Kapitel 1 Das ist ein Dorf! Nie im Leben habe ich solche Dörfer gesehen, nicht mal gewußt, daß es so etwas gibt! Die Hä...
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Kapitel 1 Das ist ein Dorf! Nie im Leben habe ich solche Dörfer gesehen, nicht mal gewußt, daß es so etwas gibt! Die Häuser - rund, braun, fensterlos - stecken auf Pfählen, wie Wachttürme, und was alles darunter liegt: große Töpfe, rostige Kessel, Tröge, Holzrechen, Spaten... Der Tonboden zwischen den Häusern ist derart ausgedörrt und festgetreten, daß er sogar glänzt. Und überall, wohin man auch sieht, hängen Netze. Knüppeltrockene. Was sie mit diesen Netzen fangen, weiß ich nicht - rechts ist Moor, links ist Moor; es stinkt wie aus der Jauchengrube... Ein grusliges Nest. Seit tausend Jahren faulen sie hier vor sich hin, und war nicht der Herzog, würde es noch tausend Jahre so bleiben. Ist eben der Norden. Die Wildnis. Von den Bewohnern läßt sich natürlich keiner blicken. Haben sich verdrückt oder verkrochen, oder sie wurden fortgetrieben. Auf dem Platz vor der Faktorei qualmte eine Gulaschkanone, die sie vom Fahrgestell gehoben hatten. Ein massiges Stachelschwein, mehr breit als hoch, in schmutziger weißer Schürze über der schmutzigen grauen Uniform rührte mit einer langen Schöpfkelle im Kessel. Aus diesem Kessel kam anscheinend auch der Gestank, der durch das Dorf wehte. Wir gingen näher, und Gepard fragte, wo der Kommandeur sei. Das Vieh wandte sich uns nicht mal zu es knurrte etwas in seinen Eintopf und wies mit der Kelle die Straße entlang, irgendwohin. Da hieb ich ihm meine Stiefelspitze unters Kreuz, er fuhr herum, erkannte unsere Uniform - und gleich stand er, wie sich's gehört. Seine 211
Visage war genauso fett wie der Hintern, dazu seit einer Woche unrasiert. »Wo also ist euer Kommandeur?« fragte Gepard wieder, wobei er seinen Rohrstock dem Dicken unterm Doppelkinn in den feisten Hals stippte. Das Stachelschwein riß die Augen auf, es schmatzte und krächzte: »Verzeihung, Herr Oberausbilder... Der Herr Stabsmajor liegt in Stellung... Wenn Sie diese Straße entlangzugehen belieben... direkt am Dorfrand... Bitte vielmals um Vergebung, Herr Oberausbilder...« Er krächzte und gluckste noch etwas, während hinter der Faktorei zwei andere, noch scheußlichere Stachelschweine hervorkrochen - die reinsten Vogelscheuchen, unbewaffnet und ohne Kopfbedeckungen. Als sie uns erblickten, nahmen sie Haltung an. Gepard sah nur kurz hin, seufzte und ging weiter, wobei er sich mit dem Stöckchen an den Stiefelschaft klopfte. Ja, gerade noch rechtzeitig sind wir hier angekommen. Diese Stachelschweine würden vielleicht kämpfen! Obwohl ich erst drei von ihnen gesehen habe, ist mir ganz übel und völlig klar, daß so ein - entschuldigen Sie die Benennung - »Truppenteil«, der aus Etappenhengsten zusammengetrieben wurde, zudem Hals über Kopf und irgendwie, daß also alle diese Regimentsbäcker, Brigadeschuster, Schreiber, Intendanten wandelnder Kompost sind, Schmierfett für die Bajonette. Die Panzerwagen des Reichs würden sie überrollen und nicht mal merken, daß da jemand war. Im Spaziertempo. Hier wurden wir angerufen. Linkerhand hatten sie zwischen zwei Häusern ein Tarndach gespannt, an einer Stange hing ein weißgrüner Lappen. Die Sanitätsstelle. Zwei weitere Stachelschweine kramten träge in grünen Medizintaschen; direkt auf der Erde lagen, auf Binsenmatten, Verwundete . Es waren drei, einer mit verbundenem Kopf hatte sich halb aufgerichtet und starrte uns an. Jetzt rief er noch einmal: »Herr Ausbilder! Einen Augenblick, ich bitte Sie...« Wir traten hinzu. Gepard kauerte sich nieder, ich blieb hinter ihm stehen. Der Verwundete trug keinerlei Rang212
