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Liebe SF-Freunde! Wenn Sie den TERRA-NOVA-Band der letzten Woche gelesen haben, wissen Sie bereits Bescheid, daß wir Ihnen heute den vierten und letzten Auszug aus Jesco von Puttkamers APOLLO 8 – Aufbruch ins All (Heyne-Sachbuch 130) bringen. Das Raumschiff hat die Rückkehr angetreten und nähert sich wieder der Erde. Es ist der 6. Tag des kühnen Unternehmens. Gegen Zwölf Uhr mittags ist die Kabinentemperatur der »Apollo 8« etwas angestiegen. »Hier ist Apollo-Kontrolle, Houston. Unsere Meßdaten hier unten zeigen, daß die Kabinentemperatur tatsächlich etwas auf der hohen Seite ist. Wir lesen 26 Grad Celsius ab. Ein wenig wärmer als gewöhnlich.« Vom Capcom geht die Meldung an die »Apollo 8«: »Frank, hier unten sieht alles gut aus. Vielleicht könntest du das Kabinentemperatur-Kühlsystem etwas verstellen.« Später, als Telemetriedaten ein Absinken der Temperatur anzeigen, fragt der Capcom, ob die Besatzung die Ventilatoren angestellt habe. Frank Borman: »Nein, wir haben die Ventilatoren nicht an, aber wir haben einfach das Fenster verhängt. Das scheint zu helfen. Wir haben heute morgen eine ganze Menge mehr Sonne in die Kabine bekommen.«
2.51 Uhr nachmittags (Bordzeit: 127 Stunden): In einer Entfernung von 191.000 km von der Erde überschreitet das Raumschiff die Mitte der Wegstrecke Mond – Erde, mit einer Geschwindigkeit von 6400 Stundenkilometern auf seinen Heimatplaneten zufallend. 3.10 Uhr nachmittags: Aus Houston meldet sich die Flugleitzentrale. John McLeaishs ruhige Stimme teilt mit: »Hier ist Apollo-Kontrolle, Houston, 127 Stunden und 19 Minuten nach dem Start der,Apollo 8’. Das,Apollo 8’-Raumfahrzeug befindet sich zur Zeit weniger als 185.000 km von der Erde entfernt. Wir lesen hier 184.833 km ab – die Distanz, die,Apollo 8’ von der Erde trennt. Augenblickliche Geschwindigkeit: 1824 Meter pro Sekunde.« Das sind bereits 6566 Stundenkilometer. McLeaish fährt fort: »Wir haben mit dem Kommandanten des Raumfahrzeugs, Frank Borman, bezüglich seiner bevorstehenden TVSendung um 128 Stunden Bordzeit gesprochen und tun dies zur Zeit noch.« Die Minuten verstreichen, während die Welt zum sechsten- und letztenmal auf eine Fernsehübertragung von der »Apollo 8« aus dem Weltraum wartet. 3.52 Uhr: Das Bild ist da. Auf dem Schirm schwebt – schwarz-weiß, mit Wolken marmoriert wie eine Murmel, blendend hell und atemberaubend – die Erdkugel. Und wieder erleben die Millionen eine Erdkundelektion am »lebenden Objekt« aus 179.480 km Entfernung. Jim Lovell: »Die Erde sieht heute für uns größer aus, nicht viel, aber sie ist … sie ist etwas größer. Ich befinde mich jetzt im rechten Sitz. Bill hat die Fernsehkamera. Ich hoffe, wir haben ein gutes Bild. Könnt ihr die Wolken sehen?« Gerry Carr: »Ja, und ob wir das können! Richte sie etwas mehr zum Terminator hin – Korrektur: vom Terminator weg – nur ein bißchen.« Lovell: »Dort draußen an der Spitze von Südamerika liegt ein riesiger Quirl von Wolken. Sieht wie eine mächtige Sturmzone aus. Kannst du ihn sehen?« Carr: »Roger. Wir sehen einen
großen Wirbel gleich südlich des Terminators.« Lovell: »Roger, und dann weiter oben zur Linken oder nach Norden hin können wir die hellblauen Wasserflächen um die Westindischen Inseln herum sehen und durch Bills Fernglas können wir tatsächlich auch Florida ausmachen und die verschiedenen Landmassen – Südamerika, den zentralen Teil und östlichen Teil der Vereinigten Staaten.« Er wird von Bill Anders abgelöst, der sinnend sagt: »Woran wir gerade denken müssen, Gerry, ist dieser schmale Keilwinkel von 2 Grad, den wir treffen müssen, wenn wir heimkommen. Die Erde sieht von hier aus doch noch sehr klein aus. Dort unten die Erde, von so weit draußen im Weltraum … Ich glaube, daß mein augenblickliches Gefühl ähnlich dem ist, das die Seefahrer auf den alten Segelschiffen gehabt haben müssen, wenn sie auf einer sehr langen Seereise gewesen waren. Jetzt kehren wir nach Hause zurück, und ich habe das Gefühl, daß ich auf diese Reise stolz bin, doch trotzdem glücklich darüber, wieder nach Hause zurückzukehren und wieder in unseren Heimathafen einzulaufen. Und genauso sieht es von hier aus.« Gerry Carr: »Roger, Bill. Auch wir werden uns sehr freuen, euch wieder hier zu haben.« An einigen Stellen haben sich die blendendweißen Wolken zu Zyklonformationen eingedreht. Darunter leuchten mit unglaublicher Vitalität und Virilität die Farben des von Leben strotzenden Planeten: Königsblau die Gewässer mit hellblauen Untiefen, dunkelbraun mit rötlichen Stellen die Landmassen von Nordamerika und Südamerika, und von hellem Bronzeton die Wüsten von Afrika und Amerika. Der Kommandant des Raumschiffs schaltet sich nun ein. »Hier ist Frank Borman. Wir … wir haben mit den Fernsehsendungen viel Freude gehabt, und wir möchten, daß ihr alle auch in Zukunft auf diese Welle eingestellt bleibt, denn es wird andere Flüge geben, Rendezvousmanöver und Erdorbitflüge,
und natürlich werden Fernsehübertragungen in nicht allzu ferner Zukunft von der Mondoberfläche selbst stattfinden. Bis dahin schaltet die,Apollo 8’-Besatzung ab, und wir sehen euch alle sehr bald auf der guten Erde dort wieder.« Carr: »Roger, Frank. Adios.« Um 3.56 Uhr, nach genau 4 Minuten, beendet Frank Borman die Sendung. Er hat sie etwas kürzer gehalten als geplant, damit die Besatzung vor dem kritischen Wiedereintrittsmanöver, das in weniger als 20 Stunden beginnen wird, noch möglichst viel Schlaf bekommt. Die bevorstehenden Manöver sind deswegen so kritisch, weil zunächst der Kommandoteil des Raumfahrzeugs programmgemäß vom Maschinenteil abgetrennt werden muß, und kurz danach der Eintritt in die Atmosphäre nur unter einem ganz bestimmten Flugbahnwinkel erfolgen darf. Wenn die »Apollo 8« in ungefähr 122 km Höhe mit den ersten hochverdünnten Schichten der Erdatmosphäre in Berührung kommt, beträgt ihre Geschwindigkeit fast 11 Kilometer in der Sekunde, und der Eintrittswinkel ihrer Flugbahn muß 6,43 Grad unter der örtlichen Horizontalen betragen. Zwar gibt es ein Toleranzband um diesen Wert, das sich auf 0,6 Grad mehr und 1,4 Grad weniger beläuft, doch ist dieser Gesamtwinkel von 2 Grad derart klein, daß an die Zielgenauigkeit der Bordnavigationsgeräte und der Mittkurskorrekturen höchste Anforderungen gestellt werden müssen. Der »schmale Keilwinkel«, wie ihn Anders etwas beklommen nannte, beläuft sich auf etwa 48 Kilometer »Korridor«-Höhe, und dieses Schlüsselloch über die Entfernung von 380.000 km hinweg genau zu treffen, kommt der Aufgabe gleich, mit einem Gewehr auf 100 Meter Entfernung eine Kupfermünze zu treffen – aus einem fahrenden Wagen heraus. Allerdings ist hierbei vorausgesetzt, daß bei dem Geschoß unterwegs noch eine kleine Bahnkorrektur möglich ist. Der ganze Prozeß ähnelt ein wenig dem Einfädeln in ein Nadelöhr – nur muß es gleich beim erstenmal klappen.
Daß es geklappt hat, wissen wir ja längst, liebe Freunde. Doch meinen wir, daß die Gesamtschilderung des Unternehmens all das in den Schatten stellt, was wir aus Funk, Fernsehen oder Presse seinerzeit davon erfuhren. Unser Tip daher: Lesen Sie das oben genannte Sachbuch, wenn Sie an der Raumfahrt interessiert sind. Viele Grüße bis zur nächsten Woche! Die SF-Redaktion des Moewig-Verlages Günter M. Schelwokat
Deutsche Erstveröffentlichung
Die Kampfmaschine von Ernst Vlcek
1. Ein Herr mit Namen Goethe soll in grauer Vorzeit einmal gesagt haben: Alles in der Welt läßt sich ertragen, nur nicht eine Reihe von schönen Tagen! Wenn der in unserer Lage gewesen wäre, dann hätte er gewußt, was sich noch weniger ertragen läßt. Nämlich, eine Reihe von schlechten Tagen. Es ging auch wirklich alles schief, und die Misere wollte kein Ende nehmen. Weit und breit war nicht die Spur von einem Auftrag zu sehen, der genügend eingebracht hätte, um die PAN LABORIS und deren beide Eigentümer ein wenig aufzupäppeln. Es wollte ganz einfach nicht richtig laufen, obwohl ich eine Menge Hebel in Bewegung gesetzt hatte und alle möglichen Beziehungen spielen ließ. Dabei hätte es doch nicht so schwerfallen dürfen, in dieser großen, protzigen Welt, die da Terra hieß, einige zahlungskräftige Kunden aufzugabeln. Die PAN LABORIS machte alles. Es gab nichts Legales, was wir nicht getan hätten. War einem sein Lieblingspapagei da8
vongeflogen, dann fingen wir ihn wieder; auch wenn es sich um die flügge Tochter handelte, die von zu Hause durchgebrannt war – wir holten sie wieder zurück, selbst wenn sie sich mit irgendeinem Burschen im hintersten Winkel des Universums verkroch. Es konnte sich auch um eine Safari nach einer exotischen Welt handeln – wir vermittelten sie. Wollte einer seinen ertraglosen Asteroiden mit Gewinn verkaufen oder ein melancholischer Robot von seinen Depressionen befreit werden – wir machten es möglich. Theoretisch spielten wir sogar Babysitter, doch war das zum Glück noch nie von uns verlangt worden. Jedenfalls geht PAN LABORIS auf alle nur erdenklichen Wünsche ein, und mit Stolz darf ich sagen, daß wir in neunzig von hundert Fällen erfolgreich gewesen waren. Aber was nützte schon eine ellenlange Erfolgsliste! Damit bekam man nirgends Kredit; nicht einmal die paar lumpigen Credits, die nötig waren, um die dringendsten Löcher zu stopfen: kleinere Rechnungen vom Tierarzt, vom Verbraucherzentrum und dem Raumhafen. Zwei Tausender hätten einstweilen gereicht. Davon wäre sogar noch etwas für Investitionen übriggeblieben, die früher oder später etwas eingebracht hätten. »Zweitausend Pfifferlinge …«, murmelte ich sehnsüchtig. Die Türglocke rief mich in die rauhe Wirklichkeit zurück. Ich verließ meinen Arbeitsplatz, ging durchs Büro in den Vorraum und öffnete ahnungslos. Das war mein Fehler. Ich hätte mich still verhalten und so tun sollen, als sei niemand da. Aber im Unterbewußtsein hatte ich wahrscheinlich doch gehofft, daß ein Klient … Es war natürlich kein Klient, sondern ein Finanzbeamter, der mir von früheren Begegnungen her in unangenehmer Erinnerung war. Er hatte seine Amtsmiene aufgesetzt und sprach nicht viel. Er sagte nur, was er wollte. Das war genug. Immerhin – viertausend und etliche Credits. 9
Und das auf nüchternem Magen. Mahlzeit! Aber so leicht gibt ein Gumbert Vrei nicht auf. Ich verstehe mich auf Tricks und Ausreden, die recht gut geeignet sind, Gläubiger und andere Parasiten abzuwimmeln. Und wenn das alles nichts nützt, so nehme ich Felician, unser robotisches Faktotum, zu Hilfe. Felician ist 2 Meter groß und hat eine Schulterbreite von 1,20 Meter. Mit seinen fast zwei Tonnen Lebendgewicht ist er wohl der schwerste Robot in Gottes weitem Universum. Ernie, mein Partner Ernest Vulpila, hat ihn zum Kühemelken konstruiert. Doch das sieht ihm niemand an, und da er eher einem CatcherRobot ähnelt als einem Melker, ließ sich schon so mancher aufdringliche Schuldeneintreiber von ihm einschüchtern. Nicht aber der Beamte vom Fiskus. Er wurde nämlich selbst von einem Robot begleitet, der sich bisher verborgengehalten hatte. Was blieb mir also anderes übrig als zu resignieren? Während der Finanzbeamte unter Aufsicht des Robots überall im Büro seinen Stempel aufs Inventar drückte, zog ich im Stillen die Konsequenzen aus dieser Erfahrung. Der nächste der an unserer Tür klingelte, würde zuerst auf Herz und Nieren geprüft werden, bevor ich ihm Einlaß gewährte. Aber das rettete unsere Büroeinrichtung nicht, wenn ich nicht innerhalb einer Woche die viertausend und etliche Credits aufbrachte. Als der Finanzbeamte mit dem Stempeln fertig war, klärte er mich noch einmal über meine Rechte und Pflichten auf und zog sich dann diskret zusammen mit seinem Leibwächter zurück. Ich hatte die beiden kaum zur Tür hinausgelassen, als das Visiphon anschlug. Zugegeben, im zweiten Moment, nach der Schrecksekunde sozusagen, wollte ich mich taub stellen. Doch bin ich eben ein unverbesserlicher Optimist. Die Hoffnung, es könnte sich um den Weihnachtsmann handeln, der sich im Mo10
nat und in der Adresse geirrt hatte und uns einen fetten Auftrag überbringen wollte, schlug meine Vorsicht in Acht und Bann. Der Anrufer war zwar hübscher und proportionierter als der Weihnachtsmann, aber weniger zum Geben als zum Nehmen aufgelegt. Es war ein wunderhübsches Mädchen namens Hetty, mit Augen wie ein Engel und einem Herz aus Stein. Sie saß in der Mahnabteilung der Ersten Hyperfrequenzgesellschaft, an die unser komplettes Sprech- und Funknetz angeschlossen war. »Ah, Herr Vrei persönlich!« Sie lächelte feenhaft vom Visiphonschirm. »Um Himmels willen, Mädchen!« rief ich mit der nötigen Betonung. »Schalten Sie sofort wieder ab. Wir haben hier alle die Grippe. Die Räumlichkeiten der PAN LABORIS stehen unter Quarantäne.« Für einige Sekunden war ihr Gesicht eine Studie des Schreckens, aber dann lächelte sie. »Keine Sorge«, beruhigte sie mich, »die Leitungen und Frequenzen unserer Gesellschaft sind so präpariert, daß sie Krankheitserreger abtöten. Ich kann also nicht angesteckt werden.« »Wer weiß …« Ich ließ den Satz offen, um eine nachhaltigere Wirkung zu erzielen. Aber sie fuhr unbeeindruckt fort: »Etwas anderes ist zu befürchten, nämlich, daß wir alle Ihre Anschlüsse sperren, wenn Sie nicht innerhalb der nächsten zweiundsiebzig Stunden die ausstehenden Gebühren von achttausendund …« »Sprechen Sie nicht weiter«, bat ich. Ich versuchte noch einige bewährte Kniffe, mit der nötigen Prise Charme, versteht sich, aber sie ließ sich nicht erweichen. Sie war hart wie Meteorstein. Zweiundsiebzig Stunden Frist! Woher in dieser Zeit achttausend Credits nehmen! 11
Der nächste Schicksalsschlag wurde durch die Rohrpost frei Haus geliefert. Als ich die Klappe probeweise öffnete, rutschte ein ganzer Berg offener Rechnungen in meine unschuldigen Hände. Das bedeutete soviel wie weitere tausendfünfhundert für die Sollseite der PAN LABORIS. Summa summarum waren unsere Schulden inzwischen auf 15.500 Credits angeschwollen. Es hätte immer noch alles ziemlich glimpflich verlaufen können, denn in diesem Augenblick hatte ich einen Gedankenblitz. Mir fiel gerade ein, daß wir außer unseren unentbehrlichen beweglichen Gütern, wie Felician und unser Raumschiff, noch ein Wertobjekt besaßen, das ich ruhig verhökern konnte, ohne in Gewissenskonflikte zu geraten. Vor einigen Wochen, als wir noch ein wenig besser dagestanden hatten, hatte ich Ernies sehnlichsten Wunsch erfüllt und ihm zum Geburtstag ein halbes Kilo Centauricium gekauft. Er brauchte dieses Transuran mit dem Atomgewicht 299 für irgendeine ominöse Versuchsreihe. Der ganze Kram hatte samt Schutzverpackung fünfzigtausend Credits gekostet, aber ich zahlte damals ohne mit der Wimper zu zucken – wir hatten es ja gehabt. Doch, schlecht wie die Zeiten standen, würde Ernie eben seine Versuchsreihe abbrechen müssen. Plötzlich schien wieder die Sonne, der Vormittag hatte sich doch nicht so schlecht angelassen. Guter Dinge ging ich also hinüber in Ernies Abteil, das eine Mischung aus Laboratorium, Werkstatt und Kuhstall war. Ach ja – und schlafen tat er darin auch noch. Ernie war ganz genau der Typ, der früher mit »zerstreuter Professor« charakterisiert worden war. Spindeldürr und gekleidet wie eine Vogelscheuche, besaß er ein Gesicht, das wie eine Kreuzung zwischen Araber-Hengst und Bernhardiner aussah. 12
Auf seinem Kopf befanden sich ein paar vereinzelte braune Haarbüschel. Das einzige, was an Ernies außergewöhnlichem Aussehen als positiv gewertet werden konnte, waren seine Hände: schlank, feingliedrig und gepflegt. Diese Hände konnten Unglaubliches leisten, aber in Zusammenarbeit mit einem mehr als exzentrisch denkenden Gehirn bastelten sie meistens nichts als Unfug. Diese Personenbeschreibung trifft hundertprozentig zu und ist absolut nicht bös gemeint, denn Ernie ist mir ein wahrer Freund. Ich würde für ihn durch alle Feuer der Hölle gehen, und umgekehrt verhält es sich ebenso. Als ich sein Allerheiligstes betrat, sah er mir mit jenem stoischen Blick entgegen, den er sich von Blessy, seiner Milchkuh, abgeschaut haben mußte. Er ließ sich nicht anmerken, daß er mit einer Sensation aufzuwarten hatte. Ich blickte mich zwischen dem Gerumpel seines LaborKuhstalles um, konnte aber im Moment nirgends die Kiste mit dem Transuran finden. »Suchst du etwas, Gumb?« erkundigte sich Ernie hilfsbereit. »Ich suche tatsächlich etwas.« »Da ist er!« rief Ernie enthusiastisch und zeigte auf ein verwirrendes Drahtgestell, das mich an einen übergroßen Vogelkäfig erinnerte. Ein Mensch hätte bequem darin Platz gehabt. »Da ist er?« wiederholte ich verblüfft. »Was denn eigentlich?« Ernie schien enttäuscht. »Ach, du weißt es gar nicht? Und ich habe geglaubt, du seist mir auf die Schliche gekommen. Jetzt ist’s nichts mehr mit der Überraschung.« »Ich weiß immer noch nicht mehr als vorhin, du kannst mich also immer noch überraschen«, beruhigte ich ihn. »Ich bin jedoch wegen der Kiste mit dem Centauricium gekommen«, lenkte ich auf das eigentliche Thema über. »Du mußt mit dem Brocken leider herausrücken, Ernie.« 13
»Laß mich dir vorerst meine Erfindung erklären«, sagte er, »dann vergißt du das Centauricium schnell.« »Meinst du?« Der Gedanke an die vielen unbezahlten Rechnungen ließen mich an Ernies Behauptung zweifeln. Aber ich tat ihm den Gefallen und hörte mir seinen Vortrag an. Das meiste verstand ich ohnedies nicht, aber ich bekam immerhin so viel mit, daß er mir die Struktur des Hyperraumes und die Grundlage des interstellaren Raumfluges zu erklären versuchte. Ich sagte immer wieder »ja« und »ist doch sonnenklar« und »ich verstehe, Ernie«, damit ich seinen Vortrag schnell über die Runden brachte. Schließlich kam er tatsächlich zu einem Ende. »Und dasselbe, was mit den Raumschiffen bei Eintritt in den Hyperraum geschieht, spielt sich bei mir in verkleinerter Form ab. Mein Materie-Transmitter simuliert annähernde Lichtgeschwindigkeit und kann dadurch jedes Objekt in den Hyperraum schleudern. Ein entsprechender Empfänger, aufgestellt an jedem beliebigen Ort der Galaxis, holt das beförderte Objekt wieder zurück in den Normalraum.« Ich war sprachlos. »Du hast einen Materie-Transmitter erfunden?« kam es schließlich über meine Lippen. »Das ist – eine Sensation. Und du sagst das in so harmlosem Ton, als würdest du über das Wetter sprechen.« »Du überschätzt meine Leistung«, sagte er bescheiden. »Was ich getan habe, ist nichts weiter als der Raumflug in verkleinerter Form und ohne Raumschiff.« »Trotzdem, Ernie, trotzdem.« Ich klopfte abwechselnd ihm auf die Schulter und – etwas vorsichtiger – auf das Gestänge des überdimensionalen Vogelkäfigs. Im Stillen überlegte ich schon, was uns diese Sache wohl einbringen würde. Es mußte sich um eine Unsumme handeln, denn der Materie-Transmitter war die größte Erfindung seit der Er14
schaffung des Weibes. Man brauchte bald keine Raumschiffe mehr, keine Unmengen von Transuranen, um den unersättlichen Hyperraum zu überbrücken …! An diesem Punkt meiner Überlegungen stockte ich. »Hast du den Vogelkäfig auch schon ausprobiert?« erkundigte ich mich. »Ja.« »Und er funktioniert?« »Tadellos.« »Du bist also hundertprozentig sicher, daß der MaterieTransmitter funktioniert?« »Absolut.« »Gibt es keinen Haken dabei?« Ernie zögerte. »Was verstehst du unter einem Haken?« Da hatten wir es! Es bedurfte nicht mehr seiner bestätigenden Worte, sein Verhalten sprach Bände. Es war mit dieser Erfindung Ernies wie mit allen anderen vorangegangenen – sie hatte einen Haken. Langsam, ganz langsam, fiel ich aus den rosaroten Wolken, in die mich meine kühnen Träume bereits geführt hatten. »Los, Ernie«, drängte ich, »du brauchst dich nicht zu zieren. Ich habe schon wieder in die Wirklichkeit zurückgefunden. Wo ist der Pferdefuß?« Er räusperte sich. »Es handelt sich bestimmt um keinen Konstruktionsfehler«, begann er zaghaft, »ich habe alles überprüft. Der Materie-Transmitter funktioniert einwandfrei. Nur ist seine Inbetriebnahme, vor allem wenn man größere Strecken überbrücken möchte, sehr kostspielig.« Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben, aber seine letzte Feststellung ließ den Funken wieder aufglimmen. Wenn es sich nur um eine Geldfrage handelte, so wäre das für so manchen kein Hindernis, wenn er sich mit dem Materie-Transmitter die Strapazen des Raumfluges ersparen konnte. 15
»Wie kostspielig?« fragte ich deshalb. »Viel teurer als der Raumflug.« Ich seufzte. »Dann wirst du eben noch eine Weile daran arbeiten müssen, bevor wir den Transmitter patentieren lassen können.« »Das fürchte ich auch«, gestand er. »Es gibt ohnedies noch einige Kleinigkeiten, die ich verbessern muß. Schließlich soll ja das Reisen mit dem Transmitter nicht lebensgefährlich sein, oder?« »Eben«, gab ich ihm recht. »Und da es nichts mit einem unerwarteten Geldregen wird, mußt du dich leider von dem Centauricium trennen. Ich muß es in bares Geld umsetzen.« Er schien mich nicht gehört zu haben. »Ich muß auch noch einen zweiten Transmitter bauen. Nämlich einen …« »Schon gut«, unterbrach ich ihn. »Erzähle mir das ein andermal. Jetzt gib mir die Kiste mit dem Transuran, bevor uns die Gläubiger lynchen.« »Ja, das Centauricium – weißt du eigentlich, daß ich es im Transmitter beförderte?« »Na und?« »Du hast mich vorher unterbrochen, als ich dir sagen wollte, daß ich noch einen Empfängertransmitter bauen muß.« Ich sah ihn sprachlos an. Zu mehr war ich nicht fähig.
