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Seewölfe 151 1
Fred McMason 1.
„Rrrrums!” sagte Batuti, der hünenhafte Gambia-Neger. Dan O'Flynn rieb sich das Kinn. Matt Davies kratzte sich mit der scharfgeschliffenen Spitze seiner Hakenprothese im Haaransatz. Sie standen an Deck der aufgeslippten „Isabella VIII.“ und lauschten dem Rumoren, das aus dem Achterschiff drang - immer dann, wenn für eine Weile der Krach der Hämmer, Beitel und Äxte verstummte, mit denen der Schiffsrumpf vom Muschelbewuchs befreit wurde. „Rrrrack!“ fuhr Batuti in seinen lautmalerischen Beschreibungen fort. Sein weißes Prachtgebiß blitzte in dem schwarzen Gesicht. „Kleines Seewölfe wild wie junges Tiger, eh?“ Dan O'Flynn nickte nur. Er konnte es immer noch nicht ganz fassen, daß sie die beiden Jungen, die Batuti „kleines Seewölfe“ nannte, wirklich und wahrhaftig an Bord hatten. Und den anderen ging es genauso. Sie waren in den Hafen von Tanger eingelaufen, um die „Isabella“ der dringend nötigen Generalüberholung zu unterziehen. Der Zufall hatte sie in jenes Zelt auf dem Platz im Gewirr der Gassen geführt, in dem eine Gruppe von Gauklern ihre Vorstellung gab. Die Attraktion war ein ziegenbärtiger Zauberer namens Kaliban, der einen kleinen Jungen verschwinden und in der nächsten Sekunde am anderen Ende der Bühne wieder auftauchen ließ. Ein unglaublicher Trick! Unglaublich jedenfalls solange, bis Dan O'Flynn auffiel, daß dieser schwarzhaarige Junge mit den eisblauen Augen Philip Hasard Killigrew, dem Seewolf, wie aus dem Gesicht geschnitten war. Als Dan das erkannte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Zwillinge! Das war der Trick des Zauberers: er arbeitete mit zwei Jungen, die sich ähnelten wie ein Ei dem anderen. Und danach brauchte Dan nur noch zwei und zwei zusammenzuzählen, um zu begreifen: diese Zwillinge waren niemand
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anders als die verschollenen, totgeglaubten Söhne des Seewolfs. Hasard hatte es zuerst nicht glauben wollen. Trotz der Versicherung, daß die beiden Jungen auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Gwen hätten, seiner toten Frau, Dans Schwester. Zu deutlich stand ihm noch die Szene vor Augen, als ihm sein Todfeind, der degradierte Hauptmann Isaac Henry Burton, mit seinem letzten Atemzug entgegengeschleudert hatte, er brauche seine Kinder nicht länger zu suchen, da sie beide tot seien. Aber dann hatte Hasard selbst die Vorstellung der Gaukler besucht. Und danach gab es auch für ihn keinen Zweifel mehr: er hatte seine Söhne gesehen, Hasard und Philip. Der sterbende Burton mußte noch in seiner Todesstunde von dem Wunsch beseelt gewesen sein, seinem Feind einen letzten, vernichtenden Schlag zu versetzen. Die Zwillinge lebten! Und für den Seewolf gab es kein Zögern: er würde seine Söhne mitnehmen. Das Recht war auf seiner Seite - das Recht des Vaters auf seine Kinder. Nur konnte man das den Zwillingen nicht erklären. Sie hatten ihren Vater nie gesehen, waren im Orient aufgewachsen und sprachen nur Türkisch. Heimlich hatten die Seewölfe die beiden Jungen auf die „Isabella“ entführt. Und jetzt hämmerten sie in der Kammer im Achterschiff gegen die Tür, weil sie 'rauswollten - „wild wie junges Tiger“, wie es Batuti sehr treffend ausgedrückt hatte. Philip Hasard Killigrew marschierte mit langen Schritten auf dem Achterkastell hin und her. Er zerbrach sich den Kopf. Am liebsten wäre er sofort ausgelaufen, aber das ging nicht, weil sich die Arbeiten an der „Isabella“ noch eine Weile hinziehen würden. Und inzwischen mußte er aufpassen, daß niemand auf die Idee verfiel, die beiden verschwundenen Jungen bei ihm an Bord zu vermuten. Er mußte sich etwas einfallen lassen, um seinen Söhnen zu erklären, daß sie sein Fleisch und Blut seien. Verdammt und zugenäht, dachte er.
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Wie sollte er zwei Türkisch sprechenden Kindern in der Zeichensprache erklären, daß es einen eindeutigen Beweis für ihre Identität damals gäbe: die HaifischSymbole, die ihnen ihre Entführer damals auf die Schulterblätter tätowiert hatten? Wie sollte er sie überhaupt dazu bringen, zuzuhören - so, wie sie sich gebärdeten? Als Vater konnte man schließlich keine Gewalt anwenden, oder? Es war überhaupt ziemlich schwierig, nach sieben Jahren plötzlich die Vaterrolle für zwei Jungen zu übernehmen, die noch dazu ziemlich ausgekocht, flink und kampfkräftig geraten waren. Hasard hätte sich am liebsten die Haare gerauft, und allmählich hatte er das Gefühl, daß es leichter sei, mit einem tropischen Wirbelsturm oder einer spanischen Kriegsflotte fertig zu werden als mit seinen neuen, ungewohnten Pflichten. Er seufzte unterdrückt. Big Old Shane, der ehemalige Schmied der Feste Arwenack, beobachtete ihn mit einem leicht amüsierten Funkeln in den Augen. Donegal Daniel O'Flynn senior stampfte mit seinem Holzbein auf die Planken. „Als Großvater würde ich meine neuen Enkel ja gern mal richtig 'rannehmen“, brummte er. „Wetten, daß man denen erst mal gründlich die Flausen austreiben muß?“ „Quatsch“, knurrte Hasard. „Ha! Sie sind halbe O'Flynns, nicht? Ich habe sieben O'Flynn-Söhne großgezogen ...“ „Indem du sie jeden Tag mit deinem verdammten Holzbein verdroschen hast“, sagte Dan von der Kuhl. „Deshalb sind sie dir ja auch alle ausgerückt, du Musterbild von einem Vater!“ „Ha! Hat es dir etwa was geschadet, du Rotzlümmel? Könntest du vielleicht heute auf diesem Kahn mit deinen Navigationskenntnissen angeben, wenn dir dein alter Vater nicht beizeiten eingebläut hätte, wie sich ein echter O'Flynn zu benehmen hat, he?“ Dan grinste still vor sich hin.
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So unrecht hat das alte Rauhbein gar nicht, dachte er. Wenn sein Vater nicht versucht hätte, ihn mit dem abgeschnallten Holzbein in die langweilige Lehre bei einem Sargtischler zu prügeln, wäre er nie als sechzehnjähriges Bürschchen von zu Hause ausgerissen. Dann hätte er sich nicht in der legendären Schlacht vor der „Bloody Mary“ auf Hasards Seite schlagen können, wäre nicht auf Francis Drakes „Marygold“ gelandet und natürlich auch nicht auf der „Isabella“. „Die nehmen noch das Schiff auseinander“, unkte Ferris Tucker, der riesige rothaarige Zimmermann. „Na und?“ nahm Dan Partei. „Das würde ich auch, wenn mich jemand so mir nichts, dir nichts verschleppt hätten.“ „Batuti geht Türken klauen“, erbot sich der schwarze Herkules. „Mit Türken, was spricht Spanisch, wir können kleine Tiger alles erklären.“ „He!“ sagte Dan. „Die Idee ist ausgezeichnet!“ So übel war die Idee wirklich nicht. Nur leider undurchführbar. Wenn sie einen Einheimischen in die Sache hineinzogen, würde der natürlich später den Mund nicht halten. Und sie konnten nach allem schließlich nicht auch noch einen Türken entführen. Hasard stemmte die Fäuste in die Hüften und machte Anstalten, Dan und Batuti anzupfeifen, weil er ein Ventil brauchte. „Wollen wir die beiden übrigens da unten verhungern lassen?“ fragte Big Old Shane dazwischen. Hasard schluckte. Dann holte er tief Luft. „Kutscher!“ brüllte er. Und nach kurzem überlegen: „Bill! Wo steckt der Bengel, in drei Teufels Namen?“ Der schlaksige, noch nicht erwachsene Schiffsjunge flitzte bereits herbei. Er war der jüngste der Crew, und Hasard nahm an, daß sich die Zwillinge vor ihm vielleicht am wenigsten fürchten würden. Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, hatte bereits eine kräftige Suppe vorbereitet, und die trug er jetzt in einer dampfenden Schüssel über den
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Niedergang. Bill, Hasard und Big Old Shane folgten ihm, wobei Hasard das Bedürfnis fühlte, sich heftig am Kopf zu kratzen. Es war schon eine vertrackte Sache, wenn die eigenen Söhne einen anstarrten wie den leibhaftigen Kinderklau. Bei der ersten Begegnung hatte er von Hasard junior einen brettharten Tritt vor's Schienbein kassiert und einen Fausthieb zum Kinn, der auch nicht von schlechten Eltern war. Und irgendjemand hatte dazu im Hintergrund gemurmelt, daß der Apfel eben nicht weit vom Stamm falle. Der Kutscher hob die Brauen, als er das Gehämmer der kleinen Fäuste hörte, die von innen gegen die Tür trommelten. Big Old Shane schüttelte sein graues Haupt. „Ruhe!“ donnerte er. Und danach war wunderbarerweise wirklich Ruhe, obwohl die Jungen das Wort bestimmt nicht verstanden hatten. Shane schloß die Tür auf. Zwei drahtige kleine Gestalten wichen zurück, aber nicht etwa ängstlich, sondern wachsam und sprungbereit. Die beiden trugen jetzt einfache Hemden und die Schifferhosen, die Will Thorne, der Segelmacher, in aller Eile zurechtgestichelt hatte - weiße für Philip, blaue für Hasard. Sonst sahen sie sich wirklich zum Verwechseln ähnlich. Sie waren groß für ihr Alter. Und auch ein ganzes Stück gewitzter, als es Siebenjährige normalerweise zu sein pflegten. Das mochte an dem abenteuerlichen Leben liegen, das sie geführt hatten und von dem der Seewolf so gut wie nichts wußte. Mißtrauisch glitten ihre blauen Augen über die freundlichen Gesichter. Der Kutscher hielt die Suppenschüssel hoch. Bill grinste breit und versuchte, vertrauenerweckend auszusehen. Aber wenn er geglaubt hatte, die beiden würden ihn als Kameraden akzeptieren, weil er selbst noch ein halbes Kind war, sah er sich gehörig getäuscht. Angst hatten Philip Hasard Killigrews Söhne nicht für einen Penny.
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Jedenfalls zeigten sie sie nicht. Obwohl sie ja eigentlich nur annehmen ‚konnten, daß man sie - nicht ungewöhnlich im Orient geraubt hatte, um sie zu verkaufen oder als Arbeitskräfte auszunutzen. Sie wollten hier 'raus. Und wenn der Kutscher gewußt hätte, wie dringend sie das wollten, wäre er sicher nicht so mir nichts, dir nichts mit der Suppenschüssel in Richtung Tisch marschiert. Eine Sekunde später flog die Schüssel haarscharf an Bills Kopf vorbei, die Suppe platschte auf den Boden, und zwei kleine Jungs schienen sich in geölte Blitze zu verwandeln. Zu ihrem Pech drängten sich ein paar Männer zu viel vor der schmalen Tür. Der Seewolf empfing schon wieder mal einen Tritt und packte den Täter am Schlafittchen. Big Old Shane hievte das zweite zappelnde Kerlchen am Kragen in die Höhe. Philip und Hasard schrien auf Türkisch Zeter und Mordio, wehrten sich mit Nägeln und Zähnen, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes, und es kostete einige Mühe, sie wieder in die Kammer zu verfrachten und die Tür zu schließen. Big Old Shane betrachtete versonnen seinen Zeigefinger, auf dem sich zwei Reihen kleiner, scharfer Zähne abzeichneten. Dann blickte er Hasard an und grinste. „Erinnert mich an Sir John auf Arwenack”, sagte er. „Den hast du auch mal gebissen, als du noch ein sechsjähriger Rotzlümmel warst.“ „Sir John war ja auch ein altes Ekel, das seine Söhne dauernd schikanierte“, knurrte Hasard. Und dann fluchte er grimmig, weil ihm einfiel, daß er selbst seine Söhne regelrecht entführt hatte und daß sie ihn vielleicht für etwas viel Schlimmeres als ein altes Ekel hielten. * Eine halbe Stunde später hatte der Kutscher eine neue Suppenschüssel und zwei Teller auf den Tisch in Hasards Kammer gestellt.
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Am Kragen packen und vor die Fleischtöpfe setzen, lautete sein Rat. Das würden die Bengel schon kapieren. Und Hasard hatte diese heikle Aufgabe dem alten Shane übertragen. Man war ja schließlich der Vater und wollte sich nicht dauernd als Buhmann exponieren. Big Old Shane lächelte schon wieder in sich hinein, als er vor der Tür stand, hinter der gerade eine türkische Debatte im Tonfall gereizter Wildkatzen im Gange war. Dan O'Flynn drehte den Schlüssel, was drinnen natürlich zu hören war. Old O'Flynn stützte sich auf seine Krücken und blinzelte neugierig. Und irgendwie sah er sogar ein bißchen selbstzufrieden aus; als die Zwillinge, die ja schließlich halbe O'Flynns waren, aus der Kammer schossen wie die Kastenteufel. Zwei Sekunden später war es allerdings damit vorbei. Da hatten die mächtigen Fäuste des Schmieds von Arwenack je einen zappelnden Jungen am Kragen und schüttelten sie ein bißchen. Woraufhin die beiden dann tatsächlich aufhörten zu beißen, zu kratzen, um sich zu treten und zu spucken. Mühelos schleppte sie Shane in Hasards Kammer und pflanzte erst den einen, dann den anderen nachdrücklich auf einen Stuhl. Da saßen sie nun. Wütend. Kampflustig. Aber logischerweise auch hungrig — und der Kutscher hatte sich mit der Suppe eine Menge Mühe gegeben. Philip sah Hasard an. Hasard sah Philip an. Beide schossen noch einen mißtrauischen Blick auf die Männer an der Tür ab — und dann schnappten sie sich die Löffel und begannen zu essen. „Verschwindet“, knurrte der Seewolf in Richtung auf Dan, den Kutscher und Old O'Flynn. „Ihr habt es schließlich auch nicht gern, wenn euch jemand dauernd in die Suppe starrt, oder?“ „Man darf ja wohl noch ...“ brummte der alte O'Flynn beleidigt. Was man „ja wähl noch durfte“. verlor sich im Dämmerlicht des Niedergangs. Big Old Shane lehnte mit verschränkten Armen an der Tür. Hasard schnappte sich die letzte
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Whiskyflasche, original schottisch, und genehmigte sich erst mal einen guten Schluck von dem Stoff, mit dem bekanntlich alles besser ging. Die Zwillinge vertilgten die Suppe bis zum letzten Tropfen. Hasard lächelte. Zeichensprache war zwar ein höchst ungenügendes Verständigungsmittel, aber man konnte es ja mal versuchen. Er klopfte sich auf die Brust. „Philip Hasard Killigrew“, sagte er langsam und deutlich. Dann wies er nacheinander auf die beiden Jungen. „Philip! Und Hasard!“ Hasard junior funkelte ihn an. Beredt tippte er auf seine eigene Brust. „Ali!“ fauchte er. Und mit einer Geste zu seinem Bruder : „Abu!“ Sein Zeigefinger spießte den Seewolf fast auf. Was er dabei sagte, war nicht zu verstehen. Aber freundlich klang es nicht gerade. „Heiliger Bimbam“, stöhnte Philip Hasard Killigrew. Seine Sprößlinge redeten immer noch auf Türkisch auf ihn ein. Unisono rutschten sie von ihren Stühlen und marschierten unter heftigem Nicken zur Tür. Der Seewolf war verblüfft und merkte fast zu spät, daß das eine neue, raffiniertere Form von Fluchtversuch war. „Die schlagen ihrem Vater nach“, brummte Big Old Shane, als er die beiden wieder am Kanthaken hatte. Diesmal brauchte er sie nicht hochzuhieven, da sie einigermaßen freiwillig in ihre Kammer zurückgingen. Das gegen den graubärtigen, knorrigen Riesen kein Kraut gewachsen war, hatten sie inzwischen gemerkt. Und so schlau, daß sie ihre Kräfte nicht unnütz vergeudeten, waren sie mit ihren sieben Jahren offenbar auch schon. „Heiliger Bimbam“, wiederholte Hasard erschüttert, als die Tür ins Schloß fiel. Big Old Shane grinste vielsagend. „Was willst du?“ fragte er gelassen. „Das sind eben keine braven Sonntagsschüler, das sind zukünftige Seewölfe.“ Womit er zweifellos den Nagel auf den Kopf getroffen hatte.
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Der portugiesische Hafenkommandant von Tanger, ein dicklicher Mensch namens Don Pedro Estrade, saß in seinem Amtszimmer und betrachtete stirnrunzelnd die Versammlung, die sich vor ihm aufgebaut hatte. Ein hagerer, ziegenbärtiger Mann mit einem Habichtsgesicht, der einen schwarzen, mit geheimnisvollen Symbolen bestickten Umhang um die Schultern trug. Ein schlanker, drahtiger Bursche, der seinen Gürtel mit einem Dutzend Messern geschmückt hatte. Zwei hünenhafte Muskelmänner, der eine völlig kahl, der andere mit einem schwarzen Zopf in der Kopfmitte. Und ein verwachsener Gnom, ein Zwerg mit dürren Beinen, zu lang geratenen Armen und einem zerknitterten Kretin-Gesicht, der aussah, als wolle er jeden Augenblick anfangen zu greinen. Der Ziegenbärtige war der Wortführer. „Salem aleikum“, grüßte er formvollendet. „Mögen die Mächte des Geschicks dir Söhne bescheren und die glücklichen Tage deines Lebens so zahlreich sein wie die Kiesel im Bache! Mein unwürdiger Name ist Kaliban. Mit meiner bescheidenen Kunst bemühe ich mich, die Bürger dieser Stadt zu erfreuen. Wenn ich die Kühnheit habe, deine ehrwürdigen Augen mit meinem bedeutungslosen Anblick zu belästigen, so hat das einen Grund ...“ „Das will ich auch hoffen“, knurrte der Hafenkommandant, dem die blumenreichen arabischen Höflichkeitsfloskeln auf die Nerven fielen. Kaliban, der Zauberer, schnappte nach Luft. Das war ja wohl die Höhe, drückten seine Augen aus. Dieser hochnäsige Kerl hätte ihm mindestens wünschen müssen, daß Allahs Segen auf seinen nichtswürdigen Künsten ruhen möge. Mindestens! Und er hätte dem dringenden Wunsch Ausdruck geben müssen, die Namen der sehr ehrenwerten übrigen Anwesenden zu erfahren. Selbst von einem ungehobelten portugiesischen Dickwanst konnte man
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schließlich verlangen, daß er die primitivsten Regeln der Höflichkeit beachtete. „Ich sehe mit tiefstem Bedauern, daß ihr nicht geruht, eurem geringen, jedoch ergebenen Diener das Wohlwollen eurer erhabenen und edlen Person zu schenken“, sagte der Zauberer mit Würde. „So sehe ich mich leider zu der fluchwürdigen Vermessenheit gezwungen, euch an eure Pflichten zu gemahnen. Ich bin beraubt worden! Der Freude meines Herzens und des Trostes meines Alters beraubt, edler Herr! Eines Schatzes beraubt, der ...“ So wäre es wohl noch eine Weile weitergegangen, wenn der Hafenkommandant den beraubten Zauberer nicht mit der profanen Frage unterbrochen hätte, wie viel Geld ihm wo und von wem geklaut worden sei. Worauf der Zauberer einen Schrei der Empörung ausstieß und die ganze Versammlung begann, einen nicht näher definierten Verlust zu beklagen, der sie aber auf jeden Fall alle an Leib und Seele gebrochen hatte. Als der Kommandant endlich begriff, daß es sich um zwei verschwundene Jungen handelte, faßte er sich an den Kopf. Als er dann noch erfuhr, daß kein Mensch etwas über den Verbleib der kostbaren Knaben wußte und daß sie genauso gut ausgerückt sein konnten, schwoll eine Zornesader auf seiner Stirn. Und das Ansinnen, in Tanger nach den Verschwundenen Araberlümmeln suchen zu lassen, brachte ihn vollends um die Fassung. „Raus!“ brüllte er. „Alle 'raus! Und laßt euch hier nie wieder sehen, oder ich werde euch Beine ...“ Kaliban verneigte sich mit ungebrochener Würde. „Wir weichen“, verkündete er. „Möge dir Allah in seiner Güte die Beleidigung verzeihen, die du deinen ergebensten Dienern angetan hast. Laßt uns gehen, Freunde!“ Die Abordnung zog sich zurück. Der Hafenkommandant schüttelte fassungslos den Kopf. Diese Araber würde
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er nie verstehen. Die brachten es fertig, ihren Mitmenschen Pestilenz und Krätze an den Hals zu wünschen und selbst dafür noch ungeheuer höfliche, liebenswürdige Worte finden. Noch einmal schüttelte Don Pedro Estrade den Kopf. Und ein paar Minuten später hatte er die Gaukler und die beiden verschwundenen Jungen schon wieder vergessen. * Mitten in der Nacht hinkte der alte Donegal Daniel O'Flynn durch das Achterschiff, um mal ein bißchen an der Tür seiner ungebärdigen Enkel zu horchen. Man war schließlich der Großvater. Da durfte man sich ja wohl dafür interessieren, ob die Nachkommenschaft den gesunden Schlaf der O'Flynns geerbt hatte. Überhaupt, was bildeten sich diese jungen Hüpfer von der Crew eigentlich ein, wie sich zwei halbe O'Flynns benehmen sollten, wenn sie geschanghait wurden? Noch dazu. wenn sie zur anderen Hälfte waschechte Seewölfe waren! Nein. die beiden Satansbengel waren schon richtig. Nur über die Stränge schlagen lassen durfte man sie nicht. Ab und zu anständig das Fell vergerbt, das hatte noch niemandem geschadet. Das fand wenigstens der alte O'Flynn, der bei seinen sieben Söhnen zu diesem Behuf immer sein Holzbein abgeschnallt hatte. Täuschte er sich, oder hüpften die beiden Kerlchen tatsächlich noch in der Kammer herum? Old O'Flynn wollte ein Ohr an die Tür legen - und knallte mit dem Kopf gegen das Holz, weil ihn eine Stimme in seinem Rücken erschreckte. „He, Dad! Willst du etwa mitten in der Nacht den guten Großvater spielen?“ Dan O'Flynn grinste breit. Der Alte stampfte wütend mit seiner linken Krücke auf. „Scher dich weg, du Milchbart! Womit habe ich bloß so einen mißratenen Sohn verdient! Man wird ja wohl noch mal
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nachhören können, ob die da drinnen nun endlich schlafen, oder?“ „Die schlafen nicht“, behauptete Dan. „Die schmieden garantiert finstere Pläne.“ „Nicht, wenn sie nach ihrem Großvater schlagen! Ich habe mich in meiner Jugend anständig benommen! Ich hatte noch Respekt vor meinem Alten, diesem schwärzesten Rabenaas, das je über die Meere ...“ Dan kicherte erheitert. Der Alte verschluckte sich fast. Dann fiel ihm ein, daß sich Donegal Daniel junior ja vielleicht noch an seinen Großvater erinnerte, gegen den alle anderen O'Flynns Chorknaben gewesen waren, und er beschränkte sich auf ein verächtliches Schnauben. Im nächsten Augenblick zuckte er zusammen. Aus der Kammer drang ein Stöhnen. Ein wahrhaft jammervolles Ächzen, das sich bedrohlich steigerte - als winde sich jemand in den vorletzten Zuckungen. Auch Dan sah erschrocken aus. Rasch trat er an die Tür, legte das Ohr an das Holz - und wie auf ein Stichwort wurde das Stöhnen noch schauerlicher. „Die werden doch nicht krank sein?“ fragte der alte O'Flynn unsicher. „Einer von ihnen bestimmt“, murmelte Dan. „Himmel, das klingt ja furchtbar! Los, laß uns rasch mal nachsehen!“ Der Schlüssel steckte von außen. Dan O'Flynn drehte ihn und öffnete vorsichtig die Tür. Halb und halb erwartete er, einen Kopf in den Bauch oder einen Fuß ans Schienbein zu kriegen, aber dem war nicht so. Das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn erschreckt die Luft durch die Zähne ziehen. Einer der Jungen lag in der Koje und stöhnte. Es war Philip, wie Dan an der weißen Segeltuchhose erkannte. Er schien sich vor Schmerzen zu winden, seine blauen Augen rollten. Der kleine Hasard beugte sich über ihn, lockerte ihm den Kragen, murmelte beschwörend auf Türkisch - und fuhr herum, als er das Geräusch der Tür hörte.
