Atlan - Minizyklus 05
Dunkelstern
Nr. 07
Angriff der Togronen von Michael H. Buchholz
Wir schreiben das Jahr 1225...
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Atlan - Minizyklus 05
Dunkelstern
Nr. 07
Angriff der Togronen von Michael H. Buchholz
Wir schreiben das Jahr 1225 NGZ. Atlan, der unsterbliche Arkonide, ist gemein sam mit der geheimnisvollen Varganin Kythara auf die Fährte der Lordrichter von Garb gestoßen, die mit riesigen Armeen ihrer Garbyor-Völker und geraubter vargani scher Technologie an vielen Orten des Universums wirken. Zunächst wurden sie in der Southside der Milchstraße mit ihnen konfrontiert, und nun stehen sie in der Kleingalaxis Dwingeloo wieder im Kampf gegen die unheimli chen Invasoren. Nach einigen unerfreulichen Begegnungen wissen sie zumindest, dass die Lordrichter mit einer Verkleinerungstechnologie und der weitgehend uner forschten Schwarzen Substanz experimentieren, die vielen Sternen Dwingeloos inne wohnt. Doch sie können nichts dagegen unternehmen, solange sie von den GarbyorTruppen ständig bedroht werden. Und dann kommt es auch noch zum ANGRIFF DER TOGRONEN …
Angriff der Togronen
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Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Arkonide beobachtet einen Massenmord.
Kythara - Die Varganin erlebt einen Meisterpiloten in Aktion.
Veschnaron - Ein Vargane erscheint als Retter in der Not.
Gorgh-12 - Der Hyperphysiker aus dem Volk der Daorghor vermutet üble Ränke.
Dass andere mir nach dem Leben trach teten, war stets ein fester Bestandteil meines Daseins gewesen. Schon seitdem mich der Bauchaufschneider Fartuloon als kleines Kind aus den Fängen der Schergen meines Onkels Orbanaschol III. gerettet hatte, wus ste ich, wie trügerisch Sicherheit und Ruhe an jedem Ort des Universums in Wahrheit waren. Ich vertraute längst keinem von bei den mehr. Sie glichen brüchigem Eis. Ich hatte niemals Freude dabei empfun den, an anderen oder den Umständen zu zweifeln. Ich hatte mich auch nie als Para noiker oder als Schwarzseher verstanden. Aber ich war immer wieder gezwungen ge wesen, der Wahrheit in Form von unbe streitbaren Tatsachen ins Auge zu sehen. Oft war ich deshalb in der Vergangenheit als übervorsichtiger Warner verschrien worden. Doch ebenso oft hatte ich Beweise vorbrin gen und den oder die Verräter rechtzeitig entlarven können. Bis zu diesem Zeitpunkt. Heute und hier war alles anders. Die Verfolger hatten sich seit Cramar wieder an unsere Fersen geheftet, und alle Versuche, sie abzuschütteln, schlugen fehl. Sie fanden uns immer wieder – entgegen je der Wahrscheinlichkeit …
1. Die Bedeutung des Augenblicks Einmal mehr erfüllte das wesenlose Wal len des Linearraums die Darstellungsfelder der Panoramagalerie. Die AMENSOON war vor exakt 29 Se kunden aus dem Hyperraum direkt in diese Zwischenzone »gesunken« und hatte damit ihren Überlichtfaktor von 99 Millionen auf
gerade einmal 22 Millionen gedrosselt. Das war nicht unbedingt typisches Flucht verhalten. Kythara allerdings hoffte die Golfballraumer der Zaqoor abzuschütteln, indem sie deren Besatzungen mit ständigen Tempo- und Richtungsänderungen irritierte. Seit etwa zwei Stunden schaltete sie, im Verbund mit der Hauptpositronik, wahllos zwischen Überlicht-Faktoren von über 100 Millionen bis auf unter zehn Millionen hin und her. Die Dauer der einzelnen Etappen wech selte ebenso wie die Kursvektoren. In unregelmäßigen Abständen aktivierte zudem ein Zufallsprogramm die Transitions komponente des Kyri-Triebwerks mit will kürlichen Zielkoordinaten. Die Sprungweiten lagen dabei zwischen 50 und 200 Lichtjahren. Die AMENSOON »hüpfte« seit unserem Entkommen aus dem Orbit von Cramar einen chaotischen, nicht vorhersagbaren Weg durch das All. Auf unserer bizarren Flucht waren wir al lein in den letzten fünf Minuten zweimal transitiert, viermal in den Linearraum einge taucht, davor und danach in den Hyperraum flug gegangen und hatten uns stets nur für Sekundenbruchteile im Normalraum orien tiert. Nun schlichen wir im Linearmodus ei ner wegaähnlichen Sonne entgegen, die seit einer halben Minute im Zielkreuz unseres Kursvektors stand. In der 37. Sekunde seit Beginn der Linea retappe begann Gorgh-12 nervös mit den Mandibeln zu knistern. Jedenfalls interpre tierte ich sein Verhalten als Nervosität; wie bei so vielen insektoiden Intelligenzwesen war auch Gorghs Körpersprache nur schwer für mich zu deuten. Der Daorghor und ehemalige Chefwissen schaftler von Maran'Thor beugte sich vor
4 und veränderte hastig einige Einstellungen an seinem Kontrollpult; das Klacken seiner Greifzangen auf den Bediendisplays klang unnatürlich laut. Die wippenden Antennen fühler über den blau schimmernden Facet tenaugen unterstrichen den Eindruck von ge stiegener Anspannung. »Ortung!«, meldete er knapp. Das varganische Äquivalent eines Halb raumspürers zeichnete achteraus klar er kennbar siebzehn Feindechos. Sie waren wieder da. Siebzehn Golfballschiffe, jedes 1350 Me ter im Durchmesser, jedes ein waffenstarren des Monstrum, bemannt mit Angehörigen des Volkes der Zaqoor, rund zweieinhalb Meter großen, hünenhaften humanoiden Wesen, die als Leibgarde der Lordrichter fungierten. Die Flotte verfolgte uns seit Cra mar mit der Verbissenheit stellarer Bluthun de. Sie waren der AMENSOON nun noch näher gerückt als bei der letzten Ortung. In zwischen hatten sie den Abstand zu uns auf weniger als sechs Lichtjahre verkürzt. Damit hatte sich auch diese Finte als ver geblich erwiesen. Zuvor hatten wir uns in der Korona einer Sonne versteckt – für eine Viertelstunde im merhin höchst erfolgreich. Es war uns ge lungen, aus dem System zu fliehen, ohne in Kampfhandlungen hineingezogen zu wer den. Anschließend hatten wir den Versuch gewagt – etwa 1000 Lichtjahre weiter und um einige Illusionen ärmer –, antriebslos und mit minimalem Energieverbrauch, nur in den Schutz unseres Antiortungsfeldes gehüllt, inmitten eines Asteroidenschwarms im freien Fall dahinzutrudeln. Mit dem ein zigen Effekt, dass sie uns aus einer Entfer nung von über zehn Lichtjahren förmlich ge wittert hatten. Wie immer sie es anstellten, sie schienen stets zu wissen, wo sie uns finden konnten. Die Folgerung aus dieser Tatsache war ein deutig. Und alarmierend zugleich. Der Verräter – oder die verräterische Ap paratur – ist immer noch an Bord. Und nach wie vor aktiv!, bestätigte der Extrasinn.
Michael H. Buchholz Nur – wer oder was es war, das konnte mir das Produkt arkonidischer ARK SUM MIA nicht verraten. »Distanz jetzt gleich bleibend«, schnarrte Gorgh. Es klang wie feines. Kieselreiben, als er den Kopf zu uns drehte. »Sieht aus, als würden sie abwarten.« Kythara warf mir einen kurzen, nur schwer zu deutenden Blick zu. Sie knabberte an ihrer Unterlippe, strich sich eine verschwitzte goldene Strähne aus der Stirn und neigte leicht den Kopf zur rechten Schulter. Sie stand vor ihrem Pilo tensessel, ganz gespannte Erwartung und zu gleich unnahbare Majestät. Kalarthras saß schweigend am Navigati onspult, umgeben von schwebenden Holo grammen, in denen es flimmerte und zu be ständigen Farbverschiebungen und Einblen dungen errechneter Werte kam. Ich selbst hatte die Kontrolle über die Waffen über nommen, die sich über die acht Dreiecksflä chen des Oktaeders verteilten, bereit, beim Wiedereintauchen in den Normalraum auf Angriffe sofort zu reagieren – falls mir Zeit dafür bleiben würde. In diesem Moment fuhr Kalarthras herum. Seine langen weißen Haare flogen. Unwillig schüttelte er sie aus dem Gesicht. Seine graue Hautfarbe sah zunehmend ungesund aus, und dieser Eindruck war keineswegs ein Effekt des von Varganen bevorzugten, leicht blaustichigen Lichts. »Das hat doch alles überhaupt keinen Sinn!«, begehrte er auf, ganz entgegen sei ner sonst so zurückhaltenden Art. »Deine Pi lotenkünste in allen Ehren – es ist zwecklos. Du kannst dich noch so sehr anstrengen, – solange ich an Bord bin, finden sie uns im mer wieder. Und immer schneller offenbar. Sie messen mich an, daran besteht für mich nicht mehr der geringste Zweifel. Es gibt darum nur den einen Ausweg, auch wenn du ihn nicht hören willst. Begreife es endlich!« »Und genau das kommt überhaupt nicht in Frage«, antwortete die Varganin leise, oh ne den Blick von den Kontrollen zu nehmen. Wie um ihre Ansicht zu bekräftigen, erhöhte
Angriff der Togronen sie die Geschwindigkeit des Schiffes. Der Stern voraus kam nun bedeutend schneller näher; natürlich war es in Wirklichkeit um gekehrt. »Auswege sind Wege, die ins Aus führen«, zitierte Kythara. Verblüfft starrte ich die Varganin an; ich hatte nicht geahnt, dass sie irgendwann in ihren über 800.000 Lebens jahren auch die Gedanken des arkonidischen Philosophen Moraht-Them studiert hatte. Ir gendeinen Arkoniden musste es zusammen mit den Schriften ins Innere der ObsidianKluft verschlagen haben, und Kythara waren sie offenbar zugänglich geworden. Aber was wusste ich überhaupt schon von dieser ge heimnisvollen und fast schmerzhaft schönen Frau, gegen deren Lebenserfahrung die mei ne abfiel wie das Licht einer Talgfunzel im Vergleich zu einer Megawattscheinwerfer batterie. Wieder einmal kam ich mir in ihrer Gegenwart plötzlich vor wie ein unmündi ges Kind. Das liegt daran, weil du dich so oft … setzte der Extrasinn an. Ja, ja, ich weiß, wie ein Kind verhältst, gab ich zurück. Du sagst es mir oft genug. Warum wohl, Narrenkind? Ich gewann den Eindruck, als setzten die beiden Varganen jetzt ein Thema fort, das sie schon andernorts und zu früherer Gele genheit begonnen hatten zu diskutieren. Dies offenbar in meiner Abwesenheit und ohne mich zu informieren, ein Umstand, den ich deutlich befremdet bemerkte. Kalarthras, das war mir klar, spielte auf die Veränderung an, die mit ihm vorgegan gen oder, wahrscheinlicher, an ihm vorge nommen worden war. Er selbst hatte keine Erklärung dafür, vermochte sich nicht zu er innern. Doch die für Varganen untypische Verfärbung seiner Haut und mehr noch die völlig geschwärzten Augen, in denen sich die Pupillen nicht mehr von den Augäpfeln unterscheiden ließen, zeigten deutlich an, dass etwas Ungewöhnliches mit ihm in der Zeit seiner Stasis geschehen war. »Ich muss die AMENSOON verlassen. Je eher, desto besser!«, versetzte Kalarthras.
5 »Und du weißt das ebenso gut wie ich. Ich werde …« Er wurde von Gorgh-12 unterbrochen. »Achtung! Halbraum-Echos variieren. Nur noch dreizehn Impulse … jetzt nur noch neun … Nein, wartet – fünf. Was soll das?« Der Daorghor schlug sein mittleres Arm paar in einem bestimmten Rhythmus anein ander; eine Geste der Ratlosigkeit, wie ich inzwischen wusste. Eigentlich war es eine Art Bitte um Hilfestellung durch das Kollek tiv, dem er sich zugehörig fühlte – mithin ei ne Anforderung an uns. »Was tun die restlichen fünf?«, wollte ich wissen. »Sie halten eindeutig den Verfolgungs kurs. Jetzt sind vier der fünf Echos ver schwunden. Flugdaten des letzten Schiffes unverändert. Sechs Lichtjahre Abstand, Ge schwindigkeit der unseren angepasst, gleich bleibend.« Kythara unterbrach wortlos den Linear flug. Ich sah das Spiel ihrer Rückenmuskeln unter der eng anliegenden, blaumetallisch schimmernden Bordkombination, als sie sich vorbeugte. Mit gespreizten Beinen stand sie wie ein Fels vor den Pilotenkon trollen; die goldene Mähne war noch hoch gesteckt. Sie war von einer Aura umgeben, die mich immer wieder in den Bann schlug; dabei strahlte sie eine derartige Überlegen heit aus, die jede beliebige hochedle Arkoni din an den Rand des existentiellen Wahn sinns getrieben hätte. Die AMENSOON fiel in den Normal raum zurück. Automatisch eingehende Ortungsdaten wurden von der Hauptpositronik eingeblen det und als Quasirealgrafik im Panorama schirm dargestellt. Die große, wegaähnliche blaue Sonne war das Zentralgestirn eines Siebzehn-Plane ten-Systems; von glutheißen FelsenSchnellläufern bis zu behäbigen Gasriesen waren alle Trabantenformen vertreten. Zwölf der Planeten wurden zudem von Monden umlaufen; fünf davon wiesen au ßerdem weit in den Raum reichende Ringe
6 auf. Wir waren oberhalb der Ekliptik aus dem Linearraum gekommen, in einer Entfernung, die ungefähr auf der Bahn des äußersten Pla neten lag. Unsere Geschwindigkeit nach dem Ende der Etappe betrug etwa 80 Pro zent des Lichts – zu hoch für die mehrere Lichtsekunden durchmessende Staubwolke, auf die wir zurasten. Selbst mit aktivierten Kombischirmstaffeln würde uns die hohe Partikeldichte des Staubes im Nu in Stücke reißen. Kythara umging das Problem mit ei ner Kurztransition – wir rematerialisierten einige Lichtstunden jenseits der Wolke, zwi schen den Bahnen der beiden äußeren Gas riesen. Die Impulstriebwerke an den Ecken des Oktaeders wurden aktiviert. Ihr Gegen schub bremste das Schiff bis auf etwa die Hälfte der Lichtgeschwindigkeit ab. Aus der Geraden wurde eine lange gebogene Kurve, wir hielten nun auf den nächstbesten Plane ten in Sonnenrichtung zu, Nummer sech zehn, einen Methankoloss, der eine ganze Familie von Monden um sich geschart hatte. »Nahortung?«, fragte Kalarthras. »Keine Anzeichen für eine höher ent wickelte Zivilisation im gesamten System«, antwortete Gorgh. »Die Fernortung zeigt keines der Verfolgerschiffe. Korrektur: zeig te.« Der gellende Annäherungsalarm kam um den Bruchteil einer Sekunde zu spät. Ein einzelnes Raumschiff fiel gut sechs Millionen Kilometer vor uns und leicht überhöht zu unserem Kurs aus dem Hyper raum. Die überlichtschnelle Ortung lieferte positronisch aufgehellte Bilder – das 1350 Meter durchmessende Schiff der Zaqoor mit den charakteristischen Kuhlen in der Hülle wirkte tatsächlich wie ein auf uns herabstür zender Golfball. Der dreifach gestaffelte Kombischirm spannte sich um die AMENSOON. Kythara drückte das Schiff nach unten, relativ zur bisherigen Flugbahn gesehen, weg vom an greifenden Zaqoorraumer. Die automatische Zielerfassung meines Pultes gab ihr Bereit schaftssignal. Einen Moment später brach ein Energie-
Michael H. Buchholz orkan über uns herein; die Leibgarde der Lordrichter hatte ohne Vorwarnung das Feu er eröffnet. Ultrablaue Kometen aus Licht erschienen übergangslos unmittelbar an der Peripherie unserer Schirmstaffel und setzten die in ihnen gespeicherte Energie direkt frei. Die Schirme wurden schlagartig bis zu 42 Prozent belastet. Für einen Sekundenbruch teil schüttelte sich die AMENSOON, wäh rend sie die Wand aus blauem Feuer durch raste. Dann hatte die paratronähnliche Kom ponente des Kombischirms die Energien in den Hyperraum abgestrahlt. »Atlan? Bist du bereit?« Kythara sprach wie gewohnt leise, beherrscht, fast kühl. Meine Finger lagen auf dem varganische Feuerleitpult. »T-S-T?«, fragte ich nickend. Sieh an, du hast ja gar nicht alles verges sen, was du als Admiral gelernt hast, be merkte mein Extrasinn befriedigt. Kythara sagte im gleichen Augenblick: »Dann los!« Wieder transitierte die AMENSOON, doch nur für die winzige Strecke bis zu dem Kugelschiff. In einem Abstand von rund ei ner halben Million Kilometer remateriali sierte der Doppelpyramidenraumer hinter dem eigentlich uns jagenden Zaqoor. Kytha ra steuerte die AMENSOON mit einer der Kanten voran. So war ich in der Lage, die Hälfte aller Geschütze zugleich abzufeuern. Ein kaum merkliches Zögern – dann ent fesselte mein Fingerdruck ein Inferno aus glutheißen Energien, das über den Kugelgi ganten hereinbrach. Der zaqoorsche Schutz schirm flammte in einem hässlichen Gelb grün auf. Die Thermostrahlen und die Des integratoren zeigten wie erwartet kaum Wir kung, dafür die Schockimpulsgeschütze, de ren Effekt dem von Intervallkanonen ähnel te, umso mehr. »Belastung des gegnerischen Schirmfelds liegt bei 41 Prozent«, meldete Gorgh. »Fast Gleichstand«, kommentierte Kalar thras lakonisch. »Immerhin«, sagte ich, dies allerdings schon in sicherem Abstand zu dem Golfball raumer, denn Kythara hatte die AMEN
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SOON, noch während Kalarthras sprach, abermals transitieren lassen und das Schiff auf der anderen Seite des Sonnensystems wieder in den Normalraum gebracht. Transition – Salve – Transition. Ein blitzschnelles und uraltes arkonidi sches Manöver, das in meinen Zeiten als Admiral des Großen Imperiums allerdings nur die widerstandsfähigsten Raumfahrer auszuführen in der Lage gewesen waren; zu hoch wirkten sich die Strapazen und Schmerzen bei den schnell aufeinander fol genden Ent- und Wiederverstofflichungs phasen auf Gehirn und Nervensystem aus. Ich hatte Männer und Frauen gesehen, die sich nach vier oder fünf dieser materialzer setzenden Manöver schreiend und aus Ohren und Nase blutend am Boden gewälzt hatten. Damals gab es weder Strukturabsorber noch schockdämpfende Aggregate. Verglichen mit heute eine geradezu primitive Technik mit teilweise lebensgefährlichen Begleiter scheinungen. Ganz anders verhielten sich die Varganenschiffe: Es gab nicht einmal die Ahnung eines Entzerrungsschmerzes. Der Zaqoor verschwand aus den Taster holos; ein kaum wahrnehmbarer Impuls zeigte an, dass er in den Hyperraum einge treten war. Geflohen war er sicher nicht, al so … »Kythara – absetzen«, warnte ich. Schon dabei, fing ich ihren amüsierten Gedanken auf. Das Ganze macht ihr auch noch Spaß!, erkannte ich erschüttert. Die Varganin brachte das Schiff in den Linearraum, noch während der Annähe rungsalarm alle anderen Geräusche übertön te.
* Schon nach wenigen Sekunden unterbrach Kythara abermals den Überlichtflug. Dies mal fielen wir nicht vor, sondern dicht hinter der kurz zuvor durchquerten Staubwolke aus dem übergeordneten Kontinuum. Gorgh-12 aktivierte auf ein Nicken von Kythara hin
das nahezu perfekte Antiortungsfeld des Varganenschiffes. Wir befanden uns jetzt wieder »oberhalb« des Sonnensystems. Die AMENSOON ver zögerte mit Höchstwerten. Nach knapp zwei Minuten zog sie das Schiff in eine enge Kur ve und hielt nun direkt auf die Wolke zu. Der Golfballraumer war nicht mehr zu orten; wahrscheinlich war er uns nach unserer letz ten Transition erst in dem Moment in den Linearraum gefolgt, als wir den höherdimen sionalen Bereich schon wieder verlassen hatten. Mit etwas Glück und dem Segen der Sternengötter verloren die Zaqoor vielleicht unsere Spur … … und dann tauchte er auch schon wieder auf, wenn auch weit entfernt diesmal. Echodim, lautete der zynische Kommen tar meines Logiksektors. Der arkonidische Begriff bedeutete so viel wie »So sei es!« und wurde als Gebetsschlussformel verwen det, vergleichbar dem »Amen« auf Terra. »Was soll das?«, fragte Kalarthras unwir sch. »Glaubst du allen Ernstes, wir könnten uns in dem mickrigen Staubnebel da ver stecken? Was hast du vor?« Kythara drehte sich um und schenkte ih rem ehemaligen Geliebten ein Lächeln, mit dem man in früheren Jahrtausenden die Auf lage jedes Printmagazins problemlos hätte versechsfachen können. »Vertraust du mir etwa nicht mehr?« Ky thara brachte es fertig, trotz ihres mitgenom menen Äußeren einen naiv-provozierenden Augenaufschlag samt Schmollmund zu fa brizieren, der in einigen Kulturen, die ich kannte, als eindeutig sittengefährdend gegol ten hätte. Alles nur Schau, mahnte mich der Extra sinn, der mein Empfinden natürlich mitbe kam. Es ist ihre Art, die Anspannung zu mei stern. »Der Nebel«, sagte Kythara, »ist völlig unwichtig. Die sollen nur glauben, er sei der verabredete Treffpunkt mit unserer Verstär kungsflotte.« »Mit unserer bitte was?« Gorgh fuhr her um und starrte Kythara an. Seine bebenden
8 Antennenfühler sagten mehr als die sprich wörtlichen tausend Worte. Ich konnte ihn gut verstehen. Er war in erster Linie Wissen schaftler, kein Raumsoldat. Mir dämmerte indessen, was die Varganin vorhatte. »Ich habe«, erklärte Kythara, während sie sich wieder den Kontrollen zuwandte, »ein spezielles Programm in die Positroniken der vier Kleinoktaeder überspielt. Steuerung er folgt über unsere Hauptpositronik. Aus schleusung erfolgt automatisch – jetzt!« Auf der Panoramagalerie konnten wir die vier Beiboote verfolgen, die seitlich aus den Hangars drifteten und in Richtung der Staubwolke beschleunigten. Die ausge schleusten Oktaeder waren 44 Meter hohe Kleinausgaben der AMENSOON; ihre Kan tenlänge betrug 31 Meter. »Atlan. Ich transferiere Waffensteuerung aller vier Boote zu dir. Schutzschirmaufbau ab jetzt. Tarnmodus parallel aktiv.« Die Boote waren infolge ihrer hohen Beschleu nigung längst aus der direkten optischen Wahrnehmung verschwunden. Die Anzeigen in einem meiner Hologramme waren dafür unmissverständlich: Die Beiboote bauten Kombischirme auf, deren Durchmesser ex akt unserem eigenen entsprach. »Tarn-Emissionen entsprechen in allen Werten der AMENSOON«, rief Gorgh auf geregt. Auch er schien nun zu begreifen, was Kythara bezweckte. Für die Zaqoor musste es auf deren Or tungsschirmen jetzt so aussehen, als hätte die AMENSOON urplötzlich Verstärkung durch vier Schiffe gleicher Größe bekom men. Ich musste grinsen; der Trick hätte von mir sein können. War er aber nicht, Arkonide, wisperte der Extrasinn. Was sagt dir das? »Kalarthras!«, rief Kythara. »Du über nimmst die Kommunikation zu unserer Flot te. Die … na, die ENCHALAN, die KOL LENSOON, die IRMANTIR und die AS PENVAAR warten auf deine Befehle.« »In Ordnung.« Er eilte zu einer anderen Konsole, ließ sich in den Kontursessel fallen und aktivierte die entsprechenden Hyper-
Michael H. Buchholz funkkanäle. »Achtung! An alle Schiffe des KodonGeschwaders. Ausschwärmen und Vorgehen nach Plan Kvidera. Bestätigen!« Eine Kette von Einzelbefehlen folgte. Die Positroniken der vier Kleinoktaeder meldeten nacheinander mit unterschiedli chen Stimm-Modulationen verschiedene Va rianten von Verstanden. Die vier Doppelpyramiden, jede scheinbar so groß wie unsere AMENSOON, stoben weit gefächert auseinander. »Ortung!«, meldete Gorgh. »Der Golf ballraumer hat Kurs auf unsere Position ge nommen. Er braucht noch 48 Sekunden bis zum Erreichen der Eintauchgeschwindig keit.« »An alle Geschwader-Kommandanten: Einnehmen der vorgesehenen Positionen. Feuern erst auf meinen Befehl.« Wieder lie fen Bestätigungen der positronischen Kommmandanten ein. »Anfrage an ENCHALAN: Wann erreicht das Flaggschiff samt Geschwader unsere Po sition?« Er blickte fragend zu Kythara. Gut so, signalisierte ihr Lächeln. Mach weiter. Die Positronik der »ENCHALAN« im provisierte: »Die siebte Gantatryn-Flotte ist in Marsch gesetzt; mit baldigem Eintreffen ist zu rechnen.« Kythara nickte mir zu. »Bereit?« »Alle Feuerleitstellen im Synchronmo dus.« »Dann – los!« Alle fünf Schiffe transitierten im gleichen Augenblick … … und rematerialisierten mit gleichem Kursvektor wie der Golfballraumer in des sen »unmittelbarer« Umgebung, das heißt in Kernschussweiten-Entfernung von rund 7,5 Millionen Kilometern. Die AMENSOON lag direkt vor dem Garbyor-Schiff; die Klei noktaeder bildeten die Eckpunkte eines Qua drats, in dessen Mitte der Golfballraumer mit fast halber Lichtgeschwindigkeit dahin raste. Ich ließ meine Finger auf die Auslösefel
Angriff der Togronen der der überlichtschnellen Schockimpuls strahler sinken. Von vorn und von allen Sei ten brach das irrlichternde Unheil über den Zaqoor herein. Der Schirm des Golfball schiffes flackerte in grellen Grüntönen, hielt den Gewalten dennoch stand. Gelbe, über die Schirmkugel zuckende Aufrisse schleu derten Energiekaskaden von sich fort, leite ten sie in den Hyperraum ab. »Belastung 96 Prozent«, meldete Gorgh. »Kritischer Bereich.« »Und weg!« Kythara löste die nachfol gende Transition aus. Wir – die AMEN SOON und der Verband der Beiboote – ka men wieder in der Nähe der Staubwolke in den Normalraum. Ein Verzögerungsbefehl erging an die Kleinoktaeder, gleichzeitig bremste die Kommandantin das Schiff auf etwa ein drittel LG ab. »Wir schleusen ein.« Der Vorgang lief beeindruckend schnell und völlig automatisch ab. Die Irislamellen schotten über den Hangars schlossen sich. »Wir werden …«, begann Kythara. Das Krachen aus den Strukturtastern un terband jedes weitere Wort. Ringsum brachen unsere Verfolger aus dem Hyperraum. Nahezu zeitgleich, zu Viererpulks grup piert, erschienen sie vor, über, hinter uns, an den Seiten und voraus. Sechzehn 1350-Meter-Giganten bildeten eine perfekte Kugelschale: Sie rasten heran und eröffneten Sekundenbruchteile später das Feuer. Die bekannten blauen Lichtkometen zuck ten überall auf, gaben ihre Energien an den äußeren Vragon-Schirm ab. Ein Schlag ging durch das Varganenschiff. Das All schien nur noch aus blau aufberstenden Lichtkaska den zu bestehen – ein ohrenbetäubendes Jau len erfüllte das Innere der AMENSOON. Die Fusionsreaktoren und die Masse-Ener gie-Konverter brüllten auf und pumpten un geheure Energiemengen in die Kombi schirmstaffel, um die Abstrahlleistung der paratronähnlichen Hülle zu gewährleisten. »Eigenbelastung 109 Prozent!«, presste Gorgh hervor.
