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Ben Clair HELMUT G. GROB Fast siebzig Jahre sind seit dem letzten Weltkrieg vergangen. Wenig hat sich verändert, und besonders die Menschen behielten ihre Schwächen und Fehler. In Ost und West rüstet man für den Krieg; und Ben Clair, der zum Tode verurteilte Verbrecher, sieht in der Panikstimmung seiner Mitmenschen die Chance seines Le bens. Flucht »Es ist schade um dich, Ben Clair«, sagte der Alte in der grauen Uniform und warf dem auf der Pritsche liegenden Mann eine an gerauchte Zigarette zu. Ben schnellte den Oberkörper hoch und fing sie geschickt auf. Er inhalierte in tiefen Zügen den Rauch. Dann nickte er nachdenk lich. »Was hätte aus dir alles werden können. Mein Gott, ein Mann mit deinen Fähigkeiten ...« Der Wächter verschränkte die Arme vor der Brust und betrach tete gedankenvoll die Lichtreflexe, die die hell strahlende Lampe gegen die Wand warf. »Und jetzt«, er verzog sein gutmütiges Gesicht zu einer ironi schen Grimasse, »ist dein letzter Wunsch, vor der Hinrichtung noch einmal mit dem alten O'Donnel zu plaudern. Seit achtund zwanzig Jahren bin ich im Gefängnisdienst, und manche hartge sottene Burschen habe ich zum letzten Gang begleitet. Aber daß einer ausdrücklich meine Gesellschaft wünscht, daß ist mir noch nicht passiert.« »Wie spät?« Der Alte schob den Ärmel zurück und öffnete den Mund. Es war die letzte Handlung seines Lebens. Clairs Körper flog durch die Luft, seine ausgestreckten Hände spannten sich um den Hals des Alten und erstickten das Leben unter seinen Fingern.
Er wußte genau, daß seine Chance äußerst gering war. Aber er wollte nicht kampflos aufgeben. Was dann kam, war wie ein Traum. Er konnte sich später nur noch undeutlich daran erinnern, wie er vom Trakt, in dem die Todeszellen lagen, in den unteren Korridor überwechselte, wie seine erbeutete Waffe Feuer spie, bis er die MP aus den Händen des Postens S der zweiten Abteilung löste. Das Aufschreien der Sirenen, Trappeln von vielen Füßen ... Er hatte vergessen, wie das Unmögliche möglich wurde, durch alle Sperren zu kommen, während eine Armee in dem weitverzweig ten Bau nach ihm suchte. Männer. Sträflinge wie er, die er nie zuvor gesehen hatte, be gannen zu brüllen, strömten aus den Zellen, die er ihnen öffnete, und verwandelten das Staatsgefängnis, das Sicherste in Amerika, in einen Hexenkessel. Jetzt lag er im dichten Unterholz und versuchte, sich einen ver nünftigen Plan zurechtzulegen. Er dachte an seine Freunde, die die Beute sofort aufgeteilt hat ten, als der Leitwolf zum Tode verurteilt wurde. Wie würden sie um ihr armseliges Leben bangen, wenn die Morgenblätter die Neuigkeiten hinausschreien: Ben Clair aus der Todeszelle ausgeb rochen. Er wischte sich das Wasser und den Dreck aus den schmerzen den Augen. Seit Stunden regnete es ununterbrochen. Das ist gut so, dachte er und war dankbar dafür. Es würde die Meute aufhalten und seine Spur verwischen. Er legte sich auf den Rücken. Die dünne Kleidung war vollgeso gen von Nässe, eisige Schauer jagten über seine Glieder. Er spür te es kaum. Die Mächtigen rüsteten zum großen Krieg. Sie hatten nichts da zugelernt in den fast siebzig Jahren seit dem letzten Weltkrieg. Ihm konnte es nur recht sein. In den Wirren der Kriegsgefahr, wo jeder nur an das Heute dachte, hatte ein gerissener Gangster leichtes Spiel. Von der nahen Fernstraße tasteten sich dünne, gelbe Lichtfinger in die dunstige Dämmerung. Sie sind auf der Spur, hämmerte es in Clairs Gehirn. Sein Kör per, in Gefahren trainiert, arbeitete wie eine Maschine. Sorgfältig auf Deckung achtend, kroch er durch das unwegsa me, morastige Gelände.
Einmal glaubte er Stimmen zu hören, und sein Körper ver schmolz mit dem braunen, klebrigen Erdreich. Ich will leben, dachte er. Das Höchste auf Erden ist mein Leben. Ich bin bereit, ihnen allen, diesen armen, schwächlichen Kreatu ren, den Kampf anzusagen. Dann brach er zusammen. Jede Faser in ihm schrie nach Ruhe und nach Schlaf. Aber mit eisernem Willen trieb er die erschöpf ten Muskeln an. Weiter. Immer weiter! Es war seltsam. Eigentlich mußte längst Tag sein. Doch immer noch bedeckte der dunstige Regenschleier die Landschaft ring sum, so daß er kaum einige Meter weit sehen konnte. Und dann kam der Tag, viel zu plötzlich. Die Helligkeit schmerz te seine Augen, daß er sie mit beiden Händen bedecken mußte. Der Wind hatte die Wolken auseinandergefegt. Es sind die Nerven, dachte er. In seinem Körper bohrten tausend Tadeln, durch sein Gehirn zog sich eine glühendheiße Schlange, die alle bedanken in sich aufzusaugen schien. »Leben!« schrie er. »Ich bin Ben Clair, der Mann, der dem Staat trotzen kann!« Lähmende Müdigkeit senkte sich auf ihn herab, so zwingend, daß er ihr nicht länger widerstehen konnte. Er merkte nicht mehr, wie ihn der Antischwerkraftstrahl sanft vom Boden abhob, über die Kronen der Baumriesen hinauf, bis er in dem kaum sichtbaren Leib des riesigen Raumschiffes ver schwand. »Ich bin frei« stammelten seine Lippen. »Wir glauben dir, Freund«, sagte die sanfte Stimme. Sie brachte Clair ganz in die Wirklichkeit zurück. Blinzelnd öffnete er die Augen und schloß sie sofort wieder, als wolle er das, was sie sahen, mit seinem Verstand nicht aufneh men. Dieser weite, glänzende Raum um ihn, die unzähligen Armatu ren an den Wänden, das konnte nicht wahr sein! Clair bemerkte das sanfte, gütige Gesicht, das über ihm hing. Eine Sicherheit strahlte davon aus. die auch allmählich auf ihn überging. Der andere kam seiner Frage zuvor. »Du bist im Kreuzer Co III, mein Freund. Er ist ein Raumschiff der Regierung unseres Plane
ten, den wir Amnit, den Strahlenden, nennen. Ich habe Anwei sung, auf deine Gesundheit achtzugeben und dich zu unserem Kommandanten zu bringen.« Jetzt hat's mich erwischt, dachte Clair. Jetzt schnappe ich über. »Der Schock wird vorübergehen. Du bist intelligent genug, um bald die Realität anzuerkennen.« Clair versuchte aufzustehen, und wider Erwarten gelang es ihm sofort. Er spürte nichts mehr von der Anstrengung, die hinter ihm lag. Er war ein Mann, der nicht lange nach dem Warum fragte. Er wußte, wann er zu handeln hatte. Dieser Raum gehörte keiner Ausgeburt eines seltsamen Trau mes an. Er war wirklich, genauso greifbar wie der Mann vor ihm, ein muskulöser Körper, feste Hände, die zupacken konnten. Das harte Gesicht und der energievolle Mund bildeten einen krassen Gegensatz zu der Stimme, die mild war und freundlich. Vor ihm stand ein Mann, gebaut wie er selbst, ein ganz normaler Mensch, kräftig und gesund. »Ich gehe voran.« Nur dieses lange, fließende Gewand paßte nicht zu dem Frem den. Clair beschloß, die Sache an sich herankommen zu lassen. Sie gingen durch einen langen Korridor mit kleinen, verschlos senen Luken an beiden Seiten, schlüpften durch eine runde Öff nung und standen einem zweiten Menschen gegenüber, der das getreue Spiegelbild des Mannes mit der sanften Stimme war. »Es ist gut. Pan, du kannst gehen.« Clair setzte sich, als die Hand des Fremden auf ein Polster an der Schmalseite der Kammer, wies. »Wir waren gezwungen, in deine Gedanken einzudringen. Wir wissen, daß du alles tun willst, um für die Freiheit zu kämpfen, um gegen den Wahnsinn der Regierung anzugehen, die deine Freiheit unterdrücken will. Deshalb haben wir dich ausgewählt, mit uns für die Welt, die ihr Erde nennt, zu arbeiten.« Clair rieb seine feucht gewordenen Hände an der Hose trocken und schwieg, weil er noch nicht begriff, was man von ihm wollte. »Unsere Rasse ist euch weit überlegen. Weil wir es als unsere Aufgabe ansehen, die natürliche Entwicklung im Universum zu schützen, müssen wir leider in die irdischen Streitigkeiten eingrei fen. Die Erde würde eine künstliche Sonne aus ihrem Planeten machen, wenn wir es nicht verhinderten. Eine solche Störung der Himmelskörper darf es nicht geben.«
»Was kann ich dabei tun?« fragte Clair neugierig. »Es ist ganz einfach. Ich habe hier ein Gerät.« Der Fremde hielt seinem Gast ein kleines rundes Ding entgegen, und Clair griff danach. »Mit diesem Apparat kannst du eine Millisekunde in die Zukunft gehen. Die Folge davon ist, daß du für alle Menschen unsichtbar wirst, während du voll aktionsfähig bleibst. Leider ist die Energie des Gerätes auf genau vierzig Tage irdischer Zeit rechnung beschränkt. Du hast also nur wenig Zeit. Dein Intelli genztest war sehr befriedigend. Wir geben dir völlige Handlungs freiheit und sind überzeugt, daß für dich vierzig Tage ausreichen, die Welt zur Abrüstung zu zwingen. Abrüstung ist gleichbedeu tend mit Frieden, und nur der Frieden gibt den Menschen die Chance, die Zukunft zu erleben.« Clair betrachtete das seltsame Instrument neugierig. Mit einer Kette konnte man es sich um den Hals hängen. Außer einem klei nen roten Knopf fand er nichts Besonderes. »Rot bedeutet eingeschaltet, der Gegendruck neutralisiert die Wirkung. Ganz einfach, nicht wahr?« Verblüffend einfach, dachte Clair, und er begriff, daß dieser Ap parat die Chance seines Lebens war. »Ich habe noch einige Fragen, wie in aller Welt ist es möglich, daß ihr so ausseht wie wir, daß wir miteinander sprechen können und ...« Der Fremde wischte seine Fragen mit einer Handbewegung fort. »Vierzig Tage ist eine kurze Zeit; wenn alles vorbei ist, sollst du als erster in all unsere Geheimnisse eindringen. Du wirst alles verstehen, denn du bist intelligent genug.« Clair schluckte und schwieg. Wie herbeigezaubert erschien der Mann mit der freundlichen Stimme, den der andere Pan genannt hatte. Er geleitete Clair, der den kleinen, metallenen Körper fest in der Hand hielt, in den gro ßen Raum zurück. Eine Wolke hüllte Clair ein. * Der Kommandant dieses Raumers sah durch die Schiffshülle hin durch auf den kleinen Punkt, der blaustrahlend inmitten des Plat
zes lag. Ben Clair, der bewußtlos war. würde bald wieder zu sich kommen. Der Kreuzer hing hoch über der Stadt hinter einer breiten Wol kenbank verborgen. »Pan?« fragte Amna, der Sohn des Sonnenkaisers. »Ich bin hier, Herr«, drang die vertraute Gedankenwelle in sein Gehirn. »Wie gefalle ich dir in der Gestalt eines Menschen?« »Du solltest den Energienerv schonen. Herr. Außerdem ist es unwürdig für einen Herrscher, die Gestalt der Sklaven länger zu tragen, als unbedingt für unsere Zwecke nötig ist.« Amna wand sich vor Vergnügen. »Für mich ist es ein Recht, für dich eine Gnade. Diese armseligen Kreaturen da unten können nichts anderes ertragen, als ihre primitiven Sinne verstehen. Wenn ich ihm meine wahre Gestalt gezeigt hätte, wäre er über geschnappt.« Er sah mit den menschlich erscheinenden Augen auf das Ge wimmel unter sich. Hinter der Pseudohülle kroch ein Arm aus sei ner Körperfalte. »Es ist unbegreiflich! Diese Wesen gehen an dem Träger der er habenen blauen Ausstrahlung vorbei, ohne sie wahrzunehmen. Ich bin fest überzeugt, daß der Plan gelingt.« Pan glitt neben seinen Herrn. »Ich will dich nicht kritisieren«, kamen seine Gedanken. »Seit achtzehn Zeitintervallen bin ich dein gehorsamer Diener. Noch nie fand ich einen Fehler in deinen Entschlüssen. Es ist das erstemal, daß mir eine deiner Expeditionen mißfällt. Diese Wesen da unten sind zu verschieden von uns. Ihre Waffen erschrecken mich. Sie schicken einen grausamen Tod aus. wie ich es noch nie zuvor gesehen habe. Krieg und Kampf liegen in ihrem Wesen verbor gen. Fast glaube ich, sie fürchten den Krieg: aber sie brauchen ihn auch. Eine solche Rasse läßt sich nicht einfach unterwerfen.« Amna ließ das ausgestreckte Glied ärgerlich zurückschnellen. »So darfst du nicht mit mir sprechen. Ich habe alles sorgfältig durchgeplant: kein anderer Planet ist für eine Fabrik besser ge eignet als dieser. Noch nie fanden wir solche günstigen Voraus setzungen und Hilfsmittel so eng beieinander. Nein - in zwei Zeit intervallen gehört uns diese Welt und jede Kreatur, die kräftig genug ist, für uns zu arbeiten. Seit Generationen besaß kein Son
nenkaiser eine solche Anzahl von Sklaven, wie ich sie bald haben werde.« Amna kroch auf die Zentrale zu. »Wir starten zur Flotte.« Pan ließ seinen Körper unterwürfig zusammenschrumpfen. »Du bist der Herr, und es wird alles so geschehen, wie du es befiehlst.« Der große Coup Clair betrachtete das Mädchen wohlgefällig, das auf ihn zukam. Netter Käfer, dachte er. Der Käfer sah ihn nicht an, ging aber weiter geradewegs auf ihn zu. Clairs Augen wurden groß und rund, als sie vor ihm war, ohne auszuweichen. Ehe er noch zur Seite springen konnte - ging sie einfach durch ihn hindurch. Clair griff instinktiv nach dem Frauen körper: sie wurde zurückgerissen, stolperte und wäre beinahe gestürzt. Verwirrt griff Clair nach der Tasche, die sie fallen ließ, und woll te sie ihr reichen. Da sah er den Ausdruck des Schreckens auf ihrem Gesicht und hörte, wie sie aufschrie und davonlief. Clair sah den Polizisten. Seine erste Reaktion war davonzulau fen. Aber niemand beachtete ihn. Das Mädchen deutete aufgeregt auf die Tasche, die er immer noch in der Hand hielt. Ein paar Leu te blieben stehen. Verwundert bemerkte er, daß alle auf die Tasche starrten. Da überkam ihn siedendheiß die Erinnerung. Er hatte sich wie ein Narr benommen. Das kleine Gerät, das um seinen Hals baumelte, barg die Lö sung für den Zwischenfall. Er war unsichtbar, aber Gegenstände, die er in den Händen hielt, blieben sichtbar. Clair erkannte, daß ihm keine unmittelbare Gefahr drohte. Langsam stellte er die Tasche auf den Boden zurück. Er beschloß, ein Experiment zu wagen. Seine Hände waren von gelben, schweinsledernen Handschuhen bedeckt, die er vorher nicht be sessen hatte. Auch, sie mußten ein Geschenk der Fremden sein. Hastig zerrte er daran, zog den einen ab. um dann mit der blo ßen Hand nach dem Henkel zu greifen.
Er sah es ihren Gesichtern an - die Tasche mußte für sie nicht mehr sichtbar sein. Es war also kein Traum gewesen. Die Maschine funktionierte ta dellos. Sofort machte er sich auf den Weg. Zielstrebig überquerte er die breite, belebte Straße und gewöhnte sich allmählich daran, daß es für ihn kein Hindernis mehr gab. Allmählich wurde es ruhiger um ihn herum, der Fußgängerstrom lichtete sich, die Fahrzeugschlange wurde dünner, je näher er seinem Ziele kam. Hier kannte er jeden Winkel der engen, aneinandergerückten Mietskasernen. Hier war seine Bleibe gewesen, bevor sie ihn er wischt hatten. Die Tür stand halb offen, dunkel gähnte der Hausflur, in dem es nach Armut und Schmutz roch. Vor der ersten Treppenstufe blieb er stehen. Zögernd setzte er den Fuß auf das abgetretene Holz und trat ins Haus. Bob war eben dabei, seine Frau zu schelten. Clairs Gesicht ver zog sich zu einem Lächeln, als er an der Tür mit der Nummer. 38 vorbeikam. Es waren die vertrauten Geräusche in dem Haus. Es schien so. als sei er eben erst fortgegangen, um eine Flasche Whisky aus der Bar an der Ecke zu holen. Die schmale wacklige Leiter lehnte an der Luke zum Boden. Hier oben war es still. Das Licht aus den schrägen Fenstern fiel in die Bodenkammern und zeichnete streifige Muster auf seinen Weg. Gewohnheitsmäßig griff Clair hinter die Kiste, um den Öffnungs kontakt zu betätigen. Dann fiel ihm rechtzeitig ein. daß er das nicht mehr nötig hatte. So wie das Mädchen vorhin durch ihn hin durchgegangen war, konnte er geschlossene Türen durchqueren. Wie ein Nebel drang er ein und stand in der Diele. Hier brannte wie üblich der kleine Wandleuchter. Mary vergaß ihn immer. Aus dem großen Salon drangen Stimmen. »Du brauchst keine Angst zu haben, Liebling. Dein Ben ist spä testens in zwei Tagen wieder hinter Gittern, wenn ihn nicht die Sümpfe behalten.« Das Mädchen mit dem blassen Gesicht, in dem zwei große, schwarze Augen brannten, sah ihr Gegenüber feindselig an. »Ben schafft es. Ich spüre, es. Er wird mit euch abrechnen, wenn er zurückkommt.«
Clair fühlte das Prickeln an seiner Schläfe. Der bullige Mann, der ihr gegenüber in dem breiten Sessel lümmelte, wischte verächtlich durch die Luft. »Ich habe, seine Erbschaft angetreten. Du gehörst mit zur Er bmasse. Das würde Ben verstehen. Er soll dankbar sein, wenn ich mich jetzt ein bißchen um dich kümmere.« Nat, der dritte im Raum, stieß sich von der Wand ab und kam langsam auf die beiden zu. Die häßliche Narbe, die quer über sein Gesicht lief, leuchtete rot. »Es ist nicht anständig von uns. Wir sollten den Ford aus dem Stall holen und versuchen, Ben zu finden.« Hit ließ seine Muskeln unter der dünnen Jacke spielen. Seine Augen saugten sich an dem Gesicht des Langen fest. »Hör zu. Nat. Solange Ben unser Boß war, habe ich zu ihm ge halten. Das weißt du. Aber jetzt ist es anders. Ich habe die Füh rung übernommen, und es ist gesünder für dich, wenn du das begreifst, so schnell du kannst.« Clair ging ungesehen zum Fenster, wo der schwere, gelbseidene Vorhang hing, der die ganze Längsfront einnahm. Er langte zu der kleinen Kugel des Zeitgerätes, drückte den Knopf ein und hoffte, daß das Ding richtig funktionieren würde. »Guten Tag die Herrschaften«, sagte er laut. Die Köpfe flogen herum, und er konnte sehen, wie ihr Mienen spiel vom Erschrecken auf Angst überwechselte. Er schob die Stoffbahn zur Seite und ging langsam auf die klei ne Gruppe zu. »Überraschung, nicht? Mary hat recht; ich schaffe es immer wieder.« Er bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Hit seine Hand ganz langsam auf den Jackenausschnitt zuschob. Jetzt war es vorbei mit seiner Beherrschung. Er hechtete durch den Raum, ließ seine geballte Faust hochfah ren, hinein in dieses Gesicht. Hit knurrte böse und schüttelte die Wirkung des Schlages ab. Aber bevor er an Widerstand denken konnte, hatte Clair die Hän de gefaltet und ließ sie auf den breiten Nacken vor ihm herabsau sen. »Er hat genug«, meinte Nat gleichmütig, aber man konnte ihm ansehen, wie ihm die Abreibung gefallen hatte. Clair massierte seine schmerzende Hand.
»Was ist aus den anderen geworden?« Nat ging zu der Bar und kam mit zwei gefüllten Gläsern zurück. »Ein paar sind abgesprungen. Der Rest könnte in drei Stunden zusammengetrommelt werden.« Clair trank, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und setzte das Glas auf den Tisch. »Wir starten das größte Ding, das je gedreht wurde. Dazu brau che ich jeden, der Geld verdienen will. Viel Geld ist drin. Leider kann ich auf den da nicht verzichten.« Er krallte seine Finger in das dichte Haar des Breitschultrigen, der langsam wieder hochkam. »Denk an heute, wenn du mich wieder mal beerben willst.« Ma ry lachte. »Komm, wirf die beiden hinaus. Ich habe dir eine Men ge zu erzählen.« Ben Clair schüttelte den Kopf. »In vier Wochen machen wir Fe rien, wir beiden ganz allein. Bis dahin habe ich noch ein paar Din ge zu erledigen.« Er schaute zu Hit hinüber, der ganz blaß im Gesicht war. »Ich brauche einen LKW, heute Nacht noch.« Hit brummte: »Kannst du haben.« »Gut, jetzt hört mir genau zu.« * Nat griff nach der Zigarettenpackung, aber Hit nahm sie ihm weg. »Die Zeit wird dir auch so vergehen.« Seit vier Stunden standen sie jetzt hier in der Gasse, keine zwanzig Meter von der Nationalbank entfernt. »Der Boß weiß, was er will.« Hit hob das Handgelenk vor die Augen. »Noch zwanzig Minuten.« Wieder warteten sie schweigend. Dann tauchte ein Schatten an der Seite des Wagens auf, und Clair schob seinen Kopf durch das her abgedrehte Fenster. »Endlich!« Clair riß den Schlag auf und sprang in den Wagen. Der Motor heulte auf, und der Laster schoß vorwärts. Nat hielt das Steuerrad umklammert. Er schielte zu der schweigsamen Gestalt hinüber. »Harry ist draußen bei der Hütte. Schon seit zwei.@«
Clair nickte. »Ihr werdet euch wundern.« Er mußte lachen, wenn er an ihre erstaunten Augen dachte. Als es zu dämmern begann, bog der Laster in den Waldweg ein. Sie zottelten über die kurze Strecke, bis der Fahrer den Motor abwürgte. Aus dem Gebüsch richtete sich eine Gestalt auf. »Wo ist das Zeug?« fragte der Mann, der gewartet hatte, und dann sah er Ben. »Heh. Chef. Laß dich anfassen. Ich habe schon geglaubt, daß du jetzt ein Englein bist.« Er lachte. »Kann ich anfangen?« Clair war zum Laderaum gegangen und schlug die Plane zur Sei te. »Schafft es gleich in den Keller.« Er trat zurück, denn er wollte sich ihre Überraschung nicht entgehen lassen. Und die war auch gut gelungen. Einer hatte den ersten Sack herausgezerrt und ließ ihn mit ei nem Schrei fallen, als er fühlte, was drin sein mußte. »Mann! Der ist voller Papier.« »Ich schätze, zwei Millionen Dollar«, kommentierte Clair seelen ruhig. »Da, in dem Wagen ist alles, was ich im Bunker der Bank finden konnte.« Wie im Fieber schleppten die zwei die Säcke in ihr Versteck. Sie wurden nicht müde, Fragen zu stellen. Aber Clair reagierte nicht darauf. Als die Ballen und Kisten sauber verstaut zehn Fuß unter dem Hüttenboden lagen, versammelte Clair seine Getreuen im einzi gen Raum. Es war unordentlich hier; alles sah verwahrlost aus, so daß niemand, der zufällig einen Blick riskieren mochte, ein Ver steck hier vermutet hätte. »Die Sache ist klar?« Ihre Gesichter waren einzige Fragezeichen. Geduldig wiederholte Clair: »Was auch geschieht, niemand un ternimmt etwas, was ich nicht angeordnet habe. Dieser ganze Schatz unter unseren Füßen wird so aufgeteilt, wie ich es anord ne. Kein Cent geht in eine andere Tasche, als ich es will. Vier Wo chen müßt ihr durchhalten. Dann seid ihr die reichsten, geachtes ten Männer in den Staaten.« Nat streichelte gewohnheitsmäßig seine Backe. »Etwas mysteriös, wie?«
Clairs Augen wurden schmal. »Ich werde euch sagen, wer etwas zu bekommen hat. und eure Aufgabe ist es, das Geld unauffällig an den Mann zu bringen. Es gibt für euch noch eine andere Mög lichkeit, als ein weißes Haus am Meer mit Palmen zu besitzen: nämlich ein kleines, rundes Loch über der Nasenwurzel. - Ka piert?« Diese Sprache verstanden sie, und sie kannten auch ihren Boß. »Fahr den Ford raus, Harry.« Der nickte und verschwand nach draußen in die Dunkelheit. Als sie das leise Brummen des Motors hören konnten, nickte ih nen Clair noch einmal zu und stapfte ins Freie. Monoton sangen die Reifen auf der Betonstraße. Die ersten Vororte New Yorks zeigten sich im Scheinwerferlicht. »Zum Un-Gebäude, Harry.« »Un-Gebäude. In Ordnung, Chef.« Der Wagen machte eine elegante Schleife und hielt vor der brei ten Treppe, die von den Tiefstrahlern hell beleuchtet wurde. »Wir sind da. Chef.« Harry drehte sich um, als er keine Reaktion hörte. »Wir sind ...« Seine Augen weiteten sich vor Staunen. Der Rücksitz war leer. Der Weltpräsident Das Mädchen mit dem zerzausten Blondhaar beugte sich näher zum Mikrofon. Es ließ die kleine, gedrungene Gestalt des Asiaten am Rednerpult nicht aus den Augen. In der schalldichten Kabine war kein Laut außer der leidenschaftlichen Stimme, die aus dem Kopfhörer kam. Mechanisch übersetzte sie ... »haben die Vereinigten Staaten von Amerika kein Recht zu der Behauptung, daß wir auf einen Krieg hinzielen. Gerade in dieser Stunde ...« Das Mädchen schwieg erschrocken, genauso, wie der Mann da draußen am Podium seine Rede unterbrach, als er unversehens einige Zentimeter über dem Boden schwebte und sanft zur Seite getragen wurde. Im weiten Saal wurde ein Geraune laut, Menschen sprangen von ihren Sitzen, blieben aber stumm und bewegungslos stehen, als von dem leeren Platz eine Stimme aufklang.
