Jeff Grubb
Bruderkrieg Artefakt-Zyklus 1. Teil DREIZEHNTER BAND Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNC...
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Jeff Grubb
Bruderkrieg Artefakt-Zyklus 1. Teil DREIZEHNTER BAND Roman
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
INHALT
PROLOG
Gegensätze ziehen sich an ....................... 13 (63 AR) E RSTER T EIL
Die Schule der Macht
................................ 21
(10 AR-20 AR) KAPITEL 1
Tocasia ................................................. 22
KAPITEL 2 KAPITEL 3 KAPITEL 4 KAPITEL 5
Ornithopter ..................................... 41 Koilos ............................................. 56 Visionen ......................................... 78 Trennung ......................................... 100
ZWEITER TEIL
Der Stein gerät ins Rollen .......................... 123 (21 AR-28 AR)
KAPITEL 6 KAPITEL 7 KAPITEL 8 KAPITEL 9 KAPITEL 10 KAPITEL 11 KAPITEL 12 KAPITEL 13 KAPITEL 14 KAPITEL 15 KAPITEL 16
Kroog ............................................... 124 Mak Fawa ....................................... 161 Tawnos ............................................... 191 Ashnod ........................................... 209 Korlis ............................................... 226 Staatsangelegenheiten ................... 258 Phyrexia ............................................ 271 Friedensverhandlungen ................. 287 Nächtliche Unternehmungen .......... 314 Parade und Attacke ....................... 331 Nachwirkungen ............................. 361
DRITTER TEIL Parallelen .............................................................. 369 (29 AR-57 AR) KAPITEL 17 KAPITEL 18 KAPITEL 19 KAPITEL 20 KAPITEL 21 KAPITEL 22 KAPITEL 23 KAPITEL 24 KAPITEL 25 KAPITEL 26 KAPITEL 27 KAPITEL 28 KAPITEL 29
Mishras Baum ................................. 370 Urzas Turm ..................................... 382 Austausch von Neuigkeiten ............ 395 Transmogranten ............................. 400 Elfenbeintürme ............................... 417 Urzas Mitra ...................................... 430 Schutzkreise ................................... 441 Der dritte Pfad ............................... 450 Die Folter ............................................ 460 Uhrwerke .......................................... 479 Sylex ................................................ 491 Argoth .............................................. 503 Mana und Wissenschaft ................. 516
VIERTER TEIL Die Entscheidung (57AR-63AR) KAPITEL 30 KAPITEL 31 KAPITEL 32 KAPITEL 33 KAPITEL 34
............................................ 529
Kriegstrommeln ............................. 530 Magie und Maschinen .................... 540 Der Weg zur Apokalypse ............... 559 Tawnos und Ashnod ........................ 578 Urza und Mishra .............................. 586
EPILOG Getrennte Wege {64AR)
................................................ 599
Meinem Bruder Scott gewidmet, der mir zustimmen wird, daß wir uns bedeutend besser verstanden als Urza und Mishra
DANKSAGUNG
Geschichten, die in Welten angesiedelt sind, in denen die unterschiedlichsten Individuen leben, verdanken ihre Entstehung mehr Leuten, als auf dem Umschlag angegeben sind. Da ich lange Zeit hinter den Kulissen (und auch davor) gearbeitet habe, möchte ich den wichtigen Personen danken, die ich zum Teil nicht einmal persönlich kenne und deren Arbeit und Kreativität die Grundlage dieser Geschichte schufen. Ich möchte den Schöpfern des Kartensets >MAGIC The Gathering, die Altertümer danken: Skaff Elias, Jim Lin, Chris Page, Dave Pettey, Joel Mick. Sie hauchten den Karten Leben ein, das ich mit diesem Buch fortführen wollte; außerdem den zahlreichen begabten Künstlern, die nach wenigen beschreibenden Zeilen wundervolle Zeichnungen anfertigten. Auch möchte ich Jeff Gomez, Jerry Prosser, Paul Smith, Tom Ryder, Phil Hester und Jeof Vita danken, die einen Teil dieser Geschichte grafisch darstellten. Dann möchte ich besonders der Menschen gedenken, die mir halfen, dieses Buch ins Leben zu rufen. Dazu gehören: Peter Venters und das MAGIC-Team, Chaz Elliot, Mary Kirchoff und Emily Arons, die sich als verständnisvoll, geduldig und genial erwiesen. Besonderer Dank gilt auch Peter Archer und Lynn Abbey, die sich viel zu viele eigenartige Fragen und Theorien anhören mußten. Zum Schluß danke ich Richard Garfield, der die ganze Sache überhaupt ins Rollen brachte. Um Sir Isaac Newton zu zitieren: >Wenn ich weit vorausschauen konnte, lag es daran, daß ich auf den Schultern von Riesen stehen durfte.< Ich hatte das große Glück, mit einer gewaltigen Anzahl von fähigen Riesen zusammenarbeiten zu dürfen.
ERLÄUTERUNG ZUR ENTSTEHUNG UND GENAUIGKEIT
Die Geschichte von Mishra und Urza ist die berühmteste Legende Terisiares und wurde bis in die entlegensten Winkel Dominias getragen. Natürlich ist sie weder vollständig noch ganz und gar verständlich, da es im Laufe der Zeit verschiedene Versionen gab, die von den Strömungen des jeweiligen Jahrhunderts beeinflußt wurden. Während der Epoche, die unter dem Namen >die Dunkelzeit< bekannt ist, bezeichnete man Mishra und Urza als bösartige Halunken, die für den schlimmen Zustand der Welt verantwortlich waren. Während der langen Eiszeit ließ man sie als Heilige einer längst vergangenen Technologie auferstehen, mit deren Hilfe man die Welt retten zu können glaubte. In unserem Jahrhundert werden sie abwechselnd als Helden und als Schurken bezeichnet, als Genies und als Narren, die entweder in den Himmel gelobt oder in die Flammenhölle Phyrexias verdammt werden. Diese Erzählung versucht, sie so schildern, wie sie wirklich waren: Menschen ihrer Zeit, geprägt von der Welt, in der sie lebten und die sie ihrerseits beeinflußten. Das Buch, das Sie in Händen halten, beruft sich wie alle anerkannten Versionen - vor allem auf >Die Kriege des AltertumsGeradebiegen< eines schwarzen Schafes der noblen Sippe. Das Schmuckstück sah ausgesprochen komisch aus, wie es da unter dem blaßgrauen Baldachin aus Tomakulmusselin auf der Felsnase stand, die Tocasia als ihr Hauptquartier auserkoren hatte. Das Geschenk war gut gemeint gewesen, und sie konnte sich vorstellen, welche horrenden Kosten allein der Transport verursacht hatte. Die Wüste hatte bereits ihren Tribut gefordert: Die kostbare Politur war von dem mit Sandkörnern gespickten Wind schon fast abgetragen, und das bloßliegende Holz war in der Hitze rissig und spröde geworden. Möbelstücke, die in einen vornehmen Salon gehörten, waren für die Wüste weniger gut geeignet. Immerhin war die Tischplatte flach und eben, und das wußte Tocasia zu schätzen. 22
Auf dem Tisch lagen Schriftrollen, die halb aus den Schutzhüllen herausragten, und mit rostigen Metallstücken beschwerte Landkarten, deren eingerissene Ecken im Wind raschelten. Ein besonders großes Stück bläulichen Metalls lag genau vor Tocasia und zog sie in seinen Bann. Es sah wie die Parodie eines menschlichen Schädels aus, hatte das Gesicht einer Fledermaus und kalte leblose Augen aus buntem Kristall, die fest in dem Tocasia unbekannten Material steckten. Das Metall fühlte sich so weich und nachgiebig wie Kupfer an, aber wenn man es verbog, zog es sich langsam wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Thranglyphen waren in die Unterseite des Schädels eingekerbt worden, und Tocasia übersetzte sie mit >Su-chikaum vorhanden und >nicht vorhandenDu gibst mir das< in den verschiedensten Formulierungen, gefolgt von: >Du und welche Armee?zivilisierten< Nationen aus Ostterisiare trafen. Wo der Fluß Kor aus dem Khergebirge in tiefere Regionen stürzte, um sich über etliche Ebenen hinweg schließ237
lieh ins Meer zu ergießen, befand sich ein geeigneter Treffpunkt. An diesen Platz grenzte ein schmaler Streifen Niemandsland, ein unwirtlicher Landstrich, hinter dem die drohenden Gipfel des Khergebirges aufragten. Bisher hatte noch keine Nation diesen Ort für sich beansprucht. Es handelte sich um ein flaches Stück Land, auf dem über einem hölzernen Podest ein riesiger Baldachin errichtet worden war. Vier Lagerstätten - für jedes Land eine - umgaben den Platz. Die Yotianer lagerten im Westen, die Kaufleute aus Korlis im Süden und die Argivianer im Osten. Der Platz im Norden blieb leer. Er war für die Fallaji gedacht, aber niemand wußte, ob sie erscheinen würden. Urza ließ seinen Ornithopter in der Nähe des yotianischen Lagers landen. Die übrigen Piloten folgten seinem Beispiel mit militärisch anmutender Genauigkeit. Jede einzelne Flugmaschine beschrieb einen eleganten Bogen, schwebte sekundenlang über dem Boden und setzte dann ruhig auf. Hier gab es keine Zuschauermenge und keine Neugierigen, die einen Blick auf den berühmten Wissenschaftler und seine Ornithopter erhaschen wollten. Den Yotianern war der Anblick vertraut, und die Abgesandten der anderen Staaten verhielten sich - aus rein politischen Gründen - völlig uninteressiert. Falls Urza gehofft hatte, bei den Gesandten Argivias auf ehemalige Studenten Tocasias zu treffen, so wurde er enttäuscht. Es waren ausnahmslos Beamte und Diplomaten mit besten Verbindungen zum Königshaus anwesend. Die Politiker Argivias fanden, daß die nach Artefakten suchenden Gelehrten und die Adligen, die sie unterstützten, zu radikale Ansichten hegten, wenn es um die Fallaji ging. Ihrer Meinung nach sollte die Wüste jedem zugänglich sein, insbesondere den argivianischen Expeditionen. Die 238
