Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 229
Das Geheimnis von
Perpandron
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Atlan - Der Held von
Arkon
Nr. 229
Das Geheimnis von
Perpandron
Sie geben nicht auf - Atlan und
seine Gefährten im Untergrund des
Planeten der Heiler
von Kurt Mahr
Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, die in ihrer Habgier und Korruption das Gemeinwohl völlig au ßer acht lassen. Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge gangen. Selbst empfindliche Rückschläge oder unvorhersehbare Hindernisse entmu tigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orba naschol III. den Diktator und Usurpator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hat Atlan mit dem wiederbelebten Körper Gonozals, seines Va ters, gegenwärtig eine neue Waffe gegen Orbanaschol, die bereits mehrmals erfolg reich zum Einsatz gelangte. Aber Gonozal, der ehemalige Imperator, ist im wahrsten Sinne des Wortes nur ein lebender Toter, eine Marionette ohne Geist und Seele, der selbst die Wunderheiler von Perpandron kein echtes Leben mehr einzuhauchen vermochten. Doch anstatt Gonozal wieder in Atlans Obhut zu entlassen, geben die Heiler den lebenden Toten nicht frei. Der Kristallprinz, Ra, der Barbar, und Karmina Arthanim, die Sonnenträgerin, ver suchen daher, Gonozal mit Gewalt zu befreien. Sie stoßen dabei auf DAS GEHEIM NIS VON PERPANDRON …
Das Geheimnis von Perpandron
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz ist dem Geheimnis von Perpandron auf der Spur.
Ra und Karmina Arthamin - Atlans Begleiter.
Klemir Theron - Oberster Heiler von Perpandron.
Fartuloon - Ein Helfer in der Not.
Gonozal VII. - Ein Vermißter taucht wieder auf.
1. Hinter mir hörte ich den Lärm der Verfol ger. Sie kamen schnell heran … durch das milchige, unwirkliche Halbdunkel, das die unterirdischen Räume erfüllte. Vor mir war der Gang zu Ende. Das heißt – nicht ganz zu Ende. Ich stand am Rand eines Loches. Es hatte einen kreisförmigen. Querschnitt, und aus der Tiefe schimmerte es geheimnisvoll her auf, als gebe es unten irgendwo eine Licht quelle, deren Strahlung sich tausendfach in den glatten Wänden brach. Das Schimmern machte es unmöglich, den Verlauf oder die Tiefe des Loches zu erkennen. Wenn ich diesen Ausweg nehmen wollte, dann mußte ich mich auf Gedeih und Verderb den le benserhaltenden Fähigkeiten meiner Kampf montur anvertrauen. Ich zog die Helmkapuze über den Kopf und schloß sie am Hals. Summende Geräte erfüllten das Innere der Montur mit Leben. Ich hatte den Strahler noch immer schußbe reit in der Hand. Ich wandte mich um. Da sah ich sie durch den breiten Gang herankommen – mindestens zwanzig von ih nen, Goltein-Heiler, die überall sonst ge wohnt waren, würdevoll einherzuschreiten und die Wichtigkeit ihres Berufs durch gra vitätische Haltung zu unterstreichen. Hier, in diesem unterirdischen Stollen, waren sie we der würdevoll, noch gravitätisch. Sie schrien einander zu, daß sie mich entdeckt hatten. »Dort … Atlan …!« hörte ich. Es waren ih rer zu viele. Sie waren entschlossen, mich zu töten, das wußte ich. Mir dagegen lag nichts daran, ihnen ein Leid zuzufügen … es sei denn, es böte sich mir eine Aussicht, mich erfolgreich zu verteidigen. Also blieb das
Loch als letzter Ausweg. Noch einmal mu sterte ich die Stollenwand jenseits des Lochs. Sie erschien mir undurchdringlich. und wenn ich einfach über das Loch hin übergesprungen wäre, in der Hoffnung, doch irgendeine verborgene Öffnung zu ent decken, hätte der Fels mich wahrscheinlich zurückgeschleudert, und ich wäre dennoch in die Tiefe gestürzt. Also wählte ich das Loch. Ich sprang wie einer, der seinem Mut nicht richtig traut: mit den Füßen voran. Der erste Aufprall, der unmittelbar nach dem Absprung kam, war wie ein Schock. War das Loch wirklich nur mannstief? Dann be merkte ich, daß mein Fall nur verlangsamt worden war. Irgendeine Masse, die im ersten Augenblick klebrig wirkte, schloß sich mir um den Körper. Sie schob sich an der Sichtscheibe des Helmes empor, und es wur de finster ringsum. Dann verlor ich die Orientierung. Ich glaubte zu sinken, aber ich war meiner Sa che nicht sicher. Rings um mich war ein ste tiges Raunen und Wispern, aber ich wußte nicht, ob das Geräusch von meiner Bewe gung herrührte oder nur einer der vielen merkwürdigen Effekte war, von denen es in dieser unterirdischen Anlage nur so wim melte. Falls ich wirklich noch sank, dann tat ich es ohne Beschleunigung; denn mein Ma gen spürte nichts von dem unangenehmen Gefühl, das der freie Fall hervorruft. Treibsand …! meldete sich mein Extra sinn, der außergewöhnliche Beobachtungen leichter zu kombinieren wußte, als das Nor malbewußtsein. Plötzlich hatte ich Angst. Wie tief war dieses Loch? Wie weit reichte der Sand? Die kleinen Triebaggregate meiner Montur wa ren für die Fortbewegung in vielerlei Medi en geeignet, aber Treibsand gehörte nicht
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Kurt Mahr
dazu! Je tiefer ich sank, desto größer wurde der Druck, der auf mir lastete. Würde ich mich jemals wieder aus diesem Sandloch be freien können? Ich hatte auf einmal nur noch einen Wunsch: hinaus aus dieser Dunkelheit! Die Finger tasteten nach der kleinen Schaltleiste innerhalb des Handschuhs, mit der die Trei baggregate bedient wurden. Sie warten noch oben, warnte mich der Extrasinn. Die Finger glitten wieder in ihre ur sprüngliche Lage zurück. Welche Wahl hat te ich schon? Dort oben zu sterben oder hier unten. Die Angst wich. Gleichgültigkeit hüllte mich ein. Während ich weiter durch die Finsternis sank, rollten vor mir die Ereignisse des ver gangenen Tages noch einmal ab.
* Ich hatte meinen Vater verloren. Gewiß, er war nur noch ein Wrack von einem Men schen. Aus eigenem Antrieb sprach er we der, noch bewegte er sich. Seine Seele war erloschen. Aber er war mein Vater. Gonozal, der rechtmäßige Herrscher des Reiches, den Orbanaschol heimtückisch hatte ermorden lassen und den ich, der rechtmäßige Erbe des Reiches, aus dem Reich der Toten zu rückgeholt hatte. Nur ich war dafür verantwortlich, daß wir auf Gonozals unverständliches Lallen geach tet hatten – das einzige Geräusch, das ihm seit seiner Wiedererweckung über die Lip pen gekommen war –, als wir uns anschick ten, die Sonne Teifconth zu passieren. Nur ich hatte zu verantworten, daß die ISCHT AR, unser Raumschiff, von ihrem Kurs ab gewichen war und den vierten Planeten des Teifconth-Systems angeflogen hatte, die Welt Perpandron, die die Heimat der Golt ein-Heiler ist. Fartuloon hatte mich einen Narren gescholten und mich beschworen, den ursprünglichen Kurs wieder einzuschla gen. Aber mich hatte das erregte Lallen mei nes Vaters mit der Hoffnung erfüllt, daß die
Goltein-Heiler ihm womöglich helfen könn ten. Die Heiler waren Ärzte der Seele. Man sagt, sie befreien den Menschen von den un reinen, unheilsamen Gedanken, die seine Seele bedrängen, und pflanzen ihm statt des sen reine, heilsame ein. Die schlechten Ge danken aber sammeln sie auf Perpandron, wo sie seit altersher ihr Hauptquartier haben. Als vernünftiger Mensch kann man dieses Sammeln natürlich nur symbolisch verste hen; aber die Goltein-Heiler bestehen dar auf, daß sie tatsächlich die Substanz der Ge danken – was immer das sein mag – aus dem Bewußtsein des Menschen entfernen und nach Perpandron bringen. Nun – ich hatte auf Fartuloons teils wü tende Vorhaltungen nicht geachtet. Die ISCHTAR war auf einer Parkbahn hoch über Perpandron geblieben. Mit einem Bei boot waren Ra, der Barbar, Karmina Artha min, Gonozal und ich auf dem Planeten ge landet. Die Heiler wohnten und arbeiteten in kuppelförmigen Gebäuden, die auf einer rie sigen Platte aus rötlichem Gestein gebaut waren. Die Platte zeigte halb erodierte Spu ren einer Bearbeitung, die in grauer Vorzeit erfolgt sein mußte. Die Goltein-Heiler hatten uns nur widerwillig empfangen. Ihr Anfüh rer, Klemir-Theron, ein ungewöhnlich großer Mann mit leuchtenden Augen und ei ner seltsam rollenden Stimme, hatte uns zwar zunächst versprochen, er werde sich des Kranken annehmen. Schließlich jedoch, nach einigen Untersuchungen und Behand lungen, die insgeheim durchgeführt wurden, erklärte er, Gonozal sei nicht heilbar. Wir wurden aufgefordert, Perpandron zu verlassen. Ohne Gonozal. Er sei nicht fähig, sich unter normalen Menschen aufzuhalten. Ich verlangte meinen Vater zurück, aber Ke mir-Theron fuhr fort, die Herausgabe zu ver weigern. Da taten wir so, als beugten wir uns dem Unausweichlichen. Wir starteten. Aber als die Nacht hereinbrach, landeten wir wieder in der Nähe der Steinplatte und durchsuchten das Hauptquartier der Heiler. Alles, was wir entdeckten, war, daß Gonozal
Das Geheimnis von Perpandron sich in der Tat nicht mehr dort befand. Ich war entschlossen, meinen Vater wie derzufinden. Ra und Karmina unterstützten mich. Die ISCHTAR wurde benachrichtigt, daß wir vorläufig nicht zurückkehren wür den und das Schiff weiterhin auf Parkbahn zu halten sei. Fartuloon schalt mich aber mals einen Narren. Aber auch diesmal hörte ich nicht auf ihn.
* Die Goltein-Heiler hatten Gonozal er kannt. Sie mußten von den Unruhen gehört haben, die das Auftauchen des ehemaligen Imperators bei verschiedenen Gelegenheiten und an verschiedenen Orten des Reiches hervorgerufen hatte. Gonozal war, auch in seinem seelenlosen Zustand, ein wichtiger Mann, ein brisantes politisches Werkzeug. Ich kannte die Klugheit der Heiler … und ihre Abneigung allem äußeren Zwang, allen dirigistischen Tendenzen der Regierung ge genüber. Sie hatten Gonozal nicht getötet, das stand für mich fest. Es mußte irgendwo auf dieser Welt, so sagte ich mir, eine zweite Heiler-Siedlung geben, wenigstens noch eine! Nirgendwo anders als dort konnte sich mein Vater be finden. Ich beschloß, die Oberfläche dieser Welt, soweit sie bewohnbar war, Quadrat meile um Quadratmeile abzusuchen. Das war ein Unterfangen, das sich in die Länge ziehen konnte … aber Karmina und Ra ver sicherten mich ihres Beistands. Irgendwann einmal würden die GolteinHeiler merken, daß wir nicht, wie uns von Klemir-Theron aufgetragen worden war, Perpandron verlassen hatten. Schließlich schwebte die ISCHTAR nach wie vor in ih rer Parkbahn. Ich wußte nicht. wie die Hei ler reagieren würden; aber Gefahr, meinte ich, drohte uns keine. Sie waren bei weitem in der Überzahl. Ihnen Widerstand zu lei sten, hätte für uns keinen Sinn gehabt. Ich erwartete nicht, daß sie mehr tun würden, als uns endgültig zu vertreiben. Wer wir waren, wußten sie nicht. Wir hatten falsche Namen
5 angegeben. Es hätte schon ein verrückter Traum sein müssen, in dem einem von ihnen der Gedanke kam, ich sei der Kristallprinz, auf dessen Kopf Orbanaschol, der Usurpa tor, einen hohen Preis ausgesetzt hatte. Wir flogen den langgestreckten Kontinent in Richtung Süden. Unter uns erstreckten sich endlose Wälder ohne jegliches Anzei chen von Zivilisation. Perpandron spielte in der altarkonidischen Mythologie eine wich tige Rolle. In grauer Vorzeit waren zwei jun ge Menschen unseres Volkes, Caycon und Raimanja, von Fremden in den Weltraum entführt worden. Man sagte, die Fremden haben es nicht zulassen wollen, daß Raiman ja ihren Sohn, ein »waches Wesen«, zur Welt brachte. Caycon und Raimanja aber gelang es, aus der Gefangenschaft der Frem den zu entkommen und auf eine unbesiedel te, paradiesische Welt zu entkommen. Dort schenkte Raimanja dem »wachen Wesen« das Leben. Diese Welt war Perpandron, so berichtete die Sage. Ich hatte in den letzten Stunden oft über die alte Legende nachgedacht. Sie endete merkwürdig. Sie berichtete nichts darüber, was aus Caycon, Raimanja und dem wachen Wesen geworden war. Hatten sie ihr Leben auf Perpandron beendet? Oder waren sie in die Heimat zurückgekehrt? Alte Sagen ha ben immer einen gewissen Wahrheitsgehalt und eine Beziehung zur Geschichte. Diese Beziehung fehlte jedoch in der Cayon- undRaimanja-Sage. Wußten die Goltein-Heiler mehr? Hatten sie Perpandron wirklich nur deswegen als ihren Sitz erwählt, weil das Aushängeschild »Caycon und Raimanja« ih rem ohnehin mysteriösen Gewerbe einen noch geheimnisvolleren Anstrich gab? Ra, der Barbar, führte das Steuer. Vor we nigen Janren noch hatte er auf irgendeiner wilden, namenlosen Welt Steinkeile gegen riesige Tiere geschleudert, die sein Volk je nach Jahreszeit als Götter verehrte oder als Nahrung verspeiste. Seine gedrungene Sta tur, die fliehende Stirn, die stark entwickelte Kieferpartie das alles waren Anzeichen jun
6 gen, primitiven Menschentums. Aber Ra war längst ein Wissender. Ischtar, die Var ganin, hatte ihn dazu gemacht. Bis auf den heutigen Tag hatte Ra die Varganin nicht vergessen, und das einzige, was uns zu ent zweien vermochte, war der Gedanke, daß wir beide dieselbe Frau begehrten. Auf der anderen Seite der gläsernen Kup pel saß Karmina und beobachtete nachdenk lich das Land, das unter uns vorbeizog. Bei der Schlacht von Marlackskor war Karmina, die Kommandantin eines Raumschiffs der regulären Flotte, meine erbitterte Feindin ge wesen. Ihre Halsstarrigkeit hätte mir um ein Haar das Leben gekostet. Der Umschwung ihrer Gesinnung geschah erst, als sie erkann te, daß ich nicht der verräterische, verder bensäende Opportunist war, für den sie mich gehalten hatte. Karmina war eine merkwürdige Frau – jung noch, kaum siebenundzwanzig Jahre alt und doch schon Sonnenträgerin. Sie war groß, fast hager, und wenn sie sprach, tat sie es wie ein Mann: beherrscht, sachlich, hart. Das Merkwürdigste an ihr aber war das Ge sicht, dessen sanfte, zarte Züge von einem Paar kalt blickender Augen beherrscht wur den. Ich war erst seit kurzem mit Karmina zusammen, wenn auch die gedrängte Fülle der Ereignisse die Zeit länger erscheinen ließ. Mit Karmina kannte ich mich noch längst nicht aus. Was war sie? Kalt berech nende Sonnenträgerin, karrierebewußter Sproß einer adeligen Familie oder … Frau? Ich wurde abgelenkt. Das Gelände unter uns begann, seinen Charakter zu ändern. Wir näherten uns der Südspitze des Kontinents. Der Wald zeigte Lücken, die immer größer und breiter wurden. Buschwerk vermischte sich mit den hochstämmigen Gewächsen des Dschungels. Gras bedeckte die Lichtungen. In der Ferne erschien die Küste, um die die Spitze des Kontinents sich rundete. Sie wirkte gezackt und zerrissen, steil ins Meer abfallend, als sei der Kontinent früher grö ßer gewesen und sein südlicher Teil plötz lich in den Ozean abgesackt. Und plötzlich entdeckte Ra die Zeichnun-
Kurt Mahr gen.
* Sie befanden sich auf einer riesigen Lich tung, die sich mehrere Meilen weit in alle Richtungen zog. Man konnte aus der Höhe nicht erkennen, auf welche Weise sie ent standen waren. Es mochten einfach Verfär bungen des Grases sein, oder schmale Grä ben, in denen nichts wuchs. Man sah zu nächst Linien, die wirr durcheinanderzulau fen schienen. Aber als Ra das Beiboot in die Höhe steuerte und der Horizont sich weitete, erkannten wir, daß die Linien sich zu Figu ren formten. Es gab geometrische Figuren Dreiecke, Kreise, Rhomben und Quadrate. Aber es gab auch Zeichnungen von riesigen, unbekann ten Tieren. Die Tierzeichnungen waren pri mitiver Natur: nur die Umrisse waren ange geben. Aber es gab dennoch keinen Zweifel, daß hier eine Intelligenz am Werk gewesen war vor wie langer Zeit, das vermochten wir in diesem Augenblick noch nicht einmal zu erahnen. Wir kreuzten lange Zeit über der riesigen Lichtung. Karmina hatte sich inzwischen an den Meßinstrumenten zu schaffen gemacht. »Das unbekannte alte Volk!« stieß Ra hervor. »Dasselbe, das die Steinplatte der Goltein-Heiler gebaut hat!« Er sprach impulsiv, als treibe eine innere Kraft ihm die Worte stoßweise über die Lip pen. Ich muß zugeben, daß mir derselbe Ge danke auch schon gekommen war. Perpan dron war die Heimat einer versunkenen, un geheuer alten Zivilisation. Die rote Stein platte und die Zeichnungen im Gras der Lichtung waren Spuren, die sie hinterlassen hatten. In ihrer sachlichen Art meldete Karmina: »Außer den Zeichnungen gibt es eine ziemlich harte radioaktive Strahlung dort unten.« Und als sie meinen fragenden Blick sah, fügte sie hinzu: »Nicht besonders ge fährlich. Hart zwar, aber nicht gerade inten
Das Geheimnis von Perpandron siv.« Beruhigt wollte ich mich abwenden, da fing sie von neuem an: »Dafür gibt mir etwas anderes zu denken. Außer der Radioaktivität gibt es noch eine Strahlung.« Sie ließ das letzte Wort sich einfach ver lieren. Ein wenig ratlos blickte sie auf die Anzeigen ihrer Instrumente. »Was für eine Art von Strahlung?« wollte ich wissen. »Wenn ich das erkennen könnte, hätte ich es gesagt«, gab sie zurück. »Irgend etwas, worauf der Polarimeter anspricht, aber nicht der elektromagnetische Sensor.« »Läßt sich die Quelle erkennen?« »Nicht sonderlich genau. Die Strahlung kommt von einer recht ausgedehnten Fläche am Südrand der Lichtung.« Es war eine Art von Strahlung, über die wir nichts wußten. Wir konnten nur feststel len, daß einige unserer Meßinstrumente recht heftig darauf reagierten, andere dage gen gar nicht. Ra musterte uns mit besorgten Blicken, während wir die Anzeigen ablasen und uns ein Bild über die Natur des fremdar tigen Phänomens zu machen suchten. Er war zwar ein Wissender, aber die atavistische Furcht vor dem Unbekannten, Unerforschli chen schlummerte nur in seiner Seele und war je derzeit bereit, zu erwachen. Ich befahl ihm zu landen. »Du hältst die Strahlung nicht für gefähr lich?« fragte Karmina. Ich wies auf den üppigen Pflanzenwuchs am Rand der Lichtung, der sich in nichts von den Wäldern unterschied, die wir bisher Hunderte von Meilen weit überflogen hat ten. »Ich glaube nicht, daß sie in biologischem Sinne gefährlich ist …. wie etwa die Radio aktivität«, antwortete ich. »Sonst müßte sich an den Gewächsen dort unten etwas erken nen lassen.« »Du setzt voraus«, hielt sie mir entgegen, »daß diese Strahlung schon seit langer Zeit existiert. Was aber, wenn sie erst vor kurz em entstanden ist und eben erst zu wirken
7 begonnen hat?« Damit brachte sie mich in Verlegenheit. Ich hatte in der Tat nicht den geringsten An haltspunkt. Es war mehr eine Ahnung, die mir sagte, daß alles, was es auf dieser Welt gab, unendlich alt und schon seit undenkli chen Zeiten vorhanden sein müsse … wie die rote Steinplatte, auf der die Goltein-Hei ler ihre Kuppelbauten errichtet hatten. Ich versuchte, ihr zu erklären, was ich empfand. Da verloren ihre Augen zum er stenmal, seit ich sie kannte, den kalten Glanz und leuchteten mich freundlich an. »Ich glaube, du hast recht, Kristallprinz«, sagte sie halblaut. Im nächsten Augenblick setzte das Bei boot auf.
