Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.) Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011
GABLER RESEARCH
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.)
Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011 Tagungsband 5. wissenschaftlicher interdisziplinärer Kongress für Dialogmarketing
RESEARCH
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1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011 Lektorat: Stefanie Brich | Ingrid Walther Redaktion: Bettina Höfner Gabler Verlag ist eine Marke von Springer Fachmedien. Springer Fachmedien ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-2754-5
Editorial
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Editorial Martin Nitsche Tradition und Innovation Ein besonderes Jubiläum konnte der Deutsche Dialogmarketing Verband (DDV) im Oktober 2010 begehen: Zum 25. Mal wurde der Alfred Gerardi Gedächtnispreis, der wissenschaftliche Nachwuchspreis des DDV, vergeben. In den vergangenen 25 Jahren wurden damit knapp 100 Dissertationen, Diplom- und Abschlussarbeiten zu Themen des Dialogmarketings ausgezeichnet. Die Förderung der aktuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Dialogmarketing ist damit eine seit einem Vierteljahrhundert bewährte und gelebte Tradition im DDV. Deutlich jünger – aber auch schon „Tradition“ – ist der wissenschaftliche Kongress des DDV, in dessen Rahmen inzwischen die feierliche Preisverleihung des Alfred Gerardi Gedächtnispreises stattfindet. Der 5. wissenschaftliche interdisziplinäre Kongress für Dialogmarketing fand am 4. Oktober 2010 statt. Diese Konferenz, die eine einzigartige Plattform für den Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis bietet, konnte erfreulicherweise mit rund 120 Teilnehmern einen Besucherrekord verzeichnen. Unter der bewährten Tagungsleitung von Dr. Heinz Dallmer referierten und diskutierten Wissenschaftler und Praktiker einen Tag lang engagiert aktuelle Forschungsergebnisse und -thesen. Besonderheit des Kongresses ist hierbei der interdisziplinäre Ansatz: Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen tragen zur Diskussion bei und beleuchten die Themen aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wie schon in den vergangenen Jahren lag ein ausgeprägter Schwerpunkt der Tagung im Bereich Online-Medien – insbesondere im Bereich Social Media sowie „Word-of-Mouth“. Fast alle Vorträge dieser Konferenz finden sich im vorliegenden Tagungsband vereint, in bereits bewährter Form ergänzt um weitere aktuelle Fachbeiträge. Im Namen aller Mitglieder des DDV und stellvertretend für die Kongressteilnehmer sowie für die Leser dieses Tagungsbandes möchte ich mich ganz herzlich bedanken: Bei den Referenten und Autoren für die Tatsache, dass sie uns an ihren Forschungsergebnissen teilhaben lassen. Bei Dr. Heinz Dallmer für die kenntnisreiche Tagungsleitung des Kongresses. Und last but not least bei den Unternehmen und Organisationen, die mit einem großzügigen Sponsoring die Veranstaltung und die Realisierung dieses Tagungsbandes ermöglichten: Acxiom
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Editorial
Deutschland GmbH, g k k DialogGroup GmbH, Jahns and Friends Agentur für Dialogmarketing und Werbung AG, JCG Consulting Group AG, MarAnCon Gesellschaft für Marketing, Analyse und Consulting mbH, Printus GmbH, SAS Institute GmbH, Schober Information Group, Siegfried Vögele Institut GmbH. Partner waren darüber hinaus der BVDW Bundesverband Digitale Wirtschaft, der Dialog Marketing Verband Österreich sowie der Schweizer Direktmarketing Verband. Als Medienpartner engagierten sich acquisa, marketingBÖRSE und OnetoOne. Ein ganz besonderer Dank geht an Mary-Victoria Gerardi-Schmid und Hans R. Schmid, Printus GmbH, die den Alfred Gerardi Gedächtnispreis seit vielen Jahren fördern und den besonders festlichen Rahmen für den Kongress im Jubiläumsjahr des Wettbewerbs als Premiumsponsor ermöglicht haben. Gerne würden wir den Dialog mit Ihnen fortsetzen: Der 6. wissenschaftliche interdisziplinäre Kongress für Dialogmarketing wird im Herbst 2011 stattfinden. Wir würden uns freuen, Sie dort begrüßen zu dürfen! Martin Nitsche DDV-Vizepräsident Bildung und Forschung Kontakt Martin Nitsche Vizepräsident Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. Hasengartenstraße 14 65189 Wiesbaden
[email protected] Inhalt
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Inhalt Inhalt
Editorial ................................................................................................................ 5 Social Media Marketing – ein neues Marketing-Paradigma? ............................... 9 Michael H. Ceyp / Juhn-Petter Scupin Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites ..................................... 21 Petra Bouvain / Matthias Muskat / Birgit Muskat Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung. ....... 53 Tina Anschütz / Ralph Sonntag Welche Emotionen beeinflussen Konsumenten bei der Weiterleitung viraler Videospots? ............................................................................................. 71 Ellen Binggeser / Larissa Hammon / Stefan Hampel / Hajo Hippner Herausforderungen im Social CRM und Mobile Business ................................. 87 Rebecca Bulander Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media – Ergebnisse einer Befragung von Führungskräften aus der Callcenter-Branche ........................................................................................... 109 Heike Simmet Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive..................... 131 Tobias Schäfers / Markus Gräßler / Ronja Gresel Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern – empirische Untersuchungen zum Verhalten der Endkunden .............................................. 149 Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
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Inhalt
Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau ...................................... 177 Larissa Greschuchna Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie...................................................... 195 Ralf T. Kreutzer / Simone Spiegels Vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens ............................................................................. 217 Andrea Ahlemeyer-Stubbe Alfred Gerardi Gedächtnispreis 2010 ............................................................... 227 Dank an die Sponsoren ..................................................................................... 231
Social Media Marketing – ein neues Marketing-Paradigma?
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Social Media Marketing – ein neues Marketing-Paradigma? Michael H. Ceyp / Juhn-Petter Scupin
Inhalt 1 2 3 4 5
Herausforderung Social Media für die Marketingwissenschaft und -praxis .................................................................................................. 10 Definition des Social Media Marketings .................................................... 13 Stellung von Social Media im Kaufprozess ................................................ 14 Operationalisierungsversuch des Customer Lifetime Value im Kontext von Social Media ..................................................................... 15 Zusammenfassung und Ausblick ................................................................ 17
Management Summary Als Ausgangspunkt dieses Beitrags werden zunächst die markanten Treiber für die weitere Verbreitung von Social Media analysiert. Mit dem emanzipierten Kommunikationsverhalten der Konsumenten in Sozialen Medien verlieren Unternehmen die informationelle Herrschaft über ihre eigenen Produkte. Gleichzeitig steigt die Preistransparenz. Vor diesem Hintergrund geraten Unternehmen vielfach in Erklärungsnöte, wie konkret mit Social Media umzugehen sei. Allerdings bleibt der klassische Kaufzyklus der Internetnutzer im Social Media weiterhin bestehen. Zusammengefasst stellen Soziale Medien zweifelsohne einen Paradigmenwechsel im Medienbereich dar; Social Media Marketing hingegen kann nicht als neues Marketing-Paradigma beschrieben werden. Weiterhin, wie schon vor 40 Jahren, steht der Kunde/Interessent mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Allerdings gewinnen die Anforderungen an eine moderne Kundenorientierung unter Einschluss der Sozialen Medien eine neue, deutlich ambitioniertere Qualitätsstufe.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_1, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Michael H. Ceyp / Juhn-Petter Scupin
Herausforderung Social Media für die Marketingwissenschaft und -praxis
Social Media durchlebt derzeit einen ungeahnten Hype. Keine MarketingFachkonferenz, keine Agenturpräsentation, keine Marketingvorlesung, kein marketingrelevantes Fachblatt und keine Diskussion unter Praktikern kommt heutzutage noch ohne die vielfältigen Aspekte von Social Media aus. Dabei reicht das Meinungsspektrum von den schon sprichwörtlichen „Klowänden des Internets“ (Jean-Remy von Matt über Weblogs) bis hin zu Totengesängen auf das klassische Massen-Marketing. Die anzutreffenden Definitionen zu Social Media sind durchaus vielfältig. Grundlegend kann Social Media zunächst als sämtlicher nicht redaktionell getriebener Content1 verstanden werden. Susan Ward definiert weitergehend in Abgrenzung zu den klassischen Medien: „Social media is a type of online media that expedites conversation as opposed to traditional media, which delivers content but doesn’t allow readers/viewers/listeners to participate in the creation or development of the content.“2 Zusammenfassend kann Social Media als die Erstellung, der Konsum und der Austausch von Informationen durch soziale Interaktionen in Online-Netzwerken und auf Online-Plattformen angesehen werden.3 Dabei haben in den letzten Jahren verschiedene Einflussfaktoren der lawinenartigen Verbreitung und Durchsetzung von Social Media den Weg bereitet. Maßgeblich zur Verbreitung und Bedeutung von Social Media trägt die rasante technische Entwicklung bei Smartphones und das Angebot kostengünstiger Flatrates bei. Hierdurch werden im Ergebnis eine totale Ortsunabhängigkeit und die kürzeste denkbare Systemzeit aller bisherigen Medien erreicht. So können z. B. Twitter-Meldungen in Realtime abgesetzt, gelesen und weiter verbreitet werden. Darüber hinaus ist eine ausgesprochen hohe Dynamik, ausgeprägte Vielfalt und konnektive Komplexität von Social Media mit weitgehender Hierarchiefreiheit zu konstatieren. Wie viele Soziale Medien gibt es (Stichwort: Social Media Universum)? Welche Sozialen Medien sind für Unternehmen besonders relevant und für ein Social Media Marketing besonders attraktiv? Auch hier lässt sich ein Longtail-Effekt feststellen: Zu allen (!) Themen gibt es im Internet auf Sozialen Medien inzwischen die vielfältigsten Meinungsäußerungen und „Gespräche“ unter den Besuchern. Gleichzeitig sind soziale Medien sog. Netzeffektgüter, 1 2 3
Lobo (2009). Ward (2010). Vgl. Schunk (2010), S. 63.
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d. h., je mehr Nutzer sich anschließen, desto höher ist auch der individuelle Nutzen eines jeden Benutzers (vgl. z. B. Facebook). Nach dem Erreichen einer kritischen Masse trägt das weitere Wachstum sich nahezu selbst. Das Überschreiten der kritischen Masse scheint bei Sozialen Medien spätestens seit 2009 der Fall zu sein. Besonders gefördert wird das weitere Wachstum auch dadurch, dass die meisten Sozialen Medien gänzlich oder zumindest in der Grundfunktionalität kostenlos genutzt werden können. Ferner verlieren die Unternehmen durch das emanzipierte Kommunikationsverhalten der Konsumenten die informationelle Herrschaft über ihre eigenen Produkte. Bewertungsportale (z. B. Ciao, Qype u. v. a. m.), Communities (z. B. MOTOR-TALK.de) und zahlreiche Shopping-/Buchungs-Portale (z. B. HRS) bieten Interessenten häufig einen vertrauenswürdigen und gleichzeitig unabhängigen Blick in die tatsächliche und nicht nur in Hochglanz-Broschüren behauptete Leistungsfähigkeit von Produkten. So steigt nicht nur die Preistransparenz der User dramatisch an. Unter den Treibern besonders hervorzuheben ist abschließend die Bedeutungsaufwertung selbst einzelner, individueller Äußerungen, da diese sich u. U. über einen sehr hohen viralen Effekt rasch verbreiten. Solche Einträge können in Sozialen Medien auch Jahre später noch recherchiert werden. Das Internet vergisst nicht! Vor dem Hintergrund der hier nur kurz zu skizzierenden Herausforderungen geraten Unternehmen vielfach in Erklärungsnöte, wie konkret mit Social Media im Rahmen des Social Media Marketing umzugehen sei (vgl. Abb. 1). Häufig wird z. B. die organisatorische Verankerung sehr kontrovers diskutiert. Ist es eine ureigene Aufgabenstellung für die PR-Abteilung oder doch für das Marketing oder gar für beide Abteilungen? Wie hoch soll das Social Media Budget angesetzt werden? Wie können sich Mitarbeiter und Entscheider im Social Media Marketing qualifizieren und wie sieht das zugrunde liegende Stellenprofil aus? Welche Möglichkeiten gibt es, eine Social-Media-Strategie längerfristig zu verfolgen und wie beeinflusst das die Markenwahrnehmung? Wie lässt sich die einmal gefasste Strategie in konkreten Social-Media-Aktionen implementieren und steuern? Wie ist mit unternehmenskritischen Äußerungen in Sozialen Medien umzugehen? Wie weit geht die eigene Marketingethik? Sollten eigene Äußerungen des Unternehmens in Sozialen Medien beispielsweise offen oder verdeckt geschehen? Welche Tools helfen den Unternehmen bei der Umsetzung und beim Controlling im Social Media Marketing? Wie können schließlich die kundenseitigen Herausforderungen durch Social Media, z. B. Pinwandeinträge bei Facebook oder Blogeinträge, in unternehmensgesteuerten Communication Centern eingebunden werden?
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Abbildung 1:
Michael H. Ceyp / Juhn-Petter Scupin
Spannungsfeld Social Media und Social Media Marketing
Aber nicht nur die Marketingpraxis, sondern auch die Marketingwissenschaft sucht derzeit noch nach einer zuverlässigen Beantwortung der vielfältigen Fragestellungen, die Social Media mit sich bringt. Insbesondere stellt sich die Suche nach Erfolgsfaktoren im Bereich des Social Media Marketings ebenso wie nach geeigneten Wirkungsmodellen zur Beschreibung der marketingrelevanten Kommunikationsprozesse. Zu den Internetuser-bezogenen, drängenden Analysen sind Forschungsansätze zu zählen, die vergleichbar der Diffussionsforschung sich mit den Merkmalen aktiver bzw. passiver User von Sozialen Medien auseinandersetzen. Unternehmensbezogen ungeklärt sind insbesondere Ansätze zur ROIMessung, geeignete Größen zur Steuerung laufender Kampagnen sowie zum Controlling. Unklar ist auch die Bemessung der Nachhaltigkeit des SocialMedia-Erfolges.
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Definition des Social Media Marketings
Auf all diese skizzierten Herausforderungen versucht nun das Social Media Marketing eine schlüssige Antwort zu geben. Hettler (2010) definiert Social Media Marketing als „eine Form des Marketings, das darauf abzielt, eigene Vermarktungsziele durch die Nutzung von und die Beteiligung an sozialen Kommunikations- und Austauschprozessen mittels einschlägiger (Web-2.0-)Applikationen und Technologien zu erreichen“. Dabei zeigt die Analyse dieser Definition, dass die „klassischen“ Marketing-Definitionen bei Hettler lediglich eine instrumentelle Einschränkung auf das Web 2.0 – oder heutzutage häufiger verwendet – auf Social Media erfahren. Grundsätzliche Wesensunterschiede zur klassischen Marketingdefinition sind nicht zu konstatieren.
Abbildung 2:
Strategiealternativen im Social Media (Strategie Grid)
Daher verläuft auch das Social Media Marketing als geordneter, managementorientierter Planungsprozess. Nach einer fundierten Situationsanalyse mit einer notwendigen Zielgruppendefinition und einem umfassenden Social Media Monitoring erfolgen Ziel- und Strategiefestlegung. Entscheidet sich das Unternehmen
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für eine aktive Social-Media-Dialogstrategie (vgl. Abb. 2), so ist anschließend aus der Vielzahl möglicher Social-Media-Plattformen und Social-Media-Instrumente eine zielgerichtete Selektion geeignet erscheinender Plattformen bzw. Instrumente zu treffen. Die geplanten operativen Social-Media-Marketing-Aktionen werden nun umgesetzt. An eine Controllingphase schließt sich der Managementablauf mit einer erneuten Situationsanalyse. Dieser Prozess kann angesichts der schon angesprochenen kurzen Systemzeit der Sozialen Medien erheblich schneller ablaufen als in anderen klassischen Marketing-Medien. 3
Stellung von Social Media im Kaufprozess
Unternehmen werden ein aktives Social Media Marketing nicht nur aus reinem Selbstzweck betreiben. Neben psychographischen Zielgrößen (z. B. Bekanntheit, Sympathie, Image) müssen – über kurz oder lang – auch insbesondere ökonomische Ziele mit diesem Engagement erreicht bzw. zumindest unterstützt werden. Aus Sicht der Unternehmen steht hierbei final der Absatz eines Produktes oder einer Dienstleistung im Vordergrund. Der klassische, kundenbezogene Kaufzyklus mit den Phasen „Anregungsphase“, „Suchphase“, „Bewertungs-/Auswahlphase“, „Kaufaktphase“ und „Nachkaufphase“ (vgl. Abb. 3) bleibt auch auf Seiten der Internetnutzer im Social Media weiterhin bestehen.
Anregungsphase („Wunsch“) Suchphase Bewertungs-/ Auswahlphase Kaufaktphase Nachkaufphase
Abbildung 3:
Kaufprozess im Internet (angelehnt an: Fritz 2004, S. 115 ff.)
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Allerdings finden sich auf allen Stufen nunmehr konkrete, einflussstarke SocialMedia-Elemente, die den potenziellen Käufer in die Lage versetzen, autonom seine Kaufentscheidung zu fundieren und zu treffen. Beispielsweise können über Facebook Produkthinweise von Freunden eintreffen; in Bewertungsportalen ergeben sich vertiefte Einsichten in die Produktqualität des präferierten Konsumgutes. Schließlich geben Social-Commerce-Plattformen nach Abschluss des eigentlichen Kaufes weitergehende Kaufanregungen im Sinne situationsangepasster Recommendations. So gesehen stellt Social Media Marketing ganz besondere Anforderungen an die Unternehmen, was die Reaktionsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit in allen Phasen des Kaufzyklus anbelangt. 4
Operationalisierungsversuch des Customer Lifetime Value im Kontext von Social Media
Versucht man nun, klassische Steuerungskonzepte des Marketings und CRM auf Fragestellungen des Social Media Marketings anzuwenden, so kann die in vielen Märkten und Branchen bewährte Quantifizierung des Kundenwertes im Sinne eines Customer Lifetime Values (kurz: CLV) übertragen werden. So haben beispielsweise Link et. al. schon im Jahr 2000 ein entsprechendes, theoretisches Modell veröffentlicht (vgl. Abb. 4), das hinsichtlich seiner Berücksichtigung kommunikativer Prozesse auf Seiten der Kunden grundsätzlich für die Verwendung im Social-Media-Kontext geeignet erscheint. Grundlage des Modells ist die Grundformel des Customer Lifetime Values eines Kunden. Dabei werden die mengenmäßigen Käufe einer Periode (xat) mit dem jeweiligen Deckungsbeitrag (dat) multipliziert und um die kundenspezifischen Marketingaufwendungen (Fat) der jeweiligen Periode reduziert. Dieser kundenbezogene Gesamtdeckungsbeitrag eines Jahres muss dann noch finanzmathematisch exakt auf den Entscheidungszeitpunkt (in der Regel die Gegenwart) abgezinst werden, da Gewinne in der Zukunft unternehmerisch betrachtet weniger bedeutend sind als gleich hohe Gewinne in der Gegenwart. In der dargestellten Formel ergänzt sich der eben beschriebene, originäre Kundenwert einer Person (erster Summand) um zwei weitere, ähnlich strukturierte Wertkomponenten. Die erste der beiden ergänzenden Wertkomponenten quantifiziert den Kundenwert von Unternehmenskunden (Nant), welche durch das überzeugte und überzeugende Kommunikationsverhalten des betrachteten Kunden (auch auf Social-Media-Plattformen) neu gewonnen werden konnten. Demgegenüber repräsentiert der abschließende Term die Wertbeiträge von Kunden
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(Babt), die aufgrund der positiven Kommunikation des betrachteten Kunden ihre Kundenbeziehung zum Unternehmen weiterhin aufrechterhalten haben, während sie andernfalls abgewandert wären.
Abbildung 4:
Modellansatz zur Erweiterung des CLV um kommunikative Beeinflussungserfolge (Quelle: Link u. a. 2000, S. 149)
In der praktischen Umsetzung allerdings stoßen derartige Modelle gerade angesichts der eingangs beschriebenen Spezifika von Social Media sehr schnell an Grenzen einer fundierten Operationalisierung. Gerade die (häufig auch gewollte) Anonymität in Verbindung mit den strengen Datenschutz-Regelungen verhindern eine zumindest technisch grundsätzlich mögliche Identifizierung und Zuschreibung von Kommunikationserfolgen auf eine natürliche, konkrete Person. Dieses gilt nicht nur für offene, sondern auch für geschlossene Communities. Ein denkbarer
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Weg der Operationalisierung führt allenfalls über registrierte Kunden/User/Nutzer/ Mitglieder etc. Hier können der Leitgedanke und die aus dem Dialogmarketing altbekannte Mechanik der „Member gets Member“- oder „Kunden werben Kunden“-Modelle angewendet werden. Findet eine derartige Operationalisierung statt, wird jedoch ein ganz erheblicher Teil der marketingrelevanten Kommunikation in Sozialen Medien für das Marketing nicht erfasst. 5
Zusammenfassung und Ausblick
Soziale Medien stellen zweifelsohne einen Paradigmenwechsel im Medienbereich dar. Dominierten über Jahrzehnte einige wenige Contentlieferanten, so haben sich die Gewichte heutzutage eindeutig zu Gunsten der Endverbraucher und Internetuser verschoben. Doch was bedeutet dieser Paradigmenwechsel für das Marketing? Zusammengefasst lässt sich Social Media Marketing nicht als neues Marketing-Paradigma beschreiben. Denn wie schon vor 40 Jahren steht weiterhin der Kunde/Interessent mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt. Allerdings gewinnen die Anforderungen an eine moderne Kundenorientierung unter Einschluss der Sozialen Medien eine neue, deutlich ambitioniertere Qualitätsstufe. Unternehmen müssen und werden sich diesen dramatisch gestiegenen Herausforderungen stellen, um Social Media nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Chance für die eigene Geschäftstätigkeit zu nutzen. Dann werden die Sozialen Medien zu einem wirklichen Dialogmedium, in dem auch Unternehmen Content zielgerichtet generieren und distribuieren können. Allerdings wird es sicherlich noch einige Jahre dauern, bis die Mehrheit der Unternehmen Soziale Medien verstanden haben und zielgerichtet nutzen können. Um hierbei die Unternehmen zu unterstützen, ist die Marketingwissenschaft aufgefordert, entsprechende robuste Erklärungs- und Gestaltungsmodelle für die Praxis bereitzustellen. Hier liegt ein erster, wichtiger Untersuchungsschwerpunkt in der fundierten Analyse kommunikativer Prozesse und Wirkungen in Sozialen Medien. Ein zweiter, zentraler Schwerpunkt ist in der Erfolgsfaktorenforschung zu sehen. Welche Faktoren begünstigen bzw. hemmen den Erfolg des Social Media Marketings? Ein dritter, ausschlaggebender Schwerpunkt schließlich ist die notwendige Neuinterpretation der (Marketing-)Ethik. In diesem Schlüsselbereich ist die Wissenschaft aufgefordert, Strategien, Maßnahmen und Tools (z. B. eine Social Media Balanced Scorecard) zu entwickeln, die den Unternehmen helfen, ihre Legitimität in den Sozialen Medien langfristig zu bewahren.
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Michael H. Ceyp / Juhn-Petter Scupin
Literatur Fritz, W. (2004): Internet-Marketing und Electronic Commerce, Grundlagen – Rahmenbedingungen – Instrumente, 3. Auflage, Wiesbaden. Hettler, U. (2010): Social Media Marketing: Marketing mit Blogs, Sozialen Netzwerken und weiteren Anwendungen des Web 2.0, München. Link, J.; Gerth, N.; Voßbeck, E. (2000): Marketing Controlling, München. Lobo, S. (2010): „Interview in der Sendung dctv“, http://saschalobo.com (Abruf: 14.01.2010). Schunk, G.; Ziegler, S. (2010): „Community-Marketing 2010“, marke41, Ausgabe 2/2010, S. 62-66. Ward, S. (2010): „Social Media Definition“, http://sbinfocanada.about.com/od/socialmedia/g/socialmedia.htm (Abruf: 12.11.2010).
Die Autoren Prof. Dr. Michael H. Ceyp promovierte bei Prof. Dr. Dr. h. c. mult. H. Meffert. Danach folgte eine mehrjährige Tätigkeit als Consultant im Dialogmarketing, bevor er zu Rapp Collins Consulting, Hamburg, ging, wo er große und mittelständische Unternehmen in vielfältigen Fragestellungen des (internationalen) Dialogmarketings, Database Marketings, Online Marketing und CRMs beriet. Seit dem Sommersemester 2001 lehrt Prof. Dr. Ceyp an der privaten, staatlich anerkannten Fachhochschule Wedel (Holstein) bei Hamburg. Er gründete dort im Jahr 2003 den Fachbereich „BWL“ mit seinem Forschungs- und Lehrschwerpunkt „Marketing“. Juhn-Petter K. U. Scupin B. Sc., Jahrgang 1984, ist Masterstudent im Studiengang Marketing-Management an der University of Kent. Neben der mehrjährigen Tätigkeit in einer Unternehmensberatung beschäftigt er sich seit seinem Auslandssemester 2008 an der University of Buckingham schwerpunktmäßig mit Social Media Marketing. Im Rahmen seiner Bachelor Thesis an der University of Applied Sciences Wedel erstellte er in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Ceyp ein Vorgehensmodell für den Einsatz von Social Media Marketing aus Unternehmenssicht.
Social Media Marketing – ein neues Marketing-Paradigma?
Kontakt Prof. Dr. Michael Ceyp Fachhochschule Wedel Feldstraße 143 22880 Wedel
[email protected] Juhn-Petter Scupin Carl-Loewe-Weg 3 24105 Kiel
[email protected] 19
Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites
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Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites Petra Bouvain / Matthias Muskat / Birgit Muskat
Inhalt Introduction ........................................................................................................ 22 Research Methodology ....................................................................................... 23 Literature Review ............................................................................................... 24 Background – Social Media is playing an increasingly important role for customers in their information seeking and decision making phase ................... 28 Social Media in the Internet................................................................................ 28 Social Media in Different Markets ..................................................................... 29 Technological Surfaces – Hotel Booking Sites, Ranking Sites and More .......... 31 Differences and Similarities of the Perceived Service Quality as Distilled in Ranking and Ratings Systems.......................................................... 31 The Booking Sites............................................................................................... 31 Expedia ............................................................................................................... 31 Priceline.com, Booking.com............................................................................... 32 Orbitz .................................................................................................................. 32 HRS.com............................................................................................................. 32 Holidaycheck.de ................................................................................................. 33 Differences in Ranking and Rating Systems....................................................... 35 Ranking and Rating ............................................................................................ 35 Examples of Rating Sites.................................................................................... 35 An Emergent Competitor/Co-operator of Word-of-Mouth about Hotel Experiences......................................................................................................... 36 Problems with Online Ratings and Ranking ....................................................... 40 User Friendliness of Rating Sites........................................................................ 40 Using Leximancer............................................................................................... 42 Research Outcomes ............................................................................................ 49 Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_2, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Management Summary Marketing has always advocated a customer orientation but the reality in many companies has been different. Businesses have always known that word-ofmouth is an important element of marketing, but only since the emergence of Web 2.0 have businesses realised that with the power of the Internet word-ofmouth can have now have a reach that is far beyond the traditional use. Examples of how word-of-mouth can be amplified are hotel booking sites that provide user generated feedback and ratings of hotels. This is an emerging area and conventions of how this feedback is generated and how the feedback can be interpreted is rising. An analysis of the most popular hotel sites showed that a feedback function is now a standard feature and that sites have started to provide links to social networking sites such as Facebook to further enable ‘amplified word-of-mouth’. Introduction The tourism industry has been one of the industries that have been active in online promotion since the start of the Internet. Most hotels now have a website that promotes their property and provides information about the amenities that are offered, in most cases augmented by the display of photos, downloadable brochures and videos. Most offer customers also the possibility to book online and to communicate via e-mail. Customers have relied on the information provided by hotels and some reviews by third parties such as travel guidebooks. The emergence of Web 2.0 has changed this. Now consumers are able to communicate with other consumers via Twitter and Facebook. Customers trust their peers more than the information provided by corporations. The emergence of hotel feedback sites is increasingly important in international hotel marketing, as potential visitors are more and more using these websites as their main source of information (Buhalis 2003). An example is the Accor Hotel group, owner of brands such as Novotel, Ibis, and Mercure Sofitel. The group decided to have a link on their website to Tripadvisor to enable their customers to access this feedback (Fraser 2010). The user-added content on hotel ranking websites is accessible worldwide and is impacting on the decision-making of the advertising process of the hotel marketing departments. The emergence of web-based hotel ratings has introduced new intermediaries in this process. Websites such as Hotels.com, Wotif.com.au, Ex-
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pedia.com and others provide information mainly sourced from the hotel operators and now, in increasing numbers, ratings and comments from people who have stayed at the hotels. Additionally, social online-networks such as Twitter.com, Youtube.com and Facebook.com have been changing the equation. Customers are now able to give feedback to others in form of reviews of online hotel booking sites. Prahalad introduced the concept of co-creation of value and meaning. It outlines how brands and products are no longer solely created by organisations but in a symbiotic process between customers and providers (Prahalad/Ramaswamy 2004). In this exploratory research we will analyse the most popular (as determined by page views) Australian and German hotel-booking and hotel-ranking sites. We start with a literature review of hotel marketing and the importance of word-ofmouth as part of an integrated promotion strategy. We then analyse the ranking and rating sites, looking at their ownership and cross ownership first. Then we are analysing their visitor numbers, followed by categorising the way that they generate and display customers’ rankings and ratings. We explore some of the criticism that the ranking and rating sites are facing and the measures that they have taken to minimise fraud. Finally, we analyse the comments of the three top rated hotels in Sydney and Berlin and compare the topics of the comments. Research Methodology In order to determine the most popular sites for hotel feedback we have used two different methods. First we looked at Google rankings for those sites. We used two search terms ‘hotel ranking’ and ‘hotel rating’, both singular and plural forms. This list included both sponsored research results as well as natural results. Based on this list we used the web analysis tool Alexa to determine which sites were the most popular and most visited ones. Alexa was founded in 1996 and provides, based on web crawls and user installed toolbars, the ability to assess the popularity of websites (Alexa.com). While there has been some criticism about the algorithm underlying the rankings, none the less it provides information especially when used as a comparison tool to gauge the popularity of websites. We have also checked the popularity (judged by page views) of tourism sites with Hitwise (Hitwise.com), a company that provides website rankings according to website traffic.
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Methodology Literature review
GoogleRankings
AlexaRankings
NatureOfRanking andratingschemes
Mostinfluential Hotelbooking sites
Analysisof Bookingsites
Presenceon Facebook?
Top3hotels •Berlin •Sydney
Comments OnTripadvisor
Figure 1:
Leximancer Analysis
Themes
Methodology (author’s own graphic)
We then further examined those online travel companies and looked at their ownership structure, annual reports and financial data, using the Mint Global database (Mintglobal.bvdep.com). We decided to explore the most popular site, Tripadvisor, in detail and analysed the top 3 rated hotels in Berlin and Sydney. We choose for each hotel the most recent 50 comments and analysed those comments using the analysis tool Leximancer. It performs a conceptual analysis of text, modelled on content analysis and seeded concept classifiers (Smith 2003). It looks at themes that were either specific to each hotel, or those that were universal and seemed important in the sum of feedback to provide an insight into the nature of comments by customers. Figure 1 provides an overview of the methodology. Literature Review The increasing amount of user-generated content in marketing websites changes the way that decisions are made, especially in the tourism industry. In this context the impact of trust buyer-seller relationship has been discussed in marketing as well as in organisational studies (Kim/Chung/Lee 2010; Zhu/Zhang 2010;
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Chang/Chen 2008; Ganesan/Hess 1997; Morgan/Hunt 1994). Customers do no longer trust marketing information of corporations; instead they are relying on fellow travellers who provide more unbiased information. Word-of-mouth is nowadays considered one of the most trusted sources of information (McConnell/Huba 2007). Litvin, Goldsmith and Pan (2008) are stating that marketers in the hospitality and tourism management sector have been starting to improve strategies of managing user-generated content. Marketers have always advocated word-of-mouth as one of the most powerful tools. Word-of mouth originally was restricted to a narrow circle of friends. The Internet has changed this and now word of mouth can be ‘amplified’ in an online environment (Godin 2000). Positive comments tend to be viewed by customers as more helpful than negative comments when deciding to book an accommodation (Black/Kelly 2009). A number of studies (Bonn et al. 1998; Weber/Roehl 1999) examined the demographic characteristics of online booking customers. They found that online customers have higher education levels and are between 25 and 55 years of age. Murphy et al. (1996) were of the first researchers who examined the categories that were more likely in hotel booking sites to lead to an online purchase. Kim and Kim (2004) explored the factors that make online booking attractive in greater detail. Yoon (2002) conducted an experimental study that explored factors such as navigation and layout and its impact on satisfaction. Data from Alexa.com shows that females are overrepresented on booking and rating sites (Alexa.com). Forrester research (Forrester 2010) categorises influencers into the three categories ‘Social Broadcasters’, ‘Mass Influencers’ and ‘Potential Influencers’: “Social Broadcasters are few in number but great in scale — they are the top bloggers, most well-connected individuals, and have a lot of followers looking to them for news and advice on the latest and greatest. They have scale but lack trust, in the sense that their followers will click on the links and recommendations they share but still perform their own evaluation of the data — this makes ‘Social Broadcasters’ better suited for awareness than preference. At the bottom of the pyramid are the ‘Potential Influencers’ — this is where the trust really is. These are the proverbial “average consumers” who have primarily networks of people they actually know in an offline context (friends, family, peer group). These networks are rich with trust, and make up 84% of the total population of the pyramid.
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In the middle are the ‘Mass Influencers’, who make up only 16% of the pyramid but account for 80% of the influence impressions about products and services. Ray says of this group, “you can’t ignore the minority that creates the majority of the influence.” You also need different strategies to reach the different types of influencers.”
Figures 2 to 4 show how information sources are trusted, where people share influence online and the share of influence posts.
Figure 2:
“How much do you trust the following information sources?” (source: Forrester 2010)
Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites
Figure 3:
Share of influence impressions (source: Mashable.com)
Figure 4:
Share of influence posts (source: Mashable.com)
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The Forrester research shows that Facebook as well as ratings and reviews have the greatest influence. Background – Social Media is playing an increasingly important role for customers in their information seeking and decision making phase From the hotel’s management perspective the user-generated content on rating and booking websites has various benefits. It opens other channels of communication and new ways of attracting and retaining guests. However, threats of increased competition and poor-quality comments make it even more important for hospitality managers to get informed and acquire knowledge in this area. Internet sites containing user-generated content are becoming increasingly crucial for decision making for both the potential customer and the service provider. Firstly, this paper will therefore assess the hotel guest’s view, in order to then derive implications for the hotel’s marketing management. Social Media in the Internet Xiang and Gretzel (2010) are identifying that there is still a gap in research, especially when attempting to define the term ‘Social Media’. In their study they identify the market share of different types of web based social media, represented by Google. As the following figure 5 shows, virtual communities are mostly represented followed by customer review sites. Social media online sites include mostly virtual communities, customer review sites, blogs, social networking sites, and media sharing sites.
Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites
Figure 5:
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Social Media represented by Google (author’s own graphic, made with data by Xiang/Gretzel 2010, pp. 184)
Social Media in Different Markets German consumers are late adopters according to Nielsen’s market research when it comes to their engagement exchanging data on social websites. The main constraint is the very hesitant attitude towards publishing personal data. However, despite the slow start of involvement in social media activities, the acceptance has been growing strong in Germany recently (Nielsen 2009, cf. figure 5). Though, the overall trend of the demographic profile shows that countries with a longer time involvement in social media are undergoing a trend towards a greater commitment of users aged 35-49 and over 50 years. In the United Kingdom for example, the number of users of Facebook, in the age group of 35-49 year olds is as big as the 18-34 year olds (Nielsen 2009). Marketing implications from this are that social media form a considerable part, “however, they do not consume all spaces on search results pages and, thus, leave room open for tourism marketers to effectively compete with social media for consumers’ attention” (Xiang/Gretzel 2010, pp. 185).
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Figure 6:
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Global increase in online reach of member community websites (author’s own graphic, made with data by Nielsen 2009)
Word-of-mouth is nowadays considered one of the most trusted sources of information (McConnell/Huba 2007). Litvin, Goldsmith and Pan (2008) are stating that marketers in the hospitality and tourism management sector have been starting to improve strategies of managing user-generated content. “Social media are playing an increasingly important role as information sources for travellers.” (Xiang/Gretzel 2010, pp. 179). Consumers are increasingly looking for information from their peers, not from the company. “Consumer engagement within social networks has the potential to change the way consumers are targeted […].” (Nielsen 2009, pp. 1) Shao examines the appeal of user-generated media and concludes that consumers perceive one of the core benefits in accessing information, “[...] whilst simultaneously fulfilling their entertainment, and mood management needs.” (Shao 2009, pp. 18). Social activities on the web comprise blogging, twitting, document sharing, posting of information, and others. All these Internet activities enable consumers to obtain a ‘collective intelligence’ (Litvin/Goldsmith/Pan 2008).
Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites
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Technological Surfaces – Hotel Booking Sites, Ranking Sites and More Various technological surfaces are providing potential travellers with different information about their potential destination, including
hotel online booking sites (www.expedia.com, www.wotif.com.au) hotel online ranking sites (www.tripadvisor.com) virtual communities (www.lonelyplanet.com), social networks (www.facebook.com) search engines (www.google.com, www.yahoo.com) websites of tourist destinations (www.australia.com, www.deutschlandtourismus.de)
Differences and Similarities of the Perceived Service Quality as Distilled in Ranking and Ratings Systems The most frequent websites that were found on Google rankings and other Internet analytics were compared according their features, characteristics of the sites and scoring scheme for customer comments. In order to provide a simple tool to help potential guests in their decision making the booking sites provide simple rating schemes, in many cases similar to school grades in order to assist in the decision making process. The Booking Sites We have identified the major players. It is interesting to note that some companies own several brands while maintaining the appearance of competitors. This fact is not evident for the average consumers. Expedia Expedia was founded in 1996 as a division of Microsoft and was incorporated in 2005. It owns brands such as Tripadvisor, Hotels.com, Hotwire and Venere (Mint Global database 2). Tripadvisor is considered to be the largest online travel operator with 15 million members, 30 million reviews on more than one million properties and 32 million monthly visitors (Craig 2010).
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The turnover of the company was US$ 2.9 billion at the end of 2009 and it employed nearly 8,000 people (Mint Global database). And had a market capitalisation of US$ 7.76 billion (Yahoo finance). According to PhoCusWright research, Tripadvisor accounts for more than 80% of reviews posted on dedicated review travel sites. It is followed by Virtual Tourist and IgoUGo (Fraser 2010). However, the largest providers of reviews are travel agencies such as Expedia and Hotels.com. Priceline.com, Booking.com Priceline.com operates in over 90 countries. The Dutch firm Bookings.com was one of Europe’s most successful online booking companies and was taken over in 2005 by Priceline.com (Mint Global database). A unique aspect of Priceline.com is that customers can choose a price they are prepared to pay and get offers from providers. Other companies under control of Priceline.com are Active Hotels, Agoda, Lowestfare.com, MyTravelGuide.com and Travelweb. It has nearly 3,000 employees (Yahoo finance 2). Market capitalisation was US$ 18.10 billion (intra-day market cap 12 Nov. 2010, Yahoo finance 2). Orbitz Orbitz is the smallest listed company with a market capitalisation of US$ 587.13 million. Orbitz not only owns the two online travel companies Hotelclub.com and RatesToGo.com but also GORPtravel.com and Trip.com, which provide vacation advice. (Mint Global database and Yahoo finance). Orbitz was incorporated in 2007. HRS.com The Hotel Reservation Service GmbH (HRS) is a German online travel company that started in 1972 and now has 400 employees worldwide. It took over Tiscover.com in 2008 which is specialized in Alpine lodgings. It has a database of 250,000 hotels worldwide. HRS provides special features for companies.
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Holidaycheck.de Holidaycheck.de is considered the largest German speaking holiday community and has one million contributions of travellers. It has 230,000 registered members (Dailynet.de). We have compared the popularity of the sites, using the Alexa analysis tool in order to identify the most popular sites (cf. figures 7 and 8).
Figure 7:
Daily page views in percent for expedia.com, tripadvisor.com, priceline.com, orbitz.com and hotels.com (source: Alexa.com, November 2010)
It is interesting to note that Tripadvisor has now overtaken the parent company Expedia at the end of 2009. We have not included HRS and Holidaycheck.de in this comparison as their page views are significantly lower. Figure 8, constructed from data obtained from Alexa.com, provides an overview of the popularity of the various booking sites. It is interesting to note that many sites have a strong local following. Examples of these were lastminute.com, which is popular in the UK and Wotif.com, which is very strong in Australia. We have omitted sites such as Flightcentre.com, which do not provide ranking or ratings of hotels. The following figure 8 shows that HRS is a minor player globally.
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Figure 8:
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Daily page views in percent for expedia.com, tripadvisor.com, priceline.com, orbitz.com and hrs.de (source: Alexa.com, November 2010)
The following table 1 provides an overview of popularity in different countries. Overall Alexa ranking 308
Traffic rank in country (Alexa) US UK
Australia
Germany
166
274
372
111
Priceline.com
738
191
Orbitz.com
807
214
Hotels.com.
835
522
1235 (co.uk 183) 6767 (co.uk 19338) 5777 (co.uk ---) 617 (co.uk ---
197 (.com.au 1241) 1137 (.com.au 322) - --(.com.au 2703) --(com.au )---) 936 (.com.au --)
Hrs.com Hrs.de Holidaycheck.de Wotif.com (no rating) Booking. Com
8635 4497 2398
10466 ----
-------
7652
150411 (.com)191,687. de 61121 84889
2390 (.de 425) 6515 (.de 316) (.de -----) 9839 (.de ---) 1717 (.de---) 2164 333 180
29710
128
85871
345
1929
153
533
330
Tripadvisor.com Expedia.com
Table 1:
Alexa traffic ranking of the ten most popular booking and rating sites (source: Alexa.com)
Word-of-Mouth Amplified – An Exploration of Hotel Customer Feedback Websites
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As can be seen from table 1 Tripadvisor.com is the most popular site on the ‘.com domain’, followed by Expedia. The same sites have a much lower ranking in Germany (rank 2,390 and 6,515). However, the ‘.de domain’ ranks higher as 425 and Expedia is more popular in Germany than Tripadvisor. Surprisingly, Holidaycheck.de is the most popular site in Germany with a ranking of 180. The most popular Australian site Wotif.com does not provide at this stage rating and comments from customers. Differences in Ranking and Rating Systems The most popular ranking system is one that provides a rating from 15. It is used by the leading companies such as the Expedia group and the subsidiaries Tripadvisor and Hotel.com as well as Orbitz. A scale of 1-10 is used by Booking.com and HRS while Holidaycheck.de uses an unusual scale of 1-6 which might reflect the German school grading system. It is very difficult to compare rankings as each company includes different items in their rating portfolio. Many of the items consist of only a single word, without explanation. For example, ‘comfort’ can be interpreted in various ways, meaning temperature, comfortable bed or nice furniture. A clearer definition of the terms is required such as ‘helpfulness of staff’ instead of ‘staff’ only. Table 2 provides an overview of the items that are used in the schemes. Ranking and Rating As discussed in the literature review, customers make decisions based on reviews by other customers and customers trust each other more than they do trust companies. But the question needs to be asked: How reliable are the reviews? The New York Times has raised the problem how hoteliers have to deal with unsubstantiated claims with the potential of damaging consequences (NYT.com 2010a). Examples of Rating Sites Tripadvisor is the only company providing a feature ‘rating’ on its home page, which includes the ‘best’ and ‘worst’ rated hotels. We have looked at one of the worst hotels featured, Hotel Schnepple in the Black Forrest. Looking closer at figure 9, the ranking is based on two reviews, one which rated the hotel as ‘good’
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and the other that rated the hotel as ‘unsatisfactory’. It seems to be unfair to combine these ratings into a single ‘worst hotel’ symbolised by a ‘thumbs down sign’.
Welcome Atmosphere Room facilities Amenities Rooms Room comfort Comfort Cleanliness Room cleanliness Spa area Restaurant quality Helpfulness of staff Staff Size of room Hotel facilities Hotel condition Bathroom facilities Quality of breakfast Value for money Service, services, hotel services Location Overall satisfaction
Table 2:
Items included in rating scales of hotel booking companies, HRS Trip Hotel. Orbitz ExpeHoliday com dia check.de advisor 1-10 1-5 1-5 1-5 1-5 1-6 x x x
Booking.com 1-10
x x x x
x
x
x x x
x x
x x x
x x
x x x x x x
x x x
x x
x x
x x
Items in hotel ratings scales, constructed from data of the companies’ websites in October/November 2010
x
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Figure 9:
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Evaluation as worst hotel based on only two reviews (source: Tripadvisor.com)
An Emergent Competitor/Co-operator of Word-of-Mouth about Hotel Experiences Facebook now has over 500 million users (facebook.com) and is the leading social networking website. Hotels and hotel-booking companies have realised the importance of customer commitment and have established a presence on Facebook. Table 3 shows a rapid growth in the number of people who ‘like’ a particular travel company. This has been facilitated by companies providing links to Facebook and Twitter on their sites.
Company Tripadvisor.com Expedia.com Priceline.com HRS
Table 3:
Number of people who ‘like’ a particular company on Facebook – previously the ‘Fan’ option 10 November 2010 16 September 2010 76307 67534 14728 13026 15154 15029 6780 3818
Number of people who are ‘Fans’ of a company on Facebook and have clicked the ‘like’ button
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Figure 10: Part of the Holidaycheck’s ratings page. Each section has detailed ratings and the option of a ‘no comment’ section (source: Holidaycheck.de).
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The large numbers of comments often make it difficult for customers to determine whether the comments are positive or negative. Bookings.com has simplified its ratings by ‘forcing’ customers to categorize their comments as either positive or negative.
Figure 11: Categorized positive and negative comments (source: Booking.com)
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Problems with Online Ratings and Ranking Another problem with rating booking and review sites is the possibility of fraud. Tripadvisor warns hotel guests and hotels against making fraudulent ratings and threatens blacklisting those hotels found manipulating the system (Tripadvisor.com) The possibility of fraud is casting a cloud over the otherwise increasing popularity of customer feedback and word of mouth with some hoteliers considering legal action (NYT.com 2010b). This newspaper’s authors have successfully tried to provide a ‘fake’ review without having stayed at the hotel. Surprisingly most sites enabled us to do so, with the only requirement to provide an e-mail address, and we would then have been able to rate the hotel. For ethical reasons we did not submit the review, but intend to extend our research in the future to ‘mystery rating’. User Friendliness of Rating Sites We analysed the websites of the companies and found that the leading company Tripadvisor displayed their ratings most prominently. Most companies display their ratings on the results page, enabling customers to make a decision to explore or not to explore a particular hotel in detail. The exception to this is HRS.de. Its ratings are displayed in a tap in the top navigation. It is not easy to find and requires an extra click to view the ratings. Table 4 provides an overview of how the various companies display the ratings and in some cases ranking. The option to choose only highly rated companies exists in most sites. This makes it difficult for lowly rated hotels to be considered.
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Tripadvisor.com Expedia.com
Homepage with best/worst hotel Yes No
Priceline.com
NA
Orbitz.com
No
Hotels.com.
Ratings automatically displayed Yes, on search summary page NA
Comments Available
Rating scale
Special feature
1–5 1–5 NA
NA
Yes on search summary page
Yes
1-5
No
Yes on summary page
Yes
1-10
Hrs.com
No
Only when clicking on hotel
Hrs.de
No
Only when clicking on hotel
Holidaycheck.de
No
On summary page
Table 4:
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1-10
Yes from individual hotel listing
1-10
1-6 ( in line with German school grades)
Based on booking .com Verified customer Facebook, twitter link Facebook twitter link, mobile link Difficult to find in top tap, then as pop up then comments Choice to only display hotels that got good ratings
Website design of researched homepages (sources: several booking and rating websites)
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Using Leximancer In order to avoid any personal bias in the text analysis of guest reviews of the top 3 hotels in Berlin and Sydney we used the content analysis software Leximancer to analyse the results. The Leximancer software analyses text documents, automatically generates concepts from seed words, and maps these concepts in a visual display with which the user can interact to look at the information in greater depth. The relative frequencies with which concepts occur in the processed text are indicated by the brightness of the concepts on the map, with related concepts appearing closer together. As Leximancer only examines the syntactic properties of texts, there is a certain semantic level that is not able to capture style or implied tone of voice (De la Varre et al. 2005). Figures 12 to 17 display the graphic output by Leximancer using default setting. On display are the strongest concepts within the guest reviews of one of the specified hotels.
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Figure 12: Grand Hyatt Berlin ‘Great breakfast’ and ‘great location, friendly service and staff’, and ‘comfortable/nice rooms’ and ‘bathrooms’ are mentioned by guest reviewers for the Grand Hyatt Berlin. This is an overall decent review but is lacking the highly positive adjectives like ‘excellent’ or ‘beautiful’. Even ‘friendly’ in the context of ‘service’ is not as strong an evaluation as the term ‘helpful’ seen in other reviews.
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Figure 13: Schlosshotel im Grunewald Berlin As with the Grand Hyatt Berlin guest having stayed at the Schlosshotel enjoyed ‘friendly staff’, the ‘great/beautiful hotel’, ‘restaurant/food’ and their overall ‘stay’. The concepts ‘beautiful’ and ‘great’ apply evenly strongly to the terms ‘hotel, staff, stay’ and ‘Berlin’. The lesser mentioned concept ‘service’ cannot be evaluated as negative or positive implied, only as seen less impressive by reviewers.