abzeichen, nur einen zerrissenen, angesengten Tarnanzug, der über der nackten, behaarten Brust offenstand, aber sein Gesicht, der fanatische Blick unter den verkohlten Wimpern hervor verrieten mir gleich, daß das kein Stachelschwein war, Jungs, nein, der war echt. Und tatsächlich. »Brigadejäger Baron Tregg«, stellte er sich vor. Als rasselten Raupenketten. »Kommandeur der achtzehnten Sonderabteilung der Waldjäger.« »Oberausbilder Digga«, sagte Gepard. »Was kann ich für dich tun, Heldenkamerad?« »Zigarette...«, bat der Baron. Seine Stimme klang gleich brüchig! Während Gepard sein Zigarettenetui hervorholte, fuhr der Verwundete hastig fort: »Mich hat ein Flammenwerfer erwischt, hat mich gebraten wie ein Schwein... Gott sei Dank war dicht daneben das Moor. Bis an die Brauen bin ich hineingestiegen... Aber die Zigaretten sind hin... Danke...« Die Augen halb geschlossen, sog er tief den Rauch ein, doch im selben Moment packte ihn quälender Husten, er lief blau an, begann zu zucken; ein Blutstropfen quoll unter seiner Binde hervor und erstarrte. Wie Harz. Ohne sich umzudrehen, streckte Gepard die Hand hinter sich und schnippte mit den Fingern. Ich riß mir die Feldflasche vom Gürtel, reichte sie ihm. Der Baron nahm einige Schlucke, danach ging es ihm anscheinend besser. Die beiden anderen Verwundeten regten sich nicht - entweder schliefen sie, oder sie hatten schon ausgelitten. Die Sanitäter sahen uns scheu an. Das heißt, sie sahen uns nicht mal an, linsten nur kurz in unsere Richtung. »Wunderbar...«, ächzte Baron Tregg und wollte die Flasche zurückgeben. »Wieviel Männer hast du?« »Vierzig«, antwortete Gepard. »Behalte die Flasche. Behalt sie für dich.« »Vierzig..., vierzig Sturmkater...« »Katerchen«, unterbrach ihn Gepard. »Leider. Aber wir tun, was wir können.« Der Baron musterte ihn. In seinen Augen stand Leid. 213
»Hör zu, Heldenkamerad«, sagte er. »Ich habe keinen mehr. Bin auf dem Rückzug, direkt vom Paß, schon den dritten Tag. Pausenlos Kämpfe. Die Rattenfresser schmoren in ihren Panzerwagen. An die zwanzig habe ich abgeschossen. Die letzten beiden gestern..., hier, direkt am Dorfrand..., wirst du noch sehen. Dieser Stabsmajor... ist ein feiger Schwachkopf..., ein alter Waschlappen... Ich wollte ihn erschießen, aber ich hatte keine Patrone mehr. Stell dir vor! Keine einzige Patrone! Habe mich mit meinen Stachelschweinen im Dorf verschanzt und zugeschaut, wie sie uns ausgeräuchert haben, einen nach dem anderen... Aber was rede ich? Wo bleibt Gagrids Brigade? Die Funkstelle ist im Eimer... Das letzte, was ich gehört habe, war: >Haltet durch, Gagrids Brigade rückt an.. .< Hör mal, gib noch 'ne Zigarette... Und melde dem Stab, daß es die achtzehnte Sonderabteilung nicht mehr gibt.« Er phantasierte bereits. Seine Augen verschleierten sich, die Zunge wurde schwer. Er fiel auf den Rücken, redete und redete, brabbelte, röchelte, während die gekrümmten Finger unruhig umhertasteten, sich bald in den Rand der Matte, bald in den Overall krallten. Plötzlich verstummte er, mitten im Wort, und Gepard stand auf. Ohne den Blick von dem zurückgebogenen Kopf zu wenden, zog er langsam eine Zigarette hervor, knipste sein Feuerzeug an, bückte sich und legte sein Zigarettenetui samt Feuerzeug neben die geschwärzten Finger, und die Finger umklammerten das Etui gierig und preßten