FANTASY
Terry Brooks
DAS SCHWERT VON SHANNARA THE SWORD OF SHANNARA l
Aus dem Amerikanischen von Tony Westermayr
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FANTASY
Terry Brooks
DAS SCHWERT VON SHANNARA THE SWORD OF SHANNARA l
Aus dem Amerikanischen von Tony Westermayr
GOLDMANN VERLAG
sb: L- A Landkarte © 1977 by Rändern House, Inc. Umwelthinweis: Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches sind chlorfrei und umweltschonend. Das Papier enthält Recycling-Anteile. Der Goldmann Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann © der Originalausgabe bei Terry Brooks This Translation published by arrangement with Ballantine Books, a division of Random House, Inc. © der deutschsprachigen Ausgabe 1978 by Wilhelm Goldmann Verlag, München Dieser Band erschien 1978 im Goldmann Verlag unter der alten Nummer 23268 Umschlagentwurf: Design Team München Umschlagillustration: Gebrüder Hildebrandt / Random House, New York Satz: Mohndruck, Gütersloh Druck: Eisnerdruck, Berlin Verlagsnummer: 23828 SN • Herstellung: Peter Papenbrok/sc Made in Germany ISBN 3-442-23828-5 15 17 19 20 18 16 14
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D ie Sonne sank schon ins dunkle Grün der Hügel westlich des Tales, und das Rot und Grau-Rosa der Schatten berührte das Land, als Flick Ohmsford mit dem Abstieg begann. Der Pfad erstreckte sich uneben den Nordhang hinab, wand sich zwischen den riesigen Felsblöcken hindurch, die in massiven Gruppen das zerklüftete Gelände beherrschten, verschwand in den dichten Wäldern des Tieflands, um in kleinen Lichtungen und zwischen dünnerem Baumbestand vereinzelt wieder aufzutauchen. Flick folgte dem vertrauten Weg mit den Augen, während er müde dahinschritt, das leichte Bündel auf einer Schulter. Sein breites, winderhitztes Gesicht hatte einen unbewegten, ruhigen Ausdruck, und nur die großen grauen Augen verrieten die rastlose Energie, die unter dem beherrschten Äußeren lebendig war. Er sah mit seinem stämmigen Körperbau, den graubraunen Haaren und buschigen Brauen viel älter aus, als er war. Er trug die weite Arbeitskleidung der Talleute, und in seinem Bündel lagen einige Arbeitsgeräte aus Metall, die umherrollten und leise klirrten. Die Abendluft war kühl, und Flick zog den Kragen seines offenen Wollhemds fester zu. Sein Weg ging durch Wälder und über sanft geschwungene Ebenen. Von letzteren sah er aber noch nichts, als er die Wälder erreichte, und die Dunkelheit der hohen Eichen und düsteren Hickorybäume griff hinauf, um sich mit dem wolkenlosen Nachthimmel zu überlappen und ihn zu verdecken. Die Sonne war untergegangen und hatte nur das tiefdunkle, mit Tausenden freundlicher Sterne übersäte Blau des Himmels zurückgelassen. Die hohen Bäume verhüllten sogar diese, und Flick blieb allein in der lautlosen Dunkelheit, als er langsam auf dem ausgetretenen Pfad weiterschritt. Da er diesen Weg schon hundertmal zurückgelegt hatte, fiel dem jungen Mann sofort die ungewöhnliche Stille auf, die an diesem Abend das ganze Tal erfaßt zu haben schien. Das vertraute Summen und Zirpen der Insekten, sonst in der Stille der Nacht immer gegenwärtig, die Rufe jener Vögel, die mit der untergehenden Sonne erwachten, um im Flug Nahrung zu suchen — all das fehlte. Flick lauschte angestrengt auf irgendeinen Laut, aber sein scharfes Gehör vermochte nichts wahrzunehmen. Er schüttelte beunruhigt den Kopf. Die tiefe Stille störte ihn, vor allem in Verbindung mit Gerüchten von einem erschreckenden Wesen mit schwarzen Schwingen, das erst vor Tagen am Nachthimmel nördlich des Tales gesehen worden
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sein sollte. Er zwang sich zu pfeifen und beschäftigte sich in Gedanken wieder mit seiner Tagesarbeit im Land nördlich des Tales, wo weit verstreute Familien die Felder bestellten und Vieh züchteten. Er besuchte sie jede Woche, brachte ihnen verschiedene Dinge, die sie brauchten, und lieferte Nachrichten über die Ereignisse im Tal und in den fernen Städten des tiefen Südlands. Wenige kannten die Umgebung so gut wie er, und kaum einer hatte Lust, sich über die vergleichsweise sicheren Grenzen ihrer Heimstatt hinaus zu wagen. Die Menschen neigten in dieser Zeit mehr dazu, in abgeschlossenen Gemeinschaften zu leben und den Rest der Welt sich selbst zu überlassen. Flick jedoch war von Zeit zu Zeit gerne außerhalb des Tales unterwegs, und die abgelegenen Heimstätten brauchten seine Dienste und waren bereit, ihn dafür zu bezahlen. Auch Flicks Vater war keiner, der sich eine Gelegenheit entgehen ließ, wo Geld zu verdienen war, und so schienen alle Beteiligten zufrieden zu sein. Ein tiefhängender Ast, der seinen Kopf streifte, veranlaßte Flick, zusammenzuzucken und zur Seite zu springen. Ärgerlich richtete er sich auf und funkelte das belaubte Hindernis böse an, bevor er seinen Weg in etwas schnellerer Gangart wieder fortsetzte. Er war jetzt mitten in den Tieflandwäldern, und nur vereinzelt vermochten Mondlichtstrahlen das dichte Geäst zu durchdringen und den geschlängelten Pfad zu erhellen. Es war oft so dunkel, daß Flick den Weg kaum ausmachen konnte, und während er vorsichtig dahinschritt, wurde er sich der lastenden Stille erneut bewußt. Es war ihm, als sei alles Leben plötzlich ausgelöscht und er allein sei übrig, um seinen Weg in der Waldgruft zu finden. Wieder erinnerte er sich an die sonderbaren Gerüchte. Unwillkürlich wurde ihm ein wenig unheimlich. Er schaute sich sorgenvoll um, aber auf dem Weg und in den Bäumen regte sich nichts, und er fühlte sich auf beinahe peinliche Weise wieder erleichtert. Auf einer mondbeschienenen Lichtung blieb er kurz stehen und schaute zum Nachthimmel hinauf, bevor er wieder m den Wald eindrang. Er ging langsam. Der gewundene Pfad wurde nach der Lichtung enger und schien nun in einer Wand aus Bäumen und Gebüsch zu verschwinden. Flick wußte, daß das nur eine Täuschung war, schaute sich aber trotzdem immer wieder unsicher um. Einige Augenblicke danach war er wieder auf einem breiteren Weg und konnte zwischen den Baumwipfeln hier und dort den Himmel erkennen. Dann hatte er fast schon den Talboden erreicht und war von seinem Zuhause nur noch ungefähr zwei Meilen entfernt. Er lächelte und begann ein altes Trinklied zu pfeifen, als er weitereilte. Er war so mit dem Pfad und der offenen Landschaft jenseits des
