolut überzeugend ge klungen, und zudem war sie ohnehin sehr vertrauensselig und leichtgläubig. Sie stand auf und ging zur Tür der Stallbox, um ihr Glück ein weiteres Mal zu versuchen; wie schon bei ihren vorausge gangenen Versuchen, verhielt Koros sich still, bis ihre Hand die Klinke berührte, dann stieß er ein warnendes Knurren aus. Sie zog ihre Hand zurück, seufzte, und blickte hinaus in den leeren Stall hof. Sie war schon im Begriff, sich wieder umzudrehen, als sie eine Bewegung gewahrte. Da war jemand direkt hinter dem Torbogen; und nicht nur einer, wie sie jetzt sah. Sie lehnte sich hinaus, um bessere Sicht zu haben, und sofort stieß Koros ein Knurren aus; sie ignorierte es und späh te durch den Torbogen. Eine große Menschenmenge hatte sich dort draußen ver sammelt, wie es schien. Sie fragte sich, was sie dort wohl wollten. Vielleicht waren sie gekommen, um sie zu befreien! Sie überleg te, ob sie sich durch Rufen bemerkbar machen sollte. Aber nach kurzem Überlegen entschied sie, das besser zu unterlassen. Koros würde es mit größter Wahrscheinlichkeit missverstehen, und es würde vielleicht zu Blutvergießen kommen. Sie war noch nicht so verzweifelt, das zu riskieren.
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Sie hörte ein seltsames Schnüffeln neben sich; das Kriegstier war an ihre Seite gekommen und beobachtete ebenfalls die Leute hin ter dem Torbogen. Eine aufgeregte Debatte schien unter ihnen stattzufinden; ein paar Leute schrien erregt. Sie konnte jedoch nicht heraushören, worum es ging. Ein Umhang glitt für einen Moment auf, und dar unter kamen ein Kettenhemd und ein Schwert zum Vorschein. Alarmiert schaute sie genauer hin und stellte fest, dass mehrere Männer – offenbar sogar alle – Schwerter trugen, wie an den Aus buchtungen in ihren Roben zu erkennen war. Und, wie sie jetzt merkte, waren es allesamt Männer, die sich dort zusammenge schart hatten; nirgends sah sie ein bartloses Gesicht. Ein Mann in dunkelroter Robe kam jetzt etwa bis zur Mitte des Torwegs vor; er verharrte einen Moment lang, dann drehte er sich um, reckte die Faust hoch und sagte etwas zu der Menge. Immer noch konnte sie wegen des Lärms, den die Menge machte, kaum etwas verstehen, aber sie hörte deutlich die Worte »Übermann« und »Tempelschänder« heraus. Koros neben ihr begann zu knurren. Der Mann in Rot wandte sich wieder um und deutete auf die Stallbox – deutete, so schien es ihr, direkt auf sie. Die Menge drängte sich durch den Torweg und marschierte mit dem Mann in der roten Robe, offenbar ihrem Anführer, an der Spitze in den Stallhof. Koros sprang mit einem mächtigen geschmeidigen Satz über die Tür und landete in der Mitte des Hofes. Er stieß ein ohrenbetäu bendes Brüllen aus und duckte sich zum Sprung; die Vorwärtsbe wegung der Menge kam jäh zum Stillstand. Frima schaute gebannt zu; ganz abgesehen von den verwir renden Ereignissen, die sich hier vor ihren Augen entwickelte, fand sie es faszinierend, ja geradezu unglaublich, wie ein solch -282-
riesiges Tier wie Koros es angestellt hatte, durch den relativ schmalen Spalt zwischen der Stalltür und dem überhängenden Dach zu springen. Koros brüllte erneut auf und machte einen Schritt vorwärts, auf die unschlüssig dastehende Menge zu; Frima sah, dass mehrere Männer ihre Schwerter gezückt hatten, doch keiner wagte es, sich dem Kriegstier zu nähern. Im Gegenteil: Die ersten wichen lang sam zurück. Wieder brüllte Koros und duckte sich zum Sprung. Die Rück wärtsbewegung erfasste allmählich die ganze Menge, und nur wenige Momente später befanden sich alle wieder hinter dem Tor bogen. Koros richtete sich wieder auf, streckte sich, gähnte und wartete gelassen dastehend ab, was als nächstes geschehen würde. Der Mann in Rot trat erneut vor die Menge und sprach; und diesmal konnte Frima gut verstehen, was er sagte, da die Menge, offenbar eingeschüchtert durch das unerwartete Auftauchen des Kriegstiers, erheblich leiser geworden war. »Dûsarraner! Wir sind nicht eingeschüchtert von diesem schrecklichen Ungeheuer, sondern nur etwas vorsichtiger! Wir wollen nicht gegen diese Bestie kämpfen, sondern gegen ihren ruchlosen Herrn! Lasset uns also hier warten, bis er zurückkommt, um ihn dann in unserem aufrichtigen Zorn niederzustrecken, sein grausiges Schoßtier zu töten und das Opfer, das er gestohlen hat, wieder an seinen rechtmäßigen Platz zurückzubringen! Wir werden unsere Stadt von diesem Unrat säubern!« Seine Rede wurde mit tosendem Applaus begrüßt. Als Frima den Teil mit dem Opfer hörte, war sie plötzlich heilfroh, dass sie nicht um Hilfe gerufen hatte. Mit einem Mal sah sie in Koros nicht mehr ihren Bewacher, sondern ihren Beschützer, und konnte es kaum noch erwarten, dass Garth endlich zurückkam – während sie gleichzeitig Angst davor hatte. Was würde geschehen, wenn -283-
die Männer ihn töteten? Und was, wenn er sich am Ende als ge nauso schlimm und grausam wie der Sai-Kult entpuppte? Zudem war es ja immer noch möglich – und sogar sehr wahrscheinlich dass er überhaupt nicht mehr zurückkehrte ...
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Kapitel 22 Garth hatte keine Ahnung, wie lange er besinnungslos gewesen war. Als er zu sich kam, lag er auf dem Steinboden, neben sich das Schwert Bheleus. Der rote Lichtschimmer drang ungehindert aus dem Tunnel und ließ den Edelstein im Knauf des Schwertes in einem düsteren karmesinroten Feuer erglühen. Auf dem Boden ringsum standen Schleimpfützen, und sein Kettenhemd war mit einer dicken Schicht der glitschigen Substanz bedeckt. Er blieb noch einen Moment still liegen und sammelte seine Gedanken. Er streckte den Arm aus und packte das Schwert; als seine Finger sich um das Heft schlossen, merkte er, dass der Schmerz vollkommen verschwunden war. Er setzte sich auf, legte das Schwert wieder hin und betrachtete seine Handflächen. Das Fleisch war leicht gerunzelt, wie nach fast verheilten Wunden, aber von Blasen oder Verbrennungen war keine Spur mehr zu sehen. Erschrocken fragte er sich, wie lange er bewusstlos dagelegen haben mochte. Er prüfte seinen Tastsinn, indem er seine Finger über verschie den geartete Oberflächen gleiten ließ, und empfand für einen kurzen Moment Panik, als sich das Kettengewebe seines Hemdes stumpf und weich anfühlte; um so größer war daher seine Erleich terung, als ihm bewusst wurde, dass die Schleimschicht der Grund für die vermeintliche Gefühllosigkeit seiner Fingerkuppen war. Als er gleich darauf mit den Händen über die Wandreliefs fuhr, stellte er fest, dass sein Tastsinn wieder vollkommen intakt war. Er war also körperlich wieder in bester Verfassung. Aber wie lange hatte er hier gelegen? Was war aus Koros ge worden, dessen Fütterung längst überfällig war? Und aus Frima, die er in der Obhut des hungrigen Kriegstiers zurückgelassen -285-
hatte? Und aus der Beute aus den ersten fünf Tempeln? Hatten die Aghaditen ihre Drohungen wahr gemacht, und wenn ja, welche Folgen waren daraus erwachsen? Er rappelte sich auf. Wie auf einen unsichtbaren Wink hin glitt die metallene Tür, die den Eingang verschloss, genau in dem Moment, als sein Blick sich auf sie richtete, lautlos in die Wand zurück, und herein trat eine gebeugte Gestalt, deren Robe von einem solch tiefen Schwarz war, dass sie nicht einen Strahl von dem roten Licht reflektierte, das aus dem Tunnel drang. Das Gesicht des Mannes war, wie bei den Dûsarranischen Priestern üblich, von einer Kapuze verhüllt, so dass er in seinen fast unsichtbaren Kleidern wie ein lebender Schatten wirkte, der noch tiefer und dunkler war als alle anderen in der Höhle. Kein Licht fiel von draußen herein, und im ersten Moment glaubte Garth, das bedeute, dass draußen Nacht herrschte; ihm fiel nicht sogleich ein, dass der Gang so lang und gewunden war, dass so gut wie kein Sonnenlicht bis zu der Tempelkammer durchdringen konnte, ganz gleich, welche Tageszeit es war. Die Gestalt in der Robe war klein und zerbrechlich, wie Garth trotz ihrer fast völligen Unsichtbarkeit erkennen konnte; zuerst glaubte er, es handle sich um ein Mädchen oder einen kleinen Jungen, trotz der Langsamkeit, mit der sich die Gestalt voranbe wegte; doch als sie die Stimme erhob, eine hohe brüchige Stimme, bestand kein Zweifel mehr, dass er einen alten Mann vor sich hatte. »Ich höre deine Atemzüge«, sagte der Greis. Garth gab keine Antwort. »Kannst du nicht sprechen? Ich weiß, dass du da bist und dass du lebst.«
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»Ja, ich bin hier. Was soll ich dir sagen?« Garth hob, während er sprach, das Schwert auf; der kleine alte Mann machte zwar einen harmlosen Eindruck, aber er wollte kein unnötiges Risiko einge hen. »Was immer du sagen möchtest.« »Es gibt nichts, was ich dir sagen möchte.« »Würdest du mir dann ein paar Fragen beantworten, rein aus Höflichkeit?« »Vielleicht. Frag mich, was du willst.« Garth war aufgefallen, dass der Priester ihm nur dann den Kopf zuwandte, wenn er sprach; das und die Worte des Mannes ließen es ziemlich sicher erscheinen, dass er, wie die Priester des Andhur Regvos, blind war. Es schien seltsam, dass eine solch hinfällige, harmlose Person der einzige Diener des meistgefürchteten aller Götter sein sollte — vorausgesetzt, der Letzte Gott hatte wirklich nur einen Priester. Nun, da er wusste, dass es nicht erforderlich War, dem Priester seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen, ließ Garth seinen Blick weiter durch den Raum schweifen. Die überall auf dem Boden herumliegenden Fleischfetzen, die er aus dem Monster herausge hackt hatte, waren bereits in den Zustand der Verwesung überge gangen; die Schleimpfützen waren zum Teil getrocknet. Er sah die große Eiterpfütze, ‚die die Stelle bedeckte, an der er zu den Einge weiden der Bestie durchgedrungen war. Der Altar mit dem Schädel stand nach wie vor unversehrt. »Hast du das gesehen, was bisher alle, die hier eingedrungen sind, vernichtet hat, so dass nichts von ihnen übriggeblieben ist?« »Ja.« »Dich hat es nicht vernichtet.« »Es hat sich redlich gemüht.« »Was geschah?« -287-
»Es kam aus dem Tunnel hervorgekrochen; ich wich ihm aus. Wir kämpften miteinander, und es gelang mir, es schwer zu verwunden. Es schleuderte mich gegen die Wand, und ich verlor das Bewusstsein, aber seine Verletzung war offenbar so schwer, dass es vorzog, sich zurückzuziehen, statt mir den Garaus zu ma chen.« Das, so fand er, war eine knappe und akkurate Zusammen fassung seines verzweifelten Kampfes; er dachte sich, dass ein solch schlichter, schmucklos-nüchterner Bericht ihm besser diente als ein blumenreich vorgetragenes Heldenepos, zumindest so lange, wie er noch nicht wusste, wie der Priester zu dem Unge heuer stand. Immerhin bestand durchaus die Möglichkeit, dass es schon als Gotteslästerung betrachtet wurde, dass er sich über haupt verteidigt hatte. »Was ist es?« »Das weißt du nicht?« Garth war ob dieser Frage so verblüfft, dass er fast ins Stottern geraten wäre. »Nein. Ich bin lediglich der Wärter dieses Tempels; ich weiß nichts von den Geheimnissen des Gottes. Der wahre Diener des Letzten Gottes ist noch nicht zurückgekehrt. Was war das denn, gegen das du gekämpft hast?« Garth empfand ein plötzliches Widerstreben bei dem Gedanken, die Frage des Greises zu beantworten, obwohl es keinen logischen Grund gab, den Mann nicht über die Natur der Kreatur aufzuklä ren, die im Tempel hauste. »Erzähl mir erst mehr über euren Kult. Bist du denn nicht der Hohepriester des Gottes-Dessen-NamenMan-Nicht-Ausspricht?« »Nein. Ich bin nur ein niederer Priester. In den Büchern der Weissagungen steht geschrieben, dass der einzige wahre Hohe priester des Todes seit mehr als vier Zeitaltern nicht mehr in Dûsarra gewesen ist und dass er erst wiederkehren wird, wenn das Fünfzehnte Zeitalter anbricht.« -288-
