Ren Dahrk Drakhon Band 22 Die Sage der Goldenen 1.
»He! Was...«
Maxwell blieben die Worte regelrecht im Hals stecken...
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Ren Dahrk Drakhon Band 22 Die Sage der Goldenen 1.
»He! Was...«
Maxwell blieben die Worte regelrecht im Hals stecken. In der Stimme des Zweiten Offiziers
war ein leichter Anflug von Emotionen unüberhörbar. Dies geschah wirklich nicht oft, aber
immer wenn es der Fall gewesen war, hatte es bedeutet, daß mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit Ungemach unmittelbar bevorstand.
Ein Ungemach, das aus einer Flotte mächtiger Ellipsenraumer bestand, die erst vor wenigen
Minuten in einer Entfernung von nicht mehr als 300 000 Kilometern wie eine Fata Morgana
aus dem Hyperraum gekommen war.
Huxley erstarrte mitten in der Bewegung und blickte zweifelnd auf die Instrumente seiner
Konsole. Doch, es stimmte. Die Masse-Ortung gab ihm mit aller Deutlichkeit zu verstehen,
daß es sich um keinen Irrtum handelte.
Die fernen, blinkenden Punkte wuchsen zu Raumschiffen an.
Mit einer unbewußten Geste fuhr sich der Colonel mit der Hand durch das eisgraue Haar.
Dann erklang seine befehlsgewohnte Stimme: »Mister Perry! Wie viele haben wir da vor
uns?«
»Sekunde, Sir...« Dann: »Exakt zweihundert Schiffe, Kommandant.«
»NogkRaumer!« erhob sich eine Stimme über den allgemeinen Lärm im Leitstand. Sie
gehörte Sybilla Bontempi. »Es handelt sich um Nogk-Raumschiffe!«
Huxley nickte unwillkürlich, obwohl er nicht hundertprozentig sicher war.
»Aber was haben sie vor?« wunderte sich Henroy auf dem Platz
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des Kopiloten. »Ich habe selten einen so undisziplinierten Haufen gesehen.«
Henroys Eindruck fand allgemeine Zustimmung.
Während einige Schiffe direkt Kurs auf die CHARR nahmen, flog die überwiegende
Mehrzahl mehr oder weniger plan und ziellos durch den Raumsektor. Es schien, als hätte man
Schwierigkeiten, die Manöver zu koordinieren, als säßen Kadetten hinter den Kontrollen
anstelle ausgebildeter Piloten.
Huxley machte Perry ein Handzeichen.
»Holen Sie mir eines näher heran!« befahl er seinem Dritten Offizier.
»Kommt, Kapitän.«
Der Colonel sah zur Allsichtsphäre hinauf. Im Zentrum der Bugfelder wuchs durch die
Umschaltung der Taster eines der fremden Raumschiffe förmlich aus dem Schirm heraus. Die
Konfiguration war die eines Ellipsenraumers, daran bestand kein Zweifel. Allerdings war
auch deutlich zu erkennen, daß es sich bei den Schiffen um einen Typ handelte, wie er so bei
den Nogk nicht mehr im Dienst stand. Schon lange nicht mehr. Bis auf die ellipsoide
Grundform hatten diese Schiffe dort draußen nicht viel mit dem Aussehen heutiger Nogk-
Raumschiffe und deren glatten, fließenden Formen gemein. Die eingespiegelte Datensequenz
gab dem fremden Schiff eine Länge von 600 und einen größten Durchmesser von 400 Metern.
Der graufleckige Druckörper war von Kuppeln und Aufsätzen übersät, hinter denen sich
Offensivwaffensysteme verbargen, wie die halblaute Stimme des Funk und Ortungsoffiziers
erläuterte, der seine Instrumente konsultierte.
»Tantal!« wandte sich der Colonel an den Kobaltblauen. »Handelt es sich um Nogk-Schiffe?«
»Unsere Datenbänke können sie nicht klassifizieren«, äußerte der Nogk-Mutant, und seine
Fühler pendelten leicht irritiert. »Unsere Aufzeichnungen reichen allerdings nur etwa fünf
Generationen in die Vergangenheit. Dennoch bin ich ziemlich sicher, daß Nogk diese Schiffe
erbauten.«
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Huxley nahm die Unterlippe zwischen die Zähne, während er grübelte, weshalb diese große Flotte so plötzlich in der Region um McLanes Star aufgetaucht war. Wer hatte sie gerufen? Wodurch waren sie gerufen worden? Sein Blick fiel auf einen Nebenschirm, der die Supernova zeigte, zu der McLanes Star geworden war. Ausgelöst durch eine von den Frogs auf Jagellovsk irrtümlich gezündete Sonnenbombe in der Korona des Sterns.* Zum Glück breiteten sich Stemexplosionen nicht schneller als mit Lichtgeschwindigkeit aus. Was der CHARR, die auf Jagellovsk vom Ort des Geschehens acht Lichtminuten entfernt gewesen war und den Ausbruch per Hyperortung registriert hatte, Gelegenheit gegeben hatte, den Auswirkungen der stellaren Katastrophe praktisch »davonzulaufen« und rechtzeitig in eine größere Entfernung zu transitieren. Inzwischen erhob sich eine Feuerwand wie ein wogender Vorhang quer im All und bewegte sich scheinbar langsam auf die jetzige Position der CHARR und der Flotte zu. Der explodierte Stern griff mit seinen feurigen Tentakeln nach allem, was sich ihm in den Weg stellte. Huxley betrachtete das Bild auf dem Schirm und konnte verfolgen, wie eben die äußeren Planeten des Systems verschlungen und mit verhältnismäßig winzigen Lichtblitzen einfach ausradiert wurden. Für einen Moment nahm er sich die Zeit, an die amphibischen Frogs zu denken, deren gesamte Population durch den Ausbruch der Nova hinweggefegt wurde, ausradiert aus den Annalen des Universums. Ob dies alles im Zusammenhang mit dem Auftauchen der Rotte stand? Die anfliegenden Ellipsenraumer konnten durchaus von den Ak11 tivitäten der unterirdischen, uralten nogkschen Wetterstation angelockt worden sein und kamen nun nachsehen, welche Bewandtnis es damit auf sich hatte. Zu einer tiefergehenden Analyse dieses Gedankens blieb ihm keine Zeit, die Geschehnisse erforderten seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. Alarm ertönte. »Wir werden abgetastet«, verkündete der Dritte Offizier sachlich von seiner Orterkonsole. »Sie aktivieren ihre Waffen«, ließ sich der Taktische Offizier hören. Lee Prewitt auf dem Sitz des Piloten sagte laut und scharf: »Sie greifen uns an! Wir sollten uns...« Weiter kam der Erste Offizier nicht. Stark gebündelte Energiestrahlen aus den Antennen der vordersten Ellipsenraumer schössen auf die CHARR zu und verpufften wirkungslos in deren gestaffelten Schutzschirmen. »Sie schießen auf uns!« fluchte Prewitt. »Die verdammten Kerle schießen auf uns!« »Bericht, Nummer Eins?« »Keine Schäden«, informierte der Erste seinen Kommandanten. »Schirmstabilität hundert Prozent. Kein Transfer von Antriebsenergie nötig.« »Gegenmaßnahmen, Sir?« kam Lern Forakers Stimme von der Feuerleitkonsole. »Noch nicht«, beschied ihm der Colonel knapp. »Wir bleiben passiv, solange unsere Schutzschirme nicht in Mitleidenschaft gezogen werden.« Maxwell, auf die Schirme zeigend, sagte: »Wollen wir tatsächlich so lange warten, Sir? Ich bin dafür, daß wir uns wehren. Offensichtlich sieht man uns als Gegner an.« »Ein Schiff ihrer eigenen Art?« warf Sybilla Bontempi ein. Ihre Skepsis war unüberhörbar. »Warum nicht?« versetzte Maxwell. »Weshalb sonst sollten sie 12 uns angreifen? Möglicherweise funken sie uns schon eine ganze Weile an, ohne eine Antwort zu bekommen, weshalb sie uns als Feinde einstufen. Ich jedenfalls würde mißtrauisch sein, wäre ich der Flottenkommandant dort drüben.«
»Nichts kommt von dort«, ließ Perry verlauten. »Alle Phasen sind offen, aber ich empfange
nicht das geringste Zeichen.«
Huxley richtete sich ruckartig auf. »Tantal! Versuche Verbindung mit ihnen aufzunehmen!
Mache ihnen verständlich, daß du von ihrer Art bist, und daß sie das Feuer einstellen sollen.
Wir sind kein Feind. Schnell!«
Doch die Versuche des kobaltblauen Nogk-Mutanten, Funckontakt herzustellen, liefen ins
Leere. Niemand antwortete auf seine Rufe. Die Phasen blieben stumm. Die einzige
erkennbare Reaktion, wenn es sich denn um eine solche handelte, bestand darin, daß sich die
fremde Flotte jetzt besser organisierte. Sie hatte ihre Positionen im Nexus ihres Verbandes
relativ zum Raum verändert. Die Schiffe versuchten, die CHARR in einer Kugelformation zu
umschließen. Keine Formation war effektiver, wenn es um maximale Feuerkraft ging. Schiffe
in einem derartigen Verband konnten zwar keine komplexen Flugmanöver ausführen, waren
dafür aber in der Lage, aus jedem Anflugwinkel auf Ziele zu feuern.
Der Colonel seufzte unhörbar.
Die Mission Nokil stand unter keinem guten Stern.
Nein, das konnte man wahrlich nicht behaupten.
Erst Jagellovsk. Dann die Nova. Jetzt diese Flotte...
Was würde als nächstes geschehen?
Diese Frage bekam er beantwortet, als die Orterwamung eine Folge von Wamtönen
produzierte.
Huxleys Kopf flog hoch.
»Mister Perry?«
»Sir! Die Hyperortung mißt Strukturerschütterungen an. Sekunde... drei Schiffe... nein, vier
transitieren in den Hyperraum. Koordinate: Rot 22:04,77, Sektor Zwölf!« rief der Dritte
Offizier. Dann: »Jetzt tauchen sie wieder auf hinter unserem Rücken!«
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»Natürlich, Mister Perry. Man will uns umzingeln.«
Und noch während Huxley das sagte, lärmte erneut die Orterwamung.
Prewitt stieß zischend die Luft aus. »Zur Hölle, es springen schon wieder ein paar!«
Innerhalb eines Lidschlages verschwanden drei weitere Angreifer aus dem Normalraum und
gerieten beim Rücksturz zu nahe an den flammenden Rand der explodierenden Sonne, die den
Weltraum vor ihrer Stoßfront aus dem normalen Raum-Zeit-Kontinuum wegbog.
Die Hyperortung machte es überdeutlich: Noch während die Schiffe rematerialisierten,
wurden sie von der gravimetrischen Verzerrungsfront der Novaexplosion eingeholt.
Im Schrecken des feurigen Mahlstroms kämpften sie vergebens um ihr Überleben. Die
Gravitationswellen rissen sie in einem einzigen Aufblitzen in Stücke. Die ultraharte
Strahlung, der Schiffe und Besatzungen schutzlos ausgesetzt waren, zerrieb jede organische
und anorganische Verbindung in Fragmente, die sich noch im gleichen Augenblick in
ionisierte Atome aufspalteten.
»Puh!« Sybilla Bontempi schauderte unwillkürlich.
»Sie sind viel zu weit in Richtung Nova gesprungen«, stellte Perry nüchtern fest.
»Lausige Navigatoren«, hieb Iggy Lory in die gleiche Kerbe.
»Dennoch hätte ich nicht in ihrer Haut stecken mögen«, versetzte Captain Bontempi. »Muß
ein schrecklicher Tod gewesen sein.«
»Die Besatzungen haben nichts gespürt«, versuchte Lern Foraker den Vorgang
herunterzuspielen, der die Fremdvölkerexpertin und Anthropologin an Bord der CHARR
offensichtlich beschäftigte. »Ihr Schicksal hat sie noch während des Überganges von einer
Dimension in die andere ereilt. Ich... Sir! Wir werden wieder beschossen!«
Die Rotte war auf Schußweite herangekommen.
Grellblaue Lichtblitze sprangen aus den Abstrahlkegeln der an
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greifenden Flotte, bewegten sich lichtschnell auf die CHARR zu und schlugen in die Schirme ein. Jenseits der Schiffshülle schienen Sonnen zu explodieren. Der Weltraum leuchtete gleißend hell auf. Ein Chaos aus Licht und Schatten drang über die Allsichtsphäre ins Innere der CHARR und veranlaßte die Besatzung, für Bruchteile von Sekunden die Hände vor die Gesichter zu pressen, ehe die Polarisierung einsetzte und die Helligkeit auf ein für Nogk und Menschen gleichermaßen erträgliches Maß reduzierte. Das konzentrierte Feuer brachte Huxleys Schiff trotz seiner überragenden Verteidigungsmöglichkeiten nun doch in Bedrängnis. Die Integrität der Schilde wurde auf äußerste beansprucht. Der auf Hyperraumbasis arbeitende Rechnerverbund der CHARR leitete in Nanosekunden erhebliche Teile der Schirmenergie von der vom Angriff nicht betroffenen Hüllensektion auf die in Mitleidenschaft gezogenen Stellen um. Die CHARR erbebte erneut unter einem Strahlengewitter aus den Partikelkanonen von vierzehn gegnerischen Schiffen auf Abfangtairs. »Schirme bei siebzig Prozent«, rief Perry, »jetzt bei fünfundfunfzig!« Huxley traf seine Entscheidung in gewohnter Schnelle. »Nummer Eins! Leiten Sie die Transition ein! Bringen Sie uns aus diesem Schlamassel raus, Lee! Schnell!« Lee Prewitt zögerte keine Sekunde. Seine Finger glitten über die Bedienfelder seiner Konsole, während er die Befehle seines Kommandanten in die Tat umsetzte. Der hatte sich inzwischen schon an seinen Taktischen Offizier gewandt. »Erwidern Sie das Feuer, Mister Foraker! Nehmen Sie die Antriebssektionen der Gegner unter Beschuß, das sollte uns den Weg freimachen.« »Aye, Sir.« Foraker schalteten die nötigen Verbindungen. Die Führung der Schlacht ging in elektronische Hände über; der Feuerleitrechner verknüpfte alle zuständigen Computer an Bord zu einem Netzwerk 15 und bestimmte mit seiner Hilfe den Ablauf der Kampfhandlungen. Wieder schlugen grelleuchtende Blitze in die Abwehrschirme des ellipsoiden, golden schimmernden Druckörpers der CHARR und versuchten, sie aufzureißen. Doch jetzt erwiderte deren Gefechtscomputer das Feuer. Sonnenhelle Lichtbalken zuckten durch das All auf die Position zu, die von den Tastern als gegnerische Schiffe erkannt wurden. Die Flotteneinheiten wurden unter konzentrierten Beschuß genommen. Das Ergebnis war ein Katarakt an lautlos aufblühenden Farbklecksen im All. Binnen kurzem war der Kampfbereich eine diffuse, rote Wolke im Weltraum mit einer Ausdehnung von mehreren hundert Kilometern, durchsetzt von Explosionen und aufbrechenden Schiffshüllen, von glühenden, wirbelnden Trümmern auseinandergebrochener, zerschossener Wracks. Der grauhaarige Colonel musterte die Anzeigen auf seiner Konsole, die ihm Aufschluß über den Status seines Schiffes gaben. Dann runzelte er plötzlich die Stirn. Er wandte sich an Lee Prewitt. »Was ist, Nummer Eins? Warum springt die CHARR nicht?« Der Angesprochene hob die Schultern. »Wir haben nicht genügend Energien für einen Notsprung«, erklärte er mit verkniffener Miene. »Ich kann machen was ich will, für eine Transition reicht9 s einfach nicht.« Huxley zuckte zusammen. »Nicht genug Energie?« »So ist es, Skipper.« Eine steile Falte entstand über Huxley s Nasenwurzel. Eine der Besonderheiten nogkscher Kampfraumschiffe war ihr unbestreitbarer Vorteil, Nottransitionen sozusagen aus dem »Stand« zu vollbringen. Grob vereinfacht glichen diese
Transitionen mehr einer Teleportation. Mächtige Konverterbänke stellten dafür die gewaltigen Energien bereit, mit denen die Sprunggeneratoren die Druckörper der Schiffe mit einer Minussphäre umgaben. Dadurch wurden sie mit allem, was sich in ihrem Innern aufhielt, augenblicklich als Fremdkörper aus dem Normaluniversum ausgestoßen. Ein Wechsel der Polarität ließ sie auf die gleiche ein 16 fache Art in den Normalraum zurücckehren. Die CHARR konnte allerdings auch auf Transidonsgeschwindigkeit beschleunigen, was mit weniger Energieaufwand verbunden war und Sprunggeneratoren und Konverter schonte. Huxley wußte nicht sicher, wie viele Nottransitionen die CHARR seit ihrer Indienststellung auf diese Weise schon hinter sich gebracht hatte er hatte es bislang wohlweislich vermieden, sich die diesbezüglichen Datenprotokolle zu Gemüte zu führen er wußte nur, daß, seit sie in seinen persönlichen Besitz übergangen war, zu keiner Zeit eine Fehlfunktion aufgetreten war. Aber da es bekanntlich für alles ein erstes Mal gab... Mit einem Mal verspürte Huxley ein leichtes Prickeln, als berühre jemand seine Schläfen. Er drehte suchend den Kopf und sah sich von Tantals Facettenaugen fixiert. Ratsmitglied Huxley, sandte der Kobaltblaue seine Gedanken auf der semitelephatischen Ebene aus, der Gefechtscomputer läßt eine Nottransition im Augenblick nicht zu. Was heißt das nun schon wieder? übermittelte Huxley seine Gedanken auf die gleiche Weise. Unter extremem Beschuß leitet er alle verfügbare Energie in die Defensiv schirme und die Waffensysteme. Huxley schüttelte den Kopf. Ist das schon immer Bestandteil der Technologie der CHARR gewesen? Warum weiß ich davon nichts? Tantal zeigte sich zerknirscht; seine Fühler spielten unruhig hin und her. Verzeih mir, Colonel Huxley. Es war Bestandteil der letzten Modifikation im Bereich der Waffentechnologie, die auf Reet an der CHARR durchgeführt worden ist. Schön, daß ich das mal erfahre, übermittelte Huxley sein unverhohlenes Mißfallen an den Nogk-Mutanten. Tantal erwiderte dazu nichts. Huxley zögerte keine Sekunde mehr. »Mister Foraker, Netzwerfereinsatz! Verschaffen Sie uns Luft zum Transitieren!« 18 »Aye, Sir.« Huxley fuhr herum und starrte auf die Bugfelder der Allsichtsphäre. Aus den Abstrahlpolen der CHARR lösten sich grellleuchtende Strahlen und zuckten überlichtschnell auf den Pulk von zehn angreifenden Ellipsenraumem zu, die sich der CHARR wild feuernd in den Weg gestellt hatten. Wie ein galaktischer Fischer, der seine Netze auswarf, so fächerten die Strahlen auseinander und fingen jedes der Schiffe beim Auftreffen in einer Art Netz ein, das sich wie feines Gespinst um die Angreifer legte, deren Abwehrschirmen bis zum Kollaps die Energie entzog und im Anschluß alle feste Materie zersetzte. Noch im gleichen Augenblick flammte die Allsichtsphäre der CHARR auf, als zehn Miniatursonnen gleichzeitig explodierten und den Pulk von Ellipsenraumem zu einer einzigen, unfaßbar hellen Wolke zerstrahlten. Als die expandierende Lichtwolke sich auflöste, war der Weg frei für die CHARR, zu transitieren. Gerade eben standen noch die Sterne als stechende Lichtpunkte in der Allsichtsphäre. Bruchteile von Sekunden später verloschen sie, als der golden schimmernde Drucckörper der CHARR aus diesem Raumsektor verschwand. In einer Entfernung von nicht mehr als einem Lichtjahr kehrte die CHARR nach ihrer Kurztransition am vorausberechneten Punkt wieder in den Normalraum zurück.
Als die Sterne erneut auf den Schirmen zu sehen waren, war eine Veränderung der
Konstellationen mit bloßem Auge nicht feststellbar. Lediglich McLanes Star war unter den
Myriaden von Sonnen ein besonders hell leuchtender Stern. Daß er nicht mehr existierte,
würde hier erst in einem Jahr sichtbar werden.
Frederic Huxley löste den Blick von der Allsichtsphäre.
»Voller Stop, Mister Prewitt«, befahl er.
»Voller Stop, Skipper. Aye, aye!«
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»Statusbericht, Nummer Eins«
»Alle Systeme okay, Skipper«, meldete der Erste Offizier.
»Haben wir Schäden davongetragen?«
»Keine signifikanten, Sir. Nichts, was die Wartungsteams nicht binnen kürzester Zeit in den
Griff kriegen würden.«
Huxley nickte und wandte sich an den Funk und Ortungsspezialisten. »Mister Perry?
Irgendwelche Anzeichen in der näheren Umgebung, worüber wir besorgt sein müßten?«
»Negativ, Sir. Nichts weit und breit. Wir sind sozusagen allein im Revier.«
»Die NogkFlotte ist uns nicht gefolgt?«
»Nein. Die Taster haben zwar registriert, daß die verbliebenen Schiffe des Gegners ebenfalls
transitierten, aber wohin, das konnten sie auf Grund der hier herrschenden
Strahlungsverhältnisse nicht feststellen.«
Die interstellare Materie, welche im Vakuum des Weltraumes permanent vorhanden war und
die Schirme eines Raumschiffes im Allgemeinen kaum oder nur marginal belastete, war
innerhalb der Großen Magellanschen Wolke doppelt so dicht wie normal. Es bestand
aufgrund dieser Verhältnisse keine Gefahr für die Raumfahrt, führte allerdings zu einer Art
Dauer-Grundbelastung der Schutzschirme, die jedoch nur mit Instrumenten registriert werden
konnte, ohne sichtbare oder erfahrbare Auswirkungen. Allerdings erhöhten die vielen
Emissionsnebel innerhalb der Großen Magellanschen Wolke auch die kosmische Strahlung.
Diese Allianz aus Strahlung und erhöhter Materiedichte beeinträchtigte erheblich den
Hyperfunkverkehr und zeigte Auswirkungen auch auf den normalen Funk.
»Danke, Mister Perry«, brachte der hagere, grauhaarige Offizier seine Zufriedenheit zum
Ausdruck.
Er schloß einen Kontakt auf der verbreiterten Armlehne.
»Astrometrie hier. Colonel?«
Der Chefastronom der CHARR blickte von einer Nebensphäre. Wie viele an Bord der
CHARR, so hatte auch Professor Allister
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Bannard schon auf der FO I unter Huxley als Leiter der Astroabteilung gedient. Sein
profundes Wissen über Sterne war sprichwörtlich.
»Mr. Bannard«, wollte Frederic Huxley wissen, »was macht McLanes Star?«
Allister Bannards Augenbrauen zuckten.
»Die Nova dehnt sich weiter aus, aber weit weniger schnell als erwartet. Ich glaube, sie
kommt bereits in Kürze zum Stillstand.«
Solch ein Stillstand war nichts Ungewöhnliches. Das Hauptcharakteristikum einer Nova
bestand darin, daß sich die eruptierende Sonne durch einen plötzlichen Helligkeitsausbruch
zum 100000 fachen des ursprünglichen Wertes aufblähte, um ihr Maximum in Stunden oder
Tagen zu erreichen. Bei McLanes Star schien das bereits nach nicht einmal zwei Stunden der
Fall zu sein.
»Warum fragen Sie, Colonel?«
»Wir könnten also zurücckehren, ohne Gefahr laufen zu müssen, von dem gefräßigen
Ungeheuer verschlungen zu werden?«
»Zurück wohin, Colonel?«
»Zum Schauplatz der Auseinandersetzung mit diesem Nogk-Geschwader.«
»Im Prinzip ja, Sir!« erwiderte der Professor. »Aber was versprechen Sie sich davon?«
»Ich möchte eines der Wracks näher in Augenschein nehmen.«
»Um was zu tun?«
Jetzt war es an Huxley, die Augenbrauen zu wölben.
»Vielleicht bekommen wir einen intakten Datenspeicher in die Hand, der uns zu einem
Hinweis auf die Heimatwelt der Flotte verhilft. Genügt Ihnen das, Professor?« Ein winziges
Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.
Während im Leitstand der CHARR verhaltene Heiterkeit spürbar wurde, hüstelte Allister
Bannard und meinte: »War's das, Colonel?«
Der bejahte und entließ einen noch immer etwas unglücklich dreinblickenden
Wissenschaftler.
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Huxley schloß kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, war seine Miene beherrscht wie
stets.
»Lee!« wandte er sich an seine Nummer Eins im Pilotensessel. »Setzen Sie Kurs auf das
McLaneSystem. Wir kehren zurück. Sie haben gehört, was ich zu tun beabsichtige.«
»Aye, Skipper.«
Kurz darauf verschwand die CHARR im Hyperraum... und glitt fast ohne Zeitverzug wieder
in die dreidimensionale Bezugswelt des Weltalls zurück. Vor der atemberaubenden,
stemflimmemden Kulisse erschien der aufgeblähte Moloch aus glühender Materie, zu dem
McLanes Star inzwischen expandiert war.
Zwischen ihm und der Position der CHARR trieben auf dem Schlachtfeld die Überreste der
im Feuer dieses Schiffes geborstenen Ellipsenraumer.
Huxley fuhr seinen Gliedersessel in den Schienen etwas vor, als könne er dadurch der Ansicht
auf der Allsichtsphäre mehr Einzelheiten abgewinnen.
Die Schiffe, welche die Tastererfassung der Orterzentrale auf insgesamt 41 bezifferte — nicht
mitgerechnet jene, die die Netzwerfer vollständig aus dem All getilgt hatten waren von den
überlegenen Waffen der CHARR mit nachgerade chirurgischer Präzision in Stücke zerteilt
worden.
Die zerrissenen Hüllensegmente, die zur Unkenntlichkeit verdrehten Sektionen und Decks
trieben langsam, unmerklich fast, durch die stumme Schwärze des Alls auf die Feuerfront der
Nova zu, die wie ein gefräßiges Ungeheuer im Hintergrund darauf wartete, sie in ihren
gierigen Schlund zu ziehen und zu verschlingen.
Während Lee Prewitt das Bremsprogramm aktivierte, meinte er:
»Wird schwierig sein, in diesen Trümmern noch etwas Vernünftiges zu finden.«
Colonel Huxley lehnte sich zurück und sagte halblaut. »Wir werden sehen, Lee, wir werden
sehen. Mister Perry, was zeigen die Biotaster?«
»Keine Überlebenden in den Wracks, Sir. Sie müssen ihre Ver
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wundeten geborgen haben, ehe sie aus diesem Sektor verschwanden.«
»Und vermutlich auch ihre Toten«, versetzte Captain Bontempi, und ihrer Miene war eine
gewisse Betroffenheit anzusehen, die sie über das Sterben der Besatzungen empfand.
»Überaus aufschlußreich«, sagte Perry gedehnt. »Bringt uns das weiter?«
»Nicht im geringsten, Mister Perry. Viel aufschlußreicher ist vermutlich dieses Signal da auf
Ihrem Ortungsmonitor.«
»Touche«, sagte jemand in der Zentrale; Huxley erkannte die Stimme als die seines
Taktischen Offiziers und grinste leicht.
»Danke, Captain«, sagte Perry ohne Gewissensbisse, und seine Finger glitten über die
Bedienfelder der Ortungskonsole. Aus dem Signal wurde ein rot umrandetes Dreieck, aus
dem Dreieck ein verwertbares Bild.
»Ein halbwegs intaktes Schiff«, meldete der Ortungsspezialist. »Es fehlt lediglich die gesamte Antriebssektion.« »Soll ich näher heran?« erkundigte sich Henroy, der inzwischen auf dem Kopilotensitz das Schiff übernommen hatte. »Nein, Mister Henroy«, entschied Huxley nach einem Moment des Nachdenkens. »Wir schicken zunächst eine Robotsonde, um herauszufinden, ob sich eine intensivere Untersuchung überhaupt lohnt. Soviel ich weiß, lassen Nogckommandanten bei Aufgabe des Schiffes alle verwertbaren Hinweise verschwinden. Ist es nicht so, Tantal?« »So ist es. Ratsmitglied Huxley«, bestätigte der kobaltblaue. Nogk-Mutant und wiegte irgendwie unentschlossen seinen monströsen Libellenschädel. »Das klingt, als stünde für dich noch längst nicht fest, daß es sich um Nogk handelt, die uns angegriffen haben?« Tantal versuchte sich erneut in menschlicher Gestik und nickte ein wenig ungelenk mit dem Kopf. Seine Fühlerenden verfielen dabei in merkwürdig rotierende Bewegungen. »Wir haben bis jetzt noch kein einziges Besatzungsmitglied dieser Ellipsenraumer wirklich zu Gesicht bekommen«, kamen seine semitelephatischen Impulse. »Du meinst, die Angriffe haben nicht Nogk zu verantworten, sondern möglicherweise eine Vasallen-Spezies?« erkundigte sich Sybilla Bontempi. »Aber widerspricht das nicht deiner vor nicht allzu langer. Zeit gemachten Äußerung, es handele sich um Nogk-Raumer?« »Das eine muß nicht zwangsläufig das andere nach sich ziehen«, erwiderte Tantal rätselhaft. »Finden wir es doch einfach heraus«, entschied der Colonel, pragmatisch wie es seine Art war. Er hob kurz die Hand. »Nummer Drei!« »Sir?« »Alles klar mit der Sonde?« »Positiv, Colonel.« »Gut. Starten Sie das Baby.« Das »Baby« war eine der Robotsonden, die die CHARR für Erkundungen im Vakuum und auf Extremwelten an Bord hatte. Nicht größer als 60 Zentimeter, autark durch ein Mikrotriebwerk in Modulbauweise, das ihr erlaubte, sich mit 90 Prozent Lichtgeschwindigkeit fortzubewegen, und vollgestopft mit nogkscher Nanotechnologie. Jetzt verließ sie ihren Abschußköcher und nahm Kurs auf das ausgewählte Objekt. Ein Holo meldete der Mannschaft der CHARR alle Systeme der Sonde positiv, Sensoren und Sichtanzeigen aktiviert. Der kurze Flug brachte die Sonde zum Wrack. Vor dem hochaufragenden Gebirge aus verdrehtem und geschmolzenem Metall, das aus dieser Perspektive alles andere als einem Raumschiff glich, verringerte sie ihre Geschwindigkeit und drang dann langsam ins Innere. Im selben Augenblick schickte sie alles, was ihre Linsensysteme erfaßten, an die CHARR weiter. Perry sagte: »Achtung, die ersten Bilder kommen!« Henroy bestätigte, er hatte von seiner Konsole aus die Steuerung 24 übernommen. Seine Finger glitten feinfühlig über die Kontrollen seines Pultes. Das Bild der Übertragung stabilisierte sich. Gebannt beobachteten die Männer und Captain Bontempi das Bild, das die Sonde lieferte. Das Innere des Wracks war ein einziger großer Schrotthaufen. Die Spuren der Einschläge durch die Strahlkanonen der CHARR waren unübersehbar. Schwarze Streifen zogen sich über die Decken noch teilweise intakter Korridore. Bäche aus geschmolzenem Metall rannen wie erstarrte Katarakte von den Wänden. Die Sonde durchsuchte Deck für Deck, flog durch die engen, uniform wirkenden Quartiere der Besatzung, soweit diese noch vorhanden waren. Und begegnete niemandem. Das Wrack war tot, ohne Leben und bar jeglicher Energie.
Maxwell stieß einen kehligen Laut aus.
»Es ist niemand mehr an Bord. Die Überlebenden haben alles mitgenommen.«
Sybilla Bontempi beobachtete das Bild, das die Sonde lieferte. Plötzlich beugte sie sich vor.
»Mister Henroy, halten Sie die Sonde an!«
Der Kopilot gehorchte.
»Captain?«
»Ich habe auf dem Schirm etwas gesehen. Sagen Sie... können Sie noch einmal zurückgehen
bis zu jenem Schott, an dem die Sonde gerade vorbeigekommen ist?«
»Natürlich, Captain.«
Das Bild auf dem Bildschirm wanderte rückwärts.
»Hier ist es. Jetzt nach rechts und dann nach unten. Da!«
Auf dem Boden voller Löcher und Furchen lag ein bewegungsloser Körper. Gekleidet in eine
Art silberner Montur, jetzt zerrissen und geschwärzt, die sichtbare Haut war kobaltblau.
Ein blauer Nogk!
Der Bioprüfer der Sonde schlug nicht an.
Ein toter blauer Nogk.
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Er lag in einer Lache. Jeder erkannte, was es war, auch ohne die Analyse der Sonde:
getrocknetes, im Vakuum des Alls dehydriertes Blut.
»Also doch«, sagte Lee Prewitt mit einer gewissen Härte in der Stimme. »Aber...« er
verstummte, suchte nach Worten. Schließlich fuhr er fort: »Wie kann es sein, daß der Tote
nicht zu Staub zerfallen ist?«
Er suchte Blicckontakt mit Tantal. Aber der reagierte nicht darauf oder wollte nicht. Bei
einem Nogk war man nie sicher, ob er es vorzog, keines der Geheimnisse seines Volkes
preiszugeben, oder ob er es schlicht nicht wußte.
»Vielleicht ist die Zeitspanne noch nicht lang genug«, erwiderte an seiner Stelle die Exo-
Linguistin und Fremdvölkeranthropologin Sylvia Bontempi. »Es gibt so viele Geheimnisse in
der nogkschen Physiologie, daß wir möglicherweise niemals wirklich alle je erfahren
werden.«
Huxley nickte. »So wird es sein. Na schön, suchen Sie weiter, Mister Henroy«, befahl er.
»Aye, Sir.« Henroy, der die Fahrt der Sonde gestoppt hatte, als der tote Nogk gefunden
worden war, nahm sie jetzt wieder auf.
Es dauerte eine weitere halbe Stunde, dann endlich hatte die Sonde den Leitstand in der noch
vorhandenen Bügsektion des Ellipsenraumers erreicht und fand ihn nahezu unzerstört vor.
Das Hauptschott war durch eine Explosion herausgerissen worden, ansonsten wies der
kreisförmige Raum kaum Beschädigungen auf, wenn man davon absah, daß die Pulte zumeist
implodiert waren.
Mehrmals umkreiste die Suchdrohne die zentrale Anordnung der Hauptkonsolen und lieferte
dabei gestochen scharfe Bilder an die CHARR.
Huxley hatte die Unterlippe zwischen die Zähne genommen und nagte darauf herum.
Eine tiefe Falte hatte sich an seiner Nasenwurzel gebildet und zog sich hinauf bis auf die
Stirn. Seine Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt, während er immer wieder die
Innen
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ansicht der Zentrale studierte. Schließlich gab er sich einen Ruck.
»Mister Henroy, bringen Sie die Sonde zurück. Ich habe genug gesehen.«
Er fuhr seinen Gliedersessel zurück und wandte sich an seinen Taktischen Offizier.
»Stellen Sie eine Einsatzgruppe zusammen, Mister Foraker, die dieses Wrack inspiziert. Die
Männer sollen versuchen, die Datenbank des Bordrechners zu sichern.«
27
2.
Keine Geröllmassen schössen aus dem Boden, keine Staubwolke stieg in den Himmel, kein Erdbeben erschütterte den Platz vor der Statue, und vor allem erhob sich nicht die Spur von Lärm vollkommen geräuschlos und irgendwie unwirklich schob sich das Ding aus dem rollfeldartigen Platz; dreihundertfünfzig Schritte entfernt, vielleicht auch vierhundert. Die Wolken am Himmel von Zaratan IV spiegelten sich im kalten Violett seiner gewölbten Hülle. Innerhalb weniger Sekunden veränderte sich die Szenerie auf dem Plateau vor der Gigantstatue. Und Gisol begriff als erster. »Bordsysteme sind im Vollbetriebsmodus, Waffensysteme einsatzbereit!« ' Was zischte er da? Ren Dhark verstand genau, und verstand doch nicht. Zu unerwartet geschah, was er nicht glauben wollte und doch mit eigenen Augen sehen mußte. Niemand verspürte noch Lust, die gigantische Anlage zu untersuchen. »... in der Falle! Verdammt...!« Arc Doorn ließ seinen Blaster sinken. Enttäuschung und Resignation zerrten an seinen Mundwinkeln und an seiner Stimme. »Verdammt, verdammt... wir sitzen in der Falle...« Keiner widersprach dem sonst so schweigsamen Sibirier. In diesen Augenblicken hatten nicht einmal die beiden Cyborgs noch Atem genug für irgendein Wort. Alle sieben starrten sie das Ding an, und auch wer Gisols nüchterne Meldung nicht mitbekommen hatte, wußte, was da aus dem Plateau stieg geräuschlos und unwirklich, so als würde auf dem Monitor einer TVAnlage oder eines SKreuzers ein blauvioletter Mond aufgehen. 28 Das Ding da, vierhundert Schritte entfernt von Ren Dhark und seinem Stoßtrupp, bewegte sich aber auf keinem Monitor. Das Ding da, fünfhundert Schritte links der goldenen Kolossalstatue, war auch kein Mond, und es schob sich in keinen Himmel. Nein, es wuchs wahrhaftig aus dem vollkommen flachen Platz vor dem goldenen Koloß. Groß war es, verflucht groß, und im ersten Augenblick erinnerte es den Commander der Planeten an einen metallenen Wall um eine Industrieanlage, im zweiten an eine dieser Sportarenen einer mittleren Großstadt daheim auf Terra, und im dritten... ... im dritten weigerte sein Hirn sich nicht länger zu akzeptieren, was seine Sinne doch längst erfaßt hatten: ein Ringraumer. Eine dieser hochgefährlichen und zugleich so genialen Worgunkonstruktionen, die sich im Schutz ihres Intervallfeldes wie in einem Paralleluniversum fortbewegten und Molekularstrukturen jeder Dichte durchdrangen, als wären sie ein xbeliebiges Gas. Selbst wenn es sich um die Molekularstrukturen von Fels oder Magma oder Metall handelte. »Wieso hat unsere Ortung das Ding nicht gepeilt!?« Hatte Manu Tschobe diese Frage eben nicht schon einmal gestellt? Diesmal schrie er sie heraus. Als könnte nur noch Wut seine Panik in Schach halten. Ren Dhark sah, daß sein normalerweise schwarzes Gesicht jetzt die Farbe feuchter Holzasche angenommen hatte. Und es war, als würde sein Schrei die gesamte Mannschaft aus der Erstarrung reißen. »Es sind die Zyzzkt!« schrie Manlius. »Bei Jupiter! Es können nur die Mordinsekten sein!« Beiläufig registrierte Dhark, wie der Neurömer von seiner weißen Toga bedeckt auf der Kunststofffläche des Platzes lag und mit seinem Blaster auf den Ringraumer zielte. Zum Erbarmen lächerlich sah das aus. Und war nicht die ganze Situation zum Erbarmen lächerlich? Weit über fünfundzwanzig Meter schon wölbte sich das Ringschiff aus dem Boden. »Es ist das Schiff mit der perfekten Tarnung!« schrie Amy Stewart. Sie und Lati Oshuta sprangen vor Ren Dhark, beide Cyborgs 29 deckten den Commander. Er sah, wie ihre Körper sich strafften, wie ihre Arme mit den Waffen nach oben schnellten kein Zweifel: Sie hatten auf ihr Zweites System umgeschaltet. Kampfmaschinen mit immenser Feuerkraft und übermenschlichem Durchhaltevermögen deckten ihn jetzt.
Nur, was würde es noch nützen? Hatte Gisol nicht einsatzbereite Waffensysteme im feindlichen Schiff gemeldet? Und hatten sie nicht erst vor wenigen Minuten erlebt, mit wieviel Geschick und Vemichtungswillen dieser perfekt getarnte Ringraumer manövrierte? Und dennoch versuchten ihn seine Getreuen mit ihren Körpern zu decken, ihn, den Commander der Planeten... Himmel! Es war rührend und lächerlich zugleich. So rührend und lächerlich, wie jetzt, angesichts des Endes, sein Titel und die Erinnerung an die Heimat und alle seine Zukunftspläne waren. Der Commander zweifelte nicht: Ein Ringraumer der Wimmelwilden war es, der dort, einen guten halben Kilometer entfernt, seine Tarnung aufgab. Die Fakten lagen doch auf der Hand: Nach dem Feuergefecht war das Schiff ihnen mit waghalsigen Manövern ausgewichen, hatte sich im Kontinuum seines Intervallfeldes im Planeteninneren verborgen und dort auf seine Chance gewartet. Jetzt war sie gekommen, die Chance für die Wimmelwilden. Jetzt war er zu Ende, der lange Weg Gisols und der Terraner; der lange Weg von der Erde bis zur Galaxis Om. Hier, auf dem vierten Planeten der Sonne Zaratan, hier, angesichts einer goldenen ZyzzktStatue, hörte er auf, brach einfach ab. Aus und vorbei... Der Gedanke lahmte den Commander. Er spürte den Impuls, aufzugeben. »Die Energiesignatur!« rief der Römer. Am Boden liegend sah er auf, Angst und Wut verzerrte seine Züge, seine Stimme klang vorwurfsvoll. »Erinnert ihr euch? Das war die letzte Spur dieses Schiffes! Wir hätten ihr nachgehen sollen!« Berauschende Neuigkeit! Niemand reagierte. Sicher sie hatten einen gedämpften Hyperimpuls geortet, als 30 sie den feindlichen Ringraumer durch das Planeteninnere verfolgten. Sicher sie hätten ihn konsequenter verfolgen können. Und vielleicht waren sie tatsächlich zu schnell davon ausgegangen, daß der Fremde aus dem Zaratansystem geflohen war. Aber was nützte jetzt noch die beste Manöverkritik? Zu spät. Vorbei. Ren Dhark sah sich um. Fünfhundert Schritte entfernt ragte das tausend Meter hohe Podest der Kolossalstatue in den fremden Himmel. Viel zu weit entfernt, um jetzt noch Deckung dahinter zu finden. Er sah hinter sich. Am Rande des künstlich angelegten Plateaus, kurz vor dem Wald, überragte die EPOY die Baumwipfel um zehn oder zwanzig Meter. Einen Kilometer entfernt fast, einen Kilometer zu weit. Niemand mehr an Bord der Ringraumer gehorchte jetzt einzig und allein seinem Hyperkalkulator. Und sein Hyperkalkulator gehorchte einzig und allein... Der Commander fixierte den Stimreif um Gisols Schädel. Der Worgun hatte seine Amöbengestalt in den Körper eines irdischen Mannes namens Jim Smith verwandelt. Er starrte hinauf, dorthin, wo er den Kopf des goldenen Zyzzkt vermutete. Etwas schien Gisol fast noch mehr zu erschüttern als das feindliche Schiff, denn er bewegte die Lippen wie im Gebet. Wolken verhüllten den gesichtslosen Goldkopf dort oben in sechstausend Metern Höhe. Und Gisol murmelte: »Was hat das zu bedeuten? Wieso wußte ich nichts davon...?« Offensichtlich sah er einen Zusammenhang zwischen dem Ringraumer und dem goldenen Kolossalkäfer. »Darüber zerbrich dir später den Kopf!« Ren Dhark machte einen Satz, packte den Worgun bei den Schultern, schüttelte ihn. »Falls du später noch einen Kopf haben solltest, Geheimnisvoller!« Gisol sah ihn aus schmalen Augen an. »Ich kann unseren Untergang natürlich beschleunigen«, flüsterte er. »Wenn ich die Waffensysteme der EPOY per
Gedankensteuerung aktiviere, wenn ich das Feuer eröffne, dann haben wir es schnell hinter uns.,.!« 31 Dhark ging nicht auf seinen Zynismus ein, er deutete auf den Stirnreif. »Hol das Schiff, mein Freund! Setze die EPOY zwischen uns und die Zyzzkt! Unsere einzige Chance! Los!« Gisol fuhr herum, ein Ruck ging durch seinen Körper. Er schloß die Augen. Über den Stimreif nahm er mentalen Kontakt zum Hyperkalkulator seines Schiffes auf. Dhark sah, wie die EPOY sich erhob und ihre fünfundvierzig Teleskopbeine sich zusammenschoben. Er schöpfte Hoffnung. Die Cyborgs merkten, daß der Commander nicht mehr hinter ihnen stand. Sie sprangen zu ihm. Er spürte die Wärme von Amy Stewarts Körper. Wenigstens das noch einmal! Rechts und links von ihm gingen Arc Doorn und Manu Tschobe in die Knie, hielten die Blaster in ausgestreckten Armen. Reflexe waren das nur noch, ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Und wenn Dhark und seine Mannschaft eines nicht gewohnt waren, dann das: Hilflosigkeit. »Sollte Gisol es noch schaffen, sollte er es wirklich noch schaffen, die EPOY zwischen uns und dem Mörderpack zu landen...« Ren Dhark faßte Amys Schultern. »... dann versuchen wir...« Ein Fluch auf Worgun riß ihm den Rest des Satzes von den Lippen. Alle fuhren sie herum: Breitbeinig stand Gisol da, ballte die Fäuste, spie Wortfetzen in seiner Muttersprache aus. Der hundertachtzig Meter durchmessende Ring der EPOY schwebte in etwa fünfzig Meter Höhe über dem Landeplatz. »Es geht nicht!« rief Gisol auf Angloter. »Störstrahlung! Etwas blockiert die Gedankenübertragung zu meinem Hyperkalkulator!« »Oh, Sch... eibenkleister!« Arc Doorn heulte auf, schlug mit der freien Faust auf den Boden, sein rotes Langhaar peitschte um seine Schultern. Der Schatten des fremden Ringraumers wuchs. Jetzt schwebte er knapp über dem ausgedehnten Platz. Fünfunddreißig Meter hoch wölbte sich die Ringwand seiner bläulichvioletten Außenhülle über dem Plateau. »Sein Intervallschirm steht«, flüsterte Gisol. »Die Waffensy 32 steme sind hochgefahren...« Er starrte auf die Armatur an seinem Handgelenk, als könnte sie ihm einen Ausweg weisen. Der Ringraumer löste sich vom Plateau, stieg weiter nach oben, schwebte langsam auf sie zu, so langsam, daß Dhark die schrumpfende Distanz kaum wahrnahm. Irgendwann aber kroch der Schatten des Schiffes nur noch wenige Dutzend Meter von Manlius entfernt über die ockerfarbene Kunststoffoberfläche des Plateaus. Und irgendwann fiel er auf die sieben Gefährten von der EPOY... Nur wenige Minuten zuvor höchstens zwanzig berührte die NOREEN WELEAN die atmosphärischen Ausläufer des vierten Planeten der Sonne Zaratan. Kaum ein paar Zehntausendstel Lichtgeschwindigkeit flog der Ringraumer noch. Intervallum ausschalten? Hugo meldete sich. Bloß nicht! dachte Simon, und seine integrierte Kommunikationseinrichtung sorgte dafür, daß der spindelförmige Roboter seine Gedanken genauso deutlich erfaßte wie der Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN. Die Reibungshitze würde ein schönes Feuerwerk veranstalten! Sie würden uns sofort entdecken. Er ließ den Hyperkalkulator noch ein paar Runden um den Planeten fliegen, und die Geschwindigkeit weiter drosseln. Der Rechner versorgte Simon mit den letzten Koordinaten des Fremdschiffes. Auf der Außenhülle der dreidimensionalen Bildkugel im Zentrum des Kommandostandes blinkte ein rotes Licht auf: die Landungsposition des Ringraumers der Zyzzkt. Der Zentralrechner der Hyperkalkulator visualisierte sie in Echtzeit. Danke.
Immer wieder erlag Simon der Versuchung, mit dem Hyperkalkulator wie mit einem Menschen zu kommunizieren. Die Einsamkeit wahrscheinlich. Nicht mehr lange, und er würde wahnsinnig werden. Der Hyperkalkulator und die Roboter gewährten ihm we 33 nigstens die Illusion von Gesellschaft. Oder war es doch mehr als nur Illusion? Egal. Der Ringraumer jedenfalls war keine. Ein gigantisches Arkan-Schiff hatte ihn ausgespuckt. Ein von den Zyzzkt ockupiertes Worgunschiff, da machte Simon sich nichts vor. Der mondgroße Arkan-Raumer war wieder im Hyperraum verschwunden, der vergleichsweise winzige Ringraumer aber unter der Atmosphäre des vierten Trabanten der Sonne Zaratan; eines erdähnlichen Planeten. Ich bin nicht sicher, ob das fremde Schiff sich noch an diesen Koordinaten aufhält, ließ Hugo sich vernehmen. Inzwischen drehte die NOREEN WELEAN schon die siebte Runde um Zaratan IV. Ich auch nicht. Merkwürdig, einen Gedanken zu denken und ihn auf unerklärliche Weise im eigenen Kopf ausgesprochen zu hören. Und zwar mit derselben vertrauten Stimme ausgesprochen zu hören, mit der Simon sich selbst fast drei Jahrzehnte lang hatte sprechen hören, als sein Geist noch in seinem eigenen Körper wohnte. Aber ich will auf keine Fall eine aktive Ortung riskieren. Sie "würden uns sofort entdecken. Der Hyperkalkulator bestätigte ihn, und Hugo funkte: Du lernst erstaunlich schnell, Wächter der Mysterious. Im ersten Moment wußte Simon nicht, was ihn mehr verblüffte: Das herablassende Lob dieser harmlos aussehenden Blechspindel, die er »Hugo« getauft hatte, oder die respektvolle Anrede. Während er noch nach einer passenden Entgegnung suchte, meldete sich der zweite von einem Dutzend Spindeldienem, dem er einen Namen verpaßt hatte: Joker. Hyperimpuls auf der Tagseite des Zielplaneten, sehr schwach, aber lokalisierbar. Die Roboter hielten Verbindung mit bestimmten Fraktionen des Hyperkalkulatometzes. So wollte es Simon, der Wächter. Genaue Koordinaten, Mr. Joker, ein bißchen flott, wenn ich bitten darf. 34 Dreiundfünfzig Grad und sieben Minuten Süd, neununddreißig Grad, achtzehn Minuten und sechsundvierzig Sekunden West, kam es prompt. Die schwebenden Spindelintelligenzen benutzten nautische Koordinaten terranischer Tradition. Hatten sie sein Gedächtnis gelesen? Simon staunte, verzichtete aber darauf, den Service zu kommentieren. Also gut, dachte er, fliegen mr hin. Und an die Adresse des Hyperkalkulators: Wir steuern die genannten Koordinaten an. Tarnschutz bleibt im gegenwärtigen Modus, Waffensysteme hochfahren, alle. Die NOREEN WELEAN drosselte die Geschwindigkeit bis auf wenige hundert Minutenkilometer, kreiste noch einmal um Zaratan IV und drang dann in flachem Winkel in die Atmosphäre ein. Frontale Flugperspektive auf die Bildkugel, wenn ich bitten darf. Simon sank in den Kommandantensessel, konzentrierte sich auf den Kontakt mit dem Hyperkalkulator, faßte die Bildkugel ins Auge. Waffensysteme bereit? Der Bordrechner bestätigte, und gleichzeitig verwandelte sich die Darstellung in der Bildkugel. Farben schälten sich aus den glitzernden Linien der Höhen und Breitengrade. Ozeane, Gebirge, Wälder erschienen in dem holographischen Globus, eine weite Ebene stürzte der NOREEN WELEAN entgegen. Bis auf einen unglaublich hohen Turm erschien sie erstaunlich bar jeder topographischen Erhebung, und auf einmal war da ein glitzerndes Etwas, rasend schnell vergrößerte es sich, wurde zum bläulichen Reflex, zu einem fliegenden Ring... Ausreichen! Simon glaubte zu brüllen. Zeitgleich ging ein Ruck durch das Schiff. Der Boden neigte sich, die Galerie wölbte sich plötzlich über Simon, und er selbst kippte über die
Armlehne seines Kommandosessels, schlidderte durch die Zentrale, knallte gegen die Wendeltreppe. Ausweichmanöver gelungen, Kollision vermieden. Der Hyperkalkulator hatte vor Simon reagiert. Und wenn er es nicht getan hätte: Die NOREEN WELEAN flog mit aktiviertem Intervallum, wäre wohl einfach durch die Molekularstruktur des fremden Schif 35 fes geglitten wie durch Wasser. Doch der optische Eindruck überzeugte Simon gründlicher als das theoretische Wissen um den Flugmodus: Was ist schon eine Energieanzeige gegen die sinnliche Gewißheit, im nächsten Moment mit einem gleichgroßen Körper zu kollidieren? Hätte Simon noch ein Herz gehabt, würde es ihm jetzt in Kehle und Schläfen klopfen. Er stand auf, schritt zurück zum Kommandostand. Fremder Ringraumer, funkte Hugo. Perfekt getarnt, Simon kam nicht dazu, den Schock zu verarbeiten. Angriff mit Nadelstrahlern, ein Datenpack nach dem anderen flutete sein Roboterhim Hugo, Joker, der Hyperkalkulator, alle drei meldeten sich gleichzeitig. Gegenfeuer? Welche Waffen? Welche Intensität? Und jetzt erst, von einem Funkimpuls zum anderen, wurde er sich wieder dieses Zustandes bewußt, in dem er sich jedes Mal wie ein Gefangener fühlte... Instinkt nannte er es bei sich selbst, was ihn jetzt wieder beherrschte ihn, das Schiff, die Roboter Hugo und Joker, den Hyperkalkulator, die Waffensysteme Jagdinstinkt, Kampfinstinkt. Es war aber kein Instinkt, es war ein Programm. Das perfekte, eiskalte Programm einer perfekten, eiskalten Intelligenz. Simon wußte sehr wohl, daß es sich so verhielt, und diesmal wehrte er sich nicht gegen die Dominanz jenes synthetischen Geistes über seinen eigenen, menschlichen Geist. Zu gefährlich war die Lage, lebensgefährlich geradezu. Unter keinen Umständen den eigenen Tofiritkörper gefährden! Unter keinen Umständen das Schiff gefährden! Von beiden hing Simons Zukunft ab. Er überlegte nicht lange: Der Gegner konnten ihn nicht orten, wahrscheinlich nicht einmal mehr sehen, genauso wenig wie er den Gegner orten, geschweige denn sehen konnte. Andererseits: Solange die Zyzzkt schössen Simon zweifelte nicht daran, daß er es mit Wimmelwilden zu tun hatte solange boten sie ihm ein einigermaßen sicheres Ziel. Nadelstrahlen und Mix4Feuer! Und noch während er den Be 36 fehl dachte, brachte er die NOREEN WELEAN auf einen Zickzacckurs und ließ sie auf und ab tanzen. Da, wieder ein Energiewall aus gegnerischem Feuer! Keine achtzig Meter über der Planetenoberfläche raste die NOREEN WELEAN dahin, stieg jäh im Achtziggradwinkel Hunderte von Metern in den Himmel. Massiver Beschuß aus Vektor acht-acht-sieben! Zyzzkt, was sonst? Nadelstrahlbeschuß, kein Funksignal, keine Aufforderung zur Identifizierung oder zur Kapitulation, einfach drauflos gefeuert: Mörderpack! Doch hätten sie nicht geschossen, Simon hätte den Raumer nicht orten können. Die Tarnung der Fremden war so perfekt wie die der NOREEN WELEAN! Sollten die Zyzzkt die Worguntamung weiter entwickelt haben? Simon beobachtete die Bildkugel die Wälder tief unter der NOREEN WELEAN standen in Flammen Simon konzentrierte sich auf Zahlenkolonnen in seinem Hirn. Nadelstrahlen und Mix4Feuer! Kurz darauf die Meldung des Hyperkalkulators: Treffer, der Angreifer schlingert. Und auf einmal war da mehr als nur Einverständnis mit der künstlichen Intelligenz, die ihn jetzt dominierte, auf einmal war da ein Triumphgefühl, ein Bewußtsein der Macht und
Überlegenheit, und Simon genoß es. Wahrhaftig, zum ersten Mal genoß er es ohne Scham und schlechtes Gewissen! Gratuliere, funkte Simon an alle verfügbaren Empfänger, meinte aber vor allem sich selbst. Er ließ weiter feuern, behielt den Affenschaukelkurs bei, jagte der Oberfläche des Planeten entgegen, tauchte darin ein. Wilde Kampfeslust loderte in unauslotbaren Tiefen seines Systems. Du bist kein Diener mehr.,. Die Worte der INSTANZ, des Gehirns auf ARKAN12, fielen ihm ein, beflügelten ihn. Ich bin ein Wächter der Mysterious, ich bin mächtig, fast unsterblich, fast unverwundbar,.. Was ist mit dir, Wächter? meldete Hugo sich in Simons Gedanken. 37 Was soll mit mir sein, Hugo? Simons Euphorie verflog. Mir war, als würdest du singen. Singen...? Hätten ihn seine Schöpfer mit den mimischen Voraussetzungen ausgestattet, hätte Simon jetzt ein bitteres Lachen ausgestoßen. Ja, singen. Singen, ein Bier trinken, eine Frau küssen, das wäre es... Er schlug sich mit den Tofirithänden auf die Tofiritbrust. Hüte diesen Körper, als wäre er dein eigener Körper, hatte die INSTANZ auf ARKAN12 ihm eingeschärft. Kann ich dir in irgendeiner Weise dienstbar sein?, hauchte Jokers Stimme in Simons fast vollständig synthetischem Gehirn. Ja. Bleib einfach, wie du bist. Im Schutz des Intervallums und mit drastisch reduzierter Geschwindigkeit glitt die NOREEN WELEAN durch Planetenkruste und mantel bis in den Kern von Zaratan IV, so leicht und so rasch, als wären Fels, tektonische Platten, Eisen und Magma nur Traumkulisse, nur Fiktion. Es sieht aus, als hätten wir sie abgehängt, Wächter Simon, meldeten Hugo und Joker zeitgleich. Kurz darauf bestätigte der Hyperkalkulator: Kein Beschuß mehr, keine Energiequelle, kein optischer Impuls. Simon hütete sich seinerseits das Feuer noch einmal zu eröffnen. In der Bildkugel glühte Magma. Planet nach Energiemuster abtasten. Simons optisches System erfaßte die Umgebung seines Kommandosessels. Leuchten auf den Armaturen und das Hologramm der Bildkugel erhellten das Gewölbe der Kommandozentrale nur in ihrem Zentrum. Hatte dieser Ort nicht etwas von einer Kathedrale? 0 ja, von einer Kathedrale, in der sich Macht und Energie konzentrierten wie göttliche Aura in einem Heiligtum. Dies ist ein Raumschiff und du bist ein Roboter^ rief Simon sich auf den Boden der Tatsachen zurück. In erster Linie ein Roboter... Kein Hyperimpuls, keine Ortungsstrahlen, meldete Hugo. Gut, dann steuern wir wieder die Koordinaten an, an denen wir den letzten Hyperimpuls angepeilt haben. 38 Du riskierst viel, Wächter, gab Hugo zu bedenken. Ich muß viel riskieren. Erneut ging ihm die Mahnung der INSTANZ durch den Prozessor, das zentrale Nervensystem, das Kunsthim, oder wie auch immer er das nennen sollte, was in ihm dachte. Hüte diesen Körper, als wäre er dein eigener Körper. Es war der letzte mit Biokomponenten veredelte Tofiritkörper aus dem Besitz der INSTANZ. Ich muß viel riskieren, ich habe einen Auftrag zu erledigen... Sein Auftrag: Die aktuellen Vorgänge in der Galaxis Om und das Schicksal der Worgun aufklären. Sein Lohn: Ein neuer Körper. Das war die Abmachung. Das dunkle Glühen auf der Bildkugel machte tiefer Schwärze Platz. Die NOREEN WELEAN glitt in flachem Winkel durch den Planetenmantel. Zahlenkolonnen perlten durch Simons Him, Vektoren, Maßeinheiten für Dichte und Temperatur der unmittelbaren Umgebung, Entfernung zur Planetenoberfläche.