2. 500 Gramm Centauricium, damit konnte man im Hyperraum mit dem Raumschiff eine Strecke von 1000 Lichtjahren zurücklegen. Und Ernie verpulverte diese Menge in einem einzigen Versuch. Warum mußte er auch ausgerechnet mit einem Materie-Transmitter experimentieren, der für einen einzigen Trans16
port mehr Transuran brauchte, als ein Kubikparsek Hyperraum verschlingen konnte. Ernie hatte mir erklärt, wie es dazu hatte kommen können. Er hatte es mir so anschaulich erklärt, daß ich mit ihm Schritt halten konnte. Jetzt weiß ich, wie es ihm gelang, fünfzigtausend Credits innerhalb weniger Sekunden im Nichts versehwinden zu lassen. Er hatte den Hyperraum mit einem energiefressenden Ungeheuer verglichen. Jegliche Materie, die in den Hyperraum gebracht wird, zersetzt sich in einem unaufhaltsamen Zerfallsprozeß. Aber der Allesfresser hat eine Vorliebe für harte Strahlung. Deshalb führt jedes Schiff Transurane mit, so wird die übrige Materie verschont, bis keine Transurane mehr vorhanden sind. Das ist das Prinzip des Hyperraumfluges, und darauf baute Ernie seinen Materie-Transmitter auf. Es gab nur zwei Unterschiede: Seine Methode war die einfachere und – die wesentlich kostspieligere. Niemand würde sich für den Materie-Transmitter als solchen interessieren; wir konnten höchstens versuchen, ihn als Vogelkäfig anzubieten. Ich saß auf der Kante von einem von Ernies Arbeitstischen und betrachtete die recht eigenartige Konstruktion aus Drähten, Rohren und anderen Verstrebungen. Es war verhältnismäßig still hier, so daß ich mich auf meine Überlegungen konzentrieren konnte. Nur von der Terrasse, wo Ernie während der Sommerszeit für Blessy eine Weide geschaffen hatte, drangen gelegentlich Laute zu mir herein. Ernie war dort damit beschäftigt, Felician in die Geheimnisse des Melkens einzuweihen. Mein Freund und Partner war total am Boden zerstört, als ich ihm von den Folgen erzählt hatte, die der Fehlschlag seines Experiments nach sich ziehen würde. Gleich darauf hatte er sich seinen Schemel geholt und war auf die Terrasse hinausgegan17
gen, um Blessys prallgefülltes Euter zu erleichtern. Danach stand wahrscheinlich das obligatorische Besäufnis auf dem Programm. Das tat Ernie immer – wenn er sich in einer Sackgasse befand, dann trank er Milch, eimerweise. So lange, bis er einen Rausch hatte. »… du mußt die Zitze so zwischen Daumen und die anderen Finger nehmen, daß du gleichzeitig drücken und ziehen kannst … und immer darauf achten … zart und sanft, damit du Blessy nicht weh tust. Versuche es selbst einmal, Felician.« »Jawohl, Ernie.« Kurz darauf erklang ein langgezogenes »Muh«. Ich hörte Ernie noch schimpfen, aber ich konnte ihn nicht mehr verstehen, weil ich mich bereits auf dem Weg zu meinem Arbeitszimmer befand. Charly war mir eingefallen. Offen gesagt, er war ein Gauner, ein Halsabschneider, und ich hätte mich bestimmt nicht an ihn gewandt, wenn ich eine andere Möglichkeit gesehen hätte, uns über Wasser zu halten. Aber in unserer Lage blieb uns keine Wahl, und Charly saß an einer günstigen Stelle einer der größten terranischen Zeitungen, der Terra-Chronik, er kannte unheimlich viele Leute, besaß Verbindungen zu einer Unzahl vor Welten und – was das wichtigste war – ich stand bei ihm so gut wie nicht in der Kreide. Also hämmerte ich auf die Tasten unseres vorsintflutlichen Visiphons und arbeitete mich über ein Dutzend Nebenstellen der Terra-Chronik bis zu Charly durch. Er machte ein saures Gesicht, als er mich erkannte, und sagte herablassend: »Falsch verbunden. Die Nummer der Karitas ist …« »Blödsinn«, unterbrach ich ihn. »Ich will dich nicht anpumpen.« »Nicht?« 18
»Nein. Ich brauche nur einen Tip für ein Geschäft. Auf der Basis: Eine Hand wäscht die andere.« »Meine Hand wartet aber schon ziemlich lange darauf, von der deinen gewaschen zu werden.« Schließlich fand er sich doch bereit meinen Vorschlag anzuhören. »Ich habe da ein Kunstwerk«, log ich, »das von einem noch unbekannten Künstler stammt, der aber groß im Kommen ist. Was ich brauche ist ein Mann aus der Provinz, der ahnungslos und kunstbesessen genug ist, um zehntausend Pfifferlinge dafür herauszurücken.« »Hm«, machte Charly und griff nach einem Notizblock. »Wie heißt das Ding?« Ich überlegte nicht lange. »Ödipuskomplex.« »Hört sich gut an. Und der Name des Künstlers?« »Felician.« Er schrieb auch das nieder. Dann sagte er: »Ich werde sehen, was sich machen läßt.« »Aber schicke mir womöglich noch gestern jemand.« »Das verteuert die Sache natürlich.« »Wieviel?« »Dreißig Prozent.« »Na, Charly, hör’ mal …« Er winkte ab und lächelte füchsisch. »Darin ist mein Honorar für ein zweites Geschäft schon enthalten.« »Was für ein zweites Geschäft?« »Kostenlose Reklame für die PAN LABORIS in der TerraChronik.« Ich wurde mißtrauisch, denn mir war bekannt, daß ein einigermaßen wirkungsvolles Inserat in Charlys Käseblatt mindestens soviel kostete, wie ich für den »Ödipuskomplex« haben wollte. 19
»Was meinst du damit, Charly?« erkundigte ich mich. »Wir starten eine Serie in unserer Wochenendbeilage über kleinere Unternehmen aller Art. So in der Art: ›Mit welchen Schwierigkeiten haben jene Firmen, die nicht einem Konzern angehören, in der modernen Zeit zu kämpfen?‹ Ihr kommt dabei groß heraus.« »Und dafür interessiert sich jemand?« »Wir wollen es ganz großartig aufziehen. Wann kann ich jemand zu dir hinüberschicken?« Ich öffnete schon den Mund, um eine Zeit zu nennen, aber dann fiel mein Blick auf die terranischen Wappen, die überall auf den Möbeln des Büros prangten. »Ich würde mich lieber irgendwo treffen«, schlug ich vor. »Bildmaterial und andere Unterlagen kann ich mitnehmen. Sagen wir, in einer Stunde im Restaurant des Pressehauses.« »Ich kann dich verstehen«, meinte er. »In Ordnung, in einer Stunde wirst du im Presse-Restaurant ausgerufen.« »Wie meinst du das, du kannst mich verstehen?« »Na«, sagte er und konnte sich das Lachen kaum verkneifen. »Mein Bildempfang wird durch einen großen runden Kreis gestört. Das ist doch kein Fliegenkot, Gumb?« Ich fluchte. Hatte der Steuerbeamte doch tatsächlich seinen Stempel auch auf die Linse der Visiphonkamera gedrückt! * Wenn man aus der Vogelperspektive auf Brandistadt hinuntersieht, bietet sich einem ein imposanter Anblick, obwohl es eigentlich nicht viel zu sehen gibt. Denn das Stadtbild wird von den achtundvierzig Terrassenhäusern geprägt, die sich wie riesige Ameisenhügel aneinanderreihen. Dazwischen lockern Parks, künstliche Seen und einige kleinere öffentliche Gebäude 20
das Stadtbild auf. Straßen und Schnellbahnlinien, die die einzelnen Wohnhügel miteinander verbinden, durchqueren diese in ihrem Innern. Um keine Mißverständnisse über die Größe unserer Stadt aufkommen zu lassen: Sie hat mehr als fünf Millionen Einwohner. Das gibt in etwa Aufschluß darüber, wie viele Menschen so ein Wohnhügel aufnehmen kann. Trotzdem sind die Bewohner nicht zusammengepfercht; die Wohnungen liegen auf den Kuppen der schrägen Terrassen und haben Sonnenlicht und frische Luft. Unser Wohnbüro befindet sich in der dritten Etage, gleich über dem Kindergarten, gegenüber dem Visionstheater und der Sporthalle. Supermarkt, Kantine und Ladenstraße sind schnell über Rolltreppen und Förderbänder zu erreichen. Man braucht also den Wohnhügel höchstens zum Spazierengehen und Verreisen zu verlassen – oder wenn man in einen anderen Stadtteil möchte. Aber dazu benutzt man am besten die Schnellbahn, die vier Geschosse unter uns liegt und mit dem Lift bequem zu erreichen ist. Da das Pressehaus der Terra-Chronik in einem drei Block entfernten Wohnhügel untergebracht ist, machte ich mich eine halbe Stunde vor dem vereinbarten Treffpunkt auf den Weg. Vorher aber trug ich Ernie noch auf, falls Charly anrufen und einen voraussichtlichen Käufer für Felicians Kunstwerk anbieten sollte, mit diesem einen Termin für den Abend zu vereinbaren. Die Schnellbahn brachte mich in einer Viertelstunde zum Pressehaus, so daß ich noch schnell im Stehen einen Imbiß zu mir nehmen konnte. Ich hatte kaum den letzten Bissen hinuntergewürgt, als zwischen anderen Durchsagen auch schon mein Name durch den Lautsprecher ausgerufen wurde. »Herr Gumbert Vrei bitte Kabine zehn. Herr Gumbert Vrei …« Ich klemmte meine Unterlagen unter den Arm und machte 21
mich auf die Suche nach Kabine zehn. Sie lag, zusammen mit neunzehn anderen mietbaren Konferenzräumen, im hinteren Teil des Restaurants. Der kurze Korridor war mit einem roten Läufer ausgelegt. Eine Leuchtschrift verkündete, daß sämtliche zwanzig Kabinen schalldicht und gegen alle Abhörmethoden gesichert waren. Nun, das konnte mir egal sein, denn wenn auch die Industriespionage gerade eine neue Blüte erlebte – für die Vorgänge in der PAN LABORIS würde sich nicht einmal ein RucksackAgent interessieren. Kabine zehn. Ohne zu klopfen schob ich die Tür auf, trat ein und ließ sie hinter mir wieder ins Schloß gleiten. Der Raum war nicht groß, zweckmäßig eingerichtet, ohne Atmosphäre, kalt. Das heißt, er wäre kalt gewesen, wenn er nicht von einem traumhaft schönen Lebensquell erwärmt worden wäre. Das grelle Deckenlicht brach sich in kupferrotem Haar, warf verführerische Schatten und … fast müßig zu erwähnen, daß der Lebensquell ein weibliches Wesen war. »Entschuldigen Sie«, stammelte ich befangen und stolperte wieder zur Tür zurück, »ich muß mich in der Nummer geirrt haben …« »Herr Gumbert Vrei?« fragte sie mit kehliger Stimme. Ich nickte. »Dann sind Sie hier richtig.« Sie erhob sich und kam mir auf halbem Wege entgegen. Es knisterte bei jedem ihrer Schritte, denn sie trug ein Leichtmetallkleid. »Ich habe einen Reporter erwartet« sagte ich, immer noch nach Fassung ringend. »Ich bin Reporter.« Ihre grünen Augen sprühten belustigte Flammenblitze. »Wollen wir uns nicht setzen?« 22
»Ja, doch, ja, setzen wir uns.« Innerlich ärgerte ich mich, daß ich, anstatt mich in Schale zu werfen, den schäbigen Büroanzug trug. »Ich heiße Sylvia Grant«, sagte sie. »Sie wissen Bescheid über den Zweck dieses Interviews, Herr Vrei? Persönlich wäre es mir lieber gewesen, Sie in Ihrem Büro aufzusuchen, aber ich respektiere natürlich Ihre Wünsche.« »Ich habe alle nötigen Unterlagen bei mir«, erklärte ich schnell. »Stigoritsch hat es mir gesagt.« »Wer?« »Sie haben doch mit ihm am Visiphon gesprochen, oder etwa nicht?« »Ach so, Charly. Ja, wir haben alles besprochen.« Ich war verwirrt. Sylvia Grant war nicht der Typ, dem ich gerne meine mißliche Lage eingestehen wollte. Doch schließlich sprach ich ohne Scheu über unsere triste geschäftliche Situation, vergaß aber nicht, einzuflechten, daß dies weniger die Schuld der Eigentümer der PAN LABORIS sei, als der Einfluß der großen Konzerne, die alle kleinen Betriebe auffraßen. Sie war darin mit mir einer Meinung und sprach sogar ihre Bewunderung über unsere standhafte Haltung aus. Sie fragte recht geschickt, und manchmal trieb sie mich damit so in die Enge, daß es mir verdammt schwerfiel, den einigermaßen guten Ruf unserer Firma aufrechtzuerhalten. Aber nach einer Stunde war dieser unliebsame Teil des Interviews beendet, und ich ging auf den zweiten Teil über, den sie wahrscheinlich nicht eingeplant hatte. »Was würden Sie von einem Tapetenwechsel halten?« erkundigte ich mich. »Vielleicht sollten Sie etwas mehr über die Menschen erfahren, die hinter dem nüchternen Namen PAN LABORIS stecken. Und für eine solche Unterhaltung ist hier 23
nicht der richtige Ort. Ich kenne ein gemütliches Lokal hier ganz in der Nähe …« Sie hatte nichts dagegen. Wir brachen auf, nachdem sie darauf bestanden hatte, die Bezahlung der Miete für die Kabine der Terra-Chronik zu überlassen. Dagegen war nichts einzuwenden, zumal ich ohnedies nicht übermäßig viel Kleingeld mit mir herumtrug. Das Lokal, das ich vorgeschlagen hatte, hieß Untergrund 10. Es war schnell mit dem Förderband zu erreichen, wodurch ich die Schnellbahngebühr einsparen konnte, und außerdem hatte ich dort Kredit. Wie schon der Name besagt, lag das Lokal unter der Oberfläche, die Zehn stand für die Tiefe der Kelleretage. Untergrund 10 war ein uraltes Gewölbe, dessen Gemäuer von modernen Plastikträgern gestützt wurde. Überall gab es kleine, intime Nischen, die mit antiken Schriften und alten Gebrauchsgegenständen ausstaffiert waren, durch die sich jeder Besucher in die Vergangenheit versetzt fühlte. Ich führte Sylvia Grant in die winzigste Nische, wo zwei ausgewachsene Menschen nicht Platz nehmen können, ohne Tuchfühlung miteinander zu bekommen. »Kriegt man hier keine Platzangst?« wollte Sylvia Grant wissen. Aber sie lachte dabei, und ihre vom Kerzenlicht angestrahlten Augen leuchteten. »Wenn wir uns erst darüber einig geworden sind, wo jeder seine Beine unterbringt, dann haben wir das ärgste Problem beseitigt«, antwortete ich. Wie hingezaubert stand plötzlich ein befrackter Ober vor uns und überreichte uns die gedruckten Getränkekarten. »Es ist wunderbar hier«, schwärmte Sylvia. »Wie angenehm, einmal nicht von einer unpersönlichen Automatenstimme die Spezialitäten des Hauses vorgetragen zu bekommen, sondern von einem Wesen mit Herz.« 24
Ich verkniff mir die Bemerkung, daß die habgierigen Ober hier alles andere als »Wesen mit Herz« waren, und half ihr beim Enträtseln der Karte. Da sie noch nie in ihrem Leben Wein getrunken hatte, riet ich ihr, dies schleunigst nachzuholen. Es gab nirgends auf der Erde Wein, der naturbelassener und besser war als im Untergrund 10. Als der Ober wieder an unseren Tisch kam, bestellte ich die Getränke mit dem Zusatz: »Überbringen Sie Monsieur Rheiner meine besten Empfehlungen.« Diese Floskel war ein Kode, mit dem ich dem Besitzer, eben diesem Monsieur Rheiner, zu verstehen gab, daß ich vorhatte, auf Kreide zu zechen. Das rief immer eine gewisse Nervosität bei mir hervor, weil es ungewiß war, wie sich Monsieur Rheiner dazu stellen würde. Als dann jedoch der Wein im Thermostat-Krug serviert wurde, konnte ich erlöst aufatmen. Ich stieß mit Sylvia an, wir tranken und plauderten. Nach dem ersten Glas waren ihre Wangen bereits gerötet, und ihre Augen glänzten unnatürlich hell. Ich war so fair, sie vor der Wirkung des Weines zu warnen, aber sie wischte alle Bedenken beiseite und leerte auch das zweite Glas fast in einem Zug. »Das Zeug macht so durstig«, entschuldigte sie sich. Als ich darauf nicht reagierte, sagte sie eindringlicher: »Ich bin durstig.« Mit einer gemurmelten Entschuldigung schenkte ich ihr Glas voll. »Sind Sie Damen gegenüber immer so unaufmerksam?« fragte sie. »Nein«, antwortete ich, »meistens habe ich weniger Skrupel und schenke so lange nach, bis die Leutchen umfallen und nichts mehr von sich wissen.« »Oh, so einer sind Sie also!« »Ja«, sagte ich, »aber Sie sind mir sympathisch, deshalb 25
möchte ich nicht, daß Sie der Alkohol zu etwas verleitet, was Sie später bereuen würden.« »Ich tue nie etwas, was ich später bereuen würde«, behauptete sie mit unsicherer Stimme. Sie betrachtete mich kritisch: »Wissen Sie, daß Sie mir gefallen, Herr Vrei!« »Gumb, nennen Sie mich Gumb.« Mir wurde langsam heiß. »Gut, Gumb, dann müssen Sie Sylvie zu mir sagen.« Wir stießen an. »Eigentlich haben Sie mich enttäuscht«, sagte sie dann mit Vorwurfsvoller Stimme. »Ich stellte Sie mir ganz anders vor. Ich dachte, als der Eigentümer einer Firma, die alle Arbeiten erledigt, müßten Sie eine dunkle Existenz sein, die zwischen den Gesetzen steht.« Ich lächelte. »Zum Teil stimmt das auch.« »Das meine ich nicht.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann mir vorstellen daß man manchmal mit Aufgaben an Sie herantritt, die nicht ganz legal sind. Aber ich schätze Sie so ein, das Sie trotz allem Ihre Tätigkeit jederzeit moralisch vertreten können. Und das ist viel wert.« »Vielleicht irren Sie sich in mir«, gab ich zu bedenken. »Nein!« Wieder das heftige Kopfschütteln, das keinen Widerspruch duldete. »Da bin ich zu gut Menschenkenner, um mich zu täuschen. Sie sind ein Mann, der vieles tut, um obenauf zu schwimmen, aber nicht alles. Ich könnte mir nicht vorstellen, daß Sie sich für eine schmutzige Arbeit hergeben würden.« Das Mädchen hatte natürlich Recht. Schon oft waren es nichts weiter als moralische Bedenken, die uns einenn lukrativen Auftrag ablehnen ließen. »Ich wünschte, ich besäße etwas mehr Skrupellosigkeit«, gestand ich; der Alkohol hatte meine Zunge gelöst, deshalb rutschte mir etwas heraus, was ich sofort wieder bereute. Ich fügte hinzu: »Dann brauchte es uns nicht so schlecht zu gehen.« 26
»Die PAN LABORIS hat es wohl sehr schwer«, sagte sie mitfühlend. Ich hätte mich selbst ohrfeigen können. Von Anfang an hatte ich ein Auge auf Sylvie gehabt, aber ich war chancenlos ins Rennen gegangen. Jetzt, wo sich meine Position verbessert hatte, erweckte ich dummerweise ihr Mitleid. »Sprechen wir nicht mehr davon«, sagte ich und versuchte zu retten, was zu retten war. »Doch, sprechen wir davon«, beharrte sie. »Ich möchte in meinem Bericht auch die menschliche Seite beleuchten.« »Ich möchte Ihnen ebenfalls menschlich näherkommen«, lenkte ich ab. »Ich frage mich, warum Sie Reporterin geworden sind, obwohl Sie mit Ihrem Aussehen auf reizvolleren Gebieten viel schneller Karriere machen könnten.« »Karriere und Geld locken mich nicht«, sagte sie abfällig. Zum erstenmal lag Bitternis in ihrer Stimme. »Ich kenne den Preis, den man für eine Karriere zahlen muß, Gumb. Ich habe das alles schon mitgemacht. Ich will nicht sagen, daß ich vom rechten Pfad abgekommen war, aber ich habe Einblick in die Abgründe der menschlichen Seele gehabt. Nein, danke, ich habe genug von solchen Abenteuern.« »Aber abenteuerlustig sind Sie doch«, sagte ich heiter, »sonst wären Sie nicht Reporterin geworden.« »Ich bin es noch nicht lange, aber so viel sehe ich jetzt schon, meine Abenteuerlust kann ich bei diesem Beruf nicht stillen.« »Nicht in der Wirtschaftsredaktion«, stimmte ich zu. »Warum wenden Sie sich nicht einem anderen Gebiet zu?« »Ich bin noch jung, ich habe Zeit«, antwortete sie. »Mein Vater hat mir genügend Geld hinterlassen, so daß ich eigentlich mein Leben lang nichts anderes mehr zu tun brauchte, als mich müßig von einer Welt zur anderen treiben zu lassen. Ich habe es sogar schon versucht, aber es liegt mir nicht. Ich muß mich ir27
gendwie nutzvoll betätigen und wenn es nicht mehr ist, als kostenlos für bedürftige Firmen zu werben. Verstehen Sie mich, Gumb?« »Natürlich verstehe ich Sie«, antwortete ich, obwohl ich sie nicht wirklich verstand, weil ich mich noch nie in der Lage befunden hatte, genug Geld für den Müßiggang zu haben. »Und wie ist es mit Ihnen?« wollte sie wissen. »Sie könnten mit Ihrer kaufmännischen Erfahrung leicht in einem Konzern eine Spitzenposition einnehmen.« »Bei mir war es der Traum von der Selbständigkeit«, sagte ich. »Jetzt bin ich schon über dreißig und zu alt, um neu zu beginnen. Außerdem möchte ich mein Leben gar nicht gegen ein anderes eintauschen. Es ist zwar nicht immer rosig, aber trotzdem einfach herrlich. Denn die PAN LABORIS ist nicht nur eine Firma, sondern viel mehr. Es besteht da ein Pakt zwischen Ernie und mir, und erst die PAN LABORIS besiegelt unsere Freundschaft.« »Ich beneide Sie«, flüsterte sie. »Tun Sie das lieber nicht, denn es dürfte sich wohl kaum jemand außer uns beiden finden, der an einem solchen Leben hinge.« Es fiel so leicht bei ihr, aufrichtig zu sein und sein Herz auszuschütten. Meine Absicht, Sylvia einzuwickeln, verlor immer mehr an Bedeutung. Dieses Mädchen war der Typ, den man heiratete. »Ernie – das ist doch Ihr Partner Ernest Vulpila«, sagte sie in meine Gedanken hinein. Nachdem ich bestätigend genickt hatte, fuhr sie fort: »Wie haben Sie ihn kennengelernt? Ich hätte gerne mehr über die Umstände erfahren, die zu dieser einmaligen Freundschaft geführt haben.« Und ich erzählte ihr, daß wir uns schon von Jugend auf kannten. Ernie war schon immer sehr menschenscheu und weltfremd 28
gewesen, was den anderen Jungen unseres Alters immer Gelegenheit bot, ihn zu hänseln oder gar zu verprügeln. Wie es nun dazu kam, weiß ich nicht mehr genau, jedenfalls spielte ich mich als einziger zu Ernies Beschützer auf. Das kostete mich zwar Ansehen und Beliebtheit bei den anderen, aber dafür gewann ich einen Freund. Später trennten sich unsere Wege, als meine Eltern auf eine Pionierwelt auswanderten. Aber als ich mein Studium als Wirtschaftsfachmann auf der recht provinziellen Akademie abgeschlossen hatte, kam ich nach Terra zurück. Ich fand Ernie im südamerikanischen Amazonas-Naturschutzpark, wo er von Milch und Wurzeln und von den spärlichen Einkünften einiger Patente lebte. Schon damals entschlossen wir uns, dem überhandnehmenden Spezialistentum zum Trotz, eine AllroundFirma zu gründen. Aber es dauerte noch einige Jahre, in denen ich die Galaxis als Vertreter bereiste, bis wir das nötige Geld für die Gründung der PAN LABORIS zusammengespart hatten. Von da ab versuchen wir nun, mehr schlecht denn recht, die Hürden des Lebens im Teamwork zu nehmen. »Ich möchte Herrn Vulpila kennenlernen«, sagte Sylvie, nachdem ich geendet hatte. »Können wir nicht sofort hinfahren?« Ich verbarg meine Enttäuschung nicht. »Ich hatte gehofft, daß wir das Berufliche für eine Weile vergessen würden.« »Das wäre ganz zweifellos sehr reizvoll«, meinte sie. »Aber ich muß um fünf Uhr unbedingt in der Redaktion sein.« »Dann bleibt uns immerhin noch eine private Stunde.« Und es wurde eine wundervolle Stunde. Schließlich begleitete ich Sylvie noch zum Pressehaus. »Und für wann schlägst du eine Zusammenkunft vor, bei der auch Ernie dabeisein kann?« erkundigte ich mich. »Am liebsten noch für heute«, sagte sie. »Aber ich habe bis spät in die Nacht Dienst.« 29
»Ich könnte ihn zu dir schicken«, schlug ich vor. »Das kann ich nicht verlangen.« »Doch, das kannst du.« Sie gab mir ihre Visiphonnummer, unter der Ernie sie bis Mitternacht erreichen konnte. »Du warst riesig nett zu mir, Gumb«, sagte sie zum Abschied und warf mir eine Kußhand zu. Glücklich fing ich die Kußhand auf. Was für ein Mädchen!