Ein Gefühl von Unbehagen beschlich Garth bei dieser neuerli chen Erwähnung des Systems der Menschen, die Zeitalter zu zäh len. »Dies sei der Beginn des Vierzehnten Zeitalters, wurde mir ge sagt.« »So ist es. Wenn dieses neue Zeitalter, das soeben anbricht, sich dem Ende zuneigt, wird der Hohepriester zurückkehren.« »Wenn, wie du sagst, er seit vier Zeitaltern nicht mehr hier ge wesen ist ... Das Dreizehnte Zeitalter hat mindestens dreihundert Jahre gedauert. Euer Hohepriester muss schon vor Jahrhunderten gestorben sein. Ist es vielleicht sein Erbe, den ihr erwartet?« »O nein! Der, den wir erwarten, ist der einzige wahre Hohe priester des Todes. Es liegt in der Natur seines Dienstes, dass er selbst nicht sterben kann.« Garth brauchte einen Moment, um diese Information zu verdauen. Er erinnerte sich, dass bei einem seiner Gespräche im Gasthof des Königs in Skelleth das Thema Unsterblichkeit angeschnitten worden war. Eine Theorie, die ihn mit Unbehagen erfüllte, schlich sich in seine Gedanken. Der Vergessene König hatte gesagt, er strebe danach, den Zweck zu erfüllen, den die Götter ihm gegeben hätten; aber welche Göt ter waren es, von denen er sprach? Er wandte erneut den Blick zu dem unnatürlichen Schädel, der vom Altar grinste. »Was weißt du sonst noch von eurem Hohe priester?« »Oh, da gibt es viele Legenden! Er war einst König in einem Land, das so alt ist, dass seine Existenz in Vergessenheit geraten ist; er schloss einen Handel mit den Göttern des Lebens und des Todes ab, durch den er Unsterblichkeit bis zum Ende aller Zeiten erlangte, aber er bereute diesen Handel und entsagte dem Dienst an seinem Königreich und an seinen Göttern, um fortan in Lum pen gehüllt durch die Welt zu wandern. Er wird wiederkehren, -289-
wenn das Fünfzehnte Zeitalter anbricht, das Zeitalter des Todes, um seinen Vertrag zu erfüllen. Er ist der einzige, der mit dem Letzten Gott gesprochen hat und weiterlebte; ein Teil seiner Auf gabe besteht darin, dafür Sorge zu tragen, dass der Name-DenMan-Nicht-Ausspricht nicht verloren geht. Er beherrscht die alte Magie der gesamten Welt, hat jedoch keine Verwendung für sie. In den heiligen Texten steht noch viel mehr — sein Name, den ich nicht genau aussprechen kann, und die Zeugnisse seiner Taten.« »Steht in euren heiligen Büchern auch etwas vom Sechzehnten Zeitalter?« »Nein. Sie umfassen nur den gegenwärtigen Zyklus, der mit dem Fünfzehnten Zeitalter endet.« »Und was steht in ihnen über das Vierzehnte?« »Das Zeitalter der Zerstörung? Dass es beginnen soll mit der Verheerung und Schändung Dûsarras und dass es ein Zeitalter des Feuers und des Schwerts sein werde. Es ist darin die Rede von einem mächtigen Diener Bheleus, der auf das Geheiß des Vergessenen Königs handelt.« »Des Vergessenen Königs?« »Ein anderer Name für den Hohepriester des Todes.« »Der Hohepriester des Todes.« Garth starrte auf den Toten schädel und beschloss, dass die Prophezeiungen sich nicht erfül len würden. »Ja.« Die Stimme des alten Priesters klang weniger sicher. »Das Wesen aus dem Tunnel war bloß ein Wurm.« Garth schob mit einer Armbewegung den blinden Priester zur Seite und stapf te hinaus; den gehörnten Totenkopf ließ er da, wo er war. Der Priester lief ihm hinterher und rief, er solle warten; Garth blieb stehen und wartete; ihm war noch eine Frage eingefallen, die
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er dem alten Mann stellen wollte. Er sah, dass die Kapuze des Mannes zurückgeglitten war, nahm aber keine Notiz davon: »Wie lange war ich hier drinnen?« fragte er. »Der Aghad-Priester sagte, du seist bei Morgengrauen gekom men; die Sonne wird gleich untergehen.« »Ich war also nur einen Tag hier?« »Ja.« Die Stimme des Priesters klang jetzt furchtsam. Garth starrte auf seine Hände. Wie hatten seine Verbrennungen so schnell verheilen können? Das Schwert des Bheleu hielt er noch immer mit der Rechten umklammert; für einen kurz en Augenblick verspürte er den Impuls, es wegzuwerfen, doch dann besann er sich. Sein Dolch war in dem Monstrum steckenge blieben; seine Axt lag irgendwo in der Altarkammer; sein altes Schwert war am Tor des Aghad-Tempels zerbrochen. Diese teuf lische Klinge war seine einzige Waffe, und er hatte nicht vor, seine Flucht aus Dûsarra unbewaffnet zu wagen: schließlich hatten die Aghaditen gedroht, ihn zu töten. Er ging weiter zum Ausgang der Höhle, so langsam, dass der Priester mit ihm Schritt halten konnte; als der rötliche Lichtschein hinter ihm verblaßte, drang ihm von vorn das blasse Rosa der Abenddämmerung entgegen. Der Priester schnatterte unverwandt auf ihn ein, löcherte ihn mit Fragen über den Wurm; er beschränkte sich auf knappe, mür rische Antworten: ja, der Schleim auf dem Altar stamme von dem Wurm; nein, er habe nicht alles von dem Wurm sehen können; nein, er hätte nicht ganz in den Altarraum hineingepasst; nein, er glaube nicht, dass er ihn getötet habe; ja, er fresse Menschen; vermutlich verschlucke er sie in einem Stück. Schließlich trat das ungleiche Paar zusammen in das düstere Licht der Abenddämmerung; Garth hielt das Schwert stoßbereit
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erhoben, als er auf das Pflaster der Straße der Tempel trat. Er warf einen Blick auf den Priester, und zum ersten Mal sah er das Gesicht des Mannes. Sein Haupthaar war schlohweiß; ein Auge fehlte, das andere schimmerte rosafarben unter einer Glasur von grauem Star; eine Seite seines Gesichtes war von einer Art Geschwulst bedeckt. Aus einem der schwarzen Ärmel seiner Robe ragte ein vernarbter Ar mstumpf heraus. Er war das abstoßendste Menschenwesen, das Garth je gesehen hatte. Das passte natürlich zu einem Priester von etwas so Ab stoßendem wie dem Tod. Während Garth ihn musterte, redete der Priester weiter; er tat sein Erstaunen darüber kund, dass es sich bei dem Wesen um einen Wurm handelte, erzählte, wie viele Menschen er schon ver schlungen habe. Garth unterbrach ihn in seinem Redeschwall. »Alter Mann, sag, wie konntest du die Bücher lesen?« »Was? Oh. Ich war nicht immer blind, und ich habe einen Gehil fen, der mir aus ihnen vorliest, wann immer ich es wünsche.« »Und du besitzt nicht die Gabe des zweiten Gesichts?« »Nein. Ich bin nur ein schlichter Tempelwärter.« Schade, dachte Garth; es wäre ihm sehr gelegen gekommen, wenn der alte Trottel in der Lage gewesen wäre, ihm die nächsten Schritte der Aghaditen vorauszusagen. Er war auf seiner Mission schon so vielen Sehern begegnet, dass ihn ein weiterer kaum noch überrascht hätte; aber wie es aussah, musste er sich wohl auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen. Er öffnete den Mund, um dem Priester Lebewohl zu sagen, als ihn eine vertraute Stimme, die von irgendwo aus den Felsen kam, innehalten ließ. »Wir geben dir eine letzte Chance, Verräter. Töte den alten Idio ten, und wir lassen dir dein Leben.« -292-
Kapitel 23 Garth wog seine Lage ab. Sein erstes und wichtigstes Ziel war, heil aus Dûsarra herauszukommen; sein zweites Ziel war, Frima, Koros und seine Beute mit hinauszuschaffen. Um so schöner, wenn es ihm dabei vielleicht noch gelang, den einen oder anderen Aghaditen zu töten, zum einen weil es seine Verfolger entmutigen würde, zum anderen weil er sich damit Genugtuung verschaffen würde; moralische Bedenken hatte er dabei keine, war doch dieser verbrecherische Kult für zahlreiche Greueltaten verantwortlich. Hier und jetzt war er indes im Nachteil; erstens hielt der Aghadit sich verschanzt, vermutlich in einer guten Verteidigungsstellung, die auszusuchen er viel Zeit gehabt hatte, und zweitens wusste Garth nicht, mit wie vielen Gegnern er es zu tun hatte. Vielleicht war es nur der eine Priester, vielleicht aber auch der gesamte Kult, womöglich sogar mehrere Kulte. Es auf einen offenen Kampf an kommen zu lassen, war daher nicht ratsam. Was sein erstes Ziel anging, nämlich heil aus Dûsarra herauszukommen, so galt es nun zu überlegen, wie er dies am besten anstellte; die Aghaditen konn ten nicht gewusst haben, wann er wieder aus dem Tempel des Todes auftauchen würde, es sei denn, sie hatten Orakel oder Seher zur Hand, und selbst in dem Fall würden sie bestätigt haben wollen, ob er auch wirklich herausgekommen war. Höchstwahr scheinlich waren in diesem Moment schon Boten unterwegs, die die Nachricht von seinem Wiederauftauchen in der Stadt verbrei teten; auf einen einzigen Hinterhalt würden sich die Aghaditen gewiss nicht verlassen. Vermutlich lauerten schon weitere Priester und Anhänger des Kults am Stall und an den Stadttoren auf ihn. Wenn er sie noch vor den Boten erreichen konnte, war der Überra schungseffekt auf seiner Seite. Er durfte keine Zeit verlieren! Er ignorierte die spottende Stimme des Aghaditen, schob den Pries -293-
ter des Letzten Gottes mit einer Armbewegung beiseite und rann te, was die Beine hergaben, die Straße der Tempel hinunter, ohne auf die paar Fußgänger zu achten, die aufgescheucht aus dem Weg spritzten und ihm verdattert hinterherschauten. Er hatte seine Entscheidung in weit kürzerer Zeit getroffen, als es gedauert hat, sie zu erklären; als der Aghadit seinen zweiten Satz beendet hatte, war Garth schon ein Dutzend Schritte vom Tempeleingang entfernt, das große Breitschwert noch immer in der Hand haltend. Die lange Klinge behinderte ihm beim Laufen, aber es war die einzige Waffe, die er hatte. Ihm kam der Gedanke, dass vielleicht an den Tempeleingängen entlang der Straße weitere Feinde lauerten; bei der ersten Gelegen heit bog er nach rechts ab und hetzte eine Seitenstraße hinunter. Er hatte nicht vergessen, wie er sich schon einmal in dem Laby rinth aus engen Straßen und Gassen verlaufen hatte, aus dem der größte Teil der Stadt bestand, aber er schätzte das Risiko, sich zu verirren, als weniger schwerwiegend ein als das Risiko, in einen Hinterhalt zu laufen. Und einen Hinterhalt konnte man nur legen, wenn man im voraus wusste, welchen Weg die Person nahm. Er sah nur ein einziges schwerwiegendes Problem, das auf ihn zukam: Die Stadt hatte nur das eine Tor, durch das er gekommen war, und einen anderen Weg, der aus ihren Mauern herausführte, wusste er nicht. Außerdem wollte er natürlich Frima und seine andere Beute mitnehmen. Koros konnte für sich selbst sorgen. Nachdem er zwei Blocks zwischen sich und die Straße der Tem pel gelegt hatte, bog er nach links ab und fand sich auf einer re lativ geraden Straße wieder, die parallel zur Straße der Tempel verlief; er folgte ihr, so weit er konnte, und gelangte in eine Straße, durch die er schon einmal gekommen war. Er ließ sich in einen lo ckeren Trab zurückfallen und schlug die Richtung zum Gasthof der Sieben Sterne ein.