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Waldes beschäftigt, daß er den riesigen schwarzen Schatten, der plötzlich emporzuwachsen schien, sich von einer großen Eiche zu seiner Linken löste und schnell auf den Pfad trat, um ihm den Weg zu verlegen, nicht bemerkte. Die schwarze Gestalt berührte ihn beinahe, bevor Flick sie unmittelbar vor sich gewahrte, wie einen riesenhaften schwarzen Steinblock, der ihn zu zermalmen drohte. Mit einem Angstschrei sprang er zur Seite, sein Bündel fiel auf den Boden, und seine linke Hand riß den langen, schmalen Dolch, den er an seiner Hüfte trug, aus der Scheide. Während er sich noch abwehrend duckte, hob aber die Gestalt vor ihm beruhigend einen Arm, und eine kraftvolle Stimme sagte schnell: »Warte einen Augenblick, mein Freund! Ich bin kein Feind und habe nicht den Wunsch, dir zu schaden. Ich suche nur Auskunft und wäre dankbar, wenn du mir den richtigen Weg zeigen könntest.« Flick atmete ein wenig auf, starrte in die Nacht und versuchte an der schwarzen Gestalt vor sich Ähnlichkeiten mit einem menschlichen Wesen auszumachen. Er konnte jedoch nichts sehen und bewegte sich mit vorsichtigen Schritten nach rückwärts. »Ich versichere dir, ich führe nichts Böses im Schilde«, sagte die Stimme, so, als lese sie die Gedanken des Talbewohners. »Ich wollte dich nicht erschrecken, habe dich aber nicht gesehen, bis du ganz nah bei mir warst, und ich fürchtete, du könntest vorbeigehen, ohne mich zu bemerken.« Die Stimme verstummte, und die hohe schwarze Gestalt blieb schweigend stehen, wenngleich Flick fühlen konnte, wie ihr Blick ihn verfolgte, als er sich langsam herumschob, um mit dem Rücken zu m Licht zu stehen. Langsam begann das Mondlicht die Züge des Fremden in verschwommenen Linien und blauen Schatten zu zeichnen. Lange Augenblicke standen die beiden einander schweigend gegenüber. Dann aber griff die riesige Gestalt plötzlich mit erschreckender Behendigkeit zu, die kräftigen Hände packten die Handgelenke Flicks, und er wurde plötzlich vom Boden hoch in die Luft gehoben, während das Messer gefühllosen Fingern entglitt und die tiefe Stimme spottend zu ihm hinauflachte. »So, so, mein junger Freund! Was machst du denn nun? Ich könnte dir auf der Stelle das Herz herausschneiden und dich den Wölfen überlassen, wenn ich wollte, nicht wahr?« Flick wand sich verzweifelt, um sich zu befreien. Er wußte nicht, was für ein Wesen ihn überwältigt hatte, aber es war auf alle Fälle viel mächtiger als jeder normale Mensch und anscheinend entschlossen, Flick ohne Umstände das Lebenslicht auszublasen. Dann hielt ihn sein Gegner plötzlich auf Armlänge von sich, und die spöttisch Stimme wu rde eisig vor Ärger.
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»Genug davon, Junge! Wir haben unser kleines Spiel gespielt, und du weißt noch immer nichts von mir. Ich bin müde und hungrig und habe keine Lust, mich am kalten Abend auf dem Waldpfad aufhalten zu lassen, während du dir überlegst, ob ich Mensch oder Tier bin. Ich stelle dich auf den Boden, damit du mir den Weg zeigen kannst. Ich warne dich — versuch nicht, mir wegzulaufen, sonst ergeht es dir schlecht.« Die weittragende Stimme wurde leiser, und der verärgerte Ton verschwand, als angekündigt von einem kurzen Auflachen, ein Anflug von Spott an seine Stelle trat. »Außerdem«, brummte die Gestalt, als ihre Finger den eisernen Griff lockerten und Flick auf den Boden rutschen ließen, »bin ich vielleicht ein besserer Freund, als du ahnen magst.« Die Gestalt trat einen Schritt zurück. Flick richtete sich auf und rieb seine Handgelenke. Er wäre am liebsten davongelaufen, zweifelte aber nicht daran, daß der Fremde ihn dann wieder einfangen und ohne weiteres töten würde. Er bückte sich vorsichtig und hob den Dolch auf, um ihn einzustecken. Flick konnte den anderen nun besser ausmachen, und kein Zweifel blieb, daß er eindeutig einen Menschen vor sich hatte, wenn auch einen viel größeren als jeder andere, den er bis dahin gesehen hatte. Der Riese war mindestens sieben Fuß groß, schien aber außerordentlich mager zu sein, obschon es in diesem Punkt keine Gewißheit gab, weil die hochgewachsene Gestalt in einen wehenden schwarzen Mantel mit einer enganliegenden Kapuze gehüllt war. Das Gesicht war schmal und von tiefen Falten durchzogen. Die Augen lagen tief in ihren Höhlen und waren fast völlig von buschigen Brauen verborgen, die sich über einer langen, flachen Nase wölbten. Ein kurzer, schwarzer Bart umgab einen breiten Mund, der im Gesicht nur ein Strich war — ein Strich, der sich nie zu bewegen schien. Die ganze Erscheinung war erschreckend, ganz Schwärze und riesenhafttigkeit, und Flick mußte den wachsenden Drang in sich unterdrücken, zum Waldrand davonzustieben. Er blickte direkt in die tiefen, harten Augen des Fremden, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, und brachte ein mühsames Lächeln zustande. »Ich dachte, Ihr seid ein Räuber«, murmelte er zögernd. »Du hast dich geirrt«, lautete die ruhige Antwort. Dann wurde die Stimme noch sanfter: »Du mußt lernen, Freund von Feind zu unterscheiden. Dein Leben kann einmal davon abhängen. Also, nenn deinen Namen!« »Flick Ohmsford.« Flick zögerte und fuhr dann etwas mutiger fort: »Mein Vater ist Curzad Ohmsford. Er betreibt in Shady Vale ein, zwei Meilen von hier einen Gasthof. Da könnt Ihr Essen und Unterkunft bekommen.« »Ah, Shady Vale«, rief der Fremde plötzlich. »Ja, dahin will ich!« Er
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machte eine Pause, als überdenke er seine eigenen Worte. Flick beobachtete ihn wachsam, wie er sich das Kinn mit gekrümmten Fingern rieb und auf die sanft geschwungenen Wiesen des Tales vor dem Waldrand hinaussah, ehe er sagte: »Du... hast einen Bruder...« Es war keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung. Sie wurde so ruhig und gleichgültig hervorgebracht, als interessiere sich der hochgewachsene Fremde nicht im mindesten für eine Antwort. Flick überhörte sie deshalb beinahe. Dann begriff er plötzlich die Bedeutung des Satzes, zuckte zusammen und starrte den anderen an. »Woher... ?« »Ach, nun«, sagte der Mann, »hat nicht fast jeder junge Talbewohner wie du irgendwo einen Bruder?« Flick nickte stumm und fragte sich nebenbei, wieviel der Unbekannte über Shady Vale wissen mochte. Der Fremd e sah ihn fragend an; offenbar wartete er darauf, zu Essen und Unterkunft geführt zu werden, "wie es versprochen war. Flick wandte sich hastig ab, um sein Bündel zu suchen, hob es auf und nahm es auf die Schulter, bevor er sich wieder nach der hochragenden Gestalt umsah. »Der Weg geht dorthin.« Er zeigte mit dem Finger in Richtung Westen, und die beiden setzten sich in Bewegung. Sie verließen den dichten Wald und kamen zu sanften, niedrigen Hügeln, die sich bis zum Dorf Shady Vale am anderen Ende des Tales erstreckten. Die Nacht war nun hell, nach dem Verlassen des Waldes. Der Mond stand als volle, weiße Scheibe am Himmel, sein Licht beleuchtete die Landschaft des Tales und den Weg, den die beiden Wanderer gingen. Der Pfad selbst war eine undeutliche Linie, die sich über die Wiesenhöhen hinzog, erkennbar nur an gelegentlichen, vom Regen ausgewaschenen Wagenspuren und flachen, harten Stellen, wo die Erde durch das dichte Gras kam. Ein starker Wind war aufgekommen und fegte den beiden Männern mit schnellen Stößen entgegen, die an ihrer Kleidung zerrten, so daß sie die Köpfe senken mußten, um die Gesichter ein bißchen zu schützen. Sie sagten beide nichts, als sie dahinschritten, jeder auf den Weg konzentriert. Bis auf das Fauchen des Windes blieb die Nacht still. Flick lauschte aufmerksam, und einmal glaubte er weit im Norden einen lauten Schrei zu hören, der aber im nächsten Augenblick wieder verhallt war. Den Fremden schien die Stille nicht zu beunruhigen. Seine Aufmerksamkeit galt offenbar nur einem ständig wandernden Punkt am Boden, etwa zwei Meter vor ihnen. Er schien genau zu wissen, wohin der andere ging. Nach einer Weile fiel es Flick schwer, mit dem großen Mann Schritt zu halten. Manchmal mußte er fast laufen, um auf gleicher Höhe zu bleiben. Ein- oder zweimal blickte der Mann auf seinen kleineren
