Seewölfe 156 1
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Davis J.Harbord 1.
Kriegsgaleere Backbord achteraus!“ brüllte Bill, der Schiffsjunge der „Isabella VIII.“, vom Hauptmars hinunter aufs Achterdeck. Philip Hasard Killigrew fuhr fluchend herum. Diese spanischen und portugiesischen Galeeren vermehrten sich wie die Karnickel, vor allem hier und heute. Hier - das war die große Reede von Cadiz, heute - das war der 29. April 1587 am späten Nachmittag. Auf gut englisch gesagt war es ein gottverdammter Tag, und Philip Hasard Killigrew fragte sich allen Ernstes, welcher Teufel ihn geritten haben mochte, sich mit seinen Männern und der „Isabella“ für Sir Francis Drake zu schlagen, für jenen Mann, von dem er sich 1579 drüben in der Neuen Welt nach einer erbitterten Auseinandersetzung getrennt und ihm den Gehorsam aufgekündigt hatte. . Das war eine alte Geschichte, die mit Edwin Carberry, dem ehemaligen Profos von Drake, zusammenhing. An Carberry war ein Mordversuch unternommen worden, Hasard hatte eine Bestrafung des Täters verlangt, Drake hatte sie verweigert - weil der Täter ein Mann höheren und vornehmeren Standes als Carberry war. Es war dies eine Frage des Prinzips gewesen, sowohl für den damaligen Kapitän Francis Drake als auch für den seinerzeit noch sehr jungen Philip Hasard Killigrew, der bereits als Kapitän fuhr. Kapitän Drakes Prinzip beruhte auf der vermeintlich gottgewollten Ordnung, daß ein Mann adeliger Herkunft nicht wegen einer Missetat an einer Person des niederen Volkes belangt werden dürfe. Kapitän Killigrews Prinzip hingegen war genau das Gegenteil. Er vertrat den Standpunkt, daß vor Gott alle gleich seien und aus diesem Grunde eine Untat nicht mit zweierlei Elle gemessen werden könne. Mordversuch blieb Mordversuch, gleichgültig, ob ihn ein „Sir“ oder ein Kuhtreiber beging. Prinzip gegen Prinzip - es hatte damals zum Bruch zwischen Francis Drake und Philip Hasard Killigrew geführt. Und, weiß Gott, der Mann, den man den „Seewolf“
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nannte, war der moralische Sieger geblieben. Erst jetzt waren sie sich wieder begegnet, diese beiden so unterschiedlichen Männer. Francis Drake war zum Admiral avanciert und Befehlshaber eines englischen Flottenverbandes, der seit dem Nachmittag dieses 29. April 1587 drauf und dran war, die spanische Hafenstadt Cadiz samt der hier versammelten Schiffe in Stücke zu schießen. Nur - und das erregte Philip Hasard Killigrew bis zur Weißglut -war dieser Überfall auf Cadiz alles andere als ein sorgfältig geplantes Unternehmen. Nein, Sir, das war es nicht. Dieser Admiral Drake schlug wie wild und blindlings mit dem Knüppel drauf, statt planvoll und taktisch vorzugehen. Hatte dieser Korsar Ihrer Majestät der Königin von England nichts dazugelernt? Vor knapp anderthalb Stunden erst hatte die „Isabella“, die sich am Vortag heimlich in einen Seitenarm der Bai von Cadiz geschlichen hatte, einen Angriff von sechs spanischen Kriegsgaleeren auf das Flaggschiff Admiral Drakes, die „Elizabeth Bonaventura“, mit Erfolg abgewehrt und damit wieder einmal dem sehr ehrenwerten Admiral aus der Patsche geholfen. Denn so ganz ungeschoren hätte die „Elizabeth Bonaventura“ den wütenden und fast selbstmörderischen Angriff der sechs Galeeren keineswegs überstanden, da sie nahezu deckungslos dem eigenen Verband vorausgesegelt war. Aus Dummheit oder Tollkühnheit hatte Drake die Gefahr heraufbeschworen, von seinem Verband abgeschnitten und vom Rammsporn einer der sechs Galeeren aufgespießt zu werden. Das hatte Hasard verhindert. Die englischen Seeleute hatten der „Isabella“ zugejubelt. Der Admiral indessen war steinernen Gesichts mit seinem Flaggschiff an der „Isabella“ vorbeigerauscht und zur Zeit immer noch damit beschäftigt, volle Breitseiten auf Cadiz abzufeuern. Und mit ihm um die Wette böllerten mangels anderer Befehle - die drei anderen
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Galeonen der königlichen Lissy - die „Golden Lion“, die „Dreadnought“ und die „Rainbow“ sowie die drei schwerbestückten Galeonen der Londoner Kaufleute, deren Flaggschiff die „Merchant Royal“ war. Von den etwa neunzehn leichteren Kriegsschiffen von zweihundert bis hinunter zu fünfundzwanzig Tonnen gar nicht zu sprechen. Das Durcheinander war perfekt. Pulverqualm zog über die Reede, in der Hafenstadt begannen Brände aufzuflammen, und in das Krachen der Breitseiten mischten sich die Glocken der Kathedrale, der Kirche San Jose und der Kirche Santa Catalina, die Sturm läuteten. Und kein englisches Schiff war detachiert, die riesige Reede nördlich und östlich von Cadiz abzusichern. Wie die Irren hämmerten sie ihre Breitseiten in die Stadt. Ostwärts, Cadiz fast genau gegenüber, mündete der Rio San Pedro in die große Reede. Dort stand die „Isabella“ abwartend und abseits der englischen Kanonaden auf Cadiz. Und aus dem San Pedro schob sich nunmehr wie eine Spinne mit unzähligen Beinen jene spanische Kriegsgaleere, die Bill gemeldet hatte. Ohne Zweifel war sie giftig, diese Spinne. Auf jeder Bordseite zählte Hasard dreißig Riemen, also sechzig Riemen, die in gleichmäßigem Takt eintauchten, durchgezogen. wurden, auftauchten und zurück ruckten. An jedem Riemen saßen mindestens drei Männer, vermutlich Galeerensklaven, also einhundertachtzig Ruderer. Hasard haßte Galeeren. Sie waren weder Fisch noch Fleisch. Zwei Pfahlmasten trug diese Galeere. Ihre beiden Lateinersegel waren aufgetucht. Ja, sie sah aus wie eine riesige Spinne, häßlich, böse, drohend. Aber das war es nicht, was Hasards Widerwillen erregte. Nein, er dachte an die armen Kerle, die dort unsichtbar für ihn auf den Ruderduchten saßen, angekettet, unterernährt, von Peitschenhieben gezeichnet, dreckstarrend und in Lumpen gehüllt.
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Es war dies. die entwürdigendste Form menschlichen Daseins. Ihre Unfreiheit bedeutete, wehrlos zu sein. Daran konnte ein Mann zerbrechen. Ohnmächtig war er seinem Schicksal ausgeliefert. Nicht er entschied aus eigenem Willen und mit eigener Kraft über Leben und Tod, sondern der Kapitän, der die Galeere führte. Nur Kapitäne mit einem Herzen aus Stein konnten solche Galeeren befehligen. Und ihre Zuchtmeister waren Henkersknechte. Für einen kurzen Moment dachte Hasard an seinen Vater, den Malteser-Ritter Godefroy von Manteuffel, den er von einer Piraten-Galeere befreit hatte. Und er dachte gleichzeitig an die Männer seiner Stammcrew, die auf einer spanischen Galeere gefangen gesetzt waren und die er gleichfalls - zusammen mit seinem ersten Offizier und Bootsmann Ben Brighton hatte befreien können. Nein, er hatte keinen Grund, überhaupt keinen, diesen verdammten Galeeren etwas abzugewinnen. Sie waren eine Schande für die Seefahrt insgesamt, aber auch für jene Länder, die sich ihrer bedienten. Das war alles klar, und man konnte als ehrlicher Seemann und ritterlicher Korsar eigentlich nichts Besseres tun, als die See von diesen häßlichen Schiffsgebilden zu säubern. Aber Philip Hasard Killigrew hatte Skrupel. Eine volle Breitseite auf die Galeere bedeutete das Todesurteil für einhundertachtzig Männer, von denen vermutlich der Großteil wegen läppischer Vergehen zum Galeerendienst verurteilt worden war. Vielleicht befanden sich auch englische Landsleute oder Niederländer oder Männer anderen Glaubens unter den Rudersklaven. Und gerade das war das Infame, das Unmenschliche. Alles das schoß Hasard durch den Kopf, während er aus schmalen Augen die aufrückende Galeere beobachtete. Ben Brighton, der neben ihm stand, räusperte sich. „Sieht aus, als wollten die uns einen Achterstich mit ihrem Bugpiekser verpassen“, sagte er.
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„Hm“, sagte Hasard unentschlossen, „kann sein, kann auch nicht sein.“ Aber dann lächelte er plötzlich. „Sie hat ihren Kurs geändert.“ „Du freust dich darüber?“ „Klar. Soll sich doch jemand anderes mit ihr herumprügeln.“ Ben Brighton schüttelte den Kopf. „Verstehe ich nicht.“ Hasard zeigte seine weißen Zähne. Wenn er das tat, sah er immer ziemlich wild aus. „Verlängere mal die jetzige Kurslinie der Galeere, Ben“, sagte er. „Wo führt die hin?“ Ben Brightons Augen wanderten vom Bug der Galeere, die sich jetzt etwas achterlicher als querab an Steuerbord der „Isabella“ befand, weiter voraus und endete dort, wo die sieben schweren englischen Galeonen versammelt waren und ihren dröhnenden Eisenhagel auf die Stadt ausspuckten. Und dann blitzten seine grauen Augen auf, und ein breites Grinsen zog über sein Gesicht. „Na?“ fragte Hasard. „Sie geht auf das Flaggschiff unseres verehrten Admirals los“, sagte Ben Brighton. „Genau.“ Hasard nickte grimmig. „Und ich schätze, keiner dieser verdammten Idioten — Sir Francis inbegriffen — merkt, was sich da auf sie zubewegt. Außerdem ist der Don, der die Galeere kommandiert, gerissen genug, den Pulverqualm als Deckung auszunutzen. Er steuert ZickzackKurse, aber sein Generalkurs weist stur auf die ,Elizabeth Bonaventura`. Wenn ich richtig schätze, hat er die Absicht, seinen Rammsporn dem Flaggschiff mittschiffs zwischen die Planken zu jagen. Das gibt ein Loch, durch das du bequem eine Kuh in den Schiffsbauch spazieren lassen kannst.“ „Mein lieber Mann“, sagte Ben Brighton andächtig. „Ich gönn's ihm, verdammt, ich gönn's ihm, damit er endlich mal einen nassen Arsch kriegt!“ „Er“, das war der sehr ehrenwerte Admiral, auf den sie alle an Bord der „Isabella“ einen ziemlichen Piek hatten.
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„Er ja“, sagte Hasard, „die anderen aber leider auch, und das geht mir nun doch gegen den Strich.“ Ben Brighton seufzte. „Weiß schon Bescheid, Sir. Wir müssen mal wieder Kindermädchen spielen und unseren lieben guten Francis davor bewahren, nasse Hosen zu kriegen.“ Und schon brüllte Ben Brighton zu Ed Carberry auf die Kuhl hinunter, die Segel aus dem Gei zu nehmen. Pete Ballie, der am Ruder stand, erhielt von Hasard den Befehl, der, Galeere zu folgen. Da der Wind von Südwesten wehte, konnte die „Isabella“ mit dichtgeholten Segeln den Galeerenkurs gut anlegen. Auf der Kuhl begann Ed Carberry herumzutoben. Da sie alle auf ihren Manöver- oder Gefechtsstationen waren, hatten sie auch mitgekriegt, was sich jetzt anbahnte. Und sie wußten auch genau, warum ihr Kapitän nicht auf die Galeere geschossen hatte, als sie an der Steuerbordseite der „Isabella“ vorbeigezogen war — er hatte an die armen, wehrlosen Schweine auf den Ruderduchten gedacht und deshalb nicht den Feuerbefehl gegeben. Da war keiner Unter den Männern des Seewolfs, diese Entscheidung zu kritisieren. Im Gegenteil. Längst war auch den wildesten Draufgängern und Kämpfern innerhalb der Crew die Fairneß und ritterliche Kampfweise ihres Kapitäns in Fleisch und Blut übergegangen. Darum war es auch ihnen ein Gräuel, gegen Galeeren zu kämpfen - weil sich dieser Kampf zwangsläufig gegen die Wehrlosen richtete, die angekettet nicht die geringste Chance hatten, zu überleben, wenn ihre Galeere ihre letzte Reise in die Tiefe antrat. Das empörte sie: einem Mann das Recht zu nehmen, kämpfend zu sterben, dem Tod die Zähne zu zeigen -und ihm vielleicht doch von der Schippe zu springen. Und jetzt sah es so aus, als sollten ausgerechnet sie ' es sein, diese furchtbare, hassenswerte Henkerrolle zu spielen - weil der sehr ehrenwerte Sir Francis mit seinem
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Flaggschiff Gefahr lief, von einem Rammsporn aufgespießt zu werden. „Ist das eine Scheiße“, knurrte der bullige, narbengesichtige Edwin Carberry erbittert. „Wären wir diesem Rübenschwein bloß nie begegnet!“ Jeder wußte, wen der Profos mit _Rübenschwein“ meinte - Sir Francis Drake. Und sie dachten an die Begegnung vor ein paar Tagen bei den BerlengaInseln, als sie der nicht Flagge zeigenden „Elizabeth Bonaventura“ den Bugspriet weggeschossen und sie anschließend auf die Sände gelockt hatten. „Von mir aus könnte der verdammte Kahn heute noch dort schmoren“, sagte Matt Davies, der Mann mit der Hakenprothese am rechten Unterarm. „Und wir Blödmänner haben denen auch noch geholfen, ihren Kahn wieder flott zu kriegen.“ „Halt's Maul, Mister Davies“, sagte Ed Carberry, und wenn er „Mister Davies“, statt „Affenarsch“ oder „Kombüsenwanze“ oder schlicht „du Hurensohn“ sagte, dann war es höchst gefährlich, den Profos weiter zu reizen. Aber sie waren alle gereizt - wegen des sehr ehrenwerten Admirals, wegen der Galeere, überhaupt wegen der Tatsache, an einem Unternehmen beteiligt zu sein, bei dem sie bisher ständig den Part hatten spielen müssen, die Fehler des sehr ehrenwerten Admirals zu korrigieren. Wie auch jetzt! Und das stank ihnen. Es stank ihnen, daß da blindwütig auf die Stadt losgehämmert wurde, statt auf der Reede auf die Pirsch zu gehen und sich die fettesten Brocken herauszuholen. Da lagen nämlich einige dickbäuchige Handelsfahrer mit verdächtig tiefer Wasserlinie, die verriet, daß das Innenleben der Laderäume bestimmt nicht nur mit Luft ausgefüllt war, o nein, Sir. Wer ein Seewolf war, der hatte im Laufe der Jahre gelernt, wo eine Wasserlinie rund um das Schiff zu verlaufen hatte, wenn es volle Ladung führte. Mit grimmiger Miene sahen die Seewölfe, wie einige dieser fetten Brocken bereits ankerauf gingen, um sich in Gegenden zu
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verholen, wo die Luft weniger eisenhaltig und nicht zu erwarten war, daß sich rauhe Gesellen mit wildem Gebrüll und Entermessern zwischen den Zähnen an Bord schwangen. Inzwischen hatte die „Isabella“ Fahrt aufgenommen, lag über Steuerbordbug gut am Wind und rauschte hinter der Galeere her. Hasard spähte voraus und nickte zufrieden —die „Isabella“ holte merklich auf. Fast automatisch flog sein Blick über die Segel, um ihren Stand zu kontrollieren. Und dann wurde sein Blick starr. Für einen Moment preßte er die Lippen zusammen. Als er dann etwas sagte, nahm er die Lippen kaum auseinander, und sein Blick war weiterhin auf den Fockmars gerichtet. „Mister O'Flynn“, sagte er mit eisiger Schärfe, „hättest du vielleicht die Güte, mir zu erklären, was die beiden Jungens im Vormars zu suchen haben?“ Old Donegal Daniel O'Flynn zuckte zusammen. Er stand querab von Hasard am Backbordschanzkleid des Achterdecks, schaute jetzt auch zum Vormars und kriegte Stielaugen. Über dem Rand der Segeltuchverkleidung vom Vormars waren zwei schwarzhaarige Schöpfe sichtbar —die Schöpfe von Hasard Killigrew Junior und von Philip Killigrew Junior, den Zwillingen des Seewolfs, sieben Jahre jung, frech und der -Schrecken der gesamten „Isabella“- Crew. „Daß mich doch der Schlag trifft“, murmelte Old O'Flynn verstört. „Heute morgen, als das Theater hier losging, hab ich sie achtern in der Kammer eingesperrt ...“ „Jetzt hocken sie jedenfalls im Vormars“, knurrte Hasard wild. „Wir gehen ins Gefecht, und deine beiden Enkel genießen dort oben die schöne Aussicht.“ „Ha!“ sagte Old O'Flynn aufgebracht. „Meine beiden Enkel? Das sind deine Teufelsbraten ...“ Er verstummte und zog den Kopf ein. Hasards Blick war mörderisch. Aber dieser Blick blieb nicht so, denn in diesem Moment wuchs die kleine Gestalt von Hasard Junior hinter der Segeltuchverkleidung hoch — allerdings
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nur bis zur Brust — und dann die von Philip Junior. Und dann schwenkte Hasard Junior die Ärmchen und brüllte mit den paar Brocken Englisch, die er inzwischen gelernt hatte, zum Achterdeck hinunter, man möge doch verdammt noch mal abfallen, weil von der Galeere Wer die Drehbassen auf die „Isabella“ gerichtet würden. „Pete!“ zischte Hasard. „Fall sofort ab!“ Mit einem Blick zur Galeere hatte er gesehen, daß dort tatsächlich die Drehbassen gerichtet wurden. Aber nicht nur die Drehbassen, auch die Relingsbüchsen hinter der Brustwehr der Steuerbordseite. „Aye, aye, Sir, abfallen“, sagte Pete Ballte mit stoischer Ruhe und legte Ruder. Die „Isabella“ schwenkte nach Steuerbord. Da sie bereits fast querab achterlich von der Galeere gesegelt war, begann sie jetzt, dem Gegner die schmale Silhouette zu zeigen und das Heck zuzudrehen. „Schickt die Schoten!“ drang Carberrys grollendes Organ über die Kuhl. „Frage Feuer frei, Sir?“ Das war Al Conroy, der Stückmeister der „Isabella“. Er stand an der achteren BackbordDrehbasse. „Ich könnte der verdammten Galeere einen Schuß ins Ruder verpassen.“ „Feuer frei, Al“, sagte Hasard mit zusammengebissenen Zähnen. Sekunden später krachte Al Conroys Schuß, Eisen schlug mit unerhörter Wucht in das Heck der Galeere, und Holztrümmer wirbelten in die Luft. Es war ein Meisterschuß. Al Conroy mußte den Ruderschaft getroffen haben, denn das Galeerenruderblatt sprang plötzlich wie ein Korken aus dem Wasser, blieb schief in der unteren Halterung hängen, tanzte wild auf und ab und gab der Galeere einen Drall nach Backbord. Das genau war der Moment, als auf der Galeere die Drehbassen und Relingsbüchsen ihre Ladungen ausspuckten. Im Wasser auf der Backbordund Steuerbordseite der „Isabella“ stiegen Fontänen hoch und fielen wieder zusammen. Ein Stück Eisen raste durch die
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Heckgalerie und schlug mit einem klatschenden Laut in den Besanmast. Old O'Flynn starrte es andächtig an. Das Ding war gezackt wie ein Sägeblatt. Hasard ignorierte das Ding. „Feiner Schuß, Al“, lobte er Al Conroy. Und: „Pete, anluven, zurück auf den alten Kurs am Wind!“ „Aye, aye, anluven, alter Kurs“, sagte Pete Ballie. „Holt dicht die Schoten!“ röhrte Ed Carberry. „Holt dicht, ihr müden Säcke!“ Und dann stemmte er die Fäuste in die Hüften, starrte zum Vormars hoch und brüllte: „In drei Sekunden seid ihr kleinen Rübenschweinchen hier unten auf der Kuhl, oder der alte Profos holt euch, und dann gibt's ein Tänzchen mit dem Tauende, daß ihr meint, die Englein jubilieren zu hören!“ Alle Männer der „Isabella“ schauen zum Vormars hoch. Auf ihren Gesichtern lag ein verstecktes Grinsen, das aber auch Anerkennung ausdrückte. So jung die beiden Söhnchen des Seewolfs waren, sie mauserten sich bereits und griffen aktiv in das Kampfgeschehen ein — als Gefechtsbeobachter. Wie die Lausekerle es allerdings geschafft hatten, ungesehen und unbemerkt in den Vormars zu entern, das war ihnen völlig schleierhaft. Hasard Junior und Philip Junior reckten sich über die Segeltuchverkleidung und grinsten zu Carberry hinunter. „Ha?“ rief Hasard Junior und hielt die linke Hand gewölbt hinter das linke Ohr, um anzudeuten, daß er schwerhörig sei. „Viel Krach hier oben, nix verstehen von altes Profos!“ „Na wartet, ihr Hosentrompeter“, sagte Ed Carberry grimmig und setzte sich in Bewegung. Und Matt Davies fuhr er an: „Grins' nicht so dämlich, du triefäugiger Beachcomber!“ Aber Matt Davies grinste weiter und mit ihm die anderen Seewölfe. Sie kannten ja ihren Profos. Von Gefechtsbereitschaft konnte allerdings im Moment nicht groß die Rede sein, aber das war zu verkraften, weil man auf der Galeere zur Zeit vollauf
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damit beschäftigt war, das zerschossene Ruder mit Axthieben vom Heck zu lösen. Ed Carberry enterte indessen an den Fockluvwanten hoch, um zum Vormars zu gelangen. Als er ihn erreichte, fuhren die beiden „Hosentrompeter“ wie kleine Kastenteufelchen hoch, schwangen sich auf die Vorstengewanten der Luvseite, flitzten kichernd nach oben, sausten am Vorstengestag hinunter zum Bugspriet, kasperten freihändig über das Rundholz zur Back und verschwanden wie der Blitz im Vorkastell. Das Gelächter an Bord der „Isabella“ übertönte den rollenden Kanonendonner. Hasard selbst wußte nicht, ob er lachen oder fluchen sollte. Ed Carberrys narbiges Gesicht mit dem wüsten Rammkinn war hochrot, seine Miene war gallebitter, als er abenterte. Aber dann mußte er selbst grinsen, es blieb ihm nichts anderes übrig. Die beiden kleinen Kerlchen waren zu fix für ihn. An Deck hätte er sie erwischt, aber in der Takelage waren sie ihm überlegen. Da turnten sie mit einer Behändigkeit und Sicherheit herum, als seien sie Affen wie der Bordschimpanse Arwenack. Und das Wort Angst schienen sie auch nicht zu kennen. An diesem Punkt seiner Überlegungen wurde Carberrys Gedankenkette unterbrochen - von einem orgelnden Mißton. Instinktiv zog er den massigen Schädel ein. Auch die grinsenden Gesichter der Seewölfe versteinerten — und sie waren kampferfahren genug, sich platt an Deck zu werfen. Vorsicht war bei ihnen der bessere Teil der Tapferkeit -dank Hasards Schulung. Darum lebten sie auch noch und hatten dem Sensenmann immer wieder ein Schnippchen geschlagen. Aber die Ursache des orgelnden Mißtons erreichte nicht auf dem Deck der „Isabella“ ihr Ziel. Sie lag höher. Sie fegte - auf ihrer Endstrecke mit einem heulenden Ton, der durch Mark und Bein ging nahezu vierkant in die Segeltuchverkleidung des Vormarses. Dort zerfetzte sie Segeltuch samt der hölzernen Rundumverkleidung, zerspellte
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den Marsunterboden, schlang sich um den Fockmast - im Schußdrall -, kerbte ihn mit glühenden Rillen und sauste am Mast entlang nach unten. Ed Carberry stand eine Fußbreite neben dem Ding und stierte es verbissen an. Das Ding war eine von diesen verdammten Kettenkugeln, die man einsetzte, um die Takelage eines feindlichen Schiffes zu zerstören. Welches Schiff diese Kettenkugel auf die „Isabella“ abgefeuert hatte, war auch später nicht mehr feststellbar. Carberry meinte zwei Tage danach, irgendein totaler Vollidiot von Artillerist auf dem Flaggschiff des sehr ehrenwerten Admirals Drake hätte diesen Fehlschuß getan. Aber das war nicht beweisbar. Jedenfalls - ob Zufallstreffer oder nicht diese Kettenkugel hätte Hasard Junior und Philip Junior etwa in Höhe der Oberschenkel getroffen und an dieser Stelle amputiert. Und weil Ed Carberry in den Vormars gestiegen war, um die beiden „Hosentrompeter“ von dort an Deck zu holen, waren Hasard und Philip diesem fürchterlichen Schicksal entgangen. Ursache und Wirkung - das war es. „Mein Gott“, sagte Matt Davies und starrte abwechselnd von der Kettenkugel zu Ed Carberry und hinauf zum Vormars und wieder zur Kettenkugel. Dieses fürchterliche Geschoß schmauchte noch, und niemand hätte gewagt, es anzufassen. Es bestand aus mehreren Kettengliedern, an deren Enden zwei eiserne Kugeln von der Größe einer Kokosnuß hingen. Wenn diese beiden durch die Kette verbundenen Kugeln um sich selbst wirbelnd auf die Reise geschickt wurden, dann rissen sie nieder und zerstörten, was auf ihrer Bahn lag, bis sich ihre von einer Pulverexplosion getriebene Kraft verbraucht hatte. Die Schenkelknochen von zwei siebenjährigen Jungen hätten dieser wirbelnden Kraft kaum etwas von ihrer Wucht genommen.