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Zufällig des Weges kommende Passanten machten einen weiten Bogen um ihn; mit einem Übermann, der mit blankem Schwert durch die Straßen trabte, legte man sich tunlichst nicht an. Der lange Spurt quer durch die Stadt hatte ihn mehr erschöpft, als ihm lieb war; er hatte sich offenbar noch immer nicht ganz von dem Kampf mit dem Wurm und dem Schlag gegen den Kopf erholt. Sein Schritt war erheblich müder geworden, als er schließ lich in die Straße bog, in der das Haus stand, durch dessen Tür er gebrochen war. Er war sich nicht ganz sicher, warum er sich entschieden hatte, den Weg über den Hinterhof zu nehmen; die Aghaditen würden zweifellos dort Posten aufgestellt haben. Aber dass sie sich vor den Toreingang zum Stallhof postiert hatten, stand ebenso außer Zweifel, und der Weg durch das Haus und den Hinterhof würde ihm mehr Deckung bieten und seinen Feinden weniger Möglich keit, ihn durch schiere Zahl zu überwältigen. dass er seinen Feinden aber auch bessere Möglichkeiten für einen Angriff aus dem Hinterhalt bot, war ihm nicht entgangen; dieses Risiko muss te er eingehen. Die Straße war nicht leer wie bei früheren Gelegenheiten; eine Handvoll Frauen und Männer, mit den üblichen dunklen Um hängen bekleidet, blieb stehen und starrte ihn entgeistert an, als er plötzlich auf die Tür in der Mitte des Blocks zu startete. Er hörte ein sirrendes Geräusch, und ein Pfeil bohrte sich in den festgetretenen Straßendreck; der Schütze konnte nicht in allzu großer Nähe sein. Sie hatten ihm einen Hinterhalt gelegt — aber er hatte sie überrascht. Er versuchte erst gar nicht zu probieren, ob die Tür auf war; nur ein Trottel hätte vergessen, sie abzuschließen. Er nahm das Heft des Schwertes in beide Hände und hieb mit aller Kraft gegen die
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Füllung, in der Hoffnung, dass die Klinge fest genug war, einer solchen Beanspruchung standzuhalten. Ein zweiter Pfeil pfiff an seinem Ohr vorbei und prallte klirrend an der steinernen Fassade des Hauses ab. Das Schwert traf auf die schwere Holztür und schnitt durch sie hindurch wie ein Messer durch Käse. Das Heft fühlte sich plötz lich heiß unter seinen Händen an; er erklärte sich dies mit einer Sinnestäuschung, die darauf zurückzuführen war, dass die Brand wunden auf seinen Handflächen noch nicht vollständig ausgeheilt waren. Er riss die Klinge aus dem Holz und schlug ein zweites Mal zu. Die Tür zerbarst krachend in tausend Splitter und fiel nach in nen; Garth trat hindurch. Er wusste, dass hier eine geheimnisvolle Kraft am Werke sein musste, denn, so stark wie er war, er besaß nie und nimmer die Kraft, eine solch massive Tür mit nur zwei Schlägen zu zertrümmern; aber er hatte nicht die Zeit, Überle gungen dazu anzustellen. Zwei weitere Pfeile bohrten sich nicht weit hinter ihm in die Straße. Der Raum war so, wie er ihn in Erinnerung hatte — die Treppe auf der einen Seite, auf der anderen der Durch-gang zur Küche, die Decke so niedrig, dass er sich bücken musste. Ein paar Details jedoch waren neu; in erster Linie die Leiche, die ausgestreckt vor der Tür lag: ein Stück Eichenholz aus der zertrümmerten Tür hatte ihr den Schädel gespalten. Der Tote trug einen Helm, ein Ketten hemd und einen Brustpanzer und war mit Schwert und Kurzspeer bewaffnet. Das Schwert in Garths Händen schwenkte plötzlich zur Seite, und er fand sich unversehens zu einem horizontalen Streich aus holend; ein kurzer spitzer Schrei erscholl, als die Klinge den Bauch eines zweiten Mannes aufschlitzte, der neben der Tür gelauert
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hatte. Es gab ein Klirren, als er das Schwert fallen ließ, und einen dumpfen Schlag, als er vorwärts in sein eigenes Blut fiel. Der rote Stein im Schwertknauf leuchtete jetzt so hell auf wie eine Laterne in dem düsteren Zimmer. Spätestens jetzt konnte Garth sich nicht mehr einreden, dass die Waffe nichts weiter als simpler, gewöhnlicher Stahl war; er hatte unter gröbster Vernach lässigung der einfachsten Vorsichtsmaßregeln den zweiten Angreifer schlicht übersehen, und das Schwert war selbsttätig in Aktion getreten. Dem Ding war nicht zu trauen. Aber es war seine einzige Waffe, und er hatte keine Zeit, sich mit langen Mutma ßungen den Kopf zu zerbrechen. Ein Pfeil kam durch die Tür geflogen und bohrte sich in das Bein der Leiche; Garth machte, dass er schnell aus dem Bereich der Tür kam. Durch den jüngsten Vorfall vorsichtig geworden, hieb er, be vor er in die Küche trat, mit dem Schwert erst einmal um die Tür ecken — und wurde belohnt mit dem keuchenden Aufschrei eines weiteren Mannes, der seine Waffen fallen ließ, als die Klinge in seinen Arm schnitt. Im gleichen Moment sprangen ihm drei weitere Angreifer mit gezücktem Schwert entgegen, und hinter sich hörte er polternde Schritte die Treppe herunterkommen; er durfte keine Zeit mehr verlieren. Als der Angreifer zu seiner Rechten zum Streich aushol te, riss Garth die schwere Klinge hoch; mit lautem Klirren prallte sie gegen die Klinge des Angreifers und schmetterte sie zurück gegen die Stirn des Mannes; das gebogene Querstück schlug um, einen blutigen Striemen in die Stirn des Angreifers reißend, und es gab ein lautes knackendes Geräusch, als der Daumen von der Wucht des Aufpralls zwischen Heft und Schädelknochen zermalmt wurde. Die Klinge des zweiten Angreifers schrammte über Garths Kettenhemd, als er sein Schwert weiter hochriss, um es von dem
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kürzeren Schwert des ersten Mannes zu befreien, der stöhnend vor ihm zusammenbrach; die Spitze der mächtigen Klinge ratschte direkt über dem Kopf des zweiten Angreifers über die Decke, eine Kerbe im Holz hinterlassend, da ihr Schwung so heftig war, dass Garth ihn nicht sofort abbremsen konnte. Dann ließ er sie mit voller Kraft herabsausen; mit einem schmatzenden Geräusch fuhr sie in den Hals des dritten Angreifers und drang ihm bis tief in die Brust. Als der zweite Angreifer, der in der Mitte stand, seine beiden Spießgesellen innerhalb von nur wenigen Sekunden zu Boden sin ken sah, machte er einen wütenden Ausfall, mit der Schwertspitze auf die ungeschützte Kehle des Übermanns zielend; Garth duckte sich zur Seite und riss seine Klinge aus der Leiche des dritten Angreifers. Als der Mann sah, dass sein Angriff erfolglos ge blieben war, ließ er sein Schwert fallen und hob die Arme zum Zeichen der Aufgabe. Garth versuchte noch, seinem Streich den Schwung zu nehmen, aber die Klinge fuhr mit immer noch beacht licher Wucht tief in die Seite des Mannes, durch sein Kettenhemd schneidend, als wäre es aus Stoff. Der Brustpanzer des Dûsar raners hielt sie auf, bevor sie auf Knochen traf, und Garth hoffte, dass die Wunde nicht tödlich sein würde. Der Mann schlug auf dem Boden auf, und Garth stieg über ihn hinweg. Der Durchgang zu dem kleinen Hof stand offen; der Besitzer hatte nichts unternommen, die Tür, die Garth aufgebrochen hatte, durch eine neue zu ersetzen. Sehr wahrscheinlich lauerten dort draußen weitere Männer. In der Hoffnung, sie zu überraschen, stürmte er mit vorwärts gerichtetem Schwert hinaus und ließ, als er die Mitte des Hofes erreichte, die Klinge in einem gewaltigen Rundschlag herumwirbeln. Der kleine Hof war leer — leider jedoch nicht die beiden Höfe zur Linken und zur Rechten. Ober die sechs Fuß hohen Mauern
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spähten Armbrustschützen. Garth sah sie gerade noch rechtzeitig, um sich blitzschnell ducken zu können. Pfeile schwirrten ihm um die Ohren und prasselten gegen die Mauern, als er in geduckter Haltung in die Küche zurückstürmte — um sich den Männern gegenüber zu sehen, die oben auf der Lauer gelegen hatten. Zwei von ihnen waren Bogenschützen. Sie hatten nur kurze Bogen; sie hielten sie zwar gespannt, aber da sie keine Pfeile eingelegt hatten, stellten sie keine unmittelbare Bedro hung dar, und er ignorierte sie. Die anderen, drei an der Zahl, waren mit Schwertern bewaffnet. Sie standen alle fünf über ihre gefallenen Kameraden gebeugt; offenbar hatten sie nicht mit Garths plötzlichem Erscheinen gerechnet. Keiner von ihnen mach te eine drohende Bewegung, als sie sich so unvermittelt mit dem wütenden Übermann mit seinem riesigen Breitschwert konfron tiert sahen. »Lasst eure Waffen fallen!« bellte Garth. Widerstrebend ge horchten die fünf. »Und nun hinaus mit euch! Sammelt eure Verwundeten ein und verlasst das Haus!« Zögernd gehorchten sie. Von den sechs Männern, die Garth niedergestreckt hatte, waren drei tot; der, dem er das eigene Schwert gegen die Stirn geschlagen hatte, war bewusstlos, aber nicht ernsthaft verletzt; der, der als letzter gefallen war, lebte noch, aber sein Zustand war ernst; sein pro visorischer Verband war blutdurchdränkt; und der, der hinter der Tür gestanden hatte und dem er den Arm aufgeschlitzt hatte, trug den Arm in einer blutdurchtränkten Schlinge, konnte aber noch gehen. Die Neuankömmlinge, die ihre Waffen gestreckt hatten, trugen die Verwundeten hinaus, jeweils zwei von ihnen einen, der, der noch gehen konnte, wurde vom fünften gestützt. Garth schaute ihnen nach, bis sie verschwunden waren.
