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Thomas Schuler
Die Mohns Vom Provinzbuchhändler zum Weltkonzern: Die Familie hinter Bertelsmann
Campus Verlag Frankfurt/New York
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Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-593-37307-6
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2004 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: mancini-design, Frankfurt Umschlagmotiv: © Ullstein Bilderdienst Satz: Presse- und Verlagsservice, Erding Druck und Bindung: Media-Print, Paderborn Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany
Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de
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Inhalt
Prolog
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1. Wirf dein Anliegen auf den Herrn« Die Gründerfamilie Bertelsmann . . 2. »Der vierte Pastor von Gütersloh« Johannes Mohn heiratet einen Verlag
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3. »Größere und größte Auflagen« Heinrich Mohn und der Aufstieg von Bertelsmann
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4. »Heil Bertelsmann!« Ein Verleger zwischen Gott und »Führer« 5. »Singen, Beten und Blumenpflücken« Die Familie Mohn im Nationalsozialismus 6. »Das ist ein Kerl!« Die Erben ziehen in den Krieg 7. »Es ist wie ein Aufatmen« Stunde Null bei Bertelsmann
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8. »Den nationalsozialistischen Behörden ein Dorn im Auge« Die Legende vom Widerstandsverlag .
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9. »Mit Tausenden von Vertretern und Hunderten von Werbewagen« Die Königsidee des Leserings . . . . . . . . .
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10. »Roter Mohn« Auf dem Weg zum Medienimperium 11. »Die Reise nach Jerusalem« Reinhard Mohns Familienbande
12. »Es ist unglaublich, wenn es stimmt« Bertelsmann und die Hitler-Tagebücher
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13. »Ich muss die alleine regieren lassen« Der Unternehmenschef geht und bleibt 14. »Die Tatsache, dass er mein Sohn ist, reicht nicht aus« Reinhard Mohn und seine Manager
15. »Ein heikles und empfindliches Thema« Thomas Middelhoff meint es gut und zerstört einen Mythos . . . . . . .
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16. »Ein Experiment, das mir woanders so nicht bekannt ist« Reinhard Mohn macht es seinen Erben nicht leicht
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17. »Das müssen wir machen!« Die Entscheidung für den Börsengang 18. »Mein Lebenswerk« Ein Unternehmer geht stiften
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19. »Jetzt werdet ihr sehen, für welche Firma ihr arbeitet« Die Rückkehr der Familie an die Unternehmensspitze
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20. »Christoph wird nicht mein Nachfolger« Vom Familienbetrieb zum Weltkonzern – und wieder zurück? . . . . . . . . . . .
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21. »Mich gibt es gar nicht« Die Vergessenen bei Bertelsmann Epilog Quellen
Bildnachweis
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Danksagung
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Prolog
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ines Tages stand eín Vertreter des Buchclubs am Gartenzaun. Der Herr trug einen Anzug und hielt eine Mappe unterm Arm. Was er sagte, machte mich stolz. Er beglückwünschte mich zu einem Malwettbewerb meiner Schulklasse. Ich hätte einen Preis gewonnen: ein Malheft – und die Mitgliedschaft im Buchclub von Bertelsmann. Ich war baff. Ich war damals ein Knirps im Grundschulalter und es war das erste Mal, dass ich etwas gewonnen hatte. Dass der Vertreter eine Masche anwandte, störte mich nicht. Ich hatte gewonnen – und wollte meinen Gewinn in Empfang nehmen. Meine Eltern durchschauten den Trick, aber ich setzte mich durch. Ein Jahr lang bestellten meine Eltern Abenteuerbücher und Romane, ein Gesundheitslexikon und Gartenratgeber. Nach einem Jahr hatten wir alle wichtigen Gartenund Gesundheitsbücher im Schrank – und meine Eltern traten wieder aus. Meine Sympathie für Bertelsmann war dennoch groß damals. Später, als Journalist, empfand ich eine Mischung aus Respekt und distanzierter Bewunderung für Bertelsmann und den Eigentümer des Konzerns: Reinhard Mohn. Er hatte aus einem Familienunternehmen ein Weltunternehmen gemacht und ist der letzte noch lebende Vertreter einer ganzen Generation von Nachkriegsgründern in Deutschland. Die Geschichte seiner Aufbauleistung und Medienmacht ist ein Stück Nachkriegsgeschichte. Reinhard Mohn hat immer wieder Grenzen überschritten. Er griff Trends auf und setzte sie um, ehe andere nur daran dachten. Als »aufgeklärter Kapitalist« wurde er bezeichnet. Er belohnte Mitarbeiter besser als die Konkurrenz, erklärte Betriebsräte zu Partnern und nahm damit den Gewerkschaften im eigenen Unter11
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nehmen Macht. Noch nie gab es einen Streik bei Bertelsmann. Früher als andere hob er die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten auf. Er motivierte seine Mitarbeiter, indem er sie zu Unternehmern machte, und er profitierte davon. Bertelsmann wächst jedes Jahr etwa um die Größe des Burda-Verlags. Seine Gründungen und Übernahmen haben die Verlagswelt revolutioniert und die Medienlandschaft kommerzialisiert. Den »erfolgreichsten Unternehmer der Bundesrepublik« nannte ihn der Publizist Günter Gaus 1986. Die Wochenzeitung Die Zeit erklärte ihn wegen seiner Art der Unternehmensführung 1998 zum »Unternehmer des Jahrhunderts«. Er wäre der reichste Deutsche, hätte er seinen Konzern nicht seiner Stiftung überschrieben. So belegt er »nur« die Nummer fünf der Rangliste. Doch anders als Berlusconi, Kirch oder Murdoch ist er einer breiten Öffentlichkeit unbekannt geblieben. »Der stille Mensch aus Gütersloh« nannte der NDR eine Dokumentation über ihn. Seine Bekanntheit ist ihm allerdings nicht sonderlich wichtig, solange seine Produkte konsumiert werden. Mit dem Unternehmen Bertelsmann verhält es sich kaum anders. Hinter dem Namen vermuten viele noch immer den Buchclub. Dabei ist Bertelsmann längst zu einem Medienhaus der Superlative gewachsen, mit einer Vielzahl eigener Medientöchter: Random House ist der größte Buchverlag der Welt, der John Grisham, Toni Morrison, Daniel Goldhagen, Richard von Weizsäcker, Michael Gorbatschow und Bill Clinton, aber auch Boris Becker, Dieter Bohlen und Daniel Küblböck verlegt. RTL ist der größte Fernsehkonzern Europas und hat in Deutschland Verona Feldbusch und Günter Jauch unter Vertrag und sendet »Big Brother« und »Deutschland sucht den Superstar«. BMG ist einer der größten Musikproduzenten der Welt, der Musik von Udo Jürgens, Luciano Pavarotti und Britney Spears verkauft. Gruner + Jahr ist das größte Zeitschriftenhaus Europas mit dem Magazin Stern als Flaggschiff; seit dem Tod von Rudolf Augstein hat Gruner + Jahr aber auch ein Veto bei wichtigen Entscheidungen beim Konkurrenten Der Spiegel. Arvato ist das größte Druckhaus Europas, das in Deutschland die meisten Bücher und fast jedes Handy ausliefert, die Bahncard und 12
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das Vielfliegerprogramm der Lufthansa betreut. Die Bertelsmann Stiftung schließlich ist die größte operative Stiftung Deutschlands, die Einfluss nimmt auf viele Felder der Politik. Mehr noch als die Größe bewunderte ich die offene Gesprächskultur. Journalisten bekommen stets das Gefühl, es gebe keine Tabus. Doch enden Gespräche regelmäßig, sobald man Fragen über die Familie Mohn stellt. Die Mohns sprechen gerne über Bertelsmann, aber was sie selbst betrifft, sind sie weit weniger offen. Liz und Reinhard Mohn lancieren sehr einseitige Selbstdarstellungen, auch wenn es Dinge betrifft, die mit der Kultur, der Glaubwürdigkeit und dem Erbe ihres Unternehmens oder ihrer gemeinnützigen Stiftung zu tun haben. Beide haben über ihr Leben schreiben lassen. 2001 legte Liz Mohn ihre Autobiografie vor; Reinhard Mohn gab unter anderem für das Firmenjubiläum 1985 sowie einer von Bertelsmann auf öffentlichen Druck hin eingesetzten Historikerkommission 1999 und 2000 Auskunft über sein Leben. Beide Darstellungen werfen etwa so viele Fragen auf, wie sie beantworten. Da Liz und Reinhard Mohn auf meine wiederholte Bitte um Interviews für dieses Buch nicht eingingen beziehungsweise die Bitte grundsätzlich ablehnten, konnte ich sie zu widersprüchlichen Darstellungen nicht befragen. Trotz dieser Absagen erhielt ich Zugang zur Familie und konnte zahlreiche Gespräche führen. Vor allem die offenen Gespräche mit Reinhards Schulfreund Gustav Ehlert, Mohns erster Frau Magdalene und dem jüngsten Sohn Andreas gaben mir Einblick in über 50 Jahre des Lebens von Reinhard Mohn und seiner Familie. Ehlert und die Mohns sind sich bis heute verbunden, seine Tochter heiratete Mohns Sohn Johannes. Um über die Mohns schreiben zu können, muss man Bertelsmann kennen: Seit den neunziger Jahren habe ich das Unternehmen Bertelsmann verfolgt, zunächst als Medienredakteur der Süddeutschen Zeitung in München, dann als deren freier Korrespondent in New York, ab 1998 schließlich als Medienredakteur der Berliner Zeitung, die Bertelsmann gehörte, sowie als Medienkolumnist der Zeit. Ich habe die letzten Jahre der Ära Mark Wössner, die Ära Thomas Middelhoff 13
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und den Aufstieg von Liz Mohn verfolgt und zahlreiche öffentliche Auftritte von Liz und Reinhard Mohn besucht. Ereignisse aus dem Unternehmen und der Familie habe ich mit einer Vielzahl von Mitarbeitern von Bertelsmann und Beobachtern besprochen. Seit Mitte der neunziger Jahre verfolgte ich die Idee zu einem Buch über Bertelsmann. Jetzt ist es ein Buch über die Mohns geworden. Denn je mehr ich mich mit dem Unternehmen beschäftigte, desto deutlicher wurde, dass man Bertelsmann nur verstehen kann, wenn man die Mohns versteht. Nach Reinhard Mohns Ankündigungen, den Einfluss der Familie weiter zu stärken, ist die Zukunft von Bertelsmann heute mehr denn je mit der Zukunft der Familie Mohn verknüpft. Als Reinhard Mohn sich am 12. Dezember 2000 mit den vier Historikern, die Vorwürfe zur Unternehmensgeschichte im Dritten Reich klären sollten, in Gütersloh zu einem Interview traf, fragte Norbert Frei den Eigentümer von Bertelsmann, wie er denn künftig mit der Geschichte des Hauses umzugehen gedenke. Mohn wich aus und begründete ausführlich, warum er sich wenig für die Vergangenheit interessiere: Er sei ein Mann, der sich immerzu Gedanken über die Probleme der Zukunft mache. Darauf habe er sein Unternehmen ausgerichtet und deshalb habe er eine Stiftung gegründet, die sich um Probleme der Gesellschaft kümmert. Frei wandte ein, auch ein auf die Zukunft ausgerichtetes Unternehmen, gerade wenn es mit Kommunikation zu tun habe, »sollte ein historisches Gedächtnis haben«. Reinhard Mohn erwiderte: »Jetzt will ich Ihnen einmal sehr persönlich darauf antworten. Ich werde natürlich von allen Seiten gefragt, wann und wer meine Biografie schreibt. Und ich habe gesagt: Die wird nicht geschrieben.« Jüngst sei eine Besuchergruppe aus Kuwait, für deren Scheichtum Bertelsmann ein Kommunikationszentrum errichtet, hier gewesen. Mit fünf Kameras wollten die Besucher das Entstehen des Zentrums begleiten. »Da fragten sie mich in ihrem Interview: Was möchten Sie, woran die Leute sich später mal von Ihnen erinnern sollen? Ich sagte: Das brauchen sie nicht. … Ich habe so viel Glanzund Gloria-Bemühungen beobachtet bei Menschen, bei Politikern, bei Schauspielern oder bei Unternehmern, dass mir diese Selbstdarstel14
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lung von Grund auf zuwider ist.« Norbert Frei antwortete, er fühle sich »völlig falsch verstanden«. Aber so oder so ähnlich lautet die Antwort, die Mohn stets auf die Frage nach seiner Biografie gibt. Für Mohn ist die Antwort ein Stück Unternehmenspolitik. Seine Botschaft ist eine positive: In einer Branche, die vom Personenkult lebt, übt ausgerechnet der Mann Bescheidenheit, der eines der einflussreichsten Medienunternehmen der Welt kontrolliert. Es würde ihn ein beiläufiges Nicken kosten, und zahlreiche Medien würden ihn auf ihre Titelseiten heben und ihn zur besten Sendezeit befragen. Aber der Mann, der so viel Medienmacht besitzt wie sonst keiner in Deutschland, lehnt den Medienrummel ab. Eigentlich ein schöner Gedanke und ein angenehmer Gegensatz zu Silvio Berlusconi und Rupert Murdoch. Es suggeriert, dass die Medien nicht nur von geheimen Deals, Geldgier und von Macht, sondern auch von sozialer Verantwortung und Großzügigkeit geprägt werden. Doch ganz so einfach ist das nicht. Dank seiner Stiftung, die heute Eigentümerin des Konzerns ist, verfügt Reinhard Mohn über ein enges Netz zu Politikern aller wichtigen Parteien und versammelt sie an einem Tisch. Man könnte den Eindruck gewinnen, als seien Stiftungssymposien Ausschüsse des Parlaments. Hinter den Kulissen macht die Bertelsmann Stiftung Politik zu vielen Themen in Deutschland und Europa. Doch dieser Konzern wird von Reinhard Mohn und seiner Familie letztlich auf absolute Art beherrscht. Nach Einrichtung der Stiftung hält die Familie zwar nicht einmal 20 Prozent des Kapitals, doch bestimmt sie ganz alleine, was damit geschieht. Allein diese Machtfülle legt es nahe, sich näher mit den Mohns zu beschäftigen. Wer ist der Mann, der diesen Konzern über 50 Jahre lang geführt und zu einem Weltunternehmen gemacht hat? Wer ist die Familie, die dieses riesige Medienimperium erben wird? Ein Blick auf die Mohns und ihr Unternehmen erlaubt einen Blick auf die Medienmacht, die uns auf subtile Art beherrscht, und auf die Mediengesellschaft, in der wir leben. Worin besteht die Macht von Bertelsmann und wie wird sie erhalten und weitergegeben? Was bedeutet Macht im Medienzeitalter und wie funktioniert sie? 15
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Von Reinhard Mohn sind keine Antworten zu erwarten. Er hat sich stets geweigert, eine Autobiografie zu schreiben. Als er dem Historiker Norbert Frei sagte, niemand solle sich an ihn erinnern, antwortete Frei, dass Mohn darüber nicht zu bestimmen habe. »Die fragen Sie ja nicht, ob Sie was erinnert haben wollen. Das haben Sie ja nicht in Ihrer Macht.«
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1. »Wirf dein Anliegen auf den Herrn« Die Gründerfamilie Bertelsmann
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ei Bertelsmann wurde das Andenken an den Verlagsgründer Carl Bertelsmann stets auf vielfältige Weise gepflegt. Heinrich Mohn, der Vater von Reinhard Mohn, hat noch 100 Jahre nach dem Tod des Gründers wichtige Dokumente mit dem Namen Carl Bertelsmann unterschrieben: Dazu gehörten Verträge mit Autoren, Zeugnisse für Mitarbeiter, aber auch das Dokument, mit dem er 1947 den britischen Besatzungsbehörden mitteilte, dass er sich aus seiner Firma zurückziehen werde. Der Ururenkel des Gründers, Reinhard Mohn, hat im Untergeschoss der Hauptverwaltung, die in der Carl-Bertelsmann-Straße in Gütersloh residiert, ein so genanntes »Traditionszimmer« mit Möbeln aus dem Elternhaus und anderen Erinnerungsgegenständen einrichten lassen. In letzter Zeit scheint die Traditionspflege für ihn an Bedeutung zu gewinnen. Bei wichtigen Interviews setzt er sich in diesem Zimmer an den Tisch, an dem einst seine Vorväter saßen, so beispielsweise im Anschluss an die Pressekonferenz, bei der er 1999 verkündete, dass er sein Unternehmen an seine Stiftung überschreiben werde. Gerne führt die Öffentlichkeitsabteilung des Konzerns Besuchergruppen aus den Vereinigten Staaten oder aus Japan in das kleine holzgetäfelte Zimmer, wo die Geschichte der Eigentümerfamilie sie in ehrfürchtiges Staunen versetzt. Lampen und Leuchten werfen gedämpftes Licht auf einen Kachelofen, einen Schrank und eine Essecke. In die Holztäfelung sind Sprüche geschnitzt: »Gott nit vergiss. Ein froher Gast ist niemals Last!«, »Was Gott will erquicken, kann niemand erdrücken« oder »Dein Leid nit 17
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klag. An Gott nit zag. Er hilft all Tag.« Reinhard und seine Geschwister sind mit dem Blick auf diese Lebensweisheiten aufgewachsen. Im Esszimmer des Elternhauses haben sie jeden Tag beim Tischgebet darauf geblickt. Auf einem schweren Tisch liegen zwei Fotoalben mit alten SchwarzWeiß-Bildern, in denen die Besucher blättern können. An den Wänden zeigen Fotografien und Ölbilder die Konterfeis von Bertelsmanns und Mohns. Letztere stellen allein 24 Porträts in dieser Ahnengalerie, die bis Agnes und Heinrich Mohn reicht, den Eltern von Reinhard Mohn. Inmitten all dieser Bilder und Fotos fehlt ausgerechnet Carl Bertelsmann. Erhalten ist nur der Balken seiner Steindruckerei, in den er seinen Leitspruch schnitzen ließ und der den Keller der Hauptverwaltung ziert. Im Gästekasino nebenan hängen Gemälde von seinen Nachfolgern Heinrich Bertelsmann und Johannes Mohn. Wer waren diese Gründer, die das Unternehmen durch die ersten 100 Jahre geführt haben?
»Schwarzbrod und Freiheit« Dass Carl Bertelsmann einmal großen wirtschaftlichen Erfolg haben würde, war nicht vorhersehbar, obwohl die Familie durchaus in kaufmännischer Tradition stand. Carl Bertelsmann stammte aus einer Kaufmannsfamilie, die aus beruflichen Gründen und der unruhigen Zeiten wegen häufig den Wohnsitz wechselte. Die Wurzeln der Familie lassen sich bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückverfolgen. Über die Herkunft ihres Namens gibt es unterschiedliche Versionen: Nahe Osnabrück gab es einen Bauernhof namens »Bartelsmann«. Auf diesem Hof soll die erste Kirche der Umgebung gestanden haben und der Patron dieser Kirche soll der Heilige Bartholomäus gewesen sein. Heinrich Mohn erwähnte lediglich diese eine Version in seiner Gedenkschrift über Carl Bertelsmann – sie hat dem strenggläubigen Mann wohl gut gefallen. Eine andere Version erwähnte der Historiker Dirk Bavendamm in der Familienchronik, die zum 150-jährigen Bestehen von Bertelsmann er18
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schien: Ihm zufolge geht der Name auf das sächsische »Berthold« zurück zu einer Zeit, als das Elbe-Weser-Dreieck das Kernland Sachsens war. Die Bertelsmanns seien Bauern gewesen, ehe sie die Landwirtschaft aufgaben und Handelskaufleute nahe Bielefeld wurden. Der Vater von Carl Bertelsmann, Johann Friedrich (1757 – 1793), trat etwa 1775, also im Alter von 18 Jahren, als Kaufmann und Bierbrauer in Gütersloh auf. In seiner Betätigung als Bierbrauer mag eine gewisse Ironie liegen – seine strenggläubigen Nachfahren haben den Alkohol später nämlich strikt abgelehnt. Sie sollten später lieber eine Zeitung einstellen, als Anzeigen für Bierfeste zu drucken. Carl Bertelsmann wurde am 11. Oktober 1791 in Gütersloh geboren. Er war das jüngste von sechs Kindern. Er war noch keine zwei Jahre alt, da stand seine Mutter Friederike Luise mit den Kindern allein. Denn bereits im Alter von 35 Jahren starb der Vater Johann Friedrich Bertelsmann. Die Familie blieb in Gütersloh. Die Mutter hatte große Mühe, die Familie zu ernähren. Carl Bertelsmann wuchs in Armut auf. Von der Mutter, vermutet Heinrich Mohn, seien ihm »Kräfte des Tragens und Widerstandes wider alle Nöte des Lebens zugeflossen«. Friederike Bertelsmann war eine zähe Frau, die schon früh schwere Schicksalsschläge hinnehmen musste. Denn auch ihr Vater war früh gestorben. Und ihre Mutter verlor im Jahre 1775 ihren ganzen Besitz, als »in einer Nacht eine große Schar Räuber mit geschwärzten Gesichtern das Haus« überfiel, wie Heinrich Mohn in seiner Gedenkschrift schreibt. Die Schar »brach ohne Mühe ein und überwältigte und knebelte die hilflose Frau jämmerlich … die Strolche schleppten alles bewegliche Eigentum fort und raubten sie so gründlich aus, dass der Armen nicht einmal ein Kesselchen geblieben war, um am Morgen Kaffee zu kochen. Sogar der goldene Trauring wurde genommen: Ihn riss einer der Räuber, da er sehr fest anschloss, mit den Zähnen vom Finger. – So ging der Wohlstand der Witwe in einer Nacht verloren.« Zu Carls Kindheit bestand Westfalen aus weit auseinander liegenden Einzelhöfen. Geschlossene Siedlungen waren die Ausnahme. Gütersloh war ein kleiner Ort mit rund 300 eng zusammengerückten Häusern. Man könne sich die Wohnverhältnisse »kaum primitiv genug denken«, 19
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schrieb später Heinrich Mohn über das Leben seines Urgroßvaters. Fünf Sechstel aller Wohnhäuser hätten 1800 noch keine Schornsteine gehabt. »Die Dorfstraßen waren sämtlich noch ungepflastert, erst recht natürlich die Verbindungswege zu den Nachbarorten.« Der Bau der ersten festen Straße von Bielefeld nach Lippstadt wurde erst 1817 begonnen. Trotzdem wurde von Gütersloh aus rege mit Garn gehandelt, das man bis nach Berlin oder Holland verkaufte. Aus Carl Bertelsmanns Kindheit und Schulzeit ist nichts überliefert. Der Bruder Fritz starb 1812 im Alter von 18 Jahren auf Napoleons Russlandfeldzug. Seine Schwester Friederike galt als kunstfertig und unterhielt bis zu ihrer Heirat eine Näh- und Strickschule. Die jüngste Schwester Lotte half der Mutter im Haushalt. Carl Bertelsmann lernte wie sein elf Jahre älterer Bruder Arnold das Buchbinderhandwerk. Dann fand er eine Stelle als Sekretär bei dem von der Besatzungsmacht Frankreich eingesetzten Bürgermeister Lehmann. So erhielt er frühzeitig Kunde von seiner Einberufung in Napoleons Armee. Carl Bertelsmann fürchtete das gleiche Schicksal wie sein Bruder Fritz und floh am 22. Februar 1812 bei Nacht und Nebel zu Fuß aus seiner Heimat. In seinem Tagebuch notierte sich der 20-Jährige am 23. Juni 1812 in einem ländlichen Wirtshaus in Lüdeberg, zwei Meilen von Fürstenwalde, folgenden Wahlspruch: »Schwarzbrod und Freiheit sei mir beschieden, / Und in der Brust des Gewissens Frieden! / Mehr nicht von Dir, o Welt / hienieden / Heisch’ ich – ich bin dann mit Dir zufrieden.« Das Ende eines durchwanderten Tages beschreibt er so: »Schweißtriefend warf ich mein Bündel auf die Bank und schlürfte gierig das dargereichte Bier herunter, dann eilte ich hin zu dem kleinen, nicht weit vom Dörfchen entlegenen See, um die beschweißten Glieder für den kommenden Tag rein und biegsam zu waschen.« Am nächsten Abend notierte er: »Nur zwei Meilen vom nächtlichen Schlafpunkte entfernt, und dennoch zufrieden mit seinem Tagewerke zu sein, muss wohl eine sehr genügsame Seele erfordern; es ist dem so.« Von Fürstenwalde zog er weiter nach Frankfurt an der Oder und bis nach Breslau in Oberschlesien. »Ich reiste gewöhnlich allein, weil mir die Gesellschaft, die ich hätte haben können, selten behagte.« 20
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Zwei Monate später war er wieder in Fürstenwalde, weil er bei seinem ersten Halt einem Herrn Lindenberg, einem »nicht soliden, etwas ausschweifenden Mann … in den Fünfzigern«, versprochen hatte, bei ihm zu arbeiten. Er blieb längere Zeit, obwohl sein Gast- und Arbeitgeber ein Mann »von vielen Schwächen und Fehlern« war. Der Mann war nämlich Alkoholiker und hatte ein großes Vermögen versoffen. »Täglich nun habe ich ein warnendes Beispiel vor Augen, wie unglücklich der Mensch ist, der sich das zu sein schämt, was er ist, und wie tief der Mensch durch leidenschaftlichen Genuss hitziger Getränke sinken kann.« In dem jungen Mann muss das eine tiefe Abneigung gegen den Alkohol hervorgerufen haben. Jedenfalls versicherte er sich: »Über meine Lippen sollen sie nicht, wenigstens nicht aus Leidenschaft kommen, solange ich meiner bewusst und mächtig bin.« Carl Bertelsmann ging es dennoch gut bei den Lindenbergs. »Ich bekomme alles, was ich bedarf und was mir zukommt, gut und hinreichend; nur eines bekomme ich nicht zur Genüge, Geld. Aber wo ist alles vollkommen?« In seiner Freizeit lernte er das Zeichnen und das Stempelstechen. Sehr gesellig war er nicht: »Bekanntschaft habe ich hier nicht und mein Wille ist es, die für die Zukunft mehr zu meiden als zu suchen, um desto ungestörter meinen Studien nachhängen zu können«, notierte er in sein Tagebuch. 1814 begab er sich nach Berlin, wo er einige Monate arbeitete. Dann zog er weiter nach Potsdam, Brandenburg, Fehrberlin, Neuruppin und Rostock. Dort hatte er eine Anstellung im Betrieb der Witwe eines Buchbinders. Im März 1815 reiste er weiter in einen kleinen Ort in Mecklenburg. Er notierte: »Bewundernd betrachtet man meine Arbeiten als Kunstwerke und ich genieße die größte Achtung.« Doch der Genuss war für ihn nicht frei von schlechtem Gewissen. Er glaubte, sich sogleich für das Lob entschuldigen zu müssen, und schrieb: »Lächerlich ist es wohl, sich hierüber zu freuen, doch liegt es wohl in der menschlichen Natur, dass solche Verhältnisse Zufriedenheit befördern.« Von Mecklenburg zog er weiter nach Hamburg, Lübeck, Celle und Hannover. Im Oktober 1815 schließlich kehrte er nach Gütersloh zurück. Die Heimkehr brachte ihn auch wieder in die 21
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Nähe jener Frau, die ihm die ganze Zeit nicht aus dem Kopf gegangen war. Denn bevor er im Februar 1812 Gütersloh bei Nacht und Nebel verließ, hatte er am 22. November 1811 im Nachbarort Borgholzhausen seine spätere Frau Friederike Helling kennen gelernt. Sie arbeitete im elterlichen Gasthaus, das entfernten Verwandten der Frau seines Bruders Arnold gehörte. Carl und Friederike waren Base und Vetter und sprachen sich auch so an. Die Frau galt als fröhlich und lebensbejahend. Auf den ernsten und grüblerischen, einzelgängerischen und introvertierten Carl Bertelsmann hatte sie bei der ersten Begegnung großen Eindruck gemacht. Sie hatte ihm die folgenden Zeilen geschrieben: »Seelig, seelig, wer in seinem Kreise / Thut, so viel er kann, und still und weise / Seine ihm vertraute Rolle spielt. Der des Muthes / unauslöschlich Schmachten, / Und des Geistes rastlos höhers Trachten, / Mit der Hoffnung ewgen Daseyns kühlt!« Er trug diese Zeilen in den Jahren der Wanderschaft immer bei sich. Allerdings wartete Carl Bertelsmann nach seiner Rückkehr noch sieben Jahre, ehe er es wagte, ihr seine Gefühle zu offenbaren und sie um ihre Hand zu bitten. 1822, mehr als zehn Jahre nach ihrer ersten Begegnung, schrieb er ihr: »Eine Prüfung ist überstanden, und ich weiß kaum, ob ich mich freuen soll, dass ich sie überstanden habe, da die Leidenschaft fortlebt. Ich habe sie gesehen, die ich seit mehr denn zehn Jahren so hoch schätze, dass alle meine Wünsche in ihren Besitz zusammenflossen, und dennoch durfte ich bei ruhiger Überlegung ihren Besitz nicht wünschen, weil es mir an inneren und äußeren Mitteln fehlte.« Sie antwortete ihm auf seinen »ehrenvollen Antrag«: »Fürchten Sie nicht … dass eine Täuschung stattfinden könnte? – Wie sehr leicht ist der Mensch in einer Reihe von Jahren, wo mannigfaltige Verhältnisse, wo Freude und Trauer miteinander abwechseln, der Veränderung des Temperaments, des Charakters unterworfen … Wie wenig ich zur Unterhaltung – wie wenig ich beglücken kann, beides weiß ich zu gut und bedarf keiner Gegensprache. – Untersuchen Sie gefälligst noch einmal, ob Sie eine solche Bürde noch auf sich laden können.« 22
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Drei Wochen später schrieb sie: »Ich glaube, ich habe mich genug geprüft. – Können Sie vergeben? – Dann vergeben Sie. – Mein Bestreben wird nur dahin gehen, mich Ihnen, geschätzter Vetter, immer würdiger zu machen … Täglich höre ich meine geliebte Mutter und Geschwister mit größerm Beifall von Ihnen sprechen.« Er schrieb zurück: »Ich bin ein sehr glücklicher Mensch und am Ziele meiner Wünsche, wenn ich Ihre Zufriedenheit zu befördern imstande bin … Nehmen Sie die Versicherung meiner innigsten Liebe …« Eine Woche nach der Verlobung schickte er seiner Braut eine Silbermünze »für einen Thaler Werth«. In die Münze hatte er die folgende Inschrift einprägen lassen: »Zu ewigem Angedencken in dem Hertzen gegründet Süsser Geruch wahrer Freundschaft.« Am 17. Oktober 1822 heirateten er und Friederike. Die beiden hatten in ihrer Ehe fünf Kinder: Luise, Carl Friedrich Wilhelm (der noch als Säugling starb), Heinrich, Anna und Wilhelm. 28 Jahre lang lebte er mit seiner Frau Friederike zusammen. Allerdings musste sie seine Liebe mit seinem Verlag teilen. Und sie sollte mit ihm arbeiten. Das hatte er schon vor der Hochzeit einkalkuliert. Er sah Friederike Helling nicht nur als Ehefrau, sondern auch als willkommene Mitarbeiterin und sagte sich: »Wenn ich jetzt Arbeiten habe, die mir ungelegen kommen, so mache ich oft schon die Berechnung: ›Wenn ich mein Riekchen erst habe, die soll mir schon helfen‹, und verlasse mich darauf so recht.« Carl Bertelsmanns unternehmerischer Erfolg basierte wohl nicht zuletzt auf seiner sparsamen Einstellung. »Spare, wo es ohne Knickerei angeht«, soll er gelegentlich gesagt haben – und Knickerei war für ihn keineswegs, wenn man Mechanikerarbeiten selber macht oder seine Frau mitarbeiten lässt. Die Arbeit stellte er über alles andere. Als er nach Jahren der Wanderschaft 1815 im Alter von 24 Jahren zurück in seine Heimatstadt gekommen war, gab es in Gütersloh keine Arbeit für den Buchbinder. Dort war in diesem Beruf bereits sein Bruder Arnold tätig. Carl ging deshalb in die benachbarten Orte Bielefeld und Vlotho. Doch auch dort fand er keine Arbeit. Erst als sein Bruder starb, konnte er 1819 dessen Platz in Gütersloh einnehmen. »Einsam 23
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und zielbewusst«, schrieb Chronist Walter Kempowski 1985 anlässlich des 150-jährigen Bestehens von Bertelsmann, habe er in dieser Zeit »den Grundstein für alles Spätere« gelegt: »Er arbeitete unausgesetzt, wie getrieben. Seine Tage hatten 14 Stunden und mehr, sie gingen von morgens vier bis in die Nacht hinein.« Zunächst hat Carl Bertelsmann vor allem den Betrieb seines Bruders weitergeführt. Offensichtlich lief das Geschäft gut; 1823 stellte er immerhin den Lehrling Ernst Vogelsang ein. Im Jahr darauf, 1824, versuchte er sich als Steindrucker. Das war seine erste Station auf dem Weg vom Buchbinder zum Verleger. Am 19. Juni 1824 vermerkte er in seinem Notizbuch: »Anlegung der Steindrukkerey. Druck der 1sten 5 Nummern Zifferblätter und 4 1/2 Ries Bilder von Thieren auch, ein Schimmelspiel; ferner Verfertigung von Steinpergament, welches jedoch nicht zur Vollkommenheit gediehen.« Seine Steindruckerei war eine der ersten in der Gegend. Die Lithografieplatten ließ er sich eigens aus dem bayerischen Nördlingen kommen. Erst fünf Jahre nach der Gründung machte er seinen Betrieb offiziell, indem er im Dezember 1829 bei der königlich-preußischen Regierung in Minden eine Lizenz für die »lithographische Anstalt« beantragte. Sein Geschäft gedieh: Die Liederbücher, die Bertelsmann für die Schule druckte, fanden guten Absatz. Seine harte Preiskalkulation trieb mitunter auch kuriose Blüten: In einem Liederbuch druckte er statt Noten die Tonschritte in Ziffern, weil dies billiger war als das teure Notenstechen. Als die Auflagen stiegen, durften die Noten in die Liederbücher zurückkehren. Das Papier wurde besser und die Ausstattung eleganter. So konnte er sie besser (und zugleich teurer) verkaufen. Bereits 1833 spricht er in einem Brief an einen Buchhändler erstmals von »meinem Verlag«, obwohl er noch keine Lizenz dafür beantragt hatte. Beliebt waren seine Liedsammlungen, die er in Auflagen von bis zu 20 000 Exemplaren druckte. Zu Hilfe kam ihm das Geschick eines Lehrers und Organisten in Gütersloh namens Friedrich Eickhoff. Der Lehrer spielte nicht nur die Orgel, sondern komponierte auch. Er hatte ein gutes Händchen für eingängige Melodien. Von ihm stammt bei24
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spielsweise das bis heute beliebte Weihnachtslied »Ihr Kinderlein kommet«. Eickhoff war wohl ein gern gesehener Gast im Hause Bertelsmann und knüpfte bei seinen Besuchen besondere Bande zu einer Tochter von Carl Bertelsmann, die er später heiratete. Manche Chronisten vermuten gar, dass er es war, der den Schwiegervater in spe auf die Idee brachte, einen Verlag zu gründen, um seine Liedkompositionen besser unters Volk zu bringen. Jedenfalls zahlte sich die Geschäftsidee auch für Carl Bertelsmann aus: Für 1 500 Reichstaler konnte er sich schon wenige Jahre nach Inbetriebnahme der Steindruckerei ein Wohn- und Geschäftshaus kaufen. In den Türbalken des Hauses ließ er den 55. Psalm schnitzen: »Wirf dein Anliegen auf den Herrn / Der wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruh lassen.« Eine seiner wichtigsten Begegnungen war wohl die mit Johann Hinrich Volkening, der 1826 zum Pastor der lutherischen Gemeinde in Gütersloh gewählt wurde und mit dem die Erweckungsbewegung in Minden-Ravensburg einsetzte. Ob der damals 35-jährige Carl Bertelsmann für Volkening gestimmt hat, weiß man nicht. Ideell standen sie sich jedenfalls nahe. Die beiden wurden Freunde. Man darf davon ausgehen, dass Volkening ihn für die Erweckungsbewegung interessierte und für die damit verbundenen Möglichkeiten, seiner Druckerei Aufträge zu beschaffen. Der Historiker Bavendamm, der die Verlagsgeschichte zum 150-jährigen Bestehen aufgearbeitet hat, schreibt: »Ausschlaggebend für die Verlagsgründung ist weder ein subjektives Erlebnis noch der Bedarf des Gütersloher Organisten Friedrich Eickhoff an gedruckten Noten. Ausschlaggebend ist eine ebenso nüchterne wie weitblickende Einschätzung des Marktpotenzials.« Denn die Erweckungsbewegung, so Bavendamm, bedeutete »eine Revolution der damaligen Kommunikation«. Die Erweckungsbewegung war eine Laienbewegung, die ihre Basis durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreiterte. So bildeten sich immer neue Runden, die von Bibel- und Missionsstunden erzählten und immer neue Treffen organisierten. Auch der Aufstieg von Pfarrer Volkening begann mit einer kleinen Bibel- und Singrunde im Pfarrhaus. Anfangs wollten viele Bürger 25
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nichts von ihm wissen und machten aus ihrer Ablehnung kein Geheimnis. Der Organist Eickhoff weigerte sich, für ihn zu spielen. »Pietistengeneral« habe man ihn »halb bewundernd, halb schaudernd« genannt, berichtet Bavendamm. Tanzen geißelte Volkening als »Hurerei«, schreibt Katrin Minner in Die Stadt und ihre Bürger. Wer Karten spielte oder an einem Schützenzug teilnahm, den sah er schon auf dem Weg zur »Hölle«. Selbst wer dem Festzug nur aus dem Fenster zusah, war bereits der »Verdammnis« überwiesen. Volkening war nicht zimperlich. Manche empfanden seine Predigten als unchristlich oder »Schmähungen niedriger Art«. Doch seine Predigten, meint Bavendamm, seien bei vielen Gläubigen in Gütersloh und Umgebung »eine Sensation« gewesen. Mit der Zeit kamen immer mehr Anhänger, um seinen einfachen Worten zu lauschen. Selbst seine Gegner wollten ihn reden hören. Fünf Jahre später war der Andrang so groß, dass der Platz im Pfarrhaus nicht mehr reichte und Volkening seine Missionsstunde fortan in der Kirche hielt. »Aus Volkenings Predigtgottesdiensten werden Massenversammlungen, die bisweilen nach Tausenden von Köpfen zählen«, berichtet Bavendamm. Weitere vier Jahre später war die Bewegung in Gütersloh so sehr gewachsen, dass auch die Kirche zu eng wurde. Das erste Missionsfest, Rahmenprogramm für eine Pastoralkonferenz, die Volkening 1835 mit gleich gesinnten Pastoren organisiert hatte, fand deshalb unter freiem Himmel statt. Solche Missionsfeste waren »Volksfeste, auf denen im christlichen Sinne gelesen, gesungen und gebetet wird«, schreibt Bavendamm. »Zu der Veranstaltung von 1835 kommen bereits 17 Pastoren und sechs Kandidaten und zahlreiche Besucher von nah und fern. Überall im Rheinland und in Westfalen gibt es Bibelgesellschaften, Missionsgesellschaften, Jünglings- und Jungfrauenvereine, die diese Zusammenkünfte organisieren. Überall werden plötzlich Traktate, Lieder und Texte gebraucht. Die Erweckungsbewegung will ja die anderen Menschen, die noch schlafen, erwecken. Sie hat eine Botschaft von Sündenerkenntnis, Buße und Gnade auszusenden, die andere empfangen sollen. Sie betreibt also Kommunikation, Massenkommunikation. Und dafür braucht sie das gedruckte Wort, die gedruckte Note.« 26
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Es war ganz gewiss kein Zufall, dass Carl Bertelsmann seinen Verlag am Vorabend des Missionsfestes gründete. Den Schritt hatte er gut vorbereitet: Im Frühjahr hatte er in Wuppertal-Barmen bei einem Schlossermeister eine Buchdruckpresse bestellt und Lettern verschiedener Schriften gekauft. Bei der Regierung in Minden beantragte er eine Konzession für eine Buchdruckerei, die ihm am 18. März 1835 gewährt wurde. Sie kostete einen Taler und 15 Groschen. Nun durfte er Bücher in größerer Auflage drucken. Das erste Werk, für das er um eine Druckerlaubnis ersuchte, war Theomele des Organisten Eickhoff. »Da ich mit dem ersten July d. J. eine Buchdruckerei anlegen werde, und die Liedersammlung die erste Arbeit derselben sein sollte, so bitte ich hochgeneigt dahin zu sehen, dass ich bis dahin mindestens einen Theil dieses Werks wieder in Händen habe, um nicht wegen Beschäftigung des Arbeiters in Verlegenheit zu geraten«, schrieb er an die Behörden am 1. Juni 1835. Seither gilt dieser Tag als Gründungsdatum des Unternehmens. Der Andruck glückte Carl Bertelsmann jedoch erst einige Wochen später, nämlich am 3. August. Für den Probedruck wählt er den 24. Psalm aus, der auch zum Leitmotto des Verlags werden sollte: »Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe! Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.« Die Verzögerung war dem Hang Carl Bertelsmanns zur Knauserigkeit geschuldet: Er wollte die Kosten für einen Mechaniker sparen. Deshalb hatte er die Buchdruckpresse, ein englisches Modell vom Typ »Stanhope«, selbst montiert. Mehrfach musste sie repariert werden. Die Kosten hierfür betrugen sieben Reichstaler, gut den doppelten Wochenlohn von Carl Bertelsmanns Arbeiter Sewerin. Erst im Herbst lief die Presse zufriedenstellend und kontinuierlich. Der Unternehmer Bertelsmann war von Beginn an stets bemüht, Aufträge für seine Druckerei zu gewinnen. Wie macht man das? Wie sorgt man für eine langfristige Auslastung der Anlagen? Carl Bertelsmann fand eine einfache Antwort auf diese Fragen: indem man sein eigener Kunde wird und der Verleger, der Bertelsmann ja eben auch 27
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war, dem Drucker die Aufträge vergibt. Somit bleibt man auch in Zeiten, in denen kaum Fremdaufträge kommen, gut beschäftigt. Er mag damals noch nichts von der Integration eines modernen Medienhauses gewusst haben, aber er ließ bereits bei der Gründung des Verlags ein Prinzip erkennen, das das Unternehmen bis heute prägt. Diese Strategie lag nahe. Denn mit Volkening hatte er einen »Star« der Bewegung zum Freund, der eigene Texte herausgab. Volkening verkaufte sich gut: 20 Jahre nach der Erstveröffentlichung der Theomele von Eickhoff veröffentlichte Carls Sohn Heinrich Bertelsmann Volkenings Liederheft Die Kleine Missionsharfe, das sich über zwei Millionen Mal verkaufte und somit zum ersten Bestseller des Hauses avancierte. Ab 1836 gab Carl Bertelsmann die Schriften der Ravensburger Missionsgesellschaft heraus. Zu den Festen der Gesellschaft kamen damals bis zu 10 000 Menschen, allesamt potenzielle oder tatsächliche Abonnenten von Bertelsmanns Zeitschriften. Der Leiter der Ravensburger Missionsgesellschaft hieß übrigens Volkening. Er verschaffte Carl Bertelsmann Zugang zu den Anhängern der Erweckungsbewegung, sodass er auch Gemeinden in Wuppertal und anderswo beliefern konnte. Seinen unternehmerischen Aufstieg hatte Carl Bertelsmann schon immer geschickt mit der Übernahme öffentlicher Ämter oder mit seinem Engagement für das Gemeinwohl zu verknüpfen gewusst. So trieb er nach seiner Rückkehr von der Wanderschaft in Gütersloh nebenberuflich Steuern ein; später vertraute die Stadt dem Unternehmer die Kommunalkasse an. Er engagierte sich für die Altenpflege, kümmerte sich um den Bau eines neuen Pfarrhauses und gab Geld für den Bau einer Bahnlinie von Köln nach Berlin, von der er sich wirtschaftliche Vorteile für die Region erhoffte. Er ließ sich in den Kirchenvorstand wählen, führte das Amt des Kämmerers und wurde schließlich sogar zum Stadtverordneten gewählt. 1846 hatte er das erste Mal für den neunköpfigen Stadtrat kandidiert, aber knapp verloren. »Mir fehlte eine Stimme«, schrieb er seinem Sohn. Als er 1847 erneut antrat, erhielt er so viele Stimmen, dass er nicht nur in die Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde, sondern in den dreiköpfigen Magistrat, die 28
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eigentliche Stadtregierung. Politisch trat der Konservative für ein Bündnis von »Thron und Altar« und gegen Rationalismus, Liberalismus und Aufklärung ein. »Carl Bertelsmann war ein Mann von strenger Rechtlichkeit, tiefer Frömmigkeit, großem Fleiß und erprobter Königstreue«, schrieb der spätere Verlagschef Johannes Mohn. Wiederholt versuchte Carl Bertelsmann, auf publizistischem Weg politischen Einfluss zu nehmen, indem er eine Zeitung gründete. Ab Juli 1833 verlegte er den Öffentlichen Anzeiger für den Kreis Wiedenbrück. Das Blatt erschien wöchentlich; auf acht Seiten enthielt es amtliche Erlasse und Bekanntmachungen, Belehrendes und Unterhaltendes. Die Zeitung kam jedoch nur auf 25 Ausgaben. Angeblich hat Carl Bertelsmann das Blatt eingestellt, weil er keine Anzeige für ein Schützenfest drucken wollte. Derartige Veranstaltungen, bei denen der Alkohol in großen Mengen floss, lehnte er ab. Im Revolutionsjahr 1848 schließlich versuchte Bertelsmann, ein Volksblatt zu verlegen. Gedacht war es für Mitbürger, die »unserm treuen Könige und ihrer Religion« zugetan sind. Auch dieser Versuch war nicht von Erfolg gekrönt. Schließlich verlegte er – ebenfalls ab 1848 – Mittheilungen für die Gesamtgemeinde Gütersloh. Sie erschienen nur zweimal. Im Alter lag ihm sehr am Herzen, dass Gütersloh den Zuschlag für ein Evangelisch-Stiftisches Gymnasium erhielt, das erste evangelische Gymnasium, das protestantischen Nachwuchs für ganz Deutschland ausbilden sollte. Gemeinsam mit zwei weiteren, in Gütersloh ansässigen Kaufleuten, Wilhelm Bartels und Friedrich Raßfeld, zählte er zum sonst nur von Geistlichen besetzten Gründungskuratorium. Zugute kam dem Gymnasium, dass Preußen auf einer Gleichstellung mit staatlichen Schulen bestand. So konnte die Schule den Anschluss an die Bildung im ganzen Reich halten. Carl Bertelsmann schrieb im April 1849 in den Mittheilungen für die Gesamtgemeinde Gütersloh: »Das Gymnasium ist, wenngleich in unserer Mitte, nicht das unsrige. Es ist vorab für das ganze protestantische Deutschland bestimmt, dem es fromme, pflichtgetreue Söhne und Leiter des Volkes ausbilden soll, die da helfen, dass wir eine bessere Zeit erhalten, die lediglich in der Durchdringung des Christentums zu finden ist. Wir sind daher der Ge29
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samtheit Rechenschaft schuldig von diesem uns anvertrauten Pfunde.« Dies sind die letzten Worte, die Carl Bertelsmann veröffentlichte. Wenige Monate später, am 17. Dezember 1850, erlag er einem Gehirnschlag. Das Ende hatte sich bereits in den Monaten davor angekündigt. Carl Bertelsmann hörte seit Jahren schlecht, wie man aus Briefen seiner Frau an den Sohn weiß. Nun ging es ihm gesundheitlich schlechter und schlechter. Zu spät wollte er, der sich in jungen Jahren selbst stets gute Gesundheit attestiert hatte, kürzer treten. In der Bauernschaft Kattenstroth hatte er sich für 2 650 Taler einen Hof gekauft, um gesünder zu leben: Er wollte an frischer Luft körperlich arbeiten. Nachdem er seinem Sohn den Verlag übergeben hatte, zog er im Oktober aufs Land. Er konnte sich nur kurz über das Leben auf dem Hof freuen. Zwei Monate später war er tot. Arm geboren, starb er im Alter von 59 Jahren als angesehener und wohlhabender Bürger. Die Eröffnung des evangelischen Gymnasiums erlebte er nicht mehr. Doch hatte er entscheidenden Anteil, dass es nach Gütersloh kam. Die Historikerkommission urteilt über sein Erbe: »Das Evangelisch-Stiftische Gymnasium war eines der beiden Bollwerke des politischen Konservatismus, die Carl Bertelsmann geschaffen hatte. Das andere war sein Verlag, in dem er bis zu seinem Tod knapp 50 Bücher verlegt hatte.« Protestantisch-christlicher Bildungsgedanke und preußischvaterländische Gesinnung waren unter seiner Führung eine enge Bindung mit den Kräften der staatlichen Reaktion eingegangen.
Heinrich Bertelsmann Während Carl Bertelsmann ein feines kaufmännisches Gespür für den Markt auszeichnete, verfolgte sein Sohn Heinrich Bertelsmann eine andere Strategie, die den Erfolg und das stete Wachstum von Bertelsmann bis heute ausmacht: Wachstum durch Zukäufe. Sein Vater hatte ihm aufgetragen, »größeren Einfluss auf die christliche Gestaltung unseres Geburtsortes« zu nehmen. Und Heinrich Bertelsmann tat das 30
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Seinige. Unter seiner Leitung wuchs die Firma. Beschäftigte sie bei seinem Eintritt 14 Mitarbeiter, war die Belegschaft bald auf 60 angewachsen. Er weitete das Programm um Titel aus den Bereichen Philosophie und Geschichte aus und steigerte die Auflagen. Außerdem kaufte Heinrich Bertelsmann die Druckerei J. D. Küster Nachf. in Bielefeld, den Verlag N. R. Fridrichs in Elberfeld, Teile des Verlags Samuel Gottlieb Liesching in Stuttgart sowie die Verlage G. Löhe in Nürnberg und J. Remak und Ferdinand Dümmler in Berlin. Die Sortimentsbuchhandlung des Vaters gab er hingegen 1869 an den Lehrling Friedrich Tigges ab, dessen Familie den Laden bis heute führt. Heinrich Bertelsmann wurde 1827 geboren. Als er den Verlag übernahm, war er gerade 22 Jahre alt. Er galt als einzelgängerisch und wortkarg; im Vergleich zu ihm soll sein introvertierter Vater ein redseliger und offener Mann gewesen sein. Vielleicht lasteten die Erwartungen des Vaters zu schwer auf ihm, denn Heinrich Bertelsmann war in seiner Jugend und Zeit seines Lebens nur eines: der Nachfolger, der den Verlag weiter führen sollte. Sein ganzes Leben lang unterzeichnete er Geschäftsbriefe mit dem Namen seines Vaters »C. Bertelsmann«, als handle er im Geiste seines Vaters. Das Evangelisch-Stiftische Gymnasium, in dessen Aufsichtsgremium er sich später engagierte und in dem seine Nachfahren zur Schule gingen, hatte es in seiner Jugend noch nicht gegeben. Weil der Vater Carl Bertelsmann der staatlichen Schule misstraute, brachte er seinen Sohn zum Studium bei Pastor Volkening unter, der mittlerweile nicht mehr in Gütersloh, sondern im unweit gelegenen Jöllenbeck bei Bielefeld predigte. Damit schlug Bertelsmann zwei Fliegen mit einer Klappe: Er blieb in engem Kontakt zu einem seiner wichtigsten Autoren und wusste seinen Sprössling und designierten Nachfolger in guten Händen. Heinrich genoss eine umfassende Ausbildung in Geschichte, Latein, Französisch, Englisch, Zeichnen und Literaturgeschichte. Auch aus der Ferne erinnerte der Vater den Sohn in Briefen an kommende Pflichten und ermahnte ihn regelmäßig zu Fleiß, Aufmerksamkeit, Gründlichkeit und Besonnenheit. Er gab gut gemeinte Ratschläge: »Damit du dich aber nicht vergessen möchtest, wäre es wohl gut, 31
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wenn du dir etwa in deinem Schlafzimmer ein geeignetes Denkzettel irgendwo befestigst, dass du an jedem Morgen ernst gestimmt an dein Geschäft gingest.« Obwohl es bestimmt kein Vergnügen war, beugte sich Heinrich den Erwartungen. Wie lange er in Jöllenbeck lebte, weiß man nicht. Fest steht, dass der mehrmonatige Aufenthalt in dem strengen protestantischen Pfarrhaus den 15-Jährigen geprägt hat. Dort herrschte der »Geist der Zucht«, den Volkening im Vorwort seiner Missionsharfe beschwor. Sein Vater war stolz: »Das nun hat mir auch deinen Brief so besonders lieb gemacht, dass ich daraus sehe, wie du dein Leben auf diesem Grund bauen willst, der auf Golgatha für uns gelegt, und die Gemeinschaft mit dem Heilande als das Ziel und die Quelle deines Berufs erkannt hast.« Heinrich wollte gerne das Buchbinderhandwerk erlernen. Der Vater hätte dem Sohn ohne weiteres eine Stelle als Buchbinder oder Drucker vermitteln können. Ganz bewusst jedoch schickte Carl Bertelsmann den Sohn zu befreundeten Buchhändlern in die Lehre, denn er plante, das Unternehmen um eine Buchhandlung zu erweitern. Bei dem Buchhändler Alfred Sartorius in Wuppertal-Barmen sollte Heinrich lernen, wie man einen Sortimentsbuchladen führt. Carl Bertelsmann glaubte, dass »ein solches Geschäft für unsere Familie von Wert sein« könnte, wie er dem Sohn schrieb. »Wir hätten damit einen größeren Einfluss auf die christliche Gestaltung unseres Geburtsortes wie bisher, wenngleich wir auch gezwungen sein würden, dem Gegenteil zu dienen.« Aus dem Zeugnis von Alfred Sartorius, das dieser Heinrich nach eineinviertel Jahren aushändigte, geht hervor, wie sehr Heinrich bestrebt war, die Erwartungen seines Vaters zu erfüllen: »Mit Bescheidenheit und sittlich-religiösem Ernste verbindet er eine so gediegene Solidität, wie ich sie selten bei jungen Leuten gefunden«, bescheinigte Sartorius. Doch den Sohn plagten mitunter tiefe Selbstzweifel. Einmal schrieb er in sein Tagebuch: »Ich war am ersten Ostertage zur heiligen Communion. Aber ich fühle mich so kalt, liebeleer, und so ganz ohne inneres Leben, wie es bei einem Christenmenschen, der so viele Gelegenheiten hat, sich geistig aufzurichten und zu erwecken, durchaus nicht sein sollte. Vorsätze mag ich nicht mehr fassen, da ich zu emp32
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findlich erfahren habe, dass sie mich nur zu oft, ja immer im Stich ließen.« Heinrichs jüngerer Bruder Wilhelm wurde dagegen Drucker wie sein Vater Carl. Nachdem Heinrich den Betrieb des Vaters übernommen hatte, gründete er 1864 zusammen mit seinem Bruder Wilhelm unter dem Namen »Gebr. Bertelsmann« eine Buch- und Steindruckerei, die ihren Sitz in einem Hinterhaus in der Obernstraße 4 in Bielefeld hatte. In den folgenden Jahren verlegten die Brüder drei Zeitungen: den Allgemeinen Anzeiger, Kreisblatt für die drei Kreise Bielefeld, Halle und Wiedenbrück, den Conservativen Volksfreund und den Westfälischen Hausfreund. Neben der Rolle des Druckers übernahm Wilhelm auch die des verantwortlichen Redakteurs; Heinrich steuerte Leitartikel bei. Daneben druckten die Brüder Formulare für Kaufleute, Behörden, Kirchen und Schulen. 1865 wurde der Betrieb erweitert, 1869 zog er um in die Obernstraße 9 und firmierte jetzt unter dem Namen Wilhelm Bertelsmann. 1870 erwarb der jüngere Bruder schließlich auch noch die Druckerei J. D. Küster, die das Bielefelder Tagblatt (heute: Neue Westfälische) druckte. Heinrich dagegen schied aus dem gemeinsamen Betrieb in Bielefeld aus. Dass er seinen Bruder auszahlen musste, empfand er als große Belastung. »Unter so schwerer Last habe ich«, schreibt er, »das Geschäft mit vieler Sorge, aber in festem Vertrauen auf die göttliche Durchhilfe auf meine eigene Hand angetreten.« Zehn Jahre später allerdings kaufte er von seinem Bruder die Firma J. D. Küster zurück und übernahm damit auch die Zeitung. Wilhelm Bertelsmann seinerseits gründete seine Firma neu als »Bertelsmann’sche Buchdruckerei W. Bertelsmann« und zog an die Gütersloher Straße. Sein Geschäft konzentrierte er fortan auf den Druck von Formularen für Behörden. Seit 1890 wurde der Verlag unter dem Namen »W. Bertelsmann« geführt; Wilhelms Söhne Friedrich Wilhelm und Friedrich Carl führten den Betrieb fort. 1905 wurde Friedrich Carl Bertelsmann alleiniger Inhaber. Zurück zu Heinrich Bertelsmann. Er trat nicht nur im Verlag in die Fußstapfen seines Vaters: Auch er engagierte sich in der Kirchengemeinde und im Stadtrat von Gütersloh und nahm sich der Alten, Ar33
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men und Kranken an. So saß er beispielsweise in der Stiftung von Heinrich Barth. Der Kaufmann hatte bei seinem Tod angewiesen, dass sein Vermögen den evangelischen Bürgern in Gütersloh zugute kommen sollte. Unter anderem wurden ein Armenhaus und ein Krankenhaus damit finanziert, Fonds für bedürftige Witwen und eine Strickund Nähschule für arme Kinder. Heinrich Bertelsmann wurden drei Kinder geboren. Doch seine beiden Söhne starben bereits im Säuglingsalter. So war es für das Unternehmen ein schicksalhaftes Ereignis, als Johannes Mohn in die Firma eintrat. Heinrich Bertelsmann nahm ihn auf wie einen Sohn. Er hat es wohl gern gesehen, dass der junge Mann und seine Tochter Friederike ein Paar wurden. Womöglich hat Heinrich Bertelsmann den beiden sogar gut zugeredet. Jedenfalls hatte er Friederike so erzogen, dass sie ihm nicht widersprechen sollte: Bei Tisch musste sie stehen, wie es bei vielen bürgerlichen Familien Sitte war. Im Firmenarchiv liegt noch eine sauber geschriebene Strafarbeit von ihr: Zehnmal der Satz »Der Tadel geht oft dem Lobe voran.« Als sie Johannes Mohn heiratete, hatte Heinrich Bertelsmann seine Nachfolge gesichert. Der Name Bertelsmann würde zwar in der Eigentümerfamilie aussterben, im Unternehmen jedoch würde er weiterleben.
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2. »Der vierte Pastor von Gütersloh« Johannes Mohn heiratet einen Verlag
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ie Mohns stammen aus Velbert am Niederrhein, zwischen Essen, Wuppertal und Düsseldorf gelegen. Sie waren Bauern, Handwerker und Kaufleute. Ihren Namen haben sie eine Zeit lang von der Mohnblume abgeleitet. Wahrscheinlicher ist, dass der Name von »Mond« kommt, denn der Bauernhof, auf dem sie bis zum 19. Jahrhundert lebten, hieß »Im Mond«. Anscheinend waren die Familien damals nach Himmelskörpern benannt, denn benachbarte Familien hießen »Sonne« und »Stern«. Die Mohns verarbeiteten das Eisen, das in ihrer Gegend abgebaut wurde; sie waren Kleineisenschmiede. Durch Heirat mit anderen Familien in Velbert kamen sie zu ansehnlichem Grundbesitz. Später übernahmen sie auch den Vertrieb des Eisens. Wenn auch ihre Produkte noch nichts mit Kommunikation zu tun hatten, beschäftigten sich die Mohns schon früh mit Tätigkeiten, die die Familie und Bertelsmann bis heute prägen: Kaufhandel und Vertrieb. Der Handel lief offenbar so gut, dass sich Arnold Mohn (1708 – 1788) bald »Eisenwarengroßhändler« nennen konnte. Arnold Mohn war viel unterwegs, er reiste auf Messen nach Frankfurt und Holland. Er heiratete Juliana Seelhof und hatte zehn Kinder mit ihr. Einer seiner Söhne, Friedrich Mohn (1762 – 1845), wurde evangelisch-lutherischer Pastor. Er war ein Patriot und hatte schon früh eine Vorliebe für alles Geschriebene. Mit 14 Jahren schickte ihn sein Vater auf das Gymnasium nach Essen, mit 16 zum Theologiestudium nach Göttingen. Damit vereinte Friedrich Mohn in sich zwei Züge, die auch Bertelsmann prägen: Schreiben und Predigen. In seiner sechsjährigen Studienzeit las er Werke des Dichters Friedrich Gottlieb 35
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Klopstock, die Berührungspunkte mit der Erweckungsbewegung aufwiesen. 1784 trat er im katholischen Ratingen nahe Düsseldorf seine erste Pfarrstelle an und blieb dort 18 Jahre bis zu seinem 40. Lebensjahr. Die lutherische Gemeinde war arm, auch zählten sich die meisten Protestanten in Ratingen nicht zu den Lutheranern, sondern zu den Reformern. In Ratingen traf der junge Pastor auf den Unternehmer Johann Gottfried Brügelmann, der auf dem Gelände eines ehemaligen Rittergutes eine mechanische Baumwollspinnerei errichtet und damit die effizienteren britischen Fertigungsmethoden nach Deutschland gebracht hatte. Brügelmann unterstützte Mohn, wofür sich dieser mit seinem ersten Gedichtband revanchierte, der 1795 erschien, gewidmet seinem »Gönner und Freund«. Mohn pflegte Freundschaften zu Literaten und Malern der Düsseldorfer Akademie. Diese Verbindungen trugen ihm die Bezeichnung »Künstlervater« ein. Mohn veröffentlichte bis 1802 noch einen Gedichtband und fünf Bände seines Niederrheinischen Taschenbuchs für die Liebhaber des Schönen und Guten. Diese Texte hatten ein handlich kleines Format und enthielten einen Kalender und eine Einleitung und Gedichte von Mohn. Mohns erste Frau Sophie Salome Wagner war 1795 mit 33 Jahren gestorben. Von ihr hatte er drei Kinder. Friedrich Mohn selbst gab in einem Vorwort den Tod seiner Frau 1795 als Grund seines Schreibens an: »Meine Laufbahn hienieden ist bis hiehin reich an Leiden gewesen, und die meisten meiner Gedichte haben ihre Existenz solchen Stunden zu verdanken, in denen die Bürde des Lebens schwer auf mir lag.« In der Kleinstadt Ratingen hielt sich das Verständnis für den dichtenden Pastor in engen Grenzen. Er musste sich gegen Anfeindungen und Missverständnisse zur Wehr setzen. In einer Einleitung zu einem seiner Taschenbücher schrieb er, er wolle keiner »Art von so genannter Rechtgläubigkeit förderlich« sein. Denn: »Ich habe es darinnen nicht mit einer besonderen Religionsparthei, ich habe es mit Liebhabern des Schönen und Guten zu thun, deren es gewiss unter allen im deutschen Reiche geduldeten Religionspartheien nicht wenige giebt.« Den Kritikern seiner Liebeslyrik gab Mohn einen einfachen Rat: Nicht lesen! 36
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»Ich vermute aus guten Gründen, dass mein Buch auch hin und wieder in die Hände von Idioten fallen wird … Diese muss ich bitten, mein Buch alsofort wieder bei Seite zu legen und ihre poetische Lektüre auf ihr Gesangbuch zu beschränken.« Zwei Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Mohn wieder. 1802 zog die Familie um nach Maastricht in den Niederlanden, möglicherweise, weil dem Lutheraner dort bessere Lebensbedingungen geboten wurden. Doch die Familie blieb nicht lange. Schon zwei Jahre später zogen die Mohns nach Duisburg. »Fern von allen meinen Verwandten und Freunden und unter dem Druck schwerer körperlichen Leiden«, war ihm in Maastricht »nicht wohl«, wie er schrieb. In seinem Haus unterrichtete er seine Tochter und die Töchter angesehener Bürger in Sprachen und Wissenschaften. In Duisburg muss er sich sehr viel Anerkennung erworben haben, denn als er 1834 sein 50-jähriges Pfarrjubiläum feierte, läuteten die Glocken aller Kirchen in der Stadt. 1845 starb er im Alter von 83 Jahren; Jahre davor war er bereits zum dritten Mal Witwer geworden. Sein Sohn Johann Friedrich Willibald Mohn war 23 Jahre alt, als sein Vater starb. Seine Mutter Anna Maria Mohn hatte die Geburt 1822 nicht überlebt. Wie sein Vater Friedrich, so studierte Willibald Theologie und wurde Pastor. Er trat eine Pfarrstelle im Westerwald an. Nach schwerer Krankheit verfasste er eine Schrift mit dem Titel »Wachet!«, die ihn als Anhänger der Erweckungsbewegung ausweist. Außerdem soll er eine Reihe von theologischen Werken verfasst haben, die jedoch nicht erhalten sind. Hatte sein Vater teilweise noch aufklärerische Ideen mit seinem Glauben an die Erweckungsbewegung vermengt, so war Willibald Mohn der Bewegung ganz verbunden. Seinen Sohn Johannes, der 1856 geboren wurde, schickte er auf eine Schule, die im Zentrum der Bewegung lag: das von Carl Bertelsmann gegründete Evangelisch-Stiftische Gymnasium in Gütersloh. Johannes wirkte mit im Posaunenchor des Gymnasiums und wollte eigentlich der Tradition seiner Väter folgen und Pastor werden. Doch ein chronisches Halsleiden, das ihn nicht laut sprechen, sondern nur flüstern ließ, verhinderte das. Weil er nicht vor einer Gemeinde stehen und predigen 37
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konnte, folgte er der anderen Traditionslinie seiner Väter – dem Schreiben – und ging ab 1874 bei Bertelsmann in die Lehre. Einer seiner Lehrer am Gymnasium hatte ihm dazu geraten.
Der vierte Pastor von Gütersloh Johannes Mohn muss seinem Chef Heinrich Bertelsmann gut gefallen haben. Der Verleger half ihm, den Militärdienst zu umgehen, indem er den Lehrling zu befreundeten Buchhändlern nach Basel, München und Berlin schickte. Schon 1881, kurz nach seiner Rückkehr nach Gütersloh, erhielt Johannes Mohn Prokura und heiratete Emma Friederike Bertelsmann. Zur Hochzeit schenkte der alte Pastor Mohn den beiden ein in rotes Leder gebundenes Büchlein, in dem stand: »Papa Mohn’s / Lied von der heil. Ehe / gesungen, da er noch Bräutigam war; / desgleichen ein Hochzeitslied / Altes aus ewig neuer Liebe, aber / versiegter Quelle / seinen Kindern Johannes und Fried. / an ihrem Hochzeitstage, dem 15. September 1881 / dargereicht.« Nach der Hochzeit unternahm das Paar eine längere Reise, die sie unter anderem nach Dresden führte. Als die beiden zurückkamen, hatten ihnen Friederikes Eltern ein Haus gerichtet. Jedoch entsprach die Einrichtung nicht ganz Friederikes Wünschen. In einem Brief schrieb sie: »Das Plüschsofa haben wir oben aufs Fremdenzimmer getragen, das kleine rothe in die Eckstube und das grüne … ins gute Zimmer. Die Sachen wurden mir zuviel gebraucht; und der Plüsch that mir entsetzlich leid; außerdem liegt man auch nicht bequem drauf.« Offenbar konnte Friederike mit Hilfe ihres Mannes nach und nach die Fesseln ihrer strengen und entbehrungsreichen Erziehung abschütteln. So reisten die Mohns zum Baden an die Nordsee. Einfach so, zum Spaß. Ihr Vater hätte so etwas nie getan, ohne nicht unterwegs ein paar berufliche Termine wahrzunehmen. Heinrich Bertelsmann sah die Reise der Tochter jedoch mit Wohlwollen und schrieb: »Du Friederike bade nur so oft du kannst, Johannes wird’s ja von selbst und aus Lust thun.« Offensichtlich war er erleichtert, einen Nachfolger gefunden zu haben. 38
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1887, im Todesjahr von Heinrich Bertelsmann, wurde Johannes Mohn Teilhaber. Doch die Witwe, Friederikes Mutter, machte es dem jungen Paar nicht einfach. Zwar nahm sie die junge Familie in ihr Haus auf. Doch behandelte sie ihre Tochter wie ein Kind. Die Mägde wussten nicht mehr, wem sie gehorchen sollten. Irgendwann muss die alte Dame gemerkt haben, dass sie ihrer Tochter keine Luft ließ. Jedenfalls kaufte sie das Nachbarhaus, ließ es herrichten und schenkte es ihrer Tochter zu Weihnachten. Das Haus erhielt den Namen »Efeuhaus«. Nun war zwar das Problem mit der Tochter geregelt, den Verlag loslassen wollte die Witwe deswegen noch lange nicht. 13 Jahre hatte Johannes Mohn an der Seite seines Schwiegervaters gearbeitet. Aber noch immer vertraute ihm die Schwiegermutter nicht ganz. So kam es, dass sie noch eine Weile in der Führung des Verlags mitmischte, weil sie seinen jungen kaufmännischen Erfahrungen misstraute. Noch vor ihrem Schwiegersohn las sie die Verlagspost und empfing Autoren. Hin und wieder ließ sie »einen Herren aus dem Kontor« zu sich in die Wohnung kommen, um sich auf dem Laufenden zu halten, wie es in einer Familienchronik des Unternehmens heißt. Aber 1896 war es endlich so weit: Johannes Mohn wurde Alleininhaber. Johannes Mohn hatte mit seiner Frau drei Kinder, darunter den späteren Nachfolger, Carl Heinrich. Die drei Kinder wuchsen mit der Firma auf, schauten beim Packen zu, wenn das große Bücherpaket für die Leipziger Messe geschnürt wurde. Sie guckten den Buchbindern über die Schulter und bastelten aus Papierresten Drachen, die sie im Herbst fliegen ließen. Ihr Vater Johannes Mohn wird als »weniger nüchtern« als ihr Großvater Heinrich Bertelsmann beschrieben, als »weichherzig und aufbrausend«. Hatte Heinrich Bertelsmann das Programm erweitert in Richtung Philosophie und Geschichte und versucht, mehr Sach-, Schul- und Jugendbücher herauszubringen, so versuchte Mohn an das Konzept des Gründers Carl Bertelsmann anzuknüpfen und stellte theologische Schriften in den Mittelpunkt der verlegerischen Arbeit. Neben den theologisch-wissenschaftlichen Werken waren ihm religiös-praktische 39
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Texte sehr wichtig: Sein Schwiegervater hatte mit der Zeitschrift Der Beweis des Glaubens den Versuch unternommen, den christlichen Glauben wissenschaftlich zu rechtfertigen. Es ging ihm »im Kern um die Auseinandersetzung mit christentumsfeindlichen Tendenzen, die in der Sozialdemokratie, aber auch in neuen religiösen Bewegungen und nicht zuletzt im Judentum ausgemacht wurden«, wie die Historikerkommission 2002 feststellte. Mohn nahm dieses Projekt sehr ernst. Zudem verlieh er der Missionsidee der Erweckungsbewegung neue Impulse und gründete Zeitschriften mit programmatischen Titeln, beispielsweise Die ärztliche Mission, Saat und Ernte auf dem Missionsfelde und Die evangelischen Missionen. Zweifellos wollte Mohn das Seine zu der Bewegung beitragen. Die Zahl der Mitarbeiter war bis 1910 auf 80 Beschäftigte angewachsen, um die sich der Verlagschef mit väterlicher Fürsorge kümmerte. Er besuchte sie, wenn sie krank waren, achtete aber gleichzeitig sehr darauf, dass sie gewissenhaft ihre Pflichten erfüllten. Freunden half er mit Bürgschaften, Mitarbeitern gewährte er Darlehen für den Wohnungsbau. Mohn war der klassische Typ eines Patriarchen, der absolute Loyalität fordert und gewährt. Als er das 75-jährige Jubiläum feierte, vermerkte Johannes Mohn stolz, dass ein Mitarbeiter bereits seit 50 Jahren bei C. Bertelsmann arbeitete. Drei weitere waren seit 25 Jahren im Betrieb. Dieses Jubiläum am 1. Juli 1910 ließ Mohn gebührend feiern. Er lud seine Mitarbeiter samt Frauen zu einem Tagesausflug in den Teutoburger Wald ein. Am nächsten Tag kam eine Abordnung der Stadt mit Bürgermeister Thummes, um zu gratulieren. Jeder Festteilnehmer bekam zwei belegte Butterbrote und ein »Pöstchen« Zigarren; die Damen erhielten Zigarren aus Schokolade. Dann bestiegen die Gäste 14 mit Blumen geschmückte Wagen und fuhren zu einem schönen Platz unter einer großen alten Buche, wo Mohn der Verlagsgründer gedachte. Unterwegs sang die Gesellschaft Lieder aus einem Liederheft, das Mohn eigens zu dem Anlass hatte drucken lassen. Bei der Gelegenheit stellte er auch gleich seinen Nachfolger vor, seinen Sohn Heinrich, der gerade von seiner Ausbildung nach Gütersloh zurückgekehrt war. Der Wohl40
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fahrtskasse des Betriebs spendete er 10 000 Goldmark; außerdem erhielt jeder Mitarbeiter Geld ausgehändigt: für jedes Jahr der Zugehörigkeit einen Taler. Der Schriftsetzer Jacke brachte es dabei auf 53 Taler. Kaffee und Kuchen gab es nach einem Ausflug zu einer Burg, Posaunen spielten, ein Chor sang und zu guter Letzt überreichte Mohn jedem Mitarbeiter ein Buch des Verlags. Am nächsten Tag wurde zwar wieder gearbeitet, dennoch durften die Mitarbeiter sich noch einmal freuen, denn Mohn verkündete, dass ab sofort jeder Arbeiter Anspruch auf drei Tage bezahlten Urlaub im Jahr habe, was im kaiserlichen Deutschland damals keine Selbstverständlichkeit war. Johannes Mohn war in Gütersloh vielfältig gesellschaftlich engagiert: Er war Kirchmeister, Presbyter, Stadtverordneter und Kurator des Gymnasiums, saß im Vorstand verschiedener Missionsgesellschaften und in der Vereinigung evangelischer Buchhändler. Auch war er – wie sein Vater – Mitglied im Verwaltungsrat der Barthschen Stiftung und im Vorstand der Betheler Anstalten. Bei diesen Ehrenämtern fühlte sich Johannes Mohn in der Nachfolge von Carl Bertelsmann, den er nicht nur »einen Mann von großer Frömmigkeit nannte«, sondern auch von »erprobter Königstreue«. Mohn war sich sicher, damit auf seine Art dem deutschen Staat zu dienen. Regelmäßig gab er sein Bekenntnis zu den Hohenzollern in den Beiträgen ab, die er für die Neue Westfälische Volkszeitung verfasste. In der Stadt hatte man Johannes Mohn den Beinamen »der vierte Pastor von Gütersloh« gegeben, weil er immer einen schwarzen Lutherrock trug. Ob spöttisch gemeint oder anerkennend, die Bezeichnung traf zu, denn Johannes Mohn – der einst Pastor werden wollte – brachte fast ebenso viel Engagement für die Kirchengemeinde wie für den Verlag auf. Wann immer es in der Gemeinde etwas zu tun gab, half er mit Spenden und machte sich verdient, sei es bei der Renovierung der Kirche, wo er Zierfenster stiftete und Malerarbeiten bezahlte, bei der Anlage des neuen Friedhofs, dem Bau des Schwesternheimes oder des Kindergartens. Als ein neues Krankenhaus gebaut werden sollte, gab er Bauland unter dem Marktpreis ab. Er half den Söhnen von Missionaren und saß im Vorstand der Bodelschwinghschen Anstalt. Nach41
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dem er den Verlag abgegeben hatte, konnte er sich ganz seinen vielen Ehrenämtern widmen. Wer ihn in der Rolle als »Vater« oder »Onkel« akzeptierte, der erlebte seine guten Seiten. Er konnte »ausgesprochen lustig« sein, heißt es in einer verlagseigenen Biografie. Seine besondere Liebe galt den Kindern. In der Festschrift zum 60. Jubiläumsfest des von Heinrich Bertelsmann gegründeten Kindergartens findet sich folgende Huldigung: »Wenn Onkel Mohn in die Kinderschule kam, / gab’s immer ein Hallo, / Alle freuten sich so, / Weil Onkel Mohn so viele Späße machte, / Mit ihnen scherzte und lachte: / ›Du kleines Lieschen, verlorst ja dein Zöpfchen!‹, / Lieschen guckt auf den Boden und fasst an’s Köpfchen: / ›Nein, Onkel Mohn, sieh doch, / Hier hab ich es noch!‹ / Und wenn Onkel Mohn dann fragte: ›Könnt ihr auch singen?‹ / Dann fing es gleich an zu klingen. / Die Kinder stimmten begeistert an: / ›Der Kaiser ist ein lieber Mann‹ / ›Ich bin ein Preuße‹ und ›Heil dir im Siegerkranz‹, / Onkel Mohn’s Augen strahlten voll Glanz. / Wer freute sich wohl am meisten bei diesem Besuch? / Wer’s rät, der ist klug!« Die Auswahl der Lieder, die die Kinder bei solchen Gelegenheiten zum Vortrag brachten, sagt freilich mehr aus über Johannes Mohn und seine Gesinnung als über die Vorlieben der Kinder. Sein Verhalten passt ins Bild vom Patriarchen, eine Rolle, die er gegenüber der ganzen Stadt spielte. So schuf er für die Gütersloher am Rande der Stadt eine Parkanlage, die später als »Mohns Park« in den Besitz der Stadt überging. Er hatte die Heide- und Waldlandschaft im Nordwesten der Stadt 1904 gekauft, um den Güterslohern, die ihre Stadt selbst liebevoll »Gützel« nennen, ein Stück »Alt-Gützeler Landschaft« zu erhalten. Bald allerdings missfiel ihm die Art, in der seine Mitbürger den Park nutzten. Deshalb ließ er einen Zaun um das Gelände ziehen, sorgte für die Erhaltung und hielt es in Familienbesitz. Ende der zwanziger Jahre bot er das Areal der Stadt zum Kauf an. Allerdings verband er sein Angebot mit Auflagen, die die Stadt nicht erfüllen wollte. Denn Mohn hatte bestimmt, dass der Park zunächst weitere fünf Jahre ausschließlich der Familie zur Verfügung stehen müsse. Danach dürften bei Veranstaltungen keine alkoholischen Ge42
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tränke ausgeschenkt werden. Seine Preisvorstellungen sollen deutlich zu hoch gewesen sein, um derartige Forderungen zu rechtfertigen. Die Stadträte lehnten ab – und der Park blieb für die Öffentlichkeit gesperrt, bis ihn die Stadt 1937 schließlich doch seinem Sohn Heinrich abkaufte. Dieser schrieb über seinen Vater: »Stark war seine soziale Gesinnung, wenn sie sich auch gern in älterer patriarchalischer Weise äußerte und darum nicht immer allseitig so verstanden und gewürdigt wurde, wie sie es verdient hätte.« Politisch sah Johannes Mohn sich indes als Verlierer. »Unter dem Druck der Ereignisse«, wie er selbst formulierte, übertrug er den Verlag 1918 seinem Sohn. »Druck der Ereignisse« ist seine Umschreibung für die Niederlage im Ersten Weltkrieg. Mohn hatte an den gerechten Krieg geglaubt, den man für den Glauben und für das eigene Land kämpft. Er wollte sein Vaterland siegen sehen. Als die Monarchie zuerst im Krieg und dann in Versailles heftige Niederlagen einstecken musste, wusste er nicht mehr, wofür er noch arbeiten und kämpfen sollte. Ein paar Jahre lang half er seinem Sohn noch im Verlag. Im Sommer 1921 gab er auf dringenden ärztlichen Rat hin die Leitung des Verlags ganz ab. Johannes Mohn schrieb: »Nach fast 50-jähriger Berufstätigkeit sehe ich mich zu meinem Bedauern aus Gesundheitsrücksichten genötigt, aus der Firma C. Bertelsmann, in welcher ich 42 Jahre tätig war und die ich seit 34 Jahren leiten durfte, auszuscheiden. Die Weiterführung des Verlagsgeschäfts lege ich heute vertrauensvoll in die Hände meines Sohnes Heinrich Mohn, welcher mir bereits seit elf Jahren als Teilhaber zur Seite gestanden hat … Es ist mir eine herzliche Freude, zu wissen, dass mein Sohn die 1835 gegründete und durch drei Generationen gegangene Firma im Geiste seiner Vorfahren weiterführen wird.« Besorgt musste er mit ansehen, wie die Firma 1923 inflationsbedingt durch schwere Zeiten ging und knapp an der Pleite vorbeischrammte. Aber er erlebte auch noch mit, wie der Verlag die Krise in den darauf folgenden Jahren überstand. An einem Sonntagmorgen im November 1930 starb Johannes Mohn im Alter von 74 Jahren friedlich in seinem Bett. Die Gütersloher Zeitung berichtete: »Die Räume 43
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des Trauerhauses in der Bahnhofstraße vermochten die Zahl derer kaum zu fassen, die … gekommen waren, um dem Heimgegangenen die letzte Ehre zu erweisen.«
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3. »Größere und größte Auflagen« Heinrich Mohn und der Aufstieg von Bertelsmann
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ie Geschichte von Bertelsmann im zwanzigsten Jahrhundert ist auch die Geschichte eines von einer chronischen Krankheit gezeichneten Mannes. Denn Heinrich Mohn hatte Asthma. Diese Krankheit machte ihm von Jugend an zu schaffen. Wie sein Vater besuchte er das Evangelisch-Stiftische Gymnasium in Gütersloh. Er spielte im Posaunenchor. Allerdings musste er die Schule wegen seiner chronischen Krankheit abbrechen. Er absolvierte im elterlichen Betrieb eine Lehre; später schickte ihn sein Vater in die Buchstadt Leipzig, nach England und in die Schweiz. Heinrich Mohn wollte sich von seiner Krankheit nicht unterkriegen lassen. Sein Vater Johannes hatte seinen Wunschberuf des Pastors nicht erlernen und ausüben können, weil er keine Stimme zum Predigen hatte, und diesen Mangel hatte er mit seinem hohen Engagement als Verleger und Drucker kompensiert. Für seinen Sohn Heinrich war der Verlegerberuf verpflichtendes Erbe, Wunschberuf und Berufung zugleich. Wenn schon sein Körper schwach war, dann wollte er wenigstens durch einen starken Geist glänzen. Bereits in der Schule tat er sich mit seinem hervorragenden Gedächtnis hervor. Um es zu trainieren, lernte er zum Beispiel 140 Lieder des Minden-Ravensbergischen Kirchengesangbuches auswendig. Die Krankheit machte ihn jedoch keineswegs untauglich für jegliche körperliche Tätigkeit. Immerhin meldete sich der 1885 geborene Heinrich Mohn, der 1910 als Teilhaber in den elterlichen Betrieb eingestiegen war, 1914 freiwillig zum Dienst in der kaiserlichen Armee und wurde im Ersten Weltkrieg Offizier. 45
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Bald, nachdem Heinrich 1921 die Geschäfte von seinem Vater vollständig übertragen bekommen hatte, kam der erste schwere wirtschaftliche Einbruch. Heinrich Mohn hatte das Geschäft zu einer Zeit übernommen, die ihm wenig Möglichkeiten zur Expansion bot. Die Produktion lag am Boden. Aussagekräftige Kalkulationen waren während der Inflation nicht möglich. Heinrich Mohn fand einen Ausweg, indem er eine stabile Währung für Bücher einführte: die »Buch-Mark.« Diese Verrechnungseinheit war währungsunabhängig und erleichterte damit das Geschäft. Doch im Grunde war das nur ein Trick, um irgendwie kalkulieren zu können. Als die Inflation galoppierte, half auch diese Konstruktion nicht mehr. Schließlich musste Heinrich Mohn die Produktion einstellen und Drucker, Buchbinder und Setzer entlassen. Ende 1923 hatte der Verlag nur noch sechs Mitarbeiter. Unter ihnen auch sein Vertrauter Fritz Wixforth, der später eine wichtig Rolle spielen sollte. Was konnte man tun, um die Krise zu meistern? Die Lage war schlimm. Auch gesundheitlich ging es dem Verlagschef so schlecht, dass unsicher war, ob er den Verlag, den er kurz davor übernommen hatte, überhaupt weiterführen könnte. Ein Arzt hatte ihm geraten, er solle sich wegen seines Asthmas »fast ständig im Gebirge aufhalten und von dort aus die Firma leiten«. Diese Nachricht muss ihn schwer getroffen haben. Was bedeutete das? Wie sollte er eine Firma in Gütersloh vom Gebirge aus leiten? Dennoch verlegte er auf den Rat des Arztes hin für die nächsten Jahre den Wohnsitz der Familie nach Braunlage in den Harz. Was die wirtschaftliche Krise betraf, so hatte Heinrich Mohn bereits vor dem Umzug 1923 mit langfristigen Planungen begonnen. Er war ein Geschäftsmann, der strategisch dachte. Nach der Übernahme 1921 habe er schnell erkannt, dass der Verlag nicht mehr zeitgemäß geführt werde, schrieb er später. »Schon bald wurde mir klar, dass der technische Betrieb überaltert und in keiner Weise voll eingesetzt war, dass ferner der Verlag an zu kleinen Durchschnittsauflagen krankte. Sollte eine Entwicklung der Firma nach Umsatz und Ertrag eintreten, so musste vor allen Dingen gesorgt werden, dass größere und größte Auflagen erzielt wurden. … Zudem war seit Jahrzehnten die Betriebs46
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buchhaltung zurückgeblieben. Die Kalkulation fußte noch auf Berechnungen, die etwa 40 Jahre zurücklagen.« Heinrich Mohn kalkulierte neu und entdeckte dabei Rationalisierungspotenziale. Größere und größte Auflagen. Wie sollte Bertelsmann das erreichen? Welche Sparte bot Entwicklungsmöglichkeiten? Zunächst versuchte Heinrich Mohn, den Bereich Pädagogik auszubauen. Allerdings war dieser Versuch nicht erfolgreich. »Es erwies sich …, dass es unmöglich war, bei der Fülle der Arbeit mehrere Wissensgebiete genügend zu beherrschen. So schränkte ich schon bald die pädagogische Literatur stark ein mit dem klaren Bewusstsein, dass dann allerdings auch die verwandten Gebiete Schulbücher und Jugendbücher, Philologie und Philosophie würden abgebaut werden müssen. Ohne schweren Schaden wäre das nicht in Kürze durchführbar gewesen, denn die Gefolgschaft hätte sonst einen wesentlichen Teil der Arbeit verloren. So galt es zunächst durch Ausbau des Hauptverlagsgebietes, der Theologie, die wirtschaftliche Grundlage zu schaffen.« Bald darauf sollte Heinrich Mohn die Belletristik als lukratives Feld entdecken. Bereits 1919 hatte Bertelsmann eine Zeitschrift für Erzählungen erworben. Heinrich Mohn konzentrierte sich nun auf dieses Genre: »Neue erzählende Zeitschriften schlossen sich an und brachten schließlich die Autorenbeziehungen, die zur Aufrichtung eines erzählenden Buchverlags führten, dessen Leitung keine spezialwissenschaftlichen Kenntnisse, sondern nur gute Allgemeinbildung erforderte.« Bei den Zeitschriften handelte es sich um Blätter zum Kindergottesdienst und zur Betreuung der Alten in den Kirchengemeinden. Auf die wirtschaftliche Krise hatte er somit eine Antwort gefunden. Ungelöst war aber immer noch die Frage, wie Heinrich Mohn seinen Verlag aus der Ferne führen sollte. Er musste neue Wege finden, den Betrieb zu leiten, sonst hätte er ihn aufgeben müssen. So entwickelte er einen für die damalige Wirtschaft revolutionären Führungsstil, der darauf basierte, dass er seinen Mitarbeitern große Freiheiten gewährte. Selbstverantwortung und Teamwork wurden wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur, lange, bevor diese Begriffe Einzug in die moderne Managementlehre hielten. »Der Mitarbeiterstab, nicht nur der 47
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Autoren, sondern auch der eigenen Angestellten, musste herangebildet werden. Darum organisierte ich … zunächst die Arbeit dahin, dass ich eine größere Zahl selbstständiger Arbeitsbereiche für die einzelnen Angestellten schuf, außerdem aber die Arbeit für die einzelnen Angestellten möglichst interessant gestaltete, um das Geschäftsinteresse und Verständnis zu wecken. Diese Bestrebungen ließen sich nicht ohne Kampf durchsetzen. So beklagte sich der Leiter der Werbeabteilung schon bald über Eingriffe in seinen Arbeitsbereich, wenn ich grundsätzlich die anderen Angestellten zu gemeinsamen Beratungen über Werbearbeit hinzuzog. Aber schon nach wenigen Jahren sah auch dieser Werbeleiter ein, dass dadurch keine Einschränkung seines Arbeitsbereiches eingetreten war, sondern die gemeinsamen Besprechungen ihm für seine eigene Arbeit Anregung und Bereicherung brachten. So wurde in zäher Aufbauarbeit das maßgebende Personal geschult und auf die große Entwicklung der Firma vorbereitet.« Die Schwächung durch seine Krankheit schärfte Mohns Sinne und half ihm, zu erkennen, auf wen er sich ganz und gar verlassen konnte. In den Krisenjahren band er seine wichtigsten Mitarbeiter an sich und förderte sie. Er brauchte Mitarbeiter, denen er Verantwortung geben konnte und bei denen er sicher war, dass sie in seinem Sinne handeln würden. Personalentwicklung nennt man das heute. So fand er auch den Mann, der Bertelsmann vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Blüte verhalf: Fritz Wixforth, den seine Mitarbeiter wegen seines Vertriebsgenies bewundernd den »Zauberer« nannten. Von 1921 an war Wixforth sein engster Vertrauter. Ihm ließ er große Freiheiten beim Aufbau des schöngeistigen Verlagsprogramms. Im Jahr darauf holte er seinen Schwager Gerhard Steinsiek an Bord und machte ihn bald darauf zum Stellvertreter. Steinsiek leitete den Verlag vor Ort; Mohn aus der Ferne. Gerhard Steinsiek, Sohn eines Missionars in Sumatra hatte in Tübingen Theologie studiert und 1922 als Lehrling bei Bertelsmann angefangen. Bereits im darauf folgenden Jahr ernannte der Verleger ihn – zum Erstaunen mancher Mitarbeiter – zu seinem Stellvertreter. Steinsiek wurde Prokurist und arbeitete im Lektorat. Sein Büro lag im 48
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Erdgeschoss des Verlagsgebäudes in der Eickhoffstraße 10 – 14. Die Verwaltungsbüros waren unter einem Saal mit zehn Druckmaschinen untergebracht. Steinsiek arbeitete an einem Stehpult, begleitet vom Rhythmus der Druckmaschinen. Der einzige Telefonanschluss der gesamten Firma stand bei ihm. Ferngespräche waren eine Seltenheit, aber wenn eines ankam, störte der Maschinenlärm aus der Etage darüber. Steinsiek wusste sich zu helfen: Kündigte sich ein Gespräch an, nahm er einen großen Schlüssel und klopfte damit gegen ein Heizungsrohr, das in den Druckraum führte, sodass sein Signal »Achtung Telefongespräch!« selbst neben der Druckmaschine zu hören war. Die Drucker wussten, was zu tun war, und stellten die Maschinen sofort ab. Für einige Minuten ruhte dann der Betrieb. Ehrfurchtsvoll wartete man, bis das wichtige Ereignis vorüber war, um dann zurück an die Arbeit zu gehen. Was Heinrich Mohn aufgrund seines Asthmaleidens körperlich nicht schaffte, das machte er durch seine Denkleistung wett. Geschäftspartner waren verblüfft, wie schnell er – noch während einer Besprechung – erste Kalkulationen erstellte. Heinrich Mohn verfügte über die Gabe, Risiken schnell und präzise abwägen zu können. Im Hintergrund hielt er die Fäden in der Hand und intervenierte nur, wenn seine Mitarbeiter Risiken eingingen, die den Verlag in der Existenz gefährdet hätten. Die Beschränkung auf das Notwendige und das begründete Vertrauen in die Loyalität seiner Leute erlaubten es ihm, sich von dem paternalistischen Führungssystem seines Vaters zu verabschieden und seinen Mitarbeitern weitreichende Freiheiten einzuräumen. So entstand aus den Zwängen, die seine Krankheit Heinrich Mohn auferlegte, eine Unternehmenskultur, die Bertelsmann bis heute praktiziert und die das Unternehmen von vielen anderen unterscheidet. Heinrich Mohn behielt diesen Führungsstil auch nach seiner Rückkehr nach Gütersloh bei. Ohnehin hätte er als kranker Mann seine Mitarbeiter nicht ständig beaufsichtigen können. Seine Beschwerden hinderten ihn jedoch nicht daran, die Produktion im Auge zu behalten. Körperlich war er anwesend. Geistig nahm er ohnehin an allen Dis49
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kussionen teil. Mit seinen engen Mitarbeitern und Prokuristen – Gerhard Steinsiek für den Innendienst und Fritz Wixforth für den Außendienst – besprach er sich jeden Morgen und ließ sie berichten, was anstand. Er war immer voll informiert. Dass er zwei Büros unterhielt – eines in der Firma und eines zu Hause –, erleichterte ihm, sich auch an Wochenenden, wenn er ganz bei der Familie sein sollte, doch wieder den Autoren und ihren Büchern zu widmen. Man kann die Bedeutung der Krankheit für den Lebens- und Arbeitsstil von Heinrich Mohn kaum überschätzen. Sie hinderte ihn, die Tradition seiner Väter fortzusetzen und sich politisch sowie in der Kirchengemeinde seiner Stadt zu engagieren. Lediglich den Sitz in der Barthschen Stiftung, in der schon sein Vater engagiert war, nahm er wahr. Außerdem unterstützte er den evangelischen Kindergarten, den seine Eltern gegründet hatten. Im Betrieb verschaffte ihm seine Krankheit Sympathien, nicht durch Mitleid bedingt, sondern weil sie ihn sensibel machte für die Mühen und Leiden seiner Mitarbeiter. Wenn sie krank waren, besuchte er sie zu Hause. Jeden Tag machte er einen Rundgang durch den Betrieb und erkundigte sich nach ihrem Befinden und ob ihnen warm genug sei. Wenn eine Grippewelle im Anrollen war oder er hörte, dass Mitarbeiter kränklich waren, dann schickte er eine junge Frau durch die Räume. Sie trug einen Bauchladen mit allerlei homöopathischen Mitteln. Heinrich Mohn ging vor ihr her und entschied, wer welche Vitamine nehmen sollte. Das Mädchen verteilte die Medikamente dann auf sein Geheiß hin. Wer zum Beispiel Magenbeschwerden hatte, bekam »Rotkäppchen«-Saft zur Kräftigung. Seine Fürsorge und sein Interesse gingen allerdings weit über die Gesundheit seiner Mitarbeiter hinaus: Als sich seine Sekretärin Magdalene Reitze 1948 verlobte, besuchte er sie zu Hause und überreichte ihr eine Topfpflanze. Sie gehörte praktisch zur Familie, weil sie als Privatsekretärin neben dem Hausmädchen, der Putzfrau und den Kindern auch an den morgendlichen Andachten teilgenommen hatte. Aber auch um eine »normale« Mitarbeiterin wie Else Hunke kümmerte sich der Chef. Frau Hunke arbeitete in der Poststelle und in der 50
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Telefonzentrale. Als sie mit ihrem Mann eine Wohnung ausbaute, kam Mohn, stieg auf eine Leiter und sah sich alles an. Er kannte die Familienverhältnisse seiner Mitarbeiter und erkundigte sich regelmäßig. Das war seine Art der väterlichen Führung. Als im Zweiten Weltkrieg 41 Mitarbeiter von Bertelsmann starben, kümmerte er sich persönlich um die Hinterbliebenen. Das war dem Vater, dessen vier Söhne alle in den Krieg gezogen waren, vermutlich ein besonderes Anliegen. Heinrich Mohn war stets zeitig im Betrieb. Seine Privatsekretärin Lydia Truse kam zwischen sieben und halb acht Uhr ins Haus der Mohns. Oft hatte Heinrich Mohn nachts oder am frühen Morgen schon einen Brief entworfen. Dann diktierte er ihr schon vor der Morgenandacht die ersten Briefe. Bei der Andacht saß er am Flügel und sang und betete vor. Danach fuhr Heinrich Henke, der Hausmeister und Chauffeur, ihn in den Betrieb, wo Heinrich Mohn seine Mitarbeiter mit Handschlag begrüßte. »Was er unterschrieben hat, das hat er gewusst und zur Kenntnis genommen«, sagt Lydia Truse, die von 1932 bis 1943 als Sekretärin von Steinsiek gearbeitet hat. »Herr Mohn war in allem drin.« Obwohl er Steinsiek und Wixforth zu Prokuristen ernannt hatte, war er doch in alle Entscheidungen involviert. Auch hätten die beiden Prokuristen keineswegs schlechte Nachrichten von ihm fern gehalten. »Man hat Herrn Mohn nichts erspart«, erinnert sich Lydia Truse. »Und er wollte auch nichts erspart bekommen.« Heinrich Mohn habe seine Mitarbeiter gewähren lassen. »Aber er hat die Entscheidungen mitgetroffen … Er hat alles gewusst und mitgetragen.« Selbst um die Lehrlinge kümmerte er sich und testete sie immer mal wieder. Er duzte sie, fragte sie: »Was kannst du jetzt?« oder: »Was hast du gelernt?« Einmal sollten die Lehrlinge ihre Kenntnisse in Stenografie zeigen. Alle waren aufgeregt, nur Heinrich Mohn freilich nicht, erinnert sich Lore Verleger, die damals ihre Lehrzeit absolvierte. Das Diktat verlief gut und der Chef war zufrieden mit seinen Lehrlingen. Mohn hatte zwar nicht studiert, aber er betreute sein theologisches Programm selbst, ohne einen Lektor dafür zu beschäftigen. Auch die Gespräche mit Autoren führte er selbst. Er las jedes Manuskript, das 51
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er veröffentlichte. In einer Jackentasche führte er ein kleines Notizbuch und einen kleinen Bleistift mit sich. Wenn die Rede auf ein neues Buch kam, rechnete er an Ort und Stelle aus, wie umfangreich es sein dürfe und wie viel es kosten werde. Seinem kleinen Notizbuch konnte er entnehmen, wie in etwa die Jahresbilanz des Verlags aussah und ob man noch Spielraum hatte. In dem Büchlein hielt Mohn die wichtigsten wirtschaftlichen Daten fest; dazu gehörten Umsatz, Absatz, Zahlungseingänge, Zahlungsausgänge.
