Die Jungens von Burg Schreckenstein OLIVER HASSENCAMP
Inhalt Der Mann mit der Nase Rittertum verpflichtet Stephan und ...
83 downloads
1374 Views
257KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Die Jungens von Burg Schreckenstein OLIVER HASSENCAMP
Inhalt Der Mann mit der Nase Rittertum verpflichtet Stephan und die Supertonanlage Nächtliche Operation Jenseits der Traumgrenze Freßpaket mit Folgen Schweigen ist Gold Mit Musik geht alles besser Ausflug mit Überraschungen Ruhe vor dem Sturm Der Wurm und der Schwamm Ein Gewitter kommt selten allein Wallenstein mit Sahne
Der Mann mit der Nase Eigentlich stand Neustadt zu seinem Namen im Widerspruch, es war nämlich eine sehr alte Stadt. Mit Türmen, Toren, Giebeln, prächtigen Fassaden und winkeligen Gassen, hatte es sich zu einem beliebten Ausflugsziel entwickelt. An sonnigen Feiertagen glich der Marktplatz vor dem Münster eher dem Parkplatz vor einem Sportstadion. So malerisch Neustadt für die Fremden sein mochte, so eng empfanden es die Einwohner. Am allerengsten ging's in der ältesten Schule zu. Dort saßen die zum Lernen Verurteilten so gedrängt, daß sie bei Klassenarbeiten um das Abschreiben gewissermaßen gar nicht herumkamen. Vor lauter fremden Heften rechts und links, sah man das eigene kaum noch. Sogar die Lehrer fanden, daß es so nicht weitergehen könne. Direktor Meyer hatte bei der letzten Schulfeier nach dem Chorgesang offen von "unhaltbaren Zuständen" gesprochen. Der Bürgermeister war darauf rot geworden wie eine Verkehrsampel. Wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen, weil sein Sohn in die moderne und geräumige Franz-Joseph-Schule ging. Der Rex, wie Direktor Meyer genannt wurde, nahm selten ein Blatt vor den Mund. Eines Tages herrschte große Aufregung. "Heut dauert der Unterricht nur bis elf!" ließ Fritz alle wissen. An und für sich wäre das ein Anlaß zur Freude gewesen, trotzdem war keinem recht wohl dabei. Irgend jemand behauptete nämlich, der Rex habe alle Eltern zu einer Unterredung in den Rathaussaal gebeten. Das war noch nie vorgekommen und daher verdächtig, schon weil niemand den Grund kannte. Nicht einmal Dampfwalze, der größte und stärkste Schüler, hatte eine Ahnung. Und Dampfwalze wußte sonst alles, denn seiner Mutter gehörte die Weinstube Zum guten Tropfen. Und dort hatten die
Lehrer ihren Stammtisch. "Sicher geht es um die Schule!" stellte Musterschüler Strehlau fest. "Was du nicht sagst? Wir dachten grade, es ginge um deine Großmutter!" pflaumte ihn Mücke an und sah über seine Brille an dem langen Lernwunder hinauf. Den Spitznamen Mücke verdankte er seiner kleinen Gestalt und seiner scharfen Zunge mit der er sozusagen zu stach, fix, wie eben eine Mücke. Die Umstehenden lachten, und Ottokar, wohl der Besonnenste von den Großen meinte: "Dann gehen wir um elf ins Capri!" Sein Vorschlag wurde mit Freudengeheul aufgenommen, denn es war ein schwüler Tag, und im Capri, nur einen Steinwurf vom Rathaus entfernt, gab es das beste Eis in der Stadt. Ottokar hatte immer gute Ideen. Jeder mit seinem Kleingeld klimpernd, standen die Jungen der wenigen Klassen aus dem Uraltschulhaus alsbald in Schlange vor der Konditorei an. Unter ihnen auch Ralph, der Sohn des Besitzers. Wie meist während der Woche war der Marktplatz fast leer. So konnten die Jungen ab und zu Stimmen aus dem Rathaussaal hören. Was Eltern und Lehrer dort besprachen, war jedoch nicht zu verstehen. "Schau mal, was da kommt!" sagte Dieter zu seinem Freund Klaus und deutete auf einen Geländewagen, der gerade beim Rathaus vorfuhr. "Allradantrieb! Bis aufs Reserverad natürlich", alberte Witzbold Klaus. Das hochbeinige Gefährt hielt, der Fahrer sprang heraus, lief um den Kühler herum, öffnete die rechte Tür und half einem spindeldürren Mann mit unmäßig großer Nase beim Aussteigen. "Mensch, das ist doch der Graf von Schreckenstein! Was will der denn hier?" ereiferte sich Dampfwalze, während die große Nase hinter der Rathaustür verschwand. "Wieso kennst du diesen Flachmann?" wunderte sich Dieter. "Durch meine Mutter!" brummte Dampfwalze und zog ein Gesicht, als ob das zu wissen zur Allgemeinbildung gehöre. "Eine Nase wie 'ne Mauersäge!" meinte Mücke, und alle lachten über den unerwarteten Vergleich. "Für mich geht der in die Sitzung!" mutmaßte Hans-Jürgen und schleckte an seiner Riesenportion. "Soll er!" Dampfwalze stibitzte Strehlau die Kirsche von seinem Eis. "Und was machen wir jetzt?" Ottokar hatte sofort eine Idee. "Wenn wir fertig geschleckt haben, können wir ja ein bißchen singen." "Schau dir den an!" Werner deutete auf den Fahrer des Geländewagens, der an der Schlange der Jungen vorbeiging und sich mit dem Satz: Laßt mich vor, ich bin im Dienst! eine Waffeltüte mit drei Eiskugeln verschaffte, von denen zwei beim Verlassen der Konditorei auf das Pflaster klatschten. Mit einem unterdrückten Schimpfwort ging er zu dem Wagen zurück. "He, Sie haben vergessen zu streuen!" rief Klaus ihm nach. Als die Schleckerzungen sich den Fingern näherten, die den Waffelstumpf festhielten, stellte sich der Chor ebenso schnell wie leise unter den Fenstern des Sitzungssaals auf. Strehlau gab den Ton durch, anschließend den Einsatz. Das zu singende Lied stand fest: Ein Jäger aus Kurpfalz, weil das der Gesanglehrer, Gießkanne mit Spitznamen,
nicht leiden konnte, jedenfalls nicht, wenn die Jungen es sangen. Die erwartete Wirkung blieb nicht aus. Schon nach den ersten Takten erschien ein umwölktes Lehrergesicht am Fenster. Andere folgten und verschwanden wieder, wie im Kasperltheater. Die Bitte um Ruhe blieb ungehört. Je kürzer die Schlange vor dem Capri wurde, desto lauter schallte der Gesang am Rathaus hinauf. Schließlich kam Doktor Waldmann persönlich herunter, um den Gesang zu beenden. Er war ein eigenartiger Mensch. Manchmal streng und unnahbar, dann wieder nachsichtig und lustig. Da er sich zuletzt im Unterricht von seiner sonnigen Seite gezeigt hatte, wurde er sofort mit Fragen nach dem Grund der geheimnisvollen Versammlung bestürmt. Doktor Waldmann hob und senkte die Hände, wie ein Dirigent, der das Orchester dämpft. "Wenn ihr mir versprecht, augenblicklich still zu sein, sag ich's euch: Ihr bekommt eine größere Schule." Auf diese Enthüllung hin wurde es zunächst noch lauter, bis Ottokar sich für eine Frage Ruhe verschaffte: "Und was tut der Graf hier? Der ist doch auch in der Sitzung?" "Der verschafft uns die Schule", antwortete Doktor Waldmann. "Wir ziehen um in seine Burg." "Auf den Schreckenstein?" Dampfwalze schnaubte. "Der ist doch gut vierzig Kilometer weit weg." "Wie kommen wir denn da wieder heim?" klagte Strehlau. "Muuu-Muuu!" machten alle zu dem Muttersöhnchen- Musterschüler. "Darüber reden wir gerade mit euren Eltern", fuhr Doktor Waldmann fort. "Ihr müßtet auf der Burg wohnen. Platz war genügend vorhanden." "Wir auf der Raubritterburg Schreckenstein? Mann, das war ja..." Selbst Mücke fiel kein passendes Wort ein, und er rollte ersatzweise die Augen. Doktor Waldmann ging ins Rathaus zurück. "Sorgen Sie dafür, daß es klappt!" rief Ottokar ihm nach. An Gesang war nicht mehr zu denken. Die neue Lage mußte umgehend besprochen werden. "Da werden die in den ändern Schulen ganz schön staunen!" meinte Hans-Jürgen. Doch es gab auch lange Gesichter. "Was machen wir denn da droben, wenn wir 'n Eis wollen?" fragte Eugen. Später, beim Mittagessen zu Hause, druckste manches Elternpaar herum. Graf Bodo von Schreckenstein, der fortan nur noch Mauersäge hieß, hatte auf seiner Burg Schul- und Wohnraum zur Verfügung gestellt. Die Eltern erklärten sich bereit, monatlich eine Summe zu bezahlen, die ungefähr dem entsprach, was ihre hungrigen und durstigen Knaben auch zu Hause kosteten. Und so fuhren alsbald zwei Omnibusse voller Koffer, Räder, Sportgeräte und deren, mit gemischten Gefühlen ringenden Besitzern aus Neustadt hinaus in das Raubritternest.
Rittertum verpflichtet Die Burg Schreckenstein, im Osten und Norden von Wald, im Westen von Feldern umgeben, lag an einem Hang, der nach Süden zu einem größeren Gewässer hinunterschwang, das auf der Karte als Kappellsee ausgezeichnet war. Der trutzige Wehrbau bildete ein Rechteck mit zwei Innenhöfen. Hier gab es alles, wovon man nur träumen konnte. Einen Burgfried, Zinnen, Schießscharten, einen Wehrgang, Burggraben, Zugbrücke und eine richtige Folterkammer mit kompletter Einrichtung. Es gab drei Wohnflügel, Nord-, West- und Südflügel. Der Rex und Doktor Waldmann teilten Zimmergemeinschaften ein, die meisten zu vier Mann, die
Lehrer bekamen Einzelzimmer. Es war ungewohnt, mit den Erziehern Tür an Tür zu leben, doch bei der weitläufigen Anlage empfanden es die Jungen keineswegs als störend. "Ein irrer Laden!" freute sich Mücke. "An sich rollschuhpflichtig." Und nichts fehlte. Ganz Neustadt schien sich am Ausbau der Schule zu beteiligen. Eine Möbelfabrik hatte Klappbetten, Schränke sowie Tische und Stühle für die Klassenzimmer angeliefert. Dampfwalzes Mutter hatte aus ihrer Wirtschaft einen Koch abgezweigt, Heini hieß er und kochte, daß allein schon der Gedanke an die Mahlzeiten ein Festessen war, und irgendwie machte die Burgluft maßlos Appetit. Täglich gab es neue Vertilgungsrekorde: acht hartgekochte Eier in Senfsoße, zwölf Frikadellen mit Kartoffelbrei. Den absoluten Mengenrekord stellte Ottokar mit vierzehn Königsberger Klopsen auf. Das war aber nicht seine einzige Leistung. Mit Hilfe der väterlichen Elektrohandlung bastelte er die gesamte Klingel- und Lichtanlage für die Schule, überhaupt half jeder nach seinen Fähigkeiten mit. Pummel und Eugen strichen die Boote, die Mauersäge der Schule überlassen hatte, die Mehrheit aber war mit der Anlage eines Sportplatzes beschäftigt, unter Sportlehrer Rolles fachkundiger Anleitung. Überhaupt entwickelten die Lehrer Eigenschaften, die keiner in ihnen vermutet hätte. "Unsere Lehrkörper sind begabter, als sie im Unterricht erkennen lassen!" alberte Witzbold Klaus. Von einer neuen Seite zeigte sich auch der Rex. "Solange nichts beschädigt wird und niemand drunter zu leiden hat, könnt ihr hier herumtoben, so viel ihr wollt", verkündete er gleich bei der ersten Schulversammlung im sogenannten Wohnzimmer, einem großen Eckraum mit acht Fenstern, Kachelofen, Fernseher und einem ausgewachsenen Konzertflügel. Mauersäge, der Burgherr, ließ die neue Nachbarschaft völlig in Ruhe und sie ihn zunächst auch. Er war ein komischer alter Herr, der beim Sprechen seltsame Zischlaute von sich gab. Er bewohnte den hinteren Teil der Burg. Manchmal sah man ihn an einem Fenster der Westseite in den kleinen Park hinunterschauen, der dort geometrisch sauber angelegt war. Hier fand morgens unter Leitung von Rolle ein Dauerlauf statt, den Hans, der Diener, Koch, Gärtner, Chauffeur und Hausmeister des Grafen, anfangs argwöhnisch beobachtete. Aus Gründen der Vornehmheit nannte er sich selber Jean. Gleich vom ersten Tag an hatten sich die großen Jungen in der Folterkammer breitgemacht, einem düsteren Raum seitlich unter dem Burgfried. Außer den Marterwerkzeugen befand sich hier auf einem Steinsockel ein steinerner Richtertisch und an einer Wand ein schwarzer Kasten, den niemand öffnen konnte, bis eines Abends Hans-Jürgen, der Dichter in der Schülerschaft, auf eine Holzleiste trat, die vor dem Richtertisch im Steinboden eingelassen war. Quietschend sprang die Tür des Kastens auf, und ein staubiges Skelett mit Sense neigte sich heraus. Die Anwesenden erschraken mehr, als sie zugeben wollten. Dampfwalze, der auf der Streckbank lag, rollte sich wie ein Igel zusammen. Am schnellsten faßte sich Mücke. Er ging hin, schob das Skelett wieder hinein, schloß die Tür und sagte: "Komm, Paule, bleib drin. Du erkältest dich ja!" Daß der Knochenmann von Stund an Paule hieß, versteht sich. Rascher als erwartet gewöhnten sich die ausgesiedelten Neustädter Schüler auf der Burg ein, und keiner vermißte mehr das Eis aus der Konditorei Capri. Da gingen eines Nachts Dampfwalze, Mücke und Dieter von Zimmer zu Zimmer und rüttelten alle wach. "Los, aufstehen! Wichtige Versammlung in der Folterkammer!" An den Zimmern der Lehrer vorbei schlich die gesamte Belegschaft über die Freitreppe in den Burghof und unter einem Kreuzgewölbe die steilen Stufen zur Folterkammer hinunter. Nur drei Kerzen erhellten den Raum. Sie verbreiteten eine ebenso gespenstische wie feierliche Stimmung.
Ottokar, der neben Dampfwalze und Mücke auf dem dritten Richterstuhl saß, erhob sich. "Wir wollen euch was sagen", begann er. "Der Schreckenstein ist keine gewöhnliche Schule, sondern eine Burg. Unsere Burg! Die Ritter, die hier früher gehaust haben, waren harte Burschen. Sie haben für ihr Recht gekämpft, offen und ohne Hinterhalt, und sie sind für ihre Taten eingestanden. Wir finden, daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Oder was meint ihr?" Alle waren derart beeindruckt, daß keiner ein Wort sagen konnte. Ottokar hatte genau das ausgesprochen, was jeder fühlte. Pummel fand als erster die Sprache wieder. "Klar. Hier muß man einfach Ritter sein." Jetzt erhob sich Dampfwalze. "Das haben wir erwartet", sagte er. "Aber es ist nicht leicht. Dazu gehört Mut und vor allem Aufrichtigkeit. Der Rex hat gesagt, wir dürfen alles tun, solange nichts kaputtgeht und niemand darunter zu leiden hat. Das bedeutet, daß auch der Rex wie ein Ritter denkt. Ich finde, wir sollten uns daran halten und aufhören, einander zu belügen. Eine Gemeinschaft sein, keine Grüppchenwirtschaft. Was die Ritter früher mit Leuten gemacht haben, die sich nicht an ihre Regeln hielten, seht ihr ja hier." Mancher Blick ging zu den Marterwerkzeugen, keiner sagte ein Wort. Da erhob sich Mücke. "Bei uns ist natürlich jeder frei in seiner Entscheidung. Aber es wäre schon gut, wenn alle mitmachten. Auf einer Ritterburg kann man nur als Ritter leben. Wer also mittun will, der schwöre mit uns den Rittereid: Ich will auf Schreckenstein allzeit fair und ehrlich sein! Das hatte Mücke prima formuliert. Selbst Muttersöhnchen Strehlau konnte sich der Wirkung dieser Worte nicht entziehen. Er hob die Hand und sprach im Chor mit allen die Eidesformel nach. "So. Jetzt sind wir Ritter!" schloß Ottokar. Die Lehrer hatten von dem nächtlichen Schwur nichts gehört. Sie sollten jedoch bald etwas merken, denn die ritterliche Gesinnung zeitigte ihre ersten Folgen. Sie beeinflußte das gesamte Leben auf der Burg, sogar den Unterricht. Schießbude - wie der schmale Erdkunde- und Mathematiklehrer genannt wurde- verbreitete sich in einer Klasse gerade über geographische Fragen. "Heute braucht man solche Kenntnisse schon zum Zeitung lesen", verkündete er und fuchtelte mit einem Zeigestock vor der aufgehängten Landkarte herum. "Ich nenne euch jetzt verschiedene Orte in aller Welt, und ihr kommt vor und zeigt sie mir. Einer nach dem andern. Mücke, wo liegt Bagdad?" Die Morgensonne schien in das Klassenzimmer im Ostflügel. Der Aufgerufene gab den Alleswisser Strehlau einen Taschenspiegel und flüsterte ihm zu. "Blink hin! Aber irr dich ja nicht!" Strehlau nickte ergeben. Trotz de; Ritterschwurs fühlte er sich noch als Außenseiter und vermied jeden Ärger. Langsam, um ihm Zeit zu geben, bewegte sich Mücke; nach der Formel: Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel drehte Strehlau den Spiegel, während Klaus, dem nichts entgangen war, Schießbude mit dummen Fragen ablenkte, bis der Musterschüler den Lichtfleck auf der Karte zur Ruhe gebracht hatte. Mücke stellte den Zeigefinger auf die Stelle. "Erstaunlich!" lobte Schießbude. ,Die neue Umgebung scheint deinem Interesse an meinem Unterricht gutzutun." "Im Gegenteil", erwiderte Mücke seelenruhig. "Ich habe mir Bagdad zeigen lassen. Von wem, kann ich ihnen allerdings nicht sagen. Weil ich niemand verpetze." Mit offenem Mund stand der schmächtige Lehrer vor der Klasse, die ihn mit ähnlicher Kieferhaltung
ansah. Mücke hatte vollkommen recht. Selbst die Beschwindelung eines Lehrers war mit dem Ritterschwur nicht vereinbar. Das hatte der schlaue Mücke als erster erkannt und entsprechend gehandelt. Dafür zollten ihm alle Achtung. Auch Schießbude zeigte sich von dem freimütigen Geständnis beeindruckt und sagte mit hörbarem Wohlwollen in der Stimme: "Sehr anständig von dir, das zuzugeben. Ich werde auch nicht fragen, wer dir geholfen hat." "Keine Strafe. Mannometer!" flüsterte Klaus. Demnach hatte der Geist der Ritter neben der ehrenhaften auch eine praktische Seite. Wenn man einem anderen offen gegenübertritt, kann der nicht böse werden. Und der Lehrer wuchs im Ansehen von "der Schießbude" zum "Schießstand". Der Vorfall sprach sich herum und machte Schule. Das Verhältnis zu den Erziehern änderte sich schlagartig. Auch sie gaben immer mildere, freundlichere Töne von sich. "Wenn die so weitermachen, werden das noch Freundschaften fürs Leben", lästerte Hans-Jürgen. "Ein Lehrer ist wie ein Gerichtsvollzieher!" stellte Mücke fest. Solange er seinen Beruf ausübt, kann ihn kein Mensch nett finden. Aber wir leben ja zusammen." Das war es. Während der Schulstunden konnten sich die Lehrer, vom Unterrichtsstoff gehindert, einfach nicht entfalten. Aber danach waren sie mitunter wie ältere Mitschüler. Es wurde viel geblödelt und gelacht. Als Ottokar den Rekord für Dampfnudeln mit heißer Vanillesoße auf zehn Stück hinaufschraubte, machte der Rex, an dessen Tisch er saß, eigenhändig die Striche auf dem Kontrollblock. Zu Hause wäre so etwas unvorstellbar gewesen. Doch die Arbeit am Sportplatz und in Heinis neu angelegtem "Schrebergarten", der die Schule mit Schnittlauch, Salat, Tomaten und anderen Vitaminträgern versorgte, schafften den nötigen Appetit. Auch bei den Lehrern, die überall dabei waren. "Man hat gar keine Lust mehr, die Kerle zu ärgern!" stellte Klaus fest. So kamen die sonst üblichen Streiche während des Unterrichts einfach außer Mode. Das Zusammenleben erschloß jedoch andere Möglichkeiten. Beispielsweise während der Nacht. Dazu bedurfte es allerdings einiger Phantasie, die Klaus und Dieter eines Tages entfalteten. Während die Ritterschaft auf Schlaf geschaltet hatte, machten die beiden sich mit zwei Taschenlampen und einem Bund Dietriche auf Erkundungstour durch Keller und Speicher auf der Burg. Niemand bemerkte etwas, nicht einmal Mauersäge. Dabei hatten sie sich, wie sie nachher feststellten, die halbe Nacht genau über seinem Schlafzimmer aufgehalten und das nicht gerade leise. "Wir kommen durch eine Eisentür", erzählte Dieter anderntags, "Klaus hält die Lampe. Da sehe ich auf einer Kiste eine Lokomotive. Ein Riesending, wie man's früher gehabt hat." "Mauersäges Kindereisenbahn!" fuhr Klaus fort. "Natürlich haben wir sie aufgebaut und bis fünf Uhr früh rangiert!" Als Rektor Mayer die Geschichte hörte, lachte er schallend. Das war ein Streich nach seinem Geschmack, lustig und ohne daß jemand oder etwas zu Schaden kam. Obwohl die beiden im Unterricht wie die Flußpferde gähnten, gab es keine Strafe. Bei den Rittern stiegen sie mächtig im
Ansehen. Jeder überlegte, ob er nicht etwas Ähnliches machen könne. Aber was? Es gehörte, wie gesagt, einige Phantasie dazu. "Ganz schön schwer!" klagte Dampfwalze und spannte seine Muskelberge, als seien Einfälle eine Frage von Kraft. So schön hatte sich keiner das Leben auf der Burg vorgestellt. Nicht umsonst beklagten sich die Eltern beim Rex über zu wenig Post. Daraufhin wurde eine Briefschreibestunde pro Woche eingeführt. Sie wurde zu einer Bleistiftkaustunde. Mücke faßte die Lage in zwei Sätzen zusammen. "Was soll ein Ritter seinen Eltern schreiben? Unser Leben hier verstehen sie doch nicht."