es, Gepard aber machte wortlos kehrt, und wir gingen weiter. Letztlich war das Schicksal sogar barmherzig gewesen, dachte ich - der Brigadejäger hatte sein Bewußtsein im rechten Moment verloren. Andernfalls hätte er hören müssen, daß es auch Gagrids Brigade nicht mehr gab. In dieser Nacht war sie mit einem Bombenteppich belegt worden; zwei Stunden brauchten wir danach, um die Chaussee von den Fahrzeugtrümmern zu säubern, wobei wir immer wieder Verrückte fortjagen mußten, die sich unter den Lastwagen verkriechen wollten. Von Gagrid selbst fanden wir nur seine Generalsmütze, hart von getrocknetem Blut... Bei der Erinnerung überlief es mich kalt, unwillkürlich 214
blickte ich zum Himmel und freute mich daran, wie tief und grau er war, wie undurchdringbar. Das erste, was uns am Dorfrand auffiel, war einer der erwähnten Panzerwagen des Reichs, der, vom Wege gerutscht, mit der Nase in einem Brunnen steckte. Er war bereits abgekühlt, das Gras ringsum bedeckte fettiger Ruß, und unter der auf gestoßenen Bordluke lag ein verreckter Rattenfresser, völlig verkohlt, nur seine rötlichen Schnürstiefel mit der Dreifachsohle waren noch heil. Diese Schuhe der Rattenfresser haben Niveau, auch ihre Panzerwagen und wahrscheinlich die Bomber. Aber als Soldaten taugen sie nichts, das weiß jeder. Schakale! »Wie findest du diese Stellung, Gagh?« fragte Gepard. Ich blickte mich um. Das war 'ne Stellung! Ich traute kaum meinen Augen. Die Stachelschweine hatten sich Schützengräben ausgehoben, zu beiden Seiten der Straße, mitten auf der Lichtung zwischen Dorfrand und Dschungel. Wie eine Mauer stand der Dschungel den Gräben gegenüber, höchstens fünfzig Schritte entfernt. Ein ganzes Regiment könnte man dort zusammenziehen oder eine Brigade - die in den Gräben würden nichts merken, und wenn sie es merkten, würde es zu spät sein. Hinter den Schützengräben an der linken Flanke lag das Moor, hinter denen rechts ein freies Feld, auf dem früher irgendwas angebaut, jetzt aber alles verbrannt war. J a a a . . . »Mir gefällt sie nicht«, antwortete ich. »Mir auch nicht«, sagte Gepard. Keine Frage! Es ging ja nicht nur um die Stellung, hinzu kamen die Stachelschweine! Mindestens hundert waren es, und sie trödelten herum wie auf dem Markt. Die einen hätten sich zum Kränzchen ums Lagerfeuer versammelt. Andere standen einfach da, die Hände in die Ärmel geschoben. Wieder andere schlenderten umher. Neben den Schützengräben lagen Gewehre, ragten MGs empor, ihre Rüssel sinnlos in den tiefhängenden Himmel gereckt. Mitten auf dem Weg stand, bis an die Naben im Schlamm und völlig unnütz, ein Raketenwerfer. Auf der Lafette hockte ein älteres Stachelschwein, vielleicht der Wachposten, oder der Mann hatte sich nur mal so hingesetzt, weil er vom Um215
herlaufen müde geworden war. Übrigens schadete er auch keinem: lümmelte gemütlich da und pulte mit einem Holzspan in seinem Ohr. Mich hob es fast aus. Wäre es nach mir gegangen - mit dem Maschinengewehr hätte ich es diesem Haufen gezeigt! Ich blickte Gepard hoffnungsvoll an, er aber schwieg, schwenkte nur seine Hakennase von links nach rechts und von rechts nach links. Hinter uns erschollen aufgebrachte Stimmen. Ich drehte mich um. Unter der Treppe des letzten Hauses stritten zwei Stachelschweine um einen Futtertrog. Jeder wollte ihn zu sich ziehen, sie stießen die schlimmsten Flüche aus - diese beiden hätte ich mit besonderem Vergnügen durchsiebt. Gepard sagte: »Bring sie her.