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Und wenn Matt Davies „mein Gott“ sagte, dann drückte er damit aus, was alle Seewölfe dachten. Nur etwa drei Minuten später im Ablauf der Geschehnisse - und es hätte nicht nur die Zwillinge, sondern auch Edwin Carberry erwischt, der die beiden Jungs aus dem Vormars hatte holen wollen. Dem Profos hätte die Kettenkugel vermutlich das breite Kreuz gebrochen. Keiner der Seewölfe verspürte Lust, diesen Gedanken zu Ende zu spinnen. Da konnte es einem kalt werden. Kalt? Es konnte einem kalt und warm werden. Nein, nicht warm - heiß, glühend heiß, kochend heiß. Wer auch immer seine Hand über die „Isabella“ und ihre Männer samt der beiden kleinen Seewölfe hielt - er hatte aufgepaßt und nicht zugelassen, daß Furchtbares passierte. Aber einmal würde er vielleicht nicht aufpassen. Und wen würde es dann treffen? Und traf es jemanden, wäre es dann vermeidbar gewesen? Auf dem Achterdeck fuhr Hasard zu Old Donegal Daniel O'Flynn herum — es waren kaum Sekunden vergangen, seit die Kettenkugel den Vormars zerschlagen hatte und dann auf die Decksplanken gefallen war. „Mister O'Flynn“, sagte er eisig, und dieses Mal wählte er die förmliche Anrede, „wenn Sie sich überfordert fühlen, zwei Jungen unter Verschluß zu halten, dann wäre ich Ihnen sehr verbunden, Sie würden mir das mitteilen, bevor ein Unglück pariert. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Mister O'Flynn?“ „Das haben Sie, Mister Killigrew, Sir“, knurrte der Alte zurück. „Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, daß mir das, was da eben passiert ist, als Großvater dieser beiden Lümmel genauso unter die Haut geht wie Ihnen als Vater. Und als diese beiden Lümmel ihre Mutter und Sie Ihre Frau verloren, Mister Killigrew, Sir, da verlor ich meine Tochter, wenn ich sehr höflich daran erinnern darf. Meinen Sie nur ja nicht, Ihr Schmerz über den Verlust sei tiefer als meiner gewesen. Aber um Ihre Frage zu beantworten: Ich fühle mich
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keineswegs überfordert. Und dieses Mal pfeife ich auf Ihre väterliche Order, Ihren Söhnen Schonzeit zu gewähren. Dieses Mal hat's gescheppert. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt, Mister Killigrew, Sir?“ Die Seewölfe, die mitgehört hatten, waren starr. So scharf und förmlich hatte noch keiner von ihnen Old Donegal Daniel O'Flynn erlebt. Da bahnte sich wohl ein handfester Familienkrach an - zu einem Zeitpunkt, da die „Isabella“ bereits im Gefecht stand. Und die Sache war verdammt zweischneidig. Fühlte sich Philip Hasard Killigrew als Vater angesprochen und zurechtgewiesen oder hatte Old O'Flynn es gewagt, dem Kapitän der „Isabella“ Paroli zu bieten? Das konnte nicht gut gehen. Aber sie irrten sich. Philip Hasard Killigrew sagte mit zusammengepreßten Zähnen: „Sehr gut, Donegal! Auf was wartest du noch? Laß es scheppern, aber so, daß sie's auch spüren. Absolution wird nicht mehr erteilt.“ „Aye, aye, Sir“, sagte der alte O'Flynn und setzte sich mit seinen Krücken in Marsch. „Donegal“, sagte Hasard hinter ihm. Der Alte stoppte und blickte über die Schulter zurück. „Ich würde es selbst tun“, fuhr Hasard fort, „aber ich kann jetzt nicht das Achterdeck verlassen.“ „Geht klar.“ Old O'Flynn nickte und humpelte zum Niedergang. Eine halbe Minute später verschwand er im Vordeck bewaffnet mit einem Tauende. „Hm“, murmelte Donegal Daniel O'Flynn Junior, genannt Dan, „bei mir pflegte er für diesen Zweck sein Holzbein einzusetzen, aber ich schätze, das Tauende ist wirksamer.“ Das waren die richtigen Worte zur rechten Zeit. Ein verstohlenes Grinsen glättete die verkniffenen Mienen der Seewölfe. Insgeheim hatten sie ihrem alten Donegal zugestimmt. Die Schonzeit für die beiden Lümmel war vorbei. Die Kerlchen waren aus der Achterdeckskammer ausgebüxt, um während eines Gefechts vom Vormars aus Abenteuer zu erleben, und das hätte ihr Leben kosten können - ihr Leben und das
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jenes Mannes, dem sie es eigentlich zu verdanken hatten, daß sie der Kettenkugel entgangen waren. Und niemand mochte daran denken, was wäre, wenn es Edwin Carberry, den Profos der „Isabella“, nicht mehr gäbe. Nein, das durfte einfach nicht sein - eine „Isabella“ ohne den grimmigen, eisenharten, fluchenden Mann mit dem goldenen Herzen war nicht mehr vorstellbar. In diesen Minuten spürten sie es ganz intensiv, was Carberry für sie bedeutete. Hasard war davon nicht ausgenommen darum ja auch hatte er den alten Donegal so angeraunzt und im Grunde genommen tief verletzt. Die wuchtige Riesengestalt Old Shanes schob sich neben Hasard. Nur für ihn hörbar sagte er: „Es ist alles in Ordnung und gut so, aber denke darüber nach, ob du deine beiden Söhne in eine Kammer einsperren darfst wie Jagdhunde in einen Zwinger, wenn zur Jagd geblasen wird.“ Hasard schaute den ehemaligen Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack überrascht an. „Wie meinst du das, Shane?“ „Ich meine, daß wir uns hüten sollten, ihren Ausflug in den Vormars als Ungehorsam anzulegen“, erwiderte Old Shane ernst. „Du kannst sie nicht an die Kette legen. Daß du es nicht kannst, beweist ihr Ausbrechen aus der Achterdeckskammer. Aber es beweist noch etwas anderes. Daß sie nämlich nicht bereit sind, Untätigkeit hinzunehmen, wenn alles, um sie herum in Aktion ist. Sie sind eben keine Duckmäuser. Sie müssen nur lernen, sich einzuordnen, aber das erreichst du bestimmt nicht, indem du sie einsperrst ...“ Bills Ruf aus dem Hauptmars unterbrach ihn. „Galeere steuert wieder auf das Flaggschiff zu!“ 2. Stärker als zuvor wünschte sich Philip Hasard Killigrew mit der „Isabella“ weit weg von Cadiz, weit weg von diesem unsinnigen Draufloshämmern, weit weg
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von einem Admiral, der - wie auch sein Schiffsvolk - seine Aufmerksamkeit auf die Hafenstadt konzentrierte und nicht zu bemerken schien, was sich von Riemenschlag zu Riemenschlag näher auf seine Backbordseite zuschob. Ja, der Mann, der diese Kriegsgaleere kommandierte, gab noch nicht auf. Nun war eine Galeere kein Segelschiff wie eine Galeone, bei der ein Verlust des Ruderblatts verheerende Folgen haben konnte. Zwar ließ sich der Kurs einer Galeone auch ohne Ruder mittels der Segel stabilisieren. Man konnte auch durch Trimmen der Segel Kursveränderungen vornehmen, das heißt, steuern: Aber das war weiter nichts als eine Notlösung, ganz zu schweigen von der Abdrift oder dem Unvermögen, einen schnellen Kurswechsel durchzuführen. In einem Gefecht wirkte sich das katastrophal aus. Die Galeere hingegen blieb manövrierfähig — wenn auch nicht mehr ganz so wendig. Sie konnte mit den Riemen gesteuert werden. Sie konnte sogar auf der Stelle drehen, wenn auf der einen Bordseite anund auf der anderen Bordseite gegen gerudert wurde. Alles das schoß Hasard durch den Kopf, während er gleichzeitig Kurs und Geschwindigkeit des Gegners schätzte und dann feststellte, daß die Galeere in der Peilung nicht auswanderte. Das bedeutete, daß die Galeere und die „Isabella“ auf Kollisionskurs lagen. Sie liefen in einem spitzen Winkel aufeinander zu. Am Ende des gedachten Winkels aber lag das Flaggschiff Admiral Drakes, die „Elizabeth Bonaventura.“ Hasard begann zu schwitzen. Da bahnte sich eine Situation an, die ihm gar nicht gefiel. Die Gesamtsituation war sowieso verfahren genug. Fest stand, daß dieser wahnwitzige Galeerenkommandant stur wie ein andalusischer Kampfstier zum Rammstoß entschlossen war. Aller Wahrscheinlichkeit nach beruhte das auf der Erkenntnis, daß man spanischerseits die „Elizabeth Bonaventura“ als das Flaggschiff des englischen Verbandes erkannt hatte.
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Da lohnte sich dieser selbstmörderische Einsatz. Er würde sich noch mehr lohnen und dem Kampfgeschehen einen völlig anderen Verlauf geben, wenn es gelang, nach dem Rammstoß zu entern und sich den englischen Admiral zu schnappen. Vielleicht wußten die Spanier sogar, daß der englische Admiral der verhaßte „El Draque“ war. Wenn diese Überlegungen stimmten, dann würde der spanische Galeerenkommandant tatsächlich auf Biegen und Brechen seinen Angriff auf das Flaggschiff fortsetzen. Vielleicht war er noch dazu einer von diesen ehrgeizigen Hunden, die sich selbst und ihrer Umwelt immer wieder beweisen mußten, was sie doch für tüchtige Kerle wären. Wie dem auch sei, es mußte etwas geschehen, um diesen Angriff zu stoppen, bevor er unmittelbar an das Flaggschiff herangetragen wurde. Das bedeutete aber auch, nunmehr von der Rücksichtnahme auf die Galeerensträflinge abgehen zu müssen. Immerhin konnten sie versuchen, ihre Schüsse so zu platzieren, daß sie armen Kerle nicht unmittelbar betroffen wurden. Hasard wandte sich zu Al Conroy, dem Stückmeister, um und sagte: „Übernimm die Drehbassen vorn auf der Back, Al. Ich will, daß du versuchst, diesem verdammten Don den elend langen Rammsporn wegzuschießen. Wenn du das geschafft hast, konzentriere dein Feuer auf das Bugund das Achterkastell sowie auf die Brustwehr vor dem Laufgang, hinter der die Drehbassen und Relingsbüchsen aufgestellt sind. Beeil dich!“ „Aye, Sir.“ Al Conroy flankte über die Schmuckbalustrade und lief nach vorn. „Ben, übernimm die Culverinen“, sagte Hasard zu seinem Ersten. „Für euch gilt das gleiche wie für Al, klar?“ „Klar.“ „Dann los. Ihr habt Feuer frei!“ Ben Brighton sprang zur Kuhl hinunter. „Shane, Batuti“, sagte Hasard, „heizt_ ihm mit Brandpfeilen ein, nehmt die Pfeile mit den Pulverladungen. Schießt auf die Kastelle und Kampfplattformen. Postiert
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euch vorn bei Al auf der Back. Ab mit euch!“ Der Gambianeger und Big Old Shane, ein schwarzer und ein weißer, grauhaariger Riese, nickten knapp und verschwanden nach vorn. Sie waren - neidlos von allen anerkannt - die besten Bogenschützen an Bord der „Isabella“. Natürlich benutzten sie Langbogen. Die Präzision ihrer Weitschüsse war unübertrefflich, ihre Schußfloge atemberaubend. Eine knappe halbe Minute war nach Hasards Befehlen vergangen, da verwandelte sich die „Isabella“ auf ihrer Backbordseite in ein fauchendes, flammenspuckendes Ungeheuer. Ein Eisenhagel raste hinüber zu der Galeere. Kometengleich, mit einem schmalen Rauchschweif versehen, flitzten Pfeile zum Bug- und Heckkastell. Hasard wedelte die Rauchschwaden weg, die ihm die Sicht versperrten, und spähte zu dem Rammsporn der Galeere. Ein Grinsen glitt über sein tiefbraunes, scharfgeschnittenes- Gesicht. Von dem Ding war nur noch ein Stummelchen übrig, das keinem mehr wehtun würde. Wieder einmal hatte Al Conroy seine einzigartige Schießkunst unter Beweis gestellt. Die Sorge, daß die „Elizabeth Bonaventura“ von einem Rammsporn aufgespießt wurde, war also behoben. Im übrigen hatte die Kanonade der anderen Seewölfe ebenfalls ihr Ziel erreicht. Am übelsten schien es das Vorkastell erwischt zu haben - das war nur noch ein Trümmerhaufen, auf dem einzig der Fockpfahlmast noch stand, wenn auch schief und von einem Wirrwarr umgestürzter Lafetten, in die Luft ragender Bronzerohre verschiedenen Kalibers und zerfetzter Holzteile umgeben. Hasards Blick wanderte weiter. Die Brustwehr war ziemlich zerhackt, aus dem Achterkastell schlugen Flammen. Gerade zerplatzte die protzige vergoldete Hecklaterne mit einem scharfen Knall und vergoß ringsum brennendes Öl. Bei den Dons dort auf dem Achterkastell brach das aus, was die Seewölfe mit „Zustand“ bezeichneten.
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Hasard schüttelte den Kopf. Wieder einmal fragte er sich, wann die Spanier eigentlich begriffen, wie gefährlich diese ungeschützten, riesigen Lampen auf Schiffen waren. Eine Musketenkugel genügte, um diese Dinger explodieren zu lassen. Genau dort, wo die Schiffsführung sich aufhielt, um den Überblick bei Manövern oder Gefechten zu haben, wurde sie durch diese idiotischen Hecklaternen gefährdet. Am achteren Flaggenstock hinter der zerplatzten Hecklaterne lohte die Flagge Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien, in einer Flamme auf und wölbte sich bizarr, als lebe sie und leide unter den Schmerzen des Verbrennungstodes. Das Bild in der Mitte der Flagge mit den Wappenzeichen von Kastilien und Leon, Aragon, Sizilien, Granada und Portugal sowie dem gestickten Orden vom Goldenen Vlies samt der Königskrone zerfloß und wurde ein Fraß der gierigen Flammen. Das war nur die Flagge. Aber das herumspritzende, brennende Öl hatte auch Menschen getroffen. Sie schlugen um sich und rissen sich die Kleidung vom Körper. Zwei Männer - das sah Hasard -stürzten sich kopfüber von der Achterdecksplattform ins Wasser. Die Galeere wurde von den Rudersklaven weiter vorangetrieben. Nichts schien sie aufhalten zu können - weder die schweren Treffer im Vor- und Achterkastell noch die um sich greifenden Flammen. Ein eisiger Schreck durchfuhr Hasard. Die Kriegsgaleere war zum Brander geworden - und er hatte sie mit seinem Beschuß dazu werden lassen! Wenn sie voll brennend das Flaggschiff erreichte und es schaffen sollte, sich dort zu vertäuen, dann war die Hölle los! Seine Stimme fuhr wie Peitschenschlag über die Decks: „Sofort Feuer einstellen!“ Verwundert wandten die Männer ihm ihre rauchgeschwärzten Gesichter zu. „Ed!“ schrie Hasard. „Holt dicht die Schoten! Wir gehen so hoch an den Wind wie irgend möglich! Wir müssen der Galeere den Weg abschneiden, bevor sie
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sich brennend an Drakes Flaggschiff legt! Kapiert!“ „Aye, aye, Sir!“ brüllte Carberry zurück. „Pete, höher 'ran!“ befahl Hasard. „So hoch wie möglich, aber nicht kneifen!“ „Aye, aye, Sir“, sagte Pete Ballie und legte behutsam Ruder. Hasard spähte zu der Galeere hinüber. Dort war der Ruderschlag erhöht worden. Der Kommandant -wenn er noch lebte - hatte begriffen, daß nur noch diese schlanke Dreimast-Galeone zwischen ihm und dem Flaggschiff stand. Wenn er seine Geschwindigkeit ausspielte, konnte es durchaus sein, daß er das Flaggschiff unangefochten erreichte. Der Lohn würde ein brennendes Inferno für die Engländer sein. Hasard knirschte unbewußt mit den Zähnen. Jetzt ging es um jeden Yard, um jeden Zoll. Wenn der Wind raumte, also achterlicher einfiel, würde die gewonnene Höhe ausreichen, um der Galeere den Weg zu verlegen. Schralte der Wind, fiel also vorlicher ein, dann konnte Pete Ballie diesen Kurs nicht mehr halten und mußte abfallen. Die Galeere würde ihnen davonlaufen. Dann blieb als letztes Mittel nur noch, ihre Steuerbordseite in Höhe der Wasserlinie zu perforieren, damit sie schnell vollief und absoff. Das aber war das Todesurteil für die Rudersklaven. Fluchend hieb Hasard die rechte Faust auf die Schmuckbalustrade. Die Peilung zu der Galeere wanderte langsam aus - sie war schneller als die „Isabella“. Wie viele Yards hatte sie noch bis zur „Elizabeth Bonaventura“? Zweihundert Yards etwa. Zweihundert Yards bis zur Ewigkeit! Das anfeuernde Brüllen der peitschenschwingenden Antreiber und Aufseher schallte zur „Isabella“ herüber. Diese Bastarde! Sichtbar waren sie nicht, die Galeere war in Rauch und Qualm gehüllt, dazwischen zuckte und züngelte das Orangegelb und Rot der Flammen. Nur achtern sah Hasard undeutlich Gestalten, die sich bemühten, das Feuer zu dämpfen.
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Natürlich — dort befand sich die hohe Schiffsführung, die etwas dagegen hatte, Verbrennungen hinzunehmen. Von dort ging der unbarmherzige Wille aus, das tödliche Brander-Instrument an den Feind zu bringen, mochte das niedere Schiffsvolk samt der ehr- und rechtlosen Rudersklaven dabei die Höllenqualen des Feuertodes erleiden. Was kümmerte das Kommandant und Offiziere! Für einen kurzen Augenblick erwog Hasard die Möglichkeit, die Riemen auf der Steuerbordseite der Galeere mit gezieltem Beschuß zu zerstören. Aber als er das dachte, spürte er den Wind, der ihn von Luv plötzlich anwehte. Der Wind raumte! Noch im Aufatmen zischte Hasard: „Höher 'ran, Pete, nutz den Drücker aus!“ „Aye, aye, Sir!“ Der Bug der „Isabella“ schwang um ein paar Grad nach Backbord —nicht zuviel und nicht zuwenig, genau richtig. Die Segel standen prall, etwas neigte sich die „Isabella“ nach Lee und jagte schäumend durchs Wasser. Durch das Höherlaufen verkürzte sich der Weg zu der Galeere. Gebannt starrte Hasard hinüber. Ja, jetzt war die „Isabella“ wieder schneller — Windkraft gegen Muskelkraft! Segel gegen Riemen! Drüben bei der Galeere war eine Steigerung der Geschwindigkeit- nicht mehr möglich. Die Grenze menschlicher Kraftleistung war erreicht — durch rücksichtslose Ausbeutung. Jetzt konnte auch der Zusammenbruch sehr schnell erfolgen, das jähe Absinken der Leistung, der Punkt totaler Erschöpfung. Der Wind raumte noch stärker. Hasard brauchte nichts mehr zu befehlen. Pete Ballie luvte bereits an —vorsichtig, einfühlsam, aber doch auch lauernd, um noch mehr Höhe zu gewinnen. „Fein, Pete“, sagte Hasard. Der grauäugige, blonde, stämmige Rudergänger mit den Fäusten, die so groß wie Ankerklüsen waren, grinste zu seinem Kapitän hinüber, nur für einen Augenblick, dann wurde sein Gesicht wieder ernst und konzentriert.
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„Pete“, sagte Hasard, „wenn wir diesen Kurs durchhalten und die Galeere nicht abschwenkt, rammen wir sie genau in Höhe des Vorkastells —was wir aber nicht tun werden, um uns nicht die Schnauze zu verbiegen. Etwa zehn Yards vor ihr —ich sag dir, wenn's soweit ist — legst du Ruder, so daß wir in den Wind gehen und an der Galeere vorbeischurren. Ich will ihr die Riemen auf ihrer Steuerbordseite abrasieren. Alles klar?“ „Alles klar, Sir.“ Pete Ballie nickte. „Und dann entern?“ „Du sagst es.“ Hasard grinste wie ein Wolf, wandte sich zur Schmuckbalustrade und rief zur Kuhl hinunter: „Ben, alles klarmachen zum Entern!“ Ben Brighton zeigte verstanden, und dann begann auch er zu grinsen. Dieses Grinsen setzte sich auf den Gesichtern der Seewölfe fort. Hasard sah, wie Ed Carberry sich bückte, die Kettenkugel aufhob, die den Vormars getroffen hatte, und prüfend in der Hand wog. Offensichtlich plante er, sie den Dons um die Ohren zu schlagen. Hasard drehte sich zu Ferris Tucker, dem rothaarigen, riesigen Schiffszimmermann der „Isabella“ um, der die achteren Drehbassen übernommen hatte. Ferris Tucker hatte bereits seine Axt in den Fäusten und starrte lüstern auf die Galeere. „Daraus wird nichts, Ferris“, sagte Hasard sanft, „einer muß ja schließlich unsere alte Tante bewachen, oder?“ „Ist das ein Befehl?“ „Ja.“ Ferris Tucker nickte. „Geht in Ordnung, aber du kannst mir ruhig ein paar Philipps aufs Achterdeck schicken, damit ich nicht einschlafe. Ich könnte inzwischen auch den verdammten Vormars reparieren.“ „Danach, Ferris, danach.“ Hasard lächelte. Aus dem Vordeck humpelte Old O'Flynn mit seinen Krücken heran, überquerte die Kuhl, warf einen kürzen Blick zu der Galeere hinüber, grinste zufrieden und enterte den Niedergang zum Achterdeck hoch. „Na?“ fragte Hasard.