Stephan und die Supertonanlage Um die Mitte des Sommertrimesters hielt Gießkanne eine Zeichenstunde im Burghof ab. Der alte Zeichenlehrer, Herr Seybold, war wieder nach Neustadt zurückgekehrt. Das fanden alle in Ordnung, denn Lehrer Seybold besaß, außer Bleistiftspitzen, keine Fähigkeiten, die der Gemeinschaft zugute kamen. Obendrein war er Kettenraucher, und die Ritter waren der Ansicht, blauer Dunst passe nicht zu ihrem Leben auf der Burg, weil er der Kondition schade, die hier erforderlich war. Die Klasse der Großen zeichnete also im Burghof Motive nach freier Wahl, als plötzlich ein ungewohntes Motorgeräusch hörbar wurde. "Ford!" sagte Fritz. Kurz darauf erschien ein Opel in der Tordurchfahrt. "Ganz schön aus der Übung!" bemerkte Dampfwalze. Dem Wagen entstiegen ein Mann und ein Junge. "Wohl so 'ne Art Zuwachs?" spottete Mücke. Die beiden waren offensichtlich Vater und Sohn. "Guten Tag, ich möchte zu Direktor Meyer", wandte sich ersterer an die Gießkanne. "Gewiß", antwortete der. "Kommen Sie mit mir." Und er geleitete die beiden über die Freitreppe in die Burg. "Habt ihr die langen Hosen gesehen?" brummte Dampfwalze, als sie weg waren. "Scheint ein richtiger Stadtschnösel zu sein." Die Ritter trugen keine solchen Dinger mehr. Sie hatten sich für kurze Hosen entschieden, entschlossen, auch im Winter nicht zu kapitulieren. Nach ungefähr zwanzig Minuten kamen sie wieder, diesmal in Begleitung des Rex. "Das ist die Klasse!" sagte Gießkanne, der vorausgeeilt war, stolz wie ein Trainer, der seine Mannschaft vorstellt. Der Rex drückte sich weniger feierlich aus. "Hier bringe ich euch euren neuen Mitschüler Stephan Breuer." Die Ritter verzogen keine Miene. Zögernd trat der Neue auf sie zu und gab jedem die Hand, eine Begrüßungsform, die sie höchst überflüssig fanden. Doch Vater Breuer zuliebe, der die Szene gerührt verfolgte, machten sie mit. Als die beiden mit dem Rex zum Wagen gingen, um das Gepäck auszuladen, meinte Werner: "Seinem Händedruck nach, muß der noch viel lernen!"
"Nicht so voreilig, alte Pfeife!" fuhr Mücke ihn an. "Vorurteile passen nicht zur Ritterart!" Für einen Jungen aus der Stadt war es gewiß nicht einfach, plötzlich einer Schar rauher Burggesellen gegenüberzustehen. Nach dem Unterricht wurde Ottokar zum Rex gerufen. "Stephan Breuer kommt in dein Zimmer", sagte er. "Hilf ihm, damit er sich zurechtfindet. Von der Sportplatzarbeit bist du heute befreit." Ottokar grinste. "Wir haben uns ja mächtig verändert." Nicht widerwillig aber auch nicht gerade begeistert zeigte er dem Neuen die Burg, vom Wohnzimmer bis zum Fahrradstall. Dann packten sie im Zimmer aus. Ottokar war ein Kasten aufgefallen, den er aus dem elterlichen Geschäft kannte. Und richtig, er enthielt eine Superstereoanlage. So was besaß sonst niemand auf der Burg. Im Fachgespräch kamen die beiden einander näher. "Wie kommst du ausgerechnet zu uns?" wollte Ottokar wissen. "Meine Eltern sind vor einer Woche nach Neustadt gezogen", antwortete Stephan knapp. "Sei froh, daß du hier bist und nicht in der Franz-Joseph-oder Ebertschule." Ottokar zwinkerte ihm zu. "Hier ist es zwar rauher, aber viel schöner!" Und mit einem undurchsichtigen Lächeln fügte er noch hinzu: "Das wirst du bald merken." Der Neue antwortete nicht. Er machte sich an den Schubladen seines Klappbetts zu schaffen. Dann gingen sie hinaus auf den Flur, wo die Schränke der Ritter standen. "Sag mal, willst du nicht die komischen Ofenrohre ausziehen?" fuhr Ottokar nach einem verächtlichen Blick auf Stephans Beinkleider fort. "Ich hab keine Kurzen", wehrte der ab. "Nur 'ne Turnhose. " Ottokar ließ sich nicht beirren und kramte in dem noch nicht ausgepackten Koffer. "Dann schneiden wir eben eins von den Dingern ab, die dir deine Mutti so fein eingepackt hat." Jetzt schaltete Stephan auf stur. "Kommt nicht in Frage", sagte er eisig und räumte die Sachen in den Schrank. "Mann! Ich mein's ja gut", versuchte Ottokar ihn zu beschwichtigen. "Wenn du hier so rumläufst, bist du gleich unten durch." Da tat der Neue etwas, das zeigte, wie grundlegend sich seine Einstellung von der der Ritter unterschied. "Gleich ich alles damit aus!" Und mit triumphierendem Blick hielt er dem verdutzten Ottokar einen ganzen Karton voller Zigarettenpäckchen unter die Nase. "Laß die Dinger bloß verschwinden! Hier wird nicht geraucht." Stephan beantwortete die Warnung mit hämischem Grinsen. "Ihr seid wohl noch zu klein für Lungenzüge?" "Mensch, versteh doch!" ereiferte sich Ottokar. "Eine Burg ist kein Luxushotel. Das Leben hier ist hart. Jeden Morgen Dauerlauf, dann kalte Dusche, jeden Tag drei Stunden Bauarbeit am Sportplatz oder im Schrebergarten, dazu Unterricht, Sport und so weiter. Wenn du da noch rauchen willst, bist du bald im Eimer! Außerdem haben wir demnächst einen Leichtathletikwettkampf. Kannst du irgendwas in der Richtung?" Sie kehrten ins Zimmer zurück. Stephan schien sich auf Kugelstoßen zu verstehen. Über die Technik wußte er genau Bescheid, doch die Weiten, die er angab, klangen reichlich übertrieben. War er ein Angeber? Dieser Eindruck verstärkte sich, als Stephan sein Waschzeug auspackte. Neben Kamm und
Bürste lag, nicht zu übersehen, eine Dose Haarspray. Das fängt ja gut an! dachte Ottokar und wollte sich gerade über Rittergewohnheiten verbreiten, als der Neue seine Superanlage in Betrieb setzte. Nach ein paar fixen Handgriffen hörten sie ein Bravourstück für Akkordeon. "Bin ich selber!" Stephan grinste herausfordernd. "Und wo hast du dein Instrument?" Ottokar sah sich um. "Zu Hause gelassen. Mein Alter meint, sonst lerne ich nichts. Eine Zerstreuungsmaschine sei genug." War das nun die Wahrheit oder schon wieder Angabe? Anscheinend doch eher Wahrheit. Die Antwort kam zu sicher. Andererseits ist gerade das typisch für Angeber. Ottokar war sich noch nicht klar und beschloß, den Neuen gründlich zu beobachten. Er erzählte von der Umstellung seit dem Umzug auf die Burg, von der Ehrlichkeit, von den Eßrekorden und brachte Stephan schließlich doch dazu, sich die langen Hosen abschneiden zu lassen. "Halt nur still, ich mach das schon!" Durch sein Bemühen, beide Hosenbeine gleich lang zu gestalten, wurde das Stück immer kürzer, und beide mußten furchtbar lachen. "Meinst du, daß ich euch so gefalle?" fragte Stephan endlich und war überhaupt kein Angeber mehr. "Es ist jedenfalls besser so, als mit deinen Dreiviertelschwenkern", versicherte ihm Ottokar. Beim Abendessen nahm die Ritterschaft den kurzbehosten Neuen ebenso gelassen hin, wie am Mittag mit Ofenrohren. "Er soll ein toller Kugelstoßer sein!" sagte Strehlau zu Dampfwalze. "Abwarten!" meinte das Muskelgebirge. "Für mich hat er noch Schonzeit." "Blödeln kann man mit ihm!" versicherte Ottokar dem Rex auf Anfrage. "Man merkt zwar, daß er aus einer ändern Schule kommt. Aber wir werden ihn schon hinkriegen." "Gut." Der Rex nickte. "Du bist der Älteste im Zimmer. Ich verlasse mich auf dich." Nicht ohne Stolz über das Vertrauen, ging Ottokar dem Neuen nach, ging mit ihm in den Burghof, durch den Durchgang hinaus und setzte sich mit ihm auf die Bank vor dem geometrischen Garten. "Das ist der Prinzengarten! sagt Jean, der Diener von Graf Schreckenstein. Da machen wir morgens unseren Dauerlauf." Stephan zog ein Päckchen aus der Tasche. "Komm, rauchen wir eine!" Ottokar schüttelte den Kopf. "Meinen Lungen ist das zu blöd." Und er überlegte, wie er es anstellen sollte, um aus einem rauchenden Angeber einen kochfesten Ritter zu machen.
Nächtliche Operation Der Neue wurde immer munterer. Zuerst prahlte er im kleinen Kreis mit seiner Superstereoanlage, dann drückte er sich mit wohlüberlegten Ausreden vor der Arbeit am Sportplatz. Doch immer, wenn
er gerade zu weit gegangen war, verblüffte er die Ritter im nächsten Augenblick mit etwas, das sie beeindruckte. Beispielsweise erschien er mit verbundener Hand im Schrebergarten, um sich bei Gießkanne "arbeitsunfähig" zu melden. "Na, na, na!" begehrten Mücke, Klaus und Pummel mit eindeutigem Unterton auf. Jeder andere hätte sich darauf schnellstens verzogen. Doch was tat Stephan? Er fing an zu singen. Er sang Englisch, den neuesten Hit, und das so gut, daß alle staunten. Seiner Wirkung sicher wurde er von Tag zu Tag dreister. Ottokar erwischte ihn, als er abends aus dem Lehrerzimmer kam und sehr nach Rauch roch. Angeblich hatte er nur ein Buch gesucht. Stephan war ein eifriger Leser. Von der Seite konnte man ihm nicht beikommen. Eigentlich von keiner. Im Sport lagen seine Leistungen über dem Durchschnitt. Mochten die angegebenen Weiten auch nicht stimmen, so kam er beim Kugelstoßen Dampfwalzes Rekordmarke doch regelmäßig beachtlich nahe. Dampfwalze war der beste Kugelstoßer und in diesem Punkt empfindlich. Stephan merkte das und begann ihn absichtlich zu reizen: "Ich trainiere heute nur Beinarbeit" oder, nach einem besonders guten Stoß: "Eigentlich langweilt mich das." Dampfwalze drohte zu platzen. "Du hast nicht genug Kraft!" höhnte er. "Angebermemme!" Jetzt ging der Neue hoch. "Wenn du mich hier madig machen willst, pinsle ich dir den Hintern mit Spannlack ein, daß du nicht mehr sitzen kannst!" "Ich hab Spannlack!" frotzelte Pummel. "Für meine Modellflugzeuge." Ottokar schüttelte enttäuscht den Kopf. "Dem Kerl ist einfach nicht beizukommen." "Leerlaufen lassen!" flüsterte Mücke. Witzbold Klaus war anderer Ansicht. "Der Junge wird noch viel Ärger machen." Er sollte recht behalten. Versuchsweise hatte der Rex eine Klassenarbeit ohne Aufsicht schreiben lassen. Da Abschreiben gegen den Ritterschwur verstieß, klappte die Sache auf Anhieb und wurde von anderen Lehrern übernommen. Schießbude hatte die Mathematikaufgabe an die Tafel geschrieben und die Klasse verlassen, um im sonnigen Burghof mit Doktor Schüler Schach zu spielen. Droben zerbrachen sich die Ritter stumm die Köpfe. Da stand Stephan auf, ging zu Strehlau und fragte ihn ungeniert: "Weißt du, mit was ich den Bruch da multiplizieren muß?" Strehlau, immer bereit, sein Wissen weiterzugeben, wollte gerade antworten, doch Dampfwalze stieß ihn unsanft in die Seite. "Wenn du hier deine Sitten einführen willst, kannst du dich sofort beim Rex melden!" fuhr er den Neuen an. "Ich denk nicht dran, Blödmann!" erwiderte der. "Dann geh ich!" Dampfwalze war rot angelaufen und setzte sich in Bewegung, da packte Stephan ihn am Arm. Einen Augenblick lang blickten sie sich hart in die Augen, dann grinste der Neue. "Schöne Rittereinstellung ist das. Kameraden verpetzen..." Dampfwalze, durch seine angespannten Muskeln am Denken gehindert, fand nicht gleich eine Antwort.
Mücke sprang in die Bresche. "Du bist kein Kamerad, damit das klar ist. Und Ritter schon gar nicht." "Setz dich", fügte Ottokar beschwichtigend hinzu. "Wir reden später drüber. Er hatte den größten Einfluß auf Stephan, und so kehrte der an seinen Platz zurück. Die Unterredung fiel allerdings ins Wasser. Stephan weigerte sich schlichtweg. Die verärgerte Ritterschaft beschloß, kein Wort mehr mit ihm zu wechseln. Ottokar fand das nicht sehr wirkungsvoll, fügte sich aber der Mehrheit. Nach zwei Tagen eisernen Schweigens lachte Stephan beim Essen plötzlich laut und verkündete: "Wenn ihr die Schnauze haltet, seid ihr mir am liebsten." "Irgendwas passiert demnächst!" knurrte Pummel. "Leerlaufen lassen!" wiederholte Mücke. Abends in der Folterkammer besprachen die Großen die Lage. So konnte das nicht weitergehen. "Er raucht, lügt, gibt an und legt sich bei allem quer!" klagte Dieter. "Und Schnaps säuft er auch!" fügte Hans-Jürgen hinzu. "Von Königsberger Klopsen kriegt man keine Fahne." Ottokar schwieg unschlüssig. Irgendwie mochte er Stephan. Er war witzig, traute sich was, und manchmal konnte man ganz vernünftig mit ihm reden, andererseits störte er die Gemeinschaft, die sich gerade so schön entwickelte. "Könnten wir nicht etwas machen, das ihn trifft, dabei aber lustig ist?" überlegte er. "Genau das!" pflichtete ihm Dampfwalze bei. Eine Pause trat ein, jeder dachte scharf nach. Plötzlich quietschte die eisenbeschlagene Tür. Grinsend, eine Zigarette im Mundwinkel, trat das schwarze Schaf ein. "Aha! Ihr sitzt wohl gerade über mich zu Gericht, was? Sehr ritterlich finde ich das." Die Anwesenden zeigten nicht ihren intelligentesten Gesichtsausdruck. Glücklicherweise fiel Mücke sofort etwas ein. "Gut, daß du kommst! Du wolltest Dampfwalze doch den Hintern mit Spannlack einpinseln..." Dampfwalze trat vor, riß ihm die Zigarette aus dem Mund, trat drauf und sagte mit breitem Grinsen. "Zuerst müssen wir aber eine Probe machen, ob deine Idee auch witzig ist. Darauf legen wir hier größten Wert." "Was du willst mit ändern tun, das füg erst mal dir selber zu!" wandelte Hans-Jürgen ein bekanntes Sprichwort ab. Ein paar Blickwechsel und die Sache lief, als wär sie vorher abgemacht gewesen. Dieter wußte, wo Pummels Spannlackflasche stand. Bis er sie geholt hatte, lag Stephan bereits bäuchlings auf der Streckbank. "Meine Herrn, die Operation kann beginnen!" verkündete Dampfwalze wie ein Chirurg, während Mücke den entsprechenden Körperteil freilegte. "Ich hab noch Schuhcreme mitgebracht und eine Bürste!" rief Dieter. "Sehr gut, Oberschwester!" lobte Klaus. "Desinfizieren Sie das Gelände!"
Stephan sah wohl ein, daß er zu weit gegangen war und überraschte durch Haltung. Keine Miene verzog er, während sein edelster Körperteil zuckte wie Heinis Rote Grütze, die es jeden Freitag gab. Alle verfolgten die Operation, nur Hans-Jürgen saß still hinter dem Richtertisch und schien angestrengt nachzudenken. Die Desinfektion war beendet, jetzt kam der Hauptakt. Chirurg Dampfwalze goß den Inhalt der Flasche auf die hochglanzpolierte Fläche. Dabei beschrieb er Kreise, wie wenn man Honig vom Löffel auf ein Brot fließen läßt. Der Patient hatte den Kopf zur Seite gelegt. Narkosearzt Ottokar tätschelte ihm mitfühlend die Backe. "Daran bist du selber schuld." "Vollendet!" rief Chirurg Dampfwalze. Alle standen um die Streckbank herum und pusteten auf das Werk, wie auf die Kerze eines Geburtstagskuchens. Der Spannlack machte seinem Namen sichtbar Ehre, er zog sich zusammen, wurde trocken und hart. Als die Ritterschaft am nächsten Morgen zum Frühstück in den Eßsaal kam, fehlte der Kronleuchter. An seiner Stelle hing von zwei Seiten gehalten, ein Bügelbrett waagrecht über dem mittleren Tisch. Auf diesem lag, wie eine Mumie in Tücher gewickelt und mit Stricken verschnürt, daß nur der Kopf noch herausschaute - Stephan. Unter dem Brett war ein Pappschild angebracht, darauf stand ein Vers des Dichters Hans-Jürgen zu lesen: Wer unsre Geduld mißbraucht, angibt, abschreibt, lügt und raucht, mit dem wird just das gemacht, was er ändern zugedacht. Unter dem Pappschild hing an dünnem Faden eine leere Flasche mit der Aufschrift: Spannlack. Ritter und Lehrer schmunzelten gleichermaßen, dabei ohne Schadenfreude. "Das muß einem einfallen!" lobte der kleine Egon. "Wenn er's jetzt nicht kapiert, ist ihm nicht zu helfen", meinte der kleine Herbert. Alle gingen zur Tagesordnung über und frühstückten wie immer. "Nachher ist Schulversammlung. Weitersagen!" gab Ralph unter der Mumie durch. Er saß neben dem Rex, der nur gelächelt, jedoch nichts gesagt hatte. Also fand sich die frisch gestärkte Ritterschaft im Wohnzimmer ein. Es würde wohl eine Rüge geben, wegen der Mumie. Doch niemand sagte es laut. Auch die Lehrer fanden sich ein, mancher noch heimlich kauend. In einem stillen Augenblick, als gerade keine der alten Dielen knarrte, schmatzte Doktor Waldmann besonders laut. "Wer war das?" fragte Mücke. Da trat der Rex ein, stellte sich vor den Kachelofen, sah in die Runde und begann: "Der Denkzettel, den ihr verteilt habt, scheint mir gut gelungen. Da die Idee von Stephan selber stammt, kann er keinen Schaden nehmen, sondern nur lernen." Die Ritter waren sprachlos. Das hatte niemand erwartet. "Aber wir müssen die Sache zu Ende denken", fuhr der Rex fort. "Wie soll es jetzt weitergehen? Es wird Tage dauern, bis er das Zeug los ist..."