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Das Überraschungselement war verloren; dafür hatte er jetzt eine verteidigungsfähige Stellung. Ein donnerndes Brüllen erscholl hinter ihm; er wirbelte herum, das Schwert zum Streich erhoben, und dann erkannte er das Ge räusch. Koros! Das Kriegstier war in Aktion! Sein Schlachtruf war so laut, dass man ihn über eine halbe Meile hören konnte, aber der Lautstärke nach zu urteilen, musste es viel näher sein; vermutlich war es im Stallhof und verteidigte Frima und Garths Sachen. Wieder erscholl das Brüllen, vermengt mit einem menschlichen Schrei. Garth wünschte, er hätte sehen können, was vor sich ging, aber er wollte nicht riskieren, sich dem Armbrustfeuer, das ihn draußen auf dem Hof erwartete, ohne Not auszusetzen. Das Brüllen hielt an, und andere Geräusche mischten sich dar unter: Waffenklirren, heisere Schreie, gellendes Kreischen. Ein Schreck durchfuhr Garth, als er das Schnappen von Armbrust sehnen hörte. Das konnte gefährlich werden; so dick die Haut Koros‘ war, ein aus kurzer Distanz abgeschossener Armbrustbolzen konnte sie unter Umständen durchdringen. Wenn ein Scharfschütze Glück hatte und es ihm gelang, einen Bolzen in den Mund oder das Auge des Kriegstiers zu platzieren, konnte er damit ernsten Schaden anrichten. Garth wollte sein treues Tier nicht allein der Gefahr gegenüberstehen lassen. Er spähte durch die Tür in den kleinen Hof, um nachzuprüfen, ob die Armbrustschützen noch immer hinter den Mauern lauerten. Zu seiner Verwunderung war keine Spur von ihnen zu sehen. Kein Kopf, keine Waffe zeigte sich hinter der Mauer. Verdutzt wagte er vorsichtig einen Schritt nach draußen, in der Erwartung, dass die Armbrustschützen jeden Moment auftauchten.
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Nichts dergleichen geschah jedoch. Das Brüllen des Kriegstiers war zu einem leisen Knurren verebbt, und der Kampfeslärm war merklich schwächer geworden; gegen wen Koros auch immer ge kämpft haben mochte, er schien obsiegt zu haben. Garth lauschte gespannt, und jetzt merkte er, dass der Lärm nicht direkt von vorn kam, vom Stallhof her, sondern von rechts. Er wandte sich nach rechts und näherte sich der Mauer so weit, dass er über sie hin wegblicken konnte. Koros war in dem Hof nebenan; er hielt den Kopf gesenkt, so dass Garth ihn nicht eher hatte sehen können. Zwei Armbrust bolzen staken in seinem Fell, aber Garth konnte keine Anzeichen für eine schwerwiegendere Verletzung erkennen. Was er sah, erklärte den Verbleib der Hälfte der Armbrust schützen; die übrigen mussten, so nahm er an, panikartig die Flucht ergriffen haben. Was aus Frima und seiner Beute geworden war, blieb vorerst ein Geheimnis. Er hielt wachsam nach allen Sei ten Ausschau, ehe er bis dicht an die Mauer herantrat und seinem Kriegstier beim Fressen zuschaute. Koros fraß mit gierigem Appetit, und Garth bekam ein schlech tes Gewissen, als er sich zu Bewusstsein brachte, dass er seinem treuen Kriegstier seit seiner Ankunft in Dûsarra noch nichts zu fressen verschafft hatte. Zu den Füßen der Bestie lagen die Leichen – oder das, was von ihnen übriggeblieben war – von fünf oder sechs Männern verstreut; Garth fand, dass das mehr als reichlich war, denn gar so viel Zeit war noch nicht vergangen, seit Koros zum letzten Mal zu fressen bekommen hatte. Unter normalen Um ständen hätte das Kriegstier sich nicht so schnell über die Anwei sungen seines Herrn hinweggesetzt. Es musste gereizt vor Hunger gewesen sein und sich schließlich so sehr über die Dûsarranische Soldateska geärgert haben, dass es seinen Befehl, an Ort und Stelle zu bleiben und Wacht zu halten, vergessen hatte.
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Es war höchstwahrscheinlich noch immer gereizt, und Garth wollte es nicht stören, bis es sich an seinen Opfern satt gefressen hatte. Er schaute zu, wie es mit seinen Fangzähnen derbes Kettengewebe zerriss, um an das weiche Fleisch zu gelangen, das darunter war, und einmal mehr staunte er über die ungeheure Kraft des Tieres. Das Geräusch von klirrendem Panzer hinter der Mauer zum Stallhof erinnerte ihn schlagartig daran, dass der Verbleib Frimas und seiner Beute noch immer ungeklärt war; er schwang sich auf die niedrigere Mauer zwischen den beiden Privathöfen; von diesem Punkt aus hatte er einen guten Überblick über das rote Ziegeldach des Stalls und einen Teil des Hofes. Dort unten marschierten Männer; viel mehr als ihre Helme konnte er nicht sehen, aber es war ziemlich klar, dass sie es auf die Stallbox abgesehen hatten, in der er Frima zurückgelassen hatte. Wie zur Bestätigung seiner Vermutung hörte er im selben Moment die Stimme seiner Gefangenen rufen: »Koros!« Jetzt kam es auf jede Sekunde an. Er schwang sich auf das Dach und rannte mit langen Schritten über die Ziegel. Als die behelm ten Männer, aufgeschreckt durch das Geräusch, aufschauten, sa hen sie einen brüllenden, über und über mit Blut bespritzten Übermann auf dem Dach auftauchen, der ein riesiges Breitschwert über seinem Kopf kreisen ließ. Sein Erscheinen erwies sich als ausgezeichnetes Ablenkungsma növer; sie blieben jählings stehen, der Anführer nur noch einen oder zwei Schritte von der Tür der Stallbox entfernt. Er wich sogar entgegenkommenderweise zwei Schritte zurück, um den Über mann besser sehen zu können. Ein Schrei ging durch die Menge. »Der Übermann! Der Über mann!« Draußen auf der Straße erhob sich ein Tumult, und weite re Männer kamen durch den Toreingang in den Hof geströmt. -302-
Wieder brüllte Garth und schrie: »I‘a bheluye! Ich bin Zerstörung!« Er wusste, das psychologisch Richtige in diesem Moment wäre gewesen, mitten zwischen die Männer zu springen und mit dem Schwert um sich zu schlagen; mit einem solchen An griff hätte er sie mit ziemlicher Sicherheit allesamt zurück durch das Tor getrieben. Doch leider konnte er sich nicht zu einem sol chen unnötigen Blutvergießen durchringen. Statt dessen beschränkte er sich darauf, möglichst furchterregend dreinzu schauen und die Klinge über seinem Kopf kreisen zu lassen, so dass sie rot aufblitzte, als die letzten Strahlen der untergehenden Sonne auf sie trafen. Die Männer starrten mit offenen Mündern zu ihm hinauf; keiner von ihnen wagte weiterzugehen — aber es wich auch keiner zu rück, wenngleich einige nervös mit den Füßen zu scharren be gannen. Er konnte sie nur in die Flucht schlagen, wenn er atta ckierte, aber er konnte sich nicht dazu durchringen. Ganz abgese hen von seiner Aversion gegen solcherlei mutwilliges Blutver gießen, war es ein langer Satz vom Dach auf den Stallhof; selbst wenn er ihn schaffte, ohne sich dabei zu verletzen, was nicht allzu schwierig sein durfte, würde er beim Landen höchstwahrschein lich stolpern oder gar hinfallen, was seiner Würde abträglich sein würde und seinem Auftritt die ganze Wirkung nehmen würde, entpuppte er sich damit doch als ganz normaler Sterblicher. Zu dem setzte er sich damit der Gefahr aus, bei der zu erwartenden konzertierten Gegenattacke sofort überwältigt zu werden. Die Rettung aus seiner verzwickten Lage kam ganz unverse hens, just in dem Augenblick, als der Effekt seines Auftritts zu verblassen begann und die ersten ihre Fassung wiederfanden; mit einem einzigen gewaltigen Satz flog Koros über die Stallhofwand, landete, einen Schauer von Ziegelsplittern unter der Wucht seiner mächtigen Pranken aufspritzen lassend, auf dem Stalldach und sprang, alles in einer einzigen fließenden Bewegung, mitten unter -303-
die Dûsarraner, drei auf einmal unter sich begrabend. Sie starben, noch ehe sie überhaupt wussten, was da über sie gekommen war, als die Krallen des Kriegstiers Roben, Kettenpanzer und Fleisch aufrissen; das Knacken von brechenden Knochen war auf dem ganzen Stallhof zu hören, über das Triumphgebrüll hinweg, das Koros ausstieß, als er zuschlug. Die Schwerter, die die drei Männer in der Hand gehalten hatten, flogen in hohem Bogen durch die Luft und krachten scheppernd gegen die Brustpanzer ihrer hinter ihnen stehenden Spießgesellen; eines von ihnen schlug eine klaffende Wunde in die Schädeldecke eines Mannes, bevor es zu Boden fiel. Noch nicht zufrieden mit diesem einzigen Angriff, schnellte Ko ros noch einmal hoch — ein kurzer kraftvoller Sprung, der einen weiteren Mann so jäh und heftig von den Beinen riss, dass der hin ter ihm stehende mit ihm zu Boden ging, eingeklemmt unter dem Körper seines Vordermannes zappelnd. Während der zuoberst liegende von den Fangzähnen des Kriegstiers von der Stirn bis zum Geschlecht aufgeschlitzt wurde, versuchte sich der untere un ter gellenden Angstschreien strampelnd zu befreien, festgenagelt unter dem Gewicht der auf dem Körper seines Kameraden liegenden Vorderpranken des Kriegstiers. Fast spielerisch, mit einer Bewegung, die an eine Katze erinnerte, die ein Garnknäuel anstupst, schnellte einer dieser mächtigen Tatzen plötzlich vor, und die gebogenen Krallen der Bestie rissen dem Schreienden den Kopf ab. Garth stand, buchstäblich vergessen, auf dem Dach und sah zu, wie die Krieger, in panischer Angst einander drängelnd und schubsend, im Torbogen verschwanden. Das riesige Breitschwert hing locker in seinen Händen, als Koros, einen letzten kurzen Blick auf die fliehenden Dûsarraner werfend, auf ein weiteres Nachsetzen verzichtete und sich mit einem behaglichen Knurren niederließ, sich an dem frisch erlegten Festschmaus zu erlaben. Er -304-