« Im Nu stand ich bei diesen Raffzähnen, haute mit dem Lauf der MPi erst dem einen, dann dem anderen auf die Pfoten, und als sie ihren Trog fallen gelassen hatten und mich anstarrten, wies ich mit dem Kopf in Gepards Richtung. Keinen Mucks gaben sie von sich, beiden brach der Schweiß aus, als wären sie in der Sauna. Im Trab liefen sie zu Gepard, wobei sie sich mit den Ärmeln die Stirn wischten, und erstarrten zwei Schritte vor ihm. Gepard hob gemächlich seinen Stock, nahm Maß, wie beim Billard, und stieß zu, genau in die Visagen, dem einen wie dem anderen, und dann sah er sie an, diese Viecher, und knurrte nur: »Den Kommandeur zu mir. Bißchen plötzlich!« Nein, Jungs, daß es hier dermaßen mies sein würde, hatte Gepard wohl trotz allem nicht gedacht. Freilich hatten wir auch nichts Gutes erwarten können. Wirft man erst die Sturmkater in die Bresche, weiß jeder: Die Karre läuft schief. Doch so was...! Sogar Gepards Nasenspitze wurde bleich. Endlich erschien ihr Kommandeur, eine verschlafene Hopfenstange, die sich zwischen den Häusern hervorquälte und dabei ihre Uniform] acke schloß. Der Mann war mindestens fünfzig. Die Nase rot geädert, ein befingerter Kneifer, wie sie im vorigen Krieg von den Stabsoffizieren getragen wurden, am spitzen Kinn feuchte Kautabakkrümel. Er 216
stellte sich uns als Stabsmajor vor und versuchte, Gepard zu duzen. Aber da geriet er an den Falschen! Gepard ließ ihn so eisig abblitzen, daß der Alte sogar zu schrumpfen schien: Zuerst hatte er Gepard um einen halben Kopf überragt, doch als ich eine Minute später wieder hinsehe - Natternmilch! -.; schaut er plötzlich zu ihm auf, ist ein mittelgroßes, grauhaariges Männlein. Jedenfalls erwies sich folgendes: Wo die gegnerischen Kräfte stehen und wie zahlreich sie sind, ist dem Stabsmajor.unbekannt, sein Auftrag lautet nur, das Dorf zu halten, bis Verstärkung eintrifft; seine Kampfkraft beträgt einhundertsechzehn Soldaten an acht Maschinengewehren und zwei Raketenwerfern, fast alle Soldaten sind nur bedingt tauglich, und nach dem gestrigen Eilmarsch liegen siebenundzwanzig von ihnen dort in diesen Häusern, die einen wundgerieben, andere mit Knochenbrüchen, wieder andere wer weiß, womit... »Hören Sie mal«, sagte Gepard unvermittelt, »was ist denn da bei Ihnen los?« Der Stabsmajor unterbrach sich mitten im Satz, sein Blick folgte dem polierten Rohrstock. Unser Gepard hatte aber auch Augen! Erst jetzt nahm ich es wahr: In der allergrößten Runde um eins der Lagerfeuer schimmerten widerwärtig zwischen den grauen Jacken unserer Stachelschweine mehrere gestreifte Overalls der Reichs-Panzergrenadiere. Natternmilch! Eins, zwei, drei... vier Rattenfresser an unserem Lagerfeuer, und diese Schweine umhalsen sie fast. Sie rauchen miteinander. Und wiehern sogar... »Da?« wiederholte der Stabsmajor und staunte Gepard mit seinen Kaninchenaugen an. »Meinen Sie die Gefangenen, Herr Oberausbilder?« Gepard antwortete nicht. Das Stabs-Stachelschwein zwackte seinen Kneifer fester und erging sich in weitschweifigen Erläuterungen. Es seien zwar Gefangene, doch mit ihnen hätten sie nichts zu schaffen. Die Jäger hätten sie gefaßt, während der Kämpfe am Vortag. Aber da kein geeignetes Transportmittel vorhanden gewesen sei und es auch an der vorgeschriebenen Begleitmannschaft gefehlt h a b e . . . 217