Krone, wenngleich schwach, war anderer Meinung: Argivia sollte dort enden, wo die Hügel rauher und trockener wurden, und die Fallaji sollten in der Wüste bleiben. Da der Herrscher die Männer auswählte, die nach Korlinda reisten, traf Urza nur auf eingleisig denkende Politiker, die schnellstens ein Friedensabkommen treffen, die Grenzen anerkennen und eiligst nach Hause zurückkehren wollten. Auch dem yotianischen König waren ihre Ansichten offenkundig unangenehm. Die Argivianer waren mit eigenen Ornithoptern gekommen, die jedoch von einfachster Bauweise waren und sich kaum von jenen unterschieden, die Urza, Mishra und Tocasia vor vielen Jahren in der Wüste gefunden hatten. Von den Piloten erfuhr Urza, daß die Krone sämtliche Funde aus der Wüste für sich beanspruchte und den größten Teil von Tocasias Nachlaß beschlagnahmt hatte. Die Adelshäuser ließen noch immer Ausgrabungen durchführen, berichteten dem Königshaus aber nicht mehr, was sie entdeckten. Die Korlisianer waren reine Kaufleute. Die Regierung des Landes ruhte seit Jahren in den Händen der Gilden. Die derzeitige Herrscherin war eine rundliche Frau. Ihre Meinung - und die aller anwesenden, gutgekleideten Kaufleute - lautete: Die Verhandlungen würden nicht einfach werden, aber selbstverständlich würden sie damit enden, daß man in Zukunft ungehindert entlang der Handelsstraßen nach Tomakul reisen konnte. Der yotianische König fand die Dame übrigens nur wenig sympathischer als die Argivianer. Alle Abgesandten hatten eigene Leibgarden mitgebracht. Yotia besaß die größte Truppe, Argivias Soldaten hatten die kostbarsten Waffen, und die Krieger aus Korlis waren am schlagkräftigsten ausgerüstet, wie es Söldnern zustand, die im Dienste von wohlhabenden Kaufleuten stehen. 239
Urza zog sich in sein Zelt zurück, wo Rusko den bereits angekommenen Metallriesen aufgestellt hatte. Die Reise war dem Giganten nicht gut bekommen, und am rechten Knöchel hatten sich etliche Schrauben gelöst. Die erste Nacht und den darauffolgenden Tag verbrachte Urza damit, sein Geschöpf für die Begrüßungszeremonie vorzubereiten. Die offizielle Eröffnung der Versammlung fand ohne die Fallaji statt. Die Abgesandten stellten sich einander vor und tauschten die üblichen Höflichkeitsfloskeln aus. Während des am ersten Abend abgehaltenen Festmahls wurde viel über Zusammenarbeit gesprochen. Der Tag verging, ohne daß die Fallaji erschienen oder ein Späher ihr Auftauchen in weiter Ferne meldete. An diesem Tag trug Urza das besonderen Anlässen vorbehaltene Hofgewand mit dem hohen Stehkragen, das er bisher erst ein einziges Mal angehabt hatte: Damals, als man ihn zum obersten Wissenschaftler des Landes ernannte. Das Gewand war feuerrot, mit weißen Stickereien versehen und bedeckte seinen Körper vom Hals bis zu den Knöcheln. In dem warmen Hochlandsommer war es unerträglich heiß und unbequem, aber Urza tröstete sich damit, daß die offiziellen Gewänder der übrigen Teilnehmer noch unbequemer aussahen. Der zweite Tag kam und verging auf ähnliche Weise, obwohl das neugeschmiedete Bündnis der drei Küstenländer bereits erste Risse bekam. Die Gesandten Argivias weigerten sich zuzugeben, daß ihre Leute in Fallajigebiet eingedrungen waren. Es stellte sich heraus, daß ihr König überzählige Kraftsteine besaß, die er den Yotianern und Korlisianern anbot, falls sie zu einer Einigung kommen sollten. Dieser unverhohlene Bestechungsversuch empörte den König von Yotia, aber er wußte nur zu genau, wie nützlich die Steine für sein Land und für Korlis waren. Die Korlisianer stan240
den kurz vor der Selbstzerfleischung, da nur zwei Ornithopter zurückbleiben sollten, aber nicht weniger als fünf Gilden behaupteten, ein Recht darauf zu haben. Bissige Bemerkungen drohten, zu offenen Streitereien auszuarten, und gegen Ende des zweiten Tages nahmen sämtliche Abgesandten die Abendmahlzeit in den eigenen Lagern ein. Noch immer hatte man nichts von den Fallaji gehört, und die meisten Teilnehmer gingen davon aus, daß sie nicht mehr erscheinen würden. Der König nannte ihre Abwesenheit eine >Beleidigung für das yotianische VolkSpäter< gibt«, meinte der König kopf248
schüttelnd. »Diese Fallaji haben uns mit ihrem Drachen an der Nase herumgeführt. Wir wollten ihnen unsere Macht beweisen, ihnen die Ornithopter und den Metallmann vorführen. Statt dessen erscheinen sie mit einem legendären Drachen, der so groß wie ein ganzes Schiff ist. Die Argivianer würden am liebsten davonrennen, und die Korlisianer möchten sich bei allen für ihr Erscheinen bedanken, die Ornithopter mitnehmen und heimkehren. Nein, diese Wüstenräuber haben uns mit Hilfe deines Bruders bloßgestellt. Jetzt müssen wir etwas erwidern.« Urza hinterfragte die Worte des Herrschers nicht, auch nicht, als man ihn entließ und nur Rusko und der junge Hauptmann zurückblieben. Er sah nicht einmal mehr nach den Ornithoptern, um die sich zahlreiche Menschen drängten. Er suchte sein Zelt auf, legte sich hin, erwartete den Beginn der Verhandlungen und die Gelegenheit, seinen Bruder wiederzusehen. Unter dem Baldachin hatte man einen großen Tisch aufgestellt. An drei Seiten standen Stühle. An der Westseite saß der König, von Urza und dem Metallmann eingerahmt. Die Laune des Yotianers hatte sich nicht gebessert, und er sah aus, als würde er jeden Augenblick explodieren. An der Südseite saß die von zwei Söldnern flankierte Handelsherrin aus Korlis. Der Stuhl an der Ostseite wurde von einem beunruhigten argivianischen Diplomaten eingenommen, dem zwei ebenso beunruhigte Beamte zur Seite standen. An der Nordseite des Tisches stand eine niedrige Bank für den Quadir. Er wurde in der Sänfte getragen und begab sich im Watschelgang zu seinem Platz. Mishra und die rothaarige Frau stützten ihn dabei. Der Drache war im Fallajilager geblieben, aber der lange 249
Hals und der schwere Kopf ragten hoch über die Zelte hinweg. Die Handelsherrin aus Korlis eröffnete die Versammlung. »Wir heißen die Vertreter der Fallaji herzlich willkommen. Ich hoffe, daß wir die strittigen Punkte klären und zu einer Lösung kommen werden, die für alle Beteiligten zufriedenstellend ist.« »Mit Eurer Erlaubnis«, unterbrach Mishra sie, »würde ich gerne eine Erklärung des ehrenwerten Quadirs verlesen.« Vor Überraschung vergaß die Korlisianerin, den Mund zu schließen. Dann nickte sie ergeben. Der König von Yotia schüttelte mißmutig den Kopf. Mishra wartete nicht länger, und seine laute Stimme übertönte den Widerspruch des Königs. »Wir, das Volk der Fallaji, begrüßen die Gelegenheit, mit den Menschen aus dem Osten zu sprechen. Nehmt zur Kenntnis, daß unser Volk vom Quadir vereint wurde und unser Reich sich von Tomakul bis hin zur Grenze Argivias, so wie vom eisbedeckten Ronomsee bis zur warmen zegonischen Küste erstreckt. Wir sind zahlreich und mächtig. Was auch immer hier beschlossen wird: Wir erklären, daß es unser höchstes Ziel sein wird, sämtliches Fallajiland zurückzuerobern, und dieses Land und alle Schätze, die es enthalten mag, vor jedwedem Eindringling zu schützen, ob es sich nun um Forscher, Räuber oder Möchtegerneroberer handelt.« Bei diesen Worten zuckte der König zusammen und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Keine schlechte Rede für ein Volk von Strauchdieben, Banditen und Möchtegerneroberern! Stimmen die Einwohner von Tomakul und Zegon mit euch überein, oder warten sie nur darauf, daß jemand diesen jungen Quadirwelpen tüchtig übers Knie legt?« Mishra hob erstaunt die Augenbrauen, und auch 250
Urza war über die zornigen Worte entsetzt. Beruhigend legte er seinem Schwiegervater die Hand auf die Schulter. Diesmal antwortete der Quadir persönlich. Er sprach mit unüberhörbar argivianischem Dialekt. »Seid vorsichtig, alter Mann! Ihr solltet mich nicht erzürnen.« Urza sah Mishra an, und Mishra nickte ihm zu. Der Quadir hatte genug von seinem Raki gelernt, um eine Beleidigung zu verstehen und sie beantworten zu können. Der König ließ sich nicht beruhigen. »Seid lieber selbst vorsichtig, kindlicher Krieger! Erzürnt nicht jene, die mehr Erfahrung und Weisheit besitzen als Ihr!« Urza mischte sich ein. »Vielleicht wäre es angebracht, die Versammlung zu vertagen und über...« Der Quadir schnitt ihm das Wort ab. »Wißt Ihr, wer ich bin?« fragte der junge Fallaji. »Ich bin der Quadir des Suwwardistammes. Einst lebte mein Volk in dem Land, das nördlich von Yotia liegt. Ihr nanntet es >die SuwwardisümpfeWarum?Urzas Rächer< verliehen wurde, da er blutige Vergeltung üben sollte. Als die Überreste des ersten mechanischen Mannes mit den Truppen aus Korlinda zurückkehrten, wurden sie neben dem Sarg des Königs bestattet, wie ein treuer Hund neben seinem Herrn. Rusko war nicht zurückgekommen. Tawnos erfuhr, daß er den Angriff überlebt hatte, Kroog aber fernbleiben würde. Der Hauptmann der Garde befehligte jetzt eine Patrouille entlang der westlichen Grenze zum Fal260
lajireich, und seine Pflichten im Palast hatte ein anderer Mann übernommen. Innerhalb eines Monats wurde jeder Pilot, der in Korlinda gewesen war, zu einer Einheit entlang der Wüstengrenzen versetzt. Nur der Seneschall behielt seine Stellung, wurde aber an einer kurzen Leine gehalten, deren Ende in den strengen Händen Königin Kaylas ruhte. Allen Höflingen, Beamten und Dienern fiel auf, daß jeder, der das Mißfallen der Königin erregte, schon nach kürzester Zeit verschwand. Von nun an gingen die Menschen im Palast nur noch auf Zehenspitzen und unterhielten sich im Flüsterton. Die Fallaji verhielten sich überraschend ruhig. Sie fielen einmal in die Schwertsümpfe ein, worauf sofort ein Gegenangriff erfolgte, der jedoch nach kurzer Zeit mangels ausreichender Vorräte und Feinde im Wüstensand verlief. Bald darauf wurde eine von der Königin und ihrem Gemahl unterzeichnete Bekanntmachung verlesen: Jeder Zoll yotianischen Bodens sollte verteidigt werden, aber niemand durfte ohne ausdrückliche Erlaubnis Fallajiland betreten. Viele Leute sahen darin einen sicheren Hinweis darauf, daß der Ehemann der Königin an einer tödlichen und mächtigen Waffe arbeitete, die in Kürze gegen die Fallajis eingesetzt werden würde. Von allen Einwohnern Kroogs wußte nur Tawnos, woran sein Meister im Monat nach dem Tod des Königs gearbeitet hatte. Urza war Tag und Nacht im Vogelsaal geblieben. Er hatte alle Studenten fortgeschickt, um den König zu betrauern, sie aber nicht zurückgerufen. Er gestattete nur Tawnos, bei ihm zu bleiben, und sein Gehilfe arbeitete gewissenhaft, um die Maschinen gut geölt und die Flügel der Ornithopter geschmeidig zu halten. Die meiste Zeit hielt er sich jedoch nicht in Urzas Nähe auf. Ein- oder zweimal täglich verließ Urza den Saal, um 261