leckte sich geziert die Tatzen, blickte aus seinen geschlitzten Pu pillen zu seinem Herrn hinüber und begann zu fressen. Als ein Moment vergangen war und kein Anzeichen eines neu erlichen Angriffs zu sehen war, warf Garth das Schwert in den Stallhof und ließ sich vorsichtig an der Dachtraufe hinunter. Mit einem kurzen Sprung landete er im Hof. Die Dämmerung hatte die Stallboxen in düsteres Halblicht gehüllt, und er hatte nichts, womit er Licht machen konnte; er spähte durch das graue Dunkel hinüber zu seiner Stallbox und er kannte das blasse Oval von Frimas Gesicht über der Tür. Er schlenderte zu ihr und fand sie mit aufgerissenen Augen und of fenem Mund auf Koros starrend, der gerade zufrieden auf einem Oberschenkelknochen kaute. »Wir müssen aus der Stadt raus«, sagte er. Sie antwortete nicht, sondern starrte weiter auf Koros. Ihr Mund klappte zu, sie schluckte ein-, zweimal, dann fiel ihre Kinnlade wieder herunter. »Das beste ist, wir reiten auf Koros. Er ist wahrscheinlich mit uns beiden immer noch schneller, als wir es zu Fuß je sein könn ten; zudem brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, dass wir getrennt werden.« Sie schwieg noch immer. Schließlich blinzelte sie und wandte sich dem Übermann zu. »Wir sollen darauf reiten?« Ihre Stimme klang heiser. »Ja. Es ist dasselbe Tier, das du gestern noch gestreichelt hast, und nun, da es satt ist, dürfte es uns keine Probleme bereiten.« Ihr Blick schweifte wieder zurück auf Koros, der, mittlerweile gesättigt, seine Tatzen sauber leckte. Als er damit fertig war, wanderte er zwischen den Überresten seiner Opfer umher und ließ sich schließlich auf dem abgetrennten Kopf nieder, der unbe
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merkt quer über den Hof gerollt und vor der Wand neben dem Toreingang liegengeblieben war. Frimas Mundwinkel begannen zu zucken, und dann wandte sie sich ab und er-brach sich auf das schmutzige Stroh, mit dem die Stallbox ausgelegt war. Garth wartete geduldig, bis sie fertig war, dann sagte er: »Es wäre hilfreich, wenn du mir beim Aufladen der Vorräte zur Hand gehen würdest.«
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Kapitel 24 Obwohl aus dem Rasseln von Kettenpanzern, dem Gemurmel von Stimmen und einem gelegentlich um die Ecke des Torbogens spähenden Kopf deutlich wurde, dass eine beträchtliche Anzahl bewaffneter Männer auf der Straße vor dem Gasthof lauerte, gab es keine weiteren Angriffe oder Versuche, in den Stallhof einzu dringen. Koros war vollkommen fügsam, seit er sich satt gefressen hatte, und Garth hatte keine Mühe mit dem Aufladen und Fest schnallen seiner restlichen Vorräte und des Sacks, der die Beute stücke aus den ersten fünf Tempeln enthielt — ausgenommen Frima, die nervös war und sich dem Kriegstier nur mit größtem Wider-streben näherte. Als er damit fertig war, fand er einen Platz für das große Schwert; er schob es so in das Geschirr, dass seine riesige Klinge an der rechten Flanke des Kriegstiers entlanglief, mit dem Heft zum Halse hin. Es war auf diese Weise nicht beson ders zugänglich, aber es war sicher und fest verstaut: Garth war weit mehr geneigt, ihre Sicherheit Koros anzuvertrauen, als zu versuchen, die unhandliche Waffe festzuhalten, während sie mit hoher Geschwindigkeit ritten. Als das Schwert zu seiner Zufrie denheit befestigt war, hob er Frima auf das hintere Ende des Sattels, dann schwang er sich in seine gewohnte Stellung, direkt vor sie. Sein Plan war denkbar einfach; er und Frima würden sich so gut sie konnten festhalten, während Koros mit voller Geschwindigkeit zum Stadttor jagte. Die Dûsarraner hatten noch nicht viel Gelegen heit gehabt, das Kriegstier in voller Aktion zu erleben, und Garth baute auf die Hoffnung, dass sie nicht in der Lage sein würden, ir gend etwas zu unternehmen, um seinen Ansturm aufzuhalten. ge wiss, es bestand immer die Möglichkeit, dass ein Bogenschütze mit einem Glücksschuss einen Pfeil in das Auge des Tieres jagte -307-
oder durch seine, Garths, ungeschützte Kehle, oder durch irgend einen Körperteil des ungepanzerten Mädchens hinter ihm, aber er sah keine Möglichkeit, dieses Risiko zu vermeiden. Er überprüfte ein letztes Mal die Knoten und Schnallen, mit denen alles festgezurrt war, rückte seinen eigenen Sitz zurecht und mahnte Frima, sich gut festzuhalten; dann beugte er sich vor und flüsterte in das dreieckige Ohr des Kriegstiers das eine Wort, das bedeutete: »Bring uns heim!« Koros schnaubte und trottete auf lautlosen Tatzen in den Hof hinaus; er ging einmal im Kreis herum, studierte genau seine Um gebung, und dann, ganz unvermittelt und ohne Warnung, schnellte er mit einem gewaltigen Satz hoch. Er landete auf dem Stalldach, streckte sich übergangslos zu einem zweiten, kürzeren Sprung, der ihn an die Kante des Daches brachte, auf der Seite, die der Straße zugewandt war, und glitt dann in langgestrecktem Sprung hinunter auf die Straße, die Men schenmenge ignorierend. Garth hatte erwartet, dass das Kriegstier diese Route wählte, aber die Wirklichkeit war nicht zu vergleichen mit dem, was er sich in seiner Vorstellung ausgemalt hatte; noch nie zuvor war er derartig abrupten Richtungs- und Geschwindigkeitsver änderungen ausgesetzt gewesen, solch jähen Stürzen ins scheinbar Bodenlose, solch schwindelmachenden Aufwärtsschwüngen; sein vermeintlich eiserner Griff, mit dem er das Geschirr umkrallt hielt, erschien ihm plötzlich so unsicher, wie als hielte er sich an einem Strohhalm fest. Sein Magen schien sich bei jeder Bewegung von innen nach außen zu stülpen; er hatte einmal einen Sturm auf See erlebt – nun, genaugenommen war es nicht auf hoher See ge wesen, sondern in einer geschützten Bucht; jedenfalls hatte das Schiff für seine Begriffe höllisch geschwankt — und die Übelkeit, die ihn bei jener Gelegenheit befallen hatte, war die einzige Emp
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findung, die er in etwa mit dem vergleichen konnte, was er jetzt durchmachte. Die Seekrankheit hatte ihn indes langsam und all mählich beschlichen; die Übelkeit, die er jetzt empfand, war ge nauso jäh auf und abflauend und unberechenbar wie die Bewe gung, durch die sie hervorgerufen wurde. Er beugte sich tief über den Hals des Tieres, schloss die Augen und kämpfte gegen den Brechreiz an. Frima erging es nicht besser als ihm; ihr Kopf flog bei jedem Satz hin und her, während sie verzweifelt darum kämpfte, den Halt an Garths Hüfte nicht zu verlieren. Ihr gepeinigter, soeben noch ge leerter Magen rebellierte schmerzhaft und versuchte immer wieder, das von sich zu geben, was er schon längst ausgespien hatte. Vor Schmerzen standen ihr die Tränen in den Augen. So konnten sie beide nicht sehen, was passierte — was vielleicht auch besser war. Als wären die winzigen Menschenwesen gar nicht vorhanden, war Koros mitten unter ihnen gelandet, gleich mehrere von ihnen unter sich zermalmend; und sofort sprang er wieder vorwärts, ein halbes Dutzend weitere mit seinen Pranken nieder-mähend. Ein Hagel von Armbrustbolzen, viel zu spät abge feuert, pfiff wie ein Insektenschwarm an der Stelle über das Dach, wo er eben noch gelandet war, und weitere, aufs Geratewohl abgefeuerte Geschosse schwirrten hinter ihm her, ohne ihn zu treffen, als er sich seinen Weg durch die Menge bahnte, auf den Marktplatz zuhaltend. Anfangs war sein Pfad gesäumt von blutüberströmten Leibern, doch sehr bald schon spritzte der Mob vor diesem unaufhaltsam vorwärts stürmenden Moloch zur Seite, und er bewegte sich wieder in seiner normalen, gleitenden Gang art vorwärts anstatt in heftigen, alles niedermähenden Sprüngen. Garth hatte sich jetzt wieder soweit erholt, dass er es wagte, die Augen aufzuschlagen. Er staunte über die große Zahl von Männern, die seine Feinde aufgeboten hatten — und er staunte
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über die unglaubliche Kraft und Geschwindigkeit seines Reittiers. Er hatte das Tier schon früher in Aktion gesehen und seine ge schmeidige Kraft und ungeheure Schnelligkeit bewundert, aber diese Geschwindigkeit als Zuschauer zu erleben und sie als Reiter am eigenen Leibe zu erfahren, waren zwei völlig verschiedene Dinge. Wenn Koros in voller Kampfgeschwindigkeit dahinflog, war der Wind, der dem Reiter ins Gesicht blies, wie eine feste Wand, die ihn fast aus dem Sattel stemmte; es war unmöglich, die Augen länger als eine Sekunde auf einmal offenzuhalten. Koros hatte mehr strategisches Geschick an den Tag gelegt, als man von einem bloßen Tier erwarten konnte; statt die kürzeste und direkteste Route zum Marktplatz zu nehmen, hatte er einen Bogen nach Norden um mehrere Häuserblocks geschlagen und tauchte jetzt aus einer völlig unerwarteten Richtung auf dem Marktplatz auf. Er war schneller vorwärts gekommen als die Kunde von seinem Herannahen und brach unangekündigt über den Marktplatz herein; zum ersten Mal, seit er den Stallhof verlassen hatte, brüllte er. Der Markt sah auf den ersten Blick wie immer aus; ringsum ge säumt von den Ständen der Händler, wie stets von zahllosen Fa ckeln beleuchtet und von einer Menschenmenge bevölkert. Die Menge indes verteilte sich auf ungewöhnliche Weise: Gruppen waren an jedem Zugang konzentriert, und die Straße, die zum Gasthof der Sieben Sterne führte, war schwarz von Menschen. Je mand schrie und heizte die Menge auf. Und noch etwas war anders, etwas, das viel wichtiger war: Das Stadttor war geschlossen. Das Brüllen des Kriegstiers hallte vom Stein der Stadtmauer und vom Holz und Metall des Tores wider, und für einen kurzen Augenblick verebbte das Gemurmel der Menge; der Einpeitscher brach mitten im Satz ab, und eine kurze Stille schweifte über den