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Begleiter herunter, sah, daß dieser Schwierigkeiten hatte, Schritt zuhalten, und wurde ein wenig langsamer. Als die Südhänge des Tales endlich näherrückten, ebneten sich die Hügel zu buschbewachsenen Wiesen, die das Erscheinen neuer Wälder ankündigten. Der Weg führte nun ein wenig abwärts, und Flick erkannte mehrere vertraute Merkmale am Ortsrand von Shady Vale. Unwillkürlich verspürte er Erleichterung. Das Dorf und sein eigenes warmes Heim lagen vor ihm. Der Fremde sprach kein Wort, und auch Flick zögerte, ein Gespräch zu beginnen. Statt dessen versuchte er, den Riesen mit kurzen Seitenblicken zu studieren, ohne diesen das merken zu lassen. Sein Staunen war begreiflich. Das lange, kantige Gesicht, verdunkelt von dem schwarzen Bart, erinnerte ihn an die schrecklichen Dämonen, die ihm, als er noch ein Kind gewesen, strenge Ältere vor den glühenden Scheiten des Kaminfeuers am späten Abend beschrieben hatten. Am erschreckendsten waren die Augen des Fremden — oder vielmehr die tiefen, dunklen Höhlen unter den zottigen Brauen, wo seine Augen sich befinden mußten. Flicks Blicke vermochten die schweren Schatten, die diesen ganzen Gesichts- bereich des Fremden verdeckten, nicht zu durchdringen. Das tief zerfurchte Gesicht schien aus Stein gemeißelt zu sein, starr und ein wenig zum Weg hin geneigt. Während Flick über das undurchdringliche Gesicht nachdachte, fiel ihm plötzlich ein, daß der Fremde noch nicht einmal seinen Namen genannt hatte. Die beiden befanden sich am Außenrand des Tales, wo der jetzt deutlich sichtbare Weg sich durch hohes, dichtes Gebüsch wand, das beinahe kein Vorankommen mehr erlauben wollte. Der hochgewachsene Fremde blieb plötzlich wie angewurzelt stehen, den Kopf gesenkt, und lauschte angestrengt. Flick hielt neben ihm an und wartete still, ebenfalls lauschend, konnte aber nichts wahrnehmen. Sie verharrten scheinbar endlose Minuten lang regungslos, dann drehte sich der große Mann plötzlich herum. »Schnell! Versteck dich im Gebüsch! Los, lauf!« Er selbst rannte auch auf das hohe Gebüsch zu und stieß Flick vor sich her. Flick hastete angstvoll zur Zuflucht des Buschwerks, während das Bündel auf seinem Rücken klatschte und die Metallgeräte klirrten. Der Fremde riß ihm das Bündel von der Schulter und schob es unter seinen langen Mantel. »Leise!« zischte er. »Lauf jetzt! Keinen Laut!« Sie rannten eilig zu der dunklen Gebüschwand, die etwa fünfzehn Meter entfernt war, und der große Mann schob Flick zwischen den belaubten Zweigen hindurch, die ihre Gesichter peitschten, hinein in die Mitte eines großen Gebüschs, wo sie schweratmend stehenblieben. Flick warf einen Blick auf seinen Begleiter und sah, daß dieser nicht durch das Gesträuch auf die Landschaft ringsum blickte, sondern nach oben, wo der
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Nachthimmel durch das Laub in kleinen Ausschnitten sichtbar war. Für Flick schien der Himmel klar zu sein, als er dem durchdringenden Blick des anderen folgte, und nur die unwandelbaren Sterne funkelten ihn an. Minuten vergingen. Einmal wollte Flick etwas sagen, wurde aber von den starken Händen des Fremden daran gehindert, die warnend nach seinen Schultern griffen. Flick blieb stehen, starrte in die Nacht und strengte auch die Ohren an, um von der angeblichen Gefahr etwas wahrzunehmen. Er bemerkte aber nichts als ihre eigenen schweren Atemzüge und das Rauschen des Windes in den schwankenden Zweigen. Dann, gerade als Flick seine müden Glieder entlasten und sich hinsetzen wollte, wurde der Himmel plötzlich von etwas Riesigem, Schwarzem verdunkelt, das vorbeischwebte und wieder verschwand. Einen Augenblick später tauchte es wieder auf, kreiste langsam, und sein Schatten hing drohend über den beiden versteckten Wanderern, als wolle er sich im nächsten Moment auf sie herabsenken. Ein plötzliches Gefühl des Entsetzens durchzuckte Flicks Gemüt und hielt es in eisernem Netz gefangen, als es den gräßlichen, nach innen dringenden Wahnsinn zu fliehen versuchte. Etwas schien in seine Brust hinabzugreifen und langsam die Luft aus seinen Lungenflügeln zu quetschen, und er bemerkte, daß er nach Luft rang. Die scharf umrissene Vision einer schwarzen Erscheinung, durchschossen von Rot, mit Klauenhänden und Riesenschwingen, zog an ihm vorbei, von einem so bösen Wesen, daß sein bloßes Dasein Flicks zerbrechliches Leben zu bedrohen schien. Einen Augenblick lang glaubte der junge Mann schreien zu müssen, womit er sich verraten hätte, aber die Hand des Fremden umklammerte hart seine Schulter und riß ihn vor dem Abgrund zurück. Der Riesenschatten verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war, und zurück blieb nur der friedliche Himmel der Nacht. Die Hand auf Flicks Schulter lockerte langsam den Griff, und der Talbewohner sank schlaff und von kaltem Schweiß bedeckt zu Boden. Der große Mann ließ sich lautlos neben seinem Begleiter nieder. Über sein Gesicht huschte ein schwaches Lächeln. Er legte eine große Hand auf die von Flick und tätschelte sie wie die eines Kindes. »Komm, komm, junger Freund«, flüsterte er, »du lebst und bist gesund, und das Tal liegt vor dir.« Flick schaute hinauf in das gelassene Gesicht des anderen, die Augen furchtgeweitet. »Dieses Ding! Was war dieses furchtbare Ding?« »Nur ein Schatten«, erwiderte der Mann leichthin. »Aber das ist weder die Zeit noch der Ort, sich mit solchen Dingen zu befassen. Wir sprechen später darüber. Jetzt möchte ich etwas essen und an einem warmen Feuer sitzen, bevor ich die Geduld ganz verliere.« Er half Flick auf die Beine