"Wir müssen ihm eine Chance geben!" rief Ottokar. Raunen kam auf, Dampfwalze knirschte mit den Zähnen. "Das wäre ritterlich", meinte der Rex. "Denkt darüber nach. Was ihr tut, liegt ganz bei euch. Ich wollte nur, daß wir offen miteinander sprechen. Das wollen wir auch in Zukunft so halten. Bei allem, was unsere Gemeinschaft angeht." Ritter und Lehrer dankten mit Beifall für diese Worte. Sie waren tief beeindruckt. Klaus kleidete seine Begeisterung in einen Scherz. "Er redet wie ein Mitschüler! Vielleicht bin ich in Wirklichkeit der Direktor?" "Du bist der Hofnarr!" antwortete Mücke. "Aber der Rex, der ist ein Ritter." Die Mumie wurde befreit und nahm am Unterricht teil. Doch sie hatte Probleme. Sie konnte nicht sitzen. Weil aber langes Stehen die Aufmerksamkeit schmälert, brachte Ottokar sein Fahrrad ins Klassenzimmer. Im Reitersitz mit ausgestreckten Beinen ging's wesentlich besser. Keiner verlor mehr ein Wort über den Vorfall, und von Heini, bei dem Stephan in der Küche sein Essen im Stehen einnahm, erfuhren die Ritter erste Anzeichen der Läuterung. "Er hat mir einen Karton voller Zigarettenpäckchen geschenkt, der liebe Bube!" Die Stimmung schlug um. "Allmählich tut er mir leid", meinte Pummel. "Wenn er so im Duschraum steht und den brüchigen Spannlack blättchenweise abzupft." Das Zeug hielt wie Pech, und die einzige verfügbare Flüssigkeit, die den Lack gelöst hätte, wäre der Haut zu schlecht bekommen, um den Versuch zu wagen. Stephan mußte weiterzupfen und Beugeübungen machen, wie nach einem Beinbruch. Er tat es ohne Murren. In dieser schweren Zeit stand ihm Ottokar bei, half ihm morgens in die Hosen und abends ins Bett. "Ich war schon ein Angeber", sagte der zunehmend Biegsamere eines Tages, "aber in meiner früheren Schule waren sie alle so." "Wir haben uns auch grundlegend geändert, seit wir hier sind", antwortete Ottokar. "Trotzdem! Mein Kugelstoßrekord und daß ich Akkordeon spielen kann, stimmt." Ottokar glaubte ihm, und Stephan spürte es. Sie wurden Freunde. Doch Mißtrauen ist eine zähe Sache. Um es endlich abzubauen, machte Ottokar eines Abends in der Folterkammer einen Vorschlag, dem alle zustimmten. Selbst Dampfwalze nach fünf Minuten Bedenkzeit. Gemeinsam gingen sie in das Zimmer im Südflügel und weckten Stephan, der mit entsetztem Gesicht hochfuhr. Mücke saß auf der Bettkante. "Bevor du weiterschläfst, wollten wir dir nur sagen, wenn du fleißig trainierst, kannst du beim Sportfest mitmachen."
Jenseits der Traumgrenze Mit dem Leichtathletikwettkampf sollte der selbstgebaute Sportplatz eingeweiht werden. Daß Schreckenstein unter diesen Umständen auf jeden Fall siegen mußte, stand für die Ritter fest. Und
natürlich war es eine besondere Auszeichnung, zur Mannschaft zu gehören. Sogar Strehlau fühlte sich als Aktiver, seit Rolle, wie Sportlehrer Türk genannt wurde, ihn zum Zeitnehmer befördert hatte. Die ganze Schule lebte nur noch für den großen Tag, die Athleten wurden im Unterricht merklich geschont. "Sonst holt sich einer einen geistigen Muskelriß, und ich bin schuld!" hatte Gießkanne verkündet. Die Mannschaft trainierte sozusagen Tag und Nacht. Wer nicht dazugehörte, hatte eine unterstützende Tätigkeit, sei es als Speerholer, Diskusreiniger, Lattenaufleger, Massageölbereithalter oder Handtuchständer. Auf einen Wettkämpfer kamen gut zehn Betreuer, wie bei den großen Leichtathletikkämpfen. Dampfwalze trainierte sogar im Bett. Er hatte sich die Fünfundzwanzig-KiloHantel aus dem Sportschuppen in sein Zimmer geholt und stemmte bei jeder Gelegenheit. Für ihn stand mehr auf dem Spiel als der Sieg, denn Stephans Form steigerte sich von Tag zu Tag, und wenn der gewann, fürchtete Dampfwalze um seinen Ruf als das absolute Kraftgebirge der Schule. Der große Tag war ein Sonntag und ein Sonnentag. Die Burg glich eher dem Neustädter Marktplatz, so viele Autos standen im Hof und außerhalb der Mauern. Schon um acht Uhr früh waren die Mannschaften der Ebert- und Franz-Joseph-Schule mit dem Omnibus gekommen. Sogleich hatten sie den Sportplatz besichtigt, die Aschenbahn als sehr schnell erkannt und sich dann zurückgezogen, um letzte Vorbereitungen zu treffen. Die Ritter hatten ihnen getrennte Klassenzimmer zur Verfügung gestellt, weil es unfair gewesen wäre, die Mannschaften vor den Wettkämpfen gemeinsam unterzubringen. Niemand hätte offen über Taktik reden können, und die war ja oft entscheidend. Auch die Schreckensteiner Mannschaft besaß ihre Taktik. Sie bestand zunächst darin, daß die Athleten unsichtbar blieben. "Der Gegner muß bis zum Start im Unklaren gelassen werden. Das macht ihn nervös!" hatte Rolle gesagt. Überhaupt war alles glänzend organisiert. Pummel und Eugen wiesen die Autos ein. Klaus, Dieter und Hans-Jürgen empfingen die Gäste. Alle verfügbaren Sitzgelegenheiten hatten sie zum Sportplatz geschafft, der kleine Egon, der kleine Herbert, der kleine Kuno und der kleine Eberhard verteilten Platzkarten an die Eltern, Freunde und Gönner der Anstalt, wie es so schön heißt. Sehr komisch war Strehlaus Wiedersehen mit seiner Mutter. "Mein Junge, mein guter, guter Junge!" rief sie und lief ihm mit ausgebreiteten Armen entgegen. Der Musterschüler mußte die Blicke der Ritter wie Nadelstiche im Rücken fühlen und hielt sie mit dem Hinweis auf die umgehängten Stoppuhren von öffentlichen Zärtlichkeiten ab. Darauf bekam er nur einen Schmatzkuß, was bei seinem Alter auch genug war. Gegen zehn Uhr saß der zweitwichtigste Ehrengast endlich auf seinem Platz. Bürgermeister Kress von Wampoldsreute konnte sich über die herrliche Sportanlage so lange nicht beruhigen, bis jeder wissen mußte, daß er im Namen der Gemeinde Baumaterial gestiftet hatte. Väter versicherten ihren Söhnen, sie wüßten gar nicht, wie schön sie es hier hätten, dabei wußten die's. Mütter taten gerade so, als sei der Schreckenstein ihre Erfindung, für die man ihnen furchtbar dankbar sein müsse. Manche bekamen vor lauter Rührung sogar feuchte Augen, wie an Weihnachten oder am Muttertag, was den betroffenen Rittern sehr peinlich war. Sie entschuldigten sich mit Vorbereitungen und schoben schnellstens wieder ab. Ersatzweise stürzten sich die Eltern dann auf die Lehrer. "Schau, meine Alten mit dem Waldmann!" sagte Mücke. "In Neustadt war mir das immer wahnsinnig unangenehm, aber hier..." Lässig zog er die Schultern hoch.
"Unsere Lehrer haben viel dazugelernt", erwiderte Fritz. "Man kann sie jetzt völlig unbeaufsichtigt mit ihnen reden lassen." Die Mannschaften der Ebert- und Franz-Joseph-Schule waren gerade auf den Platz gelaufen, da drehten die Eltern ihre Köpfe zur Seite: Burgherr Mauersäge erschien mit winzigem Hofstaat, bestehend aus Jean und einem dicken Unsympathling in weißem Anzug mit Zigarre und zentnerschwerem Siegelring. Schulkoch Heini, der natürlich auch dabei war, deutete auf den Fettkloß. "Ich werd verrückt. Das ist doch der Klinke!" "Und so was kennst du?" sagte Pummel vorwurfsvoll. Heini nickte. "Leider. War früher mal mein Chef. In der Grünen Eule, bevor ich zu Dampfwalzes Mutter kam. Eigentlich schuldet er mir noch Geld." Der Fettkloß sah Heini, ging aber grußlos vorbei. Da lief unter Führung von Dampfwalze die Schreckensteiner Mannschaft auf den Platz und wurde im Phonbereich der Heimlautstärke begrüßt. Der Kampf begann. Zuerst mit Reden. Der Rex dankte dem Burgherrn für die Schule und dem Bürgermeister für seine Hilfe, der Bürgermeister dankte dem Burgherrn und dem Rex für den Dank, worauf der Burgherr dem Bürgermeister und dem Rex dankte und schließlich sich selbst. Jedenfalls ging das aus seiner verworrenen Ansprache hervor. Mauersäge hatte nämlich eine sonderbare Angewohnheit. Ständig unterbrach er seinen Text mit leichtem Kopfnicken, wobei er ein kurzes Geräusch von sich gab, das wie unterdrücktes Niesen klang. "Er schaltet!" sagten die Ritter dazu und zählten mit. Nach vierundzwanzig Schaltungen konnte endlich der erste Startschuß fallen. Wegen der zu erwartenden Hitze kamen die Läufer zuerst dran. Das anfängliche Ermutigungsgeheul der Ritterschaft wurde bald spärlicher. Die Franz-Joseph-Schüler gewannen einen Wettbewerb nach dem ändern. "Im Kopf haben sie's wohl nicht so", meinte Strehlau, "aber in den Beinen." Zu allem Überfluß verstauchte sich Ottokar beim Hindernislauf einen Fuß und mußte ausscheiden, was den Vorsprung der Franz-Joseph-Schule weiter vergrößerte. Rolle fiel gänzlich aus der Rolle. Laut Punkte vorrechnend, fuchtelte er mit den Armen und zischte: "Wir brauchen einen Doppelsieg in Kugel und Diskus oder Speer. Hört ihr, einen Doppelsieg!" "Machen Sie mir die Jungens nicht nervös, Herr Türk!" fuhr der Rex dazwischen und sagte in ruhigem Ton zu den Athleten: "Geht auf und ab und konzentriert euch! Rechnen könnt ihr morgen wieder." Der Rex hatte vollkommen recht. Abseits vom Kampfgeschehen schlenkerten die Athleten ihre Muskeln. "Schau mal da!" sagte Ralph zu Werner. So einträchtig hatte man Dampfwalze und Stephan noch nie gesehen. Das gemeinsame Ziel schien sie zu verbinden. Jetzt noch. Während der Sprungübungen fiel Mauersäge dadurch auf, daß er mit dem dicken Unsympathling den Hang zum Bootssteg hinunterging. Dort standen sie lange, redeten und deuteten in die Gegend wie zwei Ingenieure, die mindestens ein Stauwehr bauen wollen.
Stephan erwies sich als zuverlässiger Kämpfer. Im Weitsprung belegte er hinter einem Ebert-Mann den zweiten Platz, was wertvolle Punkte brachte, da die Franz-Joseph-Hüpfer alle übertraten. Und im Hochsprung wurde er Dritter hinter einem Franz-Joseph- und einem Ebert-Athleten. "Du vertrittst mich prima!" Ottokar humpelte zu ihm. "Wenn du so weitermachst, bist du in zwei Stunden Ritter." "Wird schon schiefgehen!" gab Stephan bescheiden zurück, doch seine Augen leuchteten. Ohne die geringste Spur von Unruhe zog er seine Trainingshose an und begann die Schultern für die Wurfübungen zu lockern. Ein Mann, der alles zu gewinnen oder zu verlieren hatte. Ottokar bewunderte ihn insgeheim. "Fertigmachen zum Diskuswerfen!" brüllte Strehlau streng und wichtig. Der Musterschüler hatte sich zu einem musterhaften Kampfrichter gemausert. Noch immer lag die Franz-Joseph-Schule mit sattem Vorsprung vor Schreckenstein. Mit nur zwei Punkten folgte die Ebertschule. Nun hatte die Franz-Joseph-Mannschaft einen Riesen dabei, dessen bloßer Anblick die Konkurrenten lahmen mußte. Aber gerade die Masse war es, die er bei der Drehung nicht schnell genug herum brachte. Beim zweiten Durchgang fiel er gar aus dem Ring. "Man kann auch zu stark sein, um zu gewinnen!" meinte Hans-Jürgen. Dampfwalze trat in den Ring. Jetzt kam es drauf an. Das Schreckensteiner Kraftgebirge tat einen gewaltigen Wurf. Stephan folgte nur knapp dahinter. Stürmisch klatschten die Ritter, der Doppelsieg war geschafft. Aber noch war die Lage brenzlig, weil Dieter beim Speerwerfen nur Vierter wurde. Das Kugelstoßen mußte die Entscheidung bringen. Da tat Strehlau das Dümmste, was er überhaupt tun konnte: "Doppelsieg reicht nicht", sagte er treuherzig zu Dampfwalze und Stephan. "Einer von euch muß über die Traumgrenze!" Diese "Traumgrenze" war eine Marke, unendlich weit entfernt, und mit einem Fähnchen gekennzeichnet. Wer darüber kam, so hatte man vereinbart, sollte zusätzliche Punkte erhalten. In jeder Disziplin gab es diese Traumgrenze, aber sie war bisher noch von keinem erreicht worden. Nicht zuletzt, weil die Traumgrenze hinter seiner persönlichen Rekordmarke lag, tobte Dampfwalze vor Wut. Er trat den Musterschüler mit dem Knie und brüllte: "Idiot! Mußt du das ausgerechnet jetzt sagen? Noch ein Wort und ich bring dich ins Krankenhaus." Stephan blieb die Ruhe selbst. "Laß ihn! Mich regt der damit nicht auf." "Denkst du, mich vielleicht?" fauchte Dampfwalze. "Es sieht ganz so aus", meinte der Rivale trocken. Dampfwalze schnaubte wie der Drache im Nibelungenlied. "Angeber! Sieh lieber zu, daß du über die Traumgrenze kommst. Aber nicht bloß mit der Schnauze!" Von nun an sprachen sie kein Wort mehr miteinander. Die Ursache für Dampfwalzes Entgleisung lag tiefer. Mücke kannte ihn. "Stephans Gleichmäßigkeit in allen Disziplinen schafft ihn", flüsterte er Pummel zu. Wie Strehlau, zwar im falschen Augenblick, gleichwohl sehr richtig bemerkt hatte, konnte nur noch ein Wunder den Sieg für Schreckenstein retten: Die Traumgrenze. Die Läufer waren unter den Erwartungen geblieben. Vielleicht hatten sie durch den Bau der Aschenbahn die falschen Muskeln trainiert? Doch danach fragte jetzt niemand. Die ganze Last ruhte auf Dampfwalze und Stephan. "Mann, o Mann!" bangte Fritz. "Zorn ist jetzt die beste Hilfe!" meinte Hans-Jürgen. Mauersäge kam mit dem Dicken vom Ufer herauf und nahm wieder Platz. Sein Interesse für die
Schule war nicht sonderlich groß, denn sie redeten aufeinander ein, als wären sie allein. "Kugelstoßen!" Strehlaus Stimme klang diesmal ziemlich kleinlaut. Die Spannung hing wie eine Gewitterwolke über dem Platz. Zuerst stießen schwächere Vertreter; die Weiten waren keine, und die Zeit kroch. Als der FranzJoseph-Riese in den Ring trat, herrschte atemlose Stille. Hier gab es keine Drehung, die ihm zum Verhängnis werden konnte. Lang konzentrierte er sich und stieß die Kugel in vollendetem Stil bis auf wenige Zentimeter an die Traumgrenze heran. Seine Freunde, und nicht nur sie, würdigten die Leistung mit tosendem Beifall. Der Sieg schien dem Riesen sicher und damit der Franz-JosephSchule. "Bangemachen gilt nicht!" raunte Ottokar den verfeindeten Rivalen zu. Es klang wenig überzeugend. Daran änderte auch der Stoß eines Ebert-Schülers nichts, der total danebenging. In einen abseits stehenden Blecheimer. Nun war die Reihe an Dampfwalze. Wenn er auch versuchte, sich als Diskussieger ein gefährlichüberlegenes Aussehen zu geben, so merkten doch alle, an seinem sich viel zu schnell hebenden und senkenden Brustkasten, wie ihm wirklich zumute war. Auch er konzentrierte sich lange. Die Kugel ging gut von der Hand, leider zu flach und landete einen halben Meter hinter der Marke des Riesen. "Oooooh!" seufzten die enttäuschten Zuschauer. Jetzt kam Stephan dran, der Seufzer wiederholte sich, denn er blieb noch hinter Dampfwalze zurück. "Dacht ich mir's!" brummte der und zeigte ein völlig unpassendes Grinsen. Stephan beachtete ihn nicht. Mit gesenktem Kopf ging er auf und ab, um sich für den nächsten Durchgang zu konzentrieren. Dampfwalze folgte seinem Beispiel. Während sie wie schnuppernde Hunde auf dem Rasen im Zickzack herumliefen, brach plötzlich stürmischer Beifall los. Der Riese hatte sich weiter gesteigert. Die Kugel lag noch dichter an der Traumgrenze. Bangemachen gilt nicht! erinnerte sich Stephan an Ottokars Worte und sprach den Satz wieder und wieder vor sich hin, um nichts zu hören. Ich darf nicht zuschauen, wenn Dampfwalze stößt! grübelte er. Das war mein Fehler! Dieser Muskelprotz mit Spatzenhirn! Er redete sich regelrecht in Wut, hörte aber doch, wie Dampfwalze aufgerufen wurde und nach schier unerträglicher Stille ein langgezogenes "Meeeeensch!", dem tosender Beifall folgte. Dampfwalze mußte den Riesen überboten haben. Gut für Schreckenstein! dachte er und wußte aber, daß das zum Sieg noch immer nicht reichte. Doppelsieg war erforderlich, Doppelsieg und Traumgrenze. Doppeltraumgrenze! Auf ihn kam es jetzt an. Von ihm hing alles ab. Alles. "Du bist dran, Stephan!" rief ihm Strehlau zu. Blicke umzingelten ihn, verfolgten jede Bewegung. Gedankenfetzen quirlten durch seinen Kopf, störten die Konzentration. Muskelprotz mit Spatzenhirn! Muskelprotz mit Spatzenhirn, brüllte er tonlos dagegen, trat im Rhythmus der Silben in den Ring, die Umwelt verschwamm vor seinen Augen, nur die Traumgrenze blieb klar, die Traumgrenze in traumhaft weiter Ferne. Bangemachen gilt nicht! sagte er noch einmal zu sich, die Kugel schon am Hals. Selbst im Gras hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Jetzt oder nie! Stephan holte tief Luft, beugte sich vor... automatisch ruderte das linke Bein... schwang zurück... riß das rechte nach vorn... der Oberkörper streckte sich aus der Hüfte... in seiner Verlängerung schnellte der Arm nach vorn, drehte sich leicht, bis zur völligen Streckung... ein letzter
Drall mit den Fingerspitzen... kurzer Kampf mit dem Gleichgewicht... dann ging die Welt unter... in unbeschreiblichem Jubel, der kein Ende nehmen wollte. Stephan fühlte nichts mehr. Er war leer, überließ sich den Händen, die nach ihm griffen. Wie aus weiter Ferne drangen Worte zu ihm durch: Traumgrenze! Sieg! Ritter! Gesichter tauchten auf: der Rex, Rolle, der Riese, Ottokar, Mücke. Hände schüttelten seine Hand, seine Schultern, seinen Kopf, hoben ihn auf, um ihn im Triumphzug herumzutragen. Plötzlich tat es einen Ruck. Eine Hand faßte nach seiner Hand und drückte sie, daß Stephan aus seinem Taumel erwachte. Vor ihm stand Dampfwalze. "War höchste Zeit!" sagte er.