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Jetzt wirkte er gar nicht mehr Wie eine gereizte Wildkatze. Sichtlich erleichtert richtete er sich auf und trat zur Seite, damit die Männer nach seinem Bruder schauen konnten. Der röchelte jetzt, als kriege er keine Luft mehr. Dan stand mit zwei Schritten. neben der Koje, und der alte O'Flynn hinkte so eilig hinter ihm her, daß er fast über seine Krücken stolperte. „Verdammt”, murmelte Dan, während er sich über den augenscheinlich Kranken beugte. „Ich glaube, wir müssen den Kutscher ...“ Genau das war der Moment, in dem der „Kranke“ urplötzlich gesundete. Auf eine höchst explosive Art, wie Dan hinterher neidlos zugeben mußte. Jedenfalls sah er die kleine Faust nicht kommen, die mit beachtlichem Schwung auf seiner Nase landete. Nun ist das menschliche Riechorgan bekanntlich ein schmerzempfindliches Instrument. Dan O'Flynn sah Sterne, war für ein paar Sekunden verblüfft - und in diesen Sekunden vollzog sich- eine schnelle, aber gründliche Umgestaltung der Lage. Der kleine Hasard zog Old O'Flynn das Holzbein unter dem Körper weg. Ehe der Alte Luft zu einem Empörungsschrei holen konnte, war er auch noch seine linke Krücke los. Hasard junior schlug. sie Donegal Daniel junior auf den Kopf, und der. brauchte immerhin ein paar weitere Sekunden, um den ‚Treffer zu verdauen. Als er wieder klar sah, flitzten die Zwillinge bereits über den Niedergang. Dan flitzte hinterher. Ihm wäre es am liebsten gewesen, die beiden Flüchtlinge allein wieder einzufangen, damit ihn nicht hinterher die ganze Crew mit seinem Reinfall aufzog. Aber er beging den Fehler, im Eifer des Gefechts seinem alten Vater auf die Finger zu treten. Der schmiß prompt mit der Krücke nach ihm - und damit erreichte der Lärm ein Maß, das das ganze Schiff alarmierte. Philip und Hasard liefen dem Profos in die Arme, der gerade nachsehen wollte, wer -
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zum Henker noch mal - derart die Nachtruhe störe. Das heißt: sie wären ihm in die Arme gelaufen, aber wegen des Größenunterschiedes ging das nicht. Edwin Carberrys eiserne Fäuste griffen ins Leere, während ihm zwei kleine Gestalten um die Beine wirbelten. Eine Sekunde lang war der Profos verblüfft, dann wirbelte er herum. Ausnahmsweise hielt er sich gar nicht erst mit finsteren Drohungen Marke Hautabziehen auf. Mit drei Schritten war er da, wo die Zwillinge hinwollten: neben der außenbords hängenden Jakobsleiter. Unversehens zappelte der kleine Philip in einem eisenharten Griff und hörte eine Donnerstimme grollen, die er zwar nicht verstand, die aber ganz so klang, als bedrohe sie ihn mit sämtlichen Höllenstrafen. Sein Bruder prallte zurück. Von allen Seiten eilten jetzt Männer herbei - und Hasard junior wählte den einzigen Fluchtweg, der ihm noch offenstand: hinauf ins Steuerbord-Hauptwant. „Himmel, Arsch und Zwirn!“ tobte der Profos. „Hörst du wohl auf zu beißen, du Sohn eines neunschwänzigen Satansbratens, du ...“ „Meinst du mich mit dem Satansbraten?“ fragte Philip Hasard Killigrew grimmig. „Ja! Ich meine, nein! O verdammt!“ Der Profos stöhnte und hielt den zappelnden Zwilling am ausgestreckten Arm von sich weg. Der Seewolf blickte seinem zweiten Sohn hinterher, der soeben den Hauptmars erreicht hatte. Er wollte auf die Plattform entern - und dann kam es, wie es kommen mußte. Hinter der Segeltuch-Verkleidung schnellte urplötzlich eine wilde, behaarte, zähnefletschende Gestalt hoch. Arwenack, der Schimpanse, keckerte höchst ungehalten. Und der Junge, dem das Bordmaskottchen der „Isabella“ wie der Scheitan persönlich erschien, fiel vor lauter Schreck aus den Wanten. Hasard fing ihn auf und stellte ihn vorsichtig auf die Füße. „Nur keine Angst“, brummte er beruhigend. Aber was Hasard junior in seinem schnellen, sprudelnden Türkisch
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von sich gab, hörte sich ohnehin nicht nach Angst an, sondern eher nach höchster Erbitterung. Ein paar Minuten später schloß sich hinter den beiden Ausreißern wieder die Tür der Kammer. Hasard wischte sich den Schweiß von der Stirn, als er zurück an Deck marschierte. Ed Carberry betrachtete kopfschüttelnd seinen lädierten Daumen. „Kanonensöhne“, murmelte er, und es klang gar nicht erbost. „Denen muß man als Babys Schießpulver in die Milch gemischt haben. Ein paar Jahre älter, dann segeln sie dem Teufel die Ohren ab und kriegen es fertig, die Hölle mit einem Eimer Wasser anzugreifen.“ Hasard schnaufte nur. „Hat jemand vom Kai her das Spektakel beobachtet?“ fragte er Ben Brighton. „Ja“, sagte der Bootsmann in seiner bedächtigen Art. „Ein halbes Dutzend Burnusträger. Jetzt sind sie verschwunden.“ „Mist!“ fluchte Hasard. „Verdammter Mist!“ erweiterte der Profos den Kommentar. Sie hatten schon einmal erlebt, wie die Einheimischen reagierten, wenn man einem der ihren zu nahe trat, nämlich sauer. Als Dan O'Flynn nur versucht hatte, einen der Zwillinge in der Schenke zurückzuhalten, wo er Wein für die Gaukler holte, hatte es schon Zunder gegeben. Nun war zwar absolut nichts gegen eine schöne Keilerei einzuwenden, aber in diesem speziellen Fall konnte es mehr Ärger geben, als gut war. Philip Hasard Killigrew hätte sich mal wieder am liebsten die Haare gerauft. Der Himmel wußte, daß es nicht leicht war, Vater zu sein und zwei Söhne zu haben, die das Temperament so eindeutig von ihrem Erzeuger geerbt hatten. 3. Am nächsten Morgen schickte Hasard Dan O'Flynn und Smoky an Land, damit sie sich — schön unauffällig natürlich — bei den Gauklern umsahen.
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An Bord war alles ruhig. Die Zwillinge hatten offenbar ihre Bemühungen eingestellt, das Schiff auseinanderzunehmen. Nach drei vergeblichen Fluchtversuchen mußten sie wohl auch eingesehen haben, daß es sinnlos war. Dem Kutscher flog nicht einmal der Schiffszwieback um die Ohren. Philip und Hasard, die sich selbst Ali und Abu nannten, frühstückten ganz manierlich. Und ziemliche Mengen, wie der Kutscher zu melden wußte. Der Seewolf stieg ins Achterschiff hinunter und stellte fest, daß seine Söhne heute morgen offenbar nicht den Ehrgeiz hatten, mit jungen Tigern zu konkurrieren. Hasard wies mit dem Daumen nach oben. Die Zwillinge nickten einhellig. Dann marschierten sie auf die Kuhl, wo sie vom Kai her nicht beobachtet werden konnten, solange sie nicht in die Wanten enterten, und waren zunächst fast wieder rückwärts in den Niedergang gefallen, weil der Schimpanse Arwenack auf dem Schanzkleid herumturnte. Der Seewolf lächelte beruhigend und vollführte ein paar Handbewegungen, von denen er hoffte, daß sie überzeugend die Harmlosigkeit der zottigen Gestalt signalisierten. Bill lockte seinen speziellen Freund Arwenack auf die Kuhl herunter, und als der Affe dann eine formvollendete Verbeugung hinlegte, konnten die beiden Jungen plötzlich sogar lachen. „Salem aleikum“, gluckste der kleine Philip. Worauf ihm Arwenack ausgiebig und ernsthaft die Hand schüttelte. „Ich werd verrückt!“ stöhnte Blacky. „Der Affe kann Türkisch!“ „An die Brassen und Fallen, ihr Rübenschweine!“ kreischte Sir John, der Papagei — eifersüchtig wie immer, wenn der Schimpanse allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Hasard junior wollte dem Affen ebenfalls die Hand schütteln. „Salem aleikum“, sagte er dabei. „Salem aleikum“, fügte er in Richtung auf den flatternden Papagei hinzu. Und Sir John revanchierte sich
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umgehend mit seiner Krächzstimme: „Saleikum, du Rübenschwein! Saleikum, Saleikum ...“ Hasard kratzte sich am Kopf und betrachtete die Zwillinge. die plötzlich ganz wie die verspielten, unbekümmerten Kinder wirkten, die sie mit ihren sieben Jahren eigentlich sein sollten. Arwenack lief keckernd herum und tat so, als wolle er den Gästen das Schiff zeigen. Sir John ließ sich mal probeweise auf einer Zwillingsschulter nieder und beknabberte das dazugehörige Ohrläppchen. Der Junge kicherte vergnügt. Worauf Sir John etwas unmotiviert mit „Hopphopp, du Enkel eines triefäugigen Wassermanns!“ antwortete. „Na warte, du Mistvieh!“ schimpfte Old O'Flynn, weil er bei diesem Ver- gleich ja eindeutig der „triefäugige Wassermann“ war. Hasard lachte auf und beugte sich vor, um den Papagei von der Schulter des Jungen zu pflücken, bevor dessen Ohrläppchen den Freundschaftsbeweisen des Vogels zum Opfer fiel. Der kleine Philip lachte ebenfalls. Und sein Bruder, der drei Schritte entfernt stand, starrte plötzlich mit einem hellwachen, aufmerksamen Blick auf den schlanken schwarzhaarigen Jungen und den hochgewachsenen schwarzhaarigen Mann, die beide die gleichen eisblauen Augen, das gleiche energische Kinn, die gleichen kühngeschnittenen Züge hatten. Im nächsten Moment entspann sich zwischen den Zwillingen eine heftige, erregte Unterhaltung, von der niemand ein Wort verstand. Immer wieder sahen sie zu dem verblüfften Seewolf hinüber. Und schließlich zerrte Hasard junior seinen Bruder am Ärmel zum Niedergang — in der eindeutigen Absicht; sich wieder in die Kammer im Achterschiff zurückzuziehen. Ihr Vater hörte sie immer noch eifrig debattieren, als er vorsichtshalber die Tür wieder abschloß. Und dabei überlegte er, ob Batuti nicht vielleicht doch die einzig richtige Idee
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gehabt hatte, als er vorschlug, „einen Türken klauen“ zu gehen. * Um dieselbe Zeit hatten Dan O'Flynn und Smoky wieder den Platz erreicht, auf dem die Gaukler ihr großes, buntes Zelt aufgeschlagen hatten. Jetzt bei Tageslicht wirkte es etwas verblichen. Drinnen klapperte Geschirr, und irgendwo summte eine liebliche Frauenstimme. Dan und Smoky duckten sich in den Schatten eines Mauerbogens und betrachteten die Gruppe der Männer vor dem Zelt, die mit Händen und Füßen aufeinander einredeten. In dem ziegenbärtigen Burnusträger erkannten sie den Zauberer, der sein Publikum so überzeugend mit dem Zwillings-Trick verblüfft hatte. Jetzt wirkte er sehr erbittert und fuchtelte mit einem glitzernden Bündel, seinem zusammengerollten Zaubermantel, Auch Achmed Ali, der Messerwerfer, und der greisenhafte Liliputaner hatten sich zu der Versammlung gesellt, außerdem ein halbes Dutzend muskulöser Kraftmenschen und der Bursche mit dem Vollmond-Gesicht, der sich als Feuerschlucker betätigte. Die restlichen Männer schienen Einheimische zu sein - und Dan O'Flynn hatte den Eindruck, daß sie den Gauklern irgendeine wichtige Neuigkeit erzählten. Er konnte sich auch denken, welcher Art sie war. Die Turnvorführung der Zwillinge in den Wanten hatte Zuschauer gefunden. Zumindest einer der beiden war vom Kai aus deutlich zu sehen gewesen - und es mochte leicht sein, daß die Leute den Jungen in ihm erkannt hatten, den der Zauberer während der Vorstellung in der Erde versinken und wieder vom Himmel fallen ließ. Auf jeden Fall steigerte sich die Erregung der Gaukler zum Spektakel. Sie palaverten noch eine Weile, dann warf sich der Zauberer mit großer Geste seinen Umhang um die Schultern. Auf seinen Wink hin setzten sich zwei Muskelmänner
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und der Feuerschlucker in Bewegung. Die ganze Gruppe marschierte ab - und es gab keinen Zweifel daran, daß sie den Weg zum Hafen einschlugen. „He!“ brummte Smoky überrascht. „Die wollen doch wohl nicht die alte ,Isabella' angreifen?“ „Zu viert? Dir ist wohl ein Koffeynagel auf die Rübe gefallen.“ „Aber zum Hafen gehen sie, oder?“ beharrte Smoky. „Na und? Wahrscheinlich wollen sie herumschnüffeln. Wenn sie den verdammten Messerwerfer mitgenommen hätten, würde ich ja auch sagen, Vorsicht ist die Mutter der heilen Rumflasche. Aber so „Und wenn - eh, ich meine, wenn dieses komische Rübenschwein nun wirklich so was wie'n Zauberer ist?“ „Dir ist wohl die Sonne nicht bekommen, was?“ Dan widmete dem Kameraden einen vernichtenden Blick und wandte sich wieder der Beobachtung des GauklerLagers zu. Im Innern des großen Zeltes klapperte immer noch Geschirr. Dan ignorierte Smokys beleidigtes Gebrummel und schnupperte, weil der Duft des kräftigen aromatischen Gebräus durch die Luft zog, das sie hierzulande Kaffee nannten. Wenig später roch es auch noch nach Hammelpastete, und Dan gelangte zu der Erkenntnis, daß sein eigenes Frühstück schon reichlich lange zurücklag. Er lenkte sich ab, indem er die bunten Wagen betrachtete, die den Gauklern gehörten. Ein paar davon schienen als Unterkünfte zu dienen, andere waren mit massiven Eisengittern ausgestattet und wurden als Käfige benutzt. Ein ausgewachsener Braunbär blinzelte träge in die Sonne. Tauben gurrten, und Dan fragte sich, wo sie versteckt waren, bevor der Zauberer sie aus dem Hut holte. Natürlich gab es auch Pferde, Kamele, Esel — und ein Riesenexemplar von Pythonschlange, das sich träge im heißen Staub ringelte, als sei das die selbstverständlichste Sache der Welt.
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„Verrückt“, brummte Dan. „Ich kann mich nicht erinnern, daß bei der Vorstellung ein Schlangenbeschwörer mitgewirkt hätte.“ Smoky schwieg. Dan beobachtete die Python. „Ganz schönes Biest, was?“ Smoky schwieg. „He! Hat es dir die Sprache verschlagen?“ Smoky schwieg immer noch, und Dan fand es verdammt übertrieben, sich wegen des bißchen Flachses wie eine beleidigte Jungfrau aufzuführen. Er holte tief Atem, drehte sich um —und schnitt ein Gesicht, das fatal an den berühmten Ochsen vor dem neuen Scheunentor erinnerte. Nur, daß ihn Smoky nicht deswegen aufziehen konnte. Der war nämlich verschwunden, als hätte der Erdboden ihn verschluckt. 4. Fünf Minuten vorher hatte er noch hinter Dan O'Flynn im Schatten des Torbogens gestanden und sich gefuchst, weil ihm die Bemerkung über den Zauberer herausgerutscht war. Smoky, dieser Bulle von einem Mannsbild, gehörte zu den Abergläubischsten der Crew. Nun wäre zwar niemand gut beraten gewesen, wenn er darauf gewettet hätte, daß zum Beispiel Dan O'Flynn jemals am Mast kratzen oder der Kutscher eine vorwitzige Ratte über Bord jagen würde, aber es gab gewisse Unterschiede. Wenn der alte O'Flynn seine Spökenkiekereien spann und ein Teil der Crew sich halb totlachte, neigte Smoky dazu, sich heimlich zu bekreuzigen. Und außerdem hatten sie während ihrer langen Fahrt schon manches erlebt, bei dem einem gestandenen Mann kalte Schauer über den Rücken laufen konnten. Smoky glaubte im Grunde auch nicht, daß der ziegenbärtige Kaliban mit seinem komischen Mantel tatsächlich über Zauberkräfte verfügte. Aber erstens konnte man nie wissen, zweitens konnte man in solchen Sachen nie vorsichtig genug sein, und drittens bestand schließlich, verdammt und zugenäht, kein
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Grund, einem Mann Beleidigungen an den Kopf zu schmeißen, der lediglich um seine Mitmenschen besorgt war. Na warte, dachte Smoky grimmig. Du wirst schon sehen, wem ein Koffeynagel auf den Kopf fällt! Dabei kramte er in seiner Tasche, um sich erst mal einen Schluck zu genehmigen, und sein Blick glitt müßig über die schattigen Arkaden, die den freien Platz säumten. Er vergaß den Schluck. Tiefschwarze Glutaugen blitzten ihn über den Rand eines Schleiers hinweg an. Lange, seidige Wimpern klimperten, der Blick verschleierte sich zu einem träumerischen Ausdruck. Smoky kriegte einen trockenen Mund. Denn die Schöne dort drüben war durchaus nicht von Kopf bis Zeh in die landesübliche Vermummung gehüllt, sondern trug noch das Flitterzeug, in dem sie während der Vorstellung der Gaukler als Bauchtänzerin auftrat. Ein knappes, flatteriges Etwas, unter dem sich zwei wahrhaft prachtvolle Halbkugeln abzeichneten. Nabelfreier Rock. Und seitlich geschlitzt war er auch noch, das wurde Smoky klar, als sich plötzlich ein weißes, wohlgeformtes Bein in sein Blickfeld schob und mit den rosigen Zehen winkte. Winkte? Smoky hatte immer noch einen trockenen Mund, aber zum Ausgleich wurde seine Stirn feucht. Stielaugen machte er ohnehin schon. Langsam wanderte sein Blick an dem Bein aufwärts, über den niedlichen Bauchnabel, in dem eine winzige Blüte befestigt war, noch ein Stückchen höher... Verdammt, verdammt, dachte er. Jetzt klimperte die Schöne wieder mit den Wimpern. Die schwarzen Augen versprachen alle Herrlichkeiten dieser Welt. Die Art, wie sie mit dem Daumen in den dunklen Hauseingang wies, paßte nicht so recht zu einer taufrischen Blume des Orients. Na ja, vielleicht war sie eine geknickte Blume und nicht mehr so völlig taufrisch. Aber wie sie sich jetzt umwandte, noch einen heißen Blick über die Schulter warf, die weichen, schwellenden Hüften schwenkte ..