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„Ich hab ihnen den Hintern versohlt, daß das Tauende nur so geraucht hat“, erwiderte Old O'Flynn grimmig. „Meinst du, die haben einen Mucks getan? Nichts davon. Am liebsten hätten sie mir die Krücken geklaut, diese Lümmel.“ Hasard hatte Mühe, ernst zu bleiben. „Und wo stecken sie jetzt?“ „In der Vorpiek. Strafe muß sein.“ Ein Funkeln trat in Old O'Flynns Augen. „Sie müssen stehen, auf ihrem Hintern können sie 'ne ganze Weile nicht sitzen.“ „Gut so“, sagte Hasard. „Danke, Donegal.“ „Die nächste Tracht kannst du ihnen verpassen“, sagte Old O'Flynn verbissen. „Ich mußte immer an Gwen denken.“ Gwendolyn Bernice Killigrew, geborene O'Flynn, ertrunken in einem Sturm vor der Küste Englands ... Hasard preßte die Lippen zusammen. Old O'Flynn hatte eine unnachahmliche Art, ihn jetzt daran zu erinnern. Er wischte die Gedanken an Gwen beiseite. Old O'Flynn stampfte zum Besanmast und löste dort von einer Klampe den Bootstaljenläufer, der zur Besansaling hochlief und den sie häufig benutzten, wenn sie achtern ein Beiboot einsetzten oder an Deck hieven wollten. „Was soll das denn?“ fragte Hasard. Old O'Flynn schlang einen dicken Knoten in das Läuferende, nahm das Ende zwischen die Beine, so daß der dicke Knoten an seinem Hintern anlag, klemmte sich eine Krücke unter die Arme, umfaßte den Taljenläufer und brummte: „Hiev mich hoch, Mister Killigrew, Sir. Oder soll ich beim Entern vielleicht zuschauen?“ Das war's wohl. Hasard konnte schon wieder lächeln. Zusammen mit Ferris Tucker hievte er Old Donegal Daniel O'Flynn am Besanmast hoch bis zur Saling. Dort schaukelte der Alte und spähte mit grimmiger Miene hinüber zur Galeere. Noch fünfzig Yards. Hasard trat zum Ruderhaus. „Aufpassen, Pete, gleich geht's los. Pete Ballie nickte schweigend. „Ben!“ rief Hasard. „Seht zu, das Vorkastell zu besetzen. Ich möchte nicht, daß die Kerle unter Umständen das
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Flaggschiff entern, falls wir zu dicht dort herantreiben!“ „Aye, aye, Sir!“ Noch zwanzig Yards! Entsetzte Gesichter starrten von der Galeere her auf die heranrauschende „Isabella“. Männer brüllten Befehle. Ein paar Musketen blafften und hieben ihr Blei in die Bordwand der „Isabella“. Das waren noch nicht einmal Mückenstiche. Die Schiffshaut der Galeone bestand aus solidem eisenhartem Eichenholz. Die Seewölfe hatten sich längst hinter das Schanzkleid geduckt. „Jetzt, Pete!“ zischte Hasard. Pete Ballie legte Ruder, die „Isabella“ schwang nach Backbord in den Wind. Tausendfach geübt wurden die Segel sofort aufgegeit, die Rahen schwangen in Längsschiffsrichtung. Der Winddruck auf die Segel war weg, aber die „Isabella“ mit der Masse ihres Schiffskörpers hatte auch ohne den Windantrieb noch genügend Fahrt drauf, um das auszuführen, was Hasard geplant hatte. Es begann bei den Steuerbordbugriemen der Galeere. Zwei Yards von deren Bordwand entfernt wurden die schweren Riemen wie dürre, ausgetrocknete Hölzer weggeknickt, zersplittert, aus den Duchten geprellt. Der Bug der „Isabella“ schnitt durch die riemenstarrende Front der Galeere und zerbrach sie. Nichts, gar nichts vermochte ihre auslaufende Fahrt zu bremsen, erst die eigene Trägheit. Da flogen bereits von der „Isabella“ die Enterhaken zu der Galeere hinüber und verkrallten sich dort, wo sie Widerstand fanden. Die „Isabella“ rutschte mit ihrer vollen Steuerbordbreitseite krachend gegen die Bordwand der niedrigeren Galeere. Flinke Hände holten die Lose der Entertaue durch und belegten sie. Und schon gellte der Kampfschrei der Seewölfe über den Hafen und steigerte sich zum rhythmischen, abgehackten Ruf. „Ar-we-nack! Ar-we-nack! Arwe-nack !“ Und Hasards Stimme peitschte wie ein Trompetensignal über die Decks.
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„Entert sie! Drauf, Männer der ,Isabella`! Es lebe die Königin!“ „Es lebe die Königin!“ brüllten die Seewölfe und sprangen hinter ihrem Kapitän hinunter auf die Galeere. Und ein Mann stieß sich von der Saling des Besanmastes ab, sitzend auf einem Tau, das Holzbein vorgestreckt. Old Donegal Daniel O'Flynn! Wie ein riesiger, lebender Pendel schwang er über das Vorkastell der. Galeere, das Holzbein pflügte über drei behelmte Spanier und stieß sie wie Puppen außenbords. Und die Krücke, die er wie ein Ritter beim Lanzenturnier unter den rechten Arm geklemmt hatte, fegte zwei andere Spanier von den Füßen. Ferris Tucker, der einzige, der an Bord der „Isabella“ zurückgeblieben war und den Flug des Alten verfolgt hatte, riß die Augen auf — und dann lachte der Riese. Er lachte derart, daß er sich den Bauch halten mußte. Die schwere Axt fiel ihm auf die Zehe, und da hüpfte er. * Der gellende Kampfruf ließ Francis Drake zusammenzucken. Sein Kopf fuhr herum, und sein Blick traf auf Kapitän Thomas Fenner, seinen Stabschef. Bei dem stand der Mund offen, als habe er die Absicht, einen ganzen Kloß in seine Futterluke zu schieben. Sieht der dämlich aus, dachte Drake und knurrte: „Was war das, Fenner?“ Fenner stürzte vom Steuerbordschanzkleid auf dem Achterdeck der „Elizabeth Bonaventura“ hinüber zum Backbordschanzkleid. Drake rührte sich nicht von der Stelle, seine Finger trommelten einen Marsch auf das Holz des Schanzkleides, sein Blick war wieder auf Cadiz gerichtet. Kapitän Fenner, ziemlich blaß, tauchte wieder neben ihm auf. „Die — die Seewölfe!“ stieß er hervor. Der Admiral runzelte die Stirn. „Wer, bitte, Mister Fenner?“ „Äh, Kapitän Killigrews ‚Isabella', Sir.“ „Müssen die so brüllen?“
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„Sie entern eine spanische Kriegsgaleere.“ „Wie bitte?“ Kapitän Fenner trampelte sich vor Aufregung auf die Füße. „Sie — sie entern eine spanische Kriegsgaleere, Sir“, wiederholte er. „Entschuldigung, Sir, ich vermute fast, Killigrew hat sie noch rechtzeitig geschnappt, bevor sie uns mit ihrem Rammsporn ...“ Der Admiral hörte schon nicht mehr zu. Mit drei Sätzen war er am Backbordschanzkleid. „... aufspießen konnte“, vollendete Kapitän Fenner und schüttelte den Kopf. Der Admiral indessen stierte mit fassungslosen Augen auf das chaotische Geschehen, das sich etwa dreißig Yards von der „Elizabeth Bonaventura“ entfernt abspielte. Und da wurde auch der sehr ehrenwerte und tapfere Admiral blaß um die Nasenspitze. Er sah den zerschossenen Stummel von Rammsporn, er sah das zerfetzte und zertrümmerte Vorkastell, er sah die Brände an Bord der Galeere —und er sah die wilden Kämpfer der „Isabella“, pulvergeschwärzt im Gesicht, aus dem grell das Weiß der Augen und Zähne herausleuchtete, er sah ihre Fäuste fliegen, mit denen sie Schlag um Schlag die Galeere von Spaniern leerräumten, er sah die Spanier ins Wasser fliegen wie Putzlumpen, er sah den verrückten Alten, der an einem Tampen über der Galeere hin und her schwang und mit seinem Holzbein die Spanier gleich reihenweise von den Füßen holte. Das alles sah der Admiral. Und erschüttert murmelte er: „Mein Gott — und sie kämpfen alle nur mit den Fäusten, bis auf den Alten und den verdammten Carberry, der. mit einer Kettenkugel zuschlägt.“ Und dann zuckte er wieder zusammen, weil die röhrende Stimme von Ferris Tucker, dem so ausgezeichneten Schiffszimmermann der „Isabella“, auch zu ihm herüberdrang. Und dieser Tucker brüllte: „He, Arwenacks! Der sehr ehrenwerte Admiral
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sieht euch jetzt zu! Zeigt's ihm, wie wir Arwenacks zu kämpfen pflegen, wenn es gilt, ein Flaggschiff, auf dem alles pennt, davor zu bewahren, von einem Philipp gerammt und geentert zu werden. Zeigt's ihm und den anderen Pennern, damit sie begreifen, daß wir sie wieder mal mitten aus der Scheiße holen!“ Francis Drake wurde käseweiß, Sekunden später lief sein Gesicht puterrot an. Das war doch die Höhe der Dreistigkeit! Und das Johlen und das Gelächter erst, das diese „Arwenacks“ von der Galeere zu ihm herüberschickten, während sie ihre Fäuste sogar auf die Helme der spanischen Seesoldaten droschen. Ja, wie kämpften die überhaupt! Erst jetzt fiel es dem Admiral auf. Das war ja völlig verrückt. Mit den Handkanten schlugen sie auch zu. Und plötzlich hebelten sie einen Spanier an, als sei der eine Feder - und schon flog der Kerl in hohem Bogen ins Wasser. Einfach so, als seien die spanischen Panzer aus Watte. Natürlich konnte der sehr ehrenwerte Admiral nicht wissen, daß die Seewölfe diese Kampfesweise von den Mönchen auf Formosa gelernt hatten. Er schluckte und starrte, und dann schluckte er wieder. Denn die Galeere war von Spaniern leergeräumt und Kapitän Killigrews scharfe Stimme ertönte. „Löscht das Feuer! Zerbrecht die Ketten der Rudersklaven!“ Erst dann wandte sich der riesige, schwarzhaarige Mann langsam um und blickte zu dem Admiral am Backbordschanzkleid der „Elizabeth Bonaventura“ hinüber. Auf der Kuhl des Flaggschiffs und auf der Back tauchten immer Männer auf, traten ebenfalls ans Backbordschanzkleid und reckten die Hälse. Da war wohl keiner, der nicht begriff, was sich in Feuerlee des Flaggschiffs abgespielt haben mußte, ohne daß sie es bemerkt hätten. Der Admiral sah es aus den Augenwinkeln und fluchte insgeheim. Diese Blamage! Die Kanonen waren verstummt. Die Pulverschwaden trieben im Südwest über die Reede dem Land zu.
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„Sir!“ rief die helle Stimme Kapitän Killigrews, die wie klirrendes Eisen klang, zum Flaggschiff hinüber. „Es war uns eine Ehre, Sie, Ihre Männer und Ihr Schiff noch rechtzeitig vor dem Rammstoß dieser Kriegsgaleere und dem Kampf Mann gegen Mann bewahrt zu haben! Ich frage mich allerdings, ob es in der englischen Marine üblich geworden ist, während eines Gefechts auf den Rundum-Ausguck zu verzichten! Oder fahren die Schiffe Ihrer königlichen Majestät von England jetzt mit Schlafmützen zur See?“ Das saß! Oh, und wie das saß! Und dazu das Grinsen dieser verdammten „Arwenacks“! Der Admiral holte tief Luft, um diesen unverschämten Kapitän Killigrew mit der gehörigen Lautstärke zusammendonnern zu können. „Ich verbitte mir ...“ Weiter gelangte er nicht. Wie ein Messer schnitt Hasards Stimme dazwischen. -“Sie haben sich gar nichts zu verbitten, Sir, allenfalls dürfen Sie sich bei den Männern der ‚Isabella' dafür bedanken, daß sie unter Einsatz des eigenen Lebens Ihr verdammtes Flaggschiff vor einer Katastrophe bewahrten. Aber das ist wohl zuviel verlangt! Sie haben sich deshalb nichts zu verbitten, weil wir Männer der 'Isabella' nicht unter Ihrer Befehlsgewalt stehen - und wir werden uns hüten, das je zu tun, solange Starrsinn, Selbstherrlichkeit, Holzhackermethoden, mangelnde Strategie und Taktik sowie Ignoranz zu Ihren Führungsprinzipien gehören! Lassen Sie es sich gesagt sein, Sir, Ihr Unternehmen auf Cadiz, wie es sich bisher präsentiert hat, ist eine Schande für England und für Ihre Majestät, die Königin!“ Ja, das war der Rebell Philip Hasard Killigrew, und er lachte nur, als der Admiral brüllte, er verlange Satisfaktion für diese unerhörten Beleidigungen. Dieses Lachen brachte den sehr— ehrenwerten Admiral vollends zur Raserei. „Sie werden sich mir zum Duell stellen, Killigrew !“ schrie er mit überschnappender Stimme.
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„Aber Sir!“ rief Hasard zurück. „Ich duelliere mich nur mit einem gleichwertigen Gegner — bei allem Respekt, ich will doch nicht zum Mörder werden! „Sie ...“ Der Admiral brach ab und nickte den Kopf vor. Sein Blick war nicht mehr auf den verdammten Kapitän Killigrew gerichtet, sondern mehr nach links. Hasard wandte den Kopf. „Daß mich doch der Schlag trifft“, hörte er die Stimme Old Donegal Daniel O'Flynns, der am Besanmast der _Isabella“ gerade von Ferris Tucker von seinem Höhensitz abgefiert worden war. Und dann weiteten sich auch seine Augen. Hände in den Hosentaschen, die kleinen, geraden Näschen in die Luft gereckt, so verließen Hasard Killigrew Junior und Philip Killigrew Junior das Schott zum Vordeck und stelzten steif wie Bohnenstangen zum Achterdecksschott. Sie würdigten niemanden eines Blickes und zeigten Mienen, die ihre ganze Verachtung für diese Welt ausdrückten. Sie marschierten hintereinander —Hasard Junior als der Erstgeborene voran. Er hatte sogar die Lippen gespitzt und flötete eine unbekannte Melodie in den Himmel. Im Gänsemarsch verschwanden sie im Achterdecksschott. Ein paar Sekunden herrschte totales Schweigen auf beiden Seiten. Es wurde von dem Räuspern des Admirals unterbrochen. „Wer — wer ist das denn?“ fragte er verdattert. „Meine Söhne, Sir“, erwiderte Hasard verbiestert und warf Old O'Flynn einen wilden Blick zu. „Ihre — was?“ „Meine Söhne, Zwillinge Hasard und Philip Killigrew.“ Jetzt mußte sich Hasard auch räuspern. „Wo haben Sie die denn her?“ „Geklaut“, sagte Hasard lakonisch. „O Gott“, sagte der Admiral erschüttert, „o Gott, noch zwei von diesen Teufelsbraten aus Ihrem Geschlecht! Hört das denn nie auf? Geklaut, sagten Sie? Das versteh ich nicht.“
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„Ich auch nicht“, sagte Hasard ruppig, „ich versteh überhaupt nichts mehr.“ „Hm — äh — ja“, erneutes Räuspern des Admirals, „ich — also — es hat mich sehr gefreut ...“ Der Admiral wischte sich über die Stirn. „Was wollte ich sagen? Ach ja, Sie haben gut gekämpft, Kapitän Killigrew! Sie und Ihre Männer! Ausgezeichnet! Das Flaggschiff wurde vor Schaden bewahrt, äh, sehr gut, sehr gut.“ „Danke, Sir.“ Hasard verbeugte sich leicht und starrte verstohlen zum Achterdecksschott der „Isabella“. „Äh, ja“, sagte der Admiral, räusperte sich wieder und wischte sich über die Stirn, „ich - ich habe das eben nicht so gemeint, nicht wahr? Sie sind aber auch der sturste Bock, der mir jemals begegnet ist, Kapitän Killigrew. Und frech sind Sie auch. Was sie gesagt haben, hat mir noch keiner gewagt, zu sagen.“ Philip Hasard Killigrew grinste. „Einmal ist immer das erste Mal, Sir, das hängt mit den Jungfrauen zusammen!“ Brüllendes Gelächter brandete auf. Und der Bann war gebrochen. 3. „Sir“, sagte Hasard, „wir haben noch zwei, drei Stunden bis zum Sonnenuntergang und sollten uns sofort die Schiffe auf der Reede vornehmen, bevor wir weitere Unternehmungen planen.“ Die Kapitäne des englischen Verbandes waren in der Admiralskammer der „Elizabeth Bonaventura“ unter Vorsitz Francis Drakes versammelt. Dort hatte sie Drake zusammenrufen lassen - eine gute Viertelstunde nach seinem „Burgfrieden“ mit Kapitän Killigrew. „Warum das?“ fragte Kapitän Robert Seymour mit arrogant hochgezogener linker Augenbraue, was seinem Gesicht das Ansehen eines beleidigten Gockels gab. Er war der Kommandant der „Dreadnought“, einer der vier KriegsGaleonen der königlichen Lissy. Hasard trank einen Schluck vom Rotwein des Admirals und musterte den Kapitän mit seinen eisblauen Augen.
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„Weil diese Schiffe sonst - wie bereits andere - die Reede verlassen und für uns nicht mehr erreichbar sein werden“, erwiderte er gelassen. „Unsinn“, erklärte Kapitän Seymour, „davon habe ich nichts bemerkt, die ganze Reede ist noch voll von Schiffen.“ „Daß Sie davon nichts bemerkt haben“, sagte Hasard süffisant, „kann ich mir lebhaft vorstellen. Sie bemerkten ja auch nichts von dem Angriff der spanischen Kriegsgaleere, obwohl Sie mit Ihrer ,Dreadnought` direkt hinter dem Flaggschiff lagen. Waren eigentlich Ihre Ausgucke besetzt, Mister Seymour?“ Der Kapitän fuhr von seinem Stuhl hoch. „Was erlauben Sie sich ...“ „Ruhe!“ Der Admiral pochte energisch mit den Fingerknöcheln der rechten Hand auf die Eichentischplatte. „Ich bitte mir etwas mehr Zurückhaltung aus, Gentlemen, kann aber nicht verhehlen, daß der leise Tadel Kapitän Killigrews in vollem Maße zutrifft. Die Ausgucks Ihrer Schiffe, Gentlemen, haben in sträflicher Weise versagt und ihren Pflichten nicht genügt.“ Er räusperte sich, was bei ihm in der letzten Dreiviertelstunde besonders häufig geschah, und fügte hinzu: „Das gilt natürlich auch für die Ausgucks des Flaggschiffs, nicht wahr, Kapitän Fenner?“ Kapitän Fenner zog den Kopf ein und murmelte: „Jawohl, Sir, ich werde die Burschen zur Verantwortung ziehen.“ „So?“ sagte der Admiral gedehnt und starrte zur Decke hoch. „Ist es bei uns üblich geworden, daß auf unseren Schiffen nunmehr die Ausgucks die Verantwortung für die Schiffsführung übernommen haben, Mister Fenner?“ „N-nein, natürlich nicht, Sir.“ Kapitän Fenner duckte sich noch weiter und warf Hasard einen giftigen Blick zu. „Sehr schön, Mister Fenner“, sagte der Admiral und schaute immer noch zur Decke hoch. „Dann frage ich mich wirklich, um was Sie sich als Kommandant der ,Elizabeth Bonaventura' eigentlich kümmern, wenn nicht auch um die Überwachung der Pflichten eines Ausgucks.“ Der Admiral nahm den Blick
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von der Decke und ließ ihn über die betretenen Gesichter seiner Kapitäne wandern. „Ich sagte ,Überwachung`, Gentlemen, denn ein Kapitän kann unmöglich Stunde um Stunde jedes einzelne Detail an Bord seines Schiffes überprüfen. Dafür hat er seine Offiziere und seine Maaten, die sein verlängerter Arm sind. Aber wenn diese Männer bereits ihre Pflichten und Aufgaben vernachlässigen - ohne daß es der Kapitän bemerkt dann steht es schlecht um das Schiff. Und dann hat der Kapitän versagt, nicht seine Offiziere, Maaten und Seeleute.“ Die Kapitäne des Admirals stierten auf die Tischplatte oder in ihre Rotweingläser, als gelte es, dort die Rätsel dieser Welt zu ergründen. Hasard saß ruhig zurückgelehnt und fixierte ein an der hölzernen Wandverkleidung fest verschraubtes kleines Ölgemälde, das Ihre Majestät, Elisabeth I., darstellte. Spöttisch schien sie die sehr ehrenwerten Kapitäne samt Admiral aus ihren dunklen Augen zu mustern. Na, dachte Hasard, schön bist du nicht, verehrte Lissy, aber doch irgendwie faszinierend, faszinierender als diese Runde von hochnäsigen Gockeln, von denen einige bis auf die Schultern reichende, in zierliche Locken gedrehte Perücken trugen, unter denen es ihnen jetzt bei der Strafpredigt ihres Admirals mächtig heiß wurde. Wie aus weiter Ferne vernahm er die Stimme des Admirals. „Oder meint einer der Gentlemen, ihr Admiral sei dafür zuständig, die Ausgucks zu kontrollieren?“ Schweigen, das Stieren auf den Tisch oder in die Rotweingläser wurde noch intensiver. „Dieser. sehr junge Kapitän Killigrew, Gentlemen“, fuhr der Admiral fort, „fragte mich vor etwa einer Dreiviertelstunde, ob die Schiffe Ihrer Königlichen Majestät von England jetzt mit Schlafmützen zur See führen. Mit Schlafmützen!“ „Unerhört!“ murmelte Kapitän Seymour. „Wie bitte?“ fragte der Admiral.