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Figure 14: Circus Hotel Berlin At Circus Hotel Berlin guests’ reviews reflect the surprise by many that the hotel, albeit firming as Hostel & Hotel in Berlin Mitte, is offering a higher value than expected. This is indicated by ‘clean/excellent rooms’ which would not be stated in reviews of 5-star hotels as it is presumed there. Apart from the good ‘location’ there is a cluster of ‘friendly’ and ‘helpful staff’.
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Figure 15: Simpsons at Potts Point, Sydney Simpsons’ Leximancer output shows ‘lovely rooms’ and an ‘excellent restaurant’. The terms ‘great’ and ‘beautiful’ are equally close to ‘hotel/stay’ and ‘walk/location’. A specific aspect at Simpsons seems to be personality of the two named managers ‘Keith’ and ‘Ree’ (Maree) in close connection with helpful.
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Figure 16: The Observatory Hotel, Sydney At The Observatory the concepts ‘service’, ‘staff’ and ‘concierge’ are highlighted and give the impression of a relative importance on an equal level like the generic terms ‘hotel’, ‘room’ and ‘Sydney’. An interesting difference compared with Simpsons at Potts Point is the use of the more formal terms ‘service’, ‘staff’ and ‘concierge’ here as opposed to the personal names ‘Keith’ and ‘Ree’ there.
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Figure 17: Quay Grand Suites Sydney Quay Grand Suites Sydney is located at the Sydney waterfront and shows the relating concepts ‘great/views’, ‘great/location’, ‘harbour’ and ‘ferries’ as main features. Within the guest reviews a ‘cockroach’ issue was mentioned several times by different guests. This is a kind of qualitative aspect that would stick stronger with readers than the quantitative word count of the most mentioned concepts explored by Leximancer, and is therefore also a display of the limits of the tool. A word count, drilling to a finer level, is able to produce graphic output for comprehensive research but is barely illustratable for print purposes.
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Research Outcomes Analysing the different levels of satisfaction on a basis of various criteria, this exploratory research provides an insight into the growing area of online word of mouth. The idea that customers are in charge and determine the fate of a hotel by the sum of feedback provided is a new challenge for hotels, complicated due to the variance in the rating schemes on offer. We hypothesise that convention will emerge in terms of who can rate, what items are rated and how the process will be moderated to weed out fraud. Other industry sectors will benefit from these developments to enable them to provide robust feedback to customers. References Alexa.com, Internet source: URL http://www.alexa.com/ (retrieved on 20 October 2010). Black, H.G.; Kelley, S.W., Storytelling perspective on online customer reviews reporting service Failure and recovery, Journal of Travel & Tourism Marketing 26, 2009, pp. 169-179. Bonn, M.A.; Furr, H.L.; Susskind, A.M., Using the Internet as a pleasure travel planning tool: an examination of the sociodemographic and behavioural characteristics among Internet users and nonusers. Journal of Hospitality and Tourism Research 22 3, 1998, pp. 303-317. Buhalis, D., eTourism: Information technology for strategic tourism manageme, London: Prentice Hall, 2003. Chang, H.H.; Chen, S.W., The impact of online store environment cues on purchase intention: trust and perceived risk as a mediator, Online Information Review 32 6, 2008, pp. 818-841. Craig, D.E., Internet source: URL http://www.danieledwardcraig.com/2010/03/tips-formanaging-online-hotel-reviews.html (retrieved on 24 October 2010). Dailynet.de, Internet source: URL http://www.dailynet.de/InternetWeb/25807.php (retrieved on 30 September 2010). De la Varre, C.; Ellaway, R.; Dewhurst, D., An analysis of the large-scale use of online discussion in an undergraduate medical course. In: Cook, J.; Whitelock, D., Exploring the frontiers of e-learning: borders, outposts and migration; ALT-C 2005 12th International Conference Research Proceedings, ALT Oxford, 2005. Facebook.com, Internet source: URL http://www.facebook.com/press/info.php?statistics (retrieved on 31 October 2010). Forrester research, State of Online word of mouth, reported at http://mashable.com/2010/ 04/25/word-of-mouth-marketing-stats/ (retrieved on 25 October 2010). Fraser, J., Internet source: Sydney morning Herald, 29 September 2010, at http://www. smh.com.au/travel/traveller-tips/been-there-done-that-and-posted-the-review-20100 923-15o0l.html (retrieved on 10 November 2010).
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The authors Petra Bouvain is an Assistant Professor in Marketing at the University of Canberra, where she teaches Marketing and Internet Marketing to both graduate and undergraduate students. Her research interests are in the area of online marketing, branding and corporate social responsibility. Matthias Muskat is a Lecturer in Management & Marketing at the University of Canberra. He graduated from University of Trier in sociology and obtained a PhD from University of Paderborn. He has been researching and lecturing in demographic change, consumer and leisure behaviour, international marketing, organisational behaviour and tourism management. He has an industry background in consulting, human resources and market research. Birgit Muskat is an Assistant Professor in Tourism and Services at the University of Canberra. Her current research interests are in the fields of innovation in tourism, international tourism as well as in service quality and organisational behaviour. She obtained her PhD in the area of organisational quality in tourism from the University of Trier/Germany where she first graduated with a Master (equiv) in Tourism-Geography (major), Business Administration (minor), and Spanish (minor) in 2000. Since then she has been engaged in tourism management research and also worked in the service industry, including areas such as tourism consulting, tour operator, hospitality and banking. She is currently lecturing Service Communication in Tourism and HR Management in Tourism.
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Contact Petra Bouvain University of Canberra, ACT 2601 Australia
[email protected] Matthias Muskat University of Canberra, ACT 2601 Australia
[email protected] Birgit Muskat University of Canberra, ACT 2601 Australia
[email protected] Petra Bouvain / Matthias Muskat / Birgit Muskat
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Inhalt 1 2 3 4 5 5.1 5.2 6
Ausgangssituation....................................................................................... 54 Studien Word-of-Mouth ............................................................................. 56 Word-of-Mouth-Kampagnen ...................................................................... 57 Aufgabenstellung ........................................................................................ 59 Wirkungsanalyse......................................................................................... 61 Kennzeichen Multiplikatoren...................................................................... 61 Bewertung von Word-of-Mouth-Instrumenten ........................................... 64 Potenziale und Handlungsempfehlung........................................................ 68
Management Summary Word-of-Mouth wird zunehmend in Kampagnen für Werbetreibende umgesetzt. In dem vorliegenden Beitrag werden unterschiedliche Merkmale der Tester von Word-of-Mouth-Kampagnen hinsichtlich der erzielten Kontakte in dem jeweiligen sozialen Netz untersucht. Ferner werden anhand erster empirischer Ergebnisse des Kommunikationstools Lisa freundeskreis der Frauenzeitschrift Lisa Wirkungsmechanismen unterstützender Kampagneninstrumente vorgestellt. Der Beitrag stellt auf Basis dieser Erkenntnisse eine Vorgehensweise zur Abbildung einer Rangfolge der Kampagneninstrumente dar. Auf dieser Grundlage können zukünftig Word-of-Mouth-Kampagnen optimiert werden.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_3, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Ausgangssituation
Word-of-Mouth (WoM) bezeichnet die direkte und persönliche Kommunikation (von Mund zu Mund) zwischen Konsumenten innerhalb eines sozialen Umfelds. In dieser interpersonellen Kommunikation werden auch Informationen ausgetauscht (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 441 f.). In diesem Zusammenhang ist die Bezugsgruppe für das Verhalten der Konsumenten von Bedeutung. Die Bezugsgruppe gibt normative und komparative Standards vor, wie z. B. bestimmte Normen oder Vergleichmaßstäbe (vgl. Kroeber-Riel/Weinberg 2003, S. 479). Ein Teil der Bezugsgruppen bzw. -personen wird auch als Frühadoptoren, Meinungsführer oder Market Mavens bezeichnet; diese üben eine komparative Funktion aus (vgl. Kumpf 1983, S. 311 f.). Für die vorliegende Untersuchung wird Meinungsführer allgemein als Begriff für Einflussnehmende gewählt. Das Meinungsführerkonzept wurde innerhalb der People’s-Choice-Studie 1940 von Lazarsfeld, Berelson und Gaudet entdeckt. In einer Untersuchung des Wahlverhaltens bei der Wahl des amerikanischen Präsidenten konnte der sogenannte Two-Step-Flow of Communication identifiziert werden (vgl. Dressler/Telle 2009, S. 26, s. Abbildung 1).
Abbildung 1:
Two-Step-Flow of Communication (vgl. Schenk 2007, S. 352)
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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Word-of-Mouth-Marketing kann als Empfehlungsmarketing angesehen werden. Bei verschiedenen Plattformen bzw. Anbietern lernen kommunikative Meinungsführer freiwillig und kostenlos neue Produkte oder Dienstleistungen kennen, testen und empfehlen diese auf Basis der gemachten Erfahrungen weiter. Somit fungieren die Meinungsführer als 1. Generation im Word-of-Mouth und als Katalysator und Knoten für Konsumenten aus ihrem jeweiligen sozialen Netz, der 2. Generation Word-of-Mouth (s. Abbildung 2).
Abbildung 2:
Generationen im WoM-Kommunikationsprozess
Diese quasi automatische Botschafts- und Informationsweitergabe stellt den primären Mehrwert von Word-of-Mouth dar. Abbildung 3 zeigt das Zusammenspiel der Two-Step-Flow Communication in Verbindung mit der Nähe zwischen Meinungsführer und anderen Personen innerhalb des sozialen Netzes des Meinungsführers. Dieses Mehrstufenmodell zeigt neben der Rolle des Meinungsführers auch die Rolle der 2. Generation und einer von der Botschaft isolierten Gruppe (vgl. Dressler/Telle 2009, S. 38; Wiswede 1978, S. 121 f.).
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Abbildung 3:
Mehrstufen-Modell nach Wiswede (vgl. Wiswede 1978, S. 121)
Die Theorie des Meinungsführerkonzepts belegt eine grundsätzliche Wirkung zwischen Word-of-Mouth 1. Generation und 2. Generation. Eine klare Aussage, z. B. auch in Bezug auf die Typologie der Meinungsführer oder Produkte, existiert bislang noch nicht. 2
Studien Word-of-Mouth
Im Rahmen einer Word-of-Mouth-Kampagne liegt das Hauptaugenmerk aus Sicht des Kunden, aus Sicht der Agentur und natürlich auch aus Sicht des WoMAnbieters auf dem sogenannten Word-of-Mouth-Effekt einer Kampagne. Um diesen zu messen, gibt es unterschiedliche Anbieter und Methoden. Über die Wirkung von Word-of-Mouth existieren einige Studien, wovon exemplarisch nachfolgend drei Publikationen kurz vorgestellt werden sollen:
Die Publikation „Consumer Behaviour“ von Assael beschreibt, dass eine Person acht weitere Personen im Internet beeinflussen kann (vgl. Assael 2004, S. 471). Dieses ist auch für Lisa freundeskreis von Bedeutung, da das direkte Feedback der Tester von WoM-Kampagnen vorwiegend online auf einer Website Lisa stattfindet. Beispiele für dieses direkte Feedback auf einer Plattform können Blogeinträge, Kommentare oder Fotos sein. Eine andere Studie untersucht das Verhältnis zwischen Meinungsführern der 1. Generation und der Beeinflussung einer 2. Generation. Laut einer Studie
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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von Walter stützt sich die Word-of-Mouth Marketing Association (WOMMA) bei der Weiterverbreitungsrate zwischen den durch eine Word-ofMouth-Kampagne beeinflussten Personen (G1) und den von diesen wieder beeinflussten Personen (G2) auf den Faktor 4,2 (vgl. Carl/Libai/Ding 2008). Eine Nielsen-Studie besagt, dass 90 % der Konsumenten den Empfehlungen von Freunden und Verwandten vertrauen. Auch die Konsumentenmeinungen aus dem Internet zu Produkten und Dienstleistungen genießen das Vertrauen von 70 % der Konsumenten (vgl. Nielsen 2009).
Das Word-of-Mouth-Marketing wird auf Basis dieser ersten Studien in den kommenden Jahren für werbungstreibende Kunden immer mehr an Bedeutung gewinnen. Für die Wirkungs- und damit Erfolgsmessung innerhalb von Instrumenten der Pull-Kommunikation existieren noch keine allgemein akzeptierten Vorgehensweisen und Kenngrößen. Die exemplarischen Beispiele aus der Praxis zeigen aber, dass es zahlreiche solcher Wirkungsstudien gibt. Dabei ist auch differenziert die Zielgruppe, das Word-of-Mouth-Werbeobjekt sowie das Wettbewerbsund Werbeumfeld zu betrachten. 3
Word-of-Mouth-Kampagnen
Im Bereich Word-of-Mouth gibt es verschiedene Dienstleister, die werbetreibenden Unternehmen anbieten, Produkte Meinungsführern zu überlassen, damit diese in ihrem jeweiligen sozialen Netz darüber sprechen und Informationen bzw. Botschaften für das zu bewerbende Produkt austauschen. Als Beispiele wären hier Bzzagent, trnd, bopki und Konsumgöttinnen zu nennen, wobei die letzten beiden einen klaren Fokus auf Frauen als Zielgruppe legen. Diese Unternehmen arbeiten mit einer eigenen Community, aus der die Fans und damit potenziellen Meinungsführer zu einem bestimmten Produkt identifiziert werden. In der Regel geschieht dieses durch einen fragebogengestützten Bewerbungsprozess, in dem die Konsumenten ihre Affinität zu dem Produkt erklären. Der digitale Wandel der letzten Jahre hat das Mediennutzungsverhalten maßgeblich beeinflusst und völlig neue Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen. Für die Verlage, auch für Hubert Burda Media, bedeutet das Herausforderung und Chance zugleich.
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Lisa ist ein Frauentitel des Burda Verlags, der wöchentlich 1,91 Mio. Leserinnen erreicht. Bei Lisa war man sich schon früh der Chancen bewusst, die das Medium Online, abseits der klassischen Reichweitenvermarktung (z. B. Banner), im individualisierten Kundenkontakt und Marketing bietet. Ergebnis dieser Überlegungen war die Entwicklung der ersten Online-Word-of-Mouth-Plattform für Frauen in crossmedialer Verbindung mit einem Printtitel: Lisa freundeskreis. Somit startet im Juli 2008 der Lisa freundeskreis als Meinungsforum für Frauen von heute, in dem Nutzer Produkte und Dienstleistungen testen, ihre persönliche Meinung dazu publik machen und Freunden weiterempfehlen können. Die Methodik des Lisa freundeskreises kann wie folgt im Überblick zusammengefasst werden (s. a. Abbildung 4):
Abbildung 4:
1. 2.
Ablauf einer Word-of-Mouth-Kampagne im Lisa freundeskreis (Eigene Darstellung)
Gemeinsame Konzeption einer Word-of-Mouth-Kampagne zwischen Kunde und Lisa freundeskreis-Team sowie anschließende Vorbereitung des Projektes Aufruf im Lisa freundeskreis, im Newsletter und in der Zeitschrift Lisa, sowie via Facebook und Twitter, sich für die Teilnahme am jeweiligen Projekt zu bewerben
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
3. 4.
5. 6.
59
Auswahl der Testpersonen auf Basis der Zielgruppenvorgaben des Kunden Durchführung des Testprojektes 4.1. Nutzer testen die Produkte 4.2. Sie berichten über ihre Erfahrungen mit den Produkten im Testblog und dokumentieren den Test mit Fotos und Kommentaren 4.3. Sie verteilen Produkt-Samples an Freundinnen 4.4. Diskussion der Produkt-Erfahrungen im Lisa freundeskreis und im echten Freundes- und Bekanntenkreis 4.5. Bewertung der Produkte durch die Tester Abschließende Ergebnispräsentation im Lisa freundeskreis und redaktionelle Aufbereitung der Ergebnisse im Lisa-Heft und begleitend auf Facebook und Twitter Übermittlung eines umfassenden Reportings zum Testprojekt durch das WoM-Team an den Kunden Beim Lisa freundeskreis handelt es sich um die Realisierung von Word-of-Mouth-Kampagnen in Kombination mit PrintTiteln und Online-Auftritten. Hier wird der unmittelbare Dialog der Konsumenten untereinander und mit dem Unternehmen auf dem Vertrauenshintergrund der Marke Lisa in Projekten initiiert und moderiert. Das werbetreibende Unternehmen kann anschließend die Ergebnisse der Word-of-Mouth-Kampagne in der Kommunikation nutzen (s. Abbildung 5). Bis dato wurden 35 Word-of-Mouth-Kampagnen realisiert. Im Jahr 2010 wurde der Freizeit freundeskreis, der Mein schöner Garten freundeskreis sowie der genuss-experten freundeskreis ins Leben gerufen.
Abbildung 5:
4
Beispiel für ein Lisa freundeskreis-Siegel aus der Kampagne für McCain, WoM-Kampagne 2009
Aufgabenstellung
Word-of-Mouth und die damit verbundenen Kampagnen wirken über Meinungsführer zu Konsumenten. Unstrittig ist, dass es Wirkungen im Sinne einer Beeinflussung bei Word-of-Mouth-Kampagnen gibt.
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Um diese Wirkung differenzierter zu analysieren, können und sollten folgende Bereiche näher untersucht werden:
Art des zu bewerbenden Produkts Typologie der Zielgruppe Typologie der Meinungsführer Medien und Orte des Informationsaustauschs Monetäre und nicht-monetäre Kaufanreize Instrumente zur Unterstützung der Word-of-Mouth-Kampagne, z. B. Blogs Begleitende Werbeinstrumente, z. B. in klassischen Medien
Diese Bereiche sind dem Output, also der quantitativen und qualitativen Beeinflussung, einer Word-of-Mouth-Kampagne gegenüberzustellen, um so wirkungsverbessernde Faktoren bzw. Merkmale zu identifizieren. Für WoM-Kampagnen existieren keine Standards hinsichtlich der Erfassung der Inputfaktoren im Sinne des Einsatzes von kampagnenunterstützenden Instrumenten sowie keine standardisierte Messung und Erfassung des Outputs, der Wirkung. Somit existiert auch keine allgemeine Vorgehensweise zur Analyse und Auswertung von Word-of-Mouth-Kampagnen. Aufgrund dieses Fehlens einer (standardisierten) Datenbasis und Vorgehensweise sind kaum Wirkungsanalysen und damit keine kampagnenübergreifenden Vergleichsmöglichkeiten gegeben. Die Aufgabenstellung besteht somit darin, eine Vergleichsmöglichkeit zu schaffen, um eine Verbesserung der Wirkung von Word-of-Mouth-Kampagnen zu ermöglichen. Lisa freundeskreis bietet einer homogenen Zielgruppe unterschiedliche Produkte bei ähnlichem Instrumenteneinsatz zur Unterstützung der WoM-Kampagne. Somit besteht hier die Möglichkeit, die Inputfaktoren bei einer Word-of-MouthKampagne hinsichtlich des Outputs bzw. der Wirkung zu untersuchen. In diesem Zusammenhang verstehen die Autoren die nachfolgende Wirkungsanalyse als Vorschlag einer Vorgehensweise zur Analyse von WoM-Kampagnen allgemein.
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
5
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Wirkungsanalyse
Im Folgenden werden die Kennzeichen der bisherigen Tester untersucht, um Aussagen bezüglich der Kennzeichen von Meinungsführern innerhalb des Lisa freundeskreises zu erhalten. Anschließend werden die Word-of-Mouth unterstützenden Instrumente hinsichtlich ihrer Wirkung analysiert. 5.1 Kennzeichen Multiplikatoren Bei der Betrachtung des Word-of-Mouth-Effektes stellt sich die Frage, ob es persönliche Eigenschaften der Tester, der Meinungsführer, gibt, die das Wordof-Mouth-Verhalten positiv beeinflussen. Alle Multiplikatoren geben bei der Registrierung im Lisa freundeskreis umfangreiche persönliche Eigenschaften an, die zentral in der Datenbank gespeichert werden. Jedes Mitglied hat demnach in der Datenbank ein persönliches Profil hinterlegt, welches für übergreifende anonymisierte Auswertungen genutzt werden kann. Das Word-of-Mouth-Verhalten steht für die Aktivität der Multiplikatoren während einer Word-of-Mouth-Kampagne in Bezug auf die Anzahl der Gespräche, die jedes Mitglied online oder offline geführt hat. Diese Daten stammen aus den Insight- bzw. WoM-Generierungen von bereits abgeschlossenen Word-ofMouth-Kampagnen, die im Lisa freundeskreis durchgeführt wurden. Empirische Untersuchungen lassen erste Rückschlüsse auf die Abhängigkeit zwischen Eigenschaften der Multiplikatoren und dem Word-of-Mouth-Verhalten der Tester zu. Basis ist die Datenbank des Lisa freundeskreises mit über 50.000 Profilen (vgl. Jäger 2010). Die persönlichen Eigenschaften können mit Fokus auf das Word-of-MouthVerhalten in drei Kategorien unterteilt werden: 1. 2. 3.
Eigenschaften mit keinem Einfluss Eigenschaften mit erkennbarem Einfluss Eigenschaften mit starkem Einfluss
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Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Eigenschafen wie beispielsweise
die Ausbildung, die Anzahl der Kinder, das Interesse an Computer/Internet, der Beruf und das Einkommen
haben keinen merklichen Einfluss auf das Word-of-Mouth-Verhalten der Multiplikatoren (s. a. Abbildung 6).
Ausbildung 100% 80% Abitur
60%
Ausbildung
40%
Kein Abschluss
20% 0% Ǧ Abbildung 6:
Ø
+
Eigenschaft mit keinem Einfluss auf das WoM-Verhalten (vgl. Jäger 2010)
Erkennbaren Einfluss (s. a. Abbildung 7) auf das Word-of-Mouth-Verhalten der Tester haben unter anderem persönliche Eigenschaften wie
die Anzahl der Bekannten, das Interesse an Online-Chats/Foren, das Interesse an Veranstaltungen, Computernutzung und die Häufigkeit an Unternehmungen mit Freunden.
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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Computernutzung 100%
mehrmals täglich
80% täglich
60% 40%
mehrere Tage die Woche
20%
1x die Woche
0% Ǧ Abbildung 7:
Ø
+
Eigenschaft mit erkennbarem Einfluss auf das WoM-Verhalten (vgl. Jäger 2010)
Im Rahmen der Untersuchung haben sich zwei Merkmale der Multiplikatoren als Eigenschaften mit starkem Einfluss auf das Word-of-Mouth-Verhalten herauskristallisiert: 1. 2.
Anzahl der Freunde des Testers Aktivität des Multiplikators in einem Verein Anzahl de r Fre unde
Im Verein aktiv
100%
100% 1-5
80%
6-10
80%
60%
11-15
60%
Nein
40%
16-20
40%
Ja
21-25
20%
mehr als 25
0%
20% 0%
Ǧ
Abbildung 8:
Ø
+
Ǧ
Ø
+
Eigenschaften mit starkem Einfluss auf das WoM-Verhalten (vgl. Jäger 2010)
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Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Bei dieser Untersuchung handelt es sich um eine Momentaufnahme, da nur eine Auswahl an Kampagnen betrachtet wurde. Zudem werden die persönlichen Nutzerdaten durch die Erweiterung und Anpassung seitens der Nutzer stetig verändert. Die Angaben zum Word-of-Mouth-Verhalten können somit von Kampagne zu Kampagne variieren. Es gibt Eigenschaften der Multiplikatoren, die das Verhalten des Testers während einer Kampagne positiv beeinflussen und Eigenschaften, die in dieser Hinsicht nicht relevant sind. In diesem Zusammenhang sei zu erwähnen, dass die Auswahl der Tester auf Basis der Zielgruppenvorgaben des Kunden und nicht auf Basis dieser Eigenschaften bzw. Auswertung erfolgt. 5.2 Bewertung von Word-of-Mouth-Instrumenten Zur Umsetzung und Begleitung von Word-of-Mouth-Kampagnen werden verschiedene Werbeinstrumente genutzt. Bei Lisa freundeskreis ist der Erfolg der WoM-Kampagne u. a. von der Anzahl der Tester sowie der Anzahl der begleitenden Blogbeiträge und Newsletter abhängig. Die Basis dieser Untersuchung sind acht realisierte Kampagnen bei Lisa freundeskreis; die Zielgruppe kann aufgrund ihrer Affinität zu der Frauenzeitschrift Lisa als homogen bezeichnet werden. Die Instrumente, die zur Unterstützung der Word-of-Mouth-Kampagne eingesetzt werden, werden als Inputfaktoren bezeichnet. Die Wirkung in Form von generierten Kontakten wird als Output ausgedrückt. Die Inputfaktoren sind:
Anzahl Tester Anzahl Blogbeiträge zu der Word-of-Mouth-Kampagne Newsletter Kosten
Der Output kann wie folgt differenziert werden:
Word-of-Mouth-Kontakte gesamt Word-of-Mouth-Kontakte in der Familie Word-of-Mouth-Kontakte bei Freunden
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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Word-of-Mouth-Kontakte bei Bekannten Word-of-Mouth-Kontakte bei Kollegen Word-of-Mouth-Kontakte bei Fremden Word-of-Mouth-Kontakte im Online-Bereich
Bei diesen Input- und Outputfaktoren ist anzunehmen, dass eine Verstärkung der Inputfaktoren eine Erhöhung der Kontakte bedeutet.1 Des Weiteren wird angenommen, dass ein linearer Zusammenhang zwischen Input und Output existiert. Abbildung 9 zeigt die Blogbeiträge im Verhältnis zu den erreichten Word-ofMouth-Kontakten. Bei steigender Bloganzahl steigt annähernd linear die Anzahl der Kontakte.
Steigung: Wirkung Input-Faktor
Abbildung 9:
Linearer Zusammenhang zwischen Blogbeiträgen und WoMKontakten
Für die weitere Analyse werden die Inputfaktoren in Bezug auf den Output mittels linearer Regression untersucht. Hier geht es primär um die Vorstellung der Vorgehensweise der linearen Regression. Anhand der Betrachtung von acht Kampagnen ist die Validität der Regressionsergebnisse noch nicht bei sämtlichen 1
Wear-In- und Wear-Out-Bereiche einer Werbewirkungsbetrachtung werden dabei ausgeschlossen.
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Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Inputfaktoren gegeben. Die Steigung in Abbildung 9 entspricht dem Regressionskoeffizienten bei einer linearen Regression. Wie Abbildung 10 zeigt, ist statistisch gesichert, dass die Variable Anzahl „Tester“ einen Einfluss auf den Output hat. Hier liegt Signifikanz vor, da das Signifikanzniveau kleiner als das Alpha-Niveau von 5 % (0,05) ist.
Abbildung 10: Lineare Regressionsanalyse bei Inputfaktoren zu WoMKontakten In Abbildung 10 betragen die Regressionskoeffizienten, also die Steigerungsraten innerhalb der linearen Regression, die folgenden Werte: Inputfaktor Anzahl Tester Bloganzahl
WoM-Kontakte Familie 3,1 2,7
WoM-Kontakte Freunde 3,5 3,9
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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Hieraus können folgende Schlussfolgerungen gezogen werden:
Das Instrument, der Inputfaktor, Tester hat eine größere Wirkung auf die Generierung von Word-of-Mouth-Kontakten innerhalb der Familie als die Anzahl der Blogbeiträge. Auf die Generierung von Word-of-Mouth-Kontakten innerhalb des Freundesnetzwerks wirkt die Anzahl der Blogbeiträge stärker.
Die nachfolgende Abbildung 11 zeigt folgende Ergebnisse zum Einfluss der unterschiedlichen Inputfaktoren auf die verschiedenen Gruppen der Word-ofMouth-Kontakte:2
Die Anzahl der Tester wirkt besser als die Anzahl der Blogbeiträge innerhalb der Gruppe Familie (WoM-Kontakte). Die beste Wirkung erreicht die Anzahl der Tester im Lisa freundeskreis. Für die Ansprache von Bekannten wirken Blogbeiträge besonders gut. Je sozial entfernter sich das Netz der Meinungsführer befindet, desto weniger wirken die Inputfaktoren. 5 4,5 Bloganzahl
4 Steigung
3,5 Tester
3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Familie
Freunde
Bekannte
Kollegen
Online
Fremde
Abbildung 11: Regressionskoeffizienten bei unterschiedlichen WoM-Kontakten
2
Diese Aussagen basieren auf einer nicht vollständigen Validität und müssen noch mit einer höheren Fallzahl statistisch gesichert werden.
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Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Die Wirkungsanalyse im Sinne des Aufstellens einer Rangfolge von Inputfaktoren kann somit mittels linearer Regression vorgenommen werden. Diese Rangfolge erlaubt, die Inputfaktoren entsprechend dem Ziel der Word-of-MouthKampagne zu gewichten. 6
Potenziale und Handlungsempfehlung
Die vorgestellte Vorgehensweise in Form der Nutzung beeinflussender Eigenschaften der Meinungsführer sowie der Analyse der Rangfolge von Inputfaktoren kann die Wirkung von Word-of-Mouth-Kampagnen verbessern. Dieses kann in Form einer bewussten Auswahl der Tester geschehen. Ferner kann die Rangfolge der Wirkung der Inputfaktoren in die Mediaplanung von WoM-Kampagnen integriert werden. Somit ist eine Art Mediaplanung zu Beginn und zur Laufzeit von Word-of-Mouth-Kampagnen möglich. Diese Vorgehensweise soll auch ein Vorschlag zur Generierung einer anbieterübergreifenden Wissensbasis für realisierte Word-of-Mouth-Kampagnen sein, damit zukünftige Kampagnen zum einen von Einsatz und Wirkung vorangegangener Werbeinstrumente hinsichtlich deren Output profitieren und zum anderen eine Vergleichsmöglichkeit im Sinne eines Benchmarks gegeben ist. Diese Wissensbasis muss neben den spezifischen Daten der Kampagne und der Meinungsführer auch Daten über das Produkt und die Zielgruppe beinhalten. Die Verwendung historischer Daten im Rahmen einer Mediaplanung von Wordof-Mouth-Kampagnen steigert auch die Planungssicherheit dieser Art von Kampagnen. Literatur Assael, H. (2004): Consumer Behavior: A Strategic Approach, Houghton Mifflin, Boston. Carl, W.; Libai, B.; Ding, A. (2008): Measuring the Value of Word of Mouth, ARF Audience Measurement 3.0 Conference, 24.-25.6.2008, New York, http://chatthreads. typepad.com/chatterbox/files/ChatThreads_MeasuringValueWOM.pdf. Dressler, M.; Telle, G. (2009): Meinungsführer in der interdisziplinären Forschung. Bestandsaufnahme und kritische Würdigung, Wiesbaden. Jäger, T. (2010): Word of Mouth Marketing – Möglichkeiten zur Steigerung des WoM Effekts am Beispiel des Lisa Freundeskreises, Bachelorarbeit, Offenburg. Kroeber-Riel, W.; Weinberg, P. (2003): Konsumentenverhalten. 8. Aufl., München.
Der Word-of-Mouth-Effekt als kalkulierbare Größe in der Mediaplanung
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Kumpf, M. (1983): Bezugsgruppen und Meinungsführer. In: Irle, M. (Hrsg.): Marktpsychologie als Sozialwissenschaft. Bd. 4 der Enzyklopädie der Psychologie, Göttingen, S. 282-343. Nielsen (2009): Global Advertising: Consumers Trust Real Friends and Virtual Strangers the Most, Nielsen Global Online Consumer Survey, Juli 2009. http://blog.nielsen. com/nielsenwire/consumer/global-advertising-consumers-trust-real-friends-andvirtual-strangers-the-most 2009. Schenk, M. (2007): Medienwirkungsforschung. 3. Aufl., Tübingen. Wiswede, G. (1978): Meinungsführung und Konsumverhalten: Zur Metamorphose eines Kommunikationswissenschaftlichen Konzepts. In: Jahrbuch der Absatz- und Verbrauchsforschung, Bd. 24, S. 115-127.
Die Autoren Tina Anschütz betreut als Senior Commercial Manager WoM bei Hubert Burda Media den Lisa freundeskreis sowie weitere neu entstandene Word-of-MouthPlattformen. Sie hat an der TU Ilmenau Medienwirtschaft mit den Schwerpunkten Marketing und Unternehmensführung studiert. Erfahrungen im Bereich OnlineMediaplanung sammelte sie anschließend bei der Mediaagentur Mediacom Interaction in Düsseldorf. Ihr Interesse gilt der Werbewirkungsforschung sowie der Optimierung der Mediaplanung. Prof. Dr. Ralph Sonntag lehrt Marketing, speziell multimediales Marketing, an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden und ist wissenschaftlicher Leiter der Gründungsschmiede. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaftslehre in Würzburg war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter des Steinbeis-Transferzentrums in Dresden tätig. Daran anschließend folgten Stationen bei der Unternehmensberatung Diebold (jetzt Detecon) sowie Kommunikations- und Werbeagenturen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in der Werbeerfolgsforschung, speziell der Untersuchung von Messmöglichkeiten innerhalb der neuen Werbekanäle.
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Kontakt Dipl. Kauffrau Tina Anschütz Burda Medien Park Verlage Hubert-Burda-Platz 1 77652 Offenburg
[email protected] Prof. Dr. Ralph Sonntag Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden Friedrich List Platz 1 01069 Dresden
[email protected] Tina Anschütz / Ralph Sonntag
Welche Emotionen beeinflussen Konsumenten bei der Weiterleitung viraler Videospots? 71
Welche Emotionen beeinflussen Konsumenten bei der Weiterleitung viraler Videospots? Ellen Binggeser / Larissa Hammon / Stefan Hampel / Hajo Hippner Ellen Binggeser / Larissa Hammon / Stefan Hampel / Hajo Hippner
Inhalt 1 2 3 4 5 6 7
Einleitung.................................................................................................... 72 Theoretischer Hintergrund .......................................................................... 73 Literaturüberblick ....................................................................................... 75 Untersuchungshypothesen .......................................................................... 76 Untersuchungsmethode und Konstruktvalidierung..................................... 79 Ergebnisse................................................................................................... 82 Schlussbetrachtung ..................................................................................... 83
Management Summary Empfänger von viralen Videospots neigen eher dazu, diese weiterzuleiten, wenn sie einen Zusatznutzen bieten. Dabei spielen Emotionen eine entscheidende Rolle. Der für die Weiterleitung erforderliche Mehrwert kann dabei durch positive oder negative Emotionen ausgelöst werden. Die nachfolgende experimentelle Studie zeigt, dass emotional positiv besetzte Videobotschaften für Konsumenten einen höheren Zusatznutzen schaffen als emotional negativ besetzte. Die Ergebnisse belegen weiter, dass emotional positiv gestaltete Videospots eine höhere Weiterleitungsbereitschaft erfahren als emotional negativ behaftete Videospots.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_4, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Ellen Binggeser / Larissa Hammon / Stefan Hampel / Hajo Hippner
Einleitung
Word-of-Mouth (WoM), d. h. die persönliche Weiterempfehlungsbereitschaft, stellt ein bedeutungsvolles Mittel der Werbekommunikation dar, welches deutlich effektiver als herkömmliche Kommunikationsinstrumente ist.1 Dies liegt darin begründet, dass Konsumenten dem WoM höhere Glaubwürdigkeit beimessen als kommerziell verbreiteten Werbebotschaften.2 Das Internet hat sich für Konsumenten zu einer Quelle für elektronisches Word-of-Mouth (eWoM) entwickelt.3 Dieses ist definiert als informelle, internettechnologiebasierte Kommunikation über den Gebrauch und die Eigenschaften bestimmter Güter und Dienstleistungen sowie deren Anbieter oder Verkäufer.4 Analog zum klassischen WoM wird das eWoM, verglichen mit kommerziell online verbreiteten Werbebotschaften, von Konsumenten als glaubhafter eingestuft.5 Diese Entwicklungen führten zur Herausbildung eines effektiven und effizienten Internetmarketinginstruments, dem viralen Marketing.6 Wenngleich einige vereinzelte Autoren virales Marketing als äquivalent zu eWoM erachten,7 beharrt die Mehrheit auf einem Unterschied.8 Zwar bedienen sich beide Marketingformen des Internets zur exponentiellen Verbreitung von Werbebotschaften.9 Jedoch kann virales Marketing als eine Strategie angesehen werden, mit deren Hilfe Unternehmen bereits existierende Botschaften verbreiten. Sie zeichnet sich, verglichen mit klassischen WoM-Kampagnen, durch ein höheres Maß an Effektivität, Schnelligkeit und Wirksamkeit aus.10 Der Erfolg des viralen Marketings hängt von der Auswahl passender Erstempfänger ab, welche die Nachricht in ihrem sozialen Umfeld weiterverbreiten werden.11 Virales Marketing wird für vorliegenden Artikel daher als Kommunikationsstrategie definiert, welche darauf abzielt, die (Werbe-)botschaft gezielt innerhalb eines ausgewählten Empfängerkreises zu verbreiten. Diese selektierten Individuen leiten die Botschaft sodann, bewusst oder unbewusst und ausgelöst 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Silverman (2001); Sundaram/Kauhik/Webster (1998). Vgl. Derbaix/Vanhamme (2003). Vgl. Hennig-Thurau et al. (2004). Vgl. Litvin/Goldsmith/Pan (2008). Vgl. Phelps et al. (2004). Vgl. Krishnamurthy (2000); Hennig-Thurau et al. (2004). Vgl. Ho/Dempsey (2009); Huang/Lin/Lin (2009). Vgl. Phelps et al. (2004). Vgl. Hennig-Thurau et al. (2004). Vgl. Dobele et al. (2007); Helm (2000). Vgl. Bryce (2005).
Welche Emotionen beeinflussen Konsumenten bei der Weiterleitung viraler Videospots? 73
durch einen empfundenen Zusatznutzen innerhalb ihres sozialen Umfelds, unter Nutzung eines elektronischen Kommunikationskanals weiter und bewirken so eine exponentielle, virusartige Botschaftsverbreitung. Virale Videospots gelten als populäre Ausprägungsform des viralen Marketings. Bieten derartige Spots Konsumenten einen Zusatznutzen, so sind diese eher geneigt, den Spot weiterzuleiten. Dabei kommt Emotionen eine Schlüsselrolle hinsichtlich des Erfolgs viraler Kampagnen zu.12 Der vom Empfänger empfundene Mehrwert kann dabei durch positive oder negative Emotionen geschaffen werden. Über die Bedeutung des WoM in klassischen Werbekampagnen besteht kein Zweifel.13 Emotionen stehen dabei in direktem positiven Zusammenhang zum Aufkommen von Word-of-Mouth (WoM).14 Bislang existieren jedoch kaum Erkenntnisse über den Einfluss positiver oder negativer Emotionen auf die Weiterleitung viraler Videospots. Mit dem vorliegenden Beitrag möchten wir die existierende Forschungslücke schließen und aufzeigen, welche Emotionen die Weiterleitung viraler Spots beeinflussen. In den folgenden Kapiteln greifen wir Theorien des viralen Marketings auf und geben einen Überblick über Inhalte viraler Botschaften sowie den Einfluss von Emotionen auf das Konsumentenverhalten. Darauf aufbauend leiten wir Forschungshypothesen her und erläutern anschließend die in unserer Studie angewandte Methodik sowie die gewonnenen Ergebnisse. Der Beitrag schließt mit Implikationen für die Marketingtheorie und Managementpraxis, Limitationen der durchgeführten Studie sowie Empfehlungen für weitere Forschung. 2
Theoretischer Hintergrund
Eine exponentielle Weiterverbreitung von Botschaften innerhalb sozialer Netzwerke findet ausschließlich dann statt, wenn die Botschaften infiziösen Charakter besitzen.15 Ein derartiges Netzwerk kann mit einem Flughafenverkehrsnetz verglichen werden. Genauso wie jeder Flughafen weltweit direkt oder indirekt mit einem anderen verbunden ist, so besteht auch eine Verbindung zwischen einer Person mit anderen weltweit angesiedelten Personen.16 Der Psychologe Stanley Milgram konnte diese Annahme mit seiner Theorie „Six Degrees of 12 13 14 15 16
Vgl. Dobele et al. (2007). Vgl. Plummer (2007). Vgl. Westbrook (1987). Vgl. Godin (2002). Vgl. Rosen (2002).
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Separation“ begründen. Er wies nach, dass jede Person über lediglich sechs weitere Stationen mit jeder anderen Person in Verbindung steht.17 Eines der ersten Netzwerkmodelle, das „Two Step Flow Model“ von Katz/ Lazarsfeld beschreibt die Verbreitung von Informationen in zwei Schritten. Zunächst gelangt eine Information über ein Massenmedium an einen kleinen, aktiven Teil der Bevölkerung, die sogenannten „Opinion Leaders“ (Meinungsführer). Diese leiten die Information sodann in einem zweiten Schritt an den passiven Teil der Bevölkerung, die sogenannten „Opinion Followers“ (Meinungsfolger) weiter.18 Das Modell eignet sich somit zur Beschreibung der Weiterverbreitung von Botschaften innerhalb sozialer Netzwerke. Meinungsführer, die online agieren, sogenannte „E-Fluentials“, haben ebenfalls einen starken Einfluss auf andere. Sie zeichnen sich durch eine überdurchschnittlich hohe Aktivität in Internetforen, in welchen über E-Mail oder andere Kommunikationsinstrumente kommuniziert wird, aus.19 Neben Meinungsführern existieren sogenannte „Market Mavens“ (Marktkenner). Im Vergleich zu Ersteren verfügen Marktkenner über ein größeres Maß an produktunspezifischem Allgemeinwissen.20 Analog zu E-Fluentials werden online aktive Marktkenner als „E-Mavens“ bezeichnet. Sie besuchen hauptsächlich Chaträume oder Diskussionsforen, in welchen der direkte Austausch mit anderen Usern möglich ist.21 Das Internet gilt als das Hauptmedium für die Verbreitung viraler Marketingbotschaften. Aus diesem Grund sollten Marketer ihre Botschaft an gut ausgewählte E-Fluentials oder E-Mavens richten, sodass diese die Nachricht weiterverbreiten. Führt man sich den Diffusionsprozess vor Augen, so wird die Relevanz der Meinungsführer deutlich: Diffusion beschreibt, auf Produktinnovationen bezogen, die chronologische Verbreitung eines neuen Produkts. Anhand der Cluster von Erstverwendern von Innovation können E-Fluentials und E-Mavens identifiziert und mit deren gezielter Ansprache eine exponentielle Verbreitung der Botschaft erzielt werden.22 In seinem Law of the Few (Gesetz der Wenigen) unterteilt Gladwell die Gesellschaft in drei Gruppen: Connectors (Bindeglieder), Mavens (Experten) und Salesmen (Geschäftsleute). Connectors vereinen die Welt, weil sie viele Menschen 17 18 19 20 21 22
Vgl. Barabási (2003). Vgl. Katz/Lazarsfeld (1964). Vgl. Burson-Marsteller (2007). Vgl. Feick/Price (1987). Vgl. Walsh/Gwinner/Swanson (2004). Vgl. Rogers (2003).
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kennen. Sie sind der Grund dafür, warum ein Einzelner mit jedem anderen Menschen auf der Welt in einer Verbindung steht. Mavens verbreiten bevorzugt Informationen unter ihren Mitmenschen. Andere Menschen vertrauen ihnen, weil sie allzeit gut informiert scheinen. Geschäftsleute verfügen über die Gabe, andere zu überreden. Somit informieren Mavens über die Nachricht, Connectors verbreiten sie und Salesmen überzeugen andere hinsichtlich des Inhalts der Nachricht. Aufgrund der individuellen Eigenschaften jeder Gruppe wird eine exponentielle Verbreitung der Nachricht bewirkt.23 3
Literaturüberblick
Die effektive Verbreitung einer Nachricht hängt von der Gestaltung des Botschaftsinhalts ab. Dobele et al. zeigten, dass virale Marketingkampagnen eine emotionale Botschaft transportieren müssen, um erfolgreich zu sein. Darüber hinaus sollte die Nachricht die Vorstellungen des Empfängers aufgreifen.24 Eine weitere Studie brachte hervor, dass die Weiterleitung einer Botschaft positiv beeinflusst wird, wenn die Botschaft starke Emotionen wie Humor, Traurigkeit oder Angst enthält.25 Des Weiteren fand Hirsh heraus, dass virale Marketingkampagnen entweder einzigartig, faszinierend, leidenschaftlich, witzig oder Interesse weckend gestaltet sein sollten.26 Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Empfänger von Werbebotschaften, welche einen höheren utilitaristischen oder hedonistischen Nutzen bewirken und folglich positive Emotionen wecken, eher geneigt sind, die Botschaft an andere weiterzuleiten.27 Die Marketingforschung konnte den starken Einfluss von Emotionen auf das Konsumentenverhalten aufzeigen.28 Menschen, die im Alltag Emotionen erleben, initiieren Kommunikationsprozesse, in welchen sie Teile ihrer privaten Erfahrungen mit Freunden teilen. Folglich werden nur zehn Prozent aller emotionalen Erfahrungen geheim gehalten und nicht im sozialen Umfeld weiterverbreitet.29 „[E]motive content has always been the key to capturing audiences’ attention in advertising.“30 Burke und Edell haben gezeigt, dass von Werbeanzeigen hervorgerufene Emotionen die Vorhersage sowohl der Einstellung zur Werbung als 23 24 25 26 27 28 29 30
Vgl. Gladwell (2006). Vgl. Dobele et al. (2007). Vgl. Phelps et al. (2004). Vgl. Hirsh (2001). Vgl. Chiu et al. (2007). Vgl. z. B. Bagozzi/Gopinath/Nyer (1999). Vgl. Rimé et al. (1998). Vgl. Porter/Golan (2006), S. 26.
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auch der Einstellung zur Marke signifikant positiv beeinflussen.31 Weiterhin konnte Westbrook feststellen, dass Emotionen, hervorgerufen durch Produktkonsum, gut zur Vorhersage von Beschwerdeverhalten und der Weiterverbreitung von WoM geeignet sind.32 Daneben fand Nyer heraus, dass von Konsumenten empfundene Emotionen einen signifikanten Einfluss auf deren Bereitschaft für WoM haben.33 Die hier aufgezeigten Forschungsergebnisse machen den starken Einfluss von Emotionen auf eine Vielzahl von Facetten des Konsumentenverhaltens und somit auch auf den Weiterleitungsprozess viraler Botschaften deutlich. Unbeantwortet bleibt jedoch die Frage, welche Emotionen den größten Einfluss auf die Weiterleitung derartiger Nachrichten nehmen. 4
Untersuchungshypothesen
Die von uns durchgeführte Studie beschäftigt sich mit der inhaltlichen Botschaftsgestaltung. Wie gezeigt wurde, muss die Botschaft einen Zusatznutzen für den Rezipienten bieten, damit dieser sie weiterleitet. Somit ist das Schaffen einer den Empfänger ansprechenden Kampagne, welche zur Weiterleitung antreibt, der Schlüssel erfolgreichen viralen Marketings.34 Emotionen „relate directly to (…) volume of word-of-mouth transmission“35. Wie oben erwähnt, können Emotionen positiver oder negativer Natur sein. Der Grund, weshalb Nachrichten, die mit positiven Emotionen versehen sind, häufiger weitergeleitet werden als solche, die negative Emotionen enthalten, liegt darin, dass Konsumenten präferenzhalber lieber positive Emotionen mit anderen teilen.36 Im Gegensatz dazu rufen negative Emotionen in der Werbung negative Eindrücke hervor, sodass vermutet werden kann, dass in der Folge der Weiterleitungsprozess erschwert wird. Das in Abbildung 1 illustrierte Modell schildert zusammenfassend den hypothetischen Zusammenhang zwischen Emotionsart und Weiterleitung des viralen Spots.
31 32 33 34 35 36
Vgl. Burke/Edell (1989). Vgl. Westbrook (1987). Vgl. Nyer (1997). Vgl. Dobele et al. (2007). Westbrook (1987), S. 266. Vgl. Dichter (1996).
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Abbildung 1:
Hypothetischer Zusammenhang zwischen Emotionsart und Weiterleitung
Anhand von Studien konnte gezeigt werden, dass positive Emotionen generell größeren Einfluss auf die Botschaftsweiterleitung haben als negative Emotionen.37 Die Emotionen Humor (humor), Freude (joy) und Spaß (amusement) sind allesamt positive Emotionen. Genauer können sie im Englischen als sogenannte upbeat emotions definiert werden.38 Phelps et al. konnten zeigen, dass Freude den Hauptgrund für die Kommunikation via E-Mail darstellt.39 Konsumenten leiten positive Botschaftsinhalte weiter, weil sie den empfundenen Spaß mit anderen teilen möchten.40 Lindgreen/Vanhamme stellten darüber hinaus fest, dass speziell E-Mails, welche inhaltlich unterhaltsam gestaltet sind, weitergeleitet werden.41 Dobele et al. konnten bestätigen, dass Werbebotschaften Spaß hervorrufen müssen, um weiterverbreitet zu werden.42 „Fun is a vital part of any viral marketing campaign.“43 Diese Ergebnisse scheinen zu bestätigen, dass insbesondere Nachrichten mit humorvollem Inhalt oder solche, die Spaß oder Freude transportieren, weitergeleitet werden. Die Emotionen Ekel (disgust) und Schock (shock) sind negativer Art.44 Ekel stellt insbesondere eine Emotion starker Abneigung dar.45 Werbung, welche Ekel 37 38 39 40 41 42 43 44
Holmes/Lett (1977); East/Hammond/Wright (2007); Godes/Mayzlin (2004); Romaniuk (2007). Burke/Edell (1989); Westbrook (1987); Edell/Burke (1987). Phelps et al. (2004). Vgl. Dichter (1996). Vgl. Lindgreen/Vanhamme (2005). Vgl. Dobele et al. (2007). Dobele et al. (2007), S. 146. Vgl. Westbrook (1987); Edell/Burke (1987); Madden/Allen/Twible (1988).