* Ich kletterte als erster hinaus. Wir alle tru gen die Kampfanzüge der Flotte und waren gut bewaffnet. Lediglich Ra hatte mit seiner Montur ständig zu schaffen: mit der Not wendigkeit, einen kurzgewachsenen, stier nackigen Barbaren einzukleiden, hatte nie mand gerechnet. Ich ließ mich aus der Bodenschleuse des Beiboots hinab. Durch das offene Luk emp fand ich einen unbeschreiblichen Geruch, der über der Lichtung lag. Er war nicht un angenehm, nur unsagbar fremd. Ich verzich tete auf den Gebrauch der Leiter, die man mit wenigen Handgriffen aus der Schleuse ausfahren konnte, und sprang hinab. Der Bo den war überraschend weich. Ich versank fast bis zur Hüfte in schwellendem Gras und kam federnd wieder hoch. Der rechte Fuß ruhte auf irgendeinem Hindernis. Ich fand den Körper eines Vogels, der hier den Tod gefunden hatte. Ich nahm ihn vorsichtig auf. In diesem Augenblick sprang Karmina aus der Schleuse. Sie stieß einen hellen Laut der Überraschung aus, als sie die ungewöhn liche Weichheit des Untergrunds empfand. Dann aber interessierte sie sich sogleich für meinen Fund. Sie nahm mir den toten Vogel aus der Hand, untersuchte ihn am Schnabel
8 und an den Beinen und entschied: »Ein sehr altes Tier. Wahrscheinlich ist es an Altersschwäche gestorben!« Über uns baumelte Ra aus der Öffnung des Schleusenluks. »Komm herab!« rief ich ihm zu. Er ließ sich fallen. Ich kannte ihn als einen Mann von verblüffender, körperlicher Geschicklichkeit, stark wie ein Büffel, ge lenkig wie eine Katze. Darum war ich er staunt, als ich seinen knurrenden Schmer zensschrei hörte und sah, wie er beim Auf prall zur Seite sank und zur Hälfte im tiefen Gras verschwand. Ich half ihm auf. Das Gehen auf dieser weichen Unterlage war keine leichte Sache. Ich kam mir vor, als tanzte ich über ein schlaff gespanntes Tuch. Ras Gesicht war schmerzverzerrt. Mühsam kam er in die Hö he. Vorsichtig probierte er den geschunde nen Knöchel, und als er feststellte, daß er ei nigermaßen darauf stehen konnte, bückte er sich mit der ihm eigenen Schnelligkeit und fuhr mit beiden Händen in den grasigen Un tergrund. Er brachte den Körper eines Tieres zum Vorschein. Es handelte sich um ein braun pelziges Geschöpf, das in seiner Form, je doch nicht in seiner Größe den Hirschen äh nelte, die die Wälder von Arkon bevölker ten. Das Tier war tot, ebenso wie der Vogel, den ich gefunden hatte. Aber der Körper war vollständig erhalten und zeigte nicht die ge ringste Spur von Verfall oder Verwesung. Beim Absprung war Ra anscheinend mit ei nem Fuß auf den Schädel des Tieres geraten und abgerutscht. »Das ist merkwürdig«, sagte Karmina. »Betrachte die grauen Haarspitzen des Fel les, und du weißt, daß es sich wiederum um ein altes Tier handelt. Es ist hier gestorben. Sein Tod kann erst vor kurzer Zeit eingetre ten sein, sonst gäbe es Anzeichen von …« Sie sprach den Satz nicht zu Ende. Angst Jag in ihrem Blick. Ich verstand sie. Hatten wir uns in der Einschätzung der fremdarti gen Strahlung geirrt? War sie vielleicht doch erst vor kurzem entstanden und hatte so-
Kurt Mahr gleich begonnen, die Tiere dieser Gegend zu töten? Plötzlich hatte ich eine Idee. Ich kniete nieder und begann, den Untergrund zu un tersuchen. Ich riß büschelweise die hohen, festen Halme des Grases aus und warf sie beiseite. Auf diese Weise entstand rasch ein Loch, aber den eigentlichen Boden bekam ich noch immer nicht zu sehen. Statt dessen wurde das Gras, das ich zutage förderte, im mer heller und brüchiger. »Halt ein!« rief Karmina mir zu. »Ich glaube, ich weiß die Erklärung. Das ist altes Gras«, sagte sie. »Es hat sein Leben vollendet, seine Wurzeln verloren. Neues Gras ist auf ihm gewachsen und hat den Rest seiner Lebenskraft ausgesaugt. Darum ist es so hell. Aber die Substanz als solche ist unverändert.« Leuchtend blickten ihre Augen mich an. »Es gibt hier keinen Zerfall!« schloß sie. »Die Tiere und Pflanzen … sie sterben, aber sie verwesen nicht!«
* Ein grotesker Gedanke schoß mir durch den Kopf. Perpandron, die Welt des wachen We sens. War das ein Anzeichen der »Wachheit«, daß tote Geschöpfe ihre Gestalt behielten und nicht zerfielen? Ich streifte die krause Idee von mir ab. Spekulieren brachte uns nichts ein. Wir wa ren in einer geheimnisvollen Gegend gelan det, und ich war fest entschlossen, das Ge heimnis zu ergründen. Ich blickte zum Rand des Waldes hinüber. Von dort kam die rätselhafte Strahlung, die, wenn Karmina recht hatte, dafür verantwort lich war, daß hier nichts verging. Hoch und düster ragte die geschlossene Wand des Dschungels, abweisend, als wolle sie ihr Ge heimnis verteidigen. »Wir sehen uns dort drüben um«, ent schied ich. »Das Gehen ist in diesem Gelän de schwierig. Am besten setzen wir das Boot unmittelbar am Waldrand ab.«
Das Geheimnis von Perpandron Ra hatte die Zeit genützt, sein Fußgelenk zu massieren. Die Wirkung der Prellung war überstanden. Er ging in die Knie, stieß sich mit voller Kraft vom federnden Boden ab und erreichte mit mühelosem Sprung die Kante des Schleusenluks. Er turnte hindurch und ließ die Leiter herab. Zähnefletschend grinste er uns entgegen. »Den Opfern der Zivilisation muß man es bequem machen!« sagte er. Diesmal übernahm ich selbst das Steuer. Karmina hantierte an den Meßgeräten und versuchte, den Ausgangsort der fremden Strahlung so genau wie möglich zu bestim men. Sie dirigierte mich schließlich in eine Schneise, die wie eine schmale Bucht von der Lichtung aus in den Wald vordrang. Sie krümmte sich leicht nach links, und wenn man unterhalb der Wipfelhöhe flog, verlor man die freie Fläche bald aus der Sicht. Das war ein Vorteil für uns. Ich rechnete damit, daß die Goltein-Heiler bald zur Verfolgung ansetzen würden. In der Schneise war unser Fahrzeug weniger leicht zu finden als drau ßen auf der offenen Fläche der Lichtung. Diesmal ließen wir die Leiter gleich hin ab, noch bevor wir ausstiegen. Der Wald war eine geschlossene Masse, die keinen Durchlaß bot. Es war still in der Runde, fast beängstigend still. Der Glanz der Sonne Teifconth lag voll auf dem schmalen Strei fen Grasland, auf dem wrir gelandet waren, und trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Ich wies Ra die Richtung. Er verstand meinenWink. Ra war Spezialist für die Be zwingung unwegsamen Geländes. Er packte einen der Äste, die aus der Wand des Dschungels über das Gras herausragten, und schwang sich daran empor. Im Nu war er im grünen Dickicht verschwunden. Kurze Zeit später hörten wir seine Rufe. Er dirigierte uns. »Rechts an dem dicken grauen Stamm vorbei!« schrie er aus dem Innern des Waldes. »Dort ist das Unterholz am dünnsten. Hütet euch vor dem Graben …« Ich ging voran. Aus der Höhe erteilte Ra uns seine Weisungen. So wie uns hatte er
9 vor Jahren als Späher die Jäger seines Vol kes dirigiert, wenn sie in den unwirtlichen Urwäldern ihrer Welt nach Beute jagten. Dank seiner Umsicht kamen wir ziemlich mühelos voran. Manchmal, während wir auf Ras nächste Weisung warteten, blieben wir stehen und sahen uns um. Der Wald war ein unbeschreiblich verfilztes Gewirr aus leben den und toten Baumriesen, aus rankendem und längst gestorbenem Unterholz, aus Lia nen, die aus den Körpern anderer Lianen wachsen … und der Boden unter unseren Sohlen hatte die gleiche federnde Beschaf fenheit wie das Grasland draußen auf der Lichtung. Er bestand aus Schicht auf Schicht gestorbener Pflanzenteile, die unter dem Einfluß der unheimlichen Strahlung ihre Ge stalt behielten und nicht vergingen. Es war ein gespenstischer Wald, desglei chen weder Karmina noch ich jemals gese hen hatten. Wir schritten unter einem schräg liegenden Baumriesen hindurch, den vor langer Zeit ein Sturm gefällt haben mochte. Er wrar entwurzelt, aber dennoch trugen sei ne Äste und Zweige eine Fülle saftiggrüner Blätter, als wäre er noch am Leben. Das Dickicht hatte ihn daran gehindert, seinen Sturz zu vollenden. Er lag schräg zwischen aufrechten Stämmen, wie eine Schranke, die sich über uns senken wollte. Ras schallende Stimme kam von weit vor ab. Er warnte uns vor einem Gewirr von Schlingpflanzen und riet uns, die Lianen rechts zu umgehen. Dann, plötzlich, stieß er einen schrillen Schrei aus und verstummte. Ich machte die Waffe schußbereit, wäh rend wir durch das Unterholz drangen. Ich schrie den Namen des Barbaren, aber er ant wortete nicht. Manchmal hielt ich einen Atemzug lang an und horchte, ob von ir gendwoher das Geräusch eines Kampfes zu hören sei. Denn meine erste Vermutung war, daß Ra von einem Tier angefallen worden sei. Aber vor uns war es still. Wir umgingen das Lianengeranke, wie Ra es uns mit seinen letzten Worten geheißen hatte. Plötzlich wich das Unterholz zurück. Der Wald wurde licht. Wir bewegten uns auf
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einer weichen, federnden Schicht herabge fallener Blätter, die noch immer das kräftige Grün lebender Pflanzen zeigten. Plötzlich tauchten die Umrisse fremder Gebilde vor uns auf: Mauerreste, Gewölbe, die Überreste eines mächtigen, viereckigen Turmes, die aus einem Berg von Trümmern emporrag ten. Dann sahen wir Ra. Er kauerte auf dem Boden, vor einem ge mauerten Torbogen, dessen Mauerwerk mit fremdartigen Symbolen verziert war. Beson ders eines der Symbole kehrte immer wie der: zwei einander kreuzende Balken, von denen der längere, senkrechte am oberen Ende mit einer Art Schlaufe versehen war. Ich trat zu Ra. Er kniete, hatte die Knie so weit wie möglich unter den Leib gezogen und die Stirn zu Boden gepreßt. Ich hörte ihn halblaut fremde Worte murmeln. Als ich ihn an der Schulter berührte, fuhr er blitz schnell auf. In seinen Augen blitzte es zor nig und verwirrt. Ich glaube, er brauchte ein paar Augenblicke, um mich zu erkennen, und während dieser Zeit machte er den Ein druck, als wolle er sich wütend auf mich stürzen. Dann fiel es von ihm ab wie ein Bann. Er kennen leuchtete aus seinen braunen Augen. Die Schultern sanken herab, und die geball ten Fäuste entkrampften sich. Er drehte sich halb zur Seite und wies auf die Symbole, die das Mauerwerk des Torbogens bedeckten. »Das Zeichen der Gottheit!« sagte er.
* Wenn einem einer, der noch vor wenigen Jahren der willenlose Spielball selbster schaffener Götzen und Dämonen war, vorn Zeichen der Gottheit redet, dann ist man ge neigt, sich darüber zu amüsieren. So ähnlich erging es mir, wenigstens im ersten Augen blick. Dann besah ich mir die Symbole von neu em. Sie waren einfach und einprägsam. Zwei gekreuzte Balken – eine Schlaufe. Ra behauptete, sie zu kennen. Bei der Einfach-
heit der Zeichen konnte man sich kaum vor stellen, daß er sich täuschte, daß er sich an etwas Falsches erinnerte. »Woher kennst du es?« fragte ich ihn. »Von dort, woher ich komme«, antworte te er und warf dabei einen scheuen Blick auf die fremdartigen Zeichen. »Was bedeuten sie in deiner Heimat?« »Das Höchste …!« Die Antwort kam impulsiv, ohne Überle gung. Ich versuchte, mir Ras Heimatwelt vorzustellen – so, wie er sie mir geschildert hatte: kalt, von Gletschern bedroht, die sich von den Polen herabschoben, mit düsteren Wäldern, in denen ungeheuere Tiere lebten. Die Macht über die Lagergemeinschaft der Jäger hatten Schamanen, die vorgaben, um die Geheimnisse der Natur und der Götzen zu wissen. Wo hätte auf einer solchen Welt dieses Zeichen erscheinen können? Ich fragte Ra. »Manchmal«, berichtete er, »stieß ich in den Wäldern auf hohe, steinerne Säulen. Sie trugen dieses Zeichen. Ich sprach davon zu unserem Schamanen. Er tat sehr geheimnis voll und erklärte mir, daß dies das Zeichen der obersten Gottheit sei, die so weit von den Menschen entfernt war, daß sie niemals selbst mit diesen in Verbindung trat, sondern statt dessen ihre Boten sandte … die Dämo nen, von denen unsere Welt voll war.« »Du erinnerst dich richtig?« fragte ich. »Dies ist dasselbe Zeichen?« »Dasselbe«, antwortete er dumpf. »Wie sahen die Steinsäulen aus?« wollte ich wissen. »Waren sie alt?« »Alt. Aber nicht so alt wie dieses Gemäu er hier.« Das gab mir Stoff zum Nachdenken. Pri mitive Völker halten oft die Besatzungen von Raumschiffen, die auf ihrer Welt lan den, für Götter. Hier auf Perpandron hatte es vor langer Zeit eine vorarkonidische Zivili sation gegeben. Die rote Steinplatte, auf der die Kuppeln der Goltein-Heiler standen, zeugte davon. Wahrscheinlich waren auch die Trümmer, vor denen wir standen, Über reste jener uralten Kultur. Die Legende von
Das Geheimnis von Perpandron Caycon und Raimanja ging mir nicht aus dem Sinn. Berichtete sie, in verschleierter Form, vom Sieg der Urarkoniden über ein fremdes Sternenvolk? Hatte sich das fremde, alte Volk sodann aus diesem Raumsektor verzogen und seine Aktivitäten anderswohin verlagert zum Beispiel in die Gegend von Ras Heimatwelt, von der niemand genau wußte, wo sie eigentlich lag? Ich fand, daß meine Hypothese einiges für sich hatte. Zum Beispiel erklärte sie, warum die Steinsäulen auf Ras Heimatplanet jünge ren Datums waren als dieses Mauerwerk. Dies hier mußte eine Stadt des unbekann ten Volkes gewesen sein. Die Überreste bo ten den üblichen Anblick uralter, zerfallener Ruinenstätten. Anders als an ähnlichen Or ten dieser Art war nur die geheimnisvolle Strahlung, die organische Materie daran hin derte, zu zerfallen. Karmina hatte zuerst unserer Unterhal tung zugehört. Dann war sie durch den Tor bogen hindurchgetreten und hatte sich da hinter zu schaffen gemacht. Ich hörte sie ru fen: »Hier ist ein Eingang!« Es war nicht ganz klar, was sie meinte. Ich eilte zu ihr, Ra folgte mir zögernd. Kar mina hatte einen zweiten Torbogen gefun den. Dieser war niedriger als der erste, wölbte sich kaum mehr als mannshoch. Aber dahinter war der Boden offen und bil dete die Mündung eines finsteren Stollens, der schräg in die Tiefe führte. Ich trat hinein. Der Lichtkegel der Lampe, die im Brustteil meiner Montur eingebaut war, drang scharf gezeichnet durch kühle, feuchte Luft. Der Stollen war gemauert, also nicht etwa das Werk eines Tieres, das sich hier eingegraben hatte. Ich ging ein paar Schritte. Der Stollen verlief geradlinig, so weit der Schein meiner Lampe reichte. Er war leicht geneigt und führte wohl zu ir gendeinem unterirdischen Ort, der im Leben der alten Stadt eine wichtige Rolle gespielt hatte. Ich kehrte zurück. »Wenn wir Zeit haben, sollten wir diesen
11 Gang untersuchen«, sagte ich. Ra antwortete: »Soviel Zeit haben wir wahrscheinlich nicht.« Karmina lächelte ihn spöttisch an. Ra senkte den Blick. Er wußte: es war uns nicht entgangen, daß er sich vor diesem Ruinen feld fürchtete. »Also schön … untersuchen wir den Gang!« rief er trotzig. Ich wollte ihn beschwichtigen. Aber be vor ich noch dazu kam, das erste Wort zu sa gen, drang aus der Richtung der freien Flä che, von der wir gekommen waren, der dumpfe, dröhnende Laut einer Explosion. Wir fuhren auf. Und plötzlich, als hätte in diesem Augenblick uns jemand die Ohren geöffnet, hörten wir das charakteristische Geräusch von Gleitermotoren. »Die Heiler!«' stieß Karmina hervor. »Sie haben unser Fahrzeug angegriffen!«
* Es entspricht dem Willen der Natur, daß der Mensch im Augenblick der Gefahr Kraft und Findigkeit in einem Maße entwickelt, wie sie ihm im Normalfall nicht zur Verfü gung stehen. Karmina und ich fanden den Weg zurück, ohne daß uns Ra mit seinen Rufen leitete. Wir waren sogar noch schnel ler als der Barbar, der sich uns zu folgen be mühte, auf dem Boden des Waldes aber nicht so zu Hause war, wie auf den Ästen der Bäume. Binnen kurzer Zeit erreichten wir den Waldrand. Schon vorher hatten wir den bei ßenden Geruch wahrgenommen, der von ei nem riesigen Qualmpilz ausging, der sich draußen im freien Gelände ausbreitete. Der Qualm hüllte die Stätte ein, an der unser Fahrzeug gelandet war. Wir brauchten nicht viel Fantasie, um uns auszumalen, was aus dem Beiboot geworden war. Wir blieben vorläufig in der Deckung des Waldrands. Draußen schwirrten Dutzende von Gleitern in scheinbar unkontrolliertem Durcheinander. Die Goltein-Heiler hatten
12 unsere Spur gefunden. Nicht, daß wir damit nicht gerechnet hätten … nur so früh hatten wir die Verfolger nicht erwartet. Die Lage flößte mir im Augenblick noch keine Be sorgnis ein. Wir waren gestrandet. Aus eige ner Kraft konnten wir nicht mehr zu unse rem weit entfernten Raumschiff zurückkeh ren … es sei denn, wir erbeuteten einen der feindlichen Gleiter. Aber wir hatten noch immer unsere Funkgeräte, und wenn wir die ISCHTAR herbeiriefen, würde es mit dem Spuk der Heiler in wenigen Augenblicken vorüber sein. Ich beobachtete. Aus den Flugmanövern der Gleiter ging hervor, daß die Verfolger nicht wußten, wo wir uns verborgen hielten. Das war gut so. Der Dschungel bot uns prächtige Deckung, wenn wir nur geschickt genug waren, uns ständig im Dikkicht zu halten und Lichtungen zu vermeiden. Der Gedanke war kaum zu Ende gedacht, da landete einer der Goltein-Gleiter kaum mehr als dreißig Schritte von unserem Ver steck. Das Weitere entwickelte sich fast zwangsläufig, und vor allen Dingen so schnell, daß ich nicht mehr dazu kam, etwas dagegen zu unternehmen. Mit einem knurrenden Laut raste Ra, der Barbar, aus dem Dickicht des Waldes her vor. Karmina schrie ihm zu, er solle in Deckung bleiben, doch Ra ignorierte die Anweisung. Etwa zehn Schritte vor uns ging er in die Knie, legte seinen schweren Strah ler über den linken Unterarm und zielte sorgfältig. Gerade in dem Augenblick, in dem sich eines der Luke des Gleiters öffne te, feuerte Ra. Der Schuß war ein Volltreffer. Der Heiler, der sich gerade auszusteigen angeschickt hatte, verschwand in einer Wolke lodernder Glut. Schrille Schreie drangen aus dem In nern des Fahrzeugs, aber nur ein paar Au genblicke lang. Dann gab es eine krachende Explosion … und auf der Lichtung stand ei ne zweite Qualmwolke – ähnlich der, in der unser Fahrzeug verschwunden war. Mit leuchtenden Augen kehrte Ra in die Deckung unseres Verstecks zurück.
Kurt Mahr »Du Narr!« zischte ich ihn wütend an. Die Streitmacht der Verfolger hatte die Änderung der Lage offenbar sofort erkannt. Die Goltein-Gleiter schossen jetzt nicht mehr ziellos durch den blauen Himmel, son dern konzentrierten ihre Suche auf den west lichen Rand der Bucht, die die große Lich tung hier in den Wald trieb. »Wir verschwinden!« entschied ich, noch immer zornig über Ras Eigenmächtigkeit. Ich wollte mich in Bewegung setzen, da bannte mich eine mächtige Stimme, die aus der Höhe herabscholl. »Ergebt euch! Es liegt in unserer Macht, euch zu vernichten, aber wir ziehen es vor, euch den Behörden des Imperiums lebend zu übergeben. Euer Spiel ist durchschaut. Wir wissen, daß der Hellhaarige unter euch der Kristallprinz ist. Tretet auf die Lichtung hin aus und leistet meinen Leuten keinen Wider stand mehr!« Die Stimme kannte ich. Sie gehörte Kle mir-Theron, dem Anführer der Goltein-Hei ler. Er befand sich in einem der Gleiter, die über uns schwebten, und bediente sich einer mächtigen Lautsprecheranlage, um mir seine Weisungen zukommen zu lassen. Karmina warf mir einen fragenden Blick zu. Ich verstand sie auch ohne Worte. »Auf sein Angebot eingehen, heißt, den Tod wählen«, sagte ich. »Noch ist nicht alles verloren!«
* Wir hasteten davon. Von Anfang an gab es nur eine Richtung, in die war uns sinnvol lerweise halten konnten. Das war der alte Stollen, den wir vor kurzem entdeckt hatten. Es schien mir, als ob die Goltein-Heiler die Ruinen der alten Stadt nicht kannten. Viel leicht bot uns der Stollen Schutz. Mein Plan war es, die ISCHTAR auf dem schnellsten Wege herbeizurufen. Zwar war Fartuloon mir gram ob meines Entschlusses, auf Perpandron zu landen. Aber wenn ich in Not war, würde er mir zu Hilfe eilen. Dessen war ich sicher. Ich brauchte nur kurze Zeit,
Das Geheimnis von Perpandron um mein Sprechgerät zu aktivieren und Ver bindung mit dem Bauchaufschneider aufzu nehmen. Im Schutz des Stollens hoffte ich, würde ich genügend Zeit finden. Aber ich hatte mich getäuscht. Unange nehm rasch entwickelte Klemir-Theron sei ne Fähigkeiten als eiskalter, scharf berech nender Taktiker. Er hatte wohl von vornher ein damit gerechnet, daß ich auf seine For derung nicht eingehen würde. Die Gleiter kamen tiefer. Obwohl wir sie durch das Dickicht nicht mehr sehen konnten, hörten wir es am Geräusch ihrer Triebwerke. Und dann fauchte, nur wenige Schritte von uns entfernt, die erste Salve eines Ener giegeschützes mitten in den Dschungel und verwandelte das grüne Dickicht in ein Infer no aus Qualm, Glut und Flammen. Über uns wurde der Himmel sichtbar, und ich erkann te, daß die Gleiter begonnen hatten, Kampf truppen abzuregnen. Sie trugen dieselben Anzüge wir wir – flugtaugliche, gegen Hitze und Qualm schützende Monturen. Und sie waren schwer bewaffnet. »Schneller!« keuchte ich. Ra und Karmina eilten vor mir her. Ich bildete die Nachhut. Trotz der Nähe der Ver folger blieb ich von Zeit zu Zeit stehen, um mich zu orientieren. Wenn die Goltein-Hei ler die Ruinenstadt gekannt hätten, wäre un sere Flucht völlig aussichtslos gewesen. So jedoch regneten sie ihre Kämpfer in einem weiten Halbkreis ab, der uns die Flucht in den Dschungel unmöglich machen sollte. Die Weite des Halbkreises führte dazu, daß sie die Truppen nicht mit geballter Kraft ein setzen konnten. Die meisten landeten so weit entfernt, daß sie niemals mit uns in Be rührung kommen würden … falls wir den Stollen rechtzeitig erreichten. Es waren höchstens eine Handvoll Leute, die uns ge fährlich werden konnten. Zwanzig Schritte vor mir erreichte Ra die Stelle, an der das Unterholz aufhörte und die Trümmer der alten Stadt begannen. Auf Ras Instinkt war Verlaß, wenn ihn nicht gerade die Wut in den Krallen hatte: er blieb stehen und sicherte.
13 Rings um uns brachen die Energiesalven der Goltein-Heiler in den Wald. Die Luft war von beißendem Qualm erfüllt. Von allen Seiten hüllte das Knistern und Prasseln bren nenden Dickichts uns ein. Ra stieß einen gellenden Kriegsschrei aus. Ich hörte seinen Strahler fauchen. Hinter ei nem der Mauerreste brach ein Krieger der Goltein-Heiler inmitten einer Flammenwand zusammen. Sie waren hier! Ein Teil der Truppe war uns zuvorgekommen! Wir hatten keinen Au genblick mehr zu verlieren. »Durch …!« schrie ich. Wir eilten auf den hohen Torbogen zu, in dessen Mauerwerk sich die fremdartigen Symbole befanden. Unsere Waffen waren ständig in Tätigkeit. Wo sich etwas regte, und wenn es auch nur ein Schatten war, dorthin stachen die Flammenzungen unserer Strahler. Entweder hatte ich die Zahl der Gegner überschätzt, oder die Goltein-Heiler hatten mit soviel Entschlossenheit auf unserer Seite nicht gerechnet: auf jeden Fall erreichten wir ungeschoren, wenn auch zerzaust und ver sengt, den Eingang des alten Stollens. Einen Atemzug später hatte uns die Un terwelt verschlungen …
* Ra blieb stehen und behielt die Stollen mündung im Auge, während ich ein paar Schritte weitereilte und weiter im Hinter grund das Sprechgerät einzuschalten ver suchte. Ich hatte es gerade bis dahin ge schafft, daß das kleine Kontrollicht auf leuchtete … da fauchte eine Energiesalve durch den Stollen herein. Ra stieß einen wü tenden Schrei aus und erwiderte das Feuer. Ich sah schattenhafte Gestalten unter der Mündung des Stollens. »Ra … zurück!« schrie ich. Der Feind war uns zu dicht auf den Fer sen. Wir mußten uns weiter zurückziehen. Meine einzige Hoffnung lag in diesem Au genblick darin, daß die Goltein-Heiler sich
14 womöglich nicht trauen würden, uns in die unerforschte Finsternis des unterirdischen Geländes zu folgen. Aber sicher war ich meiner Sache nicht. Wir hasteten davon, um eine Krümmung herum. Karmina schaltete ihren Scheinwer fer ein. Hell und mit scharfen Rändern zeichnete sich der Lichtkegel gegen die feuchte Luft ab. Wir stürmten vorwärts, so rasch uns die Füße trugen … immer in der Hoffnung, daß die Goltein-Heiler zögern würden, uns zu folgen. Dann gabelte sich der Stollen. Ein Zweig führte nach rechts, der andere nach links. Der rechte Zweig schien der gangbarere zu sein. Ich wandte mich dorthin; aber plötzlich fühlte ich Ras Hand auf der Schulter. Er hielt mich gepackt, und der Druck seiner Finger war so stark, daß ich Schmerz emp fand. »Nicht dorthin, Kristallprinz …!« zischte er. Unwillkürlich hielt ich an. Es hatte mehr als eine Gelegenheit gegeben, bei der Ra be wies, daß seine Sinne schärfer und unver fälschter waren, als die eines zivilisierten Menschen. Der Barbar hatte sich die Fähig keit bewahrt, auf eine tödliche Gefahr in stinktiv und mit unfehlbarer Sicherheit zu reagieren. Immerhin kam mir der Zeitverlust äußerst ungelegen. »Was ist los?« fragte ich ungehalten. »Was gibt es dort …?« »Ich weiß nicht«, antwortete Ra. »Gefahr …!« Ich schaltete meine Lampe ein. Der Licht kegel drang weit in den Stollen hinein vor. Ich hörte ein rasselndes, schabendes Ge räusch. Etwas kam aus dem Gang auf uns zu. Ich wartete wie gebannt. Die Gefahr der Verfolger hatte ich für den Augenblick ver gessen. Da erschien es im Schein der Lampe, ein unförmiges, flaches Ding, das sich auf sechs spindeldürren Beinen bewegte. Es maß we nigstens drei Schritte in der Länge und zwei in der Breite. Unter einem tellerförmigen
Kurt Mahr Rückenschild hervor lugte ein mit Fühlern und riesigen Facettenaugen bewehrter Schä del. Karmina preßte sich an mich. Ich fühlte ihr Zittern. Das sechsbeinige Rieseninsekt kam mit langsamen Schritten auf uns zu. Panzer und Schädel waren von schwarzer, mattglänzen der Farbe. Ich hatte noch nie zuvor einen so gigantischen Käfer gesehen! Auf Largamenia war mir beigebracht worden, wie man auch im Augenblick des Schocks den Verstand unter Krontrolle be hält. Es schoß mir durch den Sinn, daß der Käfer trotz seiner Größe unseren Energie waffen wohl nicht gewachsen war. Ich brachte die Waffe in Anschlag und drückte ab. Eine armdicke Energieflut schlug dem häßlichen Insekt entgegen. Da ich meines Zieles sicher war, hatte ich die Augen geschlossen, um nicht geblendet zu werden. Als ich sie wieder öffnete, ran nen von den Seiten des Stollens dünne Bä che geschmolzenen Gesteins herab … aber der Käfer kroch noch immer auf uns zu. Die Salve hatte ihm nichts anhaben können. Im Gegenteil. Er bewegte sich jetzt rascher. Zehn Schritte vor uns hielt er an und streckte die dünnen Beine, wodurch er mit einem Ruck um wenigstens einen Fuß höher wur de. Ich hörte ein dünnes, scharfes Zischen. Im nächsten Augenblick hüllte grünlicher, beißender Qualm uns ein. »Ein Gift!« schrie Karmina entsetzt. »Wir müssen …« Der Rest ihrer Worte erstickte in einem Hustenanfall. Wankend wandte sich Karmi na ab und stolperte in den linken Zweig der Stollengabel hinein. Ich hielt es für besser, ihr zu folgen. Die Götter mochten wissen, welche Kreaturen in diesem unterirdischen Labyrinth auf uns warteten und welcher Waffen wir bedurften, mit ihnen fertig zu werden. Vorerst hatten wir keine Zeit, uns mit ihnen abzugeben. Die Verfolger waren uns dicht auf den Fersen, ich konnte ihre Schritte bereits hören. Hustend und keuchend eilten wir den lin ken Zweig der Stollengabelung entlang.