3. Verständlicherweise hatte ich jetzt keine Lust, zurück ins Büro zu gehen und den staatlichen Kuckuck anzustarren, der auf unserem sämtlichen Mobiliar klebte. Deshalb rief ich erst einmal Charly an und erkundigte mich, ob er schon einen Kunden für Felicians »Ödipuskomplex« gefunden hatte. Ja, er hatte; und er sagte, daß es sich um einen Mr. Sarghi handelte, der der Manager irgendeines Champions sei. Dieser Herr würde um acht Uhr bei uns im Büro erscheinen. Ich dankte Charly, allerdings nicht zu überschwenglich, und bevor ich die Verbindung unterbrach, mußte ich ihm noch einmal hoch und heilig versprechen, ihm die vereinbarten dreißig Prozent sofort nach Geschäftsabschluß zu übergeben. Aus demselben Münz-Visiphon rief ich in unserem Büro an. Es dauerte volle drei Minuten, bevor Ernie abhob. Das erste, was ich auf dem Bildschirm zu sehen bekam, war das Pfändungssiegel, und ich konnte mich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie deutlich es auszumachen war. Das war ein Grund zum Ärgern. Das zweite Ärgernis war Ernie selbst. Er hatte einen Rausch. 30
»Hier PAN LABORIS«, lallte er, »Professor Ernest Vulpila am Apparat.« »Unangenehm«, sagte ich gereizt. Er setzte sein strahlendstes Lächeln auf, als er mich erkannte. »Ich bin froh, daß es nur du bist, Gumb. Wenn mich nämlich ein Klient in dieser Verfassung sähe, könnte er noch glauben, ich hätte zu tief ins Glas geguckt …« »Das hast du ja auch!« schimpfte ich. Er schüttelte ernsthaft und heftig den Kopf. »Nichts da – ins Glas geguckt«, behauptete er. »Ich habe aus dem Melkkübel getrunken. Milch, wie ich sie am liebsten habe – reine, kuhwarme Milch. Die Versuchung war auch zu groß. Blessy hat heute einen besonders guten Tag, mußt du wissen.« »Genug davon«, unterbrach ich ihn unwirsch. »Und versuche doch wenigstens ruhig zu stehen, damit man sich mit dir unterhalten kann, ohne einen Schwindelanfall zu riskieren.« Sein Gesicht verzog sich unter der unmenschlichen Anstrengung, die er sich auferlegen mußte, um – wie er meinte – kerzengerade stehen zu können. Aber er schwankte immer noch wie eine Ähre im Wind. Plötzlich begann er zu weinen. »Ich bin an allem schuld«, schluchzte er. Du meine Güte, hatte der einen Katzenjammer! »Niemand gibt dir die Schuld an irgend etwas«, sagte ich. »Doch«, beharrte er, »du bist nur zu edel, um es mir zu sagen. Es läßt sich nicht einfach aus der Welt schaffen, daß ich Centauricium im Werte von dreißigtausend Credits verjuxt habe. Wie kann ich das nur wieder gutmachen!« »Fünfzigtausend Credits«, berichtigte ich ihn. »Fünfzigtausend?« Nachdem die Zahl in sein benebeltes Gehirn eingesickert war, plärrte er von neuem los. »Fünfzigtausend Credits, o Jammer, Jammer!« 31
»Du kannst alles wiedergutmachen«, sagte ich. Sein trockenes Schluchzen verstummte augenblicklich. »Wirklich? Oh, Gumb, gib mir diese Chance!« »Ich werde dir sagen, was du zu tun hast.« »Ja, bitte, tu das, ich bin ganz Ohr.« »Erstens mußt du wieder nüchtern werden. Wie lange brauchst du dazu?« »Eine halbe Stunde«, versicherte er. »Gut. Dann rufst du die Nummer Brandi 28 Z 34 an. Aber nicht von unserem Visiphon aus, sondern von einem öffentlichen.« »Ja, Gumb.« »Hast du dir die Nummer notiert?« Er war beleidigt. »Ich habe doch ein eidetisches Gedächtnis.« »Also wenn sich jemand meldet, dann verlangst du Fräulein Sylvia Grant und sagst, du suchest um einen Termin an, um sie zu besuchen. Sie wird dir einen Zeitpunkt nennen und … Was hast du denn nun schon wieder?« »Was du mir da aufträgst, ist mir aber sehr unangenehm, Gumb«, maulte er. »Du weißt, wie schüchtern ich bin.« »Ernie!« »Ja?« »Vergiß nicht, daß du etwas gutzumachen hast.« Er schlug die Augen nieder, und mir schien, daß ihn der Gedanke, ein Rendezvous mit einem weiblichen Wesen zu haben, vollkommen aus seinem Eiweiß-Rausch gerissen hatte. »Gut, Gumb. Ich werde alles tun, was du mir aufgetragen hast«, versprach er demütig. Jetzt tat er mir leid. »Sei doch kein Kindskopf, Ernie«, munterte ich ihn auf. »Was du tun sollst, ist doch keine Bestrafung, sondern du tust es für das Wohl unserer Firma. Wirklich!« »Das werde ich mir vor Augen halten.« »Kopf hoch, alter Junge.« 32
Ich tastete das Gespräch aus und lehnte mich erschöpft gegen die Wand der Visiphonkabine. Ernie konnte in gewisser Beziehung manchmal sehr kräfteraubend sein. Jetzt brauchte ich unbedingt etwas zur Entspannung. Ein kleines Spielchen in den Slums außerhalb von Brandistadt würde gerade das Richtige für mich sein. Zeit hatte ich noch genügend, denn bis zum Eintreffen des Mr. Sarghi blieben noch dreieinhalb Stunden. Das einzige Problem stellte wieder einmal das für ein Spielchen nötige Kleingeld dar. Aber das war eigentlich kein wirkliches Problem. Irgendein Provinzler fand sich immer, an dessen Pott man sich beteiligen konnte. * Der Raumhafen von Brandistadt ist einer der vier größten interstellaren Verkehrsknotenpunkte von Terra. Täglich landen und starten dort fünfzig Passagierschiffe, die zehntausend Reisende von aller Herren Planeten bringen und ebenso viele wieder mitnehmen. Eine Umfrage unter den Touristen hat einmal ergeben, daß achtzig Prozent von ihnen nur einen Abstecher nach Brandistadt machten, um die einmalige Architektonik zu bewundern. Aber wenn Sie mich und die anderen Alteingesessenen fragen, dann haben zwei Drittel von diesen achtzig Prozent keinen einzigen Wohnhügel von innen gesehen. Vielmehr haben sie sich schnurstracks in die Slums begeben, die von unseren Stadtvätern großspurig als »Die Altstadt« bezeichnet werden. Natürlich befinden sich dort nur uralte Häuser, von denen jedes einzelne mehr als drei Jahrhunderte alt ist und nur durch Kunststoffinjektionen vor dem Verfall bewahrt werden kann. Aber nicht das alte Gemäuer als solches ist Anziehungspunkt 33
für die vornehmlich männlichen Touristen. Das Laster und die Sünde, die sich hier eingenistet haben, sind es, die Interesse erwecken: exotische Attraktionen, Traumpaläste, Nachtschattengewächse, die mit verruchter Stimme mannigfaltigste Glückseligkeiten anpreisen … Kurzum: In der »Altstadt« findet der Suchende alles, was Gott verboten hat. Und deshalb sind dies hier für mich die Slums von Brandistadt. Wenn ich einen Abstecher dorthin mache, dann sage ich gerne, daß es aus geschäftlichen Gründen geschieht. Denn tatsächlich habe ich den einen oder anderen Auftrag hier bekommen. Aber diesmal benutzte ich diesen Vorwand nicht. Ich wollte ganz einfach etwas anrüchige Luft einatmen. Zwanzig Minuten hatte es gedauert, um mit der Schnellbahn die Slums zu erreichen. Zehn weitere Minuten nahm es in Anspruch, mir durch die sensationshungrige Gesellschaft, die sich träge durch die winkeligen Straßen schob, einen Weg zum »Ehrlichen Halsabschneider« zu bahnen. In allen Räumen des Lokals herrschte reger Betrieb; die Robots kamen nicht damit nach, Getränke zu servieren, Geld umzuwechseln und die Betrunkenen hinauszuwerfen. Wie immer war am Tisch von Vierarm-Crabbel am meisten los; eine unheimliche Stille machte sich breit, wenn er die vier Becher schüttelte und mit seiner wesenlosen Stimme die Spieler zum Setzen aufforderte; nachdem die Einsätze erlegt worden waren, hörte man nur das Rollen der Würfel, danach folgten erleichterte Seufzer und handfeste Flüche. Ich drückte mich an einigen Kiebitzen vorbei, bis zum Rand des runden Spieltisches, um den acht Spieler saßen. Bis auf einen waren es alle Profis, von denen man besser die Finger ließ, und der eine war auch nicht gerade der Typ, mit dem man sich anlegen sollte. Jung, muskelbepackt, mit dicken Augenbrauen, die auf der niedrigen Stirn einen durchgehenden schwarzen 34
Strich bildeten. Am markantesten aber waren wohl seine kleinen, gemein blickenden Augen. Ich versuchte mich zu erinnern, woher ich diesen Mann wohl kennen mochte. Ich wäre nie dahintergekommen, wenn mein Blick nicht zufällig auf die eine Wand gefallen wäre, wo ein 3D-Plakat verkündete: Killing Mac macht alle zur Schnecke! Der gekrönte König des belleon-fressakischen Ringens sucht in Brandistadt einen Meister. Und darunter befand sich das Bild des jungen Muskelpakets vom Spieltisch, wie er einem Gegner gerade einen Knoten ins linke Bein machte. Ein Robot schob sich diskret an meine Seite. »Entschuldigen Sie, Herr«, surrte er. »Aber Sie haben beim Betreten des Kasinos Ihre Credit-Karte nicht vorgewiesen.« »Ich gehöre zu Mac«, sagte ich herablassend, und da ich auch nicht gerade den Muskelschwund habe, nahm er mir den Leibwächter des belleon-fressakischen Ringers ab. Der Robot verdrückte sich wieder, und ich rückte näher an Mac heran. Als Vierarm-Crabbel wieder die Becher fürs nächste Spiel durchschüttelte, beugte ich mich schnell zu Killing Mac hinunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Jetzt müßte man auf die rote Vier setzen.« Mac beachtete mich überhaupt nicht, aber er setzte zwanzig Credits auf die rote Vier. Er war vorsichtig, der Junge! Dasselbe konnte ich von mir nicht behaupten, denn mit meinem Tip riskierte ich unter Umständen einige Knochenbrüche. Kein Wunder also, daß ich Schweißausbrüche bekam, als die zwölf Würfel über den grünen Filz rollten. Ich wagte gar nicht hinzusehen, als sie zum Stillstand kamen. Ich riskierte erst einen Blick, nachdem ich einen anständigen Knuff in die Seite erhielt. Die rote Vier war tatsächlich gekommen. Killing Mac strich den sechsfachen Einsatz ein. 35
Das war ein guter Beginn. »Was jetzt?« wollte Mac von mir wissen. Zwei Augenpaare, die zu Kleiderschränken von Männern links und rechts von ihm gehörten, beobachteten mich scharf. »Ich muß erst abwarten, wie Crabbel die Becher schüttelt«, meinte ich. »Vorher läßt sich nichts sagen.« Er war zu ungeduldig, wartete meinen Tip erst nicht ab, sondern setzte auf die gelbe Vier. Ich an seiner Stelle hätte auf einen Doppeldreier gesetzt – und hätte gewonnen. Denn es lagen wirklich zwei Würfel mit der Drei nach oben. Killing Mac setzte noch einige Male im Alleingang, büßte dabei aber vierhundertzwanzig Credits ein. Das veranlaßte ihn, es wieder mit mir zu versuchen. Ich riet ihm die grüne Sechs, er setzte einen Hunderter und gewann. »Sind Sie hier angestellt?« wollte einer der beiden Leibwächter wissen, die Mac flankierten. »Nein«, antwortete ich. »Keine Sorge, ich will Ihren Schützling nicht einseifen.« »Aber Sie können jeden Wurf voraussagen«, warf mir der andere vor. »Fast jeden«, berichtigte ich. »Das kommt daher, weil ich Vierarm-Crabbels Bechergymnastik schon seit einigen Jahren studiere. Sehen Sie nur hin. Wenn sein mittleres Auge leicht zuckt und eines seiner Spitzohren sich leicht einrollt, dann kommt mit achtzigprozentiger Sicherheit die blaue Vier. Das ist ein Reflex bei ihm, gegen den er nicht ankommt.« Mac sagte ruhig: »Zweihundert auf die blaue Vier.« Er markierte die fünf blauen Augen an seinem Platz und legte zehn Zwanzig-Credit-Scheine darauf. Er verlor. »Ich habe gesagt, daß nur eine achtzigprozentige Sicherheit besteht«, rechtfertigte ich mich. 36
»Worauf soll ich vierhundert setzen?« erkundigte sich Mac mit der ihm eigenen Ruhe. Ich wartete auf verräterische Anzeichen in Crabbels Miene, während er mit den Würfelbechern jonglierte, aber er gab sich diesmal nur eine geringe Blöße. Ich riet Mac, auf einen Doppelzweier zu setzen, da konnte nicht viel schiefgehen. Er gewann damit auch tatsächlich, aber er war unzufrieden, weil er nur den doppelten Einsatz ausbezahlt bekam. Das Spiel ging danach so auf und ab. Trotzdem konnte Killing Mac mit mir zufrieden sein, denn nach einer Stunde verdankte er mir einen Nettogewinn von fast zweitausend Credits. Im Stillen rechnete ich mir meinen Anteil davon aus. Normalerweise nehme ich zwanzig Prozent für meine Tips, aber bei Mac würde ich mich wegen der ungünstigen Umstände auch mit der Hälfte zufriedengeben. Plötzlich bemerkte ich, wie Crabbels Nasenhaare sich kaum merklich kräuselten. »Setzen Sie alles auf die gelbe Eins«, flüsterte ich Mac erregt zu. »Alles?« »Ja«, drängte ich, »schnell, bevor es für den Einsatz zu spät ist.« Mac markierte die gelbe Eins und schob seinen ganzen Banknotenberg darüber. Crabbel würfelte die gelbe Eins! Der Ringer grinste zufrieden vor sich hin, während er sich die Taschen mit den Banknotenbündeln vollstopfte. Einer der Leibwächter schlug mir anerkennend auf die Schulter, daß ich meinte, das Schlüsselbein müsse mir brechen. Aber ich ließ es über mich ergehen, schließlich würden ungefähr eintausendzweihundert Credits für mich herausspringen. Killing Mac und seine beiden Leib Wächter hatten genug vom Spiel. Sie drängten sich durch die Kiebitze dem Ausgang zu. Auf der Straße holte ich sie ein. »Ganz schön gewonnen, Mac, nicht?« sagte ich launig. 37
Der Fußknotenspezialist lächelte. »Das verdanke ich dir«, sagte er und überreichte mir mit einer großzügigen Geste ein Fünf-Credit-Stück. »Mein Honorarsatz für Tips beträgt eigentlich zwanzig Prozent«, sagte ich. Als ich aber die eisige Ablehnung in seinen Augen sah, fügte ich schnell hinzu: »Aber diesmal will ich mich ausnahmsweise mit zehn begnügen.« Er baute sich vor mir auf und stemmte die Fäuste in die Seiten. Ohne mich aus den Augen zu lassen, sagte er mit seiner stets ruhigen Stimme zu seinen Leibwächtern: »Jungens, geht mal und ruft Mr. Sarghi an. Fragt ihn, ob es mir nach terranischem Recht verboten ist, diesem Kerl hier eins auf die Nase zu geben.« »Schon gut, schon gut«, beschwichtigte ich Killing Mac und setzte mich schleunigst ab. Ich hörte sie noch hinter mir grölen, dann war ich in der Menge verschwunden. Ich bin nicht gerade ein Feigling, besitze aber einen gesunden Selbsterhaltungstrieb. Doch nicht dieser ließ mich den Rückzug antreten, sondern die Nennung des Namens Sarghi. Charly hatte angedeutet, daß mein voraussichtlicher Kunde einen Champion manage. Und wenn Killing Macs Mr. Sarghi mit meinem identisch war, dann konnte das Geschäft verdorben werden, wenn ich mich mit seinem Schützling anlegte. Deshalb, und nur deshalb trat ich den Rückzug an. * Es war zwanzig nach sieben, als ich in unserem Büro ankam. Nirgends brannte Licht. Ich durchsuchte alle Räumlichkeiten, aber weder Ernie noch sein robotischer Kuhmelker waren zu Hause. Nur Blessy war da und begrüßte mich von der Terrasse mit einem mürrischen »Muh«. 38
Kein Wunder, daß sie unzufrieden war, es mußte ihr dort draußen recht unheimlich zumute sein – allein, ohne Aufsicht, umgeben von Tausenden von Lichtern der Großstadt, für die ihr kleines Gehirn keine Erklärung finden konnte. Sie war es gewöhnt, abends in ihren Stall gebracht zu werden, den ihr Ernie in dem Raum eingerichtet hatte, der im Grundriß als Kinderzimmer eingetragen war. Es war recht seltsam, daß Ernie es versäumt hatte, Blessy zu versorgen. Vielleicht war das auf den seelischen Knacks zurückzuführen, den er durch den Verlust des Centauriciums erlitten hatte. Aber viel seltsamer war, daß er seine Milchkuh ohne Aufsicht gelassen hatte. Warum, um alles in der Welt, hatte er Felician zu der Besprechung mit Sylvie mitgenommen! Ich wollte sie gerade in der Redaktion anrufen, als das Visiphon anschlug. »PAN LABORIS«, meldete ich mich. Es war Charly, und er grinste über sein ganzes Fuchsgesicht. »Dreißig Prozent«, sang er vergnügt. »Du bekommst sie schon noch rechtzeitig«, sagte ich unwirsch. »Hast du denn nichts anderes als schnöden Mammon im Kopf?« »Bei dir nicht.« »Na, jedenfalls wirst du dich noch ein wenig gedulden müssen.« Sein Gesicht wurde düster. »Gumb, versuche nicht, mich übers Ohr zu hauen. Wir haben vereinbart, daß die dreißig Prozent bei Geschäftsabschluß fällig werden.« »Das Geschäft wurde noch nicht abgewickelt.« »So?« fragte er. »Ich habe etwas anderes gehört.« »Dann hat dich dein Informant angelogen.« »Hm«, machte er. »Wie du willst, Gumb, dann muß ich mich eben absichern.« Er ging mir langsam auf die Nerven. 39
»Ach, rutsch’ mir doch den Buckel ’runter«, sagte ich und tastete aus. Wieder kam ich nicht dazu, mich mit Sylvies Redaktion in Verbindung zu setzen, und wieder war die Ursache ein hereinkommendes Visiphongespräch. Ein Echsenschädel starrte mir vom Bildschirm entgegen. Aus dem grünen Schuppengesicht funkelten mich zwei rotglühende Augen abschätzend an, so, als wollten sie ergründen, ob ich für ein Mittagessen ausreiche. Aber der erste Eindruck täuschte, denn die Augen gehörten Joe Basich, dem Besitzer des »Ehrlichen Halsabschneiders«. Er war ein persönlicher Freund von mir und die Sanftmut in Person – wenn man ihm nicht in die Quere kam. Bevor ich ihn noch mit der gebührenden Freundlichkeit begrüßen konnte, sagte er mit seiner keuchenden Stimme, die an Asthma erinnerte: »Du schuldest mir zwölftausend Credits, Gumb.« Ich schluckte erst einmal. »Joe«, versuchte ich ihm dann zu erklären, »du bist drauf und dran, einem verhängnisvollen Irrtum zu unterliegen …« »Du warst heute bei mir«, schnitt er meine Rede ab. »Ja, aber …« »Du hast mit einem Burschen an Crabbels Tisch gestanden.« »Das schon …« »Und du hast ihm Tips gegeben.« »Aber verstehe doch, Joe, ich kenne den Kerl überhaupt nicht. Ich war nicht an seinem Gewinn beteiligt.« »Was hast du nur gegen mich, Gumb?« »Nichts, Joe.« »Aber du hast mitgeholfen, mir zwölftausend Pfifferlinge abzunehmen.« »Das war …« 40
»Die zwölftausend schuldest du mir jetzt.« »Es war ein faires Spiel«, versuchte ich ein letztes Mal. »Gumb«, meinte Joe Basich, und seine asthmatische Stimme klang kummervoll, »ich habe nichts dagegen, wenn du mit deinem eigenen Geld spielst und gewinnst. Ich kann das verschmerzen. Aber wenn du dich an irgendeinen Provinzler hängst und ihm die Taschen mit meinem Geld vollstopfst – das mag ich gar nicht.« Ich gab es auf. »In Ordnung, Joe, ich bin zerknirscht. Ich werde dir den Schaden ersetzen. Sagen wir, in drei Wochen.« »Nein«, lehnte er ab. »Meine Leute sind in einer Stunde bei dir.« Das Klicken der abgeschalteten Verbindung klang wie das Herabsausen eines Fallbeiles. In einer Stunde, hatte Joe gesagt. Ich blickte auf die Uhr. Es war zehn vor acht. Vielleicht konnte ich von diesem Mr. Sarghi fünfzehntausend Credits herausschinden. Dann wäre ich wenigstens fürs erste gerettet. Aber ein Blick auf den Vogelkäfig in Ernies Labor-Kuhstall ließ meine Hoffnung sinken. Ich konnte heilfroh sein wenn ich zehntausend dafür bekam. Es war zum Verzweifeln. Die Zeit verstrich unaufhaltsam – und auf einmal war eine halbe Stunde vorbei. Und Mr. Sarghi hatte noch kein Lebenszeichen von sich gegeben. Wenn er innerhalb der nächsten Viertelstunde nicht auftauchte, dann war es Zeit für mich, meinen Letzten Willen aufzusetzen. Ich, Gumbert Vrei, vermache meine Schulden und alles, was ich sonst noch habe. Es klingelte an der Tür. Ich hätte schwören mögen, daß ich noch nie im Leben so schnell das Büro durchquert, die Diele durcheilt und die Tür 41
geöffnet hatte. Doch meine Überraschung und Enttäuschung war groß. Nicht Mr. Sarghi stand in der Tür, sondern … »Entschuldige«, sagte Ernie, »aber ich habe meinen Schlüssel zu Hause vergessen.« Ich erwiderte nichts, ich war zu keinem Wort fähig. Er ging an mir vorbei, da ich wie zur Salzsäule erstarrt dastand. Bevor er ins Büro trat, drehte er sich nach mir um und sagte träumerisch: »So übel ist es gar nicht, mit einem weiblichen Wesen Konversation zu führen. Worauf wartest du noch, Gumb?« »Auf Felician.« Aber Felician kam nicht nach. »Schließe bitte die Tür«, verlangte Ernie und wandte sein Gesicht ab. Er holte etwas aus der Innentasche seines zerschlissenen Sonntagsanzuges und ließ es auf meinen Tisch flattern. »Wo ist Felician?« erkundigte ich mich. Es interessierte mich kaum, denn ich war mit anderen Problemen vollauf beschäftigt, aber ich fragte dennoch. »Hier«, sagte Ernie und deutete auf die schillernde Folie auf meinem Schreibtisch. Ich ging hin und hob sie auf. Es war ein Scheck der Terranischen Nationalbank. Er lautete auf achtundsiebzigtausend Credits. * Diese Nacht schlief ich schlecht. Das heißt, ich bekam kaum ein Auge zu. Und wenn ich schließlich doch eindöste, hatte ich Alpträume. Ernie hatte mir nicht gesagt, was sich zugetragen hatte, als Mr. Sarghi gekommen war. Aber ich hatte genügend Phantasie, 42
um mir einen Reim darauf zu machen, und der Rest fügte sich in meinen Träumen zusammen. Mr. Sarghi war etwas zu früh eingetroffen. Er sagte Ernie, daß er wegen des Kunstwerkes Felician komme. Eine Verwechslung, natürlich, aber Ernie glaubte, von mir damit bestraft zu werden, indem ich einen Käufer für seinen Melkroboter ausfindig gemacht hatte. Was Mr. Sarghi mit dem Robot auch anzufangen gedachte – vielleicht hatte er zu Hause auf seiner Heimatwelt eine Kuhherde –, er kaufte Felician für achtundsiebzigtausend Credits. Aber konnte es wirklich so gewesen sein, wie mein Unterbewußtsein mir vorgaukelte? Ich wußte nur, daß Mr. Sarghi zwei Stunden früher als vereinbart aufgetaucht war. Wenn man bedachte, welchen Preis Ernie für Felician erzielt hatte, mußte man ihn bewundern. Aber andererseits, wenn man bedachte, welchen Verlust er dadurch erlitt, waren achtundsiebzigtausend Credits wenig. Ernie konnte doch nicht wirklich glauben, ich hätte von ihm verlangt, er müsse sich von Felician trennen. Er sollte mich doch besser kennen … Ich hätte zufrieden sein können, denn ich hatte Joe Basichs Schuldeneintreiber mit zwölftausend Credits abgefunden, ich fertigte Charly mit dreiundzwanzigtausend ab, überwies unsere Schuld ans Finanzamt und an die Erste Hyperfrequenz und beglich die anderen restlichen Rechnungen – und für die Kasse der PAN LABORIS verblieben immer noch siebenundzwanzigtausend Credits. Das war doch ein Grund zum Feiern! Oder nicht? Nein, das war es nicht. Ich konnte nicht schlafen. Irgend etwas fehlte mir, und ganz besonders mußte dieses Etwas Ernie abgehen. 43
Es war vier Uhr früh, und ich hielt es nicht mehr im Bett aus. Ich verließ mein Schlafzimmer, schlenderte durchs Büro, durch Ernies Labor-Kuhstall – draußen auf der Terrasse begegnete ich meinem Partner und Schwerenöter. Er saß, nur mit seinem knöchellangen Nachthemd bekleidet, auf dem Rasen und spielte mit den Grashalmen, an denen vor kurzem Blessy geknabbert hatte. »Blöder Kerl«, schimpfte ich ihn. »Es gab keine andere Möglichkeit.« »Aber natürlich hätte sich noch ein anderer Weg gefunden.« »Jetzt hat es keinen Zweck mehr, darüber zu sprechen.« »Vielleicht doch.« Im Osten färbte sich der Himmel bereits hell, und vielleicht kam mir dadurch die Erleuchtung. »Wo ist der Vertrag?« »Was willst du damit?« »Vielleicht findet sich darin ein Passus, der es uns ermöglicht, Felician zurückzuholen.« Er schüttelte den Kopf, warf einige Halme spielerisch in die Luft. »Mr. Sarghi ist nicht nur Manager, sondern auch Rechtsgelehrter.« »Aber wir müssen etwas unternehmen!« schrie ich ihn an. »Was liegt denn dir an Felician!« »Ich spreche auch nicht von mir, sondern von dir.« Eine lange Weile schwieg er, dann sprach er. »Ich habe mir alles überlegt, Gumb. Mir ist es früher nie aufgefallen, denn du weißt, daß ich unaufmerksam und zerstreut bin. Aber jetzt habe ich alle meine Verfehlungen addiert und mit Schrecken festgestellt, wie viele es sind. Ich bringe dir nichts als Ärger, Gumb, deshalb wäre es das beste, wenn ich …« »Halt den Mund!« fuhr ich ihn an. Leiser fuhr ich fort: »Ernie, was ist denn nur in dich gefahren? Wie kannst du nur daran 44
denken, alles aufzugeben, unsere Freundschaft, unsere Arbeit, nur weil das mit dem Centauricium passiert ist.« »Eines hat das andere ergeben. Und, Gumb, es wird kein Abschied für immer sein. Mein Vertrag läuft nur auf ein Jahr.« »Welcher Vertrag?« »Glaubst du, ich hätte Felician alleine gehen lassen? Blessy kommt natürlich auch mit. Mr. Sarghi brauchte unbedingt einen Fachmann, der Felician betreuen soll, und wer wäre dazu geeigneter als ich?« Er lächelte mir aufmunternd zu. »Wenn sich die PAN LABORIS unter deiner alleinigen Führung wieder etwas erholt hat, dann komme ich zurück und werde den Ruin von neuem vorbereiten.« »Du blöder Kerl«, sagte ich. Hatte er es in seiner Naivität doch tatsächlich fertiggebracht, einen Vertrag zu unterschreiben, der ihn für ein Jahr von der PAN LABORIS trennte! Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen. »Wann startest du?« fragte ich schließlich. »Heute abend noch.« »Welches Schiff?« »Penumbra.« Ich wandte mich ab, ging zum Visiphon und ließ mir von der Auskunft eine Adresse geben. Mit der Schnellbahn fuhr ich hin. Die seltsamen Blicke, die mir die wenigen Fahrgäste zuwarfen, ließen mich kalt. Mich konnte nichts mehr berühren. An meiner Zielstation angelangt, stieg ich aus, fuhr mit dem Lift zwanzig Etagen hinauf, ging einen langen, leeren Korridor entlang und blieb vor einer Tür stehen, die aussah, wie tausend andere auch. Aber es war eine besondere Tür. Ein Mensch wohnte dahinter. Der einzige Mensch in dieser großen Stadt, an den ich mich in meiner Situation wenden konnte. Ich läutete. 45
Die Tür wurde nach einer Ewigkeit geöffnet. Sylvie sagte: »Du bist im Schlafanzug!« Ich sagte: »Ich brauche Hilfe.« Mehr brauchte ich nicht zu sagen. Sie ließ mich ein. Ich hatte ja gewußt, daß ein Mensch hinter dieser Tür wohnte.