Freßpaket mit Folgen Schreckenstein hatte gewonnen. Wenn Stephan jedoch glaubte, mit seinem Stoß über die Traumgrenze alle Hindernisse beseitigt zu haben, so irrte er sich. Die kleinen Ritter bewunderten ihn zwar restlos, abends in der Folterkammer hatte er den Rittereid geleistet, doch bei Dampfwalze und seinem Anhang war er nicht mehr als ein guter Kugelstoßer, dem ein Zufallstreffer geglückt ist. Stephan gehörte dazu. Doch es gab noch Mißtrauen. Zum Beispiel gegen sein Akkordeonspiel. Auf dem Flügel im Wohnzimmer konnte er nicht beweisen, daß er's konnte. Sein Instrument hatte auf beiden Seiten Knöpfe. Nur Ottokar glaubte ihm, Ottokar war überhaupt der einzige, der ihn verstand, zu dem er ganz offen sein konnte. Mit solchen Gedanken beschäftigt, stand Stephan in seinem Zimmer und futterte aus der Schublade des Klappbetts Marzipan, das ihm seine Mutter anläßlich des Sportfestes neben anderen Schleckereien mitgebracht hatte. Ein richtiges Freßpaket. Da ging die Tür auf. Dampfwalze und seine Leibgarde traten ein. "Sieh mal an!" sagte er mit hämischem Unterton, weil Stephan mit ausgebeulter Backe schnell die Schublade zuschob. "Unser Zufallsrekordler frißt heimlich aus der Schublade." Er zog sie heraus und schaute hinein. ,Wenn du was nimmst, kriegst du einen Tritt, daß du dich überschlägst!' hätte Stephan ohne den Brocken in seinem Mund gesagt. Doch Dampfwalze war Ritter genug, nicht zuzugreifen. Er fragte nur barsch: "Schon mal was von Teilen gehört?" Stephan schluckte. "Mit wem?" fragte er. "Ist ja niemand da." Jetzt schluckte Dampfwalze. Ohne Marzipan. Seine Muskeln strafften sich, doch sie klemmten offenbar die Leitung zum Gehirn ab, denn es dauerte lange, bis er eine Antwort fand. "Niemand da?" wiederholte er. "Und was sind wir?" "Nicht von unserem Zimmer", kam es wie aus der Pistole geschossen. Dampfwalze, Pummel und Eugen schauten betreten. Stephan war nicht beizukommen. So jedenfalls nicht. Ersatzweise setzte Dampfwalze ein überlegenes Lächeln auf und meinte: "Muß noch viel lernen, der Junge, bis er ein wirklicher Ritter wird. Doch vielleicht helfen wir ihm dabei." Mit vielseitigem Grinsen verschwanden die drei. Stephan kochte. "Muskelprotz mit Spatzenhirn!" brüllte er hinterher. Ruckartig blieb Dampfwalze stehen, drehte sich in Zeitlupe um. "Das büßt du mir!" knirschte er mit
haßerfülltem Blick. Rasch wandte er sich ab und ging weiter. "Bist ja bloß neidisch, weil ich besser war als du!" schrie Stephan, und schon tat es ihm leid. Hatte er gerade aus der Spannlackgeschichte die Lehre gezogen, daß es nicht Ritterart war, sich mit Leistungen zu brüsten. Da kam Ottokar mit frisch bandagiertem Fuß von Rolle zurück, und Stephan berichtete ihm. "Haha! Du und nichts hergeben!" Ottokar lachte laut. "Ich hab jetzt noch Bauchweh von der Spachtelei gestern abend." Und nachdenklich fügte er hinzu. "Das mit dem Kugelstoßen hättest du besser nicht gesagt. Du weißt, Eigenlob..." "Ich weiß", bekannte Stephan. "Aber ich war stinkwütend." "Wut ist immer schlecht." Ottokar legte seinen Fuß hoch und vertiefte sich in die Hausaufgaben. Dampfwalzes Androhung ließ nicht lange auf sich warten. Am nächsten Morgen, eine Stunde vor dem Wecken, wurde Stephan ziemlich unsanft aus dem Bett gezerrt und weggeschleppt. Ottokar, der eingreifen wollte, wurde von Dampfwalze einfach hochgeklappt. Der Muskelprotz hatte sich aus Mauersäges Burgteil eine Ritterrüstung und ein Kettenhemd organisiert. In diese Montur wurde Stephan hineingezwängt, nicht ganz schmerzfrei, denn sie war für einen kleineren Ritter gemacht. "So wirst du am Dauerlauf teilnehmen!" verkündete Dampfwalze. Er hielt seine Idee für äußerst witzig und versprach sich großen Überraschungserfolg, da außer seinen Helfershelfern niemand davon wußte. Während Rolle mit den verschlafenen Rittern in den gräflichen Park trabte, hielten sie Stephan in einem Gebüsch fest, um ihn erst auf Zeichen als Geist aus der Vergangenheit erscheinen zu lassen. "Los!" Dampfwalze versetzte ihm noch einen Tritt, daß Stephan wie betrunken aus der Hecke heraustaumelte. "Verdammich!" Der Muskelprotz hatte das Kettenhemd unterschätzt und sich in dem leichten Turnschuh die große Zehe verstaucht. Mit grimmiger Miene humpelte er hinter-her, um sich im Glanz seiner Tat zu sonnen. Die Wirkung war unterschiedlich. "Schweinerei!" schimpften die einen, andere lachten oder schüttelten nur die Köpfe. Mücke kam neben Stephan und sagte mit einer Kopfbewegung zu Dampfwalze. "Der ist für mich unten durch!" Stephan freute sich über diese Bemerkung, denn Mücke war einer der angesehensten Ritter. Durch das Visier in der Sicht behindert, klapperte er weit hinter den anderen her über die gepflegten Kieswege. Drüben strebte Rolle, vom eigenen Laufstil überwältigt, bereits wieder der Burg zu. Immer schön langsam! dachte Stephan. Die Geschichte war ihm keineswegs so peinlich, wie Dampfwalze sich das gewünscht hatte. Ihm kamen die merkwürdigsten Ideen: Eigentlich bin ich hier der einzige Ritter! Mann, wie haben die das früher den ganzen Tag ausgehalten in dem schweren Zeug? Zum Essen mag so ein Blechlatz ganz praktisch sein! Aber wenn die Sonne draufscheint, da drinstecken, ohne Klimaanlage... ? Er blieb stehen und öffnete das Visier, um Luft zu holen: Ritter sein, ist eben doch nicht so einfach!
Der Gedanke brachte ihn in die Gegenwart zurück. Als er weitertrabend um einen kugelförmig gestutzten Busch in die letzte Gerade einbog, sah er von Mauersäges Burgteil drei Gestalten auf den Park zukommen. Sie hatten ihn wohl noch nicht entdeckt, und er kroch in die nächste Hecke, um weitere Schwierigkeiten zu vermeiden. Wie hätte er seinen Aufzug erklären sollen, ohne Dampfwalze zu verpetzen? Schreckensteiner Ritter logen ja nicht! Soweit die zwickende Montur es zuließ, machte er es sich in seinem Versteck bequem. Der Busch umrahmte u-förmig eine Steinbank, die in der Morgensonne lag. Nach einer Weile näherten sich Schritte. In Stephans Helm dröhnten sie wie ein Regiment in Nagelschuhen. Doch er verhielt sich mucksmäuschenstill. Jetzt waren die Schritte ganz nah. Nach kurzem Schalten tönte Mauersäges Stimme: " ...ks... hier wollen wir frühstücken!" Prost Mahlzeit! dachte Stephan, auf einen längeren Aufenthalt gefaßt. Nach oben war der Busch undurchsichtig, also versuchte er aus den sechs vor ihm stehenden Beinen, deren Besitzer zu ermitteln. Mauersäge stand fest. Die Riesenschuhe daneben mochten Jean gehören, denn seine Stimme sagte: "Sehr wohl, Herr Graf!" Wem aber gehörten die Speckwaden in den karierten Strümpfen, die in ziemlich angeberhaften Schuhen mit gerippten, weißen Gummisohlen steckten? "Herr Klinke.. ks... ich bin sicher, die... ks... Jagd wird Ihnen Spaß machen!" Klinke also! Der Unsympathling, den Mauersäge beim Sportfest dabeigehabt hatte. Und auf die Jagd wollten sie gehen. Das mochte das Frühstück verkürzen. Da, ein Hecheln, ein Zweigerascheln, Harro, seines Zeichens gräflicher Jagdhund erschien im Busch und beschnupperte mit leisem Knurren Stephans Blechwaden. Hoffentlich verbellt er mich nicht! dachte Stephan. Doch Harro knurrte bloß. Er schien sich nicht klar zu sein. War das ein Mensch aus Blech oder nur Blech, das nach Mensch roch? Harro löste das Problem mit Hundelogik. Er hob ein Bein und versah den Fund mit einer Duftmarke. Die Herren hatten auf der Bank Platz genommen, Jean kam mit Geschirr geklappert, und Harro wurde ermahnt, bei Fuß zu sitzen, worauf er den Kopf zwischen die Pfoten legte, um noch eine Runde zu schlafen. Aus dem Gespräch ging hervor, daß Klinke schon seit gestern zu Gast auf der Burg und als Jäger ein blutiger Anfänger war. Jean mußte ein Tellerchen mit Honig auf den Boden stellen, um Bienen vom Frühstückstisch fernzuhalten. Keinen Meter von Stephan entfernt, setzte er es ab. Ein ganzer Schwärm fand sich ein, manche umkreisten Stephans Helm, eine kam sogar durch das Visier und brummte drinnen wie ein Moped herum. Sich dabei ruhig zu verhalten, war schier unmöglich. Doch der erfinderische Stephan pflückte ein Blatt, schob es durch einen Schlitz, die Biene landete darauf und ließ sich hinausverfrachten. Mit dem Kehraus gerade fertig, stutzte Stephan und lauschte dem Gespräch, was er eigentlich nicht vorgehabt hatte. "Sie werden aufatmen, Graf, wenn sie die Schule wieder draußen haben!" sagte Klinke mit fetter Stimme. "Die Burg ist dafür viel zu schade. Ich mache ihnen das ruhigste und beste Sanatorium daraus. Vorausgesetzt, wir einigen uns über den Preis." Das ist ja hochinteressant! dachte Stephan. Der Fettsack will uns rausekeln! Wie doch alles im Leben zwei Seiten hat! Jetzt war er Dampfwalze sogar dankbar für den Streich. Die Freude wich einer unheimlichen Wut. Dieser Fettkloß kriegt unsere Schule nicht! Das werde ich verhindern! Ich ganz allein. Allen werd ich's zeigen, mich als Ritter bewähren! Uns die Schule wegnehmen, unsere Schule... Und er merkte, wie sehr er an Schreckenstein hing. Trotz allem.
Schweigen ist Gold Natürlich war Stephan infolge des gräflichen Frühstücks zu spät zum Unterricht gekommen, ohne den Grund anzugeben, natürlich hatte Jean beim Abstauben im Rittersaal das Fehlen der Rüstung bemerkt. Die Folge war nach dem Mittagessen eine Schulversammlung im Wohnzimmer. Ohne Umschweife kam der Rex zur Sache: "Wer hat aus dem Rittersaal beim Grafen eine Rüstung genommen oder weiß etwas davon?" Die Ritter drehten die Köpfe zu Dampfwalze, der ganz vorne stand. Auch der Rex sah ihn an. Dampfwalze machte jedoch keine Anstalten, sich zu melden. Er schien zu überlegen, was er tun solle, und das dauerte offenbar, auch wenn seine Muskeln gerade nicht angespannt waren. Da meldete sich Stephan mit einem lauten "Hier!" Die Köpfe drehten sich zu ihm um. "Du hast sie also genommen?" fragte der Rex. "Nein", antwortete Stephan. Ich habe sie nur getragen." Leicht verwirrt zuckte der Rex mit den Augenbrauen. Der Blick aller zu Dampfwalze war ihm nicht entgangen. Das mußte mit der Spannung zwischen den beiden zusammenhängen, die ihm ja bekannt war. Also begann er die Sache einzukreisen. "Du sagst, du hast sie nicht genommen, aber getragen." "Ja", antwortete Stephan. "Warum meldest du dich dann, wo ich doch fragte, wer sie genommen hat?" Stephan war entschlossen, nun die Wahrheit zu sagen. Jetzt konnte er allen beweisen, daß er sich den Geist der Ritter zu eigen gemacht hatte. Ruhig antwortete er: "Weil sie auch gefragt haben, wer etwas davon weiß. Und da ich sie getragen habe, weiß ich etwas davon." Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Auch der Dümmste mußte merken, daß Stephan niemanden verraten wollte. Das machte die Lage für Dampfwalze unerträglich. Ausgerechnet er hatte Stephan Mangel an ritterlicher Gesinnung vorgeworfen! Der Rex sah sich prüfend um. Nichts schien ihm zu entgehen. "Wer hat also die Rüstung genommen?" Wieder herrschte Schweigen. Wenn Dampfwalze noch einen Rest von Ritterlichkeit retten wollte, mußte er jetzt antworten. "Ich", quetschte er zwischen den Zähnen hervor. "Und warum?" fragte der Rex, ohne jedes Anzeichen von Überraschung. Dampfwalze wand sich wie ein Freistilringer. "Wir... wir... wollten Stephan blamieren." "Wer ist wir?" trieb ihn der Rex weiter in die Enge. Mit gequältem Ausdruck sah sich der Muskelprotz um, bis seine Helfershelfer die Hand hoben. Da wurde der Rex böse. "Ich finde das sehr ritterlich! Zuerst meldest du dich nicht und ziehst dann noch andere mit hinein." Ein Raunen ging durch den Raum. Dampfwalze schaute drein, als wolle er umgehend im Erdboden verschwinden. Doch der Rex ließ nicht locker. "Warum wolltet ihr Stephan blamieren?"
"Weil... weil... weil er sein Freßpaket allein aufgegessen hat!" stammelte Dampfwalze mit hochrotem Kopf. "Das ist nicht wahr!" rief Ottokar dazwischen. "Wir haben gestern abend toll gespachtelt. Das ganze Zimmer." "Schweinerei!" brüllte Mücke, so laut er nur konnte. "Keine Kommentare!" mahnte der Rex und fuhr fort. "Dieser sogenannte Streich hat nicht nur den Falschen getroffen, er schadet uns auch. Was muß der Burgherr denken, wenn wir uns an seinem Eigentum vergreifen? Die Rüstung soll sehr wertvoll sein. Ich werde ihm sagen, daß die Schuldigen bestraft worden sind. Dampfwalze und seine Helfer dürfen bis zu den Ferien nicht mehr am Sport teilnehmen. Die Schulversammlung ist geschlossen. Stephan, komm bitte auf mein Zimmer!" Er drehte sich um und verließ den Raum. Was hab ich denn jetzt wieder falsch gemacht? überlegte Stephan. Er stand allein. Ritter drängten sich um Dampfwalze, andere kamen, wenn auch zögernd, zu ihm. "Hast du prima gemacht!" Mücke schlug Stephan auf die Schulter. Klaus und Dieter schlössen sich an. Ottokar arbeitete sich durch die Menge und drückte ihm stumm die Hand, wie das in solchen Fällen unter Freunden üblich ist. Was nur der Rex von mir will? überlegte er auf dem Weg zu ihm. Ich hab die Wahrheit gesagt, und nur, soweit es mich anging. Eigentlich fühle ich mich als Ritter. Versonnen in seinem Zimmer auf und ab gehend, empfing ihn der Rex. Kein Wort über das Vorgefallene, kein Lob für seine Haltung. "Du mußt die Schule retten!" begann Direktor Meyer endlich. "Wenn das nämlich so weitergeht mit euch beiden, haben wir bald keine Gemeinschaft mehr, sondern zwei Gruppen, die sich bis aufs Messer bekämpfen." Stephan war platt. Von dieser Seite hatte er die Sache noch nicht betrachtet. Doch er stimmte dem Rex zu. Der Rex kannte die Ritter überhaupt besser, als sie ahnten. "Dampfwalze", fuhr er fort, "hat dir in seinem gekränkten Stolz geholfen, das zu werden, was du jetzt bist. Er ist dabei zu weit gegangen, und nun mußt du ihm helfen." Anscheinend machte Stephan ein ziemlich dummes Gesicht, denn der Rex lächelte. "Zeig ihm, daß du nicht sein Feind bist! Fang am besten gleich damit an und schick ihn mir her. Er muß sich bei Graf Schreckenstein entschuldigen." Da kam Stephan eine Idee. "Kann ich das nicht machen?" fragte er. Damit hatte der Rex nicht gerechnet. "Sieh mal an!" sagte er. "Du hast mich besser verstanden, als ich dachte. Wenn du Dampfwalze diesen Gang abnimmst - wobei ich dafür sorge, daß er's erfährt ist das der beste Beweis für deine freundschaftliche Haltung. Einverstanden!" Stephan verließ das Zimmer. Draußen blieb er wie vom Blitz getroffen stehen. Mann! Gut, daß ich von Klinke nichts gesagt hab. Jetzt bin ich ja an der Quelle, um Näheres zu erfahren. Vielleicht werde ich den zwielichtigen Klinke sogar kennenlernen. Ihm war zumute wie Sherlock Holmes persönlich. Niemand wußte von seinem Vorhaben. Nicht einmal Ottokar.
Wenn man die Wahrheit sagt - dachte er - ohne im falschen Moment alles auszuplaudern, hat man die besten Möglichkeiten! Mit dieser Erkenntnis unter der Rüstung schritt Stephan umgehend zur Tat. Müde von der Jagd saßen Mauersäge und Herr Klinke beim Tee, als er von Jean hereingeführt wurde. "Entschuldigen Sie die Störung, Graf", begann Stephan. "Ich bringe die Rüstung unbeschädigt zurück und möchte mich im Namen der Schule entschuldigen." "Du bist also der... ks... der Lausebengel!" fuhr Mauersäge ihn an, ohne von seiner Teetasse aufzuschauen. "Ich habe die Rüstung nicht genommen, ich bringe sie nur wieder", antwortete Stephan ruhig. Beide Herren setzten ihre Tassen ab und schauten ihn groß an. "So? Und warum bringt der sie nicht zurück, der sie weggenommen hat?" wollte Klinke wissen und schaute giftig. "Der kann nicht", antwortete Stephan. "Der wird gerade dafür bestraft." Daß Dampfwalze zur Stunde im Schrebergarten buddelte, sagte er nicht; die Herren schienen zufrieden. Mauersäge nickte huldvoll. "Und du entschuldigst dich für ihn. Sehr lobenswert! Wenn du ein Stück Kuchen willst, setz dich zu uns", sagte er, ohne zu schalten. Stephan saß schon, und Jean, der draußen sehr unfreundlich gewesen war, mußte ihm ein Gedeck bringen. Jetzt heißt es wachsam sein! Und geschickt! ermahnte sich Stephan, während Jean ihm Tee einschenkte. Der Raum hing voll alter Bilder: Personen mit riesigen Nasen, die ihm alle zuschauten. Auch Jagdtrophäen hingen an den Wänden, an denen schon lang kein Staubsauger mehr vorbeigekommen war. Klinke lag in einem knarzenden Lehnstuhl und fragte mit öliger Freundlichkeit: "Was sagen denn eure Eltern dazu, daß ihr nie nach Hause kommt?" Stephan merkte sofort, worauf er hinauswollte. "Oh, die haben sich längst daran gewöhnt." Klinke schüttelte mißbilligend den Kopf. "Kein Zustand auf die Dauer! Hier kommt ihr nur auf dumme Gedanken." Er neigte sich zu Mauersäge und fuhr im Flüsterton fort. "Auch in dieser Hinsicht täten Sie ein gutes Werk." Stephan saß über seinen Teller gebeugt, als höre er nichts. Die Sache war also ernst. Doch die Hoffnung, noch mehr zu erfahren, erfüllte sich nicht. Mauersäge überprüfte die Rüstung und fand sie unbeschädigt. Stephan trank die Tasse aus, höflich verabschiedete er sich: Der Vorfall werde sich nicht wiederholen. "Bestimmt nicht!" bemerkte Klinke doppeldeutig. Leise schloß Stephan die Tür. Draußen blieb er stehen, um seine Rechte an der Hose abzureiben. Klinke hatte einen unangenehm feuchten Händedruck. Da hörte er
Mauersäge drinnen sagen: "Drei... ks... Monate Kündigungsfrist muß ich der Schule lassen." Stephan drückte das Ohr an die Tür. "Wenn wir uns einig sind, Graf..." antwortete Klinke. Mehr hörte Stephan nicht. Er wurde von hinten gepackt und äußerst unsanft weggezerrt. "Dir werd ich helfen, hier zu lauschen!" zischte Jean ihn an und brachte ihn schnurstracks zum Rex. "Du enttäuschst mich", sagte der. Stephan hätte ihn einweihen können, doch irgend etwas hielt ihn davon ab, und so hing am selben Abend im Eßsaal folgender Anschlag am Schwarzen Brett: Stephan Breuer darf bis zu den Ferien nicht mehr am Sport teilnehmen. Er hat die Ritterregeln mißachtet und beim Grafen an der Tür gelauscht. Dampfwalze, dessen Schandtaten direkt daneben aufgeführt waren, warf ihm nach dem Essen einen schadenfrohen Blick zu. "Jetzt sitzen wir im selben Boot", meinte Stephan versöhnend, doch vergeblich. Auch andere Ritter gingen ohne einen Blick an ihm vorbei. Sein mühsam errungenes Ansehen war wieder dahin, in absoluter Nullstimmung ging er auf sein Zimmer, öffnete das Fenster und sah ins Dunkel hinaus. Ottokar kam herein, kramte in einer Schublade herum, bis er schließlich sagte. "Nun mach endlich das Fenster zu und den Mund auf!" Stephan fiel ein Stein vom Herzen. Wenigstens Ottokar hielt zu ihm. Und er berichtete der Reihe nach. Vom Gespräch auf der Gartenbank, über den Rex bis zu Jeans Polizeigriffen. "Ich mußte einfach horchen. Ich wollte noch mehr erfahren. Es geht doch um die Schule! Und Klinke ist ein Heimtückling! Wie der Mauersäge einwickelt... Vielleicht sag ich's doch dem Rex?" Ottokar nagte an der Unterlippe, den Blick starr in eine Ecke gerichtet. "Der Rex kann da gar nichts machen", meinte er schließlich. "Wir müssen kriminalistisch vorgehen, irgend etwas erfinden, daß dem Fettkloß die Lust vergeht, sich hier einzunisten. Drei Monate Kündigungs-frist, hast du gesagt?" Stephan nickte. "Das reicht!" Ottokar lächelte siegessicher. "Vorausgesetzt, es erfährt niemand was davon." "Von mir bestimmt nicht!" versicherte ihm Stephan. "Sollen die ändern von mir denken, was sie wollen. Es geht schließlich um unsere Burg." Sie sahen einander an, und das Bewußtsein, den großen Streich zur Rettung der Schule ganz alleine machen zu müssen, stimmte sie so angriffslustig, daß sie lachen mußten und sich gegenseitig auf die Brust boxten. "Den Fettsack ekeln wir raus!" trumpfte Ottokar auf. Stephan legte den Finger an die Lippen. "Strengstes Geheimnis." "Allerstrengstes!" Mit diesem geheimen Schwur fuhren sie vierzehn Tage später in die Ferien.