Das Geheimnis von Perpandron
* Die Goltein-Heiler mußten sofort erkannt haben, wohin wir uns gewandt hatten. Sie wichen uns nicht von den Fersen. Jedesmal, wenn ich einen halben Atemzug lang stehen blieb, um zu horchen, hörte ich die Ge räusche der Verfolger dicht hinter uns. Mei ne Hoffnung, daß sie die unterirdischen Räume nicht kannten und Furcht vor den un bekannten Gefahren empfänden, die hier un ten lauerten, brach endgültig zusammen. Nach Hunderten von Schritten erreichten wir abermals eine Gabelung. Ra hielt davor an. »Wir müssen uns trennen!« stieß er her vor. »Wir müssen die Heiler irre führen!« Er wies in die rechte Abzweigung hinein. »Ich nehme diesen Weg«, entschied er. »Ihr eilt geradeaus weiter!« »Wir werden uns verlieren«, sagte Karmi na. Ra fletschte die Zähne. »Ihr euch vielleicht … aber ich werde euch finden!« Mehr sagte er nicht, dann verschwand er in der Dunkelheit des Seitenstollens. Ich rechnete halb und halb damit, daß auch dort ein Riesenkäfer auftauchen werde, um ihm den Weg zu verlegen. Aber nichts derglei chen geschah. Ra hielt es nicht einmal für nötig, die Lampe zu gebrauchen. Ich hörte das Geräusch seiner Schritte in die Finster nis entschwinden. Karmina und ich eilten weiter. Hunderte … Tausende von Schritten, immer weiter in die Tiefe, den scharf gezeichneten Lichtke geln unserer Lampen hinterdrein. Das Ge räusch der Verfolger war ein wenig zurück gefallen. Anscheinend hatten sie sich an der Gabelung eine Zeitlang aufgehalten. Ras Taktik war also erfolgreich. Als wir wiederum eine Kreuzung erreich ten, blieb ich stehen. Karmina schien zu ah nen, was ich vorhatte. Die Furcht stand ihr in den Augen geschrieben. Aber sie wagte keinen Einwand, als ich sagte:
15 »Ras Trick hat uns einmal geholfen, er wird es auch ein zweites Mal tun! Wir tren nen uns hier!« Mit großen Augen starrte sie in die Fin sternis des Seitengangs. In diesem Augen blick brach der Stolz der Sonnenträgerin zu sammen. Mit stockender Stimme brachte sie mühsam hervor: »Wir … werden uns verirren …« »Wir haben die Sprechgeräte!« hielt ich ihr entgegen. »Wir können uns miteinander verständigen. Bleib in der Nähe dieser Kreu zung, dann kann nicht viel geschehen!« Mehr konnte ich nicht sagen. Die Ge räusche der Verfolger wurden lauter. Karmi na verschwand in der Finsternis. Ich selbst eilte den geraden Stollen entlang. Die Lam pe hatte ich ausgeschaltet. Ihr Schein sollte den Goltein-Heilern nicht als Ziel dienen. Nur ab und zu ließ ich den Lichtkegel kurz aufblenden, um nicht gegen ein Hindernis zu laufen. Rasch erkannte ich, daß unsere Taktik beim zweiten Mal nicht annähernd so erfolg reich gewesen war wie beim ersten. Der Ab stand zu den Verfolgern vergrößerte sich nicht. Irgendein übernatürlicher Spürsinn schien ihnen zu sagen, wohin ich mich ge wandt hatte. Sie waren mir so nahe, daß ich aus den Rufen, mit denen sie sich verstän digten, ab und zu meinen Namen heraushör te. Und dann, plötzlich, war der Stollen zu Ende. Ich sah die Felswand, als ich meine Lampe kurz aufblitzen ließ, und das Loch an ihrem Fuß. Am Rand des Loches beugte ich mich nieder und sah das flimmernde, gei sterhafte Leuchten, das vom Grund des Schachtes zu mir heraufdrang eines Schach tes, dessen Tiefe ich nicht abzuschätzen ver mochte. Ich zog die Helmkapuze über den Kopf und schloß sie. Summende Geräte erfüllten das Innere der Montur mit Leben. Ein letztes Mal wandte ich mich um, den Strahler schußbereit in der Hand. Da sah ich die Ver folger kommen. Ich erkannte ihre Über macht und sah, daß jeder Versuch, mich zu
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verteidigen, hur zum Tod führen konnte. Darum sprang ich …
2. Ich verlor jeden Sinn für die Zeit. Rings um mich verstärkte sich der Druck, den die Massen des Treibsands auf den sinkenden Körper ausübten. Sank ich wirklich noch immer? Ich wußte es nicht. Es wurde heiß im Innern der Montur. Die empfindlichen Geräte waren in der Lage, auf alle denkba ren Umweltbedingungen richtig zu reagie ren. Aber Treibsand gehörte nicht zu den denkbaren Bedingungen. Schließlich erfuhr ich, daß ich doch die ganze Zeit über gesunken sein mußte; denn es gab einen kurzen, sanften Ruck, als ich zum Stillstand kam. Soweit ich erkennen konnte, war ich mit den Füßen auf ein Hin dernis gestoßen, wahrscheinlich die Sohle des mit Treibsand erfüllten Schachtes. Ich versuchte, mich zu bewegen; aber der Sand hüllte mich ein und preßte mir die Ar me gegen den Leib. Der mörderische Druck überstieg die Kräfte meiner Muskeln. Ich war gefangen. Lediglich im Innern der Mon tur hatte ich noch ein wenig Bewegungsfrei heit. Ich ging mit mir zu Rate, ob ich das Flugaggregat aktivieren solle. Wie würde der Sand auf die kleinen, heißen Flammen der Miniaturtriebwerke reagieren? Welche Wirkung würde das künstliche Schwerefeld auslösen? Da auch mein Extrasinn schwieg, nahm ich an, daß man über derart komplizierte Dinge keine Vorhersagen machen konnte. Ich mußte es einfach ausprobieren – das war alles, was mir in meiner Lage blieb. Mit äußerster Anstrengung bewegte ich die rechte Hand dorthin, wo im Innern des Handschuhs die kleinen Kontrollschalter des Flugaggregats montiert waren. Diesmal er hob der Extrasinn keinen Einwand. Es war genug Zeit verstrichen, seitdem ich mich in den Schacht gestürzt hatte. Die Verfolger mußten sich inzwischen längst zurückgezo gen haben. Wenn es mir gelang, der mörde-
rischen Umarmung des Sandes zu entkom men, würde ich als erstes Fartuloon zu Hilfe rufen, damit der diesem Spuk ein Ende be reitete. Entschlossen betätigte ich den Kon trollschalter. Die Wirkung war entsetzlich. Schneller, als ich denken konnte, bildete sich rings um mich ein Feuerball. Es gab ei ne dröhnende, krachende Explosion, die mir das Gehirn in Fetzen reißen wollte. Ich ver lor für kurze Zeit das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, war es von neuem fin ster ringsum. Ich fühlte mich am ganzen Körper zerschlagen, und im Schädel dröhnte es wie von tausend Schmiedehämmern. Ich konnte nur ahnen, was geschehen war. Das künstliche Schwerefeld hatte den Druck ge mindert, mit dem der Sand auf mir lastete, und dem Sand einen Teil seiner natürlichen Beweglichkeit zurückgegeben. Im Einfluß bereich des Feldes bildete sich eine Wolke mikroskopisch feiner Sandkörnchen, ein hochexplosives Gemisch, das die Flammen der kleinen Lenkdüsen sofort zur Entzün dung brachten. So, wie die Dinge lagen, mußte ich glück lich sein, daß ich nicht zerrissen worden war. Ich horchte. Von irgendwoher hörte ich ein leises Rieseln. Und plötzlich spürte ich, wie etwas an meinem Bein hinabrann und den Stiefel der Montur zu füllen begann. Zu erst dachte ich an Blut. Die Explosion hatte mich verletzt, ich hatte eine Wunde am Bein. Dann aber erkannte ich die fürchterliche Wirklichkeit. Was ich spürte, war Sand. Die Montur mußte bei der Explosion einen Riß bekommen haben! Der Treibsand schickte sich an, mich endgültig zu verschlingen …
* Ich glaube fest daran, daß jeder Mensen – nicht nur der Besitzer der Ark Summia – an gesichts des herannahenden Todes sich in ei ne Geisteshaltung zu versetzen vermag, in der er nach außen hin aufrecht und gefaßt,
Das Geheimnis von Perpandron wirkt. In Wirklichkeit, meine ich, bildet das Bewußtsein einen Block, mit dem es sich selbst daran hindert, das Entsetzliche des herannahenden Endes zu erkennen. Dadurch schützt es sich, denn sonst müßte es in Wahnsinn versinken. Ich war völlig ruhig und gleichgültig, während der Sand an mir heraufstieg. Ich hielt die Augen abwechselnd offen und ge schlossen. Bunte Lichterscheinungen gau kelten vor mir in der Finsternis. Halb inter essiert sah ich ihnen nach, wie sie kamen und vergingen, als hätte ich keine andere Sorge auf der Welt. Der Sand, obwohl feinkörnig wie dünn ster Staub, schmerzte, weil er unter unge heurem Druck stand. Außerdem war er merkwürdig warm und trug dazu bei, die Hitze im Innern der Montur noch unerträgli cher zu machen. Ich nahm dies alles hin als etwas, an dem ich nichts ändern konnte. Ob ich verbrannte oder erstickte … was für einen Unterschied machte das schon? Als ich plötzlich Bewegung verspürte, schob ich es auf die Verwirrung, die der An blick des Todes in meinem Bewußtsein her vorrief. Ich bildete mir die Bewegung nur ein, sagte ich zu mir. Aber damit kam ich nicht weit. Das ist Bewegung! signalisierte der Extra sinn. Augenblicklich war ich hellwach. Tat sächlich war der Treibsand unruhig gewor den und schien zu quirlen. Ich wurde einmal um die eigene Achse gedreht, dann packte mich etwas an den Beinen und zog mich seitwärts. Für kurze Zeit war ich in waag rechter Lage und bekam den mörderischen Druck der Sandmassen in seiner vollen Kraft zu spüren. Dann plötzlich verschwand der Alp. Es war noch immer finster ringsum; aber ich hatte nicht mehr das Gefühl, unter Tausen den Tonnen Sand begraben zu liegen. Ich versuchte, die Arme zu bewegen … und sie he da: es gelang! Wohl war ich noch immer von Treibsand umgeben, aber der Sand hatte plötzlich eine Oberfläche, aus der ich mich
17 hervorarbeiten konnte. Ich wirbelte die Ar me und schleuderte beiseite, was mich hemmte … Und plötzlich stand ich in milchiger Hel ligkeit. Ich hielt erstaunt inne. Einen Atem zug glaubte ich, es sei hell geworden, weil ich mich endlich aus dem Sand hervorgear beitet hatte. Jetzt aber sah ich, daß der Treib sand mir kaum bis an die Hüfte reichte. Ich hätte die Helligkeit also schon früher wahr nehmen müssen … wenn sie früher dagewe sen wäre. Leuchtkörper waren angeschaltet worden! erkannte ich. Die Milchigkeit des Lichtes rührte daher, daß die Luft ringsum infolge meiner schaufelnden Tätigkeit von feinem Staub erfüllt war. Als er zu sinken begann, erkannte ich, daß ich mich in einer kleinen Kammer befand. Sie war würfelförmig, und ihre Kanten maßen etwa anderthalb Manns längen. Noch etwas Merkwürdiges empfand ich. Als ich mich zu orientieren begann, hatte ich den Eindruck, ich hätte die ganze Zeit auf dem Kopf gestanden oder auf der Seite gele gen. Jedenfalls war »oben« in einer ganz an deren Richtung, als ich es vermutet hätte. Das mußte damit zu tun haben, daß ich wäh rend der langen Stunden im Treibsand die Orientierung und zum Teil auch den Gleich gewichtssinn verloren hatte. Ich stand also da, inmitten des Sandes, der einen Teil des würfelförmigen Raumes bis zur Höhe meiner Hüften erfüllte. Was ge schieht jetzt? fuhr es mir durch den Kopf. Denn in mir war das Empfinden wach ge worden, daß ich längst nicht mehr aus eige nem Antrieb handelte. Ich hatte den Gedanken noch nicht zu En de gedacht, da hörte ich ein tiefes, bedroh lich klingendes Summen. Ich griff sofort nach der Waffe, die ich vor dem Sprung in den Schacht mit dem Rest meiner Geistesge genwart noch im Gürtel geborgen hatte. Dann aber sah ich, wie der Sand zu meinen Füßen plötzlich in wirbelnde Bewegung ge riet und weniger wurde. Es war nicht schwer zu erraten: der kleine
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Raum wurde leergesaugt. Während ich noch staunend auf den wirbelnden Sand blickte, verschwand er durch eine Öffnung, deren ich nicht ansichtig wurde. Und nach weni gen Augenblicken war die Kammer so rein, als hätte es hier niemals auch nur ein einzi ges Korn von Treibsand gegeben. Ich spürte instinktiv, daß damit die Reihe der erstaunlichen Ereignisse noch nicht be endet war. Ich richtete den Blick auf die Wand der Kammer, von der ich mit meinem etwas getrübten Orientierungssinn annahm, daß sie derjenigen gegenüber lag, durch die ich hereingekommen war. Ich war fest über zeugt, daß sich dort etwas tun würde. Und tatsächlich: die Wand geriet in Be wegung! Ein breiter Spalt entstand, jenseits dessen die Finsternis wie eine Mauer stand. Ich zögerte. Die Öffnung der Wand stellte ohne Zweifel eine Aufforderung dar, die kleine Kammer zu verlassen. Aber was er wartete mich draußen? Ich griff die Waffe fester. Hinter mir wuß te ich den Treibsand. Mit ihm wollte ich nichts mehr zu tun haben. Was immer es war, das draußen in der Dunkelheit meiner wartete, damit mußte leichter fertig zu wer den sein, als mit Tonnen von Sand, die ei nem die Arme in den Leib pressen und die Luft aus den Lungen quetschen. Ich trat hinaus.
* Ein paar Augenblicke lang hatte ich we nigstens noch den Lichtkeil, der durch die Wandöffnung kam. Dann aber hörte ich ein Surren, der Keil wurde immer schmaler, und als ich mich umwandte, war die erleuchtete Öffnung verschwunden. Die Wand hatte sich wieder geschlossen. Ich wollte die Lampe auf meiner Brust anschalten. Aber es kam kein Licht. Der Sand hatte den Leuchtkörper eingedrückt. Ich griff danach und fühlte die verbogenen, zersplitterten Ränder. Es war noch immer unbequem warm im Innern meiner Montur. Ich überlegte, ob ich
es wagen könnte, den Helm zurückzuschie ben. Während ich nachdachte, tat ich einen Schritt, und als ich das mehlige, reibende Gefühl unter der Sohle spürte, ging mir auf, daß meine Überlegungen nicht sonderlich sinnvoll waren. Die Montur hatte einen Riß. Wenn die Luft hier unten nicht atembar wä re, hätte ich diesen Augenblick nicht mehr erlebt! Ich riß mir den Helm vom Kopf. Schlaff fiel er mir auf die Schulter. Inwischen war geraume Zeit vergangen, seit ich die kleine Kammer verlassen hatte. Plötzlich machte ich eine wichtige Entdeckung: die Finsternis ringsum war nicht vollkommen. Meine Au gen waren geblendet vom hellen Licht der Kammer. Je mehr Zeit verstrich, desto deut licher nahmen sie wahr, daß hier, außerhalb der Kammer, nicht völlige Finsternis herrschte. Es gab hier eine Art milchigen, silbrig schimmernden Halbdunkels. Ich erin nerte mich, dieselbe Beobachtung schon ein mal gemacht zu haben: oben, als ich am Rande des mit Treibsand gefüllten Schach tes stand und überlegte, ob ich springen oder mich verteidigen sollte. Ich hatte mich da mals schon darüber gewundert, aber es war mir keine Zeit geblieben, länger darüber nachzudenken. Auf dem Boden hockend, gönnte ich den Augen Zeit, die Helligkeit in der kleinen Kammer völlig zu vergessen. Umrisse be gannen, sich aus der Dunkelheit zu schälen: Kanten, Vorsprünge, Nischen, Erker. Eine Ahnung sagte mir, daß ich mich in einem riesigen, unterirdischen Raum befand. Wel chem Zweck er diente, welcher Architekt ihn erschaffen hatte, das war mir unbekannt. Das Sitzen tat mir gut. Es stellte einen Teil der im Ringen mit dem Treibsand ver brauchten Körperkraft wieder her. Ich kam zu mir, wenn man es so ausdrücken will. Und ich erinnerte mich an mein eigentliches Anliegen. Wir waren vor den Goltein-Hei lern geflohen, damit ich Zeit bekäme, die ISCHTAR um Hilfe zu rufen. Im Schimmer des unwirklichen, silbrigen Lichtes fand ich das kleine Sprechgerät, das
Das Geheimnis von Perpandron um das linke Armgelenk meiner Montur ge schlungen war. Ich setzte es in Betrieb. Das Kontrollicht leuchtete auf. Ich hob das Gerät in Mundnähe und begann zu sprechen: »Der junge Adler sucht den Adlervater!« Das waren die Worte, die ich jüngst mit Fartuloon vereinbart hatte. Sie gaben keinen Namen preis und waren in ihrer Bedeutung geeignet, Fartuloons Eitelkeit zu schmei cheln. Der Vorschlag war von mir gekom men, und der Bauchaufschneider hatte ihn mit zufriedenem Lächeln angenommen. Aber der Adlervater antwortete nicht. Ich wiederholte den Versuch mehrere Male, stets mit dem gleichen Mißerfolg. Entweder war mein Sprechgerät trotz leuchtendem Kontrollicht defekt, oder es gab in den Tie fen dieser alten Stadt einen energetischen Einfluß, der das Gerät hinderte, seine volle Wirksamkeit zu entfalten. Die ISCHTAR also konnte mir vorläufig nicht helfen. Ich hätte ohnehin nicht gewußt, wohin ich Fartuloon hätte dirigieren sollen. Ich konnte ihm wohl kaum zumuten, hinter mir her in den mit Treibsand erfüllten Schacht zu springen und sich wohlgemut darauf zu verlassen, daß er infolge desselben Rettungsmechanismus wie ich wieder das Tageslicht erblicken würde. Wie hätte ich ihm das beschreiben sollen, ohne daß er mich einen Narren nannte? Ich stand auf. Die Ruhe hatte mich ge stärkt. Die Umrisse des unterirdischen Raumes waren jetzt deutlich vor meinen Au gen. Es gab eine Menge zu erforschen. Ich war darauf angewiesen, meine Lage aus ei gener Kraft zu verbessern. Also machte ich mich an die Arbeit …
* Ich bezeichnete den Raum, in dem ich mich befand, als eine Halle – ohne zu wis sen, ob er dieser meiner Vorstellung ent sprach. Ich dachte ihn mir als einen riesigen Raum mit gigantischen Ausmaßen. Dabei machten meine Schritte nicht das geringste Geräusch. Kein Echo kam zurück, anhand
19 dessen ich die Maße des Raumes hätte ab schätzen können. Die Kräfte waren zurückgekehrt. Ich fühl te mich stark. Ich schritt an der Reihe der Erker, Nischen und Vorsprünge entlang und besah mir alles – in dem milchigen, silbrigen Dämmerlicht, das von irgendwoher kam. Und doch fühlte ich mich wie im Traum. Ich war in eine fremde Welt geraten. In den Er kern und Nischen standen Gestalten und Dinge, deren Sinn ich nicht erkannte und de ren Zweck ich nicht erriet. Auf den Altanen und Vorsprüngen erhoben sich Gebilde, die mir nicht minder fremd waren. Ich befand mich in einer Zauberwelt. Eine uralte Kultur, das fühlte ich, hatte hier ge wirkt und ihre Spuren hinterlassen. Eine Kultur, die so alt war, daß ich sie nicht mehr verstand. Es mochte sein, daß die Dinge, die ich für Statuen hielt, in Wirklichkeit Ma schinen waren. Ich hätte den Unterschied nicht erkennen können. Nur mit Mühe erinnerte ich mich daran, daß ich nicht hierhergekommen war, um zu beobachten und zu staunen. Meine Aufgabe war es, einen Ausgang zu finden, irgend ei ne Passage, die mich wieder an die Oberwelt brachte. Ich dachte an Ra und Karmina, die irgendwo in dieser unterirdischen Welt ver schollen waren und womöglich den GolteinHeilern nicht hatten entgehen können. Ich mußte einen Ausweg finden! Ich mußte ih nen helfen! Meine erste nennenswerte Entdeckung war, daß es im Boden der riesigen Halle Lö cher gab. Gewöhnlich befanden sie sich in der Nähe der Wände, meist in einer Nische; aber es gab auch ein paar, die weit von der Begrenzung des Raumes mitten in der ebe nen Fläche des Hallenbodens lagen. Ich mu sterte die ersten fünf, dem Rest ging ich aus dem Wege. Aus den Löchern herauf leuchte te es schimmernd und undeutlich wie aus je nem mit Treibsand gefüllten Schacht, dessen Opfer ich geworden war. Ich verspürte keine Lust nach einer Wiederholung des Treibsan dabenteuers. Das unwirkliche Halbdunkel, das die Hal
20 le erfüllte, hinderte mich dar an festzustel len, welche Form der gewaltige Raum hatte. Die Wände mit ihren unzähligen Unebenhei ten lieferten keinerlei Hinweis. Ich hatte das Gefühl, mich auf einer leicht gekrümmten Linie zu bewegen, indem ich an der Wand entlang schritt. Aber sicher konnte ich mei ner Sache nicht sein. Einmal allerdings merkte ich deutlich, daß die Wand sich krümmte. In der Richtung, in der ich bisher geschritten war, verlegte sie mir den Weg. Ich überlegte, ob ich der Krümmung folgen solle. Dann entschloß ich mich impulsiv, die Halle zu durchqueren und an der gegenüberliegenden Wand wei terzusuchen. Die Lichtverhältnisse waren nicht danach, daß ich die Entfernung der Wand auf der an deren Seite des Raumes, also die Breite der Halle, leicht hätte abschätzen können. Von dort, wo ich stand, gewahrte ich undeutlich etwas Dunkles, hoch Aufragendes, das von aberwitzig, vielen Unebenheiten, Vorsprün gen und Rissen. durchsetzt war. Aber wie weit ich bis dorthin zu gehen hatte, darüber begann ich mir erst ein Bild zu machen, als ich etwa ein halbes Tausend Schritte gegan gen war, ohne daß ich mich meinem Ziel merklich genähert hatte. Ich blieb stehen, um meinen Entschluß noch einmal zu überdenken. In was für eine Welt war ich da hineingeraten? Wer hatte diesen Hohlraum erschaffen, der ohne Mühe eine arkonidische Großstadt hätte aufneh men können? Welchem Zweck hatte die rie sige Halle einst gedient? Die Skulpturen in den Nischen und auf den Altanen ließen ver muten, daß der Raum als Kultstätte benutzt worden war … aber nur dann, wenn meine Deutung der seltsamen Gebilde als Skulptu ren richtig war und es sich nicht etwa um seltsam geformte Maschinen handelte. Noch war ich am Nachdenken, da tauchte plötzlich vor mir aus dem silbrigen Halb dunkel die eigenartige Gestalt auf. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich zu gebe, daß der Schreck mich an Ort und Stel le bannte und ich ein paar Augenblicke lang
Kurt Mahr unfähig war, mich zu bewegen. Es handelte sich nicht etwa um eine schreckliche, mon ströse Erscheinung … ganz im Gegenteil, das fremde Geschöpf hatte etwas Elegantes und Graziles an sich. Aber zu erkennen, daß in dieser uralten, für tot geglaubten Stadt noch Leben herrschte … diese Erkenntnis war im ersten Augenblick zuviel für mein strapaziertes Bewußtsein. Der riesige Käfer, der geheimnisvolle Mechanismus, der mich aus dem Sandschacht befreit hatte … sie hatten mich nicht auf diese Begegnung vor bereitet. Ich war, wie man auf Arkon sagt, »an der Stelle angefroren«. Das fremde Wesen musterte mich aus glitzernden Augen. Es stand auf vier Beinen und erreichte etwa ein Drittel Mannshöhe. Der Schädel war kantig, beinahe wie ein Würfel geformt. Die Haut war glatt wie ein kurzhaariges Fell. Aber vom Nacken bis zur Hälfte des Rückens hinab zog sich ein netz artiges Gebilde, fast wie ein Flügelpaar, das das Geschöpf entfalten konnte, um sich durch die Luft fortzubewegen. Ich hatte dergleichen nie gesehen. Der Strahler glitt mir wie von selbst in die Hand. Das Geschöpf nahm davon keine No tiz. Seine Augen funkelten, aber es bewegte sich nicht. Ich erinnerte mich an den Riesen käfer. Er hatte einen Volltreffer aus dem Lauf meines Strahlers einfach ignoriert. Würde ich hier dieselbe Erfahrung machen? Bestanden die Geschöpfe dieser Unterwelt aus einer Substanz, die der Energie unserer Waffen mühelos widerstand? Versuchsweise tat ich einen Schritt weiter in der Richtung, in der ich mich bisher be wegt hatte. Das fremde Geschöpf reagierte sofort. Es kam mir ebenfalls einen Schritt entgegen. Die Bewegung geschah völlig ge räuschlos. Geschmeidig bewegte sich der schlanke Körper, die Tatzen, wiewohl kräf tig, schienen den Boden kaum zu berühren. Da faßte ich einen Entschluß, den ich als einen Entschluß der Klugheit klassifizierte. Mir lag nichts an einer Auseinandersetzung mit dem fremden Wesen. Wenn es mir den Weg verlegte, dann wollte ich mir lieber
Das Geheimnis von Perpandron einen anderen Weg suchen. Ich wandte mich um und schritt davon dorthin, woher ich ge kommen war. Von Zeit zu Zeit allerdings blieb ich stehen und sah mich um. Das frem de Geschöpf folgte mir nicht. Es schien zu frieden, mich vcn meinem ursprünglichen Weg abgebracht zu haben. Als ich mich das vierte Mal umsah, war es verschwunden.