4. Wenn ich früher von Raumschiffen gesprochen habe, dann dachte ich ausschließlich an Antigravfelder, die immer zum ungünstigsten Zeitpunkt verrückt spielten, und an nicht funktionierende Lufterneuerungsanlagen. Aber das war, weil ich mit dem Begriff »Raumschiff« immer unsere firmeneigene Sternenkiste in Verbindung brachte. Künftighin werde ich mit mehr Hochachtung von Raumschiffen sprechen. Und das nur wegen der Penumbra. Junge, Junge, war das ein Schiff! Wegen seiner Größe – ein Kilometer Länge! – konnte es auf keinem Planeten landen. Wir mußten uns mit Zubringerraketen in die Umlaufbahn hinaufschießen lassen, auf der es die Erde umkreiste. Dabei dachte ich an Bessy und hoffte, daß das arme Vieh diese unkomfortable Beförderungsart gut überstehen würde. Und Ernie! Er war nämlich nicht raumtüchtig, wenn Sie wissen, was ich meine. Ihm wurde schon übel, wenn er nur den Geruch des Weltalls wahrnahm. Ich weiß, das klingt unlogisch, denn wie soll das Vakuum denn riechen, aber es war genau Ernies Ausdruck. Für die nächsten Stunden allerdings konnte ich nicht viele Gedanken an meinen Partner verschwenden, ich wurde anderweitig zu sehr in Anspruch genommen. Da war zuerst einmal Sylvie. Sie saß ich einem ihrer aufregenden Leichtmetallkleider neben mir in der Zubringerrakete. 46
»Gute Nachricht«, sagte sie. »Die Redaktion hat die Spesen dieser Reise übernommen. Für uns beide!« Das wollte mir nicht einleuchten. »Was hat die Terra-Chronik denn davon? Glaubst du etwa, daß sich eine Story aus unserem Unternehmen machen läßt? Ich nicht. Ich will meinen Partner, dessen Robot und die Kuh zurückholen.« Sie lächelte nur geheimnisvoll. »Ist dein Artikel über die Hungerleider-Unternehmen Terras schon abgeschlossen?« fragte ich. Sie wurde ernst. »Sprechen wir nicht darüber.« Und sie blieb auch weiterhin verschlossen. Ein Lächeln zeigte sie erst dann wieder, als ich sie in ihrer Kabine auf der Penumbra ablieferte. Aber auch dann war es nicht herzlich, sondern eher traurig, oder was weiß ich – ich kannte ja nicht die Gefühle, die dahintersteckten. Aber soviel wußte ich, daß mit ihr nicht alles in Ordnung war. Sie sagte, sie wolle sich etwas zurechtmachen und mich in vier Stunden auf Deck drei in der Schwimmhalle treffen. Bevor ich ihr noch gestehen konnte, daß ich Nichtschwimmer sei, schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Ich seufzte, gab dem Roboter, der unsere Koffer hergeschleppt hatte, ein unansehnliches Trinkgeld, schloß meine Kabine, die der Sylvies gegenüberlag ab und plante, die verbleibenden vier Stunden für Erkundigungen zu nutzen. Einiges fand ich auch heraus, aber es war nicht überwältigend viel. Aus der Passagierliste ersah ich, daß Mr. Sarghi und sein Stab auf demselben Deck wie Sylvie und ich etabliert waren, nur fünfhundert Meter in gerader Linie von uns entfernt. Ernie und Felician waren auch genannt, nur Blessy fehlte. Aber das war nicht verwunderlich, da sie sicher unter »Lebender Fracht« geführt wurde. Aus dem Veranstaltungskalender erfuhr ich, daß Killing Mac 47
während der zwanzig Tage dauernden Fahrt nach Fressak VI fünf Kämpfe an Bord des Schiffes austragen würde; drei davon sollten in vollkommener Schwerelosigkeit stattfinden. Weiter standen einige Bälle und andere Vergnügungen für die Passagiere auf dem Plan. Für zwanzig Credits verschaffte ich mir eine Fotokopie der Passagierliste und zog mich in die Bar der Schwimmhalle zurück, um nach bekannten oder interessanten Namen zu forschen. Ich durfte nicht müßig sein, denn die Möglichkeit, daß sich auf der Penumbra eine Gelegenheit zum Geldverdienen ergeben könne, durfte nicht außer acht gelassen werden. Vielleicht kam genügend zusammen, um damit Ernie und Felician freizukaufen … Die vier Stunden waren fast um. Ich borgte mir eine Badehose mit eingebautem Schwimmkerl und stieg über die Treppe vorsichtig hinein ins kühle Naß. Es vergingen kaum zehn Minuten, in denen ich lustig im Becken für Nichtschwimmer plantschte und ausprobierte, ob der unsichtbare Schwimmkerl auch in der Lage war, mich über Wasser zu halten – da erblickte ich Sylvie. Ich verschluckte mich an einer heranrollenden Welle, weil ich bei ihrem Anblick vergessen hatte, den Mund zu schließen. Sylvie bot einen göttlichen Anblick in dem enganliegenden Trikot. Überflüssig zu sagen, daß ihr Badeanzug aus einem Metallgewebe gearbeitet war. Metall! Metall! Trug dieses Mädchen nichts anderes als Metall am Körper? Da ich mich vollkommen auf den Schwimmkerl verließ, folgte ich Sylvie ins tiefere Becken. Bald fühlte ich mich sicher und teilte das Wasser in recht forscher Manier. Ich fand, daß ich meine Sache gut machte, aber Sylvie war nicht mit mir zufrieden. »Strecke das Hinterteil doch nicht so weit aus dem Wasser«, rügte sie. 48
Ich konnte ihr ja nicht gut sagen, daß der Motor des Schwimmkerls dort saß und mir einen solchen Auftrieb verlieh. »Das ist eben mein Stil«, rechtfertigte ich mich. »Schöner Stil«, lachte sie und drückte mich unter Wasser. Das heißt, sie versuchte es. Denn kaum berührte sie den Motor des Schwimmkerls, da zog sie ihre Hand mit einem erschreckten Aufschrei zurück. »Bist du etwa elektrisch geladen?« hörte ich sie noch fragen, dann schlugen auch schon die Wellen über mir zusammen. Mein letzter Gedanke war noch, daß der Schwimmkerl mich schmählich im Stich ließ, dann ging ich unter. * Ich kam in der Hölle wieder zu mir. Der Leibhaftige persönlich beugte sich über mich. Er hatte zwei Hörner, die unmittelbar oberhalb der Froschaugen horizontal von der Stirn abstanden. Der v-förmige Mund in dem pechschwarzen Gesicht war zu einem schadenfrohen Grinsen verzogen. »Wann beginnen die Tantalusqualen?« erkundigte ich mich ängstlich. Der Leibhaftige zischte, dann wandte er sich an jemand, der sich außerhalb meines Gesichtskreises befand. »Er hat den Schock noch nicht ganz überwunden«, sagte er mit einem breiten Akzent. Dann widmete er sich wieder mir. Er maß mit einem recht modernen Gerät meinen Puls, drehte mich auf die Seite und klopfte mir den Rücken mit einem kalten, hammerähnlichen Ding ab. »Sie sind wieder vollkommen in Ordnung, Herr Vrei«, stellte er dann zufrieden fest. »Sie haben zwar eine Menge Wasser geschluckt, aber daraus werden sich keine schädlichen Nachwirkungen ergeben. Sie können aufstehen.« 49
Das tat ich. Zu meiner Erleichterung sah die Hölle so aus wie die Schwimmhalle auf Deck drei der Penumbra und die Leute, die mich gaffend umstanden, hatten weder Hörner noch sonstige teuflische Attribute. Sylvie war auch da. »Dein Leben verdankst du Dr. Jodrell«, sagte sie und zeigte auf den Leibhaftigen. »Bevor ich dir noch beistehen konnte, war er schon heran und hat dich aus dem Wasser gezogen.« Ich murmelte Worte des Dankes und schüttelte Dr. Jodrells schwarze Flossenhand. »Keine Ursache«, versicherte er mit seiner zischenden Stimme und watschelte dabei aufgeregt vor mir her. Ich hatte die Situation inzwischen schon soweit erfaßt, daß ich mit ruhigem Gewissen behaupten konnte, mich nicht in der Hölle zu befinden, und was ich im ersten Moment für den Leibhaftigen gehalten hatte, war ein freundlicher Wasserbewohner von Belleon, von der Gattung Homo sirenia, und männlichen Geschlechts – ein Seestier also gewissermaßen. Da er mir das Leben gerettet hatte, lud ich ihn und seine Frau auf einen Drink an der Bar ein. Ich hatte keine Ahnung, was Seestiere eigentlich trinken, deshalb ließ ich ihn selbst wählen. Er trank Gin – und wie! Nach dem zehnten Glas begann er über sich zu erzählen. Er sei Sportarzt, sagte er, und betreue den belleonischen Champion im klassischen belleon-fressakischen Ringen, der Orfus Borus hieß. Da ich den Veranstaltungskalender studiert hatte, konnte ich mitreden. »Kämpft Ihr Schützling nicht morgen gegen Killing Mac?« sagte ich. »Ja.« Dr. Jodrell schüttelte bekümmert den Kopf. »Es ist eine 50
Schande. Früher einmal war das Befringen – der belleonfressakische Ringkampf – eine überall anerkannte Sportart, wo Männer ihren Mut und ihre Geschicklichkeit beweisen konnten. Es war ein Sport, der wirklich noch den Amateuren gehörte. Aber seitdem findige Manager sich des Befringens angenommen haben, geht es nur noch ums Geld. Was hat das noch mit Körperertüchtigung und fairem Kampf zu tun, wenn mittels aller technischer Raffinessen Champions regelrecht gezüchtet werden. Leute wie Mr. Sarghi sind die Totengräber des Amateurismus!« »Aber Malfi«, rügte seine Frau, »du sollst dich öffentlich nicht so gehenlassen.« »Soll er mich nur wegen Ehrenbeleidigungen belangen«, wetterte der Seestier weiter. »Ich werde auch vor Gericht zu dem stehen, was ich gesagt habe.« Sylvie wollte gerade etwas sagen, aber ich kam ihr zuvor. »Bei uns brauchen Sie sich kein Blatt vor den Mund zu nehmen, Dr. Jodrell«, ermunterte ich ihn. »Wir finden nämlich auch, daß Mr. Sarghi der Totengräber des Amateurismus ist. Nicht wahr, Sylvie?« »Ganz deiner Meinung, Gumb«, pflichtete sie mir bei. Was für ein intelligentes Mädchen sie war; sie erkannte sofort, daß ich etwas im Schilde führte. »Sie kennen Mr. Sarghi?« fragte Dr. Jodrell mißtrauisch. »Nicht persönlich«, sagte ich schnell. »Aber ich weiß um seine unsportlichen Methoden. In meinem Beruf muß man über alles unterrichtet sein.« »Ihr Beruf?« fragte Dr. Jodrell interessiert. »Was treiben Sie denn so, Herr Vrei?« Es wäre jetzt sehr eindrucksvoll gewesen, wenn ich in die Tasche hätte langen können, um ihm wortlos meine Visitenkarte zu übergeben. Aber ich hatte nur eine Badehose an, deshalb 51
mußte ich ihm meine Tätigkeit mit einigen wenigen blumenreichen Worten erklären. »Sie tun also alles!« sinnierte er. Würde er anbeißen? »Alles«, bestätigte ich, schränkte aber sofort ein: »Doch muß ich es mit meinem Gewissen vereinbaren können.« »Ja, sicher«, sagte er irgendwie abwesend; ich konnte die Relais in seinem Seestiergehirn fast klicken hören. »Aber Sie selbst haben angedeutet, daß Sie Mr. Sarghis unsportliche Methoden, äh, nicht gerade gutheißen.« »Ich verdamme sie geradezu!« rief ich temperamentvoll. Sylvie warf mir einen Blick zu, der wohl zu besagen hatte, daß ich in Zukunft etwas weniger dick auftragen solle. Das beherzigte ich. »Vielleicht hätte ich Arbeit für Sie«, sagte Dr. Jodrell. Jetzt war er es, der von seiner Seekuh einen warnenden Blick einstecken mußte. »Laß nur, Roschi«, sagte er ungalant. »Ich weiß schon, was ich zu tun habe.« Die Zurechtweisung war seiner Roschi peinlich, das zeigte sich daran, daß ihre schwarze, ledrige Gesichtshaut purpurn wurde. »Was für Arbeit wäre das?« fragte ich so, daß es mehr höflich als interessiert klang. »Ich habe noch keine genaue Vorstellung«, gab er zu. »Aber irgend etwas muß gegen Mr. Sarghi unternommen werden, das steht fest. Und zwar schnell, noch bevor der morgige Ringkampf in Szene geht.« Ich wollte wissen, warum es ihm so eilig war, und er sagte es mir. »Mr. Sarghi hat einen robotischen Masseur für Killing Mac engagiert«, berichtete er betrübt. »Dieser Robot soll mit seinen 52
Fingern Wunderdinge vollbringen können, habe ich mir sagen lassen. Wenn das stimmt, dann hat Killing Mac meinem Schützling gegenüber einen großen Vorteil.« »Sie könnten ebenfalls einen robotischen Masseur engagieren.« »Das verstößt gegen die Regeln.« »Und Mr. Sarghi ist nicht an die Regeln gebunden?« »Die Kampfregeln beim Befringen wurden auf Belleon und Fressak festgelegt«, erklärte mir Dr. Jodrell, »und dort hält man sich auch daran. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber hier im Niemandsland des Weltraums gilt das Galaktische Gesetz – oder höchstens das terranische, weil die Erde unsere letzte Station war. Deshalb kann ich auch nicht darauf bestehen, daß die belleon-fressakischen Kampfregeln eingehalten werden. Wir halten uns daran, und wenn Mr. Sarghi ein Ehrenmann wäre, würde er dasselbe tun.« »Das wäre doch eine Begründung für Sie, den Kampf nicht austragen zu lassen«, meinte ich. Das wies er strikt von sich. »Unmöglich! Niemand an Bord der Penumbra hätte Verständnis dafür. Schließlich wurden bereits tausend Karten für die morgige Veranstaltung verlauft. Nein, nein, der Kampf muß stattfinden. Aber der robotische Masseur muß ausgeschaltet werden, sonst hat Orfus Borus keine Chancen.« »Sie können sich mir anvertrauen«, beruhigte ich ihn. »Sie würden diesen Auftrag übernehmen?« Seine Fischaugen starrten mich an wie eine Heiligenerscheinung. »Nicht nur das – ich kann Ihnen schon einen Erfolg garantieren«, versprach ich und überging, daß mich Sylvie anstieß. Ich untermalte mein Versprechen mit den poetischen Worten: »Weißt du weder aus noch ein, laß PAN LABORIS dein Helfer sein, denn in neunzig von hundert Lebenstücken, wird dich PAN LABORIS mit Erfolg entzücken.« 53
Dr. Amalf Jodrell starrte mich verblüfft an, dann verzog sich sein Mund zu einem grinsenden V. »Gut«, sagte er, »ich beauftrage Sie hiermit, zu verhindern, daß der Roboter Killing Mac vor dem morgigen Kampf betreut. Sagen wir, zehn Stunden vorher muß er ausgeschaltet sein.« »Abgemacht!« Wir bekräftigten unser Abkommen, indem wir uns gegenseitig einen Backenstreich verabreichten. Das war so Sitte auf Belleon. »Und nun zur Honorarfrage«, sagte ich. »Was verlangen Sie?« Ich hatte mir vorher schon alles ausgerechnet. Wenn Felician für Mr. Sarghi nicht mehr als Masseur zu gebrauchen war, dann würde er ihn billiger abstoßen. Da die Terra-Chronik die Kosten dieser Reise finanzierte, würden mir selbst nach Abzug kleinerer Spesen etwa zwanzigtausend Credits bleiben … »Fünfzigtausend Credits«, sagte ich. »Das ist viel.« Der Seestier wiegte den Kopf. »Aber wenn der Amateurismus dadurch eine Chance erhält, soll es mir das wert sein. Fünfzigtausend Credits also.« Wir ohrfeigten uns wieder. Er nannte mir seine Kabinennummer, wo ich ihn oder einen seiner Leute zu jeder Zeit erreichen konnte. Dann erhob er sich fast gleichzeitig mit seiner Seekuh und wollte sich verabschieden. »Wollen Sie nicht meinen Schlachtplan hören?« erkundigte ich mich verwundert. »Nein«, sagte er. »Es bleibt ganz Ihnen überlassen, wie Sie vorzugehen gedenken. Tun Sie, was Sie für richtig halten – nur weihen Sie mich nicht in Ihre Pläne ein. Ich will mich da heraushalten, denn ich achte das Gesetz!« »Selbstverständlich werde ich Ihre Achtung vor dem Gesetz respektieren.« Ich deutete einen Diener an. 54
Als ich mit Sylvie allein war, konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich lachte los, bis mir die Tränen kamen. Sylvie wartete geduldig, bis ich imstande war, ihr den Grund meines Heiterkeitsausbruchs zu erklären, »Stell dir vor, Felician, Ernies Melkrobot, als Wundermasseur!« »Und das soll lustig sein?« fragte sie todernst. »Ja.« Und ich lachte wieder los.
5. Sylvia ging zu Bett. Ich legte mich ebenfalls hin – das heißt, ich tat nur so. Sylvie konnte ich bei meinen jetzigen Unternehmungen nicht gebrauchen. Was getan werden mußte, mußte ich allein bewerkstelligen. Meine fünf Koffer standen immer noch so da, wie sie der Gepäckrobot hingestellt hatte. Ich nahm den größten und schwersten – er trug die Aufschrift PAN LABORIS auf beiden Breitseiten groß und leuchtend – und stellte ihn auf die Kommode. Das Spezialschloß ließ sich durch Druck meiner Daumenkuppen öffnen, der Deckel sprang auf. Der Inhalt des Koffers bestand aus einer Unzahl von verschiedenen Geräten und Apparaten. Es war die Spezialausrüstung der PAN LABORIS, die auf jede Einsatzfahrt mitgenommen wurde. Ich wußte noch nicht, was ich eigentlich gegen Mr. Sarghi unternehmen sollte, aber wenn ich den Krimskrams vor mir lange genug betrachtete, würde mir schon etwas einfallen. Ich nahm eine Spraydose in die Hand und las die angeheftete Gebrauchsanweisung durch. Insektenvertilgungsmittel, stand in Ernies Handschrift darauf, wirkt gegen mindestens 500.000 Arten lähmend. 55
Nicht zu gebrauchen. Ein schwarzes Gewebe kam mir in den Griff, das einem abgeschnittenen Strumpf ähnelte. Gebrauchsanweisung: über den Kopf streifen. Aha! Wirkung: schützt für die Dauer einer Viertelstunde vor jeglichen Unbilden (Wetter, Kälte, giftige Atmosphäre, etc. Achtung: Atemmaske unerläßlich. Ebenfalls nicht zu gebrauchen. Einige andere Geräte, mit denen man harmlose Taschenspielertricks vollführen konnte, legte ich unbesehen zur Seite, weil ich sie schon kannte. Das zusammenlegbare Zweirad – Spitzengeschwindigkeit 145 km/h, Gewicht: 750 Gramm – war ebenfalls für mein Unternehmen nicht einzusetzen. Ebenso unbenutzbar waren für mich der automatische Fliegenfänger, das Haarfärbemittel mit begrenzter Dauer und »der Löffel für das eßunlustige Kleinkind«. Bezeichnungen wie Bestien-, Fremdwesen- und Psychopathen-Indikatrix, vulpilasches Rohr, Vulpilanometer und Spektrovulpilator waren zu nichtssagend für mich. Da fiel mir ein Lederetui in die Hände, das die Aufschrift Allzweck-Besteck trug. Ernie versicherte in seiner Gebrauchsanweisung, daß kein Schloß vor dem Allzweck-Besteck sicher sei, daß man damit Komputer und Humanroboter steuern könnte und daß es fast ebenso einfach sei, sich damit Zehen und Finger zu maniküren. Wenn sich unter der Spezialausrüstung überhaupt etwas Brauchbares befand, dann war es das Allzweck-Besteck. Ernie hatte sogar einige recht nützliche Schemata beigelegt. Trotzdem rauchte mir der Kopf, während ich mich durch den technischen Kram hindurcharbeitete. Aber endlich war es soweit. Wohlgerüstet konnte ich mich ins Abenteuer stürzen. 56
Da schlug das Visiphon an. Ich schaltete nur auf Tonwiedergabe. »Schläfst du schon?« erkundigte sich Sylvie. »Fast – ich komme gerade aus dem Bad.« »Ich bin sehr müde«, sagte sie mit schläfriger Stimme. »Dann gute Nacht.« »Gute Nacht.« * Jedes Kind weiß, daß es auf einem Raumschiff weder Tag noch Nacht gibt. Um aber dem Menschen den gewohnten Lebensrhythmus nicht zu rauben, sind auf manchen Schiffen Dunkelperioden eingeführt, die die Schlafenszeit ankündigen. Nicht so auf der Penumbra. Obwohl bereits nach 24 Uhr, waren die Korridore, die Geschäftsviertel und Vergnügungszentren so belebt wie zu jeder anderen Zeit. Wer Lust auf Schlaf oder Entspannung hatte, der ruhte sich aus, wann es ihm gerade paßte. Der Tag auf diesem Luxusraumer hatte vierundzwanzig Stunden. Die Zimmerflucht, die von Mr. Sarghi und seiner Gefolgschaft gebucht worden war, lag direkt unter der Sporthalle. Ich legte die fünfhundert Meter bis dorthin im Schlendern zurück. Hier herrschte eine ganz andere Atmosphäre als im übrigen Schiff. Die Leute, die hier verkehrten, zeigten mehr Hast und Geschäftigkeit als anderswo. Man konnte ganz leicht vier Gruppen unterscheiden. Da waren zuerst einmal die Sportfunktionäre, die aus Türen herausstürmten und wieder hinter anderen verschwanden; den dazwischenliegenden Weg legten sie mit Gebrüll und wildem Gestikulieren zurück. Dann kamen die Reporter, die scheinbar müßig herumlungerten. Zeigte sich aber ein eventuelles Opfer, dann fielen sie darüber her und versuchten, es auszuholen. 57
Schließlich gab es die Neugierigen und – die Sicherheitsoffiziere in Zivil. Ich erkannte sie sofort an den stechenden Blicken, die sie mir und allen anderen Neuankömmlingen zuwarfen, und prägte mir ihre Gesichter ein. Einer von ihnen stand plötzlich wie zufällig neben mir. »Schönes Handtäschchen haben Sie da«, meinte er und deutete auf das Necessaire mit dem Allzweck-Besteck. »Wirklich?« tat ich geschmeichelt. »Ich gehe eben mit der Mode. Männer mit Handtasche haben nämlich ein besonderes Image. Was bedeutet eigentlich dieser Menschenauflauf?« »Das wissen Sie nicht?« Er betrachtete mich prüfend. »Die Champions trainieren!« Ich stellte mich dumm. »Gibt es tatsächlich eine humanoide Pilzrasse?« In seinem Gesicht zuckte es. »Äh, Sie meinen wohl Champignons!« Er lachte, und das hörte sich an, als käme ein Donner aus seiner Brust. »Er meint eine Champignon-Rasse!« Grölend verließ er mich, um den albernen Witz bei einem seiner Kumpane anzubringen. Ich hatte nichts dagegen, vielleicht sprach sich auf diese Weise meine Harmlosigkeit bei den Sicherheitsleuten herum. Aus dem Gespräch zweier Reporter hörte ich heraus, daß das Training Killing Macs der Öffentlichkeit kostenlos zugängig sei. Das »kostenlos« gab bei mir den Ausschlag, und ich schloß mich den in die Turnhalle Drängenden an. Überall standen Diskussionsgruppen herum. Fanatiker feuerten den im Ring gegen eine Gummipuppe kämpfenden Killing Mac an, und Wasser spritzte durch die Gegend. Ich entdeckte auch bald, woher die vielen Wasserschauer kamen. Der Ring war nämlich ein hüfthohes Glasbassin, das mit Wasser gefüllt war und jedesmal, wenn Killing Mac einen Griff anwandte, 58
schlug die Gummipuppe hilflos um sich, daß es nur so spritzte. Ich konnte mir nicht vorstellen, was die Zuschauer an diesem Schauspiel so reizte. Ich wandte mich ab und blickte mich nach bekannten Gesichtern um. Aber keiner der zwei mir bekannten Leibwächter war zu entdecken. Dafür sah ich etwas anderes. An der einen Wand lehnte ein Mann, der von niemandem beachtet wurde. Er tat auch nichts, was geeignet war, die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen. Er stand nur da, hielt eine mit seltsamen Ornamenten bemalte Metalltüte in der Hand und starrte ins Leere. Plötzlich zogen sich seine Augen aus den unergründlichen Fernen zurück, in denen sie geweilt haben mochten, und richteten sich auf mich. Dann bewegten sich seine Lippen, aber wegen des Lärms konnte ich nicht verstehen, was er mir sagen wollte. Mir blieb auch keine Zeit mehr, mich danach zu erkundigen, denn unterhalb des Ringes erblickte ich Ernie. Ja, es war tatsächlich Ernie, und in seiner Begleitung befand sich Felician. Ich wandte mein Gesicht ab, denn ich wollte noch nicht, daß er von meiner Anwesenheit an Bord des Schiffes erfuhr. Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, wie er sich mit einem dunkelhäutigen kleinen Mann unterhielt, der eine Glatze und den Körperumfang eines Fasses besaß. Ernie sprach eine Weile auf den Dunkelhäutigen ein, deutete dann auf Felician und auf sich selbst und machte mit dem Daumen eine Bewegung nach unten. Für mich war es nicht schwer zu erraten, daß er auf Blessy hindeuten wollte, die irgendwo in den unteren Decks untergebracht sein mußte. Ich hörte Ernie auch noch den Namen »Sarghi« aussprechen, und es war klar, daß damit nur das wandelnde Faß gemeint sein konnte. Mr. Sarghi hatte ein lautes Organ, deshalb drang seine Stimme ganz deutlich bis zu mir, als er zum erstenmal sprach. 59