Mit Musik geht alles besser "Ein völlig neues Feriengefühl!" sagte Mücke am Anreisetag. "Zum erstenmal hatte ich Sehnsucht nach der Schule." Ritter lachten und nickten. Da Mücke es aussprach, merkten sie, daß es ihnen ähnlich ergangen war. Alle richteten sich für das neue Trimester ein.
Stephan hatte diesmal sein Akkordeon mitgebracht. Am ersten Abend setzte er sich aufs Fensterbrett und spielte Stücke, die ihm grade einfielen. Draußen standen Ritter im Dunkel und bewunderten ihn heimlich, denn er galt ja noch immer als Außenseiter. Auch Dampfwalze stand dabei und bewegte unschlüssig seine Nase hin und her. Hört nur zu, ihr Ritter! dachte Stephan. Und überzeugt euch, daß ich nicht aufgeschnitten habe. Wer Schneid hat, soll raufkommen. Kaum gedacht, öffnete sich die Tür, und wer kam herein? "Ausgerechnet Strehlau!" sagte Ottokar, der gerade dasselbe gedacht hatte. Auf Zehenspitzen, wie ein Konzertbesucher, der zu spät kommt, näherte sich der lange Musterschüler Stephan und beobachtete das Spiel der Finger auf den vielen Knöpfen. "Beachtlich!" sagte er, als Stephan den Balg schloß. Von draußen war ein vereinzeltes Klatschen zu hören. Ottokar raste sofort ans Fenster, um nachzusehen. "Mücke!" sagte er und begab sich wieder auf seinen Platz, während Stephan und Strehlau in eine Fachsimpelei gerieten, die mit der Übereinstimmung endete, daß man eigentlich eine Kapelle gründen sollte. Es war eine seltsame Zeit, ganz anders als vor den Ferien. Hatte sich da alles um Stephans Bewährung als Ritter gedreht, war es jetzt merkwürdig ruhig um ihn. Obwohl feststand, daß er tatsächlich Akkordeon spielen konnte, wußten die meisten Ritter immer noch nicht, woran sie mit ihm waren, und hielten sich zurück. Irgendwie trauten sie ihm nicht ganz, und das zu Recht, wie Stephan einsah. Durch den geheimen Plan, den er mit sich herumtrug, war er wohl nicht so locker und vergnügt, wie es seinem Wesen an sich entsprochen hätte. Das spürten die Ritter vermutlich. Doch die Wahrheit konnte er ihnen nicht sagen. Jetzt noch nicht. Ich darf nicht auffallen und muß ganz bescheiden sein! hatte er sich vorgenommen. Und Dampfwalze? Zeig ihm, daß du nicht sein Feind bist! erinnerte sich Stephan an die Worte des Rex und richtete sich danach. Auch Dampfwalze vermied nach seiner Blamage bei der letzten Schulversammlung jegliche Auseinandersetzung. Beim Kugelstoßen taten beide, als feilten sie nur an der Technik. Keiner stieß auf Weite. Im übrigen umschlichen sie einander mit der scheinbaren Absichtslosigkeit zweier Männer, von denen jeder den anderen für einen Detektiv hält. Der Rex hatte mit seiner Befürchtung, die Schule könne sich in zwei Lager spalten, schon recht gehabt. Sie war es bereits. Nur gab es niemand zu. Keiner wußte genau, auf welcher Seite der andere stand, und wenn er ihn auch nicht gerade verdächtigte, Heimlichkeiten zu haben, war er doch davon überzeugt. "Für eine Ritterschaft sind wir ein ziemlich undurchsichtiger Verein", stellte Witzbold Klaus fest. Für Stephan und Ottokar, die tatsächlich etwas zu verheimlichen hatten, war es keine leichte Zeit.
Wenn herauskäme, was sie vorhatten - dann gute Nacht! Sie mußten höllisch aufpassen. Dabei tappten sie selbst im dunkeln. Was war während der Ferienzeit geschehen? Hatte Mauersäge die Kündigung schon überbracht? Wenn ja, wem? Dem Rex oder dem Bürgermeister von Neustadt? Denn dann hieß es ja: zurück in die Enge. Dem Rex war nichts anzumerken. Und was machte Klinke? Hatte er Mauersäge schon zu einer Vertragsunterschrift rumgekriegt? In den Ferien hatten Ottokar und Stephan mit ihren Eltern verreisen müssen und keine Gelegenheit gehabt, Informationen zu sammeln. Ottokar wußte von seinem Vater lediglich, daß der Fettsack sein Personal in der Grünen Eule schlecht bezahlte. Nur die Musik sei dort immer besonders gut - hieß es. Was konnten die beiden tun? War es nicht überhaupt schon zu spät? Nächtelang berieten sie in einem engen Raum unter der kleinen Treppe an der Ecke zwischen Südund Westflügel, ohne zu einem Entschluß zu kommen. Sie berieten sich so gründlich, daß ihr Gähnen im Unterricht bereits auffiel. Solange Klinke nicht zu Mauersäge kam, war eigentlich nichts zu machen. Doch Klinke kam nicht. Mehrmals am Tag schauten Stephan oder Ottokar in den Sternenhof in Mauersäges Burghälfte hinüber. Doch nie stand ein fremder Wagen dort. Und Mauersäge führte leider keine Selbstgespräche, die sie hätten belauschen können. Die Lage war aussichtslos. "Lang können wir so nicht weitermachen", stellte Ottokar niedergeschlagen fest. "Wir dürfen uns nicht von allem zurückziehen. Das fällt sonst auf!" gab Stephan zu bedenken. "Genau!" Ottokar feuerte ein Schulbuch in die Ecke und stand auf. "Überhaupt ist kein Schwung mehr in dem Laden." "Genau!" stimmte ihm Stephan zu. "Aber dagegen läßt sich was tun." Und er wußte auch, was. Er brauchte lediglich zwei Ritter zu überreden. Beide waren sofort einverstanden, und so gründete er die Schreckensteiner Jazzkapelle. Strehlau am Klavier, Hans-Jürgen auf der Flöte und er selbst mit dem Akkordeon. "Eine sehr eigenwillige Besetzung!" meinte der Musterschüler, der bisher nur klassische Musik gespielt hatte. "Aber warum nicht?" Jeden Tag übten die drei. Das Musizieren machte sie fröhlich, und Fröhlichkeit ist ansteckend. So kam alsbald Turnlehrer Rolle dazu. Er verstand sich auf die Baßgeige und besorgte sich von einem Freund in Neustadt eine Hundehütte, wie er das Instrument nannte. "Ein Lehrer mit in der Kapelle, das ist ziemlich super!" meinte Mücke. Schon bei der ersten Probe zeigte sich, wie sehr der Zupfer gefehlt hatte. Der Baß ist ein Rhythmusinstrument, mit ihm klang alles viel schmissiger. Jetzt waren sie fast komplett und übten wie die Wilden. Selbstverständlich mußte die Kapelle auch einen Namen haben und als Jazzkapelle möglichst einen englischen. Hierfür erklärte sich Hans-Jürgen als Dichter zuständig.
"Horror - der Schrecken, Rock - der Stein, der Fels" übersetzte er frei das Wort Schreckenstein. "Wir nennen uns Horror Rock Jazz Band." Das Musizieren machte unheimlich Spaß. Es fehlte nur noch eine Gelegenheit, die neue Band offiziell vorzustellen. Da nahte Gießkannes Geburtstag. Die Musikanten standen morgens etwas früher auf und schlichen mit ihren Instrumenten zu der Tür des Geburtstagskindes. Den schweren Flügel hatten sie schon am Vorabend aus dem Wohnzimmer in die Nähe geschafft. Kurz vor dem Wecken klopfte Stephan viermal mit dem Fuß an, und in Fortissimo hallte alsbald der Jäger aus Kurpfalz durch die Korridore der Burg. Und - was das Neue daran war - im Jazzrhythmus. Ein Heidenspaß. Stephan erging sich in besonders gewagten Harmonien, Hans-Jürgen blies einen verwegenen Chorus nach dem ändern, Rolle zupfte, was die Finger hergaben, und der stille Strehlau war überhaupt nicht wiederzuerkennen. Wie ein Besessener bearbeitete er das Instrument, wobei ihm seine langjährigen Fingerübungen zugute kamen. Aus allen Zimmern stürzten die Ritter heraus, um zu sehen, wie Gießkanne das Ständchen aufnehmen würde. Sie wußten sowohl, daß er Geburtstag hatte, als auch, daß der Jäger aus Kurpfalz alles andere war als sein Lieblingsstück. Und dazu noch verjazzt. Mit Verspätung, wie es einem gefeierten Lehrer zukommt, erschien Gießkanne endlich, hörte mit leichtem Lächeln eine Weile zu und meinte dann. "So gefällt es min So wollen wir's in Zukunft auch singen. Vielen Dank für die nette Überraschung!" Mit dieser Antwort hatte er alle Erwartungen unterlaufen und wurde stürmisch gefeiert. Dampfwalze, Pummel und Eugen hoben ihn auf ihre Schultern. "Endlich ist der alte Schwung wieder da!" meinte Klaus. Auch der Rex zeigte sich über den musikalischen Auftrieb erfreut, und die Horror Rock Jazz Band wurde zu einem festen Bestandteil der Burgschule. Stephan verriet niemandem, daß die Idee von ihm stammte. So konzentrierte sich die Bewunderung der Ritter vor allem auf Strehlau, dessen Talent zum Jazzpianisten allgemein überraschte. Der Musterschüler war wie ausgewechselt. Und seit er auch außerhalb des Unterrichts etwas hatte, womit er glänzen konnte, war er überhaupt keine Flasche mehr, wie manche ihn bislang genannt hatten. Das Musizieren brachte noch etwas völlig Unerwartetes mit sich: Stephan hatte in den Ferien in einem Hotel eine kleine Besetzung, eine Combo gehört, deren Spiel ihn begeistert hatte. Diese Art des Zusammenspiels wollte er in der Horror Rock Jazz Band ausprobieren. Als er seinen Musikern erklärte, was ihm vorschwebte, sagte Rolle: "Du meinst wohl so eine Art Barmusik?" Das Wort brachte bei Stephan eine Verbindung zu Klinkes Bar Grüne Eule, und schon setzte sich eine Idee in ihm fest, ein Wahnsinnsplan, derart aufregend, daß er Mühe hatte, sich bis zum Ende der Probe nichts anmerken zu lassen. Am liebsten hätte er sofort aufgehört und sich mit Ottokar zurückgezogen, denn das mußte schnellstens besprochen werden. Auf jeden Fall noch in dieser Nacht. Was hieß besprochen - es mußte gehandelt werden. Sofort! "Sssst! Wach auf! Wir fahren zu Klinke in die Bar!" weckte er seinen Freund, der schon geschlafen hatte, als Stephan von der Probe zurückkam. "Waaaas?" grunzte Ottokar.
"Wir fahren zu Klinke nach Neustadt!" flüsterte Stephan. Da wurde Ottokar wach. "Du... du hast dir wohl beim Kugelstoßen die Birne beschädigt, wie?" "Geh erst mal raus aus deiner Miefkiste, bevor du mit mir sprichst!" parierte Stephan. "Du weckst ja den ganzen Verein." Fritz hatte sich in seinem Bett von einer Seite auf die andere geworfen, wie einer, der sich gestört fühlt. Ottokar stand auf und schlich mit Stephan aus dem Zimmer. Draußen vor ihren Schränken zogen sie ihre Trainingsanzüge über und schlichen in ihr Versteck unter der kleinen Treppe. Dort wurde beim Schein eines Kerzenstummels beraten, aufgezeichnet, verworfen, neu erwogen, bis ein Plan feststand, der an Kühnheit schwer zu überbieten war. "Also", faßte Stephan zusammen, "Sonntagsanzug mit langen Hosen anziehen, elf Uhr Abfahrt mit den Rädern -Radstalltür kriegen wir mit Dietrich auf - und mit Karacho hinunter nach Neustadt. Dort stellen wir die Räder in den Hof von eurem Elektroladen und gehen zu Fuß zur Grünen Eule. Wie wir da reinkommen, sehen wir, wenn wir dort sind..." "Du wirst Augen machen!" unterbrach Ottokar. "Die haben einen Empfangschef, der ist der Vater von dem Riesen aus der Franz-Joseph-Schule. Ein Kleiderkasten von einem Mann!" "Wir sagen halt, daß wir zu unseren Eltern müssen. In einer dringenden Familienangelegenheit", schlug Stephan vor. "Und wo bleibt unsere Ritterehrlichkeit?" fragte Ottokar. "Auf der Burg", meinte Stephan. "In Neustadt hat die nichts verloren. Klinke ist ja auch nicht ehrlich zu uns." Ottokar nickte. "Stimmt. Die klappt nur innerhalb der Gemeinschaft. Aber laß uns nichts übereilen und erst morgen nacht fahren. Wir müssen noch andere Ausreden bereithaben, falls der Türsteher uns nicht reinläßt, sondern unseren Eltern drinnen Bescheid sagen will..." "Also gut", stimmte Stephan zu, und sie berieten weiter, bis die Köpfe rauchten. Erst einmal drinnen in der Bar, wollten sie schnurstracks zu Klinke gehen und ihm eine ergreifende Geschichte erzählen. Sie seien auf der Burg ausgerissen - wollten sie sagen - weil das Leben dort unerträglich sei und trauten sich jetzt nicht heim, zu so später Stunde. Ob er ihnen nicht helfen könne? Ottokar, der auch diesen Vorschlag anfangs abgelehnt hatte, stimmte schließlich zu, weil es die einzige Möglichkeit war, um überhaupt etwas zu erfahren. "Wenn wir auf die Burg schimpfen und ihn um Hilfe bitten, erzählt er uns vielleicht, was er vorhat. Höhere Kriminalistik nennt man das!" versicherte Stephan. Ihm war zumute wie beim Sportfest. Er hatte alles zu verlieren oder alles zu gewinnen! Und nicht nur er. "Ein starkes Stück - ich weiß!" sagte er abschließend. "Wenn das schiefgeht und rauskommt, dann
gut' Nacht!" "Gute Nacht!" Ottokar gähnte ausgiebig. Sie schlichen über den Korridor zurück zu ihrem Zimmer. Draußen wurde es schon hell, und als Werner kam, um sie zum Dauerlauf zu wecken, hatten sie noch kein Auge zugetan. Das Bevorstehende war einfach zu aufregend; der gesunde Schlaf stellte sich erst in den Unterrichtsstunden ein.
Ausflug mit Überraschungen Am Nachmittag hatte Ottokar das schwere Burgtor hinter der Zugbrücke geölt, bis es keinen Ächzer mehr von sich gab. Seine Umsicht in technischen Dingen war beachtlich. Stephans Begabung lag mehr auf strategischem Gebiet, und so ergänzten sich die beiden Freunde in idealer Weise. Mit Gummibändern um ihre langen Hosen - auch daran hatte Ottokar gedacht - radelten sie über die Zugbrücke hinaus in den dunklen Wald. "An was man alles denken muß!" sagte Stephan, nachdem sie in die Hauptstraße eingebogen waren und die Lichter eingeschaltet hatten. Ist ja fast wie vor einem Raketenstart." "Hoffentlich begegnet uns kein Lehrer", meinte Ottokar. "Keine Sorge", beruhigte ihn Stephan. "Die fahren immer erst samstags zu ihrem Stammtisch. Heute ist Mittwoch." Die Fahrt hinunter nach Neustadt verlief zügig, ohne jemandem zu begegnen, der Verdacht hätte schöpfen können, stellten sie die Fahrräder im Hof der Elektrohandlung ab. "Erst schaun, ob alles in Ordnung ist", flüsterte Stephan, bevor sie sich hinaus auf die Straße begaben, und leuchtete seinen Freund von oben bis unten mit der Taschenlampe ab. Ottokar folgte seinem Beispiel und leuchtete dagegen. "Mensch, die Gummis!" sagte er plötzlich. "So was Dummes!" rügte sich Stephan, der sie übersehen hatte. Beide bückten sich und entfernten die auffälligen Radfahrerzeichen. Es war kurz nach Mitternacht, als sie um die Ecke bogen. Da lag die Bar. Das grüne Neonlicht der Buchstaben über dem Eingang gab Passanten ein schwerkrankes Aussehen. Der Kleiderschrank, der in goldbetreßter Uniform davorstand, sah von weitem gar nicht so massig aus. "Wir gehen ganz selbstverständlich rüber", zischte Stephan durch die Zähne. Sie überquerten die Straße, direkt auf den Kleiderschrank zu, der mit jedem Schritt riesiger wurde. "Was wollt ihr denn hier?" fragte er mit tiefer Stimme, als sie vor ihm standen. "Wir wollen zu unserem Vater. In einer Familienangelegenheit", sagte Stephan ruhig und sehr überzeugend. "Jawohl!" bestätigte Ottokar. "Wir sind nämlich Zwillinge. Ich auch." Die Wirkung blieb nicht aus. Der Kleiderschrank mußte furchtbar lachen. Wenn er den Mund aufmachte, sah er seinem Sohn ähnlich. Doch er schloß ihn bald wieder, schaute auf die Uhr und meinte ernst: "Ist aber schon
reichlich spät für euch. Auch wenn ihr Zwillinge seid." Wenn ihnen jetzt keine Antwort einfiel, war alles umsonst. Doch zum Glück reagierte Stephan schnell. "Das ist es ja", gab er dem Kleiderschrank recht. "Mutter ist krank, es geht ihr nicht gut. Drum wollen wir Vater holen." So hatte er schon lang nicht mehr geschwindelt. Doch der Zweck heiligte in diesem Fall das Mittel. Und es half. Der Kleiderschrank bekam plötzlich einen ganz milden Gesichtsausdruck. Ottokar holte sein Taschentuch hervor, weil er trotz der heiklen Lage über so viel Unverfrorenheit lachen mußte. "Und da seid ihr noch einmal aufgestanden, um die Mutter zu beruhigen?" vergewisserte sich der Kleiderschrank voller Anteilnahme. "Alle beide", festigte Stephan die Vermutung. "Na, dann rein mit euch und raus mit dem Papa!" Mit diesen Worten schob der Kleiderschrank die beiden, die gar nicht wußten, wie ihnen geschah, durch die Tür in einen schummrigen Vorraum, der mit rotem Tuch ausgeschlagen war. Ottokar atmete hörbar auf. "Nach links!" tönte die tiefe Stimme hinter ihnen. Der Kleiderschrank hatte sich offenbar vorgenommen, sie persönlich zu ihrem vermeintlichen Vater zu geleiten. Das hatte noch gefehlt. "Danke, wir finden's schon", versuchte Stephan ihn abzuschütteln, jedoch vergeblich. Gefolgt von ihrer riesigen Leibwache betraten die beiden das Nachtlokal. Musik spielte, der Raum war düster und ungelüftet. Rechts fand sich der Bartresen, ein hohes, geschweiftes Monstrum mit viel Spiegelglas und unendlich vielen Flaschen. Davor schimmerte eine von unten beleuchtete Tanzfläche in allen Farben. Um sie herum waren kleine Tische aufgestellt, aber nur wenige besetzt. Links in einer Wandnische saß die Kapelle und spielte genauso, wie Stephan es sich für die Horror Rock Band erträumte. Doch dafür durfte er jetzt kein Ohr haben. "Wo sitzt er denn?" tönte der Kleiderschrank hinter ihnen her. Stephans Herz wollte gerade im freien Fall in die Hose plumpsen, da bekam er von Ottokar einen Rippenstoß. "Da!" hauchte der Freund und deutete mit einer Kopfbewegung zu einem Tisch nahe der Kapelle. Er war kreidebleich. Auch Stephan verlor alle Farbe, als er in die angegebene Richtung schaute. Das war kein Wunder, denn wer saß da, neben einer jungen Dame im Abendkleid, deren Hand er hielt - Doktor Waldmann. Aus der Traum. Auch der Lehrer hatte die beiden entdeckt. Er ließ die Hand der Dame los und starrte herüber, als habe er Gespenster vor sich. Doktor Waldmanns Schrecksekunde erwies sich trotz allen Unglücks als Glück. Sie dauerte dem Kleiderschrank zu lang. Er glaubte das Erstaunen Doktor Waldmanns zu verstehen. "Na, dann ist ja alles in Ordnung", sagte er und kehrte an seinen Platz vor der Tür zurück. Vielleicht fürchtete er auch den Groll des vermeintlichen Vaters, die Zwillinge hereingelassen zu haben. Wie dem auch sei, Stephan und Ottokar erholten sich von ihrem Schreck. Jetzt hatten sie nur noch eine Hürde zu nehmen. Doktor Waldmanns Mund stand offen wie das Tor der Neustädter Feuerwehr. Um ein Haar hätte Stephan gelacht, doch dazu war die Lage wirklich zu ernst. Auch die junge Dame schien überrascht und schaute von einem zum ändern.
