Geisterfänger Band 24
Der seltsame Geist von Whitehall-Place von William Perry Boshaft – rachsüchtig – und mörderisch...
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Geisterfänger Band 24
Der seltsame Geist von Whitehall-Place von William Perry Boshaft – rachsüchtig – und mörderisch...
Der Schrecken der Nacht stand Agnes Moorland noch deutlich im Ge sicht, als sie bei ihrer Schwester ankam. Die beiden hatten sich nie verstanden und wäre nicht die Sache mit dem Geist gewesen, wäre sie bestimmt nicht zu Phyllis gegangen. In den letzten Jahren waren die Ansichten ihrer Schwester nicht besser geworden. Phyllis war eine alte Jungfer, grimmig, abweisend, schweigsam und empfindlich nervös. »Ein schöner Tag heute, nicht wahr?«, sagte Phyllis, als ihre Schwester zur Tür hereinkam. Agnes bestätigte, dass es ein schöner Tag sei. »Er wäre noch schöner«, fügte sie hinzu, »wenn er mir nicht durch diesen verdamm ten Geist in Whitehall verdorben worden wäre.« »Sprich in meinem Haus nicht von Geistern«, erwiderte Phyllis mit einem lächelnden Schaudern. »Ich sagte erst gestern zu Miss Annie, meine Träume, die ich jetzt jede Nacht habe, bringen bestimmt nichts Gutes - wie recht ich doch hatte - nicht wahr?« Phyllis hatte die Angewohnheit, einzelne Wörter stark zu betonen; sie hielt dies für sehr vornehm. Sie war eine kleine, vogelähnliche Frau, deren grellrot gefärbtes Haar so unnatürlich wirkte wie eine The aterperücke. Das kreisförmig auf den Wangen verriebene Rouge gab ihr das Aussehen einer Fieberkranken und die blanken runden Augen waren ständig in Bewegung. Gerade jetzt wanderte ihr Blick zwischen Agnes und dem Wasserkessel auf dem Gaskocher hin und her. Phyllis blickte ihre Schwester scharf an. »Was ist denn schon wie der passiert?« »Ich habe ihn gesehen«, sagte Agnes. »Sein schreckliches Ge sicht, seine langen knöchernen Hände. Er stand vor mir, reglos wie ein geschnitztes Bild und unheimlich wie ein Traum! Sein Kopf war einge rahmt vom schmutzigen Haar und die Haut auf seinem kantigen Ge sicht war gelb und runzelig. Ein grässliches Gelächter schien seine Zü ge zu einem ewigen Grinsen verzerrt zu haben. Von seinen Augen strömten Strahlen roten Lichts und aus seinem Mund kam schwarzer Rauch heraus.« 4
»Das glaube ich nicht«, sagte Phyllis schroff. »Es gibt keine Geis ter - bloß alles Einbildung. Ich werde es dir beweisen...« »Ich gehe nicht mehr nach Whitehall zurück«, unterbrach sie Ag nes Moorland. »Ich werde das Haus verkaufen oder vermieten. Keine zehn Rösser bringen mich dorthin zurück.« »Hast du den Verstand verloren?«, erwiderte Phyllis erbittert. Die Sehnen an ihrem Hals strafften sich, traten hervor wie knotige Stricke und ihre dünnen Lippen kräuselten sich verächtlich. Der Kessel auf dem Gaskocher begann zu pfeifen, das Wasser sprudelte. Miss Phyllis stand über den Kocher gebeugt und knurrte vor sich hin, dann nahm sie den Kessel, stellte ihn auf ein Tablett und ging zum Tisch. Noch immer sagte sie kein Wort. Das blaue alte Kleid, das nichts als ein Drahtgerüst zu sein schien, schlotterte um ihre magere Gestalt. Das weiße Haar über dem runden Gesicht war straff zurückge kämmt. Aus den blauen Ärmeln ragten knochige, sommersprossige Handgelenke und die Beine unter dem gestärkten Rock sahen aus wie Stöcke in schwarzen Schnürstiefeln. Phyllis schob die Nickelbrille hoch, die immer wieder ins Rutschen kam; die dicken, spiegelnden Gläser konnten den Zorn nicht verber gen, der aus den wässerigen Augen sprühte. »Absurdes Geschwätz«, sagte sie schließlich und goss das damp fende Wasser über einen Teebeutel. »Wer soll sich denn ums Haus kümmern, wenn du nicht mehr darin wohnen willst?«, fragte sie wü tend. »Auf solche Gelegenheiten lauern die Einbrecher doch nur. Und deine Garderobe...?« »Ich habe Laura beauftragt, das wichtigste einzupacken«, erwi derte Agnes Moorland. »Sie schafft das schon. Vorläufig bleibe ich hier, du hast doch nichts dagegen, oder?« Während Phyllis finster und schweigsam vor sich hin starrte, rich tete Mrs. Moorland die Augen nach oben, blickte im Geist durch die Decke und zählte all die leeren Räume des Hauses - die nur darauf warteten, bewohnt zu werden. * 5
Miss Laura Brington war sechsundzwanzig, hübsch wie alle Kranken schwestern und seit vier Monaten bei Mrs. Moorland beschäftigt. Während Laura die Garderobe in die Koffer packte, dachte sie an das Haus und die unheimlichen Dinge, die hier geschehen waren. Genauso wie Mrs. Moorland hatte auch sie in den Nächten das Licht gesehen. Das Kratzen und Nagen in der Mauer gehört und beide sahen auch öfters, dass jemand ungeschickt an der Türklinke hantier te. Eines Tages hatten sie auf der Treppe ein Gewirr von Fußabdrü cken entdeckt, die nirgendwo hinführten. Kein Tag verging, ohne dass sich nicht irgendetwas Unerklärliches im Haus ereignete. Es war bereits dunkel, als sie mit der Arbeit fertig war. Für ein paar Minuten setzte sie sich vor Mrs. Moorlands Frisiertisch und mus terte sich im Spiegel. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Laura erinnerte sich noch ganz genau, als sie Ende Oktober in Hinderwell ankam. Sie machte sich recht romantische Vorstellungen vom Landleben. Miss Brington stellte sich Mrs. Moorland als zierlich gebaut, empfindsam und kultiviert, ein wenig wehmütig, versonnen und mit einer eher kindlichen Phantasie begabt vor. Doch gerade das Gegenteil war der Fall. Als Laura im Ort ankam, war es beinahe schon dunkel und der Schnee, den ein dicht bewölkter Himmel schon den ganzen Tag ange droht hatte, begann sanft und zögernd zu fallen. Mrs. Moorland hatte ihr geschrieben, ein Auto würde sie am Bahnhof erwarten und da war es tatsächlich; ein komischer alter Wa gen wie man ihn in den dreißiger Jahren fuhr. Von Wind und Wetter schon ziemlich arg mitgenommen. Der Fahrer war genauso alt wie das Auto. Jetzt - ein halbes Jahr später - bildete sich Miss Brington vielleicht manches ein, was nie geschah. Trotzdem glaubte sie mit Recht sagen zu können, dass sie, sobald sie in dieses alte Auto eingestiegen war, eine leise Unruhe und Angst befiel. 6
Sie fühlte den unsinnigen Impuls, schleunigst wieder auszusteigen und den Nachtzug zurück nach London zu nehmen. Eine Handlungs weise, die ihr ganz und gar nicht ähnlich sah. Jedenfalls war Laura unbehaglich zumute gewesen. Sie erinnerte sich, dass der Wagen nach feuchtem Moor und Erde gerochen hatte. Dazu kam, dass alles so eng schien, als würde der Wagen sie nie wie der freigeben. Draußen ist es ziemlich kalt gewesen. Doch es war nicht die Kälte allein - etwas schien tief bis ins Gehirn zu dringen. Zu sehen war nichts. Laura spürte nur die Stöße, die von den Unebenheiten der Straße herrührten. Sie hatte den Eindruck, dass sich der Wagen auf dunklen Waldwe gen dahinquälte. Herabhängende Zweige gaben geheimnisvolle Klopf zeichen, so als versuchten sie ihr eine wichtige Botschaft zu übermit teln. Je länger die Fahrt dauerte, schuld war auch die Kälte, die ihr Un behagen bereitete, umso mehr fühlte sie die unheimlichen Ahnungen und die Verlassenheit der Einsamkeit, in der sie sich befand. Laura war die Fahrt endlos vorgekommen, bevor sie hielten. Der alte Mann öffnete mit nervenzermürbender Umständlichkeit und nicht ohne Schwierigkeiten die Wagentür. Laura stieg aus und stellte fest, dass der Schnee in sehr dichten großen Flocken fiel und den Weg mit einem matten, geheimnisvollen Licht erhellte. Vor sich nahm sie einen hässlichen buckeligen Schatten wahr: Das Haus, das sie aufnehmen sollte. In der Dunkelheit konnte Miss Brington keine Einzelheiten erken nen. Sie stand nur zitternd da, während der Fahrer geradezu verzwei felt an der Türglocke zog, so als wollte er die ganze Angelegenheit so rasch wie möglich hinter sich bringen, um in seine eigenen vier Wände zurückzukehren. Nach einer Ewigkeit ging die Tür auf und eine ältere untersetzte Frau steckte den Kopf heraus. Die beiden sprachen ein paar Augenblicke miteinander, dann wur de das Gepäck aufgenommen und ins Haus getragen. 7
Laura glaubte in ihrem ganzen Leben kein Haus auf den ersten Blick so heftig verabscheut zu haben, dabei war in der Diele eigentlich nichts besonders Hässliches zu sehen. Sie war groß, dunkel, aber nicht freudlos. Doch in diesem Augen blick interessierte sie sich viel mehr für das flackernde Feuer im Kamin, als für die Umgebung. - So war es damals. Während sie die vielen Make-up-Gegenstände betrachtete, be merkte sie plötzlich das Gesicht im Spiegel. Laura sah ein Stück Bart, struppige Haare und ein bleiches Ge sicht. Sie zuckte zusammen und hätte am liebsten laut aufgeschrieen, wagte aber kaum zu atmen. In der Tür, die vom Ankleidezimmer ins Bad führte, stand eine Gestalt und starrte sie an. Aber bevor Laura noch richtig begriffen hat te, war die Erscheinung schon wieder verschwunden. Hätte es nicht schon hunderte solcher Vorfälle im Haus gegeben, Laura hätte ge schworen, alles nur geträumt zu haben. Aber es war kein Traum. Deutlich spürte sie die seltsame Veränderung der Atmosphäre. Ei ne Weile starrte sie auf den Fleck, wo die Erscheinung gestanden hatte und lauschte angestrengt. Die tiefe Stille im Haus berührte Miss Brington unangenehm und ihre Erregung wuchs. Sie zitterte noch immer, aber im nächsten Au genblick wurde ihr siedend heiß. Ursache für diese Veränderung war ein Geräusch... Schritte, die sich leise über den Boden schlichen. Die Krankenschwester lief aus dem Zimmer. Beinahe wäre sie ü ber einen Stuhl gestolpert, doch niemand war zu sehen. Ein Frösteln überflog ihren Körper. Sie wusste nicht, woher die Schritte kamen und horchte in die Stille hinein. War nicht jemand auf der Treppe? Laura hob den Kopf - krachte nicht eine Stufe draußen? Plötzlich durchzuckte sie ein fürchterlicher Schock. War nicht heu te die Walpurgisnacht? Walpurgisnacht - nach dem Glauben von Millionen Menschen die Zeit, da der Teufel auf Erden weilt und aus den geöffneten Gräbern die 8
Toten steigen und umherlaufen. Es ist der Tag, da alle bösen Elemente der Erde, der Luft und des Wassers sich zu einem Fest treffen. Sie hatte davon gehört. War wirklich heute dieser Tag? Miss Brington war viel zu aufge regt, um sich Gedanken darüber zu machen. Plötzlich war ihr, als hätte sie etwas berührt. Entsetzt wich Laura zurück - wollte diesen unsichtbaren Phanto men entgehen. Aber das Unheimliche blieb - es war nicht wirklich aber es wirkte im Raum drohend wie eine riesige Säule. Sie blickte sich um und glaubte ein geisterhaftes violettes Licht durch einen Riss in der Mauer verschwinden zu sehen. Miss Brington nahm alle Kraft zusammen, um nicht blindlings aus dem Haus zu rasen. Sie klammerte sich an den Tisch und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. »In der Dämmerung, wenn der Nebel zu steigen beginnt«, sagte Mrs. Moorland immer, »schleicht er ums Haus. Er kommt mit dem Ne bel, damit man ihn nicht sieht, davon bin ich überzeugt. Öffnen Sie niemand die Tür - niemandem, hören Sie?« Laura Brington zog die Vorhänge zurück und öffnete das Fenster. Die späte Nachmittagssonne ließ alle Einzelheiten plastisch hervortre ten, machte die Schatten dunkelblau und stellenweise purpurrot. Sie erzeugte schimmernde, kaleidoskopische Muster in den Rasenflächen und tauchte den Hintergrund in rötliches Licht, während sie sich lang sam dem Horizont zuneigte. Kein Lüftchen regte sich. Nebelfetzen stiegen da und dort wie Ge spenster aus der Erde und breiteten sich über die Landschaft. Jetzt fühlte sie sich etwas besser. Hätte sie den Himmel auf der anderen Seite des Hauses gesehen, wäre sie nicht so ruhig gewesen. Dieser Teil war düster und wolkenverhangen. Ein Gewitter kündig te sich an. Die Horizontlinie war eine einzige Wasserscheide und in der Dunkelheit, die die Wolken auf die eine Seite des Hauses warfen, lag etwas Unheimliches, Drohendes - aber Laura konnte es nicht sehen. Ganz am Anfang hatte sie Schritt für Schritt versucht, das Ge heimnis zu lüften - aber es gelang ihr nicht. Nichts und niemand konn te diesen unheimlichen Geist aus dem Haus vertreiben. Je mehr sich 9
die Leute bemühten, umso boshafter und rachsüchtiger wurde der Geist. Langsam aber unaufhaltsam versank die Sonne. Die Nacht kam mit Riesenschritten. Die Schatten wurden länger und weniger deutlich, weil die Abenddämmerung die Einzelheiten verwischte. Gleichzeitig schienen die Blumen, Sträucher und Bäume von innen heraus zu leuchten, als die untergehende Sonne ihnen ein indirektes Strahlen gab. Miss Brington wollte unter keinen Umständen bei Dunkelheit allein im Haus bleiben. Sie hatte dieses Gebäude endgültig satt. Sie raffte Mrs. Moorlands Kleidungsstücke zusammen und verstaute sie in die Koffer. Während der Arbeit vergaß sie ein wenig die Schrecken, die im Haus lauerten und sie bedrohten. Mittlerweile hatte sich die Landschaft draußen merklich verändert und war weniger freundlich als zuvor, so dass ihre Gedanken unwill kürlich wieder zu dem unheimlichen Geist des Hauses zurückkehrten. Als zwei Koffer voll waren, nahm sie Hut und Mantel und zog sich an. Dann schloss sie leise die Zimmertür auf, öffnete und horchte an gespannt in das Treppenhaus. Nichts war zu hören! Vorsichtig schlüpfte sie hinaus, stellte draußen die zwei Koffer nie der, schloss leise hinter sich ab, nahm die Gepäckstücke und horchte in die fahle Dämmerung hinein. Kein Geräusch war zu hören. Vorsichtig tastete sie sich die Treppe bis zum nächsten Absatz hinunter. Laura wagte kein Licht anzuknipsen. Sie orientierte sich nur an der dämmrigen Beleuchtung, die durch die Scheiben der Haustür drang. Langsam ging Laura weiter nach unten. Beinahe wäre sie gefallen. Ihre Schulter tastete sich an der Mauer entlang. Plötzlich berührte sie etwas. Ihr Herz raste. Jemand atmete. Sie hörte es ganz deutlich. 10
Bei dem Gedanken, dass jemand hier stand, überlief es sie kalt wie Eis. Um ein Haar hätte Panik sie überwältigt, aber sie kämpfte verzweifelt dagegen an. Jetzt hatte sie sich selbst den Weg versperrt: oben war die Tür verschlossen und unten lauerte ein unsichtbares Ungeheuer auf sie. Mit dem Mut der Verzweiflung raste sie wieder hinauf und machte Licht. Die Treppe war leer. Niemand war zu sehen. Erleichtert löschte sie das Licht und ging mutig hinunter. Kurz be vor sie die Haustür erreichte, zuckte ein Blitz über den Himmel. Für Sekunden leuchtete es gespenstisch auf. In dieses unirdische Licht hinein sah sie für Sekunden vor der Ein gangstür eine undeutliche Erscheinung, die durch das Butzenglas ver zerrt und gewellt war. Aber dann war der Scherenschnitt auch schon wieder verschwun den. Laura Brington sah sich in einen Gruselfilm versetzt. Hätte sie sich in diesem Augenblick im Spiegel sehen können, wäre sie über ihr eige nes Gesicht erschrocken. Ihr Blick war leer und erloschen, die Augen rollten in den Höhlen wie lose Murmeln. Laura starrte auf die Haustür, doch gleichzeitig auch irgendwie durch sie hindurch, weit in eine andere Welt. Die Luft schien von dem Knall des Donners zu vibrieren. Ein Wir belsturm begann loszubrechen. Die Erde bebte, als würden ganze Herden von Pferden darüber trampeln. Der Himmel breitete seine eisigen Schwingen aus und schüttete große Hagelkörner herunter, die mit ei ner solchen Heftigkeit aufprallten, dass man glauben konnte, sie wären aus Kanonen abgefeuert. Blitze rasten über den Himmel, als wollten sie ein Wettrennen ver anstalten. Es war, als ob der Himmel ein vom Donner zersprengter Spiegel wäre, denn der Regen prasselte nieder wie ein Vorhang aus zersplittertem Glas. Abermals glaubte Laura leise verstohlene Schritte zu hören. Von wo kamen diese Geräusche? Jemand schien sie zu beobach ten. Aber wo war dieses seltsame Etwas? 11
Miss Brington erstarrte. Eine eisige Kälte saß ihr im Nacken, die sich den ganzen Rücken hinunterzog. Sie wusste schon lange, dass sie von etwas Furchtbarem umgeben war. Grauenvolle Angst erfüllte sie. Wenn sie nicht bald aus dem Haus konnte, würde sie noch den Verstand verlieren. Eine tiefe, sonderbare Stille folgte. Laura stand noch immer mit angehaltenem Atem und hörte das Blut in ihrem Kopf rauschen. Dann schien der ungeheure Druck aufzu hören, sie fühlte sich freier. In diesem Augenblick hatte Laura eine Eingebung. Der Geist wuss te sicher, dass sie das Haus verlassen würde und übte keinen Druck mehr aus. Ihre Gedanken schossen in drei, vier phantastische Richtun gen. Draußen war es heller geworden. Das Gewitter war vorüber. Die Landschaft hatte eine seltsame feuchtglänzende Färbung angenom men. Es war noch nicht dunkel und auch nicht mehr hell. Fahle silbrige Dämmerung lag über allem. Wie ein Totentuch, dachte Laura. Rasch schlüpfte Miss Brington aus dem Haus und verschloss die Eingangstür. Erleichtert atmete sie die frische Luft ein und war froh, dem verfluchten Haus entronnen zu sein. Schnell ging sie zur Garage, wo ihr Wagen stand. Mit jedem Schritt wurde es dunkler. Plötzlich hörte sie hinter sich einen Laut. Laura erstarrte. Jemand ging hinter ihr leise, lauernd wie eine Katze. Sie hatte ganz deutlich ein leichtes Schmatzen gehört, das Geräusch einer Gummisohle auf nassem Asphalt. Laura stand bewegungslos und horchte. Nichts Verdächtiges war zu sehen. Vielleicht war jemand zwischen den Sträuchern, aber das war wohl zu unwahrscheinlich. Motorenlärm drang von der Autobahn her. 12
Jeder Lärm, jedes Geräusch war ihr willkommen. Laura gewann ihr Selbstvertrauen wieder, raffte sich auf, nahm die beiden Koffer und eilte zur Garage weiter. Immer dichter hüllte Nebel sie ein. Jetzt bekam die Krankenpflege rin es wieder mit der Angst zu tun. Jeder Gegenstand, der vor ihr auftauchte, jeder Schatten, ob er sich bewegte, oder leblos war, nahm eine schreckenerregende Gestalt an. Aus den einfachsten Dingen waren Ungeheuer und Monster ge worden - alle schienen sie mit unheimlichen Blicken zu verfolgen. Der Garten, das Haus... alles um Laura herum schien unwirklich in dieser Stunde. Sie hatte das Gefühl, am Ende der Welt zu sein. Plötzlich glitt Laura auf dem schlüpfrigen Asphalt aus und fiel zu Boden. Die Zeit schien für einen Moment stillzustehen und das einzige Geräusch, das ihr ins Bewusstsein drang, war ein entfernter Donner... * Vor sechs Monaten nahm alles seinen Anfang. Norman Moorland und seine Frau Agnes führten ein sehr ange nehmes Leben miteinander. Ihr Haus ›Whitehall-Place‹, am Rande des kleinen Marktfleckens Hinderwell an der Nord-See, wies alle Anzeichen eines behaglichen Wohlstandes auf und der Garten prangte fast immer in prächtiger Blumenfülle. Sie konnten sich das leisten. Norman Moorland war Major in der königlichen Garde im Buckingham-Palace gewesen und bezog eine einigermaßen ordentliche Pension. Außerdem hatten beide noch eige nes Vermögen, das gute Zinsen abwarf und obwohl sie die mittlere Altersgrenze bereits überschritten hatten, waren sie noch voll Tatkraft und Energie. Major Moorlands Energie allerdings erschöpfte sich so ziemlich in seiner sportlichen Betätigung. Er war mit vierundsiebzig immer noch Mitglied der Rugbymannschaft von Middlesbrough und das war sein größter Stolz. Daneben spielte er begeistert Golf, einige Runden am 13
Tag strengten ihn nicht besonders an, doch die meiste Zeit verbrachte er mit seiner Orden-Sammlung. Er fing damit an, als er zweiunddreißigjährig eine Kiste voll von seinem Großvater erhalten hatte. Damals begann er die Stücke zu ordnen, ergänzen und zu erneuern. »Wieso gibt es überhaupt Orden«, hatte er damals seinen Großva ter gefragt. »Darüber streiten sich noch die Geister«, hatte der alte Herr erwi dert. »Schon die alten Römer haben der Eitelkeit siegreicher Feldherrn Rechnung getragen und ihnen die ›Corona aurea‹, goldene Ketten, Armbänder, Brustschilder oder Spangen verliehen. Ich glaube, der wahre Grund liegt darin, dass die, die sich die meisten Orden wün schen, beziehungsweise sie an die Brust hängen - Schüchterne sind, die in ihrem Leben nicht erreichten, was sie eigentlich wollten. Mit ei nem Orden im Knopfloch, sagt sich das Gegenüber sofort, aha, sieh mal an, er hat etwas Besonderes vollbracht. Man wird auf ihn auf merksam. Verstehst du, was ich damit meine?« Daran hat sich bis heute nichts geändert. Es hat nach wie vor sei ne Gültigkeit. In vierzig Jahren hatte Major Moorland aus fast allen Ländern der Welt, etwa fünfzehntausend Orden zusammengetragen. Sie lagen ge ordnet, blank poliert hinter Glas, auf rotem Samt in Schränken, Vitri nen und Buffets. Da gab es glänzende Georgskreuze, Goldene Rosen, St. OlafsOrden, Kaninenkreuze, aber auch Orden von Russland und den Ost block-Staaten. In einer anderen Vitrine gab es Verdienst-Orden im Feuerlösch- und Grubenrettungswesen. Hinter dickem Glas waren fein ziselierte Ritter, Pfeile, aus Gold gehämmerte Eichen-, Lorbeer-, Blumen-, Gras- und Olivenkränzchen. Auch das Großkreuz des thailändischen Ordens des Weißen Elefanten und der mexikanische Orden vom aztekischen Adler. Aber das war noch lange nicht alles. Die schönsten Stücke lagen auf rotem Samt. Sie wurden beson ders gepflegt und behütet. Es waren Kronen, die über Kreuzarmen 14
schwebten, grün emaillierte Eichengewinde und weiß emaillierte Ster ne mit goldenen Kugeln an den Spitzen. In einer anderen Schatulle lag der Orden der preußischen Krone das Großkreuz. Das Kreuz ist aus Gold, mit großem Band und Stern. Dieses Ding war eine Rarität und kostete ein kleines Vermögen. Doch der absolute Knüller in Moorlands Sammlung war ein VliesOrden von 18 Karat Gold, der schon wegen seiner Größe und seines Gewichts einen enormen Wert darstellte. Auch der Rote Adler-Orden des Deutschen Kaisers Wilhelm der II., gehörte zu den Kostbarkeiten der Sammlung. Dazu kam noch der Lazarus und Abendland-Orden. Dann gab es eine Reihe von Ehrenzeichen, Verdienstzeichen, Ret tungsmedaillen, kleinen Kreuzen, silbernen, bronzenen, eisernen, mit und ohne Band und für jedes dieser Gepränge opferte der Major viel von seiner Zeit und Energie. Für seine Umgebung entfaltete er weit weniger Energie. Major Moorland hatte so gut wie keine Freunde und auch die Nachbarn kümmerten ihn ziemlich wenig. Es gab zwar keine Gehässigkeiten, aber er mochte diverse Quat schereien nicht - was ihm manche sehr übel nahmen und ihn einen eingebildeten Affen nannten. Gab es aber ernste Probleme, so nahm er sich der Person an und schenkte ihr seine Zeit und Aufmerksamkeit. Eine Eigenschaft, die den Schwätzern absolut unbekannt ist. Moorlands einziges Kind, eine Tochter, war schon lange außer Haus. Patricia war mit ihren dreißig Jahren eine bemerkenswert selb ständige junge Frau. Sie hatte in Cambridge studiert und wenn sie dort auch nicht viel von dem gelernt hatte, was ihr später einmal nützlich sein konnte, so hatte sie doch wenigstens eine Menge Freunde aufge lesen. Es war ganz natürlich, dass sie das gesellige Leben eines kleinen Provinznests zu Tode langweilte. Jedenfalls war sie auf einer nie en denwollenden Weltreise, die nur selten einmal von einem Aufenthalt in Hinderwell unterbrochen wurde. Das Ehepaar Moorland war es gewohnt, regelmäßig jedes Jahr im Frühling einen Monat Ferien zu machen. In diesem Jahr hatte der Ma 15
jor sich einer Gesellschaft angeschlossen, die auf den Shetland-Inseln die Spuren der Wikinger verfolgte. Bei solchen Anlässen wurde das Haus einer Wach- und Schließge sellschaft anvertraut. Aber auch Eiren Ridd, Mr. Moorlands einziger Freund, nahm sich des Hauses und Gartens an. Mr. Ridd gehörte schon zum Inventar der Landschaft. Er besaß ein hübsches kleines Häuschen, etwa zweihundert Meter von den Moor lands entfernt. Er war Witwer. Sein Interesse galt vor allem der Litera tur und Malerei, aber er half auch Moorlands Ordensammlung zu ver größern. Wo er nur konnte, stöberte er neue auf. An seinem letzten Geburtstag war er achtundsechzig Jahre ge worden. Sein Unternehmungsgeist war noch immer groß. Er hielt sein Haus und seinen Garten so tadellos wie einen Kasernenhof in Ord nung, rauchte gelegentlich eine Zigarre, kochte sich das Essen selbst, sorgte für einen Kanarienvogel und einen Hund. Viele Orden, die Norman Moorland besaß, verdankte er Mr. Ridd. Er hatte einen sechsten Sinn für das Aufspüren dieser Dinger und je nach Wert des Stückes, kassierte er Provision. Obwohl Eiren Ridd wusste, dass Moorland mit seiner Frau in einer Woche in die Ferien fahren würde, versuchte er noch schnell ein Ge schäft mit ihm abzuschließen. Natürlich handelte es sich auch diesmal um Orden. Ridd hatte wieder welche ausfindig gemacht und erhoffte sich ein gutes Geschäft. »Sagten Sie Waghorn?«, fragte der Major. »Der Name klingt mir bekannt. Ich habe ihn schon mal gehört.« »Sicher haben Sie das«, erwiderte Ridd. »Thomson Waghorn war einst in Finanzkreisen ein großer Name.« »Natürlich«, rief Major Moorland aus. »Als ich noch in der City war, habe ich öfters von ihm gehört.« »Die heutige Finanzwelt kennt ihn nicht mehr«, sagte Ridd. »Er hat schon vor langer Zeit seine Anteile verkauft, oder was die Finanz leute sonst tun, wenn sie ein ruhiges Leben führen wollen, verließ den Rummel Londons und zog nach Middlesbrough. Er pachtete den Besitz eines verarmten Lords, der sich dessen Unterhalt nicht mehr leisten konnte.« 16