Fritz Wixforth bringt den Menschen das »gute Buch« Von den Freiheiten, die Heinrich Mohn seinen Mitarbeitern gewährte, profitierte niemand so sehr wie Fritz Wixforth. Mit ihm begannen die Vertriebserfolge, die nicht nur in der Geschichte von Bertelsmann Maßstäbe setzten. Schon äußerlich markierte er mit seiner Fliege, die er zu weißem Hemd und dunklem Anzug trug, einen deutlichen Kontrast zur Atmosphäre in den Büros mit ihren Stehpulten, den Böcken und den Zuglampen in grünen Glasschirmen. Frauen trugen damals noch lange Zöpfe und lange Röcke. Als »extravagant« empfanden die Sekretärinnen deshalb seine Erscheinung. Einen Pastorenrock zu tragen – wie Johannes Mohn, der ihn eingestellt hatte –, das wäre ihm gewiss nie eingefallen. Im Gegensatz zu den Mohns war er nicht religiös geprägt. Junge Mitarbeiter, die mit der Frömmigkeit der Verlagschefs nicht immer etwas anfangen konnten, fanden in Wixforth einen Ansprechpartner. Wenn er etwas tat, dann nicht wegen des Glaubens an Gott, sondern im Glauben an den wirtschaftlichen Erfolg. Manchem Mitarbeiter schien das glaubwürdiger als der christlich argumentierende Heinrich Mohn. Wixforth war ehrgeizig. Er kannte das Geschäft mit Büchern und deshalb konnte man viel von ihm lernen. So war es nur folgerichtig, dass sich junge Mitarbeiter an ihm orientierten und seine Meinung zu einem fachlichen Problem gefragt war. Als einen »etwas fülligen, freundlichen Herrn«, so beschrieb Theo52
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dor Berthoud seinen Chef. Wixforth war »fast zu höflich«, aber »löste vom ersten Augenblick der Begegnung an eine sympathische Empfindung aus.« Junge Mitarbeiter motivierte er, indem er sie an seinen Erfolgen teilhaben ließ. Wenn er von den Erfolgen sprach, dann sagte er nicht »ich«, sondern »wir«. Berthoud, der schon mal mit zwei verschiedenen Socken an den Füßen ins Büro ging, war beeindruckt: »Seine ruhige, selbstsichere Art flößte Vertrauen ein, nötigte aber auch Respekt ab, der durch den Spitznamen ›Fritzchen‹ nicht gemindert wurde.« Das galt auch, als sich sein Spitzname später in »Alter Fritz« wandelte. »Als ich aus Berlin schied«, so Berthoud, »hatte ich lachend gesagt: ›Dort bleibe ich ein oder zwei Jahre und dann heißt es ade Gütersloh, geht es weiter hinein in die weite Welt.‹ Ihm, dem ›Alten Fritz‹, verdanke ich es, dass ich blieb. Er machte mir – und nicht nur mir – Gütersloh und die Arbeit im Verlag zur weiten Welt.« Wixforth »entwickelte sich von Jahr zu Jahr mehr zum sicheren Magnet für junge Mitarbeiter bei allen Überlegungen, die die in ihrer Bedeutung wachsende Vertriebsarbeit mit sich brachte, und schließlich wurde er von Jahr zu Jahr mehr der Kompass und Motor für das Werden und Wachsen des Verlags selbst«. Wixforth war das Gegenteil seines besonnen agierenden Chefs Heinrich Mohn und des kühlen Rechners Steinsiek. Er war explosiv und extrovertiert. Obwohl Alkohol im Hause Mohn streng verpönt war, vergaß Wixforth nicht, gute Kontakte mit einer Flasche Steinhäger-Schnaps zu pflegen. Er war nie abgeneigt, wenn man ihm dann ein Gläschen anbot, um auf die gelungenen Geschäfte anzustoßen. Eigentlich hatte Fritz Wixforth gar nicht Buchhändler werden wollen, obwohl es für ihn nahe lag, diesen Beruf zu wählen. Sein Vater Arnold war fast sein ganzes Leben bei Bertelsmann beschäftigt gewesen, insgesamt 57 Jahre lang. 1881 hatte Johannes Mohn ihn zum Leiter der Buchbinderei ernannt. Sein Sohn Fritz war sein fünftes und letztes Kind. Als er am 23. Juni 1897 in Gütersloh zur Welt kam, ließ der Verlagschef gerade ein neues Druckhaus bauen. Im Jahr darauf, 1898, wurde es eingeweiht. Fritz Wixforth besuchte eine Schule, die auf die Lehrerschule vorbereitete. Dass er Lehrer werden sollte, das 53
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war der Wunsch der Eltern und der Wunsch des Patenonkels, der ebenfalls Pädagoge war. Nur der Junge selbst war nicht glücklich mit diesem Plan. Irgendwann muss auch der Vater das gemerkt haben. Eines Tages Anfang 1911 kam er nach Hause und sagte: »Bei Bertelsmann suchen sie einen Stift. Hast du nicht Lust dazu?« Der Sohn überlegte nicht lange, stellte sich bei Johannes Mohn vor und wurde genommen. Am 1. April 1911 trat er in die Firma ein. Er war damals der einzige Buchhändlerlehrling des ganzen Verlags, denn 63 der 72 Mitarbeiter arbeiteten für Setzerei, Druckerei und Binderei, die dem Verlag angeschlossen waren. Der Verlag selbst beschäftigte neben Johannes und Heinrich Mohn – den beiden Firmenchefs – nur fünf Gehilfen und zwei Lehrlinge. Wixforths Lehrzeit dauerte vier Jahre; er verwaltete die Portokasse und übernahm Botengänge. Sein Arbeitstag hatte mindestens zehn Stunden. Hermann Haupt, der erste Gehilfe des Verlags, machte sich einen Spaß daraus, ihn abends Überstunden machen zu lassen. Gerne schrieb er einen Brief erst abends, der dann von Fritz freilich noch kopiert und verschickt werden musste. »Fritzchen«, wie Wixforth genannt wurde, erweckte deshalb abends mit viel Lärm an der Kopierpresse und Portokasse den Eindruck, als stecke er noch tief in der Arbeit. Dabei hatte ein anderer Lehrling schon die Türklinke in der Hand. Auf ein Zeichen zum Feierabend stellte Wixforth den Lärm ein. Beide Lehrlinge wünschten laut im Chor »Gute Nacht« und waren verschwunden, ehe Hermann Haupt antworten konnte. Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Heinrich Mohn meldete sich freiwillig, wie viele andere Mitarbeiter des Verlags. Wixforth wäre ihm lieber in den Krieg gefolgt als in Gütersloh Briefe zu kopieren. Im Jahr darauf, als er 18 Jahre geworden war, fuhr er mit einem Freund nach Wesermünde und meldete sich bei der 3. Matrosen-Artillerie-Abteilung. Wenige Wochen später erhielt er die Einberufung. Die Soldatenzeit war für Wixforth die erste wichtige Schule für den Umgang mit Menschen, sagte er später. Er lernte Genauigkeit und Disziplin – beides Eigenschaften, die im Hause Mohn geschätzt wurden. Dazu lernte er aber auch, Verständnis für seine Mitarbeiter zu haben. 54
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Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg erließ Johannes Mohn Wixforth die restliche Lehrzeit und machte ihn zum Buchhandelsgehilfen. Wixforth erledigte seine Arbeit so, dass die Chefs zufrieden waren. Zwar gab es erfahrenere Mitarbeiter als ihn. Aber Heinrich Mohn war nach dem Krieg darauf aus, junge Leser für seine Bücher zu gewinnen. Das glaubte er nicht mit den altgedienten Mitarbeitern tun zu können. Wixforth aber schien ihm dafür geeignet, und deshalb machte er ihn zu seinem Bürochef. Auf die frei gewordene Stelle rückte der aus Berlin stammende Buchhändler Theodor Berthoud, der bis zum Zweiten Weltkrieg sein wichtigster Mitarbeiter wurde. Die steigende Inflation zog auch den Verlag immer mehr in die Krise. Im Januar 1923 bezog Wixforth ein Gehalt von 100 000 Mark brutto; ein halbes Jahr später waren daraus 990 000 Mark geworden. Im November reichte der Vordruck der Lohnabteilung für die Zahlenschlange nicht mehr aus: Wixforth bezog jetzt 73 Billionen und 465 Milliarden Mark. Sein Vermögen wurde stündlich mehr und war doch immer weniger wert. Irgendwann war Schluss. Die Produktion wurde eingestellt, die meisten wurden entlassen. Zurück blieben sechs Mitarbeiter. Einer von ihnen war Wixforth. Er half Heinrich Mohn dabei, den Verlag nach der Inflation wieder aufzubauen. Bertelsmann hatte durch die Geldentwertung zwar ein riesiges Geldvermögen verloren, verfügte aber über Büchervorräte und Druckbögen. Indem er einen Teil des Lagers verkaufte, kam Mohn zu Geld. Damit erwarb er neue Maschinen, darunter eine Schnellpresse. Das war eine lohnende Investition, denn nach der Inflation stieg die Auflage vieler Schriften des Verlags, etwa Für unsre Kinder. Plötzlich waren selbst die theologischen Werke wieder gefragt. Die ehemaligen Mitarbeiter kehrten zurück. 1926 konnte Mohn zufrieden feststellen, dass sich der Umsatz innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt hatte. Im Jahr darauf erwarb er die 14-tägig erscheinende Zeitschrift Der christliche Erzähler, die beim weiteren Ausbau von Bertelsmann eine wichtige Rolle spielen sollte. Neben kürzeren Erzählungen enthielt jedes Heft auch ein Kapitel eines Fortsetzungsromans. Fritz Wixforth war damals für die Auslieferung, die Kasse und die Lohnbuchhaltung 55
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verantwortlich, nicht aber für den Vertrieb. Dennoch tüftelte er mit seinen Mitarbeitern eine Methode aus, mit der Buchhändler Abonnenten für die neue Zeitschrift werben sollten. Für jedes neue Abonnement sollten sie eine Mark erhalten. Das Geld sollte an den Mitarbeiter oder Gehilfen weitergereicht werden, der den Abonnenten geworben hat. Früh schon entwickelte Wixforth Wege, andere Menschen – in diesem Fall die schlecht verdienenden Gehilfen in den Buchhandlungen – zu seinen Mitarbeitern zu machen. Von einem guten Geschäft könne man nur dann sprechen, wenn beide Seiten zufrieden seien, sagte er seinen Leuten. Es war ihm aber auch klar, dass die Leiter der rund 100 evangelischen Sortimentsbuchhandlungen im deutschsprachigen Raum nicht ohne weiteres akzeptieren würden, dass die Mark nicht in ihre Kasse wandern sollte. Deshalb machte er sich auf und besuchte die Buchhändler persönlich. Er wollte sie überzeugen, dass auch sie von dem Nebenverdienst ihrer Gehilfen profitieren würden, schließlich gehörte ihnen der Rabatt, den ihnen der Verlag bei jedem Abonnement gewährte. Der für die Werbung zuständige Mitarbeiter fühlte sich übergangen und beschwerte sich, doch Heinrich Mohn bat ihn, abzuwarten. Wixforths Reise war ein voller Erfolg. Die Buchhändler ließen sich überzeugen und innerhalb von zehn Wochen stieg die Zahl der Abonnements des Christlichen Erzählers auf 10 000 – in den folgenden Jahren erhöhte sie sich gar auf 30 000. Die Reise begründete die zweite wichtige Erfahrung für Wixforth. Nebenbei verkaufte er nämlich täglich etwa 300 Bücher aus dem Verlagsprospekt und schloss aus den Erfolgen mit den Abos und den Büchern, dass der persönliche Kontakt und das Reisen viel wichtiger waren als bisher angenommen. Bislang hatte es nur eine Reise zur Werbung für die Schul- und Gesangbücher gegeben. Die folgenden 15 Jahre war er dann Jahr für Jahr unterwegs, um die Neuerscheinungen des Verlags anzubieten. »Alles, was ich gelernt habe, habe ich auf meinen Reisen gelernt«, sagte er seinen Mitarbeitern. Ein Buchhändler gab ihm auch jenen Hinweis, der zu einer enormen Ausweitung des Buchgeschäfts führte. In Bern sagte ihm der Geschäfts56
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führer des Christlichen Verlagshauses, die in seiner Zeitschrift abgedruckten Geschichten könnte er gut in Buchform verkaufen. Er hätte für christliche Romane ein dankbares Publikum. Warum nicht die Fortsetzungen ein zweites Mal verwerten? Nach seiner Rückkehr gab Wixforth diese Anregung an seinen Chef weiter. Heinrich Mohn fand Gefallen an der Idee. Aber wen wollte man mit den Romanen ansprechen? Nur die evangelischen Buchhandlungen? Waren das nicht zu wenig, um eine Auflage zu erreichen, die sich finanziell lohnte? Der Christliche Erzähler gehörte zum traditionellen Geschäft der Mohns. Damit kannten sie sich aus. Aber mit den Romanen nahmen sie erstmals den Teil des Sortimentbuchhandels ins Auge, mit dem sie bislang keine Erfahrung hatten. Immerhin war dies der weitaus größere Teil des Handels. Die 100 evangelischen Buchhandlungen waren nur ein kleiner Teil im Vergleich zu den etwa 3 000 allgemeinen Läden. Wixforth und Mohn war offenbar von Beginn an klar, dass ihr bisheriges Programm nicht ausreichen würde, um dieses Geschäft gewinnbringend zu betreiben. Bereits einige Monate nach ihren ersten Überlegungen präsentierte Bertelsmann seine ersten vier Romane. Ein Prospekt versprach den Buchhändlern »die vier Romane 1928 des Verlags C. Bertelsmann in Gütersloh«, als handle es sich dabei um eine Sparte, die man schon seit Jahrzehnten anbot. Die evangelischen Buchhändler, die Bertelsmann bereits kannten, nahmen das neue Angebot freudig auf. Das allgemeine Sortiment war jedoch nicht überzeugt von den Büchern des Neulings. Die Buchhändler waren zwar durchaus angetan von Wixforth, aber wenn der Abschluss anstand, sagten sie ihm immer wieder: »Bitte verzeihen Sie, aber ich kann das für meine Kundschaft wirklich nicht gebrauchen.« Von einem Verlag, der sich fast 100 Jahre lange als Sprachrohr christlicher Erweckung präsentierte, erwarteten die Buchhändler keine Bücher, die den allgemein interessierten Leser ansprachen. Wixforth schloss daraus ganz richtig, dass es nicht am Vertrieb lag, sondern an den Büchern. Entweder hatte man sie nicht wirksam präsentiert, oder man hatte tatsächlich die falschen Bücher von den fal57
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schen Autoren im Programm. Um gute Autoren mit guten Honoraren locken und die Bücher gewinnbringend verkaufen zu können, brauchte man allerdings eine hohe Auflage. »Möglichst vielen Menschen das Buch bringen«, nannte man das vornehm im Hause Bertelsmann. Mit dem gleichen missionarischen Eifer, mit dem einst Carl Bertelsmann den Verlag gegründet hatte und Menschen bekehren wollte, machten sich Mohn und Wixforth nun daran, das Programm für alle Menschen zu öffnen. Wie üblich gewährte Heinrich Mohn Fritz Wixforth auf diesem Weg große Freiheiten: Er machte ihn zum Programmverantwortlichen, der auch über die Ausstattung und den Vertrieb der Romane bestimmen sollte. Wixforth hatte praktisch freie Hand. Heinrich Mohn konzentrierte sich weiter auf seine Theologie. Wie sollte Bertelsmann an neue Autoren kommen, deren Werke den Wünschen des allgemeinen Sortiments entsprachen? Wixforth hielt Ausschau nach neuen Autoren, hatte nach eigenen Angaben zunächst aber keinen nennenswerten Erfolg. Nüchtern analysierte er die Lage. Dass er keine Autoren fand, hatte Gründe: »Das war verständlich. Die begehrenswerten Schriftsteller und Dichter standen bei den großen schöngeistigen Verlagen unter Exklusivvertrag. Und warum sollten sie auch zu Bertelsmann streben, zu einem Verlag, der zwar ein Begriff war für das theologisch-wissenschaftliche Buch und für das evangelische Erbauungsbuch, nicht aber für die schöne Literatur? Vertrieblich konnten wir überdies überhaupt keine Leistungen nachweisen. Die Autoren hatten also wirklich keine Veranlassung, zu uns zu kommen.«
Das Verkaufsgenie Im ersten Jahr der Tätigkeit als Romanverlag, 1928, hatte Bertelsmann nur das evangelische Sortiment erreicht. Im Jahr darauf, 1929, brachte der Verlag fünf Romane heraus; vier stammten wieder von Autoren des Christlichen Erzählers. Der fünfte war ein Roman des Thüringer Heimatschriftstellers Gustav Schröer mit dem Titel Heimat wider Heimat. Die Geschichte spielt im Biedermeier des neunzehnten 58
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Jahrhunderts: Ein junger Mann kommt als Uhrmachergeselle nach Thüringen. Eine junge Frau verliebt sich in ihn und vermittelt ihm eine Arbeitsstelle beim Uhrmacher des Ortes. Von Beginn an fühlt er sich in dem Ort zu Hause. Der Uhrmacher vermacht ihm seinen Laden. Er heiratet die junge Frau. Irgendwann meldet sich die Mutter des jungen Mannes und will ihn zurück in den Norden holen. Ein Konflikt bricht in die heile Welt und am Ende stellt sich heraus, dass die Mutter auch schon den Vater aus dem Ort geholt hatte, wo sich der Sohn ahnungslos niederließ. Das heißt: Unbewusst wählte er die Heimat seines Vaters zu seiner Heimat. Hinter der Idylle versteckt sich die Blut-und-BodenIdeologie: Sein Blut führt den Sohn zurück in die Heimat des Vaters. Der Roman kostete fünf Reichsmark und sein Verkauf lief recht ordentlich im ersten Jahr. Der Preis war ein wichtiger Punkt der Kalkulation von Mohn und Wixforth. Bertelsmann verkaufte seine Romane durchweg für 4,40 Reichsmark. Das war zu teuer, um mehr als 4 000 bis 8 000 Exemplare abzusetzen. Gewiss, eine Auflage bis zu 8 000 war im Jahr des Erscheinens ein Erfolg. Aber schon im Jahr darauf waren die Titel nicht mehr gefragt. Was konnte man dagegen tun? Fritz Wixforth und seine Mitarbeiter Otto Oeltze und Theodor Berthoud verständigten sich darauf, dass es wichtig sei, für die Bücher im Jahr nach dem Erscheinen einen Vertriebsweg und einen Markt zu finden. Sie sahen zwei Möglichkeiten: Entweder schaffte man es, sich stärker im vorhandenen Markt zu positionieren. Oder man schaffte sich einen neuen Markt, indem man Nichtleser dazu brachte, Bücher von Bertelsmann zu kaufen. Die erste Möglichkeit sahen sie als aussichtslos an – sie hatten es versucht und waren gescheitert. Blieb die zweite Möglichkeit. Und mit dieser Entscheidung im Jahr 1932 war die Entwicklung des Verlags bis weit in die fünfziger Jahre geprägt. Man kann sogar sagen, dass Heinrich Mohn und Fritz Wixforth damit das Fundament für den modernen Bertelsmann-Konzern gelegt haben. Denn bis heute hat das Unternehmen diese einfache, aber geniale Strategie beibehalten und sich stets neue Märkte für die eigenen Produkte geschaffen. Das konnten Mohn und Wixforth damals freilich 59
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nicht ahnen. Wixforth sagte später: »Kein Verlag hat je erfolgreicher als wir mit dem Gedanken aufgeräumt, dass das Buch nur für eine ausgewählte Bevölkerungsschicht da sei.« Mohn und Wixforth wussten nun, wo sie hin wollten. Aber wie würden sie dahin kommen? Schließlich ging es der Konkurrenz nicht anders. Neuerscheinungen waren oft im Folgejahr nicht mehr gefragt. Außer man würde es schaffen, ein Buch im Gespräch zu halten. Man müsste so großes Aufsehen um ein Buch machen, dass auch die Leute, die nicht regelmäßig in die Buchläden gingen, darauf aufmerksam würden und das Gefühl hatten, dass sie dieses Buch lesen sollten. Denn nur wenn der Verlag von einem guten Absatz ausgehen darf, kann er die für einen niedrigen Preis erforderlichen hohen Auflagen drucken. Wie macht man das in einem Zeitalter ohne Talkshows und Computer und Fernsehen? Die Lösung ergab sich auf einer Reise nach Thüringen. Fritz Wixforth und Otto Oeltze wollten dort für ihren Autor Gustav Schröer und dessen Roman Heimat wider Heimat werben. Immerhin spielte das Buch in Thüringen. Dort sollte es am einfachsten sein. Wixforth und Oeltze besuchten deshalb auf ihrer Reise auch den Schauplatz des Romans, das Städtchen Ziegenbrück. Als sie am Marktplatz am offenen Fenster einer Gastwirtschaft saßen und ein Bier tranken, bot sich ihnen ein besonderes Schauspiel: Der Gemeindediener trat auf den Marktplatz, läutete seine Messingglocke und gab amtliche Mitteilungen bekannt. Der Ausrufer war ein kleines verhutzeltes Männlein, das mit seiner Glocke in der Hand gebückt durch die Straßen lief. Auf dem Weg aus der Stadt machten beide noch eine Rast an einem Berghang, von wo aus man auf das Städtchen blickte. Dort hatte Wixforth die Idee, wie man Schröers Roman vermarkten und zugleich einen neuen Markt gewinnen kann. Zunächst sollte das Buch in einer verbilligten Volksausgabe erscheinen. Statt fünf Reichsmark sollte diese Ausgabe nur 2,85 Reichsmark kosten. Voraussetzung war also eine hohe Druckauflage, die aber preiswerter zu produzieren sein müsste. Diese verbilligte Volksausgabe war praktisch der Vorläufer des heutigen Taschenbuchs. Sodann wollte Wixforth das Idyll von Ziegenbrück 60
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für den Buchumschlag nutzen. Dazu zeichnete ihm der Grafiker ein idyllisches Aquarell in grünem und rotem Pastell: Die beiden Liebenden stehen auf einem Aussichtspunkt und blicken, einander zugewandt, auf das Städtchen unter ihnen herab. Der Clou dieser – heute würde man sagen: Marketingkampagne – freilich bestand darin, den Buchhändlern bei der Gestaltung eines ganzen Werbeschaufensters für das Buch mit einer Dekoration des Verlags zu helfen. Dafür würde der Verlag das Motiv des Buchumschlags vergrößern. Auch hierfür ließ Wixforth sich von Ziegenbrück inspirieren. Konnte man nicht den Marktplatz mitsamt dem Gemeindediener aus bedruckten Pappkulissen nachbilden? Man würde Hunderte solcher Kulissen an die Buchhändler verteilen. Damit konnten sie ein ganzes Schaufenster ganz nach ihrem Geschmack dekorieren. In dem Fenster dürfte überhaupt kein anderes Buch liegen. Heimat wider Heimat sollte nicht nur einmal, nicht zwei- oder dreimal, sondern zehnmal oder 20-mal gestapelt liegen. Die große Menge würde den Kunden womöglich die Schwellenangst nehmen. Wer Angst hatte, er könnte den Titel eines Buches falsch aussprechen oder sich als ahnungslos erweisen, der brauchte nun nur sagen, er möchte bitteschön das Buch aus dem Fenster. Die Stapel signalisierten zugleich: Dieses Buch ist für alle da. Man kaufte, was alle kauften. Das Buch sollte ein Produkt für die Massen und nicht mehr nur für eine Elite sein. An diesem Nachmittag in Ziegenbrück hatte Wixforth die Idee des Sonderfensters geboren; einer Werbeform, die es bis dahin nicht gab, die aber bis heute den Buchhandel bestimmt. Als Wixforth und Oeltze nach Gütersloh zurückkehrten, waren ihre Pläne für die Marketingkampagne bereits weit gediehen: Das Motiv des Schaufensters würde man auch für Plakate und Handzettel, für Werbehinweise in Postwurfsendungen und auf Werbedias in Kinos verwerten. Wixforth konnte seine Ideen so gut darstellen, dass Mohn bei der nächsten Besprechung keine Einwände hatte, obwohl der Verlag noch nie so viel Geld für ein einzelnes Buch aufgewendet hatte. Wixforth ließ die Plakate und Kulissen anfertigen und reiste mit ihnen wieder nach Thüringen. Wenn er hier keinen Erfolg mit den Fenstern hatte, dann nirgendwo. 61
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»Mit klopfendem Herzen«, wie er später berichtete, machte Wixforth seinen ersten Besuch im allgemeinen Sortiment bei der Buchhandlung Theodor Körner, um die Wirkung der neuen Idee zu testen. Bis dahin hatte Körner noch nie mehr als vier oder fünf Exemplare einer Neuerscheinung abgenommen. Wixforth präsentierte sein Fenster und Körner war beeindruckt. Er war spontan einverstanden, ein ganzes Schaufenster nur für Heimat wider Heimat freizuhalten. Seine Bestellung ging weit über die zehn oder 20 Exemplare hinaus, auf die Wixforth gehofft hatte. Er bestellte 30 Bücher. Nun war Wixforth beeindruckt. Er konnte sich nicht erinnern, jemals eine so große Zahl von Büchern abgesetzt zu haben. Das war ein toller Erfolg gleich beim ersten Händler. Er wusste nicht so recht, ob er mehr über Körner oder über seine eigene Idee staunen sollte. Immerhin war Körner ein erfahrener Mann, der nichts bestellt, wenn er sich nicht verspricht, es absetzen zu können. Wixforth wollte sehen, ob nicht noch mehr ging. Kurzerhand bot er Körner an, ihm weitere 30 Exemplare des Romans in Kommission zu überlassen. Würden sie sich nicht verkaufen, würde der Verlag die 30 Bücher wieder zurücknehmen. Wixforth machte das Angebot »im Überschwang meines Glücks«, wie er später sagte. Er hatte dieses Vorgehen nicht mit seinem Chef Heinrich Mohn besprochen. Es resultierte aus einer Eingebung im Augenblick der Verhandlungen. Körner war auch damit einverstanden. Ein neues Prinzip von Bertelsmann war geboren: Der Buchhändler erhält für die Hälfte seiner Bestellung Rückgaberecht. Bis zum Kriegsbeginn 1939 behielt dieses Angebot seine Gültigkeit. Es war nicht unumstritten in der Branche. Wixforth behauptete später gar, das Rückgaberecht sei »die wichtigste Voraussetzung für die großen Erfolge, die wir auf dem Gebiet der schöngeistigen Produktion in den kommenden Jahren erarbeiten konnten«. Auf den weiteren Stationen der Reise machte Wixforth so gute Erfahrungen mit seinem neuen Schaufenster, wie er nie zu hoffen gewagt hätte. Die Händler bestellten 100, 150, sogar 200 Exemplare. Er wusste »gar nicht, wo uns der Kopf stand vor lauter Glück«. Die Stra62
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tegie zahlte sich aus: Bis 1931 hat Bertelsmann das Buch zunächst in vier Auflagen 20 000-mal verkauft. Im Börsenblatt meldete der Verlag im September 1929 stolz: »1.– 5. Tausend vergriffen.« Im November meldete man die Auslieferung des 11.– 15. Tausend: »Also bisher wöchentlich 1 000 Stück verkauft.« So ging es weiter. Innerhalb kurzer Zeit verkaufte Bertelsmann 100 000 Exemplare des Romans, der sich als echter Longseller erwies: 1955 druckte Bertelsmann das 778. Tausend. Dank unternehmerischer und marketingtechnischer Innovationen wie Volksausgabe, Sonderfenster und Rückgaberecht war Bertelsmann nun auch beim allgemeinen Sortiment der Durchbruch gelungen. Bertelsmann brachte Bücher, die man gewinnbringend verkaufen konnte. Die Vertriebsleute aus Gütersloh waren wegen ihrer werblichen Hilfe gerne gesehen. Das Rückgaberecht wurde indes nur begrenzt in Anspruch genommen, nur etwa bei rund elf Prozent der Bestellungen. Heinrich Mohn war stolz darauf, »die Werbung bewusst auf die Verkaufspsychologie des Zwischenhandels« abgestellt zu haben. Wixforth verfeinerte laufend die Werbemittel: Im Jahr darauf lieferte er den Händlern dreiteilige Plakate, die in einen Rahmen gespannt werden konnten. Dieser Rahmen war wiederum zusammenklappbar und nahm die gesamte Rückwand des Schaufensters ein. Bertelsmann lieferte alles, was für die Dekoration des Fensters nötig war – von den Reißzwecken bis zum Preisschild. Beigelegt war auch ein Foto, das zeigte, wie man das Fenster aufbauen sollte. Diese Art von Werbung sprach auch Leute an, die für gewöhnlich Buchläden mieden. Das sollte sich insbesondere bei einem späteren Roman über die Schlacht von Verdun zeigen. Heinrich Mohn und Fritz Wixforth hatten erreicht, was sie wollten: Sie hatten einen neuen Markt geschaffen. Früh hatten sie sich entschieden, Marketing und Vertrieb den Vorzug vor Inhalt zu geben. Literaturästhetische Kriterien waren für sie zweitrangig. Sie waren auf einen Massenmarkt aus und konnten das für sich gut begründen. Es galt ja, den einfachen Menschen das Buch zu bringen. Andere Verleger kopierten ihre Methoden und boten ebenfalls ein Rückgaberecht. Aber bei weitem nicht alle hatten damit Erfolg. Viele 63
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von ihnen erhielten ihre Bücher in großen Stückzahlen zurück, die dann in ihren Lagern liegen blieben. Denn die Bücher mussten nicht nur den Weg in die Sortimenter finden. »Entscheidend war allein darauf zu achten, dass diese Mengen auch ihre Käufer fanden«, betont Wixforths Mitarbeiter Berthoud. Erst in der Kombination mit einer erfolgversprechenden Werbung entfaltete das Rückgaberecht seine Wirkung. Werbung war Voraussetzung für den Absatz der großen Auflagen. Bertelsmann hatte das verstanden und überließ fortan die Werbung deshalb nicht mehr dem Zufall oder dem Sortiment.
Das Erfolgsprogramm Nachdem das Sortiment sich den Namen Bertelsmann eingeprägt hatte, wartete es auf Neuerscheinungen aus Gütersloh. Das war genau der richtige Zeitpunkt für eine weitere Neuerung: das »Neuigkeitenpaket«. Auch das entsprang zunächst reiner Notwendigkeit. Denn die wenigen Außendienstmitarbeiter von Wixforth hatten Deutschland zwar unter sich aufgeteilt. Aber sie konnten nie alle Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum besuchen. Zwar bereiste man mehr als 1 000 von ihnen dreimal im Jahr: an Ostern, im Sommer und vor Weihnachten. Aber den größten Teil konnte man nicht auf ähnliche Art betreuen. Damit fehlte der persönliche Kontakt. Man wollte wenigstens etwas tun, um diese Händler über Neuerungen zu informieren: 1 800 Buchhändler erhielten fortan regelmäßig die Neuerscheinungen zugesandt. Weiteren 6 000 Läden, die, obwohl keine Fachgeschäfte, neben anderen Dingen auch Bücher verkauften, schickte man kleinere Pakete. Außerdem versandte Bertelsmann getrennt so genannte persönliche Leseexemplare an die Buchhändler, damit sie die neuen Romane in Ruhe zu Hause lesen konnten. Immerhin umfasste das Programm von Bertelsmann 1932 bereits zehn Romane, dazu sieben Bände einer neuen Reihe namens »Das kleine Buch«. Obwohl der Verlag die Zahl der Titel gesteigert hatte, verfügte Bertelsmann nicht über genügend Romane, um das Potenzial voll aus64
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zuschöpfen. Wixforth glaubte, dass er mit seinen Methoden mehr Titel in den Läden und bei den Lesern unterbringen konnte, als sein Verlag verlegte. Das brachte ihn auf eine neue Idee: Wenn man die eigenen Titel nach einer gewissen Zeit als billige Volksausgaben erfolgreich unters Volk bringen konnte, wieso sollte man das nicht auch mit Titeln von anderen Verlagen versuchen? Immerhin hatte man sich nun mühsam den Kontakt zu den Händlern aufgebaut und sich das Wissen angeeignet, wie man Interesse für die Bücher erzeugt. Nicht jeder Verleger war von der neuen Idee aus Gütersloh begeistert. Lizenzausgaben waren – im Gegensatz zu heute – damals noch nicht gang und gäbe. Aber einige Verleger sahen eine willkommene zusätzliche Einnahmequelle und erteilten Lizenzrechte für ihre Titel. Damit hatte Wixforth bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg – ohne es zu wissen – das Fundament für den Lesering gelegt, dessen Programm ausschließlich auf solchen Rechten aufbaute. Wie Wixforths Marketingideen Verkaufserfolge zeitigten, zeigt sich anhand des Romans Die magischen Wälder von Heinz Gumprecht, den der Verlag 1933 herausbrachte. Eine illustrierte Anzeige im Börsenblatt versprach einen »neuen Typ des Kriegsbuches«: Dunkel sieht man darauf hinter Stacheldraht die Umrisse eines Gefangenen, dahinter bedrohlich ein dichter dunkler Wald. Daneben steht: »Millionen deutscher Soldaten erlebten das heilige Russland. Russische Erde trank deutsches Blut in Strömen, sibirische Steppe erstickte die Flüche der Hunderttausende, die hinter Stacheldraht der Hunger und Typhus dahinraffte … Ein starkes, zeitgemäßes Buch, das uns das drohende Rätsel Asien verstehen lehrt. Den Namen Gumprecht wird ein nationales Deutschland sich merken müssen.« Man verkaufte diesen Roman als »Kriegserlebnisbuch«, konnte jedoch nicht offen mit den wirklichen Erlebnissen des Autors werben. Denn hinter dem Pseudonym Heinz Gumprecht versteckte sich eine Frau namens Friede H. Kraze, die auch unter ihrem richtigen Namen bei Bertelsmann publizierte. Bei einer Frau hätte der Leser allerdings gleich gewusst, dass sie die Männerwelt nicht selbst erlebt haben kann, die sie beschreibt. Die Autorin schildert, wie der Soldat Hansjörg Klinger fliehen kann und in Ost65
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preußen ein Stück Land bebaut. Friede Kraze ging es um »das Schicksal des deutschen Mannes«, wie sie selbst einmal schrieb. Mit Hitler sah sie die Zeit gekommen, da er (der deutsche Mann) »in Gott, Heimat und in der großen, herrlichen Bewegung unserer Zeit und unter dem Führer seine Erfüllung findet«. Die Erstauflage von Die magischen Wälder von 8 000 Exemplaren war schnell vergriffen; man druckte 4 000 Exemplare nach. Wieder galt das Rückgaberecht. Doch diesmal bekam Wixforth die negativen Seiten seines Angebots zu spüren. Er musste schließlich 6 000 Exemplare zurücknehmen und in sein Lager schaffen. Was konnte er mit diesen Büchern machen? Gab es einen Weg, sie doch noch zu verkaufen? Warum blieben die Bücher im Lager liegen? Hatte nicht der Ullstein Verlag aus Berlin mit dem gleichen Thema großen Erfolg? Das vergessene Dorf über Erlebnisse in Sibirien erreichte bei Ullstein immerhin eine Millionenauflage. Von solchen Verkaufszahlen träumte Wixforth. Vielleicht war sein Titel nicht griffig genug? Vielleicht musste man sich an den Erfolg von Ullstein hängen und deutlicher machen, dass es auch in diesem Buch um Sibirienerlebnisse ging? Wixforth griff wieder zu seiner bewährten Methode und veranstaltete einen Wettbewerb. Im eigenen Verlag setzte er einen Preis aus für den besten Untertitel. Ein Korrektor schlug vor, unter Die magischen Wälder zu titeln: »Sibirien – Heimat und Hölle der deutschen Kriegsgefangenen«. Den Grafiker des Hauses beauftragte Wixforth, einen neuen Umschlag zu entwerfen. Der neue Titel und der Umschlag genügten ihm aber noch nicht. Wie machte man die Buchhändler auf das Buch aufmerksam? Man musste das Buch zu einem Begriff machen, ohne den Kaufleuten auf die Nerven zu gehen. Wieder veranstaltete Wixforth einen Wettbewerb, an dem sich diesmal die Mitarbeiter des Buchhandels beteiligen konnten. »Wer schreibt den besten Werbebrief zu diesem Buch?«, lautete die Preisfrage. Seinen Einfallsreichtum als Verkäufer hatte Wixforth bereits bei der Formulierung der Bedingungen für die Teilnahme am Wettbewerb unter Beweis gestellt: Mitmachen konnte nur, wer das Buch zum Sonderpreis von einer Mark erwarb. 66
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Was in dem prämierten Werbebrief stand, war nicht mehr wichtig. Der Zweck war unabhängig vom Inhalt des Briefes erreicht: Alle Mitarbeiter des Sortiments wussten Bescheid über das Buch. Denn Tausende hatten das Buch für eine Mark bestellt, um sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Bereits nach zehn Tagen war das Lager geräumt, und man war die alten Bücher losgeworden. Die Werbebriefe wurden prämiert, die Preise verteilt. Als Die magischen Wälder als billige Volksausgabe erschien, legte Bertelsmann den Brief bei als eines der Werbemittel. Der Aufwand zahlte sich aus: Das Buch erreichte in kurzer Zeit eine Auflage von 600 000 Exemplaren. Der Erfolg mit dem Buch von Gumprecht machte den Regensburger Verlag Kösel & Pustet auf Bertelsmann aufmerksam. Unter dem Titel Professor John abenteuert sich durch hatte auch Kösel & Pustet ein Buch mit ähnlicher Thematik veröffentlicht. Vielleicht lag es an dem etwas erklärungsbedürftigen Titel, vielleicht am fehlenden Marketing, jedenfalls war das Buch kein rechter Erfolg gewesen. Professor John war weder ein Professor noch hieß er John. Das Buch erzählte die Geschichte eines deutschen Kriegsgefangenen, der seine Bewacher mit angeblich übersinnlichen Kräften täuscht, sich dadurch im Lager immer größere Freiheiten verschafft und schließlich fliehen kann. Über China kehrt er zurück nach Deutschland. Geschrieben hatte das Buch der Autor Paul C. Ettighoffer, der bereits bei Bertelsmann publizierte. Da lag es nahe, dass Wixforth die Lizenz erwarb. Er fand die Geschichte nicht uninteressant. Der Titel, den Kösel & Pustet gewählt hatte, erschien ihm allerdings in der Tat nicht sonderlich erfolgversprechend. Also lud er seine Mitarbeiter Theodor Berthoud und Otto Oeltze zu einem Spaziergang durch den Teutoburger Wald ein, um einen griffigeren Titel zu finden. Nach einem Tag an der frischen Luft einigte man sich auf Nacht über Sibirien. Das schuf eine Verbindung zum erfolgreichen Vorläufer. Der Untertitel sollte Spannung erzeugen und das Thema den Lesern in Deutschland näher bringen. Er lautete: »Ein Deutscher entflieht dem Geheimdienst des Zaren.« Als die Volksausgabe 1937 in den Handel kam, war man sich bei 67
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Bertelsmann offenbar sicher, einen weiteren guten Verkaufsschlager im Angebot zu haben: Der Verlag druckte 20 000 Exemplare. Wie gehabt, wurden wieder Sonderfenster eingerichtet, Plakate, Handzettel und andere Werbemittel geliefert. Der Erfolg überraschte aber dann doch: Innerhalb weniger Jahre verkaufte Bertelsmann mehr als 800 000 Exemplare der Volksausgabe. Allem Anschein nach hatte Wixforth einen Weg gefunden, aus jedem Buch einen Bestseller zu machen, indem er es nur richtig verpackte. Fritz Wixforth war mit seinen Verkaufsmethoden seiner Zeit weit voraus: Er wusste, dass Verkaufserfolge nicht zufällig entstehen, sondern gemacht werden, und kann damit als einer der Erfinder des Bestsellers gelten. Dank Wixforth avancierte Paul Coelestin Ettighoffer neben Gustav Schröer zum erfolgreichsten Autor von Bertelsmann während des Dritten Reichs. 1914 hatte sich der Abiturient Ettighoffer als Freiwilliger gemeldet. Er kämpfte an der Ostfront und an der Westfront. Er geriet in französische Gefangenschaft und schlug sich nach seiner Freilassung als Handlungsreisender für alle möglichen Produkte durch. Dann wurde er Journalist und Schriftsteller. Er veröffentlichte 18 Texte, in denen er eigene Kriegserlebnisse in fiktionaler Form verarbeitete. Damit wurde er Bestsellerautor. Auch Erlebnisberichte anderer Soldaten erschienen unter seinem Namen, obwohl er sie lediglich redigiert hatte. Aber sein Name garantierte hohe Auflagen. Ettighoffer trat dafür ein, dass Deutschland seine Kolonien in Afrika zurückerobern sollte. Denn Deutschland brauche ganz einfach Kolonien. Mohn äußerte in einer seiner Schriften eine ähnliche Meinung. Wixforth hatte Bertelsmann auf die Erfolgsspur gebracht. Da war es nur eine Frage der Zeit, bis andere Verlage auf ihn aufmerksam wurden: Paul Ettighoffer, der davon Wind bekommen hatte, schrieb dem Geschäftsführer des Verlags, Steinsiek, einen warnenden Brief: »Man will Ihnen Ihre Werbefachleute ausspannen. Zwei große Berliner Verleger sind wild hinter diesen Herren her … Kurzum, der Verlag Bertelsmann liegt einigen Leuten schwer im Magen, und man will es sich etwas kosten lassen, um diese ›Gefahr aus Gütersloh‹ zu beseitigen …« 68
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Ettighoffer und Wixforth blieben dort, wo sie erfolgreich geworden waren. Sie wiederholten den Erfolg von Nacht über Sibirien und zeigten, dass es sogar noch eine Nummer größer ging. Ettighoffer schrieb ein Buch über die Schlacht von Verdun und nannte das Buch Verdun. Das große Gericht. Der Text basierte auf der These eines Generals, wonach der gewinnen werde, der mehr Blut opfern werde. Wie konnte man das in ein Umschlagbild umsetzen? Der Grafiker des Verlags, Siegfried Kortemeier, entwarf einen Umschlag, mit dem zunächst alle zufrieden waren. Als er in Berlin war, um nach Fotos zu suchen, mit denen sich das Buch bebildern ließ, stieß er auf eine Aufnahme, die betende Soldaten vor einem offenen Grab zeigte. Wixforth und seine Mitarbeiter fanden, dass kein Bild die Tragik des Krieges besser illustrierte. Man verwarf den ursprünglich vorgesehenen Umschlag. Das Bild wurde auch für das Sonderfenster und das Plakat verwendet und erregte das gewollte Aufsehen. Ein Buchhändler aus Magdeburg, der zunächst von einem Sonderfenster nichts hatte wissen wollen, war später doch auf den Vorschlag von Wixforth eingegangen. Dieser Buchhändler berichtete Wixforth, dass eines Tages ein Arbeiter vor seinem Schaufenster gestanden habe. Der Mann stand zehn Minuten da, ging und kam wieder. Noch einmal blieb er einige Minuten nachdenklich vor dem Werbefenster stehen. Zwei Tage später kam eine Frau in den Laden und sagte, ihr Mann sei damals bei Verdun dabei gewesen. Sie habe davon gar nichts gewusst. Aber nachdem er vor dem Schaufenster gestanden habe, habe er stundenlang von seinen Erlebnissen damals erzählt. Den ganzen Abend und die halbe Nacht habe er geredet. Dann habe er sie gebeten, das Buch zu kaufen, sagte die Frau in fast entschuldigendem Tonfall. »Er traut sich nie in eine Buchhandlung.« Ettighoffers Verdun-Roman verkaufte sich bestens: Noch im Sommer und im Herbst 1936 setzte Bertelsmann vier Auflagen mit insgesamt 50 000 Exemplaren ab; im Jahr darauf druckte man fünf weitere Auflagen und erreichte 180 000 verkaufte Bücher. Ettighoffers Buch avancierte zum ersten Buch des Verlags, von dem innerhalb eines einzigen Jahres 100 000 Exemplare verkauft wurden. 69
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Wixforth ruhte sich nicht auf seinen Erfolgen aus, sondern suchte nach weiteren Methoden und Wegen, Bücher zu verkaufen. Er durchforstete die Listen der Händler, die bei Bertelsmann bestellten, und stieß auf einige Firmen, deren Namen ihm nichts sagten. Er fand heraus, dass es sich dabei um Reise- und Versandbuchhandlungen handelte. Wixforth wusste wenig darüber. Immerhin hatten einige von ihnen von einem einzigen Titel zehn und mehr Exemplare geordert. Ein Besuch schien sich also zu lohnen. Vielleicht könnte man ihren Absatz steigern? Wixforths Erwartungen wurden im Gespräch mit den Kaufleuten enttäuscht. Die Bestellungen seien nur Zufall gewesen, weil sich eine Gelegenheit bot. Im Grunde seien die Bücher des Bertelsmann Verlags jedoch nicht lukrativ für den Reise- und Versandbuchhandel, wurde ihm gesagt. Das liege vor allem an den niedrigen Preisen der Volksausgaben von 2,85 bis 4,40 Reichsmark. Was für den Absatz sonst ein Anreiz war, war für diese reisenden Buchhändler ein Grund, nichts zu bestellen. Denn für einen Vertreter, der von Tür zu Tür geht, lohnte es sich nicht, seinen Tag damit zu vergeuden, Billigangebote anzupreisen. Damit verdiene er nichts, wurde dem Mann aus Gütersloh gesagt. Reisevertreter tätigen nur wenige Abschlüsse an einem Tag. Deshalb aber muss jeder dieser Abschlüsse ein teures Buch beinhalten. Bei Versandbuchhändlern ist die Situation ähnlich: Sie werben mit Katalogen und Prospekten bei Privatleuten und bei Betrieben und Behörden. Auch für sie ist es reizvoller, einen guten Abschluss zu tätigen als viele Kleinkunden betreuen zu müssen. Da der Aufwand an Zeit und Arbeit gleich ist, verkaufen sie lieber Bücher, die keine fünf, sondern 50 Mark kosten. Dies sind dann keine einzelnen Romane, sondern Nachschlagewerke, für die man Ratenzahlung anbietet. Dass sich eine Ratenzahlung hinziehen kann, ist dem Vertreter egal. Unabhängig von der Art der Zahlung erhält er eine Provision des Kaufbetrags. Wixforths Bemühungen um billige Bücher waren bei diesen Leuten also nicht sehr gefragt. Je erfolgreicher er war in seinem Bemühen, den Preis zu senken, um bei den Kunden anzukommen, umso uninteressanter wurden seine Bücher für die Reisevertreter. 70
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Wixforth vernahm mit Interesse, dass ein Buch mindestens 20 bis 30 Mark kosten müsse, um auf diesem Vertriebsweg angeboten zu werden. Für diesen Preis hatte er nichts im Programm. Aber so schnell wollte er nicht aufgeben. Wenn man mit einem einzelnen Buch von Bertelsmann nichts anfangen kann, warum dann nicht mehrere Werke auf einmal zu einem höheren Preis anbieten? So wie ein Lexikon mehrere Bände umfasst, so könnte man doch ähnliche Titel oder Romane des gleichen Autors zu einer Reihe bündeln, die einen höheren Preis rechtfertigt. Um deutlich zu machen, dass es sich um Bücher handelt, die zusammengehören, könnte man sie in eine gemeinsame Verpackung stecken – eine Kassette. Damit hatte Wixforth die Idee der Romankassetten oder der Buchpakete geboren. Er sprach mit Heinrich Mohn. Der war angetan, aber nicht ganz überzeugt. Würde man damit nicht einfach den Umsatz vieler einzelner Bücher auf Buchkassetten verlagern? Dann hätte man zwar einen neuen Vertriebsweg mit höheren Provisionen, deswegen aber noch lange keine höheren Umsätze. Dann wäre er gegen diese Idee. Nur wenn die klassischen Umsatzbringer davon nicht beeinträchtigt sein würden, wollte er es gerne auf einen Versuch ankommen lassen. Mohn fragte, ob man mit einem Zusatzumsatz rechnen dürfe und wenn ja, mit wie viel? 150 000 Reichsmark? Wixforth versicherte ihm, dass diese Hausnummer realistisch sei und machte sich an die Arbeit, seine neue Idee umzusetzen. Der Reisebuchhandel nahm wohlwollend zur Kenntnis, wie Wixforth sich seiner Probleme annahm. Bislang hatten die Händler oft nur das genommen, was Verlage verramschten, und daraus Reihen gebaut. Auch Bertelsmann hat offenbar bereits 1936 alte Bücher auf diesem Weg verramscht. Das Angebot der Reisebuchhändler war deshalb nicht aktuell. Nun aber konnten sie mit den Neuerscheinungen in den Buchläden konkurrieren, statt als Resteverwerter zu gelten. Sie hatten das Gefühl, dass durch Wixforths Angebot ihr Ansehen in der Branche und bei den Kunden stieg. Sie besserten ihre Umsätze auf und damit ihre Provision. Auch für Wixforth war die Zusammenarbeit mit den Reisebuchhändlern ein Erfolg, und das in mehrfacher Hinsicht: Die 71
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erste Kassette erschien 1937. Sie umfasste unter dem Sammeltitel Unsterbliche Front fünf Bücher, die »vom Heldengang des deutschen Volkes im großen Kriege« erzählten: Eine Armee meutert, Nacht über Sibirien, Gespenster am Toten Mann und Verdun. Das große Gericht von P. C. Ettighoffer und U-Boote am Feind von Werner von Langsdorff. Ende des Jahres rechnete Heinrich Mohn seinem Vertriebschef vor, wie erfolgreich die Kassetten waren. Er sah seine Erwartungen weit übertroffen. Statt der erhofften 150 000 Reichsmark Mehrumsatz nahm Bertelsmann das Vierfache zusätzlich ein: 600 000 Mark. Diese Summe entsprach einem Viertel des gesamten Verlagsumsatzes. Bis zum Kriegsbeginn 1939 bot Bertelsmann in den nächsten beiden Jahren acht weitere Kassetten an, die es auf eine Gesamtauflage von 138 000 Exemplaren brachten. Jede der Kassetten enthielt fünf Bücher. Somit konnte Bertelsmann mit Hilfe der Kassettenidee 690 000 Bücher mehr absetzen. Ein Viertel des Gesamtumsatzes! Das war ein unglaublicher Erfolg. Aber die Auswirkungen dieser Idee auf den Aufstieg von Bertelsmann sind kaum zu überschätzen. Indem man Bücher, die man ohnehin druckte, neu verpacken ließ, hatte man nicht nur einfach einen neuen Vertriebsweg beschritten, sondern einen wichtigen Schritt in die Richtung getan, die das Unternehmen nach dem Krieg groß machte: die Gründung des Leserings. Ob es die konsequente Produktion von Volksausgaben, die Werbung in Schaufenstern, das Ausschöpfen des Markes durch Lizenzausgaben oder schließlich die Zusammenstellung der Bücher in Kassetten war, Wixforth nahm von allen Seiten Anregungen auf: von Kunden, von Buchhändlern, von Kaufleuten. Das Geschick von Wixforth bestand darin, allen zu helfen, mehr Bücher zu verkaufen – ohne einem von ihnen etwas wegzunehmen. Als Deutschland den Zweiten Weltkrieg auslöste, wurde auch im Programm des Bertelsmann Verlags das Hohe Lied des deutschen Heroismus gesungen. 1938 hatte man noch das acht Jahre zuvor erschienene Buch Wir fahren den Tod von Thor Goote nachgedruckt, in dem die deutschen Soldaten nicht nur als tatsächliche, sondern auch als moralische Verlierer aus dem Geschehen des Ersten Weltkrieges her72
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vorgehen. Keine Rede war da von nationaler Erneuerung. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges sah der Autor Thor Goote die Welt offenbar mit ganz anderen Augen: 1940 erschien sein Erzählband Glühender Tag. Männer in der Bewährung, in dem er die deutschen Soldaten ausnahmslos als todesmutig und heroisch schildert und Deutschland »wiedererwacht« nennt. Die Historikerkommission wertet das Buch als »ein Werk reiner Kriegspropaganda«. Es wird da die immer gleiche Geschichte erzählt: Deutsche Soldaten schlagen sich nach dem verlorenen Krieg durch in die Heimat und vegetieren dort dahin unter einer Politik, die sie vergessen hat – bis Hitler endlich kommt und ihnen die Ehre wiedergibt, die sie im Ersten Weltkrieg wegen des Versagens der damaligen Politik verloren haben. Klug vorausschauend steckte Heinrich Mohn bereits während der Krisenzeit Anfang der dreißiger Jahre erhebliche Mittel in den Verlag, der 1938 dreieinhalb Mal mehr produzierte als 1930. So richtig begann der Aufstieg des Unternehmens nach 1935. Wesentlich dazu bei trug die Produktion der Kriegsbücher. 1938 bis 1941 machten derartige Titel drei Viertel der gesamten Produktion aus. In diesen Jahren gab es einen regelrechten Boom: Einerseits sanken die Personalkosten. Für weniger Lohn arbeitende Frauen ersetzten ihre Männer. Zugleich sanken die Ausgaben für die Werbung: Der Markt schuf sich von selbst, denn mehr und mehr produzierte Bertelsmann für die Front. Heinrich Mohn hatte diesen Markt schon bei Ausbruch des Kriegs erkannt. Zunächst druckte er eine Bibel in einem neutralen Umschlag für die Soldaten, die sie unauffällig und ohne sich dem eventuellen Spott ihrer Kameraden auszusetzen benutzen konnten. Später stieg man vollständig auf den Druck von Kriegsliteratur um. Die Werbung zielte hauptsächlich darauf ab, den daheim gebliebenen Angehörigen nahe zu bringen, wie wichtig es doch sei, ihren Verwandten draußen im Feld ihre Grüße mit einem Büchlein zu übermitteln, das die Feldpost transportierte. Nicht nur der NSDAP-eigene Eher-Verlag in München, auch Bertelsmann handelte schnell. Johannes Banzhaf hatte unmittelbar nach Beginn des Polenfeldzugs vorgeschlagen, »Feldausgaben« für die 73
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Front herauszubringen. Dazu nahm man die gängigen Titel und verpasste ihnen einen Kartonageneinband statt des Leineneinbands. Sie kosteten anfangs nur 1,50 Reichsmark, später wurde der Preis sogar auf 1,20 Mark gesenkt. Wixforth dachte auch dabei an die Werbung und ließ feldpostmäßig verpackte Pakete in die Schaufenster legen. Die Feldpost verpackte die Bücher kostenlos. Die Wehrmacht war nun der neue große Kunde von Bertelsmann. Während Wixforth, der einrücken musste, wie besessen Strategien für den Absatz entwarf, besprachen die Lektoren Banzhaf und Dessin die nötigen Dinge mit den Behörden. Nachdem die Vertriebswege gesichert waren, passte Mohn die Strukturen des Unternehmens der neuen Realität an und machte die Herstellung zur wichtigsten Abteilung des Unternehmens. Der Absatz war gesichert. Nun musste man produzieren, was ging. Zu Weihnachten 1943 konnte Heinrich Mohn seinen Mitarbeitern mitteilen, wie sehr »unsere Feldbucharbeit geschätzt wird«. Deshalb sei Bertelsmann »eine besonders große Papierzuteilung durch den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda überwiesen« worden. Weil Unternehmen Gewinne, die sie dem Krieg zu verdanken hatten, teilweise abführen mussten, spielte Heinrich Mohn die Erfolge herab und versuchte, sie als Ergebnis einer langfristig angelegten Strategie zu verkaufen. Die Historikerkommission dagegen betont, Heinrich Mohn habe gegenüber den Behörden die tatsächliche Entwicklung des Unternehmens zu seinem Vorteil verzerrt dargestellt: »In Wirklichkeit nämlich waren die belletristischen Erfolge von 1941 keineswegs das späte, aber notwendige Ergebnis seiner konsequenten 20-jährigen Strategie. Der rapide kommerzielle Aufstieg des Verlags begann 1934 mit den Kriegsbüchern und somit mit einer Produktlinie, die wenig gemein hatte mit den 1919 erworbenen erbaulichen Blättchen und dem aus ihnen erwachsenen Romanverlag.«
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4. »Heil Bertelsmann!« Ein Verleger zwischen Gott und »Führer«
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er 1. Juli 1935 war ein schöner Sommertag in Gütersloh. Das Verlagsgebäude in der Bahnhofstraße war an diesem Tag feierlich geschmückt für das 100-jährige Firmenjubiläum. Zur Straßenseite hin hingen zwei Fahnen vor dem Druckereigebäude. Die Hakenkreuze darauf waren weithin zu sehen. An der Stirnseite des Festsaals prangte ein Porträt des Reichsführers Adolf Hitler. »Tannengrün und Sommerblumen haben Treppenhaus und Druckereisaal des Betriebsgebäudes in der Bahnhofstraße in einen festlichen Hain verwandelt, der der würdigen Morgenfeier, in der das Haus C. Bertelsmann seiner 100-jährigen Geschichte, seiner Begründer und Lenker gedenkt, den äußeren gleich gestimmten Rahmen gibt«, schrieb eine Lokalzeitung. »Blitzblank stehen die Schnellpressen und Tiegel unter den Fahnen des Dritten Reichs und dem Bilde des Führers inmitten der festlich gekleideten Betriebsgefolgschaft. Durch die Fenster spielt verloren die Sommersonne über blitzenden Kolben und Schildern.« Als Verleger Heinrich Mohn mit seiner Frau Agnes und ihren sechs Kindern Hans Heinrich, Ursula, Sigbert, Annegret, Reinhard und Gerd den Festsaal betraten, spielte der Posaunenchor des EvangelischStiftischen Gymnasiums »Dir Jehova will ich singen«. Heinrich Mohn hielt eine Rede und zitierte ganz zu Beginn das Psalmwort, das Verlagsgründer Carl Bertelsmann – sein Urgroßvater – als erstes Werk auf seiner Presse vervielfältigt und zum Leitspruch der Druckerei gemacht hatte: »Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehren einziehe. Wer ist derselbe König der Ehren? Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.« 75
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Heinrich Mohn bedankte sich bei allen seinen Mitarbeitern mit der Festschrift Carl Bertelsmann. Ein Bild seines Lebens. Das rund 100 Seiten umfassende Büchlein hatte er selbst verfasst. Auf einer der letzten Seiten resümiert er: »Der Wille, den Verlag im Geist der Väter fortzuführen, ist vorhanden. Der Erfolg liegt in Gottes Hand.« In seiner Rede kündigte er seinen Mitarbeitern an, die Invaliden-, Witwen- und Waisenrente für ein Jahr zu verdoppeln. Dann sang die Festgemeinde zu Posaunenklängen das Deutschlandlied und das Horst-Wessel-Lied. Heinrich Mohns Schwager und Stellvertreter, Gerhard Steinsiek, brachte ein »Sieg Heil« auf den »Führer« aus. »Evangelische Tradition und nationalsozialistische Gebräuche waren bei C. Bertelsmann eine feierliche Verbindung eingegangen«, schrieb die Bertelsmann-Historikerkommission in ihrer Studie und betonte, dass bei dem Fest jedoch nicht alle nationalsozialistisch gebräuchlichen Formen gezeigt wurden: Niemand sei in Parteiuniform erschienen, Hakenkreuz-Armbinden waren nicht zu sehen. Womöglich trugen die Herren dezente NSDAP-Anstecknadeln auf ihren Anzügen. Jedenfalls verliefen Nachmittag und Abend der Jubiläumsfeier betont unpolitisch. Heinrich Mohn und Bertelsmann hatten allen Grund zum Feiern, hatten sie doch in den Jahren vor dem Jubiläumsjahr zwei schlimme Krisen überwinden müssen. Dazu lud der Verleger nach einer Gedenkminute am Grab von Carl Bertelsmann die Belegschaft und andere Gäste zu einem Gartenfest in »Mohns Park«. Die Gäste trafen sich zu Kaffee und Kuchen in einem mit Girlanden aus Eichenlaub geschmückten Festzelt. Anschließend traten Mitarbeiter des Verlags auf und spielten Figuren aus Romanen in einem Stück, das sie selbst geschrieben hatten. Beim Abendessen ersetzte Apfelsaft den im Hause Mohn verpönten Wein. Statt des Alkohols sorgte Gesang für Stimmung. Als es dunkel wurde, zeigten Mitarbeiter einen Film, den sie selbst gedreht hatten. Thema: Wie entsteht ein Buch? Bis um Mitternacht saß man beisammen. Die Feier endete mit einer Polonaise der Mitarbeiter, die dabei bunte Lampions trugen. »Märchenhaft war das Bild der 300 schwankenden Lichter, die sich durch die Nacht bewegten und sich im Teich widerspiegelten«, schrieb die Gütersloher Zeitung. »Jeder Teilnehmer 76
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ging mit der dankbaren Freude im Herzen nach Hause, Glied solch einer Betriebsgemeinschaft sein zu dürfen.« Zum Zeitpunkt der Jubiläumsfeier gehörte »Mohns Park« bereits der Stadt. Der Name blieb jedoch erhalten und erinnert daran, dass der Park einst in Familienhand und für die Öffentlichkeit gesperrt war. Nur der Hitler-Jugend, der auch alle Mohn-Kinder angehörten, war der Zutritt erlaubt. BDM-Mädchen und HJ-Jungen hielten auf dem Gelände ihre Freizeiten ab. Das »HJ-Heim Mohns Park« wurde im Zweiten Weltkrieg »Antreteplatz«. Auf dem 38 000 Quadratmeter großen Areal wurde der Nachwuchs militärisch ausgebildet. Ob Heinrich Mohn die Mitgliedschaft seiner Kinder in NS-Jugendorganisationen aktiv unterstützt hat, weiß man nicht. Zumindest spendete er für den Bund Deutscher Mädel, das Nationalistische Fliegerkorps und die Flieger-HJ. Heinrich Mohn selbst war Mitglied in der Reichsschrifttumskammer. Als Verleger war das für ihn Pflicht. Darüber hinaus wurde er förderndes Mitglied der SS, wenngleich man nicht weiß, wie viel er der SS spendete. Allerdings war er nie Mitglied der Partei. Seine Mitarbeiter interpretierten Heinrich Mohns Verhalten während der NS-Zeit wohlwollend: Der Verleger tat in ihren Augen das Notwendige, um seine christlichen Schriften möglichst unbehelligt von der Zensur herausbringen zu können und damit ihre Arbeit zu sichern. Bereits im August 1933 war Bertelsmann als eines von 16 lokalen Unternehmen für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ausgezeichnet worden. »Ich ehre Hindenburg und wähle – Hitler.« Mit diesen Worten hatte im Jahr davor einer der wichtigen Autoren von Heinrich Mohn, Johannes Kuhlo, öffentlich unverhohlen seine Sympathie bekundet. Bereits 1933 schrieb der »Posaunengeneral« auf eigene Initiative hin Posaunen-Noten für das Horst-Wessel-Lied. Er arrangierte das Lied vierstimmig, damit die bei Protestanten sehr beliebten Posaunen dieses SA-Kampflied spielen konnten. Heinrich Mohn selbst wird seine Mitwirkung am großen Ganzen auf ähnliche Weise gerechtfertigt haben wie seine Mitarbeiter. So wie sein Urgroßvater einst die Druckerei gründete, um dem Glauben zu 77
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dienen und sein Unternehmen aufzubauen, so zeigte sich Heinrich Mohn den Nazis gleichzeitig distanziert und wohl gesonnen, um Gott weiter dienen zu können. Die Gratulanten zur 100-Jahrfeier spiegelten die Atmosphäre in der Firma. Kaum eines der rund 100 Gratulationsschreiben bekundete offene Sympathie mit den neuen Machthabern. Man machte mit, um sich selbst treu zu bleiben. Eine Buchhandlung aus Breslau ließ sich eine besondere Variante einfallen, die dies – gewollt oder nicht – auf ironische Art zum Ausdruck brachte. Statt »Heil Hitler« grüßte der Buchhändler Gerhard Kauffmann mit: »Heil Bertelsmann!« Die Gäste in »Mohns Park« feierten das Jubiläum im Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen. Mochten vor dem Betrieb auch Hakenkreuzfahnen hängen, sie waren sich einig, dass man das tun musste, um in Ruhe gelassen zu werden. War man unter sich, stimmte die Gesinnung: Bei der Feier in Mohns Park wehte »keine NS-Flagge über dem Platz, kein Hakenkreuzgeschrei störte die Feier«, stellte der Mitarbeiter Theodor Berthoud beruhigt fest. Mohn blieb der evangelischen Kirche zugewandt, wusste aber zugleich, mit den Nazis umzugehen. In einer Grußkarte hatte er seinen 150 Mitarbeitern bereits zur Jahreswende 1933/34 nicht nur für ihre Treue gedankt, sondern ihnen auch einen Rat gegeben, wie man die Zukunft gemeinsam meistern werde: »Ein neues Volk, ein neuer Staat stellen auch uns vor neue Aufgaben im neuen Jahr. Deshalb lassen Sie uns auch weiterhin im gemeinsamen Schaffen unserm Volk dienen.« Seine eigene Auffassung von Gemeinschaft, die im Glauben ihre Wurzeln hatte, dehnte er in den dreißiger Jahren auf die Ideen der Nationalsozialisten aus. Als die Deutsche Arbeitsfront, die größte Massenorganisation im Dritten Reich, ab 1936 den »Leistungskampf der deutschen Betriebe« ausrief, waren ihre Bemühungen Heinrich Mohn durchaus willkommen. Als er sein Unternehmen im Jahr darauf zu dem Wettbewerb anmeldete, betonte er die Gemeinschaft: »Immerhin darf ich darauf aufmerksam machen, dass meine Firma schon unter den früheren Inhabern, aber auch unter meiner eigenen Leitung stets Grundsätze der Betriebsgemeinschaft angestrebt und verwirklicht hat, 78
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die den Gedanken der heutigen nationalsozialistischen Betriebsgemeinschaft nahe stehen.« Zum Geburtstag des Führers und anderen Tagen, die den Nazis wichtig waren, ließ er die Mitarbeiter zum Appell antreten. Damit kam er der Forderung der Arbeitsfront nach, wonach solche Appelle der allgemeinen Erbauung dienten. Manchmal wartete Heinrich Mohn aber auch gar keinen Nazi-Feiertag ab, sondern ließ die Mitarbeiter antreten, um ihnen Führerworte vorzutragen. Die Mitgliedschaft in der Arbeitsfront und die Orientierung an ihren Prinzipien war gewünscht, aber keiner wurde gezwungen, sie zu befolgen. Heinrich Mohn ging weiter, als er musste, als er seinen Betrieb freiwillig nach ihren Maßstäben führte. Mohn nutzte den Wettkampf um den nationalsozialistischen »Musterbetrieb«, um Bertelsmann zu modernisieren und zu erweitern. Gegenüber der lokalen Bauaufsicht rechtfertigte er einen Erweiterungsbau mit dem Hinweis auf die zunehmende Rolle des Verlags für die Produktion von Büchern und Exporte ins Ausland, die freilich vor allem in besetzte Gebiete gingen. Setzerei, Druckerei und Binderei wurden erweitert. Heinrich Mohn kümmerte sich persönlich um die Details. Am 12. August 1937 erfolgte der erste Spatenstich. Bei der Grundsteinlegung lobte Heinrich Mohn im Rahmen einer kleinen Feier die »zielsichere Führung unseres Führers«. Seine Mutter Friederike Mohn stand neben ihm, als er sagte: »So danken wir es auch ihm, dass wir diesen Bau ausführen dürfen. Gott lasse es ihm weiter gelingen, dass wir in Ruhe und Frieden unserer Arbeit nachgehen und unser Brot haben.« Wenige Monate später konnte im November bereits Richtfest gefeiert werden, ein Jahr später war der Erweiterungsbau vollendet. Hatte der Betrieb 1933 noch 153 Mitarbeiter, so zählte er fünf Jahre später 335 Mitarbeiter – mehr als das Doppelte. Bei der Einweihung des Baus im Frühjahr 1939 waren es bereits mehr als 400. Bertelsmann folgte den Nazi-Prinzipien dennoch nicht in dem Maße, wie Miele es tat, das Vorzeigeunternehmen von Gütersloh, das mit 2 000 Mitarbeitern damals noch weit größer war als Bertelsmann. 79
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Miele hatte als erstes Unternehmen der Stadt seinen Mitarbeitern den Hitler-Gruß bereits 1935 verpflichtend vorgeschrieben. Heinrich Mohn war kein Eiferer, was die Politik der Nazis betraf. Aber er wusste die politische Stimmung für eigene Zwecke zu nutzen: »Auffallend ist die zeitliche Koinzidenz zwischen der technischen Modernisierung, dem ökonomischen Erfolg und der Orientierung des Unternehmens an den Grundsätzen der nationalsozialistischen Arbeitsverfassung«, betont die Historikerkommission. »Mohn verstand das Konzept der Deutschen Arbeitsfront zum einen als Chance zu betrieblichen Innovationen. Er erachtete es zum anderen aber auch als Bestätigung seiner eigenen Auffassung vom Dienst an der Gemeinschaft.« Das Jubiläumsjahr 1935 war somit auch ein wichtiges Jahr für eine Neuausrichtung des Verlagsprogramms. Als Heinrich Mohn einen Lektor suchte, brachte Theodor Berthoud den Namen Gustav Dessin ins Spiel. Dieser wurde dann auch verpflichtet, obwohl er sich bald als Verehrer von Hitler erwies. Dessin war Mitglied der NSDAP und pries den Führer mit unverhohlener Begeisterung. Bereits zwei Jahre vor dem Jubiläum hatte der Christliche Erzähler mit dem Abdruck der Geschichte »… und setzet ihr nicht das Leben ein« von Emil Uellenberg begonnen, den neuen Zeitgeist zu verbreiten. Uellenbergs Protagonist Albert Leo Schlageter war wegen seines Kampfes gegen die Franzosen von den Nationalsozialisten zum »ersten Märtyrer des Dritten Reiches« verklärt worden. Hatte der Christliche Erzähler bis dahin vor allem Geschichten erzählt, so erschienen nun auch kleinere Kommentare. Der Autor Will Vesper dichtete: »Ein jeder Soldat den Posten hält, / auf den sein Führer ihn gestellt.« Schriftleiter Reinhold Braun und der Verlag kündigten im selben Heft 1935 an, künftig »christliches Glaubensgut in weiteste Kreise hineinzutragen, die bisher an der Zeitschrift wissentlich vorübergingen«. Man werde die Zeitschrift deshalb in Der lichte Weg umbenennen und mehr »Mannigfaltigkeit« anstreben. Die »Halbmonatsschrift für Geist und Gemüt« beschäftigte nun nationalsozialistische Autoren und versuchte sowohl Völkisch-Nationales sowie Christliches anzubieten. Aber offensichtlich lockte die Mischung nicht genügend Leser. Des80
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halb wechselte der Verlag 1937 noch einmal den Namen und den Herausgeber: Nun bemühte sich Gustav Dessin, der seit zwei Jahren Cheflektor bei Bertelsmann war. Er nannte den Titel Frohes Leben und griff selbst zur Feder: Unter der Überschrift »Der neue Tag« schrieb er in der zweiten Nummer: »Ein Volk ist erwacht und sieht sich in großer Wende.« Auf der rechten Seite neben dem Text ist Adolf Hitler seitengroß abgebildet. Dessin dichtete: »Das ist Aufbruch und Umbruch und ist wie Mannschaft im Marsch! Führer und Stab marschieren mit! Sie gebieten, was ihnen geboten. Das weiß jeder, und darum folgen alle … Gebückter Gruß galt gestern, vorwärts und – aufwärts werfen sich jetzt die Hände und grüßen das Neue.« In einer anderen Nummer heißt es unter einem Bild des Führers: »Volk ist Gefolgschaft.« Zum Kriegsbeginn schrieb Dessin: »Was auch kommen mag – Deutschland steht unerschütterlich. Führer und Volk sind eins, und an dieser Einheit wird jeder Feind zuschanden werden.« Diese Parolen illustrierten Fotos mit »Kraft-durch-Freude«-Motiven. Zwar war die Zeitschrift trotz all der Anbiederung kommerziell nicht sonderlich erfolgreich. Aber über diese Publikation kamen belletristische Autoren zum Verlag. Die Zeitschrift durfte bis März 1943 erscheinen und damit länger als alle anderen Hefte, die der Verlag herausgab.
Die Reichspogromnacht in Gütersloh In den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 wurden Leopold Herzberg und seine Frau von einem Wachmann der Wach- und Schließgesellschaft geweckt. Die Schaufenster von Herzbergs Haushaltswarengeschäft seien beschmiert, sagte der Mann. Auf die Schaufenster des Ladens in der Königstraße 12 hatte jemand »in riesengroßen Lettern mit Ölfarbe das Wort ›Jude‹ geschrieben«, wie Herzberg in seinen Erinnerungen notierte. Zusammen mit seiner Frau machte er sich sofort an die Arbeit und versuchte, die Schmierereien zu entfernen. Die beiden Fenster an der Königstraße waren die letzten, die sie noch zu reinigen hatten. Sie hatten eben damit begonnen, als sie etwa 81
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40 schwer bewaffnete Männer in Uniform um die Ecke des Rathauses in die Königstraße einbiegen sahen. Was dann folgte, spielte sich »in einer ungeheuren Geschwindigkeit ab«, schrieb Herzberg. »Bevor wir überhaupt wussten, was geschah, waren die Leute … heran, um uns begann ein Klirren und Krachen und Bersten, das mir manchmal heute noch in den Ohren klingt. Zur gleichen Sekunde und in einer unglaublichen Schnelligkeit wurden die sechs Schaufenster und die Scheiben der übrigen Fenster und Haustüren an beiden Seiten des Eckhauses König-Moltke-Straße eingeschlagen. … Und nun begann ein Zerstörungswerk, wie ich es nie, auch im Kriege nie gesehen habe. Inzwischen hatte man uns abgedrängt und uns befohlen, uns auf der Polizeiwache in Schutzhaft zu melden. Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, da rief meine Frau: ›Nein, ich lasse meine Kinder nicht im Stich.‹ ›Was, da sind noch Menschen im Haus?‹ Schnell rannten wir zurück, im Vorbeirennen sahen wir, wie die Hunde alles in Stücke schlugen.« In Panik holten die Herzbergs die Kinder und die alte Mutter aus dem Haus. Sie ahnten nicht, dass SA-Mann Fritz Wagner, der mit ihnen bereits über einen Kauf der Wohnung verhandelt hatte, bei den Übergriffen im Hintergrund eine Rolle spielte. Bei einem SS-Führer hatte er darauf gedrungen, dass die Nazis nur die Innenausstattung, nicht aber die Wohnung zerstörten. Die Eheleute Herzberg mussten die Spuren der Verwüstung selbst beseitigen. Die Männer zwangen sie, die Scherben einzusammeln und die Straße zu reinigen. Männer der SS standen herum und sahen ihnen dabei zu; andere, die gerade vorbeifuhren, sprangen aus dem Auto und verprügelten den Mann. Dann – es war inzwischen 5.30 Uhr – wurde er auf die Wache ins Rathaus gebracht. Dort hatte man inzwischen fast alle jüdischen Männer zusammengetrieben. Rund 50 Juden lebten in Gütersloh. Aufgrund der jahrelangen antijüdischen Hetze hatten etliche bereits ihre Geschäfte aufgegeben und sich entschlossen, auszuwandern. In den Lokalzeitungen konnten die Gütersloher lesen, wie einer nach dem anderen der Stadt den Rücken kehrte. Die Zeitungen meldeten das freilich nicht in trauriger Tonlage, 82
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sondern berichteten stolz, dass die Gebäude nun »in arischem Besitz« seien. Den neuen Eigentümern schienen die Umstände des Besitzerwechsels keine Probleme zu bereiten. Im Gegenteil: »Ein altes Haus bekommt einen neuen Herren!«, inserierte Familie Wiesenhöfer, als sie 1937 das Kaufhaus der jüdischen Familie Gottschalk übernahm. »Mit diesem neuen Namen«, verkündeten die neuen Eigentümer freudig, »zieht dann auch ein neuer Geist in dieses Haus.« Das Pogrom in der Nacht vom 9. auf den 10. November war der Höhepunkt der Hetze gegen die Juden. In den Morgenstunden des 10. November kursierte unter den inhaftierten Juden die Nachricht: »Jetzt brennt Daltrop.« Gemeint war das Haus der Familie Daltrop, die Bürowaren verkaufte. Das Haus lag an prominenter Stelle in der Stadt, an der Ecke Berliner Straße/Dalkestraße. Es bildete zusammen mit den Häusern der Familie Löwenbach und einem weiteren in nichtjüdischem Besitz befindlichen Haus ein denkmalgeschütztes Ensemble. Aber Denkmalschutz war in diesen Stunden nicht von Belang. Die Straßenführung ist an dieser Stelle schwierig, und die Feuerwehr hatte Probleme. Wegen der engen Straße erhielten die Feuerwehrleute Anweisung, nur das Nötigste zu tun, um den Brand zu löschen. Das Nötigste hieß: nur sicherstellen, dass die Flammen nicht auf die Nachbarhäuser übergreifen und sie in den Großbrand mit hineinziehen. Die Häuser der Juden sollten ruhig abbrennen. Der SS war bekannt, dass sie denkmalgeschützt waren. Aber es gibt Vermutungen, dass die Brandstiftung lange geplant war, denn angeblich war die Stadtverwaltung daran interessiert, eine bessere Verbindung zwischen dem Luftwaffenstützpunkt und der Reichsautobahn zu schaffen. Schaulustige sahen zu, wie die Häuser abbrannten. Die Familie Daltrop rettete sich unbemerkt durch einen Hinterausgang. Übrig blieb ein verkohlter Balken, der für die Familie Mohn und Bertelsmann große Bedeutung hatte. Das Haus der Familie Löwenbach war nämlich das Gründerhaus des Verlags C. Bertelsmann. Der Gründer hatte in den Balken seinen Leitspruch schnitzen lassen. Das Haus brannte ab, aber der Türbalken blieb erhalten. Einige Gütersloher 83
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Bürger brachten den Balken in Sicherheit und übergaben das Erinnerungsstück der Familie Mohn, den ehemaligen Besitzern des Hauses. Was Heinrich Mohn in der Nacht des Pogroms sagte oder dachte und wie er darauf reagierte, ist nicht überliefert. Fest steht, dass sich Bertelsmann und Heinrich Mohn nicht wie viele andere Gütersloher an den Besitztümern geflohener Juden bereicherten.
Auseinandersetzungen mit der Reichsschrifttumskammer Eine Richtlinie der Reichsschrifttumskammer in Berlin machte Heinrich Mohn im Frühjahr 1939 große Sorgen. In der »Amtlichen Bekanntmachung Nr. 133« hieß es am 31. März 1939: Unternehmen, »die sich in der Hauptsache in den Dienst einer bestimmten, nicht Gedankengut der Gesamtheit des deutschen Volkes bildenden Weltanschauung, eines religiösen Bekenntnisses oder einer ihren Zwecken dienenden Einrichtung stellen«, müssen diese »Zielsetzung in ihrer Firma eindeutig und für jeden klar erkennbar zum Ausdruck bringen«. Weiter hieß es in Paragraf sechs: Unternehmen, auf die dies nicht zutreffe, »dürfen sich nicht in den Dienst« einer solchen »Sonderaufgabe« stellen. Welche Folgen hatte dies für Bertelsmann? Einige Wochen später erläuterte die Reichsschrifttumskammer: »Ein Verlag stelle sich in den »Dienst eines religiösen Bekenntnisses«, wenn er »schöngeistiges, populär-wissenschaftliches oder wissenschaftlich-theologisches ReligionsSchrifttum« verlegt. Die Reichsschrifttumskammer ließ in ihren Erläuterungen keinen Zweifel, dass man diese Bestimmungen eng auslegen würde. Bereits das Verlegen »eines einzigen entsprechenden Werkes ist Dienst an einer solchen Sonderaufgabe«. Wie sollte Heinrich Mohn darauf reagieren? Hatte er nicht Schriften verlegt, die dem Regime gelegen oder wenigstens nicht feindlich gesinnt waren, um seine Christenpflicht wahrnehmen und den Glauben verbreiten zu können? Je öfter er diese Anordnung las, umso mehr muss er das Gefühl bekommen haben, dass er sich nun zwischen dem einen und dem anderen ent84
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scheiden und entweder dem Regime oder dem Glauben dienen müsse. Beides ließ sich nach dieser Anordnung nun nicht mehr miteinander vereinbaren. Oder vielleicht doch? Ein Hinweis könnte Mohn Hoffnung gegeben haben. Bei »entsprechender Firmierung«, die die Kammer genehmigen müsse, sei ein »solcher Verlag … nicht gehindert, nebenbei allgemeines Schrifttum – unter derselben Firma – zu verlegen«. Und ein weiterer Hinweis durfte Mohn hoffen lassen, eine Lösung zu finden. Ausnahmen von dieser Anordnung seien nämlich grundsätzlich zulässig. Die Anträge hierfür mussten innerhalb von drei Monaten gestellt werden. Zur Umsetzung der Richtlinie setzte die Reichsschrifttumskammer einen Zeitraum von einem Jahr an. Heinrich Mohn ließ sich nur zwei Wochen Zeit. Dann hatte er die Lösung gefunden. Am 17. Mai 1939 übermittelte er dem Berliner Anwalt für Steuerrecht, Dr. Kurt Runge, seinen Plan: »Der Verlag wird in zwei Teile geteilt. Auf diese Weise ist Aussonderung des evangelischen Schrifttums möglich. Diese Gruppe wird auf meinen Sohn, Sigbert Mohn, geboren am 25. November 1918, übertragen zur Weiterführung in einem selbstständigen Verlag, der den Namen ›Evangelisches Verlagshaus, Gütersloh‹ tragen soll.« Mit der Umsetzung seines Plans wollte sich Heinrich Mohn noch ein bisschen Zeit lassen, denn es gab ein Problem. Sein Sohn Sigbert war noch nicht volljährig. Deshalb sollte der Verlag erst am 1. Januar 1940 in seine Hände übergehen, also nach seiner »Volljährigkeitserklärung«. Rechtsanwalt Runge hieß den Plan gut und übernahm die Verhandlungen mit der Reichsschrifttumskammer. Die Teilung und die Firmierung waren seiner Meinung nach eine Sache, die er sich durchzusetzen traute. Anders sah es mit Sigbert Mohn aus. Den Sohn als Geschäftsführer zu etablieren, darin sah er eine »Hauptschwierigkeit«. Sowohl wegen seines Alters als auch wegen seiner fehlenden Ausbildung könnte ihn die Kammer nicht akzeptieren, fürchtete Runge. Mohn schlug vor, seinem Sohn der Form halber einen Geschäftsführer zur Seite zu stellen und dachte dabei an Theodor Berthoud, der Mitglied der NSDAP und der Reichsschrifttumskammer war. 85
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Damit konnte Mohn zufrieden sein. Ihn beschäftigte aber noch eine weitere Bestimmung der Reichsschrifttumskammer. In ihrer Bekanntmachung hatte sie nämlich auch verfügt, dass Personen, die »ganz oder überwiegend Wirtschaftsinteressen außerhalb des Buchhandels verfolgen und deren Unternehmen nicht Nebenbetrieb eines Buchhandelsunternehmens ist«, die Mitgliedschaft in der Kammer versagt wird. Das wiederum würde bedeuten, dass Bertelsmann entweder den Verlag oder die Druckerei würde aufgeben müssen, wie der Evangelische Presseverband für Westfalen und Lippe glaubte. Aber auch für dieses Problem fand Mohn eine Lösung. Ebenfalls am 17. Mai schrieb er der Reichsschrifttumskammer und meldete, dass sein Verlag »als Nebenbetrieb« eine eigene Druckerei und Binderei unterhalte, die für den Verlag produzierten. Indem er einen Plan fasste und sich sogleich an die Umsetzung machte, unterschied sich Heinrich Mohn in seiner Reaktion deutlich von den anderen Verlagen, mit denen er sich sonst abstimmte. Verlage wie Walter de Gruyter oder Walter Kohlhammer trafen sich und berieten am 23. Mai, wie man gemeinsam vorgehen könne. Vertreter von C. Bertelsmann waren zwar ebenfalls zu den Beratungen nach Leipzig gekommen. Aber als sich die Verlage danach erneut in München trafen und ihre »ernsten Besorgnisse« über die Pläne der Schrifttumskammer formulierten und sich vor allem gegen Paragraf sechs »an maßgeblicher Stelle für eine deutlichere Abgrenzung und möglichst für Milderung« einsetzen wollten, hatte Heinrich Mohn längst damit begonnen, die neuen Forderungen zu erfüllen. Noch hofften die anderen evangelischen Verlage auf eine Revision des Paragrafen sechs, wie der Verleger Leopold Klotz an Mohns Stellvertreter Steinsiek schrieb. Doch Bertelsmann hatte sich bereits von einem gemeinsamen Vorgehen verabschiedet. Die Amtliche Bekanntmachung 133 machte auch einem kleinen evangelischen Verlag Probleme, der in Bielefeld residierte: dem RuferVerlag. Hermann Werner hatte den Verlag 1937 in Wuppertal gegründet, um im Sinne der Erweckungsbewegung Laien zu unterrichten. Er gab keine wissenschaftlich-theologischen Werke heraus, sondern kleine 86
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Broschüren, die den Christen praktische Hilfe für ihr religiöses Leben geben sollten. Im Februar 1939 verkaufte Hermann Werner seinen Verlag an den »Stadtverein für Innere Mission e. V.« in Bielefeld und führte ihn als angestellter Geschäftsführer weiter. Dieser Verkauf machte dem Verlag nun, nach der neuen Richtlinie der Kammer in Berlin, Probleme. Denn Vereine konnten nicht Mitglied der Kammer werden. Die Mitgliedschaft in der Kammer aber war Voraussetzung für eine verlegerische Tätigkeit. Der Stadtverein musste deshalb seinen Verlag wieder verkaufen und suchte eine geeignete Person, die Mitglied der Kammer war. Am einfachsten schien es, dass Werner seinen Verlag wieder zurückerwerben würde. Während man in den Verhandlungen noch über die Modalitäten uneins war, brachte der Vorsitzende des Stadtvereines und Beirat des Rufer-Verlags, Pastor Karl Pawlowski, plötzlich Heinrich Mohn als möglichen Käufer ins Spiel. Obwohl nicht alle Beiratsmitglieder und Mitarbeiter sich für Mohn aussprachen, erhielt er am 25. Juli den Zuschlag. Der Verlag nannte sich nun »›Der Rufer‹ Evangelischer Verlag Hermann Werner Nachf.« Mohn übernahm Werner als Prokuristen und sagte vertraglich zu, dass er »beabsichtigt, den Verlag in der bisherigen Form energisch weiterzuentwickeln und seinen Wirkungsgrad zu verbreitern und zu vertiefen«. Im Rahmen seiner Strategie, das konfessionelle Engagement aus dem Verlag C. Bertelsmann auszugliedern, um sein Werk vor der zwangsweisen Zerschlagung oder gar Schließung zu bewahren, erwies sich der Kauf des Rufer-Verlags für Heinrich Mohn als Glücksfall. Plötzlich hatte er einen zweiten Verlag, den er eindeutig als evangelischen Verlag positionieren konnte. Nun musste er seinen Verlag gar nicht mehr teilen. Es reichte völlig, dem Rufer-Verlag die theologischen Publikationen zu übertragen, die C. Bertelsmann geschadet hätten. Mit dem Rufer-Verlag war er der Tradition des Gründers nahe und kooperierte eng mit der Bekennenden Kirche. Im Jahr 1943 erfüllte der Rufer-Verlag genau die Entlastungsfunktion, die Mohn wohl schon Jahre früher erkannt hatte. Im Zuge der ersten großen Schließungswelle im deutschen Buchhandel im Jahr 1943 erlangte der Zukauf neue 87
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Bedeutung: Während der Rufer-Verlag die Produktion einstellen musste, durfte C. Bertelsmann weiter publizieren.
Die Schließung Am 30. August 1943 verhaftete die Polizei in Berlin Matthias Lackas. Der Mann stand unter dem Verdacht, »Kriegswirtschaftsverbrechen« begangen zu haben. Er soll tonnenweise Papier unberechtigt mit Hilfe von gefälschten Dokumenten verschoben haben. Die Polizei beschlagnahmte bei ihm Unterlagen, die ihn belasteten. Dazu gehörten Schreiben aus Verlagen und von Angehörigen der Wehrmacht. Nach seiner Verhaftung fing die Polizei auch die laufende Korrespondenz ab, die bei Lackas einging. Drei Briefe stammten aus Gütersloh. Darin beklagte Bertelsmann das Ausbleiben von Genehmigungen. Außerdem enthielten die Schreiben so genannte Papierschecks, die Bertelsmann für Lackas ausgestellt hatte. Wie üblich sollte Lackas seine Beziehungen spielen lassen und diese Schecks bei der Wehrmacht gegen Genehmigungen eintauschen. Bertelsmann konnte ja nicht wissen, dass Lackas festgenommen worden war und deshalb keine Geschäfte mehr tätigen konnte. Mit diesen Schreiben jedoch war nun auch Bertelsmann in die Ermittlungen wegen Papierschiebereien geraten. Papier war im Krieg ein knapper Rohstoff geworden, denn Holz wurde auch als Ersatzstoff dringend gebraucht, etwa zur Munitionsherstellung oder als Futtermittel. Dazu kam, dass unter den Bombenangriffen der Alliierten immer wieder Papierlager in Flammen aufgingen. Ab Mitte 1942 führten die Behörden deshalb komplizierte Genehmigungsverfahren für die Zuteilung von Papier ein. Der theologische Rufer-Verlag von Bertelsmann bekam ohnehin keines mehr. Nun aber drohte auch die Produktion des Bertelsmann Verlags unter dem Papiermangel zu leiden. Für den zivilen Buchmarkt konnte Bertelsmann nicht mehr produzieren. Aber wer für die Wehrmacht produzierte, hatte noch Chancen auf Papier. Allerdings musste man auch hierfür Genehmigungen einholen. 88
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In dem Wust von Bestimmungen war es plötzlich besonders wichtig, über gute Kontakte zu verfügen. Denn damit konnte man die Verfahren beschleunigen oder überhaupt erst in Gang bringen. Bertelsmann kannte so einen Mann, der helfen konnte: Matthias Lackas. Er war angestellt in der Berliner Versandbuchhandlung Arnold, einer Tochterfirma des Deutschen Verlags, also des arisierten Ullstein Verlags. Diese Versandbuchhandlung versorgte Parteidienststellen und die Wehrmacht. Arnold belieferte die Oberkommandos von Heer, Luftwaffe und Marine. Auf diesem Weg hatte Lackas sich gute Kontakte erworben. Bereits 1941 hatte er Bertelsmann besucht und mit leitenden Angestellten gesprochen. Damals war das Papier noch nicht kontingentiert und man glaubte, auf seine Dienste verzichten zu können. Einige Monate später hatte sich die Situation geändert. Als Lackas erneut nach Gütersloh reiste, war er sehr willkommen. Denn ab Sommer 1942 mussten Verlage selbst dann Genehmigungen für den Druck von Büchern einholen, wenn sie genügend Papier auf Lager hatten. Durch das komplizierte Genehmigungsverfahren wollten die Behörden sicherstellen, dass die Verlage kein Papier horteten. Verlage oder Druckereien benötigten vor allem eine Bestätigung, dass das betreffende Buch »kriegswichtig« war. Grundlage des Verfahrens waren so genannte Papierschecks, die die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels zuwies. Diese Papierschecks mussten von zwei Wehrmachtsstellen und der »Verteilungsstelle der Reichsstelle für Papier« abgezeichnet werden. Erst mit einem dreifach gestempelten Scheck durfte Papier zugeteilt und bedruckt werden. Das Verfahren war zeitaufwändig; oft vergingen Monate. Deshalb wurde Papier oft im Voraus verdruckt, wenn eine Genehmigung sicher zu erwarten war. Oder man wusste, sich durch Leute wie Lackas eine Genehmigung zu verschaffen – und sei es im Nachhinein. Gute Kontakte zur Wehrmacht waren schon allein deshalb wichtig, weil die Wehrmacht über die größten Papiervorräte verfügte. Sie kontrollierte die Papiervorräte in den besetzten Gebieten. Zwar sollte die Wehrmacht die Wirtschaftsstelle des deutschen Buchhandels über Genehmigungen informieren. Doch wer gute Kontakte 89
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zur Wehrmacht hatte, kam an Papier heran und die zivilen Behörden erfuhren erst sehr viel später davon – oder gar nicht. Wegen des komplizierten Verfahrens waren die Kontrollen schwierig. Damit die Verlage trotz der langen Genehmigungsfristen weiterarbeiten konnten, durften sie ein Kontingent, das für drei Monate reichte, erwerben. Das bedeutete im Klartext, dass sie auch ohne Genehmigung der Wirtschaftsstelle ein Buch drucken durften. Gewissermaßen auf eigenes Risiko. Denn später mussten die Verlage ohnehin eine Genehmigung erwirken. Matthias Lackas verstand es, dieses komplizierte Verfahren zu überlisten. Er tat dies ganz einfach mit Bestechung. Er musste nur an Schecks kommen, die ein Verlag blanko unterschrieben hatte. Dann konnte er selbst die Menge des beantragten Papiers einsetzen. Als Nächstes musste er bei den zuständigen Stellen in der Wehrmacht an die Stempel kommen. Wie gelang ihm das? Als er Bertelsmann seine Dienste anbot, bat er zunächst darum, ihm blanko solche Schecks zu überlassen. Er würde dann die nötigen Stempel besorgen. Der Schwager von Heinrich Mohn, Gerhard Steinsiek, ließ sich darauf ein und stellte ihm die Schecks aus. Lackas seinerseits besorgte Bertelsmann über seine guten Kontakte diverse Schreiben der Wehrmacht, in denen sie die »Kriegswichtigkeit« der Bücher von Bertelsmann bestätigte. Auch Bertelsmann legte die Regeln für sich immer großzügiger aus. Erst verdruckte der Verlag Papier, obwohl noch keine Genehmigung vorlag. Dann überschritt er eigenmächtig die Mengenangaben auf den Genehmigungen. Schließlich verdruckte Bertelsmann Papier für Bücher, für die überhaupt keine Genehmigungen vorlagen. Alle der insgesamt 37 Schecks, die Bertelsmann einreichte, liefen direkt oder indirekt über Lackas. 37 Schecks klingt nach wenig. Aber die 37 Schecks umfassten 123 Tonnen Papier, ausreichend für über 1,1 Millionen Buchexemplare. Gemessen an der gesamten Produktion von Bertelsmann waren es jedoch nur sechs Prozent, die Bertelsmann den unkorrekten Lackas-Papieren verdankte. Das Risiko, das Bertelsmann durch die unkorrekte Bearbeitung einging, stand also in keinem Verhältnis zum Ertrag, betont die Historikerkommission. 90
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Das Papier stammte nicht nur aus den besetzten Gebieten, sondern auch aus Schweden und Finnland. Doch auch der Bezug aus diesen Ländern musste genehmigt werden. So ließ Bertelsmann sich etwa den Kauf von 50 Tonnen Papier aus Finnland genehmigen, erwarb in Wirklichkeit über mehrere Händler jedoch ein Vielfaches, nämlich 879 Tonnen. Das war weit mehr als die erlaubte Menge, die für drei Monate reichen durfte, das entsprach der Produktion eines ganzen Jahres. Der Verlag hat das Papier auf immerhin zehn verschiedene Lager rund um Gütersloh verteilt. Später bestellte Wixforth noch einmal mehrere hundert Tonnen Papier. Lackas pflegte seine Kontakte, indem er die Gefälligkeiten großzügig erwiderte. Bei seinen Reisen nach Köln oder Paris kam er an Mangelwaren heran. Ein Pfund Kaffee war die Belohnung für eine Sekretärin, die ein Empfehlungsschreiben auf Briefpapier mit offiziellem Briefkopf aufsetzte. Zuständige Beamte in der Wehrmacht erhielten Zigarren und Alkohol für sich – oder Seife und Badesalz für die Frau Gemahlin. Manchmal bestach Lackas Beamte auch mit Nahrungsmitteln oder mit Bargeld. Zu seinen Gefälligkeiten zählten auch »Orgien«, die er veranstaltete und über die sich seine Nachbarn beschwerten. Wie viel Lackas im Gegenzug von den Verlagen respektive von Bertelsmann erhielt, ließ sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Doch es wurde errechnet, dass er allein in einem Zeitraum von wenigen Monaten 600 000 Reichsmark an Provisionen einstrich. Als er beim Deutschen Verlag ausschied, nahm er eine Menge Unterlagen mit und erklärte, wenn die Akten öffentlich würden, bestehe die Gefahr, »dass eines Tages Dinge zur Sprache kommen, deren Folgen … gar nicht abzusehen wären, da auch der Führungsstab von dem Umfange der Papierschecks nicht die leiseste Ahnung hat«. Bekannt wurde auch, dass einzelne Mitarbeiter bei Bertelsmann sich mit Lackas die Profite teilten, die sie durch den Verkauf bestimmter Werke machten. Johannes Banzhaf erwarb zusammen mit Lackas gar 38 Offiziershäuser in Ostpreußen im Wert von 1,4 Millionen Reichsmark. Nebenbei versuchte er zudem, schwarz gedruckte Buchauflagen loszuschlagen. Banzhafs Profite waren indes bedroht, 91
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als Fritz Wixforth vorzeitig zurückkehrte. Wixforth durfte nämlich unter der Bedingung ins Unternehmen zurückkehren, dass sein Arbeitgeber einen anderen an seiner Stelle in den Krieg schickte. Zuerst fiel die Wahl auf Banzhaf, der sich jedoch widersetzte. Der nächste Tauschkandidat war Heinrich Westhause. Er ging für Wixforth – und bezahlte den Tausch an der Front mit seinem Leben. Am 1. April 1943 nahm Wixforth seine Position wieder ein. Banzhaf und Beimdiek mussten ihn in die neuen Verfahren einarbeiten. Dabei war es unumgänglich, ihn auch in die Beziehungen zu Lackas einzuweisen. Damit die beiden sich miteinander bekannt machen konnten, nahmen sie Wixforth zu Lackas nach Berlin mit. Wixforth war nicht sehr angetan und notierte: »Hier wurde stark dem Alkohol zugesprochen und ich musste feststellen, dass Lackas stark betrunken war.« Wixforth bemängelte, dass Lackas seinen Kontaktleuten bei der Wehrmacht zu viel Geld gebe. Daraufhin drohte ihm Lackas, er werde seine Vermittlungsbemühungen einstellen und Bertelsmann werde dann nicht mehr an Papier kommen. Erstaunt nahm Wixforth zur Kenntnis, dass Banzhaf Papier in Holland zu völlig überteuerten Preisen beschaffte. Nachdem Banzhaf in Venlo im Beisein von Wixforth Käufe auf dem grauen Markt eingefädelt hatte, wollte Wixforth von ihm später auf dem Hotelzimmer wissen, ob denn Heinrich Mohn informiert sei. Banzhaf wich aus. Er gehe davon aus, dass Mohn schon allein durch die Höhe der Zahlungen im Bilde sei. Zurück in Gütersloh, wollte Wixforth von Heinrich Mohn wissen, ob er künftig weiter überteuertes Papier kaufen sollte. »Herr Mohn hat strikte Anweisung gegeben, Papiere zu diesen Preisen nicht mehr einzukaufen, da der Verlag seine Rechnung dabei nicht mehr fände.« Was mit anderen Worten bedeutet, dass Mohn nicht grundsätzlich gegen die Geschäftspraktiken von Banzhaf war, wohl aber gegen die hohen, den Gewinn schmälernden Preise. Als der »totale Krieg« alle Kräfte beanspruchte, mussten die Verlage schließen. Das betraf nicht nur einzelne Verlage, sondern beinahe alle. Bücher zu drucken war einfach nicht wichtig genug für den Krieg, erst recht nicht, wenn die Bücher dem Krieg nicht dienten. Bereits 92
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Ende 1942 hatte das Propagandaministerium geplant, rund 1 200 Verlage stillzulegen. Am 1. April 1943 informierte die Reichsschrifttumskammer, dass dieser Plan nun umgesetzt werden sollte. Im Gau Westfalen-Nord, zu dem Gütersloh gehörte, gab es 57 Verlage, viele davon kleinere Betriebe. Sechs davon gelang es, auf eine Liste zu kommen, die als kriegswichtig erachtet wurden. Bertelsmann war nicht darunter. Die – nach damaligem Recht kriminelle – Zusammenarbeit mit Lackas trug »wesentlich dazu bei, dass C. Bertelsmann 1944 von der Liste der zu sichernden Verlage gestrichen wurde«, betont die Historikerkommission. Allerdings betraf die Schließung nur die Produktion neuer Bücher. Bereits gedruckte Bücher konnten weiterhin verkauft werden. Nicht geschlossen wurde auch die Druckerei. So bekamen die Mitarbeiter teilweise gar nicht mit, dass der Verlag überhaupt geschlossen worden war. Für sie lief die Arbeit weiter wie gehabt. Dreieinhalb Monate nach Lackas wurde am 13. Dezember 1943 auch Johannes Banzhaf verhaftet. Spätestens jetzt muss Heinrich Mohn alarmiert gewesen sein. Wenn er in diese Sache mit hineingeriet, würde ihm im Falle einer Verurteilung der Entzug eines Teils seines Vermögens drohen. Mohn handelte schnell, wie es seine Art war. Am 17. Dezember 1943 ging er zum Gütersloher Oberamtsrichter Dr. Wischnath und wandelte das Unternehmen »zur Sicherung des geordneten Fortbestandes« um. Aus der Einzelfirma, die allein Mohn gehörte, war nun eine Kommanditgesellschaft geworden, der alle seine Kinder als Kommanditisten angehörten. Heinrich Mohn übertrug seinen gesamten Grundbesitz und alle Liegenschaften auf die KG. Der Wert der Firma wurde auf rund dreieinhalb Millionen Reichsmark beziffert; die Liegenschaften auf über 300 000 Reichsmark taxiert. Auch den Schwager Gerhard Steinsiek beteiligte er an der KG. Knapp zwei Monate später wurde die Umwandlung genehmigt. Im Januar 1944 wurde der inhaftierte Banzhaf in Berlin verhört; wenig später durchsuchten die Ermittlungsbeamten in Gütersloh die Arbeits- und Privaträume der Prokuristen Steinsiek und Wixforth. Neben Banzhaf wurden auch die Bertelsmann-Mitarbeiter Gerhard Steinsiek, Fritz Wixforth und Wilhelm Beimdiek verhaftet und nach 93
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Moabit geschafft. Die Sekretärinnen der Mitarbeiter von Bertelsmann mussten strenge Verhöre über sich ergehen lassen. Am 5. Februar 1944 wurde auch Heinrich Mohn zum Verhör einbestellt. Er gab sich ahnungslos: »Ich überlasse die Bearbeitung der Geschäftsvorgänge vollkommen den einzelnen Sachbearbeitern beziehungsweise meinem Stellvertreter und Schwager Steinsiek.« Als Mohn dies sagte, vertraute er wohl darauf, dass seine Sekretärinnen den Mund hielten, denn er hatte sie nicht von der Schweigepflicht entbunden. Seine Sekretärin Magdalene Christöphler jedoch hatte ganz genau Auskunft über die illegal verdruckte Papiermenge gegeben: Ihr zufolge wurden 956 Auflagen mit rund 1,5 Millionen Exemplaren ohne Genehmigung gedruckt. Als die Ermittler Heinrich Mohn mit diesen Auskünften konfrontierten, nahm er seine Aussage zurück und gab zu Protokoll: »Mir war bekannt, dass unser Unternehmen in Holland Papier zu übersetzten Preisen angekauft hat.« Er habe seine Mitarbeiter gewarnt, dass man mit dem so teuer schwarz angekauften Papier nie Gewinn machen würde. Was die ohne Genehmigung gekauften Papiervorräte angehe, so sei nicht er, sondern seine Prokuristen Wixforth und Steinsiek verantwortlich. Die Ermittler glaubten ihm das nicht wirklich und beabsichtigten, ihn zwecks weiterer Verhöre und um mehr Druck auszuüben festzunehmen. Dazu wurde er am 10. März 1944 einem Amtsarzt vorgeführt, der seine Haftfähigkeit prüfen sollte. Dem Attest zufolge war Heinrich Mohn zwar nicht lager-, wohl aber haftfähig. Aber weil er ein so angesehener Mann war in Gütersloh, verschonte man ihn und sperrte ihn nicht ein. In ihrem Schlussbericht notierten die Ermittler: »Als weiterer Mitbeschuldigter der Firma Bertelsmann ist der Inhaber Carl Heinrich Mohn anzusehen.« Mohn habe sich »fortgesetzt des Kriegswirtschaftsverbrechens … schuldig gemacht«. Ein Prozess blieb Mohn jedoch erspart. Vor dem Kriegsgericht des Heeres begann am 14. März 1944 in Berlin-Charlottenburg der Prozess gegen den »Volksschädling« Lackas. Zwar waren neben Lackas 40 weitere Personen wegen ähnlicher Vergehen verhaftet worden. Aber Lackas galt als der größte Papierschieber, und das Verfahren gegen ihn diente der Abschreckung. Lackas 94
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wurden Kriegswirtschaftsverbrechen, Bestechung und Untreue vorgeworfen. Er gab seine Schuld zu und bekannte vor Gericht: »Durch meine riesenhaften Erfolge bin ich in meiner Großmannssucht innerhalb eines einzigen Jahres, angetrieben von 60 bis 70 Verlegern, die nicht minder papierhungrig und profitgierig waren wie ich, ins Unglück regelrecht hineingelaufen. Als ›kleiner Lackas‹ wurde ich von fast allen bedeutenden Verlegern, Dienststellen, Behörden usw. hofiert und poussiert und mein (Ehrgeiz) so weit gesteigert, bis er strafbar wurde.« Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch den anwesenden Experten aus den Schrifttumsbehörden kann die bedeutende Rolle von Bertelsmann für Lackas nicht verborgen geblieben sein. Im Verfahren ging es um etwa 100 Blankoschecks. Fast ein Drittel davon stammte von Bertelsmann. Das Gericht sah in Lackas einen »Kriegsschmarotzer« und verurteilte ihn am 31. Mai zum Tode. Lackas hatte Glück. Noch ehe das Urteil vollstreckt werden konnte, war der Krieg zu Ende.
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5. »Singen, Beten und Blumenpflücken« Die Familie Mohn im Nationalsozialismus
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einrich Mohn kannte nur eines: die Arbeit. Für die Familie brachte er wenig Zeit auf. Werktags saß man gemeinsam beim Mittag- und Abendessen. Heinrich Mohn sprach das Gebet – und schwieg dann in der Regel. Selbst an den Wochenenden empfing Heinrich Mohn Autoren wie Paul Althaus, Adolph Schlatter und Julius Richter. In seinem Büro zu Hause sprach er mit ihnen über neue Texte für sein theologisches Programm. Der Vater des heutigen Firmenlenkers war ein sehr akkurater Mensch, der stets bemüht war, alles aufgeräumt und übersichtlich aufzubewahren. Sein Sohn Reinhard Mohn schildert ihn als Menschen, der seine Pflichten in jeder Hinsicht ernst nahm – »ob in der Kindererziehung oder im Beruf«. In den Zeitzeugengesprächen mit der Historikerkommission räumte der Sohn allerdings ein, dass er mit seinem Vater über Alltägliches hinaus kaum gesprochen habe. Der Vater, sagte er, konnte das einfach nicht. Die Kindererziehung überließ Heinrich Mohn seiner Frau. So ist es vielleicht kein Wunder, dass Reinhard eine starke Bindung zu seiner Mutter Agnes, geborene Seippel, aufbaute. Die Mutter war für die Kinder die wichtigere Bezugsperson im Familienleben, ob im Harz oder in Gütersloh. Agnes Seippels männliche Vorfahren waren durch Generationen hindurch Pastoren. Die ersten Verbindungen zwischen den Familien gab es, lange bevor Agnes und Heinrich sich kennen lernten. War Ludwig Seippel (1777 – 1834) noch ein Verfechter des Rationalismus, so geriet sein Sohn Eduard Seippel (1813 – 1878) unter den Einfluss der Erweckungsbewegung. Er war der erste Pastor in der Familie, der eine 96
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Wende vollzog. Er gilt heute als Angehöriger der zweiten Generation von Erweckungspredigern in Minden-Ravensburg. Zur ersten Generation zählen die Mitstreiter von Pastor Johann Volkening, dessen Anteil am Aufbau des Bertelsmann Verlags bereits erwähnt wurde. Sein großes Thema hatte Eduard Seippel in der Trunksucht der einfachen Leute gefunden. Angesichts ihres harten Lebens flüchteten sich viele arme Menschen in den Alkohol. Eduard Seippel sah das mit großer Abscheu und war deshalb bald als »Enthaltsamkeitsapostel« bekannt. Eine der vielen Predigten Seippels gegen das Übel fand so viel Zustimmung bei dem ebenfalls dem Alkohol feindlich gestimmten Verleger Bertelsmann, dass er sie 1843 unter dem Titel »Kampf dem Branntwein!« herausbrachte. Agnes Seippel wurde fast 50 Jahre später 1889 geboren und wuchs als erstes von sechs Kindern in Rehme auf. Ihre besondere Liebe zur Natur hat sich schon früh gezeigt. Die Familie hatte einen großen Garten an der Weser, in dem sich das Mädchen mit Vorliebe aufhielt. Natur und Gott – den beiden gehörte ihre Liebe. »Die Erde ist nah und weit«, schrieb sie in jungen Jahren. »Ich habe sie lieb. O wie herrlich ist die Sonne. Und wie herrlich ist der Mond. Doch die Englein oben schweben, tanzen und springen und loben Gott, und droben im Himmel ist es schön. Und gib auch mir ein reines Herz.« Als die Familie nach Gütersloh umzog, war sie 13 Jahre alt. Agnes sollte lernen, eine gute Mutter und Hausfrau zu werden, und wurde auf ein Pensionat bei Lauffen am Neckar geschickt. Doch sie wurde von so starkem Heimweh geplagt, dass der Vater Agnes vorzeitig wieder nach Gütersloh holte. Zu Hause musste sie sich – als Älteste – um ihre Geschwister kümmern und ihrer kränkelnden Mutter helfen. In Kassel und Arolsen absolvierte sie nur noch kurze Stationen, um die Pflege von Kranken zu lernen. Zurück in Gütersloh, freundete sie sich mit einer Tochter des Verlegers Johannes Mohn an. Häufig zu Gast in der Bahnhofstraße, begegnete sie dem Bruder der Freundin, Heinrich, und die beiden kamen einander näher. Wie der von Asthma geplagte Heinrich Mohn musste auch Agnes mit einer physischen Einschränkung leben. Seit Geburt hatte sie ein Hüftleiden. Aus dem Verständnis 97
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füreinander erwuchs Zuneigung. Auch die Eltern sahen die Verbindung nicht ungern und stimmten der Heirat 1912 zu. Die Rollenverteilung im Hause Mohn war traditionell. Er führte den Betrieb, sie die Familie. In kurzen Abständen bekamen sie Kinder, sodass bald acht Personen am Tisch saßen – nicht gezählt das Hauspersonal, das mit den Herrschaften speiste. Beide liebten die Natur, sagte Reinhard Mohn später einmal über seine Eltern. Sie begegneten sich aber auch in der Liebe zur Musik. Und in ihrer Liebe zu Gott: Sonntags ging man gemeinsam in die Kirche, werktags wurden im Hause Mohn morgens und abends gemeinsame Andachten abgehalten. Obwohl Agnes Mohn nicht im Betrieb präsent war, zeigte sie reges Interesse an allem, was im Verlag vorging. Sie sprach mit den Angestellten und ließ ihren Mann vor wichtigen Entscheidungen durchaus ihre Meinung wissen, weshalb sie auch »sein zweites Gewissen« genannt wurde. Während er mit Autoren sprach, pflegte sie den Kontakt zu Freunden und Verwandten. Die Kreise schlossen sich, wenn sie ihre Schwester Irmgard besuchte, die mit Gerhard Steinsiek, dem Stellvertreter ihres Mannes verheiratet war.
Söhne und Töchter Der älteste Sohn Hans Heinrich, nach seinem Großvater »Johannes« genannt oder auch »Hanger«, war der Rebell der Familie. Geboren 1913, absolvierte er zwar die Schule seiner Väter, das EvangelischStiftische Gymnasium. Aber ihn interessierten weder die Theologie noch das Verlagswesen. Er sah sich für höhere Aufgaben berufen, die ihn aus der Provinz herausführen sollten. Zunächst studierte er ab 1933 Jura in Freiburg, später wollte er Diplomat werden. Während sein Vater die NSDAP mied, trat Hans Heinrich in die Partei ein, sobald er 18 Jahre alt war. Für ihn war die Mitgliedschaft keine Formsache, er lebte die Nazi-Ideologie. Die Universität in Freiburg, wo der Philosoph Martin Heidegger gerade Rektor geworden war, hatte sich der nationalsozialistischen Ideologie verschrieben. Hans Heinrich war 98
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von Heidegger begeistert. In seinem Geiste gründete er mit etwa 20 anderen Studenten eine Studentenvereinigung, die nach Leo Schlageter benannt wurde, den die Nazis als Freiheitskämpfer verehrten. Die Studenten lebten und lernten gemeinsam in einem so genannten Kameradschaftshaus. Bestärkt von Hans Heinrich wehrte sich auch Ursula, die 1915 als älteste Tochter der Mohns geboren wurde, gegen die Religiosität im Elternhaus. Sie hatte ihre erste Begegnung mit der Nazi-Bewegung gegen Ende ihrer Schulzeit. Die Nazis waren gerade an die Macht gekommen und Ursula besuchte ein Internat bei Potsdam. Den Kontakt zu dem Schulleiter, einem Pastor, der früher in Gütersloh gelehrt hatte, hatten die Eltern geknüpft. Als Ursula gerade Besuch von ihren Eltern hatte, wurde sie vor dem Hotel der Eltern Zeuge, wie Mädchen und Jungen der Hitler-Jugend eine Parade abhielten und sangen. Ursula war sehr angetan von dem Ereignis. Spontan lief sie zu der Gruppe hinüber und marschierte mit, wie sie später erzählte. Ursula ging in ihrer antireligiösen Haltung weiter als Hans Heinrich und alle anderen Geschwister. Über die morgendlichen Andachten sprach sie abfällig; die Angestellten, die morgens dazu ins Haus kamen, nannte sie Vaters »Ekklesier« – im Griechischen bezeichnete man so die Kultgemeinde. Sie fühlte sich von der demonstrativen Frömmigkeit der Familie abgestoßen und provozierte die Versammlung, indem sie mitunter mit dem Kommunistischen Manifest unterm Arm zur Andacht erschien. In ihrer Rebellion tat sie schließlich etwas, das bei ihren Eltern auf großes Unverständnis stieß: Ursula trat aus der Kirche aus. Das hatte sich nicht einmal ihr älterer Bruder Hans Heinrich getraut. Zwar war auch er den Andachten gegenüber sehr kritisch eingestellt und hatte erwogen, aus der Kirche auszutreten. Seiner Großmutter zuliebe tat er es aber nicht. Nach drei Jahren Schule in Potsdam kehrte die älteste Tochter nach Gütersloh ins Elternhaus zurück. Für Frauen – genauer: seine beiden Töchter – hatte Heinrich Mohn keine Rolle im Unternehmen vorgesehen. Ursula war daher froh, als ihr älterer Bruder ihr vorschlug, ebenfalls nach Freiburg zu kommen. Wäre es nach ihren Eltern gegan99
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gen, dann hätte sie bei einer Tante in Stuttgart im Haushalt geholfen. Obwohl die Eltern von der Idee ihres Bruders nicht begeistert waren, verwehrten sie ihrem Sohn seinen Wunsch nicht. Die Mutter brachte die 18-jährige Tochter, die auf diese Begleitung gerne verzichtet hätte, mit dem Zug nach Freiburg, wo Hans Heinrich und seine Kommilitonen sie willkommen hießen. Zum Empfang am Bahnhof bildeten sie ein Spalier. Zwar war Ursulas Rolle in Freiburg ebenfalls die traditionelle einer Hausfrau, die den jungen Männern der Studentengemeinschaft den Haushalt führte. Aber das kümmerte sie wenig. Sie arbeitete ohne Bezahlung. Immerhin war sie der Langeweile und der häuslichen Enge von Gütersloh sowie der Kontrolle ihrer Eltern entflohen. In Freiburg konnte sie sogar Vorlesungen besuchen, obwohl sie nicht als Studentin eingeschrieben war. Als »Kamerad Ursel« integrierten die jungen Männer sie in ihrem Haus und in ihrer Gemeinschaft. Sie mochte das Leben und die Gemeinschaft in Freiburg. Im Winter fuhr man gemeinsam auf eine Skihütte. Und schließlich lernte sie unter Hans Heinrichs Mitbewohnern auch ihren späteren Mann kennen. 1934 verließ sie die »Völkische Kameradschaft« in Freiburg. Aber ein Leben als Haushaltskraft war für sie nun nicht mehr vorstellbar. Sie wollte selbst studieren und schrieb sich in Kiel für das Lehramt Deutsch, Geschichte und Volkskunde ein. Von Kiel aus ging sie dann nach Leipzig, Berlin, Wien und wieder zurück nach Berlin, bis sie ihre Wanderjahre 1939 nach Königsberg führten. Dort studierte sie an der Universität und unterrichtete an einer Schule Musik, Laienspiel und Volkskunde. Die Eltern ließen sie geduldig von einer Stadt in die nächste ziehen und hinderten sie auch nicht daran, wie ihr Bruder Hans Heinrich der NSDAP beizutreten. Zwischen 1934 und 1936 war sie viermal im Ausland gewesen: An der slowenisch-kroatischen Grenze besuchte sie eine Region, die traditionell von Deutschen besiedelt war. Im Auftrag des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) lehrte sie dort Musik, Kunst und Handarbeit. Der VDA wollte mit derartigen Aktivitäten die nationale Sache in deutschen Siedlungen fördern. Hier kam 100
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in der Arbeit der Tochter auch der missionarische Geist der Familie wieder zum Vorschein. Statt im Auftrag des Herrn missionierte sie nun eben im Auftrag des Dritten Reiches. Die Eltern hatten offensichtlich nichts dagegen. Weniger gelassen reagierten die Eltern allerdings, als ihre Tochter aus der Kirche austrat. Im Mai 1939 gab es eine Volkszählung, bei der auch die Konfession angegeben werden musste. Ursula schrieb »gottgläubig«, was im Klartext hieß, dass sie sich keiner Konfession zurechnete. Ihre Mutter war entsetzt. Sie empfand die Antwort als Verrat und äußerte ihr gegenüber, sie hätte ihre Tochter am liebsten »nie geboren«, wie Ursula der Historikerkommission sagte. Ihr Vater blieb äußerlich gelassen und sagte seiner Tochter, er werde für sie beten. Sigbert, der zweitälteste Sohn, war das genaue Gegenteil von Hanger und Ursel: Er war stark im Glauben und wurde daher vom Vater als passender Nachfolger für die Leitung des christlichen Verlags gesehen. Wie seine Väter und Brüder besuchte er das Evangelisch-Stiftische Gymnasium und spielte im Posaunenchor. Als ihm die örtliche NSDAP nahe legte, aus der Kirche auszutreten, weigerte er sich. Nachteile hat er deswegen nicht erfahren. Wie Sigbert, treu im Glauben, so lebten auch Annegret, die 1916 geborene Schwester, und Gerd, als jüngster Sohn 1926 geboren, nach den Vorstellungen der Eltern.