»Gagh«, sagte Gepard. »Führ sie ab und überstell sie Zecke. Nur soll er sie zuerst verhören...« Ich entsicherte mein Gewehr und lief zum Feuer. Die Stachelschweine bemerkten mich schon von weitem, schlagartig verstummten sie. Einige verkrümelten sich, anderen schienen vor Schreck die Beine den Dienst zu versagen, denn sie blieben mit aufgerissenen Augen starr sitzen. Die Streifigen wurden ganz grau im Gesicht, sie kannten unser Emblem, diese Rattenfresser, waren gut informiert! Ich befahl ihnen aufzustehen. Sie standen auf. Widerstrebend. Ich befahl anzutreten. Sie traten an, was blieb ihnen übrig. Ein Weißblonder versuchte, etwas in unserer Sprache zu faseln - ich stieß ihm den Lauf zwischen die Rippen, und er war still. So trotteten sie dahin: im Gänsemarsch, niedergeschlagen, die Hände auf dem Rücken. Ratten! Sie rochen auch irgendwie nach Ratte... Zwei von ihnen waren kräftig und breitschultrig, die beiden anderen offensichtlich vom letzten Aufgebot, spillerige Rotznasen, kaum älter als ich. »Im Laufschritt - marsch!« raunzte ich in ihrer Sprache. Sie rannten los. Langsam, miserabel. Der Weißblonde hinkt. Ist schwer verletzt, hat sich den Fuß in diesem Schwitzbad verrenkt. Macht aber nichts, er wird durchhalten. Wir liefen bis zum anderen Ende des Dorfes. Dort standen auch die Lastwagen. Die Jungs johlten und pfiffen, als sie uns sahen. Ich suchte eine recht große Pfütze aus, legte die Gefangenen in den Modder und ging zu dem vorderen Laster, wo Zecke war. Er kam mir schon entgegengesprungen, mit quietschvergnügtem Gesicht, den Schnurrbart auf gezwirbelt, zwischen den Zähnen, nach der Mode des ältesten Studienjahrs, eine Zigarettenspitze aus Elfenbein. »Na, wie steht's, Himmelfahrtskamerad?« sagt er zu mir. Ich melde: So und so, derart ist die Lage, und die Gefangenen müssen auf jeden Fall vorher verhört werden. Und ich füge von mir aus hinzu: »Vergiß mich dabei nicht, Zecke. Immerhin hab ich sie hergebracht.« 218
Er aber musterte mich so, daß mir gleich das Herz in die Hose rutschte. »Katerchen...«, sagt er. »Willst du dich hier vergnügen, während Gepard dort allein ist? Schwirr ab, schnapp dir drei Zweiergruppen, und verzieh dich. Dalli!« Da war nichts zu machen. Schicksal eben, Pech. Ein letztes Mal sah ich zu meinen Gestreiften hinüber, warf die MPi über die Schulter und schrie, so laut ich konnte: »Erste, zweite und dritte Zweiergruppe - zu mir!« Wie Erbsen kullerten die Katerenen vom Lastwagen: Hase und Hahn, Riechkolben und Krokodil, Scharfschütze und dieser... wie heißt er doch..., hab mich noch nicht an ihn gewöhnt, er ist gerade erst aus der Pigganer Schule zu uns gekommen, hat dort einen umgelegt, den er nicht hätte umlegen dürfen, und so haben sie ihn hergeschickt. Mir ist das schon lange aufgefallen, ich rede nur nicht drüber: Macht ein Kater im Affekt einen Zivilisten kalt, kommt sofort ein Befehl an seine Einheit. Der und der mit dem und dem Decknamen ist wegen Verübung eines Gewaltverbrechens zu erschießen. Und man führt den Sünder tatsächlich auf den Appellplatz, stellt ihn vor die Front seiner besten Kameraden, feuert eine Salve auf ihn ab und wirft den Körper zwecks Bestattung ohne Ehren auf einen Lastwagen. Später aber hörst du, daß er von den Jungs gesehen wurde, bei einer Operation oder in einem anderen Truppenteil... Und es ist richtig so, denke ich. Na, ich kommandierte: »Im Laufschritt!«, und wir galoppierten zurück zu Gepard. Er hatte dort keine Zeit verloren. Ich gucke - kommt doch diese Hopfenstange, der Stabsmajor, angetrabt, daß der Staub nur so wirbelt, und hinter ihm her eine Kolonne, an die fünfzig Stachelschweine, mit Spaten und Kreuzhacken, ihre Stiefel knallen und sie schwitzen - es dampft geradezu! Also hatte Gepard sie losgescheucht, eine neue Stellung auszuheben, eine richtige, für uns. Unter dem Haus gegenüber der Sanitätsstelle blinken schon die Spaten, und der Raketenwerfer steht bereit, überhaupt ist ein Treiben im Dorf, wie auf der Hauptavenue an den Namenstagen Ihrer Durchlauchten; die Stachelschweine flitzen her und hin, und kein einziges mit lee219