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„Äh - ich finde das unerhört, Sir“, erwiderte Kapitän Seymour gepreßt. Der Admiral runzelte die Stirn. „Ausnahmsweise haben Sie einmal recht, Mister Seymour. Es ist wirklich unerhört, daß unsere Ausgucks Schlafmützen sind. Es ist nicht nur unerhört, sondern eine Schande. Das meinten Sie doch, nicht wahr?“ Kapitän Seymour wurde rot wie eine überreife Tomate und stotterte: „Nanatürlich, Sir.“ „Natürlich“, sagte der Admiral, und der Hohn in seiner Stimme war nicht zu überhören. „Ich danke Ihnen, Mister Seymour, daß Sie das als einziger in dieser Kapitänsrunde so klar und treffend ausgesprochen haben. Sagen Sie, Mister Seymour, wie würden Sie denn nun die Kapitäne bezeichnen, die eine Besatzung von Schlafmützen befehligen?“ Der Kapitän Seymour blieb stumm. „Nun“, fuhr der Admiral fort und seufzte, „ich bemerke schon, daß ich Sie mit meiner Frage offensichtlich überfordere, Mister Seymour. Es ist ja auch peinlich, sich mit Trottel oder Oberschlafmütze oder Versager bezeichnen zu müssen, nicht wahr?“ Des Admirals Stimme wurde scharf. „Ich stelle folgendes fest, Gentlemen: Vor über einer Dreiviertelstunde verließ eine spanische Kriegsgaleere östlich unseres Standortes den Rio San Pedro und nahm Kurs auf das Flaggschiff. Zu diesem Zeitpunkt hätte sie gesichtet werden müssen. Nichts davon! Kein Mann an Bord - unserer Schiffe, kein Offizier und kein Kapitän hielt es für nötig, einen Blick nach Feuerlee — in diesem Falle nach Osten — zu tun. Ein Schiff, das nicht zu unserem Verband gehört, die ‚Isabella' des Kapitän Killigrew, sichtete die Galeere, nahm die Verfolgung auf und konnte buchstäblich im letzten Moment verhindern, daß die ,Elizabeth Bonaventura` gerammt und nach dem Rammstoß geentert wurde. Die Überraschung wäre perfekt gewesen, und ich überlasse es dem Scharfsinn der Gentlemen, darüber nachzudenken, was passiert wäre, wenn die Spanier mich in
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ihre Gewalt gebracht hätten. Erpressung wäre wohl noch die mildeste Folge gewesen.“ Der Admiral schwieg und seine scharfen grauen Augen wanderten von einem Kapitän zum anderen. Hasard wunderte sich insgeheim. Merkte keiner der anwesenden Kapitäne, daß der Admiral kräftig dabei war, seine eigene Wäsche weiß zu waschen? Doch, einer hatte es bemerkt: Vizeadmiral William Borough, Kommandant der „Golden Lion“ — nach Hasards Ansicht der beste Seeoffizier in dieser Kapitänsversammlung, ein Mann mit Rückgrat, klarem Verstand und seemännischem Geschick. Borough sagte mit eisiger Stimme: „Ich darf meine Männer, Offiziere und mich wohl von Ihren Vorwürfen ausklammern, Sir. Zu dem Zeitpunkt, von dem Sie sprachen, stand die ,Golden Lion' im Südkanal zwischen Las Puercas und Cadiz. Die Mündung des Rio San Pedro ist von dieser Position aus nicht sichtbar. Im übrigen haben meine Gefechtsbeobachter den strikten Befehl, den gesamten Rundumbereich ständig unter Kontrolle zu halten. Ich verwahre mich in aller Form dagegen, daß meine Offiziere und Männer als Schlafmützen, Trottel oder Versager bezeichnet werden!“ Der Admiral hatte die Augen zusammengekniffen. „Sie standen im Südkanal, während wir Cadiz beschossen? Verdammt, was hatten Sie da zu suchen, Mister Borough, Sir?“ Der Vizeadmiral lächelte kalt. „Die ‚Golden Lion` kämpfte die Batterien des Forts San Sebastian nieder, Sir. Es liegt mir nicht, Frauen und Kinder und alte Leute zusammenzukartätschen oder deren Häuser in Schutt und Asche zu legen. Ich kämpfe gegen Soldaten, nicht gegen unschuldige Menschen. Außerdem darf ich Sie wohl daran erinnern, Sir, daß ich Sie bei den letzten beiden Kapitänsbesprechungen hier in diesem Raum danach fragte, wie unser Verband beim Angriff auf Cadiz vorgehen solle. Ihre letzte Antwort lautete: dem
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Flaggschiff folgen und auf alle Spanier feuern. Nach meiner Auffassung über ein solches Unternehmen ist das eine sehr magere Befehlsausgabe, wobei Ihr Aufmarsch weder voraus noch achteraus noch seitwärts gesichert war. Ich betone in diesem Falle 'das Wort ‚seitwärts', denn die spanische Kriegsgaleere griff Ihr Flaggschiff von der Seite her an.“ „Was soll das heißen?“ fragte der Admiral scharf. „Das soll heißen, daß Sie es versäumten, für eine genügende Flankensicherung zu sorgen, Sir. Ihre Vorwürfe bezüglich der Ausgucks mögen berechtigt sein, aber wenn Sie in einer Formation segeln, in der Ihre eine Flanke - die Feuerleeseite ungedeckt ist, dann müssen Sie sich nicht wundern, wenn der Gegner an dieser Stelle angreift. Und das haben Sie zu verantworten, Sir, nicht die Kapitäne.“ Der Admiral bewahrte mühsam seine Fassung. „Soll das eine Kritik an meinen Maßnahmen sein, Mister Borough, Sir?“ „Sie haben doch gar keine Maßnahmen getroffen, Sir“, erwiderte Borough unerschrocken. „Aber bitte, wenn Sie meine Hinweise als Kritik auffassen, dann ist das Ihre Sache.“ „Sie steuern Kollisionskurs, Mister Borough, Sir“, sagte der Admiral drohend. „Denn Sie haben hier nicht zu kritisieren, sondern zu gehorchen. Ihr Alleingang im Südkanal war bereits eine Insubordination, wenn nicht deutliche Mißachtung meines Befehls, dem Flaggschiff zu folgen.“ „So?“ fragte der Vizeadmiral mit kaltem Hohn. „Dazu darf ich feststellen, daß ich am Tampen des Verbandes hing. Oder hatten Sie eine Reihenfolge festgelegt? Nein, das hatten Sie nicht. Also bildete ich den Schluß, zumal sich die Kapitäne und Kommandanten der anderen Schiffe in die Haare gerieten, welche Positionen sie hinter dem Flaggschiff einnehmen sollten. Ich ließ ihnen als höflicher Mensch den Vortritt.“ Mit arroganter Stimme fragte Kapitän Seymour: „Sie waren wohl zu feige, die Degenspitze unseres Verbandes zu sein, Mister Borough, Sir?“
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„Die Degenspitze?“ Der Vizeadmiral grinste geringschätzig. „Diese Position übernimmt doch wohl ein Flaggschiff, oder?“ „Mein Schiff segelte hinter dem Admiral'', erklärte der Gockel Seymour und reckte die Brust, „um jederzeit bereit zu sein, dem Flaggschiff in gefährlichen Situationen beizustehen.“ „Wie im Falle der Kriegsgaleere, nicht wahr, mein lieber Seymour?“ sagte der Vizeadmiral gemütlich. „Aber da waren Sie wohl zu sehr damit beschäftigt, Ihre Artillerie auf wehrlose Frauen und Kinder abzufeuern. Hatten Sie denn Verluste, mein Guter? Wurde Ihre Kanonade von der Stadt aus beantwortet?“ „Natürlich nicht“, erwiderte Kapitän Seymour von oben herab. „Der Feind hatte unserem trefflichen Feuer nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.“ „Na, wie sollte er auch, mein lieber Seymour! Es wäre städtebaulich wirklich ein Novum, in die Bürgerhäuser Kanonen einzubauen, woraus folgert, daß Sie mit Ihrer Degenspitze an völlig nutzlosen Stellen herumgestochert haben!“ Der Admiral schaltete sich wieder ein, ziemlich gereizt. „Das zu beurteilen, steht Ihnen nicht zu, Sir!“ fauchte er. Jetzt wurde der Vizeadmiral massiv. „Ich wurde von diesem Perückenkapitän der Feigheit bezichtigt und stelle dazu fest, daß nur zwei Schiffe echte Feindberührung hatten - die ‚Isabella' des ausgezeichneten Kapitäns Killigrew und meine ‚Golden Lion`. Mit echter Feindberührung meine ich das Gefecht mit einem wehrhaften, soldatischen Gegner, bei dem mir selbst die Kugeln um die Ohren fliegen, nicht aber das sinnlose Draufloshämmern auf Häuser, in denen Frauen und, Kinder wohnen, die sich nicht wehren können. Eine solche Kriegsführung ist eines Soldaten Ihrer Majestät der Königin unwürdig!“ In der Admiralskammer brach tumultartiger Lärm los. Noch während er tobte, stand Hasard mit lächelnder Gelassenheit auf - ein Riese, der sich etwas
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ducken mußte, um mit dem Kopf nicht gegen die Deckenbalken zu stoßen. Der Lärm verstummte. Verärgerte, empörte, wütende Gesichter starrten zu ihm hoch - mit Ausnahme des Vizeadmirals. Hasard sagte: „Ich darf mich empfehlen, Gentlemen. Mein Vormars wurde zerschossen, und eine Menge Arbeit wartet auf mich. Im übrigen teile ich Vizeadmiral Boroughs Ansichten über eine Kriegsführung, die Frauen und Kinder und Wehrlose verschont. Statt deren Häuser zu zerschießen, sollte man sein Feuer besser auf die Forts und Batterien konzentrieren ...“ „Sie schaffen es ja noch nicht einmal, eine Kriegsgaleere zu versenken!“ unterbrach ihn Kapitän Seymour höhnisch. „Sie lassen diese Galeere sogar noch davonrudern!“ „Richtig, Mister Seymour, ich bewundere bei Ihrer sonstigen Schlafmützigkeit, daß Sie das bemerkt haben“, erwiderte Hasard ruhig. „Offensichtlich reicht aber Ihr Verstand nicht aus, eine solche Handlungsweise zu begreifen. Ich erkläre es Ihnen gern. Galeeren werden mittels der Muskelkraft angeketteter Sklaven vorangetrieben. Ein angeketteter Mann ist für mich ein wehrloser Mann. Wenn ich eine Galeere versenke, dann verurteile ich diesen Mann zu einem erbärmlichen, furchtbaren Tod. Ich bin kein Henker und erst recht kein Mörder.“ „Pah!“ erklärte Kapitän Seymour. „Das sind doch alles nur Verbrecher! Abschaum ist das, Gesindel ...“ Hasard umrundete mit zwei Sätzen den Tisch, packte den Perückenkapitän am Kragen, riß ihn hoch, schüttelte ihn und drückte ihn mit eiserner Faust gegen einen hölzernen Stützpfosten. „Sagten Sie Gesindel, Sie Hampelmann?“ fauchte er. „Dann lassen Sie sich von Admiral Drake erklären, welche Männer mein Bootsmann und ich vor über sieben Jahren als Rudersklaven von einer spanischen Galeere befreiten! Das waren gute, tapfere englische Seeleute, die kämpfend und zum Teil schwerverwundet vor der irischen Küste in spanische Hände gefallen waren! Bei Gott, Scheißkerle wie
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Sie sollten wie räudige Hunde davongejagt werden, Sie sind eine Beleidigung für die englische Marine!“ Und dann klatschten zwei Ohrfeigen, und dem Kapitän flog die Perücke vom Kopf. Aus der Perücke stieg eine Puderwolke. Die Kopfhaut des sehr ehrenwerten Kapitäns hingegen war recht grau. Und da er auf dem Kopf geschwitzt hatte, war das Grau da und dort der helleren Hautfarbe gewichen, woraus zu schließen war, daß Robert Seymour, Kommandant Ihrer Majestät Schiff „Dreadnought“, mit Wasser und Seife auf Kriegsfuß stand und daher keineswegs als ein Muster der Reinlichkeit bezeichnet werden konnte. Das tat Hasard auch nicht. Noch in das schreckerstarrte Schweigen hinein sagte er: „Ich muß mich korrigieren - in der Marine Ihrer Majestät der Königin fahren nicht nur Schlafmützen zur See, sondern auch Schweinigel. Und so was wagt, ehrliche, saubere Seeleute zu beleidigen und Abschaum und Gesindel zu nennen.“ Angewidert wandte Hasard den Blick und schaute den Admiral an, in dessen Gesicht es wetterleuchtete. „Fürwahr, Sir, ich muß mich wundern, mit was für Kapitänen Sie sich umgeben - mit Ausnahme Vizeadmiral Boroughs. Ich bin hier wohl wirklich überflüssig.“ „Sind Sie jetzt fertig?“ fragte der Admiral eisig. „Allerdings.“ „Dann gebe ich Ihnen genau eine Viertelminute Zeit, sich bei Kapitän Seymour zu entschuldigen.“ Der Admiral drehte eine kleine Sanduhr um, die vor ihm stand. Hasard verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte amüsiert, während er den ausrinnenden Sand beobachtete. Als der Sand ausgelaufen war, fragte er: „Und jetzt?“ „Betrachten Sie sich als unter Arrest stehend“, sagte der Admiral schneidend. „Vor einem Bordgericht werden Sie Ihre Unverschämtheiten zu verantworten haben.“ „Sie vertragen die Wahrheit nicht, Drake“, sagte Hasard verächtlich. „Wenn ich
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jemals Achtung vor Ihnen hatte, dann mußte ich wohl mit Blindheit geschlagen gewesen sein. Ich hätte es wissen müssen. Damals, auf der ,Golden Hind', deckten Sie ja auch einen Meuchelmörder, genauso wie Sie sich jetzt auf die Seite eines schwachsinnigen Großmauls stellen. Sie wollen mich vor ein Bordgericht zerren? Dazu müssen Sie mich erst einmal haben!“ „Wache!“ brüllte der Admiral. Hasard war Mit einem Satz bei dem Schott und knallte von innen die beiden schweren Riegel vor. Er drehte sich um und lehnte sich leicht dagegen. Sein scharfgeschnittenes, braungebranntes Gesicht hatte sich verändert. Es drückte einen unbezähmbaren Willen aus, eine wilde Entschlossenheit, sich zur Wehr zu setzen. Seine eisblauen Augen bohrten sich in die Augen des Admirals. „Na los, Drake“, sagte er, und jetzt klirrte wieder Eisen in seiner Stimme, „versuchen Sie's doch mal. Oder brauchen Sie einen Handlanger? Wie wär's mit Ihnen, Seymour?“ Hasards eisblaue Augen funkelten den Kapitän an. „Sie faselten doch was von Degenspitze. Jetzt haben Sie Gelegenheit, Ihrem bedrängten Admiral zu helfen ...“ Hinter Hasard wurde gegen das Schott gewummert. „Sir! Die Wache ist zur Stelle!“ rief eine Stimme. „Hauen Sie ab!“ rief Hasard, zog seine doppelläufige Reiterpistole und richtete sie auf den Admiral. „Bestellen Sie Mister Carberry von der ‚Isabella', der unten an der Jacobsleiter im Beiboot wartet, er möge sich sofort hier beim Admiral melden. Das ist ein Befehl!“ „Jawohl, Sir.“ Schritte entfernten sich. Vizeadmiral Borough grinste breit. Die anderen Gentlemen saßen wie Holzfiguren. Kapitän Seymour lehnte mit wackligen Knien an dem Stützpfosten. Der Schweiß zog neue, helle Bahnen auf seiner Kopfhaut, tropfte vom Kinn auf den weißen Rüschenkragen und hinterließ dort wiederum dunkle Flecken.
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Keuchend sagte der Admiral: „Nehmen Sie diesen Mann fest, Mister Seymour!“ „Er - er bedroht uns mit einer Pistole, unser - unser aller Leben ist in höchster Gefahr.“ Jetzt kriegte der Kapitän auch noch Zuckungen Gesicht. „Meins nicht“, sagte Vizeadmiral Borough gemütlich und streckte die Beine aus. Der Admiral fuhr zu ihm herum. „ich befehle Ihnen, diesen Mann festzunehmen, Mister Borough, Sir!“ Der Vizeadmiral zuckte mit den Schultern. „Ich sehe keinen Grund, zumal ich der Ansicht bin, daß hier weiß Gott kein Anlaß vorliegt, den ihr ehrenwerten und tapferen Kapitän vor ein Bordgericht zu stellen. Kapitän Killigrew ist einfreier Mann und untersteht nicht Ihrer Disziplinarordnung, Sir. Wenn er sich gegen eine Festnahme zur Wehr setzt, dann ist das sein gutes Recht. Ich finde es im übrigen ziemlich beschissen, einen Mann, der Sie und Ihr Flaggschiff gerettet hat, derart zu behandeln. Seymour müßte sich bei Kapitän Killigrew entschuldigen -nicht umgekehrt.“ „Wollen Sie mich etwa belehren?“ fuhr der Admiral hoch. „So ist es, Sir“, erwiderte Borough ruhig, „denn Ihre Fehler beginnen sich in beängstigender Weise zu häufen ...“ Erneutes Wummern unterbrach ihn. „Carberry zur Stelle, Sir!“ ertönte die mächtige Stimme des Profos. Hasard schob die beiden Riegel zurück und öffnete das Schott. Carberrys wuchtige Gestalt tauchte auf. Mit einem Blick sah er die Pistole in Hasards Faust -und schon zog er seine aus dem breiten Gürtel. „Gibt's Ärger, Sir?“ fragte er beachtlich leise. „Ein bißchen, Ed. Der Admiral wollte mich festnehmen lassen und vor ein Bordgericht stellen.“ Hasard grinste. „Der soll bloß“, sagte der Profos drohend und betrat die Admiralskammer. Er hatte keinerlei Hemmungen, und sein Blick war mörderisch, mit dem er die Runde der Kapitäne streifte, bis er den Admiral „ins Visier“ nahm. Da wurde sein Blick nicht nur mörderisch, sondern von greller
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Wildheit. Und seine massige Gestalt duckte sich, als sei er bereit, wie ein Tiger über den Tisch zu springen, um dem Admiral an die Gurgel zu gehen. „Immer mit der Ruhe, Ed“, sagte Hasard sanft. „Wie? Was? Der will dich festnehmen und vor ein Bordgericht stellen?“ grollte der Profos der „Isabella“. „Warum? Weil du und wir sein Scheißflaggschiff davor bewahrten, zur Hölle zu gehen, wo es hingehört?“ Der Profos schlich auf den Tisch zu, und die. sehr ehrenwerten Kapitäne drückten sich in ihre Stühle zurück, als sei dieser fürchterliche Profos mit dem häßlichen, zernarbten Gesicht und dem Rammkinn ein Barbier, der mit gewetztem Messer auf ihre Kehlen losging. Und auch der Admiral rutschte mit seinem Stuhl zurück. Aber Carberry sagte ganz leise und sehr besänftigend: „Hör zu, Mister Drake, Sir, für uns Arwenacks bist du ein paar Nummern zu klein. Uns schaffst du nicht, uns schaffst du niemals, denn sollte Kapitän Killigrew von deinen Rübenschweinen je auch nur ein Haar gekrümmt werden, dann wird jeder Mann der ,Isabella'-Crew zur Bestie. Und dann machen wir deine ,Elizabeth Bonaventura` zur Wildsau, die in keine Suhle mehr paßt. Ist das klar?“ „O Gott“, ertönte die Stimme des Kapitäns Seymour, „o Gott, was ist das denn für ein Wüstling?“ Er umklammerte mit nach hinten verschränkten Armen den Sützpfosten, um nicht in die Knie zu gehen. Carberry fuhr zu ihm herum. „Halt's Maul, Mister, hier redet der Profos der ‚Isabella' ...“ Er stutzte und schob den Kopf vor. „Bist du Kapitän oder was?“ „Kommandant der ,Dreadnought`, bitte sehr.“ „Scheißschiff, wenn der Kommandant einen Kopf wie eine Jauchetonne hat! Noch nie gewaschen, was, wie? ,Dreadnought`? ,Dreadnought!' Lag die nicht hinter dem Flaggschiff, als die Dons mit der Galeere angriffen?“
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„Jawohl“, sagte Kapitän Seymour gehorsam, und es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte „Sir“ hinzugefügt. Aber das tat Edwin Carberry, und er wurde plötzlich sehr förmlich. „Sir“, sagte er, „als zweites Schiff der Linie, das ein Flaggschiff zu decken hat, hätte man besser eine Kuh hinterher segeln lassen sollen, die hätte schärfere Augen gehabt!“ Vizeadmiral William Borough lachte dröhnend. Die Kapitäne saßen mit verstörten Gesichtern da. Und der Admiral begriff, daß er handlungsunfähig war. Dieser Killigrew hatte ihn elegant ausmanövriert. Nicht nur ihn — die Kapitäne waren wie gelähmt. Ein einziger Mann hatte über zwanzig Kapitäne in Schach gehalten! Nicht einer hatte gewagt, gegen ihn vorzugehen. Er, der Admiral, hatte einen Befehl gegeben und war nicht in der Lage, diesen Befehl auch durchzusetzen. Und mit dem Erscheinen dieses furchtbaren Carberry hatte sich das Blatt endgültig gewendet. Oder nicht? Sollte er das ganze Schiff alarmieren, um diese beiden Kerle überwältigen zu lassen? Dieser verdammte Killigrew schien Gedanken lesen zu können, denn er sagte: „Versuchen Sie nicht, uns aufzuhalten oder daran zu hindern, von Bord zu gehen, Sir. Es würde ein Blutbad geben. Nach dem, was mir hier von Ihnen geboten wurde, habe ich keinerlei Veranlassung mehr, auf jemanden Rücksicht zu nehmen. Das ist eine Warnung, eine ernste Warnung, denn im Gegensatz zu Ihren Schlafmützen sind meine Männer zur Zeit gefechtsbereit. Sag's ihm, Ed, damit er nicht denkt, daß ich bluffe.“ Grinsend erklärte Carberry: „Unser Kapitän hatte so einen Riecher, daß es hier Stunk geben könne. Das ist so seine Art, Unvorhergesehenes möglichst auszuschalten. Nun, alle Waffen der ,Isabella` sind feuerbereit und auf das Flaggschiff gerichtet — nicht auf die Besatzung wohlgemerkt, aber auf so heikle Stellen wie das Ruder oder den Bugspriet,
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den unser Stückmeister ja bereits einmal mit einem sauberen Schuß abrasierte ...“ „Wie bitte?“ fragte Vizeadmiral Borough verblüfft. „Sie hatten mit der ,Elizabeth Bonaventura' Gefechtsberührung? Oder habe ich mich verhört, Mister Carberry?“ „Keineswegs, Sir ...“ „Das war ein Versehen!“ fiel ihm Admiral Drake schroff ins Wort. „Schweigen Sie, Profos!“ Carberry wirbelte herum und funkelte den Admiral an. „Was soll ich? Schweigen? Hier soll wohl was vertuscht werden? Das könnte dir so passen, Sir! Aber alle sollen es hören, daß du oben bei den BerlengaInseln scharf darauf warst, die ,Isabella' zu vernaschen. Aber da kriegte dein Flaggschiff fix was auf die Schnauze, und danach manövrierte dich Kapitän Killigrew auf die Sände, von denen wir dich dann herunterholen mußten, weil ihr es aus eigener Kraft nicht fertig brachtet. Jawohl, so war das, und mit Ruhm bekleckert hast du dich bestimmt nicht, Sir. Und vielleicht darf ich auch daran erinnern, daß die ‚Isabella' in der betreffenden Nacht, in der die ,Elizabeth Bonaventura' auf Dreck saß und nicht loskam, vier spanische Galeeren in die Flucht jagte, die dem festsitzenden Flaggschiff zu Leibe rücken wollten!“ Carberry redete sich in Wut. „Seitdem sind wir ständig damit beschäftigt, für dieses verdammte Flaggschiff das Kindermädchen zu spielen und dabei unser Leben zu riskieren. Mir reicht's, Mister Drake, Admiral, Sir! Bis hier oben steht mir das!“ Carberry deutete den Pegel seines Gemütszustandes in Höhe seines Rammkinns an. „Das schmeckt mir vielleicht! Das Maul aufreißen, meinen Kapitän vor ein Bordgericht stellen wollen! Mir den Mund verbieten!“ Und wieder wurde er förmlich, der Profos. „Was denken Sie eigentlich, wer Sie sind? Vielleicht der liebe Gott? Admiral! Daß ich nicht lache! Da ist mein Kapitän mehr Admiral als Sie. Und weil Sie das wissen, hacken Sie auf ihm herum, Sie Admiral, Sie! Nannten die Spanier Sie jemals ,El Draque', den Drachen? Die müssen blind