sich mit dem neuen Hauptmann der Garde zu treffen oder irgendeinem Beamten eine unfreundliche Nachricht zukommen zu lassen. Anschließend verschwand er sofort wieder. In seinem Arbeitszimmer starrte er auf ein leeres Blatt Papier, das er an seinem Zeichenbrett befestigt hatte. Anfangs fragte sich Tawnos, welche Wunderdinge Urza sich wohl ausdenken mochte. Aber nach dem fünften Tag war der junge Spielzeugmacher überzeugt, daß sein Meister nur vor der Verantwortung zurückscheute, die ihn außerhalb des Vogelsaales erwartete. Ein einziges Mal hatte Tawnos gewagt, Urza anzusprechen. Er hatte gehört, wie Gerüchte laut wurden, der Wissenschaftler wolle nicht gegen die Fallaji kämpfen, weil diese von seinem bösen Bruder angeführt wurden, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen hatte. Auch hieß es, Urza zögere, weil er seinen Bruder mit eigener Hand töten wolle. Dann wieder hörte man, er fürchte sich vor seinem Bruder und scheue einen Kampf. Tawnos erwähnte nichts von angeblicher Feigheit, stellte aber die entscheidende Frage: Warum schlug er nicht zurück? Urza wäre vor Zorn fast explodiert. »Krieg ist eine Verschwendung von Maschinen!« brüllte er. »Bei dem nutzlosen Angriff haben wir vier Ornithopter verloren, und ich kann sie nicht ersetzen, bis ich neue Kraftsteine bekommen! Warum sollte ich Zeit, Gold und wertvolle Menschenleben vergeuden? Um in der Wüste Geister zu jagen? Warum brenne ich nicht gleich die Stadt nieder, um meinem Bruder Arbeit zu ersparen?« Der Ausbruch kam ebenso plötzlich wie unerwartet. Danach huschte Tawnos so leise wie möglich im Vogelsaal umher. Botschaften wurden überbracht, und der Gehilfe 262
nahm sie an der Tür entgegen. Wenn sie vom Gardehauptmann stammten, ließ sich Urza zu einer knappen Antwort herab, die Tawnos dem Empfänger aushändigte. Hin und wieder schickten auch Kaufleute oder Handwerker Botschaften. Meistens knüllte der Gelehrte die Briefe zusammen und warf sie fort, aber gelegentlich beantwortete er sie. Es gab auch Botschaften, die das Siegel der Königin trugen. Diese stapelte Urza ungeöffnet auf seinem Schreibtisch. Eine Zeitlang wurden es immer mehr, aber nach einer Weile versiegten sie. Schließlich empfing Tawnos einen Brief, in dem die Königin ihn zu einem mitternächtlichen Treffen befahl. Niemand, nicht einmal Urza, durfte davon erfahren. Leise schritt Tawnos durch die Gänge des Palastes. Seit dem Begräbnis des Königs standen keine Wachen mehr vor den Gemächern der königlichen Familie. Es war schon spät, und auch die Dienerschaft hatte sich zurückgezogen. Als die Tempelglocken von Ferne die Mitternachtsstunde schlugen, klopfte er behutsam an die Tür der Herrscherin. Es erfolgte keine Antwort, und Tawnos nahm an, sein Klopfen sei überhört worden. Doch dann sagte eine schwache Stimme: »Herein.« Vorsichtig öffnete Tawnos die Tür, betrat den Raum und schloß sie hinter sich. »Majestät?« fragte er zögernd. Kayla seufzte tief. »Nein. Nenn mich nicht Majestät. Heute habe ich das Wort so oft gehört, daß ich es nicht mehr ertragen kann. Heute nicht und überhaupt nicht mehr!« Sie nippte an einem Becher mit Weinbrand. »Nenn mich Kayla. Wirst du das tun, Tawnos Spielzeugmacher?« Tawnos öffnete den Mund und versuchte, eine Antwort über die Lippen zu bringen, aber sie wollten ihm 263
nicht gehorchen. Schließlich sagte er: »Tut mir leid, edle Herrin, aber ich kann nicht.« Kayla schnaubte auf damenhafte Art. »Dann muß ich mich wohl mit der edlen Herrin begnügen - vorläufig jedenfalls.« Sie rutschte von dem Platz am Fenster und setzte beide Füße auf den Boden. »Möchtest du etwas essen? Ich habe kaltes Fleisch und Käse heraufschicken lassen.« Sie deutete auf einen Tisch. Er war mit feinstem Kristall, Silberbesteck und kostbaren Kerzenleuchtern gedeckt. Teller aus hauchdünnem, fast durchsichtigem Porzellan waren mit Speisen beladen. Es gab kalten Braten, Käse, Früchte und eingelegte Nahrungsmittel, die Tawnos nicht auf Anhieb erkennen konnte. »Wenn Ihr es wünscht, Maj... äh, edle Dame«, antwortete Tawnos und ging auf den Tisch zu. Kayla kreuzte seinen Weg, um zu ihrem Stuhl zu gelangen. Dabei geriet sie ins Stolpern, verschüttete ein wenig von ihren Getränk und fiel gegen den jungen Mann. »Entschuldigung«, murmelte sie und stützte sich mit einer Hand gegen seinen Oberkörper. »Ist nicht schlimm«, sagte er hastig. Der Geruch ihres Duftwasser und der des Weinbrands stiegen ihm in die Nase. Hätte man ihn aufgefordert, eine Meinung kundzutun, hätte er gesagt, der Weinbrand sei gewiß älter, als es der verstorbene König gewesen war. Tawnos versuchte sich zu erinnern, wann die Königin zuletzt mehr als ein einziges Glas Alkohol getrunken hatte. Es fiel ihm keine Gelegenheit ein, aber heute hatte Kayla den Becher bestimmt schon des öfteren geleert. Zögernd setzte er sich, unsicher, was von ihm erwartet wurde. Er war nur ein einfacher Bursche von der Küste, mit den Feinheiten höfischen Benehmens nicht vertraut, aber er ahnte, wohin der Abend führen würde. 264
Kayla spießte einen Brocken Käse mit dem Messer auf und schwenkte es in seine Richtung. »Also, wie geht es ihm?« »Wem, ihm?« antwortete Tawnos und starrte die eingelegten Speisen an, um herauszufinden, wie sie in natürlichem Zustand ausgesehen haben mochten. Seine Antwort belustigte Kayla. »>Wem, ihmUrza< für Mishra tabu war. Das steigerte Ashnods Neugier noch, mehr über das Verhältnis der beiden zu erfahren. Mishra reagierte auf ihre Bemerkung nicht, sondern starrte auf die Knochen des Greifen, die vor dem Eingang der Höhle verstreut lagen. Die Lösung des Rätsels mußte im Inneren von Koilos verborgen liegen. In jener Nacht schlief Mishra sehr schlecht und erwachte laut schreiend. Ashnod gab sich Mühe, ihn zu beruhigen. »Ich habe vom Wind geträumt, von einem sehr heftigen, dunklen Wind«, sagte er verstört und schweißgebadet. »Er wirbelte um mich herum, sprach zu mir und trug schreckliche Geheimnisse mit sich, die er mir preisgeben wollte.« »Ist schon gut«, murmelte Ashnod. »Es war nur ein Traum. Träume sind nicht wichtig.« »Für mich schon«, antwortete Mishra und starrte in die Dunkelheit. Am nächsten Morgen betraten sie die Höhle. Der lange Gang war früher hell erleuchtet gewesen, erzählte Mishra, aber nun lag er im Dunkeln, und sie mußten Öllampen mitnehmen. Ashnod ließ die Hand über die Wände gleiten. Sie bestanden aus einzelnen Steinen, aber sie vermochte keine Fugen zu entdecken. Sie kamen an den Überresten der Su-chi-Wächter 277
vorbei. Mishra hob einen der geschwärzten schmalen Schädel auf und schlug ihn gegen die Wand. Er zersprang wie eine Nußschale, aber statt vertrockneter Innereien kam ein Kraftstein zum Vorschein, ein Auge der Uralten. Es war ein wenig angeschlagen, enthielt aber das Feuer der Thran. Er grunzte zufrieden, und sie setzten ihren Weg fort. Schließlich erreichten sie eine endlos erscheinende Treppe und danach die große Höhle, den Hort der Thranmaschinen. Die Kristallplatten an der Decke hüllten den Raum in ein geisterhaftes, unstet flackerndes Licht. Die Maschine im Mittelpunkt der Höhle bestand aus Metall und Spiegeln, die um eine leere Fläche gruppiert waren. Mishra legte den Kraftstein des Wächters auf den leeren Platz. Sofort ertönten ein leises Summen und ein Dröhnen, das von den Wänden auszugehen schien. Das Flackern hörte auf, und die Höhle wurde in ein sanftes Licht getaucht. »Woher wußtest du, was zu tun ist?« fragte Ashnod. »Ich wußte es einfach«, erwiderte Mishra. Er hörte sich an, als sei er in Gedanken tausend Meilen weit entfernt. Dann zuckte er mit den Achseln, als müsse er eine Erinnerung abschütteln. Ashnod untersuchte die Glyphen und Lichter vor der großen Maschine, die in ein Podium eingelassen waren, das die Form eines riesigen geöffneten Buches hatte. Sie berührte nichts, sah sich die Zeichen aber ganz genau an. Irgendwo zwischen ihnen lag ein Mechanismus verborgen, der Türen öffnete; Türen, hinter denen sich die Wächter aufgehalten hatten, deren Überreste jetzt im Gang lagen. Falls sie den Mechanismus entdeckten darin waren sich Mishra und Ashnod einig -, könnten sie dem Quadir Wunderdinge vorführen. Ganz und gar erstaunliche Wunderdinge. 278
Nach einer Weile sagte Mishra: »Und?« Ashnod schüttelte den Kopf. Die Glyphen waren einfache geometrische Zeichen, die ebensogut Anweisungen, Verbote oder Warnungen sein konnten. Sie enthielten keine erkennbaren Hinweise auf die Maschinen. Schließlich zeigte sie auf eine Glyphe. »Das könnte das Zeichen für eine Tür sein.« Mishra schaute ihr über die Schulter und nickte. »Drücke dagegen«, befahl er. »Gehört dies nicht zu den Dingen, die du einfach weißt?« erkundigte sich Ashnod. Mishra runzelte die Stirn. »Ich bin genauso unwissend wie du. Trotzdem solltest du sie berühren. Ich habe das Gefühl, es ist das richtige.« Vorsichtig legte Ashnod die Fingerspitze auf die Glyphe, und im Inneren des Berges ertönte eine Glocke. Eigentlich war sie nicht zu hören, sondern eher zu spüren. In den Tiefen der Thranmaschine hatte sich etwas getan, und Ashnod hoffte, daß es andere Mechanismen in Gang setzen würde. Sie hielt den Atem an. Ein Licht leuchtete rechts von ihnen auf. Erst war es nur ein kleiner in der Luft hängender Punkt, der sich jedoch schnell ausbreitete und um die eigene Achse drehte, bis schließlich eine Scheibe daraus entstand, die hochkant über dem Boden schwebte. Langsam schritt Ashnod um die Erscheinung herum. Die Scheibe war hauchdünn und von einem sanften anziehenden Licht umgeben. Über die Oberfläche zogen sich kaum sichtbare Linien und bildeten die Umrisse eines Sterns. Ashnod warf Mishra einen fragenden Blick zu, aber er schwieg. Die Scheibe wurde immer größer, bis sie doppelt so groß wie der Raki war. Ashnod hob ihren schwarzen Stab und drückte mit dem Ende gegen die Scheibe. Weder bot das Licht 279
Widerstand, noch verlosch es bei der Berührung. Sie beugte sich ein wenig vor, und der Stab glitt lautlos durch die Scheibe hindurch. Allerdings kam er auf der anderen Seite nicht wieder zum Vorschein. Ashnod hatte ein drei Fuß langes Holzstück in eine hauchdünne leuchtende Scheibe geschoben, aber auf der anderen Seite war nichts davon zu sehen. Sie zog den Stab wieder heraus. Er sah völlig unversehrt aus. Wieder schaute sie Mishra an. »Wir haben die Eingangstür gefunden«, sagte er gelassen. »Wer geht zuerst hinein?« wollte Ashnod wissen. Mishra sah sie wortlos an. Nach einer Weile meinte sie: »Also gut. Wenn es unangenehm oder gefährlich wird, muß es die Gehilfin tun.« Sie trat in die Scheibe hinein. Das Licht hüllte sie ein und sog sie auf. Sekundenlang meinte sie, den warnenden Schrei einer alten Frau zu hören. Aber er verstummte schnell, und sie befand sich in einer neuen Welt. Das erste, was ihr auffiel, war die Hitze. Sie war nicht wie die Hitze in der Wüste, trocken und vertraut, sondern feucht und schwül, wie sie Ashnod aus den Sümpfen von Almaaz kannte. Wie von einer Decke wurde sie davon umhüllt. Dann bemerkte sie den Geruch, den durchdringenden Gestank von Verwesung und Zerfall. Nein, es ist mehr als nur das, dachte sie. Es roch nach Öl und Chemikalien. Nach Goblinpulver, Feuer und Stahl. Kurze Zeit glaubte sie, wieder in Korlinda zu weilen und vor den Bomben fliehen zu müssen. Und dann die Farben! Ein wahrer Pflanzendschungel umgab sie. Grellbunte Blüten hoben sich von einem Meer aus dunkelgrünen Blättern und Ranken ab. Aber die Farben sahen unnatürlich aus. Sie waren zu grell, 280
