Paul Renner
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Paul Renner
Das moderne Buch Die Lesbarkeit der Schrift Antiqua oder Fraktur Vereinfachte Rechtschreibung Handliche Buchgrößen Die Typografie des Buches Das illustrierte Buch Das Luxus-Buch
Jan Thorbecke Verlag Lindau/Bodensee
Paul Renner
Das moderne Buch
Friedrich Schiller hat einmal die Deutschen ermahnt, nicht zu vergessen, daß sie als Zeit-Bürger Pflichten hätten. Diese Zeitbürgerpflicht ist gemeint, wenn der französische Maler Renoir sagt, man müsse die Malerei seiner Zeit malen. Das gilt von allen Berufen. Und deshalb genügt es nicht, schöne Bücher herzustellen. Wir haben uns um die Buchform unserer Zeit, um die moderne Buchform zu bemühen. Doch gerade der künstlerisch ehrgeizige, der bibliofile Verleger hat sich von jeher gern Buchformen der Vergangenheit zum Vorbild genommen, ohne zu bedenken, wie zeitbedingt sie bei all ihrer Schönheit waren. Der Verantwortung, die unser Geschlecht kommenden Geschlechtern gegenüber hat, ist nicht damit genügt, daß wir das hinterlassene Erbe in dem Zustand an sie weitergeben, in welchem wir es übernommen haben, wir müssen uns auch mit allen Problemen herumschlagen, die uns vererbt worden sind. Wir dürfen sie nicht aus Feigheit und Bequemlichkeit geflissentlich übersehen und die Arbeit an ihnen den Enkeln überlassen. Und deshalb wollen wir nicht müde werden, die Idee einer wahrhaft modernen Buchform immer aufs neue vor unserem geistigen Auge erstehen zu lassen, sie wieder und wieder zu überprüfen und sie immer besser zu verwirklichen. Nur so werden wir der gedankenlosen Nachahmung alter und neuer, heimischer und fremder Vorbilder entgehen und unserer Zeit den Dienst erweisen, den sie von uns fordern darf. Was ist modern?
Wodurch aber unterscheidet sich die moderne Buchform von der unmodernen? »Modern«, das ist ein mißverständliches und vielfach mißbrauchtes Wort. Es wird im deutschen Brockhaus und im französischen Larousse erklärt als der Gegensatz zum Antiken. Das ist es zweifellos im Sprachgebrauch von Händlern, die als »vero antico« anbieten, was zuweilen »roba moderna« ist; das war es schon im Mittelalter, das 5
der älteren runden karolingischen Minuskel, dem Vorbilde unserer Weltletter, den Namen »littera antiqua« beilegte, während es die jüngere gotisch stilisierte eckige Form »littera moderna« nannte. Dieses Moderne meinen wir Werkbundleute nicht. Was wir unter modern verstehen, unterscheidet sich vom Antiken so wenig, daß man es kaum besser beschreiben kann als mit den Worten, mit denen Goethe einmal einen Begriff vom Wesen des Antiken zu geben versucht hat. Eckermann hat sie aufgezeichnet. Auf einer Fahrt, die er mit Goethe machte, lobte der greise Dichter einen aus Binsen geflochtenen Marienbader Korb, der im Wagen zu ihren Füßen lag: »Ich bin so an ihn gewöhnt, daß ich nicht reisen kann, ohne ihn bei mir zu führen. Sie sehen, wenn er leer ist, legt er sich zusammen und nimmt wenig Raum ein; gefüllt dehnt er sich nach allen Seiten aus und faßt mehr, als man denken sollte. Er ist weich und biegsam und dabei so zäh und stark, daß man die schwersten Sachen darin fortbringen kann.« Eckermann stellte bewundernd fest: »Er sieht sehr malerisch und sehr antik aus«, worauf Goethe antwortete: »Sie haben recht, er kommt der Antike nahe, denn er ist nicht allein so vernünftig und zweckmäßig als möglich, sondern hat dabei auch die einfachste, gefälligste Form, so daß man also sagen kann, er stehe auf dem höchsten Punkt der Vollendung.« Wenn wir aber, was so vernünftig und zweckmäßig als möglich ist, und was zugleich die einfachste und gefälligste Form hat, modern nennen, dann müssen wir dieses Moderne vom Modischen abgrenzen. Nur ein Spießer gerät in Zorn, wenn er dem Modischen begegnet. Erzeugnisse der angewandten Kunst, die für eine kurze Lebensdauer bestimmt sind, dürfen jederzeit modisch sein. Viele Drucksachen, besonders Industriekataloge, überhaupt Werbedrucksachen aller Art, wirken nur, wenn sie modisch sind. Es schadet ihnen nichts, daß wir des Modischen bald über6
drüssig werden und es dann altmodisch finden. Eben deshalb vermeidet man es bei Büchern, besonders bei wertvollen. Doch sollte die Form des heute hergestellten Buches immer modern sein, also ein Versuch, den Idealtypus eines Buches unserer Zeit zu verwirklichen. Denn das Moderne ist eine Idee, es ist eine unendliche, eine niemals ganz zu lösende Aufgabe. Wir suchen es auf einem schmalen Grat, der auf der einen Seite abfällt ins gedankenlos übernommene Konventionelle und auf der anderen Seite ins Modische, das zumeist eine etwas geckenhafte Obertreibung des jeweils Modernen ist. Dieser Grat ist kein bequemer Mittelweg. Das Moderne kommt nicht zustande durch Kompromisse, nicht durch eine vermittelnde Haltung zwischen dem Modischen und dem Konventionellen. Das Moderne muß nicht immer neu sein, nicht unbedingt anders als das Alte, es muß, wenn es neu ist, besser sein als das Alte war. Was uns am Alten so vollkommen zu sein scheint, daß wir es nicht besser machen können, ist nicht unmodern, auch wenn es noch so alt wäre. Besser-machen ist nicht schönermachen. Auch unmoderne Dinge können schön sein. Unmodern werden sie erst, sobald eine vernünftigere und zweckmäßigere Form den alten oder neu gestellten Ansprüchen besser gerecht wird. Was fordern wir von einem modernen Buch?
Von der modernen Form des Buches erwarten wir also vor allem, daß sie vernünftig und zweckmäßig sei. Da Bücher verschiedenen Zwecken dienen, gibt es auch verschiedene Formen des modernen Buches. Wir wollen hier zunächst vom Lesebuch sprechen, also nicht von Hand- oder Nachschlagewerken, in denen man nur bestimmte Stellen aufschlägt, um sie zu lesen, sondern von jenen Büchern, die man wie einen Roman von Anfang bis zu Ende liest, um sie dann weiterzuverschenken oder in den Bücherschrank 7
zu stellen. Von einem solchen Buch wird dreierlei verlangt: Es soll erstens mühelos lesbar und soll zweitens handlich sein, also beim Lesen leicht in der Hand des Lesers liegen, und es soll drittens in unserem Zeitalter des Verkehrs und des ruhelosen Hin- und Herreisens bequem zu tragen sein, also im Reisegepäck und möglichst auch in der Rocktasche wenig Raum beanspruchen. Eine Buchform, die diesen drei Ansprüchen vollkommen gerecht würde, wäre die ideale Form eines modernen Buches. Die Lesbarkeit des modernen Buches
Beginnen wir mit der Lesbarkeit. Die Rücksicht auf sie hat die Wahl der Schrift zu bestimmen. Dabei müssen wir unterscheiden lernen, zwischen dem, was sich infolge langer Gewöhnung und dem, was sich an und für sich leichter oder schwerer lesen läßt. Wer hier nicht zu unterscheiden vermag, kann über die Lesbarkeit nicht urteilen. Daß ein in Großbuchstaben der Fraktur gesetztes Wort schwerer zu lesen ist als ein in Antiquaversalien gesetztes, wurde wohl nie bezweifelt. Ob aber die auf gewöhnliche Art mit Gemeinen gesetzte Fraktur oder die Antiqua leichter lesbar sei, war schwer auszumachen, solange man durch das Lesen der Zeitungen an die Fraktur gewohnt war. Die Ausländer haben von jeher die Antiqua lieber gelesen, und vielleicht ist mancher bedeutende deutsche Filosof und Schriftsteller deshalb im Ausland weniger bekannt, als er es zu sein verdiente, weil man seine Bücher in Fraktur gesetzt hat. Heute liest, glaube ich, auch jeder Deutsche lieber Antiqua als Fraktur, weil unsere Zeitungen jetzt in Antiqua gesetzt werden. Um wieviel klarer und lichter sehen sie nun aus als früher! Antiqua-Großbuchstaben lassen sich gut und zuverlässig entziffern, und man schreibt deshalb in angelsächsischen Ländern die Anschriften auf Briefen und Postkarten mit ihnen; doch lassen sie sich nicht so schnell lesen 8
wie die in der gewöhnlichen Schreibweise mit Kleinbuchstaben gesetzten Texte, besonders nicht im Deutschen, das im Durchschnitt viel längere Wörter hat als das Englische. Ganze Seiten in Großbuchstaben setzen ist deshalb eine unverantwortliche Spielerei. Die Fachleute nennen das Versaliensalat. Man kann nicht von jeder Schrift die gleiche bequeme Lesbarkeit fordern; in der Stenografie hat man sie der Schreibflüchtigkeit geopfert. Keine Schrift ist so schwer lesbar wie diese schreibflüchtigste aller Schriften. Doch es gibt auch noch etwas, das schneller aufzufassen ist, als jede Schrift: es ist das Zeichen, etwa am Rand der Autostraße die schwarze s-förmige Arabeske, oder das Gitter, auf der runden weißen, rot eingerahmten Tafel, die den Fahrer vor einer scharfen Wegbiegung oder vor dem nahen Bahnübergang warnt. Von dieser Sprache der Zeichen macht der Verleger nur in seinem Verlagssignet Gebrauch. Welche Möglichkeiten bleiben hier ungenutzt! Antiqua oder Fraktur?