»Vertreter aller Nationen. Ich spreche zu Ihnen im Auftrage ei ner Macht, die stärker und gewaltiger ist als alles, was je auf Er den existiert hat.« »Ruhe!« brüllte jemand. Die Stimme fuhr fort. »Auf unserer Erde herrscht Gewalt ...« »... Pfui ...«, schrien mehrere Stimmen durcheinander. »... und Gewalt kann nur mit Gewalt beseitigt werden. Ich habe daher den Auftrag. Ihnen ein Ultimatum zu stellen.« Aus der vordersten Reihe erhob sich ein Delegierter mit ent schlossenem Gesicht die Schultern nach vorne geschoben. »Dieses Haus ist kein Ort für alberne Tricks. Ich hätte der Re gierung einen besseren Einfall zugetraut.« »So, meinen Sie?« Die Stimme war jetzt leise und höhnisch. »Ich mag es nicht, wenn mich jemand unterbricht. Gehen Sie auf Ihren Platz zurück. Alles, was ich von Ihnen will, ist Ihre un geteilte Aufmerksamkeit.« Der Mann dachte nicht daran. Er wendete sich halb zu der Ver sammlung und rief: »Ich glaube, daß Sie alle einverstanden sind, wenn ich diesen Unsinn beende.« Diejenigen, die ihn verstehen konnten, nickten verstört. »Ich zähle bis drei«, sagte die Stimme. Aus dem Stimmengewirr wurde ein Tumult. »Eins«, brüllte es von der Rednertribüne. Zusammen mit »drei« brach ein Aufblitzen aus dem Nichts, ein scharfer Knall folgte und der Abgeordnete sank getroffen zu Bo den. Die Sitzung der Un-Kommission löste sich auf in einen Haufen schreiender, um sich schlagender Menschen. Sie achteten weni ger darauf, ihre Würde zu bewahren, als die Ausgänge zu errei chen. * Eine Stunde später unterbrach der Großsender New York sein Programm. Der Ansager war sichtlich verstört. Seine Stimme zit terte. »Der Intendant wird Ihnen, meine Herrschaften, eine Aufforde rung verlesen, der er sich nach seiner Ansicht nicht entziehen kann. Hören Sie selbst.«
Die Zuschauer vor den Bildschirmen vernahmen erstaunt die wunderliche Nachricht: »Als Beauftragter der provisorischen Weltregierung ordne ich an, daß die Delegierten der Vereinten Nationen ihre Sitze in ge nau einer Stunde einzunehmen haben. Nichtbeachtung meiner Anweisung bedeutet den Tod der Säumigen.« Der Intendant räusperte sich. »Diese Nachricht lag vor fünf Mi nuten wie hingezaubert auf meinem Schreibtisch. Daneben er schien eine automatische Pistole. Ich versichere Ihnen, meine Zuhörer und Zuschauer, daß ich mir das Rätsel selbst nicht erklä ren kann und für mein Leben fürchtete. Ich bin bereit, aus diesem Schritt die Anordnung zu verlesen, die Konsequenzen zu ziehen.« * Wirklich waren alle Sitze zur vorgeschriebenen Zeit besetzt. Viele Neugierige säumten die Straßen, um vor den Übertragungswagen jede Silbe auf den Verhandlungen zu hören. »Ich hoffe«, sagte die Stimme, »daß ich Sie überzeugen konnte. Das Ziel ist eine Weltregierung, die darüber zu wachen hat. daß keine Nation der Welt die Möglichkeit mehr hat, einen Krieg zu beginnen und fortzuführen. Es wird eine Zukunft für alle Völker kommen, die die kühnsten Phantasien übertrifft. Ich werde eine provisorische Weltregierung bilden, der sich alle Regierungen un terwerfen. Totale Abrüstung, Auflösung aller Armee-Einheiten ...« Es dauerte mehrere Stunden, während die geängstigte Mensch heit aufatmete. Den Frieden wollte der unbekannte Sprecher? Das brachte ihm die Sympathie aller ein. Wer wollte schon einen neu en Krieg?! Der Kampf der Unbekannten richtete sich also nicht gegen die kleinen Leute. Nur gegen die Militärs und Politiker würden sie kämpfen, die sich dem Fortschritt in den Weg stellten. Ihnen ver hießen sie als einzige Strafe - den Tod. * Clair mußte sich eingestehen, daß ihn die letzten Stunden mehr angespannt und erschöpft hatten als ein wohlorganisierter Ein
bruch in einer Zeit, als er noch auf nicht einkalkulierte Möglichkei ten achten mußte. Aber er war sich seiner Unverwundbarkeit si cher. Dazu kam ein überströmendes Machtgefühl, das ihn voll kommen ausfüllte. Er, Staatsfeind Nummer eins, der Retter der Menschheit! Welch ein Hohn! Jetzt brauchte er einen Mann, der populär genug war, um die Anerkennung der Massen zu garantieren. Aber ein allzu fester Charakter durfte dieser Helfer nicht sein. Clair ging seelenruhig die 48. Straße entlang. Big Whiler. Ja, der würde mitmachen. Geschäftstüchtig und durch seine Prospekte »Whiler, das Geschäft des kleinen Mannes«, hinreichend bekannt, konnte er der Richtige sein. Das FBI würde sich hüten, sich gegen die neue Regierung zu stellen. Clair beschloß, Whiler sofort aufzusuchen. Der kleine, fette Mann am Schreibtisch war eben dabei, eine Sammlung Magazine durchzublättern. »Hoffentlich störe ich Sie nicht.« Das Gesicht, das alle Nuancen vom Erschrecken bis zur Furcht durchlief, war sehenswert. »Ich bin die Stimme«, sagte Clair belustigt. »Sie werden sich jetzt wohl fragen, warum ich Sie aufsuche. Ganz einfach: Ich ha be Sie für den Posten des vorläufigen Weltpräsidenten auserse hen.« Auf dem feisten Gesicht erschienen winzige Schweißperlen »Ich bin nur Geschäftsmann.« »Aber genau der Richtige für meine Pläne. Sehen Sie. ich kann Ihnen nicht viel von der Wahrhaftigkeit verraten. Wenn ich Ihnen aber solche Möglichkeiten gebe, fragen Sie nicht mehr viel nach Gründen. Sie haben Einfluß und eine wohldurchdachte Organisa tion. Im Ausland kennt Sie niemand, der unbequeme Fragen stel len könnte. Finden Sie nicht auch, daß das Amt Ihnen genug Vor teile bringen wird?« Whiler hatte sich gefaßt. Er betrachtete angelegentlich seine gepflegten Fingernägel. »Irre ich mich, wenn für Sie, wer Sie auch immer sein mögen, eine schöne Stange Geld herausspringen soll? Ich habe mir von Anfang an gedacht, daß alles Bluff ist.« Clair war beleidigt.
»Das ist kein Bluff. Ich werde der Welt wirklich den Frieden bringen, so wie es mir aufgetragen wurde. Warum soll ich aber außer der Arbeit nicht auch einen kleinen Vorteil davon haben?« »Natürlich.« Whiler sah auf. Er blickte suchend im Zimmer um her und heftete dann den Blick auf die Stelle, von der die Stimme kam. »Ich habe mich entschlossen. Ich nehme an.« »Bravo! So habe ich Sie eingeschätzt. Nun brauche ich noch ei nen tüchtigen Polizeiminister.« Whilers Gesicht verzog sich in viele Falten. Bei ihm kam es ei nem Lachen gleich. »Ich dachte. Sie wollen die Gewalt beseiti gen?« »Eine Polizeiorganisation, die die Regierung unterstützt, wird es immer geben. Wen also würden Sie vorschlagen?« Der Dicke dachte nach. »Manto vielleicht? Ja, Manto ist unser Mann. Beste Qualifikationen, aber ein Streber. Ich werde ihn an rufen.« Er zog den Apparat zu sich heran und wählte eine Nummer. »Manto ist sehr brauchbar.« »Zivilpolizei, Zentrale.« »Ach. verbinden Sie mich mit Oberst Manto.« »Sofort. Sir.« Whilers Finger klopften einen schnellen Marsch gegen die Schreibtischplatte. »Hallo. Oberst? Whiler hier. Ich habe eine Neuigkeit für Sie. Könnten Sie in vierzig Minuten bei mir sein? - Ja. es ist dringend. - Natürlich, es ist eine streng dienstliche Sache. Sie fällt in Ihr Ressort. - Also, bis gleich.« Das rote Signal erlosch. »Er kommt.« Clair schwieg die ganze Zeit über. Er freute sich, daß auch Whi ler nervös war. »Wer sind Sie eigentlich?« fragte der Geschäftsmann nach eini gem Zögern. »Sie würden es mir nicht glauben. Außerdem ist das überhaupt nicht wichtig.« Dann war es wieder still im Arbeitszimmer des Königs aller War enhäuser, der von nun an die Geschicke der Menschheit lenken sollte, wie es ein entlaufener Sträfling befahl. »Oberst Manto. Sir.«
»Lassen Sie ihn hereinkommen.«
Whiler erhob sich ächzend, um seinem Gast entgegenzugehen. Er war die Freundlichkeit in Person. »Willkommen, Oberst. Setzen Sie sich in den Sessel dort und geben Sie gut auf Ihre Nerven acht. Ich habe einen weiteren, sehr berühmten Gast - die ›Stimme‹, jener Mann, den man nicht sieht. Von ihm haben Sie doch schon gehört?« Manto wurde ärgerlich. Er strich seine mit Ordensbändern ge schmückte Jacke glatt und machte Anstalten aufzustehen. »Es ist schon so, Sie haben richtig gehört. Bitte«. Whiler wen dete sich in die Tiefe des Raumes, »reden Sie selbst mit ihm.« Clair tat ihm den Gefallen. Der Polizeioberst hörte aufmerksam zu, nachdem sich sein erstes Erschrecken gelegt hatte. »Warum sind Sie ausgerechnet auf mich verfallen?« »Gefällt es Ihnen nicht? Ich biete Ihnen eine ausgezeichnete Position.« »Schon«, der Offizier wurde verlegen. »Aber was versprechen Sie sich von mir?« »Einen tüchtigen Mann an der Spitze der Polizei.« Manto war geschmeichelt. »Sie bekommen von mir so viel Geld, wie Sie brauchen.« Manto wehrte ab. Auch Whiler schüttelte den Kopf. »Das werde ich besorgen.« Clair widersprach. »Wenn Sie in Ihre Wohnung kommen, Manto, hat jemand ein Paket für Sie abgegeben. Es enthält genau zwei Millionen Dollar. Das dürfte doch für den Anfang genügen, oder?« Die beiden Männer waren sichtlich beeindruckt. Clair hörte ihre Proteste nicht mehr. Er hatte das Zimmer verlassen, um die nöti gen Anweisungen zu geben. Der Rächer Der schlanke Japaner studierte aufmerksam die Häuserfronten, die vor ihm aufragten. Etwas abseits lümmelte ein abgerissener Kerl in einer Toreinfahrt und übte das Kunststück, eine hochge worfene Zigarette mit dem Mund aufzufangen. »Suchst du wen, Opa?« Der Angesprochene drehte sich um. »Ja«, meinte er zögernd. »Wo ist Teddys Bar?« Ein Daumen zeigte zur Seite. »Du stehst davor.« »Danke.«
Cho Lyn sah sich noch einmal um und verschwand dann in dem dämmrigen Korridor. Der Schmierige stieß sich von der Wand ab, verstaute sein Übungsstück hinter dem Ohr und folgte. Lyn hörte die leisen Schritte hinter sich. Er kletterte die knar renden Stufen nach unten, stieß die Tür zum Hinterhof auf und überquerte eilig das Pflaster. Er schien gefunden zu haben, was er suchte. Zwei Häuserblocks weiter betrat er die Mietskaserne. Er hörte, wie sein Verfolger einen Hustenreiz unterdrückte, und sprang schnell hinter den Mauervorsprung. »Komm heraus, Opa.« Der Kerl lehnte jetzt an dem Geländer, das nach oben führte. Gedankenvoll strichen seine schmutzigen Finger über das dunkle Holz. »Fremde sehen wir hier nicht gerne.« Jetzt hielt er ein Messer in der Hand, und mit einem schmatzenden Geräusch rutschte die Klinge aus dem Griff. Lyn zuckte mißbilligend die Schultern. »Ich habe dich nur nach dem Weg gefragt. Mehr war wirklich nicht nötig.« Das Messer wippte in der Hand. »Wen suchst du?« »Geh mir aus dem Weg!« Der Ganove war seiner Sache zu sicher. Sonst hätte ihn das ge fährliche Funkeln in den Augen des Japaners gewarnt. Unvorbe reitet traf ihn die, Faust. Die Parade kam zu spät. Sie konnte nicht mehr verhindern, daß eine Hand seine Muskeln schmerzhaft zusammenpreßte. bis er das Messer fallen ließ. Der Boden kam auf ihn zu, und krachend schlug seine Schläfe gegen die Treppenkante. Lyn lachte. »Judo. Habe noch ein paar Tricks von zu Hause auf Lager. Jetzt will ich dir auch deine Frage beantworten. Ich suche ein Mädchen, das Mary heißt, und du wirst mich zu ihr führen.« Der kleine Ganove rieb sich die schmerzende Schulter. »Hier gibt es viele Marys.« »Sicher, aber nur eine, die zu Ben Clair gehört.« Der Mann erstarrte. »Ich werde nie ...« Er sah die Hand auf sich zukommen und konnte nicht mehr ausweichen. Der Schmerz ließ ihn aufstöhnen. Ein Arm legte sich um seinen Hals. »Es ist nicht schön, so zu sterben. Führe mich zu Mary.«
Er spürte, wie die Spitze seines eigenen Messers durch seine Ja cke drang und in sein Fleisch schnitt. Clair mochte gefährlich sein, aber dieser Gelbe war tödlich. Die zwei stolperten die Treppe hinauf, und es war gut, daß ih nen niemand begegnete. Das Haus lag wie ausgestorben. An der Bodentreppe wollte der Mann nicht mehr weitergehen, aber Lyn verstärkte den Druck der Klinge. Das half. »Jeder von euch hier kennt sein Versteck. Ich möchte auch zu den Auserwählten zählen, die es sehen dürfen.« »Sie gehen in den sicheren Tod.« »Das ist meine Sache.« Das Mikrofon fragte: »Wer ist drau ßen?« Lyn antwortete und preßte den Hals seines Vordermannes fes ter. »Ich habe Nachricht von Ben. Machen Sie auf, Miß.« Sie hörten, wie ein Elektromotor zu summen begann, und die verkleidete Stahltür schwang nach innen. Das Mädchen hielt eine großkalibrige Waffe in der Hand. Bevor sie die Gefahr richtig erkannte, flog ein Körper auf sie zu und begrub sie unter seiner Last. Lyn half den beiden auf die Füße. Die Automatik behielt er in der Hand. Seine tastenden Finger fanden den Kontaktknopf, und langsam fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. »Was wollen Sie von mir?« fragte Mary und verzog schmerzhaft das Gesicht. Langsam richtete sie sich auf. »Warum haben Sie mich überfallen?« »Gehen wir ins Zimmer.« Vorsichtig hielt sich Lyn hinter dem Mädchen, der Ganove deck te seine linke Seite. »Ben Clair«. schrie Lyn. »Komm heraus. Es hat keinen Zweck, daß du dich versteckst.« Mary lachte. »Wenn Sie ihn hier angetroffen hätten, wären Sie längst eine Leiche. Ben ist fortgegangen. Ich weiß nicht, wo er ist.« Der Japaner schloß mit seinem Rücken die Tür und lehnte sich gegen das Holz. Er ließ die beiden nicht aus den Augen. »Ich habe Zeit. Miß. Vielleicht erinnern Sie sich an den Bank überfall vor sieben Monaten. Damals hat Ihr Freund meinen Bru der erschossen. Da die Todeszelle Clair nicht halten konnte, muß ich die Sache selbst mit ihm abmachen.«
»Ben ist ein Opfer seiner Zeit. Er hat viel mit ansehen müssen, als er noch klein war.« Lyn zuckte die Schultern. »Ich werde ihn töten«, sagte er. Die Zeit verstrich. Draußen wurde es dunkel, und Mary zog die Vorhänge vor. »Kann ich eine Zigarette rauchen?« Lyn antwortete nicht. »Ich werde Sie mitnehmen«, entschied er. »Ich habe oben in den Bergen eine Hütte. Dort gehen wir hin.« Er schielte zu dem Ganoven hinüber. »Du bleibst hier. Wenn du vor Ablauf von zehn Minuten deine Nase hier herausstreckst, ver passe ich dir eine, verlaß dich darauf.« Lyn stand auf. »Kommen Sie. Miß«, sagte er einladend zu Mary und winkte mit dem Pistolenlauf. »Das wird Ihnen noch leid tun.« Lyn hatte den Türöffner bereits betätigt und wartete. Mary schlüpfte in die Jacke und ging an ihm vorbei. Er trieb sie die Treppe hinab, sicherte am Ausgang, und an der Ecke begann ein Motor zu brummen. Ein schwerer, schwarzer Wagen hielt am Bordstein. Mary fühlte sich von harten Fäusten hineingezogen. Als der kleine Ganove, den sie in der Wohnung zurückgelassen hatte, aus dem Hausflur stürmte, konnte er eben noch das Schlußlicht sehen. * Clair parkte den Ford unter einem weitausladenden Baum, in der Nähe der äußersten Absperrung der Cliffton-Werke. Er tastete nach dem kleinen, runden Apparat an seinem Hals und drückte den roten Knopf ein. Dann holte er aus dem Gepäckraum eine Kabelrolle und eine schwere Kiste, schlüpfte mit dem Arm durch die Rolle, lud sich die Kiste auf und machte sich auf den Weg. Er mußte seinen Anweisungen den nötigen Nachdruck verleihen, sinnierte er. Während er unsichtbar den Kontrollbunker passierte, dachte er daran, wie er sich in das Arbeitszimmer des Präsidenten begeben hatte.
Amerika hatte zwar vernommen, daß die allgemeine Abrüstung unmittelbar bevorstehe, doch mißtraute der Osten dem Westen wie vorher und umgekehrt. Niemand würde freiwillig seine Machtposition aufgeben. Das Ul timatum, daß Clair gestellt hatte, sah die systematische Zerstö rung von Rüstungszentren vor. Nun, er würde ihnen bei der Abrüstung helfen. Auf dem Werksgelände summte es wie in einem aufgescheuch ten Bienenstock. Clair sah, daß rasselnd eine lange Kette schwe rer Panzer die Straße herandonnerte und das Werk umstellte. Überall wimmelte es von Uniformierten, die MP griffbereit in den Fäusten. Wenn man es genau besah, erinnerte das alles an einen Aus nahmezustand. Clair rief sich die Lageskizze aus dem Ministerium ins Gedäch tnis zurück. Er mußte sich etwas mehr nach links halten. Ohne daß jemand die drohende Gefahr bemerkte, ging er auf das Depot zu, in dem die Raketen lagerten. »Danger« warnte ein großes, gelbes Schild. Gefahr für euch, dachte Clair. Zögernd preßte er seine von den Handschuhen bedeckten Fin ger gegen die Wand aus Stahl und Beton. Er fühlte durch das Leder die rauhe Oberfläche. Sie war ebenso real, wie die Welt um ihn. Dann streifte er die isolierende Hülle ab. Während seine jetzt ungeschützten Hände in das Nichts griffen, während er fassungslos - nur durch das wunderbare Gerät der Amniten befähigt - einen der sichersten Bunker der Welt durch schritt, fiel etwas von ihm ab. Ben Clair, der Verbrecher, faßte den ehrlichen Entschluß, den Menschen einen Frieden zu sichern, wie ihn die Erde noch nie ge sehen hatte. Er, der Ausgestoßene aus der menschlichen Gesell schaft, er alleine konnte die Welt zum friedlichen Fortschritt ver einen. Und jetzt, da er dieses Bauwerk bezwang, das uneinnehmbar für die Ewigkeit geschaffen schien, fühlte er sich auch stark ge nug, den ewigen Frieden zu begründen. In der Halle umfingen ihn Stille und Dämmerung. Eng aneinan dergerückt stapelten sich in langen Reihen die atomaren Spreng
köpfe neben hochexplosiven Lufttorpedos, eine unübersehbare Masse der Vernichtung. Clair fühlte, wie seine Knie zu zittern begannen. Wie auch im mer das Gerät funktionieren mochte: es verwischte die Begriffe von jetzt und später, die doch nur für die Wahrnehmung des ein zelnen existierten. Clair bewegte sich in einer Zeit, die zwischen den Dimensionen lag. Und der Apparat schenkte ihm auch die Fähigkeit, durch Tresore und Mauern zu gehen. Hindernisse gab es nicht mehr für ihn, den eine fremde außerirdische Rasse be schenkt hatte. Allmählich kehrte die Vernunft zurück und damit die Erinnerung, warum er hier stand. Er streifte den breiten Gurt von den Schultern und ließ den dar anhängenden Beutel zu Boden gleiten. Eilig holte er den Inhalt heraus. Die Kiste mit Sprengstoff verschwand in einem Zwischenraum, das Kabel schlängelte sich die Reihe der tödlichen Metallzylinder entlang, an seinem Ende hing die kleine Zeitskala. Clair ließ den Daumen auf dem Auslöser und warf noch einen letzten prüfenden Blick über die schlafenden Ungeheuer im Halb dunkel. Dann drückte er den Stift bis zum Anschlag ein. Das kleine Uhrwerk begann zu ticken, gleichmäßig, monoton. Clair stürmte nach draußen. Er sah auf seine Uhr am Handge lenk. Er vertraute darauf, daß das Gerät der Fremden ihn nicht nur unsichtbar machte, sondern ihn auch vor Strahlungen schütz te. Noch fünf Sekunden. Vier ... Clair ließ sich zu Boden fallen und vergrub das Gesicht in dem weißen Erdreich. Er spürte, wie der Boden unter ihm zu beben begann, als mit einer alles vernichtenden Detonation das Depot in die Luft flog. Es war die Hölle. Die Druckwelle brandete über ihn hinweg, packte die aufragen den Betontürme, die Labors, Fabrikgebäude und alles, was auf ihrem Weg lag. Sie fegte die Anlagen zusammen wie Kartenhäu ser. Endlich ließ der Aufruhr nach.
Clair erhob sich mühsam und war selbst erschrocken über das Ausmaß an Verwüstung, das er angerichtet hatte. Er dachte eine Sekunde daran, wie viele Männer hier gewesen sein mußten. Sei ne Hände begannen zu zittern. Aber es hat einen guten Zweck und wird tausendmal mehr Le ben retten, beruhigte er sein Gewissen. Nicht daran denken! Der Ford war nur noch ein Trümmerhaufen. Etwas abseits stand noch ein Panzer, etwas zur Seite gedrückt zwar, aber sonst völlig in Ordnung. Die Raupenketten drehten sich, und Clair strebte dem nahen Dorf zu. In der Ferne sah er durch den Sehschlitz, wie ein endloser Wurm von Fahrzeugen dem Rauchpilz zukroch, der nun in seinem Rücken lag. Er hörte schwach das Jammern der Sirenen. Unbeirrbar drückten sich die Ketten in die Straße. Kurz vor der kleinen Siedlung wechselte Clair auf einen Jaguar um, der am Wegrand stand. Das Band der Fernstraße flog unter den Reifen dahin, beruhi gend summten die Pneus. Clair drückte den Schalter am Autoradio. Er suchte nach den Sendern, aber überall herrschte Stille. Endlich fand er eine sehr nervöse Stimme, die den Zuhörern von dem furchtbaren Unglück berichtete. Clair verminderte die Geschwindigkeit etwas, um aufmerksamer zuhören zu können. »... sollte die Welt aufhorchen lassen. Es ist keine leere Dro hung, wenn der Unsichtbare von der absoluten Vernichtung aller Rüstungsbetriebe spricht. Rasches Handeln hätte die Männer ret ten können, die bei der Explosion umkamen. Der Präsident hat eine Sitzung der verfassungsgebenden Versammlung einberufen, der alle Minister beiwohnen sollen.« Clair schaltete ab. Er mußte so schnell wie möglich nach Was hington. * Der große Sitzungssaal war voll besetzt. Niemand wollte in dieser entscheidenden Stunde fehlen.
In seinem Arbeitszimmer saß Präsident Nikol und bereitete sich auf seine Rede vor. Sein Gesicht war vor dem Ernst der Stunde gezeichnet. »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte Clair leise. Der grauhaarige Mann fuhr hoch »Eine Aussprache vorher wird auch für Sie sehr nützlich sein.« Der Präsident stotterte. »Wenn ich nur die Garantie hätte, daß Ihre Handlungen wirklich einer friedlichen Zukunft dienen. Ich bin der erste, der dann für Sie eintreten würde.« Der Mann spielte mit dem Blatt Papier, auf dem seine Rede stand. Clair schnaufte. »Ich fürchte, Sie haben keine andere Wahl. Wenn Sie es wünschen, kann ich noch einen Flugzeugträger hochgehen lassen, oder vielleicht die Raketenversuchsanstalt in der Wüste.« Seine Stimme troff vor Zynismus. Erschrocken wehrte der Präsident ab. »Ich trag die Verantwor tung für zweihundert Millionen Menschen, die Bewohner der be freundeten Staaten nicht mitgerechnet.« Clair streifte den Handschuh über und griff nach seiner Waffe. Direkt vor dem bleichen Gesicht des Staatsoberhauptes schweb te die Mündung. »Ich könnte Ihnen die Verantwortung abnehmen.« »Wie meinen Sie das?« fragte der Präsident, wußte aber die Antwort im voraus. »Ich habe mich schon nach einem Nachfolger umgesehen. Es ist ein Mann mit einer ausgezeichneten Organisationsgabe der für politische Parteien nichts übrig hat. Außerdem ist er militärisch eine Niete. Genau der richtige Mann, finden Sie nicht?« »Der Präsident der Vereinigten Staaten wird vom Volk gewählt, nicht von einer Macht bestimmt.« »Richtig! Es gab aber auch noch nie eine Macht mit solchen Mit teln, wie ich sie beherrsche. Sie sind gewiß ein mutiger Mann. Sir. Wenn Sie die Sitzung verlassen, ohne daß Sie meine Anordnun gen der absoluten Abrüstung unterstützt haben und Mr. Big Whi ler nicht als Ihren Nachfolger nominiert haben, war das heute der letzte Tag, den Sie erlebten.« »Aber das ist doch unmöglich. Wie kommen Sie ausgerechnet auf einen Mann wie Whiler. Einen solchen Geschäftemacher, der...« Er erhielt keine Antwort mehr.