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hervorruft, stehen Konsumenten abwertend gegenüber.46 Shimp/Stuart fanden heraus, dass Ekel in der Werbung einen negativen Effekt zwischen Werbeinhalt und Kaufabsicht bewirkt. Eine weitere Studie brachte außerdem hervor, dass ekelerregende Werbestimuli eine negative Einstellung gegenüber der Werbung bewirken.47 Zusammenfassend lässt sich der von ekelerregenden Botschaftsinhalten ausgelöste Effekt wie folgt beschreiben: „One wants to remove or get away from the object of disgust.“48 Werbung, die mit extrem schockierenden Bildern arbeitet, führt bei Betrachtern zu Reaktanz, weil sie sich nicht mit der Botschaft identifizieren können.49 Beispielsweise bediente sich die Modemarke Benetton in einer ihrer Kampagnen schockierender Effekte, welche bei den Rezipienten starke Aversion bewirkten.50 Wie gezeigt, können die negativen Emotionen Ekel und Schock negative Reaktionen bewirken, wohingegen die positiven Emotionen Humor, Spaß und Freude positive Konsumentenverhaltenseffekte erzielen können. Somit lässt sich festhalten, dass Werbebotschaften, die mit den positiven Emotionen Humor, Spaß und Freude arbeiten, Rezipienten einen höheren Zusatznutzen liefern und aus diesem Grund öfter weitergeleitet werden als Botschaften, die die negativen Emotionen Ekel und Schock transportieren. Folglich formulieren wir folgende Hypothese: H1: Virale Videospots, welche die positiven Emotionen Humor, Freude und Spaß enthalten, werden häufiger weitergeleitet als solche, die mit den negativen Emotionen Ekel und Schock arbeiten. Die Emotionen Ärger (anger) und Traurigkeit (sadness) sind ebenfalls Emotionen negativer Art.51 Konsumenten, die ein fröhliches TV-Programm sahen, erachteten Werbung als effektiver als Zuschauer eines traurigen Programms.52 Werbung arbeitet vornehmlich mit positiven Emotionen wie Freude. Werbespots, die Freude transportieren, kommen sechs Mal häufiger vor als solche, die mit auf Traurigkeit basierenden Stimuli arbeiten.53 Auch hat fröhliche Musik einen positiveren Ein-
45 46 47 48 49 50 51 52 53
Vgl. Ekamn/Friesen (1975). Vgl. Lerner/Small/Loewenstein (2003); Shimp/Stuart (2004). Vgl. Dens/De Pelsmacker/Janssens (2008). Izard (1977), S. 336. Vgl. Williams (2009). Vgl. Tomblin (2002). Vgl. Westbrook (1987); Edell/Burke (1987); Burke/Edell (1989). Vgl. Goldberg/Gorn (1987). Vgl. Zeitlin/Westwood (1986).
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fluss auf die Kaufabsicht von Konsumenten als traurige Musik.54 Die Verwendung von Ärger in der Werbung bewirkt eine negativ behaftete Erinnerung.55 Auch stellt Verärgerung eine Reaktion auf unbeliebte Werbung dar.56 Werbung, die negative Emotionen wie Verärgerung hervorruft „risk prompting consumers to ignore the ad or dislike the product“57. Wie unter Rückgriff auf Literatur zur Konsumentenverhaltensforschung gezeigt wurde, haben Botschaften, welche die positiven Emotionen Humor, Freude und Spaß enthalten, einen höheren Zusatznutzen für Rezipienten und werden aus diesem Grund auch öfter weitergeleitet als Nachrichten, die die negativen Emotionen Traurigkeit und Ärger enthalten. Dies führt uns zu unserer zweiten Forschungshypothese: H2: Virale Videospots, welche die positiven Emotionen Humor, Freude und Spaß transportieren, werden öfter weitergeleitet als solche, die mit den negativen Emotionen Ärger und Traurigkeit arbeiten. 5
Untersuchungsmethode und Konstruktvalidierung
Um unsere Forschungshypothesen zu überprüfen, führten wir im Zeitraum zwischen dem 25. November und dem 25. Dezember 2009 ein Online-Experiment durch. Ein experimentelles Design zur Analyse der Weiterleitungsbereitschaft für virale Videospots, die unterschiedliche Emotionen transportieren, wurde gewählt, weil „the identification of cause and effect relationships is the raison d’être of experimentation“58. In Anlehnung an die Skalen von Edell/Burke59, Plutchik60, Richins61, Watson/Tellegen62 und Watson/Clark/Tellegen63 wurde eine Vielzahl unterschiedlicher, durch die Video-Teststimuli hervorgerufenen Emotionen gemessen und anschließend mittels explorativer Faktorenanalyse konsolidiert. Auf diese Weise konnten drei Faktoren (Emotionen-Cluster) mit Eigenwerten von größer als eins identifiziert werden. Darauf basierend wurde eine Clusterung der von den Spots 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63
Vgl. Broekemier/Marquardt/Gentry (2008). Vgl. Bushman (1998). Vgl. Aaker/Stayman/Vezina (1988). Cotte/Ritchie (2005), S. 24. Perdue/Summers (1986), S. 317. Vgl. Edel/Burke (1987). Vgl. Plutchik (1980). Vgl. Richins (1997). Vgl. Watson/Tellegen (1985). Vgl. Watson/Clark/Tellegen (1988).
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generierten Emotionen in drei Segmente vorgenommen: „upbeat emotions – Humor, Freude und Spaß“ (UE), „negative Emotionen – Ärger und Traurigkeit“ (AS) und „negative Emotionen – Ekel und Schock“ (DS). Die Zuteilung der aus der Grundgesamtheit rekrutierten Probanden erfolgte randomisiert in eine der drei Gruppen. Testpersonen wurden mit dem jeweiligen viralen Videostimulus konfrontiert. Eine Incentivierung wurde nicht bereitgestellt. Die Erfassung der vom jeweiligen Stimulus erzielten Wirkung hinsichtlich der Bereitschaft der Probanden, das gesehene Video weiterzuleiten, fand mithilfe eines standardisierten Fragebogens statt. Die im Experiment eingesetzten Videostimuli können Abbildung 2 entnommen werden.
Abbildung 2:
Verwendete virale Videostimuli
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Der erste im Experiment verwendete Spot zeigt ein scheinbar glücklich verheiratetes Paar, gespielt von den beiden Comedians Anke Engelke und Christoph Maria Herbst. Eigentlich lügen sich die beiden aber gegenseitig an. Jede einzelne Lüge wird von einem Zähler registriert. Auf die neunte Lüge folgt der Slogan „Every lie requires a brave to count it“. Die Pointe des Spots folgt mit der zehnten Lüge: Der kleine Sohn betritt das Wohnzimmer und ruft nach seinem Papa, der (ohne, dass es er oder sein „Papa“ weiß) eigentlich gar nicht sein Vater ist. Der beobachtende Zuschauer erfährt dies allerdings durch Erhöhen des „Lügenzählers“. Auf Basis eines Manipulation Checks zu den wahrgenommenen Emotionen sowie der Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse wurde dieses Video dem Cluster „upbeat emotions – Humor, Freude und Spaß“ zugeordnet. Der zweite Testspot bewirbt die Marke Ferrero Rocher und zeigt einen Patienten beim Zahnarzt. Nachdem der Zahnarzt den Patienten aufgefordert hat, den Mund zu öffnen, stellt Ersterer fest, dass sich in den Zahnzwischenräumen des Patienten Schokolade befindet. Der Patient entschuldigt sich, der Zahnarzt jedoch ist völlig unbeeindruckt und beginnt die Schokolade zu entfernen und zu essen. Schließlich sieht der Zuschauer den Slogan „It’s that good“. Auch dieser Videospot wurde nach einem Manipulation Check und der explorativen Faktorenanalyse clusterspezifisch eingeordnet. Er gehört der Kategorie „negative Emotionen – Ekel und Schock“ an. In Videospot Nummer drei wurde das Modell Sportka der Firma Ford beworben. Darin ist eine Katze zu sehen, die sich einem in einer Einfahrt geparkten Sportka nähert. Die Katze springt auf das Auto, läuft über die Windschutzscheibe, bleibt auf dem Dach stehen und steckt den Kopf in das geöffnete Schiebedach, das sich schließt. In der nächsten Sequenz sieht der Zuschauer den Kopf der Katze in das Wageninnere fallen. Der Körper fällt vom Auto herunter. Schließlich erscheint der Slogan „Ford Sportka – The Ka’s evil twin“. Der durchgeführte Manipulation Check und die Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse ergaben die Einordnung des Videos in das Cluster „negative Emotionen – Ärger und Traurigkeit“. Während der vierwöchigen Dauer des durchgeführten Feldexperiments konnten 646 verwertbare Fragebögen gesammelt werden. Dabei waren 49,4 % der Probanden weiblich und 50,6 % männlich. Das Durchschnittsalter der Testpersonen lag bei 37,66 Jahren. Die Messung der Weiterleitungsbereitschaft fand auf einer siebenstufigen Likert-Skala mit einem Messinventarium, entwickelt in Anlehnung an die Skala von Price/Arnould, statt.64 Die interne Konsistenz des Messin64
Vgl. Price/Arnould (1999).
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ventars wurde vorab im Rahmen eines Pretests mit 85 Teilnehmern analysiert. Die Reliabilität der Messung wurde mit Hilfe des Gütekriteriums Cronbachsches Alpha überprüft und kann als gegeben beurteilt werden (ɲ= 0,95). Konstruktvalidität und Faktorreliabilität (Werte zwischen 0,90 und 0,96) sind durch eine erklärte Varianz von 0,89 und explorative Faktorladungen mit Werten zwischen 0,91 und 0,97, berechnet im Rahmen der Varimax-rotierten explorativen Faktorenanalyse, ebenfalls sichergestellt. Die Resultate zeigen eine exzellente Messgüte des Konstrukts.65 Abbildung 3 gibt einen Überblick über die gebildeten Cluster.
Abbildung 3:
6
Gebildete Emotionscluster
Ergebnisse
Zur Beurteilung der hypothetisch hergeleiteten kausalen Ursache-WirkungsZusammenhänge wurde die Varianzanalyse (Analysis of Variance, ANOVA) herangezogen. Gemäß den Empfehlungen von Hair et al. hängt die Anwendbarkeit der ANOVA von der Einhaltung der Prämissen normalverteilter Daten und 65
Vgl. Gerbing/Anderson (1988).
Welche Emotionen beeinflussen Konsumenten bei der Weiterleitung viraler Videospots? 83
Varianzhomogenität ab.66 Zur Berechnung von Schiefe und Kurtosis bedienten wir uns der Gaußschen Verteilungsfunktion sowie des Kolmogorov-SmirnovTests.67 Varianzhomogenität konnte nach Durchführung des Levene-Tests68 als gegeben angesehen werden. Die Ergebnisse der Varianzanalyse zeigen signifikante Unterschiede für die Weiterleitungsbereitschaft der unterschiedlichen viralen Videospots. Spots, welche die positiven Emotionen (upbeat emotions) Humor, Freude und Spaß enthielten (MUE = 3,53), wurden signifikant (F = 25,772; p < 0,01) öfter weitergeleitet als Videos, welche mit den negativen Emotionen Ekel und Schock (MDS = 2,34) arbeiteten. Somit kann Hypothese 1 bestätigt werden. Wird die Weiterleitungsbereitschaft für Werbespots, welche die positiven Emotionen (upbeat emotions) Humor, Freude und Spaß transportieren, mit der für Videos, welche die negativen Emotionen Ärger und Traurigkeit hervorrufen, verglichen, so liefert die ANOVA ebenfalls signifikante Ergebnisse für die Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen. Testpersonen, die mit dem mit positiven Emotionen gestalteten Videostimulus konfrontiert wurden (MUE = 3,53), wiesen eine signifikant höhere Weiterleitungsbereitschaft auf (F = 17,598; p < 0,01) als Probanden, die Videos mit den negativen Emotionen Ärger und Traurigkeit sahen (MAS = 2,48). Folglich kann auch Hypothese 2 bestätigt werden. 7
Schlussbetrachtung
In der wissenschaftlichen Literatur wird die Bedeutung des Word-of-Mouth – die Grundvoraussetzung für virales Marketing – sowohl in seiner klassischen als auch in elektronischer Form für die Kommunikation zwischen Konsumenten akzentuiert.69 Zudem besteht in der Werbepraxis wachsendes Interesse an viralen Marketingmaßnahmen.70 Die bisherige wissenschaftliche Forschung zum viralen Marketing hat sich vornehmlich mit den durch unterschiedliche Botschaftsinhalte ausgelösten Konsumentenverhaltenseffekten beschäftigt.71 Nach dem Wissen der Autoren existierte jedoch bisher noch keine Untersuchung hinsichtlich einer Verbindung dieser beiden Phänomene. Mit vorliegender Studie wurde das Ziel verfolgt, diese bestehende Forschungslücke zu schließen. Als zentrales Ergebnis kann festgehalten werden, dass virale Videospots, welche positive Emotionen (upbeat emotions), genauer Humor, Freude und Spaß, enthalten, eine höhere 66 67 68 69 70 71
Vgl. Hair et al. (2009). Vgl. Maxwell/Delaney (2004). Vgl. Field (2000). Vgl. Hennig-Thurau et al. (2004); Plummer (2007). Vgl. Krishnamurthy (2000). Vgl. Westbrook (1987); Havlena/Holbrook (1986); Hirschman/Stern (1999); Olney/Holbrook/ Batra 1991).
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Weiterleitungsbereitschaft beim Empfänger auslösen als Videos, die mit den negativen Emotionen Ekel und Schock oder Ärger und Traurigkeit arbeiten. Aus den hier gewonnenen Ergebnissen können Implikationen für das Marketing abgeleitet werden. Vor dem Hintergrund steigender Informationsüberlastung auf Konsumentenseite kann das Potenzial interpersonaler Kommunikation optimal durch die Verwendung geeigneter emotionaler viraler Stimuli ausgeschöpft werden. Virale Marketingkampagnen müssen für Rezipienten einen unmittelbaren Zusatznutzen bieten, damit diese die Botschaft weiterleiten. Werbetreibende sollten zu diesem Zweck ausschließlich positive Emotionen verwenden. Hierdurch wird ein Schneeballeffekt ausgelöst, der zur Erreichung höherer Weiterleitungsraten führt, die später sowohl zu verbesserter Markenbekanntheit führen als auch eine verbesserte Wiedererkennung nach sich ziehen. Durch virale Videospots hervorgerufene negative Emotionen, wie Ekel und Schock oder Ärger und Traurigkeit, werden hingegen von Konsumenten weniger gerne mit anderen geteilt. Dies könnte zu einer suboptimalen Erreichung der Marketingziele führen. Des Weiteren sollte eine zielgruppenspezifische inhaltliche Ansprache für die verwendeten viralen Videospots sichergestellt werden. Jedoch unterliegt die hier vorgestellte Studie auch gewissen Limitationen. Das zugrunde liegende Experiment wurde in einem westlichen Kulturkreis durchgeführt. Unterschiedliche Kulturen reagieren jedoch äußerst verschieden auf emotionale Stimuli. Aus diesem Grund sollte sich zukünftige Forschung damit beschäftigen, ob emotional identisch gestaltete virale Videospots bei Probanden anderer Kulturen dieselben Effekte hinsichtlich der Weiterleitungsbereitschaft erzielen wie die in dieser Studie beobachteten. Darüber hinaus könnte eine Wiederholung der Untersuchung mit Spots fiktiver oder weniger bekannter Marken stattfinden, um den hier gewonnenen Ergebnissen möglicherweise zugrunde liegenden Markenbekanntheitseffekten zu begegnen. Auch könnte eine erneute Durchführung der Erhebung in einem realen Umfeld (verglichen mit dem hier durchgeführten OnlineExperiment) einen weiteren Impuls für künftige Forschung darstellen. Literatur Chiu, H.-Ch.; Hsieh, Y.-Ch.; Kao, Y-H.; Lee, M. (2007): “The Determinants of Email Receivers’ Disseminating Behaviors on the Internet”, Journal of Advertising Research, 47 (4), 524-534. Dobele, A.; Lindgreen, A.; Beverland, M.; Vanhamme, J.; van Wijk, R. (2007): “Why Pass on Viral Messages? Because They Connect Emotionally”, Business Horizons, 50 (4), 291-304.
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Havlena, W.J.; Holbrook, M.B. (1986): “The Varieties of Consumption Experience: Comparing Two Typologies of Emotion in Consumer Behavior”, The Journal of Consumer Research, 13 (3), 394-404. Helm, S. (2000): “Viral Marketing. Establishing Customer Relationships by ‘Word-ofmouse’”, Electronic Markets, 10 (3), 158-161. Hennig-Thurau, T.; Gwinner, K.P.; Walsh, G.; Gremler, D.D: (2004): “Electronic Wordof-Mouth via Consumer-Opinion Platforms: What Motivates Consumers to Articulate Themselves on the Internet?”, Journal of Interactive Marketing, 18 (1), 38-52. Hirschman, E.C.; Stern, B.B. (1999): “The Roles of Emotion in Consumer Research”, Advances in Consumer Research, 26, 4-11. Hirsh, L. (2001): Tell A Friend: Viral Marketing Packs Clout Online, E-Commerce Times. http://www.ecommercetimes.com/story/14295.html. Krishnamurthy, S. (2000): “Deciphering the Internet Advertising Puzzle”, Marketing Management, 9 (3), 35-39. Olney, T.J.; Holbrook, M.B.; Batra, R. (1991): “Consumer Responses to Advertising: The Effects of Ad Content, Emotions, and Attitude Toward the Ad on Viewing Time”, The Journal of Consumer Research, 17 (4), 440-453. Perdue, B.C.; Summers, J.O. (1986): “Checking the Success of Manipulations in Marketing Experiments”, Journal of Marketing Research, 23 (4), 317-326. Phelps, J.E.; Lewis, R.; Mobilio, L.; Perry D.; Raman, N. (2004): “Viral Marketing or Electronic Word-of-Mouth Advertising: Examining Consumer Responses and Motivations to Pass Along Email”, Journal of Advertising Research, 44 (4), 333-348. Plummer, J.T. (2007): Editorial: Word of Mouth – A New Advertising Discipline?, Journal of Advertising Research, 47 (4), 385-386. Price, L.L.; Arnould, E.J. (1999): “Commercial Friendships: Service Provider-Client Relationships in Context”, Journal of Marketing, 63 (4), 38-56. Westbrook, R.A. (1987): “Product/Consumption-Based Affective Responses and Postpurchase Processes”, Journal of Marketing Research, 24 (3), 258-270.
Die Autoren Dipl.-Kffr. Ellen Binggeser ist Absolventin der Universität Bayreuth. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing und Internationale Rechnungslegung. Dipl.-Kffr. Larissa Hammon promoviert aktuell über Crowdsourcing als innovative Wertschöpfungsform an der JP Direct Marketing der Universität Bayreuth. Sie studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth mit den Schwerpunkten Marketing sowie Produktionswirtschaft und Industriebetriebslehre. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Online-Marketing, Werbewirkung und Crowdsourcing.
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Ellen Binggeser / Larissa Hammon / Stefan Hampel / Hajo Hippner
Dipl.-Kfm. Stefan Hampel promoviert aktuell über werbewirksames E-MailMarketing an der JP Direct Marketing der Universität Bayreuth. Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim mit den Schwerpunkten Marketing, Logistik und Psychologie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Online-Marketing und der Werbewirkung. Prof. Dr. Hajo Hippner ist Inhaber der Juniorprofessur für Direct Marketing an der Universität Bayreuth. Nach seinem Studium der Wirtschaftsinformatik an der Universität Bamberg promovierte und habilitierte er an der KU EichstättIngolstadt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Customer Relationship Management und Online-Marketing. Kontakt Prof. Dr. Hajo Hippner Universität Bayreuth JP Direct Marketing Universitätsstraße 30 Gebäude B9 95444 Bayreuth
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Herausforderungen im Social CRM und Mobile Business Rebecca Bulander
1 2 2.1 2.2 2.3 3 3.1 3.2 4 5 6
Kundenfokussierung ................................................................................... 88 Begriffsdefinitionen .................................................................................... 88 Begriffsdefinition Soziale Medien .............................................................. 89 Begriffsdefinition Social Customer Relationship Management.................. 90 Begriffsdefinition Mobile Business ............................................................ 91 Kundengruppen........................................................................................... 92 Kundengruppen des B2B- und B2C-Bereichs ............................................ 93 Zielgruppe der Digital Natives.................................................................... 95 Kategorien Sozialer Medien ....................................................................... 97 Herausforderungen für Unternehmen ......................................................... 99 Zusammenfassung .................................................................................... 104
Management Summary Die Verbreitung Sozialer Medien vor allem in der jüngeren Zielgruppe der sogenannten „Digital Natives“ und die Allgegenwärtigkeit des Internets mithilfe von Smartphones führt zu neuen Herausforderungen für Unternehmen, welchen sie mit Social Customer Relationship Management (Social CRM) begegnen können. In diesem Beitrag wird erläutert, a) was unter Sozialen Medien und Social CRM verstanden wird, b) was die Besonderheiten verschiedener Kundengruppen, vor allem der „Digital Natives“, sind, c) welche Kategorien Sozialer Medien vorzufinden sind und d) welche Herausforderungen sich für Unternehmen im Mobile Business und Social CRM ergeben.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_5, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Rebecca Bulander
Kundenfokussierung
In dem heutigen globalen, teilweise von hoher Konkurrenz geprägten Wettbewerb stellen profitable Kunden und die Beziehung zu diesen einen wertvollen Bestand eines Unternehmens dar. Die Geschäftsmöglichkeiten im Internet durch Electronic Commerce nehmen weiter zu und infolge der Allgegenwärtigkeit des Internets aufgrund der hohen Verbreitung von Smartphones auch die des Mobile Business. Zu dieser Entwicklung haben auch die technologischen Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnik sowie die Veränderungen im Internet im Hinblick auf die Sozialen Medien beigetragen. Darüber hinaus weist eine neu herangewachsene Zielgruppe, die der sogenannten „Digital Natives“, neue Verhaltens- und Nutzungsweisen auf, welche für Unternehmen neue Handlungsweisen in der Kommunikation und Interaktion vor allem in den Bereichen Marketing, Vertrieb und Service erforderlich machen. Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei im Social Customer Relationship Management (Social CRM). In diesem Beitrag wird zuerst beschrieben, was unter den Begriffen Soziale Medien, Social CRM und Mobile Buiness verstanden wird. Anschließend wird auf die beiden Kundengruppen des Business-to-Consumer- und des Business-toBusiness-Bereichs eingegangen. Darüber hinaus werden die neu herangewachsene Generation der „Digital Natives“ sowie die benachbarte Gruppe der „Digital Immigrants“ näher beleuchtet. Im Anschluss daran werden die verschiedenen Möglichkeiten von Sozialen Medien erläutert, da diese vor allem von der neuen Zielgruppe der „Digital Natives“ genutzt werden und die Basis für Aktivitäten von Unternehmen darstellen. Im Anschluss daran werden die neuen Herausforderungen für Unternehmen im Mobile Business und im Social CRM dargestellt. Der Beitrag endet mit einer Zusammenfassung. 2
Begriffsdefinitionen
Der Begriff Social Customer Relationship Management (Social CRM) hat sich mit der Zunahme Sozialer Medien herausgebildet und wird immer häufiger verwendet. Deshalb soll zuerst auf die beiden Begriffe Soziale Medien und Customer Relationship Management sowie anschließend auf Social CRM eingegangen werden. Da durch die hohen Bandbreiten des Internets und den weiten Verbreitungsgrad von Smartphones der Zugriff auf das Internet von fast überall möglich geworden ist, ergeben sich neue Vernetzungs- und Geschäftsmöglichkeiten, um Produkte und Dienstleistungen zu bewerben und zu verkaufen; aus diesem Grund wird auch auf den Begriff Mobile Business näher einzugehen sein.
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2.1 Begriffsdefinition Soziale Medien Der Begriff Web 2.0 kam 2003 zum ersten Mal auf und wurde von Tim O’Reilly wie folgt beschrieben: „Web 2.0 is the business revolution in the computer industry caused by the move to the internet as platform, and an attempt to understand the rules for success on that new platform. Chief among those rules is this: Build applications that harness network effects to get better the more people use them.“1
Während bei dem Begriff Web 1.0 die technologische Verbindung von Computern und die effiziente Nutzung der Computer im Vordergrund stand, stellt der Begriff Web 2.0 die Verknüpfung von Menschen im Internet, welches als eine universelle, standardisierte Plattform genutzt wird, in den Vordergrund. Diese Verknüpfung führt zu einer Revolution in der Geschäftswelt. Neben technologischen Entwicklungen wie z. B. dem Cloud Computing hat eine Veränderung in der Nutzung und Wahrnehmung des Internets dahingehend stattgefunden, dass der Internetnutzer zum sogenannten „Prosumer“ geworden ist. Dieser möchte nicht mehr nur bereitgestellte Inhalte konsumieren, sondern in erheblichem Maße Inhalte selbst erstellen, diese be- und weiterverarbeiten, an andere Nutzer verteilen und sich gemeinsam mit diesen über Ereignisse, Erlebnisse und Erfahrungen austauschen. Diese Nutzer produzieren also einen großen Teil der Inhalte und konsumieren diese auch. Dabei vernetzen sich die Nutzer untereinander vor allem mithilfe „sozialer Software“ z. B. in sozialen Netzwerken. In diesem Zusammenhang wird auch von dem Begriff der Sozialen Medien (englisch: Social Media) gesprochen, welche z. B. von Kaplan und Haenlein wie folgt definiert werden: „Social Media is a group of Internet-based applications that build on the ideological and technological foundations of Web 2.0, and that allow the creation and exchange of User Generated Content.“2
Durch die Hinwendung zu den von den Nutzern generierten Inhalten hat eine Demokratisierung der Informationsbereitstellung und -verbreitung stattgefunden. Dabei ist anzumerken, dass die Nutzer die Inhalte ausschließlich online erzeugen, bewerten und austauschen. Durch diese Interaktion innerhalb entsprechender Netzwerke und mithilfe geeigneter Anwendungen bauen sie untereinander 1 2
O’Reilly (2006) (Quelle: http://radar.oreilly.com/2006/12/web-20-compact-definition-tryi.html) (30.10.2010). Kaplan/Haenlein (2010), S. 59-68.
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Beziehungen auf, welche ihre sozialen Kontakte im Netz begründen. Zur Kommunikation werden verschiedene Mittel, wie Texte, Bilder sowie Audio- oder Videodateien, verwendet. Gründe für die hohe Verbreitung und Akzeptanz Sozialer Medien sind relativ geringe Eintrittsbarrieren (Kosten), eine relativ einfache und intuitive Erstellung, Bearbeitung und Verbreitung von Inhalten sowie ein gewisser Spaß- und Unterhaltungsfaktor bei den Nutzern. 2.2 Begriffsdefinition Social Customer Relationship Management In der Literatur lassen sich für den Begriff CRM verschiedene Definitionen finden, in diesem Beitrag wird auf die von Hippner und Wilde zurückgegriffen. Demnach ist CRM wie folgt definiert: Customer Relationship Management ist „[…] eine kundenorientierte Unternehmensstrategie, die mithilfe moderner Informations- und Kommunikationstechnologien versucht, auf lange Sicht profitable Kundenbeziehungen durch ganzheitliche und differenzierte Marketing-, Vertriebs- und Servicekonzepte aufzubauen und zu festigen“3.
Die Definition macht deutlich, dass CRM auf einer kundenorientierten Unternehmensstrategie basiert und zusätzlich den Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie benötigt. Im klassischen CRM wurden für die Kundenkommunikation und -interaktion folgende Kundenkontaktpunkte (auch Customer-Touch-Points genannt) und Kanäle eingesetzt (siehe Abbildung 1). Der Begriff Social CRM stellt eine Erweiterung von CRM um die Sozialen Medien dar, welche informationstechnisch gesehen eine Integration der Sozialen Medien bzw. eine Erweiterung der Kanäle zum Kunden beinhaltet. Darüber hinaus bedeutet dies, dass Unternehmen durch Soziale Medien die Möglichkeit bekommen, in der Beziehung zu Interessenten und Kunden auch an der Kundenkommunikation teilzuhaben und in einen Dialog zu treten, welcher schon vor einem möglichen Kauf stattfindet. Des Weiteren bieten Soziale Medien einen Rückkanal für Feedback zu Produkten, Dienstleistungen und Kauferlebnissen und somit Informationen auch über die Zufriedenheit der Kunden nach dem Kauf, über die Wahrnehmung des eigenen Unternehmens bei Kunden und Interessenten und darüber, wofür und bei welchen Problemstellungen die Kunden die Produkte eigentlich nutzen. 3
Hippner (2004), S. 13-41.
Herausforderungen im Social CRM und Mobile Business
Abbildung 1:
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Kundenkontaktpunkte und Kanäle
Die Erweiterung um die Sozialen Medien muss in den von Unternehmen eingesetzten Social-CRM-Systemen berücksichtig werden; hier ist vor allem ein Beobachten der Informationen (Social Media Monitoring), eine Steuerung der Informationen und die Sicherstellung einer zeitnahen Kommunikation über alle Kanäle zu berücksichtigen. 2.3 Begriffsdefinition Mobile Business Vor der Markteinführung des iPhones war der Gebrauch mobiler Dienste mäßig und fokussierte sich vor allem auf SMS und Location Based Services.4 Unter einem mobilen Dienst werden Dienste verstanden, bei denen der Client ein mobiles Endgerät wie z. B. ein Smartphone ist und der Netzwerkzugang drahtlos erfolgt. Dabei steht der überall verfügbare Zugriff auf mobile Dienste im Vordergrund. Heutzutage sind beispielsweise mehr als 42 Millionen iPhones im Gebrauch5 und das Konzept der Application Stores, in denen den Nutzern mobile Dienste angeboten werden, wurde vielfältig von anderen Anbietern ebenfalls übernommen (wie z. B. Android Market oder Ovi Store). Prognosen sagen bereits voraus, dass die Anzahl der Nutzer, die mobil ins Internet gehen, diejenigen mit stationären Zugängen über PCs übersteigen werden; ebenso existieren Prog-
4 5
Frank (2010), S. 22-31. Laugesen (2010), S. 91-99.
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nosen darüber, dass es eine bezeichnende Verlagerung von der Nutzung von Webseiten hin zu mobilen Applikationen geben wird.6 Angesichts der Allgegenwärtigkeit des Internets durch Smartphones und die Bandbreite der Netze sowie die Verknüpfung und den Informationsaustausch von Kunden und Interessenten in sozialen Netzwerken gewinnt in Zukunft Mobile Business für die Vermarktung und den Verkauf von Produkten für Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Aus diesem Grund soll dieser Begriff ebenfalls erläutert werden. Mobile Business bzw. Mobile Commerce soll wie folgt definiert werden: Mobile Commerce ist „[…] jede Art von geschäftlicher Transaktion, bei der die Transaktionspartner im Rahmen von Leistungsanbahnung, Leistungsvereinbarung oder Leistungserbringung mobile elektronische Kommunikationstechniken (in Verbindung mit mobilen Endgeräten) einsetzen“7.
3
Kundengruppen
Im Folgenden wird zuerst auf die zwei Kundengruppen des Business-toBusiness- (B2B) und des Business-to-Consumer-Bereichs (B2C) entlang der Wertschöpfungskette näher eingegangen (siehe Abbildung 2). Nach Jung ist eine Transaktion in der Wertschöpfungskette als der Austausch von Rechten, Vereinbarungen, Verträgen, Regelungen über den Güter- und Leistungsverkehr sowie als der physische Austausch von Gütern und Leistungen definiert.8 Hierbei können Transaktionen u. a. bezüglich der Ausprägung, Art, Wertigkeit und Quantität der Güter und Dienstleistungen unterschieden werden.
Abbildung 2: 6 7 8
B2B- und B2C-Geschäftsbeziehungen
Anderson/Wolff (2010) (Quelle: http://www.wired.com/magazine//2010/08/ff_webrip/2/) (18.08.2010). Turowski/Pousttchi (2004), S. 1. Jung (1999), S. 28.
Herausforderungen im Social CRM und Mobile Business
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Anschließend wird auf die neu heranwachsende Nutzergruppe der „Digital Natives“ eingegangen, die durch ihre Anforderungen und Verhaltensweisen den Unternehmen neue Möglichkeiten in der Kommunikation und Interaktion sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich bieten können. Darüber hinaus wird auch auf die Gruppe der „Digital Immigrants“ verwiesen. 3.1 Kundengruppen des B2B- und B2C-Bereichs Eine Geschäftsbeziehung im B2B-Bereich (Markt der industriellen Beschaffung bzw. Industriegütermarkt) beinhaltet alle Individuen und Organisationen, welche für die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen selbst Güter oder Dienstleistungen erwerben.9 Analog dazu besteht eine Geschäftsbeziehung im B2C-Bereich (Konsumgütermarkt), wenn Endverbraucher als Konsumenten Güter oder Dienstleistungen von Organisationen erwerben. Unabhängig von dem zugrunde liegenden Bereich gibt es entlang der Wertschöpfungskette unterschiedliche Akteure auf der Verkäuferund Käuferseite. Der Vertrieb bzw. die Verkäufer sind in beiden Bereichen vertreten. Jedoch haben sie, je nach Kunden, unterschiedliche Aufgaben und Arbeitsinhalte. Auf der Käuferseite agieren im B2B-Bereich professionelle Einkäufer und im B2C-Markt private Endverbraucher. Der B2B-Bereich ist im Vergleich zum B2C-Bereich durch eine geringe Anzahl an Käufern geprägt. Jedoch sind die Absatzmengen aufgrund der Größe der Käufer meist größer als im Konsumgütermarkt. Deshalb ist oft eine enge Beziehung zwischen Käufern und Verkäufern zu beobachten. Eine Pflege der Beziehung durch den Einsatz von Maßnahmen zur Kundenbindung ist von großer Bedeutung. Häufig ist, wie z. B. im Automotive-Bereich, zu beobachten, dass die Beziehung weit über den reinen Kauf hinausgeht. Der Kunde wird bereits in die Entwicklung von Produkten oder Komponenten mit einbezogen.10 Die Einbeziehung des Endverbrauchers im B2C-Bereich nimmt vor allem mit den steigenden Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik zu und ist unter dem Begriff „Mass Customization“ bekannt. In manchen Branchen wie bspw. der chemischen und pharmazeutischen Industrie oder der High-Tech-Industrie ist oft eine geografische Konzentration von Zulie9 10
Kotler/Bliemel (2001), S. 374. Winkelmann (2000), S. 44; Kotler/Bliemel (2001), S. 376.
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ferern zu beobachten. Auf Industriegütermärkten wird von einer aus dem Konsumgüterverbrauch abgeleiteten Nachfrage gesprochen. Die Nachfragehöhe nach Industriegütern und Dienstleistungen kann im Gegensatz zu Konsumgütermärkten teilweise als unbeständig bezeichnet werden. Dies trifft vor allem für neue technische Anlagen und Maschinen zu.11 Auf B2B-Märkten überwiegen meist erklärungsbedürftige bzw. komplexe Produkte und Dienstleistungen. Dies erfordert meist eine hohe Personalintensität in Vertrieb und Service. Aus diesem Grund nimmt der persönliche Verkauf einen großen Stellenwert ein. Eine Besonderheit stellt der Handel dar, welcher durch indirekten Vertrieb geprägt ist. Teilweise ist es im B2B-Bereich auch erforderlich, bereits hier eine Beziehung zu dem Endkunden, dem Consumer, durch entsprechende Maßnahmen wie z. B. über Soziale Medien aufzubauen, um so eine Markenbindung zu begründen. Produkte für den Konsumentenmarkt bedürfen dagegen meist einer geringen Erklärung und werden aufgrund der hohen Anzahl an Konsumenten selten mit eigenen Verkaufsstellen und Mitarbeitern betreut. Ausnahmen bilden hierbei Factory Outlets, Hersteller-Shops oder Werkverkäufe. Ebenso besteht hier meist das Erfordernis, das Güterangebot in Form gebündelter Sortimente anzubieten (Sortimentsfunktion im Handel).12 Im Rahmen des Verkaufsprozesses sind im B2B-Bereich aufgrund der Produktkomplexität meist mehrere Mitwirkende des Kunden zu kontaktieren, welche bei der Kaufentscheidung ggf. auf jeweils unterschiedliche Einflüsse und Aspekte Wert legen (Mehrpersonenentscheidung). Beim Erwerb hochwertiger Güter oder großer Investitionen wird meist die Führungsebene an der Kaufentscheidung beteiligt, da es um die Beschaffungsentscheidung des Unternehmens geht. Die Kaufentscheidung verläuft im B2B-Bereich, anders als im B2C-Bereich, in der Regel formalisiert, da meist mehrere Alternativen miteinander verglichen werden.13 Damit kann festgehalten werden, dass auf Industriegütermärkten Käufer und Verkäufer an die von ihren Unternehmen vorgegebenen Strukturen und Beschaffungsstrategien durch Formalitäten, Einschränkungen und Bedingungen gebunden sind.14
11 12 13 14
Backhaus/Voeth (2004), S. 3-21. Winkelmann (2000), S. 44; Kotler/Bliemel (2001), S. 25 ff. Backhaus/Voeth (2004), S. 3-21. Kotler/Bliemel (2001), S. 378.
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Auf B2B-Märkten finden verhältnismäßig wenige, dafür jedoch wohl ausgewählte und meistens quantitativ und wertmäßig hohe Transaktionen statt. Dies ist auch bedingt durch die Tatsache, dass in manchen Branchen nur eine geringe Anzahl an Transaktionspartnern für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen vorhanden ist. Preise sind im B2B-Bereich oftmals Verhandlungssache. Konsumgütermärkte zeichnen sich dagegen durch einen hohen Gesamtwarenumschlag aus, auch wenn die einzelnen Transaktionen mengen- und wertmäßig wesentlich geringer sind.15 3.2 Zielgruppe der Digital Natives Die Zugehörigen der neu herangewachsenen Zielgruppe der sogenannten „Digital Natives“ sind nach dem Jahr 1980 geboren und mit den digitalen Technologien wie dem Internet oder Mobiltelefon als Medium aufgewachsen und sozialisiert. Die Allgegenwärtigkeit des Mediums Internet mit dessen vielseitigen Services und die erhebliche Interaktion mit den anderen digitalen Technologien sind ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens; all dies führt bei dieser Generation zu einem abweichenden Kommunikationsverhalten gegenüber früheren Generationen. Darüber hinaus weisen Digital Natives auch andere Denkmuster und Vorgehensweisen bei der Verarbeitung von Informationen auf. Sie können z. B. schnell Informationen aufnehmen und parallel statt sequenziell verarbeiten.16 Ihr Vorgehen beim Schließen von Freundschaften, Musikhören, Arbeiten oder Teilen ihrer Lebenserfahrungen mit anderen unterscheidet sich von dem der Nicht-Digital-Natives. So sind sie z. B. durchaus bereit, sich auf elektronischem Weg ausführlich über Produkte zu informieren und ebenso Erfahrungen darüber auszutauschen, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen.17 Auch der Umgang mit Problemen ist ein anderer. Anstatt sich von vornherein alleine eine Lösung auszudenken, formulieren sie ihr Problem in einem entsprechenden Online-Forum und warten ab, was die „Community“ dazu meint, welche Erfahrungen in Bezug auf das Problem gesammelt wurden, welche Handlungsmöglichkeiten es gibt und was die Vor- und Nachteile einer Handlungsalternative sind, bevor sie sich selbst entscheiden und das Problem lösen.
15 16 17
Kotler/Bliemel (2001). Prensky (2001). Tapscott (2009).
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Digital Natives sind gut darüber informiert, was die Auswahl und die Anpassung der Produkte und Dienstleistungen an ihre Bedürfnisse betrifft.18 Digital Natives tauschen sich gerne mit Gleichgesinnten digital darüber aus. Da sie fast permanent in Kontakt mit ihrer Community in sozialen Netzwerken stehen, bringen sie dort u. a. ihre positiven und negativen Erfahrungen mit Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen zum Ausdruck und kommunizieren untereinander. Diese preisgegebenen Einträge und Meinungen in solchen Netzwerken haben einen entscheidenden Einfluss auf die Kaufentscheidungen der anderen Mitglieder in der sozialen Netzwerkgemeinschaft. Obwohl diese Meinungen aus statistischer Sicht gesehen nicht repräsentativ sind, tragen sie nicht selten zur Meinungsbildung bei. Hier spielt vor allem eine Rolle, ob die Empfehlung von einem Mitglied einer gleich gesinnten Gruppe in einem der sozialen Netzwerke stammt. Weitere von Digital Natives herangezogene Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten sind Blogs, aber auch Videoclips, welche z. B. über Youtube veröffentlicht werden können. Durch solche Darstellungen kann ein Produkt, eine Dienstleistung oder ein Unternehmen schnell zum Thema in einer OnlineDiskussion werden. Aufgrund des hohen Verbreitungs- und Nutzungsgrades von Smartphones und der darauf laufenden Kommunikationsanwendungen gelten Digital Natives als „always on“. Das bedeutet, dass vor allem Nachrichten von schlechten Erfahrungen eines Kunden mit einem Unternehmen einen wesentlich höheren Empfängerkreis und damit eine größere Auswirkung haben können, als dies bisher der Fall gewesen ist, da die Informationen relativ zeitnah einer größeren Gemeinschaft bekannt und von dieser wieder kommentiert werden. Ein solches Phänomen kann ähnlich einer Kettenreaktion beschrieben werden. Charlene Li und Josh Bernoff nennen dieses Phänomen auch „Groundswell“19. Die Gruppe der Digital Natives kann hinsichtlich ihres Geltungsbereichs und ihres Wesens im Internet als global betrachtet werden; sie stellt hierbei eher eine Population mit bestimmten Verhaltensweisen als eine Generation dar.20 Unter dem Begriff „Digital Immigrants“ werden all diejenigen zusammengefasst, welche nicht in die Kategorie der Digital Natives im Sinne der oben genannten Definition fallen, sich jedoch auch mit den Online- und Sozialen Medien befassen und damit arbeiten. Dies kann allein daher rühren, dass diese Personen mit 18 19 20
Palfrey/Gasser (2008). Li/Bernoff (2008). Palfrey/Gasser (2008).
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Digital Natives verwandt sind. „Digital Immigrants“ weisen mit der Zeit ein ähnliches Nutzungsverhalten wie Digital Natives auf, sodass dann kaum noch ein großer Unterschied zu erkennen ist. Die neuen Arbeits- und Kommunikationsweisen der Digital Natives haben nun jedoch einen Einfluss auf die beiden Bereiche des B2B und B2C. Zum einen betreffen sie diese, wenn Digital Natives als Mitarbeiter in Unternehmen arbeiten und auch im Kontakt mit dem Kunden stehen. So sind im Arbeitsprozess die Anforderungen der Digital Natives zu berücksichtigen, z. B. hinsichtlich der Nutzung der digitalen Medien für die interne, aber auch die externe Kommunikation. Des Weiteren sind ihre Fähigkeiten, wie verschiedene Aufgaben gleichzeitig zu erledigen und viele Informationen aufzunehmen, Problemstellungen unter Zuhilfenahme gemeinschaftlicher Informationen zu lösen, aber auch die schnelle und häufige Rückmeldung zu ihren erledigten Aufgaben in Form von Feedback, wie bei Computerspielen üblich, zu beachten. Darüber hinaus spielt ihre Fähigkeit zur sinnvollen Nutzung Sozialer Medien bei der Kundenkommunikation sowie der gezielten und aktiven Steuerung von Informationen z. B. über Produkte oder Dienstleistungen eine wichtige Rolle. Zum anderen sind Digital Natives bei der Ansprache von Interessenten und Kunden als eine neue Zielgruppe mit neuen Bedürfnissen zu betrachten, auf die entsprechend eingegangen werden muss. 4
Kategorien Sozialer Medien
Nachdem Soziale Medien definiert und die Digital Natives als die hauptsächlichen Nutzer davon beschrieben worden sind, soll nun auf die verschiedenen Kategorien der Sozialen Medien näher eingegangen werden. Das Angebot ist von einer hohen Dynamik geprägt, da vor allem die Nutzer selbst durch ihr Nutzungsverhalten darüber entscheiden, ob und welche Angebote in den Sozialen Medien überleben und wie diese sich weiterentwickeln. Deshalb soll hier ein Überblick über die Vielfältigkeit gegeben werden. Auch können diese Sozialen Medien miteinander kombiniert werden.
Soziale Netzwerke und soziale Communities: wie z. B. Facebook, LinkedIn, Xing, Foursquare Application Services (Apps): z. B. für Smartphones wie Apple Store, Android Market oder Ovi Store
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Podcasts (Audio), Vodcasts (Video), Viedeoplattformen: wie z. B. bei Youtube oder Viddler Portale zum Teilen von Bildern mit anderen Nutzern: wie z. B. Flickr oder SmugMug Blogs und Microblogs auf Plattformen, zur Konversation oder für Gemeinschaften: wie z. B. MovableType, Ask oder MyBlogLog Micromedia: wie z. B. Twitter oder Jaiku Social Bookmarks: wie z. B. Delicious oder Linkarena RSS-Feed: welche z. B. von Nachrichtensendern oder MP3-Portalen angeboten werden Wikis: wie z. B. Wikipedia oder Twiki Präsentationsplattformen: wie z. B. Slideshare Voice-over-IP-Dienste, Instant Messaging und Videoconferencing: wie z. B. bei Skype
Unternehmen sollten sich überlegen, welche Informationen sie über welchen Kanal und Kundenkontaktpunkt anbieten möchten. Nachstehend findet sich eine Aufzählung von wesentlichen Inhalten, die in Sozialen Medien darstellbar sind. Jedoch muss immer entsprechend der angestrebten Zielgruppe und der Intention des Unternehmens ein angemessenes Medien-Konzept erstellt werden. Für alle Kanäle gilt: Wenn sie nicht zeitnah von Mitarbeitern bedient werden können, dann sollten sie auch nicht verwendet werden. So wird z. B. eine Nichtbeantwortung einer Anfrage eher vom Kunden verübelt, als wenn das Unternehmen nicht in diesem speziellen Medium präsent ist.
Allgemeine Unternehmensinformationen: Informationskonsum versus Kundendialog Informationen und Services zu Produkten oder Dienstleistungen Produktinnovationen und -entwicklungen (z. B. zukünftige Gestaltung von Produkten nach Kundenwünschen) Vertriebsinformationen und -steuerung Public Relations (PR) Kundeninformationen, Werbung und Direktmarketing Kundenservice, z. B. Frequently Asked Questions (FAQ), Benutzerhandbücher, Softwareservices Kundenzufriedenheitsmessung Aufbau von Kundenbeziehungen oder Qualifizierung; Kundenbindung und -rückgewinnung Personalmarketing zur Gewinnung von potenziellem Personal
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Herausforderungen für Unternehmen
Im Folgenden werden verschiedene aktuelle Herausforderungen für Unternehmen ohne Wertung und Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt. Für einige dieser Herausforderungen gibt es in der Praxis bereits erfolgreiche Ansätze. Diese können je nach Kundengruppe B2B und B2C sowie in Abhängigkeit der Branche unterschiedlich weit fortgeschritten und erfolgreich sein. Dennoch befinden sich viele der Themen im Anfangsstadium und bedürfen einer Weiterentwicklung.
Bereitstellung und Nutzung kontextsensitiver mobiler Dienste: Durch die weite Verbreitung mobiler Endgeräte und die zunehmende Nutzung mobiler Dienste ist bei deren Angebot für die Massenadaption auf verschiedene Hindernisse zu achten. Neben den geringen Abmaßen mobiler Endgeräte (z. B. relativ kleine Displays, oftmals keine Tastatur), finanziellen und sicherheitsbedingten Risiken wird in Zukunft auch die Nutzbarkeit mobiler Dienste entscheidend für die Akzeptanz bei den Nutzern sein.21 Um diese zu erhöhen und einen hohen Mehrwert durch mobile Dienste erreichen zu können, sollten diese personalisierbar sein und an die Anforderungen sowie den Kontext der einzelnen Nutzer angepasst werden können.22 Der Begriff Kontext in Bezug auf mobile Anwendungen stellt eine Sammlung von Informationen dar, die die aktuelle Situation und das Umfeld eines Nutzers näher bestimmen bzw. beschreiben.23 Dies könnten z. B. Zeit oder Ort sein. Eine kontextsensitive Anwendung nutzt diese Informationen dahingehend, dass sie entsprechend den aktuellen Nutzeranforderungen und angepasst an die Nutzersituation einen Dienst oder mehrere bereitstellt. Eine der wichtigsten Kontextinformationen ist der aktuelle Aufenthaltsort eines Nutzers. Abgestimmt auf diesen können dem Nutzer dann mobile Dienste wie z. B. Location Based Service angeboten werden.24 Neben der Kontextinformation „aktueller Aufenthaltsort“ werden in Zukunft noch viele weitere eingesetzt werden. Diese Kontextinformationen werden bei den mobilen Applikationen für die Endverbraucher, aber auch für Geschäftsanwendungen, z. B. für den Außendienst, eine wichtige Rolle spielen. Entscheidende Einflussfaktoren für Kontextinformationen werden die Qualität und die analytischen Kombinationsmöglichkeiten dieser einzelnen Informationen und deren Auswertung sein, welche dann eine entsprechende kontextsensitive Anpassung der Anwendung auslösen.
21 22 23 24
Rogers (1995). Ervasti/Hellakoski (2008), S. 131-139. Schilit/Adams (1994). Decker (2009), S. 109-114.