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Smoky folgte dem Traumbild wie eine Marionette, die von unsichtbaren Fäden gezogen wird. Nach dem grellen Sonnenlicht draußen sah er in dem engen, dunklen Hauseingang zunächst nur einen wehenden Schleier. Das Trippeln nackter Füße wies ihm den Weg. Smoky dachte an die rosigen Zehen, die ihm gewinkt hatten. An den niedlichen, blümchengeschmückten Bauchnabel und die prächtigen rückwärtigen Kurven. Die Kleine war genau richtig. Und Smoky hatte nun mal seinen eigenen, ziemlich unkomplizierten Geschmack in Bezug auf Frauen: sie durften nicht zu viel palavern, und es mußte ordentlich was zum Hinfassen dran sein. Bei der Blume des Orients war alles dran, was dazugehörte. Smoky marschierte mit Erobererschritt durch den dunklen Flur und peilte in das Zimmer, in dem die Schöne verschwunden war. Ein sehr vielversprechender Raum: er schien auf den ersten Blick nur aus üppigen Lagerstätten zu bestehen. Ein sinnlich-süßer Duft hing in der Luft. Irgendwo in einer Ecke brannte eine Räucherkerze in einer offenen Schale, und die Blume des Orients war gerade dabei, eine tief rot schillernde Flüssigkeit aus einem Krug, in zwei Becher zu gießen. Smoky hoffte, daß es etwas Ähnliches wie Rum war. „Du bist ein Prachtstück, Lady“, stellte er fest. Und dann stieg er über zwei bis drei Kissen hinweg, um den Sturm auf die Festung einzuleiten, weil er Dan O'Flynn schließlich nicht stundenlang warten lassen konnte. Die Blume des Orients kicherte und schlug züchtig die Augen nieder. „Salem aleikum“, flötete sie. Dabei hielt sie Smoky den Becher vor die Nase, und der kippte mit der Rechten das Gesöff. während seine Linke schon auf Entdeckungen ausging. Das Getränk war zwar bitter, aber es schmeckte immerhin nach Alkohol. Smoky stellte den Becher ab, weil seine Linke soeben im unteren Rücken der Schönen einen Seidenknoten ertastet hatte,
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für den er beide Hände brauchte. Er hoffte, auf diese Weise das Ziel seiner Wünsche freizulegen. Die Blume des Orients warf ihm heiße Blicke zu. Smoky peilte angestrengt in ihren Ausschnitt. Vielleicht war es doch besser, die Sache von oben aufzurollen. Was er erspähte, war nämlich wirklich sehenswert. Er hatte gerade beschlossen, die Strategie zu wechseln, als ihn eine seltsame Müdigkeit überfiel. Seine Finger, auf der Suche nach dem Sesam-öffne-dich des Flittergewandes, wurden merklich ungeschickt. Außerdem legte sich etwas wie ein flirrender Schleier über seine Augen — so ähnlich wie in der Wüste, wenn Luftspiegelungen eine Fata Morgana hervorbringen. Smoky gähnte herzhaft, schüttelte den Kopf über sich selbst und sah der Blume des Orients in die Augen. Augen, die plötzlich nicht mehr das Paradies versprachen, sondern triumphierend funkelten. Smoky schluckte trocken. Dunkel begriff er, daß irgendetwas nicht stimmte. Aber er kam nicht mehr dazu, die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis zu ziehen. Die Blume des Orients wich von ihm zurück. Er wollte sie packen, festhalten, die Wahrheit aus ihr herausschütteln, doch dazu waren seine Knie bereits zu weich. Unsicher und torkelnd tat er einen Schritt nach vorn. Der Boden flog auf ihn zu, und das letzte, was er hörte, war das perlende Gelächter der arabischen Schönen, die ihn so schnöde hereingelegt hatte. * „Wahrschau!“ Bills Kopf erschien über dem Schanzkleid, seine durchdringende Stimme übertönte das Hämmern der Werkzeuge und das Klirren und Knacken, mit dem die Muschelschalen vom Rumpf der „Isabella“ absprangen. „Querab Steuerbord!“ fügte der Schiffsjunge hinzu und gab damit die Richtung an, in der sich die Kaianlagen von Tanger befanden.
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Ferris Tucker, der rothaarige, hünenhafte Schiffszimmermann, ließ seine riesige Axt sinken und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Neben ihm senkten Sam Roskill und Bob Grey Hammer und Beitel und spähten der Gruppe entgegen, die auf die „Isabella“ zumarschierte. „Bei der Läusematte des Propheten“, wandte Ed Carberry seinen neuesten Fluch an. „Das ist der vermaledeite Zauberer!“ „Samt Gefolge“, stellte Sam Roskill fest. „Meine Fresse, der Feuerschlucker ist auch dabei! Hoffentlich bespuckt der unsere alte Tante ‚Isabella' nicht mit Flammen.“ „Vielleicht kann der verdammte Ziegenbart die Muscheln wegzaubern ...“ Stenmark verstummte, weil die Gruppe jetzt in Hörweite war. Oben am Schanzkleid erschienen Ben Brighton und der Seewolf. Kaliban, eine würdige Erscheinung in seinem weiten, bestickten Zaubermantel, warf ihnen einen scharfen Blick zu, verneigte sich und gab ein paar gemessene Worte von sich, die niemand verstehen konnte. Zum Glück hatte er einen Dolmetscher mitgebracht. Einen kahlköpfigen Kraftmenschen, dessen nackter, muskelbepackter Oberkörper in der Sonne glänzte. Er verneigte sich ebenfalls. „Salem aleikum”, grüßte er. Dann fuhr er in holprigem Spanisch fort: „Mögen die glücklichen Tage deines Lebens so zahlreich sein wie die Sandkörner in der Wüste, möge die Vorsehung die Früchte deiner Hände Arbeit in Gold verwandeln und Allah dir Weisheit schenken.“ „Möge die Sonne auf allen euren Wegen scheinen“, sagte Hasard trocken. „Die Vorsehung schenkte dir Nachkommen wie die Kiesel im Bach und vor allem eine schnelle Zunge.“ Der Muskelmensch übersetzte getreulich. Kaliban zuckte leicht zusammen, weil er die Anspielung mit der schnellen Zunge verstanden hatte. Seine Antwort folgte auf Türkisch, der Muskelmann übersetzte.
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„Eile ist das Vorrecht des Tüchtigen, und deine unwürdigen Diener bitten um Vergebung, weil sie die Vermessenheit haben, dir deine kostbare Zeit zu stehlen. Leider sind die Wege des Geschicks unwandelbar und zwingen uns, mit einer Bitte an dich heranzutreten. Auf deinem Schiff - mögen ihm immer günstige Winde beschert sein - befinden sich zwei Knaben, denen Allah nicht bestimmt hat, mit euch über die Meere zu segeln. Sie sind die einzige Herzensfreude des ehrenwerten Kalibau. seine Goldstücke, seine Diamanten, der Trost seines Alters. Deshalb sind wir hier, um euch dringend zu bitten, die Knaben wieder in die Arme des rechtmäßigen Besitzers zurückkehren zu lassen. Sehr dringend, edler Herr!“ Die „unwürdigen Diener“ schnitten dazu ziemlich kämpferische Gesichter. Hasard lächelte matt und reckte die Schultern. „Seid meines tiefsten Bedauerns für den ehrwürdigen Kaliban gewiß“, erklärte er ernsthaft. „Es schmerzt mich zu hören, daß er der Freude seines Herzens und des Trostes seines Alters verlustig gegangen ist. Leider kann ich ihm nicht helfen, da ich seine Goldstücke und Diamanten nie gesehen habe und sie demnach auch nicht bei mir an Bord sind. Nichts läge mir ferner, als ihn seines rechtmäßigen Besitzes zu berauben. Möge es ihm gelingen, seine Goldstücke und Diamanten wiederzukriegen.“ Der Kraftmensch übersetzte. Das Habichtsgesicht des Zauberers rötete sich, seine schwarzen Augen begannen zornig zu funkeln. Dabei hatte Hasard nicht einmal gelogen. Er hatte dem guten Kaliban weder Goldstücke noch Diamanten geklaut, und sein „rechtmäßiger Besitz“ waren die Zwillinge ja nun auch nicht. „Der ehrwürdige Kaliban kann nicht umhin, in die Sünde des Zorns zu fallen“, sagte der Kraftmensch. „Ehrenwerte Männer haben einen' der Knaben auf dem Schiff — möge das Geschick ihm günstige Winde bescheren — ganz deutlich beobachtet.“
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„Die ehrenwerten Männer sind der verzeihlichen Sünde des Irrtums anheimgefallen“, erklärte Hasard gelassen. „Wahrscheinlich haben sie meinen Schiffsjungen mit Kalibans Herzensfreude und Alterstrost verwechselt. Ich hoffe nicht, daß der gute Kaliban an dem Wort eines achtbaren Mannes zweifelt, der zu Gast in eurem schönen Land weilt.“ Die Stimme des Muskelmanns zitterte leicht, als er das übersetzte. Kaliban sah aus, als würde er gleich einen Herzanfall erleiden. Sein Blick war mörderisch, seine arabische Höflichkeit ungebrochen. Selbstverständlich würde es dem ehrenwerten Kaliban niemals einfallen, an den Worten des edlen Fremden zu zweifeln, übersetzte der Kraftmensch. Man werde sich jetzt zurückziehen. Und man hoffe doch sehr, der ehrwürdige Fremde werde einem auch ein zweites Mal sein sehr geschätztes Ohr leihen — falls es sich so ergebe. Das letzte war eine versteckte Drohung, die Hasard sehr wohl einzuschätzen wußte. Er wünschte den Gauklern noch einmal einen Haufen männlicher Nachkommen und glückliche Tage so zahlreich wie die Tropfen im Atlantik. Sie wünschten ihm das gleiche und dazu noch die ewige Gewogenheit der mächtigen Dschinni der Meere. Dann zogen sie sich unter Verbeugungen zurück und waren wenig später im Gewirr der Gassen verschwunden. „O Heimathafen“, sagte Ferris Tucker ergriffen. „Denen hat wohl 'ne Möwe das Gehirn angepickt“, knurrte Edwin Carberry. Aber Hasard ahnte bereits, daß ihnen die Gaukler noch mehr Ärger bereiten würden, als ihre höflichen Wünsche vermuten ließen. * „Da wird doch der Hering in der Pfanne verrückt“, murmelte Dan O'Flynn erbittert. Suchend sah er sich um. Er hatte immerhin die schärfsten Augen der Crew und konnte
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eine Karavelle von einer Galeone unterscheiden, wenn die anderen gerade erst Mastspitzen erkannten. Aber von Smoky sah er in diesem Moment nicht einmal einen Zipfel. Karierter Affenarsch, dachte Dan und überlegte. Nach vorn konnte sich der Verschwundene nicht abgesetzt haben. Blieb nur die Gasse. Dan warf noch einen sichernden Blick auf das Lager der Gaukler, in dem jetzt alles still war, stieß sich von der weißen Wand ab und begann, durch den trockenen Staub zu waten. Links und rechts gab es Torbögen, Hauseingänge, schmale Durchschlupfe und wieder Torbögen. Dan fluchte leise und ausdauernd. Smoky wäre sicher sehr erstaunt gewesen, zu hören, daß sich unter seinen Vorfahren triefäugige Gewitterziegen, syrische Wanderhuren, verlauste Böcke und vom Wassermann im Suff gezeugte Kanalratten befanden. Wie, zum Teufel, sollte man in diesem Labyrinth jemanden finden? Und was dachte sich dieser Enkel eines hirnlosen Hammels überhaupt, so einfach abzutauchen? Dans Wut wuchs mit seiner Ratlosigkeit. Er warf einen Blick in verschiedene Hauseingänge, ging ein paar Schritte in eine Gasse und kehrte wieder um - und schließlich glaubte er, in einem der Höfe ein Geräusch zu hören. Kicherte da nicht jemand? Eine Frauenstimme? Wenn der Kerl hinter einem Weiberrock her ist, ziehe ich ihm die Haut vom Hintern, schwor sich Dan. Wobei er sich über die praktische Durchführung immerhin war Smoky ein Kerl wie ein Stier mit Fäusten wie Vorschlaghämmern vorerst noch keine näheren Gedanken machte. Der Schatten des Torwegs nahm ihn auf. Vorsichtshalber legte er die Hand an den Griff des Entermessers, man konnte schließlich nie wissen. Dan fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut, spürte das gewisse Kribbeln im Nacken, daß ihn meist überfiel, wenn in einer Schenke die
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abschließende Schlacht unmittelbar bevorstand - und wie recht er mit seinen Ahnungen hatte, begriff er zwei Minuten später. Da stand er nämlich mitten in einem leeren Hof, in dem ein Springbrunnen plätscherte, und hatte das deutliche Gefühl, daß er von mindestens einem Dutzend Augenpaaren beobachtet wurde. „Smoky?“ rief er gedämpft. Und lauter: „Smoky, du Hammel! Wo steckst du, verdammt noch mal'?“ Aber er ahnte, daß er keine Antwort erhalten würde, und er war nicht einmal überrascht, als es ringsum in Ecken und Winkeln plötzlich lebendig wurde. Burnusträger! Verwegene Typen mit gekrümmten Sarazenen-Säbeln an den Gürteln, Burschen, die offensichtlich zur Verstärkung der zurückgebliebenen Gaukler herbeigeeilt waren. Dan erkannte den drahtigen Achmed Ali, der mindestens ein Dutzend seiner Spezialmesser mit den leichten Kork-Griffen an einem Gurt umgeschnallt hatte. Kiki, der greisenhafte Liliputaner, schwang ein handliches Hackebeilchen mit glänzender Schneide. Ein halbes Dutzend Akrobaten und Kraftmenschen waren mit massiven Kanthölzern bewaffnet, und im Nu hatten sie einen Kreis gebildet, aus dem das Opfer nicht mehr entwischen konnte. „Feige Ratten“, erklärte Dan O'Flynn, während er das Entermesser zog. Er sah das tückische Funkeln in den Augen des Zwergs und begriff, daß man auf seinen Versuch wartete, an der schwächsten Stelle durchzubrechen. Von wegen, dachte er grimmig. Geschmeidig wie ein Panther drehte er sich einmal um die eigene Achse — dann schnellte er mit einem Hechtsprung dorthin, wo sich die schweren Brocken drängelten. Die hatten damit nicht gerechnet. Einer von ihnen ließ seinen Säbel fliegen, weil das kurze Entermesser von unten dagegen knallte. „Uuuaaah!“ röhrte Nummer zwei, knickte zusammen und hatte Magenschmerzen, weil er von Dans hartem Schädel getroffen
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worden war. Die Wucht des Stoßes ließ ihn rückwärts torkeln. Er setzte sich hin, Dan wollte an ihm vorbeiwischen, aber leider hatte ein reaktionsschneller BurnusMensch sein Bein dazwischen. Dan stolperte und vollführte einen neuen, diesmal unfreiwilligen Hechtsprung. Trotzdem landete er nicht auf dem Bauch, sondern verwandelte den Sturz in eine schöne Rolle vorwärts. Hinter ihm brandete Wutgeheul auf. Dan sprang geschmeidig auf die Füße, doch da er die Richtung des Sturzes nicht hatte bestimmen können, fand er sich an der weißgekalkten Wand wieder, statt unter dem Mauerbogen. Im Dutzend drangen seine Gegner auf ihn ein. „Arwenack!“ schrie Dan mit voller Lungenkraft. Die Wand in seinem Rücken war gar nicht mal so übel. Der schlanke junge Mann ließ das Entermesser wirbeln, parierte Säbelhiebe, brach eine der Sarazenen-Klingen glatt ab, verkürzte einem wutschnaubenden Burnusträger den Zeigefinger und sorgte alles in allem dafür, daß die Angreifer den Eindruck hatten, ein mittlerer Taifun sei unter sie gefahren. Die Front geriet ins Wanken. Dan vollführte ein paar Ausfälle mit dem langen Entermesser und versuchte dabei, sich an der Wand entlang nach rechts zu schieben. Dort schwang gerade ein Muskelmann mit nacktem, fettglänzendem Oberkörper eine Art Steinzeit-Keule. Dan wirbelte herum und wich aus, weil er nicht vorhatte, seinem Schädel einen Härtetest' zuzumuten. Er schaffte es spielend, aber er mußte gezwungenermaßen dem Keulenschwinger das Gesicht und damit ein paar anderen Kerlen den Rücken zuwenden. Die Chance ließen sich die Burschen natürlich nicht entgehen. Dan hatte das Gefühl, daß sein Schädel explodierte. Eine Woge von Schmerz flutete durch seinen Körper, verwandelte sich in wattige Schwärze und schien auf dem Umweg über die Zehen in sein Gehirn zurückzuschwappen. Dan brach auf die Knie, sah, nur noch dunkle Umrisse vor
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dem Hintergrund eines Sternenregens und knallte mechanisch das Entermesser auf ein paar vorwitzige Finger, die ihm zu nahe gerieten. Dann kippte er vornüber, und noch mit schwindenden Sinnen sagte er sich, daß ein schmerzender Kopf immerhin besser war als gar kein Kopf mehr. 5. „Das gefällt mir nicht“, sagte Ben Brighton in seiner bedächtigen Art. Hasard kratzte sich am Kopf. Er teilte die Meinung seines Bootsmanns. Und was ihnen beiden nicht gefiel, war die Tatsache, daß Dan O'Flynn und Smoky immer noch nicht von ihrem Streifzug durch die Stadt zurück waren. Es ging auf den Spätnachmittag zu. Den ganzen Tag hatte die „Isabella“ bis zum Kielschwein hinunter gebebt unter dem beständigen Krach der Äxte, Hämmer und Beitel. Die Männer klotzten mächtig 'ran, um ihr Schiff wieder seeklar zu kriegen, Batuti sparte nicht mit finsteren Drohungen, um die Arbeitskräfte anzutreiben, die ihnen der bestochene portugiesische Hafenkommandant zur Verfügung gestellt hatte. Die Burschen sprachen zwar kein Englisch und verstanden nicht, daß der schwarze Herkules sie kielholen, kalfatern, an die Rahnock knüpfen und ihnen die Haut von einem gewissen edlen Körperteil ziehen wollte, in Streifen, versteht sich, aber sie erfaßten den Tonfall und beeilten sich. Die Crew hatte sich von Anfang an gehörig ins Zeug gelegt, da es sie alle danach drängte, nach über einem halben Jahrzehnt endlich Merry Old England wiederzusehen. Jetzt kam noch ein weiterer Grund zur Eile hinzu: die Zwillinge. Ärger lag in der Luft, und nach Lage der Dinge wäre es zweifellos am besten gewesen, dem Ärger davonzusegeln. Ed Carberry hatte bereits gedroht, die beiden „kalfaterten Decksaffen“, die sich bestimmt nur vor der Plackerei mit den Muscheln drücken wollten, zu Putzlumpen
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zu verarbeiten und die Bilge mit ihnen aufzuwischen. Hasard konnte sich nicht vorstellen, daß Dan und Smoky versumpft waren —vor allem Dan nicht, der sich ja inzwischen zu einem jungen Mann mit erfreulich ausgeprägtem Verantwortungsbewußtsein entwickelt hatte. Der Auftrag der beiden war es gewesen. einen Blick auf das Gauklerzelt zu werfen, zurückzukehren und Bericht zu erstatten. Nachdem eine Abordnung der Schausteller am Hafen erschienen war, um die Herausgabe der Zwillinge zu fordern, konnte es natürlich sein, daß die Burschen jetzt finstere Pläne schmiedeten, deren Vorbereitungen sich Dan und Smoky nicht entgehen lassen wollten. Aber selbst wenn man das berücksichtigte, hätten sie inzwischen zurück sein müssen. Schon weil sie sich schließlich denken konnten, daß die anderen allmählich unruhig werden würden. Nein, dem Seewolf gefiel die Sache ganz und gar nicht. Er winkte den Profos an Deck. Edwin Carberrys wüstes Narbengesicht wirkte sehr grimmig. Hasard grinste. „Du kannst Dan und Smoky persönlich suchen“, sagte er. „Aber zieh ihnen nicht gleich die Haut ab, wir haben schon genug Aufsehen erregt, klar?“ „Aye, aye“, grollte der Profos. „Nimm Gary, Matt und Stenmark mit. Und seid vorsichtig.“ Carberry schnaubte durch die Nase, was heißen sollte, daß er, verdammt noch eins, immer vorsichtig war. Dann lüftete er Gary Andrews und Stenmark an, brüllte nach Matt Davies. der mit seinem Stahlhaken Muscheln pflückte, und wenig später enterten die vier Männer ab und setzten sich in Richtung Kai in Bewegung. Hasard blickte ihnen nach. Neben ihm rieb sich Ben Brighton ausdauernd das Kinn. Man sah ihm an, daß ihm die Sache immer noch nicht gefiel, aber er kam nicht dazu, etwas zu sagen. Old O'Flynn hinkte aus dem Niedergang zum Achterschiff.