»Sie besuchten ihn doch nicht wegen seines Namens?«, meinte der Major. Eiren Ridd kicherte. »Deswegen nicht - aber er hat eine kleine Sammlung von auserle senen Orden zu verkaufen und ich dachte mir, ob Sie die nicht viel leicht einmal ansehen möchten?« »Wenn sie interessant ist?« »Und ob«, erwiderte Ridd ein wenig ungeduldig. Er hörte bereits die Kasse klingeln. »Gestern habe ich ihn besucht und ihm von unse rem Kommen erzählt. Es wäre gar nicht übel, wenn wir Dienstag nächster Woche nach Middlesbrough hinüberfahren und Sie sich die Sammlung ansehen würden, Major!« »Das wäre möglich«, sagte Moorland. »Am Mittwoch fahren wir in die Ferien... Wissen Sie, um welche Stücke es sich handelt?« »Phantastische Dinger«, antwortete Ridd, »mehr will ich nicht ver raten.« »Braucht Waghorn Geld?« »Ach wo. Er hat bloß kein Interesse für diese Sachen und da er nicht möchte, dass die Dinger Schimmel ansetzen...« Wenn Ridd einmal von jemanden erzählte, war er nicht mehr vom Thema abzubringen. Obwohl Moorland kein Interesse an dem Privatleben Waghorns hatte, blieb ihm nichts anderes übrig als zuzuhören. »... wirklich, ich möchte nicht wissen, was auf den Dachböden der Leute für Wertgegenstände vermodern... Nun, wenn schon«, meinte Ridd, »diese Orden scheinen wir vor dem Untergang gerettet zu haben - nicht wahr, Major?« Moorlands leichtes Zusammenfahren verriet, dass er mit den Ge danken anderswo gewesen war. Doch er beantwortete die Frage trotz dem rasch. »Sie sorgen schon dafür, dass nichts verloren geht, Mr. Ridd. So ist es doch, oder? Warum bringen Sie mir eigentlich nicht einmal einen Orden von der Schweiz, Irland, Uruguay oder Costa Rica?« »Sie scherzen wohl, Major! Sie wissen ganz genau, dass es in die sen Ländern gar keine Orden gibt.« 17
*
Es war ein vernichtender Schlag! Es hätten die besten Ferien aller Zei ten werden sollen und ausgerechnet jetzt musste das passieren. Mrs. Moorland war gestern noch völlig gesund gewesen und heute war die Sache mit dem Blinddarm gekommen. Agnes wurde in die Kli nik gebracht und der schöne Urlaub war im Eimer. »Macht nichts«, sagte Major Moorland zu Mr. Ridd. »Ich werde umdisponieren - ist ja nicht zu ändern!« Trotzdem war er ziemlich enttäuscht und niedergeschmettert. Er fragte sich, wie er bloß die Woche überstehen sollte und wünschte sich bei seinem Club zu sein. Doch dann fiel ihm ein, dass er schon lange die Bibliothek in Ordnung bringen wollte. In der Rumpelkammer stand noch immer ein riesiger Schrankkof fer voll mit Büchern und Noten, die er vor gut eineinhalb Jahren einem bankrottgemachten Antiquitätenhändler in Darlington abgekauft hatte. Außerdem standen dort einige mit weißen Laken bedeckte Möbel stücke, zwei kaputte Schrankuhren, ein altes Fahrrad und ein ziemlich großes Puppenhaus, das einst Patricia gehört hatte. Der Major öffnete den Koffer, der schon mehr eine Truhe war und nahm eine Handvoll Bücher heraus. Dann ging er durch einen kurzen Korridor, stieg ein paar Stufen hinunter, öffnete eine Tür und stand in einem kleinen Raum. Hier in diesem Zimmer wollte er die Bücher zuerst unter die Lupe nehmen. Moorland ging zum Fenster und sah in den Garten hinunter. Weit hinten in der Ferne, in schwachen Umrissen, konnte er Darlington sehen. Nachdem der Major eine ganze Weile aus dem Fenster gesehen hatte, begann er sich mit den Büchern zu beschäftigen. Er wusste, wie wertvoll manchmal Ausgaben sein konnten, vor allem wenn es Erst ausgaben waren. Doch dieser Stoß schien nichts Wertvolles zu enthal ten. Es waren einige naturgeschichtliche darunter, mit vielen Bildern und Zeichnungen. Dem Major gefiel diese Art recht gut. Er fühlte sich 18
stets der Natur verbunden. Er blätterte eine Weile darin herum und entdeckte dann schließlich einen Stoß voll beschriebener Notenblätter. Moorland setzte sich an sein altes Klavier und spielte die Musik des ihm unbekannten Komponisten. Sie klang sehr frisch und lebhaft. Doch zu den Modernen gehörte der Mann, der diese Noten geschrie ben hatte, nicht. Erst Eiren Ridds Stimme holte Moorland in die Wirklichkeit zurück. »Es ist ein Ohrenschmaus, Major - ich wusste gar nicht, dass Sie so gut spielen können!«, sagte Ridd. »Es hört sich an wie ein Menuett von Haydn oder Mozart.« »Weder noch«, erwiderte Moorland. »Ich habe die Noten zusam men mit Büchern vor gut achtzehn Monaten bei einem Altwarenhänd ler gekauft. Heute habe ich zum ersten Mal...« »Das ist ja interessant«, unterbrach Ridd, »womöglich stammen diese verblichenen Notenblätter von einem alten Meister.« »Möglich«, meinte der Major, »aber die Blätter sind nicht signiert. Wahrscheinlich ist es ein französischer Komponist. Das meiste scheint Kirchenmusik zu sein. Finden Sie nicht auch?« Eiren Ridd erwiderte kein Wort. Er stapelte die vergilbten Noten blätter von Moorland auf das Klavier und forderte ihn auf zu spielen. Der Major spielte ein Stück nach dem anderen. Seltsame, geheim nisvolle Klänge taten sich auf. Alle beide hatten so etwas noch nie ge hört. Mehrfach hatte der Major das Empfinden, etwas zu tun, was er schon vor langer Zeit einmal getan hatte. Es war nur ein flüchtiger Eindruck, der schnell wieder verschwand, ehe er ihn richtig zur Kennt nis nehmen konnte. Das Interesse an der merkwürdigen Musik nahm sie voll und ganz gefangen. Aber das alles kam Major Moorland erst später, als er darüber nachdachte, zum Bewusstsein. Rasch verging die Zeit. Die Schatten im Zimmer wurden länger. Als es noch dunkler wurde, bemerkte Moorland eine Gestalt in der E cke. »Sie machen immer denselben Fehler, Sir«, sagte eine ruhige Stimme. »Ja, immer an derselben Stelle...« 19
»Ich versuche es noch einmal«, erwiderte der Major und summte leise mit. Plötzlich ging die Tür auf und Ridd trat ein. »Es ist schon spät, Major. Wollen Sie nicht aufhören?«, sagte er und fügte hinzu: »Komisch, als ich den Korridor entlangkam, meinte ich Stimmen zu hören. Meine Phantasie muss mir da wohl einen Streich gespielt haben.« Moorland sah Eiren Ridd verwundert an, so als habe man ihn aus einem Traum geweckt. »Dann bis übermorgen, Major. Ich erwarte Sie um zehn in mei nem Haus.« Auch der nächste Tag verging für Moorland wie im Fluge. Er spiel te wieder auf dem Klavier und sah nicht den Mann, der schon eine Weile ums Haus schlich. Moorland war viel zu sehr mit der Musik be schäftigt, als dass er ihn bemerkt hätte. * Der Mann, der schon die ganze Zeit ums Haus schlich, hieß Tom Fag gus und war den Winter über in London. Als das Wetter besser wurde und der Frühling ins Land zog, hatte der Vierzigjährige das Gefühl, dass er vielleicht in Middlesbrough etwas finden könnte. Obwohl er gelernter Mechaniker war, ging er seit drei Jahren kei ner geregelten Arbeit nach. Faggus lebte wie andere Penner auch, hauptsächlich aus der Flasche, ließ sich vom Wind treiben und wenn es nichts mehr zu saufen gab, verrichtete er alle möglichen Arbeiten. Bisher hatte er sich schwer gehütet, irgendein krummes Ding zu drehen, aber plötzlich wollte er den großen Mann spielen. Er hatte das Herumzigeunern satt und träumte von einem Haufen Geld. Nach zehn Tagen Markt- und Gartenarbeit für einen Hungerlohn, war Tom Faggus in die Nähe von Hinderwell gekommen. Er hatte ein paar Pfund in der Tasche und fühlte sich wieder stark. Zwischen Middlesbrough und Hinderwell gab es eine Kneipe mit dem Namen ›Die Hoffnung‹. Vielleicht ist das ein Wink des Schicksals, dachte er. 20
Faggus konnte sie natürlich nicht auslassen und sein Geld schmolz wie Eis in der Sonne. Abends, als nur mehr wenig Gäste im Lokal waren, spendierte der Wirt einen Drink und begann Faggus auszuquetschen. Als er alles wusste, begann er von der Umgebung zu erzählen. Der Wirt war ein Mann, der gern erzählte und jemanden brauchte, der ihm zuhörte. Tom Faggus interessierte sich nicht groß für die Geschichten des Wirts. Er war heilfroh, dass er hier sitzen und gratis einen Humpen Ale trinken konnte. Doch als der Wirt von den Reichen der Umgebung sprach, spitzte Faggus die Ohren. Ein paar gute Tipps konnte er brauchen. Er versuchte sich zu erinnern, wo überall große, vornehme Villen standen. Eine schien besonders in seinem Gedächtnis hängen geblie ben zu sein. »Meinen Sie das große Haus zur Linken, wenn man von der See her zum Dorf kommt?«, fragte Faggus. »Was in einem großen Garten steht?« »Genau«, stimmte der Wirt zu. »Das lange Haus mit dem Säulen vorbau an der Nord-Street.« Tom Faggus hatte sich's eine ganze Weile angesehen, als er daran vorbeigegangen war. Er wusste auch, dass es nicht leicht war ins Haus zu kommen. Vergitterte Fenster und starke Türen machten ein Ein dringen fast unmöglich. »Moorland heißt der Bursche«, begann der Wirt erneut, »soll schon als junger Mann ein Geizkragen gewesen sein, da können Sie sich vorstellen, was er in seinen alten Tagen für einer ist.« »Na, etwas Gutes wird ihm sein Geld schon eingebracht haben«, meinte der Landstreicher. »Na und ob«, erwiderte der Wirt. »Er hat ein ganz schönes Ver mögen und...« »Und eine hübsche Frau dazu«, unterbrach Faggus. »Nein, nicht Moorland«, sagte der Wirt, »aber Lord Linchmere hat die hübscheste Frau in ganz England gekauft und das ist schon etwas. Es ist das weiße Haus mit dem großen Park, bevor man den Ort ver lässt. 21
Sie hat gedacht, sie könnte jetzt an die Kasse, aber mittlerweile weiß sie's besser.« »Die Frau von Lord Linchmere«, sagte Tom Faggus, um etwas zu sagen. »Sie war bestimmt eine feine Missis aus der Stadt.« »Sie war gar nichts«, erwiderte der Wirt mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Wenn sie der alte Lord nicht zu einer Lady gemacht hätte, wäre sie bis heute noch keine. Sie ist von London gekommen. Ein paar haben gesagt, sie wäre da auf einer Bühne gewesen, aber niemand wusste was Genaueres.« Der Wirt massierte sich die Stirn. Das tat er immer, wenn er nicht recht weiter wusste. »Der alte Lord war ein Jahr lang weg«, setzte er seine Erzählung fort, »und als er wiederkam, brachte er sie mit. Seitdem ist sie da. Der Butler hat mir mal erzählt, sie wäre einmal das Licht des Hauses gewe sen, aber in den letzten Jahren entwickelte sie sich mehr und mehr zu einem bösen, griesgrämigen Hausdrachen. Heute ist sie einsam und duldet keinen Besuch im Haus.« Tom Faggus wurde von dem vielen Quatschen des Wirtes schon ganz duselig im Schädel. Er hätte noch gerne einen Humpen getrun ken. Da kam zu Faggus' Überraschung Leben in die müde Gestalt des Kneipenbesitzers. »Ich denke, wir genehmigen uns noch einen, Mister«, sagte der Wirt, als hätte er seine Gedanken erraten. »Geht natürlich auf meine Rechnung.« »Was?«, fragte Tom Faggus verblüfft. »Was sagten Sie?« Er wusste ganz genau, was der Wirt gesagt hatte. Er tat bloß so, als hätte er nicht richtig gehört. »Ja, ja«, fügte er großspurig hinzu, »so ist es mit den Weibern...« Der Lord und die Lady waren ihm vollkommen egal und das Ge schwätz des Wirtes auch, trotzdem hätte er gerne gewusst, wie dieser Moorland seinen Reichtum angelegt hatte. »Moorland haben wir jetzt ganz vergessen«, meinte Faggus ganz nebenbei. »Sie wollten doch etwas von ihm erzählen, Sir, nicht wahr?« 22
»Ja«, bestätigte der Wirt. »Der Alte hat eine Zunge wie ein Hor nissenstich. Was kann man von einem Ex-Offizier auch schon anderes erwarten. Redet nicht mit jedem...« Und dann erzählte der Wirt von Moorlands großer Ordenssamm lung, dass es die wertvollste von Europa wäre und dass sie der stärks te Mann nicht von der Stelle brächte, wenn man alles in einen Sack steckte. »Sind denn diese Dinger so viel wert?«, fragte Faggus. »Sehen Sie, Mister«, sagte der Wirt belehrend. »Aktien sind bloß Papierchen und bringen dem Mann der sie besitzt, mehr Gefahr als Gewinn. Aber Gold, Silber und dergleichen sind nie ein Risiko, Mister, oder?« Der Wirt machte eine Pause, zündete sich eine Zigarette an und gab auch Faggus Feuer. »Da ist was Wahres dran, Sir«, sagte der Landstreicher schließlich. »Ich hätte die Dinger mal gerne gesehen - aber da ist wohl nichts zu machen, was?« »Möchte ich nicht sagen«, erwiderte der Wirt. »Moorland sucht immer Arbeiter für kleine Reparaturen. Ich habe erst vor kurzem im Lokalanzeiger davon gelesen. Sie können ja mal vorbeischauen - viel leicht haben Sie Glück, dann können Sie sich die Dinger mal angu cken.« Tom Faggus nickte zwar, aber arbeiten war nicht seine große Stärke. Doch wenn es sich nicht anders machen ließ, musste er wohl oder übel in den sauren Apfel beißen. Fast die ganze Nacht lag er wach, unschlüssig, was er tun sollte. Er hatte nur mehr ein paar Schillinge in der Tasche und die Gelegen heit war günstig. Der alte Mann, die Sammlung, deren Gold und Silber man so leicht einschmelzen konnte. Tom Faggus war es, als würde man vor einem Halbverhungerten einen Laib Brot hinlegen und erwarten, dass er nichts esse. Eine Weile kämpfte er dagegen an, aber es hatte keinen Zweck. Faggus rieb sich nachdenklich das Kinn und schwor, dass er ent weder ein reicher Mann würde und alles Ungesetzmäßige für immer an den Nagel hängen konnte, oder dass er zur Hölle fuhr. 23
Am anderen Tag versuchte er sein Glück, wie der Wirt es ihm ge raten hatte - mit der Zeitungsanzeige. In diesem Augenblick konnte er nicht wissen, dass er dem Teufel näher als allen Reichtümern der Welt war. * Zunächst ging für Tom Faggus alles wie geplant. Major Moorland such te tatsächlich einen Mann für verschiedene Arbeiten. Ohne jegliche Anstrengung war er ins Haus gelangt. Das war Dienstag früh. Alle Räume waren sorgsam gepflegt, die polierten Möbel glänzten und das Kristall der Kronleuchter blinkte. Alles in diesem Haus schien kostbar zu sein. Tom Faggus verstand nichts von Kunst oder Antiquitäten und noch weniger von chinesischem Porzellan, aber die Vase, die auf einem So ckel in der Ecke des Wohnzimmers stand, fand auch er schön. Sie war ein kunstvoll gearbeitetes Überbleibsel aus dem kaiserli chen China. Über einem runden Sockel erhob sich eine elliptische Form, verlief in einen schlanken Hals und wurde vom Kopf einer Dog ge gekrönt. Der Rand bestand aus vierzehnkarätigem Gold. Ein zartes Muster zierte das zerbrechliche Porzellan. »Ein herrliches Stück, nicht wahr?«, sagte der Major. »So etwas gibt es heutzutage nicht mehr auf der Welt.« »Schönes Ding«, erwiderte Faggus anerkennend. Als er die vielen Wertgegenstände sah, war ihm sofort klar, dass er hier eine Goldgrube entdeckt hatte. Alte Herren rutschen oft in der Badewanne aus. Jedenfalls hatte er so etwas schon in der Zeitung gelesen. Niemand würde Verdacht schöpfen - niemand. »Können Sie auch arbeiten?«, wollte Moorland plötzlich wissen. »Ich mache Ihnen alles, was Sie wollen«, antwortete Tom Faggus beflissen. Er bemühte sich, keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Bis jetzt war alles bestens gelaufen. Wenn er weiterhin vorsichtig war, konnte 24
er ungestört die Räumlichkeiten durchsuchen und die besten Rosinen aus dem Kuchen picken. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was Sie alles zu reparieren ha ben«, sagte der Major ernst und warf seinen Kopf zurück, um durch die Brille sehen zu können. Er eilte vor Faggus her wie ein Geist mit der Kerze. Sie gingen durch mehrere Zimmer und kamen zu einer Tür, die verschlossen war. Der Major öffnete und sie gingen hinein. Das Zimmer war mittelgroß. Ringsum hingen Vorhänge. Eine Fuchsjagd war auf sie gemalt und im Luftzug sah es aus, als ob Pferde und Hunde über die Wände jagten. Sonst war in dem Raum nur noch eine Reihe von Schaukästen aus Walnuss mit Messingverzierungen. Sie hatten Deckel aus Glas und unter dem Glas sah Tom Faggus die langen Reihen der Orden. Viele waren aus Silber und Einige aus Gold. Ein paar waren so groß wie Kaffeetassen und ganz schön dick. Alle Dinger lagen auf ro tem Samt. Sie glühten und glitzerten in der elektrischen Beleuchtung. Faggus juckte es in den Fingern, an sie ranzukommen. Im Geiste schob er bereits sein Messer unter eins von den Schlössern, um es aufzubrechen. Auch der nächste Raum war voll von Vitrinen in denen es glitzerte und funkelte. Im Moment wusste er nicht, für welche Stücke er sich entscheiden sollte - aber das große goldene Ding, das vor ihm unter Glas lag, würde er auf alle Fälle mitnehmen. Es war der Orden vom Goldenen Flies. Eines der kostbarsten Stü cke in Moorlands Sammlung. Als der Major einen Augenblick aus dem Zimmer ging, versuchte Tom Faggus einen der Schaukästen aufzubrechen, aber Moorland war früher zurück als der Landstreicher vermutete und erwischte ihn gera de dabei wie er versuchte die Glasscheibe einzudrücken. Der alte Moorland stand wie versteinert im Türrahmen. Entsetzen malte sich auf seinem Gesicht. Er war viel zu bewegt, um sprechen zu können. Seine Überraschung und sein Ärger zeigte sich in seinen er regten Händen und verkrampften Zügen. 25
Zweimal versuchte er zu sprechen, beide Male misslang es ihm. Endlich kamen die Worte langsam, eins nach dem andern, über seine zittrigen Lippen. »Mann! Sind Sie wahnsinnig geworden?«, sagte der Major keu chend! Die plötzlichen Worte ließen Faggus das Blut gefrieren. Mit blas sen, geöffneten Lippen starrte er auf den alten Mann. »Ich probiere nur das Glas aus«, verteidigte er sich. »Es ist über haupt nichts geschehen!« »Machen Sie, dass Sie hier wegkommen«, sagte der Major, »Raus... Gehen Sie mir aus dem Weg... Lassen Sie meine Sammlung in Ruhe!« Tom Faggus wandte sich wieder der Vitrine zu. Hier lag genug, um all seine Träume zu verwirklichen. Er ließ sich von dem alten Mann nicht aus der Ruhe bringen. Eine Handvoll Gold, mehr brauchte er nicht. Für den Alten blieb noch immer genug übrig. »Verschwinden Sie«, sagte Moorland mit scharfer Stimme, »sonst rufe ich die Polizei... Sie Teufel... Sie möchten wohl gerne meine Or den klauen, was?« Statt einer Antwort, sah der Major eine schnelle Bewegung - plötz lich war ihm, als zerberste der Himmel mit fürchterlichem Krachen. Flammen schossen durch die Luft und Dunkelheit umfing ihn... * Hinderwell hatte keine eigene Polizeistation. Als Major Moorland am Donnerstag nicht zum geplanten Rendezvous kam, wollte Eiren Ridd nach Middlesbrough fahren - aber dann traf er Constabler Harker. Ge meinsam besichtigten sie Moorlands Haus. »Merkwürdig«, sagte der Constabler, »da stimmt etwas nicht.« Das Haus war von innen verschlossen, Harker sah deutlich den Schlüssel stecken. Durch ein Fenster im Erdgeschoß, alle Fenster im Haus waren vergittert, sahen die beiden Männer Major Moorland hinter einem halbgeöffneten Vorhang in einem Sessel zusammengesunken. 26
Sein Morgenmantel war hoch gerutscht, so dass es aussah, als hätte er einen riesigen Buckel. Sein Kopf mit der Nickelbrille auf der Nase hing zur Seite, der Mund war offen wie der eines toten Fisches. Eine Verletzung konnte der Constabler aus dieser Perspektive nicht erkennen. »Sieht nicht gut aus«, sagte er. »Das wird eine böse Geschichte. Ich werde sofort Hauptpolizeimeister Conant verständigen. Ich glaube, jemand hat Mr. Moorland ermordet...« Eiren Ridd war so erstaunt, dass er einige Sekunden kein Wort he rausbrachte. »Was!«, rief er ungläubig. »Sie wollen doch nicht sagen, hier wäre ein Verbrechen geschehen? Weswegen hätte man den Major ermorden sollen?« »Was weiß ich«, erwiderte Harker, »für einen Mord gibt es immer tausend Gründe.« Eine halbe Stunde später telefonierte der Hauptpolizeimeister be reits mit Darlington. »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte Conant nach der üblichen Begrü ßungsformel. »Hier ist eine merkwürdige Sache passiert - Einzelheiten kann ich keine angeben, aber es sieht bedenklich nach einem Mord aus. Wenn Sie einen Ihrer hellen Köpfe herschicken könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar.« »Wir stehen unseren Grafschaftskollegen stets zur Verfügung«, erwiderte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Wo soll er hin kommen?« »Nach Hinderwell«, sagte der Hauptpolizeimeister. »Das liegt vierundzwanzig Meilen von Middlesbrough entfernt.« »In Ordnung«, sagte die Stimme. »Am Nachmittag wird jemand bei Ihnen sein - Wiederhören.« Der Mann in Darlington hängte ein, sah die Dienstliste durch und rief dann nach Inspektor Elstree, den man in Darlington und überall nur unter dem Namen ›Edward‹ kannte. Das kam daher, weil Benn Elstree eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem ehemaligen König Ed ward hatte. 27
»Tut mir leid, Edward«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch, als der Inspektor erschien. »Ich glaube, Ihr Wochenende geht Ihnen durch die Lappen. Die Grafschaftspolizei in Middlesbrough braucht sofort einen Mann und wir haben im Augenblick nur Sie. Nehmen Sie es nicht allzu schwer!« Edward lächelte. »Das ist doch Normalzustand! Was ist denn los?« »Wahrscheinlich Mord«, antwortete der andere. »Einzelheiten ha be ich nicht erfahren.« Er berichtete kurz über das Gespräch. »Sie werden es schon schaffen. Gute Jagd!« Inspektor Edward verlor keine Zeit. Was er brauchte, hatte er bald beisammen. In seinem Bürozimmer war immer alles griffbereit. Er gab einem seiner Leute noch Anweisungen wegen anderer Fälle und star tete seinen Wagen kurz vor Mittag. Am liebsten wäre er mit dem Zug gefahren, aber das hätte zu lan ge gedauert. Die Zeit war zu einem unsichtbaren kostspieligen Gegner geworden, die sich nur mehr Idealisten leisten konnten und schon gar nicht ein Polizist. Auf der Schnellstraße kam er recht gut voran. Aber die Landstra ßen hatten es in sich. Wäre Edward ein nicht so gewandter Fahrer gewesen, hätte er die Zeit bestimmt nicht einhalten können. Doch trotz der vielen Kurven holte er eine recht ansehnliche Geschwindigkeit heraus. Um vier war der Inspektor in Middlesbrough bei Hauptpolizeimei ster Conant. Nach einer knappen halben Stunde kamen sie in die klei ne Ortschaft. »Das ist Hinderwell«, sagte Conant. »Früher gab es hier sogar ei nen Bahnhof - aber das ist schon lange her. Wir haben jetzt noch drei Meilen.« Sie folgten einer Straße, die zunächst schnurgerade verlief. Kurz danach erreichten sie eine Brücke, hinter der eine Kiefernschonung lag. »Hier beginnt der Naturschutzpark«, sagte Conant. Nach einer halben Meile fuhr Edward langsamer, bog scharf rechts in einen Pfad ein, der eigentlich mehr eine Schneise war. Von hier führte ein Landweg ab, an dessen Ende Moorlands Haus stand. 28
Es dauerte noch einige Minuten, bis sie an Ort und Stelle waren. Ein Constabler stoppte den Wagen und der Inspektor hielt. »Nun, Constabler, gibt es etwas Neues?«, fragte der Hauptpoli zeimeister. »Sie haben doch darauf geachtet, dass rund ums Haus nichts berührt wurde? Hier ist Inspektor Edward. Erzählen Sie ihm, was Sie wissen.« Der Constabler stand stramm und grüßte. »Ich heiße Harker, Constabler in der Polizei von Stockton, statio niert in Middlesbrough. Am Donnerstag, den 27. April, um 11 Uhr Vormittag...« Inspektor Edward hob abwehrend die Hand. »Machen Sie keine Umstände, Constabler, Sie werden hier ja nicht unter Eid vernommen. Erzählen Sie den Vorgang wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist, so einfach wie möglich und - stehen Sie be quem, ich fresse Sie nicht!« Ein Mord war in dieser Gegend so selten, dass Harker die MordInspektoren nur aus Kriminal-Romanen kannte. Seine Befangenheit vor einem so hohen Tier schwand nun sichtlich. Harkers verkrampfte Haltung wurde lockerer und er begann natürlich zu sprechen. »Ich machte gegen 10 Uhr 30 gerade meine Runde«, begann er, »als ich auf halbem Weg Mr. Ridd traf. Er berichtete mir, dass er heute um Neun mit Mr. Moorland verabredet war, dieser aber nicht zum Treffpunkt erschienen sei. Mr. Ridd und ich gingen zum Haus und da entdeckten wir durch ein Fenster Mr. Moorland, tot in einem Sessel sitzen. Danach verständigte ich Hauptpolizeimeister Conant...« »Fein«, sagte der Inspektor, »ist Mr. Ridd hier?« Der Constabler bejahte. »Haben Sie alle Anordnungen getroffen, die ich Ihnen gab?«, fragte Conant. »Natürlich, Sir«, erwiderte Harker. »Alle Leute sind hier, die Sie haben wollten. Dr. Gray, ein Schlosser, Mr. Ridd, ein Mann von der Zeitung und die Ambulanz wird auch gleich eintreffen, damit der Tote weggebracht werden kann. Sie warten alle drüben im Gartenhaus, damit niemand etwaige Spuren vernichten kann.« 29