Der Präsident betrat den Sitzungssaal. Er wußte, daß hier und heute das Schicksal der freien Welt entschieden wurde. Und er verließ ihn wieder, um Jahrzehnte gealtert. Sein Nachfolger hieß Big Whiler. Die Fernschreiber, die Sender jagten die Botschaft hinaus in den Äther, zu allen Stützpunkten: »Streitkräfte der Nation aufgelöst; totale Abrüstung.« * Was niemand für möglich gehalten hatte, trat ein. Die Welt rüste te ab, weil eine Drohung über ihr stand, die stärker zu sein schien als alle bekannten Druckmittel. Es gab zahlreiche maßgebliche Politiker, die zur Vorsicht rieten, die dem Unsichtbaren mißtrauten. Sie starben vor der Mündung von Clairs Pistole. An ihre Stelle traten Männer, die sich einen Vorteil von der Si tuation erhofften. Und sie wurden nicht enttäuscht. Ein unermeß licher Geldsegen füllte die Taschen derer, die rechtzeitig erkann ten wo ihre Zukunft lag. Und die drei Milliarden Menschen der Erde? Dreißig Tage lang bangten sie daß endlich die Angst vor einem großen Krieg bezwungen würde. Sie waren der Stimme dankbar. Es gab wenige, die nicht für Frieden und Fortschritt eintraten. Hätten die Unbekannten, die Unsichtbaren eine Volksbefragung abgehalten - sie wären mit der größten Stimmenmehrheit in der irdischen Geschichte gewählt worden. Clair war überall zugleich. Er hetzte von einem Überschall-Jäger in ein Auto, wechselte zwischen den Kontinenten, um seinen Anordnungen mehr Nachdruck zu verleihen. Hochbezahlte Vertraute fuhren ihren unsichtbaren Gast. Seine Organisation wuchs auf der ganzen Welt, wenn auch niemand wußte, wer der Anführer war. Eine Krise gab es, als Merker die Herrschaft über Europa an sich reißen wollte und seine geheimen Waffenlager öffnete. Seine Untergrundbewegung hatte niemals eine ernsthafte Chan ce gehabt, an die Macht zu gelangen. Jetzt hielt er seine Zeit für gekommen. Da außer einer beschränkten Polizeieinheit kein nen nenswerter Widerstand zu erwarten war.
Clair erledigte die Angelegenheit auf seine Weise. Merker wollte sich nicht ergeben, also starb er. Die Außerirdischen konnten zufrieden sein, und Clair war es auch. Niemand sprach mehr von Ben Clair, dem Verbrecher. Es gab Wichtigeres zu überlegen. Außerdem hatte das mit neuen Leuten besetzte FBI einen Wink erhalten, daß Clair erschossen worden war. Fall abgeschlossen. Suche einstellen, ganz einfach. Clair hatte seine Millionen an die richtigen Leute verteilt. Jetzt brauchte er nicht mehr selbst eine Bank auszurauben. Whiler wußte sehr wohl, wem er sein Glück verdankte. Whiler ahnte je doch nicht, daß Clairs schützender Mantel in zehn Tagen verflo gen und die kleine Kapsel unwirksam sein würde, als habe sie nie funktioniert. Whiler konnte auch nur vermuten, daß nicht er der Mann war, dessen Befehle befolgt wurden, sondern der Unsich tbare, der jeden, auch ihn, nur als Werkzeug benutzte. Zweiunddreißig Tage waren vergangen seit seiner Flucht aus dem Staatsgefängnis. Diese Zeit zehrte an seinen Nerven, denn trotz aller Macht war er doch nur ein zerbrechlicher Mensch ge blieben. Er hatte alles getan, was nötig war, Jetzt wurde es Zeit, sich um Mary zu kümmern. Er nahm sich vor, vier Wochen lang Ferien zu machen. Sein Apparat würde auch laufen, wenn er sich für kurze Zeit zurückzog. Seine Wohnung war leer und verlassen. Auf dem niedrigen Tisch lag ein Zigarettenstummel, dessen Mundstück Marys Lippenstiftspuren trug, flüchtig auf der Tischplatte ausgedrückt. Das tat Mary sonst nie. Unter dem ledernen Sessel lag ein Messer. Clair bückte sich und betrachtete es aufmerksam. Wo hatte er den fast schwarzen Griff, in den ein kleiner silberner Nagel getrieben war, schon ein mal gesehen? Bob! Das Messer gehörte Bob und er war sehr stolz darauf. Eilig drückte Clair den roten Knopf in die Ruhestellung zurück und eilte die Treppe hinunter. Bob war sinnlos betrunken. Seine Augen glänzten glasig, aber sein Gesicht wurde weiß wie die Wand, als er Ben erkannte. »Ben!« lallte er. »Ich habe so auf dich gewartet. Ich wollte nicht davonlaufen, denn ich kann doch nichts dafür. Das mußt du mir glauben.« Clairs Mund zog sich zu einem schmalen Strich zusammen. Er streckte einen Finger aus und faßte den anderen am Hemd.
»Nimm deine Gedanken zusammen und sag mir, wo Mary ist. Was ist geschehen?« »Nicht schlagen«, wimmerte Bob. »ich habe es ganz schlau an gefangen.« Und dann begann er zu erzählen. Von einem Japaner, der Lyn heißen mußte, und von dem kleinen Haus, das er in den Bergen hatte, berichtete er. Bob kicherte. »Er war so leichtsinnig mir zu sagen, wo er sie hinbringen wird ...« Clair stieß Bob auf den Stuhl zurück und stürmte aus der Woh nung. Er hätte nicht einen Finger zu krümmen brauchen, wenn er Manto, den neuen Polizeiminister, angerufen hätte. Manto wäre dankbar gewesen, Clair eine kleine Gefälligkeit erweisen zu kön nen. Aber das ging nicht. Dieser kleine, dreckige Japaner! Clair konnte sich noch gut dar an erinnern, wie der andere Lyn die Pistole aus dem Seitenfach riß. Clair war schneller gewesen. Glücksache und Fingerfertigkeit. Wozu mischte sich jetzt der Bruder ein? Der Wagen schoß vorwärts; die gequälten Reifen schrien auf, als er um die Ecke bog. Jetzt war Clair froh, daß er sich die Sirene hatte einbauen lassen. Bisher war der auf- und abschwellende Laut stets hinter ihm gewesen, wenn er flüchtete. Jetzt konnte er selber sehen, wie die Fahrzeuge auf die Seite fuhren, wie der Polyp an der Kreuzung den Arm hob, damit er keine Zeit verlieren würde. Aber Clair konnte sich heute nicht darüber freuen. Jeder Mensch in New York wußte, wo das Teehaus stand. Es war vor zwei Jahren durch alle Magazine gegangen, auch, daß es allen erdenklichen Luxus beherbergte. Seine Hütte! Ich werde es ihm heimzahlen, dachte Clair. Eben verschwand die Silhouette der großen Stadt weit hinter ihm im Dunst. Er fuhr die ganze Nacht durch, spürte nicht mehr die Müdigkeit, die ihn noch vor Stunden gequält hatte. Wahrscheinlich hielt sich Lyn einige Männer, die seine Beute bewachen sollten. Nun würde Clair den Zeitverschieber zum letz ten Mal brauchen. Ein scheinbar leerer Wagen jagte die breite Anfahrt hinauf. Oben, schon deutlich erkennbar, lag das Haus.
Clair schaltete zurück. Er erwartete jeden Augenblick, irgendwo eine Waffe aufbellen zu hören. Dieser Japaner hatte dreißig Tage auf ihn gewartet. Wurde er jetzt nachlässig? Der Wagen fuhr in eine Schneise und stoppte. Clair ging das letzte Stück des Weges zu Fuß. Die breite Terrasse lag leer und ausgestorben da. Clair betrat das Innere, durchquerte die Vorhalle und lauschte. Von irgendwo kamen erregte Stimmen. Schnell eilte der Unsichtbare den Korridor entlang und schlüpfte durch die Türfüllung. Mary stand Lyn gegenüber und stampfte zornig mit dem Fuß auf. »Wie lange wollen Sie mich hier noch festhalten?« »So lange es mir Spaß macht. Miß.« Das Mädchen warf sich auf die Couch und bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. »Was kann ich denn dafür, daß Sie Ben hassen? Warum quälen Sie mich?« »Es tut mir wirklich leid«, sagte der Japaner und holte sich aus der Elfenbeinschale eine Zigarette. »Ich kann bei dieser Sache auf Ihr Gefühl keine Rücksichten nehmen. Es ist das Risiko eines Mädchens, das sich einen Verbre cher anlacht.« Clair hatte die Nase voll. Er sprang vor und boxte den Japaner in den Magen. In dessen Augen stand nur Staunen, als er vornü berkippte. Mühsam kam er wieder hoch und schaute sich ver wundert im Zimmer um, als das würgende Drücken im Leib nach ließ. Clair holte die Waffe aus der Halfter und richtete sie auf den Mann. Der Japaner sollte sehen können, wem er seinen Tod ver dankte. Deshalb griff sich Clair an den Hals und wurde plötzlich sichtbar für die Augen der anderen. »Clair!« schrie der Japaner. Aber die drohende Mündung nagelte ihn fest. »Ben, lieber Ben.« Mary warf sich an seinen Hals, aber Clair schob sie aus der Schußlinie. Er sah rote Nebel vor Zorn. »Das war nicht sehr schlau von dir, du Ratte«, zischte er. Sein Finger näherte sich dem Abzug. Da peitschte ein Schuß auf, der nicht aus Bens Waffe kam.
Mit einem Aufschrei ließ der Gangster die Automatic fallen und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht das Handgelenk, wäh rend sich einer der großen Spiegel zur Seite schob und ein Ge wehr sichtbar wurde. Dann erschien auch der Mann, der eben geschossen hatte. »Alles in Ordnung. Sir.« Der Japaner winkte seinem Diener, zu verschwinden. »Jetzt ha ben wir gleiche Chancen. Los, verteidige dich!« Wie ein Tiger stürzte sich Lyn auf sein Opfer, bekam das Hand gelenk zu fassen und legte seine ganze Kraft in den Schwung, der Clair aus dem Gleichgewicht brachte. Nur eine Sekunde des Zö gerns genügte, und Ben Clair flog krachend auf den Boden. Blitzschnell bückte sich Lyn und kam dem Mädchen zuvor, das nach der Waffe griff. Lyn lachte. Es grenzte schon beinahe an Hysterie. wie er das tand und die Mündung auf den am Boden Liegenden richtete. »Ein Mann, der seiner Wut seinen Verstand opfert, ist leicht zu überlisten. Genauso habe ich es mir vorgestellt, genauso ist es gekommen. Der große Gangster Ben Clair ist in die Falle gelau fen. Er hat sich benommen wie ein unreifer Junge. So wollte ich dich haben, vor mir am Boden, wehrlos und um Gnade winselnd.« »Ich will keine Gnade«, rief Clair verächtlich. »Nicht von so ei ner Ratte!« »Ich werde deinen Stolz brechen. Ich werde zusehen, wenn du bereust. Du hast getötet, dafür sollst du von meiner Hand ster ben.« Mary lehnte an dem wuchtigen Sessel. Ihr Gesicht war blaß. »Es ist doch genug, daß Sie Ihr Ziel erreicht haben. Sie wollen hier den Richter spielen. Auf was warten Sie dann noch?« Lyn sah nicht zu ihr hinüber. Er bemerkte ihre Anwesenheit gar nicht. Zu sehr war er angefüllt von dem Gefühl, das Rache hieß und Vergeltung. »Nur noch eine Kleinigkeit habe ich vorher zu erledigen. Als du hereinkamst, konnte ich dich nicht sehen. Warum nicht? Ich fan ge langsam an zu begreifen, wer hinter der geheimnisvollen Stimme steckt, die eine so beglückende Friedensbotschaft für die Welt gebracht hat. Da sie aus deinem Munde kam, kann ich mir nicht vorstellen, daß die Absichten selbstlos waren und gut.«
Clair saß nun und versuchte mühsam, sich zu erheben. Seine Hände hielt er zur Seite gestreckt, aus dem offenen Hemdkragen baumelte die Kapsel. Seine Finger fuhren die Hose entlang, aber er war nicht schnell genug. Die Fußspitze Lyns war schneller und traf ihn schmerzhaft am Handgelenk. »Versuche keine Tricks, mein Junge. Das also ist es, ein Gerät, das Unsichtbarkeit verleiht.« Er trat einen Schritt zurück. »Laß deine Hände unten. So, und jetzt langsam und vorsichtig gegen die Wand.« Clair hatte keine andere Wahl. Sein Gegner war auf der Hut. Schnell wie eine Tigerpranke schoß Lyns Hand vor und griff nach dem Zeitverschieber. Die kleine Kette riß, und Clair warf sich laut aufheulend vor Wut herum. Er hatte verspielt. Die Pistolenmündung brachte ihn rasch zur Besinnung. Das Mädchen war näher getreten. Erstaunen und Bewunderung standen auf ihrem Gesicht geschrieben. »Ich wußte es, was auch immer die anderen behaupten, du bist ein großer Mann. Niemand kann dir den Erfolg wegnehmen. Auch der da nicht.« Ihre Augen leuchteten voller Triumph, als sie zum Radio trat und die Taste herabdrückte. »Hier, hören Sie es selbst. Die ganze Welt spricht von dem Mann, den Sie töten wollen. Sein Erfolg, der zählt. Auch wenn niemand außer uns dreien weiß, wer der Erde die Rettung brach te.« Aus dem Lautsprecher kam einschmeichelnde Musik, füllte den Raum aus mit ihren Tönen, Clairs Sterbegesang. Lyn hatte es gar nicht bemerkt. Fasziniert starrte er auf das un scheinbare Gebilde, das in seiner Hand lag. Clair bewegte sich. @Schon hob sich der Pistolen auf. »Es scheint so, als ob dieses Ding hier mich zwingt, dich noch am Leben zu lassen. Wer hat es dir gegeben?« Clair zog die Mundwinkel verächtlich nach unten. »Lassen Sie mich laufen, wenn ich es Ihnen sage?« Der Japaner sah den anderen lauernd an. »Ein Handel um Ihr Leben?«
Man merkte es ihm an. daß die tödliche Drohung, die über den drei Menschen gelegen hatte, sich löste. Es gab jetzt ein Problem, das viel wichtiger war als seine Rache. »Wer garantiert mir, daß Sie die Wahrheit sagen?« Auch viel höflicher waren sie geworden. Dieser kleine, runde Metallkörper war wie ein Magnet, er war etwas, von dessen Besitz die Menschen aller Zeiten geträumt hatten. »Ich gebe Ihnen mein Wort.« Lyn sah auf. »Sie haben bei Ihrem schmutzigen Geschäft doch längst verlernt, was Ehre ist.« Clair zuckte die Schultern. »Sie halten alle Trümpfe in der Hand. Auch ich muß mich darauf verlassen, daß Sie mich laufen lassen, wenn ich Ihnen alles sage. Ich schlage vor, Sie geben mir vie rundzwanzig Stunden Vorsprang; mehr nicht. Vierundzwanzig Stunden, und ich nenne Ihnen das Geheimnis der Kapsel.« Der Japaner schaute auf die Pistole und den Mann, den er so sehr haßte. »Gut«, entschied er, »so soll es sein. Ich verspreche Ihnen, daß ich Sie wieder finden werde, und sollten Sie sich in eine Höhle verkriechen oder in Luft auflösen. Ich finde Sie. Es ist nur ein Aufschub. Damit sind Sie gut genug bezahlt.« Clair nickte. »Kann ich eine Zigarette haben?« Lyn gab dem Elfenbeinkasten einen Stoß, daß er über die polier te Tischfläche rutschte. »Feuer steht dort drüben.« Er war noch immer wachsam als Clair zu dem Mädchen hinü bertrat und beide sich Zigaretten anzündeten. »Meine Geschichte klingt sehr unwahrscheinlich«, begann Clair. »Sie mögen es glauben oder bleiben lassen.« Dann erzählte er alles, was er seit seiner Flucht erlebt hatte. »Ich fürchte«, schloß er »daß Ihr Geschäft nicht ganz so gut war, wie Sie glauben; Die Sache hat nämlich einen Haken. Nach der Erklärung der Außerirdischen - und ich glaube ihnen aufs Wort - ist die Energiemenge in dem Gerät auf genau vierzig irdi sche Tage beschränkt. Es sind nur noch sieben Tage übriggeblie ben. Beeilen Sie sich, wenn Sie die restliche Energiemenge nutz bringend verwenden wollen. Ich habe das bereits getan.« Er nahm das Mädchen bei der Hand. »Gehen wir.« Er wartete fast darauf, daß Lyn seinen Handel bereuen würde. »Vierundzwanzig Stunden«, sagte der Japaner, und als das Paar schon fast die Tür nach draußen erreicht hatte, fragte er noch: »Warum glauben Sie, daß die Erfinder das Ding nicht selbst be
nutzten und sich die Mühe machten, einen Menschen dafür zu finden? Bei ihren Fähigkeiten hätten sie das doch tun können.« »Das ist wahr«, bekannte Clair. »Ich habe bis heute noch nicht darüber nachgedacht. Jedenfalls kennen sie die menschliche Men talität genau, denn ich hatte doch wirklich Erfolg. Alle Staaten haben - mit meiner Nachhilfe - ihre Militäreinheiten aufgelöst. Die Stützpunkte werden geräumt. Niemandem auf dieser Erde wird es mehr gelingen, einen Krieg zu führen. Die Militärmaschine ist schon so durcheinandergeraten, daß sie nie mehr anlaufen wird. So ist das Leben. Jahrtausende haben wir dazu gebraucht, um immer neue und bessere Waffen zu erfinden. Die Welt war eine waffenstarrende Festung. Und in wenigen Wochen hat sich alles aufgelöst. Nur, weil die Politiker Angst um ihr eigenes Leben be kamen.« Lyn nickte. »Gehen Sie jetzt! Und denken Sie daran, daß Ihnen nur vierundzwanzig Stunden bleiben.« Er stellte sich an das breite Fenster und sah den beiden nach, als sie eilig den Hang hinabliefen. Er war sicher, daß er Ben Clair wieder fassen würde. Invasion Nachdenklich wog Lyn die Kapsel in der Rechten. Dann hängte er den Apparat um den Hals, klatschte in die Hände und drückte den roten Knopf ein. Die Tür öffnete sich, und sein Diener trat ein. Verwundert sah er sich im Raum um, schüttelte dann den Kopf und verschwand wieder. Lyn nickte befriedigt und machte sich wieder sichtbar. Ein kost bares Geschenk, entschied er. Er mußte sich beeilen, um Nutzen daraus zu ziehen. Er mußte jemanden finden, der ihm helfen konnte. Der weiche Sessel nahm ihn auf. Wer würde etwas davon verstehen? Sollte er die Sache der Re gierung vortragen? Entschieden schüttelte er den Kopf. Wenn Clair auch ein Verbre cher war, so hatte er doch etwas erreicht, was nicht zerstört wer den durfte. Nein, der Staat schied aus. Überhaupt waren die neu en Männer so unbekannt, daß sie sich erst bewähren mußten. Lyn schenkte sein Vertrauen nur einem Mann, dessen Leistungen er kannte.
Lyn schloß die Augen. Die Musik - er merkte erst jetzt, daß der Apparat lief - war angenehm und beruhigend. Su! Ja. er könnte der Richtige sein. Su der Freund aus den Stu dienjahren, dieser Inder, der mit Abstand der Fähigste der Grup pe gewesen war und in seiner Heimat ganz seinen Forschungen lebte. Lyn griff zum Apparat und wählte den Flughafen. Das Gesicht der Angestellten am Schalter lachte ihn an. »Was kann ich für Sie tun. Sir?« »Ich brauche eine Chartermaschine. Die schnellste, die Sie ha ben. - Vier Stunden? Viel zu lang. - Nein, Geld spielt keine Rolle. Sie rufen zurück? - Gut, ich warte hier.« Das Bild erlosch. Lyn wurde sehr geschäftig, diktierte noch rasch einige Anweisungen für seine Gesellschaft, bestellte Vertre ter für die beiden nächsten Tagungen und ließ seine Koffer pa cken. Wenn einer in der Lage war, in das Geheimnis der Wesen aus dem Weltenraum einzudringen, so war es Su. Ganz in Gedanken ging Lyn zur Musiktruhe hinüber, um sie aus zuschalten. Da brach die Musik wie abgeschnitten ab. Ein aufgeregter Spre cher schaltete sich ein und das, was er sagte, ließ Lyn innehalten. »Soeben erhalten wir die Bestätigung der Gerüchte, daß über allen großen Städten der Vereinigten Staaten unbekannte Flugob jekte gesichtet wurden, die zur Landung ansetzen.« Er unterbrach sich, und man konnte hören, wie er aufgeregt Atem holte. Dann raschelte etwas, und er fuhr fort: »Unser überseeischer Dienst meldet soeben, daß auch in Europa und Asien die Flugkörper er schienen sind. Es hat den Anschein, daß die Wesen, die eine Eini gung der Regierung der Erde erreichten, unserer Erde einen Be such abstatten wollen. - Und nun folgt noch eine Anweisung des Weltpräsidenten.« Der Sprecher machte wieder eine kleine Pause und rang nach Luft. »Bürger, wahrt Ruhe. Es besteht kein Grund zur Aufregung! Was wir von den Fremden bisher erfahren haben, war nur Gutes. Durch den unsichtbaren Gesandten wurde die Drohung eines kommenden Krieges von uns genommen: jetzt werden diese Wesen als Freunde zu uns kommen. Ich glaube, daß wir von ihnen viel zu lernen haben. Der Weltpräsident.« »Ihr Koffer. Sir.«
»Es ist gut. Bringen Sie ihn in den Roadster und fahren Sie vor.« »Sofort. Sir.« »... diese Wesen gebührend begrüßen. Es ist eine entscheiden de Stunde. Erweist es sich doch als wahr, daß das Universum intelligentes Leben beherbergt. Es wird jetzt an uns allen liegen, diese Fremden als gute Freunde zu empfangen, ganz gleich, wie sie aussehen mögen. Wir müssen uns freimachen von unserer Vorstellung, daß etwas, was uns häßlich erscheint, nicht auch ...« »Ihr Wagen, Sir.« Lyn schaltete den Apparat aus. Er rannte fast zum Auto; er hat te keine Zeit zu verlieren. Auf dem Flugplatz herrschte große Aufregung. Sämtliche Passa giermaschinen, die unterwegs waren, als die Meldungen durch kamen, steuerten die nächsten Flugplätze an. »Ich habe eine Maschine bestellt, Miß. Mein Name ist Cho Lyn.« Das Mädchen hob den Hörer von der Gabel und meinte: »Sie müssen Verständnis dafür haben, daß bei den gegenwärtigen Umständen Schwierigkeiten entstehen. Ich will versuchen, ob der Pilot bereit ist, Sie zu fliegen.« Lyn trommelte aufgeregt mit den Fingern gegen das Pult. »Versuchen Sie es! Sagen Sie dem Mann, daß ich den Tarif ver doppele.« »Ich werde mein Möglichstes tun.« Wenn er jetzt nicht fliegen konnte, würde es später noch viel schwieriger werden. »Ihr Pilot heißt Nik Davids. Er ist schon auf dem Rollfeld. Ich glaube, daß Sie auch die Starterlaubnis bekommen, Sir.« »Vielen Dank.« Lyn schrieb den Scheck aus und schob ihn dem Mädchen hin. Dann griff er nach seinem Gepäck und strebte dem Schalter zu. Es gelang ihm, noch bevor Startverbot gegeben wurde, in die Luft zu kommen. Das überschnelle, zweisitzige Düsenflugzeug jagte über das Meer nach Indien. Ais sie in zehntausend Meter Höhe die Küste überflogen, sah Lyn zwei runde Scheiben, die langsam auf das Festland zu schwebten. Ehe er sie richtig erkennen konnte, waren sie schon vorüber.
* Die beiden Flugscheiben, die Lyn beobachtet hatte, näherten sich einer kleinen Stadt an der Küste. Auch hier hörte man die Durch sagen der neuen Regierung und beobachtete gespannt den Him mel. Micel Smith entdeckte sie zuerst. Der Telegrammbote sprang sofort in den Lift des Postgebäudes und ließ sich zum Erdgeschoß bringen. Unten schwang er sich auf sein Fahrrad und raste die Hauptstraße in Richtung Red-Rock davon. Es müßte mit dem Teu fel zugehen, wenn ich nicht der erste wäre, dachte er, während er in die Pedale trat, bis er seine Beine nicht mehr spürte. Die Flugscheiben zogen ihre Kreise immer enger über der fla chen Felsplatte von Red-Rock, die ein beliebter Aussichtspunkt der Touristen war. Noch setzten sie nicht zur Landung an. Wollten sie eine Abordnung der Städter abwarten? Micel Smith kam mit brennenden Lungen vor der Felsgruppe an. Er warf das Rad in den Straßengraben und hastete weiter. Im selben Augenblick, da er den Lift zum oberen Plateau erreicht hatte, hörte er hinter sich Sirenengeheul. Er fuhr herum und er kannte den Einsatzwagen der Polizei. Ein alter Herr stand im offe nen Wagen und winkte Smith aufgeregt zu. Sofort erkannte der Telegrammbote den Bürgermeister. Die Glatze des Stadtober hauptes schimmerte im Sonnenlicht. Pech gehabt! Erschöpft lehn te sich Micel an die kühle Metalltür des Lifts. Das würde ihm Mr. Landom nie verzeihen, wenn er ihm jetzt davonfuhr. Mit kreischenden Bremsen hielt das Polizeiauto. Landom sprang heraus und stürzte auf die Tür zu. Mit herunterhängenden Armen stand Micel da und rührte sich nicht. Das Stadtoberhaupt riß die Fahrstuhltür auf. Schon halb im Lift wandte er sich nochmal zu Micel um. »Was ist los? Komm schon! Beeil dich!« »Ja. darf ich denn ...?« Ein Polizist packte Micel an der Schulter und schob ihn in die Kabine. »Mußt dich ganz schön abgetobt haben«, grinste der Bürger meister während der Fahrt, »um so rasch hier zu sein. Da wäre es doch eine Schande, dich unten zu lassen.«
Sekunden später standen sie auf der obersten Plattform von Red-Rock. Die erste Scheibe setzte eben zur Landung an. »Bleibt hinter uns, Männer«, bat der Bürgermeister die Polizisten. »Unse re Gäste könnten es übel vermerken, wenn Bewaffnete sie emp fangen.« Micel Smith schloß sich Landom an und ging hinter ihm auf die landende Scheibe zu. Plötzlich öffnete sich eine Metalluke der oberen Halbkugel, und weißer Rauch stieg aus dem Flugkörper. »Was soll das?« staunte Landom und wich einen Schritt zurück. Und dann kippte die Scheibe nach vorne über, so daß der Teller sich eng an den Felsen anlegte. »Bin gespannt auf die Besucher«, sagte Landom, als sich hinter der Öffnung etwas regte. Doch als er die seltsamen Gebilde sah, die über den Teller auf ihn zurollten, wußte er sofort, daß dies nicht die friedlichen Besu cher waren, die man erwartet hatte. * Amna starrte auf die kleine Scheibe, die vor ihm im Steuerme chanismus hing. Er schob ein Glied vor, um ihr die gewünschte Stellung zu geben. »Wie nehmen sie es auf?« fragten seine Gedanken Pan, der hin ter ihm kauerte ... Der Diener beugte sich zur Seite und zischte böse. Die Wesen in der Zentrale beeilten sich, durch das runde Luk zu kommen. Sie waren alleine. »Gut«, dachte er als Antwort. »Genauso, wie du es vorausgese hen hast, Herr.« Beide betrachteten die Umgebung des kleinen Modellschiffes. Kleine Punkte quollen aus den Häusern und ballten sich zu einer dichten, Menschentraube zusammen. »Sie starren zu uns herauf. So etwas haben sie noch nie gese hen.« »Dieses Menschenwesen, dem ich die erhabene blaue Ausstrah lung anvertraute, arbeitete gut. Ich verfolgte seine Handlungen im Beobachtungsstrahl. Ich hätte nie geglaubt, daß er jahrtau sendealte Tradition nur durch die Furcht vor etwas Größerem so schnell vernichten könnte.«
Pan schirmte sorgfältig seine Gedanken ab, aber der Sohn des Sonnenkaisers merkte es. Du sollst nichts vor mir verheimlichen, dachte er milde. Du wirst alt, Pan. Dir fehlt die Unbekümmertheit der Jugend. Auch das ist nötig, um Erfolg zu haben. Nicht nur die Weisheit des Alters führt zum Erfolg. Man muß auch etwas wagen können. ... Pan schrumpfte noch mehr zusammen. »Du hast unser kostbarstes Gut aus der Hand gegeben, Herr. Dieses Gerät kann uns ...« Unwirsch unterbrach ihn Amna. »In ein paar irdischen Tagen ist es wirkungslos. Außerdem sind diese zweibeinigen Wesen viel zu träge und selbstherrlich, um etwas damit anfangen zu können. Wenn die ersten Schiffe mit Produktionsgütern zu unserem Son nensystem starten, wirst du hoffentlich deine Bedenken begraben haben.« Pan kroch neben die Tafel mit den vielen glänzenden Punkten, von denen jeder einen Amnitenkreuzer darstellte. »Alle Schiffe sind auf Position.« Amna wuchs sichtlich … Pan drücke die Scheibe auf diesen großen Felsen hinunter. »Ich will die Ausschiffung überwachen.« Amna bewegte sich schnell in die unteren Räume des riesigen Raumschiffes. Eng aneinandergepreßt hingen da die Maschinen in ihren Halterungen, Kampfkolosse, den Menschen nachgebildet. In den jetzt noch starren Klauen der Roboter glänzten die Waffen der Erde, die ein Amnit nicht bedienen konnte. Der künftige Herrscher über einen neuen Planeten spürte den leichten Stoß, als sein Schiff die Erde berührte. Ein Arm schoß vor und riß den roten Hebel herunter. In die schlafende Armee kam Leben, kleine Motoren erwachten, und die Flut der mechanischen Leiber floß hinaus zu den warten den Menschen, die eben beschlossen hatten, keine Kriege mehr zu führen. * Ben und Mary rannten die Straße entlang. In der Ferne tauchte ein kleiner Punkt auf und vergrößerte sich rasch zu einem schweren Laster.