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Platz, um gleich darauf wieder von Tumult und Geschnatter aufgeschluckt zu werden. Niemand rührte sich, als Koros über den Marktplatz zum Tor stolzierte. Er blieb wenige Schritte davor stehen und blickte an der Barriere hinauf; seine goldenen Augen glänzten im Schein der Fa ckeln. Garth, der immer noch benommen war von dem wilden Ritt — der weniger als eine Minute gedauert hatte —, tat dasselbe. Das Tor war aus solidem eisenbeschlagenen Eichenholz und rag te hoch in die Dunkelheit hinein, eine schwarze Wand vor den Sternen; es war mindestens dreißig Fuß hoch. Garth war nicht si cher, ob Koros eine solche Höhe überspringen konnte, und das Kriegstier schien ebenfalls unsicher; in einem Punkt jedoch war er ganz sicher, nämlich dass es diese Höhe unmöglich mit der Last von zwei Reitern und Gepäck auf dem Rücken meistern konnte. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als abzusitzen und das Tor zu öffnen. Sein Kopf wurde jetzt rasch wieder klarer, aber er fühlte sich noch nicht imstande zu gehen; er flüsterte seinem Tier ein beru higendes Wort ins Ohr und spähte auf das Tor, um herauszu bringen, wie es gesichert war. Ein schwerer Riegel lag auf einer Reihe von Klammern; in der Dunkelheit und dem flackernden Fackellicht vermochte er nicht zu erkennen, woraus der Riegel gemacht war, er nahm jedoch an, dass er aus massivem Holz bestand, möglicherweise geteert, um ihn widerstandsfähiger gegen den Zahn der Witterung zu ma chen. Ober und unter ihm waren Massen von geknotetem Tau, of fenbar Zurrringe um die Querhölzer an den beiden Flügeln; auch diese waren dunkel. Ein Geräusch lenkte ihn ab; als er sich umwandte, sah er, dass die Menge sich näherte, offenbar mit dem Plan, den Übermann und sein Kriegstier durch ihre schiere Zahl zu erdrücken. Er sah -311-
zahlreiche Schwerter, Keulen, Äxte, Prügel und andere Waffen, die zwischen den Roben geschwenkt wurden, und hier und da glänzten Kettenhemden im Fackelschein. Er fragte sich, wieso so viele dem Anschein nach gewöhnliche Dûsarraner solcherlei Panzerung zur Hand hatten; vertraute die Stadt im Kriegsfalle auf eine Bürgerwehr? Ihm fiel ein, dass er im Moment unbewaffnet war und dass er nicht auf Koros Rücken sitzen wollte, wenn es zum Kampf kam. Bevor die ersten Angreifer ihn erreichen konnten, glitt er vom Rücken seines Kriegstiers und zog das Schwert Bheleus aus dem Geschirr. Er bekam es gerade noch rechtzeitig frei; als die Dûsarraner sa hen, was er vorhatte, fielen sie in Laufschritt, in der Hoffnung, ihn töten zu können, bevor er sich verteidigen konnte. Statt dessen wurden den vordersten in der Front der Angreifer, die viel zu sehr mit dem Laufen beschäftigt waren, als dass sie sich richtig hätten verteidigen können, die Bäuche aufgeschlitzt. Das Schwert Bhe leus schnitt durch Roben, Panzer und Fleisch mit derselben Leichtigkeit, und die größere Reichweite des Übermannes sorgte im Verein mit der Länge der großen Klinge dafür, dass die ersten Dûsarraner ihr Leben aushauchten, bevor sie auch nur einen Schwertstreich zu führen imstande gewesen wären. Ihre Kameraden hinter ihnen stockten in ihrem Vorwärtsdrang, durch das rasche Fallen ihrer Anführer unsicher geworden, und Garth ergriff die Gelegenheit, psychologischen Nutzen aus ihrer Verwirrung zu ziehen. »Abschaum! Ist das die Art Dûsarras? Hunderte gegen einen einzigen Krieger ins Gefecht zu schicken? Feiglinge, die ihr seid, alle miteinander! Hat einer von euch den Mumm, mir im fairen Zweikampf entgegenzutreten? Zwar bin ich mehr als ein bloßer Mensch, aber ich habe bereits lange und harte Gefechte hinter mir.
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Ich tötete das Scheusal im Tempel des Todes! Ich vernichtete den Kult des Bheleu!« Wieder erhob sich Gemurmel in der Menge; keiner trat näher. Nach ein paar Sekunden schrie eine Stimme: »Du hast unseren Tempel geschändet!« »Ich habe ein Ungeheuer besiegt, das sich von Menschenfleisch nährte; ich habe die getötet, die das Töten verherrlichten; und ich habe ein unschuldiges Opfer vor einem schändlichen Ritualmord gerettet! Heißt das, euren Tempel schänden?« »Du hast den Priester der Tema getötet!« Ein Raunen der Empö rung ging durch die Menge. Zweifelsohne waren die meisten aus der Menge Anhänger der Göttin der Nacht. »Wer sagt das? Ich habe im Tempel des Todes gekämpft; ich habe im Tempel Bheuleus getötet und im Tempel Sais, und ich habe den Tempel des Aghad verspottet und verhöhnt, aber wer behauptet da, ich hätte einem Priester der Tema ein Leid zuge fügt?« »Du hast den Tempel der Dunkelheit geschändet und entweiht!« »Wer ist der Kerl, der solches von mir behauptet? Er soll hervor treten und mir seine ungeheuerlichen Anschuldigungen ins Gesicht sagen!« Wieder ging ein Rumoren durch die Menge, aber es kamen keine weiteren Rufe; ein paar taten zögernd einen Schritt vorwärts, doch nur, um sogleich wieder zurückzuweichen. Da lös te sich eine hochgewachsene Gestalt aus der Menge und bahnte sich den Weg nach vorn. Garth musterte die Person, die sich ihm näherte; wer immer es war, er überragte die Mehrheit der Menge um mehr als Haupteslänge. Sein Gesicht war hinter einer Kapuze verborgen, die die Farbe von getrocknetem Blut hatte. Eine Gasse öffnete sich vor ihm, und das letzte Drittel seines Weges über den Marktplatz zu Garth legte er in beherztem, kühnem Schritt zurück. -313-
»Wer ist es, der sich mir entgegenstellt?« »Ich bin es, Tempelschänder; ich bin es, der behauptet, dass du den Priester der Tema getötet und ihren Altar geplündert hast und dass du Priester und Priesterinnen des Regvos getötet hast. Und ich bin es, der sich dir zum Zweikampf stellt!« Mit diesen Worten zog er die Kapuze zurück; zum Vorschein kam das nasen lose braune Gesicht eines Übermannes; seine gelben Augen lo derten im Glanz der Fackeln. Garth brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass ihm einer von seiner eigenen Art gegenüberstand; er erkannte die Stimme wieder. Der ihm da gegenüberstand und ihn herausforderte, war kein anderer als der Hohepriester des Aghad! Sein Erzfeind hatte sich endlich gestellt; hier war die Gelegenheit, einen Teil der Ra che zu üben, nach der es ihn so sehr verlangte! Er hob das Schwert Bheleus. »Priester des Aghad! Ihr Leute von Dûsarra, ihr habt dem Herrn des Kultes der Tücke und der Falschheit Glauben geschenkt, dem Hohepriester der Lüge und der Hinterlist, dessen Altar ich in ge rechtem Zorn entweihte! Möge unser Zweikampf mein Los ent scheiden!« Der Aghadit grinste und warf seinen Umhang ab; aufrecht und in voller Größe stand er vor Garth. Zum ersten Mal kam Garth der Gedanke, dass er diesen Kampf vielleicht nicht gewinnen würde. Er war müde, während der Übermann-Priester frisch und ausge ruht war. Darüber hinaus maß er, nun, da er seine geduckte Tarnhaltung aufgegeben hatte, fast acht Fuß in der Länge, was selbst nach Übermann-Maßstäben weit über dem Durchschnitt lag. Er war seltsam unsymmetrisch in seinem Körperbau, seine rechte Schulter war viel höher als seine linke; solche Missbil dungen traten häufig bei den Brustkindern der Nordwüste auf, doch wurden sie, die davon betroffen waren, gewöhnlich gleich
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nach der Geburt getötet. Das war einer der Gründe für die geringe Wachstumsrate der Bevölkerung der Nordwüste gewesen, gleich wohl ein notwendiger, dem sehr stark begrenzten Nahrungs angebot zuzuschreiben. Silbernes Kettengewebe glänzte auf den Armen und Beinen der Übermann-Missgeburt; seine Brust zierte ein rot emaillierter glän zender Brustpanzer. Eine schwere Schädelkappe aus blitzendem Stahl mit Kettenglied-Ohrenklappen schützte seinen Kopf, und bläulich schimmernde stählerne Panzerhandschuhe bedeckten sei ne Hände. Garth fragte sich einen Moment lang, wo er die Hand schuhe erworben haben mochte, die auf die Besonderheiten einer Übermannhand mit ihrem doppelten Daumen und langen Fingern perfekt zugeschnitten waren; seine eigenen Hände waren unge schützt. Immer noch grinsend hob der Aghadit den Arm und zog sein Schwert aus einer Scheide auf seinem Rücken; sein Heft war blut rot und seine Klinge mattschwarz — bis auf die Schneiden, die silbrig-rot im Schein der Fackeln glänzten. Es war eine prachtvolle Waffe, ein zweischneidiges Beidhandschwert. Es war allem An schein nach dem Schwert des Bheleu ebenbürtig. Die Kreatur war ein Priester, so machte Garth sich Mut; er konn te nicht viel echte Kampferfahrung haben. Seine eigene überlegene Geschicklichkeit und Kampferprobtheit mussten eigentlich den Ausschlag zu seinen Gunsten geben, auch wenn der Aghadit über die größere Reichweite und vermutlich auch über die größere Körperkraft verfügte. Die schwarze Klinge sauste herab; Garth parierte die Attacke, doch musste er zu seiner Überraschung zusehen, wie die Klinge seines Gegners blitzschnell zurückzuckte und plötzlich und un erwartet unter seine eigene Klinge glitt. Nur mit einer Reflexbewe gung konnte er dem Stoß ausweichen.
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Noch immer lag das höhnische Grinsen auf den Zügen des Priesters, und Garth wusste, dass das Manöver keinesfalls Anfängerglück war. Er führte eine matte Riposte aus, die der Ag hadit ohne Mühe parierte. Er fühlte einen leisen Anflug von Verzweiflung über sich kom men, als er die Antwort auf seinen Schlag reflexartig parierte und konterte. Das hatte er sich nicht vorgestellt. Er war erschöpft, sein Magen schmerzte noch von dem wilden Ritt, seine Hände kamen ihm schwach und immer noch steif von den Narben seiner Brand wunden vor; so hatte er sich seine Abrechnung mit dem Priester des Aghad nicht ausgemalt. Gewiss, er hatte nicht gewusst, dass der Priester ein Übermann war. Einer von seiner eigenen Art! Einer von seinem Volk Diener jenes widerlichen Kults! Nein, nicht Diener, Anführer! Trotz seiner Müdigkeit schlug seine Verzweiflung plötzlich in Zorn um, und sein nächster Streich war schneller, aggressiver als die vorausge gangenen. Nein, er würde nicht verzweifeln! Verzweiflung war das Fach Sais, der Schwester Aghads. Der Zorn war natürlich das Werk von Aghad selbst, und diese Erkenntnis versetzte ihn noch mehr in Wut. Er würde diesem grinsenden Monstrum seinen Fehler zeigen, würde ihm seinen erbärmlichen Geschmack in der Wahl seines Herrn vor Augen führen! Das Schwert Bheleus zuckte blitz artig hoch, schmetterte die herabsausende Klinge des Aghaditen zur Seite, wirbelte mit wuchtigem Schwung herum und hieb eine breite Schramme in den scharlachroten Brustpanzer des Priesters. Emaillesplitter spritzten auf. Das Grinsen des Aghaditen wurde unsicher. Aghad! Aghad war nichts! Seine Zeit war vor Jahrhunderten zu Ende gegangen; dies war das Zeitalter Bheleus! Der rote Edelstein im Knauf des Schwerts loderte auf.
