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digitalisiert by Manni Hesse In Jenem Jahre 1520 . . . In jenem Jahre 1520, als es dem Hochsommer zuging, waren die Gemüter im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation auf das tiefste erregt. Die schon lange gärende Unzufriedenheit des Volkes hatte neue Nahrung gefunden! denn es war ein Mönch aus Wittenberg aufgestanden, der in einem gewaltigen Aufbegehren den Bruch mit der mittelalterlichen Welt zu vollziehen begann. In unerhört wortscharfen Schriften wandte er sich an die verschiedenen Stände des Reiches und verkündete die Freiheit des Christenmenschen, die Autorität des Wortes Gottes und die Abkehr von der Kirche des Mittelalters. Rom hatte mit dem Befehl zum Widerruf geantwortet, und der Reichstag hatte den Wittenberger vor seine Schranken gerufen, daß er sich baldigst vor den Ständen des Reiches verantworte. Durch das ganze Land ging das disputierende Hin und Her um die Thesen und den Kampfruf des Doktor Martin Luther. Während also die Deutschen auf diese Weise ihren Streit ausfochten — nebenbei gingen schon der Bundschuh, der Arme Konrad und ähnliche Geheimbünde der gequälten Bauernschaft im Lande um, und auch die Reichsritterschaft und die Städte fingen an zu rebellieren — während dieser selben Zeit also geschah viel Wunderbares auf der anderen Hälfte des farbenbunten Erdballs. Seit nämlich vor mehr als zwei Jahrzehnten Christobal Columbus mit seinen, drei Schiffen das Land jenseits des Ozeans ent-
deckt hatte, war es geradeso wie mit einem Bilderbuch geschehen: alle Augenblicke schlugen die neugierigen Seefahrer eine andere wundersame Seite des unerforschten Weltbuches auf. Unbekannte Reiche und Länder sowohl im Märchenlande Indien, wohin die Portugiesen gesegelt waren, wie auch in Amerika, wo vornehmlich das Ziel der Spanier lag, waren in schnell sich folgenden Bildern ins Blickfeld der Menschheit getreten. Freilich die Deutschen nahmen davon wenig Notiz. Sie disputierten um Thesen und Antithesen und mühten sich um die Erringung geistigen und seelischen Neulandes. Dafür aber tummelten sich die Conquistadores, die Eroberer spanischen oder portugiesischen, bald auch französischen und englischen Blutes, um so freier auf der plötzlich so groß und weit gewordenen irdischen Welt. In eben diesem Jahre 1520, in einer Sommernacht, nähert sich die lange Marschkolonne des Generalkapitäns Fernando Cortez dem südöstlichen Ufer des großen Schilfsees. Leichter Regen stäubt von dem Sternenlosen Himmel. Die Panzer der Reiter klirren, das Rasseln der Räder mischt sich in den schleifenden Tritt der müden Soldaten. Kaum einer spricht in der Kolonne, Wetter und Weg haben ihnen allesamt die Lust dazi' genommen. Ritter Sandoval hat sich nach vorn gedrängt, wo er im nächtlichen Dunkel den Generalkapitän vermutet. Man sieht schon die Schattenrisse der siebzig Tempelpyramiden von Tenochtitlan.*) Auf der mächtigen Schlangenberg-Pyramide, dem Haupttempel im Herzen der riesigen Stadt, flackert die rote Glut des immerwährenden Opferfeuers. Gleich einem blutigen Stern steht das Lichtzeichen am Himmel. Von rechts her wirft der Leuchtturm „Unserer Großmutter Holz" seinen Feuerschein in die trübe Nacht. Eben als Sandovals schwarzes Roß sich an dem mürrischen Kapitän Olid — dem ehemaligen Galeerensträfling — vorbei *) Tenochtitlan, die Hauptstadt des alten Aztekenreiches, ist die heutige Stadt Mexiko tief im Innern des gleichnamigen Staates.
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dem Generalkapitän zu nähern sucht, ertönt von der Spitze des Zuges die Stimme des^ ewigen Vorreiters Ordas. Da wissen sie, daß das Seeufer erreicht ist. Von dem etwas erhöht gelegenen Uferstreifen erkennt man nun trotz des Regenschleiers die Umrisse der Aztekenstadt. Wie ein Spinnenkörper sitzt sie inmitten des Schilfsees. Die dünnen Beine sind strahlenförmig nach allen Himmelsrich-: tungen ausgestreckt. Das sind die schmalen Fahrdämme, die, von der Inselstadt aus zum Ufer hinüberlaufen. Es sind die einzigen Zugänge hinüber und herüber. Fernando Cortez blickt ungeduldig in das nachtdunkle Wasser, das einen Steinwurf weit vor ihm in schwacher Dünung an das ; Ufer schlägt. Aus dem stählernen Rahmen des geöffneten Helmes srhaut ein scharfqeschnittenes Gesicht, die schwarzen Augen brennen in Erregung dieser entscheidenden, spannungsvollen Stunde. In dem unrastig herüberhuschenden Licht, das von den Tempeln kommt, wirkt dieses Bild des erzgepanzerten Ritters gespensterhaft. Hinter Don Cortez hält im tiefen j Schatten die berittene Gruppe seiner Unterführer. „Noch immer kein Bote von Alvarado?", geht die Frage des Generalkapitäns zurück an sein Gefolge. „Auch die Herren Mexikaner dürften wohl bald erscheinen, uns willkommen zu heißen! Hab's ihnen doch beigebracht!" Das Lachen des Sprechenden klingt etwas verkrampft und verärgert. Vor Tagen schon hatte Cortez seinem Freunde Alvarado, der die zurückgelassene Besatzung der Stadt kommandierte, durch einen seiner berittenen die Zeit seiner Rückkehr angezeigt, aber die längst erwarteten Boten waren ausgeblieben.
Der „Grüne Stein" bannt die „Zornigen Herrn" Während das kleine Heer schweigend und ein wenig mürrisch, am Seeufer verharrt, macht der Generalkapitän noch einmal« seine Rechnung. Bis zu diesem Datum und dieser Stunde ist die Sache guqB gegangen. Die Glücksgöttin ritt mit ihm auf all seinen Wegen I
Vor mehr als einem Jahr, am Karfreitag des Jahres 1519, war der 33jährige Feldhauptmann Fernando Cortez von Cuba aus mit elf Schiffen herübergesegelt und an der Ostküste dieses Traumreiches an Land gestiegen. Der tollkühne Abend, da er die Segler hinter sich verbrannte und seine Mannschaft von 400 Rittern und Raufbolden, die 16 Pferde und 14 Feldgeschütze
L*ge des alten Aztekenreiches zwischen Stillem und Atlantischem Ozean. Die Pieillinie gibt den Marschweg der spanischen Flotte von Cuba her an. und die Beutevorräte vieler Kaperfahrten in dem schnell befestigten Lager „Vera Cruz" zusammengedrängte, ist ihm noch wie ein unwirkliches Wunder gegenwärtig. Lange hatte er gezaudert, den Marsch in die Hochgebirgswelt dieses Landes anzutreten. Die Kraft und Schwäche des unbekannten Großreiches, die Fugen und Risse und widerstrebenden Gewalten in seinem Gefüge zu durchschauen — dazu brauchte der kluge Baccalaureus der Universität von Salamanca vier Monate.