zu leuchtend, zu fremd und hatten einen metallischen Schimmer. Und die Ranken - sie muteten eher wie Kabel denn wie Pflanzen an. Sie berührte eine Blume und zog hastig die Hand zurück. Der Saft, der von der Blüte herabtropfte, brannte ihr auf der Haut. Eine Libelle ließ sich auf der Blume nieder, aber bei näherem Hinsehen bemerkte Ashnod, daß es kein Insekt, sondern eine winzige Maschine aus Goldplättchen und Silberdrähten war. Sie wollte das Wunderwerk festhalten, aber die Libelle war schon im Dschungel verschwunden. Ashnod fuhr herum. Mishra tauchte aus der leuchtenden Scheibe auf wie ein Schwimmer, der das Meer verläßt. »Ja, es ist noch so, wie ich es in Erinnerung hatte«, sagte er. »Du warst schon einmal hier?« »Nur im Traum«, antwortete er. Tatsächlich, seine Stimme klang entrückt und verträumt. Ashnod umklammerte den Stab ein wenig fester und blickte zum Himmel empor. Er war bewölkt und rot gefärbt. Es sah aus, als lägen glühende Kohlen unter einer Schneedecke. »Phyrexia«, murmelte Mishra. Ashnod starrte ihn an und fragte: »Weißt du das auch aus dem Traum?« Er nickte gedankenverloren. »Der dunkle Wind brachte Worte mit sich. Dieser Ort heißt Phyrexia.« Er starrte vor sich hin und versuchte, sich zusammenzureißen. »Hier entlang«, sagte er schließlich. »Ich glaube, gleich kommen wir zu einem Teich oder etwas Ähnlichem.« Ein See breitete sich vor ihnen aus, dessen schwarze spiegelblanke Oberfläche mit Ölspuren verschmiert war. Etliche große Maschinen, die an den Mak Fawa erinnerten, wateten hindurch und zerrten Metallteile 281
vom Boden des Gewässers an die Oberfläche. Es waren insgesamt vier Maschinen. »Du bleibst hier«, befahl Mishra. »Halte deinen Stab bereit.« »Was hast du vor?« erkundigte sich Ashnod. Er blinzelte unsicher. »Ich will versuchen, sie zu beherrschen. Wie ich es auch mit dem Drachen mache.« Er hörte sich an, als sei die Antwort auf ihre Frage klar gewesen. »Und wenn sie sich nicht beherrschen lassen wollen?« »Nun, dann mußt du den Stab einsetzen«, erwiderte er. »Halte dich bereit, notfalls zu fliehen.« Beunruhigt beobachtete Ashnod, wie Mishra weiterging. Eine der Drachenmaschinen - die kleinste - entdeckte ihn plötzlich und stieß ein leises Blöken aus. Sofort blickten die anderen auf. Sie rannten auf Mishra zu, und der kleinste Drache erreichte ihn als erster. Ashnod hielt den Atem an, als er sich vorbeugte und den Eindringling beschnupperte, wie es ein Hund bei Fremden zu tun pflegt. Mishra stand gelassen da, als sei es vollkommen normal, sich von einer gefährlichen Maschine beschnuppern zu lassen. Plötzlich ließ sich der Drache fallen und legte den Kopf auf den Boden. Seine Gefährten taten es ihm gleich. Ashnod fiel auf, daß sie sich von dem Mak Fawa unterschieden. Die Köpfe wirkten schwerfälliger und sahen wie Schaufeln aus, und die Körper glänzten nicht so hell wie die Metallhaut des vor der Höhle wartenden Wesens. Mishra winkte Ashnod näher heran, und mit erhobenem Stab trat sie auf die Maschinen zu. Der Raki nickte grimmig. »Es hat nichts mit dem Stein zu tun«, sagte er. »Ich dachte, mein Kraftstein hat Macht über sie, aber das stimmt nicht. Ich selbst bin es. 282
Ich erteile ihnen in Gedanken einen Befehl, und schon gehorchen sie mir.« Er wirkte weniger erfreut als vielmehr verblüfft über diese Feststellung. »Gut«, meinte Ashnod und fragte sich sekundenlang, wie gut es wirklich war. »Sie sehen zu groß aus, um durch die Tür zu passen. Könntest du etwas Kleineres herbeizaubern?« In weiter Ferne erklang ein Gongschlag. Die Drachenmaschinen sahen auf und stürzten sich wieder in die öligen Fluten. Noch einmal ertönte der Gong, diesmal aus der Nähe. Die Drachen schienen zwischen ihrem Gehorsam gegenüber Mishra und der Furcht vor dem, was sich allmählich näherte, hin und her gerissen zu sein. Zum drittenmal hörten sie den Ton, und nun vernahm Ashnod das metallische Klirren von Pflanzen, die an den Wurzeln ausgerissen wurden. Die drei größeren Maschinen tauchten hastig in den Wellen unter, nur die kleinste verharrte, stieß aber ein schrilles ängstliches Kreischen aus. Zu ihrer Linken wurde der Dschungel niedergemäht, und ein Riesenwesen tauchte vor ihnen auf. Es hatte die Gestalt eines für den Landweg gedachten Schiffes auf Schienen. Am Bug öffnete sich ein tiefer Rachen, geschmückt mit blitzenden, sich ständig drehenden Zähnen, die wie übergroße Sensen aussahen. Sie fraßen sich mit Leichtigkeit durch den Dschungel. Immer wenn sie einen besonders dicken Baumstamm zermalmten, erklang das Geräusch, das Ashnod irrtümlich für einen Gongschlag gehalten hatte. Auf einem Vorsprung über dem Maul stand eine hochgewachsene, dämonische Gestalt. Sie bestand dem Anschein nach ebenfalls aus Metall, obwohl sich dunkle Knochen durch die teilweise ledrige Haut bohrten. Sie war mit einer Rüstung angetan, die förmlich mit dem Körper verwachsen war. Ein unheimli283
ches Grinsen lag auf dem fleischlosen Gesicht. Inmit-, ten eines Gewirrs von wurmähnlichen Ranken, die sich um den Kopf ringelten, wuchsen kräftige Hörner empor, die sich nach hinten bogen. »Lauf!« schrie Mishra, aber Ashnod brauchte keine Aufforderung. Sie folgte dem Raki, der auf die glühende Scheibe zurannte, die Sicherheit verhieß. Während sie floh, zerrten die Pflanzen an ihren Gewändern, als wollten sie die Frau zurückhalten, um sie der dämonischen Gestalt als Opfer darzubringen. Irgend etwas fügte ihr einen tiefen Riß am Arm zu, und eine Blüte legte sich ihr aufs Gesicht, als wolle sie Ashnod blenden. Sie sah nur ein einziges Mal zurück. Der kleinste Drache war nicht geflohen und stand jammernd am Ufer des Sees. Die grauenhafte Maschine hatte ihn fast erreicht. Sie verlangsamte ihre Geschwindigkeit nicht, als sie den kleinen Burschen überrollte, der in einem Gewirr aus Gold und Silber verschwand. Ashnod wandte sich ab und rannte noch schneller. Der Verfolger gab jedoch nicht auf und blieb dicht hinter ihr. Mishra wartete an der Tür, wollte aber nicht ohne Ashnod fliehen. Kopfüber sprang sie in die Scheibe hinein. In ihrem Hinterkopf regte sich der Gedanke, daß sie gar nicht wußten, ob sie auf diese Weise in die Höhle zurückkehren konnten. Aber alles war besser, dachte sie nüchtern, als noch länger in einer Welt zu verweilen, die Schreckgestalten wie das phyrexianische Monstrum beherbergte. Ashnod fiel der Länge nach auf den kalten Höhlenboden; der Stab flog ihr aus der Hand und landete krachend an der Wand. Sie drehte den Kopf und erblickte Mishra, der in den Raum sprang. Er lief zu dem aufgeschlagenen Buch und betrachtete die verschiedenen 284
Glyphen. Dann berührte er eines der Zeichen, aber nichts geschah. Ashnod schrie auf, und Mishra griff nach dem KraftStein, den er inmitten der Spiegel abgesetzt hatte. Er zerrte ihn aus seinem Nest und fluchte, als er sich an dem heißen Kristall die Hand verbrannte. Der Stein, der ein Su-chi angetrieben hatte, war mit der Aufgabe, die große Thranmaschine zum Leben zu erwecken, Völlig überfordert und ausgeglüht. Mishra ließ den fauchenden Kristall fallen, der in tausend Teile zersprang. Die leuchtende Scheibe erlosch und verschwand. Ashnod preßte sich die Hand auf die Brust und Spürte das Dröhnen und Pochen ihres Herzens. Zum erstenmal kam ihr der Gedanke, der Mak Fawa könnte außer Mishra noch andere Herren haben, und jene Herren hatten etwas gegen Eindringlinge. Zu Mishra sagte sie: »Das Wesen auf der Maschine kanntest du es?« Mishra nickte und rang nach Luft. Sie fuhr fort: »Aus deinen Träumen?« Wieder nickte er. »Erinnere mich daran, von nun an Träumen mehr Aufmerksamkeit zu schenken«, meinte sie nachdenklich. Mishra schüttelte den Kopf und pustete dem verbrannten Finger Kühlung zu. »Wir haben bekommen, was wir wollten. Laß uns gehen.« Ohne den Kraftstein des Su-chis war die Höhle wieder in flackerndes Licht gehüllt. Mit schnellen Schritten eilte Mishra die Treppe hinauf und auf den Ausgang zu. Ashnod folgte ihm verwirrt. Schließlich holte sie ihn ein. »Was meinst du damit? Wir haben bekommen, was wir wollten? Wir mußten doch alles zurücklassen und die Tür zuschlagen, damit die... die Maschine uns nicht folgen konnte.« Mishra hob die Hand. »Pst! Sieh doch!« 285
Ein Beben durchlief die Schlucht. Eines der noch stehenden Gebäude versank plötzlich im Erdboden. Unweit des Höhleneingangs tauchte der schaufelförmige Kopf eines Drachen wie ein Pfeil aus dem Sand auf, von dem langen Hals gefolgt. Nach einem weiteren Beben erschien ein zweiter Kopf. Dann ein dritter. Es waren die drei Drachen aus dem See. Von Phyrexia in diese Welt versetzt. Langsam gruben sie sich aus dem Sand und bewegten sich halb rutschend, halb gehend auf die Menschen zu. Sie knieten vor Mishra nieder und erkannten ihn als. ihren neuen Herrn an. »Beeindruckend«, murmelte Ashnod. »Und was geschieht jetzt?« Mishra lächelte. Sein Gesicht verzog sich zu einer unansehnlichen Grimasse, aber es war das erste Lächeln, das Ashnod seit langer Zeit sah. Er schaute die drei Maschinen an und sagte: »Jetzt werden wir eine neue Friedenskonferenz einberufen.« Im Inneren der Höhle entzündete sich ein Licht, und die leuchtende Tür öffnete sich. Diesmal war die Scheibe nur wenige Zoll hoch. Eine ledrige Hand, aus der dunkle metallene Knochen ragten, zwängte sich hindurch und suchte Halt in der Luft. Einmal, zweimal fuhren die Krallen nach Halt suchend umher. Dann wurde das Leuchten schwächer, die Hand zog sich hastig zurück und verschwand wenige Sekunden bevor die Tür sich wieder schloß. Wieder einmal kehrte für ein paar Jahre Ruhe im Herzen von Koilos ein.