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»Ich bin Bheleu!« donnerte Garth. Das Grinsen schwand. Das schwarze Schwert hob sich zu einer Parade, und mit einem weit ausholenden wuchtigen Streich sauste das Schwert Bheleus auf die schwarze Klinge herab und zerschmetterte sie; Splitter schwarzen Metalls spritzten auf, kerb ten den roten Brustpanzer. Das Gesicht des Priesters verzerrte sich zu einer Grimasse blan ken Entsetzens, als er auf den Klingenstumpf starrte, der aus dem langen Heft ragte, das er mit beiden Händen umklammert hielt; instinktiv riss er den Stumpf hoch, um den nächsten Streich abzu wehren. Das Schwert Bheleus fuhr diagonal durch Klingenstumpf, Heft und Hände; Knochen brachen knackend, Blut spritzte auf, aber der Hohepriester Aghads hatte keine Zeit zum Reagieren. Die Klinge wanderte weiter, schnitt sich ihre blutige Bahn durch Helm und Schädelknochen. Die Wucht des Streiches war so gewaltig, dass die Leiche nicht in sich zusammensackte, sondern der Länge nach in den Dreck des Marktplatzes geschmettert wurde, wo sie ausgestreckt liegen blieb, umringt von glitzernden Metallsplittern; Blutspritzer malten einen eiförmigen Hof um den zerschmetterten Kopf. Der Sieger hob das Schwert im Triumph, das unheilvolle rote Glühen des Edelsteins ignorierend, und bellte: »Ich bin Zerstö rung!« Koros antwortete mit markerschütterndem Brüllen. Dann, so plötzlich, wie er über ihn gekommen war, fiel der Bann wieder von ihm ab; Garth taumelte und starrte von Entsetzen ge schüttelt auf den toten Körper seines Feindes. Er ließ sein Schwert sinken und sah sich um.
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Mit dem Fall des Aghaditen war für viele aus der Menge der Be weis erbracht, dass Garth recht gehabt hatte; die Menge schrumpf te zusehends. Die jedoch blieben, waren der militante harte Kern des Mobs; als das rasende Monstrum, das ihren Führer abge schlachtet hatte, wieder zu einen ermatteten Übermann wurde, begannen sie gegen ihn vorzurücken. Wieder hob Garth das Schwert. Mit einem furchterregenden Brüllen stellte sich das Kriegstier neben seinen Herrn; die Menge stockte, blieb stehen. Aus dem Augenwinkel sah Garth, dass Firma nicht mehr rittlings auf dem breiten Rücken des Tieres saß, aber er wagte nicht, seinen Blick von der wütenden Menge abzuwenden. Das Schwert fühlte sich unendlich schwer in seinen Händen an. Obwohl der Mob zu einem Bruchteil seiner ursprünglichen Größe zusammengeschrumpft war, waren es noch immer zu viele, als dass Koros allein hätte mit ihnen fertig werden können; nicht, dass die Gefahr bestanden hätte, dass das Kriegstier getötet wurde, aber es würde von der schieren Anzahl der Feinde zu sehr in Anspruch genommen sein, um Garth zu Hilfe eilen zu können. Er würde sich selbst verteidigen müssen, und er wusste, dass er dazu nicht mehr in der Lage war, es sei denn, diese seltsame Tran ce überkam ihn aufs neue — und das wollte er nicht. Er konnte nie wissen, ob er wieder aus ihr erwachen würde. Außerdem hatte er nicht die geringste Ahnung, was er tun musste, dass sie ihn überkam; sie war jetzt zweimal über ihn ge kommen, einmal im Tempel des Bheleu, das andere Mal hier auf dem Marktplatz, jetzt eben, aber er hatte sie nicht im Tempel des Todes gespürt; es war also nicht Zorn oder physische Gefahr, die sie auslösten. Vielleicht würde das Schwert selbst ihn retten, wie es das schon einmal, in dem Haus hinter dem Stall, getan hatte; er schaute auf
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den Edelstein: das Glühen war zu einem matten Schimmern ver blasst, das nicht sehr ermutigend aussah. Vielleicht konnte er der Menge ihr Vorhaben ausreden; mit sei nem Schwert und seinem Kriegstier und ein paar starken Worten gelang es ihm vielleicht, sie einzuschüchtern. Er hob das Schwert hoch über seinen Kopf, mit einer Mühe, die die Menge hoffentlich nicht bemerkte, doch bevor er zu sprechen anheben konnte, ertönte ein leises Rumpeln, wie er es schon im Tempel des Bheleu gehört hatte. Garth, der sich von seiner Verblüffung schneller erholte als die Dûsarraner, erkannte, dass das Grollen gerade im rechten Moment gekommen war; er nutzte diesen seinen Vorteil aus, in dem er in seinem tiefsten, volltönendsten Tonfall sprach, so tief, wie kein Menschenwesen es je vermocht hätte. »Halt, Abschaum! Ich habe euren Führer in fairem Zweikampf getötet; wollt ihr es noch immer wagen, mir zu trotzen?« Ein hochaufgeschossener junger Mann in dunkelroter Robe ant wortete ihm. »Du bist noch immer ein Gotteslästerer und Tempelschänder, ein Mörder und Altarräuber; die Götter verlangen deinen Tod!« »Dummkopf! Welcher von euren Göttern würde es wagen? Ich bin der Diener von Dûs, Bheleu, ich bringe Tod und Zerstörung; Elend und Verheerung folgen mir wie Bluthunde. Wer bist du, dass du es wagst, dich gegen mich zu empören?« Noch während er sprach, wunderte sich Garth über die Wahl seiner Worte; ob wohl er wusste, dass seine größte Hoffnung darin lag, seine Feinde davon zu überzeugen, dass er mehr als ein gewöhnlicher Sterblicher war, spürte er, dass seine Beredsamkeit nicht von ihm selbst kam. »Du bist Garth, ein Übermann aus der Nordwüste, von einem drittrangigen Zauberer zum Stehlen hierher gesandt!« -319-
Der Mann war offensichtlich ein Aghadit, da er soviel wusste. Garth wollte sich gerade anschicken, ihn als einen solchen vor der Menge zu entlarven, als eine neue Stimme ertönte. »Dies ist der leibhaftige Bheleu, der gekommen ist, das neue Zeitalter anzukündigen! Er ist der fleischgewordene Gott der Zer störung, was immer er auch früher gewesen sein mag! Die, die ihm die Stirn bieten, mögen wissen, dass P‘hul und ihre Diener ihn als der Göttin Bruder anerkennen und seinen Zwecken dienen!« Der Sprecher dieser Verkündigung stand seitlich in der Menge; in seinem Gefolge waren ein Dutzend Gestalten in grauen Roben, die allesamt ihre Gesichter unter Kapuzen verbargen. Als er zu ih nen hinüberblickte, hatte Garth das Empfinden, dass das Licht sich ränderte und der Platz plötzlich heller wurde. Die Helligkeit schien innerhalb weniger Augenblicke noch wei ter zuzunehmen, und er erkannte, dass dies eine Sinnestäuschung war; eine neue Flamme war hinter ihm aufgetaucht, aber er wagte nicht, sich umzusehen. Einen Augenblick lang herrschte fast völlige Stille, während die, die sich noch immer gegen ihn auflehnten, unsicher tuschelnd bei einander standen; ihm fiel auf, dass weitere abgewandert waren und in den Straßen und Gassen verschwanden. »P‘hul, deine Schwester, entbietet dir ihren Gruß, Herr; was wünschest du von ihr?« Der Grauberobte hielt Garth einen Stab entgegen. Bevor er sich eine Antwort überlegen konnte, hörte er sich brül len: »Ich bin Zerstörung!« »Zerstörung!« wiederholten die Priester und Priesterinnen P‘huls im Chor. Hände flogen empor und streuten ein feines graues Pulver in die Luft; ein plötzlich heranfegender Windstoß trieb es über den Marktplatz und verteilte es. -320-
»Nein!« schrie der Aghadit. »Der Übermann ist ein Betrüger und Dieb! Tötet ihn!« Er zog ein unter seiner Robe verborgenes Schwert und stürmte voran, gefolgt von einem Dutzend seiner Anhänger. Ein schwarzer Schatten füllte für einen kurzen Moment Garths Blickfeld aus, gefolgt von einem Aufblitzen knochenweißer Krallen und schimmernder Fangzähne und einer roten Fontäne; aber, wie Garth befürchtet hatte, waren es zu viele Angreifer für Koros auf einmal; noch während ein halbes Dutzend von ihnen sich preiend in ihrem Blut wälzten, brandete die nächste Woge von Angreifern gegen das Kriegstier an und umspülte es. Garth empfing sie mit einem mächtigen Rundschlag seiner tödlichen Klinge; sie schlitzte einem den Bauch auf, und hatte doch noch Schwung genug, um einem zweiten eine klaffende Wunde in die Seite zu reißen; ein dritter schaffte es, zu ihm vorzudringen; mit knapper Not konnte Garth seinem Schwertstreich ausweichen. Die Klinge schrammte hart über seinen Brustpanzer und quetschte schmerzhaft seine Haut, trotz des Stepphemdes, das er darunter trug. Das Schwert Bheleus kreiste erneut. Als Garth es herumriss, um den Hals des Angreifers mit der Spitze zu durchstoßen, sah er, dass ein neues Feuer in dem roten Edelstein aufzulodern begann. Nachdem er die eine Bedrohung aus dem Weg geschafft hatte, wandte er sich dem nächsten Angreifer zu – und sah, dass die P‘huliten ruhigen Schrittes davongingen, ohne seinen Feinden Widerstand zu leisten; er hatte gehofft, dass sie ihm zur Seite stehen würden. Ein Dutzend Verbündete, ganz gleich, wie krank und gebrechlich sie auch sein mochten, hätten ausgereicht, um das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden. Welchen Wert hatte ihr ganzes salbungsvolles Gerede gehabt!