Stop, befahl er. Die NOREEN WELEAN stand nun dreitausendfünfhundertsiebenundachtzig Kilometer unterhalb des Koordinatenpunktes, an dem sie den gedämpften Hyperimpuls zuletzt angepeilt hatten. Neunzig Grad nach oben. Simon gab dem Hyperkalkulator eine Zeit vor hundertachtzig Sekunden und eine Endgeschwindigkeit zwei Kilometer pro Sekunde. Beschleunigung, Geschwindigkeitsintervalle und Bremsweg knobelte der Zentralrechner selbst aus. Die Sekunden dehnten sich, das Schiff gewann an Geschwindigkeit, drosselte Sekunden später das Tempo wieder. Künstliches Objekt in Vektor neun-einseinundzwanzig, verkündete Hugo, und Simons Bewußtsein konzentrierte sich sofort auf die Waffensysteme. Doch das Objekt erwies sich als starr und der Form eines Raumers ganz unähnlich: Gut zweitausend Meter ragte es von der Planetenoberfläche aus vertikal in die Planetenkruste hinein; zunächst als Quader von fünfhundert Metern Kantenlänge, die unteren zwei Drittel dann als sich verjüngender Konus. Simon dachte an den Turm, den er kurz vor der Beinahekollision 39 in der Bildkugel gesehen hatte. Sein Fundament? Was auch immer, sie wichen dem Objekt aus. Hundertzwanzig Meter bis wr Erdoberfläche, funkte Hugo. Bordsysteme im Vollbetriebsmodus? Waffensysteme aktiviert? Der Hyperkalkulator bestätigte. Zwei Sekunden später berührte die obere Ringwölbung der NOREEN WELEAN die Planetenoberfläche, und drei Sekunden später erschienen die ersten Bilder der Außenbeobachtung in der zentralen Bildkugel: ein Ringraumer auf Teleskopbeinen in Warteposition etwa anderthalb Kilometer entfernt, ein goldener Turm... Es ist kein Turm, es ist die Statue eines Zyzzkt, korrigierte Hugo. ... eine Kolossalstatue aus Gold, fast exakt achthundert Meter entfernt, und eine Gruppe aus sieben humanoiden Gestalten in noch geringerer Entfernung. Das Energieniveau des Fremdraumers im Minimalstatus, meldete der Hyperkalkulator. Intervallum aktiviert. Waffensysteme nicht hochgefahren. Hatte ihn zunächst ausschließlich die gigantische Goldstatue des Insekts fasziniert, so zogen ihn schon einen Augenblick später die Humanoiden auf dem ockergelben Plateau in den Bann. Ich will die Wesen sehen! Deutlicher verlangte Simon. Hole sie näher heran! Er erhob sich, sein optisches System fixierte die Bildkugel. Menschen! Noch näher! Einer hatte langes, rotes Haar, ein anderer weißblondes, ein dritter war eine Frau. Das kann nicht sein! Noch näher! Deutlich und in einem Maßstab von eins zu acht erschienen die sieben Gestalten jetzt in der Bildkugel. Zwei knieten, einer in weißem Umhang lag flach auf dem Bauch. Simon konnte die Gesichter differenzieren. Das glaube ich nicht.../ Orte Energie Signatur! meldete sich der Hyperkalkulator. Mentale Übertragungsmuster! Einer der sieben versucht Gedanken' kontrolle über das geparkte Schiff herzustellen. Blockieren! Kein Ton kam über seine Lippen, denn er hatte keine Lippen mehr. Und trotzdem war es Simon, als würde er brül 40 len. In der Bildkugel sah er, wie der fremde Raumer startete und die Teleskopstützen einzog. Blockieren,..! Der fremde Ringraumer stand still. Die NOREEN WELEAN langsam zu diesen Leuten steuern! Simon ließ sich in den Kommandosessel fallen. Sockel und Verankerung ächzten unter den vielen Tonnen seines Gewichtes. Verbindung mit Außenlautsprecher... Gisol kamen erste Zweifel. Sie eröffneten kein Feuer, sie setzten weder Flash noch Bodentruppen ab, sie bewegten einfach ihren Ringraumer auf die Siebenergruppe zu. Und zwar so langsam, als hätten sie alle Zeit der Welt.
Und das hatten sie auch. Aber hätten Zyzzkt nicht schon längst ein tödliches Inferno entfesselt? Gisol war sich nicht sicher, aber Bedenken meldeten sich: Steuerten wirklich Wimmelwilde den Ringraumer? »Kein Chance, Commander«, hörte er Lati Oshuta raunen. »Nicht einmal wir Cyborgs können jetzt noch helfen.« Die gute Laune schien dem schlitzäugigen Übermenschen gründlich vergangen zu sein. Zorn und Ratlosigkeit zugleich spiegelten sich in seinen glatten Zügen, er tänzelte von einem Bein auf das andere. Gisol legte den Kopf in den Nacken, blickte hinauf in die Wolken. Sie verhüllten den Kopf des Goldenen. Daß er ohne Gesicht war, hatte der Worgun in Menschengestalt dennoch gesehen, bevor der Wolkenvorhang auf ihn gefallen war. Kein Gesichte, wie gern hätte er dieses Rätsel noch gelöst. Ein goldener Zyzzkt ohne Gesicht... Unwirklich erschien ihm der näherrückende Ringraumer auf einmal. Uralte Worguntraditionen drängten sich in den Vordergrund seines Geistes, Überlieferungen voller Mysterien, längst vergessen geglaubt, längst verdrängt. Und so gegenwärtig plötzlich, daß Gisol erschauerte... Ohne Gesicht... ein goldener Zyzzkt ohne Gesicht... 41 Bedrohlicher fast als der Ringraumer erschien ihm auf einmal der Koloß. Wer hatte ihn gebaut? Welche Bedeutung kam ihm zu? Befand sich die Anlage, deren Exponent er zu sein schien, noch in Betrieb? Und wenn, zu welchem Zweck? Und wie hing das alles mit jenen archaischen Überlieferungen zusammen, die Gisol von seinem Großvater und aus den Datenbanken der Alten kannte? Auf einmal, als ahnte der seine Verwirrung, drehte dieser erstaunliche Terraner sich um. Dharks braune Augen fixierten Gisol, schienen zu fragen: Was jetzt? zwangen ihn in die Gegenwart zurück. Der Schatten des unbekannten Ringraumers fiel längst auf die EPOY. Keine neunzig Schritte entfernt bewegte er sich unentwegt auf die kleine Gruppe zu. »Flüchten wir in verschiedene Richtungen«, schlug Gisol vor. »Spielen wir die Cyborgs aus, schießen wir, rennen wir. Vielleicht gelingt es uns so, die Blockade der Schiffssteuerung zu lockern. Ich versuche noch einmal Kontakt mit dem Hyperkalkulator meines Schiffes aufzunehmen. Vielleicht kommen zwei oder drei von uns durch.« Dharks Brauen zogen sich zusammen, er deutete ein Kopfschütteln an. Dann wandte er sich von Gisol ab und sagte: »Legt eure Waffen ab. Freunde. Signalisieren wir ihnen unsere Kapitulation. Tut mir leid, einen anderen Weg sehe ich nicht.« Gisols Miene verfinsterte sich, seine Fäuste schlössen sich um seinen Blaster. Niemals würde der Worgun kapitulieren, Ren Dhark wußte es. Nannten sie ihn nicht Gisol, den Schlächter? Kapitulation kam für den Rebellen allenfalls als strategischer Schachzug in Frage, um dann im geeigneten Moment um so härter zuzuschlagen. Aber auch die anderen rührten sich nicht. »Versteht ihr nicht, was ich sage? Wir kapitulieren.« Doorn fluchte, schleuderte seinen Blaster von sich und richtete sich auf den Knien auf. Tschobe ließ seine Waffe fallen, drehte sich auf den Rücken, breitete die Arme aus und stierte in den 42 Himmel. Manlius stand ohne seinen Strahler auf, zog sich die weiße Toga über den Kopf, hob die Hände über die Schulter. Lati Oshutas Waffe knallte auf den Kunststoffboden, der Commander selbst drehte die leeren Handflächen in Richtung des Ringraumers. »Das bringe ich nicht«, fauchte Amy Stewart, der weibliche Cyborg. »Das bringe ich einfach nicht...« »Das bringen Sie, Amy«, sagte der Commander. »Das bringen Sie, weil Sie leben wollen...«
»Identifizieren Sie sich!« Eine Stimme dröhnte über das Plateau. Sie entsprang dem feindlichen Schiff, und sie sprach Angloter! Wie ein Fausthieb traf das jeden von ihnen. Gisol beugte die Knie wie zum Sprung, riß den Mund auf, als wollte er schreien. Aber er schrie nicht, niemand schrie, niemand reagierte. Und dann ein zweites Mal: »Sie sollen sich identifizieren!« Die Stimme war ein Orkan, und sie klang ein wenig verzerrt, aber dennoch irgendwie menschlich. Während Ren Dhark tief einatmete und sich ein paar Worte zurechtlegte, ließ Amy endlich ihren Blaster sinken aber nicht fallen! trat ein paar Schritte vor, hob den Kopf und rief: »Amy Stewart. Geboren aufTerra, Überlebende der GiantInvasion, Mitglied des Terra Defense Command, Freiwillige des Cyborgprogramms der demokratisch gewählten Regierung von Terra. Und nun Sie! Identifizieren Sie sich!« Stille, sekundenlang, atemlos. Selbst Gisol stand wie festgefroren. Aus den Augenwinkeln konnte er Dharks Adamsapfel tanzen sehen. Endlich reagierte die Stimme aus dem Ringraumer. »Nicht Sie, gnädige Frau. Den Mann hinter Ihnen meine ich. Ja, Sie! Sie mit dem weißblonden Haar! Identifizieren Sie sich!« Ren Dhark trat neben Amy. Warum hatte der Fremde in diesem Schiff ausgerechnet ihn herausgefiltert? Der Commander hob beide Hände, zeigte erneut die leeren Handflächen. »Wer sind Sie?« Er rief es laut, und es kam ihm vor, als würde er einen Staudamm anschreien oder einen Berg oder einen Gletscher. »Identifizieren Sie sich!« 43 Der Commander ballte die Fäuste, stemmte sie in die Hüften. Sein Kopf summte, Hitze pulsierte in seinen Schläfen; wahrscheinlich der hohe Sauerstoffgehalt der Planetenatmosphäre. »Ren Dhark, Bewohner von Terra, Kommandant der POINT OF, Commander der Planeten.« Wieder Schweigen, diesmal noch länger als nach Amys Auftritt. Dann: »Ja... Sie sehen aus wie Ren Dhark. Das stimmt.« Er kennt mich.../ Woher kennt er mich... ? Hinter sich, links und rechts von sich hörte der Commander das Geraune seiner sechs Gefährten. »Aber woher weiß ich, daß Sie tatsächlich Ren Dhark sind?« »Sie kennen mich?« »Beantworten Sie meine Frage woher weiß ich, daß Sie tatsächlich Ren Dhark sind?« »Wenn ich so aussehe, werde ich es wohl auch sein, Mister...?« Reflexartig spuckte er diese Worte aus. Überaus verblüfft war er, genauso verblüfft wie Amy neben ihm, wie Gisol hinter ihm, wie alle anderen. »Schauen Sie mich an...« »Halten Sie mich für Nalv? Wir begegnen uns hier auf dem Planeten einer Galaxis, in der polymorphe Lebensformen an der Tagesordnung sind. Sie könnten ein Worgun sein, der die Gestalt Ren Dharks angenommen hat. Sie könnten ein halborganischer Roboter mit den äußerlichen Merkmalen des Commanders der Planeten sein. Ich weiß, wovon ich spreche.« Auch die Worgun kannten sie also, aber das erschien Dhark nicht weiter erstaunlich. »Woher kennen Sie mich? Wer sind Sie?« Verblüfft war er, verwirrt, ohne die Spur einer Ahnung, wer ihn da zur Rede stellte. »Was suchen Sie auf diesem Planeten?« Fordernd klang die halb menschliche Stimme, hart und kompromißlos. Die Wolken rissen jäh auf, der goldene Koloß warf einen Lichtreflex auf das Schiff, wie in Flammen strahlte es plötzlich. Dhark mußte an die alte Legende vom Gott im brennenden Dombusch denken. Ja, so ähnlich hatte man sich das wahrscheinlich vorzustellen, wenn eine Stimme 44 einen aus Flammen ansprach.
Der Commander wandte den Kopf zur Seite. In Amys schönem Gesicht arbeitete es. Er zähl's ihm einfach, schien ihre Mimik sagen zu wollen. Er blickte hinter sich. Gisols Miene war undurchdringlich. Manu, Are und die anderen nickten. Sie schienen Hoffnung zu schöpfen. Ren Dhark setzte alles auf eine Karte oder fast alles: Die wahre Identität des falschen Terraners Jim Smith wollte er um keinen Preis offenbaren. »Also gut«, begann er. »Ich schenke Ihnen reinen Wein ein.« Bewußt benutzte er diese alte Redewendung. Zum einen, um sich auch sprachlich als Terraner zu erweisen, zum anderen, um den rätselhaften Sprecher zu testen. »Wenn das Volk der Worgun Ihnen bekannt ist, wird Ihnen auch der Begriff Zyzzkt kein Fremdwort sein. Liege ich richtig?« »Weiß Gott!« dröhnte es über das Plateau. »Reden Sie weiter, ich höre!« »Wir sind einem Arkan-Raumer auf die Spur gekommen. Sie kennen diese Gigantschiffe?« »Weiter.« »Das Schiff steht unter der Kontrolle der Zyzzkt. Es setzte einen Ringraumer hier im Zaratansystem ab, danach transitierte es. Wir wollten herausfinden, was die Zyzzkt auf diesem Planeten treiben.« »Überzeugt mich nicht. Hätten Sie den Arkan-Raumer verfolgt, hätte ich Sie längst geortet. Ich bin nämlich hinter ihm her, seit er seinen Verband am Rande der Galaxis Om verlassen hat.« Ren Dhark horchte auf. Wenn die Stimme die Wahrheit sagte, konnte man ihren Eigentümer zumindest nicht unter die Verbündeten der Wimmelwilden rechnen. »Wir haben ihn nicht verfolgt. Unsere Instrumente haben den Hyperimpuls seiner Transition angepeilt, als wir vierundachtzig Lichtjahre entfernt einen Sauerstoffplaneten namens Satroy untersuchten. Das Zaratansystem konnten wir anhand unserer Sternkarten identifizieren.« »Warum interessierte Sie der Planet Satroy?« 45 Was jetzt? Bluffen oder einen der letzten Trümpfe ausspielen? Ren Dhark zögerte. »Sag es ihm, Ren.« Diesmal ergriff der Worgun in Menschengestalt das Wort. »Möglicherweise gewinnen wir gerade einen Koalitionspartner.« »Satroy gehört zu einer Reihe von Planeten, die tabu sind für die Zyzzkt.« Dankbar für Gisols Ermutigung fuhr der Commander fort. »Uns interessiert, warum das so ist. Der Planet, auf dem wir hier die Ehre hatten, Ihnen über den Weg zu laufen, gehört übrigens auch zu diesen verbotenen Planeten.« Ein ironischer Unterton mischte sich in Dharks Stimme. Dem Träger der halbmenschlichen Stimme schien es die Sprache verschlagen zu haben. »Woher wissen Sie von der Existenz solcher Tabu-Planeten, Sir?« fragte er nach längerer Pause. Sir... immerhin fand der Unbekannte allmählich zu gepflegten Umgangsformen. Mit Genugtuung registrierte es der Commander. Nicht mehr lange, und er würde ihn endgültig überzeugen. »Das gehört zu einer Liste von Fakten, die ich vorläufig mal als streng geheim bezeichnen möchte, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Ren Dhark riskierte es und schlug den Tonfall eines Mannes in solider Verhandlungsposition ein. »Sollten Sie allerdings zu einem persönlichen Gespräch bereit sein und uns im Gegenzug einige Ihrer vermutlich auch nicht uninteressanten Neuigkeiten anvertrauen, werden wir uns auf dieses Geschäft einlassen.« Wieder ein paar Sekunden lang Schweigen. Dann. »Verzeihen Sie, Sir. Ich bin geneigt. Ihnen zu glauben, doch ich muß ganz sicher sein, daß Sie der Commander der Planeten sind. Gestatten Sie mir noch drei Fragen?« Aus den Augenwinkeln sah Ren Dhark wie die Gefährten ihre angespannte Körperhaltung aufgaben. Amys Gesichtszüge glätteten sich. Auch er selbst atmete entspannt durch. Kaum zu glauben, aber die Gefahr schien gebannt. »Bitte«, sagte er. »Fragen Sie.« »Wie lautet der populärste Satz von Sokrates?«
Aha, jetzt wurde terranisches Detailwissen abgetestet. »Ich weiß, daß ich nichts weiß, und das wenig«, antwortete Ren Dhark, 46 und Gisol stieß ein Knurren aus, das wie unterdrücktes Lachen klang. »Welcher Religionsstifter begründete ein Weltreich?« tönte die Stimme. »Muhammad Ibn Abd Allah, besser bekannt als Mohammed. Kommt Ihnen diese Quizshow nicht selbst lächerlich vor?« »Nein. Wie hieß die terranische Hochkommissarin für Agrarfragen?« Klang die Stimme plötzlich anders? Irgendwie weicher, irgendwie heiser? »Noreen Welean, und sie heißt immer noch so.« Einige Atemzüge lang blieb die Stimme stumm. Dann sagte sie: »Ich komme zu Ihnen hinaus. Schalten Sie bitte ihre Viphos ein, ich werde über Ultrakurzwelle mit Ihnen kommunizieren...« 47 3. Die CHARR driftete näher an das Wrack heran, kam dann zum Stillstand. Unter den Schaltungen Prewitts, der dieses Manöver lieber selbst in die Hand nahm, anstatt sie seinem Ko zu überlassen, drehte sich der Druckörper in eine Lage relativ zum Wrack, bei der die Mannschleuse etwa auf gleicher Höhe zu der Öffnung in der geborstenen Hülle lag, durch die auch die Sonde eingedrungen war. Dann kam die mächtige CHARR zum Stillstand. Keine zweihundert Meter von dem entfernt, was einmal ein Ellipsenraumer gewesen war. Lern Foraker hatte drei der Männer ausgewählt, die sich spontan freiwillig zu diesem nicht ungefährlichen Außeneinsatz im Vakuum bereiterklärt hatten. Bergungsspezialisten, geschult für Aufträge dieser Art. Ausgestattet mit einem speziellen Wissen, gegnerische Sicherungssysteme und elektronische Fallen zu überwinden oder zu umgehen. Aus den Reihen der Kobaltblauen hatten sich Skett und Aardan dem Team angeschlossen. In Kampfanzügen anstatt der relativ ungeschlachten Vakuum-Arbeitsmonturen wartete die Gruppe in der Mannschleuse auf den Ausstiegsbefehl; mit den körperkonturgerechten Kampfanzügen konnte sie ihre Aufgabe wesentlich besser erledigen. Lern Forakers Stimme ertönte in den AnzugViphos. »Gulub, Sobolov, Salsman wie weit seid ihr?« Rinko Gulub, als der Ranghöhere der Einsatzleiter der Gruppe, drehte sich zu den anderen um und sah, wie die beiden Männer ein Handzeichen machten. Auch die beiden nogkschen Mitglieder des Außenteams gefielen sich in der gleichen menschlicher Gestik. 48 Gulub atmete tief durch. »Fertig zum Ausstieg, Sir!« »Seien Sie vorsichtig. Hier fliegen viele Trümmerteile durch die Gegend.« »Verstanden.« Die Irisschleuse öffnete sich wie das Auge eines fremden Wesens. Scheinwerfer strahlten kalkig weiß die Schleusenöffnung und den Umkreis des wuchtigen Rahmens an. »Vorwärts, Leute!« ließ sich Gulub vernehmen. »Legen wir los.« Er aktivierte das anzugeigene AGravfeld und wartete, bis sich seine Füße vom Boden gelöst hatten. Dann betätigte er die Steuenmgstasten. Die Nanoaggregate seines Anzugs zündeten und trieben ihn durch die Schleuse hinaus ins All. Es war nicht der erste Einsatz im freien Weltraum, den Rinko Gulub erlebte, dennoch durchlitt er erneut jenes kurze Schaudern, als er aus der Schleuse glitt und sein Blick sich für ein paar Herzschläge lang in der unendliche Schwärze verlor, die sich vor ihm auftat. Dann war diese irrationale Anwandlung aber auch schon wieder vorüber.
Nacheinander glitten die anderen ebenfalls durch die Öffnung nach draußen.
Hinter ihnen hing die CHARR als sichere Zuflucht im All.
Der kurze Flug brachte sie hinüber zum Wrack, das minimal kreiselte, was auf den
Sondenbildem so nicht zu sehen gewesen war. Persönlicher Augenschein war doch etwas
anderes, rückte Dinge gerade und ließ die Perspektiven in einem anderen Licht erscheinen.
Gulub erreichte das Wrack als erster, brernste ab und schwebte ein paar Handbreit über einem
ehemaligen Deck, das wie ein Sprungbrett aus der treibenden Masse von Trümmern ragte.
Durch den breiten Korridor im Hintergrund war die Sonde eingedrungen. Er hatte vor, sich so
weit als möglich an deren Suchmuster zu orientieren.
49
»Haben Wrack erreicht«, meldete er über Helmvipho an die CHARR. »Keine
Schwierigkeiten bisher.«
»Hab's gehört.« Das war Lern Foraker im Leitstand. Er hatte sich zu Iggy Lorys Funckonsole
begeben und stand jetzt per Direktfrequenz ständig mit der Gruppe in Verbindung.
»Dringen jetzt ein«, informierte der Einsatzleiter über die permanent offene Phase die
CHARR.
»Seien Sie vorsichtig, Rinko.«
»Bin ich doch immer«, murmelte Gulub und meinte es so, wie er es sagte. Er war von Hause
aus ein vorsichtiger Mensch, und sein Wahlspruch lautete: »Niemals ein Risiko eingehen,
wenn es sich vermeiden läßt.«
Er drehte sich herum. Mit einem »Ihr habt's gehört, Leute«, hob er den Arm und bedeutete
ihnen mit Handzeichen, ihm zu folgen.
»Wir beginnen mit dem Aufstieg«, funkte Gulub an die CHARR. »Keinerlei Probleme bisher.
Behaltet uns in der Peilung.«
»Ihr seid voll drin«, versicherte Lory.
Im Inneren des Wracks herrschte totale Finsternis.
Durch geborstene Hüllensegmente waren hin und wieder die stechenden Punkte der Sterne zu
sehen, aber deren Licht verstärkte eher den Eindruck deprimierender Schwärze.
Das Team schaltete die Scheinwerfer ein; die Optiken der Helmkameras übertrugen jede
Einzelheit auf den Leitstand der CHARR.
Ihre aktivierten Funkgeräte dienten als Peilmarken und teilten so der CHARR mit, an
welchem Punkt im Wrack sie sich gerade befanden
Die Dunkelheit hatte etwas Bedrückendes.
Es herrschte Stille.
Totenstille.
Die aufgrund der fehlenden Atmosphäre völlige Lautlosigkeit aller Vorgänge erfüllte die
Szene mit zusätzlicher Bedrohung.
Im Licht der Helm und Handscheinwerfer glitzerten die geborstenen und verdrehten Trümmer
und Wandsegmente wie Eis.
50
Es war Eis!
Niederschlag von Luftresten, auskristallisiert in der absoluten Kälte des Weltraumes, als das
Schiff unter den Schlägen der CHARR aufriß wie eine korrodierte Konservenbüchse und die
Atemluft explosionsartig ins Vakuum des Alls entwich.
Die fehlende Schwerkraft und Atmosphäre erleichterten das Vorankommen erheblich, weil
sie mit den Antriebsaggregaten der Anzüge die fehlenden Decks Verbindungen, die
Lagerräume, Wohnquartiere, Hallen und Korridore »durchfliegen« konnten.
Sie kamen schnell voran.
Die Versuchung, das Tempo noch mehr zu steigern, war mitunter groß. Besonders dann,
wenn sie durch die breiten, offenen Hauptgänge flogen, die zum Zentralschacht führten, der
den Ellipsenraumer vom Heck bis zum Bug durchlief. Nur daß dieser jetzt mehrfach geknickt,
zerrissen und manchmal durch massive, herausgerissene Segmente total versperrt war, was sie zu zeitraubenden Umwegen zwang. Umwege, die für die Sonde nicht nötig gewesen waren, da diese aufgrund ihrer miniaturisierten Bauart durch faustgroße Löcher zu fliegen imstande war. Außerdem die Gefahr, daß sich ihnen unversehens etwas Spitzes, Gezacktes und Scharfkantiges in den Weg stellte, das ihre Anzüge aufreißen und sie zum Tod verurteilen konnte, weil ihnen die abrupte Dekompression keine Überlebenschance lassen würde, war viel zu groß. Dennoch bewegten sie sich so rasch voran, wie sie konnten. Sie kamen in die Hangarsektionen; große Räume öffneten sich im Vakuum, die Einrichtungen und Mechaniken waren durch die Explosionen zerstört worden. Die Hangars und Schleusen waren leer. Entweder waren die Beiboote und Fähren durch das ständige Bombardement der Strahlkanonen ins All getrieben worden und waren jetzt Teil des ausgedehnten Schiffsfriedhofes, oder die fremden Nogk hatten sie mitgenommen, als sie ihre Verwundeten und Toten aufsammelten, um sich aus dem Staub zu machen. Weiter. 51 Nach oben. Immer »hinauf« in diesem riesigen Wrack. Zur Zentrale. Die leisen, disziplinierten Stimmen Iggy Lorys und Lern Forakers waren in den Helmviphos zu hören und gaben dem Suchtrupp das Gefühl, nicht allein in diesem Berg aus Metall zu sein. Ein enormer Spalt klaffte, eine Scharte im Metall, die sich durch mehrere Decks bis hinaus ins Vakuum verbreiterte, geschlagen wie von einer riesigen, scharfen Klinge. »Ihr müßt jetzt ganz in der Nähe der Wohnquartiere sein«, kam Forakers ruhige Stimme. »Dort, wo die Sonde den toten Nogk gefunden hat.« »Nachricht erhalten und verstanden«, bestätigte Gulub halblaut. Sie schwebten eine breite Schrägfläche hinauf, verzichteten darauf, links und rechts in offene Kammern und Räume zu schauen, und wollten nichts anderes, als diese Sektion hinter sich bringen. So rasch wie möglich. Es gelang ihnen nicht ganz. Zielstrebig schwebte die Gruppe mit einiger Schnelligkeit durch geborstene Seitenkorridore, dem Weg folgend, den die Sonde schon einmal zurückgelegt hatte. Vor und über ihnen öffnete sich eine Kuppel. Sie drangen ein, auf der anderen Seite setzte sich der Achskorridor fort, an dessen Ende die Zentrale liegen mußte. »Der Sonnenhangar des Schiffes«, kamen die Impulse Sketts aus den Translatoren der Terraner. Gulub erstarrte, als sein Blick ins Innere fiel. Über die Helmviphos kamen die etwas gepreßt klingenden Atemzüge der anderen. Üblicherweise befand sich diese Regenerationseinrichtung im Mittelpunkt jedes Nogkraumers. Jetzt fehlte ein großer Teil der seitlichen Decks bis hinaus zur Druckhülle. Die Sterne und die weit entfernte Nova lieferten durch die klaffenden Lücken ausreichend Licht, so daß die Männer und die beiden Nogk auch ohne 52 ihre Helmscheinwerfer genug sehen konnten. »Da!« Salsman deutete in eine Ecke, die von den Optiken der Sonde wohl nicht erfaßt worden war, und Gulub sah die Leichen. Die beiden Kobaltblauen ebenfalls. Aber es kamen keine Reaktionen der Nogk über die Translatoren. Sie hatten sich vollkommen unter Kontrolle, oder der Anblick dieser Toten berührte sie nicht. Bei Nogk, durchzuckte es Gulub, konnte man nicht sicher sein, ob sie irgendwelche
Gemütsregungen überhaupt besaßen. Wenn ja, dann ließen die beiden jedenfalls nichts davon nach außen dringen. Sie schwebten hinüber. Ein halbes Dutzend blauhäutiger Nogk lag reglos da, die in der Agonie des Todes zusammengekrümmten Körper teilweise übereinander. Gulub sagte mit gesenkter Stimme, warum, wußte er auch nicht zu sagen: »Seht ihr, was wir sehen?« »Wir sehen es«, kam Huxleys Stimme durch den Funk. »Damit war zu rechnen. Laßt die Toten liegen. Ihr kennt euren Auftrag. Leider habt ihr nicht ewig Zeit dafür. Die Astrometrische Station hat herausgefunden, daß der ganze Schiffsfriedhof inzwischen von den Gravitationskräften der Nova angezogen wird. Wie schnell das geschieht, darüber gibt es keine verläßlichen Berechnungen. Aber wir sollten kein Risiko eingehen. Also.« »Verstanden, Sir. Wir machen weiter.« Sie setzten ihren unterbrochenen Weg fort, erreichten schließlich das Hauptdeck mit dem Kommandostand. Ihre Helmscheinwerfer rissen die Einrichtung aus der Schwärze. Sie trieben unter dem Druck der Nanoaggregate ins Innere. Rinko Gulub deaktivierte die Steuerungstasten. Die herrschende Schwerelosigkeit ließ ihn im Vakuum in aufrechter Haltung verharren, wenige Fußbreit über dem Boden. »Sind angekommen«, meldete er an die CHARR. »Sehen es«, bestätigte die nahe und doch so ferne Stimme Iggy Lorys. 53 Gulub wandte sich an seine Kollegen. »Schaltet EM der Sohlen ein.« Das anzugeigene, elektromagnetische Feld zog ihre Stiefelsohlen auf den metallenen Boden herunter. Dennoch verschwand das Gefühl der Schwerelosigkeit nicht wirklich. Das treibende Wrack hatte zwar eine enorme Masse, aber die reichte bei weitem nicht aus, um für etwas Gewicht zu sorgen. Es war ein eigentümliches Gefühl, sich auf diese Weise fortzubewegen. In Schwerelosigkeit in einem Raumanzug. Es war fast wie ein Gehen durch ein zähflüssiges Medium, dessen Widerstand zu überwinden einiges an Koordination und Kraft erforderte. Der große Leitstand glich in Aufteilung und Anordnung von Instrumentenpulten, Kontursitzen und Steuerkonsolen dem eines Nogkschiffes, eines jedoch, das sich erheblich von denen der mit den Terranern befreundeten Nogk unterschied. Das, was vom Licht der Scheinwerfer aus der Dunkelheit gerissen wurde, wirkte auf eine gewisse Art grobschlächtiger. Doch, Gulub war sich sicher, den richtigen Terminus gefunden zu haben. Jedenfalls war keine Übereinstimmung mit der eleganten Funktionalität der CHARR vorhanden. Gulubs Blicke glitten suchend durch den Raum, dann deutete er auf eine Konsole, die sich durch ihre Größe hervortat und entfernt an das Gehäuse des Hauptrechners der CHARR erinnerte. »Der Bordrechner des Schiffes?« richtete er seine Frage an Skett. Der bejahte. »Na also«, gab der Terraner seiner Zufriedenheit Ausdruck. Seine Finger in den sensorbestückten Handschuhen berührten die Symbole unbekannter Art, eingelassen in große, flexible Tastaturen, die dem Druck seiner Fingerspitzen nachgaben, was ihn doch erheblich überraschte. Eigentlich sollten sämtliche mechanischen Funktionen im absoluten Nullpunkt des Vakuums eingefroren sein. »Erwartest du wirklich, auf diese Weise etwas zu bewirken?« 54 fragte Salsman und betrachtete die seltsam geformten Elemente, die in die Bedienoberfläche eingelassen waren.
»Wer weiß.« Gulub sah die Nogk an. »Aber ich überlasse es wohl besser euch«, richtete er
das Wort an sie. »Dies hier scheint ein Erzeugnis zu sein, das sich meiner Vorstellungskraft
entzieht.«
»Möglicherweise werden auch wir scheitern«, drangen Sketts zögerliche Impulse in verbaler
Form aus den Translatoren der Terraner. »Diese Art von Rechner scheint aus einer Epoche zu
stammen, die vor der uns bekannten liegt.«
Der Helmfunk schlug an.
»Wie weit seid ihr?« kam Huxleys Stimme.
Rinko Gulub erstattete in gedrängter Form Bericht.
»In Ordnung.« Huxleys Stimme hatte einen leicht nervösen Unterton. »Haltet euch nicht zu
lange auf. Das Astrolab ist inzwischen fast sicher, daß der Schiffsschrottplatz schneller von
den Gravitationskräften der Nova angezogen wird, als uns lieb sein kann. Ich kann euch nicht
mehr allzuviel Zeit geben. Wenn es zu lange dauert, an die Datenbank zu kommen, brecht ab
und kommt zurück.«
Frederic Huxley blendete sich aus.
»Wir beeilen uns, Sir«, murmelte Gulub, »in unserem eigenen Interesse. Versprochen.«
Entschlossen wandte er sich an die beiden Nogk.
»Wie kommen wir an die Datenbank? Dies ist ein Nogkschiff. Ihr müßtet es also wissen,
zumindest eine Ahnung haben.«
Da gäbe es eine Schwierigkeit, behauptete Skett.
»Der Rechner sieht zwar nicht unbedingt nogktypisch aus, nach unserem heutigen
Kenntnisstand. Aber sollte es sich um ein Nogk-Erzeugnis handeln, wird er durch
Energiefelder geschützt, die einen unberechtigten Zugriff durch nicht autorisierte Mitglieder
der Besatzung oder Fremde verhindern.«
»Energiefelder?« Rinko Gulub wandte sich dem Nogk zu, der in seiner martialischen
Kampfrüstung aussah wie ein legendäres Wesen aus einer Phantasiewelt.
55
»Du willst damit sagen, daß hier drin noch etwas funktioniert?«, dehnte Horio Salsman und
der Tonfall seiner Stimme machte deutlich, was er davon hielt.
»He, das ist Unsinn!« sagte Zach Sobolov. »Unsere Messungen haben ergeben, daß in diesem
Wrack keine Energieversorgung mehr existiert.«
»Eigentlich nicht«, kamen die bildhaften Impulse des Kobaltblauen, durch seinen Translator
in Worte verwandelt. »Die Sicherungsfelder hochsensibler Datenspeicher werden intern
erzeugt, durch eine miniaturisierte Speicherbank aus Antimaterie, die so lange Energie liefert,
bis die Daten vernichtet werden. Was hier in beispielloser Weise von dem Kapitän
offensichtlich vernachlässigt worden ist. Die Überlebenden dieses Schiffes haben vermutlich
nur die Daten des Speicherkems gelöscht, ohne den Selbstzerstörungsmechanismus zu
aktivieren.«
»Selbstzerstörungsmechanismus? Jetzt verstehe ich noch weniger«, wunderte sich Salsman.
»Was bedeutet das nun wieder?«
Ausnahmsweise schien Skett um eine Erwiderung verlegen. Zumindest kamen keine
Bildimpulse über die Translatoren.
Einen Moment lang hatte Gulub das Gefühl, daß der Nogjk von der Frage irgendwie peinlich
berührt zu sein schien!
Aber während sich der terranische Bergungsspezialist noch über das Verhalten des
Kobaltblauen wunderte, antwortete dieser: »Ein Schiff, das aus welchen Gründen auch immer
aufgegeben werden muß, darf keine verwertbaren Hinweise hinterlassen. Oberstes Prinzip.«
»Auch das noch!« stöhnte Zach Sobolov. »Ich sehe schon, wir werden mit leeren Händen
zurücckehren müssen.«
»Nicht unbedingt«, versetzte Aardan an Sketts Stelle.
»Aber dazu müßten wir in der Lage sein, die Energiefelder zu deaktivieren«, gab Sobolov zu bedenken. »Richtig?« Aardan vollführte mit seinem ausgestreckten Arm eine undefinierbare Geste. »Das dürfte keine Schwierigkeit bereiten«, erwiderte er zur Überraschung der Terraner. 56 »Ach ja? Und wie willst du es anstellen?« Rinko Gulubs verwunderter Blick wanderte von Salsman zu Sobolov, die ebenso überrascht zurückblickten. »Damit«, erwiderte der Nogk und hielt ein kleines, unscheinbares Modul hoch. »Die Energiefelder lassen sich manipulieren?« staunte der Terraner. »So ist es. Mit diesem Modul kann man die Energiestruktur der Sperrfelder aufbrechen zumindest gelingt es bei den heutigen Sicherungen dieser Art.« Der Terraner lachte erleichtert. »Dann besteht ja noch Hoffnung.« In der Tat gelang es Aardan, die Sperren zu überwinden. Und zwar relativ schnell. Dann öffnete er mit geübten Handgriffen die Rechnerkonsole, entfernte eine Reihe faustgroßer Speicherkristalle aus ihren Halterungen und verstaute sie in einem Behälter, den er an seinem Instrumentengürtel trug. Gulub war geneigt, den Nogk Bewunderung zu zollen und dies auch zu artikulieren, verschob dieses Vorhaben jedoch auf einen späteren Zeitpunkt. Es schien ihm geboten, so schnell wie möglich wieder an Bord der CHARR zu gelangen. Irgendwo in seinem Hinterkopf hatte er die Vorstellung, dem gefräßigen Tier, genannt Supernova, ständig näherzukommen. »Gehen wir!« drängte er zum Aufbruch. »Hier haben wir nichts mehr verloren.« Auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen waren, verließen Terraner und Kobaltblaue das Wrack des Ellipsenraumers wieder. An Bord der CHARR wurden sie bereits von einer Gruppe Datenspezialisten empfangen, darunter auch einige besonders geschulte Meegs, die sich schon früherspeziell bei der Decodierung 57 von Archivdaten hervorgetan hatten. Sie machten sich umgehend an die Auswertung der Datenkristalle. In der Zentrale wandte sich Colonel Huxley an seinen Ersten Offizier. »Starten Sie, Lee.« »Wohin, Skipper?« Huxley deutet auf die Allsichtsphäre, die einen besonders farbenprächtigen Nebel tief im Innern der Großen Magellanschen Wolke zeigte. »Dorthin, Nummer Eins«, sagte er mit einem feinen Lächeln. »Erst mal hinaus in den Raum. Dann sehen wir weiter. Folgen wir einfach unserer Nase, bis wir wissen, ob wir dem Wrack verwertbare Koordinaten entlocken konnten.« »Aye, Skipper!« Lee Prewitt grinste leicht. Das war es, was er so liebte an seinem Job das pure Abenteuer. Und er wußte sich da mit seinem Kommandanten einig. Unter seinen Schaltungen beschleunigte die CHARR und verschwand in den Tiefen des sternfunkelnden Raumes. Wieder ein Sprung. Der wievielte? Huxley verschwendete keinen Gedanken daran. Sollte es sich später als notwendig erweisen, eine genaue Analyse der Route durchzuführen, mit allen Hyperraumsprüngen, die die CHARR hierfür unternommen hatte, war dies ein Leichtes. Dank des Hauptrechners, der über ein spezielles Untersystem verfügte, das alle technischen Vorgänge in und um das Schiff sowie jede Reiseroute aufzeichnete und archivierte, waren diese Informationen jederzeit nachträglich abrufbar. Nachdem die Sternenflimmemde Kulisse der Großen Magellanschen Wolke erneut auf den Sichtsphären des Fünfhundertmeterraumers erschien, verringerte dieser seine
Geschwindigkeit bis fast zum Stillstand, unsichtbar für jede Tastererfassung durch seinen gestaffelten Tarnschutz. 58 In dieser Phase der relativen Inaktivität würde die CHARR nicht sehr lange verbleiben; eigentlich nur, bis die Funk und Ortungsabteilung ihre Analyse abgeschlossen hatte. Dabei drangen die eigenen Langstreckentaster tief in den umgebenden Raum hinein und forschten nach Energiesignaturen von Raumschiffen mit der charakteristischen Ellipsenform, die irgendwo dort draußen sein mußten. Colonel Frederic Huxley wandte den Blick seiner grauen Augen nicht von der Hauptsichtsphäre, um sich ein Urteil über die Region zu verschaffen, in der sie angekommen waren. Nach außen wirkte seine Miene ungerührt wie meist innerlich jedoch war er auf eine höchst intensive Weise angespannt. Dieses Gefühl hatte ihn seit dem Kampf mit der so plötzlich im Raum um McLanes Star aufgetauchten Ellipsenraumer-Flotte nicht mehr verlassen. Es handelte sich dabei um eine Mischung aus Nervosität und unbestimmter Erwartung einer erneuten Gefahr, von der eigentlich alle an Bord erfüllt waren, seit die CHARR ihre Suche aufgenommen hatte. Irgendwo dort draußen, so erwartete man allgemein, lauerte die Gefahr einer erneuten Konfrontation. Und auf höchst unbehagliche Weise erinnerte sich Frederic Huxley des Umstandes, daß nogksche Sichtsphären eigene Schiffe auch dann zeigten, wenn diese ihren Unsichtbarkeitsschirm um sich herum aufgebaut hatten. Ob das auch für die CHARR galt, die ständig mit den neuesten Errungenschaften nogkscher Raumfahrttechnik ausgestattet wurde? Zu weiteren Überlegungen kam der Colonel jedoch nicht mehr, denn im gleichen Augenblick lärmte das Signal der Tiefraumortung durch den Leitstand. Die Taster hatten in einer Entfernung von zirka einem Lichtjahr jenes Sternsystem registriert, welches als nächstes Ziel der CHARR auserkoren worden war. Die Untersuchung der Datenspeicher hatte kaum Verwertbares ergeben; die meisten Informationen waren gelöscht gewesen und somit verloren. Etwas mehr Glück hatte man mit den ebenfalls in den Daten 59 speichern gefundenen Sternenkarten. Mit Hilfe der Meegs und deren enormem Wissen über Sterne war es der astrophysikalischen Abteilung gelungen, einige dieser Datensätze zu rekonstruieren und in das Koordinatennetz der CHARR zu übertragen. Dabei hatte es sich herausgestellt, daß bestimmte Sonnensysteme in der Großen Magellanschen Wolke wie Wegpunkte besonders markiert waren. Unter permanentem Tarnschutz hatte die CHARR diese Systeme angeflogen und war überwiegend auf unbewohnte Planeten gestoßen, die nicht die Spur einer Kolonisierung durch Nogk getragen hatten, obwohl sie durchaus deren Kriterien für eine Besiedelung entsprachen. In jedem dieser Sonnensysteme hatte man sowohl eine als Wohnstätte geeignete Wüstenwelt als auch einen wasserreichen Sauerstoffplaneten zur Algenzucht vorgefunden. Doch vermutlich waren sie nur als mögliche Kandidaten für eine Kolonisierung auserwählt worden. Andere Trockenwelten wiederum hatten durchaus Spuren einer Besiedelung getragen: verlassene, eiförmige Bauwerke im ursprünglichen Nogk-Stil. Obwohl Tantal immer wieder auf eine Landung drängte, hatte es Colonel Huxley abgelehnt, dem Verlangen des Kobaltblauen zu entsprechen. Er wollte nicht riskieren, noch einmal unbeabsichtigt einen verborgenen Sonnensatelliten zu zünden. Huxley fixierte noch immer den Hauptschirm. Schließlich bewegte er seinen Drehsessel etwas zur Seite in Richtung der Ortungskonsolen. Dort saß sein Dritter Offizier vor seiner Hauptkonsole. »Mr. Perry, was sagt die Ortung?« erkundigte er sich schließlich und lehnte sich wieder im Sessel zurück.
»Bei der Sonne, die wir hier sehen, handelt es sich um einen Klasse M-Typ«, ließ Perry verlauten. Die Allsichtsphäre öffnete ein separates Fenster und schob es in den Vordergrund. Ein steter Strom von eintreffenden Daten präsentierte eine komplette, vom Bordrechner simulierte telemetrische Darstellung des Flugkorridors, während die Peripherie des 60 Schirmes den Bereich des Weltraumes zeigte, der das Raumschiff umgab. »Planeten?« »Elf. Leben könnte auf Nummer vier und fünf existieren.« »Einzelheiten, Mr. Perry?« »Bei Nummer vier handelt es sich um eine heiße Trockenwelt, Schwerkraft ein paar Prozentpunkte unter einem Gravo. Nummer fünf ist ein erdähnlicher Wasserplanet.« »Wie gehabt«, murmelte der Colonel der Terranischen Flotte und Diplomat in Sachen Völkerverständigung zwischen Nogk und Terranern. Das System wies die inzwischen fast zur Routine gewordene Grundkonstellation auf: Eine feuchtheiße Dschungelwelt mit viel Wasser und eine trockenen Wüstenwelt, die ideale Voraussetzungen für eine Nogk-Zivilisation bot. Und wieder zum wievielten Male eigentlich? stellte sich Frederic Huxley die Frage, wie sich ein Volk wie das der Nogk überhaupt zu so hoher Blüte entwickelt haben konnte, wenn es nachweislich niemals in der Lage gewesen war, sich seine Nahrung auf den Welten anzubauen, auf denen es wohnte? Eine Widersprüchlichkeit, die aufzulösen auch Tantal mit seinem überragenden geschichtlichen Rassegedächtnis, das ihn als einzigen aus der Masse der Nogk hervorhob, nicht in der Lage war. Angeblich. Er, Huxley, hatte in der Vergangenheit lange Streitgespräche mit dem kobaltblauen Nogk-Mutanten darüber geführt. Hatte ihm sogar vorgeworfen, bewußt Verschleierungstaktik zu betreiben. Aber Tantal hatte darauf beharrt, das Paradoxon nicht auflösen zu können, das im Dunkel der nogkschen Vergangenheit verborgen lag. Doch die alles entscheidende Frage hatte Huxley bislang weder Tantal noch Charaua zu stellen gewagt: Wie es das Volk der Nogk unter diesen Voraussetzungen geschafft hatte, im Vor-Raumfahrtzeitalter auf seinem Ursprungsplaneten zu überleben? Ob er wohl je eine Antwort darauf bekommen würde? Er hoffte es, bezweifelte es aber auch im gleichen Atemzug. Ein Geräusch holte ihn zurück aus seinen Gedanken. 61 »Gibt es auch einen Namen für das System?« wollte er wissen. Es war Meenor, der Huxleys Frage beantwortete. »Die Informationen aus den Sternenkarten bezeichnen die Sonne als Lan, die Feuchtwelt als FaalLan, und die Wohnwelt besaß den Namen CorumLan.« »Na schön«, brummte Huxley. »Ein bißchen dürftig. Ich nehme an, es gibt keine Übersetzung in Angloter, oder?« Meenors bildhafte Gedankenimpulse blieben unspezifisch, so als hätte der Meeg den Sinn von Huxleys Frage nicht verstanden. »Das waren bereits die Übersetzungen aus dem alten Sprachgebrauch der Nogk, Colonel«, ließ Captain Sybilla Bontempi an seiner Stelle verlauten. »Hmm. Na gut. Ihr Wissen, Captain, ist wie immer EinsA. Aber mit Verlaub: Was für eine lausige Übersetzung.« »Beschweren Sie sich beim Universalübersetzer«, meinte die ExoLinguistin und Anthropologin, und ihre Lippen kräuselten zu einem verhaltenen Lächeln. »Soll ich einen Kurs setzen, Skipper?« fragte Lee Prewitt. Huxley überlegte. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Nummer Eins. Wir erkunden das System zunächst aus der Feme, denke ich.« Er schwieg einen Augenblick, wandte sich dann wieder an seinen Dritten: »Leiten Sie das in die Wege, Mister Perry.« »Aye, Sir.«
Huxley verließ kurz die Zentrale, um sich in der Offiziersmesse ein paar Happen zu gönnen.
Er aß etwas was, hatte er sofort wieder vergessen, weil er an nichts anderes dachte als an die
kommende Mission und kehrte nach zwanzig Minuten wieder in den Leitstand zurück.
Die Männer nickten ihm zu, und Captain Bontempi murmelte etwas, das klang wie »Allzu
hastiges Essen ist von Nachteil...« aber er war sich nicht sicher. Außerdem hätte er es sowieso
ignoriert. Noch während er seinen Platz einnahm, fragte er: »Wie weit ist Ihre Abteilung,
Mister Perry?«
Der Ortungsoffizier sah auf seinen Fähnrich.
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»Mister Kitta, sind wir...?«
Alberto Kitta, inzwischen vom Technischen Unteroffizier zum Fähnrich befördert, hob die
rechte Faust und zeigte einen nach oben gereckten Daumen.
»Alle Systeme klar«, sagte er mit forscher Stimme. »Sonden aktiviert.«
»Gut. Starten Sie.«
Zwei Spionagesonden, nicht größer als Raumtorpedos, ausgestattet mit miniaturisierten
Transitionstriebwerken ähnlich denen der nogkschen »Brieftauben« und vollgestopft mit
Unmengen von Aufklärungs und Übertragungselektronik auf ToBasis, verließen die CHARR.
Im freien Raum beschleunigten sie, traten in den Hyperraum ein und kehrten nur wenige
Augenblicke später zwischen den Bahnen des siebten und achten Planeten in den Normalraum
zurück. Mit einem Viertel der Lichtgeschwindigkeit nahmen sie Kurs ins Innere des Systems
und sammelten Daten.
Als die Aufklärungsdrohnen die Bahn des sechsten Planeten kreuzten, sagte Alberto Kitta:
»Achtung, die ersten Bilder kommen!«
Die Allsichtsphäre teilte sich in zwei gleich große Segmente. Ein steter Strom eingehender
Daten präsentierte eine komplette, vom Computer aufbereitete telemetrische Darstellung der
Flugbahnen.
Dann trennten sich die beiden Robotschiffe, um sich die Aufgaben zu teilen. Eines
verdoppelte seine Geschwindigkeit und flog auf CuramLan zu, während das andere sich dem
fünften Planeten näherte.
Huxley konzentrierte sich auf die Drohne, die sich FaalLan näherte. Der Planet tauchte aus
dem Hintergrundgewimmel der Sterne auf, wurde größer, deutlicher, wölbte sich blaugrün der
CHARR entgegen.
Schweigend sah der Colonel die Oberfläche des Planeten näherkommen.
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Die Spionagesonde schwenkte in einen sehr hohen Orbit ein und zog dreißigtausend
Kilometer über der fremden Welt ungehindert ihre Bahn.
Unter ihr drehte sich die Kugel hinweg. Auf der Sichtsphäre zogen die Aufnahmen in
Vergrößerung vorbei. Man konnte bereits die Strukturen der planetaren Oberfläche erkennen.
Und von Sekunde zu Sekunde kamen immer mehr Meßwerte der Tasteranalysen herein.
FaalLan durchmaß rund 18 000 Kilometer, besaß eine Schwerkraft von 0,97 g, rotierte in 21
Stunden und dreißig Minuten um seine Achse und besaß eine Sauerstoffatmosphäre, die in
ihrer Zusammensetzung fast identisch mit jener der Erde war.
Über das gesamte sichtbare Halbrund der nördliche Hemisphäre erstreckte sich eine einzige
gewaltige Landmasse, auf der laut den Auswertungen der Biosensoren kein intelligentes
Leben existierte, dafür aber eine ausgeprägte Fauna. Die südliche Halbkugel war von zwei
großen Ozeanen bedeckt, getrennt nur durch eine gebirgige Landbrücke. Die Gipfel ragten oft
mehr als zehntausend Meter in die Atmosphäre.
»Erdähnlich, wie ich schon sagte«, ließ sich der Funk und Ortungsoffizier vernehmen und
schaltete auf seiner Konsole. Die Sonde wandte sich nach Süden dem Meer zu, überflog die
wolkenverhangene Atmosphäre, die über dem Binnenland gigantische Wolkenberge gebar,
aus denen sich auf Grund atmosphärischer Spannungen ungeheure Gewitter entluden.
Aus großer Höhe sahen sie es: In den küstennahen Gewässern waren gewaltige, rechteckige
Areale zu erkennen.
Captain Bontempi konsultierte einen Nebenschirm.
»Das ist interessant«, erhob sie ihre Stimme. »Künstlich angelegte Algenzuchtfarmen.«
Huxley sah sie mit gerunzelten Brauen an. »Haben wir das nicht irgendwie erwartet, Captain?
Es ist das bekannte Schema, dem wir immer wieder seit Beginn unserer Expedition
begegnen.«
Sybilla Bontempi nickte. »Natürlich, Sir. Aber ich habe noch nie
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eine in Betrieb gesehen. Können wir sie uns nicht mal aus der Nähe ansehen? Bitte!«
Huxley wandte sich an seinen Taktischen Offizier.
»Irgendwelche Waffensysteme oder Verteidigungsanlagen auf der Oberfläche, Mister
Foraker?«
»Negativ, Kommandant.«
»Gut, riskieren wir es. Mister Perry, Nahbereichserkundung.«
Der Dritte gab seinem Fähnrich ein Zeichen.
Aus dem Robotschiff in der Umlaufbahn löste sich eine Minisonde und jagte nach unten.
Niemand sah sie, niemand ortete sie. Perfekt.
Sechzig Sekunden... einhundertzwanzig Sekunden... dann waren die ozeanischen Farmen im
Fokus der Instrumente. Die riesigen Emteareale waren in Betrieb. Pontonförmige
Wasserfahrzeuge glitten kreuz und quer durch die trüben, eutrophierten Fluten und schleppten
gewaltige Exhaustoren hinter sich her, die die Nährstoffe in Antigravieichter pumpten.
»Lebensformen, Mister Perry?« fragte Huxley.
»Keine, Sir. Vollrobotisch.«
»Hmm...« Der grauhaarige Colonel vertiefte sich wieder in den Anblick der Ernte Vorgänge.
Eine Reihe von A-Gravleichtern löste sich von dem Ernteschiff und schwebte der Uferregion
zu. Dort ortete die Sonde die Bauwerke einer ausgedehnten Fabrikationsanlage. Kühltürme
schickten Ströme weißen Dampfes in die Atmosphäre.
Etwas weiter im Landesinneren war das Oval eines Raumhafens zu erkennen, der eine
Verbindung mit der Fabrikationsanlage hatte. Ansonsten aber führten weder Straßen noch
Wege oder Schienen von der Anlage weg oder zu ihr hin.
Gerade eben stieg ein großer, ellipsenförmiger Transporter vom Startfeld auf und verschwand
im Weltraum.
Die Sonde führte einige Anpassungen durch, als sie von den Turbulenzen des Transporters
geschüttelt wurde, dann kehrte sie zu dem Robotschiff zurück, das seinerseits Kurs auf die in
einem
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Lichtjahr Entfernung wartende CHARR nahm, um wenig später einzuschleusen.
Auch das zweite Robotschiff kehrte zurück. Es hatte sich CorumLan genähert, die Oberfläche
kartographiert und ein Koordinatennetz der auf dem Planeten vorhandenen Ansiedlungen und
Städte angelegt.
Eine Stunde später berief Huxley eine Zusammenkunft ein, um über das weitere Vorgehen zu
beraten. Der Erste Offizier Prewitt nahm daran ebenso teil wie Perry und Sybilla Bontempi.
Auf nogkscher Seite waren es Tantal und der Meeg Meenor.
»Ich habe mir die aufgezeichneten Daten der Aufklärungssonden noch einmal angesehen«,
erklärte der Funk und Ortungsoffizier, »und bin auf etwas Erstaunliches gestoßen.«
Huxley hob die Augenbrauen. »Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Nummer Drei. Was ist
es, was Sie uns mitteilen wollen?«
»Obwohl sich in dem System viele Ellipsenraumer zwischen den Planeten bewegen, findet so
gut wie keine Raumüberwachung nach außen statt, über die Systemgrenzen hinweg. Ein
unvorstellbarer Schlendrian, wenn Sie mich fragen. In dieses System kann einfliegen, wer will, ob Freund oder Feind, ohne Gefahr laufen zu müssen, entdeckt zu werden.« »Das heißt also«, meinte Huxley, »wir könnten es riskieren, ein Beiboot mit einer Aufklärungsgruppe in das System zu schicken. Könnten wir doch, Nummer Drei, oder?« »Das hinge davon ab«, versetzte Perry, »wen Sie mit >wir< meinen. Sie und ich, oder irgend jemand anderer von uns Terranem könnte es mit Sicherheit nicht. Es sei denn, wir würden Albins Tarnkappe verwenden. Aber die haben wir gerade nicht zur Hand...« »Der langen Rede kurzer Sinn, Nummer Drei«, unterbrach ihn der grauhaarige Colonel, um dessen Mund nun ein faden dünnes Grinsen spielte. »Sie plädieren dafür, daß nur eine Gruppe an Bord der CHARR diese heikle Außenmission durchführen kann, nicht wahr?« 66 »Richtig, Sir.« Jetzt war es an Perry zu grinsen. »Da wir davon ausgehen müssen, in diesem System auf die fremden blauen Nogk zu stoßen, bleiben nur Tantal und seine neun blauen Kollegen für diesen Job übrig.« »Was ist deine Meinung, Tantal?« wandte sich Huxley an den Kobaltblauen. Tantals Libellenschädel bewegte sich ruckartig. »Es ist nicht abzustreiten, daß für eine Expedition nur wir in Frage kommen«, drangen dann seine Bildimpulse sowohl in Huxley s Geist wie auch aus dem Implantat des Colonels. »Gut, dann machen wir es so«, entschied der Colonel. »Klären wir also jetzt noch die Einzelheiten...« 67 4. Sie warfen einander halb ratlose, halb mißtrauische Blicke zu, steckten aber bis auf Gisol ihre Blaster und Strahler in die Holster zurück. »Was soll das werden, wenn es fertig ist?« Amy Stewart stellte sich wieder wie schützend vor den Commander, und sofort war auch der asiatische Cyborg zur Stelle. »Du traust dem Frieden nicht?« Manlius zupfte seine Toga zurecht. Seine feinen Gesichtszüge zuckten, er selbst traute dem Frieden auch nicht. »Keine Sorge«, sagte Ren Dhark. »Sie hätten uns längst in unsere Atome zerlegt, wenn es das gewesen wäre, worauf sie aus waren.« »Sie?« Arc Doorn stand endlich auf. »Sagte die Stimme nicht: Ich komme hinaus?« Der Ringraumer war noch höchstens dreißig Meter entfernt. Ren Dhark widerstand dem Impuls zurückzuweichen. »Lassen wir uns überraschen.« Er hob das linke Handgelenk, aktivierte sein Vipho. Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, daß Gisol noch immer breitbeinig und reglos dastand. Voller Mißtrauen beobachtete er das näherrückende Schiff. »Du bereitest dich noch immer auf einen Kampf vor, mein worgunischer Freund?« »Ich bereite mich meistens in irgendeiner Form auf einen Kampf vor«, beschied Gisol ihm knapp. »In diesem Fall durch Nachdenken.« Der Ringraumer stoppte zwanzig Meter vor ihnen. Teleskopstützen fuhren aus der Unterseite seines Rumpfes. »Und worüber denkst du nach?« »Über seine Kampfkraft und seine Manövrierfähigkeit.« Mit ei68 ner Kopfbewegung wies der Worgun auf das Schiff, die Teleskopbeine berührten bereits die Kunststoff decke des Plateaus. »Über seine Sprache, über die Eigenart seiner Stimme und über sein Spezialwissen über euren Heimatplaneten.« »Die Schlußfolgerung aus diesen Beobachtungen liegt ja wohl auf der Hand«, sagte Amy Stewart. »Es kann nur ein Roboter sein, der diesen Raumer steuert.« Eine kleine Luke öffnete sich etwa dreißig Meter über ihnen im bläulich schimmernden Rumpf. Unwillkürlich wichen sie einen halben Schritt zurück.