Reinhard Mohns Jugend Reinhard Mohn, der heute dem Bertelsmann-Imperium vorsteht, wurde im Sommer 1921 als fünftes Kind in die Familie Mohn geboren. In Braunlage, wohin sich Heinrich Mohn wegen seines Asthmas in den Jahren 1923 bis 1926 zurückgezogen hatte, besaß der kleine Reinhard einen großen Elefanten aus Stoff, auf dem er sitzen konnte. Er kümmerte sich immer rührend um seinen kleinen Freund, pflegte und fütterte ihn. Während der Mahlzeiten stellte er ihn in die Ecke, damit er dort seine Ruhe haben konnte. Dann gab er ihm eine Scheibe Brot. Wenn Reinhard fertig war mit dem Essen, dann war auch der Elefant 101
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»satt«, und das Brot war verschwunden. Manchmal spannte er den Elefanten zusammen mit seinem zweiten Stofftier, einer Kuh, vor einen Karren, setzte sich auf den Kutschersitz, sang und schwang eine Peitsche. Nachdem die Familie wieder zurück nach Gütersloh gezogen war und in Nachbarschaft der Großeltern wohnte, verdiente sich Reinhard im Park der Großeltern sein erstes Geld mit dem Ausstechen von Unkraut. Für jeden Löwenzahn erhielt er einen Pfennig. Reinhard arbeitete eifrig und brachte es einmal sogar auf die stolze Summe von zehn Mark. Der Junge ging oft und gerne hinüber zu den Großeltern. Dort gab es ein Treibhaus mit vielen Blumen und Palmen, die im Sommer in der Empfangshalle standen. Seine Großmutter imponierte dem Jungen wegen ihrer Geselligkeit und aufrechten Haltung, und er unterhielt sich gerne mit ihr. Sie nahm ihren Glauben ernst und lebte ihn konsequent. Wenn am Sonntag gegen die Arbeitsruhe verstoßen wurde, dann legte die Pfarrerstochter mitunter sogar mal den Betrieb lahm. Sie drehte dann einfach den Strom ab und sagte den Mitarbeitern des Verlags, sie sollten bitte nach Hause gehen und den Tag des Herrn ehren. An seinem Großvater gefiel Reinhard, dass er – ganz im Gegensatz zu seinem Vater – gesellig und kontaktfreudig war. Der umtriebige Johannes Mohn war in 30 Vorständen und Vereinen zugange. Zur Freude seiner Enkel war er immer für ein Späßchen zu haben, das er mitunter sogar aufwändig vorbereitete. Wenn sie sonntags aus dem Kindergottesdienst kamen, saß Großvater üblicherweise im Korbsessel auf der Veranda. Es gab Plätzchen und Limonade. Nach der Begrüßung durften sie ihm auf die Nase drücken. Nach jedem Drücken schellte es zu ihrer Freude an der Haustüre. Johannes Mohn hatte nämlich hinter seinem Sessel eine Klingel installiert, die er bei jedem Nasendrücken betätigte. In den Ferien fuhr die Familie in den Schwarzwald in den Urlaub. Man übernachtete in Heidelberg. Reinhard war peinlich berührt, als sein Vater im Beisein all der anderen Gäste selbst im Speisesaal des Hotels streng auf das Tischgebet achtete. Es war eine Erleichterung für 102
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ihn, wenn dann in der Ferienpension jeder für sich das Gebet still vor sich hin sprechen durfte. Reinhard Mohn erklärte später, dass die Religiosität der Eltern für ihn einfach nicht glaubwürdig war. Er spürte einen Widerspruch zwischen dem Wunschbild, das sein Vater und seine Mutter herbeisehnten, und der Wirklichkeit. Sein Verständnis von Theologie und Religion wurde durch die »formale Frömmigkeit« seiner Mutter geprägt, wie er später sagte. Beten zum Essen. Andachten morgens und abends. Gesang und Klavierspiel. Es war eine Atmosphäre, die nach seinem Empfinden »aus dem vorigen Jahrhundert« zu stammen schien. Er konnte sich nicht hineinfühlen und wollte das auch nicht, wie er später sagte. Er opponierte nicht offen dagegen, aber innerlich nahm er nicht wirklich teil. Seine Mutter muss seine fehlende Anteilnahme gemerkt haben. Als er 16 Jahre alt war, sagte sie ihm, er bräuchte an den Andachten nicht mehr teilnehmen. Der Junge war erleichtert. Schwer zu sagen, was Reinhard in seiner Kindheit und Jugend mehr beeinflusste: die Religiosität seiner Eltern oder die Klugheit und Stärke seiner Geschwister, die gegen die Eltern rebellierten. Aus dem was er seiner Frau Magdalene berichtete, darf man vermuten, dass er Hans Heinrich, seinen ältesten Bruder bewunderte, der in der Schule als Genie galt und nur Einser nach Hause brachte. Er beneidete ihn aber nicht nur um seine schulischen Leistungen, sondern auch darum, dass er sich von den Eltern mit Leichtigkeit und Bestimmtheit löste, sich weigerte, den Verlag weiterzuführen, und sich entschloss, fernab von Gütersloh in Freiburg zu studieren. Selbst dafür, dass er nicht Theologie studierte, wie so viele seiner Väter und Onkel, sondern Offizier wurde, bewunderte er ihn vermutlich. Großen Respekt hatte er auch für seine Schwester Ursula und ihr konsequentes Verhalten. Wie sie die täglichen Andachten bloßstellte, imponierte ihm. Sehr viel später berichtete er: »Für meine Entwicklung war sicher von Einfluss, dass ich innerhalb der Familie Nummer fünf gewesen bin. Das hat insofern eine Rolle gespielt, als meine Geschwister in der Schule Maßstäbe setzten, was für mich eher negative Folgen hatte, weil ich keineswegs so begabt war wie diese. Die Rangfolge war auch 103
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in der Zuwendung spürbar, die meine Mutter aus zeitlichen Gründen für mich erübrigen konnte. So lernte ich schon in sehr frühen Jahren etwas, das in dieser Familie immer wieder zu beobachten ist, nämlich dass man seinen Weg eigenständig bestimmen muss.« Schon als Kind suchte er die Einsamkeit und wollte mit sich allein sein. »In der Schule hatte ich mehrere gute Freunde, vielleicht, weil ich gelegentlich ein lustiger Mensch war«, erzählt Reinhard über seine Schulzeit. »Meine Kameraden wollten mich einmal sogar zum Klassensprecher wählen, aber ich war damals menschlich einfach nicht so weit, das hätte mich nur bedrückt. So musste ich das ablehnen. Ähnlich ist es mir nachher überall ergangen – im Arbeitsdienst, im Krieg und in der Gefangenschaft. Niemals bin ich in einer Gemeinschaft kritiklos aufgegangen. Auf der einen Seite war ich gern mitten im Getriebe, und auf der anderen Seite brauchte ich Ruhe, Abstand und das Alleinsein.« Eine Freundschaft, die damals begann, bekam im Leben von Reinhard besondere Bedeutung. In der Schule lernte er Gustav Ehlert kennen, der ein wenig älter war als er, aber die gleiche Klasse besuchte. Zu Hause wurde Gustav von seiner Mutter »Gustävchen« genannt. Daraus wurde dann schließlich »Steffi«, und so riefen ihn dann alle. Auch Reinhard erhielt einen Spitznamen: Im Jahrbuch nannten ihn seine Klassenkameraden »unser Bisam«. Reinhards Leistungen in der Schule waren nicht sonderlich gut. Seiner eigenen Einschätzung zufolge war er zunächst nur ein »mittelprächtiger« Schüler. Seine Mutter war verzweifelt, als er als Zwölfjähriger mit 30 Fehlern auf einer Seite eines Diktats nach Hause kam. Man ließ von einem Arzt seine Augen untersuchen. Doch mangelnde Sehkraft war nicht die Ursache der schlechten Leistungen: Der Junge hatte eine Rechtschreibschwäche. Seine mangelnden Leistungen hielten an, als er auf das Evangelisch-Stiftische Gymnasium ging. Seine Mutter machte sich Sorgen. Da er immer Interesse an praktischen und handwerklichen Dingen gezeigt hatte, fragte sie ihn eines Tages, ob er nicht Tischler werden wolle. Er hätte durchaus ganz gerne einen praktischen Beruf erlernt. Aber den Vorschlag empfand er dann doch als 104
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Degradierung, denn seine fünf Geschwister waren alle gute Schüler. Er wäre dann der Einzige mit einem handwerklichen Beruf gewesen. Deshalb ging er weiter auf die Schule. Im Sport entwickelte er einen Ehrgeiz, über den seine Mitschüler staunten. Einmal sollten sie das 50 Meter lange Becken im Freibad durchtauchen. Reinhard sprang ins Wasser und tauchte und tauchte. Er hatte das Becken fast durchschwommen, als Lehrer und Mitschüler vergeblich warteten, dass er hoch kam. Die Sekunden vergingen, doch Reinhard blieb unter Wasser. Als er nicht mehr auftauchte, wurde der Bademeister nervös und sprang ins Wasser. Nach 40 Metern war Reinhard die Luft ausgegangen. Doch statt aufzutauchen, war er unter Wasser geblieben, bis er bewusstlos wurde. Der Bademeister musste ihn retten. Ein andermal war der Ball bei einem Spiel aus Versehen über einen sehr hohen Zaun geflogen. Reinhard kletterte hinterher, konnte sich aber nicht halten. Er stürzte vom Zaun und schlug hart mit dem Kopf auf. Wieder war er kurzzeitig bewusstlos. Von dem Sturz trug er eine Gehirnerschütterung davon, aber er hatte auch seine Kraft und seinen Mut unter Beweis stellen können. Als 16-Jähriger schrieb er einen Schulaufsatz, den er bis heute immer wieder anführt als Beleg, dass er erreicht hat, was er erreichen wollte. Als das Abitur näher kam, sollten die Schüler ihre »Gedanken bei der Wahl des Berufes« darlegen. Reinhard schrieb, er wolle »eine Chance« haben. Er wolle »so viel leisten, wie nur irgend in meinen Kräften steht«. Er fühlte sich verantwortlich gegenüber einem »Volk, in dem ich geboren bin«. Auf keinen Fall wollte er eine Arbeit, »die mich zu einem toten, erstarrten Leben führen würde. Denn ich will lieber alle die Zweifel und Fragen, die sich einem aufdrängen werden, auf mich nehmen und um ihre Lösung ringen, als lebend doch nur ein totes Werkzeug zu sein. Denn ich habe mir vorgenommen, immer bereit zu sein, zu lernen und Besseres anzuerkennen und wenn ich auch alles, was ich bisher geglaubt habe, aufgegeben und als falsch einsehen müsste.« Entsprechend erstreckte sich in den letzten Schuljahren sein Ehrgeiz, der bis dahin vor allem dem Sport galt, auch auf seine schulischen Leistungen, und er erhielt gute Noten. 105
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Im Sommer durfte er mit seinem Freund Steffi eine Bootstour machen. Sein Bruder Hanger fuhr die beiden mit seinem roten Sportwagen, den Bekannte respektvoll »Roter Mohn« nannten, nach Regensburg. Mit ihrem Klepper-Boot paddelten sie eine Woche lang auf der Donau bis nach Wien. Abends schliefen beide am Ufer, genossen die Freiheit und sprachen über ihre Freunde und über Mädchen. Einmal paddelten sie gemütlich auf der Donau dahin und machten gute Fahrt, als sie am Ufer plötzlich das Ferienlager einer FKK-Gruppe passierten. Noch nie in ihrem Leben hatten sie eine nackte Frau gesehen. Sie wagten kaum ans Ufer zu blicken. Wenige Augenblicke später waren sie auch schon an dem Lager vorbei. Die kurze Begegnung mit den Nackten sorgte jedenfalls für reichlich Gesprächsstoff. Nach einer Woche erreichten sie Wien. Dort holte Hanger sie an dem zuvor vereinbarten Treffpunkt ab und fuhr mit ihnen dann nach Hindelang nahe Oberstdorf, wo die Mutter mit den anderen Kindern in den Bergen Urlaub machte. Wieder daheim meldete sich Reinhard mit seinem Schulfreund Steffi zu einem Tanzkurs an. Als Tanzpartnerinnen wählten sie zwei Schwestern, die sie aus der Schule kannten: die Pastorentöchter Renate und Inge. Steffi tanzte mit Renate, Reinhard mit Inge. Man kam sich beim Tanzen näher und aus den Tanzpartnern wurden Freundespaare. Reinhard ging davon aus, dass eine Pastorentochter seinen Eltern sicher gefallen würde. Und tatsächlich freute sich die Mutter über Inges Herkunft aus einem gläubigen Haus. Aber das Mädchen trug einen Bubikopf, und so etwas gab es im Mohnschen Hause nicht. Reinhards Schwestern trugen Zöpfe – wie auch die Mädchen im Betrieb. Kurz und frech geschnittene Haare waren zu modern. Die Mutter brachte Reinhard gegenüber ihr Missfallen deutlich zum Ausdruck. Der war zwar entsetzt über die Ablehnung seiner Mutter. Kurze Zeit später war das Paar jedoch getrennt. Zeit ihres Lebens übte die Mutter einen starken Einfluss auf ihn aus – noch lange, nachdem er Chef bei Bertelsmann geworden und verheiratet war. 1986 ließ er einen Band über die Geschichte der Familien Bertelsmann, Mohn und Seippel anfertigen und wählte den Untertitel 106
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»Drei Familien – ein Unternehmen«. Vermutlich wollte er damit besonders seine Mutter würdigen und ihren Anteil am Erfolg des Familienunternehmens deutlich machen, obwohl sie und ihre Familie am Aufbau des Unternehmens nicht direkt beteiligt gewesen waren.
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6. »Das ist ein Kerl!« Die Erben ziehen in den Krieg
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ans Heinrich, der älteste Sohn, zog als 26-Jähriger »mit Begeisterung« in den Krieg, wie seine Schwester Ursula später berichtete. Er war mit dabei, als die deutschen Soldaten in Polen einmarschierten. Der Krieg dauerte für ihn jedoch nur neun Tage. Am Morgen des 9. September kam es auf der Weichselbrücke zu einem Schusswechsel zwischen Polen und Deutschen. Hans Heinrich wurde dabei am Kopf getroffen und erlag noch am selben Tag seiner Verletzung. Posthum wurde er zum Oberleutnant befördert. »Er sah sein höchstes Glück in der Hingabe für Führer und Vaterland«, schrieb Heinrich Mohn in die Todesanzeige und verbreitete im Unternehmen, sein Sohn sei den »Heldentod« gestorben. Nun sollte also der nächstgeborene Sohn die Firmenleitung erben. Aber Sigbert Mohn kämpfte ebenfalls im Osten. Er war schon 1937 einberufen worden. Nach seiner Ausbildung bei einer Panzerabwehrkompanie in Bielefeld wurde er zunächst an die Westfront geschickt. Im November 1940 wurde er abkommandiert zu den Vorbereitungen des Angriffs auf Russland. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 kämpfte er in der Gegend um Minsk. Als stellvertretender Regimentsadjutant im Rang eines Oberleutnants führte er in den Wintermonaten eine Zeit lang das Kriegstagebuch seiner Einheit. Im März 1943 trat diese den Rückzug an. Ende Juni 1944 war sein Regiment fast vollständig aufgerieben, und er geriet in Gefangenschaft. Im Juli 1944 war er unter den Kriegsgefangenen, die die Rote Armee bei den Siegesfeiern in Moskau der Öffentlichkeit präsentierte. Danach wurde er in einem Gefangenenlager östlich von Leningrad festgehalten, wo 108
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er fünf Jahre lang Arbeitsdienst leistete. Lange Zeit erhielt seine Familie keine Nachricht von ihm. Zwar hatte seine Frau Marianne, die er 1943 geheiratet hatte, von einem Kriegskameraden erfahren, dass ihr Mann gefangen genommen worden war. Aber bis Anfang 1945 ein Brief von ihm eintraf, wusste sie nicht, ob er überhaupt noch lebte. Als erster der drei verbliebenen Söhne kehrte der 1926 geborene Gerd Mohn aus dem Krieg zurück. Der jüngste Sohn war ganz nach dem Wunsch der Eltern geraten. Zwar war auch er Mitglied im Jungvolk und in der Hitler-Jugend gewesen. Aber er hatte keine Ämter übernommen und wenig Interesse an ihren Veranstaltungen gezeigt. Seine Leidenschaft galt allein der Reiterei – und dem Glauben. Sein Vater hatte sehr darauf geachtet, dass er während seiner Schulzeit im Evangelisch-Stiftischen Gymnasium von Lehrern der »Bekennenden Kirche« und nicht der eher den Nazis zugeneigten »Deutschen Christen« unterrichtet wurde. Der frühe Tod des Bruders bei Kriegsausbruch hat den damals 13-Jährigen schwer getroffen. Hans Heinrich war sein großes Vorbild gewesen. Die Konsequenz hieß jedoch nicht, den Krieg abzulehnen. Im Gegenteil: Gerd Mohn meldete sich freiwillig nach dem Abitur in einem Panzergrenadier-Ersatzbataillon in Iserlohn. Keineswegs zufällig hatte er sich den Standort ausgesucht, an dem einst sein Bruder bis zum Polenfeldzug gedient hatte. Als Führer einer Panzergrenadiertruppe wurde er im Januar 1945 nach Ungarn geschickt. Nur wenige Wochen später trafen ihn Granatsplitter und verletzten ihn schwer. Er wurde nach Wien in ein Lazarett gebracht. Sollte also Gerd den Verlag nach seiner Rückkehr übernehmen? Immerhin war der jüngste Sohn gläubig und hätte somit eine gute Voraussetzung gehabt. Doch offensichtlich hielt ihn der Vater für zu jung und unerfahren. Stattdessen begann Gerd Mohn nach seiner Entlassung aus der Armee eine ganz normale Ausbildung im Verlagswesen. Blieb also Reinhard. Im Mai 1931 war er mit zwölf Jahren Mitglied im Jungvolk geworden und im Jahr darauf bereits Führer einer Jungenschaft. Nachdem er mit einigen Freunden einen Film über Segelflug gesehen hatte, hatte ihn die Begeisterung gepackt. In der Hitler109
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Jugend beschäftigte er sich fortan vor allem mit Modellflug und Flugsport. Auch die körperliche Herausforderung reizte ihn. Bereits mit 14 Jahren, während eines Aufenthaltes in einem Landschulheim, marschierte er 30 Kilometer. Exerzieren und Sonnwendfeiern haben ihm hingegen nicht sehr viel Spaß gemacht. Einmal sah er bei einer Kundgebung sogar Adolf Hitler. Nachhaltig beeindruckt hat ihn die Begegnung nicht. Aber Kritik war seine Sache auch nicht. Der »Zug zur Gemeinschaft und die Disziplinierung – heute sagen wir Gleichschaltung – bestimmten die Erziehung. Die Indoktrinierung wurde uns nicht bewusst … Ich war praktisch nicht kritikfähig, denn ich bin in meiner Jugend nie aus Deutschland herausgekommen. Es gab ja keine Devisen.« 1937 bestieg er mit seiner Schwester Annegret den 2 600 Meter hohen Hochvogel an der Grenze zu Österreich. Auf dem Gipfel des Berges blickte er in die Weite und empfand deutlich: »Da liegt ein ganz anderes Land!« In der Hitler-Jugend brachte Reinhard Mohn es schnell vom Kameradschaftsführer zum Führer einer Gefolgschaft. Er war ein wichtiges Mitglied für die Ortsgruppe, denn seine Familie gehörte zu den wenigen Familien, die Räumlichkeiten für Treffen der HJ zur Verfügung stellten. Immerhin waren in Gütersloh mehrere hundert Jugendliche in den verschiedenen Jugendorganisationen der NSDAP engagiert und ständig auf der Suche nach Räumen. Im Wohnhaus der Mohns in der Kurfürstenstraße wurde im Keller ein im Familienkreis »braunes Zimmer« genannter Raum eingerichtet, in dem sich die Jugendlichen versammeln konnten. Die Mutter hatte sich dem Vater gegenüber auf Reinhards Bitten dafür eingesetzt. Drei bis vier Jahre wurde der Keller dafür genutzt. Vor dem Abitur gab Reinhard seine Funktionen in der Hitler-Jugend ab. Damals hatte er ziemlich genaue Vorstellungen über seine Zukunft: »Da mich die praktische Arbeit in der Hitler-Jugend, der Flug-Physikunterricht in der Schule und die naturwissenschaftlichen Fächer überhaupt sehr interessieren und meine Veranlagung mich deutlich auf dieses Gebiet weist, habe ich mich entschlossen, Ingenieur zu werden.« Den Prüfungsausschuss stimmte er gewogen, indem er keine Zweifel 110
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an seiner deutsch-nationalen Gesinnung ließ: Als er in den Ferien »die einzelnen Gaue Deutschlands auf Fahrten und Wanderungen« bereist habe, habe ihm besonders die Ostmark gefallen, »denn ich habe dort gesehen, was es heißt, in Deutschland leben zu dürfen und Deutscher zu sein«. Seine Lehrer notierten in ihrem Gutachten: »Mohn ist gut begabt, zeichnet sich aus durch selbstständiges Denken auf den meisten Gebieten, besonders auf naturwissenschaftlichem. Er bringt sowohl praktische als auch theoretische Eignung zum Ingenieurberuf mit. Er tritt jedem an ihn herangetragenen Stoff vor allem erst einmal kritisch gegenüber, wobei er zu starkem Selbstbewusstsein neigen kann. Andererseits kennzeichnet ihn wiederum ein Schwanken zwischen Schüchternheit und einer erfreulichen Offenheit.« Schon als Jugendlicher zeigte er also diese beiden nur scheinbar widersprüchlichen Seiten: Zurückhaltung und Selbstbewusstsein. Er zögerte und zweifelte. Hatte er sich einmal entschieden, war er schwer vom Gegenteil zu überzeugen. Dass er Fehler machte, war ihm dann nur schwer beizubringen. Reinhard Mohn sei ehrgeizig und einsatzbereit, vermerkten die Lehrer. Sie registrierten sein Interesse am Segelflug und seinen guten körperlichen Einsatz. Ostern 1939 legte er das Abitur ab. Anschließend – wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges – kam der Abiturient zum Arbeitsdienst. Mit nacktem Oberkörper musste er mit seinen Kameraden auf den Feldern in Reih und Glied mit dem Spaten Gräben ausheben. Er nahm den erzwungenen Dienst am Volke nicht allzu ernst. Zu Hause wurde kein Alkohol getrunken. Aber auf dem Feld wettete er mit seinen Kameraden um einen Kasten Bier, dass es ihm gelingen werde, einen ganzen Tag lang in seinem Trupp unter Aufsicht des Truppenführers keinen einzigen Spatenstich zu tun. Er gewann die Wette und war stolz darauf. Nach dem Arbeitsdienst wollte er eigentlich zu den Fliegern. Er hatte ja den mathematischen Zweig in der Schule besucht und wollte Ingenieur für Flugmotoren werden. Seiner Ansicht nach – und das kennzeichnet ihn als einen Menschen, der stets an die Zukunft dachte – gehörte der relativ neuen Technik die Zukunft. Er kam zwar zur 111
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Luftwaffe, aber sein Kriegsdienst verlief dennoch anders, als er sich vorgestellt hatte: Vom Flug-Ausbildungskommando in Quedlinburg, das der Luftwaffe unterstand, ging es nach drei Monaten nicht zu den Fliegern, sondern erst zu einer Fliegerhorstkompanie und ein halbes Jahr später dann zur Flak-Artillerie. Dort wurde er Gefreiter, dann Unteroffizier. Während sein Freund Steffi Ehlert tatsächlich fliegen durfte, war Reinhard also zu den Bodentruppen abkommandiert worden. Er war enttäuscht. An seiner körperlichen Verfassung kann es übrigens nicht gelegen haben, dass er nicht fliegen durfte. 1941 wurde ihm in Utrecht die Flugtauglichkeit bestätigt. Seine Enttäuschung wandelte sich in Entsetzen, als er der »Division Hermann Göring« unterstellt wurde. Als junger Offizier wurde er gar dem Reichsmarschall vorgeführt und musste sich eine lange Ansprache anhören. Göring sagte, dass Offiziere nicht damit rechnen dürften, den Krieg zu überleben. Mohn war schockiert. Mehr noch als die trüben Aussichten, die Göring versprach, irritierte ihn die Tatsache, dass Göring geschminkt war. »Der Kerl war angestrichen, das glaubt ja kein Mensch: schöne rote Bäckchen und rotlila Lippen.« Eigentlich hatte er ein gutes Los gezogen. Er war abkommandiert, um Görings Jagdschloss Karinhall und seine Familie zu bewachen. Doch diese Aufgabe schien den jungen Mohn zu langweilen. Er suchte das Abenteuer und bat darum, an die Front versetzt zu werden. Im Sommer 1942 erhielt er als Zugführer in Frankreich Kommandogewalt. Vom besetzten Frankreich, wo es damals noch ruhig war, wurde sein Regiment nach Italien verlegt. In dem Land funktionierte vieles nicht auf die Art, wie es der junge Mann, der mit Disziplin und Ordnung aufgewachsen war, gewohnt war. In ihm wuchs eine gewisse Abneigung gegen das Land. In Italien musste er, der inzwischen zum Offizier befördert worden war, als Zugführer eine »Verbrecherkompanie« befehligen, wie er sie nannte. Sie bestand aus Männern, die vor ihrem Kriegsdienst im Gefängnis gewesen waren. Eines Tages hatte Reinhard Mohn Ärger mit einem dieser Soldaten. Er bestrafte ihn. Über die Folgen der Strafe gibt es zwei Versionen: Seine erste Frau Magdalene berichtet, er habe immer wieder erzählt, der Soldat sei 112
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hingerichtet worden. Sein jüngster Sohn Andreas Mohn dagegen will gehört haben, dass der Soldat sich umgebracht habe. Was auch immer passiert ist, diese Erfahrung ließ ihn lange Zeit nicht los. Noch Jahre später erzählte er von den Erlebnissen mit der »Verbrecherkompanie«, die ihm zu denken gaben über die Art und Weise, wie man Menschen führt. Seine Einheit verschlug es immer weiter in den Süden. Von Sizilien aus wurde sie am 1. April 1943 mit JU-52-Fliegern nach Tunis verlegt. Das deutsche Afrika-Korps hatte seine siegreichen Tage damals bereits hinter sich. Die Amerikaner waren wenige Monate vor Reinhards Verlegung nach Tunesien in Nordafrika gelandet. Reinhard bekam mit, wie die Amerikaner den Deutschen im Atlas-Gebirge Stück für Stück die eroberten Gebiete abnahmen. Am 3. Mai schrieb er seiner Mutter einen Brief, den sie später als »Abschiedsbrief« bezeichnete, wohl weil ihr Sohn kurz darauf in Gefangenschaft geriet. Reinhard schrieb: »Gestern lösten wir uns vom Feind, nachdem wir den Rückmarsch der Division gesichert hatten. Davor liegen Tage härtester Kämpfe in den Bergen westlich von Mateur. Jetzt haben wir neue Stellungen bezogen ca. 20 Kilometer ostwärts von Mateur. Wir hatten beträchtliche Verluste und die Anstrengungen für die Truppe waren sehr groß. Tage haben wir im Fels gelegen, ungeschützt gegen Sonne und Kälte. Wegen des starken Artilleriefeuers konnte kein Wasser und Verpflegung gebracht werden. Und dicht vor uns lag der Feind. Doch darüber beklagen wir uns nicht. Wir hätten den Abschnitt vielleicht gehalten. Aber die Italiener haben uns zum Rückmarsch gezwungen, als sie regimenterweise überliefen. Die neuen Stellungen sind nicht günstig und ich glaube nicht, dass wir sie bei der gewaltigen feindlichen Macht und Überlegenheit halten können. Unser Kampf wird dann nur noch Wochen dauern. Ich schreibe dir dies nicht, weil ich ein Schwarzseher bin oder den Mut verloren hätte. Du sollst aber wissen, wie es hier in Wahrheit aussieht, damit die Überraschung und Enttäuschung nicht zu groß ist, wenn es so weit ist. Vergiss nicht den dauernden Rückmarsch, und die große Überlegenheit des Feindes ist bedrückend. Doch kann dies die Haltung unserer Männer nicht so weit 113
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beeinflussen, dass sie nicht ihre Pflicht täten bis zuletzt. Und du sollst nicht denken, dass ich bedrückt durch die Anstrengungen der letzten Tage die Lage so schwarz schildere. Es ist die Wahrheit und wir sehen den kommenden Tagen wissend, aber ohne Furcht gegenüber. Ein Zurück nach Europa kommt kaum in Betracht, da die Verbindung nach Italien fast völlig unterbrochen ist. So werden wir kämpfen, wie es uns der Befehl gebietet, bis zum Letzten. Zur jetzigen Lage: Wir sind als Reserve hinter die Front genommen und haben einen Vormittag Ruhe gehabt. Diese Reservenaufgabe ist schon typisch für uns, da wir motorisiert und deshalb schnell beweglich sind, werden wir überall dort hingeworfen, wo der Gegner durchbricht. Immer sind es deshalb schwere Rückzugskämpfe, die wir durchführen. Da die Front nun gestern 30 Kilometer zurückgenommen wurde, ist der Tommy noch nicht wieder ran, und wir haben mal etwas Ruhe. 40 Kilometer sind wir jetzt noch von Tunis entfernt. Wenn die Front jetzt noch einmal durchbrechen wird, sind wir am Ende. Wenn der Nachschub besser klappen würde, sähe die Lage noch erträglich aus. Aber die völlige englische Luftüberlegenheit und die englischen UBoote sperren den Luft- und Seeweg fast vollkommen. Noch versucht man aber, Truppen nach Afrika zu schieben. Täuscht man sich in höheren KDV-Stellen derart über die wahre Lage? Ich verkenne die Bedeutung Afrikas für die weitere Kriegsführung gewiss nicht. Aber ich glaube, man nimmt sich hier etwas zu viel vor. Na schön. Wir sind Soldaten und gehorchen. Der Führer wird schon wissen, weshalb er dieses Opfer verlangt. Gerade wird wieder Alarm gegeben: In wenigen Minuten werden wir wieder rollen und kämpfen.« Zwei Tage später und sechs Tage vor der Kapitulation der deutschen Truppen in Afrika war er am 5. Mai 1943 als Soldat einer Panzeraufklärungsabteilung 60 Kilometer nordwestlich von Tunis im Einsatz. Dabei wurde er verwundet und geriet in Gefangenschaft. Am 9. Juni 1943 schrieb er der Frau seines Bruders: »Die Gefangenschaft ist nicht so geistlos, wie man vielleicht denken könnte. Wir haben morgens Studienbetrieb und die Zeit vergeht mir so verhältnismäßig schnell. Von diesen Kenntnissen, die ich mir augenblicklich erwerbe, abgesehen, 114
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habe ich in den letzten Wochen verschiedene Erkenntnisse bekommen, die auch für meinen weiteren Lebenslauf nicht ganz unbedeutend sein dürften. Schreiben kann ich dir leider nichts darüber. Vielleicht werden wir uns später einmal darüber unterhalten können. Hoffentlich ändert sich bald einmal der traurige Zustand, dass man völlig von der Außenwelt abgeschnitten ist und nicht einmal Post bekommt.« Am 1. Juli 1943 war er noch immer in Afrika. Seinem Freund Steffi Ehlert, der ebenfalls in Gefangenschaft war, schrieb er: »Lieber Steffi! Du hast ja gewiss über Gützel schon über meine veränderte Lage erfahren. Es werden nun bald zwei Monate, seit wir gekascht wurden, und ich kann nur sagen, dass ich in dieser Zeit wenig erfreuliche Dinge erlebt habe. Meine Verwundung war ja verhältnismäßig schnell verheilt und ich merke jetzt nichts mehr davon. Dafür hat man aber eine Reihe anderer Sorgen, die einem das ohnehin nicht angenehme Geschick nicht grad erleichtern. So ist zum Beispiel der Aufenthalt hier in Afrika aus verschiedenen Gründen jetzt kaum mehr erfreulich. Wir sind in Gefangenschaft der Amerikaner und ich rechne und hoffe auf einen baldigen Abtransport nach USA. Aber anscheinend spielt das Schiffsraumproblem doch eine beachtliche Rolle. Verpflegungsmäßig ist unsere Lage durchaus erträglich. Dafür ist die geistige Betreuung schon schlechter. Man hört nicht die geringste Nachricht über das Kriegsgeschehen und man weiß doch, dass sich diesen Sommer alles entscheiden wird. (Den nächsten Satz haben die Amerikaner zensiert und geschwärzt.) Hauptsache, drüben geht alles klar. Gruß Reinhard.« Drei Wochen dauerte die Überfahrt über den Atlantik nach Norfolk an der amerikanischen Ostküste. In dieser Zeit waren die 60 Schiffe, die in einem Konvoi fuhren, ständig von deutschen U-Booten bedroht. Reinhard machte sich nützlich an Bord und schnitt seinen Kameraden die Haare. Nach der Landung in den USA dauerte die Weiterfahrt mit dem Zug noch einmal drei Tage, bis die Gefangenen schließlich in Kansas waren. Unterwegs hatten sie Zettel aus den Fenstern geworfen mit der Aufforderung: »Glaubt nicht die Lügen über Deutschland.« Als sie in Concordia in Kansas ankamen, marschierten sie durch die kleine Stadt. Dabei sangen sie deutsche Marschlieder. 115
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Zweieinhalb Jahre verbrachte Reinhard Mohn in dem Lager in Kansas. Er versuchte, die Zeit zu nutzen. Er arbeitete in einer Fabrik, obwohl er das als Offizier nicht hätte tun müssen. Er lernte Englisch und las Bücher aus der Lagerbibliothek. Er informierte sich über das amerikanische Demokratieverständnis. Während manche Kameraden noch immer glaubten, der Nationalsozialismus könne der Welt Frieden bringen, entdeckte Reinhard Mohn die Vorzüge der amerikanischen Politik und Gesellschaft. »Die Amerikaner waren sehr liberal, sie boten ihrerseits Unterricht an über amerikanische Geschichte und Demokratie. Für mich war das ein wesentlicher Meinungsbildungsprozess.« In der Lageruniversität von Concordia konnte er jedoch nicht nur etwas über das Wesen der Demokratie lernen. Er konnte auch seinen Wunsch, Ingenieur zu werden, ein Stück weit verwirklichen und Vorlesungen in Technik besuchen. Eines Tages fragte ihn ein anderer Gefangener, ob er nicht etwas für die Lagerzeitung schreiben wolle. Mohn willigte ein und schrieb darüber, wie wichtig es sei, Pausen zu machen. Der Offizier, der ihn um den Beitrag gebeten hatte, war sehr von ihm angetan. In seinem Tagebuch hielt er über Mohn am 1. April 1945 ein paar Eindrücke fest, die sich wie eine Hymne lesen: »Ich weiß nicht seit wann, aber seit einiger Zeit ahnte ich: Das ist ein Kerl! Ich sah ein paar Mal hin und nie spricht etwas dagegen. Ich blickte schärfer hin und sehe es immer deutlicher, gewisser: entdecke eine Haltung. Viel Schweigen, Maß, Festigkeit, keine Allüren, keine Hast, keine Trägheit, keine Formlosigkeit, kein Zeichen der Unechtheit, keine Angabe, kein Zeichen für Unaufrichtigkeit, keine Plumpheit, keine Unsicherheit, keine Oberflächlichkeit; Gemeinschaft und Einsamkeit abgewogen; Lachen, Form.« Die Zeilen stammen von Rudolf Wendorff, der sechs Jahre älter ist als Reinhard Mohn. Die beiden trafen sich nun öfters, machten gemeinsame Spaziergänge am Stacheldraht entlang, führten dabei oder abends in der Baracke »viele ernsthafte Gespräche« und erzählten sich aus ihrem Leben. Reinhard Mohn war der sportlichere der beiden. Er überredete Wendorff zum Mitmachen beim Jiu-Jitsu »und warf mich dabei öfter kräftig auf die Matte«, wie Wendorff notierte. Gemeinsam 116
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liefen die beiden die Langstrecke beim Sportfest des Lagers. Als Wendorff 1945 in ein anderes Lager versetzt wurde, gab Mohn ihm einen Zettel mit den wichtigsten Regeln für Jiu-Jitsu mit. Trotz vieler Übereinstimmungen blieb es eine Freundschaft auf Distanz. Man blieb beim »Sie«. Am 14. März 1945 hörten beide, dass die Amerikaner in die Region um Gütersloh vorrückten. Reinhard Mohn erwähnte, dass seine Familie zu Hause in ihrem Betrieb auch Druckmaschinen hatte. Das war das erste Mal, dass Wendorff von Bertelsmann hörte. Sicher irgend so eine Provinzdruckerei, dachte der Intellektuelle aus Berlin. Man sprach nicht viel über das Verlagsgeschäft. Aber einige Tage später erzählte Reinhard, dass ihm der Vater geschrieben habe. Der Betrieb sei zerstört, der Bruder verschollen. Der Vater habe ihn gefragt, ob er nach seiner Rückkehr den Betrieb übernehmen könne. Dieser Wunsch stürzte Reinhard in große Zweifel. Er wusste nicht, wie er sich entscheiden sollte. Im November 1945 wurde Mohn mit einem großen Teil der Gefangenen von New York aus nach Le Havre gebracht. Die Überfahrt war stürmisch; die Wellen türmten sich bis zu zwölf Meter hoch. Mohn war die ganze Zeit über schlecht. Ein Fahrer der Firma holte ihn vom Entlassungslager ab und sagte: »Ist gut, dass du wiederkommst. Du wirst hier gebraucht. Dein Vater ist nicht sehr gesund, alles ist zerstört. Du solltest hier mitmachen!« Ohne lange zu überlegen, entschied er: »Also gut, dann machen wir das!« Das war keine sorgfältig erwogene berufliche Entscheidung, sondern »es ging einfach darum, das Nächstliegende anzupacken, ein Dach über’m Kopf und etwas zu essen zu haben.« Als Rudolf Wendorff zwei Monate später entlassen wurde und nach Deutschland zurückkehrte, konnte er nicht mehr nach Berlin. Aber auch in Hamburg durfte er nicht bleiben. Dort wurden ihm weder Arbeit noch Lebensmittel zugeteilt. Zum Glück fand er an der vereinbarten Adresse in Hamburg ein Schreiben seines Freundes vor mit der Aufforderung, nach Gütersloh zu kommen. Da gebe es wenigstens Kartoffeln. Wendorff nahm das Angebot nach einigem Überlegen dan117
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kend an. Eine Woche später war er Mitarbeiter von Bertelsmann. Erst im März 1946 bot Mohn dem Kriegskameraden das »Du« an – obwohl der eigentlich der Ältere war. Aber nun war Reinhard Mohn der Nachfolger seines Vaters und damit Wendorffs Chef.
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7. »Es ist wie ein Aufatmen« Stunde Null bei Bertelsmann
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urz vor Ende des Krieges erlebte Gütersloh am 14. März 1945 nachmittags um 14 Uhr den schwersten Angriff der gesamten Kriegszeit. Die Stadt war wegen des Fliegerhorstes in der Nähe schon mehrmals zuvor angegriffen worden. Allerdings war sie dabei stets von großen Zerstörungen verschont geblieben. Anders am 14. März. Kurz nach dem Fliegeralarm bombardierten 120 viermotorige Flugzeuge die Stadt in vier Angriffswellen. Ein Augenzeuge berichtete: »Sie warfen 2 693 Spreng- und etwa 30 000 bis 35 000 Brandbomben und Phosphorkanister auf die Innenstadt. Etwa zwölf Minuten dauerte dieser größte Angriff, der während des ganzen Krieges unsere Stadt getroffen hatte … Was zahlreiche Volltreffer vom Betriebsgebäude des Verlags C. Bertelsmann übrig gelassen hatten, das wurde in der Nacht nach dem Bombenangriff und am folgenden Tage durch ein Großfeuer vernichtet.« Kaum etwas brennt besser als ein Papierlager. Einen solchen Brand wie in dem Betrieb habe er erst einmal in Bremen erlebt, sagte ein Feuerwehrmann, aber da habe man die Papierballen wenigstens in die Weser werfen können. Nicht so in Gütersloh. »Es brannte, brannte, brannte überall«, erinnerte sich Theodor Berthoud. Als er am Abend des 14. März die Brandwache übernahm, beobachtete er den Verlagschef Heinrich Mohn, der nachdenklich zwischen den Trümmern stand. »Er blickte in den Untergang seines Betriebes.« Viele Gebäude waren in Flammen aufgegangen. Nur ein Drittel der Substanz war nicht zerstört. Überall regnete es hinein. Die Setzerei? Zerstört. Die Lettern für den Handsatz? Geschmolzen. Maschinen? Ausgeglüht oder zertrümmert. 119
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Berthoud notierte: »Noch vier Wochen nach der Katastrophe habe ich einen glimmenden Türpfosten gefunden und gelöscht, so furchtbar war das Geschehen.« Fritz Wixforth blickt in die Gesichter seiner Mitarbeiter und sah Verzweiflung und Resignation. Alle fragten sich: »Würden wir je wieder mit der Arbeit beginnen können?« So schlimm die Zerstörung auch war, Heinrich Mohn blickte selbst in dieser schwierigen Situation nach vorne: Noch während der Betrieb in der Eickhoffstraße in Flammen stand, gab er seinen Mitarbeitern Anweisungen, welche Gebäude sie zuerst räumen und wieder aufbauen sollten. Es dauerte noch zwei Wochen, bis Gütersloh am 1. April 1945 – dem Ostersonntag – von amerikanischen Soldaten besetzt wurde. Die Mohns mussten ihr Haus in der Kurfürstenstraße räumen und zogen zunächst für einige Tage an den Stadtrand in das beengte Haus von Hanna Kathe, der Privatsekretärin Heinrich Mohns. Sie stellte ihrem Chef bereitwillig ihr bestes Zimmer zur Verfügung. Immerhin hatte er sich für sie eingesetzt und dafür gesorgt, dass sie vom Kriegsdienst befreit wurde. Die Familie kam mit den Fahrrädern nach, die Schlafsäcke auf dem Gepäckträger. Mit dabei waren auch die Kinder von Mohns Schwager und Stellvertreter Steinsiek. Als die Alliierten anrückten, stand eine Volkswehrabteilung zum letzten Kampf bereit. Auch der über 50-jährige Schwager Heinrich Mohns war eingezogen worden. Der Bürgermeister der NSDAP, Josef Bauer, sorgte jedoch dafür, dass die Stadt keinen Widerstand leistete und sich kampflos ergab. Im August 1945 wurde Bauer für anderthalb Jahre inhaftiert. Ab November etablierten sich neue Parteien. Man räumte den Schutt und die Trümmer weg und machte sich an den Wiederaufbau. Bauen war allerdings nur mit Genehmigungen erlaubt. Heinrich Mohn litt mit zunehmendem Alter mehr und mehr unter seinem Asthma. Seine Söhne waren in Kriegsgefangenschaft. Wer sollte ihn beim Aufbau unterstützen? Nun sollte sich bewähren, dass Heinrich Mohn sich stets um seine Mitarbeiter gekümmert hatte. Denn nun waren sie es, die ihm halfen: 4 000 Fuhren Schutt wurden weggeräumt, jeder noch brauchbare Stein und Stahlträger wurde auf die Seite gelegt, um sie wieder zu verwenden. Setzer und Drucker erle120
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digten die Arbeit von Maurern und Zimmerleuten. Heinrich Mohn konnte auf die Betriebsgemeinschaft bauen. Besondere Hoffnung setzte der Verlagschef in Heinrich Henke. Denn der war nicht nur sein Fahrer und Hausmeister, sondern hatte zu seiner Zufriedenheit auch den Erweiterungsbau 1937 geleitet. Henke versuchte nun, an Material für den Wiederaufbau zu kommen: Zement, Sand, Ziegelsteine, Kies, Holz, Nägel. Doch auf offiziellem Weg gab es so gut wie nichts. Heinrich Mohn dachte, er könnte Lieferanten mit guter Bezahlung locken und versprach ihnen, zweimal zu zahlen. Jetzt gleich – in Reichsmark, die jedoch bald wertlos sein würde. Dann noch einmal, nach der Währungsreform. Doch zu seinem Erstaunen ging niemand auf das Angebot ein, das er für sehr fair hielt. Anscheinend zahlten andere noch besser oder hatten einen besseren Tausch zu bieten. Oder es gab wirklich nichts. In dieser Situation waren Kreativität und Organisationstalent gefragt – und man musste auch mal beide Augen zudrücken und Lösungen akzeptieren, die nicht ganz legal waren. Wer war für diese Aufgabe wie geschaffen? Wer verstand sich wie kein anderer aufs Improvisieren? Das war natürlich eine Aufgabe, bei der einer wie Fritz Wixforth – nach all den Hemmnissen im Krieg – endlich wieder alle seine Talente zeigen konnte. Und er tat es gerne, denn sich am Aufbau zu beteiligen war in diesen Tagen die einzige Möglichkeit, sich Erfolgserlebnisse zu verschaffen. Druckerzeugnisse, um deren Herstellung oder Vertrieb er sich kümmern konnte, gab es nicht. Für einen nicht funktionierenden Verlag konnte er keine Werbekampagnen konzipieren. Also schob er die Bucharbeit beiseite und setzte seine Kreativität ein für die Beschaffung von Kies, Sand und Zement. Aus dem Vertriebschef wurde ein Materialbeschaffer. Vielleicht war der Unterschied ohnehin geringer, als es nach außen hin den Anschein hatte. Wer wusste, wie man Skripte und Lizenzen beschafft, Lieferanten hinhält und Händler ködert, für den war es auch nicht schwer, Kohle, Sand, Kies und Zement zu beschaffen. Andere ließ der Mangel verzweifeln, für Wixforth war er eine Herausforderung. Er stürzte sich mit ähnlichem Eifer auf den Wiederaufbau des Betriebes, wie er zuvor 121
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den Vertrieb aufgebaut hatte. Was ihn antrieb, war, etwas aufzubauen. Zu wachsen. Schneller zu wachsen als andere. Und Bertelsmann wuchs schneller als andere. Das war vor dem Krieg so. Das war im Krieg so. Das würde auch nach dem Krieg so sein und so bleiben. Wixforth sah, dass es in der Stadt nichts gab. Also musste man mobil werden und übers Land fahren. Der alte Opel P 4, den die Besatzer nicht beschlagnahmt hatten, wurde im Verlag benötigt. Wixforth besorgte sich ein eigenes Fahrzeug. Der Grafiker Günther Büsemeyer war körperbehindert und hatte deshalb Anspruch auf die Zulassung eines Fahrzeugs und auf Benzin. Früher hatte Wixforth Büsemeyer mit den Entwürfen zu den »Spannenden Geschichten« beauftragt. Jetzt bot er ihm Bezahlung dafür an, dass er sein Fahrzeug benutzen dürfe. Aber bald schon benötigte Büsemeyer sein Auto wieder selbst. Wixforth musste sich erneut umsehen und entdeckte bei einem Bekannten einen Opel Super 6, der seit Jahren nicht mehr bewegt worden war. Das Auto hatte keine Reifen und der Motor war defekt. Auf dem Tauschweg besorgte Wixforth die Reifen. Mit dem Motor war es schwieriger. Die britischen Besatzer hatten auch stillgelegte Fahrzeuge unter Kontrolle, die man als Ersatzteile hätte verwenden können. Wixforth beschaffte sich Zugang zu einem Lager, ließ den Motor eines baugleichen Fahrzeugs klauen und einbauen. Damit war er immer noch nicht mobil. Es fehlte Benzin. Dafür würde man keine Zuteilung erhalten. Er sah nur einen Weg: auf Benzin zu verzichten und den Super 6 auf Holzgasbetrieb umzustellen. Aufs Dach montierte man einen Gepäckträger, der das Holz fasste, ans Heck einen Brenner. Ein dickes Rohr diente als Vergaser. Mit diesem Fahrzeug legte Wixforth, begleitet von Setzern und Druckern, in den Jahren bis zur Währungsreform 245 000 Kilometer zurück. Er fuhr in der Gegend herum und »beschaffte« Material. Wixforth handelte aus, wie bezahlt und womit getauscht wurde. Seine Mitarbeiter luden auf und schafften das Material nach Gütersloh. Wohlgemerkt: Die Güter wurden bezahlt, nicht gestohlen. Aber oft gab es keine Papiere dafür in den Zeiten, als die strengen Kriegswirtschaftsbedingungen auch nach dem Krieg noch galten. Besonders wichtig in 122
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diesen Jahren war Kohle. Für deren Transport hatte Wixforth einen Eineinhalb-Tonnen-Lastwagen besorgt und auf Holzgasbetrieb umrüsten lassen. Das Fahrzeug erhielt den Namen »Schwarzer Panther«. Wixforth beschaffte die Kohle von einer Zeche in Hamm. Die Fahrt auf der Autobahn von Hamm nach Gütersloh lief ab wie eine Schmuggeloperation: Ein Mitarbeiter von Bertelsmann fuhr im Super 6 voraus, um zu prüfen, ob die Polizei kontrollierte. Der Lastwagen fuhr in einem Abstand von 20 Kilometern hinterher. So konnte ihn der erste Fahrer immer noch rechtzeitig warnen. Einmal stand die Polizei in der Nähe von Oelde. Ein Polizist hielt den Fahrer des Super 6, Wilhelm Siewert, an und verlangte das vorgeschriebene Fahrtenbuch. Siewert hatte die Fahrt von Gütersloh nach Hamm notiert, nicht aber die Strecke zurück. Die Beamten stutzten und fragten Siewert, wohin er wolle. »Nach Hamm«, sagte der geistesgegenwärtig, um keine Strafe zahlen zu müssen. Der Polizist lachte und klärte Siewert auf, dass er in die falsche Richtung fahre. Siewert heuchelte Erstaunen und fragte, ob er über den Grünstreifen wenden dürfe – damals gab es kaum Verkehr. Der Polizist erlaubte es. Siewert wendete den Wagen, fuhr zurück und hielt den Lastwagen an. Gemeinsam verließ man die Autobahn und fuhr auf einem Schleichweg heim nach Gütersloh. Dass Bertelsmann Druckerei und Verlag wieder errichtete, entging weder den Behörden noch den Besatzern. Die Behörden fragten nicht, woher das Material kam. Ihnen war es nur recht, dass die Bauarbeiten vorangingen. Anders die Besatzer. Eines Tages fragten die Briten den obersten Verwaltungsbeamten, Stadtdirektor Paul Thöne: »Herr Stadtdirektor, wir haben gehört, Sie bauen in der Stadt Gütersloh schwarz?« Thöne fühlte sich zunächst ertappt und schwieg. Dann gab er sich einen Ruck und sagte höflich, aber offen: »Ja, wir bauen schwarz.« Seine Offenheit erstaunte die Briten. Sie schwiegen eine Weile. Damit hatten sie offenbar nicht gerechnet. Sie räusperten sich, dann schmunzelten sie. Was sollten sie auch machen? Das Verhör war beendet. Sie gingen, und Thöne hörte nie wieder von ihnen. Ganz ließ der Besuch der Briten dem Stadtdirektor aber keine Ruhe: Er bat Wixforth in sein Büro und fragte ihn, wie es komme, dass auf 123
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dem Gelände des Verlags so fleißig gearbeitet werde und die Bauarbeiten so zügig vorangingen. Immer wieder werde er darauf angesprochen. Ob die Bücher von Bertelsmann denn tatsächlich so begehrt wären als Tauschobjekt? Das war ein schöner, in diesen Zeiten aber zugleich seltsamer Gedanke, dass Bücher so begehrt sein sollten, dass sie praktisch als »harte Währung« getauscht werden konnten. In Wirklichkeit handelte Wixforth gar nicht mit Büchern: Er besorgte den Tauschpartnern Güter, die ihnen fehlten. Oft waren das Lebensmittel aus Gütersloh und Umgebung. Steinhäger-Schnaps aus einer der Brennereien der Gegend oder Mehl oder Schinken. Er tauschte Holz gegen Ziegelsteine und Dachpappe gegen Heizkörper, er tauschte Zigarren gegen Zement und Kartoffeln gegen Öfen und Herde. Als der Aufbau der Gebäude in vollem Gange war, widmete sich Wixforth der Frage, wie man aus dem Betrieb wieder eine voll funktionierende Druckerei machen könne. Es fehlten Maschinen. Aus den Trümmern hatten Mitarbeiter die unverzichtbaren Teile einer Setzmaschine geklaubt und sie wieder zusammengesetzt. Mit Mühe konnte man also ein Buch setzen. Aber viel konnte man damit nicht machen. Wixforth suchte weitere Maschinen und wurde fündig in einer ehemaligen Druckerei der Wehrmacht in Brackwede bei Bielefeld. Die Druckerei arbeitete jetzt für die Briten. Dort gab es zwei Setzmaschinen, die offenbar nicht gebraucht wurden. Natürlich bekam man diese Maschinen nicht einfach geschenkt. Wixforth hatte Angst, dass die Briten die Druckerei auflösen und die Geräte mitnehmen würden. Er wollte gerne dafür bezahlen – aber er konnte nicht. Also ließ er die beiden Setzmaschinen bei Nacht und Nebel holen und nach Gütersloh schaffen. Bezahlt hat er sie erst Jahre später, als das Besatzungsrecht nicht mehr galt. Nachdem die neuen Gebäude für die Druckerei und die Buchbinderei standen, fehlte noch ein neues Verlagsgebäude. Zu Beginn des Jahres 1947 feierte die Belegschaft die Grundsteinlegung. Dabei hielt Reinhard Mohn im Soldatenmantel eine Rede, die in der Betriebsgeschichte fortan eine wichtige Rolle spielen sollte. Es war der erste große Auftritt des Juniors, der auf einem Bild festgehalten ist. Es findet 124
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sich unter dem Titel »Stunde null und Neubeginn« in jeder Schrift zur Unternehmensgeschichte. Programmatisch sprach Reinhard Mohn über den Wiederaufbau. Dieser Logik zufolge wurde er zum »Nachkriegsgründer« – dass die Geschichte in Wirklichkeit ein bisschen anders verlief, spielte keine Rolle. Den wichtigsten Beitrag zum Wiederaufbau lieferte Reinhard Mohn, indem er die Lizenz sicherte. Vom Buchhandel hatte Reinhard Mohn damals noch wenig Ahnung. Das Geschäft lernte er erst später auf der Buchhändlerschule in Köln und in der Buchhandlung Calvör in Göttingen. Reinhard Mohn eröffnete seine Ansprache mit einem Hinweis auf ein Geschenk, das ihm seine Mitarbeiter gemacht hatten. Zu Weihnachten hatten die Mitarbeiter dem Hobbyfotografen Reinhard Mohn ein Fotoalbum übergeben. Es enthielt Bilder aus dem Frühjahr 1945, als der Betrieb zerstört war, und vom Wiederaufbau. »Mauerreste und Trümmer, Schutt und Rauch«, so beschriebt Reinhard Mohn die Bilder. »Zerstörung, Zusammenbruch und Hoffnungslosigkeit sahen mich aus diesen Aufnahmen an.« Doch dann gab es ja noch die Bilderserie vom Aufbau. Beim Betrachten dieser Bilder spürte Reinhard »deutlich ein Gefühl der Erleichterung«, wie er seinen Mitarbeitern sagte. »Es ist wie ein Aufatmen, zu sehen, wie die Gebäude wieder emporwachsen, wie hier gebaut und Ordnung geschaffen wird und wie dann die eigentliche Berufsarbeit wieder beginnen kann.« Mit Geld könne er das gar nicht entgelten, sagte er, gleichwohl sei man auch noch nicht am Ende der Mühen. »Die Schwierigkeiten in der Materialbeschaffung werden immer größer und Aussichten auf eine baldige Besserung bestehen absolut nicht. Je länger, je mehr wächst diese Frage zu der entscheidenden Lebensfrage unseres technischen Betriebs heran.« Während Bertelsmann Probleme hatte, Rohstoffe zu besorgen, tat sich im Bereich des theologischen Verlags Unerwartetes: Der RuferVerlag verzeichnete Gewinn. Es war nicht viel, aber immerhin. Grund dafür dürfte sein, dass religiöse Texte in diesen Tagen sehr gefragt waren und man Lagerbestände verkaufen konnte. Der C. Bertelsmann Verlag und die Druckerei machten dagegen Verluste. 1946 dürfte so125
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mit vielleicht das einzige Jahr gewesen sein, in dem der Rufer-Verlag die Verluste der anderen Bereiche ausglich. Als Gründe für das Minus im technischen Bereich nannte Mohn unter anderem: »unzureichende Ernährung, mangelhafte Ausbildung der vielen neu eingestellten Mitarbeiter, ungleichmäßiger Arbeitsanfall, ungenügende Elektrizitätsversorgung und Arbeitsunterbrechungen für Außenarbeiten«. Mohn sagte auch Grundsätzliches zum Gewinn: Hohe Gewinne seien wegen der hohen Steuern nicht erstrebenswert; vielmehr müsse man die Ausbildung und die Qualität verbessern. Dann sprach er »die Frage der Kohleverteilung« an. Die Mitarbeiter mögen bitte ein Einsehen haben, aber er könne von den für Bertelsmann bestimmten Kohlen niemandem etwas abgeben. Der Betrieb habe Vorrang vor den privaten Wünschen. Damit war Mohn bei einem Thema, das ihn offenbar sehr beschäftigte. Ausführlich ging er auf das Problem ein, dass manche Mitarbeiter einfach nähmen, was sie brauchten. »Es ist ein Unding, zu glauben, dass die traurigen Zeitumstände eine Rechtfertigung dafür darstellen könnten, sich das zu stehlen, was auf ehrlichem Wege nicht zu bekommen ist.« Das Vertrauen im Betrieb sei deshalb »spürbar« gestört. Überwachung helfe nichts; er könne nur an alle appellieren, sauber zu bleiben. »Die solches tun, sind immer nur wenige. Es sind dies Egoisten ohne Anstand und Gefühl für Gemeinschaft.« Schon in dieser ersten Rede sprach Reinhard Mohn damit fast alle Themen an, die ihn ein Leben lang beschäftigen sollten: Gemeinschaft und Moral; Gewinn und unternehmerisches Handeln, Motivation und Gerechtigkeit. So auch in der Lohnfrage. Höhere Löhne dürfe er nur zahlen, wenn erhöhte Leistung dies rechtfertige. All dies werde man auf gerechte Weise regeln. »Glaubt sich einmal irgendjemand in diesen Dingen übergangen, so ist es gewiss sein gutes Recht, vorstellig zu werden und sein Anliegen vorzutragen. Die Entscheidung aber muss natürlich die Leitung der Firma treffen, da nur von der Stelle aus eine durch Vergleich und Einstufung gefundene gerechte Lösung möglich ist.« In puncto Führungsstil war der junge Mohn noch weit von seinem 126
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späteren Ideal entfernt. Da seine Belegschaft noch relativ klein war und nur ein paar Hundert Leute umfasste, konnte er noch den patriarchalischen Führungsstil pflegen, der eigentlich seinem Großvater zu Eigen war. Auch Kleinigkeiten regelte er noch selbst. Vom Prinzip des Delegierens, das später seine Philosophie prägen sollte, ist in dieser Rede jedenfalls wenig zu spüren. Alle Beschwerden und Vorschläge sollen bitte an ihn persönlich herangetragen werden. Ob es sich um die Garderobe in der Buchbinderei oder die Toiletten in der Druckerei handelte, der Verlag werde sich bemühen. »Ich bedauere sehr«, so Mohn, »dass ich infolge gesundheitlicher Behinderung und arbeitsmäßiger Überlastung nicht genügend Gelegenheit habe, mich selbst mehr mit all den Fragen … zu befassen.« Dennoch betonte er gleich im Anschluss: »Ich bitte Sie, alle wichtigen Fragen mir doch immer persönlich vorzutragen.« Während er später wenig Interesse an der Theologie zeigte und diesen Zweig des Geschäfts seinen Vater und seinen Bruder weiterführen ließ, betonte er an diesem Tag ihre Bedeutung. »Auf dem Gebiet der Theologie stehen wir vor der großen Aufgabe, nachzuholen, was infolge Verbots oder starker Behinderung in den vergangenen Jahren nicht veröffentlicht werden konnte«, sagte er. »Der Bedarf auf diesem Gebiet ist ungeheuer groß!« Viele Menschen würden nicht mal mehr ein Gesangbuch besitzen. Selbst bei Theologie-Studenten oder Pastoren stoße man auf diesen Mangel. Es schien, als würde Heinrich Mohn aus dem Mund seines Sohnes sprechen. Bertelsmann wolle helfen, »dass unser verwirrtes Volk wieder zum Glauben finden kann«, sagte er. Die Aufgabe des schöngeistigen Verlags dagegen sei, »den Menschen Unterhaltung zu geben, die sie einmal den Alltag vergessen machen soll und ihnen Freude bringt«. Zum Abschluss sagte er: »Der Herrgott möge uns seinen Segen geben zu unserer Arbeit.« Die Rede muss seinem Vater gefallen haben, stand Reinhard damit doch ganz in seiner Tradition. Doch Heinrich Mohn hielt sich im Hintergrund. Er ließ seinen Sohn gewähren – selbst wenn er Fehler machte.
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Das Geschäft läuft wieder an Nachdem die Aufbauarbeiten in Gang gekommen waren, konnte sich auch Wixforth wieder dem Verlagsgeschäft zuwenden. »Mit einem Ruck drehte er sich um und kümmerte sich von einem Tag zum andern wieder um seine ureigenste Aufgabe, den Buchvertrieb«, sagte Heinrich Mohn. »Die Bauarbeiten sah er gar nicht mehr.« Die Vergangenheit interessierte Wixforth nicht. Er sprach auch kaum über seine Erlebnisse im Dritten Reich. Abends sagte er manchmal: »Und dann war der Spuk vorbei, und wir konnten in Freiheit arbeiten.« Das war alles. Ob er nur seine Zeit als Gefängnisinsasse in Moabit, seine Zeit als Soldat oder die gesamte Nazizeit als Spuk empfand, sagte er nicht. Seine Mitarbeiter nahmen an, dass er nur über Moabit sprach, nicht aber über das Dritte Reich. Manchmal, erinnert sich Hedwig Liebezeit, die 1950 bei Bertelsmann anfing und in Wixforths Abteilung arbeitete, bemerkte er: »Nicht das, was wir machten, dagegen konnten die Machthaber nichts einwenden. Aber das, was wir nicht brachten, das war ihnen ein Dorn im Auge.« Wixforth bestätigte auch oft, dass er zufrieden sei mit dem Erreichten, nämlich »den Menschen das gute Buch zu bringen und dadurch ihr Leben reicher, schöner und glücklicher gemacht zu haben«. Aus »Fritzchen«, der einst als »Stift« mit 14 Jahren angefangen hatte, war längst »der alte Fritz« geworden, den alle respektierten. Er war ebenso einfallsreich wie pedantisch. Wenn eine Sekretärin einen Brief geschrieben hatte, hielt er ihn gegen das Licht. Hatte sie radiert, weil es damals weder elektrische Schreibmaschinen noch eine Korrekturtaste gab, dann musste sie den ganzen Brief noch einmal schreiben. Bleistifte mussten alle in einer bestimmten Anordnung auf dem Schreibtisch liegen. Aber abends, wenn ein Geburtstag zu feiern war, oder bei der Weihnachtsfeier war er gesellig und erzählte gerne Schoten aus seinem Leben. Dann sang er sogar: »Rosemarie, Rosemarie, sieben Jahre mein Herz nach dir schrie.« Nicht zuletzt deshalb war er trotz seiner Pedanterie beliebt. Im Betrieb nahm man eine Tradition aus der Zeit vor dem Krieg 128
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wieder auf: das gemeinsame Singen. Die Frauen in der Buchbinderei hatten oft eintönige Arbeiten zu verrichten und sangen dabei gerne alte Volkslieder. Die Tradition wurde freilich auch in anderer Hinsicht aufgegriffen. Heinrich Mohn schrieb die Autoren an, mit denen er schon im Dritten Reich zusammengearbeitet hatte. Nicht etwa diejenigen, die unbedenkliche Texte geliefert hatten, sondern solche, die ganz im Sinne der Nationalsozialisten geschrieben hatten: Hans Grimm und Will Vesper. Als sich aber zeigte, dass damit die Lizenz in Gefahr geriet, brach er diese Versuche schnell ab. So weit ging seine Loyalität denn doch nicht, dass er den Verlag ihretwegen gefährden wollte. Während Reinhard Mohn seine Ausbildung bei einer Buchhandlung in Göttingen und der Buchhändlerschule in Köln durchlief, brachte Wixforth den Verlag wieder ins Geschäft. 1948 verlegte Bertelsmann 116 Titel; mit einer Theodor-Storm-Kassette versuchte man, an bewährte Vertriebstechniken anzuknüpfen. Nach der Währungsreform 1948 hatten zwar Kinos und Theater zu kämpfen; dem Buchhandel ging es zunächst aber gut. Man verzeichnete sogar einen Anstieg. Geld war dennoch knapp. Kredite gab es nicht. Der Buchhändler Viktor Wehling aus Bielefeld wollte Bücher kaufen, aber er hatte kein Bargeld. Sollte man ihn abweisen? Wixforth schlug Wehling vor, ihm einen Wechsel auszustellen. Fraglich war allerdings, ob die Hausbank von Bertelsmann diesen Wechsel akzeptieren würde. So kurz nach der Währungsreform lagen noch keine Anweisungen vor, wie in solchen Situationen zu verfahren sei. Während der Filialdirektor mit der Zentrale das Problem besprach, was mehrere Stunden in Anspruch nahm, warteten Wixforth und Wehling und leerten eine Flasche Steinhäger. Dann kam die gute Nachricht. Der Wechsel werde akzeptiert. Wehling kaufte Bücher für 21 000 Mark. Bereits am nächsten Tag verfügte Bertelsmann über das Geld. Was einmal funktionierte, konnte ja auch generell funktionieren, dachte sich Wixforth. Er ordnete also an, den Lastwagen mit Buchkassetten zu beladen, schickte zwei Leute auf den Weg und wies sie an, die Kassetten den Reise- und Versandbuchhändlern zu liefern – sofern sie bereit wären, die Ware mit Wechseln (so genannten Dreimonats129
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akzepten) zu bezahlen. Die Buchhändler waren froh über das Angebot, mit dem sie ihr Geschäft wieder ankurbeln konnten. Nach zwei Tagen kam der Lastwagen zurück und hatte die ganze Ladung losgeschlagen. Jeder Händler hatte 20, 30 oder mehr Kassetten abgenommen. Die beiden Mitarbeiter des Verlags hatten vor Ort gleich die Rechnungen geschrieben und die Wechsel in Empfang genommen. Nun verlor man keine Zeit. Der Lastwagen wurde am nächsten Tag wieder beladen und fuhr erneut los. Auf diese Weise wurde nun auch der Handel beliefert. In den folgenden Monaten stieg die Nachfrage derart, dass Bertelsmann mit der Produktion nicht mehr nachkam. Doch nun verfügte die Firma über genügend liquide Mittel, um neue Setzmaschinen zu kaufen. Druckerei und Verlag machten Überstunden und arbeiteten bis zu 14 Stunden am Tag. Wixforth wollte sich nicht auf den Erfolgen ausruhen, sondern trieb alle zu noch größeren Anstrengungen an. Warum er es so eilig habe, fragte ihn Mohn eines Tages. Wixforth äußerte seine Befürchtung, dass die Konjunktur nicht lange anhalten werde; deshalb wolle er sie ausnutzen, so gut es ginge. Dazu praktizierte er auch wieder alle Marketingtechniken, die vor und im Krieg so erfolgreich gewesen waren: Sonderfenster, Werbebroschüren, Kassetten, Volksausgaben, halbe Lieferung mit vollem Rückgaberecht. Das Frühjahrsprogramm 1949 wurde von den Händlern und Sortimentern bestens angenommen. Die Zahlung per Wechsel kam ihnen entgegen; Bertelsmann übernahm sogar einen Teil der Gebühren. Die Händler hatten keine Angst, dass die Konjunktur einbrechen würde, und wenn doch, so gab es keinen Anlass, dies zu zeigen. Sie könnten ja zurückgeben, was womöglich liegen blieb. Mit diesem Wissen orderten sie großzügig und Bertelsmann produzierte und lieferte. Doch dann bekam auch der Buchhandel zu spüren, worüber Theater und Kinos bereits längere Zeit klagten: Die Leute hatten kein Geld und überlegten sich genau, wofür sie es ausgeben sollten. Sie konnten sich kaum das Nötigste kaufen: Essen und Kleidung. Zum Sparen gezwungen, kauften sie keine Bücher mehr. Die Branche sprach nun von einer Buchkrise, vom Verlagssterben und vom Buchhandelssterben. 130
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Über die Hälfte der großen Buchhandlungen ging in Konkurs. Und bei Bertelsmann rächte sich das Rückgabeangebot. Palettenweise kamen die unverkäuflichen Bücher im Herbst 1949 zurück nach Gütersloh. Was in Boomzeiten eine geschickte Vertriebsstrategie gewesen war, schien den Verlag nun zu ruinieren. Bertelsmann drohte an den eigenen Büchern zu ersticken. Zu allem Übel machte der Branche auch eine Entwicklung zu schaffen, die man zunächst höchstens erstaunt zur Kenntnis genommen hatte. Ein konkurrierender Verlag druckte seine Bücher auf holzfreiem Papier. Was heute eine Selbstverständlichkeit ist, war damals eine kleine Sensation, da bis dahin im Buchdruck nur holzhaltiges Papier verwendet wurde. Man hatte sich an das vergilbte und abgenutzt wirkende Papier gewöhnt. Während und kurz nach dem Krieg war das gut und billig. Nun aber wollten die Käufer Qualität für ihre neue DMark, und Buchhändler orderten keine »alten« Bücher mehr. Bertelsmann saß mit einem Mal auf großen Beständen des holzhaltigen Papiers, die nicht mehr gefragt waren. Schweren Herzens teilte Reinhard Mohn seinem Vertriebschef mit, er müsse 180 Mitarbeiter aus der Druckerei entlassen. »Ich kann das nicht mehr finanzieren. Mir bleibt keine andere Wahl.« Wixforth hatte sich in den Jahren nach dem Krieg kaum um die Finanzierung gekümmert. Er war ganz damit beschäftigt, Bücher zu verkaufen. Nun sah er plötzlich die Früchte seiner Arbeit in Gefahr. Er bat Reinhard Mohn um eine Frist von 48 Stunden. Was er tun wolle, fragte der Juniorchef. Wixforth wusste es selbst nicht genau. Er wusste nur, dass ihm irgendetwas einfallen musste, das Geld brachte. Er hatte eine vage Idee. Am nächsten Tag fuhr er mit Otto Oeltze und Hermann Pannhorst nach Wiesbaden. Oeltze war sein Mitarbeiter, Pannhorst ein Mann aus der Druckerei. Er war dort verantwortlich für das Papierlager und den Einkauf. Wixforth war klar: Wenn sich in Wiesbaden etwas ergeben sollte, dann musste alles ganz schnell gehen. In Wiesbaden firmierte der Franz Steiner Verlag, der den Duden verlegte. Wixforth hatte mitbekommen, dass die Nachfrage nach dem Duden das Angebot überstieg und Steiner nicht genügend 131
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Exemplare drucken konnte. Eigentlich waren Druckkapazitäten zu dieser Zeit nirgends ein Problem. An was es also lag, dass Steiner mit dem Druck nicht nachkam, wusste Wixforth nicht. Aber er hoffte, es vor Ort herauszufinden. Pannhorst blieb im Wagen, während Wixforth und Oeltze verhandelten. Steiner überlegte nicht lange und willigte ein, 100 000 DudenExemplare in Gütersloh drucken zu lassen. Das Papier müsse Wixforth sich allerdings selbst besorgen. Denn das war Steiners Problem: Er konnte einfach nicht genügend Papier auftreiben. Da war es gut, dass Wixforth den verantwortlichen Mann für das Papier gleich mitgenommen hatte. Gemeinsam fuhren sie weiter nach Oberlenningen in Süddeutschland zu einer Papierfabrik. Wieder mit Erfolg: Die Fabrik sagte das Papier zu. Weil er nun das Problem des Steiner Verlags kannte, bemühte sich Wixforth, Papier gleich für 150 000 Exemplare zu erhalten. Dann könnte man vielleicht von Steiner einen größeren Auftrag erhalten. Auch diese Menge wurde ihm zugesagt. Am Abend saßen Wixforth und seine Leute mit einigen Herren der Fabrikleitung gemütlich beisammen. Am nächsten Morgen sollte Pannhorst die vertraglichen Details klären. Während Wixforth und Oeltze spazieren gingen, wagte Pannhorst – ohne dazu beauftragt zu sein – einen weiteren Versuch, mehr Papier zu erhalten. Wie wäre es mit Papier für 250 000 Exemplare? Auch diese Menge war vorrätig. Einen Tag später waren die drei zurück in Wiesbaden. Steiner bestätigte den Druckauftrag in dem neuen Umfang. Allerdings stellte Wixforth eine Bedingung: Bertelsmann sollte über 100 000 der zusätzlichen 150 000 Exemplare frei verfügen dürfen. Der Vertriebschef hatte dabei bereits eine Idee, wie er seine Beziehungen zum Sortiment weiter ausbauen könnte: Wer am Duden interessiert war, sollte bei ihm bis zu 3 000 Exemplare ordern können. Wenn die Leute schon keine Romane lesen wollten, so würden sie vielleicht wenigstens das Wörterbuch benötigen. Die Auslieferung und Berechnung dieser 100 000 »Bertelsmann-Exemplare« sollte der Steiner Verlag übernehmen. Obwohl die 48 Stunden längst verstrichen waren, wollte Reinhard Mohn nie132
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manden entlassen, ehe Wixforth nicht zurückgekehrt war. Entlassungen waren nun auch gar nicht mehr nötig. Wixforth sah sich weiter nach Möglichkeiten um, billig die Bücher zu produzieren, die jetzt gefragt waren. Praktische Ratgeber hatten große Konjunktur, doch leider hatte Bertelsmann keine Erfahrung und keine eigene Redaktion. Eine Lösung wäre, das Prinzip, das bei Volksausgaben funktionierte, auch auf andere Bücher zu übertragen. Das hieße, Lizenzen von anderen Verlagen zu besorgen. Doch kein Verlag wollte ausgerechnet die gut verkäuflichen Titel abgeben. Zumindest nicht in den westlichen Besatzungszonen. Aber was war mit der Ostzone? Wixforth wollte es auf einen Versuch ankommen lassen. Zusammen mit Otto Oeltze reiste er nach Nordhausen ins sowjetisch besetzte Thüringen. Dort verlegte der Fachverlag Killinger jene Art von Büchern, die Wixforth verbreiten wollte: Das Lexikon der Küche, das Neue große Konditoreibuch und andere Ratgeber, die nur unter Schwierigkeiten den Weg in den Westen fanden. Die Situation war wie geschaffen für Wixforth. Wenn schon die Bücher die Grenzen nicht passieren konnten, warum nicht die Lizenzrechte in den Westen geben? Da der Verlag Killinger davon auch profitieren würde, fiel es Wixforth nicht allzu schwer, die Verlagsleute in Thüringen von seiner Idee zu überzeugen. Die Lizenzgebühren wanderten auf ein Konto im Westen. Mit diesem Kapital richtete der Verlag später im Westen eine Filiale ein. Damit war das Fundament gelegt. Rudolf Wendorff schloss die Lizenzverträge bei Bertelsmann und betreute diesen Bereich. Als die Klischees für den Druck des Großen Konditoreibuchs aus dem Osten in Gütersloh eintrafen, hielten die Behörden die Sendung fest mit dem Hinweis, die Einführung von Buntmetallen sei gesetzlich nicht erlaubt. Dabei berief man sich auf ein Gesetz, das noch die britische Militärregierung erlassen hatte. Erst nach langem Hin und Her wurden die Formen freigegeben. Die Bücher waren nämlich schon vorbestellt. Bei der Auslieferung sorgten sie immerhin für den bis dahin größten Umsatz an einem einzigen Tag. Damit war die Kreativität des Vertriebschefs, immer neue Markt133
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lücken zu entdecken, noch lange nicht erschöpft. So steckte man zehn bis zwölf Bücher in eine Kassette und vermarktete das Paket als kleine Bücherei für kleine und mittlere Betriebe: Das Ganze nannte er »Bertelsmann Werkbücherei«. Ausgeliefert wurden diese Kassetten mit einer Anleitung für den Betreuer, einem Verzeichnis und auf Wunsch sogar mit einem Schrank. Auf dem Verlagsprospekt posierte der Cheflektor des Verlags, Dr. Wolfgang Strauß, in einer Samtjacke als lesender Arbeiter. Und Wixforths Mitarbeiter Otto Oeltze stand Modell unter dem Werbespruch »Mehr Arbeitsfreude durch eine Werkbücherei«. Die Bücherkrise hatte Bertelsmann nun fürs Erste überwunden. Aber Wixforth war klar, dass man auf lange Sicht nicht auf diese Hauruck-Art arbeiten konnte und dass die Ideen zu kurzatmig waren, um langfristig den Absatz zu schaffen, der Wachstum garantierte. Die Herausforderung bestand darin, Ausschau nach ganz neuen Märkten zu halten.
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8. »Den nationalsozialistischen Behörden ein Dorn im Auge« Die Legende vom Widerstandsverlag
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o eng er vor dem Krieg mit den Behörden zusammengearbeitet hat, so still verhielt sich Heinrich Mohn unmittelbar nach dem Krieg. Aufgrund seines delegatorischen Führungsstils stand er auch nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Als einzige Person der Führungsmannschaft blieb er sogar gänzlich unbehelligt. Statt seiner wurde, kaum dass sich die Stadt Gütersloh den Alliierten ergeben hatte, Fritz Wixforth bei der Militärregierung vorstellig und berichtete, wie sehr der Verlag doch unter der Herrschaft der Nazis gelitten habe. »Als einer der größten deutschen Buchverlage habe ich es dennoch vermieden, irgendwelche nationalsozialistische Literatur zu verlegen und wurde deshalb vom Reichspropagandaministerium besonders kritisch überwacht.« Heinrich Mohn beschränkte sich auf den Hinweis, er sei »nie Parteimitglied« gewesen. Und er betonte seine Sympathie für die »Bekennende Kirche«, die sich den Nazis widersetzt hatte. Nach seinen Aussagen hatte er sich »im Kampf um die religiöse Freiheit des deutschen Volkes« eingesetzt, was zur Festnahme führender Mitarbeiter und zur Stilllegung des Unternehmens geführt habe. Jetzt wurde nicht nur die christliche Tradition des Verlags als etwas beschrieben, das den Nazis nicht geheuer war, vielmehr sei man »aus politischen Gründen« ganz und gar unbeliebt und deshalb gravierenden Nachteilen ausgesetzt gewesen. Die drei leitenden Mitarbeiter entschuldigten ihre Mitgliedschaft in der NSDAP jeder auf seine Art. Theodor Berthoud bekannte, er habe in der Partei nur Lebensmittelkarten verkauft. Gerhard Steinsiek war 135
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angeblich nur Mitglied geworden, um seinen Schwager und den Verlag vor Zensur und Gängelung und somit »vor einer Katastrophe zu bewahren«. Gustav Dessin schließlich gab an, der Staat habe ihn praktisch zur Mitgliedschaft gezwungen. Auch die strafrechtliche Verfolgung ihrer Papierschiebereien sei – so der Tenor ihrer Aussagen – nur ein Vorwand gewesen, um aufrechte Publizisten zum Schweigen zu bringen. »Prinzipiell agierte C. Bertelsmann damit wohl nicht anders als die meisten Verlagsunternehmen«, betont die Historikerkommission. »Und doch zeugte es von einer ausgeprägten Strategie, zuweilen auch von Unverfrorenheit, wie man sich hier bemühte, seine Geschäftspolitik im Dritten Reich als grundsätzlich widerständiges Verhalten zu interpretieren.« Bei diesen Verharmlosungen ging es nicht um die Personen selbst. Es ging ums Geschäft. Das war bedroht ohne die Zustimmung der Besatzer. Heinrich Mohn wusste, dass er eine Lizenz benötigte, wenn er weiterhin Bücher und Zeitschriften verlegen wollte. Bertelsmann verfügte zwar noch nicht über eine Lizenz, um sein Verlagsgeschäft wieder aufzunehmen. Die Druckerei aber durfte für die Besatzer arbeiten. An diese Aufträge war Bertelsmann vor allem deshalb gekommen, weil die Firma über Papier verfügte. Anfangs druckte Bertelsmann nur öffentliche Bekanntmachungen; dann bestellte ein alliierter Feldgeistlicher bei ihm kirchliche Texte. Bereits im Juni 1945 orderte die Militärregierung Schulbücher; im August ging ein zweiter Auftrag ein. Bei den Titeln handelte sich um Schulbücher aus der Weimarer Republik, die von anderen Verlagen verlegt worden waren. Auf Geheiß der Militärs durften sie nun auch von dritten Verlagshäusern produziert werden. Monatlich durfte Bertelsmann bis zu 60 Tonnen Papier verdrucken. Die Erlaubnis dafür musste laufend erneuert werden. Dank dieser Aufträge »on urgent order«, wie es beim Militär hieß, war Bertelsmann bereits wieder groß im Geschäft, ohne dass der Verlag sich hatte prüfen lassen müssen. Das bedeutete freilich nicht, dass die Prüfung damit entfallen war. Es bedeutete lediglich, dass der Betrieb bei Bertelsmann nicht zum Erliegen kam.
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Die Legende vom Widerstandsverlag Parallel zu den Aufbauarbeiten unter der Leitung Wixforths, die die Mitarbeiter jeden Tag sehen konnten, liefen hinter den Kulissen die Anstrengungen von Mohn für eine neue Lizenz. Dabei hielt er sich tunlichst im Hintergrund. Als Fürsprecher agierte der Anwalt Fritz Möhle, sein Wirtschaftsprüfer aus Bielefeld. Ende September verfasste der Finanzfachmann ein vierseitiges Gutachten, das keine Zweifel lassen sollte an der einwandfreien Haltung des Verlags. Bertelsmann habe sich »aktiv kämpferisch« gegen die Politik der Nazis gestellt, indem man gegen Widerstände Schriften der Bekennenden Kirche publizierte. Denn die Bekennende Kirche habe in Opposition zu den von den Nazis unterstützten »Deutschen Christen« gestanden: »Bei den Romanen und Erlebnisbüchern erblickte der Verlag seine kulturelle Aufgabe darin, ethisch wertvolle Bücher auf christlicher Grundlage herauszugeben, die an Gemüt und Verständlichkeit weiteste Volkskreise ansprachen und doch ein hinreichendes Niveau hatten, um den Geschmack und die sittliche Haltung der Masse zu heben. Zu diesen Büchern gehörten auch Erlebnisbücher aus dem Kriege, bei welchen Schriftsteller, wie zum Beispiel Ettighoffer, der seinem Wesen nach ein Pazifist ist, abschreckende Schilderungen des Kriegsgeschehens brachten und zugleich eine christlich ethische Grundhaltung verfochten. So wurde zum Beispiel das Buch Narvik nach langen Kämpfen, an welchen sich Goebbels und Himmler persönlich beteiligt hatten, verboten, weil seine christlichen Tendenzen für die SS untragbar seien.« In Wahrheit hatte Bertelsmann mit Narvik. Vom Heldenkampf deutscher Zerstörer das »offizielle Heldenepos der Marine zur Eroberung Narviks« vorgelegt, wie die Historikerkomission urteilt. Der Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Erich Raeder, hatte für das Buch eigens ein Geleitwort geschrieben. An der Linientreue des Autors, Fritz Otto Busch, »besteht kein Zweifel«, meint die Historikerkommission. Allerdings erscheine im Buch nicht nur das Vertrauen auf den Führer, sondern auch auf Gott als unabdingbare Voraussetzung des Sieges gegen Norwegen. Die Schweiz habe das Buch wohl aus 137
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propagandistischen Gründen verboten. Die Parteiamtliche Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums dagegen bemängelte am 30. Mai 1941, Busch bringe »Hinweise auf Gottesdienste alter und neuer Art«. Die Kommission verweigerte eine ausdrückliche Empfehlung und empfahl »eine neue Form« für weitere Auflagen. Immerhin hatte sich das Buch binnen weniger Monate hervorragend verkauft: Im Herbst 1940 war es erschienen; Ende 1940 legte Bertelsmann bereits das 405. Tausend auf. Großadmiral Raeder wandte sich erbost an die Prüfungskommission und ließ wissen, er billige den Inhalt voll und ganz und lehne jegliche Änderung des Textes ab. Es kam zu einem Streit. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels kümmerte sich zunächst wenig um die Empfehlung der Prüfungskommission. Diese brachte den Fall Narvik daraufhin sogar vor Adolf Hitler, der befand, es sollten keine weiteren Auflagen mehr geben. Damit entschied Hitler im Sinne der Prüfungskommission, ohne dass er sein Eingreifen veröffentlicht sehen wollte. Als Bertelsmann das Buch schließlich vom Markt nahm, hatte der Verlag 605 000 Exemplare abgesetzt. Trotz des Verbots habe das Buch »einen Reingewinn erzielt wie kein zweites Verlagswerk während des Krieges«, urteilt die Historikerkommission. Bertelsmann hatte mehr als 650 000 Reichsmark verdient. Möhle ging auf die Einzelheiten freilich in seinem Schreiben nicht ein. Wer der Meinung war, auch Bertelsmann habe durchaus und nicht wenig im Sinne des Dritten Reiches publiziert und davon gehörig profitiert, der wurde von Möhle nun eines Besseren belehrt. Bertelsmann habe nationalsozialistische Autoren wie Ettighoffer verlegt? Aber der war doch Pazifist! Die »Spannenden Geschichten«, die die Jugend an den Krieg heranführten? Mit dieser Reihe, so Möhle, habe Bertelsmann »den Kampf gegen die Schundliteratur« geführt und die Jugend in christlich-ethischer Gesinnung erziehen wollen. Die Feldposthefte, die ganz auf Linie der Nazis lagen? Möhles Schilderung zufolge entstanden sie »in bewusster Abwehr des militaristischen und NS-politischen Schrifttums«, wie es andere Verlage publiziert hatten. Bertelsmann ein Verlag, der sich geschmeidig anpasste an die Herrscher im Dritten Reich? Auch diesen Vorwurf suchte der Finanzexperte zu zer138
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streuen und behauptete das Gegenteil: Der Verlag leistete nicht nur Widerstand. Er stand an der Spitze der Widerstandsbewegung und überzeugte andere Verlage, Ähnliches zu leisten. Mit seinem Brief und seiner Auslegung der Ereignisse legte Möhle den Grundstein für die Legende, Bertelsmann sei ein Widerstandsverlag gewesen. Er schrieb: »Die Auswahl [der Titel] erfolgte unter christlich-ethischen Gesichtspunkten und fand so großen Anklang, dass die Umsätze auch im Krieg trotz aller Bekämpfung durch die NS-Dienststellen eine starke Ausweitung fanden, und dass später auch andere Verlage dazu übergingen, den Charakter ihres Schrifttums im Kriege zu ändern.« Ausführlich ging Möhle auch auf die Schließung der Verlage im Jahr 1944 ein; im Zuge der totalen Kriegsmobilmachung war die gesamte Verlagsbranche davon betroffen gewesen. Hatte man Bertelsmann also nur geschlossen, weil seine Bücher nun für den Krieg unwichtig waren und das Personal und das Material anderweitig benötigt worden waren? Dazu Möhle: »In den Jahren unserer Beratung haben wir vor allen Dingen mitgewirkt in den Kämpfen, welche der Verlag gegen die Anfeindungen der nationalsozialistischen Behörden zu führen hatte, und zwar einmal, weil keiner der Herren der Partei angehörte oder auch nur im Geringsten auf die politischen Wünsche der Partei einging, und zum anderen, weil der Verlag in seiner christlichen Grundhaltung den nationalsozialistischen Behörden ein Dorn im Auge war.« Die Historikerkommission sieht in Möhles Brief den ersten ausführlich formulierten Versuch, eine Legende in die Welt zu setzen, die zum Ziel hatte, Bertelsmann als Widerstandsverlag zu etablieren. Das zeuge weniger von Unbedarftheit als vielmehr von Unverfrorenheit. Und es erfüllte durchaus seinen Zweck: 50 Jahre lang sollte sich diese Legende halten, bevor die Geschichte schließlich Risse bekam. »Möhle entwarf, indem er die Fakten zwar richtig benannte, aber falsch deutete, eine Version des Geschehens, die mit der Wirklichkeit schwerlich in Einklang zu bringen war«, betont die Historikerkommission. Aus Sicht von Bertelsmann sei dies freilich eine »kluge Strategie« gewesen. Dabei hatte Möhle glatt gelogen, was beispielsweise die Zugehörigkeit 139
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zur Partei betraf: Drei der leitenden Mitarbeiter waren immerhin NSDAP-Mitglieder gewesen. Möhle fand Gefallen an der Legendenbildung. Gegenüber der Militärregierung berichtete er: »Die Kämpfe begannen gleich 1933, spitzen sich aber erst gegen 1939 schärfer zu. Zuerst sollte der Verlag gezwungen werden, durch die Bezeichnung als evangelischer Verlag sich so nach außen zu kennzeichnen, dass jede kleinste Dienststelle gewarnt würde, Bücher bei ihnen zu bestellen. Durch Trennung des Schrifttums in die beiden Verlage C. Bertelsmann und Rufer konnte man dieser Möglichkeit entgehen, sodass die wichtige christliche Kulturarbeit vor allem in dem großen Leserkreis der Wehrmachtsangehörigen im Kriege aufrechterhalten werden konnte … Man versuchte, den Verlag wegen seiner Haltung zu schließen, worauf wir 1941/42 rieten, dass wenigstens einige der Prokuristen der Partei beiträten, um den Angriffen die Spitze zu nehmen und die kulturelle Aufgabe weiter erfüllen zu können. Man versuchte, den Verlag unter dem Vorwand zu schließen, dass er überflüssig sei, als die allgemeine Aktion zur Schließung der Betriebe kam. In sehr schweren Kämpfen gelang es, die Schließung auf den Rufer-Verlag zu beschränken. Als alles dies nicht möglich war, wurde im Winter 1943/44 ein Strafverfahren gegen den Verlag eingeleitet wegen angeblicher Papierschiebungen. Einen Erfolg im Sinne des Nationalsozialismus hat dies Verfahren andererseits insofern gehabt, als praktisch der Verlag im Jahr 1944 keine neuen Bücher mehr herausgeben konnte und damit lahm gelegt war. Immerhin hat der bis zur Gefährdung der eigenen Freiheit geführte Kampf sich insofern gelohnt, als der Verlag fast bis zum kläglichen Ende des Nationalsozialismus sein auf christlich-ethischer Grundlage basiertes Schrifttum in großem Umfang an das Volk heranbrachte. Der Verlag hat also nicht nur eine kulturhistorische, sondern vor allem auch eine christliche und politische Aufgabe erfüllt.« So unverfroren die Darstellung auch anmuten mag, in den Zeilen von Möhle wird auch etwas von der schieren Verzweiflung sichtbar, mit der Bertelsmann um seine Zukunft kämpfte. Denn ohne die Lizenz hätte Bertelsmann nicht nur keine eigenen Bücher oder Zeitschriften 140
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drucken dürfen. Selbst die Erfüllung von Fremdaufträgen wäre Bertelsmann nicht mehr erlaubt gewesen. Denn auch für das Drucken von Fahr- und Eintrittskarten verlangten die Militärbehörden eine Lizenz. Waren sie direkt nach dem Krieg wegen des Zeitdrucks noch ein wenig fahrlässig in der Vergabe von Lizenzen gewesen und hatten Bertelsmann mit dem Drucken von Schulbüchern beauftragt, so wollten sie nun strenger darauf achten, dass keine Druckereien oder Verlage zum Zuge kamen, die mit den Nazis sympathisiert hatten. Aus Sicht von Bertelsmann kam es also darauf an, zu zeigen, dass die Verbindungen zu den Nazis rein sachlicher Natur waren und man daraus keinen Vorteil gezogen hatte. Umso nützlicher würde es sein, wenn man zeigen konnte, dass man sogar verfolgt wurde – und der einzige Kontakt zu den Nazis einer war, der negative Folgen hatte. Angesichts dieser Situation mag es allerdings überraschen, dass Heinrich Mohn und sein Lektor Dessin ausgerechnet jene Autoren weiter verlegen wollten, die als belastet galten: Will Vesper und Hans Grimm. Glaubte Heinrich Mohn tatsächlich, Autoren, die vor und während des Krieges auf der Seite der Nazis standen, würden von den Besatzern nun als erbitterte Kämpfer gegen die Nazis betrachtet werden? Glaubte Mohn wirklich, wenn man diese Legende nur lange genug wiederholte, würde sie wahr werden? Für Bertelsmann war es von Vorteil, dass Gütersloh den Briten unterstellt war. Denn anders als in der amerikanischen Zone prüften die Briten nur, wer in leitender Funktion während des Dritten Reiches in der öffentlichen Verwaltung tätig war oder sich für eine solche Stelle beworben hatte. Sollte Mohn nun zugute kommen, dass er sich aufgrund seines chronischen Asthmaleidens nicht öffentlich engagiert hatte? Sollte ihm nun zugute kommen, dass er die Gesellschaft der Machthaber nicht gesucht und anders als seine Väter kein politisches Amt angestrebt hatte? Sollte ihm weiter zugute kommen, dass er selbst sich stets im Hintergrund gehalten und seinen Prokuristen große Freiheiten gelassen hatte? Seine Art zu führen hatte ihm bereits das Gefängnis in Moabit erspart. Sollte sie ihm nun auch den Neuanfang ermöglichen? 141
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Zunächst ging Heinrich Mohn offenbar davon aus, dass es keine Probleme mit der Lizenz geben könnte. Zuversichtlich schrieb er Anfang August seinem Autor Hans Grimm, die Lizenz sei ihm »in Aussicht gestellt«. Auch andere Mitarbeiter verbreiteten Zuversicht. Aus Gründen, die man in Gütersloh nicht verstand, verstrich jedoch die Zeit, ohne dass die Lizenz erteilt wurde. Noch wiegte Heinrich Mohn sich in dem Glauben, alle notwendigen Voraussetzungen zu erfüllen. In einem Brief schrieb der Verlagschef im November 1945: »Die Genehmigung zur Wiedereröffnung des Verlags ist mir von verschiedenen Seiten in sicherste Aussicht gestellt.« Er glaubte, »dass die Behörden nichts gegen mich einzuwenden haben«, sodass er schon bald »wieder werde arbeiten können«. Sollte es tatsächlich so einfach sein, eine Lizenz zu bekommen? Fürchtete er nicht, dass belastendes Material aufgedeckt werden könnte? Denn weder hatte er der Militärregierung offen gelegt, wie sehr Bertelsmann von den Kontakten zur Wehrmacht während des Krieges wirtschaftlich profitiert hatte. Noch hatte er in seinem Entnazifizierungsbogen im Oktober 1945 seine Zahlungen an die diversen Unterorganisationen der NSDAP erwähnt. Wixforth und Möhle hatten indes auf ihre Äußerungen keine ausgesprochen negativen Reaktionen erhalten. Deshalb wagte sich auch Heinrich Mohn etwas weiter vor und schrieb auf anderthalb Seiten, die er seinem Entnazifizierungsbogen beilegte: »Mit Ausbruch des Krieges brachte ich gutes, unterhaltendes und erzählendes Schrifttum für die Wehrmachtsangehörigen in großem Umfang heraus, das sorgfältig danach ausgesucht wurde, ob es keinerlei politische und antichristliche Tendenzen enthielt.« Hatte er schon mit diesem Satz längst die Wirklichkeit zugunsten seiner Wunschvorstellung verlassen, so ließ er sich dann zu folgender Aussage hinreißen: »Nationalsozialistisches Schrifttum habe ich niemals verlegt.« Was ja in gewisser Weise richtig war, denn in der Tat hatte Bertelsmann nie offizielle Texte der NSDAP gedruckt. Bei Fragen, auf die er nur mit einem klaren Ja hätte antworten können, versuchte er, sich herauszureden. In einem so genannten Geschäftsfragebogen wurde danach gefragt, ob Bertelsmann seit 1933 Aufträge 142
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vom Staat oder von der Partei oder einer ihrer Unterorganisationen erhalten habe. Die ausweichende Antwort lautete: »Die vom Verlag verlegten Bücher sind im Buchhandel auch von amtlichen Stellen gekauft worden. Vom Verlag selbst wurden sie jedoch nur in verschwindend kleinem Prozentsatz an solche Stellen geliefert.« Diese Antwort warf allerdings neue Fragen auf. Das wusste auch Mohn. Er versuchte, sich deshalb vor Nachfragen zu schützen, indem er schrieb: »Einzelheiten lassen sich nicht mehr feststellen, da die Unterlagen durch den Bombenangriff im März 1945 vernichtet wurden.« Noch lag gegen Heinrich Mohn nichts vor. Die Behörden kannten nur seine eigene Version. Dass er wichtige Angaben verschwiegen hatte, ahnten sie nicht. Sie wussten lediglich, dass drei seiner Mitarbeiter – Steinsiek, Berthoud und Dessin – Parteimitglieder gewesen waren, denn diese drei hatten ihre Mitgliedschaft angegeben. Die Konsequenz war jedoch, dass Bertelsmann keine Lizenz erhalten sollte. Als Heinrich Mohn das hörte, stellte er sein partnerschaftliches Führungssystem situationsbedingt auf das traditionelle »Der Chef bin ich«-System um und trennte sich abrupt von den drei leitenden Mitarbeitern. Mohn forderte sie auf, fristlos zu kündigen. Alle drei kamen der Aufforderung nach: Gustav Dessin, der Cheflektor, tat dies allerdings ungern und schied im Streit. Für ihn hatte Mohn keine neue Verwendung. Die anderen beiden hatten jedoch keinen Grund, Mohn gram zu sein. Seinem Schwager spannte er einen goldenen Fallschirm: Steinsiek wurde Chef der technischen Betriebe, wozu Druckerei, Setzerei und Buchbinderei gehörten. Auf Anraten der Behörden gliederte Mohn diese Bereiche aus dem Verlag aus. Für deren Leitung bedurfte es keiner besonderen Genehmigung. Berthoud gründete mit Banzhaf einen neuen Verlag, was an Mohns Strategie mit dem Rufer-Verlag erinnert. Zehn Jahre später übernahm Bertelsmann diesen Verlag. Die Kündigungen seiner verdienten Mitstreiter lagen am 27. Februar 1946 auf Mohns Schreibtisch; am nächsten Tag meldete er den Behörden, dass die Herren nicht nur die Prokura niedergelegt hätten, sondern völlig aus der Firma ausgeschieden seien. Genau einen Monat dauerten die Formalitäten. Dann erhielt Heinrich Mohn eine Lizenz für Bücher. 143
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Die Zeitschriftenlizenz Jetzt benötigte er nur noch eine Lizenz für Zeitschriften, denn gerade im Zeitschriftensektor ließ sich wieder Geld verdienen. Da er nun schon mal eine Lizenz hatte, konnte es mit der zweiten doch nicht schwierig sein, mag Mohn gedacht haben. In froher Erwartung des kommenden Geschäfts hatte er bereits einige Zeitschriften aus dem alten Bestand in Vorbereitung. Ganz neu sollten lediglich die konservativ gefärbten kulturpolitischen Deutschen Hefte sein. Damit wollte Bertelsmann Tugenden wie Bescheidenheit und Ehrlichkeit fördern. Bei der Erlangung der Zeitschriftenlizenz ergaben sich allerdings unerwartete Schwierigkeiten. Denn Heinrich Mohn hatte in seinem Entnazifizierungsbogen, den er am 30. Juli 1946 ausgefüllt und im September dem Antrag beigelegt hatte, verschwiegen, dass er Mitglied der SS war, wenn auch nur förderndes. Ebenfalls unerwähnt blieb, dass seine Tochter Ursula einst der NSDAP angehörte. Immerhin konnten sich beide an ihre weniger bedeutsamen Mitgliedschaften im Bund Deutscher Mädel oder die Mitgliedschaft ihres Vaters in der Reichskulturkammer korrekt erinnern. Auch was seine Spendentätigkeit betraf, erinnerte sich Mohn nur an die Winterhilfe, nicht aber an die SS. Als Grund für die Spenden gab er an, er habe »unbehelligt« bleiben wollen. Der Entnazifizierungsausschuss hatte keine politischen Bedenken. Um zu zeigen, dass man auf der richtigen Seite stand, war dem Antrag eine Liste der von der Zensur beanstandeten Bücher beigefügt. Mohn verwies außerdem darauf, dass er vor allem »evangelisch-kirchliche Literatur« verlegt habe, die der NS-Regierung »missliebig« gewesen sei. Schon seit 1940 habe er für kirchliche Titel keine Druckerlaubnis mehr erhalten, 1943 habe man seinen Verlag Rufer geschlossen. Die Liste enthielt jedoch auch Titel, die nicht aus ideologischen, sondern formalen Gründen während der NS-Herrschaft ungedruckt blieben. Trotz dieser Fülle an »Beweisen« für die richtige Gesinnung ließ die Antwort der Information Control in Düsseldorf auf sich warten. 144
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Als Monate später immer noch keine Lizenz erteilt worden war, entsandte man Rudolf Wendorff zu den Behörden nach Düsseldorf. Es war nicht ungeschickt, den Freund des Hauses vorzuschicken. Er konnte sich bei missliebigen Fragen immer darauf berufen, dass er darüber nichts wisse. Wendorff nahm einige unverdächtige Bücher mit, um zu zeigen, wofür Bertelsmann stand. Darauf wurde ihm kühl beschieden: »Ich glaube Ihnen, dass gegen diese Bücher nichts einzuwenden ist. Aber Ihre früheren Veröffentlichungen hätten Sie mir einmal mitbringen sollen!« Wendorff wurde ferner eröffnet, dass Heinrich Mohn wichtige Angaben in seinem Bogen verschwiegen hätte. Er erhielt den Bogen zurück, damit er ergänzt und verbessert werden könne. Wendorff registrierte aufmerksam, dass sein Gesprächspartner Mr. Felix »keine Kopie des Fragebogens besitzt, sodass er etwaige Veränderungen nicht besonders überprüfen kann«. Wendorffs Mission war nur bedingt erfolgreich. Zwar erhielt auch er die Lizenz nicht, erfuhr aber zumindest, dass »politische Bedenken gegen die früheren Veröffentlichungen des Verlags« der Grund für die Verzögerung waren. Auf Verlangen des Offiziers versprach Wendorff, eine weitere Liste zu liefern, aus der detaillierter hervorgehen würde, welche Bücher Bertelsmann im Dritten Reich publiziert hatte. Die Information Control wollte aus dieser Liste ersehen, wie hoch der Anteil der Kriegsbücher am Gesamtprogramm war. Nun wusste man in Gütersloh zumindest, dass Heinrich Mohn bei den Besatzern als nicht so unbelastet galt, wie er gehofft hatte. Er selbst hielt sich auch in den folgenden Wochen zurück. Aber für ihn verhandelte jetzt ein anderer, der weniger belastet schien: Reinhard Mohn. Zwar war auch er Mitglied der Hitler-Jugend gewesen – aber nicht der Partei oder der SS. Bis zum Frühjahr 1947 war Reinhard Mohn im Hintergrund geblieben, nun trat er wie selbstverständlich in die Fußstapfen des Vaters. An Reinhard Mohn lag es jetzt, die verlangte Liste zu erstellen, die die Produktion von 1933 bis 1945 umfasste. Geschickt mischte er Titel aus dem theologischen und dem belletristischen Programm so, dass die problematischen Titel, die er überdies »entschärfte«, plötzlich 145
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nur noch einen verschwindend geringen Anteil ausmachten. So wurden aus den Kriegsheften der »Spannenden Geschichten« nun »Jugendschriften«. Die Titel der einzelnen Hefte, die offenbart hätten, um was es dabei ging, wurden »vergessen«. Und weil der Titel eines Kriegsbuches wie Von Hölle zu Hölle förmlich dazu einlud, wurde er unter der Rubrik Theologie aufgeführt. »Folgte man der Logik dieser Aufstellung, gab es bei Bertelsmann nur ein einziges politisches Werk: Hans Grimms ›Englische Rede‹«, betont die Historikerkommission. Mohns Trick bestand darin, nicht die Auflage, sondern die Zahl der Titel zum Kriterium dafür zu machen, welchen Anteil die Kriegsbücher am Gesamtprogramm hatten. Eine glatte »Manipulation«, wie die Historikerkommission befand. Das Ergebnis fiel freilich ganz nach dem Wunsch von Bertelsmann aus. Als habe man sich überhaupt nichts vorzuwerfen, schrieb der Verlag den Behörden: »In der Zeit von 1933 bis 1944 umfasste das Verlagsprogramm mithin 2 940 Titel, davon 43 Kriegserlebnisbücher, das sind 1,46 Prozent.« So hatte Reinhard Mohn die Millionen-Auflagen geschickt zu einem winzig kleinen Rest heruntergerechnet. Das zweiseitige Anschreiben zu dieser Liste stammt vom 9. April 1947 und trägt die Initialen »RM«; unterschrieben hat es sein Vater Heinrich. In dem Brief und in zwei beigelegten Schreiben bemüht Heinrich Mohn noch einmal auf mehreren Seiten die Legende vom Widerstandsverlag. Reinhard Mohn reiste mit dieser Liste am 11. April 1947 nach Düsseldorf. Dort wollte er mit Mister Felix über die »augenblicklichen Hindernisse« sprechen, die einer Lizenz im Wege stünden. Das Gespräch verlief nicht sehr freundlich. Reinhard Mohn hatte den Entnazifizierungsbogen seines Vaters mit dabei. Als die Rede auf die Lücken kam, erfuhr er, dass Felix die Amerikaner um Auskunft gebeten hatte. Er müsse die Lizenz genauer prüfen, weil sich »Missgriffe ergeben« hätten, so Felix, der Mohn fragte, ob er denn dafür wäre, dass »ein früherer Parteifunktionär heute Vorteile aus einem Zeitschriftenunternehmen ziehen würde«. Reinhard Mohn verneinte. Vielleicht hatte er solch harte Fragen von Felix nicht erwartet. Jedenfalls ließ er sich zu einer Lüge hinreißen. Gefragt, ob denn unter den Komman146
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ditisten des Verlags ehemalige Parteimitglieder seien, sagte er »Nein«. Dass seine Schwester Ursula Mitglied der NSDAP war, verschwieg er. Felix war mit der Auskunft aber nicht zufrieden. Er sagte, er habe den Eindruck, dass Bertelsmann sich stets den Verhältnissen anpasse. Früher habe man sich so verhalten, jetzt verhalte man sich eben anders. Lieber seien ihm Antragsteller, die zwölf Jahre lang eine gerade Haltung gezeigt hätten. Diese müsse man vorziehen. Offenbar hatte am Ende des Gesprächs Felix den Eindruck, dass es nicht genügte, diesem Mann nur zwischen den Zeilen zu verstehen zu geben, dass er unglaubwürdig sei. Zum Abschied sprach er deshalb direkt den Punkt »Ehrlichkeit« an: Ihm lägen gesicherte Archivangaben vor, wonach »ein Teilhaber des Verlags Parteimitglied gewesen sei«, wie Reinhard Mohn hinterher detailliert in einer Notiz über das Gespräch festhielt. Mohn war so überrascht über diese Zurechtweisung, dass er gar nichts darauf sagen konnte. Er gab Felix ein Bücherpaket, grüßte und ging. Reinhard Mohn hatte Grund zur Sorge. Nach dem ungünstigen Verlauf des Gesprächs musste er nicht nur befürchten, die Lizenz verweigert zu bekommen. Viel schlimmer noch war, dass auch die bereits erteilte Verlagslizenz in Gefahr war. Falls die Behörden tatsächlich über »gesicherte Angaben« verfügten, konnten sie ihre Genehmigung zurückziehen. Der ganze Aufwand, das Besorgen von Fremdaufträgen etwa, wäre umsonst gewesen. Denn auch dafür würde man dann keine Genehmigung mehr erhalten. Bertelsmann müsste schließen. Die Aussichten waren nicht gut. Doch noch sah Reinhard Mohn sich nicht am Ende seiner Möglichkeiten. Der Hinweis auf eine Parteimitgliedschaft konnte sich nur auf seine Schwester Ursula beziehen. Die hatte in ihrem Entnazifizierungsbogen die Mitgliedschaft nicht nur verschwiegen, sondern glatt und falsch mit »Nein« geantwortet. Reinhard hatte ihr nach seinem Gespräch mit Felix umgehend mitgeteilt, dass er nur eine Möglichkeit sähe: Sie müsse aus dem Kreis der Kommanditisten ausscheiden. Drei Tage nach dem Besuch bei Felix beantragte Ursula Fischer, geborene Mohn, »ohne Innehaltung einer Kündigungsfrist mit sofortiger Wirkung aus der Gesellschaft ausscheiden zu dürfen«. Weitere vier Tage später ver147
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merkte Reinhard in einer internen Notiz: »Frau Ursula Fischer schied als Teilhaberin aus dem Bertelsmann Verlag aus. Es wurde damit der einzige Fehler beseitigt, der von uns bei der Erlangung der Buchlizenz begangen wurde.« Im Nachhinein klingt diese Notiz, als sei sie für fremde Augen geschrieben worden, denn Reinhard Mohn muss klar gewesen sein, dass auch sein Vater nicht alles gesagt hatte. Ein weiterer interner Vermerk lässt darauf schließen: »Nachdem neuerdings der große Fragebogen von Heinrich Mohn bei der Zeitschriftenstelle abgegeben wurde, in welchem die Zugehörigkeit zur SS verschwiegen war, ergeben sich folgende Möglichkeiten, eine Gefährdung der Verlagslizenz zu verhindern. Herr Heinrich Mohn scheidet aus dem Bertelsmann- und Rufer-Verlag aus und beleiht seinen Kapitalanteil an die verbleibenden Teilhaber.« Deutlich wird in dieser internen Notiz der Sachverhalt benannt und offen von Fälschung gesprochen. »Es scheint jedoch nicht sicher, ob die letzte Fragebogenfälschung von H. Mohn vom Engländer verfolgt werden wird, zumindest ist diese Tatsache nicht der Beurteilung der Stellen in Berlin unterworfen worden. Es besteht jedoch die Gefahr, dass bei einem ungünstigen Ausgang unserer Beurteilung beziehungsweise bei erneuten Nachforschungen auf diese Fälschung gestoßen wird und zu einem gesonderten Verfahren Anlass geben könnte.« Reinhard Mohn betrachtete die Tat seines Vaters also ganz klar als »Fälschung«. Reinhard Mohn legte sogar einen weiteren Vermerk an, wo er die Vergehen seiner Schwester und seines Vaters noch einmal systematisch auflistete und mit Hinweisen versah, was »dem Engländer«, also den Besatzungsbehörden, »höchstwahrscheinlich« und was ihm »sicher bekannt« sei. Mit seinem Vater habe er weder über die Mitgliedschaft noch über das Verschweigen derselben gesprochen, sagte er später. Hatte Heinrich Mohn sich noch direkt nach dem Krieg darauf gefreut, bald wieder in seinem Verlag zu arbeiten, so sah er sich nun gezwungen, ein weiteres Mal auf seine Krankheit zu verweisen, um einen Schritt zu begründen, den er eigentlich gar nicht tun wollte: Er musste seinen Abschied von der Spitze des Verlags nehmen. Rück148
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wirkend zum 1. Januar 1947 gab er am 23. April 1947 die Leitung an seinen Sohn ab und informierte die Briten schriftlich über diesen Schritt. Am selben Tag beantragte Reinhard eine Lizenz. Er hatte zwar keine entsprechende Ausbildung durchlaufen. Er absolvierte gerade ein Praktikum in einer Buchhandlung. Und insgeheim hatte er immer noch gehofft, studieren und Bauingenieur werden zu dürfen. Aber nun, da er selbst die Verhandlungen mit den Behörden geführt hatte und die Situation genau kannte, fügte er sich ins Unvermeidbare. Er wurde persönlich haftender Gesellschafter; seine Geschwister Annegret Tödtmann sowie Gerd und Sigbert Mohn wurden Kommanditisten. Sigbert, der noch in Gefangenschaft weilte, wurde durch Steinsiek vertreten. Unklar ist, welche Rolle Fritz Wixforth bei der Erteilung der Lizenz spielte: Sein Mitarbeiter Theodor Berthoud berichtet, Wixforth sei eingeschaltet worden, als deutlich wurde, dass es Schwierigkeiten geben würde. Heinrich Mohn habe nämlich Wixforth gebeten, die Leitung des Verlags zu übernehmen, weil auch die Idee, den Verlag an Reinhard zu übergeben, bei den Behörden skeptisch aufgenommen worden sei. Reinhard war ja Mitglied der HJ gewesen, die sich im Hause Mohn getroffen hatte. Wixforth willigte nicht gleich ein, sondern erbat sich Bedenkzeit. Berthoud berichtet: »Dies wollte ihm nicht in den Sinn, und so machte er sich kurz entschlossen selbst auf den Weg, um bei der Besatzungsbehörde vorstellig zu werden, nicht für sich, sondern für Reinhard Mohn. Und tatsächlich gelang es ihm.« Fest steht, dass die Mitgliedschaft Reinhards in der Hitler-Jugend am Ende keine Rolle spielte, sondern unter die Jugendamnestie fiel. Reinhard Mohn erweckte bei den Verhandlungen mit den Briten den Eindruck, er habe von den Fälschungen und Erinnerungslücken seiner Verwandtschaft nichts gewusst. Während er die bei seinem Vater fehlenden und falschen Angaben als Versehen entschuldigte, warf er seiner Schwester vor, sie habe ihm ihre Parteimitgliedschaft verschwiegen, obwohl er sie danach gefragt habe. Nachdem sie aber nun zugegeben hätte, Mitglied der NSDAP gewesen zu sein, habe er sie sofort aus der Firma ausgeschlossen. 149
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In dieser kritischen Phase wurde auch Heinrich Mohn noch einmal aktiv. Lange Zeit hatte er Hans Grimm umworben. Nun wollte er offensichtlich zeigen, dass man mit der Vergangenheit aufräumte. Der Verlagschef trennte sich plötzlich von dem Autor, um den er sich so lange bemüht hatte. Als Begründung musste eine Auseinandersetzung herhalten, die bereits Jahre zurück lag. Grimm hatte ihm nämlich vorgeworfen, nur auf Geld aus zu sein. Mohn dagegen sagte: »Wenn ich den Verleger nur als Kaufmann schätzen könnte, so hätte ich diesen Beruf niemals ergriffen.« Den Briten meldete er am 20. April ergänzende Angaben zu seinem Entnazifizierungsbogen und listete die HitlerJugend und einige weitere Unterorganisationen der NSDAP auf. Es könnten, schrieb er in einem Vermerk, auch noch einige mehr sein. Leider seien die entsprechenden Unterlagen verbrannt. Diese Erklärung legte er allerdings nicht bei; sein Sohn zeigte sie den Offizieren lediglich bei seinem nächsten Besuch. Bevor er die Lizenzübertragung beantragte, fuhr Reinhard am 21. April nach Düsseldorf, um zu sehen, was die Briten dazu sagen würden. Zunächst ging es um die bereits erteilte Buchlizenz. Der Leiter der Book Section, der Offizier Paget-Brown, empfahl Mohn, die Lizenz so schnell wie möglich zu übernehmen. Dass er seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen habe, sei kein Problem. Wichtiger sei, eine verantwortliche Persönlichkeit mit unbedenklicher Vergangenheit zu haben. Danach ging Mohn direkt zur Zeitschriftenabteilung. Allerdings war Felix selbst nicht da, nur eine Mitarbeiterin. Er sagte der Mitarbeiterin der Behörde, »eine Entschuldigung der Vorgänge anzustellen, sei nicht meine Absicht«. Ihm liege lediglich an einer Klarstellung. Die Frau war von ihm angetan und nannte ihn »edelmütig«. Damit er die Angaben seines Vaters korrigieren könne, wollte sie ihm einen neuen Personalfragebogen geben. Sie fand jedoch keinen Blankovordruck und gab ihm deshalb den alten Bogen zurück. So kam Reinhard Mohn durch glückliche Umstände an das einzige Exemplar, das existierte. Es war immerhin das Blatt Papier, an dem sich die Zukunft des Verlags entscheiden sollte. Reinhard Mohn war hoch erfreut und vermerkte zu Hause in 150
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Gütersloh schriftlich, dass die Mitarbeiterin als Deutsche eine beachtliche Haltung zeige. Nachdem er jetzt sicher sein konnte, dass der Ausschluss seiner Schwester und die Nachmeldung seines Vaters genügen würden, meldete er den Behörden Vollzug. Am 23. April teilte Heinrich Mohn den Briten mit, dass er aufgrund seiner schlechten Gesundheit die Leitung an seinen 25-jährigen Sohn abgeben müsse. Anderntags fuhr Reinhard Mohn erneut nach Düsseldorf und erhielt von Officer Paget-Brown eine gute Nachricht. Er könne den Verlag ab sofort als Lizenznehmer vertreten. Reinhard seinerseits erzählte dem Offizier, dass er seine Schwester aus dem Unternehmen habe »herausweisen« müssen. Die Nachricht quittierte Paget-Brown mit »erheitert-beifälligem Erstaunen«, wie Reinhard hinterher notierte. Ohne weitere Nachfragen damit auszulösen, erklärte er, er habe von der Mitgliedschaft seiner Schwester nichts gewusst. Eine reine Schutzbehauptung, die Paget-Brown jedoch einleuchtend schien. Mohn sei ja in Gefangenschaft gewesen, sagte er. Die Gefahr, die Buchlizenz zu verlieren, war damit gebannt. Noch immer hatte Bertelsmann aber keine Zeitschriftenlizenz. Nach wie vor musste Reinhard Mohn unbehaglich zumute sein, wenn er an das Gespräch mit Officer Felix dachte, der seine Firma im Verdacht hatte, sich stets an die Mächtigen anzupassen. Würde sich Felix mit den personellen Veränderungen in der Firma und den Korrekturen im Fragebogen ebenso leicht zufrieden geben wie sein Kollege PagetBrown? Reinhard Mohn suchte Felix auf, doch auch diesmal war der Mann nicht anzutreffen. Jetzt kam Mohn zugute, dass er bereits einen guten Draht zu dessen Mitarbeiterin hatte. Sie teilte Reinhard Mohn offen ihre Bedenken mit, als sie sah, dass sein Vater förderndes Mitglied der SS gewesen war. Hilfsbereit gab sie ihm einen Rat, wie er verhindern könne, dass ihm aus dieser Mitgliedschaft Schaden zuwachse. Da er den Verlag ohnehin übernehmen werde, warum sollte man da noch einen Antrag für seinen Vater stellen? Reinhard Mohn kam dieser Vorschlag sehr entgegen und er zog den Antrag seines Vaters zurück. Den Antrag steckte er wieder in die Tasche. Somit war die Behörde weder im Besitz des gefälschten noch des berichtigten Antrags. 151
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Zufrieden konnte Reinhard Mohn notieren: »Es liegen damit von H. Mohn dort keine falschen beziehungsweise berichtigten Fragebogen mehr vor.« Dann nutzte er gleich noch das Entgegenkommen der freundlichen Mitarbeiterin und erwähnte, dass Fritz Wixforth seine zehnjährige Mitgliedschaft im Stahlhelm vergessen hatte. Sie tauschte den unvollständigen Bogen gegen einen berichtigten aus. Offenbar wollte Mohn sichergehen, dass nicht noch weitere unliebsame Details auftauchten. Denkbar ist auch, dass er und sein Vater Fritz Wixforth als möglichen Verantwortlichen etablieren wollten, falls etwas Unvorhergesehenes passierte. Denn bei einem weiteren Besuch bei Paget-Brown fragte ihn Reinhard Mohn, ob es sinnvoll sei, auch für Wixforth eine Lizenz zu beantragen. Paget-Brown winkte ab. Ihm sei es lieber, wenn er nur einen einzigen Verantwortlichen habe. Irgendwann werde Mohn ohnehin seine Ausbildung beendet haben und Chef der Firma sein. Außerdem brachte Mohn in Erfahrung, dass die Nachforschungen des Kollegen Felix allenfalls die Zeitschriftenlizenz, nicht aber die Buchlizenz gefährden könnten. Mohn zitierte Paget-Brown in seinen Notizen. »Wir hätten da jetzt … nichts zu befürchten.« Er schätzte mittlerweile Paget-Brown als Verbündeten ein, der ihn rechtzeitig über mögliche Gefahren seitens Mr. Felix informieren würde. Immerhin hatte der britische Offizier Verständnis für die Verlagspolitik während des Krieges geäußert. Letztendlich erwuchsen Heinrich Mohn keine Nachteile aus seiner fördernden SS-Mitgliedschaft. Das Glück war auf seiner Seite: Der Leiter des Entnazifizierungsausschusses, Bankdirektor Wilhelm Flöttmann, hatte Mohns »Zusatzerklärung« zu den Akten gelegt. Darin hatte Mohn, statt seine fördernde Mitgliedschaft zuzugeben und offen zu benennen, kryptisch geschrieben: »Es muss heißen in Ziffer 42, 46 und 51 unter Spalte 1: passiv. Spalte 2 u. 3: unbekannt.« Die Angaben bezogen sich auf die fördernde – also passive – Mitgliedschaft in der SS und auf die Höhe der Zahlungen. Flöttmann zeigte die Erklärung weder den übrigen Mitgliedern des Ausschusses noch meldete er ihren Inhalt an die Militärregierung weiter. Denn er solidarisierte sich mit Mohn und fürchtete »unnötig großen Aufruhr« um diese Sache. Für Nicht152
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fachleute war die Bedeutung der Erklärung ohnehin nicht zu erkennen. Ihre Kargheit steht in krassem Gegensatz zu den Elogen, mit denen Mitarbeiter der Firma die angebliche Verfolgung der Nazis beschrieben. Am 12. Mai 1947 fuhr Reinhard Mohn ein letztes Mal zu Felix nach Düsseldorf. Der Chef der Lizenzvergabe für Zeitschriften hatte die so überaus eigenwillig zusammengestellte Liste der veröffentlichten Bücher genauer untersucht und war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Anteil der Kriegsbücher bei mehr als 1,46 Prozent lag. Er kam auf sechs Prozent. Mohn wunderte sich zwar über dieses merkwürdige Ergebnis, traute sich jedoch nicht, zu widersprechen, denn auch dieser Wert war immer noch niedrig. Er zog den Antrag seines Vaters zurück und stellte einen neuen Antrag, der auf seinen Namen lautete. Der Offizier gab ihm zu verstehen, dass die Papierknappheit daran schuld sei, dass die Lizenz noch nicht erteilt worden sei. Mohn glaubte ihm nicht, hielt es aber für besser, nicht zu drängen, da er weitere Nachforschungen fürchtete. »Vermutlich wird unser Zeitschriftenantrag dort liegen und einschlafen«, notierte er. Ein Jahr wartete er noch. Dann gab Reinhard Mohn das Projekt Deutsche Hefte auf. Heinrich Mohn hatte zwar nach außen hin die Leitung des Bertelsmann Verlags abgegeben. Aber ganz verabschiedet hatte er sich deshalb noch lange nicht. Am 29. September 1947 erteilte Reinhard seinem Vater die Vollmacht, ihn bei allen Geschäften zu vertreten. Nach wie vor kümmerte sich Heinrich Mohn um die wissenschaftlich-theologische Literatur und korrespondierte mit den Autoren. Auch für Reinhards Schwester Ursula Fischer gab es eine Rückkehr in den Kreis der Kommanditisten. Im August 1948 wurde sie unbeanstandet wieder aufgenommen.