»Ausgezeichnet«, lobte Edward. »Man könnte meinen, Sie kom men vom Yard.« Harker machte eine abwehrende Handbewegung, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt und brachte den Inspektor zum Gartenhaus. Dr. Gray war Landarzt und ein Mann in mittleren Jahren. »Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen, Inspektor«, sagte er, als Edward sich vorgestellt hatte. »Ihr Name ist mir schon öfters in der Zeitung begegnet - hoffentlich haben Sie hier genauso viel Erfolg.« »Das hängt von vielen Dingen ab«, erwiderte Edward. »Kleinigkeiten zum Beispiel, erzählen ihre Geschichten. Wenn jemand mit seinen Schuhen ein sauberes Zimmer betritt, so kann man sagen, woher er kommt, welchen Beruf er ausübt und was er gerade vorher getan hat. Das ganze Geheimnis ist vielleicht, die richtigen Schlüsse im richtigen Moment zu ziehen. Aber auch eine einwandfreie Diagnose der Todes ursache ist wichtig.« Am wenigsten konnte es Mr. Ridd erwarten, seine Geschichte an den Mann zu bringen, doch im Augenblick war der Inspektor auf die Aussage gar nicht neugierig. Während sich der Schlosser an der Haus tür zu schaffen machte, in der innen der Schlüssel steckte, traf auch der Ambulanzwagen ein. Dr. Grays Untersuchung dauerte nicht lange. Er machte sich einige Notizen. »Da gibt es nicht viel zu sagen«, meinte er schließlich. »Der Riss in der Schädeldecke sagt eigentlich alles.« Er dachte kurz nach, ehe er fortfuhr: »Für die Entstehung gibt es natürlich zwei Möglichkeiten, von denen die eine wahrscheinlicher ist als die andere: Entweder er kommt von einem schweren Schlag mit einem stumpfen Instrument, zum Bei spiel einem Spazierstock, oder der Tote wurde mit dem Kopf heftig gegen einen harten Gegenstand geschleudert, etwa die scharfe Kante eines spitzen Steines. Aber dann müsste man eigentlich annehmen, dass auch andere Knochen verletzt wären und soweit ich es feststellen konnte, ist das nicht der Fall.« »Dieser Knochenbruch ist auch die Todesursache?«, fragte Ed ward. 30
»Das ist absolut richtig«, erwiderte Dr. Gray. »Und wie lange ist der Mann tot?« »Das lässt sich nicht mit Sicherheit sagen - aber zwei Tage ist es schon her.« Nachdenklich rieb sich der Inspektor das Kinn, dann nahm er sei ne Pfeife aus der Tasche, strich sich ein Zündholz an und hielt es an den Pfeifenkopf. Gedankenverloren zog er am Mundstück und betrach tete den Arzt. Dann schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, hatten sie einen intensiven Glanz, er beugte sich vor und sagte: »Könnte es nicht sein, dass der Mann die Treppe hinunterstürzte, sich zu diesem Sessel schleppte und dann starb?« Dr. Gray schüttelte den Kopf. »Das halte ich für ganz unmöglich. Da müsste schon jemand mit einem ordentlichen Tritt nachgeholfen haben, aber davon abgesehen, hatte der Schlag den augenblicklichen Tod zur Folge.« Dr. Gray sollte Recht behalten. Kurz darauf fand Constabler Harker einen blutbesudelten Spazierstock, der als Tatwaffe angesehen werden konnte. Bei einer aufgebrochenen Vitrine wurden ebenfalls Blutspuren ge funden. Als dann das Fehlen einiger wertvoller Orden entdeckt wurde, wusste der Inspektor, dass es sich um einen Raubmord handelte. Mit Hilfe der beiden Polizisten sicherte er alle Spuren im Haus, fo tografierte die Leiche und ließ sie dann abtransportieren. Edward hatte das Haus vergebens nach Einbruchspuren abge sucht. Es wurde von oben bis unten durchkämmt. Nicht nur für ihn, sondern auch für alle anderen war es ein Rätsel, wie der Mörder trotz verschlossener und verriegelter Tür, das Haus verlassen konnte. Das war ein Umstand, den er erst Monate später klären sollte. Als ersten Zeugen nahm Edward Mr. Ridd vor. »Erzählen Sie alles von Anfang an. Lassen Sie nichts aus. Alles ist wichtig.« 31
Mr. Ridd berichtete ausführlich seine Geschichte. Der Inspektor unterbrach ihn nicht, ließ ihn reden und kritzelte nur hin und wieder ein paar Notizen auf ein Blatt Papier, das vor ihm auf dem Tisch lag. Als Ridd geendet hatte, stand Edward auf und trat zum Kamin. Keine Flämmchen zuckten, die kalten schwarzen Ziegel glotzten ihn an und sahen zu, wie sich aus der Pfeife dünner blauer Rauch kringelte. Der Inspektor wandte sich um. »Zweifellos interessant Ihre Geschichte, Mr. Ridd«, bemerkte er, »aber sie ergibt keinerlei Hinweise auf die Tat.« Der Mann starrte ihn enttäuscht an. Er war überzeugt, dem In spektor wichtige Hinweise geliefert zu haben, aber in Wirklichkeit hatte er nur unwichtiges Zeug geredet. Edward suchte nach weiteren Zeugen in der Nachbarschaft, aber niemand hatte etwas Ungewöhnliches bemerkt. Lediglich ein Mann erinnerte sich, in der Nacht ein Licht in Moorlands Haus gesehen zu haben, aber er war sich nicht sicher, ob es wirklich stimmte. Am nächsten Tag erzählte der Wirt ›Zur Hoffnung‹, dass er einen Landstreicher gesehen habe, der sich in der Gegend herumtrieb. Er gab eine ungenaue Beschreibung und log sooft er den Mund aufmach te. Die Tage vergingen und niemand wurde gefunden, auf den die Beschreibung des Landstreichers passte. Mittlerweile bekam Edward auch die Analyse der beiden Blutspu ren zugestellt. Das Blut auf dem Stock war von dem toten Mr. Moor land, doch die Blutspritzer auf der Vitrine gehörten einer anderen Blut gruppe an. Als dieser geheimnisvolle Landstreicher nirgends gefunden werden konnte, warf der Inspektor seine Ermittlungen um hundertachtzig Grad herum und versuchte die Nachforschungen auf die gestohlenen Orden zu legen. Er fuhr nach London, um sich mit einem Ordengeschäft in Verbindung zu setzen. Doch zuvor ging er zu einem Freund, der hauptsächlich mit Münzen handelte. Er wollte wissen, ob es einen Or den gibt, für den ein echter Sammler einen Mord begehen würde. * 32
»Das ist vielleicht eine Frage«, sagte Edwards Freund. »Du müsstest doch selbst am besten wissen, dass es tausend Motive für einen Mord gibt.« »Sicher«, erwiderte der Inspektor. »Aber ich muss jede Möglich keit in Betracht ziehen. Wenn ein Ordensammler ermordet wird, dann suche ich nach dem Orden.« »Wer weiß schon, was in den Köpfen der Menschen vorgeht«, er widerte der Freund. »Du weißt ja, dass schon Leute wegen einer Handvoll Schillinge auf offener Straße getötet wurden. Meine Leidenschaft sind Teppiche. Ich habe immer davon ge träumt, einen der seltsamen persischen Teppiche aus der Zeit Xerxes zu besitzen - kein Teppich gewöhnlicher Art, sondern jenen fast sa genhaften Goldteppich, von dem man erzählt, er sei aus einem Materi al, das nicht von der Erde stammt. Der Beschreibung nach soll er so dünn sein wie Papier, so weich wie das Fell eines Panthers und so farbig wie der Regenbogen zwi schen Gewitterwolken.« »Gibt es diesen Teppich?« »Das Gerücht will wissen, dass es einen im Palast des Königs von Arabien gibt und einen in Brasilien - aber es ist nur ein Gerücht. Ich habe nie einen Menschen getroffen, der einen solchen Teppich mit eigenen Augen gesehen hätte. Wahrscheinlich stammen von ihm auch die Geschichten vom fliegenden Teppich. Würde ich für so eine Kostbarkeit töten? Das hinge ganz von den Umständen ab. Ein Landstreicher schätzt den Wert nur nach dem Ma teriellen ab. Er ist ja kein Sammler, will das Stück ja nicht behalten, sondern zu Geld machen. Ich gebe dir eine Adresse, die können dir mehr über Orden sagen als ich.« * Inspektor Edward erfuhr, dass es eine ganze Anzahl kostbarer und seltener Orden gab, für die Sammler jeden Preis zahlen würden. 33
»Eine Rarität ist nach wie vor noch immer das Goldene Vlies«, sagte die alte Dame in dem Ordengeschäft. »Er wird nur im Hochadel verliehen und jeweils den Sprösslingen in die Wiege gelegt. Deswegen ist er auch besonders begehrt.« »Und wenn ich Ihnen einen anbieten würde, was würden Sie ge ben?« »Das kommt darauf an. Als ich das letzte Mal im Kensin - das ist der britische Katalog - nachgesehen habe, es dürfte 1975 gewesen sein«, sagte die Dame, »wurde er mit knapp 12000 Pfund geführt. Mittlerweile sind die Goldpreise kräftig in die Höhe geklettert. Sagen wir, ich würde Ihnen Fünftausend geben.« »Aber Sie sagten doch...«, begann Edward. »Ich weiß, worauf Sie hinauswollen«, erwiderte die alte Dame freundlich. »Aber so einfach ist die Sache nicht. Sehen Sie, es kommt auf den Orden an. Wenn es sich um einen Originalorden handelt dann, ja, dann können Sie jeden Preis verlangen. Davon gibt es aber nur eine begrenzte Anzahl. Ich habe die Zahl momentan nicht im Kopf...« »Originalorden?« »Es gibt eine Menge Fälschungen«, erwiderte die alte Dame. »Diese Orden besitzen nur den Materialwert, da sie ja nicht die Brust eines Helden zierten.« »Jetzt verstehe ich«, sagte Inspektor Edward. »Das ist so ähnlich wie Briefmarken auf Originalpapier. Wenn nun solche Originalorden gestohlen werden, welche Aussichten bestünden für den Dieb?« »Kein seriöser Händler oder Sammler würde sich die Finger daran schmutzig machen«, erwiderte die Dame. »Aber es gibt einige Samm ler im Nahen Osten und einen in Paris, die kaufen alles, was ihnen unterkommt, aber natürlich um einen beträchtlich geringeren Preis.« Sie versprach dem Inspektor die Augen offen zu halten, aber die Spur verlief wie alle anderen im Sande. Nirgends tauchten die gestoh lenen Orden auf. Auch ein Gespräch mit Mrs. Agnes Moorland in der Klinik ergab keinerlei Hinweise auf die Tat. Fest stand nur, dass der Major von ei nem Unbekannten ermordet wurde. 34
Noch immer stand die große Frage offen, wie konnte der Mörder das versperrte Haus verlassen. Wenn Edward diesem Geheimnis auf die Spur kam, dann wäre vielleicht der Mordfall geklärt. »Alte Häuser haben ihre Geheimnisse wie Beichtstühle«, sagte der Constabler. »Man weiß von ihnen so wenig wie von Menschen.« Edward sah in Gedanken ein Gewirr von winkeligen, schief anein ander gelehnten Gebäuden, die ihn spöttisch aus schmalen Fenstern angrinsten. Manche waren niedrig, fast ebenerdig. Backsteinbauten, die der Nebel der Zeit mit einer schwarzen Rußschicht überzogen hat te. »Ja«, erwiderte der Inspektor schließlich. »Häuser sind wie Men schen, sie haben eine Seele. Wir kommen ihnen nicht auf die Spur.« »Wie dem Mörder«, meinte Harker. »Warum gibt sich der Täter so viel Mühe?« »Vielleicht, weil er intelligent, oder ein Idiot ist«, erwiderte der Constabler. »Die meisten sind ohnehin pathologische Fälle, so steht es jedenfalls in den Kriminalromanen und wenn da jemand aus der Reihe tanzt, dann ist ihm schwer auf die Schliche zu kommen.« »Das glaube ich auch, Harker«, meinte Edward. »Kommen Sie wir wollen Conant nicht warten lassen...« Bevor der Inspektor zurück nach Darlington fuhr, schaute er nochmals bei Hauptpolizeimeister Conant hinein. Der Polizeichef von Middlesbrough servierte einen ausgezeichneten Portwein und bot Ha vanas an, die Edward und Constabler Harker mit Genuss rauchten. Den ganzen Tag über war der Inspektor schlechter Laune, weil er in diesem verflixten Mordfall kein Licht sah. Plötzlich stieg ihm das schwere, ungewohnte Aroma der Zigarre in den Kopf. Inspektor Edward lehnte sich zurück und blickte träumerisch in die bläulichen Kringel, die aus der Zigarre aufstiegen. Verschwommen sah er ein Gesicht vor seinen Augen und wie aus weiter Ferne hörte er eine Stimme, doch alles löste sich in einen schwebenden Rauchdunst auf. Edward kam es vor, als triebe er selbst in diesem Dunst dahin, nur die Stimme war geblieben. »Wenn Sie eine Stecknadel verstecken wollen, wo wird man sie am wenigsten suchen? In einem Stecknadelkissen! Wo ist ein wertvol 35
ler Gegenstand am sichersten verborgen? Dort, wo er hingehört: In einer Bank oder einem Museum! Wo ist der sicherste Ort für einen Mörder? Folgen Sie meiner Logik und Sie werden ihn finden!« Plötzlich beugte sich der Inspektor vor und flüsterte: »Glauben Sie an Geister, Sir?« »Geister?«, antwortete Conant ungläubig. In diesem Augenblick schrillte das Telefon. Edward kam wieder zu sich. Ihm wurde bewusst, dass er den Wein zu schnell getrunken hat te. Der schwebende Nebel in seinem Blickfeld war verflogen und er sah alles wieder deutlich vor sich. »Entschuldigen Sie, es war eine dumme Frage«, sagte er. »Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen, Inspektor«, ent gegnete Hauptpolizeimeister Conant. »Der Fall macht uns allen zu schaffen. Sie kriegen den Kerl bestimmt noch...« Die Zigarre war ausgegangen und Constabler Harker bot dem In spektor wieder Feuer an, aber er hatte keine Lust mehr am Rauchen. Die Unterhaltung wollte nicht mehr recht in Fluss kommen, weil Edward sich über den schlechten Ausgang der Ermittlungen ärgerte, zum anderen war es Zeit, nach Darlington zurückzufahren. Bevor der Inspektor ging, zog er einen Zettel heraus, kritzelte ein paar Zahlen darauf und übergab ihn Hauptpolizeimeister Conant. »Das ist meine Telefonnummer«, sagte er. »Wenn sich irgendet was ergibt, rufen Sie mich sofort an.« Conant steckte den Zettel mechanisch in seine Uniformjacke, ohne einen Blick darauf zu werfen. »Sobald wir etwas in Erfahrung bringen, werde ich Sie verständi gen.« In diesem Augenblick konnte Conant nicht ahnen, dass sich bald etwas Geheimnisvolles ereignen würde. * Vier Tage nachdem Inspektor Edward nach Darlington zurückgefahren war, ereignete sich in Whitehall-Place ein merkwürdiger Vorfall. 36
Für gewöhnlich ging Eiren Ridd, um zehn Uhr zu Bett, doch dies mal fand er keinen Schlaf. Der Mord an seinen Freund Moorland lag ihm noch immer drückend auf der Seele. Mit langen Spaziergängen versuchte er dieses Unbehagen los zu werden. Der Vollmond stieg eben groß und rötlich über den Horizont, als Ridd den Weg entlang ging. Ein warmer, leichter Frühlingswind trug süßliche Blütendüfte von den Blumen herbei. Als er an Moorlands Haus vorbeikam, blieb er abrupt stehen. In einem Fenster brannte Licht. Es war deutlich zu sehen. Ein Irrtum war völlig ausgeschlossen. Sonst lag alles im Dunkeln; Haustür und Gara gentür waren geschlossen. Es brauchte eine Weile, bis Mr. Ridd aus seiner Erstarrung erwachte. Entschlossen trat er auf die Haustür zu und drückte auf den Klin gelknopf. Deutlich hörte er das Anschlagen der Glocke im Haus. Der Widerhall war irgendwie seltsam - so, als wären die Teppiche und Vor hänge zu dünn, um den Klingelton zu mildern. Ridd hätte sich gerne mit einem Blick durch die Fenster selbst überzeugt, aber die Vorhänge waren geschlossen. Er ging wieder zurück auf die Straße. Das Licht im Fenster war er loschen. Für einen Moment glaubte er auch das bläuliche Schimmern eines Fernsehers zu sehen, aber das konnte ebenso gut eine Spiege lung sein. Etwas Geheimnisvolles ging im Haus vor. Eiren Ridd verständigte Hauptpolizeimeister Conant. Dieser forderte eine Gruppe Polizisten aus der nächsten Ortschaft an und versuchte dann Inspektor Edward zu erreichen. Eine Dreiviertelstunde später durchbrach ein schriller Misston die Stille der Nacht. Eine Katze auf dem Dach sprang vor Schrecken in die Höhe und stürzte fast ab - fand aber im letzten Moment Halt und ver schwand mit eingezogenem Schwanz in einer Dachluke. Ein Blaulicht blendete Mr. Ridd und im nächsten Moment hörte er das schrille Pfeifen eines Polizisten. Überall wurden Wagentüren aufge rissen und im Nu war das Haus umstellt. Überall sah man dunkelblaue Uniformen. Das Haus selbst schien so still und verlassen wie ein Sarg in einer Gruft. 37
Gegen Morgengrauen kam der Inspektor angerast. Eiren Ridd be richtete in kurzen Sätzen, was er gesehen hatte. »Sie leiden doch wohl nicht unter Halluzinationen«, sagte Edward. »Wo denken Sie hin, Sir«, verteidigte sich der alte Mann. »Ich ha be Licht gesehen, so wahr ich hier stehe. Vielleicht spukt der tote Ma jor herum...« »Vielleicht haben sich die Scheinwerfer eines vorbeifahrenden Autos im Fenster gespiegelt«, meinte der Inspektor und ignorierte seine Worte. »Ausgeschlossen«, erwiderte Ridd heftig. »Ich glaube, das Haus ist verhext - da geht Moorlands Geist um. Das Licht sah ich heute zum ersten Mal, aber merkwürdige Geräusche habe ich in den letzten Ta gen öfters gehört.« »Aber ich bitte Sie!« Der Inspektor ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. »Sehen Sie hierher«, forderte er den Mann auf. Die Haustür war noch immer versiegelt. Die Plombe war nicht aufgebro chen worden. »Durch diese Tür ist niemand gegangen - da lege ich meine Hand ins Feuer.« Mr. Ridd, der einen Kopf kleiner als Edward war, trat neben ihn und starrte angespannt auf das Siegel. »Ich sagte Ihnen doch, dieses Haus ist verhext.« Sämtliche Räume wurden durchsucht. Die Grafschaftspolizisten leisteten ganze Arbeit: Sie kippten Tische und Stühle um, zerrten die Matratzen aus den Betten, holten Kleidungsstücke aus Schränken und legten alles auf einen Haufen. In den Räumen des Erdgeschosses wurde das Unterste zuoberst gekehrt. Die Polizisten untersuchten sogar die Fenstervorhänge und klopften die Wände ab, in der Hoffnung, auf Hohlräume oder Geheim gänge zu stoßen. In der Küche fanden sie eine Vorratskammer und dahinter lag noch ein kleiner Raum. Die Lichtkegel der Stablampen glitten über die Wände und ließen alle Arten von Konservendosen erscheinen. Es war eine Vorratskammer, aber von einem menschlichen Wesen war keine Spur zu sehen. Auch nicht im Kühlschrank oder in der Tiefkühltruhe. 38
Nach den Räumen des ersten Stocks kam der Dachboden an die Reihe. Er war ein schmaler, länglicher Raum und bot ein furchtbares Durcheinander. Die eine Seite war eine wirre Anhäufung von Kisten, Kästen und Plunder aller Art. Hinter der Tür stand ein alter Kleiderkasten, voll ge stopft mit Kleidern, Lumpen, Wäsche und Zeitungen. In der Mitte standen zwei alte unverschlossene Truhen. Sie waren voll von zerbrochenem Geschirr und kaputten Töpfen. Dahinter befan den sich Holzeimer, in denen Briketts gestapelt waren. An der anderen Wand lagen Schachteln, Zeitschriften, Kinderspielzeug, Wellpappe und ein Haufen alter Schuhe. Auch hier gab es kein Fleckchen, wo sich ein Mensch hätte verste cken können. Selbst der Kamin wurde untersucht - nichts. Draußen war es längst hell geworden. Das Haus hatte keinen Keller, keine Falltüren, keine Geheimgänge, keine Öffnungen und doch wollte Mr. Ridd Licht gesehen und Geräu sche gehört haben. Als Inspektor Edward vor dem großen Spiegel im Badezimmer stand, fiel ihm das Mädchen Alice ein, das durch den Spiegel in eine andere Welt gegangen war. Konnten das auch andere? Welch absurde Idee, dachte Edward. Dieser Ridd hatte ihn mit seinem Geist schon ganz krank gemacht. Und trotzdem konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, dass etwas Geheimnisvolles im Haus vor sich ging. Um Whitehall-Place schwirrten bald die wildesten Gerüchte. Zei tungen behaupteten, Moorlands Geist spuke im Haus herum, man er fand die tollsten Geschichten. »Dort wo heute das Haus Whitehall steht«, begann einer der Be richte, »befand sich einst im Mittelalter die Hexenwiese. News-Day ist es gelungen, eine alte Chronik aufzutreiben, in der folgendes berichtet wird: Gegen Ende des 17. Jahrhunderts lebte in der Ortschaft Catcall, im heutigen Guisborough, ein Mann namens Sam Hart. Er war ein tüchtiger Bursche - arbeitete hart und trank hart. Das einzige, was er sein eigen nannte, war ein braunes Pferd. 39
Wenn der Markt geschlossen wurde, ging Sam ins Wirtshaus und leerte einen Becher nach dem anderen. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er noch einen Krug Bier getrunken, aber die Uhr hatte schon elf geschlagen und der Wirt bestand darauf, es sei Zeit für Sam nach Hause zu gehen. Er verspürte keine Lust, aber das Bild seiner Frau huschte ihm durch den benebelten Kopf. Sie würde ihn verfluchen, wenn er erst in den frühen Morgenstunden und mit der Hälfte des Geldes zurückkam. Er trank aus und machte sich auf den Heimweg. Sam konnte sich kaum im Sattel halten, aber das Pferd fiel in einen gemächlichen Trab und Sam Hart schlief auf dem Rücken der Stute ein. Dicke Regentropfen fielen herab, aber Sam spürte sie nicht, erst ein Donnerschlag riss ihn aus dem Schlaf. Er hob die alkoholschweren Augenlider und sah den Himmel von zuckenden Blitzen erhellt. Gleichgültig trottete das Pferd durch Schlamm und Wasser. Um sie herum tobte das Gewitter und der Wind heulte in den Bäumen, als wäre die Hölle losgebrochen. Es war Mitternacht. Alles rund um Sam war pechschwarz. Nur die grellen Himmels fackeln erhellten die Dunkelheit. Hin und wieder sah Sam Hart ein Schaf, das sich in den Schutz einer Hecke drückte. Sonst schien alles leer und verlassen. Einmal glaubte er den Schrei des Totenvogels zu hören, aber der Ton war so schnell wieder weg, dass er sich fragte, ob er überhaupt etwas gehört hatte. Plötzlich fiel ihm die Geschichte eines Mannes ein, der auf diesem Weg ermordet wurde. Kurz darauf kamen sie an einem alten Galgen vorbei, wo man frü her Mörder als abschreckendes Beispiel für die anderen gehenkt hatte. Im Schein des Blitzes sah er die losen Stricke, die sich im Wind beweg tem als hingen Leichen daran. Sam glaubte, dass es an diesem Ort spukte. Er war kein Feigling, dazu hatte er viel zuviel getrunken - aber innerlich fühlte er, dass noch etwas Geheimnisvolles passieren würde, bevor er nach Hause kam. 40
Als hätte das Unwetter seine Gedanken erraten, wurde der Sturm plötzlich heftiger. Die Bäume und Büsche bogen sich wie unter Schmerzen. Der Sturm peitschte ihnen die Blätter von den Zweigen. Die nackten, gekrümmten Äste erinnerten Sam an Geisterfinger. Eine Schar Ungeheuer schien ihn anzustarren. Sam hatte das Gefühl, dass in dieser Nacht alle Gestalten der Finsternis unterwegs waren. Das Pferd trottete stur den Weg dahin und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Beharrlich strebten sie der Brücke zu. Als sie darüber waren und die Stute den Pfad einbog, wo heute Whitehall steht, glaub te Sam Hart der Blitz habe in die alte Scheune eingeschlagen und Feu er gezündet. Als Sam näher kam, sah er, dass es kein Licht im üblichen Sinne war, sondern ein rötliches Glühen, als wären die Pforten der Hölle ge öffnet. Das ist Teufelswerk, sagte sich Sam. Wäre er bei klarem Verstand gewesen, hätte er so schnell wie möglich davon reiten müssen. Aber der Aberglaube verbot es ihm. Er dachte, es sei höchst gefährlich wegzulaufen - dadurch würden die bösen Geister nur noch wütender. Sam trieb sein Pferd an, doch die Stute wollte nicht von der Stelle. Sie war nicht abergläubisch, aber ihr Pferdeverstand sagte ihr, sie müsse bleiben wo sie war. Sie stand unbeweglich - erst als er ihr die Peitsche gab, bewegte sie sich widerwillig vorwärts und trug ihn zur Scheune. Sam spähte durch die Ritzen des Holzes. Und da sah er das Selt samste, was er je in seinem Leben gesehen hatte. Direkt aus der Erde glühte ein Feuer, das so gespenstisch und unheimlich wirkte, dass es Sam den Atem verschlug. Und inmitten dieses seltsamen Feuers stand der Teufel in Gestalt eines großen schwarzen Ziegenbocks und spielte auf einer Geige. Rundum tanzte eine Schar Hexen. Die meisten hatten scheußliche Gesichter, aber einige waren so hässlich, dass sie kaum noch wie Menschen aussahen. An den Wänden entlang standen geöffnete Särge, aus denen die Toten guckten und 41
den Tanz beobachteten. Sie grinsten und nickten mit den Köpfen im Takt, so dass es Sam vor Entsetzen schwindelte. Vor dem Teufel lag eine Anzahl merkwürdiger Instrumente. Sam erkannte nicht alle Gegenstände, aber eine menschliche Hand und ein Totenschädel war deutlich zu erkennen. Sam traute noch immer seinen Augen nicht - doch es war alles wirklich, was er sah. Der Tanz wurde immer schneller und wilder. Ein Blitz nach dem anderen jagte über den Himmel und Donner krachten wie Kanonenschüsse. Jeden Donnerschlag begrüßten die Hexen mit einem Freudenschrei. Der rasende Tanz erhitzte die unheimlichen Geschöpfe und brach te sie außer Atem. Es war ein entsetzliches Schauspiel. Plötzlich fühlte sich Sam von einem heißen Hauch umgeben. Er sah zum Teufel, seine Augen waren weit aufgerissen und der Mund geöffnet. Zu seinem eigenen Schrecken bemerkte Sam, dass aus der Nase des Teufels Rauch quoll - der heiße Luftstrom zog ihm direkt ins Gesicht. Geruch von Verbranntem erfüllte die Luft. Sam Hart bekam einen schrecklichen Hustenanfall. Im selben Moment setzte die Musik aus. Im nächsten Augenblick herrschte Totenstille. Sam stieß sich von der Scheunenwand ab, sprang auf das Pferd und wollte davon, aber die Hexen und die Gestalten der Finsternis wa ren schneller. Noch bevor er richtig im Sattel war, schossen die unheimlichen Gestalten aus der Scheune wie wütende Bienen aus ihrem Stock. Die Stute machte kehrt und raste auf die Brücke zu. Das war Sams Glück, denn die Hexen und die unheimlichen Höllenwesen konn ten kein strömendes Wasser überqueren. Zum ersten Mal in ihrem Leben ging die Stute durch und Sam kam es vor, als flöge er durch die Lüfte. Er klammerte sich in tausend Ängs ten an ihren Nacken. Inzwischen war es so nüchtern geworden, wie er es sonst nur in der Kirche war. Das Pferd raste über Hecken und Hindernisse und ver ringerte sein Tempo erst, als es über den Fluss war. 42