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KAPITEL 13
Friedensverhandlungen Das Angebot, neue Friedensgespräche zu führen, erfolgte nach einem Jahr voller Kämpfe entlang der neueste Hauptmann< - wie ihn viele im stillen nannten - war ein bedächtiger Mann, und er überlegte seine Antwort sorgfältig. »Nun, bedenklich genug, aber zum Glück nur sporadisch aufflackernd«, sagte er und hielt inne. Sein Benehmen ärgerte Tawnos, aber die anderen hatten sich an diese Eigenart gewöhnt und ließen ihm Zeit, seine Gedanken zu sammeln. »Die Kampfhandlungen spalten sich in zwei Gruppen«, erklärte er schließlich. »Zum einen handelt es sich um die üblichen Überfälle. Die Fallaji brechen in unser Land ein, überfallen wahllos eine Stadt oder eine Karawane und ziehen sich zurück, ehe unsere Soldaten zur Stelle sind. Die anderen Kämpfe werden von einer größeren, geordneten Truppe durchgeführt, die sich auf ein bestimmtes Ziel konzentriert - sei es eine Brücke, eine Mühle oder eine Festung. Oftmals werden die Krieger von der Drachenmaschine begleitet. Bei diesen Feldzügen wird wenig geraubt, aber sehr viel zerstört.« »Das sind die sorgfältig geplanten Angriffe«, meinte Urza leise. »Bei den anderen handelt es sich um die gewöhnlichen Räuber aus der Wüste, die auf Ruhm und Beute aus sind. Die von dem Drachen begleiteten Truppen verfolgen bestimmte Pläne und Ziele.« Noch immer starrte er wie gebannt auf das Pergament. »Jene Feldzüge tragen die Handschrift meines Bruders und haben seine Zustimmung.« »Nun, Zustimmung hin oder her«, warf der Seneschall ein, »das alles dient dazu, die Bewohner der Schwertsümpfe und entlang des Mardunufers zur Verzweiflung zu treiben. Die Fallaji überfallen die Gebiete am anderen Ufer des Flusses mit schöner Regelmäßig288
keit, und mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, daß sie einen größeren Angriff planen, der sich bis auf yotianisches Gebiet ausdehnen soll.« »Stimmt das wirklich?« fragte Kayla mit fester und ausdrucksloser Miene. Tawnos fiel auf, dass sie immer erst alle Anwesenden anhörte, ehe sie eine Entscheidung fällte. Der Seneschall sah den Hauptmann an, der nach Einigem Zögern antwortete: »Das wissen wir nicht ggenau. Wir besitzen Festungen mit zwei Feuertürmen am diesseitigen Ufer, die uns vor großen Angriffen warnen können. Der Fluß ist so breit, daß sie uns gut vorbereitet antreffen würden, selbst wenn sie ausreißend Boote zur Verfügung haben.« Er legte eine Pause ein. »Wie dem auch sei, die zusätzlichen Garnisonen am Mardun zehren an unseren Truppenreserven.« Kayla bedachte die Worte des neuesten Hauptmanns und nickte. »Wir können die Ornithopter auf zusätzliche Patrouillen ausschicken.« »Das zehrt ebenfalls an unseren Reserven«, mischte sich Urza ein. »Dreißig Ornithopter sind auf fünf Patrouillen mit je sechs Maschinen eingeteilt. Wenn wir die erbetenen Kraftsteine aus Argivia bekommen, können wir ihre Anzahl verdoppeln, aber die argivianische Krone...« - er biß sich auf die Lippen - »... weigert sich noch.« Wieder nickte Kayla. Nach Urzas Aussagen mußten die Argivianer in Kraftsteinen, die zumeist aus Tocasias Ausgrabungen stammten, schwimmen. Es schien weniger Mühe zu bereiten, die Kristalle aus dem Boden zu graben, als sie den Argivianern zu entreißen. »Wie wurden die Patrouillen verteilt?« fragte sie. Urza antwortete, da der Hauptmann wieder einmal nachdachte. »Fünf Gruppen stehen entlang der Grenze nördlich der Schwertsümpfe. Die sechste ist hier in Kroog stationiert. Die Schwertsumpfgruppen befinden 289
sich in befestigten Anlagen. Ich finde, wir sollten mehr Festungen entlang der Grenze bauen, damit die Ornithopter bei Bedarf von einem Ort zum anderen geschickt werden können.« Der Hauptmann wandte mit gerunzelter Stirn ein: »Das wäre eine große Belastung für die Piloten.« »Wir haben mehr fähige Piloten als Flugmaschinen« erwiderte Urza. »Durch zusätzliche Festungen werden wir beweglicher und können besser zurückschlagen. Außerdem könnten auch wir uns den Überraschungsmoment zu eigen machen, den die Fallaji zur Zeit ausnützen.« Der Hauptmann schüttelte den Kopf. »Die Piloten müssen sich regelmäßig ausruhen.« »Sollten die Maschinen auch ruhen, nur weil es die Menschen tun?« In Urzas Stimme schwang beißender Spott mit. Tawnos kannte diese Wortgefechte. Wenn es um die Ornithopter ging, hatte das Wort des Wissenschaftlers mehr Gewicht als das des Hauptmanns. Der Hauptmann überlegte eine Weile und zuckte dann besiegt mit den Schultern. Kayla beobachtete die Männer herablassend und sagte: »Urza, stelle genaue Pläne über zusätzliche Festungen auf, und lege sie dem Hauptmann vor. Es hört sich so an, als seien uns im Augenblick Grenzen gesetzt.« »Wir besitzen mehr als nur Ornithopter«, erinnerte sie der Hauptmann. »Wir haben Fußtruppen, Kavallerie und berittene Boten.« Er hielt inne und warf Urza einen Blick zu. »Aber es stimmt: Die dauernden Überfälle haben uns geschwächt.« »Dann werden wir das Angebot des Quadirs annehmen«, erklärte Kayla. »Vielleicht können wir gemeinsam eine Lösung finden.« »Höchst unwahrscheinlich!« rief Urza. »Seine Forde290
rungen, die er in Korlinda bekanntgab, lassen uns keinen Spielraum. Sie wollen alles Land, das ihrer Meinung nach >traditionelles Fallajigebiet< ist. Das schließt die Schwertsümpfe ein. Bist du bereit, sie abzutreten?« Kayla schüttelte den Kopf. »Die Sümpfe gehören zum Erbe meines Vaters. Nun, wir werden trotzdem mit ihnen verhandeln, und sei es nur, um ihnen deutlich zu machen, daß unser Yotia ein anderes ist als jenes, das sie in Korlinda kennengelernt haben.« Sie erhob sich und zeigte damit das Ende der Sitan. Der Hauptmann und der Seneschall folgten rem Beispiel. Urza blieb sitzen. Er tippte auf das Pergament. »Die Frage ist folgende: es noch die gleichen Fallaji, die sie in Korlinda waren?« fragte er Tawnos. Das Angebot wurde angenommen und die Antwort Ornithopter überbracht. Als Datum nannte man das Ende des nächsten Monats, und als Treffpunkt wurde Kroog bestimmt. Die Fallaji planten, mitten durch die Schwertsümpfe zu reisen. Der Hauptmann protestierte dagegen, und der Seneschall schlug einen Weg entlang des Mardun vor, der die Grenze des umstrittenen Gebietes nur streifte. Der Seneschall war siler, die Fallajis würden den Vorschlag zurückweisen, und war angenehm überrascht, als sie ihr Einverständbekundeten. Die Vorbereitungen auf das Treffen verliefen ohne großes Aufsehen. Mit Anti-Fallaji-Parolen beschmierte Wände wurden sorgfältig gesäubert, und vor den dikken Stadtmauern räumte man einen riesigen Platz für die erwarteten Truppen. Wieder freute sich der Seneschall, als er vernahm, daß die Fallaji nur wenig mehr als eine Ehrenwache mitbringen wollten. Weniger freute ihn die Nachricht, daß auch die Drachenmaschine mitkommen würde. 291
Urza und der neueste Hauptmann trafen Vorsichtsmaßnahmen. Die Palastgarde wurde bis zur Vollkommenheit gedrillt und die Stadtgarnison mit Truppen von der Küste verstärkt. Eine zweite Ornithoptergruppe aus den Schwertsümpfen eilte herbei, um die fünf Flugmaschinen von Kroog zu unterstützen. Urza wünschte, daß die Ornithopter während der ganzen Zeit über den Fallaji schweben sollten, solange sich diese auf yotianischem Gebiet bewegten. Dagegen wehrten sich die Fallaji und ließen den Seneschall ihren Unmut spüren. Mehrere Tage lang sah es so aus, als würden die Verhandlungen an diesem Punkt scheitern, aber schließlich gab Urza nach. Allerdings sollte der Zug der Fallaji von einer berittenen Eskorte begleitet werden. Urza machte sich die Mühe, sämtliche Ornithopterpiloten in der Hauptstadt unter die Lupe zu nehmen und sich mit ihnen zu unterhalten. Tawnos begleitete den Wissenschaftler die meiste Zeit und wunderte sich über dessen Benehmen - schließlich hatte Urza die Piloten zum größten Teils selbst ausgewählt und ausgebildet. Sie alle waren ihm treu ergeben. Während der Gespräche begriff Tawnos, daß es Urza nicht um die Ergebenheit der jungen Männer ging. Diese Eigenschaft stand nicht zur Debatte und wurde als selbstverständlich vorausgesetzt. In der Tat genoß Urza bei seinen Piloten den Ruf einer Legende, fast eines Heiligen. Mit seinen Fragen wollte er herausfinden, wie die Piloten über die Fallaji, die Wüste und die anhaltenden Feindseligkeiten dachten. Tawnos merkte, daß es Urza um die innere Einstellung der Männer ging. Urza wollte wissen, ob einige von ihnen - sei es absichtlich oder zufällig - daran dachten, das Vorhaben des verstorbenen Königs zu Ende zu bringen. Er erforschte sie, als handele es sich um Einzelteile einer Maschine, die auf Verschleißerscheinungen untersucht werden mußten. 292