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und gab ihm sein Bündel zurück. Dann zeigte er mit einer weiten Armbewegung auf den Weg. Sie verließen die Deckung des Strauchwerks, Flick nicht ohne Bedenken, mit häufigen Blicken zum Nachthimmel. Man hätte aber auch meinen können, daß das Ganze nur einer überhitzten Phantasie entsprungen sei. Flick dachte ernsthaft nach und entschied, daß er für einen Abend genug hatte, was immer es auch gewesen sein mochte; zuerst dieser namenlose Riese, dann der furchterregende Schatten. Er schwor sich im Stillen, es sich zweimal zu überlegen, bevor er sich nachts wieder so weit hinauswagen würde. Einige Minuten später wurden Bäume und Dickicht dünner, und in der Dunkelheit flackerte gelbes Licht. Ais sie näher kamen, nahmen in der Düsternis die verschwommenen Umrisse von Gebäuden als quadratische und rechteckige Gebilde Form an. Der Pfad verbreiterte sich zu einer glatteren Landstraße, die geradewegs in den Ort führte, und Flick lächelte die Lichter, die durch die Fenster der stillen Häuser freundlich grüßten, dankbar an. Niemand war auf der Straße unterwegs; wären die Lichter nicht gewesen, hätte man sich fragen können, ob hier überhaupt jemand lebte. Flicks Gedanken waren aber von solchen Fragen weit entfernt. Er überlegte schon, wieviel er seinem Vater und Shea erzählen sollte, um sie nicht unnötig mit fremdartigen Schatten zu beunruhigen, die leicht nur Produkte seiner Phantasie und der düsteren Nacht gewesen sein konnten. Der Fremde neben ihm mochte später einige Aufklärung geben können, aber bis jetzt hatte er sich nicht als sehr gesprächig erwiesen. Flick blickte unwillkürlich wieder auf die hochgewachsene Gestalt neben ihm. Erneut überlief es ihn kalt. Die Schwärze des Mannes schien von seinem Mantel und der Kapuze über den gesenkten Kopf und die schmalen Hände zu fließen und alles in Düsternis zu tauchen. Wer immer er sein mochte, Flick war überzeugt davon, daß er ein gefährlicher Feind sein würde. Sie gingen langsam zwischen den Gebäuden des Dorfes dahin, und Flick sah durch die Holzrahmen der breiten Fenster Fackeln brennen. Die Häuser selbst waren lange, niedrige Bauten, jeder nur mit einem Geschoß unter einem flach geneigten Dach, das meist an einer Seite herabführte und eine kleine Veranda bedeckte, getragen von dicken Stangen an einem langen Vorbau. Die Häuser bestanden aus Holz, einige verfügten über Steinfundamente und Steinfassaden. Flick blickte durch die Fenster mit ihren Vorhängen, erhaschte hier und dort einen Blick auf die Bewohner, und der Anblick vertrauter Gesichter tröstete ihn in der Dunkelheit. Es war eine furchterregende Nacht gewesen, und er war erleichtert, wieder zu Hause unter Leuten zu sein, die er kannte. Der Fremde blieb für all dies unempfänglich. Er begnügte sich mit
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einem beiläufigen Blick auf den Ort und hatte, seitdem sie ihn erreicht hatten, noch kein einziges Wort gesprochen. Flick wunderte sich immer noch darüber, wie der ändere ihm folgte. Er ging Flick gar nicht nach, sondern schien genau zu wissen, wohin der junge Mann sich wenden wollte. Wenn die Straße sich gabelte, fiel es dem Schwarzen nicht schwer, den richtigen Weg selbst zu finden, obwohl er Flick kein einzigesmal ansah und auch nie den Kopf hob, um sich zu orientieren. Die beiden erreichten bald den Gasthof. Es war ein großer Bau, bestehend aus einem Hauptgebäude mit Veranda und zwei langen Flügelbauten, die auf beiden Seiten vorne und hinten hinausgingen. Er war errichtet aus riesigen Stämmen, auf einem hohen Steinfundament verfugt, und bedeckt von dem vertrauten Holzschindeldach, das aber hier viel höher war als bei den Wohnhäusern. Das Hauptgebäude war hell erleuchtet, und aus dem Inneren drangen gedämpfte Stimmen, vermischt mit Lachen und Rufen. Die Flügelbauten des Gasthofs lagen im Dunkeln; dort befanden sich die Schlafräume der Gäste. Es roch nach Braten, und Flick ging schnell voraus über die Holzstufen der langen Veranda zu der breiten Doppeltür in der Mitte des Hauses. Der Fremde folgte wortlos. Flick schob den schweren Schnappriegel zurück und zog an den Türknöpfen. Die große Tür auf der rechten Seite ging auf, und sie traten in einen großen Aufenthaltsraum mit Bänken, hochlehnigen Stühlen und mehreren langen, schweren Holztischen an der Seiten- und Rückwand. Der Raum war hell erleuchtet von zahlreichen Kerzen auf den Tischen und in den Wandhaltern sowie von dem großen offenen Kamin in der Mitte der linken Wand; Flick war für kurze Zeit geblendet, denn seine Augen mußten sich erst an die Lichtfülle gewöhnen. Er kniff sie zusammen und blickte vorbei an Kamin und Mobiliar zur geschlossenen Doppeltür an der Rückwand und hinüber zur langen Theke, die entlang der rechten Wand verlief. Die an der Theke versammelten Männer hoben die Köpfe, als die beiden hereinkamen, und ihre Gesichter verrieten unverhohlenes Erstaunen über die Erscheinung des Fremden. Flicks stummer Begleiter schien aber keinen der Männer wahrzunehmen, und diese kehrten deshalb schnell zu ihren Gesprächen und Getränken zurück. Die beiden Männer blieben noch kurze Zeit an der Tür stehen, während Flick sich ein zweitesmal in der Runde nach seinem Vater umsah. Der Fremde wies auf die Stühle an der linken Seite und sagte: »Ich setze mich, während du deinen Vater holst. Vielleicht können wir gemeinsam essen, wenn du zurückkommst.« Er ging zu einem kleinen Tisch an der Rückseite des Raumes und setzte sich von den Männern an der Theke abgewandt. Flick beobachtete ihn für Augenblicke, dann ging er schnell zur Doppeltür an der Rückwand und trat hindurch in den
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Korridor. Sein Vater war vermutlich in der Küche und aß mit Shea zu Abend. Flick eilte durch den Flur, vorbei an mehreren geschlossenen Türen, bevor er die Küche erreichte. Als er eintrat, begrüßten die beiden Köch e im hinteren Teil des Raumes den jungen Mann fröhlich. Sein Vater saß an einer langen Theke auf der linken Seite. Wie Flick vermutet hatte, war er gerade am Ende der Mahlzeit angelangt. Er hob eine kräftige Hand zur Begrüßung. »Du kommst ein bißchen später als gewöhnlich, Sohn«, meinte er freundlich. »Komm her und iß, solange noch etwas da ist.« Flick ging müde auf ihn zu, ließ das Bündel klirrend fallen und setzte sich auf einen der großen Hocker. Die große, breite Gestalt seines Vaters richtete sich auf, als er den leeren Teller wegschob und Flick prüfend ansah. »Ich bin auf dem Weg ins Tal einem Wanderer begegnet«, erklärte Flick zögernd. »Er möchte ein Zimmer haben und essen. Wir sollen uns zu ihm setzen.« »Nun, wenn er ein Zimmer will, ist er am richtigen Ort«, sagte der ältere Ohmsford. »Wüßte nicht, warum wir uns nicht auf einen Bissen zu ihm setzen sollten — ich kann noch gut eine Portion vertragen.