ren Händen: manche tragen eine Waffe - das sind die wenigsten -, die Mehrheit aber schleppt Kisten mit Munition und MG-Lafetten. Gepard freute sich, als er uns sah. Scharfschützes und Hases Zweiergruppen schickte er sofort zur Aufklärung in den Dschungel, Riechkolben und Krokodil behielt er als Verbindungsleute bei sich. Zu mir sagte er: »Gagh, du bist der beste Raketenschütze der Abteilung, und ich verlasse mich auf dich. Siehst du diese Schaben? Nimm sie dir. Du bringst mit ihnen den Raketenwerfer in Stellung, drüben am Dorfrand, ungefähr dort, wo jetzt die Lastwagen sind. Tarne dich gut, und eröffne das Feuer, wenn ich das Dorf anzünde. Los, Kater!« Ich hüpfte nicht, nein, ich flog regelrecht zu meinen Schaben. Sie waren mit dem Raketenwerfer in einem Schlammloch steckengeblieben, mitten auf dem Weg, wollten anscheinend den ganzen Krieg dort zubringen. Na, dem ersten gab ich eine Ohrfeige, dem zweiten einen Fußtritt, dem dritten hieb ich den Kolben zwischen die Schulterblätter, und ich schrie dabei so laut, daß es mir selber in den Ohren dröhnte - dann aber arbeiteten meine Schaben richtig, fast wie normale Menschen. Den Raketenwerfer wuchteten sie auf ihren Händen aus dem Schlamm und rollten ihn, marsch, marsch, den Weg entlang, daß die Räder quietschten und der Dreck flog - hinein ins nächste Loch! Da allerdings mußte ich mit zupacken... Nein, Jungs, auch diese Stachelschweine kann man auf Trab bringen, man $ muß nur wissen, wie. Meine Situation war jedenfalls folgendermaßen: Den Platz für die Stellung hatte ich schon festgelegt - ich dachte an eine flache Mulde hinter dichten rötlichen Sträuchern in der Nähe der Laster, wo wir uns so gut hätten eingraben können, daß wir von keinem Teufel aus dem Dschungel bemerkt worden wären. Ich aber hätte alles überblickt: den Weg zum Dschungel und den Dorfrand, falls sie zwischen den Häusern hervorgekommen wären, und den Sumpf linkerhand für den Fall, daß sich das Fußvolk von dort heranpirschte. Und ich überlegte noch, daß ich nicht vergessen dürfte, Zecke um ein paar Zweiergruppen zur Absicherung 220
dieser Seite zu bitten. Zwanzig Raketen hatte ich in den Ladeschalen, sofern diese Schreiberlinge nicht unterwegs ein paar weggeworfen hatten, um ihr Gepäckzu erleichtern aber das würde ich gleich feststellen; unbedingt jedoch mußte ich, sobald wir uns verschanzt hatten, die Schaben nach Zusatzmunition schicken. Ich hasse es, wenn ich im Kampf Munition sparen muß, das ist dann kein Kampf, sondern wer weiß, was... Bis zum Einbruch der Dunkelheit würde noch genügend Zeit bleiben, und wenn sie dann zuschlagen sollten, würde dieses öde Dorf auflodern, und ich hätte sie alle auf dem Präsentierteller, könnte mir sogar aussuchen, wen ich abknalle . . . Wirst es nicht bereuen, Gepard, daß du dich auf mich verlassen hast... Diesen letzten Gedanken dachte ich mechanisch zu Ende, während ich schon auf dem Rücken lag und am grauen Himmel über mir, seltsamen Vögeln gleich, brennende Fetzen flogen. Weder einen Schuß noch eine Detonation hatte ich gehört, und nun hörte ich überhaupt nichts mehr. Ich war taub. Ich weiß nicht, wieviel Zeit so verstrich, dann setzte ich mich auf. In