»Verziehen Sie sich schon. Aber in einer Stunde müssen Sie zurück sein, denn dann braucht Mac eine Labung.« Ernie verdrückte sich, Felician im Kielwasser. Ich folgte ihnen in genügender Entfernung bis auf den Gang hinaus und sah, wie sie hinter einer Tür verschwanden, die die Aufschrift Mr. Sarghi, Betreuerräume trug. Ich stellte mich rechts davon auf und wartete auf Ernies Erscheinen. Er mußte kommen und zwar bald, denn er hatte sich bei Mr. Sarghi nur eine Stunde Freizeit erbettelt. Ich wollte die Tür im Auge behalten, aber irgend etwas irritierte mich. Als ich mich umblickte, sah ich wieder den Mann mit der metallenen Tüte. Vor ihm stand ein anderer und deutete auf den Deckel der Tüte, und sie verhandelten eine Weile. Aber sie konnten sich anscheinend nicht einig werden, denn der Tütenmann schüttelte den Kopf, und der andere machte sich achselzuckend davon. Meine Neugierde war geweckt. Doch kam ich wieder nicht dazu, mich mit dem geheimnisvollen Mann und seiner Tüte zu beschäftigen. Ernie trat auf den Gang heraus. Mir fiel bei seinem Anblick die Kinnlade herunter. Er trug nämlich einen Smoking und sah darin nicht einmal so übel aus. Was mochte ihn dazu veranlaßt haben, sich so großartig in Schale zu werfen? Ich kannte ihn jetzt schon eine ganze Weile, aber außer dem speckigen Arbeitsmantel oder der selbstgestrickten Weste mit den roten Lederherzen auf den Ellbogen und der dazugehörigen ausgebeulten Hose hatte ich noch nichts anderes an ihm gesehen. Und jetzt erschien er plötzlich im Sonntagsstaat. Jawohl, er war eine Erscheinung, und ich wollte meinen Augen nicht trauen. Ich mußte immer noch einen recht verdutzten Eindruck gemacht haben, als Ernie schon lange in der Menge verschwunden war, denn einer der zivilen Sicherheitsleute schob sich interessiert näher. 60
Schnell wechselte ich meinen Standort, und als ich mich nicht mehr beobachtet fühlte, ging ich zu der Tür mit der Aufschrift Mr. Sarghi, Betreuerräume. Mit einem dünnen Stab aus dem Allzweck-Besteck sperrte ich das einfache Schloß auf, glitt in den dahinterliegenden Raum und drückte die Tür wieder zu. * Ich stand in einem großen Vorraum. Ein Tisch stand an der Wand, die an den Gang grenzte, und rundherum waren weichgepolsterte Sessel einladend gruppiert. Sonst gab es nur Türen. Ich glaube, es waren gut fünfzehn an der Zahl. Einige standen offen, und Stimmen und andere Geräusche drangen heraus. Ohne zu ergründen, was gesprochen wurde, steuerte ich auf Ernies Gemach zu. Ernest Vulpila, Erster Masseur-Assistent, Technischer Berater stand protzig auf einer Tafel neben der Tür. Klavierspiel klang an mein Ohr. Ich ließ mich dadurch nicht beirren, sondern drückte die Klinke nieder und sah, daß da jemand ohne musikalisches Empfinden die Tasten traktierte. Dieser Jemand war kein Geringerer als Felician. Bei meinem Eintritt blickte er sich um, hörte aber nicht damit auf, »Brüderlein fein« zu spielen. »Ah, Gumb«, sagte er. Ernies Zimmer war recht ordentlich, klein, aber mit dem Nötigsten ausgestattet; alles in luxuriöser Ausfertigung. Es gab sogar ein Bad, und aus der einen Wand hing ein Schlafgurt für Felician. Ich setzte mich in einen Stuhl und legte das Lederetui mit dem Allzweck-Besteck neben mich auf den Tisch. »Laß dich nur nicht stören«, sagte ich zu Felician. 61
Er zog daraufhin seine Hände von den Tasten zurück und ließ den Deckel darüberfallen. »Mein Spiel gefällt dir also nicht«, stellte er unbekümmert fest. Felicians Art mit mir zu sprechen zeugte nicht von Respektlosigkeit, sondern war auf seine Programmierung zurückzuführen. Ernie war der Ansicht, daß die Mitglieder der PAN LABORIS wie eine Familie zueinander stehen sollten, und er hatte Felician in diese Familie mit einbezogen. »Wenn du Killing Mac genauso massierst wie die Klaviertasten, dann werden sich bald permanente Muskelkrämpfe bei ihm einstellen«, sagte ich. »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen.« Felician erhob sich schwungvoll. »Aber ich werde das Klavierspielen noch lernen. Ich bin noch jung, ich fühle mich wie ein Neugeborenes, das die Welt gerade erst entdeckt hat. Ernie hat mir außer einem umfassenden Allgemeinwissen auch unersättliche Lernkreise mit auf meinen Lebensweg gegeben. Ich werde entdecken, erforschen, mich zu ungeahnter Größe emporschwingen …« »Du wirst überschnappen«, prophezeite ich. Wie angewurzelt blieb er stehen. Er schien meine Worte ernst zu nehmen. »Darüber habe ich mir auch schon Gedanken gemacht«, sinnierte er. »Genie und Wahnsinn wohnen ja so eng beieinander.« »Sorge dich nicht darum«, beruhigte ich ihn. »Der geistige Verfall wird so langsam kommen, daß du überhaupt nichts bemerkst.« Obwohl er nur ein metallener Klotz war – Ernie hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihm eine Kunststoffhaut überzuziehen –, hatte er sich von den Menschen einige markante Gesten und Bewegungen abgeschaut. Er war tatsächlich menschlicher als so mancher Androide. 62
Er ließ sich mir gegenüber in einen Sessel plumpsen, daß es nur so krachte. »Was kann man gegen den Wahnsinn tun, Gumb?« »Wenn du befürchtest, wegen deiner Genialität in geistige Umnachtung zu fallen, dann wäre es wohl das beste, Ernie würde durch einen kleinen Eingriff deine Intelligenz etwas herabsetzen«, schlug ich vor. Ich beugte mich vor und fügte verführerisch hinzu: »Oder du könntest mich um diesen kleinen Eingriff bitten, wenn du es bei Ernie nicht wagst.« Er streckte die Hände abwehrend gegen mich. »Nein, niemals würde ich das zulassen!« Da ich auf diese Art nicht an Felician herankam, versuchte ich es mit der psychologischen Methode. Ich blickte mich anerkennend um und stellte fest: »Euch scheint es ja recht gut zu gehen.« »Wir können uns nicht beklagen«, sagte Felician. »Tja«, seufzte ich, »man muß nur die nötige Skrupellosigkeit besitzen, dann bringt man es zu etwas im Leben.« »Gumb! Willst du etwa sagen …« Felician blieben vor Empörung die Worte im Halse stecken. »Ich will nur sagen«, rechtfertigte ich mich, »daß einiges dazugehört, um seinen besten Freund im Stich zu lassen.« »Ernie hat diese Verpflichtung nur übernommen, weil er es gut mit dir gemeint hat«, verteidigte Felician seinen Erbauer. »Ach!« machte ich höhnisch. Ich war jetzt groß in Fahrt. »Er hat mir wohl eine bankrotte Firma und einen Berg Schulden nur deshalb überlassen, weil er es gut mit mir meinte!« »Die PAN LABORIS ist eine angesehene Firma«, sagte Felician würdevoll. »Das hat dir wohl Ernie eingeimpft.« »Jawohl.« 63
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»Na dann wird mir alles klar.« »Was wird dir klar, Gumb?« »Daß Ernie ein Halunke ist!« »Gumb!« Felician rang nach Luft. »Ich weiß, was ich sage«, behauptete ich mit Bitternis in der Stimme. »Ernie hat vorgetäuscht, mir einen Gefallen zu tun, dabei ging es ihm nur darum, sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Er ist ein scheinheiliger, egoistischer Halunke, und aus dir hat er dasselbe gemacht.« »Das kann ich nicht glauben!« »Natürlich nicht, weil du so schlecht bist, daß du deine eigenen Fehler nicht als solche erkennst«, erklärte ich etwas verwirrend. Aber das war von mir beabsichtigt, weil ich ihn völlig durcheinanderbringen wollte. Zum Beweis seiner und Ernies Schlechtigkeit erzählte ich ihm alles über Mr. Sarghis unsportliche Machenschaften, für die sie sich hergegeben hatten. »Ich wußte nicht, wessen ich mich schuldig mache«, stöhnte Felician. »Ernie hat es gewußt!« »Gumb, ist er nicht dein Freund? Du sprichst von ihm, als wäre er ein Teufel in Menschengestalt.« »Er ist beides!« »Schrecken, Schrecken, Schrecken!« jammerte Felician. »Das habe ich alles nicht erkannt. Wie blind bin ich doch noch … Was soll nur geschehen?« Ich sagte es ihm. Er sollte auf eine Seele von einem Roboter umgesteuert werden. Dann könnte er viel dazu beitragen, Ernie auf den rechten Weg zurückzubringen und verhindern, daß Mr. Sarghi in seinen dunklen Geschäften unterstützt würde. Er gab sich in meine Hand. 65
»Öffne meinen Schädel«, flehte er, »und verbanne das Böse daraus.« Das tat ich. Das heißt, ich öffnete seine Schädeldecke, stellte ihn ab, damit er während des Eingriffs keine Schmerzen verspürte und – starrte auf die verwirrende Fülle von Relais, Rädern, Transistoren und Kontaktstellen. Das Herz sank mir in die Hose. Ich hatte mir zwar die Schaltpläne recht intensiv angeschaut, aber als ich jetzt so ein Robotgehirn vor mir sah, sehnte ich mich zurück in die Volksschule, wo es weniger schwere Probleme zu lösen gab. Aber ich verzagte trotzdem nicht. Ich hatte ja alle Pläne im Necessaire mit; was konnte also schiefgehen? Immerhin, ins Schwitzen kam ich trotzdem. Ich glaube, ich brauchte für die ganze Operation nicht länger als eine halbe Stunde, aber danach kam ich mir vor wie ein Altwarenhändler, der Inventur gemacht hatte. Die Inventur stimmte nicht. Mir blieb eine Schraube übrig. Verblüfft starrte ich auf das winzige Ding in meiner Hand. Was sollte ich damit tun? Es ganz einfach vergessen, oder Felicians Gehirn noch einmal in seine Bestandteile zerlegen? Das ließ sich schlecht bewerkstelligen, denn Ernie konnte jeden Augenblick auftauchen, und er sollte ja nicht erfahren, welche Veränderung ich mit Felician vorgenommen hatte. Ernie würde sich nie und nimmer für meinen Plan, Mr. Sarghi eins auszuwischen, hergeben. Er war viel zu anständig, das war der Jammer. Gedankenverloren aktivierte ich Felician wieder. Meine geistige Aktivität galt immer noch der Schraube zwischen meinen Fingern. Ich konnte Felician gerade noch zuraunen, Ernie nichts von meiner Spezialbehandlung zu erzählen, da ging die Tür auf. Ernie kam herein wie der Sonnenstrahl, der als erster eine ki66
lometerdicke Wolkenschicht durchbrochen hat, ganz Sieger, ganz Eroberer. »Die Welt gehört mir!« rief er. Erst dann wurde er meiner gewahr. Aber bevor er noch seinem Erstaunen und seiner Freude über meine Anwesenheit Ausdruck geben konnte, meldete sich Felician zu Wort. »Du Scheusal«, sagte er inbrünstig. »Du Teufel in Menschengestalt. Du Satan. Auf die Knie mit dir!« »Ja, ja«, sagte Ernie ungeduldig, »über deine Partie später. Du schaffst es ganz sicher, ein großartiger Schauspieler zu werden. Aber jetzt laß mich mit Gumb sprechen.« Ernie sah mich strahlend an, breitete die Arme aus und umarmte mich. »Gumb, mein Freund, es ist ganz einfach wunderbar, dich hier anzutreffen!« »Judas!« zischte Felician. »Es freut dich, mich hier anzutreffen«, rekapitulierte ich verwirrt. »Aber es wundert dich gar nicht, daß ich an Bord der Penumbra bin?« »Weil er mit dem Teufel im Bunde steht!« wetterte Felician. »Der Leibhaftige hat ihm den sechsten Sinn für seine Seele gegeben.« Ernie wurde verlegen, und einen Moment lang befürchtete ich schon, er sei es deshalb, weil Felician mit seiner Behauptung ins Schwarze getroffen hatte. Aber die Erklärung war einfacher. »Ich … ich …«, stotterte Ernie. »Ich habe mich mit Sylvie getroffen. Von ihr weiß ich auch, daß du an Bord dieses Schiffes bist.« »Aber sie hat doch schon fast geschlafen …«, begann ich entgeistert, unterbrach mich aber selbst. Sylvie konnte mich leicht 67
angeführt haben, weil der Bildschirm während unseres Gesprächs dunkel geblieben war. »O, dieser Sünder«, jammerte Felician. »Er schreckt vor nichts zurück, ihm ist nichts heilig. Er beraubt schwache Kinder, tut den Frauen Gewalt an!« »Halt den Mund«, gebot Ernie. Dann bedachte er mich wieder mit seinem strahlenden Blick. »Es freut mich wirklich, Gumb, daß du die Fahrt auf der Penumbra nicht gescheut hat. Ich bin von einer tiefen Rührung ergriffen.« Er trocknete sich die Augenwinkel, ging zur Bar und schenkte sich ein Glas Milch ein. »Nun wirst du auch wissen, warum ich diese Mühe nicht gescheut habe«, sagte ich. »Ich möchte dich von diesem Mr. Sarghi losbekommen. Aber dafür werde ich vielleicht deine Unterstützung brauchen.« Er machte ein bekümmertes Gesicht. »Ich fürchte, das geht nicht, Gumb.« »Und warum nicht? Hast du Gewissensbisse?« »Nein!« antwortete Felician an Ernies Statt. »Er hat nicht den Funken eines Gewissens. Auf die Knie mit dir! Und sühne und bereue!« Ernie ließ sich nicht irritieren. »Ich habe bereits mit Sylvie darüber gesprochen. Ich habe einen Kontrakt mit Mr. Sarghi, und ich muß mich als Ehrenmann daran halten.« Er lächelte. »Nimm’s nicht tragisch. Schau dir Sylvie an, sie trägt es auch recht tapfer.« »Tatsächlich?« »Ja.« Ernie nickte bestätigend mit dem Kopf. »Sie ist ein tapferes kleines Mädchen.« Ich mußte mich setzen. Ein Verdacht drängte sich mir auf, der zwar jeder Grundlage zu entbehren schien, aber durch Ernies seltsames Verhalten erhärtet wurde. 68
»Gib mir auch einen Schluck«, bat ich. Ich mußte etwas trinken, und wenn es nur Milch war. Meine Kehle war trocken. Ich wagte es nicht, Ernie in die Augen zu sehen, als er mir das Glas Milch reichte. Ich leerte es auf einen Zug, konnte aber nicht verhindern, daß sich mein Körper demonstrativ schüttelte. Aus dem Hintergrund drang Felicians beschwörende Stimme, mit der er die Sünder im allgemeinen und Ernie im besonderen aufforderte, ihre Schuldigkeit zu bekennen und zur Liebe, zur Wahrheit und zum Guten zurückzufinden. Denn: »Es ist nie zu spät!« »Langsam fällt er mir auf die Nerven«, sagte Ernie unbeholfen. »Ja.« Die Situation war peinlich. Ernie stand da wie ein Primaner, der seinen ersten Kuß bekommen hat und mühsam nach den richtigen Worten sucht. »Weißt du …«, begann er, wußte aber nicht mehr weiter. Ich konnte ihm auch nicht helfen. Er nahm einen neuen Anlauf, während er sich mit einem Schluck Milch stärkte. »Weißt du – ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber vielleicht weißt du, wie einem zumute ist, wenn man plötzlich weiß, daß es geklingelt hat.« »Geklingelt hat?« echote ich. »Ja, geklingelt hat. Ich meine das symbolisch. Man denkt sein ganzes Leben, daß man alleine ganz gut auskommt, aber plötzlich begegnet man einem Wesen – und siehe da, man erkennt, daß man es braucht, daß man den weiteren Weg nicht mehr alleine beschreiten kann und mag.« »Du warst nie alleine«, sagte ich. »Auf eine gewisse Weise nicht, das stimmt«, gab er zu. »Du bist und bleibst mein Freund. Aber ich meine es anders, ich meine …« 69
»Du brauchst nicht weiterzusprechen«, bot ich ihm an. »Aber ich möchte darüber sprechen«, sagte er träumerisch. »Laß es mich bitte tun. Ich bin so glücklich. Ich bin verliebt. Verliebt.« Wie bringt man es einem armen Narren bei, daß ihm die Welt nicht gehört, wenn er ganz felsenfest davon überzeugt ist? »Ich kann doch mit dir über alles sprechen, Gumb?« erkundigte er sich vertraulich. »Klar, Ernie.« Er beugte sich zu meinem Ohr. »Ich glaube nämlich, daß ich nicht einseitig liebe. Meine Liebe wird erwidert. Ich bin schon fast davon überzeugt, daß Sylvie nur meinetwegen an Bord der Penumbra kam. Sie liebt mich ebenfalls.« Es stimmte natürlich, daß Sylvie auch seinetwegen auf diese Reise mitgekommen war, aber ihre Beweggründe waren ganz anderer Natur, als er sich einredete. Ernie machte einige flotte Tanzschritte, die ein wenig lächerlich wirkten, und er sang dazu. Das brachte sogar Felician aus dem Konzept. »Du bist kein Kind mehr, Ernie«, begann ich ganz vorsichtig und ging zu ihm. »Du müßtest mit der Wahrheit fertig werden können.« Er hielt inne und sah mich mit seinem ängstlichen Blick an. »Wir sollten uns nichts vormachen«, sprach ich weiter, aber es fiel mir verdammt schwer – schließlich konnte ich ihm nicht einfach sagen, daß sich ein Mädchen wie Sylvie nicht in eine so komische Figur, wie er sie darstellte, verlieben konnte. »Warum sagst du das zu mir?« erkundigte er sich. »Du ahnst es bereits.« Ich schlug ihm auf die Schulter. »Es ist besser, jetzt schon der Wahrheit ins Auge zu blicken, besser, als später aus einem rosigen Traum zu erwachen und zu erkennen, wie schrecklich die Wirklichkeit ist.« 70
»Du meinst …« Ich nickte bestätigend. »Glaube deinem Freund, der in diesen Dingen Erfahrungen hat. Sylvie – nein, Ernie, ganz bestimmt nicht.« Er stand ganz reglos da. Ich konnte nur ahnen, was in diesen Augenblicken in ihm vorging, aber ganz bestimmt wollte ich nicht in seiner Haut stecken. »Trage es wie ein Mann«, war alles, was ich zu seiner moralischen Unterstützung sagen konnte. »Ja«, flüsterte er, »doch – es ist nicht leicht, Gumb.« »Ich weiß.« Felician hatten wir vollkommen vergessen. Plötzlich baute er sich vor Ernie auf, seine Sehlinsen funkelten angriffslustig. »Wie heuchlerisch du bist«, zischte er. »Aber ich werde nicht zulassen, daß du die Leichtgläubigkeit und den Edelmut Gumbs ausnützt. Ich werde es zu verhindern wissen, daß du ihm etwas vormachst.« Das alles glitt ungehört an Ernie ab. Doch Felician war mit seinem Latein noch nicht am Ende. Im Gegenteil, ich vermute, daß er erst so richtig in Fahrt gekommen wäre, wenn sich nicht ein unvorhergesehener Zwischenfall ereignet hätte. Eigentlich waren es deren zwei. Felician legte gerade von neuem los: »Du hast bei deinem teuflischen Spiel mich übersehen. Ich mache nicht mit. Nie mehr wieder werde ich mich für dein Ränkespiel hergeben. Und das eine will ich dir noch prophezeien …« Felician kam nie dazu, seine Prophezeiung auszusprechen, denn Ernie sprang ihn mit einer Behendigkeit an, die ich ihm nie zugetraut hätte, hielt sich an den breiten metallenen Schultern fest und stellte den Roboter mit einem einzigen Handgriff ab. Im selben Augenblick war ein Geräusch an der Tür, und Mr. Sarghis Baß ertönte. 71
* Ich konnte nicht mehr verstehen, was Killing Macs Manager sagte, denn mit einem einzigen Satz war ich im Bad und versteckte mich darin. Immerhin war es möglich, daß einer der beiden Leibwächter in seiner Begleitung war, die mich vom »Ehrlichen Halsabschneider« her kannten. Und wenn die mich hier antrafen, dann hätte ich für nichts mehr garantieren können. Aus meinem Versteck hörte ich Ernie sagen: »Ich fühle mich im Augenblick leider seelisch nicht in der Lage, Ihren Champion zu betreuen. Nehmen Sie bitte darauf Rücksicht, Mr. Sarghi.« »Hat man Worte«, donnerte der Manager. »Er hat ein seelisches Wehwehchen, deshalb kann er seinen Pflichten nicht nachkommen!« »So ist es, Mr. Sarghi.« »Und was fehlt Ihnen, wenn man fragen darf?« »Darüber möchte ich nicht sprechen.« »Aha, darüber wollen Sie nicht sprechen. Aber es steht so schlimm mit Ihnen, daß Sie unmöglich in Macs Kabine kommen können, um Ihren Roboter zu beaufsichtigen, wenn er ihn durchwalkt.« »Ja, so schlecht steht es um mich.« Mr. Sarghis Stimme wurde gefährlich leise. »… und was sagen Sie dazu, wenn ich einen der Jungens zu Ihnen schickte, damit er Sie mit einer handfesten Therapie auf Vordermann bringt?« »Damit würden Sie nichts erreichen, Mr. Sarghi.« Na, auf eine gewisse Art hatte Ernie Mut, das mußte man ihm lassen. »Sie sind stur. Mann«, schnaufte Mr. Sarghi. Aber wahr72
scheinlich war ihm das Wohl seines Champions wichtiger, als Ernie eine Lektion zu erteilen, denn der von mir erwartete Wutausbruch blieb aus. »Ist Ihr Robot vielleicht auch von diesem Seelenschmerz betroffen?« erkundigte er sich statt dessen. »Das gerade nicht, aber er benimmt sich recht komisch.« »Er also auch. Hm. Wurden diese Leiden vielleicht durch eine niedliche Summe hervorgerufen, die Ihnen die Konkurrenz zugesteckt hat?« »Solche Anspielungen verbitte ich mir!« Jetzt brüllte Mr. Sarghi los: »Dann klettern Sie gefälligst von Ihrem Blechhaufen herunter und aktivieren Sie ihn. Er wird auch ohne Ihre Unterstützung seinen Verpflichtungen nachkommen können.« »Ich hoffe es …« Es folgten einige Geräusche, dann hörte ich Mr. Sarghi im Befehlston sagen: »Komme mit, Felician, die Arbeit ruft.« »Ich weigere mich«, sagte Felician. »Was tust du?« »Ich weigere mich, schmutzige Arbeit zu verrichten«, wiederholte Felician hoheitsvoll. »Ich habe innere Einkehr gehalten, und das ließ mich die höheren Werte des Lebens finden. Ich habe die Wurzel des Übels erkannt, an dem die heutige Menschheit leidet, und ich will allen ein reines Vorbild der Menschlichkeit und Nächstenliebe sein. Meine Mittel sind nur begrenzt, aber ich werde alles tun, um das Böse zu verbannen, das Schlechte auszumerzen …« Mr. Sarghi mußte den Eindruck gewonnen haben, Felician sei verrückt, denn er zügelte sein Temperament und sprach zu ihm, wie Ernie immer zu Blessy sprach, wenn sie krank war. »Deine Ideale in allen Ehren, Felician«, sagte der Manager, »aber was ist den Schlechtes daran, wenn du Killing Mac ein 73
wenig massierst. Ganz im Gegenteil, es spricht nur für dich, denn Mac leidet, und du könntest ihm helfen.« Ich hatte aus meinem Versteck einen Einblick in den Teil des Zimmers, in dem Felician stand. Mit wilden Armbewegungen versuchte ich, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Als er dann tatsächlich seine Sehlinsen in meine Richtung lenkte, bedeutete ich ihm, daß er ruhig, ohne Gewissensbisse zu haben, mit Mr. Sarghi gehen könne. »Also gut«, sagte Felician, dieser intelligente Bursche, »ich komme mit Ihnen, Mr. Sarghi.« »Bist ein braver Robot«, lobte der Manager. Seine Stimme wurde um einige Nuancen unfreundlicher, als er sich an Ernie wandte: »Mit Ihnen setze ich mich später auseinander.« Und weg war er. Aufatmend verließ ich mein Versteck. Ernie stand mitten in seinem Zimmer; er machte einen erbarmungswürdigen Eindruck, und das dämpfte mein Triumphgefühl. Er sah mich mit niedergeschlagenem Blick an. »Ich glaube, ich möchte jetzt nicht alleine sein.« »Prima, dann lade ich dich auf einen Drink ein«, sagte ich. »Für einen Mann ist es immer noch das beste, seine Seelenqual ein wenig zu ertränken.« Gesagt, getan. Ich hielt mich an Gin, weil ich damit begonnen hatte, Ernie blieb bei seiner Milch. Sie hatten an Bord der Penumbra zwar nur Ziegenmilch, aber nach einigen Vierteln war er so benebelt, daß er den Unterschied nicht merkte. Ich rief zwischendurch einmal Dr. Jodrell an und meldete ihm meinen Erfolg. Er wollte zwar nicht hören, was ich angestellt hatte, aber ich ließ es mir ganz einfach nicht nehmen ihm zu sagen, daß ich Felician so programmiert hatte, daß er Killing Mac während der Massage derart kneten würde, bis seine Muskeln steif waren. 74
Danach kehrte ich zu Ernie zurück, der inzwischen sternhagelvoll war. Das Thema seiner unglücklichen Liebe wurde nur noch ein einziges Mar angeschnitten. Er versprach mir: »Wenn du Chancen bei Sylvie hast, Gumb, dann werde ich dir nicht gram sein, wenn du sie nützt. Wirklich, Ehrenwort! Ich will deinem Glück nicht im Wege stehen.« Durch diese vorbildliche Haltung war mehr als nur unsere Freundschaft gerettet. Wenn Ernie auch nicht so aussah, aber er war ein Mann. Ich war wirklich froh, die Sache mit Felician so gedreht zu haben, daß Mr. Sarghi keine andere Wahl bleiben würde, als den Vertrag mit Ernie zu annullieren. Dem Happyend stand also nichts mehr im Wege. Wenn das kein Grund zum Feiern war! Und ich begoß diese glücklichen Zukunftsaussichten so lange, bis ich vom Hocker kippte. Alles, was ich dann noch wußte, war, daß der für solche Fälle eingerichtete Abschleppdienst kam und mich auf meine Kabine brachte.