Später wurde die Scheune niedergebrannt und an derselben Stelle Whitehall aufgebaut.« Solche und ähnliche Geschichten gab es eine Menge in den Zei tungen, doch was wirklich im Haus vor sich ging, konnte niemand ah nen. * Agnes Moorland, die Witwe des Majors, glaubte nicht an Geister und Gespenster. Alles, was sie bisher über Whitehall gehört hatte, hielt sie für Erfindungen irgendwelcher Leute, die nichts anderes im Kopf hat ten, als stumpfsinniges Gefasel in die Welt zu setzen. Alles war hier so normal wie in tausend anderen Häusern. Sie ließ die Erzählung des Inspektors vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen, um die Position festzustellen. Eine ganze Weile stritten sich Verstand und Aberglaube, doch der Verstand behielt die Oberhand. Nach dem Begräbnis bat Eiren Ridd Mrs. Moorland um ein Ge spräch. Sie mochte seine hagere aufrechte Gestalt, sein ernstes Ge sicht - sie fand ihn fabelhaft. Er war so etwas wie ein Freund und der Prototyp eines Junggesellen. Aber viel mehr bewunderte sie seine Per son, den charakterfesten, schweigsamen und überlegenen Engländer. Trotzdem war sie diesmal nicht seiner Meinung. »Ich habe Geräusche gehört und Licht gesehen«, sagte Ridd, »je der Irrtum ist ausgeschlossen. Ich erzähle Ihnen keine Märchen, Mrs. Moorland...« »Vielleicht hat eine Erschütterung einen Wackelkontakt ausge löst«, verteidigte sich Mrs. Moorland. »Mit den Geräuschen kann es ähnlich sein - Mäuse, Ratten, tropfende Wasserhähne, ein geöffneter Fensterladen...« »Der Fußboden hat geknarrt, als ob jemand darüber hinweggin ge«, erwiderte Mr. Ridd. »So hat es sich jedenfalls angehört. Ich wür de es Ihnen nicht sagen, wenn es nicht so gewesen wäre.« »Das weiß ich, Mr. Ridd«, antwortete Agnes Moorland. »Trotzdem glaube ich nicht an Geister. Norman hat immer gesagt - er würde nie 43
als Geist zurückkommen. Er fand das unter seiner Würde. Und da gibt es noch etwas, weshalb ich nicht daran glaube.« »Ich glaube, die Geisterwelt ist ständig gegenwärtig, Mrs. Moor land. Es muss sich nicht unbedingt um Verstorbene handeln - vielleicht ist es das, was Sie irritiert?« »Das ist es nicht«, versicherte die Witwe. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, mein Mann wollte nicht als Geist zurückkommen. Er sagte im mer, es sei albern, als unsichtbares Wesen in den Räumen herumzu schweben, da bliebe er besser dort, wo er sei.« »Das ist sehr vernünftig von ihm«, meinte Mr. Ridd. »Trotzdem geschehen seit seinem Tod unerklärliche Dinge. Sie werden es noch selbst erleben, Mrs. Moorland.« »Ich habe keine Angst - nicht vor Geistern, Mr. Ridd. Das wäre doch gelacht.« »Sie sagten früher, da wäre etwas, weshalb Sie nicht daran glau ben!« »Meine Mutter erzählte mir einmal eine Geschichte - eine wahre Begebenheit, die sich vor mehr als sechzig Jahren in Schottland zuge tragen hat. Da war ein Mann, ich weiß nicht mehr, wie er hieß. Nen nen wir ihn X. Jedenfalls hatte er ein großes Haus. Er war ein wortkar ger, verkniffener Mensch, ein Eigenbrötler und Menschenfeind. Er hat nie geheiratet. Der Grund war, dass er keine Frau fand, die ihn geheiratet hätte. Die meisten Leute machten einen weiten Bogen um die hoch gewachsene Knochengestalt. Seine schwarzen Augen glühten durchdringend unter dicken Brauen. Der Mann trug stets Handschuhe und jeder war überrascht, wel che Wärme seine Finger ausströmten. Viele hielten ihn für einen Vam pir oder den Teufel persönlich. Aber das stimmte gar nicht. Er war einfach ein verbitterter Mensch. Niemand hielt es lange bei ihm aus. Man sagte, es sei unheimlich in seinem Haus. Alle liefen ihm davon, nur ein Diener blieb. Wahrscheinlich verstand sich dieser deshalb so gut mit ihm, weil er das getreue Abbild seines Herrn war. Ein großer Kerl mit stechendem Blick und versteinertem Gesicht. Er machte alle Arbeiten im Haus. 44
Dem Herrn konnte das nur recht sein - so brauchte er nur einen Mann zu bezahlen. Der Diener hatte einen neunjährigen Jungen bei sich. Niemand wusste, ob es sein Sohn war oder nicht. Jedenfalls hausten sie beide in einem winzigen Zimmer. Eines Tages, als der Gutsherr von der Jagd nach Hause kam, kam es zur Katastrophe. Er glaubte, der Junge habe Akim, sein Lieblings pferd, schlecht behandelt. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung. Er stieß das Kind zur Seite - der Junge verlor das Gleichgewicht, schlug mit dem Hinter kopf auf einen Eisengegenstand und blieb regungslos liegen.« Das Pfeifen des Teekessels unterbrach Mrs. Moorlands Erzählung. Sie lächelte entschuldigend und eilte in die Küche. Fünf Minuten später kam sie mit einem vollen Tablett zurück. Als sie Ridd eine Tasse angeboten hatte, setzte sie ihre Geschichte fort. »Nun, der Grobian stieß mit seiner Stiefelspitze dem Jungen in die Seite und befahl ihm aufzustehen. Doch der Kleine rührte sich nicht. Erst eine Weile später berichtete der Herr seinem Diener was vorgefal len war und dass er sich um seinen Sohn kümmern solle. Der Vater stellte fest, dass das Kind tot sei. X war außer sich vor Wut. Er schwor Stein und Bein, dass es sich um einen Unglücksfall handle und beschwor seinen Diener unter tausend Versprechungen, von einer Anzeige abzusehen.« Agnes Moorland unterbrach abermals ihre Erzählung und nahm einen Schluck Tee zu sich. Eiren Ridd war über die Art, wie sie ihn auf die Folter spannte, sehr ungehalten - sagte aber nichts. »Sie werden es nicht glauben, Mr. Ridd«, begann die Witwe des Majors, »aber der Diener ließ sich überzeugen, dass es für alle besser sei, den schrecklichen Fall zu vertuschen...« »Das ist ja ungeheuerlich«, unterbrach der Mann. »Wie konnte das bloß geschehen?« »Ich will der Geschichte nicht vorgreifen«, erwiderte Mrs. Moor land, »doch sie hat eine gute Pointe. Sie müssen sich schon noch ein wenig gedulden.« 45
Mrs. Moorland nahm sich Zeit für einen Keks und eine halbe Tasse Tee, dann fuhr sie fort: »Um jedes Aufsehen zu vermeiden, packte er die Leiche noch am selben Abend in einen Wagen und schaffte sie in eine fünfzig Meilen entfernte Stadt, wo er das Kind beisetzen ließ.« »So einfach ist das doch gar nicht«, unterbrach Ridd wieder. »Er musste doch einen Totenschein haben - wie hätte er sonst das Kind beerdigen können?« »Das weiß ich nicht«, meinte die Witwe nachdenklich. »Aber ir gendwie muss es ihm wohl gelungen sein, die nötigen Papiere zu be schaffen. Eine Woche später war der Diener zurück und nahm seine Arbeit wieder auf, als wäre nichts geschehen. Das Tuch des Schwei gens schien sich rasch über die furchtbare Tragödie gebreitet zu ha ben.« »Das ist ja ungeheuerlich«, sagte der alte Mann. »Und die Ge schichte hat sich tatsächlich so zugetragen?« »Sonst würde ich sie Ihnen nicht erzählen«, versicherte Mrs. Moorland. »Jedenfalls bot dieser Mr. X zwei, drei Monate später das Bild eines Gejagten. Alle glaubten, dass er langsam den Verstand ver lieren würde.« »Kein Wunder«, sagte Ridd. »Ein Mann, der ein unschuldiges Kind umbringt, verdient es auch nicht anders. Habe ich nicht Recht?« »Das ist völlig richtig«, erwiderte Mrs. Moorland. »Aber ein Mann, der so eine Tat kaltblütig verübt, bekommt dann bestimmt nicht Ge wissensbisse, Mr. Ridd und er hätte sie auch bestimmt nicht bekom men, wenn ihm nicht das Kind als Geist erschienen wäre.« »Tatsächlich«, rief der alte Mann überrascht aus. »Man sagt ja immer, dass ermordete Personen als Geister er scheinen. Ich habe aber immer geglaubt, das sei nur eine Erfindung.« »Wie dem auch sei«, fuhr die Witwe fort, »er sah das Kind immer in der Dämmerung. Manchmal stand es vor einem Rhododendronge büsch, dann irgendwo in der Ecke des Hauses, oder in seinem Schlaf zimmer. Zuerst glaubte der Mann an eine Sinnestäuschung, doch sooft er die Augen auch schloss und wieder öffnete, die kleine Gestalt blieb. 46
X schrie nach dem Diener. Er kam auch sofort, warf einen Blick auf die angegebene Stelle - nichts - er sah keine Spur von dem Jun gen. Mr. X war, als habe er einen bösen Traum gehabt, aber jede Nacht kam jetzt die Erscheinung wieder.« »Ich glaube, dass es ganz normal war«, meinte Eiren Ridd. »Es war einfach eine Ausgeburt seines Schuldgefühls, seines schlechten Gewissens, seiner Angst, wenn es sich nicht um eine echte Geisterer scheinung...« »Nicht so hastig, Mr. Ridd«, warnte die Witwe. »Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Es kommt noch ganz anders als Sie denken. Als er den Geist des Kindes immer wieder sah, vertraute er sich einem Arzt an. Aber auch er konnte ihm nicht helfen. Eine Woche darauf vermachte Mr. X seinen ganzen Besitz seinem Diener. Als sich die Erscheinungen trotzdem nicht einstellten, erhängte er sich.« »Jetzt hatte der Geist endlich seine Ruhe«, sagte Ridd. »Alles war wieder in Ordnung, nicht wahr?« »Nein, nichts war in Ordnung«, entgegnete Mrs. Moorland. »Jetzt ging es erst richtig los. Nach der Beisetzung war der Diener der Herr im Haus. Er brachte mit den Jahren alles wieder in Schwung und ver diente nicht schlecht dabei. Fünfzehn Jahre später kam der Junge zu rück, den Mr. X glaubte ermordet zu haben. Sein Vater hatte ihn in die besten Schulen des Landes gegeben und aus dem unscheinbaren Kind war ein vornehmer junger Herr geworden.« »Ach, so weht der Wind«, Mr. Ridd lächelte resigniert. Jetzt wuss te er Bescheid. »Der Junge war gar nicht tot. Der Diener hat seinen Sohn dazu benutzt, um X an den Rand des Wahnsinns zu treiben. So war es also...« »Ja, so war es«, bestätigte Mrs. Moorland. »Das hätten Sie nicht für möglich gehalten, Mr. Ridd, nicht wahr?« Der Alte schwieg. Das war eine Wendung um hundertachtzig Grad. Wer hätte das gedacht? Auch die Witwe sammelte ihre Gedanken, ehe sie weiter sprach. 47
»Das Kind von damals war mittlerweile vierundzwanzig geworden. Es entsann sich der Stunden, die es in diesem Haus verbrachte. Auch jener Wochen, in denen ihn sein Vater in einer kleinen Kammer im Haus versteckt gehalten hatte und ihn nur dann aus dem Zimmer ließ, wenn er den Geist zu spielen hatte. Siebenmal im Ganzen. Sehen Sie, deswegen glaube ich auch nicht an Gespenster. Ich glaube, alles hat eine natürliche Erklärung. Sie sind mir doch wegen meiner Meinung nicht böse, Mr. Ridd?« »Um Himmels willen, nein!«, sagte Mr. Ridd. »Ich habe Ihnen nur gesagt, was ich gesehen und gehört habe. Sie müssen selbst damit fertig werden - vielleicht habe ich mich auch getäuscht. Sollten Sie einmal Hilfe brauchen, dann...« »Sehr nett von Ihnen, Mr. Ridd«, fiel Mrs. Moorland ihm ins Wort, »aber ich glaube nicht, dass es dazu Gelegenheit geben wird.« In diesem Augenblick ahnte die Witwe nicht, dass sie sich bald vom Gegenteil überzeugen lassen musste. * Die Tage zogen dahin wie die Wolken am Himmel. Nichts hatte sich ereignet. Mrs. Moorlands ganze Beschäftigung galt dem Haus und wenn sie keine Lust zum Arbeiten hatte, machte sie lange Spaziergän ge oder besuchte das Grab ihres Mannes. Manchmal streifte die Witwe zwischen den Kreuzen und Grabstei nen herum, hing Erinnerungen nach und sprach hin und wieder laut mit sich selbst. Der Gottesacker hatte eine ungewöhnlich hübsche Lage direkt am Meer - einem Strand mit vielen großen Steinen, deren Rauschen Tag und Nacht erklang. Der ewige Gesang der Wellen gab dem Ganzen eine besondere Note. Auf einem Hügel lag die kleine Kapelle und der Friedhof. Die Ka pelle bestand aus Holz und der Friedhof war ein einziger Rasen, doch die Gräber waren ohne Blumen. Eine Ausnahme bildete nur Mr. Moor lands Grab. Dicht an der Steinmauer wuchsen die herrlichsten Brom beeren - große und saftige Früchte. 48
Agnes Moorland kannte jedes Grab und jede Inschrift und sie er lebte wie Kreuze, die neu aufgestellt waren, sich im Laufe der Zeit zur Seite neigten und schließlich in einer stürmischen Nacht umgeblasen wurden. Auf dem ganzen Friedhof wuchs saftiges grünes Gras. Im Sommer war es hoch und rau - früher saß das Ehepaar Moorland oft da und lauschte, wie der Wind an diesem seltsamen Gras zauste. Dabei konnte es auch geschehen, dass die Wetterfahne auf der Kapelle sich drehte und ihr rostiges Knirschen klagend über den Fried hof hallte. Es war dann, als wetze ein Stück Eisen seine Zähne auf einem anderen Eisen. Eine alte Frau hielt die Gräber in Ordnung. Sie war ein ernster Mensch und lächelte selten, doch sie war stets freundlich und auch ein wenig geschwätzig. »Ist er wieder da gewesen?«, fragte die Alte, als sie Mrs. Moor land erblickte. »Wer?«, entgegnete die Witwe verblüfft. Sie wusste zwar sofort, um was es ging - aber sie wollte die alte Frau etwas in ihrer Neugierde schmoren lassen. »Ich weiß auch, wer es ist«, sagte sie mit leiser, geheimnisvoller Stimme. »Es ist der Geist von Lord Forrest - seltsame Umstände führ ten 1880 zu seinem Tode. Seine Frau hat ihn fünfzehn Jahre überlebt und ist dann plötzlich unter höchst seltsamen Umständen ver schwunden. Ihr Leichnam ist nie gefunden worden. Viele sagen, der Teufel hätte sie geholt. Alle hundert Jahre soll der Lord als Geist in Erscheinung treten.« Mrs. Moorland wollte diese Geschichte zurückweisen, aber sie kam nicht dazu. Die alte Frau redete einfach stur weiter: »Mit meinen eige nen Augen habe ich Dinge gesehen, Ma'am, die jedem Chri stenmenschen die Haare zu Berge stehen ließen; und viele, viele Näch te habe ich kein Auge zumachen können...« Mrs. Moorland versuchte die alte Frau zu unterbrechen, aber sie erzählte flüsternd, wie sie als Dienstmädchen einst bei einer Familie gearbeitet, wo es ebenfalls gespukt habe. 49
Sie berichtete von jenem Winterabend, als eine Fensterscheibe ohne ersichtlichen Grund zerbrach und alles aus den Fugen geriet. Von Gegenständen, die selbst zu Boden fielen, dass sie bei den Mahlzeiten am Essen und Trinken gehindert wurden - wie schließlich Verwirrung und Unsicherheit die ganze Familie in Besitz genommen hätte. Auch der prächtige Jagdhund habe darunter gelitten - plötzlich sei er schussscheu geworden und wollte keine Hasen mehr jagen. Selbst die Büchse schoss daneben, wenn eine Schar Rebhühner aufflog. Die Geschichte vom ganzen Unglück der Familie war sehr lang. »Und zwangsläufig«, schloss die alte Frau, »beeinflusste das alles auch meine Seele. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie das einem unter die Haut geht.« Als die Alte merkte, dass Mrs. Moorland wenig Interesse an ihrer Erzählung zeigte, verdüsterte sich plötzlich ihr Gesicht. Ihre Lippen zitterten ein wenig, als sie die Witwe vorsichtig fragte, ob sie vielleicht andeuten wolle, es gäbe überhaupt keine Gespenster, Spukgeschichten und Geister? »Wissen Sie denn nicht«, donnerte die Alte, ehe Mrs. Moorland Gelegenheit hatte zu antworten, »dass die Heilige Schrift... Oder wol len Sie gar das Wort Gottes in Zweifel ziehen?« Die Witwe schüttelte den Kopf und wusste nicht mehr aus noch ein. Sie würde es bald am eigenen Leibe spüren, wie ein Gespenst, eine Spukgestalt, ein Geist sein Spiel mit ihr trieb. Aber soweit war es noch nicht. Auf der anderen Seite wagte sie es keinen Augenblick lang, die Heilige Schrift oder gar das Wort Gottes in Frage zu stellen. Agnes Moorland blieb der alten Frau die Antwort schuldig und ging davon. Vier Tage nach dem Gespräch setzte sich Mrs. Moorland mit einer Strickarbeit auf die Sonnenterrasse ihres Hauses. Es war nichts zu hö ren als das Zwitschern der Vögel; das Rascheln der Blätter im Wind und das sanfte Rauschen der See, waren für die Witwe bereits zu Be standteilen der Stille geworden wie ihr eigenes Atmen. In diesem goldenen Frieden wäre es schwer gefallen, an Geister oder Gespenster zu denken, bis plötzlich ein grölender Radau, der aus dem Haus kam, die Illusion von einer besseren, stillen Welt zerfetzte. 50
Mrs. Moorland sprang vom Sessel hoch, stieß einen unterdrückten Schrei aus, der halb auf Erstaunen und halb auf Furcht zurückzuführen war. Dieses unerwartete Geräusch löste in ihr eine kleine Panik aus; in ihrem irischen Blut begannen sich für Sekunden wilde Gedanken zu formen. Es war, als hätte jemand eine Vase vom Tisch gestoßen. Der Gedanke, es könnte die Katze sein, die schon öfters durch das Fenster gekommen war, beruhigte sie ein wenig und verscheuchte die Furcht. Aber sie stand noch immer unschlüssig da. Erst nach einigen Mi nuten erinnerte sie sich an ihre Pflicht, nachzuschauen was geschehen war. In keinem der Zimmer war etwas zerbrochen oder umgefallen, auch eine Katze war nirgends zu finden. Sie versuchte den Vorfall zu vergessen und redete sich ein, dass der Lärm wahrscheinlich überhaupt nicht aus dem Haus stammte, sondern von außen kam. Der nächste Vorfall ereignete sich nachts. Später hatte Mrs. Moorland keine Ahnung, wie lange sie geschla fen, oder was sie so plötzlich aufgeweckt haben mochte. Mondlicht fiel über einen Stuhl, der am Fenster stand und über die Gestalt, die in diesem Stuhl saß, das Gesicht gegen den halbgeöffne ten Vorhang gedrückt. Agnes Moorland sprang hoch. »Wer ist da?«, rief sie entsetzt. Dann knipste sie Licht an... Niemand war im Zimmer. Es war bloß der Morgenmantel, der in der Dunkelheit wie eine Gestalt ausgesehen hatte. Die Witwe war erleichtert, als sie das Kleidungsstück sah. »Das ist ja kein Wunder«, schimpfte Mrs. Moorland laut vor sich hin, »wenn man überall nur mehr Gestalten sieht. Das kommt von diesen blödsinnigen Gespenstergeschichten - das ist ja direkt anste ckend.« Draußen warfen die hohen Eichen ihre schwarzen Schatten über die mondhelle Terrasse. Ein geschwätziger Windhauch raschelte in den Blättern der nahen Bäume und Büsche. 51
Sie spähte eine Weile durch die Jalousien und ging dann wieder ins Bett. Am anderen Morgen hatte sie das Erlebnis schon wieder ver gessen. In den nächsten beiden Tagen passierte nichts Außergewöhnli ches. Mrs. Moorland war in ihrer Einsamkeit glücklich und zufrieden und Mr. Ridd warnte sie noch immer vor den Gefahren, die im Haus lauerten. Und dann ereigneten sich plötzlich Dinge, für die es keine Erklä rung gab. Schränke und Schubladen wurden nachts geöffnet, Sessel verrückt, Vorräte verschwanden aus der Küche, Wasserhähne began nen von allein zu fließen und einmal hatte die Witwe deutlich das Ge fühl, als ginge jemand über die Treppe. Es war ein leiser, raschelnder, tappender Laut; Füße, die auf Ze henspitzen davon hasteten. Mrs. Moorland lauschte. Ihre Nerven waren zum Zerreißen ge spannt. Irgendwie fürchtete sie sich vor diesen unbekannten Schritten, doch als sie im Treppenkorridor stand, war niemand zu sehen. Ihr Glaube und ihre tiefe religiöse Überzeugung verleugneten das, was sie vorhin gehört hatte. Es konnte einfach nicht sein - sie hatte kein Geräusch gehört. Sie hatte sich das nur eingebildet - kam so et was nicht manchmal vor? Man konnte sich etwas derart intensiv einbilden, dass man es tat sächlich hörte. Ja, man hörte es dann wirklich - und doch war es nicht die Wirklichkeit. Es war unglaublich, unwahrscheinlich, ausgeschlos sen. Die Ursache ist irgendwo in mir selbst zu suchen, dachte Mrs. Moorland und hämmerte sich ein, mit diesem Unfug ein für allemal Schluss zu machen. Sie grübelte und grübelte, es war nicht nur das Geräusch, das ihr Kopfzerbrechen machte, sondern auch all die anderen unheimlichen Dinge, für die es keine Erklärung gab. Immer wieder rollte diese Szene in ihren Gedanken ab. Bald sah sie darin eine Tatsache, bald ein Hirn gespinst, doch dann kam sie zur Überzeugung, dass sie sich nicht ge irrt haben konnte. 52
Wer aber würde ihr das schon glauben? Sie beschloss, vorerst niemandem etwas zu sagen - vielleicht würde sie sich Mr. Ridd anver trauen - aber darüber war sie sich vorläufig noch nicht klar. Sie ahnte nicht, dass sie ihre Ansichten bald ändern würde. Draußen schien die Sonne nicht mehr, der Himmel sah schmutzig grau aus. Der Wind, der von der See zum Haus wehte, ließ die Bäume und Sträucher im Garten erzittern. Der blasse Himmel strömte das letzte Tageslicht aus - zusehends wurde es dunkler. Mrs. Moorland ging in die Küche und bereitete sich ein paar Schin kensandwiches. Als sie vier fertig auf dem Teller liegen hatte, klingelte plötzlich das Telefon. Wer kann das bloß sein, fragte sie sich. Schon seit Tagen hatte niemand mehr angerufen. Wahrscheinlich hat jemand falsch gewählt, dachte die Witwe und hantierte weiter in der Küche, doch das schrille, beharrliche Läuten trieb sie ins Wohnzimmer. Sie nahm den Hörer ab. »Ja?« »Mrs. Moorland? Inspektor Edward.« Sie war so überrascht, dass sie für einen Moment den Atem an hielt. Die Müdigkeit, die sie schon die ganze Zeit mit sich herumge schleppt hatte, war verflogen. »Gibt es etwas Neues? Ich meine, haben Sie etwas gesehen oder gehört, seit Sie wieder im Haus wohnen?« Sollte sie von den Schritten erzählen? Nein, sie wollte nicht dar über reden - wollte sich nicht lächerlich machen. Wer weiß, welche Meinung er dann von ihr haben würde. Er würde sicher denken, sie sei eine verschrobene, schrullige alte Frau, die nur Phantastereien im Kopf habe. Wenn es notwendig war, konnte sie immer noch mit Mr. Ridd darüber reden. »Hallo, Mrs. Moorland, sind Sie noch da?«, fragte Inspektor Ed ward. »Ja«, stieß die Witwe hervor. Ein leichtes Zittern durchlief sie, als sie sagte: »Ich habe nichts Außergewöhnliches bemerkt. Es ist alles normal.« 53
»Fein«, erwiderte der Inspektor. »Wenn etwas sein sollte, ver ständigen Sie bitte Hauptpolizeimeister Conant. Er wird dann alles Wei tere veranlassen.« Mrs. Moorland versprach es und wünschte dem Inspektor einen schönen Abend. Als sie in die Küche zurückkam, blieb sie entsetzt stehen. Zwei von den vier Sandwichs waren weg - spurlos verschwunden. »Das ist ja unheimlich«, sagte sie laut. »Wie ist das bloß mög lich?« Eine Katze hätte nicht auch das Brot gefressen und ein Hund hätte unmöglich ins Haus kommen können. Mrs. Moorland stand vor einem Rätsel. Schließlich gelangte sie zur Überzeugung, dass sie vielleicht nur zwei Brötchen... Vielleicht hätte sie doch dem Inspektor sagen sollen, welche merkwürdigen Dinge hier geschahen. Sie beschloss, Mr. Ridd morgen ins Vertrauen zu ziehen. Vielleicht konnten sie gemeinsam der Sache auf die Spur kommen. Nach dem Essen fiel sie in einen wirren Halbschlummer und schlief schließlich am Tisch ganz ein... Das Zuknallen einer Tür schreckte sie auf. Jemand huschte drau ßen am Wohnzimmer vorbei. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es elf vorbei war. Mrs. Moorland war es sofort klar, dass da ein Geist, ein Wesen oder noch etwas Schlimmeres im Haus herumspazierte... Nein, dieses Etwas spazierte nicht nur planlos herum, sondern schien zielstrebig in eine bestimmte Richtung zu gehen. Es war kein Alptraum. Für Mrs. Moorland war es wie ein Schlag ins Gesicht. Jetzt, zum ersten Mal, war es ihr klar, dass etwas im Haus existierte, von dem niemand eine Ahnung hatte. Diese Erkenntnis warf alles über den Haufen, was sie bisher für möglich und real gehalten hatte. Ihr Kreislauf erstarrte, fror ein. Die kalte Hand des Grauens griff nach ihrem Herzen, ihr Verstand und die ganzen Funktionen ihres Kör pers setzten einige Sekunden aus und in diesem Augenblick stürzte sie zu Boden. Eine Ohnmacht nahm sie gefangen. 54
Als Mrs. Moorland wieder erwachte, war sie verstört. Sie lauschte die Nacht war unangenehm still und das Haus war so ruhig wie ein Grab. Kein Lärm war draußen zu hören, kein Wind raschelte in den Zweigen. Die Außenwelt schwieg atemlos. Plötzlich ging in Mrs. Moorland eine Veränderung vor sich. Schließ lich konnte sie nicht die ganze Nacht im Wohnzimmer verbringen. Sie straffte sich physisch und geistig. »Jetzt reicht es mir aber«, murmelte sie vor sich hin. »Ich werde das ganze Haus durchsuchen...« Als sie das Erdgeschoß durchstöbert hatte, stieg sie die Stufen zum ersten Stock hinauf und durchsuchte jeden Winkel, jede Nische, sah unter Betten und in Schränke - doch nirgends war jemand zu se hen. »Sie hatten recht, etwas ist im Haus«, sagte Mrs. Moorland am anderen Tag zu Eiren Ridd. »Ich habe es gehört...« »Das habe ich erwartet«, unterbrach Ridd sie. »Früher oder später musste es so kommen. Geräusche entstehen nicht von allein und Glühbirnen schalten sich auch nicht von allein ein.« »Was sollen wir tun?« »Ich werde gleich Hauptpolizeimeister Conant verständigen. Er wird alles Weitere veranlassen.« Conant suchte zusammen mit Constabler Harker noch einmal das ganze Haus nach verborgenen Türen und Öffnungen ab, doch ohne Erfolg. Da die unheimlichen Vorfälle anhielten, wollte Mrs. Moorland nicht mehr länger allein im Haus bleiben. Sie nahm eine Krankenschwester zu sich, doch den Geist schien dies nicht zu stören. Er rumorte munter drauflos. Nachts wurden Schränke geöffnet, gespannte Zwirnsfäden zerrissen und aus der Küche verschwanden Vorräte und Gegenstände. Als Tage später Mrs. Moorland in der Küche am Herd stand, sah sie plötzlich einen weißen nackten Arm nach der Zuckerdose greifen. Vor Schreck versagte ihr die Stimme. 55