Tatsächlich entdeckte er zwei Piloten, die ihren Haß auf die Fallaji zugaben, und einen, der seine Treue schwor, obwohl er nicht mit den Plänen der Diplomaten einverstanden war. Urza versetzte die jungen Männer zu anderen Flugtruppen und ließ sie durch gemäßigtere Gemüter ersetzen. Tawnos begriff, daß der erste Wissenschaftler des Staates einmal unangenehm überrascht worden war und eine Wiederholung unbedingt verhindern wollte. Mit einer Genauigkeit, die er auch bei seinen Forschungen und Erfindungen an den Tag legte, überprüfte er sämtliche in der Hauptstadt stationierten Truppen. Nach einer Weile kannte er jeden Kaufmann, der behauptete, von den Fallaji überfallen worden zu sein. Er war jeden Zoll der Mauern abgeschritten, die Kroog auf drei Seiten umgaben, und kannte jeden Schritt entlang des Mardunufers, das die vierte Seite einnahm. Dennoch setzte er wenig Hoffnung in die Verhandlungen und teilte dies Tawnos offen mit. Der Quadir beanspruchte das Land, das Kaylas verstorbener Vater erobert hatte, und sie würde es nicht hergeben, erklärte er seinem Gehilfen. Daraufhin erkundigte sich Tawnos, weshalb dann überhaupt Verhandlungen stattfanden. Urza seufzte abgrundtief und meinte: »Manchmal sollten sich selbst Feinde zusammensetzen und miteinander reden. Vielleicht kommt nichts dabei heraus, aber wenn nichts Unangenehmes eintritt, so kann man auf ein nächstes Treffen hoffen.« Tawnos glaubte, daß mehr als nur dieser Grund dahintersteckte. Das Treffen, auf das sich der Wissenschaftler so sorgfältig vorbereitete, fand nicht zwischen den Fallaji und den Yotianern oder dem Quadir und der Königin statt. Das Treffen fand zwischen Urza und seinem jüngeren Bruder statt. 293
Kurz nachdem die Fallaji die Grenze der Schwertsümpfe erreichten, trafen die Botschaften in regelmäßigen Abständen ein, wie Urza es befohlen hatte. Der Quadir hielt sein Versprechen, und die Gruppe war kleiner als damals in Korlinda. Die Drachenmaschine begleitete die Fallaji, aber diesmal zog sie einen Metallwagen, der fast so groß war wie das Wesen selbst und riesige, seltsame Räder besaß. Der Drache bewegte sich nur langsam vorwärts, hielt aber mühelos mit den Truppen Schritt. Der yotianische Rat besprach die Mitnahme des Wagens. Der Seneschall meinte, es könne sich um ein Geschenk handeln. Der neueste Hauptmann glaubte, es würden sich zusätzliche Krieger darin verbergen. Urza sagte zu Tawnos, es sei ein Zurschaustellen von Macht, eine Erinnerung daran, daß Mishra seit Korlinda nicht untätig gewesen war. Kayla beschloß, keinen Widerspruch gegen die unerwartete Vergrößerung der Fallajigruppe anzumelden. Urza befahl einer Grenzflugtruppe, die normale Patrouillentätigkeit wieder aufzunehmen, und einer zweiten, parallel zu den Fallaji zu fliegen, jedoch außer Sichtweite zu bleiben. Am fünften Tag der Reise, fünf Tage bevor die Feinde Kroog erreichen sollten, wurden Gerüchte über eine Zusammenballung von Fallajitruppen an der nördlichsten Grenze der Schwertsümpfe laut. Der Seneschall meinte, es handele sich bestimmt nur um einen der üblichen Überfälle; wahrscheinlich von Fallaji angestiftet, die ein Scheitern der Verhandlungen wünschten. Der Hauptmann dagegen erklärte, ein Überfall, egal aus welchem Grund, sei zu diesem Zeitpunkt eine Katastrophe, und die Ornithopter würden gebraucht, um die Wüste im Auge zu behalten. Zuerst weigerte sich Urza, seine Zustimmung zu geben, wurde jedoch von Kayla umgestimmt. Schließlich gestattete er zögernd, daß sich drei Fluggruppen 294
(einschließlich jener, die den Drachen beschattete) in den fernen Norden begaben. Urza erklärte Tawnos den Grund für seinen Sinneswandel nicht, aber etliche Diener berichteten von einem lautstarken Streit, der aus den königlichen Gemächern gedrungen sei. Tawnos wußte, daß Urza in den vergangenen Nächten sehr lange gearbeitet hatte. Der Wissenschaftler behauptete, an Verbesserungen der Metallsoldaten zu arbeiten, aber von nun an nahm er nur noch an den Ratssitzungen teil, wenn ihn seine Gemahlin ausdrücklich dazu aufforderte. Am zehnten Tag trafen die Fallaji vor den Mauern von Kroog ein. Bunte Flaggen hingen von den Wehrgängen herab, als könnten sie die Kraft und den Zweck der starken Mauern verheimlichen. Fast die gesamte Bevölkerung Kroogs hatte sich auf den Mauern eingefunden, und auch die Fenster der Häuser, die einen Blick auf die Fremden gewährten, waren dicht umlagert. Die Kaufleute verdienten ein Vermögen mit dem Verkauf von Fernrohren, einer argivianischen Erfindung, die aus zwei polierten Gläsern bestand, die im Inneren eines Metallrohres steckten. Als sich die Fallaji näherten, bestand Kroog nur noch aus Schaulustigen. Ihre Majestät, der Prinzgemahl, Tawnos, der Seneschall und der neueste Hauptmann warteten in Begleitung zahlreicher Beamter am Nordtor auf die Ankunft der Wüstenbewohner. Die Sonne spiegelte sich funkelnd in den breitkrempigen polierten Helmen und schweren Schulterklappen der Krieger, aber kaum jemand beachtete sie, denn alle Aufmerksamkeit richtete sich auf die Drachenmaschine. Tawnos, der ebenfalls am Nordtor wartete, staunte über alle Maßen. Es schien, als habe man ein Lebewesen in eine Maschine verwandelt. Er sah einen Drachen, dessen Muskeln aus Kabeln bestanden, die Haut 295
aus Metallplatten und die Augen aus glitzernden Edelsteinen. Er bewegte sich wie eine lebendige Kreatur, mit kleinen Zuckungen und Reflexen. Der Kopf pendelte bedächtig hin und her, als bestaune das Wesen die ungewohnte Umgebung. Urza hatte Tawnos von der Maschine berichtet und erzählt, Mishra habe sie unter dem Wüstensand entdeckt. Aber das war keine Thranschöpfung, dachte Tawnos, und dieses Ding war meilenweit von den Metallsoldaten des Wissenschaftlers entfernt. Tawnos war beeindruckt, obwohl er von Urza wußte, was ihn erwartete. Er konnte sich vorstellen, was der Rest der Bevölkerung dachte. Die Drachenmaschine trug ein Geschirr wie ein Zugochse und zog einen Wagen, der fast so groß war wie er selbst. Ansonsten wirkte das Gefährt nicht sonderlich beeindruckend. Es sah aus wie ein metallenes, vierstöckiges Gebäude auf Rädern. Die scharfen Kanten und offenen Speichen verrieten, daß es von den Thran gebaut worden war. Etliche Türen und Wehrgänge zierten die Seiten, die außerdem mit Katapulten und kleinen Geschützen bestückt waren. Die Waffen waren nicht geladen und mit Tüchern bedeckt, die ihren Zweck jedoch ebensowenig verbargen wie die bunten Flaggen auf den yotianischen Mauern. Kayla hatte befohlen, die Ornithopter vor den Stadtmauern aufzustellen. Zu beiden Seiten des Nordtores erwartete jeweils eine Fluggruppe die Fallaji. Die Piloten standen neben ihren Maschinen, die als Warnung dienten, wie es bei einem in der Scheide steckenden Schwert der Fall ist, das auf einem Tisch ruht und den Gegner daran erinnern soll, daß man zwar keinen Kampf beabsichtigt, notfalls jedoch darauf vorbereitet ist. Die Piloten, mit blau-weißen Wappenröcken angetan, warteten geduldig neben ihren Ornithoptern. Die 296
Fallaji stellten sich ihnen gegenüber in respektvoller Entfernung auf. Der Drache kam mitsamt seiner Last vor dem Tor zum Stehen. Tawnos fiel etwas auf, das Urza nicht erwähnt hatte. Ein dumpfes Dröhnen war zu hören, als die Körperflüssigkeit des Wesens durch die verborgenen Rohre strömte und die hydraulischen Gelenke sich bewegten. Das Dröhnen erinnerte an einen Herzschlag, und Tawnos fühlte es mehr, als daß er es sah. Nach einer Weile öffnete sich eine Tür an der Seite des Wagens. Eine Treppe wurde herabgelassen, und zwei Gestalten verließen das Gefährt. Keine von ihnen konnte der Quadir sein. Mishra schritt voran, gefolgt von seiner Gehilfin. Tawnos kannte keinen von beiden, wußte aber nach einem Blick, daß es sich um Urzas Bruder handeln mußte. Der jüngere Bruder war kleiner, stämmiger, dunkelhaarig und trug einen gestutzten Bart. Aber sein Gang und das Gesicht unter diesem Bart verrieten seine Verwandtschaft mit dem ersten Wissenschaftler von Kroog, dem Prinzgemahl von Yotia. Mishra trug die weiten Gewänder eines Wüstenfürsten, aber keine Kopfbedeckung. Er strahlte übers ganze Gesicht. Dann sah er blinzelnd ins Sonnenlicht und winkte den Zuschauern auf den Wehrgängen zu. Schmährufe mischten sich unter den aufbrandenden Jubel, aber er schien sie nicht zu bemerken. So sehr der Wagen von der Gegenwart des sagenhaften Drachen überstrahlt wurde, so sehr verblaßte Mishra neben seiner Gefährtin. Es war eine schlanke Frau, deren Haar die Farbe von blutroten Rubinen hatte. Sie war in dunkle Gewänder gehüllt, und ein weiter Umhang fiel ihr über die Schultern. In der Hand hielt sie einen Stab aus schwarzem Holz, und hoheitsvoll überhörte sie das Geschrei der Menge. Ihr Blick 297
blieb starr geradeaus gerichtet. Urzas Beschreibung nach mußte das Ashnod sein. Der Quadir erschien nicht, und die Yotianer am Torhaus unterhielten sich aufgeregt. Wenn der Quadir sich nicht zeigte, meinte der Seneschall, sollte auch die Königin bei der ersten Begrüßung fehlen. Eine gleichrangige Gruppe sollte die Abgesandten der Fallaji empfangen. Mehr könnte als Schwäche ausgelegt werden, weniger als Beleidigung. Das bedeutete: Tawnos und Urza würden den Magier und seine Gehilfin begrüßen. Urza nickte zustimmend, und seine Miene erstarrte, als er seinem Bruder entgegensah. Tawnos nahm an, daß er viel lieber unter vier Augen mit Mishra gesprochen hätte, aber es sollte nicht sein. Die Königin wollte im Torhaus zurückbleiben, während ihr Gemahl und sein Gehilfe die Fremden empfingen. Ernst und gemessenen Schrittes ging Urza auf die Fallaji zu. Tawnos blieb zwei Schritte hinter seinem Meister und trug eine gelassene Miene zur Schau. Vor Mishra und Ashnod blieb Urza stehen und hob die Hände, als sei er ein Priester, der dem Paar seinen Segen geben wollte. »Willkommen in Kroog, Bruder«, sagte er. Mishra breitete die Arme aus, und einen Augenblick lang glaubte Tawnos, er würde auf den älteren Bruder zulaufen und ihn umarmen. Statt dessen verneigte er sich tief. Auch Ashnod neigte grüßend den Kopf. »Eure Einladung ehrt uns zutiefst«, sagte Mishra und richtete sich wieder auf. Sein Lächeln mochte ehrlich gemeint sein, dachte Tawnos, vielleicht aber war es auch nur das aufgesetzte Grinsen eines Fallajihändlers. »Eure Anwesenheit ist eine Ehre für uns«, entgegnete Urza, dessen Worte in Tawnos' Ohren hohl und nichtssagend klangen. »Ist der Quadir auch hier?« »Leider nein!« Wieder verneigte sich Mishra tief. 298