Vier Monate, in denen sich den spanischen Eroberern das schimmernde Bild des erträumten Goldlandes grausam verwandelte. Gewiß — ein fleißiges Volk wohnte in den Tälern und Hochebenen Mexikos, in seinen zaubervollen Tempelstädten: kunstfertige Handwerker, Weber, Bildhauer, Jäger, Bergbauern, die ihre Terrassenäcker bis in die steilen Hänge des Hochgebirges hinaufgeführt und mit den kunstvollsten Kanälen bewässerten. An den breiten Straßen des Reiches aber standen die Zwingburgen der Herrenkaste der Azteken, die dieses friedliebende Volk in das Schreckensregiment der blutdürstigen Götter und ihres irdischen Gewaltträgers gezwungen. Der Tempel und die heiligen Bezirke waren blutgetränkt von den Menschenopfern, die alljährlich den Sonnen- und Mondgöttern und dem Gotte des Regens und der Winde verfielen. Aber noch ein anderes hatte Fernando Cortez in jenen Monaten des Zuwartens erfahren: Daß ein Raunen durch das gepreßte Volk ging, einstmals kämen vom Morgen, vom großen östlichen Wasser her, helle Schiffe und führten den Weißen Gott der Milde und des Friedens Quetzalcoatl, der einst in magischer Schuldverstrickung das Land verlassen, in die geschändeten Tempel zurück. Hirsche und bärtige Gestalten seien in seinem Gefolge und der Morgenstern werde mit Blitz und Donner die finsteren Götzen von ihren angemaßten Thronen und aus den Heiligtümern verjagen. Don Cortez dachte an jene Stunde, da ihn jäh der Gedanke überkam, daß er ja selber diesen Quetzalcoatl spielen und die Erlöserhoffnung der Massen zu seinen Gunsten ausnützen könnte. Die bärtigen Begleiter des Morgensternes: nun, das waren seine Männer: die Hirsche: das waren seine eisengepanzerten Pferde, die in diesem Lande unbekannt waren; Blitz und Donner — das war das Getöse und Feuer seiner vierzehn Geschütze. So hatte er, den Streit der Götter und die Entzweiung der Stämme geschickt für sich nützend, tausende von Eingeborenen in seine Gefolgschaft gelockt und war dann von der Küste hinaufgestiegen in das Gebirge. Wie im Traum zogen sie durch die phantastischen Großstädte, durch das Ameisengewimmel der Völker, mitten durch die barbarischen Schwärme der Soldaten, die in grellen Wattepanzern, mit Obsi-
dian-Sägeschwertern, Gesichtsmasken und Federhelmen, von Schrecken gelähmt, die Straßen. ' säumten. Im fernen Tenochtitlan indes hatte der Aztekenherrscher' i Montezuma, „Der zornige Herr", die Bilderhandschriften befragt und dort bestätigt gefunden, was die Eilboten ihm zugetragen: Jene weißen Männer, die da an Land gekommen, das war der y.Grüne Stein" Quetzalcoalt mit seinen Getreuen. Der Morgenstern war aus dem Meere gestiegen und war auf dem Wege. Und Ferdinand Corte* von Todesängsten gequält, Nach einem Gemälde im Hist. Muhatte Montezuma dem „Weiseum von Massachusella. Ben Gotte" zum Unterpfand der Ergebenheit Gefangene als Opfer entgegengeschickt, daß Quetzalcoatl von ihrem Blute trinke. Und er hatte ihm seine „Matte" angeboten, .da er sie nur eine kurze Weile für ihn gehütet". Voll Schaudern erinnerte sich Cortez an jene tausend Todgeweihten, die sie mit Kreide und Daunenfedern gezeichnet vor ihn geführt hatten, damit er sich durch ihr Blutopfer versöhnen lasse. Aber er hatte dem „Zornigen Herrn" im fernen Tenochtitlan sagen lassen, daß Quetzalcoatl dieses Opfer verabscheue und daß auch die Göttergewänder aus Federwerk und Edelsteinen ihm nicht genügten. Gier nach den Schätzen der Hauptstadt und Abscheu vor dieser grausigen Despotie aber hatten Cortez nur schneller noch in das Hochland von Mexiko vorangetrieben, und am 8. November 1519 hatte sich seine Truppe endlich in Tenochtitlan, der Wasserstadt im Herzen des Reiches, eingenistet, und sie waren hier inmitten eines Millionenvolkes mit List, Verrat und Gewalt allmählich zu Heiren des verängstigten Kaisers geworden. Damals — es sind noch keine sechs Monate her — hatte man ihnen jenen Wasserpalast äuge's
wiesen, den einst „König Molch* sich erbaut. So klein wai das spanische Heer, daß es Platz fand in diesem alten verlassenen Palast. Cortez lächelte, als er daran dachte, wie ihn dann das Glück weitergeführt hatte. Ein hartes Stück Arbeit — gewiß — aber dann war die Macht über dieses Reich in seine Hände gefallen. Das geschah, als er den Kaiser bedrängt hatte, die Gärten des Huei Tecpan, des Kaiserpalastes, und die. Schlangenbergpyramide besichtigen zu dürfen. Und Montezuma — hin- und hergerissen zwischen Verzweiflung und Haß — hatte sich dem härteren Willen des „Grünen Steins" gefügt und war bereit, dem Ansinnen zu willfahren und das Unerhörte zu dulden. Und so waren die Spanier in Eisenrüstungen und mit griffbereitem Degen die steilen Stufen der Tempelpyramide hinaufgestiegen, bis hin zum Menschenwürgerplatz. Und sie sahen hier mit Entsetzen die Berge von Schädeln der Hingeschlachteten und erfuhren, daß allein am Tage der Thronbesteigung des „Zornigen Herrn" 20 000 Gefangene an dieser Blutopferstätte ihr Leben gelassen hatten. An jenem selben Tage waren sie — siebzig Männer weißer Hautfarbe — inmitten einer Menschenmenge von Zehntausenden zum Huei Tecpan zurückgekehrt, wohin unterdessen ein Befehl des Generalkapitäns die restlichen Streitkräfte vom Palast des Königs Molch geführt hatte. Die Tore wurden geschlossen, Kartaunen fuhren auf und gepanzerte Schildwachen zogen vor den Palast des Kaisers. Drinnen aber, in einem spiegelnden Saal aus geschliffenem Marmor, dessen Wände von Federmosaiken und kostbaren Türkismasken, schweren goldenen Sonnenscheiben und zauberhaftem Edelsteingeglitzer bedeckt waren, hatte Cortez dem Kaiser erklärt, daß er um der Sicherheit der Christen willen künftig sein Gefangener sei. Das Pfand, das die geheiligte Person des Herrschers darstellte, hatte tatsächlich in der Folge den Sturm beschworen, so daß sich die winzige, spanische Insel im weiten Meer eines erregten Volkes zu halten vermochte. Als er dann vor wenigen Monaten glauben konnte, sein Werk getan zu haben, hatte er alle Sicherungen getroffen, dift 8
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Die Stadt Tenochtitlan (Mexiko), die Hauptstadt der Azteken, inmitten des Schillsees. Nach einem zeitgenössischen Holzschnitt,