Als sie einige Sekunden auf die kreideweiße Hand gestarrt hatte, wusste sie, dass jeder Irrtum ausgeschlossen war. Das Böse war in ihrer Nähe, das Teuflische, Dämonische und ver wirrte ihre Sinne. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, dann schrie sie auf. Im selben Moment war der skelettartige Arm spurlos verschwun den. »Was ist denn geschehen?«, fragte Laura Brington, die Kranken schwester, die auf ihren schrillen Schrei in die Küche geeilt war. »Ich habe das Gespenst gesehen... Die Hand kam direkt aus die ser Mauer heraus... Es war furchtbar!« Mrs. Moorland stand noch immer wie gelähmt da. »Der Arm war ein Skelett«, fügte sie nach einer Weile hinzu. »Mr. Ridd hat es immer schon gewusst... Ich bleibe keine Minute mehr hier. Ich fahre zu meiner Schwester. Packen Sie einige Kleider ein und kommen Sie nach. Ich werde Mr. Ridd bitten, herzukommen, damit Sie keine Angst zu haben brauchen.« Doch der alte Mann war nicht zu Hause - Miss Brington musste al lein packen. Erst viel später fand er sie im Garten. Die Krankenschwester lag am Boden. Sie musste sich wohl in der Eile zur Garage, an einem he runterhängenden Ast den Kopf angeschlagen haben. Alle Orden wurden in einer Bank deponiert und Whitehall-Place zur Vermietung ausgeschrieben. * Wenn es im Zusammenhang mit Häusern so etwas wie Liebe auf den ersten Blick gibt, dann widerfuhr Margaret Belmore dieses Phänomen, als sie Whitehall-Place sah. Sie trat ein paar Schritte zurück und be trachtete entzückt die unverputzte Backsteinfassade, deren dunkles Rot sanft schimmerte. »Es gefällt mir«, sagte Margaret zu ihrem Freund Hal Ellson. »Es ist ein wunderschönes Haus.« 56
»Sieh nur, die Butzenscheiben«, warf Hal dazwischen, »so etwas sieht man heutzutage nur noch sehr selten. Und alles völlig unbeschä digt...« »Phantastisch«, stellte Margaret fest. »Kann ich es jetzt von innen sehen?« »Selbstverständlich. Deshalb habe ich ja auch die Schlüssel mit. Hätte sie mir der Makler sonst gegeben?« Hal Ellson schloss die Tür auf und sie traten ein. Es roch, als hätte sich jemand Schinken mit Ei gebraten. Wären sie sofort in die Küche gegangen, wären sie dem Geruch auf die Spur gekommen, doch kei ner schien darauf besonders zu achten. Ein Umstand, der später von Bedeutung sein sollte. »Steht noch nicht lange leer, was?«, erkundigte sich Margaret. Die Wände der Halle waren mit dunklem Eichenholz getäfelt. Der Kamin von kunstvoll geschnitzten Ornamenten umgeben und der Fuß boden mit Parkett ausgelegt. Durch die gelblich getönten Scheiben fiel warmes Licht in den Raum. Während Margaret Belmore wie verzaubert dastand, tauchten visionär tiefe Ledersessel, alte englische Möbel und kleine Wandlämp chen aus Kristall vor ihr auf. Hal Ellson spürte, dass Margaret das Haus mochte. Er war froh, dass er ihr endlich eine Freude machen konnte. Seit zwölf Wochen war sie auf der Suche nach einem geeigneten Objekt und jetzt hatte sie es mit seiner Hilfe gefunden. »Hier rechts ist das Wohnzimmer«, erklärte er. Margaret folgte ihm benommen. Hal wies auf die elfenbeinfarbenen mit Seide bespannten Wände. »Das ist großartig, nicht wahr?« Margaret fand das Muster mit den phantastischen Blumen sehr lustig. Im 1. Stock betrachteten sie die drei dicht nebeneinander liegen den Fenster, die durch eine durchgehende breite Fensterbank aus dunklem Mauerwerk verbunden war. »Sieht ein bisschen komisch aus«, bemerkte Hal. »Weshalb hat man nicht gleich ein einziges großes Fenster daraus gemacht?« 57
»Das wäre bestimmt praktischer gewesen«, entgegnete Margaret, »aber die Harmonie hätte darunter gelitten.« Sie durchstreiften mehr als eine Stunde das Haus und selbst das hoffnungslos einfache Badezimmer und die riesengroße Küche konnten Miss Belmore nichts von ihrer Begeisterung nehmen. »Das Haus ist wundervoll«, sagte sie. »Ich frage mich nur, wes halb es so billig ist.« Hal zündete sich etwas umständlich eine Zigarette an. »Ich glaube, ich habe es schon einmal gesagt - weil es ziemlich abgelegen ist. Zur nächsten Bushaltestelle sind es fünfunddreißig Mi nuten: Das schreckt eventuelle Mieter ab und drückt somit den Preis. Außerdem - es ist ein sehr altes Haus. Wer will heute schon in einem alten Haus wohnen?« »Zum Beispiel ich«, erwiderte Margaret. »Wenn ich an die grässli chen viereckigen Kästen denke, die wir bisher angesehen haben. Keine Atmosphäre, kein Profil - wenn du weißt, was ich meine.« Natürlich wusste Hal, was sie meinte. Sie hatte immer schon einen Fimmel für alte Dinge gehabt. »Es wäre eine Sünde«, fuhr Margaret fort, als hätte sie seine Ge danken erraten, »irgend etwas an den wunderschönen Dingen zu ver ändern. Du hältst mich vielleicht für verrückt, Hal, aber es kommt mir vor, als sei dieses Haus speziell für mich gebaut worden. Wenn ich könnte, würde ich es sofort kaufen.« »Du willst das Haus also wirklich mieten?« »Jawohl, das will ich.« »Glaubst du, dass du hier arbeiten kannst?« »Na und ob«, sagte Margaret. »Das Haus ist wie geschaffen da für.« Sie war Malerin und hatte mit einer Serie von Zaubermotiven ihre ersten Lorbeeren geerntet. Jetzt sollte sie für drei Kinderbücher die Illustrationen machen. »Ich glaube, dieses Haus ist sehr alt«, sagte Hal. »Ich schätze so hundertfünfzig Jahre, wenn nicht mehr...« Margaret wusste genau, worauf er hinaus wollte, aber sie ließ sich nicht provozieren. 58
»Tatsächlich? Du glaubst, dass es wirklich so alt ist?« »Sicher«, bestätigte Hal, »vielleicht spukt es sogar. Wer weiß, welche schaurigen Gespenster nachts kettenrasselnd und stöhnend durch die Zimmer jagen.« »Sei unbesorgt«, sagte Margaret, »ich erkläre hiermit feierlich, dass ich dich nicht zur Verantwortung ziehen werde, wenn es hier wirklich spuken sollte.« »Also gut«, sagte Hal Ellson zufrieden. »Ich wasche meine Hände in Unschuld.« »Komm«, forderte Margaret ihren Freund auf, »lass uns zu diesem Makler fahren und den Vertrag machen.« * »Es ist natürlich kein gewöhnliches Haus«, sagte der Mann, der hinter dem Schreibtisch saß und auf die beiden blickte. Sein schmales Gesicht war blass, der Mund unter der Adlernase hatte etwas Verkniffenes. Doch das Interessanteste an ihm war, dass er mit einem Auge blinzelte und alle fünf Minuten einen Schluck Mineralwasser in sich hineinschüttete. »Wie meinen Sie das?«, fragte Margaret Belmore. »Kein Grund zur Beunruhigung«, meinte der Makler. »Ich sage es Ihnen gleich vorher, damit Sie nicht später sagen, ich hätte Ihnen et was verschwiegen und...« »Bestehen irgendwelche Klauseln...?«, unterbrach Margaret über rascht. Der Makler schob die Unterlippe vor. Sein verzerrter Mund verhär tete sich und bekam einen Zug gelehrter Korrektheit. »Natürlich gibt es gewisse Dinge, die nicht verändert werden dür fen«, sagte er schließlich. »Aber das ist es nicht.« »Was ist es denn?« »Das Haus«, begann der Makler endlich, »soll seit dem Tod von Mr. Moorland verhext sein. Das jedenfalls behauptet seine Witwe. Sie glaubt, dass ein schrecklicher Geist umgeht. Mitunter sollen seltsame 59
Geräusche gehört worden sein. Kurz und gut, im Haus spukt es - wol len Sie es jetzt noch immer mieten?« Hal Ellson war entsetzt. »Ich habe geahnt, dass etwas faul an der Sache ist«, sagte er. »Es war mir gleich zu billig erschienen. Natürlich nehmen wir es nicht.« »Bist du verrückt?« Margaret war weniger über den angeblichen Geist, als über die Art, in der Hal über sie bestimmte, schockiert. »Ich lasse doch nicht wegen eines Geistes das Haus sausen«, sag te sie entschieden. »Ich miete es auch mit Gespenst.« »Margaret, meine Liebe«, sagte Hal fast vorwurfsvoll, »weißt du, was du tust? Wäre es nicht besser, die Finger davon zu lassen? Du bekommst bestimmt auch ein Haus ohne Geister...« Margaret blieb Hal die Antwort schuldig und fragte stattdessen den Makler, ob er noch etwas über den Geist sagen könnte. »Ich weiß nicht mehr als was in den Zeitungen stand«, erwiderte der Mann, nahm drei verschiedene Blätter aus seiner Schreibtisch schublade und legte sie den beiden vor. Margaret und Hal betrachteten das Foto in der Zeitung. Es zeigte Whitehall-Place. Scheinwerferstrahlen erhellten das Haus und sogar auf dem Dach waren Polizisten zu sehen. Die Suche nach dem Geist geht weiter, lautete die Schlagzeile. Darunter hieß es in kleinerem Druck: In den frühen Morgenstun
den begann gestern in Hinderwell die Grafschaftspolizei mit der gründ lichen Durchsuchung des Hauses, nachdem tags zuvor merkwürdige Geräusche gehört und Licht gesehen worden war. Nach dem Mord an Sir Norman Moorland, wir haben bereits ausführlich darüber berichtet, ereigneten sich in Whitehall-Place mysteriöse Dinge. Ein unheimlicher Geist soll sein Unwesen treiben. Ist es der Ermordete selbst, der keine Ruhe findet? Oder handelt es sich um ein parapsychologisches Phänomen? Die Antwort darauf ist noch ausständig. Vorerst geht die Suche nach dem unheimlichen Be wohner von Whitehall-Place weiter. In der unteren rechten Ecke war ein Foto von Eiren Ridd zu sehen.
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»Davon hatte ich keine Ahnung«, sagte Margaret, »trotzdem - ich bleibe dabei. Ein Geisterhaus hat mich schon immer interessiert.« »Wenn es Sie nicht stört«, sagte der Makler, »mir soll es recht sein. Aber bitte, vergessen Sie nicht, dass ich Sie gewarnt habe...« »Willst du es nicht noch einmal überlegen?«, fragt Hal Ellson. »Sei doch nicht albern«, erwiderte Margaret. »Ich werfe doch nicht wegen eines Geistes die Flinte ins Korn...« Margaret Belmore war in Amerika geboren und aufgewachsen. Drüben gab es keine Gespenster, deshalb war sie besonders darauf erpicht, einmal einen britischen aristokratischen Geist kennen zu ler nen. Am Abend wurde der Mietvertrag in einem Restaurant gefeiert. Margaret zog alle Blicke auf sich, als sie in ihrem geranienroten Kleid durch das Lokal ging. »Hallo, Hal«, sagte sie. »Wartest du schon lange?« Wie immer hatte sie sich verspätet, aber einem so schönen Mäd chen wie Margaret musste man schon ein paar kleine Fehler zugeste hen. »Ich bin gerade gekommen«, sagte Hal gutgelaunt. »Was willst du trinken?« »Champagner«, sagte sie geradeheraus. »Schließlich mietet man nicht jeden Tag ein Haus mit Geist - das muss doch gefeiert werden, nicht wahr?« »Da bin ich völlig deiner Meinung«, erwiderte Hal. »Hoffentlich wirst du in diesem Haus nicht selbst zum Geist.« »Warum sagst du das?« »Weil Leben und Tod unergründlich und rätselhaft sind«, antwor tete Hal. »Über diese Dinge wissen wir nichts.« »Du willst mir wohl Angst einjagen?« »Nein«, sagte Hal. »Ich möchte dir bloß von einem Erlebnis erzäh len, das mein Vater vor einigen Jahren auf einem Schloss in Schottland hatte. Übrigens ein Erlebnis, bei dem sich auf rätselhafte Weise das Unerklärbare mit einer ebenso unheimlichen Realität mischte.« »Fein«, meinte Margaret, »ich höre gerne Geistergeschichten. Wenn es dir nichts ausmacht...« 61
»Du weißt ja, dass mein Vater hauptsächlich mit alten englischen Stil möbeln handelt. Als der alte Lord Marc Kenzie starb und sein Sohn Ross das Schloss samt Inventar erbte, musste er um die hohe engli sche Erbschallssteuer bezahlen zu können, einen Teil den wertvollen Bilder verkaufen, die seine Vorfahren zusammengetragen hatten. Als das noch immer nicht reichte, verkaufte er auch einige kostba re Möbel. Mein Vater machte dem jungen Lord ein Angebot und Ross lud ihn ein. Mit einer gewaltigen Summe Bargeld fuhr Vater auf das Schloss. Er war von dem jungen Lord nicht sehr begeistert. Schnelle Sportwagen und Mädchen schienen ihn mehr zu interessieren, als die Kunstschätze seines verstorbenen Vaters. Meinem alten Herrn konnte das nur recht sein, so konnte er hoffen, die Möbel für einen günstigen Preis zu bekommen. Eine Weile saßen sie am Kamin, redeten über Gott und die Welt und tranken schottischen Whisky, den ein Butler serviert hatte. Gerade als sie im Begriff waren, die Halle zu verlassen, zerbarst eine Fensterscheibe mit einem ohrenbetäubenden Lärm. Es klang, als hätte jemand einen Stein auf die Scheibe geworfen. Der Butler wechselte einen raschen Blick mit seinem Herrn, dann trat er ans Fenster und öffnete es. Er sah nach allen Seiten, schloss es wieder und schüttelte den Kopf. Es war nichts zu sehen.« Hal unterbrach seine Erzählung, nahm einen Schluck Champagner und sagte: »Interessiert es dich Überhaupt?« »Na und ob«, erwiderte Margaret. »Du warst fabelhaft. Du bist der geborene Erzähler.« »Du willst mich wohl verschaukeln«, meinte Hal. »Nein, ehrlich«, wehrte Margaret ab. »Die Geschichte gefällt mir. Ich bin neugierig, welche Pointe sie hat...« »Der junge Lord versicherte meinem Vater«, fuhr Hal in seiner Er zählung fort, »dass er nichts zu fürchten habe, denn in vielen schotti schen Schlössern spukt es. Er schickte den Butler hinaus und versi cherte, dass er allein mit dem Geist fertig werden würde. 62
Als sie schließlich von den Möbeln sprachen und die Halle verlas sen wollten, zersprang abermals eine Fensterscheibe. Der Lord nahm keinerlei Notiz und tat so, als wäre nichts geschehen. Als mein Vater die angebotenen Objekte besichtigt und eine große Summe Bargeld angezahlt hatte, stand plötzlich der Butler mit einem Revolver vor ihm. Der junge Lord bedauerte diesen Umstand und tröstete meinen Vater damit, dass er nichts zu fürchten habe, solange er seinen Anwei sungen nachkäme. Gerade als er dem Butler den Befehl gab, Vater in den Keller zu sperren, drang ein schrilles Gelächter aus dem Neben zimmer. Der Lord fuhr herum. Das Lachen war noch lauter geworden. Der Butler packte meinen Vater und stieß ihn in das Zimmer. In einem Sessel saß ein alter Mann mit einem altmodischen Schlafrock. Er schimpfte meinen Vater zusammen, dass er sich mit diesen beiden Lumpen eingelassen habe und fügte hinzu, dass sie ihn im Keller umbringen wollten. Die beiden wussten natürlich nicht, mit wem mein Vater redete. Sie konnten ihn nicht sehen. Nur sein Lachen hörten sie. Mein Vater fragte, ob er ihm helfen könne. Der Alte im Sessel nickte. Der junge Lord und der Butler musterten sich mit einem eigen tümlichen Blick, der wohl besagte, dass Vater nicht alle Tassen im Kopf hatte. Ehe Vater noch einen weiteren Gedanken fassen konnte, ertönte ein Geräusch - wie wenn Stoff zerreißen würde. Genau über dem Butler an der Wand hing ein Schild. Es fiel herun ter und traf ihn am Kopf. Lautlos sackte er zusammen und noch ehe der Revolver zu Boden gefallen war, hatte ihn mein Vater auch schon in der Hand. Er richtete die Waffe auf den jungen Lord.« »Wünschen Sie noch eine Flasche Champagner?«, fragte plötzlich der Kellner in Hals Erzählung hinein. Hal ärgerte sich - er war so schön in Fahrt und ausgerechnet jetzt musste der Bursche ihn unterbrechen. Er bestellte noch eine Flasche und fragte dann völlig verwirrt. »Wo war ich stehen geblieben? Dieser Kerl hat mich ganz aus dem Konzept gebracht.« 63
»Dein Vater richtete die Pistole auf den Lord«, sagte Margaret. »Richtig«, erwiderte Hal. »Mein Vater wollte die Polizei rufen, aber alle Telefondrähte im Haus waren durchschnitten. Kurz entschlossen sperrte er den Lord in ein Zimmer und fuhr zur nächsten Polizeistation. Später stellte sich heraus, dass der Lord gar kein Lord war, son dern ein viel gesuchter Einbrecher und Betrüger. Vater bekam sein Geld zurück und der Mann wurde in Handschellen abgeführt. Das Per sonal und der echte Lord waren seit zwei Tagen im Kellergewölbe des Schlosses eingesperrt. Während der ganzen Zeit hatte der alte Herr im Sessel zugesehen, aber niemand, weder die Polizei noch der richtige Lord oder die Ange stellten sehen ihn. Bevor er verschwand, winkte er meinen Vater zu sich und gab ihm seinen schweren silberbeschlagenen Spazierstock als Erinnerung, denn dort, wo er jetzt sei, könnte er ihn sowieso nicht brauchen. Dann war er spurlos verschwunden.« Margaret war von der Geschichte völlig gefangen. Einen Augen blick lief es ihr kalt über den Rücken, aber dann hatte sie sich wieder unter Kontrolle. »Ist das alles?«, fragte sie nach einer Weile. »Nein«, sagte Hal. »Vater erzählte das Erlebnis dem Lord, aber er konnte sich nicht recht dafür begeistern. Er hielt das ganze für eine Ausgeburt einer überreizten Phantasie. Eine Stunde später hatte es der Lord beinahe geschafft, meinem Vater glauben zu machen, dass er einer Sinnestäuschung erlegen sei. Als Vater jedoch den Spazierstock vorzeigte, wurde der Lord bleich wie Wachs. Er wusste mit Sicherheit, dass dieser Stock im Sarg seines Vaters lag, als er beerdigt wurde. Er trug auch die Initialen von Lord John Marc Kenzie. Ein Irrtum war völlig ausgeschlossen. Vater hat heute noch den Stock.« »Das ist ja richtig zum Gruseln«, meinte Margaret und schüttelte sich. »Das sind schöne Aussichten, die mich da erwarten. Aber jetzt ist es sowieso schon zu spät. Wenn es wirklich Geister dort geben sollte 64
dann habe ich immer noch dich, du wirst mir wohl diese Gesellen vom Hals schaffen können, nicht wahr?« Frauen wie Margaret, die mit beiden Beinen mitten im Leben standen, waren für Hal immer irgendwie ein bisschen unheimlich ge wesen. Bis jetzt hatte sie immer den Eindruck erweckt, es gäbe nichts, was sie nicht ohne fremde Hilfe fertig brächte. Doch nun schien sie doch in einer gewissen Hilflosigkeit zu stecken, die Hals Beschützerin stinkte weckte. * In der ersten Nacht schlief Margaret Belmore im Whitehall-Place tief und traumlos. Sie erwachte ausgeruht und gutgelaunt. Der Himmel war strahlend blau und sie fühlte sich wie eine Königin. Den ganzen Tag streifte sie draußen herum und sah sich die Gegend an. Der Abend war schön. In der Luft lag der feine Duft der Nadel bäume. Dann und wann gurrte eine Wildtaube. Margaret sah inmitten rauschenden Farns die feuerfarbene Brust eines Fasans. Von den Bäumen blickten Vogel und Eichhörnchen. Wildkaninchen holperten, die weißen Schwanzstummel in der Luft, durchs Unterholz fort und über den moosigen Waldboden dahin. Ein Schwarm Krähen flog schreiend über die Baumwipfel. Als Mar garet wieder zum Haus zurückkam, fielen die ersten Regentropfen. Ein Gewitter kündigte sich an. Die ersten Blitze zuckten über den Himmel und Wind kam auf. Später ging Margaret auf die Terrasse hinaus und sah auf die un ruhige graugrün gefärbte See. Weiße Gischt spritzte über die Steine und die Brecher schlugen mit solchem Lärm gegen die Felsen, als woll ten sie Tote aufwecken. Weit draußen zog ein Schiff vorbei. Sie starrte so lange auf die Positionslichter, bis sie die Dunkelheit aufgesaugt hat te. Als sie gegen elf zu Bett ging, goss es in Strömen und der Wind sauste seufzend ums Haus wie eine verlorene Seele. Er rüttelte und 65
zerrte so gewaltig an allen Türen und Fenstern, als wollte er unbedingt hinein - aber es gelang ihm nicht. Äste schlugen gegen die Fensterscheiben, ein Vogel schickte sei nen unheimlichen Schrei in die Nacht und das Meer war noch wilder geworden als es schon war. Margaret aber schlief und ahnte nicht, was sich im Haus abspielte. Über das Geräusch des Regens und des Sturmes hinweg hörte der seltsame Geist von Whitehall-Place das gleichmäßige Atmen von Mar garete Belmore. Geräuschlos schlich er durch das Haus, durch die Zimmer - stahl sich die Treppe hinunter und huschte wie ein Schatten in die Küche. Niemand sah ihn, nur die Finsternis starrte ihn verwundert an, während er durch sie hindurch schritt. Einmal blieb er stehen. Er glaubte ein Geräusch zu hören, doch es war nur der Wind. Er ging weiter und fluchte in Gedanken wie ein Bierkutscher. Seine bleichen Hände hielt er wie ein Schlafwandler weit von sich gestreckt. In der Küche blieb er stehen. Ein Luftzug spielte mit seinen langen wirren Haaren, das gab seinem Gesicht eine phantastische Form. Margaret wusste von alldem nichts. Sie schlief tief und traumlos, wachte frisch und ausgeruht am anderen Morgen auf und glaubte allen Ernstes, die ganze Geistergeschichte sei nur an den Haaren herbeige zogen - aber da sollte sie sich noch irren. * »Ich bin richtig froh, dass wieder jemand hier wohnt«, sagte Eiren Ridd zu Margaret Belmore und stellte sich als ihr Nachbar vor. »Wissen Sie, ein unbewohntes Haus ist ein trauriger Anblick, finden Sie nicht auch?« »Ja«, erwiderte Margaret. »Jemand hat einmal gesagt, Häuser sind wie Menschen, wenn sie in schlechte Hände geraten, werden sie böse.« 66
»Das mag schon stimmen«, bestätigte Mr. Ridd. »Whitehall-Place war, soweit ich mich entsinnen kann, immer in guten Händen. Gefällt es Ihnen hier?« »Und ob«, antwortete Miss Belmore. »Schon als kleines Kind habe ich mir so ein Haus gewünscht.« »Haben Sie schon etwas bemerkt? Ich meine, hat sich der Geist schon gezeigt?« »Sie glauben also auch, dass es hier spukt?« »Da bin ich völlig sicher«, entgegnete Mr. Ridd. »Ich habe selbst die Geräusche gehört. Aber es gibt auch Menschen, die keine Geister wahrnehmen - vielleicht gehören Sie dazu.« »Ich bin in Amerika geboren«, erwiderte Margaret, »da gibt es keine Gespenster. Ich glaube auch nicht daran.« »Das sollten Sie nicht sagen«, meinte Eiren Ridd. »Wenn es geis tert, gibt es immer einen logischen Hintergrund.« »Wie meinen Sie das?«, wollte Margaret Belmore wissen. »Das ist doch ganz einfach«, sagte er. »Früher hat man ange nommen, ein Spuk entstünde nur dann, wenn ein Leben jäh endete. Sie kennen die Geschichte von Mr. Moorland?« Margaret bejahte. »Dann wissen Sie ja auch, dass Zorn und der Wunsch nach Rache Kräfte entfesseln, die dann Erscheinungen auslösen, die wir als Spuk bezeichnen.« »Und Sie glauben, dass es so etwas wirklich gibt?« »Ich weiß es, weil ich es mit eigenen Augen erlebt habe«, ent gegnete Eiren Ridd. »Ein solcher Fall war der Mord an Esther Doone in Benhire bei London. Das war vor siebzehn Jahren. Damals wohnte ich noch in Benhire. Esther war Hausmädchen bei Fenton Brown, einem Spirituosen händler. Sie war ein hübsches Mädchen von achtzehn Jahren und wur de alsbald von Browns Sohn Samuel verführt, der ganze neunzehn war. Es wurde ein reges Liebesverhältnis daraus, das monatelang ge heim blieb, bis Esther schwanger wurde. Als Mr. und Mrs. Brown dahinter kamen, was unter ihrem respek tablen, gottesfürchtigen Dach vor sich gegangen war, wurde Esther 67
auf der Stelle entlassen, obwohl man später abstritt, ihr aus diesem Grunde gekündigt zu haben. Hoffentlich langweile ich Sie nicht, Miss Belmore«, sagte Mr. Ridd. »Wenn es Sie nicht interessiert, brauchen Sie es nur zu sagen.« Obwohl Margaret mit ihren Gedanken bei den Rosen war und sie daran dachte, dass sie zurück geschnitten werden sollten, forderte sie den alten Mann auf, ruhig weiterzuerzählen. »Nun, dieser Schuft hatte dem Mädchen alle möglichen Verspre chungen gemacht. Aber er war weder in der Lage es zu unterstützen, noch dachte er überhaupt daran, etwas zu tun. Heiraten wollte er es natürlich auch nicht. Sein Bruder hatte schon den Zorn seiner Eltern durch eine un standesgemäße Heirat heraufbeschworen. Samuel hatte nicht die Ab sicht, seinen ergrimmten Vater auf dieselbe Weise zu provozieren.« »Das Mädchen wollte natürlich geheiratet werden«, sagte Marga ret, »das wäre auch die Pflicht dieses Burschen gewesen. Er hat es aber nicht getan, nicht wahr?« »Nein«, entgegnete Ridd. »Er verabredete sich mit ihr an einem bekannten Treffpunkt für Liebespaare und das war auch das letzte mal, wo sie lebend gesehen wurde.« »Er hat sie umgebracht?« »Ja, am nächsten Morgen wurde sie im Holms-Park tot aufgefun den. Samuel wurde des Mordes angeklagt. Bei der Verhandlung stellte sich jedoch heraus, dass alle belastenden Aussagen, die Esther in der Zeit vorher von sich gegeben hatte, nur vom Hörensagen stammten und daher als Beweise unzulässig waren.« »Sagen Sie bloß, der Kerl wurde freigesprochen?«, fragte Marga ret. »Genauso war es«, bestätigte Mr. Ridd. »Aber das Urteil löste Auf ruhr und Empörung aus, die sich bis ins Jenseits auszubreiten schie nen. Esthers Geist begann in dem Park herumzuspuken und war bald Gesprächsthema Nummer eins. Viele Liebespaare und auch die Polizei sagten übereinstimmend aus, dass nachts ein Mädchen am See herumging, das der Ermordeten genau aufs Haar glich. 68
Drei Jahre lang sah man es. Erst als eine neue Untersuchung im Mordfall Esther Doone aufgenommen wurde und Samuel doch des Verbrechens an dem Mädchen überführt werden konnte, verschwand Esthers anklagender Geist.« »Sie glauben, dass Mr. Moorland hier im Haus herumspukt?«, fragte Margaret. »Ja, davon bin ich überzeugt«, erwiderte Mr. Ridd. »Aber vor Mr. Moorlands Geist brauchen Sie keine Angst zu ha ben. Er tut Ihnen nichts - da können Sie völlig sicher sein. Er hat nie einer Fliege etwas zuleide getan...« Sie hörte gar nicht mehr zu, was Mr. Ridd redete. Sie war mit ih ren Gedanken woanders. Der Alte schwatzte ununterbrochen weiter und er hätte es bestimmt noch eine ganze Weile getan, wenn nicht Webster dazwischen gekommen wäre. Beinahe wäre Margaret zu Boden gerissen worden, nur mit Mühe gelang es ihr, Balance zu halten. Ein mächtiger Boxer war freudig auf ihre Brust gestürzt und bearbeitete sie mit den Pfoten. Margaret versuchte ihn abzuwehren, aber der Hund blieb, wo er war, keuchte ihr begeistert ins Gesicht und wedelte mit dem ganzen Hinterteil dazu. »Webster, sitz!«, befahl der alte Herr scharf und als Webster kei nerlei Notiz nahm, sagte er: »Er scheint Sie zu mögen, Miss... Das kommt nicht oft vor... Sie sind eine Ausnahme.« Margaret lächelte gequält - endlich konnte sie sich das Riesenvieh vom Hals schaffen und sich hinter Mr. Ridd in Sicherheit bringen. Aber Webster hatte gar nicht vor, nochmals seine temperament vollen Äußerungen zur Geltung zu bringen. Seine Aufmerksamkeit galt einem Vogel, der in Moorlands Garten gelandet war. »So, jetzt muss ich aber los«, sagte Eiren Ridd, »sonst pflügt er Ihnen noch den Garten um. Webster, komm sofort her...« Die Zeit bis zum Abend war zusammengeschmolzen, ohne dass Margaret eigentlich recht wusste, was sie den ganzen Tag über getan hatte. Trotzdem fühlte sie sich erschöpft und glücklich zugleich. Nach dem Abendessen setzte sie sich vor den Fernseher und sah sich eine Sendung mit dem Titel ›Wie ängstlich sind Sie?‹ an. 69