"Das... das... ist doch die Höhe!" brachte Doktor Waldmann endlich hervor. Die Dame an seiner Seite stand auf und verließ den Tisch. Stephan fühlte sich wie vor seinem entscheidenden Kugelstoß. In Blitzesschnelle durchzuckten alle möglichen Gedanken sein Hirn. Jetzt hilft nur die Wahrheit! dachte er und räusperte sich, um sprechen zu können. "Wir sind Ihnen eine Erklärung schuldig." Mit zitternden Knien setzte er sich unaufgefordert auf den Stuhl, den die Dame verlassen hatte. Auch Ottokars Knie schienen ihren Dienst versagt zu haben, er saß bereits. Und dann packten sie aus. Vom belauschten Gespräch auf der Parkbank bis zum Lauschen an Mauersäges Tür. Doktor Waldmann hörte nach anfänglichen Einwänden immer interessierter zu. Nur einmal wurde er abgelenkt. Die Dame, die bei ihm gesessen hatte, trat zur Kapelle ans Mikrofon und begann zu singen. "Mensch, die kann ja singen!" entfuhr es Ottokar. Doktor Waldmann zeigte eine steile Stirnfalte über f seiner Brille. "Warum zum Donnerwetter soll sie nicht singen?" polterte er, hörte dann aber wieder geduldig zu, wenngleich seine Hände in ständiger Bewegung waren. Sie zerlegten einen Strohhalm nach dem ändern. Als Stephan geendet hatte, starrte der Lehrer vor sich hin. Alles hing jetzt von ihm ab. Die beiden waren völlig in seiner Hand. Sekunden vergingen wie Stunden, und Doktor Waldmann schwieg noch immer. Ottokar, der schon während Stephans Erklärung dauernd zu der Dame hinübergeschaut hatte, zeigte besonders gute Nerven. Unbekümmert machte er den Mund auf. "Wer ist eigentlich die..." Weiter kam er nicht. Doktor Waldmann zuckte zusammen, seine Hände zerlegten gleich ein halbes Dutzend Strohhalme. Er holte tief Luft und sagte: "Jetzt bin ich euch eine Erklärung schuldig. Die junge Dame ist... Sonja, meine Tochter." Nun brachten Stephan und Ottokar die Münder nicht mehr zu. Der kauzige Doktor Waldmann hatte eine Tochter, und die war Sängerin in einer Bar! Ja so was. Führte Doktor Waldmann vielleicht ein Doppelleben? "Daß mir das aber niemand erfährt. Kein Mensch!" sagte der plötzlich viel interessantere Lehrer. "Ritterehrenwort!" antwortete Stephan und gab ihm die Hand. Auch Ottokar besiegelte das Versprechen mit Handschlag, obwohl er sich vor Freude viel lieber auf die Schenkel geschlagen hätte. Jetzt stand Geheimnis gegen Geheimnis, sie waren quitt. Sonja Waldmann lächelte herüber, mitten in einem Song. "Ihr seid die tollsten Jungens, die mir je untergekommen sind!" fuhr der Doktor sichtlich erleichtert fort. "Wenn ihr Hunger habt oder Durst, bitte..." Er winkte dem Kellner. Stephan bestellte ein Stück Kuchen und ein Glas Milch, Ottokar Schnitzel und Limonade. "Bedaure, wir haben Weinzwang", entgegnete der Ober sehr von oben herab. "Wir sind Sportler im Training", konterte Ottokar schlagfertig. Doktor Waldmann mußte lachen, bestellte eine Flasche Wein für sich, und die beiden bekamen das Gewünschte.
Immer wieder schüttelte der Lehrer den Kopf. "Das ist ja eine unglaubliche Geschichte! Da müssen wir etwas unternehmen. Graf Schreckenstein ist einfach zu gutgläubig." "Sie würden also mitmachen?" nagelte Stephan ihn fest. Doktor Waldmann nickte, und Ottokar konnte sich endlich auf die Schenkel schlagen. "Das wäre natürlich das Größte!" Jetzt, da sie nichts mehr voreinander zu verbergen hatten, wurde es richtig gemütlich. Sonja kam an den Tisch zurück. Ihr Vater machte sie mit den Rittern bekannt und weihte sie ein. "Da mach ich mit!" sagte sie sofort. Sie war überhaupt ein feiner Kerl. Mit dem Geld, das sie bei Klinke verdiente, finanzierte sie ihr Musikstudium. Sie tat das, um ihrem Vater nicht auf der Tasche zu liegen, und wußte natürlich eine ganze Menge über Klinke, ihren Chef. "In der Sache werde ich mal nachforschen, was er wirklich vorhat", bot sie von sich aus an. Stephan und Ottokar ernannten sie daraufhin zur Chefspionin. Unter anderem sollte sie Besuche von Klinke bei Mauersäge rechtzeitig auf Burg Schreckenstein melden und im Büro mal nachsehen, ob schon Verträge vorlagen. Die vier kamen überein, das Hauptquartier für ihre Aktion in Doktor Waldmanns Zimmer aufzuschlagen. Dort fiel es am wenigsten auf, wenn sie aus und ein gingen, zudem besaß der Doktor einen eigenen Telefonanschluß. "Wir müssen alle sehr vorsichtig sein", betonte Waldmann, nachdem er für Ottokar ein weiteres Schnitzel und für Stephan einen Wurstsalat bestellt hatte. Die Aufregungen der letzten Stunde waren nur über den Magen zu dämpfen. Glücklicherweise ließ sich Klinke an diesem Abend nicht in seinem Lokal blicken. Es hätte unweigerlich zu Schwierigkeiten geführt. Doch er befand sich auf Geschäftsreise. "Wie seid ihr bloß an Emil vorbeigekommen?" wunderte sich Sonja, nachdem alles besprochen war. Emil, so hieß der Kleiderschrank. Stephan wiederholte die Geschichte mit der kranken Mama. "Jetzt versteh ich!" Doktor Waldmann grinste. "Ich wundere mich die ganze Zeit, warum er immer wieder reinkommt und mich entgeistert anstiert. Der muß ja einen schönen Eindruck von mir haben, daß ich immer noch dasitze. Dabei bin ich Witwer." Es war ein irrer Abend. Alles ein bißchen unwirklich. Der rauchige Raum, die wenigen, müden Gäste an der Bar, die offenbar nur dasaßen und tranken, weil sie zu faul waren, ins Bett zu gehen, die tolle Musik, die Verschwörung mit dem Lehrer, die Schnitzel, der Kuchen, der Wurstsalat. Weder Stephan noch Ottokar hätten in ihren kühnsten Träumen mit dieser Wendung gerechnet. Vielleicht gelang es, die Burg doch noch zu retten. Zum Schluß sang Sonja alle Lieder, die die beiden hören wollten, trank mit ihnen Brüderschaft und versprach mit der Horror Rock Jazz Band eine Tonbandaufnahme zu machen. Sonja war einsame Spitze. Die Rückfahrt hinauf zur Burg, gestaltete sich schlichtweg polizeiwidrig. Doktor Waldmann besaß ein Uraltfahrzeug, von dem er sich nicht trennen konnte, einen Kabinenroller mit Motorradmotor, auf der Burg schlicht Blätterteig-Porsche genannt. An dieser Pilotenkanzel auf Rädern hingen zwei Radfahrer und sangen, daß Gießkanne seine helle Freude gehabt hätte. Erst vor
der Abzweigung zur Burg hörten sie auf, löschten die Lichter und trennten sich. Stephan und Ottokar fuhren voraus. Als der Doktor zehn Minuten später in die Lehrergarage ratterte, lagen sie schon in den Betten. Alles hatte geklappt, und - was noch schöner war - jetzt ging es erst richtig los!
Ruhe vor dem Sturm Nach außen blieb alles unverändert. Die drei Verschwörer hatten ihr Vorhaben gründlich durchdacht. Anfangs wollt ten sie den Rex einweihen, kamen aber zu dem Schluß, es sei besser, wenn er Mauersäge gegenüber unbefangen blieb. Der gerissene Klinke durfte keinesfalls hellhörig werden. Deswegen lautete Punkt vier ihres Planes auch: Abwehr und Geheimhaltung. "Wir müssen immer wieder mit kleinen Harmlosigkeiten auffallen, um von unserem wahren Vorhaben abzulenken!" hatte Stephan erklärt. "Wenn wir dann mal zusammen erwischt werden, denken die ändern, wir brüten gerade den nächsten Jux aus." Die Überlegung war richtig und bewährte sich. Ottokar, der alte Bastler, hatte mit Stephans Supergerät Aufnahmen der Horror Rock Jazz Band gemacht und sich über seinen Vater einen Großraumlautsprecher besorgt, den er im Eßsaal heimlich hinter einem alten Eckschrank aufstellte. Niemand merkte etwas davon, bis eines Abends während des Essens plötzlich Ottokars Stimme über den Lautsprecher ertönte. "Achtung! Achtung! Hier Radio Schreckenstein. Wir beginnen unser Abendkonzert mit Originalaufnahmen der berühmten Horror Rock Jazz Band. Dazu wünschen wir guten Appetit." Während des ganzen Abendessens lief das Tonband. Dieser lustige Einfall wurde gut aufgenommen und brachte Stephan Pluspunkte, weil die Band wirklich sauber spielte. Nach Dampfwalzes Miene zu urteilen, spielte sie sogar ausgezeichnet. Er war richtig sauer. Jedenfalls gab es gleich am nächsten Tag einen Zusammenstoß der beiden Kugelstoßrivalen. War vor den Ferien der Sportplatz angelegt worden, wurden jetzt unter Doktor Waldmanns Anleitung der morsche Steg und das Bootshaus erneuert. Jeden Nachmittag arbeitete eine Gruppe besonders kräftiger Ritter drunten am Kappellsee. Jeder hatte sein Arbeitsgebiet. Stephan war bei den "Hoblern und Sägern", die die Bretter in den Steg einpaßten und so glätteten, daß man auch barfuß darauf gehen konnte. Dampfwalze leitete die Abteilung "Rammer", die für die Festigkeit der tragenden Pfähle verantwortlich war. Die neuen Pfähle wurden an Land angespitzt und mit Schutzfarbe angestrichen, bevor Pummel und Eugen sie mit schweren Vorschlaghämmern in die vorhandenen oder vorgebohrten Löcher versenkten. Das Tragen der schweren Pfähle war eine Arbeit nach Dampfwalzes Geschmack. Hier konnte er allen seine Kraft vorführen und tat es mit schnaubendem Ausatmen. Als er wieder einmal mit einem "ziemlichen Baum", wie er es nannte, an dem kniend sägenden Stephan vorbeikam, tat es plötzlich einen Plumps. Der schwere Pfahl war ihm aus Versehen oder mit Absicht aus den Armen geglitten und unsanft auf Stephans Fuß gelandet. "Entschuldige, ich bekam einen Krampf im Arm", keuchte Dampfwalze und bückte sich nach dem Holz, das ins Wasser zu rollen drohte. Stephan konnte nicht antworten. Gekrümmt lag er auf dem Steg und hielt den Atem an, wie man das bei plötzlichen starken Schmerzen unwillkürlich tut. Dampfwalze stand da und sah auf ihn herunter. Als der ärgste Schmerz nachließ, dachte Stephan: Wenn du denkst, daß ich jetzt hochgehe, irrst du
dich! Den Gefallen tu ich dir kein zweites Mal! Laut aber sagte er: "Macht nix, kann ja mal vorkommen." Jetzt war es mit Dampfwalzes Fassung vorbei. Er hatte sich innerlich auf mindestens einen Fußtritt von Stephan eingestellt, und nun kam gar nichts. Unverständliches brummend nahm er den Riesenzahnstocher wieder auf und ging weiter. Ritter zollten Stephan stumm ihre Bewunderung. Und wenn es zehnmal keine Absicht gewesen war, hatte er durch seine Selbstbeherrschung die Sympathien aller. Er war ja immer noch der Schwierige, Unbequeme in der Ritterschaft. Außer solchen kleinen Begebenheiten blieb es ruhig, und Mauersäge konnte sich durch die Anwesenheit der Schule unmöglich gestört fühlen. Der Grund für diese Ruhe lag auf schulischem Gebiet. Die Betriebmacher waren auf der Burg bis jetzt die großen Ritter gewesen. Aber sei es infolge der gesteigerten körperlichen Anstrengung durch Ausbau und Sport, die Großen gerieten mit dem Lernpensum immer mehr in Rückstand. Nach einer Warnung durch den Rex, setzte daher ein Endspurt ein, daß die Köpfe rauchten. Nächtliche Sitzungen des Ritterrates in der Folterkammer wurden selten, sogar Witzbold Klaus lachte und alberte deutlich weniger. Für Abwechslung in dieser schweren Zeit sorgten gelegentlich Ottokar und Stephan und vor allem Strehlau, der als Musterschüler genug Zeit fand, täglich Klavier zu spielen, sei es klassisch oder Jazz. Zusätzlich zu der Büffelei sollte das Trimester mit einer Theateraufführung beendet werden. Unter der künstlerischen Leitung von Gießkanne wurde vor der malerischen Kulisse des Burgfrieds und der großen Freitreppe Schillers Wallenstein einstudiert. Die Titelrolle spielte Ottokar, Stephan den Astrologen Seni, Mücke den Gordon und Dampfwalze den Butler, was ihm sichtlich schwerfiel. Der Muskelprotz entdeckte dabei eine völlig neue Traumgrenze, nämlich die, mehr als drei Seiten Text auswendig zu lernen und zu behalten. Großes Gelächter gab es bei Verteilung der Frauenrollen. Hans-Jürgen sollte die Herzogin von Friedland spielen. "Dann darfst du mich jetzt Mutti nennen!" sagte er zu Dieter, der die Thekla mimte. "Und ich sag zu dir gnädige Frau!" alberte Klaus in seiner Eigenschaft als Hofdame bei Dieter. Der Komischste aber war Strehlau als Gräfin Terzky, wenn er mit Fistelstimme wie Mauersäge schaltete. Gießkanne leitete die Proben mit viel Geduld. Er schimpfte nicht einmal, wenn die Herzogin bei ihren Auftritten regelmäßig über ihren langen Rock stolperte. Hofastrologe Stephan bekam zu seiner kleinen Rolle eine weitere Aufgabe, die sich Gießkanne ausgedacht hatte. "Da du mit deiner Kapelle so gut in Dissonanzen spielen kannst, sollt ihr mir für den letzten Akt eine Kriegsmusik machen." Strehlau war nicht mehr zu halten. Er komponierte wild drauflos und viel zu viel. Der Auftrag, eine Kriegsmusik zu erfinden, hinderte ihn nicht, auch völlig unmilitärische Rhythmen anzubieten, denen er unmögliche Namen gab, wie etwa Vernichtungswalzer oder Streckbank-Samba. Unter der Fülle Strehlauscher Einfälle wählte Regisseur Gießkanne schließlich den Protestmarsch der Fußkranken des Dreißigjährigen Krieges.
Stephan instrumentierte die Tonschöpfung, daß es auch Fußgesunden die Schuhe auszog. "Ich habe dir extra eine kleine Rolle gegeben", sagte Gießkanne zu ihm, "damit dir genügend Zeit für die Schule bleibt. Nicht damit du die Musik veralberst!" Die Schule war in der Tat Stephans wundester Punkt. Sein Doppelleben als Schüler und Verschwörer rächte sich. Also gab Doktor Waldmann ihm Nachhilfestunden, was zur Tarnung des Unternehmens Klinke beitrug. Stephan konnte immer mit glaubhafter Begründung in Doktor Waldmanns Zimmer sitzen, auch wenn er nur auf einen Anruf von Sonja wartete. Ottokar hatte mit seiner Riesenrolle keine Zeit für Telefondienst. Morgens Schüler, mittags Wallenstein, abends Verschwörer, - der Arme konnte einem leid tun. Manchmal, wenn sie nach dem Abendessen zu dritt in Doktor Waldmanns Zimmer saßen und auf den Anruf ihrer Spionin warteten, fielen ihm die Augen zu. Sonja war großartig. Pünktlich rief sie jeden Abend an. Manchmal nur, um keine besonderen Vorkommnisse zu melden oder ein paar tröstliche Worte zu sagen. Doch wie eine richtige Spionin gab sie auch scheinbar unwichtige Beobachtungen durch. Zum Beispiel diese: "Mauersäge bekommt demnächst einige Kisten von Klinke. Ich weiß nicht, vielleicht schickt er ihm nur Wein, um ihn sich zu verpflichten. Aber man kann ja nicht wissen. Vielleicht kriegt ihr raus, was drin ist." "Kisten von Klinke? Das bedeutet nichts Gutes!" meinte Doktor Waldmann nach dem Anruf. Sie kamen überein, die Sendung zu beobachten. Sonderliche Schwierigkeiten machte das nicht. Ein Lastwagen, der sich der Burg näherte, war auch während des Unterrichts in den Klassenzimmern zu hören, selbst wenn er nicht in den Hof der Schule, sondern in Mauersäges Sternenhof fuhr. Anderntags kurz nach Beginn der Geschichtsstunde bei Doktor Waldmann näherte sich das erwartete Geräusch. Deutlich hörten die Verschwörer, daß ein Wagen in den Sternenhof fuhr und dort anhielt. Doktor Waldmann nickte leicht. Stephan zog die Schultern hoch, was heißen sollte: Und was machen wir jetzt? Doktor Waldmann, der gerade über Karl den Großen gesprochen hatte, strich sich nachdenklich mit der Hand über die Schläfe und sagte: "Ich glaube, ich habe da ein interessantes Buch, aus dem ich euch ein Stück vorlesen möchte. Während ich es hole, schreibt ihr bitte auf, was ihr schon über die Niederlage des Kaisers im Tal von Roncesvalles 778 wißt." Damit verließ er die Klasse. Die beiden Mitverschwörer waren von seiner Schlagfertigkeit hell begeistert. Waldmann war für sie viel mehr Ritter als Lehrer. Stephan schrieb in sein Heft: Karl der Große holte sich im Tal von Roncesvalles eine Niederlage. Sie holen nicht ein Buch, sondern eine wichtige Information für den Sieg! Am späten Nachmittag während der Nachhilfestunde lachte der Doktor sehr über diesen Satz. Dann berichtete er: "Vier Mann haben Kisten ausgeladen, ziemlich große und schwere Kisten." "Und wo stehen die jetzt?" wollte Stephan wissen. "Auf dem Speicher bei Mauer... bei Graf Schreckenstein!" versprach sich der Doktor. "Also kein Wein!" meinte Stephan. "Der kommt ja bekanntlich in den Keller. Und wie viele sind's?"