* Ich kehrte zurück zu der Stelle, an der die Wand, der ich bisher gefolgt war, eine Bie gung beschrieb. Ich schritt die Biegung ent lang und fand ein weiteres halbes Dutzend jener verräterisch leuchtenden Löcher, mit denen ich nichts mehr zu tun ha ben wollte. Ich fragte mich, welche Funktion sie versa hen. Waren sie wirklich alle mit Treibsand erfüllt? Einmal, als ich stehenblieb, um mich um zusehen, glaubte ich zu bemerken, daß die gegenüberliegende Wand der Halle mir nä hergekommen war. Ich hielt es zunächst für eine optische Täuschung, aber je weiter ich schritt, desto stärker wurde der Eindruck. Es war tatsächlich so, daß die Halle in der Richtung, in der ich mich bewegte, enger wurde. Die Halle verengte sich in der Form eines Trichters. Die Wände wurden allmählich glatt, die Vorsprünge und Nischen ver schwanden, aber nicht auf einmal, sondern nach und nach. Die Kultur, die diese unterir dische Anlage geschaffen hatte, mußte eine Abneigung gegen krasse Übergänge gehabt haben. Die arkonidische Architektur dage gen hätte den trichterförmigen Auslauf der Halle, der schließlich in einen breiten Stol len mündete, als raumverschwendend emp funden. Der Gang erschien mir dunkler als die Halle. Woher auch immer das geheimnisvol le, silbrige Licht kam … in den Stollen drang es offenbar mit geringerer Intensität. Ich blieb eine Zeitlang stehen und sicherte. Der Riesenkäfer und das Flügeltier hatten
21 mich davon überzeugt, daß es in dieser un terirdischen Stadt nicht ganz so leblos und ungefährlich zuging, wie ich zuerst hatte glauben wollen. Ich horchte in das Dunkel hinein, aber da war kein Geräusch. Schließlich setzte ich mich in Bewegung. Ich merkte ziemlich bald, daß der Gang nicht gerade verlief, sondern eine stetige Krümmung nach links beschrieb. Dabei schien er jedoch stets die gleiche Höhe ein zuhalten. Meine Augen brauchten ziemlich lange, sich an die fast vollkommene Dunkel heit zu gewöhnen. Ich empfand das zunächst kaum als Nachteil, denn sowohl Wände als auch Boden des Ganges waren glatt und frei von Unebenheiten. Dann allerdings kam plötzlich der Augen blick, in dem ich mir wünschte, ich könnte mehr sehen. Gänzlich unerwartet stieß ich gegen ein Hindernis. Es war weich und ela stisch; ich konnte mich daran nicht verlet zen. Das Fatale war, daß das Hindernis im Augenblick des Zusammenstoßes plötzlich zu wildem Leben erwachte. Ich hörte einen spitzen Schrei. Irgend etwas fuhr mir ins Ge sicht und riß mir eine Schramme über die Wange. Ich wollte zurückweichen, aber da war kein Weg, den wild um sich schlagen den Extremitäten des Unbekannten zu entge hen. Ich steckte ein paar derbe Schläge ein, bis es mir schließlich zuviel wurde und ich selber derb zupackte. »Jetzt ist Schluß!« schrie ich in meinem Zorn. Im selben Augenblick erstarb der Wider stand des Unbekannten. Eine weibliche Stimme, die mir wohl bekannt war, sagte auf Arkonidisch, mit unterdrücktem Schluchzen: »Atlan … oh … ich wußte nicht …!« Im nächsten Augenblick fiel Karmina mir um den Hals und barg den Kopf an meiner Schulter. Ich wurde Zeuge des denkwürdi gen Ereignisses, daß eine adelige Sonnenträ gerin herzzerbrechend weinte.
* Wir kauerten nebeneinander auf dem Bo
22 den. »Atlan … diese Stadt lebt!« sagte Karmi na. »Sie lebt auf eine unheimliche, geheim nisvolle Art und Weise. Als hätten die Er bauer ihr ihren Geist eingehaucht und hinter lassen.« Dabei waren Karminas Erlebnisse nicht annähernd so dramatisch gewesen wie die meinen. Als ich sie verließ, war sie ein paar Schritte weit in den Seitenstollen hineinge schritten. Plötzlich hatte es vor ihr ein Ge räusch gegeben. Ehe sie noch dazu kam, die Lampe einzuschalten, hörte sie ein halblau tes Zischen. Beißender Gestank drang ihr in die Nase. Sie hatte versucht zu fliehen; aber das lähmende Gas war rascher gewesen als sie. Sie brach bewußtlos zusammen. Zu sich gekommen war sie in diesem Gang, nicht weit von der Stelle entfernt, an der ich auf sie gestoßen war. Sie hatte sich zunächst ruhig verhalten und, wie sie sagte, darauf gewartet, daß irgend etwas geschähe. Erst nach einigen Stunden hatte sie sich auf gemacht, das unterirdische Gelände zu durchsuchen. Ihr war nicht das Unglück wi derfahren, das mich bei meinen Nachfor schungen so sehr behindert hatte: die Lampe ihrer Montur funktionierte noch. Sie hatte sie aber jeweils nur kurz aufleuchten lassen, um sich nicht den Monstren zu verraten, die nach ihrer Vorstellung die Tiefe der alten Stadt bevölkerten. Als sie meine Schritte hörte, hatte sie sich gegen die Wand des Stollens gepreßt und war fest entschlossen gewesen, sich nicht zu rühren. Wenn ich nicht durch Zufall gegen sie gestoßen wäre, hätten wir nicht zueinander gefunden. Über Ras Verbleiben wußte Karmina nichts. Sie hatte auch, seit sie in diesem Gang wieder zu sich gekommen war, keine Begegnung mit den unheimlichen Bewoh nern der Stadt gehabt. Ich glaubte, Karmina trotz der Kürze unserer Bekanntschaft auf grund der turbulenten Ereignisse, die wir seit der Schlacht um Marlackskor gemein sam erlebt hatten, einigermaßen gut zu ken nen. Ihr jetziges Verhalten, ihre Furcht, ihre fast hysterische Bereitschaft, in jedem fin-
Kurt Mahr steren Winkel ein feindliches Monstrum zu sehen, waren untypisch. Zumindest waren es nicht die Eigenschaften, die ihr die Beförde rung zur Kommandantin und den Rang einer Sonnenträgerin eingebracht hatten. Ich konnte sie dennoch nicht tadeln. Auch ich fühlte mich beklommen. Ich hatte Ge fahren überstanden, gegen die die Begeg nung mit dem Käfer, der Sturz in den Treib sandschacht nicht mehr als ein Kinderspiel waren. Und dennoch hatte ich mich noch nie zuvor in meinem Leben so bedroht gefühlt, wie in diesem Augenblick. Was dieses Ge fühl verursachte, vermochte ich nicht zu sa gen. War es die unsagbare Fremdheit dieser Anlage, die keinem dem Menschen ver wandten Geist entstammte? Waren es die Riesenkäfer und Flügeltiere, die stumm und fast geräuschlos hier unten ihr Unwesen trie ben und von denen zumindest die Käfer für unsere Waffen unverwundbar zu sein schie nen? War es das eigenartige, silbrigmatte Licht, das die Luft erfüllte und von nirgend woher zu kommen schien? War es die Erin nerung an das Unbekannte, das mich aus dem Treibsand befreit hatte … ohne daß ich wußte warum und wozu? Es mochte eine Verbindung all dieser Dinge sein. Auf jeden Fall fühlte ich mich unbehaglich. Karmina in ihrer Furcht und ich mit meiner Beklommenheit, wir beide gaben ein Gespann ab, das für die Erfor schung der unterirdischen Stadt denkbar un geeignet war. Die primitivsten Regeln der Kriegskunst besagen, daß einem ängstlichen Krieger, wenn er überhaupt etwas taugen soll, ein furchtloser beigesellt werden muß. Aber wir hatten keine Wahl. Angst und Un behagen ließen sich nicht zerstreuen. Und wenn wir jemals wieder Tageslicht sehen wollten, dann blieb uns nichts anderes übrig, als Seite an Seite den Gefahren der Tiefe zu trotzen. Wären wir in besserer Verfassung gewe sen, hätte es zu dem beinahe tödlichen Zu sammenstoß gar nicht erst kommen können …
Das Geheimnis von Perpandron
3. In die Halle zurückzukehren, aus der ich kam, wäre sinnlos gewesen. Wir drangen al so in der Richtung, die ich ursprünglich ein geschlagen hatte, weiter vor und passierten dabei den Ort, an dem Karmina wieder zu sich gekommen war. Sie hatte ihn markiert, indem sie mit ihrem Strahler ein Loch in die Wand des Stollens schmolz. Wir hielten uns an dieser Stelle eine Zeitlang auf. Im Schein von Karminas Lampe untersuchte ich die Umgebung, konnte aber keinen Hinweis da für finden, warum die Sonnenträgerin ausge rechnet hier abgesetzt worden war. Es mochte freilich sein, daß es in den Wänden des Stollens irgendwo eine verborgene Tür gab, die sich meinem Spürsinn entzog. Schließlich gingen wir weiter. Wie bisher, ließ Karmina ihre Lampe auch jetzt nur dann und wann aufblitzen. Der Stollen wurde schließlich weiter. Die ersten Unebenheiten an den Wänden traten auf. Ich erkannte: wir näherten uns einer Halle, die wahrscheinlich ähnlich gestaltet war wie die, in der ich mich nach der Ret tung aus dem Treibsandschacht wiederge funden hatte. Meine Erwartung erwies sich als richtig. Der Stollen nahm schließlich die bereits be obachtete Form eines Trichters an und mün dete in einen unterirdischen Raum, der min destens ebenso groß war wie die Halle, die ich bereits kannte. Karminas Lampe, so kräftig sie auch war, vermochte nicht, das gegenüberliegende Ende zu erreichen. Mich befiel eine gewisse Mutlosigkeit bei dem Gedanken, daß wir nun beginnen müßten, die Hunderte, womöglich Tausende von Ni schen und Ecken, Vorsprüngen und Felslei sten abzusuchen, um den Weg zu finden, der uns wieder hinauf ans Tageslicht brachte. Ich fühlte mich, geistig mehr als im körperli chen Sinne, zerschlagen. Und wenn ich an die Erfolglosigkeit meines Suchens in der vorigen Halle dachte, verließ mich aller Mut.
23 Dennoch gab es keinen Zweifel daran, daß wir suchen mußten. Karmina ließ sich nur mit Mühe dazu überreden, die rechte Wand der Halle zu übernehmen, während ich die linke absuchte. Irgendwo weiter vor ne, rechnete ich, würden sich die Hallen wände einander wieder nähern und in einen Gang münden. Dort würden wir uns treffen. Bevor wir uns trennten, vergewisserten wir uns, daß zumindest innerhalb der Halle un sere Sprechgeräte funktionierten. Wir konn ten uns über Funk verständigen. Das war wichtig für den Fall, daß einer von uns bei den eine Entdeckung machte. Grimmig entschlossen, das zu tun, was getan werden mußte, machte ich mich an die Arbeit. Ich kroch in Nischen hinein und klet terte an Vorsprüngen empor, soweit sie sich erklettern ließen. Ich fand Schächte, aus de nen geheimnisvolles Leuchten drang, deren Tiefe ich nicht abzuschätzen vermochte und denen ich aufgrund früherer Erfahrungen in tuitiv abhold war. Trotzdem trennte ich mich von einigen Gebrauchsgegenständen, die ich in die Schächte hineinfallen ließ, um deren Beschaffenheit zu erkunden. Die Gegenstän de verschwanden alle spurlos und ohne ir gendein Geräusch zu erzeugen … was mein Mißtrauen gegenüber den Schächten ver stärkte. Schließlich fand ich eine Nische, die fast schon mehr ein Gang war, der tief in die Sei tenwand der Halle hineinführte. Ein solches Gebilde war mir bislang noch nicht vorge kommen. Ich bedauerte, daß Karmina nicht bei mir war. Ihre Lampe wäre mir hier von Nutzen gewesen. Aber Karmina schritt an der gegenüberliegenden Wand der Halle ent lang, Hunderte von Metern von mir entfernt, und um einer Belanglosigkeit willen wollte ich sie nicht herbeirufen. Ich sah ihre Lampe in fast regelmäßigen Abständen kurz aufblit zen. Sie kam, das bemerkte ich, langsamer voran als ich, was vermutlich mit ihrer Furcht vor den unheimlichen Bewohnern dieser unterirdischen Welt zusammenhing. Vorsichtig drang ich zwischen die eng stehenden Wände ein. Die milchige, silbrige
24 Helle, die die Weite der Halle erfüllte, verlor sich hier. Es wurde dunkel. Ich begann mich zu fragen, ob es überhaupt sinnvoll sei, hier zu suchen. Da hörte ich über mir ein Ge räusch. Was dann kam, geschah so schnell, daß ich einen Augenblick lang nicht wußte, wor an ich war … einen gefährlichen Augenblick lang, denn diese kurze Zeit der Unentschlos senheit benutzte der Gegner, um sich einen entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Etwas Schweres fiel auf mich herab. Ich ging in die Knie. Ich warf mich zu Boden und versuchte, das Schwere von mir abzu schütteln. Im Nu aber hatten sich harte Pran ken mir um den Hals gelegt und gaben sich Mühe, mir die Luft abzuschnüren. Ich drehte und wälzte mich, aber das, was mir im Nacken saß, bekam ich nicht los. Der Druck um meine Kehle verstärkte sich. Ich geriet in Atemnot. Ich bäumte mich auf, zog die Beine ein und stieß sie mit voller Wucht in Richtung des unbekannten Angreifers. Es gab Kontakt. Ich hörte einen unterdrückten, knurrenden Schrei, und der Druck auf mei ner Kehle ließ nach. Eine weitere Körperwendung, und ich war frei! Vor mir, in der Dunkelheit, polterte et was zu Boden. Die Waffe lag in meiner Hand. Ich drückte den Auslöser und sah mit grimmiger Erleichterung, wie der fauchende Energiestrahl durch die Finsternis stach. Ein Schrei gellte auf, dann war Ruhe. Ich stand unbeweglich. Die Salve des Strahlers hatte mich geblendet. Ich sah nichts. Nach einer Weile hörte ich hastige Schritte. »Atlan …?« Das war Karminas Stimme. »Hier!« antwortete ich. Ich gewahrte den hellen Schein ihrer Lampe, als sie in die Nische eindrang. Vor mir auf dem Boden sah ich eine zusammen gekrümmte, dunkelhäutige Gestalt. Vor Schreck stockte mir das Blut in den Adern, als ich die Montur der arkonidischen Flotte erkannte. Karmina kam heran. Sie sah zuerst mich, dann die Gestalt auf dem Boden. Entsetzt
Kurt Mahr blieb sie stehen. »Das ist … das ist Ra!« stieß sie hervor. Sie sagte mir nichts Neues. Ich hatte mei nen entsetzlichen Irrtum bereits erkannt.
* Wir warteten. Diese Minuten des Ungewissen Wartens gehören zu den schrecklichsten, die ich in meinem Leben durchgemacht habe. Ich hatte mich vergewissert, daß Ra noch lebte. Sein Puls schlug noch, seine Atmung war intakt. Mein Schuß hatte ihn hoch in der rechten Schulter erwischt. Es gab keinen physischen Grund, warum er an der Folge meines Irr tums hätte sterben sollen. Aber wir alle, Ra wahrscheinlich eingeschlossen, befanden uns in einem derart merk würdigen seeli schen Zustand, daß man die Möglichkeit des Todes infolge Schocks nicht ausschließen konnte. Ra öffnete schließlich die Augen. Er lag auf dem Bauch … ich hatte mich nicht ge traut, ihn auf den Rücken zu drehen. Von unten herauf sah er mich – und erkannte mich. »Oh … Atlan …«, stöhnte er, »… du ver dammter … Narr!« Es geschah nicht oft, daß ich so be schimpft wurde. Höchstens von Fartuloon, aber niemals von einem Barbaren, der einer unbekannten, namenlosen Welt entstammte. Hier jedoch war es anders. Wilde Freude stieg in mir empor. Ich packte Ra an der un verletzten Schulter und drehte ihn herum, so daß er bequemer zu liegen kam. »Ra … ich wollte es nicht!« drängten sich mir die Worte über die Lippen. Er verzog das dunkelhäutige Gesicht und brachte ein mattes Grinsen zustande. »Ich … ich weiß«, ächzte er. »Es war … zum Teil … meine Schuld.« Es gab nicht viel, was ich für ihn tun konnte. Ich führte keinerlei Medikamente mit mir. Wir mußten uns auf Ras natürliche Widerstandskraft verlassen, die bei ihm, dem Barbaren, weitaus stärker ausgeprägt
Das Geheimnis von Perpandron war als bei uns, den Opfern der Zivilisation, wie er uns nannte. Und da verließen wir uns auf nichts Geringes, wie sich bald heraus stellte. Ra kam innerhalb kurzer Zeit auf die Beine. Falls er noch Schmerzen in der ver wundeten Schulter empfand, so wußte er sie so zu verbergen, daß Karmina und ich nichts davon bemerkten. »Ein Stück Fleisch«, murmelte er, als er schwankend, aber unbewegten Gesichts vor uns stand, »und ein Schluck klares Wasser. Das würde mir aufhelfen!« »Du weißt genau, daß wir nichts derglei chen haben«, antwortete ich. »Ja, ich weiß«, sagte er mit raspelnder Stimme. »Aber es schadet nichts, davon zu träumen.« Dann blickte er mich scharf an. »Du weißt von den Bewohnern dieser Stadt?« »Ich weiß, daß die Stadt nicht tot ist«, ant wortete ich mit Zögern. »Du kennst sie?« fragte er hastig. »Die Flügellöwen …?« Mit Löwen hatte ich die geflügelten Tiere bislang noch nicht in Verbindung gebracht. Aber ich wußte, was er meinte. »Bist du ihnen begegnet?« wollte ich wis sen. »Dutzenden! Dort oben sind sie … über all!« Er wies in die Höhe. Verblüfft starrte ich die finstere Wand hinauf. Der Gedanke, daß man auch dort oben suchen könne, war mir nie gekommen. »Eine verrückte Stadt«, sagte Ra. »Man weiß nicht, wo oben und unten ist. Als ich zu mir kam, lag ich auf einer schmalen Fels leiste, unmittelbar am Rand eines Abgrunds. Wie leicht, dachte ich, hätte ich in der Be wußtlosigkeit eine falsche Bewegung ma chen und abstürzen können. Aber als ich den Abgrund untersuchen wollte, war er plötz lich verschwunden. Die Kante der Leiste war weiter nichts als eine Stufe. Hinter der Stufe ging es eben weiter …« Ich verstand nicht, was er meinte. Ver mutlich war er noch ein wenig durcheinan
25 der. Ich ließ ihn schildern, wie er hierher ge kommen war. Er war, wie ich, in einen Schacht gestürzt. In seinem Fall jedoch war der Schacht leer gewesen. Unten war er mit beträchtlicher Wucht aufgeprallt und hatte das Bewußtsein verloren. »Als ich wieder zu mir kam«, berichtete er, »lag ich auf der Felsleiste, und von dem Schacht, durch den ich gestürzt war, konnte ich nirgendwo, mehr eine Spur finden.« Seitdem war er in den Wänden dieser Halle herumgeklettert und hatte nach einem Ausgang gesucht. Es war ihm ergangen wie mir: der Sturz hatte seine Lampe außer Be trieb gesetzt. So war er allein auf die Fähig keit seiner Augen angewiesen, sich mit dem diffusen, silbrigen Halbdunkel zurechtzufin den. »Die Flügeltiere waren ständig um mich«, sagte er. »Ich ging ihnen aus dem Weg, denn sie waren in der Übermacht. Es kam mir vor, als wollten sie mir den Weg verlegen. Wenn ich mich in gewissen Richtungen bewegte, bauten sie sich vor mir auf und wichen nicht von der Stelle.« Ich dachte an das geflügelte Wesen, das sich mir entgegengestellt hatte, als ich die Halle durchqueren wollte. Man konnte das Verhalten der Flügeltiere auch so deuten, daß sie uns den Weg weisen wollten, indem sie uns daran hinderten, in die falsche Rich tung zu gehen. Karmina hatte ähnliche Gedanken. »Wir sollten in die Wand hinaufsteigen«, schlug sie vor. Grundsätzlich gab es dabei wenig Gefahr. Unsere Flugaggregate waren intakt. Sollte einer von uns stürzen, würden sie den Fall bremsen. Auch Ra war nur deswegen noch am Leben, weil bei seinem Sturz in den Schacht das Flugtriebwerk im letzten Au genblick angesprungen war und den Auf prall gedämpft hatte. Ich gab meine Zustimmung, nachdem Ra mir versichert hatte, daß die Wunde ihn nicht am Klettern hindere. »Außerdem gibt es da oben nicht soviel zu klettern, wie man von hier aus meint«,
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Kurt Mahr
fügte er ominös hinzu; aber ich verstand ihn nicht.
* Der Aufstieg war nicht schwierig. Es gab genug Vorsprünge, Ecken und Kanten, an denen Hände und Füße Halt fanden. Außer dem begann die Wand sich nach außen zu neigen. Das war ein ganz überraschender Ef fekt. Der Boden unter unseren Sohlen wurde immer ebener. Karmina blieb stehen und ließ den Strahl ihrer Lampe in die Richtung streifen, aus der wir kamen. Es war verwir rend zu sehen, daß wir uns auf einem nur sanft geneigten Hang befanden, während wir vor kurzem noch geglaubt hatten, eine fast senkrechte Wand emporzuklimmen. Den Boden der Halle allerdings erreichte der Lichtkegel nicht mehr, so daß wir uns an seinem Anblick nicht orientieren konnten. Während wir weiterschritten, ging der Eindruck, daß wir uns auf einer irgendwie geneigten Fläche befänden, vollends verlo ren. Die Vorsprünge und Erker, die zuvor waagrecht aus der Wand hervorgetreten wa ren, hatten nun das Aussehen von Türmen und Mauern, die senkrecht aus dem Boden wuchsen. Wir befanden uns in einem Irrgar ten voll fremder Formen und Gestalten, und wenn es uns darauf angekommen wäre, den Weg wieder zurück zu finden, hätten wir er hebliche Mühe darauf verwenden müssen, unseren Kurs zu markieren. Plötzlich hörte ich seitwärts in der milchi gen Halbfinsternis ein scharrendes Ge räusch. Ich sah auf und gewahrte den matt schimmernden Leib eines Flügeltieres. Es war hinter einem der Mauerstücke hervorge kommen und hatte dabei das Scharren verur sacht. »Wir werden beobachtet!« sagte ich. Das Flügeltier bewegte sich parallel zu unserem Kurs. Es hielt ständig den gleichen Abstand und schritt mit der gleichen Ge schwindigkeit wie wir. Weiter im Hinter grund sah ich von Zeit zu Zeit leuchtende Punkte auftauchen … die Augen weiterer
Tiere, die uns beobachteten. Anscheinend befanden wir uns nach ihrer Ansicht auf dem richtigen Pfad. Ich war nahezu sicher, daß sie sich uns entgegenstellen würden, so bald wir versuchten, zur Seite hin auszuwei chen. Wir hielten die Waffen schußbereit. Ich befürchtete zwar, daß unsere Strahler die Flügeltiere ebensowenig beeindrucken wür den, wie den Riesenkäfer. Aber falls die ge flügelten Wesen uns angriffen, wollte ich es wenigstens auf einen Versuch ankommen lassen. Ich war so mit den fremdartigen Geschöp fen beschäftigt, daß ich erst spät bemerkte, wie das Gelände enger zu werden begann. Eine nahezu ununterbrochene Wand aus kaum bearbeitetem Felsgestein näherte sich uns von der rechten Seite her, und zur Lin ken sah es ähnlich aus. Als Karmina ihre Lampe aufblitzen ließ, glaubte ich, weit vor ab einen Punkt zu erkennen, an dem die bei den Wände aufeinandertrafen und uns den Weg versperrten. Wir blieben stehen. »Das hat keinen Sinn«, meinte Karmina. »Dort vorne ist der Weg zu Ende.« »Willst du etwa umkehren?« fragte Ra. »Die Flügeltiere werden dir den Weg ver sperren.« »Das muß ausprobiert werden!« erklärte ich. Ich wandte mich um, ging langsam und vorsichtig ein paar Schritte den Weg zurück, den wir gekommen waren. Sofort geriet die Welt ringsum in Bewegung. Leises Rascheln und Scharren verriet, daß ganze Horden von Flügelwesen aus der Finsternis auf mich zu kamen. Die irisierenden Reflexe ihrer Augen wurden größer und heller, mattschimmernde, schlanke Leiber tauchten aus dem silbri gen Halbdunkel auf. Die Flü geltiere for mierten sich zu einem vielfach gestaffelten Wall, der uns den Weg abschnitt. »Genau, wie ich sagte«, bemerkte Ra. Ich blieb stehen. Wenn meine Vermutung richtig war, daß die Flügeltiere die Aufgabe hatten, uns einen bestimmten Weg zu wei
Das Geheimnis von Perpandron sen, dann mußte es dort hinten, wo die bei den Felswände zusammentrafen, irgendwie weitergehen. Erwies sich meine Vermutung jedoch als falsch, so war es dann immer noch an der Zeit, die Entschlossenheit der fremdartigen Wesen zu prüfen und heraus zufinden, ob unsere Energiestrahler sie wirk lich nicht beeindruckten. Ich kehrte zu Ra und Karmina zurück. »Wir gehen in der ursprünglichen Rich tung weiter«, entschied ich.