Die Wahl der Schrift ist heute dadurch leichter geworden, weil nun endlich der Streit zwischen der Antiqua und der Fraktur zugunsten der Antiqua entschieden worden ist. Es ist eingetroffen, was ich vor fünfzehn Jahren in der Frankfurter Zeitung vorausgesagt habe. Ich schrieb damals: »Man soll nicht ungeduldig beklagen, daß man in der Typografie des Buches noch so wenig vom neuen Stil bemerkt. Er wird mit der Unfehlbarkeit eines Naturgeschehens kommen. Wie wird das Buch dieser nahen Zukunft aussehen? Die Grafologie unterscheidet die Handschrift der Fantasiebegabten, die wenig Raum zwischen den Worten und Zeilen läßt, von der Handschrift der Verstandesmenschen, die Wort und Zeile durch breite Zwischenräume deutlich vom weißen Papiergrund abhebt. Wir finden diesen Gegensatz auch 9
bei geschriebenen und gedruckten Büchern. Man denke an die gotischen Handschriften des Mittelalters, deren Schriftzeichen das Papier dicht wie ein Gewebe bedeckten. Die satte Schwärze ihrer Schriftzeichen entspricht dem geheimnisvollen Dunkel gotischer Räume. Je heller das Innere der Bauten wurde, um so lichter wurden auch die Buchseiten. Die englischen Handpressendrucker des 19. Jahrhunderts und die Buchkunst, die aus dieser kunstgewerblichen Bewegung hervorging, haben versucht, dem Satzspiegel die mittelalterliche Geschlossenheit zurückzugeben. Aber eine künstliche Typografie kann auf die Dauer nicht das Gesicht der Zeit maskieren. Alles Anachronistische muß schließlich dem wahren Ausdruck des Menschentypus weichen, dem ein Zeitalter sein Gepräge verdankt. Darum werden auch alle gotischen Schriften verschwinden, wenn sie gleich von einem irregeleiteten Nationalismus deutsch genannt werden. Die führenden Menschen unserer Zeit sind keine Träumer, sondern wache Verstandes- und Willensmenschen; diese haben von jeher geometrischen Grundrissen und strengen reinen Formen den Vorzug gegeben. Man denke an die gradlinigen Straßen der Römer und Napoleons, an die großen Städtegründungen aller Zeiten oder an die klare Gartenarchitektur des Parkes von Versailles im Gegensatz zu der künstlichen Wildnis von Trianon und zu der unechten Natürlichkeit englischer Parkwege. Die gewundenen und gebrochenen Formen der Fraktur passen vielleicht zu weltfremden Kleinbürgern, aber nicht zum modernen Deutschen, der den Adler in seinem Wappen führt und weiß Gott kein Lämmerschwänzchen ist.« So schrieb ich 1931. Im Dritten Reich sah es zuerst so aus, als ob die Fraktur aus der Verteidigung zum Angriff übergehen wollte. Doch dann kam der alle überraschende Erlaß, der die Antiqua zur deutschen Normalschrift erklärte. Man weiß heute, daß auch eine radikale Reform unserer Rechtschreibung geplant 10
war. Mögen die Beweggründe, die zu diesem Schritt geführt haben, noch so verrucht gewesen sein, so war dieser Erlaß selbst doch ein unverdientes Geschenk des Himmels, der uns ja das Gute zuweilen durch Menschen bringen läßt, die das Böse wollen. Ohne diesen Befehl von oben würde der Deutsche noch lange an der Schrift festgehalten haben, die niemals eine deutsche Nationalschrift gewesen ist, sondern eine von süddeutschen Schreibmeistern ein wenig veränderte doch keineswegs verbesserte Spätform der gotischen Schrift. Die Gotisierung der mittelalterlichen Schrift hat sich aber nicht bei uns, sondern in Frankreich, der Heimat des gotischen Baustils vollzogen und ist von dort langsam nach Osten vorgedrungen. Wir Deutsche haben uns noch gegen diese eckigen Formen gewehrt, als sie schon über ganz Europa verbreitet waren. Um so hartnäckiger haben wir dann an ihnen festgehalten, als ob die Ehre der Nation daran hinge, daß wir eine andere Schrift hatten als die übrigen Völker. Doch als die Antiqua dann zur deutschen Normalschrift erklärt wurde, waren auch die wildesten Verteidiger der Fraktur plötzlich verstummt, und die meisten Deutschen haben es wohl garnicht bemerkt, daß eines schonen Morgens ihre Zeitung in einer anderen Type gesetzt auf dem Kaffeetisch lag. An die klaren und edlen Formen der Antiqua gewöhnt sind wir heute vielleicht besser darauf vorbereitet, die Beweggründe zu würdigen, die Jakob Grimm veranlaßt haben, das Deutsche Wörterbuch in Antiqua-Kleinbuchstaben setzen zu lassen. In der Einleitung zu diesem unvergleichlichen Monument der Deutschen Sprache schreibt der große Germanist: »Es verstand sich fast von selbst, daß die ungestalte und häßliche schrift, die noch immer unsere meisten bücher gegenüber denen aller übrigen völker von außen barbarisch erscheinen läßt, und einer sonst allgemeinen edlen übung unteilhaftig macht, beseitigt werden mußte. 11
Leider nennt man diese verdorbene und geschmacklose schrift sogar eine deutsche, als ob alle unter uns im schwang gehenden mißbräuche, zu ursprünglich deutschen gestempelt, dadurch empfohlen werden dürften. Nichts ist falscher, und jeder kundige weiß, daß im mittelalter durch ganz Europa nur eine schrift für alle sprachen galt und gebraucht wurde. Seit dem dreizehnten und vierzehnten jahrhundert begannen die schreiber die runden züge der buchstaben an den ecken auszuspitzen und den beinahe nur in rubriken und zu eingang neuer abschnitte vorkommenden majuskeln schnörkel anzufügen. Die erfinder der druckerei gossen aber ihre typen ganz, wie sie in den handschriften üblich waren, und so behielten die ersten drucke des fünfzehnten jahrhunderts dieselben eckigen knorrigen und scharfen buchstaben, gleichviel ob für lateinische oder deutsche und französische bücher, bei. Mit ihnen wurden dann auch alle dänischen, schwedischen, böhmischen, polnischen bücher gedruckt. Dennoch führte in Italien, wo die schreiber der runden schrift treuer geblieben waren, und schöne alte handschriften der klassiker vor augen lagen, schon im fünfzehnten jahrhundert in vielen druckereien ein reinerer geschmack der unentstellten die lateinische und vulgare sprache zuruck, und nun lag es an den anderen völkern, diesem beispiel zu folgen.« Großschreibung oder Kleinschreibung
»Alle schrift war ursprünglich majuskel, wie sie in stein gehauen wurde; für das schnelle schreiben auf papyrus und pergament verband und verkleinerte man die buchstaben, wodurch sich die züge der majuskel mehr und mehr abänderten. Aus den mit dem pinsel hingemalten initialen der handschriften entsprang die verbogene und verzerrte gestalt der majuskel, die in den ältesten drucken auch noch nicht gesetzt, sondern mit farbe eingetragen wurde. In 12
lateinischen büchern blieben außer den initialen nur die eigennamen durch majuskel hervogehoben, wie es noch geschieht, weil es den leser erleichtert. Im laufe des sechzehnten jahrhunderts führte sich, zuerst schwankend und unsicher, endlich entschieden, der mißbrauch ein, diese auszeichnung auf alle und jede substantive zu erstrecken, wodurch jener vorteil wieder verlorenging, die eigennamen unter der menge der substantive sich verkrochen und die schrift überhaupt ein buntes schwerfälliges ansehen gewann, da die majuskel den doppelten oder dreifachen raum neben der minuskel einnimmt. Rechnet man hinzu, daß die deutsche sprache insgeheim zur verdoppelung der buchstaben und einschaltung unnötiger dehnlaute geneigt ist, für ihre häufigen verbindungen ch, sch und sz aber einfacher zeichen entbehrt, so begreift sich, wie die darstellung unserer laute so breit ins auge fäIIt, was bei versen oder wenn eine fremde sprache daneben steht, am sichtbarsten wird. Kürze und leichtigkeit des ausdrucks, die im ganzen nicht unser vorzug sind, weichen vor diesem geschlepp und gespreize der buchstaben völlig zurück. Meinerseits zweifle ich nicht an einem wesentlichen zusammenhang der entstellten schrift mit der häufung der zwecklosen buchstaben. Man suchte darin eine vermeinte zier und gefiel sich im schreiben sowohl an den schnörkeln als an der vervielfachung. Wenigstens die der lateinischen schrift pflegenden völker kamen gar nicht auf den gedanken einer so sinnlosen verkleisterung der substantiva. Kaum ein leser dieses wörterbuches wird an den lateinischen und kleinen wörtern ärgernis nehmen oder sich nicht leicht darüber hinaussetzen. Allen unbefangenen aber muß die daraus entsprungene sauberkeit und raumersparnis angenehm ins auge fallen. Hat nur ein einziges geschlecht der neuen schreibweise sich bequemt, so wird im nachfolgenden kein hahn nach der alten krähen. Wem das tun oder lassen in 13