« Er stand schwerfällig auf und bestellte bei den Köchen drei Abendessen. Flick sah sich nach Shea um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Sein Vater stapfte zu den Köchen, um ihnen besondere Anweisungen für die Zubereitung zu geben, und Flick trat an das Becken neben der Spüle, um sich Schmutz und Staub von seinem langen Marsch abzuwaschen. Als sein Vater herüberkam, fragte Flick ihn, wo sein Bruder sei. »Shea macht einen Botengang für mich und muß bald zurück sein«, erwiderte sein Vater. »Wie heißt übrigens der Mann, den du mitgebracht hast?« »Das weiß ich nicht. Er hat es mir nicht gesagt.« Flick zuckte die Achseln. Sein Vater runzelte die Stirn und murmelte etwas von schweigsamen Fremden, fügte aber die halblaute Bemerkung hinzu, daß er in seinem Gasthof keine geheimnisvollen Charaktere mehr dulden wolle. Er winkte seinem Sohn und ging voraus, mit den breiten Schultern die Wand streifend, als er zur Gaststube abbog. Flick folgte ihm eilig, das Gesicht zweifelnd zerfurcht. Der Fremde saß noch immer ruhig da, mit dem Rücken zu den Männern an der Theke. Als er die Hintertüren aufgehen hörte, drehte er sich ein wenig, um die zwei Eintretenden sehen zu können. Er bemerkte die enorme Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn. Beide waren mittelgroß und stämmig gebaut, hatten die gleichen breiten, ruhigen Gesichter und
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das gleiche graubraune Haar. Sie blieben unter der Tür stehen, und Flick zeigte auf die schwarze Gestalt. Er konnte die Überraschung in seines Vaters Gesicht sehen, als dieser den Fremden eine Weile anstarrte, bevor er auf ihn zuging. Der Schwarze stand höflich auf, er überragte die beiden. »Willkommen in meinem Gasthof, Fremder«, begrüßte ihn Ohmsford senior und versuchte vergeblich, unter die Kapuze zu blicken, die das dunkle Gesicht des anderen verbarg. »Mein Name ist Curzad Ohmsford, wie mein Junge Euch wahrscheinlich schon gesagt hat.« Der Fremde drückte die angebotene Hand mit einer Kraft, daß der bullige Wirt eine Grimasse schnitt, und nickte dann Flick zu. »Euer Sohn war so freundlich, mich zu diesem behaglichen Gasthof zu führen.« Er lächelte spöttisch, wie es Flick schien. »Ich hoffe, Ihr leistet mir beim Essen und einem Glas Bier Gesellschaft.« »Gewiß«, antwortete der Wirt und ging zu einem freien Stuhl, auf den er sich schwerfällig niederließ. Flick zog sich ebenfalls einen Stuhl heran und setzte sich, den Blick noch immer auf den Fremden gerichtet, der gerade dabei war, seinen Vater zu einem so schönen Gasthaus zu beglückwünschen. Der ältere Ohmsford strahlte vor Freude und nickte Flick befriedigt zu, während er einem der Bediensteten an der Bar winkte, drei Gläser zu bringen. Der hochgewachsene Mann schlug die Kapuze immer noch nicht zurück. Flick hätte zu gerne unter die Schatten hineingeblickt, fürchtete aber, der Fremde könne es bemerken, und ein solcher Versuch hatte ihm bereits schmerzende Handgelenke eingebracht und einen gesunden Respekt in ihm hervorgerufen vor der Kraft und dem Jähzorn des großen Mannes. Es war ungefährlicher, sich nicht zu weit vorzuwagen. Er saß stumm dabei, als das Gespräch zwischen seinem Vater und dem Fremden sich von höflichen Bemerkungen über das milde Wetter zu einer intimeren Unterhaltung über die Leute und Ereignisse des Ortes wandelte. Flick fiel auf, daß sein Vater, den man ohnehin nicht zu so etwas anzuspornen brauchte, das Gespräch fast ganz allein bestritt, unterbrochen nur von beiläufigen Fragen des anderen. Die Ohmsfords wußten nichts von dem Fremden. Er hatte ihnen immer noch nicht seinen Namen genannt. Im Gegenteil, er lockte aus dem redseligen Gastwirt unauffällig eine Information nach der anderen über das Tal heraus. Die ganze Situation störte Flick, aber er wußte nicht recht, was er dagegen tun sollte. Er wünschte sich, Shea möge auftauchen und sehen, was sich hier abspielte, aber sein Bruder ließ auf sich warten. Man brachte das Abendessen, und erst, als dieses verzehrt war, ging eine der breiten
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Türen des Haupteingangs auf, und Shea kam aus der Dunkelheit herein. Zum erstenmal sah Flick den Fremden für eine andere Person mehr als beiläufiges Interesse aufbringen. Kraftvolle Hände umklammerten den Tisch, als die schwarze Gestalt stumm aufstand. Der Mann schien vergessen zu haben, daß die Ohmsfords bei ihm saßen, als die Stirn sich noch tiefer furchte und das zerklüftete Gesicht eine starke Konzentration verriet. Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte Flick, der Fremde sei im Begriff, Shea zu vernichten, aber dann ging die Befürchtung unter, verdrängt von einer anderen Erkenntnis. Der Mann erforschte die Gedanken seines Bruders. Er musterte Shea scharf. Der Blick aus seinen tiefliegenden, verschatteten Augen glitt schnell über die schlanke, schmale Gestalt des jungen Mannes. Er registrierte die Elfen-Anzeichen sofort — ein wenig spitze Ohren unter dem wirren blonden Haar, die bleistiftstrichdünnen Brauen, die im steilen Winkel von der Nasenwurzel schräg hinaufliefen, statt quer über den Augen zu verlaufen, und die schmale Nase, der schmale Kiefer. Ersah in dem Gesicht Intelligenz und Offenheit, und während er Shea gegenüberstand, bemerkte er auch Entschlossenheit in den durchdringenden blauen Augen — Entschlossenheit, die sich als Gesichtsröte über die jugendlichen Züge breitete, als sich die Blicke der beiden Männer ineinanderbohrten. Shea zögerte einen Augenblick, auf die riesige, schwarze Erscheinung zuzugehen. Er kam sich auf unerklärliche Weise vor wie einer, der in eine Falle getappt war, ermannte sich aber und setzte sich in Bewegung. Flick und sein Vater sahen Shea herankommen, dessen Blick immer noch auf den Fremden gerichtet war, dann standen die beiden auf, als hätten sie urplötzlich begriffen, wer der Mann sei. Es gab einen Augenblick verlegenen Schweigens, als sie einander gegenüberstanden, dann begannen die Ohmsfords gleichzeitig, einander zu begrüßen, mit einem Stimmengewirr, das die ursprüngliche Anspannung löste. Shea lächelte Flick an, konnte den Blick jedoch nicht von der eindrucksvollen Gestalt vor ihm wenden. Shea war ein wenig kleiner als sein Bruder und stand deshalb noch mehr im Schatten des Fremden als vorher Flick, wirkte aber weniger nervös als dieser. Curzad Ohmsford sprach mit ihm über seinen Botengang, und Shea's Aufmerksamkeit wurde vorübergehend abgelenkt, als er auf die drängenden Fragen seines Vaters antwortete; aber dann wandte er sich wieder an den Fremden: »Ich glaube nicht, daß wir uns schon begegnet sind, trotzdem scheint Ihr mich von irgendwoher zu kennen, und ich habe das merkwürdige Gefühl, daß ich Euch ebenfalls kennen sollte.« Das dunkle Gesicht über ihm nickte, wobei wieder das spöttische Lächeln darüber hinweghuschte.