Clair sprang auf die Fahrbahn und winkte. Der Fahrer trat eben noch rechtzeitig auf die Bremse. »Sind Sie wahnsinnig?« brüllte er. Sein Gesicht lief rot an. »Mich mitten auf der Straße ...« Ben kletterte zum Führerhaus hinauf. Seine Hand verschwand in der Tasche, und die Klinge schnappte aus dem Dolchknauf. »Ich brauche den Wagen. Steig aus, aber mach schnell.« Mary sah im Rückspiegel, wie der Mann zornig hinter ihnen her schrie. Rasch gewannen sie an Tempo. »O Ben«, klagte sie. »Immer gehst du mit Gewalt vor. Ist dir nicht der Gedanke gekommen, der Mann da hinten hätte uns auch freiwillig mitgenommen?« Clair beobachtete die kleine Nadel auf dem Tacho, die jetzt die rote Marke übersprang. »Ich muß so schnell wie möglich in die Stadt. Noch sitze ich nicht fest genug im Sattel. Diese engstirnigen Politiker ließen kei nen Augenblick daran zweifeln, daß ich der kommende Herr der Welt bin.« Als die Musik verstummte und der Sprecher sich einschaltete, wollte Ben das Autoradio ausdrehen. Aber seine Hand blieb auf halben Weg starr in der Luft. »Unbekannte Flugobjekte über unserer Stadt!« Ben grinste. »Es ist so weit. Und das ist mein Werk. Mary. Ich habe bewiesen, daß ich auch eine gute Tat vollbringen kann. Was ich geschaffen habe, wiegt schwerer als mein bisheriges Leben. Allein die Tatsache, daß jeder wieder ruhig schlafen kann, ohne Angst vor dem Morgen haben zu müssen, genügt für eine Rech tfertigung. Daß ich dabei auch ein wenig an mich selbst dachte, fällt nicht ins Gewicht. Es ist nur ein Bruchteil von dem Geld, das die Erde künftig für nützliche Zwecke anwenden kann. Habe ich diesen Lohn nicht ehrlich verdient?« Mary gab keine Antwort darauf. Sie wollte sich nicht mit Zwei feln quälen. Es genügte ihr, daß der geliebte Mann neben ihr saß. Die Stadt nahm die beiden wieder auf. * Lyns Freund Su wohnte in dem kleinen Dorf Santri - fünfzig Mei len vom nächsten Flugplatz entfernt. Das Land war immer noch
voller Gegensätze. Hier eine blitzende, moderne Metropole, in der das Leben pulsierte, dort ein kaum durchdringbarer Urwald, der nur langsam der fortschreitenden Zivilisation zum Opfer fiel. Lyn mietete sich einen Wagen mit Elektroantrieb. Er wußte, daß Su keine Fremden sehen mochte. Schnurrend setzte sich das Fahrzeug in Bewegung. Die breiten Gummiwalzen schwankten über den unebenen Boden, als gleich hinter der Stadt der Dschungel begann. Jetzt gab es noch etwas, das mit Weg bezeichnet werden konnte. Bald mußte er sich aber auf seinen Kompaß und sein Glück verlassen. Daß die natürlichen Pfade noch so waren, wie er sie in Erinnerung hatte, wagte er nicht zu hoffen. Es war schon Zufall, daß er die Handelsstation fand, nachdem er zweihundert Meilen gefahren war. So konnte er sein Ziel nicht erreichen. Mit vielen guten Worten und einer Menge Geld erklärte sich der Händler schließlich bereit, ihm seinen Helikopter zu leihen. Er nahm als Miete so viel, wie der alte Kasten neu wert gewesen war. Lyn merkte, daß er in einem weiten Bogen gefahren war. Die dichten Baumkronen teilten sich, der Wald wurde lichter und senkte sich in ein breites, spärlich bewachsenes Tal, in dem eine Gigantenfaust Fels über Fels aufgetürmt hatte. Hier fand er die schmale Schlucht, flog darüber hinweg und kam endlich ans Ziel. Der Propeller rotierte langsamer und kam zur Ruhe. Mit steifen Gliedern kletterte Lyn aus der Kanzel. Ausgestorben lag der lange, niedrige Schuppen, der seinem Freund als Woh nung und Labor zugleich diente. »Su«. rief Lyn, und als sich nichts rührte. »Su, Cho Lyn darfst du nicht erschießen. Ich komme ganz langsam auf das Haus zu, damit du mich gut sehen kannst.« Er wußte nur zu gut, wie Su über Fremde dachte, die ihn über raschend besuchten. Su duldete niemanden in seiner Nähe. Er bezog alles, was er zum Leben brauchte und auch das Material für seine Versuche von einigen Mönchen, die nichts von der Zivilisati on wissen wollten. Ihre einzige Verbindung zur Außenwelt be schränkte sich auf die nahe Handelsorganisation. Knarrend öffnete sich eine Tür, und die hagere Gestalt des In ders tauchte auf, mißtrauisch das Jagdgewehr in der Armbeuge
haltend. Dann, als er den Gast erkannt hatte, lehnte er die Waffe an die Wand, und breitete die Arme aus. »Hat deine Bank Pleite gemacht, oder was ist sonst geschehen, daß du mich mit deinem Besuch beehrst?« fragte er fröhlich. Lyn registrierte belustigt, daß Sus Englisch noch genauso grauenhaft war wie früher. »Falsch geraten. Ich habe eine Aufgabe für dich, die dich be geistern wird.« Gemeinsam zerrten sie das Gepäck aus dem Helikopter und stapften der Hütte zu. Alles war verwahrlost bis auf das Labor. Staunend mußte Lyn zugeben, daß der Freund in seine Urwaldeinsamkeit die modern sten technischen Erfindungen verpflanzt hatte. Su fegte einen Papierwust vom Arbeitstisch und begann, aus Kästen und Behältern Lebensmittel herbeizuzaubern. »Erst wollen wir uns stärken. Du hast eine ordentliche Strecke zurückgelegt.« Der Japaner kaute gehorsam, aber sein Vorhaben ließ ihm keine Ruhe. Er zog das sorgfältig verpackte Gerät aus der Tasche und reichte es Su hin. »Was hältst du davon?« Gespannt beobachtete er, wie Su die Kapsel in den Fingern drehte, dann aufstand und zu seinen Instrumenten eilte. Der Ge nerator lief an, auf Meßgeräten zuckten Zeiger, flammten Kontrol len auf. »Wo hast du das her? Dieses Metall kann ich nicht analysieren!« »Das ist auch nicht das Wichtigste. Paß auf!« Schnell hatte Lyn den Knopf eingedrückte und weidete sich an der Verwunderung Sus. Er schaltete um und wurde wieder sichtbar. »Ist es nicht erstaunlich? Das Gerät stammt von den außerirdi schen Lebewesen, die uns soeben mit ihrem Besuch beglückt ha ben.« Das Gesicht des Inders war ein einziges Fragezeichen. Lyn be eilte sich, ihm die Neuigkeit zu erzählen. »Eine knappe Woche Zeit bleibt dir, uns das Wunder zu erhal ten.« Su sah den Freund starr an. »Und ich soll …? Du glaubst …« Lyn nickte. »Wenn es einer kann, dann bist du es.« Su stützte die Arme auf den Tisch und den Kopf darauf.
»Das wird nicht so einfach sein. Um in das Innere zu kommen, muß ich erst die Hülle aufbrechen. Ich muß versuchen, völlig an ders zu denken. Aber mir fehlen die primitivsten Voraussetzun gen, so zu denken wie die Erbauer. Die wichtigste Frage ist: wel che Energie speist das Gerät?« Er hob den Kopf. »Es wird dich eine Kleinigkeit kosten. Meine Mittel reichen zwar für bescheidene Forschungen, aber dafür nein. Ein Elektronengehirn muß ich haben. Weißt du, eins von den neuen, die nicht größer sind als ein normaler Schrank.« Er schmunzelte. »Ich habe mir schon immer so etwas ge wünscht. Dann brauchen wir ...« Seine Liste wurde immer länger, und Lyn erkannte, daß sein Vermögen merklich zusammenschrumpfen würde. Aber der Preis war nicht zu hoch. Er könnte die Ausgaben später tausendfach hereinbekommen. »Gut«, entschied er, »sollst du alles haben. Zerbrich dir ein stweilen den Kopf über die Versuche, die du anstellen wirst. Ich schaffe das Nötige sofort heran.« Er erhob sich. »Ich fliege zur Handelsstation zurück. Morgen abend hast du alles, was du brauchst.« »Das nenne ich Tempo«, grinste Su. »Nur gut. daß du nicht oft solche Aufträge für mich hast.« Lyn nickte dem Freund zu, nahm die lange Liste vom Tisch und eilte zum Helikopter. »Bis morgen Su.« Zur Station war es ein Katzensprung. Mit seinem Zettel in der Hand betrat er das Kontor und fand die ganze Belegschaft um den Sender versammelt. »Geschäfte«, sagte er fröhlich und wedelte mit der Liste. »Kann ich ein paar Funksprüche absenden?« Verstörte, blasse Gesichter sahen ihn an. Erstaunt trat Lyn näher. »Ist was nicht in Ordnung? Was ist denn los?« »Der Teufel ist los«, seufzte der Händler. »Eben haben wir die neuesten Meldungen aufgefangen. Ich sage Ihnen, Sir, das klingt unglaublich.« Er langte in die Gesäßtasche und zog eine Flasche daraus her vor. »Stärken Sie sich vorher. Sie können es brauchen.«
Lyn schob den Schnaps zurück. »Nun spannen Sie mich nicht länger auf die Folter.« Alle Gesichter sahen zu Lyn hinüber, als Miller, der Händler, zu erzählen anfing. »Also, es begann mit diesen Flugschiffen. Sie wissen Bescheid?« Lyn nickte gespannt. »Sie landeten vor den Städten. Vor allen großen Städten auf der ganzen Erde. Delegationen standen bereit. Fernsehen. Presse, alles da. Denn es war ja ein großer Augenblick. Aus den Schiffen ergoß sich eine Flut von Kampfmaschinen, ferngelenkt, mit Waf fen in den Händen. Wir würden Roboter dazu sagen. Unbeirrbar stapften sie ihrem Ziel entgegen, besetzten die Großsender, Ver kehrszentralen, alles was für uns wichtig ist. Als die Regierung erwachte, war es bereits zu spät. Die paar Polizisten, die eilig herangezogen wurden, fegten die Roboter beiseite wie Dreck. Der Polizeiminister widerrief den Abrüstungsbefehl. Aber die Maschi ne, die ins Rollen gekommen ist. läßt sich nicht abbremsen. Die entlassenen Soldaten wurden zur Rückkehr befohlen - es war al les zwecklos. Diese Invasion ist sorgfältig vorbereitet worden. Die Eindringlinge wollten nichts für uns tun, sondern nur unsere mili tärische Kraft beseitigen. Und das ist ihnen ausgezeichnet gelun gen. Im Augenblick haben die Fremden die absolute Herrschaft über alle entscheidenden Gebiete der Erde.« Der Mann schwieg erschöpft und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Lyn verstand nicht ganz. »Wollen Sie sagen, daß wir jetzt von einer Roboter-Armee beherrscht werden?« Der Händler seufzte. »Wir haben keine Ahnung. Außer den Ma schinen hat niemand die Schiffe verlassen.« »He Chef«, schrie der Funker, »eine neue Meldung.« Die Männer umstanden aufgeregt das Gerät, aus dem die krächzende Mikrofonstimme verkündete: »Neues von unserem Reporter am Landeplatz! Wir schalten um.« Aus dem Lautsprecher kam die Stimme des Sprechers: »Hier Pit Collor, direkt vom Landeplatz aus. Es ist ein imposantes Bild, das sich uns bietet. Drei runde Scheiben sind eng aneinander gelan det. Die Invasion der Roboter hat aufgehört. Sie haben die wich tigen Plätze der Stadt besetzt und schießen auf alles, was nach Waffen aussieht. Auch die großen Waffendepots sind umstellt. Es
hat den Anschein, als ob die erste Etappe dazu ausersehen wäre, jeden Widerstand zu beseitigen. Seit drei Minuten fährt die mittle re Scheibe ein Gerät aus. das jetzt etwa dreihundert Meter vor uns liegt. Ich werde etwas zur Seite gehen, damit Sie, meine ver ehrten Fernseher, es besser erkennen können.« Eine Pause trat ein, dann fuhr der Reporter fort: »Hören Sie das leise, pfeifende Geräusch, das aus dem Kasten kommt? Es hat den Anschein, als ob die Wesen uns eine Botschaft übermitteln wollten.« Die Männer sahen sich an. »Bitte, hören Sie selbst.« Das Pfeifen war jetzt auch im Lautsprecher zu hören, brach dann aber plötzlich ab. Eine klare, metallene Stimme sprach in tadellosem Englisch zur Bevölkerung. »Menschen, die ihr uns jetzt zuhört! Wir sind Bewohner eines Planeten innerhalb unserer gemeinsamen Milchstraße. Unser Na me würde für euch etwa Amniten lauten. Wir bedauern es sehr, daß wir unsere Technik gegen euch anwenden müssen, aber wir benötigen einige Rohstoffe, die nur auf der Erde zu finden sind. Wir sind bereit, euch zu entschädigen, da wir außerdem beabsich tigen, die Produkte gleich hier an Ort und Stelle herzustellen. Un sere Kampfmaschinen sind völlig harmlos. Wir raten jedoch nicht, mit Waffen gegen sie anzutreten. Ende der Durchsage eins.« »Kein Wort glaube ich diesem Kerl«, tobte der Händler. »Welch ein Glück, daß wir so weit weg vom Schuß liegen.« Er drehte sich zu Lyn um. »Was halten Sie davon?« »Ich möchte nur wissen, warum diese Wesen nicht zu uns he rauskommen. Sie können sich doch nicht ewig in ihren Schiffen verbergen.« »Keine Ahnung. Vielleicht sehen sie so schrecklich aus, daß sie auf uns Rücksicht nehmen.« Lyn lachte. »Ich habe den Eindruck, als ob ihr hier immer noch nicht begriffen habt, was das alles bedeutet. Glaubt ihr im Ernst, daß diese Wesen uns entschädigen, oder vielleicht in einigen Mo naten wieder friedlich abziehen, wenn sie das haben, was sie su chen? Ausgeschlossen! Dazu hätten sie sich nicht die Mühe zu machen brauchen, unsere Kampfkraft lahmzulegen und ihre Ro boter auf uns loszulassen. Ich bin überzeugt, sie verfügen über so viel Wissen, daß wir ihnen gerne die gewünschten Produkte im
Tauschwege abgegeben hätten. Ich will euch sagen, was ich ver mute. Wir werden hier in eine gewaltige Fabrik verwandelt, ohne daß wir das Geringste dagegen tun können.« Er ging zum Funker hin und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Geben Sie ein paar Funksprüche für mich durch, ja? Warten Sie, ich schreibe alles auf.« Drüben, in den Staaten liefen aufgeregte Direktoren in den Kon ferenzraum des Lyn-Trusts. Der Chef saß irgendwo in Indien. Anstatt sich in dieser Krisenzeit um das Geschäft zu kümmern, verlangte er Geräte, die ohne Rücksicht auf alle Kosten sofort verladen werden sollten. Ohne Rücksicht auf Kosten! Aber sie taten pflichtgetreu bis zum letzten, was Lyn verlangte. Niemand hatte heute Zeit für Geschäfte. Aber Lyn bekam, was er wollte. Der Transporter war kaum gelandet, als die Geländewagen an fuhren, um ihre Last in Empfang zu nehmen. In der stillen Schlucht wimmelte es von Menschen, die schwere Lasten schleppten und später mit wirbelnden Rotoren wieder ver schwanden. Su und Cho Lyn standen in dem Durcheinander und versuchten, Ordnung zu schaffen. »Ich kann dich nicht verstehen. Nach all dem, was geschehen ist, Cho, willst du immer noch hinter das Geheimnis kommen und opferst fast dein ganzes Vermögen.« Lyn schaute den Freund ernst an. »Hast du noch nicht begriffen, daß hier die Rettung der Menschheit liegen könnte?« »In dieser Kapsel da?« Lyn nickte eifrig. »In dieser Kapsel. Niemand weiß, daß wir sie besitzen.« »Außer diesem Gangster«, versetzte Su trocken. »Stimmt. Aber der wird genug zu tun haben, um seine Beute si cher unterzubringen. Oder glaubst du, er hätte sich die Chance entgehen lassen?« Su zuckte die Schultern. »Na also. Nein, nie mand weiß etwas von der Kapsel. Außerdem verliert sie in kurzer Zeit ihre Wirkung. Es sind nur noch fünf Tage. Dabei kann man nicht einmal sagen, ob sie nicht schon früher ihre Kraft verliert. Ich will dir sagen, was mich beschäftigt. Clair wurde dazu auser sehen, die Vorbereitungen zu treffen. Er sollte die Armeen und Raketeneinheiten ausschalten. Warum, bei allen Teufeln, taten die Invasoren es nicht selbst?«
»Vielleicht konnten sie es nicht«, meinte Su nach einigem Nachdenken. Lyns Finger schoß vor. »So ist es. Sie können es nicht, sie kön nen nicht aus ihren Schiffen heraus, weil sie verletzlich sind. Viel leicht müßten sie Raumanzüge oder etwas Ähnliches tragen. Aber das wäre kein Hindernisgrund, denn auch Clairs Kleidung wurde unsichtbar. Es muß also etwas Entscheidendes sein, das sie zu rückhält. Und ich will dir auch sagen, was es ist: Diese Kapsel, die uns Menschen eine Millisekunde in die Zukunft befördert und wie der zurückholt, wenn wir umschalten, wirkt tödlich für sie. - So muß es sein. Eine andere vernünftige Lösung gibt es nicht.« Su hatte sich auf eine Kiste gesetzt und wiegte zweifelnd den Kopf. »Das wäre sehr leichtsinnig von den Invasoren.« »Hör zu, Su! Selbst wenn ich mich irre - irgend etwas müssen wir tun.« »Du hast recht. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.« Von da ab war Su auch für Lyn nicht mehr zu sprechen. Ein neuer Auftrag Ben Clair hatte Mary in ihr Versteck zurückgebracht. Die Nachricht von der Landung der Roboter überraschte ihn, als er gerade bei Whiler saß. Manto, der Polizeichef, lehnte am Schreibtisch. Zum erstenmal in seinem Leben hatte Clair das Gefühl, daß er in eine Falle geraten war, aus der es kein Entrinnen mehr gab. Mantos Körper straffte sich, als er auf Clair zuging. »Das ist Ihr Werk«, sagte er rauh, und in seiner Stimme schwang ein gefährlicher Unterton mit. »Ich habe nichts dagegen, eine gute Position zu bekommen. Ich war Ihnen dankbar für alles, und Sie hätten immer auf mich zäh len können.« Clair unterbrach ihn. »Ich wußte das nicht. Sie haben mein Geld ausgegeben, haben den Ministersessel genommen, den ich Ihnen beschafft habe, und jetzt wollen Sie mich fallen lassen? Das ist doch undankbar.« In Mantos Gesicht zuckte kein Muskel. »Auf Sie wartet die To deszelle. Ich will mit Leuten Ihres Schlages nichts mehr zu tun haben. Ich werde alle Mittel daransetzen, die mir meine Stellung gibt, um den Angriff dieser Wesen abzuschlagen.«
Clair war entsetzt. »Glauben Sie denn, daß ich etwas von einer Invasion geahnt habe? Ich hätte niemals …« Er sah zu Whiler hinüber. »Ich werde jetzt gebraucht«, sagte der, aber man merkte ihm an, wie hilflos er der Situation gege nüberstand. Manto war schon dabei Befehle und Anweisungen in die Sprechmuschel zu schreien. In seiner Hand hielt er eine Waffe. Seine Augen leuchteten. »Jetzt werde ich mir meinen Posten verdienen.« Clair gab nicht auf. Zu lange hatte er unter der Spannung ge lebt, die ihm als Gejagten immer geholfen hatte. Noch ehe die Waffe hochkam, hatte er den Offizier erreicht und zur Seite ge schleudert. Die Schüsse trafen ihn nicht. Er hetzte den Korridor entlang. Niemand hielt ihn auf. Sie hatten jetzt andere Sorgen, als auf einen rennenden Mann zu achten. Der Schnellift nahm Clair auf, brachte ihn zu einem der Hinter ausgänge, und er war in Sicherheit. * Noch hatte er eine eigene Organisation, noch wartete auf ihn ein Vermögen, das im Keller der Hütte lag. Die Straßen waren ver stopft von Fahrzeugen, die die Stadt verlassen wollten. Mit der Pistole in der Hand zwang Clair einen Fahrer, auszusteigen und quetschte sich auf den Fahrersitz. Der Motor heulte auf. Rück sichtslos drängte er sich durch die Schlange und achtete nicht darauf, daß die Windschutzscheibe in Scherben ging, als er gegen einen Laster prallte. Hauptsache, der Motor lief noch, der ihn rasch zur Stadt hinausbringen konnte. Draußen wurde es etwas ruhiger. Der Strom verteilte sich bes ser, und man kam schneller vorwärts. Der Wagen schleuderte, als er die feste Straße verließ. Hier im Wald war es beruhigend still. Vor der versteckt gelegenen Hütte trat Clair heftig auf die Bremsen und der Wagen kam schlitternd zum Stehen. Mit langen Sprüngen hetzte Ben Clair durch die Büsche, riß die Tür auf und sah die Klapptür offen stehen, die nach unten führte.
Nichts war mehr da, keine Dollarnote, kein Gramm Gold, gar nichts. Sie hatten es ihm heimgezahlt, die Burschen. Mit zitternden Fingern suchte er nach seiner Brieftasche und wühlte die Fächer durch. Knapp zweihundert Dollar waren ihm geblieben von dem ganzen Reichtum. Tiefe Verzweiflung packte ihn. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und verbarg das Gesicht in den Händen. Sie hatten sein Geld genommen, alle. Jetzt ließen sie ihn im Stich. Er schrie laut auf vor Wut und Hilflosigkeit. Aber noch war er am Leben. Er würde sich rächen an diesen stiefelleckenden Schmarotzern, die nur so lange Freunde blieben, wie sie seine Faust spürten. Er war noch nicht am Ende, noch lange nicht. Von neuer Energie beseelt, stürzte er nach draußen, sprang in den Wagen und trat den Starter durch. Die Fremden standen in seiner Schuld, sie würden ihn bezahlen für die Arbeit, die er ihnen geleistet hatte. Es war fast unmöglich, gegen den anbrandenden Strom anzu kommen. Notgedrungen mußte er das Fahrzeug gegen die Bö schung fahren und zu Fuß zurückkehren. Es war ein langer, beschwerlicher Marsch. Der Hunger nagte in seinen Eingeweiden. Alle Rasthäuser, an der Straße waren ge schlossen, die Fenster mit Brettern vernagelt. Aber er schaffte es doch. Erleichtert atmete er auf, als die Hochhäuser New Yorks aus dem Dunstschleier sichtbar wurden. Ein zu dieser Jahreszeit ungewöhnlicher Nebel hing über dem Bo den, der Tag konnte kaum die Nacht verdrängen. Es war als wolle die Sonne betrübt ihr Haupt verhüllen, um den Untergang ihrer Geschöpfe nicht mit ansehen zu müssen. Der Landeplatz der Invasoren war leicht zu finden. Er war kenn tlich gemacht durch die Ansammlung von Menschen, die er mag netisch anzog, obwohl sie Angst hatten vor dem, was ihnen be vorstand. Polizei und die rasch ausgehobenen Armee-Einheiten sah man nicht mehr viel. Hoch über der Stadt schwebten sichernd andere Flugkörper. Drohend hingen sie über den Häusern. Es war den Menschen ver boten worden, zu fliegen. Immer schärfer wurden die Anordnun gen, immer enger wurde das Netz gezogen.