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9. »Mit Tausenden von Vertretern und Hunderten von Werbewagen« Die Königsidee des Leserings
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n der Tanzstunde, die Reinhard mit seiner Freundin Inge absolviert hatte, dem Mädchen mit dem Bubikopf, das seiner Mutter so gar nicht gefallen hatte, kreuzte hin und wieder ein Mädchen mit dunklen Haaren seinen Weg, das in die gleiche Klasse wie Inge ging. Man kannte sich aus der Schule. Beide hatten die gleichen Lehrer für Klavier und Tanz. Damals ahnten sie noch nicht, wie eng sie sich aneinander binden würden. Magdalene Raßfeld wusste, wer Reinhard Mohn war – und er wusste, wer sie war. Er war der Sohn des bekannten Verlegers, sie die Tochter des reichsten Bauern am Ort. Enger in Kontakt kamen die beiden erst nach dem Krieg, als sie sich in Göttingen begegneten. Es war allerdings keine Liebe auf den ersten Blick. Monate vergingen, bevor sie sich wirklich näher kamen. Geholfen hat dabei sicher die gemeinsame Herkunft aus »Gützel«. Reinhard absolvierte in Göttingen ein Praktikum bei der Buchhandlung Calvör, um sich auf die Übernahme der Firma vorzubereiten und wenigstens auf dem Papier etwas Branchenerfahrung vorweisen zu können. Nebenbei besuchte er auch die Buchhändlerschule in Köln. Magdalene studierte Medizin. Aus Reinhards Sicht tat es der Beziehung vermutlich gut, dass sie sich fernab von zu Hause entwickeln konnte – und er sich nicht mit der Frage beschäftigen musste, ob seine Freundin der Mutter gefallen würde. Magdalene war nicht das erste Mal fort von zu Hause. 1941 hatte sie in Gütersloh Abitur gemacht, dann Arbeits- und Kriegsdienst in einem Krankenhaus geleistet. Im Frühjahr 1942 begann sie ihr Studium in Göttingen. Sie legte das Physikum ab. »Damals stand man den Pro154
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fessoren bei den Prüfungen noch Auge in Auge gegenüber. Alle nahmen sich furchtbar wichtig, und der ein oder andere Professor war nicht sehr angetan von Frauen, die studierten. Ein Professor riet ihr immerzu: ›Heiratens! Heiratens! Suchen Sie sich einen Mann!‹« Beinah hätte sie sich damals fest gebunden. Sie hatte einen Freund, der beim Militär war. Während eines Heimaturlaubs besuchte er sie in Göttingen. Gemeinsam fuhren die beiden nach Hannover. Dort gestand er ihr seine Liebe. In einem Park gab sie seinem Drängen nach und verlobte sich heimlich mit ihm. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er der Richtige war. Aber weil sie das Gefühl hatte, dass ihm das Band zu ihr den Einsatz an der Front erleichtern würde, sagte sie »Ja«. Als sie nach dieser heimlichen Verlobung im Park und nach dem Abschied allein im Zug zurück nach Göttingen saß, hatte sie ein flaues Gefühl und dachte: »Den siehst du bestimmt nicht wieder!« So war es dann auch: Kurze Zeit später erfuhr sie, dass er in Russland gefallen war. Sie trauerte um den Freund und zog nach Freiburg, um dort ihr Medizinstudium wieder aufzunehmen. Dort erlebte sie, wie die Menge am Münsterplatz zusammenkam, um die Übertragung einer Rede von Goebbels zu hören. Als er fragte: »Wollt Ihr den totalen Krieg?«, ballte sie die Fäuste. Sie fand seine Rede widerlich. Studieren war im »totalen Krieg« nicht mehr möglich. Sie ging zurück nach Gütersloh und arbeitete in einem Lazarett. Sie sah viele schwer verwundete und sterbende Menschen. Sie traf auf Soldaten, die fest an Hitler geglaubt hatten, und sah, wie ihnen nun alle Hoffnungen schwanden. Manche begingen deshalb Selbstmord. Nach Kriegsende wechselte sie ans englische Hospital. Obschon medizinisch ausgebildet, versah sie dort andere Arbeiten: Sie fungierte als Übersetzerin und überwachte die deutschen Angestellten. Dabei lernte sie den kommandierenden Offizier näher kennen. Sie lud ihn auch auf den Hof der Eltern ein und spielte mit ihm vierhändig Klavier. Der Offizier schrieb seinem Vater, dass er nun in Gütersloh eine deutsche Freundin habe. Was denn der Vater dazu sage? Denn die Meinung seines Vaters war ihm wichtig. Er war ein bedeutender Mann: der Bischof von Coventry. Seine Stadt war in einem der verheerendsten 155
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Luftangriffe der Deutschen zerstört worden, seine Kathedrale lag in Trümmern. Nach der Bombardierung schrieb der Vater auf die Steine: »Herr vergib ihnen!« Als der Sohn das Magdalene erzählte, war sie tief beeindruckt. Auch der Freundschaft seines Sohnes zu einer Deutschen stand der Bischof positiv gegenüber und schrieb: Nur durch Freundschaften könnten die beiden Länder ihren Hass überwinden und wieder zu einer normalen Beziehung finden. Gehalten hat die Beziehung jedoch nicht. Der Offizier ging wieder zurück nach England. Magdalene war erleichtert, als sie ihr Studium nach dem Krieg wieder aufnehmen konnte. Es war keine einfache Zeit und sie war froh, den jungen Mohn zu treffen, den sie aus ihrer Heimatstadt kannte. In Göttingen bewohnte sie eine kleine Studentenbude. Herrenbesuch wurde damals nicht gern gesehen. Aber Reinhard durfte abends zu ihr zum Essen kommen. Ihre Mutter legte ihr in die Wäschekiste stets Lebensmittel – Nudeln oder Reis – und sie kochte abends. Bis Reinhard kam, hielt sie das Essen unter der Bettdecke warm. Wenn er dann unten an der Haustür klopfte, ließ sie den Schlüssel runter. Ein halbes Jahr lebte sie dort und versuchte, wieder in ihrem Studium Fuß zu fassen. Nebenbei jobbte sie in einer Klinik. Hin und wieder durfte sie Reinhard in die Klinik mitbringen. Dort hatten sie die Möglichkeit, auch mal warm zu baden oder einfach im Warmen zu sitzen. Samstags gingen sie hamstern. Dazu stiegen sie auf ihre Räder und fuhren übers Land. Reinhard hatte aus dem Verlag ausgewaschenes Buchleinen mitgenommen, das sie gegen Zucker oder Kartoffeln eintauschen konnten. Sonntags ließ die freundliche Vermieterin sie sogar in ihren blauen Salon. Nicht ganz uneigennützig, denn sonntags brachte Reinhard in einer Aktentasche Brennholz mit. Die Arbeit in der Buchhandlung nahm Reinhard offenbar nicht ganz ernst, wie sein damaliger Freund Steffi Ehlert meint. Überhaupt habe er im Jahr nach seiner Rückkehr keineswegs immer so geklungen, als sei er sicher, dass er Bertelsmann wirklich übernehmen werde. Er hoffte offenbar immer noch, Sigbert würde zurückkehren und das Geschäft übernehmen. Dann könnte er studieren. Sein Freund Steffi begann damals Jura zu studieren und hatte den Eindruck, Reinhard 156
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beneide ihn um diese Freiheit, denn manchmal ließ er Praktikum Praktikum sein und besuchte stattdessen in Göttingen Vorlesungen. In der Öffentlichkeit traten Magdalene und Reinhard nicht als Paar auf. Aber sie waren mehr als Freunde, sicher war auch schon ein bisschen Liebe mit im Spiel. Als Magdalene erzählte, dass sie sich nach dem Krieg in Gütersloh in einen britischen Offizier verliebt hatte, war Reinhard außer sich. Die Briten seien in seinen Augen immer noch Feinde gewesen, erinnert sich Magdalene. Er war derartig gekränkt, dass er die Beziehung zu ihr beenden wollte. Doch er besann sich und wollte die junge Frau nun mit umso größerer Entschiedenheit für sich gewinnen. Am 29. Juni 1948 – dem 27. Geburtstag von Reinhard – feierten sie Verlobung. Im September heirateten sie. Zuvor hatte Reinhard Mohn bei Magdalene Raßfelds Vater um ihre Hand angehalten. Dieses Gespräch verlief nicht sehr angenehm für Reinhard. Mit kritischen Fragen, die ihn als Person betrafen, wurde er nicht gerne konfrontiert. Der Vater fragte ihn besorgt, ob er denn überhaupt für seine Tochter sorgen könne? Reinhard Mohn war damals der Erbe eines Verlags, der um seine Existenz kämpfte. Große materielle Versprechungen konnte er nicht abgeben. Zwei Tage vor der Hochzeit feierten sie den Polterabend auf dem Hof ihrer Eltern. Die ganze Firma Bertelsmann war auf der Deele. Oben auf der Galerie spielte eine Kapelle; unten wurde getanzt. Magdalene hatte keine ruhige Minute. Sie stand im Mittelpunkt. Die ganze männliche Belegschaft wollte einmal mit der zukünftigen Chefin tanzen. Zur Hochzeit fuhr das Paar in einer von Schimmeln gezogenen Kutsche, die mit Heidekraut geschmückt war, an der Martin-Luther-Kirche in der Stadtmitte vor. Die Hochzeitsfeier fand bei den Mohns statt. Das ganze Anwesen war mit Sonnenblumen geschmückt. Mit einem Volkswagen Käfer ging es hinterher auf Hochzeitsreise über Heidelberg nach Oberstdorf im Allgäu. Nach der Rückkehr zog das Paar in das Haus der Mohns, wo nun die Eltern Mohn, ihre Kinder mit ihren Ehepartnern und Reinhard Mohns Freund Rudolf Wendorff wohnten. Zeitweise lebten zehn Personen unter einem Dach. Den Kriegsfreund des Sohnes hatte die Mutter mit einer kleinen Geste in ihrer Familie 157
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aufgenommen. Wendorff wurde das bewusst, als sie ihm eines Tages wortlos den Serviettenring des verstorbenen Sohnes gab. Agnes Mohn mag ihm den Ring aus rein praktischen Gründen gegeben haben. Rudolf Wendorff jedenfalls war tief berührt – und fühlte sich sehr zu den Mohns hingezogen. Reinhards Frau wurde herzlich aufgenommen. Die Mutter mochte Magdalene. »Du gehörst zu uns«, sagte sie ihrer Schwiegertochter. Auch der Vater mochte sie. Manchmal kam er von einem Spaziergang zurück und brachte ihr einen selbst gepflückten Blumenstrauß. Mit seinen Kindern sprach er kaum. Aber nach dem Abendessen bat er Magdalene in sein Arbeitszimmer und erzählte ihr von sich.
Die Idee des Leserings Der Verlag stand nun wieder, zumindest was Gebäude und Verlagsprogramm betraf. Man hatte die gröbsten Krisen überwunden. Reinhard Mohn musste dankbar sein, dass er einen erfahrenen Mann wie Fritz Wixforth an seiner Seite hatte, der ihn an die Hand nahm und seine mangelnde Erfahrung ausglich, denn sein Vater hatte mit ihm nie über das Geschäft oder das verlegerische Erbe gesprochen. Zunächst ging es 1949 um eine einfache Frage: Wie konnte sich der Verlag vor weiteren Krisen schützen? Die Führungsspitze des Verlags – Reinhard Mohn, Fritz Wixforth und Gerhard Steinsiek – beratschlagte im kleinen Kreis wieder und wieder, was man tun könne. Wie konnte die gleichmäßige Auslastung von Druckerei und Verlag sichergestellt werden? Wie konnte man sich von den Schwankungen des Saisongeschäfts, dem der Buchverkauf unterliegt, unabhängig machen? Wie konnte man verhindern, dass die Arbeiter im technischen Bereich im Sommer unterbeschäftigt waren? Die Runde gebar zwei Ideen, die Rudolf Wendorff, den sie manchmal hinzuzogen, notiert hat: »1. Verbreiterung der vertrieblichen Basis durch Herausgabe moderner, preiswerter Taschenbücher (im Sinne der Nachkriegssituation) oder Gründung einer Buchgemeinschaft. 158
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2. Herausgabe von Fachbüchern, die mit den Saisonschwankungen nichts zu tun hatten und für die ein Nachkriegsnachholbedarf bestehen würde und für die – soweit es sich um umfangreiche und teure Werke handelte – auch bei den Vertretern des Reisebuchhandels ein Vertriebsweg bereitstünde.« Reinhard Mohn und Rudolf Wendorff hatten in amerikanischer Gefangenschaft das Pocket Book – also das Taschenbuch – kennen gelernt. Beide waren begeistert von dieser Buchform und von ihren Marktchancen überzeugt. Man zögerte, die Idee umzusetzen, denn der Betrieb war auf die Herstellung von Büchern mit festem Einband ausgerichtet. Sollte man diese Idee also zunächst einmal hintanstellen? Blieb die Idee einer Buchgemeinschaft, mit der man Bücher an einen festen Stamm von Abonnenten verkaufen könnte. Was sprach dagegen? Eine Menge: Zwar gab es solche Gemeinschaften schon seit Jahrzehnten in Deutschland und man hatte gehört, dass allein die Deutsche Buchgemeinschaft vor dem Krieg mehr als 100 000 Mitglieder hatte. Bei Bertelsmann verfügte jedoch niemand über konkrete Erfahrungen mit dieser Vertriebsform. Man wusste nichts über Kalkulation und Absatzchancen. Als problematisch empfand die Runde auch, dass Bertelsmann kein weit gefächertes Programm hatte und sich die Titel für eine solche Gemeinschaft erst hätte beschaffen müssen. Schließlich warnte Steinsiek vor den finanziellen Risiken dieses Vorhabens. Denn für eine Buchgemeinschaft benötige man ein besonders großes Lager von vielen Buchtiteln, deren Absatzchancen man vorab nicht beurteilen könne. Würde man sich mit einer solchen Idee nicht übernehmen? Bertelsmann war damals nicht der einzige Verlag, der solche Überlegungen anstellte. Längst hatten einige Händler und Verleger begonnen, über Buchgemeinschaften nachzudenken. Es gab damals bereits mehr als 40 Buchgemeinschaften – vom Krimiclub des GoldmannVerlags bis zur Scharnhorst-Buchkameradschaft der Soldatenverbände. Sie alle lieferten Bücher abseits vom Sortiment. Der Berliner Buchhändler Erich Cramer wollte das ändern. 1949 belebte er eine Idee, die einige Buchhändler bereits in den zwanziger Jahren hatten: eine Buchgemeinschaft, die von Buchhändlern geleitet wird. Damals hatten sich 159
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die Buchhändler gegen die Konkurrenz der Gewerkschaften und ihrer Buchgemeinschaften wehren wollen, indem sie es ihnen gleichtaten. Denn die Büchergilde Gutenberg der Gewerkschaften unterhielt Filialen in Großstädten. Damals waren die Buchhändler mit ihrem Versuch gescheitert. Die Sortimentsbuchhändler hatten letztlich einfach zu viele Bedenken. Man führte endlose Prozesse. Aber wieso sollte man es nicht noch einmal versuchen? Erich Cramer teilte seine Idee dem Vorstand des Börsenvereins Deutscher Verleger und Buchhändler mit: »Die Feindschaft zwischen Sortimentern (Ladenbuchhändlern) und Buchgemeinschaften gehört zwar seit Jahrzehnten zu den feststehenden Traditionsbegriffen unseres Standes, aber warum sollten wir Buchhändler nicht alle zusammen eine Buchgemeinschaft auf genossenschaftlicher Basis gründen? Natürlich müssen wir dafür auch die Elite der Verleger gewinnen, sodass wir wertvolle Buchreihen zu Preisen herausbringen können, mit denen die übrigen Buchgemeinschaften nicht konkurrieren können.« Nun wollten es Cramer und andere Buchhändler besser machen. Er und Kurt Meurer, der zweite Vorsitzende des Börsenvereins, versammelten in Frankfurt die renommiertesten Verleger und Buchhändler, um sie für ihren Plan zu gewinnen. Bertelsmann war von Cramer allerdings nicht zu den Beratungen eingeladen worden. »Der Verlag erschien uns wegen seiner – na, sagen wir ruhig – unterdurchschnittlichen Produktion nicht geeignet«, gab Cramer später an. Der Berliner Buchhändler war zusammen mit Meurer sehr bemüht, die Buchgemeinschaft voranzubringen. Monatelang wurde an der Konstruktion gearbeitet. Ein Memorandum erging an die Buchhändler und sollte ihnen das Vorhaben erklären. Demnach sollten die Mitglieder ausschließlich vom Buchhandel betreut werden. Diese Bemühungen wurden von den Händlerkollegen jedoch nicht überall honoriert. Viele fürchteten, zu Kulis einiger Buchfabriken degradiert zu werden. Außerdem fürchtete man, sich mit den Vorzugsbänden der Buchgemeinschaft das normale Geschäft zu verderben. Kurzum: Viele waren dagegen. Ebenso erging es Cramer bei den Verlegern. Die Buchgemeinschaft müsse sich auf Lizenzen stützen. »Selbst wenn man eine 160
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Schonfrist von einem Jahr zwischen das Erscheinen der Originalausgabe und das Erscheinen der Buchgemeinschaftsausgabe einschaltet, wird auf lange Sicht die Differenz zwischen zwei Preiskategorien im selben Land unvermeidlich sein«, betonte ein Sprecher der Verleger. Dann aber würden die Verleger der Originalausgabe im Nachteil sein. Aber es gab auch jemand, der von Cramers Idee angetan war: 1949 rief eines Tages der Hamburger Reisebuchhändler Johannes Thordsen in Gütersloh Fritz Wixforth an. Er habe ihm einen interessanten Vorschlag zu machen. Ob man sich in den nächsten Tagen nicht mal für ein Gespräch treffen könne? Wixforth nahm Thordsen ernst, denn der war der Verbandschef der Reise- und Versandbuchhändler und seine Buchhandlung lag ganz vorne, was den Verkauf der Romankassetten betraf. Man kam überein, sich auf halbem Wege in Hannover zu treffen. Thordsen hatte Großes vor: Bertelsmann muss ihm als ein Haus vorgekommen sein, das stets offen war für neue Ideen und Vertriebswege und dem Reisebuchhandel besonders gewogen war. Wie könnte man gemeinsam neue Leserschichten erschließen und zugleich das Risiko des Absatzes verringern? Thordsen schlug Bertelsmann vor, gemeinsam eine Buchgemeinschaft zu gründen. Den Kontakt zu den Mitgliedern dieser Buchgemeinschaft würde Thordsen übernehmen – also Werbung und Betreuung der Mitglieder. Bertelsmann müsste ihn nur mit Büchern beliefern. Hier lag jedoch auch das Problem. Denn um eine Mitgliedschaft in der Gemeinschaft attraktiv zu machen, müssten die Bücher exklusiv angeboten werden. Das hieße allerdings, dass Bertelsmann eine bestimmte Buchhandlung – nämlich die von Thordsen – allen anderen Läden des Sortiments vorziehen würde. Das würde nicht ohne Proteste abgehen, mutmaßten Wixforth und sein Mitarbeiter Oeltze. Über mehr als 20 Jahre hatte man sich bemüht, die konfessionellen Fesseln zu sprengen und vom allgemeinen Sortiment ernst genommen zu werden. Nur so konnte man wachsen. Dieses Vertrauen, das man sich schließlich erworben hatte, sollte man jetzt aufs Spiel setzen? Das hieße, das Wachstum gefährden. Man würde viel riskieren, aber wenig gewinnen, denn im Grunde würde man ja nur den einen Vertriebsweg 161
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durch einen anderen ersetzen. Thordsen wäre damit geholfen. Aber Bertelsmann hätte nicht davon profitiert. Thordsens Vorschlag überzeugte Wixforth deshalb nicht. Er lehnte ihn ab. Aber die Idee des Hamburgers war ohne Zweifel interessant. Eine auf ihn beschränkte Kooperation könne man sich nicht vorstellen, aber grundsätzlich sollte man im Gespräch bleiben. Könnte man die Idee nicht auch umsetzen, ohne die guten Kontakte zu den Buchhändlern zu verlieren? Würde es reichen, nur die Bücher von Bertelsmann anzubieten oder müsste man nicht in ganz anderen Kategorien denken und etwas Großes planen? Also mindestens 20 Verlage in das Konzept mit einbinden? Das waren einige der Fragen, die Wixforth beschäftigten. Thordsen, der von seiner Idee wirklich überzeugt war, glaubte, Wixforth habe sie nicht verstanden. Enttäuscht fuhr er nach Hamburg zurück. Die Aussicht auf weitere Gespräche schien ihm nicht verlockend; Wixforth hatte einfach zu viele Bedenken geäußert. Die Zeit drängte, denn ein Münchner Verleger machte sich bereits daran, das Konzept von Cramer zu verwirklichen. Also suchte Thordsen nach anderen Partnern. Die fand er in dem neu gegründeten Buchklub »Leserunion«. Allerdings sollte Thordsen sich dort auf das Werben von Mitgliedern beschränken; die Betreuung wollte die Union nicht aus den Händen geben. Deshalb ließ den Hamburger Reisebuchhändler trotz der ersten Enttäuschung die Idee einer Partnerschaft mit Bertelsmann nicht ganz los – und er fragte immer wieder nach. Fritz Wixforth besprach sich mit seinen Mitarbeitern und mit seinem Chef, Reinhard Mohn. Die Mitarbeiter waren skeptisch. Sie waren es, die den Kontakt zu den Buchhändlern hielten, und sie fürchteten, sich mit einer Buchgemeinschaft bei diesen unbeliebt zu machen. Sie sahen nicht die Chancen für den ganzen Verlag, nur die Nachteile für sich selbst. So schnell wollte Wixforth aber nicht aufgeben. Zudem war Reinhard Mohn nicht abgeneigt. Er hatte errechnet, dass ihm bereits 200 000 Mitglieder genügten, um selbst bei mäßigen Preisen einen Jahresumsatz von fünf Millionen Mark zu erzielen. Zwar teilte er Wixforths Bedenken gegen eine exklusive Kooperation. Aber er 162
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sagte, er sei sehr für eine Buchgemeinschaft, solange sie neue Vertriebsmöglichkeiten ermögliche und zugleich alle Seiten zufrieden stelle. Alle Seiten zufrieden stellen? Das ging nicht, und das muss den Bertelsmännern klar gewesen sein. Sie waren Pragmatiker: Wenn ein größerer Markt erschlossen wird und dabei ein kleinerer verloren geht, schien ihnen das Risiko akzeptabel. Wenn einige Buchhändler verstimmt würden, dann wollte man das gerne in Kauf nehmen, um zu wachsen. Denn an einem konnte auch Bertelsmann nicht rütteln: »Buchgemeinschaft und Buchhandel, das waren nach allgemeiner Auffassung Gegensätze wie Feuer und Wasser, wie Tag und Nacht«, wie Bertelsmann-Pressesprecher Roland Gööck später in Bücher für Millionen schrieb, einer Darstellung über Wixforths Aufbauarbeit. »Aufgabe des Buchhändlers war es, ein mehr oder weniger umfangreiches und vielseitiges Sortiment von Büchern für die möglichen Käufer bereitzuhalten und auf Wunsch auch solche Titel zu besorgen, die nicht am Lager waren. Jeder konnte bei ihm kaufen, was und wann er wollte. Die Buchgemeinschaften verfügten dagegen über einen festen Stamm von Abonnenten, die sich dazu verpflichteten, regelmäßig Beiträge zu zahlen und dafür in gewissen Abständen Bücher abzunehmen. Diese Abnahmeverpflichtung erlaubte es den Buchgemeinschaften, die Bücher billiger anzubieten. Man konnte ja die Druckauflage der Bücher ziemlich genau vorausberechnen und damit das Risiko mindern.« Überdies sahen die Buchhändler die Werbemethoden der Buchgemeinschaften als schädlich an für die gesamte Buchbranche. Die Vertreter der Buchgemeinschaften galten als Gauner und waren nicht sehr beliebt. Wirklich gefürchtet wurden sie jedoch wegen ihres Erfolges. Buchhändler bezeichneten sie deshalb als »Totengräber des Sortiments«. Die Vertreter der Buchklubs wiederum nahmen für sich in Anspruch, auch Bücher an Schichten zu bringen, die den Gang in eine Buchhandlung scheuten. Sie sahen sich als »Kulturbringer«; und um diesen kulturell so bedeutsamen Auftrag zu erfüllen, waren auch mal unsaubere Methoden gerechtfertigt. Doch Buchgemeinschaften arbeiteten in Konkurrenz zum Buchhandel. Daran ließ sich nicht rütteln. 163
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Reinhard Mohn erkannte, dass die Verlage nicht von heute auf morgen eine gemeinschaftliche Lösung umsetzen können. Zu strittig waren die Auffassungen vom Fluch und Segen der Gemeinschaften. Er glaubte, dass eine große Lösung Theorie bleiben würde – oder zumindest lange auf sich warten ließe. Ein einzelner Verlag dagegen konnte schnell entscheiden. So machten sich Mohn und Wixforth an die Umsetzung. Aber wie konnte man verhindern, dass das gesamte Sortiment gegen den Alleingang von Bertelsmann aufgebracht sein würde? Ganz ohne das Sortiment wollten auch sie nichts unternehmen, um nicht zum Buhmann des Buchhandels zu werden. Man brauchte ein Argument, das zumindest den Schein guter Zusammenarbeit wahrte. Man brauchte eine Konstruktion, die nach Kooperation aussah, obwohl Gütersloh die Kontrolle behalten würde. Wixforths Lösung: »Niemand kann direkt beim Verlag, jeder kann bei jeder Buchhandlung Mitglied werden!« Damit war ein neuer Typ von Buchgemeinschaft geschaffen und der Grundsatz klang, als sei die Buchgemeinschaft keine Initiative eines Verlags, sondern des Sortiments. Wixforth entwarf das Konzept, wusste aber nicht, wie er das Risiko kalkulieren sollte. Also bat er Reinhard, der sich auf Zahlen verstand, um eine Kalkulation. Es gab keine Vorbilder für eine Buchgemeinschaft, die mit dem Sortimentsbuchhandel zusammenarbeiten wollte. Er habe über dieser Kalkulation deshalb »sehr geschwitzt«, so Mohn. Er ging in die Packerei und zählte, wie viele Pakete ein Arbeiter in der Stunde abfertigen kann. Die einzelnen Buchhandlungen sollten Mitglieder werben dürfen, um nicht das Gefühl zu haben, Bertelsmann arbeite nun gegen sie. Die einzelnen Mitglieder würden ihnen »gehören« und die Händler würden mit einer Prämie für die Betreuung entschädigt werden. Die Mitglieder würden also in einen Laden gehen und dort mit Rabatt vornehmlich Bücher von Bertelsmann kaufen. Aber in Wirklichkeit war das Sortiment weniger eingebunden, als es den Anschein hatte, denn der Schwerpunkt der Aufbauarbeit, der die Dynamik des Leserings auszeichnete, lag bei Männern wie Thordsen und damit beim Reiseund Versandbuchhandel. Das bot den Vorteil, dass nur eine kleine 164
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Zahl von Firmen federführend beteiligt war und Entscheidungen rasch getroffen werden konnten. Ein weiterer Vorteil: Während der Sortimentsbuchhandel in der Beibehaltung seiner Praktiken konservativ war, galten die Reisebuchhändler als flexibel und neuen Ideen aufgeschlossen. Unklar war, wie die etablierten Buchgemeinschaften auf den neuen Typus von Buchgemeinschaft reagieren würden. Würden sie die Entwicklung von Bertelsmann einfach so akzeptieren? Oder würden sie gegen Bertelsmann kämpfen und den Kunden klar zu machen versuchen, dass sie es mit einer Mogelpackung zu tun hätten? Was, wenn man in eine »Bertelsmann Buchgemeinschaft« investierte und ein Gericht dann verbietet, die neue Buchgemeinschaft so zu nennen? Davor hatte man Angst in Gütersloh. Deshalb fuhr Rudolf Wendorff nach Köln zu einem Anwalt und besprach sich. Gemeinsam kam man auf die Idee, das Projekt von Bertelsmann einfach »Lesering – Das Bertelsmann Buch« zu taufen. Unter diesem Namen startete Bertelsmann am 1. Juni 1950. Am Tag zuvor schickte Mohn einen Brief an den Buchhandel, in dem er schrieb, es komme darauf an, »die immer noch vorhandene große Lesefreudigkeit im deutschen Volk zu erhalten und Mittel und Wege zu finden, die es auch minderbemittelten Schichten ermöglichen, ihre Liebe zum Buch zu pflegen«. Im ersten Quartal konnten die Mitglieder aus 62 Titeln, dem regulären Programm von Bertelsmann, ihre Bücher auswählen. Die Bücher kamen aus dem Lager des Verlags und unterschieden sich von den üblichen Exemplaren durch einen Stempel auf einer der ersten Seiten mit dem Aufdruck »Lesering – Das Bertelsmann Buch«. Somit durfte das Sortiment sie unterhalb des regulären Preises verkaufen. Als Katalog fungierte der Verlagsprospekt, dessen Einband man einfach mit dem Hinweis »Lesering« versah. Das Programm zum Start war also bescheiden und wenig attraktiv. Um etwas Besonderes zu bieten, dachte Wixforth an eine Versicherung, die man bei der Mitgliedschaft erwerben könne. Man sprach mit Versicherungsgesellschaften in Nürnberg und München. Es stellte sich jedoch heraus, dass solche Koppelungsgeschäfte gesetzlich verboten waren. 165
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Werben um Mitglieder Wichtig für den Erfolg des Leseringes war vor allem die Werbung von Mitgliedern. Denn erst durch eine ausreichende Zahl von Buchabonnenten, nichts anderes waren die Mitglieder ja, würde sich billig produzieren lassen. Und im Gegensatz zu anderen Buchgemeinschaften musste man auch noch die Buchhändler bezahlen. Von Vorteil wiederum war, dass der Aufwand für diese Mitglieder sich in Grenzen hielt – man brauchte keine Läden, keine Mitarbeiter, kaum Logistik. Man hatte diese Mitglieder ja an den Buchhandel »vermietet«. Die Idee kam wieder unverhofft. Im August 1952 war ein Berliner Reisebuchhändler mit einem Kombi auf das Verlagsgelände gefahren. Auf seinen Kombi hatte er groß »Bertelsmann Lesering« und einige weitere Werbesprüche gemalt. An den Seiten waren Fensterstreifen ausgeschnitten und gaben die Sicht frei auf Regale mit Büchern des Leseringes. Der Händler berichtete, er mache gute Erfahrungen mit diesem Wagen. Er stellte ihn einfach an viel befahrenen Straßen ab – und schon lief das Geschäft. Zur Buchmesse in Frankfurt ließ Wixforth ein solches Gefährt bauen; weitere 15 Fahrzeuge gab er in Auftrag. Es gelang ihm, Händler für die Idee zu gewinnen, ebenfalls mit einem solchen Wagen zu werben. 1953 waren bereits 200 solcher Wagen quer durch Deutschland unterwegs. Selbst einige Sortimenter setzten diese Werbemethode ein. Wohl dank dieser fahrenden Werbung verzeichnete der Lesering 1953 einen gewaltigen Anstieg der Mitgliederzahl auf 950 000. »Mit Tausenden von Vertretern und Hunderten von Werbewagen wurde ein beispielloser Werbefeldzug gestartet«, notierte Bertelsmann. »Es zeigte sich, dass man mit den Vertretern einen Markt erschloss, den der Ladenbuchhandel bisher nicht erreicht hatte.« Bertelsmann expandierte. Wichtigster Partner war Thordsen mit seinem Verband. Neun von zehn Mitgliedern wurden über die Reisebuchhändler geworben. Das Sortiment dagegen blieb zurückhaltend. Die Buchhändler nahmen es den Leuten aus Gütersloh übel, dass diese ihre Werber auch direkt vor ihren Läden tätig werden ließen. Ihre mobilen Buchlä166
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den in VW-Bussen parkten sie ganz in der Nähe von Sortimentsbuchläden und fingen dann deren Kundschaft ab. Nicht gut zu sprechen auf Bertelsmann waren auch die bestehenden Buchgemeinschaften. Denn offenbar hatten die Lesering-Leiter ihren Leuten eingeschärft, Mitglieder der anderen Buchgemeinschaften abzuwerben. Der Darmstädter Reisebuchhändler Schwenke soll seinen Leuten Folgendes eingetrichtert haben: »Werbung ist Werbung, und wir müssen darauf bedacht sein, recht viele Mitglieder von anderen Buchgemeinschaften abzuwerben, wobei wir sagen können, was wir wollen. Hauptsache ist, dass kein Zweiter zugegen ist, sodass wir daraus keinen Schaden haben können.« Bevorzugte Plätze, an denen die Bertelsmann-Werber neue Lesering-Mitglieder suchten, waren Lehrlingsheime und Schulen, wie der Spiegel in einer Titelgeschichte schrieb. Dort warben sie für den Jugendlesering – eine Tochterfirma des Leseringes. Dabei wandten sie zweifelhafte Methoden an, wie ein Werber einer konkurrierenden Buchgemeinschaft im eigenen Familienkreis erlebte. Demnach erhielten die Schüler Freilose für eine Buchverlosung. Sie trugen ihren Namen und ihre Adresse ein, schließlich geschah das mit Billigung der Schulleitung. Allerdings wurde nie ein Buch verlost. Stattdessen erschienen wenig später Vertreter des Leseringes bei den Eltern der Kinder. Sie erklärten den erstaunten Eltern, ihre Kinder seien durch ihre Unterschrift Mitglied im Lesering geworden. Ob die Eltern diesen Umstand mit ihrer Unterschrift bestätigen wollten? Manche Eltern ließen sich durch dieses Manöver tatsächlich überrumpeln und unterschrieben. Erst diese Unterschrift war rechtsgültig für eine Mitgliedschaft, der Vertrag mit ihren Kindern wäre nichtig gewesen. Wie der Spiegel weiter berichtete, wurde eine Frau namens Liselotte Klein am 11. Juli 1956 auf dem Neumarkt in Köln von einem Werber angesprochen. Ob sie nicht dem Lesering beitreten wolle? Nein, sagte die Kölnerin. Da bat sie der Werber darum, ihr doch wenigstens die nächsten Monate die Illustrierte des Leserings zuschicken zu dürfen, selbstverständlich kostenlos. Dann könne sie mal in Ruhe das Angebot studieren. Die Frau willigte ein, wohl um den lästigen Werber los167
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zuwerden. Er notierte ihre Adresse. Er füllte ein Formular aus und hielt es ihr hin, damit sie es unterschrieb. Nebenbei sprach er pausenlos auf sie ein. Als er ihr das Formular zur Unterschrift hinhielt, versicherte er: »Sie übernehmen damit keinerlei Verpflichtung.« Einen Monat später wurde Liselotte Klein aufgefordert, ihren Monatsbeitrag für den Lesering zu bezahlen. Als sie protestierte, teilte man ihr mit, sie sei doch Mitglied. Erst da merkte sie, dass sie – ohne es zu wollen – ein Aufnahmeformular unterschrieben hatte. Laut Spiegel handelte es sich bei solchen Methoden »keineswegs um einen Einzelfall«. Das habe sogar die Verlagsleitung zugeben müssen, berichtete das Hamburger Nachrichtenmagazin im Juli 1957: »Sie beklagte sich vor einigen Monaten während einer Vertretertagung über die vielen frisierten Zugänge neuer Abonnenten, die wütend protestiert hatten, als sie Mitgliedsbeitrag bezahlen sollten.« Daraufhin habe Bertelsmann die Provisionen und Vorauszahlungen zurückverlangt. Man habe Mühe, die schwarzen Schafe unter den vielen Werbern ausfindig zu machen, hieß es. Nach den schlechten Erfahrungen habe Bertelsmann die massive Werbung »abgebremst«, so der Spiegel, und die Methoden verfeinert. Besonders erfolgreich war der Vertriebsstellenleiter für Bayern, ein gewisser Herr Dr. Bohnenberger in München. Er schulte seine rund 200 Vertreter nach den Ratschlägen amerikanischer Verkaufspsychologen. Sie überfielen ihre Opfer nicht mehr mit der Aufforderung, dem Lesering beizutreten. Bohnenbergers Leute suchten, das Ziel auf einem Umweg zu erreichen. Bei ihren Werbezügen sprachen sie Leute an und stellten sich als Vertreter eines Vereins vor, der gegen Schmutz und Schund kämpfe. Dabei zeigten sie einen Ausweis dieses Vereins, der jedoch nirgendwo registriert war. Sie zückten einen Fragebogen und behaupteten, im Auftrag des Vereins eine Umfrage durchzuführen. Ob sie nicht …? »Dieser Prolog wirkte meist als Sesam-öffne-dich«, berichtete der Spiegel. Während sie sich mit den Hausfrauen über Familie und Erziehung unterhielten, füllten sie »mit gewichtiger Miene« (Spiegel) den Fragebogen aus, »als handle es sich um einen amtlichen Vorgang«. Aber das 168
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war nur das Vorspiel: »Über das Halbstarkenproblem kamen sie auf die Gefährdung der Jugend durch Schmutz- und Schundliteratur zu sprechen. Dann schlugen die Werber geschickt eine Brücke zum Bertelsmann-Lesering: Der christliche Verlag in Gütersloh liefere garantiert keimfreie Lektüre, die man ohne Zögern auch der heranreifenden Jugend in die Hand geben könne. Welch ein Glück, so freuten sich die Herren, dass sie gerade Aufnahmeformulare für den Lesering bei sich hatten.« Diese Strategie erwies sich als erfolgreich. Tausende von Hausfrauen und Familienvätern unterschrieben den Aufnahmeantrag. Die Münchner Werbeleute führten Bertelsmann Monat für Monat 4 000 bis 5 000 neue Mitglieder zu. Irgendwann erhoben sich jedoch auch gegen diese Methode Proteste. Bertelsmann tat erneut entsetzt und sprach von Einzelfällen. Die Mitglieder waren freilich dennoch willkommen. Bohnenberger musste sich verpflichten, die Werbung nicht mehr mit dem Fragebogen zu koppeln. Das hielt einige seiner Werber freilich nicht davon ab, die erfolgreiche Masche weiter zu praktizieren. Der Chef berief sich darauf, dass er das verboten habe – genau wie Bertelsmann beteuerte, diese Methoden verboten zu haben. Fortan gab Bohnenberger seinen Leuten kleine Tonbandgeräte mit auf den Weg. Unbemerkt sollten sie ihre Gespräche aufzeichnen. So konnte er sie zugleich kontrollieren – und neuen Werbern vorspielen, wie man erfolgreich potenzielle neue Mitglieder beschwatzt.
Eine Idee setzt sich durch Die Buchgemeinschaften kamen dem Wunsch vieler Leute entgegen, vorsortierte und empfohlene Bücher zu lesen. Was heute der Literaturkritiker der Zeitung oder die Moderatorin einer Bücher-Talkshow im Fernsehen leistet, das übernahmen in den fünfziger Jahren die Buchgemeinschaften: Sie sagten, was man lesen sollte. Das Konzept und die massive Werbung zeitigten schnell Erfolge. Mitte 1950 war der Lesering gestartet. Nach einem halben Jahr hatte er 52 000 Mitglieder. Das 169
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reichte noch nicht für die hohen Anlaufkosten. Aber es ließ ein großes Potenzial erahnen. In Rheda, einem Nachbarort von Gütersloh, gab es eine kleine Buchgemeinschaft, den »Bücherring«, der in finanziellen Schwierigkeiten steckte. Mohn kaufte das Unternehmen als erste einer Reihe von Buchgemeinschaften. Dank dieser Zukäufe erhielt der Lesering viele neue Mitglieder. Später verlegte Mohn den gesamten Lesering nach Rheda. 1951 musste Wixforth bange Monate überstehen, weil die Papierpreise während der Koreakrise explodierten. Mohn plädierte für eine Erhöhung des Mitgliedsbeitrages; Wixforth war dagegen. Mohn stellte seinen Vertriebschef vor die Wahl: Entweder müsse man den Preis erhöhen oder den Lesering einstellen. Wixforth fürchtete um die Krone seines Lebenswerkes und gab nach. Mohn selbst erklärte den Reisebuchhändlern am 19. Mai 1951 in Hamburg, dass die Preise angehoben werden müssten. Die Händler waren empört und keinem Argument zugänglich. Künftig betrug der Monatsbeitrag 3,80 statt 3,20 Mark. Die Sorge von Wixforth, zahlreiche Mitglieder würden wieder abspringen, bestätigte sich nicht. Zum ersten Jahrestag am 1. Juli 1951 vermeldete der Lesering das 100 000. Mitglied. Am 1. Januar 1952 hatte der Lesering 150 000 Mitglieder; ein halbes Jahr später zählte man eine Viertelmillion, wieder ein halbes Jahr später 350 000, Mitte 1953 waren es mehr als 500 000. »Der Lesering ist bereits die größte und damit leistungsfähigste Lesergemeinschaft Deutschlands«, schrieb Wixforth an die Sortimentsbuchhändler. 1953 bot der Lesering 250 Bücher an. Jeder Kunde musste nun monatlich 3,90 Mark bezahlen; dafür wurden ihm zwei Buchbezugspunkte gutgeschrieben, mit denen er wiederum Bücher bezahlen konnte. Anfangs hatte man gegen einen festen Beitrag ein beliebiges Buch aus einem Katalog auswählen lassen. Aber die Mitglieder schauten auf ihr Geld – und bestellten alle das teuerste Buch, mit dem Bertelsmann kaum etwas verdienen konnte. Deshalb stellte Bertelsmann auf ein Punktesystem um. Das Prinzip eines Leseringes ist es, Bücher zu vertreiben, die zuvor in einem anderen Verlag erschienen sind, also als Zweitverwerter auf170
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zutreten. Dieses Prinzip half dem Verlag Bertelsmann, weiter zu expandieren, denn so konnte man bei der Planung des belletristischen und des Sachbuchprogramms stets schon die weitere Verwendung im Lesering einkalkulieren. Kein Wunder also, wenn sich im Laufe der Jahre die Prioritäten in der Programmauswahl weiter in Richtung Lesering-Tauglichkeit verschoben. Fritz Wixforth ging des Öfteren zum Verlagsleiter Rudolf Wendorff und gab ihm Anregungen: Könnte man nicht ein Volkslexikon auflegen für den Lesering? Die Verlagsarbeit koordinierten Wixforth und Wendorff so, dass die Titel sowohl in das allgemeine Sortiment als auch für den Lesering passten. »Es kam darauf an, gemeinsam zu planen und in ständiger sachlicher und persönlicher Verbundenheit zu arbeiten«, sagt Wendorff über diese Phase. Wixforth wollte also ein Lexikon anbieten. Man verhandelte mit der Firma Brockhaus in Wiesbaden. Doch der Verlag verweigerte die Lizenz, weil er Ärger vom Sortimentsbuchhandel befürchtete, wenn das Lexikon im Lesering billiger zu haben sein würde. Immerhin wollte der Lesering das Lexikon statt für 39 Mark für 33 Mark abgeben. Sollte man auf das Lexikon verzichten? Für die ehrgeizigen Bertelsmänner kam das nicht in Frage. Wenn keine Lizenz zu bekommen war, würde man eben ein Lexikon publizieren, das von vorneherein für den Lesering bestimmt war. Wendorff stellte also kurzerhand mehrere Redakteure ein und baute eine eigene Lexikonredaktion auf. 33 000 Exemplare würde man absetzen müssen, um auf seine Kosten zu kommen. Auf 100 000 Exemplare hoffte man. Monatelang hatte man im Winter 1951/52 bereits an einer zweibändigen Ausgabe gearbeitet, als plötzlich die Anweisung kam, sie auf drei Bände anzulegen. Ein anderer Verlag brachte nämlich ein zweibändiges Werk, und Bertelsmann wollte mit dem Spruch werben: »Das umfangreichste deutsche Lexikon mittlerer Größe!« Als die Redaktion alles auf drei Bände umgestellt hatte, erschien in einem anderen Verlag ein dreibändiges Lexikon. Was sollte man tun? Bertelsmann wollte bei seiner Werbung bleiben und Wendorff erhielt die Anweisung, vier Bände zu erstellen. Der erste Band erschien planmäßig am 1. Oktober 1953. Bis 1966 verkaufte Bertelsmann von den vier Bänden 400 000 Exemplare. 171
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Allen Beteuerungen von Wixforth zum Trotz war das Image des Leseringes in der Öffentlichkeit problematisch. Als die Zahl der Mitglieder des Leseringes auf 1,9 Millionen gestiegen war, ermittelte das Volksbefragungsinstitut in Frankfurt, was diesen besonders gefalle oder missfalle. 38 Prozent nannten den Preis als wichtigstes Argument für ihre Mitgliedschaft, 34 Prozent sagten, sie fänden es bequem, Bücher per Katalog zu ordern und sich nach Hause schicken zu lassen. 32 Prozent schätzten das umfassende Angebot und 22 Prozent sagten, sie hätten ihre Wissenslücken schon längst schließen wollen, aber sich gescheut, eine Buchhandlung zu betreten und sich durch Unkenntnis zu blamieren. Die Umfrage ergab jedoch auch, dass viele Mitglieder die Methoden ablehnten, mit denen sie in den Lesering gelockt worden waren. Die Werber seien zu aufdringlich, beklagten sie. Sie hätten sie überrumpelt und in die Mitgliedschaft »hineingezwungen«. Ihre Methoden wurden als »Bauernfängerei« bezeichnet. Ein Befragter gab zu Protokoll: »Mir hat der Vertreter vorgelogen, er komme vom Jugendamt, und alles wäre kostenlos. Ich beziehe die Bücher (bis zum Ablauf des Abonnements), weil mich das Gericht dazu verurteilt hat.« Als treuer Helfer beim Aufbau des Leserings erwies sich Matthias Lackas, den die Nazis einst wegen Papierschiebereien zum Tode verurteilt hatten. Nach dem Krieg hatte er in Marbach einen Verlag übernommen und unter anderem ein Buch der Etikette herausgebracht. Sein Geld verdiente er aber vor allem, indem er für Bertelsmann 80 000 Mitglieder warb und betreute. Dem Spiegel erklärte Lackas Mohns Geschäftsprinzip: Für ein Dreipunktebuch, das im Lesering 5,85 Mark kostete, zahlte Mohn pro Exemplar 30 Pfennig Lizenzgebühr. Lackas verriet auch ungeniert, warum sich viele Verleger, die sich hinter vorgehaltener Hand über Mohns Lesering empörten, doch mit der vermeintlichen Buchfabrik in Gütersloh einließen: »Wenn irgendein Schinken in der Lesering-Illustrierten angepriesen wird, und wenn es auch nur eine Fünfzeilennotiz ist, dann sind im Handumdrehen schon 10 000 bis 20 000 Stück verkauft – ein Posten, den man im normalen Handel selbst bei guten Sachen niemals auf einen Schlag loswird. Wer also Bertelsmann einen Titel gibt, hat zwei bis drei Jahre lang (so lange 172
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laufen die Lizenzverträge) seine Verkaufsgarantie. Zwar bekommt der Lizenzgeber vom einzelnen Buch weniger als im Normalverkauf, aber die Masse macht’s.« Bertelsmann garantierte Auflagen von 200 000 und mehr. Je erfolgreicher der Lesering war, umso mehr setzte sich beim Buchhandel das Gefühl durch, dass er auf ihre Kosten wuchs. Auf diese Kritik war man bei Bertelsmann vorbereitet: Man zitierte Studien, wonach der Lesering einen völlig neuen Markt erschlossen habe. Man sprach von der hehren Aufgabe, den weniger Gebildeten das gute Buch nahe zu bringen. Bertelsmann, so wurde intern immer wieder betont, stehe für Bildung. Diesen Gedanken müsse man in die Köpfe der Leute bringen, dann würde man den Kritikern eines ihrer Argumente nehmen. Doch je eifriger Bertelsmann auf Studien verwies, umso skeptischer beäugten die Buchhändler die angeblichen Beweise. Sigbert Mohn nahm man sein Engagement für das gute Buch durchaus ab. Nach seiner Rückkehr schienen die beiden Brüder ein gutes Gespann zu bilden. Sigbert leitete das schöngeistige Programm; Reinhard führte die Geschäfte und baute den Lesering auf. Doch dann wurde wohl auch Sigbert vom Erfolg des Leseringes überrascht. Zwar wusste man intern, dass ihm das Programm des Leseringes und die Art der Vermarktung nicht unbedingt gefielen. Aber was sollte er sagen gegen den Erfolg? Er wusste nur zu gut, dass auch sein Verlag auf die Gewinne aus dem Lesering angewiesen war. Längst hatten er und sein Bruder Gerd, der den theologischen Verlag führte, sich dem erfolgreichen Bruder gebeugt. Die beiden Brüder traten gerne gemeinsam auf. Reinhard profitierte vom Ansehen, das sein Bruder genoss. Und Sigbert verteidigte öffentlich die Strategien seines geschäftstüchtigen Bruders. So ergänzte man sich bestens. Gemeinsam trat man bei den Buchtagen in Quellental an – gemeinsam wehrte man sich gegen die heftige Kritik der Buchhändler. Gemeinsam begrüßte man in Hamburg am 15. April 1954 das millionste Mitglied des Leseringes. Dabei wussten die Brüder geschickt zu verhindern, dass eine negative Berichterstattung über die Bücherfabrik den Glanz der Feier trübte. Das taten sie, indem sie nicht 173
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das millionste Mitglied in den Mittelpunkt stellten, sondern die Gründung einer Stiftung für Autoren: die Carl Bertelsmann Stiftung. Indem man junge Autoren förderte, konnte man der Öffentlichkeit am leichtesten vor Augen führen, dass man nicht nur Geld zu kassieren verstand, sondern auch bereit war, Geld auszugeben. Welcher kultivierte Verleger tat Ähnliches? Welcher kultivierte Verleger konnte sich Ähnliches leisten? Umrahmt von Streichquartetten von Mozart und Brahms trugen Reinhard und Sigbert Mohn im Hotel »Vier Jahreszeiten« in Hamburg den 150 geladenen Gästen aus Presse, Verlagen, Theater und der Autorenschaft vor, warum sie die Stiftung gründeten: Bertelsmann sei sich »getreu alter buchhändlerischer Tradition unserer verlegerischen und kulturellen Verantwortung bewusst«, sagte Reinhard Mohn. Überwiegend sprach er jedoch über den geschäftlichen Erfolg und überließ es Sigbert Mohn, an die Familientradition zu erinnern und die Aufgabe der Stiftung zu erklären. »Die Arbeit der jungen und auch eines großen Teiles der älteren Schriftsteller leidet heute unter einer Unsicherheit der wirtschaftlichen Situation«, sagte Sigbert Mohn. Von rund 4 800 Schriftstellern lebte der Großteil, nämlich 2 900, von nur 500 Mark im Monat. »Es ist leicht auszurechnen, dass nach Abzug der Steuern und sonstigen Abgaben nicht viel mehr übrig bleibt.« Wenn die schriftstellerische Arbeit mühsam sei, dann drohe vor allem der Humor in der Literatur völlig zu verkümmern. Deshalb wolle man sich um diese Leute kümmern und ihnen ein Stipendium gewähren. Bertelsmann stifte 50 000 Mark, um damit zehn Autoren im Jahr 1954/55 ein Jahr lang mit monatlich 400 Mark zu unterstützen. Bertelsmann leiste damit »einen sehr wichtigen Beitrag zur deutschen Literatur«, sagte Sigbert. »Schon immer seit Bestehen unseres Verlags war die Pflege guter Literatur, in schlichtem Gewand präsentiert und damit jedermann zugänglich, Grundanliegen unseres Hauses.« »Fällt unter Literaten der Name Bertelsmann, so ist viel Naserümpfens«, erlebte der Schriftsteller Rolf Hochhuth. Zu Unrecht, wie er meint, denn die Kritiker »wissen in der Tat wenig bis gar nichts 174
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davon, dass der Lesering erstens mit den Bertelsmann-Verlagen fast nichts zu tun hat, ja sich in Opposition gegen sie entwickelte, weil er natürlich seine 2,9 Millionen Abonnenten allein deutscher Sprache bis 1960 niemals hätte werben können, würde er lediglich Bücher anzubieten gehabt haben, die in hauseigenen Verlagen gedruckt wurden.« Zahlreiche anspruchsvolle Verlage existierten nur noch, weil sie Lizenzen an den Lesering verkaufen konnten. Ihre literarisch bedeutenden Werke konnten sie nur publizieren, »weil Reinhard Mohns Lesering ihnen das finanziert hat durch Mitdruck, durch Mitverkauf«. Beispiele? Als Ricarda Huch, Arthur Schnitzler und Joseph Roth nicht mehr greifbar waren, habe ein Lektor des Leserings die Verleger Witsch und Hirsch (Fischer Verlag) zu Gesamtausgaben überredet. Er machte es ihnen leicht, indem er ihnen jegliches Risiko abnahm. Hochhuth hatte allen Grund, gut auf Bertelsmann und Reinhard Mohn zu sprechen zu sein, denn er kam in den Genuss einer Literaturförderung der besonderen Art. Bevor er Schriftsteller wurde, war er Lektor des Leseringes gewesen und verdankte es Reinhard Mohn, dass er überhaupt Zeit zum Schreiben fand. »Kaum dass ich ein Vierteljahr dort war, sagte ich zu ihm, ich müsse nach München in den Buchhandel zurück, wo ich einen Nachmittagsjob gehabt hatte, denn ich wollte Schriftsteller werden und könnte nur vormittags schreiben. Darauf Mohn, der nie ein Wort von mir gelesen hatte, weil es keins gab: ›Dann kommen Sie doch um eins und arbeiten bis sieben – gehen Sie zu Fräulein Soundso, die zieht Ihnen 25 Prozent ab vom Gehalt, Sie arbeiten einen Dreivierteltag!‹« Als Mohn binnen sechs Wochen eine Million Exemplare einer BuschGesamtausgabe verkaufte, schenkte er dem Lektor und angestellten Schriftsteller Hochhuth drei Gehälter und einen dreimonatigen Aufenthalt in Rom. So ermöglichte er es Hochhuth, sein Theaterstück Der Stellvertreter zu schreiben. Zwar war das kirchenkritische Werk nicht ganz nach dem Geschmack seines Mentors. Als Mohn das Manuskript gelesen hatte, lehnte er ab, es im Lesering zu vertreiben. Aber für Hochhuth zählte dennoch: Ohne Mohns Großzügigkeit gäbe es das Stück nicht. 175
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Zwei Jahre nach der Gründung der Stiftung erweiterte Bertelsmann das Angebot des Leseringes. Warum sollte man den Erfolg mit Büchern nicht auch mit anderen Medien wiederholen und einen Schallplattenring gründen? Und weil Mitte der fünfziger Jahre Vinylscheiben die zerbrechlichen Schellackplatten mehr und mehr ersetzten, würde auch der Versand kein so großes Problem darstellen. Wixforth und Mohn machten sich an die Arbeit. »Zum guten Buch gehört der schöne Klang«, lautete ihr Werbespruch. Doch bei der Beschaffung der Lizenzen für die Schallplatten ergab sich ein Problem: Die marktbeherrschenden Musikproduktionsfirmen wollten keine Lizenzen vergeben. Widerstand bekam Bertelsmann auch vonseiten der Presswerke zu spüren, die für die etablierten Musikfirmen arbeiteten. Keiner wollte mit dem Neuling, der mit Büchern so großen Erfolg hatte, Geschäfte machen. Das freilich spornte Wixforth und Mohn nur noch mehr an: 1957 gründeten sie ihre eigene Schallplattenfabrik Sonopress. Wieder ein Jahr später, also 1958, gründete Bertelsmann eine eigene Schallplattenfirma namens Ariola, die fortan selbst Musik von Interpreten wie Rex Gildo, Peter Alexander, Heintje und Udo Jürgens produzierte. So hatten sich die etablierten Firmen durch ihre Gegenwehr unbeabsichtigt einen Konkurrenten geschaffen. Der Lesering hatte mittlerweile mehr als zwei Millionen Mitglieder.
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10. »Roter Mohn« Auf dem Weg zum Medienimperium
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ls Reinhard Mohn mit Fritz Wixforth die Buchgemeinschaft gründete, rechneten sie nicht mit einem derartigen Erfolg. Doch die Mitgliederzahl stieg so rasch, dass die Druckerei und die Buchbinderei schon bald mit der Produktion nicht mehr nachkamen. Mohn machte sich daran, die Technik zu erweitern. Nur die Hälfte der 20 Millionen Bücher, die man nun vertrieb, konnte im eigenen Betrieb gedruckt werden. Den Betrieb zu erweitern, das war eine Aufgabe, wie geschaffen für den verhinderten Ingenieur Mohn. Er baute und baute und baute. Die Kosten für Erweiterungsbauten wurden in der Branche auf 15 Millionen Mark geschätzt. Die Expansion verlief allerdings nicht ohne Probleme. In den Anfangsjahren wuchs der Lesering so schnell, dass Bertelsmann das Wachstum kaum finanzieren konnte. Weil sich der Umsatz Jahr für Jahr verdoppelte, sank das Eigenkapital in der Bilanz auf sieben Prozent. »Jede Bank sagt dann: Pleite!«, erinnerte sich Mohn später. Die Deutsche Bank in Gütersloh weigerte sich, einen Scheck für den Autor Luis Trenker einzulösen. Die Bank sagte Mohn, Bertelsmann habe keinen Kredit mehr. Daraufhin wechselte er zu einer Privatbank »und dann ging es wieder weiter«. In einer solchen Notlage führte Mohn ein interessantes Gespräch mit einem jungen Beamten aus dem Bundesfinanzministerium. Er klagte über die hohen Steuern, die Unternehmer wie ihm die Schaffung neuer Arbeitsplätze unmöglich machten. Der junge Beamte gab ihm daraufhin einen Tipp, den Mohn sogleich in die Tat umsetzte: Er verschenkte einen Teil seines Unternehmens. 177
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In der Praxis sah das so aus, dass er seine 2 600 Mitarbeiter am Unternehmensgewinn beteiligte. Den Gewinn, den er an sie verteilte, musste er nicht versteuern. Allerdings zahlte er den Mitarbeitern den Gewinn nicht sofort aus, sondern verband die Beteiligung mit einer Bedingung: Die Mitarbeiter müssten ihm das Geld bis zu ihrer Pensionierung als Darlehen zu einem günstigen Zinssatz von zwei Prozent »leihen«. Im Prinzip schuf Mohn damit seine eigene Bank. In fünf Jahren sparte er so fast zehn Millionen Mark, die er sonst als Steuern hätte zahlen müssen. Dieses Prinzip der Gewinnbeteiligung brachte dem Unternehmer den Namen »Roter Mohn« ein. Der aus dem benachbarten Bielefeld stammende Rudolf-August Oetker etwa hielt Mohn bei einem Besuch vor, damit nicht sehr unternehmerisch zu handeln. Dabei hatte Mohn sehr genau gerechnet. Dazu kam, dass die Zulage seine Mitarbeiter motivierte; die Gewerkschaften blieben bei Bertelsmann schwach, weil Mohn seine Mitarbeiter gut behandelte. Überhaupt erwies sich Mohn im Hinblick auf Mitarbeiterführung als weitblickend: Schon früh schaffte er die Trennung zwischen Arbeitern und Angestellten ab. Für ihn gab es einfach nur Mitarbeiter. Mitte der fünfziger Jahre geriet Reinhard Mohn trotz aller Kniffe erneut in einen finanziellen Engpass. Er kürzte den Werbeetat und verkaufte das Schloss Leopoldskron in Salzburg, das er zuvor als österreichischen Sitz des Leserings erstanden hatte. Aber das reichte noch nicht. Was ließe sich noch gewinnbringend veräußern? Das Kapital des Leserings, das Mohn sich einiges hatte kosten lassen, waren die Lesering-Mitglieder. Zwei Drittel waren von Buchhändlern geworben und »gehörten« deshalb den Versandbuchhändlern; ein Drittel aber gehörte dem Unternehmen Bertelsmann selbst. In einer Art Sale-andlease-back-Geschäft verkaufte er diese Mitglieder zu Tausenden an Interessierte und zahlte den Käufern für die eigene weitere Nutzung als Kunden monatlich etwa eine Mark »Pacht« pro Kopf. So verkaufte er beispielsweise 25 000 Kunden an Richard Gruner in Hamburg, dessen Druckerei die Bertelsmann-Illustrierte des Leseringes druckte. Gruner entrichtete dafür einen Kaufpreis von rund 750 000 Mark. 178
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Gruner betrachtete das Geschäft zunächst als reine Gefälligkeit. Erst als seine 25 000 Kunden sich durch Werbung im Bekanntenkreis innerhalb eines Jahres um weitere 5 000 vermehrt hatten, und er deshalb monatlich 30 000 Mark Pacht erhielt, änderte er seine Meinung, und Reinhard Mohn erschien ihm von da an als jemand, mit dem man gute Geschäfte machen konnte. Das sollte sich später als Glücksfall für Mohn erweisen. Einstweilen war Bertelsmann wieder zahlungsfähig. Mohn war jedoch gewarnt. Deshalb holte er eine Gruppe von Finanzfachleuten aus der Schwerindustrie in sein Unternehmen. Diese Leute sollten eine Abteilung für das Finanz- und Rechnungswesen aufbauen und für ein effizientes Controlling sorgen. Anders als Heinrich Mohn mit seinem kleinen Büchlein konnte bei dieser Unternehmensgröße ein Einzelner nicht mehr den Überblick behalten. Außerdem holte Mohn jenen Mann in seinen Betrieb, der ihm als Beamter im Bundesfinanzministerium den guten Tipp gegeben hatte: Manfred Köhnlechner. »Wir betreiben die Steuerüberlegungen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit«, sagte Köhnlechner später über seine Aufgabe. Er war für Mohn viel mehr als nur ein Berater. Mohn spürte, dass dieser vier Jahre jüngere Mann Eigenschaften hatte, die ihm fehlten. Köhnlechner konnte Konflikte austragen, vor denen Mohn selbst zurückschreckte, und ihm dabei helfen, den alleinigen Führungsanspruch gegenüber seinen Geschwistern durchzusetzen. Köhnlechner war mit 18 Jahren zur Luftwaffe eingezogen worden, von 1945 bis 1949 studierte er in Würzburg Jura, Betriebs- und Volkswirtschaft und promovierte in Jura mit einer Dissertation über Zwangsvollstreckungen. 1952 bis 1954 arbeitete er als Syndikus des Apothekerbundes, 1954 und 1955 bei der Bundesfinanzverwaltung. Die lieh ihn ans Finanzamt Frankfurt aus, wo er zuständig war für die Einspruchsverfahren großer Steuerzahler. Während seiner Tätigkeit für die Finanzbehörden studierte der Wirtschaftsjurist gründlich, wie große Betriebe Steuern sparen konnten. Mohn war beeindruckt von dem jungen Mann und stellte ihn 1955 als Justitiar ein. In der Folge baute Köhnlechner Bertelsmann mehrfach so um, dass 179
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möglichst wenig Steuern anfielen. Die Holdingkonstruktion, in der 21 Firmen zusammengefasst waren, empfand er als wenig vorteilhaft. Er zerlegte den Konzern also in kleinere Einzelteile, damit die Gewinne nicht mehr so hoch besteuert wurden. Zugleich unternahm er einen weiteren entscheidenden Schritt, der Reinhard eine starke Position gegenüber den Geschwistern verschaffte: Denn im Zuge der Entflechtung wandelte Köhnlechner die Kommanditgesellschaft in eine Einzelfirma um und ließ, statt jedem der Geschwister einen Betrieb zu überschreiben, Reinhard Mohn als deren einzigen Inhaber ins Handelsregister eintragen. Mohn und Köhnlechner waren nicht zu Unrecht der Meinung, dass ein einzelner Besitzer flexibler entscheiden könne als sechs Kommanditisten. Bis dahin waren neben Reinhard auch seine Geschwister Sigbert, Ursula, Annegret und Gerd sowie ihr Onkel Gerhard Steinsiek Kommanditisten gewesen. Aber Heinrich Mohn hatte den Erbvertrag so gestaltet, dass der geschäftsführende Komplementär – also Reinhard – allein die Hälfte des Gesamtgewinnes erhalten sollte während die Geschwister gering abgefunden wurden, wie Reinhard Mohn der Historikerkommission selbst erläuterte. Köhnlechner verhandelte auch die Abfindungen für die Schwestern. Die Schwestern akzeptierten die ihnen angebotenen Abfindungen. Auch den Brüdern Sigbert und Gerd sowie dem Onkel Gerhard Steinsiek, die alle drei im Verlag arbeiteten, bot man eine Summe von rund drei Millionen Mark an, damit sie sich aus dem aktiven Geschäft zurückzogen. Die Brüder entschieden sich jedoch, ihre Verlagsprogramme weiterzuführen. Da sie damit kommerziell nicht erfolgreich waren, drängte Köhnlechner immer wieder darauf, die Verlage einzustellen. Mohn belohnte Köhnlechners Erfolge, indem er ihn zu seinem Stellvertreter machte. Köhnlechner erhielt 1957 den Titel eines alleinigen »Generalbevollmächtigten«. Er leitete die Hauptverwaltung; zu seinen Schwerpunkten gehörten neben dem, wie er sagte, »Konzernbasteln« das Kontrollwesen sowie die Bilanz- und Personalpolitik, außerdem leitete er die Bereiche »Musik, Film und Fernsehen«. Bereits 1966 war Bertelsmann der größte Unterhaltungskonzern in Europa. 8 000 Beschäftigte erwirtschafteten in 50 Ländern rund eine halbe Milliarde 180
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Mark Umsatz, was einer Verdopplung seit dem Jahr 1960 gleichkam. Die Steigerungen waren nicht zuletzt der Expansion ins Filmgeschäft zu verdanken. Köhnlechner lenkte die Universum Film GmbH, die Ufa- und Merkur-Filmtheater, den Constantin-, Pallas- und Nora-Filmverleih. Damit gehörten – bis auf zwei größere Verleiher – alle wichtigen Filmunternehmen zu seinem Reich. Er brachte rund 90 Filme im Jahr auf die Leinwände, etwa Krieg und Frieden oder Othello. »Filmzar aus Gütersloh« wurde Köhnlechner vom Spiegel genannt. Seinen eigenen Worten zufolge war er in der Rolle des Kronprinzen sehr zufrieden. Er erhielt ein fürstliches Gehalt, rund drei Millionen Mark im Jahr. Gerne erzählte er, dass ihn andere Unternehmer hin und wieder abwerben wollten. Einmal habe ihm ein Großaktionär und Vorstandsvorsitzender eines Konsumgüterkonzerns den Posten eines Generaldirektors angeboten. Der Manager wollte sich zurückziehen und bot Köhnlechner ein »Rekordgehalt« an. Köhnlechner tat, als sei er interessiert. Wie viel das denn sein würde? Als er die Summe hörte, musste er lachen. »Es war etwa die Hälfte von dem, was ich hier bekomme. Nein – Bertelsmann, das ist schon Spitze.« Der hagere und drahtige Manager betrieb exklusive Sportarten. Mit der betriebseigenen zweimotorigen Aero Commander flog er nach Sankt Moritz zum Skifahren. Gemeinsam mit Steffi Ehlert nahm er an Flugwettbewerben teil. Täglich ritt er aus. Und dazwischen hackte er Holz, wozu ihn sein Chef Reinhard Mohn ermuntert hatte, indem er ihm einen Klotz und reichlich Holz liefern ließ. Während sie gemeinsam Holz spalteten, trafen die beiden oft wichtige Entscheidungen. Wie sein Chef, ging auch er oft zu Fuß in die Firma: Seinen Chauffeur ließ er neben sich her fahren, bis ihm der Spaziergang reichte. Dann stieg er ein und fuhr den Rest des Weges im Auto. An seinem Schreibtisch in der Hauptverwaltung saß Köhnlechner nur rund fünf Stunden am Tag. »Meine eigentlichen schöpferischen Phasen liegen in der so genannten Freizeit«, sagte er dem Spiegel. »Die besten Einfälle sind Sauna- oder Reitprodukte oder kommen auch gelegentlich früh um fünf Uhr im Bett zustande.« In der Sauna studierte er Akten unter Klarsichthüllen. Mohn ließ Köhnlechner gewähren und 181
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duldete sogar, dass dieser sich privat engagierte und dem Bruder seiner Frau in Würzburg den Aufbau einer Textilfirma finanzierte und damit einen siebenstelligen Gewinn erwirtschaftete. »Stöhnende Branchen sind interessante Branchen«, betonte Köhnlechner. Bei Bertelsmann forcierte er nicht nur die Diversifikation in die Filmbranche; unter ihm wurde der Medienkonzern auch Eigentümer einer Hühnerfarm. Wer Bücher industriell verlegt, der könne auch gewinnbringend Eier legen lassen. Mit Mohn verbinde ihn ein »brüderliches Verhältnis«, sagte Köhnlechner. Doch ganz ungetrübt war die Beziehung der beiden gegen Ende nicht mehr. Die Ehefrau seines Chefs, Magdalene Mohn, sagte, der flotte, junge, intelligente Herr Köhnlechner von früher sei irgendwann »abgehoben und übergeschnappt«. Der Erfolg sei ihm zu Kopf gestiegen. Als er einmal im Hause Mohn zum Essen eingeladen war, rief er vorher an und bestellte sich sein Lieblingsessen. Magdalene Mohn sagte daraufhin: »Wenn er noch einmal so ist, dann kommt er nicht wieder.« Dabei hatten die beiden sich früher durchaus gut verstanden. Der Frau seines Chefs verdankte Köhnlechner indirekt auch seine spätere Karriere, für die er sehr viel bekannter werden sollte als für seine Tätigkeit bei Bertelsmann. Bei einem Reitunfall in Gütersloh hörte er ein Knacken in der Wirbelsäule und hatte danach »Schmerzen wie in der Hölle«. Er lag wochenlang im Bett und konnte sich nicht rühren. »Ich lag flach. Flacher geht’s nicht.« Zahlreiche Ärzte konnten ihm nicht helfen. Sie besahen seine Röntgenaufnahmen, schüttelten den Kopf und sagten, man müsse operieren. In dieser desolaten Lage empfahl ihm Magdalene Mohn, die ja selbst einige Semester Medizin studiert hatte, einen Heilpraktiker. Es kam dann »ein großer, weißhaariger, imponierender Mann, ganz bescheiden«, wie Köhnlechner später erzählte. »Er unterspritzte bei mir eine Narbe, die von einer Kriegsverletzung herrührte, löste irgendwelche Nervenblockaden auf, ich war plötzlich schmerzfrei«, erinnert er sich. Er war »sehr beeindruckt« von seinem ersten Kontakt mit einem Heilpraktiker. »Das war für mich wie ein Fingerzeig Gottes.« 182
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Fortan nahm er den Mann stets auf seinen Reisen mit. Diese Bekanntschaft war der erste Schritt Köhnlechners auf dem Weg zum bekanntesten Heilpraktiker Deutschlands. Wie ehrgeizig und hartnäckig Köhnlechner war, zeigte sich, als Wixforth kurz vor dem Ruhestand stand. Wie sollte man den Mann, der den Lesering aufgebaut und damit die wichtigste Einnahmequelle geschaffen hatte, ehren? Mohn bat den Bundespräsidenten, Wixforth zum 60. Geburtstag 1957 den Verdienstorden der Bundesrepublik zu verleihen. Der Präsident kenne Wixforth nicht, schrieb sein Amt, daher müsse ihn schon wenigstens der Ministerpräsident von NordrheinWestfalen vorschlagen. Mohn übersandte an diesen eine Beschreibung der Verdienste von Wixforth und bekam die Antwort: Die Vollendung des 60. Lebensjahres reiche nicht, man werde aber später auf den Vorschlag zurückkommen. Mohn wartete geduldig und wandte sich 1960 erneut an den Ministerpräsidenten, diesmal mit der Bitte, Wixforth zum 125-jährigen Verlagsjubiläum zu ehren. Das Amt ordnete eine Überprüfung an und bat den Kultusminister um Stellungnahme. Offenbar war man sich im Gegensatz zu Mohn keineswegs so sicher, ob die Verdienste von Wixforth so herausragend für die Gemeinschaft zu bewerten seien. Der Kultusminister wies schließlich darauf hin, dass man Wixforth nur ehren könne für Verdienste, die er sich für das Land erworben habe, und nicht solche, die er sich für Bertelsmann erworben habe. Das Verdienst für Deutschland aber sei nicht zu erkennen. Diese Sichtweise stand nun völlig im Gegensatz zu der hohen Meinung, die Bertelsmann von seinem Geschäft hatte. Indem man den Massengeschmack bedient, bringt man den Menschen das gute Buch. Mit diesem Argument waren Mohn, Wixforth und Köhnlechner der ständigen Kritik an ihrer Buchfabrik immer entgegengetreten. Nun bekamen sie von einer staatlichen Stelle den schriftlichen Bescheid, dass sie nur um ihren eigenen Verdienst besorgt gewesen seien. Aber so schnell wollte Köhnlechner sich nicht geschlagen geben. Er wandte sich an die Landesregierung: Keineswegs habe Wixforth nur das Wohl von Bertelsmann im Auge gehabt. Vielmehr habe er mit dem Lesering zweieinhalb Millionen Menschen »gediegene, saubere Unter183
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haltungsliteratur« zugeführt. Er habe Leuten, die davor nachweislich keine Bücher gekauft hätten, Kafka, Thomas Mann, Hemingway und Faulkner gebracht. Er habe nicht einfach Bücher verkauft, sondern eine Schlacht für Kultur und Bildung gewonnen, »wie dies in der Geschichte des Buchhandels noch nie da gewesen ist«. Köhnlechner wörtlich: »Noch nie konnte in der Welt durch ein Unternehmen ein so großer Bevölkerungsteil dem guten Buch erstmals näher gebracht werden.« Wixforths wesentliches Verdienst sei außerdem, »dass die Gefahr einer Vermassung und Verflachung vermieden wurde«. Wixforth »kannte in dieser Hinsicht keinerlei Kompromiss und verhinderte bewusst jede Möglichkeit, mit der das gute und saubere Niveau durch ein Abgleiten zu Sensation, Kitsch und Erotik gefährdet werden konnte«. In diesem Sinne habe er sich auch um den Aufbau des Jugendleseringes verdient gemacht. »Die Leistung Herrn Wixforths … ist einmalig in der Welt. Es wäre enttäuschend, wenn eine solche Leistung gerade in einem Land wie Deutschland nicht als ein Wirken für die Allgemeinheit angesehen werden sollte.« Die kurze Antwort der Staatskanzlei lautete: Bedauere, wir können Wixforth nicht auszeichnen. Wenn die Beamten der Staatskanzlei nun geglaubt hatten, damit sei der Fall erledigt, mussten sie ein Jahr später ihren Irrtum einsehen. Im April 1961 schlug Köhnlechner Wixforth ein weiteres Mal für die Ehrung vor; diesmal mit einer formalen Begründung. Wixforth sei nun 50 Jahre bei Bertelsmann und er werde bald 65 Jahre alt. Antwort der Staatskanzlei: Nur im Ausnahmefall könne man Personen aufgrund ihres Alters auszeichnen, allerdings erst bei Vollendung des 65. Lebensjahres, nicht beim Eintritt desselben. Das aber sei bei Wixforth nicht der Fall. Köhnlechner sah nun ein, dass der direkte Kontakt zur Behörde nichts bringen würde. Aber wozu hatte man Kontakte? Immerhin ließ sich Bundeskanzler Ludwig Ehrhard gerne als das prominenteste Mitglied des Leseringes herausstellen; und den Bundespräsidenten Theodor Heuss hatte man für ein Vorwort zu einer Busch-Gesamtausgabe gewonnen. Ganz so hochrangig wollte Köhnlechner hier aber nicht einsteigen. Im Mai 1961 wandte er sich also an den CDU-Politiker und Bun184
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destagsabgeordneten Rainer Barzel und schilderte ihm ausführlich, warum man Wixforth unbedingt auszeichnen müsse. Barzel hatte Verständnis. Er bat Ministerpräsident Franz Meyers eine Woche später, »diese Anregung wohlwollend zu prüfen und zu einem positiven Ende zu bringen«. Formelle Bedenken sollte der Ministerpräsident bitte »überprüfen und möglichst ausräumen lassen«. Der Kultusminister wurde erneut um eine Stellungnahme gebeten. Eine neue Runde in den Auseinandersetzungen um die Verdienste von Wixforth begann. Wieder hieß es, Wixforth habe sich nicht um die Allgemeinheit, sondern nur um Bertelsmann verdient gemacht. Köhnlechner stritt sich mit der Industrie- und Handelskammer um die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen: Ist entweder uneigennütziger Einsatz oder ehrenamtliches Engagement nötig oder beides? Köhnlechner kämpfte und wiederholte seine Argumente. Am 28. Dezember 1961 meldete ihm Rainer Barzel, man habe ihm gesagt, bedauerlicherweise sei der richtige Zeitpunkt zu Wixforths 50-jähriger Zugehörigkeit verpasst worden. Am 12. Juni 1962 teilte er Köhnlechner schließlich mit, dass Wixforth den Verdienstorden nun zu seinem 65. Geburtstag erhalten werde. Am 29. Juni 1962 wurde Wixforth mit einem Festakt in der Stadthalle feierlich verabschiedet. Mohn sagte in seiner Rede: »Die Geschichte des Hauses Bertelsmann setzt sich nicht zusammen aus Umsatzzahlen oder äußerem Erleben und Geschehen, sie ist die Geschichte der Menschen, die diese Firma und ihre Arbeit getragen haben. Niemand hat ein so großes Stück dazu getan wie Sie, Herr Wixforth!« Auf Wunsch von Wixforth ließ Mohn seinen Pressesprecher Roland Gööck ein Buch über »Fritz Wixforth und die Geschichte des Hauses Bertelsmann« verfassen. Der Titel lautete Bücher für Millionen.
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Mohn scheitert mit eigenen Zeitschriften und kauft Gruner + Jahr Vor dem Krieg hatte Heinrich Mohn gewinnbringend Zeitschriften verlegt – meist solche mit religiöser Ausrichtung. Nach dem Krieg hätte die Auseinandersetzung um eine Zeitschriftenlizenz den Verlag fast die Existenz gekostet. Für einige Jahre ließ Bertelsmann die Idee einer eigenen Zeitschrift ruhen. Mitte der fünfziger Jahre aber – im Todesjahr Heinrich Mohns – wagte sich Bertelsmann wieder auf das Gebiet der Publikumszeitschriften vor. Den Anstoß dafür bildeten die gleichen Überlegungen, die schon Carl Bertelsmann angestellt hatte, nämlich die Frage, wie man die Druckerei dauerhaft auslasten könnte. Im Januar 1953 hatte Rudolf Wendorff als Ableger seiner Fachbücher die Deutsche Bauzeitschrift gestartet, die schnell ihr Publikum fand. Durch diesen Erfolg »erkannte ich mehr und mehr, was es für den Verlag (und auch die Druckerei) bedeuten kann, wenn man bei Zeitschriften … das ganze Jahr hindurch und dann womöglich jahraus, jahrein einen ziemlich gleichmäßigen Umsatz hat«, so Wendorff. Konnte man das nicht ausbauen? Wendorff wollte sich dafür den Lesering zunutze machen. Mit ihm verfügte das Unternehmen ja bereits über einen festen Stamm von Abonnenten, die an vielen Themen interessiert waren. Diesen Leuten wollte Wendorff jeden Monat eine Familienzeitschrift anbieten. Wendorff verfügte nicht über viel Erfahrung, was Zeitschriften angeht. Aber Fritz Wixforth und Reinhard Mohn fanden die Idee gut und baten ihn, sie umzusetzen. Wendorff konzipierte eine Zeitschrift, die mit den Illustrierten und Frauenzeitschriften nicht direkt konkurrieren sollte. Um den Werbetreibenden dennoch eine attraktive Publikation bieten zu können, sollte die Zeitschrift gleich drei Zeitschriftentypen und Themenbereiche in sich vereinen: Teil eins hieß »Unsere Illustrierte«. Teil zwei nannte er »Unterhaltung und Wissen« und Teil drei »Glücklich leben«. Teil eins und drei sollten in Hochglanz, Teil zwei auf Buchpapier produziert werden, sodass die Dreiteilung auch ins Auge fiel. Denn dieses 186
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Merkmal sollte das Heft von anderen Heften unterscheiden und der Zeitschrift auch den Namen geben: Bertelsmann drei. Das erste Heft erschien im Oktober 1955. Es brachte Beiträge über den Film Die Barrings, über Solarenergie, über die Fremdenlegion, einen beispielhaften Kinderspielplatz in Hamburg und über Bulganin und Chruschtschow. Dann folgten Berichte über eine Begegnung mit dem Schriftsteller Carl Zuckmayer und über China sowie eine Kurzgeschichte von Somerset Maugham, dazu eine Erzählung von Carl Zuckmayer, ein Kurzroman und ein Gedicht von Eugen Roth. Dazu bot das Heft ein Rezept, ein Horoskop, diverse Rätsel und Gartentipps. Teil drei enthielt Anregungen für Spiele in der Familie, Beratung bei Benimm- und Eheproblemen, Mode und Einrichtungstipps. Bertelsmann drei spiegelte das Sortiment des Leserings in kompakter Form. Das Heft kostete zwei Mark und hatte rund 150 Seiten. Eigentlich hätte es ein Erfolg werden müssen – schließlich konnte es auf das Fundament des Leseringes bauen und einem erfolgreichen Konzept vertrauen. Aber irgendetwas stimmte nicht. Die Koppelung an den Lesering wollte einfach nicht funktionieren. Damit war Wendorff auf den normalen Zeitschriftenvertrieb angewiesen. Um dort für ein neues Heft Aufmerksamkeit zu erhalten, wäre Werbung nötig gewesen. Bertelsmann wollte das Heft jedoch ohne große Werbekampagne starten. So stieg die Auflage nur langsam. Am Kiosk war das Konzept auch nicht ganz so innovativ, wie man bei Bertelsmann vielleicht geglaubt hatte. Im Grunde war das Heft ein Reader’s Digest unter dem Namen Bertelsmann zur Verwertung und Promotion der Buchlizenzen des Verlags. Vielleicht hatte man einfach nicht genügend Erfahrung oder Zeit für ein derartiges Projekt. Jedenfalls stellte der Verlag die Zeitschrift 1958 ein – im Rückblick galt sie fortan als Fehlschlag. Das Scheitern führte dazu, dass Bertelsmann eine Weile seine Zeitschriftenambitionen zurückstellte – ohne jedoch die Idee ganz fallen zu lassen. Rund zehn Jahre später unternahm Bertelsmann einen weiteren Versuch mit einem Konzept, das in Italien, Frankreich, Spanien und England erfolgreich war: »Part Publications«. Das war eine Mischung 187
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aus Buch und Zeitschrift. Eigentlich war es ein Buch, das in einzelnen Teilen am Kiosk oder im Abonnement erhältlich war, den Leser also kapitelweise erreichte. In Spanien, wo Kioske als Lesefutterlieferanten besonders geschätzt werden, schien dieser Verbreitungsweg besonders interessant. Ausländische Verlage fragten bei Bertelsmann an, ob man solche »Zeitschriften« nicht gemeinsam produzieren könnte. Bertelsmann wollte das Heft nur redaktionell und verlegerisch betreuen. Für den Vertrieb suchte Wendorff einen Verlag, der sich mit Zeitschriften auskannte. Er fuhr nach Offenburg, um Franz Burda von diesem Projekt zu überzeugen. Er bot dort offensichtlich eine gute Vorstellung, denn hinterher wollte Burda ihn abwerben. Daraus aber wurde nichts, ebenso wenig wie aus dem Projekt mit Burda, denn noch in der Planungsphase kaufte sich Bertelsmann bei dem Hamburger Verlagshaus Gruner + Jahr ein und war so mit einem Schlag einer der führenden Zeitschriftenverleger in Deutschland. Dass Wendorff die Part Publications über Kochen, Handarbeiten, Gartenarbeit und Gesundheit zusammen mit den Hamburgern startete, war plötzlich nur mehr ein kleines Zusatzgeschäft und nicht mehr von strategischer Bedeutung.
Gruner + Jahr Der Einstieg bei Gruner + Jahr war nach dem Lesering die zweite Königsidee, die den Aufstieg von Bertelsmann zu einem Medienkonzern forcierte. Dabei war er keineswegs Teil eines kühnen Strategieplans. Bertelsmann hatte in einer unübersichtlichen Situation einfach Glück. Gruner + Jahr ist selbst das Produkt einer Fusion zwischen dem Drucker Richard Gruner und den Verlegern John Jahr und Gerd Bucerius. Bertelsmann stieß auf Umwegen zu den Hamburgern. 1969 stand der Münchner Verleger Hans Weipert beim Springer-Verlag tief in der Kreide und gab auf. Springer freute sich bereits auf die Zeitschriften Eltern, Jasmin und Twen, die in Weiperts Verlag Kindler&Schiermeyer erschienen. Doch am 30. Januar informierte Weipert seinen Geschäfts188
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führer Ernst Naumann, dass er seine 90 Prozent an Bauer in Hamburg verkaufen werde. Bauer wollte Weipert dafür 63 Millionen Mark zahlen. Naumann, der zehn Prozent hielt, sollte von Bauer acht Millionen Mark erhalten. Doch Naumann hatte ein Vorkaufsrecht, das ihm erlaubte, binnen vier Wochen die Anteile von Weipert zu erwerben. Bereits am 7. Februar erklärte der Bauer Verlag, Naumann habe seine Option nicht ausgeübt und er, Bauer, habe die 90 Prozent »gekauft und bezahlt«. Damit wollte Bauer vollendete Tatsachen schaffen und Naumann unter Druck setzen. Denn er hatte Hinweise, dass Naumann die Geschäfte bereits im Auftrag von Gruner + Jahr erledigte. Tatsächlich übte Naumann noch am selben Tag sein Vorkaufsrecht aus und unterzeichnete eine Woche später einen Vertrag mit Weipert, wonach er die 90 Prozent seines Verlegers für 46 Millionen Mark kaufte. Außerdem übernahm er Verlagsschulden und gab ihm einen Druckauftrag. Seine zehn Prozent hatte er einst für 600 000 Mark erworben. Wieder eine Woche später verkaufte Naumann die gerade erworbenen 90 Prozent für 63 Millionen Mark an Gruner + Jahr. Damit war Gruner + Jahr mit einem Schlag hinter Bauer die Nummer zwei im Zeitschriftensektor, größer als Burda und Springer. Bauer wollte sich nicht so leicht geschlagen geben. Kurz nachdem Naumann die 90 Prozent an Gruner + Jahr verkauft hatte, wurde bekannt, dass Bauer die 25 Prozent, die Gruner hielt, kaufen wollte. Denn Gruner stritt sich mit Bucerius und Jahr über die Zukäufe der Zeitschriften, die er ablehnte. Er wollte aus dem Geschäft aussteigen und hatte bereits Anteile in Höhe von 14,5 Prozent an Bucerius und Jahr verkauft. Vor allem beim Stern, den Gruner + Jahr verlegte, machte man sich große Sorgen und drohte mit Streik, falls Gruner an Bauer verkaufen sollte. Am 16. Mai stieß Gruner tatsächlich seine Anteile ab – doch nicht Bauer bekam sie, sondern Bucerius und Jahr. Der Preis betrug 50 Millionen Mark. Woher hatten die beiden nur das viele Geld, nachdem sie eben erst noch Naumann für Weipert 63 Millionen auszahlen mussten? Sie hatten von Naumann gelernt: Wenige Tage nach dem Kauf reichten sie die 25 Prozent von Gruner für 87 Millionen Mark weiter an Bertelsmann und finanzierten dadurch die beiden 189
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anderen Transaktionen. Zum damaligen Zeitpunkt waren die beiden Verlage Bertelsmann und Gruner + Jahr fast gleich groß, was den Umsatz betrifft: 630 Millionen Mark setzte Bertelsmann um, 563 Millionen Mark Gruner + Jahr. Bucerius und Jahr behielten sich nach dem Deal die verlegerische und redaktionelle Führung vor. Naumann wurde für seine Dienste entlohnt, indem er ab 1971 die Geschäfte von Gruner + Jahr leiten durfte.
Wie Mohn Springer kaufen will – und am Stern scheitert Bei der Wochenzeitschrift Stern waren nur wenige Mitarbeiter darüber begeistert, dass Bertelsmann als Mitgesellschafter bei Gruner + Jahr einstieg. Reinhard Mohn war keineswegs ihr Wunschpartner. Die Redaktion des Stern lebte auf einer Insel der Glückseligen. Man war an den Verleger Gerd Bucerius gewöhnt. Er hatte große Kräche mit der Redaktion ausgefochten, aber immer mit offenem Visier gekämpft. Gütersloh dagegen war weit weg, und das nicht nur räumlich. Die Welt von Gütersloh war eine ganz andere, man konnte sich gegenseitig nicht einschätzen und traute sich nicht über den Weg. Das Misstrauen schien sich zu bestätigen, als dem Redakteur Manfred Bissinger ein Vertragsentwurf zugespielt wurde, wonach der neue Gesellschafter Bertelsmann sich auch am Springer-Verlag beteiligen wollte, der damals mit rund 900 Millionen Mark Jahresumsatz Branchenführer auf dem Zeitungsmarkt war. Eigentlich wollte Axel Springer an seinem 60. Geburtstag 33,3 Prozent verkaufen. Mohn verfügte jedoch über eine Option, auch mehr als 50 Prozent erwerben zu können. Als Reinhard Mohn 1968 gemeinsam mit Klaus Piper, Maria LedigRowohlt und Siegfried Unseld eine Podiumsdiskussion bei der Frankfurter Buchmesse führte, wurden alle ausgebuht – alle bis auf Reinhard Mohn. Diesen kannte nämlich keiner. Und während Studenten damals skandierten: »Haut dem Springer auf die Finger«, konnte Mohn ungehindert expandieren. 1971 sah es so aus, als würden das 190
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Springer-Blatt Bild und die Zeitschrift Stern von Gruner + Jahr bald in einer Hand sein. Das sei »zu viel an Größe« und »ein Grund zum Fürchten«, schrieb die Frankfurter Allgemeine. Diese Einschätzung teilte man in der Redaktion des Stern, die damals durch die Bank gegen Springer eingestellt war. Kurz zuvor hatte der Stern in einer großen Titelgeschichte erstmals die politischen und persönlichen Probleme Springers detailliert dargestellt. »Niemals hätten wir gewollt, mit der Bild-Zeitung oder mit Springer in einem Boot zu sitzen«, erinnert sich Bissinger. Genau das aber sollte nun passieren. Sobald Manfred Bissinger den geheimen Vertragsentwurf zwischen Springer und Bertelsmann in Händen hielt, rief er den Chefredakteur Henri Nannen an. Dieser war fassungslos und rief Bucerius an. Dieser kam schnurstracks in die Redaktion, obwohl Sonntag war. Bucerius, der sich sonst nie in der Redaktion blicken ließ, wollte von Bissinger wissen, was im Vertrag über Springers Tageszeitung Die Welt stand. Bissinger antwortete: »Dazu steht nichts drin.« Bucerius war verwundert und fragte nach: »Steht wirklich nichts über Die Welt drin?« Er hatte nämlich mit Reinhard Mohn bereits vereinbart, dass er Die Welt bekommen sollte, erinnert sich Bissinger. Aber das war vertraglich nicht festgehalten. An diesem Sonntag verließ er das Verlagshaus nicht mehr, obwohl Bissinger ihm den Text nicht zeigen wollte. Bucerius stand den ganzen Tag da und wartete, bis Bissinger seinen Bericht seinem Chefredakteur übergab, der ihn wiederum an Bucerius weiterreichte. Zwar war der Redaktionsschluss verstrichen und auch der Druck für die Auslandsausgabe und die Lufthansa-Hefte lief bereits, aber immerhin konnte noch für die Kioskausgabe ein Text eingefügt werden. Nach Erscheinen des Artikels brach eine öffentliche Empörung aus, die es ratsam erscheinen ließ, das Geschäft nicht mehr zu tätigen. Mohn und Springer behaupteten, sie seien in das Geschäft gar nicht eingeweiht gewesen. Sie hätten nur vom Verkauf eines Drittels von Springer gewusst, die Bevollmächtigten Christian Kracht und Manfred Köhnlechner hätten die Übernahme ohne Rücksprache vereinbart. In der Folge mussten Kracht und Köhnlechner gehen, um der öffentlichen Empörung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Manfred Bissinger 191
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hält es jedoch für völlig unwahrscheinlich, dass Mohn nicht eingeweiht gewesen sein soll: »Mohn hat von jedem täglichen Kassenbericht eine Kopie bekommen. Er hat immer alles gewusst.« Die offizielle Trennung von Köhnlechner erfolgte einige Monate nach dem geplatzten Kauf. Die Gründe für seinen Abschied von Bertelsmann hat er nie offen dargelegt. In Interviews sagte er zwar: »Ich fühlte mich abgenutzt, müde, gelangweilt und von der Welt des Kommerziellen entfremdet.« Ein ebenso wahrscheinlicher Trennungsgrund ist, dass Köhnlechner zu eigenmächtig handelte. Angeblich sollen Kredite, die Köhnlechner für die Finanzierung ausgehandelt hatte, mit Aktien des Unternehmens abgedeckt worden sein. Außerdem sollen Köhnlechner und Kracht die Springer-Verträge großzügig zu ihren Gunsten ausgehandelt haben. Dass ausgerechnet der Stern die großen Pläne von Bertelsmann zunichte gemacht hatte, verdross Mohn. Er bestellte Manfred Bissinger nach Gütersloh und ließ ihn wissen, dass er die Geschichte im Stern über die Fusion mit Springer zwar tolerieren müsse. Es sei jedoch nicht der richtige Weg, Journalismus gegen das eigene Haus zu machen. Mohns Stimmung wurde nicht besser, als er erfuhr, dass Stern-Chef Henri Nannen noch keinen Nachfolger bestimmt hatte und dass ausgerechnet Bissinger der wahrscheinlichste Nachfolger war. Gruner + Jahr-Chef Manfred Fischer, der regelmäßig mit Bissinger Skat spielte, riet ihm, noch einmal nach Gütersloh zu fahren. So rief dank Fischers Vermittlung eines Tages eine Dame aus Gütersloh bei Bissinger an, um ihm mitzuteilen, dass Reinhard Mohn ihn zu sehen wünsche. Bissinger fuhr also nach Gütersloh und begegnete dort auch der resoluten Dame. Sie hieß Frau Scholz und hatte einen großen Schreibtisch im Vorzimmer von Reinhard Mohn. Bissinger nahm von diesem Besuch die Erkenntnis mit, dass in Mohns Büro nichts ohne sie ging. Sie organisierte seine Termine, war energisch und hatte alles im Griff. Sie und Mohn wirkten sehr vertraut. Im Anschluss an das Gespräch erkundigte sich Bissinger erkundigte nach der Dame, was nicht weiter schwer war, schließlich wurde über die beiden allerhand getratscht. Elisabeth Scholz galt als die Geliebte von Reinhard Mohn. 192
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In Gütersloh hatten Bissinger und Mohn eine grundsätzliche Aussprache über das redaktionelle Selbstverständnis des Stern und die Wünsche des Eigentümers. Mohn war der Ansicht, der Stern müsse als Massenzeitschrift den Publikumsgeschmack bedienen und dürfe nicht politisch polarisieren. Bissinger dagegen bestand auf der redaktionellen Unabhängigkeit und auf eben diesen politischen Zuspitzungen. Allerdings wollte Mohn nicht selbst tätig werden, um seine Linie durchzusetzen. Er war immer für die Unabhängigkeit von Tochterunternehmen eingetreten, und darauf beriefen sich Bissinger und die Stern-Mitarbeiter nun. Unterm Strich bewirkte der Besuch Bissingers in Gütersloh offenbar das Gegenteil von dem, was Fischer sich erwartet hatte: Mohn war nun klar geworden, dass Bissinger auf keinen Fall Nannens Nachfolger werden dürfe. Diese Frage muss ihm dringlich erschienen sein, denn in einer der nächsten Sitzungen des Aufsichtsrates von Gruner + Jahr wurde er selbst aktiv. Wie Bissinger später erfuhr, kündigte er der erstaunten Runde an, er wolle das »Problem Bissinger« nun ein für allemal lösen. Er werde Bissinger eine Million Mark bieten, wenn er den Stern verlasse. Mohn machte sich sogleich auf den Weg in die Redaktion, um seinen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Bissinger erzählt heute, er sei sehr erstaunt gewesen, als Reinhard Mohn plötzlich in seinem Zimmer stand. Mohn legte ihm dar, dass man sich wegen unterschiedlicher Auffassungen von ihm trennen möchte und bot ihm eine Million Mark. Er gab ihm eine Stunde Bedenkzeit und ging Mittag essen. Bissinger aber hätte gar keine Bedenkzeit gebraucht. Als Mohn nach einer Stunde wieder in sein Zimmer kam, teilte er ihm mit, er werde beim Stern bleiben, denn er sei nicht nur Mohn verpflichtet, sondern auch der Redaktion. Mohn versuchte ihn zu überreden: Er garantiere ihm, dass die Zahlung geheim bliebe. Bissinger erwiderte, dies sei vollkommen unmöglich. Mohn entgegnete, bei Bertelsmann wisse man schon, wie man so etwas mache. Die zwei Gespräche waren kurz und sachlich. »Er fragte mich, ob das mein letztes Wort wäre oder ob ich mir es noch einmal überlegen wolle und ich habe Nein gesagt. Damit war das erledigt.« 193
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Nach dieser Abfuhr muss Mohn die Aufregung um eine weitere Stern-Geschichte fast willkommen gewesen sein. Unter der Überschrift »Und morgen die ganze Welt« wurde das Auslandsengagement deutscher Firmen auf eine Weise dargestellt, die nahe legte, es handele sich um Steuerflucht. Zahlreiche Unternehmer beschwerten sich mit einer Vehemenz, die die Verlagsleute von Gruner + Jahr um ihre wichtigen Anzeigenkunden bangen ließ. Fischer arrangierte ein Treffen mit Bissinger, Nannen und Mohn. Bissinger sollte schriftlich versprechen, dass es nie wieder zu einem solchen Eklat kommen werde. Bissinger entgegnete, dieses Versprechen könne er nicht geben. Für Mohn war Bissinger damit vollends untragbar geworden. Als Nannen ihn später dennoch zu seinem Stellvertreter bestellte, erweiterte Fischer den Arbeitsvertrag um einen Passus, demzufolge Bissinger kein Anrecht auf den Posten des Chefredakteurs habe. Damit war verhindert, dass Bissinger automatisch nachrückte. Als Nannens Nachfolge geregelt wurde, verabschiedete ihn der Verlag. Mohn hatte damit das Redaktionsstatut des Stern nicht angetastet – aber er hatte einen Weg gefunden, es zu umgehen.