solchen dingen gleichgültig ist und jeder unbrauch zu einer unabänderlichen eigentümlichkeit des volkes gedeiht, der dürfte gar nichts anrühren und müßte in allen verschlechterungen der sprache wirkliche verbesserungen sehen. Es gibt aber in ihr nichts kleines, das nicht auf das große einflösse, nichts unedles, das nicht ihrer angeborenen guten art empfindlichen eintrag täte. Lassen wir doch an den häusern die giebel, die vorsprünge der balken, aus den haaren das puder weg, warum soll in der schrift aller unrat bleiben?« Jakob Grimm hat leider tauben Ohren gepredigt. Außer den Germanisten, deren Bücher seither in lateinischen Kleinbuchstaben gesetzt worden sind, hat niemand auf ihn gehört. Kaum jemals aber war die Zeit günstiger, unsere Rechtschreibung in Ordnung zu bringen als nach dieser ungeheuerlichen Massenvernichtung der Bücher, die uns nötigt, alles neu zu drucken. Doch leider steht es mit uns Deutschen so, daß wir, die ewig Unbelehrbaren, es auch heute wieder besser wissen als es der größte Kenner unserer Sprache gewußt hat, und ich fürchte, wir werden alles beim Alten lassen, wenn uns die Reform nicht befohlen wird. Welche Regierung aber wird dieses heiße Eisen anfassen? Das erste, was erreicht werden muß, ist die sofortige Beschränkung der Großbuchstaben auf die Satzanfänge und Namen, so wie es in allen Sprachen der Welt üblich ist und wie es auch im Deutschen Reich Brauch war, bevor im Barock die Unsitte aufkam, jedes Hauptwort groß zu schreiben. Gerade deshalb, weil sich in diesem »Wunsch nach Größe«, über den die Grafologie genau Bescheid weiß, ein so verhängnisvoller Fehler unseres Nationalcharakters verrät, sollten wir wenigstens das Symptom zu beseitigen suchen. Die Großschreibung der Eigennamen erleichtert das Lesen, weil ihr meist weniger bekanntes Wortbild damit auf den ersten Blick als Name gekenn14
zeichnet ist. Und ebenso angenehm ist es dem Leser, wenn er Satzanfang und Satzende schon im indirekten Sehen überblicken kann. Diese Vorteile, die dem Leser die Großbuchstaben gewähren können, gehen verloren, wenn man jedes Hauptwort auszeichnet. Der Großbuchstabe ist eine Art von Verbeugung, ein Kratzefuß des Schreibers: eine Verbeugung vor dem Angeredeten, wenn man Du, Euch, Sie und Ihr groß schreibt, und ein verlegenes Katzbuckeln nach allen Seiten, wenn man jedes Hauptwort groß schreibt. Wann werden wir endlich unserer Rechtschreibung diesen lächerlichen Zopf abschneiden, den ihr das Zeitalter der Duodezfürsten und ihrer in Ehrfurcht ersterbenden alleruntertänigsten Diener angehängt hat? Eine Schrift besteht nicht aus zwei Alfabeten, sondern aus einem; ihr Bild, ihr Aussehen, wird bei der in der ganzen Welt üblichen Rechtschreibung durch das Minuskelalfabet bestimmt. Die eingestreuten Majuskeln wirken in ihr wie ein edler Schmuck. Ein ganz anderes Bild aber entsteht bei der neudeutschen Großschreibung aller Substantive: nun wird im Durchschnitt jedes dritte oder vierte Wort groß geschrieben. Der Aufbau der Buchstaben und Zeichen einer Schrift aus wenigen einfachsten Formelementen macht die Schönheit der Schrift aus. Diese vollkommene Entsprechung verbindet alle Formen des Minuskelalfabets zu jener Einheit des Mannigfaltigen, die das Geheimnis jeder Schönheit ist. Sie bindet auch die Formen des um mehr als tausend Jahre älteren Majuskelalfabets zu einer Einheit. Doch diese Majuskelformen hätten niemals als Initialen und als wirklich auszeichnende, hervorhebende Zeichen dienen können, wenn sie sich nicht so kräftig und sichtbar durch ihren Aufbau von den Minuskeln unterschieden. Wird das Bild der Seite nicht mehr durch eines dieser Alfabete bestimmt, sondern durch eine Mischung aus beiden so verschiedenen Alfabeten, dann wird es unklar, und verliert 15
an Einheitlichkeit. Das ist der Grund dafür, daß heute jede Drucktype, auch die allerschönste, im Satz deutscher Texte verliert und erst im Satz ausländischer Texte ihre ganze Schönheit offenbart. Soll dieser beschämende Zustand immer so bleiben? Und weshalb muß gerade das Substantiv so herausgehoben werden? Wir Deutschen haben wie jedes andere Volk das Recht, deutsche Musik, deutschen Wein und gute deutsche Prosa über alles zu stellen, was es sonst an Musik, Wein und Prosa in der Welt gibt. Aber jeder von uns weiß auch, wie schwer es ist, auch nur eine Seite guter deutscher Prosa zu schreiben. Wer ein gutes Deutsch schreiben will, muß die Sprache nicht nur dressieren, sondern redressieren; im Vergleich zu ihr scheint die französische ein vielleicht älteres, aber besser zugerichtetes Pferd zu sein. Und die schlimmste Untugend unserer Sprache hängt mit der Großschreibung des Substantivum zusammen. Wir nennen es das Hauptwort. Diese besondere Ehrung wird bei den romanischen Völkern einer anderen Wortgattung zuteil: dem Tätigkeitswort. Sie zeichnen es nicht durch Großschreibung aus; davor hat sie ihr angeborener Formensinn bewahrt; aber sie nennen es »das« Wort, das Verbum, le verbe; sie geben ihm den gleichen Namen wie der zweiten Person der heiligen Dreieinigkeit. Jeder Erzieher zu einem besseren deutschen Sprachstil predigt uns: Hütet Euch vor dem Substantiv; hütet Euch vor der elenden Substantivierung der anderen Wortgattungen. Gute Prosa zeichnet sich dadurch aus, daß sie das Verbum ehrt. Diese unselige Substantivierung macht die Regeln der Großschreibung so knifflich und verzwickt. Es ist unsinnig, eine Wortgattung durch Großschreibung hervorzuheben, die grade im Deutschen keine fest umrissenen Grenzen hat. Es gibt bei uns kaum ein Wort, das nicht gelegentlich auch hauptwörtlich gebraucht wird und dann groß geschrieben 16
werden müßte. Kein normaler Gebildeter wird das bekannte Kosog‘sche Diktat ohne Fehler nachschreiben: »Liebe Kinder! Heute nacht nahm ich mir vor, Euch diesen Morgen einige Lehren fürs Leben des nähern niederzuschreiben. Leset sie oftmals durch, so werdet Ihr Euch bei Gelegenheit des Nähern entsinnen und danach handeln. — Zwar kann ich Euch nur etwas weniges hinterlassen, aber Euch etwas Gediegenes lernen zu lassen, dazu habe ich mein Bestes, ja mein möglichstes getan. Ihr seid alle gut im Stande, so daß Ihr imstande seid, Euch redlich durchzuschlagen. Sollte jedoch einer von Euch je in Nöten sein, so ist es durchaus vonnöten, daß Ihr Euch gegenseitig helft. Seid stets willens, Euch untereinander zu Willen zu sein. Irrt einer von Euch, so sollen die übrigen ihn eines andern, und zwar eines Bessern belehren. Achtet jedermann, Vornehme und Geringe, arm und reich. Seid keinem feind, denn jemandes Feind sein, bringt oft Unheil. Tut niemand ein Leid an, so wird man auch Euch nicht leicht etwas zuleide tun. Euer seliger Vater sagte oft zu seinen Schülern: »Tut nie Böses, so widerfährt euch nichts Böses«. Macht Euch eine abrahamsche Friedfertigkeit zu eigen, indem Ihr nach dem Abrahamschen Wort handelt: »Gehst du zur Rechten, so gehe ich zur Linken.« Wer von Euch der klügste sein will, der handle nach dem Sprichwort: »Der Klügste gibt nach.« Tut nie unrecht, seid Ihr aber im Rechte, so habt Ihr recht, ja das größte Recht, wenn Ihr Euer Recht sucht, und Ihr werdet alsdann im allgemeinen auch recht haben. Laßt nichts außer acht, ja außer aller Acht, wenn Ihr Freundschaft schließt; wählt nicht den ersten besten als Freund und sorgt, daß Ihr unter Euren Mitarbeitern nie die Letzten seid. Wollt Ihr Wichtiges zuwege bringen, so müßt Ihr ernstlich zu Werke gehen. Sucht auf dem laufenden zu bleiben und zieht nie eine ernste Sache ins Lächerliche. Verachtet nie das Leichte, so wird es Euch schließlich ein leichtes, 17