100
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Mobile Endgeräte als neue Feedbackkanäle und Informationsquelle: Gemäß einer Studie der Interone GmbH nutzt vor allem die Zielgruppe der Digital Natives Computer, Notebooks und Smartphones, während sie fernsieht, um zusätzlich zu den im Fernsehen angebotenen Informationen weitere Hintergrundinformationen zu recherchieren und diese als Feedbackkanal zum Teil in Echtzeit zu nutzen, um z. B. auf Gewinnspiele, Quizshows oder Umfragen zu reagieren.25 Unternehmen haben entsprechend diesem Verhalten Informationen bereitzustellen, so dass z. B., wenn im Fernsehen ein Produkt beworben wird, auf der Webseite eine Referenz über das Angebot besteht und der Interessent weitere ergänzende Informationen erhält. Schnelle Verbreitung von Informationen: Aufgrund der Tatsache, dass die Nutzer von heute als „always on“ gelten, erreichen sie eine höhere Flexibilität und Unabhängigkeit bei der Planung von Aktivitäten, z. B. beim Einkaufen oder bei der Unterhaltung. Dieses Verhalten hat einen Einfluss auf die zukünftigen Geschäftsmodelle von Unternehmen bzgl. der Reichweite von Informationen und des Einsatzes der Kommunikationskanäle sowie Werbung. Beispielsweise können Passanten in einer bestimmten Umgebung auf Werbung eines Ladengeschäftes reagieren, während sie gerade daran vorbeigehen. Neue Rankings durch den „Gefällt mir“-Knopf: Da vor allem Digital Natives dort sein wollen, wo ihre Freunde sind, pflegen sie ihre sozialen Beziehungen in sozialen Netzwerken, dort, wo sie ihre Freunde immer erreichen können und sich auch spontan bzw. zeitnah darüber verständigen können, was ihnen gefällt, z. %. über den „Gefällt mir“Knopf im Internet. Produkte, Dienstleistungen, Informationen oder Unternehmen können über den „Gefällt mir“-Knopf positiv bewertet werden und erhalten damit mehr Aufmerksamkeit. Diese neue Art der Bewertung wird vor allem von bestimmten Zielgruppen als primäres Bewertungskriterium verwendet; die herkömmlichen Bewertungsmethoden über Links in Suchmaschinen und die Anzahl der Klicks verlieren an Bedeutung. Wird mit der Bewertung von Produkten in einem sozialen Netzwerk gleichzeitig auch die Möglichkeit für einen Online-Kauf dort angeboten, kann dies u. U. gleich zu einer positiven Kaufentscheidung überführen. So zeigen Studienergebnisse bereits, dass Menschen online eher bereit sind, Geld auszugeben, als über den konventionellen physischen Einkaufsweg.26 Auf diese neuen Entwicklungen muss bei der Produktplatzierung und der Interone (2010) (Quelle: http://www.interone.de/iphone-studie/) (18.08.2010). Interone (2010) (Quelle: http://www.interone.de/iphone-studie/) (18.08.2010).
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Werbung geachtet werden. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Produkte aufgrund der Zielgruppe nur noch in sozialen Netzwerken beworben werden müssen. Anregung zu Online-Käufen: Aufgrund der erhöhten Erreichbarkeit potenzieller Kunden vor allem über soziale Netzwerke sollte Werbung in Zukunft nicht mehr nur über Produkte und Dienstleistungen informieren, sondern vielmehr direkt in den Prozess des Online-Kaufes überführen können. So ist das Online-Kaufen mit nur einem Klick ein gutes Beispiel hierfür (siehe z. B. http//www.amazon.de). Die Tatsache, dass der Nutzer dabei online ist, kann den Vorteil haben, dass er relativ bequem das Preis-Leistungs-Angebot vergleichen und sich seine Meinung mithilfe von Empfehlungen bilden kann, bis er zur Kaufentscheidung kommt.27 28 Vom Kunden selbst verwaltete Beziehungen: Aufgrund der vielfältigen Informationen vor allem in sozialen Netzwerken und der Kontextinformationen wie z. B. dem Standort eines Nutzers werden ganz neue Beziehungen und Verknüpfungen für den optimalen Ausbau von Beziehungen zu (potenziellen) Kunden möglich. Darüber hinaus können Kunden selbst festlegen, zu welchen Unternehmen sie eine Beziehung aufbauen bzw. Informationen erhalten möchten und zu welchen nicht. Bei dieser Auswahl an Beziehungen wird auch der Nutzen der Informationen z. B. über Produkte oder Innovationen für die Nutzer eine Rolle spielen. Aus diesem Grund wird auch gerne von „Customer Managed Relations“ gesprochen.29 Zusammenwachsen von physischer und virtueller Realität: Aufgrund der hohen Verbreitung mobiler Endgeräte und der Möglichkeit, immer und überall auf mobile Dienste zuzugreifen, werden auch Dienste an Bedeutung gewinnen, welche die physische und virtuelle Realität zusammenwachsen lassen. Dieses Phänomen ist unter dem Begriff „augmented reality“ bekannt. Hierbei fängt ein Nutzer mit seinem mobilen Endgerät und der darin integrierten Kamera einen Ausschnitt aus der Realität (dem sogenannten „point of interest“) ein und bekommt bei der Aktivierung eines bestimmten mobilen Services wie z. B. http://www.wikitude.org auf dem Display zusätzliche Informationen („digital graffiti“) digital angezeigt. So kann er z. B. beim Aufnehmen eines historischen Gebäudes weitere Informationen zu diesem Gebäude erhalten, aber auch Informationen, welcher seiner Freunde wann an diesem Ort war und wie es ihm gefallen hat. Solche digitalen Informationen können dabei für alle Nutzer des mobilen Dienstes zuDrossos/Fouskas (2010), S. 183-189. Interone (2010) (Quelle: http://www.interone.de/iphone-studie/) (18.08.2010). Law/Lau/Wong (2003), S. 51-60.
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gänglich gemacht werden oder aber nur für Personen in einem sozialen Netzwerk bzw. in einer sozialen Nutzergruppe.30 Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie Informationen dieser Art in vielfältiger Weise für ihre Zwecke, z. B. auch für Werbung, einsetzen können. Sicherheitslücken mobiler Dienste: Mit zunehmenden Funktionalitäten und höherem Verbreitungsgrad mobiler Endgeräte nehmen immer auch die Sicherheitsrisiken zu. Da mobile Endgeräte überallhin mitgenommen werden, steigt damit auch das Risiko des Verlustes der Geräte. Für Unternehmen und Nutzer ergeben sich daraus neue Herausforderungen: zum einen die Geräte vor unerlaubtem Zugriff zu schützen, wenn sie entwendet oder verloren werden, zum anderen aber, sie vor Schadsoftware zu schützen, die unerwünscht auf das mobile Endgerät gelangt und einen Schaden verursacht, so wie man dies bereits von Computerviren kennt.31 Aufgrund der hochgradigen Vernetzung der Informationen und der Nutzer über die sozialen Netzwerke kann hierbei ein erheblicher Schaden entstehen. Hierfür werden in Zukunft neue präventive Maßnahmen und Konzepte notwendig sein. Personalisierung von Produkten: Gemäß Prahalad und Krishnan ergibt sich ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil für Unternehmen durch die Fähigkeit, sich auf die individuellen Kundenbeziehungen zu fokussieren und Produkte und Dienstleistungen spezifisch auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten anzubieten. Dabei wird der Kunde zum „Co-Produzenten“. Unternehmen sollten den Kunden dazu einladen, in dem Wertschöpfungsprozess mitzuwirken. Voraussetzung für das Funktionieren eines solchen Geschäftsmodells ist die Bereitschaft des Kunden, im Erstellungsprozess mitzuwirken; genau das ist es, was viele Kunden wünschen. Dem Kunden soll dabei die Wahrnehmung vermittelt werden, dass er der einzige und wichtigste Kunde des Unternehmens ist. Diese Tatsache drücken Prahalad und Krishnan auch mit der Formel „N = 1“ aus.32 Mithilfe der modernen Informations- und Kommunikationstechnik werden solche personalisierten Produkte immer häufiger für den Kunden zu erschwinglichen Preisen Wirklichkeit. Dieser Ansatz ist in der Literatur bereits angedacht worden und unter dem Namen „Mass Customization“ bekannt. Das Konzept von Prahalad und Krishnan geht aber weit darüber hinaus, indem dem Kunden absolut individualisierte Produkte und Dienstleistungen angeboten werden sollen.
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Liestol (2009). Decker/Schiefer (2010). Prahalad/Krishnan (2008).
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Was unter kundenindividueller Produktion zu verstehen ist, soll anhand von drei Beispielen aufgezeigt werden: Bekleidung: Kunden können z. B. ihre eigene Oberbekleidung in der von ihnen gewünschten Form, Größe und Farbe mit der von ihnen gewünschten Beschriftung zusammenstellen (http://www.spreadshirt.de). Drogeriemarkt: Kunden können sich ein speziell auf sie zugeschnittenes Make-up erstellen lassen (http://www.realwomenmakeup.com). Lebensmittel: Kunden können sich genau auf ihre Bedürfnisse und ihren Geschmack abgestimmt ein eigenes Müsli mischen (http://www.uk. mymuesli.com). Strategien im Social CRM: Unternehmen müssen sich ein Konzept erstellen, wie und mit welchen Sozialen Medien sie in Zukunft mit dem Kunden in Kontakt treten wollen. Dabei bieten vor allem die Sozialen Medien die Möglichkeit, einen Kunden in seinem Entscheidungsprozess hinsichtlich seiner Bedürfnisse und Wünsche schon vor der Kaufentscheidung zu beeinflussen. Während dieses vorgelagerten Prozesses, der oft nur im Freundeskreis und sozialen Umfeld des Kunden stattfindet, war es Unternehmen bisher jedoch nur schwer möglich, potenzielle Kunden zu erreichen. Erst nachdem der Kunde sich entschieden hat, ein bestimmtes Produkt zu kaufen oder eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen, ist er in den Einflusskreis von Unternehmen gelangt.33 Allerdings ist beim Eingreifen von Unternehmen sensibel und sorgfältig vorzugehen. Denn Kunden möchten nicht unbedingt mit Unternehmen über ihre Bedürfnisse sprechen. Dies ist für sie erst dann sinnvoll, wenn sie daraus einen Nutzen für sich ziehen können.34 Hinsichtlich des Agierens von Unternehmen in den Sozialen Medien können folgende Herangehensweisen unterschieden werden:35 Passive Social-Media-Strategie: Das Unternehmen ignoriert die Inhalte und die Kommunikation in den Sozialen Medien. Dies ist vor allem dann angebracht, wenn die angestrebte Zielgruppe nicht oder kaum in dem entsprechenden Medium vertreten ist. Sollten sich die Bedingungen ändern, muss dies erneut vom Unternehmen überdacht und bewertet werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass das Unternehmen bei entscheidenden Diskussionen der Nutzer nicht miteinbezogen ist und aktuelle Entwicklungen nicht Winters/Hafner (2010) (Quelle: http://www.peppersandrogersgroup.com/DocumentDownload. aspx?Doc_ID=32598) (18.10.2010). Ceyp/Rohde (2010), S. 223-244. Ceyp/Rohde (2010), S. 223-244.
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mitbekommt. Auch kann so ein Unternehmen nichts darüber erfahren, ob u. U. auch aufgrund von Missverständnissen „negative Schlagzeilen“ entstehen. Teilweise werden solche negativen Vorfälle nach einer gewissen Zeit (ca. 2 bis 4 Wochen) von klassischen Medien wie den Zeitungen aufgegriffen. In einem solchen Fall muss spätestens dann ein Unternehmen reagieren. Reaktive Social-Media-Strategie: Social Media Monitoring: Das Unternehmen entscheidet sich dafür, die Inhalte in den Sozialen Medien zu beobachten und nur, wenn es notwendig erscheint, einzugreifen. Zum Beispiel wenn ein Kunde sich über eine Lieferung oder die Produktqualität beklagt; dann sollte ein Unternehmen davon erfahren und dazu Stellung nehmen; u. U. ist es erforderlich, den Sachverhalt aus seiner Sicht zu beschreiben und klarzustellen. Hierfür ist ein Social Media Monitoring notwendig, welches bereits von einigen Softwareherstellern angeboten wird. Das Reagieren auf solche Vorfälle sollte möglichst zeitnah geschehen, da sonst die Informationsverbreitung weiter fortschreitet. Proaktive Social-Media-Strategie: a) Das Unternehmen nimmt mit bestimmten Mitarbeitern an den Sozialen Medien teil, tritt in die Interaktion mit Interessenten und Kunden und reagiert z. B. auf Kommentare in Blogs. Dabei muss klar sein, dass eine solche Kommunikation nicht gesteuert werden kann.36 b) Das Unternehmen greift proaktiv in das Geschehen in den Sozialen Medien ein. Dies hat mit Bedacht zu erfolgen, da die Nutzer keine vorgefertigten Informationen akzeptieren werden. Vorteilhaft an der Stelle ist es, wenn ein offener und ehrlicher Dialog zwischen den Kunden und z. B. Mitarbeitern des Vertriebs stattfindet. Firmen können hierfür beispielsweise entsprechende Stellen im Internet für eine solche Kommunikation anbieten, an denen sich Kunden zu Wissen, Erfahrungen und Problemstellungen bei Produkten austauschen können.37
Zusammenfassung
In diesem Beitrag wurden zunächst die Begriffe Soziale Medien, Social CRM und Mobile Buiness definiert. Im Anschluss daran wurden die Besonderheiten der Kundengruppen des Business-to-Consumer- und des Business-to-Business36 37
Winters/Hafner (2010) (Quelle: http://www.peppersandrogersgroup.com/DocumentDownload. aspx?Doc_ID=32598) (18.10.2010). Kosonen (2008).
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Bereichs herausgearbeitet und es wurde besonders auf die Bedürfnisse der Digital Natives eingegangen, welche sowohl in der Rolle der Mitarbeiter als auch der Interessenten und Kunden auftreten können. Danach wurden die verschiedenen Kategorien Sozialer Medien anhand von Beispielen vorgestellt. Basierend auf diesen Informationen wurde auf mögliche Inhalte eingegangen, die von einem Unternehmen in Sozialen Medien zur besseren Kundenansprache und -interaktion präsentiert werden können. Schließlich wurden die verschiedenen Herausforderungen, welche sich aus den Sozialen Medien und der hohen Nutzung mobiler Endgeräte für das CRM und Mobile Business ergeben, aufgezeigt. Hierbei wurden folgende Themen adressiert:
Mobile Dienste sollten in Zukunft vermehrt kontextsensitive Informationen berücksichtigen. Mobile Diensten benötigen Konzepte zum Schließen bestehender und aufkommender Sicherheitslücken. Bewertungen von Produkten oder anderen Informationen werden zukünftig über den „Gefällt mir“-Knopf in soziale Netzwerke verlagert. Bei der Ansprache von Interessenten und Kunden sollte in Zukunft vermehrt darauf geachtet werden, dass für den Nutzer auch gleich der nächste Schritt eines Online-Kaufes bequem möglich ist. Kunden in sozialen Netzwerken möchten die Beziehung zu Unternehmen und Produkten, die sie interessieren, gerne selbst gestalten und verwalten. Kunden möchten auf sie direkt personalisierte Produkte erhalten und bei dem Erstellungsprozess miteinbezogen werden. Für die Gestaltung von Kundenbeziehungen müssen sich Unternehmen generell überlegen, wie sie in den sozialen Medien auftreten und interagieren möchten. Hierfür sind verschiedene Interaktionsstrategien möglich.
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Rebecca Bulander
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Die Autorin Prof. Dr. Rebecca Bulander lehrt Quantitative Methoden und Betriebswirtschaftslehre an der Fakultät für Technik, Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen, der Hochschule Pforzheim. Sie hat an der Hochschule Pforzheim Wirtschaftsingenieurwesen und an der FernUniversität Hagen Betriebswirtschaftslehre studiert. Anschließend hat sie am Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe und an der Universität Karlsruhe (TH), heute Karlsruher Institut of Technology, zum Thema Customer-Relationship-Management-Systeme unter Nutzung mobiler Endgeräte promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Customer Relationship Management sowie Prozessmanagement und -modellierung. Kontakt Prof. Dr. Rebecca Bulander Hochschule Pforzheim Fakultät für Technik Tiefenbronner Straße 65 75175 Pforzheim
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Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media – Ergebnisse einer Befragung von Führungskräften aus der CallcenterBranche Heike Simmet Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media
1 2 2.1 2.2 3 3.1 3.2 4
Einleitung.................................................................................................. 110 Nutzung von Social Media im Kundenservice.......................................... 111 Relevanz von Social Media für Callcenter................................................ 111 Methodisches Vorgehen............................................................................ 115 Konsequenzen........................................................................................... 125 Anforderungen an die Mitarbeiter im Kundenservice............................... 125 Organisatorische Anpassungen ................................................................. 126 Schlussbetrachtung ................................................................................... 127
Management Summary Die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung zur Nutzung von Social Media bei Entscheidungsträgern im Kundenservice an der Hochschule Bremerhaven zeigen, dass die Diskussion über Social Media inzwischen auf breiter Front in der Praxis angekommen ist. Die überwiegende Mehrheit der befragten Entscheidungsträger in Callcentern denkt inzwischen über eine Integration von Social Media nach. Die explizite Einbindung als selbständiger Kommunikationskanal ist jedoch erst in wenigen Callcentern erfolgt. Es fehlt vor allem an einer klar konzipierten Social-Media-Strategie. Auch die Datenschutzproblematik stellt einen schwerwiegenden Hinderungsgrund für die Einbindung von Social Media als Kommunikationskanal in den Kundenservice dar. Vor allem
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Heike Simmet
an den Callcenter-Dienstleistern geht der Trend zum Social Web als eigenständigem Kommunikationskanal bislang vorbei. Ziel des vorliegenden Beitrages ist die Messung des momentanen Nutzungsstandes von Social Media in Callcentern sowie der generellen Einstellung der Callcenter-Betreiber gegenüber Social Media. Diese erste Erhebungswelle ist Teil einer Social-Media-Monitoring-Studie, die Veränderungen in der Nutzung von Social Media im Kundenservice aufzeigen soll. 1
Einleitung
Das Kommunikationsverhalten in unserer Gesellschaft ist gerade dabei, sich durch Social Media grundlegend zu verändern (Qualman 2010). Studien belegen mittlerweile, dass die Nutzung des Mediums Telefon als des bislang am intensivsten genutzten Kommunikationsinstruments langsam, aber dennoch spürbar zurückgeht (Klopp 2010). Stattdessen gewinnt die Netzwerkkommunikation einen immer größeren Stellenwert. Gerade in den jüngeren Altersklassen, allen voran in der heranwachsenden Generation „Z“, d. h. bei den nach 1990 Geborenen, aber auch in der etablierten Generation „Y“, d. h. bei den nach 1980 Geborenen, ist es mittlerweile selbstverständlicher Standard, nicht nur „always on“ zu sein, sondern sich über Twitter, Facebook oder StudiVZ auch laufend seinen Netzwerkpartnern mitzuteilen. Die Kommunikation in diesen Generationen wird demnach nicht weniger, sondern mehr und intensiver. Der Trend geht dabei in Richtung einer neuartigen schriftlichen Kommunikation, die auf eigenen Zeichen, Kurzformen und Anglizismen basiert. Damit verbunden ist eine Tendenz zur asynchronen Kommunikation, d. h. einer zeitlich versetzt stattfindenden Kommunikation. Diese weist eine deutlich stärkere zeitliche Flexibilität auf, da sich die Netzwerkpartner nicht mehr an die gesellschaftlich akzeptierten Zeiten der Telefonkommunikation halten müssen. Die asynchrone Kommunikation findet vielmehr dann statt, wenn der Nutzer es wünscht. Diese Entwicklungen erfordern notwendigerweise eine Anpassung der wirtschaftlich relevanten Kommunikation. Auch diese muss sich auf die veränderten Kommunikationsbedürfnisse in der Gesellschaft einstellen. Die in der Vergangenheit übliche „Unterbrecher-Kommunikation“ durch nicht erwünschte Telefonate, die den Kunden bei der Ausübung anderer Tätigkeiten stört, wird daher auf Dauer keinen Bestand mehr haben. Nicht nur gesetzliche Regelungen und Beschränkungen im Telefonmarketing, sondern auch die deutlich höhere Effizienz einer asyn-
Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media
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chronen Kommunikation werden dazu führen, dass sich eine ganz neue Kommunikationsvielfalt herausbildet. Die klassischen Medien wie Telefon, Brief oder EMail werden daher immer stärker durch die neuen Netzwerkkanäle ergänzt. Eine Studie der Universität Oldenburg in Kooperation mit der Constructiv GmbH, Berlin, ergab im Dezember 2009 folgende Kernergebnisse: 1. 2. 3. 4.
5.
60 % der 100 größten Marken nutzen in Deutschland bereits aktiv Social Media. Eine umfassende Social-Media-Strategie ist noch die Ausnahme: Nur 5 % bedienen zugleich Facebook, Twitter, YouTube und Corporate Blogs. Twitter ist der beliebteste Social-Media-Dienst: 39 % der Marken nutzen ihn, gefolgt von YouTube mit 37 %, Facebook mit 28 % und Corporate Blogs mit 12 %. Telekommunikation und Unterhaltungselektronikhersteller sind bei der Social-Media-Nutzung führend: 92 % bzw. 80 % der Marken aus diesen Branchen nutzen Social Media. Schlusslichter sind bislang die Chemieindustrie und die Finanzdienstleister. Generell gilt: Je aktiver Social Media betrieben wird, desto stärker ist die Resonanz der Internetnutzer (Universität Oldenburg, Construktiv GmbH 2009).
Ein aktuelles Forschungsprojekt der Universität St. Gallen belegt, dass 87 % der in die Untersuchung einbezogenen Unternehmen in Zukunft von einer weiterhin steigenden Bedeutung von Blogs, Wikis und Social Networks ausgehen. Die Dringlichkeit einer schnellen Umsetzung wird von der Mehrzahl der befragten Führungskräfte in der Studie „Perspektiven von Social Media für Marketing und Unternehmenskommunikation“ vom Instititut für Marketing an der Universität St. Gallen (IFM) jedoch unterschätzt. Etliche Faktoren verzögern noch den Einsatz. Neben der Angst vor einem Kontrollverlust hemmt vor allem die mangelnde Verarbeitung des Feedbacks im Social Web die konsequente Umsetzung. Dies wiederum führt gerade im Social Web zur Unzufriedenheit der Kunden (Kohlbrück 2010, S. 14). 2
Nutzung von Social Media im Kundenservice
2.1 Relevanz von Social Media für Callcenter Die Callcenter-Branche sieht sich aufgrund der vorgenommenen Verschärfungen in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, insbesondere durch das Gesetz zur
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Heike Simmet
Bekämpfung unerlaubter Telefonwerbung, zu starken Veränderungen in der strategischen Ausrichtung veranlasst. Imageschädigende Cold Calls werden nun gesetzlich deutlich härter geahndet und führen so insgesamt zu einem Rückgang im Outbound-Telefon-Marketing. Eine spürbare Verlagerung in das InboundTelefon-Marketing ist die Konsequenz. Durch Social Media eröffnet sich nun kompensatorisch ein neuer Kommunikationskanal im Multichannel-Mix. Social Media ist daher ein Thema von höchster Bedeutung gerade auch für Callcenter. Callcenter müssen jetzt entscheiden, wie sie sich den Veränderungen durch Social Media anpassen. Besonders betroffen ist der Kundenservice als zentrale Aufgabe von Callcentern. Dieser wird sich durch die ansteigende Nutzung von Social Media immer mehr in den virtuellen Raum hinein verlagern. Die durch Outbound-Kommunikation induzierte PushKommunikation wird auf diesem Wege immer mehr durch eine vom Kunden selber initiierte Pull-Kommunikation verdrängt. Mittelfristig sind erhebliche Veränderungen durch Social Media Commerce zu erwarten. Im Einzelnen ergeben sich folgende Potenziale:
Soziale Netzwerke bieten eine Ausgangsplattform für ein breites Angebot an sozialen Service-Technologien. Auf diese kann dann über ein soziales Netzwerk zurückgegriffen werden. Erhöhung der Bekanntheit des eigenen Kundenservices durch Unternehmensprofile in öffentlichen Netzwerken oder Aufbau eines eigenen Netzwerkes Verbesserung der Service-Qualität und des Service-Images Nutzung als Instrument der Informationsgewinnung im Sinne des „Wisdom of Crowed“, d. h. des Wissens der Masse (Detecon 2010, S. 29)
Erste Anwendungsbeispiele zeigen, dass es durch die Integration von Social Media in den Multichannel-Kommunikations-Mix gelingen kann, einen authentischen und intensiven Dialog in der virtuellen Welt mit den Kunden aufzubauen und sich auf diesem Wege strategisch relevante Erfolgspotenziale zu sichern. Kundenzufriedenheit lässt sich auf diesem Wege in die heute zunehmend wichtiger werdende Kundenbegeisterung umwandeln. Als Vorreiter für die Nutzung von Social Media im Kundenservice gilt Zappos.com. Dieser hat sich zu einem der führenden Online-Händler für Schuhe in den USA entwickelt. Das 1999 gegründete Unternehmen verfolgt das Ziel, die erste Online-Anlaufstelle für Schuhliebhaber zu werden. Mittlerweile wurde aus
Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media
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Zappos.com weit mehr als ein Online-Schuhhandel. Mit Hauptfokus auf dem überlegenen Kundenservice – 365 Tage Rückgaberecht, Livechat, 7 Tage/24 Stunden Erreichbarkeit für den Kunden – hat Zappos.com sich zur Nummer eins im Schuh- und Accessoires-Handel etabliert. Zappos setzt stark auf das interne Marketing und auf moderne Enterprise-2.0Ansätze (Koch/Richter 2007). Bei Zappos sind vom CEO bis zum Agenten alle Mitarbeiter auf Twitter aktiv. Im Zentrum der Strategie steht der bestmögliche Kundenservice. Sogar die internen „all hands meetings“ werden öffentlich zugänglich gestreamt (Echtzeit-Übertragung von Multimedia). Das zeigt einerseits die Offenheit und Transparenz des Unternehmens, denn es verbirgt nichts. Jeder Außenstehende kann bei der Lösung von Kundenproblemen mithelfen. Andererseits ist es höchst effizientes Marketing: Der Ansatz ist so ungewöhnlich, dass die Kunden und auch die Fachpresse darüber kommunizieren (Hsieh 2010, S. 46-53). Dieser Social-Media-Ansatz von Zappos mag extrem erscheinen und wird auch nicht für jedes Unternehmen passen. Dennoch zeigt er Zukunftsperspektiven des Kundenservices für die gesamte Callcenter-Branche auf. Zappos gehört inzwischen zu den beliebtesten und bekanntesten Online-Marken in den USA. Auf Twitter hat das Unternehmen über 1,7 Mio. Follower und stellt eines der meistzitierten Erfolgsbeispiele für den Einsatz von Social Media dar. Dem Schuhhändler gelingt es, über den Weg der Erzielung von Mitarbeiterzufriedenheit und durch die Schaffung einer größtmöglichen Autonomie der Mitarbeiter gleichzeitig die Kundenzufriedenheit zu optimieren. Das Ergebnis ist eine für die gesamte Callcenter-Branche bemerkenswert hohe Kundenzufriedenheit. Die Einbindung von Social Media erweist sich damit als ein wichtiger Erfolgsfaktor im externen Marketing des Unternehmens. Zentraler Baustein im interaktiven Marketing zwischen Agents und Kunden via Social Media ist insbesondere Twitter. Die Agents von Zappos sondieren in einem permanenten Monitoring die Tweeds auf Twitter und reagieren sehr schnell auf artikulierte Kundenäußerungen. Ein unmittelbares und für die Kunden selbst teilweise überraschend individuelles Feedback wird hierdurch erzielt. Gleichzeitig ermöglicht diese Präsenz auf Twitter eine Erfassung latent vorhandener Kundenbedürfnisse. Die resultierende Kommunikation mit den Kunden im Wege des interaktiven Marketings ist äußerst effektiv. Die für den Geschäftserfolg letztendlich entscheidende subjektiv empfundene Servicequalität kann hierdurch deutlich gesteigert werden und auf diesem Wege die Wettbewerbsposition nachhaltig gegenüber denjenigen Callcentern stärken, die sich lediglich auf die objektiv messbare und zertifizierte Servicequalität verlassen.
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Das Beispiel Zappos macht in der Callcenter-Branche immer mehr Schule. So nimmt zum Beispiel auch die Telekom in einem Pilotprojekt via Twitter unter dem Motto „Hier hilft das Telekom Service-Team in der besten Überzeugung, dass Service mit 140 Zeichen geht“ bereits sämtliche Service- und Hilfegesuche von ihren Privat- und Geschäftskunden entgegen. Im weiteren Schritt wurde der Social Media Support der Telekom auf Facebook ausgeweitet. Weitere Unternehmen folgen dieser Entwicklung. Der Computerhersteller Dell hat beispielsweise mittlerweile an die 1 000 Mitarbeiter für die Social-Media-Kommunikation zum Zwecke der Verbesserung der Servicequalität geschult. (Kohlbrück 2010, S. 4). Microsoft nutzt den Microblog-Dienst Twitter http://twitter. com/xboxsupport, um Käufern der Xbox 360 technischen Support zu liefern. Diese Social-Media-Kommunikationsform hat über 35 000 Follower, genießt die höchste Kundenzufriedenheit aller Support-Kanäle und wurde mit dem Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde als „schnellste antwortende Marke auf Twitter“ belohnt. Als weiterer Innovator in der Integration von Social Media in den Kundenservice ist Opel zu nennen. Opel gehört zu einem der ersten Automobil-Hersteller, der als Pilotprojekt den Kundenservice auf die Social-Media-Kanäle ausgeweitet hat. Das Customer Care Team monitort seit Juli 2010 das Web auf Twitter nach Nutzern, die nach Informationen suchen oder Probleme mit ihrem Auto haben. Der Online-Dialog mit den Kunden hat bei Opel bereits Tradition. Sehr früh setzte Opel z. B. mit dem Opel Astra Blog auf die direkte Interaktion mit den Kunden. Als besonders innovativ ist die Einbeziehung so genannter Super User in den Kundenservice zu bezeichnen. Die Schlafwelt-Community des Ottoversands hält z. B. Wissen rund um das Thema Schlafen bereit. Das Grundprinzip ist einfach: Unter dem Motto „Customer helps Customer“ beantworten Kunden Fragen von Kunden. Um Qualität zu gewährleisten, dürfen nur ausgewählte „Hiogis“ die Fragen beantworten – genauer: nur Hiogis, die mindestens den Status „Advanced Brain Level“ erreicht haben, d. h. zwischen 100 und 499 Fragen richtig beantwortet haben. Jede Antwort bedarf zudem mindestens einer Verifizierung durch einen anderen Hiogi, eine weitere Qualitätssicherung also. Ein weiteres Beispiel für die Integration von Kunden als so genannte Superuser bietet der CallcenterDienstleister Value 5. Auch hier werden Kunden als Experten bewusst für die Zwecke eines hochwertigen Kundenservices eingesetzt. Der Mikroblog Twitter hat den entscheidenden Vorteil, kostengünstig und einfach bedienbar zu sein. Andere Social-Media-Instrumente erfordern hingegen weit mehr Investitionen im Technologie- und Personalbereich. So ist zum Beispiel der Corpo-
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115
rate Blog wesentlich aufwändiger in der Konzipierung, Gestaltung und Pflege realisierbar. Die Nachhaltigkeit ist hingegen gegenüber dem sehr flüchtigen Medium Twitter deutlich höher. Unter strategischen Gesichtspunkten ist daher die Investition in eine höherwertigere Social-Media-Kommunikationsform wie z. B. in Corporate Blogs oder aber durch eine strategisch geplante Präsenz in Facebook für Callcenter zu bevorzugen, die langfristig eine Qualitätsführerschaft im Wettbewerb anstreben. Das Beispiel Frosta zeigt auf, wie erfolgreich eine derartige Präsenz im Social-Media-Bereich durch einen Mitarbeiterblog sein kann. Die Integration in den Kundenservice befindet sich jedoch insgesamt betrachtet trotz der exponentiell ansteigenden Nutzung z. B. von Twitter, Facebook und Foursquare durch private User noch in den Anfängen. Fest steht, dass die Callcenter-Branche in Deutschland über erhebliche Defizite in der praktischen Umsetzung der Anwendung von Social Media verfügt. Bislang wird Social Media Management primär vom Marketing und von der Öffentlichkeitsarbeit großer Markenunternehmen betrieben. 2.2 Methodisches Vorgehen Im Zeitraum vom 09.07.2010 bis zum 31.07.2010 wurde eine Befragung vom Labor Marketing und Multimedia (MuM) in Kooperation mit dem Weiterbildungsstudium Communication Center Management (CCM) der Hochschule Bremerhaven durch einen Online-Fragebogen durchgeführt. Mehr als 200 Führungskräfte und Entscheidungsträger in Callcentern beteiligten sich an der Studie. Die Führungskräfte stammen zu knapp 58 % aus Inhouse-Callcentern und zu 42 % aus Callcenter-Dienstleistern. Die Studie deckt den kompletten Branchen-Mix ab. 42,60 % der befragten Callcenter sind „Helpdesk, Inbound- und OutboundCenter“. 30,40 % sind Inbound- und Outbound-Callcenter. 11,50 % sind Inbound-Callcenter. Als Helpdesk und Inbound-Callcenter sind 10,80 % tätig. 4,70 % sind Outbound-Callcenter. Befragt wurden Führungskräfte aus Callcentern unterschiedlicher Größenstrukturen. Neben den großen Callcentern mit über 500 Seats wurden auch kleine und mittlere Callcenter in die Untersuchung einbezogen. Die folgende Abbildung 1 verdeutlicht die Verteilung der Anzahl von Seats in den befragten Callcentern. Obwohl es sich beim vorliegenden Social Media Monitoring um eine Trendstudie handelt, lassen sich aufgrund der Anzahl und der Verteilung der beteiligten Führungskräfte übergreifend gültige Sachstände und Entwicklungen ableiten.
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Abbildung 1: Anzahl der Seats der befragten Callcenter Die Quote der komplett abgeschlossenen Fragebögen liegt bei 72,70 %. Für die Auswertung wurden nur Fragebögen berücksichtigt, die mindestens eine Vollständigkeit von 50 % aufweisen. Einzelergebnisse Die erste Erhebungswelle der Social-Media-Monitorings-Studie an der Hochschule Bremerhaven zur Nutzung von Social Media im Kundenservice zeigt, dass die Diskussion über Social Media inzwischen in der Callcenter-Praxis angekommen ist. Mehr als 40 % der Führungskräfte in deutschen Callcentern sind jedoch noch nicht über die Nutzungsmöglichkeiten von Social Media im Callcenter informiert.
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Frage 1: Kennen Sie die Nutzungsmöglichkeit von Social Media im Bereich der Kundenbetreuung?
N = 211 Abbildung 2: Kenntnis der Nutzungsmöglichkeiten von Social Media Nur diejenigen Führungskräfte, die angaben, über die Nutzungsmöglichkeit von Social Media für den Kundenservice informiert zu sein, wurden in die weitere Untersuchung einbezogen. Die Kriterien für eine Social-Media-Nutzung im Kundenservice sind vielfältig: Ziel der Nutzung von Social Media ist vor allem das Erhalten von Feedback für Produkte und Dienstleistungen, die Steigerung der Kundenzufriedenheit sowie der Erfahrungs- und Wissensaustausch mit den Kunden. Hinzu kommen Aspekte wie die Verbesserung der Kundenansprache, die Gewinnung von Kundeninformationen sowie die Neukundengewinnung.
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Frage 2: Was sind für Sie mögliche Kriterien einer Social-Media-Nutzung in Ihrem Callcenter?
N = 102 N=102 Abbildung 3: Kriterien einer Social-Media-Nutzung Die Frage 3 der Erhebung „Bietet Ihre Software- und Hardware-Umgebung die Voraussetzungen für die Integration von Social-Media-Anwendungen?“ wurde von 46,50 % der Befragten mit „Ja“, von 37,60 % mit „Nein“ und von 15,90 % mit „Weiß nicht“ beantwortet. Die Mehrheit der befragten Entscheidungsträger in Callcentern – hier wiederum nur diejenigen, die die Nutzungsmöglichkeiten von Social Media prinzipiell kennen – denkt inzwischen über eine Integration von Social Media zumindest nach. 79,00 % der befragten Führungskräfte in Callcentern sind bereits mit der Integration des Kommunikationskanals „Social Media“ gedanklich befasst. 21,00 % haben sich hiermit noch nicht auseinandergesetzt. Die Mehrheit der befragten Personen, denen die Nutzungsmöglichkeit von Social Media im Bereich der Kundenbetreuung bekannt ist, hat also bereits über eine mögliche Integration des Kommunikationskanals Social Media in ihr Callcenter zumindest reflektiert.
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Frage 4: Haben Sie bereits über die Integration des Kommunikationskanals „Social Media“ in Ihr Callcenter nachgedacht?
N = 100 Abbildung 4: Reflexion über die Integration des Kommunikationskanals „Social Media“ Die explizite Einbindung als selbständiger Kommunikationskanal ist jedoch erst in wenigen Callcentern erfolgt. Callcenter, die bereits über eine Integration des Kommunikationskanals Social Media in ihr Callcenter nachgedacht haben, sehen überwiegend Handlungsbedarf. In knapp 18 % der Unternehmen ist eine Integration bereits erfolgt. Die Mehrheit plant eine Integration in den nächsten 12 Monaten (40,5 %). Knapp 40 % der befragten Callcenter sehen den Handlungsbedarf, haben jedoch noch keine Integration des Kommunikationskanals Social Media geplant. Im Folgenden wurden in Frage 4.1 nur Personen befragt, die bei Frage 4 geantwortet haben, dass sie bereits über die Integration von Social Media als Kommunikationskanal nachgedacht haben.
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Frage 4.1:
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Sehen Sie für Ihr Callcenter derzeitig Handlungsbedarf?
N = 79 Abbildung 5: Erkennen von Handlungsbedarf Man konzentriert sich in der Callcenter-Branche nach wie vor auf die klassischen Kommunikationskanäle wie Telefon, E-Mail, Fax und Brief/Post. Social Networks wie Facebook, Twitter oder Myspace sowie Web-2.0-Anwendungen wie Internet-Foren, Mobile Web, Youtube oder Wikis werden eher seltener genutzt. Über die Integration der sich in unermesslicher Geschwindigkeit entwickelnden Social-Media-Netzwerke wird vielfach erst in Ansätzen nachgedacht. Es fehlt vor allem an einer klar konzipierten Social-Media-Strategie. Auch die Datenschutzproblematik stellt einen schwerwiegenden Hindernisgrund für die Einbindung von Social Media als Kommunikationskanal in den Kundenservice dar. Weitere Argumente sind: keine Nachfrage, keine technischen Voraussetzungen sowie keine vorhandenen Kosten-Nutzen-Schätzungen. Die befragten Führungskräfte in Callcentern erkennen überwiegend, dass die Integration von Social Media Konsequenzen für die Qualifizierung der Mitarbeiter hat. So sehen 70 % das Erfordernis neuer Trainings- und Weiterbildungsmaßnahmen sowie eine höhere Dialog-Kompetenz. Aber auch eine höhere soziale Kompetenz, mehr Flexibilität und mehr Kreativität werden als erweiterte Anforderungsprofile an die Mitarbeiter im Kundenservice gesehen.
Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media
Frage 5:
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Welche Anforderungen an Ihre Mitarbeiter und deren Ausbildung erwarten Sie bei verstärktem Einsatz von Social Media zur Kundenbetreuung?*
N = 94 Abbildung 6: Neue Anforderungen an die Mitarbeiter Die Integration von Social Media als eigenständigem Kommunikationskanal im Kundenservice wird nach Ansicht der befragten Führungskräfte das Selbstverständnis der Mitarbeiter völlig wandeln. Fast ein Fünftel der befragten Führungskräfte kann sich vorstellen, dass sich ihre Agents völlig frei im Netz bewegen und aktiv den Kundensupport für das Unternehmen übernehmen. Über die Hälfte der befragten Führungskräfte in Callcentern kann sich dies unter entsprechender Anleitung vorstellen.
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Frage 6:
Heike Simmet
Könnten Sie sich vorstellen, dass sich Ihre Agents in Zukunft selbständig im Netz bewegen und dort aktiv die Kundenbetreuung vornehmen?
N = 96 Abbildung 7: Rolle der Agents im Netz Vor allem an den Callcenter-Dienstleistern geht der Trend zum Social Web als eigenständigem Kommunikationskanal bislang vorbei. Die überwiegende Mehrheit der befragten Inhouse-Callcenter kann sich nicht vorstellen, den Kundenservice an einen externen Dienstleister abzugeben. Dies kommt nur für gerade einmal 9 % der befragten Unternehmen in Frage.
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Frage 7.1: Könnten Sie sich vorstellen, den Kommunikationskanal Social Media an einen externen Dienstleister abzugeben?
N = 55 Abbildung 8: Outsourcing des Social-Media-Kanals Es fehlt spiegelbildlich auch an expliziten Unternehmensanfragen nach den Nutzungsmöglichkeiten von Social Media bei den Callcenter-Dienstleistungsunternehmen. Nur knapp 40 % der Callcenter-Dienstleister haben hierzu bereits konkrete Anfragen.
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Heike Simmet
Frage 7.2: Gab es bereits explizite Unternehmensanfragen nach Nutzungsmöglichkeiten von Social Media in Ihrem Callcenter?
N = 39 Abbildung 9: Anfragen nach Social Media an Callcenter-Dienstleister Eines lässt sich aus den Untersuchungen bereits jetzt ableiten: Social Media wird zu starken Veränderungen in der Arbeitsweise von Callcentern in den nächsten drei Jahren führen. Gut 3 % der befragten Führungskräfte gehen von einer vollkommenen Änderung der Arbeitsweise in Callcentern aus. Mehr als die Hälfte der befragten Führungskräfte im Kundenservice ist sich sicher, dass Social Media die Arbeitsweise von Callcentern bereits innerhalb der nächsten drei Jahre stark beeinflussen wird. Von einer etwas starken Beeinflussung geht immerhin ein gutes Drittel aus. Nur knapp 13 % der befragten Führungskräfte sehen keine oder nur wenig Beeinflussung von Social Media auf die Arbeitsweise von Callcentern in den nächsten drei Jahren.
Herausforderungen an den Kundenservice durch Social Media
Frage 8:
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Wie wird Social Media die Arbeitsweise von Callcentern in den nächsten 3 Jahren beeinflussen?
N = 95 Abbildung 10: Beeinflussung der Arbeitsweise von Callcentern durch Social Media 3
Konsequenzen
3.1 Anforderungen an die Mitarbeiter im Kundenservice Noch nicht gelöst ist die komplexe Problematik der Qualifizierung der Mitarbeiter für die in Zukunft noch anspruchsvolleren Aufgaben im Callcenter. Nicht nur für die Agents, sondern auch für die Führungskräfte im Kundenservice ergeben sich in Zukunft ganz neue Herausforderungen. Gefragt sind künftig universell einsetzbare Multiskiller, die in der Lage sind, flexibel alle Kommunikationskanäle im Callcenter gleichzeitig zu steuern. Dies wird zu stark erweiterten Anforderungsprofilen der Mitarbeiterqualifikationen im Callcenter führen. Diese neuen Anforderungen beziehen sich vor allem auf das Beherrschen eines ganzheitlichen Kundendialogmanagements.
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Neben einer ausgeprägten Dialog-Kompetenz kommt der Themenkompetenz der Agents im Kundenservice mit Social Media eine zentrale Bedeutung zu. Die Fähigkeit zu telefonieren und das Ablesen von Telefonskripten reicht für eine Nutzung der Social Media nicht aus. Vielmehr muss eine fundierte Sachkompetenz der Agents vorliegen. Darin liegt typischerweise die Stärke der InhouseCallcenter, während die Dienstleister hier in der Regel Schwachstellen aufweisen. Dies wiederum führt zu einer Stärkung der Position der Inhouse-ServiceCenter im Branchenwettbewerb. Den „Switching Agents“, die schnell zwischen den Kommunikationskanälen hin und her wechseln können, müssen wiederum medienerfahrene Führungskräfte an die Seite gestellt werden, die kompetent und souverän die Kanalvielfalt im Kundenservice dirigieren können. Bereits jetzt werden von innovativen Unternehmen für den Kundenservice im Web Social Media Manager gesucht, die auf den neuen Kanälen Twitter, Facebook und Blogs kundenorientiert und zugleich medienbewusst kommunizieren können. Diese wachsenden Anforderungen erhöhen den Qualifizierungsdruck in der Branche in Zukunft enorm. Die Personalentwicklung im Callcenter muss sich auf diese Herausforderung bereits heute einstellen, um in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben zu können. 3.2 Organisatorische Anpassungen Eine weitere noch offene Frage ist die organisatorische Einbindung der neuen Generation von Social Media Managern und ihren umfassenden Kommunikationsaufgaben. Fest steht bereits jetzt, dass sich diese nicht in traditionelle Organisationskonzepte einfügen lassen. Die gesamte Social-Media-Bewegung folgt dem Gegenstück zur Organisation und setzt weitestgehend auf selbstorganisatorische Prozesse. Diese sind in der neueren Systemtheorie in einer Vielzahl von Wissenschaften mittlerweile als Erfolgskonzept etabliert. Dennoch kann auf den organisatorischen Grundrahmen der Einbindung von Social Media in den Kundenservice natürlich nicht verzichtet werden. Organisation und Selbstorganisation sind komplementäre und sich reflexiv beeinflussende Prozesse, die eine adäquate gegenseitige Abstimmung erfordern. Für die Callcenter-Praxis hat dies zur Konsequenz, dass multifunktionale und zugleich interdisziplinär arbeitende Teams situativ zusammenarbeiten müssen. Neben dem klassischen Kundenservice müssen Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Multimedia-Technik sowie Informatik/KI als Disziplinen in diesen Teams eng kooperieren.
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Zudem müssen ganz klare organisatorische Regelungen für die Kommunikation im Social Web verankert werden. Erforderlich ist eine eindeutige Social Media Policy, in der die allgemeinen Standards, aber auch Freiheiten und Grenzen für das Agieren der Agents im Netz definiert werden. Der Einsatz von Social Media im Kundenservice erfordert für die Unternehmen tiefgreifende Change-Management-Prozesse. Es geht nicht lediglich darum, einen zusätzlichen Supportkanal einzurichten. Vielmehr ist die gesamte Sichtweise auf die Kundenkommunikation betroffen. Das traditionell dominierende eigenseitige Steuern und Selektieren der Kommunikationsinhalte und der Kommunikationsintensität muss einer offeneren und partnerschaftlicheren Interaktion mit einer Vielzahl von Kunden weichen. Nur wenn dieser Change-Management-Prozess als Aufgabe der gesamten Organisation verstanden wird, lässt sich eine überzeugende Integration von Social Media in den Kundenservice auch umsetzen. 4
Schlussbetrachtung
Insgesamt lässt sich ein erheblicher Nachholbedarf der gesamten CallcenterBranche in der Social-Media-Nutzung konstatieren. Offenbar hat die CallcenterBranche einen Megatrend verpasst. Immense Chancen der Profilierung im harten Wettbewerb bleiben bislang ungenutzt. Die Konsequenzen der tektonisch anmutenden Umbrüche, die für die gesamte Callcenter-Branche absehbar sind, werden deutlich unterschätzt. Die Mehrzahl der Unternehmen nutzt die Social-Media-Werkzeuge bislang vorwiegend als Marketing Tool und PR-Instrument (Scott 2009), während die Potenziale im Kundenservice noch weitestgehend übersehen werden. Neuere Studien zeigen, dass der Kunde aber gerade die Vorteile der Kommunikation mit den Unternehmen zum Zwecke des Kundenservices nutzen will, während Marketing- und PR-Botschaften eher als störend empfunden werden. So belegt eine aktuelle Untersuchung des Beratungsunternehmens Brand Science Institute, dass drei Viertel der mehr als 1 000 befragten Nutzer enttäuscht sind über die mangelnde Dialogorientierung und den geringen Service von Unternehmen bei Facebook und Twitter (Brand Science INSTITUTE 2010). Bei den Unternehmen besteht vielfach eine hohe Unsicherheit über die Nutzungschancen und natürlich auch -gefahren beim Umgang mit den Social Media. Es fehlt vielfach eindeutig an einer umfassenden Social-Media-Strategie. Stattdessen dominiert reiner Aktionismus und kurzfristiges Denken. Vergessen wird, dass die Kommunikation im Zeitalter 2.0 einem Paradigmenwandel gleich-
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Heike Simmet
kommt. Die klassische Einweg- und die gewohnte Dialog-Kommunikation über Telefon, Fax und E-Mail wird immer stärker abgelöst von einer für alle User offenen Netzkommunikation in Echtzeit, an der mehrere Personen gleichzeitig teilhaben. Diese neuen „many-to-many“-Kommunikationsformen sind nicht, wie man es von den klassischen Kommunikationskanälen her kennt, kontrollierbar, sondern sie entfalten vielmehr eine unberechenbare und nur kaum steuerbare Eigendynamik (Simmet 2010). Das Social Web weckt bei Kunden zunehmend das Bedürfnis, Service jederzeit und überall in Anspruch nehmen zu können. Die weiterhin ansteigende Diffusion von Social Media wird dieses Bedürfnis weiter verstärken. Die Unternehmensberatung Detecon geht in diesem Zusammenhang davon aus, dass deutsche Unternehmen branchenübergreifend bis zum Jahr 2015 im Durchschnitt etwa 25 % ihres gesamten Kundenkontaktvolumens über Social Media und Web-basierte Self Services abdecken werden (Detecon 2010). Literatur Brand Science Institute 2010, http://www.presseportal.de/pm/58990/1665724/brand_science_institute_gmbh_co Christakis, N.A.; Fowler, J.H.: Connected! Frankfurt am Main 2010. Detecon (Hrsg.) (2010): Kundenservice der Zukunft. Mit Social Media und Self Services zur neuen Autonomie des Kunden, Bonn. Dixon, M.; Freeman, K.; Toman, N. (2010): Was Kunden wirklich wollen, in: Harvard Business Manager, September 2010, S. 36-44. Hermes, V. (2010): Web 2.0 ermöglicht intelligente Services, in: absatzwirtschaft, H. 9, 2010. Hsieh, T. (2007): Rufen Sie einfach an!, in: Harvard Business Manager, September 2010, S. 46-53. Koch, M.; Richter, A., (2007): Enterpise 2.0, München, Wien. Klopp, T. (2010): Warum das Telefongespräch verschwindet, in: Zeit online, 27.8.2010. Kohlbrück, O. (2010): Beim Feedback überfordert, in: Horizont, N. 15, 2010, S. 14. Kohlbrück, O. (2010): Kundendienst 2.0 wird Alltag, in: Horizont, Nr. 38, 2010, S. 4. Qualman, E. (2010): Socialnomics: Wie Social Media Wirtschaft und Gesellschaft verändern, Heidelberg, München u. a. Scott, D.M. (2009): Die neuen Marketing- und PR-Regeln im Web 2.0, Heidelberg, München u. a. Simmet, H. (2010): Kaum steuerbare Eigendynamik, in: TeleTalk, Nr. 10, 2010, S. 12-13, Simmet, H.; Weische, K. (2010): Social Media Monitoring Studie 2010, Bremerhaven. Universität Oldenburg 2009: Construktiv GmbH, Wie nutzen Deutschlands größte Marken Social Media, Oldenburg, Berlin.