»Fast richtig.« Jetzt aktivierte auch der Worgun sein Vipho. »Ein Roboter, dem man ein terranisches Betriebssystem verpaßt hat.« Damit kam er der Wahrheit schon erstaunlich nahe. Dennoch traute er seinen Augen nicht, als plötzlich eine rötlich glänzende Gestalt in der Luke erschien; eine Gestalt aus Metall, eine Gestalt ohne Gesicht. »Das ist...« Gisol schob sich an den anderen vorbei. »Das ist ja...« Ein paar Schritte vor seinen Expeditionsgefährten verharrte er in geduckter, fast lauernder Haltung. Oben in der Schiffsluke trat die gesichtslose Gestalt ins Freie, schwebte in einem Antigravfeld auf den Platz hinunter. Keiner verstand das Gezische, das Gisol von sich gab. Vor lauter Erregung war er in seine Muttersprache gefallen. Aber jeder konnte beobachten, wie seine Gestalt unter dem Stoff seiner Kleidung zu zerfließen drohte. Es sah aus, als würde sein Körper Blasen werfen. An Rücken und Hüfte beulten sich Stümpfe aus. Ein Zeichen seiner Fassungslosigkeit. Jeden Moment erwartete Ren Dhark die Verwandlung des Worgun in seine originale Amöbengestalt. Der rötlichschimmemde Humanoide setzte auf dem Plateau auf. Mit zielstrebigen Schritten marschierte er auf die Gruppe zu. »Ein Roboter, sag ich's doch«, raunte Amy. Dabei sah er nicht direkt aus wie eine Maschine, eher wie der erste Entwurf Adams vor der 69 Mittagspause des sechsten Schöpfimgstages. »Ein Roboter? Nein.« Gisol sprach jetzt wieder Angloter. »Das ist nur die halbe Wahrheit...« »Höflicherweise sollten wir ihm entgegengehen.« Ren Dhark setzte sich in Bewegung. Oshuta und Amy beeilten sich, an seiner Seite zu bleiben, Gisol schloß sich ihnen an, als sie an ihm vorbeigingen. Wenige Schritte weiter standen sie einander gegenüber: der zwei Meter hohe rote Roboter mit den Körperproportionen eines menschlichen Mister Universum ohne Gesichtszüge auf der einen und Ren Dhark und seine Begleiter auf der anderen Seite. »Ich bin Simon, einstmals Diener der terranischen Hochkommissarin Noreen Welean, seit Ende 2052 Wächter der Mysterious.« Die schon vertraute Stimme drang nun, um vieles leiser, aus den Geräten an ihren Handgelenken. »Im kühnsten Traum hätte ich nicht erwartet, Ihnen hier in Om zu begegnen, Commander Dhark.« »Es hätte nicht viel gefehlt, und einer von uns hätte den anderen ausgelöscht.« Ren Dhark ergriff die ausgestreckte Tofirithand. Er war überrascht, wie warm und flexibel sie sich anfühlte. »Wir hielten Ihr Schiff für einen Zyzzktraumer.« »Nun, dann haben wir neben demselben Heimatplaneten noch eine zweite Gemeinsamkeit.« Sie schüttelten sich die Hände, und Ren Dhark fragte sich, ob der Gesichtslose ihn sehen konnte. Der Rest der Gruppe faßte Mut und trat näher der Neurömer von Terra Nostra, der Sibirier Doorn und der dunkelhäutige Tschobe. Alle begrüßten sie den Tofiritmenschen per Handschlag und mit mehr oder weniger gemischten Gefühlen. Allein Gisol verweigerte noch aus irgendeinem Grund den gebotenen Gruß. Er schien zu beben. Seine Gestalt verkürzte sich, wuchs in die Breite. Zisch und Knacklaute entfuhren ihm. Ungeheure Erregung hatte ihn ergriffen. »Wächter...? Tatsächlich ein 70 Wächter?« Endlich fand er zurück zu Angloter. »Ein Wächter der Worgun?« Er krächzte. »Aber... aber es... aber es gibt keine Wächter mehr...« »Leider doch«, schnarrte es aus den Empfängern. »Einen letzten gibt es noch. Mich.« Gleißendes Licht flutete Simons Kommandostand. Obwohl die Bildkugel über der Armaturenkonsole auf weniger als neun Prozent Helligkeit abgedämpft war, strahlte sie wie
eine gigantische Lampe: Die PROJEKT LEBEN und in deren Bergungshangar die NOREEN WELEAN hielten sich in der Korona des Zentralgestims Zaratan auf. Die Außenkameras für die direkte Umgebung waren aktiviert. Ein paar Sekunden noch. Die schwebende Spindel fiel kaum auf unter dem fast drei Meter durchmessenden Kugelhologramm. Sie koppeln jeden Augenblick an. Ich weiß, Hugo, ich weiß. Simon erhob sich aus seinem Kommandosessel. Dessen Verankerung und Hydraulik quietschten. Es klang wie ein erleichtertes Seufzen. Simons Tofiritkörper wog etliche Tonnen. Das glich auch der Gravitationsmodulator der NOREEN WELEAN nicht vollständig aus. Davon abgesehen hatte Simon den Roboter Joker angewiesen, die Gravitation im Schiff terranischen Verhältnissen anzugleichen. Er wollte seinen Gästen ersparen, vom Transmitterring über die Galeriebalustrade direkt unter die Kuppel seiner Kommandozentrale schweben zu müssen. Einen Blick noch auf die Bildkugel: Nebelschlieren aus Glutschwaden, Lichtbrandung und Feuergischt strömten über das Hologramm. Beiläufig nur registrierte Simon die Zahlenkolonnen in seinem Schädel. In Sekundenintervallen schickte der Hyperkalkulator ihm die aktualisierten Daten: Temperatur, Geschwindigkeit des Elektronenwinds, Magnetfeldstärken, Gammastrahlung und so weiter. Inmitten des Schleiers aus sich verschleudernder Energie, 71 um vieles heller als er und fast zwei Millionen Kilometer entfernt, brodelte die Plasmakugel namens Zaratan. In den Außenbereichen der Sternenkorona blinkte ein Koordinatenwert auf der Bildkugel. Die Position der EPOY. Nur noch wenige Kilometer entfernt, bewegte sie sich auf die PROJEKT LEBEN zu. Simon selbst war es gewesen, der Gisol und Ren Dhark gedrängt hatte, den Planeten so schnell wie möglich zu verlassen und den Schutz der Sternenkorona aufzusuchen. Ihn beunruhigte der Hyperimpuls, den das Bordgehim im Anflug auf Zaratan gepeilt hatte wenn der nicht von der EPOY verursacht worden war, mußte sich folgerichtig ein drittes Schiff auf dem Planeten verstecken. Außerdem war ihm der himmelstürmende Goldkoloß nicht geheuer. Zehn Sekunden, neun, acht.., Hugos Spindelkörper schob sich an ihm vorbei, schwebte langsam zur Galerie hinauf.... drei, zwei, eins, jetzt! Identifiziertes Schiff hat angekoppelt, meldete der Hyperkalkulator. Transmitter aktivieren. Simon richtete sein optisches System auf die Galerie. Der begehbare und mit einer Kunststoffbalustrade gesicherte Sims umlief die Kommandozentrale in etwa acht Metern Höhe. Die Wand öffnete sich dort oben neben dem Abgang zur Wendeltreppe, gab den Blick auf einen Transmitterring frei. Wie eine erleuchtete Kuppel, durch die Schneeflocken jagen, flirrte das Energiefeld auf. Nacheinander materialisierten sich vier Gestalten und traten aus dem Ring auf die Galerie. »Willkommen an Bord der NOREEN WELEAN!« Simon hatte seinen Sprachmodus aktiviert. Seine Stimmte tönte jetzt aus seiner Brust. Seinen Gesprächspartnern gegenüber würde das den Eindruck seiner Menschlichkeit verstärken. Jedenfalls hoffte der Wächter das. 72 »Danke, Simon.« Ein weißblonder Mann stieg als erster die Wendeltreppe herunter. Ren Dhark, sehnig, mittelgroß und mit kantigen Gesichtszügen, in die der Druck der Verantwortung eine Entschlossenheit und Härte geprägt hatte, die man in den Gesichtern von Dreißigjährigen eher selten sah. Kraftvoll stieß er sich von der letzten Stufe ab, federnd schritt er in Simons Kommandokathedrale. »Ich bin stark beeindruckt.« Er drehte sich ein paar Mal um sich selbst, warf prüfende Blicke ins Gewölbe der Zentrale, auf Kartenpulte, Kommandokonsole und Bildkugel, während hinter ihm Gisol, Amy Stewart und der Neurömer Manlius in die
Zentrale herabstiegen. »Sie haben Ihren Ringraumer also in einem Bergungsschiff versteckt? Wieso verfügen Sie über zwei Schiffe?« »Und vor allem: Warum kannst du allein beide Schiffe steuern?« legte Gisol nach. Bläßlich und schmal sah er aus, ein farbloser Terraner. »Die letzte Frage ist am schnellsten zu beantworten: Wir haben den Bergungsraumer umgebaut und die Steuerungsprozessoren so modifiziert, daß der Hyperkalkulator der NOREEN WELEAN sie übernehmen kann.« »Wer ist wir?« wollte Gisol wissen. Simons optischer Sensor visierte das Wesen an, das sich nur den äußeren Anschein eines Menschen gab. Ein Worgun stand vor ihm! Ein Hoher! Wahrhaftig ein Angehöriger jener Rasse, deren Schicksal er im Auftrag der INSTANZ aufklären sollte. Hätte ein Herz in Simons Tofmtbrust geschlagen, es würde jetzt laut dröhnend pochen. »Hugo zum Beispiel.« Simon deutete auf die Spindel. Der Roboter schwebte in Kopfhöhe neben ihm. »Noch zwölf weitere Modelle dieses Typs befinden sich an Bord. Sie haben den Löwenanteil der Arbeiten erledigt.« Mit einer Bewegung seines Tofiritschädels wies Simon auf die fünf Sessel rund um den Kommandostand. Amy Stewart ließ sich neben dem Commander nieder. Die hochgewachsene Frau schlug ihre langen Beine übereinander und musterte Simon aus neugieri 73 gen, dunkelblauen Augen. Ausdrucksvolle Augen übrigens, und überhaupt haftete etwas von der Schönheit jenes kühlen Frauentyps an Stewart, wie man ihn in Nordeuropa manchmal finden konnte. Simon vermutete, daß die Cyborg im Hinblick auf den Commander die Rolle einer Art persönlicher Leibwächterin spielte. Damit lag er nicht ganz verkehrt. »Wir sollten gründlich überlegen, wie wir vorgehen.« Gisol machte keine Anstalten sich zu setzen. Überhaupt schien er es eilig zu haben. »Ein dritter Ringraumer versteckt sich irgendwo aufZaratan IV. Ein Schiff der Zyzzkt, ich bin ganz sicher. Wir haben einander mit dem Schiff der Mörder verwechselt. Ich will herausfinden, was die Wimmelwilden auf diesem Planeten verloren haben!« Die Heftigkeit in der Stimme des Worgun machte Simon hellhörig. Schwang da nicht ein Unterton des Hasses? Natürlich, und etwas in Simon teilte diese heftige Empfindung. »Ich auch, Gisol. Doch zuvor muß ich erfahren, was den Commander der Planeten in diese Galaxis verschlägt.« Seine Optik tastete die Gestalt des Worgun ab: Vom dunkelblonden Scheitel bis zu den Stiefelsohlen ein Terraner, ein durchschnittlicher, ein ganz normaler Erdenmensch. Unglaublich! Wenn Simon nicht mit eigenem System gesehen hätte, wie dieser Körper auseinanderfließen wollte, als er aus der Luke schwebte... »Und ich bin begierig zu erfahren, wie es zu dieser Koalition eines Worgun und einer terranischen Expedition kommt.« Er ließ sich in den Pilotensessel sinken, um nicht länger auf Ren Dhark hinabsehen zu müssen. Die Bodenverankerung quietschte. »Keine Sorge, auch ich werde Ihnen reinen Wein einschenken.« »Begierig auf Neuigkeiten sind wir alle in diesen schweren Zeiten.« Ren Dhark mußte lächeln, weil der rote Roboter dieselbe Redewendung benutzte wie er selbst wenige Stunden zuvor beim Erstkontakt. »Seien Sie so freundlich und deaktivieren Sie die Bildkugel, Simon. Das Zaratanlicht blendet mich.« Stumm gab Simon dem Hyperkalkulator entsprechende Wei 74 sung, und Sekundenbruchteile später erlosch die Darstellung über der Konsole. An der Galeriebalustrade flammte ein Ring von Leuchten auf. Warmes, indirektes Licht erhellte die Kuppel der Tofiritkathedrale. »Ich vertraue Ihnen, Simon.« Ren Dhark hatte den Diener seiner Hochkommissarin nie persönlich gesehen, kannte aber seine tragische Geschichte. »Wo soll ich einsteigen? Ende
Zweiundfünfzig hat man Sie aus der terranischen Geschichte ausgeklinkt, wenn ich das mal so sagen darf.« Sieben Jahre war es her, daß Noreen Welean ihren Diener verloren hatte. Sein Körper wurde damals vernichtet, sein Bewußtsein auf den Roboter der Worgun übertragen. »Sie bekommen einen Datenträger mit ausführlichen Informationen, Simon. Ich habe das schon veranlaßt. Gestatten Sie mir also, mich auf das Wesentliche zu beschränken, ja?« NOREEN WELEAN nannte er sein Schiff? Seltsam, dachte der Commander. Die Frau scheint ihm viel zu bedeuten, Noch seltsamer allerdings kam ihm der eigene Gedanke vor: Ein Roboter, der eine Politikerin verehrt. Oder vielleicht sogar mehr als nur verehrt... ? »Wo und wann sind Terraner ihm begegnet?« Simon deutete auf Gisol. »Sie werden es nicht glauben, Simon: auf der Erde.« Dhark fuhr sich durchs weißblonde Haar und stieß ein Lachen aus, und ein bißchen klang es wie ein Seufzer. »Ein Mysterious auf Terra! Als ein gewisser John Brown lebte er unter uns! Das müssen Sie sich einmal vorstellen, Simon!« Er schüttelte den Kopf und lachte wieder. »Im Februar letzten Jahres haben wir zusammen auf Babylon eine Menge Schwierigkeiten durchgestanden. Da nannte er sich allerdings schon Jim Smith.« »Welches Jahr meinen Sie, Sir?« Ein paar Sekunden lang herrschte Schweigen in Simons Kommandozentrale. Natürlich niemand wußte ja, was Simon inzwischen erlebt, wo er sich aufgehalten hatte. Möglicherweise in eiüem anderen Universum, möglicherweise im Koma. Ren Dhark 75 brannte darauf, seine Geschichte zu hören. Er faßte sich als erster wieder. »Zweitausendundachtundfünfzig«, antwortete er, als hätte Simon keine gewöhnlichere Frage stellen können. Februar 2Ö5S... wäre sein Körper noch von menschlicher Haut überzogen gewesen, ein Schauer wäre über Simons Rücken gerieselt. Fast sieben Jahre her. Sieben Jahre in einem Kunstkörper, Sieben Jahre ohne Nachricht von Noreen... Er verkniff es sich, nach ihr zu fragen. Ren Dhark wandte sich an Jim Smith alias Gisol, und das Lachen auf seinem kantigen Gesicht machte tiefem Ernst Platz. »Der letzte, Simon.« Leiser und ohne jede Spur von Heiterkeit sagte er das. »Gisol ist der letzte freie Worgun. Die Menschheit hat ihm viel zu verdanken. Wahrscheinlich ihre Zukunft und in jedem Fall eine Menge Kenntnisse...« »Was sagen Sie da, Mr. Dhark?« Während die elektronische Komponente in ihm die bloßen Fakten registrierte und speicherte, erschrak das menschliche Bewußtsem Simons. »Der letzte freie Worgun...?« »Ja!« Bitterkeit und Zoni schwangen in Gisols lauter Stimme. Sie paßte irgendwie nicht zu dem unscheinbaren Terraner. »Der letzte freie Worgun steht dem letzten Wächter gegenüber!« »Die Zyzzkt nennen ihn >Gisol, der Schlächteruralter< Feind ist auch der unsere: das dekadente Herrscherhaus der HitauraDynastie. Allen voran Hitaura IX. Er ist geradezu manisch besessen von dem Wunsch, das Experiment jenes Wissenschaftlers, der euch einst das Überleben in dieser Galaxis ermöglichte, endgültig scheitern zu lassen. Eliteeinheiten seiner Raumflotte, viele hochgerüstete Schiffe, deren Erhalt Unsummen verschlingen, waren und sind nur damit beschäftigt, sich an eure Fersen zu heften und eure Sonnen mit Sonnensonden zu impfen. Seine Beseitigung sollte allen aufrechten Nogk eine Herzensangelegenheit sein.« Es war noch immer still im weiten Rund des Auditoriums. Je länger Fettron gesprochen hatte, um so schweigsamer waren die Ratsmitglieder geworden. Der NogkRegent selbst war es, der das Wort ergriff und die geistige Stille durchbrach. Er wandte sich explizit an Huxley, seine Impulse bezogen aber auch Fettron mit ein. »Was wäre zu tun, deiner Ansicht nach, Freund Huxley?« Der Colonel musterte den Regenten einige Augenblicke lang. Dann hob er die Hände in Brusthöhe, die Handflächen nach außen gekehrt. »Frage nicht mich, Charaua. Frage ihn!« Er wies auf Fettron. »Ich will es von dir wissen«, beharrten Charauas Signale. »Ich bin sicher, was du entscheidest, findet auch die Billigung unseres Bruders Fettron.« Mit diesem einfachen Satz hatte der weise NogkRegent alle Zweifel ausgeräumt, die Nogk Gartanas als nicht zum Volk gehörend anzusehen. Huxley schluckte, dann räusperte er sich. Schließlich sagte er: »Ich... ich würde eine Rotte aufbieten, die größte, die ich zu 172 samnienbekäme, und dieses entartete Herrscherhaus mit Stumpf und Stiel von der galaktischen Bühne fegen!« Charauas Kriegsflotte schwebte im Weltraum, bereit zum Angriff, bereit, jeden Widerstand im konzentrierten Feuer ihrer Waffen zu brechen, bereit, auch noch die letzten kaiserlichen Raumschiffe zu überrennen, wenn diese in Verkennung ihrer eigenen Schwäche den Versuch machen sollten, sich der gigantischen Streitmacht in den Weg zu stellen. Der Herrscher der Nogk hatte eintausend seiner modernsten Kampf schiffe aufgeboten, um die korrupte und degenerierte monarchistische Regierung in der Großen Magellanschen Wolke zu zerschlagen und den skrupellosen Regenten Hitaura IX. in die Wüste zu schicken.
Bereits wenige Tage nach Huxleys und Fettrons dramatischem Auftritt vor dem Rat der Fünfhundert waren die ersten Kontingente zusammengestellt worden. Von überallher hatte man sie zusammengerufen, bis die Armada komplett war. Dann war man aufgebrochen. Die 180 000 Lichtjahre bis zur Großen Magellanschen Wolke waren rasch überbrückt. Das Eindringen in die Wolke selbst vollzog sich etwas langsamer, wenn auch nicht in so kleinen Sprüngen, wie sie die CHARR unter Colonel Huxley praktiziert hatte, als sie vor relativ kurzer Zeit erstmals das Innere von Nokil durchforschte. Die hochgezüchteten Schutzschirme der NogkFlotte kamen mit der homogeneren Materiedichte durchaus zurecht, wie sich trotz anfänglicher Befürchtungen herausstellte; es hatte keinen Ausfall gegeben. Kein Schiff war während der Transitionen verlorengegangen oder an einem ganz anderen Punkt als vorausberechnet bieder in den Normalraum zurückgekehrt. I^ie CHARR hatte en passant einen kleinen Abstecher zur Nova 173 unternommen, zu der McLanes Star geworden war, aber keine Spur mehr vom Schiffsfriedhof vorgefunden. Danach hatte sie sich wieder in den Verband eingereiht und kräftig dabei mitgeholfen, die desorientierten und ungenügend gedrillten und ebenso ungenügend bewaffneten! Kampf verbände des Kaiserhauses zu zerschlagen, die sich der Armada entgegenstemmten, als diese erstmals auf den Orterschirmen weit draußen patrouillierender Einheiten auftauchte und augenblicklich für heillose Verwirrung sorgte. Für die Dauer von drei Standardtagen war Charauas Rotte nur damit beschäftigt, den Weltraum in Richtung auf das Zentralsystem des Hauses der HitauraDynastie dessen Koordinaten man von Fettron erhalten hatte von Einheiten der kaiserlichen Rotte zu säubern. Auf ihrem Weg hinterließ sie nichts als Chaos, Schiffstrümmer und Wracks. Schließlich hatte es sich herumgesprochen, was da auf das Kaiserhaus zukam, worauf auch noch die letzten versprengten Reste der Ellipsenraumerflotte schon beim ersten Aufheulen der Alarmsirenen in alle Richtungen flohen, wo sie zur leichten Beute der weiter draußen lauernden NogkFregatten wurden. Unaufhaltsam hatte sich Charauas Armada dem CriusSystem und dessen drittem Planeten Quatain, Heimatwelt des Hauses Hitaura, genähert. Jetzt war sie nur noch siebzig Lichtjahre entfernt, angeordnet in der Wallformation, die den Fünf und Sechshundertmeterriesen die volle Konzentration ihrer Feuerkraft ermöglichte, ohne daß sie sich dabei gegenseitig gefährdeten. Huxleys CHARR befand sich in der Mitte der Formation »neben« Charauas Flaggschiff, der TALKARN. In der Zentrale der TALKARN saßen die uniform gelbgekleideten Meegs vor den Instrumenten und Sichtsphären; ihre Fühler vibrierten unter der angespannten Konzentration, mit der sie die hereinkommenden Signale überwachten und analysierten. Vor seinem Gliedersessel, direkt in Augenhöhe, hatte Charaua die Hauptsichtsphäre. Auf der tiefenräumlichen Sichtscheibe stan 174 den als stechende Lichtpunkte die Sterne. Die geringe Helligkeit, die von den Leuchtelementen erzeugt wurde, zusammen mit den verwirrenden Farben der vielen Kontrollen, ließ sämtliche Gegenstände in der Zentrale nur fahl und indirekt hervortreten. Charaua bewegte sich. »Nichts?« begehrte er zu wissen. »Nein«, antwortete der Nogk vor der Konsole der Funkdetektoren, und seine Fühler zuckten, während er steil aufgerichtet in seinem Gliedersitz saß. »Noch immer nichts. Auch nicht von der SILOON. Sie meldet keinerlei Funksprüche, auf keiner Frequenz und von keinem Planeten des Systems. Und keinerlei Anzeichen von feindlichen Schiffen.«
Charaua überlegte kurz. Die SILOON hatte eine Position inne, die weit vor der Flotte lag. Sie
diente quasi als Relaisstation für die Kommunikation mit Quatain, der Zentralwelt des
CriusSystems.
Teken, Chefpilot der TALKARN, bemühte sich, nicht allzu aufdringlich zu wirken, als er
seine fragenden Impulse an seinen Regenten richtete: »Man ignoriert offensichtlich unsere
Aufforderung zur bedingungslosen Kapitulation. Wollen wir nicht die restliche Distanz in
einem Sprung überbrücken, um ihnen zu zeigen, wie ernst wir es meinen, Erhabener?«
»Nein«, Charauas Fühler zuckten entschieden, »wir sollten schon eine gewisse Zeitperiode
verstreichen lassen, um ihnen Gelegenheit zu geben, über unsere Forderungen nachzudenken.
Wir werden ihre Entscheidung abwarten. Auch wenn es länger dauert. Schließlich will ein
Ultimatum wohldurchdacht sein.«
Teken fügte sich ohne weitere Einlassungen.
Charaua war das Staatsoberhaupt der Nogk; einmal von ihm gerällte Entscheidungen wurden
nicht in Frage gestellt. Der nogk^he Herrscher konnte sich der uneingeschränkten Loyalität
seiner Besatzung und seines Volkes erfreuen.
h diesem Moment kam die Antwort.
Sie fiel nur anders aus, als erwartet.
Die Orterwamung produzierte eine Folge von Signaltönen.
175
»Herrscher, wir messen Stmkturerschüttenmgen an.«
Charaua beugte sich aus seinem Gliedersitz etwas vor, als wolle er die auf der
Hauptsichtsphäre hereinströmende Datenflut besser in Augenschein nehmen.
Erneut ertönte der Alarm.
»Achtung! Objekte materialisieren aus dem Hyperraum, Sektor Zwölf!«
»Kein Irrtum, Mogon?«
»Die Parameter sind eindeutig.«
»Entfernung?«
»Fünfhundertdreißigtausend Kilometer! Es handelt sich um Schiffe des Imperators.«
»Hier haben wir die Antwort auf unser Ultimatum«, sandte Teken seine Impulse aus.
»Visuelle Darstellung«, befahl Charaua in das Verebben der Warnsignale. »Maximal
mögliche Vergrößerung!«
Auf dem Hauptschirm zeichneten sich vor dem Hintergrund der Sterne Kampfraumschiffe ab,
die den Sechshundertmeterriesen der Nogk in nichts nachstanden.
Die Datensequenz, die der Zentralrechner der TALKARN in die Hauptsichtsphäre
einspiegelte, gab ihnen exakt die Größe des Flaggschiffes. Die Wandungen waren von
Kuppeln und Aufsätzen außen angebrachter Offensivwaffensysteme übersät.
Immer mehr dieser Giganten traten aus dem Hyperraum aus. Schließlich formierten sich
insgesamt 300 der Kampfschiffe vor der wartenden Armada; eine Streitmacht, mit der man
etwas anfangen konnte.
»Bei den Nebeln von Charr!« rief Mogon, was einer stehenden Redensart unter dem Volk der
Hybriden gleichkam, mit der sie Überraschung, Erstaunen und eine Vielzahl anderer
Gemütszustände auszudrücken pflegten. »Wollen sie Selbstauflösung betreiben?«
Charaua ließ sich mit der CHARR verbinden.
»Fettron!« schickte er seine Signale über die Phase, als das In176
nere des Leitstandes von Huxleys Schiff auf der Nebensphäre erschien.
»Herrscher?« Wie selbstverständlich verwendete der GartanaRebell diese Anrede.
»Wen haben wir da vor uns? Es sieht mir nicht nach Einheiten der regulären Flotte aus.«
Wie Fettron ausführte, handelte es sich um einen Elite verband des Kaisers. Dreihundert
seiner besten Einheiten unter dem Kommando des Kampfkommandanten Keelon. Kleinere
Verbände dieser Spezialeinheit operierten vorwiegend in der Milchstraße und überwachten
die Sonnenstationen.
»Daß er sie erst jetzt einsetzt«, warf Huxley ein, »läßt den Schluß zu, daß sich Hitaura eine
Chance ausrechnet, doch noch mit heiler Haut davonzukommen.«
»Es wird ihm nichts helfen«, versicherte Charaua und schloß die Phase.
Er konzentrierte sich auf den Schirm, der inzwischen unter der Flut hereinströmender Daten
überzulaufen schien. Die virtuelle, rechnererzeugte Situationsanalyse zeigte mit winzigen,
grün und blau pulsierenden Dreiecken die Positionen aller Schiffe an, die der eigenen wie
auch die des Gegners.
In diesem Moment griffen Keelons Einheiten an.
Es gab keinerlei Vorwarnung.
Sie hatten blitzschnell ihre Positionen relativ zum Raum verändert und eine
Halbkugelformation eingenommen. Nichts war effektiver, wenn es um maximale Feuerkraft
ging. Schiffe in einem derartigen Verbund konnten zwar keine komplexen Flugmanöver
ausführen und waren gezwungen, sich relativ geradlinig zu bewegen, dafür aber in der Lage,
aus jedem Anflugwinkel ununterbrochen auf ihre Ziele feuern zu können.
Es war eine Taktik, mit der man große Verbände, nach allen Leiten feuernd, durchdringen,
auf der anderen Seite wenden und bieder zurückfliegen konnte, um so möglichst viele Gegner
zu ^rstören.
177
Dennoch, es handelte sich nur um 300 Schiffe, die den Versuch unternahmen, einen Gegner
anzugreifen, der ihnen um den Faktor 33 zahlenmäßig überlegen war. Aber dessen
Überlegenheit bestand nicht nur zahlenmäßig, wie sich bald herausstellen sollte, sondern auch
in puncto Kampftechnik und Waffentechnologie.
»An alle Einheiten«, befahl Charaua, »Formation öffnen und angreifen. .. auf meinen Befehl...
jetzt!«
Die in einer Wallformation befindliche Armada Charauas glitt auseinander, teilte sich und
bildeten zwei Klauen von je fünfhundert Einheiten, die die Schiffe des Gegners von beiden
Seiten her umklammerten und in die Zange nahmen.
Die TALKARN bewegte sich vom Zentrum des Angriffsvektors aus gesehen an der Spitze
einer Klaue und bekam folglich auch ziemlich früh den ersten Feindkontakt. Gleich die erste
Salve saß genau im Ziel. Den modernen Waffen von Charauas Flotte hatten die
Schutzschirme der kaiserlichen Schiffe nichts entgegenzusetzen.
Ein gegnerischer Ellipsenraumer, die Hecksektion grell beleuchtet von lodernden Bränden der
entweichenden Atmosphäre, trieb in gerader Linie auf die TALKARN zu.
Noch ehe sich Charaua einen Reim darauf machen konnte, jaulte die Kollisionswarnung
durch sämtliche Decks des Ellipsoids.
»Die wollen uns rammen!« kam ein erschrockener Impuls von Mogon.
Teken vollführte ein Ausweichmanöver, das die TALKARN aus der Flugbahn des
gegnerischen Schiffes brachte, wobei ihre Strahlkanonen auf der Steuerbordseite gleichzeitig
zwei andere Ellipsenraumer in Trümmer schössen.
Auch die übrigen Einheiten Charauas blieben nicht untätig.
Gegnerische Schiffe wurden getroffen; während die Detonationen in ihrem Innern sich
ausbreiteten, zerbarsten die Druckhüllen in Teile und zerstoben schließlich in Fragmente*
Ein Alarm.
Laut und schrill.
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»Schiff auf Annäherungskurs«, signalisierte Mogon.
»Entfernung zweihundert Kilometer«, verkündete der taktische Meeg. Dann: »Sie sind direkt
neben uns!«
»Bei den Geistern des Alls...« entfuhr es Charaua. Mit starr abstehenden Fühlern starrte er auf die seitlichen Felder der Allsichtsphäre und die sich darin entfaltenden Ortungsdaten. Eine Annäherung auf diese kurze Distanz war ein selbstmörderisches Unterfangen, wobei der, der solche Manöver flog, von vornherein die eigene Vernichtung mit einkalkulierte. Wieder ein Alarm. »Achtung! Der Angreifer richtet seine Waffenphalanx aus.« Charaua warf einen Blick auf den Statusschirm, auf dem die stilisierte Abbild der TALKARN von einem blauen Feld eingehüllt war. Die Defensivschilde waren in voller Stärke aktiviert. Dann sah er auf seinen Taktischen Offizier. »Feuerfrei...« Noch ehe die eigenen, balkendicken Energiestrahlen die Abstrahlpole verließen, traf die geballte Kraft einer vollen Breitseite die TALKARN und brachte ihre Abwehrschirme für die Dauer eines Fühlerzuckens zum Fluktuieren. Unmittelbar danach bewegten sich die grellblaue Lichtfluten aus den eigenen Waffenkuppeln auf den Feind zu und ließen ihn in einem Feuerwerk zerbersten. »Transition?«< wollte Teken wissen, und verzichtete, wie die anderen, auf Lautäußerungen. Nichts war schneller als der Gedanke; vor allem in Situationen wie dieser. »Nein«, sträubte sich Charaua. »Auch ich habe, genau wie jeder einzelne die Pflicht, meine Kraft für die Sache des Volkes in die Waagschale zu werfen.« »Herrscher«, wandte Teken ein, der als Pilot gleichzeitig auch Erster Offizier und damit an Bord der TALKARN an zweiter Stelle ^nter Charaua stand. »Diese Pflicht kannst du nicht erfüllen, wenn w ein Leid geschieht. Deine Unversehrtheit hat Vorrang vor deinem verständlichen Wunsch, an den Kämpfen teilzuhaben. Ich 179 kann es nicht verantworten, daß dir Schaden zugefügt wird. Wir ziehen uns aus den aktiven Kampfhandlungen zurück. Ich folge dabei nur den Anordnungen des Rates, die du übrigens selbst als bindend anerkannt hast.« Charaua senkte kurz die Fühler. Dann kamen seine Impulse. »Wir ziehen uns aus dem Kampf geschehen zurück, Teken. Bringe das Schiff in eine Überhöhung, von der aus ich den weiteren Verlauf beobachten kann.« »So soll es geschehen. Erhabener.« Flankiert von zwei Fünfhundertmeterraumem, die Teken zur Absicherung angefordert hatte, nahm die TALKARN Fahrt auf und suchte sich eine Position, von der aus das Geschehen verfolgt werden konnte, auf der aber keine unmittelbare Gefahr bestand, erneut in Kampfhandlungen verstrickt zu werden. Charaua verfolgte den weiteren Verlauf der Schlacht auf der Sichtsphäre seiner Konsole, während er über die offene Vielfrequenzphase der Hauptkommunikation den Anordnungen und Befehlen seiner Kapitäne lauschte, die wie fernes Geflüster an seine Fühler drangen. Die Kampfhandlungen waren so plötzlich zu Ende, wie sie begonnen hatten. Die Überlebenden des kaiserlichen Eliteverbandes ~ sieben von Hüllentreffem geschwärzte und halb zerschossene Ellipsenraumer flohen mit höchster Geschwindigkeit aus dem Sektor und in die Leere zwischen den Sternen. »Verfolgen, Herrscher?« drang es aus der Phase vor Charauas Kommandantenkonsole. »Nein«, ordnete Charaua an. »Haben wir Verluste erlitten?« »Nein. Fünf Schiffe sind nur noch bedingt einsatzfähig und scheren aus. Totalverluste gab es keine«, kam die prompte Antwort, und Stolz schwang in ihr mit. Charaua atmete tief durch. »Sammeln und vorherige Formation wieder einnehmen.« Dann richtete er seine Impulse an Mogon: »Ein letzter Hyperfunkspruch nach Quatain. Mache dem Haus
180 Hitaura klar, wenn nicht binnen einer Frist von zwei Standardstunden eine Antwort auf unser Ultimatum erfolgt, sähen wir uns veranlaßt, das CriusSystem zu ockupieren und den Kaiser zum Rücktritt zu zwingen.« Offensichtlich war die Kunde der totalen Niederlage seiner Eliteeinheit bereits bei ihm eingegangen, denn unmittelbar nach der ultimativen Aufforderung Charauas kam die Zusage Hitauras IX., ins Exil zu gehen. Die TALKARN schwebte in der Mitte des riesigen Landefeldes, das sich vor dem Kaiserpalast erstreckte. Eigentlich handelte es sich um das Aufmarschareal für die Paraden, die zu Ehren des Kaiserhauses abgehalten wurden, ließ sich aber auf Grund seiner Größe und Weitläufigkeit gut für das zweckentfremden, was Charaua demonstrieren wollte: absolute Macht. Der Sechshundertmeterriese mit seiner golden schimmernden Druckhülle senkte sich aus dem Himmel über der kaiserlichen Metropole Jazmur langsam auf den vorgesehenen Landeplatz herab. Er konnte es unbesorgt tun; die Flotte Hitauras IX. existierte nicht mehr. Außerdem kreiste über ihr, gleich außerhalb der Atmosphäre, ein kleines Kontingent Schlachtschiffe im geosynchronen Orbit, falls doch noch eine versprengte Einheit auftauchen und in absoluter Verkennung der Lage einen Angriff fliegen würde. Die TALKARN ließ die Landestützen ausfahren und setzte mit einem wohldosierten Stoß auf, der die Gebäude in weitem Umkreis erbeben ließ. Die Landerampe wurde ausgefahren. Schwerbewaffnete Nogk in schwarzen Kampfausrüstungen verließen in Gruppenformation das Schiff und nahmen in langen Reihen neben der Rampe Aufstel^g. Die Zurschaustellung der kriegerischen Präsenz diente als Vorbereitung für Charauas Auftritt. Aus der Höhe kam ein Heulen, und Huxleys CHARR senkte sich 181 auf das Landefeld in unmittelbarer Nachbarschaft der TALKARN. Das Portal der Schleuse gähnte auf, die Rampe berührte den Boden, und über die Gleitfläche verließen nur Huxley und Fettron die CHARR. Sie durchschritten den Schatten, den das Fünfhundertmeterellipsoid warf, traten hinaus ins Sonnenlicht und liefen die kurze Strecke hinüber zur Rampe der TALKARN. Sie kamen genau zu dem Zeitpunkt an, als Charaua die Schleuse verließ und über die Gleitfläche herabkam. Wie vorgesehen, trug er ebenfalls nur eine schwarze Kampfausrüstung mit dem Emblem des NogkImperiums auf der Brust. Wie immer zog es Charaua vor, als Gleicher unter Gleichen aufzutreten. Huxley und Fettron setzten sich in Bewegung, um ihn zu begrüßen. Der Colonel sah sich von den dunklen Facettenaugen des Oberhauptes der Nogk prüfend fixiert. »Huxley. Fettron.« Es war eine völlig wertfreie Aussage. »Sollen wir anfangen?« Der Terraner holte tief Luft und nickte. »Beginnen wir«, sagte er. Sie liefen die weiten Stufen zum Eingang des Palastes hinauf. Vorneweg marschierte ein Trupp Nogksoldaten, die Fühler starr in angespannter Konzentration. Die Blicke ihrer Facettenaugen wanderten rastlos umher, um rechtzeitig Gefahrenherde ausfindig zu machen. Ihre Waffen hielten sie feuerbereit in den Händen. Dann kamen Charaua, Huxley und Fettron. Dahinter wieder ein Trupp Kämpfer, ausgebildet in allen Disziplinen, mit denen man ein Wesen vom Leben zum Tod befördern konnte wenn es erforderlich war auch ohne jegliche Waffe. Es war die persönliche Leibwache Charauas, wenngleich er diese Tatsache, überhaupt eine Leibwache zu besitzen, nur ungern zur Kenntnis nahm. Dazu kamen Spezialisten, die die
Wände der Räume, durch die sie marschierten, einer intensiven elektronischen Abtastung unterziehen würden, um sicherzugehen, daß keine für 182 einen Anschlag geeigneten Mechanismen oder andere heimtückischen Sprengfallen dahinter verborgen lagen. Auf der obersten Stufe des Palastes, vor dem weitgeöffneten Portal, erwartete sie eine Abordnung von drei blauen Nogk in schwarzen, wallenden Gewändern und mit weiten Kapuzen über den chitinbewehrten Schädeln. »Ihr erlaubt«, richtete der mittlere seine Gedankenimpulse an die Delegation aus der fernen Milchstraße, »daß ich euch unsere Namen kundtue. Ich bin Brabban, dies sind Süll und Marr. Wir sind die persönlichen Adjutanten des Imperators und geleiten euch zu seiner Herrlichkeit, dem unvergleichlichen Hitaura IX.« Huxley verzog das Gesicht. Charauas Impulse wirkten völlig indifferent. »Dann führe uns zu Hitaura«, ließ er verlauten und machte eine Bewegung mit seiner Reptilienhand, als einer seiner Kämpfer sich zwischen ihn und die Blauen stellen wollte, um den NogkHerrscher abzuschirmen. Sie mußten gehen im Innern des Palastes; die Gleitbänder waren deaktiviert oder ausgefallen. Der Klang ihrer Schritte brach sich an den Wänden und schuf eine seltsam ungewohnte Geräuschkulisse. »Was denkst du, Freund Huxley«, sandte Charaua Signale an ihn, »ob er Wort hält?« »Wir werden sehen«, erwiderte der Colonel. »Dieser Kaiser hat Überraschend schnell kapituliert. Entweder ist er ein kluger Monarch was ich bezweifle, nach allem, was uns Fettron über die Dynastie der Hitauras berichtet hat oder er heckt noch irgendeine letzte Schweinerei aus. Ich tendiere zu letzterem.« »Wir werden sehen«, übernahm der NogkHerrscher Huxley s Worte. »Meine Kämpfer sind jedenfalls auf alle Eventualitäten vorbereitet.« Die Delegation der Nogk, die zur Entmachtung des Imperators gekommen war, marschierte mit hallenden Schritten durch die langen und breiten Gänge. 183 Die Hure, durch die sie kamen, waren leer, niemand stellte sich ihnen in den Weg. Die wenigen Getreuen des Kaiser hatten sich in alle Winde zerstreut. Was noch in den Garnisonen rings um die Palastanlagen vorhanden gewesen war, hatte Charauas Elitekämpfem kein Paroli bieten können. Die meisten waren Hals über Kopf geflüchtet oder starben für ihren Kaiser im sinnlosen Widerstand gegen die Übermacht der nogkschen Landetruppen, die das Terrain für das Finale vorbereiteten. Immer noch durchkämmten Charauas Truppen die Stadt und machten jedem weiteren Widerstand ein Ende. Dennoch begann Huxley unruhig zu werden. Es ging ihm zu glatt. Er war sich fast sicher, daß ihnen allen noch eine Überraschung bevorstand. Auf ihrem Weg fuhren hin und wieder Türen auf, und Palastbedienstete schauten erschrocken auf die Abordnung der schwerbewaffneten Nogk in ihrer martialischen Aufmachung. Winzige Handbewegungen Brabbans und der anderen beiden Adjutanten des Kaisers scheuchten sie augenblicklich wieder in die Räume zurück. Es geht zu schnell, dachte Huxley wieder und hielt seine Gedanken verborgen. Zu schnell und w reibungslos. Schließlich hielt Brabban vor einer hohen, zweiflügeligen Tür an. Seine Hände stemmten sich gegen eine bestimmte Stelle, das Portal schwang auf. Dahinter... Huxley hatte erwartet, den Thronsaal vorzufinden. Statt dessen...
Der Raum war gewaltig.
Ja.
Aber kein Thronsaal. Er ähnelte mehr einem wissenschaftlichen Labor. Voller Instrumente,
Sichtsphären und aller Arten von Kontrollvorrichtungen. An den Wänden zwischen den
deckenhohen Fenstern befanden sich Monitorkonsolen. Huxley ließ seinen Blick
184
Tandem. In der Mitte des Raumes gab es vier an den Eckpunkten eines Rechtecks
angeordnete Konsolen.
Die Mitte des Raumes war vom Halbkreis einer Steuerkonsole dominiert. In der Ausbuchtung
dahinter saß Hitaura IX. Er war alt, ganz am Ende seines vierten Lebensjahrhunderts,
wahrscheinlich eher darüber, vermutete Huxley. Regenten hatten ja viele Möglichkeiten,
lebens verlängernde Manipulationen an sich vornehmen zu lassen. Die gebeugte Gestalt, für
die der Libellenschädel viel zu groß und zu schwer schien, war von einer weißen, mit viel
Gold durchwirkten Tunika umhüllt, die über der Brust auseinanderfiel und eine stumpfblaue,
schuppige Lederhaut zeigte. In seinen trüben Facettenaugen spiegelte sich das durch die
Fenster fallende Sonnenlicht. Die Fühler bewegten sich wie schwarze Schlangen. Nur seine
Stimme war ungebrochen, zeugte von der Machtfülle, die auszuüben er gewohnt war
»Nur zu! Tretet ein! Genießt euren Triumph, den letzten Kaiser einer glorreichen Dynastie in
die Verbannung zu führen! So wie ich meinen Triumph genießen werde. Ein letztes Mal.«
Triumph? Ein letztes Mal? Wovon sprach der Kaiser?
Huxley, noch immer damit beschäftigt, den Zweck dieses Raumes herauszufinden, verspürte
einen Schauder. Dann kroch Kälte zwischen seinen Schulterblättern hoch. Kontrollstation,
dachte er auf einer Ebene seines Geistes, zu der nur er Zutritt hatte. £'5' ist eine
Kontrollstation!
Aber wofür?
Ob der Kaiser von hier aus die Geschicke seines zugegeben inzwischen nicht mehr
vorhandenen Reiches gelenkt hatte?
Und dann schien es ihm, als wären sie eine Person weniger im Raum. Seine Blicke irrten zur
Seite. Nein, er mußte sich irren. Niemand hatte den Raum verlassen. Dennoch war ihm, als
fehlte...Fettron!
Er konnte jedenfalls seine Präsenz nicht mehr wahrnehmen, ob^hl er ihn sah! Wie konnte
das...
Seine Gedanken stockten.
185
Und im gleichen Moment sah er, wie der Rebellenführer die Waffe hochriß und feuerte.
Ein flirrender Energiestrahl griff nach Kaiser Hitaura IX, der sich nach vom gebeugt hatte und
etwas auf der Kontrolltafel betätigen wollte. Der Strahl drang in seine Brust, ging durch ihn
hindurch und mit einer winzigen Bewegung der Hand schnitt ihn Fettron in zwei Teile, die
langsam auseinanderglitten.
Die HitauraDynastie hatte aufgehört zu existieren.
Ein für allemal.
Huxley schluckte, während sich ein ätzender Geruch breitmachte.
»Er war dabei, die Sonnenstation zu aktivieren, die er in der Korona von Crius deponieren
ließ«, ertönte die semitelepathische Botschaft Fettrons in Huxleys Kopf. »Er hätte uns und das
ganze System mit sich in den Untergang gerissen. Dies hier«, Fettrons Fühler machten eine
geistige Bewegung, die den Raum einbezog, »ist eine der Zündstationen, wie es sie in den
meisten SySternen innerhalb Gartanas gibt, zumindest im Einflußbereich der Dynastie. Ich
erkannte die Anordnung rechtzeitig genug. Hitaura war so damit beschäftigt, sein Vorhaben
vor uns zu verbergen, daß es mir meinerseits gelang, meine Impulse vor ihm
geheimzuhalten.«
»Zum Glück!« bekannte Huxley und seufzte vernehmlich.
»Es ist wahr«, gestand Charaua ein, und seine Fühler sandten irritierende Impulse aus. »Selbst
ich habe für einen Augenblick nicht erkannt, was Hitaura zu tun im Begriff war. So alt er war,
so gerissen und verschlagen war er.«
Frederic Huxley straffte seine Gestalt. »Ist es jetzt vorbei?«
Charaua bejahte.
»Es ist vorbei«, erreichten ihn die Impulse Charauas über sein Implantat. »Der uralte Feind
ohne Gesicht ist endlich besiegt. Nun können wir uns wirklich sicher fühlen. Können in die
Zukunft schauen, ohne befürchten zu müssen, daß seine Schiffe über unseren Welten
auftauchen und uns zwingen, erneut die Flucht zu ergreifen.« /
186
10. Wie ein Schwärm Kleinstmeteoriten jagten die Aufklärungssonden in das Sonnensystem. »Gesst.« Unwillkürlich sprach Ren Dhark den Namen der aus dem Weltraum grünschimmernden Kugel aus, die im Mittelpunkt des Interesses der von Gisol ausgeschickten Sonden stand. Mit diesem Namen war sie, neben einer numerischen Kennung, in Dharks Liste verzeichnet. Es handelte sich um den einzigen Planeten des Systems, der zudem in der eng bemessenen Lebenszone lag eine recht selten anzutreffende Konstellation. Die Ortungseinrichtungen der EPOY arbeiteten auf Hochtouren, weil damit gerechnet werden mußte, in eine Falle der Zyzzkt zu fliegen. Doch diese Befürchtung erwies sich als unbegründet, zumindest auf den ersten Blick. »Keine Schiffe weit und breit«, brachte Gisol die Meßergebnisse auf den Punkt. »Weder Ringraumer der Wimmelwilden, noch andere bekannte oder unbekannte Einheiten.« Trotzdem war der Rebell der Mysterious vorausschauend genug, das Flaggschiff seiner kleinen Flotte unter vollem Tarnschutz zu belassen. Erstens konnte sich die Lage urplötzlich ändern, zweitens hatte niemand an Bord eine Ahnung, wie es auf dem Planeten aussah. Auch wenn Gesst nach den Femortungen verlassen schien, bedeutete das keine Garantie. Sich in trügerischer Sicherheit zu wiegen konnte rasch zum fata^n Verhängnis werden. »Dabei handelt es sich um eine Welt, die Epoy ähnelt«, über^te Ren. »Also erfüllt sie sämtliche Auswahlkriterien, die die 187 Zyzzkt für eine Besiedelung beachten.« Das waren nicht viele, wie inzwischen bekannt war. Wenn ein Planet einigermaßen wohnlich war, nahmen die Insektoiden ihn in Besitz. Aufgrund ihrer horrenden Vermehrungsraten blieb ihnen kein großer Entscheidungsspielraum. Sie mußten nehmen, was sich ihnen bot, unbewohnt oder nicht. Und doch gab es ganz neue Erkenntnisse. Welten, die anscheinend perfekte Bedingungen boten, waren von den Zyzzkt angeflogen, untersucht und unverrichteterdinge wieder verlassen worden. Auf einer von ihnen konnten die Insektoiden nicht überleben. Weil es auf ihr einen Faktor gab, der sie, die sie doch so anpassungsfähig waren, in ihre Schranken wies. Der chitinzerstörende Sporenpilz, dachte der weißblonde Terraner. Der für die Zyzzkt so verderbliche Pilz, dem sie aus dem Weg gehen mußten, weil er ihre Existenz gefährdete.
Doch auf den anderen nicht genutzten Welten hatten sie keinen Hinweis auf ihn gefunden. Und auch in Gisols Datei über die ungenutzten Welten war die mit den Sporen mit einer völlig eigenständigen Kennung versehen. »Eine mediterrane Sauerstoffwelt«, riß ihn Gisol aus seinen Gedanken. Er nahm die Meßergebnisse begierig in sich auf. Auch ihm waren die Ähnlichkeiten mit seiner Heimat aufgefallen. »Allerdings wesentlich stärker ausgeprägt als bei uns zu Hause.« Die Welt vor ihnen umkreiste zudem eine blaue Sonne ähnlich Epoys Zentralgestim Foru. Der Ringraumer näherte sich dem Planeten in dessen Bahnebene, während die Sonden unablässig Datenströme lieferten, die vom Hyperkalkulator in Gedankenschnelle ausgewertet und gespeichert wurden. Gisol beschränkte sich auf die Kenntnisnahme der Informationen, die für eine bemannte Landeexpedition vorrangig waren. »Das Luftgemisch ist sowohl für Worgun als auch für Menschen bestens geeignet.« Und somit leider auch für die Massenvermeh' r er, fügte er in Gedanken hinzu. »Auf dem gesamten Planeten 188 herrscht das gleiche Klima, offenbar das ganze Jahr über.« »Eine wirksame Wetterkontrolle«, folgerte Manlius, der Römer, der sich wie die Cyborgs Amy Stewart und Lati Oshuta ebenfalls in der Schiffszentrale aufhielt. »Offenbar äußerst effektiv. Sie kann seit einem Jahr arbeiten oder auch seit tausend.« Inzwischen kamen die ersten Nahaufnahmen herein und verfeinerten das Bild, das sich die so unterschiedlichen Wesen in der Zentrale der EPOY machen konnten. »Dem Zustand des Urwaldes nach gibt es diese Wetterkontrolle schon lange. Er paßt nämlich zu den Gegebenheiten mediterranen Klimas«, dozierte die CyborgFrau. »Ansonsten wären die Ausprägungen in Äquatomähe durch tropisches und subtropisches Klima die eines Dschungels.« »Was einen wesentlich unangenehmeren Fußmarsch bedeutet, wenn man da durch muß.« »Zumindest für alle NichtCyborgs«, warf der in Tokio geborene Oshuta ein. Als zweitem AllroundCyborg machten ihm erschwerte Umweltbedingungen natürlich nichts aus. »Zumal dieser Urwald sich ausschließlich im Bereich des Äquators erstreckt.« Insgesamt besaß er eine Ausdehnung von etwa einer Million Quadratkilometer. Ansonsten zeigten die Ausschnittsvergrößerungen der Planetenoberfläche riesige Naturparks. Waldstücke wechselten sich in lockerer Folge mit Wiesen und Heiden ab. Die drei Meere, von denen lediglich zwei miteinander verbunden waren, waren von geringerer Ausdehnung als die Landmassen. Dafür gab es unüberschaubare Seenplatten und eine Vielzahl von Flüssen, die die Meere speisten. In der Bildkugel jagten Landschaftsaufnahmen dahin, die den Eindruck erweckten, die EPOY selbst flöge durch die unteren Atmosphäreschichten des Planeten. Immer stärker machte er den Anschein einer das ganze Jahr über buchbaren Urlaubswelt. Bewohnt allerdings wirkte er nicht. Es gab weder Städte noch Ueinere Ansiedlungen. »Wenn es tatsächlich eine Wetterkontrolle gibt, ist sie gut ver 189 steckt«, überlegte Ren Dhark. Er ließ sich kein Detail der Übertragungen entgehen. Schließlich brauchten sie einen Anlaufpunkt für eine Landung. Aufs Geratewohl durch die Natur zu streifen, würde ihnen keine Erkenntnisse bringen. »Vielleicht unterirdisch.« Was bei den technischen Möglichkeiten der Worgun und der Zyzzkt, die sie dereinst von den Gestaltwandlem übernommen hatten, eine logische Schlußfolgerung war. Doch noch hatte man erst einen Bruchteil der Planetenoberfläche gesehen.
»Selbst dann müßten sich energetische Emissionen anmessen lassen. Aber da ist nichts, nicht die geringste Signatur.« »Auch das ist möglich. Dein Tarnschutz läßt ja auch nichts durch. Vielleicht sind technische Einrichtungen und Energieerzeuger dort unten ähnlich gut abgeschirmt.« Gisol brummte eine unverständliche Antwort vor sich hin. Die Erklärung erschien ihm nicht besonders einleuchtend,dennoch konnte er die Möglichkeit nicht ausschließen. »Da!« riefAmy Stewart plötzlich. »Seht ihr das?« Einmal mehr bewunderte Ren ihre geschärften Sinne und ihre Reaktionsschnelligkeit. Er selbst hätte auch jetzt, da sie darauf hinwies, und obwohl er hochkonzentriert war, nicht mehr als einen verwaschenen, dunklen Fleck gesehen. Dabei war es viel mehr. Gisol reagierte und instruierte eine der Sonden zu einem Schwenk. Sie verringerte ihre Geschwindigkeit und zog mehrere, stetig kleiner werdende Kreise über dem entdeckten Objekt. Der Worgun in der Gestalt von Jim Smith gab einen erstaunten Laut von sich. Ren konnte ihm seine Überraschung nicht verdenken. Inmitten des umgebenden Grüns stand eine wunderschöne, palastähnliche Anlage. Obwohl sie gut erhalten war und keine Zeichen von Zerfall trug, war ihr hohes Alter nicht zu übersehen. Von fiebriger Erregung ergriffen, dirigierte Gisol die Sonde tiefer. Sie stieß durch dichtbelaubte, sattgrüne Baumkronen, in denen Schwärme exotischer Vögel im sanften Wind schaukelten. Di^ 190 Toüübermittlung übertrug ihr aufgeregtes Zwitschern, aber sie machten keine Anstalten, sich in die Luft zu erheben und das Weite zu suchen, als die sirrende Sonde sie in nächster Nähe passierte. »Anscheinend haben diese Vögel keine natürlichen Feinde«, sagte Manlius nachdenklich. »Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß sie allein auf dieser Welt leben.« Amy Stewart warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. »Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß sie es waren, die eine Wetterkontrolle installiert haben.« »Raumkoller?« konterte der Römer trocken. Wie immer wirkte er an Bord eines hochmodernen Raumschiffs der Neuzeit in seiner weißen Toga und den Riemensandalen wie ein Anachronismus. In seinem Gesicht arbeitete es. »Ich wollte nur daraufhinweisen, daß diejenigen, die die Wetterkontrolle geschaffen haben, Gesst vermutlich längst wieder verlassen haben.« »Darauf deutet alles hin, außer dem guten Erhaltungszustand des Bauwerks. Wenn schon nicht zerfallen, müßte es doch zumindest von Gras oder anderen Pflanzen bewachsen sein.« Aber davon war nichts zu sehen. Gisol ließ die Sonde einen weiteren Schwenk vollführen. Sie lieferte Aufnahmen des Palastes von allen Seiten. Die großzügige Architektur umfaßte säulengetragene Arkadengänge zwischen eindrucksvollen Gebäudetrakten. In der Sonne schimmernde, nach oben hin abschließende Steinkuppeln schienen durch die kühne Bauweise nicht mit den sandbraunen Gebäuden verbunden, sondern geradewegs über ihnen zu schweben. Was natürlich nur eine optische Täuschung war, die die künstlerische Kreativität der lange vergessenen Baumeister belegte. Der Worgun verspürte einen wärmenden Impuls, als die Ahnung dessen, was er sah, in ihm übermächtig wurde. Ren betrachtete ihn aufmerksam. Ihm entging Gisols Aufregung rieht, auch wenn er versuchte, sie zu verbergen. »Da ist doch noch etwas anderes, was du uns sagen willst.« 191 Gisol winkte in menschlicher Manier ab. »Vielleicht täusche ich mich«, murmelte er und widmete sich den Kontrollen des Kommandopults.
Statt weitere Erklärungen abzugeben, konzentrierte er sich auf die anderen Sonden. Sie waren in verschiedene Richtungen ausgeschwärmt und flogen ein weitmaschiges Gitterwerk um Gesst, was ihre Effizienz erhöhte. Trotzdem waren sie für eine vollständige Planetenerkundung wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Gisol spielte mit dem Gedanken, weitere Sonden zu ihrer Unterstützung zu starten, entschied sich aber dagegen. Auch wenn sie lediglich minimale Energieemissionen streuten, war das Vorhandensein leistungsstarker Sensoren, die ebenso verborgen waren wie die Wetterkontrolle, nicht auszuschließen. Lieber verlor er weitere Zeit, als durch seine Ungeduld die Anwesenheit der EPOY zu verraten. Der Ringraumer schwenkte unterdessen in eine Umlaufbahn um den Planeten ein. Immer noch ließen sich keine anderen Raumschiffe in mehreren Lichtjahren Umkreis anmessen. Doch darauf achtete Gisol nicht. Beim Anflug oder der Transition von anderen Schiffen würde der Hyperkalkulator augenblicklich Alarm auslösen. Gisol ließ den Blick nicht von den Übertragungen der Planetenbeobachtung. Mit raschen Befehlsfolgen programmierte er die ausgeschwärmten Sonden speziell auf das Aufspüren weiterer Bauwerke. Es dauerte nicht lange, bis er eine weitere Entdeckung bestätigt bekam. Der Palast, der sich in der Bildkugel zum Greifen nahe präsentierte, ähnelte dem ersten bis auf marginale Abweichungen. Diesmal gab es keinen Zweifel mehr. Gisol stieß einen Seufzer aus, der seine Ergriffenheit demonstrierte und die Blicke seiner versammelten Begleiter auf sich zog. »Also stimmt es«, sagte Ren Dhark. »Dir sind diese Bauwerke bekannt.« »Ja«, bestätigte Gisol, und in seinem Jim SmithGesicht zeich 192 nete sich ein bewegtes Lächeln ab. »Ich kenne sie. Sie ähneln den kaiserlichen Palästen aus grauer Vorzeit. In der Tat ähneln sie ihnen sogar viel zu sehr, um einen Zweifel zuzulassen. So sahen die Kaiserpaläste der ruhmreichen worgunschen Vorzeit aus.« »Dann war Gesst einmal von Worgun bewohnt?« »Nicht unbedingt.« Anhand der astronomischen Position versuchte Gisol in den Datenbanken einen Hinweis auf diesen Planeten zu finden, sah aber rasch ein, daß seine Bemühungen sinnlos waren. Gesst war, auch unter anderem Namen, in keiner Datei erwähnt. »Jedenfalls gibt es keinen Beweis dafür.« Doch das war nicht ungewöhnlich. Schon mehrfach hatte sich gezeigt, daß Welten, die früher von Worgun besiedelt oder erschlossen waren, im Laufe der Zeit vergessen worden waren. Gisol hielt es sogar für möglich, daß es in entlegenen Winkeln der unüberschaubaren Sterneninsel Om Planeten gab, auf denen noch Worgun lebten, die sich längst nicht mehr an ihre Herkunft erinnern konnten an die sich andererseits aber auch kein Bewohner der Heimatwelt mehr erinnerte, weil die Koordinaten in den Kriegswirren verlorengegangen waren. Bevor Ren weiter darüber nachdenken konnte, machte eine des Sonden eine weitere Entdeckung. Alle in der Zentrale Versammelten starrten auf die goldene Riesenstatue. Sie stellte einen Zyzzkt dar. Einen Zyzzkt ohne Gesicht. Die Gesichtslosen! Unwillkürlich dachte Ren Dhark an die Geschichte, die er von Gisol erfahren hatte. An die Geschichte über die goldenen Gestaltwandler, die sich Balduren nannten und die Worgun angeblich vor beinahe unendÜch langer Zeit nach ihrem Ebenbild erschaffen hatten. 193
Sie hatten kein Gesicht gehabt, einander also nicht aufgrund ihrer Erscheinungsform erkennen können, wie das Worgun taten. Deshalb hatten die goldenen Statuen kein Gesicht. Doch wozu wurde ein Zyzzkt auf diese Weise abgebildet? »Den möchte ich mir aus der Nähe ansehen«, sagte er. »Keine energetische Aktivität«, stellte Gisol fest. »Die Statue ist inaktiv.« Aber jedem war klar, daß sich dieser Zustand von einem Moment auf den anderen ändern konnte. Sie hatten es erlebt. Besonders dem zuweilen übervorsichtigen Worgun behagte diese Vorstellung ganz und gar nicht. »Wie sieht es mit Lebenszeichen aus?« fragte Manlius. »Davon gibt es eine Menge«, antwortete Gisol mit einem Blick auf die Anzeigen. »Allesamt tierischen Ursprungs. Intelligentes Leben kann ich nicht feststellen.« Dafür entdeckten die Sonden, bevor Gisol sie zum Ringraumer zurückbeorderte, weitere der palastähnlichen Bauwerke. In großen Abständen waren sie über den gesamten Planeten verstreut, fast immer idyllisch inmitten ausufernder Grünanlagen gelegen, versteckt beinahe. Zweifellos entstammten sie alle dem gleichen Zeitalter, worüber eine Reihe einfacher Zerfallsuntersuchungen der Baustoffe eindeutigen Aufschluß gab. »Du willst mit deinem getarnten Spezialflash landen?« Gisol bejahte. »Er ist der einzige, mit dem eine unbemerkte Landung garantiert ist. Die EPOY will ich nicht in Gefahr bringen.« Zwar hatte er noch mehr Flash an Bord, aber da er bisher immer allein unterwegs gewesen war, hatte er nur den einen mit der besonders effektiven Tarnung versehen, die ihn gegen Fremdortuüg nahezu immun machte. »Das bedeutet wieder eine Zweimannmission«, beschwerte sich Manlius. »Ich bin dagegen, daß Sie und Gisol sich wieder allein in Gefahr begeben, Dhark. Auch wenn Gesst bisher harmlos erscheint, rate ich zu Vorsichtsmaßnahmen.« 194 Ren hatte den gleichen Gedanken gehabt, aber der Römer war ihm mit seinem Einwurf zuvorgekommen. Er nickte bedächtig. Auf eine der geforderten Vorsichtsmaßnahmen wollte er diesmal auf keinen Fall verzichten. Ohne daß die anderen es bemerkten, suchte er einen kurzen Blicckontakt mit Amy Stewart. »Wir werden einen Cyborg zur Unterstützung mitnehmen«, bestimmte er. »Da der Flash aber nur zwei Personen auf einmal befördern kann, sind ohnehin zwei Flüge nötig. Es kann also noch jemand mitkommen. Manlius?« »Ich bestehe darauf«, bestätigte der Römer. »Dann sollten wir aufbrechen.« Die CyborgFrau drehte sich demonstrativ um, um die Schiffszentrale zu verlassen. Ren nickte und machte sich daran, ihr zu folgen. »Einen Moment mal!« hielt ihn Lati Oshutas fordernde Stimme zurück. »Bei allem Respekt, Commander, aber so geht das nicht.« »Einwände, Lad?« »Allerdings, Sir. Sicher, jeder will mal auf einen Außeneinsatz, und es liegt mir fern, mich aufzudrängen.« Der Japaner nickte Stewart entschuldigend zu. »Aber ich finde, daß ich diesmal an der Reihe bin. Es sei denn«, er lächelte entwaffnend, »persönliche Gründe sprechen dagegen.« Ren fühlte sich ertappt. War er inzwischen so leicht zu durchschauen? Einem Cyborg mit seiner besonderen Auffassungsgabe konnte man nichts vormachen. Natürlich hätte er aus eben jenen persönlichen Gründen Amy lieber an seiner Seite gehabt, aber daß das schon so offensichtlich war, daß er, wenn auch nur durch die Blume, darauf angesprochen wurde, berührte ihn peinlich. Außer seinen Gefühlen hatte er keinen Grund und schon gar kein Recht •"bei seiner Auswahl ungerechtfertigte Prioritäten zu setzen.