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»Vielleicht solltest du mich kennen, auch wenn es nicht verwunderlich ist, daß du dich nicht erinnerst. Aber ich weiß, wer du bist. Ich kenne dich sogar gut.« Shea war verblüfft von dieser Antwort, wußte nichts darauf zu erwidern und starrte den Fremden an. Dieser hob die schlanke Hand ans Kinn, um sich den schwarzen Bart zu streichen. Er ließ den Blick über die drei Männer vor ihm wandern. Flick öffnete den Mund, um die Frage auszusprechen, die alle drei Ohmsfords bewegte, als der Fremde hinaufgriff und die Kapuze zurückstreifte. Endlich wurde das dunkle Gesicht sichtbar. Es war umrahmt von langen schwarzen Haaren, die bis zu den Schultern reichten und die tiefliegenden Augen verdeckten, welche in den Schatten unter den dichten Brauen noch immer nur als schwarze Schlitze zu sehen waren. »Mein Name ist Allanon«, sagte er leise. Einen Augenblick herrschte völlige Stille, als die drei Ohmsfords ihn in sprachloser Verwunderung anstarrten. Allanon — der geheimnisvolle Wanderer in den vier Ländern, Geschichtsschreiber der Rassen, Philosoph und Lehrer und, wie manche behaupteten, Adept der my stischen Künste. Allanon — der Mann, der überall gewesen war, angefangen von den dunkelsten Häfen des Anar bis zu den verbotenen Höhen der CharnalBerge. Sein Name war den Bewohnern selbst der abgelegensten Gemeinden im Südland vertraut. Nun stand er unerwartet vor den Ohmsfords, von denen keiner in seinem Leben öfter als ein paarmal aus ihrem Tal hinausgekommen war. Allanon lächelte zum erstenmal freundlich, aber innerlich empfand er Mitleid mit ihnen. Das ruhige Dasein, das sie so viele Jahre gekannt hatten, war vorbei, und in gewisser Beziehung trug er dafür die Verantwortung. »Was führt Euch hierher?« fragte Shea endlich. Der hochgewachsene Mann sah ihn scharf an und ließ ein tiefes, leises Lachen hören, das sie alle überraschte. »Du, Shea«, murmelte er. »Ich habe dich gesucht.«
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S hea
erwachte am nächsten Morgen früh und verließ die Wärme seines Bettes, um sich in der feuchten Kälte der Morgenluft hastig anzuziehen. Er war so früh aufgestanden, daß, wie er entdeckte, im ganzen Haus noch niemand wach war, weder ein Gast noch einer von der Familie. Er ging von seinem kleinen Zimmer an der Rückseite des Hauptgebäudes zum großen Gastzimmer, wo er mit vor Kälte klammen Fingern im Kamin ein Feuer anzündete. In den frühen Morgenstunden, bevor die Sonne über die Hügel heraufkam, war es im Tal immer noch besonders kühl, selbst in der wärmsten Jahreszeit. Shady Vale — das Schattental — war wohlgeschützt, nicht nur vor den Augen der Menschen, sondern auch vor der Unbill schlechten Wetters, das vom Nordland herunterzog. Während aber die schweren Stürme des Winters und Frühlings das Tal verschonten, ließ sich die bittere Kälte des frühen Morgens das ganze Jahr über ringsum in den hohen Hügeln nieder und hielt sich bis weit in den Tag hinein. Meist konnte erst die Wärme der Mittagssonne den kalten Hauch vertreiben. Das Feuer knackte und prasselte, als Shea in einem der hohen Sessel die Beine ausstreckte und über die Ereignisse des vergangenen Abends nachdachte. Wie konnte Allanon ihn erkannt haben? Er hatte das Tal selten verlassen und hätte sich an den anderen gewiß erinnert, wäre er ihm bei einer seiner vereinzelten Wanderungen begegnet. Allanon hatte sich geweigert, die ganzen Geheimnisse, die ihn umgaben, zu lüften. Er hatte stumm weitergegessen, erklärt, das Gespräch habe Zeit bis zum nächsten Morgen, und war wieder zu der drohenden Gestalt geworden, als die ihn Shea beim Eintreten empfunden hatte. Nach der Mahlzeit hatte er gebeten, zu seinem Zimmer gebracht zu werden, damit er schlafen könne. Weder Shea noch Flick hatten ihn dazu bringen können, ein weiteres Wort über seine Reise nach Shady Vale und über sein Interesse an Shea fallen zu lassen. Die beiden Brüder hatten sich danach noch allein unterhalten, und Flick hatte die Geschichte seiner Begegnung mit Allanon und den Vorfall mit dem angsterregenden Schatten erzählt. Shea fragte sich wiederum, woher Allanon ihn kennen konnte. Er ging sein Leben durch. Die frühen Jahre waren nur eine verschwommene Erinnerung. Er wußte nicht, wo er geboren worden war, wenngleich er einige Zeit, nachdem die Ohmsfords ihn adoptiert hatten, gehört hatte, sein Geburtsort sei eine kleine Gemeinde im Westland. Sein Vater war gestorben, bevor er, Shea, alt genug gewesen war, einen bleibenden Eindruck von ihm zu gewinnen. Seine Mutter hatte ihn einige Zeit aufgezogen, und er konnte sich an einzelne Bruchstücke seines Lebens
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mit ihr erinnern, an das Spiel mit Elfen-Kindern, umgeben von riesigen Bäumen und tief grüner Einsamkeit. Er war fünf Jahre alt gewesen, als sie plötzlich krank geworden war und beschlossen hatte, zu ihren eigenen Leuten ins Dorf Shady Vale zurückzukehren. Sie mußte damals schon gewußt haben, daß sie sterben würde, aber ihre erste Sorge galt ihrem Sohn. Die Reise nach Süden gab ihr den Rest, und sie starb in der Tat kurze Zeit, nachdem sie beide das Tal erreicht hatten. Die Verwandten seiner Mutter waren alle tot, bis auf die Ohmsfords, die nicht mehr als entfernte Onkeln und Vettern waren. Curzad Ohmsford hatte seine Frau kaum ein Jahr früher verloren. Shea wurde von ihm aufgenommen, und die beiden Jungen waren als Brüder aufgewachsen, beide mit dem Namen Ohmsford. Shea hatte seinen wahren Namen nie erfahren und fragte auch nicht danach. Die Ohmsfords waren die einzige Familie, die ihm etwas bedeutete. Manchmal störte es ihn, daß er ein Halbblut war, aber Flick hatte tapfer erklärt, das sei ein ausgesprochener Vorteil, weil ihm das die Instinkte und den Charakter von zwei Rassen verleihe. Doch nirgends konnte sich Shea an eine Begegnung mit Allanon erinnern. Es war, als habe nie eine solche stattgefunden. Vielleicht war es wirklich so. Er drehte sich auf dem Stuhl herum und starrte zerstreut ins Feuer. Der düstere Wanderer hatte etwas an sich, das ihn erschreckte. Vielleicht war es Einbildung, aber Shea wurde das Gefühl nicht los, daß der Mann auf irgendeine Weise seine Gedanken lesen, ihn gänzlich durchschauen konnte, wenn es ihm beliebte. Es schien lächerlich zu sein, aber dieses Gefühl wollte sich nicht unterdrücken lassen, seitdem er dem Mann begegnet war. Auch Flick hatte davon gesprochen. Er war sogar noch weitergegangen und hatte seinem Bruder in der Dunkelheit ihres Zimmers zugeflüstert, er betrachte Allanon als gefährlich. Shea reckte sich und seufzte tief. Draußen begann es hell zu werden. Er stand auf, um mehr Holz auf das Feuer zu legen, und hörte die Stimme seines Vaters im Flur, die sich laut knurrend über die Zustände im allgemeinen beklagte. Shea seufzte resigniert, schob seine Gedanken beiseite und hastete in die Küche, um bei den morgendlichen Vorbereitungen zu helfen. Es wurde fast Mittag, bis Shea von Allanon wieder etwas zu sehen bekam, der offenbar den ganzen Vormittag in seinem Zimmer geblieben war. Er tauchte ganz plötzlich hinter dem Haus auf, als Shea sich unter seinem großen Schattenbaum ausruhte und einen kleinen Imbiß zu sich nahm. Sein Vater war im Haus beschäftigt, Flick irgendwo unterwegs. Der dunkle Fremde vom vergangenen Abend wirkte in der Mittagssonne nicht weniger unheimlich; er war noch immer eine