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einen Rückschlag aller Voraussicht nach unmöglich machten. Inmitten der Wasserstadt mit ihren Kanälen und Gewässern, die nur durch die unterbrochenen Steindämme mit den Ufern zusammenhing, war vor allem die Rückzugslinie zu sichern. Darum hatte der Zimmermann Gutieriez drei Brigantinen, kleine hochbordige Schiffe gebaut, auf denen je zwei Kanonen standen, und deren größerer Bug in der Lage war, ein Dutzend der raschen, aber flachen Aztekenkanus in die Tiefe zu bohren. Diese Schiffe, an denen das Leben des Heeres hing, lagen in dem kleinen Hafen, der den Park Montezumas abschloß. Den riesigen Palastblock des Huei Tecpan aber verließen die spanischen Soldaten nicht mehr, und da Montezuma als Geisel in ihren Händen war, durften sie sich geborgen fühlen. Da war an der fernen Ozeanküste der Spanier Narvaez gelandet! Boten hatten von Vera Cruz her gemeldet, daß der ränkevolle Gouverneur Cubas ein dreimal stärkeres Heer ausgeschickt habe, um Cortez wegen angeblicher Unbotmäßigkeit gegen die Krone Spaniens in Ketten zu legen. Darum hatte also der Generalkapitän das Kommando über hundert Mann seinem bewährten und getreuen Freunde Alvarado übergeben und war mit dem Rest seiner Mannschaft eilig meerwärts gezogen, um Don Narvaez entgegenzutreten. Hinter sich ließ er ein gärendes Reich von vielen Millionen; vor ihm stand ein Feind, der über 1400 Mann, über zahlreiche Reiter, Geschütze und alle Hilfsmittel gebot. Aber in einem kühnen Handstreich hate er Narvaez überrumpelt und geschlagen. Die Masse der Leute war zu ihm übergetreten, als sie von den Schätzen Tenochtitlans hörten. Und nun kehrte er nach kurzer Abwesenheit nach Tenochtitlan zurück. 1200 Soldaten und reichlichen Troß brachte er mit. Mit dieser Streitmacht also wartet Don Cortez in jener Sommernacht am Ufer des Schilfsees auf die Boten des Alvaredo. Vergebens! Da gibt er voll banger Ahnungen den Befehl zum Einmarsch in die Stadt. In eilendem Zuge drängen sie über den Steindamm. Die engen Gassen der Vorstadt Cuepopan öffnen sich hinter einem bizarren Torbau, man erkennt undeutlich eine Menge huschender Gestalten. Speere glitzern im undeutlichen Lichte auf. — — — — — « — _ ^
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Das Rasseln der Geschützräder übertönt das leise Geschnatter der Indianer. Seltsam, daß sie um diese Nachtstunde so zahlreich und in Kriegsausrüstung herumwimmeln. Kein Begrüßungsruf für die Weißen Götter, keine Abordnung für den Freund des Kaisers und wiedergekehrten Quetzalcoatll •k Ein Schuß peitscht durch die Nacht. Cortez sieht den Blitz aus der Muskete des braven Trujillo zucken, der neben Ordas mit der Vorhut marschiert. Der Soldat hat mitten in ein Knäuel von „Kriegsadlern" gefeuert, die sich plötzlich auf die ersten Spanier geworfen haben. Der Schuß entfesselt den Kampf. Von allen Seiten dringen die Krieger heran. Jetzt blöken die Muschelhörner, die Trommeln dröhnen und die Schwerter der Soldaten rasseln aus den Scheiden. Cortez brüllt seine Befehle in die Nacht. Jetzt ist ihm klar, warum Alavarado keine Botschaft sandte. In Tenochtitlan herrscht der Aufruhr. Wenn die hundert Zurückgebliebenen noch leben, so sind sie im Palast des Kaisers in höchster Bedrängnis. Dorthin setzt der Generalkapitän den Durchbruch an. Sandoval und Olid stoßen wie leibhaftige Teufel in das Gedränge der aufschreienden Mexikaner. Noch wirkt der alte Zauber — die Kriegsadler fliehen, die Straßen zum Huei Tecpan sind frei.
Kriegsrat im Huei Tecpan Die Leute von Tenochtitlan wurden durch die Rückkehr des gefürchteten „Grünen Steins" überrascht, obschon ihre Späher seinem ganzen Marschwege gefolgt waren. Darum also hatte Fernando Cortez die Zugbrücken auf den Dämmen offen gefunden, deshalb stellte sich seinem Eindringen nur ungeordneter und schwacher Widerstand entgegen. In jener Nacht gelang der Vorstoß zum Kaiserpalast. Erst nachdem die letzten Troßwagen in den Torgewölben verschwunden waren und sich die hohen Torflügel geschlossen tl
hatten, sammelte sich eine vieltausendköpfige Schar von Kriegern vor dem belagerten Gebäudeblock und stürmte unter donnerndem Wutgebrüll gegen die Tore. Bis zum Morgen wogte das Kampfgewühl, krachten die Kar taunen und schwirrten die Pfeile gegen den Palast. Im Hueic Tecpan war der edle Alvarado, hochgewachsen und von kühnem Gesichtsschnitt, dem Generalkapitän ein wenig verlegen entgegengetreten. Die beiden Männer hatten sich umarmt. Alvarado trug einen blutigen Kopfverband, auch fand Cortez genug Verwundete auf den Lagern; die Lebensmittel waren fast aufgebraucht, das Pulver ging zu Ende und die Stimmung war sehr gedrückt. In dieser Stunde hatte Cortez nur eine einzige Frage an seinen Stellvertreter: .Sind die Brigantinen in Sicherheit?" Alvarado antwortete nicht. „Was ist mit den Brigantinen?", fragte Cortez wieder. „Vergebt, Don Fernando", sagte der andere, „Ihr hättet aud nicht anders handeln können. Ich hatte genug zu tun, mich mi dem Rest meiner Leute in diesem Hause zu behaupten. Di Schiffe sind verbrannt." Da wurde Fernando Cortez zum ersten Male bleich bis a die Lippen. „Alvarado", antwortete er mühsam beherrscht, „Ihr empfang mich mit einer üblen Botschaft.' Wißt Ihr, daß nun unser alle* Leben nur mehr in Gottes Hand liegt?" „Dies trifft zu jeder Stunde zu, Euer Gnaden!" Der Generalkapitän ließ ihn stehen. •fr Es war müßig, über die Ursachen des hereingebrochenen Unheils zu reden. Ein verhängnisvolles Mißverständnis hatte nicht nur das Schicksal, sondern auch die den Spaniern günstige Stimmung der Volksmassen gewandelt. In jener Stunde des Unheils „verloren sie ihr Gesicht", verlor das Volk von Tenochtitlan den Glauben an die Göttlichkeit der Weißen. Kurz nachdem der Generalkapitän aufgebrochen, die Kriegsmacht des Cubaners niederzuwerfen, waren einige hundert Kriegsadler, junge gewappnete Adlige, im Huei Tecpan er- ' schienen, um dem Kaiser zur Waffenweihe ihren Kriegstanz t'i