Viererreihe krochen Panzerwagen aus dem Dschungel, spien Feuer und fächerten sich auf zum Kampf, während hinter ihnen die nächsten vier hervorkamen. Das Dorf brannte. Über den Schützengräben ballte sich Rauch, kein Mensch war zu sehen. Die Feldküche vor der Faktorei war umgekippt, und die Suppe floß braun und dampfend heraus. Meinen Raketenwerfer hatte es auch umgehauen, und die Schaben lagen im Straßengraben übereinander. Kurz: Eine sehr günstige Stellung hatte ich ausgesucht, Natternmilch! Da deckte uns die zweite Salve ein. Ich landete neben den Schaben, kopfüber, bekam den Mund voll Ton und Sand in die Augen. Kaum stand ich wieder auf den Beinen, folgte die dritte Salve. Und das nahm kein Ende. Den Raketenwerfer brachten wir dennoch auf die Räder und schoben ihn in den Graben. Einen Panzerwagen schoß ich ab. Meine Schaben waren nur noch zu zweit, wohin der dritte verschwunden war, wußte keiner. 221
Dann fand ich mich plötzlich, ohne Übergang, auf dem Weg wieder. Vor mir hatte ich eine ganze Schar Gestreifternahe, sehr nahe. Ihre Klingen spiegelten das Feuer wie Blut. Ohrenbetäubend ratterte über mir ein Maschinengewehr, in der Hand hielt ich ein Messer, und neben meinen Beinen zuckte jemand, stieß mir gegen das Knie... Danach richtete ich sorgfältig, wie auf dem Übungsplatz, den Raketenwerfer auf einen stählernen Schild, der sich aus dem Rauch auf mich zu bewegte. Ich meinte sogar, das Kommando des Instrukteurs zu hören: »Auf Schützenpanzer - Panzergeschosse...!« Ich konnte aber nicht auf den Abzug drücken, weil in meiner Hand wieder dieses Messer lag... Unvermittelt trat eine Pause ein. Es dämmerte schon. Wie sich herausstellte, war mein Raketenwerfer heil, und ich war es auch, und um mich herum hatten sich etwa zehn Stachelschweine versammelt. Alle rauchten, irgendwer drückte mir eine Taschenflasche in die Hand. Wer? Hase? Ich wußte es nicht... Ich entsinne mich, daß sich vor einem dreißig Schritte entfernten brennenden Haus eine seltsame dunkle Figur abzeichnete; alle saßen oder lagen, dieser Kerl aber stand, und es schien, als sei er zwar schwarz, aber gleichzeitig nackt... Oder war er es doch nicht? Er trug weder Mantel noch Jacke... »Hase, wer ist das dort?« »Weiß nicht, ich bin nicht Hase.« »Und wo ist Hase?« »Keine Ahnung. Trink mal, trink...« Später gruben wir uns ein, machten so schnell wir konnten. Das war bereits an einem anderen Fleck, das Dorf lag nicht mehr seitlich, sondern vor uns. Das heißt, das Dorf gab es gar nicht mehr, nur Haufen von schwelendem Holz, dafür brannten aber auch Panzerwagen auf dem Weg. Viele. Einige. Unter unseren Füßen gluckste der Morast... »Ich spreche dir meinen Dank aus, bist ein Mordskerl, Kater...« »Verzeihung, Gepard, ich versteh nicht ganz: Wo sind unsere Leute? Warum sehe ich nur Stachelschweine?« »Alles in Ordnung, Gagh, mach deine Sache, Heldenkamerad, alle sind unversehrt, sind von dir begeistert...« Jäh springt aus dem schwarzroten Nebelschleier ein Sturzregen flüssigen Feuers, direkt in mein Gesicht. Alles 222
lodert: die Erde, die Leichen, der Raketenwerfer. Irgendwelche Sträucher. Und ich. Das tut weh. Ein höllischer Schmerz. Wie bei Baron Tregg. Eine Pfütze, ich brauche eine Pfütze! Hier war doch eine. Sie haben drin gelegen, Natternmilch, ich habe sie ja hineingehetzt, dabei hätte ich sie in die Flammen jagen sollen, in die Flammen! Keine Pfütze... Die Erde brannte, die Erde rauchte, und irgendwer schlug sie mir plötzlich mit unmenschlicher Kraft unter den Füßen weg...