* Aus der Nähe entpuppte sich das Aufein andertreffen der beiden Felswände in der Tat als optische Täuschung. Die beiden Wände kamen, eine von rechts, eine von links, ein ander bis auf knapp zwei Schritte nahe. Von da an verliefen sie parallel und bildeten eine Art nach oben offenen Ganges, in dem es al lerdings völlig finster war. Unsicher blieben wir zunächst stehen. Die Geflügelten waren ein Stück weit hinter uns zurückgeblieben, aber sie versperrten uns nach wie vor den Rückweg. »Worauf warten wir?« fragte Ra ungedul dig. Mir war der finstere Gang irgendwie nicht geheuer. Der Extrasinn meldete sich nicht, also gab es keinen logischen Grund, warum ich mich vor der Finsternis fürchten solle. Es war mehr eine Ahnung drohender Gefahr, die mich erfüllte. Seitdem ich aber auf Lar gamenia für das Bestehen aller Prüfungen mit der Aktivierung des zusätzlichen Be wußtseinssektors belohnt worden, war, hatte ich mir angewöhnt, auf undeutliche, diffuse Ahnungen nicht mehr zu achten. Wozu auch? Dank dem Extrasektor überstieg die Wahrnehmungsfähigkeit meines Bewußt seins bei weitem die jedes normalen Ge hirns. Es gab keinen Grund mehr, weshalb ich mich an Ahnungen halten sollte! Also schritt ich weiter. Im selben Augen blick aber begannen die Ereignisse sich zu überstürzen. Das erste, was ich wahrnahm, war ein gefährliches, zischendes Geräusch
27 aus der Dunkelheit vor mir. Karminas Lam pe flammte auf. Ich sah eine Wolke giftgrü nen Gases, die mir aus dem finsteren Gang entgegenquoll, und hinter der Gaswolke ge wahrte ich undeutlich die Umrisse eines Rie senkäfers. Blitzschnell riß ich den Helm über den Kopf und schloß ihn am Hals, noch bevor der grüne Brodem mich erreichte. Ein armdicker Energiestrahl fauchte seitlich an mir vorbei und packte das käferähnliche Un geheuer. Es war Ra, der geschossen hatte – impulsiv, wie er sich manchmal verhielt. Der Riesenkäfer war in Bewegung geraten und kam auf uns zu. Auch Ra und Karmina hatten mittlerweile ihre Helme geschlossen. Die grüne Giftgaswolke hüllte uns ein, konnte uns aber nichts mehr anhaben. Der Käfer begann unter dem ständigen Beschuß, von innen heraus zu glühen. Er ist verwundbar, wenn er nur lange ge nug unter Feuer steht! signalisierte mein Ex trasinn. Ich reagierte rasch. Mein Strahler trat ebenfalls in Tätigkeit. Verbissen hielt ich den Auslöser niedergedrückt, und der grelle Energiestrahl spielte über die Rückenpanze rung des käferartigen Monstrums. Der Käfer hielt schließlich inne. Er war jetzt fast weißglühend, und es erschien mir unverständlich, warum er nicht schon längst verbrannt oder zerflossen war. Immerhin schien er das energetische Bombardement nicht auf die Dauer aushalten zu können. Ich sah, wie er sich zusammenkrümmte … und dann, ehe ich mich's versah, sprang er in die Höhe. Ich wich instinktiv zurück, weil ich einen Angriff befürchtete. Der Käfer aber schoß weit in die Höhe, über die Begren zung der beiden Felswände hinaus, von in nen heraus leuchtend wie eine gigantische Lampe. Er schien flugfähig zu sein. Ich sah, wie er seitwärts abtrieb und wie unter den Flügeltieren, die hinter uns lauerten, Unruhe entstand. Dort, wo der glühende Käfer ihnen nahe kam, wichen sie hastig zurück, als fürchteten sie sich vor ihm. Ich sah einige von ihnen das flügelähnliche Netzwerk ent falten und flatternde Bewegungen machen,
28 als wollten sie sich in die Luft erheben und vor dem leuchtenden Gegner fliehen. Diese Beobachtung faszinierte mich. Sie bewies, daß es unter den fremdartigen Be wohnern dieser unterirdischen Stadt zwei Gruppen gab, die einander feindselig gegen überstanden: die Riesenkäfer und die Flügel tiere. Die letzteren schienen in der Überzahl, aber die Käfer waren offensichtlich die mächtigeren. Der glühende Käfer verschwand schließ lich aus meinem Gesichtskreis. Die giftgrü ne Gaswolke hatte sich verzogen. Als ich den Helm öffnete, gewahrte ich nur noch einen schwachen, üblen Geruch, den das Gas zurückgelassen hatte. Karminas Lampe leuchtete in das Dunkel vor uns. Ich fragte mich, warum der Riesenkäfer uns hier auf gelauert hatte. Es ist zu fragen, wer dir wohl will, melde te sich der Extrasinn: Die Flügeltiere oder die Riesenkäfer! Ich konnte die Berechtigung einer solchen Frage zunächst nicht erkennen. Bei beiden Begegnungen waren die Riesenkäfer uns feindlich gegenübergestanden. Die Flügel tiere dagegen hatten sich bislang darauf be schränkt, uns aus der Entfernung zu beob achten. Das mag an der Natur der Begegnung lie gen, warnte der Extrasinn meines Bewußt seins. Es kann sein, daß die Riesenkäfer dich davon abhalten wollten, in eine gefährliche Richtung zu gehen. Beim Gedankenaustausch zwi,schen mei nem Normalbewußtsein und dem Extrasinn erhob sich niemals wirklich die Frage, wer von beiden recht hatte. Es war immer der Extrasinn. Zu fragen war lediglich, ob das Normalbewußtsein der Logik des Extrasek tors zu folgen vermochte. Ich nahm mir vor, äußerste Vorsicht wal ten zu lassen. Ra hatte sich inzwischen schon einige Schritte weit in den finsteren Gang hineingeschoben. Ich riet ihm, behut sam zu sein. Zu beiden Seiten wuchsen die Felswände immer weiter in die Höhe. Kar minas Lampe reichte nicht mehr bis dorthin,
Kurt Mahr wo sie endeten, und wir konnten nicht er kennen, ob sich inzwischen womöglich schon eine Decke über unseren Köpfen ge bildet hatte. Wir gingen etwa zweihundert Schritte, dann wichen die beiden Wände auf einmal wieder auseinander. Ich sah mich um. Die Flügeltiere waren uns nicht weiter gefolgt. Ich sah nur noch ihre glitzernden Augen, weit hinten, jenseits der Stelle, an der die beiden Felswände den Gang zu formen be gannen. Sie erweckten den Eindruck von Geschöpfen, die ihre Aufgabe erfüllt hatten: sie hatten uns auf den richtigen Weg ge bracht. Die Wände umschlossen nun ein Rund von etwa achtzig Schritten. Karminas Lampe erhellte den Kreis bis in den letzten Winkel. Auf der anderen Seite des Runds führte der Gang weiter. Der Bo den war eben und ohne Hindernisse. Ra schickte sich an, den Kreis zu durchqueren … da gewahrte ich das leise Flimmern! Es lag über dem Boden in der Mitte des Runds wie eine dünne Schicht heißer Luft. Man mußte schon genau hinsehen, um es überhaupt wahrzunehmen. Fast hatte Ra es schon erreicht. »Zurück!« schrie ich. »Halt an, Ra!« Er gehorchte sofort. Es mußte etwas im Klang meiner Stimme gewesen sein, das ihn bewog, ohne Frage zu gehorchen. »Tritt zurück!« befahl ich ihm. Vorsichtig bewegte er sich rückwärts. Ich schraubte die Überreste der zerbrochenen Lampe vom Brustteil meiner Montur, einen flachen Kasten, der die Kernzerfallbatterie enthielt, und den verbogenen zersplitterten Reflektor. Weit ausholend schleuderte ich die Reste von mir. Sie fielen in hohem Bogen gegen die Mitte des Raums. Wie hypnotisiert folg te ihnen mein Blick. Was dann geschah, hat te ich weit im Hintergrund meines Bewußt seins fast schon geahnt, aber in seiner Wucht und Intensität nicht annähernd richtig einge schätzt. Der Boden flammte plötzlich auf. Eine
Das Geheimnis von Perpandron wabernde Feuerwand schoß in die Hohe. Ein trockener, harter Knall betäubte mein Gehör. Eine brühendheiße Druckwelle packte mich und schleuderte mich dorthin zurück, woher ich gekommen war. Ich prallte gegen einen Felsvorsprung, verlor wohl für ein oder zwei Augenblicke das Bewußtsein und kam schließlich taumelnd wieder auf die Beine. Jemand schrie. Das war Ra. Der Luft druck hatte ihn ebenfalls gegen den Felsen geschleudert, mit der verwundeten Schulter voran. Karmina hatte die Explosion aufrecht über standen. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie in die Mitte des Runds. Ich drehte mich um. Da, wo vor wenigen Augenblicken noch fester Boden zu sein schien, gähnte jetzt ein finsteres Loch. Das Flimmern war verschwunden. Das Energie feld, das die Festigkeit des Bodens vorge täuscht hatte und dessen Aufgabe es gewe sen war, sich im Augenblick des Kontakts aufzulösen und seinen Energiegehalt zu ei ner Explosion zu ballen, die uns verschlang … das Energiefeld existierte nicht mehr. Wir waren um ein Haar dem Tod entgan gen. Und wir wußten nun, welche Gruppe der Bewohner dieser unheimlichen, unterirdi schen Stadt auf unserer Seite stand! Wir halfen Ra auf die Beine. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, die Haut fast grau. Aber er gab keinen Wehlaut von sich. »Sie haben uns in die Falle locken wollen, nicht wahr?« knurrte er zwischen fast auf einandergebissenen Zähnen hindurch und blickte dorthin, wo die schillernden Augen der Flügeltiere zu sehen waren. Plötzlich riß er sich los. Einen donnernden Kampfschrei ausstoßend, rannte er den Gang entlang, durch den wir gekommen wa ren. Ich sah seinen Strahler aufleuchten, den dicken Energiestrahl fauchend mitten unter die Horde der Flügeltiere hineinfahren. Der Erfolg war verblüffend. Es gab eine Serie knallender Explosionen. Die Flügelge schöpfe erwiesen sich als weitaus weniger widerstandsfähig als die Riesenkäfer. Sobald der Energiestrahl sie erfaßte, lösten sie sich
29 auf und detonierten. Karmina und ich liefen hinter dem Barba ren drein. Wir fürchteten um seine Sicher heit; aber es stellte sich heraus, daß er wohl in der Lage war, für sich zu sorgen. Mit großer Kampfeswut trieb er die Flügeltiere zu Dutzenden vor sich her. Immer und im mer wieder fand der fauchende Energie strahl seiner Waffe ein neues Opfer und ver nichtete es. Das ging so lange, bis die flüch tenden Geschöpfe endlich die Flügel entfal teten und davonschwebten … schneller, als Ra ihnen zu Fuß zu folgen vermochte. Keuchend, aber mit leuchtenden Augen blieb er stehen. Als wir ihn einholten, wand te er sich zu uns um und stieß hervor: »So schnell wird uns kein Flügellöwe mehr in die Quere kommen!« Ich teilte seinen Optimismus nicht; aber ich schwieg vorerst. »Wohin nun?« fragte Karmina. »Dorthin zurück, woher wir kommen«, entschied ich. Sie musterte mich erstaunt. »Wo es uns um ein Haar an den Kragen gegangen wäre?« »Ja. Es ist denkbar, daß uns die Falle nur deswegen gerade dort gestellt wurde, weil wir uns einem kritischen Teil der unterirdi schen Anlage näherten.« Sie lächelte. »Das ist pure Ahnung, nicht wahr?« »Kaum mehr«, gab ich zu. Wir kehrten zurück. In der Mitte des Runds gähnte das Loch uns tückisch entge gen. Aber am Rand gab es genug natürlich gewachsenes Gestein, so daß es uns nicht schwerfiel, das Loch zu umgehen. Auf der anderen Seite – dort, wo die beiden Fels wände wieder zueinander drängten und nur einen schmalen Korridor freiließen – hielten wir an. Die vergangenen Stunden waren an strengend gewesen. Wir hatten die Ruhe verdient. Nebeneinander hockten wir uns auf den Boden. »Wir wissen jetzt annähernd, woran wir sind«, sagte ich. »Es gibt zwei Sorten Be wohner dieser unterirdischen Stadt: die Rie
30 senkäfer und die Flügeltiere. Die Flügeltiere haben offenbar die Aufgabe, uns in eine Richtung zu lenken, auf der wir ins Verder ben gehen.« Ra grinste – trotz der Schmerzen, die die verletzte Schulter ihm ohne Zweifel noch bereitete. »Sie werden nichts dergleichen mehr ver suchen!« verkündete er. »O doch«, widersprach ich ihm. »Wir sind vor den Flügeltieren noch lange nicht sicher.« Er bekam große Augen und starrte mich fragend an. »Sie können über ihr Geschick nicht frei entscheiden«, klärte ich ihn auf. »Sie sind Automaten … Roboter!« Auch Karmina war erstaunt. »Schaut euch die Riesenkäfer an!« sagte ich. »Es gibt kein bekanntes organisches Material, das den Energien unserer Waffen standhalten kann. Und es gibt kein organi sches Lebewesen, das selbst in weißglühendem Zustand noch zu funktionieren vermag. Also müssen die Riesenkäfer Roboter sein, die aus ungeheuer widerstandsfähigem Ma terial bestehen.« Das sahen sie ein. »Aber die Flügeltiere …?« fragte Karmi na zweifelnd. »Was geschieht, wenn du mit einem Ener giestrahler auf ein Tier schießt?« antwortete ich ihr mit einer Gegenfrage. Noch bevor sie darauf reagieren konnte, gab ich mir die Antwort selbst. »Es verbrennt. Von einem Augenblick zum anderen verwandelt es sich in eine lodernde Flamme. Übrig bleiben nur Rauch und Asche. Die Flügeltiere aber? Sie explodierten. Ich nehme an, daß sie irgendwo im Innern ihres Leibes einen Treibstoff behälter tragen. Den Treibstoff verwandeln sie mit Hilfe irgendeines Konverters in die Energie, die sie brauchen, um sich zu bewe gen. Diesen Behälter haben Ras Salven ge troffen – darum explodierten die Geflügel ten!« Beide – Ra und Karmina – schwiegen und überdachten meine Worte. Ich wollte sie da-
Kurt Mahr bei nicht stören; aber schließlich währte mir die Stille zu lange. »Für uns ergibt sich damit die Frage«, er gänzte ich, »von wo aus die Maschinenwe sen gesteuert werden.« »Wenn überhaupt«, wandte Karmina ein. »Es könnte sein, daß sie vorprogrammiert sind und eine eigene Intelligenz besitzen.« »Die Möglichkeit besteht«, gab ich zu. »Eigene Intelligenz traue ich den Riesenkä fern allerdings eher zu als den Flügeltieren. Ihr Verhalten macht auf mich mehr den Ein druck, als würden sie dirigiert.« Sie dachte nach. »Gesetz den Fall, es gäbe wirklich eine Art Steuerzentrale«, sagte sie schließlich. »Wie könnten wir sie finden? Einfach, in dem wir unsere Suchefortsetzen?« »Ich dachte an zwei Methoden«, antwor tete ich. »Vorausgesetzt, die Steuerung funktioniert auf derselben Basis wie unsere Sprechgeräte, dann könnten wir unsere Ge räte so modifizieren, daß wir die Steuersi gnale damit anpeilen können.« Karmina hatte Falten auf der Stirn. »Ra und ich verstehen davon nichts. Du etwa?« »Ein wenig«, sagte ich. »Gerade genug, um die Geräte zu modifizieren.« Nach einer Weile des Schweigens melde te sich Ra wieder zu Wort. »Du sprachst von zwei Methoden. Wel ches ist die zweite?« »Wir waren bislang zu einseitig in unserer Suche.« »Zueinseitig …?« »Wir haben – mit Ausnahme des Auf stiegs über die Wand – immer nur in einer Ebene gesucht. Ich bin fast überzeugt, daß diese Stadt aus vielen Ebenen besteht. Wir müssen also aufhören, uns nur in der Waa gerechten zu bewegen. Wir müssen die Schächte untersuchen, die es hier überall gibt.« »Und im Treibsand ersticken?« fragte Karmina verwundert. »Ich habe bislang angenommen, daß alle Schächte mit Treibsand gefüllt sind«, be
Das Geheimnis von Perpandron kannte ich. »Aber nach etlichem Nachden ken erscheint mir diese Vermutung nicht mehr sonderlich sinnvoll. Ich meine, daß wir uns hier im inneren Kern der alten Stadt be finden. Der Stollen, durch den wir eindran gen, als wir von den Goltein-Heilern ver folgt wurden, ist der Zugang von außen. Die Erbauer der Stadt wollten nicht, daß jeder mann, der zufällig den Stollen entdeckte, auch in die inneren Bezirke gelangen könne. Deswegen füllten sie die Schächte, die von den Außenbezirken herabführen, mit Treib sand. Denn wenn ich mir die Sache genau überlege, kann der Sand unmöglich auf na türlichem Wege in den Schacht gelangt sein, in dem ich steckenblieb.« Sie sah mich mit aufmerksamen Augen an. »Das klingt plausibel … aber es ist nur ei ne Vermutung!« gab sie zu bedenken. Ra gab einen Laut der Ungeduld von sich. »Ihr redet und redet …!« klagte er. »Laßt uns statt dessen etwas tun! Mein Anzug ist flugtauglich. Ich übernehme es, den näch sten Schacht zu untersuchen!« »Falls er nicht mit Treibsand gefüllt ist«, warnte ich ihn. Immerhin war ich ihm dankbar für seine Bereitwilligkeit. Am Anfang, als wir die un terirdische Anlage betraten, hatte er sich vor den unbekannten Gefahren der Unterwelt gefürchtet. Die kreatürliche Furcht des Pri mitiven hatte von ihm Besitz vergriffen. Jetzt jedoch war er wieder der alte, impulsi ve Draufgänger. Er hatte die Angst über wunden, und an seiner Statt empfanden nun wir »Zivilisierten« Beklommenheit. Ich hät te nicht zugelassen, daß Karmina dieses Wagnis unternahm, und ich selbst, meinte ich, müsse zurückbleiben, um die Expediti on in die unbekannten Tiefen eines der Schächte zu koordinieren. Ich hatte eine merkwürdige Idee über die topologische Beschaffenheit dieser unterir dischen Stadt entwickelt. Ra sollte feststel len, ob die Idee richtig war oder nicht.
*
31 Wir drangen weiter in den engen Gang vor. Ich wollte mich nicht allzuweit von die sem Teil der unterirdischen Stadt entfernen; denn ich war noch immer nahezu sicher, daß die Falle eben dort gestellt worden war, weil wir uns einem kritischen Teil der Anlage nä herten. Daher war ich einigermaßen erleich tert, als der Gang sich schon nach wenigen Dutzend Schritten abermals zu weiten be gann und in eine Halle von derselben Art mündete, wie wir sie nun schon mehrfach kennengelernt hatten. Wir schritten die linke Seitenwand ab, stöberten in Nischen und Buchten und fanden schließlich, Seite an Seite, insgesamt drei kreisrunde Schächte, aus denen mattes, diffuses Licht zu uns her aufdrang. Am Rand eines der Schächte knieten wir nieder und versuchten, zunächst nur mit Hil fe der Augen zu erkunden, wa Ra erwartete, wenn er dort hinabzutauchen wagte. Der Anblick des Schachtes glich für meine Be griffe bis in die letzte Einzelheit dem der mit Treibsand gefüllten Röhre, in der ich um ein Haar zerquetscht worden wäre. Aber das hing mit dem silbrigen Licht zusammen, das durch den Schacht heraufdrang. Es ließ kei nerlei Konturen erkennen, keinerlei Entfer nungen abschätzen. Wir suchten nach abgebrochenen Fels stücken, die wir in den Schacht hinabwerfen konnten. Aber auch dies war eines der Rät sel der unterirdischen Stadt: Nirgendwo gab es auch hier die geringste Spur von Zerfall. Der Boden der Halle war staubfrei, als wä ren hier tagaus, tagein Hunderte von Reini gungsmaschinen tätig, und ein herabgefalle nes Stück Stein war einfach nicht zu finden. »Ich habe eines …«, knurrte Ra. Aus einer der Taschen seiner Montur brachte er einen klobigen Gegenstand zum Vorschein. Ich erkannte ihn wieder: ein selt sam geformtes Stück aus leichtem, vulkani schem Gestein, das er irgendwann in der Vergangenheit auf einem fremden Planeten einmal aufgeklaubt hatte, weil es einer der Götzengestalten seiner Heimat ähnelte. Seit dem hatte er den Stein als Talisman mit sich
32 herumgetragen. Ich wusste, daß er ihm eini ge Bedeutung beimaß, und empfand Dank barkeit angesichts des Opfers, das er in die sem Augenblick brachte. Gespannter haben wohl noch niemals drei Augenpaare den Fall eines einfachen Steines verfolgt. Wir lagen flach auf dem Boden und reckten die Hälse so weit wie möglich über den Rand des Loches hinaus. Karmina hatte ihre Lampe eingeschaltet, aber das milchige Licht innerhalb des Schachtes schien den Lichtkegel schon nach kurzer Entfernung einfach zu verschlingen. Der Stein fiel – merkwürdig langsam, wie mir schien. Vielleicht täuschte ich mich, vielleicht aber gab es auch im Innern des Schachtes einen Aufwind. Immerhin handel te es sich um ein spezifisch ziemlich leichtes Stück Gestein. Der Stein sank … und sank … und wurde kleiner. Wir verfolgten seinen Sturz etwa zwanzig oder dreißig Schritte weit – wie gesagt: Entfernungen ließen sich im Innern des Schachtes nur mit Mühe schätzen. Dann verloren wir unser Testobjekt aus den Augen. Wir horchten noch eine ganze Zeitlang; aber es drang kein Geräusch aus der Tiefe des Loches. Ra stand auf. Er wirkte entschlossen. »Treibsand gibt es hier nicht!« entschied er. »Ich gehe!« »Es ist wichtig, daß du keinen Augenblick lang die Sprechverbindung mit uns unter brichst!« warnte ich ihn. »Das weiß ich!« knurrte er. Er überprüfte das Flugaggregat. Es funk tionierte einwandfrei. Auf dem Kissen des künstlichen Schwerefeldes erhob er sich ein paar Fuß weit in die Höhe und schaltete die Korrekturdüsen ein, um den Kurs kontrollie ren zu können. Dann steuerte er mitten über die Schachtöffnung. Als er die Intensität des Schwerefeldes verringerte, begann er zu sin ken. Mit angehaltenem Atem ließen wir unsere Blicke ihm folgen. Er sank noch langsamer als der Stein. Ich sah, wie er den Arm hob, um in das Funkgerät zu sprechen. Im selben
Kurt Mahr Augenblick drang es aus meinem Empfän ger: »Es ist ganz gemütlich hier! Keine Spur von Treibsand!«
* Der Barbar meldete sich in regelmäßigen Abständen. Der Schacht, durch den er sank, passierte mehrere Etagen der unterirdischen Stadt. Eine Halle wie die, in der wir auf sei ne Rückkehr warteten, bekam er allerdings nicht zu sehen. Die Schichten, die er durch drang, waren nur wenige Schritte mächtig … zumeist Gänge wie der, aus dem wir ka men, mit einem Schachtloch in der Decke und einem weiteren im Boden. Ra versuchte, die Entfernungen zu schätzen. So kamen wir darauf, daß die einzelnen Schichten oder Etagen rund zehn Schritte voneinander ent fernt waren und daß der Barbar auf seinem Flug in die Tiefe bislang eine Strecke von etwa zweihundert Schritten zurückgelegt hatte. Er fühlte sich noch immer wohl und war bislang auf keine einzige Gefahr gestoßen. Das beruhigte uns. Karmina wurde das Sit zen am Rand des Schachtes zu unbequem. Sie stand auf und ging ein paar Schritte. Da bei hatte sie die Lampe eingeschaltet. Der Lichtkegel wandte sich hier und dorthin und brach sich manchmal schwach in der weit entfernten gegenüberliegenden Wand der Halle. Meine phantastischen Ideen über den to pologischen Aufbau der unterirdischen Stadt rührten in der Hauptsache von zwei Beob achtungen her. Da war erstens das merkwür dige Empfinden, daß »oben« und »unten« vertauscht worden seien, als ich aus dem Treibsand befreit wurde und mich in der kleinen Schleusenkammer aus den Sandre sten hervorarbeitete. Und zweitens unsere eigenartige Kletterpartie durch die Wand der Halle, in der Ra um ein Haar ein Opfer eines Irrtums geworden wäre – eine Kletterpartie, die in Wirklichkeit keine war, da die Wand, kaum daß wir sie in Angriff genommen hat
Das Geheimnis von Perpandron ten, sich in eine waagrechte Fläche verwan delte. Ich war bereit zu glauben, daß die Erbauer dieser uralten Stadt ebensoviel von künstli chen Schwerefeldern verstanden hatten, wie die arkonidische Technologie unserer Tage. Es gab siedlungstheoretische Ideen, wie man auf Welten, auf denen es an Raum mangelte, unterirdische Städte mit Hilfe künstlicher Schwerefelder so anlegen konnte, daß sie ein Maximum an Wohn und Lebensfläche boten, ohne mehr als ein Minimum an Volu men zu beanspruchen. Ich fragte mich, ob diese alte Stadt nach denselben oder ähnli chen Vorstellungen erbaut worden sei. Meine Nachdenklichkeit wurde gestört. Ra meldete sich aus dem Empfänger meines Sprechgeräts. »Jetzt sieht es plötzlich anders aus«, sagte er. »Ich glaube, ich nähere mich dem Mittel punkt dieser Stadt … der Schacht wird wei ter … milchiges Licht … sehr verwirrend … ich sehe die Wände nicht mehr … die Orien tierung …« Seine Stimme wurde plötzlich undeutlich. Angst packte mich. »Ra, kehr um!« rief ich. »Ra … hörst du mich?« Karmina war herbeigekommen, als sie den erregten Wortwechsel hörte. Ihre Lampe brannte noch immer. »Ra … hörst du mich?« wiederholte ich. Als ich auch diesmal keine Antwort er hielt, war ich sicher, daß er sich in ernsthaf ter Gefahr befand. Ich stand auf und über prüfte die Kontrollen meines Flugaggregats. »Was hast du vor?« fragte Karmina auf geregt. »Ich muß ihm nach. Ich kann ihn nicht …« Da kam es plötzlich aus meinem Empfän ger: »Ich höre dich ganz deutlich! Warum schreist du so?« Es war unverkennbar Ras Stimme. Das Gefühl der Erleichterung war so massiv, daß ich zu zittern begann. »Du Narr!« schrie ich ihn an. »Warum
33 meldest du dich nicht, wenn man nach dir ruft?« »Ich war ein wenig durcheinander«, ant wortete er. »Dieser weite Raum, das merk würdige Licht. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Am anderen Ende des Raumes setzt der Schacht sich fort. Ich sinke wei ter!« Dann kamen eine Zeitlang wieder die üb lichen Meldungen: Schicht auf Schicht, Eta ge auf Etage, immer nur schmale, verhältnis mäßig niedrige Gänge. Ich rechnete aus, daß Ra jetzt schon eine Drittelmeile von uns ent fernt war. »Wie ist die Temperatur?« fragte ich. »Spürst du, daß es wärmer wird?« »Nein«, antwortete er. »Die Temperatur bleibt gleich. Wenigstens spüre ich keine Er wärmung. He …!« Er mußte etwas Überraschendes wahrge nommen haben. »Was … he?« fragte ich. »Ich bin in einer Halle!« rief er erregt. »Ein riesiger Raum! Und ein Licht ist da …!« »Was für ein Licht?« forschte ich. »Ein greller Lichtpunkt, ziemlich weit von mir entfernt. Eine Art Lampe, denke ich.« »Ra, halt an!« befahl ich ihm. »Was …?« »Du sollst anhalten!« »Ich gehorche«, antwortete er. »Ich schwebe drei Schritte über dem Hallenbo den. Was soll ich tun?« »Bewege dich vorsichtig in Richtung des Lichtpunkts!« trug ich ihm auf. »Ich tue es«, hörte ich ihn sagen. »Ich ha be die Waffe schußbereit.« »Sei vorsichtig mit der Waffe!« warnte ich. »Irrtümer können tödlich sein!« »Du sagst es, Kristallprinz. Die Schulter schmerzt noch immer!« Ich wandte mich an Karmina. »Bleib so stehen, wie du stehst!« bat ich sie. »Bewege dich nicht!« Sie sah mich erstaunt an. »Was gibt es? Was hast du vor?«
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Kurt Mahr
»Du wirst ein Wunder erleben«, antworte te ich. Ich war meiner Sache mittlerweile völlig sicher. Und daß ich recht hatte, bewies mir ein leise summendes Geräusch, das im Hin tergrund der Halle entstanden war und all mählich lauter wurde, während es auf uns zukam. »Da kommt etwas!« sagte Karmina. »Ich weiß«, beruhigte ich sie. Winzige Lichtpunkte wurden sichtbar, die Flammen der Steuerdüsen eines Flugaggre gats. Karmina verlor für einen Augenblick die Beherrschung und schwenkte herum. Der Lichtkegel ihrer Lampe erfaßte ein dun kelhäutiges, in arkonidische Flottenmontur gekleidetes Geschöpf, das sich in einer Höhe von etwa drei Schritten auf uns zubewegte und einen schußbereiten Strahler in der Hand hielt. »Nicht schießen, Ra …!« schrie ich. Der Barbar war so überrascht, daß er sein künstliches Schwerkraftfeld zu rasch ab schaltete und wie ein Stein zu Boden plump ste.