6. Das Tier, mit dem ich zu kämpfen hatte, war ein riesiges Ungeheuer, ein Kater von wahrlich überdimensionalen Ausmaßen. Er war stark und wild und versuchte in einem mörderischen Kampf, der sich auf zerebraler Ebene abspielte, meine Erinnerung in die Fänge zu bekommen. Ich kämpfte ebenfalls wie ein Berserker, aber der einzige Erfolg waren pochende Kopfschmerzen. Und das Visiphon schrillte beharrlich. Ich wälzte mich aus dem fremden Bett, stolperte durch einen fremden Raum und suchte das verflixte Bildsprechgerät, das meinen wohlverdienten Schlaf störte und den Kampf mit dem Kater entfacht hatte. 75
Ich trug den ersten Teilsieg davon. Langsam, Stück um Stück, kam die Erinnerung wieder. Er hies Liebeskummer … das darauffolgende Besäufnis in einer der Bars auf dem Luxusraumer Penumbra … und der seltsame Mann mit der metallenen Tüte. Ich konnte mich noch daran erinnern, daß ich mit dem Mann über den Preis verhandelt hatte, den er verlangte, um mir einen Blick in die Tüte zu gewähren. Aber ob ich meine Neugier gestillt hatte, und wie die Dinge sonst geendet hatten, wußte ich beim besten Willen nicht mehr. Endlich fand ich das Visiphon und konnte die Verbindung herstellen. Es war mein Auftraggeber, der Seestier Dr. Jodrell. »Ah, Doktorchen«, begrüßte ich ihn, während ich mit einer Hand meinen berstenden Schädel hielt. »Sie wollen sicher wissen, wie Sie mir am schnellsten die fünfzigtausend Credits zukommen lassen können.« »Sie werden keinen Pfifferling bekommen, wenn Sie nicht augenblicklich Ihren Verpflichtungen nachkommen«, keifte er. »Was sagen Sie da!« Der Schock genügte, und ich war wieder in der Lage, fast klar zu denken. Ich versuchte, die Geschehnisse der Nacht zu rekonstruieren. »Habe ich Sie nicht angerufen, um Ihnen die Erfolgsnachricht zu überbringen?« erkundigte ich mich. »Ja, das haben Sie«, antwortete er hysterisch. »Und es hat anfangs auch so ausgesehen, als ob Sie tatsächlich Erfolg gehabt hätten …« »Aber?« Nach und nach holte ich den erschütternden Bericht meiner Niederlage aus ihm heraus. Nachdem ich Felician präpariert hatte, nahm dieser Killing Mac tatsächlich ganz ordentlich in die Kur. Statt ihn zu laben, knetete 76
er ihn durch, daß ihm Hören und Sehen verging. Er stiftete auch sonst allerhand Verwirrung. Er spielte sich als Prophet einer neuen Lehre auf und redete den versammelten Funktionären so ins Gewissen, daß drei von ihnen in den Felician-Orden eintraten. Killing Mac war inzwischen durch Felicians Knetarbeit dermaßen lädiert worden, daß er nicht einmal gegen einen Gelähmten Chancen im belleon-fressakischen Ringen gehabt hätte. Dr. Jodrell hatte sofort bei den Veranstaltern interveniert und eine Absage des Kampfabends zu erreichen versucht. Aber Mr. Sarghi hatte die Berichte von Killing Macs Kampfunfähigkeit als Bagatelle hingestellt. Fünf Stunden später, als Dr. Jodrell in aller Eile eine Untersuchungskommission auf die Beine gestellt hatte, war Killing Mac wieder fit. Dr. Jodrell konnte dafür keine Erklärung finden, aber er brauchte sie auch nicht, denn für ihn stand es so gut wie fest, daß ich versagt hatte. Denn der Kampf fand um zweiundzwanzig Uhr statt, und jetzt war es bereits zwei Uhr nachmittags. »Ihre Frist ist abgelaufen«, stellte er mit Grabesstimme fest. »Läßt sich darüber nicht reden?« sprach ich ihm zu. »Was sollte man darüber noch reden«, resignierte er. »Killing Mac ist in bester Verfassung, der Kampf wird stattfinden, und Orfus Borus wird verlieren.« »Letzteres ist noch nicht bewiesen«, ermunterte ich ihn. »Warum bestehen Sie eigentlich auf dem Zehn-Stunden-Limit. Ich müßte auch danach noch etwas erreichen können.« Er schüttelte bekümmert den Kopf. »Das glaube ich nicht, denn die Kämpfer werden zehn Stunden vor dem Kampf kaserniert. Das geschah bereits, bevor ich Sie anrief. Jetzt kann niemand mehr zu ihnen, außer die Betreuer.« Das hieß, daß Felician – und eventuell auch Ernie – immer noch Kontakt zu Killing Mac hatten. Eine bessere Fügung des Schicksals konnte ich mir gar nicht wünschen. 77
»Vertrauen Sie sich nur mir an, Dr. Jodrell«, redete ich meinem Auftraggeber zu. »Wenn Killing Mac auch heute abend in den Ring steigt, so versichere ich Ihnen, daß er nicht gewinnen wird. Bleibt es also bei unserer Vereinbarung?« Dr. Jodrell machte ein nachdenkliches Gesicht, zumindest hielt ich seine Miene für Nachdenklichkeit. Ich konnte mir vorstellen, daß er nach dieser Niederlage nicht mehr an einen Erfolg glauben konnte. Er setzte kein Vertrauen mehr in meine Fähigkeiten. Aber andererseits war ich sein einziges Eisen im Feuer, und er war auf mich angewiesen. »Ich entziehe Ihnen den Auftrag also nicht«, sagte er schließlich. »Aber ich möchte noch eine Klausel einbauen. Ich behalte mir das Recht vor, Sie zu quarrelieren, wenn Sie versagen.« »Dazu wird es nicht kommen«, sagte ich zuversichtlicher, als ich war. Ich wußte zwar nicht, was es mit dem Quarrelieren auf sich hatte, aber es hörte sich nicht gut an. Da ich keine Lust hatte, von dem Seestier quarreliert zu werden, mußte ich etwas unternehmen. Mit dem nochmaligen Versprechen, Killing Macs Sieg unter allen Umständen zu verhindern, unterbrach ich die Verbindung und wählte Sylvies Nummer. Sie war so schön wie der strahlende Morgen, und ich beneidete sie um ihre Frische. »Hast du nicht gestern abend gesagt, du wolltest gleich zu Bett gehen?« fragte ich statt einer Begrüßung. Sie lächelte spitzbübisch. »Du bist der letzte, der mir etwas vorzuwerfen hat. Oder glaubst du, ich sei von dem Krach nicht aufgewacht, den die Leute, vom Abschleppdienst gemacht haben, als sie dich in bewußtlosem Zustand heimgebracht haben?« »Welche Schande!« 78
»Immerhin ist ein so sinnloses Sich-Betrinken schändlicher als meine harmlose Verabredung mit Ernie.« Harmlos ist gut, aber das dachte ich nur. Zu gegebener Zeit würde ich sie schon deswegen zur Rede stellen, weil sie Ernie den Kopf verdreht hatte, aber jetzt wollte ich mich nicht streiten. Ich erzählte ihr von meinem mißlungenen Anschlag auf Felician und gab auch der Vermutung Ausdruck, daß Ernie mit seinem irregeleiteten Anständigkeitskomplex dahintersteckte. »Du mußt mir helfen, ihn davon zu überzeugen, was für ein Schuft Mr. Sarghi ist«, endete ich. »Was für ein Schuft ist er denn eigentlich?« fragte sie. »Das ist im Augenblick doch egal. Aber du hast selbst gehört, wie Dr. Jodrell sagte, er sei der Totengräber des Amateurismus. Und außerdem möchte ich Ernie von dem Los befreien, ein ganzes Jahr mit dem Befringer-Zirkus durch die Galaxis zu reisen.« »Das ist ein Argument!« stimmte sie zu. »Was kann ich also tun?« »Du müßt Ernie anrufen und ihn zu einer Zusammenkunft bewegen. Gemeinsam sollte es uns nicht schwerfallen, ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, daß Killing Mac verlieren muß.« »Gut, ich werde mein Bestes versuchen.« * Sylvia und ich erwarteten Ernie im Penumbra-Center. Das Lokal war das Novum des Schiffes; es lag tatsächlich im Mittelpunkt und besaß neben Hunderten von anderen Attraktionen Separees für über ein Dutzend Fremdrassen, die nicht zu den Sauerstoffatmern gehörten. Wir hatten auf einer der Untertassen 79
Platz genommen, die auf unsichtbaren Leitstrahlen durch die Halle schwebten, und Sylvie gestand mir, daß sie sich hier letzte Nacht mit Ernie getroffen hatte. »Und was hast du dir von dieser Verabredung eigentlich versprochen?« erkündigte ich mich um eine Spur zu heftig. Wahrscheinlich hätte sie mir irgendeine spitze Antwort gegeben, wenn in diesem Augenblick nicht Ernie auf dem Tanzparkett erschienen wäre. Es wäre mir recht geschehen, denn noch ging es mich nichts an, auf welche Art sich Sylvie ihre Nächte um die Ohren schlug. Durch einen Tastendruck landete sie unsere Untertasse sanft neben Ernie. Er gesellte sich zu uns. Obwohl er Sylvie ein Lächeln schenkte, erkannte ich sofort, daß er seelisch noch nicht vollkommen in Ordnung war. Aber es zeigte sich bald, daß seine Depressionen nicht auf seinen Liebeskummer zurückzuführen waren. Ich brachte durch einige banale Scherze die Unterhaltung in Fluß und steuerte das Gespräch geschickt auf unser gemeinsames Problem hin. Dabei kam es heraus, daß Ernie bereits ein wenig bereute, sich in Mr. Sarghis Dienst gestellt zu haben. »Ich dachte«, bekannte er, »keine andere Wahl zu haben, um die PAN LABORIS vor dem Ruin zu retten. Aber mein Entschluß dürfte doch ein wenig zu übereilt gewesen sein.« Mein Herz machte bei diesen Bekenntnissen einen Luftsprung, und es dauerte auch gar nicht mehr lange, bis ich Ernie davon überzeugt hatte, daß irgend etwas unternommen werden mußte, um ihn und Felician von den Verpflichtungen gegenüber Mr. Sarghi zu befreien. Das sah er ein, und ich ging so weit, ihn in groben Umrissen von meinen Plänen zu unterrichten. Als er sich nicht im mindesten empört zeigte, verlor ich alle meine Hemmungen und sagte ihm, was ich mit Felician angestellt hatte, um ihn für Mr. Sarghi 80
wertlos zu machen. Das ließ Ernie zwar nach Atem ringen, aber er gab keinen Kommentar dazu ab. »Siehst du, Ernie«, drang ich in ihn, »wie gut mein Plan war – fast perfekt. Aber du hast ihn im letzten Moment vereitelt. Doch es ist immer noch nicht zu spät.« Er machte Anstalten, etwas zu sagen, aber ich ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Es kann keine Bedenken geben«, sprach ich schnell weiter. »Du selbst hast gesagt, es muß etwas unternommen werden. Aber leider gibt es keine gesetzliche Handhabe, um deinen Vertrag mit Mr. Sarghi zu lösen. Da er mit unlauteren Mitteln arbeitet, brauchen wir uns auch nicht zu scheuen, zu anrüchigen Tricks zu greifen.« Ernie begehrte wieder auf, aber ich kam ihm zuvor. »Kein Aber!« kommandierte ich. »Du willst doch zurück nach Terra! Du willst wieder mein Partner werden! Und du möchtest Felician und Blessy zurück haben! Was sollte es da für Bedenken geben. Du mußt mich ganz einfach darin unterstützen, Felician bei Mr. Sarghi unbeliebt zu machen.« Eine Pause entstand, in der Ernie unsicher von Sylvie zu mir blickte. »Sie müssen sich jetzt entschließen, Ernie«, sagte Sylvie sanft und legte ihm die Hand auf den Arm. »Ja«, sagte auch ich, »du mußt dich jetzt entschließen, ob du Mr. Sarghi bei seinen dunklen Ringgeschäften unterstützen oder lieber ein freies Leben auf der Erde führen möchtest.« »Ich möchte schon«, sagte Ernie zögernd. »Was?« »Zurück zur Erde, wieder dein Partner sein – und alles das.« Er sagte es verträumt und wehmütig. »Ich wußte doch, daß dein Heimweh stärker ist, alter Knabe!« frohlockte ich. 81
»Aber …« »Ich will keine Bedenken hören«, fegte ich seinen Einwand beiseite. »Du hast A gesagt, jetzt mußt du auch B sagen. Du wirst hingehen und Felician umprogrammieren, so daß er Hände wie ein Kohlenbuckler bekommt und Killing Mac ordentlich damit malträtiert. Das wirst du tun. Da gibt es keine Widerrede!« Er machte ein bekümmertes Gesicht. »Laß dir doch erklären, Gumb, daß …« »Keine breiten Erklärungen.« Ich hielt ihm die Hand hin. »Schlage ein.« Seine Hand kam der meinen zögernd entgegen. Ich ergriff sie ganz einfach, drückte fest zu und sagte: »Also abgemacht.« »Ja«, bestätigte Ernie, »aber trotzdem …« »Fängst du schon wieder an!« rügte ich. »Vielleicht hat uns Ernie etwas Wichtiges zu sagen«, mischte sich Sylvie ein. »Wir sollten ihn einmal zu Wort kommen lassen.« »Bitte, das wäre sehr nett«, sagte Ernie. »Nur zu«, ermunterte ich ihn. »Sage mir schon, was du auf dem Herzen hast.« Sein Gesicht drückte Kummer aus. Schließlich sagte Ernie: »Ich versuche dir schon andauernd zu erklären, daß ich Felician keineswegs umprogrammiert habe.« »Du hast nicht …?« »Nein«, bestätigte er. »Nach dem Trinkgelage mit dir, bei dem ich allerdings nur Ziegenmilch getrunken habe«, er wandte sich dabei an Sylvie, »dachte ich über alles noch einmal nach und kam zu dem Schluß, daß Mr. Sarghi Felician und mich schlecht behandelte und daß es ihm somit recht geschähe, wenn er uns verlöre.« »Sehr richtig«, stimmte ihm Sylvie bei. 82
Er lächelte ihr dankbar zu. »Und deshalb beschloß ich, meine weitere Hilfe zu verweigern. Ich war wirklich felsenfest dazu entschlossen, Felician nicht mehr als Masseur arbeiten zu lassen. Er ist nämlich sehr sensibel, und die Befürchtung, daß er durch diese herabwürdigende Tätigkeit einen psychischen Schaden erleidet, ist gar nicht einmal von der Hand zu weisen.« »Das will ich schon glauben«, stimmte Sylvie ernst zu. »Schweife nicht ab«, fuhr ich Ernie an. »Was geschah dann?« »Das alles gehört dazu, Gumb, wenn man versuchen will, Felicians Gesinnungswechsel zu verstehen«, klärte mich Ernie auf. »Als ich ihn baute, habe ich ihm eine Menge Anlagen für besondere Fähigkeiten eingepflanzt. Ich nenne das seine,Psyche’, obwohl sie sich von der des Menschen natürlich in vielen Dingen unterscheidet. Aber grob ausgedrückt, kann man ruhig sagen, daß Felician Gefühlsempfindungen besitzt. Deshalb ist er auch anfälliger als andere Roboter, aber auch viel wertvoller. Liebe, Haß, Trauer, Freude, all diese Emotionen kann Felician empfinden.« »Er ist also in vielen Beziehungen dem Menschen gleichzusetzen?« vermutete Sylvie. »O ja«, bestätigte Ernie. »Ist das ein alter Hut«, beschwerte ich mich. »Sylvie hat davon keine Kenntnis gehabt«, wies er mich zurecht. Dann fuhr er fort: »Als ich von der Zusammenkunft mit Gumb zurückkam, war Felician vollkommen verändert. Er sagte plötzlich, daß er es sich anders überlegt habe und Killing Mac ein guter Masseur sein wolle. Verstehen Sie, Sylvie, daß ich mehr als nur überrascht war, denn Felicians Gesinnungswechsel kam, ohne daß er umprogrammiert worden wäre. Davon bin ich vollkommen überzeugt.« »Und haben Sie nicht versucht, ihn umzustimmen oder we83
nigstens den Grund für seine Veränderung herauszufinden?« fragte Sylvie. »Natürlich, das habe ich«, erklärte Ernie. »Mir war sofort klar, daß nur seine,Psyche’ an seiner Wandlung schuld sein konnte. Aber den wahren Grund bekam ich nicht heraus. Vielleicht hat ihn Mr. Sarghi mit Geld bestochen – oder mit irgendwelchen Versprechungen, auf die ein Robot von Felicians Format hereinfallen würde. Ich habe auch die Möglichkeit nicht außer acht gelassen, daß Felician durch irgendwelche Strahlungen verändert wurde; seien es nun Hyperimpulse oder radioaktive Strahlungen.« »Das wäre möglich?« staunte Sylvie. »Jawohl. Felician ist so sensibel, daß er sogar auf einen Wetterumschwung mit psychischen Störungen reagiert. Aber die sind meistens so minimal, daß sie einem Außenstehenden nicht auffallen. Diesmal allerdings muß die Beeinflussung von außen viel stärker sein als jedes Gewitter.« »Erzähle uns, welche Veränderungen du genau an Felician nach seiner Rückkehr festgestellt hast«, forderte ich Ernie auf. »Vielleicht lassen sich daraus Rückschlüsse auf die Ursache ziehen.« Ende runzelte die Stirn. »Das erste, das mir an ihm auffiel, war, daß er in Mr. Sarghis Lager übergewechselt war.« »Sagte er das so?« »So ähnlich.« »Wie – genau.« »Er sagte: ›Ernie, ich habe den Sinn meines Lebens gefunden. Ich werde Killing Mac bis ans Ende seiner Tage zur Seite stehen.‹« »Und dann?« »Da Felician recht selten scherzt, habe ich seine Worte ernst 84
genommen und ihn auszufragen versucht. Aber er ist jeder direkten Beantwortung ausgewichen. Nur einmal stellte er konkret fest, daß es Mr. Sarghi war, der ihm die Augen geöffnet habe’. Und dann fügte er hinzu, daß ich ihm doch bitte nicht böse sein solle, wenn er die PAN LABORIS verlasse, aber schließlich sei jede Frau dafür geboren, eines Tages einen Mann zu finden und ihn zu umsorgen.« »Was?« rief ich so laut, daß sich die Leute von den Untertassen, die in der Nähe vorbeischwebten, nach unserem Tisch umsahen. »Das hat er gesagt.« Ernie kicherte. »Ulkig, nicht wahr?« »Sehr richtig, das sind seltsame Worte für einen Roboter«, stimmte ich zu. »Vielleicht sind sie der Schlüssel zur Lösung dieses Problems. Kannst du dich noch an den genauen Wortlaut entsinnen?« Wieder legte sich Ernies Stirn in Falten. Er schloß konzentriert die Augen und sagte, indem er Felicians Stimme imitierte: »Ernie, du darfst mir bitte nicht böse sein, wenn ich von der PAN LABORIS scheide. Wir werden auch weiterhin Freunde bleiben, aber auf eine andere Art. Ich möchte, daß du mein Bestreben achtest, denn schließlich ist jede Frau dafür geboren, sich eines Mannes anzunehmen und ihn zu umsorgen. Es ist der sehnlichste Wunsch jeder Frau, einen Mann zu finden, den sie verwöhnen kann.« »Verrückt, nicht wahr? Man könnte fast meinen, Felician halte sich für ein weibliches Wesen.« »Du hast ihn gebaut«, sagte ich, »du müßtest wissen, welchen Geschlechts er ist.« »Er ist geschlechtslos«, behauptete Ernie. »Aber wenn ich zurückdenke, so hat er oft danach verlangt, daß ich ihn in eine der beiden Geschlechtsgruppen einteile.« Ich seufzte. »Das hat nun Mr. Sarghi für dich getan.« 85
»Meinst du?« Ernie war verblüfft. »Ja dann … dann ist es auch eher erklärlich, daß er plötzlich so verrückt spielt.« »Du bist mir ein schönes Genie«, schimpfte ich. »Du erfindest die kompliziertesten Automaten, aber auf die einfachsten Dinge muß man dich erst mit der Nase stoßen, damit du sie erkennst.« »Verzeihung«, murmelte Ernie bedrückt. »Jetzt, nachdem du mich mit der Nase daraufgestoßen hast, wird mir immer klarer, daß Felician die Symptome eines Verliebten aufweist.« Er wurde rot. »Ich meine, mir scheint es so. Ich war natürlich noch nicht so oft verliebt wie du, Gumb, aber …« »Halte den Mund!« schnauzte ich ihn an und warf einen schnellen Blick zu Sylvie. Aber die schien Ernies Worte nicht gehört zu haben. »Jetzt wissen wir, was mit Felician geschehen ist – oder sollte man nicht eher Felicia sagen!« sinnierte sie. »Es deutet alles darauf hin, daß Mr. Sarghi ihm diese Flausen in den Kopf gesetzt hat. Und noch etwas scheint damit bewiesen. Es muß ein Individuum geben, in das Felicia verliebt ist. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Roboter. Diesen müssen wir finden, wenn wir Mr. Sarghis Pläne durchkreuzen wollen.« Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich erschrocken fest, daß es bereits 15 Uhr 30 war, und um 22 Uhr begann der belleonfressakische Ringkampf. Achteinhalb Stunden blieben uns also, um Felicias Geliebten zu eruieren und dadurch zu erreichen, daß Killing Mac den Kampf gegen Orfus Borus verlor. Aber – diese Rechnung ging nicht auf, denn wir mußten zumindest zwei Stunden vor dem Kampf Felicia auf unsere Seite bringen, damit sie Killing Mac massakrierte, bevor er in den Ring stieg. »Wir müssen uns sofort an die Arbeit machen«, stellte ich sehr weise fest. Meine folgenden Anweisungen waren auch nicht besonders intelligent, aber da weder Sylvie noch Ernie bessere Vorschläge zu unterbreiten hatten, gab es keine Wahl. 86
Ernie sollte sich weiterhin um Felicia kümmern und herauszubekommen versuchen, wer ihr Geliebter sei. Sylvie sollte die Pressestelle an Bord der Penumbra. aufsuchen und alles Wissenswerte über Mr. Sarghi und dessen Verbindungen in Erfahrung bringen, während ich mich eingehend mit Dr. Jodrell beschäftigen wollte, der mir als Erzfeind Mr. Sarghis vielleicht einiges Material zur Verfügung stellen konnte. »Und wenn uns kein Erfolg beschieden ist?« sprach Ernie meine schlimmste Befürchtung aus. »Dann bleibst du weiterhin bei Mr. Sarghi und ich werde quarreliert«, antwortete ich. Diese unerfreulichen Aussichten waren es, die mich anspornten. Ich machte mich augenblicklich an die Arbeit.