Kapitel 2 An Gaghs Bett saßen zwei. Der eine war hager, hatte breite knochige Schultern und große knochige Hände. Die Beine hielt er übereinandergeschlagen, das obere Knie mit den dürren Fingern umfaßt. Er trug einen grauen Pullover mit Aufschlagkragen, enge dunkelblaue Hosen von undefinierbarem Schnitt, die zumindest zu keiner Uniform gehörten, und rot-graue geflochtene Sandalen. Sein Gesicht war gebräunt und scharf geschnitten, in den Zügen lag Festigkeit, die dem Herzen wohltat. Hinzu kamen helle, leicht zusammengekniffene Augen und eine wirre, aber gleichsam geordnete Mähne grauer Haare. Von einem Winkel zum anderen des breiten, schmallippigen Mundes wanderte ein Strohhalm. Der zweite war ein gutmütiger Kerl in weißem Kittel. Sein Gesicht - jugendlich, rosig - hatte keine einzige Falte. Ein merkwürdiges Gesicht! Das heißt, merkwürdig war nicht das Gesicht, sondern sein Ausdruck. Er erinnerte an die Heiligen auf den alten Ikonen. Der Mann strahlte Gagh unter seinem blonden Schopf hervor an wie ein Geburtstagskind. Mit irgend etwas schien er sehr zufrieden zu sein. Er war es auch, der als erster zu reden begann. »Wie fühlen wir uns?« erkundigte er sich. Gagh stützte sich im Bett auf, zog die Knie an und brachte sein Gesäß mit Leichtigkeit bis ans Kopfende. »Normal«, sagte er verwundert. 223
Er lag völlig bloß, nicht einmal ein Laken bedeckte ihn. Er musterte seine Beine, die vertraute Narbe oberhalb des Knies, berührte die Brust und fühlte sofort das, was früher nicht da gewesen war: zwei Vertiefungen unter der rechten Brustwarze. »Oho!« entfuhr es ihm. »An der Hüfte ist auch noch eine«, sagte der Gutmütige. »Höher, höher...« Gagh betastete die Narbe an der rechten Hüfte. Dann betrachtete er seine Hände. »Moment mal«, murmelte er. »Ich hab doch gebrannt. ..« »Und wie!« rief der Rotwangige und veranschaulichte es mit Gesten. Anscheinend hatte Gagh gelodert wie ein Faß Benzin. Der Hagere musterte Gagh schweigend. In seinem Blick lag etwas, das Gagh sich straffen und schnarren ließ: »Ich danke Ihnen, Herr Doktor. War ich lange bewußtlos?« Der Gutmütige hörte auf zu lächeln. »Woran erinnerst du dich als letztes?« fragte er fast zärtlich. Gagh runzelte die Stirn. »Ich hab einen abgeschossen... Nein. Ich habe gebrannt. Vermutlich war's ein Flammenwerfer. Und ich hab Wasser gesucht...« Er verstummte, befühlte die Schramme auf der Brust und fuhr unsicher fort: »In diesem Moment wurde ich wohl getroffen... Danach. ..« Er schwieg wieder und blickte den Hageren an. »Haben wir sie zum Stehen gebracht? Ja? Wo bin ich? In welchem Lazarett?« Doch der Hagere antwortete nicht, statt dessen schaltete sich der Gutmütige wieder ein. Als setzte ihn Gaghs Frage in Verlegenheit, strich er sich kräftig über die rundlichen Knie und fragte zurück: »Was glaubst du denn?« »Da muß ich passen...«, antwortete Gagh und schob die Beine vom Bett. »Ist denn viel Zeit vergangen? Ein halbes Jahr? Oder ein Jahr?... Sagen Sie es mir offen!« »Die Zeit ist nicht das Problem«, murmelte der Rotwangige. »An Zeit sind nur fünf Tage vergangen.« »Wieviel?« »Fünf Tage«, wiederholte der Rotwangige. »Stimmt's?« wandte er sich an den Hageren. 224
Dieser nickte schweigend. Gagh lächelte nachsichtig. »Na gut«, sagte er. »Meinetwegen. Ihr Ärzte wißt das besser. Letztlich ist es bedeutungslos... Ich wüßte nur gern, Herr...« Er ließ absichtlich eine Pause und blickte den Hageren an, doch der reagierte nicht. »Ich wüßte gern, wie die Lage an der Front ist und wann ich zur Truppe zurückkehren darf...« Der Hagere schob schweigend seinen Strohhalm hin und her. »Ich darf doch hoffen, wieder meiner Gruppe zugeteilt zu werden, in der Hauptstädtischen Schule...?« »Kaum«, sagte der Rotwangige. Gagh warf ihm nur einen flüchtigen Blick zu und wandte sich wieder an den Hageren. »Schließlich bin ich Sturmkater. Drittes Studienjahr... Habe Anerkennungen. Eine von Seiner Hoheit persönlich. ..« Der Rotwangige schüttelte den Kopf. »Das spielt keine Rolle«, sagte er. »Darum geht's nicht.« »Was heißt >darum geht's nicht