9 »Das halten wir nicht lange aus«, rief Ka larthras durch den Lärm. »Du mit deinen pu bertären Spielchen. Es wäre auf jeden Fall besser gewesen, wir hätten die Zeit genutzt und ich wäre von Bord gegangen …« »Kalarthras!« Kytharas Stimme klang im mer noch ruhig, obwohl sie gleichfalls schreien musste, um sich in dem infernali schen Krach verständlich zu machen. »Ja?« »Halt die Klappe!« Und an mich gewandt: »Atlan! Tu bitte irgendetwas, ja?« Eine neue Wand aus blauem Licht schloss die AMENSOON ein. Das Schiff begann wild zu kreiseln, ob infolge der Treffer oder weil Kythara die Doppelpyramide in Rotati on versetzte, konnte ich nicht erkennen. Die Gravo-Zyklon-Projektoren!, drängte der Extrasinn. »Setz die Gravo-Zyk-Waffen ein!« Ky tharas Aufforderung kam fast im selben Mo ment. »Eigenbelastung überschreitet 113 Pro zent!« Gorgh befand sich nun am Rande ei ner Panik. Die Gravo-Zyklon-Projektoren erzeugten einen überlichtschnellen, zyklonähnlichen gravomechanischen Feldwirbel von immen ser Stärke. Es waren die stärksten Waffen an Bord von Varganenschiffen. Im Extremfall war es mit den Gravo-Zyk-Waffen möglich, einen Planeten von Erd- oder Arkongröße förmlich zu pulverisieren. Als ich die Zy klon-Bänke aktivierte, sperrte mir die Hauptpositronik den Zugang. »Atlan!« »Ich erhalte Sperrbefehle. Abstandswar nung. Wir sind zu nah; ich kann die Zyklons nicht ohne Gefahr für uns einsetzen.« Kythara ließ die AMENSOON inzwi schen wilde Bocksprünge machen; sie krei selte, schlug Haken, versuchte immer wieder zu beschleunigen. Durch das Abbremsen für das Einschleusen der Beiboote waren wir zu langsam, um einfach in den Hyperraum zu fliehen. Kytharas Ausweichmanöver schütz ten uns einerseits vor längst überfälligen
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Wirkungstreffern, andererseits vermochte sie so nicht mit aller Kraft zu beschleunigen. »Sperrbefehle sind hiermit aufgehoben. Ich brauche eine Lücke, um durchzubre chen.« »Verstanden.« Ich stellte die beiden vorderen GravoZyk-Werfer auf engste Bündelung und wei teste Distanz ein. Den Wirkungskegel richte te ich genau in Flugrichtung. »Ab jetzt stur geradeaus.« Ich feuerte. Violette Spiralen entstanden. Die Schutz schirme der betroffenen zwei Zaqoorraumer, sonst blau schimmernd, glühten in grellem Weiß. Inwieweit dies die Garbyor in Be drängnis brachte, vermochte ich noch nicht zu sagen. Weit ins All reichende Schlieren zeigten die Energieableitung in den Hyper raum an. Doch eine Lücke, wie von Kythara gefordert, hatte ich nicht in der Kugelschale unserer Feinde erzeugt. Ich feuerte aber mals, mit dem gleichen Ergebnis. »Achtung!«, schrie Gorgh-12. Eine neuer liche Wand aus blauen Lichtkometen kam auf uns zu. Oder genauer: wir auf sie, denn die Wand lag genau in unserem Weg. Die Fusionsreaktoren steigerten ihr Jaulen in blankes Wimmern, als die Ausläufer des Blaufeuers unseren Schirm erreichten. Ich schloss die Augen. Blitze zuckten vor meinen Lidern, kaum mehr gedämpft durch die Abblendautomatik der Hauptpositronik. Dann wurde es übergangslos still. Bis auf das Klingeln in meinen Ohren. Ich riss die Augen auf und starrte Kythara an. Die Varganin stand vor den Kontrollen und lächelte. Die AMENSOON hatte ihre Eintauchge schwindigkeit von 50 Prozent Lichtge schwindigkeit erreicht und war in den Hyperraum eingetreten, bevor uns die blaue Wand hatte vernichten können. »Und hopp!«, sagte sie leichthin. Die Schweißtropfen auf ihrer Stirn verrie ten, wie es in Wahrheit um sie stand.
*
Der trügerische Moment der Ruhe dauerte nicht einmal anderthalb Minuten. Etwas un terbrach den Hyperraumflug der AMEN SOON und warf uns in den Normalraum zu rück. »Was war das?« Kythara überflog die Einblendungen der Panoramagalerie und runzelte die Stirn. »Eine Störung im hyperphysikalischen Bereich«, antwortete Gorgh. »Das wollte ich vorhin sagen. Etwa zweiundneunzig Licht jahre von der blauen Sonne entfernt zeigten sich Raum-Zeit-Beben von immenser Stär ke. Unser jetziger Kursvektor hat zwar nur die Randzonen berührt, aber die Störeinflüs se dürften ausgereicht haben, um uns aus dem Hyperraum zu schleudern.« »Ich beginne Dwingeloo zu hassen.« Ich beendete das Murmeln mit einer ärgerlichen Handbewegung. »Ein Raum-Zeit-Beben …« Die Varganin sah mich nachdenklich an; in ihren Augen blitzte etwas auf, was mir nicht gefallen wollte. Wir befanden uns jetzt im Leerraum zwi schen den Sternen. Die nächste Sonne stand in zweieinhalb Lichtjahren Entfernung; der blaue wegaähnliche Stern lag knapp hundert Lichtjahre zurück. Das Raum-Zeit-Beben war für uns optisch nicht erkennbar; die Hauptpositronik projizierte zu unserer Ori entierung ein rötliches Wallen auf dem Pan oramaschirm. Distanz: etwa neun Lichtmo nate. Durchmesser: rund 15 Lichtminuten. Das Beben erzeugte Gravitationswellen und Raum-Zeit-Anomalien; sein Epizentrum war kein Ort, an dem ich mich aufhalten wollte. Kythara sah mich bei diesem Gedanken wiederum an. Als hätte sie ihn aufgefangen. »Nein«, sagte ich rau. »Das nicht.« »Doch.« Und die AMENSOON beschleu nigte. »Fernortung«, meldete Gorgh. »Alle 17 Schiffe verlassen soeben den Hyperraum.« Die Echos des Strukturtasters bestätigten seine Worte. Die Golfballraumer erschienen als Pulk in wenigen Lichtminuten Abstand
Angriff der Togronen an Steuerbord. Kythara aktivierte die Transitionskompo nente des Kyri-Triebwerks, gab aber noch keine Energie frei, sondern hielt die Option zu transitieren sozusagen »im Leerlauf« be reit. Mit einer kurzen Hyperraumetappe brachte sie uns dorthin, wo Raumfahrer zu letzt hinwollten – dichter als irgend vertret bar an das Bebengebiet heran. Als wir aus dem Hyperraum austraten, schien das All um uns zu brodeln. Diesen Effekt erzeugte jedenfalls die Darstellung auf der Panorama galerie. Die Fusionsreaktoren wimmerten wieder. Die Schirmstaffel irrlichterte. Je mand schien von außen mit einem riesigen Schmiedehammer auf die AMENSOON ein zuschlagen. Die ganze Schiffszelle dröhnte und ächzte. Ein neuartiges Geräusch gesellte sich hinzu. Es klang, als würde das Schiff von Titanenfäusten in sich verdreht. Gorgh-12 verlor das Gleichgewicht und hielt sich an seinem Pult fest, als das Deck wegzurutschen schien. Kalarthras starrte Kythara an. Ich hatte das widerliche Gefühl, im Boden zu versinken, als wäre alle Mate rie plötzlich verflüssigt worden. »Gorgh!« Kythara brüllte über das Toben des Schiffs hinweg. »Was machen die Zaqoor?« »Halten … Abstand …« Der an eine Rie senameise erinnernde Insektoide würgte die Worte förmlich hervor. Im selben Augenblick, in dem eine Explo sion außerhalb des Schiffs alle Helligkeit für sich zu beanspruchen schien, ließ Kythara die AMENSOON transitieren. »Was war das?«, keuchte ich, nachdem wir rematerialisiert waren und ich begriffen hatte, dass ich immer noch lebte. »Eine primitive Fusionsbombe. Das größ te Kaliber, das die Servorobots in aller Eile zusammenbauen konnten. Sie hinterlässt Varganstahlpartikel. Ich gab sie schon vor einer Stunde in Auftrag und ließ sie aus schleusen, kaum dass wir beim Bebengebiet waren. Ich hoffe, sie denken nun, unser schönes Schiff sei vom Beben zerrissen wor den und explodiert.«
11 »Keine Ortungen«, bestätigte Gorgh mit hörbar heiserer Stimme. Die Varganin wandte sich um und verließ kurzerhand die Zentrale. Ein Servo schwebte heran und entfernte ihren Kampfanzug. Ka larthras übernahm wortlos die Kontrollen des Piloten und versetzte die AMENSOON in eine neue Hyperraumetappe. Als ich mich Minuten später in meiner Kabine aus der verschwitzten Kombi schäl te, stellte ich fest, dass meine Hände von der langen Anspannung zitterten. Besuchen Sie dringend Dwingeloo, dachte ich sarkastisch, als ich mich auf das Polster fallen ließ und schon fast schlief, hier wird Ihnen mehr geboten als anderswo.
2. Die Unpassierbarkeit der Grenze Nach nur dreißig Minuten weckte mich mein zuvor auf Kurzschlaf programmiertes Multifunktionsarmband. Es war auf Stan dard-Terrazeit justiert und zeigte den 1. Juli 1225 NGZ, kurz nach siebzehn Uhr. Ich wankte in die Hygienezelle, duschte, ließ die varganische Massage ausfallen und betrat wenig später, mit einer neuen Bordkombina tion bekleidet, die Zentrale. Kalarthras erhob sich bei meinem Eintre ten aus dem Pilotensessel. »Du übernimmst.« Er wartete mein Ein verständnis nicht einmal ab und entfernte sich schlurfend aus der Zentrale. Gorgh-12 spürte offenbar meinen fragen den Blick und sagte: »Er ist schwächer, als er uns glauben machen will. Die letzten Stunden haben ihn ziemlich angestrengt.« Ich nickte und setzte mich in den Kontur sitz des Piloten. Obwohl ich, wenn ich die Kurzschlafphase nicht einrechnete, nun schon über 28 Stunden auf den Beinen war, fühlte ich mich dank des Zellaktivatorchips leidlich frisch. Seit unserer Flucht von Cramar hatten wir über 4200 Lichtjahre in direkter Linie zu rückgelegt. Infolge unseres Zickzackkurses waren es etliche hundert mehr, die wir tat
12 sächlich geflogen waren. »Der nächste Orientierungsaustritt steht in vier Minuten an«, informierte mich Gorgh. »Schläft Kythara?« »Sie ist in ihrer Kabine. Soll ich sie ru fen?« Ich überflog die vor mir schwebenden Da ten, keine Ortungen, keinerlei Hinweise auf Verfolger. Kytharas Vernichtungstrick schi en zu funktionieren. Oder er hatte die Gar byor zumindest eine Weile aufgehalten. »Nicht nötig. Was wissen wir über das an visierte Zielsystem?« »Eine kleine rote Sonne. Sieben Planeten. Nichts Außergewöhnliches.« »Gut. Dann beeile dich bitte mit deinen Messungen. Je eher wir wieder von dort ver schwinden können, desto besser.« »Ich beeile mich immer und tue stets mein Bestes«, erwiderte der Insektoide, deutlich monotoner als sonst. Seine Mandi beln schabten und knackten. Hatte ich ihn unabsichtlich in seinem Ehrgefühl verletzt? »Ich weiß. Ich wollte dich nicht kritisie ren.« »Das hast du nicht getan. Ich habe nur Tatsachen aufgezählt, deren Beachtung Missverständnisse innerhalb des Kollektivs zu vermeiden hilft.« Mit einem melodischen Akustiksignal lei tete die Hauptpositronik das Ende der Hyperraumetappe ein. Unvermittelt wich das Grau des fünf dimensionalen Kontinuums dem Funkeln der Sterne. Die automatisch anlaufenden Im pulstriebwerke bremsten uns aus dem hoch relativistischen Bereich herunter. Die po sitronisch aufbereiteten Daten der Fernor tung blendeten in der Darstellung der Pan oramagalerie ein und zeigten die rote Sonne und die Umlaufbahnen ihrer sieben Plane ten. Wir waren in Höhe der äußersten Bahn in den Normalraum zurückgekehrt, aller dings auf der diesem Planeten gegenüberlie genden Systemseite. Der uns nächste Tra bant war die Nummer sechs, eine dunkelgrü ne Gaswelt vom Uranustyp. Wir verzögerten weiter und passierten ihn mit rund 30 Pro-
Michael H. Buchholz zent LG, in einem Abstand von 20 Millionen Kilometern. »Ortung!«, rief Gorgh plötzlich. »Systemintern. Massive Energiefluktuatio nen im Orbit des ersten Planeten. Eindeutig Kampfhandlungen!« »Vergrößerung!« Die Hauptpositronik zoomte das Bild des innersten Planeten heran. Eine Sauerstoff welt von etwa Erdgröße sprang uns optisch entgegen. Ein eher unscheinbarer Anblick mit nur wenigen erkennbaren Wolken. Kaum Meere. Ocker- und Brauntöne herrschten vor. Die optisch aufbereiteten Ergebnisse der Fernortungen ließen keinen Zweifel: Dut zende von länglichen Raumschiffen drangen von allen Seiten auf den Planeten ein. Die relativ großen grauen Gebilde attackierten die Welt unablässig mit schwersten Waffen aus dem Orbit. Vor allem Thermostrahlen zogen Schneisen der Vernichtung. Gebirge wurden verflüssigt, Wälder in Sekunden ver brannt. Von der Oberfläche kam kein nen nenswerter Widerstand – entweder, weil die Bewohner dem Angriff nichts entgegenzu setzen hatten, oder nicht mehr, weil jegliche Verteidigungsmöglichkeiten längst zusam men gebrochen waren. »Alarmiere Kythara«, sagte ich düster. »Was melden die Individualtaster?« Gorghs Greifenklauen klackten über di verse Eingabedisplays. »Auf dem Planeten messe ich rund neun Millionen Intelligen zen; die Werte werden laufend nach unten korrigiert. Während wir hier reden, sterben dort Hunderttausende Wesen.« »Und das, ohne sich wehren zu können. Das ist kein Krieg – das ist Massenmord!«, stieß ich verbittert zwischen den Zähnen Hervor. Kythara eilte in die Zentrale. Sie blieb ne ben mir stehen und prüfte alle Ortungsergeb nisse. Ich sah ihre goldene Gesichtsfarbe um eine Nuance blasser werden. Sie atmete tief ein. »Das ist kein Kampf. Das ist ein Massa ker.« Gorgh deutete mit einem der mittleren
Angriff der Togronen Handlungsarme auf eine rasend schnell zu sammenschrumpfende Zahl. »Nur noch sie ben Millionen Überlebende.« Kythara sah mich durchdringend an und machte eine abwehrende Geste. »Es ist furchtbar, was dort geschieht. Und trotzdem: Es geht uns nichts an. Es ist grausam – aber wir können, zumal in unserer Lage, nicht das Geringste tun.« Sie hat Recht!, mahnte der Logiksektor. Der gellende Annäherungsalarm und das dreifache Echo des Strukturtasters verdräng ten alle weiteren Gedanken. »Es sind drei«, rief Gorgh über den Lärm hinweg, ehe er den Alarm abschaltete. »Drei der fremden Raumschiffe. Aktivierte Waf fensysteme. Schutzschirme auf Paratronni veau. Schwärmen aus, nehmen Angriffsposi tionen ein. Distanz sechs Millionen Kilome ter. Vermutlich Waffenreichweite.« Unser Kombischirm stand längst, selbsttä tig durch die Hauptpositronik hochgefahren. Kythara übernahm die Pilotenfunktion, ich warf mich auf meinen früheren Platz vor den Waffenkontrollen. Der zentrale Rechner blendete genauere, neu erfasste Daten ein: Die grauen Schiffe bestanden aus einer Bugkugel von 337 Me tern Durchmesser, aus deren größter Aus dehnung sich der längliche Schiffskörper wie ein gekrümmtes Horn erstreckte; die Länge der dunkelgrauen Röhre betrug 1300 Meter. »Außenhaut besteht aus beschussverdich tetem Verbundmetall«, las Gorgh laut vor. »Niveau liegt allerdings unterhalb von Var ganstahl. Waffenemissionen bestätigen: auf Intervallbasis arbeitende Strahlkanonen, 45 Stück an der Zahl. Dazu Thermo- und Im pulsstrahler; Desintegratoren; und jede Men ge Werfer für Projektilwaffen.« »Zeigen wir ihnen, dass wir nichts von ih nen wollen.« Kythara steuerte die AMEN SOON auf einen Kurs, der von den drei hornförmigen Schiffen fortführte. Unbeeindruckt rasten die drei Fremden hinterher. »Die Schiffe sind geringfügig leistungs
13 schwächer als wir«, meldete Gorgh. »Maximale Beschleunigung liegt bei hoch gerechneten 870 Kilometern je Sekunden quadrat.« Die AMENSOON vermochte mit etwas höheren 950 Kilometern je Sekundenquadrat zu beschleunigen. »Noch 63 Sekunden bis Wiedereintritts geschwindigkeit«, sagte Kythara. Dicht neben der AMENSOON entstand eine hohe Energiekonzentration im All. Und gleich darauf wieder eine, noch näher am Kombischirm. Es kam zu geringfügigen Überschlagsentladungen. »Warnschüsse!« meldete Gorgh-12. »Überlichtschneller Intervall-Einzel beschuss. Es ist von zwei der drei Schiffe ausgehendes Punktfeuer. Hochgerechnet würde uns eine vollständige Salve aller drei Hornschiffe zu 75 Prozent belasten.« Damit hatten die fremden Raumer einen Namen erhalten. »Funkanruf«, rief ich, als ich ein entspre chendes Signal an der Kommunikationsstati on bemerkte. »Antworte ihnen«, bat Kythara. »Wir brauchen ganz gewiss nicht noch mehr Fein de in Dwingeloo.« Ich transferierte die Komverbindung zu mir herüber und aktivierte den Kanal. Ein Holo baute sich neben mir auf. Wenn die Abbildung lebensecht wieder gegeben wurde, dann war das fremde Wesen gewiss zwei Meter groß. Zwei Beine, zwei Arme, ein Kopf bilde ten die Fortsätze eines massigen, kugeligen Rumpfes von entfernt humanoiden Propor tionen. Damit erschöpften sich alle Ähnlich keiten. Die Beine glichen plumpen Säulen. Die Arme schienen eher bewegliche Tentakel zu sein; statt der Finger erkannte ich an den En den je sieben filigrane Hautlappen. Bis hin unter zur Hälfte der Säulenbeine war die Ge stalt des Fremden mit grauer, eng anliegender Kleidung bedeckt. Rote Einschlüsse fie len mir auf, die Taschen oder technische Ge genstände sein mochten. Die untere Hälfte
14 der Beine war, ebenso wie die Tentakelar me, nackt. Ich sah sich überlappende, dun kelbraune, fast schwarze Hornplatten, die in Hornverdickungen endeten, die wie schwe re, paarige Hufe wirkten. Das Haupt des Wesens war das Befremd lichste: Ein kantiger Schädel, mehr hoch als breit, endete am Hinterkopf in einer lang ge streckten hornartigen Verlängerung. Der Fortsatz von etwa einem halben Meter erin nerte mich an einen irdischen Pterodon der Vorzeit. Im Gesicht verloren sich noch stär ker alle Vergleichsmöglichkeiten mit huma noiden Erscheinungsformen. Drei senkrech te Schlitze verliefen dort, wo Lemurerab kömmlinge eine Nase hatten; ein breiter trichterförmiger Mund bewegte sich vor und zurück, als wäre er ausstülpbar. Die faust großen blassblauen Augen trennten eine hor nige Stirn von der unteren Gesichtshälfte. Sie saßen an den Kanten des wuchtigen Schädels und blickten aus tiefen Höhlen in die Aufnahmeoptik. Der Fremde stand neben einer mit zahlrei chen Unebenheiten übersäten Konsole. Der Hintergrund verschwamm in dunklen, sich auflösenden Konturen aus Braun und Grau. »Das Criil-System gehört zum Reich der Togronen«, bellte die Gestalt in ihre Kom munikationseinheit. »Ihr …« Erst jetzt schien er mich bewusst wahrzu nehmen. Er starrte mich an. Seine Pupillen verengten sich zu Punkten. Er machte eine heftige, peitschende Bewegung mit dem Tentakelarm. Die Verbindung wurde abrupt unterbrochen. Das Holo erlosch. »Bei Arkons Göttern!«, entfuhr es mir. Dachte man sich die Kleidung fort und an dere Lichtverhältnisse hinzu, dann … Ky thara wandte sich mir zu. »Sothin«, rief ich. »In der Station der Lordrichter. Dort haben wir dieses oder ein solches Wesen bereits gesehen. Das also sind die Togronen.« »Die Kalarthras erwähnte«, bestätigte Ky thara. »Jener Togrone auf Sothin – was hatte er ausgerechnet in der Station der Lordrichter zu suchen?«
Michael H. Buchholz Kythara deutete auf die uns immer noch begleitenden Hornraumer. »Versuch die Verbindung wiederherzu stell …« Der Rest ihres Satzes ging im Quä ken des Angriffsalarms, im Hochfahren der Fusionsreaktoren und dem Brummen der Schutzschirmgeneratoren unter. Die Optiken der Panoramagalerie verdun kelten sich unter dem Ansturm der gleißen den Helligkeit, die in der Schutzschirmstaf fel tobte. »Intervallbeschuss!« Der kleine Insektoi de fuhr mit hektischen Bewegungen über seine Kontrollen. Ein anschwellendes Rau schen und Krachen steigerte sich in ein ho hes Singen, immer wieder durchbrochen von dumpfem Gedröhn. »Sie feuern Salventakt! Belastung liegt schon bei 78 Prozent. Wir sollten schleunigst verschwinden.« Kythara winkte zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. Sie ließ die AMENSOON mit äußersten Werten beschleunigen. Wäh rend des kurzen Verständigungsversuches hatte sie die Geschwindigkeit beibehalten, die wir bis dahin erreicht hatten: Sie lag bei 44 Prozent Licht. Bis zur 50-Prozent-LG-Marke, der minimalen Ein tauchgeschwindigkeit in den Überlichtflug, konnte es daher nur noch Sekunden dauern. Die kollabierenden Strukturtaster vermit telten ein anderes Bild. »Dendibokot!« Es war das erste Mal, dass ich die Varganin lauthals fluchen hörte. Acht Golfballraumer materialisierten knapp eine halbe Million Kilometer voraus und eröffneten sofort das Feuer. Übergangs los begann die AMENSOON aus sich selbst heraus zu singen und zu knistern. Aus dem Singen wurde sekundenschnell ein Dröhnen, das Knistern erwuchs zu einem gequälten metallischen Knacken. Die Hauptkugelspei cher im oberen Teil der Doppelpyramide grollten und wummerten dumpf, sodass ich es körperlich zu spüren meinte. Wie passend, konstatierte der Extrasinn. Unsere undichte Stelle arbeitet perfekt. Irgendwie gelang es der Varganin, das Schiff unversehrt durch die unüberschaubare
Angriff der Togronen Wand aus Blaufeuer zu steuern, die die Zaqoor uns in den Weg legten – und dabei den acht Kugelgiganten auszuweichen. Wir verloren allerdings wertvolle Ge schwindigkeit und konnten daher nicht in den Hyperraum entkommen. Immerhin ra sten wir »unterhalb« der Kugelraumer durch und hinter ihnen leicht aufwärts. Das brachte die Garbyor zwischen uns und die drei To gronen. »Nicht feuern!«, rief Kythara. »Ich brau che jedes Quantum Energie für die Impul striebwerke. Außerdem brauche ich drin gend ein paar Ideen. Ich nehme diesmal auch welche von ganz jungen Unsterblichen. Hast du Vorschläge?« »Ich denke unentwegt darüber nach.« Tatsächlich war es so, dass ich auch kei nen anderen Ausweg erkennen konnte als Gorgh: schnellstmögliche Flucht. Nur – so lange wir die fast als sicher anzunehmende undichte Stelle mit uns herumschleppten, verschoben wir damit bestenfalls den Hand lungsort, nicht aber die Handlung selbst. Und die bestand darin, uns zu vernichten. Offenbar hatten die Lordrichter neue Befeh le erteilt. Nicht mehr: Fangt Atlan lebend!, sondern: Stellt ihn, egal wie! Ich horchte in mich hinein, doch auch der Extrasinn schwieg. Hieß das, es gab keine erkennbare Lösung? »Denke bitte schnell. Ich mag übrigens nicht, was ich da vor uns sehe. Gorgh?« Auf der Panoramagalerie bildeten sich Abertausende von positronisch generierten Punkten. Sie schimmerten rot. Noch wäh rend ich hinüberschaute, verdoppelte sich ih re Anzahl und wuchs weiter. Es sah aus, als würde die Galerie von unsichtbaren Beob achtern mit Blut besprenkelt. Ein neben Ky thara entstehendes Holo zeigte die sphäri sche Ausdehnung: Die Punkte bildeten ein Lichtminuten durchmessendes, halbkugel förmiges, engmaschiges Netz, dessen Mittel punkt ohne Zweifel die AMENSOON war, um den herum es sich zusammenzog. »Marschflugkörper«, diagnostizierte Gor gh. »Mit Impulsund Mini-
15 Transitionstriebwerken. Ihrer Geschwindig keit nach sind sie bald wieder sprungbereit.« »Dendi … Zählung?« Gorghs Greifklauen tanzten. »Rund eine Million Echos«, sagte er dann. »Ebenso oft werden wir von Tasterstrahlen erfasst.« »Noch weitere Neuigkeiten?« Kythara steuerte das Schiff in eine weite Kurve. »Die Togronen und die Zaqoor eröffnen das Feuer.« Ich schüttelte den Kopf. »Was ist daran neu?« Gorgh stieß ein rasselndes Geräusch aus. »Sie beschießen sich gegenseitig.«
* Vier der Golfballraumer warfen sich den drei Togronen entgegen. Die anderen vier Zaqoor teilten sich zu Paaren. Zwei verfolg ten uns. Die beiden anderen flogen einen Abfangkurs. Sie strebten dem Punkt zu, an den uns Kytharas Kurve aus der drohenden Netzumschließung durch die Marschflug körper führen würde. Die Hornschiffe wichen ihrerseits den Garbyor aus. Sternförmig stoben sie ausein ander. Dennoch gerieten alle drei in wahre Blaufeuerkaskaden. Der Kampf eskalierte, als der erste Togrone binnen fünfzehn Se kunden in einem gewaltigen Feuerball ex plodierte. Damit standen jedem Hornschiff doppelt so viele der Kugelgiganten gegen über, die nun begannen, ihre Feuerkraft mit koordiniertem Punktbeschuss zu intensivie ren. »Wie hoch ist die Besatzungsstärke der Hornraumer?«, fragte ich. »Etwa 2900 Individualimpulse«, antwor tete Gorgh. Wenn es bisher Zweifel daran gab, ob die Garbyor es ernst meinten, waren sie hiermit ausgeräumt. Bilder des mannigfachen Todes drangen aus der Erinnerung auf mich ein. Ich hatte in meinem langen Leben etliche Raumschlach ten erlebt; so viele, dass ich aufgehört hatte, sie zu zählen. Ich hatte in 13.000 Jahren als
16 Befehlshaber immer wieder selbst Zehntau senden, wenn nicht Hunderttausenden von tapferen Männern und Frauen Befehle er teilt, erteilen müssen, die ihnen im Verlauf der jeweiligen Schlacht den Tod brachten. Manchmal waren meine Einschätzungen falsch gewesen, oder, schlimmer noch, sie hatten sich als unvermeidbar herausgestellt. Doch niemals, weder in meiner Jugend noch als Lordadmiral der USO oder in den späte ren Zeiten, hatte ich mich auch nur annä hernd damit abfinden, geschweige denn dar an gewöhnen können: wenn mit einem Schlag Tausende von Wesen einfach aus dem Universum getilgt wurden. Und Besat zungen von der Bevölkerungsgröße einer kleinen Stadt wie im Fall des Togronen schiffes einfach mit einem Fingerdruck ver nichtet wurden. Auch waren Kämpfe manchmal unvermeidbar, der vorsätzlich und gewaltsam herbeigeführte Tod stellte für mich doch immer nur das letzte, das wirklich äußerste aller Mittel dar. Krieg war immer der falsche Weg. Er war sinnlos und dumm. Und Opfer bei den Feinden ebenso wie bei den eigenen Einheiten machten mich stets erneut betroffen. Für die Truppen der Lordrichter galten of fensichtlich andere Maßstäbe. »Die ersten Marschflugkörper transitie ren.« Gorghs Meldung riss mich aus meinen jäh aufblitzenden Erinnerungen. »Mindestens tausend …« Sein weiterer Satz ging in gewaltigen Ex plosionen unter, die das Raumgefüge um un seren Kombischirm erschütterten. Ein Ruck ging durch die AMENSOON. Energielohen wurden in den Hyperraum abgeleitet. Die Explosionen in und um den Schirm rissen nicht ab. Immer mehr fliegende Bomben materialisierten und setzten ihre Vernich tungskraft bei der Wiederverstofflichung frei. Mikro-Gravitationswellen im Innern der Schirmstaffel beutelten die Außenwand der AMENSOON. Ein schmerzhaftes klin geln kam irgendwoher und überlagerte das Prasseln der einzelnen Schläge. »Ich kann nichts gegen die Dinger tun!«,
Michael H. Buchholz schrie ich über das pausenlos hereinbrechende Hämmern hinweg. »Das Netz ist zu weit weg. Und wenn sie hier erscheinen, sind sie zu nah!« Kythara antwortete nicht sofort. Hochkonzentriert saß sie vor den Kontrol len. Ihre Finger tanzten über die Konsole. Eine neue Welle von Marschflugkörpern re materialisierte und verging in einer Wand aus berstendem Feuer. Nicht direkt in unse rem Schirm, sondern ein Stück in Flugrich tung. Kythara schaffte es, mit einem Verrin gern des bisherigen Kurvenbogens die ver wehende Wand nur zu streifen. Dies verlän gerte den Weg der beiden Golfballraumer, die uns abzufangen versuchten. Vor uns lag der freie Raum. Keine Marschflugkörper. Keine Garbyor. Kythara beschleunigte sofort mit allem, was die varganischen Impulstriebwerke zu leisten im Stande waren. »Wünsch uns Glück, Arkonide.« Das war der Moment, in dem vor uns sechs Hornraumer rematerialisierten und so fort das Feuer eröffneten.