7. »Ich fürchte, ich werde Ihnen nicht viel weiterhelfen können«, erklärte Dr. Jodrell betrübt, als ich ihn in der Schwimmhalle aufsuchte. Diesmal riskierte ich allerdings kein Bad und traf mich mit ihm an der Bar. Er wußte tatsächlich wenig über Mr. Sarghi und dessen Team, aber immerhin konnte er mir einige Ansatzpunkte für weitere Nachforschungen geben. Mr. Sarghi war Terraner, hatte viele Befringer in seinem Stall, aber wirklich groß geworden war nur Killing Mac. Auf allen Planeten, wo dieser Kampfsport gepflegt wurde, war Mr. Sarghi als korrupt bekannt. Man hatte ihm das Recht entzogen, Kämpfe austragen zu lassen, deshalb verlegte er seine Veranstaltungen auf Raumschiffe. Im Niemandsland des Weltraums brauchte er keine Lizenz, nur die Genehmigung der jeweiligen Raumfahrtgesellschaft. 87
Über Killing Mac wußte Dr. Jodrell noch weniger zu berichten. Er konnte weder sagen, welche Planetenzugehörigkeit er hatte, noch aus welchem Gebiet des Weltraumes er stammte. »Killing Macs Vergangenheit ist dunkel und mysteriös«, sagte Dr. Jodrell, »deshalb fürchte ich auch um Orfus Borus. Wie soll er sich auf einen Gegner einstellen, über den er praktisch gar nichts weiß.« »Wieviel ist,praktisch nichts’?« »Gerüchte«, meinte der Seestier abfällig. »Man munkelt, daß Killing Mac mit dem Fluch eines Dämonen einer Höllenwelt behaftet sei. Demnach kann er nicht eher ruhen, bis er eine bestimmte Zeit durch die Galaxis gereist ist und Böses von einer fruchtbaren Welt zur anderen gebracht hat.« »Hauptsache, Sie distanzieren sich von diesem Aberglauben«, meinte ich ironisch. »Ich glaube nicht daran«, behauptete er, »obwohl viele Leute auf meiner Heimatwelt davon überzeugt sind, daß es den Dämon Hazzako tatsächlich gibt.« »Sagten Sie Hazzako?« »Ja – Hazzako. Haben Sie von diesem Dämon auch schon gehört?« »Allerdings«, gab ich zu, wobei es mir kalt über den Rücken lief. »Nur ist der Hazzako, den ich kenne, kein Dämon, sondern ein Wesen aus Fleisch und Blut. Deshalb ist aber noch lange nicht gesagt, daß wir nicht von ein und derselben Person sprechen.« Hazzako! Diesen Namen würde ich nie vergessen. Die PAN LABORIS hatte einmal bei einem harmlos aussehenden Auftrag mit ihm zu tun bekommen. Ich wünschte mir keine Wiederholung dieses Vorfalls. Denn Hazzako war ein größenwahnsinniger Wissenschaftler, der sich irgendwo auf einer Todeswelt verkrochen hatte und dort die Eroberung des Universums vorbereitete. Es war 88
gar nicht so abwegig, daß er auch diesmal die Finger im Spiel hatte, denn er zog seine Fäden durch die ganze Milchstraße. Ich konnte mir im Augenblick nur noch nicht genau vorstellen, aus welchen Motiven heraus sich Hazzako mit dem Befringen abgeben sollte. Wollte er mit einer Armee von Befringern das Universum erobern? Das war absurd. Eine bessere Erklärung wäre, daß das Befringen nur eine von seinen unzähligen Einnahmequellen darstellte. Mir kamen nun die seltsamsten Gedanken. Einige waren zu abwegig – so zum Beispiel, daß Sylvie sich nur deshalb an unsere Fersen heftete, weil sie eine Agentin Hazzakos sei –, aber einige andere klangen recht einleuchtend; und ich verfolgte sie weiter. Vielleicht war es nämlich gar kein Zufall, daß sich ausgerechnet Mr. Sarghi als Käufer von Felicians »Ödipuskomplex« bewarb, dann zu einem Zeitpunkt kam, als ich nicht anwesend war, und Felician erstand. Das hätte zwar eine recht komplizierte Planung und Wahrscheinlichkeitsberechnung erfordert, aber Hazzako war dazu imstande. Ich gebe es hiermit offen zu, daß ich augenblicklich die Finger von dieser Sache gelassen hätte, wenn die PAN LABORIS nicht bereits so tief darin verwickelt gewesen wäre. Lieber hätte ich mich schon von Dr. Jodrell quarrelieren lassen, als mich mutwillig mit Hazzako anzulegen. Ich erkundigte mich bei Dr. Jodrell noch, ob er vielleicht jemanden kenne, der mir etwas mehr über die Verbindung sagen könnte, die angeblich zwischen Killing Mac und dem Dämonen Hazzako bestand. Zu meiner Verwunderung fiel seine Antwort positiv aus. »Ja, ich kenne jemanden, der mehr über Killing Macs Geheimnis wissen müßte«, sagte der Seestier. »Es ist ein Mann namens Harlan Wendergard. Angeblich war er früher einer der 89
größten Robotspezialisten, aber er hat in den letzten Jahren sehr abgewirtschaftet. Brutal ausgedrückt, ist er nur noch ein menschliches Wrack.« Killing Mac hatte also zu einem Robotspezialisten Verbindung! Das war nicht uninteressant. Langsam schien sich ein Schema abzuzeichnen. Aber ich blieb dennoch mißtrauisch, denn wenn Hazzako an dieser Affäre beteiligt war, durfte man mit allen möglichen Überraschungen rechnen. »Sie scheinen aber über diesen Harlan Wendergard recht gut informiert zu sein«, hielt ich meinem Auftraggeber vor. »Bis vor wenigen Stunden wußte ich nicht einmal, daß er existiert«, sagte Dr. Jodrell. »Er ist an mich herangetreten und wollte mir für teures Geld Informationen verkaufen. Aber er schien mir nicht vertrauensvoll genug, deshalb jagte ich ihn wieder fort.« »Wissen Sie, um welche Informationen es sich gehandelt hat?« forschte ich. »Nein. Sie interessieren mich auch nicht. Denn egal, worum es sich auch handelt, sechzigtausend Credits sind dafür zuviel.« »Diese Summe hat Wendergard gefordert?« »Ja – und zwar bar auf die Hand.« Da mir Dr. Jodrell damit alles gesagt hatte, was er wußte, verabschiedete ich mich von ihm mit der Versicherung, daß trotz der scheinbaren Niederlagen doch noch alles zu einem guten Ende kommen würde. Seine Lippen formten ein »Qu«, und bevor er noch das Wort vollenden konnte, hatte ich mich bereits außer Hörweite gebracht. Jetzt brauchte ich nicht mehr im trüben zu fischen. Ich hatte den Namen Harlan Wendergard, wußte, daß er sich auf dem Schiff befand und konnte ihn jederzeit an Hand der Passagierliste ausfindig machen. 90
Aber bevor ich den gestrandeten Robotspezialisten aufsuchen würde, wollte ich noch einen Abstecher in die Pressestelle machen. Vielleicht konnte Sylvie mit einigen Neuigkeiten aufwarten, die mir bei dem Gespräch mit Wendergard von Nutzen sein konnten. Und während ich mich auf dem Weg zur Pressestelle befand, kam mir die Idee mit dem Visiphongespräch. Im ersten Moment erschien es mir als gute Idee, aber die unmittelbaren Folgen belehrten mich eines anderen. Ich hätte Felicia unter keinen Umständen anrufen sollen. * Ein kleiner Kerl, mit einer rötlichen, durchsichtigen Haut im Gesicht meldete sich, nachdem ich die Nummer von Mr. Sarghis Räumlichkeiten gewählt hatte. »Würde es Ihnen viel ausmachen, Felicia ans Visiphon zu bitten«, bat ich mit aller Höflichkeit. »Felicia«, knurrte er, »ist das ein Frauenname?« »Ja«, bestätigte ich und fügte aufgeräumt hinzu: »Felicia heißt ›Die Glückliche‹.« »Mir egal«, meinte der kleine Durchsichtige. »Jedenfalls haben wir keine Weiber in unserem Haufen.« »Doch«, beharrte ich, »in Mr. Sarghis Team befindet sich ein weibliches Wesen, wenn es auch kein Geschöpf aus Fleisch und Blut ist.« »He, Jolly«, erkundigte sich der Durchsichtige mißtrauisch, »wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Wir sollen hier ’ne Frau haben, die nicht aus Fleisch und Blut ist?« »Natürlich«, redete ich ihm zu, »es handelt sich um den Roboter …« Weiter kam ich nicht. Aus dem Hintergrund ertönte eine unnatürliche hohe Stimme. 91
»Wer will mich sprechen? Weg da, ihr Ungeliebten! Laßt mich ans Visiphon. Ich spüre es – mein Herz sagt es mir, es ist mein Schatz!« Zwischendurch war ein wüstes Gepolter zu hören, und bald darauf erschien Felicias Metallschädel auf dem Bildschirm des Visiphons. Sie hatte die Sehlinsen mit den Lidkappen überdeckt und rang die vielgliedrigen Hände in Kinnhöhe. »Oh, Liebster!« hauchte sie. »Warum hast du so lange nichts von dir hören lassen? Wenn du wüßtest, wie ich gelitten habe, welche Zweifel mich plagten und welche Sehnsüchte mich … Aber warum sagst du denn überhaupt nichts?« Die metallenen Lider klappten zurück und gaben die Sehlinsen frei. Felicia starrte mich wortlos an. »Hallo, Felicia, ich bin es, dein Freund Gumb«, begrüßte ich unseren ehemaligen Hausrobot. »Frevler«, zischte Felicia abfällig. »Wie kannst du dich erdreisten, dir bei mir Gehör zu verschaffen, indem du dich als mein Herzallerliebster ausgibst!« »Du mußt zugeben, daß du dir das nur eingebildet hast«, argumentierte ich. »Du warst schon außer Rand und Band, bevor noch irgend jemand sagen konnte, wer der Anrufer sei.« Felicia strafte mich mit einem funkelnden Blick ihrer Sehlinsen. »Was willst du nun? Sage es mir schnell, damit die Leitung nicht lange besetzt ist. Mein Geliebter könnte jeden Augenblick nach mir rufen.« »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Gumb, sprich nie wieder so etwas aus«, mahnte Felicia streng. »Die Worte aus deinem Munde klingen so gewöhnlich, wenn man weiß, wie die Sprache des Herzens klingt.« »Dich scheint es ja schön erwischt zu haben«, meinte ich mitleidig. »Hoffentlich lohnt es sich, daß du die Freundschaft zu Ernie und mir mit Füßen trittst.« 92
»Wie du das sagst!« »Ich werde meine Gründe haben.« »Was soll diese Anspielung bedeuten?« »Von mir erfährst du nichts mehr, Felicia. Es soll nicht heißen, dein Glück sei durch mich zerstört worden.« »Was meinst du, Gumb? So sprich doch. Betrifft es meinen Liebsten? Ist ihm etwas zugestoßen? Ist seine Programmierung durcheinandergeraten? Ich kann alles ertragen, aber nur nicht die Ungewißheit.« Ich machte ein trauriges Gesicht und sagte mitfühlend: »Felicia, du wirst noch deine blauen Wunder erleben, wenn du alles über deinen Geliebten erfährst. Du tust mir leid. Wirklich, es ist schade um dich, braves Mädchen. Lebe wohl.« »Gumb«, flehte Felicia in höchsten Nöten, »bitte, bitte, sprich zu mir. Meine Liebe zu ihm ist so groß, daß kein Hindernis unüberwindlich ist. Ich muß es wissen, Gumb.« »Ist deine Liebe auch so groß, daß sie für beide reicht?« fragte ich. »Es ist nämlich fraglich, ob er deine Gefühle ebenso ehrlich erwidert.« Ich hatte vor, nach dieser Andeutung Felicia noch einen bedeutungsschweren Blick zuzuwerfen und dann die Verbindung zu unterbrechen. Aber bevor ich dieses Vorhaben noch in die Tat umsetzen konnte, wurde Felicia zur Seite geschoben und ein Mann, dessen Schultern fast ebenso breit waren wie Felicias, erschien auf dem Bildschirm. »Was ist denn hier los?« fragte er. Wir starrten einander an – und plötzlich glomm in seinen Augen Erkennen auf. »Den kenne ich doch«, stellte er fest. Ich erkannte ihn auch. Er war einer der beiden Leibwächter, die Killing Mac im »Ehrlichen Halsabschneider« bei sich gehabt hatte. 93
Schnell schaltete ich das Visiphon ab, doch war damit das Problem nicht aus der Welt geschafft. Wenn der Leibwächter auch noch so wenig Grütze im Gehirn haben mochte, eins und eins würde er zusammenzählen können und unweigerlich zu dem Schluß kommen, daß mein Interesse an Felicia nicht zufällig sein konnte. Er würde Mr. Sarghi von den seltsamen Zusammenhängen berichten, und Mr. Sarghi würde sich einschalten und ich wagte nicht, diese Überlegungen zu Ende zu denken. Mir war so schon heiß genug. Ich konnte mich einstweilen nur damit trösten, daß ich Mr. Sarghi noch nicht in die Hände gefallen war und daß ich bei Felicia zumindest einen Teilerfolg zu verzeichnen hatte. Die Eifersucht würde in ihr nagen, und vielleicht würden ihr bald die ersten Zweifel an der Liebe ihres Geliebten kommen. Und daß Felicias Liebe einseitig war, stand für mich fest, denn ich glaubte ihren Partner bereits zu kennen.
8. Die Pressestelle nahm einige hundert Quadratmeter in einem der oberen Decks ein. Dort wurden nicht nur bordeigene Zeitungen herausgegeben, sondern auch die großen galaktischen Gazetten vervielfältigt. Es hört sich vielleicht verblüffend an, daß auf einem Raumschiff, das sich auf Hyperfahrt befindet, immer die neuesten Nummern der planetaren Zeitungen aufliegen. Aber es wird zur Selbstverständlichkeit, wenn man weiß, daß die einzelnen Blätter originalgetreu durch Hyperimpulse an das Raumschiff gesendet werden; es ist dann ein reines Kinderspiel, eine Matrize anzufertigen und davon die erforderliche Zahl Kopien. Ich wunderte mich also nicht, die neueste Ausgabe der Terra94
Chronik vorzufinden, als ich in die Pressestelle kam. Es handelte sich um die Wochenend-Ausgabe, und da ich hoffte, bereits den Artikel über die PAN LABORIS darin zu finden, klemmte ich mir ein Exemplar unter den Arm. Es kostete einige Mühe, mir ohne Presseausweis Zutritt zu den Räumlichkeiten zu verschaffen, die Unbefugte nicht betreten durften. Aber ich schaffte es. Sylvie fand ich bald darauf. Sie war schwer beschäftigt und schien mich nur unterbewußt wahrzunehmen. Bald beugte sie sich über das Lesegerät, bald hantierte sie am Fernschreiber, dann suchte sie sich wieder Mikrofilme aus den Boxen und hetzte den Archivroboter kreuz und quer durch den Raum. Und zwischendurch schaffte sie es sogar, sich mit mir zu unterhalten. »Eine ganz große Sache, Gumb«, sagte sie und drückte mir einen Stapel von Fotokopien in die Hand. »Fein – wenn sie etwas mit Mr. Sarghi zu tun hat.« »Sie hat.« Ihr Gesicht glühte vor Eifer. Aber bevor ich mehr von ihr erfahren konnte, war sie mit dem Schwebestuhl hinauf zum obersten Regal der fünf Meter hohen Stellage entschwunden. Ich besah mir die Fotokopien. Es handelte sich durchwegs um Gerichtsprotokolle, die von den verschiedensten Planeten stammten. Sie hatten nur etwas gemeinsam: Auf jedem Blatt stand hinter dem Wort »Beschuldigter« der Name »Sarghi«. Ich pfiff durch die Zähne, als ich zur Kenntnis genommen hatte, wessen der Manager alles beschuldigt wurde. Die Anklagepunkte reichten von Bestechung der verschiedensten Staatsbeamten über Diebstahl bis zur Banknotenfälschung. Gewalttaten wurden ihm keine angelastet. »Woher hast du dieses hochexplosive Material?« fragte ich. »Vom Hohen Gericht Terra«, antwortete Sylvie und schwebte wieder zu mir herunter. »Der Generalstaatsanwalt hat es freige95
geben, weil bereits Anklage erhoben wurde. Mr. Sarghi kann in wenigen Stunden mit seiner Verhaftung rechnen. Ein entsprechendes Ersuchen des Terranischen Gerichtshofes ist bereits an den Sicherheitsdienst der Penumbra ergangen.« »Man müßte Mr. Sarghi sofort verhaften«, sagte ich. »Das läßt sich kaum durchführen«, antwortete Sylvie. »Dann ist es zu spät«, erklärte ich. Denn inzwischen war es 19 Uhr, und der belleon-fressakische Ringkampf würde in drei Stunden beginnen. Wenn er erst einmal über die Runden gegangen war und Killing Mac gewonnen hatte, dann nützte mir Mr. Sarghis Verhaftung nicht mehr viel. Ernie und Felicia wären dann zwar frei, aber Dr. Jodrell würde es sich kaum nehmen lassen, mich zu quarrelieren. Das sagte ich Sylvie. »Es tut mir schrecklich leid, Gumb«, erwiderte sie, »aber ich glaube kaum, daß sich das bürokratische Vorspiel beschleunigen läßt, das Mr. Sarghis Verhaftung vorangeht. Trotzdem werde ich alles versuchen, was in meiner Macht steht.« Sie wandte sich wieder dem Lesegerät zu. Ich schien für sie Luft zu sein. »Hauptsache, du hast deine Story«, sagte ich bitter. Sie wirbelte auf ihrem Drehstuhl herum. Ihre grünen Augen blitzten mich wütend an. »Warum sagst du das, Gumb!« fauchte sie. »Du weißt ganz genau, daß mir Ernies und dein Schicksal mehr als alles andere am Herzen liegen. Oder glaubst du etwa, ich wäre auf der Penumbra nur mitgeflogen, weil ich mir eine Story versprach? Das ist doch lächerlich.« Ich nickte zustimmend. »Ich muß mich bei dir entschuldigen, du hast natürlich recht«, sagte ich und wollte gehen. »Einen Augenblick noch, Gumb«, bat sie. Ich blieb stehen und wartete, bis sie zu mir gekommen war. 96
Als sie dicht vor mir stand, entdeckte ich die Verwandlung, die in diesen wenigen Sekunden mit ihr geschehen war. Sie war jetzt nicht mehr der Spürhund, der mit jeder Faser seines Körpers anzeigte, daß er eine Sensation gewittert hatte. Nein, sie war augenblicklich wieder ganz die Frau, als die ich sie kennengelernt hatte. Aber etwas trübte das Bild, und das war eine Niedergeschlagenheit, die ganz und gar nicht zu ihrem beruflichen Triumph passen wollte. Sie zupfte zaghaft an dem Exemplar der Terra-Chronik, das ich immer noch unter den Arm geklemmt hatte; ihr Blick war gesenkt, als sie sagte: »Willst du mit der Lektüre warten, bis ich über gewisse Dinge mit dir gesprochen habe«, schlug sie vor. Ich versprach es ihr, obwohl ich keinen Sinn darin fand. »Was hast du jetzt vor?« wollte sie wissen. »Ich verfolge da eine Spur, die mich vielleicht zu dem Roboter führt, in den Felicia verschossen ist«, antwortete ich und erzählte ihr dann von Harlan Wendergard, dem Robotspezialisten, der früher so engen Kontakt zu Mr. Sarghi gehabt hatte. Sie sagte, sie wisse davon, und dann fügte sie hinzu, daß sogar Unterlagen existierten, die eine Verbindung zwischen Wendergard und dem Menschenfeind Nummer 1, Hazzako, andeuteten. »Sei vorsichtig, wenn du dich mit Wendergard einläßt«, ermahnte sie mich. »Und vergiß auch bitte nicht, daß ich alles unternommen habe, um der PAN LABORIS zu helfen. Versprich mir, daß du das nie vergißt.« Ich wurde aus diesen Worten wieder nicht ganz schlau, konnte aber nicht umhin, mit Ironie darauf zu reagieren. »Ich werde es nicht vergessen, deine Güte wird dir vergolten werden.« Ich verließ schnell das Archiv. Als ich mit dem Förderband zu 97
Harlan Wendergards Kabine fuhr, meldete sich in mir mein zweites besseres Ich. Du Hammel, rügte es, wie kannst du es wagen, Sylvie so ruppig zu behandeln! Ich antwortete nichts, denn mein Adlerauge hatte ein Objekt erspäht, das seit einiger Zeit für mich von besonderem Interesse war. Es war der Mann mit der geheimnisvollen Metalltüte. Er kam mir auf dem anderen Förderband entgegen und starrte mich unverwandt an. Seit ich mich auf der Penumbra befand, schien es mein Schicksal zu sein, ihm bei jeder Gelegenheit zu begegnen. Aber dabei war es bisher immer geblieben. Ohne viel zu überlegen, winkte ich ihn auf die Seite. Wir verließen beide die Förderbänder und trafen uns auf dem Fußsteig. Erst jetzt fiel es mir auf, wie heruntergekommen der Mann wirkte; er war mager und hatte ein ausgemergeltes Gesicht, in dem die Augen tief in den Höhlen lagen. Sein Anzug war zerknittert. Die Tüte preßte er wie einen Frühstücksbeutel fest an sich. Er blickte mir forschend in die Augen. »Was haben Sie da drin?« erkundigte ich mich. »Zehntausend Credits«, sagte er mit einer Stimme, die so unpersönlich klang, als käme sie aus dem Totenreich. »Sie tragen zehntausend Credits mit sich herum?« sagte ich ungläubig. »Zehntausend Credits kostet ein Blick in Harlans Büchse’«, sagte er. »Ist das aber preiswert. Sie müssen ja von Neugierigen direkt überrannt werden.« Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Es geht – außerdem kostet ein Blick sonst nur die Hälfte. Fünftausend.« »Was?« staunte ich. »Und warum müßte ich zehntausend blechen?« 98
»Weil der zweite Blick doppelt soviel kostet wie der erste«, antwortete er und drückte die Tüte noch fester an sich, während er die zweite Hand fest auf den Deckel preßte. »Wollen Sie damit sagen, daß ich schon einmal einen Blick riskiert habe? Für fünftausend Credits?« Er nickte stumm. Bei allen Stürmen der Galaxis! Ich hatte mir ein recht zweifelhaftes Vergnügen fünftausend Pfifferlinge kosten lassen und konnte mich nicht mehr daran erinnern. Das mußte sich während des Besäufnisses mit Ernie abgespielt haben. Fünftausend Credits – das konnte ich ganz einfach nicht glauben. Schnell zückte ich meine Credit-Karte und vergewisserte mich, ob ein Betrag in dieser Höhe in Abzug gebracht worden war. Erschüttert mußte ich feststellen, daß die Angaben des Tütenmannes stimmten. In meinem Rausch hatte ich fünftausend Credits zum Fenster hinausgeworfen. »Wollen Sie für zehntausend noch einmal?« erkundigte er sich. »Was bekomme ich denn überhaupt zu sehen?« wollte ich wissen. Er schüttelte den Kopf. Ich versuchte ihn auszuholen, aber er gab überhaupt keinen Kommentar. Statt dessen fragte er: »Wollen Sie oder wollen Sie nicht?« »Lieber ein andermal«, vertröstete ich ihn. Aber ihm machte das weniger aus als mir. Ich ließ ihn stehen und setzte schnell auf das Förderband über, bevor ich der Versuchung, einen Blick in »Harlans Büchse« zu werfen, nachgeben konnte. Doch ich ahnte bereits, daß es nur ein Aufschub war, irgendwann würde es mich erwischen. Als ich nach zehn Minuten den Abschnitt erreichte, in dem Wendergards Kabine lag, hatte ich den Zwischenfall schon fast 99
wieder vergessen und konzentrierte mich auf die bevorstehende Aufgabe. Mich vorsichtig nach Killing Macs Leibwächtern umblickend, erreichte ich über die Feuertreppe das Dritte-Klasse-Deck. Hier herrschte eine Atmosphäre, die mich stark an das Treiben in den Slums von Brandistadt erinnerte. Überall auf den Korridoren hockten oder standen zwielichtige Gestalten herum, versuchten die Passanten in ein Hasardspiel zu verwickeln oder ihnen Diebesgut anzudrehen. Dazwischen standen Kisten und Ballen, auf denen die Kinder der Planetenpioniere herumtollten. Ich erreichte Wendergards Kabine ohne nennenswerten Zwischenfall, aber ich fühlte mich nicht recht wohl, als ich läutete und fast körperlich spürte, wie ich dabei von über einem Dutzend Augenpaaren beobachtet wurde. Irgend jemand streifte mich, schob sich an mir vorbei zu der Kabinentür und schloß sie auf. Es war der Mann mit der metallenen Tüte. »Sie wollten doch zu mir, oder?« sagte er und hielt mir die Tür auf. Ich folgte ihm verwirrt in den trübe beleuchteten, mit allerlei Krimskrams überladenen kleinen Raum. »Der Groschen hätte bei mir gleich fallen können«, sagte ich, nachdem ich meine Überraschung überwunden hatte. »Sie sind mir überallhin gefolgt und haben mir durch die Blume Informationen angeboten.« Ich lachte. »›Harlans Büchse‹, ha, ha! Vielleicht sind mir Ihre Informationen tatsächlich zehntausend wert.« »Ein Blick in,Harlans Büchse’ kostet unabhängig von unserem anderen Geschäft zehntausend«, sagte er mit seiner tonlosen Stimme. Er warf die Tüte achtlos in eine Ecke, und ich sah sehnsüchtig, wie sie unter eine Holzkommode rollte. 100
Harlan mißverstand meinen Blick und sagte fast entschuldigend: »Bei mir sieht es deshalb wie in einer Rumpelkammer aus, weil ich all meine Habe mitgenommen habe. Ich wandere aus. Der Boden wird mir auf Terra zu heiß. Vielleicht verstehen Sie, warum.« »Ich kann es mir denken«, stimmte ich zu und wechselte sofort auf das Geschäftliche über. »Sie haben Dr. Jodrell Informationen für die Summe von sechzigtausend Credits angeboten. Vielleicht wäre er darauf eingegangen, doch haben Sie sich das Geschäft selbst verscherzt, weil Sie ihm keinerlei Anhaltspunkte über die Natur der Informationen geben wollten. Ich bin ebenfalls daran interessiert, aber ich brauche einen Beweis dafür, daß diese Informationen sechzigtausend wert sind.« Er lächelte schwach. »Gut, Sie bekommen Anhaltspunkte. Aber Sie sind im Irrtum, wenn Sie glauben, mich mit sechzigtausend abfertigen zu können. Sie sind der zweite Interessent, deshalb verdoppelt sich die Summe.« »Sie haben recht seltsame Praktiken, um Ihre Honorarsätze zu berechnen«, sagte ich. »Damit machen Sie sich nicht gerade beliebt.« »Sie meinen das Verdoppelungssystem? Keine Bange, irgendwann findet sich immer einer, der bezahlt. Und wenn Sie unverrichteter Dinge gehen, wird sich ein dritter einstellen, der dann womöglich die zweihundertvierzigtausend Credits zahlt.« »Der dritte wäre aber dann der terranische Generalstaatsanwalt«, gab ich zu bedenken. »Ich kann auf Ihre Forderung nämlich nicht eingehen.« Harlan Wendergard, der Robotspezialist, der sich jetzt mit Taschenspielertricks seinen Lebensunterhalt verdiente, verlor etwas von seiner Ruhe. Wahrscheinlich war das darauf zurückzuführen, daß ich den Generalstaatsanwalt genannt hatte. Aber seine Forderungen wollte Wendergard nicht herunterschrauben. 101
»Was ich zu sagen habe, ist hundertzwanzigtausend und noch mehr wert«, behauptete er. »Es bricht Mr. Sarghi das Genick und bringt dem großen Hazzako eine ordentliche Schlappe ein. Das können Sie mir ruhig glauben.« »Hm«, machte ich überlegend, in der Hoffnung, er würde noch etwas weiterplaudern. »Was wollen Sie denn noch hören«, erboste sich Wendergard. »Wenn Sie Namen und Koordinaten des Planeten hören wollen, auf dem sich der Sitz von Mr. Sarghis Syndikat befindet, müssen Sie schon zahlen. Wenn Sie wissen wollen, wo sich die Werkstätte befindet, in der ich Killing Mac gebaut habe, müssen Sie ebenfalls zahlen. Und wenn Sie Beweise dafür haben wollen, daß Killing Mac ein Androide ist, kostet es auch etwas. Na, haben Sie genug Andeutungen von mir erhalten?« »Hm«, machte ich nur wieder. Er hatte meine Vermutung bestätigt, daß Killing Mac jener Robot war, in den sich Felicia verliebt hatte. Und das hatte er vollkommen kostenlos getan. »Na, was ist«, drängte er, »wollen Sie die Informationen von mir kaufen?« »Ich muß es mir erst überlegen«, log ich. Es gab natürlich nichts mehr zu überlegen. Was ich wissen wollte, hatte er mir gesagt, und für die restlichen Informationen würde ich ihm nicht einmal den Bruchteil von einhundertzwanzigtausend geben. Aber ich fand, daß er sich zumindest zehntausend Credits verdient hatte. Großzügig sagte ich: »Damit Sie nicht sagen können, ich habe Sie mit leeren Händen zurückgelassen, will ich einen Blick in Ihre Büchse riskieren.« Er sah mich entgeistert an. »Mehr wollen Sie nicht?« »Einstweilen nicht.« 102