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Die Autorin Professor Dr. Heike Simmet promovierte zum Thema neue Informations- und Kommunikationstechnologien im Marketing des Lebensmitteleinzelhandels an der TU Dortmund. 1996 erfolgte dort auch die Habilitation auf dem Forschungsgebiet der Interkulturellen Marktforschung. Seit 1997 ist sie Professorin für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule Bremerhaven. Sie lehrt dort insbesondere die Fächer Marketing Management, Communication Center Management und Change Management. Seit 1998 leitet Professor Heike Simmet das Labor Marketing und Multimedia an der Hochschule Bremerhaven. Sie hat dort das Weiterbildungsstudium Communication Center Management für Führungskräfte im Kundenservice an der Hochschule Bremerhaven aufgebaut und ist dessen wissenschaftliche Leiterin seit 2004. Kontakt Prof. Dr. Heike Simmet Hochschule Bremerhaven An der Karlstadt 8 27568 Bremerhaven
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Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive Tobias Schäfers / Markus Gräßler / Ronja Gresel
1 2 3 4 5
Individualisierung des Konsums und wachsende Bedeutung von Marktnischen ............................................................................................ 131 Begriffsdefinition und Eigenschaften von Marktnischen.......................... 133 Marketing-Kommunikation in Marktnischen ........................................... 135 Ergebnisse der empirischen Untersuchung ............................................... 137 Implikationen und Ausblick...................................................................... 142
Management Summary Das wachsende Individualisierungsstreben der Konsumenten führt zu einer zunehmenden Bedeutung von Marktnischen, also spezifischen Marktbereichen abseits der Massenmärkte. Im Gegensatz zum Massenmarkt ist die klassische Massenkommunikation für Nischenanbieter jedoch keine Option, vielmehr bedarf es einer Individualisierung. Untersucht wird der Zusammenhang zwischen Dialogmarketing und Marktnischen aus Konsumentensicht. Die Ergebnisse zeigen für alle untersuchten Produktkategorien, dass dialogorientierte Marketingkommunikation auch bei Berücksichtigung der Einstellungen von Konsumenten als angemessen betrachtet werden kann. 1
Individualisierung des Konsums und wachsende Bedeutung von Marktnischen
Das wachsende Streben der Konsumenten in industrialisierten Gesellschaften nach Individualisierung stellt eine der wesentlichen Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte dar, für die auch zukünftig ein Anstieg vorausgesagt wird.1 1
Vgl. Beck (1986), S. 205; Hildebrand (1997), S. 12 ff; Wiswede (2000), S. 117 ff.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_7, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Tobias Schäfers / Markus Gräßler / Ronja Gresel
Dieser gesellschaftliche Individualisierungsprozess kann im Wesentlichen auf einen Wertewandel hin zu verstärkt postmaterialistischen Sichtweisen und Orientierungen zurückgeführt werden.2 Insgesamt gewinnt das Hervorheben der eigenen Individualität gegenüber dem Einordnen in kollektive Zusammenhänge an Bedeutung. Die Auswirkungen des Strebens danach, die eigene Individualität auszudrücken, sind auch unmittelbar im Nachfragerverhalten und im Konsum erkennbar: Da Angebote verstärkt „als Individualisierungshilfe in Anspruch genommen“3 werden, zeigt sich eine Individualisierung des Konsums.4 Mit dem Bedürfnis jedes Einzelnen nach individuell einzigartigem Konsum steigt die interindividuelle Heterogenität der Nachfrager und die Übereinstimmung zwischen dem Konsumverhalten verschiedener Konsumenten geht zurück. Dies führt zu einer stärkeren Fragmentierung der Märkte in kleinere, spezifischere und schwieriger zu identifizierende Marktsegmente.5 Wenngleich der tatsächliche empirische Nachweis der gesteigerten gesellschaftlichen Bedeutung der Individualisierung – etwa durch umfassende Zeitreihenanalysen – mit einigen Herausforderungen behaftet ist,6 ist doch die Manifestierung dieses Trends im Konsum deutlich erkennbar. So hat das Konzept der „Mass Customization“, also der kundenindividuellen Fertigung mit Mitteln der Massenbzw. Serienproduktion,7 im Verlauf der vergangenen Jahre eine wachsende Aufmerksamkeit erfahren.8 Gleiches gilt für Beobachtungen im Zusammenhang mit dem sogenannten Long Tail, also dem hinteren Teil einer Absatzverteilung, der aus einer Vielzahl zwar selten abgesetzter Produkte besteht, die zusammen genommen dennoch einen erheblichen Teil des Gesamtumsatzes ausmachen können.9 In beiden Fällen kommt der verbesserten Bedürfnisbefriedigung durch stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Konsumenten zugeschnittene Angebote eine entscheidende Bedeutung zu; zugleich ist eine sinkende Relevanz von auf den Massenmarkt zielenden Angeboten ersichtlich.
2 3 4 5 6 7 8 9
Vgl. Wiswede (1998), S. 232; Zuboff/Maxmin (2002), S. 94 ff. Blickhäuser/Gries (1989), S. 7. Vgl. Zuboff/Maxmin (2002), S. 142. Vgl. Schäfers (2011), S. 98. Vgl. Wiswede (1998), S. 232. Vgl. Piller (2006), S. 161. Siehe etwa Pine (1993); Dellaert/Stremersch (2005); Simonson (2005); Piller (2006); Düll (2009). Vgl. Anderson (2004), S. 173 f. Siehe auch Brynjolfsson/Hu et al. (2006); Elberse (2008); Riekhof/Schäfers et al. (2010).
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
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Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine wachsende Nachfrage nach Angeboten besteht, die eine größere individuelle Bedürfnisbefriedigung erreichen. Insgesamt steigt im Zuge dieser Entwicklungen die Relevanz von Produkten, die nicht auf etablierte Massenmärkte abzielen, sondern in kleineren, spezifischeren Marktsegmenten, gemeinhin auch als Marktnischen bezeichnet, positioniert sind. In verschiedenen Produktkategorien von Konsum- und Gebrauchsgütern finden sich Beispiele für Marken, die eine derartige Nischenpositionierung erfolgreich umgesetzt haben. So werden im Bereich Kosmetik die Anbieter The Body Shop und Kiehl’s Since 1851 als Nischenanbieter bezeichnet;10 beide zeichnen sich durch ausgefallen gestaltete Produkte aus, die im Rahmen einer selektiven Distribution in markenexklusiven Verkaufsstätten vertrieben werden. Im Getränkebereich gilt die Marke Bionade als ein Beispiel, wie einem Anbieter, der sich zunächst in einer neu geschaffenen Marktnische (BioSoftdrinks) etablierte, die Transformation dieser Marktnische zum Massenmarkt gelang.11 Im Bereich der Unterhaltungselektronik schließlich wird Bang & Olufsen häufig als Beispiel für einen Anbieter angeführt, der sich nicht zuletzt aufgrund des Produktdesigns sowie in technischer Hinsicht erfolgreich in einer Marktnische etabliert habe.12 2
Begriffsdefinition und Eigenschaften von Marktnischen
Trotz – oder gerade wegen – der häufigen Verwendung des Begriffs Marktnische stellt sich zunächst die Frage nach einem einheitlichen Begriffsverständnis. Sowohl in der praxisorientierten als auch in der wissenschaftlichen Literatur fällt auf, dass der Begriff häufig ohne eine einheitliche und allgemein akzeptierte Definition verwendet wurde, vielmehr sogar widersprüchliche Begriffsverständnisse Anwendung fanden.13 Eine wesentliche Ursache dieser „Begriffsverwirrung“14 stellt die Tatsache dar, dass bisher keine umfassende Definition unter Berücksichtigung der konstituierenden Kriterien einer Marktnische erarbeitet wurde, sondern vielmehr stets eine Charakterisierung basierend auf beschreibenden Merkmalen erfolgte.15 Zudem wurde auch der relative Charakter einer Marktnische bisher nicht explizit berücksichtigt: Marktnischen, als Teilbereich des Gesamtmarkts, existieren nicht per se, sondern erst in Abgrenzung zu einem 10 11 12 13 14 15
Vgl. Dalgic/Leeuw (1994), S. 45; Rosenbaum (1999), S. 238; Kotler/Keller (2006), S. 550. Vgl. Wittberg/Vieselmeier (2008), S. 6; Weiguny (2009). Vgl. Ehrengart (1995); Tomczak/Kuß et al. (2009), S. 72. Vgl. Schäfers (2011), S. 5, 36 ff. Cavalloni (1991), S. 9. Vgl. Schäfers (2011), S. 48.
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anderen Marktbereich, dem Massenmarkt.16 Eine Voraussetzung für die Existenz einer Marktnische ist somit die Existenz eines Massenmarkts. In den weiteren Ausführungen soll ein Verständnis von Marktnischen Anwendung finden, welches kürzlich von Schäfers vorgestellt wurde.17 Danach ist eine Marktnische definiert als ein „abgegrenzte[r] Teilbereich des Gesamtmarkts […], der im Vergleich zum Massenmarkt Angebote mit einer deutlich größeren relativen Spezifität und eine deutlich geringere relative Angebotsvielfalt bei vergleichbarer Spezifität beinhaltet.“18 Erst im Vergleich zum Massenmarkt zeigt sich, dass die Angebote einer Marktnische hinsichtlich der Angebotsdimensionen deutlich spezifischer ausgeprägt sind. Damit weisen die Produkte eines Nischenanbieters zugleich eine stärkere Anpassung an kundenspezifische Anforderungen auf19 und „differ considerably in ways that are economically meaningful from those of its rivals“20. Mit der höheren relativen Spezifität geht in einer Marktnische jedoch ein Rückgang der Angebotsdichte einher; in einer Marktnische befinden sich deutlich weniger Angebote vergleichbarer Spezifität als im Massenmarkt. Ausgehend von den beiden eine Marktnische determinierenden Kriterien der relativen Spezifität sowie der relativen Angebotsvielfalt können die häufig angeführten Merkmale von Marktnischen direkt abgeleitet werden.21 Zu den Vorteilen, die gemeinhin mit dem Verfolgen einer Nischenstrategie verbunden werden, zählen eine im Vergleich zum Massenmarkt verbesserte durchschnittliche Bedürfnisbefriedigung,22 eine geringere Wettbewerbsintensität23 sowie ein höheres Preisniveau.24 Diesen Vorteilen stehen jedoch als Nachteile ein aufgrund der stark eingegrenzten Zielgruppe vergleichsweise geringeres Nachfragevolumen sowie eine, verglichen mit dem Gesamtmarkt, geringere Nachfragedichte gegenüber.25
16 17 18 19 20 21 22 23 24 25
Vgl. Schäfers (2011), S. 55 ff. Vgl. Schäfers (2011). Schäfers (2011), S. 67. Vgl. Dalgic/Leeuw (1994), S. 46. Echols/Tsai (2005), S. 220. Vgl. Schäfers (2011), S. 68 ff. Vgl. Spiegel (1990), S. 7; Dalgic/Leeuw (1994), S. 42; Rosenbaum (1999), S. 25. Vgl. Kahn/Kalwani et al. (1988), S. 384; Böckem (1993), S. 535. Vgl. Harrigan (1985), S. 56; Toften/Hammervoll (2009), S. 1381. Vgl. Cavalloni (1991), S. 24; Böckem (1993), S. 535; Kara/Kaynak (1997), S. 876.
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
3
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Marketing-Kommunikation in Marktnischen
Bei Nischenangeboten handelt es sich, dieses wurde verdeutlicht, um Produkte, die im Vergleich zum Massenmarkt stärker spezialisiert sind und dadurch bei den Nischennachfragern eine höhere Bedürfnisbefriedigung erreichen. Zugleich sind jedoch die – erneut im Vergleich zum Massenmarkt – geringere absolute Anzahl an Nachfragern sowie die geringere Nachfragedichte einschränkend zu berücksichtigen. Für Nischenanbieter ergibt sich damit die Herausforderung einer effizienten Zielgruppenansprache. Denn anders als für Anbieter, die auf den Massenmarkt zielen, besteht für Nischenanbieter aufgrund der geringeren Anzahl potenzieller Nachfrager ein ungleich höheres Risiko von Streuverlusten und damit einer ineffizienten Kommunikation. Unter Berücksichtigung der Prämisse einer wertorientierten Marketingarbeit bedarf es beim Verfolgen einer Nischenstrategie somit Maßnahmen jenseits traditioneller Massenkommunikation. Vielmehr sind Kommunikationsformen gefragt, die eine gezielte Ansprache der relevanten Zielgruppe ermöglichen. Zugleich bietet sich gerade aufgrund der vergleichsweise kleinen sowie relativ homogenen Nischenzielgruppe die Chance einer stärkeren Individualisierung der Kommunikation und somit einer Interaktion, was wiederum den Aufbau einer Beziehung zwischen Anbieter und Nachfrager fördert. Folglich kann festgehalten werden, dass es aus Sicht eines Nischenanbieters einer stärker individualisierten Kommunikation bedarf. Hier erscheint eine dialogorientierte Marketing-Kommunikation aus Anbietersicht angemessen zu sein, zeichnet sich diese doch durch einen hohen Grad der Individualisierung sowie durch die Interaktion zwischen Sender und Empfänger aus.26 Zugleich ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine zielgerichtete und individualisierte Kommunikation sowie ein individueller Dialog zu höheren Kosten je einzelnem Kundenkontakt führen.27 Allerdings können diese höheren relativen Kosten im Idealfall durch eine größere Effektivität und Effizienz dialogorientierter Kommunikation gerechtfertigt sein. Aus der Perspektive von Nischenanbietern ist es daher umso wichtiger zu wissen, ob sich ihre Zielgruppe hinsichtlich ihrer Einstellungen zu dialogorientierter Kommunikation positiv von den Massenmarktkonsumenten unterscheidet. Trotz der hohen Relevanz von Dialogmarketing für Marktnischen wurde eine Verknüpfung beider Themen noch nicht in ausreichendem Maße untersucht. Auf 26 27
Vgl. Mann (2008), S. 333. Vgl. Mann (2004), S. 474.
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einen Zusammenhang beider Themen weisen vereinzelte Autoren hin: So merken Jarvis und Goodman an, dass personalisierte und individualisierte Kommunikation effektiv für kleinere Unternehmen in Nischenpositionen sei;28 Shani und Chalasani verknüpfen Marktnischen und individualisierte Kommunikation ebenfalls auf konzeptioneller Ebene.29 Allerdings zeigt sich insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung der Konsumentenperspektive eine deutliche Forschungslücke, denn in beiden Bereichen – Marktnischen sowie dialogorientierte Kommunikation – wurde die Wichtigkeit, das Konsumentenverhalten zu verstehen, deutlich hervorgehoben. Parrish et al. verdeutlichen, dass „the most important factor in the success of a niche market is knowledge of the consumer.“30 Arora et al. wiederum weisen auf die Bedeutung des Verständnisses des Konsumentenverhaltens für individualisierte Kommunikation hin.31 Dennoch wurde bisher weder die Marketing-Kommunikation in Marktnischen ausreichend untersucht noch das Verhalten der Nachfrager explizit berücksichtigt. Insbesondere die Frage, ob dialogorientierte Kommunikation auch bei Berücksichtigung der Konsumentenperspektive eine angemessene Form der Vermarktung von Nischenprodukten darstellt, blieb bisher unbeantwortet. Einen wichtigen Aspekt hinsichtlich der konsumentenbezogenen Betrachtung der Marketing-Kommunikation in Marktnischen stellt die höhere Spezifität der befriedigten Nachfragerbedürfnisse in Marktnischen dar. Im Vergleich zu Konsumenten des Massenmarkts werden mit einem Nischenangebot die speziellen Bedürfnisse der entsprechend eingegrenzten Zielgruppe angesprochen.32 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass Nischenkonsumenten auch positive Einstellungen aufweisen gegenüber individualisierten Botschaften, die diese vergleichsweise spezielleren Bedürfnisse berücksichtigen. Darüber hinaus bilden Nischenkonsumenten gegenüber den Nachfragern des Massenmarkts kleinere und homogenere Gruppen.33 Nischenkonsumenten, die sich ihrer im Vergleich zum Massenmarkt spezielleren Bedürfnisse sowie ihrer kleineren Gruppengröße bewusst sind, werden daher eine stärker individualisierte, dialogorientierte Marketing-Kommunikation erwarten. Zusammenfassend erscheint somit – auf konzeptioneller Ebene – auch bei Berücksichtigung der Konsumentenperspektive Dialogmarketing als angemessen für Nischenanbieter. Allerdings bedarf es hier einer empirischen Überprüfung. 28 29 30 31 32 33
Vgl. Jarvis/Goodman (2005). Vgl. Shani/Chalasani (1992). Parrish/Cassill et al. (2006), S. 702. Vgl. Arora/Dreze et al. (2008). Vgl. Schäfers (2011), S. 51 f. Vgl. Schäfers (2011), S. 104 f.
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
137
Das Ziel der hier vorgestellten Studie bestand daher in der empirisch fundierten Untersuchung des Zusammenhangs zwischen dialogorientierter Kommunikation und der Ansprache von Nischenkonsumenten unter Berücksichtigung der Nachfragerperspektive. Konkret wurde die Beziehung zwischen den Konstrukten Dialogaffinität und Nischenorientierung von Konsumenten untersucht. Ersteres bildet die Einstellungen eines Konsumenten dazu ab, als existierender oder potenzieller Kunde durch personalisierte und individualisierte Botschaften in regelmäßigem Kontakt mit einem Anbieter zu stehen. Das Konstrukt Nischenorientierung wiederum erfasst die Einstellungen eines Konsumenten gegenüber solchen Angeboten einer Kategorie, die im Vergleich zu Angeboten des Massenmarkts eine deutlich größere relative Spezifität und eine deutlich geringere Anzahl vergleichbarer Angebote aufweisen (d. h. gegenüber Nischenangeboten).34 Bei der Nischenorientierung handelt es sich um ein produktspezifisches Konstrukt; es wird folglich davon ausgegangen, dass Konsumenten mit einer hohen Nischenorientierung in einer Produktkategorie diese nicht zwangsläufig auch in einer anderen Kategorie aufweisen. Für die Studie wurden drei bereits aufgezeigte Produktbereiche ausgewählt: Haarpflege, Fernsehgeräte und Limonade. Mit dieser Auswahl werden nicht nur Produktkategorien berücksichtigt, in denen Marktnischen existieren und dialogorientierte Marketing-Kommunikation zum Einsatz kommt, zudem werden sowohl Verbrauchs- als auch Gebrauchsgüter berücksichtigt. Insgesamt steigert die Berücksichtigung von drei verschiedenen Produktkategorien die Aussagekraft der Untersuchung. 4
Ergebnisse der empirischen Untersuchung
Grundlage der empirischen Untersuchung war die Befragung deutscher Konsumenten über 14 Jahre, die über ein sogenanntes Online-Access-Panel rekrutiert wurden. Bei dieser Methode, die in der wissenschaftlichen Marketingforschung vermehrt Anwendung findet,35 erhalten Teilnehmer, die sich vorab beim PanelBetreiber registriert haben, eine Incentivierung für die erfolgreiche Teilnahme an Online-Umfragen. Wenngleich sich hier Einschränkungen hinsichtlich des Ausschlusses von Nicht-Internetnutzern ergeben,36 liegt ein deutlicher Vorteil in der vergleichsweise einfachen Rekrutierung quotierter Stichproben und damit der 34 35 36
Vgl. Schäfers (2011), S. 145 f. Vgl. Couper (2000); Nancarrow/Cartwright (2007). Allerdings zeigen Forschungsergebnisse, dass hinsichtlich der Verzerrung durch Stichprobenmerkmale keine Unterschiede zwischen Online- und Offline-Erhebungsmethoden existieren; vgl. Roster/Rogers et al. (2007).
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Erreichung partieller Repräsentativität.37 Im vorliegenden Fall nahmen insgesamt 500 Personen an der Befragung teil, die Stichprobe ist dabei hinsichtlich der Quotierungsmerkmale Alter und Geschlecht repräsentativ zur deutschen Bevölkerung. Bei der Operationalisierung der beiden latenten Konstrukte wurden die gängigen Verfahren angewandt.38 Die multiplen Indikatoren wurden allesamt auf einer 5Punkt-Likert-Skala, verankert durch 1 („stimmt voll und ganz“) und 5 („stimmt gar nicht“), gemessen. In Tabelle 1 sind die jeweiligen Indikatoren sowie deskriptive Ergebnisse aufgeführt. Die Validität des Fragebogens wurde durch verschiedene qualitative und quantitative Pretests sichergestellt. Dialogmarketingaffinität x1 x2 x3
Ich mag es, wenn ich nach dem Kauf eines Produkts/einer Dienstleistung persönlich vom Hersteller betreut werde (z. B. per Brief, E-Mail, Telefonanruf). Von einem Unternehmen, dessen Kunde ich bin, erhalte ich gerne regelmäßige Informationen. Wenn ich mich für Produkte oder Dienstleistungen eines Unternehmens interessiere, aber noch kein Kunde bin, erhalte ich gerne regelmäßige Informationen von diesem.
2,689a (0,931)b 2,586 (1,137) 2,564 (1,055) 2,918 (1,098)
HaarTV pflege 3,459 3,081 Nischenorientierungc (0,922) (0,865) 3,666 2,810 x4 Wenn ich mir Produkte aus diesem Bereich kaufe, nehme ich auch weite Wege in Kauf. (1,170) (1,212) 3,822 3,194 x5 Nur in Spezialgeschäften finde ich die Produkte aus diesem Bereich, die ich suche. (1,142) (1,307) 3,044 3,092 x6 Meine Bedürfnisse in diesem Bereich werden nur von sehr speziellen Produkten befriedigt. (1,347) (1,179) a arithmetisches Mittel; b Standardabweichung; c produktspezifisches Konstrukt
Limonade 3,810 (0,813) 4,040 (1,030) 4,122 (,993) 3,524 (1,203)
Tabelle 1: Indikatoren und deskriptive Ergebnisse Im ersten Schritt wurde zur Überprüfung eines möglichen Zusammenhangs zwischen Dialogaffinität und Nischenorientierung je Produktkategorie eine konfirmatorische Faktorenanalyse durchgeführt. Zunächst ist aus den in Abbildung 1 37 38
Vgl. Moser (1986), S. 146. Vgl. Churchill (1979); Spector (1992); Netemeyer/Bearden et al. (2003).
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
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dargestellten Ergebnissen ersichtlich, dass sich in jeder Produktkategorie ein ausgesprochen guter Modell-Fit ergibt.39 Bei Betrachtung der Korrelationskoeffizienten zeigt sich, dass in allen drei untersuchten Produktkategorien ein hoch signifikanter, positiver Zusammenhang zwischen der produktspezifischen Nischenorientierung und der allgemeinen Dialogmarketingaffinität besteht. In der Produktkategorie Haarpflege ist die Beziehung mit 0,255 am stärksten, in der Produktkategorie Limonade mit 0,164 am schwächsten ausgeprägt.
0,255**
Nischenorientierung
0,183**
0,164**
Dialogmarketing -affinität
FR
= 0,751
0,713
0,726
FR
= 0,814
D
= 0,777
0,715
0,757
D
= 0,806
DEV = 0,502
0,453
0,472
DEV = 0,597
SBF² = 7,733 | df = 8 | p = 0,460 | F²/df = 0,967 | RMSEA = 0 | SRMR = 0,015 | CFI = 1,000 | NNFI = 1,001 | GFI = 0,994 | AGFI = 0,985 SBF² = 13,188 | df = 8 | p = 0,106 | F²/df = 1,649 | RMSEA = 0,036 | SRMR = 0,032 | CFI = 0,994 | NNFI = 0,989 | GFI = 0,990 | AGFI = 0,974 SBF² = 7,256 | df = 8 | p = 0,509 | F²/df = 0,157 | RMSEA = 0 | SRMR = 0,016 | CFI = 1,000 | NNFI = 1,002 | GFI = 0,995 | AGFI = 0,986 ** p < 0,01; FR – Faktorreliabilität; DEV – durchschnittlich erfasste Varianz; SB – Satorra-Bentler-korrigiertes Chi-Quadrat; df – Freiheitsgrade
Abbildung 1:
Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalysen
Dass die Korrelationskoeffizienten insgesamt vergleichsweise gering ausfallen, erscheint nachvollziehbar, da in diesem Fall ein produktspezifisches und ein allgemeines Konstrukt in Beziehung zueinander gesetzt werden. Dennoch zeigen die Ergebnisse, dass in allen drei Produktkategorien ein Zusammenhang besteht zwischen den Einstellungen gegenüber Nischenangeboten und der Affinität für dialogorientierte Kommunikation. Zur weiteren Beschreibung der Verbindung zwischen Nischenorientierung und Dialogaffinität wurden im zweiten Schritt Konsumentensegmente identifiziert. Diese basieren auf der Nischenorientierung der Konsumenten. Die ideale Anzahl der Segmente wurde festgestellt, indem mit vier zufälligen Teilstichproben von jeweils ca. 50 % der Fälle eine hierarchische Clusteranalyse durchgeführt wur39
Für eine Übersicht der Gütekriterien und Anforderungen an ein derartiges Modell siehe Schäfers (2011), S. 141.
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de.40 In allen drei Produktkategorien legten die Ergebnisse eine Zwei-ClusterLösung nahe. Diese Vorgabe wurde in der darauffolgend durchgeführten Clusterzentrenanalyse (k-Means) verwendet, um die einzelnen Fälle den entsprechenden Segmenten zuzuordnen. Ein Vergleich beider Cluster in jeder Produktkategorie zeigte, dass die durchschnittliche Nischenorientierung in einem der beiden Segmente stets deutlich niedriger war und aus weniger Konsumenten bestand.41 Dieses Segment wird im Folgenden als „nischenaffin“ bezeichnet, wohingegen es sich bei dem anderen um das „nischenaverse“ Segment handelt. In allen drei untersuchten Produktkategorien weist das Segment der nischenaffinen Konsumenten eine signifikant höhere Dialogaffinität auf als das Segment der nischenaversen Konsumenten (siehe Tabelle 2). Auch hier ist folglich der Zusammenhang zwischen Nischenorientierung und Dialogaffinität deutlich erkennbar. Dialogmarketingaffinität Haarpflege TV Limonade 2,496 2,494 2,512a (0,896)b (0,872) (0,792) Nischenorientiert [n = 174] [n = 209] [n = 147] 2,784 2,828 2,771 (0,937) (0,949) (0,973) Nischenavers [n = 326] [n = 291] [n = 353] t = 3,147, p = 0,002 t = 3,992, p = 0 t = 3,313, p = Sign. 0,001 a arithmetisches Mittel der Dialogmarketingaffinität, b Standardabweichung
Tabelle 2: Mittelwertvergleich der Konsumentensegmente Des Weiteren wurden die beiden demographischen Variablen Alter und Geschlecht in die Untersuchung einbezogen. Hinsichtlich des Alters zeigte sich einzig in der Produktkategorie Limonade ein signifikanter Mittelwertunterschied; die Konsumenten des nischenorientierten Segments waren im Durchschnitt signifikant jünger als die Konsumenten des nischenaversen Segments. Dieses Ergebnis ist nachvollziehbar, setzen doch bekannte Beispiele für Nischenanbieter 40 41
Dieses Vorgehen reduziert den Einfluss von Ausreißern; vgl. Mathwick/Wagner et al. (2010), S. 16. Da die Clusterzuordnung basierend auf den Items zur Erfassung der Nischenorientierung erfolgte und somit a priori eine Maximierung der Differenzen hinsichtlich dieser Variablen angestrebt wurde, ist der Test auf signifikante Mittelwertunterschiede in diesem Fall nicht angebracht; vgl. Mathwick/Wagner et al. (2010), S. 16.
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in dieser Produktkategorie (z. B. Bionade) auf eine jüngere Zielgruppe. Ein signifikanter Zusammenhang zwischen dem Geschlecht und der Nischenorientierung konnte nur in der Produktkategorie Haarpflege festgestellt werden, in der das nischenorientierte Segment einen deutlich höheren Anteil an Frauen aufwies. Auch dieses Ergebnis ist nachvollziehbar, handelt es sich doch bei Haarpflege um eine überwiegend auf Frauen ausgerichtete Kategorie. Im dritten Schritt der Untersuchung wurde über die allgemeine Affinität für Dialogmarketing hinaus die Präferenz spezifischer Dialogkanäle in die Betrachtung einbezogen. Die Befragten hatten für die Kontaktaufnahme durch das Unternehmen, also den Outbound-Kontakt, eine Rangreihung der drei Kontaktkanäle „An mich persönlich adressierter Brief“, „An mich persönlich adressierte E-Mail“ und „Persönlicher Dialog per Telefon“ vorgenommen. Für die Kontaktaufnahme durch sie selbst mit einem Unternehmen, den Inbound-Kontakt, wurden die vier Kanäle „Brief an das Unternehmen“, „E-Mail an das Unternehmen“ bzw. „Kontaktformular auf der Homepage“, „Persönlicher Dialog per Telefon“ und „Exklusiver Kundenbereich im Internet“ hinsichtlich ihrer Präferenz geordnet. Die Auswertung zeigte allerdings keine Unterschiede zwischen dem nischenaffinen und dem nischenaversen Segment hinsichtlich der Kanalpräferenz. Es kann somit kein Zusammenhang zwischen der Nischenorientierung und der Bevorzugung bestimmter Dialogkanäle nachgewiesen werden. In den Abbildungen 2 und 3 sind daher die deskriptiven Ergebnisse der Präferenzen für alle Befragten aufgeführt.
1 87,6% 53,4%
42,2%
38,4%
4,2%
8,2% Brief
E-Mail
2 3
53,6% 4,4% 8,0% Telefon
Fragestellung: „Wenn ein Unternehmen mit Ihnen persönlich in Kontakt tritt, welche Wege der Kontaktaufnahme bevorzugen Sie? Bitte bringen Sie die aufgeführten Kontaktmöglichkeiten in eine Reihenfolge von 1 (bevorzuge ich am meisten) bis 3 (bevorzuge ich am wenigsten).“; n = 500
Abbildung 2:
Kanalpräferenz Kontaktaufnahme durch das Unternehmen
Der bevorzugte Kanal bei der Kontaktaufnahme durch den Anbieter ist für mehr als die Hälfte der Befragten der klassische Brief (53,4 %), gefolgt vom Kontakt via E-Mail (42,2 %). Auch bei dem am zweitstärksten präferierten Kontaktkanal
142
Tobias Schäfers / Markus Gräßler / Ronja Gresel
liegen die E-Mail und der Brief vorn. Hingegen bevorzugen es nur 4,4 % der Befragten, wenn Anbieter telefonisch Kontakt mit ihnen aufnehmen; für nahezu neun von zehn Befragten (87,6 %) ist dieses zudem der am wenigsten präferierte Kontaktkanal.
1 2
55,4%
3
45,0%
12,2%
18,2%
24,6%
Brief
35,8%
29,0% 31,6%
28,2%
21,6% 14,0%
17,8%
2,4%
E-Mail
Telefon
4
32,4% 21,0%
10,8% Internet
Fragestellung: „Wenn Sie mit einem Unternehmen in Kontakt treten, z.B. wenn Sie als Kunde oder Interessent eine Frage haben, welche Wege der Kontaktaufnahme bevorzugen Sie? Bitte bringen Sie die aufgeführten Kontaktmöglichkeiten in eine Reihenfolge von 1 (bevorzuge ich am meisten) bis 4 (bevorzuge ich am wenigsten).“; n = 500
Abbildung 3:
Kanalpräferenz Kontaktaufnahme durch den Konsumenten
Wenn die Befragten selbst den Kontakt zu einem Anbieter suchen, wird von über der Hälfte (55,4 %) der Kontakt via E-Mail bevorzugt. Der Brief hingegen, bei der Kontaktaufnahme durch den Anbieter noch der bevorzugte Kontaktkanal, wird von 45 % der Befragten am wenigsten präferiert. Bei der telefonischen Kontaktaufnahme wiederum zeigt sich ein umgekehrtes Bild; dieser Kontaktkanal rangiert mit einem Präferenzanteil von 21,6 % an zweiter Stelle. Vergleichsweise gering fällt hingegen die Präferenz von exklusiven Kundenbereichen via Internet aus. 5
Implikationen und Ausblick
Durch die konzeptionelle und insbesondere die empirische Verknüpfung der Themen Dialogmarketing und Marktnischen auf Ebene der Konsumenten leistet die vorliegende Untersuchung einen Beitrag zum besseren Verständnis des Konsumentenverhaltens hinsichtlich Marktnischen. Gerade für die Unternehmenspraxis erlauben die Untersuchungsergebnisse wichtige Ableitungen darüber, inwieweit dialogorientierte Kommunikation für Nischenanbieter eine effektive Option der Marketing-Kommunikation darstellt.
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
143
Dass aus Anbietersicht Dialogmarketing gerade in Marktnischen eine angemessene Option darstellt, wurde in der Vergangenheit bereits hervorgehoben und kann leicht begründet werden. Inwieweit diese Verbindung jedoch auch bei Berücksichtigung der Konsumentenperspektive sinnvoll ist, war bislang noch nicht ausreichend untersucht worden. Die hier dargestellten Ergebnisse zeigen, dass bezogen auf die Nachfrager ein positiver Zusammenhang besteht zwischen der Nischenorientierung und der Dialogaffinität. Die Einbeziehung von drei unterschiedlichen Produktkategorien zeigt zudem, dass dieser Zusammenhang nicht auf einen Bereich beschränkt ist. Das identifizierte Segment der nischenorientierten Konsumenten weist in allen drei Produktkategorien eine deutlich höhere Dialogmarketingaffinität auf als das Segment der nischenaversen Konsumenten. Demnach kann die Nutzung dialogorientierter Marketing-Kommunikation auch bei Berücksichtigung der Konsumentenperspektive als sinnvoll erachtet werden. Bezogen auf die Effektivität und Effizienz dialogorientierter MarketingKommunikation verspricht die höhere Dialogaffinität von Nischenkonsumenten auch eine Verbesserung der Kommunikationswirkung. Nischennachfrager, die einem Dialog gegenüber offener eingestellt sind als Nachfrager auf dem Massenmarkt, zeigen eine geringere Reaktanz und nehmen die gesendeten Botschaften eher auf. Daraus kann sich auch eine stärkere Handlungsauslösung ergeben, was wiederum die vergleichsweise hohen Kosten je Kundenkontakt im Dialogmarketing rechtfertigen würde. Aus Anbietersicht ist die Voraussetzung jedoch, die Einstellungen und Präferenzen der vorhandenen und potenziellen Kunden zu kennen. Gerade in der Untersuchung der tatsächlichen Reaktion auf dialogorientierte Kommunikation bei Nischenkonsumenten ergeben sich für die weitere Forschung wichtige Ansatzpunkte. Allerdings weisen die Untersuchungsergebnisse auf Unterschiede hinsichtlich der Produktkategorie hin. So ist die Korrelation zwischen Nischenorientierung und Dialogaffinität bei den drei untersuchten Produktkategorien unterschiedlich stark ausgeprägt – in der Produktkategorie Haarpflege am stärksten, in der Kategorie Limonade am geringsten. Zum einen erscheint es daher sinnvoll, weitere Produktkategorien in die Betrachtung einzubeziehen. Zum anderen ist denkbar, dass Dialogmarketing in verschiedenen Produktkategorien in unterschiedlicher Intensität einsetzbar ist, unterschiedlich stark eingesetzt wird und von Konsumentenseite als unterschiedlich wichtig erachtet wird. Daraus ließen sich im weiteren Schritt auch produktspezifische Unterschiede in den Einstellungen gegenüber dialogorientierter Marketing-Kommunikation ableiten. Zukünftige Untersuchungen sollten daher die Dialogaffinität der Konsumenten nicht nur allgemein, sondern auch produktspezifisch erfassen.
144
Tobias Schäfers / Markus Gräßler / Ronja Gresel
Hinsichtlich der von Konsumenten bevorzugten Kontaktkanäle wurden eindeutige Präferenzmuster deutlich. Zugleich geben die Untersuchungsergebnisse Hinweise darauf, dass zum Teil deutliche Unterschiede bestehen zwischen den bevorzugten Kanälen im Outbound- und im Inbound-Kontakt. Bei den verschiedenen Formen der Kontaktaufnahme – einerseits initiiert durch den Anbieter, andererseits initiiert durch den Konsumenten bzw. Kunden – setzen die Konsumenten auf unterschiedliche Kontaktkanäle. Diese wichtige Erkenntnis gilt es bei der Gestaltung der dialogorientierten Kommunikation zu berücksichtigen. Insgesamt kann die vorliegende Studie als ein wichtiger Schritt zu einem verbesserten Verständnis des Konsumentenverhaltens hinsichtlich Marktnischen angesehen werden. Insbesondere bezüglich der Marketing-Kommunikation ergeben sich anwendungsbezogene Ableitungen. Gerade die eingangs aufgezeigte wachsende Relevanz von Marktnischen bietet weitere Möglichkeiten der wissenschaftlichen und praxisbezogenen Auseinandersetzung. Literatur Anderson, C. (2004): The Long Tail, in: Wired, 12. Jg., Nr. 10, S. 170-177. Arora, N.; Dreze, X.; Ghose, A.; Hess, J.; Iyengar, R.; Jing, B.; Joshi, Y.; Kumar, V.; Lurie, N.; Neslin, S.; Sajeesh, S.; Su, M.; Syam, N.; Thomas, J.; Zhang, Z. (2008): Putting one-to-one marketing to work: Personalization, customization, and choice, in: Marketing Letters, 19. Jg., Nr. 3/4, S. 305-321. Beck, U. (1986): Risikogesellschaft – Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt am Main. Blickhäuser, J.; Gries, T. (1989): Individualisierung des Konsums und Polarisierung von Märkten als Herausforderung für das Konsumgüter-Marketing, in: Marketing ZFP, 37. Jg., Nr. 1, S. 5-10. Böckem, S. (1993): Marktnischen oder Trendprodukte, in: zfbf – Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 45. Jg., Nr. 6, S. 535-574. Brynjolfsson, E.; Hu, Y.J.; Smith, M.D. (2006): From Niches to Riches: Anatomy of the Long Tail, in: MIT Sloan Management Review, 47. Jg., Nr. 4, S. 67-71. Cavalloni, C. (1991): Mehr Mut zur Marktnische – Leitfaden zur Entwicklung einer gewinnträchtigen Nischenstrategie, Zürich. Churchill, G.A. (1979): A Paradigm for Developing Better Measures of Marketing Constructs, in: Journal of Marketing Research, 16. Jg., Nr. 1, S. 64-73. Couper, M.P. (2000): Web Surveys: A Review of Issues and Approaches, in: Public Opinion Quarterly, 64. Jg., Nr. 4, S. 464-494. Dalgic, T.; Leeuw, M. (1994): Niche Marketing Revisited: Concept, Applications and Some European Cases, in: European Journal of Marketing, 28. Jg., Nr. 4, S. 39-55. Dellaert, B.G.C.; Stremersch, S. (2005): Marketing Mass-Customized Products: Striking a Balance Between Utility and Complexity, in: Journal of Marketing Research, 42. Jg., Nr. 2, S. 219-227.
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
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Die Autoren Dr. Tobias Schäfers ist Juniorprofessor für Dialogmarketing am Automotive Institute for Management (AIM) an der EBS Business School, Oestrich-Winkel. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing und E-Business an der PFH Göttingen arbeitete er als Consultant bei UNICconsult Strategieentwicklung. Während der Promotion war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strategisches Marketing an der EBS Business School.
Dialogmarketing in Marktnischen aus Konsumentenperspektive
147
Dr. Markus Gräßler ist Leiter der Kundenberatung der gkk DialogGroup GmbH, einer verkaufsorientierten Full-Service Dialogmarketingagentur, in Frankfurt am Main. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing und Organisation arbeitete er als Management Consultant bei Marketing Corporation, einer auf Marketing- und Vertriebsberatung spezialisierten Unternehmensberatung. Die Promotion erfolgte als externer Doktorand am Lehrstuhl für Strategisches Marketing an der EBS Business School. Dipl.-Kffr. Ronja Gresel studierte Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Marketing sowie Finance und Banking an der European Business School (EBS) in Oestrich Winkel. Nach Abschluss des Studiums absolvierte sie ein Trainee-Programm bei der Red Bull GmbH in Österreich und arbeitete als Consultant für die Strategieberatung OgilvyBrains. Seit April 2009 ist Ronja Gresel Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeitern am Lehrstuhl für Strategisches Marketing an der EBS Business School, Oestrich-Winkel. Kontakt Dr. Tobias Schäfers Juniorprofessur für Dialogmarketing Automotive Institute for Management (AIM) EBS Business School Campus Rheingau Rheingaustraße 1 65375 Oestrich-Winkel
[email protected] Dr. Markus Gräßler Senior Account Management/Consulting gkk DialogGroup GmbH Hanauer Landstraße 172 60314 Frankfurt am Main
[email protected] 148
Tobias Schäfers / Markus Gräßler / Ronja Gresel
Ronja Gresel Chair of Strategic Marketing EBS Universität für Wirtschaft und Recht i. Gr. EBS Business School Rheingaustraße 1 65375 Oestrich-Winkel
[email protected] Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
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Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern – empirische Untersuchungen zum Verhalten der Endkunden Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
Inhalt Multichannel-Retailing und die Kontaktprinzipien ................................ 150 Der kundenbezogene Informationsbedarf von Multichannel-Retailern.. 153 Informations- und Kaufentscheidungsprozesse bei Endkunden ............. 156 Empirische Untersuchungen zum Informations- und Kaufverhalten bei mehreren Kanälen ............................................................................. 160 4.1 Studien zu mehreren Kanälen ohne Bezug zu Multichannel-Retailern .. 160 4.2 Studien zu mehreren Multichannel-Retailern ......................................... 162 4.3 Studien zu einzelnen Multichannel-Retailern......................................... 166 4.3.1 Das Informations- und Kaufverhalten bei einem Händler für Partieware ............................................................................................... 166 4.3.2 Das Informations- und Kaufverhalten bei einem Händler für Motorradbekleidung und Motorradzubehör............................................ 170 5 Fazit ........................................................................................................ 172 1 2 3 4
Management Summary Es gibt eine Reihe empirischer Studien, die das Verhalten der Kunden von Multichannel-Retailern untersuchen. Einige Studien betrachten mehrere Multichannel-Retailer, ohne die Besonderheiten der einzelnen Händler zu berücksichtigen, wie z. B. die Art und die Anzahl der Kanäle und die Vermarktungskonzepte. Wir Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_8, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
150
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
sprechen uns dafür aus, die Marktauftritte der einzelnen Firmen als moderierende Variablen zu formulieren, wenn mehrere Multichannel-Retailer in einer Untersuchung erhoben werden. Im Übrigen ist es sinnvoll, einzelne Firmen zum Gegenstand einer detaillierten Untersuchung zu machen. Hierzu legen wir die Ergebnisse aus zwei Branchen vor. 1
Multichannel-Retailing und die Kontaktprinzipien
Mehrgleisiger Vertrieb ist eine seit langem bekannte Form der Distribution: Ein Anbieter nutzt mehrere Absatzkanäle, um seine Waren zu vertreiben. Allerdings sollten zwei Formen strikt auseinandergehalten werden.1 Bei der ersten Variante setzt ein Hersteller oder ein Großhändler seine Leistungen über mehrere Absatzkanäle an verschiedene Kundengruppen ab, ohne dass eine Kundengruppe die Möglichkeit hat, in einem anderen Kanal dieses Anbieters zu kaufen. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Hersteller direkt an die Endverbraucher sowie gleichzeitig an Großhändler und Einzelhändler verkauft. Keine Kundengruppe hat die Möglichkeit, mehr als einen Kanal desselben Anbieters zu nutzen. Besonders die Letztverbraucher haben zwar verschiedene Möglichkeiten, die Ware zu kaufen, sie stehen aber verschiedenen Anbietern gegenüber, mal dem Hersteller direkt, dann den von ihm belieferten Einzelhändlern und schließlich den von den Großhändlern belieferten Einzelhändlern. Bei der zweiten Variante des mehrgleisigen Vertriebs können dieselben Kunden zwischen verschiedenen Kanälen desselben Anbieters wählen. Bietet ein Einzelhändler seinen Endkunden diese Möglichkeit, wird von Multichannel-Retailing gesprochen. Der Einzelhändler kann verschiedene Kontaktprinzipien nutzen (siehe Abbildung 1) und seine Waren z. B. über stationäre Geschäfte, den Katalogversand und den Online-Shop anbieten und verkaufen. Ein Kanal erlaubt also nicht nur den Kontakt zwischen dem Händler und den Endkunden, sondern auch den Abschluss eines Kontraktes. Multichannel-Retailing liegt ebenfalls vor, wenn der Händler allein im stationären Bereich (oder in einem anderen Bereich) mehrere Vertriebslinien führt. Insoweit ist auch ein Filialsystem, das ausschließlich stationäre Geschäfte hat, dann ein Multichannel-Retailer, wenn die Kunden zwischen verschiedenen Geschäften dieses Händlers wählen können.
1
Vgl. Schröder 2005, S. 2 ff.
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
151
Einzelhändler
Endverbraucher
(1) Residenzprinzip Verbraucher sucht Geschäftsstätte des Händlers auf, z.B. • Supermarkt • Verbrauchermarkt • Discounter
(2) Domizilprinzip Händler sucht Verbraucher in dessen Umgebung auf, z.B. • Haustürverkauf • Partyverkauf (3) Treffprinzip Einzelhändler und Endverbraucher treffen sich an einem Platz außerhalb ihrer Residenzen und Domizile, z.B. Marktplatz, Fahrverkauf
(4) Distanzprinzip Einzelhändler und Endverbraucher treten sich physisch nicht gegenüber, z.B. • Katalog • Internet • Telefon • Interaktives Fernsehen
Abbildung 1:
Kontaktprinzipien im Einzelhandel (Quelle: Schröder/Großweischede 2002, S. 83)
Wenn heute geschrieben wird, dass reine Offline-Anbieter einen Online-Kanal hinzunehmen und reine Online-Anbieter stationäre Geschäfte suchen,2 sich also so genannte „Pure Player“ von zwei Polen dem Multichannel-Retailing nähern, dann ist das keine neue Entwicklung, sondern ein Vorgang, der bereits Mitte der 1990er Jahre zu beobachten war.3 Die Arbeiten daran, Online- mit OfflineKanälen zu verbinden, wurden eingestellt oder nicht weiter aufgegriffen, als die „Dotcom-Blase“ im März 2000 platzte. Dabei wird übersehen, vielleicht ist es bislang auch nicht aufgearbeitet worden, dass die Spekulation um Vermögenswerte und die Erfüllung von Kundenwünschen mit technischen Neuerungen nicht zusammengehören müssen.
2 3
So z. B. Stölzel/Hielscher 2010. Vgl. Schröder/Großweischede 2002, S. 81 f.; Schröder 2005, S. 6 f.
152
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Ein Multichannel-Retailer hat es kaum in jedem Kanal mit denselben Kunden, Lieferanten und Wettbewerbern zu tun. Teilweise sind die Unterschiede gewollt, wenn er die Kunden verschiedener Kanäle separieren will oder wenn er mit einem neuen Kanal neue Kundengruppen erschließen will. Teilweise wird er sich dieser Komplexität nicht entziehen können, wenn die einzelnen Kanäle verschiedene Kunden anziehen und wenn die kanalspezifische Wettbewerbsstruktur verschieden ist und sich durch Marktzutritte und Marktaustritte ändert. Der Kunde wird den Kanal wählen, der ihm in einer bestimmten Situation besonders geeignet erscheint. Das kann mal die häusliche Umgebung sein, in der er Angebote aus den Katalogen von Ikea, Lands’ End, Otto oder Tchibo vergleicht, mal der Computer (stationäre und mobile Endgeräte), mit dem er die Online-Shops von Conrad Electronic, Globetrotter oder Douglas besucht, mal das Fernsehen mit seinen TV-Shopping-Angeboten, mal der Einkaufsgang durch die Stadt und der Besuch von Geschäften. Der vorliegende Beitrag stellt einige empirische Studien dar, die untersucht haben, in welchem Kanal sich Kunden informieren und in welchem Kanal sie ihre Kaufentscheidung treffen. Wenn ein Multichannel-Retailer weiß, welche Kanäle die Kunden vor dem Kauf zur Information nutzen, kann er seine Kundenansprache in den einzelnen Kanälen darauf ausrichten. Man mag nun denken, dass grundsätzlich jeder Kanal zur Information und zum Kauf genutzt werden kann und der Händler in allen Kanälen dieselben Informationen anbieten sollte. Es ist aber zu überlegen, die Kommunikation unterschiedlich zu gestalten, wenn bestimmte Kundengruppen (z. B. Convenienceorientierte) sich über bestimmte Produkte (z. B. Elektrogeräte) in bestimmten Kanälen (z. B. im stationären Geschäft) informieren, bevor sie in bestimmten Kanälen (z. B. Online-Shop) kaufen. Anfangs untersuchten Studien, in welchen Kanälen sich Kunden informierten und wo sie kauften, ohne dies aus der Perspektive von Multichannel-Retailern zu betrachten. Manche Studien tun dies auch in jüngerer Vergangenheit noch.4 Dies begann zu einer Zeit, in der man die Rolle des Internets als Informationsquelle verstehen wollte. Dann wandten sich die Untersuchungen MultichannelRetailern zu, betrachteten aber nicht einzelne Firmen.5 So ließen sich grundsätzliche Aussagen zum Verhalten der Kunden gegenüber Multichannel-Retailern gewinnen, aber keine Aussagen zu konkreten Firmen und ihrem Marktauftritt. Schließlich entstanden Arbeiten, die sich einzelnen Branchen und Firmen zuwandten und den Einfluss der Vermarktungskonzepte untersuchten, insbesondere 4 5
So z. B. Warschun/Stratmann (2008). Vgl. z. B. Schramm-Klein (2003); van Baal/Hudetz (2006); van Baal/Hudetz (2008).