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11. »Die Reise nach Jerusalem« Reinhard Mohns Familienbande
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ährend Reinhard Mohn seine Firma aufbaute, machte er sich auch daran, eine Familie zu gründen. Im Sommer 1948 gaben sich Reinhard und Magdalene Mohn das Jawort. Die Hochzeitsreise unternahm das junge Paar nach Heidelberg und nach Oberstdorf im Allgäu. Es war ihre erste große Reise mit dem eigenen Auto. Im Sommer 1948 hatte Reinhard einen VW Käfer erstanden. Es war nicht leicht gewesen, an das Auto zu kommen. Von einem Kauf im eigentlichen Sinne konnte man daher gar nicht reden. Am Geld fehlte es ihm zwar nicht. Aber es wurden damals kaum Autos produziert und die wenigen waren schon vergeben, bevor sie fertig waren, oder standen im Dienst der Militärverwaltung. Vertriebsgenie Fritz Wixforth half dem Verlagschef. Ein Neffe von ihm hatte gute Beziehungen zum Schwarzmarkt und besorgte Reinhard eine der höchst begehrten LeicaKameras. Nun hatte er etwas, das er gegen ein Auto tauschen konnte. Für seine Kleinbildkamera erhielt er einen VW Käfer im matten Einheitsblau. Der Motor leistete 25 PS aus 1 131 Kubikzentimetern Hubraum, das Modell hatte Brezelfenster und Winkerarme. Reinhard liebte sein erstes eigenes Auto. Im Jahr davor musste er noch mit dem Firmenwagen, dem Opel mit Holzvergaser, zu den Militärbehörden nach Düsseldorf fahren. Auf jeder Fahrt funktionierte etwas anderes nicht. Mal musste er einen platten Reifen wechseln, mal den Keilriemen flicken, mal brach die Achse. Im Schnitt brauchte er gut fünf Stunden für die 180 Kilometer. Nun hatte er endlich ein Auto, das lief. Und wie Reinhard es laufen ließ auf der Hochzeitsreise! Als er einen Moment unachtsam war, baute er mit seinem schönen neuen 195
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Auto einen Unfall. Missmutig begutachtete er den Schaden. Seine Frau wollte ihn trösten, doch Reinhard wollte nicht getröstet werden. Er wurde böse. Disziplin war für ihn alles. Der Krieg hatte ihn geprägt, das Soldatische war unverkennbar. Als das junge Paar von der Hochzeitsreise zurückkam und die zwei Zimmer im Haus seiner Eltern in der Eickhoffstraße bezog, sagte Reinhard beim Öffnen der Koffer: »So, jetzt müssen wir den Spind einräumen.« Seine Frau dachte bei diesen Worten nur: »O Gott.« Die Hemden räumte Reinhard dann auf Kante ein, ganz wie er es als Offizier gelernt hatte. Er hatte Prinzipien. Es kam vor, dass er mit seiner Frau durch Gütersloh spazieren ging und ihr in pastoralem Ton einen Vortrag hielt, wie man sich als Ehepartner verhalten muss. Manchmal war er so selbstlos und mutig, dass seiner Frau angst und bange wurde. Im Sommer 1949 spazierten Magdalene und Reinhard in Gütersloh zum Wapelbad, das an dem gleichnamigen Wasser liegt. Da kam ein kleiner Junge auf sie zugerannt und schrie: »Mein Papi ist weg! Mein Papi ist weg!« Ohne zu zögern, sprang Reinhard ins Wasser und tauchte nach dem Mann. Er blieb eine halbe Ewigkeit unter Wasser. Seine hochschwangere Frau stand mit dem Jungen am Ufer und hatte große Angst, dass ihrem Mann etwas zustoßen könnte. Endlich tauchte Reinhard auf. Er hatte den Mann unter Wasser gefunden und zog ihn an Land. Inzwischen waren auch andere Leute aufmerksam geworden. Bald kam der Notarzt. Aber die Mediziner konnten dem Mann nicht mehr helfen. Er starb. Einige Tage später brachte Magdalene am 25. September 1949 einen Jungen zur Welt. Die Eltern gaben ihm den Namen Johannes nach seinem Großvater. Auf den Tag genau zwei Jahre später brachte Magdalene die Tochter Susanne zur Welt. Freunde scherzten, sie wüssten ja, dass Reinhard stets den Rechenschieber zur Hand habe – aber musste er das Ding denn auch ins Bett mitnehmen? Sie waren erleichtert, als 1954 die zweite Tochter nicht auch noch den gleichen Geburtstag hatte. Oder hatte er sich diesmal verrechnet? Werktags war Reinhard in der Firma und baute sein Unternehmen 196
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auf. An den Wochenenden war der Firmenlenker bei seiner Familie und spielte mit den Kindern. Seine Frau erlebte ihn als rührenden Vater. Er hatte immer Ideen für gemeinsame Unternehmungen und gestaltete die Geburtstage der Kinder. Der verhinderte Ingenieur liebte es, mit seinen Kindern zu bauen, egal was. Als Johannes Bausteine bekam, war auch der Vater glücklich. Im Winter baute er eine Schlittenbahn über den Bach, im Sommer Sandburgen im Urlaub auf Sylt. Jeden Sonntag fuhr er mit seiner Familie irgendwohin ins Grüne. Abends brachte er die Kinder ins Bett. Das war damals keine Selbstverständlichkeit für einen Mann. Auch dass ein Mann sein Kind im Kinderwagen spazieren fuhr, war nicht üblich. Reinhard aber schob Johannes im Sportwagen durch die Stadt und besuchte seine Mutter. Reinhards Mutter sagte einmal staunend zu ihrer Schwiegertochter, Reinhard sei ein wirklich wunderbarer und lieber Vater – als hätte sie ihrem Sohn das gar nicht zugetraut. Er konnte den Kindern auch körperliche Nähe geben, was seiner Mutter selten gelungen war. Reinhards Schwester Ursula erinnerte sich später einmal, dass ihre Mutter sie als Kind nur ein einziges Mal gestreichelt habe. Reinhard sagte später seinen Mitarbeitern, Härte sei die bessere Form der Liebe. Aber solange seine Kinder klein waren, war er ein zärtlicher Vater. Der Sohn war für ihn sicherlich ein besonderes Glück, schließlich lag ihm die Firma am Herzen und nun hatte er bereits einen möglichen Nachfolger. Aber er ließ keine Bevorzugungen in der Behandlung seiner Kinder erkennen. Reinhard Mohn ging den Tag systematisch an. Disziplin und Pünktlichkeit waren sein halbes Leben. Nach dem Frühstück ging er um halb acht Uhr von der Villa am Stadtrand mit schnellen Schritten zu Fuß die rund fünf Kilometer zur Firma in der Eickhoffstraße. Mittags kam er mit dem Auto um Punkt halb eins nach Hause zum Mittagessen. Sobald der Wagen in der Einfahrt zu hören war, musste die Köchin die Suppe servieren. Er ging rasch die Hände waschen, dann wurde gegessen. Suppe, Hauptspeise, Salat. Manchmal trank er noch einen Tee, dann hielt er Mittagsruhe. Um zwei, spätestens halb drei Uhr fuhr er wieder in die Firma. Pünktlich um halb sieben kam er wieder. Zum 197
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Abendessen gab es meistens Aufschnitt und Brot. Dazu trank er Tee. Wenn die Hausangestellten den reibungslosen Ablauf nicht einhielten, konnte er ruppig werden. Nach dem Abendessen zog er sich um, denn in seiner Freizeit lief er am liebsten in »Räuberzivil« herum. Dann packte er Schäferhund »Blitz« ins Auto und fuhr wieder zurück in die Eickhoffstraße. Damit er seinen geregelten Ablauf einhalten konnte, musste das Auto ja wieder auf dem Firmengelände stehen. Zu Fuß ging er dann mit dem Hund wieder nach Hause. Zu Hause hackte er gelegentlich noch Holz. Abends saß er manchmal noch am Kamin, trank einen Whisky oder Gin Tonic und sprach mit seiner Frau über die Firma. Um 22 Uhr ging er ins Bett. Obwohl die Wochenenden der Familie vorbehalten waren, ließ ihn sein Unternehmen nie ganz los. So verließ er an manchem Samstagabend das Haus zu ausgedehnten Spaziergängen. Bisweilen lief er stundenlang, die ganze Nacht hindurch, 30 Kilometer weit und mehr. Morgens fand er sich beispielsweise in Teltge bei Münster wieder. Von da rief er seine Frau an, die dann mit dem Auto dort hinfuhr. Die beiden frühstückten zusammen und fuhren dann gemeinsam nach Hause. Das Laufen, sagte er seiner Frau, brauche er, um über die Firma nachzudenken. Auf dem Weg durch die Nacht entstanden in seinem Kopf Ideen für neue Projekte und Lösungen für alte Probleme. Deshalb ging er immer alleine. Alleinsein betrachtete er nicht als Last, sondern als Befreiung. Wiewohl er alle seine Vorgänger im Unternehmen respektiere, fühle er sich dem Firmengründer Carl Bertelsmann besonders nahe, sagte er einmal. Er selbst sei ihm durchaus ähnlich. Carl Bertelsmann hatte auf seiner Wanderschaft notiert, er hätte ja auch mit anderen gehen können, aber er habe sich entschieden, lieber alleine zu bleiben. Wie Carl Bertelsmann, so suchte auch Reinhard Mohn die Einsamkeit. Reinhard führte ein einfaches Leben – sofern man das von jemand behaupten kann, der sich in den fünfziger Jahren leisten konnte, eine Villa zu bewohnen, zu der ein eigenes Wäldchen gehörte. Am liebsten trug er Knickerbocker und karierte Hemden. Seine Vorliebe für legere 198
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Kleidung hatte er aus Amerika mitgebracht. Der Autor Hans Wollschläger riet ihm jedoch, zumindest wenn er zu den Banken gehe, solle er doch lieber Jackett und Schlips tragen. Reinhard befolgte den Rat des Autors und gewöhnte sich an, auch im Unternehmen einen Anzug zu tragen. Körperliche Arbeit verschaffte ihm Ausgleich zum angestrengten Denken. Er ließ sich regelmäßig Holz liefern, das er hinter dem Haus zu Brennholz hackte. Mit Schwung ließ er das Beil in die Klötze sausen und spaltete sie mit einem einzigen wuchtigen Schlag. Er denke bei jedem Schlag an jemanden, über den er sich ärgern muss, sagte er einmal. Das Brennholz verschenkte er an Freunde und Bekannte. Vielleicht lag es an der vielen Bewegung, dass er nur selten krank wurde. Lästig war ihm nur sein furchtbarer Heuschnupfen. Im Juni, wenn das Gras blühte, konnte er nicht nach draußen gehen, ohne dass seine Atemwege zuschwollen. Auch die Kinder litten unter den in seiner Familie so typischen Krankheiten: Sein Sohn bekam Neurodermitis, eine Tochter Heuschnupfen. Sein Heuschnupfen diktierte ihm auch den Rhythmus der Erholungsurlaube. Wie bei Kindern die Schulferien, so gab es bei ihm einen Heuschnupfenurlaub an Ostern, an Pfingsten und im Hochsommer. Des Klimas wegen steuerte er mit seiner Frau vorzugsweise Inseln an und machte Urlaub auf Sylt, Rhodos, später auch auf Mallorca. Mehrfach musste er allerdings seinen Urlaub unterbrechen. Oft rief die Hauptverwaltung ihn an und teilte ihm mit, man habe mal wieder nicht genügend Geld, um die Löhne zu zahlen. Dann flog Reinhard nach Gütersloh, zog seinen schwarzen Anzug an und machte den Rundgang zu den Banken. Bei den Autofahrten übernahm er das Steuer. Er war gerne unterwegs und liebte es, schnell zu fahren. Er galt als ausgesprochener »Autofan«. Von seinem VW Käfer war er 1950 auf die Opel-Modelle Olympia und Kapitän umgestiegen. 1952 kaufte er sich seinen ersten Mercedes vom Typ 220. Er pflegte einen Fahrstil, mit dem er kein Auto hinter sich aufhielt. Mitarbeiter mussten sich zu dritt auf die Rückbank quetschen. Seine Frau Magdalene erinnert sich, dass dem Autor Rolf 199
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Hochhuth, der damals als Lektor beim Lesering arbeitete, regelmäßig schlecht wurde, wenn Reinhard und seine Frau mit ihm nach Frankfurt zur Buchmesse fuhren. Reinhard fuhr draufgängerisch und gönnte sich keine Pause. Anhalten empfand er als unnötige Zeitverschwendung, er hielt nur zum Tanken. Das erledigte er so flott, dass sich selbst dabei niemand die Beine vertreten konnte. Waren mehrere Autos zum gleichen Ziel unterwegs, dann wurden die Fahrzeiten gestoppt und ein Sieger ermittelt. Mohn siegte aber nur selten bei diesen Privatrallyes. Er galt als ehrgeiziger Teilnehmer, der am Steuer aber nicht immer alles im Griff hatte: Bei einer Gelegenheit überschlug sich sein Fahrzeug und landete im Graben. Einmal flogen die Mohns in einem gecharterten Flugzeug von Stuttgart aus in die Schweiz. Über den Alpen vereiste der Motor und fiel aus. Die Maschine geriet ins Trudeln, die Piloten schrieen sich an. Reinhard blieb kühl. Er nahm die Hand seiner Frau und sagte: »Wir werden gleich abstürzen.« Dann nahm er einen Zettel zur Hand und schrieb eilig einige Notizen. Er schreibt seinen letzten Willen auf, dachte sie. Machte auch er sich Sorgen um seine Kinder? Oder doch wieder nur um seine Firma? Irgendwie gelang es den Piloten, den Motor wieder zu starten, die Maschine in den Griff zu bekommen und notzulanden. Was ihn so sehr bewegte in diesen dramatischen Minuten, hat er seiner Frau nie gesagt. Zu Beginn ihrer Ehe ging Reinhard noch mit seiner Frau zu Veranstaltungen. Einmal waren beide bei einem großen Ball der Briten eingeladen, die bei Gütersloh eine Militärbasis unterhielten. Die Musik begann zu spielen – und Magdalene und Reinhard begaben sich auf die Tanzfläche. Die Briten lächelten nachsichtig. Nach ein paar Takten wunderte sich das Paar, warum keine anderen Paare folgten. Ihr Erstaunen wuchs, als die Briten aufstanden und zu singen anfingen. Es dauerte einen Moment, bis Reinhard und Magdalene bewusst wurde, dass sie als einziges Paar zur englischen Nationalhymne tanzten. Zu Hause hörte Reinhard gerne klassische Musik, doch der Besuch von Konzerten war ihm ein Gräuel. Einmal waren Magdalene und er 200
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zu einem Klassikkonzert nach München eingeladen. Mit dem Konzert feierte ein Theater seine Eröffnung, Bertelsmann hatte Stühle gestiftet. Die meisten Gäste hielten den Abend für gelungen. Nicht so Reinhard. Für ihn war der Abend eine Tortur. So etwas hoffe er nie wieder mitmachen zu müssen, sagte er seiner Frau hinterher.
Szenen einer Ehe Für Magdalene Mohn war die Ehe mit Reinhard wohl nicht eitel Sonnenschein. Anfang 1954 beispielsweise war sie hochschwanger und erwartete ihr drittes Kind. Obwohl Reinhard wusste, dass die Geburt anstand, ging er zum Skifahren. Und zwar nicht alleine, sondern in Begleitung einer jungen Mitarbeiterin. Während die beiden sich in den Bergen vergnügten, setzten die Wehen ein. Magdalene fühlte sich furchtbar allein gelassen mit dem Baby und den anderen Kindern. Erst als Reinhard die Nachricht erhielt, dass er zum dritten Mal Vater geworden sei, brach er seinen Urlaub ab und fuhr zurück nach Gütersloh. Seine Begleiterin, die für Heinrich Mohn arbeitete und Reinhards Frau von einigen Begegnungen kannte, fühlte sich offenbar nicht sehr wohl in dieser Situation. Sie besuchte Magdalene Mohn, entschuldigte sich bei ihr und versicherte ihr, dass ihr Mann eigentlich nur sie liebe. Magdalene Mohn wusste die Geste zu schätzen und forderte ihren Mann ultimativ auf: »Entweder die geht jetzt – oder ich gehe.« Reinhard beugte sich der Drohung seiner Frau. Seine Urlaubsbegleiterin zog nach München um, wo sie ein Studium begann. Reinhard schenkte ihr für die große Stadt noch ein Auto. Seiner Frau versprach er, er werde sich bessern. Ein paar Wochen lang hielt er sich sogar an dieses Versprechen. Eines Tages erhielt Magdalene Mohn einen seltsamen Anruf. Eine junge Frau war am Telefon und sagte, sie würde sich gerne mit ihr treffen. Sie müsse dringend etwas mit ihr besprechen. Magdalene Mohn war erstaunt. Was sollte eine Mitarbeiterin von Bertelsmann mit ihr besprechen wollen? Sie hatte doch mit dem Unternehmen nichts zu 201
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schaffen. Sie traf die Frau in einem Café in der Stadt. Die Frau war vertrauensvoll und sprach ihr Anliegen gleich offen aus. Sie hätte eine Affäre mit Reinhard Mohn gehabt. Ihr tue leid, was sie getan habe. Die Affäre sei auch beendet. Im Übrigen habe Reinhard jetzt eine andere aus ihrer Abteilung. Sie nannte den Namen ihrer »Nachfolgerin«. Es war eine junge Blonde aus einem Nachbarort. Wenngleich ihr nicht verborgen geblieben war, was sich in der Firma abspielte, war Magdalene erstaunt. Manches trugen ihr die Fahrer zu, manches reimte sie sich zusammen. Sie duldete die Affären und sagte sich, dass man einem außergewöhnlichen Mann eben auch außergewöhnliche Freiheit gewähren müsse. Wo viel Licht sei, da sei eben auch viel Schatten. Reinhard gehöre eben zu einer Generation von Männern, die keine Zeit hatte, erwachsen zu werden. Von der Schule wurden sie in den Krieg geschickt und hatten danach das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Also feierten diese Männer wilde Feste, um das Versäumte nachzuholen. Bei solchen Gelegenheiten kam es vor, dass Reinhard Mohn ein Mädchen sah, mit ihr tanzte, ein wenig flirtete und dann mit ihr verschwand. Seiner Frau blieb es nicht verborgen, dass ihr Mann die Bewunderung der jungen Telefonistinnen und Sekretärinnen genoss. Doch sie ließ ihn gewähren. Sie mahnte ihn aber lediglich, er solle sich der Kinder wegen zurückhalten. Wenn sie ihn direkt auf sein Verhalten und seine Verhältnisse ansprach, sagte er, er brauche das eben. Hin und wieder begleitete Magdalene ihn zu Betriebsfesten. Sie erinnert sich, dass sich auf einer dieser Feiern eine junge blonde Frau an ihren Tisch drängte und sie ausfragte, wie es eigentlich bei ihr zu Hause sei. Magdalene Mohn hielt das Mädchen für naiv. Es war offensichtlich, dass die junge Frau nicht ihre Nähe suchte, sondern die ihres Mannes. Magdalene erinnerte sich, das Gesicht in einer Mitarbeiterzeitschrift von Bertelsmann gesehen zu haben. Das Mädchen arbeitete in einer der Abteilungen, von den Magdalene ahnte, dass ihr Mann dort seine Affären suchte: den Telefonzentralen des Leseringes in Rheda und der Zentrale in Gütersloh. Jedenfalls arbeiteten dort die jungen Dinger, die ihn anhimmelten 202
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und sich etwas darauf einbildeten, wenn sie einmal mit dem Chef »tanzen« durften. Sie hatten täglich Kontakt mit ihm, wenn sie ihm Gespräche vermittelten. Mohn sprach mit der festen, bestimmten Stimme eines Chefs. Magdalene konnte sich gut vorstellen, dass es nur einer Andeutung seinerseits bedurfte, dann warteten sie nach Feierabend an der Pforte auf ihn. Die Fahrer wussten, wen sie mitnehmen sollten und erzählten ihr später davon. Magdalene Mohn glaubte nicht, dass ihr diese Mädchen gefährlich werden würden. So schätzte sie auch die »kleine Blonde« auf dem Betriebsfest ein, die immerzu fragte, wie sie mit ihrem Mann lebte.
»Die Reise nach Jerusalem« Elisabeth Beckmann kam als viertes von fünf Kindern bei einem Fliegeralarm in Wiedenbrück – einem Nachbarort von Gütersloh mit damals rund 8 000 Einwohnern – zur Welt. Am Tag nach ihrer Geburt begann Hitler den Krieg gegen Russland. Angst war das beherrschende Gefühl ihrer Mutter bei der Geburt. Die Zukunft war ungewiss. Die Angst übertrug sich auch auf das Baby, glaubt Elisabeth. »Ich war ein sehr ängstliches Baby, das nachts viel schrie und schlecht träumte. Jede Nacht musste meine Mutter mich auf den Arm nehmen, trösten, wickeln oder umziehen.« In Wiedenbrück gab es oft Fliegeralarm, wenn das nahe Bielefeld oder das Ruhrgebiet bombardiert wurde. Das kleine Mädchen wurde dann unter Sirenengeheul aus dem Bett gerissen und – oft noch im Nachthemd – von ihrer Mutter in den Luftschutzbunker gezerrt. Dort saß sie dann fast im Dunkeln zusammengekauert in einem muffigen Keller und drängte sich furchtsam gegen andere ängstliche Leute. Als sie eines Morgens aus dem Bunker zurück in die Wohnung kam, war ihr ganzes Bett voller Reif. Alles war gefroren, die Eisblumen blühten am Fenster, denn es gab keine Heizung im Haus. Ihre Mutter erwärmte Steine im Backofen und legte sie den Kindern ins Bett. Trotz aller Not und Angst war ihre Kindheit geprägt von einem Gefühl, 203
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geborgen zu sein und geliebt zu werden. Die Mutter hatte einen Garten und pflanzte Gemüse an. Hunger musste Elisabeth nicht leiden, mindestens Brotsuppe gab es immer. Wenn ein Nachbar ein Schwein schlachtete, bekam auch ihre Familie etwas von dem Fleisch ab. Ihre Mutter war gelernte Hutmacherin, ihr Vater selbstständiger Handwerker. Nach einem Unfall des Vaters musste die Mutter für sich und ihre fünf Kinder sorgen. Der Vater wurde von einem Blitz getroffen und lag zunächst zwei Wochen bewusstlos im Krankenhaus. Danach war er arbeitsunfähig. Er starb früh im Alter von nur 60 Jahren. »Unsere Mutter war immer für uns da – sie kochte, wusch, nähte Kleidung. Natürlich merkten wir Kinder, dass sie es nicht einfach hatte. Man erlebte ja, dass die Mutter jeden Pfennig zweimal umdrehen musste, dass sie oft Sorgen hatte, wie es weitergehen sollte.« Trotz der Mühen war die Mutter ein optimistischer Mensch: »Nur nicht unterkriegen lassen, war ihr Lebensmotto und Lebensgefühl – sie dachte immer positiv.« Die Kinder spielten am liebsten an der Ems. Im Winter fuhren sie Schlittschuh; im Sommer schwangen sie sich an Weidenästen von Ufer zu Ufer und fielen oft ins Wasser. Das Schwimmen brachte sich Elisabeth selbst bei, als sie vier Jahre alt war. Als Kind war sie schmächtig und galt deshalb als Sorgenkind. Sie hatte Angst vor Kellern, vor Überforderung, vor neuen Situationen. Doch ihre Angst und den Mangel an Kraft glich Elisabeth durch starken Willen aus. Wenn jemand an sie glaubte, verflogen ihre Ängste. In der ersten Klasse ermunterte sie der Lehrer, vom Fünfmeterbrett ins Wasser zu springen. Sie sprang und war die Einzige ihrer Klasse, die sich traute. »Immer, wenn ich das Gefühl hatte, jemand glaubt an mich, konnte ich meine Ängste überwinden.« Ihre Eltern waren katholisch und lebten gläubig. Morgens um sieben mussten die Kinder noch vor der Schule in die Kirche. Zu Hause beteten die Kinder reihum bei Tisch. Elisabeths Gebet war immer sehr kurz: »Für Speis und Trank sag ich dir Dank. Amen.« Das musste reichen. Mit sechs Jahren brachte ihre Mutter sie zu den katholischen Pfadfindern; Elisabeth wurde »Wichtel«. Jahrelang waren die Freund204
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schaften bei den Pfadfindern wichtige Erfahrungen für sie. Gemeinsam erkundete man die Natur: Freizeiten am Lagerfeuer, Übernachten im Stroh, Nachtwanderungen im Mondschein – all das machte ihr großen Spaß. Später leitete sie eine Gruppe junger Mädchen. »Die Gedanken sind frei«, wurde ihr Lieblingslied. Sie las gerne Abenteuergeschichten von Mark Twain, Jules Verne und Karl May. Ihr Taschengeld verdiente sie sich, indem sie die Kirchenzeitung Dom in Wiedenbrück austrug und dafür stets Trinkgeld erhielt. Mit 14 machte sie mit einer Cousine eine Radtour. Der Vater bat einen Bekannten, die beiden Mädchen mit seinem Lkw nach Würzburg mitzunehmen. Von dort aus sollten sie nach Wiedenbrück zurückfahren. Nachdem der Fahrer sie abgesetzt hatte, hätten sie eigentlich nach Norden fahren müssen. Aber in der anderen Richtung lag Rothenburg ob der Tauber. Die beiden hatten schon viel von dem romantischen Städtchen gehört. Warum nicht die Gelegenheit nutzen? Dann konnte man ja immer noch nach Hause fahren. Rothenburg gefiel den Mädchen gut. Eigentlich sollten sie nun umkehren. Aber in Rothenburg sahen sie einen Wegweiser nach München. Die beiden hatten schon viel von München gehört. Und wieder das gleiche Spiel. Ein Lastwagenfahrer nahm sie mit in die bayerische Landeshauptstadt. In München waren die bayerischen Seen so nahe, von denen man schon so viel gehört hatte. Also fuhren sie an die Seen. Von Bayern ging’s dann mit einem Lkw nach Hamburg und von dort nach Helgoland. So war aus einer kleinen Radtour eine große Deutschlandreise geworden. Unterwegs schrieben die Mädchen Ansichtskarten nach Hause. Stolz auf ihr Abenteuer trafen sie nach drei Wochen wieder in Wiedenbrück ein. Die Eltern hatten sich Sorgen gemacht, als Ansichtskarten von immer neuen Orten eintrafen, die alle nicht auf der vereinbarten Reiseroute lagen. Aber in Elisabeth hatte diese Reise den Wunsch bestärkt, die enge Welt von Wiedenbrück eines Tages hinter sich zu lassen. »Ich wollte mehr sehen, mehr erleben. Ich hatte die feste Absicht, aus meinem Leben etwas zu machen. Wie und was, das wusste ich nicht genau. Von einer Karriere träumte ich nicht, eher von einem guten Arbeitsplatz, einem netten Mann und vielen Kindern.« 205
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Eigentlich sollte Elisabeth Beckmann Zahnarzthelferin werden. Ihre Mutter hatte ihr eine Stelle besorgt. Doch die Arbeit gefiel ihr nicht. Eine Freundin arbeitete bei Bertelsmann. »Das erschien mir wesentlich interessanter und ausbaufähiger.« Sie bewarb sich, ohne ihre Mutter einzuweihen. »Noch heute wundere ich mich über die Courage, die ich bewies, als ich mich bei Bertelsmann vorstellte.« Zum Termin in der Vertriebsstelle des Leserings in Rheda, das nur drei Kilometer von ihrem Wohnort Wiedenbrück entfernt lag, zog sie ihre schönste weiße Bluse an. »Ich war sehr nervös.« Aber sie erhielt einen Ausbildungsplatz. Nach ihrem Vorstellungsgespräch »hätte ich die ganze Welt umarmen können, so stolz war ich. Irgendwie hatte ich eine Ahnung, dass das Leben noch Überraschungen für mich bereithielt.« Sechs Wochen nach ihrer Einstellung beim Bertelsmann Lesering fand das jährliche Betriebsfest statt. Elisabeth war erst 17 und durfte abends noch nicht ausgehen. Ihre Eltern erlaubten ihr »nach langem Hin und Her«, bis 22 Uhr dort zu bleiben. »Ich saß in einer Schar von jungen Mädchen, die alle Auszubildende waren. Ich fand mich hübsch in dem neuen weißen Wollkleid, das meine Mutter mir genäht hatte. Ich sah Reinhard Mohn inmitten einer Gruppe von Menschen hereinkommen, die ich nicht kannte. Ich war neugierig auf ihn. Wie die anderen Mädchen reckte ich den Hals nach ihm. Ich fand, dass er eine starke Ausstrahlung hatte. Seine Haltung war sehr aufrecht, ein kleines Lächeln umspielte seinen Mund. Ich fand ihn sehr charismatisch. Als er dann ausgerechnet mich aus dieser Mädchenschar zum Tanzen aufforderte, war ich völlig überrascht. Wir tanzten einen Walzer. An unser Gespräch erinnere ich mich nicht mehr genau, ich schätze, es war der übliche Small Talk. Aber ich weiß, dass ich sehr überrascht war, wie offen und charmant er war.« In den fünfziger Jahren hatten Betriebsfeste bei Bertelsmann den Charme von Jugendherbergen: Man sang und tanzte und spielte so lustige Sachen wie »Reise nach Jerusalem«. Dabei müssen die Mitspieler um eine Reihe Stühle herumlaufen und sich setzen, wenn die Musik zu spielen aufhört. Da es immer einen Stuhl weniger als Mitspieler 206
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gibt, bleibt einer stehen, der dann ausscheidet. Ein Stuhl wird weggenommen und das Spiel geht weiter. Bei diesem Spiel blieben die Auszubildende und ihr Chef übrig und stritten um den letzten Stuhl. Reinhard Mohn sicherte sich den letzten Stuhl und gewann dazu gleich noch das Herz der 17-Jährigen. »Ich merkte, dass wir uns gut verstanden. Wir feierten bis in den Morgen. Um fünf Uhr in der Früh brachte er mich nach Hause. Ich erinnere mich noch, dass uns die Polizei ein Weilchen verfolgte, weil er zu schnell fuhr. Meine Mutter erwartete mich an der Haustür. Sie hatte die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich nicht um 22 Uhr zu Hause war. Es tat mir leid um ihre Sorgen, das ist bis heute so. Aber ich war jung, offen für alles Neue und wollte so viel erleben. Auf die Frage, warum er gerade mich aus dieser Schar junger Mädchen ausgesucht hatte, erklärte mein Mann später augenzwinkernd: ›Es war gute Personalarbeit.‹«
»Onkel« Reinhard und »Vater« Joachim Elisabeth begann als Telefonistin beim Lesering in Rheda-Wiedenbrück zu arbeiten. »Kippen-Elli« wurde sie angeblich genannt, weil man bei ihr an der Rezeption bequem ein oder zwei Minuten stehen und eine Zigarette rauchen konnte. Wenn Reinhard es wollte, trafen sie sich. Aber sie musste schnell erkennen, dass sie ihn nicht für sich alleine hatte. Das betraf nicht nur Frau Mohn. Er mochte neben ihr auch noch andere Kolleginnen. Wie konnte sie ihn enger an sich binden? Leichter gesagt als getan bei einem Mann, der ständig so viel um die Ohren hatte. Mit 23 Jahren bekam sie von ihm ein Kind: ein Mädchen, dem Elisabeth den Namen Brigitte gab. Das war sechs Jahre, nachdem Elisabeth und Reinhard sich bei dem Betriebsfest kennen gelernt hatten. Zwei Jahre nach der Geburt von Brigitte kam Christoph zur Welt, dann Andreas. 1969, mit 28 Jahren, war Elisabeth dreifache Mutter. Sie lebte »ein typisches Frauenleben. Die Kinder waren klein, ich hatte Freundinnen mit ebenfalls kleinen Kindern. Wir trafen uns 207
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häufig, hatten uns viel zu erzählen und unternahmen viel gemeinsam. Auch meine Schwester kam jeden Tag mit ihren zwei Kindern. Es war immer viel Trubel und Leben in unserem Haus.« Reinhard besuchte sie und die Kinder. »Wann immer es ging, versuchte mein Mann, abends bei uns zu sein, wenn die Kinder ins Bett gingen. Dann hatten wir eine halbe Stunde ›Kinderzeit‹ – er spielte mit den Kindern, erzählte Geschichten, denn das kann er ganz wunderbar. Er war ein richtiger ›Kindermann‹. Das glaubt kaum jemand, der ihn nicht so erlebt hat. Auch wenn ich ihn mit den Kindern in der Firma besuchte, ließ er alles stehen und liegen, nahm sie auf den Schoß und erzählte ihnen selbst erdachte Geschichten. Der größte Spaß war, wenn er mit ihnen Papierschwalben faltete und sie über die Brüstung ins Foyer fliegen ließ.« Doch über der Kindheit der ältesten Tochter Brigitte – kurz Gitte – lag »eine große Belastung«. Sie hatte mit vier Monaten Asthma bekommen. »Wie oft ich in Krankenhausfluren gesessen und bang gewartet habe, wie viele Nächte ich an ihrem Bett gewacht habe, vermag ich nicht zu sagen. Bis zu sechsmal im Jahr hatte sie Lungenentzündung. Sie hat fast zwei Jahre in Kliniken verbracht und konnte nicht zur Schule gehen. Bis sie zwölf Jahre alt war, habe ich viele Nächte nicht geschlafen. Das ging bis an die Grenzen der Belastbarkeit und der Lebenskraft. Die ganze Familie litt unter diesen schweren Jahren.« Elisabeth reiste mit ihrer Tochter viel in südliche Länder und schlief nachts mit Gitte am Strand, damit sie besser Luft bekam. Einmal, als Gitte sieben und mit ihrer Mutter auf Gran Canaria war, färbten sich ihre Fingernägel schwarz. Das viele Cortison führe die Verfärbung herbei, sagte ein Arzt. Zurück in Gütersloh, bekam das Kind eine schwere Lungenentzündung. »Das kleine Mädchen lag mit geschlossenen Augen, es hatte hohes Fieber, die Lippen waren blau, und es röchelte bei jedem Atemzug. Stundenlang saß ich an Gittes Bett, machte ihr kühle Wadenwickel, strich über ihre heiße Stirn, hielt ihre Hand, gab ihr zu trinken. Das Fieber ging nicht herunter. Ich war verzweifelt.« Sie setzte das fiebernde Kind in ein heißes Bad, dann tat sie Senfkörner hinzu und begoss das Kind schließlich mit einem eiskalten 208
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Wasserstrahl. Gitte schrie vor Schreck. Aber das Hausmittel ihrer Mutter habe gewirkt, berichtete Brigitte Mohn später. Die Kinder erhielten nicht viel Taschengeld und mussten im Haushalt helfen. »Sie fuhren keine großen Autos und wohnten in bescheidenen Wohnungen. Es war für uns immer wichtiger, die Kinder für ihren Weg ins Leben vorzubereiten. Sie sollten lernen, eigenständig und verantwortungsbewusst zu leben. Ihren Weg müssen sie selbst gehen. Dazu gehörte für uns Bescheidenheit als Tugend.« Elisabeth glaubt, dass ihr Erziehungskonzept von ihren Erfahrungen bei den Pfadfindern geprägt war. »Geradlinigkeit, Anstand und Fairness wollte ich meinen Kindern mitgeben. Schon als sie klein waren, sagte ich immer: Der gerade Weg ist der bessere, auch wenn’s schwer fällt. So vermeidet man Lügen und Heimlichkeiten. Und ich gab ihnen das Pfadfindermotto mit auf ihren Weg: Jeden Tag eine gute Tat.« »Ich hätte gerne noch ein viertes Kind bekommen, aber das ging leider nicht, weil ich nach der letzten Schwangerschaft an einem akuten Nierenversagen erkrankt war.« Danach überlegte sie, ein weiteres Kind zu adoptieren. Noch immer aber lebte der Mann ihrer Kinder mit seiner Frau zusammen. Die Kinder aus seiner Ehe mit Magdalene waren nun schon fast erwachsen. Johannes war 20, Susanne 18 und Christiane 15 Jahre alt. Der Vater ließ sich an vielen Tagen nur mehr kurz zu Hause blicken. Er kam zum Abendessen und verschwand dann wieder. Selbst wenn Gäste ihn und seine Frau besuchten, verabschiedete er sich zeitig, erinnert sich Gustav Ehlert. Er musste noch mal weg. Man ahnte, wohin er ging, aber man sprach nicht darüber. Reinhard versteckte seine Geliebte keineswegs. Wenn seine Frau Magdalene verreist war, bat er sie sogar in seine Villa. Sie kam dann mit ihren Kindern. Ingrid Elberg, die von 1969 bis 1972 im Hause Mohn als Haushälterin angestellt war, erinnert sich, dass Elisabeth bei ihren Besuchen sich beim Kaffeetrinken von ihr bedienen lassen wollte. Reinhard habe seiner Geliebten gesagt, sie könne sich doch selber holen, was sie brauche. Sie wisse doch, wo die Sachen seien. Offenbar war sie mit der Einrichtung vertraut. 209
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Magdalene ärgerte sich, wenn sie nach ihrer Rückkehr von ihren Besuchen erfuhr. Es störte sie, dass die fremden Kinder mit einem Puppenhaus spielten, das sie von ihren Großeltern geerbt hatte. Durch Bekannte erfuhr sie, dass sich die Geliebte ihres Mannes in einem Hotel auf Rhodos sogar als Frau Mohn ausgegeben habe. Sie sei jetzt Frau Mohn; die erste Frau sei verstorben, habe sie gesagt. Die Bekannten, die im gleichen Hotel Urlaub machten, riefen gleich bei ihr an, um sich zu erkundigen, ob es ihr gut gehe. Wenn Elisabeth Beckmann in Gütersloh zu Besuch war, kam es vor, dass sie und Frau Mohn sich in einem Laden begegneten. Hatte Elisabeth Beckmann einst den Kontakt gesucht und wissen wollen, wie Frau Mohn lebt, so schienen ihr die zufälligen Begegnungen nun peinlich zu sein. Die Art und Weise, wie Reinhard sein Privatleben und seine Beziehungen organisiert hatte, passte nicht zu der Vorstellung, die man sich von einem gesitteten Lebenswandel in einem christlichen Verlagshaus machte. Der Vater Heinrich war 1955 gestorben. Zuvor hatte er nicht allzu viel Anteil genommen am Leben seines Sohnes. Seine Mutter Agnes machte sich mehr Sorgen. Die Mutter war die vielleicht wichtigste Person in Reinhards Leben und hatte den stärksten Einfluss auf ihn. Jeden Samstag brachte er ihr einen Blumenstrauß. Aus Gesprächen mit seinen Chauffeuren wusste sie von seinen Affären und seinen Kindern und tröstete Magdalene. Später erzählte sie ihrer Schwiegertochter, sie habe ihn einmal darauf angesprochen. Reinhard war das Gespräch so unangenehm, dass er ihr angeblich wochenlang keine Blumen mehr brachte und jeglichen Kontakt zu ihr mied. Durch die Firma liefen viele Gerüchte, wo und wie er sich mit Elisabeth traf. Klar war nur, dass der Mann, der im Allgemeinen doch die einfachen Lösungen liebte, mit seiner Freundin auf komplizierte Weise »zusammenlebte«. Denn nicht nur Reinhard hatte noch seine Familie. Auch Elisabeth war inzwischen verheiratet. Jahre später verfasste der jüngste Sohn Andreas Mohn einen Bericht über seine Kindheit und die Beziehung seiner Eltern, den er als Brief an seine Mutter schickte und der Licht ins Dunkel der Gerüchte bringt. 210
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Aus diesem und aus zahlreichen Gesprächen mit ihm und weiteren Mitgliedern der Familie stammen die folgenden Informationen. Im kleinen christlichen Gütersloh und im noch kleineren Rheda hatte man keine unehelichen Kinder. Also heiratete Elisabeth Beckmann, als sie 1963 schwanger geworden war, Joachim Scholz, der damals beim Lesering in Rheda-Wiedenbrück als Kinderbuchlektor arbeitete. Nach außen sah es so aus, als sei die Familie Scholz eine ganz normale Familie. Doch mit der Eheschließung war die Beziehung zu Reinhard Mohn keineswegs zu Ende. Im Gegenteil, Mohn war die Verbindung vermutlich höchst willkommen. Böse Zungen in seinem Unternehmen tuschelten sogar, er selbst habe die Ehe angebahnt, um seine Affäre zu tarnen. Dass eine Telefonistin bei offiziellen Terminen dabei war, wäre vielleicht aufgefallen. Aber ein Lektor nebst Gattin erregte keinen Kommentar. Für seine Dienste als Familienvater sei Scholz von Mohn großzügig entlohnt worden, heißt es. Andreas Mohn sagt heute, die Ehe von Elisabeth und Joachim Scholz sei »eine Scheinehe« gewesen. Seine Mutter habe es später ihm gegenüber zumindest so formuliert. Zunächst lebte Familie Scholz in Gütersloh, dann zog sie nach Stuttgart, wo Scholz eine neue Anstellung fand. Scholz habe seine Frau und Kinder wirklich geliebt, sagen Leute, die ihn kennen. Doch seine Frau flog regelmäßig von Stuttgart nach Düsseldorf, wo Reinhards Chauffeure sie abholten und nach Gütersloh brachten. In einer großen Babytasche hatte sie ihre Tochter Brigitte dabei, erzählten die Chauffeure Reinhards Frau Magdalene. Er sollte nicht vergessen, dass er mit ihr ein Kind hatte. Andreas Mohn erzählt, dass die Familie schließlich nach Bielefeld umgezogen sei, weil seine Mutter Reinhard Mohn vermisste. Nachmittags oder abends ging die Mutter oft zu Reinhard in die Firma. Wenn Mohn danach war, musste Scholz zu Hause das Feld räumen. Mal schnell ins Kino gehen, damit der Chef seine Geliebte sehen konnte. Reinhard Mohn spielte den Kindern gegenüber die Rolle des Onkels, Joachim Scholz die des Vaters. Des Öfteren fuhr nicht der vermeintliche »Vater« Joachim, sondern »Onkel« Reinhard mit Elisabeth und den Kindern in den Urlaub. Dafür fuhr Joachim Scholz hin und 211
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wieder mit den Kindern zum Campen nach Skandinavien. Die Mutter blieb dann allein in Bielefeld. Andreas erinnert sich, dass Scholz im Bielefelder Haus, das Reinhard Mohn finanziert hatte, im Keller schlief. Dort hatte er eine eigene kleine Wohnung. Brigitte schlief oben bei der Mutter; die beiden Jungen schliefen abwechselnd bei Scholz. Bei ihm hatten sie auch ihre Eisenbahn aufgebaut. Die Mutter fuhr abends regelmäßig in die Firma und traf Reinhard. »Bertelsmann war ein Bestandteil ihres Lebens geworden, ein großer Bestandteil«, hielt Andreas später in einem Brief fest. »So war Liz Mohn jeden Abend weg, fort bei Herrn Mohn, manchmal fuhr sie noch zu Bekannten.« Andreas beobachtete: »Meine Mutter war eine distanzierte Ehefrau zu Herrn Scholz.« Die Kinder wurden abends von »Vater Jochen« Scholz und der Haushälterin zu Bett gebracht. »Als Kind war es schmerzhaft für mich, keine Mutter zu haben und im Grunde genommen von zwei unvertrauten Menschen zu Bett gebracht zu werden«, so Andreas. Nach rund 15 Jahren wurde die Ehe von Elisabeth und Joachim Scholz geschieden. Erst danach, als Andreas zwölf, Christoph 14 und Brigitte 16 Jahre alt waren, erfuhren sie, dass Reinhard Mohn ihr wirklicher Vater war. Die Trennung fiel mit dem Tod von Reinhards Mutter Agnes zusammen, die am 6. November 1978 im Alter von 89 Jahren starb. Nach Aussagen von Reinhards erster Frau hatte die Mutter von Reinhards Kindern mit Liz gewusst, wollte aber weder Liz noch ihre Kinder sehen. Nach dem Tod von Reinhards Mutter wollte Liz näher bei Reinhard und Bertelsmann leben. Reinhard bot an, ihr ein Haus in Gütersloh zu bauen, berichtet Andreas. Doch Joachim Scholz habe das nicht gewollt und durfte das Haus in Bielefeld behalten. Liz zog alleine mit den Kindern nach Gütersloh in die Nähe des Vaters ihrer Kinder. Die Kinder akzeptierten die neue Situation und arrangierten sich. Hatten sie doch nun einen Vater, der ein eigenes Motorboot und einen Privatjet besaß. Als Andreas eine Augenkrankheit erlitt, fuhr der Vater mit ihm auf die Seychellen. Das konnte sich nicht jeder Vater leisten. 212
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Elisabeth Scholz verdrängt einen Teil ihrer Vergangenheit, glaubt ihr Sohn. Als sie später Liz Mohn geworden war und ihr Leben aufschreiben ließ, versicherte sie: »Mein Mann und meine Kinder waren und sind immer das Wichtigste in meinem Leben.« Mit »mein Mann« war Reinhard Mohn gemeint. Sie fragte: »Was ist eine gute Mutter? War ich es? Das können eigentlich nur meine Kinder beantworten. Wenn sie heute noch meine Nähe suchen, mich um Rat fragen, mich regelmäßig besuchen, dann ist das sicher der Beweis, dass ich meine Sache recht gut gemacht habe. Dass wir Vertrauen zueinander haben. Dass wir – trotz manchmal unterschiedlicher Standpunkte – eine Einheit als Familie sind. Es macht mich glücklich und zufrieden.«
»Die Ehe war ein Irrtum« Während Reinhard mit dem Aufbau seiner Firma beschäftigt war, bereiste seine Frau Magdalene die halbe Welt. Wenn Reinhard Urlaub machte, verbrachte er ihn mit seiner Freundin. Derweil tröstete sich Magdalene auf ihren Reisen mit der Gesellschaft von Freunden und Bekannten. Wegen eines Rückenleidens war sie 1977 zur Kur in Italien gewesen. Auf dem Rückweg machte sie Halt in Bad Kissingen. Von dort telefonierte sie mit ihrer Tochter. »Wundere dich nicht«, sagte ihre Tochter, »Vater ist ausgezogen.« Längst hatten sie und ihr Mann in getrennten Zimmern geschlafen und führten ihr eigenes Leben. Magdalene erinnert sich, sie sei »wie vom Donner gerührt« gewesen. Ohne es auch nur mit einem Wort anzudeuten, hatte der stille Mann von Gütersloh seinen Entschluss gefasst und war ausgezogen. Diesen Schritt ihr gegenüber zu begründen fiel ihm nicht ein. Wie es seine Art war, hatte er sich nicht anmerken lassen, dass ihn diese Sache beschäftigte. So kam seine Entscheidung selbst für enge Vertraute überraschend. Er nahm nicht viel mit aus der Wohnung, nur einige Kleidungsstücke aus dem Schrank und einen Ledersessel. Auf Dinge, an die sich private, persönliche Erinnerungen knüpfen, legte er offensichtlich gar keinen Wert; seine vielen Fotoalben ließ der Hobbyfotograf im 213
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Schrank liegen. Auf dem Tisch hinterließ er einen kurzen Brief, der in dem Satz gipfelte: »Unsere Ehe war ein Irrtum.« Mit dieser Erkenntnis zog er den Schlussstrich unter 30 Jahre Ehe. Magdalene war sprachlos. Nie hatte er über Scheidung oder Trennung gesprochen. Elisabeth Scholz muss gespürt haben, dass er seiner Mutter zuliebe keine festere Beziehung mit ihr eingehen wollte. Die Tochter eines protestantischen Pastors akzeptierte die katholische Geliebte ihres Sohnes nicht und hing immer noch an Reinhards erster Frau, die sie zur Familie zählte. Reinhard nahm Rücksicht auf seine Mutter. Andreas Mohn sagt: »Soweit mir bekannt ist, war Liz Mohn diejenige, die in die Ehe wollte … Reinhard Mohn war von der Ehe nicht unbedingt überzeugt, willigte aber ein.« Um aber eine Ehe schließen zu können, musste sie Reinhard freilich dazu bewegen, sich scheiden zu lassen. In seinem Brief an seine Frau Magdalene verlor Reinhard Mohn auch ein paar Worte über den Unterhalt. Magdalene war nicht einverstanden mit dem, was er ihr bot. So billig wollte sie sich nicht abspeisen lassen. Sie nahm sich einen der besten Anwälte, der zu haben war: Josef Augstein, der Stiefbruder des Spiegel-Herausgebers Rudolf Augstein, der in Hannover eine Kanzlei betrieb und seinen Bruder gegen Adenauer und Strauß verteidigt hatte. Die juristische Auseinandersetzung um die Scheidung dauerte zwei Jahre. Bei den Einkommensverhältnissen eines Multimillionärs wie Reinhard Mohn gab es keine gesetzlich fixierten Vorgaben für die Höhe des Unterhalts. Beim ersten Gerichtstermin in Gütersloh wies Reinhard die Forderungen seiner Frau zurück. Die Sache ging in die nächste Instanz nach Hamm zum Oberlandesgericht. Vor Gericht sahen Magdalene und Reinhard sich wieder. Er war freundlich, und sagte seiner Frau Guten Tag. Das Oberlandesgericht entschied zugunsten von Magdalene. Reinhard saß alleine da und wirkte sehr klein. Er guckte sie nur peinlich berührt an, sagte jedoch nichts, erinnert sie sich. Im Winter 1981 wurden Magdalene und Reinhard Mohn geschieden.
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12. »Es ist unglaublich, wenn es stimmt« Bertelsmann und die Hitler-Tagebücher
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s war schon fast 17 Uhr und Manfred Fischer, der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr, hatte nicht viel Zeit, da er später auf einem Empfang erwartet wurde. Da rief ihn Jan Hensmann, der Zeitschriftenvorstand, übers Haustelefon an und fragte, ob er sich jetzt gleich eine halbe Stunde frei machen könne. »Es geht um Hitlers Tagebücher.« Fischer war überrascht: »Ja, gibt’s denn so was?« Hensmann teilte ihm mit, Heidemann, ein Reporter des Stern, sei fündig geworden. Fischer war wie elektrisiert: »Also her mit ihm, ich komme vorbei.« Fischer, so schrieb der frühere stellvertretende Chefredakteur des Stern Manfred Bissinger später in seinem Buch Hitlers Sternstunde, »war neugierig geworden und ging über den mit grünem Velours ausgeschlagenen Flur zu Hensmann ins Zimmer. Dort in der Ledergarnitur wurde dann lange geredet. Manfred Fischer verschob seinen Termin, einen Festbesuch bei der Zeitschrift essen&trinken.« So begann am 27. Januar 1981 in den Verlagsetagen von Gruner + Jahr der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher. Es war vorwiegend ein Skandal im und um den Stern und Gruner + Jahr. Doch auch die Konzernmutter Bertelsmann spielte eine gewichtige Rolle – wenn von der Affäre irgendjemand profitierte, dann war es Bertelsmann, denn letztlich führte die Affäre zu einer stärkeren Abhängigkeit des Stern von Bertelsmann. Manfred Fischer kommt eine Schlüsselrolle zu. Manfred Fischer wurde am 19. Juni 1933 in Finntrop im Sauerland geboren. Als 25Jähriger war er 1958 nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Köln, der Promotion in Münster und einem zweimonatigen 215
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Zwischenspiel in der Kreditabteilung der Stadtsparkasse in Köln als Revisionsassistent bei Bertelsmann in Gütersloh eingetreten. Der Generalbevollmächtigte Manfred Köhnlechner stellte ihn als seinen Assistenten ein. Bereits drei Jahre später wurde er Leiter der Steuerabteilung, erhielt Einzelprokura und wurde 1964 Mitglied der Geschäftsleitung; 1971 wurde er in den Vorstand der neu gegründeten AG berufen, verantwortlich für Hauptverwaltung, Film, Fernsehen und Musik. Als rechte Hand von Köhnlechner war Fischer maßgeblich an der gescheiterten Übernahme des Axel Springer Verlags beteiligt: Unter dem Decknamen »Angler« hatte er monatelang die Bilanzen des Hamburger Verlagshauses geprüft. Fischer fürchtete, dass er nach dem Scheitern der Fusion – genau wie Köhnlechner – das Vertrauen von Mohn verspielt habe. Doch Mohn hatte Gefallen gefunden an dem jungen Mitarbeiter und machte ihn 1974 zum Vorstandsvorsitzenden von Gruner + Jahr in Hamburg. Fischer sollte den als sehr unabhängig geltenden Verlag kennen lernen und näher an das Unternehmen in Gütersloh anbinden. Dadurch bekam sein bis dahin kaufmännisch orientierter Lebenslauf einen verlegerischen Zuschnitt; Gruner + Jahr glückten zahlreiche erfolgreiche Gründungen, etwa von GEO und PM. Eben dieser Fischer blätterte nun in einem Dossier von Heidemann über den angeblichen Fund und fand dessen Geschichte offenbar glaubwürdig. Fischer »war mehr als beeindruckt«, so Bissinger. Später habe Fischer erzählt, Thomas Walde, der leitende Redakteur des Ressorts Zeitgeschichte, sei für ihn das Seriositätssiegel gewesen. Fischer wollte die Tagebücher unbedingt sehen. Man war guter Dinge in der Vorstandsetage des Stern, als man über das Finanzielle sprach. Im Gespräch waren rund 85 000 Mark pro Band. Ein hübsches Sümmchen bei 27 Bänden. Dann kam Heidemann noch auf eine Kaution zu sprechen, die er bei einem Stuttgarter Gewährsmann hinterlegen sollte: 200 000 Mark. Als Fischer davon hörte, war er laut Bissinger »nicht mehr zu bremsen«. Er habe den neuen Finanzvorstand angerufen und ihm gesagt, er benötige noch heute Abend Bares für den Stern-Reporter Heidemann. Den Grund könne 216
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er nicht nennen. Die Banken waren bereits geschlossen, aber am Flughafen fand sich noch eine offene Filiale. Während Fischer dann doch noch den Empfang besuchte, sausten sein Finanzvorstand, Sorge und Heidemann zum Flughafen und ließen sich die 200 000 Mark in großen Scheinen auszahlen. Aus Äußerungen Heidemanns konnte Fischer folgern, dass weder der Herausgeber Henri Nannen noch die drei Chefredakteure von Heidemanns Recherchen wussten. Es habe Fischer zwar Kopfschmerzen bereitet, dass er Nannen hinterging, aber als Vorstandsvorsitzender musste und konnte er alleine entscheiden. Die Eminenzen von Gruner + Jahr und Stern mochten Bertelsmann nicht und damit auch Fischer. John Jahr senior bat Mohn, ihm »diesen forschen jungen Mann« doch bitte vom Leibe zu halten, berichtet Hermann Schreiber in seiner Biografie über Henri Nannen. Erst lamentierte auch Henri Nannen, er stehe das nicht durch mit dem Fischer. Je mehr dieser jedoch durchgriff und den Verlag sanierte, desto mehr Respekt brachte ihm Nannen entgegen. Nannen mochte ihn, weil er sich nicht »wie ein Filialleiter von Bertelsmann« benahm, sondern »wie der König von Gruner + Jahr«. Fischer wiederum revanchierte sich, indem er sagte, er ärgere sich jede Woche über den Stern, wisse aber auch, dass dies so sein müsse, wenn der Stern Erfolg haben sollte. Und nun bot sich Fischer unverhofft eine Chance, in die Rolle des Chefredakteurs zu schlüpfen. »Fischer muss es gefallen haben«, meint Bissinger, »dass hier ein Redakteur und ein Reporter so viel Vertrauen in ihn setzten. In ihn, der doch so häufig gerade mit der Stern-Redaktion erheblichen Ärger und Auseinandersetzungen hatte, dem man als rigorosem Kaufmann weder journalistische Spürnase noch verlegerisches Gewissen zutraute. Es musste ihm schmeicheln, wenn ausgerechnet zwei Stern-Leute bei ihm, dem Verlagsboss, Hilfe gegen die ignorante Chefredaktion suchten. Da mag man dann auch nur das Beste glauben. Denn das hatte es in der leidvollen Ehe zwischen dem Stern und dem Haus Bertelsmann noch nicht gegeben. Bislang hatten die Redakteure immer Schutz VOR Fischer und nicht BEI Fischer gesucht.« 217
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Anfang 1981 beschaffte Heidemann die ersten Kladden. Zusammen mit dem Zeitschriftenvorstand Hensmann, mit Verlagsleiter Sorge und Redakteur Walde marschierte er zu Manfred Fischer. Der Vorstandsvorsitzende blätterte fasziniert in der Hitler-Kladde, wie Bissinger erzählt. »Beim Lesen stockte er manchmal, Heidemann sprang ein und half beim Entziffern. Er hatte am Abend zuvor zu Hause geübt.« Fischer war überaus angetan und beschrieb die Stimmung im Zimmer später gegenüber Bild so: »Es ist ein geradezu sinnliches Erlebnis, so ein Ding in der Hand zu haben … Diese Gewissheit – das Tagebuch hat DER geschrieben – und jetzt halte ich es in der Hand! Wir alle haben wahrscheinlich einen Blackout gehabt – schon der Glaube daran war ein Teil der Faszination … Es war doch wie eine Gruppenpsychose … Wir sind alle einer Gruppenpsychose erlegen.« Bissinger meint, diese Worte Fischers beschrieben die Stimmung gut, in der sich der Stern auch zwei Jahre später bei der Veröffentlichung der Tagebücher befunden habe. Am 9. März 1981 hielt Fischer die Zeit für gekommen, um seinen Chef Reinhard Mohn in die Operation »Grünes Gewölbe« einzuweihen. Zu dem Gespräch unter vier Augen in der Konzernzentrale in Gütersloh nahm er das Dossier von Heidemann mit. Mohn wies sein Sekretariat an, niemanden vorzulassen. Die beiden wollten ungestört sein. Dann legte Fischer das Dossier »durchaus ein bisschen stolz« auf den Tisch. Er wies auf die Aussage von Hitlers Chefpiloten hin, wonach wichtige Dokumente verloren gegangen seien, und sagte: »Die haben wir jetzt gefunden.« Wieder griff Fischer in seine Aktentasche. Er holte mehrere der angeblichen Hitler-Tagebücher hervor und legte sie vor Mohn auf den Tisch: »Das sind die Tagebücher. Hier sind sie.« Mohn nahm sie fasziniert in die Hand und sagte: »Ungeheuer, Manfred!« Und dann sagte er einen Satz, der Fischer zutiefst befriedigt haben muss: »Das ist das unglaublichste Manuskript, das je meinen Schreibtisch passiert hat. Das ist die Sensation des Jahrhunderts. Es ist unglaublich, wenn es stimmt.« Wenn es stimmt! Mahnte Mohn damit Fischer, dass man wegen des zu erwartenden öffentlichen Interesses besonders sorgfältig umgehen müsse mit diesen Tagebüchern? Fischer 218
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sagte dazu: »Dass Mohn in irgendeiner Weise eine Prüfung durchgeführt oder etwas gesagt hätte: Na, na, stimmt das aber auch? – Überhaupt nicht. Die Situation war nicht danach.« Fischer sagte Mohn, dass er »schon mit ein paar Hunderttausend ins Risiko gegangen« sei. Mohn schien keineswegs alarmiert. Die beiden Männer hielten ja die Tagebücher in den eigenen Händen. Fragen, ob und wie man ihre Echtheit prüfen müsse, haben sie nicht besprochen. »Man konnte was anfassen, und ich habe es so vorgetragen, dass da gar keine Zweifel drin waren«, erklärte Fischer das Versäumnis später. Immerhin neun Millionen Mark zahlte er für die vermeintlich echten Kladden. Freilich gab es immer Momente, die Zweifel schürten. Und es gab immer auch Leute, die die Zweifel nicht wahrhaben wollten. Fischer gehörte zweifelsohne zu denen, die in der Sache in erster Linie ein gutes Geschäft sahen, das er sich nicht von der Redaktion kaputtreden lassen wollte. Am 2. April besuchte Fischer Heidemann auf dessen Yacht Carin II, die einst Göring gehörte. Man war guter Dinge. Heidemann zeigte Fischer den Schuhlöffel von Göring und seinen großen Lokus, weil, wie sich Fischer merkte, »der Göring ja so einen breiten Hintern hatte«. Neben Manfred Fischer waren auch Thomas Walde, Wilfried Sorge und Jan Hensmann mit an Bord. Am Ende schrieb Fischer ins Bordbuch: »Wir haben hier heute Dinge besprochen, die man einem Tagebuch nicht (noch nicht) anvertrauen kann. Ich wünsche Gerd Heidemann und uns, dass all dies zu einem guten Ende kommt.« Seine Stern-Leute ermahnte er: »Macht euch auf ein Argument gefasst: Hitler hat nicht nur die ganze Welt belogen, er hat auch seine Tagebücher belogen. Und was da drinsteht, das hat er hineingeschrieben, damit die Nachwelt ein entsprechendes Bild von ihm bekommt.« Irgendwann mussten die drei Chefredakteure Koch, Schmidt und Gillhausen sowie der Herausgeber Nannen eingeweiht werden. Als sie von der Sache erfuhren, murrten sie. Sie fürchteten weniger um die Echtheit der Tagebücher als um ihre Stellung in der Redaktion. Sie fanden es »ein ganz und gar unmögliches Verfahren«, dass ein Redakteur an ihren Köpfen vorbei mit dem Vorstand über eine Geschichte verhandelte. Selbstverständlich waren die Chefredakteure in der redak219
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tionellen Gestaltung der Zeitschrift unabhängig. Aber Fischer hielt ihnen vor, sie könnten einen der größten Coups verpassen, wenn sie die Veröffentlichung verweigerten: »Wenn Sie nicht wollen, meine Herren, diesen Stoff können wir bei Bertelsmann genauso gut unterbringen.« Die Chefredakteure stimmten schließlich der Veröffentlichung zu und hatten damit die Verantwortung übernommen. Jedenfalls sagte Fischers Nachfolger im Amt des Vorstandsvorsitzenden von Gruner + Jahr, Gerd Schulte-Hillen, später: »In dem Moment, wo es der Redaktion bekannt ist, sitzt der Affe auf ihrer Schulter.« Mit anderen Worten: Dass der Stern der Fälschung aufsaß, sei nicht Schuld des Verlags oder gar von Bertelsmann, sondern allein Schuld der Redaktion des Stern. Der vom Stern eingesetzte Untersuchungsausschuss stellte später fest: »Es gab bei Dr. Fischer eine ganze Reihe von Motiven, das Projekt selbst in die Hand zu nehmen: Sein Verhältnis zu dem erst einige Monate amtierenden Chefredakteur Koch war denkbar schlecht. Kochs Ablehnung des Heidemannschen Nazi-Ticks schien den Stern die größte Sensation dieses Jahrzehnts zu kosten, während Nannens ›bekannte Geschwätzigkeit‹ sie durch vorzeitiges Bekanntwerden gefährdet hätte. Fischer sah die Gelegenheit, durch eine elegante und entschlossene Regelung der Angelegenheit nicht nur die Unfähigkeit der Redaktion, sondern auch den eigenen verlegerischen Weitblick zu demonstrieren.« Noch vor der Veröffentlichung wechselte Manfred Fischer zurück nach Gütersloh, um dort den Vorstandsvorsitz von Bertelsmann zu übernehmen. Er hatte bereits zwei Millionen Mark für die Tagebücher bewilligt, sein Nachfolger Schulte-Hillen bewilligte die restlichen sieben Millionen. Auch Schulte-Hillen war überzeugt von der Echtheit der Tagebücher: »Wie sollte ich das in Frage stellen?« Als Heidemann ihm noch die Pistole zeigte, mit der Hitler sich angeblich erschossen hat, war auch Schulte-Hillen von dem Wahnsinnsreporter beeindruckt. Der Rest ist bekannt: Im April 1983 präsentierte der Stern die Hitler-Tagebücher der Weltöffentlichkeit, doch schon im Mai wurden 220
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diese vom Bundeskriminalamt als Fälschungen entlarvt. Konrad Kujau und Gerd Heidemann wurden später verurteilt. Auf dem Höhepunkt des Skandals entließ Gruner + Jahr drei Chefredakteure des Stern sowie den Herausgeber Henri Nannen. Gegen den Willen der liberalen Redaktion berief Bertelsmann die beiden konservativen Journalisten Johannes Gross und Peter Scholl-Latour in die Chefredaktion. Mohn verteidigte die Berufung gegen den öffentlich erhobenen Vorwurf, er mische sich direkt in redaktionelle Belange ein. Der Skandal und seine Folgen schmerzten. Die Auflage des Stern fiel um 150 000, das Anzeigengeschäft sank um zwölf bis 15 Prozent. Der Stern musste den Platz als führendes deutsches Magazin an den Spiegel abgeben. Aber für Bertelsmann hatte die Affäre auch ihr Gutes, was die Süddeutsche Zeitung zu der Schlagzeile animierte: »Das Segensreiche an einem Reinfall«. Mark Wössner sagte: »Wir sind dankbar, dass wir hereingefallen sind und jetzt ein großes Denkmal ablösen können.« Wössner sprach von Henri Nannen, den man schon längst hatte loswerden wollen. Durch die Affäre gelang es Bertelsmann, seine Position bei Gruner + Jahr zu festigen und die Redaktion des Stern auf lange Zeit als kritischen Gegenspieler auszuschalten. Als Günter Gaus 1986 in seiner Gesprächsrunde im Fernsehen Reinhard Mohn zu dem Skandal befragte, sah Mohn die Verantwortung nicht bei Gruner + Jahr oder gar bei Bertelsmann, sondern allein bei der Redaktion des Stern. Gaus: »In einem solchen Fall, einem solch spektakulären [wie den Hitler-Tagebüchern, Anm. d. A.], finden Sie es da als ganz angenehm, dass die Größe des Konzerns Sie in einige Entfernung vom Entscheidungsort, auch von der Verantwortung geführt hat, oder ist das ein Zeitpunkt, wo Sie sagen, ach, da könnte man noch genauer darauf gucken?« Mohn: »In der Mitte liegt die Wahrheit. Ein Unternehmer möchte immer lieber alles selber wissen, tun und machen und gestalten – überall dabei sein.«
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Gaus fragt den 65-jährigen Aufsichtsratschef, der zu diesem Zeitpunkt das Tagesgeschäft bereits abgegeben hatte: »Das möchten Sie nach wie vor?« Mohn: »Aber selbstverständlich. Das macht am meisten Freude. Ich entbehre das, dass ich heute Firmen zu verantworten habe, die ich noch nie gesehen habe.« Zur Affäre der Hitler-Tagebücher sagte er: »Ich habe dieses gewusst, dass man dort diese Tagebücher glaubte, gefunden zu haben. Die Bearbeitung konnte ich nicht machen. Nachher ist das ja viel diskutiert worden …« Gaus: »Die Chefredaktion musste gehen, der Vorstandsvorsitzende von Gruner + Jahr ist geblieben. War das eine Gerechtigkeitsentscheidung oder eine pragmatische?« Mohn: »Nein, das war eine Gerechtigkeitsentscheidung. Ich habe selber diese Entscheidung zu verantworten und ich stehe dazu.«
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13. »Ich muss die alleine regieren lassen« Der Unternehmenschef geht und bleibt
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ei Bertelsmann mussten Manager mit Vollendung des 60. Lebensjahres in Ruhestand gehen. Seit Jahren schon hatte der Vorstandsvorsitzende Reinhard Mohn versichert, er werde wie jeder andere Manager bei Bertelsmann mit 60 Jahren seinen Schreibtisch räumen. Anfang 1981 stellte sich die Medienbranche gespannt die Frage, ob er seine Ankündigung wahr machen würde. Sein Unternehmen war weiter auf Wachstumskurs. Nachdem ihm das Kartellamt bei seinen Versuchen, in Deutschland durch Zukauf weiterer Firmen zu wachsen, wiederholt einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte, expandierte er im Ausland. Allein 1977 kaufte er von der italienischen Agnelli-Gruppe Anteile an zwei großen Verlagen in Italien und den USA: 30 Prozent am Verlag Fratelli Fabri für 15 Millionen Mark und 51 Prozent am weltgrößten Taschenbuchverlag, Bantam Books in New York für 35,7 Millionen Mark. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Wachstumsgeschwindigkeit unseres Unternehmens in der Zukunft wesentlich nachlassen wird«, sagte Mohn 1979. International bestünden noch »ganz erhebliche« Möglichkeiten. Hatte er 1966 noch 30 Firmen geleitet, so waren daraus bis 1980 durch Zukäufe 180 geworden. Bertelsmann war in allen Ländern Europas sowie in Süd- und Nordamerika präsent. Wer Mohn genau zuhörte und las, was er zum Thema Nachfolge sagte, wusste, dass das eine komplizierte Angelegenheit war. Zu einem möglichen Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat sagte er 1979: »Das Thema steht jetzt im Moment nicht an … Ein exaktes Datum für diesen Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat gibt es nicht in un223
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serem Hause.« Aber grundsätzlich wollte Mohn an seiner Regelung festhalten. »Wir glauben nicht, dass es richtig ist, die Leute in der Exekutive, im Vorstand, nun sehr alt werden zu lassen. Was immer Sie darunter verstehen. Ich verweise darauf, dass viele große und vorbildliche US-Gesellschaften, beispielsweise IBM, von vorneherein sagen: In der Exekutive soll niemand über 60 Jahre alt sein. Und ich glaube, dass darin eine ganze Menge Weisheit liegt. Diese Regel verhindert, dass man aus menschlicher Rücksicht – gerade auch bei Leuten, die sehr verbunden sind mit dem Unternehmen (eigentumsmäßig oder durch lange Beschäftigung) – auf eine Umbesetzung des Vorstandes verzichtet. Ich habe sehr häufig Uralt-Managements gesehen, die ältesten in der UdSSR. Und ich muss sagen, das ist führungstechnisch unsinnig. Wir wollen diesen Fehler nicht machen. Insofern denken wir natürlich über diese Fragen nach. Sie sind Teil unseres Führungsauftrages, die Kontinuität der Führung zu sichern. Ich muss sagen, die bei uns praktizierte Form der Delegation von Verantwortung hat in der Tat eine so breite Pyramide von völlig selbstständig operierenden Führungskräften entstehen lassen, sodass ich gar nicht ängstlich bin, dass dieser Prozess reibungslos, ohne großes Aufsehen, vonstatten gehen wird.« Mohn sprach auch davon, dass seine eigene fachliche Befähigung nicht mehr ausreichte, das riesige Unternehmen zu leiten: »Wir brauchen heute andere Leute mit anderen Voraussetzungen, es wäre falsch, wieder einen Reinhard Mohn an die Spitze zu holen.« Man brauche einen neuen Vorstand mit neuen Ideen. Mit ihren neuen Konzepten dürften die Führungskräfte alles ändern, nur eines nicht: das Fundament, auf dem Bertelsmann gebaut sei. Dazu zählte er die Leitsätze für die Unternehmensführung, die selbstständiges unternehmerisches Handeln gewährleisteten. Außerdem zählten dazu die Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter und die Unternehmensverfassung. Falls ein neuer Chef diese Grundsätze antasten wolle, werde er korrigierend eingreifen, kündigte Mohn an.
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Fischer wird Mohns Nachfolger – ein Interregnum Zwei Tage nach Mohns 60. Geburtstag am 29. Juni 1981 trat der 47-jährige Manfred Fischer die Nachfolge von Reinhard Mohn an. Fischer war schon seit Jahren sein Kronprinz, seine Bewährungsprobe bei Gruner + Jahr hatte er gut bestanden. Am Tag nach der Berufung schrieb die Neue Westfälische, der Wechsel Mohns vom Vorstand in den Aufsichtsrat bedeute eine Zäsur für Bertelsmann, denn erstmals in der langen Familiengeschichte nehme die Familie Mohn »Abschied aus der aktiven Einflussnahme«, die sie (und vorher die Familie Bertelsmann) über 146 Jahre, seit Gründung des Unternehmens, ausgeübt hatte. Freilich verfüge er nach wie vor über einen Erfahrungsvorsprung, sagte Mohn bei dieser Gelegenheit. Der neue Vorstandsvorsitzende könne sich erst mit der Zeit profilieren. Ein eigenes Standing konnte der Neue aber nur dann entwickeln, wenn er ihn nicht zu sehr kontrollierte, dessen war Mohn sich bewusst: »Ich muss die alleine regieren lassen.« Einem Interview, das Mohn 1979 gegeben hatte, konnte Fischer entnehmen, dass Reinhard Mohn so viel gar nicht ändern wollte. »Wenn ich diesen Schritt vom Vorstand in den Aufsichtsrat vollziehe, dann ist das ja auch nicht so, dass ich im Jahr einzig zwei oder drei Aufsichtsratssitzungen besuche … Ich verstehe die Aufsichtsratsarbeit vielmehr als eine absolut aktive Tätigkeit, die einen Mann voll beschäftigen sollte.« Mohn nahm den Begriff wörtlich: Als Aufsichtsrat wollte er »Aufsicht führen und Rat erteilen«. Auch viele äußere Anzeichen sprachen dafür, dass sich nach diesem Schritt bei Bertelsmann wenig ändern würde. Denn seinen Schreibtisch wollte Mohn gar nicht räumen. Er behielt sein Büro, das ab 1. Juli 1981 nun eben nicht mehr das Büro des Vorstandsvorsitzenden, sondern das Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden war. Bald schon zeigte sich, dass Mohn und Fischer sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Zukunft Bertelsmanns hatten. Im Juni 1982 ließ Fischer seine Mitarbeiter in der Hauszeitschrift Bertelsmann 225
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Report wissen, dass es nicht mehr so ungebremst vorangehen würde wie in der Ära Mohn. Der Finanzexperte Fischer wollte Bertelsmann konsolidieren, die magere Eigenkapitalrendite verbessern. »Wir haben große Brocken geschluckt und die müssen nun erst mal verdaut werden.« Zwar unterstütze er generelles Wachstum, denn ein Unternehmen, das nicht mehr den Ehrgeiz habe, zu wachsen, sei kein lebendiges Unternehmen mehr. Das Expansionstempo und damit auch das Investitionstempo werde sich jedoch gegenüber den Jahren 1978 bis 1981 deutlich verlangsamen. Außerdem gab er bekannt, dass Bertelsmann zum ersten Mal die Planziele nicht erreichen werde. Zwar stiegen 1981/82 der Umsatz von 5,6 auf sechs Milliarden Mark und die Gewinne von 63 auf 112 Millionen Mark. Das Planziel von 6,3 Milliarden Mark Umsatz war jedoch in der Tat verfehlt worden. Die Rezession machte auch Bertelsmann zu schaffen. Nach dem vergeblichen Versuch, die Zeitschrift GEO in die USA zu exportieren, bei dem Gruner + Jahr 15 Millionen Mark in den Sand gesetzt hatte, dachte er darüber nach, die Expansion nach Amerika einzustellen und sich aus sämtlichen dort übernommenen Tochtergesellschaften zurückzuziehen. Unrentable Beteiligungen, die sich nicht kurzfristig in die Gewinnzone führen ließen, wollte er abstoßen. »Kranke Glieder« nannte er diese Unternehmen und machte zwei mittelamerikanische Buchclubs dicht, verkaufte die Musiktochter in Brasilien sowie skandinavische Musikclubs und leitete die Trennung von Arista Records in den USA ein. Die Herausforderung bestand für ihn nicht darin, der Größte sein zu wollen, sondern der wirtschaftlich Gesündeste. Die Gründerjahre seien vorbei, sagte er. Mit anderen Worten: Die Zeit von Reinhard Mohn sei vorbei. Aber war sie das wirklich? Schon den mit großem Aplomb vollzogenen Amtswechsel hatten Beobachter skeptisch verfolgt: »Rückzug an die Spitze«, titelte die Zeit und schrieb: »Reinhard Mohn will auch als Aufsichtsratschef seinen Medienkonzern weiter führen … Der Rückzug des Seniors vom Vorstandsvorsitz sieht spektakulärer aus, als er ist, und seinen Mitarbeitern hat Mohn schon versichert, dass sie äußerlich ohnehin nichts merken würden … So können denn Mohn und Bertelsmann noch auf Jahr226
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zehnte ein und dasselbe sein.« Die Süddeutsche Zeitung charakterisierte seine widersprüchliche Haltung mit den treffenden Worten: »Mohn geht und bleibt.« Schon im November 1982 war es dann so weit: Die massiven Meinungsverschiedenheiten zwischen Manfred Fischer und Reinhard Mohn über die Art und Weise, wie der Konzern zu lenken sei, hatten zum Bruch geführt, Fischer sollte gehen. In den Wochen vor der Trennung hatten Mohn und Fischer sich gegenseitig mit Hausmitteilungen bombardiert. Der Ton war deutlich rauer geworden. Fischer, seit 24 Jahren im Unternehmen, wollte sich von Mohn nicht mehr alles sagen lassen. Als die Verlage, die zehn Jahre zuvor nach München umgezogen waren, dieses Jubiläum feierten, wirkte Fischer beinahe gelöst. Am nächsten Tag sollte in Bonn die Verleihung des Partnerschaftspreises der Stiftung »Sozialer Wandel in der unternehmerischen Wirtschaft« stattfinden. Bei diesem Anlass demonstrierten Mohn und Fischer Einigkeit. In Gütersloh liefen derweil bereits die Vorbereitungen für Fischers Abgang. Am nächsten Morgen sollte der Abschied per Pressemitteilung bekannt gemacht werden. Dazu verschickte die Presseabteilung ein aktuelles Foto von Fischer mit dem lapidaren Hinweis: »Vielleicht wollen Sie das Foto in Ihren Bildarchiven hinterlegen und gegen die Ihnen vorliegenden alten Bestände austauschen.« Auch kursierte eine Liste von Journalisten, die man – vertraulich – vorab informieren wollte. Trotz aller Verschwiegenheit sickerte die Nachricht von Fischers Ablösung durch zu seiner alten Wirkungsstätte Gruner + Jahr. Stunden später wussten alle davon. Fischers Entlassung war ein deutliches Signal dafür, dass Reinhard Mohn allen gegenteiligen Erklärungen zum Trotz sein Unternehmen noch immer fest im Griff hatte und keine abweichenden Strategien duldete. Fischer war eigentlich ein Manager gewesen, wie Mohn ihn heute als Idealbild propagiert: jemand, der bescheiden auftrat und sich nur an seiner Arbeit messen ließ. Doch Mohn ließ ihm – entgegen seiner eigenen Führungsphilosophie – keine Gestaltungsspielräume. Fischers Amtszeit als Vorstandsvorsitzender war kurz und ist heute 227
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beinahe vergessen. Dennoch war sie bedeutsam, denn sie lieferte das Muster, an das künftige Vorstandsvorsitzende sich halten mussten, wollten sie nicht mit Reinhard Mohn in Konflikt kommen. Ob sie es selbst erlebt haben, wie Wössner, oder aus zweiter Hand erfuhren, wie Middelhoff – Fischers Rauswurf vermittelte ihnen die Botschaft: Mohn verlangt volles Risiko und behält auch als Aufsichtsratsvorsitzender die Zügel in der Hand.
Elisabeth Scholz heiratet einen Konzern und wird Liz Mohn Glanzvoll war die Zeremonie nicht, aber die Heimlichtuerei der Hauptakteure verlieh ihr einen Hauch von schlichter Exklusivität und Wichtigkeit. Das Brautpaar schlich sich gemeinsam mit seinen Trauzeugen nach Büroschluss durch den Hintereingang ins Rathaus. Für gewöhnlich schließt das Amt in Gütersloh freitags um 16.30 Uhr. Aber an diesem Freitag, dem 22. November 1982, machte Stadtdirektor Gerd Wixforth eine Ausnahme. Er hatte sich zuvor persönlich um den Schmuck im Trauzimmer gekümmert, was bei seinen Mitarbeitern für einige Verwunderung sorgte. Nie zuvor war der Junggeselle in diesem Zimmer gesehen worden. »Ich heirate heute nicht«, trat er Gerüchten entgegen, er selbst sei der Bräutigam. Vielmehr erwarte er noch einen »guten Bekannten«. Bekannt war der Mann, der dann seine Lebensgefährtin durch den Hintereingang zum Standesamt führte, in Gütersloh durchaus. Vor einem Jahr hatten ihn die Stadtoberen sogar zum Ehrenbürger ernannt. Lokalzeitungen bezeichneten die Trauung, als sie davon erfuhren, als »Prominentenhochzeit«. In der Tat: Es war die Prominentenhochzeit in der Stadt schlechthin, immerhin war Reinhard Mohn der bekannteste Bürger der Stadt. Längst hatte sich die Öffentlichkeit auch von seiner Braut ein Bild machen können – hatte sie in den vergangenen Monaten doch mehr und mehr bei öffentlichen Anlässen neben ihrem Lebensgefährten gesessen und war auf Fotos in Zeitungen zu 228
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sehen. Als Reinhard Mohn beispielsweise am 30. Juni 1981 den Ehrenbürgerbrief in einer Sondersitzung des Stadtrates erhielt, stand Elisabeth Scholz an seiner Seite. Spätnachmittags um 17.30 Uhr begann die Trauung im kleinen Kreis. Die Geheimhaltung funktionierte, obwohl doch der Bräutigam einer der bekanntesten Unternehmer Deutschlands war und obwohl er einen Medienkonzern mit vielen Journalisten leitete, die gern über jedes Geheimnis mit Kollegen plaudern, auch dann, wenn sie selbst nicht darüber schreiben dürfen. Doch diesmal fanden sich in den Zeitungen keine Fotos vom Brautpaar. Nach der Trauung gab es eine Feier im engsten Familienkreis in der neuen Villa an der Dahlke am Stadtrand von Gütersloh. Später hieß es, Mohn habe am Tag seiner Hochzeit ganz normal gearbeitet und die Aufgaben eines Aufsichtsratsvorsitzenden wahrgenommen. Als bekannt wurde, dass er noch eine halbe Stunde vor dem Hochzeitsempfang seine Vorstände über Fischers Entlassung informiert hatte, erhielt diese Formulierung einen etwas anderen Klang. Auch Flitterwochen waren nicht geplant. Am Montag nach der Heirat erledigte der disziplinierte Aufsichtsratsvorsitzende »auswärtige Termine«. Wie alles im Leben von Reinhard Mohn, so war auch seine Heirat mit der ehemaligen Bertelsmann-Angestellten Elisabeth Scholz, geborene Beckmann, eine Angelegenheit, die den Konzern mit einschloss. Als Trauzeugin fungierte neben einer ihrer Schwestern aus Bielefeld auch Lilo Wössner, die Frau des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden Mark Wössner. Ihre Anwesenheit war sichtbares Zeichen dafür, dass Liz Mohn nicht nur Reinhard, sondern auch seinen Konzern geheiratet hatte. Aber Stimmen aus dem Geschwisterkreis von Reinhard Mohn vertraten schon damals die Ansicht, dass die Aussicht auf eine enge Verbindung mit dem Konzern ohnehin ein wichtiger Bestandteil von Elisabeth Scholz’ Ehewünschen gewesen sei. Elisabeth, die einst als Lehrmädchen in das Unternehmen eingetreten war, hatte schon seit Jahren das so genannte Familienprogramm des Unternehmens gestaltet. In diesem Rahmen hatte sie den jährli229
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chen Adventsbasar, die Feste der Mitarbeiterkinder, die Pensionärstreffen und den Kreis der Ehefrauen der Führungskräfte betreut. Nun gehörte sie selbst zu diesem Kreis. Die Lokaljournalisten hatten stets Schwierigkeiten gehabt, den Status der Frau neben Mohn korrekt und diskret zu beschreiben. Nach der Heirat atmeten sie erleichtert auf, nun gab es keine »protokollarischen Probleme« mehr. Elisabeth Scholz muss nach langen Jahren des Doppellebens und der Verstellung die Hochzeit herbeigesehnt haben. Endlich würde sie, geborene Beckmann aus dem Nachbarort Wiedenbrück, den Namen ihres Lebensgefährten tragen dürfen. Endlich würde sie Frau Mohn sein. Bald würden auch ihre drei Kinder den Namen ihres Vaters tragen. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft hatte Johannes Mohn neben ihr gestanden, Reinhards Sohn aus erster Ehe; die Presse hat an seine Anwesenheit wieder einmal die Spekulation geknüpft, dass er möglicherweise einmal in den Vorstand des Konzerns aufsteigen werde. Mit der Heirat von Liz und Reinhard Mohn und der Adoption der Kinder waren seine Aussichten auf diese Position mit einem Mal sehr viel schlechter geworden.
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14. »Die Tatsache, dass er mein Sohn ist, reicht nicht aus« Reinhard Mohn und seine Manager
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um ersten Mal richtig Gedanken über seine Nachfolge machte sich Reinhard Mohn offenbar, nachdem er seinen 50. Geburtstag gefeiert hatte. Sein Abschied als Vorstand war erst der erste Schritt. Wer würde sein Unternehmen nach seinem Tod weiterführen? Sein Sohn und damit die Familie? Oder ein Manager? Auf seinen Spaziergängen dachte Reinhard Mohn stundenlang über Lösungen nach. Die enttäuschende Erfahrung mit seinem Stellvertreter Köhnlechner dürfte ihm gezeigt haben, dass er einem Manager nicht völlig vertrauen konnte. Aber auch mit einem Nachfolger aus dem Familienkreis wäre die Situation nicht viel einfacher: Dann musste er Angst haben, sein Unternehmen könnte in einem Familienzwist aufgerieben werden. Mit seinen komplizierten Familienverhältnissen hatte er selbst ja die besten Voraussetzungen dafür geschaffen, dass seine Erben nicht an einem Strang ziehen würden. Wenn er aber weder Managern noch der Familie vertrauen konnte, wem dann? Reinhard ersann eine Konstruktion, die weder der Familie noch den Managern die alleinige Macht überließ – eine Stiftung. Diese Stiftung sollte das Kapitalvermögen der Familie Mohn übernehmen und die Familie auf diesem Wege von der Erbschaftssteuer befreien. Diesen Punkt erledigte er später, 1993, als er der Stiftung insgesamt 68,8 Prozent seiner Kapitalanteile übertrug. Die zweite wichtige Aufgabe der Stiftung bestand in der Fortführung des gesellschaftlichen Engagements von Bertelsmann. Das war wichtig auch für die – heute würde man sagen – »Corporate Identity« als soziales Unternehmen und würde nebenbei zahlreiche Kontakte zu Politikern ermöglichen. 231
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Bei der Ausarbeitung der Details half ihm Siegfried Luther aus der Steuerabteilung des Unternehmens. Wie konnte man dem Unternehmen eine optimale Zukunft sichern? Reinhard Mohn entschied sich, Kapital und Stimmrechte zu trennen. Das lag deshalb nahe, weil Stiftung und Unternehmen mitunter verschiedene Aufgaben und Ziele verfolgen würden. Deshalb gründete Mohn eine Verwaltungsgesellschaft, die eines Tages die Stimmrechte ausüben sollte. Das heißt, eigentlich gründete er zwei Gesellschaften. Die eine benannte er nach sich – die andere nach seinem Sohn Johannes. Damit hatte die Bertelsmann AG jetzt drei Aktionäre: Die Reinhard Mohn Verwaltungs-GmbH hielt 42,65 Prozent der Anteile. Der Johannes Mohn GmbH gehörten 46,61 Prozent. Gerd Bucerius kontrollierte 10,74 Prozent. In der Reinhard Mohn VerwaltungsGmbH lag die Mehrheit des Kapitals, während die Mehrheit der Stimmen bei der Johannes Mohn GmbH lag. Auf den ersten Blick erschien es, als habe er Johannes Mohn damit zum Eigentümer von Bertelsmann gemacht. Bei genauerem Hinsehen jedoch erkannte man ein kompliziertes Geflecht, denn in der zweiten, nach seinem Sohn benannten Gesellschaft, hielt sein Sohn zwar die Mehrheit des Kapitals. Die Stimmrechte aber, und die waren entscheidend, vereinte Reinhard Mohn auf einen winzigen Anteil von 500 Mark, über den er selbst die Kontrolle behielt. Damit war jedoch nicht ausgeschlossen, dass Johannes eines Tages vielleicht doch die Funktion des Vorstandsvorsitzenden übernehmen würde. 1978 sagte Reinhard Mohn: »Ich habe einen Sohn, der 28 Jahre alt ist und in diesen Tagen sein Studium als Wirtschaftsingenieur beendet. Ihm ist freigestellt, in die Leitung dieser Firma einzutreten und sie später zu übernehmen, denn er ist ohnehin Mehrheitseigentümer. Allerdings muss er sich für eine solche Position qualifizieren: Die Tatsache, dass er mein Sohn ist, reicht nicht aus.« Es sei nämlich keine rosige Perspektive, die Leitung eines Großunternehmens zu übernehmen. »Wer sich Derartiges zumutet, sollte wissen, was er tut. Das wird in Zukunft nicht leichter, sondern eher noch schwieriger. Kurz gesagt: Ich lasse meinem Sohn die Zeit, sich zu überlegen, ob er seine berufli232
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che Zukunft hier in diesem Unternehmen finden will.« Keinen Zweifel ließ Mohn daran, worauf es ihm vor allem ankam: »Der Gesichtspunkt der Familientradition ist deutlich untergeordnet unter die Notwendigkeit der Kontinuität der Führung.« Er halte nichts davon, krampfhaft die Familie in die Unternehmensführung einzubinden. »Obwohl solche Traditionen gerade in dieser Gegend besonders ausgeprägt sind. Hier sitzen mitunter dieselben Familien seit 500 oder 700 Jahren auf denselben Höfen; aber die haben auch immer nur Kartoffeln gepflanzt.« Nicht weniger komplex als das Stiftungswerk selbst waren die Regelungen, die Reinhard Mohn für die Abläufe nach seinem Tod getroffen hatte. Starb er, musste Johannes den größten Teil seines Vermögens sowie das ihm als Erbe zufallende Stimmrecht der Stiftung schenken. Diese Regel sollte jedoch nicht sofort wirksam werden. Ein Testamentsvollstrecker sollte vielmehr innerhalb von 30 Jahren nach dem Tod von Reinhard Mohn bestimmen, ob und wann und in welcher Form sie Geltung erlangen sollte. Ein fünfköpfiges Gremium, eine so genannte Testaments-Vollstreckungsgesellschaft, sollte nach fünfjähriger Vorstandstätigkeit von Johannes darüber befinden, ob er für den Vorsitz des Vorstandes geeignet sei. Neben Mitgliedern des Aufsichtsrates sollte auch Johannes selbst dem Gremium angehören. Würde ihm die Fähigkeit zum Vorstand zugesprochen, sollte er auch die Stimmenmehrheit erhalten. Falls nicht, fiel diese an die Stiftung. Für diesen Fall hatte Johannes bereits vorab seiner Enterbung zustimmen müssen. Alles war geregelt. »Die Hürden sind hoch, die der Vater im Interesse des Unternehmens dem Sohn aufgebaut hat«, betonte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Noch aber lebte Reinhard Mohn, und er setzte auf andere Manager.
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Vater und Ziehsohn Reinhard Mohn hatte zwei Familien und sechs Kinder. Damit aber noch nicht genug: Bertelsmann war seine dritte Familie. Mit seinen Managern verbrachte er mehr Zeit als mit seinen Kindern. Zwischen ihm und seiner wichtigsten Nachwuchskraft, Mark Wössner, entwickelte sich sogar so etwas wie ein Vater-Sohn-Verhältnis. In Gütersloh nahm erstmals 1979 eine breitere Öffentlichkeit Notiz von Wössner. Mitten in der Hektik des Weihnachtsgeschäftes wurden Mark Wössner, der Geschäftsführer von Mohndruck, und Reinhard Mohn am 25. November 1979, einem Sonntag, aus den Betten geholt: Großbrand auf Ebene sechs bei Mohndruck an der Carl-BertelsmannStraße! Das Papierlager brannte auf einer Fläche von 3 000 Quadratmetern. Um drei Uhr morgens hatte der Feuermelder Alarm geschlagen; keine halbe Stunde später war Wössner am Brandort. Aus den schmalen Fenstern der Fabrik quollen Rauch und Ruß. Neben Papier lagerten dort auch Lacke, Kunststoffe und andere leicht brennbare Materialien. Es war der größte Brand in Gütersloh seit dem Krieg. Nicht nur Papier und Kunststoff wurden ein Raub der Flammen. Auch die unter dem Lager gelegene zentrale Datenverarbeitung erlitt Schäden durch Feuer und Wasser. Zum Glück hatte Wössner die Datenbänder so rasch wie möglich in feuersichere Kellerräume und andere Gebäude schaffen lassen. Die angrenzenden Hallen ließ er räumen. Später half er, Löcher in das Betondach der Halle zu schlagen, damit die Besatzungen der acht Löschfahrzeuge besseren Zugang zu dem Feuer in der sechsten Etage hatten. Erst dadurch, mehr als 16 Stunden nach dem ersten Alarm, erreichten die Feuerwehren den eigentlichen Brandherd. Die ganze Nacht hindurch und noch den folgenden Tag kämpften sie mit dem Feuer. Wössner hielt durch bis Montagabend. Erst nach einer Besprechung ging er um etwa 21 Uhr nach Hause. Die Schäden des Großbrands beliefen sich auf rund 20 Millionen Mark. Sie waren bald behoben, das Weihnachtsgeschäft lief ungebremst weiter. Die 280 Club-Center hatten ihre Ware ohnehin längst erhalten. Was blieb, waren Fotos, die das Bild von Wössner prägten: 234
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Eines zeigt ihn im Parka, neben ihm Mohn mit Pudelmütze. Während Hobbyfotograf Mohn knipst, gibt Wössner Anweisungen in ein Funkgerät. Selbst im Parka, mit nassen Haaren und seiner besorgten Miene ist er eine fotogene Figur. »Kämpfer für Bertelsmann«, schrieb eine Zeitung unter das Bild. Die Metapher vom Feldherrn war geboren. Mark Wössner wurde in Berlin geboren, aufgewachsen ist er im Schwarzwald. Er war »ein echter Eroberer, charmant und dominant«, erinnert sich sein Schulkamerad Uli Ziegler. An Selbstbewusstsein hat es Mark Wössner nie gefehlt. Als Zieglers Vater ihn fragte, was er einmal werden wolle, sagte er: »Topmanager«. Da war er 17. Mark Wössner habe damals kompetitive Fähigkeiten trainiert und sich getrimmt fürs Gewinnen, wie Ziegler beobachtete. »Ich dachte, er steigt mal bei einer der großen Uhrenfirmen in Schwenningen ein. Dass er stattdessen zu einem Medienkonzern ging, hat mich überrascht, das war nicht sein Metier.« Sein Vater betrieb in Schwenningen einen kleinen Zulieferbetrieb für die Uhrenindustrie. Mark musste ihm nachmittags helfen. Nach dem Maschinenbaustudium schrieb er eine Dissertation über die »dynamische Beanspruchung stoßgesicherter Kleinuhren mit zapfengelagerter Unruhwelle«. Zu Bertelsmann kam er durch Zufall. Reinhard Mohn stand 1967 vor einem Problem. Der Verlag wuchs so schnell, dass er nicht genug Führungskräfte fand, die die Expansion hätten steuern können. Bertelsmann brauchte eine Führungsmannschaft mit ganz anderen Qualifikationen als die handwerklich ausgebildete Riege bisher. Doch die Bemühungen um solche Führungskräfte waren nicht einfach. Aufstrebende Manager wollten ins Ausland – oder wenigstens nach Hamburg, München oder Frankfurt. Aber in die westfälische Provinz nach Gütersloh? Mohn versuchte es mit einem Trick. Er schaltete Anzeigen in großen deutschen Tageszeitungen und versprach »unternehmerische Arbeitsbedingungen, Freiraum und die Chance zur Bewährung«. Diese »Definition der Führungsaufgabe« erwies sich als erfolgreich. Es meldeten sich mehr junge Leute, als Mohn erhofft hatte. Denn eine Angabe hatte die Anzeige ihnen vorenthalten: dass das Unternehmen, bei dem 235
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sie sich bewerben sollten, Bertelsmann war. Er suchte Leute, die noch ganz am Anfang ihrer Karriere standen. Die frisch von der Hochschule kamen. Der Vorteil: Diese Leute waren formbar. Mohn machte sie zu Assistenten der Geschäftsführung und versprach ihnen raschen Aufstieg und viel Geld. Auf diesem Weg besetzte er fortan alle wichtigen Positionen. Einer der Ersten, der sich auf die Anzeigen hin meldete, war Mark Wössner. Als er sich mit Reinhard Mohn zum Einstellungsgespräch traf, bekannte er freimütig, dass er sich nicht beworben hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, wer hinter der Anzeige steckt. Mohn erinnert sich: »Ein solcher Gesprächsbeginn war sicherlich keine besonders erfolgversprechende Ausgangsbasis für eine Kooperation.« Doch dann ließ Wössner sich doch von Mohn überzeugen: Mit seinen Thesen von dezentraler Führung und Delegation von Verantwortung verkörperte er als Unternehmer das genaue Gegenteil von Wössners Vater. Der war ein hoch gebildeter, wissenschaftlich arbeitender Ingenieur, der aber alles selber regeln wollte und deshalb als Unternehmer nicht sehr erfolgreich war. Wössner wusste deshalb schon als 16-Jähriger, dass er nie ins elterliche Uhrmacherunternehmen eintreten würde. »Man lernt bei dir, wie es nicht geht«, sagte er dem Vater ins Gesicht. Ihm schwebte ein großes Unternehmen wie Bosch oder Siemens vor. Und nun saß plötzlich einer vor ihm, der all das verkörperte, was er an seinem Vater vermisste. Einer, der frei und flexibel zu denken schien. Mohn rannte bei Wössner offene Türen ein. Mit seinem Versprechen, dass auch die jungen Mitarbeiter wie Unternehmer arbeiten dürften, überzeugte er Wössner. Denn genau das wollte Wössner damals: Unternehmer sein. Wössner ahnte womöglich auch, dass er in der Großindustrie keine vergleichbaren Freiräume erhalten würde, denn damals waren Mohns Führungsthesen und Delegationsprinzipien einmalig. Jedenfalls wurde Wössner 1968 Assistent des Geschäftsführers bei Mohndruck. Der Wechsel von Stuttgart nach Gütersloh kam ihm vor, als habe man ihn in ein Dorf in der Lüneburger Heide gesteckt. In Gütersloh gebe es nichts, was von der Arbeit ablenke, sagte er später einmal. Die 236
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Atmosphäre im Unternehmen war familiär. So lud Mohn ihn zu einer Grillparty in seine Villa ein, wo die Kinder des Chefs halfen, die Gäste zu bewirten. Für Wössner war Mohn Mentor, Lehrmeister und Vaterfigur in einer Person. Wössner bemühte sich immer um Mohns Zustimmung. Während Köhnlechner und Fischer Mohn selbstbewusst gegenübertraten, vergaß Wössner nie, wer der Chef war. Den Satz Mohns, seine Führungsriege müsste eigene Wege gehen, hat er nie als Aufforderung verstanden, die neuen Wege alleine zu gehen. Er besprach alles mit Mohn und teilte auch dessen Auffassung, Bertelsmann müsse neue Märkte erobern. Statt wie sein Vorgänger Fischer Überlegungen anzustellen, sich aus den USA zurückzuziehen, ersann Wössner Strategien, zu expandieren. Wössner war ehrgeizig. Er wollte nach oben, und dafür suchte er Mitstreiter. Wie Wössner, so las im Sommer 1969 auch Gerd SchulteHillen eine Stellenanzeige aus Gütersloh. Schulte-Hillen war Diplomingenieur der Verfahrenstechnik und hatte noch ein wirtschaftswissenschaftliches Aufbaustudium absolviert. Eigentlich hatte er gerade eine Zusage von BASF erhalten. Aber die Anzeige in der Frankfurter Allgemeinen klang verlockend. »Hoher Leistungswille« wurde verlangt, dafür wurden »Eigenständigkeit« und »Aufstiegschancen, wie sie sich jungen Ingenieuren nur selten bieten«, versprochen. Schulte-Hillen schickte seine Bewerbungsunterlagen. In Gütersloh lud man ihn ein. Er sprach mit Herbert Multhaupt, dem Leiter der Technik, und mit Heinz Kühnberger, dem technischen Leiter von Mohndruck. Dann traf er Mark Wössner, den jungen Assistenten der Geschäftsleitung. Multhaupt bat Wössner, den Bewerber durch den Betrieb zu führen. »Im Sturmschritt wurden die einzelnen Abteilungen genommen«, erinnert sich Schulte-Hillen. Im Schnelldurchlauf führte Wössner ihn durch Vorstufe, Setzerei, Reproabteilung und Montage. Hinterher fragte er den Bewerber in seinem Büro, was er denn glaube, worauf er sich eigentlich beworben habe. Verblüfft antwortete Schulte-Hillen, wohl um die Stelle eines Assistenten, so stünde es zumindest in der Anzeige. Wössner klärte ihn auf, dass die beiden Herren, mit denen er gesprochen habe, bald in den Ruhestand gehen würden. Im Unterneh237
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men stünde ein Generationenwechsel an. Im Grunde gehe es deshalb um Geschäftsführer- oder sogar Vorstandspositionen. Eine dieser Positionen sei selbstverständlich für ihn reserviert, aber für die andere könne bei entsprechender Leistung durchaus Schulte-Hillen in Frage kommen. »Ich war sprachlos«, sagt Schulte-Hillen. Dass der Assistent des Geschäftsführers mit ihm über eine Vorstandsposition sprechen würde, hatte er nicht erwartet. Aber Wössner wendete jetzt nur das gleiche Rezept an, das schon bei ihm verfangen hatte. Schulte-Hillen fing zum 1. Oktober 1969 bei Mohndruck an. Bald kam noch ein dritter junger Mann hinzu: Dieter Vogel. Vogel wurde später ThyssenChef und noch später Aufsichtsrat von Bertelsmann. Gemeinsam bildeten die drei Jungspunde fortan das so genannte Triumvirat. Wenn sie abends ein Bier trinken gingen, dann ließen sie in ihren Büros das Licht brennen. So erweckten sie den Anschein, als würden sie noch arbeiten. 1981 ernannte Mohn Wössner zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden, am 1. April 1983 übernahm Wössner den Vorstandsvorsitz. De facto hat Wössner schon Monate vor Fischers offiziellem Abgang, ab November 1982, die Geschäfte geführt. Monate später wusste Wössner bereits Erfreuliches zu berichten. Die Lage bei Bertelsmann sei »um Klassen besser als die Stimmung«, wobei die Stimmung von außen herangetragen werde. Bertelsmann sei eigentlich gesund: »Die Krisen sind alle gemanagt, die Problemfälle bereinigt, die Tendenzwende ist eingeleitet.« Als Wössner den Vorstandsvorsitz übernahm, überredete ihn Mohn, in Bon Aire auf Mallorca ein Haus zu kaufen – in unmittelbarer Nachbarschaft seiner eigenen Villa. Das war praktisch für Mohn. So konnte er auch im Urlaub seine Mitarbeiter einfliegen lassen, um Geschäftliches zu besprechen. Oder um zu wandern und mit dem Motorboot auf dem Meer zu fahren. Mitunter begleitete seine Sekretärin ihn und der Inselsitz wurde zur Konzernzentrale. »Seine berufliche Leistung, vor allem aber auch die seinen Mitarbeitern zugewandte Haltung schufen zwischen mir und Mark Wössner bald eine freundschaftliche Bindung«, sagte Mohn. »Unsere Familien wurden in diesen 238
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Kontakt mit einbezogen. – Manche Ferien haben wir zusammen verbracht. In herausfordernden Gebirgstouren ebenso wie in fröhlicher Runde wuchsen wir zusammen und wussten, dass wir uns aufeinander verlassen konnten!« Zumindest zeitweilig war das so, denn dass nichts für die Ewigkeit ist, daran erinnerte Mark Wössner allein schon der Umstand, dass auch sein Vorgänger Manfred Fischer nebenan ein Ferienhaus bewohnte. »Costa Bertelsmann« nannte man in Gütersloh den Nordosten von Mallorca. Ab 1985 konnte Wössner wieder richtig Geld investieren: Fast parallel verhandelte Wössner den Kauf des zweitgrößten amerikanischen Buchverlags Doubleday und des amerikanischen Musikverlags RCA. Eines der zwei Geschäfte würde sicher zum Abschluss kommen. Wössner war dann selbst erstaunt, als 1986 plötzlich beide Unternehmen übernahmebereit waren. Während eines Fluges sprach er mit Reinhard Mohn darüber. »Mensch, Reinhard, wenn mir die Firma gehören würde, ich nähme beides«, sagte Wössner. »Und warum machst du es nicht?«, fragte Mohn. Damit hatte Wössner nicht gerechnet: »Hm, ist gut, dann machen wir das eben.« Der Doppelschlag kostete 1,7 Milliarden Mark und führte Bertelsmann an die Weltspitze. Plötzlich war Bertelsmann weltweit die Nummer eins! Man mag es Glück nennen oder für eine besondere Gabe Wössners halten: Jedenfalls traf er immer auf die richtigen Leute. Einer von ihnen war Dr. Helmut Thoma, ein Schulabbrecher, der sich über das Abendgymnasium den Zugang zum Jurastudium erarbeitet und in Kirchenrecht promoviert hatte. Der ehrgeizige Anwalt begann seine Karriere 1962 bei Wiener Kanzleien; 1966 wechselte er zum Österreichischen Rundfunk (ORF). Als zwei Jahre später der Leiter der Rechtsabteilung tödlich verunglückte, trat Thoma mit 28 Jahren seine Nachfolge an. Er konzentrierte sich insbesondere auf Medienrecht und besuchte viele internationale Konferenzen. Dort war er überall der Jüngste. Das gab ihm zu denken und er fragte sich, ob das schon alles war. Er spürte, dass er nicht mehr aufsteigen konnte in Österreich, aber er war nicht willens, sich aus Karrieregründen einer Partei anzuschließen. 239
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Thoma war fasziniert von der Gründerzeit nach dem Weltkrieg. So etwas wollte er auch einmal erleben und etwas Neues schaffen. Privater Rundfunk schien ihm das Naheliegende. Deshalb wechselte Thoma 1973 nach Frankfurt und wurde Prokurist der RTL-Vertretung für Deutschland sowie 1982 Direktor des deutschen Radioprogramms von RTL. Von Luxemburg aus wollte er Fernsehen für RTL machen: »Entweder fangen wir mit dem Fernsehen an und nehmen die Chance wahr, eine europäische CBS zu werden, oder wir werden zusammen mit ›Radio Beromünster‹ zu einer medienhistorischen Fußnote auf der Rundfunkskala.« Wichtig schien ihm, bei der Einführung des Privatfernsehens in Deutschland gleich am Start zu sein. Eine von Thomas Stärken bestand darin, dass er in der Lage war, ein Programm kostengünstig zu produzieren. Dazu trug auch der Umstand bei, dass RTL plus in Luxemburg saß und Luxemburg Mitglied der Eurovision war. Dadurch hatte der Sender Zugang zu den Fernsehbildern aller europäischen Rundfunkanstalten und verfügte praktisch über das gleiche Angebot an Bildern wie die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland. Das war ein großer Vorteil gegenüber konkurrierenden Privatsendern. Bertelsmann war zunächst zusammen mit deutschen Zeitungsverlegern und dem Münchner Filmhändler Leo Kirch an einem anderen Privatfernsehprojekt beteiligt, aus dem später Sat.1 werden sollte. Bertelsmann war mit dieser Konstruktion nicht zufrieden und suchte nach Alternativen. Die Fernsehpläne von RTL schienen eine Möglichkeit zu bieten, ohne Kirch und die Zeitungsverleger ins Fernsehgeschäft einzusteigen. Tatsächlich suchte Thoma noch einen deutschen Partner, schließlich würde Deutschland der Hauptmarkt für das Programm sein. Auf der Funkausstellung in Berlin 1983 traf Thoma den Pressesprecher von Bertelsmann, Manfred Harnischfeger. Thoma und Harnischfeger beschlossen, ihre Chefs zusammenzubringen. Mark Wössner besuchte Gust Graas. Graas legte die Pläne von RTL für die ersten fünf Jahre vor, Wössner fragte nach der Rentabilität. Am Ende des Nachmittags unterzeichneten beide eine Absichtserklärung; nach zwei Gesprächsrunden war Wössner sich mit den Gesellschaftern der 240
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Luxemburgischen CLT (der Muttergesellschaft von RTL) einig, 40 Prozent der neuen RTL-Gesellschaft zu übernehmen. Am 8. Dezember 1983 bestätigte Wössner in einem Interview die Beteiligung. Deutsche Medienpolitiker sowie die deutschen Zeitungsverleger, die weiter an Sat.1 planten, waren überrascht. Um sich vom Radioprogramm zu unterscheiden, erhielt der Fernsehsender ein »plus«. Am 2. Januar 1984 ging RTL plus auf Sendung. Die 25 Mitarbeiter kamen fast ausschließlich vom Radio, im Grunde sendete RTL mit einer Gruppe von Amateuren. Das Studio hatte den »Charme einer umgebauten Garage«, wie die Mitarbeiter selbst fanden. Diese Bescheidenheit hatte auch ihre guten Seiten. Während Sat.1 im ersten Jahr angeblich 100 Millionen Mark kostete, kam RTL plus mit einem Fünftel der Summe aus. Thoma hatte wenig Geld zur Verfügung, wollte aber dennoch dafür sorgen, dass sein Sender in aller Munde war. Also brachte er eine Sorte von Programm, die einfach Aufsehen erregen musste. In Italien hatte er eine Sendung namens »Colpo Grosso« gesehen. Es war ein Spiel mit zwei Kandidaten, einem Moderator und einer Riege junger, knapp bekleideter Mädchen, die im Laufe der Sendung ihre Oberteile abnahmen und ihre Brüste zeigten. Die spärlichen Kostüme der Mädchen wiesen diese als Früchtchen aus: Erdbeere, Ananas und so weiter. Thoma verstand die Spiel- und Entblätterungsregeln nicht wirklich. Aber er führte die Sendung unter dem Namen »Tutti Frutti« bei RTL plus ein. Konservative Verbände taten ihm prompt den Gefallen und protestierten heftig gegen dieses »Schundfernsehen«, was Thoma als kostenlose Werbung für den Sender verbuchen konnte. 33 Prozent der Zuschauer gaben an, das Niveau von »Tutti Frutti« sei ihnen zu niedrig – und schalteten in der folgenden Woche wieder ein. Das überzeugende Motto von Thoma lautete: »Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.« Und er wusste: »Wenn man populär sein will, muss man einfach sein.« Auf der Funkausstellung 1984 warb der Sender selbstbewusst mit dem Slogan: »Die Profis kommen!« In der Branche hingegen kursierte jahrelang der Spruch, RTL stehe für Rammeln, Titten und Lallen. Die 241
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Konkurrenz musste jedoch bald lernen, dass RTL plus ein durchaus ernst zu nehmender Konkurrent war. Als RTL plus seinen ärgsten Konkurrenten mit dem Frühstücksfernsehen überraschte, schrieb die Presse: »RTL plus verfrühstückt Sat.1.« Während die Buchclubs immer weniger Gewinn abwarfen, stiegen die Einnahmen aus dem Fernsehen: 1990 nahm RTL fast eine Milliarde Mark an Werbegeldern ein und machte erstmals Gewinn, immerhin 40 Millionen. Jahrelang hatte Thoma jede Veranstaltung besucht, bei der mehr als zwei Medienfachleute diskutierten, und ihnen das Segensreiche an RTL erklärt. 1993 hatte er es geschafft: RTL war Marktführer geworden. Bertelsmann beteiligte sich schließlich auch an RTL II und Super RTL, um die Filmrechte, die man für einen bestimmten Zeitraum teuer erworben hatte, mehrfach nutzen zu können. Fast zehn Jahre nach dem Start des Privatfernsehens beabsichtigte Bertelsmann, anspruchsvolles Fernsehen zu machen. Das Unternehmen VOX wurde indes zu einem dreistelligen Millionengrab.