"Ungefähr fünf Stück. Sehr groß", antwortete Doktor Waldmann. Nach dem Abendessen kamen sie wieder im Zimmer des Lehrers zusammen. Jetzt war Ottokar dabei. Kaum hatten sie sich gesetzt, klingelte das Telefon. Die pünktliche Sonja hatte diesmal eine wichtige Nachricht. "Ich hab ein Gespräch belauscht!" sagte sie, während die drei sich um den Hörer drängten, daß ihre Köpfe zusammenstießen. "Mauersäge will Klinke die Burg zeigen, das heißt euern Teil, nächsten Freitag, wenn ihr den Schulausflug macht." Diese Besichtigung hatte bisher nicht stattgefunden, weil Mauersäge während der Schulferien auch verreist gewesen war. Jetzt also sollte sie nachgeholt werden. Das war ja hochinteressant. Während die Ritter kilometerweit entfernt waren, wollte der Fettsack alles in Ruhe besichtigen, womöglich gleich Räume ausmessen, Umbauten besprechen und so weiter. Das hatte er sich sehr schlau ausgedacht. Doch die Spionin war noch schlauer gewesen. "Bravo, Sonja!" lobten die beiden Ritter und stellten sich, während Doktor Waldmann den Hörer auflegte, auf die neue Lage um. "Für uns fällt der Ausflug aus", meinte Ottokar. "Und mit welcher Begründung, ohne daß es auffällt?" gab Stephan zu bedenken. Zu dritt dachten sie angestrengt nach. "Ich hab's!" meldete sich der Doktor zu Wort und wandte sich an Stephan. "Ich verbiete dir, am Ausflug teilzunehmen, weil deine Leistungen zu schlecht sind und deine Versetzung ernstlich gefährdet ist. Du hast an diesem Tag Nachhilfestunden bei mir. So kann ich auch dableiben!" Vergnügt zwinkerte er ihm zu. Mit Doktor Waldmann konnte man wirklich Pferde stehlen. "Und ich?" fragte Ottokar und gab sich die Antwort gleich selbst. "Ich muß meine Rolle lernen. Das ist die volle Wahrheit." Bis tief in die Nacht hinein berieten sie jede Einzelheit ihres kühnen Planes zur Rettung der Schule. Die Grund-idee dazu stammte von Ottokar. "Wir müssen die Burg für die Besichtigung in einen Zustand versetzen, der Klinke von seinen Plänen zurückschrecken läßt. Selbstverständlich darf dabei nichts ernsthaft beschädigt werden." Um sicher zu sein, daß alles klappte und er dableiben dürfe, ging Ottokar gleich am nächsten Morgen zum Rex: "Ich möchte vom Schulausflug wegbleiben, sonst schaffe ich meine Rolle nicht." "Ich möchte dem Schulausflug fernbleiben dürfen", verbesserte ihn Rektor Mayer und fuhr mit einem vorbildlichen Genitiv fort: "In Anbetracht dessen, daß du die Hauptrolle spielst, entspreche ich deinem Wunsch." Das war also geschafft, doch schon tauchten neue Probleme auf. Bei der nächsten Besprechung fragte Stephan: "Was wird eigentlich, wenn es am Freitag regnet?" Darüber hatte sich auch Ottokar Gedanken gemacht. "Dann schicken wir sie nach Neustadt ins Museum. Unsere Ausflüge werden ja bekanntlich nie verschoben." "Wer ist wir? Wir bleiben doch hier?" fragte Stephan mit kriminalistischem Scharfsinn. Nachdenkliches Schweigen bestätigte, wie richtig die Frage gewesen war. Die Zurückbleibenden
konnten keine Ratschläge erteilen. Das würde auffallen. Ottokar fing laut zu denken an. "Die Idee muß einer haben, der a) mitfährt und b) einen harmlosen Eindruck macht." "Strehlau!" schlug Stephan vor. "Der hält garantiert dicht, wenn wir ihn einweihen." "Sehr gut!" bestätigte Doktor Waldmann. "Wir brauchen sowieso dringend einen Vertrauensmann innerhalb der Burg." Da auch Ottokar einverstanden war, holten sie den Musterschüler vom Klavier weg und weihten ihn ein. Das lange Computergehirn geriet über das entgegengebrachte Vertrauen völlig aus dem Häuschen. "Menschenskinder, daß ich da mitmachen darf!" sagte er, und seine Augen strahlten wie Christbaumkerzen. "Klar bring ich die ins Museum, ins Heimatmuseum, da waren wir noch nicht. Noch heut schlag ich's dem Rex vor. Ich schaff sie weg, alle. Und wenn's Katzen hagelt. Darauf könnt ihr euch verlassen. Mann! Daß ich da mitmachen darf." Die drei nickten ihm zu. Sie wußten, auf Horst Strehlau konnten sie sich verlassen. Sind doch die scheinbar Schwachen oft viel stärker als die Starken. Man muß ihnen nur Gelegenheit geben, sich zu beweisen.
Der Wurm und der Schwamm Die angelieferten Kisten standen auf dem Speicher in einer Ecke, wo die Bodenbretter derart knarzten, daß die Verschwörer beschlossen, den Inhalt erst zu untersuchen, wenn Mauersäge und Klinke die Schule besichtigten. Einer würde Jean ablenken. Es hing zu viel davon ab, um sich auch nur die kleinste Nachlässigkeit zu erlauben. Endlich war der Freitag da - ein besonders schöner Tag. Gleich nach dem Frühstück brachen die Ausflügler auf. Alle mit Rädern. Voran der Rex, dann Ritter und begleitende Lehrer und als Schlußlicht Schießbude. Stephan, der mit Doktor Waldmann im Westflügel am Fenster stand, bekam plötzlich einen Rempler. "Mach gefälligst ein trauriges Gesicht!" ermahnte ihn Ottokar, "sonst denken die, wir bleiben gern hier." Sofort ließ Stephan den Unterkiefer hängen und starrte wie ein trauriger Bernhardiner hinaus, genau im richtigen Augenblick, denn drunten drehte sich Klaus um. "Viel Spaß beim Pauken!" rief er hinauf und fuhr los. Als Schießbude um die Ecke verschwunden war, zitierte Ottokar aus seiner Rolle: "Es gibt im Menschenleben Augenblicke, wo er dem Weltgeist näher ist als sonst!" Und mit einem Blick auf seine Armbanduhr - was Wallenstein nie getan hätte - fügte er hinzu: "In zwei Stunden muß die Burg nach Bruchbude aussehen, daß es einer Sau graust. Also avanti!" Ottokars große Inszenierung begann. In seinem Bastlerhirn hatte er alles genau zu Ende gedacht und brauchte die Arbeiten nur noch anzusagen. Stephan mußte eimerweise Wasser holen, das der Doktor mit Gießkanne und Pinsel an Wände und in Ecken spritzte. Zwischendurch zauberte er mit elegantem Schlenker auch Wasserflecken an die Decke, bis der Bau, buchstäblich im Handumdrehen, einen nahezu unbewohnbaren Eindruck machte.
Ottokar selbst förderte aus einem muffigen Kellerloch Unmengen verschimmelter Gegenstände zutage. Alte Schuhe, Lappen, Kartoffeln, vergammelte Pappkartons, die überall verteilt und gut versteckt, einen penetranten Modergeruch verbreiteten. Kaum hatte er diese Arbeit beendet, widmete er sich mit Schraubenzieher, Drähten, Latten und Schnüren besonderen Überraschungen, über die er sich jedoch nicht näher ausließ. Dank seiner genauen Vorbereitungen ging die Arbeit fix und geräuscharm vonstatten. Heini und seine Küchenhilfen hatten frei, Mauersäge und Jean nebenan mußten annehmen, die ganze Schule sei ausgeflogen. Als alles fertig war und die drei Verschwörer ihr Werk begutachteten, sagte im Nordflügel plötzlich eine Stimme hinter ihnen: "Keine zehn Mark würde ich für die Bruchbude zahlen!" Erschreckt fuhren sie herum. Hinter ihnen stand Sonja und lachte. Sie trug rote Hosen und einen weißen Pullover und sah sehr verwegen aus. "Keine Sorge. Hat mich niemand gesehen", fuhr sie fort, als könne sie Gedanken lesen. "Emil hat mir sein Motorrad geliehen. Ich hab's draußen im Wald hinter der Kurve abgestellt." An was dieses Mädchen alles dachte! Sonja war die ideale Spionin. "Du kannst einen schon erschrecken!" meinte ihr Vater mit strengem Blick. In Wirklichkeit war er auf seine Tochter genauso stolz, wie Stephan und Ottokar auf ihre Mitverschworene. Sonja kam zur Sache. "Habt ihr endlich in die Kisten geschaut?" "Wir warten, bis Klinke da ist", antwortete Dr. Waldmann mit jener leichten Verlegenheit, die Schüler bei Lehrern außerordentlich schätzen. "Ich schlage vor, ihr beiden geht in den Klassentrakt und schaut, wann Klinke kommt", empfahl Stephan. Ottokar hob den Arm. "Komm her, mein Mädchen, setz dich zu mir. Es ist ein guter Geist auf deinen Lippen", zitierte er aus seiner Rolle und machte sich lachend mit Sonja auf den Weg. Stephan und der Doktor setzten ihre Begutachtung fort. Mit dem Pinsel gestaltete letzterer die Umgebung eines Rohres, das in einer Ecke vor der Wand von oben nach unten verlief, noch etwas feuchter. "Klasse!" lobte der Schüler seinen Lehrer, "Rohrbruch ist ein solider Hinderungsgrund." Und mit der Gießkanne legte er am Boden eine stattliche Pfütze an. Bald kamen die beiden vom Ausguck zurück. "Klinke ist da!" sagte Sonja seelenruhig. "Rechnen wir eine Viertelstunde für Begrüßung und so", kombinierte Ottokar. "Unser Versteck ist unter der kleinen Treppe. Da können wir sie verfolgen und unbemerkt rauf und runter. Mauersäge nimmt für seine Führung bestimmt die große Treppe. Schon weil ich bei der kleinen die Birne rausgeschraubt hab." Doktor Waldmann beobachtete aus einer Fensternische Burghof und Freitreppe. Als der dürre Graf mit seinem dicken Gast erschien, teilten sich die Verschwörer in zwei Gruppen. Ottokar nahm Sonja als "Assistentin" für seine "besonderen Überraschungen" mit, Stephan und Doktor Waldmann begaben sich auf den Speicher. Der war durch mehrere Eisentüren unterteilt. Schon vor der ersten legte der Doktor den letzten Rest von Lehrerwürde ab. Während Stephan mit einem Dietrich öffnete,
zappelte er vor Neugier, als hätte er gerade seinen siebten Geburtstag gefeiert. "Wenn wir erwischt werden, ist der Ofen aus!" warnte Stephan, bevor sie eintraten. Doktor Waldmann nickte. "Die Polizei nennt so was bestenfalls Hausfriedensbruch." Sie durften nicht erwischt werden, soviel stand fest! Der Ernst der Lage gab Stephan zu denken: Wenn Klinke krumme Sachen macht, müssen wir erst recht fair bleiben. Aber wie? fragte er sich und schloß die übernächste Eisentür. Sie befanden sich bereits in Mauersäges Burghälfte. "Da sind sie!" Doktor Waldmann deutete in eine Ecke. Tatsächlich, da standen sie. Fünf lange Kisten, tischhohe Rechtecke. Was sie enthielten, war der äußeren Form nach nicht festzustellen. Der Doktor schlich auf dem knarzenden Boden näher und zog ein Winkeleisen, wie man es zum Herausziehen von Nägeln verwendet, aus seinem Gürtel hervor. Ohne Hemmung setzte er es bei der nächsten Kiste an. "Aber nichts kaputtmachen!" warnte der Schüler den Lehrer im Flüsterton. Es war schon eine verrückte Situation. Doktor Waldmann ließ sich nicht mehr bremsen. "Ein Griff, und wir wissen, was hier gespielt wird!" gab er zurück. Stephan hielt ihn am Arm fest. "Nicht! Das kann ich vor den Rittern nicht verantworten. Da bin ich unten durch. Es muß auch anders gehen." Doktor Waldmann ließ den Arm sinken. "Aber wir verschenken damit womöglich den Sieg." "Besser ehrlich verloren als unfair gewonnen", antwortete Stephan. Nicht umsonst hatte er Spannlackblättchen gezupft. Mit betretenen Mienen kehrten die beiden zurück. Bei der kleinen Treppe trafen sie auf Sonja. "Sie sind noch im Nordflügel!" flüsterte die Spionin. "Ottokar beschattet sie. Nun, was ist in den Kisten?" "Ich weiß nicht", antwortete Stephan fest. "Wir hätten sie beschädigen müssen, und das geht nicht." "Was, ihr habt nicht... ?" Ungläubig und ärgerlich schaute Sonja vom einen zum ändern. "Du kennst Schreckenstein nicht", antwortete ihr Vater. "Hier wird nichts zerstört, selbst wenn das Nachteile mit sich bringt. Außerdem kann's ja sein, daß sie noch auf den Speicher gehen. Dann sind wir aufgeschmissen." Donnerwetter, das war eine Antwort. Stephan staunte über seinen Lehrer. Sonja mußte ihm recht geben. Unschlüssig nagte sie an der Unterlippe. "Dumm. Zu dumm!" schimpfte sie vor sich hin. "Ich hab nämlich einen Verdacht, der mich viel mehr betrifft als euch." "Und der wäre?" fragte ihr Vater besorgt. "Die Bar geht schlecht", fuhr Sonja fort. "Wir haben alle noch kein Geld bekommen. Gestern abend wollte Klinke von mir wissen, ob ich auch woanders für ihn singen würde." "Das hört sich jetzt sowieso auf!" unterbrach sie der Doktor streng. "Als Lehrer sollte ich hier
eigentlich nicht mitmachen. Aber als Vater bin ich einfach verpflichtet dazu." Weitere Betrachtungen entfielen. Der Dürre und der Dicke kamen um die Ecke in den Westflügel. Klinke hatte tatsächlich einen Zollstock in der Hand. Vorsichtig beobachteten sie die beiden aus der dunklen Ecke, bereit, jeden Augenblick über die nicht knarzenden Stufen nach oben zu verschwinden. Klinke schaute in das Zimmer der kleinen Ritter Herbert, Kuno, Eberhard und Egon, wo sich das Rohr mit der Pfütze befand. "Das ist ja ein feuchtes Loch!" schimpfte er laut. Von Zimmer zu Zimmer wurde seine Laune schlechter. Einmal elektrisierte sich der Klinke, als er die Klinke einer Tür anfaßte; ein andermal fiel die Tür beim öffnen ins Zimmer, schließlich plumpste ein Bild von der Wand, als sie vorübergingen: Ottokars besondere Überraschungen! "Und wie das stinkt!" Klinke rümpfte die Nase. "Völlig vermodert. Das Dach muß undicht sein. Wissen Sie, was das kostet, Graf?" Mauersäge bewegte die Arme wie ein Hampelmann. "Die... ks... die Jungen müssen eine... ks... Feuerwehrübung gemacht haben. Früher war alles... ks. . trocken." "Das können Sie Ihrer Großmutter erzählen", antwortete der Fettsack barsch. Wenige Schritte von den Verschwörern entfernt gingen sie vorbei und bogen in den Südflügel ab. Die drei schlichen die kleine Treppe hinauf, um sie droben wieder in Empfang zu nehmen. Schon von weitem hörten sie Klinke schimpfen. "Ich müßte den Kasten komplett renovieren lassen, falls ich unter diesen Umständen überhaupt noch daran interessiert sein sollte." "Aber... ks... Sie haben doch... Vielleicht ist es nur der eine Flügel..." stotterte und schaltete Mauersäge. "Genug." Klinke drehte sich um und ging, gefolgt vom hampelnden Burgherrn, zur großen Treppe zurück. Doktor Waldmann atmete auf, Sonja atmete auf, und Stephan freute sich, daß sie keine Kiste aufgebrochen hatten. Doch die gute Laune währte nur kurz. "Eins steht fest: daß Mauersäge zum Rex geht. Noch heute!" meinte Stephan. "Einmal müßt ihr ihn so oder so einweihen", sagte Sonja. Doktor Waldmann schien gar nicht zuzuhören. Er stand in einer Fensternische und schaute in den Burghof hinunter. Das war richtig. Sie mußten sichergehen, daß die beiden den Schulbereich wieder verließen. Stephan trat zu ihm und traute seinen Augen nicht. Was war das? Wer hatte denn da geflaggt? Vorn Burgfried hing an einer langen Stange ein Wimpel und flatterte über dem Portal der Freitreppe. Da kamen Mauersäge und sein Gast heraus. Auf dem Treppenabsatz vor dem Portal blieben sie stehen, der Wimpel folgte ihnen, wie von Geisterhand bewegt, und blieb über ihren Köpfen stehen. Mit wütenden Armbewegungen fuchtelte der Fettsack in der Luft herum. Mauersäge hampelte hilflos. "Wenn man nur hören könnte, was sie sagen!" ereiferte sich Sonja.
In diesem Augenblick hob ein kleiner Windstoß den Wimpel kurz an, ein Mikrofon wurde sichtbar. "Mann!" staunte Stephan. "Ottokars Überraschungen sind einsame Spitze." In Doktor Waldmanns Zimmer hörten sie später das Tonband ab. "Sie wollen... ks... sich das Sanatorium noch ein-mal ... ks... überlegen?" schaltete der völlig verschüchterte Burgherr. "So kann man's auch nennen!" Klinke lachte fett. "In dem Laden ist nicht nur der Wurm drin, sondern auch der Schwamm!" Hier endete die Aufnahme. Die Verschwörer konnten sich freuen. Doch es gelang ihnen nicht. "Wir müssen schnellstens aufräumen und sehen, daß wir alles wieder trocken kriegen. Sonst ist heut abend der Teufel los", sagte Ottokar. Mit unheimlichem Dampf machten sie sich daran, die Burg in ihren alten Zustand zurückzuversetzen. Der findige Ottokar hatte sämtliche Elektroofen, Heizröhren, ja sogar Kochplatten eingesammelt und stellte sie vor den feuchten Stellen auf. Sonja packte die vergammelten "Duftspender" in einen Sack. "Bin gespannt, ob Mauersäge tatsächlich zum Rex geht!" überlegte Stephan. "Er kann ihm doch nicht sagen, daß er die Burg hinter seinem Rücken verhökern wollte." "Wie sie jetzt aussieht, kann er uns ja in jedem Fall an die Luft setzen", meinte Doktor Waldmann und wirkte auf einmal sehr nervös. "Wenn alles jedoch in Ordnung ist, hat er keinen Grund. Wenn...!" betonte Sonja. "Aber was sagen eure Ritter, denen ihr die ganze Sache verschwiegen habt, wenn sie dahinterkommen, daß hier mächtig was los war?" Ottokar grinste seelenruhig. "Ich kenne meine Pappenheimer!" sagte er, und Stephan begriff, daß dieses Zitat aus dem Wallenstein stammen mußte. So fand das Gespräch der Verschwörer ein klassisches Ende.
Ein Gewitter kommt selten allein Am Nachmittag zog ein Gewitter auf und zwang die Ausflügler zu vorzeitiger Umkehr. Zwar machte Strehlau verzweifelte Ablenkungsversuche, doch alle scheiterten an erbsengroßen Hagelkörnern. Die Ritter, bis auf die Haut durchnäßt, wollten nach Hause und nichts mehr besichtigen. Stephan und Ottokar, die in ihrem Zimmer mit Mathematik und Wallenstein beschäftigt waren, hörten die Rückkehrer im Burghof lärmen. Ein Blick durchs Fenster zeigte, wie sie sich vor dem Radstall drängten. "Schnell!" sagte Ottokar. Schon bald kamen die ersten in die noch keineswegs abgetrocknete Burg. "Gewaltiger Mief hier!" ärgerte sich Dampfwalze, als er die Tür zu seinem Zimmer öffnete. Klaus deutete auf eine nasse Wand und meinte: "Der Stephan hat wohl inzwischen Wasserburg gespielt."
"Oberfaul!" grollte Werner, und Mücke, der auch nichts Gutes ahnte, wollte Stephan in Schutz nehmen, was ihm jedoch gründlich mißlang. "Vielleicht hat's reingeregnet?" sagte er wenig überzeugend. "Vier Meter weit ins Zimmer? Du spinnst wohl!" fuhr Dampfwalze ihn an, froh um die Gelegenheit, gegen ihn losziehen zu können. Mückes heimliche Vorliebe für Stephan war ihm trotz seiner gewaltigen Muskeln nicht entgangen. Die verfrühte Heimkehr hatte den Zeitplan der Verschwörer völlig über den Haufen geworfen. Es war ihnen gerade noch gelungen, die Heizöfen, Kochplatten und Strahler rechtzeitig wegzuschaffen. "Was machen wir jetzt?" hatte Ottokar gefragt. "Solang wir's nicht wissen, gar nichts", hatte Stephan geantwortet. Die beiden taten ganz harmlos. Gemeinsam mit den ändern wunderten sie sich über den Modergeruch und die feuchten Wände. Doch das erleichterte ihre Lage nicht. Viele fühlten sich verschaukelt. "Ihr wollt uns wohl auf den Arm nehmen?" schimpfte Eugen. Auch Sonja war noch da. Sie hielt sich im Zimmer ihres Vaters versteckt, der jeden Augenblick mit dem Besuch des Rex rechnete. Beim Rex war ja auch die Decke feucht. Also verschwand er, und Sonja schloß hinter ihm ab. So verging die Zeit bis zum Abendessen in unerträglicher Spannung. Endlich schlug der kleine Egon den Gong. Doch auch im Eßsaal, wo es beträchtlich muffelte, war die Atmosphäre aufs äußerste gereizt. Ritter bedachten die Verschwörer mit giftigen Blicken, und es war ihnen anzusehen, wie wenig wohl sie sich fühlten, zumal weder der Rex noch Doktor Waldmann zum Essen erschienen. "Mein lieber Schwan!" sagte Dampfwalze zu Pummel, daß ihm vor Genugtuung beinah der Blumenkohl aus dem Mund fiel. "Die müssen da ein ganz krummes Ding gedreht haben!" Als schließlich Doktor Schüler an sein Glas klopfte und verkündete "Nach dem Essen ist Schulversammlung im Wohnzimmer!", war das wie eine Erlösung. Stumm sammelten sich Ritter und Lehrer um den großen Kachelofen. Auch hier roch es modrig. Diesmal ließ der Rex besonders lange auf sich warten. Kein Räuspern von Schießbude, kein Zischgeräusch von Doktor Waldmann, nicht einmal das Knarren einer Diele war zu hören. Der Doktor, plötzlich aufgetaucht, hatte sich zu Stephan und Ottokar gesellt. Auch der treue Strehlau stand bei ihnen, während die ändern deutlich von der Gruppe abrückten. Schon jetzt waren die Verschwörer isoliert. "Bangemachen gilt nicht!" flüsterte Stephan, da trat der Rex ein und hinter ihm - ach du Schreck Mauersäge. Beide zeigten grimmige Mienen. "Während unserer Abwesenheit", begann der Rex, "sind hier höchst unerfreuliche Dinge vorgefallen.