»Entschuldigung, Lad«, beeilte er sich zu sagen. »Sie haben Recht, Sie sind an der Reihe. Sie
und Gisol fliegen zuerst, danach kann der Flash Manlius und mich abholen.«
Unwillkürlich erwartete er einen Einwand von der CyborgFrau, aoer sie verzog nur säuerlich das Gesicht und meinte: »Also gut, 195 ich gebe mich geschlagen.« Ren fiel ein Stein vom Herzen, weil sie keine Versuche unternahm, ihn umzustimmen. Dafür hatte Gisol noch einen Einwand. »Ich werde mich zunächst von der Statue fernhalten«, erklärte er. »Wieso das denn?« fragte der Commander der Planeten verständnislos. »Gerade sie will ich mir aus der Nähe ansehen.« »Ich nicht. Ich habe nämlich keine Lust, gleich wieder den Ärger anzuziehen. Denk nur an die letzte goldene Statue zurück. Jedes Mal, wenn wir uns daran machen, eine von ihnen zu untersuchen, erregen wir irgendwie Aufmerksamkeit.« »Aber es ist doch nicht gesagt, daß es hier genauso ist«, wehrte Ren ab. Der ins Riesenhafte vergrößerte Zyzzkt beeindruckte ihn beinahe noch mehr, als das die anderen Statuen getan hatten. »Ist es nicht, aber wir müssen es auch nicht provozieren. Ich schlage vor, zunächst einen der Paläste zu untersuchen. Von mir aus den, der der Statue am nächsten liegt.« Ren erklärte sich einverstanden, denn natürlich wollte auch er die prächtigen Bauwerke aus der ruhmreichen WorgunVergangenheit erforschen. Anschließend blieb immer noch Zeit, die ZyzzktStatue näher in Augenschein zu nehmen. Da es keine weiteren Einwände gab, senkte sich der Flash zwanzig Minuten später zum ersten Mal der Planetenoberfläche entgegen. Kurz darauf waren auch Dhark und der Römer auf Gesst. »Ganz allein sind wir nicht«, wurde Ren von Gisol empfangen. »Spitz mal die Ohren.« Aus dem nahen Urwald drang bedrohlich klingendes, wölfisches Heulen. Gisol versenkte den Flash per Fernsteuerung neben einer markanten Baumgruppe im Erdboden und machte ihn damit auch op 196 tisch unsichtbar. Sollte Gesst doch bewohnt sein, konnte niemand den Kleinstraumer entdecken. Angenehme Temperaturen herrschten, die Luft wies, wie bereits die Messungen ergeben hatten, gerade die richtige Feuchtigkeit auf, um angenehm zu sein. Ringsum präsentierte sich der Planet in sattem Grün, das an vielen Stellen von farbenprächtigen Kontrapunkten durchsetzt war. Blühende Pflanzen in allen Farben und Formen gediehen in diesem Klima prächtig. Oshuta nahm weitere Messungen vor, weil ihm der Friede nicht ganz geheuer vorkam. Mißtrauisch nahm er die Blüten unter die Lupe. »Nicht daß eine davon plötzlich auf die Idee kommt, nach uns zu schnappen.« »Man könnte meinen, dies sei Ihre erste Außenmission«, kommentierte Manlius. »Rechnen Sie immer mit dem Schlimmsten?« »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, antwortete der Cyborg lapidar, während er weiterhin stoisch seiner Tätigkeit nachging. Doch trotz seiner scheinbaren Versunkenheit darin blieb er hellwach. Wenn eine Gefahr drohte, würde er sie dank seiner speziellen Fähigkeiten als erster erkennen. Davon war er selbst überzeugt, und deswegen hatte Dhark ihn mitgenommen. Ein Waldstreifen von zwei Kilometern Breite lag zwischen dem Landeplatz und dem archaischen Bauwerk. Zwar standen die Bäume dicht, und es gab eine Menge Unterholz, doch dabei blieb der Wald trotzdem so licht, daß er passierbar war. Die vierköpfige Gruppe mußte sich nicht mit Gewalt einen Weg bahnen.
Dhark war froh, keine Waffen mit verräterischen Emissionen einsetzen zu müssen, um eine
Schneise zu schneiden. Zwar hätte Oshuta das wie ein lebendiges Pressorgeschoß auch allein
mit seinen Körperkräften erledigen können, aber selbst das widerstrebte dem Commander.
Wenn es sich vermeiden ließ, wollte er nicht die herüchtigte Axt im Walde spielen.
Zumal der die Männer gegen optische Entdeckung schützte.
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Denn obwohl sie bisher keine Vitalanzeigen von Intelligenzwesen festgestellt hatten, war
nicht ausgeschlossen, daß der Palast bewohnt war. Immerhin gab es Kräfte, die ihn vor dem
natürlichen Zerfall bewahrten.
Manche der Baumriesen wuchsen bis zu hundert Meter in die Höhe. Trotz des dichten
Laubdachs drang ausreichend Sonnenlicht bis zum Boden. Zu schimmernden Vorhängen
gewoben, schuf es eine unwirkliche Umgebung, die selbst an Stellen Bewegungen
vorgaukelte, wo es gar keine gab. Der ganze Wald schien aus sich heraus zu leben.
Das Heulen war zwar verstummt, doch dafür drang eine Kakophonie anderer Geräusche an
die Ohren der Männer. Die meisten kamen von oben.
»Das sind nicht nur Vögel«, stellte Gisol fest. »Da drin lebt noch eine Menge anderes Getier.«
Besonders in den Baumkronen waren ständige Bewegungen zu erkennen. Kleinwüchsige,
schlanke Kreaturen, irdischen Lemuren ähnlich, huschten flink und gewandt von einem Ast
zum nächsten und schwangen sich zwischen den einzelnen Bäumen hin und her.
»Wir haben eine Eskorte«, sagte Ren, der den Eindruck hatte, daß ihnen einige der Tiere
folgten.
Oshuta deutete ein Nicken an. »Schon seit unserem Aufbruch. Neugier ist nun mal keine rein
menschliche Regung.«
Einmal waren die Männer gezwungen, einen umgestürzten Baumstamm zu überklettern, der
sich zwischen zwei anderen Urwaldriesen verkeilt hatte, wenn sie nicht einen zeitraubenden
Umweg in Kauf nehmen wollten. Doch ansonsten stießen sie auf keine Hindernisse, sondern
kamen rasch voran.
Die diffusen und von zahllosen Pflanzen reflektierten Lichtbündel schälten erste Umrisse aus
dem Wald, die nicht natürlichen Ursprungs waren. Brauner Hintergrund drängte sich in das
allgegenwärtige Grün und zauberte einen unbeabsichtigten Tarnanstrich.
»Der Palast, oder wie immer wir dieses Gebäude auch nennen wollen.«
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isol hielt inne, und seine Begleiter folgten seinem Beispiel.
»Das ist genau die richtige Bezeichnung«, bestätigte er. »Denn um nichts anderes handelt es
sich.«
»Ein worgunscher Palast? Ich wußte nicht, daß es bei euch höhergestellte Persönlichkeiten für
eine solche Einrichtung gibt.«
»Ich habe dir viel über meine Geschichte und die Geschichte meines Volks erzählt, Ren«,
erinnerte Gisol seinen menschlichen Freund an ihre gemeinsame lange Nachtwache in der
Zentrale der EPOY.* »Doch eine Reihe von Details kennst du noch nicht.«
»Daß eure Gesellschaft einst monarchistische Ausprägungen besaß?«
»So kann man es nennen, aber das ist sehr lange her. Diese Paläste sind etwas ganz
Besonderes. Derartige Bauwerke haben wir zuletzt vor l ,1 Millionen Jahren eurer
Zeitrechnung errichtet. Als mit der Vermehrung der Worgun der Platz auf Epoy knapper
wurde, ging man zu platzsparenderen Bauweisen über.«
Dhark verstand. »Also handelt es sich lediglich um Relikte aus der Vergangenheit.«
»Aus weit entfernter Vergangenheit. So weit zurückliegend, daß sie eigentlich nicht mehr
hätten existieren dürfen. Es gibt noch einige wenige Schwärmer, die weiterhin von der
Monarchie träumen.« Gisol sprach die Worte mit deutlichem Widerwillen aus. »Sie wollen
den alten Prunk wieder aufleben lassen, dabei ist er in unserer modernen Gesellschaft längst
nicht mehr zeitgemäß. Antiquiert, wenn du mich fragst.«
»Das ändert aber nichts daran«, stellte Manlius pragmatisch fest und deutete zwischen den
Bäumen hindurch. »Haben die Monarchisten von Epoy die Paläste auf Gesst gebaut?«
Auf diese Frage hatte auch Gisol keine Antwort.
»Warum lassen die Zyzzkt Gesst dann in Ruhe?« fragte Lati Oshuta. »Dahinter steckt etwas
anderes.«
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Siehe REN DHARKSonderband »Gisol, der Jäger«
Schweigend setzte sich Gisol wieder in Bewegung. Dhark, der Cyborg und der Römer
folgten ihm.
Dann blieben die Baumriesen hinter den Männern zurück und machten einer
sonnenüberfluteten Lichtung Platz. Blauer Himmel war über ihnen, ein annähernd kreisrunder
Ausschnitt.
»Keine Büsche, kein Unterholz«, sagte Oshuta. »Nicht einmal wild wucherndes Unkraut.«
Was das bedeutete, war klar.
Jemand hielt die Lichtung in ihrem derzeitigen kultivierten Zustand, ansonsten wäre der Wald
an dieser Stelle längst wieder auf dem Vormarsch gewesen. Die Natur hätte zurückerobert,
was ihr einst entrissen worden war.
»Was sagen die Anzeigen?« fragte Dhark. »Sicherheitsvorkehrungen?«
Unwillkürlich erwartete er eine Reaktion. Doch die braune Fassade vor ihm erweckte den
Anschein von Verlassenheit.
Das sagt nichts darüber aus, was möglicherweise hinter ihr lauert.
Vielleicht hockten stumme Beobachter hinter den Fenstern und verfolgten jeden Schritt der
vier Männer.
»Negativ, Sir«, meldete der Cyborg, der Werte von seinen Instrumenten ablas. »Aber ich orte
energetische Aktivität aus dem Hausinneren. Minimal, doch eindeutig vorhanden.«
Die konnte auch auf automatische Einrichtungen zurückzuführen sein, die sich seit
Ewigkeiten im Bereitschaftsmodus befanden. Ren gestand sich ein, daß die
Wahrscheinlichkeit dafür gering war. Systeme, die über lange Zeiträume vollkommen inaktiv
waren, schalteten sich irgendwann zwangsläufig ab. Andernfalls führte selbst minimaler
Energieverbrauch im Laufe der Zeit zu inakzeptablen Verlusten.
Aber vielleicht redete ihm das auch nur die zwingend notwendige Sparpolitik seiner irdischen
Regierung ein. Vielleicht dachten andere Völker ganz anders darüber. Worgun? Oder wer
sonst?
»Entweder ist der Planet wirklich verlassen, oder die Burschen
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da drin fühlen sich sicher, keinen ungebetenen Besuch zu bekommen«, schickte Oshuta
hinterher.
»Dafür besteht ein Prallfeld.« Manlius hantierte mit seinen mitgeführten Geräten. »Nicht sehr
stark, würde ich sagen.«
»Kinkerlitzchen. Da komme ich ohne Hilfsmittel durch.«
»Ein Versuch, auf den wir es besser nicht ankommen lassen, Lad«, entschied Ren mit einem
Lächeln. »Können Sie das Feld mit dem mobilen Hyperkalkulator ausschalten?«
»Sicher, Sir. Ich bin schon dabei. Dauert keine Minute, die Zugangscodes zu ermitteln.«
Oshutas Finger flogen über die Eingaben des tragbaren Geräts. »So, fertig. Ich übermittle die
Algorithmen.«
»Das Prallfeld existiert nicht mehr«, verkündete Manlius prompt. »Wir können hinein.«
Der Cyborg warf ihm einen verwirrten Blick zu. »Sagte ich das nicht eben?«
»Diese Sperre war viel zu leicht zu knacken«, mischte sich Gisol erstaunt ein. »Mit dem
unberechtigten Zugriff haben wir ja nicht mal einen Alarm ausgelöst. Da sind manche Villen
auf Terra besser gesichert.«
Diese hier aber anscheinend nicht. Minutenlang geschah nichts. Schließlich traf Ren einen
Entschluß.
»Worauf warten wir noch, meine Herren?« Er machte eine einladende Geste. »Nach Ihnen.«
Gemeinsam drangen sie in den uralten Palast ein.
Sie machten sich an seine Erkundung, ohne daß sich an der Lage etwas änderte. Lati Oshuta
entdeckte keine Sensoren, die auf die Anwesenheit der Eindringlinge angesprochen hätten.
Ebenfalls registrierte er keine Energieemissionen, also reagierte auch keine andere
Automatik.
»Nur die schwachen Emissionen halten unverändert an.«
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?r Eingangsbereich bestand aus einem spartanisch eingerichteten Foyer, das eine kühle
Sachlichkeit ausstrahlte. Die schmucklosen Wände enthielten keinen einzigen Blickfang,
sondern waren so sauber, als wären sie eben erst abgewischt worden.
»Kein Staub auf dem Boden«, sagte Ren. Da es sich nicht um einen hermetisch
abgeschlossenen Raum handelte, war das unmöglich. »Jemand hält alles sauber.«
»Roboter vielleicht.«
»Wenn ja, sind es keine besonders guten Wachhunde«, folgerte der Cyborg. »Sonst würden
sie sich um uns kümmern, Sir. Ich fühle mich beinahe ein wenig unbeachtet.«
Dhark hatte nichts dagegen, daß das so blieb, jedenfalls bis sie weitere Informationen
gesammelt hatten.
Durch einen Verbindungstrakt erreichten sie ein Portal aus zwei bernsteinfarbenen
Flügeltüren, die durch das von draußen einfallende Tageslicht zu einem gleißenden Funkeln
angeregt wurden. Mühelos ließen sie sich öffnen.
Ren bemerkte, daß Gisol seine Waffe gezogen hatte und sie in den vor ihnen liegenden Raum
richtete. Doch niemand hielt sich darin auf. Einen überraschten Schrei ausstoßend, stürmte er
ins Innere.
»Da hol mich doch der Teufel!« entfuhr es Lati Oshuta.
Auch Ren war auf den ersten Blick von der Einrichtung beeindruckt. Mit allem hätte er
gerechnet, aber nicht mit dem, was ihn erwartete.
Der vor den Männern liegende Saal hatte nichts von der Kälte des Eingangsbereichs, sondern
stellte das genaue Gegenteil dar. Um einen flachen Tisch war eine mondäne Sitzgruppe
angeordnete die zur Hälfte in schweren Teppichen versank. Prächtige Gemälde hingen an den
Wänden, die von versenkten Lichtquellen angestrahlt worden.
»Ich verstehe das nicht.« Gisol deutete zu einigen kunstfertig gestalteten Artefakten, die in
den Raumecken ausgestellt waren. »Diese Kunstwerke gehören nach Epoy, nicht hierher.«
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Mit Schaudern dachte er an die widerwärtigen Skulpturen, die die Zyzzkt überall auf seiner
Heimatwelt errichtet hatten. Sie waren nach dem Kunstverstand der Wimmelwilden gestaltet
und stießen jeden anderen Besucher ab.
»Also hat jemand sie an diesen Ort geschafft«, sagte Manlius, während er die Artefakte
abschritt. »Wer außer einem Worgun sollte das getan haben?«
»Vielleicht handelt es sich aber auch um Beutekunst«, überlegte Oshuta. »Gisol, ist der Rest
der Einrichtung denn auch worgunisch?«
»Sie ist nicht aktuell, aber sie ist mir auch nicht unbekannt.«
»Es handelt sich um die typische Einrichtung der alten Paläste«, vermutete Ren Dhark. »Ich habe sie in alten Aufzeichnungen gesehen«, bestätigte der Rebell. »So sah es tatsächlich damals in den Kaiserpalästen auf Epoy aus. Aber warum hat man all das auf Gesst nachgebildet?« »Eine gute Frage.« »Ich habe eine noch viel bessere. Wenn sich jemand all diese Mühe gemacht hat, die alten Zeiten auferstehen zu lassen, wozu dann die Modifikationen? Ich meine, die Einrichtung ist stimmig, der Stil paßt, aber sie ist trotzdem abgewandelt. Schau dir die Form der Sitzgelegenheiten an.« Ren durchfuhr es siedendheiß. In der Tat! Er begriff nicht, daß ihm nicht selbst aufgefallen war, worauf Gisol hinauswollte. Auch wenn Worgun häufig die humanoide Gestalt annahmen, konnten sie sich mühelos jeder Umgebungsform anpassen. Eine Tatsache, die auf die Zyzzkt nicht zutraf. Ihre insektoide Erscheinung war ausschlaggebend für die Form, die sie für Gebrauchsgegenstände wählten. Hätte er eine Sitzgelegenheit für einen Zyzzkt entwerfen müssen, hätte sie so ausgesehen wie die, die in dem Saal standen. »Lati, versuchen Sie noch einmal Lebenszeichen festzustellen, speziell die von Zyzzkt.« Daß der Cyborg keine Fragen stellte, belegte, daß er mit dem 204 analytischen Verstand seines Programmgehirns sofort begriffen hatte. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf. »Wir sind definitiv allein.« Was ein Trugschluß war, wie die weiteren Erkundungen zeigten. Zwar hielten sich außer den vier Männern keine anderen Lebewesen in dem Palast auf, dafür aber... »Roboter!« stieß Oshuta aus, als sie einen weiteren Raum betraten. Auch er war prachtvoll eingerichtet und mit zahlreichen schmückenden Intarsien versehen, die Gisol als von Worgun geschaffen klassifizierte. Oder doch so gut nachgebildet, daß sich kein Unterschied erkennen ließ. Noch immer trug er den Blaster in der Hand, und in Gedankenschnelle riß er ihn in die Höhe und brachte ihn auf eine der Maschinen in Anschlag. Es handelte sich um plumpe, tonnenförmige Konstruktionen, aus deren metallisch schimmernden Leibern zahlreiche Greiftentakel und Handlungsarme ragten. Daneben verfügten ihre Hüllen über buckeiförmige Ausbuchtungen, deren Bedeutung nicht zu erkennen war. »Nicht schießen«, zischte Ren Dhark dem Gestaltwandler zu. »Sie kümmern sich nicht um uns.« Die Roboter waren mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Obwohl sie die Eindringlinge zweifellos bemerkten, reagierten sie nicht auf deren Anwesenheit, sondern gingen unverändert ihren Tätigkeiten nach. »Besonders viel Spielraum scheint ihnen ihre Programmierung wirklich nicht zu lassen«, überlegte der Cyborg. »So lange sie sich Rieht gegen uns wenden, sollten wir sie gewähren lassen. Andernfalls lösen sie womöglich einen Alarm aus.« Eine logische Überlegung, fand Ren nickend. Wenn das durch ^s Ausschalten des Prallfeldes nicht ohnehin geschehen war, doch nichts deutete daraufhin. »Weiter!« trieb er seine Begleiter an. Bevor sich die Lage ändert®, wollte er so viel wie möglich von dem Palast sehen. 205 Und es gab noch eine Menge zu entdecken. Überall stieß die kleine Gmppe auf altertümliche Artefakte aus der Vergangenheit der Worgun. Besonders Gisol, der all diese Schätze und Kostbarkeiten an keinem anderen Ort als auf Epoy erwartet hatte, wollte es nicht glauben.
»Die Zyzzkt empfinden rein gar nichts für unsere Kunst. So wie wir ihre Skulpturen abscheulich finden, können sie unseren Kunstwerken nichts abgewinnen. Wozu also der Aufwand, all das hierherzuschaffen?« Er machte eine verständnislose Geste, die den gesamten Palast umfaßte. Doch die Tatsachen ließen sich nicht leugnen. Irgendwer war daran interessiert, die alte Geschichte der Worgun möglichst authentisch wieder aufleben zu lassen, was höchst ungewöhnlich war und in keiner Weise in das Bild paßte, das man sich aus den bisherigen Erfahrungen mit den Zyzzkt gemacht hatte. Die Erkenntnis, die sich daraus ergab, war noch unverständlicher. »Anscheinend wurde dieser Palast speziell für einen Zyzzkt gebaut«, sagte Manlius. »Für einen Zyzzkt, der eine große Vorliebe für die Kultur der Worgun hat.« »Unmöglich!« stieß Gisol verächtlich aus. »Ich sage es noch einmal, die primitiven Sabocaer wissen unsere Kultur nicht zu würdigen. Sie haben nichts anderes in ihren Insektenschädeln, als unsere wahre Historie zu zerstören, wo immer sie sie antreffen.« »Hier aber nicht. Hier tun sie das genaue Gegenteil.« »Wenn sie überhaupt hinter all dem stecken. Und wenn, dann handelt es sich um eine neue Teufelei.« Lau Oshuta zog die Stirn in Falten. »Vielleicht ja auch nicht. Mir scheint. Sie wünschen geradezu, daß es so ist. Klingt für mich irgendwie nach Vorurteilen.« Aufgebracht fuhr Gisol herum. »Diesen Vorwurf habe ich in 206 meiner Heimatgalaxis schon häufig gehört. Er hat mir meinen Ruf als >Schlächter von Om< eingebracht. Aber daß er von meinen neuen Freunden kommt, wundert mich.« »Das war doch kein Vorwurf«, sagte Ren Dhark. »Aber hast du eine bessere Erklärung für diese Paläste?« Gisol schwieg, vertieft in das Bild, das sich ihm bot. Sie standen in einem Raum, der anscheinend so etwas wie ein Schlafgemach darstellte. Die pompöse Einrichtung war von goldenen Ornamenten geprägt, die, sofern sie echt waren, einen unschätzbaren Wert darstellten, nicht nur in materieller Hinsicht. Er hätte nicht gedacht, daß jemals noch ein Mitglied seines Volks so etwas mit eigenen Augen sehen würde und nicht nur in uralten Aufzeichnungen. Zumindest bestand nicht die Gefahr einer Erneuerung unter den Monarchisten. Unter der Knute der Wimmelwilden gehörte die ohnehin kleine Clique versponnener Ewiggestriger ebenfalls der Vergangenheit an. Wenigstens etwas, was man den Massenvermehrern positiv anrechnen muß, dachte der Rebell mit triefendem Zynismus. »Ich habe keine Erklärung«, gab er sich geschlagen. »Entschuldigung, Oshuta, war nicht so gemeint. Mir will nur nicht in den Verstand, was das hier bedeutet. Ich habe mich in all diesen Jahren so sehr an die Schlechtigkeit der Zyzzkt gewöhnt, daß es mir schwerfallt, andere Aspekte in ihrem Wirken zu akzeptieren.« 1 Bei der weiteren Erkundung entdeckten die Männer ein Depot mit inaktiven Robotern. Es handelte sich um den gleichen Typ, der bereits bei Reinigungsarbeiten gesehen worden war. Anscheinend hatten die Maschinen keine anderen Pflichten, als den Palast und die umgebende Lichtung in Schuß zu halten. Eine Aufgabe, der sie verläßlich nachkamen, wie der Zustand der Räumlichkeiten zeigte. Oshuta konnte sich mit dieser Dienstbeflissenheit nicht anfreun » den ly »Wenn die Blechgesellen nicht alles aufräumen würden, gäbe es ^elleicht Hinweise auf den oder die Bewohner des Palastes.« 207
»Wenn es überhaupt welche gibt.« Manlius war davon nicht überzeugt. »Vielleicht folgen die Roboter schon seit Jahrhunderten diesem Programm. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß dieses Gebäude auch nur zeitweilig bewohnt wird.« Auch für Ren nicht. Dennoch sagte ihm eine deutliche Ahnung, daß es sehr wohl einen Bewohner gab, auch wenn der sich derzeit nicht auf Gesst aufhielt. Einen? Nein, eine ganze Reihe von ihnen. Schließlich waren zahlreiche ähnliche Paläste über den Planeten verstreut. Gab es unbekannte Zyzzkt, die nicht wie die anderen waren? Von denen man sich möglicherweise sogar Unterstützung erhoffen durfte? Das war eine Vorstellung, die Ren beinahe zu kühn erschien. Schließlich handelte es sich bei den Zyzzkt nicht um ein Volk von Individuen, sondern sie stellten ein Gemeinschaftswesen ähnlich einem irdischen Ameisenstaat dar. Trotzdem ließ ihn der Gedanke an einen Zyzzkt, der eine Vorliebe für die Kultur der Worgun hatte, nicht mehr los. Manlius entdeckte eine in die Tiefe führende Treppe. Zwischen eng beieinanderstehenden Wänden waren schmale Stufen aus grob behauenen Steinen versteckt. Sie führten in ein ausgedehntes unterirdisches Labyrinth. »Wie aus einem Holofilm mit mittelalterlichem Inhalt«, kommentierte Lati Oshuta, dem kein Detail der Umgebung entging. Sie stand in krassem Gegensatz zu den Eindrücken von oben. Alles hier unten wirkte schlicht und roh, primitiv beinahe. »Als hätte jemand anders diese Katakomben gegraben, nicht die Baumeister, die für die Paläste verantwortlich sind.« Zudem war es kühl in den düsteren Gängen und Verliesen, in die niemals ein Sonnenstrahl gedrungen war. Der Römer in seiner Toga fror erbärmlich. »Gab es solche Einrichtungen auch in den alten Kaiserpalästen?« fragte Dhark. Er hatte den Eindruck, daß die Gänge willkürlich geschlagen waren und nirgendwo hinführten. 208 E Gisol mußte passen. »Ich kann es dir nicht sagen. In den histori Aen Aufnahmen, die ich kenne, waren sie nicht zu sehen.« pas hieß aber nicht, daß es sie nicht trotzdem gab. Vielleicht wen sie dem unbekannten, längst vergessenen Berichterstatter nur nicht fotogen genug erschienen, um sich mit ihnen zu beschäftigen was angesichts der oberirdischen Pracht nachzuvollziehen war. Hin und wieder waren steinerne Kammern in die Wände eingelassen. Die Männer untersuchten eine nach der anderen, fanden aber nichts, was ihnen weiterhelfen konnte. Die Kammern waren leer und lieferten nicht einmal den kleinsten Hinweis, welchem Zweck sie dienten oder wen oder was sie einst beherbergt hatten. »Mir gefällt es hier unten nicht«, murrte der Römer. »Ich komme mir vor wie lebendig begraben.« Kein Wunder, dachte Ren angesichts Manlius' Herkunft. Terra Nostra, die menschliche Kolonie, von der die Erde bis vor kurzem nicht einmal geahnt hatte, war eine klimatisch angenehme Welt ständiger Wärme. Doch auch er selbst fühlte sich unwohl, zumal die enge, gedrungene Bauweise hier unten einem ständig das Gefühl gab, erdrückt zu werden. Nichts für Leute mit Platzangst. Unversehens standen die Männer vor einem verschlossenen Schott, das den Gang versperrte. Das stählerne Hindernis war in der mittelalterlich anmutenden Umgebung der reinste Anachronismus. Seitlich an der Wand war eine elektronische Verriegelung angebracht. »Da sind wir aber alle neugierig, was sich auf der anderen Seite befindet«, bemerkte der Cyborg unternehmungslustig.
»Dann sehen wir doch einfach nach. Oder ist das ein Problem, Lati?« Oshuta rückte der Verriegelung mit seinem mobilen Hyperkalkulator zu Leibe. Er tippte etwas darin ein und sandte eine Folge ^n Impulsen, ohne daß etwas geschah. Erstaunt zog er eine Augenbraue in die Höhe und versuchte eine Reihe weiterer Symbol209 ketten. Er erhielt nicht die geringste Rückmeldung, die beiden elektronischen Systeme weigerten sich, miteinander zu kommunizieren. Selbst wenn sie nicht kompatibel waren, hätte zumindest eine Fehlermeldung kommen müssen. Doch gar nichts geschah. Dafür konnte es nur einen Grund geben. »Ich kann Ihnen nicht sagen, ob diese Sperre jemals in Betrieb war, Sir«, folgerte der Japaner. »Jedenfalls emittiert sie kein Jota an Energie mehr, ist also völlig leer. Handelte es sich um einen MKonverter, würde ich behaupten, er sei ertobit.« Dhark verstand, worauf Oshuta hinauswollte. »Sie sprechen von Handarbeit, Lati.« Der Japaner grinste und stemmte sich seitlich gegen das Schott, um es zum Öffnen zu bewegen. So weit es der Platz in dem engen Gang zuließ, unterstützten die anderen ihn. Endlich gab das Schott einen Spalt weit nach. Die wenigen Zentimeter reichten Oshuta, um seine Finger dazwischenzuschieben und es vollständig aufzudrücken. Vor den Männern flammte schwaches Licht auf, das einen kleinen Raum aus der Dunkelheit schälte, der mit elektronischen Einrichtungen vollgestopft war. Die Wände waren von Recheneinheiten, Konsolen, Eingabepulten und Monitoren überzogen. »Was haben wir denn da?« entfuhr es dem Cyborg. »Eine komplette Funkanlage.« Er machte sich daran zu schaffen, während Gisol und Manlius begannen, die anderen Geräte zu untersuchen. Es zeigte sich rasch, daß sie zwar in einwandfreiem Zustand, aber nutzlos waren. »Sie sind tot«, konstatierte der Worgun. »Woher immer sie ihre Energie bezogen, sie ist abgeschaltet. Hiervon läßt sich nichts mehr verwenden.« »Mit der Funkanlage sieht es nicht anders aus«, bestätigte Oshuta. »Kein technischer Defekt, trotzdem rührt sich nichts.« Wozu dann das alles? Wer über eine solche Ausrüstung verfügte, der benutzte sie auch. Zumindest aber hielt er sie in einsatz 210 ligem Zustand. War das ein Hinweis darauf, daß der Palast doch schon seit längerem verlassen war? Hatte man alles abgeschaltet, um einem zufälligen Entdecker keine Möglichkeit zu geben, die Anlagen zu nutzen? Diese Erklärung war wenig logisch. Eher hätte man die Anlage ausgebaut oder sie zerstört. Oder war das unterblieben, weil wer auch immer sie irgendwann wieder in Betrieb nehmen wollte? Manlius deutete zur Decke. Das einzige, was seine Tätigkeit versah, war das Licht. Aber selbst das arbeitete auf Sparflamme. »Ich nehme an, da steckt eine Batterie drin, die es nicht mehr lange macht.« Die Männer kamen nicht mehr dazu, weitere Nachforschungen zu betreiben. Plötzlich schlug Gisols Armbandgerät an und übermittelte einen Funkimpuls. Der Worgun schaute alarmiert auf. »Zyzzkt im Anflug!« 211 11. Mittagslicht lag über der Kaiserlichen Metropole Jazmur, die ^n gesamten sichtbaren Horizont des Planeten Quatain bedeckte, ?m geistigen und kulturellen Mittelpunkt der
HitauraDynastien id Ausgangspunkt ihrer Herrschaft über das Volk der Nogk. Eine errschaft, die jetzt endgültig zu Ende gegangen war. Ein Schweber holte Huxley am Fuße der Landerampe seiner HARR ab. Der uniformierte NogkPilot wartete, bis sein Passaier eingestiegen war, um dann den Gleiter zu starten. Auf seinem .Gravfeld schwebend, nahm er zügig Geschwindigkeit auf und rebte der Kaiserlichen Palastregion zu. Während des Fluges veregenwärtigte sich Huxley wieder einmal, daß ihn mehr als 80 000 Lichtjahre von der heimatlichen Galaxis trennten. Die Dimensionen konnten einen etwas weniger gefestigten Geist wie en seinen zum Erschauem bringen. Charaua stand in einem großen Raum hoch oben im Kaiserlichen alast und schaute auf die Stadt hinaus. Jetzt wandte sich der [ogk mit der strichförmigen Narbe auf der linken Hälfte des Insktengesichtes von dem Schauspiel ab und Frederic Huxley zu, er den Raum betrat und mit hallenden Schritten auf ihn zukam. »Ich grüße dich, mein terranischer Freund«, teilte der Herrscher er Nogk sich ihm auf die semitelepathische Weise seiner Spezies iit und reichte dem grauhaarigen Colonel die Hand. In den starren ^acetten seiner Augen war keine Regung abzulesen, lediglich die ier Kopffühler bewegten sich sachte. »Auch ich grüße dich«, antwortete Huxley verbal und erwiderte .en Händedruck des Herrschers aller Nogk. Sein TranslatorIm>lantat übernahm die Verständigung zwischen den beiden so un ^ gleichen Wesen und formte Huxleys Lautäußerungen gleichzeitig in die mentale Bildersprache der Nogk um. »Du hast nach mir gerufen, Freund Charaua. Gibt es einen bestimmten Grund dafür?« »Ist die CHARR startbereit?« Huxley stutzte einen winzigen Moment, dann lächelte er. »Aufgeklart und unter Dampf«, bestätigte er. »Dampf?« wunderte sich Charaua. »Die CHARR?« »Eine menschliche Metapher, Herrscher aller Nogk. Sie stammt noch aus einer Zeit, als die Ozeane der Erde von Dampfschiffen befahren wurden. Aber das ist nicht der wirkliche Grund, weshalb du nach mir geschickt hast«, stellte Colonel Huxley fest. Charaua stieß ein Geräusch aus, das täuschend echt nach einem Seufzen klang. »Es ist ausgesprochen frustrierend, Freund Huxley«, sagte er, »wenn man nichts vor dir verheimlichen kann.« »Du erlaubst, daß ich Zweifel anmelde«, grinste Huxley und sah ihn spöttisch an. Dann legte er Charaua seine Linke auf den Unterarm. »Nun sag schon, was steckt wirklich hinter deinem Wunsch, mich vor meiner Rückreise in die Milchstraße noch einmal zu sehen?« Charaua verharrte einige Minuten in völligem Schweigen, dann vernahm Huxley erneut seine Impulse. »Ich will dir etwas zeigen.« Grünlich leuchtende Gleitfelder brachte die beiden äußerlich so unterschiedlichen Repräsentanten ihrer Kulturen eine Reihe von Fluren entlang. Es waren nur wenige uniformierte Nogk zu sehen, und niemand folgte ihnen zum Schutz unmittelbar auf den Fersen. Dennoch war sich Huxley sicher, daß sie zu keiner Sekunde wirklich aus den Augen gelassen wurden. Die Gefahr eines Anschlags auf Charaua durch versteckte kaiserliche Gardisten war einfach noch zu groß. Es würde eine ganze Zeit dauern, bis auch die letzten Anhänger Hitauras IX. gefaßt und ihrer Resozialisierung zugeführt werden konnten. Huxley fühlte sich nicht recht wohl in diesen Fluchten von Fluren mit ihren hohen Decken und Fenstern und versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, für immer in Jazmur leben zu müssen. 213
Eine grauenhafte Vorstellung! Huxley blickte den neben ihm gehenden Charaua an. »Was geschieht eigentlich mit den Zuchtlaboren?« Charaua machte eine merkwürdig Bewegung mit seiner Reptilienhand. »Ich werde eine vollständig neue Generation Eier züchten lassen, aus der dann allerdings die degenerierten Embryonen ausgesondert werden. Anschließend wird die Technik zur Eiauswahl komplett vernichtet.« »Ein weiser Entschluß«, nickte Huxley. Sie näherten sich einem zweiflügeligen Portal. Charauas Fühler sandten einen Befehl, und die Gardisten rissen geflissentlich die Türen auf. Sie kamen auf eine Empore hinaus. Huxley zog überrascht die Brauen hoch und trat an die Brüstung, um in die Tiefe zu blicken. Der Saal reichte über mehrere Stockwerke stufenförmig hinab und verengte sich dabei leicht. Die ringförmigen Stufen trugen Logen, die alle Zugang zu außen liegenden Galerien hatten. Huxley kam sich vor wie in einer gigantischen Arena. Und das war diese Halle auch eine Arena der Eitelkeiten. »Der Thronsaal der HitauraDynastien«, erreichten Charauas Impulse den Terraner. »Dort unten werde ich in zehn Tagen die Monarchie für beendet erklären und die Republik für Gartana ausrufen.« »Mit dir als demokratischem Herrscher an erster Stelle«, nickte Huxley. »So wird es sein«, versicherte Charaua emotionslos. »Das heißt in letzter Konsequenz, du und dein Volk werden hier seßhaft werden. Für immer.« »Richtig, Freund Huxley. Das unwiderrufliche Ende der Odyssee.« »Und Reet?« »Reet. Ja, Reet... nun, Reet wird zu einem Außenposten des nogkschen Volkes. Ganz wollen wir die Verbindung zu unseren 214 ^iranischen Partnern und Freuden nicht abreißen lassen.« »Wer wird ihn betreiben, diesen Außenposten?« fragte Huxley, obwohl er die Antwort eigentlich schon ahnte. »Tantal und seine Eibrüder«, erwiderte Charaua. »Dachte ich's mir doch«, murmelte Huxley. »Mir bleibt auch nichts erspart.« »Willst du nicht hierbleiben?« fragte Charaua, als sie wieder in seinen Räumen waren. »An meiner Seite, als mein Berater?« Huxley schwieg lange. Charauas Bitte rührte und ehrte ihn gleichermaßen. »Es würde nicht gutgehen«, sagte er schließlich, und die Ernsthaftigkeit seiner Worte berührte den NogkHerrscher tief. »Deine Bestimmung war es, dein Volk nach Nokil, respektive Gartana zu bringen. Meine kenne ich noch nicht, aber ich weiß, daß sie nicht hier liegt.« i| »Dann trennen sich jetzt unsere Wege, Freund Huxley?« " »So ist es, Charaua. Aber keine Sorge«, der Colonel lächelte zwar, aber dieses Lächeln diente nur dazu, seine wirklichen Gefühle zu kaschieren. »Es wird nicht von langer Dauer sein, bis wir uns wiedersehen. Mache dich darauf gefaßt, daß ich von Zeit zu , Zeit nachschauen komme, was du so machst, mein Freund.« \ »Du wirst jederzeit willkommen sein.« l Sie gaben sich die Hände. Dann verließ Colonel Frederic Huxley den Kaiserlichen Palast auf Quatain, um an Bord seiner CHARR zu gehen. f Charaua stellte sich wieder an das deckenhohe Fenster und sah hinaus. Er stand noch dort, als das golden schimmernde Ellipsoid der CHARR vom palasteigenen Raumhafen abhob und im blaugrünen Firmament verschwand. Und er stand auch noch dort, als die Nacht kam und sein Blick sich in der Unendlichkeit des Sternenerfüllten Raums verlor, der ^ch bis in die Ewigkeit erstreckte. 215
12. Die komprimierte Nachricht kam als ultrakurzer Impuls von der EPOY. Zwar handelte es sich nur um einen einzelnen ZyzzktRingraumer, aber er war bereits ins Sonnensystem eingedrungen und befand sich in direktem Anflug auf Gesst. Ganz gegen seine Gewohnheiten stieß Ren Dhark eine Verwünschung aus. Offenbar hatten sie sich zu sicher gefühlt, und nun blieb keine Zeit für weitere Nachforschungen. Zum Glück hatten sie den Großteil des Palastes bereits durchstöbert. »Sieht so aus, als ob unser Eindringen doch nicht unentdeckt geblieben ist.« »Dann sollten wir zusehen, daß wir von hier verschwinden«, schlug Lati Oshuta pragmatisch vor, während er gleichzeitig phantete, um somit für einen Gegner unangreifbarer zu werden. »Wir müssen so schnell wie möglich zum Flash zurück.« Und dann notfalls mit einem Blitzstart von Gesst fliehen. Der Commander der Planeten, der Cyborg, der Worgun und der Römer machten sich auf den Rückweg. Bevor sie den Palast verließen, begegnete ihnen eine Rotte der Dienstroboter. Trotz der offensichtlichen Hektik der Männer widmeten die Maschinen ihnen keine Aufmerksamkeit, ein weiterer Beweis dafür, daß sie lediglich über eine simple Programmierung verfügten, die keine Parameter für eigenständiges Handeln beinhaltete. Ren Dhark und seine Begleiter liefen unbehelligt an ihnen vorbei, auch wenn Oshuta jederzeit zum Eingreifen bereit war. Dann waren sie draußen. Nichts hatte sich verändert, nur eine Handvoll Roboter ging inzwischen der Gartenarbeit nach. Ab 216 schätzend betrachtete Ren den Himmel, aber noch war von dem ZyzzktRingraumer nichts zu sehen. Mit raschen Schritten überwanden die Männer die Lichtung und tauchten im Wald unter. Hier waren sie zumindest vor direkter Sicht geschützt, nicht aber gegen die Ortungseinrichtungen des Raumschiffes. Deshalb galt es, den Palast so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Zum Glück war das Unterholz nicht dicht, so daß die Gruppe wie schon auf dem Hinweg rasch vorankam. »Starten wir mit dem Flash?« fragte Oshuta »Was denn sonst?« Gisol machte sich Sorgen um sein Flaggschiff. Auch wenn es getarnt und bisher nicht entdeckt worden war, bedeutete das keine Garantie, daß das auch so blieb. »Ein einzelner Raumer der Zyzzkt ist ungewöhnlich. Wahrscheinlich hielt er sich in der Nähe auf und ist nur als erster hier. Aber er wird Verstärkung erhalten.« »Mit deinem getarnten Flash sind wir selbst dann noch im Vorteil«, wehrte Dhark ab. »Ich würde lieber noch etwas abwarten und sehen, was sie unternehmen. Bisher ist nicht sicher, daß die Zyzzkt unseretwegen kommen.« Für Gisol stellte sich diese Frage nicht. »Weswegen wohl sonst?« »Vielleicht haben wir auch nur die Antwort vor uns, wer die Paläste bewohnt.« »Darauf will ich es nicht ankommen lassen.« Plötzlich jagte ein dunkler Schatten auf den Commander zu, und gleichzeitig war das Wolfsgeheul wieder da. Bevor er reagieren konnte, wischte eine Bewegung, die schneller als ein menschliches Auge war, den Angreifer beiseite. Oshuta! Das schaurige Heulen verwandelte sich in ein erbärmliches Jaulen, dann gab es ein häßliches Knacken, das das Leben des rasenden Vierbeiners beendete. Achtlos warf der Cyborg den Kadaver beiseite, der etwa doppelt ^ groß war wie ein irdischer Wolf. 217 »Danke, Lati!«
Schon drangen vier weitere Tiere aus dem Unterholz und stürmten auf die Männer zu. Wie von selbst glitt Gisols Blaster in seine nachgebildeten Hände. »Keine Energiewaffen!« riefDhark. Die Energieemissionen waren zu verräterisch. Damit blieben nicht viele Alternativen übrig. Manlius packte einen starken Ast und schwenkte ihn hin und her. Doch wieder war Oshuta schneller. Und tödlicher. Er packte zwei der wolfsähnlichen Raubtiere, als sie sprangen, und schmetterte ihre bebenden Körper gegeneinander. Sie verstummten augenblicklich, und ihre überlebenden Artgenossen zogen sich fluchtartig zurück. Nachdenklich betrachtete der Japaner die erschlafften Körper in seinen Händen. »Ihr Blick gefällt mir nicht. Lad«, sagte der Kommandant der POINT OF schmunzelnd. »Uns bleibt keine Zeit zum Grillen.« Mit breitem Grinsen schleuderte der Cyborg die toten Tiere ins Unterholz, wo sich ihre Artgenossen um sie kümmern würden, sobald die Luft wieder rein war. Als sei nichts geschehen, machte er sich wieder auf den Weg. Als die Männer den Rand des Waldes erreichten, wuchs die Gefahr einer Entdeckung. Ren spähte zum Himmel, aber von dem Ringraumer war nichts zu sehen. Also liefen sie los, jede sich bietende Deckung nutzend. Sie erreichten die markante Baumgruppe, bei der der Flash im Erdboden versteckt war, ohne entdeckt worden zu sein, und verschnauften für einige Sekunden. Da kam ein zweiter Funkspruch von der EPOY. »Die Zyzzkt sind im Anflug«, erklärte Gisol. »Sie gehen runter. Nicht weit entfernt von uns, aber über dem Urwald.« »Sieht es so aus, als ob sie etwas suchen?« Gisol verneinte. »Sie gehen ziemlich zielstrebig vor, also stand ihr Ziel schon vorher fest. Wir sind es jedenfalls nicht. Du hattest Recht, Ren. Besser, wir warten ab.« Der weißblonde Mann hätte zu gern gewußt, was über dem Ür 218 i'ald geschah, aber der ZyzzktRaumer war von der Position der kleinen Gruppe aus nicht zu sehen. Am liebsten hätte er sich gleich wieder auf den Weg gemacht, um sich mit eigenen Augen zu informieren, aber das Risiko einer zufälligen Entdeckung war ihm zu groß. »Kannst du weitere Informationen bekommen?« wandte er sich an den Worgun. »Was treiben die Zyzzkt?« Gisol hatte die Verbindung zur EPOY nicht unterbrochen. »Sie verharren direkt über den Bäumen. Es scheint, als ob sie irgend etwas absetzen.« Er stockte, dann sprudelte es aus ihm heraus: »Da geschieht noch etwas anderes. Zwischen den Armen des Goldenen hat sich ein Transmitterfeld aufgebaut, so wie bei unserer Begegnung mit der NOREEN WELEAN. Jetzt kommen Flash durch das Feld, zehn Stück, fünfzehn, und noch kein Ende.« Bei zwanzig von dem Transmitter ausgespienen Flash war Schluß. War das die Suchmannschaft? Unwillkürlich erhob Ren sich aus dem schützenden Schatten des Baums, unter dem er kauerte. Erneut spähte er zum blauen Himmel empor, doch auch von den Rash war nichts zu sehen. »Was unternehmen sie?« »Ihr Ziel ist ebenfalls der Urwald.« »Klare Ansage«, warf Lati Oshuta ein. »Was immer auf Gesst vor sich geht, wenn wir es erfahren können, dann nur dort vom.« Ren kam nicht umhin, ihm zuzustimmen. »Hast du immer noch Bedenken?« fragte er den Worgun. »Vorerst nicht, aber das kann sich schnell wieder ändern.« Das war Dhark klar, aber Hauptsache war, daß Gisol sich zunächst nicht mehr sträubte. Schließlich gehörten die EPOY und der Spezialflash ihm, womit auch die letztendliche
Entscheidungsgewalt bei ihm lag. Wenn er sich querstellte, konnte Ren ihn nicht
Oberstimmen.
»Zurück!« alarmierte sie Manlius" Stimme. Er deutete in Rich^ng des grünen Blätterdachs.
219
Rasch duckten die Männer sich in Deckung. Über dem Wald stieg der ZyzzktRaumer auf.
Diesmal wählte er einen anderen Flugkorridor als beim Anflug, deshalb blieb er nicht wieder
vor ihren Blicken verborgen.
Mit ständig steigender Geschwindigkeit stieg er in die Höhe, verwandelte sich von einer
Ringröhre zu einem immer kleiner werdenden Punkt und verschwand schließlich ganz.
»Er hat uns nicht bemerkt, sonst wäre er umgekehrt«, stellte der Römer erleichtert fest »Aber
die Flash treiben sich noch in der Gegend herum.«
»Dann sollten wir diesmal ebenfalls den Flash benutzen«, schlug Gisol vor. »Ich lasse die
Koordinaten der Stelle überspielen, die die Zyzzkt aufgesucht haben.«
Ren erklärte sich einverstanden, und Gisol holte seinen Spezialflash aus dem Versteck.
Behende kletterte er mit Lati Oshuta ins Innere. Sie würden zuerst fliegen.
»Danach schicke ich den Flash zurück und lasse euch abholen«, kündigte der Worgun an. »Es
wird nicht lange dauern, trotzdem schlage ich vor, daß ihr in Deckung bleibt.«
Kurz darauf war das Beiboot unterwegs.
Ren Dhark schaute ihm mit gemischten Gefühlen hinterher, als es mit eingeschaltetem
Intervallfeld im Erdboden versank.
Absolute Dunkelheit umgab sie, aber auf optische Sicht waren weder der Kleinstraumer noch
sein Pilot angewiesen. Gisol steuerte ihn mit Gedankenbefehlen unterirdisch seinem Ziel
entgegen, denn keine noch so gute Tarnung konnte bei dieser Art Versteckspiel mithalten.
Rücken an Rücken saßen die beiden Männer vor den halbkreisförmigen Instrumentenpulten,
beinahe auf Tuchfühlung. Dank des eingeschalteten Intervallums setzte die feste Materie dem
zylinderfönnigen Tank keinen Widerstand entgegen, sondern ließ ihn pas
220
;n wie im freien Weltraum.
»Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, den Commander praktisch wie auf dem
Präsentierteller zurückzulassen«, machte sich der Cyborg Sorgen. »Wenn er entdeckt wird,
hat er keine Chance zur Flucht.«
»Sobald wir am Ziel sind, schicken wir den Flash zurück, um ihn und Manlius zu holen.«
Verbissen hielt Gisol die Kontrollanzeigen im Auge. Zu diesem Zweck hatte er sich extra ein
weiteres auf der Schädeldecke wachsen lassen, so daß er den Kopf nicht in den Nacken legen
mußte. Obwohl sie hier unten jeglicher Sicht entzogen waren, traute er dem Frieden nicht.
Noch immer waren ihm die zahlreichen Paläste an der Planetenoberfläche nicht geheuer. Wer
so etwas zustande brachte, dem traute er zu, mit weiteren Überraschungen aufzuwarten.
Die eingespeicherten Koordinaten führten den Flash eine Zeitlang ziemlich genau am Äquator
entlang. Gisol steuerte ihn mit geringer Geschwindigkeit, um das Risiko, in eine Falle zu
fliegen, gering zu halten.
Schon bald stellte sich heraus, daß seine Zweifel begründet waren. Wenige Kilometer voraus
änderte sich die Struktur des Bodens. Die Anzeigen wiesen auf die Abstrahlungen künstlich
erzeugter energetischer Felder hin.
»Ich messe Energieemissionen an.«
»Abwehreinrichtungen? Haben die uns also endlich entdeckt?«
»Nein, keine Sorge. Es handelt sich um eine Art Schutzzaun, der bestimmte Bereiche des
Urwalds von der Umgebung isoliert. Er setzt sich im Erdboden fort.«
»Wenn er geschlossen ist, sind wir die Dummen.«
Bei weiterer Annäherung wurden die Werte, die Gisol erhielt, deutlicher. Zwar setzte der
energetische Schutzschirm sich tatsächlich unterirdisch fort, aber nicht besonders tief.
»Die Tiefe seines Eindringens variiert, übersteigt aber nirgendwo zehn Meter. Kein Problem
also für uns. Wir können das Energiefeld problemlos unterfliegen.«
221
Oshuta versuchte die absolute Schwärze mit Blicken zu durchdringen, aber das war nicht
einmal Cyborgs der neuesten Generation möglich. »Ich bin gespannt, was die zu verbergen
haben.«
Denn daß die Schutzeinrichtung gegen unbefugten Zutritt überhaupt existierte, deutete auf ein
Geheimnis hin, in das nur ein bestimmter Personenkreis Einblick hatte.
Gisol steuerte den Flash unter dem Energiegitter hindurch, ständig seine Messungen
aktualisierend. Als sie sich im Innern des abgeschirmten Bereichs befanden, lenkte er ihn
allmählich Richtung Planetenoberfläche.
»Der abgesperrte Bereich hat einen Durchmesser von über zwanzig Kilometern.«
Unwillkürlich fühlte Gisol sich gefangen. Es war, als hätte er sich freiwillig in einen Käfig
begeben, dabei konnte er jederzeit auf gleichem Weg wieder verschwinden. Es handelte sich
um die fast allen Kreaturen des Universums bekannte Furcht vor Mauern, denen man nicht
entkommen konnte.
Voller Bitterkeit dachte er daran, daß seine gesamte Heimatwelt ein ähnliches Gefängnis
darstellte, nur ein wesentlich größeres. Die Zyzzkt hatten unsichtbare Fesseln um ganz Epoy
gelegt. Es bereitete ihm Mühe, den Gedanken von sich zu schieben und sich auf die vor ihm
liegende Aufgabe zu konzentrieren.
Wie immer die auch aussehen mochte.
»Hieristes.«
Als er sicher war, die Stelle erreicht zu haben, über der der Ringraumer der Zyzzkt sich kurz
aufgehalten hatte, stieg er endgültig in die Höhe.
Übergangslos blieb die Dunkelheit zurück, und der Flash schwebte zwischen mächtigen
Bäumen, die sich wie gigantische Finger über ihm erhoben. Myriaden Lichtphotonen hießen
ihn willkommen und blendeten die beiden Insassen für einen Moment. Das hoch über ihnen
prangende Laubdach war so dicht gewoben, daß das Sonnenlicht in Gestalt aber Tausender
strahlender Lanzen einfiel.
222
Doch für die Schönheiten der Natur hatten Gisol und Oshuta keinen Sinn.
»Der Wald unterscheidet sich nicht von dem Teil, den wir schon kennen«, brachte der Cyborg
die Sprache auf das Wesentliche. »Registrieren die Sensoren etwas, das anders ist?«
Gisol schüttelte in menschlicher Manier den Kopf. Um sie war Urwald, sonst nichts. In alle
Richtungen war der Energiezaun gute zehn Kilometer entfernt, nur nach oben reichte er an die
fünfhundert Meter und überragte damit selbst die höchsten Urwaldriesen deutlich.
»Sind Sie ganz sicher, daß dies die richtige Stelle ist?«
Anstelle einer Antwort setzte der Worgun den Flash auf seinen sechs gespreizten
Teleskopbeinen behutsam auf dem Boden auf und programmierte ihn mittels seiner
Himströme, um Ren Dhark und Manlius auf dem gleichen Weg abzuholen. Danach öffnete er
mit einem knappen Gedankenbefehl die Luke und kletterte ins Freie.
»Ich werte das als Bestätigung«, lamentierte Oshuta und folgte ihm. Kaum war er draußen, als
sich das Intervallfeld wieder aufbaute und das Beiboot im Boden verschwand.
Auch hier war der Wald in Bodennähe ziemlich licht, wenn es auch eine Menge Unterholz
mit zahlreichen Versteckmöglichkeiten gab. Die Bäume verzweigten sich erst ab halber Höhe
und wurden bis zu den ausladenden Kronen immer dichter, aus denen das vielstimmige
Vogelschreien herabdrang.
Gisol und Oshuta verbargen sich zwischen ein paar mannshohen Hecken, um darauf zu warten, daß der Flash mit den nächsten Passagieren zurücckehrte. Aus ihrem Versteck heraus schauten die beiden Männer sich um, aber es gab nichts, was ihre Aufmerksamkeit erregt hätte. Was hatten die Zyzzkt hier gewollt? Hatten sie wirklich etwas abgeladen? Und wenn ja, was, und wohin war es verschwunden? Besonders Lati Oshuta konnte nicht verhindern, daß sich Zweifel m ihm breitmachten. »Hoffentlich haben die über den Wipfeln 223 nicht nur eine Orientierungsrast eingelegt.« »Dafür hätten sie sich nicht ausgerechnet diese Stelle aussuchen müssen, nur um dann wieder zu starten und Gesst zu verlassen.« Zäh wie Sirup verrannen die Minuten. Beinahe fieberten die beiden Männer dem Eintreten eines Zwischenfalls entgegen, der ihnen eine Erklärung bot, doch nichts geschah. Zumindest nicht am Boden. Dafür deutete Oshuta in die Höhe. Ein Flash, aber nicht der von Gisol, der wieder aus dem Boden auftauchen würde. Dieser hier wurde zweifellos von Zyzzkt gelenkt. Er bewegte sich in langsamem Flug, gleitend beinahe, als suche er nach etwas. Dabei flog er so tief, daß er beinahe die Baumwipfel streifte. Gisol und Oshuta erstarrten in ihrem Versteck zu Salzsäulen. Regungslos waren sie aus der Höhe in dem Buschwerk nicht zu entdecken, aber die kleinste Bewegung konnte sie verraten. Wenn es nicht auch so zu spät war, dachte Gisol, von einem panischen Impuls ergriffen. Denn natürlich verfügten die Flash über Infrarotortung, und der Cyborg und er gaben zwei wunderbare Echos auf den Schirmen der Sabocaer ab. Der Flash drehte eine Schleife und verschwand. »Entweder war die Infrarotortung nicht aktiviert«, flüsterte Gisol, »oder die haben uns für Tiere des Waldes gehalten.« Wie auch immer, es war noch einmal gutgegangen. Als Ren Dhark und Manlius endlich kamen, hatte sich die Lage nicht geändert. Auch der Flash am Himmel war nicht wieder aufgetaucht. Nichts deutete darauf hin, daß sich Zyzzkt in der Nähe aufhielten. Gisol parkte seinen Spezialflash wieder unter der Erde, wo er vor zufälliger Entdeckung sicher war. Dann sahen die Männer sich um. Ren überlegte, ob sie sich trennen sollten, um die Gegend 224 schneller absuchen zu können. »Wir bleiben zusammen«, entschied er sich schließlich dagegen. Er wollte vermeiden, daß sie sich in der unübersichtlichen Umgebung verloren und den Funk benutzen mußten. Außerdem waren sie zu viert wesentlich wehrhafter, falls es zu Feindkontakt kam. Ohne ihre tragbaren Instrumente wären sie im Kreis gelaufen. Es gab keine markanten landschaftlichen Anhaltspunkte, anhand derer sie sich hätten orientieren können. Nun, da sie mitten drin steckten, erschien ihnen der Urwald wider besseres Wissen endlos. Begleitet von dem ständigen Geschrei seiner gefiederten Bewohner, hatten sie bald fünf Kilometer zurückgelegt. Noch einmal dieselbe Strecke, und sie wären wieder am Energiezaun angelangt. »Hier gibt es nichts«, grübelte Manlius. »Die Absperrung macht keinen Sinn.« Ren blieb stehen und drehte sich einmal um sich selbst. Vor ihnen sah es so aus wie hinter ihnen. Er stimmte dem Römer zu, ihr Marsch führte zu nichts. Wenn nur die kleinste Veränderung eingetreten wäre, der geringste Hinweis auf irgendwas... Doch da war nichts. Während er noch darüber nachdachte, umzukehren und sein Glück an einer anderen Stelle zu versuchen, kletterte der Japaner mit seinen außergewöhnlichen Körperkräften auf einen der Baumriesen. Er hielt erst inne, als er die Äste auf halber Höhe erreichte.
Mit seinen CyborgSinnen spähte er in alle Richtungen...
... und kam mit zufriedenem Gesichtsausdruck zurück.
»Was haben Sie entdeckt. Lad?«
»Daß wir in die falsche Richtung gegangen sind, aber jetzt weiß ich Bescheid. Wir hätten uns
weiter nördlich halten sollen.« Er markierte die korrekte Richtung mit ausgestrecktem Arm.
»In vier Kilometern Entfernung gibt es eine kleine Anhöhe, auf der ein Flash gelandet ist. Ich
vermute, daß es der ist, den Gisol und ich vorhin gesehen haben.«
»Konnten Sie Insassen erkennen?«
»Nein. Der Flash schien verlassen.«
225
»Dann müssen wir die Augen offenhalten, die Zyzzkt treiben sich irgendwo in der Gegend
herum. Zumindest ist unser Weg klar.«
»Direkt ins Auge unseres Feindes«, bestätigte Gisol. »Diesen Flash sollten wir uns aus der
Nähe anschauen. Eine Alternative haben wir wohl nicht.«
Unverzüglich machten sich die Männer auf den Weg. Es war ja möglich, daß die Zyzzkt, wie
sich Oshuta ausdrückte, nur eine Pinkelpause machten. Sie konnten jederzeit wieder starten.
Und noch etwas anderes brannte ihm auf der Seele.
»Wir sind uns doch einig, daß nur Zyzzkt diese Welt betreten«, überlegte der Cyborg.
»Trotzdem gibt es diesen energetisch gesicherten Bereich. Was bedeutet das? Daß es Zyzzkt
gibt, die vor anderen Zyzzkt etwas verbergen. Gegen niemanden sonst kann sich ein solches
Schutzfeld richten, weil da sonst niemand ist.«
»Sie begehen einen Denkfehler, Lati, denn das tut es nicht«, hielt Ren ihm vor. »Zyzzkt
können davon nicht aufgehalten werden. Schließlich können sie das Feld mittels ihrer Flash
ebenfalls unter oder überfliegen.«
»Das ist mir durchaus klar, deshalb bin ich der Meinung, daß es keinen Sinn ergibt.«
»Es sei denn, wir betrachten das Feld von der falschen Seite aus.« Manlius schaute sich
argwöhnisch in alle Richtungen um. »Vielleicht ist irgendwas hier drin, was an der Flucht
nach draußen gehindert werden soll.«
Dagegen sprach, daß die Gruppe bisher auf keine solche Gefahr gestoßen war.