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Offenbar hatten ihn seine großväterlichen Gefühle mal wieder zu der Kammer der Zwillinge getrieben. Er stampfte mit der Krücke auf und funkelte mit den Augen. „Da stimmt was nicht“, meldete er. „Die Bengel machen ganz komische Geräusche!“ Wenige Minuten später konnte Hasard die „ganz komischen Geräusche“ selbst hören. Merkwürdig klangen sie tatsächlich. Etwa so, als versuche jemand, ein Kielschwein mit dem Taschenmesser aus einer alten Eiche zu schnitzen. Leicht beunruhigt drehte Hasard den Schlüssel, riß die Tür auf und blieb erschüttert stehen. Seine hoffnungsvollen Söhne kauerten in trauter Eintracht an der Wand der Kammer. Das Messer mußten sie beim Mittagessen stibitzt haben. Die Innenverkleidung hatten sie schon geschafft. Jetzt säbelten sie an den Planken herum, was natürlich ein aussichtsloses Unterfangen war. Aber das Splitterhäufchen zwischen ihnen sah ganz beachtlich aus. „Himmel, Arsch und Wolkenbruch“, sagte Hasard deutlich. Die ertappten Sünder starrten ihn an, Der kleine Philip hatte das Messer. Er stand langsam auf, betrachtete die stumpfe Klinge - und warf sie mit einem lässigen Achselzucken den Männern vor die Füße. „Wenn das meine wären, kriegten sie den Hintern mit dem Tauende tätowiert“, knurrte Old O'Flynn, der den nächtlichen Reinfall noch nicht verwunden hatte. „Damit sie endgültig glauben, unter die Kinderfresser gefallen zu sein?“ fragte Hasard gereizt. „Du mußt es ja wissen, Sir! Aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt, wenn sie uns unterwegs Löcher in die Segel beißen oder den Großmast ansägen!“ „Noch sind wir nicht unterwegs.“ Hasard hob das Messer auf und schnaubte. „Hol' Ferris her! Er soll Werkzeug mitbringen, damit diese beiden Landratten hier ihre erste seemännische Lektion kriegen. Sie werden lernen, wie man ein Loch in den Planken kalfatert, die verdammte Innenwandung repariert, und wie ein
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erstklassig gescheuerter Fußboden aussieht.“ Genauso geschah es. Und eine knappe Stunde später erschien Ferris Tucker wieder an Deck, von einem Ohr zum anderen grinsend. „Ganz schön gewitzt, die Burschen“, lobte er. „Die brauchten sich nur das Zeug anzugucken, das ich angeschleppt hatte, um ganz allein auf den Dreh mit dem Kalfatern zu kommen. Und die Innenverkleidung der Kammer sieht auch wieder aus wie neu.“ „Na ja“, brummte Hasard. Vielleicht, so dachte er, würde es mit der Vaterrolle auf die Dauer doch nicht ganz so schwierig werden. * Dan O'Flynn hatte das Gefühl, daß ein Hornissenschwarm unter seiner Schädeldecke nistete. Er fühlte sich lausig. Das dumpfe Rütteln, das er spürte, trug auch nicht gerade zur Besserung seines Befindens bei. Alle paar Sekunden stieß sein Kopf gegen etwas Hartes. Außerdem stank es erbärmlich, war es heiß wie in einem Backofen — eigentlich gab es nur einen einzigen positiven Aspekt, und zwar die Tatsache, daß man ihn nicht gefesselt hatte. Drecksbande, dachte er. Womit er die Gaukler und die Burnusträger meinte, denen er die schmerzende Beule am Kopf verdankte. Mühsam öffnete er die Augen und hatte das Gefühl, einen ganz besonders gemeinen Alptraum zu erleben. Keine zwei Yards von ihm entfernt fletschte ein zottiges Ungeheuer die Zähne. Dan fuhr zurück und knallte mit Hinterkopf und Schultern gegen etwas Kaltes, Metallisches, das klirrte. Funken sprühten vor seinen Augen. Aber das Untier war immer noch da. Eine braune, fellbedeckte Bestie, kleine, tückische Augen, ein aufgerissener Rachen, aus dem jetzt ein tiefes, bedrohliches Grollen drang. Dan O'Flynn zog die Beine an, warf den Kopf herum und registrierte dicke, stabile
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Gitterstäbe. Ein rollender Käfig! Die Bastarde hatten ihn in einen Käfig gesperrt, zusammen mit einem ausgewachsenen Braunbären, der Appetit zu haben schien. Dan schluckte trocken. Schweiß stand in dicken Tropfen auf seiner Stirn, sein Herz konkurrierte mit einer Eingeborenen-Trommel, aber seine Gedanken begannen wieder halbwegs vernünftig zu arbeiten. Wenn die Bestie ihn fressen wollte, hätte sie wahrscheinlich schon ein bißchen früher damit angefangen. Ziemlich raubgierig sah das Vieh ja aus, wie es brummend den Rachen aufriß und Dampfwölkchen durch die Nüstern, stieß, aber es schien nicht so zu können, wie es gern wollte. Dan entdeckte das breite Lederband um den Hals des Bären. Und die kurze Kette, die dieses Lederband mit der vorderen, als einzige aus stabilem Holz gefertigten Käfigwand verband und das Tier daran hinderte, auf die andere Seite zu gelangen. Der Wagen holperte und rüttelte zum Gotterbarmen. Mit einem gelinden Schauer dachte Dan O'Flynn daran, was hätte passieren können, wenn er bei der Schaukelei in seiner Bewußtlosigkeit dem Bären vor die Tatzen gerollt wäre. Dans Vermutungen gingen in Richtung Hackfleisch. Er fuhr zusammen, als sich plötzlich auch neben ihm' etwas regte. Heftig fuhr er herum, in der Erwartung, sich einem TigerBaby oder vielleicht einem kleinen Krokodil gegenüberzusehen. Der Anblick des bulligen braunhaarigen Mannes, der sich ächzend aus dem verfaulten Stroh hochrappelte, entlockte ihm ein erleichtertes Aufatmen. Smoky stöhnte, blinzelte, spuckte auf den Boden — und versteinerte. „Der Leibhaftige“, hauchte er, den Blick starr auf den zottigen Braunbären gerichtet. „Dir haben sie wohl die Klüsen kalfatert“, knurrte Dan. „Reiß deine Glotzbuchten auf, Mann! Der Leibhaftige hätte dich längst lotweise geholt, der läßt dich nicht an die Kette legen.“
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Smoky schluckte zweimal. „Heiliges Kanonenrohr“, flüsterte er. „Das ist ja ...“ „Beißen kann er nicht“, informierte ihn Dan. „Trotzdem ist die Lage beschissen. Die verdammten Gaukler sind aus Tanger abgehauen und haben uns mitgenommen.“ An den Tatsachen war nichts zu. deuteln. Kein Zweifel, daß Tanger hinter ihnen lag: links ragten Klippen auf, rechts dehnte sich staubige Grassteppe. Nach vorn konnten sie wegen der Holzwand nicht sehen, die den Kutschbock vom Bärenkäfig trennte. Aber hinter ihnen schaukelte ein weiterer Wagen, dahinter noch einer – und falls die Stadt noch in Sichtweite lag, verschwand sie jedenfalls hinter der aufwirbelnden Staubwolke. „Mann!“ staunte Smoky. „Mann, Mann!“ äffte Dan wütend. „Kannst du mir vielleicht verraten, wo du plötzlich abgeblieben bist, du dämlicher Hornochse?“ Smoky schluckte den Hornochsen, was auf ein schwarzes Gewissen schließen ließ. Er kratzte sich am Kopf, runzelte die Stirn und bewegte den Kiefer, als müsse er auf dem Problem herumkauen. „N-ja“, brummte er schließlich. „Also, da war nämlich 'ne Lady ...“ „Ein Weiberrock!“ stöhnte Dan. „Und was für'n Rock!“ ereiferte sich Smoky. „Nabelfrei, Junge! An der Seite 'n Schlitz bis zum Gehtnichtmehr! Beine wie die Dingsbums, die Venus. Und mit den Zehen hat sie mir gewinkt.“ „Mit den Zehen?“ fragte Dan verblüfft. „Jawohl“, sagte Smoky. „Da staunst du Ankerklüsen, was? Die hat mich glatt angemacht, die Lady! Und ein Hintern, Junge, ein Hintern, sage ich dir!“ „Hast du wenigstens was davon gehabt?“ erkundigte sich Dan gallig. „Nee“, gab Smoky zu. „Das Miststück hat mir was in den Rum geschüttet. Das heißt, Rum war es eigentlich nicht, aber ...“ „Aber man konnte es saufen“, vollendete Dan erbittert. „Und ich Esel hab gedacht, ich müßte dir helfen.“ „Mußtest du ja auch“, sagte Smoky nicht ohne Logik. „Ich lag ja flach, oder? Bist du
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etwa auch auf das Teufelsweib 'reingefallen?“ „Ich bin ein anständiger Mensch“, log Donegal Daniel O'Flynn. „Ich falle nicht auf Weiber 'rein, die mit den Zehen winken. Aber als ich dich suchte, war plötzlich ein Dutzend von den verdammten Burnusmenschen da. Und als ich sie alle flachgelegt hatte, ist mir doch verdammt ein Ziegelstein auf den Kopf gefallen.“ „Hahaha!“ Smoky grinste. „Halt bloß den Rand“, knurrte Dan. „Deinetwegen sitzen wir hier, vergiß das nicht! Wir sollten die Gaukler beobachten. Zauberer und Messerwerfer und Feuerschlucker! Keine Ladys mit schönen Hintern.“ „Na und? Beobachten wir vielleicht nicht die Gaukler?“ Dan O'Flynn verzichtete auf eine Antwort. In der Tat: sie beobachteten die Gaukler. Nur saßen sie leider auf der falschen Seite der Käfiggitter. Dan legte die Ellenbogen über die Knie, stützte das Kinn in die Hände und starrte den Bären an, der immer mal wieder versuchte, die ungebetenen Mitbewohner des Käfigs mit den Pranken zu erreichen. Die nächste Stunde verging quälend langsam. Dan O'Flynn bereitete sich Vorwürfe. Er sagte sich, daß sie gleich hätten zum Schiff zurückkehren sollen. um zu berichten, daß die Gaukler augenscheinlich von der Anwesenheit der Zwillinge an Bord der „Isabella“ wußten. Aber andererseits war die Abordnung der Schausteller, die Richtung Hafen zog, ja wirklich nicht sonderlich gefährlich gewesen. Dan zerkaute seine Unterlippe, strapazierte innerlich sämtliche Flüche, die er kannte, und stellte fest, daß Smoky zumindest einigermaßen kleinlaut wirkte. Hinter dem Käfigwagen ging die Sonne unter. Einer kurzen glutroten Dämmerung folgte, wie überall in Wüstennähe, fast abrupt die Dunkelheit. Am Anfang des Zuges wurden Kommandos laut. Die Wagen verlangsamten ihr Tempo, wurden im Kreis zu einer Art Burg
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zusammengefahren, und die beiden Seewölfe konnten beobachten, wie sich die Gaukler für die Nacht vorbereiteten. Ein großes Feuer flackerte in der Mitte der Wagenburg. Pferde und Kamele grasten friedlich, ein paar Männer häuteten einen Hammel ab, nahmen ihn aus und hievten ihn am Spieß zwischen die beiden gegabelten Pfähle, die die Glut flankierten. Der Duft war berückend und brachte Dan in Erinnerung, daß ihm seit dem Frühstück mindestens zwei kräftige Mahlzeiten fehlten. „Scheiße“, sagte er. „Du hast wohl schon wieder Hunger“, raunzte Smoky, den sein eigener Fehler empfänglich für die Schwächen seiner Mitmenschen werden ließ. „Ein Vielfraß bist du, verdammich! Wenn ich daran denke, wie du früher immer die Kombüse geplündert hast!“ „Früher!“ knurrte Dan nicht ganz ohne schlechtes Gewissen. „Haha! Und eines Tages hat dir der Seewolf eingeredet, du hättest 'nen Bandwurm, und dir 'ne Rizinus-Kur verschrieben. Das war vielleicht ein Spaß!“ „Phhh!“ stieß Dan hervor und revanchierte sich prompt: „Vor ein paar Jahren hast du mal nach 'nem simplen Schlag über die Rübe den Tempo-Dingsda gekriegt und uns alle mit deinen dämlichen Fragen genervt. Das war ein Spaß, Junge.“ „Daß ich nicht kichere“, knurrte Smoky. An den „temporären Gedächtnisschwund“, wie es der Kutscher fachmännisch genannt hatte, wurde er nicht gern erinnert. Er hatte auch gar keine Zeit, Erinnerungen nachzuhängen. Denn inzwischen hatten sich die Gaukler vor dem Käfigwagen aufgebaut, und Kaliban, der Zauberer, sah nicht so aus, als ob er es mit der arabischen Höflichkeit noch so genau nehmen würde. Er faselte etwas auf Türkisch. Einer der Muskelmänner, offenbar der einzige spanisch sprechende Mensch der Truppe, übersetzte. „Mögen die glücklichen Tage eures Lebens so zahlreich sein wie die Kiesel im Bache!“ Der Zauberer hatte das ironisch gemeint, aber bei dem Muskelmann klang
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es ganz ernst. „Wo sind die Zwillinge, Kalibans Goldstücke und Diamanten, die Freude seines Herzens und der Trost seines Alters? Tut den Mund auf, oder wir werden euch in kleinen Scheibchen an die Schakale verfüttern.“ Dan und Smoky wechselten einen Blick. Smoky war einfach nur verdattert. Dan O'Flynn verstand inzwischen genug von der arabischen Lebensart, um zu wissen, daß diese Drohung kaum noch zu überbieten war. Er schluckte trocken. „Könnten uns die sehr ehrenwerten Herrschaften vielleicht mal etwas näher erklären, was sie unter Kalibans Goldstücken und dem Trost seines Alters verstehen?“ fragte er. Die „sehr ehrenwerten Herrschaften“ taten es. Und Dan O'Flynn tat das, was er auch bei dem Seewolf als Reaktion vermutete: er zuckte mit den Schultern. Nur daß der Seewolf in schön sicherer Entfernung auf der „Isabella“ gestanden hatte, während Dan und Smoky in einem stinkenden Bärenkäfig gefangen waren. Die Quittung erhielten sie sofort. Etwas rasselte. Der Bär riß den Rachen auf —und als er diesmal nach den beiden Gefangenen schlug, waren seine mörderischen Tatzen schon ein bißchen näher. „Die Bastarde geben der Kette lose“, sagte Smoky. „Schlaukopf“, fauchte Dan. „Laß dir lieber eine schöne Geschichte einfallen. So etwas aus Tausendundeiner Nacht, verstehst du?“ „Hä?“ Smoky sah verdattert aus. „O verdammt!“ stöhnte Dan. „Haben die ehrenwerten Herren jetzt genug Zeit gehabt, ihre zweifellos hervorragenden Geistesgaben anzustrengen?“ erkundigte sich der Muskelmann, der den Dolmetscher spielte. „Allah möge uns verzeihen, aber wir sind sonst entschlossen, dem Bären — Allahs Kreatur wie wir alle —zu einem langersehnten Festmahl zu verhelfen!“ „Halt bloß die Klappe!“ knurrte Dan. „Nun, edler Herr?“ fragte der Kraftmensch freundlich.
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Dan O'Flynn sah ein, daß er keine Wahl hatte. Erstens war es nie sein Ehrgeiz gewesen, als Festmahl für einen Braunbären zu dienen, zweitens fand er, daß die reine Wahrheit überzeugend genug war, um ihre Gegner zumindest das Nachdenken zu lehren. „Jetzt hört mal zu, ihr quergestreiften Kanalratten“, begann er. Und dann erzählte er. Wahrheitsgemäß! Die ganze lange Geschichte, die darauf hinauslief, daß es sich bei den Zwillingen ohne jeden Zweifel um die totgeglaubten Söhne Philip Hasard Killigrews handelte, der Seewolf genannt wurde. Und daß eben dieser Seewolf seine Söhne mit nach England nehmen würde, und wenn ein leibhaftiger Donnerkeil vom Himmel fuhr oder das ganze Mahgreb dagegen aufstehen würde. „Und damit ihr's wißt: ein paar krumme Zauberer und Feuerschlucker werden ihn erst recht nicht daran hindern“, vollendete Dan wutentbrannt. „Ihr könnt uns massakrieren oder eurem verdammten Zotteltier zum Fraß vorwerfen, aber ihr werdet uns nicht dazu bringen, unsere Kameraden zu verraten.“ „Zack!“ vollendete Smoky flüsternd. „Donegal Daniel O'Flynn hat gesprochen.“ „Halt bloß die Fresse, du Idiot“, fauchte Dan wütend. Währenddessen veranstalteten die Gaukler ein türkisches Palaver, bei dem es so lebhaft zuging, daß einige Beteiligte fäusteschüttelnd verschwanden. Zum Glück, begriff Dan wenig später. Die Fäusteschüttler waren offenbar diejenigen gewesen, die dafür gestimmt hatten, die gefangenen Seewölfe ohne viel Federlesens in ein besseres Jenseits zu befördern. Das Gros der Gaukler allerdings schien dagegen zu sein. Der Kraftmensch, der Spanisch sprach, übersetzte getreulich die Quintessenz der Debatte. Zweifellos, behauptete er, wären zwei gemörderte Gefangene ganz im Sinne des Propheten. Aber man habe sich entschlossen, sie lieber noch ein bißchen am Leben zu lassen, wobei die Betonung auf dem „bißchen“
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lag. Vielleicht als Austauschobjekte gegen die Freude von Kalibans Herzen und den Trost seines Alters: die Zwillinge. Vielleicht auch einfach nur so. Man konnte schließlich nie wissen, und ein Trumpf-As im Ärmel hatte noch nie geschadet. „Bastarde!“ sagte Smoky. „In einem Kloster sind die nicht erzogen worden“, stimmte Dan O'Flynn zu. Sie meinten beide das gleiche: daß sie die Gaukler als Gegner bisher offenbar ein bißchen unterschätzt hatten. 6. Die Seewölfe hatten eine unruhige Nacht hinter sich. „Am Abend waren Ed Carberry und seine Gruppe zurückgekehrt: mit der Nachricht, daß die Gaukler weitergezogen und Dan und Smoky spurlos verschwunden seien. Von den Einheimischen, sofern sie Spanisch sprachen, wollte niemand etwas gesehen oder gehört haben. Aber das war ja auch kein Wunder. Der Profos und seine Gruppe hatten vorerst lediglich Fragen stellen können, und das wirkte nicht sehr überzeugend in einer Gesellschaft, die dem Bakschisch huldigte. Morgen würden sie es noch einmal versuchen: mit einem Bakschisch, bei dem sich die Zungen der Orientalen vor Freude überschlagen würden. „Korruptes Kaff“, kommentierte der Profos. „Quergestreifte Kanalratten“, sagte der lange, hagere Gary Andrews. Aber das änderte alles nichts daran, daß sie Dan und Smoky nicht gefunden hatten und. daß das nach Lage der Dinge Alarmstufe eins bedeutete.. Wie gesagt: die Seewölfe verbrachten eine ziemlich unruhige Nacht. Einmal marschierte Hasard an der Kammertür seiner Söhne vorbei. Er registrierte leise Schnarchgeräusche. Die Bengel schliefen. Und der Seewolf hatte den Verdacht, daß sie schliefen, weil sie ein untrügliches Gespür dafür hatten, daß ihre vermeintlichen Gegner im Augenblick in einer ziemlich gereizten Stimmung
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waren, in der man sie besser nicht herausforderte. Hasard marschierte immer noch auf dem Achterkastell hin und her, als der Morgen dämmerte. Der östliche Himmel färbte sich rot. Minutenlang schien der Horizont zu brennen, dann stieg ein glühender Splitter über der Kimm empor, tauchte die weite See in Glut und färbte die nahen Sanddünen der Wüste mit flammendem Zinnober. Danach verblaßte seltsamerweise das Farbenspiel, die Sonne wurde zum Halbkreis, der Himmel zu einer farbigen Fläche zwischen Zitronengelb und einem blassen, lichten Grün, für das die Farbenpalette noch keinen Namen hatte. Endlich stieg die Sonne ganz über den Horizont, und für den Rest eines flammend heißen Tages wurde sie zum zornigen Auge, das weiß und mitleidlos auf das Land niederbrannte und alles vernichtete, was ihm nicht standhalten konnte. Pete Ballie, der Rudergänger, hatte gerade ein paar Bemerkungen über die ScheißSonne, das Scheiß-Land und die trockene Luft von sich gegeben, als es auf dem Kai lebendig wurde. Burnusträger drängten sich. Jeff Bowie, der gerade mit seiner Hakenprothese probeweise an jeder Webleine des Steuerbord-Hauptwants zog, war der erste, der Einzelheiten erkennen konnte. „Das quergestreifte, dreimal kalfaterte Miststück von einem verkommenen portugiesischen Hafenkommandanten“, meldete er knochentrocken. „Auch das noch“, sagte Hasard, während er vom Achterkastell auf die Kuhl hinuntersprang. „Dreck!“ fügte Ben Brighton ganz gegen seine Gewohnheit hinzu. „Ich möchte wetten, die Gaukler haben ihm die Ohren so vollgehängt, daß er sich jetzt noch einen Beutel Gold unter den Nagel reißen will.“ „Hoffentlich“, knurrte Hasard. Gold war nämlich auf der „Isabella“ reichlich vorhanden, außerdem Perlen, Schmuckstücke, Edelsteine in jeder beliebigen Sorte. Nicht umsonst hatten sie während ihrer langen Weltumsegelung
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immer mal wieder unter den Spaniern geräubert. Aber alle diese Schätze waren gut versteckt, so gut, daß sie nicht einmal bei einer gründlichen Durchsuchung gefunden werden konnten, und die Seewölfe dachten nicht daran, die Reichtümer, die sie für ihr Heimatland und die königliche Lissy gesammelt hatten, leichtfertig zu verschleudern. Der erste Beutel Perlen für den Hafenkommandanten war allerdings durchaus nicht verschleudert, sondern im Gegenteil sehr gut angelegt gewesen. Bei dem zweiten Beutel würde es kaum anders sein. Allerdings mußte man erst mal abwarten. Der Hafenkommandant sackte nämlich nicht einfach ein, sondern legte Wert darauf, den Schein der Unbestechlichkeit zu wahren. Jetzt marschierte er inmitten seiner Eskorte auf die „Isabella“ zu und zeigte das Gesicht eines Menschen, der sich in Pflichtbewußtsein und Vaterlandsliebe aufzehrt. Wobei die Vaterlandsliebe vielleicht sogar noch glaubhaft war. Der Hafenkommandant hätte sicher den Teufel getan, einem englischen Freibeuterschiff Arbeitskräfte für die Generalüberholung zur Verfügung zu stellen. Aber er hielt die „Isabella“ ja für einen irischen Handelsfahrer. Die Iren, seit ewigen Zeiten in ihrem Freiheitskampf gegen die Engländer begriffen, waren natürliche Verbündete der Spanier. lind Spanier und Portugiesen hatten sich bekanntlich zu einer einzigen Nation vereinigt, um sich die Schätze der Neuen Welt gemeinsam unter den Nagel zu reißen. Hasard ließ eine Jakobsleiter ausbringen. Der Hafenkommandant kletterte allein an Bord. Sein Gesicht wirkte wohlwollend. Der Seewolf hätte sich nicht gewundert, wenn der Dicke ihm nach guter orientalischer Art einen Haufen männlicher Nachkommen gewünscht hätte und glückliche Lebenstage so zahlreich wie die Kiesel im Bach oder die Sandkörner in der Wüste. Stattdessen entschuldigte sich Don Pedro Estrade wortreich dafür, daß er die irischen
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Gäste mit einer so läppischen Angelegenheit belästigen müsse, wie es zwei verschwundene Jungen seien. „Verschwundene Jungen?“ echote der Seewolf alias Patrick O'Neill, der irische Handelsfahrer, scheinheilig. „Verschwundene Jungen“, bestätigte der Hafenkommandant. Und dann erzählte er die ganze Geschichte, einschließlich der Tatsache, daß ein paar durchaus ehrenwerte Bürger von Tanger mindestens einen der verschwundenen Jungen hätten in den Wanten der „Isabella“ herumturnen sehen. „Nein“, sagte Hasard überzeugt. „Doch“, sagte der dicke Don Pedro und lächelte fein. „Zweifeln sie an meinem Wort?“ fragte Hasard - wohl wissend, daß der portugiesische Hafenkommandant allenfalls an seiner Finanzkraft zweifeln würde, weil ihm sein Wort völlig schnuppe war. „Aber Senor O'Neill! Nie würde es mir einfallen, am Wort eines Ehrenmannes zu zweifeln! Selbstverständlich ist mir klar, daß es sich bei all dem nur um bösartige Verleumdungen handeln kann. Aber Sie werden verstehen, daß ich in meinem heiklen Amt meine Pflicht tun muß, oder?“ „Aber selbstverständlich“, sagte Hasard. Und harrte der Dinge, die da mit Gewißheit folgen würden. „Sie werden verstehen, daß ich -leider, leider - Ihr Schiff durchsuchen muß, um sicherzustellen, daß sich besagte Jungen nicht bei Ihnen an Bord aufhalten“, sagte der Hafenkommandant. „Irgendwann im Laufe des Abends werde ich ein paar Soldaten schicken - Sie verstehen?“ „Ich verstehe“, sagte Hasard. Das „irgendwann im Laufe des Abends“ war ja wirklich nicht mißzuverstehen. „Mich selbst werden Sie für den Moment entschuldigen“, bat der Dicke. „Ich habe noch ein paar wichtige Besorgungen zu machen. Das heißt, eh, ich merke gerade ...“ Der Hafenkommandant begann, wie wild in seinen Taschen zu wühlen.