Clair schlängelte sich durch die Masse der Gaffer. Zwischen den ersten Zuschauern und den Raumschiffen war ein weiter, leerer Platz. Daran hatte er nicht gedacht. Krampfhaft überlegte er sich, wie er wohl, ohne von einer der beiden Parteien verletzt oder getötet zu werden, den Zwischenraum zu den Schiffen bezwingen konnte. Dann fiel ihm ein, daß sie ihn gefunden hatten, ohne daß er et was dazu tat. Sie hatten in seinen Gedanken geforscht und ihn als brauchbar zu sich heraufgeholt. Er setzte sich auf den Boden und dachte nach. Diese Wesen mußten zumindest auf kurze Entfernung Gedanken lesen können. Ich bin Ben Clair, dachte er verzweifelt. Ich bin der Mann, der für euch gearbeitet hat. Immer wieder dachte er dasselbe und ich möchte zu euch ins Schiff kommen. Nichts regte sich. Ruhig und drohend blieben die Schiffe liegen. Ich bin Ben Clair. Ein Posten kam vorbei und forderte die Gaffer auf, weiterzuge hen. Es half nicht viel. Clair stand auf und schlich zu einer niedrigen Umfassungs mauer, die ihm besseren Schutz bot. Dann versuchte er es wieder. Es war zum Verzweifeln. Niemand hörte seinen stummen Hilfeschrei. Er erwachte, als es dunkel war um ihn herum und sich die Men ge verlaufen hatte. Aus den Schiffen drang ein schwacher, bläuli cher Schein. In seinem Rücken strahlten die Lichter der Stadt. Er hörte ein schlurfendes Geräusch und mußte sich mühsam in die Wirklichkeit zurückfinden. Ein großer, unförmiger Schatten rollte über das Feld und kam genau auf seinen Platz zu. Es war eine Maschine, die ihn holen sollte. Endlich! Eilfertig sprang er auf und lief der Gestalt entgegen, ohne an ei ne Gefahr zu denken. Der Roboter wartete, bis ihn Clair erreicht hatte, und wendete dann schwerfällig. Er bestand aus einem grauen Metall, ein eckiger Kasten mit Antennen darauf. Eine An zahl ringförmiger Metallfäden hing von ihm herab, an den Enden seltsame Gegenstände umklammernd. Sie erreichten das mittlere Schiff, eine Schleuse sprang auf und schloß sich wieder hinter Clair mit einem schmatzenden Ge räusch.
Es dauerte eine ganze Weile, während der er vergeblich darauf wartete, angesprochen zu werden. Endlich öffnete sich die Kammer und zeigte den schwach erhell ten Korridor. Zögernd ging Clair hinaus. Die Metallwände vibrier ten leise, hinter ihm aus einem Seitengang wurde ein schlurfen des Geräusch hörbar. Clair wirbelte herum und sah sich zum erstenmal den Amniten gegenüber, wie sie wirklich waren. Nichts war übriggeblieben von der menschlichen Gestalt. Ein solches Geschöpf konnte keine menschliche Sprache annähernd beschreiben. Nur die Augen schienen menschlich, dabei aber grausam und kalt. »Ben Clair«. hörte er. Es war nicht mehr das gesprochene Wort, so wie damals, es war ein gedankliches Verstehen. Aus einer der zahlreichen Falten kroch ein Wurm hervor und griff nach ihm. Entsetzt sprang Clair zurück. Aber der Arm war schneller. Weich und klebrig hing er an seinem Kopf, schob ihn mit sanfter Gewalt vor sich her. Es war die gleiche Halle wie das erstemal, die ihn empfing, oder wenigstens ähnelte sie der anderen. Nur an Stelle der kraftvollen, gütigen Gestalt von damals wartete ein zweites dieser Wesen auf ihn. »Es kostet uns eine Menge Energie, die Illusion eines Menschen aufzubauen«, verstand er. »Ich glaube, wir können jetzt darauf verzichten.« Die Augen glotzten ihn an. »Wo ist die Kapsel?« Ein Glied des Amniten schoß vor und wedelte verlangend. Clair stotterte. »Ich habe sie nicht mehr.« In seinem Kopf explodierte eine Flut von Fragen. Zorn und auch eine Spur von Angst stiegen in ihm auf. Doch Clair war zu ver wirrt, um darauf zu achten. »Wir haben dir die Kapsel anvertraut. Wir nahmen an, daß du klug genug seist, darauf zu achten. Denn wir waren überzeugt, daß du sie auch zu deinem Vorteil verwenden würdest.« Clair zwang sich, alle Gedanken, die ihn hätten verraten kön nen, aus seinem Gehirn zu verbannen. »Ich habe nur das getan, was ihr von mir verlangt habt. Ich wußte aber nicht, daß es so enden würde.« Das Wesen machte eine Bewegung, die Clair als Ungeduld aus legte. »Warum bist du zu uns zurückgekommen?«
»Ich dachte, ich hätte einen Lohn für meine Dienste zu erwar ten.« »Worin soll dieser Lohn bestehen?« »Wirtschaftliche Sicherheit vielleicht, oder auch eine entspre chende Position, die mir nützen könnte. Ihr seid sicher in der La ge, solche Stellungen heute schon zu vergeben.« Er war jetzt viel mutiger geworden, als er merkte, daß ihm kei ne unmittelbare Gefahr mehr drohte. Was gingen ihn die Geschi cke der Menschheit an, wenn es galt, die eigene Haut zu retten? Hatte sich jemand um ihn gekümmert, als er mit zehn Jahren schon stehlen mußte, um nicht zu verhungern? »Du liebst deine Brüder nicht sonderlich?« »Ihr werdet in mir einen guten Freund haben, der treu zum Vol ke der Amniten steht.« Die Augen belauerten ihn unausgesetzt »Wo ist die Kapsel?« Clair hob beteuernd die Hände. »Ich weiß es wirklich nicht. Ein Mann, ein Japaner, der Cho Lyn heißt, hat sie mir abgenommen.« Clair gab eine genaue, Beschreibung, wo sie den Mann finden konnten. Ein anderes, dünnes Glied kroch auf eine Schalttafel zu und legte einen Hebel um. »Zentrale, Polizei«, sagte das Mikrofon. Clair konnte nur noch staunen. »Anordnung 310 für den zwölf ten Bezirk. Ich werde eine Maschine schicken. Dieser Maschine ist ein Cho Lyn, genaue Beschreibung folgt, zu übergeben. Der diensthabende Polizeioffizier haftet für die sofortige Ausführung dieser Anordnung.« Das Wesen gab ein zischendes Geräusch von sich; ein Arm um schlang Clair von hinten und zerrte ihn aus dem Raum. In einer kleinen, leeren Kammer fand er sich wieder. Die Zeit verrann. Es. war ihm ganz übel vor Hunger, und er warf sich mit letzter Kraft gegen die Wand. Eine Öffnung entstand, und ein Amnit sah zu ihm herein. »Hunger«, stöhnte er. »Essen und trinken.« Der Spalt schloß sich, aber nach einer kurzen Weile wurde ein Gefäß hereingeschoben, in dem eine graue Brühe schwappte. Er schluckte seinen Ekel hinunter und trank den ganzen Napf leer. Sofort wurde ihm besser. Wieder vergingen Stunden, ehe sie ihn wieder holten.
Der Amnit erwartete ihn bereits. »Cho Lyn ist verschwunden. Niemand weiß, wo er sich aufhält.« »Ein Mann in seiner Position wird nicht ohne weiteres sein Ge schäft im Stich lassen: Ich glaube, daß ich ihn finden kann.« »Warum glaubst du das?« kam die schnelle Frage. Clair zögerte. »Wir haben eine private Sache miteinander ab zumachen. Ich bin sicher, daß er noch nach mir Jagd macht.« »Du darfst deine Bedeutung für uns nicht überschätzen. Ich ha be die Oberaufsicht über diesen Kontinent, und es ist mir ein Be rechnungsfehler bei der Landung unterlaufen. Ich hätte den Ab lauf der irdischen vierzig Tage abwarten sollen. Nun wäre es mir angenehm, wenn ich den Zeitversetzer wieder zurückbekäme, solange er nach aktiviert ist.« Clair glaubte Besorgnis aus diesen Gedanken herauszulesen. »Du möchtest gerne eine Belohnung für deine Dienste. Du sollst sie haben, wenn ich das Gerät bekomme und du mir den Nach weis dafür liefern kannst, alle Menschen getötet zu haben, die das Gerät besaßen.« »Kann ich Sicherheiten dafür haben?« »Sicherheiten?« war die verwunderte Gegenfrage. »Du bist nicht in der Position, etwas zu verlangen. Es ist mir aber völlig gleichgültig, wenn du später Geld, oder was du auch sonst willst, erhältst. Für uns sind solche Dinge wertlos.« Der Amnit kam näher auf Clair zugekrochen, der rasch an die Wand zurückwich, als könne sie ihm Schutz geben. »Solltest du uns zu betrügen versuchen, werde ich dich finden, sobald unsere Herrschaft endgültig gefestigt ist. Und das ist nur noch eine Frage der Zeit.« Clair nickte eifrig und war froh, als er wieder im Freien stand. In der Hand hielt er eine Bescheinigung des Polizeichefs - es war nicht mehr Oberst Manto, und das befriedigte ihn ein wenig - mit der ausdrücklichen Anordnung, den Inhaber dieses Dokumentes bei allen Wünschen zu unterstützen. Clair beachtete nicht die erstaunten Gesichter der Neugierigen, die ihn erwarteten. Auf dem Polizeipräsidium ließ er sich mit al lem versehen, was ihm nützlich erschien. Noch einmal hatte er Glück gehabt. Er war fest entschlossen, diesmal seine Chance besser wahrzunehmen. Als er das Präsidium verließ, sah er aus wie jeder andere Mann auf der Straße, der Angst vor dem nächsten Tag hatte. Er be
merkte, daß das Leben wieder normaler verlief. Einige Geschäfte hatten geöffnet und verkauften ihre Waren zu Phantasiepreisen. Clair hatte ein Bündel Anteilscheine bekommen. Diese Geldmittel der neuen Regierung wurden lieber genommen als Dollars. Hatten doch die Amniten die Weltregierung ausdrücklich als einzig legale Obrigkeit anerkannt und ihr alle Länder unterstellt. Es war Clair klar, daß die Invasoren so eine viel bessere Kont rolle ausüben konnten. Bisher wußte noch jemand, welche Erze ausgebeutet werden sollten. Es war Clair auch ziemlich gleichgül tig. Er besaß genügend Geld, eine gute Waffe mit Munition und eine Sonderermächtigung. Außerdem hatte er wieder ein Ziel. Er war beauftragt, einen Menschen zu jagen, der ihm nach dem Le ben trachtete. Das paßte gut. Der Mammutpalast, in dem, Lyns Büroräume lagen, war ge schlossen. Der Portier hatte sich in seine Wohnung geflüchtet, wo ihn Clair aufstöberte. »Ich brauche einen leitenden Direktor von Lyns Konzern, aber, sofort.« »Es tut mir leid«, jammerte der Mann. »Niemand ist mehr, da. Mr. Lyn hat vor der Sendesperre noch Anweisung gegeben, die Firma zu liquidieren und sein Vermögen für verrückte Geräte zu verwenden. Ich weiß das aus ganz sicherer Quelle.« Der Mann schien froh zu sein. Clair eine erschöpfende Auskunft geben zu können, »Natürlich ist daraus nichts geworden. Der Pöbel hat die Bank gestürmt. Sie können hinten im Hof noch die Spuren des Kampfes sehen. Es war eine regelrechte Schlacht. Mr. Lyn besitzt keinen Dollar mehr. Von dem können Sie nichts mehr holen.« Clair ließ sich auf die Liege fallen, die hinter ihm stand. Er dach te nach. »Geräte wollte er kaufen lassen?« fragte er vorsichtig. »Ja. Meßgeräte und lauter so Zeugs. Ich habe es von Mr. Kling persönlich gehört. Mr. Kling war einer der Direktoren. Es ist auch eine Sendung abgegangen. Das war damals, als diese Amniten kamen, oder wie sie heißen.« »Wer hat die Sendung besorgt?« »Das war die Sanders Corporation, 12. Straße. Es wird dort noch gearbeitet, glaube ich. Viele Leute zahlen jetzt eine Menge Geld, um ihre Wertsachen und Möbel auszulagern.«
Clair hörte nicht mehr, was der übereifrige Mann noch alles zu berichten wußte. Er war schon auf dem Weg zur Spedition. Und hier erhielt er die gewünschte Auskunft, wenn auch nach einigen kleinen Erpressungen. Er lehnte sich gegen die Hauswand. Sollte er die Amniten von seinen Ermittlungen in Kenntnis setzen? Nein, entschied er. Er würde die Sache alleine beenden. Der Flughafen lag still und verlassen. Die Maschinen standen in den Hangars. Sie wurden nicht mehr gebraucht. Clair holte sich vom Präsidium die Starterlaubnis. Auch den Pilo ten bekam er gleich mitgeliefert, da er im allerhöchsten Auftrag handelte. Eigentlich war er froh darüber, daß er noch warten mußte. Ein Anteilschein verschaffte ihm ein ausgiebiges Abendessen. Clair rechnete sich aus, daß er die Kapsel viel besser zurückholen konnte, wenn Lyn keine Möglichkeit mehr hatte, sie zu benutzen, und deshalb beeilte er sich nicht sonderlich. Daß er den Japaner finden würde, daran zweifelte er keine Sekunde. Als er in der Handelsstation bei Santri aus dem Wagen stieg, fehlte noch einer von den vierzig Tagen. Hier war es wunderbar ruhig. Nichts war zu spüren von der Auf regung in den Großstädten. »Tag. Sir«, begrüßte er den Händler, der ihn neugierig empfing. »Vor einigen Tagen haben Sie eine Ladung für diesen verrückten Japaner empfangen?« Miller kratzte sich am Hinterkopf. »Warum interessieren Sie sich dafür?« Clair lachte fröhlich. »Es ist uns jetzt doch noch gelungen, einen Teil der zweiten Sendung herüberzubekommen.« Vertraulich beugte er sich vor. »Es hat allerhand Geld gekostet, aber der hat es ja.« »Da wird sich der Doktor aber freuen«, erwiderte Miller. »Er war noch nie bei mir aber ich verdiene ganz schön an ihm. Vor allem, seitdem er all das Zeugs bekommen hat. Jeden Tag kommt der Japaner mit meinem Helikopter und verlangt die unmöglichsten Sachen. Bin ich denn ein Warenhaus? Ich habe alles, was in den Wäldern gebraucht wird. Aber was der verlangt ...« Er schwieg vielsagend. »Die hecken da beide was aus. Sie tun sehr geheimnisvoll. Na, der Doktor hat ja auch früher niemanden zu sich hingelassen.«
»Ja, ja. der Doktor«, sagte Clair unsicher. Er hatte keine Ah nung, von wem die Rede war. »Wann bringt er die Maschine denn?« fragte er. »Es sind sehr zerbrechliche Geräte aufzustellen. Ich muß mir erst mal anschau en, wo sie hinkommen sollen.« »He. Mac, wann wollte der Japaner heute kommen?« schrie der Händler durch die offene Tür. »Um vier, Chef, um vier Uhr pünktlich hat er gesagt. Wir sollen ihm das Cerosin bereitstellen. Ist was?« »Nein, schon gut. Um vier, Sie haben es gehört.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »Sie haben Glück. Wir haben jetzt zwanzig vor vier.« »Danke. Kann ich hier auf ihn warten? Ich vertrage die Hitze nicht gut, wissen Sie.« Der Händler nahm seine Arbeit wieder auf. »Geht in Ordnung. Sie hören ihn ja.« »Danke«, sagte Clair noch einmal. Nichts verriet, wie gespannt er war. Er holte sich eine alte Zei tung und blätterte gelangweilt darin. Was hatte er doch für ein Glück. Er mußte auf diesen Händler ein Auge haben, nahm er sich vor. Der würde sich nicht um Er laubnisscheine für Waffen kümmern. Das schien ein richtiger Draufgänger zu sein. Träge schlichen die Minuten dahin. Erst hörte Clair das leise Summen, das aus der Ferne zu ihm herüberwehte. Dann wurde das Klappern der Propellerflügel lauter, bis der Helikopter zur Landung ansetzte. Clair hatte die Tür aufgezogen und stand hinter der Deckung. Durch den Spalt konnte er deutlich sehen, wie Lyn eilig die Haube zurückwarf und im Kontor verschwand. Nach geraumer Zeit kam er wieder und ging auf den Raum zu, in dem Clair wartete. Der Händler hatte ihm sicher von dem Be such erzählt, und Clair war froh, daß der nicht mitgekommen war. Eben tauchte er an der Ecke auf. zwei Kanister in der Hand, die er wahrscheinlich im Laderaum verstauen wollte. Lyn blieb an der Türeinfassung stehen. »Heh«, rief er, als er niemanden entdecken konnte. »Wo ste cken Sie denn?« Mit der Waffe in der Faust schoß Clair aus seinem Versteck. »Ich würde an Ihrer Stelle nichts riskieren«, warnte er leise.
Der Japaner zuckte mit keinem Muskel. »Gut gemacht, Clair. Hätte mir's denken sollen.« Clair lachte. »Ich will nur meine Kapsel. Sie haben sie doch bei sich?« »Pech gehabt! Wenn Sie so scharf auf die Kapsel sind, müssen Sie schon mit mir kommen. Ich habe noch genügend Platz in der Maschine.« Clair schob die Automatik in die Rocktasche, aber so, daß die Mündung immer noch auf den Körper Lyns zeigte. Er war sehr wachsam. »Gerne nehme ich die Einladung nicht an. Aber was will ich ma chen! Ich brauche das Ding nun mal.« Er trat dicht an Lyn heran. »Gehen wir! Versuchen Sie nicht, Hilfe herbeizuholen. Ich schieße sofort.« Er sah, daß die Kette nicht um Lyns Hals hing. Hier konnte er ihn nicht durchsuchen. Vielleicht hatte er sie wirklich nicht bei sich. »Macht's gut, ihr beiden«, winkte Miller. Der Flugkörper ruckte an und stieg in die Luft hinauf. »Es ist nicht weit«, schrie Lyn, um den Lärm der Maschine zu übertönen. Clair überlegte fieberhaft. Wie konnte er wissen, was ihm am Ziel erwartete? Als die Station nicht mehr zu sehen war, zog er die Waffe he raus und schob sie Lyn in die Seite. »Dort drüben ist ein guter Landeplatz. Vielleicht brauchen wir gar nicht so weit zu fliegen. Sie können das Gerät auch in der Tasche haben.« Es machte ihn noch mißtrauischer, daß der Japaner sofort ge horchte. Die Lichtung war nicht groß und von Steinen übersät. Die Lan dung klappte ausgezeichnet. »Steigen wir aus«, riet Lyn. Clair nickte, wartete, bis der Japa ner sich über die Seitenwand beugte, und schlug dann hart zu. Schnaufend zog er den schweren Körper zu sich auf die Erde. Lyn trug nur eine leichte Hose und ein Hemd. Es gab also nicht viele Möglichkeiten, etwas zu verbergen. Die Kapsel fand Clair jedoch nicht. Langsam kam Lyn wieder zu sich. Er rieb sich das Kinn, ver suchte auf die Knie zu kommen, und Clair half ihm dabei.
»Ich muß mich entschuldigen«, bedauerte er. »Ich habe per sönlich nichts gegen Sie, abgesehen davon, daß Sie mich umbrin gen wollen. Aber die Kapsel muß ich haben.« Lyn lehnte sich mit dem Rücken gegen die Flugzeugwand. »Heute ist der letzte Tag. an dem sie aktiv sein soll. Wahrschein lich haben Sie mir damals nicht die Wahrheit gesagt, da Sie so begierig sind, sie zurückzubekommen.« »Suchen Sie nicht nach Gründen, die Sie nicht verstehen.« Clairs Gesicht wurde hart und entschlossen. »Wo ist das Ding?« Lyn lachte. »Wenn Sie mich nicht zur Landung gezwungen hät ten, wären wir längst da.« Clair faßte einen Entschluß. Rasch zog er sich zur Kanzel hoch und suchte die Instrumenten tafel. Er hatte sich nicht getäuscht. Es war ein Autopilot einge baut, und der stand fest auf Kurs eingestellt. Lyn schaute zu ihm herauf. »Wollen Sie ohne mich abfliegen?« Er warf den Arm hoch und klammerte sich an der Strebe fest. Mit kräftigem Ruck zog er den Körper nach. Clair ließ ihn in die Mündung sehen. »Ich sagte eben, daß ich kein persönliches Interesse an Ihnen habe. Der Nachteil ist nur, daß sich die Amniten brennend für Sie interessieren.« Ohne zu zögern riß er den Abzugshebel durch und sah noch, wie die lo hende Flamme aus der Pistole das Gesicht des Japaners traf, be vor die kraftlos gewordenen Finger losließen. Clair warf den Motor an und startete. Der Autopilot würde ihn genau zu seinem Be stimmungsort bringen. Miller greift ein Su saß vor der Maschine, die er aufgebaut hatte, und ließ die zwei Generatoren anspringen. Sofort begannen die unzähligen Transis toren zu wirken. Ein Lichtbogen strahlte auf, und Su mußte schützend den Arm vor das Gesicht legen. Jetzt würde es sich zeigen, ob er genügend Energie erzeugen konnte. Seine Linke tastete zur Seite, bis sie den großen Hebel fand. Langsam rastete er ein. Ein kleines Stück entfernt stand inmitten des Raumes ein Käfig, in dem ein Äffchen dem eifrigen Mann interessiert zusah.
Su stand auf und trat zur Peilvorrichtung. Langsam drehte sich die große Maschine und schwenkte herum, bis er das Versuchstier im Zielschlitz hatte. Dann drückte er auf den Auslöseknopf. Der Käfig war leer. Befriedigt lehnte sich Su zurück. Er hatte es geschafft. Mit den Blicken streifte er die kleine Kapsel, die geöffnet auf dem Arbeits tisch lag. Noch viele Jahrzehnte würden vergehen, ehe der Mensch ein solches Wunderwerk schaffen konnte. Alleine die Energieanlage, die mit unbekannten Strahlen gespeist wurde, war reine Zauberei. Er hatte wirklich nicht mehr daran geglaubt, die selbe Wirkung mit seinem primitiven Apparat zu erreichen. Jetzt konnte das Geschenk der Amniten ruhig seine Kraft verlieren. Nicht nur, daß Su den Zeitversetzer hatte nachbauen können, er hatte ihn aktiviert und seine passive Eigenschaft in eine aktive Trägerfrequenz umleiten können. Lyn würde Augen machen, denn Su hatte in den letzten Tagen kaum ein Wort mehr mit ihm gesprochen. Gehorsam kehrte der Affe in die Gegenwart zurück und wurde wieder sichtbar, als Su den Regler betätigte. Der Inder schloß die Augen. Ich werde mein ganzes restliches Leben darauf verwenden, dachte er, noch tiefer in dieses Ge heimnis einzudringen. Vielleicht ist es möglich, eine Zeitmaschine daraus zu machen. Er hörte in seine Gedanken hinein, als der Helikopter zur Lan dung ansetzte. »Cho«, rief er über die Schulter. »Wir haben es geschafft. Schon mein erster Versuch ist geglückt.« Draußen stieß jemand gegen die Holzwand. »Laß die Kanister dort stehen. Ich brauche sie nicht mehr. Komm schnell herein.« Jetzt erst merkte er, daß die Belastung der letzten Tage und Nächte an seinen Nerven gezehrt hatte. Leise vibrierte das Gerät vor ihm auf dem schwenkbaren Po dest. »Drehen Sie sich um«, sagte eine scharfe Stimme. Langsam gehorchte Su, und seine Augen wurden groß. »Was wollen Sie?« Er sah auf den matt glänzenden Lauf einer Pistole.
Clair hatte die Kapsel entdeckt. »Das kompliziert das Verfahren wesentlich«, meinte er bedauernd. Er stellte sich so, daß er den Mann und die Tür gleichzeitig im Auge behalten konnte. »Wer hat noch daran gearbeitet?« »Was geht Sie das an?« fuhr Su auf. Er war sich der tödlichen Gefahr noch immer nicht bewußt. »Wo ist Lyn geblieben?« Clair steckte das, was von dem Amnitengerät übriggeblieben war, in die Hosentasche. »Wollen Sie sagen, daß Sie den. Zeit versetzer nachbauen wollten?« fragte er ungläubig. Su zögerte. »Ich habe Versuche gemacht«, gab er schließlich zu. »Wer sollte mich daran hindern?« »Die Amniten«. versetzte Clair trocken. »Ich bin in ihrem Auf trag hier, um ihr Eigentum zurückzuholen.« Su wurde aufmerksam. »Oh, das interessiert mich sehr. Das dürfte unsere These einwandfrei beweisen. Sie haben also Angst davor, daß ein Mensch daran Erfahrungen sammelt?« »Das interessiert mich weniger. Ich bin Geschäftsmann, müssen Sie wissen. Ich habe einen Auftrag angenommen und frage nicht nach den Gründen.« Su vergaß die Drohung und sprang erregt auf, was Clairs Finger veranlaßte, den Druck vom Abzug zu nehmen. »Sie sind ein ausgemachter Idiot. Haben Sie denn so wenig Verstand im Kopf, um zu verkennen, was hier vorgeht? Die Amni ten haben regelrechte Angst, denn dieses Ding«, er deutete auf die Hosentasche, in die Clair es gesteckt hatte, »stellt ihren gan zen Plan in Frage. Es ist für diese Wesen eine tödliche Bedro hung.« »Na und? Was hat das mit mir zu tun?« Su schüttelte ungläubig den Kopf »Die Erde ist Ihr Planet genauso gut wie meiner. Wenn es um den Fortbestand unserer Rasse geht, muß jeder Egoismus in den Hintergrund treten.« »Ich bin kein Patriot«, gestand Clair. »Brechen wir die Diskussi on ab. Fest steht, daß Sie mit mir kommen werden, und zwar sofort.« Aus dem Käfig kam ein Knurren. Beide schauten automatisch zu dem Affen hin, und Su kam ein Gedanke.
»Soll auch der Affe mitkommen?« Clair schaute ihn fragend an. Er begriff den Witz nicht. »Er steht nämlich unter Strom. Sie er lauben wohl, daß ich das Tierchen vor meinem Tode noch rette. Ich werde die linke Hand auf den Kopf legen und mit der Rechten ausschalten. Ist Ihnen das recht?« Clair fand nichts daran auszusetzen. Außerdem war er durch die Unterbrechung ein wenig verwirrt. Su trat langsam auf die Drehscheibe. »Herunter!« brüllte Clair und sprang einen Schritt zur Seite. »Glauben Sie, ich falle darauf rein? Sie wollen sich unsichtbar machen.« Su lächelte. »Seien Sie kein Narr. Dazu ist der Kasten viel zu groß. Aber ich kann so nicht hinlangen. Warten Sie, ich werde die Schalttafel etwas drehen.« Langsam und vorsichtig, damit der Gangster ihn genau beo bachten konnte, begann er an dem Rad zu drehen. Die ganze Anlage schwang mit herum, verschob ihren Standplatz ein wenig. »Ich will ja nur den Stromkreis unterbrechen.« Clair nickte. Mit unbeweglichem Gesicht beugte sich Su weit vor, bekam den Knopf unter seinen Finger und drückte ihn herab. »Also, kommen Sie«, sagte Clair ärgerlich. Er hatte schon ge nug Zeit verplempert. Der Inder verzog sein Gesicht zu einer Grimasse und ging zur Tür. Plötzlich spürte Clair. daß etwas nicht stimmte. Er konnte kei nen Laut hören, als die Schuhe des Mannes gegen den betonier ten Fußboden klapperten. Er sprang vor und prallte gegen eine unsichtbare Mauer. Er schrocken riß er den Abzug durch. Die Waffe entlud sich, die Ku gel prallte vor seinem Gesicht ab, jaulte als Querschläger an ihm vorbei und bohrte sich schmerzhaft in seinen Schenkel. Clair heulte auf vor Wut und Entsetzen. Niemals hatte er damit rechnen können, daß das Gerät eine andere Wirkung bekommen hatte, als die, welche er kannte. Su drehte sich um, winkte und verschwand aus seinem Sichtbe reich. Er erreichte den Helikopter. Eigentlich hatte er vermutet, daß Lyn verletzt oder gefesselt im Rücksitz lag. Aber der Flugkörper war leer.