»Oder es soll bloß die Wölfe abhalten, mit denen wir Bekanntschaft gemacht haben.«
Doch auch an diese Möglichkeit glaubte niemand. Sie erschien zu simpel und widersprach
dem Aufwand, der auf Gesst betrieben wurde.
»Vielleicht sehen wir klarer, wenn wir dort vom einen Interviewpartner fmden, Commander.«
226
Ansonsten, befürchtete Dhark, blieb wahrscheinlich nur noch erfolgloser Rückzug, und diese
Alternative gefiel ihm gar nicht. f Trotz der gebotenen Eile ließen die Männer die Vorsicht
nicht außer acht. Unvermittelt mit den Zyzzkt zusammenzustoßen konnte sich als fatal
erweisen. Auch wenn sich in der Nähe nur dieser eine Flash aufhielt, waren irgendwo noch
mindestens neunzehn weitere unterwegs, die eine nicht zu unterschätzende Streitmacht
darstellten.
Ren schätzte, daß sie noch etwa ein Kilometer von dem gelandeten Beiboot trennte, als er
plötzlich Geräusche vernahm. Sie waren unverkennbar. ^ Das Knacken von Zweigen!
Jemand lief in großer Eile durch den Wald,
»In Deckung!«
Dann brach das Unterholz auseinander, achtlos niedergetrampelt von einem von Todesfurcht
gepackten Zyzzkt.
Er nahm nichts um sich herum wahr, sondern floh in unbezähmbarer Panik.
Wie ein wildes Tier vor dem Feuer.
»Der Bursche läuft um sein Leben«, raunte Lati Oshuta.
Die Umform des Zyzzkt war zerrissen und hing in Fetzen herunter. Die verschmutzten Lumpen schlotterten um seinen dürren Leib und wehten wie Fahnen hinter ihm her, die von dem Chitinpanzer mehr offenbarten als verbargen. Angestrengt schaute Ren Dhark in die Richtung, aus der der Zyzzkt gekommen war, und hielt nach einem möglichen Verfolger Ausschau. Wovor hatte der Insektoide solche Angst? Bis eben noch hatte Ren nicht gedacht, daß ein Angehöriger dieses Volks, das ein diszipliniertes Kollektiv darstellte, sich jemals so gehen lassen würde. Er hatte sich geirrt, also mußte die Ursache für die Flucht des 227 Zyzzkt entsprechend bedrohlich sein. Der war unbewaffnet, konnte sich also nicht verteidigen. »Soll ich ihn aufhalten, Sir?« fragte Oshuta. Ren zögerte. Vielleicht tauchten weitere Zyzzkt auf. Einer Übertnacht gegenüber wollte er sich nicht zu erkennen geben. »Die Wölfe«, überlegte Manlius, als der Flüchtende zwischen den Bäumen verschwand. »Möglich, daß er vor ihnen auf der Flucht ist.« »Dann sollten wir ihm helfen.« Gisol starrte den Cyborg an, als hätte er den Verstand verloren. Einem Sabocaer helfen? Am Ende sogar sein Leben retten? Diese Vorstellung erschien ihm unvorstellbar. Ren sah das etwas anders. Selbst wenn es sich um einen Feind und Unterdrücker der Worgun handelte, war er nicht bereit, ihn einem wilden Tier zu überlassen. Bevor er Oshuta zum Eingreifen instruieren konnte, wurde ihm die Entscheidung abgenommen. Denn durchs Unterholz brach ein weiterer Zyzzkt. Der reinste Hüne. Gisol gab einen überraschten Ausruf von sich. »Unmöglich!« In den Jahren seines Kampfs gegen die Wimmelwilden hatte er noch keinen so großen Zyzzkt gesehen. Dessen Chitinpanzer glänzte im Licht der einfallenden Sonnenstrahlen. Er trug keine Kleidung, sondern war völlig nackt. In seinen Greifklauen hielt er eine Art Armbrust, in die ein handlanger Bolzen eingespannt war. Weitere steckten in einem primitiven Köcher, den er sich umgehängt hatte. Doch das war nicht das Ungewöhnlichste an ihm. An einer Leine hielt er eine etwa siebzig Zentimeter große Kreatur, die wie eine ins Riesenhafte mutierte irdische Hummel aussah. Das Tier flog an einer zwei Meter langen Leine vor ihm her. Die irisierenden, beinahe durchsichtigen Flügel erzeugten einen kaum hörbaren Ton. »Was geht da vor sich?« fragte Ren. »Gisol, hast du eine Erklärung für diese Treibjagd?« »Das ist eine zahme Kegur«, antwortete der Rebell. »Ein von 228 den Zyzzkt domestiziertes Rieseninsekt, das auf das Verfolgen von Duftspuren abgerichtet werden kann.« »Um andere Zyzzkt zu jagen?« »Sie setzen die Kegur für alles mögliche ein. Aber hierfür?« Gisol winkte ab. »Das ist mir so neu wie dir. Offenbar macht der große Zyzzkt mit primitiven Mitteln Jagd auf den Flüchtling.« In diesem Moment stieß der Verfolger einen schrillen Schrei aus. Die Kegur zog ihn nach links hinüber, wo der Flüchtling zwischen den Riesenbäumen untergetaucht war. Dann war auch er verschwunden. »Sir, wir sollten eingreifen, wenn wir etwas erfahren wollen«, drängte Oshuta. »Eine zweite Chance wie diese bekommen wir vielleicht nicht mehr.« »Ist euch aufgefallen, daß keiner der beiden Zyzzkt einen IDDämpfer trug?« fragte Gisol irritiert angesichts dieser schweren Pflichtverletzung. »Das kann nur bedeuten, daß es hier
nicht mit rechten Dingen zugeht.« |y »Du meinst, diese Jagd ist illegal.« Ren wartete, bis er sicher war, daß keine weiteren Zyzzkt folgten, dann wandte er sich an w^ den Cyborg. »Was haben Sie vor, Lati?« B »Dieser Jäger scheint etwas Besonderes zu sein. Ich werde ihn mir schnappen. Gisol, kann diese Kegur uns auch wittern?« Der Worgun schüttelte den Kopf. »Diese Tiere sind recht dumm, auch wenn es möglich ist, sie zu zähmen. Sie verfolgen immer die Spur, die sie zuerst aufgenommen haben, weil sie sich nicht auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren können. So lange die Kegur hinter dem Flüchtling her ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.« \" Seine Erklärung gab den Ausschlag. ! »In Ordnung, Lati«, gab Dhark sein Einverständnis. »Versuchen Sie ihr Glück, aber gehen Sie kein unabschätzbares Risiko ein. Wir folgen Ihnen, so schnell wir können. Lassen Sie also eine deutlich sichtbare Spur zurück.« »Natürlich, Sir.« Der Cyborg machte sich an die Verfolgung. 229 Lati Oshutas Spur war eine Schneise der Verwüstung. Wie eine Dampfwalze preschte er durch das Unterholz und zeigte Dhark und seinen Begleitern damit deutlich seinen Weg an. Damit durften sie keine Probleme haben, ihm zu folgen. Ift Natürlich war er nach wie vor gephantet. In seinem derzeitigen Zustand waren sämtliche Gase und Flüssigkeiten seines Körpers gebunden, was ihn nahezu unverwundbar machte. Verletzungen konnten ihm zwar zugefügt werden, aber in seinem Phantzustand behinderten sie ihn nicht und stellten auch keine ernsthafte Gefahr für ihn dar. Er mußte damit rechnen, daß der überdurchschnittlich große Zyzzkt ihn bemerkte und ihm auflauerte. Der Japaner war vom Jagdfieber gepackt, von diesem archaischen Relikt der Vorfahren, das kein Mensch vollständig unterdrücken konnte. Dabei unternahm er diesen Ausflug nicht zu seinem Vergnügen, sondern hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Er war versucht, auf sein Zweites System umzuschalten, um die störenden Emotionen zu unterdrücken, entschied sich aber dagegen. Denn er war zivilisiert genug, sich auch in einer solchen Situation nicht von ihnen leiten zu lassen. Er lief an einer Ansammlung etwa fünf Meter hoher Stauden vorbei, die dichtbehangen von roten Früchten waren, auf denen . Scharen buntgefiederter Vögel saßen. Als sie den Cyborg bemerkten, ließen sie von ihren natürlichen Futtertöpfen ab und erhoben sich zeternd in die Höhe, nur um sich hinter ihm gleich wieder niederzulassen. Hier war der Zyzzkt vorbeigekommen, Oshuta entdeckte eindeutige Spuren. Er lauschte, aber außer dem Geschrei der Vögel war nichts zu hören. Die beiden Zyzzkt hatten also einen ordentlichen Vor 230 sprung vor ihm, aber mit jeder Minute holte der wesentlich flinkere Cyborg weiter auf. Plötzlich kreuzte ein schmaler Trampelpfad seinen Weg. Deutlich zeichnete er sich zwischen Famen, Gehölz und totem Laub ab. Lati hielt inne. Zu seiner Rechten war der grüne Belag niedergetrampelt und hatte sich erst zu einem Teil wieder erhoben. Er folgte dem Pfad, der sich ohne gleichbleibende Richtung zwischen den Urwaldriesen hindurchschlängelte. Also waren hier häufig Lebewesen Zyzzkt wohl unterwegs. Bedeutete das, daß diese eigenartige Treibjagd kein Einzelfall war? Sie war auch eine Erklärung für den Energiezaun, der ein bestimmtes Areal als Jagdgebiet markierte, aus dem der Flüchtling nicht entkommen konnte. Aber war diese Erklärung nicht zu weit hergeholt? Lati wurde unwohl bei dem Gedanken, schließlich konnte auch er sich nicht von diesem Jagdfieber freisprechen.
Wurde es hier ausgelebt? Doch wer waren dann die unterschiedlichen Zyzzkt? Was zeichnete Jäger und Gejagten aus? Was verband, oder besser trennte sie so sehr, daß einer dabei den anderen tötete? Denn um ein Spiel, das an einem bestimmten Punkt abgebrochen wurde, handelte es sich nicht. Die Todesangst des ersten Zyzzkt war nicht gespielt gewesen. Er hatte gewußt, daß sein Ende bevorstand. Der Pfad machte jetzt einen scharfen Knick. Seine ständigen Richtungsänderungen deuteten darauf hin, daß er zu keinem bestimmten Zielort führte. Mehr als einmal wollten die verwirrenden Lichtkorridore, die zuweilen die Ausprägung von Scheinwerferkegeln besaßen, Oshuta einen Streich spielen, aber er ließ sich davon nicht in die Irre führen. Ein NichtCyborg hätte die Spur der Zyzzkt längst verlohn, aber mit seinen besonderen Sinnen fand er sie immer wieder. Damit das Dharks Gruppe ebenfalls gelang, hinterließ er auch auf dem Trampelpfad nicht zu übersehende Zeichen. Er zertrat kleinere Pflanzen oder knickte Äste um. Dann führte der Weg die Zyzzkt wieder von dem Pfad fort und 231 quer durchs Unterholz. Oshuta überwand einen Bach, den er mit einem weiten Sprung überquerte. Am Ufer zeichneten sich deutliche Spuren ab, die sich wie ein offenes Buch lasen. Der gejagte Zyzzkt war gestürzt, hatte sich aber wieder aufgerafft, bevor sein Häscher heran war. Die Weiterflucht war ihm offenbar im letzten Moment gelungen, denn in einem Baumstamm steckte ein Armbrustbolzen. Er bestand aus einem extrem harten Holz. Dem Cyborg gelang es nur mit Mühe, ihn abzubrechen, wobei die fingerlange Spitze in dem Stamm steckenblieb. Eine ideale Waffe, um einen harten Chitinpanzer zu knacken. Kurz darauf stürmte er auf eine kleine Lichtung, die im ungetrübten Sonnenlicht badete. Mit trägen Bewegungen kroch ein kleines Tier vorbei, das sich nicht um ihn kümmerte. Ebenso wie die Vögel schien es keine Angst vor latenten Gegnern zu haben. Dafür erkannte Oshuta am jenseitigen Ende der Lichtung hektische Bewegung. Der große Zyzzkt, in dessen glänzender, schwarzer Chitinhülle sich das Sonnenlicht spiegelte, sprang zwischen die Bäume, mit seiner Armbrust auf ein verborgenes Ziel anhaltend. Also war der Flüchtling nicht weit entfernt. Der Cyborg überwand die Lichtung mit weiten Sprüngen, um im letzten Moment einen Haken nach links zu schlagen. Wenn er sich nicht irrte, bewegte er sich nun parallel zu dem Jäger. Da drang ein gequälter Schrei zu ihm herüber. Oshuta zögerte nicht. Wenn er den kleineren Zyzzkt nicht als Leiche wiedersehen wollte, durfte er keine Sekunde verlieren. Also mit dem Kopf durch die Wand! Mit brachialer Körpergewalt bahnte er sich einen Weg und sprengte beiseite, was ihn aufhielt. Vor ihm spielte sich eine Horrorszene ab. Der Gejagte lag verkrümmt auf dem Boden. Er zuckte unkontrolliert und gab schmerzerfüllte Laute von sich. Ein Armbrustbolzen steckte in seiner Hülle. Er hatte das Chitin zerbrochen, war aber nicht tödlich gewesen. Noch nicht, aber das würde der nächste Schuß erledigen. Der hünenhafte Zyzzkt stand über seinem Opfer, die Armbrust erho 232 ben, um den Fangschuß anzubringen. Er stieß einen langen, triumphierenden Schrei aus, der einem Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. »Nein!« schrie Oshuta, durchs Unterholz brechend. Der nackte Zyzzkt wirbelte herum und schoß. Sein eigener Schwung warf Oshuta in die Flugbahn des Bolzens, der mit einem dumpfen Schlag gegen seine Brust krachte. 233 13.
In einer Zeit, in der das Durchschnittsalter zirka 140 Jahre betrug, durfte man sich als Einunddreißigjährige theoretisch noch den Teenagern zurechnen zumindest schadete es nichts, sich hin und wieder wie ein junges Mädchen zu fühlen und offenen Herzens aus sich herauszugehen. Die schlanke, wohlgeformte Wissenschaftlerin Veronique de Brun, Standortleiterin der französischen BiotechnologiqueFiliale, einer Tochtergesellschaft des WallisKonzems, gehörte mehr zur Frauenfraktion der Unnahbaren. Nur selten ließ sie ihren geheimen Sehnsüchten freien Lauf. Ihre wenigen Männerbekanntschaften hatten nie lange gehalten. Keiner hatte es bisher geschafft, ihr Herz zu berühren. Mit einer Ausnahme. In den Armen des TerraPressReporters Bert Stranger wurde ihr immer ganz schwindelig vor Glück. Dabei paßten die beiden eigentlich gar nicht zusammen. Veronique war eine elegante Erscheinung, ganz gleich, was sie trug. An ihrer Seite nahm sich der rothaarige, leicht untersetzte Journalist ein bißchen wie ein Schlamper aus. Bert war noch nie ein Frauentyp gewesen, während sich nach Veronique die Männer gleich reihenweise die Köpfe verrenkten. Ihren Beruf nahm sie sehr ernst, fast schon bis zur Pingeligkeit. Was sie tat, tat sie mit Vorsicht und Bedacht. Stranger ging seinen Job wesentlich lockerer an. Mitunter handelte er schneller als er denken konnte, wobei er kein Risiko scheute. Zudem neigte er ein wenig zum Angeben. Veronique de Brun redete meist nur, wenn sie etwas Gescheites zu sagen hatte. In Le Puy hatte sich Veronique vor Sehnsucht nach Bert verzehrt. Dennoch hatte sie ihn nicht angerufen. Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, ihm nachzulaufen. Zwar hatte sie mit ihm viel 234 K.?.' • Aufregendes erlebt, und es war auch schon zum leidenschaftlichen Austausch von Zärtlichkeiten gekommen aber sie war sich nicht sicher, ob er für sie genauso viel empfand wie sie für ihn. Vielleicht war für Bert die Sache längst gelaufen... Hier irrte sich die bezaubernde Biologin jedoch. Stranger träumte fast jede Nacht von ihr. Selbst in der Badewanne. A Die Hand, die sich nach ihm ausstreckte, nahm er nur instinktiv wahr. Noch bevor er richtig wach war, umschlossen seine Finger das Handgelenk des Eindringlings. Mit einem kräftigen Ruck zog er ihn zu sich in die Wanne. Jk »Veronique?« stammelte er verschlafen, als er die Person erkannte, die sich klammheimlich in seine Wohnung geschlichen hatte. »Wie kommst du hier herein?« »Durch die Tür«, antwortete die Frau atemlos. »Mit einer derart stürmischen Begrüßung hatte ich allerdings nicht gerechnet.« Vom Kopf bis zum Hals war sie klatschnaß. Das teure Modellkleid, welches sie Bert zuliebe angezogen hatte, schmiegte sich wie eine zweite Haut um ihre fraulichen Rundungen. »Ist meine Alarmanlage kaputt?« fragte der Reporter. »Ich arbeite in einer Führungsposition für den größten Industriekonzem der Erde, falls du dich erinnerst. Wenn eine hochgestellte WallisMitarbeiterin irgendwo hinein will, dann kommt sie auch hinein, klar?« »Klar«, erwiderte Stranger, dem bei ihrem Anblick ganz schön schwummerig wurde. Im Grunde genommen war es ihm herzlich egal, wie Veronique hier hereingekommen war, Hauptsache, sie war da. Ihre Nähe dachte ihn ganz wild. Am liebsten hätte er mit beiden Händen ihr nasses Kleid ergriffen, es an der Knopfleiste auseinandergerissen ^d sich kopfüber ins Vergnügen gestürzt. ^ Sie schien seine Gedanken zu erraten. j|| »Nur zu, laß deinen Phantasien ruhig freien Lauf«, ermunterte ^e ihn. »Der feine Stoff ist überaus wasserempfindlich. Das gute Stück taugt somit nur noch für die Altkleidersammlung. Wahr 235
schemlich macht man dort Putzlumpen daraus.« »Die Arbeit kann ich denen abnehmen«, sagte Bert und hielt sich nicht mehr länger zurück... Manchmal hatte Veronique das Gefühl, daß Stranger zwei Seelen in seiner Brust beherbergte. Beide hatten ihr wildes erotisches Liebesspiel von der Badewanne zunächst auf den dickflauschigen Wohnzimmerteppich und letztlich aufs Bett verlagert. Bert war kaum noch zu bremsen gewesen, hatte das letzte aus sich herausgeholt und aus ihr. Nun stand er neben dem Bett, bekleidet mit einem altmodischen Morgenmantel, ein Frühstückstablett in der Hand, und er sah aus wie »Mister Harmlos« persönlich. Wie ein kleiner Lausbub, der seinen Mitmenschen zwar ab und zu einen Streich spielte, ansonsten aber keiner Fliege was zuleide tat. Auf dem Tablett befanden sich Brötchen, Toast, Butter, Marmelade, gekochte Eier sowie Spiegeleier mit Speck. Selbstverständlich fehlten auch Kaffee, Milch und Orangensaft nicht. Veronique kam sich vor wie in einem Hotel. »Ist es nicht schon zu spät fürs Frühstück?« fragte sie ihn lächelnd. »Anständige Leute sitzen bereits beim Mittagessen.« »Anständige Leute haben auch keinen Sex am Vormittag«, konterte Bert und nahm neben ihr Platz. »Mittagessen gibt es heute abend. In einem vornehmen Restaurant bei Kerzenlicht. Danach machen wir dann dort weiter, wo wir vorhin mangels Kondition leider aufhören mußten.« »Offensichtlich bist du in Topform«, entgegnete de Brun, die nur mit sich selbst und einer dünnen Decke bekleidet war. »Dabei hatte ich erwartet, dich halbtot vorzufinden, nach allem, was in den Nachrichten über dich berichtet wurde. Du sollst in eine Schießerei in der Transmitterstation verwickelt gewesen sein. Bs hieß, die GSO habe dir das Leben gerettet. Ich habe mir große 236 Sorgen um dich gemacht und bin umgehend per Transmitter nach Ala-Mo Gordo gereist.« »Per Transmitter?« wunderte sich Stranger. »Funktioniert der denn wieder? Bei ihrem Kampf gegen die Killertruppe hat die GSO die halbe Station in ihre Einzelteile zerlegt.« »Ich habe mir von Terence Wallis die Genehmigung besorgt, die finneneigenen Transmitter benutzen zu dürfen. Das Netz wird gerade erweitert. Erst vor wenigen Tagen wurde eine neue Station in Pittsburgh eingerichtet. Von dort aus gelangte ich über eine weitere Verbindung in die WallisNiederiassung unserer Hauptstadt.« »Wallis baut ein neues erweitertes Transmittemetz auf? Wozu?« »Keine Ahnung. Ich glaube, es hängt mit dem geplanten Umzug nach Australien zusammen. Du hast sicherlich schon davon gehört, daß Wallis seinen Stammsitz auf Terras kleinsten Kontinent verlegen will.« Stranger nickte. »Ist mir zu Ohren gekommen. Terence Wallis ist stets über alles informiert, was auf Terra vor sich geht. Ich stehe ihm darin allerdings in nichts nach.« »Logisch, ist ja dein Beruf«, erwiderte Veronique knapp. »Versuch aber bitte nicht, mich über Firmenintema auszuhorchen. Erstens weiß ich nichts, und würde ich etwas wissen, dürfte ich zweitens nicht darüber reden, kapiert?« »Kapiert, mein Engel. Alles soll nach deinem Willen geschehen. Ich bin dein ergebener Diener, der dir jeden Wunsch von den schönen Augen abliest.« »Davon habe ich vorhin im Bad nicht viel gemerkt. Ich kann mich nicht besinnen, mir insgeheim gewünscht zu haben, mein nässeempfindliches Modellkleid zu ruinieren. Kaum hatte ich die Hand nach dir ausgestreckt, um dir über den Kopf zu streicheln, lag ich auch schon im Wasser.« Stranger nahm ein kleines Gerät aus der rechten Tasche seines Morgenmantel. »Das habe ich auf der Dielenkommode gefunden. Hast du damit meine Alarmanlage überlistet?« »So ist es«, bestätigte ihm Veronique. »Eine nützliche Erfindung
237 von Wallis' Schützling Robert Saam. Mein Chef hat es mir mitgegeben, für den Fall, daß du noch schläfst und mein Läuten nicht hörst.« »Hast du denn überhaupt geläutet?« »Natürlich nicht. Hätte ich darauf verzichten sollen, das Gerät auszuprobieren?« Bert zog die Stirn kraus. »Wallis hat sich ja rührend darum bemüht, unser Rendezvous nicht an Kleinigkeiten scheitern zu lassen. Seit wann zeigt er so großes Interesse an Liebenden?« »Er hat halt ein gutes Herz«, meinte Veronique. »Im übrigen hält er große Stücke auf dich. Hast du schon mal daran gedacht, für Wallis Industries als Pressesprecher zu arbeiten? Du hättest eine geregelte Arbeitszeit und Monat für Monat ein hübsches Sümmchen auf deinem Konto.« »Nein danke, dafür liebe ich meine Freiheit viel zu sehr. Ich will mir nicht von einem Unternehmen vorschreiben lassen, was ich zu sagen und zu schreiben habe. Bei TerraPress läßt man mir weitgehend freie Hand, und wenn ich mal übers Ziel hinausschieße, entläßt man mich und stellt mich kurz danach wieder ein. Damit kann ich prima leben. Auf geregelte Arbeit und geregelten Lohn kann ich hingegen gut und gern verzichten.« »Wirklich zu schade«, seufzte Veronique. »Dann legst du sicherlich auch keinen gesteigerten Wert auf ein Häuschen im Grünen, mit einer Schar spielender Kinder im Garten.« Stranger schluckte. Er hoffte, daß seine Freundin nur Spaß machte. Ein unruhiger Geist wie Bert Stranger war fürs Faulenzen einfach nicht geschaffen. Obwohl es ihm gutgetan hätte, mal ein paar Stunden auszuspannen und sich den ganzen Nachmittag über ausschließlich Veronique zu widmen, ließen ihn seine aktuellen Recherchen nicht los. 238 »Ich muß kurz was in der Redaktion erledigen«, teilte er seiner Freundin nach dem verspäteten Frühstück mit. »Bist du noch da, wenn ich wiederkomme?« »Selbstverständlich«, antwortete sie und setzte ihr zuckersüßestes Lächeln auf. »Ich vertreibe mir die Wartezeit damit, das Geschirr zu spülen und die Wohnung zu putzen.« Bert stutzte. »Ist das dein Ernst?« »Natürlich nicht, ich hasse Hausarbeit. Ich habe mir zwei Tage freigenommen, um mit dir zusammenzusein, und nicht, um deine Junggesellenbude auf Hochglanz zu polieren.« »Was hältst du davon, mit in die Redaktion zu kommen?« »Eine gute Idee. Meinen Arbeitsplatz kennst du ja, da ist es nur recht und billig, wenn ich jetzt deinen kennenlerne.« Die Schweberfahrt zum Redaktionsgebäude verlief ohne Zwischenfälle, abgesehen von einer kleinen Unterbrechung in einem Delikatessenladen. Stranger stieg kurz aus, kaufte eine teure Bonbonniere, legte sie nach dem Einsteigen auf dem Schoß seiner Beifahrerin ab und fuhr dann weiter. Auf dem Weg durch die Flure zur Hauptredaktion von TerraPress erregte die attraktive Brünette an Strangers Seite Aufsehen. In erster Linie natürlich bei den Männern, aber auch ein paar neidische Frauenblicke waren mit darunter. Die Bonbonniere hatte Veronique bei sich, sie hielt die aufwendige Pralinenpackung behutsam in den Händen. Hinter vorgehaltener Hand wurde tüchtig spekuliert. »Vermutlich eine Informantin.« »Glaube ich nicht. Die beiden kennen sich bestimmt näher. Würde er ihr sonst Pralinen schenken?« »Möglicherweise nimmt sie aus beruflichen Gründen Geschenke von Männern an und damit meine ich nicht nur Pralinen.« »Wie ein leichtes Mädchen sieht sie wirklich nicht aus. Dafür ist sie viel zu geschmackvoll gekleidet.« »Das hat nichts zu besagen. Manche dieser Damen haben durchaus Klasse.«
239 »Ich schätze, sie ist irgendwas Höhergestelltes.« »Was wollte so eine ausgerechnet von Bert? Er ist alles andere als ein Adoms.« Als das beste Pferd im Stall verfügte Bert Stranger natürlich über ein eigenes Büro. Manchmal zog er es allerdings vor, gemeinsam mit seiner Kollegenschar im Großraumbüro zu arbeiten und sich mit den anderen auszutauschen. Zu diesem Zweck hatte man ihm dort einen eigenen Schreibtisch aufgestellt, mittendrin. Dieser Platz war so etwas wie ein Heiligtum. Auch während Berts Abwesenheit wagte es niemand, sich da hinzusetzen, und es legte auch keiner unerledigte Akten auf dem Tisch ab. Stranger bat Veronique, dort auf ihn zu warten. »Ich muß dringend mit jemandem unter vier Augen sprechen, bin aber gleich wieder zurück.« Kavaliersmäßig rückte er ihr den Stuhl zurecht. »Du >parkst< mich an deinem Schreibtisch, inmitten all deiner attraktiven Kollegen?« entgegnete sie. »Hast du keine Angst, daß ich die Gelegenheit nutze und mir einen anderen anlache?« »Ich weiß doch, wie verfallen du mir bist«, hauchte er ihr ins Ohr und küßte sie auf die Wange. Spätestens jetzt begriff jeder der Anwesenden, daß die beiden ein Paar waren. Bert begab sich in die Buchhaltung und nahm die Bonbonniere mit. Die enttäuschte Veronique (Würde sie die Pralinen jemals wiedersehen?) fing an, gelangweilt in seinen Schreibtischunterlagen zu kramen. Nicht einmal vor den Schubladen machte sie halt, allerdings waren die meisten verschlossen. »Sie ist zum Sterben schön«, flüsterte am benachbarten Schreibtisch ein junger Redakteur seinem fast doppelt so alten Kollegen zu, der sich zu ihm setzte. »Aber bestimmt strohdoof«, entgegnete der Ältere leise. »Logisch, sonst wäre sie ja nicht mit Stranger zusammen. Schließlich gibt es besseraussehende Kerle auf der Welt. Mich zum Beispiel.« 240 »Eingebildet bist du gar nicht, wie? Schaffst du es, deinen Blick für ein paar Minuten von Berts Begleitung abzuwenden? Ich brauche nämlich deine Hilfe bei einem Feature übers Sensorium.« Sensorium? Veronique de Brun horchte auf. Vom Geflüster hatte sie nichts mitbekommen, doch der letzte Satz war im normalen Tonfall gesprochen worden. »Was könnte ich dir darüber sagen, das du ohnehin nicht schon weißt?« fragte der junge Redakteur. »Die zwielichtige, mutmaßlich von Telrebellen gegründete Firma Sensorium Inc. brachte das äußerlich unscheinbare Gerät, das aussieht wie ein Kopfhörerbügel mit einer glaslosen Brille, in Millionenauflage auf den terranischen Markt. Auch auf Cromar wurde es vermarktet bis die GSO dahinterkam, daß das Sensorium nicht nur mit normalen Erlebnischips, sondern zudem mit süchtigmachenden Intensivchips gefüttert werden kann. Daraufhin wurde die SensorienErlebnissimulationstechnologie auf beiden Planeten komplett verboten. Somit hat die bereits als veraltend geltende Holotechnologie doch noch nicht ausgedient. Derzeit befindet sich eine neue Variante des verbotenen Gerätes im Umlauf: das Fernsteuersensorium.« »Im Umlauf?« bemerkte der Ältere. »So würde ich das nicht ausdrücken. Das ursprüngliche Gerät gab es in zahllosen Fachgeschäften zu kaufen, ebenso die normalen Chips. Die Suchtchips bekam man hingegen nur auf dem Drogenmarkt. Und was die neuen Fernsteuersensorien angeht, so werden sie ausschließlich in Verbrecherkreisen verwendet. Wäre ja auch noch schöner, wenn die Geräte jedermann zugänglich wären. Ich stelle mir gerade vor, nieine Frau stülpt mir so ein Ding über den Kopf, und ich müßte dann Tag für Tag nach ihrer Pfeife tanzen.«
Der Jüngere lachte. »Keine Angst, ich würde dir schon beistehen und dir das Gerät herunterreißen.« »Bloß nicht, das hätte fatale Folgen! Soweit ich informiert bin, zerstören die Fernsteuersensorien, beziehungsweise die darin enthaltenen Chips den Verstand des Trägers. Genaueres konnte ich ^ch nicht ermitteln. Die örtlichen Behörden halten sich mit exak 241 ten Informationen zurück, vermutlich auf Anweisung der Galaktischen Sicherheitsorganisation. Auf der einen Seite wird die Bevölkerung in einem fort vor dem Gebrauch der Geräte gewarnt, auf der anderen Seite weigert man sich, allzu viele Details bekanntzugeben. Glücklicherweise habe ich da so meine Quellen übrigens war es nicht allein die GSO, die seinerzeit zur Aufdeckung der Suchtgefahr beitrug. Es ist vor allem TerraPress zu verdanken...« »Insbesondere Bert Stranger«, warf Veronique überraschend ein. Sie hatte ihren Stuhl etwas näher an den Nachbartisch herangerückt und das Gespräch ungeniert belauscht. »Im übrigen hinkt der Vergleich zwischen der Sensoriums und der Holotechnologie ein wenig«, sagte sie lächelnd zu den beiden. »Ich würde das Sensorium eher mit den VirtualRealityGeräten vergleichen, die im späten zwanzigsten Jahrhundert verwendet wurden. Seither hat sich auf diesem Gebiet vieles verändert. Die neue Technologie arbeitet mit induzierten Deltawellen und...« »Verstehen Sie denn überhaupt was davon?« fuhr ihr der jüngere der beiden Redakteure respektlos ins Wort. »Eine Kleinigkeit«, erwiderte die Biotechnologin bescheiden. »Vor einiger Zeit habe ich mich in meiner Firma mit der Feinabtastung der Intensivchips befassen müssen.« Der junge Mann schluckte. »In Ihrer... Firma?« »Na ja, genaugenommen handelt es sich um eine WallisTochtergesellschaft, aber ich leite den Betrieb. Ich versorge Sie gern mit ein paar wissenschaftlichen Details für Dir Feature, wenn Sie wollen. Allerdings möchte ich mich nicht aufdrängen, sicherlich kommen Sie auch ohne meine Mithilfe zurecht.« »Nein, nein, drängen Sie nur«, sagte der ältere Redakteur rasch. »Setzen Sie sich bitte zu uns. Auf dem Gebiet der Wissenschaft bin ich der reinste Laie.« Bei ihrem anschließenden, äußerst fundierten Vortrag über den aktuellen Stand der terranischen SensoriumErkenntnisse hatte de Brun mehr als nur einen Zuhörer. Das halbe Büro hörte mit und alle waren platt. Zweifelsohne hatte Strangers neue Freundin gehörig was auf dem Kasten. 242 Seit der Einrichtung einer terranischen Weltregierung verschmolzen die planetaren Regionen immer mehr miteinander. Natürlich gab es weiterhin Chinesen, Kenianer, Franzosen und so weiter, aber sie hatten sich längst auf eine gemeinsame Sprache geeinigt, nämlich Angloter, und mit dem gleichen Nationalstolz, mit dem sie sich einst Engländer, Inder oder Mexikaner nannten, bezeichneten sie sich heute als Terraner. Nicht selten erkannte man den Ursprung eines Terraners an seinem Namen. Wer Bill Smith hieß, kam mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit nicht aus der Region Rußland, und Erdem Akatay war wohl eher in Istanbul zu Hause als in Tokio. Elisabeth Deutschmann bildete die typische Ausnahme von der Regel. Die Wiege ihrer Großeltem hatte einst im Iran gestanden, und ihre Eltern waren später nach Bolivien gezogen. Mit dreißig hatte es Elisabeth aus beruflichen Gründen nach Ala-Mo Gordo verschlagen. Zunächst hatte sie für die Filiale einer bolivianischen Firma gearbeitet, dann war sie zu TerraPress gewechselt. Dort war sie zur Leiterin der Buchhaltung aufgestiegen, nicht zuletzt wegen ihrer »deutschen Gründlichkeit«.
Dabei hatte sie Deutschland noch nie in ihrem Leben gesehen, geschweige denn jemals dort
gewohnt.
Bert Stranger bemühte sich somit vergebens, mit ihr ein Gespräch über München oder Berlin
anzufangen.
»Ich kenne weder die Bayern noch die Preußen«, machte ihm die vierundvierzigjährige, für
Berts Geschmack etwas zu schlanke Büroleiterin klar. »Auch keine Ostfriesen.«
Daraufhin unterließ es Stranger, auch noch Emden, die heimliche Hauptstadt der Nordlichter,
ins Spiel zu bringen. Nie zuvor in seinem Leben hatte er beim »Einschleimen« so weit
danebengelegen.
»Haben Sie wenigstens einen deutschen Urururahnen?« wagte er 243
einen letzten Versuch.
Elisabeth Deutschmann zog die Stirn kraus, wobei ihr eine leicht angegraute Haarsträhne ins
Gesicht fiel. »Nicht daß ich wüßte. Was wollen Sie eigentlich von mir. Stranger? Bislang
haben Sie mich kaum beachtet, und nun nötigen Sie mir auf einmal eine Privatunterhaltung
auf. Was steckt dahinter? Brauchen Sie Informationen von mir, die unter meine
Schweigepflicht fallen?«
»Sie haben mich durchschaut«, gab Stranger offen zu. »Ich wollte lediglich ein bißchen
Konversation machen und Sie dann um einen Gefallen bitten.«
Er holte die Bonbonniere hervor, die er hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte, und
stellte sie auf dem Arbeitsplatz der Buchhalterin ab, direkt neben dem Computer.
»Sieh an, jetzt probieren Sie es mit Bestechung«, bemerkte die Frau unbeeindruckt. »Schade,
daß wir gerade allein sind. Hätte ich einen Zeugen, würde ich Sie der Geschäftsleitung
melden. Verschwinden Sie, und nehmen Sie das Zeug hier gleich wieder mit.«
»Das Zeug?« entrüstete sich der Reporter. »Nach dem Inhalt dieser Schachtel würden sich
andere Frauen alle zehn Finger ablecken. Die Pralinen enthaltenen lockere Creme und
Marzipanfüllungen, ausgesuchte Kirschen und Trauben sowie köstlichste Obstbrände aus
aller Herren Länder.«
Elisabeth pustete die graue Strähne aus ihrem Gesicht. »Ich trinke nie Alkohol, beim
Geschmack von Marzipan wird mir übel, und von Schokolade bekomme ich Ausschlag.
Vielleicht versuchen Sie es beim nächsten Mal mit einem Wurstbrot.«
Abgeblitzt! Bert stieß einen tiefen Seufzer aus, ergriff die Bonbonniere und schickte sich an,
das Büro zu verlassen.
»Auch recht, dann schenke ich die Pralinen halt meiner Freundin. Sie hatte eh geglaubt, die
Bonbonniere sei für sie.«
»Sie haben eine Freundin?« staunte Elisabeth Deutschmann. »Warten Sie, Stranger, davon
müssen Sie mir unbedingt mehr erzählen. Wie wär's mit einem Automatenkaffee in der
Kantine?«
244
Als Bert Stranger eine Dreiviertelstunde später die Personalkantine verließ, war es ihm
gelungen, die Buchhaltungsleiterin zu einem Gefallen breitzuschlagen als Gegenleistung für
die ausführliche Schilderung seiner Lebens und Liebesgeschichte. Gegen Finnenvorschriften
brauchte Elisabeth Deutschmann nicht zu verstoßen. Bert hatte sie lediglich gebeten, ihre
umfangreichen Kenntnisse und Fähigkeiten für eine Überprüfung der finanziellen
Verbindungen zwischen Intermedia und der Fortschrittspartei einzusetzen. Für diese Aufgabe
war sie geeignet wie kein anderer. Wenn es darum ging, auf ihrem Fachgebiet
Nachforschungen zu betreiben, entpuppte sie sich als wahre Virtuosin auf ihrer
Computertastatur.
H Stranger platzte fast vor Stolz, als er ins Großraumbüro der Hauptredaktion zurücckehrte und sah, wie Veronique von seinen Kollegen umringt und angehimmelt wurde. Einige der Männer hingen regelrecht an ihren vollmundigen Lippen. A Bert verspürte einen leichten Stich in der Herzgegend. War er etwa eifersüchtig? Kurzerhand drängelte er sich nach vom durch, überreichte Veronique die Pralinenbox und verscheuchte die aufdringliche Kollegenschaft aus seinem Arbeitsbereich. i »Die Pralinen sind tatsächlich für mich?« wunderte sich de r ^". Brun. »Warum hast du sie dann vorhin mitgenommen?« »Damit du sie nicht an meine verfressenen Kollegen verfütterst«, log der Journalist, ohne dabei zu erröten. Er nahm neben Veronique Platz und betätigte das Vipho auf seinem Schreibtisch. Bert wollte einen Termin mit Terence Wallis ausmachen, befürchtete aber, dabei auf Schwierigkeiten zu stoßen. Der Multimilliardär ließ sich auf seinem Firmengelände in Pittsburgh regelrecht abschotten. _ Zu seinem Erstaunen wurde Bert überall sofort durchgestellt. In|p oerhalb kürzester Zeit schaffte er es bis ins Vorzimmer des Unternehmers. 245 »Kann ich etwas für Sie tun, Mister Stranger?« fragte ihn Wallis5 Chefsekretärin freundlich. »Ich müßte dringend mit Ihrem Chef reden. Nicht am Vipho, sondern von Angesicht zu Angesicht. Ich weiß, er ist ein vielbeschäftigter Mann. Trotzdem wäre ich ihm dankbar, wenn er sich nächste Woche oder so etwas Zeit für mich nehmen würde.« »Das trifft sich gut«, erwiderte die Sekretärin zu Strangers Verblüffung. »Mister Wallis möchte nämlich ebenfalls mit Ihnen reden. Augenblicklich hält er in seinem Büro eine kleine Konferenz ab, doch in dieser wichtigen Angelegenheit darf ich ihn ruhig stören. Warten Sie bitte einen Moment.« Die Sekretärin verschwand von Strangers Bildschirm. Szenen aus einem alten Tom und JerryFilm wurden gezeigt das Unterhaltungsprogramm innerhalb der Warteschleife. »Wirklich erstaunlich«, murmelte Bert. »Ich bin eine wichtige Angelegenheit. Meinetwegen werden sogar Konferenzen unterbrochen.« Schweigend widmete er sich der Filmeinblendung. Gerade als Jerrymaus seine Zähne in ein großes Stück Käse schlagen wollte, welches Kater Tom zuvor mit Angelhaken gespickt hatte, erschien wieder das Gesicht der Chefsekretärin. »Gerade noch rechtzeitig«, sagte Bert leise zu Veronique. »Ich kann nämlich kein Blut sehen.« »Mister Wallis läßt Ihnen schöne Grüße ausrichten«, teilte ihm die Sekretärin mit. »Einer seiner Chauffeure holt Sie um siebzehn Uhr Ortszeit Ala-Mo Gordo daheim ab.« »Uhrzeit notiert«, entgegnete Stranger. »Und an welchem Tag?« »Heute, wann sonst? Mein Chef ist bekannt als Mann von schnellen Entschlüssen. Mister Wallis erwartet Sie zum Abendessen auf seinem Landsitz. Sie dürfen gern Mademoiselle de Brun mitbringen. Allerdings kann ich ihr nicht garantieren, daß sie im Landhaus von so vielen Männern umschwärmt wird wie in Ihrer Redaktion. Einen schönen Tag noch.« Bert geriet immer mehr ins Staunen. Terence Wallis war offeü 246 bar über jeden seiner Schritte informiert. Seine »Privatspione« konnten den Agenten der GSO durchaus Konkurrenz machen. ... ratter, ratter, ratter... »Wieder hörte Stranger seine kleinen grauen Zellen arbeiten. Warum ließ Wallis ihn beobachten? Hing das mit seinen derzei^ tilgen Recherchen zusammen? Hatte auch Terence Wallis Dreck am politischen Stecken?
K Stranger wußte, daß der Unternehmer enge Kontakte zur Regierung pflegte. Was hatte Wallis zu verbergen? War er wirklich ehrlich bis ins Mark, wie man ihm nachsagte? Und was hatte es mit dem ominösen Umzug nach Australien auf sich? ...ratter, ratter, ratter... Australien war nicht das Ziel, das der siebenundvierzigjährige, hochgewachsene Multimilliardär Terence Wallis, der das größte Industriekonglomerat der Erde besaß, mit Firmen rund um den ganzen Globus, für seinen Umzug anstrebte. Vielmehr plante er, sein über achtzig Quadratkilometer großes Hauptwerk ins Weltall entschweben zu lassen, zum Kugelsternhaufen M 53. Dort, auf einem idyllischen Planeten namens Eden, wollte er einen eigenen Staat gründen. Um das komplette Werksgelände aus dem Erdreich zu heben, benötigte er die bahnbrechende Erfindung seines hauseigenen Genies Robert Saam. Der hatte einen neuen Kohlefaserverbundwerkstoff entwickelt, der mit Tofiritatomen versetzt war. »Carborit« nannte er das einzigartige Material, das derzeit in den Boden des Werkes eingezogen wurde. Seine übrigen Firmen und Gesellschaften wollte Wallis nach und nach abreißen lassen, mit Raumschiffen und Transmittem nach Eden transportieren und dort wie^r errichten. Der Umzugsplan war streng geheim; lediglich eine Handvoll 247 Vertrauter wußte über das gesamte Ausmaß Bescheid. Selbst die engsten Mitarbeiter der Firma und deren Familien wurden lediglich mit gezielt ausgestreuten Halbinformationen versorgt. Daß beispielsweise die im Bau befindlichen CarboritIkosaederkampfraumer nicht zum Verkauf ans Militär bestimmt waren, sondern der Verteidigung von Eden dienen sollten, ahnten die damit beauftragten Techniker nicht einmal annähernd. Und hätte es ihnen jemand erzählt, sie hätten es wohl nicht geglaubt das ganze Projekt war viel zu waghalsig und verrückt, als daß es hätte wahr sein können. Der zweiundsechzigj ährige, vollbärtige Kanadier George Lautrec gehörte zu Saams Assistententeam und war daher eingeweiht. Tatsächlich stammte die Idee, das Stammwerk von Pittsburgh in ein Raumfahrzeug zu verwandeln, sogar von ihm oder genauer gesagt aus einem alten SFRoman, den er als Jugendlicher begeistert verschlungen hatte. Ihm hatte Terence Wallis die Gesamtleitung für den ersten Teil des Umzugsprojektes übertragen. Lautrec war ein erfahrener Wissenschaftler auf den unterschiedlichsten Gebieten, ein bärenstarker Mann, der sich vor keiner noch so schwierigen Aufgabe drückte und selbst vor Drecksarbeit nicht zurückschreckte. Man fand ihn augenblicklich immer dort, wo die Action war: im neu angelegten Tunnelsystem unter dem Hauptwerk. Nur wenige menschliche Arbeiter wurden für das Einziehen des Carboritfundaments unter das Werksgelände gebraucht. Das meiste erledigten Maschinen. Wallis traf mit Lautrec in einem Stollen zusammen, in welchem ausschließlich Roboter tätig waren. Da sich die Blechmänner und Kegel nötigenfalls auch im Dunkeln zurechtfinden würden, kam man hier mit einer eingeschränkten Beleuchtung aus. Was für eine beängstigende Atmosphäre, dachte Terence Wallis. Obwohl er mit der Herstellung von Robotern einen nicht unerheblichen Teil seines Vermögens gemacht hatte, erzeugte die erdrückende Nähe zu vieler intelligenter Maschinen in ihm ein leises 248 Unbehagen. Insbesondere die unheimlichen Billigroboter erschienen ihm nie so ganz geheuer. Was wäre, wenn sie plötzlich anfangen würden, eigenständig zu denken wie Artus, die wohl berühmteste Konstruktion aus den WallisWerken? Würden sie Freundschaft mit ihren Erschaffem schließen? Oder würden sie ,— versuchen, die Erde zu erobern und die Menschheit zu versklaven? U Seine beklemmenden Gedanken vermischten sich mit dem
monotonen Rattern der primitiveren Arbeitsmaschinen, die teils selbständig agierten, teils von den Robotern bedient wurden. Wallis empfand dieses Geräusch als äußerst unangenehm; es steigerte sein Unwohlsein zusätzlich. »Die Arbeiten schreiten rasch voran«, berichtete Lautrec seinem l Chef. »Hier unten läuft alles fast wie von selbst.« «»Und oben?« fragte Wallis. George Lautrec hatte sich dagegen ausgesprochen, das gesamte Werk mit Carborit zu umhüllen. Statt dessen sollte ein Prallschirm das Gelände im Weltall komplett und luftdicht einschließen. Dafür wurden riesige Projektoren benötigt zusätzlich zu den gigantischen Transitionstriebwerken und Antigravaggregaten. »Die Triebwerke, Aggregate und Projektoren werden in gesonderten Hallen gefertigt, die über das ganze Gelände verteilt sind«, gab Lautrec dem Unternehmer Auskunft. »Der Großteil der Arbeiten dort wird von Robotern verrichtet. Die wenigen menschlichen Arbeitskräfte wurden von mir zum Schweigen verpflichtet. Ich habe behauptet, die Apparaturen seien für einen gutsituierten Auf! i traggeber aus dem Wirtschaftsbereich, der ein großes geschäftliches Projekt plant und namentlich nicht genannt sein will. Wohl war mir dabei nicht. Ich bin es nicht gewohnt, zu tricksen und zu lügen.« !•? »Lügen was für ein böses Wort«, erwiderte Wallis schmunzelnd. »Sie haben lediglich die Wahrheit ein bißchen verbogen, zum Wohle von uns allen. Wenn unsere Leute erst einmal auf Eden heimisch geworden sind, werden sie Ihnen dankbar dafür ^in, George. Der Umzug muß bis zur letzten Sekunde geheim 249 bleiben. Andernfalls könnten die Regiemng oder die Fortschrittspartei auf den Gedanken kommen, meine Pläne zu vereiteln. Schließlich hat man mir schon unverhohlen mit Enteignung gedroht.« »Zusätzliche Energieerzeuger brauchen wir keine zu bauen«, fuhr Lautrec mit seinen Ausführungen fort. »Für die Dauer des Fluges nach Eden wird die normale Produktion eh unterbrochen. Somit können wir unsere eigenen Kraftwerke für die notwendige Energieerzeugung nutzen.« Zur Fortbewegung verwendeten die beiden Männer eine Schwebeplatte. Zielsicher steuerte Lautrec das Fahrzeug durch das mal schwach, mal hellerleuchtete Tunnelsystem unter dem schon teilweise fertigen Carboritfundament hindurch. Im Zentrum des Werksgeländes stoppte er die Fahrt. »An dieser Stelle werden später mächtige Impulstriebwerke be A festigt natürlich erst nach Fertigstellung des kompletten Fundaments«, erklärte er. »Damit beschleunigen wir die >fliegende Stadt< bis auf Transitionstempo. Mit >wir< meine ich keine Mitarbeiter der Firma, sondern für die Flugbegleitung programmierte Roboter. Menschen dürfen wegen des zu erwartenden Transitionsschocks nicht mitfliegen, aber das ist Ihnen ja bekannt, Mister Wallis.« Der Angesprochene nickte. »Sie haben es oft genug betont, George. Das Warum leuchtet mir jedoch nicht so ganz ein. Meines Wissens lösen auch die Kugelraumer der Terranischen Flotte einen ^ solchen Schock aus. Wieso überstehen die Soldaten die regelmäßigen Transitionen unbeschadet?« »Gewohnheitssache«, entgegnete Lautrec. »Unsere Armeeangehörigen sind hart im Nehmen. Kommt es dennoch in Ausnahmefällen zu gesundheitlichen Problemen, werden sie mit entsprechenden Medikamenten behandelt. Eine Mitreise auf dem Werksgelände würde allerdings auch kein Soldat überleben. Die Transi ^ tionen des Komplexes erfolgen in einem relativ niedrigen Tempo. Der Schock beim Hypersprung einer solchen Masse ist für Men schen unerträglich. Tod oder im besten Fall Wahnsinn wären die unvermeidlichen Folgen.«
Wallis sorgte sich um seinen wertvollsten Besitz. »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß mein Hauptwerk ohne Überwachung im automatischen Flug durchs All fliegt. Mal angenommen, plötzlich versagt die Steuerung. Dann landet das ganze Werksgelände womöglich in irgendeiner Sonne. Oder Weltraumpiraten überfallen die >fliegende Stadt< und plündern mich aus, ohne daß ich etwas dagegen unternehmen kann.« Lautrec konnte ihn beruhigen. »Ein CarboritIkosaeder begleitet den Flug. Von Bord aus kann man bei einem technischen Notfall per Fernsteuerung Korrekturen vornehmen. Und was die Piraten betrifft, so greifen sie den IkosaederKampfraumer allenfalls zweimal an das erste und das letzte Mal.« »Sie haben wirklich an alles gedacht«, lobte Terence Wallis seinen leitenden Mitarbeiter. »Das Projekt ist bei Ihnen in guten Händen.« Er schaute auf seinen Zeitmesser. »Hoppla, ich muß schleunigst nach oben.« In Wahrheit hätte er noch gut und gern eine Viertelstunde dranhängen können, aber er hatte endgültig genug von der düsteren, beklemmenden Atmosphäre hier unter der Erde. »Saram Ramoya wartet schon seit einer halben Stunde in meinem Büro auf mich«, begründete er Lautrec gegenüber seine Eile. »Halb so schlimm«, meinte der kanadische Wissenschaftler und setzte die Platte wieder in Bewegung. »Asiaten haben bekanntlich eine Menge Geduld.« »Auch geduldige Menschen sollte man nicht über Gebühr warten lassen. Schließlich ist Pünktlichkeit die Höflichkeit der Könige.« »Sagt wer?« »Ludwig XVIII. und ich.« 250 251 Saram Ramoya war ohne Zweifel der bestaussehende Mann im Team von Robert Saam. In dieser »Disziplin« schlug er die anderen um Längen. Seine wie gemalt wirkende Hautfarbe schien das perfekte Bindeglied zwischen weiß und schwarz zu sein, und in seinen geheimnisvollen Augen hatten sich schon mehr unglücklich verliebte Frauen ertränkt als im Toten Meer. Terence Wallis hatte Ramoya mit dem Bau einer Transmitterstraße von Terra nach Eden beauftragt, mit einer Relaisstation alle 5000 Lichtjahre. Sinn der Sache war der reibungslose Warenverkehr zwischen beiden Planeten. Zudem sollte eine »Weiche« in die Transmitterstraße vom AchmedSystem nach Terra gelegt werden, so daß das dort abgebaute Tofirit in naher Zukunft direkt nach Eden geliefert werden konnte. Als fast alleiniger Besitzer der Abbaufirma Wallis Star Mining erwartete der Unternehmer keine Schwierigkeiten seitens der terranischen Regierung. Genau wie von Eden gehörten ihm 97,5 % des TofiritAsteroidengürtels. Die beiden Anteilseigner der verbliebenen zweieinhalb Prozent waren auf seiner Seite und standen seinen gewagten Plänen positiv gegenüber. Wallis betrat sein Vorzimmer. Über der Erde fühlte er sich wesentlich wohler als darunter. Seine Sekretärin informierte ihn über Ramoyas Anwesenheit. »Er ist gerade eingetroffen. Ich habe ihn weisungsgemäß in Ihr Büro gelassen.« Wallis nickte ihr zu und betätigte dann sein Armbandvipho. Wenig später war er mit einem seiner zahlreichen bezahlten Informanten verbunden. Die beiden führten ein kurzes Gespräch, wobei Wallis keine Rücksicht auf die Anwesenheit seiner Sekretärin nahm er wußte, daß er ihr vertrauen konnte. »Rufen Sie bitte Mister Stranger in der TerraPressHauptredaktion an«, gab er ihr Anweisung, nachdem er das Armbandvipho deaktiviert hatte, »und geben Sie mir Bescheid, sobald Sie ihn in der Leitung haben. Sollte er unauffindbar sein, bitten Sie Made 252 moiselle de Brun an den Apparat. Wie man mir brühwarm berichtete, läßt sie sich dort soeben von der halben männlichen Belegschaft umgarnen.« Ohne eine Erwiderung abzuwarten, begab er sich nach nebenan und begrüßte seinen Besucher.
Auch bei der Errichtung der geplanten Transmitterstraße TerraEden wurden überwiegend Roboter eingesetzt. Die Einsatzleitung bestand allerdings aus Menschen. »Es sind zuverlässige Leute«, versicherte Saram Ramoya seinem Auftraggeber in dessen Büro. »Ich habe ihnen strikt verboten, über das Transmitterprojekt zu reden. Selbst wenn sie wollten, könnten sie nichts ausplaudern. Bis Ende November bleiben sie im All, ohne Kontakt zu ihren Angehörigen.« Im Verlauf der Unterredung klopfte es an der Tür. Ohne ein »Herein« abzuwarten, platzte Wallis Sekretärin mitten in die Zweipersonenkonferenz. »»Haben Sie Stranger erreicht?« erkundigte sich Wallis. »Viel besser, er hat mich erreicht«, verriet sie ihm. »Mister Stranger möchte mit Ihnen reden und bittet Sie um einen Termin.« »Hervorragend«, erwiderte der Milliardär. »Richten Sie ihm aus, daß ich ihn in meinem Landhaus erwarte. Ein Chauffeur wird ihn um 17 Uhr Ortszeit Ala-Mo Gordo in seiner Wohnung abholen. Wenn er möchte, darf er gern seine hübsche französische Begleitung mitbringen falls sie nicht schon mit einem anderen ihrer vielen TerraPressKavaliere verabredet ist.« ” Die Sekretärin verließ das Zimmer. Wallis widmete sich wieder •l seinem indonesischen Mitarbeiter. 253 14. Lati Oshuta nahm die Verwundung mit analytischer Sachlichkeit hin, ohne Schmerz zu verspüren. Sie behinderte ihn nicht, und er verschwendete nicht einmal einen Gedanken daran. Statt dessen streckte er den nackten Zyzzkt mit einem harten Schlag nieder. Der machte dadurch einen ungewollten Satz rückwärts und schlug zu Boden. Die Armbrust entglitt seinen Greifklauen. Verzweifelt versuchte der kleinere Zyzzkt sich aufzurichten, war aber viel zu schwach. Er kroch ein Stück davon, weil er nicht begriff, was geschah. Erhielt er, den Tod schon vor Augen, unerwartete Hilfe? Lad konnte sich nicht um ihn kümmern, denn die Kegur ging auf ihn los. Mit einem wütenden Summen attackierte sie ihn, da ihr Herr außer Gefecht gesetzt war, mit einem stachelartigen Dom an ihrem Kopf. Der Cyborg tauchte unter dem Rieseninsekt weg und tötete es mit einem blitzschnellen Schlag. Es gab ein Knacken wie von morschem Holz, ein letztes Zucken, und die Kegur krachte in ein Feld sich sanft wiegender Farne. Dafür war der nackte Zyzzkt wieder bei Bewußtsein. Er sprang zu seiner Armbrust und riß sie an sich. Anscheinend handelte es sich um eine unzählige Male durchgeführte Handlung, denn das Einlegen eines Bolzens, das Spannen der Sehne und das Abfeuern des Geschosses dauerten keine Sekunde. Viel zu schnell für einen Menschen, auszuweichen und dem Tod von der Schippe zu springen. Lati Oshuta indes war kein normalsterblicher Mensch. Seine 254 Bioimplantate verliehen ihm eine Reaktionsfähigkeit, von der jeder außer einem Cyborg nur träumen konnte. Er warf sich herum, rollte sich ab und nahm beiläufig wahr, wie der steinharte Bolzen an seinem Kopf vorbeizischte, um sich in einen Baum zu bohren. Bevor der Zyzzkt nachladen konnte, hatte Oshuta ihn erreicht und rammte ihm eine Faust gegen den Insektenschädel, die den Jäger endgültig zu Boden warf. »Lati, alles in Ordnung?« Instinktiv stellte sich der Cyborg auf einen neuen Angriff aus dem Hinterhalt ein, erkannte aber augenblicklich Ren Dharks Stimme. Gemeinsam mit Gisol und Manlius tauchte der Commander der Planeten von der kleinen Lichtung her auf.
»Alles klar, Sir, jedenfalls bei mir.« Der Japaner drehte sich zu dem gejagten Zyzzkt um, der
leise vor sich hinwimmerte. »Leider kam ich zu spät, um ihn zu retten. Wenn wir von ihm
noch etwas erfahren wollen, müssen wir uns beeilen. Ich schätze nicht, daß er noch lange
durchhält. Die Verwundung ist zu schwer.«
Dhark bückte sich und ging in die Hocke. Er wagte nicht, den in der Chitinpanzerung
steckenden Armbrustbolzen anzurühren, hielt es aber auch für unnötig. Oshuta hatte Recht,
hier kam jede Hilfe zu spät.
Aus seinen Facettenaugen sah der tödlich Verwundete ihn an, sie waren bereits stumpf. Das
Leben entwich seinem verkrümmten Körper. Mit letzter Kraft versuchte er zu sprechen,
brachte aber keinen Ton heraus.
»Was ist geschehen?« fragte Ren unter Zuhilfenahme des Translators, ohne Hoffnung auf
eine Antwort zu haben. »Was geht hier vor sich?«
Der Zyzzkt gab ein paar klickende Geräusche von sich. Offenbar Waren sie ohne Sinn, denn
es gelang dem Translator nicht, sie zu Übersetzen.
Ren zeigte hinter sich, wo der bewußtlose Jäger lag. »Wer ist ^s? Was wollte er von dir?«
255
Wieder die unverständlichen Laute, mit denen er nichts anfangen konnte.
Oshuta war neben ihn getreten. »Wie ich schon sagte, Sir, ich kam leider zu spät.«
»Ist nicht Ihre Schuld, Lad.« Der Kommandant der POINT OF richtete sich auf, als das Leben
in den Facettenaugen des Zyzzkt allmählich erlosch. »Vielleicht haben wir bei dem anderen
mehr Glück.«
Plötzlich richtete der dem Tode nahe Zyzzkt sich noch einmal auf.
»Sie sind... nicht wie wir...« brachte er mit letzter Kraft hervor. Dann starb er.
Ren Dhark betrachtete ihn nachdenklich, wandte sich schließlich ab und ging zu dem nackten
Zyzzkt hinüber. Seine Hoffnung, bei ihm mehr zu erreichen, zerplatzte wie eine Seifenblase,
denn ihm ging es nicht besser als seinem Opfer. Auch er hatte sein Leben ausgehaucht.
Oshutas zweiter Schlag hatte ihn getötet.
»Jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als den gelandeten Flash zu untersuchen«, sagte
Manlius. »Vielleicht finden wir darin etwas, was uns Aufschluß über die hiesigen
Verhältnisse gibt.«
»Was immer es ist, es ist mehr als ungewöhnlich«, warf Gisol ein. Er deutete auf die beiden
Leichen. »Das hier bestätigt mich darin. Dieser nackte Zyzzkt, er scheint mir einer anderen
Rasse anzugehören.«
»Einer anderen Rasse? Gibt es die denn bei den Zyzzkt?«
»Das ist mir auch neu.« Gisol wirkte ratlos. »Sämtliche Sabocaer, mit denen ich bisher zu tun
hatte, verfügten über ein uneingeschränktes Solidaritätsbewußtsein. Rassische Unterschiede
waren mir bisher unbekannt. Daß sich zwei von ihnen gegeneinanderstellen, ist eigentlich
undenkbar.«
Doch die Fakten waren nicht zu leugnen. Offenbar war man einem großen Geheimnis auf der
Spur, wenn es eine geheimnisvolle ZyzzktFraktion gab, die nicht einmal Gisol bekannt war,
der sich besser mit den Insektoiden auskannte als jeder andere.
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Emotionslos blickte er auf den Toten hinab. Schon in seinen nächtlichen Schilderungen Ren
Dhark gegenüber hatte er keinen Hehl daraus gemacht, daß für ihn nur ein toter Zyzzkt ein
guter Zyzzkt war. Diese martialische Einstellung hatte er sich zunächst in seiner Jugendzeit
unter der Knechtschaft der Wimmelwilden angeeignet, später dann in seinem einsamen
Befreiungskampf für sein unterdrücktes Volk.
Mehrmals hatte er deutlichgemacht, daß er nicht bereit war, auch nur einen Schritt von seiner
Sichtweise abzugehen.
»Ich frage mich, was er mit seinen letzten Worten meinte.«
Sie sind nicht wie wir.
War damit der außergewöhnlich große Zyzzkt gemeint und andere wir er? Oder hatten die Worte eine ganz andere Bedeutung, die damit in keinem Zusammenhang stand? Die Männer diskutierten die verschiedenen Aspekte, konnten aber nur spekulieren. Um logische Schlüsse ziehen zu können, fehlten ihnen Hintergrundinformationen. »Vielleicht kann der uns doch noch weiterhelfen.« Gisol stieß mit der Fußspitze gegen den nackten Zyzzkt. »Wenn wir ihn an Bord der EPOY bringen, können wir ihn näher untersuchen.« Dhark war nicht angetan von der Idee. »Was versprichst du dir davon?« »Ich besitze zahlreiche Informationen über die Sabocaer, auch biologischer und medizinischer Art. Wenn wir den hier obduzieren, fmden wir neben seiner Körpergröße vielleicht weitere Unterschiede.« Das war eine Möglichkeit, die sich nicht von der Hand weisen ließ, fand Ren. Immerhin bestand die Möglichkeit, daß sie es tatsächlich mit einer zweiten ZyzzktRasse zu tun hatten und daß beide Rassen im Krieg miteinander standen. Daraus ließen sich möglicherweise Bündnisoptionen ableiten. »Ich bin sicher, daß der gelandete Flash noch immer auf der Anhöhe steht, auf der Lati ihn entdeckt hat. Wem außer dem Jäger soll er gehört haben? Wir könnten ihn benutzen, um den Toten zur 257 EPOY zu transportieren. Gisols Flash holen wir erst aus seinem Versteck, wenn wir unser Ziel erreicht haben.« Und der Flash des Jägers war nicht weiter als einen Kilometer entfernt. Ihn zu erreichen bedeutete also keinen großen Zeitaufwand, Gisols Spezialflash anschließend femgesteuert dorthin zu holen noch weniger. »Einverstanden«, sagte der Worgun. Mit dieser Vorgehensweise blieb sein versteckter Spezialflash immer noch als stiller Trumpf in der Hinterhand. »Wer von uns trägt diesen Brocken?« fragte Manlius. »Er scheint nicht grade leicht zu sein.« Kurzerhand bückte sich Oshuta, griff nach dem nackten Zyzzkt und warf ihn sich mühelos über die Schulter. »Die Frage war doch wohl rhetorisch«, stellte er mit breitem Grinsen fest. Die Gruppe hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als der Cyborg den Zyzzkt auch schon wieder fallen ließ. Seine geschärften Sinne hatten ihn die drohende Gefahr als ersten erkennen lassen. »Alle in Deckung!« rief er. Der Angriff kam aus dem Hinterhalt. Todesangst trieb ihn an. Tzrrp hastete keuchend durch das Unterholz, ohne darauf zu achten, seine Spuren zu tarnen. Dazu blieb ihm keine Zeit. Das einzige, was ihm half, war seine Schnelligkeit, doch selbst die konnte mit der der Jäger nicht mithalten. Wo waren sie? Gelegentlich warf er einen gehetzten Blick zurück, aber sie ließen sich nicht sehen. Doch Tzrrp machte sich nichts vor. Sie waren da. Er konnte sie spüren. Sie wittern. Sie nur nicht sehen. Was ihm genau genommen sogar lieber war. Man sah die Jäger erst, wenn es zu spät war. Wenn der Tod unmittelbar bevorstand. Aber Tzrrp wollte nicht sterben. Nie zuvor war 258 ihm so klargeworden, wie sehr er am Leben hing. Außer bei einer Gelegenheit. Nämlich als er auf den Schrecken der Zyzzkt gestoßen war. Auf Gisol, den Schlächter.
Er drängte die Erinnerung beiseite und lief um sein Leben. Mit einer geschickten Bewegung tauchte er unter einem tiefhängenden Astgeflecht hinweg und änderte instinktiv die Richtung, sich der törichten Hoffnung hingebend, seine Verfolger in die Irre führen zu können. Doch auf Dauer war das unmöglich. Es gab kein Entkommen für ihn. Zwar wußte er nicht genau, wie groß das Jagdgebiet war, durch das sie ihn hetzten, aber es war durch eine Energiesperre gesichert, die er nicht überwinden konnte. Wer sich einmal im Innern des Gitters aufhielt, verließ es erst wieder als Leiche. Außer natürlich den Jägern. Unter seinem Chitinpanzer spürte Tzrrp ein Frösteln, als er an sie dachte. Bis vor zwei Tagen hatte er nicht einmal von ihrer Existenz geahnt. Doch sie lebten, und in ihnen herrschte nur ein Gedanke. Ihm sein Leben zu nehmen. Wer nur waren diese unheimlichen Wesen? Zyzzkt, und doch keine Zyzzkt. Auch wenn er sie noch nicht gesehen hatte, hatte er doch genügend Geschichten über sie gehört, als man ihn hergebracht hatte. Geschichten, die allein dazu angetan waren, ihn schlottern zu lassen. Seine anfängliche Hoffnung, daß es sich um Übertreibungen handelte, hatte sich zu seinem Leidwesen nicht bestätigt. Zweige peitschten in sein Gesicht. Das Unterholz, durch das er sich einen Weg brach, weil es ihm trügerischen Schutz versprach, zerriß die Uniform, auf die er noch vor kurzem so stolz gewesen ^ar. Alles, was davon übrig war, waren vergangene Tage des Ruhms und zerfetzte Lumpen, die ihm eher das Aussehen eines ^orgunschen Tagediebs verliehen als das eines hochdekorierten Raumschiffkommandanten der Zyzzkt. Vor ihm wurde es heller. Anscheinend bewegte er sich auf eine 259 Lichtung zu, auf der er leicht zu entdecken war. Nur im dichten Wald hatte er eine Überiebenschance. Wenn auch nicht für lange, denn die Jäger stellten die Jagd erst mit dem Tod ihrer Beute ein. So hatte man es ihm berichtet. Tzrrp war nicht so dumm, diese Warnung leichtfertig zu ignorieren und darauf zu hoffen, die Jäger umstimmen zu können. Wenn er überleben wollte, mußte er ihnen zuvorkommen und sie töten. Einen einzelnen Jäger von der Gruppe trennen und ihm eine Falle stellen, um an seine Waffen zu kommen. Doch ihm war klar, daß das nahezu unmöglich war. Er war allein, und sie waren... ja, wie viele eigentlich? Er hatte keine Ahnung. Auf jeden Fall zu viele, als daß er eine reelle Chance hatte, seinen Gedanken in die Tat umzusetzen. Außerdem waren sie bewaffnet. Mit martialischen Waffen, deren Vorstellung allein ihn heulen lassen wollte. Er unterdrückte den Impuls. Die Jäger würden ihn hören. Im Gegensatz zu ihnen verfügte er über keine Waffe, lediglich über seine Greifklauen. Auch sie würden ihm im Kampf Mann gegen Mann nicht helfen, die Jäger waren größer und stärker als ein normaler Zyzzkt. Anders als "wir! Bevor Tzrrp die Lichtung erreichte, änderte er erneut die Richtung. Er umging sie an ihrer westlichen Seite und erreichte ein Waldstück, in dem die Bäume dichter standen als in anderen Bereichen und wo es besonders viel Unterholz gab. Das waren wieder ein paar zusätzliche Minuten, die er gewann. Doch auch sie verzögerten das unabwendbare Ende nur, statt es zu ändern. Dabei hatte er es nicht verdient, auf diese Weise zu enden, nur eines einzigen Fehlers wegen. Zuvor war er stets das Paradebeispiel eines ZyzzktSoldaten und Vorbild für Generationen nachfolgender Raumfahrer seines Volks gewesen. Wieso zählte all das auf einmal nicht mehr?
Er warf einen raschen Blick zurück und sah die sonnengetränkte Lichtung wie ein Loch aus dem Wald gestanzt. Eisiger Schrecken 260 durchfuhr ihn, als er die sich bewegenden Silhouetten entdeckte. Seine Mandibeln klackten aufgeregt. Seine Jäger waren näher, als er befürchtet hatte. Sie schienen niemals müde zu werden. Tzrrp hielt sich für kräftig und ausdauernd, trotzdem spürte er bereits Ermüdungserscheinungen. Sein Verstand arbeitete langsam, und seine Beine wurden schwer von der ungewohnten Anstrengung A Für einen Moment war er versucht, anzuhalten und sich in das Unvermeidbare zu fügen. Wenn er einfach die Augen schloß, war alles ganz schnell vorbei. Selbst der befürchtete Schmerz würde nicht lange währen, sondern in wohlige, lichtdurchflutete Gefilde führen. Hinüber auf die andere Seite, wo ewige Wonnen warteten. Hoch über ihm schrien Scharen überschwenglicher Vögel ihre m Vitalität heraus. Er verwünschte sie und hoffte, sie würden tot aus den Baumkronen fallen, aber dann verstand er ihre Botschaft. »Das Geschrei gab Tzrrp seinen Lebenswillen zurück. Er sah, wie dunkle Schatten, hinter den Baumriesen auftauchend und wieder verschwindend, die Lichtung überquerten. Komm nicht auf die Idee, sie zu zählen, hämmerte er sich ein und hastete weiter. Tzrrp nahm all seine Kraft zusammen und mobilisierte seine körperlichen Reserven. Er war noch lange nicht am Ende. Trotzdem spürte er mit seinem aus grauer Vorzeit übriggebliebenen Instinkt, daß seine Verfolger ihm immer näher kamen. Sie waren nicht nur gefühllos wie Maschinen, sondern erreichten auch deren Leistungsfähigkeit. isj. Sie sind nicht wie wir. Immer wieder ging ihm der Gedanke durch den Kopf und quälte An. Mit entsetzlicher Klarheit erkannte er, daß sie ihn fast eingeholt hatten. Jetzt war der Moment gekommen, wo die Götter ihm eine Waffe chicken mußten. der eine andere Rettung. 261 Plötzlich lag ein vielfaches Pfeifen in der Luft, und ringsum schlugen Armbrustbolzen und Pfeile ins Gestrüpp. Ren Dhark warf sich hinter die riesenhafte Wurzel eines umgestürzten Baums, die von vielfältigem krabbelnden Leben erfüllt war. Wo die Geschosse einschlugen, spritzte Dreck auf. Mit einem raschen Blick vergewisserte er sich, daß seine Gefährten ebenfalls in Deckung lagen, und robbte ein Stück voran, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen. Der Cyborg erwiderte bereits das Feuer. Auch Ren zog seinen Strahler und suchte nach einem Ziel, das er anvisieren konnte. Aber die Angreifer waren geschickt, sie ließen sich nicht sehen. Aufs Geratewohl feuerte er in das wogende Grün und setzte einen Teil des Schilfs in Brand. Entsetzte Schreie verrieten ihm, daß er ein paar der Angreifer aufgescheucht hatte. Um so wütenderes Feuer schlug ihm aus mehreren anderen Richtungen entgegen, und er mußte den Kopf einziehen, um nicht getroffen zu werden. Ein Stück voraus stieg dichter, dunkler Rauch auf. Auch Manlius und Gisol schössen jetzt und verschafften ihm damit eine Atempause. Offenbar waren die Angreifer zahlenmäßig deutlich in der Überzahl, aber solange sie lediglich ihre archaischen Waffen einsetzten, blieben sie trotzdem unterlegen. Es mußte sich bei ihnen ebenfalls um Jäger handeln. Wo aber steckte dann ihre Beute? Auf Dharks Gruppe waren sie zweifellos nur durch einen Zufall gestoßen, sonst würden sie den Kampf mit effektiveren Waffen führen. Die Flüchtigen hielten sich also auch in der Nähe auf.
Wenn sie klug waren, nutzten sie den unvorhergesehenen Zwischenfall, um heimlich, still und leise das Weite zu suchen. Immer mehr kam Ren das Ganze wie ein organisiertes, tödliches Katz und Mausspiel mit festgelegten Rollen vor. Handelte es sich bei den unsichtbaren Jägern ebenfalls um Zyzzkt außerhalb der 262 Größennorm ihres Volks? Er feuerte wieder, wahllos mal hierhin, mal dorthin. Oshuta wechselte mehrmals die Stellung, was Verwirrung bei den Jägern stiftete. Ihre Gegenwehr ließ nach. Auch Ren lag jetzt nicht mehr unter direktem Feuer und setzte nach. Inzwischen hatte sich vor ihm das Feuer ausgebreitet, hielt sich aber in Bodennähe und griff nicht auf die Baumriesen über, wie er erleichtert erkannte. Ein Waldbrand hätte ihnen gerade noch gefehlt, dann säßen sie nämlich ebenfalls in der Falle. Zwar konnten sie sich dann zurückziehen, ihren Plan aber nicht mehr ausführen. Übergangslos trat Stille ein. Oshuta sprang in das Unterholz, kam aber kurz darauf schulterzuckend zurück. »Sie sind verschwunden. Den Spuren nach handelte es sich um eine starke Gruppe. Ich sehe deshalb keinen Sinn darin, sie allein zu verfolgen. Vermutlich werden sie sich irgendwo in der Nähe mit stärkeren Waffen ausrüsten, und ich habe keine Lust, selbst zur Jagdbeute zu werden.« Ren war erleichtert, daß der Cyborg nicht auf eigene Faust losgeprescht war. Er teilte die Auffassung, daß er womöglich in eine Falle gelaufen wäre. »T »Hat jemand einen der Angreifer identifizieren können?« »Das ging alles viel zu schnell«, verneinte Manlius. »Die haben nicht einmal den Kopf aus der Deckung genommen.« »Ich habe sie leider auch nicht gesehen«, fügte Gisol hinzu. Seine Enttäuschung war ihm deutlich anzumerken, weil er keine Bestätigung für seine Theorie erhalten hatte, es mit einer zweiten ZyzzktRasse zu tun zu haben. »Wir hätten uns mehr um die verbliebenen neunzehn Flash kümmern sollen.« K Was leichter gesagt war als getan. Denn wo hätte man nach ihnen suchen sollen? Es stand ja nicht einmal fest, daß sie sich ebenfalls innerhalb des Energiezauns aufhielten. Nach dem vorangegangenen Angriff konnte man allerdings davon ausgehen, daß ^mindest ein Teil von ihnen sich innerhalb des abgesteckten 263 Jagdgebiets befand. Woraus sich ein weiteres Problem ergab. »Hoffentlich kommen die Zyzzkt nicht auf die Idee, mit den Flash nach uns zu suchen.« Gisol rechnete nicht damit, ein zweites Mal in den Infrarotortungen als einheimisches Tier durchzugehen. Diesmal waren die Flashbesatzungen vorgewamt und konnten sich ausrechnen, mit wem sie es zu tun hatten. »Früher oder später werden sie uns auf jeden Fall ihre Aufmerksamkeit widmen, deshalb sollten wir machen...« ... daß wir endlich aufbrechen, hatte Manlius sagen wollen. Vor Überraschung verschluckte er den Rest des Satzes, als ein weiterer Zyzzkt aus dem Famdickicht gestolpert kam und ihn glatt über den Haufen rannte. Umständlich rappelte der Römer sich wieder auf, während der Zyzzkt wie erstarrt stehenblieb. Es handelte sich um einen normalgewachsenen Vertreter seines Volks, der offenbar vor dem Feuer geflohen war. Und vor den Jägern, wie seine zerrissene Kleidung erkennen ließ. Sie war an manchen Stellen angesengt, aber sonstigen Schaden hatte das Feuer, das sich in dem Schilf nicht weiter
ausbreitete, sondern allmählich erlosch, nicht angerichtet. Es brannte nicht mehr, sondern schwelte stellenweise nur noch vor sich hin. Unwillkürlich erwartete Dhark, daß der Zyzzkt sich wieder in Bewegung setzte, um zu fliehen, aber der dachte gar nicht daran. Er stand zwischen den Männern und schien nachzudenken. Hin und wieder warf er einen Blick zurück. Schließlich gab er ein klickendes Geräusch von sich. »Ich bin Tzrrp«, sagte er. »Könnt ihr mich verstehen?« Gisol gab Dhark einen unauffälligen Wink. Auch Tzrrp trug keinen ID-Dämpfer. »Wir verstehen dich«, antwortete Ren. Der Translator funktionierte ausgezeichnet. »Sind die Jäger hinter dir her?« »Sie verfolgen mich, aber bisher konnte ich ihnen entkommen. Allerdings hätten sie mich erwischt, wenn sie nicht...« 264 Wenn sie nicht auf uns getroffen und abgelenkt worden wären, dachte Ren. Er hatte sich also nicht getäuscht. Ihm entging nicht, daß Tzrrp den toten Jäger eingehend betrachtete. Ren konnte sich die Gedanken, die ihm bei dem Anblick durch den Kopf gingen, lebhaft vorstellen. Die nächsten Worte des Zyzzkt bestätigten seine Vermutung. »Ihr habt ihn getötet, also seid ihr Feinde der Jäger.« Natürlich, dachte Ren. Tzrrp hatte keine Ahnung, wer sie waren, sondern verließ sich auf seine Beobachtung, daß die Fremden einen toten Jäger mit sich herumschleppten, dem sie zweifellos eigenhändig den Garaus gemacht hatten. Da er keine Menschen kannte, stufte er sie also auch nicht zwangsläufig als Feinde ein, und Gisol sah ja auch aus wie ein Mensch. Der Commander zögerte nicht lange. Manlius5 Warnung, mit der Rücckehr der Jäger zu rechnen, lag auch ihm selbst auf der Seele. »Feinde der Jäger, das hast du richtig erkannt. Mein Name ist Ren Dhark.« »Was wollt ihr jetzt tun, Rendhark?« »Wir brechen auf«, sagte er zu Tzrrp. »Du kannst uns begleiten, wenn du willst.« Der Zyzzkt überlegte nicht lange. »Ich begleite euch.« Natürlich war ihm klar, daß er keine lange Lebenserwartung mehr hatte, wenn er allein unterwegs war. In der Gruppe fühlte er sich sicherer. Lati Oshuta warf sich den toten Jäger wieder über die Schulter. Manlius und Gisol sicherten mit ihren Waffen zu den Seiten, während Dhark die Führung übernahm. Abwechselnd überwachten die Männer die tragbaren Ortungsgeräte, ohne verdächtige Impulse festzustellen. Ungläubig beobachtete Tzrrp den Cyborg, der den großen Zyzzkt wie eine Puppe trug, deren Gewicht ihn überhaupt nicht belastete. Er hielt sich in respektvollem Abstand von ihm und schloß sich dem weißblonden Mann an. Ich kenne euch nicht, aber ihr seid stark, sonst hättet ihr die Jä 265 ger nicht vertrieben. Dir werdet mich gegen sie schützen.« Der Worgun lachte humorlos auf. Aufmerksam hielt er das Un< terholz im Auge, um nicht eine unliebsame Überraschung zu erleben, aber von den Jägern war nichts zu sehen. »Das würde dir so gefallen. Erzähl uns erst einmal, was hier überhaupt los ist. Wieso verfolgen die Jäger dich? Hast du etwas ausgefressen? Wer sind diese Jäger überhaupt?« »Sie sind nicht wie wir.« Gisol verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Miene. »Das haben wir schon mal gehört. Kannst du das etwas genauer erklären?« In Tzrrps Facettenaugen trat ein eigenartiger Glanz. Er schien die Frage nicht zu begreifen, weil die Antwort auf der Hand lag. Mit einer seiner Greifklauen deutete er zu dem Toten.
»Seht ihn euch doch an.« »Du redest davon, daß er größer ist als du.« »Nicht nur größer als ich. Er ist... viel zu groß, ganz allgemein betrachtet.« Tzrrp stieß ein unübersetzbares Geräusch aus, das wie ein Seufzer klang. »Ich weiß selbst nichts Genaues. Offenbar machen die Herren der Zyzzkt sich einen Spaß daraus, auf Zyzzkt, die in Ungnade gefallen sind, auf diesem Planeten Jagd zu machen. Das verstößt gegen sämtliche Gesetze und Traditionen.« Ren horchte auf. »Die Herren der Zyzzkt? Wer sind sie?« »Ich habe sie niemals gesehen, aber es gibt Gerüchte. Ich wurde auf einem Ringraumer hergebracht«, berichtete Tzrrp. »An Bord habe ich mit einem anderen Gefangenen gesprochen, der vorher auf dem Zentralplaneten des Imperiums Dienst tat. Er hat mir anvertraut, daß die Herren der Zyzzkt Angehörige eines anderen Volkes sind.« »Hat er keinen Namen genannt?« »Leider nicht, aber nach allem, was ich erlebt habe, halte ich das für möglich.« Der Commander und seine Begleiter warfen sich vielsagende Blicke zu. Wenn die Zyzzkt unter der Herrschaft eines anderen Volks standen, schuf das eine ganz neue Situation. Doch wieso 266 ™ hatte man bisher nie von diesen angeblichen Herren gehört? Existierten sie, oder waren sie lediglich ein Popanz der Propaganda? 6 Doch zu welchem Zweck? Einst hatten die Zyzzkt mit den Grakos, dem schrecklichen alten Feind der Mysterious, zusammengearbeitet, doch diese Zeiten waren lange vorbei. Die Grakos selbst spielten seit den Ereignissen auf Grah im Gerrck-System auf der kosmischen Bühne keine große Rolle mehr. Sie waren befriedet worden, und ihre erwachsene Endform, die friedliebenden Gordo, sorgten dafür, daß dieser Friede eingehalten wurde. i g Also schieden die Grakos aus. »Wer zog aber dann seine Fäden im Hintergrund? Dummerweise hatte Ren den Eindruck, daß Tzrrp ihm nicht mehr sagen konnte. Er war ohne Argwohn und plauderte bedenkenlos aus, was er wußte. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, sind alle Gejagten in Ungnade gefallen«, sagte Gisol. »Also auch du.« Tzrrp schien mit sich zu ringen. Unruhig trippelte er auf seinen dünnen Beinen. Seine Mandibeln zitterten aufgeregt, und in seinen Facettenaugen flackerte es unruhig. Anscheinend war es kein Ruhmesblatt, weshalb er nach Gesst deportiert worden war, und er schämte sich dafür. Doch schließlich gab er sich einen Ruck. »Ich war Kommandant einer Flotte von Ringraumem«, erklärte er schwermütig, wobei er seinen Kopf sinken ließ. »Es waren 120 stolze Schiffe, die mir unterstanden, doch vor kurzem traf ich im Kampf auf einen unbekannten Gegner. Dabei gingen 117 meiner ” Schiffe verloren. Ich vermute, es war Gisol, der Schlächter.« Über Gisols Jim-Smith-Gesicht huschte ein wissendes Lächeln. Zu gut erinnerte er sich an den angesprochenen Vorfall, und zu gern natürlich auch wenn der Ruhm nicht ihm gebührte, sondern dem Wächter Simon. »Bist du deshalb bestraft worden?« »Für mein angebliches Versagen wurde ich zum Tode verurteilt, dabei traf mich wirklich keine Schuld. Niemand hat es bisher ge 267 schafft, den Schlächter zu besiegen, aber dieses Argument rettete mich nicht. Jedenfalls wurde ich nur zum Schein hingerichtet, in Wahrheit aber mit anderen Verurteilten hierher verschifft, damit andere Zyzzkt Jagd auf uns machen können.« Unterwegs kam es zu keinen Zwischenfällen, auch die Orter blieben stumm. Daß keine weiteren Funksprüche von der EPOY kamen, hatte eine beruhigende Wirkung. Zumindest
drohte also aus dem Raum keine weitere Gefahr, auch wenn jederzeit mit dem erneuten Auftauchen eines Ringraumers gerechnet werden mußte. Unbeschadet erreichte die Gruppe die Anhöhe. Zu Rens Erleichterung stand der Flash des Jägers tatsächlich noch dort. Er ließ sich ohne weiteres öffnen. Gisol kletterte ins Innere, um den kleinen Zylinderraumer startklar zu machen. Leider war er durch eine Sperre gesichert, die sich nicht ohne weiteres knacken ließ. Gisol rief über die Fernsteuerung seinen versteckten Flash herbei. Wenn die Jäger kamen, würden die Besucher von der EPOY ihn dringend brauchen. Wahrscheinlich waren sie nur deshalb noch nicht hier, weil die Zyzzkt ebenfalls erst zu Fuß zu ihren Beibooten zurückmarschieren mußten. »Bei dem hier handelt es sich um ein älteres Modell«, ärgerte sich der Worgun über das Fahrzeug des toten Jägers. »Wer weiß, wie lange der schon geflogen wird.« Die Sperre der Steuerung wirkte altertümlich auf ihn, beinahe antiquiert. Die gesamte Außenhülle des Flash offenbarte Spuren von Verschleiß. Im Innern sah es nicht viel besser aus. »Auf interstellaren Strecken würde ich dem alten Kasten mein Leben nicht anvertrauen.« Mit einem mobilen Hyperkalkulator suchte Gisol nach einem Zugangscode, der die Verriegelung löste. Der Kleinstrechner 268 spielte Milliarden von Möglichkeiten durch, doch kein Algorithmus führte zu einem Erfolg. Auch Manlius, der Rücken an Rücken zu ihm saß, versuchte sein Glück. Erfolglos. , »Auf diese Weise erreichen wir nichts. Wir haben es hier nicht * mit einem hyperkalkulatorischen, sondern mit einem mechanischen Problem zu tun. Da nützt uns unsere Ausrüstung überhaupt nichts.« Gisol fluchte. »Was haben die verdammten Sabocaer nur aus unserer Technik gemacht?« Ein scharfes Zischen, gefolgt von einem warmen Luftzug, ließ den Römer in der engen Kabine herumfahren. Er schüttelte den Kopf, als er erkannte, was geschehen war. Gisol hatte die Kontrolle, die für die Sperrung der Steuerung verantwortlich war, kurzerhand zerstrahlt. «In aller Seelenruhe steckte er seinen Blaster wieder weg. »Jetzt läßt sich der Flash zwar nicht mehr mit der Gedanken, sondern nur noch mit der Handsteuerung lenken«, kommentierte er lapidar, »aber das müssen wir eben in Kauf nehmen.« , In dem Moment landete draußen sein eigener Flash. Ren sah dem Worgun und Manlius bei den Startvorbereitungen zu. Sie dauerten ungewöhnlich lange. Jeder andere Flash war, wenn es darauf ankam, in Sekundenbruchteilen in der Luft. Gisols Beschwerden kamen also nicht von ungefähr. »Führt einen Probelauf durch«, forderte er, »während ich mir den Kopf zerbreche, was wir danach machen.« Gisol schielte durch die offenstehende Luke. »Wir fliegen zur EPOY zurück, was sonst.« »Zwei Flash für fünf Personen? Dazu der Tote? Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als in zwei Etappen zu fliegen.« Manlius nahm eine Reihe von Schaltungen vor, um das Beiboot ^ Betrieb zu nehmen, aber es reagierte nicht. Nicht nur die Flächenprojektoren blieben tot, die gesamte Schiffselektronik weigerte sich, zum Leben zu erwachen. 269 »Da haben wir den Salat. Das alte Ding springt nicht an.« Der Commander warf besorgte Blicke zum Himmel. Jeden Moment konnten die Flash der Jäger auftauchen. Unter dem freien Himmel der Lichtung war die kleine Gruppe buchstäblich zum Abschuß freigegeben. »Was ist los?« rief er. »Manlius, wir haben keine Zeit mehr für Experimente.« »Experimente ist gut, Ren Dhark. Die würde ich gleich einstellen. Aber ich fürchte, damit kann ich Ihnen nicht dienen. Das Beiboot ist energetisch tot. Anscheinend hat das
unsachgemäße Ausschalten der Steuersperre einen Defekt bewirkt, den wir ohne schiffsweite
Systemanalyse nicht beheben können.«
Wütend schlug der Römer mit beiden Fäusten auf das halbkreisförmige Instrumentenpult.
Gisol ignorierte die ironische Anspielung auf seinen Strahlerschuß.
»Ich dränge Sie wirklich ungern, Manlius. Aber die Reparatur muß auch auf dem kleinen
Dienstweg möglich sein.«
Der Römer hob flehentlich die Arme und warf Gisol einen vernichtenden Blick zu. »Also gut,
Dhark, ich versuche es. Nur Hoffnungen machen will ich Ihnen nicht.«
»Commander!«
Der Klang von Lati Oshutas Stimme sagte Ren, daß weitere Schwierigkeiten auf sie zukamen.
Der Cyborg machte eine Handbewegung in östlicher Richtung.
Zehn Flash!
Wie an der Schnur aufgereiht jagten sie näher und wurden rasch größer. Das sah nach dem
reinsten Scheibenschießen aus.
Ren spielte mit dem Gedanken, zurück in den Urwald zu fliehen, aber es war zu spät.
Außerdem bot selbst der ihm und seinen Begleitern keine Sicherheit, denn diesmal würden
die Jäger nicht auf ihre Infraroteinrichtungen verzichten.
»Ich könnte jetzt eine Erfolgsmeldung brauchen, Manlius!«
Nur noch ein paar Sekunden...
Ren konnte nicht länger warten. Er rannte los und sprang in Gi
270
sols offenstehenden Flash. Zum Glück gab es darin keine Sperre, die ihn am Boden festhielt.
Augenblicke später war er in der Luft.
»Oshuta! Tzrrp! Ab in Deckung! Ich versuche das Feuer der Zyzzkt abzuwehren!«
Für eine halbe Minute vielleicht, war ihm klar, darüber hinaus tendierten seine Chancen
gegen Null, doch eine andere Möglichkeit blieb ihm nicht.
Ren aktivierte das Intervallfeld und setzte Gisols Flash so über den anderen, daß er kurzfristig
vor Beschuß geschützt war. Wenn Manlius nicht schnellstens Erfolg mit seinen
Reparaturversuchen hatte, war alles aus.
Ein rosaroter Nadelstrahl fuhr in das Intervallfeld, dann noch einer und noch einer.
Aus dem Himmel fiel eine unitallblaue Sternschnuppe herab.
271
25. Obwohl der Diplomingenieur Ralph King erst Ende dreißig war, wußte er bereits, was einst in seiner Todesanzeige stehen würde: Raumschiffsmeiler begleiteten ihn sein Leben lang nun "wurden seine eigenen herunter gefahren. King war ein As auf dem Gebiet der Meilerproduktion. Vor zweieinhalb Jahren war Terence Wallis zum ersten Mal auf den begabten Mann aufmerksam geworden. Seinerzeit hatte Ralph King für ein angesehenes englisches Unternehmen gearbeitet. Obwohl Wallis Industries ihm weitaus günstigere Konditionen angeboten hatte, hatte sich der Ingenieur nicht zu einem Arbeitsplatzwechsel entschließen können. Letztlich hatte man sich auf einen Kompromiß geeinigt. King hatte seinen bestehenden Vertrag gekündigt. Zeitverträge mit beiden Firmen abgeschlossen und sich einen zweiten Wohnsitz in Pittsburgh zugelegt. Danach war er nur noch für jeweils zehn Tage im Monat in England tätig gewesen. Die verbliebene Zeit hatte er für Wallis Industries gearbeitet. . Auf Dauer war das eine unbefriedigende Lösung, weshalb Terence Wallis immer wieder versucht hatte, den begehrten Meilerexperten mit Gehaltserhöhungen und Sonderprämien zu ködern. Den Ausschlag für einen endgültigen Umzug nach Pittsburgh hatte dann die englische Firma gegeben. Dort hatte man King die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt und ihn
aufgefordert, sich endlich zu entscheiden. Das hatte er getan seither arbeitete er ausschließlich für Wallis Industries. Wallis hielt große Stücke auf Ralph King. Auf ihn wollte er in seinem neuen Staat auf gar keinen Fall verzichten. Eden brauchte 272 tüchtige Männer wie ihn. Aber würde er mitkommen? Und falls ja: zu welchen Bedingungen? Schon einmal hatte sich der Diplomingenieur als harter Verhandlungspartner entpuppt. Terence Wallis verließ sein Büro, bestieg einen Feodora und suchte den Meilerspezialisten an seinem Arbeitsplatz auf. Dort bat er ihn um ein Gespräch unter vier Augen. King ließ sich durch seinen zweiten Mann vertreten und folgte seinem Chef nach draußen. Beide schlenderten gemütlich über das Werksgelände, ohne Eile, wie bei einer Besichtigung. In der linken Hand hielt King einen Pappbecher mit dampfendem Kaffee, den er sich vor dem VerlasIql sen der Werkstatt noch rasch an einem Automaten gezogen hatte. Was ein echter Kaffeetrinker war, dem schmeckte das dunkle Ge, soff auch bei sommerlichen Hochtemperaturen. m Wallis klopfte ein wenig auf den Busch. »Sie haben doch sicherlich von der geplanten Werksverlagerung gehört, oder?« King nickte. »Und ob. Zwar wurde ich noch nicht direkt darauf angesprochen, aber in letzter Zeit macht der Umzug nach Australien überall die Runde. Ich schätze, Sie möchten von mir wissen, ob ich mich kooperativ verhalte, richtig?« »Richtig. Immerhin sind Sie vor nicht allzu langer Zeit von Europa nach Amerika umgezogen, und nun...« »Und nun soll ich schon wieder den Kontinent wechseln. Wie Sie sich wohl denken können, mache ich keine Freudensprünge. Schließlich habe ich Familie. Meine Kinder haben schon einmal ihre ganzen Freunde zurücklassen müssen. Inzwischen fanden sie hier ein neues Zuhause. Soll ich ihnen den gleichen Streß nochmals zumuten? Auch meine Frau ist nicht sonderlich begeistert davon. Insgeheim hofft sie, daß die Werksverlagemng niemals stattfindet.« »Der Standortwechsel findet definitiv statt«, stellte Wallis klar. »Was müßte ich tun, um Sie und Ihre Familie zum Mitkommen zu bewegen? Mit einer saftigen Gehaltserhöhung geben Sie sich diesmal bestimmt nicht zufrieden.« »Die setze ich sowieso voraus«, antwortete Ralph King freimü 273 tig. »Doch mit Geld allein überzeugen Sie mich nicht. Die terranische Sozialgesetzgebung schützt mich vor unzumutbaren Härten wie einem erneuten Umzug. Das bedeutet, mir stünde mein bisheriges Gehalt auch dann zu, wenn ich mich weigern würde, nach Australien mitzukommen.« »Unsere Sozialgesetze gelten allerorts innerhalb des terranischen Herrschaftsgebiets«, bestätigte ihm Wallis, der sich ein Grinsen nur schwer verkneifen konnte, »sowohl auf der Erde als auch auf den Kolonialplaneten. Würde ich meine Firmen hingegen in einen anderen Machtbereich verlegen, gingen Sie leer aus, King.« »In einen anderen Machtbereich?« wiederholte der Ingenieur und nahm vor Schreck einen viel zu großen, viel zu heißen Schluck Kaffee. »Meinen Sie das im Ernst? Planen Sie etwa, ins TelinImperium zu ziehen?« Wallis lachte. »Bei allem was mir heilig ist, schwöre ich, daß ich nicht vorhabe, jemals nach Cromar überzusiedeln. Zwar pflegen die Tel und die Terraner sowohl diplomatische als auch geschäftliche Beziehungen, aber in einer Welt, die von einem allwissenden Rechner kontrolliert wird, würde ich mich niemals wohlfühlen.« Ralph King atmete aus. »Gott sei Dank! Ich habe wirklich nichts gegen Ausländer, doch den Tel traue ich nicht über den Weg. Bei den Utaren und Rateken beispielsweise weiß man
immer, woran man ist. Hingegen wirken die Tel auf mich ziemlich verschlagen. Man hat ständig das Gefühl, sie lauem nur auf eine günstige Gelegenheit, die Erde zu erobern.« »Kennen Sie denn viele Tel?« »Nicht einen einzigen, Gott bewahre! Mein Wissen über dieses Volk und sonstige fremde Spezies beziehe ich aus den Medien, wie die meisten Terraner. Erst vor kurzem hätte ein Telraumer beinahe unseren Planeten vernichtet. Glücklicherweise wurden wir in letzter Sekunde gerettet.« »Von einem mutigen Tel«, machte Wallis seinem Gesprächspartner deutlich. »Es gibt dort solche und solche, wie bei uns. Bevor wir dieses Thema vertiefen, sollten wir lieber zum Ursprung 274 unserer Unterhaltung zurücckommen. Was könnte Sie dazu bewegen, King, den Werksumzug mitzumachen?« »Ich habe ein hübsches Häuschen am Stadtrand von Pittsburgh«, antwortete Ralph King. »Am neuen Standort möchte ich keinesfalls schlechter wohnen. Vor allem aber muß die Infrastruktur stimmen: gut5 Schulen und Universitäten für die Kinder, eine perfekte medizinische Versorgung, haufenweise verschiedenartige Geschäfte, Unterhaltungseinrichtungen und, und, und...« Terence Wallis wurde erschreckend klar, daß er es bislang versäumt hatte, die privaten Bedürfnisse der Umsiedler näher ins Auge zu fassen. Mit dem simplen Firmenumzug und dem Bau von Häusern für die Mitarbeiter und deren Familien war es nicht getan. Was Eden mindestens genauso dringend brauchte, waren Lehrer, Ärzte, Händler nicht zu vergessen Künstler aller Couleur. Offensichtlich wurde die Sache teurer als gedacht. Aber Wallis wäre nicht Wallis, würde er an derlei Problemen verzweifeln. In ihm reifte ein genialer Plan... Um 17 Uhr wurden Bert Stranger und Veronique de Brun von einem schnellen Wallis-Jett in Ala-Mo Gordo abgeholt. Bert war froh, daß der Pilot ein Mensch und kein Roboter war. Die »unheimliche Begegnung nach GSO-Art« an seinem Küchenfenster steckte ihm noch in den Knochen. In einem nur zwanzig Minuten dauernden Parabelflug durch die obersten Schichten der Atmosphäre ging es ab in Richtung Lancaster County, nach Ephrata, Pennsylvania, wo Terence Wallis' Landsitz lag. Wenn Gäste ins Haus standen, kam es allerorts meist zu hektischen Aktivitäten. Rasch noch mal den Fußboden fegen, Häppchen Vorbereiten, den Tisch decken, Haare zurechtmachen, Bart stutzen, passende Kleidung heraussuchen... Terence Wallis sah das ganze nicht so eng. Erstens lebte man im 275 dritten Jahrtausend, wo die meisten unangenehmen Arbeiten von Maschinen verrichtet wurden. Zweitens sah er keinen Anlaß, an seiner Behausung oder sich selbst irgend etwas zu verändern, nur weil Besuch kam. Wem sein Outfit nicht paßte, der konnte ja woanders hinschauen. Und wer erwartete, daß man ihm beim Eintreffen den Roten Teppich ausrollte, sollte sich gefälligst einen mitbringen. Um 19.30 Uhr Ortszeit Pennsylvania kehrte Wallis mit einer herzstillstandverursachenden, hinreißenden Blondine von seinem privaten Golfplatz zurück. Ihr T-Shirt war genauso durchgeschwitzt wie seines offenbar hatten sie ein intensives Spiel hinter sich. Seine beiden Gäste, die auf der Terrasse saßen, schien der Hausherr darüber vergessen zu haben. »Wie ich sehe, hat Ihnen mein Robotbutler bereits einen Aperitif serviert«, begrüßte er seine leitende Mitarbeiterin und ihren Begleiter gutgelaunt. »Darf ich Ihnen meinen Caddy vorstellen? Sobald Florinda und ich vom Duschen zurück sind, gibt es Abendessen. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu lange warten lassen.«
»Sie gehen mit Ihrem Caddy duschen?« wunderte sich Stranger. »Wir sind gerade erst eingetroffen, Mister Wallis«, warf Veronique rasch ein. »Lassen Sie sich ruhig Zeit, es ist urgemütlich hier.« Wenig später nahm der Unternehmer frisch geduscht und lässig gekleidet auf der Terrasse Platz. Seine Begleiterin hielt sich noch im Haus auf. Der Tisch draußen war bereits eingedeckt. »Florinda überwacht die Zubereitung des Abendessens«, erklärte Wallis seinen Besuchern. »Eine gute Idee«, meinte Veronique und stand auf. »So etwas sollte man nicht allein den Robotern überlassen, schließlich verfügen Maschinen über keinen echten Geschmack. Ich schau mal nach, ob ich was helfen kann.« In Wahrheit hatte sie nicht das geringste Interesse an der Essenszubereitung . Sie wollte den Gastgeber und den Journalisten lediglich ein paar Minuten alleinlassen, damit sich die beiden noch vor dem Dinner 276 ungestört austauschen konnten. Bert würde ihr hinterher sicherlich alles haarklein berichten. Wallis kam dann auch sofort zur Sache. »Weshalb wollten Sie mich sprechen, Mister Stranger?« Auf direkte Fragen antwortete Bert stets ohne lange Umwege. »Bei meinen beruflichen Recherchen zu den Themen Sensorium, Intermedia und Fortschrittspartei fiel mir auf, daß auch Sie kräftig in der Politik mitmischen, Mister Wallis. Von der FP halten Sie scheinbar nicht sonderlich viel, wohl aber von der Partei für Demokratie, der PfD. Haben Sie deshalb Trawisheim geraten, die von der Fortschrittspartei angestrebte Verfassungsänderung zu forcieren?« Terence Wallis war verblüfft, ließ sich das aber nicht anmerken. »Zugegeben, ich bin ein großer Bewunderer Ren Dharks, des Commanders der Planeten...« setzte er zu einer Erwiderung an. »Verschonen Sie mich bitte mit politischen Phrasen aller Art«, unterbrach Stranger ihn ungehalten. »Wir sind unter uns, und ich trage kein verstecktes Aufnahmegerät bei mir. Sie haben Trawisheim geraten, Dhark auszumanövrieren, ihn ins politische Abseits zu schieben.« »Ich bin beeindruckt«, gab Wallis zu. »Hat Trawisheim Ihnen von unserem vertraulichen Zwiegespräch erzählt? Nein, dazu ist er zu verschwiegen. Ich schätze, Sie schießen nur mal ein bißchen ins Blaue wie bei Curt Czerch, dem Schatzmeister der Fortschrittspartei.« »Von einer geheimen Unterredung zwischen Ihnen und Dharks Stellvertreter war mir in der Tat bislang nichts bekannt. Allerdings habe ich so etwas vermutet, seit ich im Kongreßgebäude ein Spitzengespräch der Fortschrittspartei belauschte.« »Sie haben Paley und Dreyfuß belauscht? Schon wieder haben Sie es geschafft, mich zu beeindrucken, Mister Stranger. Immerhin zogen sich die beiden Politiker in eine abhörsichere Zone zurück. Benutzen Sie etwa verbotene Abhörgeräte? Sind Sie deswegen zweimal auf Tuchfühlung mit dem Generalsekretär gegangen?« 277 »Jetzt wiederum beeindrucken Sie mich. Sie wußten, wann und mit wem ich mich heute in der Redaktion aufhielt. Sie wissen von meiner nächtlichen Begegnung mit Czerch, und meine Aktivitäten während der unterbrochenen Parlamentssitzung sind Ihnen ebenfalls nicht entgangen. Gibt es eigentlich irgendeinen Ort auf der Welt, an dem sich keine bezahlten Spitzel von Ihnen herumtreiben?« »Den Nordpol«, erwiderte Wallis grinsend. »Doch dieses Defizit wird demnächst behoben, meine Hundeschlitten sind bereits unterwegs. Jetzt haben wir uns aber genügend gegenseitig gelobt. Zurück zur Sache. Als Geschäftsmann bin ich an stabilen politischen Verhältnissen interessiert, und die sind bei einem Wahlsieg der Fortschrittspartei für einen überzeugten Liberalen wie mich nicht mehr gegeben. Deshalb unterstützte ich die PfD.« Stranger zog die Stirn kraus. »Sie und liberal?«
»In seinem wörtlichen Ursprung bedeutet >liberal< soviel wie >vorurteilslos< und >freiheitlich< zwei Begriffe, die meiner Meinung nach auf mich zutreffen wie die Faust aufs Auge. Kann ich etwas dafür, daß mit dem Wort >Liberalität< ständig Schindluder getrieben wird? Mitunter sind diejenigen, die am lautesten betonen, sie seien überzeugte Liberale, die übelsten Spießbürger. Sie neiden ihrem besten Freund die schönere Frau, dem Nachbarn den größeren Jett oder dem Vereinskameraden im Kaninchenzüchterverband das reinrassigere Tier. Als ob es nichts Wichtigeres im Leben gäbe!« Allmählich gewann Stranger Vertrauen zu dem Mann, der für einen Multimilliardär recht außergewöhnliche Ansichten hatte, welche zu seinem gesellschaftlichen Status nicht so recht passen wollten. Offen erzählte er ihm von dem illegal belauschten Gespräch zwischen dem Spitzenkandidaten der Fortschrittspartei, Antoine Dreyfuß, und dem FP-Generalsekretär Dave Paley. Im Verlauf jener vertraulichen Unterhaltung war dann Wallis9 Name gefallen, im Zusammenhang mit Trawisheims überraschendein Verhalten während der Parlamentssitzung. 278 »Cleveres Kerlchen, der Herr Generalsekretär«, sagte der Industrielle. »Er liegt mit seiner Vermutung völlig richtig genau wie Sie, Mister Stranger. Wie schon erwähnt, es gab ein Geheimtreffen mit Henner Trawisheim, hier bei mir auf dem Landsitz. Selbstverständlich würde Trawisheim das vehement abstreiten, sollten Sie ihn darauf ansprechen, und auch ich habe bereits vergessen, was ich soeben gesagt habe. Ich rate Ihnen daher, nichts darüber zu berichten, andernfalls würden Sie meine Anwälte ebenso wie die ; Advokaten der Regierung mit Verleumdungsklagen überziehen.« »In Regierungskreisen weiß man, wie verschwiegen ich bin«, entgegnete der Journalist gelassen. »Sie verraten niemandem etwas von meinem verbotenen Lauschangriff, Mister Wallis, und ich habe noch nie etwas gehört von Ihrer geheimen Zusammenkunft mit... ja, wie hieß er doch gleich? Übrigens fiel auch Skittlemans Name während der Unterhaltung von Paley und Dreyfuß. Meine Nachforschungen ergaben, daß es zwischen der Fortschrittspartei und Intermedia irgendwelche geschäftlichen Querverbindungen geben muß. Leider konnte ich nichts Genaueres in Erfahrung bringen. Noch nicht, aber ich arbeite daran.« »Und ich arbeite mit«, bot Wallis ihm an. »Meine nicht unerheblichen Verbindungen zur Geschäfts und Finanzwelt könnten mich schneller als Ihre Recherchen auf die richtige Spur bringen. Dieser Emporkömmling Skittleman scheint seine Finger überall mit drinzuhaben. Höchste Zeit, daß ihm mal jemand draufklopft.« Beim anschließenden Abendessen saß man wieder zu viert am Tisch. Die beiden Damen waren zurückgekehrt, und alle ließen sich das vielfältige Menü mitsamt den guten Weinen schmecken. Terence Wallis und Bert Stranger fühlten sich ein bißchen wie Verschwörer, immerhin zogen sie momentan am selben Strang. »Haben Sie eigentlich schon mal daran gedacht, den Arbeitgeber 279 zu wechseln, Mister Stranger?« erkundigte sich der Unternehmer beim Nachtisch wie beiläufig. »Das habe ich kommen sehen«, seufzte der Reporter. »Nein danke, ich lege keinen Wert darauf, Ihr persönlicher Pressesprecher zu werden.« »Pressesprecher?« Wallis schüttelte amüsiert den Kopf. »Solche Jobs werden von Leuten ausgeübt, die mit ihrem eintönigen Leben sonst nichts Gescheites anzufangen wissen. Die Werksleitung oder die Partei geben ihnen vor, was sie der Bevölkerung zu sagen haben, und sie suchen dann nach den passenden Formulierungen. Es würde mir nicht im Traum einfallen, einem eigenständig denkenden Profi wie Ihnen eine derart profane Tätigkeit anzubieten.« »Was könnte ich sonst für Sie tun? Um Roboter zu bauen, bin ich zu ungeschickt.« »Ich beabsichtige, in naher Zukunft meine gesamten Firmen an einen neuen Standort zu verlagern. Dort gründe ich dann eine weitere Firma ein eigenes Medienuntemehmen.
Natürlich werde ich es nicht selbst leiten, sondern Profis damit betrauen. Auch für Sie halte ich gern einen Stuhl frei, Mister Stranger, beispielsweise den des Chefredakteurs.« »Die gesamte Firmenleitung stünde somit bei Ihnen in Lohn und Brot und wer zahlt, befiehlt«, brachte Stranger es auf den Punkt. »Nein danke, ich arbeite lieber für wirtschaftlich unabhängige Chefs.« »Wollen Sie damit andeuten, ich würde meinen Mitarbeitern vorschreiben, worüber sie berichten dürften und worüber nicht?« fragte Wallis leicht gereizt. »Logisch, sonst brauchten Sie ja keinen eigenen Medienbetrieb«, erwiderte Stranger. »Terence-Press oder Wallis-Media würde mit Sicherheit laufend über die WallisUntemehmen und deren Produkte berichten. Hätte ich Werbetexte schreiben wollen, wäre ich zu einem Anzeigenblättchen gegangen.« Ich möchte ein Medienunternehmen gründen, weil es auf Eden keines gibt, antwortete Wallis dem respektlosen Journalisten in 280 Gedanken, nicht aus kaufmännischen Gründen oder Machtgier! Er sprach es nicht laut aus. Veronique de Brun erkundigte sich bei ihm, ob auch Biotechnologique von dem geplanten Umzug betroffen sei. Wallis nickte. »Selbstverständlich. Sie kommen doch hoffentlich mit, Mademoiselle de Brun, oder?« »Dagegen gibt es nichts einzuwenden«, antwortete seine leitende Mitarbeiterin, und sie schaute lächelnd zu Stranger. »Ob ich nun in Frankreich lebe oder in Australien... heutzutage ist das keine Entfernung mehr. Mit einem schnellen Jett ist es nach Ala-Mo Gordo nur ein Katzensprung.« 281 16. Die herabfallende Sternschnuppe war die EPOY. Gisol hatte sie im letzten Moment mit seinem Armbandgerät zu Hilfe gerufen. Wie ein Racheengel stürzte sie sich auf die feuernden Flash und sprengte ihre Phalanx mit einigen Warnschüssen auseinander. »Alles in Ordnung da unten?« meldet sich Arc Doorn, der den Ringraumer steuerte. 4 Ren Dhark überging die Frage. »Landen Sie auf der Lichtung, und öffnen Sie einen Hangar!« Während die Flash abdrehten, kletterten Gisol und Manlius aus dem wracken Beiboot. Gisol beobachtete den Kurs der Jäger, als könne er sie mit reiner Gedankenkraft abschießen. Die Zeit, die sein Flaggschiff für die Landung brauchte, verging ihm viel zu langsam. Als es endlich auf der Lichtung stand, war er der erste, der an Bord stürmte. Er rannte in die Kommandozentrale, um sich an die Verfolgung zu machen. Er hatte nicht vor, die Jäger entkommen zu lassen. »Wir haben die Flash in der Ortung«, empfing ihn Arc Doorn und deutete zur Bildkugel, in der sich die fliehenden Tanks deutlich abzeichneten. Wie ein Hormssenschwarm rasten sie dicht über dem Urwald dahin. Der Römer, Tzrrp und Lati Oshuta, der den Toten auf dem Arm trug, enterten den Ringraumer zu Fuß durch eine Bodenschleuse. Hinter sich verschloß der Cyborg den Einstieg wieder. Ren flog Gisols Spezialflash einfach durch die Unitallwand ins Depot, während das defekte Beiboot mit einem Traktorstrahl durch 282 eine geöffnete Schleuse an Bord gehievt wurde. Ungeduldig wartete der Worgun darauf, daß der Vorgang endlich beendet war, dann startete er die EPOY mit Höchstwerten. »In der Bildkugel konnte er den Kurs der Flash unmißverständlich erkennen. Es gab keinen Zweifel, wohin sie wollten.
Zu der goldenen Riesenstatue. Gisol verwünschte sie. Es durfte ihnen nicht gelingen, das immer noch bestehende Transmitterfeld zu erreichen, sonst hatte er sie verloren. Es sei denn, er würde den Sprung ins Ungewisse mit der EPOY nachvollziehen, doch das hatte er nicht vor. Das Risiko, mitten in eine Wespennest zu stoßen, aus dem es kein Entrinnen mehr gab, war ihm zu groß. Dhark betrat die Zentrale, als Gisol das Feuer eröffnete. K Der überlichtschnelle Nadelstrahl traf und fraß sich unendlich langsam seinen Weg durch das aufgebaute Intervallum, um die darunter verborgen liegende, verletzliche Materie der Schiffshülle aufzulösen und in Energie umzuwandeln. Mit einer grellen Entladung explodierte der Flash. Brennende Trümmerstücke regneten vom Himmel wie bei einem Silvesterfeuerwerk. Dunkle Rauchfahnen hinter sich herziehend, versanken sie im Blätterdach des Urwalds. »Kannst du mir sagen, was du vorhast?« fragte Ren, als Gisol den nächsten Flash aufs Köm nahm. »Sie dürfen auf keinen Fall entkommen. Denk an die großen Jäger und an diese ominösen Herren der Zyzzkt. Ich wette, daß da vome einige ihrer Machthaber versuchen, sich abzusetzen.« Arc Doorn gesellte sich ratlos zu ihnen. »Könnte mich vielleicht mal jemand aufklären, was hier vor sich geht?« forderte der Sibirier mit mürrischem Gesichtsausdruck. »Was ist auf dem Planeten passiert?« »Später«, wehrte Dhark ab, als Gisol zwei weitere Flash vom Himmel holte. Der eine der beiden Erbauer der Ast-Stationen im Sol-System murmelte etwas Unverständliches vor sich hin und wühlte grü283 belnd in seinen langen, roten Haaren. Auch wenn man ihm nichts mitteilte, konnte er eins und eins zusammenzählen. »Na gut, aber ich werde trotzdem nicht dumm sterben. Wir verfolgen also irgendwelche wichtigen Personen. Dann sollten wir sie nicht abschießen, sondern versuchen, sie aufzubringen.« »Zu spät«, wehrte Gisol ab »Jetzt geht es nur noch darum, ihre Flucht zu vereiteln.« In der Feme schimmerte die riesenhafte goldene Nachbildung eines Zyzzkt im Sonnenlicht. Zwischen dem erhobenen oberen Armpaar des Insektoiden waberte das Transmitterfeld vor dem Blau des Himmels. Gisol hämmerte Nadelstrahlen im Sekundentakt hinter den Flüchtenden her. Doch jetzt hatten sie sich auf ihren Verfolger eingestellt. Wie Kaninchen schlugen sie Haken, wurden zu huschenden Schatten vor der die Bildkugel ausfüllenden Silhouette des Goldenen. Brutal riß Gisol die Ringröhre in die Höhe, um die willkürlichen Bewegungen zu kompensieren. Kommentarlos programmierte er eine Sonde und jagte sie dem Transmitter entgegen. Er ließ die Strahlantennen eine neue Salve abfeuern. Einer der Jäger schüttelte sich wie in Agonie, aber bevor er zerstört wurde, gelang es ihm eben noch, wieder aus dem tödlichen Lichtfinger auszubrechen. Mit jedem Schuß wuchs Gisols Zorn. Als die übriggebliebenen Flash in das Transmitterfeld einflogen und für einen kaum wahrnehmbaren Moment zu diffusen Flecken wurden, bevor sie sich vollständig auflösten, warf der Worgun seine Bedenken über Bord. Wenn es sein mußte, würde er ihnen in die Hölle folgen, statt auf seine warnende innere Stimme zu hören! Die Flash waren endgültig verschwunden, und erjagte die EPOY in das Abstrahlfeld. Ohne daß sich etwas änderte.
Das Feld war erloschen, bevor es die EPOY erfassen konnte, die in einer steilen Kurve durch die Atmosphäre des Planeten stieß. 284 Gisol stand wie erstarrt vor dem Kommandopult und betrachtete die Orter. Voller Erleichterung löste sich seine Anspannung. Zumindest ein Ziel hatte er erreicht. Die ausgeschleuste Sonde hatte den Transmitter passiert. Er befand sich nach wie vor im Phantmodus. Lati Oshuta hatte die Krankenstation aufgesucht. Er lag auf dem Rücken, stierte gegen die Raumdecke und fühlte sich vom Informationsfluß abgeschnitten. Dabei hätte er zu gern erfahren, was gerade vor sich ging. . »Doktor, ich muß in die Zentrale«, drängte er. •E »Erst nachdem ich mit Ihnen fertig bin«, wehrte Manu Tschobe ab. Der Afrikaner, der Arzt und Funkspezialist in Personalunion 11 war, maßregelte seinen Patienten mit strengem Blick. Mit ruhigen Bewegungen führte er sein Diagnosegerät über Oshutas Körper und las die Werte ab. Stimrunzelnd legte er es nach einer Weile beiseite. ft »Schlechte Nachrichten? Nun sagen Sie schon die Wahrheit, damit ich nicht versäume, rechtzeitig mein Testament zu machen. Sie brauchen mich nicht zu schonen. Wie lange habe ich noch?« »Ich finde das nicht witzig.« t »Und ich finde es nicht witzig, mich auf ihrer Liege auszuruhen. Bei allem Respekt, Doc«, begehrte der Japaner auf. »Aber mir fehlt nichts, nur dieser Kratzer. Sie hingegen tun so, als sei ich todkrank. Seit einer Stunde stellen Sie mich jetzt schon auf den Kopf.« ^ »Seit fünf Minuten, um genau zu sein.« Oshuta stöhnte auf. »Sollte mich mein Zeitgefühl so trügen? Dann bedürfte ich wirklich einer eingehenden Untersuchung.« Er wuchtete seinen Oberkörper in die Höhe und versuchte sich über den Rand der Liege zu schwingen. Bevor seine Füße den Bo 285 den erreichten, hatte der Afrikaner ihn wieder zurückgedrückt. »Liegenbleiben!« ordnete er im Befehlston an. »Und wenn nicht?« »Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie ruhigzustellen.« »Das ist nicht Ihr Ernst.« »Worauf Sie sich verlassen können. Oder ich schnalle Sie fest. Beides liegt in meiner ärztlichen Kompetenz.« Lati verdrehte die Augen und ließ sich auf den Rücken fallen. Diesem Kerl traute er alles zu, auch wenn er mit den Kräften des Japaners natürlich nicht mithalten konnte. Statt dessen würde er beim Commander auf seine ärztlichen Rechte und Pflichten pochen. Und damit auch noch durchkommen! »Sie sind wirklich rührend um Ihre Patienten besorgt. Ein herzensguter Mensch.« In aller Seelenruhe griff Tschobe nach einem anderen Instrument und setzte seine Untersuchung fort. Er sparte sich eine Antwort, weil ihm bekannt war, daß Cyborgs zu der schwierigeren Sorte von Patienten zählten. Besonders heute war sein unfreiwilliger Gast unausstehlich. »Also schön, Doc. Ich verstehe ja, daß Sie es genießen, mal wieder einen Cyborg unterm Messer zu haben. Schließlich waren Sie es, der Echri Ezbal seinerzeit auf das F-Virus hingewiesen hat. Ich danke Ihnen für Ihren überaus wertvollen Beitrag zum Cyborgprojekt,
ohne den es mich vielleicht nicht gäbe. Aber ich wäre Ihnen noch viel dankbarer, wenn ich die Krankenstation endlich wieder verlassen könnte.« »Wenn ich schon mal die Möglichkeit habe, vergewissere ich mich nur, daß kein energieverzehrendes Schlangenmonstrum in Ihnen steckt«, konterte der Arzt. »Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, es existieren keine Rückstände.« »Das weiß ich.« Oshuta schnaufte ärgerlich. Er wollte nicht daran erinnert werden, wie er sich durch eine Mutation seines Phantvirus verwandelt 286 und Tokio unsicher gemacht hatte. Sein anschließender Aufenthalt im BranaTal unter der Aufsicht des Leiters der Cyborgstation Ezbal hatte ihn völlig wiederhergestellt, ansonsten hätte der Commander ihn nicht mit auf die OmExpedition genommen. »Dann wissen Sie sicher auch, daß ich allein entscheide, wann ein Patient die Krankenstation wieder verlassen darf. Nach weiteren fünf Minuten oder, na ja, nach der von Ihnen angesprochenen Stunde.« Tschobe setzte ein breites Grinsen auf und machte sich daran, die Wunde zu versorgen, während der Japaner beleidigt die Klappe hielt. Um so überraschter war er, als der Arzt ihn nach erfolgter Behandlung fünf Minuten später tatsächlich gehen ließ. Oshuta legte seinen Phantzustand ab. »Ich werde Sie für den Medizinnobelpreis vorschlagen, Doc«, versetzte er und flüchtete, bevor Tschobe es sich anders überlegen konnte. ”Ringraumerflotte im Anflug auf das System!« Das Ortungsergebnis war keine Überraschung für Gisol, denn es war zu erwarten gewesen. Natürlich hatten die Insassen der entkommenen Flash bereits vor ihrem Transmitterdurchgang Alarm ausgelöst und Verstärkung angefordert. Zum Glück war die EPOY nach ihrem Rettungsmanöver auf der Planetenoberfläche längst wieder im Tammodus und damit energetisch unsichtbar. Trotzdem verzichtete Gisol auf eine schnelle Flucht, um keine verräterischen Spuren zu produzieren. Da die Ringschiffe der Zyzzkt jenseits der Sonne aus dem Hyperraum gefallen waren, wählte er die entgegengesetzte Richtung für seinen Rückzug, wobei er sein Flaggschiff in Schleichfahrt aus dem Einplanetensystem heraussteuerte. Ren Dhark nutzte die Phase der Ruhe, um Arc Doorn auf den 287 neuesten Stand der Dinge zu bringen. Die Gesichtszüge des Sibiriers drückten Bedauern aus, als er hörte, daß ihm ein lohnendes Forschungsobjekt durch die Lappen gegangen war. »Zu schade, daß sich keine Gelegenheit ergeben hat, die goldene Zyzzkt-Statue zu untersuchen«, befand das technische Genie. »Da hätte ich zu gern ein Auge drauf geworfen.« Ren ärgerte sich ebenfalls über die verpaßte Chance. Als er Gisol darauf ansprach, winkte der Worgun ab. »Ich hätte sie mit Megon-Strahlen bestreichen sollen, als ich die Gelegenheit hatte. Damit wäre sie als Verkehrs und Transportweg für die Sabocaer ausgefallen.« »Aber auch für alle anderen, falls sich die Verhältnisse in Om jemals ändern.« Gisol brachte ein Lächeln zustande. »Vielleicht habe ich es ja aus diesem Grund unterlassen.« Schließlich war er noch immer überzeugt, eines Tages den Befreiungskampf um Om zu gewinnen und seinem geknechteten Volk die Freiheit wiederzugeben. Nach allem, was er bisher erlebt hatte, war der Commander der Planeten längst nicht so zuversichtlich wie der letzte freie Worgun.