* Unwillkürlich zuckte ich zusammen – ei ne ganz und gar irrationale Bewegung, aber mein Körper vollführte sie ohne mein Zutun. Es war eine Art Reflex, als ich es bei den Togronen aufblitzen sah. Dabei hätte mich allein die Tatsache, dass ich das Aufblitzen sehen konnte, beruhigen müssen – falls die Schüsse uns gegolten hätten, wäre es mir bei den überlichtschnellen Waffen nur möglich gewesen, die Treffer wahrzunehmen. Vor ausgesetzt, unser Schirm hatte den Gewalten weiterhin standgehalten. Die Togronen stürzten sich statt auf uns mit aller Macht auf die beiden Kugelgigan ten der Zaqoor, die uns den Weg abzu schneiden versucht hatten. Für den Augen blick ignorierten sie uns – beinahe. Nur ei nes der 1300 Meter langen Hornschiffe be schleunigte in einem anderen Winkel und flog in dieselbe Richtung wie wir. Seine In
Angriff der Togronen tervallkanonen schleuderten Breitseite um Breitseite und zwangen der AMENSOON eine weitere Kursänderung auf. Einmal mehr gelang es uns damit nicht, die für den Ein tritt in den Hyper- oder Linearraum erforder liche Mindestgeschwindigkeit zu ent wickeln. Kythara warf einen raschen Blick über die Schulter. »Was machen deine Ideen, Atlan? Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt.« Ehe ich antworten konnte, schlugen neu erliche Treffer in den Kombischirm. Blau weiße Schlieren umtanzten das Schiff. Dann prasselte eine ganze Serie von blauen Licht kometen auf uns hernieder – die uns verfol genden beiden Golfballraumer waren auf Schussweite herangekommen. Ein mehrmaliges Bersten aus dem Schiff sinnern hob sich von allen anderen Ge räuschen ab. »Was war das?« Warnlichter an Gorghs Konsole flammten auf. »Ausfall der Masse-Energie-Konverter sieben bis neun! Schirmbelastbarkeit sinkt rapide. Mehr als 75 Prozent verkraften wir nicht mehr!« Die Waffensubpositroniken erfassten die mittlerweile auf parallelem Kurs fliegenden Garbyor. Der Abstand für die Gravo-Zyks war ideal. Ich aktivierte die gravomechani schen Feldwirbelbündel. Violette Spiralen hüllten die Kugelgiganten ein, die ihren Dauerbeschuss unterbrachen. Kythara riss die AMENSOON herum, was uns dank der geringeren Geschwindigkeit eher möglich war als den Gegnern. Wir hatten eine winzige Atempause erhal ten. Dafür näherten wir uns jetzt wieder der Front aus Togronen und Zaqoor und damit der Kampfzone, in der die fünf Hornschiffe gegen die beiden Garbyor vorgingen. Immer mehr Marschflugkörper erschienen zur Un terstützung der Togronen, um sofort zu Tau senden in den sich dunkelgrün verfärbenden Schutzschirmen der Golfballraumer zu ex plodieren. Hinter uns schwenkten die beiden Kugel
17 giganten herum und schlossen zu den vier restlichen Zaqoorschiffen auf, die ebenfalls dem zweiten Kampfplatz zustrebten. »Was jetzt, Admiral?« Kytharas Worte verrieten zum ersten Mal das Gefühl der Ausweglosigkeit. Zu unserer Backbordseite spannte sich wie eine Halbkugel das nach innen geöffnete Netz der Marschflugkörper. Steuerbord vor aus verlief die Kampfzone, in der sich die Togronen und Garbyor heftige Gefechte lie ferten. Steuerbord achteraus raste der Ver band aus sechs Golfballraumern heran. Wo hin wir uns von hier aus auch wendeten, in jeder Richtung lauerte der Tod. Meine Augen sonderten salziges Sekret ab. Ich gab keine Antwort, weil es keine Antwort mehr gab. Ein weiteres Bersten aus dem Schiffsinne ren erschütterte die AMENSOON. »Konverter sechs.« Gorghs Stimme war fast nicht zu verstehen. Das war der Moment, in dem die Bereit schaftsanzeige der Zyklonbänke vor mir er losch. »Gravo-Zyks nicht länger einsatzbereit«, meldete ich dumpf. Kythara drehte sich zu mir um. Unsere Blicke trafen sich. Ich blin zelte das Sekret fort, versuchte ein Lächeln. Die Varganin hob wie bedauernd die Schul tern. »Achtung – Nahortung!« Gorgh beugte sich tief über die Anzeigen. »Ein weiteres Schiff materialisiert unmittelbar neben uns! Breite 1300 Meter, Höhe 1840. Alle Waf fensysteme sind feuerbereit!« Kythara und ich fuhren herum und starr ten wortlos auf die Darstellungsfelder der Panoramagalerie. Was wir dort sahen, war das Letzte, was wir zu sehen erwartet hatten.
3. Die Verlängerung des Seins Blau schimmernde Schutzschirme. Dahin ter eine unüberschaubare Fläche aus golde nem Stahl, in dem sich das Licht der ent fernten Sonne als winziger Punkt widerspie
18 gelte. »Das ist doch …«, entfuhr es mir. »Ein varganischer Großraumer«, flüsterte Kythara. Die Wiedereintrittsgeschwindigkeit des gigantischen Oktaeders war der unseren an gepasst. Deshalb schienen die AMENSOON und der varganische Riese dicht nebeneinan der zu schweben. In Wirklichkeit rasten bei de Doppelpyramiden mit etwa 45 Prozent der Lichtgeschwindigkeit dahin. »Woher …?«, wollte Gorgh wissen. »Nicht woher«, unterbrach ihn Kalarthras, der unversehens in der Zentrale stand. »Sondern wer? Das ist die entscheidende Frage.« »Verbindung herstellen!«, forderte Kytha ra. »Ich mache das«, sagte der Vargane. Er eilte an das nächste Kommunikationstermi nal. Noch während Kalarthras die Zentrale durchquerte, änderte der Großraumer seinen Kurs. Die Irislamellenpforten aller Waffen projektoren waren geöffnet. Die ausgefahre nen Waffentürme wirkten wie goldene Sta cheln. Stacheln, aus denen sich pulsierend flim mernde Helligkeit ergoss. Eruptionen, die ein Inferno gebaren. Das einzelne Togronenschiff, dessen Breitseiten uns oft verfehlt, aber ebenso oft getroffen hatten, wurde von den Waffen der wesentlich größeren Doppelpyramide erfasst – und beinahe beiläufig vernichtet. Die ersten beiden der sechs uns nachset zenden Golfballraumer wuchsen in Sekun den zu wabernden Glutbällen heran, die in sich überlappenden Explosionen vergingen. Die Schirme der nächsten beiden Kugelrau mer flackerten in grellem Grün, als sie in die berstenden Schiffe hineinrasten. Sie gerieten ebenfalls unter sekundenlangen Dauerbe schuss. Nach kaum einem Atemzug wehten ihre Schirme davon. Die Golfballhüllen zer platzten in einem brodelnden Feuerorkan. Die letzten beiden Garbyor-Schiffe such ten ihr Heil in der Flucht. Aber der vargani-
Michael H. Buchholz sche Großraumer ließ ihnen nicht einmal den Trost der Hoffnung. Überlichtschnelle Schockimpulsbündel holten sie ein, kaum das ihre Geschwindigkeit zugenommen hat te. Die paratronähnlichen Schirme der Zaqoor loderten auf, schafften es jedoch bei weitem nicht, die Energien vollständig in den Hyperraum abzuleiten. Strukturrisse wuchsen aufeinander zu und gingen ineinan der über. Als die Schirme kollabierten, setz te der Riese die Gravo-Zyklon-Projektoren ein. Die Golfballschiffe verwandelten sich in feinen, glitzernden Nebel aus mikrofeinen Stahlpartikeln. Es gab keinen einzigen Über lebenden. »Wer ist das?«, fragte Gorgh entsetzt. »Er hat mit einem Schlag rund 22.000 Garbyor vernichtet.« »Er antwortet nicht«, meldete Kalarthras. Ich starrte dem varganischen Ungetüm nach und hatte Mühe, meine Benommenheit abzuschütteln. Wer auch immer diesen Ko loss steuerte – er ging offenbar mit äußerster Kompromisslosigkeit vor. Und er spielte sei ne technischen Möglichkeiten voll aus. Was in diesem Fall hieß: Er ging viel weiter, als er sollte oder musste. Ich konnte kaum fassen, was ich mit eige nen Augen ansehen musste. Kythara fragte hart: »Kennst du das Schiff, Kalarthras?« »Ich bin nicht sicher …« Der weißhaarige Vargane wiederholte seinen Funkanruf. Wieder bekam er keine Antwort. Und das Grauen war noch nicht zu Ende. Der goldene Reflex auf der Panoramaga lerie nahm nun Kurs auf das Gefecht, in das die Hornraumer immer noch mit den beiden letzten Kugelschiffen verwickelt waren. In zwischen hatten die Togronen herbe Verlu ste erlitten. Nur noch drei der länglichen Konstruktionen setzten den Schlagabtausch mit den Zaqoor fort; das vierte Schiff brann te an vielen Stellen und trudelte, sich bestän dig überschlagend, am Rand der Kampfzone dahin. Der fünfte Hornraumer war aus der Ortung verschwunden. Der varganische Riese fuhr – anders ver
Angriff der Togronen mochte ich es nicht zu sagen – unter die Kämpfenden wie ein Haluter in der Drang wäsche. Beide Parteien hatten nicht den Hauch einer Chance. Die Gravo-Zyks pulverisierten die Marschflugkörper. Die Schockimpulswerfer deckten Togro nen und Garbyor gleichermaßen ein. Fünf kurz nacheinander aufblühende Ex plosionen besiegelten das Schicksal beider Verbände. In nicht einmal einer Minute hatten an die 43.000 Intelligenzwesen ihr Leben lassen müssen. Ich verstand diese immense Brutalität nicht. Es war dem Befehlshaber des vargani schen Großraumers nicht darum gegangen, uns herauszuhauen. Wer immer dort drüben befehligte: Er hatte ein grausames Exempel statuiert. Vorhin hatte mich der feige Überfall der Togronen auf den ersten Planeten förmlich angewidert. Vor diesem völlig überflüssigen Blutbad ekelte ich mich zutiefst. Obwohl da mit der Massenmord an den Planetarieren beendet worden war. Und obwohl wir nur dank des fremden Varganenschiffs mit dem Leben davonge kommen waren. Eigentlich hätte ich mich freuen müssen, doch ich konnte nicht. »Immer noch nichts«, beantwortete der Weißhaarige die stumme Frage Kytharas. »Ist das eure Art, Krieg zu führen?«, frag te ich die Frau erschüttert und erhob mich. Kythara wollte antworten, aber Kalarthras kam ihr zuvor. Er hob die Hand und winkte uns zu schweigen. »Ruhe – ich habe Kontakt!« Nach ein paar Augenblicken des Lauschens schüttelte er den Kopf. »Nur ein verzerrter Funkim puls. Koordinaten. Sonst nichts. Kein Ab sender, kein Bild, keine Erklärung.« Er hob den Kopf und richtete seine völlig geschwärzten Augen auf mich. »Unsere Art, Krieg zu führen? Das fragst du? Wo du genau weißt, dass du diese Frage nicht einmal mehr würdest stellen können,
19 hätte dieses Schiff uns nicht im letzten Mo ment beigestanden? Ist das deine Art, dich dankbar zu zeigen?« Kalarthras hätte vielleicht noch weiterge sprochen. Sein auf die Panoramagalerie ge richteter Arm sank herab, unwillkürlich suchten wir den goldenen Reflex des varga nischen Riesen. Wir sahen das Großoktaeder Fahrt aufnehmen. Sein Kursvektor führte ihn dicht an dem torkelnden Togronenraumer vorbei. Ein einzelner Schuss löste sich aus der goldenen Dreieckswand. Der gebündelte Impulsstrahl verwandelte das brennende Wrack in eine hässliche Wolke aus Feuer und berstendem Stahl. Einen Moment später tauchte die Doppel pyramide in den Hyperraum ein. Mit dem letzten Schuss hatten sich die Toten dieser Schlacht auf 45.000 erhöht. Auf dem ersten Planeten der kleinen roten Sonne wurde indessen weiter gestorben. Ich verließ wortlos die Zentrale. Für den Moment wollte ich niemanden se hen. Ich setzte mich in einen der Aufent haltsräume. Trank einen heißen Becher des sen, was die Positronik der AMENSOON nach meinen Angaben als Syntho-Kaffee servierte. In meinem Magen grummelte es. Wie lange lag die letzte Mahlzeit zurück? Ich erinnerte mich dunkel an das Buffet des Festbanketts auf Cramar. Aber ich konnte nichts essen. Nicht nach diesem Tag. Nicht in der Nähe des Todes, der in diesem Sy stem so furchtbar gewütet hatte. Wie nannte es der Togrone? Criil-System. Ich fragte mich, was Criil wohl bedeutete. Ich saß be wegungslos da und betrachtete das Spiegel bild der Tasse auf der reflektierenden Tisch fläche. Ich goss den Rest der schwarzen Flüssigkeit fort. Wir hatten wider Erwarten überlebt. Auf eine Weise, die mir die Haare zu Berge ste hen ließ. Ich verspürte eine nicht näher greifbare Furcht bei dem Gedanken, welchen Preis wir dafür würden bezahlen müssen.
4.
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Michael H. Buchholz Der Bericht des Varganen
Als ich wieder die Zentrale betrat, waren vielleicht fünfzehn Minuten vergangen. Die AMENSOON befand sich im Linearraum und »schlich« mit nur neunmillionenfacher LG dahin. Kythara und Kalarthras standen beieinander und unterhielten sich. Gorgh be obachtete mit hin und her pendelndem Kopf die Orterholos. Seine vier Handlungsarme waren in knisternder Bewegung, teils, um Diagramme aufzurufen oder Holos hin und her zu schieben, teils, weil er in seiner kom plizierten Körpersprache die Gliedmaßen aneinander rieb. »… und ich denke, sie ist es doch«, sagte Kalarthras, als ich eintrat. Er bemerkte mich, wandte sich ab und setzte sich vor die Kom munikationseinrichtungen. Kythara lächelte mir zu, projizierte ein Ausschnittholo von Dwingeloo über ihre Konsole und deutete auf einen bestimmten Stern der Galaxis. »Die empfangenen Koordinaten bezeich nen eine Position nahe dieser Sonne.« Ihr Lächeln verschwand und wich einem ent schlossenen Gesichtsausdruck. »Ein schwa cher Hyperstrahler, dessen Emissionen den noch Tastimpulse breitbandig behindern. Er steht 281 Lichtjahre entfernt. Kalarthras und ich diskutierten gerade, ob wir dorthin flie gen sollen. Gorgh ist strikt dagegen. Er hält es für eine Falle. Wie denkst du darüber?« Tief Luft holend, sagte ich: »Wir wissen nicht, wer das Riesenschiff kommandiert. Wir wissen nicht einmal, ob wir es mit ei nem oder mehreren Varganen zu tun haben oder nicht. Wir wissen nur um die lebens verachtende Einstellung des- oder derjeni gen.« Ich wandte mich zu dem ehemaligen Lei ter der varganischen Expedition nach Ganta tryn um. »Ich will überhaupt nicht bestrei ten, dass wir dem rechtzeitigen Auftauchen des mysteriösen Fremden unser Leben zu verdanken haben. Ich mag mich nur nicht mit Leuten einlassen, die offenbar gewissen los sichtbar Unterlegene oder gar Wehrlose töten. Und eben das hat unser Freund ge
tan.« Ich blickte zu Gorgh hinüber. »Wieso denkst du an eine Falle?« Der kleine Insektoide richtete seine An tennenfühler auf mich. »Wenn du ein Lord richter wärst, Atlan«, antwortete der zu uns übergelaufene Daorghor, »was würdest du tun, um einer bestimmten Person lebend habhaft zu werden? Insbesondere, wenn die se besagte Person nicht gefangen genommen werden will?« Gorgh verließ die Ortungskonsole und reckte sich zu seiner ganzen Größe von ei nem Meter fünfzig vor mir auf. Er deutete in einer verblüffend menschlich anmutenden Geste auf mich. Um mit mir Blickkontakt aufzunehmen, musste er den Kopf in den Chitinnacken legen. Seine blauen Facetten augen funkelten. »Wäre ein Plan nicht gut?«, fuhr der Hy perphysiker fort. »Ein Plan, der vielleicht folgende Elemente hätte? Erstens: Du bringst die Person, um die es dir geht, in Lebensgefahr. Zweitens: Du sorgst dafür, dass die Per son davon überzeugt ist, um ihr Leben fürchten zu müssen. Dann entsendest du drittens den großen Retter, der die Person gerade noch rechtzei tig aus der vermeintlichen Klemme heraus holt. Idealerweise kommt der Retter – viertens – in Gestalt eines vertraut wirkenden Schif fes daher. Du übermittelst fünftens die Koordinaten eines geeigneten Treffpunkts. Wie zum Bei spiel den einer nahen, schwach hyperstrah lenden Sonne. Du wartest sechstens nur noch ab, bis sich die von dir gesuchte Person aus eigenem Antrieb in deine Falle hineinbegibt, und schon hast du, was du wolltest: Du kannst deinen Gegner lebend fangen. Würdest du – als Lordrichter – einen solchen Plan zumin dest erwägen?« Wie oft hast du genau solche KommandoOperationen in der Vergangenheit schon ge plant und erfolgreich durchgezogen?, wis
Angriff der Togronen perte der Extrasinn. Gorghs Analyse ist mit einer Wahrscheinlichkeit von 72 Prozent richtig. »Was du sagst, hat eine Menge für sich«, sagte ich. »Danke.« Der ameisenähnliche Wissenschaftler senkte die Antennenfühler und nahm ra schelnd seinen Platz wieder ein. »Ich glaube davon kein Wort.« Kalarthras winkte ab. »In unserer Expeditionsflotte nach Gantatryn befanden sich genau fünf dieser Großraumer. Einer davon war das Flaggschiff, die GANTA. Ich bin nicht si cher, aber ich meine, dass wir sie vorhin er lebt haben. Und seid versichert: Es ist un möglich, ein varganisches Flaggschiff ohne äußere Schäden zu erobern. Und dieses Schiff hatte keine sichtbaren Beschädigun gen. Ein Stehlen ist ebenso ausgeschlossen, selbst wenn das Schiff Jahrzehntausende un bewacht irgendwo zurückbleiben musste. Zu massiv und zu redundant sind die Sicher heitsvorkehrungen. Nur ein Vargane könnte sie umgehen. Daraus folgt: Wer dieses Schiff fliegt, muss ein Vargane sein. Alle anderen Überlegungen sind schlichtweg un denkbar.« »Sind sie das: undenkbar? Oder lehnst du es nur ab, sie zu denken, weil nicht sein kann, was nicht sein darf?« Der Mann mit der graustichigen Haut und den vollständig schwarzen Augen erhob sich langsam. »Ich weiß, dass du nur ein Arkonide bist und dich deswegen mir unterlegen fühlst. Es macht mir auch nichts aus, dass du deswe gen feindselig reagierst. Ebenso toleriere ich deine Begehrlichkeiten, auch wenn sie in ei ne Richtung weisen, die dir nicht zustehen. Aber ich lasse nicht zu, dass du das großarti ge technologische Erbe unseres Volkes mit Unterstellungen beleidigst, die jeder Grund lage entbehren. Damit beleidigst du unseren Verstand und vor allem unseren Weitblick. Wenn ich dir als damaliger Expeditionsleiter sage, dass niemand, ich betone es noch ein mal, niemand ein varganisches Schiff an sich bringen kann, dann ist das so. Niemals
21 würde ein Vargane die nötigen Kodes verra ten.« »Nein«, sagte ich grimmig. »Natürlich nicht. Niemals. Ich bin keine Vargane und Gorgh auch nicht. Ich fliege die AMEN SOON, und ich bin im Besitz der meisten Kodes. Gorgh kennt sie auch, er fliegt die AMENSOON ebenfalls, und er ist sogar frü her ein wichtiges Mitglied im Lager unseres Gegners gewesen. Natürlich sind keine Ge gebenheiten denkbar, in denen ein Vargane die nötigen Kodes verrät.« »Du verdrehst mir die Worte im Mund, Arkonide.« Kalarthras wandte sich brüsk ab. Er ließ sich wieder in den Kontursitz sinken. »Ich wage nur, das Undenkbare zumin dest in den Bereich des Möglichen zu rücken.« »Schön«, sagte Kythara und trat zwischen uns. »Das reicht. Halten wir fest: Es kann ei ne Falle sein. Es muss aber nicht. Es kann auch sein, dass Atlan und Gorgh sich irren. Irre ich mich, wenn ich sage, dass wir der zeit nirgendwo sicherer sind als in der Nähe der Waffen dieses Großraumers?« Sie beantwortete ihre Frage selbst. »Ich weiß es nicht. Aber wir können vorsichtig sein, nicht wahr? Und das werden wir. Lässt uns herausfinden, wer das Großoktaeder fliegt. Und, Gorgh, Atlan, sollte es tatsäch lich ein Handlanger des Feindes sein – was ich, nebenbei gesagt, wie Kalarthras für un wahrscheinlich halte –, werde ich nicht eher ruhen, als bis ich ihm unser Eigentum wie der entrissen habe.« Ich hob die Hände und ließ sie wieder fal len. »Also gut: Fliegen wir hin und sehen, was passiert. Und, Kalarthras: Ich habe nichts gegen dich. Ich bin nur anderen Gedanken gängen gefolgt. Das ist alles. Falls ich dich verletzt habe, so geschah dies unabsicht lich.« Und das glaubst du selbst, ja?, lästerte der Extrasinn. Der Vargane brummte etwas Unverständ liches. Kythara nickte und nahm im Pilotensitz
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Platz. Sie transferierte die Koordinaten des neuen Zielpunkts in die positronische Steue rungseinheit und beschleunigte das Schiff. Der einzelne Stern wanderte ins Ziel kreuz. Gorgh-12 knackte mit seinen Mandibeln und pendelte den Kopf hin und her. Es sah aus, als würde er ihn in menschlicher Weise schütteln. Wenig später erreichte die AMENSOON die uns überspielten Koordinaten und fiel in den Normalraum zurück.
* Der goldene Großraumer wartete in einem sonnennahen Orbit. Kythara passte die AMENSOON in einem Abstand von fünf Kilometern der Bewegung des anderen Schiffes an. Kalarthras sendete einen varganischen Gruß. Diesmal kam sofort eine Verbindung zu stande. In dem entstehenden Holo erschien ein Vargane in einer eng anliegenden und metallisch schimmernden, bronzefarbenen Kombination, die in dunkelroten, kniehohen Stiefeln endete. Der handbreite rote Gürtel war mit etlichen Taschen besetzt. Kalarthras fuhr von seinem Sitz auf und starrte die Darstellung an, als könne er nicht glauben, was er sah, obwohl er selbst zumin dest einen Varganen an Bord des Großokta eders erwartet hatte. Der gewinnend lächelnde Mann im Holo war von deutlich größerer Gestalt als ich. Alles an ihm vermittelte den Eindruck von pulsierender Kraft: die beeindruckend breiten Schultern seines perfekt durchtrai nierten Körpers; die beinahe spürbare, vi brierende Spannkraft seiner hoch aufgerich teten, fast hoheitsvollen Haltung; das kanti ge, wie gemeißelt wirkende Gesicht, der Blick seiner durchdringenden, goldfarbenen Augen. Sein rotgoldenes Haar trug er finger kurz, was ihm einen militärischen Anstrich gab. Eine kühn geschnittene Nase und ein markantes Kinn prägten sein ausdrucksstar-
kes Gesicht. »Vamatan – ich grüße euch«, erklang sei ne sonore Stimme, deren rauer Unterton an etliche glücklich überstandene Stürme eben so denken ließ wie an unbarmherzigen Ka sernenhofdrill. »Und freue mich sehr, euch zu sehen. Wie habt ihr die Schlacht über standen? Seid ihr wohlauf?« Kythara neigte leicht den Kopf. »Vamatai – Ich grüße dich. Und ich danke dir für un sere Rettung. Danke, es geht uns gut. Einige Schadensfälle an den Konvertern, das ist al les; die Selbstreparaturroutinen laufen. Kei ne Verletzten, ja, wir sind wohlauf.« Der fremde Vargane nickte und deutete eine Verbeugung an. »Wir kennen einander nicht. Darf ich euch daher einladen, mich an Bord meines Schiffes zu besuchen? Künfti ge Verbündete sollten einander in die Augen sehen, während sie den Begrüßungsbecher erheben. Ich würde mich freuen, euch an Bord der GANTA empfangen zu dürfen. Mein Name ist …« »Veschnaron!«, fiel ihm Kalarthras un vermittelt ins Wort. »Das ist doch …« Der fremde Vargane wandte sich Kalar thras zu. »Ah, ich sehe, man hat mich noch nicht vergessen. Du hast Recht, ich bin Ve schnaron. Da ich niemals meines Amtes ent hoben wurde, soweit ich weiß, bin ich im mer noch der Flottenkommandeur der Gan tatryn-Expedition – und zurzeit zugleich die vollständig angetretene Besatzung meines ruhmreichen Flaggschiffs. Wann darf ich mit eurem Kommen rechnen?« »Veschnaron!«, rief Kalarthras abermals. »Ich bin …« »Einverstanden?« Der Vargane an Bord der GANTA lachte dröhnend. »Wie schön. Es ist lange her, dass ich mit Angehörigen meines Volkes reden konnte. Sagen wir, in einer halben Stunde? Ich übermittle euch umgehend die Transmitterzugangskodes. Seid aufs Herzlichste willkommen.« Die Verbindung wurde unterbrochen. Die Hauptpositronik bestätigte den Empfang der Kodes. Kalarthras wandte seine schwarzen Augen
Angriff der Togronen von dem sich auflösenden Holo ab. Er wirk te betroffen, regelrecht beleidigt und empört. »Ihr habt es gesehen, ja? Er hat mich nicht erkannt. Ich bin sein ältester Freund. Ge meinsam haben wir die Gantatryn-Expediti on vorbereitet und durchgeführt. Als Leiter der Expedition war ich sein Vorgesetzter; Veschnaron war für die Ausrüstung und den Einsatz der Schiffe verantwortlich und be kam als Flottenkommandeur den militäri schen Oberbefehl. Er hat mich nicht erkannt. Es ist nicht zu fassen!« Ich sah Kythara fragend an. »Nimmst du seine Einladung an?« »Wir gehen«, sagte sie bestimmt. »Zu dritt. Kalarthras, du und ich. Gorgh hält Bordwache. Wenn unser Retter wirklich Ve schnaron ist, dann ist er über jeden Zweifel erhaben.« »Er hat seinen ältesten Freund nicht er kannt«, gab ich zu bedenken. »Vielleicht, weil er ihn überhaupt nicht erkennen konnte? Weil er ihn nie zuvor gesehen hat?« »Ich weiß sehr gut, wie sehr ich mich ver ändert habe«, kam es missbilligend von Ka larthras. »Ich erkenne mich ja selbst kaum mehr im Spiegel. Aber er wird sich wieder erinnern, sobald wir uns gegenüberstehen. Da bin ich sicher.« Brüsk drehte er sich um und stapfte zum Ausgang der Zentrale. Kythara lachte und schritt ihm hinterher. »Wir gehen hinüber«, wiederholte sie. Im geöffneten Schott verhielt sie kurz und sagte über die Schulter zu mir: »Ich halte Kampfanzüge für die passende Garderobe. Zufrieden?« Sie warf die golde ne Haarmähne zurück und verschwand im Gang, der zu ihrer Kabine führte. Gorgh-12 kam um seine Konsole herum und legte mir leicht eine Greifklaue an den Arm. »Nun?«, fragte er leise. Seine großen Facettenaugen schimmerten. Ich sah mich darin in winzigen Abbildern tausendfach gespiegelt. Es knisterte, als ich mich erhob und er den Kopf in den Nacken legte. Seine Antennenfühler spielten unstet.