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Warum er das tat, war keinem der umstehenden Seewölfe auch nur eine Sekunde unklar. Hasard dachte an seine Söhne, dachte an Dan und Smoky und bemühte sich, nicht allzu abfällig zu lächeln. „Sie werden doch nicht im Eifer Ihrer Amtstätigkeit die nötigen Geldmittel für die wichtigen Besorgungen zu Hause vergessen haben, Senor?“ fragte er höflich. „Doch!“ Der Kommandant strahlte. „Genauso ist es! Aber was macht das schon, nicht wahr?“ Lächelnd ließ er seinen Blick von einem zum anderen wandern und bemühte sich, eitel Freude und Sonnenschein zu zeigen. „Da bleibe ich eben solange hier - nicht wahr? Sicher wird Ihnen das nicht das geringste ausmachen!“ „Nicht das geringste“, bestätigte Hasard trocken. Wobei er den dringendsten Wunsch unterdrückte, diesem Dickwanst die Zähne zu zeigen. „Aber Sie werden mich doch sicher nicht dadurch beleidigen, daß Sie eine kleine Unterstützung meinerseits ablehnen, oder?“ „Kleine Unterstützung?“ fragte Don Pedro gierig. Hasard hatte einen Lederbeutel hervorgezaubert. Einen Lederbeutel, in dem es sehr eindeutig klimperte. „Für die wichtigen Besorgungen, Senor Estrade“, sagte der Seewolf. „Ich kann es nicht verantworten, daß Sie ihre kostbare Zeit auf meinem Schiff vertrödeln. Die Soldaten, die die 'Isabella` durchsuchen sollen, werden ja wohl von selbst erscheinen —oder habe ich Sie da falsch verstanden?” „Durchaus nicht!“ Der Hafenkommandant freute sich. „Durchaus nicht!“ „Na dann! Ich schätze mich glücklich, Ihnen dazu verhelfen zu können, die wichtigen Besorgungen doch noch zu erledigen.“ Der korrupte Dicke verließ die „Isabella“ im Eiltempo. Er war ein cleverer Mann. Seine Art, den Seewölfen die drohende Durchsuchung rechtzeitig anzukündigen und sich im
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nachhinein dafür bezahlen zu lassen, suchte wirklich ihresgleichen. „Verdammter Bastard!“ erklang es von der Kuhl. „Und was, zum Teufel, tun wir jetzt?“ fragte Ben Brighton. Hasard atmete tief durch. „Wegtauchen“, entschied er knapp. „Während die Portugiesen das Schiff durchsuchen, bringen wir die Zwillinge zunächst einmal an Land. Danach werden wir schon weitersehen... * Dan und Smoky hatten eine mehr als unruhige Nacht hinter sich, nämlich eine Nacht, in der sie nicht gewagt hatten, auch nur ein Auge zuzutun, weil sie nicht im Schlaf dem mordgierigen Bären vor die Pranken rollen wollten. Am Morgen fühlten sie sich ausgelaugt und waren ganz in der Stimmung, einen Beduinenstamm auszurotten. Leider gab man ihnen keine Gelegenheit dazu: das Käfiggitter störte. Außerdem war ihnen der Bär ein Stück näher gerückt: sie mußten schon aufpassen, um seinen zuschlagenden Tatzen zu entgehen. Alles in allem gestaltete sich die Situation mehr als unerfreulich, und Dan und Smoky begannen, den Beweis dafür anzutreten, daß ein richtiger Seemann drei Tage lang fluchen kann, ohne sich ein einziges Mal zu wiederholen. Die Gaukler schliefen prächtig, wenn man davon absah, daß sie Wachen aufstellten, die sich im Drei-Stunden-Rhythmus ablösten. Der Morgen dämmerte. Eine glutrote Sonne erschien im Westen, also hinter dem Bärenkäfig, in dem Dan und Smoky immer noch gefangensaßen und abwechselnd den Gestank, die drohende Bestie und ihre eigene Dummheit verwünschten. Ausbrechen konnten sie nicht. Im Laufe der Nacht hatten sie ihren Käfig schon zur Genüge untersucht und festgestellt, daß er ausbruchsicher war. Sie hatten sogar das Abendessen akzeptiert, das man ihnen durch die Gitterstäbe
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reichte: immer nach dem Motto, daß man seine Kräfte ja vielleicht noch mal brauchen würde. Jetzt hockten sie einigermaßen gesättigt, aber in einem Zustand berstender Wut im Käfig, betrachteten die Gaukler, die ihr Frühstück vorbereiteten, und stellten sich vor, wie es wäre, einen nach dem anderen kaltblütig zu erwürgen. Nach dem Frühstück begannen einige der Bauchtänzerinnen, an der Quelle Wäsche zu waschen. Dan und Smoky waren sich einig darüber, daß das eine ausgesucht teuflische Folter darstellte. Die Ladies waren nämlich ziemlich leicht bekleidet, und selbst unter den Schleiergewändern zeichneten sich noch verlockende Formen ab. Dan O'Flynn fing zwei bis drei heiße Blicke auf, erforschte aus der Ferne die genauere Funktion der Knoten, mit denen die Schönen ihre Gewänder schlossen, und hatte danach schon fast Verständnis dafür, daß Smoky einer dieser Blumen des Orients nicht hatte widerstehen können. Gegen Mittag wurde es still im Lager. Siesta! Sämtliche Männer schliefen, ein paar Frauen summten noch vor sich hin, und Dan und Smoky wurden beinahe genauso schläfrig wie ihre unerwünschten Gastgeber. Das Trappeln von Pferdehufen weckte sie. Von Westen preschte ein Reiter heran und zerbrach jählings die Ruhe der Mittagsstunde. Offenbar hatte man auf ihn gewartet, denn sonst wäre es um diese Zeit bestimmt nicht so schnell in den Zelten lebendig geworden. Männer tauchten auf, gähnend und ziemlich unwillig, aber dann, als sie den Reiter erkannten, wurden sie schlagartig aufmerksam. Von dem folgenden Palaver verstanden Dan und Smoky wieder mal kein Wort. Sie merkten lediglich, daß ihre Gegner offenbar in Aufbruchstimmung gerieten. Pferde wurden gesattelt und zwei Wagen angespannt. Schließlich trat der Kraftmensch mit den Spanischkenntnissen an den Käfig heran — ziemlich wütend.
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Dan und Smoky erfuhren, daß der Kommandant von Tanger ein „dreckiger Bastard“ sei. Sie erfuhren auch weshalb: weil er zwar seine Pflicht tun und die „Isabella“ durchsuchen wolle, den Seewolf aber vorher gewarnt habe. Gegen eine entsprechende Summe, wie sich von selbst verstand. Der Muskelmann schnaufte erbittert. „Aber wir werden sie überlisten“, versprach er. „Wir werden die Zwillinge zurückholen, darauf könnt ihr euch verlassen.“ „Ach nein!“ knurrte Dan. „Jawohl! Wenn die Soldaten erscheinen, werden die verdammten Engländer die Jungen von Bord bringen. Und dann werden wir da sein, dann werden wir zuschlagen!“ „Halt bloß die Luft an, du häßlicher Giftzwerg“, fauchte Dan auf Spanisch. Aber in Wahrheit erschrak er, genau wie Smoky. Sie wußten, daß der Kraftmensch recht hatte. Wenn die „Isabella“ tatsächlich durchsucht wurde, hatte Hasard gar keine andere Wahl, als die Zwillinge solange an Land zu bringen. Und damit das nicht auffiel, würde er nur wenige Männer mitschicken können. Mist, dachte Dan. „Hau ab, du Stinkstiefel!“ ließ er seine Wut an dem Muskelmann aus. „Mir wird übel, wenn ich deine Visage sehe, du Sohn einer syrischen Wanderhure.“ „Hüte deine Zunge!“ zischte der Muskelmann. „Oder ich werde dich wie eine Laus zerquetschen!“ „Versuch's doch, du — du Eunuch!“ Der Kraftmensch wurde blaß vor Wut. Dan hoffte, daß er versuchen würde, die Sache mit dem Zerquetschen in die Tat umzusetzen, denn dann mußte er das Käfiggitter öffnen. Der Kraftmensch sah auch ganz so aus, als hätte er Lust dazu, aber er wurde offenbar gebraucht. Jemand rief ihm etwas zu, und er drehte sich zähneknirschend um und ging zu den anderen. Minuten später waren nur noch ein paar alte Männer und die Bauchtänzerinnen da.
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Und die verschwanden im Zelt und begannen schon wieder, mit Geschirr zu klappern, so daß die beiden Gefangenen nicht einmal den Versuch unternehmen konnten, mit Charme zu siegen. * Auf der „Isabella“ wurde das Beiboot abgefiert. Da das Schiff auf geslippt an Land lag, mußten Ferris Tucker und Batuti es bis ans Wasser schleppen. Außer ihnen hatte Hasard noch Blacky und Stenmark als Rudergasten eingeteilt. Und Big Old Shane, der aufpassen würde, daß die beiden Jungen nicht über Bord sprangen oder sonst etwas anstellten. Shane war es auch, der die beiden aus ihrer Kammer im Achterschiff holte. Sie benahmen sich ganz manierlich, sahen sich neugierig um und wechselten überraschte Blicke, als ihnen klar wurde, daß sie über die Jakobsleiter abentern sollten. Vielleicht glaubten sie, daß man sie zu den Gauklern zurückbringen würde, nachdem sie ihre Entschlossenheit bewiesen hatten, nichts als Ärger zu verursachen. Jedenfalls schwangen sie sich auf Hasards Wink mit artistischer Geschicklichkeit über das Schanzkleid, und unten wurden sie von Blacky und Stenmark in Empfang genommen. Das Boot betrachteten sie ziemlich mißtrauisch, doch dann kletterten sie doch widerstandslos auf die Duchten. Big Old Shane saß hinter ihnen, und sie schienen zu begreifen, daß unter diesen Umständen an Flucht nicht zu denken war. Das Boot legte ab, im Takt tauchten die Riemen ins Wasser, und das leichte Fahrzeug glitt aus dem Hafen, um eine versteckte Bucht im Osten von Tanger anzulaufen. Hasard sah dem Boot nach, bis es hinter einer vorspringenden Klippe verschwand. Etwa eine halbe Stunde verging, die Sonne senkte sich allmählich. Dann endlich dröhnten Schritte durch eine der schmalen, steilen Gassen, und die Soldaten, die der Hafenkommandant angekündigt hatte, erschienen auf dem Kai.
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Hasard atmete tief durch. „Na dann“, sagte er und grinste Ben Brighton zu. Sie waren vorbereitet. Und vorbereitet war auch das unvermeidliche „Bakschisch“. Denn allzu genau sollten sich die Portugiesen das angebliche irische Handelsschiff möglichst doch nicht ansehen. 7. Die Bucht war schmal, tief eingeschnitten und von Klippen gesäumt. Die Seewölfe begegneten lediglich einem altersschwachen Fischerkahn, dessen Mannschaft sich nicht um sie kümmerte. Die Zwillinge spähten interessiert hinüber. Big Old Shane glaubte zu sehen, daß sie sich gegenseitig Zeichen gaben, aber nichts wies darauf hin, daß sie schon wieder auf einen Fluchtversuch aus waren. Trotzdem hatte Shane den Eindruck, daß die beiden plötzlich von einer untergründigen Spannung beherrscht wurden. Mit kräftigen Riemenschlägen trieben Blacky, Batuti, Ferris Tucker und Stenmark das Boot in die Bucht. Die Küste fiel steil ab, sie konnten dicht an den Klippen vorbeischeren, ohne einen angekratzten Kiel zu riskieren. An einer terrassenförmig vorspringenden Stelle jumpte Stenmark an Land, nahm die Leine wahr und legte sie um einen Steinbrocken, der den Poller ersetzte. Die Zwillinge peilten zu den Klippen hoch. Big Old Shane tippte dem kleinen Philip auf die Schulter und bewegte auffordernd den Kopf. Die beiden Jungen turnten an Land, blieben abwartend stehen und beobachteten, wie auch Shane, Blacky, der rothaarige Schiffszimmermann und der hünenhafte Neger aus dem Boot kletterten. Immer noch zeigten die braungebrannten, kühn geschnittenen Kindergesichter den Ausdruck von Spannung, hellwachem Mißtrauen, aber auch einer gewissen Gelassenheit, die darauf schließen ließ, daß sie in den sieben Jahren ihres Lebens schon mehr als eine kritische Situation
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überstanden hatten. Sie jammerten nicht, zeigten keine Angst, wußten sich zu helfen — und Big Old Shane erkannte in ihnen immer deutlicher die Zähigkeit und Gewitztheit, die auch Philip Hasard Killigrew schon als kleiner Junge an den Tag gelegt hatte. Der graubärtige Hüne ließ sich auf einem Felsblock nieder und deutete neben sich, aber die Zwillinge zogen es vor, sich etwas abseits auf die Fersen zu kauern und die Köpfe zusammenzustecken. Offenbar hatten sie erwartet, daß es weitergehen würde, und fragten sich jetzt, was die Rast zu bedeuten hätte. Oder heckten sie schon wieder etwas aus? Shane furchte die Stirn und überzeugte sich durch einen Blick, daß Stenmark und Batuti den Weg zum Kliff absperrten. Das war auch gut so. Denn eins stand fest: wenn' es diesen beiden Teufelskerlchen mit ihren akrobatischen Fähigkeiten gelang, erst einmal in die Klippen zu entwischen, dann würde es vermutlich keiner der fünf Seewölfe schaffen, sie noch einzuholen. Ferris Tucker hatte ohnehin Schwierigkeiten genug, über die Steilwand aufzusteigen. Er hatte eine Felsennadel oberhalb des Kliffs als Beobachtungsposten angepeilt. Von dort oben würde er mit dem Spektiv, das in seiner Tasche steckte, die „Isabella“ sehen und auf die Signale warten können, die ihnen sagten, daß sie zurückkehren sollten. Der rothaarige Riese schwang sich über die 'Kante des Kliffs, blieb einen Moment stehen und nahm mit den Augen an der Felsennadel Maß. Sieht ziemlich glatt aus, das Ding, fand er. Sie hatten es von der „Isabella“ aus entdeckt, aber auf die Entfernung ließ sich natürlich nicht beurteilen, wie es mit der Besteigbarkeit stand. Für den Notfall hatte Ferris ein Tau mit einem Enterhaken bei sich. Langsam ging er auf die Felsennadel zu und schlug einen Bogen, um sich die Sache genauer anzusehen. Auf der Landseite gab es ein paar Spalten und Vorsprünge. Na ja, dachte Ferris wenig begeistert. In die Wanten enterte er entschieden lieber.
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Aber auf jeden Fall würde er wohl auf den Enterhaken verzichten können. Er legte den Kopf schief, nahm noch einmal Maß und stellte fest, daß es bis auf eine schwierige Stelle eigentlich ganz gut gehen mußte. Er merkte nicht, daß sich hinter ihm lautlos eine Gestalt zwischen den Felsen aufrichtete. Eine schlanke, geschmeidige Gestalt: Achmed Ali, der Messerwerfer. Zu Ferris Tuckers Glück hielt er allerdings kein Messer in der Faust. Am liebsten hätte er seinem Gegner zwar eine Klinge ins Herz gejagt, aber seine Kumpane hatten ihn überzeugt, daß das nicht ratsam sei. Das Opfer durfte nicht dazu kommen, noch einen Schrei auszustoßen. Das hieß, daß der Treffer am Kopf sitzen mußte, und mit dem Messer war das nicht hinzukriegen. Achmed Ali konnte auch mit einem Stein hervorragend treffen. Der rothaarige Riese ahnte nichts von dem Verhängnis, das sich hinter ihm zusammenbraute. Vielleicht lag es daran, daß sie alle, einschließlich des Seewolfs, diese Gaukler mit ihren Taschenspielertricks, den bunten Kostümen und dem wortreichen Getue unterschätzt hatten. Die Sache stellte sich ganz einfach dar: wer zum Hafenkommandanten rannte, um sein Recht zu erlangen, der traute sich eben nicht, dafür zu kämpfen. Zudem waren die Gaukler weitergezogen und hatten aller Wahrscheinlichkeit nach Smoky und Dan O'Flynn gefangengenommen. Der einzige Schachzug, mit dem die Seewölfe allenfalls noch rechneten, war der Versuch, die beiden Gefangenen gegen die Zwillinge einzutauschen. Sobald die Portugiesen die „Isabella“ verlassen hatten, wollte die Crew die Gaukler suchen, um Dan und Smoky herauszuhauen. Daß der ziegenbärtige Zauberer und seine Kumpane sie überlisten könnten - das wäre den Männern nicht einmal im Traum eingefallen. Ferris Tucker trat einen Schritt vor, um die Kletterpartie anzugehen.
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Im selben Moment schleuderte Achmed Ali seinen Stein. Mit traumwandlerischer Sicherheit fand das Geschoß sein Ziel: Ferris Tuckers feuerroten Haarschopf. Es gab ein dumpfes Geräusch. Gleichzeitig schnellten neben dem drahtigen Messerwerfer zwei Gestalten hoch und stürzten auf den schwankenden Riesen zu. Sie wollten ihn auffangen, damit er nicht allzu geräuschvoll zu Boden stürzte. Und sie waren ziemlich überrascht, als ihr Opfer nicht zusammenbrach, sondern herumschwang. Ferris Tuckers Augen wirkten allerdings ziemlich glasig, und seine Rechte verfehlte den Griff der riesigen Axt, die an seinem Gürtel baumelte. Er starrte die beiden Burnusträger an. holte tief Luft, um seinen Kameraden eine Warnung zuzubrüllen und er hätte es vielleicht geschafft, wenn sein Gegenüber nicht ausgerechnet Baobab, der knallharte, ziemlich reaktionsschnelle Kraftmensch und Schlägertyp gewesen wäre. Den Feind erkennen und draufhauen - bei Baobab lief das automatisch ab. Der angeschlagene Ferris Tucker konnte nicht schnell genug ausweichen und auch nicht schnell genug eine Deckung aufbauen. Der Muskelmann schmetterte ihm die Faust an die Schläfe. Ferris schüttelte sich und schickte eine gestochene Rechte auf die Reise, die in Baobabs Magengegend explodierte. „Uhhh“, grunzte der Muskelmann. Ein halb schmerzlicher, halb bewundernder Seufzer, bei dem er ein Gesicht schnitt, als stehe ihm kein normaler Mensch, sondern ein Fabeltier gegenüber. Für Ferris Tucker kam das Aus erst in Gestalt des ziegenbärtigen Kaliban, der nicht mit seinem Zauberstab, sondern mit einem stabilen Kantholz hantierte. Ein Stein an den Hinterkopf, eine Faust an die Schläfe und einen Knüppel über den Schädel, das war selbst für einen Mann wie Ferris Tucker zuviel. Er schwankte, die Knie knickten ihm ein, und Baobab und der zweite Kraftmensch konnten endlich den rothaarigen Hünen auffangen. Das alles ging völlig lautlos vonstatten.
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Lediglich der Aufprall des Steins zwischen den Felsen war zu hören gewesen, aber daß sich bei einer Kletterpartie mal ein Stein löste, wirkte unverdächtig. Unterhalb des Kliffs hockten Big Old Shane, Blacky, Stenmark und Batuti ahnungslos im Geröll der Brandungsplatte. Die Zwillinge saßen locker da, mit angezogenen Beinen, die Arme über die Knie gelegt. Sie verhielten sich verdächtig ruhig. Einmal hatte Hasard den Kopf gehoben und zum Rand der Klippen gespäht, jetzt gähnte er und senkte die Lider halb über die funkelnden eisblauen Augen, als werde er gleich einschlafen. Big Old Shane kraulte seinen grauen, struppigen Bart. Ihm gefiel es nicht, daß sich die beiden Kerlchen so gleichgültig benahmen, als interessierte es sie nicht die Bohne, zu welchem Zweck sie hier herumsaßen und ob, wann und wie es weitergehen würde. Shane war gewarnt, aber er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Zwillinge und nicht auf die Umgebung. Blacky gähnte. Stenmark, der blonde Schwede, starrte über das Wasser. Batuti kratzte sich an seinem wolligen Krauskopf und rollte mit den Augen. Vielleicht waren es seine vom Überlebenskampf in der afrikanischen Wildnis geschärften Sinne, die ihn noch vor den anderen die Gefahr wittern ließen. „Schlechtes Platz“, verkündete er. „Wieso?“ fragte Blacky verdutzt. „Weil hohes Felsen im Rücken, und hohes Felsen im Rücken machen Batuti nervös. Kapiert?“ „Nein“, sagte Blacky. Und dann passierte es. Wie gesagt: Batuti witterte die Gefahr etwas früher als die anderen. Vielleicht hörte er auch ein winziges Geräusch in „hohes Felsen“, die ihn nervös werden ließen. Er fuhr herum, aber das bewirkte nur, daß er den Stein, der auf seinen Hinterkopf gezielt war, genau gegen die Stirn kriegte. Blut schoß über sein Gesicht.