»Leider konnte uns seine Erhabenheit und Weisheit nicht auf der Friedensmission begleiten. Unser Reich wird immer größer, und er muß sich derzeit um andere Dinge kümmern.« Urza schwieg, und Tawnos sah, wie sich seine Kiefermuskeln spannten. »Man hätte uns benachrichtigen sollen, daß euer Herrscher... anderweitig beschäftigt ist«, meinte er schließlich. »Wir begreifen eure Enttäuschung«, erwiderte Mishra hastig. »Seid versichert, daß unser mächtiger und ehrwürdiger Quadir eure Gefühle teilt. Ich möchte dir nichts vorlügen, Bruder. Nach der letzten Erfahrung mit deinem Volk ist er vorsichtig geworden. Er hat mich ermächtigt, in seinem Namen zu verhandeln. Wenn wir ob seiner Abwesenheit nicht willkommen sind, bitten wir um Vergebung und ziehen uns untertänigst zurück.« Er verbeugte sich zum drittenmal. Tawnos begriff, daß Mishra seine übertriebenen Gesten nicht für Urza, sondern für die zuschauenden Yotianer ausführte. Selbst wenn Urza es gewünscht hätte - jetzt konnte er seinen Bruder nicht mehr fortschicken. Tawnos bemühte sich, seine ausdruckslose Miene beizubehalten, wie er es schon als Kind getan hatte, wenn sich seine Onkel miteinander unterhielten. Er blickte nach vorn, an Mishra vorbei. Nach einer Weile merkte er, daß er Ashnod ansah, die ein Stück hinter ihrem Meister stand. Auch ihr Gesichtsausdruck war der eines Kindes, das wohlerzogen zu warten hat, während sich die Eltern unterhalten. Tawnos blinzelte. Sie sollte nicht denken, er starre sie an. Schnell ließ er den Blick ein Stück nach links schweifen, zu einem Rad des riesigen Wagens hinüber. Dabei fing er Ashnods Blick auf. Sie blinzelte ihm zu. Es war nur der Hauch eines Blinzelns, begleitet von der Andeutung eines Lächelns. Tawnos zuckte zusam299
men und sah die rothaarige Frau noch einmal an, die aber schon wieder starr geradeaus schaute. Das alles spielte sich ab, ehe Urza eine Antwort gefunden hatte. »Als Abgesandter deines Volkes bist du willkommen. Ich will dich der Königin vorstellen. Wenn du mir bitte folgen möchtest?« Der Wissenschaftler verbeugte sich leicht, und Mishra antwortete: »Wenn ich es sagen darf: Du siehst gut aus, Bruder. Es hätte mir das Herz gebrochen, wenn dir in Korlinda etwas zugestoßen wäre.« »Nun, das...« Urza geriet ins Stocken. Sekundenlang schien die Welt sich nicht weiterzudrehen. Dann fuhr er fort: »Es ist gut zu wissen, daß auch du wohlauf bist. Was Korlinda angeht...« Mishra hob abwehrend die Hand. »Darüber können wir uns später noch ausführlich unterhalten. Ich habe im vergangenen Jahr lange darüber nachgedacht. Wir sprechen bei Gelegenheit darüber. Aber jetzt sollten wir die Königin nicht länger warten lassen.« Urza verzog das Gesicht, entspannte sich aber sofort wieder. »Natürlich.« Er machte auf dem Absatz kehrt und schritt zum Stadttor zurück. Mishra folgte ihm, von seiner Gehilfin begleitet. Tawnos schloß sich ihnen an. Die rothaarige Frau zögerte ein wenig und sah den jungen Mann an. Sie sagte: »Du mußt Tawnos sein.« Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie und verneigte sich leicht. »Entschuldige. Ja, ich bin Tawnos, der Gehilfe Urzas. Und du bist Mishras erste Gehilfin, Ashnod?« Sie zog die Hand zurück, und erneut stahl sich der Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht. »Die erste und einzige«, erwiderte sie. »Wie gewöhnlich denkt keiner der beiden daran, uns einander vorzustellen. Mishra ist ein Genie, aber er hat die Manieren eines Bauern. Muß in der Familie liegen, wie?« 300
Tawnos setzte zu einer Antwort an, aber als ihm endlich etwas wirklich Witziges eingefallen war, hatte sie sich schon wieder umgedreht und folgte den beiden Brüdern. Tawnos schüttelte den Kopf und ging weiter. Er traf am Tor ein, als Urza seine Gemahlin vorstellte und ihre zahlreichen Titel nannte, die er wie ein Schulmeister mit besonderer Betonung vortrug. »...Blume von Mardun, Tochter des großen Königs, Königin der Yotianer, Herrscherin von Kroog. Meine Frau, Kayla bin-Kroog«, schloß er. »Mishra, auserwählter Gesandter der Fallaji. Der Quadir ist verhindert und bittet um Vergebung.« Bei diesen Worten sah Urza den Seneschall an, und der Mann zuckte unwillkürlich zusammen. Kayla streckte Mishra die Hand entgegen. »Urza hat mir von Eurer Schönheit berichtet«, sagte der jüngere Bruder und verneigte sich tief. »Allerdings vergaß ich, daß er zu Untertreibungen neigt. Ein majestätischer Baum ist für ihn nichts weiter als ein paar Klafter Holz, und eine Wüste nichts als ein Stück Land, das sich über etliche Meilen erstreckt. Und nun sehe ich, wie sehr er Eure Schönheit untertrieben hat.« Ein kleines Lächeln stahl sich über Kaylas Lippen. Tawnos fand, sie wirke zufrieden, obwohl sie schon lange immun gegen übertriebene Schmeicheleien war. »Urza sprach auch von seinem Bruder«, antwortete die Königin, »aber ich muß gestehen, daß ich nicht auf einen so wortgewandten Mann vorbereitet war.« »Ich habe nur wenig in meinem Leben vermißt«, erklärte Mishra und hielt die Hand der Herrscherin fest. »Mir fehlte jedoch immer eine Schwester. Aber da Ihr die Frau meines Bruders seid, ist dieser Mangel wettgemacht.« Er lockerte seinen Griff, und sanft entzog ihm Kayla die Hand. Anschließend stellte man Ashnod, Tawnos, den Se301
neschall und den Hauptmann vor, ehe die Fallaji ihr Lager rings um die Drachenmaschine aufschlugen. Später, nachdem alles gesagt und getan war, erinnerte sich Tawnos überdeutlich an den eisigen Blick, den Urza seinem Bruder zugeworfen hatte, als jener Kayla mit Schmeicheleien überhäufte, und an Mishras strahlendes Lächeln, das er der Gemahlin seines Bruders schenkte. Der Streit war bis in die große Halle hinunter zu hören. Ein paar Dienerinnen flohen aus den königlichen Gemächern und liefen an Tawnos vorüber den Gang hinab. Er hörte die wütenden Stimmen, die stählern von den Wänden zurückgeworfen wurden. Je näher er kam, um so drückender lastete das Geschrei in der Luft. Drohende Gewitterwolken schienen sich in den Fluren des Palastes zusammenzubrauen. Unbeirrt setzte er seinen Weg fort. Die Tür zu den königlichen Gemächern war geschlossen, aber das dämpfte die Stimmen der Streitenden nur geringfügig. Jetzt konnte Tawnos die Worte verstehen und zögerte, ehe er klopfte. »Die Antwort lautet: Nein!« brüllte Urza. »Es ist ein guter Handel!« schrie Kayla. »Dann lassen sie die Schwertsümpfe in Frieden!« »Du hast nicht das Recht, damit zu handeln!« Nie zuvor hatte Tawnos den Wissenschaftler so laut schreien hören, nicht einmal wenn er die unfähigsten Studenten anbrüllte. Wieder zögerte der Gehilfe. War es ratsam, die beiden zu unterbrechen und ihnen bewußt zu machen, daß ihr Streit überall zu hören war, oder sollte er warten, bis sie eine Pause einlegten? Er klopfte. Ein wütendes Knurren ertönte. »Was ist?« Eine weibliche, weitaus beherrschtere Stimme fügte hinzu: »Herein!« 302
Vorsichtig schob sich Tawnos in den Raum und sagte: »Die Abgesandten der Fallaji warten darauf, daß Ihr ihnen den Vogelsaal zeigt, Meister.« Der Blick, den Urza seinem Gehilfen zuwarf, war so frostig wie der Ronomgletscher. Aha, dachte Tawnos, kein guter Zeitpunkt für eine Unterbrechung. Kayla stand mit gefalteten Händen an der gegenüberliegenden Wand. Bei den Sitzungen des Rates war dies üblicherweise ein Zeichen, daß die Besprechung zu Ende war. »Wenn Ihr wünscht, daß ich die...«, begann Tawnos, aber Urza unterbrach ihn. »Ich komme!« lautete seine Anwort, wie Tawnos es erwartet hatte. Der Gedanke, daß sein Bruder ohne ihn durch die Werkstatt schlenderte, war Urza unerträglich. An seine Frau gewandt fauchte er: »Unsere Unterhaltung ist noch nicht beendet, Kayla.« Sie nickte herablassend: »Da hast du recht, Urza.« Der Wissenschaftler deutete eine Verneigung an und schritt zur Tür. Kayla sagte: »Tawnos, bleib noch eine Weile hier.« Tawnos sah seinen Meister an. Urza verzog unwillig das Gesicht und nickte schließlich. »Folge mir, sobald es dir möglich ist.« Dann eilte er mit wehendem Umhang davon. Tawnos wandte sich der Königin zu. »Majestät?« Hastig fügte er hinzu: »Edle Dame?« »Du hast unser >Gespräch< schon im Gang vernommen?« Er holte tief Luft. »Ich glaube, man konnte Euer >Gespräch< sogar in Tomakul hören.« Kayla lächelte und ließ sich in den Thronsessel fallen, ein mit prächtigen Schnitzereien verziertes Monstrum. »Ich habe aber nicht viel verstanden«, fuhr Tawnos 303