23 »Ich werde aufpassen, Gorgh. Ich habe deine Worte nicht vergessen.« Der Insektoide klickte zufrieden mit den Mandibeln und zog sich wieder zurück. Tausendfacher Narr, kommentierte der Extrasinn, als ich die Zentrale verließ.
* Der dunkelrot glühende varganische Transmitterring erlosch. Wir stiegen über ei ne Treppe von der etwa einen Meter über dem Boden befestigten Metallplatte herab und sahen uns um. Die hiesige Gegenstation war eine der kleinen, über das Schiff verteil ten und meist dem Interntransport dienenden Nahtransmittereinheiten. Wie an Bord von Varganenraumern üblich, gab es auch hier das allgegenwärtige, leicht blaustichige Licht, das aus Deckenplatten austrat. Die Stiefel unserer goldenen Kampfanzüge er zeugten einen hohlen Widerklang auf den metallenen Trittstufen. Die Helme waren ge öffnet; sie lagen inaktiv als flache Kapuzen auf dem Rücken. Es war kein Veschnaron zu sehen, der uns willkommen hieß. Die Beschriftungen an den Wänden, die typischen indirekten Leuchtkörper, die ver wendeten Materialien, Farben und Muster waren ohne Zweifel varganischen Ur sprungs. Details, dir mir entgingen, veran lassten den Logiksektor zu einem bestäti genden Impuls: Wir befanden uns wirklich an Bord eines echten, uralten Oktaeder schiffs. Ein Diagramm zeigte uns den Schiffsquerschnitt und daneben den Aufriss plan des Decks – der Transmitterraum be fand sich unweit der Zentrale. Wir bewegten uns auf der Hauptebene der GANTA, auf dem Deck mit der größten Ausdehnung, dort, wo die beiden Pyramidenhälften anein ander stießen. Ein Schott fuhr auf. Drei der ovalen, gold farbenen Servorobots schwebten summend herein, die Tentakel angelegt. Sie waren un bewaffnet. »Veschnaron bittet euch, uns zu folgen«,
24 sagte eine der Maschinen. Ich deutete Kythara eine Verbeugung an und machte eine übertrieben galante Geste zum offen vor uns liegenden Gang. »Schönheit voran.« »Danke«, antwortete der Servorobot und schwebte uns voraus aus dem Transmitter raum. Kythara und ich grinsten einander zu und folgten. Kalarthras murmelte etwas vom Verfall der Sitten. Die drei goldenen Servos eskortierten uns bis zu einem Besprechungs raum unmittelbar neben der im Vergleich zur AMENSOON wesentlich größer dimen sionierten Zentrale. Doppeltüren schoben sich zur Seite. Wir traten ein. Ein ovaler Tisch stand im Zentrum des Raums, mit Sitzgelegenheiten für 24 Perso nen. Die Stirnwand beherrschte ein decken hohes, von hinten angestrahltes Kunstwerk: eine Wandskulptur aus Metall, die einer Sonne ähnelte. Goldene und rote Strahlen unterschiedlichster Länge und Stärke gingen von einem gemeinsamen Mittelpunkt aus und verloren sich in nadelfeinen Spitzen. Das Werk des unbekannten Künstlers wirkte erhaben und erhebend zugleich, es vermittel te Kraft und den Eindruck von Bedeutsam keit. Davor stand Veschnaron. Lächelnd. Voll unbändiger Energie. Ein Sieger. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte. Er war nicht der erste Vargane, den ich zu Gesicht bekam. Mit achtzehn Jahren hatte ich Ischtar und andere Angehörige ihres Volkes kennen gelernt, und seit einer Weile stand ich in engem Kontakt mit Kythara und Kalarthras. Alle Varganen waren auf eine schwer fassbare, intensive Weise beeindruckend. Ih re körperliche und geistige Überlegenheit spielten sie zwar nur selten aus, aber sie war immer gegenwärtig. Ihre Bewegungen wa ren anders, gezielter, ausdrucksstärker, ge lassener, nuancierter, verhaltener und doch – prägnanter als jene aller anderen humanoi den Völker. Die goldene Haut, die perfekten
Michael H. Buchholz Gesichter, die goldfunkelnden Augen, darin der allwissende Ausdruck eines Lebens jen seits der Zeit … Kytharas verlockend anmu tende, fast hypnotische Weiblichkeit ent sprach in ihrer Wirkung vollauf Ve schnarons überwältigender, männlich domi nanter Ausstrahlung. Vor uns stand der unumstrittene Herr der GANTA. Ein Flottenkommandeur, der eine ganze Galaxis den Seinen geschenkt hatte. Ein Großer unter den Großen seines Volkes. Alle Imperatoren aus Arkons Glanzzeit zu sammen, dachte ich, kämen in all ihrer Pracht und Würde und trotz der sie umge benden Aura der Macht nur schwer gegen das Charisma an, das diesen über zwei Me ter großen und achthunderttausend Jahre alten Unsterblichen umgibt. Die funkelnde, metallene Sonne hinter ihm verlieh der Szenerie, zusammen mit dem Spiel der Beleuchtung und seinem überlegenem Auftreten, den Habitus einer beinahe göttlichen Erscheinung. »Noch einmal – vamatan!«, sagte er mit sonorer Stimme. »Willkommen an Bord der ruhmreichen GANTA.« Veschnaron klatschte in die Hände. Die drei Servorobots reichten uns geschliffene Gläser mit goldfarbenem Inhalt. Auch der Vargane ergriff ein Glas. Schweigend tran ken wir einander zu. Es war kein Wein, son dern ein Getränk von mir unbekannter Her kunft. Ich nippte höflich daran. Der Vargane quittierte es mit einem wissenden Lächeln. Dann setzte er das Glas ab und trat näher. »Mein Name ist euch geläufig, wie ich hör te. Darf ich nun erfahren, mit wem ich das Vergnügen habe?« Kythara legte Kalarthras die Hand auf den Arm und sagte, ehe dieser sprechen konnte: »Wir sind uns nie begegnet, gleichwohl ich deinen Namen kenne. Ich bin Kythara; die AMENSOON ist mein Schiff. Dort steht At lan. Er ist ein Freund unseres Volkes und ein treuer Kampfgefährte. Und hier ist jemand, an den du dich wohl erinnern wirst.« Damit schob sie Kalarthras vor. »In der Tat, mir ist, als hätte ich dich
Angriff der Togronen schon einmal gesehen.« Veschnaron zog die Stirn in grüblerische Falten und ging einmal um Kalarthras herum. »Warte, ich habe es gleich … Deine schwarzen Augen verwirren mich. Ebenso die weißen Haare. Und deine Haut ist so dunkel … Kann es sein, dass wir … Nein, ich wusste nicht …« Hier hielt es Kytharas einstiger Geliebter nicht mehr aus. »Ich bin Kalarthras!«, schnaubte er em pört. Ein Strahlen ging über Veschnarons Ge sicht. Erstaunen mischte sich mit innigster Freude. »Aber – natürlich!« Er schüttelte ungläu big den Kopf. »Verzeih einem alten Freund, Kalarthras. Die langen Jahre ohne Zahl … Wo habe ich nur meine Augen gehabt? Ich hielt dich für tot oder zumindest verschollen. Aber ja, jetzt erkenne ich dich. An meine Brust, mein lieber, alter Freund.« Ehe Kalarthras sich dagegen wehren konnte, umarmte Veschnaron ihn und drück te ihn rau, aber herzlich an sich. Dann schob er ihn auf Armeslänge von sich fort. Mit sei nen Pranken, hielt er Kalarthras' schmale Schultern umfasst. »Wie lange ist das jetzt her?« »Fünfzigtausend Jahre. In den Ruinen von Vrigan.« Veschnaron zögerte. »Ich erinnere mich. Wir fragten uns, wo die Rhoarxi geblieben sein mochten. Du hast von deiner bevorste henden Reise gesprochen, nicht wahr?« Veschnaron führte Kalarthras an den Tisch und bat uns ebenfalls, Platz zu neh men. »Vergebt mir und vor allem du, Kalar thras«, begann er mit einem bedauernden Lächeln, nachdem wir uns gesetzt hatten. »Wenn ich die Wiedersehensfreude in dieser Stunde nur kurz halte, ist dies gewiss nicht unhöflich gemeint. Die Erinnerungen müs sen warten. Die Gegenwart erfordert umso mehr unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Unser Zusammentreffen ist für mich von höchster Wichtigkeit. Es ist die einmalige Gelegenheit, nach der ich seit sechs Mona
25 ten Ausschau halte. Eine schicksalhafte Fü gung, wenn ihr so wollt. Wir müssen die Garbyor in ihre Schranken weisen. Mit allen Mitteln.« Den letzten Satz sprach er mit Nachdruck. »Ich denke nicht, dass wir so vorgehen dürfen wie …«, begann ich, doch Ve schnaron fuhr schon fort: »Ich war lange fort. Zu lange vielleicht. Über mehrere Jahrzehntausende durchstreif te ich das Universum. Ich war an vielen Or ten und sah viele Dinge, und all das würde uns gewiss mehrere Jahrhunderte beschäfti gen, ebenso wie eure Erlebnisse. Jetzt aber geht es um mehr, um Dringenderes! Wir müssen den Lordrichtern von Garb Einhalt gebieten! Vor etwa einem halben Jahr erfüll te mich eine wachsende innere Unruhe, de ren Grund ich nicht verstand. Deshalb kehrte ich nach Gantatryn zurück – und traute mei nen Augen kaum. Die Garbyor entwickeln überall in der Sterneninsel Aktivitäten. Vor allem aber dort, wo sich die Versunkenen Welten unseres Volkes befinden. Atlan, du weißt um die Ruinenwelten der lange ver schwundenen Ornithoiden?« Er sprach mich damit zum ersten Mal persönlich an. Seine Augen nahmen mich plötzlich wahr; sein Blick senkte sich in selten erlebter Eindring lichkeit tief in den meinen. »Sprichst du von den Rhoarxi?« Er nickte heftig. »Ganz genau. Welche ih rer Planeten kennt ihr?« Ehe Kythara oder Kalarthras etwas sagen konnten, antwortete ich. »Ich kenne Alar na.« Ich hielt dem Blick, ohne zu blinzeln, stand. »Die Rhoarxi dort strebten nach bau meisterlicher Perfektion in einer Weise, die selbst noch die Ruinen ausstrahlen.« »Dann kannst du dir eine Vorstellung ma chen. Dieses Streben nach Perfektion findest du in allen Bauwerken und auf allen einst von diesen Wesen besiedelten Welten wie der. Galadat bildet da übrigens keine Aus nahme.« »Galadat?« Kalarthras hob fragend die Brauen.
26 Veschnaron lächelte milde. »Eine der ge heimen Forschungswelten unseres geschätz ten Freundes Haitogallakin. Ich gebe es zu, es war ein Zufall, den Planeten zu entdecken – oder auch nicht, wenn man an derlei Dinge glaubt. Doch ich greife in meiner Eile vor. Haitogallakin … Wusstest du, dass es ihm um die Herstellung einer ständig und beid seitig nutzbaren Verbindung zwischen die sem Universum und dem der Varganen ging – dem Mikrokosmos? Er führte auf verschie denen Forschungsplaneten Experimente durch, die – genau wie die in der AnaksaStation des Dunkelsterns – auf modifizierten Umsetzer-Aggregaten basierten. Die Positio nen der verstreuten Welten waren nur weni gen bekannt. Ich gehörte nicht dazu. Die subplanetaren varganischen Stationen dort entsprachen unserem Standard.« Anaksa! Er kennt den Namen der Dunkel stern-Station! Der unerwartete scharfe Im puls des Extrasinns ging vermutlich mit ei nem geänderten Blick meinerseits einher, denn Veschnaron hielt in seiner Erklärung inne und sah mich prüfend an. »In den jeweiligen technologischen An forderungen unterscheiden sie sich selbst verständlich. Leider«, fügte er kopfschüt telnd hinzu, ohne auf dieses Bedauern näher einzugehen. Veschnaron erhob sich und begann, im Raum hin und her zu gehen. Er breitete die Arme aus, als wolle er ganz Dwingeloo um fassen. »Und Haitogallakin hat tatsächlich erste Teilerfolge erzielt. Ich war als Flottenkom mandeur zu keiner Zeit in seine Experimente eingebunden und wurde nur am Rande infor miert. Ich weiß auch nicht, was aus den Ex perimenten wurde, nachdem ich Gantatryn verlassen hatte. Aber – nach den mir vorlie genden Informationen, die ich in den ver gangenen Monaten sammeln konnte, besteht für mich nicht mehr der geringste Zweifel. Die Lordrichter interessieren sich massiv für die varganischen Umsetzer-Experimente. Ich fürchte, sie haben vor, in den Mikrokos mos einzudringen, um irgendetwas zu initi-
Michael H. Buchholz ieren. Und sie tun alles, um ihre Bestrebun gen schnellstmöglich voranzutreiben. Fast so, als würde ihnen die Zeit davonlaufen. Fragt mich bitte nicht nach Gründen. Fest steht: Wer ihnen in die Quere gerät, wird aus dem Weg geräumt.« »Du erwähntest Galadat«, sagte Kalar thras. »Diesen Namen habe ich noch nie ge hört, obwohl mir Gantatryn recht gut be kannt ist … oder war.« Wir blickten den vor der Sonnenplastik stehenden Flottenkommandeur fragend an. »Ah ja.« Veschnaron lächelte breit. »Galadat. Dazu komme ich gleich. Zuerst möchte ich Atlan eine Frage stellen. Gibt es auch in deinem Volk Sagen über fast unver wundbare Helden, die nur an einer einzigen Körperstelle eine Schwäche haben und nur so zu töten sind?« Die uralten Mythen um Ganvallon oder Thyreider, zählte der Logiksektor auf. Auf Terra waren es dagegen Siegfrieds Schulter, auf die sich das Lindenblatt beim Bad im Drachenblut setzte, oder Supermans Anfäl ligkeit für Kryptonit. »Ich weiß, was du meinst«, nickte ich. »Es gibt wohl kaum ein Volk, das nicht ver gleichbare Mythen besitzt. In meiner Hei matgalaxis kennt man dafür den Begriff Achillesferse. Worauf willst du hinaus?« Er ergriff sein Glas und trank einen Schluck, ehe er sagte: »Nun, Galadat könnte sich als eine solche Schwachstelle erweisen. Womöglich habe ich mit Haitogallakins dor tigem Stützpunkt die – wie sagst du? –, die Achillesferse der Lordrichter gefunden.« Jetzt noch ein Trommelwirbel, und die Show wäre perfekt, lästerte der Extrasinn. Veschnaron machte eine theatralisch an mutende Handbewegung. Ein unsichtbarer Servo im Inneren des Tisches aktivierte ein Holo. Langsam drehte sich ein etwa einen Meter durchmessendes Abbild der Galaxis Dwingeloo in Kopfhöhe. Auf einen Wink von ihm schaltete sich eine Ausschnittver größerung ein. »Galadat steht hier. Er umkreist diese gelbweiße Doppelsonne.«
Angriff der Togronen Ein roter Lichtkreis markierte das entspre chende Gestirn. »Zwei Gründe sprechen für meine Annah me. Erstens: Beide Sonnen sind starke Hy perstrahler. Im Raum zwischen den Sternen sammelt sich eine stetig wachsende Menge der Schwarzen Substanz des Dunkelsterns an. Mittlerweile hat die klumpende Masse die Ausdehnung eines großen Gasriesen er reicht – bisher ohne die Sonnen zu befallen. Offensichtlich existiert eine permanente di rekte Verbindung mit dem Dunkelstern. Ihr wisst, welche Bedeutung die Lordrichter den dortigen Vorgängen beimessen? Ihr kennt die Truppenmassierung der Garbyor im Hel lin-System?« Kythara nicke bestätigend. Wir hatten dort vor knapp einem Monat mindestens 15.000 Raumschiffe geortet, darunter allein 5000 Kugelgiganten der Zaqoor. Veschnaron setzte sich wieder. »Alle Ak tivitäten der Lordrichter stehen mit den Um setzer-Experimenten in untrennbarer Ver bindung. Daraus folgt, dass auch die Schwarze Substanz des Dunkelsterns damit zusammenhängt. Galadat liegt im Ein flussbereich eines besonderen Transferortes dieser Substanz. Haitogallakin hat genau hier aufwändige Forschungen betrieben, die den Durchbruch zum Mikrokosmos zum Ziel hatten. Für Haitogallakin muss Cabjarl – so lautet der Eigenname des Stützpunkts auf Galadat – von extremer Bedeutung ge wesen sein. Alle Einrichtungen dort sind mit Fallen und Sicherungsmechanismen förm lich gespickt. Was immer Haitogallakin sei nerzeit an Ergebnissen fand, er hat sie jeden falls streng verwahrt wissen wollen. Das ist der zweite Grund, warum ich glaube, Gala dat könne uns von Nutzen sein.« »Damit ich dich recht verstehe«, fasste Kythara zusammen. »Du meinst, wenn wir die Daten Haitogallakins innerhalb Cabjarls finden können, erfahren wir damit auch einen Weg, einen tödlichen Pfeil in Achilles' Ferse zu schießen?« Sie kennt nicht nur Moraht-Them, son dern auch Homer, konstatierte der Extra
27 sinn. Du hattest den Pfeil mit keinem Wort erwähnt. Veschnarons Ansicht ist logisch und fundiert. Sind im Innern des Stützpunkts Forschungsdaten von Haitogallakin zu fin den, enthalten sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch indirekte Hin weise auf die wahren Ziele der Lordrichter. Veschnaron neigte seinen kantigen Schä del. Sein goldfarbener Blick glitt von Kytha ra zu mir. »Wie weit ist es von hier bis Galadat?«, wollte ich ohne Umschweife wissen. »Nur knapp 11.000 Lichtjahre. Ihr seid selbstverständlich herzlich eingeladen, den Flug an Bord der GANTA zu verbringen. Die AMENSOON schalten wir mit der Hauptpositronik meines Schiffes synchron. So können beide Schiffe jederzeit starten.« Kythara erhob sich und trank den letzten Schluck aus ihrem Glas. »Dann also auf nach Galadat. Atlan? Ka larthras?« Der weißhaarige Vargane nickte. »Ich bin müde und würde mich während des Fluges gern irgendwo ausruhen.« »Du kannst unter wirklich sehr vielen freien Quartieren wählen, mein alter Freund.« Veschnarons Geste umfasste das gesamte Schiff. »Und du, Atlan?« »Ich werde unseren Kameraden Gorgh-12 benachrichtigen und dir dann in der Zentrale Gesellschaft leisten«, versprach ich. »So sei es.« Der Flottenkommandeur er hob sich und eilte uns mit kräftigen Solda tenschritten voraus. Nacheinander verließen wir den Bespre chungsraum. Ist Veschnaron zu trauen?, fragte ich mental mein zweites Selbst. Keiner der Punkte, die Gorgh aufzählte, ist ausgeräumt, wisperte es zurück. Doch das ist nicht das Entscheidende. Bedenkli cher finde ich, dass Veschnaron mit seiner brutalen Vorgehensweise gegenüber den To gronen und Garbyor davongekommen ist. Wohlgemerkt: Es gab bis auf deinen Ver such auch keine Gelegenheit dazu, aber er hat dich einfach abgeschmettert, und nie
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mand hat etwas entgegnet. Wüsste ich nicht, dass du mentalstabilisiert bist, würde ich be haupten, dass in seiner unmittelbaren Nähe ein unbekannter Einfluss existiert, der be stimmten Gedankenverbindungen die Grundlage entzieht oder bestimmten Gedan kenverbindungen Vorschub leistet. Als ich Kalarthras in einer der um die Zentrale befindlichen Kabinen verschwin den sah, ertappte ich mich bei einer eigenen Unterlassungssünde. Niemand von uns hatte Veschnaron gegenüber von der »undichten Stelle« erzählt. Wir mussten weiterhin jeden Augenblick damit rechnen, von den Garbyor verfolgt und angegriffen zu werden.
5. Die Verlagerung des Schwerpunkts Als wir das namenlose Doppelsonnensy stem erreichten, war der 2. Juli 1225 NGZ nach meinem Armbandchronometer vier zehn Stunden alt. Der 11.000 Lichtjahre weite Flug war überraschenderweise ohne ernsthaften Zwi schenfall geblieben. In den Schutz des über starken Antiortungsfeldes der GANTA gehüllt, hatten beide Schiffe mehrere unter schiedlich lange Orientierungsstopps einge legt, ohne auf Garbyor gestoßen zu sein. Auch andere Begegnungen waren ausgeblie ben. Insofern hätte es ein ruhiger Flug sein können. Sein müssen, präzisierte der Extrasinn. Doch das Gegenteil war der Fall gewesen. »Holprig« war die Vokabel, die den bis herigen Flugverlauf noch am ehesten cha rakterisierte. Veschnaron saß die ganze Zeit über im Kontursitz des Piloten. Die Zentrale der GANTA war zwar wesentlich größer als ihre technologische Schwester in der AMEN SOON, die einzelnen Stationen aber waren in ähnlicher Weise angeordnet und verteilt. Ich fand mich schnell zurecht, Kythara so wieso. Die GANTA verfügte über die glei chen Subsysteme, die es einem einzelnen Varganen ermöglichten, das Schiff allein zu
manövrieren. Kythara hütete sich, dem Flottenkomman deur ungefragt ihre Hilfe bei der Bedienung der GANTA anzubieten. Das wäre nach var ganischen Begriffen unhöflich gewesen. Sie setzte sich gleich nach ihrem Eintreten in ein für etwaige Gäste bestimmtes Areal der Zentrale und genoss es, Veschnaron bei der Arbeit zuzusehen – zunächst. Sie winkte mich neben sich, nachdem ich Gorgh über Funk von unserem Entscheid unterrichtet hatte. Servos versorgten uns mit einem Im biss und heißen Getränken. Die Positroniken beider Schiffe wurden vernetzt, die AMEN SOON mit einem Traktoranker an die GAN TA gekoppelt. Gorgh brauchte fortan nichts mehr zu tun; die GANTA schleppte Kytha ras wesentlich kleineres Schiff problemlos mit sich fort. Die tatsächlichen Probleme begannen, nachdem wir in den Hyperraumflug einge treten waren. Veschnaron diskutierte immer wieder leise – und auffallend lange – mit der Hauptpositronik, sobald es um Leistungspa rameter ging, die in ihrer Abstimmung erst einen harmonischen Flug gewährleisteten. Routineentscheidungen, die Kythara fast nebenbei erledigt hätte, schienen Ve schnaron immer wieder Kopfzerbrechen zu bereiten. Mehrmals warnte der Zentralrech ner des Schiffes den Piloten vor zu niedrigen oder zu hohen Werten. In der vorletzten Hyperraumetappe beugte sich Kythara sogar erschrocken vor, als Veschnaron die Umlei tung eines Datenstroms falsch adressierte und dieses Missgeschick zu einem unbeab sichtigten Hochschnellen der Plas maflussdichte in den Fusionsreaktoren führ te. Die GANTA beschleunigte bis zur Lei stungsgrenze. Die sechsdimensionale Dak kar-Komponente des Kyri-Triebwerks droh te aktiv zu werden. Wir schossen mit einem ÜL-Faktor von über 100 Millionen förmlich über unser Ziel hinaus und waren gezwun gen, nach einem neuerlichen Orientierungs austritt umzukehren. Vor diesem Ereignis bemerkte Ve schnaron nicht. Wie es in einem der Masse
Angriff der Togronen Energie-Konverter zu einem Teilabriss des Strukturfeldes kam, mit dem in transmitter ähnlicher Form beliebige Materie in Energie umgewandelt wurde. Der Wirkungsgrad sank unter die normalerweise erreichten 85 Prozent; nicht umgewandelte Materie schlug als superheißer Plasmastrahl in einen der nachgelagerten Hauptkugelspeicher ein. Die Schiffsdiagnostik erkannte selbstverständ lich den Fehler. Sie fuhr rechtzeitig – mithin binnen Nanosekunden – Sicherheitsprallfel der hoch und korrigierte automatisch die Feldstärke nach eigener Einschätzung, ehe die notwendigen Selbstreparaturprozesse eingeleitet wurden. Dennoch wären die ent standenen Schäden zu vermeiden gewesen. Es war dabei nicht die Tatsache, dass der Flottenkommandeur den Abriss des Struk turfeldes nicht bemerkte, die mich irritierte. Viel mehr als das verwunderte mich Ve schnarons vorangegangener und selbst mir aufgefallener schwerer Bedienungsfehler, der das Problem überhaupt erst nach sich ge zogen hatte. Entweder ging Veschnaron sehr bedenken- und fast verantwortungslos mit der varganischen Technik um und vertraute den Selbstreparaturroutinen blind, oder er besaß als Pilot bei weitem nicht Kytharas spielerische Souveränität. Ich konnte mir weder das eine noch das andere vorstellen – hatte er nicht behauptet, seit Jahrtausenden mit der GANTA durchs Universum gereist zu sein? Selbst der dümmste Pilot sollte nach so langer Zeit zu besseren Leistungen imstande sein – und sagte mir zunächst, dass die Bedienung des Großoktaeders wahr scheinlich mehr als eine Person erforderte und sich die Fehler aus dem Unterschreiten der Mindestbesatzung erklärten. Kytharas oftmaliges Kopfschütteln schien jedoch zu signalisieren, dass dem nicht so war. Der erste Orientierungsaustritt verlief nor mal, sah man von Veschnarons gewähltem Austrittspunkt ab. Wir kamen viel zu nah an einer roten Riesensonne heraus, deren Protu beranzen uns schon umhüllten, ehe die Alarmsirenen gellten. »Ein Programmierfehler«, erklärte Ve
29 schnaron ungerührt. Unbeabsichtigt habe er auf den 50.000 Jahre alten Sternkatalog zu gegriffen, den er noch immer in den Schiffs speichern belassen und nicht auf den neue sten Stand gebracht hatte. Kythara betrachte te minutenlang ihre Fingernägel. Der zweite Ortungsaustritt entlockte Ve schnaron ein erstauntes »Nanu?«, ohne dass er uns mehr dazu sagte. Stattdessen führte er ein längeres Zwiegespräch mit der Hauptpo sitronik. Erst nach einer Viertelstunde be schleunigte er den Verbund der beiden Raumschiffe wieder und leitete die nächste Überlichtetappe ein. Kythara warf mir ein mal mehr einen unergründlichen Blick zu, unterließ es aber, diese und danach alle wei teren Unsicherheiten Veschnarons zu kom mentieren. Nach dem notwendig gewordenen Wen demanöver erreichten wir endlich und viel später als angenommen das Galadat-System. Ich atmete auf – und das zu früh. Die beiden Sonnen standen in rund 12 Lichtstunden Abstand zueinander. Der schwerere weiße Stern war von mehr als zweieinhalbfacher Solgröße mit einer Ober flächentemperatur von 6050 Kelvin. Die we niger heiße gelbe Sonne besaß an der Ober fläche eine Temperatur von »nur« 5740 Kel vin. Beide Sterne waren überstarke natürli che Hyperstrahler, die ein Strahlgewitter mit chaotischen Bedingungen produzierten. Im so genannten Librations- oder Lagran gepunkt zwischen den beiden Komponenten – 10 Milliarden Kilometer von der weißen Sonne und rund 3,1 Milliarden Kilometer von der gelben Sonne entfernt – sammelte sich die von Veschnaron beschriebene Schwarze Substanz zu einem großen Klum pen von der Masse eines Gasgiganten. Ver größerungen zeigten auf der Panoramagale rie eine schwarzblau brodelnde Oberfläche, in der es zu ständigen hyperenergetischen Blitzen und heftigsten Strukturerschütterun gen kam. Noch schien keine der beiden Son nen von der Dunkelsternmaterie befallen worden zu sein, wie wir dies an anderen Or ten beobachtet hatten, wo Materialisationen
30 der Schwarzen Substanz erfolgt waren. Die gelbe Normalsonne verfügte über zwei Planeten. Eine Treibhauswelt mit we nig mehr als halber Erdschwerkraft kreiste auf der inneren Bahn. Der bis zu 750 Grad Celsius heiße Planet besaß keinen Mond und durchmaß 9072 Kilometer. Der äußere Planet war Galadat. Er kreiste in einer mittleren Entfernung von 196,8 Mil lionen Kilometern um sein Muttergestirn und war mit einem Durchmesser von 17.192 Kilometern wesentlich größer als die mir so vertraute Erde. Er brauchte für sein langes Jahr 838,46 planetare Tage zu je 16 Stun den. In einer normalen Umgebung hätte der Flug in seinen Orbit keine Schwierigkeiten bereitet. In diesem System aber herrschten gänzlich andere Bedingungen. Durch die starke Hyperstrahlung der bei den Sonnen bildeten sich weit über das Sy stem hinausreichende Interferenzen. Die Verstärkungen und Abschwächungen form ten ein den Raum durchdringendes hyper physikalisches Feldliniengeflecht ähnlich dem Wellenmuster, das sich ergab, wenn man zwei Steine gleichzeitig in einen See fallen ließ. Wie ein derartiges Wellenmuster ein Blatt auf diesem See tanzen lassen und es hin und her werfen würde, wirkten die unsichtbaren Feldlinien in hyperphysikali schem Maßstab auf jedes Raumschiff ein, das sich zwischen ihnen zu bewegen wagte. »Haltet euch fest«, warnte Veschnaron nach dem Wiedereintritt. »Das meine ich wörtlich. Von einem Augenblick zum näch sten kann es zu Aussetzern der Schiffsaggre gate kommen – falls ich wider Erwarten vom Weg abkommen sollte.« Er lachte, als sei die Vorstellung an sich ein Ding der Un möglichkeit und als hätte er einen alten Raumfahrerscherz zum Besten gegeben. Aber ich bemerkte seine hohe Konzentration und die Vorsicht, mit der er die GANTA zwischen den Feldlinien entlangsteuerte. Es kam kein einziges Mal zu den ange drohten Aussetzern, aber in über einem Dut zend Fällen zu radikalen Bremsmanövern
Michael H. Buchholz und harten Richtungsänderungen. Beinahe in Schleichfahrt näherten wir uns dem blau grün schimmernden Planeten. Als wir in einen Orbit am Rand der Atmosphäre ein schwenkten, bemerkte ich Veschnarons ver stohlenes Aufatmen. Er antwortete nur ein silbig auf Fragen nach dem Standort Cab jarls und lenkte nach zwei Umkreisungen die beiden Raumschiffe tiefer in die Lufthül le des Planeten. Galadat entpuppte sich als schillernde Wasserwelt mit nur einem einzi gen, allerdings sehr großen Kontinent na mens Djerkyn. An die 12.500 Kilometer weit erstreckte sich die Landmasse in nord südlicher wie ostwestlicher Ausdehnung. Das Land schien nur aus Brauntönen zu be stehen; vergeblich suchte ich Wälder und Savannen, sah weder Sümpfe noch hell leuchtende Wüstenflächen vorübergleiten. Nur Braun- und Ockertöne, zwischen denen mäandernde Flüsse die einzige farbliche Ab wechslung boten. Dann, beim Näherkom men, erkannte ich den Grund dafür. Jeder verfügbare Meter Boden war der Natur entrissen worden – und mit Winkeln und Kanten, mit runden, eckigen, spitzen und stumpfen Formen überzogen. Der gesamte Kontinent ist mit einander überwuchernden Bauten bedeckt!, erkannte der Extrasinn, während sich mein Verstand noch weigerte zu glauben, was die Augen längst erfasst hatten. Eine einzige, riesige, durchgehende Be bauung erstreckte sich von Küste zu Küste, reichte bis in die Berge hinauf und wucherte an einigen Stellen sogar über die natürlichen Höhen hinaus. Die Grenzen waren dabei fließend: Es war mir unmöglich zu sagen, wo das eine Gebäude aufhörte und das näch ste begann. Ich unterschied zwar Türme, Brücken, Rampen, tempelähnliche Bauten, sah Stadien oder Arenen, erblickte Kuppel dächer und gigantische Quader, gewahrte Bögen und Unterführungen, und doch war alles untrennbar ineinander verwoben, ge schoben, gedrückt worden. Sämtliche Anlagen bestanden aus mächti gen bräunlichen Sandsteinblöcken. Und alle
Angriff der Togronen wiesen die untrüglichen Zeichen des überall gleichen, Jahrtausende währenden Verfalls auf: verwitterte Kanten, gesprungene Mau ern, gekippte Säulen, eingestürzte Dächer, von Wind und Wetter abgeschliffene Wän de, in deren Risse Pflanzen eindrangen und sich einnisteten, um alle Bauten Stück für Stück der Natur zurückzugeben und sie Jahr um Jahr allmählich, aber unaufhörlich zu überwuchern, der Kunstfertigkeit der einsti gen Erbauer zum Trotz oder Hohn. »Rhoarxi«, sagte Veschnaron. »Nur einen Bereich Djerkyns haben sie ausgelassen. Rund um den See. An seinem Ufer werden wir landen.« Stumm starrten wir auf die Panoramagale rie und sahen dem verwirrenden Schatten spiel zu, das die Doppelpyramidenkörper der beiden Varganenschiffe über die Ruinen der Rhoarxi warfen. Wer waren diese seltsamen Ornithoiden gewesen? Was hätte sie dazu veranlasst, einen ganzen Kontinent förmlich zu überbauen? Was war mit ihnen gesche hen? Müßige Fragen … Und doch wünschte ich mir, ich hätte mehr Zeit erübrigen kön nen, um auch diesem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Der Extrasinn nannte mich einmal mehr und wohl zu Recht einen senti mentalen Narren. »Dort ist er …«, murmelte Veschnaron. »Chingar, der Quecksilbersee.« »Der was?«, fragte ich verblüfft. »Ein See aus Quecksilber?« »Binnenmeer trifft es wohl eher.« Kythara deutete auf die Panoramagalerie. Wie ein Spiegel glänzte es in der Ferne. Die Luft darüber flimmerte. Als wir näher kamen, weitete sich der An blick in eine riesige Fläche, deren Grenzen mit dem Horizont verschwammen, als sich die Schiffe langsam niedersenkten. Die auto matisch eingeblendeten Messwerte ließen mich zuerst an einen Tasterfehler glauben: In Nord-Süd-Richtung erstreckte sich der See über 384 Kilometer, in OstWest-Richtung sogar bis über 502 Kilometer aus. Die Tiefe gab die Positronik mit bis zu sieben Metern an.