auch das Schwierigste zu überwinden. Es ist aber das schwierigste, daß man sich selbst bezwingt. Seid Ihr in einer Angelegenheit im dunkeln, so übt Vorsicht; denn im Dunkeln stößt man leicht an. Seid auch im Geringsten nicht im geringsten untreu. Zum letzten rate ich Euch folgendes: Befolgt das Vorstehende, so braucht Euch nicht angst zu sein, ohne Angst könnt Ihr dann zu guter Letzt auf das beste standhalten, auf das Beste hoffen und trotz aller Widerwärtigkeiten zeit Eures Lebens dem Schicksal Trotz bieten.« Welche Kraft und Zeit wird in den Schulen damit vergeudet, diese albernen Regeln zu lehren und zu lernen? Könnte sie nicht für besseres verwendet werden? Beschränken wir also die Großbuchstaben wieder auf den Satzanfang und auf die Namen. Jedermann wird sich schnell an die neue Schreibweise gewöhnen und dann sogar bequemer lesen als jetzt. Wir ersparen damit nicht nur den Lehrern und Kindern, sondern auch jedem anderen, der deutsch lernen will, eine sinnlose Mühe, und wir opfern wahrlich damit keine eingewurzelte deutsche Eigenart. Mein Großvater Renner ist 1780 geboren, mein Urgroßvater Renner 1723. Ich besitze eine in meiner Vaterstadt Wernigerode 1760 beim hochgräflichen Hofbuchdrucker Johann Georg Struck gedruckte Bibel; in ihr sind noch alle Substantive klein geschrieben, denn das war früher in Deutschland ebenso Brauch wie in der ganzen übrigen Welt. Da heißt es: »Am anfang schuf GOtt himmel und erde. Und die erde war wüste und leer, und es war finster auf der tiefe und der Geist GOttes schwebete auf dem wasser«. Außer den Versanfangen sind nur GOtt und Geist groß, alle anderen Substantive klein geschrieben, und GOtt hat außer dem großen G auch noch ein großes O. Der Großbuchstabe zeichnet hier also wirklich aus, er bezeugt sichtbar die Ehrfurcht des Schreibenden. Geist ist hier groß ge18
schrieben, weil es der Geist Gottes ist. Der Geist jener neudeutschen Schreiberlinge, denen wir die Großschreibung aller Substantiva verdanken, hatte diese Ehrung nie verdient. Die Kraft, ein Wort wirklich hervorzuheben, wird die Majuskel sofort zurückgewinnen, wenn wir die gewöhnlichen Substantiva wieder klein schreiben, wie es früher auch bei uns üblich war. Vom ph, th, rh und ch
Und wenn wir schon einmal an die Vereinfachung unserer Rechtschreibung gehen, dann sollten wir auch ernstlich erwägen, ob nicht der eine oder andere Buchstabe eingespart werden könnte; denn unsere Wortbilder sind ungebührlich lang, im Durchschnitt viel länger, als die in irgend einer anderen Sprache. Warum müssen wir einen einfachen Laut wie sch durch drei Buchstaben bezeichnen? Als Anlaut vor t und p schreiben wir ja auch nur ein s und sagen doch — nach der Lautverschiebung vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen, die das Plattdeutsche nicht mitgemacht hat — ganz richtig: schprechen, schtellen,(der Hannoveraner weiß gar nicht, daß sein sstellen und ssprechen nicht neuhochdeutsch, sondern niederdeutsch ist). Ich meine, daß wenigstens das c eingespart werden könnte: an sh für den Laut sch hatte man sich schon durch die ShellWerbung gewöhnt. Vielleicht kann später einmal das lange s als Zeichen für den einfachen Laut sch dienen. Doch die Einführung des langen s, als Zeichen für sch, gehört nach dem sorgfältig erwogenen Vorschlag, den 1931 der Leipziger Lehrerverein zur Vereinfachung der Rechtschreibung veröffentlicht hat, zur vierten Stufe, die erst nach der Ersteigung der drei ersten Stufen erklommen werden soll. Zur ersten Stufe, die das mindeste dessen ist, was wir jetzt erreichen müssen, gehört noch die Angleichung der griechisch-lateinischen Reste an die übliche deut19
sche Schreibung. Die Italiener schreiben längst ihr f auch bei den aus dem Griechischen übernommenen Wörtern, also faeton, falange, fantasia, farmacia, filippo, filologia, filosofia, fisionomia; sie schreiben auch fariseo und fenomeno ohne a, also mit einfachem e für alle offenen und geschlossenen e-Laute. Die Italiener schreiben auch teatro, teologia, teoria, tesi, terapia und sie schreiben nicht Thymian sondern timo. Sie schreiben coro für Chor und cloro für Chlor. Und nur ein Narr kann behaupten, daß sie damit das Erbe des Humanismus verraten hatten. Im Gegenteil, sie haben es sich angeeignet, sie haben es assimiliert. Eine Sprache hat nur dann einen guten Magen, wenn sie entbehrliche Fremdwörter überhaupt vermeidet, unentbehrliche aber wirklich schluckt und verdaut, also der Schreibung ihrer eigenen Wörter angleicht. Spricht es etwa mehr für die erfolgte Einverleibung des griechischen »Rhythmus«, wenn man ihm das exotische Wortbild läßt, oder wenn man es ritmo schreibt, wie es die Italiener tun? Aber ich glaube gar nicht, daß die humanistische Erbschaft im Deutschen ein Fremdkörper geblieben sei. Eben deshalb sollte unsere Rechtschreibung diese Wörter nicht als Fremdlinge von den deutschen unterscheiden. Es ist doch beschämend, daß von allen diesen Wörtern griechischen Stammes nicht etwa die Philosophie, sondern nur die Fotografie gelegentlich mit dem deutschen f geschrieben wird In dieser Fremdschreibung ist noch etwas von jenem naiven Humanismus, der einmal den Herrn Schuster dazu bestimmte, sich fortan Herr Sutor zu nennen. Niemand hat etwas gegen Herrn Sutor, doch nimmt heute niemand an Namen wie Schuster und Schumacher Anstoß, wenn die Leute uns sonst gefallen. Die Kennzeichnung des gedehnten und kurzen Vokals
Ich selbst hielte die Zeit für gekommen, auch einige vom Leipziger Lehrerverein für spätere Zeiten in Aussicht ge20
nommenen Vereinfachungen heute schon durchzuführen, weil wir ja nun einmal gezwungen sind, alles neu zu drucken. Schon Jakob Grimm hatte gefordert, man solle den stimmlosen f-Laut nur durch das f und nicht auch durch das v bezeichnen. So war es im Altgotischen, und so ist es im Schwedischen. Ferner hat Grimm zum Verzicht auf die Bezeichnung der gedehnten und kurzen Vokale geraten. Sie ist heute ohne Folgerichtigkeit und trägt am meisten dazu bei, daß die Wortbilder so lang sind. Wozu »schafft« und »schifft«/ wenn wir »Freundschaft« und »Schrift« schreiben? Wie man »kam«, »Scham«, »Name« schreibt, könnte man auch »nahm, lahm zahm« ohne das Dehnungs-h schreiben. Wir schreiben heute »Schwan« neben »Hahn« und »Zahn«, »grün« neben »Bühne« und »kühn« und »waren« neben »Jahr« und »Bahre«; »Schere« neben »Beere« und »wehre«. Das ist willkürlich und ohne Sinn. Wir lesen doch ohne jede Schwierigkeit die Vokale in »Fische, Frische, Tische, Wische« kurz, in »Nische« aber lang; wir lesen sie in »ach, Bach, Dach, Fach, flach, Krach, lach, mach, schwach« kurz, und in »brach, stach, Schmach« lang; in »flüstern, Brüste, lüstern, rüsten« kurz und in »düster« lang. In meiner Bibel aus dem Jahre 1760 ist »wol« ohne h geschrieben, aber auch »sol, solte, unbekant, samle« ohne Verdoppelung der Konsonanten. Wir lesen »Geburt« lang, »Kurt, Gurt, hurtig« kurz. Wir lesen »Trost« lang, und »kosten« kurz. Doch lesen wir auch »kosten« lang, ohne dazu eines Hinweises durch die Rechtschreibung zu bedürfen, sobald wir der Vergangenheitsform von »kosen« begegnen. Die Homonyme
Der völlige Verzicht auf die Länge oder Kürze der Vokale wird die gleichgeschriebenen Wörter, die verschiedene Bedeutungen haben, also die Homonyme vermehren. Aber auch heute ist nur ein Viertel der gleich klingenden Wörter, 21
die mehr als eine Bedeutung haben, durch besondere Schreibweise unterschieden; zum Beispiel »lehren« und »leeren«, der »Stil« und der »Stiel«, das »Lid« und das »Lied«. Im ganzen sind es etwa dreißig Wortpaare, also viel weniger als man gewöhnlich vermutet. Die übrigen drei Viertel der heute schon gleich geschriebenen mehrdeutigen Wörter wie Acht, Hahn, Schloß, Flügel usw. versteht jeder Leser mühelos richtig aus dem Zusammenhang des Geschriebenen. Es wird auch die durch eine Vereinfachung der Schreibweise hinzukommenden ebenso mühelos richtig verstehen. Sicherlich schult es den Verstand besser, wenn man auf den Sinn des ganzen Satzes achtet, als wenn man wertvolle Unterrichtsstunden mit dem Einpauken von Rechtschreiberegeln verliert. Die Gegner