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gewesen sein. Weil Sie nämlich kein Drache, sondern eine miese Filzlaus sind „Ed, das reicht“, unterbrach ihn Hasard ruhig. „Es hat auch gar keinen Zweck, denn er begreift es nicht. Ein Mann, der die Umstände unseres Zusammentreffens bei den Berlenga-Inseln verschweigt, tut es deswegen, weil er Angst hat, seinen Glorienschein zu verlieren. Aber den hat er hier vor Cadiz erst recht verloren. Wir haben damit nichts mehr zu schaffen.“ Er lächelte dem Vizeadmiral zu und verließ mit Ed Carberry die Admiralskammer. Eine schweigende Runde blieb zurück. Immerhin waren einige Gesichter sehr nachdenklich geworden. Der Admiral sah aus, als habe er Essig getrunken. Einzig Kapitän Seymour, nun nicht mehr von einer Pistole bedroht, fühlte sich wieder stark, nachdem er sich die Perücke schief über den schmutzigen Kopf gestülpt hatte. „Eine Unverschämtheit!“ stieß er hervor. „Eine Frechheit! Man hätte diese beiden Kerle überwältigen müssen!“ „Halten Sie doch den Mund, Sie Idiot!“ sagte der Admiral bissig. „Wegen Ihnen ist es zu dieser Auseinandersetzung gekommen, Sie Degenspitze!“ Des Admirals Stimme wurde wütend. „Auf Ihren Quatsch über die Galeerensklaven konnte Killigrew gar nicht anders reagieren, denn es waren seine Leute, die er damals mit meiner Genehmigung von einer spanischen Galeere herunterholte. Zu Ihrer Kenntnis: Die Spanier pflegen mit Vorliebe englische Gefangene als Rudersklaven auf ihre Galeeren zu stecken, aber auch sogenannte Ketzer, niederländische Rebellen wie die Geusen oder schlicht Männer, die sie pressen. Daran sollten Sie denken, wenn sie mit einer Galeere ins Gefecht geraten.“ „Aber — aber wieso sollte er sich dann bei mir entschuldigen?“ fragte der Kapitän fassungslos. „Weil ich wußte, daß er es nicht tun würde!“ brüllte der Admiral. „Und ich hätte einen Grund gehabt, ihn festzusetzen!“ Er hieb die Faust auf die Tischplatte. „Aber selbst dazu waren Sie
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nicht in der Lage, Sie Schlappschwanz! Und wo blieb Ihre Ehre? Zwei Ohrfeigen empfingen Sie — und jede Menge Beleidigungen, Gründe genug für ein Duell auf Degen oder Pistole, um eine solche Schmach nicht auf sich sitzen zu lassen.“ „Ja, ja“, sagte Vizeadmiral Borough so vor sich hin, „wie der Herr, so das Gesinde.“ „Wollen Sie mich provozieren, Mister Borough, Sir?“ fragte Drake schneidend. „Aber nicht doch, Sir“, erwiderte der Vizeadmiral gelassen, „ich meine nur, daß ein Führer nie einen Befehl geben sollte, den er nicht selbst in der Lage ist, auszuführen. Sie hätten Kapitän Killigrew doch selbst festnehmen oder überwältigen können, oder? Und wenn Sie es nicht tun, was verlangen Sie dann von Kapitän Seymour?“ Der Admiral wich einer Antwort aus. Abrupt stand er auf und sagte: „Es ist genug geredet werden, handeln wir jetzt. Die Reede muß von feindlichen Schiffen gesäubert werden. Gehen Sie ankerauf. Mein Befehl lautet: Vernichten Sie spanischen oder portugiesischen Schiffsraum, oder entern und beschlagnahmen Sie die Ladegüter, wenn sie ihnen wertvoll erscheinen. Vorwärts, Gentlemen!“ „Und wer sichert wen?“ fragte der Vizeadmiral. „Das ist völlig überflüssig. Wir sind bereits Herren der Lage.“ „Ah so“, sagte der Vizeadmiral und verließ kopfschüttelnd die Admiralskammer. 4. So ganz unrecht hatte der Admiral nicht, als er erklärt hatte: „Wir sind bereits Herren der Lage.“ Denn auf der großen, äußeren Reede nordöstlich von Cadiz herrschte eine ziemliche Panik, die einen geschlossenen, massiven Widerstand gegen den englischen Überfall verhinderte — abgesehen von den todesmutigen Angriffen oder Kriegsgaleeren. - Aber deren Aktionen hatte das „Kindermädchen“ — wie sich Ed Carberry ausgedrückt hatte — unterbunden: Philip
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Hasard Killigrews „Isabela“. Und später hatten die Seewölfe mit Grimm beobachtet, wie die fettesten Brocken ankerauf gingen und fluchtartig die Reede verließen. Deren Kapitäne mußten gewitzte Burschen sein, wenn sie sich nicht davon hatten einlullen lassen, daß der englische Kampfverband über Cadiz hergefallen war. Für viele hatte es wirklich so ausgesehen, als planten die Engländer, Cadiz im Sturm zu erobern. Hätten sie sonst die Stadt derart massiv unter Feuer genommen? So traf jetzt das Verhängnis jene Kapitäne sowie deren Schiffe und Mannschaften, die geglaubt hatten, der Kelch ginge an ihnen vorüber. Da waren einige, die gehörten zu dem Typ Mensch, der bei einem Gewitter den unfrommen Wunsch hegt, der Blitz möge nicht sein Haus, sondern das des Nachbarn treffen. Daß sie Narren waren, erkannten sie zu spät. Einige hatten auch aus Phlegma nicht die Reede verlassen oder sich damit getröstet, so schlimm würde es schon nicht werden. Einer war allerdings unter den Handelsfahrern, ein siebenhundert Tonnen schwerer Brocken, der aus Genua stammte und für den Levantehandel gebaut und entsprechend armiert war. Er hatte die Heimreise antreten und nur auf günstigen Wind warten wollen. Beladen war er bis unter die Luken mit Koschenille, dem schönen, roten Farbstoff der Schildlaus, mit Kampescheholz, Häuten und Wolle für Italien. Bei dem nach Süden tendierenden Südwestwind hatte der genuesische Kapitän es vorgezogen, sein Auslaufen noch zu verschieben. Aber seine gesamte Besatzung war an Bord — im Gegensatz zu vielen der anderen Schiffe auf Reede. Dieser Kapitän hatte ebenfalls überlegt, ob es nicht besser sei, sich zu verziehen, als die Engländer vor der Bucht aufgetaucht und dann über Cadiz hergefallen waren. Aber er war geblieben — einmal aus der Überlegung heraus, daß Genua nicht mit England in Fehde lag und demnach als neutral zu betrachten war, und zum anderen vertrat er die persönliche Ansicht,
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daß es ihn weiß Gott nichts anging, wenn sich Spanier und Engländer aus welchen Gründen auch immer in die Haare gerieten. Ihm war der eine so genehm wie der andere, und wenn Genua mit Spanien Handel trieb, dann konnte es das genauso gut mit England tun, ohne daß gleich alle Welt schrie, Genua liebäugele mit der einen Seite mehr als mit der anderen. Der Kapitän hatte nichts gegen England, und er hatte nichts gegen Spanien, allenfalls traten seiner Meinung nach die Spanier etwas zu hochnäsig auf. Und ein bißchen zu raffig waren sie wohl auch, wenn man bedachte, was sie alles aus der Neuen Welt heranschleppten. Konnte man es da den Engländern verübeln, daß sie sich ein Scheibchen von dem Kuchen abschneiden wollten? Nein, das konnte man nicht. Kapitän Mauritio Sulla war kein Mensch mit komplizierten Gedankengängen, er hatte Verstand und Herz, und die Genueser Kaufmannschaft hatte sehr genau gewußt, wem sie den Siebenhundert-Tonner anvertraute, denn Sulla war Seemann aus Passion, und den nordafrikanischen Piraten hatte er noch immer und zu jeder Zeit die Zähne gezeigt. Im übrigen war sein Schiff für derartige Überfälle bestens bestückt —mit je zwanzig schweren Messingkanonen auf jeder Seite. Daß der gewissenhafte Kapitän Sulla seine Männer auf den Umgang mit diesen Kanonen getrimmt hatte, versteht sich von selbst. Die algerischen Piraten wußten davon ein Liedchen zu singen, denn allemal hatten sie sich blutige Nasen geholt, wenn es sie nach diesem Brocken gelüstet hatte. Am Vormittag dieses 29. April 1587 hatte Kapitän Sulla sein Schiff aus dem Pulk der vor Anker liegenden anderen Fahrzeuge gelöst und sich an den Außenrand der Reede verholt. Er wollte sofort lossegeln können, sobald der Wind günstiger stand. Das hatte den einfachen, seemännisch richtigen Grund, daß er es vermeiden wollte, sich bei einem drehenden Wind zwischen einer Masse hin und her
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schwojender Schiffe hindurchmogeln zu müssen. Denn da war ein Gewirr der verschiedenartigsten Schiffe aus aller Herren Länder - von den Spaniern beschlagnahmte holländische Segler, Handelsschiffe aus dem Norden, Schiffe der spanischen Amerikaflotte, Handelsfrachter beladen mit edlen SherryWeinen, Mittelmeerschiffe wie der genuesische Siebenhundert-Tonner, Galeonen, Barken, Urcas, Karavellen, kurz ein Sammelsurium aller möglichen Typen. Und wer aus einem solchen Pulk ankerauf ging, um auszulaufen, der mußte bei drehenden Winden verdammt aufpassen, wenn er klarfahren wollte. Mit Gelassenheit hatte Kapitän Mauritio Sulla den englischen Überfall auf Cadiz betrachtet. Aber dann, am späten Nachmittag, war seine Gelassenheit in Argwohn umgeschlagen. Das genau war der Zeitpunkt, als sich die Panik auszubreiten begann, weil der englische Verband plötzlich schwenkte und Kurs auf die Ankerlieger der großen Reede nahm. Was da heranrückte, sah gar nicht gut aus, und als der Verband auseinanderfächerte und den weiten Bereich der Reede einkreiste, da ahnte Kapitän Sulla, was die Glocke geschlagen hatte. Unwillkürlich drängte sich ihm das Bild von hungrigen Wölfen auf, die um eine Schafherde ihren tödlichen Ring bilden. Sulla verfluchte seinen Entschluß, nicht wie die anderen dicken Brocken das Weite gesucht zu haben, als die Engländer noch mit Cadiz beschäftigt waren. Jetzt war es zu spät. „Klar Schiff zum Gefecht!“ peitschte seine grimmige Stimme über die Decks. Kaum hatte er das befohlen - und das gab ihm die Genugtuung, richtig zu handeln -, erschienen die ersten Mündungsfeuer vor den Rohren der englischen Schiffe, und der Kanonendonner rollte über die Reede. Warnschüsse waren es, wie Kapitän Sulla feststellte. Warnschüsse, um die Schafherde einzuschüchtern!
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Bei den Schiffen, die am Südrand der großen Reede ankerten, sah es aus, als spucke das Wasser Fontänen hoch. Sulla kannte dieses Bild, und es war für ihn wieder genauso erregend wie vor sechzehn Jahren, als er unter Giovanni Andrea Doria, dem Führer der genuesischen Seestreitkräfte bei der Schlacht von Lepanto, an Bord der „Marquesa“ gegen die türkische Flotte gekämpft hatte. Damals hatte er zum ersten Male die kalte Schönheit fontänengischtender Kugeleinschläge bewundert -ganz abgesehen von der erleichternden Gewißheit, daß jede Fontäne eine verschossene Kanonenkugel bedeutete, die ihr Ziel nicht erreicht hatte. Später hatte er gelernt, wie man als Kanonier oder Stückmeister einen Gegner mittels der beobachteten Fontänen „eingabelt“, das heißt, die Weit oder Kurzschüsse zu korrigieren und ebenso der Seite nach zu verbessern. Hinzu kam das Schießverfahren beim laufenden Gefecht, also mit dem Gegner parallel segelnden Kurs, und beim Passiergefecht, bei dem eigener und Gegnerkurs aneinander vorbeiführen. Kapitän Sulla bewegte unruhig die breiten Schultern. Das hier war eine andere Situation, denn sein Schiff lag gewissermaßen an der Kette. Ankerauf gehen, Segel setzen und in den Atlantik steuern - dazu war es zu spät. Wenn sie es wollten, würden ihn die Engländer so oder so erwischen. Eine schwache Hoffnung flackerte noch in ihm, daß sie seinen neutralen Status respektieren würden. Aber unter Umständen festliegende Zielscheibe zu sein, dieser Gedanke behagte ihm ganz und gar nicht. Unter Segeln — und da war er erfahren genug hatte man immer noch die Chance, auch einen stärkeren Gegner ausmanövrieren oder ihm davonsegeln zu können. Aber diese Chance hatte er mit seinem Ausharren verspielt. „Schiff ist gefechtsklar“, meldete sein erster Offizier. Sulla nickte stumm.
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„Die werden uns doch nicht angreifen“, sagte der Erste zweifelnd. „Weiß man's?“ Sulla zuckte mit den Schultern, kniff die Augen zusammen und beobachtete, wie auf fünf Schiffen am Südrand der Reede die Flagge gestrichen wurde. „Die ergeben sich“, murmelte er, „das eine Schiff ist die französische Karavelle, die südlich von unserem Ankerplatz gelegen und Sherry übernommen hatte.“ Sulla fluchte. „Auf neutrale Schiffe nehmen die Brüder offenbar keine Rücksicht. Oder sind die auf Sherry scharf?“ „Im Saufen waren die Engländer schon immer gut“, sagte der Erste philosophisch. Er war ein schlanker. geschmeidiger Mann namens Silvio Carlone. Seit fünf Jahren fuhr er unter dem Kommando des Kapitäns, und er hatte es noch keine Minute bereut. Kapitän Sulla hob das Spektiv ans rechte Auge und blickte hindurch. „Sie entern die Karavelle“, sagte er verbissen. „Keiner wehrt sich, nicht einer, auch bei den anderen Schiffen nicht. Selbst bei den spanischen Amerikaseglern haben sie die Hosen voll und die Flagge gestrichen. Dabei sind sie weitaus besser bestückt als alle anderen. Feiges Pack!“ „Und was werden wir tun?“ fragte der Erste, obwohl er die Antwort seines Kapitäns bereits kannte. „Kämpfen“, sagte Kapitän Sulla lakonisch, „mir nimmt keiner mein Schiff weg.“ Silvio Carlone nickte; Mit dieser Entscheidung war er durchaus einverstanden. Denn so hatten sie es immer gehalten, und warum sollte es jetzt anders sein? Trotzdem sagte er: „Diese vier englischen Kriegsgaleonen werden uns ganz schön zum Tanzen bringen.“ „Wir sie auch“, knurrte Kapitän Sulla und schob das Spektiv zusammen. „Die erste dreht bereits auf uns zu.“ „Sollen wir sie ins Visier. nehmen?“ „Abwarten. Mal sehen, wie weit er's treibt.“ Kapitän Sulla trat ans Backbordschanzkleid des Achterdecks und blickte der Galeone entgegen.
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Die segelte bis auf Rufweite an den Siebenhundert-Tonner heran und ging in den Wind. Die Segel wurden ins Gei gehängt. Ein betreßter Mensch, aufgetakelt wie ein Gockel, eine Lockenperücke auf dem Kopf, stand am Steuerbordschanzkleid des Achterdecks und schrie etwas zu dem Genuesen hinüber. Sulla grinste und brüllte zurück: „Verstehe kein Englisch!“ Der betreßte Mensch winkte einen Mann heran und redete erregt auf ihn ein. Der nickte, trat ans Schanzkleid und rief: „Kapitän Seymour, Kommandant Ihrer Majestät Schiff 'Dreadnought`, fordert Name und Heimathafen ihres Schiffes!“ Er rief es in spanischer Sprache. Kapitän Sulla rief zurück: „Bestellen Sie Ihrem Kapitän, daß er gar nichts zu fordern hätte! Wir sind Genuesen und mir ist nicht bekannt, daß sich die Republik Genua mit England im Kriegszustand befindet. Folglich sollte ihr Kapitän die seemännische Etikette wahren. Also kann er mich um eine Auskunft bitten, zu fordern, ich wiederhole es, hat er nichts.“ Mit Genugtuung bemerkte Kapitän Sulla, daß der englische Kapitän vor Wut platzte, als ihm der Dolmetscher die Antwort übersetzt hatte. „Silvio“, sagte er leise zu seinem Ersten, „die Kanoniere sollen unsere Stücke auf das Achterdeck des Engländers und seine Masten richten.“ Der Erste nickte verstanden und sprang zur Kuhl hinunter. Der Dolmetscher rief: „Was haben Sie geladen?“ „Eingepökelte Kakerlaken in ErdbeerSauce!“ schrie Kapitän Sulla. „Und was haben Sie geladen?“ Wüstes Palaver auf dem Achterdeck der englischen Kriegsgaleone. Der Kapitän mit der Lockenperücke brüllte den Dolmetscher an, und der brüllte zurück. Offenbar schien der englische Kapitän anzunehmen, sein Dolmetscher habe verkehrt übersetzt oder wolle ihn verulken. Aber da schaltete sich ein anderer Mann ein und schien die Übersetzung des
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Dolmetschers zu bestätigen. Auch er wurde von dem englischen Kapitän angebrüllt — wohl etwa in dem Sinne, er sei nicht gefragt worden und habe deshalb das Maul zu halten. Kapitän Sulla begann sich zu amüsieren. Nach einem erregten Disput schrie der Dolmetscher: „Kapitän Seymour fordert Sie auf, die Flagge zu streichen und ein Prisenkommando an Bord kommen zu lassen!“ „Ich habe vor nordafrikanischen Piraten nicht die Flagge gestrichen, und ich werde es auch nicht vor englischen Halsabschneidern tun!“ rief Kapitän Sulla. „Ein Prisenkommando hat nichts bei mir an Bord zu suchen. Sollte es wagen, zu entern, werden wir uns zur Wehr setzen. Sagen Sie das Ihrem Kapitän. Außerdem weise ich ihn darauf hin, daß ein Angriff auf mein Schiff ein Angriff auf die Republik Genua ist! Was Sie hier auf der Reede vor Cadiz mit den Schiffen anderer Länder tun, ist übelste Piraterie. Wenn die vor Ihnen den Schwanz einziehen, ist es deren Sache. Wir Genuesen jedenfalls sind es nicht gewohnt, uns von Piraten auf der Nase herumtanzen zu lassen. Wir sind friedliche Handelsfahrer, aber unsere Friedfertigkeit hat dort ihre Grenzen, wo wir angegriffen werden. Meine Kanonen sind gefechtsklar, um Ihnen eine Breitseite zu verpassen!“ Kapitän Sulla hob das Spektiv ans Auge, um die Wirkung seiner Worte auf den englischen Kapitän besser beobachten zu können. Er sah ein schwitzendes, blasiertes Gesicht, das sich von Satz zu Satz der Übersetzung mehr verzerrte. Was für ein widerlicher Kerl, dachte der Kapitän. Beim letzten Satz des Dolmetschers zuckte der englische Kapitän zusammen, warf einen nervösen Blick auf das genuesische Schiff und verschwand hastig hinter der Deckung des Besanmastes. „So ein Feigling“, murmelte Kapitän Sulla voller Verachtung. Gleichzeitig gab ihm diese Erkenntnis die Hoffnung, daß seine Worte gewirkt hatten und den Engländer zum Rückzug veranlaßten. Vielleicht war ihm dieses Eisen zu heiß, um es
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anzufassen, vielleicht auch befürchtete er diplomatische Verwicklungen. Aber letztlich war das alles gleichgültig, Hauptsache, sein Schiff blieb ungeschoren. Eine Weile passierte gar nichts, dann sah Kapitän Sulla an der Flaggleine des Besanmastes drei Signalflaggen hochsteigen, deren Bedeutung ihm natürlich fremd war. Gleichzeitig hantierten Kanoniere an einem Heckgeschütz und lösten hintereinander drei Böller. Sulla. spähte über die Reede. Ein paar Minuten später wurde ihm klar, was Böller und Signalflaggen zu bedeuten hatten, denn zwei der Kriegsgaleonen nahmen Kurs auf die „Dreadnought“. Eine dritte Kriegsgaleone dümpelte auf der SüdReede, offensichtlich dazu abgestellt, die Aktionen auf der Reede selbst gegen eventuelle Galeerenvorstöße aus der kleinen Reede, also der Bai von Puntales, zu sichern. Und was war mit dieser merkwürdigen Dreimastgaleone, deren schlanke Formen und niedrige Aufbauten Kapitän Sulla bereits am Vormittag aufgefallen waren? Gehörte sie zu den Engländern oder nicht? Sie hatte die angreifenden spanischen Galeeren vertrieben. Und jetzt pirschte sie um die Reede herum, als habe sie mit alledem nichts zu tun, jedenfalls beteiligte sie sich nicht an der Aktion der Engländer, die einen Ankerlieger nach dem anderen zum Streichen der Flagge zwangen und dann besetzten. Kapitän Sulla erschien es, als überwache diese schnittige Galeone die Aktionen und Bewegungen der vier Kriegsgaleonen. Aber was sollte das? Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder den beiden heransegelnden Kriegsgaleonen zu. Eine lief westwärts, schwenkte dannnach Norden und verbaute damit seinem Schiff einen eventuellen Durchbruch seewärts. Die andere geite die Segel auf und glitt langsam an der „Dreadnought" vorbei. Von Bord zu Bord brüllten sich deren Kommandanten etwas zu - herrisch der spitzbärtige Mann auf dem Achterdeck der
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hinzugekommenen Galeone, verstört dieser Kapitän Seymour auf der „Dreadnought“. Kapitän Sulla blickte durchs Spektiv auf den spitzbärtigen Mann - und dann stieß er einen wilden Fluch aus, denn selbst in Genua waren Bilder dieses Mannes aufgetaucht, der nach Magellan die Welt umsegelt hatte: Francis Drake, von den Spaniern als „El Draque“ gehaßt und gefürchtet. „Der hat mir noch gefehlt“, murmelte er und biß die Zähne zusammen. Die Galeone Drakes setzte wieder die Segel, lief ab. schwenkte und glitt von Steuerbord achtern auf Sullas Schiff zu. Jetzt befand er sich in der Zange. Der Spitzbart brauchte keinen Dolmetscher. Seine Stimme war so scharf wie eine Degenklinge. „Streichen Sie die Flagge, oder wir schießen Sie zusammen!“ schrie er. Für einen winzigen Augenblick fragte sich Kapitän Sulla, ob er angesichts dieser Übermacht aufgeben solle. Aber dann stieg der Trotz in ihm hoch. Das Recht war auf seiner Seite. Und für sein Recht hatte man zu kämpfen, oder man war ein Hundsfott. Silvio Carlone starrte von der Kuhl aus zu ihm hoch, sein eigentlich hübsches Gesicht war hart und kantig -und auch trotzig. Ihre Augen trafen sich. und Carlone nickte unmerklich. Kapitän Sulla straffte die Schultern, und jetzt war seine Stimme genauso scharf wie die des spitzbärtigen Mannes. Und er rief nur zwei Worte, die ein Befehl waren. „Feuer frei!“ * Dort, wo der genuesische Kauffahrer vor Anker lag, herrschte das, was man mit Inferno bezeichnete. Man hätte es auch Hölle nennen können. Drei englische Kriegsgaleonen hatten sich um den Genuesen versammelt und schossen ihn systematisch zusammen. Hinzugesellt hatten sich vier der kleineren englischen Kriegssegler, die aus ihren leichteren Stücken Feuer und Blei spuckten.
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Und der Genuese feuerte nach allen Seiten zurück. Er kämpfte. Er wehrte sich, zerschossen, entmastet und eigentlich nur noch ein Trümmerhaufen. Und immer wieder flammte es bei ihm auf - Zeichen, das noch Leben in ihm war, auch wenn es dem Ende zuneigte. So mochten die Spartaner gekämpft haben. Oder die letzten Goten, als sie, der Sage nach, am Vesuv ihren Verzweiflungskampf gegen die anstürmenden Krieger des Narses durchfochten und Teja, Nachfolger des gefallenen Totila, tödlich verletzt den Rückzug seiner Männer deckte. Hier gab es keinen Rückzug. Wohin auch? Aber am zerschossenen, nach Steuerbord gekippten Besanmast wehte immer noch die Flagge Genuas, zerfetzt, durchlöchert, angesengt. Von Westen flammte die untergehende Sonne rotes- Licht über die Reede. Seit zwei Stunden wehrte sich der genuesische Kauffahrer gegen die Engländer wie ein umstellter, verwundeter Keiler gegen die Meute der zuschnappenden Jagdhunde. Nördlich dieser Szenerie eines Todeskampfes stand die „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew. Noch nie hatten die Seewölfe so etwas erlebt. Und sie hatten gedacht, die barbarische Furchtbarkeit des Krieges zur See bis in die letzten Winkel kennengelernt zu haben. Aber das hier war etwas anderes. Hier spürten sie plötzlich die Anklage, die der kämpfende Genuese England entgegenschleuderte. Diese Anklage war nicht nur seine stumme Erbitterung, als einzelner gegen eine Übermacht kämpfen zu müssen. Nein, es war die Anklage, daß hier Unrecht geschah, daß ein Friedfertiger mit brutaler Gewalt zusammengeknüppelt wurde. Ja, hier ging Gewalt vor Recht. Hier wurde Recht vergewaltigt. Da war keiner an Bord der „Isabella“, der nicht Scham empfunden hätte. Viel war an diesem Tage geschehen, sehr viel, aber was sich hier abspielte, war eine Eskalation alles dessen, was sie von Stunde zu Stunde mehr empört hatte.