Die Machtposition der Zyzzkt war inzwischen dermaßen zementiert, daß er wenig Hoffnung hatte, die herrschenden Verhältnisse in überschaubarer Zeit zu ändern. Ganz im Gegenteil stand sogar die drohende Gefahr im Raum, daß die Zyzzkt sich in ihrem Expansionsdrang in die Nachbargalaxien ergossen. Er hoffte, später einmal die Möglichkeit zu finden, nach Gesst zurückzukehren, um den goldenen Riesenzyzzkt zu untersuchen. Die Statue war in der Tat genau das richtige Betätigungsfeld für Arc Doorn mit seinem beinahe intuitiven Einfühlungsvermögen in fremde Technologien. Viel wichtiger erschien Ren allerdings die Herkunft des übernatürlich großen Zyzzkt-Jägers, den Gisol für den Angehörigen einer anderen Rasse hielt. Woher stammte er? Wenn es sich nicht um 288 einen Einzelfall handelte, und daran glaubte Ren nicht, gab es eine unbekannte Welt, auf der er und andere seiner Art beheimatet waren. Waren andere wie er an Bord der zehn Flash gewesen? Da sie gekommen waren, um den toten Jäger zu unterstützen, war davon auszugehen. Ren bedauerte, bei dem Feuergefecht im Urwald keinen der Gegner zu Gesicht bekommen zu haben. Dann hätte er jetzt Sicherheit, so aber blieben Zweifel. Noch etwas anderes wunderte ihn. Angenommen, an Bord der zehn Flash hätten sich wirklich die Großen aufgehalten, wen hatten sie dann zu Hilfe gerufen? Was für Zyzzkt steckten in den 22 Ringraumem, die das hinter der EPOY liegende Sonnensystem beinahe erreicht hatten? Wenn es sich um normalwüchsige Vertreter der Insektoiden handelte, arbeiteten beide Gruppen zusammen. Daß zwischen beiden Rassen eine Verbindung bestand, war ohnehin klar. Wie aber sah die aus? Die Herren der Zyzzkt. Vielleicht war das eine Bezeichnung für die Großen, aber mit Sicherheit vermochte Ren das nicht zu entscheiden. Für einen Flottenkommandanten, der über 120 Schiffe befehligt hatte, waren Tzrrps diesbezügliche Informationen äußerst dürftig. Seine Aussagen warfen wesentlich mehr Fragen auf, als sie zufriedenstellende Antworten ergaben. War Tzrrp so unbedarft und Nalv, wie er sich gab, oder spielte er seinen Rettern etwas vor? Vielleicht handelte es sich bei seiner angeblichen Ahnungslosigkeit lediglich um eine Verschleierungstaktik. Selbst seine Vorgabe, wegen des Verlustes seiner Flotte zum Tode verurteilt und heimlich zum Abschuß freigegeben worden zu sein, konnte eine Schutzbehauptung sein, um die wahren Gründe zu vertuschen. Das einzige, was definitiv feststand, war, daß er eine potentielle Todesbeute für seine martialisch ausgerüsteten Jäger gewesen war. Dhark löste sich aus seinen unbefriedigenden Grübeleien und 289 warf einen Blick auf die Anzeigen. Die 22 Ringraumer waren inzwischen ins Sonnensystem eingedrungen. Zehn von ihnen befanden sich im Landeanflug auf Gesst, der Rest bezog Warteposition im planetennahen Raum. Ren verstand ihre Taktik nicht. Er an Stelle der Zyzzkt hätte den umliegenden Raum nach energetischen Spuren abgesucht, statt sein aussichtsloses Glück auf dem Planeten zu versuchen. Sie konnten doch nicht erwarten, daß das einzelne Ringschiff, das Jagd auf die Flash gemacht hatte, wie ein erstarrtes Kaninchen vor der Schlange auf sie wartete. Natürlich hatte es sich abgesetzt, also mußte man seine Taktik danach ausrichten. Ihm wurde bewußt, wie sehr sich die Denkweise von Menschen und Zyzzkt offensichtlich unterschied. Konnten sie überhaupt jemals auf einen gemeinsamen Nenner kommen, oder war eine Verständigung zwischen beiden Völkern generell ausgeschlossen?
Natürlich nicht, dachte er. In unseren anfänglichen Beziehungen zu den Grakos war es
ähnlich, und doch haben wir eine Übereinkunft gefunden.
Wenn auch nur unter Druck. Einen Weg jedoch gab es immer. Das war etwas, was er sich
immer wieder klarmachen mußte, selbst wenn die Lage noch so aussichtslos erschien. Sein
Vater hätte ihm darin beigepflichtet.
Die EPOY hatte einen vergleichsweise leeren Abschnitt des Weltraums erreicht. In einem
Umkreis von mehreren Lichtjahren standen hier nur vereinzelte Sterne ohne Umläufer. Die
Orter registrierten keine Schiffsbewegungen.
Gisol brachte den Ringraumer zum Stillstand und starrte gedankenverloren in die Bildkugel.
Irgend etwas schien ihn zu beschäftigen.
Wie mich, dachte Ren. Vielleicht dreht es sich um die gleichen Themen.
»Worüber denkst du nach?«
»Nichts Besonderes«, wich der Worgun aus. Ren hatte den Ein-
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druck, daß er eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlte, die völlig deplaziert war.
Gisol straffte seine menschliche Gestalt. »Ich frage mich nur, ob ich künftig zwei Gegner statt
einem haben werde. Der Jäger geht mir nicht aus dem Kopf. Was ist das für eine Rasse?«
Ren zögerte. Es war nicht zu übersehen, daß sich Gisol noch mit etwas ganz anderem
beschäftigte, über das er aber nicht sprechen wollte. Er unterdrückte den Impuls, den Rebellen
darauf anzuspre”chen.
q| »Bist du sicher, daß es sich nicht um einen Einzelfall handelt? Vielleicht um eine Mutation
oder eine gentechnische Züchtung der Zyzzkt?«
»Völlig sicher. So wie du, wenn ich mich nicht irre. Wir müssen dem Körper des Toten sein
Geheimnis entreißen. Dann wirst du sehen, daß ich richtig liege mit meiner Behauptung.«
Dhark nickte bedächtig. »Das kann uns wohl erst Manu Tschobe nach Abschluß seiner
Untersuchungen bestätigen.« |H Oder auch nicht.
Bis dahin blieb ihm nur, Tzrrp noch einmal zu verhören. Ohne Gisol, der Auge in Auge mit
dem Zyzzkt womöglich die Kontrolle über sich verlieren würde.
Nachdenklich betrachtete Manu Tschobe seinen nächsten Patienten. Von dem waren keine
Widerworte zu erwarten, der war nämlich tot.
Der Arzt hatte schon eine Reihe von Zyzzkt gesehen, deshalb fiel ihm die ungewöhnliche
Größe der Leiche, die er obduzieren sollte, sofort auf. Anscheinend war dieser Bursche unter
seinesgleichen aus der Art geschlagen.
Nachdem Lati Oshuta die Krankenstation wie von Furien gehetzt Verlassen hatte, hatte
Tschobe sich sämtliche zur Verfügung stehenden Daten über die Insektoiden aus den
Datenbänken der
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EPOY besorgt. Dabei hatte er festgestellt, daß es einiges aufzuarbeiten gab, was dieses Volk
betraf. Trotzdem war er zuversichtlich, was die bevorstehende Untersuchung anging. Wenn es
etwas zu finden gab, würde er es finden.
Mit einer Sonde untersuchte er die schützende Chitinhülle. Obwohl sie über eine
beeindruckende Härte und Widerstandskraft verfügte, hatte auch sie Oshutas überlegenen
Cyborgkräften nicht standgehalten. Sie war an zwei Stellen zerbrochen, wobei die Verletzung
am Kopf die tödliche gewesen war.
Er verglich das Beinpaar, die zwei Armpaare und den eigentlichen Rumpf mit denen von
gewöhnlichen Zyzzkt und kam rasch zu dem Schluß, daß es rein äußerlich keine Unterschiede
bei den körperlichen Merkmalen gab. Doch an Äußerlichkeiten war Ren Dhark ohnehin nicht
interessiert, die hätte er nämlich auch allein feststellen können.
Der ehemalige Hope Kolonist schnitt den Chitinpanzer mit einem Laserskalpell auf und widmete sich Organen und innerem Aufbau. Akribisch verglich er sie mit den ihm zur Verfügung stehenden Daten. Wenn er Abweichungen erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Es gab keine, alles stimmte hundertprozentig überein. Genauso war es bei dem Gehirn und den Sinnesorganen. Als er das Bauchgewebe abtastete, kam es an einer Stelle zu einer wellenartigen Bewegung. Dort gab es anscheinend einen Hohlraum. Der Afrikaner drückte fester und ertastete einen harten Gegenstand von der Größe einer Zigarettenschachtel. Etwas war in dem Körper versteckt. Er kam erst heran, nachdem er den aufgeschnittenen Körper umgedreht hatte. Ein metallischer Gegenstand fiel ihm entgegen. Tschobe betrachtete ihn nachdenklich. Da er nicht nur Arzt war, sondern auch Funkspezialist, wußte er sofort, worum es sich dabei handelte. Um ein Kommunikationsgerät, mit dem der Jäger vor seinem Tod vermutlich die Flash herbeigerufen hatte. Und es hatte sich mitten in seinem Körper befunden. Wie kam es da hinein? Durch eine Operation? 292 Zumindest auf den ersten Blick vermochte Tschobe leine Narben zu entdecken. Er untersuchte das Gerät sorgfältig, kam aber zu dem Schluß, daß es momentan keine Gefahr darstellte. Es war ausgeschaltet, aber vielleicht konnte es sich später einmal als nützlich erweisen. Daher säuberte er es und stellte es sicher. In der Hoffnung, auf weitere Überraschungen zu stoßen, fuhr er fort, hatte jedoch keinen Erfolg. Es gab keine. Abgesehen von der Höhle für den Kommunikator fand Tschobe alles so vor, wie er es aufgrund der vorhandenen Informationen erwartet hatte. Alles deutete darauf hin, daß er es mit einem gewöhnlichen, wenn auch etwas zu groß geratenen Zyzzkt zu tun hatte. Er sah ein, daß er so nicht weiterkam und ihm nichts anderes übrigblieb, als ans Eingemachte zu gehen. Er entnahm eine Gewebeprobe und untersuchte sie unter dem Elektronenmikroskop. Ähnliche Zellstrukturen hatte er noch nie gesehen. Ein erstaunlicher Mikrokosmos offenbarte sich ihm, der so ganz anders war als der zellulare Aufbau des menschlichen Körpers. Jede einzelne Zelle verfügte über eine wesentlich höhere Widerstandskraft, und selbst jetzt, da der Körper tot war, wehrten sie sich gegen den Zerfall. Die Verwesungszeit eines Zyzzkt mußte die eines Menschen um ein Mehrfaches überschreiten. Tschobe entschloß sich zu einer feingeweblichen Untersuchung. Er isolierte eine Zelle aus dem Verbund und klopfte sie unter molekularbiologischen und biotechnologischen Aspekten ab. Speziell interessierte ihn das Teilgebiet der Gentechnologie. Zu diesem Zweck koppelte er die Analysesektion des Sequenzers mit dem Rechner und programmierte eine Vielzahl von Versuchsreihen. Ungeduldig verfolgte er die endlosen Zahlenkolonnen, die über einen Bildschirm liefen und Ergebnisse der gentechüischen Analyse waren. Sie waren viel zu schnell, als daß er sie hätte erfassen und geistig verarbeiten können. Er wappnete sich mit Geduld, weil er in den laufenden Prozeß 293 ohnehin nicht eingreifen konnte, wollte er ihn nicht neu starten müssen. Während er wartete, glich er weitere optische Einzelheiten des Toten mit den gespeicherten Informationen ab. Dann endlich war die Analyse beendet. Und sie enthüllte nicht weniger als eine Sensation. Tschobe starrte die Ergebnisse an und fragte sich, was Dhark davon halten würde. Sie waren eindeutig und gestatteten keine Zweifel.
Die Anordnung der DNS-Bausteine in der Erbmasse von Zyzzkt und Jäger unterschied sich grundlegend voneinander. Für sich allein war das schon eine Bestätigung, auch wenn die einzelnen Nukleotide, aus denen die polymere Verbindung aufgebaut war, aus der sattsam bekannten Dreifaltigkeit organische Base, Zuckermolekül und Phosphorsäure bestanden. Zumindest in dieser Zusammensetzung schien ein intergalaktisch gültiges Axiom zu stecken. Es betraf Menschen ebenso wie Nogk, Tel, Utaren, Zyzzkt und vermutlich alle anderen Lebensformen vom Einzeller bis zu einem planetenumspannenden Plasmaorganismus. Trotzdem handelte es sich eben um ein ganz anderes Lebewesen, sobald die Bausteinsequenz auch nur in einigen Positionen verändert wurde. Was bei dem vor Tschobe liegenden Leichnam im Vergleich zu anderen Zyzzkt unzweifelhaft der Fall war. Viel gravierender war aber noch eine andere Erkenntnis. In den einzelnen DNS-Molekülen wichen nämlich die Basensequenzen voneinander ab, was zu völlig unterschiedlichen Erbinformationen führte und sich im optischen Erscheinungsbild der genetischen Doppelhelix bemerkbar machte. Was sich so kompliziert anhörte, brachte als Ergebnis für Ren Dhark nur eins. Der tote Jäger hatte eine völlig andere DNS als die Zyzzkt. 294 17. K.. »Eine knifflige Situation, nicht wahr, Küray? Tod oder Leben alles hängt jetzt von deiner Entscheidung ab.« Ömer Giray war es gewohnt, schnelle Entschlüsse treffen zu müssen. In seinem Beruf als Agent der Galaktischen Sicherheitsorganisation blieb ihm oftmals nichts anderes übrig. Nichtsdestotrotz haßte er übereilte Entscheidungen. Wenn er die Wahl hatte, dachte er lieber gründlich nach. »Ich warte, Küray!« trieb ihn sein Gegenüber zur Eile an. »Aber nicht mehr lange. Entweder läßt du deine Waffe fallen, oder ich schicke deinen Freund zu den Göttern! Er ist doch dein Freund, oder?« Eine gute Frage, dachte Giray. Waren Bor Frick und er wirklich Freunde? Eine Zeitlang hatte es ganz und gar nicht danach ausgesehen doch dann hatten sie sich irgendwie zusammengerauft. l Der vierunddreißigjährige türkische Spezialagent war mittelgroß, überaus sportlich und hatte langes schwarzes Haar, das er nieist als Pferdeschwanz trug. Für die GSO war er seit Anbeginn der Organisation tätig. Vor etwa zwei Jahren hatte er während eines Einsatzes sein linkes Auge eingebüßt. In der Cyborgstation im BranaTal war ihm dafür ein künstliches eingepflanzt worden, mit dem er in einem erweiterten Spektralbereich sehen konnte. Eine im Kunstauge verborgene Kamera sowie ein winziger Datenchip hinter dem Ohr ^aren ihm bei seiner Arbeit von großem Nutzen, ebenso die neue Überwachungsautomatik, die ihn im Schlaf besser schützte als Jede Mutter. 295 Außerdem hatte man ihm einen Minischocker eingebaut. Um ihn einzusetzen, mußte Ömer allerdings bis auf einen Meter an den Gegner herantreten. Der Tel, der Bor Frick ein Vibromesser an die Kehle hielt, wußte nichts von der versteckten Schockwaffe. Dennoch hielt er gehörigen Abstand zu dem GSO-Agenten, aus Vorsichtsgründen. Giray hielt einen Paraschocker in der Hand, den er auf einen zweiten Tel geächtet hatte, der umgekehrt ebenfalls eine Handfeuerwaffe auf ihn richtete. Eine klassische Pattsituation. Mit Bor Frick als Geisel waren seine beiden Gegner nunmehr um einen Punkt im Vorsprung. Sollte er besser aufgeben? Aber wer garantierte ihm, daß Frick dadurch wirklich freikam?
Bor Frick war der Leiter des SFT, des Schutzverbandes gegen die Feinde Telins. Der SFT war der Geheimdienst auf Cromar, dem Hauptplaneten des Telin.Imperiums. Giray und Frick hatten sich dort im Februar vorigen Jahres kennengelernt und sich auf Anhieb nicht ausstehen können. Ömer hatte damals den Auftrag erhalten, auf Cromar eine GSO.Abteilung einzurichten ein rotes Tuch für den SFT-Leiter. Trotz ihrer anfänglichen Abneigung hatten beide Männer bei der Niederschlagung der Tel.Flottenrevolte perfekt zusammengearbeitet. Mittlerweile hatten sie ihr gegenseitiges Mißtrauen abgelegt. Ja, sie waren zu Freunden geworden. Und einen Freund ließ man nicht im Stich. Ömer überlegte daher, ob es nicht tatsächlich das beste wäre, den Paraschocker wegzustecken, um die Situation zu entschärfen. Doch war das wirklich klug? Die beiden Tel, die plötzlich und unerwartet mit gezückten Waffen ins Zimmer gestürmt waren, hatten mit Sicherheit nichts Gutes im Sinn. Möglicherweise handelte es sich um Telrebellen oder von den Rebellen gedungene Mörder. An einen »harmlosen« Raubüberfall glaubte Giray nicht, dafür wußten die beiden zu gut über ihn Bescheid. Obwohl er sich mit einem Spezialmittel von Kopf bis Fuß eingeschwärzt hatte, war 296 ihnen bewußt, daß er kein Tel war. Sie kannten seinen Namen (auch wenn sie ihn falsch aussprachen), und wahrscheinlich wußten sie sogar, mit welchem Auftrag er nach Cromar gekommen war. »Laß endlich die Waffe fallen, Küray!« forderte der Tel mit dem Messer Ömer erneut auf. »Meine Geduld hat Grenzen!« Giray seufzte unhörbar. Wie war er bloß in diese verzwickte Lage geraten? Begonnen hatte alles im Büro der GSO auf Terra, wo man ihm den Auftrag erteilt hatte, auf Cromar mehr über die Hersteller des Sensoriums herauszufinden. Bor Frick hatte seinen Freund und Kollegen am größten Raumflughafen des Planeten in Empfang genommen... Cromar, der Hauptplanet des Telin.Imperiums, war kleiner als die Erde. Die Schwerkraft lag etwas höher, die Atmosphäre war der auf Terra ähnlich. Die Tage dort dauerten umgerechnet 23 Erdenstunden. Drei Monde begleiteten den Planeten, einer davon war ein Gegenläufer. Die 48 Milliarden Einwohner von Cromar hingegen waren alles andere als Gegenläufer eher Mitläufer. Man hatte Respekt vor der Obrigkeit, und der Alltag eines jeden Bürgers verlief weitgehend geregelt. Den Großteil ihres Lebens ließen die Tel von einem Rechner durchorganisieren, den sie Kluis nannten. Um der hochintelligenten, aber nicht unfehlbaren Maschine keine Allmacht zu verleihen, gab es auch eine lebende Regierungsmannschaft: Vank, Vancko und Wer wobei die drei Vank das höchste Gremium bildeten. Daß diese Gesellschaftsform dennoch nicht perfekt war, verstand sich von selbst, schließlich war jeder Tel ein Individuum für sich, Angepaßtheit hin, Kollektivität her. Wo so viele denkende und fühlende Lebewesen an einem Ort wohnten, konnte es keine 297 totale Einigkeit geben. Zwar hielten sich die Tel für das disziplinierteste Volk in der ganzen Milchstraße insbesondere in Militärkreisen herrschte eine straffe Organisation aber die Existenz von Mißgunst, Habgier und Haß sowie die damit verbundenen Verbrechen konnten sie weder verhindern noch verleugnen. Nur bestrafen, wie es in den meisten Kulturen der Regelfall war. Nicht einmal die Telrebellen waren sich untereinander völlig einig mit Ausnahme ihrer politischen Ziele: Sturz der amtierenden Regierung, Übernahme der Macht im gesamten Imperium sowie Abbruch sämtlicher Beziehungen zu den Terranem und anderen unliebsamen Völkern. Auf einem bisher noch nicht entdeckten Stützpunkt hatten sie die verhängnisvolle Sensoriumstechnologie entwickelt und sowohl auf Cromar als auch auf der Erde verbreitet.
Beide Regierungen, beziehungsweise ihre Geheimdienste, hatten jedoch zusammengearbeitet und das Unheil fürs erste von der Bevölkerung abgewendet. Damit war es allerdings nicht getan. Bei der GSO und beim SFT war man sich darüber im klaren, daß die Rebellen neue Umsturzund Kriegspläne schmiedeil würden. Auch die Sensoriumsgefahr war noch nicht vollständig vom Tisch. Die ursprünglich »nur« süchtigmachenden Sensorien waren inzwischen zu Fernsteuersensorien weiterentwickelt worden, mit denen man den Trägem direkte Befehle erteilen konnte. Bisher gab es keine erfolgreiche Abwehr dagegen, außer dem bereits angeordneten Verbot der gesamten Technologie. Wer das neue Sensorium trotzdem verwendete, den rettete nur der Tod vor einem qualvollen Dahinsiechen, denn das Absetzen des Gerätes bedeutete die Zerstörung des Geistes. Ömer Giray war nach Cromar gekommen, um sich mit Bor Frick über das Sensoriumsproblem zu beraten. In der Ankunftshalle des Raumhafens hielt er nach ihm Ausschau. Der Geheimdienstchef hatte versprochen, ihn mit dem Schweber abzuholen und zu einem guten Hotel zu bringen. Eine dunkle Hand legte sich auf seine Schulter. Rasch wandte 298 sich der Agent um, stets vorbereitet auf einen Angriff. Seine Sorge war jedoch unnötig. Bor Frick stand hinter ihm und begrüßte ihn herzlich auf terranische Art: mit Schulterklopfen und Handschlag. Ij »Ich hatte schon befürchtet, ich würde dich nicht finden«, bekannte Ömer. »Ganz Cromar ist eine einzige, mächtig große Stadt und euer Hauptraumhafen bildet gewissermaßen die Stadt in der Stadt. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, wie riesig hier alles ist.« »Ich hatte mit der Suche nach dir keine Schwierigkeiten«, erwiderte Bor. »Einen Terraner aus lauter Tel herauszufiltem ist eine einfache Sache. Man braucht bloß nach Personen mit käsig ungesunder Haut auszuschauen.« Die Tel verfügten über eine dunkle Hautfarbe, waren aber nicht negroid. Auf Terra wurden sie deshalb als Schwarze Weiße bezeichnet. »Kann ich was dafür, daß ihr alle gleich ausseht?« konterte Giray. »Auf der Erde sagte man früher in westlichen Regionen: >Hast du einen Chinesen gesehen, hast du alle gesehen.< Seit wir die Tel kennen, erscheint uns die asiatische Physiognomie als überaus vielfältig.« Natürlich übertrieb er absichtlich ein wenig. Zwar war es für einen Terraner nicht ganz unproblematisch, die Tel auseinanderzuhalten, doch je öfter man mit ihnen zusammenkam, um so besser klappte es. Von der Figur her sahen die Angehörigen dieses Volkes halt einheitlicher aus als die menschliche Spezies, was nicht zuletzt mit ihrer kontrollierten Lebensweise zusammenhing. Sie waren sozusagen »die schöneren Menschen«. Und die klügeren. In der Regel brauchten sie einen Tag, um eine fremde Sprache zu erlernen. Mittlerweile beherrschten viele von ihnen das terranische Angloter. Umgekehrt lernten viele Terraner die Sprache der Tel wofür sie wesentlich mehr als nur einen Tag benötigten. Vor seinem ersten Besuch auf Cromar hatte man Ömer Giray auf der Erde einer sechsunddreißig Stunden langen hypnotisch 299 sensorischen Lembehandlung unterzogen. Im Anschluß daran hatte er sich problemlos und akzentfrei mit den Bewohnern von Telin II verständigen können. Damit sein per »Holzhammermethode« eingepflanztes Wissen nicht nach und nach wieder dahinschwand, hatte er seither auf herkömmliche Weise weitergelemt. Mittlerweile sprach er völlig fehlerfrei Deutsch, Türkisch, Angloter und Tel. Der Höflichkeit halber unterhielt sich Bor Frick auf Angloter mit seinem Freund.
»Wir beide feiern unser Wiedersehen mit einer ausgiebigen Sauftour«, schlug er vor. »Einverstanden?« Ömer nickte. »Vorher bringe ich aber noch mein Gepäck ins Hotel. Zudem benötige ich etwas Zeit, um meine Haut zu schwärzen.« »Du willst deine Haut schwärzen?« fragte Frick verwundert. »Weshalb? Wir machen keine verdeckten Ermittlungen, sondern einen >Zug durch die Gemeinde^ wie ihr auf Terra zu sagen pflegt.« Das chemische Mittel zur Hautschwärzung war Bestandteil von Ömers Spezialausrüstung. Bei seinen diversen GSO-Recherchen auf Cromar war es ihm überaus nützlich gewesen. Es hatte lediglich ein kleines Manko. Nach einer gewissen Zeitspanne verblaßte die Schwarzfärbung allmählich, und die ursprüngliche Hautfarbe kam wieder zum Vorschein. »Auch wenn wir privat unterwegs sind, ziehe ich es vor, auf eurem Planeten meine Haut zu färben«, erklärte Giray dem SFT-Chef auf dem Weg zur Raumhafenkontrolle. »Erstens werde ich dann nicht dauernd angestarrt, und zweitens könnten mir im Vergnügungsviertel Tel begegnen, mit denen ich früher schon mal zusammengetroffen bin. Die würden sich bei meinem mehlweißen Anblick mächtig wundem, und meine Tarnung wäre für alle Zeiten futsch.« Bei seinen zurückliegenden Ermittlungen in hiesigen Bars und Kneipen hatte Giray die eine oder andere Bekanntschaft geschlos 300 sen und sich meistens als Tel ausgegeben. Anfangs hatte er zusätzlich in die Rolle eines Betrunkenen schlüpfen wollen, hatte davon aber Abstand genommen. Auf Terra waren stark angeheiterte Lokalgänger ein alltägliches Bild auf Cromar bildeten sie die Ausnahme. Hier hielt man sich in der Öffentlichkeit mit dem Genuß von berauschenden Getränken zurück. Die strenge Lebensdisziplin, die sich die Tel in ihrem beruflichen Alltag mehr oder weniger freiwillig auferlegten, hatte auch in ihrer Freizeit Gültigkeit. Barbesuche dienten in erster Linie der Konversation, das Trinken war Nebensache. Betrank sich trotzdem jemand bis zum Vollrausch, ließ er sich das möglichst nicht anmerken und bemühte sich, aufrechten Ganges heimzugelangen. Allerdings gab es auch Tel, die auf jedwede Reglementierung pfiffen und ihrer Fröhlichkeit einfach freien Lauf ließen, wenigstens mal für eine Nacht. Bor Frick war fest entschlossen, sich in den kommenden Stunden nach Herzenslust gehenzulassen. Sollte ihn sein terranischer Freund etwa für einen Langweiler halten? Im übrigen hatte er als oberster Chef und gleichzeitig dienstältester Mitarbeiter des Schutzverbandes nichts zu befürchten. Keine Sicherheitsstreife würde es wagen, ihn aus dem Verkehr zu ziehen, sollte er über die Stränge schlagen. Bor Frick ließ sich von niemandem Vorschriften machen er machte selbst welche. Ihm war es auch zu verdanken, daß Ömers Einreiseabfertigung verhältnismäßig schnell über die Bühne ging. Offiziell gehörte Ömer der terranischen Botschaft an, weshalb sein Gepäck für die Plughafenkontrolle tabu war. Fricks Anwesenheit sorgte für eine zusätzliche Beschleunigung der Formalitäten. Der Schweber des Geheimdienstchefs parkte vier Stockwerke unter dem Raumhafen auf einer Tiefebene. Von dort aus zweigten mehrere beleuchtete Tunnelstraßen ab. Ein Roboter steuerte das Fahrzeug routiniert durch den unterirdischen Verkehr direkt in 301 die Tiefgarage des Luxushotels, das Bor Frick für Ömer ausgewählt hatte. Das Vergnügungsviertel, in das die beiden gegen Abend eintauchen wollten, befand sich in der Nähe des Raumhafens. Es war nicht das einzige Viertel seiner Art auf Cromar, wohl aber das größte und gepflegteste. Das Hotel lag weit genug davon weg, so daß die Gäste von
Lärmbelästigungen durch übermütige, heimkehrende Barbesucher verschont blieben. Andererseits war die Entfernung nicht zu groß für einen Fußmarsch, falls für den Rückweg zum Hotel kein Taxi aufzutreiben war. Auf der Erde war der Eingangsbereich von großen Hotels meist mit einem langen Tresen ausgestattet, hinter dem mehrere Rezeptionsmitarbeiter die Gäste in Empfang nahmen. In gleichrangigen Hotels auf Cromar erstreckte sich die Rezeption über die gesamte Halle. An mehreren kleinen Abfertigungstheken wartete jeweils ein Mitarbeiter auf Kundschaft. Es gab sogar gesonderte »Schalter« fürs Einchecken und fürs Auschecken. Auf diese Weise entstand nur selten Gedränge, und die Gespräche mit dem Hotelpersonal verliefen diskreter. Als Ömer aus dem AGravIift stieg, fiel sein Blick auf eine gegenüberliegende Wand, auf der sämtliche Zimmer und Flure eingraviert und die jeweils kürzesten Fluchtwege mit Leuchtpfeilen gekennzeichnet waren, für den Brandfall. Derlei Vorsichtsmaßnahmen gab es auch auf Terra. Ömer fotografierte die Wandgravur mit seinem Kameraauge und speicherte das Bild in seinem Ohrchip ab. Es konnte nichts schaden, über vorhandene Fluchtmöglichkeiten informiert zu sein, man wußte ja nie... »Sieht aus wie ein Setzkasten«, kommentierte der Türke die Architektur des Hotels. »Beim Errichten des Gebäudes stand eine baukünstlerische Überlegung offensichtlich weit im Vordergrund: Wie bringt man möglichst viele Zimmer auf möglichst wenigen Kubikmetern unter? Na ja, bei uns ist das nicht anders. Viele terranische Standardhotelzimmer kann man bestenfalls als Schuhkartons mit Puppenmöbeln bezeichnen.« 302 "» Bor Frick trat an die Wandzeichnung heran und deutete auf zwei große, unterteilte Räume in der obersten Etage. »Keine Sorge, in diesen Räumlichkeiten ist reichlich Platz. Ich habe dir die Familiensuite auf der Westseite reservieren lassen. Von dort aus hast du einen herrlichen Ausblick auf eine traumhafte Parklandschaft, ausgestattet mit immerblühenden Pflanzenzüchtungen.« »Was ist mit der nach Osten gelegenen Suite?« fragte Ömer mißtrauisch. »Schaut man von dort aus auf einen Müllplatz? Falls nicht, nehme ich sie.« Frick verzog mißbilligend die Mundwinkel. »Traust du mir etwa nicht?« Ömer wollte nur kurz nicken, zog dann aber eine ausführlichere Antwort vor: »Bevor auf Terra die politische Führung einer Weltregierung übertragen wurde, vertrat jede Region ausschließlich ihre individuellen Interessen. Um Schaden von der eigenen Bevölkerung abzuwenden und den anderen Ländern gegenüber im Vorteil zu sein, spionierte man sich unablässig gegenseitig aus, sowohl im militärischen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Rund um den Erdball gab es Hunderte von Geheimdiensten, Tausende von Agenten und Millionen von Abhörwanzen.« »Und? Hat sich das seit Gründung der Weltregierung geändert?« wollte Bor Frick wissen. »Eine leichte Besserung ist schon eingetreten, doch im großen und ganzen ändert sich auf der Erde nur wenig, und wenn, dann dauert es sehr, sehr lange. Irgendwo spioniert immer irgendwer hinter irgendwem her. Warum sollte das zwischen uns anders sein, Bor? Der SFT vertritt die Interessen eures Volkes, die GSO die Interessen meines Volkes. Deshalb nehme ich es dir nicht übel, daß du versuchst, mich in einem Zimmer unterzubringen, das vermutlich vollgestopft ist mit allen möglichen Abhör und Aufzeichnungsgeräten. Ich beziehe lieber die Nachbarsuite, wenn's recht ist.« m »Meinethalben, mach doch, was du willst«, knurrte Frick. »Aber dein grundloses Mißtrauen kränkt mich.« 303
Beide begaben sich zur nächstgelegenen Rezeption. Frick bat darum, seinem Freund die andere Suite zu geben. »Kein Problem«, erwiderte der hagere Hotelmitarbeiter mit näselnder Stimme, während er auf den Bildschirm seines Suprasensors schaute. »Oh, Verzeihung, es gibt doch ein Problem«, entschuldigte er sich Sekunden später auf Angloter bei Ömer. »In der Ostsuite wohnt derzeit ein älteres Ehepaar, wie ich gerade feststelle. Die Gäste möchten nicht gestört werden. Ich glaube, die alte Dame hat etwas Fieber, und ihr Mann fühlt sich ebenfalls nicht sonderlich wohl. Sein Bein schmerzt und...« »Ist das hier ein Hotel oder ein Krankenhaus?« unterbrach Giray ihn unwirsch. »Die beiden können ebensogut in der Westsuite ihre Wehwehchen auskurieren.« »Findest du das nicht ein bißchen herzlos, mein Freund?« sagte Bor Frick entsetzt. »Willst du dir die Westsuite nicht wenigstens einmal anschauen?« Ömer beachtete ihn gar nicht. Er beugte sich über den Minitresen und schaute dem einheimischen »Rezeptionisten« fest in die Augen. »Sie schicken jetzt augenblicklich jemanden nach oben, der den alten Leutchen beim Zusammenpacken ihrer Siebensachen hilft und den ganzen Krempel nach nebenan schleppt, klar? Anschließend lassen Sie mein Gepäck aus der Tiefgarage holen und in die freigewordene Suite bringen. Haben wir uns verstanden? Oder wollen Sie einen politischen Zwischenfall provozieren? Manchmal genügt schon ein harmloses Mißverständnis, um jahrelange diplomatische Bemühungen zwischen zwei Milchstraßenvölkem mit einem Schlag zunichtezumachen.« »Das... das liegt nicht in meiner Absicht«, stammelte der Näselnde, wobei er in seine Heimatsprache verfiel. »Selbstverständlich steht Ihnen die Ostsuite zur Verfügung, so lange Sie sie benötigen.« »Na bitte, geht doch«, entgegnete Ömer auf Tel. Er blieb so lange an der Rezeption stehen, bis der sichtlich ner 304 vöse Mann seine Anweisungen ausgeführt hatte. Anschließend ging er mit Bor Frick zum AGravlift und stieg ein. Beide entschwanden in die oberste Etage. U Als sie oben ausstiegen, ging ein schimpfendes älteres Telpaar an ihnen vorüber, beladen mit Sack und Pack. Der Mann humpelte ein wenig. Ein Hotelangestellter half den beiden beim Umzug. Ömer schien das alles herzlich wenig zu kümmern. Er streifte die alten Leute lediglich mit einem desinteressierten Seitenblick. Nachdem Ömers Gepäck in die Ostsuite gebracht worden war, half Bor Frick dem terranischen Agenten beim Einräumen. Giray ließ ihn gewähren, obwohl ihm bewußt war, daß der diensteifrige Geheimdienstleiter lediglich seine beruflich bedingte Neugier stillen wollte. Unter Ömers Sachen befand sich nichts, was Frick nicht näher unter die Lupe nehmen durfte mit Ausnahme eines karminroten Aktenkoffers, den der Türke nicht aus den Augen ließ. Neben der Verbindungstür zwischen dem Wohn und Schlafbereich stand ein Topf mit einer großblättrigen, mannshohen Zierpflanze. »Das Gewächs erweckt Heimatgefühle in mir«, bekannte Giray. »Es erinnert mich an unsere terranischen Gummibäume. Dort drüben macht es sich allerdings nicht gut, ich muß einen geeigneteren Platz dafür finden.« »Soll ich mit anfassen?« »Nein, ich verrücke den Topf später. Jetzt gehe ich erst einmal unter die Dusche. Das wird mir guttun nach der weiten Reise durchs All. Danach können wir dann aufbrechen.« »In der Zwischenzeit schau ich mal nach den alten Leutchen, die wir aus dieser Suite vertrieben haben«, erwiderte Bor Frick. »Sie schienen furchtbar wütend zu sein. Vielleicht beruhigen sie sich wieder, wenn sie erfahren, daß der SFT ihre gesamten Hotelkosten
305 übernimmt. Schließlich sind wir keine Untel.« Kurz darauf klopfte er nebenan an die Tür. Der hagere Tel, der unten hinter der Rezeption gestanden hatte, ließ ihn herein. Im Wohnbereich erwartete ihn das ältere Paar gesund und putzmunter. »Funktioniert alles einwandfrei?« erkundigte sich der SFT-Leiter bei den beiden. »Sehen Sie selbst«, antwortete ihm die Frau und öffnete per Fernbedienung sämtliche Türen eines eingebauten großen Wandschranks. In den Schrankfächern waren verschiedene holographische Darstellungen der Ostsuite zu sehen. Jeder Winkel dort wurde von Holokameras überwacht, sogar das Badezimmer. Ömer Giray hatte auf einem kleinen Sofa Platz genommen, das in der geräumigen Diele stand. Der Aktenkoffer lag auf seinen Oberschenkeln; er stellte die Öffnungskombination ein. »Willst du dir die Westsuite nicht wenigstens einmal anschauen?« ahmte der Näselnde seinen Chef nach. »Ich hätte fast einen Doppelherzinfarkt bekommen, als Sie dem Terraner diese riskante Frage stellten, Bor Frick. Glücklicherweise hat er Ihre Bitte ignoriert. Wäre er darauf eingegangen, hätte er unsere Überwachungsanlage entdeckt, und der Plan, ihn in die Ostsuite zu locken, wäre fehlgeschlagen.« »Frechheit siegt, heißt es auf Terra«, entgegnete Frick. »Ich bezweifle allerdings, daß das in unserem Fall ausreicht. Ganz offensichtlich mißtraut mir Giray weiterhin, andernfalls würde er jetzt nicht den Koffer öffnen. Bei seinem ersten Einsatz auf Cromar hatte er dieses außergewöhnliche Gepäckstück ebenfalls mit dabei. Es ist mit diverser GSO-Technik ausgestattet. Damals hat Giray mit Hilfe des Koffers zahlreiche Abhörgeräte innerhalb der terranischen Botschaft aufgespürt.« Nicht nur Ömers Aktenkoffer hatte es in sich. Auch seine karminrote Weste, die er leger über seinem Hemd trug, steckte voller Agentengeheimnisse. Sie verfügte über viele Innen und Außenta 306 sehen, und keine einzige davon war leer. Giray klappte den Koffer auf, legte eine Schalttafel frei, betätigte einen Sensorschalter und gab einen Code ein. Mit Hilfe des Bildgebers im Kofferdeckel entstand vor ihm eine verkleinerte holographische Darstellung der Diele. An zwei Stellen zeigten sich winzige Leuchtpunkte genau dort waren die Beobachtungsgeräte des SFT verborgen. Ömers Mundwinkel verzogen sich zu einem boshaften Lächeln, als er zweimal kurz hintereinander auf der Schalttafel einen roten Knopf betätigte. Daraufhin erloschen die Leuchtpunkte... B ... und in der Suite nebenan verschwanden zwei Holographien aus dem Wandschrank. »Wie es aussieht, haben die Techniker der Galaktischen Sicherheitsorganisation den Agentenkoffer inzwischen Weiterentwickelt«, bemerkte Bor Frick anerkennend. »Mein Freund Ömer hat unseren Trick offenbar durchschaut. Wahrscheinlich hat er von vornherein etwas geahnt.« l »Aber warum ist er dann in die Ostsuite gezogen?« fragte ihn der falsche Rezeptionsmitarbeiter ratlos. »Um mich vorzuführen«, antwortete Frick. »Er möchte mir zeigen, daß er sich nicht so leicht ein X für ein U vormachen läßt.« »Ein was...?« »Das ist eine terranische Redensart. Die Menschen lieben es, sich mit sogenannten geflügelten Worten auszudrücken. In ihren Bibliotheken lagern massenhaft Niederschriften mit Sprüchesammlungen, wie mir Giray erzählte. Es ist schon ein merkwürdiges Völkchen, aber allmählich fange ich an, es zu mögen.«
Was der Geheimdienstleiter weniger mochte, war die Zerstörung staatlichen Eigentums. Dennoch sah er nur tatenlos zu, als Ömer in der Ostsuite einen Raum nach dem anderen kompromißlos »entwanzte«. Wäre Frick hinübergegangen, um ihn daran zu hindern, hätte er zugeben müssen, daß Ömers Mißtrauen von Anfang an gerechtfertigt gewesen war. Diese Blöße wollte er sich nicht geben. 307 Wenig später hatten sich sämtliche Holographien in Nichts aufgelöst. Obwohl Bor Frick den terranischen Agenten jetzt nicht mehr sehen konnte, wußte er, was Ömer gerade tat: Er klappte den Koffer zu und grinste dabei zufrieden übers ganze Gesicht. Aber noch hatte das SFT-Quartett seine Tricckiste nicht ganz geschlossen. Im Wohnbereich der Ostsuite hatte Bor Frick vorsichtshalber eine primitive Bildkamera versteckt, die von der hypermodernen »Koffersuchtechnik« nicht erfaßt worden war. Die Kameraaufnahmen wurden als zweidimensionale tonlose Bilder direkt nach nebenan in die Westsuite gesendet. Frick schaltete den Bildschirm ein. Das Wohnzimmer war leer. Nur ein einziges Lebewesen hielt sich darin auf: die großblättrige Zimmerpalme, die Ömer an ein Heimatgewächs erinnerte. In voller Pracht reckte sie sich aus ihrem Topf. Ömer Giray hielt sich im Bad auf. Geduldig warteten Frick und die anderen vor dem Bildschirm auf seine Rücckehr. Duschkabinen auf Cromar ähnelten lediglich äußerlich denen auf der Erde. Hier ließ man sich nicht nur von oben berieseln, sondern von allen Seiten. Kaum hatte Ömer die Kabinentür geschlossen, öffneten sich automatisch mehrere Sprühvorrichtungen. Der Agent wurde aus verschiedenen Richtungen von Wasserstrahlen unterschiedlicher Stärke »beschossen«, mal mehr, mal weniger intensiv. Die Vorrichtungen waren beweglich, so daß das lauwarme Wasser an Girays Körper auf und ab wanderte, was einer angenehmen Massage gleichkam. Einige Zeit danach betrat Ömer den Wohnbereich nackt wie die Natur ihn erschaffen hatte. »Bei allen Göttern des Universums!« entfuhr es nebenan der älteren Telfrau. »Sind alle Terraner so gut gebaut?« »Ich würde seine Armmuskeln eher als mittleren Durchschnitt 308 |I bezeichnen«, entgegnete der Näselnde herablassend. »Ich rede nicht von seinen Armen«, stellte die Frau klar, »sondern von der, äh, entscheidenden Stelle.« »Soviel ich weiß, ist das die >Standardausrüstung< auf Terra«, sagte Bor Frick, schränkte aber ein: »Falls ich Ömer Glauben schenken darf. Vielleicht prahlt er aber auch nur, und er bildet lediglich die rühmliche Ausnahme .« »Erstaunlich, worüber Sie sich mit ihm so alles unterhalten«, bemerkte der ältere Telmann. Obwohl die Anmerkung respektlos war, stauchte ihn sein Vorgesetzter nicht zusammen. »Zwei miteinander befreundete Männer, die zwei verschiedenen Kulturen angehören, haben vielfältige Gesprächsthemen«, erwiderte er nur. »Immer über die Arbeit zu reden wird auf Dauer langweilig.« Giray verschwand im Schlafbereich und kam nach einer Weile zurück. Er hatte sich einen Morgenmantel übergestreift und wollte erneut ins Bad gehen. Mitten im Wohnzimmer blieb er plötzlich stehen, zog die Stirn kraus. Dann machte er kehrt, ging auf die mannshohe Zimmerpflanze zu und beugte sich herunter. Frick ahnte, was er vorhatte. »Er will den Topf verschieben. Der Platz an der Verbindungstür gefällt ihm nicht, sagte er vorhin.«
»Meinethalben kann er das Monstrum hinrücken, wo er will«, knurrte der ältere Tel. »Hauptsache, er stellt die Pflanze nicht dift rektvor...« Er schaffte es nicht mehr, den Satz fertig zu sprechen. Von einem Augenblick auf den anderen wurde es auf dem Bildschirm dunkel genauer gesagt: dunkelgrün. Ömer hatte die Pflanze vor die Kameralinse geschoben. »»Noch in hundert Jahren werde ich daran herunirätseln, ob das Jetzt purer Zufall war, oder ob er die Kamera entdeckt hat«, sagte Bor Frick. »Fragen Sie ihn doch nachher, wenn Sie mit ihm unterwegs 309 sind«, meinte die Telfrau. »Auf gar keinen Fall«, lehnte Frick ab. »Wir werden weder über den neuen Abstellplatz der Pflanze noch über die zerstörten Abhörgeräte ein Wort verlieren. Statt dessen tun wir beide, als habe es diese Vorfälle nie gegeben.« Er wies seine Mannschaft an, alle Hinweise auf die Anlage zu beseitigen und anschließend die Suite zu räumen. Dann begab er sich nach nebenan. Ömer hatte sich inzwischen am ganzen Körper mit seinem Spezialmittel eingefärbt. Nachdem er entsprechende Kleidung angelegt hatte, konnte man ihn nur schwer von einem Tel unterscheiden. »Haben sich die beiden Alten über dein Angebot gefreut?« fragte er Frick beim Verlassen der Suite. »Nein, sie ließen sich nicht beruhigen«, behauptete der Geheimdienstchef. »Sie werden wohl noch heute ausziehen.« Zwei miteinander befreundete Männer, die zwei verschiedenen Kulturen angehören, haben vielfältige Gesprächsthemen. Immer über die Arbeit zu reden wird auf Dauer langweilig. So hatte es Bor Frick gesagt und so hatte er es auch gemeint. Trotzdem waren die Telrebellen das einzige Thema, über das sich Ömer Giray und er in den ersten Stunden ihrer Tour durchs Vergnügungsviertel unterhielten. »Das Heimtückische an den Fernsteuersensorien ist der Umstand, daß sie den bisherigen Sensorien zum Verwechseln ähnlichsehen«, sagte Ömer bei einem Glas Jeho zu Bor. »Freiwillig würde sich niemand eines der neuen Geräte aufsetzen. Nur durch Täuschung oder Gewaltandrohung kommen die Verbrecher ans Ziel. Wenn wir wenigstens wüßten, wo das neuartige Sensorium produziert wird.« »Ich wäre schon froh, gäbe es ein Heilmittel gegen die schweren 310 Folgen, die nach dem Absetzen des Sensoriums verursacht werden«, erwiderte sein Freund. »Unsere Wissenschaftler untersuchen derzeit einige jener Geräte, die bei der Kaperung der DRAKHON verwendet wurden. Würden wir den Stützpunkt der Rebellen kennen, würde ihn unsere Flotte dem Erdboden gleichmachen dann wäre endlich Ruhe.« »Habt ihr es schon mal mit Verhandlungen probiert?« »Verhandeln?« Frick stieß einen verächtlichen Laut aus. »Mit den Rebellen? Um die Machtergreifung voranzutreiben, schrecken sie vor keiner Bluttat zurück, nicht einmal vor Massenmord. Sie hätten beinahe euren Hauptplaneten in die Luft gesprengt, schon vergessen?« y Ömer schüttelte den Kopf. »Nein, dennoch würde ich jede Chance ergreifen, die Krise auf friedliche Weise beizulegen. Es hat schon genug Tote gegeben.« »Sag das dem Rebellenpack. Ich bin überzeugt, die Anführer dieser Mörderbande würden unseren Staatsoberhäuptern liebend gern die Hand reichen um ihnen die Finger zu brechen.« »Der Kluis hat doch gar keine Finger«, scherzte Ömer, der viel lieber über irgendwas anderes geredet hätte.
Er wollte sich amüsieren, wenigstens für ein paar Stunden. Nur wer auch die Gabe besaß auszuspannen, bewältigte seine Arbeit zufriedenstellend. Wenn man an vorderster Front für den Geheimdienst den Kopf hinhielt, war etwas Erholung zwischendurch dringend notwendig. Bor Frick war jedoch nicht zu bremsen. »Nach der Niederschlagung der Flotteninvasion hatten wir alle geglaubt, die Rebellenbewegung sei geschwächt, aber sie agiert jetzt lediglich mehr aus dem Verborgenen heraus. Glücklicherweise ist ihr Rückhalt in der Flotte kaum noch der Rede wert, da dort die meisten Sympathisanten entweder gefallen sind oder sich in Gefangenschaft befinden. Die Gefahr ist allerdings nicht geringer geworden, wie der jüngste Vorfall mit der DRAKHON zeigt, und deshalb...« »... und deshalb sollten wir schleunigst eine andere Bar aufsu311 chen«, fuhr Ömer ihm ins Wort und stellte sein leeres Glas demonstrativ auf der Tischplatte ab. »Hier dauert es mir viel zu lange, bis die Luft aus den Gläsern rausgelassen wird.« Beide hielten sich in einem kleinen Lokal auf, dessen Besitzer an Licht sparte, damit seine Gäste nicht merkten, wie schlecht er seine Getränke einschenkte. Ömer hatte Geschmack an Jeho gefunden, einer klaren Flüssigkeit, die nach schwarzem Tee schmeckte und ihm auf angenehme Weise allmählich das Gehirn zunebelte. Schon den ganzen Abend über trank er nichts anderes. Bor hingegen bevorzugte die harten Sachen. Jede Bar hatte so ihre eigenen Spezialitäten, und bis zum Morgengrauen wollte er sie allesamt probiert haben. »Morgen früh wird dir furchtbar schlecht sein«, prophezeite ihm Giray beim Verlassen des kleinen Lokals. »Und wenn schon«, entgegnete Frick. »Soviel ich weiß, gibt es auf der Erde Medikamente gegen Katzen. Denkst du, wir auf Cromar haben so etwas nicht? Unsere Chemiker sind die besten in der ganzen Milchstraße. Leider sind die Pillen ziemlich teuer, weil der Umsatz nur gering ist. Statistisch gesehen betrinkt sich jeder Tel lächerliche elfmal in seinem Leben. Hier geht es halt zivilisierter zu als bei euch, wir wissen uns zu benehmen.« »Das sehe ich«, erwiderte Giray grinsend. »Du bemühst dich redlich, im Alleingang eure schöne Statistik kaputtzumachen. Ansonsten hast du recht, Medikamente gegen Kater gibt es auf Terra in allen Apotheken zu kaufen. Doch die Pillen helfen nur gegen bestimmte Beschwerden wie Kopfschmerzen, Heiserkeit und Magenverstimmung. Gegen Unvernunft ist noch kein Kraut gewachsen. Wenn du weiterhin alles in dich hineinschüttest, das man dir auf den Tresen stellt, rettet dich morgen früh kein Medikament der Welt.« »Spielverderber«, sagte Frick. »Manche Leute verstehen es einfach nicht zu feiern.« Geschafft! dachte sein türkischer Begleiter. Er hat die Rebellen fürs erste ad acta gelegt. 312 In den vielfältig gestalteten Lokalen des Vergnügungsviertels am Raumhafen fühlte sich Giray ein bißchen wie zu Hause. Zum einen, weil er einige davon bereits von früheren Besuchen her kannte, zum anderen, weil sie vom Grundaufbau her ähnlich eingerichtet waren wie terranische Bars und Kneipen. Auch hier gab es Theken, Barhocker, lange Tische, Einzeltische, Separees, Wirte, Serviererinnen... und die Getränke wurden überwiegend in durchsichtigen Gefäßen ausgeschenkt. Hier und da wurde an der Theke sogar ein kleiner Zwischenimbiß serviert, eine Art TelNationalgericht namens Proko ein dunkelbrauner, scharfer Happen, der einer irdischen Frikadelle nicht unähnlich war. Bei der Zubereitung wurden ausschließlich pflanzliche Bestandteile verwendet. Proko schmeckte köstlich, sah nach dem Abbeißen allerdings aus wie ein Gemisch aus Meeresalgen und Kuhfladen.
Das Viertel am Raumhafen wurde gut besucht, von Männern und Frauen gleichermaßen. Es
gab hier auch Prostituierte und zwar beiderlei Geschlechts. Sie übten ihren Beruf jedoch
diskret aus, um den guten Ruf, den diese Gegend zweifelsohne genoß, nicht zu ruinieren. Statt
halbnackt am Straßenrand zu stehen, mischten sich die käuflichen Damen und Herren in
dezenter Kleidung unter die Passanten und warteten darauf, angesprochen zu werden.
Ömer hielt nicht viel davon, für Zärtlichkeiten zu bezahlen. Warum Geld für etwas ausgeben,
das viel schöner war, wenn man es sich gegenseitig schenkte? Und Sex mit einer
Außerirdischen kam für ihn sowieso nicht in Frage, das erschien ihm irgendwie unnatürlich.
Andererseits sahen die Telfrauen wirklich zum Anbeißen aus...
Bor Frick fand das ebenfalls. Gut gelaunt sprach er eine junge, luftig gekleidete Schönheit an,
die an ihm vorüberging. Sie blieb stehen und schlug ihm ärgerlich mit der flachen Hand gegen
die Brust was auf Cromar in etwa einer leichten Ohrfeige gleichkam.
Frick entschuldigte sich bei ihr und ging rasch weiter.
314
»Sie war gar kein käufliches Mädchen«, erklärte er seinem verwunderten Begleiter. »Früher
hatte ich dafür einen Blick, da passierten mir solche peinlichen Irrtümer nie. Offenbar werde
ich langsam alt.«
»Eben darum solltest du dich nicht übernehmen, alter Freund«, meinte Giray. »Ist erst einmal
die Luft raus...«
»Bei wem ist die Luft raus?« entrüstete sich der Geheimdienstchef. »Dich Kerlchen stecke ich
noch alle Male in die Tasche. Wir Tel haben zwei Herzen, zwei Nervensysteme und wir
halten zweimal so lange durch wie ihr Menschen. Telfrauen sind die zufriedensten weiblichen
Geschöpfe in der ganzen Milchstraße. Ach was, im ganzen Universum!«
Wie aufs Stichwort schlenderten zwei überaus bezaubernde Telfrauen die Straße entlang. Sie
waren so wohlgeformt wie fast alle Frauen ihrer Spezies. Eine von ihnen schien ein klein
wenig pummeliger zu sein, dafür wirkte das Gesicht der anderen etwas verlebter. Nuancen,
die nur Bor Frick wahrnahm. Für Ömer sahen die beiden ziemlich gleich aus.
»Du kriegst die Dicke«, raunte Frick Giray zu.
»Welche Dicke?« fragte der als Tel getarnte Terraner verblüfft. »Augenblick mal, willst du
sie etwa ansprechen? Du bettelst ja regelrecht um Schläge.«
»Diesmal sind es garantiert Prostituierte«, flüsterte Frick. »Ich bin mir ganz sicher.«
Beide Frauen gingen dicht an ihm vorbei. Scheinbar hatten sie kein Interesse an einem Flirt.
Oder?
Bor wollte ihnen nachgehen, aber Ömer hielt ihn am Arm fest.
»Vergiß es, für mich ist das nichts. Laß uns lieber wieder eine Bar aufsuchen.«
»Getrunken habe ich für heute genug, jetzt will ich mich richtig amüsieren. Was ist denn
schon dabei? Prostitution ist in dieser Gegend etwas ganz Normales. Was stört dich daran?«
»Mal abgesehen davon, daß ich von einem anderen Planeten stamme, widerstrebt es mir
grundsätzlich, Frauen zu kaufen.«
315
»Du sollst sie nicht kaufen — nur mieten. Hier mieten Männer Frauen und Frauen Männer.
Ich sehe darin nichts Verwerfliches, so lange sich beide einig sind.«
Bor ignorierte sämtliche weiteren Einwände, folgte den beiden Frauen und ging ein
Stückchen mit ihnen mit. Ömer beobachtete, wie die drei miteinander redeten und dann
stehenblieben. Geld wechselte den Besitzer.
»Komm schon!« rief Frick seinem Freund zu. »Ich habe alles klargemacht!«
Ömer zog in Erwägung, einfach wegzugehen. Bor Frick würde sicherlich mit beiden Damen
allein zurechtkommen.
Wenn die zwei nur nicht so hinreißend aussehen würden.../
Giray saß in der Zwickmühle. Er überlegte, ob es zu Tamzwecken nicht doch ratsamer war,
Bors Aufforderung zu folgen, schließlich durfte er nicht auffallen. Zudem hatte er bereits
einiges über den Durst getrunken was stets eine willkommene Ausrede war, falls man
hinterher bereute, was man getan hatte.