»Aber … Es kostet Sie zehntausend Credits.« Da ich es eilig hatte, mein Wissen über Killing Mac nutzbringend auszuwerten, drängte ich ihn, die Metalltüte herbeizuschaffen. Mit der Verwünschung: »Wo ist denn das verflixte Ding?« machte er sich zwischen seinen Habseligkeiten auf die Suche. Er fand die Tüte schließlich durch meine Hilfe, denn ich hatte sie keine Sekunde aus den Augen gelassen. Ich beeilte mich, zehntausend Credits von meiner Karte auf die seine zu übertragen, denn ich platzte bereits schier vor Neugierde. Aber er überreichte mir seine Büchse erst, nachdem ich einen Wisch unterschrieben hatte, auf dem stand, daß ich auf Rückzahlung der zehntausend Credits selbst dann verzichtete, wenn mich die erbrachte Leistung enttäuschte. »Jetzt werden Sie Augen machen«, sagte Wendergard und öffnete den Deckel seiner Zaubertüte. Ich beugte mich darüber, starrte intensiv in das unergründliche Dunkel und – sah Sterne vor meinen Augen aufblitzen. Den Schmerz in meinem Genick spürte ich erst, als die Beine unter meinem Körper nachgaben. Ich suchte mit den Armen verzweifelt Halt und riß dabei Wendergard mit zu Boden. Über uns erklang ein zweistimmiges Grölen. Es stammte von Killing Macs beiden Leibwächtern, die ich bereits aus dem »Ehrlichen Halsabschneider« kannte. »So«, sagte der eine von ihnen, »jetzt werden wir euch für die Dauer der Reise Gesellschaft leisten. Und danach – wer weiß, vielleicht werden dann die Englein im Himmel eure Gesellschafter sein.« Ich ärgerte mich, daß es mir wieder nicht gelungen war, das Geheimnis von »Harlans Büchse« zu ergründen. Und da ich diesen verdammten Wisch unterschrieben hatte, konnte ich nicht einmal reklamieren. 103
Die beiden Leibwächter ließen sich gemütlich neben uns auf dem Boden nieder. »Wie wäre es mit einem Spielchen?« * Die zwei waren gar keine so üblen Burschen, wenn man einige ihrer schlechten Eigenschaften abstrich. Dazu gehörte, daß sie beim Spiel nicht verlieren konnten, daß es ihnen eine kindliche Freude bereitete, andauernd freundschaftlich gemeinte Hiebe auszuteilen, daß ihre Ausdrucksweise nicht gesellschaftsfähig war und daß sie auch sonst keine Manieren besaßen und nicht wußten, welche Bedeutung der Begriff Nächstenliebe hatte. Aber sonst waren sie, wie gesagt, recht angenehme Zeitgenossen. Ich hatte beim Kartenspiel außer meiner Credit-Karte auch noch einige Kleidungsstücke eingebüßt, Harlan Wendergard besaß außer seiner Unterwäsche ebenfalls kein Eigentum mehr. Die beiden Leibwächter – sie hießen Hocky und Trigg, aber ich wußte nicht, wer von ihnen wer war – mogelten beim Spiel so offensichtlich, daß es einem Blinden aufgefallen wäre. Und es amüsierte sie königlich, daß wir nicht aufzubegehren wagten. »In ein paar Minuten läuft der Kampf an, Trigg«, sagte der mit dem blonden Haar und verteilte die Karten. »Ich weiß, Trigg«, sagte der Schwarzhaarige und nahm seine Karten auf. »Wieviel möchtest du tauschen, Hocky?« erkundigte sich der Blonde. »Gib mir drei, Hocky«, verlangte der Schwarze, vermischte die drei Karten, die er weglegen wollte, mit denen, die er von seinem Partner bekam und suchte sich jene drei davon aus, die ihm am besten ins Blatt paßten. 104
»Wollt ihr etwa auch tauschen?« fragte der Blonde drohend. »Nein, danke, wir sind komplett«, sagten Wendergard und ich wie aus einem Mund. Der Schwarze setzte einen Credit, Wendergard ging mit und mußte einen Schuldschein über hundert Credits unterschreiben, weil er kein Bargeld besaß. Passen war verboten, wie der Schwarze ausdrücklich verkündete. Also ging auch ich mit, steigerte mit dem Blonden bis zu fünfzigtausend Credits und – verlor. »Gewonnen, Trigg!« triumphierte der Schwarze. »Aber die nächste Runde muß an mich gehen, Trigg«, verlangte der Blonde. Daraus wird klar, daß ich dem Spiel nicht viel Reiz abgewinnen konnte. Aber ich machte gute Miene dazu und versuchte, das Bestmögliche aus der Situation herauszuholen, und es gelang mir auch, Hocky und Trigg ein wenig auszuhorchen. So erfuhr ich, daß es tatsächlich Mr. Sarghis Idee gewesen war, Felicia mit Killing Mac zu verkuppeln. Harlan Wendergard steuerte einige technische Daten bei, so daß ich auch etwas über die Hintergründe in Erfahrung bringen konnte. Killing Mac war ein Androide, dessen Robotkörper mit einem Kunststoff überzogen war, das dem menschlichen Gewebe ähnelte. Äußerlich war er von einem Menschen nicht zu unterscheiden. Man hatte die Anpassung sogar so weit getrieben, daß durch unsachgemäße Behandlung des »Fleisches« und der »Muskeln« Schäden auftreten konnten. Deshalb wären Mr. Sarghis Pläne fast über den Haufen geworfen worden, als Felician – damals war er ja noch nicht weiblichen Geschlechts – Killing Mac wie einen rohen Teig knetete, anstatt ihn zu massieren. Das war einer der Punkte, die mir zu denken gegeben hatten und warum ich nicht sofort daraufgekommen war, daß Killing Mac der von mir gesuchte Roboter war. 105
Jetzt wußte ich es, aber ich konnte dieses Wissen nicht mehr nutzbringend anwenden. Doch das war noch nicht alles. Zwangsläufig tauchte die Frage auf, welchen Zweck Killing Mac eigentlich zu erfüllen hatte. Wenn nämlich Hazzako dahintersteckte – und das war inzwischen erwiesen –, dann würde er einen Androiden nicht nur deshalb bauen lassen, um ihn im Ring siegen zu sehen. Hocky und Trigg bestätigten das, und Wendergards Kommentar machte ihre Aussage glaubhaft. Killing Mac war das erste Produkt einer Androidenserie, die bei der Eroberung des Universums als Kampfmaschinen eingesetzt werden sollten. Durch ihr menschliches Aussehen würden sie kein Aufsehen erregen und konnten überall in der Galaxis Schlüsselpositionen einnehmen. Killing Mac war so etwas wie ein Versuchskaninchen. Würde man seine wahre Identität nicht herausfinden, so konnte Hazzako sicher sein, daß auch die weiteren Androiden aus dieser Produktion nicht entdeckt werden würden. Der Kampf gegen Orfus Borus war als letzter Test gedacht. Wenn alles glattging, dann sollte die Androidenproduktion anlaufen. Das alles hatte ich erfahren, aber ich konnte nichts damit anfangen, denn ich war so gut wie gefangen. Trotzdem hatte ich nicht vor, mich kampflos in mein Schicksal zu ergeben. Schließlich konnte es einem Mann mit meiner Intelligenz nicht schwerfallen, zwei Muskelprotze mit der Mentalität von verspielten Hunden zu überlisten. Inzwischen war ein neues Spiel abgelaufen, und Wendergard und ich hatten jeder hunderttausend Credits verloren. Während ich den Schuldschein ausfüllte, sagte ich: »Wird es euch nicht langweilig, gegen uns zu spielen?« »Warum sollte es das, ich gewinne gern«, sagte der Blonde. 106
»Ich ebenfalls«, stimmte der Schwarze zu, faltete Wendergards Schuldschein sorgfältig zusammen und ließ ihn in der Tasche verschwinden. »Aber ihr habt doch in Wirklichkeit keinen roten Heller gewonnen«, sagte ich. Der Schwarze grinste dämlich, klopfte sich auf die Brusttasche und sagte: »Auf den Schuldscheinen steht es schwarz auf weiß, was wir gewonnen haben.« »Sie sind ungültig«, klärte ich sie auf. »Wenn ihr uns beide nämlich in die Ewigen Jagdgründe schickt, dann wird es nichts mit der Bezahlung der Spielschulden. Denn wir beide sind die Schuldner.« Hocky und Trigg sahen sich gegenseitig an. »Das habe ich nicht bedacht, Hocky«, sagte der Blonde. »Ich habe es auch nicht bedacht, Trigg«, sagte der Schwarze. »Ihr habt also außer dem Gerumpel hier nichts gewonnen«, fügte ich hinzu. »Dann war das ganze Spiel umsonst«, stellte der Blonde resigniert fest. »Stimmt«, gab ich ihm recht. »Nicht einmal,Harlans Büchse’ gehört euch, denn darum wurde nicht gespielt.« Wendergard fing mein Augenzwinkern auf und ging sofort darauf ein. »Von meiner Büchse würde ich mich nie trennen« verkündete er. »Was für eine Büchse?« wollte der Blonde wissen, und als Wendergard trotzig schwieg, forderte er grollend: »Na, wird’s bald!« »Die Büchse ist mein ein und alles«, sagte Wendergard. »Es ist ein Erbstück, an dem ich sehr hänge. Und sie ist auch mein einziger Broterwerb.« »Im Himmel brauchst du kein Brot«, sagte der Schwarze. »Also her mit der Dingsda.« 107
»Nein!« sagte Wendergard standhaft. »Nie gäbe ich sie aus der Hand, außer man zahlt mir dafür fünftausend Credits. Und auch dann wird nur ein kurzer Blick ins Innere gewährt.« »Wer ist denn so blöde und zahlt dafür etwas?« wollte der Blonde wissen. »Er«, sagte Wendergard und zeigte auf mich. »Er hat sich seine Neugierde bisher sogar fünfzehntausend Credits kosten lassen. Das kann ich beschwören.« »Und ich habe es nicht bereut!« log ich. »Es gibt viele Leute, die ohne einen Blick in meine Büchse nicht mehr leben können«, behauptete Wendergard ohne rot zu werden. »Das wäre kein schlechtes Geschäft«, murmelte der Schwarze, und seine Lippen bewegten sich, während er fünftausend und fünftausend zusammenzählte und nochmals fünftausend dazurechnete und … Weiter kam er meiner Schätzung nach nicht. »Würden wir reich werden?« fragte der Blonde. »Ihr würdet Millionäre werden«, versicherte ich. »Nein!« Wendergard wandte sich hilfesuchend an mich. »Sie werden Ihre Büchse verschmerzen müssen«, sagte ich zu ihm. »Aber um einen Streit unter den beiden Herren zu vermeiden, schlage ich vor, daß wir darum spielen.« Da sich Hocky und Trigg gegenseitig nicht trauten, teilte ich die Karten aus. Das paßte mir recht gut, denn ich habe auch geschickte Finger. Ich glaubte zwar nicht daran, daß sie mir die Büchse überlassen würden, falls ich gewann, aber die Chance auf einen Blick in das Innere rechnete ich mir schon aus. Damit sparte ich immerhin zwanzigtausend Credits. Ich gewann tatsächlich. Wendergard mußte mir die Metalltüte übergeben. »Diese Runde ist für ungültig erklärt«, sagten Hocky und Trigg gleichzeitig. 108
»Meinetwegen«, gab ich nach, »aber ein Blick hinein steht mir als Gewinner zu.« Ich öffnete den Deckel und blickte wieder einmal in das unergründliche Dunkel. Wendergard geriet ins Schwitzen, aber seine Stimme klang dennoch beschwörend, als er verkündete: »Sie werden Augen machen …« Ich machte tatsächlich Augen. Ich starrte und starrte in das Innere der Büchse, vergrub meinen Kopf fast darin, die Augen traten mir vor Anstrengung schier aus den Höhlen – aber ich sah nichts. Jetzt kannte ich das Geheimnis der Zaubertüte. Sie war leer. Und das hatte ich mich fünfzehntausend Credits kosten lassen! Ich konnte nur bei dem Gedanken Trost finden, daß ich nun um eine Erfahrung reicher war. »Was siehst du denn?« hörte ich den Blonden ungeduldig fragen. »Toll«, sagte ich überwältigt und klappte den Deckel zu. »Wir machen ein neues Spiel«, erklärte der Schwarze. »Und diesmal gewinne ich.« »Nein, ich«, stimmte der Blonde dagegen. Wendergard mischte und teilte aus. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Hocky und Trigg Karten aus ihren Ärmeln holten. Keiner von ihnen wollte Karten tauschen, das zeugte davon, daß sie sich ein gutes Blatt gemixt hatten. Wendergard und ich machten aber schon von unserem Tauschrecht Gebrauch, quasi um die Spannung zu erhöhen. Dann deckten wir alle vier auf. Hocky gewann. Trigg gewann auch. Jeder von ihnen hatte einen Assen-Poker. »Du hast geschummelt«, stieß der Blonde entrüstet hervor, 109
und er knallte dem Schwarzen die Faust aufs Auge. Dieser revanchierte sich mit einem Kinnhaken. Danach spielte sich Unwahrscheinliches ab; Hocky und Trigg nahmen sich derart in die Mangel, daß kein Zweifel über den Ausgang des Kampfes bestand – sie würden beide k. o. gehen. Aber das warteten Wendergard und ich nicht erst ab. Wir nützten die Gelegenheit, um uns still und leise abzusetzen. Ich nahm mir nicht einmal die Zeit, meine Habseligkeiten zusammenzusuchen, sondern bedeckte meine Blößen mit den Blättern der Terra-Chronik. Und jetzt nichts wie auf in die Arena, forderte mich mein zweites besseres Ich auf, und der Gerechtigkeit zum Sieg verholfen! Du hast es in der Hand, Gumb, die Menschheit vor einer Invasion der Androiden zu retten und deinen Freund in die PAN LABORIS zurückzuholen. »Das werde ich!« Aber es kam doch alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte.
9. Mein Weg bis zu dem Saal, in dem der Befringkampf stattfand, war ein einziges Martyrium. Aber schließlich erreichte ich doch den Eingang und konnte mich sogar bis zur Arena durchkämpfen. Allerdings zog ich eine Schlange von Menschen hinter mir her, die mich ob meiner ungeziemenden Aufmachung wegen unsittlichen Verhaltens belangen wollten. Es gab also einen ganz schönen Auflauf, als ich am Bassin ankam, in dessen Wasser Killing Mac und Orfus Borus einander in den Haaren lagen. Aber trotzdem fiel mein Erscheinen 110
nicht besonders ins Gewicht, denn in der Halle war auch sonst allerhand los. Felicia lehnte sich über die Brüstung des Bassins und feuerte Killing Mac mit schriller Stimme an. Mr. Sarghi, der durch ihren Übereifer befürchten mußte, entlarvt zu werden, klammerte sich an Felicias metallenen Körper und versuchte, sie zurückzuzerren. Das wiederum behagte Ernie nicht, was er dadurch kundtat, indem er mit seinen Händen auf Mr. Sarghis Leibesfülle einhämmerte. Auf der anderen Seite des Bassins fuchtelte Dr. Jodrell wild mit seinen Flossenhänden in der Luft herum und versuchte, die fünf Schiedsrichter auf die Regelwidrigkeiten aufmerksam zu machen, die sich die beiden Kämpfenden im allgemeinen Durcheinander zuschulden kommen ließen. Killing Mac nutzte die Unaufmerksamkeit der Schiedsrichter weidlich aus, und von Orfus Borus’ Beteiligung an dem Kampf zeugten zumeist nur Luftblasen, die auf der wogenden Wasseroberfläche platzten. Das Publikum tobte vor Begeisterung, und als dann auch noch ich auf der Bildfläche erschien, was wahrscheinlich für einen besonderen Gag gehalten wurde, schwoll das Johlen und Trampeln zu einem wahren Orkan an. »Gib ihm Saures, Liebling!« kreischte Felicia. »Deinen Seemannsknoten! Wende deinen Seemannsknoten an.« »Aufhören, aufhören«, brüllte Mr. Sarghi Felicia ins Ohr. »Du verdirbst uns noch das ganze Geschäft!« »Ich liebe ihn. Oh, wie ich meinen starken, wackeren Killing Mac liebe.« Killing Mac wirbelte den fast wehrlosen Orfus Borus durch die Luft und ließ ihn dann ins Wasser plumpsen. In der Verschnaufpause wandte sich Mac seiner Geliebten zu. »Kannst du nicht dein Maul halten!« schnauzte er Felicia an. 111
»Meine Liebe geht mit mir durch. Mac.« »Keinen Mucks mehr, verstanden? Sonst drehe ich dir den Hals um.« »Mein Hals ist um dreihundertsechzig Grad drehbar, Schatz.« »Schnauze!« Orfus Borus erhob sich prustend aus dem schäumenden Naß. Er hatte vollkommen die Orientierung verloren und lief Killing Mac genau in die Arme. Der hob ihn sich auf die Brust und schwang ihn wie einen Pumpenschwengel auf und ab. »Der Kampf ist irregulär!« schrie Dr. Jodrell die Schiedsrichter an. Zwei von ihnen nahmen sich ein Herz und versuchten, dem tobenden Killing Mac Einhalt zu gebieten. Aber wie sie in seine Reichweite kamen, wischte er sie beiseite, als wären sie Strohhalme. »Ist er nicht süß!« Die Schar der Moralapostel, die mich bis hierher verfolgt hatte, rückte mir immer näher auf den Pelz. Aber bevor sie mich noch erreichten, war ich bereits bei Felicia angelangt. Ernie sah mich auch sogleich. »Gumb«, rief er halb empört, halb verwundert, »wie siehst denn du nur aus!« Ich schenkte ihm nur ein schwaches Grinsen und wandte mich Felicia zu, an deren Rücken immer noch Mr. Sarghi wie ein Parasit klebte. »Einen schönen Liebhaber hast du«, brüllte ich sie mit voller Lautstärke an, um den Lärm zu übertönen. »Sieh nur, wie gemein und brutal er ist, und außerdem empfindet er überhaupt nichts für dich.« »Doch, er liebt mich genauso heiß, wie ich ihn«, sagte Felicia überzeugt. »Er kämpft jetzt nur für mich, das hat er mir schon vor dem ersten Gongschlag versichert.« 112
»Er würde es mit dir so machen wie mit dem armen Orfus Borus, wenn du jetzt zu ihm gingest und verlangen würdest, daß er dir seine Liebe gesteht.« Felicia starrte mich abfällig an. »Pah, was verstehst du von wahrer Liebe. Ich werde deine infame Behauptung widerlegen.« Sprach’s und sprang hinein in das Bassin. »Zurück, zurück!« brüllte Mr. Sarghi, bekam einen Fuß Felicias zu fassen und klammerte sich daran fest. Sie schien sein Gewicht überhaupt nicht zu spüren und zerrte ihn mit sich ins Kampfbecken. Sie teilte das Wasser mit kräftigen Schritten, und als sie die Befringenden erreichte, trennte sie sie voneinander. »Gestehe mir auf der Stelle deine Liebe«, verlangte sie von Killing Mac. Der brüllte wie eine Horde tollwütiger Affen auf und versetzte ihr einen Schlag vor den Brustkorb, daß sie durch die Luft segelte wie ehedem Orfus Borus. Die Reaktion der Zuschauer war geteilt, zwei Lager hatten sich gebildet. »Abbruch! Schiebung! Hinaus!« brüllte der eine Teil. »Hoppauf, Hoppauf! Weiter! Bravo!« riefen die anderen im Chor. Ich sah, daß an den Eingängen eine größere Verschiebung stattfand, legte aber diesem Tumult keine besondere Bedeutung bei, denn das Geschehen im Kampfbecken und der näheren Umgebung fesselte meine Aufmerksamkeit vollständig. Felicia hatte sich von Killing Macs Schlag inzwischen erholt. Sie sprach später nie darüber, was in diesem Moment in ihr vorgegangen war, aber sicher waren es verletzte Eitelkeit und gekränkter Stolz, die sie einen markerschütternden Kriegsruf anstimmen ließen. Der letzte Ton war noch nicht verklungen, da stürzte sie sich auf Killing Mac. 113
So unverhofft von seinem Gegner erlöst, nutzte Orfus Borus die Gelegenheit und wollte türmen. Aber Dr. Jodrell war sofort zur Stelle und hinderte ihn daran. Er hob die Rechte seines Champions und rief ihn als Sieger aus. Das paßte den Kampfrichtern nicht ganz ins Konzept. Sie kamen in Windeseile heran und versuchten dem Sportarzt und seinem Schützling ihren Standpunkt zu erklären. Dr. Jodrell schien zu Verhandlungen bereit, aber Orfus Borus verhielt sich stur. Er blieb solange mit der erhobenen Rechten aufrecht stehen, bis ihn eine Woge von den schon zittrigen Beinen riß. Er dürfte der Meinung gewesen sein, daß ihm ein Kampfrichter ein Bein gestellt hatte und rächte sich fürchterlich … Im Nu war im Kampfbecken die schönste Massenschlacht im Gange. Zu den insgesamt neun Raufenden gesellten sich noch acht weitere, die sich aus Betreuern und Funktionären der beiden Champions zusammensetzten. Mr. Sarghis Leute kletterten kurzerhand ins Bassin, als sie ihren Chef in Bedrängnis sahen, und die andere Seite erhob sich wie ein Mann, weil sie meinten, die Gegner hätten es auf Dr. Jodrell abgesehen. Unverhoffter Nachschub kam noch durch eine Gruppe Sicherheitsleute – zwanzig Mann hoch –, die von Sylvie angeführt wurde. »Dort, der rundliche Mann, der von einem Kampfrichter in den Schwitzkasten genommen wird, ist der Gesuchte«, erklärte sie dem ranghöchsten Sicherheitsoffizier. Der richtete sich zu seiner vollen Größe auf und rief mit befehlsgewohnter Stimme: »Mr. Sarghi, im Namen des terranischen Gerichtshofes sind Sie verhaftet.« Er hatte die Lacher eindeutig auf seiner Seite. Es war überhaupt nicht daran zu denken, daß sich Mr. Sarghi der Verhaftung stellte, obwohl er vielleicht gern die Situation getauscht hätte, denn er befand sich in eiserner Umklammerung. 114
Der Offizier sprach die Verhaftung noch zweimal aus, dann erst merkte er, daß jedes weitere Wort fehl am Platze war und ließ Taten sprechen. »Holt ihn«, befahl er, und seine neunzehn Leute gehorchten augenblicklich. Es war unbeschreiblich, welche Szenen sich in dem für sechsunddreißig Personen viel zu kleinen Kampfbecken abspielten. Sylvie war zu mir und Ernie heraufgekommen, und uns ging es wie den tausend unbeteiligten Zuschauern: Wir lachten unentwegt. Schließlich, als die Massenrauferei den Höhepunkt schon längst überschritten hatte, barst das Becken. Aber zu diesem Zeitpunkt gab es für mich schon lange nichts mehr zu lachen. Denn schon Minuten vorher war mir eine Überschrift der Terra-Chronik, die ich um meinen Körper gewickelt hatte, ins Auge gestochen. Ich nahm das Blatt auf, zog mich in eine stille Ecke zurück und las. DIE TAPFEREN MÄNNER DER PAN LABORIS stand als Überschrift da, und als Untertitel: Ein nicht ganz ernstzunehmender Beitrag über Lebenskünstler, die Stiefkinder des »Goldenen Zeitalters« von Sylvia Grant. Dann kam ein »nicht ganz ernstzunehmender« Artikel, der es in sich hatte. Es stand alles darin, worüber ich mit Sylvie in der Konferenzkabine des Pressehauses gesprochen hatte, und auch das Vertrauliche, das sie im Untergrund 10 aus mir herausgelockt hatte – einige sehr rührende Geständnisse Ernies fehlten ebenfalls nicht. Und alles war verzerrt, ins Lächerliche gezogen. Ja, Charly hatte schon recht gehabt, es würden sich genügend Leser für diesen Knüller interessieren. Sie würden sich halb totlachen über die beiden Blödiane der PAN LABORIS, die eine drollige Niederlage nach der anderen erlebten. Es war auch zu lustig! Aber ich konnte nicht weiterlesen. Mir wurde übel. 115
* Es war wieder alles in schönster Ordnung. Mr. Sarghi sah das Universum durch schwedische Gardinen, Killing Mac war in seine Bestandteile zerlegt worden, Hazzako, der Eroberer des Universums, hatte eine arge Niederlage erlitten. Ernie, Felicia und Blessy waren ihrer Verpflichtungen enthoben und gehörten wieder dem Team der PAN LABORIS an; Dr. Jodrell hatte darauf verzichtet, mich zu quarrelieren. Es gab nur einige kleine Wolken, die aber den heiteren Himmel nicht trüben konnten. Es war nicht weiter schlimm, daß Dr. Jodrell sich geweigert hatte, die fünfzigtausend Credits auszubezahlen. Sein Standpunkt, ich hätte nichts zur befriedigenden Lösung seiner Probleme beigetragen, war nach dem Gesetz nicht anzufechten. Auch daß Felicia sich weigerte, aus dem weiblichen Geschlecht auszutreten, obwohl Ernie die Schraube in ihrem Gehirn untergebracht hatte, die mir nach dem Eingriff übriggeblieben war – auch das war nicht weiter arg. Wir würden uns schon noch an Felicia gewöhnen. Und eine ganz besonders positive Tatsache war, daß uns ein kostenloser Urlaub auf Fressak VI bevorstand. Wie man sieht, war alles in Butter. Nur bei mir persönlich nicht. Es läutete an meiner Kabinentür. Ohne mich aus dem Bett zu erheben, betätigte ich den Türöffner. Als Ernie hereinkam, erschien er mir als das genaue Gegenteil von mir. Häßlich, aber lebenssprühend, jung und voller Optimismus. Dabei war er ernst. Er holte sich einen Stuhl und setzte sich zu mir ans Bett. »Du tust Sylvie unrecht«, begann er. 116
Ich war mit meinen Gedanken irgendwo in der Vergangenheit, bei einem Rendezvous mit einem liebenswürdigen Mädchen … Ich verzog den Mund abfällig. »Tatsächlich, Gumb«, fuhr Ernie fort. »Sie ist immer noch das wunderbare Mädchen, für das du sie einmal gehalten hast. Sie ist nicht schuld daran, daß der Artikel über uns so verzerrt gebracht wurde. Irgend jemand in der Redaktion muß das Ganze frisiert und ins Lächerliche gezogen haben.« Das habe ich mir auch schon einzureden versucht, sagte ich, doch hören konnte es niemand außer mir. »Schön«, sagte Ernie, »wie du willst. Du brauchst mir nicht zu glauben. Aber dann bedanke dich bei ihr wenigstens für die Reise und für die Hinterlegung der Kaution, die erforderlich war, um Felicia, Blessy und mich freizubekommen.« Er erhob sich. »Diese Reise hat die Terra-Chronik finanziert«, erwiderte ich. Er zuckte die Achseln. »Und das andere wohl auch?« Wir sahen einander an. Plötzlich lächelten wir beide wie auf Kommando. Ich schwang mich aus dem Bett. »Gehe hinüber zu ihr«, sagte Ernie. »Sie erwartet dich …« Ich streifte mir das Jackett über und knöpfte es zu, während ich zur Tür hinausstürmte, die er mir aufhielt. Mitten in der Bewegung hielt ich inne. »Nein, ich kann nicht, Ernie. Ich möchte nicht, daß Sylvie zwischen uns steht.« »Sei kein Frosch, Gumb. Ich weiß, daß ich damals ein Narr war. Es passiert mir kein zweitesmal. Du bist dran …« Und er lächelte tapfer. Ich wußte in diesem Augenblick noch nicht, welches Opfer er mir zuliebe gebracht hatte. Ich läutete an Sylvies Tür. Sie öffnete mit einem strahlenden Lächeln. Aber das verschwand schnell wieder. 117
»Du, Gumb …?« »Du scheinst mich nicht erwartet zu haben.« »Ehrlich gestanden – nein. Ich dachte, du seist immer noch böse auf mich.« Die Tür schloß sich hinter mir. »Ernie hat mir die Augen geöffnet. Ich – ich muß wie vernagelt gewesen sein.« Sie wandte mir den Rücken zu. »Warum bist du nur nicht von selbst hinter die Wahrheit gekommen.« Ich legte meine Hand auf ihre Schulter, sie fühlte sich kalt an. »Es tut mir leid, Sylvie. Ich weiß, ich hätte klüger sein müssen. Ich kenne dich gut, so gut, daß ich jetzt nicht verstehen kann, wie ich das von dir glauben konnte.« »Ernie kennt mich besser.« »Ja, das stimmt. Ich verdanke ihm, daß ich zu dir gefunden habe.« »Er versteht mich besser.« »Das …« Sie drehte sich zu mir, ihre Augen schimmerten naß, ihr Blick flatterte. Sie sagte: »Weißt du, wie wichtig das für mich ist, verstanden zu werden?« »Ich … kann es … mir vorstellen.« »Ich liebe ihn, Gumb.« Ich hatte zu Ernie gesagt: Ich möchte nicht, daß Sylvie zwischen uns steht. Jetzt wurde ich bitter daran erinnert. Und sie sollte tatsächlich nicht zwischen uns stehen. Schließlich bin auch ich ein Mann mit Ehre und Gewissen. Wenn ich auch nicht Ernies Format habe, so erkenne ich, wann ich verloren habe. »Ich werde es ihm sagen«, erklärte ich Sylvie. »Was willst du ihm sagen?« fauchte sie mich zornig an. 118
»Na, daß er es ist, den du liebst«, stotterte ich. »Den Teufel wirst du tun«, brauste sie auf. »Glaubst du, ich habe keinen Stolz? Ihr Männer scheint euch einzubilden, daß es einer Frau genügt, herumgereicht zu werden, bis sie zufällig in den Armen des Richtigen landet.« Sie heulte, spuckte Gift und Galle und tobte, und das fand ich, stand ihr ganz ausgezeichnet. Obwohl die Situation eigentlich hätte dramatisch sein sollen, mußte ich lächeln. »Was grinst du denn so hämisch!« »Ich finde es nur komisch, daß du dein Glück mit Füßen trittst. Ich kann dich jedenfalls zu nichts zwingen.« »Und ich verlange von einem Mann, den ich liebe, daß er meine Gefühle selbst erkennt. Wehe, du sagst auch nur ein Sterbenswörtchen zu Ernie.« »Soll ich dir mein Ehrenwort geben?« »Kannst du nicht endlich aufhören, so maliziös zu lächeln!« »Welche seltsame Bedeutung du meinem Lächeln unterschiebst! Dabei habe ich nur daran gedacht, welche hervorragende Sekretärin du mit deinem Temperament für die PAN LABORIS abgeben würdest.« Jetzt lächelte sie zurück. »Wenn das ein Angebot sein soll, so bin ich noch nicht sicher, ob ich es annehmen werde.« ENDE
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