Vernünftiger wäre es gewesen, sie hätte sich die Show erst gar nicht angesehen, aber die Neugierde hinderte sie daran, den Apparat abzuschalten. Gespannt starrte Miss Margaret Belmore auf dem Fernsehschirm. Aus dunklem Untergrund erschien ein weibliches Gerippe in einem viktorianischen Kleid und gepuderter Perücke; der grinsende Toten schädel zeigte eine Reihe schneeweißer Zähne und begann dann zu sprechen: »Haben Sie das auch so gerne?«, fragte die Knochen-Lady. »Was, Sie wissen nicht, was ich meine? Kommen Sie näher... Noch etwas...« Sie winkte mit ihrem elfenbeinbleichen spindeldürren Zeigefinger, bis die Kamera zur Totalen überging und die ganze Gestalt wieder zu sehen war. »So - jetzt können wir uns besser unterhalten«, sagte der weiß gebleichte Totenschädel grinsend. »Haben Sie es auch schon erlebt? Zuerst ist es nur ein flüsterndes Gefühl im Rückenmark. Kribbeln könn te man es nennen. Doch dann greift es jäh um sich, ergreift alles ein schließlich der Haarwurzeln, lässt den dunklen Hintergrund lebendig werden. Sie wagen kaum zu atmen - horchen und blicken sich verstohlen um. Sie erschauern - hinter den Vorhängen tuschelt und wabert es. Die Uhr zeigt - Mitternacht. Unheimliche Gestalten erwachen zum Le ben. An besonders guten Tagen können Sie uns sehen! Möchten Sie das? Dann schauen Sie doch einmal unter Ihr Bett heute Abend, vielleicht sehen wir uns?« Mit einem teuflischen Gelächter, das aus einem tiefen, alten Ge wölbe zu kommen schien, verabschiedete sich die Skelett-Dame und verschwand vom Bildschirm. »So ein Blödsinn«, sagte Margaret laut vor sich hin. »Können die nicht einen anständigen Film bringen, als den Leuten Angst einzuja gen?« Sie wollte schon abdrehen, dann starrte sie doch weiter in die Röhre. »Guten Abend, sagt Ihnen Bob Tenner. Meine lieben Nachtfreun de«, begann der Sprecher, »heute wollen wir uns einmal mit einer 70
Situation befassen, in der sich wohl schon jeder von uns einmal be fand. Wir alle wissen, dass zum Beispiel ein Gruselfilm im Kino, oder ein Krimi im Fernsehen, nicht ohne Nachwirkung bleibt, wenn man spät abends allein zu Hause ist. Da wird schon die Klingel der Türglocke oder des Telefons zu etwas Gespenstischem. Die sieben unheimlichsten Situationen werde ich Ihnen nun auf zählen. Sie alle kennen sicher jene Filme, in denen der tapfere Held oder die von wahnsinniger Angst geplagte Heldin durch ein altes halb verfallenes Haus, unterirdisches Gewölbe oder durch ein verwinkeltes Schloss irrt - einem schauerlichen Geheimnis auf der Spur, oder auf der Flucht vor einem drohenden Verhängnis. Das ist Film. Nun zur Wirklichkeit. Sie kommen abends nach Hau se...« An Stelle des Sprechers erscheint auf dem Bildschirm ein dunkles Zimmer, in dem eine Frau steht. Plötzlich knarren Dielen, ein Vorhang bewegt sich und hält mitten in der Bewegung inne, als habe ihn eine unsichtbare Hand gestoppt. Dann öffnet sich leise eine Tür. Als einziges Geräusch im Raum ist nur das klopfende Herz der Frau zu hören. Plötzlich mischt sich das Heulen eines Hundes dazu und ein Käuzchen stößt seine schrillen Schreie aus. Die Frau im Zimmer hat längst erkannt, dass ihr ein ganz böser, mordgieriger Kerl auf den Fersen ist und sie um die Ecke bringen will. »Nun, die Szene, die Sie sahen, meine Freunde«, sagte der Spre cher wieder, »hätte wohl jeden von uns in eine ähnliche ängstliche Situation gebracht. Aber denken wir mal logisch nach und bleiben wir mit den Füßen auf der Erde. Das Knarren der Dielen kam natürlich durch Auskühlen des Holzes zustande. Der Vorhang und die Tür bewegten sich durch den Wind, darauf brauche ich wohl nicht besonders hinzuweisen. Ja und jeder weiß, dass nachts Hunde den Mond anheulen und Käuzchen schreien. Wie Sie sehen, meine lieben Zuseher, hatte diese Situation nichts Mysteriöses an sich. 71
Abgesehen davon, wer würde schon stundenlang hinter einem Vorhang stehen und warten, bis die betreffende Person nach Hause kommt. Und nun möchte ich Ihnen die nächste Szene vor Augen führen. Ich glaube fast jeder von uns hätte sich in dieser Lage ähnlich benommen - doch sehen Sie selbst.« Auf dem Bildschirm erscheint ein halbdunkles verqualmtes Zim mer, in dem eine Frau ängstlich vor dem TV-Gerät sitzt und den Misse taten des Grafen Dracula zusieht. Das nächste Bild zeigt die gleiche Szene, nur dass anstelle des Gruselfilms ein Krimi, in dem ein mordender Psychopath sein Opfer per Telefon in die Falle lockt, läuft. Die nächste Blende zeigt eine sitzende, Zeitung lesende Person, die sich in einen Bericht mit dem Titel ›Der Kellermörder wieder in Aktion‹ vertieft. Donner und Sturm sind zu hören. Kurz darauf die gleichen Szenen, nachdem die Sendungen been det sind. Die Frau, die den Gruselfilm gesehen hat, fährt plötzlich zu sammen und stößt einen spitzen Schrei aus. Draußen auf der Terrasse war ein klirrendes Geräusch zu hören. Sie glaubt schon, Dracula will ins Zimmer. Sie stürzt zum Lichtschalter, aber es ist nicht der Vampir, sondern nur der Nachbarkater, der sich aus dem Hundefutter ein paar Brocken stibitzt. Das nächste Bild zeigt die Person, die den Psycho-Krimi gesehen hat. Sie liegt schon im Bett - als plötzlich das Telefon klingelt. In Ge danken geht sie rasch alle Personen durch, die sie zu dieser Nachtzeit anrufen könnte, aber sie findet niemanden. Das Klingeln hat etwas Gespenstisches an sich. Unwillkürlich bringt sie den Anruf mit dem soeben gesehenen Irren in Verbindung. Schließlich betrieb er mit dem Telefon sein unheimliches Geschäft. Die dritte Person ist nicht zu überreden, im Keller nachzusehen, ob die Tür, die zum Garten führt, verschlossen ist. Sie glaubt allen Erns tes, der Kellermörder könne vielleicht in ihrem Haus lauern. »Hand aufs Herz«, sagt der Sprecher wieder, »wäre es Ihnen nicht genauso ergangen? Das einzige was man sicher weiß, ist, dass man sich nie wieder allein solchen Blödsinn ansehen wird. Aber diese 72
Gedanken kommen einem erst hinterher, vorausgesetzt, man ist nicht so hart gesotten wie ein Zwanzig-Minuten-Ei. Nun zu einem anderen Beispiel des Gruseins«, meint der Sprecher. »Forscht man genauer nach, stößt man auf eine ganze Menge Leute, die sich mehr oder we niger fürchten, wenn sie spätabends allein in ihre verlassene Wohnung oder ihr einsames Haus heimkehren. Viele machen es so, wie Sie es in der nächsten Szene sehen können.« Auf dem Bildschirm erscheint eine Frau, die spät am Abend in ihre Wohnung zurückkehrt. Nachdem sie geöffnet hat, läuft sie ins Schlaf zimmer, verriegelt die Tür und bleibt dort bis zum nächsten Morgen. Darauf folgt das gleiche Bild, nur dass diesmal die Frau durch alle Räume eilt und fragt: ›Hallo, ist da jemand?‹ und sämtliche Beleuch tungskörper anknipst. »Nun ja, liebe Freunde, das mag vielleicht die Wirklichkeit sein«, sagt Bob Tenner, der Sprecher, wieder. »Aber die Frage, die die Dame da an die Dunkelheit richtet, erscheint wohl ziemlich überflüssig. Be denken Sie - selbst wenn dort jemand gewesen wäre - hätte er wohl kaum diese Frage beantwortet und sich vorgestellt. Aber nicht nur innerhalb alter und neuer Gemäuer kann man sich gruseln - dass es auch im Freien unheimlich sein kann, zeigt Ihnen unser letzter Beitrag.« Der Fernsehfilm zeigt ein Häuschen im Mondschein. Der Garten ist ein wild wuchernder Dschungel, der bis zum Eingang reicht. Der Weg zum Haus ist fast von Pflanzen zugewachsen. Die Person, die davor steht, zögert. Sie glaubt in den Büschen lauern dunkle Elemente. Sie wagt nicht hindurchzugehen. »Auch diese Vorstellung«, begann der Sprecher, »ist, wie Sie se hen völlig falsch. Wer wird denn schon stundenlang hinter einem Ge büsch auf der Lauer liegen, um Spätheimkehrer in Angst und Schre cken zu versetzen? Na also, jetzt sehen Sie wieder einmal, wie recht ich hatte, nicht wahr? Was...? Sie sind anderer Meinung. Nun ja, seit dem bösen Wolf im Rotkäppchen, graulen sich auch viele Menschen im dunklen Wald, selbst am helllichten Tage, zumal, wenn ihnen keine Menschenseele 73
begegnet. Trifft es aber doch zu, fürchten sie sich gleich noch mehr aber keine Angst, niemand will Ihnen etwas tun...« Plötzlich erscheint in Großaufnahme auf dem Bildschirm der To tenkopf mit der Perücke. »Glauben Sie ihm kein Wort«, sagt die Knochenlady grinsend. »Vielleicht begegnen Sie im Wald - dem Mörder - der sein nächstes Opfer sucht. Aber ich rate Ihnen auf alle Fälle heute Abend unters Bett, hinter den Duschvorhang, oder in den Schrank zu sehen - viel leicht sehen wir uns - also, dann bis bald...« »Das war's für heute«, sagt der Sprecher wieder. »Aber psst...« Er legt seinen Zeigefinger an die Lippen. »Ich will es gar nicht wissen, aber was machen Sie wirklich, wenn Sie jemanden dort finden soll ten?« »Das war Bob Tenner - mit seiner Frage: Wie ängstlich sind Sie? Hoffentlich haben Sie heute Nacht keine schlechten Träume - in die sem Sinne verabschieden wir uns bis zum nächsten Mal...« Auf was die Leute alles kommen, dachte Margaret, während sie den Fernseher abschaltete. Sie hatte keine Angst, aber der grinsende Totenschädel würde ihr eine Weile im Kopf herumspuken, dessen war sie sicher. Plötzlich, als sie die Treppe hochging, wurde ihr so merkwürdig. Sie hätte nicht sagen können, woher es kam. Die Sendung hatte ihr doch mehr zugesetzt, als sie gedacht hatte. Vielleicht war sie auch zu rasch die Stufen hinaufgelaufen, oder lag es am dunklen Korridor, der wie ein lebendiges Auge in ihren Rücken stach. Zum ersten Mal bemerkte Margaret die vielen Bilder an den Wän den. Feindselige Gesichter starrten aus den Rahmen. Sie hätte nie ge dacht, dass die Leute im 17. Jahrhundert solche Visagen hatten. Um auf andere Gedanken zu kommen, versuchte sie im Bett noch zu lesen, aber es gelang ihr nicht recht. Irgendwann fielen ihr dann doch die Augen zu. Sie schlief die ganze Nacht durch, ohne ein einzi ges Mal aufzuwachen. Margaret hörte auch nicht die schweren Glockenschläge der Uhr, die aus der Halle kamen und das ganze Haus erschütterten. 74
Der seltsame Geist von Whitehall-Place, der gerade in der Küche war, war über diesen Lärm so entsetzt, dass er vor lauter Nervosität ein paar alte Kupferkannen vom Kaminsims stieß und unter entsetzli chen Flüchen das Weite suchte. Als Margaret am nächsten Morgen die Augen aufschlug, wehte ein leichter Wind und die Sonne schien warm zum Fenster herein. Der Wind, die Sonne, das Rauschen des Meeres - gaben der Atmosphäre eine heitere Unbeschwertheit. Die Unordnung in der Küche begründete Margaret einfach damit, dass die Kannen ins Rutschen gekommen waren. Damit ließ sie es bewenden eine andere Erklärung war für sie unmöglich. * Die nächsten Tage waren phantastisch. Der Himmel war seidigblau und die Sonne zauberte rotgoldene Reflexe in Margarets Haar, als sie nach dem Mittagessen hinaus in den Garten trat. In den vergangenen Tagen hatte sie täglich ein paar Stunden bei den Blumen gearbeitet und alles fabelhaft in Ordnung gebracht. Nachmittags, wenn die Sonne günstig stand, baute Margaret die Staffelei auf der Terrasse auf. Nach einer halben Stunde nahm das Bild langsam Leben an, zwar noch undeutlich, aber man hatte schon eine Ahnung, was es wurde. Die Grundstruktur war da; der Hintergrund jedoch, wie Margaret ihn einfangen wollte, der Felsen, die glitzernde See, der blaue Himmel - all das stimmte noch nicht und mit der Farbkombination war sie auch noch nicht zufrieden. Etwa eine Stunde lang arbeitete Margaret konzentriert. Gerade als sie eine Pause machen wollte, rief sie eine Stimme an. Der Ton traf sie so unerwartet, dass sie zusammenzuckte und herumfuhr. Hauptpolizeimeister Conants breites Gesicht grinste zur Terrasse herauf. »Wusste gar nicht, dass Whitehall-Place wieder so eine hübsche Bewohnerin hat«, sagte er freundlich. »Ich will nicht stören. Sie sind doch Miss Belmore, oder nicht?« 75
Margaret nickte. »Ich wollte schon einmal hereinschauen, aber Sie waren nicht da. Gefällt es Ihnen hier, Miss?« »Herrlich...«, erwiderte Margaret andächtig. »Es ist hier draußen wirklich schön.« Sie legte Pinsel und Palette weg und lief in den Garten hinunter. »Es ist fast unbegreiflich, dass in diesem Haus ein so schreckliches Verbrechen geschehen konnte«, sagte Margaret, als sie neben Conant stand. »Ja, da pflichte ich Ihnen bei, Miss«, erwiderte der Hauptpolizei meister. »Die Welt ist voll Schlechtigkeit. Diese Verbrecher schrecken vor nichts zurück.« »Wissen Sie, als ich zum ersten Mal hier hereinkam, da hatte ich das Gefühl, als habe das Haus nur darauf gewartet, dass ich käme, um es in Besitz zu nehmen. Das klingt wahrscheinlich ein bisschen ver rückt...« »Nein, gar nicht, Miss. Ich kenne das. Wenn ich mir zum Beispiel einen Gegenstand kaufe, geht es mir ähnlich.« Conant lachte. »Aber das ist natürlich etwas ganz anderes. Mrs. Moorland glaubt, dass es hier spukt. Haben Sie was gehört?« »Ich habe nichts gehört und gesehen«, sagte Margaret wahrheits gemäß. »Aber als vor zwei Tagen die Reinemachefrau hier war, be hauptete sie, Schritte auf der Treppe zu hören. Sie behauptete auch, oben tappt jemand herum. Sie ist mindestens sechs- oder siebenmal hinaufgelaufen - aber es war niemand da. Sie sagte, wenn das so wei terginge, würde sie nicht mehr kommen.« »Scheint ja eine sehr ängstliche Person zu sein«, sagte der Hauptpolizeimeister. »Ach wo«, entgegnete Margaret, »ängstlich ist die bestimmt nicht. Aber ihre Beklommenheit klang trotzdem ganz echt. Sie glaubt wirk lich, dass es hier spukt.« »Und Sie haben vor diesem Spuk keine Angst, Miss?« »Nein, ich habe keine Zeit, an solche Dinge zu denken, Sir. Ich mag das Haus und an das Alleinsein habe ich mich inzwischen ge wöhnt.« 76
»Fein«, antwortete Conant. »Dann kann ja nichts schief gehen. Sollten Sie mal Schwierigkeiten haben, dann brauchen Sie bloß anzuru fen, Miss.« Beim Einschlafen fragte sich Margaret, was die Leute eigentlich al le hatten. Was war nur mit diesem entzückenden alten Haus? Geisterte es hier tatsächlich? Margaret fand keine Antwort. Sie wusste nicht was sie glauben sollte, bis eines Tages doch etwas Mysteriöses, Unheimliches geschah, für das es keine Erklärung gab. Margaret träumte von einem dunklen Korridor und sah eine Uhr, die eben Mitternacht schlug. Gerade als sie die Treppe hochgehen wollte, schwebte eine Gestalt herunter. Margaret stieß einen Schreckensschrei aus und sprang zurück. Aber schon im nächsten Moment stand ein riesiges Gespenst, regungs los wie ein geschnitztes Bild und unheimlich wie der Traum eines Ir ren, vor ihr. Sein Kopf war kahl, sein Gesicht weiß wie Schnee und seine Augen sahen aus wie die eines toten Fisches. Ein teuflisches Gelächter schien seine Züge zu einem ewigen Grinsen verzerrt zu haben. Von seinem Körper strömten Strahlen violetten Lichts. Der Mund war eine Feuerquelle und ein leichentuchartiges Gewand umhüllte sei ne riesige Gestalt. Voll Entsetzen floh Margaret, nachdem sie noch einen weiteren Blick auf das schreckliche Ungeheuer geworfen hatte, in die Küche. Doch es dauerte keine Minute, da trat der Geist aus der Wand heraus und stand wieder vor Margaret. »Er hat alles zerstört«, sagte er zu ihr. »Meine Träume, meine Hoffnungen, all meine Pläne und Illusionen. Er hat mit seiner rechtha berischen Art alles zerstört... Und dann habe ich es getan. Er konnte sich nicht einmal wehren. Jetzt sind wir alle beide frei und das ist ein gutes Gefühl. Vielleicht kann ich noch einmal von vorn anfangen und alles besser machen.« »Nein!«, schrie Margaret und stampfte mit dem Fuß auf. »Sie sind schlecht und böse. Und was die Bilder betrifft, so wissen Sie ganz ge 77
nau, dass Sie es waren, der die Farben aus meinem Malkasten gestoh len hat, um sie vor mir zu verstecken. Erst nahmen Sie meine sämtlichen roten Farben, auch das Siena und ich konnte keine Felsenküste mehr malen. Dann nahmen Sie das Smaragdgrün und das Zitronengelb und schließlich hatte ich nichts mehr im Malkasten als das Marineblau und das Chinesisch-Weiß. Ich konnte nur mehr Walfischbilder malen und dabei werde ich immer so melancholisch, dass ich sie gar nicht mehr malen kann. Ich habe Ihnen nie etwas erzählt, obwohl ich mich immer sehr ärgerte und alles was Sie getan haben, war furchtbar lächerlich, denn wer hat schon jemals von einem zitronengelben Haus gehört?« »Seien Sie still«, sagte der Geist wütend. »Niemals während mei ner zweihundert Jahre als Geist, bin ich so schwer beleidigt worden. Was hätte ich tun sollen? Es ist schwierig, echtes Blut zu bekommen und als ich dann Ihre Malutensilien sah, sah ich keinen Grund, warum ich nicht Ihre Farben nehmen sollte. Ich habe Ihr Zitronengelb genom men und das Haus gezeichnet. Sehen Sie - hier ist es.« Margaret schleuderte die Decke beiseite und atmete schwer. Ihr war so heiß, als hätte sie in einem Ofen geschlafen Sie stolperte aus dem Bett und schaltete das Licht an. Als sie das Fenster öffnete, ge noss sie die erfrischende Brise. Ihre Knie waren so weich, dass sie sich festhalten musste, um nicht umzufallen. Ihre Hände zitterten. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Margaret wankte ins Badezimmer und trank ein Glas Wasser. Als sie wieder zurückging, wusste sie, was geschehen war. Sie musste darüber lachen. Es war ein Traum. Ein Alptraum. Wahrscheinlich kam das von dem Gespräch mit dem Hauptpolizeimeister. Sie ging wieder ins Bett, schloss die Augen und ließ das Licht brennen. Am Morgen hatte sie den größten Teil ihres Traumes schon wieder vergessen. Nach dem Frühstück ging sie in das Zimmer, das sie als Atelier hergerichtet hatte. Dort wollte sie den Vormittag über malen. Zuerst bemerkte sie es gar nicht. Es dauerte eine Weile, bis ihr Verstand die Ungeheuerlichkeit akzeptierte. Plötzlich blieb Margaret 78
wie versteinert stehen und hielt den Atem an. Sie traute ihren Augen nicht. Das weiße Zeichenblatt vor ihr war bemalt. Das war unmöglich. Sie war so betäubt, als habe in ihrer Nähe eine Explosion stattge funden. »Mein Gott«, flüsterte Margaret entsetzt. »Mein Gott... Das ist ja Hexerei.« Auf dem Zeichenblatt war dasselbe zitronengelbe Haus gemalt, das sie in ihrem Alptraum gesehen hatte. Margaret suchte krampfhaft nach einer natürlichen Erklärung, a ber sie fand keine. Noch immer blickte sie so konzentriert auf das Bild, als könne sie es wegzaubern. Doch es nutzte nichts. Allmählich wurde ihr klar, dass jemand in der Nacht während sie schlief, hier gezeichnet hatte. Dieser Gedanke jagte ihr Angst ein. Während sie überlegte, ob sie nicht doch etwas zu hartnäckig die Existenz von Geistern und Gespenstern geleugnet habe, betrachtete sie die Zeichnung. Ein zitronengelbes Haus ohne Garten und Bäume. Es war der plumpe Entwurf eines riesigen Gebäudes, es entsprach nicht der Wirklichkeit - ein Märchenpalast, eher der Laune eines ver rückten Phantasten entsprungen. In allem lag eine poetische Verfremdung, die die einzelnen Ele mente zu einer Wunsch weit machte. Das Haus hatte eine Unmenge Giebel, Erker, Balkone, Terrassen, Fenster und Türen und alles war gelb. Selbst das Dach, die Gitter vor den Fenstern und der Efeu, der sich die Mauer hinaufringelte. Margaret versuchte sich an den Traum zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Mit den wenigen Bruchstücken, die ihr im Kopf herumspukten, konnte sie nichts anfangen. Ihr Herz raste noch immer, als sie zu Mr. Ridd eilte. Ihre sorgfältig zu recht gelegten Sätze waren jedoch verpufft, als sie von dem un heimlichen Bild erzählen wollte. Margaret schluckte einige Male. Sie war noch immer viel zu sehr aufgeregt und brachte nur ein konfuses Gestammel über ihre Lippen. 79
Mr. Ridd stellte einige kurze und präzise Gegenfragen und als sie sich endlich beruhigt hatte, hörte er ihr höflich zu. »Nun werden Sie Ihre Zweifel, was die Geister betrifft, wohl end gültig über Bord geworfen haben, Miss Belmore, nicht wahr?«, sagte Eiren Ridd. »Nun wissen Sie, dass es die unglaublichsten...« »J-ja«, unterbrach Margaret, »das weiß ich - was soll jetzt ge schehen?« »Vor allem«, erwiderte Mr. Ridd, »sollten Sie sich mit Hauptpoli zeimeister Conant in Verbindung setzen. Aber Sie können tun, was Sie wollen. Es ist schließlich Ihr Gespenst. Vielleicht sollten Sie einer spiri tistischen Gesellschaft beitreten und einen Artikel darüber schreiben.« Sie fand ihn fabelhaft, er verkörperte geradezu den Prototyp des englischen Humors. Margaret wollte zuerst mit ihrem Freund Hal Ellson sprechen und ihm auch das Bild zeigen. Jedenfalls stand fest, dass jemand zu Hause war. Doch Margaret stellte sich die Frage, ob Geister Häuser zeichnen? Sie erinnerte sich, dass jemand einmal gesagt hatte, dass Geister nicht nur nachts erscheinen, sondern zu jeder x-beliebigen Zeit in Akti on treten können. Von nun an war Miss Belmore ständig gefasst, den unheimlichen Bewohner von Whitehall-Place zu begegnen. Das konnte praktisch überall geschehen. In einem Zimmer, in der Halle, auf der Treppe, im Korridor, oder wenn sie die Haustür aufschloss. Margaret versuchte sich vorzustellen wie der Geist wohl aussehen mochte. Vielleicht war er ein kleiner, freundlicher und solide wirkender Herr mit einem runden Apfelbäckchengesicht und weißen Haaren. Möglich, dass seine weiße Halsbinde sorgsam gefaltet und aus den Ärmelstulpen des kurzen Jäckchens die Rüschenmanschetten heraus blitzten. Vielleicht trug er auch eine Kniehose, weiße Strümpfe und glänzendschwarze Schnallenschuhe. So jedenfalls waren die Leute vor zweihundert Jahren gekleidet. Aber vielleicht war es auch ein scheußliches Ungeheuer. Ein Geist, der einem Angst und Schrecken einjagte. Vielleicht trug er seinen Kopf unter dem Arm, oder er zog sein Leichenhemd nach. 80
Jetzt, nachdem der Geist das zitronengelbe Haus gemalt - schien nichts unmöglich zu sein. Wenn Hal erst da war, wollte sie sich ent scheiden, ob sie weiter im Haus bleiben oder die Koffer packen sollte. Doch dann geschah etwas, mit dem Margaret nicht gerechnet hat te. Als sie wieder ins Haus zurückkehrte und ins Atelier ging, war die Zeichnung nicht mehr da. Der Bogen Papier mit dem zitronengelben Haus war spurlos verschwunden. Margaret bekam einen riesigen Schrecken. Gütiger Himmel, viel leicht bildete sie sich das alles nur ein, vielleicht kam das von diesem blöden Traum. Doch als sie den Malkasten und die Pinsel betrachtete, wusste sie, dass es kein Irrtum war. Margaret begann überall zu suchen - aber die Zeichnung blieb verschwunden, als hätte sie nie existiert. Es war dunkel im Zimmer geworden und Margaret Belmores Freund Hal Ellson sah die Glut seiner Zigarette im Spiegel hinter sei nem Rücken. Er hatte die Geschichte von dem zitronengelben Haus gehört und sehnte sich nach Licht und einem Schluck Whisky. Margaret wäre es viel lieber gewesen, er hätte ihren Bericht zer pflückt widerlegt, ihr bewiesen, dass es völlig absurd sei, sie beruhigt, indem er von Halluzinationen, überreizten Nerven und ähnlichem rede te, aber nichts dergleichen geschah. Sie wusste genau, was Hal in diesem Augenblick dachte. Er wuss te schon seit dem Gespräch mit dem Makler, dass es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Aber schließlich hatte sie darauf bestanden, hier zu wohnen. »Nun sitzt du in der Klemme«, sagte Hal endlich, als habe er ihre Gedanken erraten. »Das Gespenst hat dir jetzt gezeigt, wer Herr im Haus ist. Dir bleibt wohl nichts anderes übrig als auszuziehen.« »Gerade das werde ich nicht tun«, erwiderte Margaret stur. »Ich käme mir sehr lächerlich vor, wenn ich vor einem Geist davonlaufen würde.« 81
Hal war es, als habe sie ihm einen Schlag ins Gesicht versetzt. Er konnte es nicht glauben. »Soll das heißen, dass du hier bleibst?«, fragte er. »Ja«, bestätigte Margaret. »Mir gefällt dieses Haus und vielleicht ist es auch möglich, mit einem Geist im guten Einvernehmen zusam menzuleben.« »Das glaubst du wohl selbst nicht«, sagte Hal verärgert. »Du kannst wohl nicht ernstlich annehmen, dass du dich mit einem Geist hier wohl fühlst? Schon der Gedanke allein flößt mir Angst ein. Ich würde keine Minute mehr hier bleiben!« »Du scheinst erblich belastet zu sein«, antwortete Margaret. »Das ist eine englische Krankheit. Ich bin aber immun dagegen. Mir macht es nichts aus, mit einem Geist unter einem Dach zu leben, vorausge setzt, dass er sich anständig benimmt.« »Na, jetzt schlägt's aber dreizehn«, sagte Hal und schüttelte den Kopf. »Hast du etwa vor, die metaphysische Welt zu beeinflussen? Glaubst du, dass diese Schatten nach deiner Pfeife tanzen werden?« »Bring nicht alles durcheinander, Hal«, erwiderte Margaret. »Ich habe nicht die Absicht, jemand nach meiner Pfeife tanzen zu lassen. Aber vielleicht ist es kein Geist, der hier herumspukt - sondern ein Mensch...« »Was? Du glaubst, dass alles nur Betrug ist? Zu welchem Zweck? Wer würde so etwas tun?« »Das weiß ich auch nicht«, gab Margaret zu. »Aber hast du schon jemals gehört, dass ein Geist Bilder zeichnet?« Hal blieb ihr die Antwort schuldig und sie fuhr mit ihrer Vermutung fort. »Vielleicht möchte jemand Mrs. Moorland aus dem Haus vertrei ben - wäre doch möglich, oder?« »Völlig verrückt«, erwiderte Hal schroff. »Ich habe keine Lust, Phantastereien nachzujagen. Wenn du wieder zur Vernunft gekommen bist, weißt du, wo du mich findest.« Margaret hörte wie er mit aufheulendem Motor davonbrauste, als seien tausend Teufel hinter ihm her. 82