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Seine Klinge zertrümmerte das Gesicht eines Mannes. Wo, fragte er sich, war dieser Bheleu, wenn man ihn brauchte? Garths Arme schmerzten, als er mit seiner schweren, unbiegsamen Klinge wei ter wild um sich schlug. Ein Gesicht tauchte vor ihm auf, und er holte aus, um es mit sei ner Klinge zu zerschmettern; bevor jedoch der Streich sein Ziel traf, schien sich das Gesicht plötzlich aufzulösen. Der Mund klappte auf; die Haut zerbröckelte wie getrockneter Matsch, über all trat eitriger Schleim aus; eine weiße klebrige Masse quoll aus den Augenhöhlen, und der Mann sackte wimmernd vor Garths Füßen zusammen. Der Streich des Schwertes Bheleus ging ins Leere; Garth wurde vom Schwung mitgerissen und erlangte stolpernd sein Gleichge wicht wieder. Der Schock über das, was er soeben gesehen hatte, ließ ihn für einen Moment wie betäubt dastehen. Weitere Schreie gellten jetzt über den Platz und vermengten sich mit den Schreien der Männer, die Koros zerfleischte. Eine Klinge ritzte leicht Garths Hals und fiel dann klirrend zu Boden; der Mann, der den Streich geführt hatte, sank röchelnd zu Boden; die Haut löste sich in Streifen von seinem Gesicht. Als Garth sich umsah, nach weiteren Angreifern Ausschau haltend, stellte er zu sei ner Überraschung fest, dass keiner mehr da war. Statt dessen lagen überall Sterbende auf dem Platz, aus deren Wunden anstelle von Blut weißer eitriger Schleim quoll. Die, die sich noch auf den Beinen halten konnten, hatten entsetzt die Flucht ergriffen; Garth sah, wie viele von ihnen strauchelten und röchelnd ihr Leben aushauchten. Das Schwert Bheleus fiel ihm aus den Händen, ohne dass er es merkte. Er hatte Chaos und Verderben über Dûsarra gebracht, trotz all seiner gegenteiligen Beteuerungen.
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Ein Schrei riss ihn aus seinem Grübeln. »Herr Garth! Zu Hilfe!« Er riss sich zusammen, so gut er konnte, hob das Schwert von der Erde auf und ging in die Richtung, aus der Frimas Stimme gekom men war. Sie stand am Tor und versuchte keuchend, den schweren Riegel hochzuheben, ein Unterfangen, das offensichtlich ihre Kräfte über forderte; die Zurrringe waren verschwunden, nur noch schwe lende Aschenreste waren von ihnen übrig geblieben, und neben ihr auf dem Boden lag eine Fackel. Als er auf sie zuging, sah er, dass die Dachplanen der Stände auf der Ostseite des Marktplatzes in hellen Flammen standen; das also war das neue Licht gewesen, das hinter ihm aufgelodert war, als er dem Mob gegenüber gestanden hatte. Er hatte keine Ahnung, wer sie in Brand gesteckt hatte und warum; er würde Frima bei nächster Gelegenheit da nach fragen. Er hatte vorgehabt, Frima mit der letzten ihm verbliebenen Kraft dabei zu helfen, den schweren Holzriegel aus seinen Halte klammern zu heben; doch als er näher kam, schien das Schwert heft in seinen Händen sich plötzlich von selbst zu bewegen, und er sah sich zu seiner Verblüffung auf den Riegel einhacken, so als wolle er Brennholz mit einer Axt zerspleißen. Das Schwert, oder welche Kraft es auch immer lenkte, schien zu wissen, was es tat; schon beim zweiten Schlag zerbrach der Riegel in der Mitte, und das Holz zerbröckelte auf unnatürliche Weise. Die Enden blieben heil, aber das Tor ließ sich jetzt so weit öffnen, dass zuerst Frima, dann Garth und schließlich Koros in die Nacht hinaus schlüpfen konnten.
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Kapitel 25 Die Luft war trocken und warm, als das Trio den Hang hinunter ging, unwillkürlich einen schnellen Schritt anschlagend, um möglichst rasch einen großen Abstand zwischen sich und das Chaos auf dem Marktplatz von Dûsarra zu legen; die orangefarbene Glut, die durch das Tor fiel, wurde blasser und verlor sich schließlich im silbrigen Licht des Mondes. Irgendwo weit hinter ihnen war ein leises Grollen zu hören. Einige hundert Schritte jenseits der Stadtmauer blieb Garth stehen und sammelte Frima und Koros um sich. Dann machte er sich daran, die Knoten und Gurte zu überprüfen, die seinen Provi ant und die Beute auch während des Kampfes auf dem Rücken seines Kriegstieres gehalten hatten. Während er damit beschäftigt war, fragte er Frima: »Wie kam es zu den Feuern?« »Ich habe sie angezündet. Mit einer Fackel von einem der Pfos ten.« »Warum?« »Zur Ablenkung; ein paar Männer schlichen hinter deinem Rücken herum.« »Oh.« Die Vorstellung ließ noch im nachhinein einen Schauer des Unbehagens über seinen Rücken rieseln. Er hatte an die Möglichkeit eines solchen Manövers nicht im geringsten gedacht. »Ich danke dir. Und die Seile am Tor?« »Sie waren geteert, um zu verhindern, dass sie sich im Regen dehnen; Teer brennt hervorragend. Deshalb hatte ich die Fackel, als ich die Männer kommen sah.« »Danke. Du warst sehr hilfreich.« Einen Moment lang herrschte Schweigen, während er eine Schnalle festzurrte, die sich gelockert
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hatte. Ein leises Knistern drang aus der Stadt herüber; das Feuer musste sich ausgebreitet haben. Garth blickte auf, sah aber keine Anzeichen, dass sie verfolgt wurden. »Ich weiß gar nicht, warum ich dir geholfen habe!« platzte Frima plötzlich heraus. »Entführst du mich etwa?« »Ja«, antwortete Garth. »Aber würdest du jetzt in Dûsarra sein wollen? Wo Feuer, Panik und Seuche in den Straßen wüten?« »Nein.« Ihre Stimme klang fest und entschieden. Alle Auf lehnung war aus ihr verschwunden. »Diese Krankheit – hast du sie schon einmal gesehen?« »Nein, aber ich habe von ihr gehört. Es ist der Weiße Tod. P‘hul bedient sich dieser Krankheit, um sich derer zu entledigen, die ihr Missfallen erregt haben. Sie muss dir gewogen sein, wie ihr Pries ter sagte.« Noch ein paar Tage zuvor hätte Garth das als typisch menschlichen Aberglauben belächelt; jetzt war er sich da nicht mehr ganz so sicher. Bei den Ereignissen der letzten Tage und Nächte waren zweifelsohne Kräfte mit im Spiel gewesen, wie er ihnen zuvor noch nicht begegnet war. Er schob das Schwert Bhe leus in Koros‘ Geschirr, an dieselbe Stelle, wo es vorher gesteckt hatte, wobei er sich wünschte, er hätte eine andere, handlichere und vertrauenswürdigere Waffe. »Es kann sein«, sagte er, »dass der Vergessene König keine Verwendung für dich hat. Sollte das der Fall sein, bist du frei und kannst gehen, wohin du willst; wenn du möchtest, kannst du nach Dûsarra zu deiner Familie zurückkehren. Ich kann es dir jedoch nicht fest versprechen.« »Vielleicht entfliehe ich dir auch vorher.« Ihre Stimme klang jetzt fast ein bisschen heiter.
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»Ich hoffe, dass ich das verhindern kann. Bedenke, du bist unbe waffnet und nur halb bekleidet, und die Stadt ist zur Zeit ein sehr ungesunder Ort.« »Ach, mach dir mal keine Sorgen, Dummerchen!« Sie tätschelte Koros, der damit beschäftigt war, sich das Blut von den Tatzen zu lecken. Garth lächelte. Noch nie zuvor hatte ihn jemand Dummerchen genannt. Zumindest nicht innerhalb der letzten hundert Jahre. Ein roter Lichtschein erhellte den Himmel; als Garth und Frima sich umwandten, um nach der Quelle des Lichts zu forschen, sa hen sie, dass einer der Vulkangipfel hell aufloderte. Einen Moment später ließ das schon bekannte Rumpeln die Erde unter ihren Füßen erzittern. »Ich denke, es wäre ratsam, wenn wir aufbrächen«, bemerkte Garth. Er hob das Mädchen auf den Rücken des Kriegstiers, dann schwang er sich selbst hinauf. Er war müde und hätte lieber ge schlafen, aber es schien ziemlich klar, dass er so lange nicht in Si cherheit wäre, wie er sich in der Nähe der Stadt befand. Als beide in bequemer Stellung saßen, setzte sich Koros in Bewe gung und fiel rasch in seine gewohnte gleitende Gangart, offenbar unbeeindruckt von seinen jüngsten Anstrengungen. Als Dûsarra und der lodernde Vulkan hinter ihnen verschwunden waren, dachte Garth über die jüngsten Ereignisse nach. Seine atheistische Weltsicht, der er ein Leben lang nachgehangen hatte, war nachhaltig erschüttert; irgend etwas war da, das seine Handlungen gelenkt hatte, seit er das Schwert Bheleus an sich ge nommen hatte. Es gab keine andere auch nur halbwegs befrie digende Erklärung. Ob es tatsächlich der Gott der Zerstörung war, der sein Handeln geleitet hatte, wusste er nicht; ebensowenig be griff er die Beziehung zwischen dieser Macht, seiner Person und dem Schwert. Was immer es war, es hatte ihm mächtige Ver -326-
bündete in Gestalt des P‘hul-Kults verschafft, und es hatte ihm deshalb möglicherweise auch Feinde eingetragen — etwas, wor auf er fortan würde achten müssen. Die Feindschaft des AghadKults hatte er sich selbst eingebrockt, und er war sicher, dass der Kult auch in Ländern außerhalb Dûsarras über Macht verfügte; auch das würde er in Zukunft bei allem, was er tat, mit ins Kalkül ziehen müssen. Dem Schwert selbst traute er nicht; wenn es nicht seine einzige Waffe gewesen wäre, hätte er auf der Stelle geschworen, es nie wieder in die Hand zu nehmen. Er war froh, wenn er es dem Vergessenen König abliefern würde; dann hatte er nichts mehr da mit zu schaffen. Der Vergessene König — das war eine andere Sache, über die er sich Gedanken machen musste. Der alte Mann war der Hohepries ter des Todes; es war daher nicht erstrebenswert, ihm weiter zu dienen. Er würde ihm die Beute von den verschiedenen Altären aushändigen und alsdann seines Weges gehen. Die vagen Versprechungen von Ruhm, möglicher Unsterblich keit und großer kosmischer Bedeutung waren gegenwärtig für ihn von geringem Interesse; seine jüngsten Konfrontationen mit kos mischen Mächten hatten ihm einen großen Teil seiner Begeiste rung für solche Dinge geraubt. Es gab fürwahr irdische Dinge genug, mit denen er seine Zeit ausfüllen konnte. Da war die mögliche Entwicklung von Handelsbeziehungen mit den Über menschen der Yprischen Küste — falls sie tatsächlich existierten; da war die mögliche Auseinandersetzung mit den Folgen der jüngsten Ereignisse; da war die Rechnung, der er mit dem Baron von Skelleth noch zu begleichen hatte. Handel oder nicht, er war entschlossen, es dem Baron heimzuzahlen. So ritt er dahin durch die Nacht, hinter sich im Sattel einsam und verloren das Mädchen Frima, das die einzige Heimat zurück
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ließ, die es je gekannt hatte; unter ihm der geschmeidige, musku löse Rücken seines treuen Koros, der auf lautlosen Tatzen da hinflog. Sein Geist schwelgte in Phantasien, wie er den Baron de mütigen würde, wie er den Aghad-Kult ausrotten würde, in Phan tasien künftiger Ruhmestaten, die er vollbringen würde. Keiner der drei nahm Notiz von dem großen roten Edelstein, der im Knauf des großen, an Koros‘ Seite auf- und abwippenden Schwertes des Bheleu steckte; keiner von ihnen sah die düstere blutrote Glut, die in seinem Innern schwelte.
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