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Mit einem Schrei fiel er hintenüber — und in der nächsten Sekunde überstürzten sich die Ereignisse. Blacky, Stenmark, Big Old Shane und die Zwillinge sprangen auf. Die beiden Jungen allerdings nur, um wie startende Raketen abzuzischen und sich vor dem Steinhagel in Sicherheit zu bringen, der im selben Augenblick auf die Brandungsplatte niederging. Für die Seewölfe hatte der Angriff die explosive Plötzlichkeit einer Naturkatastrophe. Sie rissen schützend die Arme über die Köpfe, versuchten ebenfalls auszuweichen, aber gegen Achmed Alis hervorragend gezielten Wurfgeschosse war kein Kraut gewachsen. Blacky legte sich sang- und klanglos schlafen. Stenmark, halb blind von dem Blut, das ihm von einer Platzwunde in die Augen lief, hob einen der Steine auf und schleuderte ihn mit einem Wutschrei dorthin zurück, wo er hergekommen war. Er traf sogar, doch da flogen bereits Seile, die vorher in den Felsen oberhalb des Kliffs verankert worden waren, und ein Dutzend Gaukler hangelte sich wie die Affen über das Kliff nach unten. Achmed Ali blieb oben und fällte Stenmark mit einem weiteren gezielten Steinwurf. Der Rest der Bande stürzte sich auf Big Old Shane, der wie ein schwankender, aber unerschütterlicher Koloß den Hagel überstanden hatte. Halb unbewußt stellte er fest, daß die Gaukler jedenfalls nicht auf Mord aus waren: sie hatten die Größe der Steine so gewählt, daß sie keinen einigermaßen harten Schädel einschlagen konnten. Und jetzt benutzten sie Knüppel, obwohl sie es mit ihren Sarazenensäbeln weiß der Himmel leichter gehabt hätten. Aber vielleicht wußten sie das nicht, weil sie den ehemaligen Schmied von Arwenack nicht kannten. Big Old Shane nahm einen Knüppelhieb, ohne mit der Wimper zu zucken, schnappte sich den Schläger und schleuderte ihn dem nächsten Angreifer auf die Figur. Die Kerle gingen gemeinsam zu Boden und bildeten ein Hindernis, mit dem der
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Rest der Bande nicht gerechnet hatte. Sie gerieten ins Stolpern, einige stürzten, und bevor sie sich wieder gefangen hatten, zerrte Big Old Shane einen der Kerle an den Beinen aus dem Pulk, um ihn als Keule zu benutzen. Auf diese Weise hatte sich Philip Hasard Killigrew damals bei der legendären Straßenschlacht vor der „Bloody Mary“ in Plymouth gegen die Preßgang der „Marygold“ gewehrt. Nur war ihm der betreffende Mann. zum Staunen der Zuschauer aus den Stiefeln gerutscht, durch einen hölzernen Fensterladen gebrochen und geradewegs im Bett einer knackigen Witwe gelandet, wo er denn auch verblieb. Der Araber, den Big Old Shane an den Füßen herumschwenkte, hatte keine solche Chance. Erstens war keine knackige Witwe erreichbar, und zweitens trug er keine Stiefel, sondern halboffene Schnabelschuhe, die er ohnehin schon verloren hatte. Der graubärtige Riese hatte gewisse Ähnlichkeit mit einem zürnenden Rachegott, wie er sich da um die eigene Achse drehte und mit dem schreienden Araber alles umsäbelte, was ihm zu nahe geriet. Philip und Hasard schauten gebannt zu und stießen schrille Anfeuerungsrufe aus, die wirkungslos verhallten, weil die Gaukler nicht an den rasenden Hünen herankamen. Aber da war noch Achmed Ali mit einem ergiebigen Vorrat handlicher Steine. Er zielte, schleuderte, zielte, schleuderte - und beim dritten Treffer war die Sache auch für den Schmied von Arwenack gelaufen. Er kriegte nicht mehr mit, wie sich die Gaukler wutentbrannt mit ihren Knüppeln auf ihn stürzen wollten. Und er sah auch nicht, daß die Zwillinge wie fauchende Derwische dazwischen gingen und ihre Befreier auf Türkisch angifteten. Irgendwie mußten die beiden Jungen inzwischen wohl doch so etwas wie Sympathie für die Seewölfe entwickelt haben. Auch wenn sie es bis jetzt ausgezeichnet verstanden hatten, das zu verbergen.
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Ein paar Minuten später waren die Gaukler mit den beiden Jungen in den Klippen verschwunden. Nach ein paar weiteren Minuten erwachte zunächst Batuti aus der Bewußtlosigkeit. Er rappelte sich hoch, fluchte, betastete seinen lädierten Kopf, fluchte abermals und ging dann systematisch die Reihe durch, um festzustellen, ob seine Kameraden noch heil waren. Sie waren es. Prächtige Beulen zierten ihre Köpfe, an ihren Körpern würden in Kürze eine Menge ebenso prächtiger blauer Flecken erblühen, aber keiner sah so aus, als sei der Stein härter gewesen als sein Schädel. Batuti atmete erleichtert auf. Vergeblich versuchte er, wenigstens einen der Schlummernden zu wecken, und enterte schließlich durch das Kliff, um nach Ferris Tucker zu sehen. Der taumelte ihm reichlich benommen, aber ebenfalls noch an einem Stück entgegen. Inzwischen ließ der Seewolf auf der „Isabella“ schon eine ganze Weile zu der Felsennadel hinüber signalisieren, da die portugiesischen Soldaten unverrichteter Dinge von Bord gegangen waren. Kein Mensch ließ sich sehen, und deshalb hatte Hasard ein zweites Boot bemannt, um nach dem Rechten zu sehen. Der Kahn lief in die Bucht ein, als Ferris Tucker und Batuti wieder zur Brandungsplatte abenterten. Die Rudergasten erschienen gerade rechtzeitig, um Stenmark, Blacky und Big Old Shane beim Aufwachen zuzusehen. Die Flüche, die bei dieser Gelegenheit laut wurden, konnten sich hören lassen. Und Ed Carberry faßte die Situation in einem einzigen prägnanten Wort zusammen. Es war ein Wort, das den Teufel selber hätte erröten lassen. Aber es kennzeichnete die Lage sehr treffend. * Smoky hämmerte seine Faust gegen den dicken Eisenstab. Das Gitter klirrte. Der Bär brummte böse und zerrte mal wieder
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an der Kette, um an die beiden Happen heranzugelangen, die ihm da vor der Nase saßen und doch unerreichbar waren. Die Kette schien immerhin stabil zu sein. Genauso stabil wie das Gitter. Dan und Smoky hatten natürlich versucht, es zu knacken, aber wo selbst ein ausgewachsener Braunbär nichts ausrichten konnte, mußten auch die Seewölfe passen. Jetzt wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt, weil die Gaukler ins Lager zurückkehrten. Mit den Zwillingen! Die teilten sich einen Pferdesattel und bewiesen, daß sie wie die Teufel reiten konnten. Mitten im Lager sprangen sie ab. Ihr triumphierender Blick in die Runde erfaßte den Bärenkäfig. Erst rissen sie die Augen auf, dann brachen sie in helles Gelächter aus. Viel fehlte nicht, und sie hätten eine Art Veitstanz aufgeführt vor Vergnügen. „Scheiße“, sagte Smoky. Dan O'Flynn nickte grimmig. Er bemerkte, daß ein paar von den Gauklern ziemlich lädiert aussahen. Lediglich Achmed Ali, der drahtige Messerwerfer, wirkte höchst selbstzufrieden. Dan biß sich auf die Lippen und fragte sich, ob der Kerl aus sicherer Entfernung mit seinen fliegenden Mordinstrumenten gearbeitet hatte. Nein! Sonst hätten die anderen sicher nicht so viele Blessuren davongetragen. Dan klammerte sich an diese Überzeugung, zerbiß seine Unterlippe und spießte den Messerwerfer mit Blicken auf, als könne er ihm von der Stirn ablesen, was wirklich geschehen war. Die Augen der Zwillinge wanderten unschlüssig zwischen Achmed Ali und dem Bärenkäfig hin und her. Schließlich wandten sie sich an den Muskelmann, der Spanisch konnte, und redeten auf ihn ein. Er erzählte ihnen eine ganze Menge. Die beiden Jungen wechselten Blicke, starrten wieder zu Dan und Smoky, tuschelten — und schließlich zerrten sie den Muskelmann energisch vor den Bärenkäfig.
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„Sie wollen euer Lügenmärchen hören“, sagte der Kerl. „Kinder hören gern Märchen, wie ihr sicher wißt.“ Dan hätte am liebsten durch das Gitter hindurch in das höhnisch grinsende Gesicht geschlagen, aber er bezwang sich. „Was habt ihr mit unseren Leuten getan?“ fragte er. Das Grinsen wurde noch bösartiger. „Krrch!“ fauchte der Muskelmann und fuhr sich mit einer bezeichnenden Geste über die Kehle. „Nein!“ knirschte Dan. Dann fiel sein Blick auf einen der Zwillinge, der heftig den Kopf schüttelte, die Gebärde des Kehledurchschneidens nachahmte und wieder den Kopf schüttelte. Mit einer sprechenden Geste ließ er seine kleine Faust von oben nach unten sausen. Womit er eindeutig erklären wollte, daß seine Gaukler-Freunde den Männern der „Isabella“-Crew lediglich auf's Haupt geschlagen hätten. Dan atmete erleichtert auf und lächelte dem Jungen zu. Der schnitt eine Grimasse und zeigte ihm, wiederum mit einer sprechenden Gebärde, was er ihn könne. Ungeduldig stieß er den Muskelmann an, und der wiederholte seine Worte: daß die Zwillinge das „Lügenmärchen“ hören wollten. Dan erzählte es. Er hatte keine Ahnung, auf welche Weise die Jungen zu den Gauklern gelangt und nach Tanger verschlagen worden waren. Als Isaac Henry Burton, dieser dreckige Hundesohn, mit der Lüge über ihren Tod auf den Lippen gestorben war, hatten sie sich in Syrien aufgehalten. Und falls sie dort länger geblieben waren und sich daran erinnerten, mußte es sie zumindest nachdenklich stimmen, daß die beiden Fremden davon wußten. „Lüge!“ fauchte der kleine Philip, was der Kraftmensch getreulich übersetzte. Aber es hatte gar nicht so besonders überzeugend geklungen, und Dan fügte rasch noch die Geschichte mit den Haifisch-Symbolen an, die die Entführer den Jungen auf die Schulterblätter tätowiert hatten.
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„Lüge!“ wiederholte Philip. Hasard junior behauptete, das HaifischSymbol sei das Zeichen ihres früheren Besitzers, dem sie ausgerissen seien. Dan fragte prompt, seit wann es denn, bitte sehr, in solchen Fällen üblich sei, mit Tätowierungen zu arbeiten, statt mit Brandmalen. Worauf der Junge wütend ausspuckte, sich abwandte und seinen Bruder mitzog. Nein, die Zwillinge fanden sich nicht bereit, die abenteuerliche Geschichte zu glauben. Vielleicht klang sie auch wirklich zu unwahrscheinlich. Und ganz sicher war es von zwei siebenjährigen Kindern zuviel, verlangt, plötzlich völlig umzudenken, ihr Weltbild umkrempeln zu lassen und einer total unglaublichen Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Aber Dan O'Flynn hatte das deutliche, Gefühl, daß die beiden zumindest sehr nachdenklich geworden waren. 8. An Bord der „Isabella“ hatte der Kutscher wieder einmal Gelegenheit, sein Talent im Behandeln von Wunden und Kratzern zu beweisen. Blacky, Stenmark und Ferris Tucker protestierten heftig dagegen, mit Kopfverbänden verziert zu werden, nachdem bereits ihre Arme, Schultern und Oberkörper in den schönsten Farben schillerten. Der Kutscher erklärte, daß sich die Platzwunden entzünden könnten, und fauchte sie schließlich an, zum Donnerwetter noch mal endlich stillzuhalten, sonst würden sie auch noch seine gußeiserne Bratpfanne auf den Kopf kriegen. Schließlich fügten sie sich und schnitten bitterböse Gesichter, die zu den weißen Kopfverbänden überhaupt nicht paßten. Hasard marschierte auf dem Achterdeck hin und her und sah aus, als würde er im nächsten Augenblick die See zum Kochen bringen. So ähnlich war ihm auch zumute. Er hatte Ben Brighton, Ed Carberry. Al Conroy und Will Thorne an Land geschickt - zu dem
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Platz, auf dem gestern noch die Gaukler gastiert hatten. Und diesmal waren die Seewölfe reichlich mit Goldstücken ausgestattet, die sie als „Bakschisch“ unter das Volk bringen konnten. Die Gaukler hatten sich mehrere Tage in Tanger aufgehalten, hatten Schenken besucht und Einkäufe getätigt. Irgendjemand mußte zumindest eine Ahnung haben, wohin die Truppe weiterziehen wollte — und Hasard war entschlossen, es in Erfahrung zu bringen, und wenn er es in Tanger Golddublonen regnen lassen mußte. Seine Ungeduld stieg mit dem Sonnenball, der jetzt schon fast im Zenit stand. An der „Isabella“ wurde immer noch gearbeitet, aber nur mit halber Kraft, da die Crew nicht vollzählig war. Ein paar Tage noch, schätzte Hasard, dann konnten sie mit generalüberholtem, frisch geteertem Schiff wieder auslaufen. Aber nicht ohne die Zwillinge! Noch einmal würde der Seewolf sie nicht aus den Augen verlieren, und wenn er das ganze Maghreb und die halbe Levante nach ihnen absuchen mußte. Er schwankte zwischen Stirnrunzeln und Lächeln, als er daran dachte, daß diese gewitzten Kerlchen die Falle viel eher gewittert hatten als zum Beispiel so ein alter Hase wie Ferris Tucker. Nun ja: da war der Fischerkahn gewesen, dem sie begegnet waren und dem die Seewölfe keine Beachtung geschenkt hatten. Die Zwillinge kannten natürlich die Mitglieder der Gauklertruppe, auch diejenigen, die die „Isabella“-Crew nicht gesehen hatte. Und wahrscheinlich war die Angriffsmethode der Bande ein erprobter Trick gewesen, der nicht zum erstenmal angewandt wurde, so daß die beiden Jungen sich rechtzeitig hatten darauf einstellen können. Hasard fragte sich, was die Gaukler jetzt mir ihren Gefangenen tun würden. Sie freilassen? Ihre Wut an ihnen austoben? Nein, das wohl nicht. Sie hatten auch bei dem Überfall in der Bucht ihre Gegner nicht umgebracht, sie waren keine Meuchelmörder. Wahrscheinlich würden sie Dan und Smoky auch weiter als Geiseln
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gefangen halten, für den Fall, daß die Seewölfe versuchen sollten, die Zwillinge zurückzuholen. Hasard zerbiß einen Fluch. Ihm war nur zu klar, wie schwierig das Unternehmen werden würde. Sie konnten nicht einfach loslegen und angreifen, sondern brauchten einen Plan, bei dem ihre Gegner völlig überrascht wurden und keine Zeit mehr fanden, Dan oder Smoky zu bedrohen. Der Seewolf biß sich auf die Lippen, brütete über die verschiedenen Möglichkeiten — und zuckte fast zusammen, als er Bob Greys Stimme aus dem Großmars hörte. „Deck ho! Ben Brighton, Ed, Al und Will sind im Anmarsch!“ Hasard spähte zum Kai hinüber. Er mußte die Augen mit der Hand beschatten, so blendend weiß strahlten die gekalkten Häuser in der Sonne. Die kleine Gruppe eilte mit langen Schritten aus einer der Gassen. Edwin Carberry hatte sein zernarbtes Rammkinn vorgeschoben. Ben Brighton und Al Conroy, der stämmige schwarzhaarige Stückmeister, folgten ihm, und hinter ihnen glitzerte das weiße Haar des alten Segelmachers Will Thorne wie gesponnenes Silber in der Sonne. Ben Brighton enterte als erster auf. Er lächelte. Und Hasard faßte sich in Geduld. Bei der bedächtigen, manchmal etwas umständlichen Art des Bootsmanns war das auch nötig. Ben erzählte, daß sie in der Schenke und den Häusern um den Platz vergeblich ihr Glück versucht hätten und eine Menge Gold losgeworden seien, bis sie schließlich auf einen fliegenden Händler stießen, der auf dem Basar Krüge und Tontöpfe verkaufte. Der Mann kannte das Ziel der Gaukler, weil er selbst in der nächsten Woche mit seinem Warensortiment dorthin wollte. Es war ein Fischerdorf im Osten von Tanger, Sidi-Bangla mit Namen. Die alte Straße, die die westlichen Maghreb-Staaten mit dem Gebiet der wilden Berberstämme des Rif verband, führte dort vorbei, aber ein Angriff von Land her verbot sich schon
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deshalb, weil die Gaukler wahrscheinlich damit rechneten. Die „Isabella“ lag fest. Und selbst wenn es anders gewesen wäre, hätten sie keine Chance gehabt, sich mit der Galeone unbemerkt dem Fischerdorf zu nähern. Blieben also nur die Boote — eine Schlußfolgerung, die so klar auf der Hand lag, daß man nicht mehr groß darüber zu debattieren brauchte. „Wir versuchen es von See her, eh?“ fragte Ben Brighton. „Mit der Pinasse“, sagte Hasard. „Und zwar, sobald es dunkel wird.“ Sein Blick fiel auf Will Thorne, der etwas in die Höhe hielt. „Was ist denn das, zum Teufel?“ Der weißhaarige Segelmacher lächelte. Was er in der Hand hielt, war eine kleine gläserne Phiole, gefüllt mit einem undefinierbaren schwarzen Pulver. „Hab ich auf dem Basar entdeckt“, erklärte er. „Weil ich mir ja denken konnte, daß wir nicht zu Fuß zu dem Fischerkaff latschen würden. Was es ist, weiß ich auch nicht. Aber wenn man es in Wasser auflöst, kann man jeden beliebigen Stoff pechschwarz damit färben — das hab ich gesehen.“ Hasards Augen funkelten. „Na großartig“, sagte er. „Wir färben die Segel der Pinasse ein und schmieren ein bißchen Teer auf die Bordwände. Und dann werden wir in der Dunkelheit so unsichtbar sein wie unser Freund Batuti — wenn er nicht den Verband um den Kopf hätte.“ „Zum Teufel mit Verband!“ knurrte der Gambia-Neger. „Batuti sich schmieren schönes schwarzes Teer auf Rübe.“ „Quatsch“, sagte Hasard. „Batuti wird eine schöne schwarze Mütze auf seine Rübe setzen. Und wenn wir schon mal beim Einfärben sind, können wir auch gleich ein paar Jacken und Hemden in die Brühe tunken.“ „Und beim nächsten Landgang spielen wir Trauerzug“, sagte Will Thorne trocken. Damit wandte er sich um, balancierte die Glasphiole zwischen Daumen und Zeigefinger und strebte der Kombüse zu, um den Kutscher in die Geheimnisse des Farbe-Kochens einzuweihen.
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Dan O'Flynn schürzte die Lippen, rümpfte die Nase und setzte die blasierte Miene eines Menschen auf, der sich dem Rest der Welt haushoch überlegen fühlt. Im Augenblick bestand der „Rest der Welt“ für ihn aus dem Muskelmann mit den Spanischkenntnissen, den er schon den ganzen Tag geärgert hatte. Die Gaukler waren weitergezogen zu einem kleinen Ort am Meer, einem Fischerdorf, dessen Namen Dan und Smoky nicht kannten. Zelt und Wagen standen am Rand des Nestes auf einem sandigen Platz zwischen den Klippen. Die Einwohner strömten in Scharen herbei. Münzen klingelten in der Kasse, und die Begeisterung erreichte ihren Höhepunkt, als der Zauberer seine verblüffenden Tricks mit den Zwillingen vorführte, die jetzt wieder ihre Pluderhosen und die glänzenden Blusen mit den weiten Ärmeln trugen. Dan und Smoky wurden für eine Weile von der zweifelhaften Gesellschaft des Braunbären erlöst. Der starke Baobab pflegte als Höhepunkt seiner Nummer eine Art Boxkampf mit dem Tier aufzuführen. Er gewann immer was kein Wunder war, da er dem Bären vorher ein Stück Fleisch vorwarf, das er reichlich mit einem Betäubungsmittel getränkt hatte. Das satte, schläfrige Tier brummte zwar wütend, weil man es nicht in Ruhe ließ, aber es war überhaupt nicht in der Lage, dem vor ihm hin und her tänzelnden Mann etwas anzutun. Und nach einer Weile fiel es dann einfach um, und Baobab ließ sich als der Held feiern, der ein ausgewachsenes Raubtier besiegen konnte. Auch nach der Vorstellung blieb der Bär draußen angepflockt, weil man ihn gleich am nächsten Morgen durch die Straßen führen wollte, um für die neue Vorstellung die Werbetrommel zu rühren. Dan und Smoky hatten den Käfig für sich allein, was ihnen wenigstens eine ungestörte Nachtruhe garantieren würde. Allerdings erschien es ihnen wenig
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verlockend, eine weitere Nacht hier zu verbringen. Beide sannen auf Flucht. Während die Gaukler ein Feuer entzündeten und ihr Abendessen zu sich nahmen, hatte Dan begonnen, den Spanisch sprechenden Kraftmenschen zu ärgern. Er hieß Mehmed Bulba. Mit seinem kahlen Schädel, dem mächtigen Brustkasten und den schwellenden Muskelwülsten an Schultern und Armen wirkte er stark, aber auch plump und grobschlächtig. Ohne die tiefe Stimme hätte man ihn für einen der typisch riesenwüchsigen arabischen Eunuchen halten können - und Dan fand schnell heraus, daß das sein wunder Punkt war. Vielleicht hatte er ja wirklich kein Glück bei Frauen. Ein Übermaß an Schönheit konnte man ihm nämlich nicht nachsagen. Dan betrachtete ihn, grinste hämisch und stieß Smoky in die Rippen. „Schau dir den haarlosen Affen bloß mal richtig an“, sagte er laut und deutlich auf Spanisch. „Mann, der kann doch vor lauter Kraft nicht mehr laufen. Und dieser Klotz von einem blöden Eunuchen hat behauptet, er wollte mich zerquetschen.“ „Na und?“ tönte Smoky zurück. „Das schafft der glatt. Wenn so zehn, zwölf Mann dich festhalten.“ „Du Laus!“ knirschte der Kraftmensch. „Du - du Wüstenfloh ...“ „Hahaha! Große Töne spucken, was? Gerate mir bloß nicht zu nahe, du verhinderter Haremswächter.“ Mehmed Bulba hatte von Natur aus ein reizbares Temperament. Er wurde puterrot vor Ärger, sprang auf und riß seinen Säbel aus der Scheide.“ „Dich steche ich ab!“ fauchte er. „Dir stopfe ich das Maul, du - du ...“ Offenbar fehlten ihm die richtigen Worte. Dan O'Flynn grinste penetrant. „Paß auf, Smoky“, sagte er, immer noch auf Spanisch. „Wenn ich ihm auf's Auge spucke, fällt er um, wetten?“ Der Hüne gurgelte vor Wut und versuchte, mit dem Säbel durch die Gitterstäbe zu stechen.