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schattenhafte Gestalt von unglaublicher röße, auch wenn er nun statt des schwarzen einen grauen Mantel zu tragen schien. Er ging auf Shea zu, setzte sich ins Gras und blickte geistesabwesend auf die Berge im Osten, die über den Bäumen aufragten. Die beiden Männer schwiegen lange Minuten, bis Shea es schließlich nicht mehr aushielt und sagte: »Weshalb seid Ihr ins Tal gekommen, Allanon? Weshalb habt Ihr mich gesucht?« Das düstere Gesicht wandte sich ihm zu, und ein schwaches Lächeln kräuselte die Lippen. »Eine Frage, junger Freund, die nicht so leicht zu beantworten ist, wie du das möchtest. Die beste Art, dir zu erwidern, ist vielleicht die, dich zuerst zu befragen. Hast du von der Geschichte des Nordlandes etwas gelesen?« Er machte eine Pause. »Kennst du das Schädelreich?« Shea erstarrte bei dem Namen, der für alles Entsetzliche im Leben stand, wirklich und eingebildet, ein Name, mit dem man kleine Kinder schreckte, die nicht brav waren, oder erwachsenen Männern Schauer über den Rücken jagte, wenn vor dem verglühenden Feuer am Abend Geschichten erzählt wurden. Es war ein Name, der an Geister und Kobolde erinnerte, an die verschlagenen Waldgnome des Ostens und die großen Bergtrolle des fernen Nordens. Shea blickte in das düstere Gesicht vor sich und nickte langsam. »Ich bin Historiker, Shea, unter anderem — vielleicht der weitestgereiste lebende Historiker heutzutage, da außer mir in über fünfhundert Jahren nur wenige das Nordland betreten haben. Ich weiß viel über die Rasse des Menschen, das jetzt niemand ahnt. Die Vergangenheit ist eine verschwommene Erinnerung geworden, und das ist vielleicht ganz gut, denn in den letzten zweitausend Jahren ist die Geschichte des Menschen nicht gerade ruhmreich gewesen. Die Menschen heute haben die Vergangenheit vergessen; sie wissen wenig von der Gegenwart und nichts von der Zukunft. Die Rasse der Menschen lebt fast ausschließlich innerhalb der Grenzen des Südlandes. Sie weiß nichts vom Nordland und seinen Völkern, und wenig vom Ostland und Westland. Bedauerlich, daß die Menschen ein so unwissendes Volk geworden sind, denn einstmals sind sie von allen Rassen jene mit der größten Visionskraft gewesen. Aber jetzt begnügen sie sich damit, abgesondert von den anderen Rassen zu leben, isoliert von den Problemen im Rest der Welt. Sie begnügen sich damit, weil diese Probleme sie noch nicht berührt haben, wohlgemerkt, und weil die Angst vor der Vergangenheit sie dazu bewogen hat, die Zukunft nicht zu genau zu betrachten.« Shea ärgerte sich ein wenig über diese weitreichenden Anschuldigungen
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und erwiderte scharf: »Wenn man Euch hört, ist es etwas Schlimmes, in Ruhe gelassen werden zu wollen. Ich kenne genug von der Geschichte — nein, vom Leben-, um zu begreifen, daß die einzige Hoffnung des Menschen zu überleben darin besteht, abseits der Rassen zu sein, um alles wieder aufzubauen, was er in den vergangenen zweitausend Jahren verloren hat. Dann wird er vielleicht klug genug sein, es nicht ein zweitesmal zu verlieren. Er hat sich durch seine unablässige Einmischung in die Angelegenheiten anderer und seine fehlgeleitete Ablehnung einer Isolationshaltung in den Großen Kriegen beinahe völlig vernichtet.« Allanons Gesicht wurde hart. »Die katastrophalen Folgen dieser Kriege sind mir bewußt — die Ergebnisse von Macht und Habgier, die der Mensch durch eine Kombination von Sorglosigkeit und bemerkenswerter Kurzsichtigkeit auf sich selbst herabgezogen hat. Das ist lange her — und was hat sich geändert? Du glaubst, der Mensch könne neu anfangen, nicht wahr, Shea? Nun, es dürfte dich nicht wenig überraschen, zu erfahren, daß manche Dinge sich nie ändern und die Gefahren der Macht stets gegenwärtig sind, auch noch für eine Rasse, die sich selbst schon fast völlig ausgelöscht hat. Die Großen Kriege der Vergangenheit mögen vorbei sein — die Kriege der Rassen, der politischen Anschauungen und des Nationalismus, und die endgültigen der reinen Energie, der äußersten Macht. Aber heute stehen wir vor neuen Gefahren, und sie bedrohen die Existenz der Rassen mehr als irgendeine der alten. Wenn du glaubst, der Mensch sei frei, um ein neues Leben aufzubauen, während der Rest der Welt vorbeizieht, weißt du von der Geschichte überhaupt nichts!« Er verstummte zornig. Shea starrte ihn aber trotzig an, obwohl er sich klein und ängstlich fühlte. »Genug davon!« fuhr Allanon fort, und er griff nach Sheas Schulter. »Die Vergangenheit liegt hinter uns, und es ist die Zukunft, mit der wir uns befassen müssen. Laß mich kurz dein Gedächtnis auffrischen, was die Geschichte des Nordlands und die Legende des Schädelreichs angeht. Wie du sicher weißt, haben die Großen Kriege dem Zeitalter ein Ende gemacht, in dem der Mensch allein die beherrschende Rasse darstellte. Der Mensch ist fast völlig ausgerottet worden, und selbst die Geographie, die er kannte, wurde total verändert, völlig umgeformt. Länder, Nationen und Regierungen hörten alle auf zu existieren, als die letzten Angehörigen der Menschheit nach Süden flohen, um zu überleben. Es dauerte fast tausend Jahre, bevor der Mensch sich wieder über das Niveau der Tiere, die er zu seiner Ernährung jagte, erhoben hatte und eine fortschrittliche Zivilisation errichtete. Diese war primitiv, gewiß, aber es gab Ordnung und so etwas wie Regierung. Dann begann der Mensch zu entdecken, daß es außer ihm auch noch andere
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Rassen gab, die die Welt bewohnten — Wesen, die die Großen Kriege überlebt und ihre eigenen Rassen entwickelt hatten. In den Gebirgen die riesigen Trolle, von ungeheurer Kraft und Wildheit, aber ganz zufrieden mit dem, was sie hatten. In den Wäldern und auf den Hügeln gab es die kleinen, verschlagenen Kreaturen, die wir jetzt Gnome nennen. Um die Rechte auf das Land wurde in den Jahren nach den Großen Kriegen manche Schlacht ausgefochten, die beiden Rassen schadete. Aber man kämpfte ums Überleben, und im Gehirn eines Wesens, das um sein Leben kämpft, hat die Vernunft keinen Platz. Der Mensch entdeckte auch, daß es noch eine Rasse gab — eine Rasse von Menschen, die unter die Erde geflüchtet war, um die Auswirkungen der Großen Kriege zu überleben. Jahrelanges Leben in den riesigen Höhlen unter der Erdkruste, ohne Sonnenlicht, veränderte ihr Aussehen. Sie wurden klein und breit, mit mächtigen Armen und Brustkörben, starken, dicken Beine n für das Klettern und Laufen unter der Erde. Ihre Sehfähigkeit im Dunkeln wurde der anderer Wesen überlegen, aber im Sonnenlicht waren sie halb blind. Sie lebten viele hundert Jahre unter der Erde, bis sie endlich wieder heraufkamen, um auf der Oberfläche zu wohnen. Ihre Augen sahen zuerst sehr schlecht, und sie hausten deshalb in den dunkelsten Wäldern des Ostlandes. Sie entwickelten ihre eigene Sprache, kehrten später aber wieder zur Menschensprache zurück. Als der Mensch Überreste dieser verlorenen Rasse erstmals entdeckte, nannte er sie Zwerge, nach einer fiktiven Rasse der alten Zeit.