Benommen starrte Miss Belmore vor sich hin. Das war doch nicht möglich. Sie kannte Hal seit fast drei Jahren. Er war ein gebildeter und kultivierter Mensch. Er hatte Geschmack und Stil. Sie war immer stolz auf ihn gewesen. Ihre Freundinnen hatten sie um ihn beneidet. Seit er mit ihr zusammen war, hatte er sich für kein anderes Mädchen mehr interessiert. Sie war die Frau, die er in nächs ter Zeit heiraten wollte. Einige Dinge waren schon vorbereitet. Margaret ärgerte sich. Allmählich wurde ihr klar, dass sie offenbar doch nicht so viel von ihm wusste, wie sie sich eingebildet hatte. Eine Stunde später kam Hal zurück, entschuldigte sich und sie durchsuchten dann gemeinsam das Haus, fanden aber nichts. Sehr zur Überraschung Margarets verkündete Hal, dass er übers Wochenende bleiben werde. Selbstverständlich war sie mit diesem Vorschlag sofort einverstan den und den nächsten Tag verbrachten sie in Einsamkeit und Müßig gang. Der Strand war leer, denn der Ansturm der Sommergäste hatte noch nicht begonnen. Den ganzen Tag lang saßen sie am Meer und dachten über den seltsamen Geist von Whitehall-Place nach. Im Haus hatte sich während der Nacht nichts ereignet. Was hatte der seltsame Mitbewohner vor? Kam er nicht wieder? Erfüllte er mit dem zitronen gelben Haus eine Forderung? Der Traum, die Zeichnung, das Haus, zogen an Margarets geisti gem Auge vorbei und schien fern und unwirklich, als hätte alles in ei ner längst vergangenen Zeit stattgefunden. Selbst das leuchtende Gelb auf dem Papier verschwamm vor ihren Augen und zerrann wie Nebel. Merkwürdig, dachte sie, ob das wohl an der Sonne liegt? Nachmittags blieb der Wind ganz weg. Die belebende Seebrise, die bisher die Schwüle mit Frische gewürzt hatte, war eingeschlafen. Ein Gebirge dunkler Wolken lag im Osten über dem Horizont. Hal war sich nicht sicher, ob ein Gewitter kommen würde, trotzdem machten sie sich auf den Heimweg. Sie erklommen eine Anhöhe und als sie oben standen und umher blickten, fanden sie sich am Rande einer bewaldeten Weidelandschaft. 83
Sie folgten einem Weg, der in unmittelbarer Nähe der Steilküste gera deaus führte und kamen nach einer halben Meile in eine offene Land schaft. Auf einer großen Wiese grasten etwa hundert Schafe. Hölzerne Zauntritte führten über die begrenzenden Hecken. Im Hintergrund ein Wäldchen, dessen Stämme von dem Druck der wütenden Seewinde gebogen waren. Darinnen lag ein alter, nicht mehr benutzter Friedhof. Die Grabsteine und Kreuze waren von Gras, Moos und Efeu überwu chert. Sie wirkten wie Phantasiebilder. Margaret und Hal konnten nicht lange bleiben, denn die schwar zen Wolken waren jetzt näher gekommen und am Himmel leuchtete ein Blitz auf, dem ein krachender Donner folgte. »Komm«, sagte Hal, »wenn wir nicht schnellstens die Füße in die Hände nehmen, dann werden wir gebadet.« »Zum Haus kommen wir nicht mehr«, meinte Margaret mit einem Blick nach oben. »Aber hier soll es eine Höhle geben! Sie ist so etwas wie eine Touristenattraktion. Mr. Ridd hat mir davon erzählt. Sie muss hinter diesem Wäldchen liegen.« Sie liefen los und Margarets Bluse flatterte im Wind wie Fleder mausflügel. Das Unwetter, das sich im Osten zusammengebraut hatte, näherte sich mit Riesenschritten und brach mit schrecklicher Gewalt los. Zuerst fielen nur wenige große Tropfen, die der Sand sofort aufsaugte! Sie waren gerade in der Höhle, die vom Strand aus zu erreichen war, an gekommen, da prasselte der Regen herab, als ob sämtliche Schleusen des Himmels sich geöffnet hätten. Durch den Wasserfall hindurch flammte das Feuer der Blitze, der Donner krachte und rollte mit vielfältigem Echo durch die Höhle. Un verzüglich verwandelte sich der Strand in ein Netz von kleinen Bächen, die alle ins Meer liefen. Während sie so dasaßen und warteten, fiel Margaret plötzlich et was ein. »Ach, du liebe Güte«, sagte sie, »ich habe vergessen, im ersten Stock die Fenster zu schließen. Hoffentlich regnet es nicht auf die Mö bel.« 84
»Und wenn schon - jetzt kannst du soundso nichts mehr ma chen«, meinte Hal, »die werden schon wieder trocken und aus Zucker sind sie auch nicht.« Eine knappe Stunde später war das Unwetter vorbei. Margaret und Hal wollten sich morgen die Höhle genauer ansehen und freuten sich schon auf diese Expedition. Als die beiden zum Haus zurückkehrten, war Margaret überrascht - die Fenster waren geschlossen. Sie hätte geschworen, sie offen ge lassen zu haben. Der Abend verging ohne Zwischenfall, friedlich und gemächlich, wie er sein sollte. Von dem seltsamen Geist war nichts zu hören oder zu sehen. Jedenfalls glaubten es die beiden. In Wirklichkeit beobachtete er sie auf Schritt und Tritt, grinste durch Schlüssellöcher, stahl Brötchen und Bier und entwendete sogar eine Teetasse. * Am folgenden Tag war gutes Wetter. Die Sonne lachte vom Himmel und die Vögel zwitscherten. Hal war im Badezimmer. Als er sich den Seifenschaum noch im Gesicht, den Rasierapparat in der Hand, aus dem Fenster lehnte, um die frische Morgenluft vor dem Gitter einzu saugen, fiel sein Blick auf einen Baum, der dicht neben dem Haus stand. Von Bäumen hatte Hal keine Ahnung. Wahrscheinlich lag es an der Beleuchtung, vielleicht waren die Strahlen der Sonne zufällig auf etwas gefallen, das einer Gestalt glich. Jedenfalls glaubte Hal einen Schatten empor huschen zu sehen. Er legte den Rasierapparat auf das Fenstersims und starrte hinaus. Obwohl der Baum vor knorriger Gesundheit strotzte, war er etwas schief gewachsen, doch seine Äste breiteten sich stufenförmig in die Höhe. Der Schatten war selbstverständlich eine Sinnestäuschung. Er wusste es. Aber wenn jemand hier hochkletterte, würde er, sofern es 85
auf dem Dach eine Öffnung gab, ins Haus gelangen. Die obersten Zweige lagen direkt auf dem Dach auf. Wenn es tatsächlich eine Einstiegsluke gibt, überlegte Hal, dann kann man jederzeit unbemerkt ins Haus eindringen und es auch wie der verlassen. Er blickte noch immer auf den Baum. Die gebeugte Haltung, der geneigte Wipfel, die starken Äste, das alles schien Hals Gedanken zu bestätigen. Er wandte sich vom Fenster ab und fuhr fort sich zu rasie ren. Kurz darauf sagte er sich, dass er diesen Gedanken keinen Raum geben durfte, es war bloß Phantasie - Spekulation. Nach dem Frühs tück würde er die Probe aufs Exempel machen, aber er fühlte schon jetzt, dass es oben nichts gab. Nach Eier und Speck, Toast und Marmelade, kletterte Hal, wäh rend Margaret das Geschirr wegräumte, auf das Dach. Es war nichts zu entdecken. »Weißt du, was mich bei den englischen Geistern am meisten stört«, sagte Margaret, als sie zum Meer hinuntergingen. »Dass sie kein Ziel haben. Sie erscheinen, verwirren die Leute und verschwinden wieder.« »So genau habe ich darüber noch nicht nachgedacht«, meinte Hal. »Ich bin kein Gespensterexperte. Aber wie kommst du darauf?« »Weil der große klassische Geist voller Autorität war«, erwiderte Margaret. »Er war Sendbote einer höheren Macht, des Guten oder des Bösen; er nahm direkten Anteil an den Handlungen des Menschen.« »Und woher weißt du das?« »Von Shakespeare«, antwortete Margaret. »Der Geist von Hamlets Vater hatte eine Aufgabe zu erfüllen - er war so etwas wie ein StatusGeist.« »Ach so«, entgegnete Hal, »du meinst, die sittliche und religiöse Aufgabe des Gespenstes sei ihnen abhanden gekommen. Jetzt begrei fe ich - du glaubst, dass die klassischen Geister mehr leisteten als die modernen.« »So ungefähr«, sagte Margaret. »Stimmt das etwa nicht?« 86
Hal zuckte mit den Schultern. »Ich glaube nicht«, sagte er schließ lich, »dass die Geister und Gespenster in der heutigen Zeit ihre Bedeu tung verloren haben - ich glaube vielmehr, dass sie zu neuem Leben erwacht sind.« »Zu neuem Leben?«, fragte Margaret überrascht. »Wie kommst du darauf.« »Weil es trotz der heutigen modernen Zeit Leute gibt, die von Geistern verfolgt werden, Häuser und Orte gibt, an denen es spukt und Dinge gibt, die verflucht sind.« Margaret sammelte Muscheln auf. Nach einer Weile erreichten sie die Klippen, dort, wo auch die Höhle sein musste. Margaret hatte so viele Muscheln gesammelt, wie sie tragen konnte. »Wenn sie trocken sind«, meinte Hal zu ihr, »sind sie nur noch halb so schön wie jetzt.« »Ich weiß. Aber ich kann sie ja in Gläser mit Wasser tun, dann se hen sie immer schön aus. Was hältst du davon?«, antwortete sie ernsthaft. »Eingelegte Muscheln«, scherzte Hal. »Ja - warum nicht? Du bringst eine neue Idee auf den Markt - das Muschelaquarium. Ist das nichts?« »Muschelaquarium«, echote Margaret, »so ein Unsinn. Wer würde das schon kaufen?« »Wenn man die Leute überzeugt, dann kaufen sie auch Muschel aquarien.« Trotzdem warf Margaret sie wieder weg und wandte sich den Kie selsteinen zu. Als sie auch davon genug hatten, waren sie hungrig geworden. Margaret packte den Picknickkoffer aus und sie begannen zu essen. »Wir wollten uns doch die Höhle ansehen«, sagte Margaret plötz lich. Sie hatten völlig vergessen, dass sie deswegen hergekommen waren. Hal zögerte. Er hatte nicht viel Lust dazu, doch Margaret quälte ihn so lange, bis er einwilligte. »Meinetwegen«, erwiderte er schließlich, »wenn es unbedingt sein muss - gehen wir hinein.« 87
Hal hatte vor Höhlen, Bergwerken und dergleichen immer schon eine gewisse Abscheu empfunden. Doch was kann schon passieren?, dachte er. Wir werden einen Blick hineinwerfen und dann nach White
hall-Place zurückkehren.
Sie stellten ihren Picknickkoffer an einem Platz ab, wo er vor dem Wasser sicher war, dann betraten sie die Höhle. »Phantastisch«, sagte Margaret, nachdem ihre Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Hal nickte stumm. Der Anblick war überwältigend. Das Wasser hatte so herrliche Formen und Gestalten aus den Wänden heraus ge waschen, wie sie schöner kein Künstler hätte schaffen können. Auf halber Höhe lag eine Art Terrasse mit einer zauberhaften Ba lustrade, die von einem endlosen Dschungel von Gipfeln, Dächern, Kuppeln, Minaretts und Türmen umgeben war - es glich einer arabi schen Stadt. Rechts davon waren kleine, grotesk geformte Figuren zu sehen, die auf die Stadt blickten. »Sieh mal dort drüben, Margaret«, sagte Hal. »Dort geht es zur nächsten Höhle.« Sie hatte noch mehr Formen als die erste. Die riesigen Fangarme eines Polypen schienen im Gestein gemeißelt zu sein. Durch eine schmale Öffnung an der Decke fiel Tageslicht herein. Das Ineinanderlaufen von Helligkeit und Schatten ließ an den Wänden abstrakte Formen und Bilder entstehen, die an Träume erinnerten. »Oh!«, rief Margaret plötzlich überrascht aus. »Schau nur!« Der ganze Boden war mit Muscheln, Kieselsteinen und - Algen be deckt. In kleinen Wassertümpeln versuchten sich Taschenkrebse zu verstecken. Die Muscheln waren viel schöner als die, die sie zuvor ge sammelt hatten. Margaret begann Muscheln und Steine aufzuheben und nach einer Weile fing auch Hal damit an. Sie vergaßen die Zeit und sammelten weit mehr, als sie tragen konnten. Margaret stand auf und streckte sich. Inzwischen war es merklich dunkler geworden. Hal blickte auf die Uhr und sah, dass es ziemlich spät war. Plötzlich schoss ihm ein furchtbarer Gedanke durch den Kopf. 88
Ohne ein Wort zu sagen, ging er zu der Öffnung, die zwischen den beiden Höhlen lag. Er sah sofort, dass seine Ahnung ihn nicht ge täuscht hatte. Der Boden der ersten Höhle war mit Wasser bedeckt, das mit jeder Welle, die herein schlug, höher stieg. Die Flut kam mit Riesenschritten und sie saßen in der Falle! Hal Ellson blieb erschrocken stehen und zwang sich, ruhig zu den ken. Er war ein recht guter Schwimmer, aber als draußen die Bran dung gegen die Felswände schlug und er sah, mit welcher Kraft das Wasser in die Höhle drängte, wusste er, in welcher Katastrophe sie sich befanden. Er konnte leicht hinaus, aber Margaret konnte nicht schwimmen! »Was ist denn los, Hal?«, fragte sie mit belegter Stimme. »Ist et was nicht in Ordnung?« Hal sah zwar etwas belämmert drein, aber er versuchte die Sache von der heiteren Seite zu betrachten. »Wir haben Neptuns schöne Muscheln gestibtzt und deshalb hat er uns gefangen wie die Hexe die beiden Kinder in Hansel und Gretel.« Margaret ließ die Muscheln und Steine, die sie in ihrem Kleid ge sammelt hatte, fallen, sah in die vordere Höhle und stieß einen er staunten Schrei aus. »Wieso haben wir das nicht gehört? Gibt es einen anderen Aus gang? Ich kann nicht schwimmen...« »Das weiß ich«, erwiderte Hal etwas kleinlaut. »Es wird noch eine Zeit dauern, bis die Höhle unter Wasser ist, aber bis dahin...« »Glaubst du, dass sich das Ganze mit Wasser füllt?« Er wusste es auch nicht. Vielleicht blieb der obere Teil verschont, dann konnten sie ohne weiteres die Nacht hier verbringen. Das Loch in der Decke bot ihnen genug Luft zum Atmen. Hal kletterte die Felsen hinauf, aber das Loch konnte er nicht er reichen. »Da oben kommen wir nicht hinaus«, rief er zu Margaret hinunter. »Ich versuche es mal in der ersten Höhle.« Er sprang herunter und begann dort zu suchen. Kaltes Wasser umspülte seine Beine. Das Rau schen der See dröhnte in seinen Ohren. 89
»Ich muss Hilfe holen«, sagte er zu Margaret, als er wieder zu rückkam. »Du wartest solange hier.« Sie blickte ihn entsetzt an, aber sagte kein Wort. »Es wird bald dunkel, dann ist es hier stockfinster«, sagte Hal. »Du fürchtest dich doch nicht, oder?« »Nein, nein, gehe nur, ich habe keine Angst«, erwiderte Margaret. Hal zog seine Jeans-Jacke aus. »Hier, es wird kalt.« Sie küssten sich. Margaret stellte sich die Frage, ob sie sich jemals wieder sehen würden. Sie wusste, dass Hal sich dieselbe Frage stellte. »Lauf zu Mr. Ridd«, schrie sie ihm nach. »Er hat gesagt, er kennt die Höhlen wie seine Westentasche. Wenn uns einer helfen kann, ist er es.« Dann kletterte Margaret die Felsen zu der Öffnung an der Decke hinauf. Das Wasser in der ersten Höhle war inzwischen ein ganz schönes Stück gestiegen. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Boden der zweiten Höhle überflutet war. Knapp vor dem Eingang war die Kraft des Wassers so groß, dass Hal sich an einem Felsvorsprung festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als die Welle zurückwich, holte er tief Luft und tauchte ins Wasser. Es dauerte nicht lange, bis Hal wieder auftauchte, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Seine Lungen drohten zu zerspringen, als sein Kopf aus dem Wasser schoss. Dankbar atmete er die frische Luft ein. Aber Hal war noch nicht außer Gefahr. Eine große Woge packte ihn von hinten. Um ein Haar wäre er gegen die Felsen zurückge schleudert worden. Doch es gelang ihm, geschickt hindurchzutauchen und sicher ans Ufer zu schwimmen. Eine Minute lag Hal total erschöpft im Sand, aber der Gedanke an Margaret brachte ihn auf die Beine. Er lief den Strand entlang und konnte es kaum erwarten, bis er Mr. Ridds Haus vor sich hatte. Während Hal über Sand, Steine, Wiesen und Felder stolperte, dachte Margaret in der dunklen Höhle nach, ob sie diese Situation auch dem seltsamen Geist von Whitehall-Place zu verdanken hatte. Aber sie glaubte nicht daran, dass sein Einfluss so groß war. So etwas 90
konnte es einfach nicht geben. Völlig absurd. Sie selbst hätten an die Flut denken müssen. Sie allein trugen die Verantwortung für das, was hier geschah. Das Glucksen des Wassers hallte von den Wänden. Mittlerweile war es so dunkel geworden, dass Margaret nicht einmal die Hand vor den Augen sehen konnte. Sie hatte in Hals Jacke eine Schachtel Streichhölzer gefunden - aber es gelang ihr nicht, sie anzuzünden. Daher wusste sie nicht, wie hoch das Wasser bereits gestiegen war. Sie drückte sich an die Wand und sah, wie unendlich langsam die Zei ger auf ihrer Leuchtzifferblattuhr vorrückten. * »Mein Gott«, sagte Mr. Ridd, als er Hal erschöpft vor sich sah. »Was ist denn mit Ihnen passiert? Wo ist Miss Belmore?« »Margaret«, keuchte Hal Ellson, »sie ist in der Höhle...« Eiren Ridd fasste Hal mit beiden Händen an den Armen. »Wollen Sie etwa sagen«, fragte er ungläubig, »Sie sind in den Höhlen gewe sen und Miss Belmore ist noch dort?« Hal bestätigte Ridds Vermutung. »Als die Flut kam, saßen wir in der Falle. Ich bin hinausgeschwommen, aber Margaret kann nicht...« Ridds Blick verfinsterte sich. »Wie konnten Sie beide nur so dumm sein. Das ist unverzeihlich...!« Er unterbrach sich und schüttelte ver ständnislos den Kopf. »Warten Sie hier. Ich hole zwei starke Taschenlampen und ein Seil.« »Dauert das lange?« »Nein«, erwiderte Mr. Ridd. »Ich bin gleich zurück. Das Wasser steigt nicht so schnell. Sie brauchen nicht mehr hindurch schwimmen, es gibt noch einen zweiten Eingang.« »Das ist unmöglich«, entgegnete Hal. »Ich habe überall ge sucht...« »Man muss den Weg kennen, sonst findet man ihn nicht«, sagte Mr. Ridd. »War früher einmal ein Unterschlupf für Schmuggler. Aber wir können jetzt nicht hier herumstehen und diskutieren.« 91
Eiren Ridd verschwand im Haus und kam bereits nach einer Minu te wieder zurück. Er hatte alles, was er für die Rettung Margarets brauchte. Der Weg zurück kam Hal unendlich lang vor. Als sie endlich bei den Höhlen ankamen, kletterte Mr. Ridd den zerklüfteten Vorsprung über dem Höhleneingang hinauf und verschwand. Hal hatte Mühe, dem Mann zu folgen. Minuten später war Margaret aus ihrem Gefängnis befreit. Das Wasser war nur mehr wenige Zentimeter von ihren Füßen entfernt. »Ich dachte schon, du würdest überhaupt nicht mehr kommen«, sagte sie aufatmend, als sie wieder im Freien stand. Ehe Hal etwas antworten konnte, meinte Mr. Ridd: »Wie konnten Sie nur in die Höhle gehen und die Flut vergessen?« Eine Spur von Sarkasmus war deutlich aus seiner Stimme zu hören. »Wenn ich nicht zu Hause gewesen wäre, wären Sie glatt ertrunken. Das ist unverzeih lich.« »Sie haben völlig recht, Mr. Ridd«, sagte Margaret schuldbewusst. »Wir haben uns wie Kinder benommen, es wird nicht mehr vorkom men.« »Das will ich auch hoffen«, kicherte der alte Mann. »Aber ich habe auch Schuld an der Sache. Ich vergaß, Sie vor der Flut zu warnen.« »O nein, Mr. Ridd«, lachte Margaret. »Ich bin sicher, dass Sie es gesagt haben - ich hatte es bloß vergessen.« »Schon gut, schon gut, Miss Belmore«, wehrte Mr. Ridd ab. Ein lustiges Zwinkern seiner Augen zeigte an, dass er das nicht mehr für so wichtig hielt. »Wenn wir noch lange hier stehen bleiben, bekommen wir alle einen Schnupfen...« Selbst nach diesem Vorfall war Margaret nicht zu bewegen, das Haus zu verlassen. Hal musste wieder zur Arbeit nach London zurück. »Mir passiert schon nichts«, sagte sie beim Abschied. »Ich weiß nicht«, erwiderte Hal besorgt. »Mir erscheint das ganz wie die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm. Hoffentlich setzt du dich keiner Gefahr aus.« Hal Ellson sollte Recht behalten. 92
*
Die halbe Nacht grübelte Margaret Belmore darüber nach, ob der selt same Geist wiederkommen würde, bis sie von Müdigkeit übermannt einschlief. Doch ihr leichter Schlaf wurde nicht gestört. Die zweite Nacht, die dritte und vierte verging und nichts geschah. Doch irgendwie spürte sie eine Veränderung, die sie sich nicht erklären konnte. Zum ersten Mal schien ihr das Haus wie eine Art lebendiges Wesen. Erst jetzt be gann Margaret sich mit den kleinen Geräuschen vertraut zu machen, die wohl ein intimer Ausdruck der Persönlichkeit des Hauses waren. Sie versuchte, deren Sprache zu lauschen und zu lernen, wie sie antworten musste. Allmählich kam ihr zu Bewusstsein, dass sie die Sache mit dem Geist doch etwas zu leicht genommen hatte. Der Sonnenuntergang des vorhergegangenen Tages war einer der schönsten, die Margaret je gesehen hatte. Das ganze Himmelsgewölbe war mit kleinen weißen, rosig angehauchten Wölkchen übersät gewe sen, wie ein voll erblühter Mandelbaum. Doch diesmal war alles anders. Der Himmel zeigte eine eintönige schiefergraue Farbe und nur ein Streifen Gold im Westen verriet einen verpfuschten Sonnenuntergang. Während Margaret heimwärts ging, spukten ihr allerlei Gedanken im Kopf herum. Es waren finstere, schwermütige Gedanken, die nicht zum Frühling passten. Plötzlich kam Furcht hinzu. Sie wusste aber nicht, warum sie sich fürchtete. Links und rechts lagen Wiesen und Felder. In der Ferne galoppier te ein Reiter. Es war wie ein Scherenschnitt, der über eine Bühne ge zogen wurde. Der einzige Laut, den sie innerhalb der letzten halben Stunde gehört hatte, war der hämmernde Aufflug eines Fasans. Sie ging schneller und die Furcht mit ihr. Margaret fühlte sich unbehaglich. Sie ertappte sich dabei, wie sie verschämt die Eingangstür und die Riegel an den Fenstern prüfte. Es war alles in Ordnung und dennoch spürte sie Angst, wenn sie daran dachte, dass sie heute Abend allein im Wohnzimmer sitzen, al 93
lein die Treppe hinaufgehen, sich ausziehen und allein im Bett liegen und den fremdartigen Geräuschen des Hauses lauschen musste. Vielleicht lag es an dem Traum, der letzte Nacht wie ein Kinofilm vor ihren geschlossenen Augen abgelaufen war und wohl eine psychi sche Reaktion des Höhlenerlebnisses darstellte. Margaret stand am Strand und es war Ebbe. Eine riesige Sandflä che, übersät mit Millionen von Muscheln und Steinen. Sie funkelten und glitzerten wie Sterne in einer langsam ins Tageslicht übergehen den Dämmerung. Sie hatte diesen Ort noch nie gesehen und trotzdem fand sie sich darin zurecht. Als sie versuchte, die herrlichen Muscheln aufzuheben, ergriff sie Panik. Verzweifelt versuchte Margaret sich zu bewegen, doch selbst mit äußerster Kraftanstrengung konnte sie keinen Fuß vom Boden he ben. Und dann sah sie das Licht heranschweben. Ein bleiches, ovales Licht, das die Größe und Form eines Gesichtes hatte. Halb wahnsinnig vor Angst versuchte sie ihren Blick von jener Er scheinung zu lösen, aber es gelang ihr nicht. Die Umrisse waren so deutlich, dass Margaret jede Einzelheit deutlich sehen konnte. Feuerrotes kurzes Haar wuchs über einer nied rigen Stirn. Die grauen Augen darunter standen sehr dicht beieinander und blickten sie stetig und durchdringend an. Die Ohren standen vom Kopf ab und die harten Linien des Unterkiefers vereinigten sich zu ei nem viereckigen Kinn. Die Nase war lang und bewegte sich wie ein Luftballon hin und her. Als das Gesicht näher kam, tastete Margaret nach dem Lichtschal ter und öffnete die Augen. Ein Traum hat doch nichts mit der Wirklichkeit zu tun, ging es ihr durch den Kopf. Am nächsten Morgen führte Margaret ein strenges Zwiegespräch mit sich selbst. Sie sagte sich, dass sie sich vor nichts anderem als ihrer eigenen Furcht ängstigte. Es gab absolut keinen Grund dazu. Oder doch? Plötzlich fielen ihr kleine Veränderungen, die sie zuvor nicht wahr genommen hatte, auf. Das meiste geschah in der Küche. Margaret fand keine Erklärung dafür. Sie spannte Zwirnsfäden und fand sie am 94
anderen Morgen zerrissen. Immer mehr wurde ihr bewusst, dass sie nicht allein im Haus war. Am Abend desselben Tages bekam sie die Bestätigung. Margaret hatte bis spät in die Nacht hinein gearbeitet, als sie das Geräusch hörte. Es klang, als würde sich jenseits des Treppenabsat zes, oder im Korridor jemand leise über den Boden schleichen. »Wer ist da?«, rief sie laut. Unwillkürlich musste Margaret dabei an die Fernsehsendung denken, in der es eine ähnliche Situation gab. Augenblicklich verstummte das leise Trippeln und begann dann von neuem. Geheimnisvolle Schritte, die stehen blieben und weitergin gen, gefielen Margaret ganz und gar nicht. Starr blickten ihre Augen in eine Richtung und die Angst rieselte kalt über ihren Rücken. Bewegungslos stand sie da und beobachtete die Tür. Margaret wusste, dass sie nicht ewig so stehen bleiben konnte. Sie musste etwas unternehmen. Sie brach den Bann, der sich um sie wie Nebel gelegt hatte. »Ich fürchte mich nicht«, murmelte Margaret. »Ich fürchte mich nicht!« Schon im nächsten Augenblick öffnete sie die Tür und ging in den Korridor hinaus. Die Schritte, oder was es auch sein mochte, waren verstummt. Eine Weile lauschte sie angestrengt. Ein Blick auf die Armbanduhr zeigte ihr, dass es Viertel nach elf war. Welch ein merkwürdiges Ge spenst, dachte sie. Dieser Kerl richtet sich nicht einmal nach der Geis
terstunde.