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Ein paar von den anderen Gauklern schauten interessiert zu. Dan O'Flynn sprang geschmeidig auf die Beine, wich einmal nach links und einmal nach rechts aus — und beim dritten Versuch trat er mal eben mit dem Absatz zu. Knack! Die Säbelklinge flog durch den Käfig, klirrte gegen das Gitter, und Mehmed Bulba starrte verblüfft auf den abgebrochenen Stumpf in seiner Hand. „Üben, Mann!“ sagte Dan maliziös. „Immer fleißig üben, dann wird es.“ „Du Hund! Du Bastard! Du Hurensohn!“ heulte Mehmed Bulba. „Na, na, na!“ Dan schnalzte mißbilligend mit der Zunge. „Man muß auch eine Niederlage wegstecken können, mein Junge! Was glaubst du, was passieren würde, wenn dieses niedliche Gitter nicht zwischen uns wäre, he?“ Der Kraftmensch erstickte fast an seiner Wut. Gleich kriegt er einen Schlaganfall, dachte Dan. Aber Mehmed Bulba erlitt keinen Schlaganfall, sondern mäßigte seine Stimme zu einem zischenden, haßerfüllten Flüstern. „In den Boden stampfen würde ich dich! Zertreten würde ich dich wie einen Wurm!“ „Daß ich nicht kichere! Du würdest laufen wie ein Hase und dich im nächstbesten Mauseloch verkriechen, wenn das Gitter nicht da wäre!“ „Laufen? Ich? Ich bin Mehmed Bulba, der die dicksten Ketten bricht und Eisenstangen verbiegt. Ich bin Mehmed Bulba ...“ „Halt die Luft an, du lächerlicher Eunuch! Dich frühstücke ich doch mit dem kleinen Finger der linken Hand. Laß mich hier 'raus, und ich mache Hackfleisch aus dir. Aber das traust du dich ja nicht, du mißratenes Riesenbaby.“ Der Muskelmann hielt tatsächlich die Luft an. Ganz einfach deshalb, weil ihm Dans Unverschämtheiten den Atem verschlugen. Sein Mondgesicht, eben noch in prächtigem Rot leuchtend, wurde fahl wie
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der Wüstensand. Die kleinen, tiefliegenden Augen funkelten tückisch. „Du willst mit mir kämpfen?“ fragte er lauernd. „Du Wanze wagst es, Mehmed Bulba herauszufordern?“ „Phh!“ Dan grinste. „Mit so was wie dir wischen wir auf der ‚Isabella' die Decks auf. Versuch's doch mal, Großmaul! Du brauchst nur den Käfig zu öffnen, wenn du lebensmüde bist. Aber ich würd's an deiner Stelle nicht tun.“ Bulba fauchte wie ein Tiger, dem man die Beute geklaut hat. Auf dem Absatz warf er sich herum, stampfte zum Feuer und begann, wild gestikulierend auf die anderen einzureden. Dan grinste breit. Smoky sah ihn von der Seite an und kratzte sich an der Nase. „Paß bloß auf, daß er dich nicht frißt“, brummelte er. „He! Glaubst du vielleicht, ich würde nicht mit diesem karierten Affen fertig werden?“ „Weiß ich nicht“, sagte Smoky trocken. „Ich weiß nur, daß er wirklich 'ne Eisenstange biegen- kann. Das hab ich gesehen, als er geübt hat.“ „Aber angefaßt hast du die Eisenstange nicht, oder?“ Dan grinste unerschrocken. „Außerdem weiß ich schon, was ich mit ihm aufstelle. Chinesisch kämpfen kann er nämlich bestimmt nicht. Und die Mönche von Formosa haben uns schließlich 'ne Menge beigebracht, oder?“ Jetzt grinste auch Smoky. Wesentlich weniger skeptisch als vorher. „Verdammt noch eins! Hatte ich doch glatt vergessen!“ „Man muß` eben mit dem Kopf denken, Junge!“ Aus schmalen Augen spähte Dan zum Feuer hinüber, wo immer noch eine erregte Debatte im Gange war. Nein, „chinesisch kämpfen“ konnte Mehmed Bulba bestimmt nicht. Diese Art des waffenlosen Kampfes war selbst den Seewölfen neu gewesen, und die Erfahrungen, die sie damals auf der Insel im fernen Osten damit machten, hatten sie zunächst einmal fast an ihrem Weltbild zweifeln lassen. Den KonfuziusMönchen von Formosa verbot ihre Religion, Waffen zu tragen. Aber die kleinen gelben Männer verstanden es, sich
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mit bloßen Händen, mit den Füßen, mit dem ganzen Körper auch gegen wesentlich stärkere Gegner wirksam zu verteidigen. Und ein paar von ihren Tricks hatten sie den Seewölfen beigebracht, nachdem sie erst einmal wußten, daß die Männer der „Isabella“ in friedlicher Absicht erschienen waren. Dan lächelte vor sich hin. Er freute sich jetzt schon auf das Gesicht, daß der Muskelmann schneiden würde, wenn er den ersten Salto rückwärts vollführt hatte. Im Augenblick fühlte er sich dem schlanken jungen Mann noch haushoch überlegen. Und auch die anderen Gaukler am Feuer verrieten durch ihr Grinsen, daß sie höchstens einen Spaß, aber keinen ernsthaften Kampf erwarteten. Nur die Zwillinge blickten gespannt und etwas unsicher zu dem Käfig hinüber. Sie hatten ja Gelegenheit gehabt, die Seewölfe näher kennenzulernen, sie wußten, von welchem Kaliber diese Männer waren, und konnten sich vielleicht vorstellen, daß Dan O'Flynn etwas mehr zu bieten hatte als eine große Klappe. „Vergiß nur nicht, nachher den Käfig zu öffnen“, knurrte Smoky. „Bin ich blöd? Glaubst du, ich habe den Kerl zum Kochen gebracht, um den Typen 'ne Feierabend-Unterhaltung zu bieten?“ „Kann man bei dir nie wissen, du ...“ Smoky brach ab, weil Mehmed Bulba, der Muskelmann, wieder auf den Käfig zuwalzte. Seine kleinen Augen funkelten. Dan grinste unverschämt, aber mit seinen Gedanken war er bereits woanders. Er hatte den Kraftmenschen ja wirklich nicht geärgert, weil er scharf darauf war, sich mit ihm herumzuprügeln. Er wollte aus dem Käfig heraus — und wenn er das erst einmal geschafft hatte, würde sich vielleicht die eine oder andere Chance ergeben. Mehmed Bulba zog die Lippen von den Zähnen. Was allerdings nicht sehr eindrucksvoll wirkte, weil sein Gebiß aus häßlichen braunen Stummeln bestand. „So, du Laus!“ zischte er. „Jetzt werde ich dir zeigen, wer Mehmed Bulba ist! Was
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von dir übrigbleibt, wird höchstens noch als Fraß für die Schakale taugen.“ „Rede nicht, fang an!“ sagte Dan O'Flynn. Er hatte sich geschmeidig erhoben, trat an die Käfigtür und lächelte so unverschämt selbstsicher, daß sein Gegner mit dem Fuß aufstampfte, als wolle er sich schon vor dem Kampf selbst in den Boden rammen. * Eine schmale Mondsichel stand am Himmel, Myriaden von Sternen spiegelten sich als verschwimmende Flecken in der leicht bewegten See. Die Pinasse der „Isabella“ hatte sich in eine Art Miniaturausgabe des „Eiligen Drachen über den Wassern“ verwandelt. Das schwarze Segel, vom leichten, stetigen Wind gebläht, verschmolz fast mit der Dunkelheit. Die zwölf Männer an Bord trugen schwarze Hemden und dunkle Hosen, so daß nur noch ihre Gesichter im Sternenlicht schimmerten. Aber auch dem würde später abgeholfen werden. In der Pütz mit der schwarzen Brühe, die der Kutscher angerührt hatte, war gleich noch etwas mehr Segeltuch eingefärbt worden, und Will Thorne hatte daraus in aller Eile Kapuzen mit Augenlöchern zusammengestichelt, in denen die Männer einen wahrhaft geisterhaften Anblick boten. Im Moment lagen die Dinger noch gebündelt auf den Planken, weil sie ein wenig hinderlich waren. Hasard stand im Bug der Pinasse und spähte nach Steuerbord. Die Küste lag querab und schob sich als schwarzer Keil zwischen das glitzernde Wasser und den Sternenhimmel. Die Lichter von Tanger versanken achteraus, und das Boot glitt wie ein dunkler, unheilvoller Schatten nach Osten. Matt Davies prüfte mit dem Daumen die Spitze seines Hakens, die er vorsichtshalber nachgeschliffen hatte. Batuti, der keine schwarze Kapuze brauchte, sondern nur eine Mütze über den Kopfverband gestülpt hatte, streichelte
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versonnen den mörderischen Morgenstern an seinem Gürtel. Ed Carberry hatte sich mit einer stabilen Spake ausgerüstet, Ben Brighton mit einem handlichen Kurzsäbel, Blacky und Pete Ballie mit Entermessern und Bob Grey mit seinen Spezial-Wurfmessern, mit denen er mindestens ebenso gut umgehen konnte wie Achmed Ali. Big Old Shane und Ferris Tucker waren bewaffnet wie immer: der ehemalige Schmied von Arwenack verließ sich auf die Eisenstange, die ein weniger kräftiger Mann kaum hätte hochschwingen können, der rothaarige Schiffszimmermann trug seine mächtige Axt am Gürtel. Gary Andrews und Sam Roskill vervollständigten die Besatzung. Die Seewölfe waren auf alles vorbereitet. Nicht, daß sie etwa entschlossen gewesen wären, die Gaukler niederzumachen — durchaus nicht. Ihre Gegner hatten sie zwar überlistet, waren dabei jedoch fair gewesen und hatten unnötiges Blutvergießen vermieden. Die Seewölfe würden sich nicht anders verhalten. Aber Philip Hasard Killigrew wollte seine Söhne zurückhaben. Außerdem stand so gut wie fest, daß sich Dan O'Flynn und Smoky in der Gefangenschaft der Gaukler befanden. Und wenn die beiden in Gefahr gerieten, wenn man sie gar umgebracht hatte — dann wehe den Schuldigen! „Jetzt müßte das Kaff allmählich in Sicht kommen“, sagte Ben Brighton halblaut. Hasard nickte nur. Über Größe, Lage und Aussehen des „Kaffs“ hatten sie bisher nur sehr ungenaue Vorstellungen. Wenn die Gaukler dort gastierten, mußte man eigentlich annehmen, daß es sich um etwas mehr als ein paar schäbige Fischerhütten handelte. Aber es konnte auch sein, daß sich die Schausteller einfach in das nächstbeste Nest verholt hatten, je abgelegener, desto besser, weil sie ahnten, daß die Seewölfe nach ihnen suchen würden. Auf jeden Fall war Vorsicht am Platze. Hasard hob das Spektiv an die Augen und spähte angestrengt nach Süden. In
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unregelmäßigen Zackenlinien hoben sich Hügelrücken und einzelne Klippen vom Sternenhimmel ab. Ein paar vorspringende Klippen verdeckten die Sicht auf eine Bucht — und als die Pinasse die Höhe der Landzunge erreichte, konnte der Seewolf die Lichter sehen, die an der Küste blinkten. „Etwas abfallen!“ befahl er halblaut. „Wir gehen näher heran und schauen uns mal an, was Sidi Bangla zu bieten hat.“ „Aye, aye“, ertönte es aus Pete Ballies Richtung, der an der Pinne saß. Das Beiboot schwang leicht nach Steuerbord und segelte jetzt raumschots auf die Bucht zu. Hasard nahm wieder das Spektiv zur Hilfe, und jetzt konnte er Einzelheiten erkennen. „Kapuzen auf“, kommandierte er knapp und zog sich selbst den schwarzen Lappen über den Kopf, bevor er wieder das Spektiv an den eingeschnittenen Sehschlitz drückte. Das erste, was er gesehen hatte, war ein hünenhafter Wächter, der —aus welchem Grund auch immer—an den Bootsstegen patrouillierte. Der Bursche war bewaffnet und spähte aufmerksam umher. Vielleicht hatten die Bewohner des Dorfes schlechte Erfahrungen mit Piraten oder räubernden Beduinen gemacht. Hasards Blick wanderte weiter, glitt über die stillen Häuser und erfaßte das Lager der Gaukler am Rand des Ortes. Jenseits des Zelts war der- Widerschein eines Feuers Zu sehen. Die Wagen waren offenbar zu einem Kreis zusammengefahren worden. Es konnte nicht sehr schwer sein, sich unbemerkt heranzuschleichen, aber zuvor mußten sie möglichst lautlos den Wächter überwältigen. „Wir nehmen ein Bad“, entschied Hasard nach kurzem Überlegen. „Pete Ballie und Bob Grey bleiben als Eingreifreserve auf der Pinasse, die anderen schwimmen.“ 9.
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Mehmed Bulba reckte die mächtigen Schultern. Er trug nur die weiße Pluderhose, sein nackter, muskelbepackter Oberkörper glänzte im Feuerschein. Die Gaukler saßen im Halbkreis. Gespannt beobachteten sie den Hünen, neugierige Blicke trafen den drahtigen jungen Mann mit dem blonden Haarschopf und den blauen Augen -aber es war eine Neugier, die sich wohl nur auf die Frage bezog, wie lange es dauern würde, bis der Muskelmann den scheinbar hoffnungslos unterlegenen Gegner zu Haferbrei verarbeitet hatte. Mehmed Bulba senkte den Schädel wie ein angreifender Bulle. Er walzte vorwärts, offenbar entschlossen, sein Opfer niederzurennen. Dan O'Flynn stand ganz locker da, mit baumelnden Armen. Er traf keinerlei Anstalten, sich zu decken, und den Hünen irritierte das so, daß er abrupt stehenblieb. „Auf was wartest du?“ fragte Dan freundlich. „Auf Weihnachten?“ Mehmed Bulba stieß einen röhrenden Wutschrei aus, stürmte vorwärts und ließ seine mächtigen Fäuste schwingen. Dan tat einen Schritt nach rechts. Gleichzeitig vollführte er noch eine weitere Bewegung, die keiner der Zuschauer genau mitkriegte. Nur das Ergebnis war nicht zu übersehen. Das bestand nämlich darin, daß Mehmed Bulba zusammenknickte, sich tief verbeugte und einen Laut von sich gab, der an eine prall gefüllte Schweinsblase erinnerte, aus der die Luft herausgelassen wird. Blitzartig umrundete Dan den japsenden Hünen und ließ dem raffinierten chinesischen Handkanten-Schlag einen schlichten Tritt in den Hintern folgen. Aus Mehmed Bulbas Verbeugung wurde ein Hechtsprung. Einer der Zwillinge lachte hell auf, als der Hüne platt auf dem Bauch landete und sich die Nase aufschrammte. Eine halbe Sekunde lang rührte sich der Kraftmensch nicht, dann stieß er ein Gebrüll aus, bei dem die Wände gezittert hätten, wenn welche dagewesen wären.
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Voll berstender Wut sprang er auf und griff von neuem an. Wieder blieb Dan bis zum letzten Moment gelassen stehen - und wieder kriegten die Zuschauer nicht mit, was eigentlich passierte. Egal, was es war: es befähigte Mehmed Bulba zu der erstaunlichen Leistung eines Saltos rückwärts. Er landete sogar auf den Füßen, doch das war nicht von langer Dauer. Benommen torkelte er noch ein paar Schritte zurück und setzte sich hin genau ins Feuer. Klar, daß er eine halbe Sekunde später aufsprang wie ein Kastenteufel. Seine Hose rauchte. Dan stand mit zwei Schritten vor ihm - und es war reine Menschenfreundlichkeit, daß er dem Hünen zu einer neuerlichen Landung auf dem verlängerten Rücken verhalf, um den drohenden Pluderhosen-Brand zu löschen. Mehmed Bulba blieb sitzen. Nicht freiwillig, sondern weil die Treffer seine Muskeln, nahezu gelähmt hatten. Aus vorquellenden Augen starrte er seinen Gegner an und schnitt ein Gesicht, das lebhaft an ein neugeborenes Kamel erinnerte. Dan O'Flynn wollte abdrehen, irgend etwas unternehmen, um Smoky zu befreien, aber er kam nicht mehr dazu. Von einer Sekunde zur anderen war er nämlich von den Gauklern umringt. Von Gauklern, die überhaupt nicht daran dachten, ihn anzugreifen. Sie klopften ihm auf die Schultern, schnatterten auf Türkisch auf ihn ein, und gegen ihre massiven Beifallskundgebungen war im Moment kein Kraut gewachsen. Baobab, der Muskelmann mit dem Zopf auf dem sonst kahlrasierten Schädel, zerrte schließlich Mehmed Bulba am Arm hoch und schüttelte ihn. Jetzt war der geschlagene Muskelmann das Ziel des allgemeinen Geschnatters. Aber Dan konnte immer noch nicht an den Käfig heran, weil ihm nach wie vor ein halbes Dutzend Leute auf die Schultern klopfte. Mehmed Bulba starrte ihn haßerfüllt an, aber er bezwang seine Wut und schluckte.
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„Sie wollen wissen, wo du die Tricks gelernt hast“, sagte er auf Spanisch. „Und der ehrwürdige Kaliban fragt, ob du nicht mit uns ziehen und als Kämpfer auftreten willst. Du bist großartig — meint der ehrwürdige Kaliban.“ Daß Bulba das durchaus nicht meinte, war. ihm nicht zu verdenken. Dan kniff die Augen zusammen, dann grinste er plötzlich. „Da müßte der ehrwürdige Kaliban erst mal meinen Freund da sehen“, sagte er und zeigte mit dem Daumen auf Smoky, der immer noch hinter Gittern kauerte. „Der ist noch viel besser als ich. Der nimmt es mit einem halben Dutzend deiner Sorte auf, du Ochse.“ Der Muskelmann übersetzte das, wobei er den „Ochsen“ vermutlich wegließ. Sofort wandten sich alle Köpfe wie von unsichtbaren Fäden gezogen dem Bärenkäfig zu. Smoky reckte die Schultern und fletschte die Zähne. Den Gauklern war am Gesicht abzulesen, was sie dachten: wenn schon der schlanke, drahtige Dan O'Flynn mit Mehmed Bulba förmlich Ball gespielt hatte, dann war diesem Bullen von einem Mannsbild da drüben tatsächlich zuzutrauen, daß er mit einem halben Dutzend Kraftmenschen fertig wurde. Ganz so sicher war das zwar nicht, aber Dan und Smoky wollten ja ohnehin nichts anderes, als erst einmal ihre Bewegungsfreiheit zurückgewinnen. „Der ehrwürdige Kaliban will wissen, ob dein Freund wirklich bereit ist, mit sechs Männern zu kämpfen“, dolmetschte Mehmed Bulba. „Na klar doch!“ tönte Smoky. „Zu Apfelmus mach' ich die! Wenn ich mit denen fertig bin, hat der ehrwürdige Kaliban sechs Putzlumpen.“ Bulba knirschte mit den Zähnen, aber er übersetzte. Danach klatschte der ziegenbärtige Kaliban auffordernd in die Hände, und Dan O'Flynn wurde mit sanfter Gewalt zum Feuer gezogen, während Achmed Ali, der Messerwerfer, zu dem Käfig hinüberging, um Smoky herauszulassen.
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Vorsichtig ließen sich die Männer über die Bordwand der Pinasse gleiten. Zehnmal hintereinander plätscherte das Wasser und löste sich ein Schatten vom Bootsrumpf. Hasard hatte die Spitze: er schwamm in langen, gleichmäßigen Zügen, seine sächsische Reiterpistole zwischen den Zähnen. Ben Brighton, Ed Carberry, Blacky, Gary Andrews und Sam Roskill sorgten auf die gleiche Weise dafür, daß ihre Schußwaffen trocken blieben. In die schwarzen Kapuzen hatten sie zu diesem Zweck schnell noch ein zusätzliches Loch geschnitten, und Hasard dachte mit dem Anflug eines Grinsens daran, daß die Betroffenen so wenigstens nicht in die Versuchung geraten würden, zu fluchen oder sonst wie laut zu werden. Der Wächter an den Bootsstegen hatte seine Aufmerksamkeit zeitweise dem Lager der Gaukler zugewandt. Irgendetwas schien dort im Gange zu sein. Ab und zu trug der Wind Geräusche herüber, die wie fernes Geschrei und anfeuernde Rufe klangen. Dann wieder glaubte der Seewolf, ein langgezogenes Schmerzensgeheul zu vernehmen. Er dachte an Dan und Smoky, wollte sich auf die Lippen beißen und konnte nicht einmal fluchen, als er sich die Zähne am Stahl der Pistole stauchte, die er sekundenlang vergessen hatte. Das Ufer rückte näher. Hasard hielt sich etwas weiter links, schwamm einen Bogen und überzeugte sich durch einen Blick, daß die anderen ihm folgten. Wenn der verdammte Wächter jetzt auf die Idee verfiel, die Wasseroberfläche abzusuchen, mußte er sie sehen. Ein paar kritische Sekunden vergingen, dann hatten sie die Boote erreicht, deren aufragende Bordwände die Schwimmer verdeckten. Vorsichtig zog sich Hasard die Kapuze vom Kopf, die ihn jetzt nur noch behinderte. Da das Ding nicht mehr gebraucht wurde, ließ er es einfach ins Wasser gleiten. Die anderen taten es ihm nach. Noch ein paar
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Schwimmstöße —und Hasard erreichte als erster den Steg und schloß die Hände um das morsche Ende einer Planke. Der arabische Wächter wandte ihm den Rücken zu. Geschmeidig zog sich der Seewolf hoch und nahm sofort die Pistole aus dem Mund — am Lauf, da sie jetzt und hier noch keinen Lärm verursachen durften. Der Wächter würde auf jeden Fall aufmerksam werden, das war Hasard in dieser Sekunde klargeworden. Wasser lief über seinen Körper und tropfte auf die Planken. Unüberhörbar. Der Araber zuckte leicht zusammen und wollte sich umdrehen, doch da stand der Seewolf schon mit zwei, drei langen Sprüngen hinter ihm. Kurz und trocken tupfte er ihm den Pistolenkolben auf den Hinterkopf. Mit einem Seufzer brach der Araber zusammen. Hasard fing ihn auf, schleifte ihn ein Stück zur Seite in den Schlagschatten eines Lagerschuppens und begann ihn kunstgerecht zu fesseln und zu knebeln, während sich die anderen Seewölfe ebenfalls auf den Steg schwangen. Hasard grinste und zeigte seine kräftigen weißen Zähne. „Abmarsch!“ kommandierte er flüsternd. „Und vorsichtig, wenn ich bitten darf! Wer ein lautes Wort sagt, dem ziehe ich persönlich die Haut in Streifen vom Hintern.“ * Dan O'Flynn saß zwischen dem Zauberer und den Zwillingen, fast schon als zukünftiges Mitglied der Truppe akzeptiert, und überlegte, ob es ihm gelingen würde, die beiden Jungen mitzuschleppen, wenn sie flohen. Denn fliehen würden sie, das war ja der Sinn des ganzen Unternehmens gewesen. Smoky mußte nur erst ein paar von den Kraftmenschen ausschalten, damit bei dem unvermeidlichen Kampf die Gewichte etwas besser verteilt waren. Dans Blick suchte Achmed Ali, den Messerwerfer, den
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er für den Gefährlichsten der Bande hielt. Wie gefährlich, konnte er sich lebhaft vorstellen, da brauchte er nur daran zu denken, was zum Beispiel Bob Grey mit seinen Wurfmessern schon alles angestellt hatte. Achmed Ali kauerte neben Batula, dem Feuerschlucker. Notfalls konnte Dan den Messerwerfer mit einem einzigen Sprung erreichen und außer Gefecht setzen. Mit dem Rest der Bande würden sie dann schon irgendwie fertig werden, denn schließlich hatten sie den Überraschungseffekt auf ihrer Seite. Wenn nur nichts schiefging! Baobab und seine Kumpane waren nicht von Pappe. Vor allem der Bursche mit dem Zopf konnte kämpfen, der war aus einem anderen Holz geschnitzt als der grobe, schwerfällige Mehmed Bulba. Und Smoky hatte sich zwar auch sehr für das „chinesische Boxen“ interessiert, die unbekannte Kunst aber nicht besonders eifrig zu erlernen versucht, weil er sich nun mal im Kampf immer noch mit einer soliden Handspake am wohlsten fühlte. Allerdings waren auch seine mächtigen Fäuste nicht zu verachtende Waffen, ob er nun nach chinesischer Art mit den Handkanten auf bestimmte Körperstellen zielte oder nach guter alter Gewohnheit Kinnladen ausrenkte. Das kriegten die Muskelmänner jetzt zu spüren. Zu sechst waren sie –und vielleicht war gerade das ihre Schwäche, weil es sie dazu verleitete, unvorsichtig zu sein. Sie hatten ihren Gegner eingekreist, und einer von ihnen wollte ihm ganz lässig ins Genick springen, um ihn festzuhalten, während die anderen zuschlugen. Smoky stieß ebenso lässig den Ellenbogen nach hinten und stampfte dem Burschen gleichzeitig mit dem Absatz auf die Zehen. Nummer eins, zählte Dan O'Flynn im Geiste. Denn daß der Getroffene aus dem Kampf heraus war, stand außer Zweifel. Er war grün im Gesicht und bemühte sich verzweifelt, seine letzte Mahlzeit bei sich zu behalten. Und seine Zehen waren aller Wahrscheinlichkeit nach mehr als lädiert. Baobab fauchte.