31 Die Wahrscheinlichkeit spricht gegen eine natürliche Entstehung, behauptete der Extra sinn. Der Untergrund des Sees sowie die Land schaft ringsum bestanden aus uraltem vulka nischem Gestein. Die Folge davon war ein in dieser Größe wohl einmaliges Natur schauspiel. Das Quecksilber des Sees rea gierte mit dem Schwefel des Gesteins und verband sich mit ihm zu Quecksilbersulfid, einem Molekül, das die Terraner auch Zin nober nannten. Ein etwa zweihundert Meter tiefer Streifen rings um das zerklüftete Ufer leuchtete daher in schönstem Zinnoberrot. Alles Leben war aus dieser hochgiftigen Zo ne verschwunden, es gab weder Pflanzen noch Tiere. Mit roten Kristallen überzogene Gesteinsbrocken von unterschiedlichster Größe bedeckten die Uferregion. Hier hatten die Rhoarxi keine Bauten errichtet; die näch sten Mauern erhoben sich erst in etwa zwan zig Kilometern Entfernung. »Was immer Haitogallakin für seine For schung benötigte – an Quecksilber hat es ihm jedenfalls nicht gemangelt«, versuchte ich einen müden Witz. Veschnaron maß mich mit einem irritier ten Blick. »Der See ist ein ungeklärtes Rhoarxi-Erbe. Haitogallakin hatte damit gar nichts zu tun.« Immerhin hat er seinen Stützpunkt in auf fälliger Nähe des Sees erbaut, gab der Extra sinn zu bedenken. Die Gründe dafür entzie hen sich vorerst unserer Kenntnis. Eine positronisch in das Panoramabild eingespielte Grafik zeigte uns die Umrisse des kreisförmigen, 40 Kilometer durchmes senden und größtenteils subplanetarisch an gelegten Stützpunkts Cabjarl an. Sein grund legender Aufbau entsprach weitgehend dem von Maran'Thor auf Mara IV. Wenig später aktivierten beide Schiffe ih re Landekraftfeldpolster und setzten nahe dem Ufer des gewaltigen Sees auf. Die AMENSOON wurde aus der Veran kerung mit der GANTA entlassen. Veschnaron bat um eine kurze Ruhepau se. Er wirkte erschöpft und murmelte etwas
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von lange entbehrtem Schlaf. »In einer Stunde dringen wir in den Stütz punkt ein. Ich werde Kalarthras benachrich tigen.« Dann verließ er noch vor uns die Zentrale und verschwand in den Tiefen der GANTA. Kythara und ich suchten den nächstgele genen Transmitterraum auf und wechselten zur AMENSOON hinüber. Die Varganin hatte vor, zusammen mit Gorgh eine Unter suchung der hier im System gesammelten Daten durchzuführen. Ich wünschte ihr viel Erfolg und rief eine der Hochgeschwindig keits-Prallfeld-Sphären. In Windeseile trug sie mich auf das unterste Deck hinab. Wenig später verließ ich das Schiff durch die Bo denschleuse.
* Eine halbe Stunde später 02. Juli 1225 NGZ, 18.15 Uhr Standard. Die Außenmikrofone übertrugen das Knirschen meiner Stiefelsohlen auf dem un wirklich roten Uferstreifen. Sonst war kein Geräusch zu vernehmen. Feine Wolken roten Kristallstaubes auf wirbelnd, ging ich langsam über ein flach abfallendes Kiesel- und Geröllareal in Rich tung der Seegrenze. Der Wind fegte die Staubfahnen vor mir her. Den Helm hatte ich geschlossen; die giftigen Quecksilber dämpfe hätten mich trotz des Zellaktivator innerhalb weniger Minuten getötet. Eine Be wegung am Rande meines Sichtfeldes ließ mich herumfahren. Ich glaubte einen zu rückzuckenden Schatten zu sehen, der hinter einem Felsen verschwand. Die Stabwaffe entsichernd, lief ich, die vorhandene Deckung ausnutzend, einen weiten Bogen. Als ich in gebückter Haltung den verkruste ten Gesteinsblock umrundet hatte, sah ich dahinter einen Trichter feinen Sandes tan zen, den eine heftige Böe den Felsen ent langpeitschte. Keine Gefahr, wisperte es in meinen Ge danken. Du bist überreizt und seit zu vielen Stunden auf den Beinen.
Am Landungspunkt der beiden Schiffe war es früher Nachmittag. Die Oktaeder schwebten im Schutz ihres Antiortungs- und Sichtschutzfeldes in rund achtzehnhundert Metern Entfernung über dem zinnoberroten Untergrund. Sie wirkten jetzt optisch wie nebeneinander liegende, von Nebel verhangene Berge. Die metallene Oberfläche des Sees verlor beim Näherkommen ihren Glanz. Mit weiß lichen, gelben, schwarzen und roten Kristal len überzogene Gesteinsbrocken schwam men im Quecksilber, wobei die zinnoberro ten Anteile deutlich überwogen. Dünne, rot verfärbte Wasserpfützen breiteten sich über all auf der eigentlichen, keineswegs ebenen Seeoberfläche aus. Das Quecksilber befand sich in ständiger, aber unendlich langsamer Bewegung. Die roten Pfützen sammelten sich in den kaum wahrnehmbaren Wellentälern und quollen den Bewegungen des flüssigen Me talls folgend in alle Richtungen. In der Ferne war als flirrender Eindruck der Dampf zu er kennen, der von dem Quecksilber aufstieg. Herannahende dunkle Wolken schluckten, noch während ich am Ufer stand, das Licht beider Sonnen. Heftiger Wind trieb den ro ten Staub über den See. Ich kniete nieder und ließ das Quecksilber durch meine be handschuhten Finger rinnen. Wozu hatten die Rhoarxi einen derart irr sinnigen Vorrat an Quecksilber wie diesen Mammutsee gebraucht? Irrsinnig heißt, dass sich die Sinne irren, ließ sich der Logiksektor vernehmen. Du siehst nicht, was du siehst. Das Quecksilber könnte ein Nebenprodukt ihrer Bautätigkeit sein. Oder der See stellte einen Ort dar, den sie als schön empfanden. Vielleicht verehr ten sie auch Quecksilber, weil es als einziges Metall bei den hiesigen Temperaturen in flüssiger Form auftritt? Solange du nicht mehr über die Ornithoiden weißt, bleibt al les pure Spekulation. Die Spektralanalyse der Mikropositronik bestätigte, dass es sich bei der zähen Flüs sigkeit tätsächlich um Quecksilber handelte.
Angriff der Togronen Mich wieder aufrichtend, setzte ich vorsich tig einen Fuß auf die metallisch graue Ober fläche, anschließend den zweiten. Das Quecksilber umfloss meine Stiefel und stieg mir bis etwa zur Mitte der Waden. Danach trug mich die Flüssigkeit zwar schwankend, aber beständig. Bei der hohen Dichte des Metalls – Quecksilber wog immerhin 13,53 Kilogramm pro Liter unter Terranormbedin gungen – genügte eine Verdrängung von rund sechs Litern, um nicht weiter einzusin ken. Wohl wahr, gab ich mental zurück. Gleichwohl beschäftigt mich die Frage, in wieweit die Lage Cabjarls zufällig ist. Steht Haitogallakins Forschung mit dem Queck silber in irgendeiner Verbindung? Solange wir nicht mehr über die Schwar ze Substanz des Dunkelsterns wissen, bleibt auch das nicht mehr als … »Spekulation – ich weiß«, sagte ich laut. Ein Stück hinaus in oder richtiger über den See watend, betrachtete ich fasziniert den plötzlich einsetzenden Regen, der sich sturz artig über dem See ergoss. Dumpfer Donner rollte heran. Blitze zuckten aus den schwar zen Wolken herab und mäanderten der schmutzig silbrigen Oberfläche entgegen. Der unentwegt aufsteigende Quecksilber dampf begann zu leuchten. Erst entstanden fahlgelbe, dann stechend blaue Lichtkaska den, die, vom Wind getrieben, wie Furien über den See wogten. Als das Gewitter hefti ger wurde, verschwammen alle Eindrücke zu einem giftig grünen Leuchtgemisch. Die Mikropositronik des Anzugs warnte vor den einsetzenden UV-Schauern und aktivierte selbsttätig die Abblendfilter des Helms. Ich kehrte ans Ufer zurück und aktivierte das Gravopak – die Ruhephase war fast vorbei. Es wurde Zeit für unseren Vorstoß ins Inne re des Stützpunktes. Während meines kurzen Rückfluges nahm das Gewitter beeindruckend schnell an Stär ke zu. Der Wind steigerte sich unversehens zu einem rüttelnden Sturm. Wie verabredet trafen wir uns am Fuß der ausgefahrenen Rampe der GANTA.
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6. Die Verdichtung des Argwohns Kythara und Gorgh-12 beschäftigten sich weiterhin mit der Analyse der Daten, die wir von der Schwarzen Substanz beim Lagran gepunkt der beiden Sonnen gewonnen hat ten. Kalarthras, Veschnaron und ich – alle in goldfarbene Kampfanzüge gewandet – tra fen uns an der Rampe. Das Erstaunen der beiden anderen war groß, als sie mich von außen ankommen sa hen. »Wo warst du?«, fragte Veschnaron an stelle einer Begrüßung. »Im See baden«, versetzte ich ungerührt. Beide starrten mich an wie … … einen Narren?, bot mir der Extrasinn an. Vielen Dank!, gab ich mental zurück. Wie originell. Und vor allem treffend!, wisperte es in meinen Gedanken. Dann ist ja alles bestens, erwiderte ich. Narren stehen bekanntlich unter dem beson deren Schutz der Götter. Der Extrasinn enthielt sich zu meiner Ver wunderung eines weiteren Kommentars. Nicht so Veschnaron. »Na schön. Jeder, wie er mag. Ich warte allerdings nicht gern. Der Eingang zum Stützpunkt liegt in zwanzig Kilometern Entfernung. Ich fliege voraus.« Er erhob sich von der Rampe. Kalarthras und ich folgten. Per Gedankenbefehl ließ ich die Zeitangabe in die Helmscheibe einspie geln – ich war sogar sechs Minuten früher erschienen, als wir verabredet hatten. Ent weder war Veschnaron schlechterer Laune als vor einer Stunde, oder er wollte seinen Status als Flottenkommandeur herausstrei chen, indem er sich betont militärisch gab. Ich verzichtete auf eine geharnischte Ant wort und rief stattdessen die Daten auf, die ich über diesen Stützpunkttyp besaß. Derweil überflogen wir karstiges, vegeta tionsfreies Gelände. Der Sturm wurde stär
34 ker. Schwere Regenschauer überschütteten uns mit wahren Wasserkaskaden. Wir akti vierten die Prallschirme und flogen schwei gend hintereinander her. Die Rhoarxi hatten, wie wir schon wäh rend des Anflugs festgestellt hatten, in die sem Bereich keine Bauten errichtet. Viel leicht waren die Varganen auch deswegen auf den Einfall gekommen, ihren Stützpunkt hier zu errichten, um möglichst wenige der uralten Ruinen dabei zu beschädigen. Es war aber auch denkbar, dass die Varganen die Ruinen beseitigt hatten, um ihren Stützpunkt bauen zu können. Auf der Helminnenseite erschien der La geplan, den die Mikropositronik des Anzugs aus dem Hauptrechner der GANTA herun terlud. Die Anlage war größtenteils subplanetar bis in eine Tiefe von 2000 Metern angelegt; der kreisrunde Grundriss erreichte einen Durchmesser von 40 Kilometern. Als Au ßenring gab es ein zusammenhängendes Sy stem von 3000 Meter breiten Kavernen, de ren Verlauf von drei subplanetar gelegenen Kuppelstädten – als Eckpunkte eines gleich seitigen Dreiecks angeordnet – unterbrochen wurde. Aus den Daten wusste ich vom ter rassierten Aufbau der in den Städten befind lichen Gebäude. Jede der Wohnanlagen durchmaß 8000 Meter. Verbunden wurden sie durch schnurgerade Verbindungskorrido re von beeindruckenden Dimensionen: 21 Kilometer lang, maßen sie im Querschnitt 200 mal 200 Meter und waren selbst für kleinere Raumschiffe passierbar. Drei »Speichen« in Form eines Y, jeweils 13,6 zu 5,2 zu 2 Kilometer groß, liefen vom Außenring auf das Zentrum zu, endeten al lerdings deutlich früher und mündeten im rechten Winkel auf die Verbindungskorrido re zwischen den Kuppelstädten. Die Spei chen beherbergten vor allem mächtige Fa brikhallen, in denen hochhausgroße Maschi nenblöcke in der Lage waren, varganische High Tech in jedem beliebigen Umfang zu produzieren – seien es nun Roboter oder Gleiter, Rechner oder Wartungseinheiten,
Michael H. Buchholz selbst Waffen bis hin zu Raumschiffsteilen. Ins gleichseitige Dreieck der Verbin dungskorridore war als weiteres Dreieck mit einer Kantenlänge von rund 10 Kilometern das eigentliche Stationszentrum eingefügt, dessen Ecken in Richtung der Y-Balken wiesen. Das Zentrumsdreieck enthielt die Zentrale und wichtige Einrichtungen, darun ter neben Transmittern vor allem den Haupt rechner des Stützpunkts, den vermutlichen Speicherort der geheimen Forschungsdaten Haitogallakins, unser erklärtes Ziel. Es gab nur zwei kreisförmige Oberflä chensiedlungen, die mit 2500 Metern Durch messer bedeutend kleiner als die Kuppel städte waren. Sie lagen oberhalb von zwei der drei Eckpunkte des Zentrumsdreiecks. Hier hätte es Antigravverbindungen in die unteren Stationsteile geben sollen, und ich hatte angenommen, Veschnaron würde uns zu einer der beiden Siedlungen führen. Doch schon nach wenigen Minuten Flug zeit wurde deutlich, dass der Vargane ein anderes Ziel ansteuerte. Er landete im exak ten Mittelpunkt des in der Planetenkruste verborgenen »Rades« – und damit jeweils etwa drei Kilometer von den beiden Oberflä chensiedlungen entfernt. In unserer unmit telbaren Umgebung waren nur Felsen und Geröll zu sehen, das an den dem Quecksil bersee zugewandten Seiten leichte rötliche Kristallbildungen aufwies. Wir schalteten die Prallfelder ab. Auch Kalarthras schien über Veschnarons Vorgehen verwundert zu sein. »Was wollen wir hier?« »Den geheimen Eingang benutzen«, sagte Veschnaron. »Wir können uns dadurch viele Umwege sparen. Aus den Ortungsdaten der GANTA geht hervor, dass Haitogallakin diesen Zugang zusätzlich angelegt hat. Ich nehme an, dass es sich um eine Art Flucht einrichtung handelt, um den Stützpunkt bei Gefahr schnellstmöglich verlassen zu kön nen. Selbstverständlich kann er umgekehrt auch zum schnellen Betreten verwendet werden. Ich habe nicht vor, allzu viel Zeit zu verlieren.«
Angriff der Togronen
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Schon wieder diese merkwürdige Eile. Laut sagte ich: »Du erwähntest Haitogalla kins Besorgnis um die Sicherheit seiner For schungsergebnisse. Du sprachst von Fallen und Sicherungsmechanismen, mit denen der Stützpunkt förmlich gespickt sei. Gilt das nicht auch für diesen geheimen Zugang?« Veschnaron wandte sich mir zu. Grum melnder Donner rollte über uns hinweg. »Das ist der zweite Grund, warum ich diesen Eingang bevorzuge. Wer schnell gehen will, hat keine Zeit, erst lange und mühsam kom plizierte Fallen zu entschärfen. Ich glaube daher, dass wir hier am wenigsten auf derar tige Sicherungsmechanismen stoßen wer den.« Schwachsinn!, kommentierte der Logik sektor. Wer immer die Anlage verlässt, schließt sorgfältig ab. Gerade bei geheimen Zugängen zu hochsensiblen Daten. Ein Fun kimpuls würde genügen, alle Fallensysteme zu aktivieren. Entweder ist Veschnaron ge radezu hochgradig naiv, oder er weiß mehr, als er sagt. »Und wo ist der Zugang, bitte?«, wollte Kalarthras wissen. Trotz des Helms und des daran herabflie ßenden Regens erkannte ich Veschnarons überlegenes Lächeln. Er hob die Arme, trat einen Schritt zurück – und verschwand. Fast gleichzeitig konsultierten Kalarthras und ich unsere Ortungsinstrumente. Eine starke Strahlung ging von dem Ort aus, an dem der Flottenkommandeur eben noch ge standen hatte. Sie wies konstante fünfdimen sionale Komponenten auf, deren Bündelung charakteristisch war. Schon nach wenigen Metern verlor sich ihre Anmessbarkeit. »Nach dir.« Kalarthras grinste und deutete eine Verbeugung an. Ich grinste zurück und trat einen Schritt vor. Im nächsten Moment kniff ich vor Schmerzen die Augen zusammen. Die jähe blendende Helligkeit riss mich förmlich von den Beinen.
*
Die Abblendautomatik reagierte sofort, sonst wäre ich sicherlich erblindet. Ve schnarons sonores Lachen ertönte, doch es klang seltsam hohl und wurde von einem deutlichen, mehrfachen Echo begleitet. »Beeindruckend, nicht wahr?« Er machte eine weit ausholende Armbewegung. Blen dend weißes Licht kam von überall her und erschwerte die Orientierung. Das Licht war von gänzlich anderer Art als das bisher ge wohnte – alle Blaustichigkeit fehlte. Das Weiß ließ Konturen kaum erkennen. Ich re gulierte die Filter auf einen noch höheren Wert; was eben noch grellweiß leuchtete, er schien nun elfenbeinfarben. Ich stand in einer zweifellos künstlichen Halle auf ebenem weißem Boden. Die Wän de liefen von allen Seiten schräg nach oben und bildeten einen spitzen Winkel – wir be fanden uns folglich im Inneren einer gleich seitigen, vierwandigen Pyramide oder zu mindest einem Raum, der so aussah. Die Kantenlänge betrug gewiss mehr als hundert Meter. Außer Veschnaron und mir gab es absolut nichts im Inneren der Halle – bis auf Kalarthras, der soeben neben mir materiali sierte. Seine Augen schlossen sich ebenfalls zu einem schmalen Spalt, doch er reagierte bei weitem nicht so sehr auf das blendende Licht wie ich; die Augen der Varganen wa ren, wie alles an ihrer körperlichen Konstitu tion, robuster und belastbarer als ihre arko nidischen oder terranischen Pendants. Wir standen im Zentrum der Bodenfläche und drehten uns mehrfach um uns selbst. Ich bemerkte keinerlei Schatten; das Licht schi en direkt von den Wänden auszugehen. Es war überall gleichmäßig und kam aus allen Richtungen. »Eine kleine Spielerei des guten Haitogal lakin«, sagte Veschnaron. »Ich nenne es die Halle des Willkommens.« »Na schön.« Kalarthras drehte sich einmal um sich selbst. »Wir sind hier. Und wie geht es jetzt weiter?« Veschnaron legte dem ehemaligen Expe ditionsleiter die Hand auf die Schulter. »Eben das, mein alter Freund, ist die kleine
36 Spielerei, von der ich sprach. Ich muss ge stehen, ich weiß es nicht. Es gibt keine Waf fen, keine Detektoren, keine wie auch immer geartete beeinflussbare Technologie. Es gibt keine Eingabemöglichkeiten, keine Kode schlösser, nichts. Nur diese hohle Pyramide – mit ihren vier Wänden.« »Was ist mit akustischen Sensoren?«, wollte ich wissen. »Ich habe stundenlang hier gestanden und mich meines Echos erfreut. Ich habe mir das Hirn zermartert, ob es einer gesprochenen Botschaft bedarf, um weiterzukommen. Vielleicht genügt ein Kodewort. Ich weiß es nicht. Eine einfache Stimmenprobe jeden falls ergibt rein gar nichts.« Ich zog ein Ortungsinstrument aus einer der Anzugtaschen. »Vergiss es.« Veschnaron winkte ab. »Es gibt nichts, was ich nicht versucht hätte. Al les, was du anmisst, wird sein, dass du nichts anmisst. Es ist, wie ich sagte: eine von Haitogallakins Spielereien. Er war mehr als vorsichtig. Vielleicht litt er gar an Ver folgungswahn. Und doch muss es einen Weg weiter ins Innere der Station geben. Ich hoffe auf euren Einfallsreichtum, meine Freunde; vor allem auf den deinen, Kalar thras. Du kanntest Haitogallakins Denkwei se am besten. Viel Zeit werden uns die Lor drichter nicht lassen.« Ich grinste und trat nahe an Veschnaron heran. »Wie kommst du darauf, dass uns die Lordrichter auf der Spur sind, mein Freund?« Er lachte, und diesmal klang es noch lee rer als zuvor. »Die Logik und die Gesetze der Notwendigkeit, abgeleitet aus folgenden Tatbeständen: Zum Ersten werdet ihr ver folgt, zum Zweiten wimmelt es in Gantatryn von Garbyor-Truppen, und zum Dritten ha ben die Lordrichter bisher noch jeden erwi scht.« Tatsächlich? Auch ihn?, wisperte der Ex trasinn. »Ach – und was ist mit dir?« Kalarthras schnaubte empört. »Arkonide,
Michael H. Buchholz es reicht!« Veschnaron machte eine abwiegelnde Handbewegung. »Nein, nein, lass ihn nur. Bisher hatte ich Glück und mein mächtiges Raumschiff. Aber wenn ich noch viel länger hier verweile, wird es bestimmt auch mich erwischen, ich gebe mich da keinen Illusio nen hin. Ob du es nun wahrhaben willst oder nicht: Wir sind Verbündete.« Ich musterte ihn nachdenklich. Klang da ein Unterton von Verschlagenheit in seiner Stimme mit? Zuckte ein Augenlid oder Mundwinkel verräterisch? Nein, wohl nicht. Was nichts bedeutet, mahnte der Extra sinn. »Na schön«, versuchte ich es erneut. »Kommen wir mal auf unseren Einfalls reichtum zurück, mein Verbündeter. Er ver rät mir vor allem eins: Du bist in wesentli chen Teilen nicht ehrlich zu uns. Zumindest nicht ausführlich genug. Du verschweigst wichtige Dinge. Wenn du bereits hier warst, bist du jedenfalls auch wieder hier herausge kommen. Da diese Pyramide aber keinen an deren Zugang hat als den, durch den wir ge kommen sind, muss es zumindest eine Tech nologie geben, die du benutzen konntest.« Veschnaron lachte schallend. »Du sorgst dich, wie wir hier wieder herauskommen, Arkonide? Wenn es das ist, kann ich dich beruhigen. Ausgänge gibt es mehr, als du brauchst. Jede der vier Wände ist ein Trans mitter. Geh einfach darauf zu, er befördert dich hinaus. Welchen du wählst, ist völlig egal; du landest immer wieder dort, wo im Geröll das Zugangsfeld anzumessen ist. Eben das ist Haitogallakins Spielerei: Jeder der vier Wege wirft dich zurück. Heraus kannst du jederzeit. Die große Frage ist: Wie dringen wir weiter ins Innere vor?« Haitogallakins Fallen sind von gänzlich anderer Art als Waffen oder Fesselfelder, wisperte der Extrasinn. Es sind Fallen des Geistes. Nur wer denkt wie Haitogallakin, wird als Freund betrachtet und hat daher ei ne Chance. »Die große Frage ist: Wie dachte Haito
Angriff der Togronen gallakin?«, murmelte ich. »Er war schon immer ein Exzentriker«, sagte Kalarthras. »Sag ruhig: ein Spinner«, feixte Ve schnaron. Ich schüttelte den Kopf. »Es wird uns auf halten, dieses Rätsel zu lösen. Vielleicht ist das der tiefere Sinn dieser Falle: Sie stiehlt dem Opfer ganz einfach Zeit.« »Die wir nicht haben!«, betonte Ve schnaron. Ich kniete mich hin und strich mit den Händen über den Boden der Halle. Er war glatt und fugenlos und fühlte sich, durch die Handschuhsensoren berührungsaktiv vermit telt, warm an wie bei einem hochwertigen Kunststoffbelag. »Ein terranischer Philosoph«, erklärte ich, während ich mich wieder aufrichtete, »hat einmal gesagt: Wer es eilig hat, der gehe langsam. Vielleicht sollten wir diesen Rat in diesem Fall beherzigen.« Ich wandte mich ab und ging auf eine der Pyramidenwände zu. »Was mich betrifft«, rief ich über die Schulter zurück, »plädiere ich für dreierlei: erstens eine ausreichende Schlafphase, zweitens ein nahrhaftes Früh stück – und drittens so genügend wiederge wonnene Klarheit, um allen Fallen Cabjarls oder Haitogallakins aus dem Weg zu ge hen.« Als ich die Wand beinahe mit meinen Händen berühren konnte, erfasste mich das unsichtbare Transmitterfeld und beförderte mich ins Freie. Kurz danach erschienen Ve schnaron und Kalarthras an meiner Seite. Wir flogen zu den wartenden Schiffen zu rück. Der Flottenkommandeur zeigte sich mit meinem Vorschlag trotz der vorhin ge forderten Eile einverstanden – unser neuer Vorstoß sollte in sechzehn Stunden begin nen. Fast schien es mir, als sei er in Wahrheit froh, nun eine längere Ruhephase einlegen zu können, ohne vor uns das Gesicht zu ver lieren. Sein forderndes Wesen wirkte selt sam aufgesetzt. Die Anstrengung des Raum fluges hatte auch die einstündige Pause nicht
37 völlig aus seinem Gesicht verwischen kön nen. Er zog sich in seine GANTA zurück. Kalarthras betrat mit mir die AMEN SOON. In der Zentrale trafen wir Kythara und Gorgh, die mitten in einer hitzigen Diskussi on darüber standen, ob man die fünfdimen sional wirkenden Kollateraltoleranzen in der von ihnen aufgestellten Theorie vernachläs sigen konnte oder nicht.