»Was ist?« rief Frick ungeduldig. »Kommst du jetzt oder nicht?«
316
18. Die Götter hatten seine stummen Rufe gehört und die Fremden zu seiner Rettung geschickt. Sie hatten die Jäger vertrieben und Tzrrp mit sich genommen. Doch was sollte nun aus ihm werden? Was hatten die Bleichen mit ihm vor? Aufgeregt lief Tzrrp hin und her, ohne wirklich zu begreifen, was geschehen war. Alles war viel zu schnell gegangen, um sich zu wundem oder sich gar Gedanken zu machen. Eben noch hatte er mit seinem Leben abgeschlossen, im nächsten Moment waren wie aus dem Nichts die Fremden gekommen. Er dankte den Göttern dafür, fühlte sich gleichzeitig aber weiterhin ausgeliefert. Die Bleichen verfügten über einen eigenartigen Körperbau. Er fragte sich, wie sie es schafften, mit nur einem Paar Armen in der Welt zurechtzukommen. Er hatte schon früher von Zweihändem gehört, die den Zyzzkt ihre Planeten zur Besiedelung zur Verfügung gestellt hatten, hatte aber noch nie einen gesehen. Jedenfalls stimmte offenbar, war er bisher für Gerüchte gehalten hatte. Anscheinend war die Natur klug genug, Lebensformen nicht mit einem zweiten Armpaar auszustatten, so lange sie geistig nicht genug entwickelt waren, vier Greifwerkzeuge zu koordinieren. Tzrrp selbst hatte, wie alle aus seinem Volk, keine Probleme damit. Wie um es sich selbst zu beweisen, verschränkte er beide Annpaare vor der Brust. Er lauschte. Von draußen drang kein Geräusch zu ihm herein. Das beunruhigte ihn. Hoffentlich hatten sie ihn nicht vergessen, und er war dazu verurteilt, einsam und allein elendig zugrundezugehen. 317 Tzrrp wollte nicht undankbar sein, schließlich hatten die Bleichen ihn gerettet. Er machte sich nichts vor. Die ekelhaften Jäger, die lediglich wie Zyzzkt aussahen, hätten ihn umgebracht. Doch das änderte nichts an der Tatsache, daß er anscheinend von einer Klemme in die nächste geraten war. Sicher, sein Leben war nicht bedroht, aber er war auch nicht in Freiheit. Denn die Tür dieses Raums war von außen verschlossen und ließ sich von innen nicht öffnen. Er hatte es ausprobiert. Einer der Fremden, der über für Tzrrp unverständliche Körperkräfte verfügte und den toten Jäger wie einen leeren Nahrungssack getragen hatte, hatte ihn hergeleitet. In ein Gästequartier, wie er sagte. Ein Gästequartier. Von wegen, das mußte sich erst noch zeigen. Ein Gästequartier konnte man selbständig verlassen, das hier aber nicht. Zu allem Unglück hatte er keine Ahnung, wohin der Flug ging. Der Flug. Tzrrp zuckte vor Empörung zusammen. Er durfte gar nicht daran denken, wo er sich aufhielt. An Bord eines Ringraumers. Unvorstellbar. Wo hatten die Bleichen den her? Etwa gestohlen? Das würde sie in einem wesentlich schlechteren Licht erscheinen lassen, als er sie zunächst gesehen hatte. Aber wenn es sich wirklich um Verbrecher handelte, hätten sie ihn, den sie
nicht kannten und der ihnen doch völlig gleichgültig sein konnte, kaum vor den Jägern gerettet. Tzrrp wurde aus diesen Wesen nicht schlau. Er konnte sich auch nicht erinnern, jemals von ihnen gehört zu haben. Woher sie wohl stammten? Von einem Planeten, der in den Besitz der Zyzzkt übergegangen war? Wohl kaum. Denn dann wären sie ihm auf keinen Fall freundlich gesinnt gewesen, sondern hätten sich eher auf die Seite der Jäger 318 geschlagen, um ihn umzubringen. Das lag nur daran, das sie alle so uneinsichtig waren. So selbstsüchtig. Wieso begriffen sie nicht, daß die Zyzzkt richtig und ihrer Bestimmung gemäß handelten, wenn sie andere Welten in Besitz nahmen? Es war von der Natur so vorgesehen. Die Zyzzkt sollten sich vermehren und ausbreiten. Immer weiter. Von einem Planeten zum nächsten. Von einem Sonnensystem zum anderen. Von einer Galaxis... Tzrrp unterdrückte den Gedanken, weil er ihm höchste Wonnen bereitete und ihn in Euphorie versetzte. Doch er mußte ruhigbleiben und klare Gedanken behalten, wenn er eine Lösung aus seinem Dilemma finden wollte. Er verfluchte Gisol, den Schlächter. Mochte er für alle Zeiten in den schwefelfeurigen Abgründen von Grychycht brennen, aus denen es kein Entkommen gab, weil sie dieses und das kommende Universum überdauern würden. Verfluchter Worgun! Denn nur dem Schlächter hatte er es zu verdanken, daß er seinen Rang und seine Nestrechte verloren hatte, aus Bau und Volk ausgestoßen, zum Tode verurteilt und ehr und gesichtslos deportiert worden war. Daß ihn anschließend die furchtbaren Jäger gehetzt hatten und er nun in diesem »Gästequartier« an Bord eines wahrscheinlich gestohlenen Ringraumers saß, der ohne Zweifel längst auf allen Fahndungslisten stand und früher oder später von einer Patrouille abgeschossen werden würde. Es war der blanke Hohn. Wäre nicht alles so bitter gewesen, hätte er glatt darüber lachen können, doch das Lachen war ihm gründlich vergangen. In seinem Inneren sah es ganz anders aus. Trüb und finster. Trüb wie die Nebelmorgen in den Fruchtbarkeitsauen von Rkril und finster wie die Eiablageplätze in den tiefsten Höhlen von Zryrnnp. Tzrrp stieß ein erbärmliches Wehklagen aus. Die Welt war ungerecht, und das Schicksal meinte es ganz und 319 gar nicht gut mit ihm. Wenn es ihm doch nur die Gelegenheit gäbe, sich zu rächen. Er wollte Rache an dem Schlächter, der ihm all das eingebrockt hatte. Nichts wünschte sich Tzrrp mehr, als ihm eines Tages zu begegnen, um ihn dann zu töten. Doch erst einmal mußte er hier raus. Vielleicht gelang es ihm, auf sich aufmerksam zu machen. Dieser Rendhark hatte einen vernünftigen Eindruck auf Tzrrp gemacht. Er schien der Anführer der Bleichen zu sein, deshalb mußte er sich an ihn halten. Als er an die Tür hämmern wollte, glitt sie vor ihm beiseite. Tzrrp wich zurück und betrachtete die Bleiche, die im Korridor stand. Obwohl er sie bisher nicht gesehen hatte, war er sicher, es mit einem Weibchen zu tun zu haben. Er überlegte, ob er sie angreifen sollte. Sicher würde er sie mühelos überwältigen können. »Ren Dhark möchte mit dir sprechen«, eröffnete sie ihm.
»Hm«, gab sich Tzrrp nachdenklich. Innerlich jubelte er über die erlösenden Worte, aber das wollte er sie nicht spüren lassen. Doch anscheinend entwickelte sich alles zum Guten. Seine Sorgen waren unberechtigt gewesen. »Es sei denn, du hast etwas anderes vor, dann komme ich später wieder.« Tzrrp verstand nicht, was sie meinte. Sie mußte doch wissen, daß er sein Quartier nicht verlassen konnte. Wie kam sie da auf die Idee, daß er etwas anderes vorhatte? Er verzichtete darauf, sie auf ihren Fehler hinzuweisen. Offenbar war sie nicht nur ein körperlich schwaches Weibchen, sondern verfügte auch über keine besondere Intelligenz. »Ich freue mich darauf, mit Rendhark zu sprechen«, sagte er. »Ich bin ihm zu Dank verpflichtet, weil er mich vor den Jägern gerettet hat.« »Ich werde dich zu ihm führen.« Das gefiel Tzrrp. Die Bleiche drehte sich um und setzte sich in Bewegung, ohne eine weitere Antwort abzuwarten. Es war eigen 320 i artig, daß sie vor ihm ging und ihm dabei ihren ungeschützten Rücken darbot. Also mißtraute sie ihm nicht und hatte auch keine Angst vor ihm. Tzrrp fand, daß das ein gutes Zeichen war. Er war tatsächlich unter Freunden. Vielleicht konnten sie ihm sogar dabei helfen, den Schlächter Gisol aufzuspüren und seinen ramponierten Ruf wiederherzustellen. Leu Dhark, der in einem Sessel neben Manlius saß, sah auf, als Amy Stewart mit dem Zyzzkt das kleine Konferenzzimmer betrat. Hinter ihr trat er ein und schaute sich neugierig um, wohin es ihn verschlagen hatte. Er machte einen unbefangenen Eindruck und wirkte beinahe wie ein kleines Kind, das eine große Entdeckung gemacht hat. Automatisch erweckte sein Verhalten den Eindruck von Harmlosigkeit, aber Ren machte nicht den Fehler, sich davon blenden zu lassen, selbst wenn der Zyzzkt dieses Gebaren nicht vorsätzlich zur Schau trug. Er war Kommandant einer starken Raumflotte gewesen, also sicher nicht so Nalv, wie er schien. »Nimm doch Platz«, forderte Dhark Tzrrp auf. Einmal mehr wurde ihm klar, wie unterschiedlich Menschen und Zyzzkt waren. Die Körpersprache, die Ren auf eine bestimmte Art interpretierte, mochte bei einem Zyzzkt etwas ganz anderes darstellen. Sie konnte Ablehnung ebensogut wie Angriffslust ausdrücken und war auf keinen Fall zwangsläufig mit der menschlichen Bedeutung identisch. Amy Stewart setzte sich, und Tzrrp tat es ihr gleich. Mehr schlecht als recht zwängte er sich in eine der für seine Anatomie Wenig idealen Sitzgelegenheiten. Ren hatte den Eindruck, daß die Pacettenaugen ihn intensiv musterten, doch auch das konnte ein 321 Trugschluß sein. Schließlich waren sie starr und erfaßten ein ganz anderes Blickfeld als menschliche Augen. »Zunächst möchte ich dich offiziell an Bord unseres Schiffs willkommen heißen«, sagte er und erkannte sofort, daß er damit einen Fehler gemacht hatte. Tzrrp schlackerte aufgeregt mit seinem oberen Armpaar. »Wie kannst du das behaupten, Rendhark? Dies ist nicht euer Schiff. Es kann euch gar nicht gehören, denn die Ringschiffe gehören uns!«
Seine Worte klangen empört, der Zyzzkt war außer sich und auf keinen Fall so ruhig und
gelassen, wie er schien.
»Du hast recht, es ist nicht unser Schiff. Meine Worte waren unklug gewählt. Wir benutzen es
im Moment nur.«
»Wo habt ihr es her?« Der Argwohn in der Frage war nicht zu überhören. Natürlich hätte
Dhark damit rechnen müssen. In Om flog außer den Zyzzkt niemand mit Ringraumem durch
die Gegend, auch nicht die Worgun, denen das schon lange verboten war. Er war froh, daß
Gisol nicht anwesend war, sondern das Gespräch lediglich mittels der Überwachungsgeräten
verfolgte.
Zweifellos wäre er spätestens jetzt auf den Zyzzkt losgegangen.
»Wir haben das Ringschiff auf einem verlassenen Worgunplaneten gefunden«, erklärte er.
»Es stand herrenlos geparkt auf der Oberfläche und war nicht gesichert.«
»Da seid ihr einfach hingegangen und habt es euch angeeignet?«
»Nur vorübergehend«, bekräftigte Ren noch einmal. »Natürlich haben wir vor, es den
rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben, sobald sich die Gelegenheit dazu ergibt.«
»Dann wißt ihr, wem es gehört?« erkundigte sich Tzrrp lauernd.
»Es gehört den Verehrten«, erhob zum ersten Mal Manlius die Stimme. »Selbstverständlich
wissen wir auch, daß du einer von ihnen bist, denn wir sind große Freunde der Verehrten.«
Dhark war froh, daß er diese selbstherrliche Bezeichnung der Zyzzkt, die die auf Epoy
zusammengepferchten Worgun verwenden mußten, von Gisol erfahren hatte. So konnten sie
sie nun werbewirksam einsetzen.
»Nur deshalb hat Ren Dhark dich auch in ein verschlossenes Quartier bringen lassen«,
bekräftige Amy Stewart. »Du hast dich vielleicht darüber gewundert, aber es geschah nur zu
deiner eigenen Sicherheit. Ren Dhark wollte sicherstellen, daß dir nichts zustößt, solange du
unser Gast bist.«
i »Das hättet ihr mir aber sagen können.« Tzrrp gab sich Mühe, vorwurfsvoll zu klingen, aber
Ren entging nicht, daß er sich durch die Ausführungen gebauchpinselt fühlte. Eitelkeit konnte
man also offenbar auch einem Insektoiden nicht absprechen.
»Deshalb tun wir das jetzt«, konterte die Cyborg. »Es ging nicht früher, weil wir vor den
Jägern fliehen mußten, um dich nicht der Gefahr auszusetzen, erneut von ihnen gefangen zu
werden.«
»Das war sehr umsichtig von euch.«
»Wie gesagt, wir sind Freunde der Verehrten und sehen nicht tatenlos zu, wenn einer von
ihnen in Gefahr gerät.«
Ren warf der schlanken Frau einen warnenden Blick zu. Das war beinahe zu dick auf
getragen. Tzrrp fand das scheinbar nicht. Zufrieden ließ er seine Arme sinken und entspannte
sich. Der Conamander konnte sich lebhaft vorstellen, daß Gisol als Augen und Ohrenzeuge
dieses vorgetäuschten Schulterschlusses Gift und Galle spuckte. Aber er würde sich schon
wieder beruhigen.
»Darf ich dich etwas fragen, Rendhark?«
»Was möchtest du wissen?«
»Kennt ihr einen gewissen Gisol? Es handelt sich um einen Worgun. Im Volksmund nennt
man ihn aufgrund seiner ungeheuerlichen Verbrechen den Schlächter.«
»Wir haben von ihm gehört«, wich der weißblonde Mann aus. »Wer hat das nicht? Was willst
du denn von ihm?« |»Ich will ihn töten. Eines Tages werde ich ihn finden und töten.«
Lodernder Haß sprach aus Tzrrps Worten. »Wenn ihr etwas über ihn wißt, müßt ihr es mir
verraten.«
»Wir wissen nicht mehr als du.«
»Kein Wunder, denn der Schlächter ist nicht nur ein Mörder, sondern auch ein Intrigant und
Versteckspieler. Doch wir sprachen
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von diesem Schiff hier. Dir sagtet, ihr wollt es nicht für euch behalten, aber bisher habt ihr
noch keinen Kontakt mit jemandem aus meinem Volk aufgenommen, um das Ringschiff
zurückzugeben.«
»Weil wir um die Probleme der Verehrten wissen«, antwortete der Römer. »Ihr habt
Wichtigeres zu tun. Ihr müßt Lebensraum für euer Volk finden, um euch weiter auszubreiten.
Das beansprucht eine Menge Zeit.«
»Das stimmt in der Tat!« rief Tzrrp erfreut. »Endlich versteht jemand die Nöte, in denen wir
uns befinden. Wir werden immer mehr, aber der Raum, der uns zur Verfügung steht, hält mit
unserer Vermehrung nicht Schritt, das ist ein gewaltiges Problem. Es würde gelindert, wenn
wir seltener die Eiablageplätze aufsuchen würden.«
Dhark horchte auf. Die Worte klangen beinahe wie eine Kritik.
»Wärest du denn dazu bereit?«
»Nicht nur ich, sondern auch andere, wenn auch nicht sehr viele. Dabei habe ich es mir genau
überlegt. Wenn wir diese Form der Geburtenkontrolle wählen würden, würde sich der Druck
auf unseren Planeten spürbar verringern.«
»Dann gibt es Bestrebungen, in dieser Richtung etwas zu unternehmen?«
Unverkennbar hatte Tzrrp auch seine letzten Vorbehalte abgelegt. Er hatte Vertrauen zu den
Freunden der Verehrten gefaßt, sonst hätte er sicher nicht über dieses Thema geredet. So aber
sprudelten die Worte aus ihm heraus, als sei er froh, endlich wieder einmal Zuhörer dafür zu
finden.
»Es gab sie hinter vorgehaltenen Klauen, aber jetzt nicht mehr. Die Zentralregierung
unterbindet jede Initiative, die in diese Richtung zielt.«
Die drei Menschen tauschten unauffällige Blicke. Der Verlauf des Gesprächs ging in eine
unerwartete Richtung. Keiner von ihnen hatte damit gerechnet, daß es Zyzzkt im Kollektiv
gab, die auch nur an eine Geburtenregelung dachten. Dieses Zauberwort
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war möglicherweise der Schlüssel für ein Ende der Zyzzkt-Expansion.
Tzrrps nächste Worte konterkarierten seine vorherige Aussage allerdings.
»Es wäre ja auch nur eine Übergangslösung. Sie würde nur gelten, bis wir endlich genug Ala-
Metall besitzen.«
Ren fühlte sich wie von einem körperlichen Schlag getroffen. Das konnte nur eines bedeuten,
aber er wagte nicht, die gedankliche Konsequenz zu ziehen. Stewart kam seiner Frage zuvor.
»Und wozu benötigt ihr das Ala-Metall? Für die endgültige Lösung eurer Probleme?«
»Natürlich«, bestätigte Tzrrp. »Dann könnten wir endlich unsere Auswanderungsflotte in
Marsch setzen.«
f »Also gibt es diese Rotte bereits?« fragte Dhark mit trockenem Hals.
»Es ist eine gigantische Flotte«, verkündete der Zyzzkt stolz. »Wir haben sie längst an einem
geheimen Ort der Galaxis zusammengezogen. Seitdem wartet sie darauf, starten zu können.
Nur das Ala.Metall für ihren Betrieb fehlt bisher, doch auch das wer
Iden wir noch finden.«
»Was ist mit den Besatzungen?« fragte der Römer. »Die sind auch schon an Bord. Sie können
es kaum noch erwarten, in die Ferne aufzubrechen. Ich bin sicher, es wird nicht mehr lange
dauern. Dann wird die Flotte starten und Milliarden von Zyzzkt in andere Galaxien bringen,
die einst von den verbrecherischen Worgun beherrscht wurden.«
Amy Stewart war blaß geworden. »Du weißt, was das bedeutet. Das dürfen wir auf keinen
Fall zulassen, Ren.«
Nein, dachte der Commander der Planeten, dieses drohende Szenario darf nicht Wirklichkeit
werden. Er sah eine endlose Springflut von Zyzzkt, die an Bord der Millionenflotte den
Abgnind zwischen den Sterneninseln überwand und andere Galaxien öberschwemmte. Auch
die Milchstraße!
325 »Wir werden einen Weg finden, diesen Wahnsinn zu stoppen« flüsterte er erschüttert. »Was meinst du damit, Rendhark?« fragte Tzrrp. Sein Körper spannte sich an, und er richtete sich auf. Forschend blickte er die drei Menschen an und stieß den Sessel um. »Dir habt mir etwas vorgemacht!« Seine Stimme hatte sich verändert. Sie klang schrill und beinahe hysterisch. »Ihr seid keine Freunde der Verehrten!« Da stürmte Gisol in den Raum. Haß loderte in seinen Augen, in seinen geschwollenen Halsadern pulsierte das Blut. Unwillkürlich erwartete Dhark, daß er sich auf den Zyzzkt stürzen würde, aber noch hielt der Worgun sich zurück. Er starrte Tzrrp an und zitterte am ganzen Körper. Verständnislos erwiderte Tzrrp den Blick. »Wer bist du, und was willst du von mir?« Gisols Lippen bebten. Sie wurden zu zwei blutleeren Strichen, als er sie aufeinanderpreßte. Mit einem Ruck riß er sich von dem Anblick eines seiner Erzfeinde los und wandte sich dem Commander zu. »Willst du immer noch abwarten und so tun, als ginge dich das alles nichts an? Meinst du immer noch, dich aus allem heraushalten zu können?« »Habe ich das jemals getan? Ich kann mich nicht daran erinnern. Bisher habe ich dich und deine Sache unterstützt.« Eine Tatsache, an der sich nichts ändern würde. Die Gedanken jagten durch Rens Kopf wie Blitzlichter, die die Wahrheit offenbarten. Gisols Befürchtungen bezüglich der Millionenflotte waren zutreffend, nun hatten sie die Bestätigung. Doch was weder Tzrrp noch ein anderer Zyzzkt wußte, war, daß der Standort ihrer vermeintlich geheimen Auswanderungsflotte bekannt war, seit der Wächter Simon mit der NOREEN WELEAN darauf gestoßen war. 326 »Ihr seid gegen die Zyzzkt!« keifte Tzrrp. Seine Mandibeln bewegten sich aufgeregt, und seine Fühler zitterten. Langsam wich er zurück. ]^ »Worauf du dich verlassen kannst, elender Sabocaer.« Die verbotene Bezeichnung für die »Verehrten«! Tzrrp stieß einen entsetzten Schrei aus. Er handelte mit eiskalter Entschlossenheit. Bevor jemand reagieren konnte, warf er sich auf Amy Stewart, die er als Weibchen für die Schwächste hielt. Geschickt wich sie aus, aber er bekam sie mit einer seiner Greifklauen zu fassen... H ... und gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Unverständnis stahl sich in seine Facettenaugen, als er in den Beinen einknickte. ^, Doch er fiel nicht zu Boden. ||Bfe Gisol hatte in Gedankenschnelle einen festen Dom aus seinem Arm geformt, den schützenden Chitinpanzer durchbohrt und die Spitze durch den zuckenden Leib gejagt. Hilflos hing der Zyzzkt an dem Dom. Langsam sank sein Kopf nach vom, wobei ihm gutturale Laute entfuhren. »Ren machte einen Satz und zog die CyborgFrau mit sich. »Du hättest ihn nicht töten sollen, Gisol!« »Das kannst du nicht beurteilen, Ren. Er ist ein Feind meines Volkes.« Unbeeindruckt zog der Worgun den Dom aus dem erschlaffenden Körper. Tzrrp schlug haltlos zu Boden. Blutige Masse spritzte aus seinem Leib, den er mit seinen vier Armen umklammert hielt. In seinen Augen zeichnete sich Begreifen ab. Und Todesangst. Mit einem Mal war seine Angst größer als vor tausend Jägern. Über ihm ragte das personifizierte Grauen auf, der Massenmörder und die Geißel der Zyzzkt. »Gisol«, wisperte er mit brechender Stimme. »Du bist... der Schlächter.« ' m Verächtlich trat Gisol einen Schritt zurück, gab seine menschli^e Erscheinung auf und floß in seine natürliche Form zurück. In dle amorphe Gestalt eines Worgun. 327
»Ja, der bin ich«, versetzte er genüßlich. »Du wolltest mich doch kennenlernen, elender Sabocaer. Dein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Aber damit du nicht so ganz allein stirbst, gebe ich dir noch etwas mit auf deinen Weg. Ich habe deinem Zentralplaneten soeben einen herzlichen Gruß zugestellt.« Tzrrp wand sich in Agonie. Gisol, der Schlächter! Wie Nadeln aus Eis drangen die Worte in Tzrrps Bewußtsein und verwandelten seinen Verstand in einen erfrierenden Klumpen, der sich ausdehnte und seinen gesamten Körper überschwemmte. Kälte füllte Tzrrp aus, als er vergeblich versuchte, den Kopf zu heben. Doch auch so sah er die amorphe, widernatürliche Gestalt. Alles, was er jemals über Gisol erfahren hatte, stimmte. Dieser Verbrecher hielt sich nicht an die Gesetze, sondern veränderte seine Form. Und er ermordete Zyzzkt/ Die unglaubliche Ironie des Augenblicks wurde Tzrrp klar. Sein sehnlichster Wunsch war in Erfüllung gegangen, er war dem verfluchten Worgun, der an seinem Schicksal schuld war, begegnet. Doch anstatt ihn dafür zu töten, starb er selbst. Mit selten erlebter Klarheit begriff Tzrrp. Er war den Jägern entkommen, um hier sein Ende zu finden. Ein letztes Mal gelang es ihm, einen Arm zu heben, um nach dem Mörder zu greifen, aber er spürte seine Greifklaue nicht mehr. Er sah sie, aber er vermochte sie nicht zu bewegen. Sie war nicht mehr als ein totes Stück Holz, kalt und leblos. Sie schien nicht mehr zu seinem Körper zu gehören. In seinem Leib, aus dem zähes Blut floß, tobten Schmerzen und zerrissen ihn innerlich. Entsetzt mußte er mit ansehen, wie er sich langsam entleerte. Tzrrp lag in einer glänzenden Lache, die sich langsam weiter ausbreitete. 328 Gestalten bewegten sich vor seinen Augen, die er nicht erkannte, und er vernahm Stimmen, die er nicht verstand. Eine gehörte zweifellos Gisol, dem Schlächter. Eine andere... Rendhark. Wie hatte er sich nur so in dem Bleichen täuschen können? Weil der sich verstellt und geheuchelt hatte. Er hatte von Anfang an ein falsches Spiel gespielt und Tzrrp etwas vorgemacht. Seine Maske war zu perfekt, um sie zu durchschauen. Die Gestalten verblaßten, und sanftes, wallendes Licht trat an ihre Stelle. Es kam geradewegs aus der Unendlichkeit. Aus Raum und Zeit. Aus den Gefilden auf der anderen Seite, wo die Götter auf ihn warteten. Die Kälte und der heiße Schmerz lieferten sich einen Kampf darum, wer Tzrrp mehr quälte. Eigentlich hätten sie sich gegenseitig auslöschen müssen, aber das taten sie nicht. Statt dessen fielen sie einträchtig über ihn her. Wimmernd versuchte Tzrrp sich zu bewegen. Gelang es ihm, oder lag er reglos da? Er konnte es nicht einmal mehr beurteilen. Niemand war mehr da, er war allein. So hatte er sich sein Ende niemals vorgestellt, nur die Begleiterscheinungen waren so, wie er sie stets erwartet hatte. Immer heller blendete das Licht, wurde zu einer Supernova in seinem Kopf, die sich aufblähte und Schmerz und Kälte auslöschte, Angst und Zweifel mit sich nahm. Bis sie endgültig erlosch und absolute Dunkelheit zurückließ. Und Leere in einem toten Körper.
Mit einem letzten Zucken erschlaffte der Zyzzkt. Tzrrp war tot. Ren Dhark, der über ihm stand, fühlte sich eigenartig berührt nicht so, als sei eben ein Feind gestorben. Sondern ein Lebewesen. 329 An dieser unergründlichen Schwelle, die zwischen Leben und Tod stand, wurde vielleicht alles unwichtig. Richtig und Falsch, Gut und Böse, Freund und Feind, Liebe und Haß. Einfach alles. Es mochte daran liegen, daß Menschen diese Schwelle in den Jahrtausenden ihrer bisherigen Existenz nicht entschlüsselt hatten. Und das wahrscheinlich auch niemals schaffen würden. Was vielleicht sogar besser war. Ren fragte sich, ob die Menschen wirklich besser dran wären, wenn sie schon im Leben gewußt hätten, was auf der anderen Seite wartete. Er spürte Amy Stewarts zärtliche Hand in seinem Nacken und schob die quälenden Gedanken beiseite. Sie führten zu nichts. Gisol hatte sowieso eine andere Meinung dazu. Für einige Sekunden kostete er seinen Triumph über einen seiner Feinde aus, dann wandte er sich barsch von dem verkrümmt daliegenden Zyzzktab. »Ich gehe in die Zentrale«, erklärte er ohne weitere Umschweife. »Wir haben schon zuviel Zeit verloren. Wir müssen zum Heerzug der Heimatlosen, und dann nach Gardas.« Ren Dhark blickte ihm kommentarlos nach, als Gisol den Raum verließ. In vielen Dingen waren sie sich ähnlich, in manchen aber auch grundverschieden. Und diese Unterschiede ließen sich niemals aufheben. 330 19. Als Ömer Giray die Augen aufschlug, drehte sich die Welt um ihn. Die Welt? Genaugenommen handelte es sich um ein kleines sauberes Zimmer, spärlich, aber nicht ungemütlich eingerichtet. Die Tapeten, Gardinen und Teppiche waren in verschiedenen Blautönen gehalten, ebenso der Deckenanstrich. Sogar das Bettlaken, auf dem er lag, war blau. Und ich erst! stöhnte Ömer innerlich auf. Allmählich verflog sein JehoRausch. Für einen gewissen Zeitraum hatte ihn das Zeug ganz wild gemacht doch jetzt fühlte er sich zahm wie ein Schoßhündchen, das gestreichelt werden wollte. Der Wunsch wurde ihm erfüllt. Eine zarte Hand fuhr zärtlich über sein Brusthaar. Ömer drehte den Kopf beiseite und erblickte eine unbekleidete Telfrau, die auf der Bettkante Platz genommen \m hattem »Du siehst geschafft aus, mein Starker«, sprach sie ihn lächelnd in ihrer Heimatsprache an. »Wundert mich nicht, so wie du dich in den vergangenen Stunden verausgabt hast. Ich wußte gleich, daß ich die richtige Wahl getroffen habe. Berol hat sich voreilig für deinen Freund Bor entschieden, weil sie dich zu schüchtern fand. Später habe ich sie kurz herübergeholt, um ihr zu zeigen, wie gut i_ du ausstaffiert bist. Sie hat sich ganz schön geärgert.« B Ber^ Ömer erinnerte sich, daß dies der Name der Telfrau war, mit der Bor Frick herumpoussiert hatte. Zunächst hatten sich alle vier hier im blauen Zimmer aufgehalten, dann waren Bor und Berol nach nebenan gegangen. Berols Freundin (Wie hieß sie doch gleich?) War bei ihm geblieben. 331 Reem.
Ja, das war ihr Name. Auch sonst fiel Ömer wieder alles ein. Reem hatte ihm die »zyklopischsten Freuden des Universums« versprochen und ihm ein Sensorium angeboten, mit einem Chip, der angeblich keine sexuellen Wünsche offenließ. Doch Giray hatte nur Augen für Reem selbst gehabt. Beide waren dabei nicht zu kurz gekommen. Irgendwann mußte er dann eingeschlafen sein. Davon, daß Reem ihre Freundin geholt hatte, damit sie sich ihn mal anschauen konnte, wußte er nichts mehr. Aber seine geheime Augenkamera hatte den Vorfall sicherlich aufgezeichnet und abgespeichert. Jeho war ein teuflisches Getränk. Es sah aus wie klares Wasser, schmeckte wie Tee und wirkte zunächst völlig harmlos. Früher oder später schlug der Dämon der Finsternis jedoch erbarmungslos zu. »Möchtest du eine Tablette?« fragte Reem ihren Freier. »Danach fühlst du dich garantiert besser.« Giray bezweifelte das. Telmedizin war nicht zwangsläufig für Menschen geeignet. »Vielleicht möchtest du dir jetzt ein paar heiße Sensoriumaufnahmen anschauen«, bot Reem ihm verheißungsvoll an. Sie hielt zwei Geräte in den Händen, reichte ihm eines und legte das andere auf ihren Nachtschrank. Ömer lehnte erneut ab. »Hast du eigentlich eine Ahnung, wie gefährlich diese Apparate sind?« fragte er sie vorwurfsvoll und richtete sich langsam auf. »Es gibt Chips, von denen kommt man nie wieder los.« »Dieser hier ist garantiert harmlos«, behauptete die schöne Prostituierte, »im Gegensatz zu den erregenden Szenen, die sich darauf abspielen. Du wirst begeistert sein. Setz das Sensorium auf, lehn dich zurück und genieße den Chip. Es wird ein unvergeßliches Erlebnis, glaube mir.« Giray lehnte sich tatsächlich zurück, allerdings ohne das Gerät auf dem Kopf. Ihm war schwindelig. Und er war verwirrt. Warum wollte sie ihm unbedingt ein Sensorium aufnötigen? 332 Ömer beschloß, sich schlafend zu stellen und abzuwarten, was passierte. Leider war er derart erschöpft, daß er wirklich in den Schlaf fiel... Reem kämpfte innerlich mit sich. Sollte sie, oder sollte sie nicht? Sie hielt das Sensorium über Ömers Kopf, konnte sich aber nicht entschließen, es dem schlafenden, wehrlosen Mann überzustülpen. Es gab Nächte, da erledigte sie ihren Job nur absolut teilnahmslos, ausschließlich des Geldes wegen. Reem war gut im Geschäft und konnte es sich leisten, Freier, die ihr nicht gefielen oder merkwürdig vorkamen, abblitzen zu lassen. Auf Dauer wollte sie diesem anstrengenden Beruf allerdings nicht nachgehen. Eine Freundin von ihr, Wibe Kieker, betrieb im Vergnügungsviertel ein kleines, aber feines Speiselokal, mit Spieltischen in den Nebenräumen. Übers Glücksspiel verdiente sie weitaus mehr als mit der Schankwirtschaft. Sobald Reem genügend zusammengespart hatte, wollte sie in das lukrative Gewerbe mit einsteigen. Nächte wie heute waren ein Segen für Reems elektronisches Sparkonto. Am frühen Abend hatten sich Berol und sie um einen Flottenoffizier gekümmert, der mit dem Geld nur so um sich geworfen hatte. Etwas später hatte man ihnen eine ansehnliche Summe plus Erfolgsprämie für »einen kleinen Gefallen« geboten ein Angebot, das die beiden nicht hatten ablehnen können. Auch Bor hatte sich als äußerst großzügig erwiesen. Ömer hatte zunächst etwas zurückhaltend gewirkt, doch allmählich war er aufgetaut. Er war genau der Typ Mann, mit dem Reem sich auch in ihrer Freizeit eingelassen hätte, ohne Geld dafür zu verlangen. Lediglich seine Haut fand sie ein wenig zu hell. Doch welcher Mann war schon perfekt? Und ausgerechnet ihn wollte sie jetzt ins Unglück stürzen? Sie
333 wußte von der Suchtwirkung des Chips, mit dem das Sensorium aller Wahrscheinlichkeit nach bestückt war. Durfte sie ihm das wirklich antun? Reem zögerte. Sein Leben oder ihres. Schließlich gab sie sich einen Ruck und setzte dem Schläfer das Gerät auf. Oder besser gesagt: Reem gab sich einen Ruck und versuchte, dem Schläfer das Gerät aufzusetzen. Ömer erwachte jedoch rechtzeitig und schlug ihr das Sensorium aus der Hand. Die neue Überwachungsautomatik in seinem Kunstauge hatte die Gefahr registriert und ihn mittels eines Funkalarmsignals, das direkt ins Gehirn ausgestrahlt wurde, aus dem Schlaf gerissen. »Reden wir Tacheles!« schrie er sie auf Angloter an und fügte, als er seinen Irrtum bemerkte, rasch auf Tel hinzu: »Was soll das? Habe ich dir nicht kipp und klar gesagt, daß ich kein Interesse an diesem gottverfluchten Teufelsapparat habe?« Reem zwang sich zu einem Lächeln. »Sieh an, du siehst nicht nur gut aus, du bist auch gebildet und beherrschst Fremdsprachen. Ich wollte dir nicht wehtun, sondern dir herrliche Freuden bereiten. Das Sensorium...« »... ist garantiert mit einem Suchtchip ausgestattet!« fuhr Giray ihr zornig über den Mund. »Oder ist es etwa eines der neuen Fernsteuergeräte? Warnt euch eure Regierung nicht davor?« »Ich weiß nur wenig darüber. Es heißt, die neuen Sensorien würden zu schweren Geistesstörungen führen. So eines hätte ich dir niemals aufgesetzt, glaube mir. Dies hier ist ein ganz normales Sensorium mit einem ganz normalen Chip.« »Woher willst du das so genau wissen? Rein äußerlich ist das nicht erkennbar.« »Bitte tu mir nichts«, sagte Reem verängstigt. »Sie haben mir versichert, das Sensorium sei ungefährlich, und der Chip enthielte nur harmloses Material für einen phantastischen, aber nicht süchtigmachenden Trip.« »Sie?« fragte Giray. »Wen meinst du damit?« »Zwei Unbekannte, die Berol und mich auf der Straße angespro 334 chen haben. Ihre echten Namen wollten sie uns nicht sagen, sie nannten sich Coreoo und Djarpa. Zunächst schien es ein Geschäft wie jedes andere zu sein. Die beiden begleiteten uns ins >RubinRubin< zu nehmen. Hier sollten wir euch zu einem Trip mit dem Sensorium überreden.« »Hat man euch dafür bezahlt?« fragte Giray scharf. »Ja. Aber man ließ uns keine Wahl, ehrlich. Es hieß, wenn wir ablehnen oder versagen, würde uns etwas Schlimmes zustoßen. Ich bin überzeugt, die beiden werden ihre Drohung wahr machen. Du mußt mich beschützen!« »Dich beschützen? Du hinterhältiges Miststück wolltest mir gerade einen Suchtchip andrehen, schon vergessen? Und jetzt behaupte nur nicht, du hast tatsächlich geglaubt, es sei nur ein harmloser Chip. Wenn dem so wäre, hättest du dir selbst ein Sensorium aufgesetzt. Statt dessen hast du deines beiseitegelegt.« »Berol und ich haben zumindest geahnt, daß die vier Sensorien, die uns Coreoo und Djarpa übergaben, mit illegalen Chips bestückt sind«, gab Reem zu. »Deshalb beschlossen wir, die Finger von den Geräten zu lassen.« »Bor!« entfuhr es ömer entsetzt. »Er schwebt in höchster Gefahr! Hoffentlich hat ihm deine Freundin noch nichts angetan!« In Windeseile kleidete er sich an. Dann wollte er das Zimmer verlassen, um nach nebenan zu gehen. Der Sensorschalter am Türrahmen zeigte jedoch keine Reaktion, die in die Wand versenkbare Tür blieb verschlossen. Reem schaute auf den Stundenzähler. »Wir haben die Zeit überschritten. Wer konnte auch ahnen, daß wir so lange hierbleiben würden?« »Wie kommen wir hier raus?« herrschte Ömer sie an. Er machte sich Sorgen um seinen Freund und hoffte, daß Bor das üble Spiel mit dem Sensorium ebenfalls durchschaut hatte. Als Leiter des Geheimdienstes auf Cromar war er bestimmt nicht so dumm, sich einen Suchtchip aufschwatzen zu lassen. Allerdings hatte er schon ziemlich viel getrunken... Reem betätigte den Notschalter. 336 Bis zum Eintreffen des Hausmeisterroboters verstrich wertvolle Zeit. Kaum war die Tür offen, wollte Ömer hinausstürmen. Doch der sechsarmige Roboter hielt ihn fest. Die Roboter der Tel glichen ihren Schöpfern wie Zwillinge. Durch die Bank weg handelte es sich um perfekt nachgebildete telähnliche Maschinen, männlichen und weiblichen »Geschlechts«. Man hätte sich glatt in sie verlieben können, wären ihre Herzen nicht aus Metall gewesen. Natürlich wußte jeder Tel schon bei der ersten oberflächlichen Inaugenscheinnahme, ob er einen Roboter oder einen lebenden Artgenossen vor sich hatte. Für andere Milchstraßenbewohner war der Unterschied allerdings nicht so leicht erkennbar. Als die Zimmertür langsam in der Wand verschwand, rechnete Ömer damit, gleich einem jener außergewöhnlichen Maschinengeschöpfe gegenüberzustehen. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, wollte er sich erst gar nicht mit Diskussionen aufhalten und sich blitzschnell am Roboter vorbeidrängeln. Daraus wurde aber nichts. Das klobige, massige Monstrum, das hier im Gebäude die Hausmeisteraufgaben übernahm, füllte den gesamten Türrahmen aus. Der Roboter sah weder den Tel noch sonst einem bekannten Lebewesen ähnlich. Ömer verglich ihn mit einem aufrechtstehenden Metallsarg, der rundum mit kleinen Rädern ausgestattet war, so daß er sich nötigenfalls auch auf dem Rücken oder auf der Seite liegend fortbewegen konnte. Das Vorderteil war mit sechs beweglichen Greifarmen von unterschiedlicher Länge ausstaffiert worden.
Alle sechs Arme packten zu und ließen Giray nicht eher los, bis er die fällige Gebühr entrichtet hatte. Erst dann durfte er ein Zimmer weitergehen wo die Tür ebenfalls verschlossen war. 337 »öffnen!« befahl Ömer dem Hausmeister. »Erst zahlen, sonst bleibt die Tür zu«, schnarrte die primitive Maschine. Der GSO-Agent entrichtete nochmals Nachgebühr. Daraufhin Öffnete der Roboter das Nachbarzimmer mit einem Funksignal. Ömer Giray kam viel zu spät. Bor Frick hockte im Bett, nur mit seiner Unterwäsche bekleidet, und trug ein Sensorium auf dem Kopf. Seinem Gesichtsausdruck nach hatte er es sich schon vor geraumer Weile aufgesetzt. Berol saß vollständig bekleidet in einem Sessel und schaute sich gelangweilt eine Modenschau im Holokanal an. Ihr Sensorium lag ungenutzt auf einem Tischchen. Gleich daneben hatte Bor seinen Paraschocker mitsamt Schulterholster abgelegt. Selbst in seiner Freizeit trug er ständig eine Waffe bei sich. »Du kommst zu früh, Reem«, sagte Berol, ohne zur Tür zu sehen. »Bor ist noch nicht fertig mit seinem Spezialprogramm. Und was macht dein Freier? Hast du ihn doch noch überreden können...?« »Hat sie nicht!« unterbrach Ömer sie wütend. »Ich gebe dir einen guten Rat: Verschwinde auf der Stelle aus diesem Zimmer, oder ich kenne mich nicht mehr!« Mit erschrockener Miene sprang Berol aus dem Sessel und machte, daß sie hinauskam. Die Tür glitt auf und schloß sich hinter ihr. Für umgerechnet zwei Erdenstunden konnte man das Zimmer wieder problemlos betreten oder verlassen, vorausgesetzt, es war nicht von innen elektronisch verriegelt. Im Flur traf Berol mit Reem zusammen, die sich inzwischen ihre paar Kleidungsstücke übergeworfen hatte. »Wir müssen weg von hier!« sagte Reem aufgeregt. »Kennst du ein sicheres Versteck? Wenn Coreoo und Djarpa erfahren, daß wir versagt haben, bringen sie uns um.« »Uns?« erwiderte Berol. »Mir werden sie nichts tun, ich habe meinen Auftrag erfüllt. Tut mir leid. Schätzchen, aber es ist besser, du hältst dich für eine Weile von mir fern. Früher oder später fin 338 r' den dich die beiden, da möchte ich nicht mit dabeisein.« »Eine schöne Freundin bist du!« schimpfte Reem und lief zum AGravIift. Abrupt blieb sie stehen. Zwei Männer stiegen aus dem Lift. »Was macht ihr hier auf dem Pur?« wollte der wissen, der sich Djarpa nannte. »Habt ihr euren Auftrag erledigt?« »Haben wir«, log Reem und deutete auf Berols Zimmer. »Die beiden befinden sich da drin. Ich muß jetzt weg, ein neuer Kunde wartet auf mich.« »Laß ihn warten«, befahl ihr der mit dem Decknamen Coreoo. »Dir bleibt bei uns, bis wir euch gehen lassen. Im übrigen haben wir euch eine Erfolgsprämie versprochen, falls alles reibungslos klappt. Wollt ihr etwa darauf verzichten?« Der Hausmeisterroboter hielt sich noch in der Etage auf. Er machte einen Kontrollgang und überprüfte den langen Flur auf Schmutzpartikel. Sauberkeit war das wichtigste Gebot im »Rubin«. |g Reem wußte, daß die Maschine nicht nur aufs Saubermachen und Abkassieren programmiert war. Wenn es Ärger gab, erfüllte er auch die Funktion eines Rausschmeißers. »BA16ER!« rief sie ihm zu. »Hier sind zwei Freier, die Streit suchen.« Der sargähnliche Metallklotz änderte sofort seine Richtung und rollte aufrechtstehend zum Lift.
»Bitte verlassen Sie umgehend dieses Gebäude«, ordnete er an. »Ruhestörer sind in unserem Etablissement unerwünscht.« Berol witterte Ärger und zog sich rasch ins blaue Zimmer zurück, das noch kurz zuvor Reem und Ömer belegt hatten. Drinnen schaltete sie die elektronische Türblockade ein. Sobald ihre beiden Auftraggeber das »Rubin« verlassen hatten, würde sie sich hinausschleichen. Auf die Erfolgsprämie verzichtete sie wohlweislich. Auch in einem Vergnügungsviertel mit gutem Ruf fiel mal der eine oder andere unerwünschte Zeuge aus dem Fenster und die Räumlichkeiten hier lagen im achten Stock. 339 Coreoo und Djarpa hatten nicht auf sie geachtet. Sie hatten genug damit zu tun, sich den Roboter vom Leib zu halten, der seine sechs Arme nach ihnen ausstreckte. Djarpa bewegte sich flink wie ein Raubtier und wich den Greifhänden immer wieder geschickt aus. Als sich ihm eine Gelegenheit bot, trat er hart zu und brachte die Maschine der Länge nach zu Fall. BA16ER landete auf dem Rückenteil. Sofort ging er erneut zum Angriff über, in Liegestellung, unter Einsatz seiner Hinterräder. Djarpa griff zu seiner Handfeuerwaffe. »Der Schuß ist der Mühe nicht wert«, meinte Coreoo und zückte ein kleines Gerät, das er auf den rollenden Roboter richtete. Eine Sekunde später »kündigte« der Hausmeister seinen Dienst auf. Die Maschine stellte sämtliche Funktionen total ein und rührte sich nicht mehr vom Fleck. »Erstaunlich, daß dieses primitive Modell überhaupt noch irgendwo auf Cromar eingesetzt wird«, bemerkte Coreoo, während er das Gerät zurück in die Jackentasche steckte. »Die meisten seiner Art wurden bereits geschreddert.« Djarpa und er befanden sich allein auf dem Flur. Reem hatte ihre Chance genutzt und war über das Treppenhaus entkommen. Ömer Giray überlegte, ob er es riskieren sollte, Bor Frick das Sensorium abzunehmen. Vielleicht konnte er ihn dadurch vor den schlimmsten Suchterscheinungen bewahren. Was aber, wenn es sich um ein Fernsteuersensorium handelte? Nein, das Risiko durfte er nicht eingehen. Hier ging es nicht um sein eigenes Leben, sondern um das eines Freundes, das er keinesfalls aufs Spiel setzen wollte. Ömer schaute sich im Zimmer um. Von der Einrichtung her glich es dem Raum nebenan, allerdings dominierten hier die Grautöne. Er stellte fest, daß das schmutzige Grau des Bettzeugs 340 seiner derzeitigen Hautfarbe ähnelte. Offensichtlich begann das Einfärbemittel allmählich zu verblassen. Dank einiger chemischer Zusätze, die erst kürzlich von den GSOWissenschaftlem »zusammengerührt« worden waren, zog sich dieser Prozeß glücklicherweise noch eine Zeitlang hin. Das große rechteckige Bett, auf dem Bor saß, stand auf sechs mit Schnitzereien versehenen Holzfüßen. Darunter war genügend Platz für mindestens drei Liebhaber. Meistens sammelte sich unter Hotelbetten jede Menge Staub an. Hier war kein Kömchen zu finden, der maschinelle Hausmeister leistete offenbar perfekte Arbeit. Momentan schien der Roboter im Flur erneut einen zahlungsunwilligen Gast am Wickel zu haben durch die nur bedingt schalldichte Tür drangen Lärm und Stimmen. Ömer verspürte nicht das Bedürfnis, nachzusehen, was es damit auf sich hatte. Eine unliebsame Begegnung mit dem »Sarg auf Rädern« reichte ihm. Neben der geschlossenen Tür hingen wichtige Informationen über das Gebäude aus. Ömer speicherte sie ab. In diesem Augenblick endete der Chip in Fricks Sensorium. Er nahm das Gerät vom Kopf und schaute sich verwirrt im Zimmer um. Nur ganz langsam begriff er, wo er sich befand.
Ömer hatte keinen Zweifel daran, daß sich im Sensorium kein normaler Chip, sondern ein Intensivchip mit Vollprogramm befunden hatte Bors elendige Verfassung sprach Bände. »Wie fühlst du dich?« fragte er ihn. »Hier in der realen Welt fühle ich mich kotzübel«, antwortete Prick mit brüchiger Stimme. »Ich will nach dahin zurück, wo ich eben noch war. Kannst du mir einen weiteren Chip besorgen? Ich würde alles dafür tun, sogar töten, wenn es sein müßte.« Giray zweifelte nicht daran, daß er seine Worte ernst meinte. Bernd Eylers hatte ihn auf den Auftrag gut vorbereitet und ihn vor seiner Abreise in Kontakt mit Opfern gebracht. Mit geheilten Süchtigen, die die Hölle durchlebt hatten, um von den Chips loszukommen und mit auf ewig Verlorenen, für die es keine Heilung mehr gab. 341 Die Tür schob sich beiseite. Zwei Männer traten ein. Obwohl Ömer sie noch nie zuvor gesehen hatte, wußte er sofort, wen er vor sich hatte. »Für euch ist jetzt Feiertag«, verkündete Coreoo, der eine kleine flache Schachtel hochhielt. »Wenn ihr exakt unsere Anweisungen befolgt, schenke ich euch zur Belohnung zwölf neue Chips, die ihr euch teilen könnt.« Ömer schaltete sofort. Offensichtlich glaubten die beiden, daß auch er süchtig war. Das war seine Chance, sie zu überwältigen. »Was sollen wir für euch tun?« fragte er. »Ich bin zu allem bereit.« Bor Frick machte ihm jedoch einen Strich durch die Rechnung. Er sprang auf und stürzte sich mit flackerndem Blick auf den Mann mit der Schachtel. »Ich will sie alle!« schrie er aus heiserer Kehle. »Gib her!« »Hier stimmt was nicht«, argwöhnte Djarpa und griff nach seinem Handstrahler. »Bor Frick ist voll auf Droge der Terraner mit Sicherheit nicht.« Es war Zeit zum Handeln. Ömer nahm den untersten Knopf seiner Weste zwischen Daumen und Zeigefinger und preßte ihn fest zusammen. Als er den Knopf losließ, wurde das Zimmer in einen grellen Lichtblitz getaucht. Bis auf Ömer, der kurz die Augen geschlossen hatte, waren alle Anwesenden für wenige Sekunden geblendet. Giray bewegte sich mit zwei großen Schritten auf das Tischchen mit dem Sensorium zu, ergriff Bors Schulterholster und zog den Paraschocker heraus. Der Schocker war auf Cromar produziert worden, doch der terranische Agent konnte damit umgehen. Auf dem Übungsgelände der GSO hatte er sich mit Telwaffen ausreichend vertraut gemacht. Vor Djarpas Augen flimmerten tausend kleine Pünktchen. Trotzdem nahm er Ömers Bewegungen schemenhaft wahr und richtete den Handstrahler auf ihn. Als sein Blick wieder klar war, sah er, daß Ömer ebenfalls eine Waffe auf ihn gerichtet hatte. 342 »Mach jetzt bloß keinen Fehler«, sagte Giray. »Das ist ein klares Unentschieden. Wenn wir vernünftig sind, kommen wir beide heil aus dieser Nummer heraus.« Er haßte Gewalt, und Waffen benutzte er nur, wenn es sich absolut nicht vermeiden ließ. Die beste Waffe eines guten Agenten war sein Verstand. Um Frick abzuschütteln, überließ Coreoo ihm die Schachtel mit den Chips. Jetzt hatte er die Hände frei und konnte eingreifen. Ömer warnte auch ihn vor unüberlegten Handlungen. »Bleib, wo du bist, oder ich verpasse deinem Komplizen eine tödliche Schockladung selbst wenn es das letzte ist, was ich in diesem Leben tue!« Da er seine Gegner noch nie zuvor gesehen hatte, wußte er nicht, ob er mit seinem Schocker auf Coreoo oder Djarpa zielte. Zwar verbarg der zweite Mann ein Vibromesser unter der Jacke (für versteckte Waffen hatte Giray einen Blick), doch das konnte genausogut Zufall sein.
»Glaubst du wirklich, daß ich auf Djarpa Rücksicht nehme, Küray?« fragte ihn der Angesprochene verächtlich und tastete nach seinem Strahler. »Von mir aus kannst du ihm seine Eingeweide rausreißen.« »Zieh den Strahler, und ich töte dich auf der Stelle, Coreoo!« warnte ihn sein Partner. »Auch ich bin mir selbst mein nächster Verwandter.« Nun konnte Ömer die beiden namentlich auseinanderhalten. Alle drei befanden sich in einer vertrackten Lage. Giray hoffte inständig, daß seine Gegner einen kühlen Kopf behielten und nicht unbeherrscht drauflosfeuerten. Bei außer Kontrolle geratenen Kurzgefechten gab es meist nur Verlierer, und er verlor nicht gern, schon gar nicht sein Leben. Mit Bor Fricks Hilfe konnte er nicht rechnen. Der Geheimdienstchef schien gar nicht richtig zu begreifen, was um ihn herum vorging. Er hatte die kleine Schachtel ergattert und öffnete sie mit zitternden Fingern. Anschließend versuchte er, einen der Chips in 343 sein Sensorium zu stecken. Der Chip fiel hemnter. Bor bückte sich danach, suchte ihn auf dem Fußboden. ömer war froh, daß seine Gegner nicht auf den Gedanken kamen, Frick auf ihn zu hetzen. Der süchtige SFTLeiter hätte in seinem Zustand jede ihrer Anweisungen ausgeführt, und Ömer hätte Skrupel gehabt, auf ihn zu schießen. Nach Djarpas unmißverständlicher Warnung wagte es Coreoo nicht mehr, seine Schußwaffe zu ziehen. Statt dessen griff er zum Vibromesser. Bevor Giray es verhindern konnte, riß er Frick vom Boden hoch und hielt ihm das Messer an die Kehle. »Eine knifflige Situation, nicht wahr, Küray?« höhnte er. »Tod oder Leben alles hängt jetzt von deiner Entscheidung ab.« Und »Küray« traf eine Entscheidung. Die einzig richtige. Ömer Giray haßte Gewalt, aber er war kein Mann, der sich vor dem Kampf drückte, wenn es darum ging, sein eigenes Leben oder das Leben anderer zu retten oder die Erde gegen feindliche Übergriffe zu verteidigen. In diesem Fall erschien ihm Flucht jedoch als die sinnvollste Verteidigung. Für Bor Frick konnte er augenblicklich ohnehin nichts tun. Das Vollprogramm, das man ihm verpaßt hatte, war so intensiv in sein Gehirn eingedrungen, daß er kaum noch zurechnungsfähig war. Für einen neuen Chip würde Bor seinen Peinigem aus der Hand fressen. Sie hatten ihn dort, wo sie ihn hatten hinhaben wollen. Somit gab es keinen logischen Grund, ihn nach Ömers Flucht zu töten. Giray war überzeugt, daß Coreoo und Djarpa (oder wie auch immer sie wirklich hießen) nur Handlanger waren, die Befehle ausführten. Vielleicht würden sie Frick zu ihrem Auftraggeber bringen, und Ömer konnte ihnen dann folgen. Coreoo wurde allmählich nervös. »Meine Geduld hat Grenzen!« knurrte er. 344 Giray stellte sein zweifaches Nervensystem nicht länger auf die Zerreißprobe. Er ließ die Waffe sinken... ... und warf sich mit einem gekonnten Satz von der rechten Seite her aufs Bett. Rolle vorwärts, auf der linken Seite wieder runter, schon war er hinter dem Bett verschwunden. Djarpa verwirrte diese scheinbar planlose Aktion. Er wollte dem Terraner eine Strahlensalve nachjagen, doch dazu kam er nicht mehr. Giray gab einen Energiestoß auf Djarpas Füße ab, indem er unter dem Bett hindurchschoß. Ein Streifschuß erwischte den linken Knöchel. Djarpa schrie auf, schoß ohne zu zielen zurück, traf aber nur die äußeren zwei der sechs geschnitzten Holzfüße, auf denen das Bett stand. Das große Möbelstück krachte am Fußende ein. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Ömer schon nicht mehr dahinter. Unablässig auf Djarpa feuernd lief er zur Tür, die sich von allein öffnete. Djarpa brachte keinen einzigen Schuß
mehr an, er hatte Mühe, Deckung zu finden. Um Bor Frick nicht zu gefährden, ließ Giray Coreoo ungeschoren und konzentrierte sich ausschließlich auf Djarpa. Das erwies sich als Fehler. Coreoo nahm das Vibromesser von Bors Hals und stieß ihn weg. Mit der linken Hand steckte er das Messer ein, mit der rechten zog er seine Strahlenwaffe. Dann zielte er beidhändig auf Ömers Rücken. Noch bevor er ganz aus dem Zimmer war, geriet Ömer ins Stolpern. Es gelang ihm, den Sturz abzuwenden, wobei ihm allerdings der Paraschocker aus der Hand fiel. Ihm blieb keine Zeit, die Waffe aufzuheben, er mußte weg von hier. Coreoo konnte den Flüchtenden gar nicht verfehlen. Die Tür stand weit offen, Giray befand sich noch im Türrahmen. Ein leichtes Ziel, selbst für einen schlechten Schützen. Plötzlich sprang Bor Frick auf und warf sich mit einem Aufschrei in die Schußlinie. Für eine Sekunde hatte er einen lichten Moment. Für eine Sekunde begriff er, daß der Suchtchip sein Leben für immer verpfuscht hatte. Als die Sekunde vorüber war, war er tot. 345 Ömer hörte den Schrei des Freundes. Im Laufen drehte er sich um und sah Bor sterben kurz bevor die Tür sich wieder schloß. Für Trauer blieb Giray keine Zeit. Er mußte seine Verfolger abhängen. Ohne Schußwaffe hatte er keine Chance gegen sie. Wir sehen uns weder! schwor er sich. Ömer erreichte gerade noch das Treppenhaus, da stürmten Coreoo und Djarpa auch schon aus dem Zimmer. Djarpa humpelte zum Lift, um den Fliehenden unten abzupassen. Coreoo nahm die Treppe. Er war überzeugt, daß ihm Giray nicht entkommen würde. Wer sich hier nicht auskannte, konnte sich in den verwinkelten Aufgängen leicht verirren. Der Terraner hielt sich zum ersten Mal in diesem Gebäude auf und würde den Ausgang mit Sicherheit nicht auf Anhieb finden. Als Coreoo im Erdgeschoß ankam, traf er lediglich auf Djarpa, der ihm versicherte, Giray sei noch nicht aus dem Treppenhaus herausgekommen. Beide machten sich auf die Suche nach ihm. Sie stellten fest, daß er über zwei Notstiegen auf dem kürzesten Weg ins zweite Stockwerk geflüchtet war. Von dort aus war er durchs Fenster und über ein Vordach ins Freie gelangt. »Wie hat er das bloß so schnell geschafft?« knurrte Coreoo. »Meinen Informationen zufolge ist er noch nie zuvor im >Rubin< gewesen.« »Vielleicht hat er den Fluchtwegeplan für den Brandfall studiert, der in jedem Zimmer aushängt«, vermutete Djarpa, der seine Fußverletzung zwischenzeitlich notdürftig versorgt hatte. »Unsinn«, meinte Coreoo. »Diese Aushänge hat sich garantiert noch nie einer angeschaut. Wer hierherkommt, hat Besseres zu tun als Brandfluchtwege auswendigzulemen. Komm, suchen wir nach Küray. Bestimmt versucht er, im Amüsierviertel unterzutauchen.« Ömer hatte gehofft, einen ruhigen Platz zu finden, an dem er seine Gedanken ordnen konnte. Doch seine Verfolger stöberten 346 ^ihn schneller auf als erwartet. In einer wenig belebten Seitenstraße nahmen sie ihn ohne Vorwarnung unter Beschuß. Giray versäumte nur selten das sportliche Training bei der GSO, und er hatte verdammt gute Lungen. Aber selbst einem Hochleistungsläufer ging irgendwann einmal die Puste aus, wenn man ihn wie Jagdwild vor sich hertrieb. Wann immer der Flüchtende glaubte, seine Häscher abgeschüttelt zu haben, tauchten sie an anderer Stelle wieder auf. Allmählich war er sich nicht mehr sicher, ob es sich noch immer um zwei Verfolger handelte oder ob inzwischen Verstärkung hinzugekommen war. In einer düsteren Gasse kam er endlich ein wenig zur Ruhe. Es war eine Sackgasse. Wenn sie ihn hier erwischten, saß er in der Falle, doch ein besseres Versteck hatte er nicht gefunden. l
An der Hinterfront eines Hauses öffnete sich eine Tür. Ömer machte sich bereit zum Kampf.
Zu seiner Überraschung tauchte Reem im Türrahmen auf und winkte ihn zu sich heran.
Giray ging zu ihr, trat zögernd ein.
»Dies ist der Hinterausgang eines Lokals«, erklärte sie ihm. »Es gehört meiner Freundin
Wibe. Komm, ich bringe dich zu ihr.«
Ömer mißtraute ihr, folgte ihr aber trotzdem. Hatte ein Mann auf der Flucht denn eine Wahl?
»Ich verstecke mich bei Wibe, weil ich mich nicht nach Hause traue«, erklärte ihm Reem.
»Ich habe durchs Fenster beobachtet, wie du dich in der Gasse verborgen hast. Sie sind hinter
dir her, nicht wahr?«
Giray antwortete ihr nicht.
Draußen setzte die Morgendämmerung ein. Das Lokal war geschlossen, das
Bedienungspersonal gegangen, der Spielbetrieb verebbt. Wibe Kieker hielt sich in einem der
Spielzimmer auf und zählte ihre heutigen Einnahmen, als Reem und ihr Begleiter eintraten.
Sie zogen die Zimmertür hinter sich zu.
Über dem Spieltisch hing ein Bildgeber. Auf einem Holokanal lief eine
Nachrichtensondersendung. Giray zuckte zusammen, als
347
er sah, daß der Sender eine Aufnahme von Bor Frick ausstrahlte.
Der Nachrichtensprecher verkündete den Tod des Geheimdienstleiters und gab in diesem
Zusammenhang eine Fahndungsmeldung nach dem angeblichen Mörder heraus.
»Gesucht wird der terranische GSO-Agent Ömer Giray, der sich auf der Flucht vor dem
Gesetz befindet...«
In der Holodarstellung erschien Girays Gesicht. Das Fahndungsbild zeigte den weißhäutigen
Ömer. Wibe Kieker erkannte dennoch auf Anhieb, daß es sich um den Mann handelte, der
gerade hereingekommen war.
In diesem Moment klopfte es an der Tür.