* »Wir wissen jetzt etwas über den Aufbau dieser unterirdischen Stadt«, sagte ich. Wir saßen am Rand des Schachts, in dem Ra vor geraumer Zeit unseren Blicken ent schwunden war. Ra aber saß zwischen Kar mina und mir … immer noch überzeugt, daß er die ganze Zeit über nur gesunken war und daß es keinen vernünftigen Grund gebe, weshalb* er plötzlich wieder unter uns sein sollte. »Die Anlage benützt künstliche Schwere felder«, fuhr ich fort. »Die Etagen oder Schichten, die Ra durchquert hat, haben in Wirklichkeit die Form von Kugelschalen … oder wenigstens annähernd diese Form. Das künstliche Schwerefeld hat einen Vektor, der senkrecht zur Oberfläche der Kugelscha len verläuft. Da durch wird überall normale Schwerkraft vorgetäuscht. Ein Mensch, der einen vermeintlich geradlinigen Gang ent-
langmarschiert, kehrt nach gewisser Zeit wieder an seinen Ausgangspunkt zurück.« Ra und Karmina dachten darüber nach. Ra, das sah ich deutlich, hatte Verständnis schwierigkeiten. »Aber wozu ist so etwas gut?« fragte Kar mina, halb verzweifelt. »Man kommt mit wenig Volumen aus«, antwortete ich. »Auf der Oberfläche von Kugelschalen erzielt man mehr Wohnfläche pro Volumeneinheit als auf Ebenen, die waagrecht übereinander liegen. Die Erbauer dieser Stadt hatten entweder von Natur aus das Bedürfnis, mit möglichst wenig inner planetarischem Volumen auszukommen, oder sie wollten sich die Mühe ersparen, mehr Gestein als unbedingt notwendig zu bewegen.« »Und was ist mit mir geschehen?« fragte Ra, der das Rätsel noch immer nicht durch schaute. »Dieser Schacht hier durchschneidet die Kugelschalen«, versuchte ich, ihm den Zu sammenhang zu erklären. »Von hier aus ge langst du auf dem geradesten Weg in den Mittelpunkt der großen Kugel, die diese Stadt bildet. Irgendwo in der Nähe des Mit telpunkts muß es eine Art Verteiler geben … den weiten Raum mit dem merkwürdigen Licht, in dem du die Orientierung verloren hast. Du triebst aufs Geratewohl weiter und gelangtest durch Zufall in einen anderen Schacht, der ebenfalls in dieser Halle endet. Du mußt mit den Füßen voran hier ange kommen sein, nicht wahr?« Er versuchte, sich zu erinnern. »Ja, das stimmt«, gab er zu. »Zuerst schi en es unerheblich. Ich dachte, ich sei in der Decke einer Halle ausgetreten und es müsse im Boden eine Fortsetzung des Schachtes geben. Das Licht klebte ebenfalls unter der Decke. Als ich näherkam, sah ich zwei Ge stalten … euch. Da merkte ich, daß ich die falsche Orientierung hatte und machte eine Wendung.« »Das erklärt den Fall«, sagte Karmina. »Warum aber gibt es in der Decke über uns keine Schachtöffnungen?«
Das Geheimnis von Perpandron »Weil wir uns auf der äußersten Kugel schale befinden«, antwortete ich. »Von hier aus führen die Wege nur nach unten.« »Und der Schacht mit dem Treibsand …?« »Gehört nicht eigentlich zur Anlage der Stadt. Er ist ein Zugang von außen und en det etwa in der Höhe der äußersten Schale.« Damit war meine Theorie komplett. Ob sie richtig war, würde die Zeit weisen. Mir war klar, was wir als nächstes zu tun hatten. Wir wollten nach oben … in die Höhe, ins Freie. Unser Weg jedoch führte paradoxer weise zuerst in die Tiefe. Ich war sicher, daß es im Zentrum der Stadt eine Art Kontroll zentrum geben müsse. Wenn überhaupt ir gendwo, dann würden wir dort erfahren kön nen, wo der Weg in die Freiheit entlangführ te.
* Vorerst war unser Vorstoß alles andere als abenteuerlich. Wir sanken langsam durch den weiten Schacht, dessen Wände glatt und ohne Unebenheiten waren. Hier herrschte dieselbe Art silbriger Halbhelligkeit wie oben in der Halle. Der Schacht erschien nur deswegen von oben her lichterfüllt, weil die glatten Wände jedes Lichtteilchen vielfach reflektierten und schließlich in die Höhe warfen. Früher mußte es hier ein künstliches Schwerefeld gegeben haben, überlegte ich. Die Schächte gehörten mit zum Straßensy stem der unterirdischen Stadt. Ein paar Minuten vergingen, bis wir die Verdickung des Schachtes erreichten, von der Ra gesprochen hatte. Ich konnte ihm kei nen Vorwurf machen: die Lichtverhältnisse hier unten waren in der Tat so verwirrend, daß der menschliche Verstand im Nu die Orientierung verlor. Ich allerdings hatte nicht die Absicht, mich auf dieselbe Weise durcheinander bringen zu lassen, wie der Barbar. Ich regulierte das künstliche Schwe refeld des Flugaggregats so niedrig, daß ich nicht ganz, aber fast in freiem Fall dem Sog der natürlichen Schwerkraft folgte.
35 »Bleibt in meiner Nähe!« rief ich Ra und Karmina zu. Ein Stück hellgrauer, glatter Wand kam mir entgegen. Ich streckte die Beine voraus und fing den Aufprall mit federnden Knien ab. Die Wand bot mir jedoch keinen Halt. Sie war ziemlich steil und besaß nichts, wor an ich mich hätte klammern können. Ich rutschte in die Tiefe, und meine beiden Be gleiter rutschten mit mir. Die Fahrt dauerte nicht lange. Die Wand war deutlich gewölbt. Ihre Neigung wurde immer geringer, und ir gendwo in der Nähe der tiefsten Stelle ka men wir schließlich zur Ruhe. Ich sah mich um. Es gab in unserer Nähe vier Schachteingänge. Arkons Götter moch ten wissen, wohin sie führten. Ich fühlte mich merkwürdig leicht … ein Effekt der künstlichen Schwerkraft oder vielmehr ihrer Abwesenheit … denn wir befanden uns nach meiner Schätzung in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums, wo völlige Schwerelosigkeit herrschen mußte – ebenso wie im Mittel punkt eines Planeten. »Was nun …?« fragte Karmina. Als hätte sie damit ein geheimnisvolles Stichwort gegeben, begann die glatte Fläche, auf der wir hockten, sich plötzlich auf merk würdige Wei se zu verändern. Sie wurde durchsichtig. Sie verhielt sich wie eine Flä che aus Glas, auf deren Außenseite bisher dichte Nebelschwaden gewallt hatten. Der Nebel wurde dünner, verzog sich. Die Wand gab den Ausblick frei. Atemlos, gespannt blickte ich in ein sinn verwirrendes Durcheinander von Gängen, Schächten und Stollen. Ich konnte dem Ver lauf eines der Schächte, die unmittelbar ne ben uns mündeten, Hunderte von Schritten weit folgen. Ich blickte in einen kugelförmi gen Raum, dessen Boden oder waren es Wände – mit fremdartigem technischem Ge rät bedeckt waren. Voller Erregung gewahr te ich inmitten der fremden Technik ein menschliches Wesen – oder wenigstens er schien es mir menschlich! Es war in Bewe gung, schwebte in schwerelosem Zustand von einer Maschine zu anderen und schien
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irgendwelche Hantierungen vorzunehmen. Die Entfernung war zu groß, als daß ich hät te deutlich sehen können, was im einzelnen das fremde Wesen tat. Aber ich hatte deut lich den Eindruck, daß ich tatsächlich, jetzt, in diesem Augenblick, in die Tiefen der ur alten Stadt blickte und sah, was sich dort in diesem Atemzug abspielte. Was vor meinen Augen ablief, war nicht eine alte Aufzeich nung, sondern die Wirklichkeit! Plötzlich veränderte sich das Bild. Ich kam nicht dazu, darüber nachzudenken, wie eine solche Projektion überhaupt möglich sei und wer es war, der mir solchen Einblick gewährte. Der Nebel schob sich von der Sei te her über das Bild des kugelförmigen Raumes. Dafür erschien an anderer Stelle das Bild einer riesigen, hell erleuchteten Halle. Inmitten der Halle erhob sich ein leuchtendes, halb durchsichtiges Gebilde … eine Art gläserner Turm, in dessen Innerem etwas zu schweben schien. Mit aller Kraft meiner Augen versuchte ich zu erkennen, was das war, das sich im Innern des Turmes befand. Ich glaubte, undeutlich die Umrisse einer menschlichen Gestalt zu erkennen – ei ner reglosen Gestalt. Aber sicher war ich meiner Sache nicht. Es mochte sein, daß mir die überanstrengten Augen einen Streich spielten. Ich weiß nicht, wie lange das Bild vor un seren Augen stand. Plötzlich jedenfalls schob sich der Nebel wieder über die Szene. Die Wand gewann ihre ursprüngliche, hell graue Erscheinung zurück. Der Blick war uns versperrt. Sprachlos starrten wir einander an. »Was war das …?« drang es Ra tonlos über die Lippen. Ich stand auf und musterte die Schacht mündung, die uns am nächsten lag. Dort hinaus also führte der Weg! »Ich glaube«, sagte ich, »es hat uns je mand einen Wink gegeben …«
* Ich befand mich in einem Zustand eigen-
artiger Erregung. Ich war fest überzeugt, daß sich unsere Irrfahrt durch die Tiefen der ur alten Stadt ihrem Ende näherte. Diese Stadt beherbergte eine Bevölkerung von Robo tern: die Riesenkäfer und die Flügeltiere. Entweder von Natur aus oder aufgrund einer Entwicklung, die nach der Erbauung der Stadt begonnen hatte, verfolgten die beiden Robotergruppen verschiedene Ziele. Das hatte sich an uns erwiesen: die Riesenkäfer waren bemüht, uns zu helfen, die Flügeltiere dagegen handelten mit dem Ziel, uns ins Verderben zu lenken. Über das fremde Wesen, das ich an den Maschinen hatte hantieren sehen, war ich mir im unklaren. War es der Fremde, der uns den Durchblick durch die Wände und Fels massen ermöglicht hatte? Denn daß irgend ein technischer Mechanismus in Gang ge setzt worden war, um uns sehen zu lassen, wohin wir uns wenden sollten … das stand für mich außer Frage. Irgendwie glaubte ich aber nicht, daß der Fremde, den ich gesehen hatte, unser Wohl täter sei. Hätte er sich dann nicht vielmehr ruhig verhalten, sich hingestellt und mit un mißverständlicher Geste auf sich gewiesen, um uns klarzumachen: Seht her, ich bin der jenige, der euch diesen Vorteil verschafft! Nein, ich glaubte nicht, daß er derjenige war, dem wir den Ausblick verdankten. In seiner fast besessenen Aktivität machte er mir mehr den Eindruck eines Feindes – ei nes Wesens, das alle Hände voll zu tun hat te, um sich der unbequemen Eindringlinge zu erwehren, der Eindringlinge, die eine Horde seiner Flügeltiere zum Teil vernich tet, zum Teil in die Flucht geschlagen hat ten. Ich war der erste gewesen, der in den Schacht stieg, von dem wir wussten, daß er in unmittelbarer Nähe sowohl des kugelför migen Zentralraumes als auch der Halle mit dem gläsernen Turm führte. Von nun an be wegten wir uns von neuem auf unbekanntem Gelände. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß ich alle paar Augenblicke nach dem Gürtel griff, hinter dem mein Strahler stak,
Das Geheimnis von Perpandron um mich zu vergewissern, daß die Waffe griffbereit war. Auf unseren künstlichen Schwerefeldern sanken wir langsam in die Tiefe. Knapp hundert Schritte weit ging alles gut – dann aber, ohne daß ich eine Krümmung des Schachtes hätte wahrnehmen können, kamen wir plötzlich zum Stillstand, und wenige Augenblicke später begannen wir, uns in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen. Wir trieben dorthin zurück, woher wir ge kommen waren! »Steuert selbst!« rief ich Ra und Karmina zu. Ich konnte nicht erkennen: Waren wir in eine Zone geraten, in der das künstliche Schwerefeld der Stadt aufhörte zu existieren, oder hatte unser unbekannter Gegner die Schwereverhältnisse manipuliert, damit wir nicht weiter in Richtung auf sein Versteck vordringen konnten? Die Abwesenheit der Schwerkraft oder ein umgepoltes Schwerefeld stellten für uns kein ernstzunehmendes Hindernis dar. Unse re Monturen besaßen ihre eigenen Antriebs mechanismen, mit deren Hilfe wir unseren Flug fortsetzen konnten. Ich steuerte weiter in den Schacht hinein. Meine Geschwindig keit nahm zu, aber ich hatte jetzt das Gefühl, ich flöge waagrecht durch einen Stollen und nicht mehr senkrecht durch einen Schacht. Der Stollen mündete schließlich auf ei nem freien Platz. Es war hier merklich heller als in den Räumen, die wir bisher durch sucht hatten. Vor irgendwoher kam dieses merkwürdige Licht, das keiner erkennbaren Lichtquelle entstammte, sondern einfach da war, mitten in der Luft, im Gestein der Wän de. Ich sah mich um. Vor mir öffneten sich zwei Gänge. Sie zweigten von der gegen überliegenden Seite des Platzes ab und ver liefen in spitzem Winkel zueinander. Ich rief mir das Bild ins Gedächtnis zurück, das ich vor kurzem gesehen hatte. Der kugelförmige Raum mußte rechts liegen, wenn das, was ich gesehen hatte, die Verhältnisse richtig widerspiegelte … und die Halle mit dem gläsernen Turm links!
37 Ra und Karmina waren dicht hinter mir. Wir waren bis aufs äußerste gespannt. In stinktiv schienen wir zu wissen, daß die Ent wicklung auf eine Entscheidung hin drängte. Ich war mir unschlüssig, in welche Richtung wir uns wenden sollten. Der geheimnisvolle Fremde in seiner kugelförmigen Kammer voller technischer Geräte erregte mein Inter esse … besonders da ich annahm, er sei uns nicht freundlich gesinnt. Aber fast noch mehr reizte mich der Anblick des gläsernen Turms mit seinem rätselhaften Inhalt. Ich war in diesem Augenblick alles andere als der kühl überlegende Stratege, den jeder in mir zu sehen erwartete … ohne Zweifel auch Ra und Karmina. Die Entwicklung war einfach zu überraschend gekommen, die Ge heimnisse der uralten Stadt waren zu fremd artig, zu verwirrend. Ich besann mich. Wenn meine Vermutung richtig war, daß es sich bei dem Wresen, das in dem kugelförmigen Raum an fremden Maschinen hantierte, um einen Gegner han delte, dann wäre es leichtsinnig gewesen, diese Gefahrenquelle außer acht zu lassen. Wir mußten nach rechts! Erst wenn wir die Gefahr, die uns von dem Unbekannten droh te, ausgeschaltet hatten – oder, falls meine Vermutung falsch war: erst wenn wir sicher waren, daß uns von dort keine Gefahr drohte … erst dann durften wir daran denken, unse re Neugierde zu befriedigen. »Wir halten uns nach rechts!« sagte ich. Ich trat als erster auf den Stollen zu. Mei ne Absicht war, mich zuerst zu vergewis sern, ob wir den Gang ohne Risiko betreten konnten. Die Erbauer dieser Stadt schienen eine Technik besessen zu haben, die hinter der Arkons kaum zurückstand. Es mochte sein, daß der Fremde den Zugang zu seinem Allerheiligsten gesichert hatte. Aber mir wurde der Weg verlegt. Ich kam kaum zwei Schritte weit, da tauchte vor mir, aus der Tiefe des Stollens, ein unförmiges Geschöpf auf. Lautlos bewegte es sich auf mich zu. Ich war zweien seiner Art bereits begegnet … Riesenkäfern. Aber bei dieser Begegnung sah ich zum erstenmal, daß sie
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Kurt Mahr
Augen hatten: riesige, glitzernde Facettenau gen.
* Ich stand reglos, und auch der Käfer hörte auf, sich zu bewegen. Wir starrten einander an. Es war mir klar, daß der Käfer etwas von uns wollte. Aber was? Bei den bisherigen Begegnungen waren die Rieseninsekten im mer dann aufgetaucht, wenn sie uns daran hindern wollten, eine gefährliche Richtung einzuschlagen. War das auch hier der Fall? Der Käfer bewegte sich einen weiteren Schritt auf mich zu. Ich vergaß fast, daß er ein seelenloses Geschöpf war und glaubte, so etwas wie Ungeduld in seinem Benehmen zu erkennen. »Er will uns warnen«, sagte Ra hinter mir. »Dieser Gang ist nicht geheuer!« Ich war gerne bereit, das zu glauben. »Wahrscheinlich ist es besser, wir wenden uns zuerst nach links«, entschied ich. Ich trat aus dem Gang zurück. Der Rie senkäfer bewegte sich nicht, aber seine großen Augen schienen mir zu folgen. Plötz lich sagte Ra: »Da ist ein Geräusch …« Im. selben Augenblick hörte auch ich es. Es klang zuerst wie fernes Gemurmel, dann wie verhaltenes Dröhnen, und dann …! Eine Flut silbrig schimmernder Leiber er goß sich durch den Stollen, der zur Rund kammer führte. Ich sah noch, wie der Rie senkäfer plötzlich die Beine einzog und sich flach wie eine niedrige, umgestülpte Schale gegen den Boden preßte. Dann spülte der Strom der silbernen Körper über ihn hinweg und ließ ihn verschwinden. Von einem Atemzug zum anderen füllte sich der enge Raum mit Dutzenden von Flü geltieren. Sie rannten gegen uns an. Sie sprangen auf uns zu, ihre metallenen Mäuler öffneten sich und schlossen sich mit einem harten, knallenden Laut, als sie nach unseren Kehlen schnappten. Der Angriff kam so überraschend, daß wir im Handumdrehen gegen die Wand gedrängt wurden. Unsere
erste Reaktion war, die Robotbestien mit den Armen von uns abzuwehren … die in stinktive Reaktion eines Menschen, der von einem Tier angesprungen wird. Ra war der erste, der sich genügend Raum verschaffte, um die Waffe ziehen zu können. Gebiß und Sprungvermögen schienen die einzigen Angriffswaffen der Flügeltiere zu sein. Wir waren im ersten Augenblick in Be drängnis geraten. Aber als die ersten Schüs se fauchten, begann das Blatt sich zu wen den. In der vordersten Reihe der Angreifer explodierten ein paar geflügelte Geschöpfe mit donnerndem Knall. Die Explosionen selbst rissen zusätzliche Lücken in die Front. Aber auch wir gerieten in Gefahr, denn die Bestandteile der zersplitternden Körper ver wandelten sich in tödliche Geschosse, die rings um uns mit häßlichem Klatschen ge gen die Wand fuhren und jaulend als Quer schläger wieder davonschossen. Und wieder war Ra derjenige, der die Notwendigkeit des Augenblicks als erster erkannte. Ich sah, wie er sich blitzschnell duckte, die Arme hoch über den Kopf riß und wie ein Rammbock unter die ansprin genden Roboter hineinfuhr. Die silbernen Leiber wurden beiseite geschleudert. Ra hat te die Hälfte des Raumes bereits durchquert, als die Angreifer sein Manöver durchschau ten und ihre Aufmerksamkeit auf ihn kon zentrierten. Infolgedessen konnten Karmina und ich die Gelegenheit nutzen, die letzten Flügeltie re, die noch gegen uns anrannten, mit ein paar sorgfältig gezielten Salven zu erledi gen. Der Kampf hatte sich nun ganz in die Mitte des Raumes verlegt. Von dort gellte Ras wütendes Kampfgeschrei, der Schrei der Wildnis, unter dessen Klang er aufgewach sen war und den er jetzt, im Augenblick der höchsten Gefahr, unbewußt wieder ausstieß. Ich hörte seine Waffe fauchen. Ich sah den dunkelhäutigen, schwarzhaarigen Schä del aus der Menge der silbernen Flügeltiere emporragen. Unablässig donnerten die Ex plosionen. Die Zahl der Angreifer wurde von Augenblick zu Augenblick geringer.