7. Die Berechtigung der Vergangenheit »Der richtige Moment für eine kleine Un terbrechung«, rief Kythara, als sie unser Ein treten bemerkte. »Einverstanden, Gorgh?« »Von mir aus«, schnarrte der insektoide Hyperphysiker. »Obwohl das nichts an mei ner Ansicht ändern wird. Ich habe Recht, du wirst sehen. Die Formeln sprechen eine ein deutige Sprache.« »Brrr – er ist sturer als ein Vukktur«, lä chelte sie. Die Varganin ließ sich in einen Kontursessel fallen, streckte die langen Beine von sich und blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Ihr seid früh zurück. Eure Gesichter lassen alle Spuren von Begeiste rung vermissen. Woran lag es?« »An Haitogallakin«, sagte ich. »An Veschnaron«, entfuhr es gleichzeitig Kalarthras. Kythara hob fragend die Brauen. Ich bedeutete dem Varganen fortzufahren. »Ich kann es nicht beweisen und würde das auch nie vor ihm zugeben«, begann der ehemalige Expeditionsleiter zögernd. »Es ist der Gesamteindruck, der mich zusehends an Veschnaron zweifeln lässt. Es begann mit der unnötigen Härte während des Raumge fechts. Der Veschnaron, an den ich mich er innere, hätte zwar mit aller Macht und kon sequent reagiert, aber er hätte nie wehrlose und schon besiegte Feinde ohne ersichtli chen Grund vernichtet. Der Veschnaron, an den ich mich erinnere, hätte sich auch durch mein verändertes Äußeres nicht irritieren lassen. Er hätte mich erkannt. Vor allem hät
38 te er sich daran erinnert, an welchem Ort wir uns zuletzt gegenüberstanden. Was sagte er? Ich erinnere mich – aber er verschwieg zu gleich, woran er sich erinnerte. Wir standen damals in einer noch sehr gut erhaltenen Arena. Veschnaron selbst erging sich an je nem Abend in Fantasien von Zweikämpfen, die dort einmal stattgefunden haben moch ten, und er verglich das Licht der unterge henden Sonne mit dem Blut der Getöteten, das den Sand verfärbte. Wir stritten uns spä ter heftig an jenem Abend – wegen meiner Reise. Unsere Freundschaft drohte in die Brüche zu gehen – fast hätte es einen weite ren Kampf in der Arena gegeben. Doch dar über verlor er kein Wort …« Er hielt inne und fuhr sich mit der Hand über die weißen Haare. »Und …« Kythara hob die Hand. »Und vergessen wir eines nicht: Veschnaron hätte die GAN TA mit spielerischer Leichtigkeit fliegen müssen. Er galt als ein begnadeter Könner. Es gab unter tausend Varganen keinen bes seren Piloten als ihn. Was wir dagegen auf dem Herflug erlebten, spottet jeder Be schreibung. Sei froh, du schliefst zu der Zeit. Selbst Atlan hätte die GANTA besser geflo gen.« Sie grinste schelmisch zu mir herüber. Ich warf mit einem der schweren Raumhand schuhe nach ihr. Ohne hinzusehen, fing sie ihn auf. Ich hatte nichts anderes erwartet. Ih re Reflexe waren den meinen weit überle gen. »Im Ernst – Veschnaron scheint viel von seinem früheren Wissen eingebüßt zu ha ben«, fuhr sie fort. »Er sucht nach bestimm ten Schaltern, die er einfach kennen musste. Er greift in anderen Fällen daneben, obwohl ihm Bewegungen dieser Art in den vielen Jahrzehntausenden in Fleisch und Blut über gegangen sein müssen. Fast könnte man glauben, er habe die GANTA erst in der letzten Woche übernommen. Er weiß allen falls ansatzweise, was zu tun ist – er als ehe maliger Flottenkommandeur in seinem eige nen Flaggschiff!« »Und noch etwas ist merkwürdig«, nahm
Michael H. Buchholz ich den Faden auf. »Ihr Varganen seid den meisten Wesen aus dem Makrokosmos kör perlich überlegen. Zumindest den meisten humanoiden Völkern. Bin ich der Einzige, der sich über Veschnarons vergleichsweise schwache Konstitution wundert? Er wirkt schnell erschöpft, braucht Ruhephasen, ob wohl er den Eindruck zu erwecken sucht, er ginge forsch und energisch vor. Erst fordert er größtmögliche Eile, dann ist er für unsere jetzt verabredete Pause fast dankbar. Er scheint nicht nur sein Wissen, sondern auch seine varganische Robustheit verloren zu ha ben.« Auf Kytharas fragenden Blick fügte ich hinzu: »Ich bat um eine Pause. Es war ein langer, ereignisreicher Tag. Wir haben uns auf sechzehn Stunden Freizeit geeinigt.« »Am wichtigsten«, ergriff Kalarthras wie der das Wort, »scheint mir ein besonderer Umstand zu sein. Ich gewann den Eindruck, als würde er von uns erwarten, ihm alle In formationen für den Zugang zu Haitogalla kins Stützpunkt zu verschaffen.« »Statt selbst welche zu liefern? Richtig!«, betonte ich. »War er es nicht, der Cabjarl seinen neuen Stützpunkt nannte?« Ich schil derte Kythara kurz unser Erlebnis in der weißen Halle. Gorgh hob eine der Greifklauen. »Mit an deren Worten: Veschnaron wird zu einem nicht kalkulierbaren Sicherheitsrisiko. Wie ich es sagte. Erinnert sich jemand zufällig daran, dass ich vor einer Falle der Lordrich ter warnte?« »Der sechsstufige Plan?«, erkundigte sich Kythara. »Eben der.« »Wir müssen das klären«, antwortete die blondmähnige Frau. »Atlan, auch wenn du müde bist – begleitest du mich kurz hinüber zur GANTA?« Ich unterdrückte ein Gähnen und nickte verstehend. »Seid wann besitzt du einen Schlüssel? Und wie willst du verhindern, dass Veschnaron unser Eindringen be merkt?« Kythara erhob sich und legte die gefalte
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ten Hände auf Kalarthras' linke Schulter. »Es ist für uns schwache Frauen immer gut, enge Beziehungen zu einflussreichen Männern zu pflegen«, säuselte sie in über triebener Liebenswürdigkeit. »Besonders zu den Schlüsselgewaltigen. Nicht wahr, Kalar thras?« Sie wischte ihm ein imaginäres Staubkorn von der Schulter und strahlte ihn an. Der Vargane richtete seine pechschwar zen Augen auf das Abbild der GANTA auf dem Panoramaschirm. »Du meinst die Über rang-Befehle, die ich als Expeditionsleiter über alle Schiffe unserer Flotte besaß?« Er nickte langsam. »Wenn niemand sie geän dert hat, sind sie noch gültig.«
* Unsere Anzugpositroniken sendeten un unterbrochen einen von Kalarthras erhalte nen Kode aus, der jeder Kamera und jeder sonstigen Überwachungsautomatik der GANTA stillhalten und akzeptieren signali sierte. Ich kannte das Verfahren aus früheren USO-Zeiten. Ausgewählte Spezialisten und ich selbst besaßen damals ähnliche Kodes, die es in bestimmten Fällen erlaubten, uns unerkannt in eigenen Schiffen oder auch in nerhalb von Quinto-Center zu bewegen. Per ry Rhodan sowie die Mitglieder des Mutan tenkorps besaßen ebenfalls solche Passepar touts – das Verfahren wurde damals Harun al-Rashid genannt, nach dem legendären Kalifen von Bagdad, der sich der Legende nach verkleidet und unerkannt unter die Be völkerung Bagdads gemischt haben soll. In Wahrheit hatte er mehrfach einen von mir ausgeliehenen Deflektorschirm benutzt, aber das war eine andere Geschichte. Kalarthras' Harun-al-Rashid funktionierte einwandfrei. Die GANTA verhielt sich pas siv und still; alle Bewegungen unsererseits wurden weder weitergemeldet noch aufge zeichnet. Wie Schemen huschten wir durch die Gänge; eine Begegnung mit Veschnaron brauchten wir nicht zu befürchten. Die
Hauptpositronik versorgte uns mit einem Si gnal, das uns Veschnarons Aufenthaltsort verriet. Er befand sich in einer der Kabinen nahe der Zentrale. Wir waren per Transmitter in den unteren Teil des Oktaeders gelangt und suchten nun eine Subzentrale im Maschinenbereich auf. Von hier aus konnten die Überlichttriebwer ke unabhängig von der Hauptzentrale ge steuert werden, falls dies notwendig sein sollte. Von hier aus hatten wir über den in ternen Sicherheitskreis auch Zugriff auf die positronischen Schiffslogbücher, auf die es Kythara abgesehen hatte. Die Varganin ließ sich an einer Konsole nieder. Sie arbeitete zielsicher und schnell. Sie verwendete mehrfach Kalarthras' Über rang-Befehl, umging alle Alarmsystemrouti nen und erhielt sämtliche Freigaben. Wäh renddessen beobachtete ich das in meinen Helm gespiegelte Signal von Veschnarons Aufenthaltsort. Es bewegte sich nicht ein einziges Mal. Nach wenigen Minuten hatte Kythara eine Reihe von Logbuchaufzeichnungen auf einen Datenträger kopiert. Anschließend versetzte sie die Subzentrale in den Ruhe modus zurück. Sie dachte sogar daran, einen Servobot mit der vollständigen Desinfektion aller Räumlichkeiten zu beauftragen, die wir betreten hatten, um selbst Mikrospuren zu beseitigen. Nach kaum einer halben Stunde nahmen wir den Rückweg über den Bordtransmitter, über dessen Plattform wir gekommen waren. Von der AMENSOON aus löschte ein letzter Harun-al-Rashid-Befehl die Trans mitteraufzeichnungen an Bord der GANTA. Als ich mich in meiner Kabine zur Ruhe begab, ging über dem Quecksilbersee die Doppelsonne hinter jagenden Wolken unter. Ich desaktivierte die Fenstersimulation und programmierte mein Multifunktionsarm band. Wahrscheinlich schlief ich schon, wäh rend ein Servoroboter mich noch aus dem Kampfanzug schälte.
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8. Das Wagnis des Denkens Der Weckruf riss mich aus gestaltlosen Träumen. Auf einer fernen Erde und in wei ten Teilen der Milchstraße schrieb man in zwischen den dritten Juli 1225 NGZ. Im Hygieneabteil meiner Kabine durchlief ich das auf die niedrigste Stufe eingestellte volle Dusch- und Massageprogramm. Eine Haarentfernungslotion nahm mir den kratzi gen Bartbewuchs, aufgedampfte und an schließend von Robothänden verriebene Duftöl-Vitamin-Komplexe ließen die Mus keln geschmeidig werden. Die Bekleidungs einheit stellte am Ende des Programms eine neue weiche Bordkombination bereit. Ich grinste mir im Spiegelfeld entgegen und sah einem rundum gepflegten, aber dennoch nachdenklichen Ebenbild in die rötlichen Augen. »Zweifellos der attraktivste Arkonide von ganz Dwingeloo«, beschied ich meinem ge spiegelten Selbst sarkastisch. »Nur an den Sorgenfalten müssen wir noch arbeiten.« Als ich den Aufenthaltsraum betrat, in dem wir unsere Mahlzeiten einzunehmen pflegten, fand ich die vollständig versam melte »Mannschaft« der AMENSOON vor. Kythara nippte an einem großen Glas mit ei ner rosafarbenen Flüssigkeit und nickte mir ziemlich griesgrämig zu. Kalarthras starrte mürrisch vor sich hin und machte den Ein druck, als wolle er mit seinen schwarzen Augen ein Loch in die Tischplatte brennen. Gorgh schlürfte unter deutlicher Geräusch entwicklung ein undefinierbares Gemisch aus vorwiegend grünweißen Bestandteilen aus einer Schale. Er winkte mir eher matt als begeistert mit einem seiner mittleren Laufar me zu. Ich grüßte zurück und setzte mich. Von den vielen Dingen, die der Servoro bot sogleich vor meinem Platz abstellte, war der Becher mit der nach Kaffee duftenden schwarzen Flüssigkeit das von mir im wahr sten Sinn des Wortes heißbegehrteste. Ich lächelte bei dem flüchtigen Gedanken an
Zanargun, den kaffeesüchtigen Leiter der Abteilung Außenoperationen der TOSOMA – und stellte fest, dass ich keinen Deut bes ser war als er. »Offenbar«, sagte ich nach dem ersten be dächtigen Schluck, »ist mir etwas Wesentli ches entgangen. Ist das Wetter schlechter geworden?« »Unwesentlich«, antwortete Kythara. Und setzte eine der im Universum am weitesten verbreiteten Floskeln hinzu: »Wir haben eine gute und eine schlechte Nachricht.« »Warum«, deklamierte ich, »sollte dieser Tag besser beginnen als der gestrige? Die gute Nachricht ist …?« »Die gute ist: Wir konnten, während du schliefst, die Logbucheintragungen ent schlüsseln. Genau genommen sind es nur zwei Datensätze, die für uns von Bedeutung sind.« »Fein. Ich nehme an, die schlechte Nach richt betrifft daher den Inhalt der beiden Da tensätze?« Kalarthras wechselte mit seiner ehemali gen Geliebten einen raschen Blick. »Veschnaron«, sagte der Vargane dumpf, »ist ein Verräter. Er hat unmittelbar vor dem Gefecht mit den Zaqoor geraffte Funksprü che an die Golfballraumer abgeschickt.« »Er hat was?«, entfuhr es mir. »Über den Inhalt wissen wir nichts«, gab Kythara zu. »Nur, dass die Zaqoor die Funksprüche un mittelbar nach dem Empfang bestätigt ha ben.« »Woraufhin«, schmatzte Gorgh in seine Schüssel hinein, »unser guter Veschnaron sie aus dem Universum getilgt hat. Fast so, als hätten sie es verabredet. Dieses Vorge hen entspricht im Übrigen Stufe vier des von mir postulierten hypothetischen Plans.« »Was ist mit dem zweiten Datensatz?«, wollte ich wissen. »Diese Daten waren mehrfach verschlüs selt«, erklärte die Varganin. Sie leerte ihr Glas in einem Zug und stellte es heftig ab. »Ziemlich knifflig, das Ganze, aber ich fand einen Weg. Die Daten besagen …«
Angriff der Togronen Sie machte eine Pause und schüttelte den Kopf. Unwillig strich sie eine Strähne aus der Stirn. »Na, los doch«, drängte ich. »Die Daten stellen eindeutig fest: Die Lordrichter von Garb arbeiten am Projekt Durchbruch. Das Projekt bedeutet nichts anderes als: Sie ha ben vor, in den Mikrokosmos der Varganen vorzustoßen. Die Lordrichter wissen um Haitogallakins seinerzeitige Teilerfolge, sie vermuten sogar spätere positive Ergebnisse hinsichtlich eines umfassenderen Durch bruchs. Veschnaron ist – und zwar durch Garbyor-Quellen – über die wesentlichen Aktivitäten der Lordrichter bestens unter richtet. Die Datei endet mit einem Bezug auf einen anderen Erfolg. In Veschnarons Spei chern findet sich ein Bericht über nichts we niger als die gelungene Verkleinerung und die anschließende Rückvergrößerung der ge samten Venad-Sternengruppe!« Ich kniff die Lippen zusammen. »Das be stätigt unsere Beobachtungen auf Sothin. Dort waren sie mühelos in der Lage, die AMENSOON zu verkleinern. Jetzt schaffen sie es mal eben mit links, eine gesamte Ster nengruppe gezielt zu verkleinern bezie hungsweise zu vergrößern!« Die Verkleinerung ist der Schlüssel, wis perte der Extrasinn. Denk an den Potential verdichter der Meister der Insel auf der Hohlwelt Horror. Oder an seinen Vorläufer, den »Zwergenmacher« … Denk an den Stein der Weisen, der sich als Umsetzer der Var ganen entpuppte, mit dem sie in den Makro kosmos kamen. Die auffällige Ähnlichkeit mit dem Drugun-Umsetzer der Kosmokra ten, dem Gerät, das ebenfalls einen Trans port in den oder einen Mikrokosmos ermög lichte und das sich zerlegt in den Burgen der Sieben Mächtigen fand … »Für mich heißt das noch mehr«, regte sich Kalarthras auf. »Die Daten beweisen vor allem eins: Veschnaron steht mit den Lordrichtern in irgendeiner Weise in Ver bindung.« »Was zu beweisen war«, warf Gorgh kni sternd ein. Seine Mandibeln zermahlten
41 knirschend eine zuckerhaltige Substanz, die er sich blockweise in den Mund schob. »In Verbindung steht er – ohne Zweifel«, sagte Kythara. »Vielleicht arbeitet er sogar mit ihnen zusammen. Ob freiwillig oder ge zwungenermaßen, sei einmal dahingestellt. Eingedenk seines Verhaltens neige ich dazu zu behaupten, er wird auf eine uns unbe kannte Weise beeinflusst.« »Richtig«, stimmte ich zu. »Unabhängig davon – er bleibt ein Sicher heitsrisiko«, beharrte Gorgh. »Mir kommt noch ein Gedanke«, sagte ich leise. »Ist es nicht auffällig, wie wunder schön ungestört wir seit unserem Zusam mentreffen mit der GANTA bleiben? Unsere undichte Stelle kann nach wie vor agieren, weil wir sie bisher nicht eliminieren konn ten. Wo bleiben die Garbyor? Haben sie un sere Spur wirklich verloren? Oder …« »… oder wissen sie die ganze Zeit über, wo wir sind?«, rief Kythara. »Meinst du das?« Ich nickte. »Angenommen, Veschnaron steht mit ihnen in Verbindung, dann brau chen sie uns nicht zu stellen. Sie haben es längst getan. Wir könnten mit der wesentlich kleineren AMENSOON einer angreifenden GANTA nichts entgegensetzen.« »Falsch«, widersprach Kalarthras. »Du vergisst meine Überrang-Befehle. Ich könn te die GANTA jederzeit stilllegen.« »Stimmt«, gab ich ihm Recht. »Aber das wissen offenbar nur wir vier, oder?« »Richtig«, meinte Gorgh. »Nur wir vier. Bis jetzt.« »Und das sollte so bleiben« sagte ich be stimmt. »Fassen wir zusammen«, forderte Kytha ra. »Die Lordrichter werden zeitgleich in wenigstens drei Galaxien aktiv – in der Milchstraße, hier in Gantatryn und in Gruel fin, der Heimatgalaxis der Cappins. Ihr Ziel besteht darin, einen Vorstoß in den Mikro kosmos zu erzwingen. Hierfür verwenden sie vor allem das Wissen der Varganen. Sie sind bereits in der Lage, Objekte bis zur Größe einer Sternenballung gezielt zu
42 ›verkleinern‹ und diesen Vorgang auch wie der rückgängig zu machen. Noch gelingt der endgültige Durchbruch nicht. Aber sie ma chen Fortschritte. Die Zeit wird täglich knapper. Was wissen wir noch? Sie konzen trieren ihre Kampfverbände in auffälliger Weise in der Nähe des Dunkelsterns. Die Lordrichter würden ihrem Ziel einen gewal tigen Schritt näher kommen, könnten sie sei ne Forschungsergebnisse auswerten.« »Und wie es der große Zufall will«, warf ich ein, »befinden wir uns just zur Stunde auf einer Welt, auf der eben diese For schungsergebnisse zu finden sein sollen. Wir wurden hierher geführt von einem Verbün deten der Lordrichter. Von jemandem, dem wir unser Leben verdanken und der uns aus großer Bedrängnis rettete. Von jemandem, dem wir aus mehreren Gründen vertrauen müssen. Einem von uns. Der sich aus ehren haften Motiven heraus nichts sehnlicher wünscht, als möglichst schnell dieser For schungsergebnisse habhaft zu werden.« »Und da dabei die Anwesenheit der Gar byor nur störend wirken würde, bleiben sie auf wundersame Weise fern. Ein wunderba rer siebenstufiger Plan, präzise durchge führt.« Gorgh gestikulierte knackend mit den Greif- und Laufarmen. »Sprachst du nicht immer von sechs Stu fen?« Kythara hob die Brauen. »Da war mir die siebte Stufe noch nicht klar. Sie besteht darin, uns nicht nur ebenso unverschämt wie bravourös zu hintergehen, sondern uns auch die Arbeit erledigen zu lassen.« Kythara sah mich fragend an. »Was tun wir jetzt?« »Unsere Optionen sind begrenzt«, zählte ich auf. »Wir könnten uns Veschnaron offen entgegenstellen. Mit dem Erfolg, dass er sich doch früher oder später in den Besitz der Ergebnisse setzen wird. Sei es mit Ge walt oder technischer Überlegenheit. Zudem wissen wir nicht, ob Veschnaron überhaupt weiß, wie und womit er beeinflusst wird, so fern eine Beeinflussung vorliegt und er nicht freiwillig mit den Lordrichtern paktiert. Stel-
Michael H. Buchholz len wir uns gegen ihn, verlieren wir unter Umständen die Möglichkeit, ihn aus dem vielleicht vorhandenen Zwang zu befreien.« »Und wir weisen die Lordrichter darauf hin, dass wir ihren Plan durchschaut haben«, meinte Kythara. »Nicht nur das.« Kalarthras beugte sich vor. »Wir liefern Veschnaron damit auch der Willkür der Lordrichter aus – falls er nicht freiwillig ihren Handlanger spielt.« »Besser ist es, sie im Ungewissen zu las sen«, sagte Gorgh in seiner schnarrenden Redeweise. »Spielen wir die Dummen. Tun wir so, als sei alles in bester Ordnung.« »Schön«, sagte Kythara. »Wir sind dumm. Wir merken nichts. Wir dringen ins Innere Cabjarls vor und bergen die Daten aus dem zentralen Rechner. Und dann?« Ich winkte den Servorobot herbei, um ei ne weitere Tasse des Kaffeesurrogats zu or dern. »Dann werden wir Veschnaron im sel ben Moment überwältigen müssen, in dem wir die Daten haben. Wir nehmen ihn gefan gen; das verschafft uns entweder eine wert volle Geisel, oder wir eröffnen uns die Chance, ihn später aus der möglicherweise vorhandenen Beeinflussung zu befreien.« »Einverstanden, Kalarthras?« Der Grau häutige nickte. »Gorgh?« »Keineswegs«, antwortete der kleine In sektoide zu unserer Überraschung. »Ich mei ne, es ist besser, ihn nicht erst zu überwälti gen, wenn wir die Daten haben. Damit rech net er mit hoher Wahrscheinlichkeit. Es ist besser, ihn vorher gefangen zu nehmen, in einem Moment, da er sich nur diebisch über unsere Einfalt freut und nicht auf einen An griff gefasst ist.« Du schweigst?, fragte ich stumm mein zweites Selbst. Wider Erwarten habe ich keine Einwände, kam die gewisperte Antwort. Was nicht heißt, dass euer Plan fehlerfrei ist. Ich kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur keinen Fehler erkennen. Ich nickte und gab Gorgh damit Recht. »Dann machen wir es so«, beschloss Ky thara. »Wir nehmen ihn vorher gefangen.«
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9. Die Bestätigung der Beständigkeit Vier Stunden später. Das Holo in der kleinen Zentrale zeigte den schematischen Aufriss des varganischen Stützpunkts an. Die beiden Oberflächensied lungen lagen 2000 Meter oberhalb von zweien der drei Eckpunke des Zentrumsdreiecks. Wir waren übereingekommen, der leichteren Orientierung wegen diese drei Eckpunkte mit den Zahlen 4, 8 und 0 zu benennen, den Positionen auf einem terranischen Zifferblatt gemäß, vom Landeplatz der Schiffe aus ge sehen. Die beiden Siedlungen nahmen in diesem Sinn die 4-Uhr- und die 8-Uhr-Position ein. Das Beiboot der GAN TA mit dem Eigennamen NATAS schwebte über der 4-Uhr-Siedlung. Sie bot einen An blick grenzenloser Traurigkeit. Die verlasse ne Oberflächensiedlung musste einst den Eindruck strahlender Schönheit verbreitet haben. Inzwischen hatte sich die Nähe des Quecksilbersees als ein über alle Vollkom menheit triumphierender Feind erwiesen. Wo früher einmal idyllische Parks und Wäl der, Seen und Gärten gewesen waren, trieb nun der Wind rötliche und mit Quecksilber verbindungen angereicherte Sandfontänen vor sich her. Die ehemals weißen, scheinbar wie aus makellosem Porzellan gefertigten Gebäude mit ihren Türmchen, Brücken und geschwungenen Dächern warteten nun dar auf, von giftigem Staub der Jahrtausende be deckt, dass jemand sie aus ihrem »Dornröschenschlaf« erweckte. Vielleicht hatte sich früher ein Prall schirm über die Gebäude gespannt, oder un ermüdliche Robots hatten einen nicht enden wollenden Kampf gegen die Erosion ge führt; zum gegenwärtigen Zeitpunkt war die zweieinhalb Kilometer durchmessende Sied lung den Einflüssen des Quecksilbers schutzlos ausgeliefert. In der Zentrale des 31 Meter breiten und 44 Meter hohen Kleinok taeders hatte Kythara die Steuerung über nommen. Veschnaron bediente die Kommu
nikationsstation; ich hatte vor den Waffen kontrollen Platz genommen, rechnete aber nicht damit, sie bedienen zu müssen. Kalar thras war mit Gorgh in der AMENSOON zurückgeblieben. Einige der mittlerweile verlandeten Seen verdeckten getarnte Antigravschächte, die in die Tiefen Cabjarls hinabführten. Einen sol chen suchten wir jetzt. Die NATAS sendete seit wenigen Minu ten auf allen von den Varganen gebräuchli chen Frequenzen ein sich ständig wiederho lendes Transpondersignal. Tief innerhalb der Station würde eine dafür zuständige Positro nik unseren Freund-Status erkennen und zu gleich die Herkunft der NATAS als Beiboot des Flaggschiffs der damaligen Expeditions flotte identifizieren. Das hatte zumindest Kalarthras behauptet. Und das zu Recht, wie sich bald darauf zeigte. »Kontakt«, rief Veschnaron und ließ seine Finger über die Displays tanzen. Eine wohlmodulierte, aber zweifellos künstliche Stimme fragte, ob wir einzufliegen wünsch ten. »Bestätigen«, verlangte Kythara. »Einfluggenehmigung wird erteilt.« Auf dem Panoramaschirm zeigte sich im größten der vier Seen eine dünne schwarze Sichel, die sich wie ein rasend schnell zu nehmender Mond rundete. Der Seeboden verschwand – ein waagrecht liegendes Schott im Uferboden. Ein zweihundert Me ter durchmessender, kreisrunder Schacht tat sich unter der NATAS auf. Kythara steuerte das Kleinoktaeder langsam in die dunkel gähnende Öffnung hinab. Über uns schob sich der Seeboden wieder über den Schacht; zugleich nahm die Hellig keit zu. Wenig später erfüllte das bekannte blaustichige Licht den zweitausend Meter abfallenden Innenraum. Kythara ließ das Schiff schneller sinken. Kurz darauf erreich ten wir den Grund des Schachts unterhalb der Siedlung am Punkt 4. Von den angeblichen Fallen hatten wir bisher nichts bemerkt.