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
153
den Einfluss der angebotenen Produkte auf das Kaufverhalten.6 Um den Händlern Anregungen liefern zu können, in welchem Kanal sie ihre Kunden am besten für die Ansprache mit bestimmten Produkten erreichen, ist zu klären, inwieweit die Aussagen der verschiedenen Studien dazu in der Lage sind. 2
Der kundenbezogene Informationsbedarf von MultichannelRetailern
Je mehr die Kunden die Waren und Dienstleistungen in den Kanälen eines Multichannel-Retailers als austauschbar empfinden, umso mehr werden sie zwischen den Kanälen dieses Anbieters wechseln und Anforderungen hinsichtlich der Abstimmung der Kanäle an den Anbieter stellen, wie z. B. identische Informationen in allen Kanälen oder die Rückgabe von Waren in allen Kanälen. Und je mehr Wettbewerber ihren Kunden die Möglichkeit bieten, verschiedene Phasen eines Kaufprozesses auf verschiedene Kanäle zu verteilen, desto stärker dürfte der Druck sein, diesem Verhalten zu folgen, um Kunden zu gewinnen und zu halten. Sofern die Kunden die Möglichkeit suchen und nutzen, zwischen den Kanälen zu wechseln, und sofern sich daraufhin ein Multichannel-Retailer dazu entscheidet, seinen Marktaufritt über alle Kanäle hinweg (weitgehend) einheitlich zu gestalten, wie z. B. Tchibo, ist der Koordinationsbedarf besonders hoch.7 Dem hohen Koordinationsbedarf kann mit einer hohen Integration der Kanäle Rechnung getragen werden. Dies bedeutet, dass die Güter-, Geld- und Informationsströme zwischen und in den einzelnen Kanälen aufeinander abzustimmen sind (siehe Abbildung 2).
6 7
Vgl. z. B. Zaharia (2006); Witek (2011); Schröder/Witek (2010); Ehrlich/Erbenich/Kirchgeorg (2010). Vgl. Schröder/Großweischede (2002), S. 86.
154
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Nachfrager: Kaufprozess (Buying Cycle)
Informieren
Probieren
Bestellen
Erhalten
Bezahlen
Informieren
Umtauschen
Stationärer Einzelhandel Katalog-Versandhandel
Anbieter: MultichannelRetailer
Online-Shop z.B. Rücknahme der Ware z.B. Bezahlung der Ware z.B. Abverkaufsdaten
Güterströme Geldströme Informationsströme
z.B. Lieferung der Ware z.B. Finanzierung des Kaufs z.B. Absatzwerbung
Marketing-Flows
Abbildung 2:
Kaufprozess, Multichannel-Retailer und Marketing-Flows (Quelle: Schröder 2005, S. 13)
Die Grundlage für alle Entscheidungen über den Marktauftritt sind die Kenntnisse über das Kundenverhalten. Den Kaufprozess eines Kunden kann man in folgende Phasen unterteilen: Information vor dem Kauf, Probieren, Bestellen, Erhalten, Bezahlen, Information nach dem Kauf, Umtausch.8 Ein Multichannel-Retailer sieht sich, was die Nutzung der Kanäle anbelangt, drei Grundtypen von Kunden gegenüber. Die erste Gruppe nutzt für den gesamten Kaufprozess ausschließlich und immer denselben Kanal, z. B. den stationären. Die zweite Gruppe wickelt für einen Kauf den gesamten Kaufprozess ausschließlich über einen Kanal ab, ist aber bereit, für einen anderen Kauf den Kanal zu wechseln. Die dritte Gruppe verteilt ihre Aktivitäten während eines Kaufprozesses auf mehrere Kanäle.
8
Vgl. Schröder (2005), S. 64.
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
155
Einen Multichannel-Retailer dürften nun folgende Fragen interessieren:
Welche Kunden kaufen wann welche Produkte in welchem Kanal? Welchen Kanal nutzen die Kunden für welche Phase ihres Kaufes? Wie verteilen die Kunden ihr Budget auf die einzelnen Kanäle? Aus welchen Gründen nutzen die Kunden einen bestimmten Kanal bzw. eine bestimmte Kombination von Kanälen? Empfinden die Kunden beim Kauf in einem Kanal ein höheres Risiko als in einem anderen? Wie beurteilen die Kunden die verschiedenen Kanäle? Wie zufrieden sind die Kunden mit den Leistungen der einzelnen Kanäle?
Der Fragenkatalog lässt sich beliebig erweitern und vertiefen. Die Antworten kann man bekannten Analysestrukturen der Theorie des Kaufverhaltens zuordnen. Insbesondere die Marktsegmentierung bietet verschiedene Kategorien von Variablen an, um das Wesen und das Verhalten der Kunden zu beschreiben: sozio-ökonomische Merkmale, beobachtbares Verhalten und psychographische Merkmale. Die Erhebung sozio-ökonomischer Merkmale ist mit vergleichsweise geringen Schwierigkeiten verbunden, die in erster Linie in der Auskunftsscheu der Kunden und in wahrheitswidrigen Angaben liegen. Zum beobachtbaren Verhalten lassen sich vor allem das Informationsverhalten (Welche Informationsquelle wird wann genutzt?), die Kaufentscheidung (Welches Produkt wird wann in welcher Menge zu welchem Preis in welchem Kanal gekauft?) und das Beschwerdeverhalten (Welches Produkt wird wann mit welcher Begründung reklamiert?) zählen. Soweit der Kunde dem Händler bekannt ist, lassen sich alle Verhaltensweisen einer bestimmten Person zuordnen. Die größte Herausforderung ist die Erfassung psychographischer Merkmale. Denn hierbei handelt es sich um theoretische Konstrukte (nicht unmittelbar beobachtbare Sachverhalte), die es zu definieren und zu operationalisieren gilt. Erst dann sind sie einer Messung zugänglich. Uneinheitliche Definitionen, Indikatoren und Messinstrumente erschweren die Vergleichbarkeit von Untersuchungen, die sich mit theoretischen Konstrukten befassen. Die Untersuchung theoretischer Konstrukte hat in der Marketingforschung eine lange Tradition, mit wechselnden und teilweise konkurrierenden Paradigmen.9 In der jüngeren Vergangenheit hat sich das Interesse zunächst dem Kaufverhalten im Electronic Retailing und dann im MultichannelRetailing zugewandt.10
9 10
Vgl. Kroeber-Riel/Weinberg/Gröppel-Klein (2009), S. 25 ff. Vgl. zur Übersicht Schröder (2005), S. 67 ff.; Zaharia (2006); Bohlmann (2007).
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Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Informations- und Kaufentscheidungsprozesse bei Endkunden
Als Informationsverhalten werden alle Vorgänge bezeichnet, die Antworten auf die Frage liefern: „Wer sucht warum welche Information wo wann und wie lange mit wem über welche Produkte und Leistungen?“ Betrachtet man ein Mehrkanalsystem im Einzelhandel, lässt sich die Frage spezifizieren: „Wie viele und welche Kanäle nutzen die Kunden aus welchen Gründen, um sich zu informieren?“ Informationsprozesse finden vor, bei und nach dem Kauf statt. Vor dem Kauf und während des Kaufs unterstützen sie die Kaufentscheidung, nach dem Kauf werden sie im Zusammenhang mit dem Kaufergebnis benötigt: Bestätigung des Kaufs, Beseitigung von Unzufriedenheit und kognitiver Dissonanz, Hilfe beim Umtausch etc. Das Entscheidungsverhalten bezieht sich auf den Kauf von Waren und Dienstleistungen, die der Multichannel-Retailer anbietet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung drei Komponenten aufweist: die nachgefragte Leistung (Waren und Dienstleistungen), den Händler und den Kanal. Mit Hilfe des Ansatzes der informationsökonomischen Produkteigenschaften kann man untersuchen, welche Bedeutung die Beschaffung von Informationen für verschiedene Produkte und Kanäle eines Händlers hat. Als informationsökonomische Produkteigenschaften bezeichnet man solche Merkmale von Produkten, deren Vorhandensein die Käufer durch das Suchen und Finden von Informationen mehr oder weniger gut überprüfen können. Man unterscheidet Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften, die bei jedem Kauf eines Produktes mit unterschiedlichen Anteilen vorhanden sind. Man geht davon aus, dass bei Sucheigenschaften das wahrgenommene Kaufrisiko niedriger ist als bei Erfahrungseigenschaften und dass bei Vertrauenseigenschaften die Unsicherheit und somit das wahrgenommene Kaufrisiko am höchsten ist.11 Zwei Kriterien bestimmen die Ausprägungen informationsökonomischer Produkteigenschaften: der Zeitpunkt, zu dem der Käufer die Eigenschaften beurteilen kann, und die Möglichkeit, die Produkteigenschaften zu beurteilen. Wenn die Überprüfung vor dem Kauf möglich ist, liegen Sucheigenschaften vor, wenn sie erst nach dem Kauf möglich ist, Erfahrungseigenschaften. Ist die Überprüfung vor dem Kauf nicht möglich, kann es sich um Erfahrungs- oder Vertrauenseigenschaften handeln; ist die Überprüfung auch nach dem Kauf nicht möglich, liegen Vertrauenseigenschaften vor.12 11 12
Vgl. Weiber/Adler (1995a), S. 54. Vgl. Weiber/Adler (1995a), S. 59.
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
157
Wie nehmen die Käufer informationsökonomische Produkteigenschaften in verschiedenen Kanälen wahr, insbesondere bei einem Multichannel-Retailer? Verschiebt sich die Eigenschaftszuordnung zwischen den Kanälen oder bleibt sie gleich? Bohlmann untersuchte diese Fragen anhand der beiden Kanäle „stationärer Einzelhandel“ und „Online-Shop“ für die drei Produkte Hosen, Wein und Vitaminpräparate. Ausgangspunkt ist der Kaufprozess in Geschäften des stationären Einzelhandels.13 Die 301 Probanden sollten bei der Frage 1 zunächst angeben, inwieweit sie sich bei dem jeweiligen Produkt in dem jeweiligen Kanal in der Lage fühlen, die für sie wichtigen Eigenschaften des Produktes a) vor dem Kauf und b) nach dem Kauf vollständig zu beurteilen.14 Vorgegeben wurde eine fünfstufige Antwortskala mit den Ausprägungen „1 = gar nicht“ bis „5 = sehr gut“. In Anlehnung an Weiber und Adler werden die Ausprägungen von informationsökonomischen Produkteigenschaften wie folgt bestimmt.15 Die Dominanz von Sucheigenschaften liegt bei dem Produkt dann vor, wenn die Differenz der Antwortwerte zu b) und a) nahe null ist (hier: 0 und 1) und auf beiden Skalen relativ hohe Werte angekreuzt wurden (4 und 5). Erfahrungseigenschaften dominieren, wenn die Differenz zwischen den beiden Werten größer null ist (hier: größer gleich 2). Ist dies der Fall, so kann der Befragte die Eigenschaften des jeweiligen Produktes vor dem Kauf relativ schlecht einschätzen, wohingegen er sich nach dem Kauf dazu relativ gut in der Lage fühlt.16 Vertrauenseigenschaften überwiegen, wenn die Differenz nahe null liegt (hier: 0 und 1) und auf den beiden Skalen niedrige Werte angegeben wurden (hier: 1 und 2). Als weiteres Messinstrument wurde die Frage 2 verwendet: „In Prozentzahlen ausgedrückt kann ich die für mich wichtigen Eigenschaften der Hose a) bereits vor dem Kauf der Hose im Geschäft beurteilen, b) erst nach dem Kauf im Geschäft und Tragen der Hose beurteilen, c) selbst nach dem Kauf im Geschäft und Tragen der Hose nicht beurteilen.“ Analog wurde die Frage zu den anderen Produkten und zum Online-Shop gestellt. Jene informationsökonomische Produkteigenschaft wird als dominant angesehen, die von einer Person den höchsten Prozentwert erhält (siehe Abbildung 3).
13 14 15 16
Vgl. Bohlmann (2007). Vgl. dazu Adler (1996), S. 230. Vgl. Weiber/Adler (1995b), S. 106 f. Aus diesem Grund fällt hierbei die Kombination 1 und 3 weg, da sich in diesem Fall der Proband selbst nach dem Kauf nicht in der Lage fühlt, eine Einschätzung der wesentlichen Eigenschaften des Produktes abzugeben. Für die Kombination 3 und 5 sieht dies hingegen anders aus, hier kann der Proband die Eigenschaften vor dem Kauf „teils, teils“ beurteilen, wohingegen er sich nach dem Kauf (und der Verwendung) sogar „sehr gut“ dazu in der Lage fühlt.
158
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
i.ö.P
Sucheigenschaften
Erfahrungseigenschaften
Vertrauenseigenschaften
Antworten zu Frage 1 a)
4
4
5
1
2
3
1
1
2
zu Frage 1 b)
4
5
5
4 o. 5
4 o. 5
5
1
2
2
zu Fragen 2 a), b) und c)
Dominanz des Prozentwertes bei 2 a)
Dominanz des Prozentwertes bei 2 b)
Dominanz des Prozentwertes bei 2 c)
i.ö.P. = informationsökonomische Produkteigenschaften, o = oder Die Werte sind die Antworten auf der fünfstufigen Antwortskala.
Abbildung 3:
Bestimmung der informationsökonomischen Produkteigenschaften (Quelle: Bohlmann 2007, S. 209)
Unsere Untersuchung geht ausschließlich dann von der Dominanz einer informationsökonomischen Produkteigenschaft aus, wenn die Antworten der Fragen 1 und 2 widerspruchsfrei sind. Somit fallen Ergebnisse heraus, die entweder in Frage 1 und 2 unterschiedliche Eigenschaften als dominant ausweisen oder aber eine Dominanz bei der einen Frage nicht durch eine Dominanz bei der anderen Frage gestützt werden kann. Die Ergebnisse in Abbildung 4 zeigen, dass das Produkt „Hose“ vom Produkt mit Sucheigenschaften im stationären Einzelhandel zum Produkt mit Erfahrungseigenschaften im Online-Shop migriert. Beim Produkt „Wein“ dominieren in beiden Kanälen Erfahrungseigenschaften, beim Produkt „Vitaminpräparat“ Vertrauenseigenschaften. Vor diesem Hintergrund kann der Multichannel-Retailer den Kunden vor allem die Gelegenheit bieten, weitere Informationen über das Produkt, über die Erfahrungen Dritter mit diesem Produkt, über die Marke des Produktes und über den Händler zu erlangen.17 Die Nutzung mehrerer Kanäle versetzt den Kunden in die Lage, sein wahrgenommenes Kaufrisiko zu reduzieren. Insbesondere dann, wenn sich die Maßnahmen aus seiner Sicht sinnvoll ergänzen, wie etwa die schriftlichen Informationen im Katalog und im Online-Shop und die Verkaufsberatung im stationären Einzelhandel. 17
Vgl. Schröder/Bohlmann (2007), S. 114 f.
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
Produkt-KanalKombination
Such-
Erfahrungs-
Vertrauens-
Eigenschaften
Hose und SEH 115 48 0 Hose und ON 3 82 0 Wein und SEH 11 172 10 Wein und ON 143 1 Vitaminpräpa75 23 32 rat und SEH Vitaminpräpa52 0 2 rat und ON SEH = stationärer Einzelhandel, ON = Online-Shop
Abbildung 4:
159
Widerspruch zwischen Frage 1 und 2
fehlende Antworten
gesamt
138 26 105 28
0 3 3 0
301 115 301 172
170
1
301
19
2
73
Dominanz informationsökonomischer Produkteigenschaften in den Absatzkanälen eines Mehrkanalsystems (Quelle: Schröder/Bohlmann 2009, S. 454)
Es sind auch andere Effekte möglich. Zu viele Informationen (Information Overload), die er nicht verarbeiten kann, oder widersprüchliche Informationen (Vorkaufsdissonanzen) halten den Kunden vom Kauf ab. Des Weiteren ist es denkbar, dass der Kunde bewusst darauf verzichtet, weitere Kanäle zu nutzen. Indem er seine Informationsnachfrage einschränkt, will er der Informationsflut entgehen und weitere Vorkaufsdissonanzen mildern oder vermeiden.18 Die Art und Weise, wie die Kunden ihre Informationsnachfrage auf die Kanäle verteilen, sollte für jeden Multichannel-Retailer Anlass sein zu prüfen, ob ihm dieses Verhalten bekannt ist, ob er in den jeweiligen Kanälen das erforderliche Angebot an Informationen bereithält und inwiefern es notwendig ist, die Anfragen von Kunden und deren Beantwortung über die Kanäle hinweg zu vernetzen. Eine solche Vernetzung scheint dann unumgänglich zu sein, wenn die Kunden eine Kundenkarte nutzen. Wünschenswert ist eine Informations-Kauf-Matrix, aus der hervorgeht, in welchem Kanal sich ein Kunde informiert hat, bevor er bei diesem Händler gekauft hat. Die Darstellung in Abbildung 5 beschränkt sich auf einen Informationskanal, der vor dem Kauf genutzt wird. Ebenso können mehrere Informationskanäle dargestellt und erhoben werden.
18
Vgl. Terlutter/Diehl (2002), S. 437.
160
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Kaufkanal
stationäres Katalog Online-Shop Geschäft Informationskanal stationäres Geschäft 75* 20 20 Katalog 10* 70 20 Online-Shop 15* 10 60 * Von den Kunden, die in der Filiale gekauft haben, haben sich vorher 75 % dort, 10 % im Katalog und 15 % im Online-Shop informiert. Alle Angaben in Prozent.
Abbildung 5:
Informations-Kauf-Matrix für einen Kaufprozess (Quelle: Schröder/Schettgen 2004, S. 381)
So sinnvoll es ist, über derartige Informationen zu verfügen, so schwierig ist es, solche Informationen zu erhalten. Die zeitnahe Erfassung der Verhaltensweisen ist allenfalls bei der Variante möglich, bei der sich Kunden im stationären Geschäft informieren und dann dort kaufen. Diese Informationen lassen sich durch eine Befragung in der Einkaufsstätte erheben. In allen anderen Fällen ist es nicht möglich, die Kunden bei ihrem Einkaufsprozess „zu begleiten“. Bereits schwieriger ist es, Aussagen darüber zu erhalten, inwieweit die Kunden andere Informationskanäle vor dem Kauf im stationären Geschäft genutzt haben. Hier wie in allen anderen Fällen können Informationen darüber, welche Phasen des Kaufs die Kunden auf welchen Kanal verteilen, nur mit einem entsprechenden Zeitabstand zu dem Einkauf durch Befragungen erhoben werden. Vor diesem Hintergrund betrachten wir eine Reihe empirischer Untersuchungen, die sich mit dem Informations- und Kaufverhalten in mehreren Kanälen befasst haben. 4
Empirische Untersuchungen zum Informations- und Kaufverhalten bei mehreren Kanälen
4.1 Studien zu mehreren Kanälen ohne Bezug zu Multichannel-Retailern Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die sich mit dem Wechsel der Kunden zwischen den Kanälen befassen, dabei aber nicht zwingend den Wechsel zwischen den Kanälen eines Multichannel-Retailers betrachten. So hat die amerikanische Unternehmensberatung Cambridge Technology Partners im Juni 2001 untersucht, welche Informationskanäle die Kunden vor, bei und nach dem Kauf nutzen (siehe Abbildung 6). Die Antworten stammen von 560 als „junge Konsumenten“ bezeichneten Personen, die in den vergangenen 12 Monaten eine CD,
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
161
ein Buch oder Kinokarte gekauft haben.19 Für das Verständnis der Ergebnisse ist wichtig, dass gefragt wurde, inwieweit der jeweilige Kanal mindestens einmal (!) während der letzten 12 Monate genutzt wurde. Daher erlauben die Ergebnisse keine Aussagen über das Informationsverhalten während eines Kaufprozesses und sie liefern auch keine Erkenntnisse über Multichannel-Retailer, sondern allenfalls über die Nutzung verschiedener Kanäle durch die Kunden. Kaufphase Informationsquelle persönlicher Kontakt telefonischer Kontakt Website Brief/Fax
Abbildung 6:
Pre-Sales
Sales
After-Sales
89 13 62 4
100 14 38 7
89 53 28 9
Nutzung von Kanälen zur Deckung des Informationsbedarfs innerhalb eines Jahres, Angaben in Prozent (Quelle: Silberberger 2002, S. 34)
Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt eine Studie, die im Auftrag der amerikanischen Unternehmensberatung KPMG an der Indiana University (USA) durchgeführt wurde und an der 2.120 Personen eines US-amerikanischen Online-Panels von Mai bis Juni 2000 teilnahmen. Sie beantworteten u. a. die Frage, welche Kanäle sie gerne nutzen würden (!), um die verschiedenen Phasen des Kaufprozesses beim Kauf von 10 unterschiedlichen Produktkategorien abzuwickeln.20 Die Befragten bevorzugen den stationären Handel, um Anregungen über neue Produkte zu erhalten (76 %), Ware zu kaufen und zu bezahlen (91 %), Produkte zu empfangen (91 %) und zurückzubringen (89 %). Das Internet eignet sich, um Produktinformationen zu suchen (90 %) und Alternativen zu vergleichen (83 %). Auch im Falle dieser Untersuchung gilt, dass die Ergebnisse keine Aussagen über das Informationsverhalten während eines Kaufprozesses ermöglichen und dass nicht die Kanäle eines Multichannel-Retailers analysiert wurden. Schließlich sei als Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit die Studie von A.T. Kearney genannt.21 Die Ergebnisse aus dem Jahr 2008 (siehe Abbildung 7) lassen nicht den Rückschluss zu, dass Kunden eines Multichannel-Retailers zu ihrem Informations- und Suchverhalten befragt wurden. 19 20 21
Vgl. Silberberger (2002), S. 43. Vgl. Burke (2000), S. 7, 24. Vgl. Warschun/Stratmann (2008).
162
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Kaufkanal Informationskanal stationär Katalog/Print Internet TV
Abbildung 7:
stationär
Katalog/Print
Internet
TV
79 19 41 –
5 70 3 –
16 11 55 15
– – 1 85
Die Nutzung von Kanälen für Suchen und Kaufen, Angaben in Prozent (Quelle: Warschun/Stratmann 2008, S. 6)
Untersuchungen dieser Art können Aussagen erlauben, zu welchem Zweck die Kunden einen Kanal nutzen, nicht jedoch, wie sie die Kanäle eines Multichannel-Retailers für einen Kaufprozess in Anspruch nehmen. Zudem ist das Untersuchungsdesign zu beachten: Wer wurde wann wie zu welchen Verhaltensweisen befragt? 4.2 Studien zu mehreren Multichannel-Retailern Das Institut für Handelsforschung (IfH) an der Universität zu Köln hat eine Reihe von Untersuchungen durchgeführt, in die die Aussagen der Befragten zur Kanalnutzung bei mehreren Multichannel-Retailern eingeflossen sind. So hat Dach das Informations- und Kaufverhalten in stationären Geschäften und in Online-Shops untersucht. Grundlage sind die Antworten aus einer Online-Befragung von 1.239 Internet-Nutzern. Die Online-Shopper und Nicht-Online-Shopper (Internet-Nutzer, die keine Waren über das Internet kaufen) wurden nach ihrem letzten Einkauf im Internet oder in einem Ladengeschäft befragt (Branchen: vor allem Bücher, Drogerieartikel, Bekleidung und Möbel). Für Multichannel-Retailer stellt Dach fest, dass knapp 11 % der Kunden der Ladengeschäfte sich zuvor im Online-Shop dieses Händlers informiert hatten, während den umgekehrten Weg knapp 3 % der Kunden genommen haben.22 Van Baal und Hudetz haben zusätzlich den Katalog-Versandhandel als Kanal einbezogen. Sie stellten mehrfach intensive informationsbezogene Wechselwirkungen zwischen den Kanälen fest.23 Die Werte in Abbildung 8 sind wie folgt zu lesen: 21,7 % der Käufe im Online-Shop geht eine Informationssuche im Katalogversand desselben Anbieters voraus; diese Käufe entsprechen 33,6 % des 22 23
Vgl. Dach (2002), S. 34. Vgl. van Baal/Hudetz (2006); van Baal/Hudetz (2008).
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
163
Umsatzes der Online-Shops. 29,9 % der Bestellungen im Katalogversand geht eine Informationssuche im Online-Shop desselben Anbieters voraus; diese Bestellungen entsprechen 35,2 % des Umsatzes des Katalogkanals. Sieht man sich die Beziehung zwischen dem stationären Kanal und dem Katalogkanal an, so ist sie schwächer als zwischen Online-Shop und Katalogkanal.
Stationäre Geschäftsstellen
7,6% 8,1%
Online-Shops
11,7% 17,2%
9,5% 11,1%
21,7% 33,6%
8,1% 16,1%
29,9% 35,2%
Print-Kataloge
Abbildung 8:
Transaktionsanbahnung in einem Vertriebskanal vor einem Kauf in einem anderen Kanal desselben Anbieters (Quelle: van Baal/Hudetz 2008, S. 35)
Van Baal und Hudetz sind auch den Gründen nachgegangen, warum die Multichannel-Kunden die Informationssuche und den Kauf auf verschiedene Kanäle verteilen (siehe Abbildung 9). So sind die häufigsten Gründe dafür, nach einer Informationssuche in einem stationären Geschäft über den Katalogkanal des Anbieters zu bestellen, die Möglichkeit, weitere Informationen im Katalog zu erhalten, die Lieferung nach Hause und die generelle Produktverfügbarkeit, d. h., die im Geschäft nicht vorrätige Ware ist über den Katalogversand erhältlich. Wenn die Kunden sich dagegen zunächst im Katalog informieren und dann im stationären Geschäft kaufen, dann tun sie dies, weil sie das Produkt dort inspizieren können (Überprüfung von Sucheigenschaften), weil die Ware sofort verfügbar ist und weil der Kauf schneller abzuwickeln ist.
164
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Stationäre Geschäftsstellen
• Lieferung • generelle Produktverfügbarkeit • Einfachheit
Online-Shops • sofortige Produktverfügbarkeit • Inspektion aller Produkteigenschaften • Schnelligkeit • Einfachheit
• Schnelligkeit • sofortige Produktverfügbarkeit • Inspektion aller Produkteigenschaften
• Informationssuche • Lieferung • generelle Produktverfügbarkeit
• Informationssuche • generelle Produktverfügbarkeit
Print-Kataloge
Abbildung 9:
Die häufigsten Gründe für den Kanalwechsel innerhalb von Transaktionen (Quelle: van Baal/Hudetz 2008, S. 62)
Bei den Untersuchungsergebnissen ist zu beachten, dass sich die Stichprobe auf Personen beschränkt, die das Internet nutzen (Online-Befragung). Nicht-Internetnutzer wurden somit nicht erfasst. Des Weiteren ist nicht ersichtlich, um welche Multichannel-Retailer und um welche Waren es geht. Ausgeschlossen hat die Studie Güter des täglichen Bedarfs (insbesondere Lebensmittel) sowie Güter zum Download (beispielsweise Musikdateien) und Anrechte auf Dienstleistungen (insbesondere touristische Leistungen und Tickets). Welche Konsequenzen haben diese Randbedingungen der Untersuchungen? Kunden, die nicht online-affin sind, dürften in der Stichprobe kaum vertreten sein. Dies dürfte die Aussagekraft der Beziehungen zwischen den Offline-Kanälen „stationäre Geschäfte“ und „PrintKataloge“ schmälern. Die Limitationen der Online-Befragung gelten auch für die Untersuchung von Ehrlich, Erbenich und Kirchgeorg.24 Sie betrachten u. a. die Verhaltensweisen der Kunden von Multichannel-Retailern, die Produkte aus dem Bereich der Un24
Vgl. Ehrlich/Erbenich/Kirchgeorg (2010).
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
165
terhaltungselektronik vertreiben. Im Sinne des warenorientierten Ansatzes gehen die Autoren davon aus, dass die Eigenschaften der Ware das Nutzungsverhalten der Kunden beeinflussen. Abbildung 10 zeigt, welche Kanäle die Kunden vor dem Kauf und zum Kauf nutzen. n = 502
Kanal*
• Offline
(Geschäft)
Vor Kauf (dominanter Kanal)
39%
Bei Kauf (genutzter Kanal)
36 %
69%
24 %
• Online
(Internet)
48%
20 %
24%
Kataloge
2%
1%
2%
1%
• Andere **
11%
"Channel Keeper"
…%
"Channel Hopper"
• Der Großteil des “Channel Hopping” findet vom Internet zu anderen Kanälen statt – fast kein Offline-Online-Hopping (2%)
• ZU BEACHTEN:
8%
• Homeshopping-
…%
5%
auch Channel Keeper können andere Kanäle vor Kauf genutzt haben – allerdings nicht als dominanten Informationskanal
* Verschiedene Online-Kanäle hier als "Online" zusammengefasst; nur wichtigste Pfade dargestellt ** "Andere" vor Kauf: Werbung, Zeitungen/Zeitschriften, WOM; "Andere" bei Kauf: Telefon, sonstige
Abbildung 10: Die Nutzung von Kanälen bei der Information und beim Kauf von Produkten aus der Unterhaltungselektronik (Quelle: Ehrlich/Erbenich/Kirchgeorg 2010, S. 66) Die Autoren stellen weiter fest, dass sich das Nutzungsverhalten bei verschiedenen Produktgruppen unterscheidet. Untersucht wurden Laptops und Notebooks, Fernseher und MP3-Player. So ist bei Laptops und Notebooks der Online-Anteil in der Informationsphase und in der Kaufphase deutlich höher als bei den anderen beiden Produkten. Fernseher hingegen weisen in beiden Phasen einen deutlich höheren Anteil der Offline-Geschäfte auf.25
25
Vgl. Ehrlich/Erbenich/Kirchgeorg (2010), S. 68.
166
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4.3 Studien zu einzelnen Multichannel-Retailern Die zuletzt genannte Studie macht deutlich, dass die Eigenschaften von Waren darauf einwirken, wie Kunden die Kanäle von Multichannel-Retailern nutzen. Wenn die Waren unterschiedliche Merkmale haben und auch die Vermarktungskonzepte verschieden sind, ist es zweckmäßig, firmenbezogene Untersuchungen anzustellen. Mit einzelnen Firmen als Untersuchungsobjekten ist es möglich, etliche Sachverhalte detaillierter zu erforschen, etwa weil die Firma Daten über das Kaufverhalten der Kunden zur Verfügung stellt. Des Weiteren lassen sich verwässernde Effekte vermeiden, die sich ergeben, wenn die Antworten von Kunden nicht nach einzelnen Multichannel-Retailern getrennt, sondern gemeinsam ausgewertet werden. Im Folgenden zeigen wir ausgewählte Ergebnisse, wie sich die Kunden zweier Multichannel-Retailer in deren Kanälen informieren und dort kaufen. 4.3.1 Das Informations- und Kaufverhalten bei einem Händler für Partieware
Der erste Multichannel-Retailer, den wir hier betrachten, ist ein Partievermarkter von Non-Food-Artikeln.26 Seit 1972 werden Produkte aus diesem Sektor im stationären Handel angeboten, seit 1996 im Katalogversand und seit 1997 im Internet. Im stationären Bereich sind eigene Filialen sowie Depots nach dem Shop-in-Shop-Prinzip im Lebensmittel-Einzelhandel und in Bäckereien vertreten, im Distanzhandel der Katalogversand und der Online-Shop. Der Marktauftritt ist in allen Kanälen weitgehend gleich: Preis-, Service- und Kommunikationspolitik sowie Storebrand sind einheitlich, jede Woche wird ein neues Sortiment angeboten, mit kleinen Unterschieden zwischen den Kanälen. Produkte, die Beratung durch das Verkaufspersonal erfordern, finden sich nur in den Filialen, nicht aber in den beiden anderen stationären Kanälen. Produkte, die aufgrund ihrer physischen Eigenschaften besondere räumliche oder logistische Anforderungen stellen (z. B. Fernseher, Fahrräder, Möbel), bietet nur der Distanzhandel an. Im Jahr 2002 wurden u. a. über 400 Artikel aus dem Bereich Bekleidung, ca. 70 aus den Bereichen Auto und Heimwerken, ca. 80 aus dem Bereich Spielzeug, ca. 140 aus dem Bereich Wohnen, ca. 80 aus der Warengruppe Kochen, ca. 120 für Büro und Schule sowie ca. 60 aus dem Gartensektor angeboten. Die Filialen verfügen über das umfangreichste Sortiment der stationären Geschäfte, haben eigenes Verkaufspersonal und Standorte in 1a City-Lagen, Einkaufszent26
Vgl. hierzu und zum Folgenden Zaharia (2006); Zaharia (2007); Schröder/Zaharia (2006); Schröder/Zaharia (2007).
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
167
ren und anderen frequenzstarken Gegenden, teilweise mit einer Coffee Bar. Die Depots im Lebensmittel-Einzelhandel sind an den Standorten, wo sich Investitionen in Filialen nicht lohnen (Außenbereiche von Städten, ländliche Gebiete etc.). Sie führen ein reduziertes Sortiment, das an das Potenzial des Standortes angepasst ist. Die Ware wird in stark frequentierten Regalen der Lebensmittelgeschäfte (Verbrauchermärkte, Supermärkte etc.) platziert. Die Depots in den Bäckereien finden sich an kleinen Standorten, an denen keine anderen stationären Formate des Multichannel-Retailers vertreten sind. Sie sind teilweise mit einer Coffee Bar ausgestattet. Der Katalog erreicht Kunden in Gebieten, etwa auf dem Land, die stationär schlecht erschlossen sind. Bestellungen können telefonisch, per Brief oder per Fax aufgegeben werden. Pro Lieferung trägt der Kunde 3,95 Euro an Versandkosten. Die Lieferzeit beträgt etwa eine Woche. Der Online-Shop bietet dasselbe Sortiment zu denselben Konditionen wie der Katalog an. In der Stichprobe der Hauptuntersuchung, die als telefonische Befragung durchgeführt wurde, hatten Frauen einen Anteil von 80 %, das Durchschnittsalter liegt bei 46 Jahren. Dies entspricht nach Angaben der Unternehmung der Kundenstruktur in der Grundgesamtheit. Der standardisierte Fragebogen bestand aus zwei Themenbereichen. Der erste Bereich enthielt Statements zu den Einkaufsmotiven (5er-Skala von 1 „trifft voll und ganz zu“ bis 5 „trifft überhaupt nicht zu“). Die Befragten wurden gebeten, sich zum Einkaufen im Allgemeinen zu äußern. Es war ihnen an dieser Stelle der Befragung nicht bekannt, dass weitere Fragen eine bestimmte Firma betreffen. Der zweite Themenbereich hatte Fragen zum Gegenstand, die sich auf das Informations- und Entscheidungsverhalten beim Kauf eines bestimmten Produktes sowie auf die Nutzung der Kanäle der betrachteten Handelsunternehmung bezogen. Es wurde für einen zurückliegenden Kaufvorgang nach dem Kanal gefragt, in dem die Person den Artikel gekauft hat, und nach dem Kanal, in dem sie sich vorher darüber informiert hat. Zum Schluss gaben die Befragten soziodemographische Merkmale wie Alter, Geschlecht, Ausbildung, Beruf, Einkommen, Haushaltsgröße, Anzahl der Kinder und Wohnortsgröße an. Die telefonische Befragung lieferte auswertbare Antworten von 525 Kunden. Die Kunden wurden danach unterteilt, in welchem Kanal sie sich während eines Kaufprozesses informieren und kaufen. Da in jedem Kanal die Information und der Kauf möglich sind, ergeben sich rechnerisch für fünf Kanäle und zwei Phasen, nämlich Information und Kauf, 5² = 25 Kundengruppen (Verhaltensmuster). In der Gesamtstichprobe von n = 525 dominieren Einkanal-Nutzer (67,4 % der Kaufprozesse). Sie finden sich in allen Kanälen (siehe Abbildung 11). Bei Zweikanal-Nutzern dominiert die Kombination „Information im Online-Shop“ und „Kauf in der Filiale“ (5,9 % der Kaufprozesse).
168
Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
Anzahl der genutzten Kanäle Kombination der Kanäle für Personen Anteil (Art des Kanals) Information + Kauf (in %) 1 (stationär) FL + FL 157 29,0 1 (stationär) LS + LS 66 12,6 1 (stationär) BS + BS 32 7,0 1 (nicht-stationär) KT + KT 59 11,2 1 (nicht-stationär) ON + ON 40 7,6 2 (stationär und nicht-stationär) ON + FL 31 5,9 z. B.: FL + ON, LS + FL, 140 26,7 Alle weiteren Nutzungsmuster KT + ON weisen n < 30 auf. FL = Filiale, LS = Shop im Lebensmitteleinzelhandel, BS = Shop in Bäckerei, KT = Katalog, ON = Online-Shop
Abbildung 11: Die Verteilung von Information und Kaufentscheidung in der Stichprobe des Partievermarkters (Quelle: Zaharia 2006, S. 223) Die Multichannel-Kombination „Information in einem stationären Kanal“ und „Kauf in einem nicht-stationären Kanal“ spielt mit ca. 2 % eine geringe Rolle. Erklären ließe sich dies wie folgt: Ist ein Kunde bereits im stationären Geschäft, wo er sich über einen Artikel informiert, dann spricht wenig dafür, ihn vom Internet aus oder über den Katalog zu bestellen. Die Preise sind in allen Kanälen gleich und er müsste dann ca. eine Woche auf die Ware warten und für die Lieferung 3,95 Euro Versandkosten entrichten. Hinzu kommt hier noch die Besonderheit der Partievermarktung: Der Vorrat der Ware ist zeitlich und mengenmäßig begrenzt. Nachlieferungen sind ausgeschlossen. Wartet der Kunden mit dem Kauf, muss er damit rechnen, dass die Ware nicht mehr lieferbar ist. Ebenso besteht für Kunden, die sich in einem stationären Kanal informieren, kaum ein Anreiz, die Ware in einem anderen stationären Kanal zu kaufen, es sei denn, sie ist in der ersten Einkaufsstätte nicht mehr vorrätig oder weist Mängel auf. Um zu untersuchen, aus welchen Gründen die Kundengruppen bestimmte Kanäle wählen, hat Zaharia die folgenden Einkaufsmotive verwendet: Erlebnisorientierung, Convenienceorientierung, Streben nach Unabhängigkeit, abwicklungsbezogene Risikoabneigung, produktbezogene Risikoabneigung, Preisorientierung (Preisgünstigkeit), Smart-Shopping-Orientierung (Preiswürdigkeit), Qualitätsorientierung und Beratungsorientierung.27
27
Zur Konzeptualisierung und Operationalisierung der Konstrukte vgl. Zaharia (2006), S. 128 ff., 248 ff.
Informieren und Kaufen bei Multichannel-Retailern
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Die Feldstudie zeigt, dass die Annahme prinzipieller Unterschiede in den Motiven zwischen den stationären und den nicht-stationären Kanälen empirisch nicht haltbar ist. Mit einer Ausnahme: Kunden, die einen nicht-stationären Kanal für die Informationsbeschaffung und zum Kauf benutzen (Online-Shop oder Katalogversand), sind stärker unabhängigkeitsorientiert als die stationären Kunden. Weitere Aussagen wie etwa, dass stationäre Kunden stärker erlebnis- oder beratungsorientiert sind als die Distanzkunden und dass die Distanzkunden stärker convenience- oder preisorientiert sind als die stationären Kunden, können nicht bestätigt werden. Allerdings bestehen bei einzelnen Motiven signifikante Unterschiede zwischen verschiedenen Kundengruppen: erstens zwischen den stationär ausgerichteten Verhaltensweisen (FL + FL), (LS + LS) und (BS + BS), zweitens zwischen den nicht-stationär ausgerichteten Verhaltensweisen (ON + ON) und (KT + KT) sowie drittens zwischen den Multichannel-Kunden (ON + FL) und den Kundengruppen, die ausschließlich einen stationären oder einen nicht-stationären Kanal nutzen. Einige Beispiele für diese drei Beziehungen:28
Die Filial-Kunden (FL + FL) sind stärker erlebnis- und beratungsorientiert als die Lebensmitteleinzelhandel-Kunden (LS + LS). Die Online-Shop-Kunden (ON + ON) werden mehr durch Unabhängigkeit zur Nutzung des Kanals motiviert als die Katalog-Kunden (KT + KT), und sie haben eine geringere abwicklungsbezogene Risikoabneigung. Die Multichannel-Kunden (ON + FL) sind im Vergleich zu den stationären Single-Channel-Kunden (FL + FL) weniger stark erlebnis- und beratungsorientiert, aber stärker convenience- und unabhängigkeitsorientiert. Im Vergleich zu den Online-Single-Channel-Kunden (ON + ON) empfinden die Multichannel-Kunden (ON + FL) eine stärkere abwicklungsbezogene Risikoabneigung sowie eine stärkere Qualitätsorientierung. Auch sind sie weniger unabhängigkeits- und preisorientiert. Multichannel-Kunden verknüpfen die Unabhängigkeit der Information im Online-Shop mit der Reduzierung des abwicklungsbezogenen Risikos durch den Kauf in der Filiale, die ihnen Ansicht und Prüfung der Produkte ermöglicht.
Abschließend sei noch einmal betont, dass die Ergebnisse ausschließlich für den untersuchten Multichannel-Retailer gelten. Diese Einschränkung gilt auch für die folgende Untersuchung. 28
Hier können wir aus Platzknappheit nur auf ausgewählte Resultate eingehen. Siehe ausführlich bei Zaharia (2006), S. 257 ff.
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Hendrik Schröder / Annette Bohlmann / Matthias Witek / Silvia Zaharia
4.3.2 Das Informations- und Kaufverhalten bei einem Händler für Motorradbekleidung und Motorradzubehör
Ursprünglich hat der untersuchte Einzelhändler sein Sortiment ausschließlich in Filialen verkauft, dann integrierte er den Vertrieb über den Katalogversand und in den 1990er Jahren führte er den Online-Shop ein. Der Umsatzschwerpunkt liegt heute nach wie vor in den stationären Geschäften.29 Das Sortiment besteht aus den Warengruppen: Bekleidung, Zubehör und Technik, Helme, Bücher und Camping und umfasst ca. 25 000 Artikel. Der umsatzstärkste Bereich ist Bekleidung, gefolgt von Zubehör und Technik sowie Helmen. Die Warengruppen Bücher und Camping spielen eine nachrangige Rolle. Das Sortiment wird jährlich angepasst. Die ca. 140 Filialen in neun Ländern Europas haben unterschiedliche Sortimentsschwerpunkte, der Kunde kann aber jeden Artikel, der im Katalog oder im Online-Shop angeboten wird, in jeder Filiale bestellen und kaufen. Dies zählt dann nicht als Katalogkauf oder OnlineKauf. Der Multichannel-Retailer hat sich als Anbieter hochwertiger Qualitätsware positioniert, er verfolgt eine entsprechende Premiumpreis-Strategie. Die Preise sind, abgesehen von Sonderaktionen im Online-Shop oder in den Filialen, weitgehend in allen Kanälen einheitlich. In den Kanälen gibt es unterschiedliche Nachfrageschwerpunkte. So unterscheidet sich die Umsatzstruktur in den Filialen deutlich von den beiden Distanzkanälen: Der Umsatz der Filialen wird im Wesentlichen von der Bekleidung und den Helmen getragen, dagegen ist im Distanzhandel der Anteil von Zubehör und Technik fast doppelt so hoch wie in den Filialen. Anhand der Umsatzverteilung lässt sich vermuten, dass die Kunden für Produkte mit einem höheren Anteil an Sucheigenschaften (Bekleidung und Helme) den stationären Kanal bevorzugen. Dort können sie die Produkte ausprobieren. Dagegen erklärt sich der höhere Anteil an Zubehör und Technik im Distanzhandel offenbar so: Sofern es sich um Wiederholungskäufe handelt, verfügen die Kunden über Kauferfahrungen und die Inspektion der Produktqualität entfällt als Anforderung. Und: Soweit es sich um niedrigpreisige Kleinteile handelt, haben die Käufer im Distanzhandel ein geringes finanzielles Kaufrisiko.30 Die Kunden des Händlers für Motorradbekleidung und -zubehör unterscheiden sich erheblich von denen des Partievermarkters aus der Untersuchung von Zaharia (2006). Es sind vor allem die Attribute Abenteuer, Freiheit und Nervenkitzel 29 30
Vgl. hierzu und zum Folgenden Schröder/Witek (2010), S. 84 ff.; Witek (2011). Vgl. Bohlmann (2007), S. 152, 344 ff.
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und das damit verbundene emotionale Involvement, mit denen sich die Motorradkunden beschreiben lassen, was auf die Kunden des Partievermarkters so nicht zutrifft. Aus einer telefonischen Befragung mit einem standardisierten Fragebogen liegen 361 verwertbare Antwortsätze vor. Neben soziodemographischen Merkmalen wurden das Informationsverhalten und die Einkaufsmotive erhoben.31 Die Kunden wurden vor der Befragung nach dem jeweiligen Kaufkanal segmentiert: Wenn ein Kunde innerhalb des Beobachtungszeitraumes von zwei Jahren z. B. ausschließlich im Katalog bestellt hat, Grundlage hierfür waren die Transaktionsdaten der Kundenkartenbesitzer, so wurde er der Gruppe der Katalogkäufer zugeordnet. Abbildung 12 zeigt die Stichprobe für die einzelnen Kundengruppen, unterteilt nach dem Kanal, in dem sie sich informiert haben, und nach dem Kanal, in dem sie gekauft haben. Kaufkanal Filiale
Katalog
Online-Shop
35 37 31
2 31 1
1 9 22
Informationskanal Filiale Katalog Online-Shop
Abbildung 12: Verteilung der Kundengruppen in der Stichprobe des Multichannel-Retailers für Motorradbekleidung und Motorradzubehör (Quelle: Schröder/Witek 2010, S. 92) Als Einkaufsmotive hat Witek Erlebnisorientierung, Convenienceorientierung, personenbezogene Risikoabneigung, abwicklungsbezogene Risikoabneigung, zahlungsbezogene Risikoabneigung, Preisorientierung, Qualitätsorientierung, Beratungsorientierung und Unabhängigkeitsorientierung verwendet. Unterschiede zu der Untersuchung von Zaharia ergeben sich aus den unterschiedlichen Vermarktungskonzepten. Die in Analogie zu der Studie von Zaharia durchgeführte Untersuchung von Witek erscheint in Kürze.32 Eine spezielle Auswertung der Daten bezog sich auf die Frage, ob ein Multichannel-Retailer weiterhin den Absatz über den Katalogkanal betreiben soll.33 Zu 31 32 33
Zur Auswahl der Items für die Einkaufsmotive vgl. Zaharia (2006), S. 250 f. Vgl. Witek (2011). Vgl. hierzu und zum Folgenden Schröder/Witek (2010).