Ratlos betrachtete Su die Maschine. Doch er war nicht, der Mann zu verzweifeln. Er würde zur Station fliegen und Hilfe her beiholen. Entschlossen setzte er sich hinter das Steuer und versuchte das Gewirr der Hebel zu begreifen. Start stand auf einer Plastikscheibe. Er drückte den Knopf und langsam erst, dann immer schneller werdend, begannen sich die Rotoren zu drehen. Der eingedrückte Knopf war herausgesprungen und hatte sich um ein gutes Stück verlängert. Su griff danach und bewegte das Ding nach allen Seiten. Der Erfolg war, daß sich der Flugkörper sanft vom Boden abhob, eine Schleife beschrieb und dann einen festen Kurs einnahm. Su vertraute auf sein Glück, denn er war noch nie in seinem Leben in solch einem Ding geflogen. Er vergaß ganz die Wichtigkeit seines Vorhabens. Es war schon eine feine Sache, wie die Baracken im Hintergrund als kleine, schwarze Punkte verschwammen. Dann begann der Dschungel, und das alles so von oben zu betrachten, was seine Heimat war, gab ein faszinierendes Bild. Der Lärm der Flügel scheuchte ein Tier auf, das von der kleinen Lichtung in die rettende Undurchdringlichkeit des Waldes flüchte te. Su beugte sich weiter zur Seite, denn ein Körper zog seine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein Kadaver? Aber als er schon fast vorbei war, merkte er, daß er die Gestalt eines Menschen gesehen hatte. Hastig stellte er den Antrieb ab, und der Helikopter sauste hi nunter wie ein Stein. Der Aufprall war nicht schlimm, weil ihn das dichte Geäst der Baumkronen federnd abfing. Trotzdem brauchte Su eine ganze Zeit, ehe er sich aus dem Wrack befreien konnte. Er betastete seine Glieder und stellte zu seinem Erstaunen fest, daß er wie durch ein Wunder unverletzt geblieben war. Gewandt schlängelte er sich durch das dichte Unterholz, merk te, daß er in der verkehrten Richtung gelaufen war und kehrte zum Wrack zurück. Dann versuchte er es erneut und hatte diesmal Erfolg dabei. Der Aasfresser war zurückgekehrt und zeigte ihm die Richtung. Mit lauten Schreien verscheuchte er das Tier. Zuerst war es ei gentlich mehr eine Hoffnung gewesen, dann wurde es zur Gewiß heit, zu einer traurigen Gewißheit freilich, denn die zusammen
gekrümmte Gestalt war Lyn. Sein Gesicht bedeckte schwarzer Pulverschleim, und an der Schläfenseite klebte ein vertrocknetes Rinnsal, wo das Blut aus der Schußwunde gesickert war. Su ließ sich auf die Knie nieder und wälzte den Körper herum. Dieses Schwein, dachte er voller Zorn. Dann merkte er, daß der Körper noch warm war. Seine Hand umklammerte das Handge lenk, und seine tastenden Finger spürten den Pulsschlag, ganz undeutlich und flackernd zwar, aber immerhin lebte Lyn noch. Entschlossen stemmte Su seine Schultern unter den Körper und wuchtete ihn hoch. Er wußte nur ungefähr, welche Richtung er einschlagen mußte. Die einzige Hilfe, die er erwarten konnte, war die Handelsniederlassung. Die Dunkelheit brach schlagartig über den Dschungel herein, und mit ihr erwachte das tausendfältige Leben. Überall um ihn herum hörte er Rascheln, tausend Stimmen wisperten und schrien. Die Last hing schwer auf seinem Rücken, seine zitternden Beine wollten einknicken. Aber er gab nicht auf. Und die unerforschlichen Mächte des Schicksals entschieden sich für ihn. Als er schon nicht mehr glaubte, dem Wald jemals entrinnen zu können, sah er Licht durch die Baumreihen schim mern. Er ließ Lyn zu Boden gleiten und begann zu laufen. Das dichte Unterholz riß ihn um. Er raffte sich immer wieder auf, schrie laut seine Not in die Nacht hinaus, als der Lichtschimmer aus seinem Blickfeld verschwand, und heulte fast vor Glück, als er den Wald verlassen hatte. Ein sicheres Bollwerk gegen die Natur war die Station. Noch nie hatte er sich so nach einem Menschen gesehnt, wie in diesem Augenblick. Das Licht kam aus einem Fenster, dessen Laden lose herunter hing. Aufatmend stützte Su seinen Kopf gegen die Scheibe und häm merte mit den Fäusten dagegen. Er hörte, wie ein hölzerner Gegenstand umfiel, und dann wurde der sichernde Balken von innen zur Seite geschoben. »Wohl wahnsinnig geworden, wie? Ich habe ...« Der Wortschwall versiegte. »Mein Gott, wie sehen Sie denn aus, Sir. Sie sind sicher, Doktor Su, habe ich recht? Genauso wurden Sie mir beschrieben. Kommen Sie doch herein.« Su holte tief Atem. »Sie müssen mir helfen.«
Er zögerte zuerst noch, dann warf er alle Hemmungen über Bord und sprudelte hervor, was sich ereignet hatte. Miller spuckte aus. »Eine fast unglaubliche Geschichte. Aber seit diese Außerirdischen gelandet sind, wundert mich überhaupt nichts mehr.« Es erwies sich, daß damit seine Fragen erschöpft waren, denn er begann sofort, nach seinen Helfern zu brüllen. Verschlafene Gestalten tauchten auf, murrend und schimpfend, waren aber sofort ruhig, als sie hörten, daß ein Mensch in Not war. Hier draußen gab es nichts umsonst, aber es gab auch noch echte Hilfsbereitschaft. Endlich machten sich die acht Gestalten auf den Weg. Jeder hielt eine starke Lampe in den Händen, und zwei hatten die transportable Tragbahre auseinandergeschraubt und umgehängt. Lyn lag noch immer bewußtlos da. Millers Funker war früher einmal Arzt gewesen, bis ihn eine Geschichte, von der er niemals etwas erzählte, in die Einsamkeit verschlagen hatte. Das war Lyns Rettung. Brown bettete den Verletzten sorgfältig auf die Bahre und pack te mit an. »Das nenne ich Glück«, war sein ganzer Kommentar, als er in der Station die Wunde säuberte. Sieben Gesichter sahen ihm da bei zu: es war keiner darunter, der noch eine Hoffnung hatte. Brown hatte den Verband fertig. Er ging in die Ecke und säuber te sich die Hände. »Jetzt können wir nur noch warten«, sagte er dabei. Der Tag verging und wieder eine Nacht, und dann war Lyn au ßer Gefahr. Su hatte sich entschlossen, den Männern die ganze Geschichte zu erzählen, soweit er sie kannte. Sie waren sofort bereit, ihm zu helfen. Der Händler zog seine Pfeife aus der Hemdtasche, klopfte sie umständlich aus und begann sie zu stopfen. »Was ist aus dem Gangster geworden?« fragte er. Su hatte die Hände zwischen den Knien gefaltet. »Ich habe keine Ahnung«, bekannte er ehrlich. »Wahrscheinlich ist er noch immer in dem Schirm gefangen, der über ihm liegt. Ich kann nicht sagen, ob ihm die Strahlenwirkung geschadet hat. Natürlich hoffe ich, daß er noch lebt, denn ich habe mit ihm abzu rechnen.« »Sie beherrschen die Entdeckung vollkommen?«
Zögernd meinte Su: »Beherrschen ist etwas zu viel gesagt. Ich habe versucht, die Wirkungsweise der Kapsel nachzubauen. Ver gessen Sie nicht, daß mir nicht viel Zeit dafür zur Verfügung stand.« Der Händler schob entschlossen den Stuhl zurück. »Ihr beide bleibt hier«, entschied er, »und Brown muß seinen Patienten versorgen. Wir anderen werden Mr. Su begleiten und nach dem Rechten sehen.« Er ließ keinen Widerspruch gelten, seine Männer waren begeis tert, als sie hörten, daß sie den Amniten eins auswaschen konn ten. Su sah sich inmitten einer wirbelnden Geschäftigkeit, denn, wenn es auch nur knapp fünfzehn Meilen waren, so ging der Weg doch durch den Urwald. Aus dem Tohuwabohu schälte sich eine fertig ausgerüstete Mannschaft, mit der man schon etwas anzus tellen vermochte. Beim Tagesgrauen gingen sie in den Dschungel. Miller über nahm die Spitze, in der Faust ein breites Messer, mit dem er kräf tig nach allen Seiten ausschlug, um der Gruppe einen Weg zu bahnen. Der Marsch war aber doch recht mühsam. Su, an körperliche Strapazen keinesfalls gewöhnt, mußte oft die Zähne zusammen beißen, um nicht schlappzumachen. Als die Nacht hereinbrach, befahl Miller ein Lager aufzuschlagen. Sie hatten eine Menge Unterholz freigeräumt und unterhielten ein kleines Feuer. Miller saß neben Su und nagte an einem kalten Hühnerbein. »Eigene Zucht«, sagte er stolz und hob den Knochen höher. »Ich mache mir Sorgen«, bekannte Su. Miller schluckte den Bissen hinunter und warf den Knochen in das Feuer. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. »An Ihrer Stelle wäre ich nicht ängstlich. Wenn ich es recht be trachte, ist es völlig gleichgültig, ob - wie hieß der Mann gleich?« »Ben Clair«. sagte Su. »Richtig! Es ist doch gleichgültig, ob dieser Clair in dem Strah lungsfeld umgekommen ist, oder auf den elektrischen Stuhl steigt. Verdient hat er es auf jeden Fall.« Su sah in die Flammen, die als kleine Zungen an den Ästen em porleckten.
»Ich maße mir nicht das Recht an, Richter und Henker zu spie len.« »Gefühlsduseleien«, unterbrach Miller grob. »Viel wichtiger er scheint mir die Frage, ob ihr Apparat die Beanspruchung aus hält.« Su erschrak. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wenn er entkommen wäre und meine Arbeit zerstört hätte?! Nicht auszu denken!« »Wir wollen schlafen«, murrte einer der Männer und schaute ärgerlich herüber. »Er hat recht«, sagte Miller. »Wir werden morgen auch nachts laufen, bis wir am Ziel sind. Nehmen Sie einen ordentlichen Arm voll Schlaf. Morgen werden Sie's brauchen können.« Er rollte sich zusammen wie ein Igel und ließ Su mit seinen Ge danken und Sorgen alleine. Ohne Übergang versank auch der Forscher in einen tiefen, bleiernen Schlaf. * Es war noch ganz düster in dem Tunnel aus Bäumen und üppig wucherndem Gestrüpp, als sich die Gruppe wieder in Marsch ge setzt hatte. Su erlebte das alles wie im Traum. Eine Unterbrechung gab es nur, wenn Miller eine kurze Rast einlegte. Sonst strebten sie mit größtmöglicher Geschwindigkeit weiter. Wie Miller vorausgesagt hatte, war es schon dunkel, als sie Sus Haus endlich erreichten. Der Inder ließ die erschöpften Männer draußen warten und eilte in sein Labor. Das Summen der Geräte war drohender geworden und lauter, so schien es ihm. Eilig sprang er hinüber und unterbrach den Kontakt. Als er den Finger auf den Knopf drückte, überfiel ihn siedendheiß die Vorstellung, daß jetzt ein Mann mit einer gelade nen und entsicherten Pistole vor ihm erscheinen würde. Aber der Verbrecher lag regungslos am Boden. »Kommt herein«, rief Su aufgeregt und beugte sich zu dem Be wußtlosen. Miller langte sofort in seine Hosentasche und brachte die Fla sche zum Vorschein, sein Allheilmittel. Der scharfe Schnaps lief
Clair in die Kehle und löste sofort heftige, Schluckbeschwerden aus. »Wasser«, stöhnte er, und der Alkohol verschlimmerte seinen Zustand erheblich. Er war nur noch ein hilfloses Bündel Mensch. Während sich Su um den Kranken kümmerte, machte sich Miller daran, dessen Taschen zu durchstöbern. Erstaunt pfiff er durch die Zähne. »Allerhand. Ein ganzes Ver mögen schleppt der mit sich herum. Und hier einen Spezialaus weis.« Er schaute zu Su hoch. »So langsam nimmt ein Plan in meinem Gehirn feste Formen an. Es hätte sich nicht besser treffen kön nen. Ich werde die Stelle dieses Mannes einnehmen und den Lockvogel spielen.« Entschieden lehnte Su ab. »Das kommt nicht in Frage. Es ist viel zu gefährlich.« Miller bekam unschuldige Kinderaugen. »Aber Doktor, können Sie mir vielleicht verraten, wie Sie dieses Ding da zum Einsatz bringen wollen?« Er sprang elastisch auf, seine Beute zwischen den Fingern haltend, und betrachtete den Zeitversetzer wohlge fällig. »Sie sind der Mann mit dem Kopf, ich mache das, wozu man Fäuste braucht. Nicht wahr. Jungens?« Die Männer grinsten und nickten eifrig. »Sie hätten keinen Besseren finden können. Miller ist Ihr Mann.« Er schlenderte zu dem am Boden kauernden Inder zu rück. »Mein Gott, ich würde es auch ohne Profit tun, denn schließlich geht es um unsere Freiheit: aber wenn die Geschichte glücklich überstanden ist, wird schon ein ordentlicher Brocken für meine Leute und mich herausspringen.« Su war verwirrt. Er flößte dem erschöpften Clair warme Suppe ein, die er eben eilig zubereitet hatte. Ärgerlich schüttelte Miller den Kopf. »Machen Sie nicht so viel Umstände. Er wird es ohnehin nicht mehr lange machen. Ich ken ne mich da aus.« Sofort widersprach der Inder. »In einer Woche ist er wieder auf den Beinen.« Miller drehte sich um. »Wollen Sie mir einreden, daß ich so lan ge hier Krankenschwester spielen soll, nur damit dem, der uns die ganze Suppe eingebrockt hat. nichts passiert?« Er wippte auf den Fußspitzen. »O nein. Ich bin ein ganz friedlicher Mensch, aber
jetzt haben Sie mich aufgeweckt, und ich werde die Geschichte zu Ende führen. Mac Miller, der Mann aus dem hintersten Zipfel In diens, der Retter der Welt! Klingt nicht schlecht, wie? So ist es mit euch Wissenschaftlern immer. Ihr habt das Zeug dazu, die Welt umzukrempeln und diese Eindringlinge in den Weltenraum zurückzujagen, wohin sie gehören, aber ihr habt keinen Mumm in den Knochen. Passen Sie auf, wie wir das hier machen.« Er zauberte aus seiner Tasche eine großkalibrige Pistole hervor und richtete sie auf den Bewußtlosen. »Nein«, schrie Su. Miller sagte kalt: »Ich bin kein Killer, wie der da. Aber dieses Geschäft muß getan werden, denn er stand uns lange genug im Weg. Wenn ich Ihnen sage, daß er fort muß, dann ist das so. Oder wollen Sie ihn vielleicht mit sich herum schleppen?« Langsam kam Clair zu sich. Sofort begriff er die Situation. Ben Clair bettelte um sein Leben. »Hören Sie, Mister. Ich kann Ihnen mehr Geld bieten, als sie jemals in Ihrem Leben auf einem Haufen zusammen gesehen ha ben.« Miller ließ sich auf die Fersen sinken. Der Lauf der Waffe verließ seine Richtung nicht. »Sieh mal einer an«, höhnte er. »Es ist nicht schön zu sterben. Haben Sie auch daran gedacht, als Sie Lyns Bruder erschossen?« Auf Clairs blassem Gesicht bildeten sich große Schweißperlen. »Ich tauge nicht viel, ich weiß es. Aber ich habe nur geschos sen, wenn der andere eine Chance hatte. Wenn Sie mich jetzt so erledigen, sind Sie keinen Deut besser als ich.« Millers Gesicht blieb unbeweglich. Alle schauten jetzt auf die beiden Männer hinunter. Es war keiner dabei, der nicht Mitleid mit Clair empfand. Auch in ihrer rauhen, harten Welt gab es Grenzen. Clair, müde und zerschlagen, am Ende seiner Widerstandskraft, richtete sich auf dem Ellbogen hoch. »Vergessen Sie, dass ich Ihnen Geld anbot. Ich weiß es - einmal sind Sie in der gleichen Lage. Dann verfluchen Sie sich selbst, weil Sie mir nicht die winzigste Chance geben wollten. Sie können nicht den Helden spielen und dann in Ihr gewohntes Leben zu rückkehren, als wäre nichts geschehen.« »Oh. ich bin bisher sehr gut mit allem zurechtgekommen.« Ben Clair strich mit den Händen über sein Haar.
»Wissen Sie wie groß die Versuchung ist, wenn ein Mann einmal sehr schnell zu viel Geld kommt? Er sagt: Das war das letztemal. und dann kann er nicht mehr von dem Pfad herunter, den er ein mal betreten hat. Glauben Sie mir, ich habe es versucht. Oft.« Er flüsterte: »Ich kenne ein Mädchen, das auf mich wartet. Sie weiß, was ich bin. Sie verachtet mich, weil ich ein Dieb bin und ein Mörder. Aber trotzdem liebt sie mich. Geben Sie mir für dieses Mädchen eine Chance und für die vielen Gelegenheiten, die ich versäumt habe, weil die Menschen mich nicht haben wollten, als es noch Zeit war.« Miller wippte auf den Zehenspitzen. »Gehen Sie«, sagte er kurz. Der Mann vor ihm nahm den letzten Rest von Kraft und Energie zusammen. Er zog sich an der Wand hoch, taumelte und mit gan zer Willenskraft gelang es ihm doch, auf den Beinen zu bleiben. »Laufen Sie!« schrie Miller. Mit beiden Händen hing der große, schwere Mann am Türpfos ten. »Jetzt aber schnell, du Ratte«, knurrte Miller. Clair vergaß den Händler und übersah all die anderen Gesichter um sich in dem Raum. »Ich wünsche euch Glück«, flüsterte er. »Ich habe versagt, weil ich die Macht und den Reichtum liebte. Viel Glück.« Dann stolperte er ins Helle hinaus, fiel, raffte sich wieder auf. Miller sah auf die Waffe in seiner Hand und auf die Gestalt da draußen, die dem Dschungel zustrebte. Su krächzte? »Wollen Sie eine gute Sache mit einem Unrecht beginnen?« »Ich will nicht«, sagte Miller, »ich muß.« Er legte den bewaffneten Arm auf den Fensterrahmen. »Jetzt ist er wieder voller Hoffnung. Nie kann er in dieser Verfassung durch den Urwald kommen. Aber er weiß nicht, daß er jetzt sterben wird.« Der Pistolenlauf schnellte in die Höhe, als der Schuß die Mün dung verließ. Miller blies in das Rohr und schob die Waffe an ihren Platz zurück. »Und jetzt wollen wir an etwas anderes denken. Wir sind zu ei nem ganz bestimmten Zweck hier, meine Herren. Gehen wir an die Arbeit.« Er trat ein paar Schritte zur Tür.
»Wir werden einen Schlitten machen«, verkündete er den Män nern, die mit bleichen Gesichtern zugesehen hatten. »Wir müssen die Maschine zur Station schleifen.« Su schaute auf seine Hände. »Keiner von uns ist besser als der da draußen. Wir hätten Miller aufhalten müssen. Wir sind feige, alle miteinander.« Sie sahen einander vorbei. Und dann schlichen sie sich hinaus, an ihre Arbeit. Der Inder ging zu dem leblosen Körper Clairs und trug ihn hin ter das Haus. Dann holte er aus dem Schuppen einen Spaten und begrub den Toten. Er versuchte, alle Gedanken an den Mord aus seinem Hirn zu verbannen. Er hätte ihn nicht töten dürfen, ging es ihm immer wieder durch den Kopf. In knapp zwei Stunden war der Untersatz fertig. Mit Hebeln und Winden wuchteten sie die Apparatur hinauf. Die Generatoren und die hochempfindlichen Batterien dazu. Miller beaufsichtigte die Verladearbeit. Sein Gesicht war unbeweglich und verschlossen. »Die Batterien werden keine große Hilfe sein«, meinte er nach denklich. »Was glauben Sie. Doktor?« Su gab keine Antwort. Er konnte nicht mit Miller sprechen. Viel leicht war es der einzig richtige Weg gewesen, doch er billigte ihn, nicht; Miller wandte sich ab. »Zieht die Plnnen fester, ihr Schwachköpfe. Wir, machen hier keine Spazierfahrt.« Auch die anderen, die schon jahrelang mit ihm auf der Handels station lebten, waren nicht so recht bei der Sache. Sie vermieden es, ihren Chef anzusehen. Su brachte alles an Proviant herbei, was ihm nützlich erschien, holte schließlich eine Liste und verglich damit, was sie aufgeladen hatten. Dann verriegelte und verschloß er Labor und Wohnraum. Die kleine Gruppe war bereit für das gefährliche Abenteuer. Verrat oder Wahnsinn Wahrscheinlich hätten sie es nicht geschafft, wenn Miller nicht dabeigewesen wäre. Miller gab ihnen gute Worte, nicht aufzuge ben, da sie schon so nahe an der Station seien. Miller bettelte, befahl und fluchte. Er legte sich selbst mit der ganzen Kraft seiner
starken Muskeln gegen die primitiven Streben, als wolle er das ungefüge Fahrzeug allein fortbewegen. Es gab auch Augenblicke, wo er mit der Pistole in der Hand ne ben ihnen herging, während ein anderer den Weg ebnete, damit die Kufen darüber hinweggleiten konnten. Sein Gesicht sah aus wie vor Tagen, als er Clair erschoß. Su hatte eines Nachts, während ihm vor Erschöpfung die Augen zufallen wollten, eine Probe gemacht. Er hielt sich gewaltsam wach und schob sich vom Feuer weg. Alle lagen in tiefem Schlummer. Aber Miller war auf der Hut. Er richtete sich auf, die Sicherung der Pistole klickte, als er zu Su hinübersah. Am nächsten Morgen war er genauso unermüdlich, wie sonst. Su bewunderte die scheinbar unerschöpflichen Kräfte dieses Man nes, der zum Motor der Gruppe geworden war. Sie hatten die Maschine schon oft verflucht; aber Miller achtete sorgsam darauf, daß ihr nichts geschah. Jede schwierige Stelle prüfte er vorher sorgfältig, bevor er ihr die kostbare Last anvertraute. Auch die Wochen des Transports gingen zu Ende, und mit ihrer letzten Kraft kamen die Männer zur Handelsstation. Lyn war wieder auf den Beinen und schien ganz gesund zu sein. Nur spannte sich seine Gesichtshaut noch enger als früher um seine hervorstechenden Backenknochen, und in seinen Augen brannte ein Licht, das Su früher nicht gesehen hatte. Während alle ausnahmslos endlich ruhig schlafen konnten, saß Miller mit Lyn und dem Funker Brown im Wohnraum. Er erzählte den beiden alles, ohne etwas auszulassen, und war tete auf eine Reaktion von Lyn, den er während der ganzen Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte. Eine Weile sagte niemand etwas. Dann meinte Lyn: »Sie wollen wohl von mir hören, ob ich Ihre Handlung gutheiße? Jetzt, wo Clair tot ist, empfinde ich keinerlei Befriedigung darüber. Es ist mir gleichgültig. Übrig bleibt nur noch die Frage, ob Sie den Wehrlosen töten durften.« Brown sagte: »Er muß das mit seinem Gewissen abmachen. Ich würde vorschlagen, daß wir nicht mehr darüber sprechen.« Lyn nickte zustimmend. Miller fragte den Funker: »Was ist inzwischen in der Welt vor gegangen?«
Brown sah zu Lyn hinüber. »Die letzte Möglichkeit des Wider standes scheint endgültig vorüber zu sein.« Miller nickte, als habe er nichts anderes erwartet. Er winkte mit der Hand, damit Brown fortfahren möge. »Sie haben jetzt die Katze aus dem Sack gelassen. Das Gebiet um New Jersey herum wurde vollkommen geräumt. Überall ha ben sie große Gebiete eingeebnet. Dort sollen gewaltige Fabriken entstehen. Nur ihre Maschinen dürfen in diese Sperrzonen. In allen Ländern rekrutieren sie jetzt nach und nach die Bevölkerung zu Arbeitskolonnen. Dabei passen sie genau auf, daß genügend zurückbleiben, um für die Verwaltung und Lebensmittelversor gung zu sorgen. Ihr werdet es nicht glauben, aber in den Organi sationsbüros sitzen ausschließlich Menschen. Sie sollen märchen hafte Gehälter beziehen. Es haben sich schon mehr Leute dafür gemeldet, als die Amniten brauchen können.« »Was machen die Arbeitsbrigaden, oder wie du sie sonst nen nen willst?« »Sie reißen die Häuser ab.« Miller schaute Brown ungläubig an. »Verrückt.« Der Funker lachte. »Wissen Sie, wie ein Wesen von einem ande ren Planeten denkt und lebt? Na also. Ich kann nur sagen, was ich aus dem Gerät gehört habe. Sie reißen die Häuser ab. Aber nicht alle, sondern nur Betonhäuser, Brücken. Stahlbauten. Alles wandert auf sämtlichen verfügbaren Transportmitteln in ihre Fab riken und verschwindet dort spurlos, wenigstens für unsere Mög lichkeiten der Beobachtung. Sie lassen keinen ran. Wahrscheinlich gewinnen sie dabei ein Produkt. Ich weiß es nicht.« Miller sah vor sich hin, dann musterte er Brown und Lyn. »Sie sind der Boß Sir« sagte er zu dem Japaner. »Sie haben die Sache mit der Maschine eingefädelt, die den Amniten schaden kann. Was ist Ihre Meinung?« Lyn ließ sich zurücksinken. »Wir brauchen ein Flugzeug, das uns und die Apparate aufnehmen kann. Dann fliegen wir über sie hin weg, und einer von uns wird auf den Knopf drücken. Wir können nur beten, daß unsere Annahme richtig ist.« Miller ließ ein befriedigtes Brummen hören. »Das wäre der beste Weg, meinen Sie? Da können Sie sich auch gleich selbst umbrin gen. Ich werde anordnen, was zu tun ist. Gute Nacht, meine Her ren!«
Lyn schaute nachdenklich hinter der breiten Gestalt her. Mit lau tem Knall fiel die Tür ins Schloß. Er gestand sich ein, Miller hatte wahrscheinlich recht damit, daß sie bei seinem Plan nicht weit kommen würden. Warum äußerte er aber nicht seine Meinung, damit sie alle zusammen das Beste auswählen konnten? Lyn drehte den Kopf, daß er Brown ansehen konnte. »Sie kennen den Händler schon lange?« fragte er. »Es werden jetzt sieben Jahre sein.« »War er schon immer so?« »Miller? Nein. Ich will Ihnen etwas sagen, wenn ich auch selber nicht ganz klar sehe. Verlassen Sie sich auf ihn. Er tut nichts ohne Grund. Miller ist sonst ein feiner Kerl. Ich gebe Ihnen mein Wort darauf.« * Wider Erwarten gab Miller seinem verlorenen Haufen die Möglich keit, sich einigermaßen von den überstandenen Strapazen zu er holen. Er sprach mit keinem ein Wort, bis zu dem Tag, als er alle im Kontor zusammenrief. »Hört mal zu«, begann er. »Ihr habt genug Zeit zum Faulenzen gehabt. Jetzt wollen wir wieder etwas tun. Ich werde nachher den Wagen nehmen und in die Stadt fahren. Dann ...« »Chef«, sagte einer seiner Leute bedächtig, »ich will nicht wi dersprechen, aber das ist zu gefährlich.« Millers Augen funkelten kalt. »Wir leben hier weit weg von jeder Zivilisation, also auch weit weg von den Amniten. Es kann Jahre dauern, bis sich ein Such trupp hierher verirrt und uns findet. Ich habe heute früh im Radio gehört, daß immer mehr Leute eingezogen werden. Der Sprecher sagte, die Amniten bedrohten jedem mit dem Tode, der nicht all seine Kräfte für die ihm zugewiesene Arbeit einsetzt. Ich habe keine Lust, daß Sie erwischt werden und uns die Bande auf den Hals hetzen.« »Bist du fertig?« fragte Miller. »Denkt ihr alle so wie der da?« Er schaute sie der Reihe nach an. »Sie, Dr. Su?« »Mir ist es gleich, was nun geschieht. Ich habe getan, was ich konnte.«
»Mr. Lyn?« »Meinen Vorschlag kennen Sie ja.« »Und ihr anderen?« Sie zuckten die Schultern und schwiegen. »Wir haben die Ma schine bis hierher gezerrt«, sagte einer, »wir werden auch noch mehr tun, wenn es nötig ist. Ich glaube aber, daß Sie auch an unsere Sicherheit denken sollten.« »Das habe ich mir so vorgestellt«, schrie Miller, und seine Hand fuhr zur Halfter, die er seit dem Transport immer umgeschnallt trug. »Wenn ich nicht alle Waffen eingeschlossen hätte, würdet ihr meutern und mich über den Haufen schießen, nur weil ihr um euer bißchen Leben bangt. Ihr habt gesehen, daß mir ein Leben nicht im Weg steht, wenn es um größere Dinge geht. Und darum fahre ich jetzt in die Stadt, um das zu tun, was ich für nötig hal te.« Die Waffe kam hoch, die Mündung glotzte die Männer drohend an. Rückwärtsgehend verließ Miller den Raum. Seine Augen schossen Blitze. »Daß ihr weglauft, habe ich wahrscheinlich nicht zu befürchten. Ich werde euch also noch wohlbehalten hier finden, wenn ich zu rückkehre.« Seine Stimme troff vor Hohn. Die Männer hörten, wie der Wagen ansprang und um die Bie gung fuhr. Dann waren sie allein. »Er muß verrückt geworden sein«, sagte Lyn und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wir werden es auch ohne ihn schaf fen. Haben sie keinen zweiten Helikopter auf der Station?« fragte er Brown. »Keinen, sonst hätte er ihn ja benutzt. Wir können nicht weg. Ich habe gestern gesehen, daß Miller die Zugmaschine unbrauch bar gemacht hat. Und den Wagen hat er.« »Das hätte er sich sparen können«, meinte einer. »Nicht für al les Gold der Welt wäre ich von hier weggegangen.« Er schaute sich suchend im Kreise seiner Kameraden um. »Ihr?« Er erntete allgemeines Kopfschütteln. »Wir sind gerne bereit, die Zugmaschine zu reparieren und Ih nen zu helfen, Mr. Lyn, Ihre Apparate hinaufzuschaffen. Verraten können Sie ohnehin nicht viel, denn Miller wird das schon besor gen. So wie er sich jetzt gezeigt hat, sucht er doch nur seinen Vorteil. Es ist ihm egal, ob wir dabei draufgehen. Ich werde mich wahrscheinlich noch weiter in die Wälder zurückziehen.«
Brown schaute auf seine Stiefelspitzen. »Merkwürdig«, meinte er zu Lyn hin. »Ich habe den Eindruck, daß Miller der einzige un ter uns ist, der Ihnen helfen könnte.« Die letzte Truppe »Raus!« schrie Cliff, der Mulatte, und hechtete mit einem Satz aus dem Fenster der Handelsstation ins Freie. Es war das Letzte, was er im Leben tat. Lyn teilte mit Su ein Zimmer. Er erwachte von dem Schrei und hörte dann die schnelle Schußfolge über sich. Sofort warf er sich unter dem Fenster hinter den Zimmerwand in Deckung. Dann schleuderte ihn die Detonation der Bombe gegen den Schrank. Lyn rappelte sich auf und erspähte bei einem hastigen Blick aus dem Fenster die große, runde Scheibe, die über der Station hing. Sein Gesicht wurde blaß. Aber er hatte noch so viel Verstand, um in die Ecke hinüberzuspringen, in der sieh Su mit Decken und Kissen abmühte. »Die Amniten«. stieß er hervor. Su fuhr in die Höhe. »Wo?« Lyn zeigte es ihm, während eine zweite Bombe haarscharf ne ben den soliden Gebäuden detonierte und Schutt und Trümmer in das Zimmer warf. Su reagierte blitzschnell. Schon stand er neben dem Zeitverset zer und richtete ihn auf die Scheibe. Dann drückte er den Start knopf. Maschinengewehrsalven peitschten gegen die Häuserwand. Querschläger sangen durch das Zimmer, daß die beiden erschro cken in Deckung gingen. So plötzlich, wie das Feuer begonnen hatte, hörte es auch wieder auf. Es war der Augenblick, in dem der Zeitversetzer eingeschaltet wurde. Auf Sus Gesicht stand ein breites Lachen. »Unser erster Versuch war ein voller Erfolg. Es hätte aber böse ins Auge gehen können.« Lyn war ans Fenster getreten und sagte über die Schulter hin weg. »Der Flugkörper hängt noch immer über uns.« Aus den Gebäuden eilten die Männer und starrten nach oben. Es waren einige darüber, die blutgetränkte Lappen gegen ihre Wun den preßten. Aber das hielt sie nicht ab, wie hypnotisiert zu dem drohenden Unheil hinaufzuschauen.