44 »Bis hier unten hin vorzustoßen war jedes Mal leicht.« Veschnaron deutete nach drau ßen. »Die Vertikalschächte und die großen Dreieckskorridore auf dieser Ebene werden durch die Transpondersignale von der zen tralen Positronik jederzeit freigegeben. Die Außenbereiche samt der Kuppelstädte sind dadurch allen Flottenangehörigen oder ihren Verbündeten frei zugänglich. Weiter ins Zentrum hinein habe ich mich allerdings nie vorgewagt.« Oder er ist dabei stets gescheitert. Der warnende Impuls des Extrasinns war scharf und unmissverständlich. »Und wohin nun?«, fragte Kythara. Auf dem Schirm sahen wir vier Gangabzweigun gen, die vom Schachtboden fortstrebten. Zwei davon lagen einander direkt gegen über; die Verbindungen zu den zwei an ih ren Endpunkten gelegenen subplanetaren Kuppelstädten. Sie waren für uns uninteres sant. Wir wollten zur Zentrale Cabjarls vor stoßen, und diese lag im Zentrum des inne ren Dreiecks. Die beiden anderen Gänge stießen im spitzen Winkel aufeinander. Der linke führte zum Schacht unter Punkt 8, der rechte zur dritten Ecke, dem Punkt 0 des zentralen Dreiecks. Jeweils auf halben Weg zweigten von diesen Korridoren im rechten Winkel die direkten Zugänge zur Zentrale ab. »Nimm den rechten«, schlug ich vor. »Im Prinzip ist es gleich, welchen Weg wir ein schlagen.« Kythara nickte und beschleunig te. Der Gang maß 200 mal 200 Meter im Querschnitt und war zehn Kilometer lang. Unzählige kleinere Türen, Schotten, Ram pen, Treppen und unverschlossene Öffnun gen säumten zu beiden Seiten unseren Weg. Das blaustichige Licht emittierten an den Wänden und der hohen Decke angebrachte Leuchtkörper. Die Bodenfläche des Gigant korridors war glatt und unbebaut. Nach fünf Kilometern tauchte der mit 100 zu 100 Meter im Querschnitt deutlich klei nere Gang zu unserer Linken auf. Kythara setzte die NATAS an der T-Kreuzung auf ihrem Landeprallfeldkissen auf. Wir verlie-
Michael H. Buchholz ßen das Beiboot in den goldenen Kampfan zügen und flogen in den hell erleuchteten Gang hinein. Weit vor uns, 2900 Meter ent fernt und wegen der perspektivischen Ver zerrung für uns nicht erkennbar, lag die Zen trale des varganischen Stützpunkts. Und in ihrem Innern der Zugriff auf die Hauptpo sitronik mit den von uns erhofften Daten. Wir flogen nur langsam weiter. Hielten uns dabei nur knapp über dem Boden. Wir sicherten ständig nach allen Seiten. Blieben immerfort auf der Hut vor den von Ve schnaron vorausgesagten Fallen und Siche rungssystemen. Mehr als einmal blickten wir uns ratlos an. Nichts geschah. Es gab keine Roboter, die uns begegneten, keine Schirmfelder, keine weiteren Identitätsaufforderungen, nichts. Ein Kilometer lag bereits hinter uns. »Wir sollten …«, sagte ich, kam aber nicht mehr dazu, den Satz zu beenden. Der Ausfall der Antigraveinrichtungen geschah so abrupt, dass wir alle drei uns beim Sturz überschlugen. »Totalausfall aller Anzugsysteme«, rief Kythara verärgert. »Hast du Vinara und den dortigen Techni kausfall schon verdrängt?« Ich rieb die schmerzende Seite. Ich vermochte nicht ein mal einen Systemcheck meines Kampfanzu ges zu initiieren – alle Energieflüsse waren schlagartig zum Erliegen gekommen. Ve schnaron testete eine der Stabwaffen – sie waren ebenso nutzlos geworden wie alle Scanner, Ortungs- und sonstigen Instrumen te. Der Effekt war durch das Überschreiten einer unsichtbaren Grenze ausgelöst worden; Kythara lief einige Meter zurück, erhielt wieder volle Betriebsbereitschaft aller Syste me. Als sie sich uns wieder näherte, erlosch abermals von einem Moment zum anderen die Energie. Entschlossen öffnete ich den Anzug und begann, ihn abzustreifen. Da auch alle Servos einschließlich der Mikropo sitronik und die dadurch gesteuerten Kraft verstärker nicht mehr funktionierten, war die
Angriff der Togronen Montur fortan eher hinderlich als förderlich. »Ein bisschen Bewegung tut doch gut«, rief ich. »Vielleicht ist das Haitogallakins Sicherheitsmechanismus – eine Zone tech nologischen Schweigens.« Veschnaron warf mir einen finsteren Blick zu, folgte aber meinem Beispiel. Kythara schälte sich mit eleganten Bewegungen ebenfalls aus ihrer Montur. Dann schritten wir kräftig aus. Unsere Anzüge blieben hinter uns zurück. Das Summen nahm so allmählich zu, dass wir es zunächst nicht einmal bemerkten. Es war ein dumpfer Laut, der vom Boden aus zugehen schien und der mit jedem zurückge legten Meter intensiver wurde. Ich ging in die Hocke und legte die Hand auf den Kunstbelag. »Vibrationen«, murmelte ich und sah die beiden Varganen fragend an. »Eine Idee?« »Stationsanlagen«, meinte Veschnaron. »Unwichtig für uns. Weiter.« Doch viel weiter kamen wir nicht. Schon nach zwanzig Schritten steigerte sich das Vi brieren zu einem deutlichen Rütteln, nach noch einmal zehn oder zwölf taumelnden Versuchen vermochte ich mich nicht länger auf den Beinen zu halten. Der Boden tanzte förmlich unter meinen Füßen. Als befänden wir uns im Gebiet ei nes sich immer weiter steigernden Erdbe bens. Veschnaron war der Zweite, der stürz te. Doch er vermochte sich im Gegensatz zu mir immer wieder aufzurichten. Die heftigen Vibrationen drangen mir nach nur wenigen neuerlichen Metern wie glühende Stacheln durch Mark und Bein. Sie wurden umso schmerzhafter, je weiter ich in Richtung der immer noch über 1200 Meter entfernten Zentrale kriechen wollte. Dann war es mir nur noch mit äußerster Anstrengung mög lich, mich auf Händen und Knien voranzu schieben. Allein Kythara stand noch auf recht und blickte trotzig nach vorn. Ve schnaron kniete und schwankte dabei wie ein Baum im Wind. Das Brummen war zu einem dröhnenden, unheilvollen Rumoren geworden.
45 »Ich schaffe es nicht«, keuchte ich. »Geht alleine weiter.« »Ich bleibe bei Atlan«, widersprach der Vargane. Inzwischen musste er schreien, um das Rumoren zu übertönen. »Finde du einen Weg, die Vibrationen abzustellen. Wir keh ren zu den Anzügen zurück.« Kythara nickte und tänzelte vorwärts. Ihre Gestalt sprang vor meinen Augen auf und ab; es war mir unmöglich, sie in dem Beben des Bodens zu fokussieren. Veschnaron packte mich und zog mich in die entgegengesetzte Richtung zurück. Ich warf einen Blick über die Schulter. Kythara war jetzt an die achtzig, vielleicht auch hun dert Meter entfernt, als ich sie stürzen sah. Nun kroch auch sie auf allen vieren. Dann verlor ich sie aus dem Blick. Ich bedeutete Veschnaron anzuhalten, zeigte in ihre Rich tung. Das Rumoren schwoll nun zu einem schrillen Heulen an. Es steigerte sich binnen Sekunden zu einem infernalischen Brüllen. Irgendwo wummerten mächtige Maschinen und erzeugten die erdbebenähnlichen Effek te. Stimmen zu verstehen war nicht mehr möglich. Obwohl ich lang ausgestreckt auf dem Gangboden lag, wurde mein Körper wie von einem bockenden Pferd hoch- und hin und her geworfen. Als der Lärm und das künstlich erzeugte Beben nachließen, sah ich Kythara plötzlich wieder an meiner Seite. Beide Varganen tru gen mich zwischen sich, fort von der Zentra le. In meinen Ohren klingelte es; ich ver stand weder, was Kythara zu mir sagte, noch die Worte, die sie mit Veschnaron wechsel te. Kurz darauf ließ das Zucken meiner Beinmuskeln nach, ich konnte wieder selber gehen. Der Lärm verebbte. Als wir unsere Anzüge erreichten, umfing uns wieder die gewohnte Stille der weitläufigen Korridore. Nur mein an allen Stellen schmerzender Körper bewies, dass das seltsame Beben kei ne Einbildung gewesen war. »Es ist unmöglich, diesen Gang zu passie ren.« Kythara gab den Versuch auf, ihre wir ren Haare zurückzustreifen. »Zu dem Beben kamen wandernde Schwerkraftfallen. Ich
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ging, so weit ich konnte, so weit irgendein Vargane es überhaupt vermocht hätte. Ein nächster Schritt hätte auch mich getötet. Und genau an dieser Stelle fand ich das hier.« Erst jetzt bemerkte ich den reflektieren den Gegenstand in ihrer Hand. Ein Ding aus Metall, etwa handgroß und zweifellos künst lichen Ursprungs. Alle Flächen glänzten wie glatt poliert. Es besaß unregelmäßig verteilte Vertiefungen, Aussparungen und Vorsprün ge. »Was ist das?« fragte ich heiser. »Ich weiß es nicht«, lautete ihre Antwort. Und ich weiß nicht, ob es etwas bedeutet, kam es mit einem matten Impuls von mei nem Logiksektor, aber das Ding hat zweifel los die Farbe von Quecksilber!
* Kythara legte das Fundstück auf die Pa neele der Flugkontrollen und warf sich in den Kontursessel. Mit wenigen Handbewe gungen erweckte sie die NATAS aus ihrer Parkfunktion. »Uns bleiben noch zwei wei tere Zugänge.« Sie sah mich fragend an. »Nur – welcher ist der richtige?« »Du nimmst an, der andere ist wie dieser unpassierbar?« »Liegt doch nahe, oder?« Sie wischte sich über die Stirn und band ihre Mähne mit ei nem Band im Nacken zusammen. Dann rief sie den Aufrissplan erneut aus den Speichern auf. »Mich interessiert mehr, was das für ein Ding da ist«, murmelte Veschnaron. »Sieht aus, als wäre jemand vor uns da gewesen und bis zu dieser Stelle gekommen. Könnte alles sein, was von ihm übrig geblieben ist.« Kythara kommentierte seinen Einwurf mit einem Achselzucken. Sie deutete auf die schematische Abbil dung. »Wir befinden uns auf halber Höhe zwischen Punkt 4 und Punkt 0. Die beiden anderen Korridore zweigen jeweils in den Mitten der Strecken 4-2 und 8-6 ab.« »Es gibt zumindest einen Unterschied«,
sagte ich. »Die Strecke zwischen Punkt 4 und Punkt 8 verbindet die beiden Oberflä chensiedlungen beziehungsweise ihre nach unten reichenden Schächte miteinander. Die Strecke von Punkt 8 zu Punkt 0 ist nur durch eine der Siedlungen gekennzeichnet – eben die oberhalb von Punkt 8.« »Ist der Unterschied damit qualitativ?« Veschnaron verschränkte die Arme vor der Brust. Ich zuckte meinerseits mit den Achseln. »Zumindest ist der von der Strecke zwischen Punkt 4 und Punkt 8 abzweigende Gang der kürzeste Weg zur Zentrale – aus dem Blick winkel der Oberflächensiedlungen betrach tet. Er ist geometrisch bedeutender. Einen anderen Unterschied kann ich nicht erken nen.« »Also dann.« Kythara steuerte die NA TAS den breiten Gang zurück, den wir ge kommen waren. Am vertikalen Schacht an gekommen, bremste sie das Kleinoktaeder ab und lenkte es in eine scharfe Rechtskur ve, ehe sie erneut beschleunigte. Wiederum ging es fünf Kilometer weit in den Korridor hinein. Er war ebenso verwaist wie der vorherige. Diesmal erschien der zur Zentrale abzweigende Weg zu unserer Rech ten. Kythara parkte wie zuvor das Beiboot auf dem Landekissen. Wir schleusten aus. Vor uns erstreckte sich der 2900 Meter lan ge und im Querschnitt nur 100 zu 100 Meter messende Gang. Er war hell erleuchtet und ebenso verlassen und leer wie sein Ebenbild. Wir aktivierten die Gravopaks und schweb ten hinein. Ein Déjà-vu-Gefühl stellte sich unwillkürlich ein. Den beiden Varganen schien es ähnlich zu ergehen. Als wir uns der Einkilometermarke näherten, bedeutete uns Kythara zu landen. Vorsichtig gingen wir zu Fuß weiter. Und verhielten unseren Schritt, als wir die Kante erreichten. »Noch ein Unterschied!«, murmelte ich. Stirnrunzelnd trat Veschnaron neben mich. »Von jetzt an geht's abwärts, was?«, meinte er spöttisch. »Mal was Originelles.« Über die gesamte Breite des Ganges senk
Angriff der Togronen te sich der Boden zu einer schrägen Rampe ab, um nach einem Höhenunterschied von wenigstens zwanzig Metern abermals waa gerecht weiter zu verlaufen. Das Gefälle war mit etwa fünfzehn Grad nicht zu steil, um es zu Fuß zu nehmen. Und zu Fuß mussten wir gehen – schon der erste Schritt die Rampe hinab brachte alle Funktionen der Varganen anzüge zum Erliegen. »Doch die falsche Wahl?«, fragte die in die Ferne spähende Frau. »Jetzt sind wir schon mal hier«, gab ich zurück, entledigte mich meines nutzlos ge wordenen Anzuges und lief die Schräge hin ab. Kythara und Veschnaron taten es mir gleich. »Seltsam«, wunderte ich mich schon nach den ersten Metern. »Spürt ihr auch den Wi derstand?« Es gab kein Rumoren, kein Vibrieren des Bodens. Und doch verstärkte sich ein Ein fluss, den ich nicht besser beschreiben konn te als einen Widerstand, der mir mit jedem Schritt das Anheben der Füße erschwerte. »Die Atmosphäre verändert sich«, sagte Kythara nach wenigen weiteren Minuten. »Das Licht wird dunkler und dabei blau er«, sagte Veschnaron. »Und der Druck nimmt zu.« Ich starrte kopfschüttelnd auf meine Hosenbeine, die sich unter dem zunehmenden Druck enger an meine Muskeln pressten. Das Wahrnehmungsgefühl des Atmens wurde unangenehm. Das Luftgemisch im In neren Cabjarls entsprach dem in vargani schen Raumschiffen – bisher. Jetzt wurde die Luft mit jedem Atemzug schwerer, in gewisser Weise dickflüssiger, fast als könnte man sie beißen. Der auf uns lastende Druck ließ unsere Kleidungsstücke förmlich an uns kleben. Inzwischen bewegte ich mich stark vornübergebeugt und brachte meine Beine nur mit hohem Kraftaufwand wieder nach vorn. Es war als … … gingest du unter Wasser!, vervollstän digte der Extrasinn meinen Gedanken. Die Dunkelheit verstärkte sich. Das blau stichige Licht schimmerte irgendwo von
47 oben herab, doch schon meine Füße konnte ich nicht mehr erkennen; sie bewegten sich wie durch zähen Sirup in völliger Schwärze. »Kannst du noch atmen?«, vernahm ich Kytharas Stimme von irgendwoher – undeu lich, verzerrt, verschwommen. »Es geht gerade noch«, gurgelte ich. Der Druck lastete inzwischen auf meinem Hals wie eine von allen Seiten zudrückende Ha luterfaust. »Stehen bleiben«, glaubte ich zu verste hen. »Du bleibst bei ihm, Veschnaron. Bring ihn zurück. Ich schwimme weiter.« Undeutlich sah ich einen Schemen mit weit ausholenden Kraulbewegungen aus meinem Gesichtsfeld gleiten. Sie schwamm oder besser tauchte tatsächlich in dem seltsa men Medium, in dem wir uns befanden. Ve schnaron tastete nach meinem Gürtel. Der Vargane zog mich langsam mit sich in Rich tung der Schräge zurück. Dankbar ließ ich mich treiben. Kythara war irgendwo – ich konnte sie weder sehen noch hören. Je näher wir der Rampe kamen, desto hel ler wurde die Atmosphäre wieder. Die Be wegungen fielen leichter, der immense Druck nahm ab. Veschnaron und ich stiegen die Schräge hinauf und warteten auf die Varganin. Der Gang sah von hier aus wie zuvor: völlig leer und hell erleuchtet. Wir konnten sein gegenüberliegendes Ende mit dem Zugang zur Zentrale erahnen. Kythara aber war nicht zu erblicken. Zehn Minuten verstrichen. Und fünf weitere. Dann sah ich sie – ihre Konturen wurden klarer und tauchten im wahrsten Wortsinn aus dem Me dium auf, das den Gang erfüllte. Es wirkte in der Tat, als flösse Wasser von ihr ab. »Es war der falsche Weg«, sagte sie sicht lich enttäuscht. »Er ist ebenfalls unpassier bar. Ich drang bis zu dem mir gerade noch möglichen Punkt vor. Es tut mir Leid. Mehr als das habe ich nicht gefunden.« Erst jetzt zog sie die auf dem Rücken ge haltene Hand nach vorn, und wieder erblick ten wir ein Stück Metall, das in Form, Farbe und Größe dem vorhin gefundenen weitest gehend glich.
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Weitestgehend – ja, bestätigte der Extra sinn. Aber die Fundstücke sind nicht völlig identisch. Die Vertiefungen und Aussparun gen sind anders angeordnet. »Eigenartig«, sagte ich nachdenklich. »Was soll's?«, fasste Veschnaron unseren bisher mehr als mäßigen Erfolg zusammen. »Noch mehr traurige Überreste.« Ich gewann den Eindruck, dass er sich irr te, ohne sagen zu können, warum.
* Kythara legte das zweite Fundstück zu dem ersten auf die Paneele der Flugkontrol len. Die NATAS erhob sich und setzte ihren Flug in der bisherigen Richtung fort. Das Kleinoktaeder beschleunigte und schwebte dem vertikalen Schacht an Punkt 8 entgegen. Nach fünf Kilometern ungehin derten Fluges lenkte Kythara das Beiboot in den dritten Großkorridor hinein, der den An tigravschacht mit dem Punkt 0 verband. Nach abermals fünf zurückgelegten Kilome tern parkte sie das Boot zum dritten Mal auf seinem energetischen Landekissen. Vor uns erhob sich die quadratische, einhundert Me ter hohe Öffnung des zur Zentrale führenden Ganges, nachdem wir die NATAS verlassen hatten. »Ich will ja die Stimmung nicht unnötig verderben«, sagte Veschnaron, als wir uns schwebend der hiesigen Einkilometermarke näherten. »Aber was ist, wenn sich auch die ser Gang als unpassierbar erweist?« »Er ist der letzte verbleibende«, sagte Ky thara bestimmt. »Was für einen Sinn hätte das?« »Unter anderem den, uns zu zeigen, wie unüberwindlich Haitogallakins Fallen- und Sicherungssysteme sind«, knurrte der ehe malige Flottenkommandeur und dirigierte seinen Flugvektor nach unten. Wenn es überhaupt Fallen sind, wisperte der Extrasinn. Was meinst du damit?, fragte ich lautlos. Nur so ein Gedanke, antwortete mein zweites Ich, ohne näher darauf einzugehen.
Wir landeten und betrachteten die ebene Fläche, während wir vorsichtig weitergin gen. Der Ausfall der Anzugsysteme geschah so plötzlich wie in den beiden vorherigen Gän gen, unmittelbar nach dem Überschreiten der unsichtbaren Grenze. »Alles wie gehabt«, mokierte sich der breitschultrige Vargane. Wir schlüpften aus den technisch toten Anzügen, warfen sie zu einem goldenen Kleiderhaufen zusammen. »Achtet auf jede kleinste Veränderung«, riet Kythara und übernahm die Führung. »Warum nutzt uns hier unten das Trans pondersignal der NATAS nichts?«, empörte sich Veschnaron. »Wir haben doch bewie sen, dass wir zu den Guten gehören.« Hast du das wirklich?, dachte ich zwei felnd. Oder hoffst du es nur? Die ständige Anstrengung, das leidige An- und Ablegen der Anzüge, die Ungewis sheit des richtigen Vorgehens, Veschnarons wahrscheinliche Verbindung zu den Lord richtern – alles das brachte mein Blut offen bar spürbar in Wallung. Ich begann zu schwitzen und wischte mir mit dem Ärmel immer öfter übers Gesicht. Veschnaron ne ben mir lachte, als er es sah, und schritt noch zügiger aus. Kythara blieb stehen, als sie merkte, dass ich zurückblieb. »Probleme?«, wollte sie wissen. »Mir wird so heiß.« Ich riss mir das Ober teil der Bordkombination herunter. Der Schweiß trat mir aus allen Poren, und ich wedelte mir mit dem Kleidungsstück ver meintliche Kühle zu. »Es ist tatsächlich wärmer geworden«, schnaufte Veschnaron verdrießlich. Kythara lächelte und schüttelte den Kopf. »Ich vergesse immer wieder die schwächere Konstitution von Nicht-Varganen. Aller dings sollte dir das bisschen Hitze nichts ausmachen, Veschnaron, oder?« »Natürlich nicht«, knurrte er. »Ich frage mich nur, woher die Hitze kommt.« »Ich frage mich mehr, warum sie kommt«, murmelte ich. »Gehen wir weiter.« »Nein«, widersprach mir die Frau. »Luft
Angriff der Togronen leitet Temperatur an sich zwar nicht beson ders gut, aber immerhin gut genug, um dich zu versengen, wenn sich die Hitze steigert, womit ich inzwischen fast rechne.« »Also die dritte von Haitogallakins Fal len!« Veschnaron starrte missmutig den Gang hinunter. »Du kehrst zu den Anzügen zurück«, ver langte Kythara. »Veschnaron und ich versu chen es allein.« »Ich sollte vielleicht sicherheitshalber als deine Rückendeckung hier bleiben«, sagte der Vargane zu Kythara. »Wenn wir beide zugleich ausfallen, dann …« Er ließ den Rest des Satzes in der Schwebe. »Einverstanden. Atlan?« Ich nickte und sagte: »Pass auf dich auf.« Damit wandte ich mich um und lief in einem leichten Trab bis zu der Stelle zurück, an der die Kampfanzüge lagen. Als ich die Montur wieder angelegt hatte, winkte ich den beiden Varganen, die etwa einen Kilometer entfernt warteten. Ein paar Schritte zurück ließ die Technik wieder aufleben. Der Vergrößerungsmodus der Helmoptik zoomte mir das Bild deutlich heran. Kythara winkte ebenfalls und mar schierte los. Schon nach den ersten fünfzig Metern verschwand sie in einer Wand aus wabernder Luft, in der der Gang und die Leuchtkör per entlang der Decke und der Wände flim merten. Rötliche Schatten geisterten über die Wände. Grellere Helligkeit erwuchs hinter der Wand aus wabernden Luftmassen, und ich spürte einen warmen und schon bald glü hend heißen Luftzug im Gesicht. Die Atmosphäre roch plötzlich nach ge schmolzenem Kunststoff, verschmorten Lei tungen und Ozon; ich glaubte das Knacken sich verbiegenden Metalls zu hören, ver mischt mit dem Geräusch platzender Leuchtkörper und dem fernen Rauschen to bender Flammen. Wie viel davon Einbil dung war und wie viel ich wirklich mit mei nen Sinnen erfasste, vermochte ich nicht zu sagen. Der Gestank wurde ätzender, die Luft immer beißender. Die Temperatur der mir
49 entgegenwehenden Strömung stieg am Ende so weit an, dass ich den Schutzschirm des Anzugs aktivierte. So wartete ich, bis ich an den Anzeigen ablesen konnte, dass sich der Aufruhr allmählich legte. Als ich den Schirm desaktivierte, schmeckte die Luft nach Chemikalien. Dann sah ich Kythara. Sie schleppte, leicht hinkend, den keuchenden Varganen mit sich; sie selbst sah aus wie die im letzten Moment gerettete Überlebende eines Brandinfernos. Ihre Bordkombination hing ihr in unkenntlichen Fetzen am Körper; ihre Haare schienen angesengt zu sein. Stumm schüttelte sie den Kopf, ließ Ve schnaron auf den Boden sinken und setzte sich daneben. »Er hat viel mehr gelitten als ich«, flüster te sie irgendwann. »Obwohl er sich viel wei ter entfernt befand als ich. Dort vorn entfes selten Haitogallakins Apparaturen die rein ste, sprichwörtliche Hölle. Schau dir nur das an.« Sie löste die Reste ihrer Stiefel von den Füßen, die ihr in der Hand zerbröckelten. Ih re Fußsohlen wiesen Brandblasen auf, jeden falls dort, wo die Haut nicht blutete. »Weiter als bis etwa 500 Meter kam ich nicht an die Zentrale heran.« »Das hat Zeit bis später«, sagte ich und kniete neben ihr nieder. »Deine Verletzun gen gehen vor.« Ich öffnete eines der Etuis des Anzuges, in dem sich ein Medoscanner befand. Sie winkte ab. »Bis zum Beiboot wird es gehen. Es sieht schlimmer aus, als es ist.« »Und?«, fragte ich verwundert. »Kein Fundstück diesmal?« Kythara griff in ihren Gürtel und warf mir den spiegelnden Metallbrocken zu. In der Erwartung, mich zu verbrennen, hätte ich ihn beinahe fallen lassen. Sie grinste. »Er war völlig kühl, als ich ihn inmitten der Flammen fand.« Dann lach te sie humorlos auf. »Fand ist vielleicht et was zu viel behauptet. Ich bin über das blö de Ding schlichtweg gestolpert.« »Verdammter Haitogallakin«, brachte Ve schnaron hustend und wütend zugleich her
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vor. »Wenn dies ein Hinweis sein soll, ver stehe ich ihn nicht. Sind das Schlüssel oder was, um die Fallen zu entschärfen?« Er kam mühsam auf die Füße. Wenn es denn Fallen sind, wiederholte der Extrasinn seine frühere Bemerkung. Vielleicht handelt es sich gar nicht um Fal len, sondern die drei Gänge stellen ultimati ve Prüfungen für Varganen dar. Niemand, außer Wesen mit varganischer Konstitution – nicht einmal Haluter –, hätten die von Ky thara gefundenen Metallteile bergen kön nen. Aus größter Hitze, massivem Über druck und bebender Erde – möglicherweise handelt es sich bei den Artefakten um Beloh nungen für den, der die Prüfungen bestan den hat? »Ich denke, ich ahne, um was es sich da bei handelt«, sagte ich langsam.