darzubieten. Die Spanier, unsicher durch ihre geringe Zahl, hatten die heftigen Ausfallbewegungen, das plötzliche Schwingen der Schwerter und das Gebrüll für Ernst genommen und hatten in den Haufen gefeuert. Ein furchtbares Blutbad war die Folge. Kaum ein Dutzend der jungen Adelssöhne war dem Huei Tecpan entronnen. Seit diesem schrecklichen Tage brodelte die Riesenstadt im Aufruhr. Ja, das ganze Land erhob sich gegen die Fremdlinge. Prinz Guatemozin, der „Herabstoßende Adler", hatte die Führung der Truppen. Als sich Montezuma auf dem Balkon seines Palastes zeigte, den er immer noch als Gefangener der Spanier bewohnte, war ein einziges Wutgebrüll seine Begrüßung. Man nannte ihn tausendstimmig Verräter. Ein Hagel von Steinen und Pfeilen verscheuchte ihn. Den von einem Steinwurf Verwundeten hatten die Spanier in das Zimmer zurückgerissen; denn Montezuma suchte sichtlich den Tod. Das Bewußtsein, den Untergang seines Volkes durch Nachgiebigkeit und Schwäche verursacht zu haben, hatte den Kaiser aufs tiefste erschüttert. Unter den Händen seiner Pflegerinnen Ines Florin und der Prinzessin Papan sowie des Apothekers Ponce de Guelva schwand er mit jedem Tage mehr dahin. Seit der Rückkehr des Generalkapitäns lagerten Tag und Nacht Wachen auf dem weiten Platze vor den Toren, und manche Tage brachten acht bis zehn rasende Sturmangriffe gegen alle Fronten des Kaiserpalastes. Das war die Lage, die Fernando Cortez nach seiner Rückkehr vorfand. Deshalb berief er den Kriegsrat ein. Im Saal der Federschlange treffen sie zusammen. Es ist ein kleiner Raum, die Wände mit poliertem Porphyr und mit Federmosaiken bedeckt. Aus den kostbarsten Haisund Brustfedern der bunten Kolibris, des Türkisvogels und der zahllosen Entenarten des Mexikosees sind sie zusammengesetzt. Helme mit Bärenfellen und Adlerbälgen, Goidplattenpanzer, schwersilberne Geräte und eingelegte Vasen schmücken die Nischen. '.3
An einer Tafel von schwarzem Malachit, die von Goldornhmenten durchzogen ist, nehmen die Offiziere Platz. Neben dem Generalkapitän nimmt der blonde Sandoval seinen Sessel ein. Dann kommen der finstere, krausköpfige Olid, der baumlange, brutale Hauptmann Avila, der feingliedrige, edle Velasquez de Leon und der Zimmermann Christobal de Jaen, den Cortez zur Tischrunde gebeten hat. Ritter Ordas, ein wahrhaftiges Abbild des Don Quixote, stelzt auf langen, dünnen Beinen verspätet zur Tür herein und entschuldigt sich, während der Page Orteguilla hinter dem Stuhl des Generalkapitäns Aufstellung genommen hat. Fernando Cortez legt in nüchternen und kurzen Worten die Lage dar. Die Männer stimmen ihm zu. über die Aussichtslosigkeit und Furchtbarkeit des Augenblicks gibt es nur eine Meinung. Die letzten Maisvorräte sind aufgebraucht, die Pferde fressen bereits die Rinde von den wenigen Bäumen im Park des Kaiserpalastes. Man steht auf einer kleinen, schwankenden Insel inmitten eines Schilfmeeres, inmitten eines wütenden und bis aufs Blut beleidigten Volkes. Jenseits des Ozeans sind die Freunde. Auf Entsatz darf man nicht hoffen; denn selbst der Statthalter von Cuba ist zum Todfeind geworden. „Wir müssen vor allem aus dieser Mausefalle heraus!", sagt der Generalkapitän. „In einer Stadt, die gleich Venedig nur aus Kanälen, engen Straßen und ein paar Plätzen besteht, rings umgeben von Wassern und schwirrenden Kanuflotten, aus solch einer Todesfalle muß man fort, ehe man daran denken kann, die Eroberung des Landes zum zweiten Male gründlicher zu beginnen." „Also gehen wir!" sagt Olid, der ehemalige Sträfling, gleichmütig, „mich hält hier nichts." .Und wie denkst du über die Steindämme zu kommen?", fragt der polternde Avila grollend »Hast du dir etwa Flügel wachsen lassen?" Olid gähnt nur und blickt den Freund aus seinen kleinen, tückischen Äuglein schläfrig an. .Wir hauen uns mitten durch ihre Haufen!", trotzt Alvarado. i „Kampf ist immer noch das beste!" [4
.Ich wollte, Ihr hättet nicht immer so gedacht, Senor!", erwidert Cortez spöttisch und Alvarado verstummt beschämt. „Aber heraus müssen wir!", nimmt nun auch Sandoval den Gedanken wieder auf. „Wenn wir hier bleiben, werden wir langsam verhungern. Und wer von Euch dabei war, wie wir den Schlangenberg erstiegen und diese Opferkammern sahen mit den Steinmessern, mit denen man den Gefangenen die Herzen aus der Brust reißt..." „Wir wissen!", schneidet der Generalkapitän die Rede ab, da er sieht, wie sie Eindruck auf die Gefährten macht, «der Tod im Kampf ist besser als diese Gefangenschaft." „Also befehlt, Don Cortez!", ruft Ritter Ordas, „wir sind bereit, Euch zu folgen." Er ist wie Don Quixote ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern. Fernando Cortez legt nun seine Pläne dar. Es sind eigentliche Befehle, denn er ist wie immer der geistige Kopf in dieser Runde der Haudegen. „Wir wählen eine der kommenden Nächte zum Ausfall, Senores. Wir werden den Neumond abwarten, am besten eine trübe und regnerische Nacht. Die Wagenräder sind mit Stroh zu umwickeln, die Hufe der Rosse werden in Lumpen gehüllt und strengstes Stillschweigen ist zu befehlen. Dann geht es Aeraus und den Dämmen zu!" „Welche Richtung wählen wir, Don Hernando? Am Ende jedes Dammes liegt ein anderes Stammesgebiet", fragt Avila, der Hauptmann. „Wir werden die Straße nach Nordwesten nehmen, Senores, nach Tlacopan; denn dieser Damm hat nur drei Durchstiche, also nur drei Gefahrenstellen: während alle anderen Dämme von fünf und gar acht Kanälen gekreuzt werden." Dann setzt er den aufhorchenden Offizieren die Einzelheiten seines Planes auseinander. Als man erkannt hat, daß dies die letzte Chance ist, wirft Avila finster und drohend die Frage nach dem Schicksal der Gefangenen auf. Cortez schweigt. „Ist doch klar!", gähnt Olid und fährt sich mit dem dicken Finger wie spielerisch über den Hals. 15
Cortez fährt auf. „Neinl", sagt er streng, „Montezuma Ist Gefangener auf mein Ehrenwort — nein, wir beflecken unsere Waffen nicht mit seinem Blutl" „Man kann einen Strick nehmen", lächelte Olid unbewegt. „ Laß mal, Olid!", fällt ihm Avila in die Rede. „Wir dürfen den Generalkapitän nicht mit solchen Sorgen beschweren." Die beiden haben sich verstanden. „Ich verbiete ausdrücklich, daß die Gefangenen angerührt werden!", knurrt Cortez wütend, „Vergessen Sie nicht, Senores, daß wir als Boten der einzig wahren Religion gekommen sindl" „Schon gut!", sagt Avila, „Sonst noch etwas?" Da gibt der Generalkapitän seine Befehle aus. Die Vorhut werden Sandoval und Ordas führen, Hauptmann Lugo mit der Leibwache marschiert mit ihnen. Das Gros soll unter dem Befehl Avilas und Olids stehen, während die schwierigste Aufgabe dem jungen Velasquez de Leon und dem draufgängerischen Alvarado zufällt. Der Zimmermann Christobal de Jaen aber wird eine transportable Sturmbrücke bauen, die über die Durchstiche der Dämme geworfen werden kann. Cortez erhebt sich und geht nachdenklich aus dem Saal.