Jeder Reformvorschlag hat bisher stets zwei besonders fanatische Gegner auf den Plan gerufen: den deutschen Verleger und sonderbarerweise auch den deutschen Schriftsteller. Gründe führt der Schriftsteller selten an, wenn er den Schlendrian der alten Rechtschreibung verteidigt und die Befürworter einer Reform mit bösartigen und hochmutigen Worten abtut. Diese Gereiztheit erklärt sich wohl daraus, daß jeder Autor, ohne es sich einzugestehen, verliebt ist in die Rechtschreibung, in der er seine eigenen Werke gedruckt sieht. Vielleicht fürchtet er auch, sie könnten nach einer Reform zu Makulatur werden. Beim Verleger hat diese Sorge um das in seinen Vorräten an gedruckten Büchern investierte Kapital zweifellos am meisten jedes Verständnis für den Segen einer vereinfachten Rechtschreibung verhindert. Doch gibt es denn heute noch irgendwo Vorräte? Muß nicht sowieso alles neu gedruckt werden? Nicht nur der Verleger, auch andere haben ja ihre Bücher in diesem Bombenkrieg verloren. Die Schriftsteller 22
und Verleger machen sich aber unbegründete Sorgen. Denn nach einer Reform, und zumal nach einer so maßvollen, wie sie etwa der Bildungsverband der deutschen Buchdrucker kurz vor dem Anbruch des Dritten Reiches gefordert hatte, bleiben alle in der älteren Rechtschreibung gesetzten Bücher genau so lesbar wie zuvor. Das können nur Menschen bestreiten, die niemals ein Buch aus dem 16. oder 17. Jahrhundert aufgeschlagen haben. Man liest sich in jede veraltete Rechtschreibung so schnell ein, daß man den Unterschied bald kaum noch bemerkt. Die Vorteile einer Vereinfachurig unserer Rechtschreibung wären aber unermeßlich. Die Kinder würden in den Schulen nicht dazu gezwungen, Regeln zu lernen, die sie kaum begreifen können, und die noch vor gar nicht langer Zeit bei uns so wenig galten wie in der übrigen Welt. Warum müssen schon unsere ABC-Schützen zum blinden Gehorsam gegen Vorschriften erzogen werden, gegen die auch von gebildeten Erwachsenen täglich gesündigt wird? Vielleicht wird man wieder versuchen, die Verbesserungsvorschläge dadurch lächerlich zu machen, daß man eine nach der vorgeschlagenen Rechtschreibung abgesetzte Probe zeigt. Das ungewohnte Wortbild legt den Gedanken nahe, ein Sonderling wolle sich durch eine private Rechtschreibung vom großen Haufen unterscheiden. Aber das wollen gerade die am wenigsten, die nun schon seit Jahrzehnten dem deutschen Volk eine vereinfachte Rechtschreibung empfehlen. Gerade sie verlangen ja, daß sie allgemein durchgeführt werde. Ist sie aber einmal zur amtlichen geworden, dann wird man sich schnell an die neuen Wortbilder gewöhnen, und der heftige Widerstand wird ebenso schnell verstummt und vergessen sein, wie nach der Beseitigung der Fraktur. Bevor wir das Thema verlassen, will ich die wesentlichen Punkte der Rechtschreibungsreform noch einmal aufzählen, so wie sie der im August 1932 in Erfurt ab23
gehaltene Vertretertag des Bildungsverbandes der Deutschen Buchdrucker als bald zu verwirklichende Mindestforderung aufgestellt hatte: 1. Kleinschreibung mit Ausnahme von Satzanfängen, geografischen und Eigennamen. 2. Keine Unterscheidung von sinnlicher und übertragener Bedeutung durch die Schreibweise. 3. Beseitigung der griechisch-lateinischen Sonderschreibung: ph wird f; th wird t; rh wird r; y wird i, wo es wie i gesprochen wird; ch, wo es k gesprochen wird, soll k geschrieben werden: Karakter, Krist, Kronik. Die gleichklingende Lautverbindung chs, ks, und x ist in der Schreibung mehr zu vereinheitlichen; das x darf nur in Fremdwörtern und Namen verwendet werden. 4. Lehnwörter aus dem Französischen, Englischen und anderen Sprachen sollen der deutschen Schreibung angepaßt werden: Redaktör, Frisör, kraulen; Schi usw. 5. Beseitigung der Vokalverdoppelungen und Beschränkung des Dehnungs-h auf die unbedingt notwendigen, vor Verwechslungen schützenden Fälle, z. B. im — ihm. 6. Vereinfachung der Apostrophenregel. Das ist eine wohlüberlegte und vorsichtige Reform, die sich auf das Unerläßliche beschränkt. Ihre Durchführung würde den Kindern und allen Deutsch-Lernenden den Zugang zu unserer Sprache erleichtern. Jeder Generation ist doch die Aufgabe gestellt, bessere Verhältnisse zu hinterlassen, als die, in denen sie selbst aufgewachsen ist. Sie darf die Beseitigung erkannter Mißstände nicht erst späteren Geschlechtern überlassen. Sollen wir uns von unseren Enkeln auch das noch nachsagen lassen, daß wir die günstigste Gelegenheit zu einer gründlichen Reform der Rechtschreibung, die jemals einem Volke gegeben worden ist, ungenutzt haben vorübergehen lassen? Man darf zuweilen sehr lange zögern, bevor man an eine Reform herangeht. 24
Doch eines Tages kommt der geschichtliche Augenblick, in welchem wir sie verwirklichen können. Dann wird jedes Zaudern zu einem nicht wieder gut zu machenden Fehler. Dieser Augenblick ist heute gekommen. Man erwidere nicht, wir hätten heute Wichtigeres zu tun. Das bestreitet niemand. Doch wenn wir warten, bis dieses Wichtigere getan sein wird, dann ist diese Gelegenheit verpaßt. Und die Arbeit an einer großen Aufgabe kann uns ja niemals die Verantwortung für die kleineren notwendigen Aufgaben abnehmen, die sich gut neben den großen erledigen lassen. Moderne und unmoderne Antiquaschriften
Die meisten Antiquaschriften sind gut lesbar und deshalb nicht unmodern. Nur die allzu eigenartigen, allzu persönlichen Schriften liebt man heute nicht mehr; die Zeit der Künstler-Schriften ist vorbei. Die besten Druckschriften sind die, bei denen man so wenig wie bei schönen Blumen auf den Gedanken kommt, daß ein Künstler sie entworfen habe. Modern sind die klassischen Antiquaschriften der älteren Zeit ebenso wie die klassizistischen im Stile der Didot und Bodoni, die im späten achtzehnten Jahrhundert aufkamen. Man will in Amerika die Erfahrung gemacht haben, daß die klassische bei englischen Texten beliebter sei als die klassizistische. Diese eigne sich besser zum Satz romanischer Sprachen. Fast alle erfolgreichen Drucktypen der neueren Zeit haben den Stil der klassischen oder klassizistischen Antiqua übernommen bis auf eine, die mit dem Anspruch auftrat, die Schrift unserer Zeit zu sein, und die diesen etwas unverschämten Anspruch durch ihren beispiellosen Erfolg und ihre ungemeine Verbreitung in allen Ländern gerechtfertigt hat. Es ist die Futura. Ich zweifle nicht daran, daß der mittlere Schnitt zwischen der halbfetten und mageren; die sogenannte Buchfutura im modernen Buch noch eine große Zukunft hat. 25
Von der Typografie des Buches
Keine Schrift ist lesbar, wenn man sie nicht richtig setzt. Die Zeilen dürfen nicht zu lang sein, sie sollten immer reichlichen Durchschuß haben und die Kolumnen (die Satzseiten) den richtigen Stand. Der Durchschuß macht die Satzseite heller und erleichtert das Lesen. Nicht durchschossener Satz ist nur bei Schriften möglich, die ein kleines Bild, also stark entwickelte Ober- und Unterlangen haben. Je länger die Zeile ist, um so mehr muß sie durchschossen sein, damit der Leser mühelos vom Ende einer Zeile zum Anfang der nächsten zurückfindet. Bei den Brotschriftgraden ist eine Breite von 20 Cicero dem Lesen besonders günstig; wenn sie gut durchschossen sind, können die Zeilen erheblich länger werden. Doch verliert dadurch das Buch seine Handlichkeit. Die Satzseiten (Kolumnen) müssen auf den Buchseiten so stehen, wie eine Grafik auf einem Passepartout, wohlverstanden nicht die einzelne Satzseite auf der einzelnen Buchseite, sondern das gegenüberstehende Satzseiten-Paar auf der Doppelseite des aufgeschlagenen Buches. Der Verleger lasse sich vom Buchbinder ein gebundenes und beschnittenes Leerexemplar anfertigen und probiere mit zwei richtig durchschossenen Probeseiten den Stand im aufgeschlagenen Buche geduldig und sorgfaltig aus. Die Höhe des Satzspiegels kann erst bestimmt werden, wenn der Stand festgelegt worden ist. Diese Arbeit muß jeder anderen vorausgehen; man kann den Stand nicht nach dem Umbruch bestimmen. Der Verleger könnte sich manche Mühe ersparen, wenn er sich auf wenige Hausformate beschränken wollte, bei denen er den Satzspiegel schon erprobt hat. Die überlieferten Regeln ergeben im allgemeinen gute Verhältnisse der unbedruckt bleibenden Papierränder, doch soll man immer den Stand in einem Leerexemplar nachprüfen. Breite Papierränder galten zur Zeit der Büttenpapiere für schön. Bei 26