Der Enkel Von Mohn hatte Wössner gelernt, dass Nachwuchsarbeit Chefaufgabe ist. Also widmete auch er sich diesem Thema mit Ernst und Eifer. Gelegentlich sprach er mit Studenten über seine Erfahrungen. Bei einer dieser Diskussionsrunden am Institut für Marketing der Universität Münster war ein junger Assistent anwesend: Thomas Middelhoff. Jahre später, nachdem Middelhoff bereits über die Einsatzmöglichkeiten neuer Medien promoviert hatte und einen Job suchte, erinnerte er sich an diese Begegnung und bewarb sich bei Wössner um eine Stelle. Thomas Middelhoff wurde am 11. Mai 1953 in Düsseldorf geboren. Als Junge wurde er katholisch erzogen. Schon früh zeigte sich sein Drang an die Spitze: Es reichte ihm nicht, einfacher Messdiener zu sein. Er wurde Oberministrant und durfte den Messdienerplan anfer242
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tigen. Die anderen Ministranten konnten sich bei ihm mit Schokoriegeln vom Dienst in der Sieben-Uhr-Messe freikaufen. Als Junge träumte er davon, Schriftsteller zu werden und Krimis und Spionagegeschichten zu schreiben. Amerika war auch so ein Traum. Doch statt in den USA verbrachte er seine Ferien in einer Klosterschule in Holland. Als 15-Jähriger schrieb er in der Schülerzeitung Artikel gegen den Vietnamkrieg. »Das war für mich weniger eine politische als eine ethische Frage.« Mit dem Schreiben wurde es nichts, Middelhoff studierte stattdessen Betriebswirtschaft an der Universität Münster. Nach dem Diplom kümmerte er sich im elterlichen Textilunternehmen um Marketing und Vertrieb. Sein erstes Krisenerlebnis hatte er, als sein Vater ein Werk in Deutschland schließen und Mitarbeiter entlassen musste. Middelhoff betreute in dieser Zeit Produktionsstätten in Griechenland und Fernost. Schließlich bewarb er sich bei Bertelsmann. Wössner war von dem jungen Mann beeindruckt und machte ihn zum Assistenten der Geschäftsführung bei Mohndruck, wo auch er selbst einst begonnen hatte. Von April 1987 bis Ende 1988 leitete Middelhoff dann Elsnerdruck in Berlin. Dort zeigte er, dass er nicht nur der stets freundliche und gut gelaunte Nachwuchsmanager war, den viele in ihm sahen, sondern auch eiskalt entscheiden konnte. So entließ er beispielsweise seinen Vorgänger. 1989 wurde er schließlich Geschäftsführer von Mohndruck. Allerdings agierte er dort nicht sonderlich glücklich, das Unternehmen machte 50 Millionen Mark Verlust. Dennoch wurde er 1994 von Wössner in den Vorstand geholt, wo er zuständig sein sollte für strategische Planung und Multimedia. Der junge Mann sah aus wie ein Assistent und lachte laut über seine eigenen Witze. Die anderen Vorstände nannten ihn Sunnyboy. Sie unterschätzten ihn. Kurz nach seinem Wechsel in den Gesamtvorstand passierte etwas, das sein Denken grundlegend veränderte, fortan sein Image prägte und den weiteren Weg von Middelhoff und Bertelsmann bestimmte. Middelhoff reiste in die USA, um eine Beteiligung bei Microsoft und Möglichkeiten eines gemeinsamen Online-Dienstes in Europa zu erkun243
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den. Vor dem Termin bei Microsoft machte er am 2. November 1994 im Ritz Carlton in Virginia Station, wo er zu einem Dinner eingeladen war. Dort lernte er einen jungen Mann kennen, der einst als Pizzabäcker auf Hawaii gearbeitet hatte, später dann einen Online-Dienst aufbaute, den er America Online nannte. AOL konkurrierte mit Microsoft. Dieser Steve Case steckte jedoch in finanziellen Nöten. Middelhoff und Case verstanden sich auf Anhieb. Statt mit Bill Gates vereinbarte Middelhoff mit Case eine Beteiligung. »Ich hab ihm in die Augen geschaut und ich hatte das Gefühl, dass ich ihm vertrauen kann«, sagte Middelhoff später über diese erste Begegnung. Case wiederum mochte das Charisma des Deutschen: »Ich spürte seine Energie.« Sympathisch war ihm Middelhoff natürlich vor allem deswegen, weil er für Bertelsmann 14 Prozent von AOL übernehmen wollte. Das einzige Problem, mit dem Middelhoff sich konfrontiert sah, war: In Gütersloh konnten seine Vorstandskollegen mit dem Internet wenig anfangen. Man verspürte wenig Lust, in ein Medium zu investieren, dessen Zukunft völlig ungewiss war. Gerade war Mark Wössner dabei, die Mehrheit bei RTL zu übernehmen, indem er Minderheitsteilhaber wie den Münchner Verleger Hubert Burda auszahlte. Wössner traf sich mit ihm auf einer Managertagung in Davos. Doch statt über das Fernsehen wollte Burda in den Schweizer Bergen immer nur über die Bedeutung seines Internet-Dienstes »Europe Online« reden. Da erinnerte sich Wössner an Middelhoffs Vorträge und rief ihn noch aus der Schweiz an, um mit ihm darüber zu sprechen. Als er mit dem zweiprozentigen RTL-Anteil von Burda nach Gütersloh zurückkam, sagte er Middelhoff: »Ich glaube, Sie sind auf einer richtigen Spur.« Auf Wössners Rat hin bewilligte der Vorstand den Einstieg bei AOL: Statt mit 14 wollte man sich allerdings nur mit fünf Prozent oder 50 Millionen Dollar beteiligen. Zugleich baute Bertelsmann gemeinsam mit AOL einen Dienst für Europa auf. Middelhoff wurde ins Board von AOL aufgenommen und war fortan über alle wichtigen Entscheidungen informiert. Middelhoff selbst war von Case sehr beeindruckt. Bevor er den AOL-Deal gemanagt hatte, ließ er sich stets mit dem Doktortitel anreden. Von den Amerikanern lernte er, dass der 244
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Titel unwichtig ist, Motivation dagegen alles. Middelhoff begann, Visionen zu entwickeln und dachte über die Grenzen Deutschlands hinaus. Noch waren seine Vorträge hölzern. Aber noch stand er ja auch nicht im Rampenlicht und konnte an sich arbeiten. Wössner seinerseits gab an Middelhoff weiter, was er von Mohn gelernt hatte. Die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis. Wössner soll Middelhoff bereits Ende der Achtziger als einen möglichen Vorstandsvorsitzenden gesehen haben. Schließlich setzte er den jungen Kollegen nur vier Jahre nach dessen Aufstieg in den Vorstand als seinen Nachfolger durch. Middelhoff sei der richtige Mann, über das Internet neue Märkte zu erschließen. Längst war die AOL-Beteiligung um ein Vielfaches im Wert gestiegen. Middelhoff war nun 45 Jahre alt – ungefähr in dem Alter, in dem Wössner einst den Vorstandsvorsitz übernommen hatte. Als Wössner im November 1998 mit 60 Jahren seinen Schreibtisch räumen musste, präsentierte er stolz die Unternehmensentwicklung während seiner Amtszeit als Vorstand: Er hatte aus einem deutschen Unternehmen mit einigen Auslandsbeteiligungen ein wirklich internationales Unternehmen gemacht, das seinen Umsatz zu je einem Drittel in Deutschland, in Amerika und im restlichen Ausland erwirtschaftete. Zwar hatte Bertelsmann längst die Position an der Spitze abgeben müssen. Aber als Unternehmen war es internationaler als die großen Konkurrenten in Amerika. Wössner hatte den Umsatz vervierfacht, das Betriebsergebnis verfünffacht, den Unternehmenswert versiebenfacht und das Aktionärskapital verachtfacht. In Zahlen: Der Umsatz war seit seiner Übernahme 1983 von sechs Milliarden auf 25,5 Milliarden Mark gestiegen. Das Betriebsergebnis war im gleichen Zeitraum von 380 Millionen auf 1,73 Milliarden Mark gestiegen.
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Ziehsohn und Sohn Im Auftrag von Reinhard Mohn kümmerte sich Mark Wössner auch um die Mohn-Kinder. Er sollte – so wollte es der Vater – ein Auge auf den ältesten Sohn Johannes haben und ihm regelmäßig berichten, ob dieser das Zeug zum Unternehmer habe, oder ob er nur ein leitender Mitarbeiter bleiben sollte. Nach dem Studium hatte Johannes zunächst bei einem Elektrokonzern gearbeitet und war dann zu Bertelsmann gewechselt. Wössner schätzte den Filius. Er nahm seine Aufgabe, die Kinder seines Chefs zu beraten und zu betreuen, ernst. Aber er glaubte nicht, dass Johannes genug Biss hatte, um sich im Vorstand durchzusetzen. Deshalb hatte er seine eigenen Nachwuchsmanager für solche Aufgaben herangezogen und war stolz auf sie. Ohnehin hatte er den Eindruck, dass Mohn den Fähigkeiten seines Sohnes selbst nicht ausreichend traute. Jahrelang hatte Mohn gesagt, dass seine Kinder ihm nicht nachfolgen müssten, was leicht so ausgelegt werden konnte, dass ihm seine Kinder nicht nachfolgen sollten. Wenn Johannes tatsächlich keinen Biss haben sollte, wäre das kein Wunder. Denn während Reinhard Mohn und Mark Wössner ihre Nachwuchskräfte motivierten und zum Risiko ermunterten, musste Johannes sich jahrelang anhören, dass er nicht das Zeug habe, Bertelsmann zu führen. Johannes erlebte seine glücklichste Zeit wohl weit weg von Gütersloh in den USA. Dort leitete er eine Zeit lang den CD-Hersteller Sonopress. Doch selbst in dieser Position war er noch unter den Fittichen des Vaters. Weil er aus Steuergründen auf dem Papier maßgebliche Anteile von Bertelsmann hielt, musste er alle wichtigen Papiere unterzeichnen und durfte nicht dauerhaft in den USA leben. Sonst wäre der gesamte Konzern in den USA steuerpflichtig gewesen. Um das zu vermeiden, musste Johannes immer wieder nach Kanada oder nach Südamerika fliegen – und neu einreisen. Nach seiner Rückkehr nach Gütersloh bekam Johannes bald Probleme mit einem seiner Chefs. Daraufhin bat Wössner Middelhoff, Johannes in seinen Bereich zu übernehmen. Für Middelhoff war es eine ungewöhnliche Aufgabe, Vorgesetzter von Johannes zu sein und 246
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ihn zu führen, denn dieser war älter als er und zugleich Eigentümer. Johannes Mohn indes präsentierte sich Middelhoff als guter Analytiker. Er war für die Buchproduktion sowie für den Kalenderverlag zuständig und wickelte auch einen Zukauf zufriedenstellend ab. Allerdings geriet er auch in seiner neuen Position mit seinem Chef Gunter Thielen aneinander. Deshalb versetzte Middelhoff ihn, nachdem er Wössners Nachfolger geworden war, in die Hauptverwaltung, wo er unter anderem für die Technik der Bertelsmann University zuständig war. Reinhard Mohn erkundigte sich kaum bei Middelhoff nach seinem Sohn. Er äußerte jedoch, Johannes gehöre nicht in den Aufsichtsrat, wo er als Gast saß. Johannes sei heute »klar auf dem absteigenden Ast«, sagen Insider des Unternehmens. Dafür habe Liz gesorgt, die inzwischen seine Position einnahm. Indem Mohn die Beurteilung seines Sohnes den führenden Managern überließ, musste er einkalkulieren, dass diese eigene Interessen verfolgten. Hätte Mark Wössner den Miteigentümer in den Vorstand geholt, hätte dieser langfristig seine Macht schmälern können. Es erscheint naheliegend, dass ein Manager eher einen Mann wie Middelhoff in den Vorstand holt, den er selbst aufgebaut hat und der ihm verpflichtet ist. Wössner motivierte Middelhoff, indem er ihm immer größere Verantwortung übertrug. Thomas Middelhoff erhielt das Gefühl, dass er zu Größerem berufen war. Johannes Mohn dagegen wurde das Gefühl vermittelt, dass der Vorstand für ihn eine Nummer zu groß sei. Dabei hielt Johannes Mohn auf dem Papier 75 Prozent der Anteile der Bertelsmann AG und war damit der faktische Eigentümer. Sein Vater aber dachte längst über Alternativen nach. Vor allem beschäftigte ihn die Frage, wer die Aktie erhalten sollte, auf die sämtliche Stimmrechte gebündelt waren und mit der der gesamte Konzern gesteuert wurde. In dieser Situation kam auch Andreas Mohn als möglicher Nachfolger ins Spiel, wie Mark Wössner bestätigt. Andreas Mohn erinnert sich, sein Vater habe ihm eines Abends mitgeteilt, seine Hoffnungen ruhten nun auf ihm. Andreas Mohn war mit dem Buch seines Vaters Erfolg durch Partnerschaft groß geworden. Zu Hause diskutierte man 247
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die Prinzipien der Unternehmenskultur, die Reinhard Mohn dort formulierte. Als der Vater ihn an jenem Abend im Jahre 1989 um das Gespräch bat, war er 20 Jahre alt und studierte seit zwei Jahren Jura und Wirtschaft in Münster. Nebenbei engagierte er sich im Umweltschutz, machte Praktika bei einer Lokalzeitung und in einer Pressestelle. Während sein Sohn Johannes noch offiziell als Nachfolger gehandelt wurde, sagte Reinhard Mohn seinem Sohn Andreas, er solle einmal die Tradition der Mohns fortsetzen. Das Gespräch dauerte nicht mal eine halbe Stunde. Reinhard Mohn malte dem Sohn eine Musterkarriere aus: Er solle mit 35 Jahren in den Vorstand, um mit 40, spätestens 45 Jahren den Vorsitz zu übernehmen. Mit 50 Jahren sollte er sich dann auf den Vorsitz des Aufsichtsrates und der Verwaltungsgesellschaft zurückziehen. »Wärst du damit einverstanden?« Andreas fühlte sich geschmeichelt durch das Vertrauen seines Vaters. Seine Vorstellungen konkretisierte der Vater in einem mehrseitigen Brief. Um Details zu besprechen, traf sich Andreas mit dem Anwalt Michael Hoffmann-Becking in Düsseldorf, der heute im Aufsichtsrat sitzt. Doch vieles blieb unkonkret, ohne dass Andreas die richtigen Fragen hätte stellen können. Er wusste wenig von den komplizierten Vorkehrungen für die Nachfolge, die Reinhard Mohn getroffen hatte. So wusste er beispielsweise nicht, dass Johannes Mohn einer Regelung zugestimmt hatte, die ihn teilweise enterben würde, falls er sich als nicht geeignet für die Nachfolge erweisen sollte. Er hatte auch keine Kenntnis von den Aufgaben der Bertelsmann Vermögensverwaltungsgesellschaft (BVV), der Vorläuferin der späteren Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG). Andreas ging davon aus, dass er die absolute Führung im Unternehmen übernehmen sollte. Andreas Mohn war sparsam erzogen worden. Er fuhr einen gebrauchten Wagen. In den Urlaub nach Spanien fuhr er per Anhalter. Er verfügte über kein eigenes Einkommen und arbeitete in den Ferien für ein Praktikumsgehalt. Er war mit Bertelsmann aufgewachsen. »Wir sind alle Kinder von Bertelsmann«, sagte er später über sich und seine Geschwister. Das Wissen um die Erwartungen des Vaters bedrückte 248
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ihn. Dass er einmal die Verantwortung für einen Milliardenkonzern übernehmen sollte, war eine Sache, die in den Details unkonkret blieb und ihn deshalb umso mehr belastete. Er traute sich nicht, mit anderen darüber zu sprechen. Nicht mit seiner Mutter, nicht mit seinen Geschwistern, nicht einmal mit seiner Freundin. Nur einer Mitstudentin und einem Kollegen in der Redaktion seiner Zeitung vertraute er sich an. Die Zukunft, die Reinhard Mohn für ihn entworfen hatte, wurde ihm mehr und mehr zu einer Last. Öffentlich sagte sein Vater, er wolle seinen Kindern nicht mit der Verantwortung für das Unternehmen das Leben schwer machen. Genau das war jedoch bei Andreas der Fall. Woher sollte der Sohn wissen, dass sein Vater für seine Pläne stets mehrere Alternativen entwickelte? Andreas spürte die Erwartung des Vaters und er bekam mehr und mehr Zweifel, ob er sie erfüllen konnte. Im Januar 1993 reiste Andreas nach Israel. Erst lebte und arbeitete er in einem Kibbuz, dann zog er nach Jerusalem, wo er in einfachen Unterkünften übernachtete. Im Kibbuz hatte er viele Bekannte, aber in Jerusalem kannte er niemand. Er war allein und ihn überkamen Verfolgungsängste. Seine Angstzustände wurden so stark, dass er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen wurde. Dort stellten die Mediziner fest, dass er an einer Angst-Psychose litt. Er erhielt Medikamente und verbrachte eine Woche in einem Achtbettzimmer. Außer an seinen Namen konnte er sich kaum an etwas erinnern. In Gütersloh war man schockiert, als man von der Einweisung erfuhr. Sein Ziehvater Joachim Scholz und sein Bruder Christoph reisten nach Jerusalem und besuchten ihn. Scholz wollte ihm Sicherheit und Vertrauen geben und versicherte ihm, Reinhard Mohn sei wirklich sein Vater. Allerdings erinnert sich Andreas auch, Joachim Scholz habe ihm gesagt, dass sein Bruder Christoph sein eigener Sohn sei. Andreas fragte sich, ob das der Grund war, warum Reinhard Mohn ihn und nicht seinen Bruder zu seinem Nachfolger machen wollte. Jedenfalls war die Nachricht neu für Andreas. Sie trug nicht dazu bei, seine Verwirrung zu beseitigen und sein Vertrauen zu stärken. Im Gegenteil. 249
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Nach dieser neuen Offenbarung, die dem widersprach, was seine Eltern den Kindern gesagt hatten, musste er sich fragen, was und wem er eigentlich noch glauben könne. Zurück in Deutschland, verbrachte er mehrere Monate in der Psychiatrie in Mannheim. Er erinnert sich nur an einen einzigen Besuch von Reinhard Mohn; er fühlte sich einsam. Eine Therapie und Medikamente stabilisierten ihn. Er versuchte, wieder zu studieren, aber es gelang ihm nicht. Er setzte die Medikamente ab und musste wenig später erneut in die Psychiatrie. Später lebte er in einer Wohngemeinschaft in einer »Abstellkammer«, »etwas besser als von Sozialhilfe«, wie er sich erinnert. In dieser Zeit zog sich Reinhard Mohn noch mehr von ihm zurück. Die gesundheitlichen Probleme mussten ihm spätestens 1993 klar gemacht haben, dass Andreas nicht geeignet war, die Nachfolge zu übernehmen. Im gleichen Jahr, 1993, übertrug er die Kapitalmehrheit seiner Stiftung.
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15. »Ein heikles und empfindliches Thema« Thomas Middelhoff meint es gut und zerstört einen Mythos
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ls Mark Wössner sich mit der Wahl seines Nachfolgers Middelhoff durchgesetzt hatte, fragte man sich in Gütersloh, ob dieser über genügend internationale Erfahrungen verfüge, um einen weltumspannenden Konzern zu führen. Da ein Großteil des weltweiten Entertainments von New York und Los Angeles aus gesteuert wird, lautete die Frage konkret: Ist Middelhoff amerikanisch genug? Amerika war bedeutsam für Bertelsmann. Die Konzernspitze in Gütersloh sah die USA als wichtigsten Wachstumsmarkt für internationale Geschäfte. Dort machte Bertelsmann bereits ein Drittel seines Umsatzes und hoffte, dies zu steigern. Der künftige Konzernchef musste sich auf diesem Markt auskennen, parkettsicher sein und die Sprache perfekt beherrschen. Also ging Thomas Middelhoff nach New York und machte sich mit den Stars und Unternehmergrößen der amerikanischen Medienbranche bekannt. Als künftiger Chef eines der weltgrößten Medienkonzerne war er fortan gern gesehen bei den Partys der Branche. So wurde er auch auf die Feier zum 70. Geburtstag des Verlegers Si Newhouse eingeladen. Außerhalb der amerikanischen Medienbranche war Newhouse nicht sehr bekannt. Wie die Mohns bei Bertelsmann leitet er ein Familienunternehmen, das nicht unter dem Familiennamen firmiert. Der Familie Newhouse gehörten jedoch einige der bekanntesten Verlage und Zeitschriften, etwa der Zeitschriftenverlag Conde Nast mit Vogue, Vanity Fair und GQ, die Kulturzeitschrift New Yorker und die Buchverlage von Random House. Zu Random House gehörte auch der Buchverlag Alfred Knopf, der die meisten 251
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Literaturnobelpreisträger publiziert. Si Newhouse galt als Kunstfreund und stand für anspruchsvollen Journalismus. Dass seine Neffen vom gewinnarmen Buchverlagsgeschäft wenig hielten und er deshalb empfänglich war für ein Kaufangebot, wusste zu dem Zeitpunkt noch niemand in New York. Es kam amerikanischen Verlegern gar nicht in den Sinn, ihn danach zu fragen. Nur ein naiver Neuling wie Middelhoff, der nicht viel über Newhouse wusste, konnte glauben, dass er Random House kaufen könnte. Bei der Feier zu Sis 70. Geburtstag stellte Middelhoff sich vor und sagte dem Geburtstagskind, wenn er Random House je verkaufen wolle, solle er wissen, dass Bertelsmann interessiert sei. Vermutlich war er selbst überrascht, als Newhouse sich tatsächlich interessiert zeigte. Eine Woche später trafen sich die beiden Herren erneut, um über das Geschäft zu sprechen. Vier Monate dauerten die Verhandlungen, die die beiden in aller Ruhe führten – ohne dabei wie börsennotierte Unternehmen Investmentbanken und Anwälte in Mannschaftsstärke zu beschäftigen. Sie gaben sich Decknamen: Random House war black, Bertelsmann blue. Von den Verhandlungen drang nichts nach draußen. Als sie der Presse am 23. März 1998 verkündeten, Bertelsmann werde den wichtigsten Buchverlag Amerikas übernehmen, waren viele Mitarbeiter von Random House von der Nachricht überrascht. Sie hatten gar nicht geahnt, dass der Verlag zum Verkauf stand. Die Verlagswelt stand Kopf. In amerikanischen Medienkreisen war Bertelsmann bis dato nicht sehr bekannt. Da man die Aktien des Unternehmens nicht an der Börse kaufen konnte, beschäftigten sich die Analysten und Journalisten auch nicht mit der Company aus dem fernen Germany. »Hansel & Gretel Inc.« taufte die New York Times das Unternehmen, weil es die Gebrüder Grimm verlegte. Die Öffentlichkeit kannte »Börtlsmän from Gudeslo« nicht. Bertelsmann selbst wies stolz darauf hin, dass seine amerikanischen Firmen BMG und Bantam Doubleday Dell als rein amerikanische Unternehmen auftraten. Nach der Übernahme von Random House titelte Time Magazine: »Big, Bigger, Bertelsmann«. Bertelsmann war mit einem Schlag zum größten Buchverleger Amerikas und der Welt aufgestiegen. Es gab 252
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einige kritische Stimmen, die den Ausverkauf amerikanischer Heiligtümer an ausländische Verlage beklagten. Gehörten die Verlage Henry Holt, St. Martins Press und Strauss nicht bereits Holtzbrinck aus Stuttgart? Und gehörte Bantam Doubleday Dell nicht bereits Bertelsmann? Würden die Deutschen, die in den USA in bestimmten Kreisen eher mit dem Verbrennen als mit dem Verlegen von Büchern in Verbindung gebracht wurden, nun die gesamte amerikanische Verlagswelt übernehmen? Sollte den Deutschen nun auch noch der Verlag Alfred Knopf und die anderen Imprints von Random House in die Hände fallen? Namhafte amerikanische Verlage zu besitzen sei ihre »Rache für den Zweiten Weltkrieg«, scherzte bitterböse Michael Korda, der Verleger von Simon & Schuster. Amerikanische Intellektuelle zählten den Verlag Alfred Knopf zum kulturellen Erbe ihres Landes: 1915 von Alfred A. Knopf gegründet, um Amerikanern europäische Autoren nahe zu bringen, druckte Knopf während des zweiten Weltkrieges Thomas Mann und andere Exilautoren. Knopf, so ist überliefert, betrachtete jedes Buch als ein Kunstwerk. Dass er mehr Nobelpreisträger verlegte als die Konkurrenz, gibt Zeugnis davon. »Bestseller sollten gesetzlich verboten werden«, wetterte Knopf einmal. Namhafte Autoren und Literaten wie John Updike, Toni Morrison, Jane Smiley, Robert Caro, Anthony Lukas und Richard Ford haben immerhin dafür gesorgt, dass von 67 Pulitzerpreisen, die die gesamte Verlagsgruppe Random House in dem Jahrhundert bis dato erhielt, 47 auf Knopf entfielen. Das Haus verlegt Denker wie Albert Camus, Noam Chomsky und Michael Foucault sowie den Karikaturisten Art Spiegelman. Bereits 1951 hatte Knopf seinen Verlag an Random House verkauft, ein damals noch relativ kleines Haus mit klangvollem Namen. 1980 hatte dann Si Newhouse den Verlag übernommen. Nicht allen waren deutsche Unternehmer so willkommen wie Si Newhouse. Die in New York lebende Autorin Cynthia Ozick beispielsweise erzählte dem Wall Street Journal, sie kaufe prinzipiell keine deutschen Waren. Dieser Boykott sei ihre ganz private Art, der Juden zu gedenken, die im Holocaust ums Leben kamen. Wie es der Zufall 253
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will, wurde Cynthia Ozick im Verlag Alfred Knopf verlegt, der zu Random House gehört. Würde sie nun, da Bertelsmann ihren Verlag gekauft hatte, zu einem anderen Haus wechseln? Nein, Cynthia Ozick publizierte weiter bei Knopf. Nachdem die antideutschen Stimmen verklungen waren, hatte sich in der US-Presse die Meinung durchgesetzt, Bertelsmann sei wohl »ein besserer Käufer für Random House als viele amerikanische Medienunternehmen«, wie Ben Bagdikian, ein in den USA angesehener Medienkritiker, sagte. Zwei Dinge wurden allgemein positiv hervorgehoben: Zum einen sei Bertelsmann dezentral organisiert und gewähre seinen Verlagen und Autoren Unabhängigkeit. Außerdem habe der Verlag Widerstand gegen die Nazis geleistet und sei deshalb geschlossen worden. So stand es zumindest auf der offiziellen Website. Zwei einflussreiche Autorenvertretungen erhoben bei den Regulierungsbehörden Einspruch gegen die Fusion, weil Bertelsmann nach dem Zusammenschluss 26 Prozent des Buchmarktes in den USA kontrolliere. »Es ist schlimmer, als wir dachten«, sagte Letty Cottin, der Präsident der Authors Guild. »Keine Firma sollte so viel Einfluss auf unsere Kultur haben.« Nach diesen Protesten zog Bertelsmann den Fusionsantrag zurück; man wollte erst die Bedenken ausräumen und dann einen neuen Antrag stellen. Auf subtile Art hatte zuvor selbst der angesehene New Yorker, der Si Newhouse gehört, mit einem ansonsten durchaus positiven Bericht die antideutschen Ressentiments bedient, indem er den Titel »Springtime for Bertelsmann« wählte – in Anspielung auf Mel Brooks Film »Springtime for Hitler«. So etwas konnte Bertelsmann nicht verhindern. Aber auf keinen Fall wollte man mit den bösen Deutschen der Nazi-Zeit in allzu enge Verbindung gebracht werden. Als Middelhoff sich der Aufgabe annahm, das Image von Bertelsmann zu verbessern, konnte er nicht ahnen, dass er genau damit den Grundstein für die Zerstörung der Firmenlegende legte.
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Die Ehrung Die Tische im großen Saal des vornehmen Waldorf Astoria Hotels an der Park Avenue der East Side Manhattans waren festlich gedeckt. Die Herren trugen Anzug oder Smoking, die Damen Kostüm oder Abendkleid. Die Atmosphäre war feierlich, wenn auch nicht sonderlich locker. Vor dem Dinner plauderten die Vorstände und leitenden Mitarbeiter von Bertelsmann mit ihren Frauen und den Gästen bei einem Aperitif miteinander. Ein schöner Abend für Middelhoff, der doch bald den Vorstandsvorsitz übernehmen sollte. 350 Personen – Mitarbeiter der Bertelsmann Music Group und von Random House, neue Freunde und Gäste – waren der Einladung des Armonk Institute gefolgt, die Bertelsmann sich etwas kosten ließ. Das Armonk Institute, eine Einrichtung, die sich selbst als amerikanisch-jüdische Organisation bezeichnet, ist in New York kaum bekannt. Das liegt daran, dass das Institut nicht so sehr in der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern vorwiegend in amerikanischen Schulen, vor allem aber in Deutschland Präsenz zeigt. Der inzwischen verstorbene New Yorker Anwalt Theodore Ellenoff, ein ehemaliger Präsident des American Jewish Committee, hatte das Institut 1989 gegründet und nach dem Landsitz der Familie in Armonk im Staate New York benannt. Zweck der Einrichtung sollte sein, die Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland zu verbessern, indem sie nicht die Erinnerung an den Holocaust in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt, sondern sich bemüht, Amerikanern einen objektiven Blick auf das Nachkriegsdeutschland als demokratisches Land zu vermitteln, um so »die geschichtlichen Stereotypen zu überwinden. Die deutsche Geschichte hört nicht 1945 auf.« Dazu lädt das Institut Schullehrer aus den USA zu Konferenzen und Seminaren über Deutschland ein, damit sie sich ein Bild machen können und später besser in der Lage sind, ihren Schülern etwas über Deutschland zu erzählen. Das Geld für die Arbeit des Institutes kommt unter anderem bei Benefiz-Dinners zusammen. Um so ein Dinner handelte es sich auch an diesem Abend des 10. Juli 1998. Dabei sollte der 255
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Vernon A. Walters Award vergeben werden, ein Preis, der zwar in den USA nicht sehr bekannt ist, aber allemal dazu taugt, mehrere hundert Leute dazu zu bekommen, einige hundert Dollar pro Person für den Abend zu bezahlen. Der Dreh des Armonk Institute bestand einfach darin, den Preis an Firmen zu vergeben, deren Chefs ein handfestes sprich: pekuniäres Interesse daran haben müssen, sich als gute Partner Amerikas zu zeigen. Kein Wunder also, dass die Auszeichnung des Institutes unverhofft meist Manager traf, deren Unternehmen in den USA expandiert hatten und weiter expandieren wollten: Dazu hatten in der Vergangenheit die Chefs von Daimler-Benz, der Deutschen Bank, von Hoechst, BMW und General Motors gezählt. Nun war eben auch Bertelsmann an der Reihe. Man konnte schließlich annehmen, dass es für die amerikanische Öffentlichkeit und für die Mitarbeiter der amerikanischen Tochterfirmen eine gute Nachricht sein würde, wenn der Leiter des deutschen Unternehmens von einem amerikanisch-jüdischen Institut für seine Verdienste ausgezeichnet wurde. Middelhoff erklärte Journalisten auf einem Empfang, Bertelsmann erhalte ständig Angebote für Auszeichnungen. In der Regel lehne man ab, aber diesmal hätte man gerne angenommen. Ein Preis von einem jüdischen Institut sei doch etwas Besonderes. Bundesaußenminister Klaus Kinkel war zur Einweihung der neuen deutschen Botschaft nach New York gekommen und blieb für die Ehrung Middelhoffs. Bundeskanzler Helmut Kohl ließ ein Grußwort übermitteln, Vertreter deutscher Firmen und Geldhäuser saßen höchstpersönlich im Saal. Nach einem Auftritt des Jazzgitarristen John Pizzarelli, der bei einem Label von Bertelsmann unter Vertrag stand, hielt der CDU-Politiker Walther Leisler-Kiep die Laudatio. Leisler-Kiep, der sich mit der Organisation Atlantik-Brücke für die deutsch-amerikanischen Beziehungen einsetzte, bezeichnete den »Prize Winner« Thomas Middelhoff als »Kind des Zeitalters der Globalisierung«. Er sei das jüngste Mitglied des exklusiven Clubs der »Global Leaders« und ein Botschafter für Bertelsmann. Er verfüge über eine unglaubliche Fähigkeit, die es in Deutschland leider nun mal nicht ge256
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rade im Überfluss gebe: Er verstehe es, auf liebenswürdige Art Freunde zu gewinnen. Leisler-Kiep erzählte noch einmal nach, wie Middelhoff den Einstieg von Bertelsmann bei AOL und Random House einleitete. Er wisse, dass Amerika ein überaus wichtiger Partner für Deutschland sei. »Thomas Middelhoff ist heute Abend der richtige Empfänger für den Vernon A. Walters Award, weil er gezeigt hat, dass er über Grenzen hinausdenkt, über heute hinausdenkt, an morgen denkt.« Schließlich teilte Kiep dem Publikum »das Interessanteste« über Middelhoff und seine Familie mit. Dieser in globalen Dimensionen denkende Wirtschaftsführer, seine Frau und die fünf Kinder lebten auf einem Bauernhof in Westfalen. »Kleine Dörfer, Bauernhöfe, Felder, Wälder, Seen – dort leben die Middelhoffs … Kann man sich einen besseren Ort vorstellen, um über die Vergangenheit nachzudenken oder die Zukunft zu planen?« Nach dieser Einführung bat Leisler-Kiep Middelhoff auf das Podium. Der Geehrte sprach über die Verantwortung eines internationalen Medienunternehmens. Er sei glücklich über die Würdigung, schließlich verstehe er sie auch als Auszeichnung für Bertelsmann. Einige Kollegen in Gütersloh seien besorgt gewesen über seinen Auftritt, besonders als er sagte, er würde über die deutsch-jüdischen Beziehungen sprechen wollen. Sie hätten gesagt: »Oh, Thomas, das ist so ein heikles und empfindliches Thema für einen Deutschen in New York. Egal, was und wie du es sagst, jemand wird deine Worte aus dem Zusammenhang nehmen oder dich missverstehen. Irgendjemand wird sich verletzt fühlen.« Er aber, sagte Middelhoff, werde dieses Risiko in Kauf nehmen und »aus dem Herzen« sagen, an was er glaube. Er könne nicht so gut formulieren wie die jüdischen Autoren Elie Wiesel und Daniel Goldhagen, deren Bücher Bertelsmann verlege. »Ladies and gentlemen, I love my country very much.« Aber als Angehöriger der Nachkriegsgeneration, »als Weltbürger und Bürger von Bertelsmann« stelle er sich der Verantwortung, die die Nazi-Verbrechen den Deutschen auferlegten. Er kämpfe gegen Antisemitismus, für Multikulturalismus und Toleranz. Dann fuhr er fort: »Ich bin sehr glücklich, für ein Unternehmen zu 257
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arbeiten, das sich immer für rassische und religiöse Freiheit eingesetzt hat. Während des Zweiten Weltkrieges war unser Verlag einer der wenigen nichtjüdischen Medienbetriebe, der von den Nazis geschlossen wurde. Die offizielle Begründung der Nazis war Papierknappheit. Aber jeder kannte die wahre Geschichte. Wir haben Bücher verlegt, die vom Dritten Reich als subversiv verboten waren. Die Existenz von Bertelsmann bedrohte den Versuch der Nazis, Meinungsfreiheit zu kontrollieren.« Nach dem Krieg habe Reinhard Mohn die Firma im Geiste amerikanischer und demokratischer Prinzipien wieder aufgebaut. Meinungsfreiheit sei heute das wichtigste Prinzip von Bertelsmann. Wenige andere Medienhäuser würden ähnlich kritisch über sich selbst berichten. Nachdem auch das erledigt war, biederte sich Middelhoff offensiv bei den Gastgebern an: Er selbst habe in den vergangenen Monaten mehr Zeit in den USA verbracht als zu Hause. »Ich fühle mich wie ein Amerikaner mit einem deutschen Pass. Ich liebe die Offenheit, die Freundlichkeit und die Direktheit von Amerikanern, sogar von unseren Konkurrenten.« Middelhoff verließ sich in seiner Rede auf die seit 50 Jahren gebräuchliche Selbstdarstellung des Unternehmens: dass man im Dritten Reich einer der wenigen nichtjüdischen Verlage gewesen sei, der von den Nazis geschlossen wurde. Er konnte nicht ahnen, was er mit seiner »mutigen« Rede lostreten würde.
Middelhoffs Übernahme Zunächst aber lief alles nach Plan. Am 14. Oktober 1998 feierte Mark Wössner auf einem Kreuzfahrtschiff im Mittelmeer mit seiner Frau und seinen beiden Kindern seinen 60. Geburtstag. Nach den strengen Bertelsmann-Regeln war damit sein Abschied gekommen. Zu Hause in Gütersloh feierte Bertelsmann Ende Oktober 1998 die Verdienste von Wössner mit einem dreitägigen Kongress, zu dem man 500 Führungskräfte des Hauses aus allen Kontinenten in die Stadthalle geladen hatte. Höhepunkt der Veranstaltung war am 30. Oktober seine 258
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Verabschiedung in einer umgebauten Fabrikhalle, der größten in der Stadt, und die Amtseinführung von Middelhoff. Regierungswechsel bei Bertelsmann. Der frisch gewählte Bundeskanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer flogen mit dem Hubschrauber ein. Auch Fischers Vorgänger Klaus Kinkel sowie Helmut Kohls Nachfolger im Parteivorsitz, Wolfgang Schäuble, waren zugegen. Franz Beckenbauer, der Präsident des Fußballclubs Bayern München, war ebenso dabei wie Repräsentanten der Weltbank und des Club of Rome. Neben Reinhard Mohn saß Bundeskanzler Gerhard Schröder, der ein Grußwort hielt. »Das Land wäre ohne die gemeinsinnorientierte Politikberatung der Bertelsmann Stiftung ärmer«, sagte der Kanzler. Auch Wössners Stellvertreter Schulte-Hillen kam zu Worte: »Mark, du bist ein Teufelskerl. Du kannst in allen Sätteln reiten. Du hast eine tiefe Furche gezogen.« Wössner übergab seinem Nachfolger eine Ledermappe mit den Leitlinien des Unternehmens. »Alles, was in dieser Mappe ist, wird die nächste Generation umsetzen«, versprach Middelhoff und umarmte seinen Vorgänger. In Anspielung auf Wössners Vorliebe für Charts fügte er hinzu: »Wenn ich dir in 15 Jahren meine Steigerungskurven vorlege und du sagst, es gibt keinen Unterschied zu deinen, dann bin ich ein glücklicher Mann.« Die Laudatoren beeilten sich zu versichern, wie angenehm es sei, einen Mann zu loben, ohne lügen zu müssen. Wössner nahm die ihm so wohlwollend zugespielten Bälle auf und beruhigte die Lobhudler selbstbewusst, das meiste sei »gar nicht gelogen«. Von Reinhard Mohn habe er gelernt, dass Menschlichkeit und Effizienz keine Gegensätze seien. Ausdrücklich dankte Wössner seiner Familie, so seiner ersten Frau, die ihn 20 Jahre bei Bertelsmann begleitet habe und jetzt, nach der Trennung, immer noch seine liebe Nachbarin sei, seinen Kindern Rika und Lars und seiner jetzigen Frau Anna. Dann stellten sich die Eheleute Wössner gemeinsam mit Liz und Reinhard Mohn den Fotografen. Der Pianist Gerhard Oppitz spielte Frank Liszt. Udo Jürgens, wie Wössner seit 30 Jahren bei Bertelsmann, sang: »Du und ich – wir passen 259
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wirklich gut in dieses ehrenwerte Haus.« Er habe die Abschiedsempfänge von einem Kanzler und zwei Bundespräsidenten erlebt, wusste Jürgens schließlich zu erzählen. Verglichen mit dieser Feier seien sie provinziell gewesen. Als Wössner seinem Nachfolger die Mappe mit den Leitlinien übergab und ihn aufs Podium bat, begleitete ihn Reinhard Mohn. Gemeinsam stellten sich alle drei den Fotografen. Dabei legte jeder seine Hand auf die Ledermappe. Demonstrativ zeigten sie ihre Einigkeit.
Hersch Fischler zwingt Bertelsmann zur Wahrheit Als die Prominenz in Gütersloh mit Ahnherr, Vorgänger und Nachfolger den reibungslosen Übergang der Macht bei Bertelsmann feierten, ahnte sie nicht, dass hinter den Kulissen bereits der zweite Akt eines Spiels begonnen hatte, das die Geschichte vom guten Medienkonzern, die Bertelsmann so gerne über sich erzählen ließ, als Legende entlarven würde. Noch während in Gütersloh die letzten Vorbereitungen für die Feier liefen, erschien in der Schweizer Wochenzeitung Weltwoche am 29. Oktober 1998 unter dem Titel »Helle Zukunft – dunkle Vergangenheit« ein Bericht, der Thomas Middelhoff in höchst unangenehmer Weise an seine Worte bei der Preisverleihung in New York – den ersten Akt der unfreiwilligen Enthüllung – erinnerte. Der Autor des Berichts, Hersch Fischler, ein Zeitgeschichtler aus Düsseldorf, warf Bertelsmann darin vor, seine Geschichte »systematisch« geschönt zu haben. Denn im Gegensatz zu dem, was Middelhoff in seiner Rede kolportiert habe, sei Bertelsmann den Nazis gar kein Ärgernis gewesen. Bertelsmann habe im Gegenteil viele Publikationen verlegt, die den Machthabern im Dritten Reich sehr wohl gefielen. Die beliebten Volksausgaben, mit denen der Verlag in den dreißiger Jahren zu beachtlicher Größe wuchs, seien in Wahrheit Publikationen gewesen, die heute zu Recht in den Giftschränken der Bibliotheken lägen, weil sie NS-Gedankengut enthielten. »In den dreißiger Jahren 260
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erzielte das Unternehmen seine großen Erfolge mit Autoren, die Günstlinge von Goebbels waren … Ihre Bücher lieferten eine Verherrlichung von Krieg und Schlachtentod.« Fischler verwies auf eine Spiegel-Geschichte von 1957, wonach Mitarbeiter von Bertelsmann nicht etwa verhaftet wurden, weil sie Widerstand geleistet, sondern weil sie sich am »totalen Krieg« bereichert hatten. Und laut Spiegel waren sie auch nicht freigekommen, weil sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen, sondern allein wegen der guten Beziehungen zu Goebbels. Der Bericht sei im Übrigen nie dementiert worden. Auch Entnazifizierungsakten hätten diese Darstellung bestätigt. Außerdem hätte Heinrich Mohn nach Ende des Krieges einen Fragebogen korrigieren müssen, dem zufolge er passives Mitglied der SS, der Hitler-Jugend und des nationalsozialistischen Fliegerkorps gewesen sei. Fischler endete seinen Bericht mit den Worten: »Doch dies passt alles nicht ins Bild eines guten und gemeinnützigen Bertelsmann-Imperiums. Wenn Middelhoff jedoch den Konzern ins nächste Jahrtausend führen will, kommt er an der Vergangenheit nicht vorbei.« Das waren schwerwiegende Vorwürfe für den neuen Vorstandsvorsitzenden. Sollte das alles tatsächlich stimmen? Hatte Middelhoff die Geschichte tatsächlich verfälscht und Bertelsmann in New York zu Unrecht als Verlag des Widerstandes dargestellt? Seinen Amtsantritt hatte er sich sicher anders vorgestellt. Middelhoff hatte nur die Legende wiedergegeben, die bei Bertelsmann seit Kriegsende kursierte und die seither immer neue Formulierungen gefunden hatte. So hatte Bertelsmann-Pressesprecher Roland Gööck 1966 in seinem Buch über Fritz Wixforth geschrieben: »Dass man bei Bertelsmann von ›Blut und Boden‹, Judenverdammung, Führerverherrlichung und Durchhalteparolen nichts hielt, kreidete man dem Verlag übel an.« In der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum 1970 erreichte man die Kontinuität der Verlagsgeschichte dadurch, dass die Nazi-Zeit einfach übergangen wurde. Und als Reinhard Mohn 1972 vom ZDF als »Zeitzeuge des Jahrhunderts« nach der Rolle seines Vaters befragt wurde, sagte er, Heinrich Mohn habe als Vertreter der Bekennenden Kirche in Opposition zu den Nazis gestan261
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den. »Das führte dann zur Kontroverse mit der Folge, dass mein Vater und die leitenden Angestellten in Berlin-Moabit eingesperrt wurden. Schließlich hat man durch Sperren von Papier 1944 die Schließung des Verlags erreicht.« Zum 150-jährigen Bestehen schließlich hatte das Haus eine mehr als 400 Seiten starke Chronik veröffentlicht, die von 1835 bis 1985 reichte. Dafür war eigens der Historiker Dirk Bavendamm engagiert worden. Für den großen Jubiläumsband sah der Schriftsteller Walter Kempowski Akten durch und befragte auch Reinhard Mohn. Dann schrieb er zwar wahrheitsgetreu, dass Bertelsmann bis 1945 etwa 15 Millionen Feldpostausgaben ausgeliefert hat. Über deren Inhalt schwieg er sich jedoch aus und wusste auch sonst über diese Zeit lediglich zu berichten: »Es bedurfte vieler Kompromisse. Sie hatten manchmal auch ihre angenehmen Seiten. So konnte der C. Bertelsmann Verlag seine Einkünfte durch umfangreiche Aufträge der deutschen Wehrmacht vermehren.« Er nannte Werke von Wilhelm Busch und Joseph von Eichendorff und folgerte: »Ein Studium der Titel dieser Reihe zeigt uns, dass die Hefte geeignet waren, die Soldaten abzulenken von ihrem schrecklichen Tagewerk.« Bei den Vorbereitungsarbeiten zu dem Jubiläum 1985 war der Pressesprecher von Bertelsmann, Manfred Harnischfeger, auf Dokumente gestoßen, die der Legende widersprachen. Harnischfeger koordinierte das umfangreiche Jubiläumsbuch namhafter Autoren über die Geschichte des Hauses. Im Archiv lagen Kopien unterschiedlicher Versionen der Verlagsgeschichte während des Dritten Reiches. Im ersten Fragebogen hatte Heinrich Mohn geschrieben, er habe mit den Nazis nichts zu tun gehabt. Später musste er diese Aussage korrigieren. 2002 sagte Harnischfeger dem Wall Street Journal, er habe befürchtet, eine genauere Untersuchung könne den Redaktionsschluss der Jubiläumsschrift gefährden. Deshalb habe er den federführenden Historiker Dirk Bavendamm angewiesen, die Widersprüche und Lücken zu ignorieren. So habe man zwar die Produktion für die Wehrmacht erwähnt, aber zugleich nahe gelegt, dass das Unternehmen geschlossen worden sei, weil es den Nazis Widerstand geleistet habe. »Wir entschieden uns, 262
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nichts zu verfälschen, sondern zu schreiben, was wir wussten«, sagte Harnischfeger dem Wall Street Journal. »Uns war allerdings klar, dass wir riskierten, die Wahrheit zu verfälschen, indem wir wegließen, was wir nicht wussten.« Wer nun hoffte, Bertelsmann würde auf die Vorwürfe Hersch Fischlers in der Weltwoche reagieren, wurde enttäuscht, denn Bertelsmann schwieg. Das fiel dem Unternehmen umso leichter, als deutsche Zeitungen die Geschichte aus der Weltwoche nicht weiter verfolgten. Mitte November 1998 jedoch griff das 3sat-Magazin Kulturzeit Fischlers Bericht auf und wies auf einige der Titel von Bertelsmann hin, etwa auf Martin Luthers kleiner Katechismus für den braunen Mann oder Sterilisation und Euthanasie. Nach der Ausstrahlung beschwerte sich Manfred Harnischfeger bei dem zuständigen ARD-Intendanten des Senders, Peter Voß: Ein freier Journalist namens Siegfried Aust recherchiere zum Thema »Bertelsmann und Drittes Reich«. Der Mann sei sogar in New York unterwegs gewesen, offensichtlich im Auftrag von 3sat. »Offiziell sind weder Herr Aust noch eine Redaktion an uns herangetreten. Angesichts der Bedeutung des Themas erscheint es uns unheimlich und gefahrvoll, wenn ohne unser Wissen und ohne die Möglichkeit unseres Inputs Vermutungen und Halbwissen durch Recherchen in die Welt gesetzt werden – von einer zu erwartenden fehlerhaften Berichterstattung ganz zu schweigen. Wir möchten nicht, dass Schaden für unser Unternehmen entsteht und wir später nichts mehr ›reparieren‹ können. Wir möchten Sie in Ihrer Gesamtverantwortung frühzeitig auf diesen Vorgang aufmerksam machen und Sie bitten, sich persönlich einzuschalten.« Es wäre unvorstellbar, so gab Harnischfeger zu bedenken, dass »unsere erstklassige Performance und unser wirtschaftlicher Erfolg durch eine Recherche und Berichterstattung beschädigt würden, die professionellen Anforderungen nicht genügt.« Die Recherchen von 3sat basierten lediglich auf Ansichten von Hersch Fischler, die dieser »mit großem persönlichem Eifer« verbreite. »Wir können uns nicht vorstellen, dass Bertelsmann in irgendeiner Weise zum publizistischen Handlanger des damaligen Regimes wurde, werden aber mit einer internen Arbeitsgruppe dieser Frage noch ein263
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mal in den nächsten Monaten gründlich nachgehen.« Harnischfeger bat Voß, »die notwendigen vorsorglichen Veranlassungen« zu treffen. Voß ließ den Vorgang prüfen und schrieb Harnischfeger, das Thema müsse »gründlich« zu Ende recherchiert werden. »Es kann dabei weder um Rücksichtnahme noch um überzogene Kritik gehen.« Der von Harnischfeger angesprochene Beitrag sei jedenfalls wegen seiner journalistischen Qualität ausdrücklich vom federführenden 3sat-Direktor Walter Konrad gelobt worden. 3sat verfolgte das Thema weiter. Der nächste Beitrag war bereits in Planung und trug den Arbeitstitel »Bertelsmann in den USA«. Darin ging man der Frage nach, ob Enthüllungen des Bertelsmannschen Geschäftsgebarens im Dritten Reich die Expansion in den USA beeinflussen könnten. Das war nun wirklich ein Aspekt, den man bei Bertelsmann tunlichst vermeiden wollte. Bei 3sat indes entspann sich ein Streit über die Zuständigkeiten für diesen Beitrag, nicht ungewöhnlich bei der Konstruktion dieses Senders, der immerhin von ARD, ZDF und dem Schweizer Fernsehen koordiniert wird. Mehrmals stoppte die Redaktion ihre eigenen Reporter. Einmal mussten eine Reise und ein Termin abgesagt werden, weil sich angeblich keine neuen Fakten ergeben hätten. Ein anderes Mal war der Reporter bereits in New York, wo ihn die Anweisung erreichte, die Recherche bitte sofort abzubrechen. Als Grund gab die Redaktion an, ZDF-Intendant Dieter Stolte habe den Stopp verfügt. Stolte selbst dementierte – doch in der Redaktion von 3sat glaubten Redakteure, sicher zu wissen, dass er es war, der die Recherche verboten hatte. Das schien naheliegend. Immerhin saß Stolte im Beirat der Bertelsmann Stiftung, außerdem war er an der Auswahl des Carl Bertelsmann-Preises beteiligt. 2002 bestätigte der Schweizer Fernsehjournalist Martin Eggenschwyler, der damals für 3sat arbeitete, Stoltes Einmischung. Nach dem ganzen Hin und Her entschieden die Schweizer 3satPartner, die Kosten für die Recherchen zu übernehmen. Harnischfeger spielte weiter sein doppeltes Spiel: Während er 3sat mangelhafte Recherche vorwarf, verweigerte er den Mitarbeitern des Senders Material und Auskünfte, die er gleichzeitig ausgewählten Journalisten 264
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gewährte. Wiederholt drängte er den Chefredakteur Michael Maier von der konzerneigenen Berliner Zeitung, die unliebsamen Recherchen einzustellen. An den Vorwürfen sei nichts dran. Der Redakteur der Zeitung sei einem Fanatiker aufgesessen. Doch die Zeitung wies Harnischfegers Ansinnen unter Berufung auf das von Bertelsmann postulierte Prinzip der Unabhängigkeit zurück und recherchierte weiter. Inzwischen war der Historiker Dirk Bavendamm in Gütersloh eingetroffen, um seinen Beitrag dazu zu leisten, die Vorwürfe der Geschichtsklitterung zu entkräften. Diese Konstellation hatte durchaus einigen Charme, denn schließlich war Bavendamm der Mann gewesen, der die geschönte Geschichte des Verlags ursprünglich geschrieben hatte. Und auch jetzt dachte er nicht wirklich daran, seine Fehler zu korrigieren. Denn statt sich den fragwürdigen Inhalt der inkriminierten Bücher vorzunehmen, erstellte der Historiker sogleich Listen von angeblich zensierten Büchern, um derart zu belegen, dass Bertelsmann den Nazis eben doch ein Dorn im Auge gewesen sei. Statt die Vorwürfe zu prüfen, sammelte er Entlastungsmaterial. Tatsächlich war die Entscheidung Mohns, ausgerechnet Bavendamm die Hausgeschichte erforschen zu lassen, bereits damals mehr als fragwürdig gewesen: Als freier Mitarbeiter des Stern hatte er beispielsweise dem Magazin Gedichte des Gefreiten Adolf Hitler angedient, bei denen es sich, wie sich später herausstellte, um Fälschungen handelte. Urheber dieser Fälschungen war ein gewisser Konrad Kujau, von dem der Stern später die Hitler-Tagebücher erwarb. Und 1983 hatte Bavendamm ein Buch veröffentlicht, in dem er behauptete, nicht Hitler, sondern Roosevelt hätte den Zweiten Weltkrieg verschuldet. Mit diesen Leistungsnachweisen erschien er Mohn offensichtlich als der geeignete Mann, 1984 die große Jubiläumschronik zu erarbeiten; 1986 durfte er zudem eine Familienchronik anfertigen. Spätestens als Hersch Fischler seine Recherchen auch in dem New Yorker Magazin The Nation veröffentlichte, war den Managern in Gütersloh klar, dass man von Bavendamm keine echte Hilfe erwarten konnte. Während Reinhard Mohn noch ausschließlich auf Bavendamm 265
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setzte, wollte Middelhoff endlich wirklich etwas unternehmen. Dass er in seiner Rede allem Anschein nach historische Lügen wiedergekäut hatte, ging ihm unter die Haut. Am 15. Dezember 1998 nahm auch die New York Times die in The Nation erhobenen Vorwürfe auf und konfrontierte Bertelsmann damit. Noch am selben Tag entschlossen sich Reinhard Mohn, Mark Wössner und Thomas Middelhoff, etwas zu unternehmen. Sie kündigten an, man werde »eine unabhängige wissenschaftliche Kommission« einsetzen. Middelhoff versprach der New York Times sogar, es werde eine zweite Kommission geben, die über die Unabhängigkeit der ersten Kommission wachen sollte. Nachdem man die Historiker Saul Friedländer, Reinhard Wittmann, Norbert Frei und Trutz Rendtorff in die Kommission berufen hatte, gelangte man bei Bertelsmann jedoch zu der Ansicht, das zweite Gremium sei nun nicht mehr notwendig zur Kontrolle derart namhafter Historiker, die über jeden Zweifel erhaben seien. Unterdessen bemühte sich in Gütersloh Dirk Bavendamm, Belege für seine Art der Geschichtsschreibung zu finden. Als er nun von der Historikerkommission hörte, fürchtete er, dass die Stimmung sich gegen ihn wenden würde. Er meldete sich krank, flüchtete ins Parkhotel der Mohns und unternahm von dort aus Anstrengungen, Mohn für sich zu gewinnen und vom Nutzen seiner Tätigkeit zu überzeugen. Er schrieb ihm Briefe. Für andere war er nicht zu sprechen. Die vier Historiker, die sich nichts von einer Zusammenarbeit mit Bavendamm versprachen, forderten dagegen ultimativ die Entlassung von Bavendamm, andernfalls würden sie die Arbeit nicht aufnehmen. Wenn aber die Historiker ihr Mandat niedergelegt hätten, wäre das eine verheerende Meldung gewesen. Mark Wössner und der zuständige Mitarbeiter für das Projekt, Tim Arnold, wollten das verhindern und überredeten Mohn, sich von Bavendamm zu trennen. Die Kommission etablierte ein Büro in München, stellte Assistenten ein, ließ aus Gütersloh Akten kommen und machte sich für die nächsten vier Jahre an die Arbeit. Sie wurde vollständig von Bertelsmann bezahlt, Bertelsmann bezeichnete sie jedoch als »unabhängig«.
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16. »Ein Experiment, das mir woanders so nicht bekannt ist« Reinhard Mohn macht es seinen Erben nicht leicht
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as sind schon 500 Mark im Verhältnis zu einem zweistelligen Milliardenumsatz? Im Falle von Bertelsmann alles. Reinhard Mohn hatte die gesamten Stimmrechte jahrelang auf ein winziges Aktienpaket von nominell 500 Mark übertragen. Das Paket gehörte der Johannes Mohn GmbH, die Reinhard Mohn einst für seinen Sohn gegründet und nach ihm benannt hatte. Aber den Zugriff auf das Paket hatte er sich selbst vorbehalten. Am 29. Juni 1999 feierte er seinen 78. Geburtstag. Zwei Tage später verkündete er auf einer Pressekonferenz, er übergebe dieses Paket und damit die Verantwortung für sein Unternehmen einer so genannten Verwaltungsgesellschaft. »Eine Familienära geht zu Ende«, schrieben Zeitungen. Damit habe Mohn die 165-jährige Familientradition von Bertelsmann beendet. Mohn teilte mit, in der Verwaltungsgesellschaft würden kraft ihrer Ämter der Aufsichtsratsvorsitzende Mark Wössner und der Vorstandsvorsitzende Thomas Middelhoff sitzen. Bis zu seinem Tod werde auch er selbst vertreten sein, um zu sehen, »ob die Entscheidung richtig war oder korrigiert werden muss«. Außerdem sollten zwei weitere Mitglieder aus Vorstand und Aufsichtsrat, ein Familienmitglied sowie ein Arbeitnehmervertreter in dem Gremium Sitz und Stimme haben. Nachdem Mohn sich 1993 quasi selbst enteignet und das Kapital mehrheitlich der Bertelsmann Stiftung übertragen hatte, gab er nun auch die Verfügungsgewalt über das Kapital und das Unternehmen ab. Es sei »ein Experiment, das mir woanders so nicht bekannt ist«, sagte Mohn. Er dachte an alles: Sogar für den Fall einer möglichen Altersdemenz hatte er Vorsorge getroffen. 267
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Die neu gegründete GmbH sollte nach seinem Willen mit einer Dreiviertelmehrheit alle wichtigen Etat- und Personalentscheidungen treffen. Damit schien die Familie so gut wie nichts mehr zu sagen zu haben. Er habe lange mit seinen Kindern über diese Lösung gesprochen, sagte Mohn. Vor allem der Umstand, dass der Familienvertreter gewählt werden müsse, sei kontrovers diskutiert worden. Am Ende habe es jedoch eine »komplette Einigung« gegeben. Und so sah das Machtgefüge bei Bertelsmann nach dieser Entscheidung aus: Die Bertelsmann Stiftung hielt seit 1993 knapp 69 Prozent des Kapitals, die Familie Mohn rund 20 Prozent. Mohn lehnte jegliche fremde Einmischung ab. Die restlichen elf Prozent, die bei der ZeitStiftung lagen, sollten zurückgekauft werden. Der Kaufpreis wurde auf eine Milliarde Mark geschätzt. Mohn selbst wollte keine Zahlen nennen. »Ich möchte hier nicht übers Kleingeld reden«, sagte er. Eine Fusion, eine Beteiligung oder einen Börsengang des Stammhauses Bertelsmann AG schloss Mohn aus. Änderungen an diesem Konzept seien dennoch durchaus möglich. Bis zu seinem Tod und fünf Jahre danach könnten die zuständigen Gremien jederzeit alles ändern, sofern sie sich einig sind. Mohn gab allerdings zu bedenken, dass er dafür gesorgt habe, dass diese Konstruktion »nicht leicht geändert werden kann«. Am Ende der Pressekonferenz lag ein wenig Wehmut in seiner Stimme: »Ich habe mein ganzes Leben lang einen Fehler gemacht und zu viel gearbeitet. Das werde ich jetzt korrigieren.« Bei Bertelsmann solle man schließlich nicht nur Bücher verkaufen, sondern auch welche schreiben. Deshalb arbeite er derzeit an einem Buch, das er im nächsten Jahr veröffentlichen wolle. Der Titel stand bereits fest: Menschlichkeit gewinnt. Das sei stets auch sein Motto als Unternehmer gewesen. Auf der Pressekonferenz waren alle Augen auf Reinhard Mohn und Siegfried Luther gerichtet, den Mohn als seinen Testamentsvollstrecker vorstellte. Luther saß neben ihm und beantwortete Fragen zur Erbregelung. Die Augen richteten sich aber auch auf Wössner, der die BVG als Misstrauensvotum gegen ihn betrachten musste. Wieso setzte Mohn noch zu Lebzeiten ein solches Gremium ein? Genügte es nicht, die BVG nach Mohns Tod zu etablieren? Wössner schien an dieser 268
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Pressekonferenz tatsächlich wenig Gefallen zu finden. Genaue Beobachter konnten von diesem Tag an eine Abkühlung zwischen Mohn und Wössner feststellen. Während Reinhard Mohn über seinem Buchmanuskript saß, bezog Mark Wössner das Büro neben ihm und widmete sich seiner Arbeit in der Stiftung, die intern auch »Klein-Bertelsmann« genannt wird. Ganz freiwillig hatte er seinen Schreibtisch nicht geräumt, wie er in einem Interview gestand: »Ich sage es ganz offen: Ohne den Druck der eisernen Bertelsmann-Regel wäre ich nicht darauf gekommen, dass ich mit 60 Jahren zurücktreten soll. Ich hätte nicht mit 50 angefangen, über einen Nachfolger nachzudenken. Das wäre mir eventuell auch mit 60 noch zu früh erschienen.« Vor einigen Jahren hatte er ein Drittel der Wohnwagenfirma Westfalia in Rheda-Wiedenbrück übernommen, um sie vor der Pleite zu retten. Doch damit war ein Manager wie er nicht ausgelastet. Wössner verspürte noch immer Ehrgeiz. Er glaubte, der Stiftung, die inzwischen 172 Beschäftigte und einen Etat von rund 83 Millionen Mark hatte, neue Bedeutung verleihen zu können. Aber auch Reinhard Mohn sah in der Stiftung sein wichtigstes Betätigungsfeld; auch die Tatsache, dass Wössner den Stiftungsvorsitz übernahm, änderte nichts daran, dass Mohn die Kontrolle über alle zentralen Bereiche behielt. Spannungen waren vorprogrammiert. Auch zwischen Liz Mohn und Mark Wössner mehrten sich die Reibungspunkte. Reinhard Mohn gab sich in der Zusammenarbeit mit ihr in der Rolle des strengen Mentors. Er prüfte ihr fachliches Wissen und scheute sich nicht davor, sie öffentlich zurechtzuweisen, wenn sie etwa zu spät zu einer Sitzung erschien. Diese Belehrungen duldete Liz Mohn, solange sie vonseiten ihres Mannes kamen. Sie war aber sichtlich verärgert, wenn auch Wössner gelegentlich einen solchen Ton anschlug. Es kam durchaus vor, dass er in Gegenwart Dritter sagte: »Liz, sei still!« Oder: »Davon verstehst du nichts!« Selbst in der Presse war von dem Verhalten Wössners gegen Liz Mohn zu lesen. Im Verhältnis von Liz Mohn zu Wössner schlug sich die Verärgerung über die »Bevormundung« ebenfalls nieder. In der Folge suchte sie nach Wegen, seinen Einfluss zu schmälern. 269
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Während Wössner und Mohn aufeinander hockten und die Spannungen wuchsen, entfaltete Middelhoff seine unternehmerischen und medialen Talente. Er erhielt mehr öffentliche Aufmerksamkeit als irgendein Mitarbeiter von Bertelsmann vor ihm. Was immer er tat, tat er vor den Augen der Welt. So, als er AOL verkaufte und einen Rekordgewinn einheimste, dann, als er versuchte, RTL ganz in den Besitz des Unternehmens zu bekommen und den Internet-Buchhändler BOL gegen Amazon zu positionieren. Wenn er nach New York jettete und über das Musikbusiness und die Probleme mit den illegalen Musikbörsen im Internet sprach, war das allemal eine Nachricht. Middelhoff sah manche Probleme in Wössners Hinterlassenschaft. Aber er beklagte sich nicht öffentlich darüber. Wössner hingegen, längst unzufrieden mit Mohn und mit sich, war auch unzufrieden mit Middelhoff. Er fing an, im kleinen Kreis schlecht über Middelhoff zu reden. Middelhoff hatte lange Zeit nichts daran auszusetzen gehabt, dass die Kommunikation mit Mohn allein über Wössner lief. Nun hielt er es für ratsam, selbst einen guten Draht zum Eigentümer zu entwickeln. Fortan führte sein Weg zu Mohns Ohr über Liz, der gegenüber er seinen Charme spielen ließ. Zur Demontage Wössners trug schließlich auch ein Presseartikel im Juli 1999 bei, der sein Werk keineswegs im allerbesten Licht erscheinen ließ. Als der Spiegel anfragen ließ, ob der Konzern für die Recherchen zu diesem Artikel seine Türen öffnen werde, musste Middelhoff ein paar Tage überlegen, bevor er zusagte. Über mehrere Wochen hinweg durfte der Journalist Jan Fleischhauer Mitarbeitern und Managern seine Fragen stellen. »Offenheit pur« nannte der Spiegel das später. Krönender Abschluss seiner Recherche sollte ein Gespräch mit dem ehemaligen Konzernchef sein. Fleischhauer traf Wössner in seinem Büro an, als der ein großes Fernglas auf sein altes Büro gerichtet hatte. Die Gespräche mit Middelhoffs Leuten hatten Fleischhauer den Eindruck vermittelt, dass es dem Konzern in Wahrheit schlechter ging, als Wössner es in der Öffentlichkeit darstellte. Mit dieser gefestigten Erkenntnis trat er nun Wössner gegenüber. Harnischfeger, der Pressechef von Bertelsmann, war bei dem Gespräch zugegen und fertigte ein Pro270
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tokoll an. Schließlich sollte sein Vorstand Middelhoff wissen, was Wössner sagte. Wie zu erwarten, verteidigte Wössner sein Werk. Dabei redet er sich warm. Als Wössner spürbar in Rage geriet, entschuldigte sich Harnischfeger für einige Zeit. Wössner nutzte diese Abwesenheit, um Tacheles zu reden. Derselbe Harnischfeger, der hier den Dingen freien Lauf ließ, bestand sonst immer darauf, Zitate vor der Drucklegung eines Artikels einer akribischen Prüfung zu unterziehen, um sie autorisieren zu lassen. Interviews schrieb er dabei mitunter so kräftig um, dass Redaktionen sich weigerten, den Text abzudrucken, weil Harnischfeger einen Text fabriziert hatte, dessen gestelzte Formulierungen an Verlautbarungen des DDR-Politbüros erinnerten. Diesmal aber musste der Spiegel die Zitate vor Drucklegung nicht mehr vorlegen, um sie autorisieren zu lassen. »Es gilt das gesprochene Wort«, hatte Middelhoff versprochen. Fleischhauer schrieb also seinen Artikel und lieferte darin einige schmerzliche Beobachtungen. Wössner, so schrieb Fleischhauer, fühle sich als Stiftungsvorstand »wie in Abschiebehaft«. »Mit Argwohn beobachtet er den Kurs, der das Unternehmen in neue Gewässer führt.« Die Internet-Firmen, mit denen Middelhoff Bertelsmann in die Zukunft führen will, seien für ihn nur »diese Zirkusfirmen«, wohingegen er die Krise des traditionsreichen Stammgeschäfts, etwa der Buchclubs, als »eine zyklische Abwärtsbewegung« bagatellisierte. Den von Middelhoff für notwendig erachteten Ausstieg aus dem Pay-TV, das dieser als »Fliegendreck« bezeichnet hatte, kommentierte Wössner folgendermaßen: »Mir wäre lieber, wir wären drin geblieben.« Auch mit seiner Meinung über Middelhoffs Qualitäten hielt Wössner nicht hinter dem Berg: »Wenn man viel redet, macht man auch Fehler. So etwas ist mir in 20 Jahren nicht passiert.« Gleichzeitig ließ er sein 600 Millionen Mark teures Debakel mit VOX, das er einst als »Schleifspur« bezeichnet hatte, gegenüber Fleischhauer zu einer dieser »operativen Kleinigkeiten« schrumpfen. Vermutlich hatte es nicht in der Absicht Middelhoffs gelegen, dass Wössner sich um Kopf und Kragen redete. Aber mit der Veröffentlich271
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ung seiner Äußerungen demontierte er sich selbst. Middelhoff hatte die Schwachpunkte des Unternehmens bis dahin nie öffentlich gemacht und keinen Schatten auf Wössners Verdienste fallen lassen. Doch nun wurden sie schonungslos offen gelegt. Der Spiegel-Artikel vermittelte das Bild eines Managers, der die Zeichen der Zeit – das Internet – nicht versteht. Ein alter, schimpfender, selbstherrlicher Mann, der darunter leidet, dass die anderen seine Größe nicht erkennen. »Sieg oder Sibirien« war der Artikel überschrieben, und nach der Lektüre war klar, wer hier der Sieger war und wer nach Sibirien gehörte. Fortan konnte Wössner Middelhoff anderen gegenüber nicht mehr kritisieren, ohne an diese Geschichte erinnert zu werden. Mohns »Enkel« Middelhoff war nicht mehr auf Mohns »Sohn« Wössner angewiesen, um das Ohr des Patriarchen zu erreichen. Er hatte längst einen eigenen Zugang. Aber noch war Wössner der Vorstandsvorsitzende von »KleinBertelsmann«. Als solcher war er skeptisch gewesen, als Mohn in einer Pressekonferenz verkündete, dass er seine Stimmrechte in eine Verwaltungsgesellschaft einbringen werde. Er würde ja doch die Kontrolle behalten. Aber Wössner hielt sich mit Kritik zurück. Es stand ihm nicht zu, fand er, den Eigentümer von derartigen Manövern abzuhalten, auch wenn er ihn am liebsten »vor sich selbst geschützt« hätte, wie er Vertrauten eingestand. Auch Mohns Buchprojekt war ihm nicht geheuer. Je weiter Mohn mit seinem Buch kam, desto weniger hielt Wössner davon. Selbst wenn Mohn Bahnbrechendes schreiben würde, hätte Wössner es trotzdem vermutlich als lächerlich empfunden. Aber Mohn brachte ohnehin nur sein Credo zu Papier, das er schon seit Jahrzehnten wiederholte: seine Reden vom partnerschaftlichen Führen, von lernfähigen Organisationen und vom Nutzen der Gemeinschaftsfähigkeit. Wössner kannte die Bertelsmann-Ideologie in- und auswendig. Er wollte nicht darüber belehrt werden. Es verletzte seinen Stolz, dass er streng genommen wieder Assistent geworden war. Er hätte gerne das große Unternehmen weiter geführt, aber auf seinem Stuhl saß nun sein Zögling. Und in der Stiftung arbeitete Mohn auf eine Weise mit ihm 272
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zusammen, die er für falsch hielt und dem widersprach, was Mohn selbst predigte. Freiheit gewähren? Unternehmerisches Arbeiten ermöglichen? Er, Mark Wössner, der jahrzehntelang alle Fäden in der Hand gehalten hatte, war plötzlich abhängig von seinem Mentor und seinem eigenen Ziehsohn. In allen Fragen musste er Mohn konsultieren. Das Verhältnis zu Mohn, einst rege und freundlich, war längst angespannt und eisig geworden. Man sprach nur noch das Nötigste miteinander. War man anfangs mal eben schnell in das Büro nebenan gegangen, um sich zu besprechen, so mussten die Bürochefs nun Boten spielen und zwischen den Büros hin- und herlaufen. Reinhard Mohn hatte andererseits Angst, dass Wössner ihn aus der Stiftung drängen würde. Die war nicht nur sein Lebenswerk, sondern auch Lebenselixier. Deshalb ging er auch nach seinem 80. Geburtstag noch jeden Tag in sein Büro, als wache jemand mit der Stechuhr über ihn. Der Leiterin des Bereichs Medien, Ingrid Hamm, gestand er einmal: »Frau Hamm, wenn ich nicht mehr hier sein darf, dann tue ich mir was in den Kaffee.« Reinhard Mohns Buchvorstellung markierte einen weiteren Tiefpunkt in der abgekühlten Beziehung, wie Mitarbeiter feststellten. Als das Skript fertig war, hatte Liz Mohn Wössner die Fahnen ganz beiläufig hingelegt. Jeder Mitarbeiter wusste, was zu tun war, wenn ein solches Skript auf seinem Schreibtisch landete. Man hatte darin zu lesen und ein blumiges Lob zu verfassen. Wössner jedoch wollte den Text nicht einmal lesen. Zum Schrecken seines Bürochefs Levin von Trott zu Solz weigerte er sich, auch nur ein paar freundliche Zeilen zu verfassen. Das ließ sich nicht mit fehlender Zeit oder Termindruck oder zu großem Aufwand entschuldigen. Sein Bürochef hätte das gerne übernommen. Wössner lehnte es einfach ab, wollte damit nichts zu tun haben. Als Reinhard Mohn am 26. April 2000 sein Buch Menschlichkeit gewinnt in München im Lenbach-Palais vorstellte, war Wössner zugegen und äußerst verstimmt. Er beklagte sich im Kollegenkreis, dass der Termin nicht mit ihm abgestimmt worden sei und er eigens aus dem Urlaub habe kommen müssen. Enge Mitarbeiter waren nicht 273
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überrascht, als Wössner drei Wochen später seinen Hut nehmen musste. Es war nicht Mohn, der Wössner die schlechte Nachricht überbrachte, sondern seine Frau. Sie war es auch, die die Führungskräfte unterrichtete. Ohne mit Wössner gesprochen zu haben, verschickte Mohn am 19. Mai 1999 ein zweiseitiges Schreiben an die Mitarbeiter und die Presse. Überschrift: »Mark Wössner verlässt einvernehmlich Bertelsmann. Unternehmenskontinuität wird neu geordnet.« Hatte Wössner noch eine ziemliche Machtfülle in seiner Person vereint und Aufsichtsrat, Verwaltungsrat und Stiftung geleitet, verfuhr Mohn nun nach der Devise »teile und herrsche« und schuf mehrere Machtzentren: Neuer Aufsichtsratsvorsitzender wurde Gerd Schulte-Hillen, der ewige Zweite hinter Wössner. Den Vorsitz der Stiftung und den Vorsitz der Verwaltungsgesellschaft übernahm Mohn selbst. »Ich danke Mark Wössner für eine mehr als 30-jährige, außergewöhnlich erfolgreiche und freundschaftliche Zusammenarbeit«, schrieb er. Und ganz so, als hätte nicht er, sondern Wössner die Trennung herbeigeführt, endete das Schreiben mit den Worten: »Ich respektiere seine Entscheidung und seine Kooperation im Sinne der Sicherung der Unternehmenskontinuität.«
Liebe öffnet Herzen Nachdem Reinhard Mohn bereits 1986 als Autor debütiert hatte, zog im Jahr 2000 auch Liz Mohn mit einem Buch nach. Sie erzählte später, den Anstoß zur Entstehung ihres Buches Liebe öffnet Herzen habe ein Mitarbeiter gegeben, der ihr vorschlug, ein Buch über ihr Leben zu schreiben und den Erlös ihrer Schlaganfall-Stiftung zugute kommen zu lassen. Sie fand die Idee gut. Gemeinsam mit einer Ghostwriterin erarbeitete sie ein Konzept und ordnete ihr Leben. Wie der Verlag schreibt, ist das Buch »Programm, Lebenserkenntnis und Mahnung zugleich«. Liz Mohns wichtigstes Anliegen ist der Wert der Familie in der Gesellschaft von heute. Dabei schildert sie ihr 274
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eigenes Leben, ihre Familie und ihre Arbeit für Bertelsmann geradezu als Musterbeispiel. Liz Mohn beschreibt, wie sie dazu kam, sich aktiver bei Bertelsmann einzubringen. Als ihr jüngster Sohn gerade ein paar Wochen eingeschult war, habe sie eine große Leere verspürt. Sie habe nun viel freie Zeit gehabt und etwas Sinnvolles machen wollen. Und sie habe das Leben ihres Mannes teilen wollen, für den Bertelsmann Lebensinhalt war. Zunächst jedoch fragte sie ihren Mann um Rat, der erstaunlich positiv reagierte. »Er sagte nur: ›Probier’s mal.‹ Wer ihn gut kennt, weiß, dass dies bei ihm die höchste Form der Zustimmung bedeutet.« Liz Mohn ist diszipliniert, steht früh auf und hat den langen Arbeitstag einer viel beschäftigten Geschäftsfrau. Dabei habe sie ein großes Vorbild – ihren Mann. »Sein Vorbild und der Dialog mit ihm waren für mich Schule, Lehre und Vorlesung zugleich. Ich lernte und lernte und lernte. Er erzählte vom Aufbau seiner Firma, von seinen Problemen, wie er sie löste. Ich hörte zu. Er sprach von seinen Angestellten, über Führungstechniken. Ich hörte zu. Er sprach über Politik, Staat und Gesellschaft, legte seine Ansichten dar, analysierte, kritisierte. Ich hörte zu. Er sprach über Ethik und Moral. Ich hörte zu … Ich war in diesen Jahren wie ein Schwamm, der alles aufsog. Ich lernte kritisches Denken.« Über ihre Beziehung schreibt sie: »Mein Mann und ich stehen in ständigem Dialog. Wir sprechen jeden Morgen eine halbe Stunde bei einer Tasse Kaffee miteinander und – soweit möglich – jeden Abend beim Wein am Kamin ein bis zwei Stunden. Das sind unsere Fixpunkte, unsere Rituale. Wir sprechen über den Tag, die Erlebnisse des anderen, aber auch die Gedanken und Meinungen zu den Ereignissen in der Firma, und diskutieren aktuelle wirtschafts-, sozial- und gesellschaftspolitische Themen. Dabei haben wir eine stillschweigende Übereinkunft: Morgens besprechen wir Probleme, abends nur noch angenehme und neutrale Themen. Das ist ein gutes Rezept, um schlaflose Nächte zu vermeiden.« Man erfährt in dem Buch, dass Liz Mohn wie selbstverständlich das Ehepaar Gorbatschow in ihrem Haus empfängt oder mit dem ehe275
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maligen Bundespräsidenten Roman Herzog und der englischen Königin Elisabeth speist. Dennoch behauptet sie: »Wir sind bodenständig geblieben in der Familie – oberflächliches Jetset-Leben ohne Arbeit und Pflichten kam für uns nie in Frage.« Bei ihren Kindern habe es anfangs öfter Tränen gegeben, weil sie nun mehr im Unternehmen und nicht immer zu Hause war. Nachdem Reinhard Mohn den Kindern jedoch erklärt habe, dass die Arbeit wichtig sei für sie und das Unternehmen, sei ihre Berufstätigkeit nie mehr ein Thema für die Kinder gewesen. In ihrem Buch drückt sie ihre Sorgen darüber aus, dass immer mehr Ehen geschieden werden. Sie halte dies für eine gefährliche Entwicklung nicht nur für die Paare und die betroffenen Kinder, sondern für die gesamte Gesellschaft. »Kinder brauchen eine gesicherte Perspektive in einer verantwortlichen Partnerschaft. Erst in einem Zuhause, in dem Kinder Liebe, Geborgenheit und Zuwendung, Orientierung und Vorbilder haben, können sie Werte ausbilden, die sie brauchen, um selbstständig zu urteilen und zu entscheiden, Verantwortung für sich selbst und andere zu entwickeln.« Sie mahnt, die »Werte der Familie nicht zu gering zu achten«, denn die Familie sei »die Keimzelle unseres Gemeinwesens«. Sie biete »Schutz und Geborgenheit. Sie gibt und lehrt Liebe … Die Familie ist eine Kraftquelle. Ich habe das für mich und meine Angehörigen immer so gesehen. Stets habe ich mich bemüht, in unserer Familie den Zusammenhalt zu stärken.« Als das Buch 2001 erschien, würdigten große Artikel in den Gütersloher Zeitungen dieses Ereignis. Das Interesse war verständlich. Schließlich bot sie nicht nur einen Blick auf ihr eigenes Leben, sondern auch auf das des Paares. Doch in Gütersloh mögen sich selbst Leute, die wenig über Liz Mohn wussten, bei der Lektüre die Augen gerieben haben. Bekannte und Verwandte meinten gar, die Hälfte der Behauptungen in dem Buch stimme schlicht nicht. Reinhards Bruder Sigbert, der sich längst im Ruhestand befand, holte sich ein Exemplar des Buches in der Hauptverwaltung mit den Worten ab, er wolle mal einen Blick in das »Märchenbuch« werfen. Denn was er in den Zeitungs276
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berichten vorab gelesen habe, lasse keine andere Bezeichnung zu, sagte er seiner Familie. So kann man dem Buch entnehmen, dass Liz ihren Mann mit 17 Jahren kennen lernte und die beiden ab dieser Zeit ein Paar waren, das gemeinsam drei Kinder großzog. Warum stellt sie das so dar, fragten sich Reinhards Geschwister, wo in Gütersloh doch jeder wisse, dass sie damals nicht mit Reinhard zusammenlebte? Warum schildert sie ein Familienidyll mit ihrem Mann Reinhard, wenn doch jeder wusste, dass die beiden auch nach ihrer Hochzeit getrennt lebten, sie in Gütersloh und er auf seinem Hof Steinhagen? Warum schilderte sie detailreich ihr Leben und erwähnte dabei ihre erste Ehe mit keinem Wort? Auch Reinhards erste Ehe erwähnte sie nicht. Das Buch wurde in der Eingangshalle der Hauptverwaltung platziert, wo Liz Mohn ihr Büro hat. Der Erscheinungstermin und diese Platzierung waren wohl kein Zufall: Kurze Zeit später übernahm sie Positionen im Aufsichtsrat und in der Verwaltungsgesellschaft. Mit dem Buch etablierte sich Liz Mohn als öffentliche Person und brachte ihren Namen ins Gespräch, den vorher kaum jemand kannte. Hier konnte jeder nachlesen: Liz Mohn teilt die Werte und Ziele ihres Mannes. Sie reiht sich auch in die Tradition der Familie Mohn ein und nennt die Großmutter ihres Mannes als ihr Vorbild. Und sie beansprucht für sich, Bertelsmann nach außen zu repräsentieren. »Mein Mann schätzt es sehr, dass ich einen wertvollen Beitrag zur Außenwirkung des Unternehmens leiste. … Das ist unsere Arbeitsteilung in der Partnerschaft. Mein Mann meint, dass ich eine Begabung hätte, Menschen zusammenzuführen – und so hat er mir diesen Part allein überlassen.« Im Februar 2001 berichtete Liz Mohn stolz in einer Hauszeitschrift, die erste Auflage sei innerhalb von nur vier Tagen vergriffen gewesen. Die Gesamtauflage, so ließ der Verlag bereits 2001 verlauten, belaufe sich auf 18 000 Exemplare. In Wirklichkeit muss die Auflage damals deutlich niedriger gelegen haben, denn Mitte 2003 hatte die HardcoverAusgabe erst 12 000 Exemplare erreicht. Immerhin, für ein mäßig beworbenes Buch wäre das ein durchaus guter Absatz. Für Liz Mohn 277
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freilich wurden große Werbetrommeln gerührt: Der Verlag verschickte farbige Plakate und andere Werbematerialien. Die Welt am Sonntag druckte über mehrere Ausgaben hinweg jeweils halbseitenlange Auszüge aus dem Buch. Die Presseabteilung des Unternehmens verschaffte Liz Mohn Auftritte in Fernseh-Talkshows. Sie gab Interviews. Die Buchvorstellung selbst fand nicht im provinziellen Gütersloh, sondern in vornehmem Ambiente in der Hauptstadt statt. Die Gattin des Bundespräsidenten und die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth gaben sich die Ehre und sorgten für Aufmerksamkeit in den Medien. Ein Aufwand wurde betrieben, wie ihn sonst wirklich nur die besten Autoren des Hauses erfahren. Buchhändler in Gütersloh und Umgebung wurden vom Verlag bearbeitet, das Buch gut sichtbar in ihren Läden zu präsentieren. Als der Verkauf nicht so recht anzog, meldeten die Verlagsleute der Autorin falsche Verkaufszahlen. Liz Mohn ging damit an die Presse. So kam es zur falschen Angabe von 18 000 verkauften Exemplaren. Irritationen gab es, als Liz Mohn eine Abrechnung erhielt. Sie bemängelte, dass der Schlaganfall-Hilfe, an die sie das Honorar abgetreten hatte, deutlich zu wenig Geld überwiesen worden sei. Ihre Mitarbeiter mussten sie dann erst einmal darüber aufklären, dass der Ladenpreis keineswegs in voller Höhe dem Autor zusteht. Ein wenig staunten die Verlagsmitarbeiter da schon, dass sie der Miteigentümerin des weltgrößten Verlags, die immerhin im Aufsichtsrat des gesamten Konzerns sitzt, solche Selbstverständlichkeiten erklären mussten.
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17. »Das müssen wir machen!« Die Entscheidung für den Börsengang
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m Oktober 1999 erfuhr Thomas Middelhoff, dass sein Freund Steve Case mit dem Internet-Dienst AOL große Pläne hatte. Case wollte den hohen Börsenwert des Unternehmens nutzen und nicht nur Konkurrenten wie CompuServe und Netscape übernehmen, sondern auch mit einem traditionellen Medienunternehmen fusionieren. Bertelsmann bot sich wegen der bereits bestehenden Beteiligungen dazu an, hatte man doch in Europa bereits einen gemeinsamen Internet-Dienst. Case machte Middelhoff das Angebot, mit ihm zusammenzugehen. Middelhoff gab den Vorschlag zu Hause in Gütersloh weiter. Mohn lehnte ab: Der Börsenwert von AOL lag so hoch, dass Bertelsmann von den Amerikanern schlicht geschluckt worden wäre. Als Steve Case kurz darauf im Januar 2000 die größte Fusion in der amerikanischen Geschichte ankündigte, war Middelhoff gerade im Skiurlaub. Statt mit Bertelsmann fusionierte AOL mit der Nummer eins der Medienkonzerne, Time Warner. Offiziell war von einer Fusion unter Gleichen die Rede, aber der Umstand, dass die Kennung an der Börse künftig schlicht »AOL« lautete und Case Chairman des Konglomerats wurde, waren nur die äußeren Zeichen dafür, dass AOL de facto Time Warner übernommen hatte. In den folgenden Tagen musste Middelhoff sich in Kommentaren immer wieder unter die Nase reiben lassen, dass die nicht börsennotierte Bertelsmann AG im Global Business nicht mehr mithalten könne, weil Zusammenschlüsse dieser Größenordnung eben nur noch über den Tausch von Aktien zu bewerkstelligen wären. Unmittelbar nach der AOL-Time Warner-Fusion versuchte Bertels279
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mann, die Gemüter zu beruhigen. Der Konzern müsse nicht an die Börse gehen, sondern stehe auch so bestens da. Middelhoff sagte, die Fusion habe keinen so großen Einfluss auf den Umsatz von Bertelsmann, sondern bestätige nur seine Strategie, den Konzern aufs Internet auszurichten. »Ich sehe keinen Grund dafür, warum Bertelsmann seine wunderbare Beteiligung aufgeben sollte. Und America Online hat uns in dieser Hinsicht auch nicht angesprochen«, sagte er. Auch mache es keinen Sinn, im Galopp die Pferde zu wechseln. Middelhoff deutete jedoch an, dass er als Chef von Bertelsmann möglicherweise nicht weiter im Aufsichtsrat von AOL sitzen sollte, weil Bertelsmann ja Konkurrent von Time Warner sei und nicht die Aufsicht bei einem Konkurrenten führen könne. Und so geschah es auch, nicht zuletzt, weil das eine der Auflagen der Wettbewerbshüter war. Im März verkündete Bertelsmann, man verkaufe die Anteile an AOL Europe nun doch und werde sich überhaupt ganz aus dem InternetGeschäft zurückziehen. Als bei diesem Verkauf die Sektkorken knallten, bestand tatsächlich Grund zu überschäumender Laune: 50 Millionen Dollar hatte man 1994 für die fünfprozentige Beteiligung gezahlt. Sechs Jahre später war sie nun rund drei Milliarden Mark wert. Als noch profitabler erwies sich die Zusammenarbeit bei AOL Europe: Seit 1995 hatte Bertelsmann einen dreistelligen Millionenbetrag investiert. Nun durfte man eine Zahlung erwarten, die zwischen 13,5 und 16,5 Milliarden Dollar lag. Damit wäre das Stammkapital von Bertelsmann auf einen Schlag verdreifacht. Im Sommer und im Herbst des Jahres 2000 traf der nun schon fast 80-jährige Mohn die vielleicht folgenreichste Entscheidung seines Unternehmerlebens: den Gang Bertelsmanns an die Börse. Mohn war zwar ein versierter Unternehmer, doch was ihm völlig fehlte, waren praktische Erfahrungen mit einem börsennotierten Unternehmen. Er hatte sich immer gegen diesen Börsengang ausgesprochen, doch bis dato hatten die Aktiengeschäfte Bertelsmann nur Segen gebracht. Middelhoffs AOL-Beteiligung hatte Milliarden in die Kassen gespült. Und als Mohns Sohn Christoph den Internet-Dienstleister Lycos Europe an die Börse brachte, hatten viele Leute in der Hoffnung auf 280
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ein weiteres AOL-Wunder Aktien gezeichnet. Mit den auf diese Weise eingenommenen Millionen konnte Bertelsmann die Anlaufverluste kompensieren. Bertelsmann suchte nun nach einem Weg, die Segnungen der Börse auszunutzen – ohne die Nachteile zu erleiden. Zu Beginn des Jahres 2000 trug Thomas Middelhoff erstmals eine große Idee an Reinhard Mohn heran: die Übernahme von RTL durch einen Aktientausch. Er wollte endlich so agieren wie seine Konkurrenten in den USA. Bei einem Abendessen sprach Thomas Middelhoff Albert Frère an. Wäre er bereit, seine Anteile an RTL zu verkaufen? Kurz zuvor hatte Middelhoff sich mit dem britischen Unternehmen Pearson zusammengetan und dadurch den Einfluss von Bertelsmann bei RTL erhöht. Im Juli brachten Bertelsmann und Pearson die RTL Group mit ihren 22 Fernsehstationen und 18 Radiosendern sowie Produktionsfirmen an die Londoner Börse. Damit war erstmals ein ganzer Unternehmensbereich von Bertelsmann an die Börse gegangen. Aber Middelhoff wollte mehr: Bertelsmann war daran interessiert, RTL ganz zu übernehmen. Middelhoff ließ nicht locker, sprach Frère immer wieder auf den Verkauf an. Dazu musste er ihm freilich einen lukrativen Anreiz bieten. Was er davon halten würde, bei Bertelsmann einzusteigen? Frère zeigte sich interessiert, aber das allein reichte ihm noch nicht. Um diese Haltung zu verstehen, muss man den Werdegang des belgischen Finanziers kennen. Albert Frère stammt aus einer armen Familie in Wallonien. Er wurde 1926 in der Stahlstadt Charleroi geboren, war also fünf Jahre jünger als Reinhard Mohn. »Mach das Licht aus!«, mahnte die Mutter den Jungen immer. »Wir haben nicht das Geld der Rothschilds.« Nach dem Krieg übernahm er das Eisenwarengeschäft der Mutter und verkaufte Nägel, Ketten und Schrott. Auf diese Weise hatte er hin und wieder mit einem Stahlwerk zu tun. Weil er im Handel mit Stahl ein besseres Geschäft vermutete, kaufte er Stahl in großen Mengen und hatte Glück. Wegen des Koreakrieges und der Ost-West-Teilung im damals »heißen« Kalten Krieg herrschte weltweit ein Mangel an Stahl. Also verkaufte er Stahl nach Kuba, China, Polen, Russland. Bald fuhr er ein Mercedes-Cabrio und schlürfte Austern. 281
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Mit 28 Jahren erwarb er 1954 sein erstes Stahlwerk; zwei Jahrzehnte später gehörten ihm alle Hochöfen der Region. Um den hemdsärmeligen Unternehmer zu charakterisieren, wird gern folgende Anekdote erzählt: Als seine Arbeiter einmal streikten und ihn nicht mehr aus einer Versammlung gehen lassen wollten, knöpfte er sich kurzerhand den Hosenlatz auf und sagte: »Ich pinkel jetzt an die Wand.« Sofort wurde ihm der Weg frei gemacht. Bis zur großen Krise der Stahlbranche machte er gute Gewinne. Zu Beginn der Krise verkaufte er kurzerhand seine Stahlwerke an den Staat und legte das Geld in verschiedenen Firmen an. 1981 brachte er ein Drittel der Groupe Bruxelles Lambert, kurz GBL, unter seine Kontrolle, eine der größten börsennotierten Holdings in Belgien. Im Laufe der Jahre stieg die GBL bei Ölgesellschaften, Versicherungen und Banken ein. Frère bezeichnet sich als »professionellen Aktionär« und führt die Geschäfte zusammen mit dem Kanadier Paul Desmarais. Die beiden arbeiten so eng zusammen, dass die Branche von einem »siamesischen« Vorstand spricht. Die Holding beschäftigt nur etwa 20 Leute. Seit 20 Jahren liegt die Leitung von Frère-Bourgeois, der Kerngesellschaft des Konzerns, in den Händen eines Administrationsbüros in Form einer Stiftung niederländischen Rechts. Mit dieser Konstruktion war es Frère möglich, die Holding ohne die sonst üblichen Steuern in die Hände der Erben zu übergeben. Wie Mohn, so machte sich auch Frère Gedanken über seine Nachfolge. Sein jüngster Sohn starb 1999 bei einem Unfall. Sein ältester Sohn sagte einmal, sein Vater und er würden sich gleichzeitig zur Ruhe setzen. Für den Vater keine ermutigende Aussicht. Frère gilt als Choleriker, der Mitarbeiter auch mal anbrüllt. Frühmorgens um 7.30 Uhr sitzt er bereits am Schreibtisch und telefoniert. Selbst sonntagmorgens müssen seine Mitarbeiter zu Hause mit einem dienstlichen Anruf rechnen. Er löscht immer noch das Licht, wenn er aus dem Raum tritt. Auch im Hotel. Wenn er es vergisst, kehrt er um. Wenn er keine Zeit hat, umzukehren, dann bittet er seine Sekretärin, es zu tun. Ansonsten hat er seine Kinderzeit weit hinter sich gelassen. Er verfügt heute über so viel Geld wie die Rothschilds und hat inzwischen auch mal auf ihrem Landsitz übernachtet. 282
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Sein Privatvermögen wird auf 1,6 Milliarden Dollar geschätzt; er gilt als reichster Mann Belgiens. Er liebt gutes Essen und guten Wein und hat ein eigenes Weingut, Cheval Blancs. Er lebt abwechselnd in Belgien, Paris und Südfrankreich. 1994 ernannte der belgische König ihn zum Baron. Als Frère seine Holding neu strukturierte und einige Beteiligungen verkaufte, warf er ihm Ausverkauf nationaler Güter vor. Da zog Frère nach Frankreich. 1994 war es auch, als der ehemalige Schrotthändler und Stahlkocher Medienunternehmer wurde, indem er sich über die Gesellschaft Audiofina bei RTL einkaufte. Frère war groß geworden an und mit der Börse. Er fühlte sich seinen Anteilseignern verpflichtet. Er konnte daher schlecht eine Beteiligung wie RTL, die an der Börse notiert war, gegen eine Beteiligung tauschen, die nicht an der Börse notiert war. Das konnte er im Interesse seiner Partner nur begründen, wenn die Aussicht auf ein besonders gutes Geschäft oder einen Börsengang bestünde. Middelhoff und Frère vereinbarten ein Tauschgeschäft: Frère überlässt Bertelsmann seinen RTLAnteil, der sich auf 30 Prozent beläuft. Zusammen mit dem bereits gehaltenen Anteil von 37 Prozent verfügte Bertelsmann damit über eine Mehrheit bei RTL. Im Gegenzug sollte Frère 25 Prozent an Bertelsmann erhalten. Bis zu diesem Punkt wäre es ein Geschäft gewesen, wie Bertelsmann es alle paar Monate verkündete. Was dieses Geschäft aber so einzigartig machte für Bertelsmann, war der Umstand, dass Frère die Zusage erhielt, er dürfe seine Aktien ab 2005 an die Börse bringen. Warum erst 2005? Weil dann die Aktien, die Mohn einst Bucerius verkaufte, wieder vollständig im Besitz von Bertelsmann sein würden. Eine der Bedingungen Frères für den Deal war also, dass die Voraussetzungen für einen Börsengang von Bertelsmann geschaffen würden. Als im Oktober 2000 Thomas Middelhoff und Siegfried Luther von ihren Büros in der Hauptverwaltung hinübergingen zur Stiftung, hielten sie eine kurze Zusammenfassung des Deals mit GBL in den Händen. Mohn liebt knappe und präzise Beschreibungen. Das Papier besagte, dass Frère Wert lege auf eine »Exit-Möglichkeit«. Schließlich sei Frère Finanzier und halte keine Beteiligungen, die nicht an der Börse 283
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notiert seien. Und die RTL-Aktie würde im Gegensatz zu Bertelsmann schließlich an der Börse gehandelt. Middelhoff und Luther waren beide dafür, dass Bertelsmann den Schritt wagen und einen Börsengang riskieren sollte, sagten sie später Journalisten. Aber sie waren sich nicht sicher, ob Mohn sich dieser Sicht anschließen würde. Mohn jedoch hielt das Geschäft überraschenderweise für logisch und attraktiv. »Das müssen wir machen«, soll er gesagt haben. Warum war Mohn sofort überzeugt? Er hatte gute Gründe zu glauben, dass das alte Stammgeschäft der Buchclubs nicht mehr zukunftsfähig war und dass das Fernsehen die Funktion übernehmen könnte, die einst der Buchclub hatte, nämlich die stetigen Gewinne für das Wachstum zu erbringen. Selbst wenn man 25 Prozent abgeben müsse und diese 25 Prozent vielleicht an die Börse gingen, sei das Geschäft immer noch richtig. Reinhard Mohn las sich die Unterlagen durch und stellte einige Fragen, welche Auswirkungen das für die Altgesellschafter haben werde. Dann gab er sein Plazet. Thomas Middelhoff und Siegfried Luther konnten gar nicht glauben, was passiert war: »Da standen wir wie zwei Schulbuben, die gute Noten bekommen hatten, schauten uns an und dachten: Das gibt’s doch gar nicht.« Nachdem Frère 30 Prozent von RTL bei Bertelsmann eingebracht und im Gegenzug 25 Prozent von Bertelsmann erhalten hatte, machte die Aktie von GBL einen Sprung nach oben. »Die Belgier sind der klare Gewinner«, schrieb das Börsenblatt. Tatsächlich war das Viertel Bertelsmann sehr viel mehr wert als das Drittel RTL. Schließlich hielt Frère mit seiner 25-prozentigen Bertelsmann-Beteiligung weiterhin einen stattlichen RTL-Anteil. Dazu kamen noch ein Viertel von Random House, Gruner + Jahr, BMG, Arvato und allen weiteren Tochterunternehmen und Beteiligungen. Wer nachrechnete, musste vermuten, Mohn sei verrückt geworden, denn er schien seinen Konzern zu verschenken. Befürworter hielten dagegen, daran ließe sich ersehen, wie dringlich die Übernahme des Fernsehgeschäfts sei. Den hohen Tauschpreis glaubte man durch erhöhte Gewinne von RTL bald wieder ausgleichen zu können. Mohn seinerseits wies darauf hin, dass der Handel große strategische Möglichkeiten eröffne, und seine jungen Männer 284
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im Unternehmen bräuchten diese Freiräume, »sonst hauen sie ab«. Er wusste, dass Middelhoff Angebote der Konkurrenz vorlagen und dass er gerne ein börsennotiertes Unternehmen geleitet hätte. Gemessen an dem zu dieser Zeit aktuellen Börsenkurs von RTL hatte die Transaktion einen Wert von rund 4,4 Milliarden Euro. Dafür also war ein Viertel von Bertelsmann zu haben! Das hätte einem Gesamtwert des Unternehmens von lediglich 17,6 Milliarden Euro entsprochen. Das war weniger als der Umsatz eines Jahres; weniger auch als konservative Schätzungen. Warum hatte Mohn zugestimmt? Allein die Aussicht auf glänzende Gewinne konnten ihn kaum dazu bewogen haben. Das Geschäft war ein Rätsel. Tatsächlich hatten weiter reichende Überlegungen Mohn dazu bewogen, dem – aus Sicht des Unternehmens teuren – Börseneinstieg zuzustimmen. Im Februar 2001 äußerte er sich dazu: »Angesichts der Entwicklung unseres Unternehmens in den vergangenen Jahren ist in mir die Überzeugung gewachsen, dass uns eine selbst auferlegte zusätzliche externe Kontrolle gut tut.« Während Middelhoff und Luther ihm von den Möglichkeiten der Börse vorschwärmten, muss Mohn vor allem auch von dem Aspekt angetan gewesen sein, dass Analysten und Journalisten die Tätigkeit von Middelhoff und Luther viel genauer »kontrollieren« würden. Während Bertelsmann die von ihm angepeilte Rendite von 15 Prozent ansteuern könnte, würde nach seinem Tod die Börse Mohns Kontrollfunktion übernehmen. Nachteile sah er nicht in dem Geschäft. Dafür, dass Frère Bertelsmann nicht in die Führung des Unternehmens reinredete, hatte Mohn gesorgt, indem er Frère zwar 25,1 Prozent des Kapitals überließ, die für eine Sperrminorität und damit das Vetorecht entscheidenden 0,1 Prozent der Anteile aber ohne Stimmrecht blieben. Somit würde Mohn die entscheidende Stimmenmehrheit behalten. Frère durfte lediglich zwei Vertraute in den Aufsichtsrat schicken. Das war Mohn durchaus recht, schließlich würde auch das für weitere Kontrolle sorgen. Der Gang an die Börse schien für Mohn ein perfektes Geschäft zu sein, weil er im Grunde freilich gar nicht vorhatte, seine eigenen Anteile an die Börse zu bringen. Er wollte die Vorteile der Börse auskos285
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ten, ohne die Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Würde es Reinhard Mohn, den ein Bewunderer einmal als »aufgeklärten Kapitalisten« bezeichnete, nun auch gelingen, die Börse zu überlisten?