Das Gold und die Mörder Der Beschluß des Kriegsrates macht schnell die Runde im Palast, der in ein einziges Kriegslager verwandelt ist. Die Vorbereitungen beginnen. Degen werden geschliffen, Musketen instandgesetzt und Hellebarden geschmiedet. Soldaten sind dabei, den Geschützen die Räder mit Stroh zu umflechten oder die kostbaren, bunten Baumwollmäntel aus den kaiserlichen Schatzkammer zu zerreißen, um Lappen für die Hufe zu gewinnen. Man lädt die Pulverfässer, den restlichen Proviant und die Verwundeten auf die Planwagen; Christobal de Jaen aber zimmert in einem der riesigen Säle mit den Gehilfen die zerlegbare Sturmbrücke. Manchmal stürmen die Mexikaner gegen die Vorderfront des Palastes. Die Dacher der gegenüberliegenden Häuser sind 16
schwarz von Menschenmassen. Bis hinauf in die Höhe der Tempelpyramiden drängt sich die erbitterte Menge. Nur ein Teil der Kanoniere, nur einige Dutzend oder hundert wehren den zornigen Ansturm vor den Toren. Die andern treiben sich durch die endlosen Galerien und Gänge, die Prunkgemächer und Säle des Kaiserschlosses, sich ein wenig umzusehen, was es mitzunehmen gibt Bei einem der Plünderzüge dringt ein Trupp Soldaten in die tiefen Granitkeller und legt hinter einer ausgemeißelten Steinplatte eine öff. Die Rüstung der Reitplerde nung frei. Sie führt in einen bisher des Cortez versetzte die unbekannten Teil der Gewölbe. Mexikaner in Schrecken. Sie sie entzünden Fackeln und dränkannten weder Pierde noch gen mit gespanntem Pistol, mit Räder noch Wagen. gezogenem Degen in die dumpfigen, feuchten Gänge. So entdecken sie die Schatzkammern Montezumas. Kisten aus Edelhölzern sind randvoll mit Türkisen, Saphiren und Smaragden gefüllt. Glutrote Rubine funkeln in langen Goldketten, Säcke mit Goldstaub, fein säuberlich in weißes Leder genäht, stehen in langen Reihen; dort lagern Federmosaikmäntel, weil wertvoller als die Truhen mit Gold, Türkisgesichtsmasken, Geschmeide, Berge von Baumwollmänteln und endlose Stapel mit Waffen. Die Männer stürzen ans Licht. Trujillo, Porras und Palma sind die Entdecker. Sie zerren die Kameraden mit sich hinunter, die Schätze zu bergen. — Wagenladungen voll Gold, Mengen um Schiffe zu füllen, liegen da unten in den Gewölben. Ein Taumel erfaßt sie. Selbst die Verteidiger stürzen von ihren Posten und irren durch die Keller . . . Goldl Goldl 17
Sie reißen den Proviant, ja selbst die Verwundeten von den Wagen und schleppen die Goldsäcke hinauf. Sie schwanken wie Betrunkene, sie haben sich die Taschen voll Edelsteine und Goldgerät gestopft. Sie füllen sich die Hohlräume zwischen Brustpanzer und Wams mit Goldstaub, daß es ihnen schwer, aber süß auf dem Atem liegt. Die Offiziere sind machtlos, Cortez muß den ersten Rausch austoben lassen. Der Wahnsinn bringt die Soldateska auch in jenen Teil des Kellers, wo die gefangenen Prinzen und Könige der umliegenden Städte mit Ketten an die Mauern geschmiedet sind. Rohe Knechte stoßen die Wehrlosen nieder. Das Dazwischentreten Tapias und des braven Luis Marin rettet, Prinz „OhrringSchlange" und den „Durch Zauber Verführenden". Die Prinzen werden unter Bewachung gestellt und sollen als Geiseln den Zug begleiten. Während der Huei Tecpan wirbelt und braust vom Sturme der Goldsucher und Plünderer, liegt der gefangene Kaiser, an seiner Wunde dahinsiechend, in einem Gemach des oberen Stockwerks und weiß, daß seine Tage gezählt sind. Montezuma ruft die Pflegerin zu sich, schenkt der frommen Ines Florin einen kostbaren Smaragdring und dankt ihr für die Güte. Mit der Prinzessin Papan unterhält sich der Fürst in seiner singenden und zischenden Sprache eine lange Zeit, bis auch sie sich weinend zurückzieht. Er bestimmt, daß jeder der spanischen Soldaten zwei schwere Goldketten haben soll und weiß nicht, daß diese eben dabei sind, mit vollen Armen das Gold aus den Kellern zu schleppen. Am späten Nachmittag betreten Avila und Olid den Raum; Pero Osorio, der Henker des Heeres, folgt ihnen auf dem Fuße. Ines Florin schreit auf und stellt sich den Männern in den Weg. Montezuma, der in den Federkissen liegt, blickt aus den Vorhängen seines Lagers. Er sieht die verzerrten Gesichter der beiden Männer. Schwankend erhebt er sich. Er winkt Ines Florin zu gehen. Das Mädchen
in
küßt Ihm schluchzend die Hand. Prinzessin Papan wird von Pero Osorio hinausgedrängt. Dann sind Montezuma und seine Henker allein. „Mach's kurz!", sagt Olid, und der Scherge tritt an den Kaiser heran. Montezuma hebt wie bittend die Hände, dorthin, wo ihn das Sternenballspielhaus seiner Götter erwartet. Er hofft, dem Totengott bald das Lösegeld zahlen zu können. Dann nimmt er Pero Osorio selber den Strick aus der Hand und legt ihn um den ausgemergelten Hals. „Voran! Zorniger Herr!", sagt Avilla finster. „Das Blut der Gemordeten klebt an Dir!" Aber der Kaiser versteht ihn nicht. So stirbt der letzte Herrscher des gewaltigen Aztekenreiches von der Hand eines begnadigten Verbrechers, den Kastiliens Gefängnisse ausgespieen.
Die Nacht der Schrecken Die Nacht vom 1. zum 2. Juli 1520 scheint für das Unternehmen des Cortez wie geschaffen. Der Regenwind treibt ein niedrig ziehendes Gewölk über den Schilfsee. Die Plattform der Schlangenbergpyramide verschwindet im Schwarzen Schatten, nur fern zittert blutroter Schein durch den Nebel. Die Tempelhochhäuser und Paläste liegen pechfinster an den verborgenen Kanälen, verlassen sind die regengepeitschten Plätze der Stadt. Da öffnen sich leise die Torflügel des Huei Tecpan, schemenhafte Gestalten huschen heraus, fahl leuchten die blanken Waffen. Das gedämpfte Klirren der Panzer trägt der Wind davon. Der Regen klatscht an die Hauswände und auf das Pflaster der geschwungenen Brücken. Die Vorhut Sandovals tritt aus dem nun weit geöffneten Torweg des Kaiserpalastes. Dumpf stampfen die umwickelten Hufe der Rosse, ächzend drehen sich die gedämpften Geschützräder. Strohbündel winden sich um ihre Felgen. Zweihundert Mann und drei Falkonette, dazu zwanzig Berittene, so führt Sandoval seine Streitmacht über den menschenleeren Platz. IV
Ritter Ordas mit einer langen Lanze, den Helm geschlossen, trabt wie immer zwanzig Schritt vor dem ersten Manne der kleinen Streitmacht. An die Vorhut schließt sich das Gros an, dort fahren die meisten Wagen mit, schwer biegen sich die Balken unter dem Goldschatz Montezumas. Die Rosse prusten und schnauben. Dann rollt die Artillerie aus dem düsteren Rachen des Tores hervor. Die „Singende Nachtigall", das größte der Geschütze, der „Herbe Gruß", die „Dünne Inez" und wie sie alle heißen — vierzehn Stück, und alle blank von Bronze, Messing und Kupfer. Munitions- und Pulverwagen folgen, wieder Reiter, und dann die eng geschlossenen Reihen des Fußvolkes. Cortez marschiert neben den Freunden Trujillo und Palma. Die beiden Dickwänste haben sich mit Gold förmlich ausgestopft. Sie schwanken wie Betrunkene, so sehr lastet das Gewicht der Edelsteine und des Goldprunkes. Cortez gibt mit gedämpfter Stimme Befehle. Hinter ihm traben finster und grimmig Olid, der seine breite Klinge vor sich auf den Sattelknopf gelegt hat, und Avila, der die Lanze im Sattelschuh hält. Langsam kriecht die Marschkolonne über den Platz, der düsteren Schlucht der Straße zu. Dann, spät erst, verläßt die Nachhut unter den beiden jungen Rittern Alvarado und Velasquez de Leon den Palast. Sie schleppen die Gefangenen in Ketten mit. Die Menge der Musketiere ist hier versammelt, sie schützen in den hohlen Händen die brennenden Lunten gegen den Regen. So klirrt und rauscht, huscht und schleicht der nächtliche Zug durch die undurchdringliche Finsternis der Straßen. Rechts und links sind mehrstöckige, schlafende Gebäude; bis jetzt ist man keiner lebenden Seele begegnet. Ohne Unfall erreicht das fliehende Heer die arme Vorstadt Cuepopan. Es muß um die erste Nachtstunde sein. Die Vorhut sichtet bereits die lodernden Feuer des Leuchtturmes „Unserer Großmutter Holz". Nur niedrige und schilfgedeckte Hütten 70
Mexikanischer Krieger aus der Aztekenzeit.