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Engländer, Männer ihrer eigenen Heimat, mißachteten die ungeschriebenen Gesetze der Menschlichkeit und wußten nicht mehr zwischen Freund und Feind, zwischen Sinn und Unsinn, zwischen berechtigter kriegerischer Aktion und wilder Zerstörungswut, zwischen Hilflosen und soldatischen Kämpfern zu unterscheiden. Mit einem Wort: Diese Engländer waren zu Wegelagerern geworden. Kapitän Sulla hatte sie „Halsabschneider“ genannt. Aber das wußten die Seewölfe nicht. Sonst herrschte das Lachen - nachmal auch ein wildes Lachen - an Bord der „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew. In den Stunden dieses Tages aber hatten sie es verlernt. Sie hätten weinen können. Ihre Gesichter hatten sich verändert - so verändert, daß sich Philip Hasard Killigrew fast betroffen fragte, ob er diese Männer wirklich kannte. Aber ihre Mienen spiegelten ihre Erschütterung. Und wie mochte er selbst aussehen? Seit zwei Stunden stand er nahezu: unbeweglich, wie erstarrt, am Backbordschanzkleid des Achterdecks und blickte hinüber zu diesem ungleichen Kampf eines einzelnen gegen die Übermacht. Und als er das dachte und versuchte, sein Gesicht zu entspannen, merkte er, wie verkrampft es war. Nur lag die Ursache noch tiefer. Er, Philip Hasard Killigrew, hatte dieses Massaker ausgelöst. Wie eherne Glockenschläge hallten die eigenen Worte durch seinen Kopf. „Sir, wir haben noch zwei, drei Stunden bis zum Sonnenuntergang und sollten uns sofort die Schiffe auf der Reede vornehmen, bevor wir weitere Unternehmungen planen.“ Ja, das waren seine Worte gewesen - und der Admiral hatte sie in die furchtbare Tat umgesetzt, in eine Tat, die so nicht gemeint gewesen war. Denn der Admiral war über alle hergefallen - nicht nur über die spanischen oder portugiesischen Ankerlieger, wie es
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Hasard zwar gemeint, aber nicht klar genug ausgedrückt hatte. Und er, Hasard, hatte vorausgesetzt, daß der Admiral verstanden hätte, was er empfohlen hatte. Furchtbarer, tödlicher, konnte kein Mißverständnis sein. Und es war vor seinen Augen geschehen. Hätte er noch eingreifen können? Natürlich - aber dieses Mal unter Verlust der eigenen Männer und des eigenen Schiffes, das mit seiner Ladung für die Königin bestimmt war. Dieser Philip Hasard Killigrew war ein ganzer Mann, und er ging mit sich selbst zu Gericht. Er war sein eigener Richter, und er verurteilte sich, weil er seine Worte nicht gewogen und später nicht gehandelt, sondern nur zugesehen hatte, wie das Verhängnis seinen Lauf nahm. Das habe ich nicht gewollt - diese Entschuldigung galt für ihn nicht, und er verachtete sie, weil der Mann, der sie benutzte, damit bewies, daß er zu feige war, für die Folgen seiner Handlungsweise einzustehen. Und wenn er diese Folgen im voraus nicht bedacht hatte, dann war das ebenfalls keine Entschuldigung, sondern nichts weiter als sträfliche Dummheit. Jeder Schuß aus den englischen Rohren verkündete den Urteilsspruch: Du bist schuldig, Philip Hasard Killigrew! Du hast Wind gesät und erntest Sturm, wie es in der Bibel steht! * Drüben auf der „Dreadnought“ des Kapitäns Seymour johlten die Kanoniere, als die Kettenkugel eines ihrer Geschütze die seitlich über die Bordwand ragende Besanstange des Siebenhundert-Tonners zerspellte und die genuesische Flagge im Wasser versank. Sie johlten, als hätten sie einen Volltreffer gelandet und mit diesem einzigen Schuß den Gegner versenkt. Aber dieser Gegner sank noch nicht, auch wenn er bereits zum Wrack geschossen war und sein Vorschiff tiefer im Wasser lag als das Achterschiff. Aber das Johlen schlug in Wutgeschrei um, als plötzlich zwei Männer auf dem
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zertrümmerten Achterdeck ganz hinten am Heck einen langen Bootshaken aufrichteten und verkeilten. Und an diesem Bootshaken entfaltete sich eine Ersatzflagge, wehte aus und zeigte, daß niemand auf diesem Wrack bereit war, sich zu ergeben. Und wie zum Hohn auf das Johlen und das Wutgeschrei krachte eine der Messingkanonen an Bord des Handelsfahrers, spuckte ihr Eisen aus und zerhieb den Kranbalken vorn an der Steuerbordseite der „Dreadnought“, an dem der Anker waagerecht festgelascht war. Der Anker löste sich aus der Laschung, baumelte schwungvoll hin und her, zerschrammte die Bordwand - und dann rauschte die Ankertrosse aus, was nur passieren konnte, wenn sie aus Schlampigkeit nicht richtig belegt worden war. Der Anker ging wie ein Stein auf Tiefe und nahm die voll auslaufende Ankertrosse mit auf die Reise. Ihr letztes Ende flutschte wie eine geölte Schlange aus der Ankerklüse, peitschte Bruchteile von Sekunden zuckend durch die Luft und verschwand samt Anker auf Nimmerwiedersehen. Kapitän Seymour brüllte seinen ersten Offizier an, der erste Offizier widmete die Kraft seiner Stimmbänder dem dritten Offizier, der für Vorschiff und Back zuständig war, der dritte Offizier fiel über den Bootsmann Vordeck her, der Bootsmann knallte den Headman der Ankergäste zusammen, und der Headman trat dem Sailor George Trigger in den Hintern, weil der für die Ankertrosse zuständig war. Den Tritt weitergeben, das konnte der Sailor George Trigger nicht, weil er der letzte in der Hackordnung an Bord der „Dreadnought“ war. Nach ihm gab's nichts mehr zu treten. Aber denken konnte der Sailor George Trigger, und er dachte voller Inbrunst: Rutscht mir doch alle den Buckel runter, ihr Viertel-, Halb- und Vollidioten. Denn das war seine Einteilung der Ränge an Bord der „Dreadnought“. Und der Vollidiot war Kapitän Robert Seymour.
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Und wieder krachten die Stücke an Bord der englischen Kriegsgaleone, als müsse der ausgerauschte Anker gerächt werden teuer genug war er ja samt der mehr als männerarmdicken Trosse aus geschlagenem Sisalhanf, die etwa sechsmal länger als die „Dreadnought“ war. Solche und ähnliche Schäden hatte die „Dreadnought“ bereits seit ihrer „Schlacht“ gegen den Genuesen in jeder Menge, und allmählich summierte sich das, zumal sie es war, auf die der Genuese immer wieder sein Feuer richtete. Kapitän Seymour fand das „empörend“. Und noch mehr ärgerte er sich, als der Admiral die „Elizabeth Bonaventura“, die „Rainbow“ sowie die vier kleineren Kriegssegler jetzt abzog, um sie mit dem Ausräumen des Beuteguts der auf Reede geenterten Schiffe zu beschäftigen, während er selbst den Befehl erhielt, den verdammten Genuesen zu versenken. Versenken! Damit entschwand dem Kapitän Seymour für immer die Hoffnung, nach all den Mühen reiche Frucht zu ernten und sich ein bißchen die Taschen zu füllen. Denn bestimmt hatte dieser halsstarrige Genuese etwas Wertvolles an Bord, sonst würde er sich nicht so verbissen zur Wehr setzen. Jawohl, genau das war der Beweis. Dieser freche Kapitän wollte nicht, daß er, Kapitän Robert Seymour, Kommandant eines Kriegsschiffes Ihrer Königlichen Majestät, die Schätze eroberte, die in den Laderäumen des Handelsfahrers verborgen waren. Darum hatte er sich auch widersetzt, ein Prisenkommando an Bord kommen zu lassen. Er hatte Edelsteine an Bord! Gold! Silber! Kostbare Perlen! Der Adamsapfel des Kapitäns Seymour tanzte auf und nieder, weil er vor Erregung Schluckauf kriegte. Kapitän Seymour unterlag dem Trugschluß, andere Kapitäne mußten die gleichen Motive haben wie er. Und hätte er gewußt, was die Laderäume des Siebenhundert-Tonners bargen, dann hätte er für die Tapferkeit Kapitän Sullas wohl
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nur ein Achselzucken übrig gehabt und ihn für verrückt erklärt. Als das Flaggschiff des Admirals abgelaufen und hinter anderen Seglern verdeckt war, fuhr er zu seinem ersten Offizier herum und schnarrte: „Lassen Sie sofort die Pinaß aussetzen, Mister Cummings! Wir werden diesen genuesischen Tropf entern und ihm zeigen, was er für ein Zwerg gegen uns ist!“ Cummings war zusammengezuckt. „Entern? Aber der Admiral ...“ „Interessiert mich nicht!“ pfiff ihn Kapitän Seymour an. „Hier befehle ich, und ich befehle, daß geentert wird, verstanden?“ Er reckte die Brust. „Ich selbst werde das Enterkommando gegen den Feind führen und den Sieg an unsere ruhmreiche Flagge heften.“ Er riß den Degen aus seiner Scheide, fuchtelte mit ihm in der Luft herum, und als er ihn nach hinten schwenkte, um ausholen zu demonstrieren, wie Holz gehackt wird, spießte er den Hut des Steuermanns auf - nicht den Kopf, denn der Steuermann hatte sich noch rechtzeitig abgeduckt. Der Hut steckte auf dem Degen wie eine Manschette. Lächerlicher konnte ein Degen nicht aussehen. „Lassen Sie diesen Unsinn!“ schrie Kapitän Seymour den Steuermann an. „Entschuldigung, Sir“, sagte der Steuermann gelassen. „Es ist man gut, daß es nur der Hut und nicht mein Kopf ist.“ „Schweigen Sie!“ „Aye, aye, Sir, aber Sie sollten wirklich aufpassen, ob jemand hinter ihnen steht, wenn Sie zeigen, wie Sie den Sieg an unsere ruhmreiche Flagge zu heften gedenken.“ Kapitän Seymour lief krebsrot an. „Cummings, notieren Sie diesen Mann wegen unverschämter Reden gegenüber dem Kommandanten. Ich verurteile ihn zu drei Tagen verschärftem Bordarrest, verstanden?“ „Aye, aye, Sir. Steuermann Phipps drei Tage verschärfter Bordarrest wegen unverschämter Reden gegenüber dem Kommandanten. Soll Phipps die drei Tage
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sofort absitzen oder erst, wenn wir wieder in Plymouth sind?“ „Wie bitte?“ Cummings wiederholte seine Frage. Und darauf sagte der Kapitän: „Ach lassen Sie mich doch mit solchen Lappalien zufrieden! Ich habe jetzt an Wichtigeres zu denken. Warum ist die Pinaß noch nicht ausgesetzt, Mister Cummings? Muß ich mich hier an Bord um alles kümmern?“ Edward Cummings, erster Offizier auf Ihrer Majestät Schiff „Dreadnought“, Dienstzeit in der Marine Ihrer Majestät fünfzehneinhalb Jahre, davon mindestens dreizehn Jahre Bordkommandos, dieser Edward Cummings war nahezu reif, einen Mord zu begehen. Aber er spuckte nur nach Lee — symbolisch. Und er dachte; die Spucke könnte dieser verdammte Seymour sein, wenn er bei Nacht und schwerem Wetter außenbords geht —natürlich unterstützt von einem kräftigen Schubs. Und später, als sein ehrenwerter Kapitän bereits unten in der Pinaß das Enterkommando anbrüllte, sagte er zu dem Steuermann: „Die drei Tage Verschärften kannst du vergessen, Phipps.“ „Geht klar“, sagte der Steuermann Phipps und grinste. 5. „ ,Dreadnought` läßt ein schweres Beiboot zu Wasser!“ schrie Bill vom Hauptmars hinunter. „An Bord zwanzig Seesoldaten!“ Hasard zeigte verstanden. Er hatte es selbst bereits gesehen. „Die wollen entern“, sagte Ben Brighton neben Hasard. Das hätte eine Feststellung sein können, aber wie es Ben sagte, klang es erbittert und empört. Und er hatte ja völlig recht. Sie enterten ein sterbendes Schiff. Es war so unsinnig wie alles, was an diesem Tage geschehen war. „Die Suppe versalz ich diesem Perückengockel“, knurrte Hasard, und es war 'wie eine Befreiung für ihn, als er seinen Entschluß faßte. Und dieses Mal pfiff er auf die Folgen.
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„Na endlich“, murmelte Ben Brighton wie erlöst. Aus seinem Gesicht verschwand der verkniffene Zug, den es angenommen hatte, seit der Genuese Zusammengeschossen wurde. „Der Perückengockel persönlich führt das Enterkommando“, fügte er hinzu, und das wiederum klang, als freue sich Ben Brighton darauf, an diesem Abend ein am Spieß gebratenes Spanferkel verspeisen zu können. „Du bleibst an Bord, Ben“, sagte Hasard, und dann hagelten seine Befehle, die schlagartig alles in Bewegung brachten. Waren Minuten vergangen? Fast schien es so. Jedenfalls schob sich plötzlich die „Isabella“ zwischen die „Dreadnought“ und das genuesische Wrack, während ein Beiboot der „Isabella“ von kräftigen Armen gepullt heranschoß und der Pinaß des Kapitäns Seymour den Kurs auf den Siebenhundert-Tonner verlegte — wie zufällig sah das aus. In diesem Beiboot der „Isabella“ befanden sich nur acht Männer: Philip Hasard Killigrew, Edwin Carberry, Big Old Shane, Batuti, Smoky, Stenmark, Matt Davies und Dan O'Flynn. Die Besatzung an Bord der „Dreadnought“ riß die Augen auf, als sie in die gähnenden Rohrmündungen der Steuerbordbreitseite der „Isabella” starrte. Und sie sah, daß die Kerle hinter den Stücken die Lunten am Brennen hatten. Eine kühle Stimme auf dem Achterdeck der „Isabella“ rief: „Laßt die Pfoten von den Waffen, oder wir jagen euer Schiff in die Luft!“ „Verstanden!“ rief Cummings auf dem Achterdeck der „Dreadnought“, und Ben Brighton sah, daß dieser Offizier über das ganze Gesicht grinste. „Ich glaub fast, dem haben wir einen Gefallen getan“, sagte Ferris Tucker, der neben Ben Brighton stand und das Grinsen gesehen hatte. „Glaub ich auch“, erwiderte Ben Brighton trocken. „Und weißt du, was ich noch glaube?“ „Na?“
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„Der freut sich, wenn wir seinem Kapitän den Marsch blasen und er ist verhindert, dem Gockel zu helfen, weil wir ihm gewissermaßen die Pistole vorhalten.“ „Sag ich doch“, brummte Ferris Tucker. „Die müßten uns noch dafür bezahlen, daß wir ihnen einen Gefallen tun.“ Er blickte hinüber zu der Pinaß und dem Beiboot der „Isabella“, die auf Kollisionskurs lagen, das heißt, auf Hasards Beiboot wurde nicht mehr gepullt, weil sie bereits ihr Ziel als schwimmende Barrikade erreicht hatten, während die Pinaß wie ein wütender Schwan heranschnaubte. „Da tut sich gleich was“, sagte Ferris Tucker. Und ob sich was tat! „Aus dem Weg!“ brüllte Kapitän Seymour. „Aus dem Weg, Sie verfluchter Bastard!“ Er stand aufrecht vor der Heckducht und fuchtelte wieder mit seinem Degen durch die Luft, als gelte es, weitere Hüte aufzuspießen. „Gleich ramme ich Sie!“ Hasard lachte schallend, ließ plötzlich anrudern, und als die Pinaß am Heck des Beibootes vorbeischoß, warf er fast lässig ein Entertau mit einem Haken zu der Pinaß hinüber. Der Wurf saß, denn Hasard brauchte nur etwa knapp zwei Yards zu überbrücken. Der Haken verkrallte sich hinter dem Heckdollbord. Blitzschnell belegte Hasard das Ende, das er noch in der Hand hielt, an einer Klampe seiner Heckducht. „Rudert an, Arwenacks!“ peitschte seine Stimme. Und die Seewölfe ruderten an! Während sie sich vorwarfen, flogen die Riemen zurück, stießen ins Wasser, wurden mit berstender Kraft durchgeholt, daß es in den Rundseln nur so krachte, aus dem Wasser gerissen, und der neue Schlag begann. „Hool weg!“ brüllte Ed Carberry, Schlagmann auf der Backbordseite. „Hool weg!“ Neben ihm saß Big Old Shane. Und diese beiden Brocken von Mannsbildern mit ihren Bärenkräften reichten schon aus, dem Beiboot auf Anhieb und mit dem ersten Schlag einen wüsten Pull vorwärts zu geben.
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Das passierte alles innerhalb von Sekunden, noch bevor die Rudergasten Kapitän Seymours begriffen, was sich hier abspielte. Kapitän Seymour selbst begriff überhaupt nichts. Mit seinem Degen hätte er das Entertau nur mit einem einzigen Hieb zu kappen brauchen —und dann wäre das Spiel anders gelaufen. Aber Kapitän Seymour gehörte eben nicht zu den Männern, die auf unerwartete Situationen blitzschnell und instinktsicher reagierten. Er glotzte mit blöden Augen auf das Entertau, das seine Pinaß mit dem Beiboot des verdammten Killigrew verband, sah, wie das Tau steif kam, aus dem Wasser schnellte — und dann holte ihn bereits dieser furchtbare Ruck von den Beinen. In der Pinaß flog alles durcheinander — Seesoldaten, Rudergasten, Bootssteurer, Kapitän, Waffen, eine Kiste mit Pistolenmunition, Pulverfässer, Fußbretter, Tauwerk. Kapitän Seymour prallte vor und zurück und bohrte seinen Degen neben der rechten Hand des Bootssteurers durch die Bodenbeplankung der Pinaß. Der Degen rutschte bis zum Korb durch — und dann sprudelte dort das Wasser und benäßte die rechte Hand des Kapitäns, die den Degengriff eisern umklammerte. „Hool weg!“ dröhnte Carberrys Stimme. „Hool weg!“ Und das Beiboot der „Isabella“ zog die Pinaß der „Dreadnought“ — Heck zu Heck einander zugekehrt — hinter sich her, als sei die Pinaß ein Korken oder ein leichtes Stück Balsaholz und nicht ein Fahrzeug, das mit zwanzig schwerbewaffneten Seesoldaten, acht Rudergasten, einem Kapitän und einem Bootssteuerer besetzt war. In der Pinaß rappelte sich Kapitän Seymour fluchend hoch, nahm die linke Hand noch zur Hilfe, stemmte seine Beine fest ein — das linke auf dem Bauch eines Seesoldaten — und zerrte am Degengriff. Nicht! hatte der Bootssteurer noch schreien wollen, aber es war bereits zu spät. Kapitän und Degen flogen achtern gegen die Ducht und zerbrachen die Ruderpinne, und aus
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dem Dreiecksloch, das die Degenklinge sauber gestanzt hatte, sprudelte nicht mehr, sondern schoß das Wasser. Die Bilge war im Nu voll. Der Bootssteuerer riß sich die Jacke vom Leib, fetzte den Ärmel ab, warf sich vor und stopfte den Ärmel in das Leck. Jetzt quoll das Wasser nur noch. Immerhin reichte es den Männern in der Pinaß bereits bis zu den Knöcheln — so sie saßen oder standen. Einige lagen auch noch unter den Duchten oder zwischen dem Bootsinventar und waren fluchend damit beschäftigt, sich aufzurichten. Das war schwierig, weil nach jedem „Hool weg“ des fürchterlichen Narbenmannes in dem anderen Beiboot die Pinaß einruckte, als erhalte sie den Schlag von mehreren Schmiedehämmern. Kapitän Seymour schrie sinnlose Befehle. Er schrie: „Mir nach, Männer der ,Dreadnought`!“ Und: „Entert die Piraten!“ Und : „Klar bei Lunten!“ Und: „Klar Schiff zum Gefecht!“ Er wollte noch viel mehr brüllen, aber da hakte ihm der Seesoldat, dem er den linken Stiefel in den Bauch gestemmt hatte, den rechten Fuß um den Knöchel, und als wieder der heftige Ruck erfolgte, zog er synchron mit, damit es nicht so auffiel. Später behauptete er auch, da sei ihm was beim Aufstehen im Weg gewesen, und das habe er eben umgerissen. Er riß also den Kapitän mit Erfolg um. Dieses Mal verlor der Kapitän den Degen und richtete mit ihm auch keinen Schaden an. Aber er stieß sich den Kopf an der ersten Ruderducht und war deswegen geistig ein bißchen gelähmt, was seiner Pinaßbesatzung die Qual ersparte, aus sinnlosen Befehlen etwas Vernünftiges zu drechseln. Und Edwin Carberry brüllte immer noch unentwegt sein: „Hool weg! Hool weg!“ Das nun ging dem Bootssteurer allmählich gegen die Ehre, und da er ein Mann war, der ein „Fair play“ durchaus zu schätzen wußte, packte ihn der seemännische Berufsehrgeiz.
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„Klar bei Riemen!“ pfiff er seine Bootsgasten an. Die Riemen polterten in die Rundseln. „Ruder an! Hooool weg! Hoool weg!“ Und er hämmerte die zerbrochene Ruderpinne auf die Heckducht, um jedem Riemenschlag den richtigen Takt zu geben. So geschah es, daß die Rudergasten zweier englischer Beiboote in einem Kraftduell gegeneinander anruderten — die einen in die eine, die anderen in die entgegengesetzte Richtung. Das hatte die Marine Ihrer Majestät der Königin noch nicht erlebt. Und die Kulisse auf der Reede vor Cadiz war wohl auch nicht die richtige Arena für derlei Kurzweil. Aber das kümmerte die Männer auf den beiden Beibooten nicht.. Von der Kriegsgaleone brüllten sie: „Dread-nought! Dread-nought! Dreadnought!“ Und die Seewölfe auf der „Isabella“ schmetterten ihr: „Arwenack! Arwe-nack! Arwe-nack!“ Einmal gewann die Pinaß an Raum, dann wieder das Beiboot der „Isabella“, der Kampf Riemen gegen Riemen, Muskelkraft gegen Muskelkraft wogte hin und her, aber vielleicht waren Hasards Männer härter und zäher. Vielleicht auch trieb sie ihre explosive Wut, ihr angestauter Grimm über die Geschehnisse des Tages, über den ungleichen Kampf der englischen Schiffe gegen ein einzelnes genuesisches Schiff zu einer unerhörten Steigerung ihres Krafteinsatzes. Ihr Riemenschlag wurde schneller und dabei noch kraftvoller; und er war exakter in der Riemenführung. Da wurde nicht gekrebst, da wurden keine Riemen verkantet. Die Blätter hieben ins Wasser wie scharfe Äxte, kein Spritzer wurde dabei aufgewirbelt, aber wenn die Blätter nach dem Zuschlag aus dem Wasser gerissen wurden, dann stoben an dieser Stelle acht Gischtfahnen davon, als habe dort eine Orkanbö zugeschlagen. Noch einmal stemmten sich die PinaßRudergasten gegen die drohende Niederlage, aber sie kämpften gegen Giganten. Es war, als seien sie in einen
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ungeheuerlichen, riesigen Sog geraten, der sie unaufhaltsam ansaugte. Das Ende erfolgte jäh. Der Riemen des Backbord-Bugmanns schnitt unter, weil er ihn verkantet hatte. Der Kerl kriegte den Riemen nicht mehr aus dem Wasser, dann krachte der Riemen seines Vordermanns gegen den schräggestellten Riemen, Holz splitterte — und schon entstand auf der Backbordseite der Pinaß das, was der Seemann schlicht mit „Wuhling“ zu bezeichnen pflegt, nämlich ein totales Durcheinander sich gegenseitig behindernder Riemen. Und da die 'Kerle auf der Backbordseite herumzappelten, verbissen oder fluchend an ihren Riemen rucksten oder sie dem Vordermann ins Kreuz stießen, geriet auch die Steuerbordseite durcheinander. Damit war das Duell entschieden. Die Seewölfe waren unbestritten und eindeutig Sieger. Sie zogen die Pinaß wie einen zerfledderten Scheuerlappen hinter sich her und pullten eine Ehrenrunde um die „Dreadnought“. Die Männer auf der „Isabella“ konnten wieder lachen, und sie lachten sich halbtot über „die müden Säcke“ — wie es Ferris Tucker trefflich formulierte. Kapitän Sulla, mehrfach verwundet wie alle seine Männer, faßte sich an den Köpf und gelangte zu der Überzeugung, zwischen Verrückte geraten zu sein. Er und seine Männer hatten alles mitangesehen, staunend, perplex, fassungslos. Diese Engländer mußten von einem anderen Stern stammen oder so ähnlich. Und der eine oder andere bekreuzigte sich verstohlen, denn es konnte ja durchaus sein, daß man es in diesem Hexenkessel mit den Abgesandten des gehörnten Gottseibeiuns zu tun hatte. Das war alles nicht mehr zu begreifen. Aber eins stand fest: Diese schlanke Dreimastgaleone hatte sich tollkühn und dreist vor die englische Kriegsgaleone geschoben und damit verhindert, daß das blutige Gemetzel fortgesetzt wurde. Sechs ihrer Kameraden hatten in diesem ungleichen Kampf mit dem Leben bezahlt.