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18. »Mein Lebenswerk« Ein Unternehmer geht stiften
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ie Stadthalle in Gütersloh war mit dunkelblauen Samtvorhängen ausgekleidet. An den Eingängen standen die Hostessen des konzerneigenen Veranstaltungsdienstes und geleiteten die 800 Gäste zu ihren Plätzen. Eingeladen hatte die Bertelsmann Stiftung zur Feier ihres 25-jährigen Bestehens. An diesem Tag, dem 13. März 2002, ließ sich aber nicht so sehr die Stiftung feiern, sondern vor allem Reinhard Mohn. Die Zeit hatte ihn bereits 1998 zum »Unternehmer des Jahrhunderts« ausgerufen. Nun sollte er auch als Stifter geehrt werden. Diesen Titel trug Mohn so selbstverständlich wie andere eine Berufsbezeichnung. »Sie haben Vorschläge gemacht, wir haben sie angenommen. Auf diese Weise wären wir beide geehrt«, sagte Bundespräsident Johannes Rau frei nach Brecht in seiner Festansprache. Der Bundespräsident wäre als junger Mann beinahe selbst bei Bertelsmann gelandet. Denn nach dem Krieg arbeitete er als Verlagsbuchhändler für mehrere evangelische Verlage in Wuppertal, reiste mit einem Volkswagen durch die Bundesrepublik und warb für die Publikationen seiner Verlage. Heinrich Mohn wollte ihn abwerben, lud ihn nach Gütersloh ein und stellte ihm einen guten Verdienst in Aussicht. Da Rau aber wegen seiner Mutter weiterhin in Wuppertal wohnen wollte und deshalb pendeln hätte müssen, war das für ihn kein gutes Geschäft. Nach Abzug der Unkosten, so errechnete er, würde er sich verschlechtern. Heinrich Mohn sagte, mehr könne er leider nicht zahlen. Aber er bot ihm einen geldwerten Vorteil an: Johannes Rau könne sich einmal im Jahr bei seinem Schneider auf Kosten von Bertelsmann einen Anzug fertigen lassen. Rau rechnete noch einmal nach. Der An287
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zug hätte kaum etwas am Verdienst geändert. Er schlug Mohns Angebot aus. Beide Seiten erinnerten sich nun beim Jubiläum unterschiedlich an diese Begegnung: Rau sprach davon, dass man ihm zu wenig geboten habe. Bertelsmann betonte augenzwinkernd, dass man Rau gern eingekleidet habe. Auf der Bühne symbolisierten fünf stelenartig aufragende Wandflächen die Kompetenzfelder der Stiftung: Bildung, Arbeit, Gesundheit, Demokratie und »Internationale Themen«. 300 Mitarbeiter betreuten zeitweise rund 200 Projekte. Sie halfen, Bibliotheken in Polen oder Ägypten zu errichten, prüften Reformvorschläge für das Bildungsund das Gesundheitswesen oder berieten das Bündnis für Arbeit. Zu den kontinuierlichen Aufgaben der Stiftung gehört es auch, die jeweiligen Ratspräsidenten der Europäischen Union vor der turnusmäßigen Amtsübernahme ein Wochenende lang auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Die Stiftung »will Einfluss nehmen«, hat ihr ehemaliger Vorsitzender Gunter Thielen einmal gesagt, »aber nicht direkt beeinflussen«. Joel Fleishman, ein Jura-Professor und Stiftungsexperte der Duke University in den USA, lobte die Bertelsmann Stiftung als eine der einflussreichsten ihrer Art weltweit. Sie habe Modellcharakter für viele andere Stiftungen, und das liege schlicht an Reinhard Mohn, der ein »Genie« sei, was den Aufbau von Institutionen betreffe. Längst hatte sich die Selbstdarstellung der Stiftung in einem entscheidenden Detail gewandelt: Nun ging es nicht mehr in erster Linie um den Erhalt seiner Firma, bei der Gründung hätten unternehmerische und gesellschaftspolitische Aspekte gleichermaßen Pate gestanden. Dabei hatte Mohn selbst klar zum Ausdruck gebracht, dass es ihm in erster Linie um die Sicherung des Unternehmens ging. »Der eine trinkt gerne ein Bier, der andere liegt gern in der Sonne. Ich denke gerne«, so beschrieb Reinhard Mohn einmal die Motivation, eine Denkfabrik zu gründen, die in 25 Jahren zur größten operativen Stiftung Deutschlands herangewachsen war. Operativ heißt in diesem Zusammenhang, dass sie nicht nur Gelder vergibt, sondern selbst Projekte in Angriff nimmt. Seit 1977 hat die Stiftung rund 350 Millionen Euro ausgegeben. Geld, das die Bertelsmann AG verdient hat. 288
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»Bekommen die Leute der Bertelsmann AG nicht manchmal ein bisschen Angst?«, fragte Rau in seiner Festrede. Wenn all die Bildungsprogramme der Stiftung Erfolg hätten, dann könnte es doch sein, dass die Menschen nicht mehr so lange vor dem Fernseher säßen und jene Programme schauen und Musik hören wollten, mit denen die AG ihr Geld verdiene. Aber manche Widersprüche seien eben nicht aufzulösen. Stiftungen wollten Einfluss nehmen, in gewisser Weise auch Politik machen: »Bürgerschaftliches Engagement, das mit privatem Geld arbeitet und die Schwerpunkte seiner Arbeit selber bestimmen kann, ist zu unterscheiden von Politik, die von gewählten Volksvertretern in demokratischem Auftrag gemacht wird«, betonte Rau. Es klang wie eine Warnung vor allzu großer Einflussnahme. Manchen ist die Stiftung nicht ganz geheuer, vor allem wegen der Macht des Konzerns. Kritiker monieren, dass die Stiftung beispielsweise bei Gesetzesvorhaben mitredet, die das Stiftungswesen regeln. Ist das nicht pures Lobbying für das eigene Geschäft? Ein anderer Vorwurf lautet, Mohns Vorstellung von der Arbeit der Stiftung ließe sich mit dem demokratischen Parlamentarismus nicht vereinbaren. Die Stiftung mache Politik, die Wähler nicht beeinflussen können, und verwende dafür zumindest teilweise Gelder, die ohne die Stiftungskonstruktion hätten versteuert werden müssen. In der Stiftung freilich sieht man das anders: Hier betont man die Gemeinnützigkeit der Stiftung, die durch ihre Arbeit den Staat unterstütze. Mohn betrachtet die Stiftungsarbeit heute als sein eigentliches Lebenswerk. Die Bertelsmann Stiftung war für ihn erst der Anfang, danach gründete er die erste Stadtstiftung in Deutschland und nahm damit eine Idee aus den USA auf, die er seitdem mit der Bertelsmann Stiftung erfolgreich propagiert: Bürger einer Stadt finanzieren mit Spenden soziale Projekte in ihrer Stadt. Sein Eifer ist fast schon missionarisch und entspricht ganz der Tradition der Familie. »Mohns Sekte«, nennen manche Kritiker spöttisch seine Stiftung. Die Grenzen zwischen Unternehmen und Stiftung verschwimmen häufig. So unterhalten beide in Berlin eine gemeinsame Vertretung. Dass Mitarbeiter von Stiftung und AG den gleichen Parkplatz und die 289
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gleiche E-Mail-Kennung benutzen und die gleiche Kantine besuchen, sind nur äußerliche Zeichen für die unklare Trennlinie. Bei manchen Dingen geht die Durchdringung jedoch viel tiefer, was Fragen aufwirft bei einer gemeinnützigen Einrichtung. Andere Unternehmen haben ihre Stiftungen deutlicher abgegrenzt, zumal in Amerika. Immerhin fließt ein Großteil des Gewinns der AG auf das Konto der Stiftung, die besondere Steuervergünstigungen genießt. Für jeden Euro, den die Stiftung ausgibt, muss sie einen weiteren Euro nicht versteuern. Inzwischen ist Bertelsmann eine politische Größe geworden. Die Stadt Gütersloh mag bundespolitisch eine eher untergeordnete Rolle spielen; sie ist dennoch eine wichtige Adresse in den Terminkalendern der Spitzenpolitiker. Zu Wahlkampfzeiten geben sich hier Gerhard Schröder, Edmund Stoiber und ihre Konkurrenten die Klinke in die Hand, um im »Bertelsmann-Forum« im Keller der Hauptverwaltung vor den Führungskräften von Bertelsmann zu sprechen. Liz Mohn und ihre Manager sitzen dann in der ersten Reihe. Bertelsmann ist inzwischen so mächtig geworden und verfügt über so viele Medien, dass kein Politiker es sich leisten kann, eine Einladung der Stiftung oder des Unternehmens einfach abzulehnen. Die Frankfurter Allgemeine nannte die Mitarbeiter der Stiftung »die heimlichen Kanzlerberater«: Im Jahr 2000 etablierten sie den »Kanzlerdialog« – eine jährliche Klausurtagung von Kanzler, Ministern, Ministerpräsidenten und Fraktionsvorsitzenden hinter verschlossenen Türen. Der Dialog ist nur ein Beispiel von vielen dafür, dass die Stiftung auf politische Debatten einwirkt. Über die Stiftung hat das Unternehmen ein Netzwerk mit Politikern aller Parteien aufgebaut: Einige sitzen im Kuratorium oder im Beirat der Stiftung, moderieren Veranstaltungen oder halten dort gegen ansehnliche Honorare Vorträge. So spricht Kanzler Gerhard Schröder auf einer Konferenz der Stiftung über Medienkompetenz und empfängt ganz selbstverständlich Liz Mohn, um sich mit ihr über die Arbeitswelt von Frauen auszutauschen. Rita Süssmuth sitzt im Kuratorium, bringt die Forschungsergebnisse der Stiftung in ein Zuwanderungsgesetz ein und präsentiert Liz Mohns Buch Liebe öffnet Herzen anlässlich der Buchpremiere. 290
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ZDF-Intendant Dieter Stolte berät das Kuratorium und hat angeblich ein offenes Ohr für die Presseabteilung von Bertelsmann, wenn diese Bedenken gegen einen Sendebeitrag äußert. Der 14. März 1977 war die Geburtsstunde der Bertelsmann Stiftung. An diesem Tag erhielt Mohns Antrag zur Einrichtung einer Stiftung die offizielle Genehmigung. Fast zwei Jahre lang existierte die Stiftung nur auf dem Papier. Im Januar 1979 wurde Hans-Dieter Weger Geschäftsführer und zugleich ihr erster Mitarbeiter. Er hatte sich auf eine in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausgeschriebene Stelle für ein »im Aufbau befindliches wirtschaftswissenschaftliches Institut« beworben und war genommen worden. Er bezog ein Büro in einem Miets- und Bürohaus in Gütersloh und musste sich seine Sekretärin mit dem Unternehmen teilen. Die Stiftung verfügte zu dieser Zeit kaum über Kapital: Mohn hatte sie lediglich mit 100 000 Mark ausgestattet. Weger erinnert sich, dass er Mohn alle Ausgaben zur Genehmigung vorlegen musste. Das erste Projekt der Stiftung war der Bau einer Bibliothek in Zusammenarbeit mit der Stadt Gütersloh. Mit dieser Bibliothek wollte Mohn zeigen, dass der Staat seine Angebote effizienter organisieren kann: mit Erfolg. In Gütersloh wurden mehr Leute Mitglied in der Bibliothek als in anderen Städten; heute ist angeblich jeder zweite Bürger Kunde. Das zweite Projekt betraf Mohns alte Schule, das Evangelisch-Stiftische Gymnasium. Zuerst schwebte Mohn ein Projekt zum Thema Führung und Organisation in der Schule vor, dann entschied man sich jedoch für die Förderung audiovisueller Medien im Unterricht. 1984 waren die ersten Projekte abgeschlossen. »Jetzt können Sie Mitarbeiter einstellen«, teilte Mohn dem Geschäftsführer mit. Von da an wuchs die Stiftung unaufhaltsam. Unter Mark Wössners Leitung erreichte das Budget der Stiftung erstmals die 100-Millionen-Mark-Grenze, die Zahl der Mitarbeiter stieg auf 210. Mohn setzte neue Prioritäten. »Wir werden«, kündigte er im Dezember 1999 an, »künftig mehr Kraft und Mittel einsetzen, um erkannte Verbesserungsmöglichkeiten in die Gesellschaft zu implementieren.« Wössner setzte verstärkt Schwerpunkte in der Medien291
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arbeit. Das sei naheliegend für ein Medienunternehmen, argumentierte er. Fortan beklagten Kritiker immer häufiger die Vermischung der Interessen von AG und Stiftung. Ein schönes Beispiel bietet eine Tagung zur Kommunikationsordnung 2000, die von der Stiftung ausgerichtet wurde. Es war keine gewöhnliche Tagung. Die Stiftung brachte alle an einen Tisch, die bei einer Reform mitzureden hatten: Ministerpräsidenten, Intendanten öffentlich-rechtlicher Anstalten, Geschäftsführer deutscher Medienunternehmen, Wissenschaftler. Nirgendwo sonst gab es über dieses Thema ein derart hochkarätig besetztes Forum, das zu einem Ergebnis hätte führen können. Die Stiftung gab die Studien in Auftrag, die als Grundlage der Diskussion dienten und vorgaben, wie über das Thema diskutiert wurde. Die Tagung war an sich schon ein delikates Unterfangen für eine Stiftung, die Eigentümerin des größten Medienkonzerns Deutschlands ist, denn dieser wäre natürlich einer der größten Nutznießer einer Vereinfachung der Aufsicht für Rundfunk und Telekommunikation. Die Tagung machte jedoch auch die personellen Verflechtungen sichtbar. Am ersten Abend gab die Stiftung einen Empfang im konzerneigenen Parkhotel. Mark Wössner eröffnete seine Begrüßung mit der Bemerkung, er spiele ja »nur den Grußonkel«. Bevor er sein Glas zum Toast hob, erlaubte er sich aber doch einige medienpolitische Bemerkungen, die anderes vermuten ließen. Anspielend auf vorangegangene Diskussionen sagte er, er habe bei den Angriffen »gegen uns« den Aufschrei der privaten TV-Anbieter vermisst. Die Stiftung war nicht angegriffen worden, wohl aber einige Manager der AG. Offenbar vermochte Wössner selbst zwischen seinen Funktionen als Aufsichtsratsvorsitzender des Unternehmens und Vorstandsvorsitzender der »unabhängigen« Stiftung schon nicht mehr zu trennen. Ähnlich verhält es sich mit der jährlichen Vergabe des Carl-Bertelsmann-Preises, der seit 1984 vergeben wird, um vorbildliche Ideen und ihre Umsetzung zu fördern. 1998 erhielten ihn eine amerikanische Initiative zur Selbstkontrolle im Internet und die kanadische Aufsichtsbehörde für Rundfunk und Telekommunikation. Mit der Auswahl der Preisträger wurden deutliche Signale an die heimische Politik gesendet. 292
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Denn die kanadische Behörde agiert so, wie sich die Manager von Bertelsmann und die Gutachter, die im Auftrag der Stiftung tätig waren, das von einer deutschen Behörde wünschten. Gleiches gilt für die Selbstregulierung des Internets, verkündete doch der damalige Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, Thomas Middelhoff, beim Ausstieg aus dem Pay-TV-Sender »Premiere«, man werde den Schwerpunkt der Aktivitäten auf das Internet verlegen und bald sogar Pay-TV auf diesem Wege veranstalten. Auf keiner Ebene ist die Verzahnung der Stiftung mit dem Unternehmen so deutlich wie beim Führungspersonal, denn die Stiftung wird beinahe ausschließlich von ehemaligen Managern des Unternehmens geführt. Wenn sie mit 60 Jahren aus dem Unternehmen ausscheiden müssen, dürfen sie sich weiter in der Stiftung engagieren. Einen Höhepunkt erreichte die Ämtervermengung mit Wössner: Er war nicht nur Chef der Stiftung, sondern auch des Aufsichtsrates und der Verwaltungsgesellschaft. Die Stiftung fungiert aber keineswegs nur als Abschiebebahnhof für ausgediente Manager, sondern auch als Ausbildungslager für das Unternehmen. Tim Arnold etwa war erst Assistent von Wössner, dann Pressesprecher der Stiftung, dann holte Middelhoff ihn in seine Abteilung. Und wenn Gunter Thielen erst aus dem Druckereibereich ausscheidet und die Stiftung führt, wenig später aber Middelhoff als Unternehmenschef ablöst, verstärkt das nur den Eindruck, die Stiftung sei in Wahrheit Teil des Unternehmens. Leo Kirch wurde heftig kritisiert, weil er dem Bundeskanzler Helmut Kohl Geld gespendet und ihn überdies als Berater unter Vertrag genommen hat und Kohl sich postwendend in Brüssel für den Münchner Filmhändler einsetzte. Bertelsmann dagegen führt sogar einen Brüsseler EU-Abgeordneten auf der Gehaltsliste, ohne dass sich nennenswerter Widerspruch regt. Elmar Brok ist Abgeordneter der CDU im Europaparlament und ist ebenso offiziell Leiter des Brüsseler Büros von Bertelsmann. Seit vielen Jahren ist er fest angestellt als »Europabeauftragter des Vorstands«. Wenn Journalisten ihn auf die unhaltbare Situation ansprachen, pflegte Brok zu entgegnen, er trenne beides »messerscharf« voneinander. Bei Themen, die Bertelsmann beträfen, enthalte 293
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er sich der Stimme. In seinem Vertrag sei der Vorrang des Mandats vermerkt. Der Publizist Hans Herbert von Arnim bezeichnete die Situation jedoch offen als »Korruption«. Diese Vermischung der Interessen ist nicht bei allen Mitarbeitern gleichermaßen unumstritten. Thomas Middelhoff saß zwar im Kuratorium der Stiftung, nahm jedoch nicht an den Sitzungen teil. Er wollte damit nichts zu tun haben, behaupten Insider, da es seinem amerikanischen Denken zuwiderlaufe, dass Unternehmen und Stiftung nicht streng getrennt seien. Middelhoff befürchtete wohl, dass Beobachter diese Verquickung im Zuge eines Börsengangs besonders kritisieren könnten. Er fragte Reinhard Mohn angeblich sogar, ob er die Stiftung nicht in Reinhard-Mohn-Stiftung umbenennen wolle, da sie doch sein Projekt sei, doch Mohn lehnte ab. Zu diesem Zeitpunkt war Gunter Thielen Vorstandsvorsitzender der Stiftung. Thielen war angetreten mit dem Anspruch, die Stiftung effizienter machen, die Zahl der Projekte verringern und die verbliebenen umso besser betreiben zu wollen. Nach seiner Berufung registrierten die Mitarbeiter indes viel Stillstand. Denn Insidern zufolge galt Thielens Augenmerk in erster Linie Middelhoff. Er soll viel Zeit darauf verwendet haben, »Tommy« anzugreifen und gegen ihn zu intrigieren. Dabei hatte er Mitstreiter im Kuratorium seiner Stiftung: Liz Mohn und Schulte-Hillen. Was folgte, könnte auch als Putsch der Stiftung gegen das Unternehmen bezeichnet werden.
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19. »Jetzt werdet ihr sehen, für welche Firma ihr arbeitet« Die Rückkehr der Familie an die Unternehmensspitze
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nde 2000 begann Reinhard Mohn die Arbeit an seinem dritten Buch, das diesmal Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers heißen sollte. Es ging wieder einmal um die Frage, wie man die Zukunft eines Unternehmens sichert. Mohn sprach gelegentlich mit Middelhoff darüber. Im Frühjahr 2002 wurde das Thema drängender. Mohn hatte eine Hüftoperation und zwei Schlaganfälle hinter sich. Middelhoff erweckte den Eindruck, ihm sei angst und bange bei dem Gedanken, dass er im Falle von Reinhard Mohns Tod wegen dessen ausgeklügelter Erbregelung fünf Jahre lang nichts ändern könnte. Würde er seine Geschäftspolitik dann stets mit Liz und mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Gerd Schulte-Hillen absprechen müssen? In Middelhoffs Augen muss Liz Mohn eine Person gewesen sein, die Geld ausgab, statt es zu verdienen. Und Schulte-Hillen hatte zwar mit dem Zeitschriftenverlag Gruner + Jahr Milliarden für Bertelsmann verdient, aber er hatte keine Erfahrung darin, ein börsennotiertes Unternehmen mit Fernsehen und Internet an der Weltspitze zu halten. Liz Mohn und Schulte-Hillen waren in seinen Augen die falschen Partner für seine Pläne, sagen Middelhoffs Vertraute. Schulte-Hillen war vermutlich kein großes Hindernis: Er war unter anderem deshalb Vorsitzender des Aufsichtsrats geworden, weil Mohn schnellen Ersatz für Mark Wössner brauchte. Im Falle eines Konfliktes würde sich Mohn sicher für Middelhoff entscheiden. Aber wie sollte er mit dem wachsenden Einfluss von Liz Mohn umgehen? Er wollte Reinhards Zusage haben, dass sie nie den Vorsitz eines Gremiums einnehmen würde, das ihn kontrollierte. 295
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Middelhoff beschäftigte noch ein drittes Problem. Seine Vorgänger hatten Bertelsmann an dem amerikanischen Musiklabel Zomba beteiligt und dabei mit dessen Chef Clive Calder vereinbart, die Firma zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz zu übernehmen und ihn auszubezahlen, wenn er das wünsche. Die Berechnung des Kaufpreises war vertraglich festgelegt. Dabei kam die ungeheuerliche Summe von drei Milliarden Dollar zusammen, denn Zomba hatte mit Britney Spears und anderen Popstars großen Umsatz gemacht. Bertelsmann hätte Geld aufnehmen müssen, um ihn auszuzahlen. Für rund 18 Monate hätte Bertelsmann den sich selbst auferlegten Schuldenfaktor überschritten, wie Middelhoff später der Frankfurter Allgemeinen sagte. Die RatingAgenturen würden Bertelsmann abwerten. Wie konnte man das kurz vor dem Börsengang verhindern? Insidern zufolge notierte Middelhoff die drei Punkte auf einem Zettel und ging zu Mohn. »Verständnis über IPO« und »Klärung Rolle Familie« schrieb er, berichtete der Spiegel, und, »falls keine Verständigung«, notierte er in Stichworten: »Einarbeitung Nachfolger«. Middelhoff schlug Mohn vor, Zomba mit Aktien zu bezahlen, wie er später offen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erzählte. ZombaChef Clive Calder sollte etwa zehn Prozent Aktien ohne Stimmrechte erhalten. Mohn sei überrascht gewesen, berichten die Insider, und habe gesagt: »Ah, so machst du das. Ich geh also runter auf 66, und dann …« Mohn fürchtete angeblich, dass die Familie schleichend weniger und weniger besitzen und Middelhoff mehr und mehr Macht bekommen würde. Womöglich würde Calder seine nicht stimmberechtigten Aktien eines Tages in stimmberechtigte umwandeln können. Das wäre das Ende der Familientradition bei Bertelsmann. Dagegen gäbe es doch Vorkehrungen, habe Middelhoff Mohn zu beruhigen versucht. Offenbar war Mohn aber nicht beruhigt. Middelhoff drohte angeblich damit, andernfalls würde Bertelsmann zurückfallen und zu einem Provinzmedienhaus verkommen. Wenn Mohn das wolle, dann gehe er, Middelhoff, freiwillig. Bis Sommer 2003 werde er seinen Nachfolger einarbeiten. Mohn habe dazu nichts gesagt. Er war es nicht gewohnt, dass ihm seine Mitarbeiter die Pistole auf die Brust setzten. 296
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Anfang Juni 2002 präsentierte Schulte-Hillen in einer Sitzung des Aufsichtsrates dem Vorstand seine Vorstellungen für die künftigen Arbeitsschwerpunkte. Middelhoff fühlte sich überrannt und protestierte. Bei Wössner und Mohn seien die Themen stets mit dem Vorstandsvorsitzenden abgestimmt worden, bevor man sie im großen Kreis besprach. Nach der Sitzung rief er seine Vorstände zu sich. Einer fehlte, weil er angeblich nicht informiert worden war: Gunter Thielen, Chef der Druckereien und Industriebetriebe, kurz Arvato, der im Oktober 2001 von Mohn zusätzlich den Vorsitz der Stiftung und der Verwaltungsgesellschaft übernommen hatte. Thielen und Middelhoff kannten sich schon lange und mochten sich nicht. Ihre gegenseitige Abneigung war bekannt. Thielen war bei Mohndruck jahrelang Middelhoffs Chef gewesen. Er hielt weniger von dem jungen Manager als Wössner und verstand nicht, wieso Wössner diesen Hansdampf in den Vorstand geholt hatte. Nun saß dieser Middelhoff, der aussah, als wäre er Assistent, plötzlich gleichberechtigt mit Thielen am Tisch. Thielen musste sich überdies von Wössner ständig vorhalten lassen, dass Mohndruck unter seiner, Wössners, Führung besser gelaufen sei. Es muss eine ständige Demütigung gewesen sein, zudem vor den Augen Middelhoffs. Thielen flüchtete in private Geschäfte. Besucher fanden ihn oft an einem leeren Schreibtisch vor, von wo aus er sich nebenbei auch um die Wurstfabrik seiner Frau kümmerte. In den Vorstandsrunden sagte Thielen nicht viel. Wössner ließ ihn gar nicht zu Wort kommen. Dass Thielen Middelhoff nicht ganz ernst nahm, ließ er offen erkennen: Als Einziger nannte er ihn verniedlichend »Tommy«. Middelhoffs Milliardengeschäft mit AOL, das Bertelsmann Rekordeinnahmen brachte, nannte Thielen später »einen goldenen Schuss« – einen Zufallstreffer. Middelhoff wiederum ärgerte Thielen, indem er ihm vorrechnete, dass dieser mit seinen Gewinnen bei Arvato nicht an seinen eigenen Schnitt herankäme. Middelhoff machte auch kein Geheimnis daraus, dass er zu seinem Jahresverdienst von rund 4,3 Millionen Euro für den AOL-Deal eine Sonderprämie in Höhe von 20 Millionen Euro eingestrichen hatte. 297
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Immer wieder bekam Thielen Gelegenheit, sich über Middelhoffs Starallüren lustig zu machen. So, als Middelhoff sich für eine Anzeige der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lesend auf den BertelsmannTower am Times Square in New York setzte oder sich für eine Anzeige als Kapitän des Raumschiffs Enterprise verkleidete. Dass Thielen solche PR-Nummern für überflüssig hielt und Liz mit seiner Skepsis ansteckte, blieb Middelhoff vermutlich nicht verborgen. Er wusste, dass Thielen im Beirat des Parkhotels saß und dass die beiden sich auch privat außergewöhnlich gut verstanden. Schließlich wusste er, dass Thielen und Schulte-Hillen zusammen studiert hatten und alte Freunde waren. Schulte-Hillen hielt übrigens ebenfalls wenig von Middelhoffs Deals. Und nun also dieser Vorstoß von Schulte-Hillen, mit dem er den Vorstand überraschte. Die Vorstandsrunde war sich einig: Das war eine Frechheit! Dem Schulte-Hillen musste man es einmal zeigen. »Was soll ich tun?«, fragte Middelhoff. Musik-Vorstand Rolf SchmidtHoltz schlug vor, Mohn respektive Schulte-Hillen einen Brief zu schreiben. Middelhoff stimmte zu, aber er selbst wollte den Brief nicht schreiben, um nicht noch mehr Ärger zwischen Vorstand und Aufsichtsrat zu provozieren. Man einigte sich auf Luther, der den Brief schließlich aufsetzte, allerdings ohne ihn zu unterschreiben. Middelhoff schickte den Brief ab und sagte seinen Vorständen danach: »Jetzt werdet ihr sehen, für welche Firma ihr arbeitet: Ob für einen Weltkonzern oder für ein Familienunternehmen.« Mitte Juli konnte Middelhoff sich bestärkt fühlen: Der Aufsichtsrat hatte die Verlängerung seines Vertrages als Vorstandsvorsitzender bis 2008 abgenickt. Gleich in den Tagen darauf startete Middelhoff ein neues großes Projekt: die Absetzung des Aufsichtsratsvorsitzenden Schulte-Hillen. Er sollte gehen, weil er gegen so vieles war, was Middelhoff tat und plante. Beispielsweise gegen den Einstieg ins chinesische Fernsehen, den Middelhoff als Chance sah. Schulte-Hillen bekam Wind davon, dass Middelhoff bei Mohn gegen ihn arbeitete und wandte sich ebenfalls an Mohn. Dem Spiegel zufolge machte Schulte-Hillen Middelhoff den Vorwurf, zu viel Geld für zu wenig Umsatzzuwachs ausgege298
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ben zu haben. Inklusive der Spekulationserlöse und der 25,1 Prozent Aktien, für die Bertelsmann 30 Prozent RTL erhielt, habe Middelhoff in drei Jahren 18 Milliarden Euro ausgegeben, um knapp sieben Milliarden Euro Umsatz zu kaufen. Das fand Schulte-Hillen zu teuer. Bevor er nach Peking, Schanghai und Hongkong flog, um Bertelsmann of China zu gründen, wollte Middelhoff die Rolle SchulteHillens und die beiden anderen Punkte endlich geklärt wissen. Die Sache war ihm so wichtig, dass er, kaum von der Westküste der USA nach Gütersloh zurückgekehrt, die firmeneigene Maschine nahm und zu den Mohns nach Mallorca flog. Über Liz konnte er in ihrer Anwesenheit schlecht verhandeln. Auch was Zomba betraf, blieb Reinhard ihm eine Antwort schuldig. Zuversichtlich stimmte Middelhoff nur, dass Reinhard und Liz Mohn seinen Vorschlag, Schulte-Hillen durch den ehemaligen McKinsey-Chef Herbert Henzler zu ersetzen, nicht ausdrücklich ablehnten. Er glaubte sogar, eine feste Zusage zu haben. Middelhoff verließ die Villa in dem Glauben, er werde Mohn vom Rest schon noch überzeugen können. Ein erster Schritt war getan. Die Piloten des Firmenfliegers waren sehr erleichtert, als Middelhoff gegen 22 Uhr zum Flugplatz kam. Das sei ja schön. So komme man doch noch rechtzeitig nach Gütersloh. Denn morgen früh müsse man ja wieder zurückfliegen nach Mallorca. Als Middelhoff hörte, dass Gunter Thielen und Siegfried Luther am nächsten Morgen in die heimliche Konzernzentrale im Mittelmeer bestellt worden waren, dachte er sich nichts dabei. Siegfried Luther ist hager, 1,89 Meter groß, 75 Kilo schwer, ein Ausdauersportler. Er ist schon lange im Unternehmen. 1944 in Sachsen geboren, studierte er Jura und Betriebswirtschaft und promovierte zum Dr. jur. Er arbeitete kurze Zeit in der Steuerabteilung bei Bayer in Leverkusen. Noch im selben Jahr, 1974, wechselte er zu Bertelsmann, wo er die Steuerabteilung leitete. Da war er 30 Jahre alt. Reinhard Mohn war gar nicht begeistert, als Mark Wössner Luther zum Chefbuchhalter befördern wollte. Luther sei nicht kreativ. Wössner hielt dagegen, das sei er selbst. Er brauche jemand, der die Kontrolle behält und Transparenz herstellt. Damit er ihn auf den Finanzposten setzen 299
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durfte, erfand er eine komplizierte Konstruktion: Neben dem Aufsichtsrat, der den Vorstand kontrollierte, gab es nun noch einen zweiten »Aufsichtsrat«, bestehend aus Wissenschaftlern und Experten, die nur Luther kontrollierten. Luther hatte also seinen eigenen Aufsichtsrat. Er machte seine Arbeit gut und erwarb sich auch das Vertrauen von Mohn. 1990 wurde er in den Vorstand berufen. Mohn holte auch in privaten Finanzfragen immer wieder Luthers Rat ein. Oft konsultierte Mohn ihn direkt. Einen besseren Zugang zu Mohn hatte nur Wössner. Ansonsten hielt Luther sich im Hintergrund. Auch das dürfte Reinhard Mohn gefallen haben. Mit seiner Hilfe erfand er all die Kontrollmechanismen, die es ihm erlaubten, sein Erbe weiter-, aber nicht wegzugeben, und machte ihn schließlich zu seinem Testamentsvollstrecker. Luthers Büro lag gleich neben dem von Middelhoff. Gemeinsam hatten sie Reinhard Mohn überzeugt, dass Bertelsmann an die Börse gehen sollte. Wenn Luther sich mehrfach über sein Tempo beklagte, dann wertete er das als Zeichen guter Zusammenarbeit. Der eine prescht vor, der andere bremst. Man ergänzt sich. Man traf sich privat, spielte gemeinsam Skat. Luther hatte sich angefreundet mit der Rolle des stillen Dieners, der bereitsteht, wenn er gerufen wird. Er war auch bereit, als ihm sein Vorstandskollege Gunter Thielen mitteilte, Mohn wolle mit ihnen sprechen. Beide kannten Mohns Feriendomizil. Was genau Thielen und Luther dort mit den Mohns besprachen, wissen nur sie selbst. Vermutlich brachten sie erneut vor, was sie in den Wochen davor bereits Middelhoff vorgeworfen hatten: Seine Strategie sei nicht überdacht genug und werde Bertelsmann viel Geld kosten. Thielen war der Ansicht, dass Middelhoff aus Bertelsmann einen Konzern mit Hunderten von Anlegern machen und langfristig selbst Anteile am Unternehmen besitzen wollte. Das würde ihm uneingeschränkte Macht sichern. Zumindest äußerte sich Thielen so in seinem Bekanntenkreis. Thielens Abneigung gegen Middelhoff kann Mohn nicht überrascht haben. Ihm allein hätte er vermutlich nicht geglaubt. Entscheidend war wohl, was Luther dachte. Luther wiederum musste gar keinen großen 300
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Verrat begehen. Es reichte völlig aus, dass er Mohn sagte, man könne das Unternehmen auch ohne den Verkauf von Familienanteilen weiterführen. Dazu mag auch ein wachsendes Unbehagen Mohns angesichts des Börsengangs gekommen sein. Zwar hatte Reinhard Mohn die Notierung an der Börse begrüßt und gesagt: »Ich wollte diese Zwänge des Kapitalmarkts.« Aber schon seit Herbst 2001 habe Middelhoff Bedenken der Mohns registriert, berichtete der Spiegel. »Wann immer von Börsengang die Rede war, schienen sich Reinhard Mohn und seine Gattin Liz zu verspannen«, berichtete das Nachrichtenmagazin. »Für Middelhoff war das Zugeständnis, der Konzern werde mit 25 Prozent an der Börse notiert, nur ein Anfang, für die Mohns das Ende eines Weges.« Am Montag, den 22. Juli, war Middelhoff zurück in Deutschland. Am Dienstag und Mittwoch saß er in Berlin, um Stipendiaten auszusuchen, die Bertelsmann mit einem Reinhard-Mohn-Fellowship unterstützen wollte. Da waren seine Stunden bei Bertelsmann bereits gezählt. Am Donnerstag, den 25. Juli, erhielt Middelhoff abends einen Anruf, der ihm von einer Intrige berichtete. Middelhoff war überrascht und rief Liz an. Das Gespräch verlief unergiebig. Man verabredete sich für den nächsten Morgen in Middelhoffs Büro. Dort erfuhr er, dass sich die Mohns gegen ihn entschieden hatten. Wie so oft überbrachte Liz die schlechte Botschaft. Sie sagte nur: »Thomas, es ist aus.« Gemeinsam bestiegen sie danach vor der Hauptverwaltung ein Fahrzeug und fuhren ins Parkhotel, wo der Personalausschuss des Aufsichtsrates tagte. Middelhoff selbst hatte um die Sitzung gebeten, um die Zusammenarbeit mit dem Vorstand zu erörtern. Stattdessen reichte er seinen Rücktritt ein. Nachmittags tagte die Verwaltungsgesellschaft. Am Sonntag ging die Meldung raus: Gunter Thielen wird Middelhoff ablösen, Luther wird sein Stellvertreter. Als Middelhoff sich in der darauf folgenden Woche von seinen engsten Mitarbeitern verabschiedete, sprach er laut Spiegel »von Dankbarkeit gegenüber den Mohns und seiner Enttäuschung über jene namentlich nicht genannten Vorstände, die ihn hintergangen hätten«. Reinhard Mohn hat 301
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Thomas Middelhoff gegenüber seinen Entschluss nie begründet. Er sprach nie wieder ein Wort mit ihm. Middelhoff seinerseits wollte in gutem Einvernehmen gehen. In einem Fernsehinterview lobte er Mohn; nach seinem Urlaub lud er die Mohns zum Abendessen ein. Reinhard ließ absagen, weil er krank sei. Liz kam alleine. Nun stand also Gunter Thielen an der Spitze von Bertelsmann. Bis dahin war Thielen weitgehend unbekannt gewesen. Mit Arvato hatte er den Bereich bei Bertelsmann geleitet, der am wenigsten im Rampenlicht steht. Der Kunstname Arvato ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der Wörter Ar-s (lateinisch Kunst), Va-riation, T-echnik und O-rganisation. 33 000 der 80 000 Bertelsmann-Mitarbeiter sind bei Arvato angestellt. Zu ihr gehören unter anderem Europas größter Druckdienstleister, CD-Fabriken, Buchauslieferungen und Deutschlands größte Call-Center. Wer weiß schon, dass 80 Prozent der Handys in Deutschland, sei es von E-plus, Vodafone oder T-Mobile von Bertelsmann ausgeliefert werden? Wenn ein Handy kaputtgeht, wird es nach Gütersloh eingeschickt und von Bertelsmann repariert. Wer weiß schon, dass hinter der Bahncard der Deutschen Bahn, den Bonuscards des Vielfliegerprogramms Miles & More der Lufthansa oder des Maggi-Kochclubs immer Bertelsmann steckt? Dass Bertelsmann Papierkram für Gerling, Allianz und Microsoft erledigt? Thielens Mitarbeiter waren angehalten, nicht über ihre Geschäftspartner zu sprechen. Bahn oder Lufthansa wollen ihre Dienste als eigene Leistung ausgeben. Nach RTL und Gruner + Jahr trug Arvato Jahr für Jahr den meisten Umsatz zum Jahresergebnis bei. Eine Woche nach seinem Antritt hätte Thielen seinen Posten eigentlich schon wieder aufgeben müssen. Der enge Vertraute Liz Mohns wurde 60 Jahre alt und der eisernen Regel bei Bertelsmann zufolge hätte er mit Erreichen dieser Altersgrenze das operative Geschäft verlassen müssen. Aber die alten Regeln galten nicht mehr. Thielen begann sogleich, Middelhoffs Seilschaften aufzulösen und seine Entscheidungen rückgängig zu machen. Luther begnügte sich mit dem Stellvertreterposten. Er war auch so der eigentliche Chef des Unternehmens. Thielen wollte BertelsmannSpringer halten – Luther lehnte 302
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ab. Thielen wollte Warner Books kaufen – Luther lehnte ab. Thielen gab Interviews. Luther verhandelte mit den Banken und bestimmte, ob ein Geschäft gemacht wird oder nicht. Wie lange würde das gut gehen? Die größten Veränderungen brachte der Rauswurf von Middelhoff für Liz Mohn. Mit einem Mal stand sie in den Schlagzeilen. Davor hatte man kaum wahrgenommen, dass sie sich schon seit 2001 stärker im Unternehmen engagierte. Bis dahin war sie nur für die von ihr gegründete Schlaganfall-Hilfe und die Gesundheitspolitik der Stiftung verantwortlich gewesen, in deren Präsidium sie auch saß. 2001 erhielt sie jedoch einen Sitz im Aufsichtsrat. Als Außenminister von Bertelsmann bezeichneten ihre Assistenten Liz Mohn gerne. Nun war sie im Zentrum der Macht angekommen. Zeitungen schrieben gar, sie sei die neue Herrscherin bei Bertelsmann. Zwei Tage nach Middelhoffs Rauswurf übernahm sie von Gunter Thielen den Vorsitz der Verwaltungsgesellschaft, wo mehrheitlich die Stimmrechte des gesamten Konzerns gebündelt sind.
»Bertelsmann hat also etwas gelernt« Wenige Wochen später, kurz vor der Buchmesse im Oktober 2002, geriet Bertelsmann erneut in die Schlagzeilen, als die Historikerkommission ihren Abschlussbericht vorlegte. Schon der Zwischenbericht im Jahr 2000 hatte für Aufregung gesorgt. Joachim Wehnelt hatte in der Woche geschrieben: »Nun offenbart sich eine typisch deutsche Firma mit typisch deutscher Vergangenheit. Nicht besser oder schlechter als andere – nur geschäftstüchtiger.« Die Arbeit der Historiker war nicht immer leicht gewesen. Aber sie hatten bei ihren Recherchen paradiesische Zustände vorgefunden. Geld spielte keine Rolle. Statt der 1998 angekündigten zwei Jahre arbeiteten sie vier Jahre an ihrem Bericht. Die vier Historiker stellten zehn Assistenten ein und forschten in 50 Archiven quer durch Europa. Sie befragten Zeitzeugen der Familie Mohn. Dabei wurde ihnen klar, wie fest die Legende etabliert war. Klar war auch, dass diese Historiker 303
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es niemandem recht machen konnten. Während Hersch Fischler ihnen vorwarf, sie seien nur ein Feigenblatt von Bertelsmann, unterstellten ehemalige Mitarbeiter von Heinrich und Reinhard Mohn, die Historiker würden ihre ehemaligen Chefs zu Unrecht als Nazis darstellen. Heinrich Mohn sei »ein aufrechter Mann, ein christlicher Mann und ein kluger Mann und ein tapferer Mann«, bekräftigte die ehemalige Mitarbeiterin Hedwig Liebezeit, die ab 1950 in der Öffentlichkeitsarbeit und im Archiv arbeitete, mehrfach bei ihrer Befragung. »Eigentlich müssten Sie das doch gemerkt haben. Aber immer reiten Sie darauf herum, dass er förderndes Mitglied in der SS war.« Hedwig Liebezeit sprach aus, was viele der ehemaligen Mitarbeiter dachten: Sie glaubte, Bertelsmann sei nicht wegen, sondern trotz der Nazis groß geworden. Zweifel an der Legende hatte sie nie. Als die Historiker in ihrem Zwischenbericht davon sprachen, dass der Verlag nach dem Krieg wohl deshalb so schnell wachsen konnte, weil er Papier gehortet hatte, widersprach Mohn hinterher im zweiten Zeitzeugengespräch. Etwa drei Wochen, bevor die Historiker am 7. Oktober 2002 ihren Abschlussbericht der Öffentlichkeit vorstellten, erhielt Reinhard Mohn das einzige Leseexemplar des 1 400 Seiten umfassenden Berichts. Auf knapp 800 eng bedruckten Seiten konnte er die Geschichte von Bertelsmann nachlesen, auf 600 Seiten waren alle Publikationen aufgelistet. Offenbar hat Mohn nicht viel Zeit zum Lesen gefunden. Denn als die Historiker am 24. September mit ihm in Gütersloh zusammentrafen, hatten sie den Eindruck, dass er lediglich die Zusammenfassung und allenfalls einige Abschnitte kannte. Er sagte zwar, er habe sehr viel erfahren, was er nicht wusste, nannte aber keine Beispiele. Dann fasste er das Ergebnis der Forschungen auf seine Weise zusammen: Zwei Triebkräfte, zwei gegensätzliche Pole hätten Bertelsmann im Dritten Reich bestimmt: Das Vertriebsinteresse von Wixforth und das geistige Interesse des Vaters. Er sei ja erst durch die Kriegsgefangenschaft und durch eigenes Überlegen zu seinen demokratischen Grundsätzen gekommen. Nun sei er überrascht, zu sehen, dass sein Vater bereits konsequent Verantwortung an seine Mitarbeiter delegiert habe. Ihm sei gar nicht bewusst 304
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gewesen, dass er in einer solchen Tradition stehe. Die Arbeit der Kommission bewertete er positiv: »Bertelsmann hat also etwas gelernt«, sagte er. Er sagte, es wäre wichtig, dass eine solche Arbeit Wirkung erziele. Deshalb müsse man nun mit Journalisten und Wissenschaftlern sprechen. Bertelsmann plane jedenfalls ein Kolloquium und einen Erfahrungsaustausch mit anderen Unternehmen; zudem werde die Stiftung sich mehr mit der Unternehmensgeschichte befassen. Noch ehe die Historiker ihren Bericht der Öffentlichkeit präsentieren konnten, legte Mohn sich auf eine Lesart der Untersuchung fest, die mit der Interpretation der Historiker wenig zu tun hatte: Für ihn ziehe sich ein roter Faden durch die Geschichte von Bertelsmann, sagte Mohn, und das sei das Engagement seiner Vorfahren für die Bürgergesellschaft. Es gehe um die Beziehung des Individuums zum Staat. Unvermittelt schlug er einen Bogen zu Bertelsmann im Jahr 2002 und sprach davon, dass Bertelsmann die Familientradition wieder mehr betonen müsse. Middelhoff sei einfach »zu egozentrisch« und seine Ideen seien »nicht umsetzbar« gewesen. Am 7. Oktober 2002 stellten die Historiker in München ihren Abschlussbericht der Öffentlichkeit vor. Die Kommission hatte sorgfältig gearbeitet und ließ in ihrer Studie keinen Zweifel daran, dass Bertelsmann alles andere als ein Widerstandsverlag war. Der Vorstandsvorsitzende Thielen würdigte sogar die Verdienste des Journalisten Hersch Fischler und entschuldigte sich: »Ich bedaure, dass die frühere Darstellung erhebliche Lücken und Fehler enthielt und dass wir mit unserem historischen Erbe nicht sorgfältig genug umgegangen sind.« Bertelsmann akzeptiere die vorliegenden Ergebnisse »uneingeschränkt«. Am Tag nach der Pressekonferenz hoben die Berichterstatter besonders hervor, dass Bertelsmann als erster deutscher Verlag sich seiner Vergangenheit gestellt habe. In den Zeitungen konnte man lesen, dass Bertelsmann im Dritten Reich besonders geschäftstüchtig war. Insgesamt aber konnte Bertelsmann zufrieden sein. »Beispielhaft« nannte der Autor Daniel Goldhagen, dessen Bücher bei Bertelsmann erscheinen, im unternehmenseigenen Mitarbeitermagazin das 305
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Verhalten des Verlags: »Bertelsmann ist auf dem richtigen, einem lobenswerten Weg.« Allerdings sollte sich Bertelsmann fragen, ob das ausreiche »oder ob noch mehr getan werden muss«. Es gab aber auch kritische Stimmen. Vier Tage nach der Präsentation wurde durch einen Artikel im Wall Street Journal bekannt, dass ein wesentliches Dokument, das eine direkte Verbindung zwischen der Legende vom Widerstandsverlag und Reinhard Mohn herstellt, von den Historikern nicht erwähnt worden war. Dabei handelt es sich um ein Schreiben samt einigen Dokumenten vom 9. April 1947, das Reinhard Mohn den britischen Besatzungsmächten übergeben hatte, um für Bertelsmann eine Zeitschriftenlizenz zu erhalten. Reinhard Mohns Vater hatte Bertelsmann darin als Bollwerk gegen die Nazis geschildert und behauptet, der Verlag sei wegen seiner religiösen Schriften geschlossen worden. Als Absender trägt der Brief die Initialen »RM« für Reinhard Mohn; sein Vater Heinrich hat ihn unterschrieben. Die Kommission beschrieb zwar ausführlich, wie Heinrich Mohn und sein Anwalt Fritz Möhle die Legende formulierten und wie Reinhard Mohn mit den Lizenzbehörden verhandelte. Sie zitierte aus einer Liste von Kriegsbüchern, die dem Schreiben beilag. Aber sie stellte keine direkte Verbindung zwischen der Legende und Reinhard Mohn her, obwohl dieses Schreiben eine solche Verbindung nahe legt. Saul Friedländer indes verteidigte die Arbeit der Kommission: »Aufgabe und Gegenstand unserer Untersuchung war, wie der Titel des Buches ausweist, ›Bertelsmann im Dritten Reich‹. Während dieser Zeit hatte Reinhard Mohn keine aktive Rolle in dem väterlichen Unternehmen. Als er Anfang 1946 aus zweieinhalbjähriger Kriegsgefangenschaft nach Gütersloh zurückkehrte, war die Legende, der Verlag habe im Widerstand gegen das NS-Regime gestanden, bereits fest etabliert.« Tatsächlich beginnt die Untersuchung mehr als 100 Jahre vor dem Dritten Reich und reicht bis 1950. Weitere Kritik ließ nicht lange auf sich warten. Der Untersuchungsbericht sei zwar reich an Material, aber knapp im abschließenden Urteil, kritisierte der Verlagsforscher Siegfried Lokatis: Das Buch ist »aufregender und leserfreundlicher, als es die in den Formulierungen 306
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vorsichtige, sich vor direkten Schuldzuweisungen in anonymisierende Passivkonstruktionen rettende Zusammenfassung vermuten lässt.« Es sei »traurig genug, dass die Autoren den Rezensenten den schwarzen Peter zugeschoben haben, ihre versteckten Zeitbomben zu zünden«. Der Verlagsexperte bedauerte, »dass die Historikerkommission nicht souveräner mit Fischlers Kritik umgegangen ist, der sie ja immerhin ihre Konstituierung verdankt«. Ins Englische übersetzt hat Bertelsmann nur die Zusammenfassung. Das mag erklären, warum die Reaktionen in den USA vergleichsweise moderat ausfielen. Hersch Fischler, der sich laut Süddeutscher Zeitung mit seinen Enthüllungen »bleibende Verdienste« erworben habe, war noch kritischer als Lokatis. Als ihn ein Journalist bat, die Untersuchung der Historiker mit einer Widmung zu versehen, schrieb er: »Die unabhängigen Historiker haben von Reinhard Mohn mehr gelernt als von ihren akademischen Lehrern und aus den zahlreichen Quellen. Geld und Reichtum überzeugen, im Falle von Bertelsmann/Reinhard Mohn offensichtlich sogar mustergültig. Wie Reinhard Mohn 1947 in Düsseldorf, so verstehen es die unabhängigen Historiker, entscheidende, unangenehme Quellen kurz vorzuzeigen und dann wieder verschwinden zu lassen. In der Bilanz, also der Zusammenfassung auf den letzten Seiten, wird davon nichts mehr sichtbar.«
Kehrtwende Gegenüber der Historikerkommission erklärte Reinhard Mohn, die Familie solle künftig wieder eine stärkere Rolle spielen. Über Jahre hinweg hatte er seinen Managern größte Freiräume gewährt und darauf bestanden, dass die Familie sich heraushalten solle, weil sie den Erhalt der Firma nicht garantieren könne. Doch nun kam die Kehrtwende. Als er im Februar 2003 in den Räumen seiner Stiftung sein drittes Buch vorstellte, wurde dieses Ereignis wie ein Staatsakt gefeiert. Der komplette Vorstand und Aufsichtsrat waren versammelt, als Mohn vor 307
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geladenen Gästen über die Nachfolge sprach. Diese Veranstaltung war zugleich die Inthronisation der »Königin von Gütersloh«, wie eine Zeitung Liz Mohn bezeichnete. Schon im Vorfeld hatte Reinhard Mohn mit einem Artikel in der Welt am Sonntag für Aufregung gesorgt. Dort rechnete er mit eitlen Managern ab und hob die Bedeutung der Familie hervor. »Es ist gefährlich, Manager zu haben, welche insgeheim ihre persönlichen Ziele im Unternehmen als vorrangig bewerten. Das Haus Bertelsmann ist durch mehrfache Enttäuschungen darüber belehrt worden, dass Manager gelegentlich in ihrem Zielverständnis anders reagieren als Unternehmer. Ich bin überzeugt, dass die weltweite Welle von wirtschaftlichen Zusammenbrüchen damit in Zusammenhang steht.« Aus diesem »Systemversagen« ziehe Bertelsmann die Konsequenzen und werde der Familie wieder »die Zuständigkeit übertragen«. Die Familie müsse nicht das operative Geschäft leiten, aber sie müsse »Menschlichkeit durchsetzen«. Deshalb habe er die Verwaltungsgesellschaft entsprechend umstrukturiert und den Einfluss der Familie gestärkt. Außerdem bestünde »berechtigte Hoffnung, dass manche [seiner Kinder, Anm. d. A.] in der Zukunft auf die Führung des Unternehmens Einfluss nehmen werden«. Die Eitelkeit der Manager und die Bedeutung der Familie – beide Themen hatte er erst nachträglich in sein Buch aufgenommen. In einem Sonderdruck hatte er 2002 sogar Gemeinsamkeiten des Themas entdeckt und geschrieben, dass »der eitle Manager zumeist kein glücklicher Familienvater und kein guter Partner sein wird. Ihn selbst stört das weniger. Seine Familie aber ist zu bedauern.« Seine Manager konnten nicht wirklich glücklich sein über das neue Buch. Aber das ging auch anderen Lesern so. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung urteilte vernichtend: »Neue Ideen bietet das Buch nicht. Die Lektüre ist quälend. Das liegt nicht nur am belehrenden Ton, an der Strenge vieler Urteile und am Fehlen jeglicher Selbstkritik. Es ist jedoch das Hantieren mit halb verdauten Begriffen und unvereinbaren gedanklichen Kategorien, das am meisten ermüdet.« Die Manager mögen die FAZ-Rezension in den hauseigenen Pressespiegeln mit heimlicher Genugtuung gelesen haben. Nur eines müsse man ihm 308
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zugute halten, meinte die FAZ: In seinem Buch betreibe er gar keine Generalabrechnung mit Wössner und Middelhoff. Seine Gedanken zur Eitelkeit habe er in Wirklichkeit nämlich schon vor 15 Jahren in seinem ersten Buch dargelegt. Der Aufsichtsratsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen saß bei der Buchpremiere in der ersten Reihe und hörte aufmerksam zu, wie Reinhard Mohn über die Eitelkeit und Gedankenarmut der Manager dozierte, und machte sich Notizen. Nach seinem Vortrag verschwand Mohn in der Kantine und während seine Frau mit den Gästen im Foyer der Stiftung Häppchen verspeiste, musste der Vorstandsvorsitzende Thielen Gerüchte dementieren. Mohns harsche Kritik an der Börse bedeute keineswegs, dass die Familie oder der Konzern den Börsengang bereits heimlich abgeblasen habe. Alles laufe wie geplant. Außerdem sah sich Thielen genötigt, zwei Tage später in einem Rundbrief an die Mitarbeiter klarzustellen, dass das Unternehmen vom Vorstand und nicht von der Familie geführt werde. Reinhard Mohn selbst habe ihm das versichert. Thielen wirkte verlegen. Die öffentliche Kritik führte er auf »eine Kampagne« zurück. In Gütersloh vermutete man, dass die geschassten Manager Wössner und Middelhoff Journalisten aufhetzten. Thielen versprach zudem, das Firmenarchiv werde nun auch die Verdienste der Manager aufarbeiten. Plötzlich war Geschichtsforschung wieder wichtig. Damit sollte wieder Ruhe einkehren am Schwanenteich in Gütersloh. Am selben Tag gab SchulteHillen dem Nachrichtenmagazin Spiegel ein Interview mit der Überschrift: »Mut ist vorhanden« und zeigte damit, dass bei Bertelsmann manches nicht mehr unter Kontrolle war, zum Beispiel Schulte-Hillen selbst. Während Mohns Lehrstunde habe er innerlich gekocht, wie es ein Teilnehmer beschreibt. Im Spiegel-Interview erteilte er daraufhin Reinhard Mohn Ratschläge. Er warnte, das starke Gewicht der Familie mache »das Risiko von Fehlentscheidungen keineswegs kleiner«. Vordergründig sprach Schulte-Hillen von der Zukunft des Unternehmens, von der er sagte, sie hänge »von der Kompetenz und Klugheit der Handelnden ab«. Zwischen den Zeilen sprach er jedoch, an Mohn 309
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gewandt, über sich selbst: »Wenn die fähigsten Leute sich nicht mehr trauen, das zu äußern, was sie nach bestem Wissen und Gewissen auf Lager haben, dann hätte das Unternehmen viel verloren.« Im Klartext: Ohne Schulte-Hillen, der sich traut, seinen Chef öffentlich zu rügen, hätte Bertelsmann viel verloren. Schulte-Hillen wollte damit seiner heimlichen Entmachtung zuvorkommen. Würde er nach jenem SpiegelInterview gefeuert werden oder den Aufsichtsratsvorsitz bei Bertelsmann verlieren, müssten Mohn und Bertelsmann noch mehr schlechte Presse fürchten. Die Financial Times Deutschland wertete das Interview als »eine Art Misstrauensvotum für die 62-jährige Liz Mohn«. Zwar hatte Schulte-Hillen beim Abgang Middelhoffs eine willkommene Nebenrolle gespielt. Doch ein Aufsichtsrat, der sich wie SchulteHillen als Quasi-Unternehmenschef benahm, bereitete den Mohns Sorgen. Tage vor dem Kolloquium soll es zwischen Liz Mohn und Schulte-Hillen zum Streit gekommen sein. Ausgerechnet vor dem Vortrag Mohns wurde eine Zeitung herumgereicht, die über den Vorfall berichtete. Ganz so mutig, wie er tat, war Schulte-Hillen freilich nicht: Bevor er das Interview autorisierte, faxte er seinen eigenen Worten zufolge den Text an Mohn und telefonierte eine Stunde später mit ihm: »Ich kann das verstehen«, habe Mohn gesagt. »Ich find das gut.« Aus dem Hintergrund war Liz Mohn zu hören. Auch sie habe gesagt: »Ich find das gut.« Daraufhin Schulte-Hillen: »Mensch, das ist toll. Das ist mein altes Bertelsmann.« Dennoch kam es wenig später zwischen ihm und der neuen Herrscherin zum Streit. Anlass waren die neuen Regelungen in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG). Im Grunde verhält es sich mit diesem Gremium wie mit dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Beide Institutionen versuchen, den Eindruck zu erwecken, man führe den Meinungsstreit mit Argumenten. Aber wenn es hart auf hart geht, entscheidet doch die Macht. Im Sicherheitsrat sind es die fünf Vetomächte, die den Kurs bestimmen. Bei Bertelsmann gibt es nur einen, der Veto einlegen könnte und der allein dadurch den Konzern führen und Entscheidungen treffen oder verhindern kann: Reinhard Mohn. Er selbst griff dem Vernehmen nach nicht direkt ein, um die zentrale 310
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Frage nach der Macht im Hause Bertelsmann zu klären: Er ließ seine Frau agieren. Liz Mohn musste einen Kompromiss finden, und der sah so aus, dass Liz Mohn nicht dieselbe Kontrolle über den Aufsichtsrat und damit den Konzern erhielt wie Reinhard Mohn. Liz Mohn soll künftig kein Vetorecht haben. Die Familie als Ganzes verfügt jedoch de facto über ein Vetorecht, denn ohne die drei Stimmen der Familie kann die BVG künftig keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen. Die Satzung der BVG wurde dahingehend geändert, dass Liz Mohn nicht alleine, sondern nur mit ihren Kindern zusammen regieren kann. Vor der Änderung war nur eine einfache Mehrheit vorgesehen; die Familie hätte also überstimmt werden können. Ausgelöst hatte den Konflikt um die Machtfrage die Ankündigung Reinhard Mohns, er wolle künftig keine einzige führende Position mehr gegen den Willen der Familie besetzen lassen. Die Manager – allen voran Aufsichtsratschef Gerd Schulte-Hillen – waren besorgt. Reinhard Mohn genoss das Vertrauen der Manager, weil er jahrzehntelange Erfahrung und Erfolge als Manager aufzuweisen hatte. Genau diese Erfahrung und Erfolge fehlen jedoch Liz Mohn. Dennoch wollte sie alle Aufsichtsräte alleine bestimmen dürfen. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates wird zwar gewählt, aber wenn Liz Mohn ihre Forderungen durchgesetzt hätte, hätte sie einen wichtigen Schritt weiter zur uneingeschränkten Macht getan. Genau das ist es, was einige Manager des Konzerns besorgt in die Zukunft blicken lässt. Daher wollen sie genau definiert sehen, welche Rechte Liz Mohn künftig haben und wie weit ihre Macht reichen wird. Als Mohn die BVG 1999 der Presse vorstellte, bezeichnete er das Gremium als wegweisend, um die Kontinuität zu sichern. Die BVG, in der neben der Familie auch der Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsratsvorsitzende sitzen, sollte keine Tagespolitik machen, sondern die wichtigsten Fragen entscheiden, beispielsweise über die Aufnahme neuer Gesellschafter oder den Verkauf von Anteilen. Dem Vernehmen nach hat die BVG seit 1999 alle Entscheidungen einvernehmlich getroffen. Freilich war das nur möglich, weil die wirklich wichtigen Entscheidungen gar nicht in dem Gremium behandelt wurden. Die 311
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BVG war nur eine Plauderrunde, ein Sandkastenmodell für die Zukunft. Denn alle wesentlichen Fragen regelte Mohn noch immer selbst. Wie bei den Vereinten Nationen der Irakkrieg, so war es bei Bertelsmann ausgerechnet die strittigste Frage der vergangenen Jahre, die gar nicht in dem Gremium entschieden wurde: ob man in der Vorbereitung auf den Börsengang Anteile am Konzern als Aktien verkaufen sollte. Das war die Frage, die zur Trennung von Thomas Middelhoff führte. Mohn selbst sagte im Juli 2003 der Zeit: »Wenn jemand sagt, der Mohn habe seine Auffassung verändert, dann kann ich nur entgegnen: Ja, hoffentlich! Unsere Lebensbedingungen verlangen neue Antworten. … Ich habe mal gesagt, die Familie könne auf Dauer die Führung nicht übernehmen. Das sage ich heute auch noch. Aber ich habe einen anderen Weg gefunden. Die Familie wird eingesetzt, damit eine menschliche Haltung im Unternehmen gewahrt bleibt. Sie behauptet nicht, führen zu können. Dafür haben wir den Vorstand und andere Gremien. Aber sie will sagen können: Das Unternehmen bewahrt seine Haltung. … Deshalb bekommt meine Familie Einwirkungsrechte bei der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft, aber keine einzige Exekutivaufgabe – keine! Wenn jemand aus dem Unternehmen etwas ganz anderes machen will, müsste die Satzung geändert werden. Und genau das kann die Familie nun verhindern. Zudem habe ich gesagt, meine Frau wird meine Nachfolgerin als Familiensprecher. Und ich habe testamentarisch festgelegt, dass sie ihre Nachfolge bestimmen soll. Auf diese Weise spricht die Familie mit einer Stimme.«
Liz an der Macht Liz Mohn war nun wer: Sie speiste mit Königinnen und Präsidenten. Sie war als erste deutsche Frau Mitglied im Club of Rome geworden und traf Bill Clinton bei seinem Besuch in Berlin. »Sie sind also Frau Bertelsmann«, soll er bei dieser Gelegenheit gesagt haben. Inzwischen ist Clinton bei Bertelsmann unter Vertrag. Während sie öffentlich ihre 312
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Bedeutung steigerte, griff sie auch im Unternehmen öfters hart durch. Mit Erfolg: Ihre Abteilungen zeichnen sich durch eine hohe Fluktuation aus. Böse Zungen behaupteten, Liz feuere manchmal Mitarbeiterinnen allein aus dem Grund, weil sie falsch gekleidet seien, was freilich kein Kündigungsgrund sein kann. Der Kern solcher Gerüchte ist: Ihre Kriterien seien simpel und doch nicht zu durchschauen. Jedenfalls schaffte sie sich geschickt kleine und große Widersacher vom Leib. Zu den kleinen Widersachern gehörte Manfred Harnischfeger, der mehr als zwei Jahrzehnte Pressesprecher des Unternehmens war. Wichtigen Journalisten bot er das Du an und sagte ihnen, was Mohn dachte. Dabei zehrte Harnischfeger davon, dass man ihm abnahm, er habe direkten Zugang zu Reinhard Mohn. In Wirklichkeit wollte Mohn »diesen Menschen« schon lange nicht mehr sehen. Harnischfeger war bemüht, den Eindruck zu erwecken, er habe diesen Zugang nach wie vor, und zitierte Mohn weiterhin so, als spräche er jede Woche mit ihm. Dabei schrieb er die Aussagen, die er dann Mohn unterschob, mitunter selbst: Im Juni 2001 führte die Zeit ein Interview mit Mohn und schrieb in der Vorabmeldung, Mohn wolle den Börsengang eigentlich gar nicht. Harnischfeger war im Auftrag Middelhoffs empört darüber, schrieb ein paar Zeilen, ließ sie Mohn vorlegen und dann als »O-Ton« Mohns über dpa verbreiten. Darin stand, dass er sehr wohl voll hinter einem Börsengang stehe. Harnischfeger sah sich als Strippenzieher und behauptete gerne: »Ich habe Middelhoff gemacht.« Vielleicht hat er das selbst geglaubt. Liz Mohn jedenfalls traute ihm so viel Strippenzieherkompetenz zu und das sollte seiner Karriere bei Bertelsmann zum Verhängnis werden. Zur Krönung seiner Karriere wollte er Hauptstadtluft schnuppern und empfahl sich für die Leitung der Firmenvertretung in Berlin. Bertelsmann beabsichtigte nämlich, in der Hauptstadt repräsentativ aufzutreten und ließ dazu das alte Kommandantenhaus Unter den Linden 1 mit der alten Fassade wieder aufbauen. Harnischfeger sollte ein Konzept für diesen Umbau vorlegen, doch er lieferte lange nichts. Als schließlich doch noch ein Konzept von ihm auf dem Tisch lag, staunte man in Gütersloh: Harnischfeger plädierte dafür, eine zweite 313
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Küche einzubauen, damit man bei einer Tagung das Essen nicht von der Küche im Erdgeschoss ins obere Geschoss zu tragen brauche. Denn das dauere viereinhalb Minuten und sei nicht Bertelsmann-Standard. In einem Spitzenhotel würde gutes Essen schneller vom Topf auf den Teller kommen. Die zweite Küche würde finanziell tief zu Buche schlagen – und neue Planungen erfordern. Dazu kam, dass Harnischfeger 20 bis 25 Personen als Personal für den Betrieb der Kommandantur veranschlagte. Zu viel, dachte man in Gütersloh. Vielleicht hatte sich Harnischfeger einfach das falsche Thema für seine Verbesserungsvorschläge ausgesucht. Denn Liz Mohn wollte sich nicht von ihrem Pressesprecher sagen lassen, wie ein Konferenzzentrum auszusehen habe. Liz Mohn war nämlich ziemlich stolz darauf, dass sie das familieneigene Parkhotel in Gütersloh dekorierte und leitete. Die Mohns hatten das Hotel gebaut, damit man Gästen, die Besseres gewohnt sind, in Gütersloh den Komfort eines SterneHotels bieten konnte. In dem Hotel spielte sich jahrelang das gesamte gesellschaftliche Bertelsmann-Leben ab, für das sich vor allem Liz engagierte, sei es der Rosenball, der Sangeswettbewerb »Neue Stimmen« oder das Presseessen am Vorabend der Bilanzpressekonferenz. Mittlerweile hat Bertelsmann diese Veranstaltungen mehr und mehr in den neuen Prachtbau in Berlin verlegt. Im November 2003 bezog Bertelsmann im Rahmen einer großen Feier die repräsentativen Räume. Bei der Eröffnung war die Rede davon, dass dies künftig einer der gesellschaftlichen Mittelpunkte Berlins sein werde. So ähnlich hatte sich das auch Harnischfeger vorgestellt. Aber statt den Kanzler begrüßen zu dürfen, weilte er zum Zeitpunkt der Eröffnung gar nicht mehr unter den Bertelsmännern. Als Middelhoff bei Liz in Ungnade fiel, riss er auch Harnischfeger mit. Allerdings fiel Letzterer, anders als sonst bei Seilschaften, zuerst. Insider behaupteten, Liz Mohn konnte ihn nicht mehr leiden, weil Thielen ihn nicht mehr leiden konnte und Thielen konnte ihn nicht mehr leiden, weil Harnischfeger und Middelhoff sich zu gut leiden konnten. Der Machtzuwachs von Liz Mohn und Gunter Thielen habe sich gut daran erkennen lassen, dass sie Middelhoff zwingen konnten, 314
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Harnischfeger zu opfern. Vergeblich versuchte Middelhoff, ihn beim ZDF unterzubringen. Harnischfeger konnte dennoch von Glück reden, dass er noch unter Middelhoff entlassen wurde. Unter Thielen hätte er wohl keine großzügige Abfindung erhalten. Im Oktober und November 2003 zeigte Liz Mohn endgültig, wie viel Macht sie besaß. Sie schaltete zwei Widersacher aus beziehungsweise verringerte ihre Macht: Siegfried Luther und Gerd Schulte-Hillen. Der Testamentsvollstrecker und Finanzvorstand Luther widersprach nämlich Gunter Thielens Geschäftspolitik genauso, wie er schon einigen von Middelhoffs Plänen widersprochen hatte. Luther wollte Schulden abbauen, Thielen braucht Geld für seine Pläne. Wie konnte er sich Luft verschaffen? Naheliegend wäre, dass Thielen Liz Mohn von seinen Schwierigkeiten mit Luther erzählte. Thielens Intervention zeitigte erste Erfolge. Im Oktober enthob Reinhard Mohn Luther still und leise vom Amt des Testamentsvollstreckers. Damit hatte Thielen mehr Freiheiten. Als er BMG mit Sony fusionierte, war Luther angeblich nur noch pro forma an den Verhandlungen beteiligt. Auch Liz konnte sich Vorteile von einer Schwächung Luthers versprechen, hatte dieser sich doch allen sechs Kindern von Reinhard Mohn gleichermaßen verpflichtet gefühlt, egal, aus welcher Ehe sie stammten. Das war unter Umständen nicht ganz im Sinne von Liz Mohn. Als Luther im Oktober das Mandat der Testamentsvollstreckung entzogen wurde, hüllten sich die Beteiligten zunächst über die Gründe in Schweigen. Im Unternehmen wurde weder bestätigt noch dementiert, dass Luther von seinen Aufgaben entbunden sei. Luther sollte auf Mohns Wunsch hin bis drei Jahre nach seinem Tod der BVG angehören, die die Stimmrechte ausübt, und das Testament vollstrecken. Als Luther plötzlich nicht mehr der BVG angehörte, war klar, dass er seiner Pflichten enthoben worden war. Wenn man bei Bertelsmann nachfragte, wer denn der Nachfolger Luthers als Testamentsvollstrecker sei, erntete man erstaunte Reaktionen. Nachfolger? Die verblüffend »einfache Lösung«, die als offizielle Version in Unternehmenskreisen für seine Ablösung zirkulierte, lautete: Alles sei so gut geregelt, dass Luther nicht mehr gebraucht 315
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werde. Wie aber ein Testamentsvollstrecker schon zu Lebzeiten des zu Beerbenden seine Aufgabe erfüllt haben soll, ist nicht klar. Im November folgte der zweite Befreiungsschlag des Duos Liz Mohn/Gunter Thielen: Anfang des Monats hatte Thielen den Aufsichtsratsvorsitz bei Gruner + Jahr von Schulte-Hillen übernommen – vorgeblich, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Ohne Gruner + Jahr aber hatte Schulte-Hillen keine Hausmacht mehr. Als er zwei Wochen später den Sinn der Fusion mit Sony anzweifelte, besorgte sich Thielen die Zustimmung der beiden Gesellschafter. Schulte-Hillen wurde zum Rücktritt gezwungen. Spätestens jetzt mussten die Mitarbeiter von Bertelsmann zur Kenntnis nehmen, dass Liz Mohn das Unternehmen »mit Liz und Tücke« regiert, wie eine Zeitung es einmal formulierte. Geschickt hatte sie nacheinander jene drei Manager aus dem Haus gedrängt, die Bertelsmann in den achtziger und neunziger Jahren Milliardengewinne beschert hatten und sich deshalb unverwundbar fühlten: Mark Wössner, Thomas Middelhoff und Gerd Schulte-Hillen. Alle drei hatten die First Lady unterschätzt. Geschickt hatte sie jeweils den einen benutzt, um den anderen auszuschalten – und die Spitzenmanager hatten es gar nicht gemerkt oder sich gar in dem Glauben gewogen, sie hätten die Situation unter Kontrolle. Am Ende blieb nur Liz Mohn übrig. Was ihr an unternehmerischem Sachverstand abging, das besorgte sie sich von ihrem Vertrauten Gunter Thielen. Als der Pressesprecher der Stiftung, Andreas Henke, bei der Buchpremiere von Reinhard Mohn gefragt wurde, wie denn der Titel des nächsten Buches lauten werde, scherzte er: Die Unternehmerin. Die Autorin würde dann aber bestimmt Liz Mohn heißen.
Wer wird Vorstandsvorsitzender? Hartmut Ostrowski und seine engen Mitarbeiter waren empört. Das Handelsblatt hatte sie hinters Licht geführt, davon waren sie überzeugt, und einige Fragen, die in einem Interview kaum Bedeutung zu 316
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haben schienen, am 11. Juni 2003 zu einer Geschichte aufgeblasen, über die sie nun entrüstet waren. Was aber hatte die Zeitung Schlimmes über Ostrowski geschrieben? Der Bericht legte dar, dass Ostrowski einer der fähigsten Manager bei Bertelsmann sei, dass er umgänglich sei, keine Allüren habe, dass er gerne im Schatten des Vorsitzenden Gunter Thielen stehe, aber vielleicht schon bald – und das war der Hinweis, der Ostrowski besonders ärgerte – aus dem Schatten seines Chefs heraustreten könne. Ostrowski sei in Gütersloh gut vernetzt und einer der Kandidaten auf die Nachfolge von Gunter Thielen, stand da zu lesen. Zu viel Lob in einem einzigen Artikel. Ostrowski fürchtete, dass ihm der Bericht mit der Überschrift »Im Schatten des Scheinwerferlichts« so ausgelegt werden würde, dass er ins Scheinwerferlicht strebe. Mit so etwas aber konnte man sich bei Bertelsmann, nicht zuletzt nach Mohns Schelte über die Eitelkeit seiner Manager, nicht für höhere Aufgaben empfehlen. Wenn Ostrowski etwas um alles in der Welt vermeiden musste, dann das: eitel zu erscheinen. Auf Ostrowskis Geheiß musste nun sein Pressesprecher eilig alle Pressetermine absagen. Für die potenzielle Nachfolge Thielens wurden freilich auch andere Kandidaten aus dem Vorstand genannt. Wer kam sonst noch in Frage? Peter Olson? Er wäre der erste Amerikaner auf dem Vorstandsvorsitz. Er verfügt über etwas, das vielen bei Bertelsmann fehlt: Internationalität. Er spricht Englisch, Deutsch und Russisch und liest Bücher. Der Mann aus Chicago hat ein Harvard-Diplom, kennt aber auch Gütersloh, weil er in der Hauptverwaltung gearbeitet hat, ehe er nach New York ging. Bernd Kundrun? Als Chef von Gruner + Jahr leitet er einen der Umsatzbringer von Bertelsmann. Er hat bei den Buchclubs gearbeitet, kennt aber auch das Fernsehgeschäft, weil er mal beim Fernsehsender Premiere gearbeitet hat. Gerhard Zeiler? Der Österreicher leitet mit RTL den größten Umsatzbringer nicht nur in Deutschland, sondern führt die RTL-Gruppe in ganz Europa. Aber wer kennt schon die Kriterien, nach denen Liz Mohn den Nachfolger aussuchen wird? Gegen Olson beispielsweise spricht genau das, 317
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was ihn unter Middelhoff auf seinen Stuhl gebracht hat: seine Internationalität und seine Durchsetzungskraft. Liz Mohn wird diese Frage entscheiden und die Furcht vor ihr liegt nicht zuletzt darin begründet, dass niemand die Grundsätze kennt, nach denen sie herrscht – man weiß nur, dass sie wenig mit den Kriterien der Manager gemein haben. Solange Thielen an ihrer Seite steht, wird er sich wohl mit seinen Wünschen durchsetzen. Und weil Liz Mohn und Thielen den Machtkampf mit Schulte-Hillen und Siegfried Luther gewonnen haben, ist es naheliegend, dass Gunter Thielen für seine Nachfolge Hartmut Ostrowski empfehlen wird. Ostrowski hat bereits unter Thielen bei Arvato gearbeitet und ist sein unternehmerischer Ziehsohn. Ostrowskis Kritiker behaupten, ihm fehle das Format, das gesamte Unternehmen zu führen. In der Tat wirkt Thielen wie eine verdünnte Version von Mohn und Ostrowski wie eine verdünnte Version von Thielen. Für Ostrowski indes spricht: Er ist der bodenständigste von allen und er stammt aus Bielefeld. Außerdem ist Ostrowski der unbekannteste unter den Vorständen, was bei Bertelsmann plötzlich ein Wert an sich ist. Er würde Liz Mohn am wenigsten Schwierigkeiten machen und akzeptieren, dass Liz und ihre Kinder eine starke Rolle spielen.
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20. »Christoph wird nicht mein Nachfolger« Vom Familienbetrieb zum Weltkonzern – und wieder zurück?
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en traditionellen Rosenball im Juni 2002 hatte Liz Mohn von Gütersloh nach Berlin verlegt, weil sie hoffte, dort mehr willige Spender für ihre Wohltätigkeitsveranstaltung zu finden als in Gütersloh. Wer in dem mit roten Kerzen und 40 000 roten Rosen dekorierten Saal Platz nehmen wollte, musste einige hundert Euro auf den Tisch legen, die der von Liz Mohn gegründeten Deutschen SchlaganfallHilfe zugute kamen. Auf der Tanzfläche und an der Bar tummelte sich die übliche Prominenz: Udo Lindenberg und Katarina Witt, Gloria Fürstin von Thurn und Taxis und Sabine Christiansen, Roberto Blanco und die Biedenkopfs. Gaststar war Shirley Bassey. Liz Mohn sagte: »Der Ball ist Ausdruck einer aktiven, lebendigen Bürgergesellschaft und unserer sozialen Verantwortung für die Gesellschaft.« Anlässlich der Eröffnung der Tombola scherzte Moderatorin Desiree Nosbusch: »Liz Mohn will an die Börse. Natürlich an Ihre!« Die Vorstände von Bertelsmann waren vollzählig angetreten, einige waren sogar eigens aus den USA eingeflogen. Hier Präsenz zu zeigen ist Ehrensache und Verpflichtung für alle, die im Hause Bertelsmann etwas sind oder es noch werden wollen. Die Begrüßung übernahmen Liz Mohn und ihre Tochter Brigitte, die die Geschäfte der Deutschen Schlaganfall-Hilfe führt. Zur Eröffnung der Tanzfläche tanzte Liz später mit ihrem Sohn Christoph. Reinhard Mohn wurde nicht gesehen. Liz Mohn und ihre beiden ältesten Kinder – das ist das Dreigestirn, dem die Zukunft von Bertelsmann nach der jüngsten Wende zur Familie gehört: Alle drei arbeiten bei Bertelsmann, alle drei haben Sitz und Stimme in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft (BVG). Es ist 319
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durchaus denkbar, dass sie demnächst mehr sagen werden im operativen Geschäft des Unternehmens. Im Konzern ist bereits die Rede von »Bertelsmohn« und es zirkuliert folgendes Zukunftsszenario: Christoph Mohn rückt in den Vorstand auf, Brigitte Mohn leitet die Stiftung, während Liz Mohn im Aufsichtsrat sitzt. Zusammen würden die drei in der Bertelsmann Verwaltungsgesellschaft das Unternehmen kontrollieren. Damit wäre Bertelsmann auch ohne Reinhard Mohns Veto in der BVG fest in der Hand der Familie. Der Händedruck von Brigitte Mohn ist eine Spur zu fest. Zweifellos hat sie sich durchsetzen und Behauptungswillen zeigen müssen. Bis zu ihrem 30. Lebensjahr litt die 40-Jährige an Asthma. Seitdem ist die Krankheit für sie keine große Belastung mehr. In ihrer Jugend fühlte sie sich oft schwach. Wegen ihres Asthmas durfte sie nicht am Schulsport teilnehmen. Wie damals üblich, rieten ihr die Ärzte, sich auf keinen Fall überzustrapazieren. Irgendwann probierte sie es dann doch mit Tennis und Reiten. Als sie in Kiel arbeitete, entdeckte sie den Wassersport. Sie machte den Segelschein und den Motorbootführerschein. Sie spielt Golf. Als sie nach New York zog, schwamm sie jeden Morgen eine Stunde. Das Schwimmen behielt sie bei, als sie in die Schweiz und später zurück nach Gütersloh ging – in Sachen Disziplin steht sie ihrem Vater kaum nach. Heute lebt sie mit ihrem Freund und vielen Tieren auf einem Bauernhof nahe Gütersloh. Sie genießt das Landleben, steht früh auf und geht früh zu Bett. Sie ist mit dem Unternehmen groß geworden. »Wir sprechen ständig in der Familie darüber. Egal ob ich jetzt in Asien sitzen würde oder woanders, das ist immer ein Teil unseres Lebens. Das wird immer auch ein Teil der Familiengeschichte sein.« Sie studierte Politik, Kunstgeschichte und Germanistik und promovierte in Politik. Nach ihrer Promotion arbeitete sie erst ein Jahr am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, dann drei Jahre bei Random House in New York und bei McKinsey. Schließlich nahm sie eine Stelle bei Pixelpark an und zog in die Schweiz. Ihre Eltern haben ihr immer gesagt, sie solle selbst entscheiden, wo sie arbeiten möchte. »Das hätte nicht Bertelsmann sein müssen. Mein Vater hat immer gesagt: Das Entscheidende ist, dass du 320
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deinen eigenen Weg findest.« Als sie bei Pixelpark arbeitete, studierte sie nebenher noch Wirtschaft. Nach ihrer Zeit bei Pixelpark und McKinsey wollte sie eigentlich in die Unternehmensführung einsteigen und endlich das umsetzen, wovon Berater sonst immer nur sprechen. Als sie in New York und in der Schweiz arbeitete, telefonierte sie fast täglich mit ihrer Mutter; von allen drei Kindern hat Brigitte das engste Verhältnis zu Liz Mohn. Dabei sprachen sie oft über den Aufbau der Schlaganfall-Stiftung. Sie war sich sicher: »Ich gehe in die Wirtschaft und führe ein Unternehmen. Es war für mich nie ein Thema, in die Stiftung zu gehen.« Eines Tages aber fragte ihre Mutter: »Du hör mal, ich muss jetzt so viele andere Aufgaben wahrnehmen im Konzern, in der Stiftung – und ich hab auch noch die SchlaganfallStiftung. Das schaffe ich nicht.« Könnte Brigitte sich vorstellen, die Schlaganfall-Hilfe zu übernehmen? Zu dieser Zeit hatte sie sich gerade auch beim Fachverlag BertelsmannSpringer beworben. Wie jede andere Bewerberin musste auch sie zu einem Vorstellungsgespräch. Der Chef des Unternehmens, Jürgen Richter, hatte als Vorstandsvorsitzender des Axel Springer Verlags die dort zuvor reichlich gepflegte Vetternwirtschaft abgeschafft. Bekannte und Verwandte der Eigentümer und Manager sollten gegenüber anderen Bewerbern keinen Vorteil haben. In diesem Sinne vermittelte er Brigitte Mohn, dass auch sie sich erst bewähren müsse. Sie entschied sich schließlich für die Stiftung. »Das war für mich eine schwere Entscheidung, die überhaupt nicht in meine Karriereplanung passte. Mittlerweile muss ich sagen, es war die richtige Entscheidung. Die Stiftung ist praktisch mein Unternehmen.« So ganz daneben liegt sie mit dieser Auffassung nicht. In den USA hatte sie mitbekommen, dass gemeinnützige Stiftungen als knallhartes Geschäft betrieben werden. Sie machte es sich zur Aufgabe, die Stiftung als Profit-Center zu führen – wie all die anderen Unternehmen im Konzern. Sie sah zwei Herausforderungen für sich: das soziale Thema voranzutreiben und ein Unternehmen aufzubauen. Wie lange sie die Arbeit in der Stiftung noch machen wird, weiß sie nicht. »Für immer kann ich mir das nicht vorstellen.« Aber sie hat sich 321
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keine zeitliche Grenze gesetzt. Mit der Stiftung werde sie »immer verwoben bleiben, auch wenn ich in 20, 30 Jahren etwas anderes machen würde«. Eine andere Person werde dann eben das operative Geschäft führen. »Aber ich würde versuchen, immer irgendwie in der Vorstandsfunktion zu bleiben und das Unternehmen als Mentor zu begleiten.« Sie leitet nicht nur die Schlaganfall-Hilfe, sondern auch den gesamten Bereich Gesundheit in der Bertelsmann Stiftung. Auf die Frage, ob sie sich vorstellen könnte, einmal in leitender Funktion im Unternehmen Bertelsmann zu arbeiten, weicht sie aus: »Als Vorstand? Es ist auch ein Privileg, Frau zu sein, und es gibt Dinge, die man sich im Leben einmal wünscht. Natürlich überlegen sich draußen viele Leute irgendwelche Geschichten. Das finde ich immer sehr niedlich, wenn man das dann beobachtet. Da schmunzeln wir meistens darüber.« Die Wünsche, über die sie hier etwas kryptisch spricht, haben mit Kindern und Medizin zu tun. Eigentlich wollte sie mal Kinderärztin werden. Diesen Traum habe sie nicht vergessen. Wenn sie selbst mal Kinder und dann noch viel Zeit habe, wolle sie nebenbei Medizin studieren. »Nur aus Interesse, ich würde nicht praktizieren. Träume sollte man nie aufgeben.« Dass Brigitte Mohn einmal die Leitung der Bertelsmann Stiftung übernimmt, wäre naheliegend. Ihre Mutter sitzt bereits im Aufsichtsrat – fehlt also nur noch Christoph Mohn, damit das Zukunftsszenario Wirklichkeit wird. Wird er der nächste Vorstandsvorsitzende? Will man den Privatmann Christoph Mohn charakterisieren, könnte man zunächst erwähnen, dass er einen Audi A8 fährt. Das ist für den Milliardärssohn sicher kein unangemessener Wagen. Dennoch rechtfertigt er sich gelegentlich für das Familienfahrzeug. Einem Reporter des manager magazins gestand er nach einer Fahrt durch die westfälische Heimat, ein Freund von ihm sei mit einem Auto tödlich verunglückt. Danach habe er sich das sicherste Fahrzeug gekauft, das zu haben war. »Natürlich den mit der kleinen Maschine. Sonst fährt man nur wieder zu schnell.« Will man den Unternehmer Christoph Mohn charakterisieren, könnte man zunächst auf die Millionenverluste verweisen, die er mit 322
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seinem Internet-Dienst Lycos gemacht hat. Christoph Mohn studierte Marketing in Münster. Nach einem Praktikum im US-Verlag Bantam Doubleday Dell, der Bertelsmann gehört, arbeitete er in New York City und Hongkong bei der Bertelsmann Music Group (BMG) sowie bei der Unternehmensberatung McKinsey, wo Bertelsmann gerne seine Nachwuchskräfte rekrutiert. In New York lernte er seine spätere Frau Shobhna, eine Mathematikerin aus Neu-Delhi kennen. Die beiden heirateten und zogen 1996 nach Gütersloh. In Middelhoffs Abteilung für Neue Medien übernahmen sie die Aufgabe, Internet-Firmen mit Potenzial börsenfähig zu machen. Mit Lycos gründete Christoph ein JointVenture in Europa, und wurde Vorstandsvorsitzender des neue gegründeten Unternehmens Lycos Europe. Er selbst investierte Millionen und beteiligte sich mit elf Prozent. Seit dem Börsengang 2001 hat Lycos Europe rund 400 Millionen Euro verloren, wobei auch Christoph Mohn einiges an eigenem Geld verloren haben dürfte. Bertelsmann dagegen hat mit Lycos keine Verluste gemacht, die Investitionen wurden durch den Börsengang wieder hereingeholt. Während der Internet-Euphorie war Lycos in Gütersloh sehr beliebt, denn es schien, als habe das Unternehmen Geld zu verschenken. Es sprach sich herum, dass man Taxifahrern nur sagen musste: »Schreiben Sie das bitte für Lycos auf!«, und schon konnte man sich spät abends umsonst von der Kneipe nach Hause fahren lassen. Als Lycos an die Börse ging, erhofften sich viele sagenhafte Gewinne, doch nach dem Absturz des Neuen Marktes war das Geld futsch, zumindest für die meisten Anleger. Heute unterhält Lycos eigenen Angaben zufolge Europas meistbesuchtes und am schnellsten wachsendes Internet-Angebot. Zu Lycos gehören Suchdienste wie Lycos Search, Fireball und HotBot; Internet-Zugänge wie Spray und Comundo; Homepage-Baufirmen wie Tripod sowie diverse Internet-Community-Angebote wie Angelfire, Love@Lycos oder Sylvester. Offiziell hat Lycos seinen Firmensitz in Holland. Christoph Mohn und die meisten der 900 Mitarbeiter sitzen jedoch in der Carl-Bertelsmann-Straße in Gütersloh, zehn Autominuten von der Konzernzentrale entfernt. 323
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Christoph Mohn sieht sein Unternehmen auf dem richtigen Weg, denn Ende 2002 verbuchte er erstmals einen Quartalsgewinn von 1,5 Millionen Euro vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen. Seitdem die Firma für Europa eigene Dienste entwirft, habe man gewaltig aufgeholt, sagt Mohn. Die doppelt und dreifach vorhandenen Angebote wurden gestrichen und manches, was nicht zum Kerngeschäft gehörte, so etwa die Net-Zeitung in Berlin, abgestoßen. Mohn kann sich bis zum Erreichen der Gewinnzone mehr Zeit lassen als andere: Bis 2008 will er mit so genannten Premiumdiensten, Flirtchats und Zusatzdiensten wie SMS per E-Mail rund 100 Millionen Euro Umsatz erreichen. Langfristig strebt er eine Umsatzrendite von zehn bis 15 Prozent an. Zunächst werde Lycos jedoch weiter Verluste machen. »Bei Bertelsmann mache ich nichts«, sagt Christoph Mohn. »Nichts« klingt sehr bescheiden für jemand, der im wichtigsten Gremium des Unternehmens, der Verwaltungsgesellschaft, sitzt. Seit Januar 2001 ist er Mitglied der BVG, die zumindest nominell alles Wesentliche entscheidet, was den Konzern und die Bertelsmann Stiftung betrifft. Die Arbeit in diesem Gremium sei »nicht wirklich zeitintensiv«, sagt Mohn. »Das sind ein paar Tage im Jahr, wo man sich damit auseinander setzt.« Sein Hauptanliegen in diesem Gremium sei, »die Unternehmenskultur von Bertelsmann zu wahren«. Warum ist ausgerechnet er in das Gremium berufen worden und hat diese herausragende Stellung erhalten? Er selbst führte das auf seine unternehmerische Erfahrung zurück. »Die Verwaltungsgesellschaft muss beurteilen, ob der Konzern die richtigen Schwerpunkte setzt. Das kann man vielleicht besser, wenn man selber in einem Geschäft tätig ist.« Christoph Mohns Zukunft bei Bertelsmann ist jedoch keinesfalls gewiss. Sollte er mit Lycos scheitern, könnte seine weitere Karriere im Konzern auf der Kippe stehen. Lycos ist der unternehmerische Prüfstein für den künftigen Bertelsmann-Erben. Einige Vorstände sehen ihn gern mit den Tücken des Internets kämpfen und denken gar nicht daran, ihn aus dem Millionengrab Lycos zu holen, da sie wissen, dass er andernfalls einen ihrer Plätze beanspruchen könnte. Im Konzern ist Christoph Mohn nicht unumstritten. Viele, die mit 324
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ihm zusammengearbeitet haben, bemängeln seine große Zurückhaltung. Was Christoph Mohn selbst als dezentrale und transparente Führung versteht, sehen einige seiner Mitarbeiter als Mangel an Präsenz. »Ich kenne überhaupt keinen Manager, der so wenig führt wie Chris Mohn«, sagt der Geschäftsführer einer Lycos-Tochterfirma. »Er trifft keine Entscheidungen.« Er habe den Gedanken des Delegierens so sehr verinnerlicht, dass er darüber vergesse, selbst Entscheidungen zu fällen. Ein anderer Manager, der ihn seit Jahren kennt, bezeichnete ihn einmal als Mann, der wie ein »stehen gebliebener Abiturient« wirke. Daher bezweifeln viele, dass er ein geeigneter Vorstandsvorsitzender sein könnte: Ihm fehle das nötige Durchsetzungsvermögen, er sei zu ehrlich, Intrigen sei er schutzlos ausgesetzt. Manche unterschätzen ihn aber auch. Christoph Mohn weiß seinen Namen wohl zu nutzen und trifft im Ausland wie selbstverständlich Präsidenten von kleinen Ländern und von großen Firmen, die sich für einen Lycos-Chef nicht interessieren würden, für einen BertelsmannErben aber schon. Christoph Mohn kennt natürlich die Vorurteile: »Ich bin nicht Vorstandsvorsitzender aufgrund meines Namens«, sagt er. »Terra Lycos hat mich damals vorgeschlagen, die waren mit mir sehr zufrieden. Wenn die Gesellschafter mir nicht vertrauten, wäre ich längst weg. Die vertrauen meinem Geschäftsmodell. Terra Lycos hat kein Geld zu verschenken. Bertelsmann auch nicht.« Wenn man Christoph Mohn selbst auf Spekulationen anspricht, dass er von den sechs Kindern der Mohns derjenige sei, dem die meisten Chancen auf eine führende Position bei Bertelsmann eingeräumt werden, dann lacht er und sagt Dinge wie: »Spekulationen sind aufgetaucht. Ich weiß auch nicht, woher das kommt.« Als Middelhoff abtrat und der 60-jährige Gunter Thielen nachrückte, wurde natürlich ausgiebig darüber spekuliert, warum die eherne Bertelsmann-Regel in seinem Fall durchbrochen wurde. Unter vielen Mitarbeitern galt Thielen als Platzhalter für den nachrückenden Sohn. Thielen selbst sagte jedoch im Juli 2003 gegenüber der New York Times: »Christoph wird nicht mein Nachfolger sein, so viel steht fest.« In einem Interview im Handelsblatt im Dezember 2003 erläu325
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terte er: »Wenn Sie einen Konzern von der Größe wie Bertelsmann führen wollen, brauchen Sie Erfahrung. Da ein Vorstandsvorsitzender etwa zwei Perioden lang im Amt sein sollte, liegt es nahe, dass mein Nachfolger dann um die 50 Jahre alt sein sollte.« Tatsächlich sieht es so aus, als könnte Gunter Thielen noch eine ganze Weile auf der Position des Vorstandsvorsitzenden ausharren. Im Januar 2004 wurde sein Vertrag bis 2007 verlängert. Nach Reinhard Mohns Verfügungen könnte Christoph Mohn Thielen tatsächlich nicht nachfolgen, solange er sich nicht fünf Jahre im Vorstand bewährt hat. Doch Liz und Reinhard Mohn haben in den letzten Jahren so viele der ungeschriebenen Bertelsmann-Gesetze gebrochen, dass nichts mehr unmöglich erscheint.