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Er sprang Smoky von der Seite an, die anderen vier kamen von vorn. Der bullige braunhaarige Mann trat einen Schritt zurück und breitete die Arme aus. Es sah so aus, als wolle er die Gegner an seine breite Brust drücken, aber dann tat er etwas völlig anderes. Der Kerl, der die sperrangelweit offene Deckung nutzen wollte, flog von einem brettharten Tritt gegen das Schienbein getroffen zurück. Gleichzeitig schloß Smoky seine Arme wieder, erwischte links Baobabs Nacken und rechts das Ohr eines weiteren Mannes — und knallte schwungvoll ihre Köpfe zusammen. Nummer zwei und Nummer drei, registrierte Dan und stellte fest, daß sich die Dinge zufriedenstellend entwickelten. Eigentlich fand er, daß es schon reichte: es war besser, den Fluchtversuch zu starten, bevor die Gaukler vor diesem tobenden Berserker dort drüben Angst kriegten. Aber jetzt begann Smoky die Sache ganz offensichtlich Spaß zu bereiten. Drei kampfkräftige Gegner waren genau das, was er brauchte, um seine Wut über die schmähliche Gefangenschaft in dem Bärenkäfig auszulassen. Er bemühte sich gar nicht, die Burschen möglichst schnell und gründlich flach zu legen. Er drosch herum. teilte aus, steckte ein —er war so herrlich in Fahrt, daß er weder auf seine Umgebung noch auf Dan O'Flynns beschwörende Blicke achtete. Na ja. Wenn er diese drei Muskelmänner auch noch schaffte, würden die Gaukler ihn in Zukunft sicher als Wundertier ausstellen wollen. Vielleicht war es gar keine schlechte Idee, zum Schein mit den Burschen Frieden zu schließen, auf eine günstige Gelegenheit zu warten und erst dann auszukneifen. Und wenn sie gar nicht so dämlich waren, wie sie aussahen? Dann würden sie sich auf keine Experimente einlassen. Dann konnte es sehr schnell passieren, daß sich die beiden Seewölfe von neuem in dem Bärenkäfig wiederfanden. Dan beendete seine Überlegungen nicht.
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Smoky hatte soeben die erste Kinnlade ausgerenkt. Der Getroffene wurde zurückgeschleudert, torkelte in den Kreis der Zuschauer —und Dan genau vor die Füße. Die Chance ließ sich der drahtige junge Mann nicht entgehen. Wie eine Raubkatze sprang er auf, packte den Burschen mit dem schiefstehenden Kiefer am Kragen und zerrte ihn hoch. Der arme Kerl gurgelte etwas, das wie „Ngrrr“ klang. „Jetzt, Smoky!“ schrie Dan, und dabei benutzte er seinen Gegner als lebendes Wurfgeschoß, um Batula und den Zauberer flachzulegen. Smoky warf den Kopf herum, paßte eine Sekunde nicht auf und kassierte einen Hieb, bei dem er Sterne sah, aber nicht die am Himmel, sondern viel hübschere, die in allen Regenbogenfarben strahlten. Dan hatte inzwischen mit einem Sprung den Messerwerfer erreicht und rammte ihm das Knie ins Gesicht. Das war zwar nicht die feine englische Art, aber unumgänglich, da hier schließlich zwei Mann gegen eine ziemliche Übermacht kämpften. Dan sprang über den bewußtlos zurückkippenden Achmed Ali weg, wirbelte herum und suchte die Zwillinge im allgemeinen Durcheinander, doch die waren bereits aufgesprungen, standen geduckt da und schienen bereit zu sein, sich mit Nägeln und Zähnen zu verteidigen. Völlig ausgeschlossen, sie hier herauszubringen, erkannte Dan. Ein Blick zeigte ihm zu seiner gelinden Überraschung, daß Smoky plötzlich glasige Augen und Schwierigkeiten hatte, mit den zwei läppischen Kraftmenschen fertig zu werden, die noch bei Verstand waren. Dan sprang zum zweitenmal über den bewußtlosen Messerstecher weg, jetzt in umgekehrter Richtung. Vier, fünf von den Gauklern erfaßten die Lage und schnellten hoch. Der ziegenbärtige Kaliban schüttelte fluchend den schweren Körper des Mannes mit der gebrochenen Kinnlade ab, auch Batula, der Feuerschlucker, war durchaus
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nicht bewußtlos — und Dan O'Flynn begriff, daß die Lage gleich verdammt brenzlig werden würde. „Smoky, du Hammel!“ schrie er verzweifelt. Dabei stürzte er sich auf den nächstbesten Kraftmenschen, der er erwischen konnte, und praktizierte zum zweitenmal den Trick mit dem Handkantenschlag, der die Muskeln lähmte. Smoky ermannte sich, stürzte sich wie ein tobender Orkan auf den Kerl, der ihm den Schwinger verpaßt hatte, als er gerade nicht hinsah, und diesmal ging der Bursche klaglos zu Boden. „Weg!“ zischte Dan O'Flynn. Dabei warf er sich bereits herum —und prallte im nächsten Augenblick zurück, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen. „Hiergeblieben“, sagte eine wohlbekannte Stimme gelassen. Wie ein Schatten trat der Seewolf hinter einem der Wagen hervor, klatschnaß, mit nacktem Oberkörper, die sächsische Reiterpistole in der Faust — und für ein paar Sekunden glaubte Donegal Daniel O'Flynn glatt an eine Fata Morgana. Aber Luftspiegelungen traten nicht mitten in der Nacht auf. Es war tatsächlich der Seewolf, der jetzt mit ein paar Schritten an Dans Seite glitt. Und er war nicht allein. Schlagartig wurde es ringsum hinter dem Zelt und den Wagen lebendig —und die erschrockenen Gaukler sahen sich jählings von zehn entschlossenen Männern eingekreist — oder zwölf, wenn man Dan und Smoky mitrechnete. Mindestens acht davon waren mit Pistolen bewaffnet. Und die Stimme des großen schwarzhaarigen Mannes mit den eisblauen Augen ließ keinen Zweifel daran, daß er seine Drohung ernst meinte. „Verhaltet euch still!“ befahl er auf Spanisch. „Wir sind nicht erschienen. um jemanden zu töten. Aber wenn ihr nicht vernünftig seid, gibt es hier Zunder, das kann ich euch versprechen.“ 10.
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Sekundenlang war es so still, daß man eine Stecknadel hätte fallen hören. Erst die zitternde Stimme des Muskelmanns, der Hasards Worte übersetzte, durchbrach das Schweigen. Wahrscheinlich hätte er sich gar nicht zu bemühen brauchen. Die Situation ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Und die Gaukler waren schlau genug, um zu begreifen, daß hier im Augenblick kein Weizen für sie blühte. Der einzige, der sich nicht still verhielt, war Kaliban, der ziegenbärtige Zauberer. Nicht, daß er es etwa mit einem sinnlosen Angriff versucht hätte -er war ja nicht lebensmüde. Aber die Wucht, mit der Dan ihm einen der Muskelmänner sozusagen an den Kopf geworfen hatte, war ausreichend gewesen, um ihn ein Stück außerhalb des Zuschauerkreises landen zu lassen. Dort gab es Felsblöcke, die zunächst einmal als Deckung dienen konnten. Kaliban entschloß sich zum Rückzug und schnalzte leise mit der Zunge. Ein Zeichen, das den Zwillingen galt. Auf die würde ja wohl niemand schießen. Kaliban starrte den Mann mit den eisblauen Augen an, in dessen Aussehen ihn irgendetwas irritierte, aber dann sagte er sich, daß jetzt nicht der richtige Moment sei, darüber nachzugrübeln, was das sein mochte. Kaliban sprang auf wie von einer Sehne abgeschnellt, warf sich herum und erreichte mit drei, vier langen Sätzen die schützenden Felsblöcke. Gleichzeitig schnellten die Zwillinge hoch. Wie die Wiesel begannen sie zu rennen, dem Zauberer nach, und: er Seewolf stieß einen lästerlichen Fluch aus. Seine Stimme peitschte: „Batuti, Dan — zu mir! Ihr anderen verschnürt diese Kerle hier, aber so, daß sie sich nicht mehr rühren können!“ „Aye, aye!“ tönte es zurück. Hasard hatte sich bereits abgewandt und setzte den Fliehenden nach, sicher, daß Dan und Batuti ihm folgen würden. Ein Stück vor Ihnen rannte der Zauberer mit
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wehendem Burnus einen steilen Hang hinauf. Die Zwillinge ließen sich in der Dunkelheit nur als huschende Schatten erkennen. Offenbar hatten sie vor, die Klippen zu erreichen und auf dem unübersichtlichen Gelände der Hochfläche unterzutauchen, doch mit einer so schnellen Reaktion ihrer Gegner schienen sie nicht gerechnet zu haben. Kaliban riß erschrocken den Kopf herum. Seine Augen weiteten sich, als er die drei Männer mit langen Schritten heranstürmen sah. Schnell waren sie alle drei. Der blonde junge Mann flitzte wie ein Wiesel im Zickzack durch die Felsentrümmer.' Der schwarze Herkules bewegte sich trotz seiner bulligen Gestalt leicht und geschmeidig. Aber noch schneller war der Mann mit den eisblauen Augen. Der wirkte wie federnder Stahl, seine Schritte erinnerten an die Sprünge eines jagenden Panthers - und Kaliban wußte sofort, daß er nicht entwischen konnte. Er rief etwas auf Türkisch. Die Zwillinge wechselten die Richtung und orientierten sich mehr zum Klippenrand. Der Zauberer hetzte mit wehendem Burnus hinter ihnen her, und Hasard begriff genau, was er vorhatte. Irgendwo unterhalb des Kliffs lagen vermutlich weitere Boote. „Zurück!“ schrie der Seewolf. „Du verdammter Idiot wirst ...“ Er verstummte. Erstens fiel ihm ein, daß der ziegenbärtige Zauberer ihn ohnehin nicht verstehen konnte. Und zweitens, weil das, wovor er Kaliban warnen wollte, im selben Augenblick bereits eintrat. Dem Araber wurde seine Eile zum Verhängnis. Er geriet zu nah an den Klippenrand, und da er mit seiner Truppe erst vor kurzem hier eingetroffen war, kannte er das Gelände auch nicht besser als die Seewölfe. Vielleicht stolperte er, vielleicht rutschte er einfach ab. Ein gellender Schrei brach über seine Lippen, und von einer Sekunde zur anderen war die Gestalt. in dem weißen Burnus verschwunden. „Kaliban!“ schrie einer der beiden Jungen entsetzt.
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Mitten im Lauf prallten sie zurück, warfen sich herum und rannten dorthin, wo der Zauberer verschwunden war. Hasard lief ebenfalls, erreichte die Absturzstelle und sah hinunter. Ein dumpfes Ächzen. Zweige knackten, Laub raschelte. Im schwachen Mondlicht sah Hasard, daß sich ein paar Yards unterhalb des Klippenrands ein Vorsprung befand, auf dem sich ein verkrüppelter, ziemlich mickriger Baum angesiedelt hatte. Dem ziegenbärtigen Araber war es im Sturz gelungen, sich an den Zweigen der Krone festzuhalten. Aber in der wenigen angewehten Erde fanden die Wurzeln des Gewächses kaum Halt – und unter dem Gewicht des zappelnden Mannes begann sich der Baum unaufhaltsam zu senken. Schon löste sich ein Teil des verzweigten Wurzelballens aus dem Boden. Der Stamm war zu stark, um zu brechen, aber der ganze Baum würde in die Tiefe segeln. Und mit ihm der Zauberer, der sich im Geröll der Brandungsplatte unter Garantie alle Knochen einschließlich des Genicks brechen würde. Philip Hasard Killigrew hatte genau eine halbe Sekunde, um seine Entscheidung zu treffen. Und vielleicht war es das angstvolle Keuchen der beiden Jungen, das ihn handeln ließ, ohne erst lange zu überlegen. Er tat noch einen Schritt an den Klippenrand, nahm Maß und sprang. Vier, fünf Yards! Hart prallte er auf das untere Ende des Baumstamms, landete wie eine Katze auf allen Vieren und verlagerte sofort sein Gewicht auf den Wurzelballen. Einen Augenblick befürchtete er, Kaliban werde wie eine reife Pflaume aus der Krone geschüttelt werden, doch der Zauberer schaffte es, sich festzukrallen. Der Stamm senkte sich nur noch geringfügig, schwankte, ächzte und gelangte schließlich zur Ruhe. Mondlicht fiel auf Kalibans verzerrtes, ziegenbärtiges Gesicht, sekundenlang waren nur seine pfeifenden Atemzüge zu hören. Hasard hob den Kopf.
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Vier Gestalten beugten sich über den Klippenrand: Dan O'Flynn, Batuti; mit rollenden Augen und die Zwillinge, die erschrocken nach unten starrten. Der Zauberer machte eine Bewegung, um sich näher an den rettenden Felsenvorsprung heranzuhangeln, aber er ließ es bleiben, als die Zweige verdächtig knackten. „Ruhig“, murmelte Hasard, was Kaliban allerdings nur vom Tonfall her verstehen konnte. „Batuti, steig herunter! Dan - ich brauche Ferris und Shane. Und irgendjemanden, der diesem Kümmeltürken erklärt, daß er sich gefälligst nicht rühren soll.“ Dan zog den Kopf zurück. Batuti begab sich bereits an den Abstieg. Sekunden später setzte sich der schwarze Herkules grinsend auf den Wurzelballen, und damit saß der Baum unverrückbar fest. Vorerst! Um Kaliban aus seiner vertrackten Lage zu befreien, mußte Hasard ebenfalls in die Krone klettern, und dann würde Batutis Gewicht allein nicht mehr ausreichen. Der Zauberer hatte einen halbwegs guten Halt und konnte sich noch einige Minuten festhalten. Hasard kniff die Augen zusammen und lauschte auf die Schritte, die sich der Klippe näherten. Ferris Tuckers roter und Dan O'Flynns blonder Schopf tauchten auf, dann Big Old Shanes graues Haargestrüpp, schließlich Smoky, der einen der Muskelmänner vor sich her stieß. Der begann mit reichlich gequetschter Stimme auf den Zauberer einzureden. Kaliban nickte ein paarmal, und inzwischen stiegen Ferris Tucker und Big Old Shane ebenfalls zu dem Felsenvorsprung ab. Es sah etwas komisch aus, wie sie sich neben Batuti niederließen und auf den knorrigen Wurzeln und dem unteren Ende des Stamms hockten wie Vögel auf einem Zweig. Aber jetzt würde jedenfalls nichts mehr den Baum entwurzeln, und Hasard begann, vorsichtig über den schwankenden Stamm zu turnen. Er hatte seinen Gürtel abgeschnallt, weil er nicht bis in die dünnen Zweige klettern konnte, ohne ebenfalls abzurutschen.
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Ganz kurz blickte er über die Schulter und stellte fest, daß seine Söhne der Rettungsaktion fasziniert zusahen. Fasziniert und ein wenig verwirrt. Immerhin hatten sie ihren unbekannten Vater bisher für ein gefährliches Exemplar von Kinderräuber gehalten. Daß er jetzt unter eigener Lebensgefahr einem Mann half, der noch dazu sein Gegner war und den mancher andere kaltblütig hätte krepieren lassen, mußte die beiden Jungen logischerweise in ihrer Überzeugung schwankend werden lassen. Und nicht nur das: da war auch noch eine ganze Portion gesunder Bewunderung. Daß jemand so mir nichts, dir nichts von oben in das Wurzelgewirr eines stürzenden Baums sprang, der ihn ohne weiteres hätte mit in die Tiefe reißen können, das war eine Sache, die zwei Siebenjährigen mit dem natürlichen kindlichen Hang zur Heldenverehrung gewaltig imponierte. Ihre funkelnden blauen Augen ließen Hasard nicht los. Gebannt verfolgten sie die Bewegungen des schlanken, breitschultrigen Mannes – Bewegungen, die in ihrer Geschmeidigkeit und gebändigten Kraft an einen Panther erinnerten. Hasard hatte die untere Astgabel des Baums erreicht und sich dem ziegenbärtigen Araber fast bis auf eine Armlänge genähert. Ruhig schlang er sich ein Ende des Gürtels um sein Handgelenk, beugte sich vor und warf den Lederriemen so über ein paar dünne Zweige, daß die breite Schnalle genau vor Kalibans Gesicht baumelte. Der atmete tief durch, schloß die Augen, öffnete sie wieder und packte mit der Rechten zu. „Er soll die Zweige loslassen“, rief Hasard nach oben. „Wenn er sich mit beiden Händen an dem Gürtel festhält, kann ich ihn hochziehen.“ Mehmed Bulba übersetzte. Der Zauberer schluckte trocken. Es kostete ihn Überwindung, auch mit der Linken den sicheren Halt in der Baumkrone loszulassen, aber schließlich raffte er sich zusammen.
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Zweige brachen knackend, ein Tonnengewicht schien an Hasards Arm zu zerren, dann baumelte der Araber in seinem weißen Burnus unmittelbar unter ihm. Der Seewolf klammerte die Beine um den Baumstamm, verlagerte sein Körpergewicht und zog. Sekunden später hatte er den Zauberer mit der Linken am Burnus. Ein letzter Ruck beförderte Kaliban endgültig auf den Baumstamm, und da blieb er erst mal schweißgebadet und zitternd hocken und hatte Mühe, mit dem Schock fertig zu werden. „Frag ihn, ob er hier überwintern will!“ rief Hasard zu dem Muskelmann hinauf. Der stellte diese Frage auf Türkisch. Über das Gesicht des Zauberers geisterte der schwache Versuch eines Lächelns. Er nickte, drehte sich halb, und Hasard gelang es ziemlich leicht, ihn über den Stamm auf den sicheren Felsenvorsprung zu bugsieren. Klettern konnte er schon wieder allein. Hasard war der letzte, der durch die Klippen aufstieg. Unter ihm lösten sich knirschend die Wurzeln aus dem Boden. Knackend und prasselnd senkte sich der Baum, verlor den letzten Halt, und weit unten krachte der Stamm mit furchtbarer Wucht auf die Brandungsplatte. Kaliban erschauerte, als höre er im Geist seine eigenen Knochen knacken.
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Er starrte Hasard an. Dann die Zwillinge, dann wieder Hasard und von neuem die beiden Jungen. Seine Stimme zitterte, als er auf Türkisch auf sie einsprach. Es schien eine ganze Menge zu sein, was er ihnen zu erzählen hatte. Jedenfalls dauerte es ein paar Minuten, bis er sich an Mehmed Bulba wandte. „Der ehrwürdige Kaliban bedankt sich bei Euch“, übersetzte der Muskelmann. „Er hofft, daß Ihr ihm die Behandlung verzeihen werdet, die er Euren Freunden hat angedeihen lassen. Er glaubt, daß Ihr ein guter Mensch seid, und er hat den Jungen gesagt, daß sie freiwillig mit euch gehen sollen.“ Hasard war sicher, daß der Zauberer den beiden Kindern noch viel mehr gesagt hatte, aber er beließ es dabei. Noch von der Klippe aus ließ er Bob Grey und Pete Ballie signalisieren, daß sie mit dem Boot in die Bucht einlaufen sollten, und wenig später glitt die Pinasse mit der letzten Fahrt an einen der Stege. Die Zwillinge gingen tatsächlich freiwillig an Bord. Während die Pinasse lautlos durch die Nacht glitt, waren die beiden Jungen sehr schweigsam und sehr nachdenklich. Und der Seewolf hatte das deutliche Gefühl, daß sie in Zukunft jedenfalls nicht mehr versuchen würden, die „Isabella“ anzubohren.
ENDE