Das Geheimnis von Perpandron Aber irgendwann würde der Barbar einen Schuß aus ungünstiger Richtung anbringen und, von Splittern durchlöchert, zusammen brechen. Wir kamen ihm zu Hilfe. Wir begannen, den Kreis der Angreifer von hinten aufzurol len. Irgendwie, schoß es mir durch den Kopf, waren die fremden Robotgeschöpfe nicht für den Kampf entworfen. Sie waren in taktischer Sicht völlig hilflos. Außerdem verfügten sie über keine einzi ge Waffe, mit der sie einem halbwegs ver nünftig bewaffneten Menschen hätten bei kommen können. In den ersten Augen blicken der Bedrängnis hatten sie uns in Ge fahr gebracht … aber jetzt war der Ausgang des Kampfes schon abzusehen. Wir würden Sieger bleiben, daran gab es keinen Zweifel. Fragte sich nur, ob wir Ra rechtzeitig entla sten konnten. Wir warfen uns zu Boden und richteten unser Feuer von unten herauf gegen die blit zenden Leiber der Flügeltiere. Eines nach dem anderen verschwand in knisternder Flammenlohe und explodierte. Am Boden waren wir weniger exponiert. Die Splitter pfiffen über uns hinweg und klatschten in die Wände. Dafür drohte eine andere Ge fahr. Infolge der Schießerei und der Explo sionen begann es, ungemütlich heiß zu wer den. Beim Atmen brannte die Luft in den Lungen, und der salzige Schweiß rann mir in die Augen. Der Sauerstoff wurde knapp. Ich dachte daran, den Helm zu schließen. Aber das Ende des Kampfes kam schneller, als ich gedacht hatte. Mit wütenden Salven kämpfte Ra sich einen Weg durch die Meu te, die ihn umringt hatte. Zu beiden Seiten seines Pfades barsten Flügeltiere mit trockenem Knall auseinander. Welch ein Wunder, daß der Barbar nicht schon längst durchlöchert war wie ein Sieb! Er kam frei. Ich sah, wie er einen hastigen Atemzug lang die beiden Stollenmündungen musterte. Ohne sich zu uns umzudrehen, schrie er: »Ich fasse den Kerl …!« Dann verschwand er im rechten der bei
39 den Gänge. Die Flügeltiere waren einen Augenblick lang verwirrt. Wenigstens wirkten sie so. Karmina und ich nützten die kurze Zeitspan ne, um weiter unter ihnen aufzuräumen. Es blieben nur noch drei, die schließlich zur Verfolgung des Barbaren ansetzten. Von ih nen beschädigte ich noch eines, bevor es im Stollen verschwand. Blieben noch zwei, die Ra auf den Fersen waren. So, wie ich den Barbaren eben erlebt hatte, würde er sich von ihnen nicht lange aufhalten lassen. Atemlos und ein wenig zerschunden erho ben Karmina und ich uns vom Boden …
* »Er ist verschwunden«, sagte Karmina. An der Richtung ihres Blickes sah ich, was sie meinte. Der Käfer, der sich gegen den Boden des Stollens gepreßt hatte, als die silberne Flut der Flügeltiere über ihn hin wegspülte, war nicht mehr da. Ein wenig be sorgt, da wir die Riesenkäfer doch für freundlich hielten, forschte ich nach Überre sten. Aber es gab nichts, keine Spur, daß er jemals hier gewesen war. Wenn die geflü gelten Roboter ihn zerstört hätten, müßten Reste zu finden sein. Aber nichts … Dafür war der kleine Platz, auf dem der Kampf stattgefunden hatte, ein rußge schwärztes Trümmerfeld. Wir wateten knö cheltief in halb zerschmolzenen Metalltei len, und nur der Wärmeundurchlässigkeit unserer Montur verdankten wir es, daß wir uns nicht die Haut verbrannten. Ohne zu zögern, folgten wir dem Weg, den Ra uns gewiesen hatte. Es verstand sich von selbst, daß wir uns mit einiger Vorsicht bewegten. Arkons Götter alleine mochten wissen, welche Kampfreserven der unbe kannte Gegner noch hatte. Andererseits trieb uns die Sorge um den Barbaren voran. In seinem wilden Kampfeseifer mochte er nicht in je dem Augenblick die Übersicht bewah ren … und ein einziger solcher Augenblick genügte, um ihn ins Verderben zu reißen.
40 Der Stollen war leer bis auf die Trümmer stücke eines Flügeltieres. Vermutlich war es das, das ich mit meinem letzten Schuß noch erwischt hatte. Wir beschleunigten die Schritte. Vor uns war es still, und ich wußte nicht, wie ich die Stille auslegen sollte. »Ra …?« fragte ich in mein gerät. Aber ich bekam keine Antwort. Eine weitläufige Krümmung des Stollens, nach links … ich spürte, wie mein Gewicht immer geringer wurde. Wir näherten uns dem Zentrum dieser unheimlichen Stadt. Und wie ich vermutet hatte, gab es im Mit telpunkt überhaupt keine Schwerkraft mehr. Ich stieß mich kräftig ab und schoß in waa gerechter Lage durch den Stollen. Und dann sah ich plötzlich das Rund, von dem jeder Quadratfuß mit fremdem techni schem Gerät bepflastert zu sein schien. Un versehens war ich, mit dem Kopf voran, durch die Mündung des Stollens in jenen Raum hineingeschossen, den ich bereits ein mal aus der Ferne hatte sehen können: durch die Gunst eines Unbekannten, mir freundlich Gesinnten, der die Wände dieser unterirdi schen Stadt für meine Augen durchsichtig gemacht hatte. Und jetzt war ich hier! Freilich war meine Ankunft keine sehr er hebende. Ich war so überrascht, daß ich die bremsende Wirkung meines Flugaggregats nicht mehr rechtzeitig zum Einsatz bringen konnte. Ich fuhr quer durch den ganzen Raum und kam auf der gegenüberliegenden Seite in unangenehm harte Berührung mit einer fremdartigen Maschine. Ich wurde, um genau zu sein, ziemlich zusammengestaucht, und ein paar Augen blicke lang bestand die Welt ringsum aus Funken und bunten Licht kreisen. Aber ich kam rasch wieder zu mir. Ich klammerte mich an den Maschinenklotz, mit dem ich so hart aneinandergeraten war, und versuchte mich zu orientieren. Das war nicht so einfach; denn zu meiner Benommenheit kam noch der Umstand, daß in diesem Raum keinerlei Schwerkraft herrschte. Ich hatte ei nige Mühe, mit meinem Wahrnehmungsver-
Kurt Mahr mögen zu vereinbaren, wo von nun an unten und oben sein sollte. Ich gewahrte Karmina. Sie war vorsichti ger gewesen als ich. Ich sah ihre Gestalt in einer Richtung, die ich vorläufig als »über mir« definiert hatte. Der endlose Wirrwarr der fremden Maschinen war dort durchbro chen und bot der Mündung des Stollens Raum. Als ich mich weiter umsah, bemerkte ich mehrere solcher Stellen. Ich zählte ins gesamt acht. Karmina kam zu mir herabgeschwebt. Anders als ich hatte sie rechtzeitig daran ge dacht, das Flugaggregat zu aktivieren. Sie ließ sich neben mir nieder, und das künstli che Schwerefeld, in das sie sich gehüllt hat te, gab ihr eine Sicherheit, die mir vorerst noch fehlte. »Niemand ist hier!« stellte sie fest. Es war wirklich nicht so, daß ich das noch nicht bemerkt hätte – es war mir nur nicht tief genug ins Bewußtsein gedrungen. Der Unbekannte war verschwunden, den wir vor kurzer Zeit, aus der Ferne, hier hat ten hantieren sehen. Und auch von Ra war keine Spur!
4. Ich wollte nach ihm rufen. Ich schaltete das kleine Sprechge rät ein, das ich am Handgelenk trug. Ich hob den Arm und drehte das Gerät so, daß es meine Stimme in voller Lautstärke empfing. Und dann sagte ich nichts. Es war mir klargeworden, daß ich Ra sonst in Gefahr bringen würde. Ich zweifelte nicht daran, daß er sich dem Unbekannten an die Fersen geheftet hatte, unserem ge heimnisvollen Feind, der bis vor kurzem noch die Einsätze seiner Robottruppen von hier aus gesteuert hatte. Vielleicht aber wußte der Unbekannte nichts davon, daß er verfolgt wurde. In die sem Fall würde ich ihn nur unnötig aufmerk sam machen, indem ich nach Ra rief. Denn ich mußte damit rechnen, daß der Feind über ähnliche Geräte verfügte wie wir und unsere
Das Geheimnis von Perpandron Funkgespräche abhören konnte. Karmina sah mich verwundert an. »Er wird alleine zurechtkommen«, sagte ich. Ich war nicht sicher, ob sie mich verstand. Wenn Ra unserer Hilfe bedurfte, würde er nach uns rufen. Daß er nicht rief, bedeutete entweder, daß er keine Hilfe brauchte, oder daß er nicht in der Lage war zu rufen. Acht Stollen verliefen von diesem Rundraum aus in allen Richtungen. Es hätte wenig Sinn ge habt, uns aufs Geratewohl einen oder zwei davon vorzunehmen. Wir hatten anderes zu tun. Irgendwo in der Nähe befand sich der riesige Saal mit dem gläsernen Turm. Es zog mich dorthin. Ich war gewiß, daß es sich bei dem gläsernen Turm um das Kernstück dieser uralten Stadt handelte – ohne auch nur eine Ahnung zu haben, woher mir diese Gewißheit kam. Es war, als hätte eine fremde, unsichtbare Macht von meinem Bewußtsein Besitz ergriffen und lenkte mich nach ihren Wünschen. Inzwischen war ich Karminas Beispiel ge folgt und hatte mein Flugaggregat einge schaltet. Ich verließ den Maschinenblock, mit dem ich so unliebsame Bekanntschaft gemacht hatte, und trieb langsam quer durch den Raum. Aufmerksam musterte ich die Vielfalt technischen Geräts. Nichts davon kannte ich, in keinem einzigen Fall konnte ich die Funktion einer Maschine erraten. Wie unsagbar fremdartig mußte das Volk gewesen sein, das diese Anlage erschaffen hatte! Nirgendwo gab es Spuren von Zerfall, Zerstörung oder auch nur Abnutzung. Die Geräte sahen so aus, als wären sie vor kurz em erst hier aufgebaut worden. Nur der ge heimnisvolle Unbekannte wußte von den Zwecken, denen die Maschinen dienten. Wußte er auch über das Schicksal des Vol kes Bescheid, das diese Stadt erbaut hatte? Wir mußten ihn fassen. »Wenn deine Vermutung richtig ist«, sag te Karmina hinter mir, »dann werden die Flügeltiere von diesem Raum aus gesteuert. Es wäre sinnvoll, die Maschinen zu zerstö
41 ren!« Ich erschrak. Was für eine entsetzliche Idee, dieses Wunder an Vollkommenheit zu zerstören! Das war mein erster Gedanke. Aber ich konnte nicht erkennen, woher der Gedanke kam. Bei ruhiger Überlegung er schien Karminas Vorschlag durchaus sinn voll. Allerdings … »Wir wissen nicht, was alles durch diese Maschinen kontrolliert wird«, hielt ich ihr entgegen. »Womöglich brechen die künstli chen Schwerefelder zusammen, und die gan ze Stadt stürzt ein!« Sie gab sich damit zufrieden. Wenigstens widersprach sie nicht. Ich wandte mich nicht nach ihr um, aber ich fühlte förmlich den merkwürdigen Blick, mit dem sie mich be dachte. Ich steuerte in Richtung des Stollens, aus dem wir gekommen waren. Das fremde Drängen in mir meldete sich von neuem. Wir sollten in diesem Raum keinen weiteren Augenblick vergeuden. Der Saal mit dem gläsernen Turm wartete auf uns! Mit Entsetzen spürte ich, daß sich die fremde Macht immer mehr zum Herrn mei nes Bewußtseins aufschwang. Ich fragte mich, ob es mir in diesem Augenblick noch gelingen würde, einen anderen Entschluß zu fassen – wie zum Beispiel den, einen der an deren Schächte nach Ras Spuren zu durchsu chen. Den entsprechenden Versuch unternahm ich nicht. Ich fürchtete mich davor … oder hatte die unbekannte Macht von neuem die Steuerung meines Denkens übernommen und mich rasch wieder von der Idee abge bracht? Ich war verwirrt und spürte undeutlich die Drohung einer tödlichen Gefahr, als ich in den Stollen hineinglitt.
* Die Trümmer der Flügeltiere lagen noch immer auf dem kleinen Platz. Beißender Ge stank von verbranntem Metall erfüllte die Luft. Wortlos wandte ich mich dem Gang
42 zu, der nach meiner Schätzung in Richtung des Saales führte. Ich vergewisserte mich kurz, daß Karmina mir folgte. Mit Schreck erkannte ich, daß ich auch dann weiterge schritten wäre, wenn die Sonnenträgerin sich geweigert hätte, mit mir zu kommen. Ich war nicht mehr Herr meiner selbst! Die Schwerkraft hatte, wenn auch gering fügig, wieder eingesetzt, als wir den Rund raum verließen. Ich wog noch immer nur einen Bruchteil meines normalen Gewichts. Aber wenigstens hatte ich eine deutliche Vorstellung davon, wo oben und unten war. Um vorwärtszukommen, schnellte ich mich in regelmäßigen Abständen leicht vom Bo den ab und ließ mich davontragen. Jeder sol che Sprung überbrückte eine Entfernnung von rund zwanzig Schritten. Als wir an eine Stelle kamen, an der zur linken Hand ein schmaler Gang vom Stollen abzweigte, blieben wir stehen. Das heißt,: ich blieb stehen, und Karmina, die mitten im Schwung war, prallte von hinten auf mich. »Warum zögerst du?« fragte sie. Ich wies wortlos in den schmalen Seiten gang. »Das kann unser Weg nicht sein«, be hauptete sie. »Die Halle liegt geradeaus vor uns.« Mit einemmal wußte ich genau, daß sie unrecht hatte. »Manchmal ist der gerade Weg nicht der beste«, antwortete ich. »Heißt das, daß du hier abzweigen willst?« fragte sie entsetzt. »Ja.« Ihr Blick war fast unerträglich. Sie hatte bemerkt, daß mit mir etwas Ungewöhnliches vorging. »Atlan …?« »Es gibt nichts zu besprechen!« fuhr ich sie barsch an. »Und doch …« »Nichts!« fiel ich ihr ins Wort und wandte mich nach links. Aber dann, ganz unerwartet, setzte sich für wenige Augenblicke noch einmal mein eigener Wille durch. Plötzlich war ich wie der Herr meiner selbst. Ich wandte mich um und sah Karmina vor dem Eingang des Sei-
Kurt Mahr tengangs stehen. »Komm mit mir!« bat ich sie. Ich sprach hastig, denn ich wußte nicht, wie lange ich Herr meines Bewußtseins sein würde. »Verlaß dich auf mich! Etwas Seltsames geht in mir vor. Ich denke nicht mehr meine eigenen Gedanken. Etwas Fremdes be herrscht mich … aber ich glaube, es will un ser Gutes!« Sie sah mich an, einen zweifelnden Augenblick lang. Und in diesem Augen blick senkte sich der Zwang der fremden Macht von neuem über mich. »Ich komme«, hörte ich Karmina sagen. Ich aber hatte mich inzwischen wieder umgewandt und schritt den schmalen Gang entlang. Von weit vorne irgendwo sah ich Helligkeit winken. Der Gang schien in ein Lichtmeer zu münden. Meine Schritte wur den rascher. Es war mir, als läge dort vorne die Erfüllung all meiner Sehnsüchte und Wünsche. Ich konnte es kaum erwarten, den Ort zu erreichen, von dem die Helligkeit ausging. Was dann kam, geschah viel zu rasch, als daß ich in Gedanken noch darauf hätte rea gieren können. Ich kam nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, daß ich fürchterlich getäuscht worden war, daß die fremde Macht keine freundliche Macht war … Ein Blitz zuckte auf und traf mich mit voller Wucht. Von einem Atemzug zum an deren erlosch mein Bewußtsein.
* Ich schwamm in tiefer Schwärze, und Schmerz wühlte irgendwo in mir. Jemand machte sich mit glühenden Na deln und Zangen an meinem Gehirn zu schaffen. Ich wollte schreien, aber mir fehlte der Mund. Bohrend, zerrend, schneidend nahmen die Zangen und Nadeln mein Bewußtsein aus einander und zerlegten es in seine Einzeltei le. Dies alles spürte ich, obwohl ich nicht bei Bewußtsein war. Nadeln und Zangen verwandelten sich in prüfende Fragen, die mein Gehirn peinigten.
Das Geheimnis von Perpandron Bist du …? Wirst du …? Hast du …? Eine halbe Ewigkeit lang! Dann aber hörte das Bohren und Zerren auf. Der Schmerz verebbte, verschwand. Aus den Tiefen der Ohnmacht tauchte ich zur Wirklichkeit empor. Ich öffnete die Au gen. Helligkeit blendete mich, aber ich wi derstand der Versuchung, mich sofort wie der in die Dunkelheit zurückzuziehen. Ich hielt die Augen offen, bis sie zu tränen an fingen. Ein Gesicht erschien in meinem Blick kreis. Karmina …! »Wie ist dir …?« fragte sie hilflos. Ich versuchte ein Lächeln. »Scheußlich. Aber es wird langsam bes ser.« Das war die Wahrheit. Ich fühlte mich wie gerädert. Aber je länger ich dort lag, de sto geringer wurde der Schmerz, desto kräf tiger fühlte ich mich. Ich prüfte mein Be wußtsein und erkannte, daß die fremde Macht sich zurückgezogen hatte. Die Kon trolle war mir zurückgegeben worden. Das erleichterte mich. »Was ist geschehen?« fragte ich Karmina. »Ich weiß es nicht genau«, antwortete sie. »Es ging alles viel zu schnell. Die Luft fing plötzlich an zu flimmern. Du warfst die Ar me in die Höhe und brachst zusammen. Lautlos. Zuerst glaubte ich, du seist tot. Aber du atmetest noch, wenn auch unruhig, und manchmal für lange Zeit überhaupt nicht.« Sie schwieg. Aber dann fügte sie hinzu: »Ich habe Angst …!« Ich richtete mich auf. »Es gibt keinen Grund dafür«, sprach ich ihr zu. »Bist du … du sprachst von etwas Fremdem, das dich beherrscht. Ist es … ist es noch da?« »Nein. Es ist verschwunden.« »Es war uns feindlich gesinnt, nicht wahr? Es wollte dich töten?« »Nein.« Ich wußte auf einmal ganz deutlich, was geschehen war. Die glühenden Nadeln und Zangen – ich kannte ihre Bedeutung. Die Bestimmtheit meiner Antwort überraschte
43 Karmina. »Nein?« wiederholte sie verwundert. »Du sagst nein, obwohl du nur wie durch ein Wunder noch am Leben bist?« »Es ist kein Wunder«, widersprach ich ihr. »Ich wurde geprüft. Jemand wollte wis sen, wer ich bin und welche Absichten ich verfolge. Es kann sein, daß ich getötet wor den wäre, wenn ich die Prüfung nicht be standen hätte.« An ihrem Blick sah ich, daß sie mich nicht verstand. »Der gläserne Turm ist für die Erbauer dieser Stadt von ungeheurer Bedeutung«, versuchte ich, ihr den Zusammenhang zu er klären. »Nicht jedermann darf sich ihm nä hern. Jeder, der sich zu nähern versucht, wird einer Prüfung unterzogen. Man forscht in seinem Bewußtsein. Frag mich nicht, wo nach man forscht! Ich weiß es nicht. Ich aber habe die Prüfung bestanden!« »Man«, sagte sie fast tonlos: »Wer ist das?« »Wahrscheinlich irgendein Mechanismus, den die Gründer der Stadt irgendwo einge baut haben. Ich bin sicher, daß wir vernich tet worden wären, wenn wir den Stollen nicht verlassen hätten. Ich bin gelenkt wor den – eben von dieser fremden Macht, über die ich sprach. Und deswegen erscheint sie mir nicht feindlich, obwohl sie mir erhebli che Schmerzen verursacht hat.« Karmina dachte darüber nach. »Und jetzt …?« fragte sie dann. »Jetzt bekommen wir den gläsernen Turm zu sehen!« Ich schritt voran. Die Helligkeit, die mich geblendet hatte, kam aus dem riesigen Saal, den wir bereits kannten. Er lag unmittelbar vor uns, nur noch ein paar Schritte entfernt. Aber die Reihe der geheimnisvollen Er eignisse war noch nicht zu Ende. Ich hörte plötzlich, laut und deutlich, eine fremde Stimme. Sie sagte: »Der Kristallprinz und seine Begleiter ha ben Zutritt!« Ich blieb stehen und sah mich um. Karmi na war dicht hinter mir.
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»Hast du etwas gehört?« fragte ich sie. »Nein.« Da wußte ich, daß die fremde Macht die Kontrolle über mein Bewußtsein noch nicht völlig aus der Hand gegeben hatte.
* Am Rande des riesigen Raumes hielten wir an. Der Anblick war überwältigend. Goldene Helligkeit erfüllte den gewaltigen Saal. Auch dieses Licht hatte keine Quelle – es war einfach da, schillerte in der Luft. Die Wände des Raumes verliefen gerade, und es gab nur wenige Unebenheiten. Hier und da, in fast regelmäßigen Abständen, traten rechteckige, scharfkantige Vorsprünge aus dem Felsen hervor. Auf ihnen erhoben sich Statuen, Abbilder von Tieren oder men schenähnlichen Geschöpfen. Die Fremdartigkeit war unübersichtlich – Fremdartigkeit nicht in unserem Sinne, son dern im Vergleich mit den anderen Räumen der unterirdischen Stadt, die wir gesehen hatten. Hier gab es nichts Geschwungenes, Verspieltes, keine Nischen und Erker, Ver tiefungen und Vorsprünge, auf denen sich fremdartige Gestalten und Formen erhoben. Hier war alles klar und geradlinig, und die Skulpturen stellten Dinge dar, die unsere Augen erkannten. Hier waren andere Architekten am Werk gewesen, als diejenigen, die den Rest der Stadt erbaut hatten. Hier war nach einem Plan gearbeitet worden, der fast arkonidi schem Denken entsprach: denn diese Halle hätte sich ebenso gut in einem der altarkoni dischen Herrscherpaläste befinden können. Die Analogie fiel mir auf: es gab in dieser unterirdischen Welt zwei Arten von Robo tern, die einander feindlich gesinnt waren – soweit man bei einem Roboter von Gesin nung sprechen konnte, die Riesenkäfer und die Flügeltiere. Entsprach dieser Dualismus der Roboter einer Dualität der Erbauer der Stadt? Hatten sich an der Erbauung dieser Anlage zwei verschiedene Kulturen betei-
ligt? Fast erschien es so. Mehr denn je er schien es mir notwendig, des Fremden hab haft zu werden, den wir in dem kugelförmi gen Raum hatten hantieren sehen. Wenn überhaupt einer über die sonderbare Ge schichte dieser Stadt Bescheid wußte, dann war er es. In der Mitte der gewaltigen Halle aber er hob sich der gläserne Turm, den wir aus der Ferne gesehen hatten. Er hatte einen Durch messer von wenigstens dreißig Schritten, wuchs nahtlos aus dem glatten, schimmernden Boden und stieg bis zur Decke hinauf. Was wir aus der Ferne nicht hatten wahrneh men können, wurde uns jetzt offenbar. Im Innern des Turmes erhob sich ein Sockel, ein Piedestal, etwa fünfzehn Schritte hoch und aus einer merkwürdigen Art tiefschwar zen Materials gefertigt, das das Licht aus weitem Umkreis auf sich hin zu ziehen und zu verschlucken schien. Es erschien uns tat sächlich, als sei es in unmittelbarer Nähe des gläsernen Turms dunkler als sonstwo in der Halle. Auf dem Sockel aber, flach ausgebreitet, lag eine menschliche Gestalt. Aus der Ferne wirkte sie starr und reglos, wie eine Statue. Ich fragte mich, ob der gläserne Turm ein Mausoleum sei. Ein Grabmal eines der Men schen, die diese Stadt erbaut hatten? Gleichzeitig aber glaubte ich nicht, daß das sorgfältig gehütete Geheimnis der unter irdischen Stadt, das Kleinod im Allerheilig sten, zu dem wir uns mit soviel Mühe hatten vorkämpfen müssen, weiter nichts als ein Toter sei. Ich wollte den Turm, den Sockel und die menschliche Gestalt aus der Nähe sehen. Ich trat aus dem Gang hervor, der uns bis an den Rand der leuchtenden Halle geführt hatte, und schritt in den Saal hinein.