den heute zur Verfügung stehenden Papieren wirken sie altmodisch und ärgerlich, bei Dünndruckausgaben im Taschenformat wären sie besonders widersinnig. Die Seitenzahl steht am unauffälligsten in der Mitte unter dem Satzspiegel. Jede andere Stellung hat nur dann einen Sinn, wenn von der Seitenzahl ein besonderer Gebrauch gemacht wird. Bei dem »lebenden Kolumnentitel«, — wir sagen weniger altmodisch Seitentitel — steht die Seitenzahl mit ihm auf gleicher Höhe am Außenrand. Nötig ist ein Seitentitel selten. Er ist nur berechtigt, wo er die Übersichtlichkeit des Buches erhöht. Er kann dann von Kapitel zu Kapitel den Text der Kapitelüberschrift wiederholen oder auf jeder Seite einen kurzen Hinweis auf den Inhalt der Seite geben. Doch ist es ein Unfug, über jeder linken Seite des ganzen Buches den Namen des Autors und über jeder rechten den Titel des Buches zu nennen. In England setzt man den Seitentitel in leicht gesperrte Kapitälchen. Das sieht auch in deutschen Büchern gut aus, wenn man lange Wörter vermeiden kann. Bei der heute herrschenden Papierknappheit könnte man auf den Seitentitel ganz verzichten. Die Kapitelanfänge, also die Anfangskolumnen, müssen im ganzen Buche gleichmäßig behandelt werden. Der Satz der Überschriften soll den Überschriften des Vorworts, der Einleitung und des Inhaltsverzeichnisses entsprechen. Wer sie in besonders fetten und großen Graden setzt, verstößt gegen den künstlerischen Grundsatz, daß man versuchen soll, mit dem geringsten Aufwand an Mitteln den gewollten Zweck zu erreichen. Maß-halten ist auch in der Typografie das Zeichen der Meisterschaft. Man hat früher alle Überschriften in die Mitte gestellt; die Engländer machen es nie anders; freilich verwenden sie stets Großbuchstaben. Die moderne Typografie hat hier ein neues Problem entdeckt. Man kann es nicht damit lösen oder aus der Welt schaffen, daß man die moderne Typo27
grafie zum Teufel wünscht oder sich von ihr lossagt. Denn Probleme werden nicht erfunden; sie sind da und werden früher oder später entdeckt; es ist die Aufgabe aller, die am Stil unserer Zeit mitarbeiten wollen, sich an ihrer Lösung zu versuchen. Ein Stil entsteht nicht aus Künstlerlaunen oder auf Befehl eines großen Herrn, sondern aus der Problemlage, die eine Generation von der vorangegangenen übernimmt. Probleme sind geduldig, sie brennen nicht darauf, gelöst zu werden. Wenn sich eine Generation der Arbeit an ihnen entzieht, dann warten sie auf die nächste. Doch die Geschichte berichtet immer nur von dem, was geschieht; auch die Geschichte des Buchgewerbes berichtet deshalb nur von den Pionieren, die an den neuen Problemen mit Erfolg gearbeitet haben, und das mit Recht; denn nur hier geschieht wirklich etwas. Wer niemals die von diesen Pionieren gebahnten Wege verlassen hat, gilt als Epigone, und er darf sich nicht darüber beklagen, daß schon die Mitwelt von ihm schweigt. Wäre unsere Schrift ein Ornament, bei dem jede von links nach rechts führende Bewegung durch eine von rechts nach links führende ausgeglichen ist, dann könnten wir immer und ausnahmslos die kurzen Zeilen in die Mitte der Satzseite stellen, also nach der Mitte ausschließen, wie der Setzer sagt. Da aber unsere Druckschrift der Schreibschrift nachgebildet ist, die wir Abendländer von links nach rechts schreiben, so haben auch die Formen unserer Druckschrift eine unverkennbare Rechtsläufigkeit. Nur wenige Formen der römischen Großbuchstaben bauen sich in ausgeglichener Symmetrie auf und stehen auf der Zeile wie steinerne Denkmaler; es sind die A, H, I, M, O, T, V, W, X, Y; bei allen anderen Zeichen, besonders bei den Kleinbuchstaben und bei der Kursive, ist das Drängen der Formen nach rechts nicht zu übersehen. Alle von links nach rechts geschriebenen Schriften beginnen links, wie alle von oben nach unten ge28
schriebenen Schriften oben und alle von rechts nach links geschriebenen rechts beginnen. Auch alle kürzeren Zeilen beginnen so; wer sie in die Mitte stellt, wird dieser Rechtsläufigkeit unserer Schriften nicht ganz gerecht. Der natürlichere Ort für den Beginn kürzerer Zeilen ist der linke Seitenrand. Beim Satze von Gedichten (mit Ausnahme der Gedichte von Arno Holz) und bei der Ausgangszeile, der jeweils letzten eines Absatzes, hat man es deshalb auch nie anders gehalten. Die Typografie hat daraus einen neuen Stil geschaffen, den man in Amerika »Stromlinien-Typografie« nennt. Bekanntlich hat der Feinsatz, zumal der Satz der Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften diesem neuen Stil unendlich viel zu danken. Uns beschäftigt hier vor allem der asymmetrisch gesetzte Buchtitel. Wenn jede Rubrik des Buches am linken Rand des Satzspiegels beginnt, also nach links ausgeschlossen ist, wirkt der symmetrisch gesetzte Buchtitel veraltet und nicht folgerichtig. Man erwartet auch auf dem Buchtitel eine neue, der Stellung der Kapitelüberschriften im Buche entsprechende Anordnung der Zeilen. Hier liegt unzweifelhaft ein Problem vor. Mögen alle bisherigen Versuche, es zu lösen, mißglückt sein, so beweist das nicht, daß es hier kein Problem gebe. Wir können uns um die Lösung dieses Problemes drucken, aber Probleme können wir nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß wir vor ihnen die Augen schließen und ihr Dasein leugnen. Das Inhaltsverzeichnis sollte dort stehen, wo man es sofort findet. Es gehört an den Anfang des Buches nach Vorwort und Einleitung, wenn man es gelesen haben muß, um den Aufbau, die Disposition des Buches verstehen zu können. Durchaus nicht jedes Buch braucht ein Inhaltsverzeichnis zu haben. Auf dem letzten Blatt jedes modernen Buches sollte ein Druckvermerk alles mitteilen, was ein sorgfältig arbeitender Bibliothekar beim Verfassen eines Kataloges oder einer Bibliografie vom Buch wissen will und was er sich 29
heute auf dem Haupttitel und an allen möglichen anderen Stellen des Buches zusammensuchen muß: den Namen des Autors, den Titel des Buches, die Anzahl der Seiten und der Abbildungen, Drucker und Druckort, Verlag und Verlagsort, Auflagenhöhe, die Jahreszahl des Erscheinens u. s. f. Das alles sollte ohne jede typografische Künstelei in einem kleinen Grade der Grundschrift gesetzt werden. Wenn dieser Druckvermerk allgemein eingeführt würde, könnte der Haupttitel kurz und lapidar sein, und damit wären die typografischen Schwierigkeiten des modernen Titelsatzes schon halb beseitigt. Die Handlichkeit des modernen Buches
Als zweites Kriterium einer modernen, also vernünftigen und zweckmäßigen Buchform nannten wir die Handlichkeit. Wenn ein Buch zu dick und zu breit ist, ermüdet es den Leser, der es in der Hand halt. Ein Wälzer ist keine moderne Buchform und das Din-A5 Format ist einfach zu breit, um wirklich handlich zu sein. Die schlanken Buchformate der alten Zeit waren besser und bleiben darum moderner. Umfangreiche Manuskripte hat man früher in zwei oder mehr Bände aufgeteilt. Eine mäßige Buchdicke ist heute schon deshalb geboten, weil wir die Bücher nicht mehr mit der Hand binden lassen. Bei nicht zu dicken Büchern erfüllt der Einband, den eine gut arbeitende Großbuchbinderei mit der Maschine herstellt, jeden Anspruch, den wir an ein gebundenes Buch stellen dürfen, wenn wir es nicht ausleihen. Wir sollten einmal ernstlich darüber nachdenken, weshalb bei uns die Bücher so unhandlich groß und schwer sind. Vielleicht liegt hier eine veraltete Vorstellung von dem Vorgang des Lesens zugrunde. Man stellt sich noch immer vor, die ganze Familie sei abends um einen von einer Petroleumlampe beleuchteten Tisch versammelt, wie zur Zeit des Daheims und der Gartenlaube, jeder hatte ein Buch vor sich 30