eilig fort. »Nur die lauten Stimmen, nicht aber die Worte waren zu vernehmen.« Kayla verschränkte die Hände und stützte das Kinn auf die Hände. »Würdest du sagen, daß die Verhandlungen der letzten Tage gute Fortschritte gebracht haben?« »Sehr gute sogar«, antwortete Tawnos. In der Tat hatten sich beide Parteien hervorragend verstanden, wenn man die Geschehnisse in Korlinda bedachte. Geschenke waren überreicht worden. Segenswünsche ausgesprochen. Höflichkeiten und Schmeicheleien ausgetauscht. Besprechungen unter vier Augen zwischen Kayla und Mishra hatten zu heftigen Debatten bei den Fallaji und innerhalb des Geheimen Rates geführt. Das gute Verhältnis war durch Urzas Angebot, seinem Bruder den Vogelsaal zu zeigen, unterstützt worden. Als Gegenleistung bot Mishra an, Urza und Tawnos die Drachenmaschine und den großen Wagen vorzuführen. Alles entwickelte sich unerwartet gut. »Und der Botschafter Mishra?« fragte Kayla. »Was hältst du von ihm?« Tawnos zögerte, da er nicht sicher war, was die Königin zu hören wünschte. »Er ist...« Er suchte nach Worten. »Er ist wie sein Bruder - aber doch anders. Er geht mehr aus sich heraus. Ist redefreudiger.« »Aber dennoch immer auf der Hut«, meinte Kayla. Tawnos überlegte. Ja, trotz aller Schmeicheleien, Lobpreisungen und Höflichkeiten war Mishra nicht weniger verschlossen als Urza. Er schien es ehrlich zu meinen, aber vielleicht verbarg er seine wahren Gefühle hinter einer Maske aus Worten. Tawnos begriff, daß Urza anders war. »Ich weiß selten, was Urza denkt, denn er spricht nicht viel. Ich weiß nicht, was Mishra denkt, weil er soviel spricht.« Wieder lächelte Kayla. »Er ist äußerst charmant. Ich hörte, daß die Händler aus der Wüste sogar einer 304
Schlange die Haut abzuschwatzen vermögen. Glaubst du, er hat die Macht, hier geschlossene Abkommen auch wirklich durchzusetzen?« Tawnos nickte. »Er hat die Drachenmaschine mitgebracht. Die Krieger, die ihn begleiten, mögen und achten ihn.« Kayla schwieg geraume Zeit, ehe sie sprach. »Glaubst du, wir können ihm vertrauen?« Tawnos hob die Hände. »Ich finde, wir haben ihm bisher keine Möglichkeit gegeben, das zu beweisen.« »Stimmt.« Kayla legte den Finger an die Lippen. »Was würdest du sagen, wenn ich dir erzählen würde, daß Mishra bereit ist, einen Vertrag zu unterzeichnen, der Yotias Anspruch auf die Schwertsümpfe anerkennt?« Verblüfft stieß Tawnos hervor: »Dazu ist der Quadir bereit?« Kayla hob mahnend den Finger. »Ich sagte: >wennWennsGesprächmännlichen< Angelegenheiten befassen.« Tawnos ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. »Die Zeiten ändern sich für uns alle«, meinte er. »Vielleicht ändern sich auch die Fallaji.« »Das werden wir beide nicht mehr erleben«, erwiderte die rothaarige Frau. »Ich bin Mishras Gehilfin und Schülerin. Der große Mishra führt die Fallaji gemeinsam mit dem Quadir, und die Stämme vertrauen ihm mehr als dem jungen Narren, der sich >Anführer< schimpft. Deshalb dulden sie mich. Fallajilegenden erzählen böse Dinge über rothaarige Frauen.« Sie stellte den Becher ab, fuhr sich durch die wallende Mähne und dehnte den schlanken Körper. »Deshalb fürchten sie sich vor mir.« »Ist das begründet?« fragte Tawnos. Auch er spürte die Auswirkungen des Nabiz und vermochte sein Interesse an dieser Frau nicht länger zu unterdrücken. »Die Furcht vor mir?« Ashnods Lippen umspielte ein teuflisches Lächeln. »Ich hoffe es. Aber wenn Mishra ihnen morgen den Rücken kehrt, wäre auch ich wenig später verschwunden - dessen bin ich sicher.« Tawnos schwieg und sah zu den Tanzenden hinüber. Inzwischen hatten sich die meisten Fallaji erhoben, und aus der langen Reihe war eine Spirale geworden. Mishra führte die Männer an und hatte den hageren Seneschall überredet, ihn zu begleiten. Der kleine Mann bemühte sich, Mishras Bewegungen nachzuahmen, und es gelang ihm recht gut, die unterschiedlichen Schritte, Verneigungen und Rufe auszuführen. 311
Auch Palastbedienstete schlossen sich den Fallaji an, aber der unbekannte Tanz und der gewürzte Wein arbeiteten gegen sie, und so schlurften sie unbeholfen umher. Das schien den Fallaji nichts auszumachen, sondern sie im Gegenteil zu noch kühneren Sprüngen und Schreien anzuspornen. »Alles entwickelt sich zum besten«, bemerkte Tawnos. »Besser, als du es dir vorstellen kannst«, murmelte Ashnod. »Wie hat dir der Vogelsaal gefallen?« wollte Tawnos wissen. »Er ist eindrucksvoller, als ich erwartet habe«, antwortete Ashnod und schüttelte die wallende Haarpracht. »Meister Mishra ist neidisch! Er gibt es nicht zu, aber er redet seit Jahren davon, eine Werkstatt einzurichten. Ich glaube, das ist der Grund, warum er diesen Frieden will. In Tomakul und Zegon hat er Handwerker angeworben, aber keinen dauerhaften Platz für sie gefunden.« Tawnos nickte. Ashnod redete mehr, als er erwartet hatte, aber er lauschte ihr mit Vergnügen. »Wie schade, daß wir uns so lange im Vogelsaal aufgehalten haben«, sagte er nach einer Weile. »Ich hätte liebend gerne...« Er sah ihr tief in die geheimnisvollen Augen und hätte um ein Haar den Faden verloren. »...Mishras Drachenmaschine besichtigt«, setzte er lahm hinzu. »Wer sagt, daß das nicht mehr möglich ist?« »Nun, vielleicht klappt es ja morgen«, meinte er. Ashnod schüttelte den Kopf. »Nicht morgen. Heute.« Er starrte sie erstaunt an. »Aber das Festmahl ist noch im Gange.« »Später. Hör zu. Kannst du an den yotianischen Wachen vorbeischleichen, die vor dem Flügel des Palastes stehen, in dem unsere Gemächer liegen?« Er dachte nach. »Das ist kein Problem. Sie kennen mich schließlich.« 312
»Und ich vermag an den Kriegern vorüberzugehen, die den Drachen bewachen«, sagte sie fröhlich. »Sie kennen und fürchten mich. Ich kann dir eine ganz besondere Führung gewähren. Einverstanden?« Tawnos stotterte unsicher, und Ashnod setzte hinzu: »Komm schon! Wir sind doch auch noch Studenten. Das heißt: Wir dürfen ruhig einmal schwänzen. Hast du das etwa noch nie getan?« »Niemals«, gab Tawnos zu und merkte, wie er errötete. »Oder jedenfalls kaum einmal. Und du?« Ashnod setzte eine ernste Miene auf und ahmte ihren Begleiter nach. »Niemals«, erklärte sie mit männlich tiefer Stimme. Dann mußte sie lachen und zwinkerte ihm zu. Diesmal ganz unmißverständlich. »Kaum einmal. Also, hast du Lust?« Tawnos begriff, daß sich hier eine Gelegenheit bot, mehr über Mishra zu erfahren, was der Königin und seinem Meister nützlich sein konnte. »Ja«, sagte er entschlossen. »Ich habe große Lust dazu.« »Heuchler«, spottete Ashnod und erhob sich behende. Plötzlich merkte man ihr nicht mehr an, daß sie getrunken hatte. »Dann sehen wir uns nach dem Läuten der Mitternachtsglocke. Komm in meine Gemächer. Und bringe einen ordentlichen Wein mit, hörst du? Dieser Wüstenwein schmeckt wie flüssiger Zucker.« Dann war sie fort, inmitten der betrunkenen Fallaji und Yotianer verschwunden, die taumelnd und grölend im Innenhof umhertanzten.
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KAPITEL 14
Nächtliche Unternehmungen Tawnos wählte einen Weißwein aus dem königlichen Vorrat, der - wie ihm der Kellermeister versicherte zum besten Jahrgang gehörte, den die Weinberge von Korlis in den letzten hundert Jahren hervorgebracht hatten. Trotzdem kam er sich wie ein Spion vor und nicht wie ein Wissenschaftler, der eine außergewöhnliche Maschine begutachten wollte. Ehe er aufbrach, nahm er die hölzerne Schlange an sich, mit der er vor vielen Jahren Urzas Aufmerksamkeit erregt hatte. Er zog das Uhrwerk auf, spannte den Hebel und steckte das Spielzeug in die Tasche. Von der anderen Seite der Stadt ertönte das Läuten der Mitternachtsglocke. Jetzt beseitigten die Diener die Spuren des Festmahls, und die Gäste, die nicht mehr in der Lage waren, sich in ihre Gemächer zu begeben, wurden in stille Ecken gerollt und in Decken gehüllt. Urza und Kayla hatten den Innenhof Arm in Arm verlassen, in ein angeregtes Gespräch vertieft. Mishra hatte noch einmal mit den Kriegern getanzt und ihnen dann befohlen, in ihr Lager zurückzukehren. Ashnod und er übernachteten im Gästeflügel des Palastes. Anfangs vermutete Tawnos, daß weiche Betten und fließendes Wasser der Grund für diese Entscheidung waren. Nach seinem Gespräch mit Ashnod hatte Tawnos keinen Nabiz mehr getrunken. Das einzige andere Getränk an diesem Abend bestand aus einem dickflüssi314
gen Kaffee, der in winzigen Tassen serviert wurde. Die Mischung schlug ihm auf den Magen, und er fühlte sich nicht besonders wohl. Wenigstens hoffte er, daß nur der Kaffee und der Nabiz an seinem Unwohlsein schuld waren. Tawnos blieb an der Abzweigung stehen, die zum Gästeflügel führte. Plötzlich drehte er sich um und schritt in die entgegengesetzte Richtung, auf den Vogelsaal zu, der am anderen Ende des Palastes lag. Es war erst kurz nach Mitternacht. Urza würde noch wach sein, und er konnte ihm sagen, worauf Tawnos achten mußte, wenn er den Metalldrachen besichtigte. An der Tür zum Vogelsaal stieß er auf Kayla, die sich gerade lautlos zurückziehen wollte. Sie zuckte zusammen, als sie Tawnos hinter sich stehen sah, und legte den Finger an die Lippen. »Er schläft«, flüsterte sie. »So früh?« »Es war ein langer und angenehmer Tag für ihn«, sagte sie. »Das stimmt«, nickte Tawnos. »Er versteht sich gut mit seinem Bruder.« Kayla schob eine Haarsträhne zurück und lächelte verhalten. »O ja. Aber nicht nur das. Trotzdem solltest du ihn eine Weile ruhen lassen.« Tawnos nickte und wurde sich bewußt, daß er den Weinkrug in der Hand hielt. Zum Glück machte Kayla keine Bemerkung darüber. Dennoch hielt er die Hand ein wenig hinter sich und fragte: »Was wurde aus Eurem - äh - >Gespräch