* Der ovale Medo-Servorobot setzte die Zellregeneratorsonde ab, mit der er Kytharas Brandverletzungen versorgt hatte. Das zu letzt gefächerte, türkisfarbene Licht des Heilstrahls erlosch. Anschließend sprühte er eine Schutz gebende Biomolschicht auf und schwebte summend in seine Bereitschaftsni sche zurück. Ungeniert streifte die Varganin die Fetzen ihrer Kleidung herunter und zog sich um. Mit einer energischen Handbewegung schloss sie den Saum ihrer neuen Kombina tion. »So, das wäre erledigt«, sagte die Frau grimmig. »Allmählich beginnt mich Haito gallakin zu ärgern. Was denkst du erahnt zu haben?« Sie musterte die drei nebeneinander liegenden Metallteile mit einem abschätzen den Blick. »Genau genommen war es eine Bemer kung meines Extrasinns«, antwortete ich. »Nur wer denkt wie Haitogallakin, wird als Freund betrachtet und hat daher eine Chan ce, lautete der Impuls. Ich bezog das zu nächst auf die Person Haitogallakins. Ich fragte euch, wie er dachte. Dabei ist es ge-
nauso gut möglich zu fragen, wie Haitogal lakin als Vargane dachte. Wie denkt ein var ganischer Chefwissenschaftler?« Veschnaron beugte sich vor und musterte mich gespannt. Kythara lehnte sich zurück und nahm einen Schluck ihres Getränks. »In den meisten galaktischen Kulturen gibt es unter den Wissenschaftlern zwei Hauptgruppen«, spann ich den Faden weiter. »Die Fortschrittlichen und die Traditionali sten. Die Ersten kümmern sich hauptsäch lich um neue Ansätze; die Zweiten sehen sich als jeweiliger jüngster Ast eines weit verzweigten Baumes. Es ist für diese Grup pe wichtig, sich immer wieder ihrer Wurzeln zu versichern, während die anderen Traditio nen eher ablehnen.« »Ich verstehe, was du meinst«, meinte Kythara. »In diesem Sinn war Haitogallakin sicher ein Traditionalist.« Ich nickte. »Auf der Erde, meiner zweiten Heimat, erinnern sich die meisten Traditio nalisten auch heute noch der Ursprünge aller Disziplinen. Zu einer Zeit, als alle Wissen schaft noch ungeteilt betrieben wurde, kann ten die frühen Denker lediglich ein metaphy sisches Modell der Wirklichkeit. Es wurde gekennzeichnet durch nur vier Urelemente: Feuer, Wasser, Erde, Luft.« »Ich hörte auf Vinara davon«, bestätigte Kythara. »Die Klassifizierung entspricht den vier so genannten Urkräften des Universums – der schwachen Wechselwirkung, der star ken, der Gravitation und dem Elektromagne tismus.« Sie dachte einen Moment nach. »Das Modell wird in der Regel als falsch er kannt, wenn eine Zivilisation den Hyper raum mit seinen fünfdimensionalen Einflüs sen zu verstehen beginnt.« »Und doch kennt ihr Varganen ein ver gleichbares, wenn auch ausgefeilteres Mo dell«, fuhr ich fort. »Ischtar erzählte mir da von. Ihr nennt es Oris, Ibin, Valas, Huril – diese Begriffe entsprechen den von mir ge nannten irdischen: Feuer, Wasser, Erde, Luft. Zusätzlich nannte Ischtar die Bezeich nungen Vragon und Kyrthon …« Kytharas goldfarbene Augen wurden
Angriff der Togronen groß. »Vragon bezeichnet eine höhergeord nete Kraft oder Energie und bezieht damit die Fünfdimensionalität mit ein; Kyrthon heißt eigentlich Eis oder Kristall und um schreibt die den Dingen zugrunde liegende Ordnung oder Regelmäßigkeit.« »Ischtar«, sagte ich langsam, »betonte bei einer Gelegenheit, eure Vorliebe für die Grundform des Oktaeders läge in jener Sechsheit begründet. Ein Darstellungsprin zip, in dem die sechs Ecken den sechs var ganischen Urelementen entsprechen.« »Oben liegt Vragon, unten Kyrthon; die vier waagerechten Ecken sind Oris, Ibin, Valas und Huril«, ließ sich Veschnaron ver nehmen. Es klang verächtlich. »Das wusste früher jedes Kind. Na und? Was hat das mit unserer Situation zu tun?« »Darauf komme ich gleich«, erwiderte ich. »Ich halte fest: Haitogallakin ist ein Tra ditionalist. Wer wie er denkt, hat eine Chan ce. Und das Oktaedermodell mit einbezieht. Das ist der Schlüssel.« »Das wird mir zu hoch«, polterte Ve schnaron. »Worauf willst du hinaus?« »Es ist ganz einfach. Der Gang mit dem Beben und den Schwerkraftfallen – welches Element würdest du ihm zuordnen?« »Eindeutig Valas – das Erdelement«, kam es von Kythara. »Der zweite Gang, in dem du sogar ge schwommen bist?«, setzte ich nach. »Ibin – Wasser.« Sie nickte verstehend. »Und der dritte Gang?« Es war inzwi schen eine rein rhetorische Frage. Selbst Ve schnaron konnte sie beantworten. »Oris – Feuer!«, schnaubte er. »Wobei, wohlgemerkt, alle drei Gänge nur von einem echten Varganen – oder einer echten Varganin – bis exakt zu dem Punkt betreten werden konnten, an dem du die Me tallteile fandest. Das System verlangt den Beweis echten Varganentums.« »Doch es gibt nur drei Gänge«, zweifelte Veschnaron. »Es fehlen Huril, Vragon und Kyrthon.« »Zunächst einmal fehlt nur Huril. Ohne das Element Luft wären die vier waagerech
51 ten Eckpunkte des Oktaedermodells unvoll ständig, einverstanden?« Beide Varganen nickten. »Der gesamte Stützpunkt ist geometrisch angeordnet. Wo wäre ein geometrisch ange ordneter Gang, der das Element Luft reprä sentiert, zu vermuten?« Kythara drehte sich in ihrem Kontursessel um und lud den Aufrissplan hoch. Die drei Gänge um das Zentrumsdreieck drehten sich als Hologramm. Dann schlug sich Kythara mit einem Mal die Hand vor die Stirn und lachte auf. »Es ist wirklich einfach. Kein Gang. Sondern ein Schacht. Von oben. Aus der Luft.« Ich wies die Positronik an, die Gänge so zu verlängern, dass sie sich im Schwerpunkt des Dreiecks schnitten. »Jetzt einen senk rechten Schacht darüber projizieren.« Lä chelnd deutete ich auf den rot hervorgehobe nen Vektor. »Seht, wo er die Oberfläche durchstößt.« Veschnaron sprang vor und starrte die Darstellung an. »Direkt am Transmitter punkt. Von dem aus wir die weiße Halle er reichten.« »Und eben dorthin müssen wir«, behaup tete ich. »Du hattest von Anfang an Recht. In der Pyramidenhalle finden wir Haitogal lakins eigentliche Spielerei.« Das Kleinoktaeder sauste bei diesen Wor ten schon den Gigantkorridor entlang. Ky thara stand an den Pilotenkontrollen und warf mir einen Blick zu, in dem sich Ver wunderung mit Anerkennung mischte. Ich grinste zurück und fühlte mich für einen Se kundenbruchteil wieder wie der achtzehn jährige Kristallprinz, der ich einmal gewesen war – jung, voller unbändigem Tatendrang und keineswegs erhaben über einen flüchti gen Impuls schwellenden Stolzes. Die NATAS stieg den vertikalen Schacht hinauf.
* Der Transmitter versetzte uns in die weiße Halle. Diesmal war ich auf die blendende
52 Helligkeit vorbereitet. Veschnaron trug die drei Metallteile und hielt sie mir unschlüssig entgegen. »Und was geschieht jetzt?«, ver langte er ungeduldig zu wissen. »Die Objekte sind die Belohnung für jeden Varganen, der sich der Tortur in den Gängen aussetzt«, sagte ich. »Sie sind in der Tat der Schlüssel. Und nur hier kann dieser Schlüssel benutzt werden.« »Warum nur hier?«, fragte Kythara. Ich machte eine Geste, die das Innere der Halle umfasste. »Denkt an das Oktaeder als Modell der Sechsheit. Ganz oben, die Spit ze, symbolisiert Vragon, die höherwertige Energie.« Ich deutete zur Pyramidenspitze hinauf. »Was befindet sich dort oben?« »Der Transmitter«, meinte Kythara, den Kopf in den Nacken legend. Sie blinzelte in die Höhe hinauf. »Diese Halle hat fünf Flächen«, erklärte ich weiter. »Das Oktaedermodell hat sechs Eckpunkte; Vragon – der Transmitter – stellt dabei den höchstgelegenen dar. Du kannst auch sagen, er symbolisiere die Zahl Sechs. Er wirkt hingegen fünfdimensional und führt in eine Halle mit fünf Begrenzungsflächen.« »Oder mit vier Wänden«, wandte Ve schnaron ein. »Ich sehe immer noch nicht …« »Du hast völlig Recht«, unterbrach ich ihn. »Vier gleiche Wände. Die Bodenfläche fällt aus dem Rahmen. So, wie die Sechsheit fünfdimensional wirkt, hat die fünfflächige Pyramide, in der wir uns aufhalten, eine vierbetonte Gleichheit. Es ist wie bei einer mathematischen Ableitung. Wir haben also die Zahlen Sechs – Fünf – Vier – …« »Ein Countdown?«, entfuhr es Ve schnaron ungläubig. »Haitogallakins Countdown«, bekräftigte ich. »Der vierte Zugang zur Zentrale beginnt in der einen Fläche, die aus der Fünfheit her ausfällt. Hier kommen die Metallteile ins Spiel. Ich bin sicher, dass sie sich irgendwie zusammensetzen lassen.« Veschnaron starrte die glänzenden Teile verdrießlich an und drückte und schob an ihnen herum, doch vergeblich.
Michael H. Buchholz »Gib sie Kythara. Bisher war sie allein in der Lage, sich nach Haitogallakins Gedan kenspiel zu verhalten.« Kythara nahm die Metallteile und drückte ebenso ergebnislos an ihnen herum wie vor dem Veschnaron. »Geh mit ihnen zum exakten Mittel punkt«, forderte ich. »Hier hat alles einen streng geometrischen Bezug.« »Und jetzt?« »Leg sie einfach so hin, dass sie sich be rühren«, gab ich einen Impuls meines Extra sinns weiter. Sie folgte meinem Rat, die Me tallteile verloren, kaum von ihr losgelassen, knisternd ihre Konsistenz. Sie verwandelten sich in eine glänzende Flüssigkeit, deren La chen aufeinander zustrebten. »Wie Queck silber!«, lächelte die Varganin. Im nächsten Moment erstarrte die Flüssig keit wieder zu fester Form. Vor uns lag ein chromglänzendes Tetraeder auf dem Boden der weißen Halle. »Vier gleiche Seiten, aus Dreiecken zu sammengesetzt«, sagte ich. »Wieder das Prinzip der Reduktion aus sich selbst. In un serem Countdown hat sich nach der Vier nun die Zahl Drei eingefunden.« Als hätte ich damit ein Zeichen gegeben, verschwand der Boden von einem Augen blick zum anderen. Das Tetraeder entmate rialisierte. Die Mikropositroniken unser Kampfanzüge fuhren im selben Moment die Gravopaks hoch und hielten uns in der Schwebe. Doch die technische Vorsorge war über flüssig. Ein schwaches Antigravfeld baute sich auf. Wir justierten die Gravopaks und san ken langsam in einen quadratischen Schacht hinab, dessen Bodenfläche in 1800 Metern Tiefe lag. Gewohntes blaustichiges Licht umgab uns, in dessen Schein Veschnarons Augen erregt funkelten. »Ich gebe zu, ich habe dich unterschätzt, Arkonide. Doch wo liegt nach deiner Theo rie in der Drei jetzt die Zahl Zwei verbor gen?« Die Spitze der weißen Pyramide blieb über uns als ein hell erleuchtetes Schacht
Angriff der Togronen dach zurück. Ich zeigte ihm in einer hilflosen Geste die leeren Hände. »Vorschläge sind immer will kommen. Ich weiß es nicht. Dafür kenne ich die Zahl Eins.« »Der einzige Zugang zur Zentrale?«, kam es von Kythara. »Ich nehme es an«, sagte ich. »Der Schluss liegt zumindest nahe. Das entsprä che Kyrthon, der den Dingen zugrunde lie genden Regelmäßigkeit und Ordnung. Und der Zugang liegt am Grund dieses Schachts.« »Veschnaron – was ist das älteste vargani sche Symbol der beiden?«, erkundigte sich die Varganin bei ihrem Artgenossen. Wir drifteten immer tiefer hinab, hatten mittler weile ungefähr achthundert Meter Höhenun terschied zurückgelegt. Noch ehe Veschnaron, verdutzt über die Frage, antworten konnte, trieb mir jemand glühende Nadeln ins Gehirn. Die unbe schreiblichen Schmerzen kamen urplötzlich und rasten den Nacken hinunter bis ins Rückenmark hinein. Ich schrie und begann unkontrolliert um mich zu schlagen, wurde zu einem zuckenden Bündel gequälten Flei sches. Ich sah nichts mehr, doch ich hörte Ve schnaron gleichfalls schreien. »Atlan!«, rief Kythara erschrocken. Dann war sie neben mir, suchte meine unkontrol lierten Zuckungen zu beruhigen, strich mir die Haare aus der Stirn. Schlagartig ließen die Schmerzen nach und verschwanden, als hätten sie nie existiert. Kythara schien den Einfluss nicht an sich selbst zu bemerken; sie schwebte nur besorgt an meiner Seite. Verbundenheit!, hämmerte der Extrasinn in drängenden Impulsen. Berührung als Zei chen der Verbundenheit ist das varganische Symbol der Zahl Zwei! »Veschnaron!«, stieß ich hervor. »Du musst ihn berühren! Schnell! Berührung be deutet zwei!« Sie nickte verstehend. Ein Gedankenbe fehl trug sie zu dem um sich schlagenden Mann hinüber. Wie zuvor mir strich sie ihm
53 über die Wange. Ein unvorstellbarer, markerschütternder Schrei entrang sich daraufhin der Brust des breitschultrigen Mannes. Kythara wich unwillkürlich zu mir zu rück. Was wir sahen, war ebenso schockierend wie faszinierend zugleich. Veschnarons Gestalt machte eine verwir rende Veränderung durch. Weiterhin um sich schlagend und dabei geradezu jämmer lich schreiend, zerfloss sein Gesicht und wurde zu dem eines Tefroders, um schon im nächsten Augenblick der verzerrten Fratze eines löwenmähnigen Gurrads zu weichen. Auch der Körper streckte sich und schrumpfte in den Wellen, die seine Gestalt durchzuckten. In rasendem Tempo blickten wir in arkonidische, lemurische und andere galaktische Gesichter, sahen für Bruchteile eines Moments einen bluesschen Tellerkopf, einen unithischen Nasenrüssel, den Sichel schädel eines Maahks, wurden Zeuge seiner Verwandlung in Zaqoor, Togronen, in Aras, in einen Springer, sogar einen Matten-Willy glaubte ich zu erkennen – ehe ein sich um uns drei schließender, dunkelroter Ring aus wogender Energie dem Spuk ein Ende berei tete. In Kytharas gellendes »Nein!« hinein er folgte die Auflösung. Das den Schacht erfül lende Transmitterfeld flammte auf, und wir wurden mit unbekanntem Ziel abgestrahlt.
* »Er ist ein Gestaltwandler!«, brüllte ich, noch ehe ich meine Orientierung zurückge wonnen hatte. Per Gedankenbefehl aktivier te ich den Schutzschirm, als auch schon die erste Energiesalve über mich hereinbrach. Die kinetische Wirkung des Beschusses trieb meinen immer noch im Schwebemodus befindlichen Anzug wie ein Blatt im Wind vor sich her. Ein weiterer Gedankenbefehl, ich zog steil nach oben, ehe ich gegen die Tunnelwandung krachen konnte. Kythara kniete auf dem Boden und gab Dauerfeuer.
54 Ihr Ziel war ein davonjagender Energieko kon – Veschnaron hatte zuerst mich ange griffen und suchte nun sein Heil in der Flucht. Ich riss die Stabwaffe von der Oberschen kelhalterung und sandte ihm mehrere Schüs se hinterher, die seinen Schirm auflodern ließen, aber keinen Schaden anrichteten. Dann war er um eine stählerne Ecke gebo gen und außer Sicht. Ein Fehlschuss war in einen der Leuchtkörper eingeschlagen und hatte einen Teil der Abdeckung verbrannt. Ein anderer bildete eine geschwärzte Furche in der Wand. Erst jetzt erkannte ich, wo wir uns befan den. Der Ort glich dem Schachtboden unter den Oberflächensiedlungen – vier Gigant korridore trafen sich in den bekannten Win keln, nur der vertikale Schacht fehlte dies mal. »Wir sind am Punkt null angekommen!«, rief ich Kythara zu, als ich meinen Schirm desaktivierte. Erst im Nachhinein ging mir die darin enthaltene doppelte Bedeutung auf. »In der Tat«, pflichtete mir die Varganin bei. »Was war mit dir los?« »Ich nehme an, wir wurden im Schacht durch verborgene Scanner abgetastet«, mut maßte ich. »Möglicherweise ein umgekehrt gepolter Zellschwingungstaster. Eine Art ge richteter Zellkernstrahl. Varganische Kör perzellen reagieren infolge ihrer gleich fre quenten Schwingung nicht darauf – du hast schließlich nichts bemerkt. Dafür reagieren varganfremde Zellen umso mehr. Erst das sichtbare Zeichen der Berührung durch einen Varganen oder eine Varganin verän dert die Wellenstruktur. Deine Berührung interpretierte die Schachtpositronik als Ver bundenheit und schaltete den Strahl bei mir ab. Bei Veschnaron – oder besser: dem We sen, das vorgab, Veschnaron zu sein – löste deine Zellaura in der Kombination mit dem Tasterstrahl vermutlich den Effekt aus, den wir beobachteten.« »Und die Schachtpositronik stufte uns ge nerell als feindlich ein und versetzte uns hierher«, vollendete Kythara meinen Gedan-
Michael H. Buchholz ken. »Also war alles umsonst?« »Nicht ganz – wir wissen jetzt, dass unser Verdacht gegen Veschnaron gerechtfertigt war. Nicht gegen Veschnaron, meine ich – gegen den, der sich so nannte.« »Ein Gestaltwandler. Aber von welchem Volk – konntest du irgendwelche Merkmale erkennen?« Kythara stellte die Frage sicht lich erschüttert. »Leider nein«, gestand ich. »Ich kenne zumindest zwei Völker, die solche Fähigkei ten besitzen: die Gys-Voolbeerah und die Cynos. Aber ich habe nicht die leiseste Ah nung, ob und zu welchem dieser Völker er tatsächlich gehört.« »Ihm nach?« Sie hob die Augenbrauen und schob ein neues Energiemagazin in den Griff ihrer Stabwaffe. »Haben wir eine Wahl?«, fragte ich zu rück. »Wir müssen seiner habhaft werden. Er könnte jederzeit als Atlan oder auch als Kythara auftreten und unsere Freunde in der AMENSOON zum Narren halten – oder Schlimmeres tun.« Wortlos aktivierte sie ihr Gravopak und flog in den Gang hinein, in dem der Gestalt wandler verschwunden war. Ich jagte ihr in geringem Abstand hinterher. »Danke«, sagte sie nach einigen Minuten. »Wofür?« »Dass du Kalarthras einen Freund ge nannt hast.« Wir flogen mit hoher Geschwindigkeit einen der 21 Kilometer weiten Gigantkorri dore entlang. Er verband zwei der subplane taren Kuppelstädte miteinander. Bis zur nächsten Stadt hatten wir noch knapp neun Kilometer Wegstrecke vor uns. Relativ zu den Oberflächensiedlungen betrachtet be wegten wir uns 2000 Meter tief im Innern Galadats, auf der untersten Sohle des varga nischen Stützpunkts, durch die schnurgerade Verbindung nach Osten rasend. »Wir sollten die beiden darüber informie ren, was hier vor sich geht«, gab ich zu be denken. Kythara zeigte an, dass sie verstanden hatte, und rief die AMENSOON. »Ich be
Angriff der Togronen komme keine Verbindung! Kannst du Stör felder orten?« Ich ließ per Gedankenbefehl die entspre chenden Displays einblenden – das heißt, ich wollte es tun, musste den Gedanken aber mehrfach scharf akzentuieren, ehe die An zeige sich stabilisierte. Das war ungewöhn lich, doch fand ich keine Zeit, mich darüber zu wundern. Die Messwerte waren einwand frei. »Keine Störquellen.«. Kythara wiederholte ihren Funkanruf. Sie bekam abermals keine Verbindung. Auch ich versuchte mehrfach vergeblich, unser Schiff zu erreichen. Etwas störte den Emp fang, doch es gelang uns nicht, die Ursache dafür zu orten. Das Wesen, das uns als Veschnaron ge genübergetreten war, war für unsere Anzug systeme leicht anzumessen. Obwohl der Ge staltwandler seinen Deflektorschirm gewiss aufgebaut hielt, erkannten sich varganische Kampfanzüge auch im aktiven Tarnmodus. Er befand sich etwa drei Kilometer voraus. Kurz darauf registrierten wir eine rechtwink lige Kursänderung – der Gestaltwandler bog nach rechts in den nächstgelegenen Gigant korridor ab, der entlang der Peripherie eines der Y-Balken nach Süden führte. Und dann schien der Punkt, den die Mikropositronik in den Helm einspiegelte, zu verharren. Der Gestaltwandler wurde entweder aufgehalten – oder er erwartete uns dort. Wir erreichten die riesige T-Kreuzung. Beide sich hier treffenden Korridore lagen verlassen im bläulichen Licht. Wir verlang samten unseren Flug, als wir in einiger Ent fernung ein goldenes Schimmern sahen. Vor uns lag der abgestreifte Varganenanzug auf dem Boden. Das Wesen, das ihn getragen hatte, war nirgendwo zu erblicken. »Warte!« Kythara landete in etwa fünfzig Metern Entfernung. »Da er ein Gestaltwand ler ist – woher wissen wir dann, ob dies sein Anzug ist? Oder ob nicht etwa er der Anzug ist?« Sie blickte sich angespannt um. »Oder ist er eines der Schotten da vorn oder dieses
55 Geländer dort oben?« Sie zeigte mit dem Waffenstab zu einem kühn vorspringenden Balkon hinauf. Trotz unserer voll funktionstüchtigen und gedankenschnell steuerbaren Kampfanzüge fühlte ich mich plötzlich unbehaglich. Wie trügerisch die Technik sein konnte, hatten wir heute hinlänglich erfahren. Kythara hatte zusätzlich einen Aspekt erkannt, der sich für uns als völlig unkalkulierbares Risiko erwei sen musste. Ihr solltet besser hier verschwinden!, warnte der Logiksektor. »Du hast Recht«, flüsterte ich unwillkür lich. »Er kann buchstäblich alles sein. Und das da«, ich deutete auf den verlassenen Schutzanzug, »ist hundertprozentig eine Fal le.« »Wohin also?« Auch sie sprach nun mit leiser Stimme. »Wir nehmen den längeren Weg«, schlug ich vor. »Weiter bis zur Kuppelstadt. Und von da an zum Punkt 8 und dort den Verti kalschacht hinauf.« »Dann los!« Wir stiegen auf und flogen mit erhöhter Geschwindigkeit zu dem zur Kuppelstadt weiterführenden Korridor zu rück. Wir erreichten die rechte Kante der stählernen Tunnelwandung und bogen ab – und flogen mitten in die jäh aufflammenden Fesselfelder hinein. Den mehrmaligen Ge dankenbefehl, die Schutzschirme aufzubau en, ignorierte die Mikropositronik. Ich ver mutete sofort, dass Veschnaron sämtliche Anzüge der GANTA sowie die aller zu dem Großoktaeder gehörenden Beiboote mit Computerviren verseucht hatte. Wahrschein lich bedurfte es nur eines Signals, und die Viren begannen ihr zerstörerisches Werk. Kobaltblaues Leuchten umfing uns und verhinderte jede weitere Bewegung. Die Mikropositroniken ermittelten die Feldstärken der Fesselprojektoren, klassifi zierten sie als unüberwindlich und desakti vierten daraufhin die Gravopaks. Wir sanken zu Boden und sahen uns von 25 schwerstbewaffneten Zaqoor umstellt. Je der der zwei Meter fünfzig großen Huma
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noiden trug die obligatorische Kampfrü stung. Alle Waffen waren aktiviert und auf uns gerichtet. Die Abstrahlfelder flimmerten in tödlicher Drohung. Selbst wenn wir uns noch hätten wehren können, wäre jede Be wegung sinnlos, wäre jeder Gedanke an eine Flucht zum Scheitern verurteilt gewesen. Zwei der Zaqoor rissen uns die Waffen aus den Händen. Die anderen bildeten einen vielleicht zehn Meter durchmessenden Kreis. Aber das war nicht das Schlimmste. Das Gelächter, das in diesem Moment von den Tunnelwandungen widerhallte, war um Klassen erniedrigender. Der Mann mit den rotgoldenen, fingerkurzen Haaren trat in den Kreis der ihn überragenden Zaqoor, über dem linken Arm den varganischen An zug tragend, mit der Rechten seinen Nacken massierend. »So viel Talent sagt man dir nach, Arko nide«, tönte die sonore Stimme des Gestalt wandlers, der sich Veschnaron hatte nennen lassen. Ein belustigtes Funkeln erschien in seinen goldenen Augen, als er näher trat und spöttisch auf mich herabsah. »Und so viel Dummheit, so viel Arroganz und so viel Selbstgefälligkeit vergisst man gemeinhin dabei mit zu erwähnen. Dabei ist es doch ge rade deine Narretei, die dich so einzigartig
macht, nicht wahr, mein kleiner arkonidi scher Freund?« Er drehte sich einmal um sich selbst und lachte abermals. »Man sagt, du seist ein Ritter der Tiefe«, rief er. Kopfschüttelnd holte er Luft und wischte sich dabei Tränen aus den Augen winkeln. »Wie Kalarthras sagen würde – es ist nicht zu fassen.« Er ließ von mir ab und wandte sich Ky thara zu. »Nun ja, schöne Varganmaid.« Er schüt telte den Kopf. »Es wird mir eine Ehre sein, dir die Schmerzen, die ich deinetwegen er litt, zu vergelten. Das heißt, wenn das, was die Lordrichter von dir übrig lassen, noch Schmerzen empfinden kann.« Er gab den Zaqoor einen Wink. »Abführen!«, zischte er. Er warf sich den Anzug achtlos über die Schulter und stapfte aus dem Kreis der Gar byor-Leibgardisten. Die stählernen Wände hallten wider von dem Getrampel der vielen Stiefel, die sich plötzlich auf Kythara und mich zubewegten. ENDE
ENDE
Fluchtpunkt Craddyn von Rüdiger Schäfer Die Zaqoor waren letztlich doch erfolgreich bei ihrer Jagd auf Atlan und Kythara. Nun mehr droht unseren Helden die gefahrvolle Begegnung mit den Lordrichtern. Womöglich kön nen sie dabei mehr über deren Identität und Schwachstellen in Erfahrung bringen, doch viel wahrscheinlicher ist es, dass sie dabei ihr Leben verlieren werden. Es gibt nur einen Ausweg: FLUCHTPUNKT CRADDYN