liegen und säße nun mit gekrümmtem Rücken und nach vorn gebeugtem Rumpf so, daß der Kopf mit dem Gesicht nach unten dicht über dem aufgeschlagenen Buche schwebte. Natürlich tragen alle Brillen, denn es gibt kein wirksameres Mittel, die Augen zu verderben (und den Brustkasten zu verunstalten) als diese Art des Sitzens und Lesens. Aber wie soll man anders die Wälzer lesen, die der deutsche Buchhandel Jahr für Jahr auf den Markt bringt? Der moderne Leser liest nicht so, und deshalb muß auch der moderne Verleger andere Buchformen suchen. Wir nehmen unser Buch im Sommer ins Freie und sitzen lieber so, wie man im Sessel, in einem Schaukel- oder Liegestuhl sitzt, mit bequem angelehntem Rücken. Wir halten das Buch senkrecht vor uns hin; und werden deshalb nicht kurzsichtig, weil sich der Augapfel nicht nach unten durchhängen kann. Ein Buch, das wir stundenlang in der Hand halten sollen, muß leicht sein, es darf nicht so groß und so dick sein, wie es die deutschen Bücher so oft sind. Man sollte endlich mit dem Vorurteil brechen, daß man das geistige Format eines Verfassers, seine wissenschaftliche Bedeutung, durch ein größeres Buchformat zum Ausdruck bringen müsse. Gerade Bücher, deren Lektüre die höchste geistige Anstrengung verlangt, sollten doch am bequemsten lesbar sein. Man übertreibt nicht, wenn man feststellt, daß bei uns das Gegenteil die Regel ist. Nach dem Buchformat einer Originalausgabe von Kants Metaphysik, die ich einmal antiquarisch erstanden hatte, habe ich vor dem ersten Weitkrieg die Buchgroße der Griechisch-römischen Klassiker des GeorgMüller-Verlages bestimmt, die später in den Propyläenverlag übergegangen sind. Zur selben Zeit, ohne daß wir voneinander wußten, hat Emil Rudolf Weiß fast die gleiche Buchgroße für seine Tempelklassiker gewählt. Wenn man den Kant, die griechisch-römischen und die deutschen Klassiker in so angenehm handlichen Bänden herausbringen 31
darf, warum müssen die großen Denker und Wissenschaftler unserer Zeit in so unhandlichen und wegen der langen Zeilen so schwer lesbaren Wälzern gedruckt werden? Gar nicht zu sprechen von den Weltgeschichten Ullsteins und des Propyläenverlags. Die Beliebtheit dieses Formats verrät jenen fatalen »Wunsch nach Größe«, von dem bekanntlich auch Hitler beseelt war. Möchte doch endlich die Zeit kommen, in der alle Bücherkäufer das Aufgeblähte und Übergroße als undeutsch ablehnen. Den meisten wissenschaftlichen Werken stünde ein normales Lesebuch-Format wohl an. Eine Weltgeschichte mit achtzehn handlichen Bänden und einem doppelt so großen Abbildungsband läse jeder mit Vergnügen, während sechs Wälzer von je 5 Pfund nur im Bücherschrank stehen bleiben und eigentlich unbenutzbar sind. Auch Eimer und Gießkannen stellt man ja nur so groß her, als man sie gefüllt noch tragen kann, und nicht so, daß möglichst viel hineingeht. Etwas anderes ist es mit Nachschlagewerken, die man neben sich auf den Tisch legt. Die großen Handwörterbucher von Langenscheidt sind genau so, wie solche Bücher sein müssen, und sie sind typografische Meisterwerke. Die Laufrichtung der Papierbahn
Doch macht das Format allein ein Buch noch nicht handlich. Die Blätter müssen sich umlegen und liegen bleiben, ohne daß man beide Hände zu Hilfe nehmen muß. Die bei so vielen Büchern zu beklagende Widerspenstigkeit der Blätter ist durch eine falsche Laufrichtung der Papiere verursacht. In den Papiermaschinen entsteht das Papier aus einem wässrigen Brei, der über ein Tuch fließt; die Fasern legen sich dabei in der Richtung der Laufbahn. In dieser Richtung ist also das Papier widerstandsfähiger als in der Querrichtung. Man kann die Laufbahn durch kräftiges Darüberstreichen mit dem Daumennagel feststellen, sicherer noch, indem man 32
ein viereckiges Stück Papier an zwei Rändern befeuchtet; der Rand, der dann wellig wird, zeigt die Querrichtung an. Die widerstandsfähige Laufrichtung des Papieres muß mit dem Buchrucken gleich laufen, also quer zu den Zeilen der Buchseite; sonst werden die Blätter schon beim Binden, unfehlbar aber später wellig und legen sich so ungern um wie Wellpappe. Das Taschenformat
Unsere dritte und letzte Forderung an das moderne Buch war, daß man es womöglich in der Tasche tragen könne. Das Ideal eines so modernen Buches ist die in biegsamen Deckeln gebundene Dünndruckausgabe. Als ich im Jahre 1925, in der Blütezeit des »Neuen Frankfurt« an der von Fritz Wichert geleiteten Kunstschule Lehrer war, unterhielten wir uns einmal darüber, wie das Buch der Zukunft aussehen wurde. Ein Freund meinte, aus dem Buche von tausend Seiten werde ein schmaler Filmstreifen werden, und man werde die Schrift auf die weiße Zimmerdecke projizieren, wo man sie dann bequem auf der Coutch liegend lesen könne. Ich widersprach; das Lesen einer projizierten Schrift werde immer ermüdend bleiben. Die Idealform des bequem lesbaren, handlichen und leicht transportablen Buches sei bereits in mancher Dünndruckausgabe des Inselverlages nahezu verwirklicht worden. Ich glaube das heute noch. Das illustrierte Buch
Neben diesem Buchtypus gibt es natürlich auch noch andere, deren Format durch die Größe der Abbildungen bestimmt wird. Der Fall ist am wenigsten problematisch bei den Büchern, deren Abbildungen so groß sind, daß man den Text in einem kleinen Band für sich bringen muß, damit man ihn lesen kann. So hat man es früher immer gemacht, 33
wenn der Text wirklich lesenswert war. In anderen Fällen hat man in Foliobänden den Text in großem Schriftgrade reichlich durchschossen mit den Bildern zusammengedruckt und erwartete dann wohl kaum, daß er gelesen werde. Die meisten Bücher dieser Art, die in neuerer Zeit entstanden sind, haben das Unvereinbare zu vereinbaren gesucht; sie sind zu groß, um bequem lesbar zu sein, und die Abbildungen wären oft wirksamer, wenn sie noch größer wären. Man setzt den Satz zweispaltig oder dreispaltig, ohne zu bedenken, wie ermüdend das Lesen mehrspaltigen Satzes ist. Man sollte darum entweder Bilderbücher mit wenig Text herausbringen oder bei wertvollen wissenschaftlichen und umfangreichen Texten die Bilder vom Text trennen. Dann wird der Bilderband so groß werden, wie er sein muß, und den Text liest man bequem und gern in einem kleineren und handlichen Band. Zu einem ganz neuen Buchtypus könnte das illustrierte Buch werden, das nur Legenden auf den sonst ganz mit Bildern gefüllten Seiten bringt. Vorbilder dieser Zusammenstellung von Autotypie mit kurzem Text finden wir in guten illustrierten Zeitschriften, heute müssen wir leider hinzufügen, des reicheren Auslandes, und in Werbedrucksachen jeder Art, besonders schöne in der Schweizerischen Verkehrswerbung. Der Drucker arbeitet hier nach genau vermessenen Entwürfen (Maquetten). Alle Künste und Kunstmittel der modernen Fotografie und Typografie lassen sich in den Dienst dieses sehr modernen Buchtypus stellen. Wieder ein anderer moderner Buchtyp ist das farbig illustrierte Buch. Verbesserungen der Wiedergabeverfahren, zumal im Offsetdruck, bieten dem Verleger neue Möglichkeiten, die es ihm erlauben, das Buch zu seinen Anfängen zurückzuführen. Denn der Reiz der ältesten Handschriften beruhte ja auf dem Zusammenklang des strengen SchwarzWeiß-Kontrastes der Schrift mit der Farbenfreudigkeit der 34
Illumination. Zum Glück ist der farbige Offsetdruck erst bei großen Auflagen rentabel; so ist zu erwarten, daß sich nicht nur der wohlhabende Bücherfreund, sondern das ganze Volk an dieser neuen Form des Buches erfreuen kann. Ein Anfang ist schon in einigen Bändchen der Inselbücherei gemacht worden. Doch braucht sich die Illustration nicht auf Vollbilder zu beschränken, sie könnte wie bei den alten Handschriften auch die Textseiten mit eingestreuten Illustrationen beleben. Die modernen Maler haben so viele neue dekorative Möglichkeiten und Mittel entdeckt, daß sie heute besser als früher ein Buch farbig zu illuminieren wissen. Das Luxusbuch