Langsam senkte sich die Scheibe, begann sanft zu rotieren und setzte unweit der Station auf. Schweigend sahen sich die Männer an. Jetzt war es so weit. Da klang plötzlich eine Lautsprecherstimme auf: »Wollt ihr das verdammte Gerät endlich ausschalten? Soll ich hier ewig gefan genbleiben?« »Miller!« schrie Brown, und Su hetzte in seine Kammer. In der oberen Halbkugel des fremden Raumers öffnete sich ein Spalt, verbreiterte sich zu einem Einlaß, und Miller erschien in der Öffnung. Er winkte. »Wo ist das Empfangskomitee?« Dann wurde er ernst. »Ich habe tausend Ängste ausgestanden, daß Mr. Su seine Geräte nicht mehr rechtzeitig einschalten könne. Zum Glück kön nen die Amniten unsere Waffen nicht richtig bedienen. Sie sind miserable Schützen.« Besorgt erkundigte er sich nach den Verletzungen seiner Leute. Als er merkte, daß der Schaden nicht groß war, nahm er die Män ner mit, um ihnen allen das Schiff zu zeigen. Lyn drängte sich vor. »Sie werden uns wohl bald alles erklären. Aber wo sind die Amniten hingekommen?« »Sie sehen sie gleich«, erwiderte Miller kurz. Zögernd betrat die Gruppe das Schiff. Es war alles so fremdartig und unheimlich, daß sie die Furcht nicht abzuschütteln vermoch ten. Miller schien sich leidlich hier auszukennen. Zielstrebig brachte er alle zum Hauptraum. Auf dem blitzenden Metallboden lagen fünf Gestalten, die eine entfernte Ähnlichkeit mit Polypen hatten. Miller deutete von einem zum anderen. »Das waren die Amni ten. Es wird wohl ihre Art des Sterbens sein.« Er schaute zu Su hinüber. Der Inder fuhr mit den Fingern über die unverständlichen Kont rollen, sah nachdenklich auf und merkte dann, was Miller mit sei ner Andeutung bezweckte. Seine dunkle Haut wurde blaß. »Ich habe sie getötet. Ich habe nichts anderes bezweckt, seit ich den Zeitversetzer nachzubauen versuchte. Aber ich mußte es tun. Miller, verstehen Sie? Es ist Notwehr. Clair jedoch war unge fährlich.« Miller nickte. »Reden wir nicht mehr davon.« Ruckartig drehte er sich um und trat zum Schaltpult.
»Jeder von euch erwartet jetzt meine Erklärungen. Nun gut. Als ich in die Stadt kam, zeigte ich Clairs Spezialausweis vor. Das brachte mich zum nächsten Raumschiff der Amniten. Jetzt seht ihr nur ein undefinierbares Etwas. Ihre wirkliche Erscheinung ist so grauenvoll, daß ihr es euch nicht vorstellen könnt. Ich erzählte ihnen von der Station und daß dort die Kapsel aufbewahrt werde. Ich sagte ihnen, daß ich nicht zur Regierung gelaufen sei, um die Sache geheimzuhalten. Das schien ihnen einzuleuchten. Und sie jagten dieses Schiff hoch. Dabei hatte ich Gelegenheit, ein paar Tests durchzuführen.« Er schaute auf seine Fußspitzen. »Diese Zeit war das Schrecklichste in meinem Leben.« Er ging zu einer der unförmigen Schalen hinüber und ließ sich hineinplumpsen. Man konnte jetzt nur noch den Kopf und die Fü ße des Mannes sehen. Seine Stimme klang dumpf. »Einmal kam ich wie zufällig mit der Hand gegen einen der Kerle. Mein Arm drang in etwas Wei ches - bis zur Schulter. Der Amnit sonderte meinen Arm wieder aus. Ich habe sie auch durch eine Art Telepathie gefragt, warum sie so versessen auf die Kapsel seien. Sie schienen äußerst erbost über meine Neugierde. Während des ganzen Fluges stand ich ne ben dem Wesen, das die Maschine lenkte. Darum befand ich mich auch innerhalb der Strahlenglocke, als Su den Schalter betätigte, und konnte die Scheibe landen.« Su räusperte sich. »Das interessiert mich ungemein. Wie kön nen Sie denn einen so fremdartigen Mechanismus verstehen?« Miller stemmte sich aus der Schale und trat zu dem Armaturen brett. »Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß die Logik der Amniten von der unseren völlig verschieden ist. Sie lieben das Einfache, Unkomplizierte und vermögen es bis zur Vollendung auszubauen. Für Beiwerk haben sie nicht das geringste Interesse.« Miller berührte einen Kontakt, und eine Wand schob sich zur Seite. Dahinter lag ein kleiner Raum, in dessen Mitte, das natur getreue Abbild des Schiffes hing. Miller deutete darauf. »Einfach in der Handhabung. Paßt auf.« Er drückte einen weiteren Stab ein, und sofort leuchtete der Hohlraum in fluoreszierendem Licht. Die erstaunten Männer sahen, wie sich allmählich eine Miniatur landschaft bildete, die ihrer Umgebung genau glich.
Miller weidete sich sichtlich an den beeindruckten Mienen der Männer. »Ich weiß ja auch, daß Mr. Lyn recht hat. Das, was wir Zeitver setzer nennen, ist für sie die einzig mögliche Waffe. Daß sie für uns Menschen eine andere Wirkung hat und uns nicht schadet, war eine willkommene Nebenerscheinung, denn sie half ihnen, die Eroberung ohne große Kämpfe durchzuführen.« Lyn schaltete sich ein. »Dann kann ich nicht verstehen, warum sie unsere militärische Kraft fürchten.« »Auch darüber habe ich nachgedacht. Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß ihre Roboter Explosivgeschosse nicht vertragen können. Wir haben es gesehen, wie einige Polizisten früher Robo ter einfach umlegten. Mit ganz gewöhnlichen Brisanzgeschossen. Diese Roboter aber sind alleine in der Lage, uns Menschen ge fährlich werdende Waffen zu tragen und abzufeuern. Ihre Glied maßen sind dem Menschen nachgebildet, den die Amniten wohl schon seit langem genau studiert haben.« Su sagte: »Sie können auf dem richtigen Weg sein, Miller. Viel leicht durchdringen auch Atomgeschosse die Außenwand ihrer Schiffe, wer kann das heute feststellen? Wir wollen uns nicht in die Gedankengänge der Amniten versetzen, da wir sie doch nie verstehen können. Tatsache ist, daß wir eine Waffe in der Hand haben, die sie vernichten kann.« Miller nickte bekräftigend. »Und darum sollten wir keine Zeit verlieren. Ich werde das Kommando wieder übernehmen. Hat jemand etwas dagegen?« Er sah sich fragend im Kreise um. Niemand widersprach. »Ist auch besser so«, brummte er. Dann gab er Anweisung, Proviant in das Schiff zu schaffen. Eigenhändig brachte er die Überreste der Amniten ins Freie, weil ihm niemand dabei helfen wollte. Endlich hatte er alles im Schiff, was ihm nötig erschien. Den Zeitversetzer ließ er im Hauptraum aufstellen. Einer seiner Männer wurde neben dem Bildschirm postiert und angewiesen, Su die Daten zuzurufen, wenn es zum Kampfe kommen sollte. Sie waren bereit. Miller startete, während die anderen sich mit Stricken an allen möglichen Gegenständen festbanden, um den Halt nicht zu verlie ren.
Er hatte sich einen Sessel aus seiner Station mitgebracht und vor dem Bildschirm aufstellen lassen. Hier saß er und ließ das Bild der vorbeihuschenden Landschaft nicht aus den Augen. Sie mußten nicht weit fliegen, bis sie das erste Amnitenfahrzeug erspähten. »Sind Sie auf ihrem Posten, Dr. Su?« »Alles bereit, Miller.« Das Schiff schwankte und schlingerte. Miller konnte es nicht richtig auf Kurs halten. Jetzt kamen auch die ersten undeutlichen Gedankenwellen, die in die Gehirne der Männer einzudringen ver suchten. Alle schauten gespannt zu Miller hinüber. Seine ruhige Selbstsi cherheit war ihr ganzer seelischer Halt. »Sie werden schnell bemerken, daß etwas mit uns nicht stimmt. Es geht gleich los.« Er hatte nur zu recht. Drüben, bei den Amniten, öffneten sich einige Luken, und ein Feuerstrahl leckte herüber. Sie spürten, wie an der Schiffswand die Granaten zerbarsten. Miller lachte laut. »Ich mußte diesen Versuch wagen. Unsere Geschosse können dieses Metall also tatsächlich nicht durchdrin gen.« Der Mann neben ihm gab monoton seine Richtungskoordinaten durch. Su stand am Zeitversetzer festgebunden. Er hatte bereits die Energie seiner Batterien in das Gerät gejagt und spürte das Zittern der Maschine. »Los!« schrie Miller, und der Mann neben ihm vergaß weiterzu reden. Das feindliche Schiff fiel wie ein Stein vom Himmel und prallte gegen den Boden. »Nummer eins«, frohlockte Miller. Die anderen schwiegen. Sie waren diesen Kampf noch nicht gewohnt, Tod und Vernichtung um sich verbreitend, zogen sie durch den Bundesstaat Indien. Nichts gab es, das sie aufhalten konnte. »Ich werde jetzt beschleunigen«, erklärte Miller und hantierte an einigen Knöpfen. Ein Mann brachte Brote herüber. Miller schüt telte abwehrend den Kopf. »Später«, sagte er. Das Festland blieb hinter ihnen zurück. Unter ihnen erschien auf dem Bildschirm die Wasserwüste des Stillen Ozeans. Seit einigen Stunden ließ sich kein Amnitenschiff mehr blicken. An der Küste waren noch ein paar aufgetaucht, doch sie hielten
sich in respektvoller Entfernung. Hierbei mußte Su erkennen, daß seiner Waffe Grenzen gesetzt waren. Sie reichten nicht sehr weit. Schon seit einiger Zeit bastelte er an der Maschine herum, was ihm einen Verweis Millers eintrug. »Wenn Sie uns plötzlich angreifen, können wir uns nicht weh ren. Was ist mit Ihrer Maschine? Etwas nicht in Ordnung?« Su kratzte sich am Kopf. »Scheint so. Ich habe auch gefunden, was es ist. Ich hätte gleich darauf kommen können. Die Batterie ist fast leer. Sie hat nicht mehr die nötige Spannung.« Miller gab einige Befehle, und Brown erschien. »Sie haben mir lange genug zugesehen und können das Schiff jetzt selbst eine Zeitlang steuern.« Damit machte er dem Funker Platz und strebte zu Lyn hinüber, der gemeinsam mit Su und den übrigen Männern die Maschine umstanden. »Na. Herr Wissenschaftler, keine Idee?« fragte er ironisch, Su befestigte ein Kabel wieder ordnungsgemäß an seinem Platz und sah ärgerlich auf. »Sparen Sie sich Ihren Hohn. Sie machen mich ganz krank mit Ihrer Art, alles besser wissen zu wollen.« Miller schien keineswegs beleidigt. »Was würdet ihr eigentlich ohne mich machen? Wir sitzen in einem großen Schiff und womit fliegt es? Mit Energie! Und Sie schauen trübsinnig ihre Batterien an und beten um eine Eingebung. Auf was warten Sie noch, mei ne Herren? Mr. Su wird jetzt sofort versuchen, die Energiequelle des Schiffes ausfindig zu machen, um sie mit seinen Geräten ab zustimmen. Ihr anderen helft nun dabei und tut alles, was er anordnet. Bin ich verstanden worden?« Lyn war nahe daran »Ja, Sir« zu sagen, unterdrückte es aber. Dieser Mann war auf seine Art genial. Ihm fiel immer wieder et was ein. Bevor er sich anschickte, zu seinem Platz zurückzukehren, dreh te Miller sich nochmals um. »Ich schätze, daß unsere Geschwindigkeit größer ist als in nor malen Düsenflugzeugen. Außerdem weiß ich nicht, woher der Sauerstoff kommt, der uns am Leben erhält. Sie haben ihn für mich eingelassen, das hat mir ein Amnit ausdrücklich erklärt. Das wird Ihr nächstes Arbeitsgebiet sein. Mr. Su.« »Mein Gott! Nun hetzen Sie uns doch nicht so. Ich habe keine Ahnung von den außerirdischen Geräten.«
»Ein bißchen schon«, meinte Miller sanft. »Etwas müssen Sie aus der Kapsel gelernt haben. Ich würde Ihnen raten, sich etwas zu beeilen, wie schon gesagt, haben wir eine ganz erhebliche Ge schwindigkeit. Es kann nicht mehr lange dauern, bis wir drüben in den Staaten sind. Dann wird es auch höchste Zeit sein, daß unse re Waffe wieder aktionsfähig ist.« Er setzte nach einer Sekunde hinzu. »Sonst brauchen wir Sie gar nicht mehr.« Lyn, Su und die übrigen durchstreiften das Schiff. Su hatte kei ne Geräte bei der Hand, um die in Kammern endenden Kabel aus unbekanntem Material zu prüfen. Ein Zwischenfall ereignete sich, als ein Torpedojäger die Scheibe angriff. Miller fluchte in allen Tonarten. »Wir sind jetzt schon überall verschrien. Seit die Amniten unsere Gefährlichkeit erkann ten, setzen sie Polizeiflugzeuge gegen uns ein. Besteht denn die ganze Welt nur noch aus Narren?!« Er tobte eine Zeitlang, während er krampfhaft versuchte, die Scheibe aus dem Bereich der heranfauchenden Geschosse zu bringen. Der Pilot des Jägers war offensichtlich reichlich nervös, sonst wäre die Situation kritisch geworden. Eines der heranstürmenden Geschosse traf die Außenwand und warf die Scheibe ein Stück zurück, daß alle durcheinanderflogen. Mit verzweifelter Anstren gung gelang es Miller, die Herrschaft über das Schiff zurückzuge winnen. »Seht ihr«, keuchte er,»eine Rakete mit Atomsprengkopf würde dieses Schiff glatt in die Luft jagen.« Der einzelne Jäger hatte seine Munition verschossen, zog eine steile Schleife und verschwand am Horizont. »Das war nahe«, sagte auch Lyn und ging mit Su wieder an die Arbeit. Su dachte laut. »Es ist ganz gleich, von welchem Planeten ein Konstrukteur stammt. Wir haben hier eine Ursache und eine Wir kung. Die Wirkung liegt darin, daß eine Kraft das Schiff fliegen läßt, und das beweist, daß eine Energieanlage das Ganze ant reibt. Die Anlage muß zentral sein, weil Kabel durch die Wände laufen und die uns unverständlichen Meßgeräte keinen eigenen Antriebsmechanismus aufweisen. Also sind wir nun den Leitungen nachgegangen und haben eine Kammer gefunden, die alles in sich aufnimmt. Wir können nicht hinein, um nachzusehen. Und
außerdem wäre das wohl auch nicht ratsam. Schlußfolgerung. Es gibt eine zentrale Anlage, die Energie von unbekannter Wirkung und Stärke abgibt. Alle uns bekannten Energiearten können inei nander umgewandelt werden. Deshalb bin ich der Meinung, daß auch eine Energie, die auf einem anderen Planeten erzeugt wur de, irdische Geräte bewegen kann. Ich halte daran fest, daß phy sikalische Grundgesetze im ganzen Kosmos Gültigkeit haben.« Er schaute Lyn an, ohne ihn zu sehen. »Kannst du dich daran erinnern, wie dieses Ding an der Decke des Hauptraumes sich wie rasend zu drehen begann, als Miller einen bestimmten Knopf drückte?« Er erwartete keine Antwort. »Dieses Ding werden wir verwen den. Es ist vielleicht unmöglich und gefährlich, die Kräfte der Schiffsenergie direkt nutzbar zu machen. Miller soll entscheiden. Ich bin für die einfachere Art.« Miller war es auch. So ließ also Su seine erste Überlegung bei seite und beschäftigte sich mehr mit dem Ding, das einem über dimensionalen Ventilator ähnelte. Er befestigte daran ein Band, das in den Generator führte. Dann ließ er es, laufen, Lyn schaute bewundernd zu seinem Freund hinüber. »Eine ge niale Lösung. Einfach und wirkungsvoll.« Es wurde auch allerhöchste Zeit. Die Küste wuchs aus dem Dunst, verschwand, und schon waren sie über dem Festland. Und mit dem Festland tauchten auch die Amniten auf. Sie hatten sich gut vorbereitet. Aus vielen eilig herbeigeschleppten Geschützen ließen sie das Feuer eröffnen. Die Küstenbefestigungen spien Granaten aus, die ihr Ziel suchten. Miller war schneller. Er ließ die Scheibe rotieren und raste dem Meere zu. Immer wieder näherte er sich der Küste, und überall standen wachsame Männer bereit, die sie mit einem Stahlregen empfingen. Nur zweimal konnte Su seine Waffe in Tätigkeit setzen und ver nichtete die Amnitenbesatzungen. Er war verzweifelt. Brown kam als Sprecher der Übrigen. »Sie müssen einsehen, daß wir alleine nichts ausrichten kön nen. Chef, Wir alle erkennen, was Sie für die Menschheit tun woll ten.« Miller sah seinen Funker an. Seine Äugen glänzten gefährlich. »Lassen Sie diese Festreden, mein Bester. Gar nichts wißt ihr. Ihr habt keine Ahnung, was ich wirklich geleistet habe. Niemand
hat eine Ahnung.« Er brach ab, was Brown Zeit gab, weiterzure den. »Wir sind der Meinung, daß wir uns in Sicherheit bringen soll ten, solange wir noch die Möglichkeit dazu haben.« »Setzen Sie sich an die Steueranlage«, herrschte Miller ihn an. Dann ging er zu der kleinen Versammlung hinüber, schwankte und hielt sich an einer Strebe fest. Er pflanzte seinen bulligen Körper breitbeinig vor den Männern auf. »Ich kann schon gar nicht mehr zählen, wie oft ihr Hohlköpfe meutern wolltet. Jeden einzelnen Gedanken muß man euch lang und breit erklären. Ich denke nicht daran umzukehren. So lange wir es in dem Schiff aushalten, werden wir immer wieder angrei fen. Bläut das in eure Köpfe hinein! Freßt es endlich! Immer wie der greifen wir an und ziehen uns zurück. Überall auf der ganzen Welt. Kapiert ihr denn meinen Plan auch jetzt noch nicht? Wir werden diese Kerle zwingen, alle verfügbaren Waffen gegen uns einzusetzen. Was bleibt ihnen denn anderes übrig, da sie ihre Roboter zur Überwachung verwenden müssen? Durch unsere Störmanöver werden sie gezwungen, immer mehr Menschen zu bewaffnen, ob sie wollen oder nicht. Dann liegt es an den Men schen selber, ob sie ihre letzte Chance, die allerletzte, die ihnen geboten wird, ergreifen. Euer und mein Leben ist so unwichtig, daß ich mich nicht scheuen werde, denjenigen von euch zu er schießen, der sich mir widersetzt. Ihr seid Soldaten, die letzte Truppe der Erde. Wer meutert, stirbt.« Er schaute sie der Reihe nach an, und Lyn spürte, daß er mit sich kämpfte. »Ich habe es schon einmal getan und werde es wieder tun, wenn ich muß.« Seine Augen blitzten zornig. »Brown wird fortan das Steuer bedienen, und ich bewache euch. Keiner kommt mir näher als zwei Meter! Das ist ein Befehl.« Dann lehnte er sich neben dem Pilotensitz und holte seine Waffe aus dem Futteral. »Wir fliegen nun die japanische Küste an«, sagte er zu Brown hin. Der nickte gehorsam und gab dem Schiff eine kleine Dre hung. Miller langte nach den Broten und begann zu kauen. Den übri gen Besatzungsmitgliedern war der Hunger vergangen. Viele Wochen lang, die sie nicht mehr zählten, überflogen sie die Erde. Sie tauchten unvermutet über den Städten auf, und es
wurde immer seltener, daß sie ein Amnitenschiff erwischen konn ten. Sie hatten Wach- und Schlafperioden eingeführt. Lyn mußte Brown am Steuer ablösen, nachdem er sich ganz geschickt dabei erwiesen hatte. Miller schien wie damals im Dschungel niemals zu schlafen. Sie redeten nicht mehr mit Lyn, und der Japaner war zufrieden damit. Solange alle seine Befehle ausführten, ließ sie Miller in Ruhe. Vor fünf Tagen hatten sie zum ersten Mal ein Kriegsschiff be merkt, das im Atlantik auf der Lauer lag. Gestern war ein Pulk schneller Düsenjäger hinter der Scheibe hergeflogen. Aber die Schnelligkeit des Amnitenschiffes rettete die Besatzung jedesmal. Jetzt brachte Lyn dem schweigsamen Mann, der früher einmal ein bescheidener Händler gewesen war, etwas zu essen. »Wir müssen uns auf zwei Mahlzeiten täglich umstellen, wenn wir noch eine Woche aushalten wollen«, begann er das Gespräch. Miller schaute zu ihm auf. »Es ist alles vergeblich. Ich kann nicht begreifen, warum die da unten nicht losschlagen. Die Amniten haben wieder eine ganze Armee auf die Beine gestellt, und das in jedem Land. Gibt es denn keine Männer mehr, die den persönlichen Mut aufbringen, sich gegen ihre Unterdrücker aufzulehnen? Wir haben getan, was möglich war.« Er stocherte mißmutig auf dem Blechteller herum, der noch aus seinem Lager stammte. Dann senkte er seine Stimme zu einem Flüstern. »Sind auch Sie gegen mich, Lyn?« Der Japaner meinte zögernd: »Es ist nicht jedermanns Sache, einem Diktator von Ihrer Sorte bedingungslos zu gehorchen. Ich glaube. Sie haben uns von Anfang an falsch behandelt.« »Vielleicht. Es war die einzige Art, zum Erfolg zu kommen. We nigstens glaube ich das. Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Lyn. Was auch immer geschieht, ich leide selber darunter. Ich hatte immer Freunde. Es war die Aufgabe, die mich verändert hat. Und, es war notwendig, so zu handeln. Sonst wäre der letzte Funke von Hoff nung bereits erloschen. Es liegt mir viel daran, wenn Sie darüber nachdenken könnten.«