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diesem Zweck wurde das Informations- und Kaufverhalten derjenigen Kunden untersucht, die beide Schritte in demselben Kanal ausführen. Single-ChannelKunden wurden deshalb betrachtet, um die Bedeutung der einzelnen Kanäle, insbesondere des Katalogkanals herausfinden zu können. Die empirische Analyse zeigt für den Multichannel-Retailer, dass der Katalogkanal keineswegs die anderen Kanäle bei der Befriedigung der Kundenbedürfnisse dominiert, er aber auch nicht von den anderen Kanälen dominiert wird. Zudem ist der Grad der am besten erfüllten Kaufmotive nicht schlechter als in den anderen Kanälen. Die Katalogkunden sind im Vergleich mit den Filialkunden stärker preisorientiert, haben eine geringere Qualitäts- und Beratungsorientierung und bei der Abwicklung von Bestellungen eine geringere Risikoabneigung. Im Vergleich mit den Kunden des Online-Shops bestätigt sich: Katalogkunden sind nicht verschieden, was die Preisorientierung, die Erlebnisorientierung und die Qualitätsorientierung betrifft; Katalogkunden sind dagegen weniger unabhängigkeitsorientiert und haben eine höhere zahlungsbezogene Risikoabneigung. Die Katalogkunden und die Filialkunden unterscheiden sich nicht bei den Motiven Convenience, Unabhängigkeit, Erlebnis und personenbezogene Risikoabneigung. Von den Kunden des Online-Shops unterscheiden sie sich nicht bei den Motiven Convenience sowie personen- und abwicklungsbezogene Risikoabneigung. Nur die Beratung ist für die Katalogkunden wichtiger als für die Kunden des Online-Shops. Ergebnis: Sollten die Kanäle in unterschiedlicher Weise die Wünsche der Kunden erfüllen und sollte der Katalogversand bei der Beurteilung einzelner Motive besser abschneiden als die weiteren Kanäle des Einzelhändlers, das sind der stationäre Einzelhandel und der Online-Shop, so spricht dies dafür, den Katalogversand als Absatzkanal beizubehalten. 5
Fazit
Seit der Verbreitung von Online-Shops befassen sich empirische Untersuchungen mit dem Kaufverhalten der Endkunden, wenn sie zwischen mehreren Kanälen wählen können, obwohl Multichannel-Retailing ein deutlich älteres Realphänomen ist. Ein besonderes Augenmerk richtet sich darauf, wie die Kunden die Phasen des Einkaufs, vor allem die Information vor dem Kauf und den Kauf selbst, auf die Kanäle verteilen. Eine erste Gruppe von Studien untersucht, in welchen Kanälen sich Kunden informieren und wo sie kaufen, ohne dies aus der Perspektive von
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Multichannel-Retailern zu betrachten. Die zweite Gruppe untersucht mehrere Multichannel-Retailer, ohne die Besonderheiten einzelner Händler (Art und Anzahl der Kanäle, Vermarktungskonzepte etc.) zu berücksichtigen. Die letzte Gruppe untersucht einzelne Multichannel-Retailer. Entsprechend unterschiedlich ist die Reichweite der gewonnenen Aussagen. Wir sprechen uns dafür aus, die Marktauftritte der einzelnen Firmen als moderierende Variablen zu berücksichtigen, wenn mehrere Multichannel-Retailer in einer Untersuchung erhoben werden. Im Übrigen ist es sinnvoll, einzelne Firmen zum Gegenstand einer detaillierten Untersuchung zu machen. Vor allem dann, wenn es möglich ist, unternehmensinterne Daten zu erhalten, wie z. B. Abverkäufe und Retourenquote. Eine Herausforderung stellt die Auswahl der Stichprobe dar, wenn eine Vollerhebung nicht möglich ist, etwa weil die Grundgesamtheit der Kunden nicht bekannt oder eine solche Erhebung organisatorisch und finanziell nicht vertretbar ist. Selbst wenn alle Kunden bekannt sind, liegen allenfalls Daten über ihre Käufe, aber keine Daten über ihr Informationsverhalten vor. Insoweit ist es nicht möglich, eine Informations-Kauf-Matrix zu erstellen, die das Verhalten der Grundgesamtheit strukturgleich abbildet. Insoweit muss man sich darauf beschränken, für die einzelnen Verhaltensmuster – hier die Verteilung der Phasen des Kaufs auf die Kanäle eines Multichannel-Retailers – einen solchen Stichprobenumfang zu erhalten, wie er für die vorgesehenen statistischen Verfahren benötigt wird. Bei der Datenerhebung ist in vielen Fällen zu beobachten, dass diese über eine Online-Befragung erfolgt. Als Grund werden forschungsökonomische Aspekte (knappe finanzielle Mittel) genannt. Es ist durchaus legitim, auf diese Weise Daten zu erheben, nur muss dies bei der Aussagekraft der Ergebnisse berücksichtigt werden. Erstens gibt es unabhängig vom Erkenntnisziel grundsätzliche Probleme bei Online-Befragungen (z. B. Selbstselektion, Gefährdung der Anonymität der Untersuchungseinheiten). Zweitens gibt es spezielle Probleme bei der Untersuchung der Kunden von Multichannel-Retailern. Kunden, die nicht oder nur eingeschränkt online-affin sind, werden auf diesem Weg schlecht erreicht (systematischer Fehler). Zudem dürfte vielfach das Problem auftreten, dass der letzte Kauf bereits längere Zeit zurückliegt und die befragte Person Schwierigkeiten hat, sich an ihr Informationsverhalten zu erinnern. Dieses Problem tritt ebenso bei schriftlichen Befragungen auf und lässt sich allenfalls durch persönliche Befragungen in der Einkaufsstätte lösen. Damit wiederum wird nur ein Teil der interessierenden Kunden erfasst, so dass man bei den Distanzhandelskunden auf eine schriftliche oder elektronische Befragung – unter Inkaufnahme der Nachteile – nicht wird verzichten können. Um das Verhalten der Kunden von Multichannel-Retailern über alle Kanäle hinweg zu erfassen, ist es daher zweckmäßig, persönliche, telefonische und Online-Befragungen zu kombinieren.
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Die Autoren Univ.-Prof. Dr. Hendrik Schröder ist Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Marketing und Handel, an der Universität DuisburgEssen (www.marketing.wiwi.uni-due.de) und Leiter des Forschungszentrums für Category Management in Essen (www.cm-net.wiwi.uni-due.de). Seine Arbeitsgebiete liegen in den Feldern Käuferverhalten, Handelsmanagement und Handelscontrolling, Kooperation von Industrie und Handel, Customer Relationship Management sowie Multichannel-Retailing. Ein Schwerpunkt ist der Bereich Category Management, dem er sich seit rund 15 Jahren in Publikationen, Seminaren und Vorträgen widmet.
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Prof. Dr. Silvia Zaharia (Hochschule Niederrhein, silvia.zaharia@hs-niederrhein. de) und Dr. Annette Bohlmann (Stadtwerke Duisburg AG,
[email protected]) haben am Essener Lehrstuhl für Marketing und Handel ihre Dissertationen zum Thema Multichannel-Retailing verfasst. Dipl-Kfm. Matthias Witek (
[email protected]) ist Unternehmensberater und externer Doktorand am Lehrstuhl und wird seine Dissertation zu diesem Thema in Kürze abschließen. Kontakt Univ.-Prof. Dr. Hendrik Schröder Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Lehrstuhl für Marketing und Handel Universität Duisburg-Essen Universitätsstr. 12 45117 Essen
[email protected] Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau
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Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau Larissa Greschuchna
Inhalt Einleitung.......................................................................................................... 178 1 Theoretische Grundlagen .......................................................................... 180 1.1 Begriff des Dialogmarketings ................................................................... 180 1.2 Begriff der Integrierten Kommunikation .................................................. 180 2 Dialogmarketinginstrumente im Maschinenbau ....................................... 182 2.1 Grundlagen ............................................................................................... 182 2.2 Mailing...................................................................................................... 184 2.3 Messen ...................................................................................................... 186 2.4 Service Center........................................................................................... 186 2.5 Internet...................................................................................................... 188 2.6 Kundenmagazin ........................................................................................ 189 2.7 Anwendungsbeispiel zum Einsatz von Dialogmarketinginstrumenten in der Integrierten Kommunikation........................................................... 190 3 Fazit und Ausblick .................................................................................... 192 Management Summary Der deutsche Maschinenbau steht einem Wandel gegenüber, bei dem Serviceleistungen im Vergleich zu Standardmaschinen an Bedeutung gewinnen. Die richtigen Serviceleistungen zu erkennen und gegenüber (potenziellen) Kunden über die richtigen Kanäle zu kommunizieren, wird jedoch häufig noch vernachlässigt. Integriert in die Kommunikation des Unternehmens stellt das Dialogmarketing entsprechende Instrumente zur Verfügung. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Dialogmarketinginstrumente zur Bekanntmachung innovativer Serviceleistungen im Rahmen einer Integrierten Kommunikation im Maschinenbau zum Einsatz kommen. Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_9, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Einleitung Auch wenn kaum eine andere Branche in Deutschland durch die weltweite Finanzkrise so stark getroffen wurde wie der Maschinenbau, gehört dieser nach wie vor zu den erfolgreichsten Branchen (vgl. VDMA 2010). In vielen Produktsegmenten sind deutsche Maschinenbauer Weltmarktführer. Jedoch stehen sie seit einigen Jahren Herausforderungen gegenüber, die zu einem Umdenken und einer Neuausrichtung führen. Insbesondere das nach wie vor existente Problem der Produktpiraterie sowie die zumeist aus den asiatischen Räumen eingetretenen Wettbewerber, die für einen enormen Preisdruck sorgen, haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass Standardmaschinen nur noch eine geringe Profitabilität aufweisen. Mit produktbegleitenden Dienstleistungen (Services) hingegen lässt sich mit durchschnittlich 21 % eine rund viermal so hohe operative Marge realisieren wie mit Maschinen (vgl. Schmiedeberg/Strähle/Bendig 2010, S. 3). Annahmen gehen davon aus, dass Services das Potenzial haben, einen Umsatzanteil von bis zu 35 % und damit einen Gewinnanteil von bis zu 60 % zu erreichen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Ausbau des Serviceportfolios die Zukunft der Unternehmen entscheidend mitbestimmen wird. Jedoch gibt es bis heute nach wie vor in vielen Segmenten einen „Servicedschungel“. Kunden wissen häufig nicht, welche Services in welcher Form angeboten werden und welchen Nutzen sie daraus ziehen können. Die Unkenntnis über angebotene Services, angefangen von deren Existenz bis zum konkreten Nutzen, gilt als ein Hauptgrund dafür, dass Services nicht beauftragt werden. Bei der Vermarktung der Services liegen entsprechende Lücken vor, die es zu schließen gilt. 1. Angebotslücke Das Angebot der produktbegleitenden Services entspricht häufig noch nicht den Anforderungen der Kunden. Inwieweit und in welcher Ausprägung ein Kunde neben der klassischen Ersatzteilversorgung z. B. eine Hotline, einen Wartungsvertrag oder eine Fernwartung benötigt, ist vielen Maschinenbauern noch nicht klar. So werden Serviceleistungen angeboten, die entweder gar nicht oder nicht in der angebotenen Form vom Kunden benötigt werden. 2. Wissenslücke Nicht jeder Maschinenbauer, der Services anbietet, macht dies auch seinen Kunden bekannt. Kunden wissen schlichtweg einfach oft nicht, welche Services angeboten werden.
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3. Kommunikationslücke Eng mit der Wissenslücke steht die Kommunikationslücke im Zusammenhang. Viele Kunden werden nicht hinreichend über die angebotenen Services informiert. Eine einheitliche Kommunikation der Inhalte und Nutzen, die sich hinter den Services verbergen, erfolgt häufig unzureichend. 4. Medienlücke Die Vielfalt der Medien wächst kontinuierlich. Neben klassischen Formen, die den Nachfrager ungefragt mit Informationen beliefern (Push-Funktion), nehmen Medien zu, bei denen der Nachfrager die Möglichkeit hat, sich selbst Informationen über die Services zu beschaffen (Pull-Funktion). Zwar nutzen vermehrt Maschinenbauer verschiedene Medien und nehmen z. B. Informationen zu ihren Services auf ihre Webseite auf, aber auch hier gibt es noch Nachholbedarf, ebenso wie bei der Vernetzung der eingesetzten Medien. Das Dialogmarketing stellt dabei mit seinen verschiedenen Erscheinungsformen Instrumente zur Verfügung, die dazu beitragen können, die Lücken zu schließen. Auch wenn es in jüngster Zeit in Wissenschaft und Praxis eine zunehmende Beachtung findet, behandelt es meist nur den Dialog eines Unternehmens mit einem Konsumenten. Eine Beschäftigung mit dem Dialogmarketing zwischen Unternehmen, vor allem in der Investitionsgüterindustrie, findet hingegen selten statt. Einer der Hauptgründe könnte darin zu finden sein, dass der Dialog in Form einer direkten, interaktiven Kommunikation zwischen zwei Unternehmen in der Investitionsgüterindustrie als Regelfall angesehen wird. Dies ist jedoch eine zu enge Sicht. Im Anlagen- und Zuliefergeschäft (vgl. zu den Geschäftstypen in der Investitionsgüterindustrie Backhaus/Voeth 2007, S. 202 f.) gehört der Dialog vom Grund her zum Vermarktungsprozess. Eine meist mehrmonatige Angebotsphase ohne Dialog zwischen Anbieter und Nachfrager wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos enden. Standardisierte Maschinen und die produktbegleitenden Services werden hingegen eher im Produkt- oder Systemgeschäft vermarktet, so dass sich Ansätze für das Dialogmarketing bieten (vgl. Voeth/Herbst 2008, S. 359). Dabei wird vermehrt erkannt, dass der Einsatz einzelner Instrumente langfristig zur Gewinnung neuer und Bindung bestehender Kunden nicht ausreicht. Vielmehr wird eine Integrierte Kommunikation gefordert, die mehr bedeutet als den parallelen Einsatz verschiedener Kommunikationsinstrumente. Erst mit der Abstimmung und Vernetzung der Instrumente kann es gelingen, Synergiepotenziale zu nutzen.
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Theoretische Grundlagen
1.1 Begriff des Dialogmarketings Der Begriff des Dialogmarketings wird oft synonym zu Begriffen wie Beziehungsmarketing, One-to-One-Marketing oder Direktwerbung und vor allem zu dem des Direktmarketings verwendet. Im Gegensatz zum Direktmarketing geht es beim Dialogmarketing in erster Linie darum, durch den Einsatz ausgewählter Instrumente mit einem (potenziellen) Kunden in Dialog zu treten (vgl. Kreutzer 2009, S. 6). Bei einer einstufigen Kommunikation wird der Adressat z. B. über einen Telefonanruf oder einen Außendienstbesuch direkt gezielt angesprochen. Dagegen erfolgt bei einer zweistufigen Kommunikation zunächst die Ansprache durch das Unternehmen, in der der Adressat zur Reaktion aufgerufen wird. Dies kann beispielsweise in Form einer Anzeige in einer Fachzeitschrift erfolgen, bei der eine Telefonnummer oder die Internetadresse des Unternehmens angegeben ist oder der eine Responsekarte beiliegt. In diesem Beispiel wird ein ursprünglich klassisches Kommunikationsinstrument zum Dialogmarketinginstrument. Neben einer direkten Reaktion der angesprochenen Personen im beschaffenden Unternehmen wird der Erfolg der Maßnahme direkt messbar. Darüber hinaus stehen für die Dialogmarketing-Aktionen weitere Instrumente zur Verfügung, auf die in Kapitel 3 näher eingegangen wird. Unabhängig vom jeweils eingesetzten Instrument geht es aus Sicht des Unternehmens darum, den Adressaten gezielt anzusprechen und ihn in dieser Ansprache dazu aufzufordern, den Kontakt zum Unternehmen aufzunehmen. Hierdurch wird eine Beziehung zwischen dem absendenden Unternehmen und dem Adressaten aufgebaut. Im Vergleich dazu erfordert das Direktmarketing hingegen keine Reaktion des Adressaten. Damit die Aktionen nicht voneinander und von anderen Kommunikationsmaßnahmen losgelöst, d. h. nicht aufeinander abgestimmt durchgeführt werden, was zu Widersprüchen in der Kommunikation und letztendlich zur Verwirrung beim Adressaten führen kann, sollten die Dialogmarketinginstrumente mit anderen klassischen Medien bzw. Kommunikationsinstrumenten (z. B. Anzeige ohne Response, Öffentlichkeitsarbeit, Außenwerbung, Verkaufsförderung) im Sinne einer Integrierten Kommunikation kombiniert werden. 1.2 Begriff der Integrierten Kommunikation Trotz langjähriger Diskussionen zum Themenkomplex der Integrierten Kommunikation konnten sich weder Wissenschaft noch Praxis bislang auf ein einheitli-
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ches Begriffsverständnis einigen. Eine Definition, die weitestgehend als allgemeingültig angenommen wird, ist die von Bruhn, der Integrierte Kommunikation wie folgt beschreibt: „Integrierte Kommunikation ist ein Prozess der Analyse, Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle, der darauf ausgerichtet ist, aus den differenzierten Quellen der internen und externen Kommunikation von Unternehmen eine Einheit herzustellen, um ein für die Zielgruppen der Unternehmenskommunikation konsistentes Erscheinungsbild über das Unternehmen zu vermitteln.“ (Bruhn 2006, S. 29)
Bei der Integrierten Kommunikation geht es also im Wesentlichen um
einen Managementprozess, bei dem sämtliche Aktivitäten in der Kommunikation analysiert, geplant, organisiert und schließlich kontrolliert werden, die Abstimmung der differenzierten (internen und externen) Kommunikationsinstrumente eines Unternehmens und damit die Nutzung von Synergieeffekten und die Vermittlung eines konsistenten Erscheinungsbildes über das Unternehmen und seine Leistungen.
Letztendlich kann durch die Integrierte Kommunikation auch eine kommunikative Differenzierung vom Wettbewerb erfolgen. Die Abstimmung der eingesetzten Instrumente erfolgt inhaltlich, formal und zeitlich (vgl. Abb. 1). Wie sich in der Praxis immer wieder zeigt, stellt die inhaltliche Integration in der Umsetzung die größte Schwierigkeit dar. Hierbei geht es insbesondere um die thematische Abstimmung der eingesetzten Kommunikationsmittel, um dadurch ein einheitliches Erscheinungsbild zu vermitteln. Dies kann z. B. durch die einheitliche Nutzung von Slogans und Kernbotschaften bzw. Kernargumenten erfolgen. Das Problem tritt in der Praxis vor allem dann auf, wenn sich die Verantwortlichen nicht genügend mit den eigentlichen Zielen der Kommunikation auseinandersetzen. Ebenso kann keine inhaltliche Integration erfolgen, wenn die Inhalte selbst nicht klar sind, wenn also ein Maschinenbauunternehmen selbst nicht genau erklären kann, was sich hinter einem angebotenen Service verbirgt. Die formale Integration, verstanden als die Nutzung einheitlicher Gestaltungsrichtlinien (z. B. im Rahmen von Corporate-Design- oder Corporate-IdentityProgrammen), ist i. d. R. einfacher zu erreichen und wird auch von den meisten Unternehmen umgesetzt. Für den Adressaten hilft die Verwendung einheitlicher Logos oder Markenzeichen, den Absender leichter wiederzuerkennen.
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Im Rahmen der zeitlichen Integration geht es schließlich darum, die eingesetzten Kommunikationsinstrumente zeitlich aufeinander abzustimmen (z. B. zeitliche Abfolge einer Anzeigenwerbung, eines Mailings und einer Messeteilnahme). Darüber hinaus ist eine zeitliche Kontinuität innerhalb eines Kommunikationsinstruments zu gewährleisten, so dass es bei dem Adressaten zu Lerneffekten kommen kann (vgl. Bruhn 2006, S. 33).
Abbildung 1: 2
Formen der Integrierten Kommunikation (Bruhn, 2006, S. 31).
Dialogmarketinginstrumente im Maschinenbau
2.1 Grundlagen Bevor näher auf die einzelnen Dialogmarketinginstrumente eingegangen wird, die dazu beitragen können, die Kommunikations-, Wissens- und Medienlücke hinsichtlich der angebotenen Services eines Maschinenbauunternehmens zu schließen, ist zunächst zu erörtern, wie die Angebotslücke geschlossen werden kann. Diese entsteht dadurch, dass Services, die allein auf der Basis von Ideen und Wissen der Maschinenbauunternehmen generiert werden, nicht zwangsläufig die Anforderungen und Erwartungshaltungen der Kunden treffen. So passiert es immer wieder,
Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau
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dass verschiedene Services wie Wartungsverträge, Finanzierungsmöglichkeiten, Retrofits, Entsorgungen einer Maschine oder Schulungen usw. angeboten, aber sehr selten beauftragt bzw. in Anspruch genommen werden. Für ein Maschinenbauunternehmen geht es jedoch nicht darum, so viele Serviceleistungen wie möglich anzubieten, sondern genau die Services in der Form, wie sie von den Nachfragern benötigt werden. Entsprechend scheint es erforderlich, die Kunden in den Gestaltungsprozess überarbeiteter und innovativer Serviceleistungen einzubinden. Durch eine intensive Hersteller-Kunde-Interaktion können die Anforderungen an zukünftige Serviceleistungen erfasst werden. Entscheidend aus Sicht des Maschinenbauunternehmens ist es dabei, die Kunden auszuwählen, die bereit und fähig sind, ihr Wissen und ihre Erfahrung einzubringen. Beispielsweise können durch Kundenbefragungen oder in Workshops Informationen zu den bestehenden Services ermittelt werden und darüber, inwieweit diese den Bedürfnissen der Kunden entsprechen. Zusätzlich können Verbesserungsvorschläge aufgenommen werden. Dazu ist es hilfreich, wenn bei den befragten Kunden eine gewisse Kreativität vorliegt, so dass auch innovative Serviceleistungen entwickelt werden können, die auch zukünftig eine hohe Bedeutung für beide – Maschinenbauunternehmen und Kunde – haben. Für Erstgenannten aus Sicht des Wettbewerbsvorteils und der Profitabilität, für Letztgenannten aus Sicht des Nutzens. Neben Befragungen und Workshops erscheinen für die Einbindung der Kunden in den Innovationsprozess insbesondere Innovationszirkel und Lead User geeignet. Als Lead User werden fortschrittliche, an Innovationen interessierte Kunden bezeichnet, die ihre Bedürfnisse i. d. R. wesentlich früher verspüren als die meisten anderen Nachfrager, deren Bedürfnisse aber dennoch repräsentativ für den betrachteten Markt sind (vgl. Backhaus/Voeth 2007, S. 82 und die dort angegebenen Quellen). Meist liegen im Maschinenbauunternehmen entsprechende Informationen vor, um diese Kunden ausfindig zu machen. Nachdem durch die Einbindung der ausgewählten Kunden entsprechende Services konzipiert und damit die Angebotslücke geschlossen wurde, geht es im Folgenden darum, diese über geeignete Instrumente in verschiedenen Medien zu kommunizieren und damit das Wissen über die Serviceleistungen bei den Nachfragern aufzubauen. Die Anzahl und Form der dafür zur Verfügung stehenden Dialogmarketinginstrumente ist vielfältig – Mailings, Werbe-E-Mails, Internet, Kundenmagazin, Kundenkarten, Kunden-Clubs, Samplings, Coupons, Response-Anzeigen, Messen usw. (vgl. Kreutzer 2009, S. 5). Nicht alle diese Formen sind gleichermaßen im Investi-
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tionsgütermarketing wie im Konsumgütermarketing geeignet. Im Folgenden werden ausgewählte Formen näher beleuchtet, die geeignet erscheinen, angebotene Services im Maschinenbau im Dialog zu kommunizieren (vgl. Abb. 2).
Abbildung 2:
Dialogmarketinginstrumente im Maschinenbau
An zentraler Stelle steht der Außendienstmitarbeiter, der im Maschinenbau im Regelfall als Hauptansprechpartner für (potenzielle) Kunden gilt. Entsprechend ist es wichtig, dass der Außendienstmitarbeiter über die Services umfassend und aktuell informiert wird, damit er diese Informationen im Rahmen eines persönlichen Verkaufsgesprächs an die Kunden weitergeben kann. Gleichzeitig kann es gelingen, im Dialog mit dem Kunden wiederum Anforderungen an Services aufzunehmen und diese ggf. in die Weiterentwicklung der Services einfließen zu lassen. 2.2 Mailing Eines der wichtigsten Instrumente im Dialogmarketing, das sowohl zur Neukundenakquise als auch bei bestehenden Kunden eingesetzt werden kann, ist das Mailing. Diese werbliche, in Papierform und postalisch durchgeführte Ansprache der Zielgruppe kann im klassischen Verständnis von einer standardisierten, nicht persönlich adressierten über eine standardisierte, persönlich adressierte bis hin zu einer individuellen, persönlich adressierten Form erfolgen (vgl. Homburg/Krohmer
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2006, S. 823). Im Gegensatz zum Konsumgütermarketing spielen im Maschinenbau die beiden erstgenannten Formen keine bzw. eine untergeordnete Rolle, wobei auch diese im Konsumgütermarketing vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedeutung der Kundenbeziehung, verbunden mit einer individuellen Ansprache, an Bedeutung verlieren. Die nahezu ausschließliche Bedeutung der individuellen, persönlich adressierten Ansprache wird auch vor dem Hintergrund einer weiteren Besonderheit im Investitionsgütermarketing gegenüber dem Konsumgütermarketing deutlich: dem Buying Center (vgl. zum Konzept des Buying Centers z. B. Backhaus/Voeth 2007, S. 46 ff.). Bei der Auswahl der Zielgruppe einer Mailing-Aktion und der anschließenden Durchführung ist zu berücksichtigen, welche Rolle im Buying Center – Entscheider, Benutzer, Einkäufer, Informationsselektierer oder Beeinflusser – angesprochen werden soll. Wird beispielsweise eine Mailing-Aktion im Rahmen der Einführung einer erweiterten Bedienerschulung durchgeführt, sind aus Sicht des Einkäufers bzw. Entscheiders in erster Linie die Kosten und der allgemeine Nutzen für den Bediener interessant. Für den Bediener selbst stehen hingegen eher die Termine, die Inhalte, die Art der zu vermittelnden Fähigkeiten und die zu klärenden technischen Fragestellungen im Vordergrund. Das Mailing ist entsprechend an die unterschiedlichen Informationsbedürfnisse anzupassen. Um die Wahrscheinlichkeit einer Response der angeschriebenen Person zu erhöhen, kann es hilfreich sein, Anreize zu geben. Diese können sich entweder direkt auf den Service beziehen bzw. diesen beinhalten oder in keinem direkten Zusammenhang mit der eigentlichen Leistung des Unternehmens stehen. Soll ein direkter Zusammenhang hergestellt werden, können beispielsweise Gewinnspiele oder Gutscheine für eine kostenlose oder preisreduzierte Serviceleistung (z. B. Inspektion, Bedienerschulung oder Fernwartung) beigelegt werden. Alternativ kann ein Anreiz gegeben werden, der in keinem direkten Zusammenhang mit der Leistung oder sogar mit dem Unternehmen steht. Dafür eignen sich vor allem Gewinnspiele (z. B. Eintrittskarten zu Sportveranstaltungen oder Konzerten oder im Trend liegende MP3-Player, Speichersticks). Wenn das Maschinenbauunternehmen in absehbarer Zeit Aussteller auf einer Messe ist, kann das Mailing auch dazu genutzt werden, eine Einladung für die Messe auszusprechen oder direkt einen Gesprächstermin zu vereinbaren, bei dem die neuen Serviceleistungen (neben oder ggf. im Zusammenhang mit einer Produktinnovation) vorgestellt werden. Wenn das im Mailing angekündigte Gewinnspiel auf der Messe ausgelost wird, können Kunden, die sich bisher nicht für einen Messebesuch entschieden haben, ggf. doch noch umgestimmt werden, die Messe zu besuchen.
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2.3 Messen Messen gelten nach wie vor als eines der wichtigsten Instrumente im MarketingMix und insbesondere im Investitionsgütermarkt. Auch im Maschinenbau haben Messen traditionell eine hohe Bedeutung. Sie zählen grundsätzlichen zu den klassischen Kommunikationsinstrumenten, weisen aber aufgrund ihrer direkten, interaktiven, persönlichen Gesprächsmöglichkeiten einen Dialogcharakter auf. Fachmessen, technische Mehrbranchenmessen und Hausmessen bieten den Unternehmen nicht nur die Möglichkeit, neue Produkte und Leistungen zu präsentieren, sondern gleichzeitig mit Interessenten und Kunden in Dialog zu treten (vgl. Backhaus/Voeth 2007, S. 296 ff.). Als vorteilhaft erweist sich auf Messen in der Investitionsgüterindustrie, dass die Streuverluste allgemein relativ gering sind, insbesondere bei Fachmessen. Im Vorfeld der Messe sind die Kunden auszuwählen, die eingeladen werden sollen. Die Einladung erfolgt dann überwiegend postalisch (vgl. Kap. 3.2) und/oder per E-Mail, d. h., eine Kombination der beiden Instrumente ist vorstellbar. In diesem Fall erfolgt die Einladung mehrstufig. Beispielsweise wird zunächst ein Termin für die Messe elektronisch verschickt. Anschließend erfolgt die Einladung per Mailing. Erfolgt daraufhin keine Reaktion, kann eine elektronische Nachfassaktion erfolgen. Wird in das E-Mail ein Link zur elektronischen Registrierung für die Messe integriert, ist die Anmeldung für den Kunden einfacher. Gleichzeitig erhält das Unternehmen Rückmeldung, welcher Kunde sich bereits registriert hat. Dagegen wirkt eine postalische, briefliche Einladung meist kompetenter und werthaltiger. Die Messe selbst kann dann dazu genutzt werden, mit eingeladenen Kunden ebenso in den Dialog zu treten wie mit allen anderen interessierten Besuchern. Werden neue Services präsentiert, ist im Vorfeld dafür zu sorgen, dass das Standpersonal ein detailliertes Wissen über die Services aufbaut. Ein gemäß dem Buying Center rollenspezifischer Dialog wird dadurch ermöglicht. Insbesondere wertvollen Kunden kann zusätzlich zu dem eigentlichen Messebesuch ein ExtraService angeboten werden (z. B. Konzertbesuch), um so den Dialog weiter zu intensivieren. 2.4 Service Center Als ein weiteres, ebenfalls sehr wichtiges Dialogmarketinginstrument im Maschinenbau ist das Service Center zu sehen (vgl. Abb. 3).
Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau
Abbildung 3:
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Mögliche Kommunikationskanäle in und aus einem Service Center
Es stellt, insbesondere im Falle eines benötigten Services einen der Hauptansprechpartner dar. Über verschiedene Kanäle hat der Kunde die Möglichkeit, das Maschinenbauunternehmen zu erreichen. Im Servicefall ist erfahrungsgemäß die telefonische Kontaktaufnahme über eine Hotline mit First Level Support der hauptsächlich genutzte Kanal. Hier besteht ein direkter persönlicher Kontakt, der genutzt werden kann, um den Kunden über weitere Services zu informieren. Ruft dieser beispielsweise aufgrund eines Störfalls an einer Maschine in der Hotline an, kann nach erfolgreicher Lösung des Störfalls der Kunde von den Mitarbeitern des Service Centers mit hauptsächlich zwei Zielen kontaktiert werden: zum einen, um die Zufriedenheit des Kunden mit dem erbrachten Service (in diesem Fall der Beseitigung des Störfalls) zu erfragen, und zum anderen, um den Kunden über weitere Serviceleistungen zu informieren. Eventuell hätte der Servicefall durch rechtzeitige Inspektion oder bessere Bedienung vermieden werden können. Um diese Anforderungen erfüllen zu können, müssen die Mitarbeiter im Service Center folgende besondere Fähigkeiten erfüllen.
Ein gewisses technisches Know-how ist Voraussetzung, um neben dem First Level Support auch die angebotenen Services näher beschreiben und auf Rückfragen des Kunden mit entsprechendem Wissen reagieren zu können. Eine entsprechende Motivation, um die Botschafterfunktion im Sinne eines Angebots weiterführender Services zu übernehmen.
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Eine entsprechende Unterstützung durch das Maschinenbauunternehmen. Dem Mitarbeiter im Service Center müssen neben dem aktuellen Servicefall, einschließlich der dafür benötigten Kundendaten, sämtliche Informationen über angebotene Services in aktuellster Version zur Verfügung gestellt werden. Die Fähigkeit, eine Beziehungsebene zum Kunden aufzubauen.
Insbesondere die letztgenannte Fähigkeit wird bei der Auswahl und Schulung der Service-Center-Mitarbeiter häufig noch vernachlässigt, obwohl vielen Unternehmen durchaus bewusst ist, dass die Beziehungsebene eine große Rolle im Dialog mit dem Kunden spielt. 2.5 Internet Das Internet gewinnt auch im Investitionsgütermarketing eine zunehmende Bedeutung (vgl. Kreutzer 2009, S. 26). Die Webseiten der Maschinenbauunternehmen enthalten heutzutage interaktive Bestandteile, die den Besucher der Webseite zum Dialog auffordern. Kontaktformulare gehören dabei zur Standardausstattung. Sie bieten z. B. die Möglichkeit, mehr Informationen zum Unternehmen und seine angebotenen Leistungen zu erhalten, ein Angebot oder einen Newsletter anzufordern. Der Vorteil aus Sicht des Nachfragers liegt darin, dass er sich dann die Informationen suchen kann, wann er sie haben möchte (Pull-Kommunikation). Genau darin kann aber auch ein Problem liegen. Will sich nämlich ein Nachfrager über Services des Maschinenbauunternehmens auf seiner Webseite erkundigen und findet dort nicht die Informationen, die er erwartet, kann es sein, dass dieser Nachfrager allein aus dem Grund der schlechten Informationen bereits verloren ist, bevor er gewonnen wurde. Das bedeutet, dass die Webseite aktuell gehalten werden muss, um die Wissens- und Medienlücke zu schließen. Eine wachsende Zahl an Maschinenbauunternehmen stellt Ersatzteilkataloge online zur Verfügung und bietet, soweit dies aus technischer Sicht sinnvoll und vertretbar ist, zusätzlich eine direkte Online-Bestellmöglichkeit. Überwiegend ist mit dieser Funktion eine Registrierung verbunden, d. h., der Kunde muss sich zunächst mit seinen Kontaktdaten anmelden. Dem Unternehmen stehen damit bereits einige Stammdaten zur Verfügung, die für eine richtige Lieferung aktuell gehalten werden müssen und für weitere Dialogmarketing-Aktionen (Mailings, E-MailMarketing usw.) genutzt werden können. Noch vergleichsweise wenige Maschi-
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nenbauunternehmen nutzen die Möglichkeit, über die Webseite ein Kundenportal anzubieten, wie es beispielsweise die Trumpf GmbH & Co. KG einsetzt.
Abbildung 4:
Kundenportal am Beispiel der Trumpf GmbH & Co. KG (https://www.de.mytrumpf.com/)
Microsites, die nur zu bestimmten Terminen, z. B. im Rahmen einer Messe, bereitgestellt werden, helfen Kunden, sich mit weiteren Informationen zu versorgen. 2.6 Kundenmagazin Das klassische Kundenmagazin, wie es seit Jahren von Unternehmen an bestehende Kunden verteilt wird, erlebt im Rahmen der Informationsüberflutung eine neue Bedeutung. Neben der nach wie vor vorhandenen Hochglanzversion, die in erster Linie die Kompetenz des Unternehmens widerspiegelt, werden zunehmend
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Kundenmagazine auf der Webseite des Unternehmens zum Download zur Verfügung gestellt. Damit stehen sie i. d. R. auch einer breiteren Nutzergruppe als nur bestehenden Kunden zur Verfügung: Interessenten, Partnerunternehmen sowie Mitarbeitern. Inhaltlich werden überwiegend Produktinnovationen, allgemeine Unternehmensnachrichten (z. B. Umsätze, Gründung neuer Vertriebs- oder Service-Center, Referenzprojekte, Personalentwicklungen) und Termine (vor allem Messen) bereitgestellt. Ein Vorteil des Kundenmagazins im Vergleich zu anderen Instrumenten ist in der potenziell längeren Nutzung des Instruments durch den Leser zu sehen. Zur Schließung der Lücken gegenüber Interessenten und Kunden steht das Maschinenbauunternehmen vor der Herausforderung, die angebotenen Services nicht nur im Magazin interessant und gut aufbereitet zu beschreiben, sondern gleichzeitig die Zielgruppe zum Dialog aufzufordern (per E-Mail, Telefon oder seltener Postkarte). Die Chance steigt, dass so der Leser aus der Passivität, verbunden mit einer oftmals recht kurzen und oberflächlichen Beschäftigung mit dem Magazin, herausgeholt und zu einer aktiven, i. d. R. intensiveren Nutzung übergeht. Letztendlich steigt damit die Chance der Erwiderung des Dialogs. Ein weiterer Vorteil des dialogorientierten Kundenmagazins ist darin zu sehen, dass den verschiedenen Rollen im Buying Center die unterschiedlichsten Botschaften präsentiert werden können. So ist es beispielsweise möglich, verschiedene Services auf speziellen Seiten differenziert für die Rollen darzustellen und diese dadurch zum Dialog anzuregen. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass zwar viele Maschinenbauunternehmen ihr Kundenmagazin vermehrt auch im Internet in digitaler Form und damit häufig einer breiteren Zielgruppe zur Verfügung stellen, aber insbesondere in der dialogorientieren Nutzung noch Nachholbedarf haben. Ebenso kann eine damit verbundene weiter verbesserte personalisierte Ansprache der verschiedenen Zielgruppen und insbesondere der Buying-Center-Rollen einen Mehrwert bieten. 2.7 Anwendungsbeispiel zum Einsatz von Dialogmarketinginstrumenten in der Integrierten Kommunikation Abschließend wird anhand eines Beispiels aufgezeigt, wie eine neue Serviceleistung eines Maschinenbauunternehmens mit Hilfe der dargestellten Dialogmarke-
Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau
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tinginstrumente in der Integrierten Kommunikation potenziellen Nachfragern bekannt gemacht werden kann. Im aufgezeigten Beispiel wird die neue Serviceleistung „Inspektion Plus“ kommuniziert. Bei dieser erfolgt die Abrechnung für die Wartung einer Maschine auf Stundenbasis zu einem festen, reduzierten Stundensatz, der auch nach der erfolgten Wartung für alle anfallenden Serviceleistungen an der Maschine für ein Jahr lang gültig ist. Der Außendienstmitarbeiter steht auch hier als zentraler Ansprechpartner im Mittelpunkt der Kommunikation. Daneben wird die in einer Fachzeitschrift geschaltete Anzeige aktualisiert in der Form, dass die neue Serviceleistung als eine Art „Post It“ eingebettet wird. Außerdem erfolgt im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit eine Pressemitteilung, um die Innovation einem breiteren interessierten Publikum bekannt zu machen.
Abbildung 5:
Beispielhafte Kommunikationsinstrumente zur Bekanntmachung eines neuen Services und zur Dialogaufforderung
Auf der Internetseite des Unternehmens wird der neue Service aufgenommen und erklärt. Zudem steht eine Kontaktperson als Ansprechpartner zur Verfügung, um weiteren Informationsbedarf abzudecken. Des Weiteren wird eine Mailing-Aktion durchgeführt. Hier geht es zunächst darum, die wichtigsten Personen im Buying Center auszuwählen. Als Zielgruppe kommen hier vor allem der Benutzer bzw. Produktionsleiter und der Einkäufer infrage, die in einer persönlichen Einzelansprache über den neuen Service informiert werden. Beim Produktionsleiter sollten dabei eher die Vorteile aus technischer Sicht (z. B. geringere Ausfallwahrscheinlichkeit der Maschine), beim Einkäufer aus finanzieller Sicht (Einsparpotenzial durch verringerten Stundensatz und geringere Folgekosten aufgrund z. B. längerer Lebensdauer der Maschine) in den Vordergrund gestellt werden. Als Absender kommt der zuständige Außendienstmitarbeiter infrage. Um die Wahrscheinlichkeit der Response der angeschriebenen Kunden zu erhöhen, wird ein Gewinnspiel
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integriert. Dies erfolgt mit Bezug zur neuen Serviceleistung in der Form, dass der Service „Inspektion Plus“ an drei Kunden verlost wird. Die Abgabe des Gewinnspiels erfolgt auf der in Kürze stattfindenden Messe. Damit wird das nächste Instrument eingebunden. Auch auf der Messe wird der neue Service präsentiert, das Messepersonal im Vorfeld intensiv informiert. Ebenso erfolgt eine Schulung der Mitarbeiter im Service Center, damit diese Auskunft über die „Inspektion Plus“ geben und selbst aktiv Interessenten und Kunden ansprechen können. Schließlich wird der neue Service in den kommenden drei Ausgaben des Kundenmagazins vorgestellt. Zunächst werden der neue Service angekündigt und bereits Kontaktinformationen mit einem Hauptansprechpartner zur Verfügung gestellt. Im darauffolgenden Magazin werden der Service genauer vorgestellt und die Vorteile aus Kundensicht herausgearbeitet. Auch hier ist ein dialogorientiertes Magazin wichtig. Neben dem bereits aus dem ersten Artikel bekannten Hauptansprechpartner, der weiterhin als dieser agiert, wird ein Responseformular eingebunden. In der dritten Ausgabe wird der Service erneut präsentiert – diesmal verbunden mit einem Erfolgsbeispiel bzw. einer ersten Referenz. Wie bereits angedeutet, ist es wichtig, dass bei der Vorstellung der neuen Serviceleistung „Inspektion Plus“ nicht nur Interessenten und Kunden über verschiedene, aufeinander abgestimmte Kommunikationsinstrumente informiert werden und so ein einheitliches Bild vermittelt bekommen, sondern dass auch die Informationen innerhalb des Maschinenbauunternehmens fließen, damit alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt Fragen beantworten und ggf. aktiv auf Kunden zugehen können. 3
Fazit und Ausblick
Der Beitrag hat aufgezeigt, welche Dialogmarketinginstrumente auch im Maschinenbau eine Rolle spielen und wie diese in der Integrierten Kommunikation eingesetzt werden können. Wenn es einem Maschinenbauunternehmen gelingt, den Interessenten und Kunden die relevanten und interessanten Informationen über Serviceleistungen anhand verschiedener Dialogmarketinginstrumente darzubieten, kann es gelingen, die Wissens-, Kommunikations- und Medienlücken zu schließen. Letztendlich kann damit eine höhere Abschlussquote der angebotenen Services erreicht und der Gewinn gesteigert werden. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Bedeutung des Social Media stellt sich abschließend die Frage, inwieweit soziale Netzwerke zukünftig die bestehenden
Instrumente des Dialogmarketings im Maschinenbau
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Maßnahmen ergänzen werden. Eine wachsende Zahl an Unternehmen stellt Profile in Xing und Facebook zur Verfügung oder ist bei Twitter aktiv und tritt über diese sozialen Netzwerke mit Interessenten und Kunden in den Dialog. Der Trend einer stärkeren Beteiligung der Unternehmen ist somit erkennbar, eine Ablösung der klassischen Dialogmarketinginstrumente wird es aus heutiger Sicht jedoch in naher Zukunft nicht geben. Literatur Backhaus, K.; Voeth, M. (2007): Industriegütermarketing, 8. Auflage, München. Bruhn, M. (2006): Integrierte Kommunikation, in: Schwarz, T.; Braun, G. (Hrsg.), Leitfaden Integrierte Kommunikation, S. 23-80. Friedrichsen, M.; Konerding, J.(2004): Abschlussbericht zur Studie „Integrierte Kommunikation“, Frankfurt am Main: Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA e.V. Homburg, Ch.; Krohmer, H. (2006): Marketingmanagement. Strategie – Instrumente – Umsetzung – Unternehmensführung, 2. Aufl., Wiesbaden. Kreutzer, R.T. (2009): Konzepte und Instrumente des B-to-B-Dialog-Marketings, Working Papers No. 50, IMB Institute of Management Berlin. Schmiedeberg, A.; Strähle, O.; Bendig, O. (2010): Wachstumsmotor Service. Der Ausbau des Serviceangebots steigert Umsatz und Margen der Investitionsgüterhersteller, Wolnzach. VDMA (2010): Maschinenbau in Zahl und Bild, Frankfurt am Main. Voeth, M; Herbst, U. (2008): Interaktives Marketing und Industriegütermarketing, in: Belz, C.; Schögel, M. (Hrsg.), Interaktives Marketing – neue Wege im Dialog zum Kunden, Wiesbaden, S. 353-366.
Die Autorin Prof. Dr. Larissa Greschuchna lehrt Marketing an der Hochschule Offenburg. Sie promovierte am Lehrstuhl für Marketing und Internationalen Handel an der TU Bergakademie Freiberg. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte liegen im Customer Relationship Management, Crossmedia und IT im Marketing. Zuvor war sie lange Jahre als Consultant und Projektleiter im Bereich Marketing für Unternehmen überwiegend in der Investitionsgüterindustrie auf den Gebieten des CRM und Eventmanagements tätig.
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Kontakt Prof. Dr. Larissa Greschuchna Hochschule Offenburg / Campus Gengenbach Klosterstr. 14 77723 Gengenbach
[email protected] Larissa Greschuchna
Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie
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Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer MysteryShopping-Studie Ralf T. Kreutzer / Simone Spiegels
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Herausforderung Kundenführung ............................................................. 196 Konzeption der explorativen Studie.......................................................... 198 Ergebnisse der telefonischen Angebotsabfrage ........................................ 198 Ergebnisse des Website-Checks ............................................................... 206 Fazit .......................................................................................................... 212
Management Summary Die Versicherungsunternehmen stehen bei der Gewinnung und Bindung von Kunden unter einem hohen Wettbewerbsdruck. Gleichzeitig ist vielfach ein hoher Margen- und Kostendruck gegeben, nicht zuletzt, weil viele Versicherungskunden bei ihrer Entscheidung dem „Preis“ der Versicherungsleistung eine hohe Bedeutung beimessen. Zusätzlich stellt die zunehmende Bedeutung des Internets als Informations- und Abschlusskanal für die Versicherungsunternehmen eine Herausforderung dar. Dies gilt insbesondere für diejenigen, die keine „echten“ Online-Angebote aufweisen und mit einem Flächenvertrieb arbeiten. Vor diesem Hintergrund wurde eine Mystery-Shopping-Studie konzipiert, die überprüfen sollte, wie konsequent eine Kundenorientierung an den Customer-Touch-Points Telefon und Website der Versicherungsunternehmen umgesetzt wird. Die Studie zeigt, dass die deutliche Mehrheit der Unternehmen hier noch große Optimierungspotenziale besitzt.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_10, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Ralf T. Kreutzer / Simone Spiegels
Herausforderung Kundenführung
Versicherungsunternehmen müssen sich auf veränderte Informationsstrukturen ihrer Kunden einstellen. Neben den Versicherungsmaklern und Außendienstmitarbeitern der Versicherungsgesellschaften gewinnt das Internet als erster Kunden-Kontaktpunkt mehr und mehr an Bedeutung. Dabei versuchen die Versicherer, ihre Kunden schon sehr früh – häufig bereits bei der Informationsabfrage auf der Versicherungs-Website – abzuholen. Wird dabei gleichzeitig aber am Maklergeschäft festgehalten, besteht die Gefahr, dass sich ein Bruch im Kundenführungsmodell ergibt. Wer allerdings im Wettbewerb um neue Vertragsabschlüsse die Nase vorn haben möchte, muss jeden Kontakt des Verbrauchers mit dem Unternehmen nutzen, um das Vertrauen in Marke und Produkte zu stärken (vgl. Kreutzer 2009, S. 49-57). Und selbst dabei reicht es nicht aus, eine konsequente Kundenorientierung nur in vermeintlich besonders kundennahen Prozessen anzustreben. Unzulänglichkeiten in Backoffice-Prozessen wirken sich in vielen Fällen negativ auf die Abschlussbereitschaft auf. Deshalb rücken die sogenannten Customer-Touch-Points, d. h. die Berührungspunkte zwischen dem Versicherungsunternehmen und den Interessenten und Kunden, immer stärker in den Mittelpunkt. Gefordert ist hier ein Touch-Point-Management, welches diese bewusst steuert (vgl. Spengler/Wirth/ Sigrist 2010). Dabei ist es wichtig, verschiedene Arten von Touch-Points zu unterscheiden (vgl. Abb. 1). Unternehmensferne Sphäre
Kunden-Sphäre
UnternehmensSphäre Service Center
Freundeskreis
OnlineAuftritt
Blogs
Außendienst
Communities POS Sonstige Medien
Abbildung 1:
Orientierungsrahmen des Touch-Point-Managements
Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie
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Vielen Unternehmen fällt es bereits schwer, über alle der Unternehmenssphäre zuzuordnenden Touch-Points einen einheitlichen Auftritt sicherzustellen. Eine noch größere Herausforderung stellen allerdings die Touch-Points der unternehmensfernen Sphäre dar, weil sich diese einer direkten Steuerung durch das Unternehmen entziehen. Entscheidend ist hier, dass die Unternehmen zumindest darüber informiert sind, welche Inhalte über das Unternehmen bzw. seine Produkte und Dienstleistungen ausgetauscht werden. Dabei gilt, dass hier vielfach interessante Botschaften ausgetauscht werden, denn Märkte sind Gespräche und Gespräche finden immer stärker im Netz statt. Und dies erfolgt unabhängig davon, ob das Unternehmen zuhört oder nicht. Deshalb versucht Web-Monitoring auf einer Meta-Ebene, d. h. auf einer der realen Kommunikation (bspw. zwischen den Kunden und Interessenten des eigenen Unternehmens) übergeordneten Ebene Erkenntnisse über die Wahrnehmung der eigenen Leistungen oder des eigenen Unternehmens sowie seiner Wettbewerber zu erhalten. Bei diesen sogenannten „Informationen über Informationen“ gilt es bspw. besondere Häufungen von Reklamationen, geäußerte Erwartungshaltungen oder auch konkrete Produktanregungen aus der Vielzahl der Meinungsäußerungen im Internet herauszudestillieren. Diese Anforderungen gelten in besonderem Maße für Versicherungsunternehmen, denn Kunden, die eine Versicherung abzuschließen wünschen, bedürfen in besonderem Maße der „Versicherungen“. Eine Versicherung ist ein Vertrauensprodukt, dessen tatsächliche Qualität sich erst im Versicherungsfall zeigt – u. U. viele Jahre oder Jahrzehnte später. Die Ja-Straße zum Erfolg, die ein Versicherungsunternehmen konzipieren sollte, umfasst die folgenden Stufen:
Ja, dieses Unternehmen freut sich darüber, dass ich auf es zugegangen bin. Ja, der angesprochene Mitarbeiter behandelt mich wertschätzend. Ja, ich verstehe, warum bestimmte Informationen von mir benötigt werden. Ja, das Unternehmen kümmert sich um mich und leitet meine Anfrage und meine Informationen intern an die für mich zuständige Instanz weiter. Ja, von dort ruft mich ein motivierter und qualifizierter Mitarbeiter an. Ja, ich habe den Eindruck, dass ich an allen Touch-Points mit Profis zu tun habe (selbst wenn „nur“ der Lebenspartner ans Telefon geht). Ja, von mir gewünschte Informationen werden zeitnah und individuell beantwortet („intelligente Nutzung von Textbausteinen“) Ja, während des gesamten Prozesses wurde ich zuvorkommend behandelt. Ja, ich habe ein gutes Gefühl, bei diesem Unternehmen einen Vertrag abzuschließen. Ja, ich schließe den Vertrag hier ab.