* Zweierlei wurde mir offenbar, während wir uns dem Turm näherten. Erstens, daß ich Ehrfurcht empfand vor dem riesigen, schim mernden Gebilde … aber auch vor der
Das Geheimnis von Perpandron menschlichen Gestalt, die dort oben auf dem schwarzen Sockel ruhte. Und zweitens, daß der Turm nicht wirklich gläsern war. Die glänzende, schimmernde Hülle war ein durchsichtiges Energiefeld. Wahrscheinlich war es gefährlich, der energetischen Hülle zu nahe zu kommen. Karmina und ich blie ben in einigen Schritten Abstand stehen. Der Mensch, der dort oben auf dem schwarzen Sockel ruhte, war jung. Er war völlig nackt und von heller Hautfarbe. Ein langer, sorgfältig geordneter Schopf von silbrigem Haar umgab den Schädel und reichte bis auf die Schultern herab. »Wer er wohl sein mag?« fragte Karmina mit halblauter Stimme. Sie erwartete keine Antwort. Sie hatte die Frage überhaupt nur ausgesprochen, weil ihr das Schweigen unerträglich schien. Ich aber sah mich um. Woher war der un widerstehliche Drang gekommen, der mich gezwungen hatte, diese Halle zu suchen? Und welchen Zweck hatte er verfolgt? Ich hatte, wenn auch nicht ein Wunder, so doch irgendeine Art dramatischer Entwicklung für den Augenblick erwartet, in dem ich vor dem gläsernen Turm stand. Jetzt aber …? Wir befanden uns im Mittelpunkt der alten Stadt. Meine Vermutung war gewesen, daß hier der Schleier von allen Geheimnis sen fallen und der Weg zurück an die Ober fläche von Perpandron sich uns offenbaren würde. Wo aber blieben meine Hoffnungen, meine Ahnungen, meine Vermutungen? Die Decke der Halle befand sich etwa fünfzig Schritte über uns. Sie war glatt und hell erleuchtet und verbarg unseren Augen nichts. Ebenso offen lagen die Wände vor unseren Blicken. Wenn es von hier aus einen Weg zur Oberwelt gab … wo war er dann? Ich war enttäuscht und niedergeschlagen. Der Kristallprinz hatte versagt! Er hatte sich auf Ahnungen verlassen und Schiffbruch er litten. Wenn es sich nur um mich allein ge dreht hätte, wäre meine Niedergeschlagen heit geringer gewesen. Aber ich hatte Ra, den Barbaren, und Karmina, die Sonnenträ
45 gerin, an mich gekettet. Sie waren mir willig gefolgt. Und jetzt war Ra verschwunden, und Kar mina stand neben mir, und ich konnte ihr den versprochenen Weg nicht zeigen, der zurück in die Freiheit führte. Es blieb mir nichts anderes übrig, als Schritt um Schritt den Weg zurückzugehen, den wir ge kom men waren. Von den oberen Etagen dieser unheimlichen Stadt aus würden wir von neu em versuchen müssen, einen Ausgang nach droben zu finden. Der schimmernde Turm mit dem schwar zen Sockel und dem blassen Leichnam war mir auf einmal zuwider. Ich empfand keiner lei Ehrfurcht mehr. Zornig wandte ich mich ab aber es war nicht der tatenvollbringende Zorn der Stärke, sondern der nutzlose Zorn der Hilflosigkeit, der mich erfüllte. Gerade in diesem Augenblick aber melde te sich die fremde Stimme von neuem. »Steh, Kristallprinz!« forderte sie mich auf. »Geh nicht von dannen, ohne die Tat vollbracht zu haben!« Überrascht gehorchte ich dem Befehl. Ich sah Karmina an und erkannte an ihrem Blick, daß sie sich über mein Verhalten wunderte. Sie hatte die Stimme nicht gehört. Plötzlich begann der Energieschirm, der den schwarzen Sockel umgab, zu flackern. Vor unseren Augen sank der gläserne Turm in sich zusammen. Fassungslos vor Staunen sahen wir, wie auch der Sockel zu schrump fen begann. Er verschwand in den Boden hinein und kam erst zur Ruhe, als sich der leblose Fremde auf gleicher Höhe mit uns befand. In meinem Bewußtsein aber hallte die fremde Stimme: »Nimm ihn mit dir, Kristallprinz!«
* »Er ist schön!« hauchte Karmina. Wir standen vor dem Fremden. Karminas Feststellung irritierte mich ein wenig – oder war es mehr der Klang ihrer Stimme? Nach den geltenden Regeln der Ästhetik hatte sie
46 recht. Der junge Mann denn jung war er oh ne Zweifelent sprach dem arkonidischen Schönheitsideal. Er war etwa sechs Fuß groß, und sein Gesicht hatte jenen edlen Schnitt, den die jahrhundertelange Inzucht adliger Familien hervorbringt. Erschreckend war, daß er die Augen offen hatte. Sie waren ungewöhnlich groß und von leuchtendem Rot. Es gab überhaupt nichts Unvollkomme nes an ihm … höchstens ein paar Unregel mäßigkeiten des Pigments. Dann aber machte Karmina eine neue Entdeckung. »Schau auf seine Hände!« forderte sie mich auf, mit derselben hauchenden, von Ehrfurcht und Anbetung erfüllten Stimme, die mich zuvor schon irritiert hatte. Wider willig folgte ich ihrem Hinweis. Ich mußte mich vornüber beugen, um überhaupt wahr zunehmen, was sie mir zeigen wollte. Die Handfläche des fremden Jünglings zeigte ei ne sternförmige Markierung. Sie schillerte, je nach dem, aus welchem Winkel man sie betrachtete. Sie war nicht aufgemalt, son dern schien in die Haut eingegraben zu sein. Wahrscheinlich hatte sie kultische Bedeu tung. Karmina hatte die Mühe nicht gescheut und war um den Sockel herumgegangen, um auch die andere Hand des Unbekannten in Augenschein zu nehmen. »Hier auch …!« ließ sie mich wissen. Ich kümmerte mich nicht darum. In mei nem Bewußtsein echote noch immer der Be fehl, den die fremde Stimme mir gegeben hatte: Nimm ihn mit dir! Warum sollte ich eine Leiche mit mir herumtragen? Denn daß der Fremde tot war, daran zweifelte ich kaum noch. Die bleiche Haut der Brust hatte sich unter keinem einzigen Atemzug be wegt, seitdem der Sockel in den Boden ver schwunden war. Ich wollte mir Gewißheit verschaffen und griff nach der so seltsam markierten Hand. Die Berührung war wie ein Schock für mich … denn die Haut des Fremden war nicht kalt und starr, wie ich erwartet hatte, sondern weich und warm.
Kurt Mahr Über den reglosen Körper hinweg sah ich Karmina an und sagte: »Wir nehmen ihn mit uns!« Ich hatte damit gerechnet, daß sie mit Be geisterung auf diesen Vorschlag reagieren würde. Aber sie hörte mich nicht einmal. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte zur Decke der Halle hinauf. »Sieh doch, dort …!« rief sie. Ich folgte ihrem Blick. In der Decke des Saales hatte sich eine weite, finstere Öff nung aufgetan. Ich wußte nicht, wohin sie führte, und doch war ich überzeugt, daß sie den Weg zur Oberwelt, zur Freiheit wies. Meine Ahnungen hatten mich also nicht ge trogen! Von hier aus, aus dem Mittelpunkt der unterirdischen Stadt, führte der Weg zu rück dorthin, woher wir gekommen waren! Nicht wir selbst hatten diesen Weg gefun den, sondern eine fremde Macht, die ge heimnisvolle Seele dieser Stadt, die Robot tiere kontrollierte und steinerne Wände durchsichtig machte, wies ihn uns. Es war klar, daß die Benutzung dieses Weges sich mit einer Bedingung verknüpfte: wir mußten den Fremden mit uns nehmen!
* Ich nahm den Fremden auf und legte ihn mir über die Schulter. Er war nicht sonder lich schwer, aber auf die Dauer wäre er eine Last gewesen, wenn ich nicht das Fluggerät gehabt hätte. Es wunderte mich nicht mehr, daß der Körper des Unbekannten keinerlei Anzei chen von Leichenstarre aufwies. Er war ge lenkig und flexibel wie der eines Menschen, der eben erst das Bewußtsein verloren hatte. Karmina machte die Vorhut. Sie schwebte zu der finsteren Öffnung empor und wartete dort. Ich kam mit meiner Last hinterher. Die Öffnung war der Beginn eines weiten Schachtes, der senkrecht nach oben führte. Aber was senkrecht war, und was nicht, be stimmte das künstliche Schwerefeld im In nern dieser Stadt, und allein das Gefühl, daß ein Weg nach oben führe, besagte noch
Das Geheimnis von Perpandron nichts über seinen tatsächlichen Verlauf. Der Schacht war nicht wirklich finster: er war erfüllt von jener seidigen, schimmernden Halbhelligkeit, die wir schon in anderen Räumen wahrgenommen hatten. Aber unse re Augen waren geblendet vom Glanz der riesigen Halle. Karmina schaltete ihre Lam pe ein. Langsam stiegen wir durch den Schacht empor. Soweit Karminas Lampe reichte, war der Weg vor uns gerade und frei von Hin dernissen. Es gab keine Abzweigungen, kei ne Querstollen … nur diesen Schacht, von dem ich hoffte, daß er zur Oberfläche führe. Ich hatte Zeit zum Nachdenken. Wirre Gedanken bewegten sich in meinem Be wußtsein. Ich dachte an Caycon und Rai manja, das Paar der Sage, und an das wache Wesen, das sie zeugten. War der, den ich auf der Schulter trug, der Sproß, dessen Geburt das fremde Sternenvolk, das Caycon und Raimanja entführte, zu verhindern gesucht hatte? War der leblose Fremde das »wache Wesen«? In diesem Falle hätte er Jahrtausende alt sein müssen. Denn die überlieferte und ge schriebene Geschichte des arkonidischen Volkes umfaßt einen beachtlichen Zeitraum, die Sage von Caycon und Raimanja aber stammte aus unserer Urzeit, der Epoche vor dem Beginn der überlieferten Geschichte. War es möglich, daß ein Mensch Jahrtausen de überdauerte, ohne zu sterben? Ich erinnerte mich an die Lichtung, auf der unser Beiboot gelandet war heilige Göt ter! Wie lange war das schon her! – und an die unverwesten Körper der toten Tiere, die wir im tiefen Gras gefunden hatten. An die fremdartige Strahlung, die von unseren Meßgeräten ausgewiesen worden war. Wer tote Körper zu erhalten vermochte, sollte der nicht auch die Fähigkeit besitzen, Leben zu bewahren? Hatte ich nicht die wunderbaren Kräfte, die die unterirdische Stadt beseelten, an mehr als einem Beispiel kennengelernt? Wie konnte ich noch daran zweifeln, daß es in der Macht der Unbekannten lag, den leb losen Körper eines Menschen über lange
47 Zeiträume hinweg zu erhalten? Es war mir unklar, was die fremde Macht, die zeitweise mein Bewußtsein kontrolliert und danach mehrmals zu mir gesprochen hatte, von mir erwartete. Wie sie mir aufge tragen hatte, nahm ich den leblosen Körper des Unbekannten mit mir. Aber ich würde Perpandron bald verlassen, und damit ver schwand der geheimnisvolle, lebenserhalten de Einfluß, der die Stadt und ihre Umgebung erfüllte. Was würde dann aus dem Fremden werden? Ich machte eine Bewegung, um mir die Last, die ich trug, bequemer zurechtzulegen. Dabei pendelte der schlaffe Arm des Leblo sen vor meinen Augen. Ein merkwürdiges Leuchten erregte meine Aufmerksamkeit. Karmina schwebte über mir. Obwohl ihre Lampe beständig brannte, war es rings um mich doch fast völlig finster, da der Lichtke gel in die Höhe gerichtet war. In dieser Fin sternis sah ich die sternförmige Markierung auf der Handfläche des Fremden rötlich glü hen. Von neuem fragte ich mich, wer er sein mochte. Und eine seltsame Vorstellung tauchte gleichzeitig in meinen Gedanken auf: Ich sah mich, mit dem Leblosen auf der Schulter, an die Oberfläche treten, und ich sah Fartuloon, der mich dort erwartete. Ich hörte ihn fragen: Warum schleppst du dich damit ab? Und ich sah mich, unfähig zu ant worten, denn ich wußte nicht wirklich, wa rum ich den Leblosen schleppte … und überhaupt: wie hätte ich einem, der nicht mit uns die Tiefen dieser geheimnisvollen Stadt durchstreift hatte, klarmachen können, wel che merkwürdigen Dinge uns hier zugesto ßen und wie mein Denken und Handeln ma nipuliert worden waren! In diesem Augenblick hörte ich Karmina über mir sagen: »Hier ist der Schacht zu Ende!« Überrascht sah ich, wie die Wand des Schachtes plötzlich zur Seite wich und einen kreisförmigen Raum bildete, auf den mehre re Gänge mündeten. Über uns dagegen war nur noch natürlich gewachsener Fels. Der
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Schacht, von dem ich geglaubt hatte, daß er uns auf dem geradesten Weg an die Ober welt führte, hatte uns betrogen. Ich steuerte vorsichtig über den Rand des Schachtes hinweg und setzte auf der ebenen Fläche ab. Als nächstes nahm ich mir die Last von der Schulter. Der blasse Leblose glitt zu Boden. Der Vorgang hatte symboli sche Bedeutung. Ich war nicht weiterhin ge willt, mich mit einem leblosen Körper abzu schleppen. Ich hatte nur noch ein Ziel: an die Oberwelt zu gelangen. Dabei hinderte mich die Last. Die fremde Macht, die einst mein Bewußtsein beherrscht und mich ge zwungen hatte, mir den unbekannten Jüng ling aufzuladen, war nur noch eine matte Er innerung. Ich war ihr längst entronnen – so glaubte ich wenigstens. Karmina wußte nichts von meinen Gedan ken, sonst hätte sie wahrscheinlich prote stiert. Sie nahm überhaupt nicht wahr, was ich tat, sondern richtete ihre Aufmerksam keit wie gebannt auf einen der Stollenaus gänge, die auf den Raum um den Schacht mündeten. Ich sah einen Augenblick später, was sie so fesselte. Eine hochgewachsene Gestalt trat aus dem Gang hervor. In der Armbeuge trug sie einen schweren Strahler, dessen Mündung auf mich gerichtet war … auf mich oder Karmina, das machte nicht viel Unterschied, denn die Streuung war so, daß der Energiestrahl auf jeden Fall uns beide erfassen würde. Damals, als die Wände plötzlich durch sichtig wurden und wir ins tiefste Innere der unterirdischen Stadt blickten, hatte ich den Mann, der sich in dem kugelförmigen Raum zu schaffen machte, nicht erkennen können. Aber in diesem Augenblick wußte ich, daß es derjenige war, der jetzt vor mir stand. Höhnisch blickte er mich an. Klemir-Theron, der Oberste der GolteinHeiler …
* »So läufst du mir freiwillig in die Hände,
Kristallprinz!« spottete er. Ich schüttelte die Überraschung von mir ab. Vor mir stand der einzige Mensch, der um die Geheimnisse der unterirdischen Stadt wußte. Dieser Gedanke fraß sich in meinem Gehirn fest. Ich mußte zu erfahren suchen, was er wußte. »Und das Kleinod hast du auch mitge bracht«, fuhr der Heiler fort, mich zu ver höhnen. »Deine Mühe war umsonst. Ich werde dafür sorgen, daß der Wache wieder an seinen Ort zurückgelangt!« »Klemir-Theron, du bist ein Narr!« ant wortete ich. »Wenn du uns tötest. bist du im nächsten Augenblick selbst ein toter Mann. Meine Leute sind hierher unterwegs.« Er lachte ungläubig. »Niemand kennt die verschlungenen We ge dieser Stadt, niemand außer mir! Du al lerdings bist ziemlich tief in mein Geheim nis eingedrungen. Deswegen muß ich dich beseitigen. Deswegen, und weil der Impera tor gesagt hat: Bringt mir Atlans Kopf. Kle mir-Theron wird ein reicher und berühmter Mann sein, wenn er Orbanaschols Befehl Folge geleistet hat.« Es war ihm ernst, das erkannte ich an sei nem Blick. »Wer hat diese Stadt gebaut, Heiler?« fragte ich. »Niemand weiß es«, antwortete KlemirTheron. »Ich fand sie durch Zufall, vor ein paar Jahren. Ich begann, sie insgeheim zu durchsuchen. Eines Tages werde ich alles wissen, was es über diese Stadt zu wissen gibt. Aber du wirst nicht mehr da sein, um es zu hören!« Der Lauf der Waffe in seiner Armbeuge machte einen Ruck nach oben. Ich zuckte zusammen. Aber in diesem Augenblick drang ein langgezogener, gellender Schrei aus dem Gang, unter dessen Mündung der Goltein-Heiler stand. Klemir-Theron wollte herumwirbeln. Da hörte ich von irgendwo her das charakteristische Fauchen eines Strahlers. Sprachloses Entsetzen malte sich im Gesicht des Heilers. Er tat einen wanken den Schritt nach vorn. Ich sah, wie auf sei
Das Geheimnis von Perpandron nem Gewand ein häßlicher Brandfleck ent stand. Einen Atemzug später war Klemir-Theron in ein knisterndes Flammenmeer gehüllt. Unbarmherzig fraß der gleißende, fauchende Energiestrahl an der Substanz seines Kör pers … bis von dem Obersten der GolteinHeiler nichts mehr übrig war als ein Häuf lein Asche. Unter der Mündung des Ganges erschien Ra, der Barbar. Er schwenkte die Waffe. »Ich war ihm die ganze Zeit über auf den Fersen!« rief er. »Er verschwand aus dem Rundraum, als er jemand kommen hörte. Zwei Flügeltiere waren noch bei ihm. Ich nahm an, er wolle uns einen Hinterhalt legen und heftete mich an seine Spur. Die beiden Flügeltiere habe ich getötet und ihn nun auch.« Er warf Klemir-Therons Überresten einen verächtlichen Blick zu und schob die Waffe wieder in den Gürtel. »Wo geht es nach oben, Ra?« fragte ich. Er sah mich verblüfft an. Er hatte Dank erwartet, der ihm sicherlich auch gebührte. Mich aber hatte die Ungeduld gepackt. Nicht einen Augenblick länger als unbedingt nötig, wollte ich in dieser verwunschenen Stadt bleiben. »Ich weiß es nicht«, antwortete er. »Ich habe mich nur um den Heiler gekümmert. Ich dachte, ihr hättet inzwischen erfahren, wo es hinausgeht!« Ratslos sahen Karmina und ich einander an. Ich sah uns in Gedanken einen dieser Stollen nach dem anderen ausprobieren und Stunden über Stunden damit verlieren. Da meldete sich zum letzten Mal die fremde, geheimnisvolle Macht und sprach zu mir in meinem Bewußtsein: »Nimm ihn auf, und ich weise dir den Weg!« Mein Blick wanderte zu dem leblosen Fremden, den ich am Rand des Schachtes abgelegt hatte. Ra und Karmina beobachte ten mich mit Verwunderung, als ich zu ihm hinschritt und ihn behutsam in die Arme nahm.
49 Ich wandte mich um und sah, daß einer der Stollenausgänge in merkwürdig fahlem Licht zu leuchten begonnen hatte. Die frem de Macht, über deren Wesen ich nun, nach Klemir-Therons Tod, niemals etwas erfah ren würde, hielt Wort. »Dort hinaus geht es!« sagte ich und legte mir die Last des Leblosen vorsichtig über die Schulter.
* Der Stollen mündete abermals in einen weiten Schacht, der uns weiter in die Höhe führte. Nach geraumer Zeit gewahrten wir hoch über uns die erste Spur des Tageslichts. Während die Flugaggregate uns weiter nach oben trugen, nahmen wir aber auch ein Ge räusch wahr, das von oben zu uns herab drang: ein Brummen und Rumoren, das im mer lauter wurde, je höher wir stiegen. »Da oben findet ein Kampf statt!« rief Ra, der die Vorhut machte. »Ich höre schwere Geschütze …!« Die Mündung des Schachtes lag unmittel bar neben der Kuppe eines kleinen Hügels, der sich, eben noch innerhalb des Waldes, am Rand der großen Lichtung befand, auf der wir vor langer Zeit unser Beiboot das er ste Mal abgesetzt hatten. Brandgeruch lag in der Luft. Von verschiedenen Punkten der Lichtung stiegen Qualmwolken auf. Der Lärm hatte sich im Lauf der vergan genen Minuten gelegt. Anscheinend war die Schlacht vorüber. Ra, der als erster aus dem Schacht geklettert war, stand auf der Kuppe des Hügels und wies durch das Laub der Bäume in den Himmel hinauf. Er schrie et was, das ich zuerst nicht verstand. Ich folgte seinem Wink und sah die riesige kugelför mige Hülle eines arkonidischen Raum schiffs. »ISCHTAR …!« schrie der Barbar. Da begann ich zu verstehen. Fartuloon hatte den Flug unseres Beiboots von der Parkbahn des Raumschiffs herab verfolgt. Es konnte ihm nicht entgangen sein, daß wir von den Goltein-Heilern eingeholt und ge
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stellt worden waren … die Explosion unse res Bootes hatte er mit Gewißheit beobach tet. Daraufhin hatte er trotz der Vereinba rung, die ich mit ihm getroffen hatte; die ISCHTAR aus der Umlaufbahn gesteuert und zur Landung auf Perpandron angesetzt, um uns zu Hilfe zu kommen. Die Schlacht, deren Lärm wir gehört hatten, war der Kampf zwischen der ISCHTAR und den Fahrzeugen der Goltein-Heiler gewesen, die hier noch auf uns lauerten. Ich nahm an, daß der Gegner zum größten Teil ausgeschaltet worden war: die Qualmwolken, die von der Lichtung aufstiegen, sprachen eine beredte Sprache. Ich hatte den Leblosen zu Boden gelegt. Mit zitternder Hand schaltete ich das kleine Sprechgerät ein. »Fartuloon«, sagte ich, »deine Nähe war mir noch niemals zuvor so willkommen ge wesen …!« Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann meldete sich aus dem Empfänger die polternde Stimme des Bauchaufschneiders. »Kristallprinz … alle Götter! Ich bin froh, daß dir deine Narretei nicht den Hals geko stet hat!«
* Ich sah, wie ein Gleitfahrzeug sich aus dem riesigen Leib der ISCHTAR löste, die in geringer Höhe über der Lichtung schweb te und auf uns zukam. Im selben Augenblick stieß Karmina einen entsetzten Schrei aus. Ich fuhr herum. Die Sonnenträgerin stand wie zur Säule erstarrt. Aus schreckgeweite ten Augen starrte sie auf eine Gestalt, die dicht unterhalb der Kuppe des Hügels aus dem Wald getreten war. Mir stockte das Blut. Langsam, mit me chanischen Schritten näherte ich mich der Gestalt, die ebenso reglos verharrte wie Kar mina. Leeren Blicks starrte, sie vor sich hin und nahm offenbar nichts von ihrer Umge bung wahr. Zwei Schritte vor der Gestalt ging ich in die Knie.
»Vater …!« war das einzige, was ich noch hervorbrachte. Wir alle wurden an Bord der ISCHTAR gebracht. Weitaus der größte Teil der Ge heimnisse, mit denen wir auf der Welt der Goltein-Heiler konfrontiert worden waren, blieb ungelöst hinter uns zurück. Zwei da von allerdings hatten wir an Bord: Gonozal und den leblosen Fremden, den »Wachen«, wie Klemir-Theron ihn genannt hatte. Von meinem Vater war zu vermuten, daß er von den Heilern als unnütz abgeschoben worden war. Ob er durch Zufall oder mit Absicht in der Nähe der Stelle ausgesetzt wurde, an der der Gleiter der ISCHTAR uns abholte, war ungewiß. Ich war überdies bereit, die Güte des Schicksals, das mir den verlorenge glaubten Vater zurückgegeben hatte, ohne unnützes Fragen zu akzeptieren. Nach einem Erfrischungsbad und einer ausgiebigen Mahlzeit berichteten wir Fartu loon über unsere Erlebnisse. Der alte Bauch aufschneider hatte seinen Groll gegen mich vergessen. Ich war sicher, daß er sich wäh rend der vergangenen Tage schwere Vor würfe gemacht hatte, weil er mich nicht nach Perpandron hatte begleiten wollen. »Eines Tages«, sagte ich, »werden wir nach Perpandron zurückkehren und das Ge heimnis dieser Stadt enthüllen. Sie stammt aus grauer Vorzeit, und sie wird uns helfen, manche Zusammenhänge der arkonidischen Vorgeschichte besser zu verstehen.« Fartuloon hatte darüber nachgedacht, un seren Bericht in Form ma thematischer Da ten zu erfassen und diese dem Rechner zur Auswertung vorzulegen. Ich hinderte ihn nicht daran, aber meine Ahnung wurde kur ze Zeit später bestätigt: der Rechner wußte mit den Daten nichts anzufangen. Die ge heimnisvolle Strahlung, die die Leichen von Tieren und Pflanzen daran hinderte zu zer fallen, das merkwürdige Kugelschalengebil de der unterirdischen Stadt, das silbrige, ge steindurchsetzende Licht, die Riesenkäfer und Flügeltierroboter … das alles war auch für den Rechner zuviel. Fartuloon selbst hatte sich inzwischen
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auch um den »Wachen« gekümmert, der sich noch immer weigerte, seinem Namen Ehre zu machen und in einem Zustand leblo ser Bewußtlosigkeit verharrte. Als erstes stellte der Bauchaufschneider fest, daß er ohne Zweifel noch lebte und keinerlei ge sundheitlichen Schaden zeigte. Zweitens er klärte Fartuloon nach einer eingehenden Un tersuchung, daß der Fremde ganz und gar ar konoid sei. »Heißt das, daß er ein Arkonide ist?« fragte ich verwundert. Fartuloon wiegte den Kopf. »Nicht unbedingt. Es gibt einige arkonoi de Völker zwischen den Sternen … aller dings kenne ich keines, das uns so ähnlich ist, wie dieser junge Mann.« Karmina war bei unserer Unterhaltung zu gegen. Jedesmal, wenn die Rede auf den Fremden kam, trat ein eigenartiger Glanz in ihre Augen. Ich hatte mich inzwischen an den Gedanken gewöhnt, daß ich bei der Son nenträgerin als Mann nicht mehr die gering sten Chancen haben würde, wenn der silber
haarige Junge eines Tages zu sich kam. »Ihr braucht euch die Köpfe nicht heiß zu reden«, sagte Karmina mit träumerischer Stimme. »Er selbst wird uns eines Tages sa gen, wer er ist und woher er kommt.« »Falls er uns nicht einfach unter den Hän den wegstirbt«, sagte Fartuloon brummend und, angesichts Karminas unübersehbarer Schwärmerei, mit einem bemerkenswerten Mangel an Takt. Aber Karmina war so weit in die Welt ih rer Träume entrückt, daß sie ihm die groben Worte nicht übel nahm. »Eines Tages wird er erwachen und sich in unbeschreiblichem Glanz erheben …« »Echodim …!« knurrte Fartuloon. Das war die alte arkonidische Gebets schlußformel. Ich aber wußte, daß mein Lehrmeister nicht besonders religiös war.
E N D E
ENDE