»Ich habe schon darüber nachgedacht. Sie überwanden sich und warfen alles über Bord. Anstand und Gewissen, genauso wie die Angst um das eigene Leben. Das war Ihr Einsatz. Ich habe einmal einen Menschen richten wollen, und Sie haben mir diese Arbeit abgenommen. Heute weiß ich, daß ich es nie hätte tun können, auch wenn es die einzig mögliche Entscheidung gewesen wäre. Ich glaube, daß dieses letzte Zögern - die Ehrfurcht vor dem Leben - unsere Rasse erst zu kultivierten Menschen macht. Es war unser Fehler, uns der Gewalt zu beugen und den Frieden erzwingen zu lassen. Wir kennen nur die Gewalt und nähren sie seit Generationen. Jeder findet eine gute Entschuldigung dafür, sie alle haben eine Ausrede.« Miller dachte über diese Worte nach. »Wie aber wollen Sie die Amniten anders vertreiben als mit Waffen, die töten, mit Män nern, die diese Waffen führen?« »Haß gebiert Haß«, sagte der Japaner schlicht. »Wir haben nie daraus gelernt, wenn die Menschheit statt Waffen zu erfinden ihre ganze Kraft und Intelligenz in den Dienst der friedlichen Entwick lung gestellt hätte - gäbe es heute die Amniten nicht auf der Er de.« »Das erscheint mir unlogisch. Wir waren doch eben dabei fried lich miteinander zu leben. Gerade das war ja unser Untergang.« »Aber doch nur weil uns seit Jahrtausenden die Kriege ausblute ten, weil wir nie die Zeit zu friedlicher Forschung hatten. Eine geeinte Erde, auf der jeder des anderen Freund wäre, könnte gar nicht von Invasoren bedroht werden. Was wir an Arbeitskraft und Geld in die Rüstung steckten so lange unsere Welt sich kultiviert nennt -, wäre ein Bollwerk gegen jeden Angreifer aus dem Wel tenraum geworden.« »Aber nun sind die Invasoren gelandet«, unterbrach Miller un wirsch. »Hier haben wir es mit einer Realität zu tun, der wir be gegnen müssen.« »Vielleicht schaffen wir es«, sagte Lyn. »Ein Kriegsschiff«, meldete Brown vom Betrachter her. Miller hatte einen Entschluß gefaßt. Seine Stimme war ganz an ders als sonst, mehr einschmeichelnd, beschwörend: »Ich erwar te von euch, daß ihr auch ohne meine Pistole im Rücken jetzt das Richtige tut.« Zu Brown hin befahl er: »Steuern Sie das Schiff an.« »Ja. Sir.«
In rasendem Flug senkte sich die Scheibe auf die Wasserfläche hinab. Auf dem Bildschirm sahen die Männer, wie das Schiff seine Geschütztürme herumschwenkte, sie der anstürmenden Scheibe entgegen richtete und das Mündungsfeuer aufblitzte. Die Ge schosse brandeten gegen die Wand und hämmerten auf das Flug schiff ein. Die Männer wurden umhergewirbelt, aber Miller schüt telte auf den fragenden Blick Browns hin verneinend den Kopf. Also setzten sie sich weiter dem wütenden Feuer der Schiffsge schütze auf und beteten darum, daß der Kreuzer keine Atom sprengköpfe mitführte. Brown ließ auf Millers Befehl hin, die Scheibe neben dem Schiff verharren. Jetzt war die Distanz für die Geschütze zu kurz. Sie stellten das Feuer ein. Miller trat zur Sprechanlage, die die Amniten für die Verständi gung mit den Menschen installiert hatten. Er schaltete das Zwi schengerät aus, das zur Übersetzung diente, und beugte sich über den Lautsprecher. »Ihr schießwütigen Narren da unten«, tönte es aus den Außen lautsprechern, »ich mache euer ganzes Schiff zu Kleinholz, wenn ihr nicht sofort ein Boot zu Wasser laßt, um ein paar Leute aufzu nehmen.« Er wußte, daß er seine Drohung nicht verwirklichen konnte, aber der Schiffskommandant wußte es nicht. Wirklich schwenkte der Kran ein Beiboot aus, der Außenbord motor blubberte, und die Schaluppe verhielt unterhalb des großen Flugschiffes, Miller winkte Lyn und Su zu sich heran. »Ihr habt die ganze Geschichte begonnen. Ihr seid auf die Idee mit dem Zeitversetzer gekommen. Jetzt könnt ihr die Sache zu Ende führen.« Er schaute die beiden nicht an. »Dort unten wartet ein Boot auf euch. Sagt dem Kommandan ten, was es zu sagen gibt.« Er schob sie über den Gang in die Schleuse und schrie dann über die Schulter in den Kommandoraum hinauf: »Tiefer gehen, Brown!« Es war eine Meisterleistung. Mit einem kurzen Sprung landeten Lyn und Su im Boot. Über ihnen schloß sich der Einlaß zu einem Spalt, und dann blitzte nur noch die glatte, feindliche Hülle des Amnitenschiffes im
Sonnenlicht, als die Scheibe rasch Höhe gewann und in den Wol ken verschwand. Irrtum Die drei Männer in der Uniform der früheren US-Streitkräfte starr ten die Fremden an wie Wesen aus einer anderen Welt. Die Leute sahen gut aus, wohlgenährt und zufrieden. Rasch näherte sich das Boot dem Kreuzer, die Gäste enterten an der Strickleiter hoch und wurden vom Kommandanten emp fangen. »Ich weiß nicht, was das bedeuten soll«, sagte, er anstelle einer Begrüßung. »Ich muß euch leider unter Verschluß nehmen. Soll der Amnitenchef über euer Schicksal entscheiden.« Lyn schüttelte den Kopf. »Als Kapitän eines Kreuzers müssen Sie schon früher bei der Marine gewesen sein!« Der Mann in der Uniform zögerte eine Weile, bis er sich noch einmal umdrehte. »Na und?« Su half dem Freund. »Er meint, daß Sie einmal Soldat und Offi zier waren.« »Das bin ich auch heute noch. Was wollen Sie damit sagen?« »Es ist besser, wir gehen in Ihre Kabine«, schlug Lyn vor. »Warten Sie noch zwei Minuten, bevor Sie die Amniten benach richtigen. Wir haben mit Ihnen zu reden.« »Ich wüßte nicht ...« Aber er überlegte es sich anders und geleitete die Besucher nach unten. »Whisky?« »Danke.« Sie nahmen schweigend die Gläser. Lyn zögerte, hob dann sein Glas in die Höhe, bevor er trank, und sagte dabei: »Auf die Er de.« »Auf die Erde«, sagte der Kommandant verlegen. Sie setzten sich. Und es war so, als sei etwas Hemmendes von ihnen abgefallen ...! »Warum jagen Sie uns?« »Ich bin Offizier, wie Sie vorhin richtig bemerkten. Ich habe keine Fragen zu stellen.«
»Ich nehme an. daß Sie das Schiff erst wieder seit kurzer Zeit befehligen.« »Das ist richtig.« »Sie befehligen es, weil die Amniten Angst haben. Sie haben Furcht davor, ihr ganzer schöner Plan könnte über den Haufen geworfen werden, weil wir eine Zauberwaffe in dem Flugschiff haben.« Der Offizier wurde neugierig, aber Lyn ließ ihm keine Zeit, Fra gen zu stehen. »Wir sind wieder in der Lage, unsere Geschicke selbst in die Hand zu nehmen. Die Amniten bedeuten keine Gefahr mehr für uns, weil sie uns nichts tun können. Glauben Sie, Kapitän, daß Erdstreitkräfte gegen diese Roboter eine Chance haben?« Der Offizier verzog verächtlich das Gesicht. »Keine Frage.« »Und warum schlägt dann niemand los?« Der Offizier erstarrte. »Ja, warum wohl?« Er schaute die beiden Männer vor sich in den Sesseln verblüfft an. Aber dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Wir können es nicht. Sie haben uns in der Hand. In ihren Schiffen lauern Waffen, die uns alle vernichten werden. Nein, glauben Sie mir. Wir sollten mit den Erleichterungen zufrieden sein, die uns die Regierung ausgehandelt hat.« »Sind wir schon zu einer Kolonie herabgesunken?« fragte Lyn bitter. »Muß unsere Regierung um etwas bitten? Ihr solltet nur daran glauben, daß wir jetzt wieder stark genug sind, die Ein dringlinge zu vertreiben. Sie sind nämlich völlig ungefährlich.« Der Kommandant ereiferte, sich, seine Gründe dagegen ins Feld zu führen, und war selbst erschrocken, als er merkte, wie lahm sie eigentlich waren. Er beugte sich zur Seite und drückte einen Hebel herab. »Zentrale. Sir.« »Geben Sie mir sofort den Flottenchef.« »Aber Sir, ich darf doch nur über die Amniten ...« »Ich will den Flottenchef über direkte Leitung«, brüllte der Kapi tän und der erschrockene Maat stöpselte gehorsam um. Der Offizier lachte. »Sie könnten recht haben. Zweieinhalb Mil liarden Menschen leben auf der Erde, und niemand hat die Wahr heit erkannt. Wir werden die Invasoren wie einen Spuk vertrei ben.«
Su und Lyn sahen sich an. Jetzt endlich hatte einer begriffen. Und er würde andere überzeugen. Sie erlebten, wie ein Wandel eintrat. Die Schiffe liefen in den Heimathafen ein. Überall im Land wurde der Notstand ausgeru fen, und örtliche Kommandanten der neu gebildeten Streitkräfte traten gegen die Eindringlinge an. Sie mußten erleben, daß die Amniten ihnen nichts anderes entgegenzusetzen hatten als die den Menschen nachgebauten Waffen und ihre Roboter, die stur dem Willen ihrer Herren gehorchten. Die Amniten, Herrscher über Sonnensysteme und deren Bewohner, hatten es gewagt, eine fremde Lebensform unterwerfen zu wollen, und nun mußten sie diesen Versuch teuer bezahlen. Ihre riesigen Fabrikanlagen zerbarsten unter den Granaten der Angreifer. Die Armee aus wesenlosen Maschinen zersprang bei dem organisierten Widerstand. Es war wie ein Rausch, der die Menschen ergriffen hatte. Die runden Flugschiffe stürzten zur Erde und enthüllten den Wissenschaftlern ihre Technik. Diese neuen Erkenntnisse würden die Erdbewohner um Jahrhunderte in der Entwicklung weiterbrin gen. Die Widerstandsgruppen hatten nur einen Gedanken – alles, was aus dem Weltall gekommen war, auszulöschen. Mit den Eroberern verschwanden auch ihre willigen menschli chen Helfer. Die meisten wollten sich nicht mehr daran erinnern, dabeigewesen zu sein. Allmählich kehrte die Ordnung zurück, und als ein flaches, run des Schiff über New York erschien, strömten die Zivilisten ins Freie, um das Wunder anzustarren. Sirenen heulten auf, und die Zuschauer machten willig Platz. Scharfe Kommandos erklangen. Raketenwerfer reckten ihre Spit zen gegen den Himmel, und jaulend verließen die Projektile die Rohre. Diesmal zerplatzten sie nicht wirkungslos an der Schiffshaut. Die Atomköpfe zerrissen das letzte Schiff der Amniten ohne zu ergründen, warum es zurückgekehrt war. Der Nachrichtensprecher verkündete lediglich, daß ein Amniten schiff, das Letzte der Armada, von den vereinten Erdstreitkräften zerstört worden ist. Die Menschen vergaßen das Ereignis sofort wieder. Sie hatten Wichtigeres zu tun.
Die Erdbewohner hatten das erste Kapitel ihrer Entwicklung be endet. Sie waren aus dem Stadium der kämpfenden Kreatur in eine neue Epoche getreten. Sie bereiteten sich vor, die Zukunft nach der Vernunft zu gestalten. Die Erde verliert zwei Helden Lyn saß vor dem Empfänger und hörte die Durchsage. Er vermied es, zu Su hinüberzusehen. »Wie er gelebt hat, so ist er gestorben«, sagte er nur. »Er hat die anderen mit sich genommen. Ich glaube nicht, daß er sich absichtlich opferte. Er träumte schon seit der Entdeckung der Maschine davon, daß die Welt von seiner Tat erfahren würde. Er war ein Mensch, der Kampf und Ruhm liebte.« Lyn schaltete den Empfänger aus. Er klingelte, und der Boy er schien. »Sir?« »Bringen Sie uns eine Flasche Sekt.« »Sofort. Sir. Es ist noch nie bei uns so viel Sekt bestellt worden wie in diesen Tagen. Wir haben ja auch allen Grund zu feiern.« Er nahm das Trinkgeld in Empfang und verbeugte sich. »Danke, Sir.« An der Türschwelle blieb er stehen. »Der neue Weltpräsident hat einen Aufruf erlassen. Haben Sie ihn schon gelesen?« Die beiden Freunde verneinten. »Man sucht die Männer, die die Wende herbeiführten.« Der Boy verdrehte die Augen. »Phantastisch, sage ich Ihnen. Ich kann gar nicht alles aufzählen, was als ein kleines Zeichen der Dankbarkeit gespendet werden soll.« Der Junge erschrak. »Entschuldigen Sie bitte. Ich bin auch ein bißchen durcheinander.« Dann beeilte er sich, seinen Auftrag auszuführen. Lange sagte niemand ein Wort. Der Junge kam zurück, ließ den Pfropfen knallen und schenkte die perlende Flüssigkeit in die ho hen Gläser. Er grinste und verschwand. Lyn nahm den Gläserstiel zwischen die Fingerspitzen. »Miller hat mit hohem Einsatz gespielt und verloren«, sagte er und betrachtete die Perlen in der Flüssigkeit, die schnell zur Ober fläche emporstiegen und dort zersprangen.
Su meinte: »Immerhin schuldet ihm die Welt einiges. Man wür de ihm ein Denkmal setzen, größer als die Freiheitsstatue.« Lyn trank sein Glas mit einem Zug aus. »Vielleicht hätte er das gewollt. Ich bin sicher, daß er immer von Ansehen und Reichtum träumte. Ich war damals nicht dabei, als er Clair tötete. Er fühlte sich im Recht, wenn ich es auch nicht billigen kann. Er hat die Sache fest in die Hand genommen und uns alle gezwungen, nach seinem Willen zu kämpfen. Was wäre geschehen, wenn deine Maschine versagt hätte? Dann wäre er ein Mörder gewesen, und nichts hätte ihm geholfen. So ist er ein Held.« Su sah an Lyn vorbei und hinüber zum Fenster. Er konnte von seinem Platz aus die Lichter der Stadt sehen, die geschäftige Be triebsamkeit, die sich die breite Straße hinabwälzte. »Er kämpfte für eine gute Sache, nicht wahr? Sind da nicht alle Mittel recht?« Lyn sah in sein leeres Glas. »Nein. Es gab eine Zeit, da hätte ich wahrscheinlich so gedacht und gehandelt wie er. Aber ich stand einmal dem Tode so nahe, wie es nur ein Mensch kann. Da hatte ich Zeit, über vieles nachzudenken. Die Amnitengefahr ist vorü ber, sie hat sich aufgelöst wie ein Alptraum. Auch ohne unser Zutun hätte die Menschen die Versklavung nicht ertragen. Es hät te vielleicht etwas länger gedauert. Eine so große Gemeinschaft läßt sich nicht ausrotten.« Er drehte sich im Sessel um, daß auch er hinaus auf die Stadt sehen konnte. »Es denn, die Menschen vernichten sich selbst«, fügte er hinzu. »Darin haben sie Übung.« »Dann haben Leute die Hand im Spiel wie dieser Ben Clair, der von der Gemeinschaft ausgestoßen wurde, bevor er richtig den ken konnte. Das machte ihn zum Verbrecher. Oder Leute wie Mil ler, der keine Grenzen kannte, weil er vom Guten seiner Hand lungsweise überzeugt war. Im Endergebnis sind sie alle gleich sie wenden Gewalt an, um gegen Gewalt zu kämpfen.« Draußen vor dem Zimmer wurde Stimmengewirr laut, jemand riß die Tür auf und eine Anzahl von Männern strömte herein, allen voran ein Offizier in der Uniform der neuen Erdstreitkräfte. Beide Hände ausgestreckt, eilte er auf Su und Lyn zu. »Es war ein schweres Stück Arbeit, Sie zu finden.« Er drehte sich zu den anderen um und winkte eifrig. »Sie sind es, bei meiner Ehre. Ich habe Sie sofort wiederer kannt.«
Blitzlichter zuckten auf. Kameras begannen zu surren. Die Welt wollte sich ihre Helden nicht nehmen lassen. Lyn und Su waren verwirrt. Damit hatten sie nicht gerechnet. Der Offizier baute sich vor ihnen auf und salutierte, während die Meute der Reporter grinsend die Sensation auf ihren Filmen fes thielt. »Im Auftrage der Weltregierung bitte ich Sie, meine Herren, mit mir zum Gebäude der früheren UN zu kommen. Die ganze Welt blickt voller Stolz und Bewunderung auf die Männer, denen sie ihre Freiheit verdankt.« Lyn zog seinen Freund am Ärmel und richtete sich steif auf. »Stehen wir es durch bis zum Ende.« Draußen auf den Korridoren hatte sich alles versammelt, was laufen konnte. Als Lyn und Su erschienen, brach die Menge in begeisterte Hochrufe aus. Das Beifallgeklatsche begleitete sie, bis sie unten den bereitstehenden Wagen bestiegen. Brummend startete die Polizeieskorte ihre Maschinen. Die Re porter versuchten, noch das letzte Bild der abfahrenden Kolonne zu erhaschen, und dann fuhren sie durch den Tunnel winkender Arme und lachender Gesichter davon. Der Polizeifahrer vor ihnen hinter dem Steuerrad wendete ein mal kurz den Kopf. »Darf ich Ihnen persönlich zu Ihrer Tat gratulieren.« Er war stolz darauf, die gefeierten Persönlichkeiten fahren zu dürfen. Lyn nickte zustimmend. Dann kam ihm ein Gedanke. Er beugte sich über die Lehne des Vordersitzes und fragte den Mann. »Wir fahren über die Fernstraße, ja?« »Sicher«, bestätigte der Gefragte. »Die Straßen sind für den normalen Verkehr gesperrt, damit wir besser durchkommen.« Lyn gab sich einen Ruck. »Würden Sie mir einen Gefallen tun?« Er sah das Gesicht des Fahrers im Rückspiegel. »Jeden, Sir.« »Wir dürfen nie dort ankommen, wohin Sie uns bringen wollen. Die Politiker und Wissenschaftler werden keine Ruhe geben, bis sie alles aus uns heraus gequetscht haben, was sie wissen wollen. Nur Ihnen sage ich jetzt, daß wir ein Verfahren kennen, einen Menschen unsichtbar zu machen.« Der Polizist sah starr geradeaus. Sein Gesicht war ernst gewor den. »Ich glaube, daß ich Sie verstehe, Sir.«
»Es wird Sie Ihre Stellung kosten. Überlegen Sie das.« Er schwieg. »Sie können sich auf mich verlassen. Sir. Auch ich habe Ihnen etwas zu sagen. Ich war bei der ersten Einheit, die die Amniten für die Arbeitskolonnen aufstellten. Ich habe meinen Sold gegen gute Dollars umgewechselt und ein Haus gekauft. Was brauche ich mehr? Bevor morgen früh die ersten Blätter mit Ihrem Bild erscheinen, sind Sie im Flugzeug.« Lyn lehnte sich bequem zurück. Su sah ihn fragend an, und er zuckte die Schultern. »Ich hatte keine andere Wahl.« Sie sprachen kein Wort mehr miteinander. Die Landschaft flog vorbei, die schnurrenden Reifen fraßen die Kilometer. »Halten Sie sich fest«, rief der Fahrer und ließ die Sirene auf heulen. Sein Fuß trat das Pedal bis zum Anschlag durch. Der Wagen machte einen Satz, schlingerte und scherte zur Seite aus. Bevor die Eskorte nach einen Entschluß fassen konnte, war der schwere Wagen in einer Nebenstraße verschwunden. Tief über das Steuerrad gebeugt saß der Mann da. Nach gefähr lichen Kurven wechselte er zu größeren Autobahnen über, wende te mitten auf der Straße, riß den Wagen gerade und fuhr die Strecke zurück. Plötzlich bremste er. »Warten Sie hier auf mich«, bat er heiser. Dann hatte ihn die Dunkelheit verschluckt. Lyn sah auf seine Uhr. »Was werden sie für Gesichter machen, wenn die Meldung durchkommt?« Es war ihm nicht wohl dabei. Ein Schatten sprang in den Lichtkegel der Scheinwerfer und riß die vordere Tür auf. »Alles in Ordnung«, flüsterte der Mann, und weiter ging die ra sende Fahrt. Zum nächsten Flugplatz war es nicht mehr weit. Die gutgeölte Maschine der Zivilisation hatte sich wieder eingespielt, alles funk tionierte wie früher, als habe es nie ein Volk aus dem Weltenraum gegeben, das die Erde zur Kolonie machen wollte. Der Beamte bremste scharf und riß den Männern die Tür auf. Als Lyn ausstieg, fühlte er das Päckchen Banknoten zwischen seinen Fingern.
»Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr helfen. Ich wünsche Ihnen viel Glück.« »Wollen Sie nicht mit uns kommen?« fragte Lyn. Der Mann schüttelte den Kopf. »Lassen Sie mich nur machen, Sir. Ich habe nicht viel zu verlieren.« Lyn fand nicht die richtigen Worte für einen Dank. Er drehte sich zur Seite, aber der Polizist saß bereits in seinem Wagen. Er kurbelte das Seitenfenster herab. »Und vielen Dank auch, daß ich Ihnen helfen durfte.« Der Motor heulte auf, und dann standen Lyn und Su alleine vor dem Flughafengebäude. Menschen strömten hinein, andere ka men heraus. Keiner achtete auf den anderen. Es gab viel nachzu holen. »Komm«, sagte Su und zog den Freund mit sich fort. Die Angestellte am Flugkartenschalter war sehr freundlich. Das gehörte zu ihren Aufgaben und stand im Vertrag. Sie kannte die beiden Männer nicht, die eine Karte nach Indien verlangten. Und sie vergaß auch das Ziel wieder, das sie ihr nannten. Es war ein Flugplatz in der Nähe eines Ortes, der Santri hieß. * Unangefochten erreichten sie ihr Ziel, mieteten sich von dem Rest des Geldes, das ihnen der Beamte gegeben hatte, einen Gelän dewagen und verließen die Stadt, während die Zeitungsträger die Neuigkeit in die Welt schrien, daß sich die beiden Männer, denen die Erde so viel verdankte, allen Ehrungen entzogen hatten. Lyn, der am Steuer saß, machte um die Handelsstation einen großen Bogen. Jetzt übernahm Su die Führung. Hinter ihnen, auf dem Rücksitz saß ein kleiner, schmächtiger Mönch, den ihnen das Kloster in der Stadt mitgegeben hatte. Nur er kannte die Pfade, die zu den Brüdern in der Wildnis führten. Sie waren in die Wäl der zurückgekehrt. Früher hatten diese Mönche Su in seinem La bor mit dem Nötigsten versorgt. Der Wagen überstand die schwierige Reise. Seine breiten Gum miwalzen schaukelten über Löcher und Rinnen. Auch dieser Weg ging einmal zu Ende. Su und Lyn wurden in die Gemeinschaft der Einsamen aufge nommen, ohne daß einer ein Wort darüber verschwendete.
Sie arbeiteten mit den anderen und teilten mit ihnen ihre Sor gen und Freuden. Einmal sagte Lyn zu seinem Freunde, als sie auf einem Hügel saßen und auf den dampfenden Dschungel blickten: »Was wohl aus dem Polizisten geworden ist, der uns geholfen hat? Wir ken nen nicht einmal seinen Namen.« Su, der in der letzten Zeit noch stiller geworden war, lächelte. »Was auch immer mit ihm geschehen ist, die Geschichte hat kei nen Platz für ihn. Er wurde für eine Zeitlang eine traurige Be rühmtheit. Dann vergaß die Welt auch seinen Namen. Und dabei hat sich gerade dieser Polizist wie ein echter Held benommen.« ENDE Und nächste Woche lesen Sie den UTOPIA-Zukunftsroman 228 Stolz erfüllt den Forscher Kellermann, als er einen unentdeckten Planeten am Sternenhimmel auffindet. Doch schon bald verwan delt sich die Freude der Wissenschaftler, die ihm bei seinen Be rechnungen helfen, in Grauen. Vulkan - so benennt Kellermann seine Entdeckung - wird mit der Erde zusammenstoßen. Fünf Jahre bleiben den Menschen, um ihre Rettung vorzubereiten. Fünf Jahre der Angst stehen ihnen bevor, und am Ende dieser Frist warten erregende Abenteuer und Entdeckungen auf die Überlebenden. Vulkan kontra Erde Chaotische Begegnung zweier Planeten