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21. »Mich gibt es gar nicht« Die Vergessenen bei Bertelsmann
Herr Bertelsmann aus Bielefeld »Bitte zu Bertelsmann!« Der Taxifahrer am Bahnhof von Bielefeld nickt, als habe er verstanden. Dann fragt er doch nach. »Zum Lesering? Oder nach Gütersloh?« »Zu Bertelsmann in Bielefeld!« Der Taxifahrer ist verwirrt. »Zu denen mit den Büchern?« »Ja.« »Also doch nach Gütersloh?« »Nein, zum Bertelsmann Verlag in Bielefeld!« »Ach, sind die jetzt auch in Bielefeld? Ich kenne hier nur den Lesering in der Innenstadt. Heute heißt der Club.« »Nein, da will ich nicht hin. Ich will zu W. Bertelsmann, Anschrift: Auf dem Esch 4 in Bielefeld.« »Ach sooo, zur Firma Bertelsmann ins Gewerbegebiet. Alles klar. Hätten Sie Firma gesagt, dann hätte ich gleich gewusst, was Sie meinen.« Die Erklärung, dass die »Firma Bertelsmann«, wie der Taxifahrer sie nennt, in Bielefeld auch ein Verlag ist und Bücher verlegt, erspart man sich besser. Die »Firma« bringt keine Romane heraus und ist deshalb der Öffentlichkeit kaum als Verlag bekannt. W. Bertelsmann verlegt Fachbücher; am bekanntesten dürften die Blätter zur Berufskunde der Bundesagentur für Arbeit sein. Das Besondere an der Firma jedenfalls ist, dass die Eigentümer und Geschäftsführer noch den Firmennamen tragen. Der Verlag W. Bertelsmann, den die beiden Söhne von Carl Bertelsmann 1864 in Bielefeld gründeten, wird noch von einem echten Herrn Bertelsmann geführt. Während C. Bertelsmann zum weltweit beachteten Medienkonzern mit 80 000 Mitarbeitern aufstieg, blieb der andere ein mittelständisches Unternehmen mit knapp über 100 Mitarbeitern. 100 Mitar327
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beiter sind an sich nicht wenig, aber verglichen mit den Legionen von Mitarbeitern des Konzerns natürlich kaum erwähnenswert. Durch die Ähnlichkeit der Namen hat der Verlag aus Gütersloh den Schwesterverlag im größeren Bielefeld in die Bedeutungslosigkeit gedrängt. Ein Besuch beim W. Bertelsmann Verlag – wbv – ist dennoch interessant, weil man an ihm abschätzen kann, wie C. Bertelsmann heute aussehen könnte, wenn Heinrich Mohn kein so ausgebuffter Unternehmer gewesen wäre, wenn er kein Verkaufsgenie wie Fritz Wixforth gehabt hätte oder wenn Reinhard Mohn nach dem Krieg nicht an die Erfolge hätte anknüpfen können. Die Frage, warum die eine Firma ein Weltunternehmen wurde, während die andere klein blieb, beschäftigt Arndt Bertelsmann, den Geschäftsführer von wbv, dennoch kaum. Der Konzern ist der Konzern und der 45-Jährige ist froh, dass er das Monstrum nicht leiten muss. Dem riesengroßen Schatten, den er selbst nicht wirft, entkommt er freilich nicht. Als er sich einmal in Berlin aus seinem Hotel abmelden wollte, bekam die Dame an der Rezeption große Augen: »Sie sind Herr Bertelsmann?« Bertelsmann sagte nur: »Ja«. »Der Chef von Bertelsmann?« Bertelsmann antwortete wieder ganz knapp und wahrheitsgetreu: »Ja«. Die Dame staunte still mit offenem Mund. Bertelsmann ahnte, was sie dachte. Aber es war ihm zu lästig, das Missverständnis aufzuklären. »Es steht geschrieben, du sollst nicht lügen«, sagte er sich. »Es steht aber nicht geschrieben, du sollst immer alles sagen.« Was die Familie Bertelsmann betrifft, so existiert auch noch der alte Stammhof im Kreis Osnabrück. Nachgewiesen ist der Stammbaum bis ins 17. Jahrhundert. Die Zahl der Nachfahren liegt weltweit im dreistelligen Bereich. Alle zwei Jahre trifft sich der Familienverband Bertelsmann, der in einem Verein zusammengeschlossen ist. Auch Reinhard Mohn ist Mitglied, war aber noch nie bei einem der Treffen. Auch nicht, als die Großfamilie einmal eine dieser Zusammenkünfte zu einer Besichtigung seines Unternehmens in Gütersloh nutzte. Arndt Bertelsmann hat sich längst an die Verwechslungen gewöhnt. Erst mal bringen ihm die Gesprächspartner falsche Ehrfurcht und Distanz entgegen, je nachdem, welches Image sie mit dem Weltkonzern 328
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verbinden. Bald im Gespräch kommt dann die Frage: »Haben Sie eigentlich irgendwas zu tun mit Bertelsmann?« Arndt Bertelsmann kann bei dieser Frage nie so recht abschätzen, welche Vorurteile ihn nun treffen werden. Die Marktmacht? Die Größe? Oder das positive Image der Stiftung? Er sagt dann sachlich: »Es gibt den Konzern und es gibt uns.« Die Antwort erleichtert viele, weil sie das Übermächtige vergessen können. »Unsere Gesprächspartner fühlen sich bei einem mittelständischen Unternehmen besser aufgehoben als bei einem Konzern. Mit Großkopferten, die gerne Herrn Mohn als Konzernchef sprechen würden, treffe ich selten zusammen.« In seiner Verbandstätigkeit hat er es hin und wieder auch mit Ministern zu tun. Auch da gibt es Aufklärungsbedarf. »Das wird dann kurz und knackig aufgeklärt. Wenn der andere meint, dass das wichtig ist, dann ist das sein Problem.« Es sind nicht einmal 30 Kilometer vom Bertelsmann Verlag in Bielefeld zum Bertelsmann Verlag in Gütersloh. Doch die Wege der beiden Unternehmen kreuzen sich selten: Als der Bielefelder Verlag ein Buch über »Top-Arbeitgeber in Deutschland« veröffentlichte, kam auch ein Mitarbeiter aus Gütersloh zur Buchvorstellung. Denn die Autoren hatten Bertelsmann als einen der Top-Arbeitgeber beschrieben. Bei der Vorstellung des Titels mussten die Bielefelder deshalb aufklären, dass Bertelsmann Bielefeld hier nicht Werbung für Bertelsmann Gütersloh macht und keine Verbindung vorliegt. Viele junge Mitarbeiter des Konzerns, denen Gütersloh zu eng ist, wohnen in Bielefeld. Andere, die in Gütersloh wohnen, gehen in Bielefeld ihren Vergnügungen nach oder kaufen hier ein. Doch viele ahnen gar nicht, dass einer der Gründerväter ihres Konzerns in Bielefeld einen Verlag gegründet hat – und es diesen Verlag mit dem Namen Bertelsmann immer noch gibt. Die Aufspaltung der Familienlinien liegt zu lange zurück, als dass es noch Kontakte gäbe. Die beiden Häuser haben keine Beziehung; schon zu Großvaters Zeiten war der Kontakt erloschen. »Das sind Kunden von uns«, sagt Bertelsmann über den Konzern. Das ist alles. »Sie beziehen von uns Literatur für ihre Mitarbeiterausbildung. Es ist ein Ausbildungsbetrieb von vielen.« Bertelsmann 329
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kann sich nicht entsinnen, etwas von den großen Nachbarn gebraucht zu haben: »Ich wüsste nicht, was ich bei denen kaufen soll.« So beschränken sich die Kontakte auf das Aufklären von Irrtümern. »Uns erreichen Anfragen, die für Gütersloh gedacht sind – und umgekehrt«, sagt die Pressesprecherin. »Wir leiten das dann weiter.« Arndt Bertelsmann sagt: »In Gütersloh ist der Name Bertelsmann ein Firmenemblem. Das Unternehmen ist klar das Werk von Mohn. Das hat mit Bertelsmann nur marginal zu tun.« Nach dem Studium wollte Arndt Bertelsmann bei Bertelsmann arbeiten und hat sich in Gütersloh beworben. Bertelsmann lud Bertelsmann zum Bewerbungsgespräch. Er sollte nach Berlin zur Firma Elsnerdruck. »Die haben sich nicht an meinem Namen gestoßen, sonst hätten sie mich ja gar nicht eingeladen. Ich habe mich auch nicht daran gestoßen.« Er führte zwei Gespräche in Gütersloh und in Berlin. Beide Gespräche verliefen positiv. Dennoch wurde nichts daraus. Bertelsmann wollte nicht mehr bei Bertelsmann arbeiten; ein anderes Angebot erschien ihm interessanter. So hat Bertelsmann eben doch erst später im väterlichen Betrieb begonnen. Dass es die richtige Entscheidung war, nicht zu Bertelsmann zu wechseln, bestätigte sich für ihn, als er erfuhr, dass der Mitarbeiter, der mit ihm das Bewerbungsgespräch geführt hatte, schon gar nicht mehr da war, als er hätte anfangen sollen. Das ist bei Konzernen so. In der Konzernspitze kennt man freilich die kuriose Geschichte beider Unternehmen. So hat einmal Gunter Thielen einen Vortrag gehalten bei der Arbeitsgemeinschaft selbstständiger Unternehmer im Kreis Ostwestfalen-Lippe und ist dabei auf Arndt Bertelsmann getroffen. »Einige Leute an der Spitze wissen sehr wohl, dass es uns gibt. Aber 90 Prozent der Mitarbeiter von Bertelsmann wissen gar nichts über uns. Wenn sie von uns hören, dann denken sie im ersten Augenblick, ah, das gehört wohl auch zu uns. Das ist eine von den vielen Firmen, die mal dazugehören und dann wieder nicht dazugehören.« Es kommt durchaus vor, dass mal ein Mitarbeiter von C. Bertelsmann im Gewerbegebiet von Bielefeld bei W. Bertelsmann vorbeikommt und denkt, er sei bei einer Tochter des eigenen Konzerns. 330
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Im Gegensatz zum Konzern in Gütersloh ist der Verlag in Bielefeld nur in Deutschland tätig. »Natürlich sind wir als Unternehmen auch auf Wachstum angewiesen.« Grundsätzlich sei die Firma aber auf Beständigkeit aus, auch was ihre Größe betrifft. »Da wird es in nächster Zeit auch keine Revolutionen geben.« Das Kerngeschäft ist – anders als früher – nicht mehr der Formulardruck. »Das gibt es praktisch nicht mehr, nur noch marginal.« Mit Einführung der Datenverarbeitung ist der Bedarf der öffentlichen Verwaltungen auf ein Minimum zurückgegangen. Jetzt werden Fachzeitschriften für Bildung verlegt, auch über internationale Politik. Die Firma ist besonders stark positioniert im Bereich der institutionellen Herausgeber. »Das Unternehmen versucht, sich am Markt zu behaupten, und der einzige Wettbewerbsvorteil ist, schneller zu lernen als die Konkurrenz. In der Fachöffentlichkeit haben wir unseren Namen wesentlich bekannter gemacht. Wenigstens als eigenständige Marke etabliert, wenn es auch immer wieder Missverständnisse gibt.« Im Unternehmen spielt die Familientradition für Arndt Bertelsmann »eine untergeordnete Rolle«. Auf den berühmten Nachbarn blickt er nüchtern: Hin und wieder bewerben sich bei ihm Leute, die bei Bertelsmann in Gütersloh gearbeitet haben. Aus ihren Aussagen weiß er: »Auch jenseits des Berges wird nur mit Wasser gekocht … Reinhard Mohn hat sehr viel Wert gelegt auf persönliche Verantwortung. Aber durch das Fehlen einer charismatischen Figur verblasst das. Man kann es nachvollziehen.« Auf die Frage, ob er hin und wieder mit Herr Bertelsmann angesprochen wird, sagte Mohn einmal, es komme vor, dass er mit einem Sänger namens Fred Bertelmann verwechselt werde. Die Familie Bertelsmann hat er nicht erwähnt. Für andere mögen Mohn und Bertelsmann zusammengehören. Für Arndt Bertelsmann sind das »zwei Welten. Die leben in ihrer, wir in unserer.« Man geht sich nicht aus dem Weg, aber man sucht sichauch nicht. Einmal hat er Reinhard Mohn bei einem öffentlichen Auftritt erlebt. Nach der Veranstaltung ist er auf ihn zugegangen und hat sich vorgestellt. Gestatten, Bertelsmann. Reinhard Mohn sagte »Guten Tag« und »Auf Wiedersehen«. Er war in Eile. 331
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Magdalene Mohn Mit Magdalene Mohn, der ersten Ehefrau von Reinhard Mohn, verhält es sich genauso wie mit dem Verlagsgründer Carl Bertelsmann. Es gibt kein Foto von ihr. Zumindest nicht bei Bertelsmann. Früher hat sie es nicht gestört, dass sie kaum zu sehen war. In den Vordergrund hat sie sich nie gedrängt. Aber heute? Da fühlt sie sich ausgelöscht aus dem Gedächtnis des Unternehmens. Blättert man in den Publikationen des Verlags, gewinnt man den Eindruck, Reinhard Mohn sei nie mit ihr verheiratet gewesen. Nicht einmal die Historikerkommission hat sie befragt, obwohl sie doch direkt nach dem Krieg in der Großfamilie Mohn gelebt hat, mit »Großmutter und Großvater«, wie sie die Eltern ihres Mannes nennt, und mit den Geschwistern. Sie hat Reinhard begleitet, als dieser die Lizenzbehörden in Düsseldorf besuchte. Mit allen Mohns haben die Historiker gesprochen – mit ihr nicht. Nur wirklich langjährige Mitarbeiter können sich noch an sie erinnern. 1957 veröffentlichte der Spiegel ein Foto von ihr. Das Bild war aufgenommen worden, als sie und Reinhard dessen Bruder Sigbert bei dessen Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft vom Bahnhof abholten. Alle drei freuen sich und lachen. Sigbert legt seine Arme um die beiden. Damals war sie gerade frisch verheiratet. Später habe Liz Mohn die Erinnerung an sie zu löschen versucht, glaubt Magdalene. Angeblich achte sie genau darauf, dass keine Fotos publiziert werden, die Reinhard mit Magdalene zeigen. Wenn die erste Frau von Reinhards zweiter Frau spricht, dann ist immer nur die Rede von »Madame«. Sie nimmt ihren Namen nicht in den Mund. Ihr Buch liege oben, aber sie habe es nicht gelesen, sagt sie. Eigentlich möchte sie gar nicht über die Dinge sprechen, die darin stehen, oder warum gewisse Dinge, auch sie, nicht darin erwähnt werden. Wie so vielen anderen erscheint auch ihr Liz Mohn unberechenbar. Und Unberechenbarkeit, gepaart mit viel Geld und großem Einfluss macht Angst. Würde sie allzu deutlich werden, könnte Madame womöglich versuchen, rechtlich gegen sie vorzugehen und ihr die Versorgung nehmen, sagt sie. Mit den anderen Geschwistern von Reinhard hat sie nach eigenen 332
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Aussagen ein »wunderbares Verhältnis«. Man lädt sich gegenseitig ein, feiert gemeinsam Geburtstage. Sie wird als Mitglied der Familie Mohn behandelt und trägt den Namen auch mit gewissem Stolz. Allerdings gibt es zwei Familien Mohn: Zur einen gehören Reinhards Geschwister mit ihren Ehepartnern und Kindern. Zur anderen gehören nur Reinhard und Liz mit den Kindern Brigitte und Christoph. Magdalene Mohn sagt immer noch »wir«, wenn sie von Bertelsmann spricht. »Gehört das etwa auch uns?«, fragt sie, wenn von einer Tochterfirma die Rede ist, die ihr nicht geläufig ist. Sie verfolgt aufmerksam, was mit Bertelsmann passiert, liest darüber in der Zeitung und spricht mit Mitarbeitern. Die Bewerbung des jungen Mark Wössner hatte sie einst mit ausgesucht. Dass Reinhard ihn nach 30 Jahren praktisch von heute auf morgen gefeuert hat, kann sie nicht nachvollziehen. »Das ist nicht zu verstehen. Da fehlt es an Menschlichkeit, obwohl Reinhard viel über Menschlichkeit redet.« Die Vergangenheit ist noch auf vielfältige Weise gegenwärtig: Magdalene bewohnt die Villa am Rande der Stadt, die sie einst mit Reinhard teilte. Hier gab ihr Mann seine Feste für Bertelsmann-Mitarbeiter. Nebenan liegt der Meierhof, auf dem sie aufgewachsen ist. Die Villa, die Bäume, der Bach und die Tiere – das ist ihre Heimat. Nach der Trennung von Reinhard, so erzählt sie, hätten ihr viele Freunde geraten, nach München zu ziehen. Da kenne sie doch ein paar Leute. »Aber München ist nicht meine Heimat. Ich bin zu sehr verwurzelt hier mit diesem Fleckchen und dem Meierhof. Ich bin ja schon traurig gewesen, als sie das alte Haus abgerissen haben. Ich hätte nicht wegziehen können. Daran habe ich nie gedacht.« Zu eng ist es ihr nie geworden; sie war ja immer viel auf Reisen. Zudem fährt sie regelmäßig in ihr Ferienhaus nach Sylt. Reinhard Mohn hat sie nach seinem Auszug nie wieder besucht und nie wieder ein Wort mit ihr gesprochen. Bei der Beerdigung von Reinhards älterem Bruder Sigbert haben sie sich 2002 zum letzten Mal gesehen. Man saß durch einige Reihen getrennt in der Kirche, ohne ein Wort zu wechseln oder sich auch nur zu grüßen. Ein Leben lang hat sie versucht, zu verstehen, was passiert ist und 333
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warum ihr Mann nicht mehr mit ihr gesprochen hat. Doch die Widersprüche lassen sich nicht auflösen. »Er hatte hohe moralische Ansprüche, aber er lebte sie nicht selbst. Er predigte Wasser und trank Wein.« Rückblickend sieht sie auch die guten Seiten der Trennung. In der Ehe habe sie immer zurückgesteckt. Nach der Scheidung konnte sie ihren Interessen nachgehen, nicht nur reisen, sondern auch denken, was sie wollte. Heute, sagt sie, fühle sie sich befreit. In der Tat macht sie inmitten all der Leute, deren Leben von Bertelsmann und Reinhard Mohn gestaltet und verändert wurde, als eine der wenigen Personen den Eindruck, keine Angst zu haben vor der Macht von Bertelsmann. Sie spricht offen. Das Tief, durch das sie jahrelang gegangen sei, habe sie stärker gemacht. »Das ist ein großer Gewinn. Dafür bin ich dankbar. Es war furchtbar, aber ich habe unendlich viel gelernt und bin geläutert aus diesem Tief hervorgegangen.« Der Schmerz, wie Luft behandelt zu werden, hat sie dennoch lange begleitet. Manchmal kommt er noch heute auf. Das Gefühl sitzt so tief, dass sie – wenn sie sich vorstellt – lächelnd fragt: »Sind Sie überrascht, mich zu treffen?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fügt sie hinzu: »Mich gibt es ja eigentlich gar nicht.«
Andreas Mohn Wer in einer Suchmaschine im Internet den Namen Andreas Mohn eingibt, bekommt Daniela zu sehen: Sie ist 1982 geboren, 1,60 Meter groß und hat die Maße 84-63-78. Sie ist im Begriff, ihre Jeans auszuziehen. Sie hat die Hose ein paar Zentimeter runtergestreift und man sieht, dass sie kein Höschen trägt. Sie räkelt sich auf einem Laken. Nadine wiederum schaut neckisch lachend ins Bild, streicht sich durchs Haar. Sie ist 1982 geboren, 1,76 Meter groß, und hat die Maße 83-7080. Mona sitzt lächelnd auf einer Gartenbank, ihre langen dunklen Haare fallen seidig auf ihre Schultern. Sie ist 1980 geboren, 1,79 Meter groß und hat die Maße 89-67-96. Jessica lacht in die Kamera. Sie ist 1976 geboren, 1,70 Meter groß und hat die Maße 75-62-79. 334
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Der Fotograf hat eine Rose auf Jessicas entblößten Hintern gelegt und sie von hinten aufgenommen. In Schwarz-Weiß. Andreas Mohn mag dieses Motiv. Es findet sich auch auf einem der Ölbilder, die er gemalt hat. Wie er dazu kam, ist leicht erklärt: Er ist ja auch der Fotograf der Nacktaufnahmen. »Model Art« nennt er seine Website. Er bietet »art« und »literatur« und natürlich die oben erwähnten Models, die sehr hübsch und sehr jung sind. Die Lebensbeschreibung, die Andreas Mohn auf seiner Homepage von sich anbietet, ist knapp gehalten. Der jüngste Sohn von Liz und Reinhard Mohn spricht von sich in der dritten Person: »Nach Beendigung des Abiturs auf dem Städtischen Gymnasium in Gütersloh arbeitete er für vier Monate als Praktikant der Neuen Westfälischen Zeitung. Es folgte ein zweimonatiges Praktikum im Druckereibetrieb Brown Printing in Maine, USA. Und ein einjähriges Volontariat als Manager im Verlagswesen bei der Bertelsmann, Inc., New York. Andreas Mohn studierte zehn Semester Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Gleichzeitig engagierte er sich als Sprecher einer europäischen Umweltschutzgruppe und organisierte unter anderem einen preisgekrönten Kongress in Münster.« In welcher Beziehung er zu Bertelsmann steht, erwähnt er nicht. Ebenso wenig seinen Vater oder seine Mutter. Andreas Mohn ist Güterslohern sowie Mitarbeitern von Bertelsmann ein Rätsel. Wie die jeweils ersten Ehepartner von Liz und Reinhard Mohn gibt es ihn nicht in der heilen Bertelsmann-Welt. 2001 gab er eine Lesung in Gütersloh. Etwa 100 Leute kamen in die Stadtbibliothek. Es waren so viele, dass einige stehen mussten. Dem verstoßenen Sohn der Mohns bei einem öffentlichen Auftritt zuzusehen, ihn zu erleben, lesen zu hören, mag für sie aus demselben Grund spannend gewesen sein, aus dem andere im Goldenen Blatt begierig die Nachrichten über Stephanie von Monaco verschlingen: Man erhält einen Blick auf das Sorgenkind der Königsfamilie. Die Suchmaschine im Internet listet auch einen Feuerwehrmann gleichen Namens auf, dem Andreas Mohn einmal eine E-Mail geschickt hat. »Hallo, Namensvetter. Deine Internetseite gefällt mir sehr gut. Ich empfehle Dir mein Buch Texte zum Thema Frieden, das im 335
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Haag + Herchen Verlag Frankfurt veröffentlicht ist. Melde Dich, wenn Du möchtest. Andreas.« Man stößt ferner auf einige Bücher, die er bei Kleinverlagen publiziert hat. Bei jener Sorte von Kleinverlagen, die man für eine Veröffentlichung bezahlen muss. Kann es tatsächlich sein, dass der Sohn des weltweit größten Verlegers dafür zahlt, dass seine Texte gedruckt werden? Rund 4 000 Euro kostet so eine 100 Seiten starke Veröffentlichung. Warum tut er das? Weil er sich vom Vater emanzipieren will? Weil der Vater ihn verstoßen hat und nicht mal diese Hilfe bietet? Andreas Mohn ist der Kreative in der Familie Mohn: Andere Geschwister und Halbgeschwister sind Manager mit technischem Geschick; es gibt auch eine Psychologin. Andreas Mohn dagegen ist Künstler mit einer Affinität zum Journalismus. In einem seiner fiktionalen Texte ist der Ich-Erzähler Redakteur des Hamburger Abendblatts. Als Junge war er für kurze Zeit linksseitig gelähmt. Er konnte nicht mehr laufen, saß im Rollstuhl. Erst nach Wochen trat Besserung ein. Bei ihren Krankenhausbesuchen sei sie auf die Schlaganfallpatienten aufmerksam gemacht worden, so erklärte seine Mutter Liz Mohn heute die Ursprünge ihres Engagements für Schlaganfallopfer. Die Ursache für diese Lähmung ist nie aufgeklärt worden. »Man weiß nicht, ist es ein Schlaganfall gewesen oder nicht«, sagt seine Schwester Brigitte. »Die Ärzte haben uns damals gesagt, es bleiben keine Schäden und es ist alles prima, aber er hat immer noch starke Probleme. Er kann immer noch nicht richtig laufen, er hinkt, und die Hand kann er nicht richtig halten. Das ist nie richtig weggegangen.« Das war nicht die einzige Krankheit, mit der Andreas zu kämpfen hatte: Er war noch keine zehn Jahre alt, als man eine seltene Augenkrankheit diagnostizierte. »Es war eine schmerzhafte und angsteinflößende Zeit«, erinnert er sich. »Ich musste mich deshalb von sportlichen Aktivitäten wie Fußball und Handball fern halten und habe stattdessen eine Menge meiner Freizeit mit Arztterminen zugebracht. Die Schule klappte mehr oder weniger gut. Erst später ist der Umgang mit der Uveitis [Entzündung der mittleren Augenhaut – Anm. d. A.] zur Routine geworden.« 336
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1997 schrieb er: »Heute bin ich nur noch Brillenträger, sehe im Dämmerlicht ein wenig schlechter, doch sonst ist nicht mehr viel von den damaligen Ängsten verblieben. Blind oder wesentlich sehbehindert kann ich mich trotz einer 15-jährigen Uveitis nicht nennen … Manches ist in meiner frühen Jugend wegen der Uveitis vielleicht etwas fad gewesen. Insgesamt hat sich die Erkrankung aber nicht fortgesetzt. Mein Augenlicht hat sich bewahrt. Das macht mich dankbar und glücklich. Die Uveitis hat mir neben Sorgen und Unannehmlichkeiten viele Seiten des Lebens gezeigt, die ich sonst nie in dieser Intensität entdeckt hätte: Nie konnte ich die Farben und die Schönheit einer Landschaft so genießen wie nach der Besserung eines Schubs. Ich lernte, auf Kleinigkeiten zu achten, und bin mir bewusst geworden, wie wertvoll doch unser Leben ist. Die Erfahrung des Schmerzes hat mich tief geprägt … Blicke ich aber auf die letzten 20 Jahre zurück, so spielt die Uveitis in meiner Erinnerung nur eine untergeordnete Rolle. Freunde, Familie, Hobbys, Schule, Studium, Kultur, Landschaften … – all das war und ist für mich viel einprägsamer und ausfüllender. Die Uveitis hat meinen schulischen und beruflichen Werdegang kaum beeinträchtigt. Ich arbeite heute, 1997, in einem New Yorker Verlag im Bereich Finanzen.« Diesen Bericht hat seine Mutter Liz in einer Publikation der Bertelsmann Stiftung veröffentlicht. Dem Text hat er die Überschrift »Es war einmal« gegeben und sein Schicksal ist unter all den anderen in dem Büchlein geschilderten eines der am glücklichsten verlaufenen. Für Andreas Mohn und seine Krankheit, so scheint es, gab es ein Happy End. Sie hat sogar zu etwas Gutem geführt, weil seine Mutter nicht nur die Schlaganfall-Hilfe, sondern auch eine Einrichtung für Uveitis-Kranke gegründet hat und vielen Menschen hilft. Liz Mohn schreibt in ihrem Buch, Andreas sei heute geheilt. Das stimmt, was die Augenkrankheit betrifft. Dass er heute unter Schizophrenie leidet, wird indessen verschwiegen. Diese Krankheit habe dazu geführt, dass seine Eltern sich von ihm distanzierten, sagt er. Seine Familie »versteckt« ihn. Es gibt viele Gerüchte in Gütersloh, viel Hörensagen. So raunte man sich in Führungszirkeln eine Zeit lang zu, Reinhard Mohn habe ihm Stadtverbot erteilt, 337
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was natürlich nicht stimmt, da Andreas Mohn heute in Gütersloh lebt. Selbst Manager, die familiären Kontakt zur Familie Mohn halten, wissen so gut wie nichts über den jüngsten Sohn von Reinhard Mohn. Sie wissen nur, dass sie besser nicht über ihn sprechen sollen. Hinter vorgehaltener Hand erzählen sie, er sei krank. Und: Andreas habe einen Text über seine Eltern geschrieben, der bei einem Notar liege, munkelt man an der Spitze des Unternehmens. Er dementiert dies. Wie so viele Söhne bedeutender Väter, deren Schatten sie nicht entrinnen können, fühlt sich auch Andreas Mohn abgestoßen und zugleich angezogen von seinem Vater. Manchmal tut er ganz augenscheinlich Dinge, um sich von seinen Eltern zu lösen. Dann wieder scheint er alles zu tun, um ihre Anerkennung zu erringen. So verfasste er etwa nach einem Gespräch mit seinem Vater einen Aufsatz über Arbeitsmarktpolitik. Für die Außenwelt zählt er zu den Erben des Medienimperiums. Das sichert ihm hin und wieder einige Aufmerksamkeit: Als er Friede Springer einen Text zusandte, in dem er – etwas naiv vielleicht – die Ansicht vertrat, Mediengrößen wie Helmut Thoma, Ulrich Wickert oder Sabine Christiansen sollten doch bitte dem Beispiel von Michael Bloomberg in New York oder Silvio Berlusconi in Italien folgen und in die Politik gehen, reichte sie den Text an die Tageszeitung Die Welt weiter. Die Zeitung druckte diesen Beitrag und verwies in der Unterzeile deutlich auf »Andreas Mohn aus der Bertelsmann-Familie«. Fragt man ihn nach dem Buch seiner Mutter, gibt Andreas Mohn zu verstehen, dass er nicht viel davon hält, weil die Hälfte darin nicht stimme. Er gibt nur ein Beispiel: Seine Mutter schreibe darin, Kinder dürften ihre Eltern nicht belügen. Liz Mohn hat den Satz als Feststellung formuliert. In den Augen von Andreas Mohn wird er zur unausgesprochenen Frage, die da lautet: »Warum belügen Eltern ihre Kinder?« Schließlich hat er erst mit zwölf Jahren erfahren, dass der Mann, den er als seinen Vater ansah, nicht sein Vater war. Während seines Studiums hielt er sich oft auf den Seychellen oder in der Karibik in Luxushotels auf und versuchte, seine Augenkrankheit auszukurieren. Er fand es langweilig, als junger Mensch in diesen 338
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Hotels rumzusitzen. Kontakt zu den Einheimischen hat er in diesen Luxusressorts nicht bekommen. Seine damalige Freundin hätte ihn gerne begleitet. »Aber meine Eltern waren zu geizig«, sagt er. So saß der Milliardärssohn alleine rum und tat, was sein Vater ohnehin als Aufgabe und Erfüllung des Menschen ansieht: Er arbeitete. Er fertigte eine Hausarbeit für sein Jurastudium an. 1997 ging er mit seiner Schwester »Gitte« nach New York. Das war für ihn eine große Reise in eine andere Welt – nicht nur eine geografische Umstellung. Davor hatte er an der Pforte einer Psychiatrie und in einem Supermarkt gearbeitet. In New York gab ihm der Verlagschef Peter Olson eine Stelle in der Finanzabteilung von Bantam; da war er beteiligt an der Erarbeitung der Fusionspläne der Verlage Bantam und Random House. Für so etwas ist er ausgebildet worden, immerhin hat er Wirtschaft und Recht studiert. In New York lebte er mit seiner Frau und seinem Kind in Westchester. Jeden Tag pendelte er mit dem Zug etwa eine Stunde nach Manhattan und abends wieder zurück. Seine Frau machte in Manhattan einen Fotokurs. An den Wochenenden unternahm die Familie Ausflüge nach Vermont. Trotz allem war die New Yorker Zeit keine glückliche Zeit für beide: Er konnte arbeiten und war raus aus dem Schatten des Vaters. Das war gut. Aber die Arbeit stresste ihn und er kam in New York kaum aus dem Büro heraus. Als seine Frau einen Asthma-Anfall bekam, war der Punkt erreicht, wo sie beide zurück nach Hamburg gingen. In Hamburg lebte er wie ein Fremder. Heimisch wurde er dort nicht. Nach der Trennung von seiner Frau verlegte er dann seinen Lebensmittelpunkt zurück nach Gütersloh. In Hamburg ist er nur, wenn er seinen Sohn Jonas besucht. Sein zweites Kind – er hat noch einen einjährigen Sohn in Bielefeld (»ein Bilderbuchkind«) – sieht er einmal die Woche. Er malt viel. Aber von seiner Kunst leben kann er nicht. Vier oder fünf Bilder hat er verkauft. Materielle Sorgen muss er sich freilich keine machen. Wie den anderen Kindern steht ihm der Pflichtteil des Erbes zu. Im Prinzip verhält es sich mit der Schizophrenie nicht anders als mit dem Herzinfarkt oder Schlaganfall, betont Heinz Häfner, emeritierter 339
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Professor für Psychiatrie an der Universität Heidelberg. »Das Rätsel Schizophrenie unterliegt als Folge von Wissensdefiziten zahlreichen Fehldeutungen und Missbrauch.« Wie noch vor Jahren beim Infarkt, so sei es immer noch ein Tabu, über Schizophrenie zu sprechen. Während Liz Mohn sich große Verdienste damit erworben hat, das Tabu um den Schlaganfall zu brechen, hat sie im Hinblick auf die Schizophrenie ihres Sohnes genau das Gegenteil getan und die Tabuisierung seiner Krankheit aufrechterhalten. Andreas macht seinen Eltern keine Vorwürfe, jedenfalls äußert er sie nicht. Dabei sei die Frage nach der Schuld eine der zentralen Fragen bei Schizophrenie, sagt er. Er spricht von einem »breiten Thema« – ganz so, als spreche er nicht über sich selbst. Andreas hat angeblich stärker unter der Trennung vom vermeintlichen »Vater« Scholz gelitten als seine Geschwister, heißt es. Er wollte gerne bei ihm bleiben und hält den Kontakt auch heute noch. Am 1. Dezember 2003 erschien im Wall Street Journal ein Bericht, den die Bertelsmann-Mitarbeiter mit ungläubigem Staunen im hauseigenen Pressespiegel lasen. Der Bericht schilderte, wie Liz Mohn Einfluss nimmt und die Manager aus dem Unternehmen drängt. Das allein hätte in der Zentrale von Bertelsmann niemanden überrascht. Wie ein Erdbeben wurde der Bericht empfunden, weil er erstmals das Familienleben der Mohns thematisierte. Die Quelle war an Glaubwürdigkeit nicht zu überbieten: Andreas Mohn erzählte, dass er erst mit zwölf Jahren erfahren habe, dass Reinhard Mohn sein Vater sei. Andreas Mohn hatte sich schön öfter die Frage gestellt, ob er seine Geschichte öffentlich machen sollte. Einmal hatte ihn eine Journalistin aus Paris angerufen, um ihn zu Gerüchten über seine Familie zu befragen. Damals sagte er noch: »Kein Kommentar!« Als ihn ein Journalist aus Berlin zu seinem Bericht in der Welt befragen wollte, sagte er erst zu, dann ab. Aber eigentlich hegte er Sympathie für die Anliegen der Presse. In seinen Therapien hatte er gelernt, die Wahrheit auszusprechen und über seine Familie zu sprechen. Innerlich hatte er sich so sehr distanziert, dass er überlegte, den Namen Mohn abzulegen und den Namen seiner ehemaligen Frau anzunehmen. Er beschloss, seinen 340
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eigenen Kindern keine Lügen über seine Jugend und die Familie zu erzählen. Von da war es nur ein kleiner Schritt, öffentlich die Wahrheit auszusprechen. Als im November Matthew Kartinschnig vom Wall Street Journal anrief und das Verhältnis seiner Eltern ansprach, wollte Andreas nicht mehr schweigen.
Es gibt ein Leben nach Bertelsmann – Die gefeuerten Kronprinzen Köhnlechner, Fischer, Wössner, Middelhoff Nach seinem Rauswurf musste sich Manfred Köhnlechner keine materiellen Sorgen machen. Er hatte einen guten Vertrag ausgehandelt und erhielt weiter eine Million Mark pro Jahr. So konnte er sich im Selbststudium zum Heilpraktiker ausbilden und fortan den Kaminkehrer von seinem Ischias oder eine 60-jährige Nachbarin von ihrem Hüftleiden kurieren. Seinen Durchbruch hatte er im Fernsehen. In der WDRTalkshow von Dietmar Schönherr befreite er die Kölner Kabarettistin Trude Herr von ihrem Schnupfen, indem er ihr seine vorbereiteten Akupunkturnadeln in die Nase piekste. Noch während der Sendung legten 3 000 Anrufer die Telefonleitungen lahm, die Köhnlechners Adresse wissen wollten. Nach der Sendung gingen täglich 300 Briefe bei ihm ein. Köhnlechner war nun bekannt, aus dem Medienunternehmer war ein Medienstar geworden. Und was für einer: Patienten ließen sich von ihren Beschwerden nicht davon abhalten, vor seiner Praxis in München-Grünwald über den Zaun zu klettern, sie klingelten Sturm, wollten unbedingt zu dem Mann vorgelassen werden, der auch Beckenbauer behandelte. Einen Termin bei ihm zu haben war unter Prominenten »ein Statussymbol«, wie Bild schrieb. Köhnlechner beschäftigte bald drei Ärzte und veröffentlichte den ersten seiner Bestseller Die machbaren Wunder. Es folgten weitere Auftritte im Fernsehen, Zeitungsserien, Interviews und noch mehr Bücher. Seine Nadeln und die von ihm entwickelte OzonInsufflations-Therapie (Einleitung von Sauerstoff in die Beinarterien) 341
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»beschäftigten die Nation«, stellte der Spiegel fest. Er ließ sich aus über eine Manager-Diät oder über die gesunde Kraft des Weins. Er versprach ein Leben ohne Krebs und eröffnete eine Reihe von Praxen im In- und Ausland. Zu Terminen kam er mit dem Hubschrauber. Bertelsmann war vergessen – und Bertelsmann hatte ihn vergessen. In der Chronik, die zum 150-jährigen Jubiläum erschien, fand Köhnlechner keine Erwähnung. Dafür waren jetzt der Springer Verlag und Bild seine besten Freunde. Irgendwann wurde es still um ihn. Der Gesundheitsapostel war an Krebs erkrankt. Prostatakrebs ist – zumal im Frühstadium – operabel. Aber Köhnlechner lehnte den medizinischen Eingriff ab, weil man dabei impotent werden kann. Er wollte das Eheglück mit seiner Frau Elke genießen. Er begegnete seiner Krankheit wie allem im Leben: aktiv, fuhr täglich 20 Kilometer mit dem Rad, mietete für sich ganz allein die Grünwalder Schulschwimmhalle und kraulte 1 000 Meter. Im April 2002 ging es plötzlich bergab. Er musste ins Krankenhaus, die Ärzte schickten ihn jedoch bald nach Hause. Sie könnten ihm nicht mehr helfen. Nach acht Jahren siegte der Krebs. Köhnlechner starb am 10. April mit 76 Jahren. Seiner dritten Frau Elke, die er einst als seine Sekretärin kennen gelernt hatte und die 33 Jahre jünger war als er, soll er laut Zeitungsberichten 40 Millionen Euro hinterlassen haben.
* Manfred Fischer, der erste Vorstandsvorsitzende bei Bertelsmann nach dem Rückzug von Reinhard Mohn, würde von Bertelsmann zu Springer wechseln, so wurde nach seiner Trennung 1983 spekuliert. Doch es kam anders. Kurze Zeit fungierte er als Berater des Hamburger Verlegers Thomas Ganske bei Hoffmann und Campe, dann stieg er als Vorstandsvorsitzender beim Flugzeughersteller Dornier am Bodensee ein. Die Erben trennten sich von ihm – anders als sonst üblich – keineswegs einvernehmlich, der Streit wurde gerichtlich ausgetragen. Fortan lebte er in München und beteiligte sich an einer Filmproduktionsfirma eines Ex-Managers von Leo Kirch. Damals sagte er: »Ich möchte in 342
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dem, was ich tue und wie ich lebe, zufrieden sein. Von Glück will ich mal gar nicht reden. Das ist mir zu hoch gegriffen. Im privaten Bereich steht also ein glückliches Familienleben. Und im Beruf will ich Erfolgserlebnisse haben. Nicht ist schlimmer, als nur Misserfolge zu haben – oder gar nichts zu tun.« 1991 durchlebte er eine schwere Krankheit und tat hinterher nur noch eines: leben. Gleich neben den Mohns und Wössner hatte er einst ein Anwesen auf Mallorca gekauft. Nachdem Reinhard Mohn ihn entlassen hatte, wollte Fischer eigentlich nicht mehr in der Nähe seines Ex-Chefs Urlaub machen. Aber da seinen Kindern die Bucht von Alcudia so gut gefiel, behielt Fischer den Feriensitz. Damit er die Mohns nicht immer vor Augen hatte, etablierte er einen weiteren Zweitwohnsitz in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona, wo er etwa die Hälfte des Jahres verbrachte. Phoenix ist in Amerika wegen des Klimas und der erstklassigen Golfplätze besonders bei betuchten Rentnern überaus beliebt. Auch Fischer ging gerne golfen. Außerdem bietet Arizona den unbestreitbaren Vorteil, weit weg von Gütersloh zu liegen. Sowohl in München als auch in Phoenix besuchte Fischer an der Universität Vorlesungen über Astrologie und Fotografie. An guten Tagen fand er, dass das Leben auch ohne Stress, Öffentlichkeit und Macht lebenswert sein kann. Dann erzählte er Anekdoten aus seiner Zeit bei Bertelsmann und lachte darüber. An schlechten Tagen aber ging ihm Bertelsmann einfach nicht aus dem Kopf. Dann konnte er sich maßlos darüber aufregen, dass ein Mann wie Köhnlechner, ohne den der Konzern in seiner heutigen Form gar nicht denkbar sei, in dem Buch 150 Jahre Bertelsmann überhaupt nicht erwähnt wurde. Das sei, als würde man die Geschichte der Bundesrepublik schreiben, ohne Adenauer zu erwähnen. Das sei kein gutes Zeichen der Unternehmenskultur, sagte Fischer. Journalisten, die ihn besuchten und schimpfen hörten, bemerkten »deutliche Spuren der Bitterkeit« an ihm, wie sie seine Probleme höflich umschrieben. Er würde heute manches anders machen, auch was den Umgang mit Reinhard Mohn betreffe, sagte er einmal. Im Gegensatz zu Köhnlechner war bei ihm alles, was nach Bertelsmann kam, 343
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mindestens eine Nummer, oft viele Nummern kleiner. So auch die Nachrufe, als er drei Tage nach Köhnlechner am 13. April 2002 im Alter von 68 Jahren an Krebs starb.
* Mark Wössner hatte, wie es die »eiserne« Bertelsmann-Regel vorsah, den Vorstandsvorsitz aus Altersgründen abgeben müssen. Den Vorsitz der Stiftung verlor er nach einem Streit mit Reinhard Mohn. Das herrschaftliche Haus der Mohns in Gütersloh, in dem sie Mark Wössner auf Lebenszeit Wohnrecht versprochen hatten, räumte er freiwillig. Nach dem Zerwürfnis fühlte er sich in Gütersloh nicht mehr wohl und zog nach München. Sein ehemaliges Haus steht leer. Die Nachbarin auf der einen Seite war mal seine erste Frau. Die andere Nachbarin heißt Liz Mohn. Die Mohns haben das Haus dem Vernehmen nach einigen ihrer Manager angeboten. Doch so nah bei Liz wollte offenbar keiner von ihnen wohnen. Es heißt, es stünde für einen Euro zur Vermietung, um wenigstens die Kosten des Unterhalts zu sparen. Gar nichts tun liegt Wössner nicht. Als sein Bruder in den Vorstand eines Berliner Unternehmens wechselte, folgte Mark ihm in den Aufsichtsrat nach. Zudem vertritt er die Citibank in Deutschland. Die Lokalzeitungen in Gütersloh halten ihm die Treue. Selbst eine kleine Ehrung, die Wössner von einer Münchner Universität erfährt, ist ihnen eine Meldung wert. Ende 2003 war Bertelsmann plötzlich bemüht, den Verstoßenen wieder mehr einzubinden. Erst durfte Wössner sein altes Büro in Gütersloh besuchen, im Dezember 2003 trat er auf dem internationalen Managementkongress von Bertelsmann in Berlin auf und sprach zu seinen alten Mitarbeitern. »Willkommen zurück in der Bertelsmann-Familie«, begrüßte Thielen seinen Vorvorgänger. Zwischen Reinhard Mohn und Mark Wössner gab es dem Vernehmen nach allerdings keine Annäherung.
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* Thomas Middelhoff glaubte lange Zeit, sein Lebensweg sei ganz genau vorgezeichnet. Er werde bis zu seinem 60. Lebensjahr Bertelsmann leiten und dann in den Aufsichtsrat wechseln, sagte er einmal selbstsicher in einem Interview. Es kam anders. Auch er musste gehen und bei seinem Abgang 2002 das große »T« einpacken, das am Fenster seines Büros leuchtend signalisierte, dass »Big T« in Gütersloh weilte. Nach der Trennung kündigte er eine Pressekonferenz an, auf der er seine weiteren Pläne verkünden wollte. Insider deuteten das als kaum verbrämte Drohung an die Mohns für den Fall, dass sie den ihm versprochenen, aber noch nicht unterschriebenen Verlängerungsvertrag als Vorstandsvorsitzender nicht ausbezahlten oder Schlechtes über ihn lancierten. Middelhoff sagte den Termin dann aber ab. Offenbar war der Aufhebungsvertrag zu seiner Zufriedenheit ausgefallen. Danach hörte man lange nichts von ihm. Er lebte auf seinem Bauernhof, einem großzügigen Anwesen zwischen Bielefeld und Gütersloh, das er mit seinen Eltern, seinen Kindern und seinen Pferden bewohnte. Er reiste gerne mit seiner Frau, einer Architektin, nach Südfrankreich, um den Bau eines neuen Domizils dort zu überwachen. Dann hieß es mal, er verhandle mit AOL Time Warner. Aber sein Freund Steve Case musste selbst seinen Hut nehmen. Schließlich folgte er dem Angebot einer Investmentbank, wurde einer von zehn Partnern und ging nach London. Die Bank handelt mit Firmenanteilen, etwa von Gucci oder Leica, und Middelhoff sollte das Europageschäft leiten. »Das ist ein Traum«, sagte der 50-Jährige. »Das ist das, was ich mir in den letzten zehn Monaten immer als Zukunftsaufgabe vorgestellt habe.« Völlig reibungslos war sein Einstieg jedoch nicht verlaufen. Immerhin waren 20 Treffen notwendig gewesen, bis man handelseinig wurde. Weil er sich an der Firma Investcorp selbst beteiligte, behaupteten seine Kritiker, er habe sich mit seinen Millionen einen neuen Job gekauft. Dass er bei einer Investmentbank landete, entbehrte nicht einer gewissen Logik, denn immerhin hatte ihn sein Erfolg mit AOL dazu 345
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bewogen, auch Bertelsmann als eine Art Investmentbank zu führen. Bekannte von ihm behaupten, er brenne darauf, wieder ins operative Geschäft eingreifen zu können. Der Medienbranche blieb er übrigens eng verbunden: Der Verleger der New York Times, Arthur Sulzberger jr., berief ihn in seinen Aufsichtsrat, um die Firma bei ihren internationalen Geschäften zu stärken. Middelhoff nahm das Angebot mit Freuden an. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten von Bertelsmann, dass ehemalige Manager auch nach ihrem Ausscheiden die Fäden zum Unternehmen nicht völlig kappen und die Beziehung über das Konto aufrechterhalten bleibt. Middelhoff erhielt nach seiner Entlassung von Bertelsmann vertragsgemäß sogar einen eigenen Fahrer und eine eigene Sekretärin gestellt. Selbst nachdem er seinen neuen Job in London angetreten und damit das Recht auf Fahrer und Sekretärin verloren hatte, ließ er sich noch immer gegen Bezahlung von einem Fahrer von Bertelsmann zum Flughafen bringen. In gewissem Sinne blieb er Bertelsmann verbunden, wenn sich auch nach seinem Weggang Menschen, die ihm davor verbunden waren, von ihm abgewandt haben. »Natürlich gibt es ein paar Enttäuschungen«, sagte er der Welt am Sonntag. »Gerade die Personen, für die ich mich am meisten eingesetzt und deren Investitionen ich am stärksten unterstützt habe, haben sich, ohne mit der Wimper zu zucken, abgewandt. Das ist der kalte Hauch des Professionalismus, den ich hasse.« Das schmerzte ihn offenbar umso mehr, weil »gerade Bertelsmann die Menschlichkeit predigt«. Direkt nach seinem Ausscheiden beschrieb er der Frankfurter Allgemeinen das Verhältnis zu Reinhard Mohn als »Vater-Sohn-Verhältnis« und sagte: »Ich würde mir wünschen, dass das Verhältnis zwischen Reinhard Mohn und mir und das zwischen der Familie Mohn und mir freundschaftlich bleibt.« In einem Interview mit Ulrich Wickert pries er Liz und Reinhard Mohn als zwei der großartigsten Menschen, die er kenne. Im Bekanntenkreis beschrieb er sie jedoch beide als tragische Figuren, die sich selbst viel vormachten. Freunden gestand er später, dass Reinhard Mohn jeglichen Kontakt zu ihm abgebrochen habe. 346
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Im Spätherbst 2003 gerieten Bertelsmann und Middelhoff in eine kuriose Situation: Plötzlich brauchte man sich wieder und musste gemeinsam gegen andere kämpfen. Es ging um viel Geld. Zwei ehemalige Mitarbeiter von Middelhoff behaupteten, der damalige Vorstandsvorsitzende habe ihnen eine Beteiligung versprochen, und zogen vor Gericht. Einer von beiden, Jan Henric Buettner, beanspruchte eine Beteiligung am AOL-Gewinn mit der Begründung, er habe Middelhoff mit Steve Case bekannt gemacht und das Geschäft damit quasi eingefädelt. Außerdem habe Middelhoff ihm versprochen, er werde sein Nachfolger. Jan Henric Buettner und Andreas von Plottnitz forderten insgesamt die stolze Summe von 3,5 Milliarden Euro von Bertelsmann. Weil sie ihren Internet-Fonds in Santa Barbara führten, schafften sie es, den Gerichtsprozess vor einer amerikanischen Jury in Kalifornien stattfinden zu lassen. Zwar stritt Middelhoff die Vorwürfe der Kläger ab. Er musste aber nach Kalifornien reisen und sich mehrere Tage im Zeugenstand verhören lassen. Nachdem ehemalige Mitarbeiter aussagten, Middelhoff habe seine Versprechen nicht immer eingehalten, stand für Bertelsmann viel Geld und für Middelhoff die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Die Jury gab den beiden Klägern immerhin teilweise Recht und sprach ihnen rund 250 Millionen Dollar Entschädigung zu. Das ist weit mehr als die rund 20 Millionen Euro, die Reinhard Mohn Middelhoff als Sonderbonus für den Geldsegen des AOL-Deals gewährte. Ende Januar 2004 bestätigte ein Richter das Urteil der Jury, sprach Middelhoff jedoch von Zahlungen frei. Dennoch soll Bertelsmann 209 Millionen Euro zahlen.
Die Einsamkeit des Reinhard Mohn Das Anwesen liegt versteckt hinter Bäumen und Sträuchern auf einem flachen Feld in der Nähe des ostwestfälischen Örtchens Steinhagen unweit von Gütersloh. Seit seiner Trennung von Magdalene lebt Reinhard Mohn hier, die beiden hatten das Haus gemeinsam ausgesucht. 347
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Eine Haushälterin wohnt mit ihrer Mutter in dem Anwesen. Sie sorgt für sein leibliches Wohl. Ansonsten lebt Reinhard Mohn hier allein. Nachdem er seinen zweiten Schlaganfall erlitten hatte, zog er für vier Wochen zu seiner Frau Liz, die ein Haus in der Stadt bewohnt. Sonst leben die beiden räumlich getrennt. Sie ruft ihn an, meldet sich bei ihm, besucht ihn. Die Geschichte, dass er sich mit seiner Frau jeden Abend zu einem Glas Rotwein trifft und schöne Gespräche führt, sei jedoch nur eine schöne Legende, sagt sein alter Freund Gustav »Steffi« Ehlert. Selbst er müsse sich manchmal überwinden, ihn zu besuchen. Liz, die er duzt, torpediere die Freundschaft, wo sie könne. Selbst telefonieren sei schwierig. Wenn man ihn in ihrem Beisein anrufe, laute ihre Auskunft oft: Reinhard kann jetzt nicht. Johannes Mohn ist mit Ehlerts Tochter verheiratet, Reinhard Mohn und Gustav Ehlert haben vier gemeinsame Enkelkinder. Zum 80. Geburtstag schenkte Ehlert Mohn Fotos – gerahmt und hinter Glas – von dessen Sohn Johannes, der Frau und den Kindern. Ehlert hat die gleichen Fotos in seiner Wohnung hängen und freut sich jedes Mal, wenn er sie sieht, über seinen Enkel, der die Faust ballt wie einst Boris Becker. Einige Zeit nach dem Geburtstag hatte er Reinhard gefragt, was er mit den Fotos gemacht habe. Ach, das Geschenk? Die Geschenke seien noch gar nicht ausgepackt, bekam er zu hören. Die lägen noch verpackt in einer Ecke. Sohn Johannes und die Enkel wohnen gar nicht weit entfernt von seinem Hof in Steinhagen. Man kann zu Fuß dorthin laufen. Aber Reinhard Mohn, der doch so gerne läuft, findet den Weg dorthin nicht. Sein Sohn hat es beinahe aufgegeben, den Kontakt zum Vater zu suchen – wie seine Schwestern auch. Und die Enkel? Als sie einmal den Großvater besuchen wollten, war er nicht da – oder konnte sie gerade nicht sehen. So genau weiß Ehlert das nicht mehr. Johannes leidet unter der Unnahbarkeit seines Vaters. Kollegen beschreiben Johannes als höflichen und angenehmen Menschen und tollen Vater von vier Kindern, der jedoch zu depressiven Momenten neige. Er sei zwar kein Eigenbrötler, aber ein stiller Mensch mit starkem analytischem Verstand und insofern seinem Vater ähnlich. 348
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Die Forschungen der Historikerkommission hatten dazu geführt, dass Reinhard mit seinen Geschwistern über die Kindheit, die Jugend und das Elternhaus sprach. Als im Januar 2002 sein älterer Bruder Sigbert starb, begleitete Reinhard Mohn seinen Sarg weinend ans Grab. Das Verhältnis zwischen den beiden soll zuletzt distanziert gewesen sein, sagen Magdalene Mohn und Gustav Ehlert. Angenähert hat Reinhard sich offensichtlich seiner Schwester Ursula. Lange Zeit konnte er mit ihrem Wesen, das er einmal als »unrealistisch« bezeichnete, nichts anfangen. Im Alter treffen sie sich gelegentlich und reden über ihre Eltern und Familie. Mit seiner Schwester Annegret sprach er über seinen ältesten Bruder Hans Heinrich, erzählte er den Historikern. Er fragte die Schwester, warum Hans Heinrich »nicht irgendwie etwas in seinem Leben bewirkt hat«. Es hat ihn offenbar beruhigt, dass sie sagte, sein hochintelligenter Bruder hätte das »nie gekonnt«, was er aus Bertelsmann gemacht habe. Mohn geht noch jeden Tag in sein Büro und arbeitet bis 16.30 Uhr an seinem sorgsam aufgeräumten Schreibtisch. Zum Mittagessen begibt er sich mit seiner Sekretärin in die Kantine im Keller der Hauptverwaltung. Seine Mitarbeiter, die wissen, wonach der Sinn ihm steht, stellen ihm ein Menü zusammen. Anschließend legt Reinhard Mohn sich ein Viertelstündchen schlafen. Zu diesem Zweck wurde neben seinem Büro eigens ein Ruheraum eingerichtet. Körperlich hält er sich mit Spaziergängen und Radfahren fit. Er liest zwei Zeitungen, die Neue Westfälische und die Welt. Nur gelegentlich greift er zum Buch, fernsehen mag er nicht. Zum 80. Geburtstag erhielt er eine Festschrift mit dem Titel: Unternehmer – Stifter – Bürger. Etwa 60 Lokalpolitiker, Geschäfts- und Verbandsleute versammelten sich bei Sekt und Orangensaft in der Stadtbücherei von Gütersloh und eröffneten eine Ausstellung mit 80 Büchern – eines für jedes von Mohns 80 Jahren. Währenddessen weilte Mohn auf Mallorca. »Er hat sich innerhalb der Firma, aber auch außerhalb größere Feierlichkeiten verbeten«, sagte die Bürgermeisterin bei der Ausstellungseröffnung wie zur Entschuldigung. Mohn ist oft nicht dabei, wenn er geehrt wird. Manchmal hat man dann den Eindruck, 349
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als würde man schon zu Lebzeiten eines Toten gedenken. Selbst wenn er da ist und seine Gattin Liz Mohn Gäste zum Essen einlädt, kann es vorkommen, dass er mittendrin aufsteht und geht. Geselligkeit ist Mohns Stärke nicht. Im Konzern ist der Zugang zu Reinhard Mohn eine Frage der Macht. Mit einem Vermerk von Reinhard Mohn in der Hand kann jede Entscheidung rasch durchgesetzt werden. Doch der Vorstandschef Gunter Thielen sucht den Zugang nicht. Er überlässt es Liz Mohn, mit ihrem Gatten zu sprechen. Der Kreis derjenigen, die mit ihm sprechen, ist äußerst klein. Im Büro hat er seine Sekretärin. Auf dem Hof in Steinhagen beschäftigt Reinhard Mohn eine Haushaltshilfe, die Liz Mohn ausgesucht hat. Zuvor hat sie bei ihr gearbeitet. Bei ihr erkundigt sich Liz Mohn gelegentlich nach dem Befinden ihres Mannes. Außerdem gibt es noch einen Hausmeister und einen Chauffeur. Vier Personen, die zum Personal gehören, und Liz. Das ist das Leben von Reinhard Mohn.
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Epilog
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ls Reinhard Mohn 2000 auf sein Lebenswerk blickte, sagte er der Historikerkommission: »Kein anderes Unternehmen in Deutschland ist mit dieser Philosophie, die ich Unternehmenskultur nenne, so weit gekommen, gerade für ein Kommunikationsunternehmen, das haben auch die Amerikaner mit ihren großen Betrieben so nicht geschafft.« Auf den Trümmern des Verlags seines Vaters Heinrich Mohn hat Reinhard Mohn einen Weltkonzern geschaffen und sich den Respekt einer Generation verdient. »Reinhard Mohn achten sie alle. Denn seine Macht gründet auf Besitz, Leistung und Erbe«, schrieb Rainer Hank in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Vom Provinzbuchhändler zum Weltkonzern. Bertelsmann wuchs, weil Reinhard Mohn mit seinem oft formulierten Prinzip der Delegation seinen Führungskräften freie Hand ließ: Fritz Wixforth knüpfte mit der Erfindung des Leseringes an seine Arbeit vor dem Krieg an und machte Bertelsmann groß. Manfred Köhnlechner schuf in den fünfziger und sechziger Jahren im Unternehmen eine innere Ordnung, die es Reinhard Mohn erlaubte, in den siebziger Jahren ins Ausland zu expandieren. Manfred Fischer machte Gruner + Jahr profitabel, wenngleich er zu kurz an der Spitze war, um dem Unternehmen nachhaltig seinen Stempel aufzudrücken. Mark Wössner schließlich wagte den Einstieg ins Fernsehen, dem Medium, von dem Bertelsmann heute lebt. Die Wende begann, als Mark Wössner 1998 den Rückzug aus dem operativen Geschäft antreten musste. Die weitere Geschichte des Konzerns ist die eines Kampfes um Macht, denn hier begann die Aus351
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einandersetzung der Familie mit den Managern um die Macht im Unternehmen, die bis heute andauert. Im Kern geht es jedoch bei dieser Auseinandersetzung um mehr, nämlich darum, ob Bertelsmann wie ein Weltkonzern oder wie ein Provinzunternehmen geführt wird, wie Thomas Middelhoff es einmal ausdrückte. Thomas Middelhoff wollte die Königsidee der fünfziger Jahre auf das Börsen- und Internet-Zeitalter übertragen und führte Bertelsmann wie eine Investmentbank. Unter ihm erhielt Bertelsmann ein Gesicht – sein Gesicht. Fast nebenbei schuf er für Bertelsmann eine neue innere Ordnung, indem er den Börsengang möglich machte. Damit veränderte er die jahrzehntelang bestehende Machtstruktur – und setzte seine eigene Entlassung in Gang. Nach dem Abgang Middelhoffs rückte Liz Mohn ins Licht der Öffentlichkeit. Plötzlich wurde deutlich, dass sie bereits bei der Entlassung Wössners eine bedeutende Rolle gespielt hatte. Im Zuge der Machtkämpfe festigte sie ihre Position an der Spitze und schlüpfte nach und nach in die Rolle von Reinhard Mohn. Nach außen übernimmt sie seine Regeln und Werte, doch nach innen beklagen viele Mitarbeiter einen Verlust gerade jener alten Mohnschen Werte. »Liz Mohns Macht ist nur geliehen, quasi angeheiratet«, schrieb die Frankfurter Allgemeine. Doch Liz unternimmt alles, um ihre Glaubwürdigkeit als Konzernlenkerin zu untermauern. In dem Maße, in dem ihr Mann sich zurückzieht, tritt sie an die Öffentlichkeit. Eines muss man ihr freilich zugestehen: Aus ihrer Sicht ist sie erfolgreich. Sie hat das Sagen in der Verwaltungsgesellschaft und damit über die wesentlichen Stimmrechte; sie hat das Sagen in der Stiftung und damit über die wesentlichen Kapitalanteile. Und sie sitzt im Aufsichtsrat, der das operative Geschäft kontrolliert. Man darf ihr unterstellen, dass es ihr wichtiger ist, die absolute Macht in einem »Provinzunternehmen« zu haben, als eine unbedeutende Rolle in einem Global Player zu spielen – was Middelhoffs Frage beantworten würde. So ist es nur folgerichtig, dass sie sich mit Gunter Thielen einen Mann an ihre Seite geholt hat, der den Status quo erhält, statt wie Wixforth, Wössner, Middelhoff und Reinhard Mohn selbst neue Märkte erobern zu wollen. 352
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Bei Bertelsmann klafften auch zu Zeiten von Mohn und Middelhoff Anspruch und Wirklichkeit oft auseinander. Aber beide hatten in ihrer Zeit auch zweifelsohne große Erfolge vorzuweisen, die diese Widersprüche nebensächlich erscheinen ließen. Heute scheint die Expansion des Unternehmens gebremst oder gestoppt, Bertelsmann gilt unter Studenten der weltweit führenden Wirtschaftsuniversitäten nicht mehr als Top-Adresse. In Zeiten wie diesen treten die Widersprüche klarer zutage. Middelhoffs Nachfolger tut sich schwer, das Unternehmen zu konsolidieren. Unter der Führung von Liz Mohn erscheint das Unternehmen unberechenbarer, es ist unklar, nach welchen Kriterien die zweite Gattin des Nachkriegsgründers es führt. Öffentlich behauptet sie, sie »überwache« nur. In Wirklichkeit, behaupten Manager in ihrem Umfeld, treffe sie regelmäßig wichtige Entscheidungen. An einem Thema wird sich die Zukunft des Unternehmens entscheiden: dem Börsengang. Es ist eine Frage der Macht: Die Familie Mohn hat die Wahl, entweder mit dem Börsengang ein Stück von ihrer Macht abzugeben, oder aber die Macht im eigenen Unternehmen zu behalten und damit wichtige Unternehmensteile zu verlieren. Je nach Ausgang könnte das Unternehmen wieder bedeutend kleiner werden, der Weg von Bertelsmann könnte vom Weltkonzern wieder zurück zum Provinzunternehmen führen. Genau das befürchten viele Mitarbeiter: Um fremden Einfluss zu verhindern, könnte Bertelsmann RTL an Albert Frère zurückgeben. Dann würde Bertelsmann vor allem von Gruner + Jahr und den Druckereien und Service-Dienstleistern leben müssen. Die Buchverlage sorgen kaum für Wachstum. Der Vertrag mit Frère sieht vor, dass er im Jahr 2005 seine Anteile an die Börse bringen oder verkaufen kann. Die Mohns haben ein Vorkaufsrecht, doch verfügen sie nicht über genügend Geld, ihre Anteile zurückzukaufen, ohne andere Teile ihres Konzerns zu verkaufen. Je näher der Zeitpunkt des Börsengangs rückt, umso mehr Angst scheinen die Mohns vor der Börse zu haben: In Wirtschaftskreisen wird gemutmaßt, sie hätten Frère gebeten, den Börsengang aufzuschieben. Die Mohns müssen Bertelsmann auf den Börsengang vorbereiten, ob sie wollen oder nicht. Andernfalls hat Frère die Option, den Ver353
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kauf von RTL rückgängig zu machen. Bertelsmann würde den stärksten Ertragsbringer verlieren. Reinhard Mohn kann seinen Einfluss dem Vernehmen nach nicht mehr selbst ausüben. Mitarbeiter und Vertraute sind sich nicht einig, ob er wirklich noch den Überblick über das Geschehen an der Spitze seines Unternehmens behält. Reinhard Mohn hat seine Frau Liz berufen, die Werte des Unternehmens zu erhalten, doch Liz Mohn ist nach Ansicht von Bertelsmann-Managern und Beobachtern hauptsächlich daran interessiert, das Unternehmen unter Kontrolle der Familie zu halten. Damit handelt sie jedoch im Widerspruch zu den Werten, die Mohn bis vor wenigen Jahren formulierte, und die die Kontinuität des Unternehmens über die Interessen der Familie stellten. Nach Reinhard Mohns Wende zur Familie haben sich die Prioritäten jedoch offenbar verkehrt: Das Unternehmen wird möglicherweise in seiner jetzigen Form nicht fortbestehen, aber es wird auch nach dem Tod Reinhard Mohns unter der Kontrolle der Familie bleiben. Reinhard Mohn ist mit seinen ambitionierten Nachfolgekonstruktionen gescheitert. Was Bertelsmann betrifft, so ist vielleicht das schwerste Erbe der Erhalt der Glaubwürdigkeit. Bertelsmann steht, doch die Legenden vom Widerstandsverlag und vom menschlichen Konzern sind zerstört oder bröckeln. Mit dem Wertewandel steht die Glaubwürdigkeit von Bertelsmann auf dem Spiel: Liz Mohn wird kein leichtes Erbe antreten. Es sieht so aus, als sei Bertelsmann auf dem Weg, ein ganz normales Unternehmen in der Hand einer ganz normalen Familie zu werden. Das zu behaupten, schiene bei anderen Familien und Unternehmen normal. Bei Bertelsmann und den Mohns, die immer etwas Besonderes sein wollten, ist die Erkenntnis etwas Besonderes.
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Quellen
I
m Unternehmensarchiv von Bertelsmann sind wichtige Interviews teilweise mit Zeitzeugen einseh-, aber nicht kopierbar. Wichtige Interviews, etwa die beiden Gespräche mit Reinhard Mohn, habe ich deshalb Wort für Wort abgeschrieben. Eine Vielzahl von Informationen zu Bertelsmann und den Mohns findet sich in Bertelsmann im Dritten Reich der Historikerkommission. Dazu kommen Chroniken und Festschriften, die Bertelsmann herausgegeben hat. Reinhard Mohn hat zahlreiche Interviews gegeben, wenngleich er nur teilweise Einblick in sein Privatleben gestattete. Andererseits hat er vor Jahren betont, dass »Bertelsmann keine Privatveranstaltung« sei. Die frühe Geschichte von Familie und Firma habe ich Jubiläumsbänden entnommen. Die Darstellung der Geschichte im Dritten Reich stützt sich wesentlich auf die Interviews und Veröffentlichungen der Historikerkommission sowie auf Akten aus dieser Zeit. Die Schilderung des Aufbaus der Firma nach dem Krieg folgt veröffentlichten und unveröffentlichten Aufzeichnungen von Mitarbeitern und Presseberichten. Wenn ich die Informationen aus veröffentlichten oder bekannten Quellen entnommen habe, so weicht meine Interpretation mitunter von der des Hauses Bertelsmann ab. Ein Beispiel ist die dezentrale Führungstechnik: Bertelsmann und Reinhard Mohn führen sie auf Mohns Studien in Amerika und auf seine eigenen Erfahrungen zurück. Die Historikerkommission lieferte dagegen Informationen, wonach Reinhard Mohns Vater Heinrich diese Technik bereits viel früher in der Firma eingeführt hat. Warum er genau diese Technik erfand, erklärten 355
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die Historiker allerdings nicht. Dabei legen die Interviews mit Zeitzeugen und der Ablauf der Ereignisse nahe, dass Heinrich Mohn diese Art zu führen nicht aus gesellschaftlichen oder rein führungstechnischen Überlegungen heraus entwickelte, sondern weil ihn seine Krankheit dazu zwang. Die Gespräche mit Reinhards Schulfreund Gustav Ehlert, seiner ersten Frau Magdalene und seinem jüngsten Sohn Andreas gaben mir Einblick in über 50 Jahre seines Lebens. Alle drei waren bislang nicht befragt worden beziehungsweise äußerten sich nicht öffentlich. Um Fehler und Ungenauigkeiten zu vermeiden, habe ich mit wichtigen Gesprächspartnern, die mit mir offen über die Familie sprachen, mehrfach gesprochen sowie ihre Auskünfte überprüft. Die wichtigsten der Vielzahl der Interviews, die ich mit den verschiedensten Personen geführt habe, habe ich im Anhang kapitelweise zugeordnet. Die Angst vor der Macht von Bertelsmann führt dazu, dass nur wenige Personen im Umfeld von Bertelsmann offen über die Mohns sprechen. Dazu kommt, dass Geld ein wichtiger Faktor im System Reinhard Mohn ist und damit die Loyalität vieler Beteiligter gesichert wurde und wird. Zahlreiche Interviews von Insidern musste ich deshalb auf vertraulicher Basis führen. Soweit möglich, habe ich ihre Darstellung geprüft. Vertraulichkeit habe ich freilich auch den Personen zugesichert, die bei Bertelsmann arbeiten und ihre Karriere riskierten, um offen mit mir zu sprechen. Die Angst vor der Macht von Bertelsmann erstreckt sich sogar auf die Familie Mohn: Manche Mitglieder der Familie Mohn waren zwar zu einem Gespräch über Reinhard Mohn und die Familie bereit, wollten allerdings ihren Namen nicht gedruckt sehen. Andererseits verhält es sich mit dem Interesse bei Bertelsmann umgekehrt zur Diskretion der Mohns: Nicht selten regten Mitarbeiter von Bertelsmann vertraulich bestimmte Fragen an, die sie gerne beantwortet wüssten. Die dringendsten Bitten und Warnungen, mich vor juristischen Angriffen in Acht zu nehmen, erreichten mich ebenfalls aus dem Hause Bertelsmann – als gäbe es unter Mitarbeitern ein besonders großes Interesse an einer unabhängigen Darstellung. 356
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Ausgewählte Bücher, Beiträge, Reden, Festschriften Bertelsmann AG: »Führen und Dienen. Biografische Anmerkungen zu Reinhard Mohn«, 1981 »R. Mohn wird 65. Ein Unternehmer, wie er im Buche steht.«, Stern-Sonderheft, (nicht im Handel), 29. 6. 1986 Reinhard Mohn – 70, Geburtstagsbilder, Lebensbilder, Leitbilder, C. Bertelsmann, München, 1991 Middelhoff, Thomas / Schulte-Hillen, Gerd / Thielen, Gunter (Hrsg.): Reinhard Mohn. Unternehmer, Stifter, Bürger, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2001 Mohn, Reinhard: Erfolg durch Partnerschaft, Siedler Verlag (Bertelsmann), Berlin, 1986 _____: Menschlichkeit gewinnt, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2000 _____: Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers, C. Bertelsmann, München, 2003 _____: »Mark Wössner – 30 Jahre Führungsverantwortung in einem partnerschaftlich verfassten Unternehmen«, aus: Mark Wössner und das Haus Bertelsmann, Bertelsmann Buch AG, München, (nicht im Handel), 1998 _____: »Die Quittung der politischen Fehlsteuerung«, Frankfurter Rundschau, 28./29. 5. 1997 _____: Deutschland im Wettbewerb der Ordnungssysteme, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 1997 _____: »Wie der globale Wettbewerb gemeistert werden kann«, Frankfurter Rundschau, 9. 11. 1998 _____: Die Eitelkeit im Leben des Managers, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2002 Mohn, Liz: Liebe öffnet Herzen, C. Bertelsmann, München, 2001 _____: »Entscheidung für ein engagiertes Leben«, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, ca. 2002 Mohn, Andreas: »Es war einmal«, in: Uveitis erkennen und bewältigen, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 1997 _____: Texte zum Thema Frieden, Haag+Herchen, Frankfurt, 1999 _____: Oliven und Wein bei Kerzenschein, K. Fischer, Aachen, 2000 _____: Kurzskript zur aktuellen Arbeitsmarktpolitik, Karin Fischer Verlag, Aachen, 2001 _____: Der Blick auf eine kooperative Daseinswelt, Fouque Verlag, Frankfurt, 2003 _____: Living in a Day-Dream. Poems by Andreas Emanuel Mohn, unveröffentlichter Privatdruck, 2003 Vertretung der Führungskräfte der Bertelsmann AG (Hrsg.): Partnerschaftliches Führen. Auf der Suche nach dem Homo Bertelsmannensis, C. Bertelsmann, München, 1996
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Interviews mit Reinhard Mohn »Autor ist Partner des Verlegers«, Neue Westfälische, 18. 10. 1969 »Der stille Mensch von Gütersloh«, NDR, 24. 4. 1974 »Ich werde nicht von der Bildfläche verschwinden!«, Bertelsmann-Report 134, Sonderausgabe, 11. 2. 1981 »Der Verlag kann die Richtung durchsetzen«, Spiegel, 22/1983 »Deutsche: Reinhard Mohn im Gespräch mit Günter Gaus«, WDR, 1986 »Zeitzeuge des Jahrhunderts: Reinhard Mohn«, ZDF, 1992 »Die Kaufwut der letzten Jahre war ein strategischer Fehler«, Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, 10. 1. 1992 »Ein Segen, daß uns das Geld ausgeht«, Stern 27/96 Interview mit Reinhard Mohn, Berliner Zeitung 15. 6. 1996 »Mit 60 am Ende?«, manager magazin, 6/1997 »Effizienz und Humanität«, Gewerkschaftliche Monatshefte, 1. 3. 1999 »Ich gehe meinen Weg«, manager magazin, 8/1999 »Nichts ist passend für alle Ewigkeit«, Neue Westfälische, 28. 9. 2000 »Warum denn eigentlich nicht?«, Welt am Sonntag, 25. 2. 2001 »Eile und herrsche«, manager magazin, 4/2001 »Man fällt mit Menschen schon mal rein«, Die Zeit, 14. 6. 2001 »Ich habe öfter Recht gehabt als andere«, Welt am Sonntag, 24. 6. 2001 TV-Interview mit Reinhard Mohn, Maischberger, ntv, 7. 12. 2000 TV-Interview zum 80. Geburtstag von Reinhard Mohn, Phoenix, 20. 6. 2001 »Die Familie kann nichts durchsetzen«, Die Zeit, 31. 7. 2003
Interviews mit Liz Mohn »Reichtum? Reich ist man, wenn man helfen kann, möglichst schnell.«, Welt am Sonntag, 28. 3. 1993 »Es fehlt der Mut, neue Ziele anzustreben«, Berliner Zeitung, 16. 10. 1993 »Warum ich helfe«, Gala, 21. 9. 1995 »Liz Mohn: Der Tag, an dem ich mein Leben veränderte«, Bild, 25. 10. 1996 FAZ-Magazin: Fragebogen / Liz Mohn, 13. 3. 1998 Trunk, Lisa: »Meine Motivation ist ein erfülltes Leben«, Gala, 28. 1. 1999 »Not-Helferin«, manager magazin, 1/1999 Anne Hoffmann: »Im Reich der Macht und Liebe«, Die Aktuelle, 10. 6. 2000 »B.trifft. Liz Mohn«, WDR, 26. 1. 2001 »Bertelsmann wird ein neues Theater unterstützen«, Die Glocke, 5. 5. 2001 »Wie der Außenminister«, Focus, 18. 6. 2001 »So kann man das Schöne mit dem Guten verbinden«, Berliner Zeitung, 8. 6. 2002 TV-Interview mit Liz Mohn, Maischberger, ntv, 15. 2. 2003 »Ich kann Menschen zusammenführen«, Frankfurter Rundschau, 23. 3. 2002 Interview mit Liz Mohn, Handelsblatt, 9. 12. 2002
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»Ich bin nur überwachend tätig«, Welt am Sonntag, 7. 9. 2003 »Auf diese Frau hört Bertelsmann«, Bunte, 15. 12. 2004
Interviews mit der Familie Andreas Mohn: Gespräche mit dem Autor, 9. 7., 27. 8.,8. 10., 1. 12., 5. 12. und 25. 12. 2003 Brigitte Mohn: Gespräch mit dem Autor, 26. 5. 2003 Christoph Mohn: Gespräche mit dem Autor, 19. 7. 2001 und 20. 3. 2003 Magdalene Mohn: Gespräche mit dem Autor, 9. 7., 10. 7., 27. 8., 8. 10. und 1. 12. 2003 Ursula Junghänel, geb. Mohn: Gespräch mit dem Autor, 1. 12. 2003
Quellen für die einzelnen Kapitel (Auswahl) Kapitel 1 und 2 »Bertelsmann AG: Historische Jahrzehnte«, Bertelsmann Pressestelle, 1993 »Die Bertelsmann AG in der Übersicht«, undatierter Text der Pressestelle »W. Bertelsmann Verlag Geschichte und Perspektiven«, W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld, www.wbv.de Bavendamm, Dirk: »150 Jahre Bertelsmann: Die Gründer und ihre Zeit«, Bertelsmann-Briefe, November 1984 _____: Bertelsmann, Mohn, Seippel. Drei Familien – ein Unternehmen, C. Bertelsmann, München, 1986 Freitag, Werner (Hrsg.), Geschichte der Stadt Gütersloh, Verlag für Regionalgeschichte Bielefeld, 2001 Friedländer, Saul / Frei, Norbert / Rendtorff, Trutz / Wittmann, Reinhard: Bertelsmann im Dritten Reich, C. Bertelsmann, München, 2002 Kempowski, Walter: »Schwarzbrod und Freiheit sei mir beschieden …« – Die Chronik der Familien Bertelsmann und Mohn, in: 1835 bis 1985 – 150 Jahre Bertelsmann, C. Bertelsmann, München, 1985 Mohn, Heinrich: Carl Bertelsmann. Ein Bild seines Lebens, C. Bertelsmann, Gütersloh, 1935 Mohn, Johannes: C. Bertelsmann, Leipzig, 1921 W. Bertelsmann Verlag: Unternehmensporträt Wilhelm Bertelsmann Verlag, Bielefeld
Kapitel 3 bis 8 Berthoud, Theodor: »Kleine Bertelsmann-Biographie. Wege mit Fritz Wixforth«, Gütersloh, 1966, unveröffentlichtes Buchskript
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C. Bertelsmann, gez. (Verfasser: Reinhard und Heinrich Mohn): Schriftwechsel mit Mr. Felix, ICU/Press Control; April/Mai 1947 Ehlert, Gustav: Gespräche mit dem Autor, 9. 10. und 2. 12. 2003 Friedländer, Saul / Frei, Norbert / Rendtorff, Trutz / Wittmann, Reinhard: Bertelsmann im Dritten Reich, C. Bertelsmann, München, 2002 Gööck, Roland: Bücher für Millionen, Bertelsmann Sachbuchverlag, Gütersloh, 1968 Junghänel, Ursula (geb. Mohn): Gespräch mit dem Autor, 1. 12. 2003 Kempowski, Walter: »Schwarzbrod und Freiheit sei mir beschieden …«, C. Bertelsmann, München, 1985 Mohn, Heinrich / Mohn, Reinhard / Fischer, Ursula (geb. Mohn) / Fritz Wixforth: Fragebogen des Military Government of Germany (zur Entnazifizierung, verschiedene Versionen), 1946/47 _____: »Die politischen Schwierigkeiten des Verlages und Ursachen der Gewinnsteigerung«, »Über die Entwicklung des Verlages C. Bertelsmann«, »Anteil der Kriegserlebnisbücher am Gesamtprogramm 1933 – 1945«, Brief an Mr. Felix, Information Control, 9. 4. 1947 Mohn, Reinhard: »An meine Mitarbeiter«, Rede zum Jahreswechsel, 2. 1. 1947 _____: 1. Zeitzeugengespräch mit der Historikerkommission, 12. 3. 1999 _____: 2. Zeitzeugengespräch, 12. 12. 2000 _____: Briefe an Agnes Mohn (Mutter), an Marianne Mohn (Frau des Bruders Sigbert) und an Gustav Ehlert, 1942 bis 1946 Wendorff, Rudolf: »Reinhard Mohn und die Familie«, in: »Erinnerungen. Die zweiten drei Jahrzehnte. Das Privatleben«, Gütersloh, 1996, unveröffentlichter Privatdruck _____: Gespräch mit dem Autor, 9. 10. 2003 Zeitzeugeninterviews der Historikerkommission mit ehemaligen Mitarbeitern von Bertelsmann: am 12. 3. 1999 mit Frau Christöphler; am 6. 5. 1999 mit Hanna Kathe; am 15. 6. 1999 mit Lydia Truse; am 21. 9. 1999 mit Erich Goldbecker und Gattin; am 10. 11. 1999 mit Hanna Kathe, Hanna Scheck, Magdalene Reitze, Lydia Truse und Else Hunke, am 18. 10. 2001 mit Gisela Folle und Lore Meyer; am 21. 6. 2001 mit Hedwig Liebezeit
Kapitel 9 bis 11 »Alles über Buchgemeinschaften«, undatiertes Skript der Bertelsmann Presseabteilung, ca. 1975 Bertelsmann AG: »Agnes Mohn ist gestorben«, PR-Text, 7. 11. 1978 _____: »Seniorchefin Agnes Mohn starb im 90. Lebensjahr«, Bertelsmann Report, 12/1978 Bissinger, Manfred: »Über die Schwierigkeiten beim Machen eines politischen Magazins«, Redeskript für einen Vortrag bei Bertelsmann in Gütersloh Bissinger, Manfred: Gespräch mit dem Autor, 22. 9. 2003 Carl Bertelsmann Stiftung: Gründungsurkunde, 15. 4. 1954
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»Ehrenbürger Reinhard Mohn heiratete in aller Stille«, Die Glocke, 23. 11. 82 »Das kunstvolle Geflecht des Bertelsmann-Verlages«, Frankfurter Allgemeine Zeitung 31. 8. 1961 Gööck, Roland: Bücher für Millionen. Fritz Wixforth und die Geschichte des Hauses Bertelsmann, Bertelsmann Sachbuchverlag, Gütersloh, 1968 Gruner + Jahr: Firmenchronik, Hamburg Institut zur Buchmarktforschung (IBF): Tätigkeitsbericht 1961/1962, Hamburg Jürgs, Michael: Der Fall Axel Springer, List, München, 1995 Köhnlechner, Manfred: Schriftverkehr mit Regierung in NRW, Bundestagsabgeordneten Rainer Barzel u .a. wg Ehrung von Fritz Wixforth, 1957 bis 1962 Lohmeyer, Henno: Axel Springer – Ein deutsches Imperium, Verlag edition q, Berlin, 1992 Mohn, Andreas: »Stellungnahme zur Wahrheitsfindung im Buch ›Liebe öffnet Herzen‹«, Brief an Liz Mohn, 2003 Mohn, Magdalene: Gespräche mit dem Autor, 9. 7., 10. 7., 27. 8., 8. 10. und 1. 12. 2000 Mohn, Reinhard u. Sigbert: Radio-Interview mit dem NDR Hamburg, 15. 4. 1954 Mohn, Reinhard: 40 Jahre Ariola, Grußwort in Festschrift, 1996 _____: Ansprache zur Gründung der Carl Bertelsmann Stiftung, Redeskript, 15. 4. 1954 Mohn, Sigbert: Ansprache zur Gründung der Carl Bertelsmann Stiftung, Redeskript, 15.4.1954 Munzinger: Manfred Köhnlechner, 1. 7. 2002 Schneider, Wolf: Die Gruner + Jahr Story, Piper, München, 2000 Schreiber, Hermann: Henri Nannen: Drei Leben, C. Bertelsmann, München, 1999 »Die totale Information«, Spiegel 9. 3. 1970 »Menschenhandel mit Bücherkunden«, Spiegel, 24. 7. 1957 »›Zuviel an Größe‹, ›Grund zum Fürchten‹?«, Spiegel 7/1981 »Akten in der Sauna«, Spiegel 18. 4. 1966 Suhr, Herbert: Schreib das auf, Herbert! 40 Jahre beim »Stern«, Rasch und Röhring, Hamburg, 1996 Wendorff, Rudolf: »Erinnerungen. Meine Jahre bei Bertelsmann«, unveröffentlichter Privatdruck, Gütersloh, 1997 »Der Chef heiratet«, Westfalen-Blatt, 23. 11. 1982 »Junges Eheglück im Hause Mohn«, Westfalen-Blatt, 23. 11. 1982
Kapitel 12 und 13 Berens, Ernst: »Das Segensreiche an einem Reinfall«, Süddeutsche Zeitung, 7. 7. 1983 Bissinger, Manfred: Hitlers Sternstunde, Verlag Rasch und Röhring, Hamburg, 1984 Börsenblatt: »Das Schicksal des Buchhandels ist auch unsres«, Interview mit Manfred Fischer, 17. 9. 1982 »Reaktionen auf Fischers Ausstieg bei Bertelsmann«, Börsenblatt 3.12.1982
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Brinkrolf, Peter: »Reinhard Mohn gibt das Ruder bei Bertelsmann aus der Hand«, Neue Westfälische, 12. 2. 1981 »Was kommt, wenn Mohn geht?«, Interview mit Reinhard Mohn, Buchmarkt 9/1979 »Mit dem Konzern das eigene Weltbild verwirklicht«, Buchreport 12. 2. 1981 »Wir müssen jetzt die großen Brocken der letzten Jahre erst einmal verdauen«, Interview mit Manfred Fischer, Buchreport, 4. 6. 1982 Dürr, Heidi: »… und fiel aus allen Wolken«, Die Zeit, November 1982 _____: »Lehr- und Wanderjahre in den USA«, Die Zeit, 20. 6. 1980 »Bertelsmann hat sich vorerst Abstinenz verordnet«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 3. 1982 »Reinhard Mohn legt die Geschicke von Bertelsmann in jüngere Hände«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 2. 1981 »Patriarch wider Willen«, Frankfurter Rundschau, 11.2.1981 Gaus, Günter: »Zur Person: Reinhard Mohn«, WDR, 1986 Industriemagazin: Interview mit Reinhard Mohn, 1978, auszugsweiser Nachdruck in Westfalen-Blatt, 11. 4. 1978 Kemmer, Heinz-Günter: »Rückzug an die Spitze«, Die Zeit, 12. 2. 1981 Kuby, Erich: Der Fall Stern und die Folgen, Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 1983 Meyer, Claus-Heinrich: »Mohn geht und bleibt«, Süddeutsche Zeitung, 29. 5. 1981 Schütz, Hanns Lothar: »Learning by doing. Reinhard Mohn wechselt in den Aufsichtsrat«, Börsenblatt, 13. 2. 1981 »Im Zweifel selbst«, Spiegel 29. 11. 1982 Text intern: »Bertelsmann: Reinhard Mohn, Umsteiger der Saison«, 12. 2. 1981 »Heile Welt in Gütersloh«, Wirtschaftswoche, 3. 12. 1982
Kapitel 14 und 15 Andrews, Edmund L.: »Hansel & Gretel Inc.«, New York Times, 24. 3. 1998 Armonk Institute: www.armonkinstitute.org Arnold, Tim: »Zeitliche Abfolge bis zur Einsetzung der Unabhängigen Historischen Kommission«, Brief an Hersch Fischler, 15. 4. 1999 Aust, Siegfried / Wappler, Nathalie: »Bertelsmann verlegte Nazi-Literatur«, 3sat, 13. 11. 1998 _____: »Global Player Bertelsmann«, 3sat, 12/1998 Bavendamm, Dirk: Roosevelts Krieg, Herbig, München, 2002, (nach der 2. erweiterten Auflage 1988) _____: »Von den NS-Behörden mit Verweisen versehene, verbotene, beschlagnahmte oder sonst wie beanstandete und unterdrückte Titel des ›Der Rufer‹ – und des C. Bertelsmann-Verlages 1933 bis 1944«, Liste der Presseabteilung, 8. 12. 1998 Bertelsmann AG: »Lebensbilder Mark Wössner«, 14. 10. 1988
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_____: »Verlautbarung der Bertelsmann AG zur Thematik ›Verlagsgeschichte und Drittes Reich‹«, PR-Statement, 15. 12. 1998 Bertelsmann Buch AG: Mark Wössner und das Haus Bertelsmann, München, 1998 Carvajal, Doreen: »German Media Giant Will Buy Random House for $1.4 Billion«, New York Times, 24. 3. 1998 Claussen, Christine: »Sieger bleibt Sieger bleibt Sieger«, Stern-Sonderheft, 14. 10. 1998 »Johannes Mohn«, Die Glocke, 11. 9. 92 Elfenbein, Stefan: »Der jüngste Global Player«, Berliner Zeitung, 12. 6. 1998 Esslinger, Detlef: »Tränen lügen nicht«, Süddeutsche Zeitung, 2. 11. 1998 Fischler, Hersch / Friedman, John: »Bertelsmann’s Nazi Past«, The Nation, 28. 12. 1998 _____: »Bertelsmann’s Revisionist«, The Nation, 8. 11. 1999 Fischler, Hersch: »Helle Zukunft – dunkle Vergangenheit«, Weltwoche, 29. 10. 1998 _____: »Wie es zur Recherche kam und wie sie sich entwickelte«, unveröffentlichtes Rechercheprotokoll, 1/2003 Fischler, Hersch: Gespräche mit dem Autor, 1998 bis 2003, u. a. 31. 1. 2003 und 1. 2. 2003 Freese, Gunhild / Gaul, Richard: »Kopflos in die Krise«, Die Zeit, 8. 7. 1983 Getlin, Josh: »What to Read into Bertelsmann’s Acquisition of Random House?«, Los Angeles Times, 24. 1. 1999 Giles, Jeff / Sawhill, Ray: »A Brand-New Chapter«, Newsweek, 6. 4. 1998 Grunenberg, Nina: »Draufhauen und siegen«, Die Zeit, 16. 7. 1998 Harding, James: »Strains on an special relationship«, Financial Times, 25. 2. 2000 Harnischfeger, Manfred: Brief an ARD-Intendant Peter Voß, 26. 11. 1998 Helmer, Wolfgang: »Aber immer mit Sahne«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 11. 1998 Hertlein, Bernhard: »Mark, du reitest in allen Sätteln«, Westfalen-Blatt, 31. 10. 1998 _____: »Wössner übergibt an Middelhoff«, Westfalen-Blatt, 31. 10. 1998 Jacobson, Alexandra: »Ich bin dem Himmel dankbar«, Neue Westfälische, 24. 9. 1998 John, Warren: »So why did Newhouse sell Random House to Bertelsmann?«, New York Observer, 30. 3. 1998 Johnson, Daniel: »Springtime for Bertelsmann«, New Yorker, 27. 4. 1998 Jungbluth, Rüdiger: »In diesem Reich geht die Sonne niemals unter«, Stern-Sonderheft, 14. 10. 1998 Keese, Christoph: »Härte ist die bessere Form der Liebe«, Berliner Zeitung, 5. 7. 1997 Kohl, Helmut: Grußwort, Juni 1998 Leisler-Kiep, Walther: Laudatio, 10. 6. 1998
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Lilienthal, Volker: »Gewisse Probleme«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. 12. 1998 _____: »Krisen-PR gegen NS-Verdacht«, epd, 5. 3. 1999 Luther, Siegfried: »Mark Wössner, der Konzern und die Hauptverwaltung«, in: Mark Wössner und das Haus Bertelsmann, Bertelsmann Buch AG, München, 1998 Meier, Lutz: »Mit Sahne«, taz, 2. 11. 1998 Mensch, Christian: »Mit ZDF in der 5. Kolonne«, Weltwoche, 17. 12. 1998 _____: »Totschweigen, verwischen, verzögern«, Weltwoche, 11. 3. 1999 Middelhoff, Thomas: »Building the Transatlantic and Transcultural Bridge into the 21st Century: The Responsibility of an Internationally Operating Media Corporation«, Redeskript, 10. 6. 1998 _____: »Kontinuität in Unternehmenskultur und Unternehmensführung«, in: Mark Wössner und das Haus Bertelsmann, Bertelsmann Buch AG, München, 1998 _____: »Weil es ein sinnliches Gefühl ist, in einem gedruckten Buch zu blättern«, Die Welt, 24. 11. 1998 _____: »Wollen wir nur aalglatte Typen, die alles unter Kontrolle haben?«, Die Zeit, 25. 1. 2001 _____: Gespräch mit dem Autor, 9. 6. 1998 »Zwanzig Millionen Mark Schadenshöhe«, Neue Westfälische, 26. 11. 1979 »Remaindered«, New York Times, 25. 3. 1998 Perman, Stacy: »The Book on Bertelsmann«, Time, 6. 4. 1998 Reilly, Patrick M. / Steinmetz, Greg: »Bertelsmann to Buy Random House«, Wall Street Journal, 24. 3. 1998 Röhl, Wolfgang: »Wo Mallorca am schönsten ist«, Stern-Sonderheft, 14. 10. 1998 Schönfeld, Monika: »Mark, Du bist ein Teufelskerl«, Westfalen-Blatt, 31. 10. 1998 Schuler, Thomas: »Big, Bigger, Bertelsmann«, NDR, Mai/1998 _____: »Der gute Deutsche von Bertelsmann«, Süddeutsche Zeitung, 15. 6. 1998 _____: »Die Auslands-Bertelsmänner«, Grimme-Jahrbuch, Marl, 1996/97 _____: »Freunde unter sich«, Berliner Zeitung, 27. 5. 1999 _____: »Kartell der Verdächtiger«(Statement von ZDF-Intendant Dieter Stolte), Berliner Zeitung, 31. 5. 1999 _____: »Mehr Konsens als Dissens«, Berliner Zeitung, 21. 7. 1999 _____: »Wahre Geschichte«, Berliner Zeitung, 15. 3. 1999 Schulte-Hillen, Gerd: »Tolerant, liberal und voller Dynamik«, Stern-Sonderheft, 14. 10. 1998 Smith, Dinitia: »Bertelsmann Plans Inquiry On Its Role During Nazi Era«, New York Times, 16. 12. 1998 »Schwer zu kämpfen«, Spiegel, 52/1996 »Was macht eigentlich … Uli Ziegler?«, Stern-Sonderheft »The Bertelsman: Mark Wössner wird 60«, (nicht im Handel), 14. 10. 1998 Thoma, Daniele: Hochexplosiv, Hoffmann & Campe, Hamburg, 2001 Thoma, Helmut: Gespräch mit dem Autor, 2001
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Trepp, Gian / Fischler, Hersch: »Einer blieb länger an Bord« (Wie Dirk Bavendamm Konrad Kujau zum Stern brachte.), Wochenzeitung, 7. 10. 1999 Turi, Peter: »Der gläubige Thomas«, Net-Business, 35/2001 Voß, Peter: Brief an Bertelsmann-Pressesprecher Manfred Harnischfeger, 2. 12. 1998 »Johannes Mohn Chef der Kalender GmbH«, Westfalen-Blatt, 29. 4. 95 Wössner, Mark: Gespräch mit dem Autor, 30. 10. 2003
Kapitel 16 »Ohne Druck wäre ich nicht gegangen«, Capital, 1. 12. 1999 Boldt, Klaus: »Mohndruck«, manager magazin, Juli 2000 Fleischhauer, Jan: »Sieg oder Sibirien«, Spiegel, 26. 7. 1999 Helmer, Wolfgang: »Ein überraschender Abschied«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. 5. 2000 Kotsch, Ralph / Schuler, Thomas: »Turbulenzen am Schwanenteich«, 20./21. 5. 2000 Mohn, Reinhard: »Mark Wössner verlässt einvernehmlich Bertelsmann«, Pressemitteilung, 19. 5. 2000 »›Besonderes Gefühl‹, den Stifter abzulösen«, Neue Westfälische, 10. 12. 1998 »Abgang nach 32 Jahren«, Neue Westfälische, 20. 5. 2000 »Plädoyer für die Liebe«, Neue Westfälische, 13. 1. 2001 »Stühlerücken bei Bertelsmann«, Neue Westfälische, 31. 10. 2000 »Wir wollen nicht mehr zusammen arbeiten«, Neue Westfälische, 29. 9. 2000 Schmalen, Lothar: »Abschied von Gütersloh«, Neue Westfälische, 1. 9. 2000 _____: »Mister Bertelsmann gibt auf«, Neue Westfälische, 20. 5. 2000 _____«Mohn bestellt sein Haus«, Neue Westfälische, 28. 9. 2000 _____: »Nichts war mehr so wie vorher«, Neue Westfälische, 15. 1. 2001 _____: »Quo vadis, Bertelsmann-Stiftung?«, Neue Westfälische, 4. 9. 2000 »Liz Mohn verkauft sich gut«, Westfalen-Blatt, 16. 2. 2001
Kapitel 17 Abescat, Bruno: »Albert Frère. Der Baron lässt bitten«, L’Express, Paris; Nachdruck in Das Wertpapier, 16. 8. 2001 Becker, Walther: »Der Preis ist heiß«, Börsenzeitung, 7. 2. 2001 Bilefsky, Dan: »The Next Level«, Wall Street Journal, 1. 10. 2001 »Bertelsmann stößt das Tor zur Börse ganz weit auf«, Börsenzeitung, 6. 2. 2001 »Reinhard Mohn 80«, Börsenzeitung, 27. 6. 2001 Brychcy, Ulf: »Generalist im Geschwindigkeitsrausch«, Süddeutsche Zeitung, 13. 8. 2001 Carreyrou, John: »Das Imperium des Albert Frère«, Wall Street Journal, Nachdruck in Tagesspiegel, 12. 3. 2001 Heuser, Uwe Jean: »Der moderne Patriarch«, Die Zeit, 25/2001 Hillebrecht, Madlen: »Warum denn eigentlich nicht?«, Welt am Sonntag, 25. 2. 2001 Jakobs, Hans-Jürgen; Steingart, Gabor: »Revolution in Gütersloh«, Spiegel, 23/2001
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Jürgs, Michael: »Operation Bertelsmann«, Capital, 31. 10. 2001 Luther, Siegfried: Gespräch mit dem Autor, April 2000 Mohn, Reinhard: »Einzigartige Chance«, Bertelsmann Report, 5/2001 »Seit Montag ein anderes Unternehmen«, Neue Westfälische, 6. 2. 2001 »Thomas Middelhoff macht es spannend«, Neue Westfälische, 6. 2. 2001 Renner, Kai-Hinrich: »Das Undenkbare«, Die Woche, 9. 2. 2001 Schuler, Thomas: »Aufbruch in die neue Welt«, Die Zeit, 25. 5. 2000 Wagner, Lorenz: »Mit einer Dosis Tyrannei«, Financial Times Deutschland, 21. 5. 2001
Kapitel 18 »Ein Mann geht stiften«, WDR Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Fernsehen bedarf der Verantwortung, Band 1, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 1995 Bertelsmann Stiftung: »25 Jahre Bertelsmann Stiftung Reformbilanz«, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 2002 Bolesch, Cornelia: »Elmar Brok«, Süddeutsche Zeitung, 31. 5. 2003 Dohnanyi, Klaus von: »Reinhard Mohn«, in: Fest, Joachim: Die großen Stifter, Siedler, Berlin, 1997 »Urheberrecht in der Informationsgesellschaft bleibt umstritten … Lobbyisten in Brüssel«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. 3. 1999 Hänel, Bernhard: »Probleme sind sein Lebenselixier«, Neue Westfälische, 29. 6. 2001 _____: »Die Einzigartigkeit ist ein Problem«,Neue Westfälische, 12. 3. 2002 _____: »Die Reformwerkstatt der ›Mohn-Sekte‹«, Neue Westfälische, 5. 3. 2002 _____: »Ein Preis für Demokraten«, Neue Westfälische, 13. 9. 2001 _____: »Voraussetzung ist Vertrauen«, Neue Westfälische, 9./10. 3. 2002 Kammann, Uwe: »Suppenadler«, epd, 4. 6. 1999 Kemmer, Heinz-Günter: »Das Geld ist nicht so wichtig«, Die Zeit, 1. 3. 1985 Kloepfer, Inge: »Die heimlichen Kanzlerberater«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 10. 3. 2002 Leyendecker, Hans: »Der Möglichkeitsmensch«, Süddeutsche Zeitung, 29. 6. 2001 Mohn, Reinhard: »Erfahrungen aus dem Ausland nutzbar machen«, in »Fernsehen bedarf der Verantwortung« _____: »Verantwortliches Fernsehen sichern«, Rede zum Festakt des Carl-Bertelsmann-Preises 1994, in »Fernsehen bedarf der Verantwortung« _____: »Ziele einer operativen Stiftung«, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 1996 Munzinger: »Brok, Elmar«, 15. 11. 1999 »Rau ehrt Stifter Mohn«, Neue Westfälische, 14. 3. 2002 »Rau schätzt Mohns Vorschläge«, Neue Westfälische, 14. 3. 2002 »Weiter auf Wachstumskurs«, Neue Westfälische, 16. 12. 1999 Postinett, Axel: »Der allgegenwärtige Patriarch«, Handelsblatt, 28. 6. 2001
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Rau, Johannes: Antwort des Bundespräsidenten auf eine Anfrage des Autors, Oktober 2003 Richter, Andreas / Meyn, Christian: Stiften und Unternehmensnachfolge – eine integrierte Lösung, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh, 30. 10. 2003 Riehl-Heyse, Herbert: »Reinhard Mohn oder: Ein Tycoon westfälischer Spielart«, in Riehl-Heyse: Götterdämmerung, Siedler-Verlag, Berlin, 1995 Scheithauer, Ingrid: »Der Sozial-Oberingenieur«, Frankfurter Rundschau, 29. 6. 2001 Schmalen, Lothar: »Bedeutendster Sohn der Stadt«, Neue Westfälische, 29. 6. 2001 _____: »Denkfabrik am Schwanenteich«, Neue Westfälische, 15. 1. 2002 _____: »Ein einziges Büro war die Keimzelle«, Neue Westfälische, 6. 3. 2002 _____: »Fangen Sie doch einfach an«, Neue Westfälische, 13. 3. 2002 _____: »Ideale müssen keine Illusion sein«, Neue Westfälische, 8. 7. 1997 Schuler, Thomas: »Vom Adler zum Suppenhuhn«, Berliner Zeitung, 3. 6. 1999 Simon, Hermann: Unternehmer des Jahrhunderts, Die Zeit, 30. 12. 1998 »Messerscharf getrennt«, Spiegel, 22. 9. 1997 Stadtbibliothek Gütersloh: »80 Bücher – Zum 80. Geburtstag von Reinhard Mohn«, Juni 2001 Text intern: »Leere Kassen werden uns denken lehren«, 15. 3. 2002 Thomann, Jörg: »Warten, bis es wehtut«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. 6. 1999 Veser, Thomas: »Mehr Köpfe ans Denken«, Frankfurter Rundschau, 23. 12. 1997 von Arnim, Hans: »Institutionalized Political Unaccountability and Political Corruption in Germany«, 11/2001
Kapitel 19 Augstein, Franziska: »Belletristische Aufrüstung«, Süddeutsche Zeitung, 8. 10. 2002 Bähr, Günther: »Schreib den Brief nicht!«, Focus, 24. 11. 2003 Benedikt, Ruben: »Bertelsmann verschweigt Details über Rolle im Dritten Reich«, Netzeitung, 12. 10. 2002 »Be Bertelsmann!«, Bertelsmann Report 12/2001 »Die Wahrheit liegt auf dem Tisch«, Interview mit Daniel Goldhagen, Bertelsmann Report, 12/2002 Boldt, Klaus: »Gunter Thielen«, manager magazin, 5/2002 Brychcy, Ulf: »Wie soll das weitergehen«, Süddeutsche Zeitung, 13. 2. 2003 Clark, Thomas: »Zahlen statt Zauberei«, Financial Times Deutschland, 24. 3. 2003 Fischler, Hersch: »Welche Kreise Recherche ziehen kann«, unveröffentlichter Buchbeitrag, 3/2003 Fitzel, Tomas: »Kein Original der Schließungsverfügung«, unveröffentlichtes Interview mit Hersch Fischler, 5/2000 »Mit Liz und Tücke«, Focus, 5. 8. 2002 »Bertelsmann diskutiert kontrovers, manche sagen es geht drunter und drüber«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 4. 2002
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»Drei gegen einen«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. 7. 2002 Friedländer, Saul: »Legende war schon etabliert«, Berliner Zeitung, Leserbrief, 19. 10. 2002 Green, David: »My Battle Against Bertelsmann«, Jerusalem Report, 2. 7. 2001 Hamann / Heuser: »Führen heißt behüten«, Die Zeit, 32/2002 Hanfeld, Michael: »Coming Home«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31. 7. 2002 _____: »Wollt ihr Leistung oder Liebe oder was?«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. 2. 2003 Hank, Rainer: »Auf den Top-Managern bei Bertelsmann liegt ein Fluch«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23. 11. 2003 _____: »Die perfekte Schülerin«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 4. 8. 2002 Heuser, Uwe Jean: »Ich habe meine Frau eingesetzt«, Die Zeit, 8/2003 Historikerkommission: Zeitzeugengespräche mit Reinhard Mohn, 12. 3. 1999 und 12. 12. 2000 Jakobs, Hans-Jürgen / Leyendecker, Hans: »Die Königin von Gütersloh«, Süddeutsche Zeitung, 8./9. 2. 2003 Jakobs, Hans-Jürgen / Leyendecker, Hans: »Systemversagen«, Süddeutsche Zeitung, 12. 2. 2003 Karnitschnig, Matthew: »Battle for the Soul of Bertelsmann«, Wall Street Journal, 30. 7. 2002 _____: »Wartime History of Bertelsmann Omits Mohn Role«, Wall Street Journal, 11. 10. 2002 _____: »Bertelsmann Admits Its Nazi Role«, Wall Street Journal, 8. 10. 2002 _____: »Germany’s Bertelsmann Comes Clean on Ties To Nazis – Well, Almost« / An 800-Page Report on the Publisher Overlooks Mr. Mohn’s Lie To Allies«, Wall Street Journal, 23. 12. 2002 Landler, Mark / Kirkpatrick, David: »Bertelsmann’s Chief Is Fired«, New York Times, 29. 7. 2002 Leyendecker, Hans / Jakobs, Hans-Jürgen: »Ein Alligator von Welt«, Süddeutsche Zeitung, 30. 7. 2002 _____: »Zwei, die sich nicht mögen«, Süddeutsche Zeitung, 31. 7. 2002 Leyendecker, Hans: »Das dritte Auge«, Süddeutsche Zeitung, 16. 7. 2001 _____: »In Sachen Familie Kohl«, Süddeutsche Zeitung, 14./15. 7. 2001 Lokatis, Siegfried: »Die Höhlenmenschen aus Gütersloh«, Berliner Zeitung, 28. 10. 2002 Luther, Siegfried: »Corporate Governance als Lebensaufgabe«, in Middelhoff, Schulte-Hillen, Thielen (Hrsg.): Reinhard Mohn. Unternehmer, Stifter, Bürger, 2001 »Neue Nahrung für Spekulationen«, manager magazin, 31. 7. 2002 Middelhoff / Thielen: Gemeinsamer Brief, 30. 7. 2002 Middelhoff, Thomas: »Was ich hatte, war schließlich geliehene Macht«, Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 2. 8. 2002 _____: Abschiedsbrief, 30. 7. 2002
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Mohn, Liz: »Volles Vertrauen in Siegfried Luther«, Berliner Zeitung, Leserbrief, 27. 12. 2003 Mohn, Reinhard: »Reinhard Mohn übergibt das Zepter an seine Frau Liz«, Welt am Sonntag, 9. 2. 2003 Müller, Eckhard: »Unruhe im Vorstand«, Kress Report, 21. 11. 2003 Perina, Kaja: »Bertelsmann Rallies its Troops«, Brill’s Content, 12/2000 Platthaus, Andreas: »Hitlers bester Lieferant«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. 1. 2000 Rennefanz, Sabine: »Die gute Fee von Gütersloh«, Berliner Zeitung, 17. 2. 2003 Riering, Burkhard: »Die neue Macht der Mohns«, Die Welt, 21. 2. 2003 Schmalen, Lothar: »Der erfolgreiche Pragmatiker«, Neue Westfälische, 25./26. 8. 2001 _____: »Thielen tritt Mohns Erbe an«, Neue Westfälische, 25./26. 8. 2001 Schuler, Thomas: »In der Hand der Familie«, Berliner Zeitung, 30. 7. 2002 _____: »Der Diener«, Berliner Zeitung, 15. 12. 2003 _____: »Der Sicherheitsrat«, Berliner Zeitung, 1. 4. 2003 _____: »In dieser Dimension überraschend«, Berliner Zeitung, 18. 1. 2000 _____: »Innerlich gekocht. Machtkampf bei Bertelsmann«, Berliner Zeitung, 21. 2. 2003 _____: »Lange unterschätzt«, Berliner Zeitung, 31. 7. 2002 _____: »Mohns Brief«, Berliner Zeitung, 14. 10. 2002 _____: »Nur die zweitbeste Lösung«, Berliner Zeitung, 9. 7. 2003 _____: »Von Schröders Gnaden«, Berliner Zeitung, 26. 8. 2003 Schulte-Hillen, Gerd: »Wir konnten uns nicht einigen«, Interview mit der Welt am Sonntag, 4. 8. 2002 Schulz, Thomas / Tuma, Thomas: »Westfälischer Unfrieden«, Spiegel, 24. 11. 2003 »Den Starken stärker machen«, Spiegel, 5/2003 Steingart, Gabor: »Er oder ich«, Spiegel, 5. 8. 2002 Theurer, Marcus: »Der Putzmann«, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 7. 9. 2003 Thielen, Gunter: »Brief des Vorstandsvorsitzenden«, 8. 10. 2002 _____: »Ich war in Teilen anderer Ansicht als Thomas«, manager magazin, 31. 7. 2002 _____: Brief, 31. 7. 2002 _____: Statement auf der Pressekonferenz der Historikerkommission, 7. 10. 2002 Ullrich, Volker: »Ein Musterbetrieb«, Die Zeit, 42/2002 Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Geschichte des Hauses Bertelsmann im Dritten Reich: Pressekonferenz 7. 10. 2002, Dokumentation _____: »Die Wehrmachtsausgaben des Verlags Carl Bertelsmann in der Zeit von 1939 bis 1945«, Skript der UHK, 1/2000; Pressemitteilung, 17. 1. 2000 »Cultures Clash at Bertelsmann«, Wall Street Journal, 30. 7. 2002 »Bertelsmann’s CEO Resigns«, Wall Street Journal, 29. 7. 2002 Wehnelt, Joachim: »Das Ende der Unschuld«, Die Woche, 28. 1. 2000
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Kapitel 20 Brychcy, Ulf: »Daheim in Gütersloh«, Süddeutsche Zeitung, 2002 »Bertelsmann-Chef Thielen will länger im Amt bleiben«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20./21. 12. 2003 Groenewold, Anke: »Die erste Liga«, Neue Westfälische, 2. 2. 2000 »Wir haben mehr Unternehmer als andere Konzerne«, Interview mit Gunter Thielen und Siegfried Luther, Handelsblatt, 22. 12. 2003 Hebestreit, Meike: »Nachwuchsbeauftragte in Gütersloh« (Shobna Mohn), Financial Times Deutschland, 17. 11. 2000 Landler, Mark: »A Bertelsmann Heir Jockeys to Be Heir Apparent«, New York Times, 12. 8. 2002 _____: »A German Media Giant Moves to Pull Back and Reduce Debt«, New York Times, 30. 7. 2003 Mohn, Brigitte: Gespräch mit dem Autor, 26. 5. 2003 Mohn, Christoph: Gespräche mit dem Autor, 19. 7. 2001 und 20. 3. 2003 »Von Gütersloh in die ganze Welt«, Net-Business, 24. 1. 2000 »Frischer Wind bei der Stiftung«, Neue Westfälische, 20. 2. 2002 Nonnast, Thomas: »Familienbande aus Gütersloh«, Handelsblatt, 27. 11. 2000 Rickens, Christian: »Mohns Hundejahre«, manager magazin, 5/2002 Schuler, Thomas: »Der Sohn des Patriarchen«, Berliner Zeitung, 10. 4. 2003 Von Taube, Dagmar: »Die zweite ›Bertelsfrau‹«, Welt am Sonntag, 4. 8. 2002
Kapitel 21 »Verlagsmanager als Filmeleve«, Artikel 5, 3/1989 Bähr, Gunther / Meier, Tatjana: »Szenen einer Ehe«, Focus, 8. 12. 2003 Bertelsmann, Arndt: Gespräch mit dem Autor, 8. 10. 2003 »Die Krankheit ihres Sohnes veränderte ihr ganzes Leben«, Bild, 10. 5. 2002 »Wie geht’s eigentlich Manfred Köhnlechner?«, Bildwoche: 1. 2. 2001 Birkholz, Rolf: »Kleines Paradies … Andreas Mohn las in der Stadtbibliothek«, Neue Westfälische, 4. 3. 2001 _____: »Nicht auf die Schnelle zu ergründen … Arbeiten von Andreas Mohn«, Neue Westfälische, 7. 11. 2000 Bitter, Johannes: »Sigbert Mohn 75 Jahre alt«, Die Glocke, 23. 11. 1998 Brams, Stefan: »Das ist ein Traum«, Neue Westfälische, 21./22. 6. 2003 »Guten Tag, Herr Doktor Fischer«, Der Kontakter, 9. 5. 1994 »Kunstfreund und Träger des Ehrenringes«, Die Glocke 25. 11. 1998 Eckhardt, Jens: »Die nackte Gier gegen Bertelsmann«, Handelsblatt, 31. 10. 2003 Ehlert, Gustav: Gespräche mit dem Autor, 9. 10. und 2. 12. 2003 Etscheit, Georg: »Gestatten, Wunderdoktor. Manfred Köhnlechner wird heute 75 Jahre alt«, Süddeutsche Zeitung, 1. 12. 2000 Evers, Marco: »In Gottes Hand«, Spiegel, 27. 10. 2003 »Poker unter Palmen«, Focus, 3. 11. 2003 »Manfred Fischer«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 4. 2002
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Was macht eigentlich …? Manfred Köhnlechner«, Frau mit Herz, 30. 5. 2001 Häfner, Heinz: Das Rätsel Schizophrenie, C. H. Beck, München, 2001 Jakobs, Hans-Jürgen: »Saubere Mittelklasse«, Süddeutsche Zeitung, 2. 12. 2003 _____: »Schatten der Zeit«, Süddeutsche Zeitung, 20./21. 9. 2003 Karnitschnig, Matthew: »Rise to Power of Heir’s Wife«, Wall Street Journal, 1. 12. 2003; übersetzt im Tagesspiegel: »Die komplizierte Romanze der Liz Mohn«, 8. 12. 2003 Kaufmann Matthias: »Die neuen Leiden des alten Bertelsmann«, manager magazin, 30. 10. 2003 Landler, Mark: »Bertelsmann’s Ex-Chief Becomes Partner at Investment Firm«, New York Times, 19. 6. 2003 Middelhoff, Thomas: »Ich hasse kalte Professionalität«, 22. 6. 2003 _____: »Deutsche Mittelständler entdecken Beteiligungsfinanzierer«, Süddeutsche Zeitung, 28. 10. 2003 Mohn, Andreas: »Betrifft: Stellungnahme zur Wahrheitsfindung im Buch ›Liebe öffnet Herzen‹, Brief an Liz Mohn, 2003 _____: »Zur Lage der Republik«, gekürzter Abdruck als »Uli Wickert an die Macht«, Die Welt, 27. 1. 2003 _____: Gespräche mit dem Autor, Juni bis Dezember 2003 _____: www.modelart-mohn.de Mohn, Magdalene: Gespräche mit dem Autor, Juni bis Januar 2003 »Der Kultur-Botschafter seiner Heimatstadt«, Neue Westfälische, 19./20. 1. 2002 »Posaunenklänge am Grab«, Neue Westfälische, 24. 1. 2002 »Thomas Middelhoff Joins The New York Times Company Board of Directors«, PR-Text, New York Times 18. 9. 2003 Rickens, Christian: »Mallorca: Gekauftes Glück im Ghetto«, manager magazin, 8/2003 Rohwedder, Cecilie: »At 72, Bertelsmann Builder Sets His Sights on Giving«, Wall Street Journal, 24. 9. 1993 Schmalen, Lothar: »Mit ›höherer‹ Grundgeschwindigkeit«, Neue Westfälische, 14. 10. 1998 Schönfeld, Monika: »Von mir aus kann’s losgehen«, Westfalen-Blatt, 14. 10. 1998 Siebenhaar, Hans-Peter: »Thanksgiving in Gütersloh«, Handelsblatt, 5. 11. 2003
Bildnachweis Bild 1-21 Privatbesitz Bild 22 teutopress Bild 23 und 24 dpa
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Danksagung
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as Buch trägt den Namen des Autors, würde ohne die Mitarbeit Vieler jedoch gar nicht existieren. Ich danke allen, die etwas dazu beigetragen haben, in erster Linie allen, die bereit waren, mit mir über die Mohns und Bertelsmann zu sprechen. Darüber hinaus danke ich besonders Cornelia Bolesch, Birgit Weidinger und Klaus Ott, die mich zur Süddeutschen Zeitung und damit zum Medienjournalismus gebracht haben; außerdem Stefan Elfenbein, Michael Maier und Oliver Herrgesell, dass sie mich überredeten, zur Berliner Zeitung (und damit zu Bertelsmann) zu wechseln und mich – wie auch Dieter Schröder, Martin Süskind, Uwe Vorkötter und Ralph Kotsch – über Bertelsmann berichten ließen. Ich danke Karl Otto Saur dafür, dass er mich vor einem Fehler bewahrt hat; Michael Saur für seine Geduld beim Zuhören und Reden über das Buch; Thomas Biber für seine Teilnahme an einer wichtigen Pressekonferenz; Christian Bommarius für seine offene Tür und seinen Glauben an das Buch; Ruben Famula für moralische Unterstützung, meinen Eltern für logistische Hilfe, Alexander Simon für das richtige Wort zu einem entscheidenden Zeitpunkt; meinem Lektor Jürgen Neubauer, der das Buch zu dem gemacht hat, was es ist.
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Carl Bertelsmann (1791– 1850)
OO Friederike Dorothee Helling (1790 – 1857)
Heinrich Friedrich Bertelsmann (1827– 1887)
Anna Friederike Luise Bertelsmann (1823 – 1900)
Anna Friederike Margarethe Bertelsmann (1830 – 1879)
Arnold Wilhelm Bertelsmann (1835 – 1905)
OO
OO
OO
OO
Friedrich Heinrich Eickhoff
Emma Charlotte Baake (1823 – 1896)
Carl Heinrich Zum Winkel
Elisabeth Steinhaus
Carl Arnold Heinrich Bertelsmann (1857– 1858)
Emma Friederike Bertelsmann (1859 – 1946)
Heinrich Friedrich Theodor Bertelsmann (1873 – 1873)
OO Johannes Mohn (1856 – 1930)
Sophie Mohn (1887 – 1972)
Carl Heinrich Johannes Mohn (1885 – 1955)
Frieda Mohn (1883 – 1965)
OO
OO
OO
Otto Weitbrecht
Agnes Seippel (1889–1978)
Richard Weitbrecht
Hans Heinrich Mohn (1913 – 1939)
Ursula Mohn (* 1915)
Annegret Mohn (* 1916)
Sigbert Mohn (1918 – 2002)
OO
OO
1. Theodor Fischer
Hans Tödtmann
Marianne Vethake
OO
Reinhard Mohn (* 1921)
Gerhard Mohn (* 1926)
1. Magdalene Raßfeld
Ingrid Vethake
OO
2. Reinhard Junghänel
OO
2. Elisabeth Scholz
Johannes Mohn Susanne Mohn Christiane Mohn
Brigitte Mohn Christoph Mohn Andreas Mohn
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DIE MACHT IM HINTERGRUND
RÜDIGER JUNGBLUTH: DIE QUANDTS 2002 · 391 Seiten · ISBN 3-593-36940-0
Uniformschneider des Kaisers, Waffenschmiede der Nazis, Motor des Wiederaufbaus und des vereinigten Deutschlands: Über vier Generationen hinweg errichteten die Quandts mit unternehmerischem Geschick und politischem Kalkül ein einzigartiges Geschäftsimperium – doch ihren Namen kennen nur wenige. Rüdiger Jungbluth hat mit den medienscheuen Mitgliedern der mächtigsten Industriellenfamilie Deutschlands gesprochen und enthüllt hier die faszinierende und tragische Geschichte der geheimnisvollen Wirtschaftsdynastie.
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