säumen den Weg. Man ist über steingehauene Bogenbrücken gekommen. Eine flache, zum Wasser abfallende Uferstraße beginnt. Sie endet unmittelbar im schwarzen, glucksenden See. Das Wasser dehnt sich unheimlich und unübersehbar hinaus, platschend schlagen die Wellen an den Strand, und der Wind streicht durch ferne Schilfdickichte. In diesem Augenblick fallen \an der Spitze des Zuges dumpfe Schüsse. Irgendwo haben sich am Ufer bei den Booten dunkle Gestalten bewegt und ein übereifriger Musketier hat auf sie gefeuert. Schon gellen die mörderischen Schreie einer Frau: „Auf, ihr Adler und Jaguare Mexikos!", kreischt es, „Auf, Auf! Die Fremden wollen fliehen! Schlaft nicht länger, ihr Männer von Tenochtitlan, der Feind entrinnt euch in der Nacht!" Der Alarmruf weckt die Stadt. Aus den nahen Uferstraßen und Gäßchen, nun auch aus entfernteren Teilen, nun aus den Tempelburgen dringt der Lärm der Krieger. Alles hängt an Minuten. Noch trennen ein paar hundert Schritt die Vorhut vom Anfang des Dammes. Cortez befiehlt Sturm. Ohne Rücksicht auf den Lärm rasseln und toben nun die Fahrzeuge, drängen die Massen. Aber die beutebeladenen Wagen, die überlasteten Soldaten verfallen nach wenigen Schritten keuchend wieder ins Schleppen. Mexiko aber ist unterwegs. Dumpfe Gongs schallen aus entfernten Stadtteilen, die Priestertrommeln dröhnen von den Tempelpyramiden, die Feuer auf den Plattformen zu Häupten der Großstadt flammen grell empor und plötzlich brüllt schaurig der gewaltige Kriegsgong von der Schiangehbergpyramide. Huitzlipochtlis Kriegshorn fällt ein und die Muschelhörner der Truppen geben Antwort. Von den Palästen König Wassergesichts und des Königs Molch, wo die Führer der Aufständischen residieren, quaken die Pauken der ausmarschierenden Adler und Jaguare. In weniger als zehn Minuten füllen sich die Straßen und Plätze der Stadt mit rasselnden Kriegertrupps. Guatemozin, der „Herabstoßende Adler", trägt den Helm mit dem weißen Adler. Sein Harnisch aus kleinen Goldplättchen, geziert mit juwelenflirrendem Brustschmuck und schlohweißen 22
Schulterbinden, ist halb verdeckt von dem übergeworfenen Federmantel. Guatemozin läuft in Silbersandalen, seine Linke hält den lazurnenen Krummstab der Herrenwürde, aber die Rechte hat das riesige Sägeschwert gefaßt, die tödliche Waffe der Jaguare. Es sind ausgewählte, adelige Krieger, in metallenen Panzern, die Häupter mit phantastischen Helmen bewehrt. Aus dem weit geöffneten Rachen eines Panthers oder Jaguars starren die Gesichter hervor. Sie haben grelle Kriegsfarben über das Antlitz gemalt. Sie tragen den Bogen und langschäftige Pfeile und die Waffen des Edelmannes, die Obsidian-Schwerter. Aus Hartholz sind diese Schwerter geschnitzt und die Schneiden mit rasiermesserscharfen Feuersteinsplittern gespickt. Denn dieses blühende Reich Mexiko befindet sich noch mitten im Steinzeitalter, obschon es die Metalle mit Ausnahme des Eisens bereits verwendet. Jetzt brechen diese furchtbaren Krieger aus allen Straßen hervor; plötzlich wimmeln alle Kanäle Tenochtitlans von Kähnen und Flößen, die der Seeseite von Tlacopan zustreben, wo die Fremden über den Damm zu entfliehen suchen. Und der Kampf beginnt fast in demselben Augenblick, in dem die Spitze der Spanier den Steindamm erreicht hat. Die schwarze Fläche des Schilfsees belebt sich mit Tausenden von Fackeln, über das Wasser breitet sich ein rötlicher Schein. Sandoval und die Seinen stürmen, wie von Teufeln gehetzt, auf den ersten Dammdurchbruch zu. Sie erreichen die Stelle fast gleichzeitig mit den landenden Booten. Ritter Ordas durchbohrt einen Jaguar mit der gefällten Lanze, Sandovals Schwert pfeift durch die Luft. Die Zugbrücke ist abgebrochen oder fortgeschafft, vor den Reitern gähnt ein tiefer und breiter Wasserarm. Hinter ihnen drängt das Heer auf den Dammweg und drückt nach vorne. „Die Brücke vor!", brüllt der tapfere Sandoval und duckt sich vor einem Schwärm heranschwirrender Pfeile. Dann läßt er das Visier herab. 23
Christobal de Jaen, der Zimmermann, und Guteriez, der Schiffsbauer, laufen mit ihren Knechten heran, werfen die Balkengerüste über die offene Stelle und beginnen in fliegender Eile den Abgrund zu überbrücken. Ehe noch die Planken recht aufliegen, sind schon die ersten Spanier auf das nächste Dammstück geklettert. Hier aber wimmelt es bereits von mexikanischen Kriegern. Ein furchtbarer Kampf Mann gegen Mann setzt ein. Das Getümmel ist allgemein geworden. Es gibt kein Zurück mehr. Tausende und Abertausende von Kriegern Guatemozins donnern als dumpfe Masse gegen die Nachhut, die den Brückenkopf am Beginn des Dammes hält; schon hört man das Aufbellen der Musketen, das furtbarere Grollen der Kartaunen. Rote Blitze durchschneiden die Regennacht, in ihrem Lichte werden furchtbare Gestalten beleuchtet: Federhelme, geöffnete Jaguarrachen und aufgerissene Bärenköpfe. Darüber Tausende grünlich blitzender Obsidianäxte und -Schwerter, und unzählige verzerrte, braune Gesichter. Ein einziger Schrei steigt zum verhüllten Himmel. Kriegshörner gellen, dumpfe Trommeln rufen immer neue Scharen zum Kampfplatz, und die Muschelhörner der Tempel blöken unausgesetzt, als sei die Hölle entfesselt. Der wackere Hauptmann Tapia schafft die „Singende Nachtigall" heran. Er muß einen Büchsenschuß weit durch das gedrängte Gewühl der Soldaten und des Trosses, die sich auf dem Dammweg stauen, während sie vom See her aus ungezählten Booten beschossen werden. Brennende Pfeile schwirren in die Menschenmasse. Die Mexikokrieger werfen ihre Schlingen, und wer ihnen nicht ausweicht, wird aus dem Gewühl des Dammes in das aufspritzende Wasser gerissen. Gierige Hände fischen ihn auf und schleppen ihn fort zu einem grausigen Schicksal. Hauptmann Tapia erreicht die Spitze und läßt die „Singende Nachtigall" spielen, daß der Donner erbebend von den nahen Palästen der Stadt zurückdröhnt. Da gibt es Luft, die bunten Haufen von gespenstischen Nachtmahren stürzen {urchterfüllt zurück zu den Booten, werfen sich schwimmend ins Wasser und geben den Übergang frei. 24
Sandoval rückt hinüber, der Marschzug setzt sich wieder in Bewegung. Man hat den ersten Durchstich überwunden. Eine Meile beträgt der Weg, der noch vor dem Heere liegt, bis man den zweiten Durchbruch im tieferen Wasser erreicht. Da geschieht das Unglück. Christobal de Jaen kann die Brücke nicht mehr lösen. Durch das Gewicht der darüberrollenden Wagen und Geschütze hat sich das Gefüge verkeilt. So wälzt sich das Heer ohne Brücke dem zweiten Dammdurchstich entgegen. über die Länge der Steinstraße zwischen den schwarzen Wassern dehnt sich nun der Kampf, überall sind Jaguare und Adler gelandet und stehen breitbeinig da, schwingen die Obsidianschwerter und überschütten die Spanier mit einem Hagel von Geschossen. Der See scheint ein schwirrendes Lichtermeer zu sein, Zehntausende von Fackeln leuchten von allen Seiten. Hoch in den aufklarenden Wolken brennen die Flammen des Leuchtfeuers und weiter himmelwärts die Opferfeuer des Teocallen.