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Und die Lebenden hatten mit ihrem Dasein abgeschlossen. Sie würden mit ihrem sterbenden Schiff untergehen, denn da war kaum einer, der das Schwimmen gelernt hatte. Warum sollte man auch? Wer schwimmen konnte, verlängerte die Qualen des Todes — und die See hatte noch jeden geholt, der schiffbrüchig oder über Bord gegangen war. Hatten sie eine Galgenfrist? Wohl kaum, ihre beiden Beiboote waren nur noch Trümmer. Im Schiffsbauch ihres SiebenhundertTonners gurgelte und schmatzte das Wasser, das durch die Lecks eindrang. Langsam, fast widerwillig, sackte das Schiff tiefer. Es stöhnte, als leide es furchtbare Qualen. Die Verbände ächzten und knarrten. Das waren Geräusche, die daran gemahnten, sich selbst auf das Ende vorzubereiten. Kapitän Sulla stieg langsam vom Achterdeck zur Kuhl hinunter. Er war barhäuptig, und der Abendwind spielte mit seinen grauen Haaren. Das Blut aus einer Stirnwunde war geronnen und hatte bizarre Bahnen auf seinem Gesicht gezeichnet. Er trat zu seinen Männern und blickte jeden einzelnen stumm an. Schmerz stand in seinen Augen, zwei tiefe, müde Falten kerbten die beiden Mundwinkel. „Ich danke euch“, sagte er leise. „Ihr wart die besten Männer, die ein Kapitän haben konnte. Unsere Reise ist zu Ende.“ Er blickte zu den sechs Toten, die nebeneinander lagen, von einer Segelplane zugedeckt. „Laßt uns beten!“ Und er faltete die Hände. Etwas stieß gegen die Bordwand. Unwillig wandte Kapitän Sulla den Kopf. Ein riesiger schwarzhaariger Mann mit eisblauen Augen schwang sich über das zersplitterte Schanzkleid, und Kapitän Sulla erkannte jenen Mann, der die schlanke Dreimastgaleone führte. Dieser Mann verbeugte sich leicht und sagte: „Ich heiße Philip Hasard Killigrew, Kapitän der ,Isabella`.“ Er sprach ein tadelloses Spanisch, ohne jeden fremden Akzent. „Ich möchte Ihnen und Ihren tapferen Männern helfen, Kapitän, wie es
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Brauch unter christlichen Seeleuten ist. Mein eigenes Beiboot liegt bereits längsseits, um Sie und Ihre Männerau übernehmen. Mein zweites Beiboot wurde ausgesetzt und wird gerade hierher gepullt.“ Kapitän Sullas Augen waren schmal geworden. „Sie sind Engländer?“ Hasard nickte stumm. Scharf sagte Kapitän Sulla: „Dann haben wir uns als Ihre Gefangenen zu betrachten?“ Hasard lächelte. „Nein, als meine Gäste. Ihnen ist Unrecht geschehen. Ich möchte einen Teil davon abtragen. Ich verpflichte mich, Sie dorthin zu bringen, wohin Sie es wünschen. Ich werde Ihnen ferner den Verlust Ihres Schiffes samt Ladung ersetzen. Mein Feldscher, ein ausgezeichneter Mann, wird sich um Ihre Verwundeten kümmern.“ Das alles sagte dieser riesige Mann. Er sagte es ruhig, bestimmt, überzeugend. Und er sagte es mit Würde. Kapitän Sulla kannte Menschen. Er verstand es, in ihren Gesichtern zu lesen, ihre Mienen und ihren Ausdruck zu deuten. Er gestand sich, einem solchen Mann noch nie begegnet zu sein. Eins war gewiß: Dieser Mann war ohne Fehl und Tadel. Er konnte ihm vertrauen. Impulsiv streckte er Hasard die Rechte entgegen. „Danke, Kapitän Killigrew“, sagte er, „ich nehme Ihr Angebot an.“ Hasard ergriff die Rechte und drückte sie fest. Es war ein Handschlag zwischen zwei Ehrenmännern. „Ich heiße Sulla, Mauritio Sulla“, sagte der genuesische Kapitän. Hasard lächelte wieder. „Ein berühmter Name, wenn ich an den römischen Reiterführer und Feldherrn Lucius Cornelius Sulla denke.“ Kapitän Sulla strahlte. „Sie wissen von ihm? Man behauptet in meiner Familie, von ihm abzustammen.“ „Warum nicht?“ sagte Hasard nachdenklich. „Sie kämpften gut, Kapitän Sulla. Hätten die anderen Schiffe nicht eingegriffen, dann wäre jetzt wohl
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Seymours ,Dreadnought` ein Trümmerhaufen.“ Kapitän Sulla musterte Hasard aufmerksam. „Wie Sie das sagen, klingt es, als hätten Sie sich darüber gefreut.“ „Hätte ich auch“, sagte Hasard trocken. „Sie gehören nicht zu Admiral Drakes Verband?“ „Nein“, erwiderte Hasard schroff. „Ich verurteile Drakes Vorgehen hier in Cadiz ganz entschieden ...“ Carberrys zernarbtes, häßliches Gesicht tauchte über dem Schanzkleid auf. „Entschuldigung, Sir“, unterbrach er Hasard, „aber ich glaube, wir sollten uns beeilen. Der Perückenkapitän ist wieder in Aktion.“ * Zuvor, nach der Ehrenrunde, hatten sie das Enterseil wieder losgeworfen, und die Pinaß war mit schlappem Schlag in Richtung der „Dreadnought“ gepullt worden. Die Riemen hatten sich auf und ab bewegt wie die Zerrupften Flügel einer vergreisten Nebelkrähe. Offenbar hatte sich Kapitän Seymour wieder erholt, bevor die Pinaß die Kriegsgaleone erreicht hatte, um dort hochgehievt zu werden. Denn das war die Absicht des Bootssteurers gewesen, ganz abgesehen davon, daß ihm das Cummings, der erste Offizier, auch zugerufen hatte. So ging das ganze Theater wieder von vorn los. Die Pinaß schwappte heran, während die Seewölfe bereits damit beschäftigt waren, die Verwundeten in die beiden Beiboote zu übernehmen. „Was geht hier vor?“ schrie Kapitän Seymour schon von weitem. Er kollerte wie ein Truthahn und schwenkte wieder seinen Degen. Daß der ein bißchen verbogen war, hatte er noch gar nicht bemerkt. Zwei Männer pützten mit Ölfässern Wasser aus der Bilge. Hasard, der einen Genuesen, dessen Bein verletzt war, behutsam in das eine Beiboot gehoben hatte, wandte sich gelassen um und erwiderte: „Wir bergen
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Schiffbrüchige, wie Sie sehen. Oder haben Sie Bratpfannen vor den Augen, Seymour?“ Kapitän Seymour reckte den Hals und ignorierte Hasards Frage. „Wo ist das Gold?“ schrie er. „Was für Gold?“ „Das Gold, das dieser genuesische Pfeffersack geladen hat, verdammt noch mal! Es gehört mir - mir!“ Der Kapitän Seymour pochte mit dem Degenknauf an seine Brust. „Sie - Sie haben hier nichts zu suchen, Sie hergelaufener Bastard! Ich habe das Schiff erobert, es ist meine Beute, nicht Ihre! Verschwinden Sie! Ich war zuerst hier, jawohl, das kann Admiral Drake bezeugen. Ich werde mich bei ihm beschweren, ich ...“ „Allmählich langt's“, sagte Hasard scharf. „Und jetzt hören Sie mir mal zu,' Mister Seymour. Erstens: Das Schiff wurde von Ihnen nicht erobert, sondern lediglich von insgesamt sieben englischen Schiffen, darunter drei schweren Kriegsgaleonen, sinnlos und bar jeder ritterlichen Kampfesweise zusammengeschossen Zweitens: Das Schiff hat kein Gold geladen, sondern Koschenille, Kampeschoholz, Häute und Wolle für Italien, wie mir Kapitän Sulla sagte. Drittens: Wenn Sie mich noch einmal zu beleidigen wagen, dann hole ich Sie mir vor die Klinge meines Degens, und dann dürfen Sie Ihre puderstinkende Perücke festhalten, weil Sie meinen, in einen Orkan geraten zu sein. Viertens: Meine Männer und ich werden hier erst verschwinden, wenn wir auch den letzten Genuesen geborgen haben. Und sollten Sie es wagen, uns daran zu hindern - das gilt auch für Ihre Seesoldaten und Bootsgasten -, dann werden meine Männer und ich Ihnen zeigen, wie gekämpft wild. Und diesen Kampf schlagen wir bis zuletzt durch, das heißt, wir werden Ihre ,Dreadnought` dorthin schicken, wo sie hingehört: in die Hölle! Haben Sie mich verstanden, Sie größenwahnsinniger Hampelmann?“ „Ich will das Gold!“ schrie Kapitän Seymour wie von Sinnen.
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Da handelte der eiserne Carberry. Er gab seinem Beiboot — Hasard befand sich in der anderen Jolle — einen Stoß, indem er sich mit dem Bootshaken von der Bordwand des Genuesen abdrückte, das Beiboot schwenkte an der Vorleine herum, schlug längsseits der Pinaß, Carberry sprang hinüber, wischte den Degen lässig mit dem linken Unterarm beiseite — und dann krachte ein langhergeholter Schwinger unter das Kinn Kapitän Seymours. Das war ein Schlag! Der Kapitän stieg wie eine langgestreckte Rakete in die Luft, beschrieb auch deren Flugbahn, überschritt den Scheitelpunkt, neigte sich wieder und stieß, Kopf voran, wie ein flüchtender Frosch ins Wasser. Carberry streichelte andächtig die Knöchel seiner rechten Faust, drehte sich gemütlich zu den Seesoldaten und Bootsgasten um und fragte freundlich: „Noch jemand von euch Rübenschweinen, der ein Bad nehmen will?“ Keiner wollte. Sie glotzten zu der einsam auf dem Wasser schwimmenden Perücke, die wie eine Qualle im Seegang auf und nieder schwappte, während sich die Löckchen auffieselten und lange Strähnen bildeten. „Ed“, sagte Hasard etwas besorgt, „ich glaube, du hast ein bißchen zu hart zugelangt.“ „Klar“, sagte Carberry ungerührt, „was sein muß, muß sein. Oder meinst du, der kann nicht schwimmen?“ „Kannst du denn schwimmen, wenn du betäubt bist?“ Carberry riß die Augen auf. „Verdammt, da hast du auch wieder recht.“ Er starrte zu der Perücke, dem einzigen Requisit, das von Kapitän Seymour noch sichtbar war. Dann fluchte er lästerlich, daß es eigentlich zu weit ginge, solche „Rübenschweine“ auch noch vor dem Absaufen bewahren zu müssen —und hechtete ins Wasser. Die Seewölfe grinsten. Die Bootsgasten und Seesoldaten der Pinaß glotzten immer noch, offensichtlich schwer überfordert, was irgendwelche Entscheidungen betraf. Vielleicht hofften
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sie auch im stillen, ihr sehr ehrenwerter Kapitän möge doch tunlichst bei den Fischen bleiben, für immer und ewig. Fest stand jedenfalls, daß ihm keiner freiwillig nachgesprungen wäre, um ihn herauszuholen, denn nicht einer hatte auch nur den kleinen Finger gerührt, als der Kapitän ins Wasser flog. Als Hasard bereits nervös wurde, tauchte Carberry auf — den Kapitän am Wickel. Lebte er noch? Carberry schleppte ihn hinter sich her wie einen Mehlsack. Am Dollbord der Pinaß stemmte er den Kapitän rechtshändig hoch und knurrte: „Wahrnehmen!“ Drei Bootsgasten packten zu. Und das war der Moment, da der Kapitän wieder lebendig wurde. Er spuckte einem der drei Bootsgasten einen Strahl Wasser ins Gesicht, brüllte los, als solle er geschlachtet werden, zappelte wie ein Fisch an der Angel, rutschte den Bootsgasten wieder aus den Händen und ging erneut auf Tiefe. Carberrys Fluchkanonade hätte eine Nonne in Ohnmacht fallen lassen. Dann baute er eine Ente, die zum Gründeln wegtaucht, und verschwand von der Wasseroberfläche. Die Bootsgäste starrten mit langen Hälsen über Bord. Blasen blubberten hoch, das Wasser geriet in Wallung. Als Carberry zum zweiten Male auftauchte, fluchte er bereits wieder. Kapitän Seymour indessen war stumm, aber nicht vor Schreck, sondern weil Carberrys Jagdhiebe –auch unter Wasser– von ganz besonderer Güte waren. Wiederum zum zweiten Male knurrte er sein: „Wahrnehmen!“ Und er fügte hinzu: „Jetzt reicht's mir aber. Beim nächsten Mal könnt ihr euren lausigen Kapitän allein auffischen. Oder ihr laßt ihn absaufen, das wäre mir fast noch lieber.“ Die Bootsgasten nickten voller Verständnis und zerrten ihren triefenden Kapitän an Bord. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Perücke des Kapitäns sattsam Wasser gesogen und sackte sanft auf Tiefe. Der Kapitän würde sich in London eine neue anfertigen lassen
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müssen. Aber vielleicht hatte er auch eine Ersatzperücke. Den Bootsgasten war das piepegal, aber genau wegen dieser verdammten Perücke kriegte Kapitän Seymour prompt einen Tobsuchtsanfall, als er Sekunden später in die Wirklichkeit zurückkehrte und feststellte, daß sein Kopf entblößt und die Perücke auch auf dem Wasser nicht mehr zu sichten war. Nach seiner Logik war sie ihm geklaut worden. Sein Verdacht richtete sich zuerst auf seine Bootsgasten, dann auf die „verdammten Kerle“ der „Isabella“, im besonderen aber auch den Profos, den nun wiederum Hasard zurückpfeifen mußte. Denn Carberry war drauf und dran, zurückzuschwimmen und die Pinaß erneut zu entern, um, wie er fluchend verkündete, „diesem Rübenschwein endgültig den Hals umzudrehen.“ An dieser Stelle auf der Reede von Cadiz war das perfekte Theater im Gange, das sich von der Tragödie des zerschossenen, allmählich sterbenden genuesischen Handelsfahrers in eine Komödie gewandelt hatte, dessen Hauptdarsteller der bis zur Weißglut gereizte Profos und die lächerliche Clownsfigur des Kapitäns waren. Dessen Energien konzentrierten sich nun allerdings wieder auf die eigentliche Ursache dieses Hickhacks. Die Erinnerung hatte sich wohl in seinem Denken durchgesetzt. Und wieder trieb ihn die Gier nach dem vermeintlichen Gold an. Dieses Mal meinte er, besonders schlau zu sein. Er ließ die Pinaß auf die andere Seite des Siebenhundert-Tonners pullen, nachdem er den Seewölfen, Carberry und Hasard einen vernichtenden Blick zugeworfen hatte. Die Seewölfe kratzte das nicht. Die vernichtenden Blicke eines Kapitäns Seymour waren nicht von jener Art, daß einem die Knie weich werden konnten. Die Seewölfe bargen die letzten verwundeten Genuesen und pullten sie hinüber zur „Isabella“. Indessen enterte Kapitän Seymour mit den Seesoldaten das sinkende Schiff –Seymour mit Blindheit.
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geschlagen, was den Zustand des Handelsfahrers betraf, die Seesoldaten mit zögerndem Mißtrauen und einer gesunden Portion Angst. Letzteres beruhte auf der allseits bekannten Tatsache, daß es nicht gut war, in die Strudel eines sinkenden Schiffes zu geraten. Es kam, wie es kommen mußte. Kaum hatten Kapitän und Seesoldaten die Kuhl des bereits stark vorlastigen Schiffes betreten, da barst in den Laderäumen irgendein Schott oder eine Querwand. Dann setzte deutlich hörbar ein Rauschen ein. Der Bug neigte sich noch mehr. Die Seesoldaten sahen sich bleich und stumm an, entledigten sich ihrer schweren Ausrüstung - und sprangen außenbords. Das war natürlich befehlswidrig,- aber sie handelten nach dem Motto: Rette sich, wer kann! Im übrigen waren sie längst zu der Ansicht gelangt, daß das Gold, von dem ihr Kapitän ein bißchen irre gefaselt hatte, wohl nur in dessen Phantasie existierte. Und wegen nichts ein sinkendes Schiff zu entern, war ja nun wirklich der Gipfel des totalen Unsinns. Da stand nun der Kapitän Seymour, Kommandant einer schweren englischen Kriegsgaleone, ohne Perücke, ohne Degen - der ruhte jetzt zwischen Muscheln und Wassergewächsen und würde niemandem mehr wehtun - und starrte seinen entschwindenden Seesoldaten nach. Die plumpsten einer nach dem anderen ins Wasser wie überreife Pflaumen, die vom Baum fallen, tauchten weg, schossen wieder hoch und paddelten zu der Pinaß, wo sie an Bord gezerrt wurden. „Mir nach“, murmelte der Kapitän ziemlich sinn- und nutzlos - und sprang auch. Es war reiner Herdeninstinkt, der diese Reaktion bei ihm auslöste. Er wurde ebenfalls aufgefischt. Wenn die Seesoldaten gedacht hatten, jetzt würde die Toberei erneut losgehen, dann wurden sie angenehm enttäuscht. Der Kapitän sagte gar nichts, bis auf den kurzen Befehl, man möge zur „Dreadnought“ zurückpullen. Hinter ihnen sank der SiebenhundertTonner.