Diese neuen Wege zu bahnen, wäre eigentlich die Pionieraufgabe des Luxusbuches, jenes Buchtypus, von dem ich zum Schluß noch einiges sagen möchte. Dieser Buchtypus, ist heute gewiß nicht aktuell; und doch kann uns nichts den Unterschied zwischen dem, was gestern modern war; und dem, was wir heute unter modern verstehen, deutlicher machen als die Erinnerung an die Luxuspracht und an die Monumentalausgaben aus der Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg. Damals konnte jeder Verleger mit dem Erlös, den ihm die sogenannte Luxusausgabe einbrachte, die Herstellungskosten der gewöhnlichen Ausgabe von etwa 1500 Halblederbänden bezahlen. Im Druckvermerk war dann zu lesen: »Hundert numerierte und vom Herausgeber signierte Exemplare wurden auf handgeschöpftem Van Gelder-Bütten abgezogen und in Ganzmaroquin gebunden.« Diese Luxusausgabe war fast immer schlechter gedruckt als die gewöhnliche; denn die Bogen waren ohne Feuchtung des Papieres, ohne Änderung der Zurichtung, womöglich mit der gleichen Farbe nach dem Ausdrucken der gewöhnlichen Ausgabe durch die Maschine gehetzt worden. Aber 35
trotz dieser technischen Unzulänglichkeit hatte dieser »Luxus« seinen festen Abnehmerkreis. Die Bremer Presse brachte später Handpressendrucke heraus, die an drucktechnischer Gediegenheit und an innerem Wert alles übertrafen, was den Bibliofilen bis dahin bei uns geboten worden war. Doch sie fand bei ihnen wenig Anklang und mußte ihre Arbeit wieder einstellen. Immerhin ist mit diesen Handpressendrucken der Beweis dafür erbracht worden, daß auch heute so gut gesetzt und gedruckt werden kann, wie in der Zeit der ersten Drucker. Aber damit ist die Aufgabe nicht erfüllt, die dem Luxusbuch obliegt. Das Luxusbuch sollte der modernen Bücherproduktion ein Vorbild und ein Ansporn sein und ihr den Dienst leisten, den der Rennwagen und das Luxusauto der Automobilindustrie und das Rennpferd der Pferdezucht erweisen. Es ist bekanntlich ein doppelter Dienst: das zum Wettbewerb reizende Vorbild einer Höchstleistung und eine Art von Gemeinschaftswerbung; der gute Geschmack verbreitet sich leichter und schneller von oben nach unten als in umgekehrter Richtung. Wie der Herr, so ’s G‘scherr, sagt das Sprichwort. Wenn die Reichen anfangen, in leeren Zimmern zu wohnen, finden auch die Armen ihre Räume nicht mehr kahl. Das Luxusbuch sollte also die Idealform des modernen Buches zu verwirklichen suchen, mit all den reichen Mitteln, die ihm zur Verfugung stehen. Wie aber sah es in Wirklichkeit aus? Eine Luxusausgabe, das war eine Prachtausgabe, die kalte Pracht eines nie benutzten guten Zimmers im alten Bürgerhaus, mit Stilmöbeln, deren Schutzüberzüge nur bei großen Einladungen entfernt werden. Eine Prachtausgabe mußte mindestens so groß sein wie ein Meßbuch, und man liebte Schriftgrade von 16 Punkt aufwärts. Das war im Ausland nicht besser als bei uns. Die Luxusausgaben glichen mehr der vergoldeten und reichgeschnitzten Galakarosse, die der König von England bei Staatsaktionen benützt als 36
dem Rolls-Royce. Hier müssen wir umlernen. Wir haben ja Zeit dazu, denn nur die Jüngsten unter uns mögen vielleicht wieder einmal eine Zeit erleben, in der man Luxusbucher herstellen wird. Von einem Luxusbuch, das modern sein will, erwarten wir nicht ein ungewöhnlich großes Format, das weder lesbar noch handlich ist. Wo das Bedürfnis des Menschen nicht mehr das Maß der Dinge bestimmt, beginnt die Barbarei. Nur der Barbar, der Despot, der Gernegroß will durch das Kolossale imponieren. Das moderne Luxusbuch sollte unter den Büchern so wenig auffallen wie ein RollsRoyce oder Maybach unter den Automobilen. Es sollte mehr dazu reizen, benutzt und gelesen, als angestaunt und bewundert zu werden. Davon abgesehen könnte es jedes Luxusbedürfnis durch die Kostbarkeit der verarbeiteten Werkstoffe, durch die Sorgfalt des Satzes und des Druckes, und nicht zuletzt durch eine gediegene Bindearbeit befriedigen. Ja dieser Einband der Luxusausgaben! Er zeigt uns noch einmal, wie unmodern dieser Bücherluxus unserer Bibliofilen war und wirklich nicht nur bei uns, sondern in allen Ländern. Die berühmtesten und besten Buchbinder der Welt schienen keinen Weg mehr zu sehen. Sie versuchten es modern zu sein, aber es gelang ihnen nicht, weil sie weniger Buchbinder als Handvergolder waren. So bedeckten sie das schöne Leder mit wagrechten und senkrechten Linien und Streifen von rötlichem und grünlichem, mattem und glänzendem Gold und Silber, nachdem sie eingesehen hatten, daß die aus vielen kleinen Stempeln zusammengesetzten Ornamente dem Buche ein allzu altmodisches Aussehen geben. Doch in jeder Kunstepoche der Vergangenheit wurde das Leder bei allen mit Leder überzogenen oder ganz aus Leder bestehenden Gegenständen, gleichviel ob sich das Leder an Büchern, oder an Taschen, an Sätteln, an Stiefeln oder an Handschuhen befand, auf die selbe Art, im selben Stil bearbeitet und verziert. Um zu wissen, wie 37
ein Luxusledereinband unserer Zeit aussehen müßte, hätte man sich nur einmal moderne Ledertaschen, moderne Koffer oder Reitsättel ansehen sollen. Jede Großstadt hatte vor diesem Krieg mindestens ein solches Geschäft, vor dessen Schaufenstern man immer wieder entzückt stehen blieb. Aber wie ganz anders war hier das Leder behandelt als beim Luxusbuch! Vielleicht erleben wir es doch noch, daß wir einmal einen Ledereinband in die Hand nehmen können, der so griffig und handlich ist wie diese schönen Dinge waren. Bis dahin aber können wir uns damit trösten, daß eigentlich schon ein biegsamer guter Ganzleinenband mit Fadenheftung die dem Buchbinder heute gestellte Aufgabe so vollkommen löst, daß wenig zu wünschen übrigbleibt, wenn das Buch nur selbst eine moderne handliche Form hat. Vom Lohn der Arbeit
Wir wollen zum Schluß noch einen Gedanken, den eigentlichen Werkbundgedanken aussprechen. Wer bei der Herstellung der Bücher die Arbeit nicht scheut, seine Idee eines vollkommen zweckmäßigen, vernünftigen und gefällig geformten Buches, also eine wahrhaft moderne Buchform zu verwirklichen, wird selbst dabei am meisten gewinnen. Die Arbeit wird ihm soviel Freude machen, wie Jeden das freut, was er als Liebhaber betreibt; den Maler das Malen, den Jäger das Jagen, den Sänger das Singen. Er wird nie das niederdrückende Gefühl haben, nur deshalb zu arbeiten, damit er sein Leben fristet und Geld verdient, das ihm das Finanzamt doch wieder abnimmt. Mit dieser Arbeit aber wird er sich viele Freunde erwerben, weil sich überall Menschen, die noch nicht an der Zukunft der abendländischen Kultur verzweifeln, um die Verwirklichung der gleichen Idee bemühen. Wenn diese das Buch eines so an der modernen Buchform ernsthaft mitarbeitenden Verlegers in die Hand nehmen, werden sie ihm von Herzen dafür dankbar sein, 38
daß auch er unserer armen geschundenen Zeit, die nicht schön ist, die aber unsere Zeit ist, dabei geholfen hat, ihren Stil zu finden. Rede auf der im August des Jahres 1946 in Lindau stattgefundenen ersten Tagung der Verleger und Buchhändler der französisch besetzten Zone.
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Paul Renner: Das moderne Buch. Aus der vom Verfasser entworfenen Futura gesetzt und im Juni 1947 bei Robert Bardtenschlager in Reutlingen gedruckt. Jan Thorbecke Verlag, Lindau im Bodensee. Vorabdruck aus dem in Vorbereitung befindlichen Buch, das im gleichen Verlag erscheinen wird: Der Künstler in der mechanisierten Welt, gesammelte Aufsätze Paul Renners, mit einem Vorwort von Emil Preetorius. Zu gleicher Zeit erscheint im Verlag von Jan Thorbecke, Lindau: Paul Renner: Typografische Regeln Von Paul Renner sind bei anderen Verlegern erschienen: TYPOGRAFIE ALS KUNST, München 1932, Georg Müller Verlag. Russische Übersetzung erschien 1925 im Moskauer Staatsverlag. MECHANISIERTE GRAFIK, Berlin 1930, Hermann Reckendort Verlag. KULTURBOLSCHEWISMUS? Zürich-Erlenbach 1932, Eugen Rentsch. DIE KUNST DER TYPOGRAFIE, Berlin 1938 Gebrauchsgrafik. Neue Auflage erscheint demnächst im Verlag des Druckhauses Tempelhof. ORDNUNG UND HARMONIE DER FARBEN, Ravensburg 1947, Otto Maier Verlag.
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