Feldgeschütze, wie sie Cortez mitiährte. Ihr Blitzen und Donnern lähmte die Abwehrkrait des Aztekenherrsdiers und seiner Truppen. 75
Auf sämtlichen Tempelpyramiden hat man nun Feuer entfacht, unaufhörlich schreien die Muschelhörner, dröhnen die Kesselpauken. Vor dem zweiten Kanal stauen sich Sandovals Reiter. Das scheint das Ende. Als Ritter Ordas mit der langen Lanze den Grund des Wassers zu ertasten sucht, findet er keinen Boden. Das Wasser ist hier tief und der Wasserarm breiter als ein Reiter im Sprung zu überbrücken vermag. Von rückwärts aber drangt die Masse in Panik nach. „Geht voran! Vorwärts!", rufen hundert Stimmen, „In Christi Namen, worauf wartet ihr?" Ja, sie warten auf ein Wunder, das ihnen diese Kluft überbrückt! Sie stehen auf einem Damm, der vorn im schwarzen Wasser endet, während an seinem anderen Ende die Holzbrücke In Flammen steht. Eingeschlossen, zu Ende, verloren — alle Dreizehnhundert! Cortez gibt seinem Romo die Sporen und schafft sich ohne Rücksicht auf Verwundete und Zusammengepreßte Bahn nach vorne. Schon im Vorbeireiten brüllt er seinen Männern Befehle zu! „Geschütze und Wagen nach vorne!" Dann stürzen sie den gesamten Troß und Fuhrpark, die goldund sdiatzbeladenen Wagen mit Montezumas Reichtümern, die Geschütze, die Pulverkarren und die Proviantfahrzeuge und sogar die Karren für die Kranken und Verwundeten in den gähnenden, gurgelnden Spalt, der sie von Freiheit und Zukunft trennt. Mit Gold schütten sie den Dammriß zu! Aber noch verhängnisvoller: mit Geschützen, mit Pulver und Blei. Aber der See ist hier tief. Noch reicht es nicht bis zum anderen Ufer. Nur die schlanken Rohre der Falkonette, die stumpfen Schlünde der Kartaunen starren aus dem finsteren. Gewässer. „Schafft die Toten heran!", befiehlt Cortez, und während er sich mit zwei oder drei Kriegsadlern herumschlägt, überwacht er die grausige Arbeit. Langsam füllt sich die Kluft und die ersten Geretteten betreten das vorletzte Dammstück. Sandoval, der Blonde, stürmt vorwärts, Ritter Ordas folgt ?fi
ihm auf seinem Roß, das mit gesträubter Mähne und funkelnden Augen wie der leibhaftige Satan gegen die Mauer der Jaguare und Adler fährt. Dann krachen wieder die Schwerter, klirren die Panzer und fallen dumpf die Hiebe auf wattierte Rüstungen. Das Heer wälzt sich über die Mitte des Sees. Auf dem Wasser, kaum einen Steinwurf entfernt und bei dem zuckenden Fackellicht deutlich erkennbar, schleppen sie weiße Gefangene in Booten davon. Niemand kann helfen. Der Narr Medrid und der brave Bergmann Ortiz, der aus Asturien ausgefahren war, in einer neuen Welt sein Glück zu machen, sie liegen gefesselt auf einem der Flöße. Ihr Schicksal ist schrecklich. „Voran! Voran!", hetzt Cortez seine Mannschaft, und sie huschen geduckt und geschlagen an ihm vorbei, dem Dammdurchbrach zu. Die Marschkolonne ist licht und leer geworden, kein Wagen, kein Geschütz mehr, aber viel Tote bei jedem Schritt. Avila und Olid mit drei Reitern folgen dem General&apitän. Während die Letzten an ihnen vorübereilen, fährt Cortez in jäher Wendung herum: „Wo sind die Männer der Nachhut?" Einhundertfünfzig Mann, geführt von dem edlen Velasquez de Leon, der wegen einer unglücklichen Liebe nach Amerika entfloh, und dem stürmischen Kämpen Alvarado, dessen Draufgängerei alles verdorben hat, blieben zurück. Fernes Getöse und die brennende, nun schon verglosende Brücke am ersten Durchbruch sagen dem Generalkapitän genug. Die Nachhut ist abgeschnitten und kämpft ihren Todeskampf. Ehe Olid und Avila etwas einwenden können, rast Cortez im Galopp über den Dammweg zurück. Vor der eingestürzten Brücke pariert er sein Roß, hinter ihm halten fünf Reiter. Drüben aber, durch zwanzig Fuß Wassers getrennt, stehen zusammengedrängt die hundert überlebenden der Nachhut und weisen wütende Angriffe ab. Da hält Don Hernandez die hohle Hand an den Mund. „Zurück zum Huei Tecpanl", schreit er. „Wir kommen wieder und holen euch!" Man hat ihn verstanden )•}
Im gleichen Augenblick, als der aus vielen Wunden blutende Velasquez de Leon sich umwenden will, fallen sieben Jaguare auf einmal über ihn her. Cortez sieht es in ohnmächtigem Zorn; aber dem Freunde ist nicht mehr zu helfen. Ein furchtbarer Hieb hat den Tapferen gefällt. Ein Schrei geht durch die verlorene Truppe. Nur Alvarado, der Ungebärdige und Unerschrockene, ergibt sich nicht in sein Schicksal. „Lebendig bekommen sie mich nicht!", ruft er, und ehe man sich versieht, setzt er die lange Lanze auf einen stehengebliebenen Pfeiler der verbrannten Brücke, schwingt sich hoch durch die Lüfte und landet in unglaublichem Sprunge am rettenden Ufer. Der Block der hundert Letzten aber beginnt, in engem Ringe zusammengeschlossen, sich langsam den Rückweg zum Huei Tecpan zu erkämpfen.