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Kapitän Seymour drehte sich nicht ein einziges Mal um. Als er frierend und mit den Zähnen klappernd über die Jacobsleiter auf sein Schiff stieg, stand die „Isabella“ unter vollen Segeln und glitt majestätisch an der „Dreadnought“ vorbei der offenen See zu. Erbittert stellte Seymour fest, daß dieser verdammte Kapitän Killigrew ihm wie zum Hohn am Besanmast die genuesische Ersatzflagge gehißt hatte. Kapitän Sulla hatte sie geborgen, bevor er als letzter seiner Männer sein Schiff verlassen hatte. Jetzt wehte sie stolz auf der „Isabella“. „Kanaille“, murmelte Kapitän Seymour. 6. Admiral Francis Drake behauptete später, er habe in Cadiz „den Bart des Königs von Spanien versengt“. Tatsächlich waren auf der Reede und im Hafen an die vierzig Schiffe gekapert, verbrannt oder versenkt worden, darunter im inneren Hafen, also der Bai von Puntales, in einem gesonderten Angriff eine schwere Galeone, die dem Marquis von Santa Cruz gehörte und von den Spaniern insgeheim zum Flaggschiff ihrer geplanten Invasionsflotte gegen England vorgesehen gewesen war. Das wurde alles erst später bekannt. Immerhin waren - abgesehen von den neutralen Schiffen viele der Schiffsladungen für Lissabon bestimmt, wo sie von der Armada übernommen werden sollten. Es war ja nicht leicht, derart viele Schiffe für ein Landungsunternehmen auszurüsten und deren Besatzungen zu verpflegen. Der Überfall des Admirals auf Cadiz entsprach seiner freibeuterischen Praxis, wie er sie drüben in der Neuen Welt durchgeführt und erprobt hatte. Dieses Unternehmen war ein aggressiver Akt, aber man sagte, der Zweck heilige die Mittel, und jene, die später das Für und Wider dieser Aggression abwogen; meinten, der Admiral habe England eine Atempause verschafft. Denn nur ein Jahr später segelte die größte Flotte, die die Welt damals gesehen hatte, gegen das
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Inselreich, um sich für „den versengten Bart“ zu rächen und dem englischen Zwerg das Fürchten beizubringen. Das war nun wiederum ebenfalls ein aggressiver Akt, und so mag es eine Ironie der Geschichte sein, daß man den Überfall des Admirals auf Cadiz in einem milderen Licht sah oder sogar geneigt war, ihn als einen - wenn auch etwas fragwürdigen Akt der Notwehr zu betrachten. Der Admiral ging in die Geschichte ein. Der Kapitän Philip Hasard Killigrew nicht. Taten der Menschlichkeit werden selten bekannt. Und wer sie ausübte, wurde sogar oft genug als Narr oder hoffnungsloser Weltverbesserer angesehen. Die „Isabella“ segelte unter genuesscher Flagge südwärts. Sie hatte nach England zurückkehren sollen nach einer vieljährigen Weltumseglung, aber die Würfel waren anders gefallen. Das hing mit dem Entschluß und dem Versprechen des Kapitäns Killigrew zusammen, den Genuesen zu helfen. Und kein Mann seiner Besatzung murrte. Zu tief -saß in ihnen die Scham über das wölfische Gebaren der Drakeschen Schiffe. Auch Wut steckte noch in ihnen, denn Carberry, ihr Profos, hatte nicht geschwiegen. Er hatte berichtet, daß der verdammte Admiral versucht hätte, ihren Kapitän bei seinem Besuch auf dem Flaggschiff festsetzen zu lassen, um ihn dann vor ein Bordgericht stellen zu können. Das war nun wirklich die Höhe der Undankbarkeit. Es war der Gipfel, zumal man diesen Admiral ja mehrmals aus den gefährlichsten Situationen herausgepaukt hatte. Natürlich wußten sie nicht oder ahnten nicht, daß der Admiral mit seinem Verband vor Cadiz noch mehrfach in Situationen geriet, die nun wieder dem rebellischen Vizeadmiral Borough die Haare zu Berge stehen ließen. Da mußten die Engländer nachts einen Angriff spanischer Brander abwehren. Und am nächsten Tag fuhren die Spanier um das gefährdete Cadiz herum schwere Feldschlangen auf, die mit gar nicht mal so
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schlechten Weitschüssen die englischen Schiffe zwangen, sich etwas mehr zurückzuhalten. Später kreuzte der Verband Drakes vor Kap Sankt Vicente und plünderte das Kastell, wo der sagenhafte Prinz Heinrich, „der Seefahrer“, eine reichhaltige und einmalig kostbare Bibliothek über Navigation, Astronomie und das Seewesen zusammengetragen hatte. Die englischen Barbaren zeigten auch in diesem Falle keine sonderliche Rücksichtname, wie das in Zeiten der Gewalt so üblich ist. Vieles wurde ein Raub der Flammen. Ja, alles das wußten die Seewölfe nicht. Ihr Kapitän hatte den Genuesen versprächen, sie dorthin zu bringen, wohin sie es wünschten, und das war die Hafenstadt Cartagene an der spanischen Mittelmeerküste, wo die genuesischen Kaufleute ein festes Handelskontor errichtet hatten und Kapitän Sulla weitere Unterstützung erhalten würde. Hasard hätte die tapferen Genuesen auch bis nach Genua gebracht, aber Kapitän Sulla hatte das als für Hasard unzumutbar abgelehnt. Sie hatten sich angefreundet, die beiden Kapitäne. Und fast war es so, als seien die genuesischen Seeleute voll in die Crew der Seewölfe integriert. Der Kutscher hatte sich ihrer Blessuren angenommen, und die Seewölfe hatten alles getan, um den Genuesen über den Verlust ihres Schiffes hinwegzuhelfen. Die Meerenge von Gibraltar hatte die „Isabella“ unangefochten bei Nacht passiert. Dann steuerte Hasard nach Weisung Kapitän Sullas entlang der spanischen Küste, getarnt als Genuese, denn das hatten sie so vereinbart, falls spanische Kriegssegler allzu neugierig werden sollten. Jetzt erst hatte Hasard Zeit, um mit seinen beiden Söhnen das längst fällige Hühnchen zu rupfen, obwohl der Zorn in ihm bereits abgeklungen war. Nur beschäftigte ihn sehr stark die Frage, wie die beiden „Rübenschweinchen“ — wie Carberry sie nannte — es geschafft hatten, aus der
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Vorpiek auszubrechen, in die sie Old O'Flynn weisungsgemäß eingesperrt hatte. In Begleitung Carberrys und Old O'Flynns wurde mit Hasard und Philip Junior eine Ortsbesichtigung vorgenommen. Großvater, Vater und der Profos hatten todernste Mienen aufgesetzt, und den beiden Bürschchen schwante nichts Gutes, als man den Marsch zur Vorpiek antrat. Einen Ausbruchsversuch verhinderte der Profos, als die beiden Kerlchen nach Passieren des Schotts zum Vordeck plötzlich wie auf Verabredung kehrtmachten und unter Carberry, der hinter ihnen ging, durchzuschlüpfen versuchten. Indessen kannte Carberry bereits so einige Tricks seiner beiden kleinen „Rübenschweinchen“ und war vorbereitet. Er langte mit seinen Riesenpranken links und rechts zu, erwischte die Zwillinge jeweils am Schlafittchen, hob sie mühelos hoch und trug die beiden zappelnden Gestalten der Einfachheit halber gleich bis zur Vorpiek, wo er sie abstellte, aber am Kragen weiter festhielt. „So“, sagte Hasard und musterte seine beiden Knaben mit strengem Blick, „da wären wir also.“ Er räusperte sich, weil er das versteckte Grinsen in den Augen Carberrys und Old O'Flynns sah, und fuhr fort: „Ich möchte jetzt wissen, auf welche Weise ihr die Vorpiek, in die euer Großvater euch eingesperrt hatte, verlassen habt.“ „Hm“, sagte Hasard Junior. „Hm“, sagte auch Philip Junior. Und dann herrschte wieder Schweigen. „Ich höre nichts“, sagte Hasard, „und ‚HM' ist auch keine Antwort.“ Die beiden Kerlchen verständigten sich mit einem Blick, und Hasard Junior sagte: „Gibt's wieder Hiebe?“ „Man beantwortete eine Frage nicht mit einer Gegenfrage, Söhnchen“, erwiderte Hasard, „und ob's wieder Hiebe gibt, hängt ganz davon ab, wie ihr euch verhaltet. Also, ich will meine Frage näher erklären, damit ihr kapiert, um was es hier geht. Diese Vorpiek ist ein Raum, in den wir unsere Gefangenen einsperren ...“
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„Philip und ich sind keine Gefangenen“, erklärte Hasard Junior selbstbewußt und mit Trotz in der Stimme. „Wer uns einsperrt, dem büxen wir wieder aus, das ist — äh — Ehrensäbel.“ Ehrensäbel! Wo hatten sie denn nun diesen Ausdruck wieder her? Hasard runzelte die Stirn. Dieses Pärchen schnappte aber auch jeden Ausdruck auf, einschließlich der wilden Flüche und wüsten Bezeichnungen des grimmigen Carberry. Ehrensäbel hin — Ehrensäbel her, Hasard sagte: „Vielleicht läßt du mich erst einmal ausreden, Sohn. Ich mag nicht gern unterbrochen werden, wenn ich etwas erkläre. Also, die Vorpiek ist der Raum für unsere Gefangenen. Wenn ihr es schafft, aus diesem Raum auszubrechen, dann sollte das auch eventuellen Gefangenen möglich sein. Das bedeutet, daß es dann für die Besatzung und unsere ,Isabella' gefährlich wird. Wir haben solche Situationen schon erlebt. Darum ist es für uns wichtig, von euch zu erfahren, wie ihr das angestellt habt. Nur dann können wir dafür sorgen, daß die Vorpiek entsprechend abgesichert wird. Ist das klar? „„Klar“, sagte Hasard Junior. „Klar“, sagte Philip Junior. Sie nickten sich zu, grinsten sich an und marschierten in die Vorpiek. „Zuriegeln!“ befahl Hasard Junior. Vater Hasard, Old O'Flynn und Carberry blieben draußen vor dem Schott. Carberry schob die beiden schweren Riegel vor, die oben und unten des Schotts befestigt waren. „Da bin ich aber gespannt“, brummte Old O'Flynn und starrte auf das Schott und die Riegel. Da tat sich überhaupt nichts. Sie warteten, und es passierte immer noch nichts. Die drei Männer starrten sich an und warteten weiter. Hasard kaute auf seiner Unterlippe herum. „Wollen die uns verkohlen?“ fragte Carberry. Etwa fünf Minuten waren vergangen. Hasard trat an das Schott und entriegelte
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wieder. Er betrat als erster die Vorpiek, Old O'Flynn und Carberry drängten nach. Die Vorpiek war leer. „Das gibt's doch gar nicht“, murmelte Carberry fassungslos. „Die können sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.' Hasard und Old O'Flynn waren ebenfalls völlig perplex. Und dann krachte hinter ihnen das Schott zu, und sie hörten, wie die beiden Riegel vorgeschoben werden. Sie hörten aber noch mehr, nämlich das Kichern der beiden „Rübenschweinchen“. „Hölle und Teufel!“ tobte Carberry los. „Wenn ihr das verdammte Schott nicht sofort öffnet, bezieht ihr die Senge eures Lebens, das verspricht euch der alte Carberry!“ Die beiden Knaben hinter dem Schott lachten sich halbtot, dann wurde wieder entriegelt, und das Schott schwang auf. Hasard war es seinerzeit nicht aufgefallen, aber jetzt sah er es — und er roch es. Hasard Junior und Philip Junior waren pitschnaß, und sie stanken. Sie stanken nach Bilgewasser. Und damit wurde Vater Hasard klar, wie sie es geschafft hatten, die Vorpiek zu verlassen — durch die Bilge unter den Innenplanken entlang, die den Boden des untersten Decks bildeten. Sie mußten sozusagen direkt auf dem Kiel entlang gekrochen sein, und das war eine ganz beachtliche Leistung, weil sie Geschmeidigkeit, Abgebrühtheit gegen den Bilgeunrat und Mut verlangte. Es waren schon Satansbraten, diese beiden. Hasard begann schallend zu lachen. „Da lacht der noch“, brummte Old O'Flynn unwillig. „Darf ich vielleicht auch mitlachen?“ Er hatte noch nicht begriffen, wie der Ausbruch von den Zwillingen bewerkstelligt worden war. Hasard Junior demonstrierte es. Er trat wieder in die Vorpiek, feixte Old O'Flynn an, zog ein Messer, bückte sich und hebelte eine Bodenplanke an. Darunter schwappte das Bilgewasser. Wie eine Schlange schlüpfte und zwängte er sich durch den Spalt, stieß das Messer von unten in die zur Seite geschobene Planke,
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rückte sie an die alte Stelle — und war weg. Hasard verließ die Vorpiek und betrat den Gang, der zur Vorpiek führte. Gespannt schaute er dort auf die Bodenplanken. Eine Minute später wurde an einer Stelle eine Planke von unten hochgestemmt, und der schwarze Schopf seines Sohnes tauchte auf. Als er den Spalt verließ, brachte er eine tote Ratte mit. Die war noch nicht lange tot, weil sie blutete. Der Junior hielt sie am Schwanz fest und erklärte lakonisch, die sei ihnen vorhin „über den Weg gelaufen“. Das Rätsel ihres Ausbruchs war also gelöst. Philip Junior hatte ebenfalls ein Messer. Damals hatten sie beide mit den Messern die betreffenden Bodenplanken in harter Arbeit gelockert und dann ausgehoben. Ferris Tucker würde die Nägel erneuern müssen, die faßten natürlich nicht mehr. Aber eins war klar: Ein ausgewachsener Mann würde auf diesem Wege niemals ausbrechen können. Er würde in der Bilge steckenbleiben und vermutlich auch ersticken oder absaufen, Nur Jungen von der Größe, aber auch Verwegenheit der Zwillinge war es möglich, sich durch diesen Fluchtweg zu winden und zu schlängeln. Und Nerven gehörten dazu. Das alles begriffen jetzt auch Old O'Flynn und Ed Carberry. Und sie staunten. Die angedrohte Senge war längst vergessen. „Das — das ist das Tollste, was mir je untergekommen ist“, bekannte der Profos kopfschüttelnd. „Kriechen diese beiden Rübenschweinchen einfach durch die Bilge wie lausige Kakerlaken. Wenn das der alte Tucker hört, bringt er es glatt fertig und vernagelt auch noch die Bilge. Aber unsereiner würde auf diese Weise nie türmen können, was, wie?“ „Das dachte ich auch schon“, sagte Hasard. „Nehmen wir aber an, unter eventuellen Gefangenen befindet sich ein Junge, dann müssen wir damit rechnen, daß er auf diesem Wege seine Leute befreit, vorausgesetzt, sie haben irgendein Werkzeug wie die Messer meiner Söhne, um eine Planke zu lockern. Ed, denke
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daran, wir können Gefangene gar nicht scharf genug kontrollieren und untersuchen, ob sie Waffen oder Werkzeuge hei sich haben.“ Carberry nickte. „Geht klar, Sir.“ Er grinste die beiden Kerlchen an. „Schätze, ich stopfe euch jetzt in einen Zuber mit heißem Wasser. Ihr unkt ja wie vergammelte Kanalraten. Marsch, ab mit euch! Der Kutscher soll heißes Wasser bereiten und Schmierseife herausrücken, verstanden?“ „Geht klar“, sagte Hasard Junior lässig. „Geht klar“, sagte auch Philip Junior lässig. Beide schoben ab. Hasard Junior schlenkerte die tote Ratte. „He!“ rief Carberry. „Wo willst du mit dem Biest hin?“ „Zum Kutscher“, erklärte Hasard, Junior über die Schulter. „Wieso das denn?“ „Haben Vertrag mit dem Kutscher“, erwiderte Hasard Junior in einem Ton, als ginge das den Profos einen feuchten Dreck an. „Was für einen Vertrag, verdammt?“ knurrte Ed Carberry. „Na, eben 'n Vertrag, Himmelarsch!“ Carberry duckte sich und fauchte: „Ich will wissen, was das für ein Vertrag ist, Mann!“ Der „Mann“ grinste. „Für jede tote Ratte dürfen Philip und ich mal in die Kandisdose langen.“ „Aha“, sagte Carberry verdattert. „Jawohl“, sagte Hasard Junior. „Jawohl“, sagte auch Philip Junior und fügte hinzu: „Wir haben schon siebzehnmal in die Kandisdose gelangt.“ Und dann sagte er „Au!“, weil ihm sein Bruder auf die Zehen getreten war. Carberry schob mißtrauisch den Kopf vor. „Was sollte das denn nun wieder? Schummelt ihr etwas? Betrügt ihr den Kutscher und klaut ihm die jeweils abgelieferte Ratte, was, wie? So viele Ratten gibt's nämlich gar nicht auf unserer alten Tante.“ „Hast du sie denn gezählt, Mister Profos, Sir?“ fragte Hasard Junior schlagfertig.
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Das hatte Carberry allerdings nicht, und er konnte es auch gar nicht, weil es ein Ding der Unmöglichkeit war. Da saß er also ganz schön in der Patsche. Und daher sagte er nur: „Wenn ich mitkriege, daß ihr den Kutscher mit euren toten Ratten leimt und sie ihm zwei- oder gar dreimal andreht, dann gibt's keinen Kandis mehr zu kosten, sondern das Tauende, klar?“ „Wir sind Männer von Ehre“, erklärte Hasard Junior. „Jawohl, wir sind Männer von. Ehre“, sagte auch Philip Junior, „das ist Ehrensäbel!“ Und damit schoben sie endgültig ab. „Söhne hast du“, sagte Old O'Flynn kopfschüttelnd. „Ich weiß gar nicht, wo das noch hinführen soll. Das wußte Philip Hasard Killigrews allerdings auch nicht. „Die landen noch mal im Tower“, prophezeite Old O'Flynn düster. „Quatsch“, sagte Edwin Carberry. „Und wenn schon. Die schaffen es auch, aus dem Tower wieder auszukneifen.“ „Glaub ich auch“, sagte Hasard. * Die Beute rissen die Seewölfe erst bei den Azoren. Da hatten sie die Genuesen unter Kapitän Sulla längst in Cartagena abgesetzt, und Hasard hatte - wie versprochen Kapitän Sulla im Einverständnis mit seiner Crew eine kleine Truhe überreicht, deren Inhalt an Perlen und Schmuckstücken den Wert des gesunkenen Siebenhundert-Tonners bei weitem überstieg. Unbemerkt hatten sie dann wieder Gibraltar passiert, aber nordwärts steuernd - weit abgesetzt von der spanischen Küste waren sie in einen Sturm geraten, der aus Nordosten heranpfiff und drei Tage und drei Nächte dauerte. Zähneknirschend war Hasard vor dem Sturm hergelaufen. England rückte wieder in weite Ferne. Als der Sturm dann abflaute, stand die „Isabella“ bei den Azoren vor Sao Miguel,
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und es war der 18. Juni - ein Tag, der wieder Sonne und ein handiges Lüftchen brachte, also ein Wetterehen, das alles an Mühsal und Plackerei wieder vergessen ließ. Und eine weitere Entschädigung segelte von Süden in Form einer überladenen, riesigen portugiesischen Karacke heran. Ja, sie war so überladen, daß sie ihre Güter sogar an Deck gestaut hatte. Und darum waren auch ihre Kanonen abmontiert worden -ein sträflicher Leichtsinn, wie Hasard meinte. Dieser fette Happen war ebenfalls in den Sturm geraten und ziemlich zerzaust. Seine Besatzung war demoralisiert, und der portugiesische Kapitän strich ergeben die Flagge, als er von Hasard freundlich dazu aufgefordert wurde. Die Karacke hieß „San Felipe“, und sie barg - wie das Enterkommando feststellte eine hübsche Menge von Gold, Silber und randvolle Kisten mit Juwelen aus Indien sowie Pfeffer, Zimt, Nelken, Kaliko, Seide und Elfenbein. Da war guter Rat teuer, denn die „Isabella“ war selbst knüppelvoll. Hasard überlegte ernsthaft, ob er diesen Brocken bis auf die Juwelen nicht wieder sausen lassen sollte. Irgendetwas störte ihn auch. Er hatte diese Karacke „so im Vorbeigehen“ erwischt und kampflos besetzt. Das war das eine. Das andere war tatsächlich die nüchterne Überlegung, daß sie, die Seewölfe, satt an Beute bis zum Platzen waren. Sie gehörten nicht zu jenen, die den Hals nicht voll genug kriegen konnten und dennoch stopften und stopften, bis sie daran erstickten.. Das alles behagte Philip Hasard Killigrew überhaupt nicht, und er wurde wütend über sich selbst, weil er seine Unschlüssigkeit verdammte. „Was ist los?“ fragte Ben Brighton, der Hasards Zaudern bemerkte. „Mann“, sagte Hasard schroff, „wir sind bis zum Kragen voll. Kannst du mir mal erzählen, wo wir mit dem ganzen Kram hinsollen?“ „Ach so.“ Ben Brighton rieb sich den Nasenrücken. Dann grinste er. „Mal was
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anderes, wie? Erst halten wir den fetten Kahn an, schicken unser Enterkommando 'rüber, merken, daß wir uns an dem überfuttern - und lassen ihn wieder laufen.“ „So ähnlich.“ Hasard starrte zu der „San Felipe“, wo Carberry auf weitere Befehle wartete. Es kam alles ganz anders, wie der Zufall so spielt. Dieses Mal hatte Dan O'Flynn mal zur Abwechslung von seinen Navigationsaufgaben den Ausguck im Großmars übernommen. Seine Augen waren bekanntlich die schärfsten an Bord der „Isabella“. „Deck!“ rief er scharf. „Schiffsverband im Osten! Segelt auf uns zu!“ Hasard wirbelte herum und setzte das Spektiv ans rechte Auge. An der östlichen Kimm standen feine Nadelspitzen. Er ließ das Spektiv wieder sinken, sprang an das Schanzkleid der Steuerbordseite und rief zur „San Felipe“ hinüber: „Ed! Zurück an Bord! Sofort! Dan hat einen Schiffsverband ostwärts gesichtet!“ Fünf Minuten später war das Enterkommando zurück. „Deck!“ schrie Dan O'Flynn vom Hauptmars, Aufregung in der Stimme. „Voraus segelt die ,Elizabeth Bonaventura'. Ich erkenne sie genau. Es ist Admiral Drakes Verband!“ „Was will der denn hier?“ fragte Ben Brighton fassungslos. „Muß der uns überall hinterherrennen?“ Hasard zuckte mit den Schultern, und dann glitt plötzlich ein breites Lächeln über sein Gesicht. Er schlug die rechte Faust in die linke Handfläche. „Das ist es, Ben, genau das ist es!“ sagte er. „Was ist was?“ „Wir schenken dem Admiral die ,San Felipe'!“ „Bist du verrückt?“ „Nein! Mann, kapierst du nicht? Wir verpassen ihm damit eine Ohrfeige. Die ,San Felipe' ist unsere Beute - aber wir sind ja so großzügig. Wir überlassen sie ihm, gnädig wie wir sind, verstehst du?“
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Jetzt begann auch Ben Brighton zu grinsen. „Das ist gut, das ist sehr gut. Das beweist, daß wir es gar nicht nötig haben, noch fette Brocken zu schlucken. Ob er das kapiert?“ „Klar kapiert er das, Ed Carberry wird ihm nämlich allein entgegensegeln - mit der Jolle, so allein wie damals, nachdem ihn Doughty über Bord gestoßen hatte. Und Ed wird dem Admiral das Geschenk präsentieren!“ Hasard fuhr herum. „Ed! Laßt die Jolle noch unten. Komm 'rauf, ich hab dir was zu sagen!“ Der Profos enterte den Niedergang zum Achterdeck hoch, bereit zum Befehlsempfang. Als es ihm Hasard gesagt hatte, zeigte er sein wüstes Grinsen, vor dem es einen grausen konnte. „Das wird ein Spaß“, sagte er und rieb sich die Pranken. * Fünf Minuten später segelte er mit der Jolle dem Flaggschiff des Admirals entgegen, mit nacktem, muskulösem Oberkörper, ein Mann aus Eisen und so grimmig wie der Tod. Dieses grimmige Grinsen blieb wie eingefroren in seinem wüsten, narbigen Gesicht. Er kreuzte einfach den Kurs des Flaggschiffes, so daß es gezwungen wurde, in den Wind zu gehen und die Segel auf zugeien. „Mann!“ brüllte Francis Drake von Achterdeck hinunter. Er hatte Carberry längst erkannt - und an der Kimm auch die „Isabella“. „Was spazieren Sie denn hier allein im Atlantik herum?“ „Sir!“ brüllte Carberry zurück. „Das brauche ich manchmal, seit ich damals im Stillen Ozean allein mit einem Boot der ,Golden Hind’ spazieren gehen mußte. Erinnern Sie, Sir? Ich hab mich damals so daran gewöhnt, daß ich das jetzt jeden Monat einmal brauche, sonst drehe ich durch.“ „Sind Sie verrückt?“ „Nein, Sir, ich bitte an Bord kommen zu dürfen!“ „Wollen Sie wieder stänkern?“
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„Aber Sir! Ich habe noch nie gestänkert. Mein Kapitän schickt mich. Er wäre gern selbst erschienen, aber er muß dahinten aufpassen wegen des Dingsda!“ „Was für ein Dingsda?“ „Das soll ich Ihnen ja gerade melden, Sir. Mein Genick wird allmählich steif, Sir!“ Daß Carberry dabei so höllisch grinste, bewies, daß sein Genick keinesfalls steif war. Aber der Admiral ließ dennoch eine Jacobsleiter ausbringen. Carberry, er hatte das Segel gestrichen, wriggte die Jolle an die Jacobsleiter, vertäute sie dort und turnte die Sprossen hoch. „Melde mich an Bord, Sir“, sagte er artig, als er vor dem Admiral stand. „Hatten Sie eine gute Zeit vor Spaniens Küsten?“ „Profos, Profos“, sagte der Admiral, „ich nehme nicht an, daß mich Ihr Kapitän das fragen wollte. Also'?“ „Ich meine, Sir, mit meiner Frage, ob Sie den Dons viel haben wegschnappen können. Hat es sich gelohnt — so wie damals mit der ,Cacafuego`, die wir dann in ,Silberkacker` umtauften, erinnern Sie noch, Sir?“ „Ja, ich erinnere mich“, erwiderte der Admiral etwas unwirsch. „Wenn Sie es genau wissen wollen, eine solche Beute ist mir noch nie wieder vor den Bug gelaufen — leider.“ Carberry grinste. „Doch“, sagte er, „nämlich jetzt! Empfehlung von Kapitän Killigrew, Sir. Wir haben dort hinten bei Sao Miguel so einen fetten Brocken aufgebracht — eine Karacke. Sie hat Gold, Silber, Juwelen, Pfeffer, Zimt, Nelken, Kaliko, Seide und Elfenbein bis über die Luken geladen. Ich habe mich selbst davon überzeugen können, weil ich das Enterkommando führte, Sir.“ Der Admiral starrte den Profos mit offenem Mund an. „Jawohl, Sir“, fuhr Carberry fort, „den Brocken haben wir also aufgebracht, und Kapitän Killigrew bewacht ihn solange, bis Sie da sind. Er möchte Ihnen die Karacke als Geschenk überreichen, Sir, denn wir können mit der Ladung nun wirklich nichts
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mehr anfangen, weil wir selbst bis zur Oberkante unserer Luken voll sind. Aber Sie freuen sich doch sicherlich, oder?“ Der Admiral sah ziemlich rot aus. „Oder freuen Sie sich nicht, Sir?“ fragte Carberry freundlich und mit seinem wüsten Grinsen. „Aber Sie sollten sich freuen, denn wie Sie eben sagten, scheint Ihr Raid vor Spanien nicht allzu viel eingebracht zu haben, was, wie?“ Der Admiral schluckte, dann räusperte er sich die Kehle frei, schluckte wieder und quälte sich ein Lächeln ins Gesicht. „Danke, Mister Carberry, vielen Dank! Meine Empfehlung an Kapitän Killigrew. Ich — äh — nehme sein Geschenk an.“ Carberry strahlte. „Ich bin entzückt, Sir. Habe ich nicht einen feinen Kapitän, Sir?“ „Äh — ja, das haben Sie, Mister Carberry“, quetschte der Admiral heraus, jetzt bereits sichtlich nervös. Er spähte voraus, wie um sich zu vergewissern, ob ihm die Beute auch nicht entginge. „Ich melde mich von Bord, Sir“, sagte Carberry. „und freue mich, daß Sie so
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kampflos und ohne viel Mühe und Bedrängnis so eine andere Art ,Silberkacker` einstreichen können. Das freut auch meinen Kapitän ganz besonders und alle Männer von der ,Isabella', die jederzeit bereit sind, für Sie Ihr Leben in die Schanze zu schlagen. Aber das wissen Sie ja, nicht wahr. Sir?“ Der Admiral nickte nur stumm -und steckte den Hohn ein, der aus den Worten des Profos sprach. Ed Carberry enterte ab. Und der Admiral segelte einer Beute entgegen, die, wie sich später herausstellte, einen Wert von 114000 Pfund Sterling hatte. Und das war eine Summe, die den Wert aller gekaperten, versenkten oder verbrannten Schiffe und Ladungen in der Bucht von Cadiz um das Dreifache überstieg. Der Kapitän Killigrew hatte dem Admiral' Drake ein wahrhaft königliches Geschenk übergeben...
ENDE