Die tiefe Stille im Haus berührte sie unangenehm und obwohl sie noch immer zitterte, blickte Margaret in alle Zimmer. Nirgends war etwas Verdächtiges zu sehen. Als Margaret sich im Schlafzimmer einschloss, begann ein fürch terlicher Sturm. Irgendwo im Haus schlug ein Fensterladen. Doch nichts in der Welt hätte sie bewegen können, nachzusehen. Jaulend und stöhnend raste der Wind um das Haus und schwoll manchmal zu so einem trostlosen Heulen an, dass er Margaret beinahe 95
Angst einjagte. Jetzt, nach diesen Schritten, hätte sie sich bestimmt wohler gefühlt, wenn er nicht da gewesen wäre. Sie öffnete das Fenster und blickte hinaus. Ein paar Sekunden lang stand sie so und der Wind schüttelte und bauschte die Vorhänge. Draußen rauschten die Bäume. Die Seiten einer Zeitschrift auf dem Tisch flatterten in die Höhe und ein grünes Blatt, das ins Zimmer flog, landete lautlos auf dem Teppich. Margaret schloss das Fenster. Wenn es wenigstens kein Gitter hät te, dachte sie, dann könnte man bei Gefahr einfach hinunter springen. Das wäre gar nicht so schlimm. Vielleicht zog man sich eine Sehnen zerrung oder eine leichte Verstauchung zu - aber es hatte keinen Sinn darüber zu grübeln, durch die Eisenstäbe konnte niemand... So plötzlich wie der Sturm gekommen war, hörte er wieder auf. Der scheint auch ein Geist zu sein, schoss es ihr durch den Kopf. Um
Himmels willen - hat sich denn alles gegen mich verschworen?
Miss Margaret Belmore konnte in dieser Nacht nicht einschlafen. Sie bildete sich ein, das Opfer aller möglichen Sinnestäuschungen und Krankheiten zu sein. Sie lag da und zählte die Schläge ihres Herzens, überzeugt, dass es jeden Moment aufhören könnte zu arbeiten. Die absurdesten Ge danken kamen ihr in den Sinn, aber gleichzeitig wusste sie, dass alles mit der Wiederkehr des Tageslichtes sich in Nichts auflösen würde. Unter keinen Umständen durfte Hal von der Sache erfahren. Sie muss te mit dem Geist allein fertig werden. Margaret machte die Augen zu und beschloss, dem Schlaf eine Chance zu geben. Aber daraus wurde nichts. Jetzt äußerten sich ihre überreizten Nerven in anderer Form - sie sah Bilder. Je fester Miss Belmore die Augen geschlossen hielt, desto schnel ler wechselten die Szenen, nur wenn sie die Augen öffnete, ver schwanden sie natürlich, aber sobald Margaret die Lider schloss, bilde ten sich neue Gestalten, die wie ein Film vor ihr abliefen. Zuerst sah Margaret die Fernsehsendung, dann folgten Bilder aus Grusel- und Kriminalfilmen. Gesichter flatterten umher: Mörder, Böse wichte, Schurken, Ungeheuer, Monster und Schattengestalten. 96
Sie gab schließlich auf und beschloss ein Buch zu lesen. Lieber wollte sie wachend die Nacht verbringen, als weiterhin von diesen im mer wiederkehrenden Bildern gequält zu werden. Zum ersten Mal in ihrem Leben vergaß sie das Licht abzudrehen. Als sie am nächsten Morgen erwachte, brannte noch immer die Glüh birne, aber draußen war schon längst heller Tag. * Nach dem Frühstück wollte Margaret mit Mr. Ridd sprechen. Aber Ridd war nicht zu Hause. Er war für den ganzen Tag nach Darlington gefah ren! Margaret war eigentlich gar nicht böse, dass sie niemandem ihre Geschichte von heute Nacht anzuvertrauen brauchte. Sie war sich selbst noch nicht klar, wie es weitergehen sollte. Anschließend machte sie einen ausgiebigen Spaziergang und ver sank in Gedanken. Wenn sie jetzt Polizeimeister Conant verständigte, würde der Geist verschreckt werden und wahrscheinlich nicht wieder kommen - andererseits war vielleicht alles nur Einbildung. Margaret hatte einmal gelesen, dass Gedanken Gestalten erschaf fen können. Hatte sie das Phantom geschaffen, das sie gehört hatte? Nein, sagte eine andere Stimme in ihr. Halluzinationen und Gedanken können keine Geräusche erzeugen und Zwirnsfäden zerreißen. Je mehr Margaret darüber nachdachte, desto mehr kam sie zur Überzeugung, dass der Geist kein Produkt der Phantasie, sondern Wirklichkeit war. Mrs. Moorland war schließlich vor dem Geist geflohen, Mr. Ridd war von dessen Existenz überzeugt und Hal wollte mit dem Haus nichts zu tun haben. Dennoch war Margaret mit ihren Überlegungen nicht zufrieden. Sie hatte noch nie gehört oder gelesen, dass Geister Bilder zeichnen, gespannte Zwirnsfäden zerstören und Essgegenstände verschwinden lassen. Ihr wollte es nicht in den Kopf, weshalb der ermordete Mr. Moor land im Haus herumspuken sollte. Wenn jeder ermordete Mensch als 97
Geist erscheinen würde, dachte Margaret, dann wäre die Welt voller Geister. Immer mehr kristallisierte sich bei Margaret die Idee durch, dass es sich nicht um einen Geist, sondern um ein menschliches Wesen handelte, das in Whitehall-Place sein Unwesen trieb. Margaret war entschlossen, diesem Geheimnis auf die Spur zu kommen. Spätnachmittags machte sie sich auf den Heimweg. Ein fahles gelbes Licht im Westen lag über den Wiesen und Feldern, auf denen sich einige Bauern mit ihren Pferden und Traktoren bewegten. Die See war dunstverschleiert und der Wind, der von Norden her ihren Rücken traf, während sie auf Whitehall zumarschierte, war kühl. Margarets Füße stießen gegen rasselnde und klappernde Steine und nach wenigen Metern hatte sie den Sandstrand erreicht, auf dem sie leicht und fast lautlos vorwärts kam. Nach einer Meile verließ Margaret den Strand und ging durch ein kleines Wäldchen. Als sie sich inmitten der Bäume umwandte und zu rück zum Meer sehen wollte, bemerkte sie die verschwommenen Um risse einer Gestalt. Sie schien große Anstrengungen zu machen, Miss Belmore zu er reichen, kam aber nur zaghaft, wenn überhaupt näher. Ihren Bewe gungen nach sah es zwar aus, als ob sie liefe, aber der Abstand zwi schen Margaret und ihr schien sich kaum zu verringern. Margaret schritt rascher voran. Die Sache schien ihr nicht geheuer zu sein. Als sie noch ein kleines Mädchen war, hatte sie ein furchtbares Erlebnis, das ihr noch immer ein Schaudern über den Rücken jagte. Zu dieser Erinnerung kam noch ein anderes Bild hinzu, das wohl die meisten Leute in ihrer Kindheit in dieser oder ähnlicher Art einmal erlebt hatten: Im Traum ging sie über ein weites, einsames Feld, als plötzlich ein unheimliches, entsetzliches, unbeschreiblich grauenhaftes Ungeheuer erschien und auf sie zukam... »Wenn ich mich jetzt umblicke«, fragte sich Margaret laut, »was würde ich tun, wenn ich ein riesiges schwarzes Etwas sähe, gehörnt und geflügelt, das sich scharf gegen den bleigrauen Himmel abhöbe?« 98
Sie wusste nicht, ob sie weglaufen oder stehen bleiben würde. Zum Glück war die Gestalt nicht näher gekommen und eine Viertel stunde später stand sie vor dem Haus. Als Margaret die Tür aufschloss und die Diele betrat, hatte sie das Gefühl, nicht allein zu sein, sondern beobachtet zu werden. Es war ein unheimliches Gefühl. Margaret ging in die Halle. Groß, leer und sehr, sehr still lag sie da. Sie hatte sich eigentlich nie vor der Dunkelheit gefürchtet, aber jetzt sah sie die Finsternis bevölkert von Gestalten ihrer Phantasie und bei jedem Knacken der Dielenbretter schattenhafte Phantome. Margaret drehte die Lichter an. Nicht eines oder zwei, sondern alle im ganzen Haus. Die dunklen Zimmer wirkten plötzlich wieder tröstlich vertraut. Wäre jemand des Weges gekommen, hätte er wahrscheinlich ge dacht, dass hier eine Party stattfand. Um die Täuschung noch voll kommener zu machen, drehte Margaret den Fernseher an und stellte ihn auf ziemliche Lautstärke. Jeder hätte den Lärm für das Geschwätz ihrer nicht vorhandenen Gäste gehalten. Durch den Lärm überhörte sie beinahe das Klingeln des Telefons. Margarets Freund Hal Ellson war in der Leitung. Er wollte wissen, wie es ihr ging. Sie erzählte nichts von den Vor kommnissen, sagte, dass alles in Ordnung sei und er sich keine Sorgen zu machen brauchte. Sie wollte mit dem Geist allein fertig werden. Inzwischen war es ein Uhr geworden. Das Fernsehen beendete sein Programm. Margaret entwarf Pläne, wie sie den Geist überlisten könnte, aber alles war entweder zeitraubend oder undurchführbar. Sie durchspielte allerlei Möglichkeiten, stieß jedoch immer wieder auf Hindernisse, ver strickte sich in hundert Kombinationen und begann wieder von vorne. Sie zweifelte keine Sekunde daran, dass sie einen richtigen Einfall haben würde. Aber nichts dergleichen geschah. Durch einen Zufall, der am nächsten Tag geschah, kam die Sache sozusagen von selbst ins Rollen. * 99
Nachdem Miss Belmore den halben Vormittag verbummelt hatte, be schloss sie, im Garten ein wenig Unkraut zu jäten. Margaret hatte aber nicht mit Webster, Mr. Ridds Hund gerechnet, der durch das geöffnete Gartentor schoss, das Jäten als lustiges Spiel betrachtete und mit Wonne den Unkrauthaufen wieder auseinander wirbelte. Als sie merkte, dass ihre Appelle an den Hund und ihr Her umfuchteln mit der Harke völlig wirkungslos waren, stellte sie die Ar beit ein und unterhielt sich mit ihm. Margaret hatte Webster gerade am Halsband, als Mr. Ridds Ge sicht über der Hecke auftauchte. »Hallo, Miss Belmore«, sagte der Nachbar. »Schöner Morgen heu te, nicht wahr?« »Oh, guten Morgen, Mr. Ridd«, antwortete Margaret. »Wieder zu rück?« Der alte Mann bejahte und machte Konversation. Eine Weile hörte sie zu, doch dann zerrte Webster so sehr an dem Halsband, dass Mar garet ihn losließ. Der Hund raste auf die Hecke zu, um seinen Herrn zu beschnüffeln, überlegte es sich aber anders und lief wieder zurück. Eiren Ridd blickte ein wenig sauer auf den Boxer. »Was soll denn das, Webster?«, fragte er mit freundlicher Stimme. »Komm sofort aus dem Garten, zum Kuckuck noch mal.« Der Hund kam nicht, stattdessen lief er ins Haus und begann fürchterlich zu bellen. Als Margaret hineinging, stand Webster ganz oben auf der Treppe und mache ein furchtbares Theater. Nachdem Miss Belmore ihm den Kopf gestreichelt und ruhig zugesprochen hatte, schien Webster sich zu beruhigen und folgte ihr nach unten. »Hat bestimmt eine Maus gerochen«, meinte Mr. Ridd, als der Hund zu seinen Füßen lag, mit dem Stummelschwanz wedelte und auf ein Lob wartete, das nicht kam. »Okay, Webster«, sagte Ridd, »jetzt gehen wir nach Hause, sonst kommt sie zu keiner Arbeit. Wir sehen uns dann am Abend, Miss Bel more, nicht wahr?« 100
Der Garten hatte Margaret eine Menge Arbeit gemacht. Fast der ganze Tag war drauf gegangen. Einmal glaubte sie in der Mauernische des Werkzeugschuppens eine Gestalt zu sehen. Das ist der Geist, dachte Margaret, aber als sie näher kam, waren es Gartengeräte, zwei leere Gießkannen, ein Korb, ein aufrecht ste hender Rechen und ein zerrissener Strohhut, den der Wind bewegte. Abends war Margaret bei Mr. Ridd, gemeinsam sahen sie sich ein Reitturnier an. Als der alte Mann Webster an die Leine nahm, war es schon nach Mitternacht. Am Himmel funkelten die Sterne, ein lauwar mer Wind wehte von Süden her und einige Grillen waren noch auf Konzertreise. Als sie auf halber Höhe von Whitehall-Place waren, blieb Ridd plötzlich stehen. Im Obergeschoß war ein huschendes Licht zu sehen. Nirgends sonst im Haus brannte Licht. Nur etwas Helles war an der Innenseite des Fensters entlang gestrichen. Der Geist, dachte Mr. Ridd sofort. Sekundenlang war das Licht verschwunden, dann erschien es wie der. Margaret schien nicht recht mitbekommen zu haben, um was es ging. Der Hund zerrte an der Leine, blieb aber ruhig. Alle drei schli chen sich leise vorwärts, bis sie direkt vor dem Haus standen. Jetzt erschien der Lichtschein wieder, doch diesmal im Erdge schoß. »Haben Sie das gesehen?« »Was?« »Das Licht!«, erwiderte Eiren Ridd ganz aufgeregt. »Kommen Sie wir müssen ins Haus, aber leise.« Er nahm den Hund am Halsband, dann schlichen sie sich nach vorn. Margaret hatte ein seltsames Gefühl. Sie hatte bis jetzt nichts von einem Licht bemerkt. Ridd ging hinter das Haus. In der Küche war ebenfalls der Lichtschein zu sehen. »Halten Sie den Schlüssel bereit«, sagte er zu Miss Belmore. »Ich glaube, der Geist wird gleich die Treppe hinaufgehen.« 101
Margaret starrte gespannt auf die Butzenscheiben der Eingangs tür. Doch in den nächsten Sekunden ereignete sich nichts. »Das ist wie beim Zahnarzt«, flüsterte Ridd. »Wenn man warten muss, sind die Schmerzen weg.« Plötzlich erschien das Licht und wanderte die Treppe hinauf. Jetzt sah sie es auch. Es war also doch keine Einbildung des alten Mannes, dachte sie. Der Hund begann zu winseln und zerrte an der Leine. »Halt die Schnauze, Webster!«, schimpfte Ridd leise und zu Mar garet gewandt sagte er: »Schnell, schließen Sie auf. Das Gespenst darf uns nicht entkommen!« Im selben Augenblick als Margaret die Tür öffnete, stürmte Webs ter hinein und raste die Treppe hoch. Als sie die Beleuchtung anknips te, sah sie ein Stück Kuchen auf dem Boden liegen. Margaret überlief es eiskalt. Sie hatte plötzlich keine Lust nach o ben zu gehen und nachzusehen. Aber das brauchte sie auch nicht. »Bleiben Sie lieber unten, Miss Belmore«, rief Mr. Ridd ihr zu. »Auf Webster kann ich mich verlassen.« Auf einmal begann der Hund wütend zu knurren und führte vor einer Tür einen wilden Tanz auf. Er ging vor und zurück, vor und zu rück. »Soll ich nicht doch hinaufkommen, Mr. Ridd?«, fragte Margaret mit nervöser Stimme. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen!« »Nein, bleiben Sie lieber unten«, entgegnete der alte Mann. »Sperren Sie auf alle Fälle die Haustür zu, man kann nie wissen.« Webster wütete noch immer. »Da drinnen ist jemand, was?«, fragte Eiren Ridd seinen Hund. Dann stieß er die Tür einen Spalt auf. Es war das Bibliothekszimmer. Er schaltete das Licht an, aber niemand war zu sehen. Es gab auch keine Schränke, in denen sich jemand verstecken konnte. Vielleicht hinter der Tür, dachte er und drückte sie gegen die Wand. Nichts. 102
Als Ridd in die Bibliothek trat, wirkte alles leer und still. Der Hund stürzte sich hinein und wusste etwas. Er hatte die Schnauze am Boden und im nächsten Augenblick hatte er es gefunden. In der Ecke stand eine lederne Sitzbank und darunter kam eine knochige Hand hervor. Als Ridd sie sah, sprang er mit einem gewaltigen Satz zurück. Die plötzliche Erscheinung hatte ihm einen gehörigen Schreck eingejagt, aber Webster schien vor diesem Geist keinen Respekt zu haben. Er begann fürchterlich zu bellen und da er sich nicht mehr beruhigen wollte, wagte Ridd schließlich, sich zu bücken und mit einem Streich holz unter die Bank zu leuchten. Als er ein Gesicht sah, wusste er, dass er dieses nie wieder vergessen würde. »Platz, Webster«, sagte Ridd mit fester Stimme. »Sei still und bleib schön sitzen. Ich bin gleich wieder da. Lass ihn nicht aus den Augen!« Er ging auf den Korridor hinaus. Margaret stand noch immer unten an der Treppe. Sie war ziemlich mit den Nerven runter. »Was ist geschehen, Mr. Ridd?«, fragte sie mit piepsender Stim me. »Rufen Sie Hauptpolizeimeister Conant«, schrie er zu ihr hinunter. »Rasch, rasch - es eilt! Machen Sie schnell, Miss Belmore.« Margaret war bereits am Telefon, als Ridd wieder zu der Stelle zu rückging, an der er Webster postiert hatte. Der Hund gehorchte sei nem Befehl und zog sich ein paar Schritte zurück. Nach einer Weile konnte Ridd die Kreatur unter der Bank überreden, hervor zu kriechen. Ein Mann? Es war ein Wesen, das zwischen fünfundzwanzig und vierzig Jahre alt sein konnte, zerlumpt und verkommen, spindeldürr, unbeschreiblich bleich und nicht richtig im Kopf. Dieses Wesen konnte sich kaum aufrecht halten. »Sehen Sie sich ihn an«, sagte Ridd. »Aber bekommen Sie keinen Schrecken - er kann Ihnen nichts tun.« Als Margaret den deformierten bis zum Skelett abgemagerten Mann erblickte, schrie sie vor Entsetzen auf. Er sah tatsächlich wie ein Geist aus - wie ein Wesen aus einer anderen Welt. Dann kam Conant und Constabler Harker. 103
Whitehall-Place hatte so etwas wie ein Kuckucksei in seinem Nest. Es war Tom Faggus, der Landstreicher. Er gestand, der Mörder von Major Moorland zu sein. Nach der Tat hatte er die Luke zum Boden raum entdeckt. Sie war so groß wie zwei Särge und nur 95 Zentimeter hoch. Darin hatte sich Tom Faggus die ganzen Monate über aufge halten. »Das ist unglaublich«, sagte Inspektor Edward, als er in WhitehallPlace das Versteck des Mörders besichtigte. Es war eine Deckenluke, die von einer Abstellkammer zum Dachboden führte. »Da habe ich mir wochenlang den Kopf zerbrochen, wie der Mör der trotz innen verriegelter Tür und Gitterfenster das Haus verlassen konnte«, fuhr er verwundert fort, »und jetzt stellt sich heraus, dass er immer hier war. Wenn das nicht verrückt ist...« »Sicher«, pflichtete Hauptpolizeimeister Conant bei. »Doch zwei Faktoren trugen wesentlich zur Ergreifung des Mörders bei.« »Und die waren?« »In erster Linie natürlich Miss Belmore und Mr. Ridds Hund«, ant wortete Conant. »Aber das war nicht der ausschlaggebende Punkt. Das wichtigste war wohl die Vermietung des Hauses. Wenn sie nicht so rasch erfolgt wäre, hätten wir den Mörder wahrscheinlich nie gefunden. Er hätte das Haus verlassen müssen, weil er sonst verhungert wäre.« Als sich Margaret in der Halle auf die Couch setzte, sprang Webs ter voller Begeisterung neben sie. Das war normalerweise verboten, Mrs. Moorland wäre wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen, wenn sie es gesehen hätte, aber Margaret war in zu guter Laune, um zu schelten. Webster leckte sie an der linken Wange. Als sie ihren Arm um ihn legte, spürte sie das Vertrauen und die Zuneigung des Tieres. »Oh, Webster«, sagte Margaret, »jetzt bist du ein berühmter Hund. Dein Bild erscheint in der Zeitung. Ist das nicht prima?« Webster gab einen Laut von sich und drängte Margaret zur Tür. Draußen im Garten lag noch immer das Unkraut von gestern. 104
Der Hund schoss hinaus, tollte wie verrückt umher und zerteilte es mit der Schnauze, bis es in allen Richtungen verteilt war. Für ihn war alles wieder in Ordnung. Und das war es auch. Der seltsame Geist von Whitehall-Place war gefasst. In seinem Versteck fand man nicht nur die geraubten Gold-Orden, sondern auch Zünder, eine Kerze, eine Teetasse und neben anderen zahllosen Klei nigkeiten das zitronengelbe Bild. Ende
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