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Im, Morgengrauen
Noch ein dritter Dammdurchstich muß überwunden werden. Hier ist das Wasser so seicht, daß es einem Manne eben bis zu den Schultern geht. Die Spanier werfen sich olme Zaudern in die Flut. Noch finden viele den Tod; die Schätze der Azteken, das Gold Montezumas reißt sie um und läßt sie im Schlamm der Grundes ersticken. Der Rest erreicht das Ufer des Schilfsees im Morgengrauen. Der Generalkapitän hat seinen gesamten Troß, alle Geschütze und Musketen und auch alle Schätze verloren. Mit 440 mutlosen und halb waffenlosen Männern steht er, abgeschnitten von aller Welt, am Rande des Mexikosees, inmitten des ungeheuren Aufruhrs. In der aufklarenden Luft des Hochufers erleben die Geschlagenen den letzten Schrecken. Drüben über der Stadt führt man die Kameraden zur hundertstufigen Pyramide empor. Ein unendlicher Zug von Gestalten bewegt sich in weißen Baumwollmänteln und bunten Kriegsmasken zu den Tempeln, und überall schreiten Gefangene inmitten. Dort oben warten unterm Gedröhn der Kesselpauken und dem Blöken der Muschelhörner die Priester in blutroten Ge-
wändern, sie halten die grünen Obsidianmesser in den Fäusten und rufen die schrecklichen Mordgötter des Landes an. Unter den Geretteten bemerkt Cortez auch den Schiffsbaumeister Gutierez. Und während das Heer erschreckt und erschüttert auf die lodernden Pyramiden von Tenochtitlan starrt, wendet sich Don Fernandez an den Baumeister: „Gutierez", sagt er. „Wir werden wiederkommen. Dann aber wollen wir Schiffe . bauen und diese Stadt vom Antlitz der Erde vertilgen!" Die Prophezeiung des Fernando Cortez erfüllte sich. Das Glück blieb ihm treu. Der erschöpften Schar gelang es, nach einem Marsch um das Nordufer des Sees ein schnell und unvorsichtig herbeigeeiltes aztekisches Heer zu zersprengen. Dann stießen sie in das verbündete Tlascalla durch, wo die Truppe endlich Sicherheit und Erholung fand. Dort'baute Cortez dreizehn leichte Schiffe, die man auseinandernahm, um sie von indianischen Trägern an das Ufer des Mexiko-Sees zu schaffen. Ein neuer Umstand war Cortez zu Hilfe gekommen. Der Statthalter zu Cuba, der in der sicheren Meinung lebte, sein General Narvaez sei Herr des Reiches Mexiko, sandte eine kleine Flotte mit Nachschub, Pulver, Pferden und Geschütz — lauter Dinge, die Hernandez Cortez gebrauchen konnte. So begann schon zu Beginn des nun nachfolgenden Jahres der große Feldzug gegen das bluttrinkende Tenochtitlan. 100 000 Krieger aus Tlascalla und 600 Spanier zogen vor die Wasserstadt. /5 Tage dauerte die Belagerung; dann hatte eine der Brigantinen Glück und ertappte den neuen Kriegskönig Tenochtitlans — den „Herabstoßenden Adler" Guatemozin — wie er im leichten Kanu über den See fliehen wollte. Damit endete die Schlacht, und Cortez zog zum anderen Male in der Wunderstadt ein. Diesmal war er endgültig Herr des Reiches und der Schätze Mexikos. Fast um dieselbe Stunde, in der sich Kaiser Karl V. zu Worms mit dem Reichstage herumschlug und die Vorträge Luthers anhörte, legte ihm der Ritter Cortez ein neues Weltreich zu Fußen. 29
In den folgenden Jahren zogen die alten Abenteuergefährten nach allen Richtungen aus. Alvarado entdeckte und eroberte Guatemala, Cortez selbst Honduras und Yukatan, Ojeda und Ordas fanden Panama. Cortez aber begann auf den Trümmern des Aztekenreiches und auf dem Schauplatz seiner Kultur ein neues Machtgebilde aufzurichten. Er verstand zu zerstören, aber auch aufzubauen, über den Ruinen Tenochtitlans erhob sich eine Großstadt in spanischer Architektur. Als Schwerstes gelang ihm die Überwindung des Menschenopferkultes und der alten Götter, aber er fand die Mitarbeiter nicht, die seinen hochfliegenden Plänen folgten. Sie verdarben in Gier, Geld- und Machtrausch, was er erstrebte. Schließlich aber wurde der Generalkapitän und Statthalter Don Fernando Cortez den spanischen Herren zu mächtig, wie ihnen Columbus einst lästig geworden war. Es gab Streitigkeiten und man zog die Entscheidung mit leeren Versprechungen hin; der erbitterte Cortez zog also abermals aus, sich ein entlegeneres Reich zu suchen. Noch lag der neu entdeckte westliche Kontinent wie eine Mauer, wie ein Wall vor den westwärts strebenden Flotten des Abendlandes. Noch war die vermutete Durchfahrt vom Atlantischen zum Stillen Ozean und in die Indischen Meere nicht gefunden. So schickte Cortez Männer seines Gefolges aus, daß sie die Küsten nordwärts und südwärts segelten, und jedem Wasserlauf landeinwärts folgten. Von Neufundland im Norden Nordamerikas bis zur Südspitze Südamerikas forschte pr nach der ozeanverbindenden Straße. „Wenn es eine Durchfahrt gibt", so schrieb er an Kaiser Karl V., „so wird sie auf diese Weise meinen Schiffen im südlichen Atlantik nicht entgehen, ebenso wenig wie den Schiffen, die ich in den nördlichen Atlantik entsandt habe. Denn die Schiffe im Süden werden die Küste entlang fahren, bis sie die genannte Durchfahrtsstraße finden, und ebenso werden sie im Norden bis nach Neufundland fahren und dort suchen. „So kann es nicht ausbleiben, daß auf die eine oder andere Weise das Geheimnis der Meeresstraße erschlossen wird."
JC
Aber die Küstenfahrer kehrten allesamt zurück und meldeten, daß sie die verbindende Wasserstraße nicht gefunden hatten. Da machte Cortez sich mit Heeresmacht auf, vom Festland her die Durchfahrt zu erkunden und neue Reiche zu-entdecken. Er fand Kalifornien, aber man dankte es ihm nicht. Spanien hatte genug zu verdauen und begann die Aufregungen zu hassen. So lud der Kaiser den alten Kämpen ein, auf einem Feldzug gegen die Algerier und Seeräuber sein Begleiter zu sein; denn er hielt Cortez für einen genialen Strategen. über solchen kostenlosen und nebensächlichen Ehren vergaß die Mitwelt den Mann, der mit List und Kühnheit der Blutherrschaft der Azteken ein Ende gesetzt, aber zugleich eine der erstaunlichsten Kulturen der Erde zertreten hatte. Fernando Cortez starb am 2. Dezember 1547 in einem Dorfe bei Sevilla, von den Lebenden vergessen. Sein Bild schwankt im Urteil der Geschichte. Spanien aber würgte an der ungeheuren Erbschaft, die ihm die Konquistadoren zurückgelassen und an dem Haß der Unterdrückten. Unabsehbare Kolonialgebiete, Gold- und Silbergruben, Millionenvölker waren ihm zugefallen; denn im Jahre 1532 hatte weit im Süden des Westlandes ein anderer spanischer Haudegen, Franciscp Pizarro, in der Gegend des heutigen Peru ein zweites Goldland, das Kulturreich der Inka, mit Wagemut und Tücke erobert. Das Antlitz der Welt war mit blutigen Zügen gezeichnet und der Erdball erbebte unter dem schwerlastenden Gewicht einer neuen unermeßlichen Verantwortung. Das Bild auf der vorderen Umsdilagseit zeigt einen altmexikanischen Tempelplatz. Auf der Umschlag-Rückseite: Aztekische Göttermaslte.
LUX-LESEBOGEN Nr. 51 / Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundlidie Hefte. Verlag Sebastian Lux, Murnau-München. Aufl. 50 000. Bestellungen (vierteljährlich 6 Hefte zu DM 1,20) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. Druck: Buchdruckerei Hans Holzmann. Bad Wörishofen.
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