Die Sache ist weder witzig noch mit dem Rittergeist vereinbar und kann, so sehr es mir widerstrebt, das auszusprechen, nur mit Lust am Randalieren bezeichnet werden." Aller Blicke wandten sich automatisch den Verschwörern zu, auch der Rex schaute sie voll an, während er fortfuhr: "Graf Schreckenstein, dessen Großzügigkeit hier übel belohnt wurde, hat aus dem Vorfall die Konsequenz gezogen: die Schule muß die Burg binnen vierundzwanzig Stunden räumen..." Mauersäge nickte. Ein böses Raunen wurde laut. Das hatte nun doch niemand erwartet. Die Verschwörer und der unerschütterliche Horst Strehlau standen wie versteinert da. "Doktor Waldmann, Ottokar und Stephan sind die einzigen, die den ganzen Tag hier waren", sprach der Rex weiter. "Vielleicht können sie uns eine Erklärung geben." Die Spannung im Raum knisterte förmlich. "Selbstverständlich", antwortete Ottokar ohne das geringste Zögern. Er wollte weitersprechen, doch Doktor Waldmann unterbrach ihn. "Herr Mayer, ich möchte vorschlagen, die Angelegenheit nicht öffentlich zu verhandeln." Er sagte das sehr bestimmt. Ritter und Lehrer sahen einander an. Auch der Rex stockte einen Augenblick, ehe er antwortete: "Herr Wald-mann, ich brauche wohl nicht zu betonen, wie bedauerlich ich es finde, daß gerade Sie offenbar in die Sache verwickelt sind. Noch mehr bedauere ich, daß Sie die offene Aussprache scheuen." Wenn jetzt nicht sofort eine gewichtige Erwiderung folgte, war der Doktor blamiert. Er hatte noch an der Anschuldigung zu kauen. So kam Stephan zu Wort. "Wir scheuen die öffentliche Aussprache keineswegs", verkündete er locker, "wir wollen sie nur vermeiden. Aus Rücksicht auf Graf Schreckenstein." Wieder ging ein Raunen durch den Raum, die Ritter glaubten nicht recht gehört zu haben. Der Rex selbst war verblüfft und machte eine fragende Handbewegung zum Burgherrn. Mauersäge schwankte, seine Arme schlackerten. Mehrfach mußte er schalten, bis er endlich den Gang hineinbrachte: "Ich... ks... ich... ks... wieso?" Nie zuvor hatten sich die Verschwörer so miteinander verbunden gefühlt, wie in diesem Augenblick. Die allgemeine Verwirrung war der ideale Moment zum Gegenstoß. Ottokar erwies sich als Schnellster. "Graf Schreckenstein wollte uns sowieso an die Luft setzen! Wir können das beweisen", kam es wie aus der Pistole. Ritter und Lehrer wurden unruhig, Mauersäge hampelte mit den Armen, während der Rex leise auf ihn einredete. "Eins zu null für uns!" flüsterte Doktor Waldmann. Stephan versetzte Ottokar vor Freude einen Rippenstoß, und Strehlau trat sich selber auf den Fuß. Wie ein Block standen sie da. Auf der Gegenseite herrschte totale Verwirrung, alle tuschelten durcheinander. Mücke trat von hinten an die Verschwörergruppe heran. "Mir geht grade ein ganzer Kronleuchter auf!" sagte er leise. "Ihr seid ja ein toller Verein." Vor dem Kachelofen redete Mauersäge auf den Rex ein. Der nickte mehrere Male heftig und wandte sich dann an Doktor Waldmann. "Graf Schreckenstein ist einverstanden, den Vorfall mit Ihnen zu besprechen. Würden Sie bitte mitkommen. Die Schulversammlung ist geschlossen."
"Denkste!" entfuhr es Ottokar halblaut, was im allgemeinen Trubel jedoch unterging. Das hatte sich Mauersäge geschickt ausgedacht. Er wollte sie trennen. Doch Verschwörer soll man nicht unterschätzen. "Einen Moment noch!" tönte Doktor Waldmanns Stimme durch den Raum. Sofort wurde es still. "Ich habe Graf Schreckenstein eine Unterredung mit allen Beteiligten vorgeschlagen. Das heißt, daß auch Stephan und Ottokar dabei sein müssen. Mauersäge wurde aschgrau und ruderte mit den Armen. "Dann... ks... sollen sie mitkommen!" krächzte er und wandte sich zum Gehen. Der Rex winkte den Verschwörern, ihm zu folgen. Mit ernsten Mienen schritten sie durch das Spalier völlig verdutzter Ritter und Lehrer. Auf dem Weg, die große Treppe hinunter, sprach keiner ein Wort. Im Nordflügel zog Mauersäge einen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die einzige direkte Verbindung zwischen den beiden Burghälften, die Tür zum Rittersaal. Im Unterredungsraum brannte ein offenes Kaminfeuer. Es war das Zimmer mit den Nasenbildern, wo Stephan sich für Dampfwalze entschuldigt hatte. "Bitte", sagte Mauersäge. Die Verschwörer nahmen in knarzenden Sesseln Platz und erzählten abwechselnd, doch der Reihe nach. Vom unfreiwillig belauschten Gespräch auf der Parkbank, über den Entschluß, nicht einmal Direktor Mayer einzuweihen, bis zur Präparierung der Burg für die Besichtigung. Keiner nahm ein Blatt vor den Mund. Freimütig gestand Doktor Waldmann seinem Direktor, daß seine Tochter bei Klinke in der Bar aufgetreten sei, um sich ihr Musikstudium zu finanzieren. Bei Schilderung des Barbesuchs bot der Rex einen seltsamen Anblick. Als erwarte er, niesen zu müssen, hielt er mehrfach das Taschentuch vors Gesicht, um in Wirklichkeit sein Lachen zu verbergen. Hin und her schwankend, saß er in einem unbequemen, gotischen Gestühl, maß die Erzähler mit Blicken des Stolzes und der Anerkennung, während Mauersäge weit vorgebeugt reglos ins Feuer starrte. "... und zwei Schnitzel hat er mir spendiert!" schloß Ottokar wahrheitsgemäß seinen Bericht. Mauersäge schwieg. Er befand sich in keiner beneidenswerten Lage. "Gewiß, gewiß... ks...", begann er endlich, "...ich habe mit dem... ks... Gedanken gespielt... Herr Klinke meinte, die Lage hier, die... ks... gute Luft, seien für ein Sanatorium ideal. Er habe mit den Eltern gesprochen, ... sie alle... ks... wollten ihre Jungen lieber... ks... wieder zu Hause haben..." "Dieser Schweinskopf!" brummte Strehlau. Doktor Waldmann ging überhaupt nicht darauf ein. "Darf ich Sie fragen, Graf, was in den Kisten ist, die Herr Klinke Ihnen geschickt hat?" erkundigte er sich höflich. Mauersäge zuckte zusammen. "Ach die... ks... ach so, die... ks... die hat Herr Klinke nur bei mir eingestellt." "Soso", sagte Doktor Waldmann. "Haben Sie einmal hineingeschaut?"
Stephan und Ottokar sahen einander an. Mauersäge lächelte. "... ks... natürlich nicht. Aber jetzt würde es mich direkt... ks... interessieren..." "Mit Vergnügen", antwortete der Doktor heiter. "Gehen wir!" Mauersäge erhob sich sofort, er hoffte, die peinliche Unterredung sei damit beendet. Der Rex ging mit ihm voraus. Doktor Waldmann zog Dietriche aus der Tasche. "Entschuldigt", sagte er zu Stephan und Ottokar. "Ich hab die Kisten bereits geöffnet. Ich hab's als Vater getan. Ich kann meine Tochter nicht bei einem Schwindler arbeiten lassen." Die beiden waren platt. Deswegen hatten sie ihn bis zur Schulversammlung nicht mehr gesehen. Doch sie begriffen, daß ihr Mitverschworener aus privaten Gründen so gehandelt hatte, und darüber stand ihnen kein Urteil zu. "Geh und hol Sonja!" sagte der Doktor zu Strehlau. "Sie ist unser wichtigster Zeuge." Ein Lehrer mit Dietrich gibt für Schüler ein ungewohntes Bild ab. Nicht für Stephan und Ottokar. Sie sahen in Doktor Waldmann nach allem Vorgefallenen eher einen Freund. Alle Kisten waren an irgendeiner Ecke aufgebrochen. Tische schauten heraus, mit schweren, ungewöhnlich dicken Platten, die mit grünem Filz bespannt waren. Die Fläche war in Felder mit verschiedenen Beschriftungen eingeteilt. "Das... das sind ja Spieltische!" staunte der Rex. Strehlau kam mit Sonja. Doktor Waldmann stellte sie vor und ließ sie erzählen. "Die Grüne Eule geht überhaupt nicht. Wir haben in diesem Monat noch kein Geld bekommen", berichtete Sonja. "Gestern abend hat mich Herr Klinke gefragt, ob ich auch in seinem neuen Nachtclub für ihn arbeiten würde. In traumhaft schönem Rahmen, aber nicht in Neustadt..." "In traumhaft nassem Rahmen!" witzelte Ottokar. "Daraus wird nun nichts. Ich hab Klinkes Absage auf Tonband." Der Rex schüttelte nur noch den Kopf. Mauersäge hielt sich mit seiner dürren Hand an einem Spieltisch fest und wirkte wie ausgestopft, so reglos starrte er vor sich hin. Mit ruhiger Stimme faßte Stephan noch einmal zusammen: "Es gibt wohl keinen Zweifel mehr, daß Klinke auf Burg Schreckenstein ein Spielcasino aufmachen wollte!" "Da konnte er uns natürlich nicht brauchen", bekräftigte Strehlau. Seine Ohren leuchteten rot wie Verkehrsampeln, so stolz war er, dabeizusein. Der Rex klopfte ihm väterlich auf die Schulter. Sonja faßte Stephan und Ottokar an den Händen und drückte sie vor Freude. Noch immer stand Mauersäge am Spieltisch. Mit seiner dürren Hand strich er über den Filz, als müsse er sich Gewißheit darüber verschaffen, was hier vor sich ging. Tonlos bewegten sich seine schmalen Lippen, bis er die Sprache wiederfand. "Und mir... ks... hat er gesagt..., in den... Kisten... seien medi.. ks... medizinische Apparate!"
Wallenstein mit Sahne
"Es ist zu spät! In wenigen Augenblicken ist mein Schicksal erfüllt", flötete Strehlau als Gräfin Terzky und rauschte hinter den Burgfried ab an das alte, von Mauersäge entliehene Klavier. "Oh, Haus des Mordens und Entsetzens!" rief Mücke, der den Gordon spielte, ihm nach. Da kam der Bote Werner mit dem Brief. "Was gibt's? Das kaiserliche Siegel!" Mit diesen Worten entriß Mücke ihm das Schreiben und reichte es Schießbude, der als Lehrer die hohe Ehre hatte, den Oktavio spielen zu dürfen. "Dem Fürsten Piccolomini!" sagte Mücke bei der Übergabe, während Schießbude schmerzvoll zum Himmel emporblickte. Um die Ecke des Burgfrieds blinzelnd, gab Regisseur Gießkanne Stephan das Zeichen. Zum sechsten Mal spielte die Kapelle das Motiv aus dem Protestmarsch der Fußkranken des Dreißigjährigen Krieges. Rolle sägte an seiner Baßgeige, die Gräfin Terzky schlug in die Tasten, und Ottokar, zwischen Kabeln und Schaltern am Boden kauernd, zog die Widerstände der Beleuchtung ein - die Aufführung war beendet. Eltern, Freunde und Gönner klatschten begeistert Beifall. Am heftigsten die Bürgermeister von Neustadt und Wampoldsreute, Sonja, Doktor Waldmann und Mauersäge in der ersten Reihe. Der Burgherr stand auf und hob die Hand zum Zeichen, daß er etwas sagen wolle. "Meine Damen und Herren, liebe Jungens", begann er im Leerlauf, denn kein Schalten war zu hören. "Nach dieser herrlichen Aufführung, möchte ich Sie alle zu einem kleinen Imbiß einladen!" Und er schritt voran, die Freitreppe hinauf. Stolz folgten die Eltern, als sei es allein ihr Verdienst, daß ihre Söhne in dieser Umgebung aufwachsen durften. Es war schon sehr feierlich. Der Rittersaal mit den Rüstungen, Waffen und Fahnen und vor allem mit dem kalten Büfett glänzte wie in alten Tagen. "Der reinste Staatsempfang!" sagte Doktor Waldmann zu Stephan. "Es ist schon verrückt, wenn man bedenkt, daß wir ohne deinen Dauerlauf in der Rüstung jetzt nicht hier ständen." Stephan nickte nur. Er konnte nicht antworten. Das Speisenangebot duldete keine Gedanken an anderes. Was es alles gab! Mauersäge hatte weder Kosten noch Mühe gescheut. Belegte Brötchen, Salate, Schinkenröllchen, Braten, Kaffee, alkoholische Getränke für die Erwachsenen, dreierlei Säfte für die Ritter und Berge von Apfelkuchen mit Sahne. Jean reichte Getränke auf einem großen silbernen Tablett und machte in Anbetracht der vielen Menschen ein besonders vornehmes, aber trotzdem freundliches Gesicht. Die Abwechslung tat ihm sichtlich wohl. Eltern unterhielten sich mit Lehrern und Ehrengästen, während die Ritter in wahren Trauben wie Fledermäuse um das Büfett hingen. "Willst du nicht zu deiner Mami?" neckte Witzbold Klaus den Musterschüler. Doch Strehlau blieb ihm nichts schuldig. "Laß dich erst mal von deinem München trockenlegen, bevor du mit mir sprichst." "Eßt Jungens, eßt!" drängte Heini, der Schöpfer des köstlichen Büfetts. "Ich krieg sonst nur
Vorwürfe, ich hätt zuviel gemacht. Was in euch reingeht, weiß ja außer mir niemand." Doch die Ritter brauchten seine Aufforderung nicht mehr. Längst war die tollste Spachtelei im Gange. Der Rex kam dazu. "Bravo, Herzogin!" lobte er Hans-Jürgen für seine schauspielerische Leistung. "Meine Tochter war aber auch beachtlich!" mampfte der Dichter, und Dieter-Thekla neben ihm machte einen artigen Knicks, denn sprechen konnte er mit seinem randvollen Scheunentor nicht. Der Rex wollte sich weiter über die Aufführung verbreiten, doch da klingelte Mauersäge mit einer kleinen Tischglocke. Die Eltern verstummten wie brave Kinder. "Liebe Gäste", begann Mauersäge, "bevor dieser schöne Tag ausklingt, möchte ich... ks ... noch ein Geständnis ablegen. "Ich dachte eine Zeitlang daran... ks... unter hinterhältigen Einflüsterungen allerdings, aus Burg Schreckenstein ein... ks... Sanatorium zu machen. Der Unternehmer wollte mich... ks... täuschen und in Wirklichkeit hier eine Spielhölle er... ks... öffnen." Raunend äußerten Eltern und Ritter ihr Mißfallen. "Die Schule hätte dem perfiden Vorhaben... ks... weichen müssen. Diese Gefahr aber ist vorbei. Und so möchte ich Ihnen allen heute ver. . . ks. .. sichern: die Schule Burg Schreckenstein bleibt bestehen!" Eltern und Ehrengäste klatschten, die Ritter mußten zuerst den Futternachschub zwischen die Zähne klemmen, um die Hände freizubekommen. Dann aber holten sie so gewaltig auf, daß Waffen und Rüstungen klirrten. Mauersäge winkte ab und fuhr fort: "Diesen meinen Entschluß verdanken wir dem vorbildlich ritterlichen Verhalten von ... ks... drei Jungen, einem Lehrer und seiner Tochter, die mich mit Umsicht, Mut und höchstem persönlichem Einsatz... ks... vor dem schlimmsten Reinfall meines... ks... Lebens bewahrt haben." Unter unbeschreiblichem Jubel ging er zu Stephan, Ottokar, Strehlau, Sonja und Doktor Waldmann und drückte ihnen die Hand. Ein beängstigendes Gedränge entstand. Eltern stürzten sich auf Mauersäge, um ihm zu danken, sie seien überglücklich, weil sich ihre Sprößlinge hier so wohl fühlten, die Burg habe sie völlig verändert. Der Rex hielt eine Rede auf Mauersäge und auf den Geist der Ritter, der wohltuend auf die jugendlichen Bewohner abgefärbt habe. Der Bürgermeister von Wampoldsreute hielt eine Rede auf die Großzügigkeit von Mauersäge; der Bürgermeister von Neustadt schloß sich ihm erleichtert an. Er war das Problem mit dem alten Schulgemäuer los. Abschließend schüttelten sich alle wieder die Hände und dankten einander noch einmal, genau wie beim Sportfest. Die Helden des Tages hatten sich verzogen. Sie standen im dichten Gedränge beim Büfett und spachtelten, was reinging. Stephan hatte sich auf eine der Stufen gesetzt, die; den Niveauunterschied zwischen Rittersaal und Nordflügel ausglichen. Hier fütterte er den gräflichen Jagdhund Harro mit Braten. "Denn", sagte er zu dem Tier, "wenn du Hund mich verbellt hättest, als ich hinter der Parkbank lag, säßen wir jetzt wieder in Neustadt!" Sonja kam und setzte sich neben ihn. "Zufrieden?" fragte sie. Stephan grinste. "Mit was?" fragte er dagegen. "Nun, zum Beispiel mit dir", meinte sie. "Jetzt bist du endgültig akzeptiert - meint mein Vater." "Das walte Paule!" rief eine Stimme. Ottokar war dazugekommen. "Oder habt ihr schon wieder eine
neue Verschwörung?" "Gut, daß du da bist", sagte Sonja. "Ich wollte euch beiden noch einmal danken..." Die beiden Ritter sahen einander an. "Geht das schon wieder los?" fragten sie gleichzeitig und mußten lachen. "Na hört mal!" begehrte Sonja auf. "Ohne euch säß ich heute noch bei Klinke und würde auf mein Geld warten." "Bedank dich bei ihm", antwortete Stephan und deutete auf Harro. "Entschuldigt. Ich muß wieder zum Apfelkuchen!" sagte Ottokar. "Und ich hab Durst!" schloß sich Stephan an. Er holte sich ein Glas Birnensaft, leerte es auf einen Zug, nahm ein zweites und beobachtete das Treiben im Saal. Eltern, Lehrer, Ehrengäste und Ritter, die sich unterhielten, lachten und futterten. Vergessen waren alle Nöte und Schwierigkeiten. Er hatte durchgehalten, und dieses Gefühl stimmte ihn glücklich, bis ein kräftiger Schlag auf die Schulter ihn aus seinen Gedanken riß. Dampfwalze stand neben ihm und sagte mit einer Leichtigkeit, die verriet, daß er gewohnt war, mit vollem Mund zu sprechen: "Du warst zwar am Anfang eine Mordspfeife, aber dann hab ich dich unterschätzt." "Übernimm dich nicht", antwortete Stephan und schlug in die dargebotene Hand ein. "Du an meiner Stelle hättest es nicht anders gemacht." "Mann!" Der Muskelprotz boxte ihn vor Übermut auf die Brust, daß Stephan gegen eine Rüstung stieß. "Mann!" sagte auch er und gab den Stoß zurück. Dampfwalze trat näher, um die Rüstung wieder geradezurücken. "Unser Blechladen!" stellte er strahlend fest. "Unser Blechladen!" Auch Stephan hatte die Rüstung wiedererkannt. Beide streichelten den hochglanzpolierten Panzer. Von hinten trat der Rex hinzu, packte sie am Schlafittchen und stieß ihre Köpfe sanft zusammen. "Na?" fragte er. "Sind wir wieder eine Gemeinschaft?" "Das walte Paule!" antwortete Stephan. Doktor Waldmann nickte herüber. Er hatte die Versöhnung beobachtet - genau wie Ottokar. Mit sahneverschmiertem Gesicht, wie ein eingeseifter Kunde beim Friseur, stand er neben dem Büfett und kaute sichtlich in den letzten Zügen. Schwer atmend blinzelte er herüber, hob zweimal beide Hände und noch einmal drei Finger dazu Dampfwalze übersetzte: "Mann! Dreiundzwanzig Stück Apfelkuchen mit Sahne!" "Neue Traumgrenze", stammelte Stephan. Der Rex schlug die Hände vors Gesicht. "Ihr Wahnsinnsritter!" "Wieso?" fragte Strehlau, der mit roten Ohren dazugekommen war. "Wir sind nur hart im Nehmen."