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Ralf T. Kreutzer / Simone Spiegels
Das anzustrebende Ideal, dass sich die Interessenten und später auch die Kunden bei „ihrem“ Versicherer „rundum-sorglos“ aufgehoben fühlen, muss an den diversen Touch-Points erlebt werden. Daher ist die reine Fokussierung des Versicherers auf beste Konditionen und weitere „objektive Vorteile“ nicht ausreichend. Vielmehr gilt es, an den Touch-Points durch eine wertschätzende Ansprache einen systematischen Aufbau von Vertrauen und Sympathie zu gewährleisten. Die Navigation zwischen diesen Touch-Points stellt für die meisten Unternehmen noch eine große Herausforderung dar. Wie die Versicherungsunternehmen damit umgehen und sich auf die Bedürfnisse der Kunden eingestellt haben, wurde in der vorliegenden Untersuchung getestet. 2
Konzeption der explorativen Studie
Der als explorative Studie ausgelegte Touch-Point-Check wurde im März und April 2010 von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, in Zusammenarbeit mit der Unternehmensberatung dbu, Karlsruhe, konzipiert und realisiert. Dabei wurden aus den Top-20-Versicherungsunternehmen eine Zufallsstichprobe von 8 gezogen und insgesamt 24 Kontakte zu den Unternehmen gesucht. Methodisch kamen dabei Mystery-Calls und Website-Checks zum Einsatz, die durch entsprechend geschulte Teilnehmer durchgeführt wurden (vgl. vertiefend zum Mystery-Market-Research: Kreutzer 2010, S. 110-113). Das Analyse-Konzept sah dabei vor, dass der Mystery-Shopper als Interessent auftrat. Dieser sollte ausgehend von der Homepage des Versicherungsunternehmens über einen telefonischen Ansprechpartner Informationen und Angebote einholen. Parallel dazu wurde ein Mystery-Shopper auch in der Form aktiv, dass er sich über das Internet informierte und bestrebt war, einen Vertrag online abzuschließen. In beiden Fällen galt es, Stärken und Schwächen in der Kundenorientierung des Unternehmens zu identifizieren und Potenziale zum Ausbau der Kundenorientierung aufzudecken. 3
Ergebnisse der telefonischen Angebotsabfrage
Schon beginnend mit dem ersten Telefonkontakt muss für den überwiegenden Teil der kontaktierten Versicherungsunternehmen festgestellt werden: Es mangelt an erkennbarer Kundenorientierung!
Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie
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Spürbar wird das an der Anzahl der Kontakte, die notwendig sind, um überhaupt zum richtigen Ansprechpartner (meistens den regionalen Außendienst) zu gelangen. Bei der Hälfte der getesteten Unternehmen kann der erste Ansprechpartner die Anfrage nicht beantworten und eine Weitervermittlung war notwendig (vgl. Abb. 2).
Abbildung 2:
Erreichbarkeit des richtigen Ansprechpartners (Quelle: dbu/ HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Abb. 2 zeigt, dass es den Versicherungsunternehmen in vielen Fällen nicht gelingt, einen Interessenten von der Homepage direkt zum richtigen Ansprechpartner zu vermitteln. Hier wird der Bruch im Geschäftsmodell vieler Versicherungsunternehmen deutlich, der dazu führt, dass der Interessent mehrfach weitergereicht werden muss. Welche Odyssee der Interessent dabei zurücklegen muss, zeigt Abb. 3. Die Schwierigkeit, den richtigen Ansprechpartner zu erreichen, war aber nicht das einzige Hindernis, das die Interessenten zu überwinden hatten. Vielfach wurde die Aufgabe, den Kontakt erneut zu suchen, sogar an den Interessenten delegiert (vgl. Abb. 4).
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1. Kontakt Homepage
2. Kontakt Richtiger Ansprechpartner Homepage mit Rückruf AußenRückruffunktion dienst Homepage Hotline Homepage
Zentrale
Homepage
Zentrale
Homepage
Zentrale
Homepage
Zentrale
3. Kontakt
4. + Kontakt
Telefonnummer Außendienst Telefonnummer Außendienst Telefonnummer Telefonnummer Außendienst Bankberater Direkte Weiterlei- Vermittlung bisheriger Antung Außendienst sprechpartner fehlgeschlagen ĺ 1. Rückrufversuch fehlgeschlagen ĺ 2. Rückrufversuch erfolgreich Telefonnummer Angebot nur bei persönlichem Außendienst Termin vor Ort
Abbildung 3:
Vermittlungsstationen bei der Kontaktaufnahme durch einen Interessenten (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Abbildung 4:
Optimierungspotenzial telefonischer Kontakt (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Außerdem wurden Interessenten ohne Aufnahme der Kontaktdaten durch die Mitarbeiter der Zentrale oder der regionalen Niederlassung und ohne verbindliche Kontaktvereinbarung verabschiedet. Ein Angebot in der Art: „Gerne über-
Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie
201
nehme ich die Koordination eines Telefontermins mit dem Kollegen in Karlsruhe …“ unterblieb dabei. Hierbei kann vom Verzicht auf die „Fisch-im-NetzStrategie“ gesprochen werden. Ist ein potenzieller Kunden mit dem Unternehmen in Kontakt, dann sollte zwingend versucht werden, dessen Daten aufzunehmen und sicherzustellen, dass dieser Interessent dem Unternehmen nicht mehr verloren geht. Dies unterblieb aber in vielen Fällen. Der Interessent wurde gleichsam „wie ein Fisch wieder ins Meer zurückgeworfen“ und musste von selbst noch einmal mit dem Unternehmen (bspw. einer regionalen Bank oder dem Außendienstmitarbeiter) Kontakt aufnehmen. Hierdurch besteht das Risiko, dass der Interessent nicht mehr zurückkommt, weil sich Wettbewerber stärker um ihn kümmern. Denn es liegt am Kunden, ob er einen erneuten Versuch startet und die empfohlene Rufnummer wählt – oder es unterlässt und sich einem anderen Unternehmen zuwendet. Das besonders Problematische daran ist, dass das Unternehmen diese Lost Sales nicht erkennen kann, weil eine Erfassung der Interessenten-Adresse unterblieben ist. Es kam auch vor, dass der Versuch, einen Telefonkontakt herzustellen, nach 25-maligem Klingeln automatisch abgebrochen wurde, ohne dass eine Nachricht beim angewählten Versicherungspartner hinterlassen werden konnte. Kundenorientierte Unternehmen schaffen ein Gesprächsumfeld, in dem sich der Kunde wohlfühlt. Dies ist in der Versicherungsbranche von besonderer Bedeutung, da es gilt, das Vertrauen des Interessenten an jedem Touch-Point aufzubauen. Der bei den getesteten Unternehmen erlebte Gesprächseinstieg konnte vielfach nicht überzeugen. Die Ansprechpartner melden sich zwar mit dem Unternehmensnamen, aber es gelang nur in den wenigsten Fällen, die Sympathie des Kunden über Freundlichkeit und Emotionalität im Gespräch zu gewinnen (vgl. Abb. 5). Bei der Kontaktaufnahme mit den Versicherungsunternehmen wurden folgende O-Töne des Kundendialogs erlebt, die vielfach deutlich machen, dass von einer konsequenten Kundenorientierung am wichtigen Touch-Point „Telefon“ nicht die Rede sein kann:
O-Ton der Mitarbeiterin auf die Frage nach einer Privathaftpflicht: „Da müssen Sie sich an den Außendienst wenden!“ O-Ton des zuständigen Mitarbeiters in einer regionalen Niederlassung: „Ich habe hier keine Möglichkeit, dem externen Mitarbeiter eine Nachricht zukommen zu lassen – E-Mail oder so geht nicht. Da müssen Sie schon selber anrufen!“ O-Ton nach 1,5 Minuten in der Warteschleife: „Telefonische Auskünfte zu Versicherungen erteilten wir nicht. … Es sind so viele Möglichkeiten, die es zu berücksichtigen gilt, besser Besuchstermin!“
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Abbildung 5:
Ralf T. Kreutzer / Simone Spiegels
Qualität des Gesprächseinstiegs (Quelle: dbu/HWR, MysteryCalling, März 2010)
Darüber hinaus wurde ein Defizit deutlich, was nach der nochmaligen Verschärfung der Datenschutzbestimmungen schwer nachzuvollziehen ist. Eine Einholung von Permissions zur weiteren Kommunikation mit den Interessenten per Telefon oder Fax wurde in 90 % der Fälle nicht eingeholt. Folglich durften diese auch keinen Nachfass nach Übersendung eines Angebotes per E-Mail oder Telefon vornehmen. Hier wird u. E. eine gravierende Steuerungslücke in den Unternehmen sichtbar. Den Vertriebsmitarbeitern und den weiteren Service-Kräften an den Customer-Touch-Points sind konkrete Vorgaben zu machen, dass konsequent Permissions zur weiteren Ansprache von Interessenten und Kunden einzuholen sind. Denn auch bei einer bestehenden Vertragsbeziehung zwischen Unternehmen und Kunden ist ohne eine explizite Erlaubnis eine Kontaktaufnahme per Telefon oder E-Mail verboten (vgl. Siegert 2009, S. 336-342). Folglich darf der Interessent nach der Übersendung des gewünschten Angebotes nicht per Telefon oder E-Mail angesprochen werden. Die nachfolgende Darstellung der erlebten Beratungsqualität beim Telefonkontakt zeigt den erheblichen Optimierungsbedarf im Bereich der persönlichen Kommunikation (vgl. Abb. 6).
Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie
Abbildung 6:
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Beratungsqualität bei telefonischem Kontakt (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Aber nicht nur die Beratungsqualität weist noch ein hohes Optimierungspotenzial auf. Ein solches ist auch hinsichtlich der konsequenten Kundenorientierung beim Telefonkontakt gegeben, wie Abb. 7 zeigt. Ein aktives Verkaufen sowie ein emotionales Engagement der Ansprechpartner wurden seitens der MysteryShopper kaum wahrgenommen. Außerdem wurde auf individuelle Fragen des Testkäufers nicht ausreichend eingegangen.
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Abbildung 7:
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Kundenorientierung beim telefonischen Kontakt (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Auch im weiteren Dialog zwischen Interessent und Versicherung traten deutliche Defizite zutage. Diese wurden anhand der Frage nach Wettbewerbsvorteilen sowie der Frage nach Vorteilen für treue Kunden sichtbar, wie Abb. 8 zeigt. Die Mehrheit der Ansprechpartner konnte nicht überzeugend beantworten, warum gerade ihr Produkt und ihre Marke bzw. ihr Unternehmen Vorteile im Wettbewerbsvergleich bietet. Außerdem war es vielen Ansprechpartnern unmöglich, Vorteile für treue Kunden zu benennen. Die Angebotserstellung selbst verlief in den meisten Fällen reibungslos über verschiedene Kanäle wie beispielsweise schriftliches Angebot, Vereinbarung eines persönlichen Termins, Anruf eines Spezialisten. Angebotsanfragen wurden zügig beantwortet. Sobald Standardprozesse gefragt waren, wurde die erwartete Performance gezeigt.
Insights in der Versicherungsbranche – Ergebnisse einer Mystery-Shopping-Studie
Abbildung 8:
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Darstellung USP/Treuevorteile im telefonischen Kontakt (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Die Ergebnisse der Mystery-Calls können wie folgt zusammengefasst werden:
Nur in einem von zwanzig Fällen gelingt es, die Anfrage sofort zu beantworten. Damit wird deutlich, dass die Möglichkeiten, dem Außendienst qualifizierte Leads zuzuführen, noch nicht optimal ausgestaltet sind. Permissions zur weiteren Ansprache wurden nur in einem von zehn Fällen eingeholt. Ein Bewusstsein für diese Notwendigkeit ist weder in den Zentralen noch im Außendienst verbreitet. Damit verzichten die Versicherungsunternehmen selbst auf die Möglichkeiten einer gezielten Nachbetreuung von Interessenten und Kunden. Nur in einem von zwanzig Anrufen wurde versucht, den Gewinnungsweg („Wie sind Sie auf uns aufmerksam geworden?“) zu erheben. Folglich verzichtet die große Mehrheit darauf, Informationen für eine Werbeerfolgskontrolle zu gewinnen.
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Ralf T. Kreutzer / Simone Spiegels
Beim Start des Gesprächs dominierte der Polizeistil den geforderten Beziehungsaufbau: Wie bei einem Verhör wurden die Daten Name, Vorname, Geburtsdatum erfasst. Auf die folgende kundenorientierte Ansprache verzichtete die Mehrheit der angesprochenen Versicherungsunternehmen: „Um für Sie ein persönliches Angebot erstellen zu können, benötige ich ein paar Angaben von Ihnen. Nennen Sie mir bitte …“ Hier wurde ein großes und bisher noch unausgeschöpftes Potenzial der empfängerorientierten Kommunikation sichtbar.
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Ergebnisse des Website-Checks
Das Internet gewinnt als Informationsquelle für Versicherungskunden mehr und mehr an Bedeutung. Bei fast jedem dritten Deutschen spielt es eine wichtige Rolle in der Orientierungs- und Entscheidungsphase rund um Versicherungsbelange. Es wird von fast jedem Zehnten als Bezugsquelle für den Erwerb von Versicherungen genutzt und hat sich damit zu einem zusätzlichen Absatzkanal entwickelt. Rund die Hälfte der versicherungsinteressierten Internetnutzer fungiert aufgrund ihres aktiven Kommunikationsverhaltens als wertvoller Empfehlungsgeber im Freundes- und Bekanntenkreis (AGOF 2009, S. 35-36). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten Versicherungskunden im Internet geboten werden und wie kundenorientiert die Prozesse bis zum Online-Vertragsabschluss ausgerichtet sind. Beim Website-Check im Rahmen der Mystery-Shopping-Studie wurde bewusst der Einstieg über die stationären Versicherer gewählt. Folgende positive Erkenntnisse wurden dabei gewonnen:
Die Seiten sind größtenteils technisch funktional ausgestaltet. Ein schriftliches Angebot (online, offline) oder Rückruf eines Spezialisten wird in den meisten Fällen angeboten. In einem Fall enthält das erhaltene Angebot sogar in der E-Mail einen Zusatzbutton „jetzt abschließen“.
Zudem wurden aber auch folgende Defizite im Website-Auftritt identifiziert:
Die Auswahl der verfügbaren Informationen wurde von den abschlussbereiten Interessenten durchgehend als zu gering wahrgenommen. Auch ein Spaßfaktor im Umgang mit der Seite wurde von der Mehrheit der Nutzer vermisst.
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Nur bei der Hälfte der Seiten wurde eine Einzigartigkeit des Leistungsangebotes erkennbar. Ein echter USP der Angebote wurde kaum sichtbar. Die Suche nach Antworten auf die Frage nach einer Belohnung für treue Kunden fiel auch hier enttäuschend aus. Die Eingabemechanik der Websites war vielfach suboptimal: Plausibilitätschecks zur Sicherstellung einer hohen Datenqualität schon im Prozess der Eingabe waren vielfach nicht vorhanden; ebenso fehlten vielfach Erfassungshilfen, um dem Interessenten die Eingabe zu erleichtern.
Abbildung 9:
Möglichkeiten der Kundenorientierung im Internet (Quelle: dbu/ HWR, Mystery-Calling, März 2010)
Abb. 9 zeigt, dass die Möglichkeiten zur Kundenorientierung im Internet bei weitem noch nicht ausgeschöpft werden. Wie wenig die Möglichkeiten einer umfassenden Unterstützung der Surfer bei der Suche nach den passenden Angeboten durch die Versicherungsunternehmen genutzt werden, zeigt Abb. 10. Einschlägige Suchmöglichkeiten fehlen und die Begriffe sind teilweise schwer verständlich. Außerdem wird die Überlegenheit des eigenen Angebots im Wettbewerbervergleich nicht deutlich.
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Abbildung 10: Unterstützung auf den Internetseiten (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010) Die Kommunikation ist an vielen Stellen konsequent senderorientiert – eine konsequente Ausrichtung an den Bedürfnissen eines Interessenten sieht anders aus. Abb. 11 zeigt ein Beispiel, in dem ein Online-Interessent dazu „gezwungen“ werden soll, mit dem „Ansprechpartner vor Ort“ Kontakt aufzunehmen. Hier wird ein Medienbruch sichtbar. Der Online-Interessent wird nicht „fündig“, weil das angesprochene Unternehmen nur auf den Offline-Vertrieb setzt – und der Online-Wettbewerber ist nur einen Maus-Klick entfernt. Durch ein solches Vorgehen werden Online-Kunden nicht abgeholt, da die Einholung eines OnlineAngebots nicht möglich ist.
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Abbildung 11: Online-Kunden werden zur Offline-Kontaktaufnahme „gezwungen“ (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010) Auch bei dem in Abb. 12 dargestellten Beispiel findet kein wertschätzender Umgang mit Interessenten statt. Die Ansprache ist relativ lieblos und die gestellten Zusatzfragen wurden nicht beantwortet. Hier hat der Empfänger nicht den Eindruck, dass das Unternehmen an einem Vertragsabschluss interessiert ist. Außerdem wurde sichtbar, dass Vertiefungsfragen nur z. T. beantwortet wurden. Vielfach wurden diese schlicht ignoriert.
Abbildung 12: Kein wertschätzender Umgang mit Kunden (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010) Interessant sind auch die Ergebnisse, die bei einer Suche nach „Treuevorteilen“ oder „Vorteilen für treue Kunden“ erscheinen. Die Onsite-Suche bei den untersuchten Versicherungsunternehmen meldet hier durchgehend „Kein Treffer“. Ein Beispiel hierzu zeigt Abb. 13. Alle geprüften Webseiten enttäuschten auch bezüglich der Fragestellung nach dem USP des Unternehmens. Die Frage, warum
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genau dieser Anbieter vom Kunden bevorzugt werden sollte, konnte – abgesehen vom Tarif (Preis) – nicht beantwortet werden.
Abbildung 13: Treuevorteile nicht ersichtlich (Quelle: dbu/HWR, Mystery-Calling, März 2010) Durch eine um wenige Tage zeitversetzte Einholung eines telefonischen und eines Online-Angebots beim gleichen Anbieter wurde ermittelt, ob eine Vernetzung der kundenbezogenen Systeme besteht. Wenn folglich ein Online-Angebot ein paar Tage nach dem Telefonkontakt eingeholt wurde, stellten die analysierten Unternehmen in keinem Falle fest, dass über die Zentrale bereits ein Angebot unterbreitet wurde. Dies lässt erkennen, dass die Systeme nicht ausreichend vernetzt sind. Ein weiteres Defizit, welches bei vielen Versicherungsunternehmen sichtbar wurde, war das Fehlen von Plausibilitätskontrollen bei der Dateneingabe (vgl. Abb. 14). Auf diese Weise besteht die Gefahr, dass fehlerhafte Daten in den Systemen erfasst werden, die u. U. sogar die korrekte Ansprache der Interessenten bei der Übersendung eines Angebotes gefährden. Unternehmen lassen in vielen Bereichen die Möglichkeiten ungenutzt, die Dateneingabe zu überprüfen. So gelangen fehlerhafte Daten in die Systeme und führen auch zu Folgefehlern in der Kundenansprache. Hier sollten sich die Unternehmen zwingend die Systeme zunutze machen, die in vielen anderen Branchen schon lange „state-of-theart“ sind (vgl. hierzu ausführlich Kreutzer 2009, S. 59-112).
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Ein. Abbildung 14: Fehlen von Plausibilitätskontrollen (Quelle: dbu/HWR, MysteryCalling, März 2010) Diese Ergebnisse machen deutlich, dass das Potenzial sowohl eines kundenorientierten Dialogs als auch der Differenzierung des Unternehmens im Wettbewerbsumfeld über die Webseiten noch nicht ausgeschöpft ist. Die Unternehmen müssen ihr Erwartungsmanagement deutlich verbessern: Vielfach werden „sehenden Auges“ Erwartungen bei den Nutzern aufgebaut (bspw., dass diese ein OnlineAngebot erhalten können), die dann nicht eingehalten werden. So wird systematisch „Frust“ produziert – von dem besser aufgestellte Wettbewerber profitieren. Die Kommunikation ist an vielen Stellen konsequent „senderorientiert“; eine Ausrichtung an den Informationsbedürfnissen eines Interessenten sieht anders aus. Dessen Wünsche, Fragen und Erwartungen werden in vielen Fällen schlicht ignoriert. Die Ergebnisse der Website-Checks können wie folgt zusammengefasst werden:
Das Potenzial eines professionellen Auftritts ist nur teilweise ausgeschöpft. Wichtige Kernaussagen sind teilweise nicht ausreichend aktivierend und verständlich. Das Potenzial einer empfängerorientierten Kommunikation ist überwiegend ungenutzt. Eine Wertschätzung durch ein individuelles Eingehen auf den Kunden ist in hohem Maße ausbaubar.
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Das Potenzial qualifizierten Interessentenmanagements liegt ebenfalls weitgehend brach. So wurde nicht festgestellt, dass über einen anderen Kontaktpunkt bereits Kontakt seitens des Interessenten aufgenommen bzw. ein Angebot eingeholt wurde. Zu einem qualifizierten Interessentenmanagement gehört auch, dass Permissions konsequent eingeholt und Daten auf Plausibilität geprüft werden. Das ist überwiegend nicht der Fall. Auch das Potenzial eines ergebnisorientierten Kundenmanagements nutzt die Mehrheit der untersuchten Unternehmen nicht, da eine detaillierte Abfrage der versicherungsrelevanten Daten zur Erstellung eines Angebots im Web oftmals nicht erfolgt. Fazit
Versicherungsunternehmen müssen sich auf veränderte Informationsstrukturen ihrer Kunden einstellen. Neben den Versicherungsmaklern und Außendienstmitarbeitern der Versicherungsgesellschaften gewinnt das Internet als erster Customer-Touch-Point mehr und mehr an Bedeutung – und dies eben gerade auch bei Versicherern mit stationären Außendienststrukturen. Da die Versicherer versuchen, ihre Kunden schon sehr früh – nämlich bei der Informationsabfrage auf der Versicherungs-Website – abzuholen, und gleichzeitig an ihrem Maklergeschäft festhalten wollen/müssen, sind die Prozesse optimal aufeinander abzustimmen. Die Untersuchung macht deutlich, dass bei vielen Versicherungsunternehmen ein leistungsstarkes Customer-Touch-Point-Management fehlt. Zusätzlich mangelt es – bei vertriebsorientierten Unternehmen durchaus überraschend – in zu vielen Fällen an der Motivation,
den begonnenen Dialog aufrechtzuerhalten, sich um den Interessenten umfassend zu kümmern und seine individuellen Wünsche und Erwartungen zu berücksichtigen und auf diese einzugehen.
Der Bruch im Kundenführungsmodell zwischen Zentrale (Internet) und Außendienst zieht sich in vielen Fällen von der Kontaktanbahnung über den Gesprächsaufbau bis zur eigentlichen Beratung. Insgesamt zeichnen sich sowohl der Internetauftritt als auch das Verhalten der telefonischen Ansprechpartner durch eine starke Produktorientierung aus, die eine konsequente Kunden- und Lösungsorientierung vermissen lässt. Eine konsequente Kundenorientierung bei der Neukundengewin-
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nung konnte vielfach nicht erkannt werden. Versicherungsunternehmen sind aber aufgerufen, die Interessenten und Kunden dort abzuholen, wo sie sich in Bezug auf ihre Informations- und Motivationslage befinden. Über diese explorative Studie hinaus ist zu fragen, wie sich potenzielle Kunden den Themen Versicherungsbedarf und -angebot tatsächlich nähern. Diese Frage kann nur über die Kundensicht, also die tiefe Auseinandersetzung mit dem Menschen herausgefunden werden. Über tiefenpsychologische Interviews ist es der concept m research & consulting GmbH gelungen, Typologien von Versicherungskunden zu erstellen. Diese liefern wichtiges Kundenwissen, das bei der Gestaltung kundenorientierter Prozesse und Kommunikation berücksichtigt werden muss. Während die ganzheitliche Kundenorientierung in anderen Branchen wie beispielsweise im Versandhandel oder im Einzelhandel bei vielen Unternehmen in weiten Teilen bereits sehr gut gelöst ist, haben die Versicherungsunternehmen hier Nachholbedarf. Die concept m research & consulting GmbH und die dbu Unternehmensberatung GmbH haben ihre vielfältigen Erfahrungen aus den Branchen Versandhandel, Einzelhandel, Finanzdienstleistungen und Versicherungen auf diese Aufgabenstellung reflektiert. Im Ergebnis ist der Touch-PointKompass für Versicherungsunternehmen entstanden (vgl. Abb. 15). Darin werden die relevanten Customer-Touch-Points aus Kunden- und Unternehmenssicht definiert. Optimierungspotenzial wird identifiziert und im Kontext aller korrelierenden Veränderungsprozesse im Unternehmen eingeordnet und priorisiert. Der Touch-Point-Kompass hilft Versicherern, das Vertrauen ihrer Kunden langfristig zu sichern, dabei eine Kommunikationsbasis zur weiteren Kundenbindung zu bilden und die Ressourcen Internet und Außendienstberatung zielgerecht einzusetzen. Denn nur wem es gelingt, seine Touch-Points und die dahinter liegenden Prozesse auf die Bedürfnisse eben dieser Kundentypen auszurichten, wird im Wettbewerb um Neukunden und Bestandskunden gewinnen können.
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Abbildung 15: Konzept des Touch-Point-Kompasses Literatur AGOF Branchenbericht Versicherungen (2009): internetfacts-II, Frankfurt am Main. dbu/HWR (2010): Mystery Calling-Studie, Karlsruhe. Siegert, M. (2009): Rechtliche Rahmenbedingungen des Dialog-Marketings, in: Kreutzer, R., Praxisorientiertes Dialog-Marketing, Konzepte – Instrumente – Fallstudien, Wiesbaden, S. 333-342. Kreutzer, R. (2010): Praxisorientiertes Marketing, Konzepte – Instrumente – Fallbeispiele, 3. Aufl., Wiesbaden. Spengler, C.; Wirth, W.; Sigrist, R. (2010): 360-Grad-Touchpoint-Management – Muss unsere Marke jetzt twittern?, Marketing Review St. Gallen, 2/2010, S. 14-20.
Die Autoren Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer ist seit 2005 Professor für Marketing an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), Berlin, und Marketing und Management Consultant. Er war 15 Jahre in verschiedenen Führungspositionen bei Bertelsmann, Volkswagen und der Deutschen Post tätig, bevor er zum Professor für
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Marketing berufen wurde. Prof. Kreutzer ist Kompetenzpartner Marketing der dbu Unternehmensberatung, Karlsruhe. Simone Spiegels ist Senior Consultant bei der dbu Unternehmensberatung für die Entwicklung kundenorientierter Strategien und Prozesse. Vor ihrem Wechsel zur dbu 2003 sammelte sie mehrere Jahre Erfahrung im Lebensmittelheimdienst und in der Telekommunikation. In dieser Zeit bildete sie sich berufsbegleitend zur Diplom Betriebswirtin FOM (Essen) und Direktmarketing Fachwirtin BAW (München) fort. Sie ist Gewinnerin des Alfred Gerardi Gedächtnispreises 2002. Kontakt Prof. Dr. Ralf T. Kreutzer Hochschule für Wirtschaft und Recht Badensche Str. 50-51 10825 Berlin
[email protected] Simone Spiegels dbu Unternehmensberatung Hirschstr. 2 76133 Karlsruhe
[email protected] Vollautomatisches Predictive Targeting
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Vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens Andrea Ahlemeyer-Stubbe Vollautomatisches Predictive Targeting
Inhalt 1 2 3 3.1 3.2 3.3 3.4 4
Marketing im Web 2.0 .............................................................................. 218 Predictive Behavioral Targeting ............................................................... 219 Vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens ..................................................................... 220 Funktion.................................................................................................... 220 Architektur................................................................................................ 221 Datenflüsse und Datenbasis ...................................................................... 223 Herausforderungen und kritische Erfolgsfaktoren .................................... 223 Fazit .......................................................................................................... 224
Management Summary Unternehmen nutzen diverse Instrumente zur Informationsgewinnung, doch sie werden von der Datenflut im World Wide Web überschwemmt. Kontinuierlich relevante Informationen zu identifizieren, Zielgruppen und Trends zu definieren und darauf adäquat zu reagieren – diesen aktuellen Herausforderungen begegnen vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens. Sie ermöglichen Vorhersagen mit der notwendigen Aktualität und Flexibilität, um neue Entwicklungen in einem sich rasant wandelnden Umfeld schnell aufzudecken, und bieten somit einen entscheidenden Vorteil im Online-Business.
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6_11, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Andrea Ahlemeyer-Stubbe
Marketing im Web 2.0
Um Erfolge zu messen, um Trends, Veränderungen und neue Wünsche der Zielgruppen schon früh zu erkennen und schnell darauf reagieren zu können, greifen Unternehmen offline auf Marktforschung sowie auf die Analyse ihrer im Unternehmen vorhandenen Datenbestände u. a. mit Reporting, Data Mining und Marktbeobachtungen zurück. Online werden meist Klickrates oder Pageimpressions als Maßstab herangezogen. Doch nichts hat sich in den letzten Jahren so rasant geändert wie die Nutzung des Internets. Vor noch nicht einmal 10 Jahren bot das Web 1.0 statische Websites, mit dem Web 1.5 wurden diese dann dynamisch, seit 2005 nutzen immer mehr User mit dem Web 2.0 interaktive Websites. Das World Wide Web entwickelt sich stetig in großen Schritten weiter und Web 3.0 steht schon vor der Tür. Das Medium Internet durchdringt mit seinen vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und Angeboten weltweit den Markt – quer durch alle Gesellschafts- und ethnischen Schichten. Mittlerweile sind schon 79,1 % der Deutschen im Web. Immer mehr Menschen nutzen das Internet immer ausgiebiger (Suche, E-Mail, Foren, Blogs, Podcasting, Online-Spiele etc.) – kurz: Das Internet ist ein weltweiter, hart umkämpfter Marktplatz. Vor allem, weil das Web zunehmend von vielen Kunden und Unternehmen als Ausgangspunkt für die Recherche nach Dienstleistungen und Produkten genutzt wird. Die Ausgaben für Online-Marketing nehmen heute schon einen Anteil von über 18 % der Gesamtaufwendungen für Werbung ein. Sie werden in allen Branchen weiter ansteigen, denn dieser Marktplatz eröffnet vielfältige Marketing-Möglichkeiten und fordert völlig neue Marketing-Strategien. Medienübergreifend, zielgruppenspezifisch, relevant – heute muss Werbung am besten ganz persönlich auf den jeweiligen Kunden zugeschnitten sein. Denn es gilt, die Kundenbindung zu optimieren, die Neukundengewinnung zu erleichtern und die Response- bzw. die Konversions-Rate zu verbessern – das alles bei möglichst niedrigen Werbekosten. Den aktuellen Herausforderungen stehen neue Methodiken und Technologien gegenüber; beispielsweise liefert die Analyse der Logfiles (internetbasierte Protokolldaten) Informationen zur Herkunft des Besuchers, welchen Browser er verwendet, welche und wie viele Seiten er sich angesehen hat. Die Vorteile sind offensichtlich: Wer das typische Klickverhalten seiner Kunden kennt, kann mit diesem Wissen u. a. die Positionierung und Platzierung der Werbung für ein bestimmtes Produkt bestimmen, die seine Kunden am meisten anspricht. Durch Informatio-
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nen wie Ausstiegs- und Einstiegsseite kann die Strukturierung von Websites kontinuierlich verbessert und die Repräsentanz im Web optimiert werden. Von außerordentlichem Wert für die strategische Planung sind zuverlässige Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen im Verhalten und im Bedarf der Kunden. Die Entwicklung des Predictive Behavioral Targeting stellt solche Vorhersagen auf ein statistisch abgesichertes Fundament. 2
Predictive Behavioral Targeting
Wer spannende Kundenprofile erhalten, die Relevanz seiner Online-Angebote nachhaltig steigern und seinen Online-Marketing-ROI optimieren möchte, benötigt nicht nur Informationen über die historischen und aktuellen Gewohnheiten seiner Kunden, sondern auch über ihr zukünftiges Verhalten. So gilt es, im Kundenverhalten Muster zu entdecken, die z. B. den Bedarf eines bestimmten Users identifizieren. Das leistet das Predictive Behavioral Targeting. Zusätzlich kommen Methoden wie deskriptive Statistik, Click-Stream-Analyse, Diskriminanzanalyse, Regressionsverfahren, Entscheidungsbäume, Neuronale Netze, Case-Based Reasoning (CBR) oder Zeitreihenanalysen zum Einsatz. Basierend auf Analysen von Userprofilen und Userstrukturen (z. B. Alter, Lebensstil, Zugehörigkeiten zu Peer Groups, Surfverhalten) werden Vorhersagemodelle über künftiges Verhalten erstellt. So erfolgt z. B. die Entscheidung, welches Banner welchem User gezeigt werden soll, auf Grundlage der Sites, die er besucht, oder auf Basis dessen, was er auf diesen Sites tut. Unterschieden wird in Onsite Behavioral Targeting (für eine spezifische Website) und Network Behavioral Targeting (Analysen in komplexen Netzwerken, die mehrere Websites umfassen). Während bisher das Contextual Advertising auf Basis des Contents die Seite identifiziert, die am besten für eine Anzeige geeignet ist, identifiziert das Predictive Behavioral Targeting auf Grundlage des Nutzerverhaltens in der Vergangenheit die geeignete Person für ein Angebot. Durch die Möglichkeit, Nutzerprofile zu identifizieren, eröffnet das Predictive Behavioral Targeting den Weg für Relevant Advertising. Predictive Targeting leistet sehr viel – und diese Informationen gewinnen immens an Wert, wenn sie möglichst schnell am rechten Ort in der rechten Form bereitstehen. Vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens schaffen dazu die Voraussetzungen.
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Andrea Ahlemeyer-Stubbe
Vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens
Unter Einsatz der notwendigen Algorithmen zu Analysen in Echtzeit eröffnet das vollautomatische Predictive Targeting neue, individuelle und nachhaltige Formen der Kommunikation und bietet dabei den entscheidenden Zeitvorsprung durch Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens. Dies bedeutet einen Evolutionsschritt, vergleichbar dem vom Handwerk zur Fabrikation – inklusive Abstriche an der Komplexität. Der klassische Weg, komplexe Vorhersagemodelle von Hand zu bauen, steht für die „Meisterwerkstatt“. Doch auch ein großer Stab von Analytikern (Handwerksmeistern) kann die immensen Datenmengen nicht in Echtzeit bewältigen, eine vollautomatisierte „Montagestraße“ für Vorhersagemodelle dagegen schon. 3.1 Funktion Kernstück des vollautomatischen Predictive-Targeting-Systems ist der Bau von Vorhersagemodellen. Dabei beinhaltet ein Modul alle Funktionalitäten, um mit einem Team von Analytikern komplexe Vorhersagemodelle von Hand zu bauen („Meisterwerkstatt“). Das zweite Modul („Montagestraße“) baut vollautomatisiert einfache, klickbasierte Vorhersagemodelle, sichert automatisch deren Qualität und stellt sie zur Anwendung bereit. In der „Montagestraße“ werden alle Modelle berechnet, bei denen es sich um eine relativ einfache Aufgabenstellung aus dem Bereich der Vorhersagen (Predictive Modelling) handelt, z. B. nur die Modelle, deren Zielvariable eine dichotome Struktur haben (geklickt vs. nicht geklickt, gekauft vs. nicht gekauft, besucht vs. nicht besucht etc.). Diese Vorhersagemodelle decken z. B. einen großen Teil der Aufträge zur Banneroptimierung durch Behavior Targeting ab. Spezialanalysen wie Clusteranalysen, werden durch das Analyseteam in der „Meisterwerkstatt“ durchgeführt. Durch einen administrativen Prozess wird entschieden, ob ein Vorhersagemodell in der „Meisterwerkstatt“ oder in der „Montagestraße“ gefertigt werden soll. Jedes Modell erhält eine eindeutige ID und wird archiviert. Folgende wesentliche Elemente beinhaltet die Montagestraße:
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3.2 Architektur Die Bereiche „Meisterwerkstatt“ (Arbeitsbereich des Analyseteams) und „Montagestraße“ (automatisches Targeting) werden in die bestehende Architektur eines Unternehmens so eingebunden, dass die Umgebung und ihre Vorteile so weit wie möglich genutzt werden können. Generell gilt: Alle entwickelten Modelle werden als Code/Skript übergeben und inklusive ihrer Metadaten in einem Archiv auch über ihren Einsatz hinaus archiviert. Die Anwendung der auf den Modellen basierenden Skripte erfolgt als letzter Schritt der Variablenberechnung am Ende einer Session bzw. eines Slots,
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vergleichbar der Berechnung einer komplexen Profilvariablen. Für jedes aktive Modell wird somit immer zum Zeitpunkt der allgemeinen Profilvariablenberechnung der jeweilige Prognosewert pro Unique Client (UC) berechnet und in einer eigenen Variable gespeichert. Diese modellspezifischen Variablen werden dann, vergleichbar allen anderen genutzten Profilvariablen, dem Targetbuilder zur eigentlichen Zielgruppenbestimmung zur Verfügung gestellt. Im Targetbuilder (Instrument zur Auslieferung zielgruppenspezifischen Contents) werden diese Vorhersagefunktionen neben Und/Oder-Verknüpfungen von Profilen verwendet, um Zielgruppen für Online-Kampagnen bereitzustellen und zu kennzeichnen. So wird jeder User mit den treffenden Bild- und Textwelten und passenden Angeboten angesprochen.
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3.3 Datenflüsse und Datenbasis Die Basis für alle Analysen bilden die erhoben Surf- und Verhaltensdaten der UC auf den jeweiligen Websites. Idealerweise können diese durch Informationen aus Befragungen oder Logindaten angereichert werden. Man kann zwischen Standard-/generellen und verhaltens- bzw. interessenbedingten Informationen unterscheiden. Diese Profil- und Verhaltensdaten pro UC werden bezogen auf unterschiedliche Zeitfenster berechnet. Aus beiden wird eine Vielzahl von Variablen gebildet. Im Rahmen der Modellierung in der Montagestraße kommt nur ein geprüftes Subset von Variablen zum Einsatz, um die für die Automatisierung unerlässliche Stabilität, Robustheit und Performance zu gewähren. Damit eine Modellierung unter Nutzung der aktuellen Session erfolgen kann, ist es unabdingbar, dass zu jedem beliebigen Zeitpunkt in einer Session auf die Sessiondaten zugegriffen werden kann. Ein wesentlicher Teilschritt der täglichen Profilbildung ist die Datenaufbereitung. Sie wird sowohl für die Modellbildung/-überprüfung als auch für die Anwendung, also die Scorewert-Berechnung, benötigt und ist der zeitkritischste Bereich. 3.4 Herausforderungen und kritische Erfolgsfaktoren Die Komplexität des vollautomatischen Predictive Targeting und der Modellierung des Realtime-Online-Verhaltens birgt einige statistische Herausforderungen: Bei der Stichprobenziehung müssen die minimale sinnvolle Anzahl der Events = 1 (z. B. Klicks), Schichtungsverhältnisse, Sampling-Routinen etc. sensibel festgelegt werden. Prognoseverfahren sind hinsichtlich Güte der Vorhersage, Stabilität, Performance in der Entwicklung usw. auszuwählen, Robustheit, Laufzeitverhalten, Parametrisierung, Fehlererkennung und Automatisierbarkeit müssen bei der Auswahl qualitätssichernder Methoden berücksichtigt werden. Auch kritische Erfolgsfaktoren dürfen nicht außer Acht gelassen werden: Beeinflussen nicht kontrollierbare Optimierungsschritte/Algorithmen des Adservers das ursprünglich vorhergesagte Klickverhalten massiv? Fehlen Tags im Banner? Erfolgen so wenige Klicks, dass es zu lange dauert, eine kritische Menge zum Modellieren zu erhalten?
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Fazit
Vollautomatisches Predictive Targeting und Modellierung des Realtime-OnlineVerhaltens stehen ganz am Anfang ihrer Entwicklung und sind wertvolle Instrumente, vorausgesetzt bei der Implementierung und im Umfeld werden Anforderungen und kritische Erfolgsfaktoren sorgfältig beachtet. Denn dann berücksichtigt das vollautomatische Predictive Targeting auch den buchstäblich letzten Klick in Echtzeit und seine Vorhersagen erfolgen flexibel und topaktuell. So ermöglicht es rasche Reaktionen auf Veränderungen und Tendenzen auf dem sich rasant wandelnden Online-Marktplatz. Literatur Agarwal, D. et al. (2009): Spatio-temporal models for estimating click-through rate, Juan Quemada et al. (Ed.), Proceedings of the 18th International Conference on World Wide Web, WWW 2009, Madrid. Ahlemeyer-Stubbe, A. (2009): Behavioral Targeting: Which Method produces the most Robust Prediction? A Confrontation between Decisions Trees, Neural Networks and Regressions, Petra Perner (Ed.), Advances in Data Mining. 9th Industrial Conference, ICDM 2008. Ahlemeyer-Stubbe, A. (2009): Predictive Targeting: Buzzword or Reality – The potential of Automatic Behavioral Targeted Advertising in Online Marketing, Petra Perner (Ed.), Advances in Data Mining. 9th Industrial Conference, ICDM 2008. Evans, D.S. (2009): The Online Advertising Industry: Economics, Evolution, and Privacy, The Journal of Economic Perspectives, Volume 23, Number 3, Summer 2009, pp. 37-60(24). Internet World Stats 2010, http://www.internetworldstats.com/stats4.htm, 25. September 2010. Klever, A. (2009): Behavioural Targeting: An Online Analysis for Efficient Media Planning?, Diplomica. Messina, A. et al. (2009): A generalised cross-modal clustering method applied to multimedia news semantic indexing and retrieval, Juan Quemada et al. (Ed.), Proceedings of the 18th International Conference on World Wide Web, WWW 2009, Madrid OVK Online-Report 2010/01, Online-Vermarkterkreis(OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V., (Hrsg), Düsseldorf. Perner, P.; Fiss, G. (2002): Intelligent E-marketing with Web Mining, Personalization, and User-Adpated Interfaces, Petra Perner (Ed.), Advances in Data Mining, Applications in E-Commerce, Medicine, and Knowledge Management [Industrial Conference on Data Mining, Leipzig, Germany, June 2002]. Lecture Notes in Computer Science, Springer. Perner, P. (Ed.) (2008): Case-Based Reasoning and the Statistical Challenges.
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Provost, F.J. et al. (2007): Data acquisition and cost-effective predictive modeling: targeting offers for electronic commerce, Maria L. Gini et al. (Ed)., Proceedings of the 9th International Conference on Electronic Commerce: The Wireless World of Electronic Commerce, Minneapolis. Reisinger, J.; Pasca, M. (2009): Bootstrapped extraction of class attributes. Juan Quemada et al. (Ed.), Proceedings of the 18th International Conference on World Wide Web, WWW 2009, Madrid. Yan, J. et al. (2009): How much can behavioral targeting help online advertising?, Juan Quemada et al. (Ed.), Proceedings of the 18th International Conference on World Wide Web, WWW 2009, Madrid.
Die Autorin Andrea Ahlemeyer-Stubbe, Geschäftsführerin der antz21 GmbH und Lehrbeauftragte an der Hochschule Offenburg, ist seit mehr als 17 Jahren als Data Miningund CRM-Spezialistin international tätig. Ihr Studium der Statistik an den Universitäten Dortmund und Sheffield schloss sie als Diplom-Statistikerin ab. Mit dem antz21-Team hat sie zahlreiche Projekte in den Bereichen Business Intelligence, Database Marketing (DBM) und CRM geleitet und durchgeführt. Ihre aktuellen Projekte beschäftigen sich mit Predictive Targeting, Textmining in Social Media und Analysen im Web 2.0. Zudem ist sie Autorin zahlreicher nationaler und internationaler Veröffentlichungen sowie gefragte Referentin und Keynote Speaker zum Thema CRM und Data Mining. Kontakt Andrea Ahlemeyer-Stubbe antz21 GmbH Hauptstr. 21 77723 Gengenbach
[email protected] Alfred Gerardi Gedächtnispreis
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Alfred Gerardi Gedächtnispreis Alfred Gerardi Gedächtnispreis
25 Jahre Nachwuchsförderung Ein besonderes Jubiläum konnte im Jahr 2010 der Alfred Gerardi Gedächtnispreis feiern: 1985 hatte der DDV in Gedenken an seinen damals überraschend verstorbenen Präsidenten Alfred Gerardi diesen Award konzipiert, im darauffolgenden Jahr wurde er erstmals auf dem vom 19. bis 21. Oktober 1986 in Stuttgart stattfindenden Deutschen Direktmarketing Kongress verliehen. In 25 Jahren wurden fast 100 Abschlussarbeiten, vorrangig Dissertationen und Diplomarbeiten, mit dem Award ausgezeichnet. Die eingereichten Arbeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses waren stets auch ein Spiegel der Branche: In den 80er Jahren handelten sie von „telefonischen Mahnaktionen“, „In-Home-Shopping“ oder Database-Marketing, in den 90er Jahren kamen Themen wie Kundenclub, Customer Relationship Management oder Call-Center dazu. Und seit der Jahrtausendwende eröffnen Internet, E-Mail & Co. dem Dialogmarketing neue Möglichkeiten – und den Studenten neue Themen für Abschlussarbeiten. Der Wettbewerb Ziel des Wettbewerbs war und ist die Förderung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen des Dialogmarketings. Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis wird in drei Kategorien vergeben:
Diplomarbeit Akademien Abschlussarbeit Uni/Hochschule (eingereicht werden können Diplom-, Bachelor- und Masterarbeiten) Dissertation
Die Arbeiten sollen sich mit aktuellen Themen des Dialogmarketings befassen, etwas Neues aufgreifen und im Ergebnis einen Wissensfortschritt mit verwertbaren Ergebnissen für die Marketingpraxis erbringen. Dabei werden als preiswürdig Arbeiten angesehen, die über dem Durchschnitt dessen liegen, was Studenten Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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Alfred Gerardi Gedächtnispreis
normalerweise erarbeiten, und die gleichzeitig wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Die Jury bilden namhafte Vertreter von Dialogmarketing-Agenturen und aus dem Hochschulbereich. Im Jahr 2010 waren dies unter dem Vorsitz von Bernd Ambiel (Ambiel Direkt-Marketing-Beratung), Robert Bidmon (Universität München), Norbert Briem M.A. (Jahns and Friends, Agentur für Dialogmarketing und Werbung AG), Prof. Dr. Gert Hoepner (Fachhochschule Aachen), Prof. Dr. Heinrich Holland (Fachhochschule Mainz), Michael Schipper (Proximity Germany GmbH) Prof. Dr. Lutz H. Schminke (Hochschule Fulda) und als Ehrenmitglied Heinz Fischer (Fischer Direktmarketing Consultant). Die Preisträger 2010 Im Jubiläumsjahr wurden eine Dissertation, zwei Abschlussarbeiten von Hochschulen und zwei von Akademien ausgezeichnet: Gewinner in der Kategorie „Beste Dissertation“ war Sebastian Feld, Universität Münster, Institut für Marketing, mit seiner Arbeit „Kampagnen-Management im Direktmarketing – Ausgewählte Optimierungsansätze der Zielgruppenselektion und der Gestaltung der Kommunikation“. Als Sieger aus der Kategorie „Beste Abschlussarbeit Hochschule“ ging Sükran Köroglu, Fachhochschule Mainz („Einsatz und Nutzen von Kampagnen-Management in Marketing- und Vertriebsstrategien“) und Alexandra Grendel von der Fachhochschule Aachen („Zur Möglichkeit des Musikmarketings über soziale Online-Netzwerke in den USA“) hervor. Gewinner der Kategorie „Beste Diplomarbeiten von Akademien“ waren Jennifer Huemer („Entwicklung eines Dialogmarketing-Konzepts zur Neukundengewinnung für das Veranstaltungsformat Brand Academy der Commax Brand Relationship GmbH – Ein innovatives Instrument im Rahmen des Employer Branding“) und Bernd Ullmann („Marketing- und Kommunikationskonzept zur Steigerung der Buchungszahlen und zur Kundenbindung in Bezug auf Firmenkunden für die Avena Hotel Gruppe“), beide von der Bayerischen Akademie für Werbung und Marketing. Über alle Details des Alfred Gerardi Gedächtnispreises informiert eine eigene Website www.aggp.de, über die stets die Informationen zur aktuellen Phase des Wettbewerbs (Ausschreibung, Teilnahmebedingungen, Einsendeschluss, Preisträger, Preisverleihung etc.) abgerufen werden können. Selbstverständlich ist der Wettbewerb auch auf Facebook (www.facebook.com/AlfredGerardi) und Twitter (twitter.com/alfred_gerardi) aktiv. Die „Bibliothek“ des Wettbewerbs auf der Website gibt darüber hinaus einen (fast) vollständigen Überblick über die Einreichungen der vergangenen Jahrzehnte: Eine Kurzfassung der meisten Arbeiten Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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kann direkt eingesehen werden, die komplette Arbeit kann bei Interesse gegen Schutzgebühr auch bestellt werden. Sollten Arbeiten in Buchform veröffentlicht worden sein, so finden sich hier die bibliographischen Angaben. Kontakt Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. Hasengartenstraße 14 65189 Wiesbaden www.ddv.de www.aggp.de www.facebook.com/AlfredGerardi twitter.com/alfred_gerardi
[email protected] Dank an die Sponsoren
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Dank an die Sponsoren Dank an die Sponsoren
Der 5. wissenschaftliche interdisziplinäre Kongress für Dialogmarketing konnte – wie bereits die vier Vorgängerveranstaltungen – nur mit der großzügigen Unterstützung durch zahlreiche Sponsoren und Partner realisiert werden. Wir bedanken uns ganz herzlich bei: dem Premiumsponsor:
den Sponsoren:
Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.), Dialogmarketing Perspektiven 2010/2011, DOI 10.1007/978-3-8349-6593-6, © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2011
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den Medienpartnern:
Dank an die Sponsoren
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Der Alfred Gerardi Gedächtnispreis wird unterstützt durch die Unternehmen:
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