« Allanons Stimme verklang, und er schwieg einige Minuten, während er auf die in der Sonne grellgrün schimmernden Hügel blickte. Shea überdachte die Sätze des Historikers. Einen Troll hatte er nie gesehen; Gnome und Zwerge auch nur einen oder zwei, an die er sich kaum erinnerte. »Und die Elfen?« fragte er schließlich. Allanon sah ihn nachdenklich an und senkte den Kopf. »Ah, ja, ich hatte sie nicht vergessen. Eine bemerkenswerte Rasse von Wesen, die Elfen. Vielleicht das großartigste Volk überhaupt, wenngleich das noch keinem ganz aufgegangen ist. Die Geschichte des Elfen-Volks muß jedoch noch warten; es genügt, zu sagen, daß es sie in den großen Wäldern des Westlandes immer gegeben hat, obwohl die anderen Rassen sie in diesem Stadium der Geschichte selten zu Gesicht bekamen. Nun wollen wir sehen, wieviel du von der Geschichte des Nordlandes weißt, mein junger Freund. Heute ist es ein Land, das fast von niemand anderem als den Trollen bewohnt wird , ein unfruchtbares, düsteres Land, wo nur wenige Angehörige anderer Rassen unterwegs sind, geschweige sich niederlassen. Die Trolle haben sich natürlich angepaßt. Heute leben die Menschen in der Wärme und Behaglichkeit des milden
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Südlandklimas. Sie haben vergessen, daß einst auch das Nordland von Wesen aller Rassen besiedelt war, nicht nur von den Trollen in den Gebirgsgegenden, sondern auch von Menschen, Zwergen und Gnomen im Tiefland und in den Wäldern. Das war in den Jahren, als alle Rassen erst anfingen, mit neuen Ideen, neuen Gesetzen und vielen neuen Kulturen eine neue Zivilisation aufzubauen. Die Zukunft sah sehr vielversprechend aus, aber heute haben die Menschen vergessen, daß es diese Zeit je gegeben hat — vergessen, daß sie mehr als eine geschlagene Rasse sind, die versucht, abgesondert von jenen zu leben, die sie besiegt und ihren Stolz verletzt haben. Damals gab es keine Aufteilung in Länder. Es war eine Wiedergeburt der Erde, auf der jede Rasse eine zweite Chance erhielt, eine Welt aufzubauen. Die Bedeutung der günstigen Gelegenheit wurde natürlich nicht erkannt. Man beschäftigte sich zu sehr damit, festzuhalten, was man als das Seinige betrachtete, und enge, kleine Privatwelten zu errichten. Jede Rasse war davon überzeugt, daß sie dazu bestimmt sei, in den künftigen Jahren die beherrschende Macht zu sein — zusammengedrängt wie ein Rudel zorniger Ratten, das ein vertrocknetes, armseliges Stück Käse bewacht. Und der Mensch, o ja, stürzte sich in all seiner Glorie genau wie die anderen gierig auf die Chance. Hast du das gewußt, Shea?« Der Talbewohner schüttelte langsam den Kopf; er konnte nicht glauben, daß das, was er hörte, die Wahrheit war. Man hatte ihm erzählt, der Mensch sei seit den Großen Kriegen verfolgt gewesen, im Kampf um seine Würde und Ehre, um das kleine Land, das ihm gehörte. Er habe sich immer vor der reinen Wildheit der anderen Rassen schützen müssen. Der Mensch sei bei diesen Kämpfen nie der Unterdrücker gewesen, stets der Unterdrückte. Allanon lächelte grimmig, als er die Wirkung seiner Worte sah. Er fuhr fort: »Du hast nicht geahnt, daß es so steht, wie ich sehe. Gleichgültig — das ist noch die kleinste Überraschung, die ich dir zu bereiten habe. Die Menschen sind nie das großartige Volk gewesen, für das sie sich gehalten haben. Damals kämpften die Menschen genau wie die anderen, wenngleich ich zugeben will, daß sie vielleicht ein höheres Ehrgefühl und ein deutlicheres Bestreben zum Wiederaufbau hatten als andere, und daß sie ein wenig zivilisierter waren.« Allanon sprach die letzten Worte mit betontem Sarkasmus aus. »Aber alle diese Dinge haben wenig mit dem Hauptthema unseres Gesprächs zu tun, das ich dir in Kürze klarzumachen hoffe. Es war ungefähr zur gleichen Zeit, als die Rassen einander entdeckt hatten und um die Oberherrschaft kämpften. Damals öffnete der DruidenRat die Hallen von Paranor im unteren Nordland. Die Geschichte drückt
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sich sehr verschwommen aus, was die Ursprünge und Absichten der Druiden angeht, wenn man auch glaubt, daß sie eine Gruppe hochintelligenter Männer aus allen Rassen waren, erfahren in vielen der verlorenen Künste der alten Welt. Sie waren Philosophen und Visionäre, befaßt mit dem Studium der Künste und Wissenschaften, alles zugleich, aber mehr noch, sie waren die Lehrer und die Verleiher der Macht — der Macht neuen Wissens über die Wege des Lebens. Sie wurden geführt von einem Mann namens Galaphile, einem Historiker und Philosophen wie ich, der die größten Männer des Landes zusammenrief, um einen Rat zu bilden und Frieden und Ordnung zu schaffen. Er stützte sich auf ihr Wissen, um das Szepter über die Rassen zu führen, auf ihre Fähigkeit, Wissen zu vermitteln, um das Vertrauen der Leute zu gewinnen. Die Druiden waren in diesen Jahren eine sehr mächtige Kraft, und die Pläne Galaphiles schienen aufzugehen. Aber als die Zeit verging, zeigte sich, daß manche Mitglieder des Rates Kräfte besaßen, die weit über jene der anderen hinausgingen, Kräfte, die in einigen wenigen phänomenalen, genialen Gehirnen geschlummert hatten und stärker geworden waren. Es würde schwerfallen, dir diese Kräfte zu beschreiben, ohne sehr viel Zeit in Anspruch zu nehmen — mehr Zeit, als wir zur Verfügung haben. Was für unsere Zwecke Wichtigkeit hat, ist, zu begreifen, daß manche im Rat, welche die genialsten Gehirne besaßen, zur Überzeugung gelangten, sie seien ausersehen, die Zukunft der Rassen zu gestalten. Zuletzt lösten sie sich vom Rat, um eine eigene Gruppe zu bilden, verschwanden für einige Zeit und wurden vergessen. Etwa hundertfünfzig Jahre später fand innerhalb der menschlichen Rasse ein schrecklicher Bürgerkrieg statt, der sich schließlich zum Ersten Krieg der Rassen, wie die Historiker ihn nannten, ausweitete. Seine Ursache war selbst damals schon unklar und ist inzwischen beinahe vergessen. Einfach ausgedrückt, lehnte sich ein kleiner Teil der menschlichen Rasse gegen die Lehren des Rates auf und bildete eine mächtige und gut ausgebildete Armee. Der vorgebliche Zweck der Erhebung war die Unterwerfung des Rests der Menschheit unter eine zentrale Herrschaft zur Verbesserung der Rasse und der Förderung ihres Stolzes als Volk. Mit der Zeit schlössen sich fast alle Teile der Rasse der neuen Sache an, und man führte Krieg gegen die anderen Rassen, angeblich, um das neue Ziel zu erreichen. Die Hauptfigur war ein Mann namens Brona — ein archaischer Gnomen-Ausdruck für >MeisterKönige